Springer-Lehrbuch
Erhard Hornbogen
Werkstoffe Aufbau und Eigenschaften von Keramik-, Metall-, Polymerund Verbundwerkstoffen
8., bearbeitete und erganzte Auflage mit 338 Abbildungen und 102 Tabellen
Springer
Dr.-Ing. Dr. h. c. Erhard Hornbogen Universitatsprofessor em. fur Werkstorrwissenschaft Ruhr-Universitat Bo chum
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ISBN-io 3-540-30723-0 8. Aufl. Springer Berlin Heidelberg New York ISBN-13 978-3-540-30723-5 8. Aufl. Springer Berlin Heidelberg New York ISBN 3-540-43801-7 7. Aufl. Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York Dieses Werk ist urheberrechtlich geschutzt. Die dadurch begriindeten Rechte, insbesondere die der Ubersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfaltigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfaltigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulassig. Sie ist grundsatzlich vergutungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1973,1979,1983,1987,1991,1994,2002,2006 Printed in Germany Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, daS solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden durften. Sollte in diesem Werk direkt oder indirekt auf Gesetze, Vorschriften oder Richtlinien (z. B. DIN, VDI, VDE) Bezug genommen oder aus ihnen zitiert worden sein, so kann der Verlag keine Gewahr fiir die Richtigkeit, VoUstandigkeit oder Aktualitat ubernehmen. Es empfiehlt sich, gegebenenfalls fiir die eigenen Arbeiten die vollstandigen Vorschriften oder Richtlinien in der jeweils giiltigen Fassung hinzuziehen. Herstellung: LE-TEX Jelonek, Schmidt & Vockler GbR, Leipzig Umschlaggestaltung: design & production GmbH, Heidelberg Gedruckt auf saurefreiem Papier 7/3100/YL - 5 4 3 2 1 0
Vorwort
Die Werkstofrwissenschaft ist eines der Grundlagenfacher der Ingenieurwissenschaften, die den Zusammenhang von Struktur und Eigenschaften aller fur die Technik bedeutsamen festen Stoffe behandelt. Sie ist im wesentlichen im Laufe des 20. Jahrhunderts entstanden und zu gewisser Reife gelangt. Ihre Urspriinge waren empirischer Natur. Die Stahlhartung beschreibt bereits Homer sachgerecht. Einige Namen seien erwahnt, welche die Situation zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts kennzeichnen: Adolf Martens (1850-1914), Ingenieur - betrachtete und analysierte als erster die wahrend der Stahlhartung ablaufende strukturelle Phasenumwandlung im Mikroskop. Alfred Wilm (1869-1937), Chemiker - entdeckte die Ausscheidungshartung, entwickelte danach eine heute noch gebrauchte Legierung des Aluminiums. Er wuflte aber nicht, daB er damit die ersteNanotechnologie gefundenhatte. Ludwig Boltzmann (1844-1906), Physiker - erweiterte den aus der Warmelehre stammenden Begriff der Entropie, so daB er spater fur die Deutung vieler Eigenschaften der Werkstoffe (Mischbarkeit, Gitterdefekte, Gummielastizitat), aber auch fur die Analyse und die Bewertung von Stoffkreislaufen niitzlich wurde. Im folgenden 20. Jahrhundert setzten sich zunehmend physikalisches Denken und physikalische MeBmethoden in unserem Fachgebiet durch. Dank hochauflosender Mikroskopie bietet heute die Position eines jeden Atoms in der Struktur eines Werkstoffs kaum mehr Geheimnisse. In der zweiten Halfte des vergangenen Jahrhunderts war die Werkstofforschung noch einmal besonders erfolgreich. Die Halbleiter und die daraus abgeleitete Technik sehr kleiner elektronischer Bauelemente (Transistoren), die schlieBlich in Siliziumkristallen integriert wurden, fuhrten zur zweiten industriellen Revolution. Immer wieder gab es neben der systematischen Erforschung des Gebietes uberraschende Entdeckungen, die unsere Kenntnisse sprunghaft erweiterten, deren Nutzen zum Teil noch in den Sternen steht. Dabei denken wir an die metallischen Glaser, Quasikristalle mit funfzahliger Symmetrie, besonders starke Ferromagnete, die keramischen HochtemperaturSupraleiter und die Legierungen mit Formgedachtnis. Fiir das Gebiet, das Werkstofrwissenschaft und -technik (materials science and engineering) urnfaBt, gibt es nur in der deutschen Sprache das Wort »Werkstofikunde«. Dem entspricht der Inhalt dieses Buches. Allerdings konnten die technischen Aspekte nur knapp und exemplarisch behandelt werden, da hierzu ja auch samtliche Fertigungstechniken gezahlt werden miissen. Ein Problem besteht darin, daB sich der Umfang des Wissens auf unserem Fachgebiet in den letzten Jahrzehnten so stark vermehrt hat, daB es immer schwieriger wird, der Entwicklung zu folgen, Wichtiges von weniger Wichtigem oder gar von nur Modischem zu unterscheiden. In diesem Buch wird der Versuch untemommen, die Ubersicht iiber das gesamte Gebiet zu bewahren.
VI
Vorwort
Der in sechs Auflagen bewahrte Aufbau des Buches mit 13 Kapiteln wurde beibehalten. Auf einen einfuhrenden Uberblick folgen drei Kapitel, in denen der mikroskopische Aufbau aller Werkstoffgruppen behandelt wird. Die Erorterung der makroskopischen Eigenschaften ist ebenfalls in drei Kapiteln zu finden: mechanische Eigenschaften, die anderen physikalischen Eigenschaften und die chemischen Eigenschaften, insbesondere der Oberflachen, einschlieBlich Reibung und VerschleiB. Die Einteilung aller Werkstoffe in vier groBe Gruppen spiegeln die Themen von vier weiteren Kapiteln wider: keramische, metallische, hochpolymere Werkstoffe und Verbundwerkstoffe. Die beiden letzten Kapitel sind werkstofftechnischen Aspekten vorbehalten. Dazu gehort ein systematischer Uberblick iiber die Fertigungsverfahren - vom Urformen (GieBen, Sintern, Aufdampfen) iiber Umformen, Trennen zu den Fiige- und Oberflachentechniken. Das letzte Kapitel ist dem gesamten Kreislauf gewidmet, vom Rohstoff zum Werkstoff in Fertigung und Gebrauch. Am Ende fuhren die verschiedenen Moglichkeiten des Versagens zum Abfall, zum Schrott. Die Ruckgewinnung gebrauchter Stoffe steht in Zusammenhang mit dem Begriff der »nachhaltigen Technik«, also einem sehr aktuellen Thema fur die zukiinftige Werkstoffkunde. Das Buch soil die notige »Allgemeinbildung« iiber Werkstoffe vermitteln, die von den Studenten der Ingenieurwissenschaften an Technischen Hochschulen erwartet wird. Es ist auch fur alle Naturwissenschaftler, vielleicht auch fur Wirtschaftswissenschaftler niitzlich, die im fortgeschrittenen Studium oder im Berufsleben mit Werkstoffen zu tun haben, und sich einen Uberblick iiber dieses uralte (4000 Jahre seit Beginn der Bronzezeit!), gleichzeitig junge und immer noch in reger Entwicklung befindliche Gebiet verschaffen wollen. Das Buch ist bemuht um eine knappe, systematische Darstellung auf neuestem Stand. Der Autor ware besonders erfreut, wenn es intelligente, junge Menschen zu aktiver Beschaftigung, zu eigener Forschung auf diesem reizvollen und niitzlichen Gebiet der angewandten Wissenschaft anregen konnte. Wie wird die Zukunft unseres Fachgebietes aussehen? 1. Natiirlich wissen wir nicht, ob und welche iiberraschenden Entdeckungen zu erwarten sind. Drei wesentliche Entwicklungen sind aber heute bereits ablesbar: 2. Die Nanotechnik ftihrt zur gezielten Herstellung mikroskopischer Strukturen, die ihre natiirliche Grenze in atomaren Abmessungen finden. Quantenmechanische Aspekte werden dabei an Bedeutung gewinnen. Fur technische Entwicklungen besteht hier noch ein weiter Spielraum. 3. Die Fiille groBtenteils schon vorhandener werkstoffwissenschaftlicher Kenntnisse wird im Rahmen von Modellierungsprogrammen kombiniert und optimiert. Weniger grundlegende Erkenntnisse als vielmehr ein Vordringen in hohere Ebenen der Komplexitat und daraus folgender technischer Nutzen ist zu erwarten. 4. Als Erganzung zum analytischen wissenschaftlichen Vorgehen (z.B. Untersuchungen am Einkristall) wird die integrierende Behandlung der gesamten Folge der Stoffumwandlungen in Kreislaufen groBere Aufmerksamkeit finden. Das wichtigste wissenschaftliche Werkzeug dafur ist die (statistische) Thermodynamik. Den Weg zu einer umfassenden Umweltethik konnte der Begriff der Entropieeffizienz bereiten. Fur die 7. Auflage ist die Anordnung des Stoffes der friiheren Auflagen im wesentlichen iibernommen worden. Als neue Abschnitte findet der Leser aber: 1.5 Korngrenzen und homogene Gefuge, 4.6 Gummi- und Pseudoelastizitat, 5.5 Supraleiter, 5.8 Formgedachtnis, 9.7 natiirliche Polymere, 12.1 Vom Werkstoff zum Schrott und 12.5 Entropieeffizienz und Nachhaltigkeit.
Vorwort
VII
Die Zahl der Geftigeaufnahmen wurde erneut vermehrt. Folgende Abkurzungen dienen zur Kennzeichnung der Untersuchungsmethoden: DLM - Durchlichtmikroskopie RLM - Ruckstrahllichtmikroskopie TEM - Transmissionselektronenmikroskopie REM - Rasterelektronenmikroskopie EB - Elektronenbeugung Bei der Herstellung des Manuskriptes bin ich Frau Ursula Schulz, Bochum, zu Dank verpflichtet, und naturlich, in langjahrig bewahrter Weise, den Mitarbeitem des SpringerVerlags (in Heidelberg und Berlin). Im Friihjahr 2005
Erhard Hornbogen
Aus dem Vorwort zur ersten Auflage
Die Lehre uber Werkstoffe kann sich nicht damit begniigen, den heutigen Stand der Technik zu vermitteln. Es ist notwendig, daB dem zukiinftigen Ingenieur Grundlagen vermittelt werden, die es ihm erlauben, die giinstigste Auswahl aus den vorhandenen Werkstoffen zu treffen und die Konstruktion den Werkstoffeigenschaften anzupassen, die Grenzen und Moglichkeiten der einzelnen WerkstofFarten zu beurteilen und die - gewiss rapide - Weiterentwicklung zu verfolgen, sich an dieser Entwicklung unter Umstanden selbst zu beteiligen. Im Mittelpunkt der einfuhrenden Behandlung des Gebietes der Werkstoffe steht deshalb ein Uberblick uber die Beziehung zwischen mikroskopischem Aufbau und den technisch wichtigen Eigenschaften, wobei die mechanischen Eigenschaften groBere Betonung fanden als die fur Werkstoffe der Elektrotechnik wichtigen elektrischen und magnetischen Eigenschaften. Es erschien weder moglich noch sinnvoll, alle speziellen Werkstoffe ausfuhrlich zu behandeln. Fur die Auswahl war vielmehr entscheidend, ob die behandelten Werkstoffe bestimmte kennzeichnende Eigenschaften besonders klar zeigen, oder ob sie von groBer technischer Bedeutung sind. Das Ziel war, die Eigenschaften aller Werkstoffgruppen zu kennzeichen und zu vergleichen. Aufbauend darauf sind natiirlich fur die verschiedenen Ingenieurfachrichtungen weitere Kenntnisse der speziellen Werkstoffe notwendig. Nicht behandelt wurden auBerdem Einzelheiten der Untersuchungs- und Priifverfahren. Vorausgesetzt werden die Kenntnisse, die bei einem ingenieurwissenschaftlichen Studium in den Einfuhrungsvorlesungen uber Chemie, Physik, Thermodynamik und Technische Mechanik in den ersten Semestern geboten werden. Beim Erarbeiten des Konzeptes zu diesem Buch waren Diskussionen mit Fachkollegen aus Hochschulen und Industrie, mit Studenten der Ingenieurwissenschaften und besonders mit den wissenschaftlichen Mitarbeitern des Bochumer Instituts von groBem Nutzen. Ich bedanke mich bei alien, die durch Anregungen, Diskussionen, durch Forschungsergebnisse und bei der Herstellung des Manuskriptes zum Entstehen dieses Buches beigetragen haben. Bochum, im Dezember 1972
Erhard Hornbogen
Inhaltsverzeichnis
0
©berblick
0.1 0.2 0.3 0.4 0.5 0.6
Was ist ein Werkstoff? Werkstoffkunde Mikroskopischer Aufbau und die vier Werkstoffgruppen Werkstoffeigenschaften Priifung, Normung, Bezeichnung Geschichte und Nachhaltigkeit
1 1 3 5 7 14 16
Aufbau der Werkstoffe 1
Aufbau fester Phasen
23
1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6
Atome Bindung der Atome und Molekule Kristalle Baufehler Korngrenzen und homogene Gefuge Glaser und Quasikristalle
23 28 38 44 52 56
2
Aufbau mehrphasiger Stoffe
60
2.1 2.2 2.3 2.4 2.5
Mischphasen und Phasengemische Heterogene Gleichgewichte Keimbildung, Kristallisation von Schmelzen Metastabile Gleichgewichte Anwendungen von Phasendiagrammen
60 65 79 82 85
3
Grundlagen der Warmebehandlung
88
3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7
Diffusion Kristallerholung und Rekristallisation Glasbildung Umwandlungen und Ausscheidung Stabilitat von Mikrostrukturen Martensitische Umwandlung Heterogene Gefuge
88 97 103 104 109 112 115
Inhaltsverzeichnis
XII Eigenschaften der Werkstoffe 4
Mechanische Eigenschaften
4.1 4.2
121
Mechanische Beanspruchung und Elastizitat Zugversuch und Kristallplastizitat a) Makroskopische Betrachtung der Plastizitat b) Mikroskopische Betrachtung der Plastizitat 4.3 Kriechen 4.4 Bruch a) Mikroskopische und makroskopische Aspekte b) Bruchmechanik, statische Belastung und Anriss c) Ermiidung 4.5 Innere Spannungen 4.6 Gummielastizitat und Pseudoelastizitat 4.7 Viskositat von Fliissigkeiten und Glasern 4.8 Viskoelastizitat und Dampfung 4.9 Mehrachsige Beanspruchung, mechanische Anisotropic 4.10 Technische Priifverfahren
121 128 128 131 139 146 146 149 154 158 160 161 164 167 172
5
Physikalische Eigenschaften
177
5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6 5.7 5.8
Kernphysikalische Eigenschaften Elektrische Eigenschaften, Werkstoffe der Elektro- und Energietechnik... Warmeleitfahigkeit Ferromagnetische Eigenschaften, weich- und hartmagnetische Werkstoffe Supraleiter Optische Eigenschaften Thermische Eigenschaften Formgedachtnis, Sensor-und Aktorwerkstoffe
177 185 199 200 207 209 212 215
6
Chemische und tribologische Eigenschaften
220
6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6
Oberflachen und Versagen des Werkstoffs Oberflachenreaktionen und elektrochemische Korrosion Verzundern SpannungsriBkorrosion Oberflachen, Grenzflachen und Adhasion Reibung und VerschleiB .
220 221 228 231 232 236
Die vier Werkstoffgruppen 7
Keramische Werkstoffe
245
7.1 7.2 7.3
Allgemeine Kennzeichnung Einatomare keramische Stoffe Nichtoxidische Verbindungen
245 247 249
Inhaltsverzeichnis
XIII
7.4 7.5 7.6
Kristalline Oxidkeramik Anorganische, nichtmetallische Glaser Hydratisierte Silikate, Zement, Beton
252 257 262
8
Metallische Werkstoffe
269
8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6
Allgemeine Kennzeichnung Reine Metalle, elektrische Leiter Mischkristalle, Messing, Bronzen Ausscheidungshartung, A1-, Ni-Legierungen Umwandlungshartung, Stahle GuBlegierungen und metallische Glaser
269 270 272 280 289 305
9
Polymerwerkstoffe
313
9.1 9.2 9.3 9.4 9.5 9.6 9.7
Allgemeine Kennzeichnung Plastomere oder Thermoplaste Duromere oder Kunstharze Elastomere oder Gummi Schaum-, Hochtemperatur-, Piezopolymere Schmierstoffe Naturliche Polymere
313 320 328 330 332 339 341
10
Verbundwerkstoffe
345
10.1 10.2 10.3 10.4 10.5 10.6
Eigenschaften von Phasengemischen Faserverstarkte Werkstoffe Stahlbeton und Spannbeton Hartmetalle und Cermets Oberflachenbehandlung Holz, nachwachsende, zellulare Werkstoffe
345 349 357 359 362 367
Werkstofftechnik 11
Werkstoff und Fertigung
373
11.1 11.2 11.3 11.4 11.5 11.6
Halbzeug und Bauteil Urformen: Giefien, Sintern, Aufdampfen, komplexe Systeme Umformen Trennen: Spanen und Schleifen Fiigen: SchweiBen, Loten, Kleben Nachbehandlung
373 375 386 394 396 402
12
DerKreislaufder Werkstoffe
404
12.1 VomRohstoffzumSchrott 12.2 Auswahl und Gebrauch 12.3 Verbesserte und neue Werkstoffe
404 411 416
XIV
Inhaltsverzeichnis
12.4 Versagen und Sicherheit 12.5 Entropieeffizienz im Kreislauf und Nachhaltigkeit
418 424
Anhang A.l A.2 A.3 A.4
Periodensystem GroBen und Einheiten Bezeichnung der Werkstoffe (Abschn. 0.7 und 12.2) Neue Normbezeichnungen fur MeBgroBen aus der mechanischen Werkstofrprufung A.5 Einige werkstoffnahe Normen A.6 ASTM-KorngroBen A.7 Englische Kurzbezeichnungen fur Verfahren der mikroskopischen und makroskopischen Analyse der Struktur von Werkstoffen
431 432 437
Literaturverzeichnis
446
Sachverzeichnis
453
443 443 444 445
0 Uberblick 0.1 Was ist ein Werkstoff ? Alle Werkstoffe sind feste Stoffe, die den Menschen fur den Bau von Maschinen, Gebauden, aber auch zum Ersatz von Korperteilen als Implantate, oder zur Realisierung kiinstlerischer Visionen niitzlich sind. Die Festkorperphysik, die physikalische Chemie und einige in diesen Wissenschaften enthaltenen Sondergebiete - wie die Kristallographie - haben die Aufgabe, die Bildung, den Aufbau und die Eigenschaften dieser Stoffe zu untersuchen. Die technische Ausnutzung der Eigenschaften steht bei ihnen nicht im Vordergrund, sondern die Vermehrung unserer Kenntnisse uber deren Ursachen. Derartige physikalische Eigenschaften sind z. B. die elektrische und die thermische Leitfahigkeit, die Dichte, die Schmelztemperatur, das chemische Reaktionsvermogen, die Elastizitat und die plastische Verformbarkeit. In den genannten Bereichen der Naturwissen| Energie
|
| Rohstoff
f^
Werkstoff J/
[ Metall
S
| Keramik
[
|
\ 1 System
|
| Verschrottung
\
~n \
1 Gebrauch
1
• Fertigung
|
|
,
Werkstoffkunde
| Struk
•
| Probe/Halbzeug | Gefuge
•
1 Atom
•
\ | Elementarteilchen
|
, _ | r:
h"""" | |
* | Phase, Baufehler
Urformen Umformen Fiigen Trennen
| Technik
|
i ur
|
t
\
| Wissenschaft
|
\
1 Verbund
/ | Polymer
| Wiedergewinnung
\
J
|
i
|
m
1 Lige
nschaften
t
| mechanische
•
| chemische
| | |
t | elektronische
|
t ~| |
Bild 0.1 a. Die Welt der Werkstoffe im Uberblick
1 thermische
|
| kernphysikalische |
OOberblick
2
schaften wird versucht, diese Eigenschaften auf mikroskopische Ursachen zuriickzufiihren, d. h. auf Art und raumliche Anordnung der Atome im Festkorper (Bild 0.1 a). Werkstoffe sind fur die Konstruktion geeignete, feste Stoffe. In manchen Fallen macht eine besondere physikalische Eigenschaft einen Feststoff zum Werkstoff: z.B. ist die hohe elektrische Leitfahigkeit von reinem Kupfer der Grund fur mehr als 50% des Verbrauchs dieses Elements. In den meisten Fallen miissen aber mehrere Eigenschaften zu einem Optimum vereint werden: Fiir Konstruktionen, die auf dem Erdboden ruhen, ist infolge seiner Druckfestigkeit Beton der giinstigste Werkstoff. Treten Zugspannungen auf, ist Stahl wegen seiner hohen Zugfestigkeit der geeignetste Werkstoff. Bei der Konstruktion von Flugzeugen wird dagegen das Verhaltnis von Festigkeit zu Dichte zur bestimmenden Werkstoffeigenschaft, und die geringere Dichte von Aluminium entscheidet fur diesen Werkstoff. Sollen die Flugzeuge mit erhohter Geschwindigkeit fliegen (>3 Mach), so erwarmt die Luftreibung die AuBenhaut auf uber 300°C. Da Aluminiumlegierungen aber nur bis zu etwa 200 °C eine nennenswerte Festigkeit besitzen, war die Voraussetzung fur die Konstruktion derartiger Flugzeuge deswegen die Entwicklung von Titanlegierungen. Sie weisen gemigende Festigkeit bei geringer Dichte bis zu Temperaturen von etwa 400 °C auf. Wir nennen eine Kombination von gunstigen physikalischen Eigenschaften »technische Eigenschaften« oder Gebrauchseigenschaften (Bild 0.1 b). Eine groBere Zahl von Eigenschaften kann in der Form eines Histogramms als »Eigenschaftsprofil« des Werkstoffes zusammengefaBt werden. Ein Stoff, der die gewunschten technischen Eigenschaften besitzt, muB aber noch zwei Voraussetzungen erfiillen, um als Werkstoff verwendet zu werden. Der Stoff muB in die manchmal komplizierte Form von Bauteilen zu bringen sein, z. B. durch plastisches Umformen, GieBen, Pressen und Sintern oder Zerspanen. Dariiber hinaus ist es oft notwendig, einzelne Teile durch geeignete Fiigeverfahren wie SchweiBen, Loten oder Kleben miteinander zu verbinden. Die zweite Voraussetzung ist also eine gute Verarbeitbarkeit bei der Fertigung. Die dritte Forderung heiBt Wirtschaftlichkeit. Ein Stoff kann gute technische Eigenschaften haben und kommt trotzdem als Werkstoff nicht in Frage, wenn er zu teuer ist.
Kontinuumsmechanfk Festkorperphysik
Festkorperchemle
Kristallographie
Werkstofftechnik
Polymerphysik
Reaktionskinetik Elektrochemie
Bild 0.1b. Festlegung des Faches Werkstoffwissenschaft. Der Zusammenhang von Mikrostruktur und (nutzlichen) Eigenschaften, sowie die gezielte Herstellung von Mikrostrukturen
0.2 Werkstoffkunde
3
Gebrauchseigenschaften + Fertigungseigenschaften Preis Dabei miissen die eigentlichen Werkstoffkosten (Tab. 0.3) unterschieden werden von den Kosten fur die Verarbeitung des Werkstoffes. Ein preiswerter Werkstoff, der nur durch teure Formgebungsverfahren wie z. B. Schleifen in die endgiiltige Form gebracht werden kann oder der nicht schweiBbar ist, muB u. U. durch einen teureren Werkstoff ersetzt werden, der sich preiswerter z. B. durch GieBen in die gewunschte Form bringen laBt. In den letzten zwanzig Jahren sind die Kosten fur die Verarbeitung sehr viel starker gestiegen als die eigentlichen Werkstoffkosten. Es ist zu erwarten, daB sich dieser Trend infolge der Rohstoffknappheit und Berucksichtigung des Aufwandes fur Abfallbeseitigung und Wiedergewinnung in Zukunft nicht fortsetzen wird und daB die wahren Werkstoffkosten pro nutzlicher Eigenschaft bei der Werkstoffauswahl wieder an Bedeutung gewinnen werden (Tab. 0.3). In der modernen Werkstoffkunde sollte neben der analytischen Betrachtungsweise der Eigenschaften, der Werkstoff im Rahmen des gesamten Kreislaufs - vom Rohstoff bis zum Schrott (Sekundarrohstoff) - betrachtet werden (Bild 0.2b, Kap. 12).
0.2 Werkstoffkunde Eine Konstruktion beginnt nicht bei den Maschinenelementen, die zur Maschine zusammengefiigt werden, sondern bei den Atomen, Molekiilen oder Kristallen, aus denen der Werkstoff zusammengesetzt ist (Tab. 1.1). Die oben erwahnten Eigenschaften der Stoffe folgen aus der Art der Atome und ihrer raumlichen Anordnung und damit aus der chemischen Bindung. Der Gegenstand der Werkstoffwissenschaft ist die Beziehung zwischen dem Aufbau der Materie und den physikalischen und technischen Eigenschaften, die der Werkstoff makroskopisch zeigt (Bild 0.1 b). Die Werkstoffkunde umfaBt Werkstoffwissenschaft und -technik (Bild 0.2). Diesen nutzlichen Begriff gibt es nur in der deutschen Sprache. Im Englischen ist immer der umstandlichere Ausdruck »materials science and engineering« notig. Die Werkstofftechnik soil auf den Erkenntnissen der Werkstofiwissenschaft aufbauen und die EntWerkstoffanwendung z.B.Werkstoffe fur Kernreaktpren, Maschinenbau, Elektrotechnik, Elektronik Bauwesen, Medizin
Untersuchung und Prufverfahren z.B.mechanischePrufung, zerstorungsfreie Prufung, Mikroskopie, stgtistische Qualitatskontrolle, Analyse von Schadensfallen
Normung und Bezeichnung ! z. B. Normung der chemischen Zusammensetzung, Abmessungen, Gefuge,Eigenschaften, Prufmethoden
Werkstoffkunde Fertigung z.B. Gieftereitechnik, Umformtechnik, Schweifltechnik, Qberflachenbehandlung
i
Werkstoffwissenschaft Lehre vom Zusammenhang zwischen mikroskopischem Aufbau und den Eigenschaften aller Werkstoffgruppen.
Bild 0.2 a. Teilgebiete der Werkstoffkunde
Werkstoffherstellung Metallurgies Herstellung von Polymeren, Herstellung von Keramik Glas und Bindemittel
4
0 Uberblick
wicklung neuer Werkstoffe sowie der Formgebungs- und Fugeverfahren ermoglichen. In Wirklichkeit entwickeln sich bis heute oft noch beide Gebiete ohne diesen Zusammenhang. Dies liegt zum Teil daran, daB der groBte Teil der heute in groBen Mengen verwendeten Werkstoffe (z.B. Stahl, Beton) in vorwissenschaftlicher Zeit empirisch erarbeitet wurde. Seit einigen Jahrzehnten nimmt jedoch die wissenschaftliche Durchdringung der Werkstofftechnik schnell zu (Bild 0.1 b). Am Rande der Werkstofftechnik liegende Gebiete sind die verschiedenen Fertigungstechniken (Kap. 11) und die Kennzeichnung der Bauteileigenschaften unter Betriebsbeanspruchungen (Kap. 12). Dieses Gebiet, ebenso wie die Werkstoffauswahl bertihrt die Konstruktionstechnik. Es genugt fur den konstruierenden Ingenieur manchmal nicht, sich bei der Werkstoffauswahl auf die von einem Werkstoffhersteller angegebenen Daten zu verlassen. Ein Konstrukteur sollte vielmehr die Eigenschaften verschiedener zur Auswahl stehender Werkstoffe in einen sinnvollen Zusammenhang mit den in der Konstruktion auftretenden Beanspruchungen bringen konnen. Er sollte die Fertigungsverfahren iibersehen, um die giinstigste Kombination von wirtschaftlichem Fertigungsverfahren und Werkstoffeigenschaft zu finden. Der Werkstoff wird in den meisten Fallen bei der Fertigung in seinen Eigenschaften verandert oder nachbehandelt. Deshalb sollte der Werkstoffanwender mindestens gleich gute Werkstoffkenntnisse haben wie der Werkstoffhersteller. Dariiber hinaus ist es erstrebenswert, daB der Werkstoffanwender mit Sachverstand Wunsche, Vorschlage oder Forderungen hinsichtlich neuer oder verbesserter Werkstoffe an den Werkstofferzeuger richten kann. Zumindest sollte
Information
Rohstoff (Atome)
Energie
(Bergbau, Olgewinnung)
Herstetlung ( Halbzeug Rohwerkstoff
H
V
Fertigung Urformen Umformen Trennen Fugen
) Versagen
6ebrauch
Bild 0.2b. Kreislauf der Werkstoffe. Wir unterscheiden 6 Stadien: Primarer Rohstoff A (Anfang); Werkstoffherstellung H; Fertigung F; Gebrauch G; Versagen V; Schrott, Abfall E (Ende) aus dem im Falle des Recycling wieder sekundarer Rohstoff oder Werkstoff entsteht
0.3 Mikroskopischer Aufbau und die vier Werkstoffgruppen
5
er aber in der Lage sein, die rapide Entwicklung neuer Werkstoffe zu verfolgen. Dazu sind Kenntnisse auf dem Gebiet der Werkstoffwissenschaft sehr hilfreich. Eine Voraussetzung fur die giinstigste Verwendung eines Werkstoffes ist die werkstoffgerechte Konstruktion. Die Gestaltung muB den Werkstoffeigenschaften und den Fertigungsmoglichkeiten angepaBt werden und umgekehrt die Werkstoffeigenschaft an die Notwendigkeiten der Konstruktion. Das bedeutet z. B., da8 kleine Krummungsradien bei kerbempfindlichen Werkstoffen vermieden werden, da8 in korrodierender Umgebung keine Werkstoffe mit sehr verschiedenem Elektrodenpotential in Kontakt gebracht werden diirfen, da8 die Haufigkeitsverteilung einer Eigenschaft und die fur den betreffenden Zweck notwendige Sicherheit bei der Festlegung einer zulassigen Belastung beriicksichtigt werden. Der Werkstoff kann den Erfordernissen der Konstruktion angepaBt werden, indem stark beanspruchte Oberflachen gehartet werden, oder indem die Fasern eines Verbundwerkstoffes in Richtung der groBten Zugspannungen in einem Bauteil gelegt werden. Die Kenntnis des mikroskopischen Aufbaus der Werkstoffe ist aus mehreren Griinden niitzlich: fur die gezielte Neuentwicklung und Verbesserung der Werkstoffe, fiir die Erforschung der Ursachen von Werkstoffehlern und von Werkstoffversagen, z. B. durch einen unerwarteten Bruch, sowie fiir die Beurteilung des Anwendungsbereiches phanomenologischer Werkstoffgesetze, wie sie z. B. in der Umformtechnik fiir die Beschreibung der Plastizitat verwendet werden. Zunehmend findet bei Werkstoffauswahl, Konstruktion und Fertigung die Frage Beachtung: Was geschieht mit dem Werkstoff nachdem er seinen Dienst getan hat? Zum Beispiel nach dem Versagen einer Maschine, dem Abbruch eines Gebaudes oder dem Gebrauch einer Verpackung. Es ist notwendig den gesamten Kreislauf zu beachten und ihn so zu gestalten, daB die Umwelt geringstmoglich belastet wird (Bild 0.2 b, Kap. 12.4). 0.3 Mikroskopischer Aufbau und die vier Werkstoffgruppen Es ist sinnvoll, die Werkstoffe in drei groBe Gruppen mit jeweils charakteristischen Eigenschaften einzuteilen: Metallische, keramische, polymere Stoffe (oder Kunststoffe). Metalle sind gute elektrische Leiter, reflektieren Licht, sind auch bei tiefen Temperaturen plastisch verformbar und chemisch meist nicht sehr bestandig. Keramische Stoffe sind schlechte elektrische Leiter, oft durchsichtig, nicht plastisch verformbar, chemisch sehr bestandig, sie schmelzen bei hohen Temperaturen. Kunststoffe sind schlechte elektrische Leiter, bei tiefen Temperaturen sprode, aber bei erhohter Temperatur plastisch verformbar, chemisch bei Raumtemperatur an Luft bestandig, haben eine geringe Dichte und schmelzen oder zersetzen sich bei verhaltnismaBig niedriger Temperatur. Als vierte Gruppe kommen die Verbundwerkstoffe hinzu, die durch Kombination von jeweils mindestens zwei Werkstoffen mit unterschiedlichen Eigenschaften entstehen. Man erhalt dadurch Werkstoffe mit neuen Eigenschaften, welche diejenigen der einzelnen Bestandteile ubertreffen. Verbundwerkstoffe sind z. B. die faserverstarkten Werkstoffe, die eine diinne, sehr feste, aber sprode Faser in einer weichen, aber duktilen Grundmasse enthalten, oder der Stahlbeton, bei dem der Stahl die Zugspannungen, der
0 Uberblick
6
Halbleiter leitfahige Polymere
Supraleiter
Silikone
Bild 0.3. Die vier Werkstoffgruppen. Die Verbundwerkstoff e sind meist aus Komponenten verschiedener Gruppen zusammengesetzt. Halbleiter und Silikone sind diesen Gruppen nicht eindeutig zuzuordnen. MMetalle: metallische Bindung, X Keramik: kovalente Bindung, PPolymere: Kettenmolekule, KVerbunde: Kombination verschiedener Stoffe
Beton die Druckspannungen in einer Konstruktion aufnimmt, aber auch Werkstoffe, deren Oberflache zum Schutz gegen Korrosion beschichtet wurde. Wie in Bild 0.3 angedeutet ist, gibt es wichtige Werkstoffgruppen, die Zwischenstellungen einnehmen: Die (anorganischen) Halbleiter als Werkstoffe der Elektronik liegen zwischen Metall und Keramik, die Silikone - als Ol, Gummi oder Harz herzustellen zwischen Keramik und Kunststoffen. Verbundwerkstoffe entstehen durch die Kombination von Werkstoffen aus verschiedenen Gruppen oder auch aus der gleichen Gruppe. Die drei Werkstoffgruppen unterscheiden sich ^rundsatzlich durch ihren atomaren Aufbau: Die Atome der Metalle streben eine moglichst dichte Packung von Kugeln an. Dem entspricht eine Anordnung von Schichten der Atome gemaB Bild 0.4 a, die so gestapelt sind, daB die nachste Schicht sich jeweils auf den Liicken der darunter liegenden befindet. Diese Anordnung setzt sich periodisch im Raum fort. Ein solches Raumgitter von Atomen bildet einen Kristall. Fast alle Metalle sind kristallin. Die gute plastische Verformbarkeit von Metall beruht darauf, daB die dicht gepackten Ebenen sich bei alien Temperaturen durch auBere Krafte leicht verschieben lassen. Die Grundbausteine der keramischen Stoffe sind anorganische Verbindungen, am haufigsten Metallatom-Sauerstoff-Verbindungen. Bei der Verbindung Si0 2 ist z. B. das Siliziumatom (Si) jeweils von vier Sauerstoffatomen (O) als Nachbarn umgeben, die an den Ecken eines Tetraeders sitzen. Diese Tetraeder konnen genau wie die Atome der Metalle regelmaBig angeordnet sein. Ein Sauerstoffatom (zweiwertig) bildet jeweils den Eckpunkt von zwei Tetraedern mit dem Siliziumatom (vierwertig) in der Mitte. Durch periodische Wiederholung dieser Anordnung entsteht ein Kristall, in diesem Falle Quarz (Bild 0.4b). In keramischen Stoffen konnen sich die atomaren Grundbausteine aber auch zu einem regellosen Netz anordnen. Eine Moglichkeit, das zu erreichen, ist schnelles Abkiihlen aus dem flussigen Zustand. Es entsteht ein Glas, in diesem Falle Kieselglas (Bild 0.4 c). Eine nutzliche Eigenschaft von Glasern ist, daB der Durchgang von Licht nicht richtungsabhangig ist. Nur deshalb erscheint ein ungestortes Bild, wenn man durch Fensterglas schaut. In durchsichtigen Kristallen ist das nicht der Fall. Die Eigenschaften sind richtungsabhangig. Andere keramische Stoffgruppen, z. B. Porzellan, feuerfeste Steine,
0.4 Werkstoffeigenschaften
7
Zement, bestehen vorwiegend aus vielen sehr kleinen Kristallen und sind deshalb nicht durchsichtig. Die Kunststoffe schlieBlich sind aus groBen Molekulketten aufgebaut, die aus Kohlenstoff und Elementen wie Wasserstoff, Chlor, Fluor, Sauerstoff und Stickstoff bestehen. Solche Molekule entstehen aus meist gasformigen Monomeren. So wird das gasformige monomer Athylen (C2H4) durch Polymerisation zum festen Polymer - {C 2 H 4 } p dem Polyathylen (PE) (Bild0.4d). Kettenformige Polymere konnen p = 103 bis 105 Monomere enthalten. Das entspricht Faden, die etwa 10~3 cm lang sind. Bei Raumtemperatur lagern sich diese Ketten entweder ungeordnet verknauelt (als Glas) oder gefaltet (als Kristall) zusammen. Die meisten Kunststoffe bestehen aus einem Gemisch von Glasund Kristallstruktur. Bei erhohter Temperatur wird der Glasanteil zahflussig, und der Kunststoff kann plastisch verformt werden. Der Begriff »Kunststoffe« hat sich in unserer Sprache fur diese Werkstoffgruppe eingeburgert, obwohl er nicht sehr logisch ist. Es werden ja auch andere Werkstoffe, namlich alle Metalle, »kunstlich« hergestellt. Ein besserer Ausdruck ware »Polymerwerkstoffe«, der hier gleichbedeutend mit »KunststofFe« verwendet werden soil, aber auch Elastomere (Gummi) umfaBt. Es sei noch erwahnt, daB es auch naturliche Polymere gibt, die keine Kunststoffe sind (Zellulose, Wolle). Den synthetischen Polymeren sind sie aber als Molekulketten oft sehr ahnlich (Kap. 9.7). Es gibt also zwei extreme Moglichkeiten fur die atomare oder molekulare Anordnung aller festen Stoffe: maximale Unordnung im Glas und maximale Ordnung im Kristall (Bild 0.4). Die kristallinen Werkstoffe bestehen meist nicht aus einem einzigen Kristall, sondern aus einem Haufwerk sehr feiner Kristallchen, zwischen denen Korngrenzen liegen. Diese Mikrokristalle konnen wiederum Storungen der regelmaBigen periodischen Anordnung der Atome aufweisen. Solche Storungen entstehen durch auBere Einwirkungen, wenn der Werkstoff plastisch verformt oder im Reaktor bestrahlt wird (Bild 0.5 a, b). Sie bestimmen eine groBere Zahl wichtiger Werkstoffeigenschaften. Storungsabhangig ist z. B. die Festigkeit von Metallen, die Leitfahigkeit von Halbleitem, die magnetische Hysterese von Dauermagneten. Man bezeichnet die mikroskopische Anordnung der Kristalle und der Storungen als das Gefiige des Werkstoffes. Die meisten Werkstoffe bestehen nicht aus einer einzigen Kristallart. Das Gefiige stellt vielmehr ein Gemisch von zwei oder mehr Kristallarten in verschiedener Verteilung, GroBe und Form dar (Bild 0.5 c-d). Im Licht- oder Elektronenmikroskop kann das Gefiige sichtbar gemacht werden, wahrend Kristall- oder Glasstrukturen durch Beugung von Rontgenstrahlen oder von Elektronen bestimmt werden konnen (Bild 0.6). Diese Untersuchungsmethoden der Mikrostruktur sollen hier nicht behandelt werden (Schrifttum dazu vgl. Literatur zu diesem Kapitel, Anhang A7). 0.4 Werkstoffeigenschaften Werkstoffe werden beurteilt nach dreierlei Eigenschaftsgruppen (Kap. 0.1): fertigungstechnische Eigenschaft (Kap. 11), Gebrauchseigenschaft (Kap. 12) sowie die wirtschaftlichen Eigenschaften (Preis). In der letzten Zeit ist es ublich geworden, alle Werkstoffe entsprechend ihren Gebrauchseigenschaften in zwei groBe Gruppen einzuteilen: Strukturwerkstoffe, Funktionswerkstoffe.
8
0 Uberblick
Bei ersteren kommt es vor allem auf die mechanischen Eigenschaften an. Sie werden fiir »tragende« Strukturen wie Bracken, Flugzeugtragflachen, Pleuelstangen, aber auch Schaufeln von Turbinen verwendet. Die geforderten Eigenschaften werden unter dem noch zu definierenden Begriff »Festigkeit« (Kap. 4) zusammengefaBt. Aber auch ein geringes spezifisches Gewicht und hohe chemische Bestandigkeit (Kap. 6) sind Tugenden dieser Werkstoffgruppen. Dazu gehbren viele Stahle, Aluminiumlegierungen (Kap. 8), faserverstarkte Kunststoffe (Kap. 9 und 10) und neu entwickelte Strukturkeramiken (Kap. 7). Bei den Funktionswerkstoffen stehen nichtmechanische physikalische Eigenschaften im Vordergrund. Der Wolframdraht der Gliihlampe liefert Licht, der Heizleiter der Kochplatte Warme, elektrische und thermische Leit- oder Isolationsfahigkeit fiihren zu vielerlei Funktionen in der Elektro- und Energietechnik. Ein groBes Gebiet, in dem diese Werkstoffe gebraucht werden, ist die Sensortechnik: piezoelektrische Quarzkristalle oder Legierungen mit Foraigedachtnis. Die gesamte »Hardware« der Datenverarbeitung und -speicherung wird natiirlich auch aus Funktionswerkstoffen aufgebaut (Kap. 5.2, 11.2). Im folgenden soil ein vorlaufiger Einblick in das Wesen von Werkstoffeigenschaften gegeben werden. Als Beispiel hierfiir dienen mechanische Eigenschaften, also solche, die zur Kennzeichnung von Strukturwerkstoffen dienen. Aus der Physik kennen wir eine groBe Zahl von Gesetzen mit folgendem Aufbau:
Ursache
x Koeffizient
= Wirkung
elektrische Spannung mechanische Spannung Temperaturdifferenz
x elektrische Leitfahigkeit x elastische Nachgiebigkeit x Warmeleitfahigkeit
= elektrischer Strom = reversible Verformung = Warmestrom
Beim Koeffizienten handelt es sich immer um die maBgebliche Werkstoffeigenschaft. Natiirlich sind die Zusammenhange in vielen anderen Fallen nicht linear. Diese Werkstoffeigenschaften hangen stets irgendwie mit dem Aufbau des Werkstoffes zusammen (Bild 0.4 und 0.5). Die Leitfahigkeit eines Metalls ist z.B. am groBten, je reiner der Stoff ist. Die elastische Nachgiebigkeit von Diamant ist am geringsten, von Weichgummi (Elastomer) am groBten. AuBerdem gibt es Werkstoffeigenschaften, die einen »kritischen Wert« beschreiben: die Schmelztemperatur, die Curie-Temperatur von Ferromagneten und Ferroelektrika oder die Streckgrenze, die in diesem Abschnitt bereits erlautert wird. Das wichtigste Experiment zur Kennzeichnung der mechanischen Eigenschaften ist der Zugversuch. Die Probe ist ein Stab, der einer zunehmenden Zugkraft F (in N) ausgesetzt wird. AuBer der Kraft wird die Verlangerung A/ (in mm) des Stabes gemessen und in ein Schaubild eingetragen (Bild 0.7). Um die Messung vergleichbar zu machen, bezieht man die Kraft F auf den Querschnitt der Probe und erhalt die Zugspannung a = F/A (in Nmm" 2 ). Ebenso bezieht man die Verlangerung A/ auf die Lange der Probe / und erhalt die relative Dehnung e = A/// (dimensionslos oder e • 100 in %). Das Spannungs-Dehnungs-Diagramm kennzeichnet wichtige mechanische Eigenschaften eines Werkstoffes. Es hat im Prinzip den in Bild 0.7 dargestellten Verlauf: ein lineares Ansteigen der Dehnung mit der Spannung, dann ein Ausbiegen aus der Geraden und schlieBlich das Ende der Kurve beim Bruch der Probe. Der lineare Teil kann durch die Gleichung a = Es beschrieben werden.
0.4 Werkstoffeigenschaften
0,2nm
H
H
r-H H^ I I C-C
I I C=C H
H
H
H
H
H
I
I
H
H H
J p-.
H H
H
I I I I I I I I -c-c-c-c-c-c-c-cI I I I I I I I H H H H H H H H
Bild 0.4 a-f. Atomarer und molekularer Aufbau der Werkstoffe. a Die Metalle enthalten Atome geordnet zu Kristallen und vorwiegend in dichtesten Kugelpackungen. Das Bild zeigt drei iibereinanderliegende Ebenen (A, B, C). Diese Struktur haben die Kristalle von Au, Ag, Cu, Al, Ni. b Die Atome der keramischen Stoffe sind haufig nicht so dicht gepackt. Bei der Verbindung Si0 2 befindet sich ein Si-Atom jeweils in der Mitte eines Tetraeders, dessen Ecken von O-Atomen besetzt sind. Falls sich diese Anordnung regelmaBig im Raum fortsetzt, entsteht daraus der Quarzkristall.c Die Struktur von Glas besteht aus einem regellosen Netz der Atomgruppen, das in zweidimensionaler Darstellung gezeigt wird (Beispiel: B 2 0 3 ). d Die Bauelemente der Kunststoffe sind Molekiilketten, die durch Polymerisation entstehen. Das Monomer Athylen wird zum Polyathylen. Oben rechts: Kurzschreibweise fur das Polymermolekul, das aus p Monomeren gebildet wurde. e Die Molekiilketten in den thermoplastischen Kunststoffen liegen unverkniipft nebeneinander. Sie konnen kristallisiert oder regellos angeordnet sein. Haufig kommen beide Zustande nebeneinander vor. f In gummiartigen Stoffen bilden die Molekiilketten ein loses Netz, das z. B. bei der Vulkanisation durch Schwefelatome verkniipft wird TabelleO.l. Elastizitatsmodul E, Schmelztemperatur rkf und atomare Struktur
Diamant Stahl Aluminium Fensterglas Beton Polyathylen Gummi
Elastizitatsmodul 104Nmm~2
SchmelzStoffgruppe temperatur °C
Atomare Struktur
120 21 7 7 2
3727 1536 630
Diamantgitter (ahnlich Si02) dichte oder dichteste Atompackungen, feinkristallin unregelmaBiges Netz vorwiegend Gemisch von Kristallen verschiedener GroBen und Art (10~6 bis lcm) Riesenmolekule,Kristall-Glas-Gemisch loses Geriist aus groBeren verknauelten Molekiilen mit Querverbindungen
0,2 0,001
137
keramisch met allisch metallisch keramisch keramisch hochpolymer hochpolymer
Bild0.5a-d. Geftige von metallischen Werkstoffen. aVielkristalline y-Fe-Ni-Mischkristalle (Austenit) und Komgrenzen (RLM); bLamellares Gemisch aus a-Fe und Fe3C s Perlit (Stahl mit 0,8 Gew.-% C, RLM); cFerrit-Perlit-Gefuge eines Stahls mit 0,45 Gew.-% C (RLM); d Aluminiumkristall mit kleinen, plattenformigen Kristallen von Al2Cu, die Ausscheidungshartung bewirken. TEM, I, mikroskopische Aufnahme; II, schematische Darstellung des Gefuges
0.4 Werkstoffeigenschaften
Bild0.6a-d. Beugung von Rontgenstrahlen oder Elektronen zur Feststellung, ob ein Werkstoff (a) einkristallin oder (b) vielkristallin ist oder eine Glasstruktur (c) besitzt. Elektronenbeugungsaufnah- , men der drei Falle und Schema der Versuchsanordnung (d)
11
Probe
Die Konstante E (in Nmm - 2 ), Elastizitatsmodul genannt, ist eine Werkstoffeigenschaft, die in direktem Zusammenhang mit den Bindungskraften der Atome untereinander steht (Abschn. 1.2). Ist die Bindung sehr fest, wie z. B. beim Kohlenstoff mit Diamantstruktur oder beim Wolfram, hat der Elastizitatsmodul sehr hone Werte. Dagegen ist er niedrig in Stoffen mit schwacher Bindung, noch niedriger in Stoffen, die aus einem losen Geriist von verknauelten Molekiiletten aufgebaut sind. Letzteres ist der Fall beim Gummi. Im Gegensatz zu den bisher erwahnten (thermoplastischen) Kunststoffen sind die Riesenmolekiile des Gummis durch Briickenatome chemisch verbunden. Der ProzeB der Verbindung der Molekiile durch Schwefelbriicken ist als Vulkanisation bekannt (Bild0.4e). Der Elastizitatsmodul kann in einem Stoff, der hauptsachlich aus Kohlenstoff atomen besteht, abhangig vom atomaren Aufbau zwischen 1,2 • 10 6 Nmm"2 (Diamant) und 1 • 10 1 Nrnm-2 (Gummi) liegen (Tab. 0.1). In Metallen geht oberhalb einer bestimmten Spannung Rp (Streckgrenze) beim Entlasten in der Zugmaschine die Formanderung nicht vollig zurtick. Das Metall wird durch
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0 Oberblick
Spannung F/A=crk
h-25-H
Spannung a
Bruchfestigkeit
Bruch Nmm" plastische und plastische Formanderung
Streckgrenze
D ra 5
IDlife 1 X9-K
-Beginn der plastischen Verformung
CD*
"
Niur elastische Formanderung
Dehnung
*
•
M/l=e
Bild 0.7. a Schematische Darstellung eines Spannungs-Dehnungs-Diagramms, wie es im Zugversuch erhalten wird. b Vergleich der Spannungs-Dehnungs-Kurven verschiedener Eisenwerkstoffe*. c Beispiel fur Zugprobe l
10000
-2lh
[_
co .)£> Lu _^ CO -QJ
100
!
'53
"o"ZT Grenze der Festigkeit
CD
von Eisenwerkstoffen
cujJP
co V
P
5 •
10 r-
1
1
cr
1000 r-L
obere
T
Stah hochster Fes
N. Tim"'
zn
untere
Bild 0.8. Streckgrenzen verschiedener Eisenwerkstoffe im Rahmen dertheoretischen Grenzen der Festigkeit
Verschieben von Kristallebenen plastisch verformt. In einem vollig sproden Werkstoff, z.B. Fensterglas, endet die elastische Gerade ohne plastische Verformung direkt mit dem Bruch. Fur den Konstrukteur ist es sehr wichtig zu wissen, bis welcher Spannung ein Werkstoff belastet werden darf, ohne daB plastische Verformung oder Bruch auftritt. Die Konstruktion muB so bemessen werden, daB die im Betrieb auftretenden Spannungen mit Sicherheit unter diesen kritischen Werten bleiben. Ein wichtiges Gebiet der Werkstoffentwicklung ist es, Wege zu finden, die Streckgrenze und die Bruchfestigkeit zu erhohen. Eine Erhohung der Streckgrenze bewirkt, daB der Querschnitt und damit das Gewicht des Werkstoffes verringert werden kann. Im * Die neuen Normbezeichnungen fur mechanische Eigenschaften sind in Anhang A.4 aufgefuhrt.
0.4 Werkstoffeigenschaften
13
Gegensatz zum Elastizitatsmodul handelt es sich bei der Streckgrenze Rp und bei der Bruchfestigkeit Rm um Eigenschaften, die bei Metallen stark vom Gefugeaufbau abhangen. Die Moglichkeiten, die sich fur die Werkstoffentwicklung daraus ergeben, seien am Beispiel des Eisens erlautert. Sehr reines Eisen hat eine Streckgrenze von Rp « lONrnm -2 und ist als mechanisch beanspruchter Werkstoff nicht geeignet. Als obere Grenze der mit Eisenlegierungen theoretisch erreichbaren Festigkeit laGt sich crih « E/30 « 7000 Nmm~2 abschatzen. Die heute iiblicherweise verwendeten Baustahle weisen nur Vio dieses Wertes auf (Bild 0.8). Neu entwickelte Eisenwerkstoffe, wie die martensitaushartenden Stahle (Kap. 8.5), uberschreiten 3000 Nrnnr2. Derartige Werkstoffentwicklungen sind aber nur bei genauer Kenntnis der mikroskopischen Ursachen der mechanischen Eigenschaften moglich (Kap. 4 und 8). Eine Werkstoffeigenschaft kann also ein konstanter Faktor sein, wie in vielen Fallen der Elastizitatsmodul E (T=Eee
(0.1)
fur a < Rp. Dann ist e = ee, die elastische Formanderung. Ein kritischer Wert ist die Streckgrenze Rp. Sie gibt diejenige Spannung an, bei der plastische (bleibende) Formanderungen zur elastischen hinzukommen. Die in Bild 0.7 gezeigten Diagramme geben die Gesamtverformung an: 8 = £e + £ p
(0.2)
a - R p = Afpn
(0.3)
A - ^ d£p
(0.4)
Der Gesamtverlauf der plastischen Verformung kann nur durch eine nicht-lineare Funktion beschrieben werden, die in diesem Falle die Werkstoffeigenschaft »Verfestigungsfahigkeit« durch einen Koefflzienten A und einen Exponenten n kennzeichnet. A < E und n < 1 sind Konstanten dieser Funktion, die allein die Plastizitat des Werkstoffs beschreibt. Elastizitatsmodul und Streckgrenze sind physikalisch klar definierte Werkstoffeigenschaften. Ihre Zahlenwerte konnen direkt als Grundlage fur elastomechanische Berechnungen von Konstruktionsteilen dienen. Es gibt aber auch Werkstoffeigenschaften, die diese Voraussetzung nicht erfullen. So wird beim Kerbschlagversuch, bevorzugt an Stahl und Kunststoffen, die Arbeit gemessen, die notwendig ist, eine Probe mit genau definierten Abmessungen zu zerschlagen. Falls diese Arbeit gering 1st, wird der Werkstoff als sprode bezeichnet; ist sie hoch, nennt man ihn zah. Mit dieser Methode kann diejenige Temperatur bestimmt werden, unterhalb der der Werkstoff wegen Gefahr eines sproden Bruches nicht mehr verwendet werden kann. Der Versuch liefert aber weder eine physikalisch eindeutig definierte Eigenschaft noch einen Zahlenwert, der direkt in die Konstruktionsberechnungen eingesetzt werden kann. Er ist aber trotzdem nutzlich, weil er Auskunft liefert uber den Temperaturbereich, in dem der Werkstoff ohne Risiko verwendet werden kann.
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0 Uberblick
Manchmal wird bei technischen Prufverfahren auch ein ProzeB wie z.B. das Tiefziehen unter genau festgelegten Bedingungen nachgeahmt und das Werkstoffverhalten verglichen. Solche Methoden haben fiir die Praxis der Werkstoffauswahl eine groBe Bedeutung. Andere physikalisch schwer zu definierende, aber technisch sehr wichtige Eigenschaften sind z.B. Harte (Kap. 4), SchweiBbarkeit (Kap. 11), VerschleiBwiderstand (Abschn. 6.6), Zerspanbarkeit (Abschn. 4.9, 10.4, 11.4), Hitzebestandigkeit (Kap. 3, 4 und 8), Tiefziehfahigkeit (Abschn. 11.3), GieBbarkeit (Kap. 2 und 11), Korrosionsbestandigkeit (Kap. 6), Temperaturwechselbestandigkeit (Kap. 7) und Hartbarkeit (Kap. 8), die sich nach Tab. 12.5 in fertigungstechnische und Gebrauchseigenschaften unterteilen lassen. Die Begriffe des Werkstoffsystems und der Systemeigenschaft sollen am Beispiel des Reibungskoeffizienten erlautert werden (Bild 6.1). Das System besteht aus zwei Werkstoffen A und B, die sich in einer (gasformigen oder fliissigen) Umgebung U befinden. Der Reibungskoeffizient (Gl. 6.13, 6.14) hangt auBerdem noch von Druck, Gleitgeschwindigkeit etc. ab. Es ist nicht moglich, zum Beispiel von einem Reibungskoeffizienten von Werkstoff A zu sprechen, sondern nur von demjenigen eines bestimmten Systems. Trotzdem sind darin Werkstoffeigenschaften wie Oberflachenenergie, plastische Verformbarkeit, Harte enthalten (Abschn. 6.5). Ein weiteres Beispiel fiir eine Systemeigenschaft liefert die SpannungsriBkorrosion (Abschn. 6.4). Hier miissen Werkstoff, Zugspannung und die chemische Umgebung im Zusammenhang betrachtet werden. 0.5 Priifung, Normung, Bezeichnung Der Konstrukteur wtinscht zuverlassige Daten iiber die Eigenschaften eines Werkstoffes, die er in seine Berechnungen einsetzen kann. Dazu bedarf es zweierlei Festlegungen. Erstens sollen Methoden, mit denen die Eigenschaften bestimmt werden, uberall die gleichen sein. Man einigte sich (innerhalb einer ganzen Reihe von Staaten*) auf bestimmte Werkstoffpriifnormen. Darin werden die Probenabmessungen und die auBeren Prufbedingungen genau festgelegt, um Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu gewahrleisten. Zweitens sollen die Eigenschaften der Werkstoffe selbst vom Hersteller innerhalb genau festliegender Grenzen garantiert werden. Fiir eine begrenzte Zahl von Werkstofftypen, wurden chemische Zusammensetzung, Eigenschaften und Abmessungen in den Werkstoffnormen genau festgelegt [0.11-0.16]. In Anhang A.5 sind genauere Angaben zu vielerlei Normen zu finden, die mit den Werkstoffen in Zusammenhang stehen. Haufig kann der Konstrukteur den fertigen Werkstoff mit festliegenden Eigenschaften aber nicht vom Hersteller beziehen und in die Konstruktion einbauen. Vielmehr wird der Werkstoff wichtiger Teile erst bei der Fertigung nachbehandelt. So werden Zahnrader, Kurbelwellen oder Werkzeuge erst nach ihrer Herstellung gehartet oder vergiitet. Haufig werden Werkstoffe sogar erst miteinander gemischt und geschmolzen, wie das GuBeisen und Kunststoff-SpritzguB. Dasselbe gilt fiir Beton, der erst auf der Baustelle hergestellt wird. Zusatzlich zu den schon erwahnten Normen sind dann genaue Vor-
* Die 1946 gegrundete international Organization for Standardization« (ISO) erarbeitet sowohl internationale Normen (Standards) als auch Empfehlungen (Recommendations), die bei der nationalen Normung berucksichtigt werden sollten. Diese wiederum werden zunehmend durch europaische Normen (E.N.) ersetzt.
0.5 Pruning, Normung, Bezeichnung
15
schriften fiir die Herstellung und Nachbehandlung der Werkstoffe notwendig. Die erzielten Werkstoffeigenschaften miissen vom Werkstoffverarbeiter uberpnift werden. Auch bei den Normen kommt man nicht ohne Kenntnis des mikroskopischen Aufbaus der Werkstoffe aus. Neben der chemischen Zusammensetzung konnen z. B. mikroskopische Parameter wie die KristallgroBe in Karosserieblechen oder GroBe und Verteilung der nichtmetallischen Einschlusse in Kugellagerstahl vorgeschrieben sein. Normung ist eine muhsame Arbeit, die groBe Sorgfalt erfordert. Das fiihrt zu einem konservativen Element in alien Normenangelegenheiten: Die Normung auf dem Gebiet der Werkstoffe hat manchmal Miine, der wissenschaftlichen und technischen Entwicklung zu folgen. Es ist daher anzustreben, daB die - ohne Zweifel auBerst niitzliche Normung so angelegt wird, daB neue Entwicklungen ohne groBe Verzogerung beriicksichtigt werden konnen. Die Bezeichnung der Werkstoffe ist uniibersichtlich, da sie nach einer Vielzahl von Prinzipien erfolgt (Abschn.12.2 und Anhang A.3). VerhaltnismaBig klar ist sie bei den Nichteisenmetallen, bei denen chemische Zusammensetzung und Festigkeit, Nachbehandlung oder Verwendungszweck aus der Bezeichnung hervorgehen. Es werden das Grundelement, z. B. Al, die prozentuale Zusammensetzung der wichtigsten Legierungselemente, z. B. 1,5% Zn, und die weiteren Legierungselemente, z. B. Mg und Cu, angegeben, auBerdem die Mindestzugfestigkeit als F(in Nmm" 2 ). Die Bezeichnung einer hartbaren Aluminium-Legierung sieht dann folgendermaBen aus: AlZnl,5MgCu, F500. Daneben werden auch bei uns haufig die vierziffrigen amerikanischen AA Bezeichnungen gebraucht (aluminium association, Anhang 3f). Beim Beton richtet sich die Bezeichnung nach der Mindestdruckfestigkeit (in Nmm _2 ), z.B. Bn 35 oder LBn fur einen Leichtbeton. Die Kunststoffe werden mit Kurzbezeichnungen ihrer chemischen Grundbausteine bezeichnet, z. B. Polyvinylchlorid: PVC. Als Zusatz folgt manchmal der Schmelzindex (in g/10 min) als grobes MaB fiir die Zahfltissigkeit oder die Dichte (Kap. 9). Fiir die Stahle ist ein kompliziertes Bezeichnungssystem in Gebrauch, in dem Angaben iiber chemische Zusammensetzung, mechanische Eigenschaften, Herstellungsart oder Verwendungszweck zu finden sind (vgl. Literatur zu diesem Kapitel und Kap. 12). Neben diesen funktionellen Bezeichnungen setzen sich immer starker die Werkstoffnummern als Bezeichnungssystem durch. Diese haben den Vorteil, daB sie leicht in Datenverarbeitungsanlagen eingegeben werden konnen. AuBer den Normbezeichnungen fiir die Werkstoffe werden noch zahlreiche Handelsbezeichnungen benutzt, die von den Herstellerfirmeri erfunden werden. Bekannte altere Firmenbezeichnungen sind z. B. »V2A-Stahl« fur austenitischen chemisch bestandigen (rostfreien) Stahl bestimmter Zusammensetzung und »Widia« fiir Hartmetall von Krupp, »Duralmin« fiir eine ausscheidungshartbare Aluminiumlegierung der Diirener Metallwerke, bei den Polymeren »Teflon« fiir PTFE oder »Keflar« fiir aromatische Amide von der amerikanischen Firma DuPont de Nemours. Haufig gibt es die verschiedensten Namen fiir genau das gleiche Produkt. Polyathylen (PE) wird z. B. als Lupolen, Hostalen, Vestolen und Trolen in der Bundesrepublik Deutschland, als Dylan, Fortiflex, Marlex in den USA, als Stamylan in Holland, als Alkathene in England, als Plastylene in Frankreich angeboten. Es ist leicht einzusehen, daB diese Bezeichnungsvielfalt die Ubersichtlichkeit bei dem an sich schon reichhaltigen Angebot an verschiedenen Werkstoffen nicht erhoht.
16
Ot)berblick
Tabelle0.2. Historische Entwicklung der Werkstoffe Beginn der technischen Verwendung in groBerem Umfang Jahr Natiirliche Werkstoff e Holz keramische Mineralien Gold, Kupfer, Meteoriteisen
> -2500
Empirisch entwickelte Werkstoffe Bronze Stahl GuBeisen Zement/Beton (Portlandzement)*
-2500 -1500 + 1500 + 1850
Durch qualitative Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse entwickelte Werkstoffe Aluminiumlegierungen austenitischer chem. bestandiger Stahl organische Kunststof fe Titanlegierungen mikrolegierte Baustahle
+ 1905 + 1930 + 1940 + 1960 + 1965
Durch quantitative Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse entwickelte Werkstoffe Halbleiter Reaktorwerkstoffe Einkristalline Ni-Legierungen fiir Gasturbinenschaufeln faserverstarkte Werkstoffe Legierungen mit Formgedachtnis Metallische Glaser Schneidkeramiken keramische Supraleiter
+ 1950 + 1950 + + + + + +
1960 1965 1970 1970 1980 1986
0.6 Geschichte und Zukunft, Nachhaltigkeit Die zeitliche Folge der Verwendung von Werkstoffen war durch die technischen Schwierigkeiten bei ihrer Herstellung und durch die Entwicklung der Chemie und Physik bestimmt (Tab. 0.2). Wegen des haufigen Vorkommens dieser Elemente in der Erdkruste sind in Zukunft Werkstoffe auf Silizium-, Aluminium- und Eisenbasis begiinstigt. Die Basis fiir die Kunststoffe ist schmaler, da man auf den durch biologische Vorgange angereicherten Kohlenstoff angewiesen ist. Es ist eigentlich nicht zu verantworten, daB die geringen Vorkommen dieses Elementes immer noch zur Energieerzeugung verwendet werden. * Romische Vorlaufer von aus Vulkanasche gewonnenem Beton sind bekannt
17
0.6 Geschichte und Zukunft
Die Entwicklung der Verwendung von Werkstoffen zeigt drei wichtige Perioden. Sie ging aus von der Benutzung der in der Natur vorkommenden organischen Stoffe wie Holz und keramischer Mineralien und Gesteine, und von Meteoriteisen. Es folgte eine lange Zeitspanne, in der Werkstoffe durch zufallige Erfahrungen und systematisches Probieren ohne Kenntnis der Ursachen entwickelt wurden. Aus dieser Zeit stammen z.B. Bronze, Stahl und Messing, Porzellan und Zement. Bemerkenswert ist, daB vor 4000 Jahren bereits aus verschiedenen Lagerstatten stammendes Kupfer und Zinn gezielt gemischt wurden. Es entstand ein Werkstoff, der einem wichtigen Zeitalter den Namen gab. Dann folgte die Zeit, in der naturwissenschaftliche Kenntnisse zumindest qualitativ die Richtung der Entwicklungen wiesen, fur die das Aluminium und die organischen Kunststoffe kennzeichnend sind. In neuester Zeit beginnt man zunehmend, die Eigenschaften der Werkstoffe quantitativ zu verstehen. Dadurch ist man in der Lage, Werkstoffe mit genau definierten Eigenschaften zu entwickeln und die Moglichkeiten und Grenzen solcher Entwicklungen zu beurteilen. Bemerkenswert ist, daB die Werkstoffentwicklung in mancher Hinsicht zu ihrem Ausgangspunkt zuriickkehrt: Der Aufbau mancher faserverstarkten Verbundwerkstoffe ahnelt sehr dem von Holz. Uber den zeitlichen Verlauf der wirtschaftlichen Bedeutung geben die produzierten Mengen Auskunft (Bild 0.9). Kurzzeitige Schwankungen wurden ausgeglichen, um die Hauptziige der Entwicklung klarer zu zeigen. Die alten Werkstoffe, wie Stahl und die Buntmetalle, zeigen eine etwa gleichlaufende Entwicklung, die sich in Zukunft sicher zugunsten der Leichtmetalle andern wird. Die starkste Veranderung in der Verwendung der Werkstoffe wurde durch die Einfuhrung erst des Aluminiums, dann der Kunststoffe im groBtechnischen MaBstab hervorgerufen. Dabei ubertrifft die Steigerungsrate der Kunststoffproduktion die des Aluminiums sehr stark. Diese Entwicklung wird sich nicht in diesem Umfang fortsetzen. Ohne Zweifel ist aber trotzdem Stahl auch
1000 •106t
1900
1910
1920
1930
1940
1950
1960
1970
1980
1990
2000
Jahr Bild 0.9. Produktion wichtigster Werkstoffe in den USA. Die Entwicklung ab 1985 wurde geschatzt, kurzzeitige Schwankungen wurden ausgeglichen
18
0 Uberblick
Tabelle 0.3. Relative Kosten der von verschiedenen Werkstoffen erbrachten Zugfestigkeit bezogen auf Baustahl Werkstoff
Zugfestigkeit Nmm - 2
Dichte gem - 3
Kosten pro Nmm (St 37 = 1)
Baustahl, Stahlblech graues GuBeisen Aluminiumlegierung Polyvinylchlorid mit Glasgewebe verstarktes Kunstharz Polyathylen
370 120 200 40 500
7,8 7,3 2,7 1,4 1,9
1 3 3,5 4 10
10
0,9
12
2
im Jahre 2000 unser wichtigster in groBen Mengen erzeugte Werkstoff. Eine ungleich groBere Wirkung auf die Entwicklung der Technik in der zweiten Halfte des 20. Jahrhunderts hat das Silizium gehabt (integrierte Schaltkreise, Solarzellen). Seit etwa 1950 leben wir deshalb nicht mehr in der Eisen- sondern in der Siliziumzeit. Die produzierte Menge ist also nicht unbedingt ein klarer MaBstab fiir die Bedeutung eines Werkstoffes. Berechnet man das produzierte Volumen, so schneiden Bauholz und Kunststoffe infolge ihrer geringen Dichte sehr viel besser ab. Wichtig ist auch der Preis der verschiedenen Werkstoffe ftir ihre zukunftige Entwicklung. Die Statistik zeigt, daB die Preise aller Werkstoffe mit Ausnahme der Kunststoffe bis 1973 im letzten Jahrzehnt gestiegen sind. Dies kann als plausibles Argument ftir die zunehmende Verwendung von Kunststoffen in den vergangenen Jahrzehnten angesehen werden. Nicht so eindeutig ist das Ergebnis, wenn man fiir Werkstoffe, die in erster Linie mechanisch beansprucht sind, den Preis auf die dafur gelieferte Festigkeit bezieht. Bei diesem Bezug schneiden die Stahle am besten, die Kunststoffe verhaltnismaBig schlecht ab (Tab. 0.3). Der Grund fiir die steigende Beliebtheit der Kunststoffe muB also andere Ursachen haben, z.B. die leichte Verarbeitbarkeit oder die gute chemische Bestandigkeit. Tatsachlich ersetzte der Kunststoff den Stahl und Leichtmetalle haufig nur bei geringerwertigen Teilen. Heute wird deutlich, daB diese in den vergangenen Jahrzehnten erfolgreichste Werkstoffgruppe bei dem Recycling die groBten Schwierigkeiten bereitet. Dies gilt noch mehr fiir die Verbundwerkstoffe mit Polymermatrix (Bild 0.2 b). Noch nicht zu iibersehen ist deshalb, wie sich die Entwicklung der Verbundwerkstoffe, besonders der faserverstarkten Werkstoffe, gestalten wird. Heute linden sie in der Sportgerateindustrie und im Flugzeugbau umfangreiche Anwendung. Sie sind aber sicher die Werkstoffgruppe der Zukunft, da sie die Moglichkeit bieten, die Eigenschaften der Werkstoffe bestens an die Beanspruchungen im Innern und in der Oberflache anzupassen. Integrierte Schaltkreise stellen die raffinierteste Form solcher Verbundwerkstoffe dar, wenn elektronische Funktionen zu erfullen sind (Abschn. 5.1, 11.2). Bei dem jetzt erreichten Stand der Technik ist die verbrauchte Werkstoffmenge nicht unbedingt mehr ein MaBstab fiir die technische Leistungsfahigkeit (Bild 12.1). Vielmehr besteht die Tendenz, sowohl durch Verbesserung der Eigenschaften der Werkstoffe als auch durch sinnvollere Konstruktionen den Quotienten aus Werkstoffmenge und tech-
0.6 Geschichte und Zukunft
19
nischer Wirkung so stark zu verringern (Mikrotechnik, Nanostrukturen), da6 in absehbarer Zeit die absoluten Mengen der produzierten Werkstoffe nicht mehr in dem MaBe wie jetzt zunehmen konnen. Andererseits gilt in zunehmendem MaBe, daB die Entwicklung der neuen Werkstoffgruppe »Halbleiter« zum revolutionaren Fortschritt der Elektronik geftihrt hat. Verbesserte Dauermagnete, Spulenbleche fur elektrische Maschinen, Hochtemperatur- und Schneidwerkstoffe sind weniger bekannte Beispiele dafiir, daB Teilgebiete der Technik durch neue Werkstoffe stark in Bewegung gebracht wurden. Kenntnisse auf dem Gebiet der Werkstoffwissenschaft liefern deshalb oft eine wichtige Voraussetzung fur das Verstandnis von Moglichkeiten und Grenzen unserer technischen Zivilisation (Bild 4.13 b, 5.16a, 5.17,10.13).
Aufbau der Werkstoffe
1 Aufbau fester Phasen 1.1 Atome Beim Studium des Aufbaus der Werkstoffe konnen verschiedene strukturelle Ebenen unterschieden werden (Tab. 1.1). Den Makrostrukturen der Technik stehen die Mikrostrukturen der Werkstoffe gegeniiber, aus denen die Werkstoffeigenschaftn verstanden werden. Diese werden in den folgenden drei Kapiteln behandelt. Sie liefern die Voraussetzung fiir das Verstandnis der Werkstoffeigenschaften, die in den Kapiteln 4 bis 6 erortert werden. Dabei spielt der Begriff »Phase« eine wichtige Rolle. Wir verstehen darunter einen Bereich einheitlicher Struktur, zum Beispiel Fliissigkeit oder Kxistall. Eine Phase ist begrenzt durch Phasengrenzen, ein spezieller Typ davon ist die Oberflache: namlich die Grenze zu einem den Werkstoff umgebenden Gas oder Vakuum. Tabelle 1.1. Strukturelle Ebenen des Werkstoffaufbaus und der Technik Industriezweig Fabrik Anlage Maschine Maschinenelement
i
Makrostrukturen
Probe, Halbzeug Gefuge Phase Molekul Atom Elementarteilchen
Mikrostrukturen r
Die Phasen sind aus Atomen zusammengesetzt. Nur in den Polymerwerkstoffen sind die Molekiile die Grundbausteine der Phasen. Der groBte Anteil der Masse der Atome ist auf sehr kleinem Raum, dem Atomkern, konzentriert. Dieser besteht aus Protonen, Neutronen und anderen Nukleonen. Von der Art des Atomkerns werden die »Atomkern«Eigenschaften eines Werkstoffes bestimmt. Diese Eigenschaften sind weitgehend unabhangig von der speziellen Anordnung und Bindungsart der Atome. Zu ihnen zahlen alle kernphysikalischen Eigenschaften wie Neutronenabsorption und Spaltbarkeit (Abschn. 5.1), auch die Dichte wird primar durch die Art der Atomkerne bestimmt. Der verbleibende Raum des Atoms ist mit negativen Ladungstragern ausgefiillt. Man stellt sich eine Wolke von bewegten Elektronen vor, die den positiven Atomkern umgeben. Die Dichte dieser Wolke ist identisch mit der Wahrscheinlichkeit, mit der ein Elektron an einer Stelle zu finden ist. Um ein isoliertes Atom herum nimmt die Dichte
1 Aufbau fester Phasen
24
der Elektronen in einem Abstand von 0,1 bis 0,5 nm vom Kern sehr schnell ab. Da der Durchmesser des Kerns etwa 10~ 5 nm betragt, ergibt sich, daB weniger als 10~ 1 0 % des Atomvolumens nahezu die gesamte Masse enthalt. Als Grundbausteine der Werkstoffe stehen die im periodischen System der Elemente angeordnetenAtomarten zurVerfligung (Anhang A. 1, Tab. 12.2). DieAnordnunggeschieht in der Reihenfolge der positiven Kernladung Z, d. h. nach der Anzahl der Protonen, die der Atomkern enthalt. Man bezeichnet Z als Ordnungszahl des Elements. Das Atomgewicht A gibt Auskunft uber die Gesamtmasse des Atoms. Diese wird auBer von der Zahl der Protonen im wesentlichen durch die Zahl der Neutronen bestimmt. Das Atomgewicht A ist im Gegensatz zur Kernladungszahl Z keine ganze Zahl. Das kommt daher, daB die naturlichen Elemente Gemische von Kernen mit verschiedener Anzahl von Neutronen, sog. Isotopen, sind. Aus diesem Grunde nimmt auch das Atomgewicht nicht unbedingt mit steigender Ordnungszahl zu (Co^ >9 -> Ni|f 7 ). Das Atomgewicht ist das Gewicht von NA = 6,02 • 1023 Atomen (NA: Avogadrosche Zahl, Atome pro mol, Vm das Molvolumen). Diese Anzahl bezeichnet man als Stoffmenge (Einheit 1 mol), unabhangig davon, ob es sich um einzelne Atome oder um (beliebig groBe) Molekiile handelt. Die Einheit des Atomgewichts ist also g mol" 1 . Damit ergeben sich das Gewicht eines Atoms und die Dichte Q eines Stoffes, der nur aus einer Atomart besteht, zu (Anhang A2 a und A2 f)
4 NA
6,02 • 10
23
=
fs/mQl
=
V mol
o) &
(1.1 a)
) (1.1b)
'-£-(*)•
AuBer durch die Anteile verschiedener Isotope wird das Atomgewicht noch durch die Bindungsenergie der Kernbestandteile bestimmt. Je groBer diese Energie ist, umso groBer ist der Massendefekt, umso groBer ist auch die Stabilitat des betreffenden Atoms gegeniiber Kernspaltung. Bild 1.1 zeigt die gemessenen Atomgewichte der Elemente bezogen auf die Atomgewichte, die zu erwarten waren, wenn kein Masseverlust bei der Bildung eines Kerns auftreten wiirde. Es zeigt sich, daB die stabilsten Elemente bei mittlerer Ordnungszahl liegen, die am wenigsten stabilen sowohl bei sehr groBer als auch 0 MeV -1 V-H-2 CU
1-3
|LH-3 LKG 'nfusic n
o cu cu - b cz cu
Ifc-Li -7 stabil B Kern ?
-a
Kerns paltun 9V
i-7 rt-H e-A
\ ^
-238-
/Ni-60 25
50
75
100
125
150
Atomgewicht A
175
200
225
250
Bild 1.1. Massenverlust (Bindungsenergie) als Kennzeichen der Stabilitat eines Atomkerns. Atome mit mittlerer Ordnungszahl 28
1.1 Atome
25
bei sehr kleiner Ordnungszahl. Daraus folgt schon eine grobe Aufteilung der Elemente fur die Verwendung im Kernreaktorbau. Die Konstruktionsmaterialien sollten aus den stabilen Atomarten aufgebaut sein, wahrend die am wenigsten stabilen als Kernbrennstoffe geeignet sind. AuBer fur die schon erwahnten Werkstoffeigenschaften ist das Atomgewicht von sekundarer Bedeutung. Die meisten wichtigen Eigenschaften werden vielmehr von dem Verhalten der Elektronen bestimmt, die, an Zahl den Protonen gleich, den Atomkern umgeben. Von diesen sind es wiederum die auBeren Elektronen, die die Eigenschaften von Werkstoffen am meisten beeinflussen: Sie bestimmen die Art der Bindung von Atomen miteinander und die chemische Reaktionsfahigkeit, die mechanische Festigkeit, die elektrische Leitfahigkeit, das Auftreten von Ferromagnetismus und die optischen Eigenschaften. Es lohnt deswegen, sich mit der Anordnung von Elektronen in der Umgebung der Atomkerne zu beschaftigen. Fur die Systematik ist das Periodensystem der Elemente mitzlich (Anhang A.l). Die Elemente sind nicht nur in der Reihenfolge ihrer Ordnungszahl Z und damit der Zahl ihrer Elektronen angeordnet, sondern es sind auch Elemente mit ahnlichem chemischem Verhalten in Gruppen (senkrechte Reihen) zusammengefaBt. Alle Elemente einer Gruppe weisen eine ahnliche Anordnung der fur die chemischen Eigenschaften wichtigen auBeren Elektronen auf. Fur die Elektronen ist in der Umgebung des Kerns nur eine begrenzte Zahl von Energiezustanden erlaubt. Ihre Energie muB mit zunehmendem Abstand vom Atomkern zunehmen. Deshalb werden erst einmal die dem Kern am nachsten liegenden Zustande besetzt. Man bezeichnet diese Zustande auch als Elektronenschalen. In den einzelnen Schalen sind ze = In2 Elektronen erlaubt, d. h. 2 in der ersten, 8 in der zweiten, 18 in der dritten, wobei n ^ 1. Diese Elektronenschalen werden meist mit groBen Buchstaben, ausgehend von Kfilr n = 1, bezeichnet. Die N-Schale kann also 2-42 = 32 Elektronen enthalten. Atome mit gefullten Schalen sind chemisch sehr stabil. Das bedeutet, daB ihre auBeren Elektronen geringe Neigung zu Wechselwirkung mit anderen Atomen haben. Nach dem Schalenmodell sind die Elektronen innerhalb der einzelnen Schalen (bei gleichen «-Werten) energetisch gleichwertig. Das ist jedoch mit den Prinzipien der Quantenmechanik nicht zu vereinbaren. Den gleichen Energiezustand diirfen jeweils 2 Elektronen haben, und nur unter der Voraussetzung entgegengesetzten Drehsinns um ihre eigene Achse. Dieser sog. Spin bedingt das Vorzeichen des magnetischen Verhaltens des Elektrons. Es gibt also bestimmte quantenmechanische Regeln, die den Energiezustand eines jeden einzelnen Elektrons bestimmen. Ausgehend vom einen Elektron des Wasserstoffs, das das niedrigste Energieniveau besitzt, werden fur schwerere Atome in zunehmendem MaBe hohere Niveaus mit Elektronen gefiillt. Im Helium ist die erste, im Neon die zweite Schale gefiillt, wahrend Lithium und Natrium jeweils ein Elektron in der L- bzw. M-Schale besitzen. Es ist bemerkenswert, daB das Metall Li (Z = 3) zwar nicht als Grundwerkstoff, aber als Legierungselement geeignet ist. Die Dichte Q wird dann immer verringert. In Al-Li wird gleichzeitig die Festigkeit (Kap.4, Elastizitatsmodul; Streckgrenze) erhoht. Mg-Li-Legierungen mit hdherem Li-Gehalt werden als »Superleichtmetalle« bezeichnet. Sie erreichen eine Dichte, die der von Polymerwerkstoffen vergleichbar ist, die vorwiegend aus C (Z = 6) und H (Z = 1) aufgebaut sind. Fur weitere Elektronen in diesen Schalen sind neue hohere Energieniveaus erforderlich, die eine Unterteilung der Schalen notwendig machen. Experimentell konnen diese Energiewerte spektroskopisch bestimmt werden.
26
1 Aufbau fester Phasen
Gemessen wird die Wellenlange X eines Photons (Lichtquant), das beim Ubergang eines Elektrons von einem zum anderen Energiezustand emittiert wird. Die Spektrallinien entsprechen den diskreten Werten der Differenzen einzelner Energieniveaus: Ex - £3 = If = hv.
(1.2)
E1 ist der Zustand hoherer Energie, E2 der Zustand mit niedrigerer Energie, den das Elektron unter Emission des Lichtquants /zveinnimmt. vist die Frequenz, cdie Lichtgeschwindigkeit. Es sollen hier nur die Bezeichnungen der verschiedenen Elektronenzustande aufgezahlt werden, ohne ihre quantenmechanischen Ursachen im einzelnen abzuleiten. Durch Messung von Energie oder Wellenlange der Strahlenquanten oder Elektronen konnen Art und Konzentration von Atomen im Werkstoff bestimmt werden: chemische Analyse mit physikalischen Methoden. Zu deren Bezeichnung dient eine »Geheimsprache« aus zumeist aus der englischen Sprache stammenden Abkurzungen (AnhangA.7), zum Beispiel: WDX oder EDX (wellenlangen- oder energiedispersive Analyse der Rontgenstrahlen, Mikrosonde), EELS (electron energy loss spectroscopy). Die Obergange zu den Zustanden niedrigster Energie liefern die scharfsten Spektrallinien. Daraus folgt die Bezeichnung s fiir die Elektronen niedrigster Energie einer Schale. Diese Bezeichnung wird folgendermafien geschrieben: nsx. Eine Anzahl von x sElektronen befindet sich in der «-ten Schale. Das Elektron des Wasserstoffes wird demnach mit 1 s1 bezeichnet. In der M-Schale befinden sich zwei 3s-Elektronen: 3 s2. In den Schalen mit n > 1 befinden sich mehr als 2 Elektronen. Sie miissen hohere Energiezustande einnehmen, die als p-, d- und f-Zustande bezeichnet werden. Die Anzahl der erlaubten Elektronen dieser Energiezustande ist p ^ 6, d ^ 10 und f § 14. Die 11 Elektronen des Natriums (Z = 11) werden danach wie folgt bezeichnet:
n
Is2 Na: -v-' K-
2 s2 2 p 6 3 s1 ' v—^ -v-^ LM-Schale
Es gibt im Periodensystem eine groBere Zahl von Elementen hoherer Ordnungszahl Z, die sich dadurch auszeichnen, dafi bestimmte Unterschalen nicht vollstandig mit Elektronen besetzt sind. Diese Elemente werden als Obergangselemente bezeichnet. Als Beispiel dafiir soil das Eisenatom mit Kemladungszahl Z = 26 dienen. Es besitzt folgende Elektronen: Is2 Fe: ^^ K-
2G
'
2 s2 2 p 6 * ' L-
3 s2 3 p 6 3 d6 4 s2 ' * ' ^v' MN-Schale
Obwohl die 3d-Schale bis zu 10 Elektronen aufnehmen konnte, sind anstelle von zwei 3d-Zustanden zwei 4s-Zustande besetzt. Die 3d-Schale ist erst beim Element 29 (Kupfer) vollstandig besetzt, das folgende Elektronen besitzt: 29
Cu:
Is2 K-
2 s2 2p^ L-
3 s2 3 p 6 3 d10
4 s1
M-
N-Schale
1.1 Atome
27 2000 °C yX
1800
10 germ
, >
A
/fc.
p
1600 1400
Uu
* 1200
i0,3
mm
- 24
kJ/mol
20 A"»l
0,2 A n 16 i
600
\ Vi
'N
// /
400
12
4 te
I
0,1
- 8 ^
0
- 4 -0
<J
200; 0
19
20
21
22
23
24 25 26 27 28 Ordnungszahl Z — — • -
29
30
31
4. Periode ( N-Schale)
Co ~i
Sc r
Ti
V
n
r
Cr Mn Fe Co "T
Ni Cu Zn Ga
~r T ~~r~ ~r
"T
krz — -kfz
T"
~r
„
Kristallstrukturen
z
-
-
1
2
3
5
5
6
7
8
10
10
3d
1
2
2
2
2
1
2
2
2
2
1
2
4s
/\
Utergangsmetalle
Z /Elek
B
Bild 1.2. Einige Eigenschaften der Obergangselemente der IV. Periode. TM Schmelztemperatur, A//^ Schmelzwarme, g Dichte, rQ Atomradius
Sowohl 19K als auch 29 Cu haben ein 4s-Elektron. In der Chemie werden die Elemente mit gleicher Zahl auBerer Elektronen, aber teilweise oder ganz gefullter innerer Schale als Haupt- und Nebengruppenelemente unterschieden. Die Obergangselemente zeigen als Folge ihrer besonderen Elektronenstrukturen viele hervorragende Eigenschaften, z. B. Ferromagnetismus, Anomalien der Schmelztemperatur, der elastischen Konstanten und der chemischen Bindung, die ihnen auch als Werkstoffe, so z. B. als Stahle, besondere Bedeutung geben, auf die in spateren Abschnitten hingewiesen wird (Bild 1.2). AuBer den tJbergangselementen sollen drei weitere Gruppen von Elementen im Periodensystem festgelegt werden. Die A-Elemente besitzen entweder nur s-Elektronen in ihren nicht voll besetzten Schalen (Gruppe IA und IIA), oder es fehlen ihnen 1 bis 5 pElektronen zur vollstandigen Auffiillung der p-Niveaus (Gruppe IIIA bis VIIA). Die dritte Gruppe sind die Edelgase, bei denen jeweils die gesamten Schalen besetzt sind, und deren auBere Schale - mit Ausnahme des Heliums mit nur zwei s-Elektronen (1 s2) immer 8 Elektronen mit dem sehr stabilen Energieniveau n s 2 n p 6 enthalten. Die Gruppe der B-Elemente (Nebengruppenelemente) schlieBt sich jeweils an die Ober-
28
1 Aufbau fester Phasen
gangselemente an, wenn mit zunehmender Ordnungszahl (= Kernladungszahl = Elektronenzahl) die 3d-, 4d-, 4f- oder 5d-Niveaus vollstandig mit Elektronen gefullt sind. Dann mu8 die systematische Besetzung der s-Niveaus beginnen, wie bei den Elementen der Gruppen IA und IIA (Bild 1.2 und 1.3). Diese grobe Unterteilung in vier groBe Gruppen ist niitzlich, weil sich diese in kennzeichnender Weise in ihrem chemischen Bindungsverhalten unterscheiden, aus dem die Eigenschaften der Werkstoffe ableitbar sind. Es sei noch erwahnt, da8 es an der Grenze zwischen den A- und B-Bereichen eine Reihe von Elementen gibt, die sich nach ihren Eigenschaften nicht eindeutig in diese beiden Gruppen einordnen lassen. Diese Elemente liegen in der Umgebung derjenigen Atomarten der ersten Perioden, die gerade die Halfte der 8 (n s2 + n p6)-Elektronen in ihrer auBeren Schale enthalten: C, Si, Ge. Sie spielen als Werkstoffe elektronischer Bauelemente eine groBe Rolle (Abschn. 5.2).
1.2 Bindung der Atome und Molekule In den Werkstoffen sind entweder gleiche oder verschiedenartige Atome zu festen Stoffen miteinander verbunden. Die Krafte zwischen Atomen werden durch Wechselwirkung zwischen deren auBeren Elektronen hervorgerufen. Diese Wechselwirkungen konnen verschiedener Art sein und bestimmen die »Festigkeit« der Bindung, von der wiederum die verschiedenen mechanischen, elektrischen oder chemischen Eigenschaften einer sehr groBen Zahl von in bestimmter Weise verbundenen Atomen, also die makroskopischen Eigenschaften eines Stoffes abhangen. Die Bindung zwischen zwei Atomen kann formal durch Wechselwirkungsenergien ^LH(r) beschrieben werden, die vom Abstand r der beiden Atome abhangen. Nimmt diese Energie negative Werte an, so ist das identisch mit einer Bindung der beiden Atome. Ihr Abstand r0 ist gegeben durch die Bedingung 2 H(r) —»min und wird auch als Atomradius bezeichnet. Er hangt nicht nur von der GroBe der Atome, sondern auch von der Art der Bindung ab und hat die GroBenordnung 0,1 nm. Der Abstand r0 kann abgeleitet werden aus dem Gleichgewicht von abstoBenden und anziehenden Kraften zwischen den Atomen. Diese Krafte sind verschiedene Funktionen von r. Die abstoBenden Krafte nehmen mit abnehmendem Atomabstand sehr viel starker zu als die anziehenden. Der Grund dafiir ist, daB die vollbesetzten inneren Elektronenschalen der beiden Atome »aneinandergedriickt« werden. Sie besitzen keine freien Energieniveaus der Elektronen, die die Voraussetzung fur anziehende Wechselwirkung sind. Die Abhangigkeit der Bindungsenergie vom Atomabstand rkann mit einer Funktion des Typs Bild 1.4
H C Mg Bild 1.3. Elektronen und Elektronenschalen einiger Elemente
1.2 Bindung der Atome und Molekule
ZH(r)=-
a .12
r6
29 (1.3)
— ~~ HAn + HiAb
beschrieben werden. Eine solche Funktion hat ein Minimum bei einem Abstand r0 entsprechend der Bedingung 2FW =
d(HM±H^_ dr
dS// dr
= 0.
(1.4)
2//(r 0 ) wird als Bindungsenergie // B zwischen zwei Atomen bezeichnet und kann je nach Art der Atome und der Bindung sehr unterschiedliche Werte annehmen (Tab. 1.1). Sie entspricht der Arbeit, die notwendig ist, um zwei Atome zu trennen, d. h. auf Abstand r = sc zu bringen (bei 0 K). Aus dem gleichen Grunde steht die Bindungsenergie in direktem Zusammenhang mit der Verdampfungstemperatur 7}g* eines Stoffes. Atome oder Atomgruppen werden in diesem Fall nicht durch mechanische, sondern durch thermische Energie getrennt. Diese ist proportional der Temperatur, und folglich gilt die Regel HB/ Tfg « const.
(1.5)
Falls der Obergang in den Gaszustand nicht in einzelnen Atomen, sondern in Atomgruppen - also in Molekiilen - erfolgt, mufi die Bindungsenergie zwischen diesen Gruppen verwendet werden. Aus diesem Grunde steigt die Festigkeit von thermo-plastischen Kunststoffen mit zunehmender GroBe der Kettenmolekiile. Der Abstand r0 (Tab. 1.2) ergibt sich aus dem Gleichgewicht der Krafte zwischen den Tabelle 1.2. Atomabstand und Bindungsenergie Bindung
Abstand r0 nm
Energie HB kJ mol-1
Art der Bindung
Li Na K Rb Cs C Si Ge C C C C C C C Na Na Na O
0,404 0,371 0,463 0,488 0,525 0,154 0,235 0,245 0,135 0,121 0,108 0,136 0,143 0,194 0,193 0,185 0,236 0,250 Wasserstoffbriicke
111 75 55 52 45 347 176 158 610 832 413 485 351 339 301 447 410 307 <24
metallisch
-Li -Na -K -Rb -Cs - C - Si - Ge =C s C - H - F - O -CI -Si - F -CI -Br - H
O
kovalent
vorwiegend kovalent
vorwiegend ionisch
van-der-Waal
fg: Ubergang flussig -^ gasformig (Verdampfen); kf: Obergang kristallin -* fliissig (Schmelzen).
30
1 Aufbau fester Phasen
Atomen entsprechend (1.4). Andere Abstande r0 + Arkonnen nur durch von auBen auf die Atome wirkende Krafte eingestellt werden. Fiir kleine Verschiebungen Ar ist die GroBe dieser Krafte gegeben durch die Steigung der 2 F(r)-Kurve bei S F = 0 , r = r 0 : C =
dZF dr
d22// dr 2
AZF Ar
(1.6)
C ist die Proportionalitatskonstante zwischen auBerer Kraft und Formanderung und steht in direktem Zusammenhang mit den elastischen Konstanten der Werkstoffe (Kap. 4). Es folgt daraus, daB die elastischen Konstanten nicht von der Bindungsenergie direkt, sondern voii der Kriimmung der H(r)-Kurve bei r0 abhangen. Die Voraussetzung fiir die lineare Elastizitatstheorie ist also, daB diese Kriimmung fiir kleine Ar als konstant angenommen werden kann (Bild 1.4). Die Bindungskraft F(r) verhalt sich in bestimmten
Atomabstand r
Bild 1.4. Wechselwirkungsenergien und -krafte zwischen zwei Atomen, die sich bei r0 im mechanischen Gleichgewicht befinden
1.2 Bindung der Atome und Molekule
31
Grenzen des Atomabstandes r wie die einer Feder. Bei sehr hohen Werten von F und r trennen sich die Atome, d. h. der Werkstoff bricht. Es erhebt sich jetzt die Frage nach der Natur der anziehenden Krafte zwischen den Atomen. lonenbindung. Diese Bindung erfolgt zwischen verschiedenen Elementen, vorzugsweise zwischen je einem A-Element mit wenig und fast vollstandig gefiillter auBerer Elektronenschale. Zum Beispiel reagiert Na mit CI, indem das 3s-Elektron des Na zum sechsten 3p-Elektrpn des Chlors wird. Damit erhalten beide Atome eine vollstandig gefullte Mbzw. N-Schale. Die Zahl ihrer Elektronen stimmt aber nicht mehr mit der Kernladung uberein. Die Atome sind elektrisch entgegensetzt geladen. Sie werden als positives (Na 1 + , Elektronenmangel, Kation) oder negatives (CI 1 - , ElektronenuberschuB, Anion) Ion bezeichnet. Zwischen diesen Ionen tritt eine elektrostatische Anziehungskraft 1
f
e
(nie)(n2e) r2
auf. Bei ihrer Berechnung ist zu beriicksichtigen, daB die Ladungsmenge Q (As) die »mechanische« Dimension Fh L (F Kraft, L Lange) haben muB, also im Si-System N1/2m = kg1/2m1/2s_1. Die Dielektrizitatskonstante f ist im alten CGS-System (cm, g, s), nicht aber im neueren KMSA-System (kg, m, s, A) gleich 1. ni ist die Anzahl der Elektronen, die von den Atomen abgegeben bzw. aufgenommen werden, und e ist die Ladung eines Elektrons, (e = 1,6 • 1 0 - 1 9 C; n = 1 fur NaCl). Aus (1.7) folgt eine zunehmende Anziehung der Ionen mit abnehmendem Abstand r. Fur die abstoBenden Krafte gilt F a b ~ > - 1 1 fur Stoffe mit lonenbindung. Es folgt daraus als Bindungsenergie bei F a n == F a b Me2 b # 3 = - ^ - + ^-
(].8)
M und b sind Konstanten. Mist dimensionslos und 1,5<M<6,0. Die Energie H B liegt bei 400 J m o l - 1 . Die lonenbindung ist verhaltnismaBig fest. Sie nimmt mit zunehmender AtomgroBe ab (Tab. 1.1). In Wirklichkeit vereinigen sich Mg- und O-Atom nicht zu Paaren wie in Bild 1.5 und 1.6 angedeutet. Paarbildung wiirde dazu fiihren, daB zwischen diesen Paaren keine oder nur sehr kleine Bindungsenergie wirksam werden konnte und der Stoff bis zu tiefer Temperatur gasformig sein muBte. Vielmehr wirkt die Ladung eines Ions anteilmaBig auf alle benachbarten Ionen. Aus diesem Grunde umgibt sich das Mg 2 + -Ion moglichst mit O 2 - -Ionen. Es entsteht ein Stoff mit dem Bauprinzip: Ionen verschiedenen Vorzeichens M-Schale
Bild 1.5. lonenbindung von Mg und O. Das O-Atom wird zum 0 2 ~-Ion mit kompletter M-Schale
32
1 Aufbau fester Phasen
b
Diamant
d
Polymer-Molekul-Kristall
Bildl.6a-d. Die vier Bindungstypen. a lonenbindung, MgO, Ubergang von Mg-Elektronen zu OAtomen. b kovalente Bindung, Diamant, gemeinsame Elektronen benachbarte Atome. c Metallische Bindung, Li, freie Elektronen. d Zwischenmolekulare Bindung (Van-der-Waals-Bindung), zwischen den kovalent gebundenen Polymermolekulen
sind benachbart, und die Anteile der verschiedenen Ionenarten ergeben, da8 die Summe der Ladung gleich null ist. Fiir die Zusammensetzung, positives Ion zu negatives Ion wie 1 zu 1, sind Beispiele fiir 4, 6 und 8 nachste Nachbarn in Bild 1.7 gezeigt. Diese Anordnungen setzen sich im Raum fort, so da6 ein nach auBen hin elektrisch neutraler Stoff entsteht. lonenbindung erfordert Atome, die Elektronen abgeben oder aufnehmen konnen. Die auBeren Elektronen (des positiven Ions), die abgegeben werden konnen, werderrais Valenzelektronen bezeichnet, weil sie die Wertigkeit eines Elementes fiir die Festlegung einer Ionenverbindung bestimmen. Es ergeben sich durch Anwenden der Valenzregeln fiir die Elemente der ersten Periode die Verbindungen gemaB Tab. 1.2. Die beteiligten Atomarten unterscheiden sich durch die Zahl ihrer auBeren Elektronen. Fur LiF ist das Verhaltnis Li 1 " : F 7 " = 1:7, fur C 4 _ : C 4 - (fester Kohlenstoff als Diamant) = 4 : 4 . Voraussetzung fiir lonenbindung ist ein groBer Unterschied der Zahl der negativen Ladungstrager, d. h. ein groBer Unterschied der Elektronegativitat. Je geringer dieser Unterschied ist, desto geringer ist der Anteil der lonenbindung an der Bindung der Atome. Hohe Schmelz- und Siedetemperatur des festen Kohlenstoffes deuten darauf hin, daB in diesem Falle eine andere, noch starkere Bindung wirksam wird. Kovalente Bindung. Das Prinzip einer abgeschlossenen Achterschale, das die Grundlage der lonenbindung ist, kann auch dadurch verwirklicht werden, daB sich mehrere Atome
1.2 Bindung der Atome und Molekule
33
ret Bild 1.7. Zahl der nachsten Nachbarn gleichgroBer Atome (Koordinationszahl). Sie nimmt mit zunehmender Dichte der Packung der Atome bis auf 12 zu (fur gleichgroBe Atome) Tabelle 1.3. Anteil der lonenbindung der Verbindungen der Elemente der ersten Periode (in %)* Anionen
V
F"
o2-
N3"
C^
Li 1+
LiF . 89 ^ \.
Li 2 0 79
Li3N 63
Li4C 43
Be 2+
BeF2 79
Be3N2 43
Be2C 22
1
>
tionen
K
B3+
I
Q4+
y
*
BeO 63
BF3 63
B203 43
CF4 43
co2 22
^\
v
\
B4C 6
22
^
C3N4
*
CC
6
I
0
Pfeile in Richtung auf zunehmende Harte und Schmelztemperatur bestimmte Elektronen teilen, d. h. daB diese die gleiche Aufenthaltswahrscheinlichkeit bei mehreren Atomen haben. Das einfachste Beispiel ist das Wasserstoffmolekul H 2 . Beide Elektronen gehoren zu beiden Protonen gleichzeitig. Diese werden dadurch gebunden, daB beide ls-Elektronen die gleiche Aufenthaltswahrscheinlichkeit bei beiden Kernen haben. Die Bindung kommt durch die anziehende Kraft der Elektronen zwischen den positiv geladenen Kernen zustande. Ihre quantitative Berechnung ist schwieriger als bei der lonenbindung. Die durch kovalente Bindung gebildeten diatomaren Molekule (z. B. 0 2 , N 2 , F2) haben als Werkstoffe keine Bedeutung. Die Voraussetzung, daB ein bis zu hoheren Temperaturen bestandiger Korper entsteht, ist namlich, daB die kovalente Bindung von Atom zu Atom iibertragen wird und zu einer raumlichen Anordnung vieler Atome fuhrt, und das ist bei ihnen nicht der Fall. Das Molekiil des Methans bildet eine tetraedrische Anordnung von Wasserstoffatomen, die das Kohlenstoffatom umgeben und vorwiegend kovalent gebunden sind. Ein Molekiil besitzt ein Molekulargewicht, das sich aus der Summe der Atomgewichte seiner Atome ergibt. Fur Methan ergibt sich M^^ = Ac + 4 Au = 12 + 4 = 16 (Abschn. 1.1). Da die Bindungen im Methan abgesattigt sind, bestehen keine starken Krafte zwischen den Molekiilen. CH 4 ist deshalb bis zu —161 ° C ein Gas. Ersetzt man demgegemiber die Wasserstoffatome der Tetraederecken durch weitere Kohlenstoff-
34
1 Aufbau fester Phasen
atome, so erreicht man eine raumliche Fortsetzung der tetraedrischen Anordnung. Jedes Kohlenstoffatom dient als Ausgangspunkt zur Bindung von vier weiteren Kohlenstoffatomen, so daB ein »Riesenmolekul« mit unendlicher Ausdehnung entstehen kann (Kap. 7.2, Bilder 1.6 d und 1.14). Die Richtung und der Abstand, in denen sich die benachbarten Atome befinden miissen, liegen bei kovalenter Bindung genau fest. Es entsteht deswegen ein regelmaBiges Raumgitter von Atomen. Ein solches Gitter wird Kristall genannt. Beim Beispiel von Bild 1.8 handelt es sich um Diamant, den Stoff mit hochster Festigkeit, der erst bei +4830°C gasformig wird. Einzelne Atomgruppen sind als diskrete Molekiile in derartigen Kristallen nicht zu definieren. Sind verschiedene Atomarten an der Bindung beteiligt, so gelten auch bei kovalenter Bindung die Valenzregeln. Eine aus Tetraedern aufgebaute und durch kovalente Bindung zusammengehaltene Struktur weisen nicht nur die Elemente C, Si und Ge, sondern auch Verbindungen wie Ga 3 "As 5 ~, In 3 "Sb 5 ", Zn 2 ~S 6 ", Cd 2 ~Te 6 " oder Si 4 ~0 2 2 6_ auf. Die Summe der negativen Ladungen entspricht denen der vierwertigen reinen Elemente. Die erwahnten Stoffe spielen in der Halbleitertechnik eine groBe Rolle, wahrend beim Diamant besonders die groBe Harte technisch genutzt wird. Dariiber hinaus zeichnet sich die Gruppe der Si0 2 -Verbindungen in keramischen Werkstoffen dadurch aus, daB kovalente und Ionenbindung zusammenwirken, wodurch Schicht- oder Faserstrukturen entstehen. Bekannte Beispiele dafur sind die Mineralien Glimmer und Asbest. Metallische Bindung. Die dritte Moglichkeit einer anziehenden Kraft zwischen den Atomen kann nur an einem vereinfachten Modell erlautert werden. Wir betrachten zunachst
Bild 18. a Diamantstruktur, tetraedrisch angeordnete Kohlenstoffatome bilden ein kubisches Kristallgitter. b Graphitstruktur, hexagonale Schichten mit kovalenter Bindung sind untereinander nur durch schwache Vander-Waals-Bindung verbunden. c raumliche Darstellung des Methans und eines Polymermolekuls. d Kugelformige Molekiile aus C-Atomen die Fiinfer- und Sechserringe bilden (Fullerene). Sie konnen Molekiilkristalle bilden und andere Atomarten einlagern. Daraus ergeben sich eine Vielzahl struktureller Moglichkeiten, deren Anwendungen heute noch nicht abzusehen sind
1.2 Bindung der Atome und Molekiile
35
by C ( a
bj
^3
) Atome in dichtest gepackter Ebene o
Position der Atome in den daruber gestapelten Ebenen
/[011]
U}
b
*
°/2 [111] •% [ 1 1 1 1 — » f l [ 0 0 1 ]
—
02 _
% [ 1 0 1 ] — % [H2]
+ +
03
(in)
_
%[211]
Bild 1.9. a Das kubisch flachenzentrierte Gitter (kfz; Bild 1.7; K = 12) mit dichtest gepackten Ebenen, die so gestapelt sind, daB nach jeder dritten Schicht eine in der urspriinglichen Position folgt. In dieser Struktur kristallisieren die meisten Metalle b Kennzeichnung von Atomabstanden und Richtungen in einer (111)-Ebene des kfz-Gitters (s. Abschn. 1.3), c Das kubisch raumzentrierte Gitter (krz; Bild 1.7; K = 8) mit einem Atom in der Raummitte eines Wurfels. Die Lage der Atome in einer Ebene im Kristallgitter ist ebenfalls eingezeichnet. In dieser Struktur kristallisiert das Eisen in den meisten Stahlen
die Gruppen IA und IIA des Periodensystems. Darin sind Elemente enthalten, die nur wenige Elektronen in der auBeren Schale besitzen. Diese Elektronen werden wie bei der Ionenbindung abgegeben, aber nicht einem benachbarten Atom, sondern sie machen sich vielmehr »selbstandig« und bilden ein »Elektronengas«, das den Raum zwischen den Ionen ausfiillt. Die dadurch erzeugte negative Raumladung fiihrt zu einer Kraft, die groBer ist als die AbstoBung zwischen den Ionen. Diese sog. metallische Bindung ist in der Regel schwacher als die kovalente und die Ionenbindung (Tab. 1.1). Hochtemperaturwerkstoffe werden daher vorwiegend durch die letzteren beiden Bindungsarten zusammengehalten. Metallisch gebundene Stoffe zeichnen sich also dadurch aus, daB sie neben den an den Atomkern gebundenen noch freie Elektronen enthalten. Die metallische Bindung ist wie die Ionenbindung und im Gegensatz zur kovalenten Bindung nicht gerichtet. Daraus folgt, daB jedes Atom sich mit soviel wie moglich nachsten Nachbarn umgeben mochte. Es werden daher dichteste Kugelpackungen (kubisch flachenzentriert, kfz oder hexagonal dichteste Packung, hdP) oder dichte Packung (kubisch raumzentriert, krz) der Atome angestrebt (Bild 1.9). Alle fur Metalle kennzeichnenden Eigenschaften folgen aus dem Vorhandensein des
36
1 Aufbau fester Phasen
Gases der freien Elektronen. Es handelt sich dabei jedoch nicht um ein ideales Gas, sondern um ein solches mit einer anderen Statistik der Energieverteilung. Viele Eigenschaften der Metalle, darunter das hohe Reflexionsvermogen, die hohe elektrische und thermische Leitfahigkeit sowie das hohe chemische Reaktionsvermogen, stehen in direktem Zusammenhang mit dem Vorhandensein der freien Elektronen (Kap. 5, 6 und 8). Die meisten Elemente des Periodensystems sind im reinen, nicht mit anderen Elementen chemisch gebundenen, Zustand Metalle: Neben den Elementen der Gruppen IA und IIA (Alkali- und Erdalkalimetalle) sind es samtliche Ubergangselemente (daher Ubergangsmetalle) und die Elemente der B-Gruppen. Falls Metallatome miteinander Verbindungen bilden, so folgen diese meist nicht den Valenzregeln der Chemie. Die Elemente des Zwischenbereiches in der Umgebung der Gruppe IVA konnen sowohl metallischen als auch kovalenten Bindungscharakter annehmen. So werden C, Si und Ge unter sehr hohem Druck in dichter gepackte metallische Strukturen umgewandelt. Die Elemente der Gruppen jenseits IVA kommen dagegen nur als kovalent gebundene Molekule vor. Gemische aus zwei oder mehreren Arten von Metallatomen werden als Legierungen bezeichnet. Legierungen sind auch Gemische Von Metall und Nichtmetall, wenn dadurch der metallische Charakter nicht verloren gent, z.B. Fe-C, Al-Si, Ni-B. Heute wird der Begriff Legierung auch fur Gemische verschiedener Molekularten in Polymerwerkstoffen verwendet (Kap. 9). Zwischenmolekulare Bindung. Die kovalente Bindung kann entweder zur Bildung diskreter Molekule wie z.B. H2 oder CH4 mit stabiler Elektronenkonfiguration, oder zur Bildung unendlicher raumlicher Atomanordnungen (Diamant, Bild 1.8 a) ftihren. Neben den drei »starken« Bindungsmechanismen gibt es »schwache« Bindungskrafte, die stabile Molekule (oder die Edelgasatome) verbinden konnen. Im Gegensatz zu den am Beispiel von Diamant und Quarz erlauterten Kristallen, die durch starke Bindungen verbundene Atome enthalten, entstehen durch schwache Bindung diskreter Molekule sog. Molekulkristalle. Die meisten Kunststoffe bestehen aus schwach intermolekular gebundenen Molekiilen, deren Atome wiederum durch starke intramolekulare, vorwiegend kovalente Bindung verkniipft sind. Als Sammelname fur verschiedene Arten der schwachen Bindung ist die Bezeichnung Van-der-Waalsche Bindung ublich. Der wichtigste Grund fiir eine Van-der-Waalsche Bindung ist die Polarisation der Molekule. Wenn sich ein Molekiil in einem elektrischen Feld befindet, wird die Ladungsverteilung verschoben. Eine unsymmetrische Ladungsverteilung ohne aufieres Feld besitzen bereits alle unsymmetrischen Molekule. Das Prinzip soil am H2O- und PVCMolekul erlautert werden: Die 8 Elektronen umgeben die M-Schale des Chloratoms oder L-Schale des Sauerstoffs vollstandiger als die Schalen des H- oder C-Atoms. Die Zentren der positiven und der negativen Ladung stimmen nicht tiberein. Alle unsymmetrischen Molekule besitzen deshalb ein Dipolmoment, das zu einer Anziehung zwischen den Molekiilen fuhrt. Die Starke der Bindung ist geringer als bei den drei friiher erwahnten Bindungstypen. Sie liegt bei etwa 25kJmol _1 . Die Kondensation der so gebundenen Stoffe erfolgt bei oder unterhalb der Raumtemperatur, Beispiel: H2O (Bild 1.10). Ein besonderer Fall mit vorwiegendem Dipoleffekt ist die Bildung einer Wasserstoffbriicke. Sie spielt als festeste der zwischenmolekularen Bindungen eine Rolle fiir die Temperaturbestandigkeit von Kunststoffen und ist auch fiir die Kondensation der Wassermolekule bei relativ hoher Temperatur von +100 °C verantwortlich. Das Proton des Wasserstoffkerns eines Molekiils wird durch die AuBenelektronen eines stark negativen Atoms (N, O, F) eines benachbarten Molekiils angezogen (Tab. 1.3).
37
1.2 Bindung der Atome und Molekule
Die Dipoleigenschaften der Molekule spielen bei der Festigkeit der Kunststoffe (Kap.9), den Klebverbindungen (Kap.ll), der Hydratation von Zement (Kap.7), der Plastizitat von Ton (Kap.7) und der Absorption von Wasser auf Werkstoffoberflachen bei SpannungsriBkorrosion (Kap. 6) eine wichtige Rolle. Bei den hochpolymeren Werkstoffen wird die Wirkung der zwischenmolekularen Krafte dadurch verstarkt, daB Riesenmolekiile gebildet werden, in denen eine groBe Zahl von AuBenatomen mit denen benachbarter Molekule durch Van-der-Waalsche Krafte wechselwirken. Da auch symmetrische Molekule und Edelgasatome bei sehr tiefen Temperaturen kondensieren, miissen also auch zwischen ihnen sehwache Krafte auftreten. Das wird durch den sog. Dispersionseffekt erklart, der auf momentaner Polarisation durch statistische Bewegung der Elektronen beruht.
-Kettenachse.
symmetrisches
unsymmetrisches Molekul
b
in nut Bild 1.10. a Dipolanziehung zweier H2OMolekule. b Symmetrisches (H-C-H) und unsymmetrisches (H-C-Cl) Element einer Molekulkette. c Bindung zweier Ketten von PVC durch Dipole, die C-Atome in der Kette wurden weggelassen
•
H
Tabelle 1.4. Dipolmomente einiger Bindungen und Verbindungen Formel
Dipolmoment D*
C - H O- C O = C CI - C O - H N-H QH 6
0,30 > i 0,85 2,40 y 1,70 1,53
QH2
[C2H4]n C2H5OH H20 [C2F4]n [C2H3Cl]n
Stoff
einzelne Bindungen
1,31 J 0 0 0 1,10 1,86 0 1,40
1 D (Debye) = lh • 10"29 Cm
Athan Azylen Polyathylen Athylalkohol Wasser PTFE (Teflon) PVC
OEI
1 Aufbau fester Phasen
38
1.3 Kristalle Die Materie kann in vier verschiedenen Gleichgewichtszustanden (Kap.2) auftreten: Plasma, Gas, Flussigkeit, Kristall. In dieser Reihenfolge nimmt die Ordnung zwischen den Atomen zu. Stark geordnete Zustande sind am wahrscheinlichsten bei tiefen Temperaturen, ungeordnete bei hohen Temperaturen anzutreffen, da die thermische Energie der Ordnung entgegenwirkt. Folglich ist der Plasmazustand nur bei sehr hohen Temperaturen (>5000°C) zu erwarten. Dann bewegen sich die Elektronen ganz oder teilweise unabhangig von den Atomkernen eines Gases. In der Werkstofftechnik treten Plasmen in den Lichtbogen beim ElektroschweiBen und beim Plasmaspritzen zur Oberflachenbeschichtung (Kap. 10) auf. In der Energietechnik wird versucht, die Atomkernverschmelzung in Plasmen herbeizufuhren (Bild 1.1). Im Gas sind die Elektronen an die Atomkerne gebunden. Die einzelnen Atome oder Molekiile bewegen sich aber frei, im idealen Gas vollig unabhangig voneinander. Russigkeiten, Glaser und Kristalle zahlen zu den kondensierten Zustanden der Materie. Sie zeichnen sich durch hohe Dichte und starke gegenseitige Beeinflussung der Atome oder Molekiile aus. In der Anordnung dieser Bausteine unterscheiden sie sich dadurch, daB die Flussigkeit eine annahernd regellose Verteilung der Atome oder Molekiile besitzt (Bild 0.4 c). Eine Ordnung tritt im Glas nur iiber kurze Reichweiten der nachsten und iibernachsten Atomnachbarn auf. Im Kristall sind die Atome streng geordnet. Die Atome bilden ein Raumgitter, das sich periodisch bis an die Oberflache des Kristalls fortsetzt. Zwischen beiden Zustanden liegen die erst vor wenigen Jahren entdeckten Quasikristalle (Abschn.1.5). Bei der Beschreibung von Kristallen ist es zweckmaiSig, von der Elementarzelle auszugehen, die aus einem Atom oder mehreren Atomen bestehen kann. Durch deren periodische Wiederholung in einem Raumgitter mit bestimmten Koordinaten kann der Kristall konstruiert werden. Dem entspricht im Zweidimensionalen ein »Tapetenmuster«, das sich regelmaBig wiederholt. Die logische Beziehung lautet also: Elementarzelle + Raumgitter = Kristallstruktur (Bild 1.11).
)b
I •I
lb
I
3/7
-r
Aa ^t
=[011]
la
i 3a\^ x}
^
4^
ri -- 00+06 rE =Vio+V2b
Bild 1.11. a Koordinatensystem zur Festlegung der Lage von Atomen in der Elementarzelle und im Kristallgitter. Der Ortsvektor eines Atoms ist eingezeichnet. b Eine Kristallstruktur wird beschrieben durch die Anzahl und die Lage der Atome in der Elementarzelle, (I und II), die sich in einem Raumgitter (hier zweidimensionale Darstellung) periodisch wiederholt
1.3 Kristalle
39
Die Kristallstrukturen folgen aus der Art der Bindung, aus den Radien der beteiligten Atome und bei Molekulkristallen aus der Form der Molekiile. Um ihren Aufbau zu verstehen, ist der Begriff der Koordination niitzlich. Die Koordinationszahl AT gibt an, wieviele weitere Atome ein Atom als nachste Nachbarn umgeben. Fiir Kristalle mit vorherrschend kovalenter Bindung laBt sich K durch K=8-W
(1.9)
berechnen, wobei Wdie Zahl der Elektronen in der auBeren Schale (Wertigkeit) ist. Dies bedeutet, daB ein Atom sich mit gerade soviel Nachbarn umgibt, wie fiir die Bildung einer stabilen Achter-Schale notwendig sind. Das wichtigste Beispiel, die Koordination der Elemente der Gruppe jenseits IVB, folgt dieser Beziehung. Erwahnt wurde bereits die tetraedrische Anordnung der Kohlenstoffatome (W = 4), die K = 4 entspricht (Tab. 1.2). Fiir Verbindungen aus zwei oder mehr verschiedenen Atomarten gilt entsprechend
K=8__»A±»k.
(1 . 10)
Die Verbindung besteht aus den Atomarten A und B im Vernaltnis 1 zu 1. Es ergibt sich z. B. fur InSb mit Wln = 3, WSh = 5 oder fur ZnS mit W^ = 2, Ws = 6, daB K = 4 ist. Diese Verbindungen haben ebenfalls diamantahnliche Strukturen. Sie bilden eine wichtige Gruppe von Werkstoffen fur elektronische Bauelemente. Etwas komplizierter ist die Koordination bei Ionenkristallen, fiir deren wichtigstes Bauprinzip - ungleiche Nachbarn - es verschiedene Anordnungsmoglichkeiten gibt. Ein weiterer Faktor ist die Packung der Atome, die von dem Verhaltnis der Ionenradien der beteiligten Atome V = rA/rB abhangt. Empirisch sind die in Tab. 1.5 genannten Regeln gefunden worden. Sie gelten aber nur dann, wenn nicht stark kovalente Bindung bestimmte Bindungsrichtungen vorschreibt. Dann hat die Packungsdichte keinen EinfluB mehr auf die Kristallstruktur (Bild 1.7). Tabelle 1.5. Zusammenhang zwischen dem Verhaltnis der Ionenradien und der Koordinationszahl K
V
Beispiel
Ionenradien in nm
4 6 8
<0,225 <0,414 <0,732
Si0 2 MgO CsCl
Si4+2+ :0,041;O2-:0,140 Mg+ : 0,065 Cs :0,169; CI":0,181
Ebenfalls von der Packungsdichte bestimmt sind die Kristallstrukturen der Metalle. Sie kristallisieren zum groBen Teil in sog. dichtesten Kugelpackungen mit K = 12. Diese lassen sich am einfachsten als Stapel dichtest gepackter Ebenen beschreiben. Fiir ihre Stapelfolge gibt es viele Moglichkeiten. Die einfachsten sind: ABCABCABC...: kubisch flachenzentriertes Gitter (kfz), ABABABABA ...: hexagonal dichteste Packung (hdP). In der erstgenannten Stapelfolge kristallisieren die meisten Metalle. Allerdings hat eine Reihe von Metallen eine niedrigere Koordination, namlich die des kubisch raumzentrierten Gitters (krz) mit K — 8. Es sind dies die Metalle der Gruppe IA und die
40
1 Aufbau fester Phasen
Obergangselemente der Gruppen t) IV bis t) VIII (Bild 1.2). Als Grund dafur wird bei letzteren ein kovalenter Bindungsanteil durch die Elektronen der unaufgefullten d-Schalen angenommen. Die Alkalimetalle haben nur bei hoheren Temperaturen Strukturen mit K = 8, bei tiefen Temperaturen wandeln sie in dichteste Kugelpackungen um. Tabelle 1.6. Die 7 Koordinatensysteme der Kristalle Achsenabschnitte
Achsenwinkel a « « «
= P = y = 90° a—b=c = P = Y = 90° a = b 4= c a* b=¥ c = P = Y = 90° a = b = c = P = Y * 90° a a = £ = 90°; y = 120° \ ~ a2 * c a 4= ^ =N y = 90° a* b* c a 4= ^ 4= y 4= 90° a* 64= c
Bezeichnung kubisch tetragonal orthorhombisch rhomboedrisch hexagonal monoklin triklin
Die Elementarzelle gibt die Anordnung einer Gruppe von Atomen an, durch deren periodische Wiederholung in einem bestimmten Raumgitter der Kristall aufgebaut werden kann. Das Koordinatensystem ist gekennzeichnet durch die Winkel zwischen den Achsen und den Einheiten der Achsabschnitte. Zur Beschreibung aller moglichen Kristalle sind 7 Koordinatensysteme notwendig (Tab. 1.6). Die Lage eines Atoms wird durch den Ortsvektor r „ w = ud+ vb + wc
(1.11)
beschrieben. a, b, c sind die Einheitsvektoren auf den drei Achsen oder die Endpunkte der Elementarzelle. Die Achsabschnitte der Koordinaten der Ortsvektoren u, v, w, die die Atome in der Elementarzelle beschreiben, sind Zahlen ^ 1. Als Beispiel soil das kfz Gitter dienen, das identisch ist mit einer dichtesten Kugelpackung der Stapelfolge ABCABC... Die Atome der kfz und der krz Elementarzelle haben die Koordinaten: kubisch flachenzentriert
1 2 3 4
kubisch raumzentriert
u
V
w
0
0
y2 0 y2
72
0 0
y2 0
v2 v2
u
V
w
1
0
0
0
2
72
72
72
Weiterhin ist im kubischen Kristallsystem a = b= cund a = ft = y = 90 °, so da6 die in Bild 0.4a gezeichnete Kristallstruktur entsteht, die viele metallische Werkstoffe, darunter Gold, Kupfer und Aluminium, besitzen. Mit Hilfe der Ortsvektoren konnen auBerdem Atomreihen oder Richtungen in Kristallen beschrieben werden. Man gibt dazu die kleinsten ganzzahligen Werte von w, v, w an und setzt sie in eckige Klammern. Die [lll]-Richtung ist die Raumdiagonale, [112]
41
1.3 Kristalle
(001)
(100)
/ (110) a
(110) b
Bild 1.12. a Bezeichnung der drei Arten von Wiirfelflachen in einem kubischen Kristall. b Zwei der sechs Arten von {110}-Flachen eines kubischen Gitters. c Abstand der ( l l l ) - E b e n e n ABCA. . . . ist d^i n ) = aN3
eine Richtung, die auf die Ecke der zweiten Elementenzelle hinweist. Es gibt mehr oder weniger dicht mit Atomen belegte Richtungen. Im kfz-Gitter haben in der Flachendiagonalen <110 > die Atome den kleinstmoglichen Abstand, namlich auo = a V2/2. In [100]Richtung ist a100 = a, in [lll]-Richtung ist ain = a V3! Es gibt sechs verschiedene Moglichkeiten, Flachendiagonalen zu bilden, die im kubischen Kristallsystem alle gleiche Atomabstande, aber verschiedene Richtungen haben: [110], [Oil], [101]. Durch Variation des Vorzeichens erhalt man insgesamt 12 Richtungen. Der Richtungstyp »Flachendiagonale« wird mit spitzer Klammer als (110) bezeichnet (Bilder 1.9, 1.11, 1.12). Zur Bezeichnung der Ebenen eines Kristalles dienen deren reziproke Achsabschnitte. Sie folgen aus dem reziproken Raumgitter mit den Einheitsvektoren a*, b*, c*, die aus der Beziehung a*a = b*b — c*c= 1 abgeleitet werden, d. h. die # *-Achse des reziproken Gitters steht auf den b- und c-Achsen des wirklichen Gitters senkrecht. Eine Ebenenschar des Kristallgitters kann demnach gekennzeichnet werden durch Shkl
=
h#* + ^* + lc*
(1.12 a)
Die ganzzahligen reziproken Achsabschnitte werden ublicherweise zur Bezeichnung von Kristallflachen behutzt und Millersche Indizes genannt. In runde Klammern gesetzt (hkt) soil es sich stets um eine spezielle Ebenenschar, in geschweiften Klammern {hkt) um alle Ebenen dieses Typs handeln. Zur Festlegung der Indizes geht man folgendermaBen vor (Bild 1.13): Zuerst werden die Achsabschnitte des Kristallgitters bestimmt: + 1 , +3, + 2. Dann werden davon die reziproken Werte gebildet: + 1 , + Vs, + l/i. SchlieBlich wird erweitert, um ganze Zahlen zu erhalten: (6 2 3). Analog zu Richtungen mit dichtester Atombesetzung gibt es Ebenen mit grofiter Anzahl der Atome pro Flacheneinheit. Im kfz-Gitter sind dies die {111}-Ebenen, gefolgt von den {100}-Ebenen. Der Abstand der Kristallebene dhkl betragt fiir kubische Kristalle ghkl
(1.12 b)
a wird auch als Gitterkonstante bezeichnet. Fiir nichtkubische Kristallstrukturen miissen natiirlich mehrere Gitterkonstanten angegeben werden, und die geometrischen Beziehungen sind etwas komplizierter.
42
1 Aufbau fester Phasen
Bild 1.13. Darstellung von Kristallflachen mit den Millerschen Indizes Aus der Kenntnis der Kristallstruktur und der Atomgewichte A (1.1) folgt die Berechnung der theoretischen Dichte g eines Stoffes: K- NA
(1.13)
n sind die Atome in der Elementarzelle, V deren Volumen: a• b • c. Fur das kfz-Gitter gilt also: H = 4 , V=a3 Wir haben bisher unterschieden zwischen Kristallen, in denen eine oder mehrere Atomarten direkt durch starke Bindung miteinander verkniipft sind (Atomkristalle, z. B. Metalle, Silikate), und solchen, bei denen fest gebundene Molekiile durch schwache zwischenmolekulare Bindung miteinander verkniipft sind (Molekiilkristalle). Es gibt aber auch Kristalle, bei denen in einer oder zwei Richtungen starke Bindungskrafte wirken und in den restlichen schwache Krafte. Kristalle mit schwachen Bindungskraften in einer Richtung heifien Schichtkristalle. Der Kohlenstoff kann auBer als Diamant (Bild 1.8) auch als Graphit kristallisieren und besitzt dann eine hexagonale Kristallstruktur mit schwacher Bindung in Richtung der c-Achse. Die Kristalle lassen sich in der Ebene senkrecht zu dieser Richtung sehr leicht spalten und verformen. Darauf beruht die Anwendung von Graphit und Molybdansulfid, das eine ahnliche Struktur besitzt, als Schmiermittel. Andere bekannte Beispiele fur Schichtstrukturen sind Glimmer, Kaolinit, Talkum, die alle Schichten von [Si0 4 ] +4 -Tetraedern enthalten (Bild 0.4). Faserkristalle sind aus Ketten aufgebaut, die nur in einer Richtung fest gebundene Atome enthalten. Das ist z. B. fur in vulkanischen Gesteinen vorkommende Kristalle von Hornblenden gegeben. Die starke Bindung ist in diesem Falle kovalent in den Ketten, die aus Einfach- oder Doppelstrangen von [Si0 4 ] +4 -Tetraedern gebildet werden. Zwischen den Ketten herrscht vorwiegend Ionenbindung. Dort spaltet sich das Material und zeigt die vom Asbest her bekannte faserige Struktur. Diese Kristalle werden zur Faserverstarkung (Kap. 10) oder als Gewebe bei hohen Temperaturen benutzt. Wegen ihrer gesundheitsschadigenden Wirkung wird aber eifrig nach Ersatz fur diese Werkstoffe gesucht. Die faserformigen Molekiile der linearen polymeren Kunststoffe wie Polyathylen kristallisieren im Werkstoff ebenfalls haufig. Es bilden sich dann aber meist nicht einfache Faserkristalle, sondern durch Faltung der Ketten gekennzeichnete Kristallstruktu-
43
1.3 Kristalle
ren. Faserkristallisation tritt aber z.B. nach starker elastischer Verformung von Gummi auf(Bild 1.14 a). Aus der Erorterung der Bindung ergeben sich einige allgemeine Folgerungen fiir die Einteilung der Werkstoffe: Keramische Stoffe. Die Phasen werden durch kovalente und Ionenbindung zusammengehalten. Es kann sich um Elemente (Kohlenstoff als Diamant B, Si, Ge) um chemische Verbindungen (MgO, SiC>2, Si3N4, SiC) oder um Verbindung dieser Verbindungen (CaO)3 • SiC>2, (Al203)3 • (Si02)2 handeln. Oft bestehen Keramiken aus Verbindungen von mehr als einer Art Metallatomen mit Sauerstoff (Bild 1.14 b). Die Perovskitstruktur, z.B. BaTi03 bildet die Grundlage fiir ferroelektrische Stoffe, lonenleiter und die neuen Hochtemperatur-Supraleiter (Tab. 5.8, Bild 1.14b). Metalle. Die Atomkerne werden durch das Elektronengas zusammengehalten. Metalle sind die meisten Elemente (Cu, Fe, mit mehr oder weniger groBem Gehalt an gelosten Atomen), seltener intermetallische Verbindungen (Ni3Al, CuZn, NiTi), die nicht genau den Valenzregeln folgen, oder Verbindungen von metallischen mit nichtmetallischen Atomen (Fe3C, TiC, Fe4N, FeSi). Hochpolymere. Sie werden gebildet aus Kettenmolekiilen, die meistens Kohlenstoff in kovalenter Bindung mit sich selbst und einigen Elementen der Gruppen jenseits IVA niedriger Ordnungszahl enthalten. Diese Molekule sind durch zwischenmolekulare Bindung verknupft. Entsprechend aufgebaut sind die Silikone, deren Ketten anstelle von -C-
Bild 1.14a. Kettenformige Riesenmolekule des Polyathylens bilden orthorhombische Struktur. Die Abstande der Atome in den Ketten (kovalente Bindung) sind viel kleiner als zwischen den Ketten (zwischenmolekulare Bindung, vgl. Graphit, Bild 1.8 b) Bild 1.14b. Struktur eines keramischen Kristalls ABC3, C Sauerstoff, A und B verschiedene Metallatome (s. Tab. 5.3b). In Ferroelektrika, z.B. BaTi03, wandelt diese kubische Struktur bei tiefen Temperaturen ein Struktur mit niedrigerer Symmetric um (Elektrostriktion)
0
o Perovskit A B C3
Ti, Pb, Cu Ca.Ba.Y
44
1 Aufbau fester Phasen
aus -Si-O-Elementen bestehen. Ketten konnen auch aus aromatischen Ringen gebildet werden. Molekulketten sind sowohl naturlichen (Zellulose, Starken, Seide, Wolle) als auch kixnstlichen Ursprungs (Tab. 12.1). Falls diese Stoffe im kristallinen Zustand vorliegen, sind sie meist anisotrop. Das bedeutet, daB ihre makroskopischen Eigenschaften richtungsabhangig sind. Folge sehr starker mechanischer Anisotropic ist die leichte Spaltbarkeit von Graphit und Glimmer in einer Kristallebene. Die Kristallanisotropie spielt fur mechanische, elektrische, magnetische und chemische Eigenschaften eine wichtige Rolle (Kap. 4 und 5). Anisotropic ist direkt verkniipft mit der Ordnung der Atome im Kristall. Nichtkristalline feste Stoffe (Glaser) sind isotrop. Alle drei Werkstoffgruppen konnen als Kristall, Glas oder als Gemische der beiden Strukturen vorkommen.
1.4 Baufehler Die aus Elementarzelle und Raumgitter aufgebaute Struktur nennt man Idealkristall. Ein solcher kommt in der Natur sehr selten vor. Vielmehr enthalten alle Kristalle Baufehler verschiedener Art in mehr oder weniger groBer Zahl. Fur eine Systematik ist es sinnvoll, sie nach ihren Abmessungen zu ordnen: nulldimensional: Punktfehler: Leerstellen, Zwischengitteratome, Farbzentren, Fremdatome; eindimensional: Linienfehler: Versetzungen (nicht eine eindimensionale Aneinanderreihung nulldimensionaler Fehler); zweidimensional: Flachenfehler: Korngrenzen, Zwillingsgrenzen, Stapelfehler, Antiphasengrenzen (Tab. 1.7). Diese Fehler konnen verschiedenen Ursprungs sein. In selteneren Fallen gehoren sie zur Kristallstruktur dazu. Ein Beispiel ist das Eisenoxidul (Wiistit), das sich z. B. beim Verzundern von Stahl bildet (Kap. 6). Seine Zusammensetzung ist nicht FeO, wie z. B. MgO oder NaCl, die die gleiche Kristallstruktur besitzen, sondern Fe0,9O. Es besetzen aber nicht O-Atome die leeren Fe-Platze des Kristallgitters, sondern diese bleiben zum Ausgleich der elektrischen Ladungen im gesamten Kristall leer (positive Ionen-Leerstellen). Da sie zur Bildung einer stabilen Kristallstruktur notwendig sind (Kap. 3), nennt man diese Baufehler strukturelle Leerstellen. In den allermeisten Fallen entstehen allerdings die Baufehler durch auBere Einwirkungen, so z. B. beim Wachsen der Kristalle aus dem fliissigen oder gasformigen Zustand, wahrend der Bestrahlung oder bei der plastischen Verformung. Im Folgenden werden Geometrie und Energie der einzelnen Baufehler besprochen und in spateren Kapiteln wird auf ihren jeweiligen Ursprung eingegangen. Fiir die Eigenschaften der Werkstoffe sind Gitterbaufehler von grundlegender Bedeutung. Zu den Eigenschaften, die durch Gitterbaufehler stark beeinfluBt werden, gehoren z. B. Plastizitat und Festigkeit von Metallen und die Hochtemperaturfestigkeit, die elektrische Leitfahigkeit von Halbleitern, die magnetische Hysterese von Dauermagneten und Supraleitern und Warmeleitfahigkeit bei tiefen Temperaturen von kristallinen keramischen Stoffen. Nulldimensionale Fehler. Ihre wichtigsten Vertreter sind die Leerstellen, also nichtbesetzte Gitterplatze. Um eine Leerstelle zu erzeugen, muB ein Atom von einem Gitterplatz entfernt werden. Die dazu notwendige Energie HL wird Bildungsenergie der Leer-
1.4 Baufehler
45
Tabelle 1.7. Verschiedene Kristallbaufehler Geometrische Dimension
Baufehler
Dichte Q
Q' c
J
Jm" 3
Jm- 1
Jm" 3
Jm- 2
Jm" 3
Jm~3
Jm" 3
Leerstellendichte
Leerstelle 0
Energie e
(L)
Energiedichte
Fremdatom Versetzungsdichte 1
Versetzung
(V) *
V
KorngroCe 2
Korngrenze
(K) QKG =
Teilchen,
Volumenanteil (T)
3
— = m '
Pore
Nulldimensional: Punktfehler: Leerstellen, Zwischengitteratome, Farbzentren, Fremdatome. Eindimensional: Linienfehler: Versetzungen (nicht eine eindimensionale Aneinanderreihung nulldimensionaler Fehler). Zweidimensional: Flachenfehler: Korngrenzen, Zwillingsgrenzen, Stapelfehler, Antiphasengrenzen. stelle genannt. sie ist in Metallen etwa der Verdampfungswarme proportional. In Ionenkristallen gelten sehr unterschiedliche Werte fur verschiedene Ionen. Leerstellen entstehen im thermodynamischen Gleichgewicht beim Erwarmen von Kristallen (Kap. 2.1, 2.2). Ihr Gehalt cL ist
*-s-»(-^)--p(-^)—»(-^)-
(114
>
Dabei ist n die Anzahl der Leerstellen, Af die Anzahl der Gitterplatze, k die Boltzmannsche und R die Gaskonstante, Tdie Temperatur in K. hL(HL) liegt fur Metalle zwischen 0,8 und 2 eV (~ 210 kJ mol - 1 ). Daraus folgt cL« 10 ^=10- 2a / o ftir Metalle dicht unterhalb des Schmelzpunktes. Diese Leerstellen haben trotz ihrer geringen Konzentration eine grofie Bedeutung fur die thermisch aktivierten Prozesse in Kristallen (Kap. 3) und damit fur die Warmebehandlung. Wird eine Leerstelle z. B. im Kernreaktor durch HerausstoBen eines Atoms durch ein Neutron erzeugt, so entsteht auBerdem ein Zwischengitteratom, das sich in der Nahe der Leerstelle befindet. Verfiigbare Platze fur Zwischengitteratome sind im kfz-Gitter die Wurfelmitten - a/2, a/2, a/2 und aquivalente Positionen. Leerstellen-Zwischengitteratom-Paare werden als Frenkel-Defekte bezeichnet. Zwischengitteratome konnen auch durch eine im Kristall geloste zweite Atomart gebildet werden. Voraussetzung ist, daB diese Atome verglichen zu den Atomen des Grundgitters geniigend klein sind, damit sie in den Gitterliicken Platz finden. Ein Beispiel dafiir sind Kohlenstoffatome im krz Gitter des a-Eisens. Mogliche Platze fur diese Atome sind in Bild 1.15 und 2.1 eingezeichnet.
46
1 Aufbau fester Phasen
n;
•
•2
•
•
• •
•
•
3
7 Leerstelle 2 Zwischengittemtom 3 Frenkel - Poor
• o o • • o o • • o o • • o
• o • o o • o • • o D o * o • o• o• • o o • o • • o • o
•
o •
o •
o •
O • O • |0| • O
• o • o • o • o • o • o • o • o • o • o •
•
Ag - Ion
•
No+ - Ion
O
Br" - Ion
O
Cl"-Ion
+
Q Ag - Leerstelle (neg. geladen)
•
*
©
+
Bild 1.15
• o • o • o • o • o • o • o • o • o • o •
Ag" - Zwischengitterion
Cl~ -Leerstelle Elektron
[0) Forbzentrum
Bild 1.16a
Bild 1.16 b
Bild 1.15. Die wichtigsten punktformigen Baufehler in Metallkristallen. Sie konnen z. B. beim Erwarmen (1), durch geloste Atome (2) oder beim Bestrahlen im Reaktor entstehen (3) Bild 1.16a u. b. Punktfehler in Kristallen von Verbindungen. a AgBr, Leerstellen sind geladen, da auf den Gitterplatzen Ionen und nicht ungeladene Atome sitzen. Ag^-Zwischengitteratome entstehen durch Bestrahlen, auch mit Licht (Fotografie). b NaCl, in eine Cl~ -Leerstelle kann ein (fehlendes) Elektron einwandern. Dieser Punktfehler wird als F-Zentrum bezeichnet, weil er zur Farbung des Kristalls fuhrt Sie fiihren zu einer ortlichen Verzerrung des Kristallgitters des Eisens und sind deshalb die wichtigste Ursache fur die Hartung des Stahls. Punktfehler in Kristallen mit Ionenbindung enthalten immer eine elektrische Ladung. Es kann entweder das positive oder das negative Ion entfernt werden. Man spricht von einer Anionen- oder Kationenleerstelle, wenn eine oder mehrere Elementarladungen fehlen oder zuviel vorhanden sind. Dasselbe kann aber auch dadurch erreicht werden, daB ein Gitteratom durch ein anderes mit hoherer oder niedrigerer Wertigkeit ersetzt wird, z. B. Al3~ oder P 5 " im Gitter von Silizium, Si 4+ (Kap. 5). So entsteht ortlich im Gitter eine zu hohe negative oder positive Ladung (Elektronenloch). Dariiber hinaus gibt es weitere Moglichkeiten, Punktfehler zu bilden. So kann in eine Kationenleerstelle ein einzelnes fehlendes Elektron wandern (Bild 1.16), um die Ladungsverteilung ortlich auszugleichen, und es entsteht ein sog. Farbzentrum. Wenn man z. B. NaCl-Kristalle mit Rontgenstrahlen bestrahlt, werden sie gelb, KCl-Kristalle blau, was auf die Bildung dieser Punktfehler zuruckzufiihren ist. Nach langerem Bestrahlen konnen sich sogar kleine Kristallchen des Alkalimetalls bilden. Ahnlich ist auch das Verhalten von Silberhalogeniden, wie AgCl und AgBr. In ihnen entstehen bei Bestrahlung mit elektromagnetischen Wellen, auch mit sichtbarem Licht, Punktfehler. Da die Ag + -Ionen als Zwischengitteratome sehr beweglich sind, wandern sie zu Keimstellen, die beim anschlieBenden EntwicklungsprozeB als Ausgangspunkte fur Reduktion des in der Emulsion befindlichen Kristallchens zu Silber fiihren. Die Schwarzung infolge Bildung des undurchsichtigen Metalls tritt nur in den defekten Kristallen auf. Somit sind Punktfehler auch die Voraussetzung fur die Photographic Die Silberhalogenidkristalle zeichnen sich vor anderen Ionenkristallen lediglich dadurch aus,
47
1.4 Baufehler
Bild 1.17. a Stufenversetzung in kubischem Kristall. Der Burgers-Vektor F kennzeichnet die Verzerrung. Betrag und Richtung von b werden durch Umlauf en der Versetzung mit gleichen Betragen in entgegengesetzten Richtungen erhalten. Die Versetzung setzt sich als Linie im Raum fort, b Die Versetzungslinie kann senkrecht (Stufenversetzung) oder parallel (Schraubenversetzung) zum Burgersvektor liegen. Eine Schraubenversetzung macht aus den Kristallebenen Schraubenflachen, die Ganghohe betragt b
da8 diese Defekte schon durch die relativ energiearme Strahlung des sichtbaren Lichtes hervorgerufen werden. Hochempfindliche Filme, die auch auf rot und ultrarot ansprechen, enthalten AgS-Zusatze, ein Ionenkristall, bei dem die Erzeugung des primaren Punktfehlers noch geringere Energie erfordert. Eindimensionale Fehler. Versetzungen sind Baufehler, deren Zone groBter Stoning sich linienformig durch den Kristall zieht. Diese Linien konnen nicht im Inneren eines perfekten Kristalls enden, sondern nur an seiner Oberflache oder an anderen im Kristall befindlichen Defekten. Sie bilden auch Ringe. Versetzungen entstehen bei der plastischen Verformung von metallischen Werkstoffen. In keramischen Stoffen und Kunststoffen treten sie ebenfalls auf, haben aber nicht die groBe praktische Bedeutung wie bei Metallen. Geometrisch kann man sie sich entstanden denken durch Einschieben oder Herausnehmen einer Ebene des Kristallgitters A - B. Bei A beflndet sich die starkste Stoning, die sich gerade oder gekrummt als Versetzungslinie in den Raum fortsetzt. Das MaB fur Richtung und Betrag der Verzerrung ist der Burgers-Vektor b. Man erhalt ihn als Wegdifferenz beim Umschreiten der Versetzungslinie in positiver und negativer Richtung mit Strecken gleicher Lange (Bild 1.17). Falls Feinem Ortsvektor des Kristallgitters entspricht, spricht man von einer vollstandigen Versetzung, ist das nicht der Fall, von einer Teilversetzung. Der Burgersvektor wird mit der Kurzschreibweise fur einen Ortsvektor gekennzeichnet wvwganzzahlig gemacht (Bild 1.9 und 1.11), fur die kubischen Gitter r= b^ud + vd + wd = - [uvw]. Vollstandige Versetzungen sind im kfz Gitter n b^j-1110];
b2=a[100];
b3 = a[Ul];
...
Da die spezifische Energie einer Versetzung u^ proportional dem Quadrat des Burgers-Vektors ist, sind Versetzungen mit dem in einer Kristallstruktur kleinstmoglichen Burgers-Vektor am wahrscheinlichsten. Es sind dies in kubischen Kristallen:
48
1 Aufbau fester Phasen -
primitiv kubisch
kP
a [100]
kubisch flachenzentriert
kfz
--[no]
Aluminium, /-Eisen
kubisch raumzentriert
krz
f[lll]
Stahl, a-Fe-C
diamant kubisch
kd
f[110]
Silizium
GaAs MgO CsCl Cu3Au
kd geordnet kp geordnet krz geordnet kfz geordnet orthorhombisch
a a a a a
[110] [110] [100] [100] [110]
Dreifiinfer Verbindung Titancarbid, TiC /7-Messing, CuZn, NiTi Ni-Superlegierung, Ni3Al Polyathylen
A
z3£ = 2 E z
-[CH2]„-
A /
/
*—
/
/
B
x Schraube o Stufe
Bild 1.18. a Versetzungslinie mit b in einer Kristallebene. Sie besitzt (o) Stufen- und (x) Schraubencharakter. b Diirch Ansammlung und »Kondensation« von Leerstellen kann ein Versetzungsring mit b senkrecht zur Ringebene entstehen
Der Burgers-Vektor wird iiblicherweise auf die Gitterkonstante a bezogen, dazu kommt die Richtung oder der Richtungstyp (uvw). Zur Erlauterung der Unterschiede der kleinsten Burgers-Vektoren bei ungeordneten und geordneten Strukturen kann das kubisch primitive Gitter dienen. Bei MgO wiirde der Burgers-Vektor b = #[100] wohl auf einen identischen Platz im Raumgitter, aber nicht auf ein identisches Atom fuhren. Das ist in dieser Richtung erst bei b = 2 a [100] der Fall. Im Gegensatz dazu weist der kleinere Vektor b = a [110] immer auf ein identisches Atom. Eine weitere wichtige GroBe zur Kennzeichnung einer Versetzung ist der Winkel zwischen der Richtung der Versetzungslinie (Linien-Vektor s) und dem Burgers-Vektor b. Die moglichen Falle sollen an einem Versetzungsring gezeigt werden, dessen BurgersVektor in der Ringebene liegt (Bild 1.18). Diebeiden besonderen Falle b JL s und b II s sind eingezeichnet worden. b II 5 entspricht der in Bild 1.17 gezeigten Versetzung, falls angenommen wird, da8 sich die Linie senkrecht zur Zeichenebene fortsetzt. Eine so orientierte Linie wird als Stufenversetzung bezeichnet. Bei der Schraubenversetzung ist b II s. Der Name kommt daher, da8 die Gitterebenenschar senkrecht zur Versetzungslinie zu einer kontinuierlichen Schraubenflache verbogen wird. Versetzungslinien, die Komponenten sowohl mit Stufen- als auch mit Schraubencharakter enthalten, werden als gemischte Versetzung bezeichnet. Versetzungen konnen in einem Kristall miteinander reagieren. Die geometrischen Bedingungen ergeben sich aus der Vektorsumme
49
1.4 Baufehler
b\ +b2 = h,
(1.15)
im krz Gitter (Bild 1.9b und 1.19) fl[100] = | - [Ill] + | - [111]. Eine Versetzung kann verschwinden durch Reaktion mit einer anderen Versetzung mit gleichem Betrag und umgekehrten Vorzeichen, Annihilation - ein Teilvorgang der Kristallerholung (Kap. 3. 2) (*i) + ( - * i ) = 0. Die Richtung einer Versetzungsreaktion hangt vom Unterschied der Summe der Energien der Anfangs- und Endzustande ab. Da die Energie einer Versetzung proportional b2 ist (1.16), gilt fur die Richtung der Reaktion b\ ±=* hi + B3 die Bedingung (Bild 1.19)
b\^b\ + b2. Die spezifische Energie einer Versetzung, also die Energie pro Langeneinheit (Atomabstand) ist allerdings nur angenahert zu berechnen. Nicht erfaBt werden kann die Energie des Kerns der Versetzung in einem Abstand von r = r0, etwa einem Atomabstand 1 nm ^ r0, da dort die lineare Elastizitatstheorie nicht gilt. Die Atompositionen des Kristallgitters sind auch in groBem Abstand von dem Versetzungskern verzerrt, wenn auch mit r _ 1 abnehmend. Die Energie der Versetzung ist demnach iiber ein groBes Kristallvolumen verteilt. Bei der praktischen Durchfuhrung der Integration der Berechnung der Energie geht man deshalb bis zu einem Radius r\, der entweder den Abmessungen des Kristalls oder dem halben Abstand dw/2 zwei benachbarter Versetzungen im Kristall entspricht: hv =
Gb2 In• 4 r0
Hw = hNL
[Jrn -1 ],
(1.16)
[J].
Hy ist die Energie der gesamten Versetzungslinie der Lange L.
^r^h^JA Jr
s •S
U
' \y 1
^ 1 \
1
J
\
i
b
iil[mti| -A._
\ c
Q
1
J&
Bild 1.19. a Fur die Verzweigungen von Versetzungslinien mit verschiedenen Burgers-Vektoren gelten den Stromverzweigungen analoge Gesetze. Versetzungen konnen zu regelmaBigen Netzen miteinander reagieren. Diese sind identisch mit Kleinwinkelkorngrenzen (Bild 1.22 a), b Versetzungslinien im Kristallvolumen. Die Versetzungsdichte £v = (m -2 ) wird im Mikroskop als Summe der Linienlangen EL( von i Versetzungen pro Volumen V, oder Anzahl der DurchstoBpunkte Ni; pro Flache A bestimmt (V = a • b • c; F = a • c).
50
1 Aufbau fester Phasen
Zur Berechnung ist der Schubmodul G (in Nmm~2) des Kristalls notwendig, der erst in Kap. 4 behandelt wird. Es ergibt sich, daB die Energie eines Versetzungssegmentes von Kupfer fiir die Lange eines Atomabstandes etwas groBer ist als die einer Leerstelle (f\ « 1 eV « 310 kJ mol -1 ). Schon fiir sehr kurze Versetzungen, wie z. B. einen Ring von 10 nm Durchmesser, ergeben sich Energien von 104 bis 105 kJ (Bild 1.18). Bei der Beurteilung der Eigenschaften von Halbleitern und metallischen Werkstoffen ist es wichtig, die Zahl der Versetzungen in einem Kristall zu kennen. Angegeben wird meist die Versetzungsdichte g (in cm -2 ), namlich je nach MeBmethode in Zahl der Linien pro Flacheneinheit oder Lange der Linien pro Volumeneinheit. Aus geometrischeh Griinden gilt yf~g ~ a\. a\ ist der mittlere Abstand der Versetzungslinien. Aus der Energiebilanz der Reaktion b = bx + ^ folgt fiir die Versetzung des kfz Gitters mit b = a/2 [110], daBz. B. in einer (lll)-Ebene die Reaktion (Bild 1.9) f [110]^f [121]+|[211] in Richtung der Auf spaltung gehen sollte, da aus den Quadraten der beteiligten BurgersVektoren \b\2 > l ^ l 2 + \b2\2
i 2
>
i ^ i '6+"6
folgt. Eine Versetzung vom Typ a/6 (112) ist aber eine unvollstandige Versetzung, da es sich nicht um einen Ortsvektor (1.11) des kfz Gitters handelt. Das bedeutet, daB die Versetzung dieses Kristallgitter zerstort. In welcher Weise das geschieht, zeigt die Betrachtung der Stapelung dichtest gepackter Ebenen, die in diesem Gitter in der Reihenfolge ABCABC... erfolgt. Die einzelnen Ebenen sind jeweils um a/6 (112) versetzt, um nach 3 Schichten wieder iiber der Mitte eines Atoms zu liegen. Eine Versetzung mit dem Burgers-Vektor a/6 (112) muB zu einer Stoning der regelmaBigen Folge der Stapelung der {lll}-Ebene fiihren, so daB die Reihenfolge dann so aussieht (Bild 0.4a): ...
ABCABABCABC... i
i
Zweidimensionale Fehler. Ein Stapelfehler ist eine Kristallebene in falscher Stapelfolge. Sie muB von unvollstandigen Versetzungen begrenzt sein, falls sie nicht bis zur Kristalloberflache reicht (Bild 1.20). Ob sich ein Stapelfehler bildet, hangt nicht nur von der Energiebilanz der Aufspaltungsreaktion der Versetzung ab, sondern auch von der Energie, die bei Bildung des Stapelfehlers aufgebracht werden muB oder gewonnen wird. Die Stapelfehlerenergie ys (Energie pro Flacheneinheit) ist eine Kristalleigenschaft. Ist sie kleiner als Null, kann der kfz Kristall z. B. in einem Kristall der Stapelfolge ABABAB, d. h. hexagonal dichtester Kugelpackung, umwandeln. Das geschieht beim
51
1.4 Baufehler (HDkfz
Bild 1.20 a. Versetzungen mit einem Burgers-Vektor, der kein Vektor des Kristallgitters ist (Teilversetzungen, Bild 1.9 c). Sie verandern das Kristallgitter und begrenzen einen Stapelfehler, wie die aus bx entstandenen Teilversetzungen b2 und b3
Bild 1.20b. Vollstandige Versetzung bA (links) und Teilversetzung mit Stapelfehler
-Stapelfehler
n
11
Kobalt bei 420 °C und in austenitischen Stahlen mit hohem Mangangehalt (Manganhartstahl). Mit zunehmender positiver Stapelfehlerenergie versucht der zwischen zwei Teilversetzungen aufgespannte Stapelfehler diese zusammenzuziehen: Aus dem Gleichgewicht der Krafte ergibt sich eine Weite x der Aufspaltung umgekehrt proportional der Stapelfehlerenergie. Kfz Kristalle mit niedriger Stapelfehlerenergie enthalten also stark aufgespaltene Versetzungen. Dies ist z. B. der Fall bei a-Kupfer-Zink-Legierungen und austenitischem Stahl (Tab. 1.8). Fur reine kfz Elemte nimmt die Stapelfehlerenergie in der Folge Au -> Cu -» Ni -> Al zu. Die Stapelfehlerenergie steht in Zusammenhang mit der Verfestigungsfahigkeit der Metalle bei plastischer Verformung (Kap. 4), aber auch mit der Empfindlichkeitgegen SpannungsriBkorrosion (Kap. 6). Dem Stapelfehler ist die Antiphasengrenze in Kristallstrukturen mit mehreren Atomarten in geordneter Anordnung verwandt. Es handelt sich hierbei um einen flachenformigen Fehler in der Reihenfolge der Atome bei unveranderter Geometrie des Kristallgitters. Die Flache der Antiphasengrenze kann eben oder gekriimmt sein. Sie beeinfluBt die mechanischen Eigenschaften von Kristallen mit geordneter Anordnung mehrerer Atomarten sehr stark (Bild 1.21). Ein wichtiges Beispiel dafur sind die hoch-
Tabelle 1.8. Energien zweidimensionaler Baufehler Art der Grenzflache
Energie y m Jm~2
Korngrenzen (GroBwinkel in Cu) Zwillingsgrenzen Korngrenzen (Kleinwinkel) Stapelfehler in Al Stapelfehler in Cu Stapelfehler in Au Cu + 30% Zn Y-Fe + 18% Cr + 8%Ni
500 160 0 . . . 100 250 100 10 7 7
52
1 Aufbau fester Phasen
o » o * o * o » • O • Q • O • o • O •
o • O «-K) -L• o • o o •- • g o • o »« o
N o »\* o • ° • o •
Anti-Phasenqrenze
K - an
Bild 1.21. Versetzung und angrenzende Antiphasengrenze in einem Kristall mit Ordnung zweier Atomarten.
warmfesten Nickellegierungen (Superlegierungen), die bis zu 80Vol.-% der Phase Ni3 (Al, Ti) kfz geordnet wie Cu3Au enthalten (Bild 8.13). 1.5 Korngrenzen und homogene Gefiige Der Begriff des »Gefuges« vermittelt zwischen den »Phasen« und dem makroskopischen Werkstoffals Bauteil, Halbzeug oder Probe (Tab. 1.1). Das Gefuge spielt in der Materialwissenschaft eine wichtige Rolle (siehe auch Abschnitt 3.7). Homogene Gefuge enthalten nur eine Phase. Viele Messing- und Bronzelegierungen oder austenitische Stahle sind homogene Werkstoffe. Der einfachste und haufigste Fall eines homogenen Gefuges ist das Korngefuge (Bild 0.5 a, b und 2.3). Ein Korn ist ein durch eine Korngrenze vom Nachbarkorn getrennter Kristall, der als Teil eines Kristallhauftwerks auch als Kristallit bezeichnet wird. Das Korngefuge enthalt als wichtigstes Gefugeelement also Korngrenzen, die den Zellwanden eines biologischen Zellgefuges entsprechen. Die Kristallite konnen regellos oder mit bestimmten Vorzugsorientierungen verteilt sein (Kristalltextur, Bild 1.23). Sie bilden 11 -15-flachige raumliche Gebilde. Platten- und stabfbrmige Kristallite konnen ebenfalls regellos oder orientiert verteilt sein. Diese Gefugeorientierung ist von der Kristalltextur zu unterscheiden. Beide treten aber oft gleichzeitig z.B. in Blechen auf (Bild 1.24). Weiterhin konnen homogene Gefuge Kleinwinkel-Korngrenzen (Subkorngrenzen), Zwillingsgrenzen sowie alle in diesem Kapitel behandelten Gitterbaufehler enthalten. Die Gefuge bilden, wie die Phasen, eine besondere Ebene der Mikrostruktur. Nur in der deutschen Sprache gibt es ein Wort dafur. In anderen Sprachen wird meist der weniger prazise Begriff »Mikrostruktur« verwendet. Heterogene Gefuge bestehen aus mehr als einer Phase. Zu ihrem Verstandnis sind die heterogenen Gleichgewichte und Reaktionen (Kap. 2) notwendig. Deshalb werden sie am Ende von Kapitel 3 behandelt. Eine zweidimensionale Stoning, die von groBter Bedeutung fur alle Werkstoffgruppen ist, sind die Korngrenzen. Fast alle Werkstoffe sind vielkristallin. Sie enthalten ein Haufwerk von Kristallen, die jeweils durch Korngrenzen getrennt sind. Um den Aufbau von Korngrenzen zu erklaren, kann von einer Reihe von Stufenversetzungen ausgegangen werden (Bild 1.22). Die oberhalb jeder Versetzung eingeschobenen zusatzlichen Ebenen bewirken, dafi die Kristallblocke rechts und links von der Versetzungsreihe um einen Winkel a verkippt sind, der von dem Abstand A der Versetzungen abhangt: tana=£/A
(1.17)
Ihre Energie lafit sich mit Hilfe von (1.16) berechnen. Diese Struktur bleibt erhalten bis A » 10 b. Bei grofieren Winkeln andert sie sich zur GroBwinkel-Korngrenze, die dann
53
1.5 Komgrenzen und homogene Getuge
3±H "T"-L I T
|
\ _L 7 1
Bild 1.22. a Kleinwinkelkorngrenze, die aus einer Reihe von Stufenversetzungen gebildet wird. b GroBwinkelkorngrenze. c Zwillingsgrenze als Beispiel ftir besondere GroBwinkelkorngrenze mit spiegelbildlich zueinander liegenden Kristallen
eine etwa 0,5 nm dicke Zone relativ ungeordneter Atomanordnung enthalt. Fur bestimmte Winkel treten in den GroBwinkel-Korngrenzen regelmaBige Atomanordnungen auf (Beispiel: Zwillingsgrenze). Diese Komgrenzen zeichnen sich durch eine besonders niedrige Energie aus. Zur Kennzeichnung der KorngroBe wird meist der mittlere Korndurchmesser J K G oder die Kornzahl pro placheneinheit angegeben (Bild 0.5, Anhang A.6). Die Eigenschaften der Komgrenzen und der Kristalle bestimmen zusammen das Verhalten vielkristalliner Werkstoffe. Von der KorngroBe hangen Streckgrenze und Bruchzahigkeit von Legierungen sowie das Knechverhalten von Hochtemperaturlegierungen ab. Fiir Tiefziehbleche ist eine maximale KorngroBe vorgeschrieben (Abschn.4.10) bei Transformatorenblechen wird ein moglichst groBes Korn angestrebt (Abschn. 5.4). Haufig ist es wichtig, neben der Struktur der Komgrenzen die Verteilung der Orientierungen der Kristalle eines solchen durch diese Komgrenzen verbundenen Haufwerks zu kennen. Es ist z. B. nicht gleichgiiltig, ob die Kristalle in einem Blech bevorzugt parallel zu einer Richtung oder vollig regellos verteilt liegen. Zur Darstellung der Orientierung von Kristallen und von deren Haufigkeiten dient die stereographische Projektion. Sie ist geeignet, die Orientierung der Kristalle in Bezug auf die Form des Materials, z. B. eines Bleches oder Drahtes, darzustellen. Das geometrische Prinzip der Projektion einer Ebenenschar mit den Indizes (hkl) wird in einer zweidimensionalen Darstellung (Bild 1.23) erlautert. Notwendig ist aber eine dreidimensionale Konstruktion: iiber der Projektionsebene spannt sich die Lagenkugel mit dem »Nordpol« N als Normale der Projektionsebene. Die stereographische Projektion erhalt
54
1 Aufbau fester Phasen
a
Schnitt der Lagenkugel
b
OJ=50°
Bild 1.23 a-d. Stereographische Projektion. a Projektion der Ebene (hkl) auf der Projektionsebene zwischen Pund Ps. b Darstellung der Ebene in einem Winkelnetz als Punkt. c Schematische Darstellung der Orientierung dreier Korner in einem gewalzten Blech. d Polfigur eines 90% kaltgewalzten austenitischen Stahls. Projektion in Bezug auf Koordinaten des Blechs: WR Walzrichtung, QR Querrichtung, 1-2 mittlere, 0-1 unterdurchschnittliche, >2 iiberdurchschnittliche Haufigkeit der jlll}-Ebenen in bestimmten Orientierungen
man, indem zunachst die Normale der im Mittelpunkt der Kugel befindlichen Ebene (hkl) gebildet wird. Diese Normale schneidet bei P die Lagenkugel. P wird mit dem »Sudpol« Ps durch eine Gerade verbunden. Der DurchstoBpunkt durch die Projektionsebene kennzeichnet die Lage der Flache (hkl) in Bezug auf diese Ebene. Die Projektionsebene steht in Beziehung zu der auBeren Form des Materials. Bei Blechen entspricht sie ublicherweise der Blechoberflache. Es kann dann in diese Flache die Walzrichtung und die Richtung quer zur Walzrichtung eingetragen werden. Bei Drahten kann die Drahtachse in die Mitte der Projektionsebene, d. h. parallel dem Nordpol gelegt werden. Haufig wird aber auch die [001]-Richtung eines kubischen Kristalles in diese
1.5 Korngrenzen und homogene Gefiige
»
S
55
b
Bild 1.24. Textur vmd Gefugeanisotropie hoinogener Gefiige a) Pfannkuchengeftige einer aushartbaren Al-Legienrag (WR ~ Walzrichtung) b) schematische Darstellung der GefSgeanistropie c) schematische Darstellung einer kristallographischen Textur
Richtung gelegt und die Lage der Drahtachse in der Projektion gekennzeichnet. EHese Darstellung heiBt Normalprojektion. Wird die Haufigkeit des Auftretens der Orientierung bestimmter Kristallebenen mit der stereographischen Projektion registries!, so nennt man diese Darstellung Polfigur. Polfiguren werden ubiicherweise zur Kennzeichnung der Texturen von vielkristaliinen Werkstoffen benutzt. Die Bilder 1.23 und 3.12 geben einige Beispiele fiir die Darstellung von Texturen in Blechen von Metallegierungen. Haufen sieh in einem Draht oder in einem Blech bestimmte Kristalloiientierungen in bestimmten Richtungen, so ist zu erwarten, daB aueh der Vieikristall Anisotropic der Eigenschaften zeigt wie einzelne Kristalle. Die Zipfelbildung beim Tiefziehen von Ble-
56
1 Aufbau fester Phasen
chen ist ein Beispiel fur die Folge der Kristallanisotropie. Demgegenuber sind die Eigenschaften eines Vielkristalls mit regelloser Verteilung der Orientierungen nach auitenhin isotrop, da sich die Anisotropic der einzelnen Kristalle ausmittelt. Die zusatzliche Voraussetzung dafiir ist, daB die KristallgroBe sehr viel kleiner ist als der Probendurchmesser. Ein solcher Werkstoff wird deshalb auch als quasiisotrop bezeichnet, zum Unterschied von den auch mikroskopisch isotropen Glasern. Von der Kristallanisotropie muB die zweite Ursache der Anisotropic makroskopischer Eigenschaften unterschieden werden, die Gefugeanisotropie. Sie tritt auf, wenn Baufehler oder auch Fasern in einer Grundmasse nicht regellos verteilt sind. Haufig haben Korngrenzen bestimmte Vorzugsrichtungen. In gewalzten Blechen kbnnen die Korner »Pfannkuchenform« haben, die Korngrenzen liegen also vorwiegend parallel der Blechoberflache. Fur Hochtemperaturlegierungen werden oft saulenformige Korner angestrebt, deren Korngrenzen in der Konstruktion moglichst parallel zur Beanspruchungsrichtung zu legen sind. 1.6 Glaser und Quasikristalle Die Kristalle sind die fiir den Aufbau der Werkstoffe wichtigste Art der festen Phasen. Seit sehr langer Zeit bekannt sind auch die Glaser, die Festkorper mit der groBtmoglichen Unordnung der Atompositionen. Vor wenigen Jahren ist eine dritte Phasenart gefunden worden, die in ihrem Ordnungsgrad zwischen Kristall und Glas steht - die Quasikristalle (Tab. 1.9). Tabelle 1.9. Kennzeichnung der drei Arten fester Phasen
Kristall Quasikristall Glas a
Translationsgitter
weitreichende Ordnunga
X -
X X
scharfes Beugungsbild (Bild 0.6 und 1.26d)
Die Glaser besitzen die gleichen Bauelemente wie die Kristalle, namlich Atome, Atomgruppen oder Molekule. Der Oberbegriff ist »amorpher Festkorper«. Ein Glas wird durch schnelles Abkuhlen einer Fliissigkeit erhalten. Amorphe Festkorper konnen auch durch Aufdampfen, Bestrahlung, Elektrolyse erhalten werden. Zwischen Glas und Kristall liegen quasi-kristalline Zustande: ikosaedrische Strukturen, die auch funfzahlige Symmetric zeigen (Al-12 At.-% Mn). Man kann Glaser als feste Stoffe ansehen, die eine groBe Zahl verschiedenartiger Baufehler enthalten. Eine Glasstruktur kann grundsatzlich in alien Werkstoffgruppen erhalten werden. In Metallen und bei reiner Ionenbindung ist sie aber nur durch sehr schnelles Abkuhlen zu erzielen und bei niedrigen Temperaturen bestandig. Ein Stoff, der als Werkstoff mit Glasstruktur gewunscht wird, sollte entweder einen hohen kovalenten Bindungsanteil und damit nach (1.8) gerichtete Bindung oder sehr asymmetrische Molekule, z. B. Faden, aufweisen. Also sind Glasstrukturen in vielen keramischen Stoffen und polymeren Werkstoffen zu erwarten. Die Struktur keramischer Glaser ist im einfachsten Falle als regelloses Netzwerk zu beschreiben, dessen Bauelement z.B. C-, Si- oder SiCVTetraeder darstellen, wenn die
1.6 Glaser und Quasikristalle
57
Bild 1.25. a Kieselglas, ein unregelmafiiges Netzwerk von Si04-Tetraedern (die vierten Valenzen ragen aus der Zeichenebene heraus. • Si, O O). b Metallisches Glas, regellose dichteste Kugelpackung, z. B. FegoB20; O Fe, • B
//*<
¥< Bild 1.26 a-f. Anordnung von Molekiilen der Hochpolymeren. a Gestreckte Kette, b Geknickte Kette, c Knauel-Glasstruktur, d Faserkristall, e Faltkristall, f Faltkristall mit Defekten
Bindungsverhaltnisse es erfordern (Bild 1.25). Ein B203-Glas hat abweichend davon eine Dreier-Koordination von [B03]3+-Bauelementen. Viele technische Glaser sind aus Oxidgemischen, wie Si0 2 -Na 2 0, zusammengesetzt, wobei nur das eine als Netzwerkbildner dient, wahrend das andere, als Netzwerkwandler, die Zahl der Verknupfungsstellen mit fester Bindung reduziert. Dadurch laBt sich die Temperatur erniedrigen, bei der das Glas zahflussig wird und verformt werden kann. Die Glasstrukturen eines polymeren Kunststoffes sind im einfachsten Falle statistisch verknauelte Faden, die an einzelnen Beruhrungspunkten der Molekiile durch schwache Bindungskrafte zusammengehalten werden. Audi die Elastomere (Gummiwerkstoffe) haben eine Glasstruktur. Hierbei sind regellos verknauelte Kettenmolekule mehr oder weniger stark vernetzt - je nachdem, ob ein Hart- oder Weichgummi hergestellt werden soil (Bild 0.4, 1.26). In neuerer Zeit sind auch metallische Glaser als WerkstofFe entwickelt worden. Es handelt sich dabei urn komplizierte Atomgemische (z.B. Fe80B2o und FeC15B6, Ni49Fe29P14B6Si2). Metallische Glaser werden als Fasern oder Bander hoher Festigkeit (Kap. 4 und 10) oder als mechanisch harte weichmagnetische WerkstofFe verwendet
1 Aufbau fester Phasen
Symmetrie in einer Legierung AlMn22Si6 (at%). Ein 2 und geriege Sprddigkeit hin, was zu ginstigen triboloIte. RLM. b. Ebenes Strukturmodell einer quasi-kristal-
6 Translationsgitter mit n-facher Symmetrie (Kristall: n = 2, 3,4, 6)
nicht-periodisch, aber dicht stapellbare »KacheIn« (Quasikristal!: n = 5,10)
Ju Bild 1.27. c »Kacheln« die 2d-Quasikristalle mit funfzahliger Symmetrie liefern, die in Kristallen nicht erlaubt ist: d AM 2 At% MnLegierung, schnell erstarrt, EB
1.6 Glaser und Quasikristalle
59
(Abschn. 5.4). Die Struktur der metallischen Glaser unterscheidet sich von dem regellosen Netz der keramischen Glaser. Sie bilden eine dichteste Packung regellos angeordneter Atome(Bildl.25). Die Bezeichnung »Glas« wird nicht immer fur alle hier erwahnten Stoffgruppen gebraucht. Manchmal versteht man darunter nur die aus dem flussigen Zustand hergestellten, nichtkristallinen Oxidgemische. Andere Bezeichnungen fur diese Stoffgruppen sind »nichtkristalliner« oder »amorpher Festkorper« (Bilder 0.4, 0.6,1.26, 7.15). Quasikristalle zeigen eine langreichweitige Ordnung (wie Kristalle, scharfes Beugungsbild, Bild 0.6), aber keine Periodizitat der Atompositionen (Bild 1.27). Ihre Symmetric im Raum wird durch den Ikosaeder (Zwanzigflachner) gekennzeichnet. Dies schlieBt Zonen mit funfzahliger Symmetric ein, die in Kristallen nicht auftreten konnen. Die neuen Phasen treten z.B. in bestimmten Al-Legierungen nach schnellem Abkiihlen aus dem flussigen Zustand auf. Ein plausibles, zweidimensionales Modell fur diesen Strukturtyp zeigt Bild 1.27 b. Zweierlei »Kacheln«, dickere mit einem Winkel = 2:zr/5 und schlanke mit = 27T/10, konnen eine dichte Packung bilden. Dabei entsteht eine nichtperiodische Struktur. Denkbare Positionen fiir die Mn-Atome • (geringerer Atomradius) und die Al-Atome o sind eingezeichnet worden. Wie die Glaser, so sind auch die Quasikristalle thermodynamisch nicht stabil (Kap. 2). Beim Erwarmen zerfallen sie in kristalline Phasen (Kap. 3). Uber ihre Eigenschaften (Kap. 4,5,6) ist bisher noch wenig bekannt. Technische Anwendungen sind noch nicht gefunden worden. Eine gunstige Kombination von hoher Harte und Bruchzahigkeit (Kap. 4) deutet darauf hin, da6 sie in tribologischen Systemen (Kap. 6) einen hohen VerschleiBwiderstand zeigen konnten.
2 Aufbau mehrphasiger Stoffe 2.1 Mischphasen und Phasengemische Die WerkstofFe sind aus Atomen aufgebaut, die entweder in einer Kristall- oder in einer Glasstruktur angeordnet sind. Insbesondere in den Polymeren sind die Atome zu Molekiilen verbunden, die dann als die eigentlichen Grundbausteine des Werkstoffes angesehen werden konnen. Kristalline Werkstoffe konnen wiederum aus einem einzigen Kristall bestehen oder aus einem Haufwerk von Kristallen, sog. Kornern, die durch Korngrenzen getrennt sind. Sehr viele Werkstoffe sind nicht nur aus einer einzigen Kristallart, sondern aus zwei oder mehreren Kristallarten zusammengesetzt. Ein Bereich mit konstanter Struktur (Geometrie der Atompositionen) und chemischer (Art der Atome) Zusammensetzung, der durch Grenzflachen von seiner Umgebung getrennt ist, wird als Phase bezeichnet. Die Grenzen zwischen zwei verschiedenen Phasen nennt man Phasengrenzen. Am haufigsten handelt es sich dabei um Grenzen zwischen zwei verschiedenen Kristallarten. Insbesondere bei Keramik und thermoplastischen Polymeren kommen aber auch Grenzen zwischen Glas- und Kristallstruktur vor. In manchen Glasern existieren zwei verschiedene Glasstrukturen nebeneinander, die dann durch eine Glas-Glas-Phasengrenze begrenzt sind. Eine besondere Art der Phasengrenze bildet die Oberflache des Werkstoffes. Hierbei ist die zweite Phase das Gas, das den Werkstoff umgibt. Der Begriff Phase kann auch auf Bereiche mit verschiedener elektronischer Struktur erweitert werden. Es konnen in der gleichen Kristallstruktur ferromagnetische (Abschn.5.4) und nicht-ferromagnetische oder in Halbleitern /?- und H-leitende Gebiete (Abschn.5.2) als Phasen unterschieden werden. (Kap. 5) Unsere wichtigsten Werkstoffe bestehen aus Phasengemischen, z. B. Stahl, Beton, Holz, hartbare Aluminiumlegierungen, die meisten thermoplastischen Kunststoffe und Gummi. Viele Werkstoffeigenschaften stehen in Beziehung zur mikroskopisehen Anordnung der Phasen, aus denen sie aufgebaut sind. Die Aufgabe, Werkstoffe mit vorteilhaften Eigenschaften herzustellen, ist sehr haufig identisch mit der gezielten Herstellung bestimmter Phasengemische. Bisher sind folgende Arten von Phasen behandelt worden: - Kristalle der reinen Elemente, die groBtenteils metallisch gebunden sind; - Kristalle aus zwei oder mehr Atomarten, deren Zusammensetzung durch die Erfordernisse der Ionenbindung oder kovalenter Bindung bestimmt ist (Valenzkristalle); - Kristalle, in denen Molekiile durch Van-der-Waalsche Krafte gebunden sind; - Glaser, in denen entweder Atome oder Molekiile ein regelloses Netzwerk bilden; - Quasikristalle, die in Struktur und Eigenschaften zwischen Kristall und Glas stehen. Wenn es gelingt, in diesen festen Phasen Atome oder Molekiile einer anderen Art zu losen, entstehen Mischkristalle oder Mischglaser. Man spricht von idealen Mischphasen,
2.1 Mischphasen und Phasengemische
61
wenn die Auflosung zu einer statistischen Verteilung im Losungsmittel fiihrt. Die meisten Werkstoffe sind nicht aus Phasen der reinen Elemente oder Molekiile, sondern aus Mischphasen aufgebaut. Sie sind somit Phasengemische aus Mischphasen. Es erhebt sich die Frage, unter welchen Bedingungen sich feste Mischphasen bilden. Dazu kann zunachst von einigen empirischen Regeln ausgegangen werden, die im wesentlichen die Bedingungen angeben, unter denen die Losungsenthalpie A / / L (2.13) klein ist. Dies ist die Energie, die benotigt wird, ein Atom oder Molekiil (oder eine bestimmte Stoffmenge in Mol) in der Grundstruktur zu losen. 1. Gase sind bei normalem Druck unbegrenzt mischbar. Die Mischbarkeit von Kristallen ist in der Regel begrenzt und bei hoher Temperatur groBer als bei niedriger Temperate. In Flussigkeiten und Glasern ist die Mischbarkeit groBer als in Kristallen. 2. Eine Voraussetzung fur vollstandige Mischbarkeit von Kristallen ist gleiche Kristallstruktur der Komponenten. 3. Dariiber hinaus soil der Unterschied der Gitterkonstanten oder Atomradien moglichst klein sein. Bei Unterschieden von > 15% findet man meist nur sehr geringe Mischbarkeit. 4. Eine besondere Art von Mischphasen sind die interstitiellen Atomgemische. Hierbei werden Fremdatome mit kleinen Abmessungen in Gitterliicken eingelagert. Geometrische Voraussetzung ist, daB ein bestimmtes Verhaltnis der Atomradien nicht uberschritten wird. 5. Zu alien Lbslichkeitsregeln kommt die sog. chemische Bedingung. In ihr werden die Wechselwirkungen der auBeren Elektronen der losenden und gelbsten Atome berucksichtigt. Nur im Idealfall von groBer chemischer Ahnlichkeit kann die Mischbarkeit allein aufgrund der geometrischen Verhaltnisse aus den Atomradien gedeutet werden. 6. In Glasern sind infolge der Unordnung der Struktur die geometrischen Bedingungen stark relaxiert, so daB die Mischbarkeit vor allem durch die chemische Wechselwirkung bestimmt wird und deshalb in der Regel sehr viel groBer ist als in Kristallen. 7. In Kristallen konnen in der Regel nur Atome gelost werden. Molekulare Gase, wie H2, N2, O2, miissen vor der Losung erst dissoziieren. Entsprechendes gilt ftir die molekulare Fliissigkeit H2O. 8. Molekiile konnen sich begrenzt in keramischen Glasern losen (H2O). Insbesondere gibt es aber Loslichkeiten ftir Wasser und manche niedermolekulare Kohlenwasserstoffe in Polymerglasern. Die Zusammensetzung der Mischphasen wird als Stoffmengengehalt a (in Atomprozent oder Molprozent: At-%,a/o) angegeben. In der Technik ist die Angabe als Massegehalt w (Gewichtsprozent: Gew.-%, w/o) tiblich, weil sie direkt mit der Einwaage der zu mischenden Stoffe in Beziehung steht (Abschn. 12.3). Zur Umrechnung dieser KonzentrationsmaBe dienen folgende Formeln (n Anzahl der Mole, m Masse, m = nA): WA =
mA i
=
aAAA —A—I
T~
„ 1A ^-^
w • 100 = [Gew.%] = [ w/o] VJA aA
^
i
=
~wl
IM
AA
AB
a
a • 100 = [At%] = [ /o]
(2'2>
2 Aufbau mehrphasiger Stoffe
62
Im Allgemeinen bezeichnen wir die chemische Zusammensetzung eines Werkstoffs mit cv Dabei ist darauf zu achten, welches KonzentrationsmaB verwendet wurde (siehe TabelleA.2) Immer gilt CA + CB + . . . Cx = 2 Cn n=i
2 cn • 100 = 100% n=i
A A und As sind deren Atomgewichte oder Molekulargewichte. Die Mischphasen sollen im folgenden immer mit griechischen Buchstaben bezeichnet werden, z.B. soil p die Phase B bezeichnen, die A-Atome gelost enthalt. Fur Losungen von Molekiilen miissen anstelle der Atomgewichte der Elemente die Molekulargewichte eingesetzt werden. Der Faktor 100 tritt auf, wenn w, a oder c in Prozent angegeben wird. Haufig werden aber auch Bruchteile von 1 angegeben. AuBer den Massen- oder Stoffmengengehalten finden wir auch haufig die Angabe von Volumenanteilen insbesondere von Phasen- oder Geftigeanteilen in Werkstoffen. Der Anteil des Mischkristalls a wird mit / < 1 angegeben (Bild2.7b). Die prozentualen Angaben erfolgen in [Vol.%] =[V0]. Die Volumenanteile spielen auch bei der Beurteilung der Faserverbundwerkstoffe eine wichtige Rolle (Kap.10.1). Alle diese KonzentrationsmaBe sind nicht dimensionsbehaftet. Dies ist aber der Fall, wenn Stoffmengen n oder Masse m auf das Volumen bezogen werden. Dann entstehen die Einheiten [molm~3] oder [gm~3] wie sie fur die quantitative Behandlung der Diffusion (Kap.3.1), aber auch in der analytischen Chemie benutzt werden. Als Beispiel fur die atomare Struktur der Mischphasen sollen kubisch raumzentrierte Kristalle dienen. Fremdatome konnen entweder die Atome der Gitterplatze ersetzen oder Zwischengitterplatze einnehmen (Bild 2.1). Im idealen Mischkristall ist die Verteilung der gelosten Atome statistisch. Voraussetzung dafur ist, daB keine Bindungsenergie
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^ ,/. / -
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a. Bild 2.1 BUd 2.2 Bild 2.1. Platze fur Zwischengitteratome (x) in krz-Gitter (o), z. B. C in a-Fe. Die mit 1, 2 oder 3 bezeichneten Platze sind identisch Bild 2.2 a u. b. Ordnungsstrukturen in krz-Gitter (z. B. • Fe, O Al). a FeAl, CuZn (P-Messing). b Fe3Al
2.1 Mischphasen und Phasengemische
63
(eigentlich Freie Enthalpie) h oder //* (pro mol) zwischen den beiden Atomarten besteht. In wirklichen Mischkristallen gibt es grundsatzlich auch die Moglichkeit, daB sich ungleiche Atome abstoBen oder anziehen. Dabei sollen h^, hhh die Wechselwirkungsenergie zwischen gleichen, /*ab zwischen ungleichen Atomen bedeuten. Nur fur den Fall (2.3)
ist ideale Mischung zu erwarten. Fur den Fall ^aa +
hbh-2hah>0
(2.4)
besteht eine Neigung zur Bildung einer chemischen Verbindung. Dies fiihrt zu Abweichungen in der Verteilung der gelosten Atome, und, wenn hah grofi ist, zur vollig geordneten Anordnung der Atome im Mischkristall (Bild 2.2). Zwischen regelloser Anordnung und vollstandiger Ordnung der Atome gibt es abhangig von Wechselwirkungsenergien und Temperatur alle moglichen Zwischenstadien, die durch einen Ordnungsparameter s des Mischkristalls definiert werden: (2.5)
1 -
ca ist die Anzahl der Gitterplatze (Atomprozent), die in der vollstandig geordneten Phase mit a-Atomen besetzt sind, z. B. ca = 0,5 in einer Verbindung wie MgO. /?a ist der Anteil der wirklich mit a-Atomen besetzten a-Platze. Die Werte von s konnen zwischen 0 (Mischkrist,all) und 1 (vollstandig geordnete Phase == Verbindung) liegen. Umgekehrt gibt es den Fall, daB im Mischkristall sich gleiche Nachbarn anziehen: , +
hhh-2hah<0.
(2.6a)
Man findet dann wiederum iiber Abweichungen von statistischer Verteilung eine Neigung zur Aufspaltung des Mischkristalls in a-reiche und b-reiche Bereiche. Die Mischphase [i kann ihre Energie erniedrigen.durch Aufspaltung in zwei Phasen, die im auBersten Falle (theoretisch nur bei 0 K) die reinen Stoffe a und b darstellen. (2.6b)
H —* a + b.
Vorzeichen der Wechselwirkungsenergie H* zwischen Atomen.
H*<0 Ordnung S->min
H*«0 Gemisch S-*max
H*>0 Trennung S-> min
Moglichkeiten der Wechselwirkung zwischen verschiedenen Atomarten a und b: 2.3-2.6. Die Entropie ist fur das Gemisch am groBten.
64
2 Aufbau mehrphasiger Stoffe homogen
homogen •
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Unordnung
•
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o
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O
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O
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o
•
0
Ordnung
O
Entmischung
Bild 2.3 a. Die drei Moglichkeiten der Verteilung von Atomen in Gemischen: Unordnung (Mischkristall), Ordnung (Verbindung), Entmischung (Aufspaltung in zwei Phasen), Phasengrenze. Die Entropie (i.e. Unordnung) istimMischkristall amgrofiten
Bild 2.3 b. Homogenes und heterogenes Gefiige: «-Fe, KorngroBe 50 jam, RLM, a + /^-Messing, Cu + 42 Gew % Zn 3h 650 °C, RLM Dieser Vorgang wird als Entmischung bezeichnet. Er kann sowohl im kristallinen als auch im Glaszustand ablaufen. Bei Mischung von verschiedenen Atom- oder Molekularten im festen Zustand bei tieferen Temperaturen konnen also grundsatzlich folgende Erscheinungen auftreten (Bild 2.3 a): Mischphasec
rOrdnungsphase, Verbindung ^Gemisch zweier Phasen
Neben der Energie der Wechselwirkung (2.3-2.6) zwischen verschiedenen Atomen (oder Molekiilen) spielt also deren Entropie eine wichtige Rolle beim Verstandnis der Struktur der Materie (2.8). Die Entropie liefert ein MaB fur jegliche Art von Unordnung (Bild 2.3 a). Ihre Einheit ist Joule/Kelvin. Kuhlt sich eine bestimmte Menge von Warmeenergie Q von Tx auf T0 ab, so erhoht sich die Entropie (2. Hauptsatz der Thermodynamik). Dabei gent ein ordnungsfahiger Zustand der Warmeenergie in einen weniger ordnungsfahigen, wertloseren Zustand (T0 z.B. Umgebungstemperatur) uber. Dies kann auf die Verteilung der Materie angewandt werden. Die n = 36 Atome in Bild 2.3a sind zur
2.2 Heterogene Gleichgewichte
65
Halfte A- und B-Atome. Sie konnen grundsatzlich in drei verschiedenen Strukturtypen angeordnet werden, fur die es jeweils w Anordnungsmoglichkeiten gibt w=2 w=4
fur Ordnung fur Entmischung, Trennung
n\ w = — ; — : fur die regellose Verteilung, als Mischkristall. Dabei ist n die Gesamtzahl nA\nB\ der Atome, «A, nB die Zahl der A- und B-Atome, n = nA + nBi CB = nB/« ist die Konzentration der B-Atome (2.2). Es wird deutlich, daB es nur fur den ungeordneten Zustand eine sehr grofle Zahl (w ~ 1010) Anordnungsmoglichkeiten gibt, die mit n und der Anzahl von Teilchenarten A, B, ... noch weiter stark zunimmt. Die Zahl w ist ein rein statistisches Mafi fur die Wahrscheinlichkeit fur das Auftreten eines bestimmten Zustands (deshalb w). Dieser Wert steht in direktem Zusammenhang mit der friiher definierten (thermischen) Entropie:
S-£»[£]-*lnw
(2.7)
Die Boltzmannkonstante (k = 1,38 • 10"23JK-1, Anhang 2f) gibt also dem Zahlenwert w die Einheit der Entropie. Fur die in Bild 2.3 a gezeigten Fallen entsteht aus der Vermischung der jeweils 18 Atome eine zusatzliche Mischungsentropie, die abhangig von der Konzentration CA = CB - 1 berechnet werden kann. Im thermodynamischen Geichgewicht (2.8) wird dadurch der Mischkristall mit zunehmender Temperatur stabilisiert, so wie die hoheren Entropien der Fliissigkeit und des Gases die Bildung dieser Phasen bei noch hoheren Temperaturen erklaren (Bild 2.7). Ein anderes Beispiel fur die Rolle der Entropie im festen Zustand liefert die Gummielastizitat (Kap. 4.6, 9.4, Bild 9.3 a und 9.10). Die wahrscheinlichste Form eines kettenformigen Elastomermolekiils ist das regellose Knauel (Bild 9.3 a). Beim Strecken eines Gummifadens ordnen sich diese Molekiile. Damit nimmt die Entropie ab. Beim Entlasten des Gummis stellt sich die urspriingliche Unordnung, also die hohere Entropie wieder ein, wahrend der Gummi zuriickschnappt. Daher stammt die Bezeichnung Entropieelastizitat.
2.2 Heterogene Gleichgewichte Ein Phasengemisch ist nach (2.6) zu erwarten, weil durch die Entmischung die Energie des Systems erniedrigt wird. Es konnen aber auch Phasengemische hergestellt werden, fur die diese Voraussetzung nicht erfullt ist. So lassen sich durch Sintern, Tranken, mechanisches Legieren (Kap. 11) oder durch Verfahren zur Herstellung der Verbundwerkstoffe (Kap. 10) fast beliebige Phasen miteinander verbinden, die dann einen mehrphasigen Werkstoff bilden. AuGerdem kann auch aus einer einzigen Komponente (Atomoder Molekiilart) ein Phasengemisch hergestellt werden. Am Schmelzpunkt existieren namlich Kristall und Fliissigkeit nebeneinander. Durch schnelles Abkiihlen dieses Zustandes entsteht ein Kristall-Glas-Gemisch, d.h. ein zweiphasiger Werkstoff.
66
2 Aufbau mehrphasiger Stoffe
Alle zuletzt genannten Phasengemische befinden sich nicht im Gleichgewichtszustand, d. h. sie haben die Tendenz, ihren Zustand z. B. durch Kristallisation oder Entmischung oder durch Bildung chemischer Verbindungen zu andern, wenn sie dazu Gelegenheit haben. Dies geschieht oft durch Diffusion von Atomen, abhangig von Zeit und Temperatur, und wird im Kap.3 behandelt. Demgegeniiber bleiben Mischungen und Gemische, die sich im Gleichgewicht befinden, unverandert. Aus diesem Grunde und weil viele Werkstoffgefuge unter Benutzung der Kenntnisse der Gleichgewichte hergestellt werden, ist es wichtig, die Bedingungen zu kennen, bei denen die Stoffe im Gleichgewicht sind. Man unterscheidet zwischen homogenen und heterogenen Gleichgewichten. Die heterogenen Gleichgewichte beziehen sich auf Stoffe, die mehr als eine Phase enthalten. Es konnen verschiedene Arten von Gleichgewichten definiert werden. Mechanisches Gleichgewicht ist dann gegeben, wenn sich alle Teile in Ruhe befinden und die gesamte potentielle Energie ein Minimum aufweist. Das ist dann erfullt, wenn eine Kugel die Position von Bild 2.4-1 einnimmt. In der Position von Bild 2.4-2 ist die Kugel in Ruhe, ihre Energie kann aber nach Aktivierung noch erniedrigt werden. Es handelt sich urn ein metastabiles Gleichgewicht. SchlieBlich genugt in der Stellung von Bild 2.4-3 eine infinitesimale Schwankung zur Erniedrigung der Energie. Thermisches Gleichgewicht herrscht in einem Stoff bei Abwesenheit irgendwelcher Temperaturgradienten. Ein Stoff ist im chemischen Gleichgewicht, wenn in ihm keine chemischen Reaktionen stattfinden. Das bedeutet, daB die Reaktionsgeschwindigkeit in Vor- und Ruckwartsrichtung gleich groB ist. Als thermodynamisches Gleichgewicht wird schlieBlich ein Zustand bezeichnet, bei dem der Stoff sich im mechanischen, thermischen und chemischen Gleichgewicht befindet. Seine Eigenschaften - Druck p, Temperatur T, Volumen V, Zusammensetzung c andern sich nicht mit der Zeit. Das thermodynamische Gleichgewicht kennzeichnet den Endzustand, den ein Stoff unter gegebenen auBeren Bedingungen, z. B. bei einer bestimmten Temperatur, annimmt. Es ist wichtig, diesen angestrebten Zustand zu kennen, obwohl die Werkstoffe im Zustand ihrer Verwendung sich haufig noch nicht im thermodynamischen Gleichgewicht befinden. Das gilt z. B. fur geharteten Stahl, alle Glaser und alle Kunststoffe. Das thermodynamische Gleichgewicht, im folgenden einfach als Gleichgewicht schlechthin bezeichnet, ist definiert als das Minimum der Freien Energie oder der Freien Enthalpie. Dieser Zustand wird also begiinstigt durch moglichst geringe Enthalpie //, und hohe Entropie S. Bei Bedingungen, denen Werkstoffe ausgesetzt sind, kann man meist von konstantem Druck ausgehen: G = H-TS.
1
(2.8a)
2
3
Bild 2.4. Dem thermodynamischen Gleichgewicht analoge Arten des mechanischen Gleichgewichts: 1 stabil, 2metastabil, Jlabil, 4eingefroren
2.2 Heterogene Gleichgewichte
67
Darin ist G die Gibbssche Energie oder Freie Enthalpie, H der Warmeinhalt bei konstantem Druck oder Enthalpie und S die Entropie, das Ma8 fur die Unordnung der Materie. Unter Bedingungen konstanten Volumens ist die Helmholtzsche Freie Energie F F=U-TS.
(2.8b)
Darin ist U die innere Energie. Innere Energie und Enthalpie sind durch die Beziehung H = U + Vp verknupft. Sowohl U, H als auch S und damit G und Fsind nichtlineare Funktionen der Temperatur, da die spezifische Warme temperaturabhangig ist. G und F haben ihren groBten Wert beim absoluten Nullpunkt*. Fur eine bestimmte Phase nimmt die Funktion G(T) monoton mit der Temperatur ab, und zwar umso starker, je groBer ihre Entropie ist. Da die Entropie den Unordnungsgrad der Materie kennzeichnet, ist zu erwarten
Sk<Sf<Sg. Daraus folgt der in Bild 2.5 gezeigte Verlauf der Freien Energie fur einen Stoff in den verschiedenen Aggregatzustanden. Der stabilste Zustand eines Stoffes besitzt immer die kleinstmogliche Freie Enthalpie. Deshalb laBt sich bereits etwas iiber die Stabilitat der drei Phasen oder Aggregatzustande aussagen. Niedrigste Freie Enthalpie hat der kristalline Zustand bei 0 K < Tk< TM, der fliissige Zustand bei Tkf < Tt< Tfg und das Gas bei T{ < Tg . Bei diesem Beispiel handelt es sich um eine einzige Atom- oder Molekiilart. Man spricht in diesem Falle von einem Einstoffsystem. Die Temperaturskala enthalt zwei ausgezeichnete Temperaturen, bei denen jeweils zwei Phasen im Gleichgewicht nebeneinander auftreten konnen, Tki die Schmelztemperatur und 7Jg die Siedetemperatur des Stoffes. Jede Phase besitzt ihre Funktion G(T) unabhangig davon, ob sie stabil ist oder nicht. Fur Kristalle und Fliissigkeit gilt Gf=//f-5i7;
(2.9a) (2.9b)
Ober kleine Temperaturbereiche kann angenommen werden, daB //linear und Stemperaturunabhangig sind, d. h. daB die spezifische Warme konstant ist. Es ist bei der Schmelztemperatur rkf: Gf = Gk und //f-5i7Jk = / / k - 5 k r f k , i ~ ^4 = (% — ^ ) TJk-
(2.9c)
H
Das fiihrt zur Definition der Schmelzwarme AH = Hf — Hk und der Schmelzentropie AS — Sf — Sk = (Ht — H^/Tfo. Analoges gilt fiir Verdampfung und Sublimation. Diese Umwandlungswarmen konnen als MaB fiir die Festigkeit der Bindung (Abschn. 1.2)
* Fiir Werkstoffprobleme kann haufig vorausgesetzt werden, daB der Druck p konstant ist. Es soil deshalb im folgenden immer mit H und G gerechnet werden. Im thermodynamischen Gleichgewicht wird G —»min. angestrebt.
68
2 Aufbau mehrphasiger Stoffe
Bild 2.5 a-c. Thermodynamisches Gleichgewicht, abgeleitet aus der Temperaturabhangigkeit der Freien Enthalpie G fiir verschiedene Phasen. a Schmelzen bei Tkf und Gk = Gf; Sieden bei 7Jg und Gf = Gg (G = / (T) sind eigentlich nichtlineare Funktionen). b a —> y-Umwandlung des Eisens bei Tay = 910 °C und Ga=Gy; Hay ist die Umwandlungsenthalpie, metastabile /-Phase, c Temperatur T-, Druckp-Diagramm von Eisen, a.krz, y.kfz, £.hdp
dienen. Die Sublimationswarme AH = Hg — Hk gibt den Energieunterschied zwischen Einzelatom und dem Atom im Kristallverband an, Ist diese Energie groB, ist auch die Verdampfungstemperatur hoch. Man findet, da8 Siedetemperatur und Sublimationswarme proportional sind. Fiir die Schmelztemperaturen gilt in der Regel auch, daB diese umso hoher sind, je hoher die Schmelzwarmen Ht — Hk sind. Es treten aber starke Abweichungen fiir Kristalle mit verschiedener Bindung auf. Experimentell findet man fiir AS Werte zwischen 8 und 24 kJ K _1 (vgl. Tab. 2.3). Oberhalb und unterhalb von 7^ ist Gf 4= Gk. Ist z. B. eine Fliissigkeit unterhalb der Schmelztemperatur noch vorhanden, so befindet sie sich nicht im stabilen Gleichgewicht. Als MaB fiir die Abweichung vom Gleichgewichtszustand dient der Unterschied der Freien Enthalpien AG^ = Gf - Gk. Dieser Unterschied kann unter der oben gemachten Annahme der Linearitat der G(7>Kurve durch Subtraktion von Gf und Gk berechnet werden (Bild 2.5): G f -G k = ( / / f - / / k ) - ( 5 f - 5 k ) 7 ; AGfk = AHK-AS^T.
(2.10a)
2.2 Heterogene Gleichgewichte
69
Durch Einsetzen von AS ergibt sich
AG£k = A / / f k - 4 ^ r ,
(2.10b)
AGfk = A / /
(2.10c)
f k
( ^ ^ ) .
Die Stabilitat der Fliissigkeit nimmt danach proportional der Unterkuhlung unter die Schmelztemperatur ab. Ein solcher Zustand wird als unterkiihlte Fliissigkeit bezeichnet. Glaser sind stark unterkiihlte Fliissigkeiten. Sie existieren bei r<0,57J k . Wegen des angenommenen linearen Verlaufs von Gk(T) und Gf(T) gilt (2.10c) nur fiir nicht zu groBe Unterkiihlungen. Diese Beziehungen fiir die Stabilitat der Phasen gelten nicht nur fiir den Ubergang flussig —• kristallin. In vielen Stoffen sind vielmehr bei verschiedenen Temperaturen verschiedene Kristallarten stabil. Zum Beispiel ist die Ursache fiir die sog. Zinnpest, daB das metallische Zinn (/?) nur oberhalb 13 °C (286 K) stabil ist. Bei tieferen Temperaturen ist das graue Zinn (a) mit vorwiegend kovalenter Bindung stabil. Die Umwandlungswarme A// a p betragt 2,1 kJ mol - 1 , die Umwandlungsentropie AS^p folglich 7,3 J m o l - 1 K"1. Diese a -» ^-Umwandlung ist mit einer VolumenvergroBerung verbunden und fiihrt zu einer sproden Phase. Metallische Teile zerfallen deshalb bei tiefer Temperatur zu einem grauen Pulver. Technisch von sehr groBer Bedeutung sind die Umwandlungen der Kristallgitter des Eisens. Bei tiefen Temperaturen ist das krz a-Eisen stabil. Oberhalb von 910 °C wandelt es sich in das kfz y-Eisen um. Dicht unterhalb des Schmelzpunktes (1540 °C) tritt noch einmal, bei 1400 °C, die krz Struktur auf, die dann als 6-Eisen bezeichnet wird. Das Auftreten der y—»a-Umwandlung ist die Voraussetzung fiir die Stahlhartung (Bild 2.5 b, Abschn. 8.5). Ein weiteres Beispiel fiir Stoffe, die in mehreren Kristallstrukturen auftreten, sind die Phasen der Verbindung S1O2 oder das als Teflon bekannte Poly-tetra-fluorathylen (PTFE) (Tab. 2.1 und Bild 2.7 c). Die thermodynamischen Gleichgewichte kdnnen berechnet werden. Fiir die Abhangigkeit der Umwandlungstemperaturen ( T^, Tya) vom hydrostatischen Druck p, (Kap. 4.1) gilt die Gleichung von Clausius-Clapeyron, falls die Umwandlungen mit einer Volumenanderung A V^ oder A Vya verbunden sind: dTya dp
=
A Vya A Sya
(2.10d)
Die Funktionen der Druckabhangigkeit der Phasen des Eisens sind im Bild 2.5 c dargestellt worden. Bisher sind die Kriterien fiir Gleichgewichte in Einstoffsystemen behandelt worden. In der Technik werden aber sehr viel haufiger Stoffe verwendet, die aus zwei oder mehreren Atom- oder Molekularten bestehen. Diese werden als Komponenten K, das System wird als ^T-Stoff-System bezeichnet. Es sollen hier lediglich die Zweistoffsysteme behandelt werden. Auf Drei- und Vielstoffsysteme wird nur kurz eingegangen. Die meisten Werkstoffe bestehen allerdings aus vielen Komponenten. Die quantitative und anschauliche Behandlung wird aber so kompliziert, daB es zweckmaBig ist, die grundsatzlichen Vorgange an Zweistoffsystemen zu untersuchen. Zur anschaulichen Darstellung der Gleichgewichtsbedingungen benotigt man ein zweidimensionales Temperatur-Kon-
70
2 Aufbau mehrphasiger Stoffe
Tabelle 2.1. Phasenumwandlungen im festen Zustand Stoff
Umwandlungstemperatur °C
Kristallstrukturen
a-Fe y-Fe 6-Fe
<910 <1390 >1390
krz kfz krz
a-Ti p-Ti a-U
<885 >885 <600 <775 >775 >13 <13 >19 <19 <870 <1470 >1470
hdP krz orthorombisch tetragonal krz tetragonal kubisch, Diamant orthorombisch hexagonal a-Quarz Tridymit Cristobalit
p-u
Y-U Sn (weiB) Sn (grau)
-EGR* Si0 2
«(
zentrations-Diagramm. Bei einem Dreistoffsystem ist bereits eine dreidimensionale Darstellung notwendig (Bild 2.6). Die Kriterien fiir Gleichgewichte der Phasen sollen an einem einfachen Fall eines Zweistoffsystems, einem Mischkristall, der sich bei tiefen Temperaturen in eine a-reiche Kristallart a und eine b-reiche Kristallart p entmischt, erlSutert werden (<Xi 4- a2 im Bild 2.7). Ein Zustandsdiagramm dieser Art ist immer zu erwarten, wenn die Nachbarschaft gleicher Atome im Mischkristall zu Erniedrigung der Freien Enthalpie G fiihrt.
r ./ hifi
cA =0.500
Ik
cB =0.375
-->
cr- 0.125 y i c B - 0.375
cA = 0.525
Tyb -
y 'ay '
a
n-JFe. j
CA
0.25
0.50
0.75
0.75
0,50
0.25
cB
Bild 2.6 a-c Darstellung der Zusammensetzung von Atom- oder Molekulgemischen. a Eine Komponente, Beispiel Fe mit zwei Phasenumwandlungen im kristallinen Zustand. b Zwei Komponenten A und B, Darstellung auf Geraden. Im Zustandsdiagramm ist die zweite Achse meist die Temperatur. c Drei Komponenten A, B und C. Darstellung in der Flache eines gleichseitigen Dreiecks, dessen Seiten die binaren Gemische AB, AC, BC bilden
2.2 Heterogene Gleichgewichte
71
a A B b A B Bild 2.7a,b. a Zusammenhang zwischen Zustandsdiagramm (Zweitstoffsystem mit Mischungsliicke) und den isothermen Freie Enthalpie-Konzentrationskurven. Stabil ist immer der Zustand mit niedrigster Freier Enthalpie; bei T\\ Mischphase a, bei T2 und Ty. Phasengemisch ot\ + o?2 mit bestimmter Zusammensetzung, b Zustandsschaubild mit Angabe der Phasen- und Gefugeanteile Fur eine iiber den gesamten Konzentrationsbereich stabile Reihe von Mischkristallen bildet die Funktion G(c) eine nach unten durchhangende Kurve. Beim Zumischen wird durch zunehmende Mischungsentropie die Freie Energie erniedrigt, vorausgesetzt, daB (2.3) gilt. Dies kommt dadurch zustande, daB durch Zumischen einer neuen Komponente (Atom- oder Molekiilart) die Unordnung und damit die Entropie um den Beitrag einer Mischungsentropie erhoht und damit die Freie Enthalpie mit zunehmender Temperatur erniedrigt wird. Die Erhohung des Gehaltes an thermischen Leerstellen in Kristallen (1.14) mit steigender Temperatur hat die gleiche Ursache. In diesem Falle wird der Kristall durch »Zumischen« von Leerstellen stabiler. Zeigt die Kurve jedoch ein Maximum, so sind nur Mischkristalle mit ca < c < cp stabil. Es gilt dann das Prinzip, daB die Summe der Freien Enthalpien der beiden Phasen kleiner sein muB als die der homogenen Mischphasen. Mischkristalle mit ca > c > cp haben eine hohere Energie als das Gemisch und sind deshalb nicht stabil. Das Temperatur-Konzentrations-Diagramm weist deshalb eine Kurve auf, die das Gebiet einer stabilen Phase vom Zweiphasengebiet trennt.
72
2 Aufbau mehrphasiger StofFe
Bild 2.7 c. Gefuge von Al-Si-Legierungen, Al + 6 Gew% Si untereutektisch mit Al-Primarkristallen, Al + 11 Gew% Si eutektisch (siehe auch Bild 8.5 a), REM
Die Konzentration der bei bestimmter Temperatur im Gleichgewicht befindlichen Phasen ist nach Bild 2.7 gegeben durch die gemeinsame Tangente an der Gfc>Kurve: dGa dc a
dcB
(2.11) •C a -
Cp
Nachdem so die Konzentrationen c a , cp der Phasen festliegen, erhebt sich die Frage nach deren Mengenanteilen fur einen Stoff, dessen mittlere Zusammensetzung cinnerhalb der Mischungslucke liegt. Dabei handelt es sich um Gewichts- oder Molanteile, je nachdem, ob als MaB fur den Gehalt Massen- oder Stoffmengengehalte benutzt wurden. Die Mengenanteile ergeben sich aus dem Prinzip, da6 die Gesamtmenge ma + mp konstant bleiben mufi, zu (Bild 2.7b und 2.8) ma mR
=
cB - c c - cn'
(2.12)
Diese Beziehung ist analog zu einem zweiarmigen Hebel mit dem Drehpunkt bei cund ma und mp den im Gleichgewicht befindlichen Gewichten. (2.11) und (2.12) gelten jeweils fiir eine bestimmte Temperatur innerhalb des Zweiphasengebietes. Die Mischbarkeit nimmt mit auf 0 K abnehmender Temperatur ebenfalls auf null ab. Vollstandige Mischbarkeit ist - nur fiir die ideale Mischung - durch die Bedingung (2.3) zu erwarten. Die Temperaturabhangigkeit der Loslichkeit folgt einer Beziehung, die ahnlich (1.14) ist: c««
= c0 exp
AHx / Losungsenergie RT' Vthermische Energi
s)
Fur Q < 1 (c 0 « 1 oder 100%), eine verdiinnte Losung, gilt
(2.13 a)
2.2 Heterogene Gleichgewichte
73
Bild 2.8. Bestimmung des Mengenanteils m\ der Phase a! aus einem Zustandsschaubild mit Hilfe der Hebelbeziehung
1000
°c 5 600 5
boo 400
300
K7" Nl
12 '% 15 log C Aluminium
Bild 2.9. a Temperaturabhangigkeit der Loslichkeit im festen Zustand. Die Maximale Loslichkeit von B in A ist cmax. b Die Temperaturabhangigkeit der Loslichkeit von Al in Ni folgt (2.13) und kann deshalb in geeignetem MaGstab als Gerade dargestellt werden
In ca = In ca
A//L RT'
(2.13b)
Darin ist AHL die molare Losungswaraie (2.6) und c0 eine dimensionslose Konstante der GroBenordnung 1 (oder 100, falls c in %). Die Losungswaraie ist die Energie, die aufgebracht werden muB, urn 1 mol Atome zu losen. Die nach (2.13 b) geforderte Temperaturabhangigkeit ist in sehr vielen Stoffen gefunden worden. Die Konstante c0 muB im allgemeinen experimental bestimmt werden, da sie nicht genau gleich 100 ist. Die Gleichung fur die Loslichkeit von Al in Ni lautet z. B. (Bild 2.9) In cAi = In 3 2 , 6 -
8120 J mol= In 32,6RT
0,084 eV kT
(2.13 c)
Die maximale Loslichkeit liegt bei 21% Al und 1385 °C. Es handelt sich urn das stabile Gleichgewicht mit der Verbindung Ni 3 Al. Als Beispiel fur eine Loslichkeitskurve mit hoher Losungswaraie AHL kann die interstitielle Loslichkeit von Gold in Silizium dienen: cAu = 1 1 9 e x p ( -
242kJmolRT
)-,„„(-as*).
74
2 Aufbau mehrphasiger Stoffe
Trotz ihrer geringen Konzentration spielen die gelosten Atome bei der Dotierung von Halbleitern (Kap. 5) eine wichtige Rolle. Die energetischen Bedingungen von (2.3), (2.4) und (2.6) sowie die verschiedenen Schmelztemperaturen der Komponente fuhren zu einer groBen Mannigfaltigkeit von Zustandsdiagrammen. Es sollen zunachst die wichtigen Grundtypen behandelt werden. Aus ihnen sind alle komplizierten Systeme zusammengesetzt. Zuvor soil eine wichtige (thermodynamisch begrundbare) Regel eingefuhrt werden, die beim Aufstellen und bei der Analyse von Zustandsdiagrammen sehr nutzlich ist: das Gibbssche Phasengesetz. Es gibt den Zusammenhang an zwischen der Anzahl der Phasen P eines Systems mit K Komponenten und dem auBeren variablen Druck p, Temperatur Tund der chemischen Zusammensetzung c. Diese werden als Freiheitsgrade des Systems (Variable V) bezeichnet: V=K-P+2.
(2.14a)
Bei Werkstoffen kann meist konstanter Druck vorausgesetzt werden. Damit verringert sich die Zahl der Freiheitsgrade uml: V=K-P+1.
(2.14b)
Angewendet auf das Zustandsdiagramm mit Mischungsliicke ergibt sich K = 2, P.= 1 im homogenen, P = 2 im heterogenen Gebiet. Damit ist V = 2 im homogenen und V = 1 im heterogenen Gebiet. Das bedeutet, daB im Gebiet homogener Mischkristalle die Freiheitsgrade Temperatur und Konzentration verandert werden konnen, ohne daB sich der Zustand andert. Im heterogenen Gebiet gibt es nur einen Freiheitsgrad. Andert man die Temperatur, so andert sich die Zusammensetzung der Phasen zwangslaufig und umgekehrt. Es gibt also nur eine unabhangige Variable. Die Konzentrationen liegen durch den Verlauf der Loslichkeitslinie genau fest. Die speziellen Typen der Zustandsdiagramme durfen diese Regel nicht verletzen. Aus folgenden Grundtypen lassen sich alle weiteren Zustandsdiagramme ableiten (Bild 2.10a bis g): 1. (Fast) vollige Unmischbarkeit der Komponenten imflussigen und kristallinen Zustand. Das Diagramm zeigt nur waagerecht Linien bei den Schmelz- und Siedetemperaturen der Komponenten, die erst im Gaszustand mischbar sind. Zustandsdiagramme dieser Art sollten Stoffe besitzen, die nicht miteinander reagieren durfen. Zum Beispiel kann fliissiges Blei in Eisentiegeln, Silikatglas in Platintiegeln geschmolzen werden, da jeweils beide Komponenten praktisch nicht mischbar sind. 2. Vollige Mischbarkeit im kristallinen undfliissigen Zustand. Die Gemische besitzen im Gegensatz zu den reinen Komponenten keinen Schmelzpunkt. Sie schmelzen vielmehr in einem Temperaturintervall. Das kommt daher, weil das Minimum der Freien Enthalpie fur Flussigkeit und Kristall (Bild 2.5) nicht bei derselben Konzentration liegt. Die Bildung eines Mischkristalls aus der Mischschmelze der Konzentration c erfolgt dann entsprechend Bild 2.10 b. Beim Abkuhlen bildet sich zunachst ein Kristall der Zusammen-
2.2 Heterogene Gleichgewichte
gA
B
75
hA
c
B
i Al
Al 4 C 3
C
Bild 2.10 a-i. Die wichtigsten Grundtypen der binaren Zustandsschaubilder. a Fast vollige Unmischbarkeit im flussigen und kristallinen Zustand, Beispiel: Fe-Pb und Fe-Mg. b Vollige Mischbarkeit im flussigen und kristallinen Zustand, cf Konzentration der Schmelze, ck des Kristalls beim Erstarren, Beispiele: Si-Ge, Cu-Au, U02-Pu02. c Vollige Mischbarkeit im flussigen und begrenzte Mischbarkeit im kristallinen Zustand (eutektisches System), Beispiel: Al-Si. d wie c, aber Schmelztemperatur von A unterhalb des Dreiphasengleichgewichts (peritektisches System), Beispiel: Messing- und Bronzelegierungen. e Bildung der chemischen Verbindung V, die mit A und B eutektische Systeme bildet. f chemische Verbindung, die sich beim Schmelzen in f + B zersetzt. Beispiel: die Verbindung (CaO)2Si02 im Zement. g y-Mischkristalle, die bei tieferer Temperatur sich in zwei neue Phasen a + P umwandeln, (eutektoidisches System), Beispiel: y-Fe —• a-Fe + Fe3C. h wie b), infolge geringer Geschwindigkeit der Diffusion im kristallinen Zustand entspricht die Zusammensetzung ck haufig nicht dem Gleichgewicht, und die mittlere Zusammensetzung liegt - je nach Abkuhlungsgeschwindigkeit - bei c\. i C sublimiert weit unterhalb der Siedetemperatur von Al, Al und C bilden eine Verbindung, die unter Zersetzung schmilzt. Beispiel fur die Phasengleichgewichte zwischen einem Stoff der ohne zu schmelzen siedet (Graphit: Tkg = 3750 °C) und einem Metall, das unterhalb dieser Temperatur sowohl schmilzt als auch siedet (Al: Tkf = 660 °C, Tkg = 2500 °C). Die gegenseitigen Loslichkeiten in den festen und flussigen Zustanden sind sehr viel geringer als in diesem teilschematischen Diagramm angegeben. Nur im Gaszustand besteht vollstandige Mischbarkeit.
2 Aufbau mehrphasiger Stoffe
76
setzung ck, die sich im Laufe weiterer Abkiihlung bis zu candert. Die Zusammensetzung der Fliissigkeit andert sich von c nach cf. Die Mengenanteile der beiden Phasen folgen wiederum dem Hebelgesetz (2.12). Daraus folgt, daB die Flussigkeit beim Erreichen dieser Zusammensetzung verschwunden ist. Mischkristall-Werkstoffe sind austenitischer rostfreier Stahl, a-Messing und Al-Mg-Legierungen. 3. Begrenzte Mischbarkeit im kristallinen Zustand bei vollstandiger Mischbarkeit im fltissigen Zustand. Zumischen einer Komponente B mit etwa gleichem Schmelzpunkt wie A erniedrigt dessen Schmelztemperatur (falls A und B nicht eine stabile chemische Verbindung bilden). Der Schnittpunkt der beiden Loslichkeitslinien fliissig —»kristallin wird als eutektischer Punkt bezeichnet. Bei dieser Temperatur sind drei Phasen miteinander im Gleichgewicht, namlich die Kristalle A und B und die Flussigkeit f oder besser bei T>0 K die Mischkristalle a und p, da immer eine gewisse Loslichkeit bei erhohter Temperatur besteht. Wird eine Schmelze der Zusammensetzung cE abgekiihlt, so findet bei TE die Reaktion f-^a + p
(2.15a)
statt. Es bilden sich gleichzeitig die Phasen a und p. Liegt eine Zusammensetzung der Schmelze rechts oder links von cE, so bildet sich zunachst ein Mischkristall wie in Bild 2.10b, bis die Flussigkeit die Zusammensetzung cE erreicht hat. Dann kann sich ebenfalls das eutektische Phasengemisch bilden. Das Phasengesetz (2.14) lehrt, da8 V = 0 ist, solange drei Phasen im Gleichgewicht sind. Fur die eutektische Reaktion liegen also sowohl Temperatur TE als auch alle Konzentrationen cf, ca, cp genau fest. Unterhalb von TE folgt die Zusammensetzung der beiden Mischkristalle (2.13). Eutektisch zusammengesetzte Werkstoffe spielen eine groBe Rolle als GuBlegierungen. Sie bieten mit niedrigst moglicher Schmelztemperatur und feinem Kristallgemisch gleichzeitig zwei technische Vorteile (Al-Si-Legierungen, GuBeisen, Lote, Abschn. 8.6). Ein ahnliches Diagramm erhalt man, wenn die Temperatur des Dreiphasengleichgewichtes zwischen den Schmelztemperaturen der Komponenten liegt. Das ist im allgemeinen der Fall, wenn diese Schmelztemperaturen oder Komponenten sehr verschieden hoch sind. Das Dreiphasengleichgewicht wird dann als peritektisch bezeichnet. Es entsteht beim Abkiihlen aus der Schmelze immer zuerst ein Mischkristall entsprechend dem Zweiphasengleichgewicht f 4- P (Bild 2.10b). Bei der Temperatur Tp reagiert dieses Phasengemisch zur Bildung von a-Mischkristallen, f + p ^ a.
(2.15 b)
Bei der Zusammensetzung cp ist diese Reaktion vollstandig, fur c> cp bleibt die ^-Phase iibrig. Die Mischkristalle, aus denen die Messing- und Bronzelegierungen zusammengesetzt sind, entstehen beim Erstarren haufig durch peritektische Reaktionen (Abschn. 8.3). Falls infolge schneller Abkiihlung (Abschn. 8.3) der Konzentrationsausgleich im festen Zustand nicht vollstandig ist (Bild 2.10h), entstehen Mischkristalle mit ortlich verschiedener Konzentration: sog. Kristallseigerung.
2.2 Heterogene Gleichgewichte
77
4. Bildung von Verbindungen. Reagieren zwei Komponenten, die entweder Atome oder Molekule sein konnen, miteinander zur Bildung einer neuen Phase (2.4), so kann als qualitatives Ma8 fur deren Stabilitat der Schmelzpunkt gelten (2.9). Denkbar ist, da6 der Schmelzpunkt einer Verbindung A^B^ hoher oder niedriger ist als derjenige der Komponenten A und B. Fur den Fall von geringer Mischbarkeit einer solchen Verbindung mit den Komponenten ergibt sich ein einfaches Zustandsdiagramm, das man sich aus zwei Teildiagrammen A + AJ3^ und Afiy + B zusammengesetzt denken kann (Bild 2.10e). Es ist naheliegend, da6 fiir die Anwendung als feuerfeste Steine Werkstoffe verwendet werden, deren Zusammensetzung nicht bei den Eutektika, sondern bei moglichst stabilen Verbindungen liegt, falls nicht reine Stoffe verwendet werden. Weniger stabile Verbindungen haben eine niedrigere Schmelztemperatur, was zu einem »verdeckten« Maximum der Schmelztemperatur fuhren kann (Bild 2.10f). Die Verbindung V bildet sich erst, nachdem sich bereits B ausgeschieden hat. Die Schmelze reagiert dann mit diesem B, und es bildet sich V: f + B-^V.
(2.15c)
5. Dreistoffsysteme. Nach dem Phasengesetz konnen in Zweistoffsystemen hochstens drei Phasen miteinander im Gleichgewicht sein, in Systemen aus drei Komponenten hochstens vier. Die Darstellung der Konzentrationen derartiger Systeme ist in Bild 2.6 und 2.11 gezeigt worden. In Bild 7.2 ist das Konzentrationsdreieck der Komponenten Si0 2 A 2 0 3 - CaO die Zusammensetzung einiger keramischer Stoffe eingetragen. Zur Kennzeichnung der Temperaturabhangigkeit ist eine raumliche Darstellung notwendig. Man geht dabei von den drei begrenzenden Zweistoffsystemen aus. Als Beispiel soil der Fall von drei eutektischen Randsystemen dienen. Diese konnen wiederum ein Dreistoffeutektikum bilden. Von den eutektischen Punkten der Zweistoffsysteme verlaufen dann Rinnen im Temperatur-Konzentrations-Raum. Ihr Schnittpunkt ist ein Eutektikum, in dem bei TE ein Vierphasengleichgewicht auftritt: f-xx + p + y.
(2.15d)
Zur zweidimensionalen Darstellung wird der Verlauf der eutektischen Rinnen auf das Konzentrationsdreieck projeziert. Die Pfeile weisen in Richtung abnehmender Temperatur (Bild 2.11). Die zusatzliche starke Erniedrigung der Schmelztemperatur durch Mehrstoffeutektika wird bei der Herstellung von Loten (Pb-Sn-Bi) sowie von Letternmetall in der Druckereitechnik (Pb-Sb-Sn) genutzt. Das Eutektikum dieser Legierungen besteht aus einem feinen Gemisch der drei Kristallarten a + |3 + y bei einer Zusammensetzung der Legierung cfc. In alien anderen Legierungen beginnt die Erstarrung mit primarer Bildung einer Phase und sekundarer Bildung des binaren Eutektikums langs der Rinne. Die Mischung von Al, Si- und C-Atomen liefert eine Vielfalt von Stoffen. Al und Si sind im flussigen Zustand vollstandig loslich (GuBlegierung, Kap.8 und 11). Geringe Mengen von Kohlenstoff begrenzen diese Loslichkeit. Si und C bilden die keramische Hartphase SiC (z. B. Schleifmittel, Abschn. 7.3). Auch Al bildet Karbide, die in der Technik Probleme in kohlefaserverstarkten Al-Legierungen bereiten. Der Schnitt durch das. Dreistoffsystem Al - SiC wird als quasibinar bezeichnet. Die Verbindung SiC verhalt sich wie eine Komponente, falls sie den dritten
78
2 Aufbau mehrphasiger StoflFe
Bild 2.11 a-c. a Darstellung eines Dreistoffsystems. Drei binare Eutektika bilden ein ternares Eutektikum (z. B. Lotlegierungen). Eine raumliche Darstellung ist notwendig. Die Isothermen wurden auf das Konzentrationsdreieck projiziert, Pfeile in Richtung abnehmender Temperatur. b Verlauf der Erstarrung einer ternaren Legierung der Zusammensetzung o. c Al-Si-C System: Al und Si bilden Karbide mit exakt festliegender Zusammensetzung, die als Komponenten Quasibinarer Systeme mit Al betrachtet werden konnen. Die Siedetemperatur des Al (Tfg =• 2470 °C) liegt etwa gleich hoch, wie die Schmelztemperaturen dieser Verbindungen (SiC. Tkf = 2500 °C) Der Verlauf einiger Verdampfungsgleichgewichte wurde in die binaren Diagramme Al-Si und Si-C eingetragen. Sie sind z.B. beim Laserschneiden und -beschichten (Kap.8 und 11) von Bedeutung (Bild 8.36).
Stoflf (Al) nicht ldst. Dies ist fur Zustandsdiagramme keramischer Werkstoffe von besonderer Bedeutung (Bild 2.12, Kap. 7). 6. Vielstoffsysteme. Zur Darstellung der Konzentrationen in Vierstoffsystemen ist ein tetraedrisch begrenzter Raum notwendig. Bild 2.12 zeigt die Lage des Teilsystems S i 0 2 CaO - A1 2 0 3 (Bild 7.2) im System Al-Si-Ca-O. Ein Vierstoffsystem (Ecken) ist begrenzt durch 4 Dreistoffsysteme (Flachen) und 6 Zweistoffsysteme (Kanten). Zur Beurteilung
2.3 Keimbildung, Kristallisation von Schmelzen
Bild2.12. Darstellung der Zusammensetzung eines Vier-Komponenten-Gemisches in einem Tetraeder. Das Quasidreistoffsystem der Verbindungen SiC>2, CaO, A1203 (Bild 7.2 c) wurde eingetragen
79
ternar 4 1 binar 6 > Randsysteme Atomarten 4 J
hoherer als Zweistoffsysteme miissen topologische Zusammenhange zu Hilfe genommen werden.
2.3 Keimbildung, Kristallisation von Schmelzen In Bild 2.5 wurde gezeigt, daB eine Fliissigkeit beim Abkiihlen unterhalb von 7^ nicht mehr stabil ist, da dann der kristalline Zustand eine niedrigere Freie Enthalpie besitzt. Die Frage ist nun, wie die Kristalle entstehen. Experimente zeigen, daB meist die Kristallisation nicht direkt bei der Schmelz- oder Umwandlungstemperatur, sondern aus einer unterkiihlten Riissigkeit beginnt. Es miissen aus diesem Zustand heraus Keime der neuen Phase gebildet werden. Dies sind Teilchen der stabileren Phase von einer GroBe, die es erlaubt, daB sie unter Abnahme ihrer Freien Enthalpie (pro Atom oder Molekiil) wachsen konnen. Bilden sich Keime direkt aus der unterkiihlten Phase, so bezeichnet man den Vorgang als homogene Keimbildung. Ein ahnlicher Vorgang findet auch oft an der Oberflache der Form statt, in die der fliissige Werkstoff vor der Erstarrung gegossen wird. Es handelt sich dann um heterogene Keimbildung. Zur quantitativen Behandlung der Keimbildung geht man davon aus, daB zur Bildung eines Keims zwei Energieterme notwendig sind. Die »treibende Kraft« fur die Neubildung der Phase Agfk andert bei 7^ ihr Vorzeichen (2.10 c) und nimmt mit zunehmender Unterkiihlung zu. Es ist sinnvoll, in diesem Falle nicht mit molaren, sondern mit auf die Volumeneinheit Vm bezogenen GrdBen zu rechnen: Ag^ = AG^/V^ Die aufzubringende Energie oder »riicktreibende Kraft« kommt dadurch zustande, daB der Keim eine Grenzflache mit der Energie afk mit seiner Umgebung bilden muB. Die Umwandlungsenergie ist eine Funktion des Volumens, die Grenzflachenenergie der Oberflache des Keims. Deshalb ergibt sich fur die Gesamtenergie^AIj (Einheit: J) unterhalb von T^ (Bild 2.13) AG= -
-rcr'Agfk + 4nr2y^ Volumen
(2.16a)
Oberflache
fur ein kugelformiges Teilchen der neuen Phase mit dem Radius r. Nur Ag^ ist eine Funktion der Temperatur (2.10 c), wahrend Yfk fast temperaturunabhangig ist. Die Freie
80
2 Aufbau mehrphasiger Stoffe
Freie Enthalphie]
h
<
h
<
hk Oder Tyu
Radius des Bereiches mit Struktur und Konzentration der stabilen Phase
r
OoOO^O Bild 2.13. a Verlauf der Freien Enthalpie fur Keimbildung bei zwei verschiedenen Unterkuhlungen. b Bereiche der stabilen Struktur, die auch groBer als die kritische KeimgroBe rk sind, konnen wachsen
Enthalpie des Keims lauft bei rK durch ein Maximum. Aus der Bedingung dAG/dr = 0 ergibt sich die kritische KeimgroBe rK zu 2Yfk Agfk
(2.16b)
Die Energiebarriere, die zur Keimbildung iiberwunden werden muB, wird als Aktivierungsenergie der Keimbildung AG K bezeichnet: AG
=
167iYfk3 , 3 (A gfk ) 2
(2.16c)
Ein Teilchen mit r >rK kann unter Abnahme der Freien Enthalpie wachsen und ist ein stabiler Keim, wahrend es sich bei r
«*>(-T?)
(2.16d)
Die Zahl der wachstumsfahigen Keime nimmt also mit abnehmendem AG K , d. h. mit zunehmender Unterkiihlung sehr stark zu. Direkt bei der Gleichgewichtstemperatur geht AG K -* sc und nK -* 0. Es ist also zur Bildung einer neuen Phase immer eine gewisse Unterkiihlung notwendig (k Boltzmannsche Konstante, Einheit J K _ 1 , siehe AnhangA.2). Daraus ergeben sich Folgerungen fur die Herstellung von Werkstoffen aus dem flussigen Zustand. Wird eine geringe KristallitgroBe angestrebt, so ist beim Erstarren eine
2.3 Keimbildung, Kristallisation von Schmelzen
81
groBe Keimzahl notwendig. Man erreicht die dazu notwendige groBe Unterkiihlung durch moglichst schnelles Abkiihlen unterhalb der Gleichgewichtstemperatur. Will man umgekehrt monokristalline Werkstoffe erzeugen, wie z. B. Halbleiterkristalle fiir Transistoren (Kap. 5) oder einkristalline Turbinenschaufeln aus Nickellegierungen (Kap. 8), so ist eine moglichst geringe Unterkiihlung beim Erstarren angebracht, so daB nK « 1 ist. Bei heterogener Keimbildung beruht die Wirkung immer auf einer Erniedrigung des Grenzflachen-Energieterms von (2.16 a). Im einfachsten Falle wird man in die unterkiihlte Schmelze einfach Kristallchen mit einer GroBe r >rK einmischen. Diese konnen dann sofort wachsen (Bild 2.13b). Im allgemeinen Fall wird der Betrag der Grenzflachenenergie etwas erniedrigt, z. B. durch die Oberflache des GefaBes, in das die Schmelze gegossen wird, durch Fremdkristalle, die als Verunreinigung vorhanden sind, oder - bei der Keimbildung im Inneren von kristallinen Stoffen - durch Korngrenzen, Versetzungen oder andere Gitterbaufehler. Diese »Heterogenitaten« bewirken dann, daB A GK ortlich erniedrigt und damit die Keimbildung wahrscheinlicher wird. Die Verteilung der Keirrte bei homogener Keimbildung ist immer regellos wie die Schwankungen, aus der sie entstanden sind. Die Verteilung ist bei heterogener Keimbildung ganz abhangig von der Verteilung der Heterogenitaten und kann damit beliebig beeinfluBt werden. Durch homogene Keimbildung kann jedoch die groBtmogliche Keimdichte und damit die kleinstmogliche KorngroBe eines Werkstoffes erreicht werden. Wird eine Schmelze in eine kalte Form gegossen, so kommen an deren Oberflache groBe Unterkiihlung und die Moglichkeiten zu heterogener Keimbildung zusammen. Die Erstarrung wird also dort beginnen und sich ins Innere der Form fortsetzen. Falls nur an der Oberflache Keimbildung auftritt, wachsen die Kristalle weiter in Richtung des positiven Temperaturgradienten, d. h. senkrecht zur Formwand. Es entstehen sog. Stengelkristalle (Bild 2.14). Falls im Inneren der Form noch Keimbildung moglich ist, wird die KristallgroBe abnehmen, da die Unterkiihlung groBer wird. Beim Abkiihlen von Zwei- oder Mehrstoffsystemen sind die Erstarrungsbedingungen komplizjerter. Erstarrt ein Werkstoff mit eutektischer Zusammensetzung (Bild 2.10c), so miissen sich gleichzeitig zwei neue Phasen bilden. Haufig hat der Keimbildungsvorgang eine groBe Aktivierungsenergie, so daB heterogene Keimbildung wahrscheinlich ist. Bilden sich beim Erstarren in einer Form die Keime der Phasen a und /?an der Oberflache der Form, so ist es moglich, daB sie mit der Erstarrungsfront weiterwachsen. Es entsteht dann ein Gefuge, in dem die beiden Phasen lamellar angeordnet sind oder in dem eine Phase stabchenformig in der zweiten eingebettet ist (Bild 2.14). Dies tritt beim lamellaren grauen GuBeisen auf und wird bei der Herstellung faserverstarkter Werkstoffe durch gerichtete Erstarrung ausgenutzt (Kap. 10). Eine weitere Erscheinung bei der Erstarrung in einer Form ist mit dem ungleichzeitigen Erstarrungsbeginn und mit der Volumenanderung bei der Erstarrung verbunden. Der Obergang vom fliissigen zum kristallinen Zustand ist bei Metallen mit einer Volumenabnahme, bei Stoffen mit kovalenter Bindung der Kristalle meist mit der Volumenzunahme verbunden. Im erstgenannten Fall fiihrt das zur Senkung der restlichen Oberflachenschmelze, die am erstarrten Block als sog. Lunker erscheint (Bild 2.14). Die Neigung zur Bildung von Lunkern ist umso groBer, je groBer die Volumenanderung ist und je ungleichmaBiger die Keimbildung im Gesamtvolumen der Form erfolgt. Falls die Oberflache der erstarrenden Schmelze nicht flussig bleibt, konnen als Folge der Volumenanderung Poren im Inneren des GuBstiickes entstehen (Tab. 2.2). Es muB daherbei der Konstruktion von GuBteilen darauf geachtet werden, daB keine Dickenunterschiede
82
2 Aufbau mehrphasiger Stoffe
rP
p »cc^
P«\
/ a ™ S^M^
I
CC
/
h»
f
^p^4 a ")
—
Temperaturverlauf
Richtung der Erstarrungsfront
Ortskoordinate x
Bild 2.14 a-d. Einige Erscheinungen beim Erstarren in einer Form, a Infolge der Volumenkontraktion fuhrt von der Formwand ausgehende Erstarrung zu einem Absinken des Spiegels der Schmelze (Lunkerbildung). b Allseitigef Begirin der Erstarrung kann aus dem gleichen Grund zu GuBporen fiihren. c Die Erstarrung beginnt dureh heterogene Keimbildung an der Formwand. Die Kristalle wachsen stengelforrnig in Richtung des Temperaturgradienten. d Bei eutektischer Erstarrung (Bild 2.10 c) mussen sich gleichzeitig zwei Phasen bilden. Diese konnen beim Wachstum ein lamellares Gefuge bilden, bei gerichteter Erstarrung entsteht ein »in-situ«-Verbundwerkstoff (Abschn. 10.2)
Tabelle 2.2. Volumenanderung beim Erstarren AKtf
% Fe Al Cu Si Ge GrauguB Silumin
Bindungsart der Mischkristalle
-4 -6 -4
metallisch
+8 +5
kovalent
-3 -3
Gemisch metallischer und kovalenter Phasen
auf treten, die zur Bildung von vom EinguB isolierten Schmelznestern fiihren. Der Lunker mu8 immer aufierhalb des Werkstiicks liegen (Abschn. 11.1).
2.4 Metastabile Gleichgewichte Das thermodynamische Gleichgewicht war als Zustand niedrigster Freier Enthalpie definiert worden (Abschn. 2.2). Haufig treten in der Natur aber Zustande auf, die nicht diese Voraussetzung erfullen und trotzdem relativ lange Zeit bestandig sind. Geharteter Stahl, gehartete Aluminiumlegierungen, rostfreier austenitischer Stahl und alle Kunststoffe beflnden sich in metastabilen oder eingefrorenen Zustanden, wenn sie verwendet wer-
2.4 Metastabile Gleichgewichte
83
den. Die notwendige Voraussetzung fur ihr Auftreten ist, daB Keimbildung einer stabileren Phase infolge hoher Aktivierungsenergie nicht sehr wahrscheinlich ist (2.15 b). So ist der Diamant bei normalem Druck nicht die stabilste Kristallstruktur des Kohlenstoffes, sondern der Graphit (Bildl.8). Trotzdem wandelt sich Diamant nicht in Graphit um. Zinn kann ohne weiteres bei Temperaturen weit unterhalb seiner Umwandlungstemperatur ( + 13°C) verwendet werden. Erst bei arktischen Temperaturen ( — 40 °C) besteht die Gefahr der Umwandlungen. Beide Umwandlungen besitzen infolge hoher Grenzflachen- und Verzerrungsenergien eine sehr hohe Aktivierungsenergie der Keimbildung A GK. Fur das Auftreten von metastabilen Gleichgewichten ist neben der hohen Aktivierungsenergie der Bildung der stabilsten Phase die Existenz einer weniger stabilen Phase notwendig, deren Bildung aber infolge einer niedrigeren Aktivierungsenergie wahrscheinlicher ist. In einem Freie-Enthalpie-Konzentrations-Diagramm (Bild 2.7) kann die energetische Situation schematisch dargestellt werden. Bild 2.15 veranschaulicht die Situation, die bei unserem wichtigsten Werkstoff - dem Kohlenstoffstahl - gegeben ist. Das Eisen bildet ein stabiles Gleichgewicht mit dem als Graphit kristallisierten Kohlenstoff. Das Karbid Fe3C ist weniger stabil, d. h. es besitzt eine hohere Freie Energie als Graphit. Trotzdem bildet sich diese Phase in Stahlen fast ausschlieBlich und wandelt auch nach langer Zeit nicht in Graphit um. Der Grund ist wiederum eine hohe Aktivierungsbarriere infolge hoher Grenzflachenenergie zwischen Graphit und metallischem Eisen. Wir unterscheiden bei den Eisen-Kohlenstoff-Zustandsdiagrammen also ein stabiles System Fe-Graphit und ein metastabiles System Fe-Fe3C, deren Gleichgewichtskonzentrationen und -temperaturen etwas verschieden sind. Es gibt Stoffe, in denen eine groBe Zahl von metastabilen Zustanden moglich sind. Im System Fe-C gibt es neben Fe3C mindestens noch zwei weitere metastabile Karbide, die in ihrer Kristallstruktur dem a-Eisen ahnlicher sind als das Fe3C und deshalb eine noch niedrigere Aktivierungsenergie AGK besitzen. Sie spielen bei der Tieftemperaturversprodung von Stahlen eine Rolle. Auch die Hartbarkeit von Aluminiumlegierungen wird durch verschiedene metastabile Phasen ermoglicht. Diese Phasen treten immer in der Reihenfolge zunehmender Aktivierungsenergien auf (Kap. 8). Eine groBe Rolle spielen metastabile Gleichgewichte auch in Glasern. Die allgemeine Situation sei gekennzeichnet durch ein Zustandsdiagramm mit begrenzter Mischbarkeit zweier keramischer Kristallarten (Bild 2.16). Die Bildung von Kristallkeimen ist bei Atomen und Molekiilen mit hohem kovalentem Bindungsanteil und damit starker Netzwerkbildung (Kap. 1 und 7) sehr schwierig. Die Fliissigkeit kann deshalb verhaltnismaBig leicht zu einem Glas unterkiihlt werden. In diesem Glas kann dann eine Entmischung ohne Kristallkeimbildung - als metastabiles Gleichgewicht zwischen zwei Glasstrukturen verschiedener Zusammensetzung - im Bereich einer metastabilen Mischungslucke auftreten. Diese mikroskopische Aufspaltung in zwei Phasen tritt in vielen technischen Glasern auf, ebenso wie die metastabile Bildung von Kristallphasen in Glaskeramik (Kap. 7). Alle Metalle und Kunststoffe sind gegeniiber dem Sauerstoff der Luft nicht stabil, d. h. es gibt Oxide, deren Bildung zur Erniedrigung der Freien Enthalpie fuhrt. Bei Kunststoffen kann dieser metastabile Zustand sehr lange aufrechterhalten bleiben. Dem gegeniiber bilden sich die stabileren Oxidphasen an den Oberflachen von Metallen verhaltnismaBig leicht. Diese Reaktionen sind als Verzunderung und Korrosion ein groBes technisches Problem (Kap. 6). Die Lebensdauer der metastabilen Zustande ist in diesen
84
2 Aufbau mehrphasiger Stoife t
T=
const 11 GraphiM
/
W/
Fe
a
/Fe3C
Fe.C
CGraphit ,
/ ubersattigter y-Fe(C) Mischkristall i> metastabiles Gleichgewicht J stabiles Gleichgewicht b
-e
16
1
2
3
I
i
I
4
5
e
1
I
1534°C
I
1 1
f
93°C
1500 U00
8
I
1
1700 1600
Gew.-%
/ 1390°C
/
1300
!
/
/ ,
3 1200 a
1153°C
r
.1U7°C
11100 1000 ^910°C 900
k\
800 |
h> 3 c ^
// #.
7389C •723°C
700 \a 500 Fe
2,5
5,0
7,5
10,0 12,5-15,0 17,5 20,0 22,5 25,0 At.-% 30,0 Kohlenstoffgeho.lt
Bild 2.15 a-c. Metastabile Gleichgewichte. a Verlauf der Freien Enthalpie im System Fe-C. Das Gemisch y-Fe-Fe3C ist weniger stabil als y-Fe-Graphit. b Fe3C bildet sich trotzdem infolge niedriger Aktivierungsenergie fur Keimbildung AGk als Graphit. c Metastabiles Zustandsschaubild Fe-C. Die stabilen Gleichgewichte Fe-Graphit sind gestrichelt eingezeichnet mit Angabe der Phasen- und Gefiigeanteile, sowie einiger wichtiger Werkstoffe auf Eisenbasis
2.5 Einige Anwendungen von Phasendiagrammen
A a
B
85
Ax0y b
Bx0y
Bild 2.16. a Metastabile Gleichgewichte k o n n e n durch Extrapolation stabiler Gleichgewichtsfunktionen berechnet werden. Der Konzentrationsbereich, in dem eutektische Kristallisation auftreten kann, erweitert sich bei Unterkuhlung AT = TE — T. b Stabiles und metastabiles Zustandsschaubild eines Oxidgemisches (schematisch). Durch schnelles Abkiihlen der Schmelze erhalt man ein Glas, das sich nach dem metastabilen Gleichgewicht (gestrichelt) entmischt (glj Glaser, k Kristallphasen) Fallen auBer von der Keimbildung auch von den Moglichkeiten des Platzwechsels der Atome durch Diffusion und von der elektrischen Leitfahigkeit abhangig. Die Eieziehung zwischen Metastabilitat und Diffusion wird im Kap. 3 behandelt.
2.5 Einige Anwendungen von Phasendiagrammen l.Systeme mit weitgehender Unmischbarkeit im flussigen und festen Zustand (Bild 2.10 a, 8.5 b) liefern die Voraussetzurig fur Tiegelmaterial und Schmelze. Die
86
2 Aufbau mehrphasiger Stofte
Schmelztemperaturen der beiden Komponenten mussen sich stark unterscheiden. So konnen Pb- und Mg-Legierungen in Eisentiegeln geschmolzen werden. Auch stabile Oxide (AI2O3, MgO) zeigen Mischungslucken mit Metallen und dienen deshalb als Tiegelmaterial. 2. Die Diagramme geben den Verlauf der Schmelztemperaturen verschiedener Legierungen an, und damit die Temperaturen bis zu denen die Werkstoffe bei Warmebehandlungen (Kap. 3) oder im Gebrauch (Kap. 4.3) erhitzt werden konnen. 3. Die thermische Stabilitat von Verbundwerkstoffen oder Werkstoffverbunden (Systemen) kann beurteilt werden. Das Auftreten von thermisch aktivierten Reaktionen (Kap. 3) zwischen Faser und Grundmasse oder in den Grenzflachen von Plattierungen kann aus Zustandsdiagrammen vorhergesagt werden (Kap. 10). 4. Chemische Zusammensetzungen von Legierungen bei denen Ausscheidungs- und Umwandlungshartung zu erwarten ist konnen vorhergesagt werden (Kap. 0.4, 8.5). 5. Bei eutektischen Zusammensetzungen finden wir die wichtigsten GuBlegierungen ebenso wie Werkstoffe mit guten Glasbildungsvermogen (Kap. 3.3,7.5). 6. Aus den Zustanddiagrammen kann abgelesen werden, welche Phasen und Phasenanteile beim Gluhen bei hoheren Temperaturen auftreten. Fur langsame Abkuhlung von diesen Temperaturen konnen die Gefiige vorhergesagt werden, die bei Raumtemperatur auftreten. Bei schneller Abkuhlung mussen reaktionskinetische Aspekte (Diffusion, Kap. 3) beriicksichtigt werden. Es entstehen Strukturen, die vom thermodynamischen Gleichgewicht abweichen. 7. Vertraglichkeit von Werkstoffen bedeutet, daB sie bei erhohten Temperaturen nicht miteinander reagieren, so daB ihre Eigenschaften sich verschlechtern. Dies geschieht durch die Bildung sprbder Verbindungen in den Grenzflachen (von Plattierungen, Lot- oder SchweiBverbindungen). 8. Es besteht auch ein Zusammenhang zwischen tribologischen Eigenschaften (Kap. 6.1, 6.5, 6.6) und den Zustandsdiagrammen. Reibpartner, die weder mischbar sind noch Verbindungen (tribochemische Reaktionen) bilden, sind fur Gleitflachen begiinstigt (z.B. Fe-Cu). 9. Eine sehr wichtige neuere Anwendung des Schmelzgleichgewichtes von Mischkristallen (Bild 2.10b, 2.10h, 8.4c) ist das Zonenschmelzen (Bild 2.17). Es dient zur Herstellung sehr reiner Stoffe. Diese sind die Voraussetzung fur die Halbleiterelektronik
u
k
k c0
Si
ck
cf
Bild 2.17. Grundlagen des Zonenschmelzens: Eine schmale flussige Zone f, transportiert die gelosten Atome Cf nach rechts
2.5 Einige Anwendungen von Phasendiagrammen
87
(Kap. 5.2). Dabei wird die verschiedene Loslichkeit eines Elementes B in Fliissigkeit f und Kristall k zum Beispiel in Silizium ausgenutzt. Die Wirksamkeit des Verfahrens fur eine Legierung der Zusammensetzung Q bei der Temperatur T0 wird durch den Koeffizienten k > 1 gekennzeichnet.
k-£
(2.17)
Bei k = 1 findet keine Reinigung statt. Eine schmale flussige Zone wird durch die Oberflachenenergie (Kap. 6.5) am Durchtropfen gehindert. In ihr wird die »Verunreinigung« B angereichert. Diese Zone wird mehrfach in eine Richtung x bewegt. Die linke Seite des Kristallblocks wird dadurch gereinigt. Die »B-reiche« rechte Seite wird abgetrennt, bevor der Block weiter z. B. zu integrierten Schaltkreisen verarbeitet wird (Kap. 11.2, Bild 11.14).
3 Grundlagen der Warmebehandlung 3.1 Diffusion Die Zustandsdiagramme geben denjenigen Zustand an, den der Stoff abhangig von der Temperatur im Gleichgewicht anstrebt. Viele wichtige Werkstoffeigenschaften werden aber durch Zustande erzielt, die auf dem Wege zum Gleichgewicht entstehen, aber noch nicht dem endgultigen Gleichgewichtszustand entsprechen. Wesentliches Element einer solchen Behandlung des Werkstoffs ist eine kontrollierte Erwarmung. Oft werden diese Warmebehandlungen nach dem technischen Ziel benannt: Harten, Ausharten, Weichgluhen, Spannungsfreigluhen. Ziel der Warmebehandlung kann auch sein, eine bestimmte Korngrofle oder Textur herzustellen. Beim Nitrierharten oder Einsatzharten (Aufkohlen) von Stahl dringen wahrend der Erwarmung Atome aus der Umgebung in den Werkstoff ein. In einigen Fallen wird auch durch eine Kaltebehandlung, zum Beispiel durch Eintauchen in flussigen Stickstoff, die Eigenschaft eines Werkstoffs - meist in Zusammenhang mit martensitischer Umwandlung, verbessert. Der Verlauf von Warmebehandlungen wird in Temperatur-Zeit-Diagrammen dargestellt (Bild 3.1 a-d). Die Temperaturen T folgen aus den Zustandsdiagrammen. Gluhdauer, Aufheiz- und Abkuhlgeschwindigkeiten werden durch Difrusionsvorgange bestimmt. Dadurch erhalten wir die Zeit t als neue Variable (T = dT/dt Aufheiz-, Abkuhlgeschwindigkeit). Warmebehandlungen werden oft kombiniert mit anderen Einfliissen auf den Werkstoff: - thermomechanische(Kap.3.5), - thermochemische (Kap. 8.5 Einsatzharten) und - thermomagnetische (Kap. 5.4 Magnetfeldgluhung) Behandlung. Wahrend der Warmebehandlung konnen sich Kristallstruktur und Gefiige des Werkstoffs durch eine Reihe von Festkorperreaktionen verandern. Im Gegensatz zu den aus der Chemie bekannten Reaktionen handelt es sich dabei um Vorgange, die im Innern eines festen Stoffes ablaufen. Fur die Warmebehandlung der Werkstoffe wichtige Reaktionen werden in den folgenden Abschnitten behandelt; s. auch Tab. 3.1. Fast alle Reaktionen im festen Zustand setzen voraus, daB einzelne Atome ihre Platze wechseln. Das wird dadurch bewirkt, daB Schwingungen im Kristallgitter oder in der Netzstruktur der Glaser es den Atomen ermoglichen, die Aktivierungsbarriere zu uberspringen, die zwischen zwei stabilen Positionen liegt. Die Amplitude der Gitterschwingungen nimmt mit der Temperatur zu und erreicht bei der Schmelztemperatur 7^ etwa 12% des Gitterabstandes a. Die Reaktionsgeschwindigkeit der in diesem Kapitel besprochenen Reaktionen ist von der thermischen Energie und damit von der Temperatur T abhangig. RT oder kT ist die thermische Energie pro Mol oder pro Atom (R Gaskonstante, k Boltzmannkonstante, Anhang A.2). Eine Ausnahme bildet nur die martensitische Umwandlung, die nicht thermisch akti-
3.1 Diffusion
89 AlCuMg z.B.ausscheidungsfahige Legierungen
alle Mischkristallegierungen
n
T>TR
500 °C 160 °C
20°C^
(^>)verfestigt
halbhart
20°C
weich gegluht
a
/
znv.
weich
ausgehartet
b
Werkzeugstahl
/"i
ausscheidungsfahige Legierung
20°C
Bild 3.1 a-d. Temperatur-Zeit-Fahrplane fur Warmebehandlungen. a Rekristallisation, b Aushartung, c Stahlhartung, d thermomechanische Behandlung Tabelle3.1. Elementare Reaktionen im festen Zustand und deren Anwendungen in technischen Warmebehandlungen. Grundvorgang
Reaktionen
Anwendungen
Abschn.
A Diffusion
individuelle Bewegung von Atomen
Oberflachenharten, Dotieren von Halbleitern
3.1
B Ausheilen von Gitterfehlern C Anderung der chemischen Zusammensetzung
Erholung, Rekristallisation Ausscheidung, Entmischung
Weichgluhen, Texturgluhen Aushartung
3.2
D Anderung der Kristallstruktur
Phasenumwandlung
Stahlhartung, Formgedachtnis
E Kombinierte Reaktionen
Kombinationen mehrerer thermo-mechanische Beelementarer Reaktionen handlung von Stahl
3.1 3.4 8.4 3.6 5.6 8.5 3.5 8.5
viert ist. Sie ist eine diffusionslose Phasenumwandlung und erfolgt durch Scherung des Kristallgitters. Ihr Mechanismus enthalt Elemente der plastischen Verformung (Kap. 4). Die martensitische Umwandlung wird am Ende dieses Kapitels behandelt, weil sie als Folge von Warmebehandlungen bei der Stahlhartung und fur Formgedachtnis und Pseudoelastizitat von Bedeutung ist (Abschn. 5.6 und 8.4). Am absoluten Nullpunkt konnen Atome und Molekiile ihre Platze nicht wechseln,
90
3 Grundlagen der Warmebehandlung
unabhangig davon, ob sie im thermodynamischen Gleichgewicht angeordnet sind oder nicht. Bei tiefen Temperaturen, T < 1/3 Tkf (Tkf = Schmelztemperatur in K) ist die Beweglichkeit in den Strukturen der Kristalle und Glaser sehr gering. Nicht dem Gleichgewicht entsprechende Zustande werden dann als »eingefroren« bezeichnet. Im Analogiemodell (Bild2.4) mufite dazu eine Kugel irgendwo am Hang angeklebt werden. Bei erhohter Temperatur sind Sprunge von Atomen auf andere Platze in der Kristall- oder Glasstruktur moglich. Dieser Vorgang wird als Diffusion bezeichnet. Bei Selbstdiffusion macht nur eine Atomart in ihrer eigenen Struktur Sprunge. Sie kann mit radioaktiven Isotopen nachgewiesen werden, da sie nicht mit einer Anderung der chemischen Zusammensetzung verbunden ist. Bei Fremddiffusion bewegt sich eine Atomart B in der Struktur der Atomart A. Voraussetzung dazu ist naturlich Loslichkeit fur B in A. Fremddiffusion findet immer in der Richtung statt, in der die Freie Enthalpie des Systems erniedrigt wird, d.h. in der Richtung des negativen Gradienten der Freien Enthalpie (3.1), der oft dem Verlauf der Konzentration centspricht. Der gerichtete Diffusionsprozess ist beendet, wenn der Gleichgewichtszustand erreicht ist, bei Diffusion von einer bestimmten Anzahl von B-Atomen in einem Kristall A, wenn die B-Atome im Mischkristall gleichmaBig verteilt sind. In Kristallen und Glasern kann eine solche Verteilung nur durch Diffusion erfolgen, wahrend in Fliissigkeiten und Gasen Stromungsvorgange viel rascher zu einer Durchmischung fiihren. Am einfachsten ist die Diffusion in den Metallen zu verstehen, wo sie interstitiell iiber Zwischengitterplatze oder iiber Platze des Kristallgitters mit Hilfe von Leerstellen erfolgen kann. In Ionenkristallen sind die diffundierenden Atome geladen. Es bewegen sich meist die kleineren Ionen mit dem Gertist der groBeren, z.B. Fe2+ in FeO bei der Verzunderung von Stahl und Eisen. Damit elektrische Ladungen vermieden werden, ist es notwendig, daft gleichwertige Strome von Ladungstragern mit positiver und negativer Ladung diffundieren. In sehr schlechten Leitern ist das nicht moglich, und es entstehen elektrische Raumladungen. Die Diffusion in kovalent gebundenen Kristallen (z.B. Si) erfolgt nur sehr langsam, da bei jedem Sprung starke Bindungen gebrochen werden mussen. Diffundieren konnen kleinere Molekiile wie H2, N2, 0 2 , H 2 0 hochstens in Glasern und Polymeren. In Kristallen bewegen sich diese Stoffe atomar. Die Molekiile der Hochpolymeren andern im festen Zustand nur ihre Form, sie konnen sich aber nicht als Ganzes bewegen. Diffundieren konnen in Kunststoffen nur einzelne auBere Atome oder Atomgruppen der Molekiilketten oder Atome einer zweiten Komponente, die z. B. als Weichmacher oder PVC-Stabilisator hinzugefugt wurde. Briiche konnen ausheilen, indem Molekixlteile aus den beiden Bruchoberflachen ineinanderdiffundieren (Kap. 4 und 9). Dem entspricht die Verbindung von Oberflachen beim DiffusionsschweiBen und beim Sintern (Kap. 11), wo aber einzelne Atome diffundieren. Die Diffusion erfolgt in Glasern meistens schneller als in Kristallen, da dort eine sehr viel groBere Anzahl von Lucken vorhanden ist, in die die Atome springen konnen. Gerichtete Diffusion von Atomen kann durch Gradienten der Konzentration (3.1), der Temperatur, aber auch durch elektrische und magnetische Felder hervorgerufen werden. Ein gerichteter Diffusionsstrom tritt immer dann auf, wenn dadurch die Freie Enthalpie des Systems erniedrigt wird. Im einfachsten Falle geschieht dies durch die Bildung eines Mischkristalls aus reineren Komponenten. Entmischung oder Verbindungsbildung erfolgen im festen Zustand aber auch mit Hilfe der Diffusion. Die Diffusion soil zunachst mikroskopisch betrachtet werden. Dabei geht es um die
3.1 Diffusion
91
o o o o o o o o
Hi ~~J A A//w
Ortskoordinate /
Hi
^2x. •e—eHi
-e-
Ortskoordinate x
O O- Q O
Ortskoordinate x
Ortskoordinate / g Bild 3.1 e-g. e Platzwechsel eines Zwischengitteratoms. f Energieverlauf, falls der Sprung bei konstanter Konzentration (A) oder im Konzentrationsgefalle (B) erfolgt. g Platzwechsel und Energieverlauf im Substitutionsmischkristall mit Hilfe einer Leerstelle (A), ohne Leerstelle ist Platzwechsel unwahrscheinlich (B)
Art und Weise, wie die Atome in den Kristall- und Glasstrukturen springen. Daraus folgen dann die makroskopischen Beziehungen, die es erlauben, den Konzentrationsverlauf abhangig von Temperatur und Zeit und damit die giinstigsten Bedingungen fur Oberflachen- und Warmebehandlungen der Werkstoffe zu berechnen. Ein Zwischengitteratom, z. B. Wasserstoff, Kohlenstoff oder Stickstoff in a-Eisen, gelangt auf einen entsprechenden benachbarten Platz durch einen Sprung iiber energetisch ungunstigere Positionen des Kristallgitters. Die dazu notwendige Energie erhalt es durch thermische Gitterschwingungen, deren Energie mit der Temperatur zunimmt, folglich nimmt auch die Haufigkeit der Spriinge mit der Temperatur zu. Die zu uberwindende Energieschwelle heifit Aktivierungsenergie // w fiir die Wanderung von Atomen. Sind die benachbarten Positionen in einer Richtung energetisch giinstiger, so erfolgen die Spriinge bevorzugt in diese Richtung. Fiir die Wanderung der substituierten Atome ist es notwendig, dafi zusatzlich zur Uberwindung der Aktivierungsbarriere ein benachbarter Gitterplatz leer ist. Deshalb hangt die Diffusion auch von der Anzahl der Leerstellen in einem Kristallgitter ab. In defekten Kristallen und in Glasern bewirken Versetzungen, Korngrenzen und die »Locher« in der Glasstruktur, daB Diffusion dort erleichtert, also Hw erniedrigt wird. In perfekten Kristallen sind bei hoheren Temperaturen immer einige thermische Leerstellen zu erwarten, die die Diffusion ermoglichen (Bild 3.1 e-g). Manche Oxide enthalten eine groBere Anzahl von strukturellen Leerstellen. Der Diffusionskoeffizient des Oxides ist dann hoch verglichen zu einem leerstellenfreien, dichten Oxid. Die letztgenannte Form des Oxids wird bei der Entwicklung zunderbestandiger Legierungen angestrebt (Kap.6.3). Diffusion setzt eine Loslichkeit der diffundierenden Atomart voraus (S.66). Sie findet
3 Grundlagen der Warmebehandlung
92
am haufigsten in der Richtung eines Konzentrationsgradienten statt. Befindet sich im Inneren eines Rohres mit der Wandstarke Ax ein Stoff mit der Konzentration cx der diffundierenden Atomart, so versuchen die Atome, durch die Behalterwand zu diffundieren, wenn auBerhalb eine Konzentration c2 < C\ herrscht. Dieser Vorgang kann analog der Warmeleitung behandelt werden. Die Geschwindigkeit (Anzahl n der Atome pro Zeiteinheit t), mit der die Atome durch einen Querschnitt der Flache A treten, ist (bei linearer Interpolation zwischen C\ und c2, Bild3.2) dt
(3.1a)
Ax
Der Konzentrationsverlauf ist bei endlichen Dicken Ax nicht linear, deshalb lautet die allgemeine Beziehung
d« J_ — — £>gradr. dt
A
(3.1b)
D ist die Diffusionskonstante. Sie ist das MaB fiir die Diffusionsfahigkeit einer Atomart B in A bei einer Temperatur T. Die Einheit von D ergibt sich aus (3.1)* gemaB Atome/m2
D • Atome / m3
(3.1c)
m als m2s_1. Die Temperaturabhangigkeit von D kann aus der Aktivierungsenergie fiir einen Atomsprung Hw berechnet werden. Der Ansatz beruht auf der Boltzmanschen Beziehung fiir die Energieverteilung, abhangig von der Temperatur. Die Anzahl «Hw der Atome mit einer Energie // w im Verhaltnis der Gesamtzahl der Atome TV betragt / // w \ _ / Aktivierungsenergie \ V RT> \ thermische Energie /'
(3.2a)
falls //w > RT'ist. Dies ist fiir die Wanderungsenergie der Atome bei der Diffusion der Fall. Fiir die Temperaturabhangigkeit des Diffusionskoeffizienten leitet sich daraus
D = D0exP(- -§-)
(3.2b)
Bild 3.2. Diffusion durch die Wande eines Rohres mit der Dicke Ax, unter Annahme eines linearen Verlauf s der Konzentration c, Ortskoordinate x Die Zusammensetzung der Legierung wird hier aus rechnerischen Griinden als Konzentration c in mol m"3 oder gm-3 angegeben (Anhang A.2).
3.1 Diffusion
93
ab. Dabei ist Q die Aktivierungsenergie fur Diffusion. Falls bei interstitieller Diffusion keine Leerstellen beteiligt sind, gilt Q = // w . Sind Leerstellen zur Diffusion notwendig, was in Substitutionsmischkristallen die Regel ist, so gilt
D
=
D
oM~^f)
(3.2 c)
CL-
Es kann sich dabei entweder um strukturelle Leerstellen, die bei alien Temperaturen vorhanden sind, oder um thermische Leerstellen handeln. In Metallen sind vor allem letztere von Bedeutung (1.14). Der Diffusionskoeffizient wird dann mitbestimmt durch die Bildungsenergie von Leerstellen
» - *«*(- # ) «P(" %) = »-«* - (*£*)
(3.2d)
und Q = HW + HB. Dies setzt voraus, daB die Zahl der Leerstellen durch das thermodynamische Gleichgewicht bestimmt ist. Durch plastisches Verformen, Bestrahlen oder schnelles Abkuhlen der Werkstoffe kann die Leerstellenkonzentration und damit D sehr stark erhoht werden. Die Tab. 3.2 bis 3.4 geben Beispiele fur Diffusionskoeffizienten in einigen Stoffen. Sie zeigen an,-daB bei kleinen Atomen, die interstitiell diffundieren konnen, die groBten Diffusionsgeschwindigkeiten zu erreichen sind, und daB die Diffusion langs Komgrenzen und Versetzungen bei tieferen Temperaturen viel schneller erfolgt als im Kristallgitter. Tabelle 3.2. Aktivierungsenergie fur Selbstdiffusion und Schmelztemperatur
Cu Ag
Au Co a-Fe W
Q kJ mol"1
K
196 184 222 280 240 594
1356 1234 1336 1760 1810 3680
QtTu 0,14 0,15 0,17 0,16 0,14 0,16
Tabelle 3.3. Diffusionskonstanten Grundgitter
diffundierende Atome
a-Fe a-Fe a-Fe y-Fe Al Cu Ni W
Fe H C Fe Cu Ni Cu W W WC(Auflosung)
wc Co
Q kJ mol"1
Ai
S I I S S S S S S S
5
•
10" 5
3 2
•
2
•
8 6 1
* Interstitielle (I) und substituierte (S) Atome
3
10" 10" 5 10" 6 10~ 9
io-7
240 12 75 270 136 125 150 590 585 730
94
3 Grundlagen der Warmebehandlung
Tabelle3.4. Diflfusionskonstante fur Gitterdiffusion (G) und Korngrenzendiffusion (KG)
Ag Fe* Zn
Ate
A*
0,09 8,8 0,14
0,7 18 0,4
2KG
kJ mol"1
kJ mol"1
90 167 59
188 280 96
* 99,7% Fe Die Aktivierungsenergie fur Selbstdiffusion ist annahernd proportional zur Schmelztemperatur eines Stoffes. Daraus ergeben sich niitzliche Regeln iiber die Temperaturen, bei denen in verschiedenen Stoffen Atome beweglich sind (Abschn.3.4, Bild3.4 und 3.5). Das wichtigste makroskopische Diffusionsproblem in der Technik ist die Berechnung des Konzentrationsprofils in der Umgebung der Mischkristalle a und P nach einer Zeit t bei der Temperatur T. Wir setzen voraus, daB a und p miteinander mischbar sind. Die Phasen a und P haben die Konzentration ca und cp. Nachdem sich das Gleichgewicht durch Diffusion eingestellt hat, ware die Konzentration der neuen Mischphase (ca ~~ £p)/2. Es soil weiter vorausgesetzt werden, daB die Atomart B in A gleich schnell diffundiert wie A in B (DA = DQ) und daB D nicht von der Konzentration abhangt. Die Zusammensetzung cm = (ca — cp)/2 ist erst nach sehr langer Zeit erreicht. Gefragt ist die Verteilung der Konzentration bei 0
. Durch Differenzieren von (3.1b) nach dem Diffusionsweg x folgt die Differentialgleichung, die die zeitliche Anderung der Konzentration beschreibt, dc
_ d2c
Bringt man zwei Stabe mit groBer Lange in Jtr-Richtung mit ihren Stirnflachen dicht zusammen, so erfullt folgende Funktion c(x), die nur vom Diffusionskoeffizienten und von den Randbedingungen ca und cp abhangt (3.3) i(siehe auch Bild 12.11 und Gl. 11.12, die Streuung o entspricht der mittleren Eindringtiefe Ax der diffundierenden Atome). x/2VDi
«„ _ i + i _ * £ * J
expM «—fefcf).
(3.4,
O
Hierin ist §die GauBsche Fehlerfunktion oder das Wahrscheinlichkeitsintegral (Zahlenwerte sind Tabellen oder dem Taschenrechner zu entnehmen, da nicht integrierbar). Sie beschreibt das AuseinanderflieBen der Konzentration um die SchweiBstelle herum und liefert eine niitzliche Naherungsformel zum Abschatzen von Diffusionswegen, die zur Bestimmung von Temperaturen und Zeiten eine fur Warmebehandlung von Werkstoffen groBe Rolle spielt. Bei dem Abstand Ax von der Nahtstelle hat sich der Konzentrationsunterschied ca - cp um die Halfte des endgiiltigen Wertes verringert auf c
a - C*
T~^,
Cp - Cp +
—*-.
95
3.1 Diffusion Bild3.3a. Verlauf der Konzentration von zwei an der Stirnflache verschweiBten Staben verschiedener Konzentration ca, cp nach der Zeit t bei einem Diffusionskoeffizienten D. a und (3 sind zwei Phasen verschiedener Konzentration. Es besteht aber vollstandige Mischbarkeit (Bild 2.10 b). Ax ist die mittlere Eindringtiefe der Atome
SchweiOnaht
Bild 3.3 b. Verlauf der Gradienten der Konzentration bei vollstandiger Mischbarkeit. £>A = £>B, t > 0, T= const.
Damit laBt sich die mittlere Eindringtiefe einer diffundierenden Atomart berechnen, wenn Diffusionskoeffizient und -zeit bekannt sind (Bild 3.3; x von der SchweiBflache aus gemessen):
Ai=VSF.
(3-5>
Eine wichtige Anwendung findet die Diffusion in der Oberflachenbehandlung von Werkstoffen. Zur Oberflachenhartung von Stahl laBt man Kohlenstoff und Stickstoff in das Eisen diffundieren. Die Loslichkeit im Eisen ist monoatomar. Folglich mussen die diffundierenden Atome erst durch chemische Reaktionen an der Oberflache des Werkstoffs gebildet werden. Diese Oberflache wird bei erhohter Temperatur in Beruhrung mit kohlenstoff- oder stickstoffabgebenden Mitteln (z. B. CO, NH 3 oder Cyaniden) gebracht. Die gewiinschte Eindringtiefe bestimmt Gliihzeit und Temperatur. Wahrend bei einer Nitrierbehandlung der Stickstoff (atomar) im krz. a-Eisen diffundiert, wird beim Einsatzharten im y-Gebiet aufgekohlt. Der ProzeB wird als Einsatz- oder Nitrierharten bezeichnet (Kap. 8). Der umgekehrte Vorgang tritt auf, wenn Stahl in Wasserstoff gegliiht wird. Der Kohlenstoff wird an der Oberflache mit Hilfe der Reaktion 2H 2 + C —• CH 4 abgefiihrt, was zur Randentkohlung des Stahls fiihrt. Auch die Oberflache von Glasern kann mit dieser Methode gehartet werden, wenn man Stoffe, die Netzwerke bilden (z. B. B 2 0 3 ), eindiffundieren la'Bt. Eine groBe Zahl weiterer nutzlicher Anwendungen der Diffusion bei der Warmebehandlung der Metalle werden in den spateren Abschnitten dieses Kapitels behandelt. Es gibt aber sehr viele
3 Grundlagen der Warmebehandlung
96
gosformigl flussig j kristallin
Bild 3.4. Temperaturabhangigkeit des Diffusionskoeff izienten wird bestimmt durch die Aktivierungsenergie Q, die fur Selbstdiffusion etwa proportional der Schmelztemperatur ist
10"
4
0
TM *
MI zunehmende Temperatur
Temperatur 1500 °C 400 200 100 25 0
I I I I
I I
I
50
I
i
yWasserstoff
1(Ph
\ ' ^
vZwischengitteratome N/(N,C)
J10" 1
BUd 3.5. Diffusionskoeffizienten und Zeit fvir einen Platzwechsel verschiedener Elemente im a-Eisen. Im y-Eisen sind die Werte hundertmal kleiner
~~ ms
-
s >»
10" k
substitutierte Atome und Selbstdiffusion
Y
I
-A*
2
nd
fe.
r,
4-1Q-J K-1 5
vr-
weitere Anwendungen z. B. das Dotieren von Halbleitem (Kap. 5.2) oder die Herstellung von Lichtleitern (Kap. 7.5). Ansatze wie (3.3) bis (3.5) konnen auch fur die Diffusion im Temperaturgradienten oder Gradienten des elektrischen Feldes gemacht werden. Diffusion im Temperaturgradienten kann z. B. in den Schneiden von Drehstahlen auftreten, da in der Schneidkante immer eine hohere Temperatur als in geringer Entfernung davon herrscht. Die dadurch hervorgerufenen Konzentrationsanderungen konnen eine Verringerung der Standzeit von Werkzeugen der spanabhebenden Formgebung (Kap. 4 und 11) bewirken. Verglichen zum fliissigen und gasformigen Zustand ist die Beweglichkeit der Atome durch Diffusion im festen Zustand sehr gering. Das zeigt sich besonders deutlich bei Bildung von Mischkristallen aus dem fliissigen Zustand. Die zuerst gebildeten Kristalle der Zusammensetzung C\ miissen namlich ihre Zusammensetzung durch Diffusion im festen Zustand andern, wahrend die Fliissigkeit ihre Zusammensetzung durch Konvektion und Fliissigkeitsdiffusion sehr viel schneller andern kann. Bei den in der Praxis auftretenden endlichen Abkuhlungsgeschwindigkeiten weicht deshalb die Zusammensetzung der Kristalle in der Weise vom Gleichgewicht ab, dafl im Kern eine Zusammensetzung cx herrscht, wahrend die auBere Schale c2 > c, erreichen kann. Die mittlere Zusam-
3.2 Kristallerholung und Rekristallisation
97
mensetzung der gebildeten Kristalle ist in Bild 2.10h eingetragen. Der Vorgang wird als Kornseigerung bezeichnet und ist ungiinstig fur die Eigenschaften von Werkstoffen, fur die eine gleichmaBige Verteilung der Atome gewiinscht wird. Die Diffusion in Halbleitern (Si) fuhrt zum Legieren mit Atomen verschiedener Wertigkeit (Al, P) und damit zu p- und n-Leitung (Abschn. 5.2). Dieser ProzeB wird in der Technik als »Dotieren« bezeichnet. Bei der Herstellung integrierter Schaltkreise spielt er eine entscheidende Rolle (Abschn. 5.2 und 11.2).
3.2 Kristallerholung und Rekristallisation Alle Baufehler, die sich nicht im thermodynamischen Gleichgewicht befinden, haben die Tendenz und bei T > 0 K die Moglichkeit, auszuheilen. Derartige Defekte (Kap. 1) entstehen z.B. durch sehr schnelles Abkiihlen von hoher Temperatur (Einfrieren von thermischen Baufehlern), bei Bestrahlung im Reaktor, bei der Kaltverformung oder als Korn- und Phasengrenzen bei der Erstarrung. Als Extremfall konnen die Glaser als Festkorper mit sehr hoher Dichte verschiedenartiger Defekte betrachtet werden. Das Ausheilen dieser Defekte ist identisch mit der Kristallisation des Glases. In der Technik haben die Ausheilvorgange Bedeutung, weil durch sie die defektbedingten Eigenschaftsanderungen im Werkstoff abgebaut werden konnen, z.B. Abbau der Strahlenschadigung im Reaktorkern und Abbau der mechanischen Verfestigung (Weichgliihen). Der einfachste Fall ist das Ausheilen von Leerstellen-Zwischengitteratom-Paaren, wie sie bei der Bestrahlung im Reaktor entstehen und von Versetzungen mit entgegengesetzten Vorzeichen (Bild 3.6). Die Kombination beider Defekte fuhrt zu ihrem Verschwinden. Diese Vorgange beginnen sofort, wenn sich der Werkstoff bei der Temperatur T > 0 K befindet. Fur die zeitliche Anderung der Konzentration an Defekten cD werden die Ansatze der chemischen Reaktionskinetik verwendet: ^ - - C ^ e x p (-|»).
(3.6)
Q ist die Reaktionsordnung. In dem Falle, daB zwei Defekte miteinander reagieren miissen, ist Q = 2. // w ist die Wanderungsenergie der betreffenden Fehlstellenart. Viele Defekte, die bei Bestrahlung im Reaktor entstehen, haben solch geringe Werte von //w, daB sie schon weit unterhalb von Raumtemperatur ausheilen, d. h. Hw < 300 R. Das Ausheilen von Versetzungen wird erleichtert durch den ProzeB des Kletterns. Durch Diffusion einer Leerstelle in den Versetzungskern riickt die Linie um einen Gitterabstand weiter. Der ProzeB lauft bei den verschiedenen Vorzeichen der Versetzungen auf eine Vereinigung beider Versetzungen (Bild 3.7) hin, da sich Versetzungen umgekehrten Vorzeichens anziehen. Die Aktivierungsenergie ist gleich oder etwas kleiner als die Wanderungsenergie fur Leerstellen. Die geschilderten Ausheilvorgange werden als Erholung des Werkstoffes bezeichnet, weil sich dadurch die Eigenschaften des defektfreien Materials wieder einstellen. In einer anderen Gruppe von Ausheilvorgangen verschwinden die Defekte nicht spurlos, andern aber ihre Identitat. In Bild 3.8 sind die wichtigsten Moglichkeiten zusammengestellt (Kondensation von Leerstellen —»Versetzungsring; Umordnung von Versetzungen mit gleichen Vorzeichen —> Kleinwinkelkorngrenze; Kondensation einer groBen Zahl von Versetzungen -» GroBwinkelkorngrenze).
3 Grundlagen der Warmebehandlung
98
defekt
c/
perfekt
Bild 3.6a u. b. Ausheilen von Defekten (Annihilation), z. B. Ausheilen von Strahlenschadigung. a Zwischengitteratome reagieren mit Leerstellen. b Versetzungen mit entgegengesetzten Vorzeichen des Burgersvektors reagieren miteinander
•
•
•
•
± ±
_L
T JL
T
±
± ±
h
y
H
Bild 3.7. Durch Eindiffusion von Leerstellen bewegen.sich Stufenversetzungen senkrecht zur Richtung von b (Klettern) als eine Ursache des Kriechens metallischer Werkstoffe (Abschn. 4.3)
^
r-
± X
±
-L
T JL
±
1 1
T
Bild 3.8 a-c Umordnung von Defekten. a Leerstellen bilden Versetzungsring. b und c Versetzungen annihilieren und bilden Kleinwinkelkorngrenze
3.2 Kristallerholung und Rekristallisation
99
WM^>^ •&*?i*ffi*x> Bild 3.9 a-d. Rekristallisation. £0 hohe Defektdichte, Q\ niedrige Defektdichte. a Beginn der Rekristallisation an ursprunglich vorhandenen Komgrenzen und an Stellen hoher Defektdichte im Kristall. b Korngrenze bewegt sich als Reaktionsfront in den defekten Kristallbereich. c Teilrekristallisierter Stahl (0.1 Gew % C), TEM. dBeginn der Rekristallisation an Oxideinschlussen in Baustahl,RLM In alien diesen Fallen nimmt die Zahl der primaren Defekte ab, und es entsteht dafur eine neue Defektart. Die Bildung vori GroBwinkelkorngrenzen spielt eine groBe Rolle in Metallen, die durch Verformung eine hohe Versetzungsdichte enthalten. Sie wird als Rekristallisation bezeichnet, da sich im Zusammenhang mit der Neubildung von Komgrenzen auch neue vollig defektfreie Kristalle bilden (Bild 3.9). Mit zunehmender Versetzungsdichte bildet sich eine zunehmende Anzahl von stark gestorten Bereichen, deren Struktur einer Korngrenze ahnlich ist. Falls sie sich bewegen konnen, werden sie als Rekristallisationskeime bezeichnet. Ihre Bewegung wird ermoglicht durch eine » Kraft«, die von dem Energieunterschied zwischen defekten und defektfreiem Kristall herruhrt (1.16): dG 1 dG (3.7 a) Qo - . f t PR = - dV A dx Die Kraft ist als Anderung der Freien Enthalpie pro Volumeneinheit des von der Korngrenze uberstrichenen Gebietes definiert. QQ ist die Versetzungsdichte vor, g1 nach Beendigung der Rekristallisation. Diese Energiedichte /?R = Jm~ 3 ist in Tab. 1.7 definiert worden. Die Energie ist zuvor z.B. beim Kaltwalzen (Kap.11.3) oder durch Bestrahlung (Kap. 5.1) in den Werkstoff eingebracht worden. Damit Rekristallisation wirklich auftreten kann, miissen die Atome beweglich sein. Das MaB dafur ist der Koeffizient der
3 Grundlagen der Warmebehandlung
100
Selbstdiffusion mit seiner Temperaturabhangigkeit (Abschn.3.2). Die Geschwindigkeit einer Rekristallisationsfront v ist v = mKG pR ~ D (g0 - Qi)
(3.7b)
wobei mKG die Beweglichkeit der Korngrenze ist, die von ihrer Struktur (Bild 1.22) und - iiber den Diffusionskoeffizienten D - von der Temperatur abhangt. Da die Bildung der Rekristallisationskeime mit der Umordnung von Versetzungen verbunden ist, die wiederum vorwiegend durch Klettern erfolgt, findet man fiir die Temperaturabhangigkeit des Beginns der Rekristallisation die Beziehung (Bild 3.10):
* = « , ( < , ) exp(-3&&.).
(3.8)
HR ist die Aktivierungsenergie fiir Rekristallisation. Sie nimmt mit zunehmender Versetzungsdichte ab. Der groBtmogliche Wert ist die Aktivierungsenergie fiir Selbstdiffusion (3.2). Der Gesamtablauf der Rekristallisation (Bild 3.10b) wird durch Gleichungen vom Typ /(/) = 1 - e x p (-Crm)
(3.9)
naherungsweise beschrieben. / ist der rekristallisierte Volumenanteil des Gefiiges zur Zeit t. Die Konstanten C und m enthalten die spezieiien Daten iiber Keimbildung und Bewegung der Rekristallisationsfront. Bei der Rekristallisationstemperatur eines Stoffes beginnt die Rekristallisation nach einer bestimmten sinnvoll festgelegten Zeit oder Aufheizgeschwindigkeit (Bild 3.10c). Die KorngroBe, die nach beendigter Rekristallisation entsteht, hangt ab von der Verse tzungsdichte und damit vom Verformungsgrad (Kap. 4) des Werkstoffes. Bei sehr kleiner Versetzungsdichte nimmt die KorngroBe zu, da sich nur die urspriinglich vorhandenen Korngrenzen bewegen konnen (Bild 3.11). Bei der kritischen Versetzungsdichte konnen sich die ersten Rekristallisationskeime bilden. Dann nimmt die KorngroBe mit zunehmendem Verformungsgrad ab. Die kleinsten KorngroBen, die durch Rekristallisation hergestellt werden konnen, liegen bei 0.5 10~ 4 cm. Auf diese Weise konnen metallische Werkstoffe mit bestimmter KorngroBe hergestellt werden. Die Erscheinungen der Rekristallisation sind aber durchaus nicht auf metallische Werkstoffe beschrankt. So kann Graphit, der im Kernreaktor nach langerer Bestrahlung eine hohe Defektkonzentration erhalten hat, rekristallisieren. Auch diinne Halbleiterschichten, die vom Aufdampfen her Defekte enthalten, oder verformte Kunststoffe rekristallisieren beim Erwarmen. Durch Rekristallisation in einem Temperaturgradienten kann eine gerichtete Reaktion erzwungen werden. Unter geeigneten Bedingungen fiihrt sie zu saulenformigen Korngefuge oder »in situ«-Faserverbundwerkstoffen (Abschn. 10.2). AuBer der KorngroBe ist die Kenntnis der Orientierungsverteilung der Kristalle nach der Rekristallisation wichtig zur Optimierung vieler mechanischer (Kap. 4) und magnetischer (Kap. 5) Eigenschaften. Die Orientierungsverteilung, die nach beendigter Rekristallisation vorliegt, wird als Rekristallisationstextur bezeichnet. Dargestellt wird sie in
3-2 Kristallerholung und Rekristallisation
101
1,0
—700 °C
-
^RE
-
1.2
1,3
^
^RB
1,4 1,5
400
^* 10u Gluhzeit
101
10z
h
103
Gluhzeit / 1500 °C
HfC/ I /faC •
1250
Re/^ V Mn X l v IO/S
o 1000
]
So
750 Cr
/
ct )
Pd/^Ti Be o r \% °Pt Fe
500 250 M
Au Cu
Pb ^
/Cd | -250
0
500
1000
1500 2000 2500 Schmelztemperatur
3000
3500 °C 4000
Bild 3.10. a Temperaturabhangigkeit des Beginns ^ und des Endes ^ der Rekristallisation von Ni — 2,4 Gew.-% Al Miscnkristallen nach 70% Kaltverformung. b Verlauf der verschiedenen Ausheilreaktionen bei isothermer Gliihung und die Anderung der Streckgrenze als Folge dieser Reaktionen (schematisch) c Die Temperatur, bei der in verschiedenen Stoffen unter vergleichbaren Bedingungen (Defektdichte bzw. Verformungsgrad, Aufheizgeschwindigkeit) die Rekristallisation beginnt, ist etwa proportional der Schmelztemperatur
3 Grundlagen der Warmebehandlung
102 Gluhzeit / = const sekundare Rekristatlisatiorf
3
10 50 90% Dickenabnahme durch Walzen
£/_/
/
Bild 3.11. Rekristallisationsschaubild von Al 99,6 (nach Dahl und Pawlek). Die nach bestimmter Verformung und Gliihen fiir gegebene Zeit und Temperatur auftretende KorngroBe kann dem Schaubild entnommen werden. Bei hohem Verformungsgrad und hoher Gluhtemperatur kann als Anomalie sogenannte sekundare Reknstallisation auftreten. Es bilden sich sehr groBe Korner mit neuer Textur. Dies ist fiir die Herstellung von Transformatorblechen wichtig (Kap. 5.4)
BUd 3.12 a u. b. Darstellung von Blechtexturen mit Hilfe der stereographischen Projektion, WR, QR Walz- und Querrichtung in der Blechebene. Die Haufigkeit der Pole der {lll}-Ebenen wird angegeben. Obere Halften: Texturen nach 95% Kaltwalzen. Untere Halften: Texturen nach Gliihen fiir 2 h bei 200 °C. a Die Walztextur von reinem Kupfer ist im wesentlichen erhalten. b Kupfer mit 0,04 w/o B4C zeigt infolge Rekristallisation eine vollig andere Verteilung der Kristallorientierungen (Wttrfeltextur, Bild 1.23)
Polfiguren (Kap. 1). Sie kann zwischen volliger Regellosigkeit und groBerer Haufigkeit bestimmter Orientierungen liegen. Im ersten Fall sind die Eigenschaften isotrop, im zweiten anisotrop, wie die der Kristalle. Das Entstehen der Texturen hangt von der Textur im Ausgangszustand (Verformungstextur, links) und von der unterschiedlichen Beweglichkeit bestimmter Korngrenzenarten beim Ablauf der Rekristallisation (3.7 b) zusammen. Die Rekristallisation bietet die Moglichkeit zur Herstellung von Werkstoffen mit bestimmten Texturen (Bild 3.12). Tiefziehbleche und Transformatorenbleche sind Beispiele fur die Anwendung der Rekristallisationstexturen (Abschn. 4.8).
103
3.3 Glasbildung
3.3 Glasbildung Die Kristallisation eines Glases unterscheidet sich von der Rekristallisation eines defekten Knstalls dadurch, dafi eine neue Phase entsteht. Deshalb ist zur Kristallkeimbildung eine Aktivierungsenergie AGK notwendig, die mit Unterkiihlung unter die Gleichgewichtstemperatur abnimmt. Fur den Beginn der Kristallisation ergibt sich daraus die Temperaturabhangigkeit (Abschn. 2.3) >K =
h exp [
kT
+
3r)=hexp
AG K (r) + Q kT
(3.10)
Fur groBe Unterkiihlung wird AGK sehr klein (2.16). Dann entsprechen sich (3.10) und (3.8). In Stoffen, die leicht Glaser bilden, ist aber g s o groB (Tab. 7.5), daB in der unterkuhlten Fliissigkeit die Diffusion so langsam erfolgt, daB sehr groBe Zeiten bis zum Beginn der Kristallisation notwendig sind. Q kann interpretiert werden als die Wanderungsenergie der Defekte, die die Umordnung der Molekiile oder Atome zu Kristallkeimen erlaubt. Diese ist aber dann sehr groB, wenn Vernetzung durch starke kovalente Bindung auf tritt oder die asymmetrischen Molekiile starke Aktivierung benotigen, urn sich in die fur Kristallisation notwendige Lage zu drehen. Die wichtigsten Glasbildner sind daher die Silikate und Borate, die Elemente Ge, Si, P, S und die hochpolymeren Molekiile (Bild 3.13 und 3.14, Abschn. 7.4 und Kap. 9). Viele Werkstoffe bestehen aus einem Glas-Kristall-Gemisch, zum Beispiel die thermoplastischen Polymere, Porzellan, Glaskeramik. Metallische Glaser entsteheh nur nach sehr hohen Abkiihlungsgeschwindigkeiten bevorzugt in Legierungen, in denen die Metallatome, wie Fe, durch Legierungselemente, wie B, daran gehindert werden, sich zu feinkristallinen Gefiigen umzuordnen. Die Struktur der metastabilen Fliissigkeit friert beim Glasiibergang ein. Dieser ist deshalb abhangig von der Abkiihlungsgeschwindigkeit t= dT/dt.
fa Temperotur
Bild 3.13. a Bedingungen der Bildung von Glasstrukturen. Die Abkuhlungsgeschwindigkeit muB hoch genug sein, daB Kristallisation nicht beginnen kann (ausgezogene Kurve), bevor tiefe Temperaturen erreicht sind. Metalle kristallisieren so schnell, daB dieser Zustand nur in besonderen Legierungen und in Dicken <100um (Tab. 8.10) selten erreichbar ist. b Volumenanderung bei Abkiihlung mit und ohne Kristallisation, T2 > T2
104
3 Grundlagen der Warmebehandlung
3.4 Umwandlungen und Ausscheidung Folgende Reaktionen, die beim Ubergang vom fliissigen in den festen Zustand auftreten (Kap. 2), konnen auch vom festen Zustand ausgehen:
Umwandlung der Kristallart a in |3, wie beim Eisen, Si0 2 , PTFE oder beim Kohlenstoff (Tab. 2.1).
a^a + p Neubildung einer Kristallart (5 in a, das nicht seine Kristallstruktur, sondern nur seine Zusammensetzung von a^ (iibersattigt) auf a (Gleichgewicht) andert. Diese Reaktion tritt auf, wenn die Loslichkeit einer Atomart mit der Temperatur abnimmt, und wird als Ausscheidung von p bezeichnet.
a-> P + 7 Gleichzeitige Neubildung von zwei Phasen aus a. Diese Umwandlung ist analog der eutektischen Erstarrrung und wird eutektoide Umwandlung genannt (Bild 2.10g). In alien Fallen wird wieder das thermodynamische Gleichgewicht angestrebt. Im Gegensatz zum Ausheilen von Defekten ist immer eine neue Phase als Reaktionsprodukt zu erwarten, da es sich bei Ausscheidung urn Atome und nicht urn Leerstellen handelt. Die Atome miissen zum Erreichen des Gleichgewichtszustandes die Platze wechseln. Die Vorgange sind abhangig von der Diffusion und damit von der Zeit. Fur die Temperaturabhangigkeit der Zeit bis zum Beginn einer Umwandlungs- oder Ausscheidungsreaktion kann der Ansatz (3.10) verwendet werden. In alien Fallen ist Keimbildung notwendig. Der Transport der Atome geschieht durch Selbstdiffusion fur Umwandlung eines reinen Stoffes oder durch Fremddiffusion fur Ausscheidung und eutektoide Umwandlung. Die Keimbildung im Inneren von festen Stoffen wird dadurch erschwert, daB auBer dem Aufbau der Grenzflachen auch noch die
Bild 3.14. Bedingungen, unter denen verschiedene Reaktionen im festen Zustand auftreten 1 Ausscheidung, 2 eutektoide Umwandlung, 3 y—»P-Umwandlung
3.4 Umwandlungen und Ausscheidung
105
Bild 3.15. a Ausscheidung einer Phase ft im Kristallgitter von a und an Korngrenzen. b Diskontinuierliche Ausscheidung. Eine Korngrenze bewegt sich in den ubersattigten Mischkristall a^. Es entsteht ein lamellares Gefiige aus a und /?. c Moglichkeiten fur den Zusammenhang von Grundgitter a und Teilchen ft: inkoharent, teilkoharent, koharent Verzerrung des umgebenden Kristalls Energie fordert. Andererseits gibt es besondere Falle, in denen die Abmessungen von Grundgitter und Ausscheidungsphase so gut iibereinstimmen, daB die Grenzflachenenergie oap sehr gering ist. In diesem Fall erhalt man durch homogene Keimbildung sehr feine Verteilung der Ausscheidungsteilchen, was bei der Entwicklung von hartbaren Aluminiumlegierungen fiir den Flugzeugbau und fiir Nickellegierungen fiir Turbinenschaufeln ausgenutzt wird (Abschn. 8.4). Unterscheiden sich dagegen die Strukturen von a und p sehr, oder miissen zwei Phasen gleichzeitig gebildet werden, wie bei der eutektoiden Reaktion, so wirken Gitterstorungen, besonders Versetzungen und Korngrenzen als bevorzugte Orte fiir heterogene Keimbildung. Diese Defekte reduzieren die Energie, die aufgebracht werden muB (2.16 a) umso starker, je mehr sie zur Grenzflachen- oder Spannungsenergie beitragen konnen. Das fiihrt dann zu einer Verteilung der Phase, die durch die Verteilung der Defekte bestimmt ist, und die im allgemeinen ungleichmaBiger ist als bei homogenen Keimbildung (Bild 3.15). Die Zeitabhangigkeit der Konzentration bei einem Ausscheidungsvorgang hangt von den Keimbildungsbedingungen und den Diffusionsbedingungen beim Wachstum ab. Der Radius eines kugelformigen Teilchens rj andert sich abhangig von der Zeit nach der Beziehung (Gl. 3.5): rT = a(Dt)l/2.
(3.11)
Darin ist D der Diffusionskoeffizient der Atomart, die zum Wachstum des Teilchens diffundieren muB, und a durch die Randbedingungen der Konzentration (Gleichgewichtskonzentration im Teilchen und Mischkristall und Ausgangskonzentration) gcge-
3 Grundlagen der Warmebehandlung
106 0,8 •10-3 K-1
/"E = 638°C
. 1.2
1,6
V
° >AA A
4\A
'AE
^^
S>
"V>NA
-
500 °C 400 K
-
300 g .
—250'
2,0
f
-
C i<& > 10"
0°
102 Gluhzeit /
104
10b
h
108
i
1
Keimbildung ubersattigter Mischkristall
0 /? .
lAusscheid-/ , ung /
Teilchenwachstum
/
\^y
]
Zeit/
Zeit / /?pi
I ausgehartet^N^uberaltert
b
/AA
<\E
Zeit /
Bild 3.16. a Temperaturabhangigkeit des Beginns (fAA) und des Endes (fAE) der Ausscheidung von Eisen aus Aluminium, Al + 0,04 Gew.-% Fe. b Verlauf von Ausscheidung (Volumenanteil) und Teilchenwachstum (Teilchenradius rT) bei isothermer Gluhung und die Anderung der Streckgrenze Rp als Folge dieser Reaktionen, schematisch
ben. Daraus folgt fur den ausgeschiedenen Volumenanteil f(t) ~ tm. Fiir den Anteil der zur Zeit t ausgeschiedenen Atome/ergibt sich dann fur/<0,2 (Bild 3.16b) /(0 = l-exp(-|)3/2,
(3.12)
wobei in rder Diffusionskoefflzient und damit die Temperaturabhangigkeit und die fur die betreffende Reaktion erforderlichen Konzentrationsanderungen enthalten sind. r wird als Relaxationszeit bezeichnet. Es ist diejenige Zeit, nach der die Reaktion zu 63% vollstandig ist. Sie kann durch Extrapolation der f(t) Kurve n a c h / = 0,63 experimentell ermittelt werden (Bild 3.16). B e i / = 1 ist die Ausscheidung vollstandig, die Gleichgewichtszusammensetzung erreicht. Ist die Reaktion im festen Zustand entweder mit grofier Volumenanderung oder mit Anderung der Gittergeometrie verbunden, oder miissen zwei Phasen gleichzeitig neugebildet werden, so ist die Aktivierungsenergie fiir Keimbildung sehr hoch. Dann ist zu
3.4 Umwandlungen und Ausscheidung
107
erwarten, daB Komgrenzen bevorzugte Orte der Phasenneubildung sind. Unter diesen Voraussetzungen findet wahrscheinlich ein autokatalytischer oder diskontinuierlicher Proz^B statt. Ahnlich wie bei der Rekristallisation bewegt sich dann eine Korngrenze als Reaktionsfront in den ubersattigten Mischkristall hinein und lafit hinter sich den Gleichgewichtszustand. Das bringt gleich zwei Vorteile fur den Ablauf der Reaktion. Die Korngrenze clRubt uberall Keimbildung mit niedriger Aktivierungsenergie und schnellen Abtransport von Atomen durch Korngrenzendiffusion (Bild 3.15 b). Die y-»a-Umwandlung des Eisens ist mit groBer Volumenanderung (1-2%) verbunden. Sie beginnt an den Komgrenzen y-Eisens. Beim Wachsen der a-Eisen-Kristalle brauchen die Eisenatome dann nur iiber die Grenzflache a- und y-Phase zu springen, ohne daB weitere Diffusion notwendig ist. Die Aktivierungsenergie fiir den Vorgang ist deshalb kleiner als fiir Selbstdiffusion. Beim Ablauf eines Ausscheidungsvorgangs kann die hohe Beweglichkeit der Atome in der Korngrenze ausgeniitzt werden. Der Konzentrationsunterschied vor und hinter der Front ist einer Energiedichte (/?c = Jm~3) proportional und hat vieder eine »Kraft« zur Folge, die die Korngrenze in den ubersattigten Kristall hineintreibt: /> c * -^RTcoln^.
(3.13)
Vm ist das Molvolumen, c0 der Gehalt an Fremdatomen und c\ hinter der Front eines (idealen) Mischkristalls. Die Geschwindigkeit v, mit der sich die Reaktionsfront bewegt, ist unter der Voraussetzung, daB die Diffusion nur langs der Korngrenze mit dem Diffusionskoeffizienten Z\ G » D ablauft v=A ^ -
(3.14)
Bei dieser Reaktion bildet sich die Phase p entweder als Stabchen oder als Platten in a. Diese stehen senkrecht auf der Reaktionsfront. Falls der Volumenanteil von p nicht zu klein ist, bildet sich eine lamellare Anordnung der beiden Phasen mit dem Lamellenabstand d. Die Dicke 6 der Korngrenze, durch die der Diffusionsstrom flieBt, betragt ~ 0,5 nm. Diese Reaktion kann bei der Herstellung von Verbundwerkstoffen mit sehr feiner Verteilung der Phasen verwendet werden, wenn es gelingt, eine ebene Reaktionsfront in einer Richtung durch das Material laufen zu lassen (Abschn. 10.2). Die wichtigste eutektoide Reaktion tritt in Eisen-Kohlenstoff-Legierungen auf (Bild 3.17 und 0.5). Aus dem Y-Mischkristall muB sich fast kohlenstoff-freies a-Eisen und das Karbid Fe3C bilden: y-Fe -> a-Fe + Fe3C .
(3.15)
Diese Reaktion beginnt immer an den Komgrenzen des y-Mischkristalls, in die ein lamellares Phasengemisch hineinwachst. Der Transport der Kohlenstoffatome erfolgt in diesem Fall nicht bevorzugt iiber die a-y-Phasengrenze, sondern in der a-Phase, die einen verhaltnismaBig hohen Diffusionskoeffizienten Da besitzt. Die Geschwindigkeit der Reaktionsfront berechnet sich in diesem Falle zu
v =A A .
( 3.1 6)
3 Grundlagen der Warmebehandlung
108
a
b
10'6 10"5 1 0 ' W s 10"2 Wachstumsgeschwindigkeit v
10z nm 103 Lamellenabstand d
Bild 3.17. a Die eutektoide Reaktion y-Fe -> a-Fe + Fe3C beginnt an den y-Komgrenzen und fiihrt zu einem lamellaren Gefiige (Perlit Bild 0.5). b Geschwindigkeit der Reaktionsfront und Lamellenabstand, abhangig von der Temperatur in einem Stahl mit 0,7 Gew.-% C. (Nach R. F. Mehl)
Bild 3.18. a Kugelgraphit im y-Eisen. Die Pfeile geben die Richtung der hexagonalen c-Achse der Graphitkristalle an. Diese Kristallisationsform des Graphits fiihrt zu schmiedbarem GuBeisen. b Ein Spharolith in thermoplastischen Kunststoffen besteht aus radial angeordneten Faltkristallen
Die Reaktionsfronten wachsen mit konstanter Geschwindigkeit, bis sie mit den an anderen Keimstellen gebildeten Fronten zusammenstoBen. In (3.14) und (3.16) sind nicht nur die Diffusionskoeffizienten, sondern auch die Lamellenabstande dtemperaturabhangig. Man findet, daB d ~ (TE - 7")-1, also umgekehrt proportional ist zur Unterkiihlung unter die eutektoide Gleichgewichtstemperatur, da mit zunehmender Unterkiihlung mehr Energie fur die Bildung der Phasengrenzen zur Verfugung steht. Das lamellare Phasengemisch aus den Phasen a-Eisen und Fe3C ist in vielen Stahlen vorhanden. Es wird als Perlit bezeichnet (wegen seines perlmuttartigen Glanzes im Lichtmikroskop). Eng verwandt mit den diskontinuierlich ablaufenden Reaktionen ist die spharolithische Kristallisation. Sie geht meist aus von einer unterkiihlten Fliissigkeit, einem Glas oder von sehr defekten Kristallen. Das Wachstum beginnt an einem Ort, an dem heterogene Keimbildung moglich ist, z. B. ein kleiner Fremdkristall. Von da aus bewegt sich die Kristallisationsfront als Kugelflache in das gestorte Material, bis die Kugelkristalle zusammenwachsen. In hochpolymeren Kunststoffen hort das Wachstum vorher auf, falls die Temperatur nicht sehr hoch ist. Der Grund dafiir ist, daB die Molekiilketten vor der
109
3.5 Thermische Stabilitat
Kristallisationsfront sich stark verbiegen miissen, was ihre Energie erhoht und weiteres Wachstum behindert (Bild 9.3). Aus diesem Grunde sind viele wichtige Kunststoffe, wie z. B. Polyathylen, teilkristallin. Andere wichtige Werkstoffe, die Spharolithe enthalten, sind das schmiedbare GuBeisen mit Graphitkugeln in der Eisengrundmasse und die glaskeramischen Werkstoffe mit Kristallkugeln in der Glasgrundmasse. Die Spharolithe sind keine Einkristalle, sondern vielkristalline Aggregate (Bild 3.18a). Die Spharolithe des Polyathylens haben einen etwas komplizierteren Aufbau, der in Bild 3.18b schematisch gezeigt wird (Bild 8.23 und 9.3).
3.5 Thermische Stabilitat vom Mikrostrukturen Zustande, die weder einem stabilen noch einem metastabilen thermodynamischen Gleichgewicht entsprechen, konnen trotzdem iiber sehr lange Zeiten bestandig sein, wenn die Diffusionsvorgange, die zum Einstellen des Gleichgewichts notwendig sind, sehr langsam ablaufen. Derartige Zustande sind bereits als »eingefroren« bezeichnet worden. Durch schnelles Abkiihlen eines Mischkristalls, dessen Loslichkeit mit sinkender Temperatur abnimmt, konnen die bei hoher Temperatur gelosten Atome eingefroren werden. Ebenso werden beim schnellen Abkiihlen immer thermische Leerstellen eingefroren. Das Einfrieren der Flussigkeitsstruktur fuhrt zur Glasbildung. Die kritische Abktihlungsgeschwindigkeit, die fur einen Einfriervorgang notwendig ist, kann man am besten an einem Zeit-Temperatur-Schaubild ablesen, in das der Beginn einer Ausscheidungs-, Umwandlungs- oder Ausheilreaktion eingetragen wurde (Bild 3.13). Auch alle Defekte, die bei tiefen Temperaturen, bei der Bildung von Aufdampfschichten, bei Bestrahlung oder bei plastischer Verformung entstehen, sind eingefroren. Damit sie innerhalb technisch vernunftiger Zeiten ausheilen, mu6 der Werkstoff erwarmt werden, wie es im vorangehenden Abschnitt besprochen wurde (Bild 3.10). Als Faustregel gilt, daB die Beweglichkeit eingefrorener Defekte und Atome, fur deren Bewegung etwa die Aktivierungsenergie der Selbstdiffusion notwendig ist, in folgender Weise auf ihre Schmelztemperatur Tu bezogen werden (da 0SD etwa proportional 7kf, Tab. 3.1): T < 0,3 TM 0,3 TM
T > 0,6 TM
eingefrorener Zustand; Ausscheidungs- und Ausheilvorgange laufen langsam (in Stunden oder Monaten) ab; die Reaktionen laufen sehr schnell (in Sekunden oder Minuten) ab.
Diese Regeln gelten nicht fur kleine Zwischengitteratome (z. B. H, C, N im Stahl). In diesem Fall ist nennenswerte Diffusion bei viel tieferen Temperaturen moglich. Genaue Auskunft iiber die Reaktionskinetik gibt ein Zeit-Temperatur-Umwandlungsschaubild (Bilder3.13, 3.16, 8.21 und 8.22) und die Beziehungen (3.2), (3.5), (3.8), (3.10). In Legierungen tritt bei thermomechanischen Behandlungen haufig der Fall auf, dafi sowohl Atome in Ubersattigung als auch Defekte vorhanden sind, die das Bestreben
110
3 Grundlagen der Warmebehandlung
a b Bfld 3.19. a In defekten ubersattigten Mischkristallen verhindern sich ausscheidende Teilchen die Umordnung von Versetzungen und damit Erholung und Rekristallisation, Beispiel: Anlassen von Martensit (Kap. 8). b Rekristallisation und diskontinuierliche Ausscheidung (Bilder 3.9 und 3.15 b) konnen in einer kombinierten Reaktion gleichzeitig auftreten, Beispiel: kaltverformte iibersattigte Mischkristalle
Bild 3.20 a u. b. a Temperatur-Zeit-Plan der thermomechanischen Behandlung einer ausscheidungsfahigen Legierung. b Unterhalb der Temperatur Tu konnen kombinierte Reaktionen (Ausscheidung + Rekristallisation) auftreten (thermomechanische Behandlung, Kap. 8)
haben, auszuheilen. Dazu mu8 z. B. eine abgeschreckte, ausscheidungsfahige Legierung kaltgewalzt werden (Bild 3.20a). Fur die Beurteilung des Verhaltens solcher Werkstoffe muB berticksichtigt werden, da6 sich Rekristallisation und Ausscheidung unter bestimmten Voraussetzungen gegenseitig beeinflussen (Bild 3.19 und 3.20). Den Schlussel dazu liefern (3.8) und (3.10) fur den Beginn der beiden Reaktionen. Es lassen sich fur derartige Werkstoffe drei Bereiche mit verschiedenen Reaktionstypen unterscheiden, die sowohl fur effektives Weichgluhen, als auch fur die Herstellung harter Gefuge von groBer Bedeutung sind:
3.5 Thermische Stabilitat
111
Rekristallisation im homogenen Mischkristall, Rekristallisation gefolgt von Ausscheidung, gleichzeitige Rekristallisation und Ausscheidung. Fur die Praxis der Warmebehandlung ist die Bedingung wichtig, bei der sich keine diskontinuierliche Reaktionsfront mehr bewegen kann. Dies kann dadurch zustande kommen, daB gleichmaBig verteilte Teilchen mit einem Radius r und einem Volumenanteil/die Bewegung der Korngrenzen (Energie Yaa) hindern, d.h. eine riicktreibende Kraft pT = ^ ^
(3.17)
2r
ausiiben. Ist die Bedingung/>p =^/?R + pA erfiillt, kann keine diskontinuierliche Reaktion mehr stattfinden. Das Ausheilen der Defekte geschieht dann gekoppelt mit dem Wachstum der Ausscheidungsteilchen als der langsamstmogliche ProzeB. Dieser ProzeB wird in der Technik immer angestrebt, wenn eine kombinierte Hartung durch Baufehler und Teilchen angestrebt wird, wie z. B. in Stahlen mit hoher Zugfestigkeit (Kap. 8) oder in Dauermagneten (Kap. 5). Ebenso werden Dispersionen von Teilchen verwendet, um das Kornwachstum von Metallen (Abschn. 8.2) und Legierungen beim Gliihen bei hohen Temperaturen (Oberhitzungsempfindlichkeit) herabzusetzen (Abschn. 8.5). Nach Ende der Rekristallisation und der Ausscheidung bleiben KorngroBe dKG und Teilchenradius rT nicht konstant. Vielmehr findet weiteres, wenn auch verlangsamtes Wachstum statt. Die Triebkraft dafiir stammt aus den Energien der Korngrenzen und Grenzflachen der Teilchen: 4CG ~ ( ACG 0 1 / 2 Kornwachstum, ~f/>W3 rT~(Dt)
(3.18)
Teilchenvergroberung.
(3.19)
Diese Wachstumsvorgange bestimmen z. B. die Eigenschaften von warmfesten Legierungen, die uber langere Zeit erhohten Temperaturen ausgesetzt sind. Es muB angestrebt werden, daB das Wachstum langsam erfolgt, damit die Eigenschaften sich moglichst wenig andern. Tabelle 3.5. Strukturtypen fester Stoffe nach Ursache ihres Entstehens Struktur
Bedingung
Beispiel
stabiles Gleichgewicht metastabiles Gleichgewicht
Gs = min Gm - min
eingefrorenes Gleichgewicht
D«0
graues GuBeisen, AISi (Silumin) a-Fe + Fe3C im Stahl a-Al + 0'Al2Cu in Al-Cu-Legierung Glas, ubersattigter Mischkristall, Martensit lamellare Eutektika, Eutektoide
dissipativ kunstlich zusammengefugt
- = max? D=0
Beton, Verbundwerkstoffe, Integrierte Schaltkreise
C?s < Gm freie Enthalpien, D effektiver Diffusionskoeffizient, S Summe der Reaktionsentropien, dS/dt Entropiebildungsrate.
3 Grundlagen der Warmebehandlung
112 3.6 Martensitische Umwandlung
Im Abschn. 3.5 ist der Fall behandelt worden, daB ein Ungleichgewichtszustand einfrieren kann, wenn es gelingt, durch schnelles Abkuhlen Temperaturen zu erreichen, bei denen die Platzwechselvorgange sehr langsam ablaufen. Die Warmebehandlung, die einen ubersattigten Mischkristall in ausscheidungshartbaren Al-Legierungen erzeugt, wird als Temperatur-Zeit-Diagramm in Bild 8.10 gezeigt. In anderen Legierungen, so in denen des Eisens, tritt eine ganz besondere strukturelle Phasenumwandlung auf. Die Triebkraft der Reaktion, gemessen als Unterschied der Freien Enthalpie des stabilen (a) und des instabilen (y) Zustandes AGay = Ga—GY nimmt etwa proportional zur Unterkuhlung unter die Gleichgewichtstemperatur einer Phasenumwandlung zu (2.10). In Kristallen gibt es die Moglichkeit, daB die stabilere Kristallstruktur durch eine Scherung aus der weniger stabilen Struktur entsteht. Ein einfacher Fall ist dann gegeben, wenn aus dem kfz Gitter eine hd Kugelpackung entstehen soil. Dann braucht sich namlich nur die Stapelfolge der {lll}-Ebenen zu andern, was durch eine Scherung in einer (112) Richtung in dieser Ebene geschehen kann und in Co und seinen Legierungen sowie im Manganhartstahl (Fe + 12 Mn, 1.2 C, Gew%) beobachtet wird (Abschn. 1.4, Bild 3.21 a). Auch bei geometrisch etwas komplizierteren kristallographischen Beziehungen konnen Kristallstrukturen durch Scherung umwandeln. Diese Scherung muB meist im Inneren eines Kristallits, d.h. eines Korns im Gefuge vor sich gehen (Bild 3.21 b, c, d). Falls ein groBerer Block homogen abscheren wiirde, wie die Anderung der Kristallstruktur es fordert, so miiBten sehr groBe Formanderungen und damit Spannungen auftreten. In Wirklichkeit beobachtet man, daB die Umwandlung in schmalen Scheiben erfolgt, die plastisch aufeinander abgleiten. Dadurch wird erreicht, daB die Form des Umwandlungsproduktes im wesentlichen die Form des Grundgitters beibehalt, in dem es entsteht. Es tritt aber eine innere Verformung auf, die dazu fuhrt, daB die Versetzungsdichte stark erhoht und der durch die Umwandlung entstehende Kristall verfestigt wird (4.16). Eine Folge der inneren plastischen Verformung ist, daB die Umwandlungstemperatur (Bild 3.22; Ms Martensitstart) nicht nur vom thermodynamischen Gleichgewicht (Bild 2.5), sondern auch von den mechanischen Eigenschaften der Legierung abhSngt. Die Umwandlung konnte bei T0 beginnen, wenn Ga = Gy ist. Um die Keimbildung und die innere plastische Verformung zu ermoglichen, muB aber noch um AT = T0- Ms unterktihlt werden. Bei einer Temperatur Ms, die weit unter der Gleichgewichtstemperatur T0 liegen kann, beginnt diese Umwandlung (Bild 3.21 a). Im Gegensatz zu den bereits besprochenen Reaktionen erhoht sich nur bei weiterer Abkiihlung der Volumenanteil des Martensits/«, nicht aber mit zunehmender Zeit (Bild 3.21 b). MS=T0-T
A ,
- -[^r
(3.20 a)
(3 2ob)
-
Dabei ist Teine Temperatur Mf
(3.20 c)
113
3.6 Martensitische Umwandlung
t—T—T—T—T—f—T—T
1 1 I r \
V
T T / / \ \ f T T 1 1 H V V// 1 i
s TCCM
1 1/\ ly* i
1 \-\i I <
i—4—i—•—A—1—•—i
Bild 3.21a-d. Strukturelle Kennzeichen der martensitischen Umwandlung, a Anderung der Kristallstruktur (hier der Stapelfolge von AB AB (hexagonal dichteste Packung) ... zu ABC ABC (kubisch flachenzentriert) ...) durch Scherung. b Scherung im Innern des Matrixgitters. c Innere plastische Verformung der umgewandelten Phase zur Beibehaltung der Form, d Martensitkristall C*M in einem y-Kristall zwischen zwei Korngrenzen Diese Umwandlung benotigt also keine individuellen Sprunge der Atome durch Diffusion. Die Umwandlungstemperatur kann durch eine auBere Schubspannung erhoht werden. In einem Temperaturbereich AT = T0 — Ms wird die Phasenumwandlung durch eine auBere Schubspannung ra ausgelost: Spannungsinduzierte Umwandlung. dMs Yya dr a A S]ya
(3.21)
ra ist die Schubspannungskomponente in Richtung der kristallographischen Scherung und ASya die Umwandlungsentropie (Abschn. 2.9). In der Technik spielt die martensitische Umwandlung des kfz in krz Gitter eine wichtige Rolle als Grundlage der Stahlhartung. Das instabile Gitter des Austenits muB dazu so schnell abgekiihlt werden, daB die diffusionsabhangige eutektoide Reaktion nicht mehr beginnen kann. Unter dieser Voraussetzung kann die diffusionslose Umwandlung bei hinreichender Unterkuhlung des Austenits bei Ms beginnen. Da kein Platzwechsel der Atome auBer homogener Scherung und der plastischen Verformung stattfinden kann, sind die Zusammensetzung von Ausgangs- und Endgitter genau gleich. Bei der Umwandlung der Fe-C-Mischkristalie gelingt es so, den hohen, in y-Eisen loslichen Kohlenstoffgehalt ins raumzentrierte Gitter zu bringen (Bild 3.22). Die damit verbundene Mischkristallhartung und die Hartung durch die bei der inneren Verformung entstandenen Versetzungen wirken zusammen (Bild 4.22 b,c) und sind die Ursache fur die hohe Harte schnell abgekuhlter Eisen-Kohlenstoff-Legierungen (Kap. 8, Bilder 8.20, 8.21, 8.22, 8.25, 8.28, 8.29). Eine andere Anwendung findet die martensitische Umwandlung beim »Formgedachtnis«-Effekt. In manchen kubisch raumzentriert geordneten Kristallen (CsCl-Gittertyp, CuZn, TiNi, AlNi, Bild 2.2) tritt eine martensitische Umwandlung in der Nahe der Raumtemperatur auf. Wahrend in den Stahlen diese Umwandlung nur in eine Richtung zum Martensit erfolgt, ist sie in diesem Falle reversibel. Die Hin- und Riickumwandlung findet in einem Temperaturbereich von etwa 20 °C statt, wahrend die Eisenlegierungen mehrere hundert °C zur Ruckumwandlung uberhitzt werden mussen
114
3 Grundlagen der Warmebehandlung
\
y- Mischkristoil im Gleichgewicht
V y-MischkristalL \ubersattigt*- ^ Eutektoid:a+Fe3 C
\ iv+^f
V
'
1
•
~S>
kritische Abkuhlungsgeschwindigkeit
v
Zeit log /
Bild 3.22. a Zeit-Temperatur-Umwandlungsschaubild, Ms ist unabhangig von der Zeit. b Anteil martensitischer Phase nimmt mit Unterkiihlung unter Ms zu und erreicht ~ 100% bei Mt. Fur die Stahlhartung muB die kritische Abkuhlungsgeschwindigkeit iiberschritten, die Martensittemperatur unterschritten werden
/•^^;T:5tt.:
Bild 3.23. aTeilweisemartensitisch umgewandelte y-Fe Ni Co Ti Legierung, RLM. b Bainitische (Zwischenstufe) Umwandlung eines y-Fe Cr C Stahls, REM (G. Speich)
3.7 Heterogene Gefuge
115
und dann die Temperaturen so hoch sind, daB Diffusion zur Bildung von Karbiden fiihrt. Zuerst an CuZn (P-Messing) wurde entdeckt, daB eine sehr groBe Formanderung auftritt, falls diese Umwandlung unter auBerer mechanischer Spannung erfolgt. Bei der Ruckumwandlung wird diese Langenanderung wieder riickgangig gemacht, d.h. eine Probe nimmt ihre ursprungliche Form wieder an. Dieser Effekt wird heute technisch genutzt, z.B. fur temperaturabhangige Schalter, Roboterhande, sowie fur losbare Schrumpfverbindungen (siehe auch Kap.5.6). Eine weitere Anwendung der martensitischen Umwandlung ist im verschleiBfesten Manganhartstahl (X 120 Mn 12) gegeben. Der metastabile y-FeMn-C-Mischkristall wandelt an geriebenen Oberflachen mechanisch in eine martensitische Phase mit hohem VerschleiBwiderstand um. Besonders giinstig ist, daB sich diese Schicht an den am starksten beanspruchten Stellen standig erneuert. Die martensitische Umwandlung fuhrt durch Scherung von etwa 20° zu einer betrachtlichen Anderung der Kristallstruktur. Sie ist eine difrusionslose strukturelle Phasenumwandlung. Es gibt auch Umwandlungen, die bei relativ tiefen Temperaturen'ablaufen, die aber nicht mit groBen Anderungen der Kristallstrukturen verbunden sind. Vielmehr andern sich andere physikalische Eigenschaften. Wichtig sind die Umwandlungen para —> ferromagnetisch und para -> ferroelektrisch, die nur mit geringen Gitterverzerrungen verbunden sind (Magnetostriktion, Piezoelektrischer Effekt). Diese Umwandlungen spielen fur Sensor- und Aktorwerkstoffe eine wichtige Rolle (Kap. 5, Tab. 3.6).
3.7 Heterogene Gefiige Ziel von Warmebehandlungen ist es immer, dem Werkstoff eine bestimmte Mikrostruktur zu geben, die wiederum zu den gewunschten makroskopischen Eigenschaften (Kap. 4 bis 6) fuhrt. Die verschiedenen Ebenen der Struktur (Tab. 1.1, Abschn. 1.6) kommen auch in den Werkstoffbezeichnungen vor (Kap. 12): Atome - Ni-Stahl, Phasen - austenitischer Stahl, Gefuge - Feinkornstahl, Halbzeug-Trafoblech. Wir haben gesehen, daB das Gefuge in weiten Grenzen durch thermische, mechanische und andere Behandlungen variiert werden kann. In der Werkstofrwissenschaft spielt das Gefuge eine zentrale Rolle. Deshalb ist seine vollstandige und zahlenmaBige Beschreibung eine wichtige Aufgabe unseres Fachgebiets. Es werden vier Gefugeelemente festgelegt, aus denen alle Gefiige zusammengesetzt sein konnen. Sie gelten im Prinzip auch fur keramische und hochpolymere Werkstoffe. Die Gefugeelemente werden gebildet durch die null- bis dreidimensionalen Storungen des perfekten Gitteraufbaus. Dazu sollen noch zwei Arten der Anisotropic: die Kristall- und die Gefugeanisotropie unterschieden werden. In Tab. 3.5 sind die Moglichkeiten der Herstellung der Gefugeelemente und ihrer technischen Anwendungen angegeben. Die Kunst der Warmebehandlung besteht im Wesentlichen darin, diese Gefugeelemente herzustellen, zu optimieren und dadurch die giinstigsten Eigenschaften zu erzielen. Technische Legierungen enthalten fast immer mehr als eines, haufig viele dieser Elemente. Die theoretische Verknupfung der Gefugeparameter mit Werkstoffeigenschaften wie Streckgrenze, elektrische Leitfahigkeit oder ferromagnetische Hysterese ist eine weitere wesentliche Aufgabe der Werkstoffwissenschaft. In der Praxis der Werkstoffentwicklung und der Warmebehandlung strebt man
116
3 Grundlagen der Warmebehandlung
an, durch Optimieren dieser Gefugeelemente gunstigste technische Eigenschaften der Werkstoffe zu erzielen (Bild 0.1). Eine wichtige Rolle spielen in alien Werkstoffgruppen die zwei- und mehrphasigen Stoffe, die in Tab. 3.4 als dreidimensionale Storungen eingeordnet wurden. Die Phasen sind entweder Kristalle oder Glaser. Gase spielen eine Rolle, wenn Sie von den festen Phasen z. B. in Schaumstoffen eingeschlossen sind. Durch die geeignete Anordnung von verschiedenen Phasen konnen die Eigenschaften eines Werkstoffes in sehr weiten Grenzen geandert werden. Aus der Art der Anordnung zweier Phasen konnen drei Grundtypen festgelegt werden, aus denen sich alle weiteren ableiten lassen (Bild 3.24). Bei der Dispersion liegt die zweite Phase p als Teilchen isoliert in der Grundmasse a, wahrend in einem Zellgefuge P durch die Zellwand a isoliert wird. Tabelle 3.6. Gefugeelemente; Beispiele fur deren Erzeugung und Anwendungsgebiete Allgemeine Kennzeichnung
Spezielle Beispiele
Herstellung
Anwendung
nulldimensional
geloste Atome, Leerstellen
Mischkristallhartung Stahlhartung
eindimensional
Versetzungen
zweidimensional
Korngrenzen, Stapelfehler Teilchen, Duplexgefiige, Poren
Diffusion, Erstarrung, Bestrahlung, martensitische Umwandlung Kaltverformung, martensitische Umwandlung Erstarrung, Rekristallisation, Ordnung Ausscheidung, Sintern, me^ chanisch Legieren
dreidimensional
Kristallanisotropie
Einkristalle, Textur
Erstarrung, Rekristallisation, Kaltverformung
Gefiigeanisotropie
Faserverbund, gerichtete Kornoder Duplexgefiige
gerichtete Erstarrung, gerichtete Festkorperreaktion, Mischen und Umformen
0
0
0
Kaltverfestigung Feinkornharten, Harten durch Legierungsordnung Anlassen - Verguten von Stahl Ausscheidungsharten Dispersionsharten Texturhartung, einkristalline 3auteile Transformatorenbleche gerichtete erstarrte Hochtemperaturlegierungen, Dauermagnete mit ausgerichteten Teilchen, Faserverbundwerkstoffe, Stahlund Spannbeton
f«=fp=0.5
Bild 3.24. Grundtypen zweiphasiger Gefiige (vgl. Bild 0.5). a Dispersions-, b Netz-, c Zell-, d Duplexgefiige
3.7 Heterogene Gefuge
117
Bild 3.25a-c. Typen zweiphasiger Gefuge. a Feinstdispersion, NiCrAl, TEM; b ZellstruktUr, Fe 12Mn 0.5B 12C (Gew%), RLM; c Duplexgefiige, Fe 9 Gew% Ni, RLM
Zu den Netz- oder Gerustgefiigen gehoren zum Beispiel offene Schaume. Oft wird dieser Typ auch durch Ausscheidung an Korngrenzen kanten gebildet. Im Duplexgefiige liegen beide Phasen a und (3 regellos als gleichgrofie Korner nebeneinander. Dieser Gefiigetyp erfordert im Idealfall einen Volumenanteil von^ = f§ = 0^5. Es handelt sich um einen technisch wichtigen Sondertyp des Netzgefuges. Die Volumenanteile der Phasen miissen sich immer zu 100% oder 1 erganzen, falls .nicht ein Porenvolumen fv vorhanden ist. In Schaumgefugen (Kap. 9) ist /p besonders hoch, so daB dann Stoffe mit sehr geringer Dichte entstehen; geschlossene Schaume bilden ein Zellgefiige, offene Schaume gehoren zum Netztyp: /a + /p + . . . = 2/i = l.
(3.21a)
/a+/p+
(3.21b)
...+/p-l
118
3 Grundlagen der Warmebehandlung
Zur genauen Kennzeichnung des Gefiigetyps konnen die Dichten der Korn- oder Phasengrenzen verwendet werden. Die Korngrenzendichte p aa ist definiert als die Summe aller Korngrenzflachen l£Aaa pro Volumen (vgl. Tab. 1.7): PKG ^
Paa
= ^ = [m-1].
(3.22a)
und umgekehrt proportional dem in der Praxis haufig gemessenen mittleren Korndurchmesser. Die Dichte der Phasengrenzen wird auch als Dispersionsgrad bezeichnet. = ^ = 4' (3-22b) V dp Fur eine Dispersion von Teilchen der Phase P gilt dann ppp = 0. Der Dispersionsgrad ist umso groBer, je hoher der Anteil der Phasengrenzen im Verhaltnis zu den Korngrenzen ist: pap/paa- Zur quantitativen Kennzeichnung des Dispersionsgrades dient die Dichte der Phasengrenzen pap, die sich fur einen bestimmten Volumenanteiljp aus dem Durchmesser d§ der Teilchen der p-Phase ergibt (3.22b). In einem idealen Duplexgefiige sind dagegen die Dichte der act und pp-Korngrenzen gleich groB: paa/ppp = 1. Die kompliziert aufgebauten Gefuge der Werkstoffe konnen immer auf diese Grundtypen zuriickgefiihrt werden (Bild 3.25). Diese Betrachtungen gelten sowohl fur die durch Warmebehandlung (Kap. 3), einschlieGlich Sintern (Abschn.11.2), hergestellten Gefuge als auch fur die Verbundwerkstoffe (Kap. 10). Die Gefugeanisotropie wird dort behandelt (Faser- und Schichtverbunde). Den anspruchsvollsten Fall von kiinstlich hergestellten Gefiigen liefern die integrierten Schaltkreise (Kap. 5.2,11.2). Es handelt sich um komplizierte Morphologien aus Leitern, Isolatoren sowie aus n- und /?-leitenden Halbleitern (Kap. 5 Bild 11.13). PPG *
Pap
Eigenschaften der Werkstoffe
4 Mechanische Eigenschaften 4.1 Mechanische Beanspruchung und Elastizitat Die Qualitat der Strukturwerkstoffe hangt vor allem von ihren mechanischen Eigenschaften ab. Durch genormte Priifverfahren erhalt der Konstrukteur Zahlenangaben iiber Elastizitatsmodul, Zug-, Schwing- und Zeitstandfestigkeit oder Dehnung beim Bruch (Abschn. 0.5; Literatur zu Kap. 0). Diese Priifverfahren allein geben aber noch keinen Hinweis auf die Moglichkeit zur Verbesserung der Eigenschaften und auf die Ursachen von Fehlerscheinungen. Dazu sind Kenntnisse iiber die rnikroskopischen Ursachen der mechanischen Eigenschaften notwendig. Folgende Forderungen werden im Allgemeinen an einen Strukturwerkstoff gestellt: - Festigkeit (hohe Belastbarkeit ohne plastische Verformung), - Sicherheit (hohe Bruchzahigkeit), - Leichtigkeit (geringes speziflsches Gewicht), - chemische Bestandigkeit (Kap. 6). Die Beanspruchung wird durch eine mechanische Spannung o [MPa] aufgebracht, die kontinuierlich zunehmend, konstant oder periodisch wechselnd auf den Werkstoff wirkt (Zug-, Kriech- Ermtidungsversuch Kap. 12.4). Falls die Probe einen scharfen AnriB der Lange a enthalt, wird die Beanspruchung durch die Spannungsintensitat K=a yGra = [Pa \/m] gekennzeichnet. SchlieBlich wirken oft chemische Faktoren aus der Umgebung auf den Werkstoff ein (Spannungskorrosion Sk Kap. 6.4). Die Beanspruchung wird durch A'Sk = & \/^a = [Pa \/m] beschrieben, wobei die chemischen Bedingungen in der Oberflache und insbesondere im RiBgrund genau beschrieben werden miissen (Bild4.1). Die Formanderung bei Einwirken einer mechanischen Spannung kann elastisch, viskoelastisch, kristall-plastisch oder viskos (glas-plastisch) erfolgen (Tab. 4.1). Die beiden zuletzt genannten Mechanismen haben gemeinsam, daB eine bleibende Formanderung auftritt. In ihrem Mechanismus sind sie aber vollig verschieden. Der kristall-plastische Mechanismus dominiert bei Metallen, der viskose Mechanismus bei Kunststoffen und keramischen Glasern bei erhohter Temperatur, wahrend elastische Formanderung in alien Werkstoffen bei - bezogen auf den jeweiligen Schmelzpunkt (Kap. 3.1) - tiefer Temperatur auftritt. Bei der Beurteilung der mechanischen Eigenschaften spielen folgende Arten der Beanspruchung eine Rolle: die Hohe der Spannung, die Belastungsgeschwindigkeit, die Dauer der Belastung, die Anzahl und die Frequenz periodischer Lastwechsel, die Temperatur sowie die chemische Umgebung des Werkstoffs. In der Technik werden die Priifbedingungen so ausgewahlt, daB sie ein klares Bild iiber das Verhalten unter den jeweiligen speziellen Betriebsbedingungen geben, denen der Werkstoff ausgesetzt ist (Kap. 12).
122
4 Mechanische Eigenschaften
Tabelle 4.1. Formanderungen bei mechanischer Beanspruchung Art der Formanderung
Zeitabhangig
Reversibel
Verfestigend Mit Streckgrenze
Beispiele, Bemerkungen
elastische Verformung
-
+
-
alle Werkstoffe
Kristallplastizitat
-
-
+
Metalle, 0 < T< Tkf
Metalle, T> 0,3 7^ Thermoplaste, T> 0,5^ Keramik, T> 0,9 TM
Kriechen
viskoelastische Verformung
+
+
Gummi, Kunststoffe, Beton, Fe-C-Legierungen, ferromagnetische Legierungen
viskoses FlieBen •+•
Glas, Thermoplaste bei T > TG, Fliissigkeiten *furw = 1,4.17
Binghamsches FlieBen
feuchter Ton, Pasten
+
a
K=
4.1 Mechanische Beanspruchung und Elastizitat
123
Fur isotrope Werkstoffe konnen zur Festlegung der mechanischen Beanspruchung drei Hauptrichtungen (1,2,3) in einem orthogonalen Koordinatensystem festgelegt werden. Einachsiger Zug oder Druck fiihrt bezogen auf eine im Winkel a zur Spannung a = F/A liegende Ebene zu Normalspannungen crN und Schubspannungen r. Letztere erreicht bei a = 45° den hochsten Wert (Bild 4.2b). Aus der Behandlung der Bindung von Atomen in festen Stoffen (Abschn. 1.2, (1.6)) folgt, daB in der Umgebung der Gleichgewichtslage die Verschiebung der Atome direkt proportional der Spannung ist und daB die GroBe der Proportionalitatskonstanten durch die Kriimmung der Potentialkurve bestimmt wird. Fur groBere elastische Formanderungen (> 1%) treten meBbare Abweichungen von der Linearitat auf. Bei Belastung von Molektilgeriisten im Gummi tritt von Anfang an keine lineare Beziehung auf, da die Elastizitat nicht auf direkter Wechselwirkung benachbarter Atome beruht, sondern auf Streckung und Scherung von Molekulketten. Nichtlineare Elastizitat flnden wir auch im grauen GuBeisen und Beton. Dort hat sie wiederum eine andere Ursache, namlich feinverteilte Mikrorisse (Kap. 8.6 und 7.6). Die lineare Beziehung zwischen Spannung und Dehnung wird als Hookesches Gesetz bezeichnet. Sie wird als gute Naherung fur viele mechanische Berechnungen verwendet. Eine phanomenologische Beschreibung der Beziehung zwischen Spannung und Dehnung in irgendeinem festen Stoff kann durch ein verallgemeinertes Hookesches Gesetz gegeben werden. Eine an einen wurfelformigen Korper angreifende Kraft kann in folgende neun Komponenten zerlegt werden (Bild 4.1). Drei Komponenten sind reine Zugspannungen (o^, avy, o^), die anderen sechs sind Schubspannungen, von denen aber nur drei unabhangig sind (da r^ = T^). Das verallgemeinerte Hookesche Gesetz kann daher in der Form von sechs unabhangigen Spannungen geschrieben werden: &xx
=
°yy
=
Ql
£
xx + Q 2
€
Ql
e
e
xx + Q 2
e
yy + Q 3
€
yy + Q 3
e
e
°zz
~ Ql
T
xy
=
Ql
r
*z
=
Ql £** + Q2 ^vv + Q3
xx + Q 2
£
e
yy + Q 3
£
zz + Q 4 Yxy + Ql5 Yxz + ^16 Yyv
zz + Q 4 Yxy + Q 5 Yxz + ^26 Yyv zz + Q 4 Yxy + Q 5 Yxz + Q 6 Yyv
e
xx + Q 2 yy + Q 3 zz + Q 4 X*y + Q 5 Yxz "+" C46 7vz' £
f
a + Q4 Yxy + Q5 X« + <-56 fyz>
*>* = Qi xx + Q2 ^vv + Q3 % + Q4 r^rv + Qs yxz + C66 yvz.
(4.1)
Fiir die Spannung a, Dehnung oder Stauchung 6, Scherung y werden die Achsen im Raum mit x, y, z bezeichnet. a^ ist die Spannung, die auf der x-Flache in x-Richtung wirkt, also senkrecht zu dieser Flache. xxy wirkt ebenfalls in der x-Flache, aber in der yRichtung, die in dieser Flache liegt. Deshalb handelt es sich um eine Schubspannungskomponente der Spannung. Fiir die elastischen Konstanten C wird das ublicherweise verwendete Bezeichnungssystem vorgestellt. Die sechs Komponenten der Spannung werden liber je sechs Konstanten mit der elastischen Verformung verkniipft. Qj (i = 1,2,3,4, 5,6; j = 1,2,3,4, 5, 6) sind die Materialeigenschaften, die Ursache a mit Wirkung e verkniipfen. Daraus folgen 21 elastische Konstanten, da Qj = Cji ist. Die Symmetrieeigenschaften der wirklichen Kristalle reduzieren jedoch hauflg die groBe Zahl der Konstanten. So benotigt man fiir die kubischen Kristalle, aus denen die meisten metallischen Werkstoffe bestehen, nur noch drei, namlich CM, Q2 und C44, da alle anderen Konstanten entweder gleich null sind oder in Beziehung zueinander stehen. In einem vollig isotropen Material reichen zwei Konstanten zur Kennzeichnung des elastischen Verhaltens aus. In der Praxis
124
4 Mechanische Eigenschaften
werden bevorzugt vier elastische Konstanten benutzt, die so deflniert sind, dafi sie leicht gemessen und in Rechnungen angewandt werden konnen. Der Elastizitatsmodul ist das Verhaltnis von einachsiger Spannung zu Dehnung oder Stauchung in derselben Richtung. Das entspncht der Steigung im elastischen Teil der Spannungs-Dehnungs-Kurve (Bild 4.2 und 4.5 b):
In Einkristallen oder in anisotropen Verbundwerkstoffen ist der Elastizitatsmodul in unterschiedlichen Richtungen verschieden, die daher zusatzlich als Index angegeben werden (Tab. 4.2 b): Das Verhaltniss
Bild 4.2 a, b. a Normalspannungen c^und Schubspannungen rih die auf einen festen Stoff wirken konnen, a beliebige Spannung, die auf das dargestellte Element wirkt. b Zerlegung einer Zugspannung a in eine Schub- und eine Normalspannung (r, aN) die auf eine Ebene wirkt, deren Lage durch a gekennzeichnet ist
rrn
T--T
f±
ix ffi= /
f "= 0.5>v>0
2/=0
-$Jc2
}1
Bild 4.2 c. Definition der elastischen Moduln. + a Zugspannung, -a Druckspannung, rSchubspannung, — ox = — (% — — a3 hydrostatischer Druck, gemessen wird die relative Langenanderung, Anderung des Durchmessers oder der Betrag der Scherung abhangig von der Spannung
4.1 Mechanische Beanspruchung und Elastizitat Mna
•>
125
1
ist ein MaB fiir die elastische Anisotropic Der Schubmodul ist das Verhaltnis von Schubspannung zu Schubverformung oder Scherung (Bild 4.2): (4.3 a)
r Y~tgy
(4.3 b)
2y«£
(4.3c)
Die Querkontraktionszahl (Poissonsche Zahl) ist das Verhaltnis von Anderung des Durchmessers zu Anderung der Lange (Tab. 4.2 a und b): (4.4 a)
^quer
AV = £i + S + £3 = 0 2 V v = 0,5
(4.4b)
AV e £ e V = \+ 2+ 3 ^ 0 o< v<0,5
(4.4 c)
Dieses Verhaltnis hangt von der relativen Volumenanderung A F / F d e s Werkstoffes unter Spannung ab. Denkbar sind die Falle A K / K = 0 mit v « 0,5 (Weichgummi: v < 0,49) und AV/V = e, mit v = 0 (Kork: v = 0,08). Fiir alle wichtigen Werkstoffe liegt die Querkontraktionszahl etwa in der Mitte zwischen den Extrembedingungen 0,20 < v < 0,35. Eine Vergrolterung der Atomabstande in einer Richtung unter Zugspannung wird nur teilweise durch Annaherung der Atome in der Querrichtung kompensiert, so daB eiTabelle4.2a. Elastische Konstanten einiger Werkstoffe mit quasi-isotroper Struktur Werkstoff
E 103Nmm-2
G 103Nmm-2
V
W a-Fe, Stahl Ni Cu Al Pb Porzellan Kieselglas Flintglas Plexiglas Polystyrol Hartgummi Gummi
360 215 200 125 72 16 58 76 60 4 3,5 5 0,1
130 82 80 46 26 5,5 24 23 25 1,5 1,3 2,4 0,03
0,35 0,33 0,31 0,35 0,34 0,44 0,23 0,17 0,22 0,35 0,32 0,2 0,42
126
4 Mechanische Eigenschaften
Tabelle4.2b. Anisotropic der elastischen Konstanten einiger Metallkristalle (in N m m - 2 )
Cu Al a-Fe
£
£
^
^m)
E*
G*
194000 77000 290000
68000 64000 120000
74000 29000 118000
31000 25000 61000
125000 72000 215000
46000 27000 84000
* Quasiisotrop fur regellose Verteilung der Kristallite
ne gewisse VolumenvergroBerung auftritt. Die meisten Metalle liegen bei v = 1/3. Dies deutet darauf hin, daB sich die dicht gepackten Atome (Abschn.1.3) bei elastischer Formanderung wie harte Kugeln verhalten. Nur bei weichem Gummi bleibt das Volumen unter Spannung fast konstant. Fur plastische Verformung (Kap. 4.9) kann mit v = 0,5 gerechnet werden (4.4 b), wahrend fur elastische Verformung o< v<0,5 gilt (4.4 c). SchlieBlich kann ein Stoff durch hydrostatischen Druck belastet werden. Das Verhaltnis des Druckes p zur relativen Volumenanderung def iniert der Kompressionsmodul
Die Kompressibilitat x = (1/V) (dV/dp) ist bei konstanter Temperatur umgekehrt proportional zum Kompressionsmodul. Da in vollig isotropen Werkstoffen nur zwei elastische Konstanten auftreten, miissen fur diesen Fall Beziehungen zwischen den oben definierten Moduln bestehen:
C
=2(lTvf
E/G
=JTWK)-
< 4 - 6b > (4 6C)
-
Daraus folgt, da8 nur dann v = 0,5 erreicht werden konnte, wenn K = » wird, und daB das Verhaltnis E/G fiir die meisten Werkstoffe bei 2,6 liegt. Da die elastischen Konstanten von der Starke der atomaren Bindung abhangen und die mittleren Atomabstande (infolge der Asymmetrie der Gitterschwingungen) mit der Temperatur zunehmen, nehmen sie mit zunehmender Temperatur ab (Bild 4.3). Diese Temperaturabhangigkeit ist fiir Metalle und Keramik verhaltnismaBig gering. Bei Kunststoffen kann E beim Erwarmen von 20 auf 60 °C um eine GroBenordnung abnehmen. Eine Ausnahme bildet die Gummielastizitat, fiir die kennzeichnend ist, da8 E in einem mittleren Temperaturbereich zunimmt (Bild 4.22). Bei der Beurteilung der Elastizitatsmoduln von Stoffen, die aus mehreren Atomoder Molekiilarten zusammengesetzt sind, muB zwischen Mischphasen, Verbindungen und Phasengemischen unterschieden werden. Bild 4.4 zeigt fiir Mg-Sn-Legierungen die gemessenen Elastizitatsmoduln im Zusammenhang mit dem Zustandsdiagramm. In der Regel wird E eines Kristalls durch Zumischen einer zweiten Atomart etwas erniedrigt. Konnen sich Verbindungen bilden, so hangt E der Verbindung von der Art der Bindung
4.1 Mechanische Beanspruchung und Elastizitat
127 350 •103 Nmm"2
Mc
i ^ w Mq n
250 200
^ S SL 1 ^
150 100 .. ^Al
50
>1g
Bild 4.3. Temperaturabhangigkeit des E-Moduls einiger metallischer und keramischer Stoffe (vgl. Polymere Bild 9.4 c)
250 500 750 1000 1250 °C 1500 Temperatur
•103 Nmm"2 50 An
— 1[ 750
250
Bild 4.4. Beziehung zwischen ZT-Modul und Zustandsschaubild von MgSn-Legierungen
•0
'
Schm Blze
L,
1 500 .. / <E
1
"
ex 1
S
^
r^
1
OC +
7
P ^S
P
1
0
10
I
N
P*y 20
30
Mg
40
50
Sn
60
1 1 70
6ew.-% 100
*-
Tabelle4.3. Verhaltnis von Elastizitatsmodul zu Dichte Werkstoff
MDiamant
SiC Si 3 N 4 W Fe
E MNm- 2 •10 3
gm~ 3
1200 500 320 360 215
2,26 3,2 3,2 19,3 7,86
Q
E/Q
53100 14100 10000 1900 2700
Werkstoff
Al Mg PE EP Gummi
E MNm" 2 •10 3
gm~ 3
72 45 2 5 0,1
2,70 1,74 0,95 1,2 1,5
Q
E/g
2700 2600 200 400 10
ab. Sehr stabile hochschmelzende Verbindungen, z. B. Boride, Karbide, Oxide, haben auch sehr hohe Elastizitatsmoduln. Wichtige technische Eigenschaften sind die auf die Dichte bezogenen Elastizitatsmoduln, besonders wenn wie in der Bau- oder Flugzeugtechnik das Werkstoffgewicht eine groBe RoUe spielt. Werte fiir E/g fiir einige Werkstoffe sind in Tab. 4.3 zusammengestellt. Die Elastizitatsmoduln von faserverstarkten Werkstoff en werden im Abschn. 10.2 behandelt.
4 Mechanische Eigenschaften
128 4.2 Zugversuch und Kristallplastizitat a) Makroskopische Betrachtung der Plastizitat
Das plastische Verhalten eines Werkstoffes unter einachsiger statischer Belastung wird im Zug- und Druckversuch* ermittelt (Bild 0.5). Die Spannungs-Verformungs-Kurven konnen fur verschiedene Werkstoffe sehr verschieden aussehen. Die Kurven zeigen in ihrem normalen Verlauf drei wichtige Punkte: bei a= 0 Beginn der elastischen Verformung, bei R p Beginn der plastischen Verformung, bei Rm > Rp Bruch der Probe. Sonderfalle sind Rp = Rm, ein vollig sproder Werkstoff, und Rp = 0, ein Werkstoff, der sich durch viskoses FlieBen verformt. Zur Definition von Spannung und Dehnung: Da sich der Querschnitt der Probe unter Last beim Zugversuch verringert und beim Druckversuch vergroBert, miiBte eigentlich zu jedem Punkt der Kraft-Verlangerungs-Kurve der Probenquerschnitt gemessen werden, um zur Spannungs-Dehnungs-Kurve zu kommen. Fur kleine Formanderungen von e < 1% ist der Fehler allerdings nicht sehr groB, wenn man die Kraft auf den Ausgangsquerschnitt der Probe AQ bezieht. Erlaubt ist diese Vereinfachung deshalb in einem Bereich der Werkstoffbelastungen, in dem nur geringe Formanderungen auftreten. Das gilt fur den gesamten Bereich der Verwendung von Werkstoffen fiir Konstruktionszwecke, in dem entweder nur elastische oder nur ganz geringe plastische Formanderungen auftreten. In den Normen des Zugversuchs geht man deshalb von nominellen Spannungen anom = F/A0 (engl.: engineering stress) aus. Die wahren Spannungen crwahr = (F/AQ) (1 + A///) sind aber in der Umformtechnik unbedingt zu verwenden, da dort groBe Formanderungen auftreten. Ahnliches gilt fiir die Festlegung der Dehnung. Falls groBe plastische Dehnungsbetrage auftreten, miissen sie definiert werden als (Bild 4.2) (Tab. 4.4) k = k +A/
= l
n
_ =
£
- _
+
_ - _
+
. . . ,
Fiir Dehnung gilt cp > 0 , fiir Stauchung cp < 0 . Nur fiir e « 1 gilt, daB cp « eist. Deshalb kann fwiederum nur im konstruktiven Bereich verwendet werden, wahrend die Verwendung von cp fiir die Umformtechnik notwendig ist (Kap. 11). Negative Werte von cp entsprechen Stauchungen: lx < l0. SchlieBlich kann man aus dem Spannungs-Dehnungs-Diagramm die geieistete Verformungsarbeit entnehmen. Die spezifische Verformungsenergie he entspricht der Flache unter der Spannungs-Dehnungskurve, also * Neue Normbezeichnungen siehe Anhang A 4
129
4.2 Zugversuch und Kristallplastizitat
hc= $crd£=/*e, + /jp, [Jm~3]. (4.8a) o Sie setzt sich im allgemeinen aus elastischer Energie sowie Energie, die bei plastischer Verformung fur Gitterbaufehler gebraucht wird, und Warme zusammen. Die in Form von Gitterbaufehlern gespeicherte Energie liefert die »Triebkraft« der Rekristallisation (Abschn.3.2). Fur den Bruch eines »ideal« sproden Werkstoffes ist also nur die Verformungsenergie bis zur elastischen Bruchverformung eB aufzubringen: h
=
Rm^B 2
=
Eejt 2
=
R^
(4 g b )
2E9
da Rm = EeB gilt. Eine plastische Verformung ep tritt in diesem Falle nicht auf. Plastische Formanderung ist dadurch definiert, daB sie nach dem Entlasten der Probe nicht wieder zuriickgeht. Die Spannung, bei der die erste bleibende Verformung auftritt, heiBt Elastizitatsgrenze. In der Werkstoffpriifung wird die Spannung gemessen, bei der ein genau festgelegter Betrag (0,2%; 0,01%) an bleibender Dehnung auftritt. Diese Spannung wird als Streckgrenze Rp oder mit dem jeweiligen Dehnungsbetrag ai: (in %) bezeichnet (Bild4.5). Bei der Auswertung des Zugversuchs muB bei hoheren Verformungsgraden beriicksichtigt werden, daB der Stab wahrend der Verlangerung seinen Querschnitt andert. Fur plastische Verformung kann im Gegensatz zur elastischen Verformung von konstantem Volumen ausgegangen werden. Bei steigender Last Fder Zugmaschine muB deshalb die Verfestigung des Werkstoffs da/d
da _ a
dq?
dA o, dq) dA
_ dl
=d
Sobald die wahre Spannung gleich dem Verfestigungskoeffizienten wird, kann eine Einschniirung das endgiiltige Versagen einleiten (Bild4.5a und 4.15 c): ^ = a. dq)
(4.9b)
130
4 Mechanische Eigenschaften
a
Dehnung -KTA
I
Bruch
Bmchc
°wahr f
Bild 4.5 a-h. Verschiedene Typen von Spannungs-Dehnungs-Diagrammen. a In der Praxis wird die Kraft Fauf den Ausgangsquerschnitt A0 bezogen. Die wahre Spannung ist groBer, sie ist auf den jeweiligen Querschnitt A bei einer bestimmten Verformung bezogen. b Oberhalb der Streckgrenze Rp kommt zur elastischen die plastische Verformung hinzu. Nach dem Entlasten ist nur die plastische Verformung ep iibrig. c Zur Kennzeichnung der Verfestigung des Werkstoffes wird der Anstieg der Streckgrenze mit ep dargestellt. d Viele metallische Werkstoffe zeigen unter Zug- und Druckspannung etwa die gleichen mechanischen Eigenschaften. e Keramische Werkstoffe und GuBeisen besitzen eine viel hohere Festigkeit unter Druck- als unter Zugspannung. f Bestimmung der Dehnung beim Beginn der Einschniirung aus (4.9c). g Kraft Fund wahre Spannung aals Funktion der wahren Dehnung
4.2 Zugversuch und Kristallplastizitat
131
Streckgrenze und Kaltverfestigung metallischer Werkstoffe kann man erst seit wenigen Jahren aus dem physikalischen Verstandnis heraus deuten. Vorher begniigte man sich mit einer kontinuumsmechanischen Beschreibung des Werkstoffverhaltens bei groBerer plastischer Verformung und verwendete dazu empirische Kennwerte. Derartige Beziehungen verkntipfen Spannung o und Verformungsgrad
a^A(pn.
(4.9c)
Der Verfestigungsexponent n ist kleiner als eins (n < 1). Ein nichtverfestigender Werkstoff (n = 0) wird auch als ideal plastisch bezeichnet. Gleichung 4.9c kann dazu verwendet werden, denjenigen Verformungsgrad zu berechnen, bei dem sich ein Werkstoff einzuschnuren beginnt. Dies ist eine wichtige Werkstoffeigenschaft zum Beispiel fur Tiefziehbleche, bei denen dieser kritische Verformungsgrad moglichst hoch sein soil. Da dip = ds(l + s) (4.7), folgt fiir (4.9b) da a (4 9d) -r- = T T - de 1+8 Aus einer (o--g)-Kurve kann auf Grund von (4.9d) diejenige Verformung cpE ermittelt werden, bei der eine Einschntirung beginnt (Bild 4.5 f). Ein Zusammenhang zwischen dem Verfestigungsexponenten n (4.9c) und der wahren Verformung, cpE, bei der Einschntirung einsetzt, kann fiir den Fall Rp ^ 0 folgendermaBen ermittelt werden (4.9b): Acpl = nA(pl~\
(4.9e)
Die gleichmaBige Dehnung iiber die gesamte Probenlange endet hier, und es tritt eine sehr starke ortliche Querschnittsabnahme (Einschntirung) auf. Ein hoher Verfestigungsexponent sollte also fiir Tiefziehbleche angestrebt werden, bei denen hohe Verformungsgrade ohne ortliche Querschnittsveranderungen erwunscht sind. Dies ist der Grund fiir die gute Tiefziehfahigkeit von a-Messing und austenitischem Stahl. Aus (4.9b) lafit sich auch berechnen, daB die Spannung Rm bei der dieser Vorgang beginnt, proportional dem Verfestigungskoeffizienten ist, daB also durch Erhohung des Verfestigungskoeffizienten die Bruchfestigkeit - unter Voraussetzung vollig duktilen Verhaltens - erhoht werden kann (Dual-Phasen-Stahle, Abschn. 8.5). b) Mikroskopische Betrachtung der Plastizitat Um verstehen zu konnen, was im Werkstoff bei der plastischen Verformung geschieht, ist es notwendig, das Verhalten einzelner Kristalle unter Last genau zu kennen. Diese bilden als Kristallite das Geftige des Werkstoffes. Eine Mittelung der Einkristalleigenschaften und die Eigenschaften der Korn- und Phasengrenzen fiihren dann zu den makroskopischen Eigenschaften der Probe oder des Bauteils. Bild 8.17 a zeigt das Ergebnis eines Zugversuchs an einem a-Eisen-Kristall. Dieser Verlauf ist kennzeichnend fiir alle Kristalle, die plastisch verformbar sind: Das sind die Metalle, die keramischen und polymeren Kristalle aber nur bei erhohter Temperatur (T > 0,8rkf).
132
4 Mechanische Eigenschaften
Durch Experimente hat man gefunden, daB die Verformung durch Abgleiten ganz bestimmter Ebenen des Kristall geschieht, und zwar sind es immer Ebenen mit hoher Atomdichte. Diese Ebenen werden als Gleitebenen bezeichnet. Im kfz Gitter und im Diamantgitter sind es die {lll}-Ebenen, im krz und NaCl-Gitter die {110}-Ebenen. In Schichtgittern erfolgt die Abgleitung naturlich in den Schichtebenen. AuBer der Ebene liegt im Kristall auch die Richtung fest, in der das Abgleiten geschieht. Es sind wiederum vorzugsweise Richtungen, in denen die Atome groBte Dichte aufweisen: (110) in kfz, Diamant- und NaCl-Gitter, (111) in krz Gitter. Gleitebene und -richtung zusammen nennt man ein Gleitsystem. Da gleichartige Ebenen und Richtungen, z. B. in kubischen Kristallen, in bestimmter Vielfalt vorkommen, ergibt sich daraus eine groBere Zahl von Gleitsystemen: fur das kfz Gitter 4 Ebenen X 3 Richtungen X 2 (fur Vor- und Riickwartsgleitung) = 24 Gleitsysteme. Viele Experimente haben gezeigt, daB der Beginn der plastischen Verformung in einem Kristall bei einer bestimmten Schubspannung rs im Gleitsystem erfolgt. Wirkt auf eine stabfdrmige Probe mit dem Querschnitt A0 in der Zugmaschine eine Kraft F, so berechnet sich die Schubspannung rnach (vgl. Bild 4.2 b): TO
r= -— cos pcos?7 = acospcos?;,
(410)
wobei g der Winkel der Richtung und r\ der Ebenennormale mit der Stabachse (Richtung der Belastung) ist. rhat einen Hochstwert, wenn g= rj = 45° ist. Die kritische Schubspannung, die fiir reine Metalle gefunden wird, ist auBerst niedrig: rs < G • 10-4. Sie liegt bei Ionenkristallen hoher und ist fiir kovalente Kristalle am hochsten: rs > G • 10-2 (Bilder 4.6 und 4.7). Es erhebt sich die Frage, wie diese fiir die Festigkeit der Werkstoffe wichtigste Eigenschaft zustandekommt. Wegen der niedrigen Werte von Rp sind reine Metallkristalle als Konstruktionswerkstoffe ungeeignet. Beim Beginn der plastischen Verformung miissen zwei Ebenen des Kristallgitters gegeneinander abgleiten. Ein sinusformiger Verlauf zwischen der Schubspannung rmit dem Betrag der Abgleitung x erscheint verminftig, da die Schubspannung in den Positionen 0 und b null sein sollte und aufierdem auch dann, wenn sich das obere Atom genau iiber dem unteren befindet (Bild 4.6 a): 2 TCX
r=rthsin-£-.
(4.11a)
Fiir kleine Verformungen muB das Hookesche Gesetz gelten r = Gx/a = Gy. Dann ergibt sich aus (4.11 a) eine Abschatzung der theoretischen oberen Grenze der Schubfestigkeit rth: 2JT^ Gx = % sin * a b 7th *
Gb , 2jza
^th
2nx b
(4.11b) (4.11c)
b/a « 1, falls es sich nicht um Polymer- oder Schichtkristalle handelt. Fiir a-Eisen ist rth « 8400 Nmm-2; gefunden wird an Kristallen aus reinem Eisen rs « 10 N mm-2. Daraus laBt sich schlieBen, daB das gleichzeitige Abscheren ganzer Kristallebenen nicht der in Wirklichkeit auftretende Verformungsmechanismus ist. Fiir viele kfz Metalle ist ubrigens
133
4.2 Zugversuch und Kristallplastizitat
r04) O O Q L
O O O O O b/l b
4 I Bild 4.6. a Verlauf der Schubspannung beim Verschieben von zwei Ebenen eines perf ekten Kristallgitters um 5. b Die entsprechenden Ebenen in einer Zugprobe. Wirksam ist eine Schubspannung, die in der Ebene und in der Gleitrichtung liegt. Die Abgleitung beginnt bei einer kritischen Schubspannung rs zur Bewegung von Versetzungen
ursprungliche Form
/ BUd 4.7. Die drei Moglichkeiten fiir plastische Formanderung in Kristallen
z
Gleiten
i
ccz
Zwillingsbildung
martensitische Umwandlung
der Unterschied zwischen rth und rs noch groBer. Die Erklarung bietet die Tatsache, daB Versetzungen sich im Kristallgitter sehr leicht bewegen konnen, wenn sie in Gleitebene liegen und einen Burgers-Vektor in Gleitrichtung besitzen. Die Bewegung einer Versetzung ist mit der Abgleitung einer Ebene um den Betrag von & verbunden. Die Atome der gesamten Ebene brauchen sich dabei nicht gleichzeitig zu bewegen, sondern konnen dies nacheinander tun (Bild 4.8). Die gemessenen kritischen Schubspannungen stimmen mit den berechneten Spannungen zur Bewegung von Versetzungen gut iiberein. Die hohen kritischen Schubspannungen von kovalenten Kristallen riihren davon her, daB beim Bewegen der Versetzungen die starken gerichteten Bindungen gebrochen werden mussen, bei Ionenkristallen
134
4 Mechanische Eigenschaften
Bild 4.8 a-f. Bewegung einer Stufen- (b) oder Schraubenversetzung (c) durch den Kristall fuhrt zu einer Abgleitung von b in Richtung des Burgers-Vektors (a). Die Stufenversetzung bewegt sich in Richtung von b, die Schraubenversetzung senkrecht dazu; (d) verformter Kristall (vgl. Bild 4.7); (e) raumliche Darstellung einer Stufenversetzung; (f) hohe Gleitstufen in austenitischem Stahl, wie sie durch Bewegung vieler Versetzungen in {111 }-Ebene entstehen
4.2 Zugversuch und Kristallplastizitat Bild 4.8 g. Ein an zwei Punkten festgehaltenes Liniensegment wird unter Spannung T3 zur Versetzungsquelle (Frank-Read-Quelle)
135
S2 \" r0 - 0
""[
/* ^\ rf ty > To
t2 >t}
rQ = 13 > t2
miissen sich mit der Versetzung Atome gleicher Ladung aneinander vorbei bewegen nur bei Metallen ist weder die Bindung gerichtet noch treten Ionen auf, so daB sich die Versetzungen sehr leicht bewegen konnen. Eine Bemerkung ist aber noch notig zu der Frage, wo die Versetzungen herkommen. Die makroskopische plastische Scherung ist verkmipft mit der Dichte der Versetzungen Q und ihrem mittleren Laufweg x durch die Beziehung y = bgx.
(4.12)
Es kann angenommen werden, daB in jedem Kristall beim Erstarren oder Rekristallisieren einige Versetzungen liegengeblieben sind. Nur ein Teil von ihnen werden bewegliche Gleitversetzungen sein, und wenn letztere aus dem Kristall herausgelaufen sind, muBte die Moglichkeit zu plastischer Verformung erschopft sein. DaB das nicht so ist, dafiir sorgen die Versetzungsquellen. Eine einfache Quelle ist dann vorhanden, wenn ein Segment einer beweglichen Versetzungslinie an zwei Punkten mit Abstand 5 verankert ist. Eine Schubspannung rfuhrt zur Durchbiegung der Versetzungslinie wie eine eingespannte Sake. Ihr Krummungsradius r ist umgekehrt proportional der Spannung (Bild 4.8 e)
Der kleinstmogliche Radius rmin = 5/2 ist dann erreicht, wenn die Versetzungslinie zum Halbkreis ausgebogen ist. Sie wird instabil, schnappt von den Verankeningspunkten los und umgibt diese als Versetzungsring. Dieser Vorgang kann sich beliebig oft wiederholen, wenn sich die Versetzungen aus dem Kristall bewegen, d. h. diesen abscheren konnen. Die Spannung, die fur diesen Vorgang notwendig ist, die Quellspannung rQ, hangt von Abstand 5 der Verankerungspunkte ab: rQ=~.
(4.13b)
Zur Verankerung dienen meist andere unbewegliche Versetzungen oder im Kristall verteilte Teilchen einer zweiten Phase. Falls es sich um Verankerungen durch andere Versetzungen handelt, ist S = Sv der Abstand der Versetzungen, der wiederum umgekehrt proportional Wurzel aus der Versetzungsdichte gm ist und es gilt TQ = aGbQv\~^
(4.13c)
g ist die Versetzungsdichte, die etwa linear mit dem Grad der plastischen Verformung cp zunimmt.
136
'^^^i^^:'<-;^
4 Mechanische Eigenschaften
••^'.
'?^^^^^:•^kX^K•::y
Bild 4.9. a a-Fe, Bildung von Versetzungen aus Komgrenzen bei der Streckgrenze, TEM; b aCuZn, aufgestaute Versetzungen in Gleitebenen ftihren zu Verfestigung, TEM; c Al-Mg, Anderung der Kornform, starke (s = 70%) Walzverformung, RLM
Tabelle 4.4. Hartungsmechanismen (vergl. Tab. 3.5) Dimension
Hindernis
Mechanismus
geloste Atome Versetzungen Komgrenzen
Mischkristallhartung ACTM
Kaltverfestigung Aery Korngrenzenhartung, Feinkornhartung AOTKG
Ausscheidungsteilchen, durch Sintern eingebrachte zweite Phase Kristallanisotropie Gefugeanisotropie
Ausscheidungshartung Aaj Dispersionshartung Texturhartung Faserverstarkung
4.2 Zugversuch und Kristallplastizitat
137
Es liegt nahe, daB man durch Verringerung des Abstandes der Verankerungspunkte TQ die Festigkeit eines Werkstoffes erhohen kann. Allerdings sind diese Quellen vorwiegend in Einkristallen wirksam, da in vielkristallinen Werkstoffen die Korngrenzen bevorzugt als Quellen fur die Versetzung dienen. Von metailischen Konstruktionswerkstoffen wird verlangt, dafi sie eine moglichst hohe Streckgrenze haben, da sie sich im Gebrauch nur elastisch verformen sollen. Zwei Wege sind denkbar, eine hohe Festigkeit zu erreichen. Der erste besteht darin, Kristalle herzustellen, die gar keine Versetzungen enthalten und die dann die hohe Festigkeit nach (4.11c) aufweisen muBten. Solche Kristalle konnen als Haarkristalle (Whisker) hergestellt werden, die bei der Herstellung von faserverstarkten Werkstoffen verwendet werden (Abschn. 10.2). Sie haben aber die nachteilige Eigenschaft, daB sich spontan Versetzungen bilden, sobald rth an einer Stelle des Kristalls erreicht wird. Als Folge davon fallt die Festigkeit dann schlagartig ab. Sie konnen deshalb nur eingebettet in der Grundmasse (Kunststoff, weicheres Metall) verwendet werden. Deshalb wird in der Praxis der Herstellung hochfester Legierungen der zweite Weg gewahlt. Die andere Moglichkeit besteht darin, den Versetzungen so viele Hindernisse wie moglich in den Weg zu legen. Damit sie sich bewegen konnen, miissen sie sich an diesen Hindernissen durchbiegen. Je kleiner der dabei erreichte Krummungsradius rist, desto groBer ist die Streckgrenze des Materials, (4.13 a) und (7.2). Die Hindernisse konnen ahnlich geordnet werden wie die Gitterbaufehler (Tab.4.4, vgl. Tab. 3.5, Kap.3.6). Fur alle Legierungen kann angenommen werden, daB es sich um einen vielkristallinen Werkstoff handelt. Die Streckgrenze eines Kristallhaufwerks mit regelloser Verteilung der Kristallite ergibt sich aus der kritischen Schubspannung der Einkristalle durch Mittelung der regellos (texturfrei) orientierten Kristallite (Bild 4.2 b, 4.6 b und 4.9), 2 TC
T,
(4.14)
Auf einem Wert a± baut sich die Festigkeit des vielkristallinen Werkstoffes auf. Es handelt sich bei a± also um die Streckgrenzen fur Kristalle reiner Metalle, in denen einige bewegliche Versetzungen vorhanden sind. Falls alle Hindernisarten wirksam werden, setzt sich die Gesamtstreckgrenze des Materials aus den Beitragen der einzelnen Mechanismen zusammen: ^P = °L +&°M + A°v + AOKG + AcrT.
(4.15a)
Sowohl Rechnungen als auch Experimente zeigen, daB folgende Beziehung zu befriedigender Ubereinstimmung mit den zu erwartenden Werten von ACT fuhrt, falls - wie bei mechanischer Verfestigung Aav und Teilchenhartung Ao^ - die Versetzungen gezwungen werden, sich stark durchzubiegen:
Aa==
[S(Aa"} J '
(4-15b)
fur Beitrage von Versetzungen Acrv und ausgeschiedenen Teilchen Aoj A o = (A ay2 + A oT2)'\
(4.15 c)
138
4 Mechanische Eigenschaften
Die einzelnen Hartungsmechanismen sind recht gut bekannt, und es ist haufig moglich, die zu erwartende Erhohung der Streckgrenze zu berechnen. Die angegebenen Beziehungen zwischen der Dichte der Hindemisse beruhen (mit Ausnahme von (4.16 c ) ) im Prinzip auf (4.13). Entscheidend ist immer der Abstand der Hindemisse im Gefuge: Acr M = aGcv\ V
Acrv = ccGb Q \ A(7KG
-
kS~\
AcTT - aGbS~A = aGbf d~\
Mischkristallhartung Kaltverfestigung Feinkornhartung Teilchenhartung
(4.16 a) (4.16b) (4.16 c) (4.16d)
G ist jeweils der Schubmodul und b der Betrag des Burgers-Vektors, a eine Konstante der GroBenordnung 1. a gibt in G1.4.16a die spezifische Hartungswirkung eines Atoms an, die u. a. mit dent Unterschied der Atomradien von losender und geloster Atomart zunimmt. xist der Gehalt an gelosten Atomen. Fur deren Abstand S' gilt cVl ~ S - 1 . gist die Versetzungsdichte, wobei wiederum QVI ~ S~ 1 gilt (vgl. 4.13 c). In (4.16c) ist S der Korndurchmesser oder die KorngroBe, in 4.16 d ist es der Abstand zwischen den im Grundgitter verteilten Teilchen. / i s t deren Volumenanteil und d ihr Durchmesser. Aus (4.16) folgt, daB eine hohe Streckgrenze zu erwarten ist, wenn es gelingt, die Konzentration der gel6sten Atome grofi, die KorngroBe oder die Abstande zwischen den Teilchen klein zu machen und diese Faktoren im Gefuge miteinander zu verbinden. Eine besondere Rolle spielt die Hartung durch Versetzungen. Die anderen Mechanismen haben vor allem einen EinfluB auf den Beginn der plastischen Verformung. Die Versetzungsdichte g andert sich aber mit zunehmender plastischer Verformung dadurch, daB Versetzungen an Komgrenzen, Teilchen oder anderen Versetzungen aufgehalten werden und im Werkstoff liegen bleiben. Nach (4.16b) erhoht sich deshalb mit zunehmender plastischer Verformung gp die Streckgrenze. Dieser Vorgang fuhrt zum Anstieg der Spannungs-Dehnungs-Kurve und wird als Verfestigung bezeichnet. Der Verfestigungskoeffizient da/d^p wurde in (4.7) bereits phanomenologisch benutzt. Je groBer die Zunahme der Versetzungsdichte bei gegebener Verformung ist, desto groBer ist der Verfestigungskoeffizient. Das gilt in besonderem MaBe fur Legierungen mit niedriger Stapelfehlerenergie wie austenitischer rostfreier Stahl oder a-Messing. Die bei der Verformung zuriickgebliebenen Versetzungen konnen sich infolge ihrer Aufspaltung in Teilversetzungen (Abschn. 1.4) nicht leicht umordnen. Folglich verfesti-
Zug spannung| logo' Sdealer Stahl mit hoher Zugfestigkeit
x
ublicher Baustahl
s
reines Eisen Dehnung
Bild 4.10. Moglichkeiten der Beeinflussung der Spannungs-Dehnungs-Kurve von Eisen durch Hindemisse fiir die Bewegung von Versetzungen
4.3 Kriechen
139
gen diese Werkstoffe bei plastischer Verformung sehr stark. Verformt man jedoch bei einer Temperatur, die Ausheilen von Versetzungea oder Rekristallisation erlaubt ( T> 0,4 7^), so wird dadurch die Verfestigung ganz oder teilweise riickgangig gemacht. Dies wird in der Kontinuumsmechanik als »ideal-plastisches« Verhalten bezeichnet. Verformung unterhalb dieser Temperatur bezeichnet man als Kaltverformung (eingefrorener Zustand), bei hoheren Temperaturen als Warmverformung. Diese Temperaturen konnen je nach Schmelzpunkt des Werkstoffes ganz verschieden hoch liegen. Weiterhin kann ein kaltverformtes Material bei einer Temperatur, die das Ausheilen der Versetzungen erlaubt, weichgegluht werden. Es laufen dann die in Abschn. 3.2 besprochenen Prozesse ab, und die Streckgrenze nimmt mit abnehmender Versetzungsdichte entsprechend (4.16b) ab. Eine Korngrenzen- oder Teilchenhartung laBt sich ebenfalls durch eine Gluhbehandlung reduzieren. So wie die KorngroBe und die Teilchenabstande mit der Zeit zunehmen, nimmt die Streckgrenze entsprechend (4.16 c) und (4.16d)ab(Bild4.10).
4.3 Kriechen Der Zugversuch allein geniigt nicht, um das Verhalten des Werkstoffes bei den in der Praxis vorkommenden Beanspruchungen zu kennzeichnen. Neben der kontinuierlich steigenden (wahren) Spannung im Zugversuch gibt es zwei weitere wichtige mechanische Priifverfahren, bei denen der Werkstoff andersartig beansprucht wird: 1. Eine konstante Spannung wird aufgebracht, und gemessen wird die Dehnung der Probe, abhangig von der Zeit (und bei konstanter Temperatur). Falls unter diesen Bedingungen eine plastische Verformung auftritt, wird dies als Kriechen bezeichnet. Der Zeitstandversuch endet mit dem Bruch der Probe. 2. Eine mit der Zeit periodisch verlaufende Spannung wird aufgebracht. Gemessen wird die Zahl der Lastwechsel, bei denen die Probe bricht. Der Vorgang heiBt Ermiiden. Gemessen wird die Schwingfestigkeit eines Werkstoffs, die in Abschn. 4.4 zusammen mit anderen Bruchvorgangen behandelt wird. Ungliicklicherweise werden von Werkstofftechnikern haufig die Bezeichnungen Daueroder Zeitstandversuch fiir das Kriechen und Dauerwechsel- oder Dauerschwingversuch fiir das Ermiiden gebraucht, was zu haufigen Verwechselungen fiihrt. Bei beiden Versuchen spielt die Dauer des Versuchs eine Rolle. Die Ermiidung ist aber bei metallischen Werkstoffen fiir kleine Amplituden und niedrige Temperaturen fast unabhangig von der Frequenz und damit von der Zeit. Wie beim Zugversuch, so muB auch beim Kriechversuch zwischen einer »physikalischen« und einer »technischen« Versuchsfiihrung unterschieden werden. Beim physikalischen Kriechversuch soil wahrend der gesamten Versuchsdauer eine konstante Spannung auf die Probe wirken. Deshalb muB die von auBen wirkende Last entsprechend den Anderungen des Querschnitts geandert werden. Das erfordert aufwendige Versuchstechnik. Im technischen Kriechversuch wird dagegen die Last konstant gelassen, die direkt an die Probe gehangt oder mit einem Hebel iibertragen wird. Der Querschnitt und die Spannung andern sich wahrend des Versuchs, was der in der Praxis auftretenden Beanspruchung besser entspricht als der physikalische Versuch (Bild4.11) Das Kriechen ist wie Diffusion, Erholung und Rekristallisation ein thermisch aktivierter ProzeB (Kap.3). Verwandt ist das viskose FlieBen (Kap.4.7), das in stabilen oder
4 Mechanische Eigenschaften
140 0,20
% §0,15
I
I
I
/
/
konstante Kraft
j
cr
B - konstante Spa inung
° 0,10 jr:
I 0,05 0
200
400
600
800
1000
1200 h
Zeit
Bild4.11a. Kriechkurve eines austenitischen rostfreien Stahls (18% Cr, 8 Ni) bei 700 °C und 93 Nmrn -2 . In Kurve B wurde die Kraft entsprechend der Verringerung des Querschnitts reduziert, so daB <J = P/F = const. (Nach F. Garafalo)
Dehnung [%]
Bild 4.11 b. Schematische Darstellung des Verlaufs eines Zeitstandversuchs
Zeit [h]
Bild 4.11 c. Zusammenhang von Kriechgeschwindigkeit ^2B ^ (p und Bruchdehnung
1 1
1 1
I i
i
7\
—i
1
i
l_
rii
'
|
5^^
i_
! J
Bild 4.11 d. KJettern von Versetzungen durch Diffusion von Atomen und Leerstellen ist die Ursache des Kriechens in Kristallen
141
4.3 Kriechen
unterkiihlten (z.B. Glasern) Fltissigkeiten auftritt. Kriechen geschieht in kristallinen Werkstoffen und ist sehr stark von deren Mikrostruktur abhangig. Die Grundvorgange sind das Klettern von Versetzungen und Abgleiten von Korngrenzen (Bild 3.7). Ohne thermische Aktivierung konnen sich die Versetzungen nur in Richtung ihres BurgersVektors bewegen, beim Kriechen durch Klettern auch senkrecht dazu. Das ftihrt dazu, daB bei erhohter Temperatur plastische Verformung bei sehr geringen Spannungen weitergehen kann, wo bei tiefen Temperaturen durch Verfestigung die Verformung zum Stillstand kommt. Die Kriechgeschwindigkeit d(p/dt ist eine Funktion auBerer Spannung a, Temperatur T; Zeit t und des Gefuges des Werkstoffs: (p = f(cr, T, t, Gefuge). Die Formanderungsgeschwindigkeit (p = dcp/ dt steht in Zusammenhang mit der Schergeschwindigkeit y = dy/dt = 2(p. Versetzungstheoretisch folgt im Prinzip aus (4.12) zu dy = y — bgv. (4.17a) dt Die Kriechgeschwindigkeit ist der mittleren Geschwindigkeit v von Q Versetzungen proportional. Sie hangt direkt mit dem Selbstdiffusionskoeffizient zusammen, da zum Klettern der Versetzungen Leerstellen bewegt werden mussen (Bild 3.7 und 4.11 d). Daraus folgt die Temperaturabhangigkeit von (p = <^o exp(— Q/RT) (Abschn. 3.1). Weiterhin ist (p proportional der auf den Werkstoff wirkenden Spannung a. Die Versetzungsdichte g nimmt aber auch mit zunehmender Spannung zu. Folglich findet man in der Praxis haufig halbempirische Kriechgleichungen wie p = Ca 1 / w exp
1 < - < 4. m
V RTJ'
(4.17b)
Wenn die Geschwindigkeit der Verformung allein durch das Klettern bestimmt wird, ist die Temperaturabhangigkeit des Kriechens durch die Aktivierungsenergie fiir Selbstdiffusion bestimmt (Bild 4.12). Diese wird durch die auBere Belastung um einen Betrag 350 _J_ mol Ni y i y - F e O / ry #cc-Fe |
V> 250 fc
CuA \ i /
200
o y
150
M g o / >Al Pb / In o/oC(j
50 Bild 4.12. Die Aktivierungsenergien fur Kriechen reiner Metalle entsprechen denen fiir Selbstdiffusion (siehe Tab. 3.2)
/ 50 100 150 200 250 J/mol 350 Aktivierungsenergie des Kriechens
142
4 Mechanische Eigenschaften
erniedrigt, der umso groBer ist, je groBer die Spannung ist. Fur eine grobe Abschatzung dariiber, bei welcher Temperatur ein Werkstoff zu kriechen beginnt, ist wiederum der Bezug auf die Schmelztemperatur nutzlich: T ^ 0,37kf als Grenze fur nennenswertes Kriechen liefert z. B. fur of-Eisen etwa 300 °C, fur Blei etwa —70 °C. Fur eine konstante Kriechgeschwindigkeit (p ist die plastische Verformung im Werkstoff cp proportional zur Versuchsdauer t (Bild 4.11c)
Ein Werkstoff kann bis zu einer bestimmten Bruchverformung cp^ verformt werden. Dann folgt, daB die Lebensdauer t# mit der Kriechgeschwindigkeit abnimmt.
Die Form der Langenanderungs-Zeit-Kurve andert sich fur alle Werkstoffe mit der Temperatur. Sie ist mit einer einzigen Gleichung nicht genau zu beschreiben. Fur sehr niedrige Temperaturen (in vielen metallischen Werkstoffen bei T < 0,3Tkf) verlangsamt sich das Kriechen mit zunehmender Zeit und kann mit einer logarithmischen Funktion beschrieben werden. Dies ist dann der Fall, wenn die Versetzungsdichte mit zunehmendem Betrag an Verformung zunimmt: (p = (p0 + a\nt.
(4.17c)
<po ist die Verformung direkt nach Aufbringen der Spannung, a ist ebenfalls zeitunabhangig und durch die sich wahrend des Kriechens bildenden Versetzungen bestimmt, die den Werkstoff verfestigen. Eine konstante Kriechgeschwindigkeit setzt voraus, daB die Struktur, d. h. Versetzungsdichte, KorngroBe in der Probe konstant bleibt. Dies ist im allgemeinen im mittleren Bereich einer Kriechkurve erfullt (m = 1), wahrend am Anfang die Dehnung weniger als linear (ra < 1), am Ende mehr als linear mit der Zeit ansteigt (m > 1). Im mittleren Temperaturbereich (0,37kf < T < 0,8!%) beschreibt 4.17d recht gut die Gesamtverformung
(4 Aid)
Mit zunehmender Temperatur wird der Anteil des Korngrenzengleitens an der plastischen Verformung immer groBer. Die Kriechgeschwindigkeit <jp nimmt mit abnehmender KorngroBe stark zu. Warmfeste Werkstoffe sollten daher aus groBen Kristallen bestehen oder die Korngrenzen mtissen durch dispergierte Teilchen am Gleiten gehindert werden. In einkristallinen Bauteilen (Turbinenschaufeln) werden Probleme mit Korngrenzen vollstandig vermieden. Bei technischen Kriechversuchen werden Zeitdehngrenzen und Zeitstandfestigkeit bestimmt. Die Zeitdehnungsgrenze ist diejenige Spannung a (in Nmm - 2 ), bei der eine bestimmte Dehnung der Probe, z.B. 0,2%, nach einer vorgegebenen Zeit t, z.B. 1000 h, auftritt. Der Wert wird folgendermaBen angegeben: flpo,2/iooo = 100 Nmm
143
4.3 Kriechen 500 Nmm"2 400 => 300
UB(S4)
p5CS K-$ » I K ""/£
cT^
I "
14(24). (17)
^
5(5)_
200
N
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Zeitstand-Schaubilc 100
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N
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80 40
%
20
10 6 4|
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1000
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20
I I I
10000 I
40 60100 200 400
h
L_J J
i
i
1
2
1000000 I
1000
'
d 4000 i
i_u
4 6a10
Versuchszeit /
Bild 4.13. a Auswertung des Zeitstandversuchs. Parameter sind Dehnung, Zeit und Spannung. Das Diagramm gilt fur eine bestimmte Temperatur. b Fortschritt der Entwicklung warmfester Werkstoffe. Die Betriebstemperatur kann definiert werden als diejenige Temperatur, bei der der Werkstoff noch eine Zeitstandfestigkeit von z. B. Rm/ioooh = 150 Nmm -2 besitzt
144
4 Mechanische Eigenschaften
r/TMk
r
flussig
viskoses FlieHen
Kristallin schnelles
2/3
langsames
Kriechen
V3 kein c
0
—
Bild 4.13 c. Auf die Schmelztemperatur bezogene Bereiche des Kriechens
Dazu gehort natiirlich auBerdem noch die Angabe der Temperatur. Entsprechend ist die Zeitstandfestigkeit die Spannung, bei der nach vorgegebener Zeit der Bruch eintritt, z. B. *m/iooo = 170 Nmm- 2 . Zur Ermittlung dieser Werte wahlt man meist eine doppelt logarithmische Darstellung von qp (t) mit der (nominellen) Spannung F/AQ als Parameter (Bild 4.13a). Neben Stoffen mit hoher Schmelztemperatur, wie Oxiden und Karbiden, und hochschmelzenden Metallen, wie W und Mo, kommen als warmfeste Werkstoffe besonders Phasengemische in Frage. Es soil eine Phase feinverteilt in einem Grundgitter liegen, die die Bewegung der Versetzungen behindert und sich beim Erwarmen auf Gebrauchstemperatur nicht auflost. Als Beispiel fiir die Verwendbarkeit von Werkstoffen bei erhohter Temperatur konnen Stahle dienen, die verschiedene Legierungskarbide als zweite Phase enthalten, die bis zu verschiedenen Temperaturen fast unverandert bleiben (Bild 4.13b): Kohlenstoffstahl < 200 °C, chromlegierter Stahl < 350 °C, molybdanlegierter Stahl < 550 °C, austenitischer Stahl < 750 °C. AuBer dem definierten Begriff der Zeitstandfestigkeit wird haufig der Begriff Hitzebestandigkeit zur Kennzeichnung von Hochtemperaturwerkstoffen verwendet. Darunter versteht man eine technische Eigenschaft, die in einer Kombination von hoher Zeitstandfestigkeit mit guter Zunderbestandigkeit besteht. Eine gute Zunderbestandigkeit kann natiirlich auch mit anderen Eigenschaften kombiniert werden. Bei Heizleitern (Abschn. 5.2) kommt es neben Zunderbestandigkeit noch auf einen bestimmten Wert des elektrischen Widerstands und die Temperaturwechselbestandigkeit an. In der Regel ist das Kriechen der Werkstoffe ein schadlicher Vorgang, der iiber langere Zeitraume zu Formanderung oder RiBbildung und folglich Versagen eines Bauteiles fiihren kann. Absichtlich herbeigefuhrt wird eine zeitabhangige Verformung beim Warmverformen, speziell beim superplastischen Umformen. Man strebt dabei ein mechanisches Verhalten entsprechend den viskos flieBenden Fliissigkeiten an. Der Werkstoff soil ohne einzuschniiren sehr hone Verformungsgrade erlauben und durch Fertigungsverfahren, die dem Glasblasen ahnlich sind, verarbeitbar sein. Es hat sich bisher
4.3 Kriechen
145
insbesondere eine Al-Zn-Legierung bewahrt, die zu je etwa 50% aus kfz und hdPMischkristallen in feinkristalliner Form (Mikroduplexgeftige) besteht; aber auch feinkristalline a + P-Messing-, a + P-Titan- and a + y-Eisenlegierungen sind superplastisch verformbar. Im makroskopischen Verformungsverhalten dient zur Kennzeichnung der Eignung einer Legierung fur diesen ProzeG der Exponent (vgl. 4.17 b) m=— , (4.17e) d ln 0,6 betragen sollte. Nahe verwandt dem Kriechversuch ist die Spannungsrelaxation. Hierbei wird auf die Probe eine bestimmte geringe Dehnung e durch Spannen aufgebracht. Die Gesamtdehnung e0 bleibt wahrend des Versuchs konstant: de . , da L A — = o , 80 = 6e + 8p = const, —-4=0 dt dt Mit t > 0 beginnt die Probe zu kriechen, d.h. es tritt ein zunehmender Anteil plastischer Verformung parallel zur Spannungsrichtung auf. Folglich nimmt der Anteil der elastischen Dehnung und damit die Spannung ab:
o(t) = E[e0-ep(t)]. In dem Temperaturbereich des linearen Kriechens kann die Abnahme der Spannung durch <7(r) = a 0 e x p ( - -M
(4.17f)
gut beschrieben werden. a0 ist die Spannung bei der Zeit t = 0. r0 ist die Relaxationszeit und wird definiert als diejenige Zeit, die notwendig ist, die Anfangsspannung auf 1/e = 36,6% zu erniedrigen. In metallischen Werkstoffen liegt der Spannungsrelaxation ein KriechprozeB zugrunde, der auf dem Klettern von Versetzungen beruht. r0 hat deshalb die in (4.17 a) angegebene Temperaturabhangigkeit. Das Kriechen im Beton ist schwieriger zu verstehen als das von Metallen. Die Ursache wird in Abgleitvorgangen in den Phasengrenzen der neu gebildeten Hydratkristalle und der Zuschlagstoffe zu suchen sein (Abschn. 7.6). Voraussetzungen fiir Spannungsrelaxation sind im Spannbeton durch Kriechen in den Stahlstaben des Spannbetons gegeben. In diesem Fall sollte die Spannung fiir sehr lange Zeiten konstant bleiben, also relativ wenig Kriechen stattfinden. Man wahlt deshalb die Vorspannung so hoch, wie es die dafiir geeigneten Stahle erlauben. Auch thermoplastische Polymere kriechen unterhalb ihrer Schmelztemperatur (Abschn. 9.2, Bild 9.5), wenn die Molekiilketten aneinander vorbeigleiten konnen. Ihre Orientierung fiihrt zu Kriechverfestigung. Infolge ihrer niedrigen Schmelztemperaturen muB Kriechen in manchen thermopiastischen Werkstoffen schon bei Raumtemperatur beachtet werden.
146
4 Mechanische Eigenschaften
4.4 Bruch a) Mikroskopische und makroskopische Aspekte Der Bruch eines Werkstoffes kann nach kontinuierlich steigender, periodisch wechselnder (Ermudungsbruch) und konstanter Belastung (Kriechbruch) erfolgen. Daraus ergeben sich Zug-, Schwing- und Zeitstandfestigkeit. Im einfachsten Falle wird eine Probe ohne AnriB untersucht. Die Trennung erfolgt dann entweder mit oder ohne vorangehender plastischer Verformung: zah oder sprode. Eine Schubspannung bewirkt plastische Verformung, wahrend Sprodbruch durch Zugspannung verursacht wird. Falls Proben mit definiertem AnriB untersucht werden sprechen wir von bruchmechanischer Priifung und unterschneiden schnelles oder kritisches RiBwachstum und verschiedene Mechanismen des langsamen oder unterkritischen RiBwachstums (Tab. 4.5). In der Praxis geht haufig das unterkritische Wachstum eines Risses der kritischen RiBausbreitung voraus. Die obere Grenze der RiBgeschwindigkeit ist die Schallgeschwindigkeit. Im folgenden sollen die einzelnen Mechanismen der RiBbildung und die Moglichkeiten zur Kennzeichnung der Bruchzahigkeit oder Sprodigkeit von Werkstoffen behandelt werden. Auf dieser Grundlage kann der Begriff »Festigkeit« eines Werkstoffs deflniert werden als Widerstand gegen plastische Verformung und die Ausbreitung von Rissen (Bild 4.14 a). Die Werkstoffe werden im Maschinenbau und im Bauwesen vorwiegend nur im elastischen Bereich beansprucht. Der Bruch bei statischer Belastung im technischen Gebrauch ist bei duktilen Werkstoffen in der Praxis ein unerwiinschter Sonderfall, der auf unterkritisches RiBwachstum, Werkstoffehler oder Oberbelastung zuriickzufiihren ist. In der Zerkleinerungstechnik (Miihlen) ist der energiearme Bruch jedoch ein erwiinschter Vorgang. Der Bruch beendet den Zugversuch. Zahe Werkstoffe enthalten den Bereich der plastischen Verformung noch als »ReserVe« zwischen Streckgrenze und Bruch. Als MaB fiir die plastische Verformbarkeit - auch kurz als Duktilitat des Werkstoffes bezeichnet - kann aus dem Zugversuch die Bruchdehnung ermittelt werden. Nachdem die Probe
Tabelle4.5. Stadien des Werkstoffversagens durch Risse 1. RiBbildung
^r 2. unterkritisches Wachstum
^r 3. kritisches Wachstum
Korrosion, VerschleiB, Oberflachenrauhigkeit, sprode Korngrenzen, Versetzungsaufstauungen, Reaktionen geloster Gase RiBwachstum unter statischer BeaiTSpfuchung, unter Kriechbedingungen, unter UmgebungseinfluB, (Spannungskorrosion), Ermiidung sproder Bruch, duktiler Bruch ohne ortliche Einschniirung, duktiler Bruch mit ortlicher Einschniirung (Wabenbruch)
4.4 Bruch
147 Festigkeit ist Widerstand gegen:
» /vy^, V V > V V
Bild 4.14 a. Definition des Begriffes »Festigkeit«: Widerstand gegen plastische Verformung, Ausbreitung von Rissen und Abtragung der Oberflache.
RiBausbreitung
plastische Verformung
V
VerschleiG
Korngrenze
^
Bild 4.14 b. Mechanismen zur Bildung von Mikrorissen: doppelter Versetzungsaufstau, einfacher Aufstau an sproder Korngrenze
> llllll
Ri'n
gerissen ist, werden die Probenenden zusammengelegt und die Lange beim Bruch 7 B oder die Querschnittsanderung A o / A B gemessen. Die nomirielle und die wahre Bruchdehnung sind definiert als In
100 = e
B
[%] oder
In
:
In Werkstoffen, die vor d e m Bruch einschniiren, setzt sich die Bruchdehnung additiv aus GleichmaBdehnung und Einschniirungsdehnung zusammen: <5B = <5G + ^ Ein Werkstoff mit e B = 0 ist sprode. D i e Angabe der Bruchdehnung ist aber nicht hinreichend zur Kennzeichnung der Duktilitat, da sie nichts dariiber aussagt, ob diese Dehnung etwa bei konstanter Last (do/dq) = 0) oder nach starker Verfestigung eingetreten ist. A u s diesem Grund wertet man bei technischen Zugversuchen noch das Streckgrenzenverhaltnis aus. Es ist definiert als Rp/Rm' 100 (in %). R m ist die Zugfestigkeit, die am Punkt dFldcp = 0 der Kraft-Dehnungs-Kurve gemessen wird (4.9) und definiert ist als
=
A0
*n
Eine wahre Spannung liegt der ReiBfestigkeit QR zugrunde. - ^R _ rr —
—
— rr
(J R _
<7 m a x .
4 Mechanische Eigenschaften
148
Da bei F max sich der Querschnitt A 0 geandert hat, handelt es sich hierbei wieder um eine genormte GroBe, nicht aber um eine »wahre« Spannung. Die wahre Bruchspannung a R wird als ReiBfestigkeit bezeichnet. Sie kann aus der Kraft beim ReiBen der Probe FR (nicht beim Beginn der Einschniirung F max ) und dem Querschnitt der Probe beim ReiBen A R berechnet werden. Fur den Fall, daB die Probe ohne Einschniirung reiBt, werden Zug- und ReiBfestigkeit identisch. Der Bruch einer Probe ist bisher als AbschluB des Zug- und Kriechversuchs erwahnt worden. Es sollen jetzt einige allgemeine Gesichtspunkte zur Bruchbildung behandelt werden. Man unterscheidet zwischen duktilem Bruch und sproden Bruch, je nachdem, ob plastische Verformung dem Bruch vorangeht oder nicht. Viele kfz Metalle brechen bei alien Temperaturen duktil. Krz Metalle, zu denen auch die Stahle gehoren, wechseln unterhalb einer Ubergangstemperatur von duktilem zu fast sprodem Bruch iiber. Ein gleiches Verhalten, aber aus anderer Ursache, zeigen alle Kunststoffe und Glaser. Die kristallinen keramischen Werkstoffe besitzen nur dicht unterhalb ihrer Schmelztemperatur eine geringe Duktilitat (Bild 4.14 und 4.15). Zum Verstandnis der Bruchbildung sind mikroskopische und makroskopische Gesichtspunkte notwendig. Bevor ein Bruch sich durch den gesamten Querschnitt der Probe ausbreiten kann, muB sich ein Bruchkeim oder MikroriB gebildet haben (Bild 4.14 b). Voraussetzung dazu ist, daB lokal im Werkstoff oder in seiner Oberflache Spannungen auftreten, die groBer als die auBen anliegende Spannung a sind. Das ist im Inneren des Werkstoffs moglich durch eine Aufstauung von Versetzungen. Falls diese ihre Gleitebene nicht verlassen konnen und an einem Hindernis, z. B. einer Korngrenze, aufgestaut sind, flndet man dort eine hohere Spannung ^Aufstau = no,
(4.18)
falls sich n Versetzungen im Aufstau befmden. Die Stauspannung reicht haufig zur RiBbildung aus. Die Bildung von Mikrorissen wird auBerdem durch Gefiigebestandteile gefordert, die eine lokale Trennung begiinstigen: durch Segregation versprodete Kornund Phasengrenzen (P im Stahl), Einschlusse sproder keramischer Phasen (Schlacken), Martensitkristalle und Verformungszwillinge (im Stahl bei tiefen Temperaturen). Ahnlich wie in (4.11 c) fiir das Abscheren von Gitterebenen gilt es eine Zugspannung ath, die zum Trennen zweier Ebenen des perfekten Gitters notwendig ist: «•= *
E{M)
. 5bisl0
(4.19)
± /A •U
A f
17 d
\
Bild 4.15 a-d. Bruchformen unter Zugspannung ohne AnriB. a Schubspannung r und Normalspannung ON in der Zugprobe. b Spaltbruch durch %, c Schubbruch durch r. d Bruch nach Einschniirung
4.4 Bruch
149
Fur jede Kristallstruktur gibt es Spaltebenen mit minimaler Trennfestigkeit. Offensichtlich ist das bei Schichtkristallen wie Glimmer. Fur a-Eisen und Kochsalz sind es z. B. die {100}-Ebenen. Bild 4.14 zeigt, wie ein Bruch in (001) durch zwei Gruppen von aufgestauten Versetzungen ausgelost werden kann. Zur Bruchbildung an einer Korngrenze ist auBer dem Versetzungsaufstau eine »sprode« Korngrenze notwendig. Das kann dadurch zustande kommen, daB Fremdatome sich bevorzugt an den Korngrenzen ansammeln (Segregation, z. B. von P in a-Fe), die dann verhindern, daB die Korngrenze der von dem Versetzungsstau herruhrenden Spannung plastisch nachgeben kann. Der Werkstoff bricht in diesem Fall langs der Korngrenze als Spaltflache. Wir unterscheiden also im mikroskopischen Bereich transkristalline Bruche (quer durch die Kristalle) und interkristalline Bruche (entlang den Korngrenzen). Kenntnis dieser Mechanismen ist Voraussetzung zur Anderung des Gefugeaufbaus zur Therapie gegen Versprodung eines Werkstoffes. Man muB dazu Versetzungsaufstauung und sprode Korngrenzen vermeiden (Bild 4.15). Die Spannung, die zur Trennung der Netzstruktur von Glasern notwendig ist, ist etwa gleich groB wie ath aus (4.19). In Glasern sind bei tieferen Temperaturen keine plastischen Verformungsvorgange mit Bildung von Versetzungsaufstauungen denkbar wie in Kristallen. Trotzdem brechen Glaser bekanntlich besonders leicht bei a « ath. Die Frage ist, wie in diesem Fall Spannungskonzentrationen entstehen konnen: Es mussen entweder Mikrorisse im Inneren oder Kerben in der Oberflache des isotropen Werkstoffes vorhanden sein (Abschn. 7.5, Bild 7.7).
b) Bruchmechanik, statische Belastung und Anrifi Die Bruchmechanik ist ein Teilgebiet der Kontinuumsmechanik. In ihr wird vorausgesetzt, daB der Werkstoff von Anfang an nicht perfekt ist, sondern Mikrorisse enthalt. Im bruchmechanischen Experiment wird die Zugprobe deshalb mit einem deflnierten AnriB versehen (Bilder4.16 und 4.18). Nachfolgend soil angenommen werden, daB ein kleiner, elliptisch geformter RiB (Bild 4.16) senkrecht zur auBeren Spannung liegt. Um diesen RiB herum herrscht eine komplizierte Spannungsverteilung. Die an der RiBspitze herrschende maximale Zugspannung <JK ist wiederum groBer als die auBere Spannung a. ^K=cr(l + y ) .
(4.20a)
Falls der RiBgrund sehr scharf ist, folgt daraus eine hohe Spannungskonzentration, die zum WeiterreiBen ausreichend sein kann. Entscheidend fiir die Frage, ob ein Werkstoff sich sprode oder duktil verhalt, ist die Art des Zusammenspiels von Kerben und mikroskopischem Verformungsverhalten. In einem Werkstoff, in dem keinerlei plastische Verformung moglich ist, kann die Spannungskonzentration im Kerbgrund nur durch RiBbildung abgebaut werden. Der RiBgrund muB einen Radius von der GroBenordnung des Atomabstandes (/ « 0,5 nm) annehmen. Folglich ist die ortliche Spannungserhohung im RiBgrund sehr groB. Der RiB pflanzt sich beschleunigt fort, und die Probe bricht. Besitzt ein duktiler Werkstoff einen gleichen Kerb, in dem Gleitung in mehreren Gleitsystemen und in feiner Verteilung oder viskoses FlieBen stattfindet, dann wird die auch hier anfangs auftretende Spannungskonzentration dazu fuhren, daB im Kerbgrund plastische Verformung auftritt. Das er-
4 Mechanische Eigenschaften
150
Bild 4.16. a, b Bruch eines sproden Werkstoffs, ausgehend von einem Kerbgrund. Unter Druckspannung wird der Kerb geschlossen, so daB sich der Ri8 nicht ausbreitet. c Plastische Verformung fuhrt zu Ausrundung des RiBgrunds. d Geometrie eines Mikrorisses
gibt eine VergroBerung des Krummungsradius des Kerbgrundes und damit eine Verminderung der Spannungskonzentration. Zwischen beiden Extremfallen liegt ein Werkstoff, in dem bei plastischer Verformung wenige hohe Gleitstufen entstehen. In diesem Fall wird der Kerbradius nicht im gleichen MaBe vermindert wie bei feiner Gleitung. In einer polierten Oberflache konnen die durch geringe plastische Verformung entstehenden Gleitstufen eine Kerbwirkung auslosen und so zum Sprodbruch bei statischer Belastung oder zum Ermudungsbruch fuhren (Bild 4.18). Nach ihrem mikroskopischen plastischen Verhalten konnen wir also kerbempfindliche und kerbunempfindliche Werkstoffe unterscheiden. Kerbempfindlich sind alle Glaser und kristallinen keramischen Stoffe, kerbunempfindlich sind Metalle mit niedrigem Streckgrenzenverhaltnis d.h. hoher Verfestigungsfahigkeit (Kap.8). Der Konstrukteur muB bei kerbempfindlichen Werkstoffen alle kleinen Krummungsradien in der Oberflache vermeiden und evtl. die Oberflachen harten, wahrend bei kerbunempfindlichen Werkstoffen auch scharfe Ecken erlaubt sind. Die Frage, bei welcher Spannung sich ein RiBkeim durch den Werkstoff bewegt und zum Bruch fuhrt, kann am einfachsten fur einen »ideal-sproden« Stoff beantwortet werden: Dann ist der Durchmesser im Kerbgrund gleich dem Atomabstand aQ (Kap. 1). Die Bruchspannung ath einer Probe ohne Kerb ergibt sich aus dem Ansatz, daB nur elastische Energie zur Erzeugung von zwei Bruchoberflachen (spezifische Energie yQ Tab.6.3)dient:
a - f*E ~
E
(4.20 b)
Eine Kerbe der Lange a> aQ oder ein RiB der Lange 2 a fuhrt bei einer geringeren Spannung <7BK zum Bruch
4.4 Bruch
151
^K = ^ K I .
(4.20c)
Daraus folgt
^ * >/^.
(4.20d)
Ein RiB von 10~2 mm Lange verringert also bei Glas oder sproden Kristallen die Bruchfestigkeit auf weniger als ein Hundertstel des urspriinglichen Wertes. Fur den bruchmechanischen Zugversuch wird ein RiB der Lange a absichtlich in die Probe eingebracht. Dieser RiB liegt entweder am Rande oder im Innern einer meist plattenformigen Probe (Bild4.14a, 4.16a). Bei der Prufung und Auswertung findet die ASTM-Norm Anwendung (American Society for Testing of Materials). Gemessen wird die Zugkraft (oder Spannung), bei der diese Probe bricht. Der AnriB der Lange a muB so scharf wie moglich sein: L —+ b (4.20 a). Dies gelingt am besten durch Anschwingen eines angefraBten Risses (Abschn.4.4c, 4.16 c). Fur die Auswertung dieses Versuchs ist von Bedeutung, dafi ein kreis- oder halbkreisformiger Bereich uber und unter dem RiB spannungsfrei ist: a = 0. Dagegen herrscht an der RiBspitze eine hohere Spannung crk > a. Die Spannungsenergie, die unter dem RiB fehlt, steht an dessen Spitze zur Verfugung (Abschn.4.8b). Sie muB mindestens ausreichen, um die Oberflache zu vergroBern. Dazu ist (pro Einheit des RiBfortschritts und der Probendicke) die doppelte Oberflachenenergie y notwendig (Abschn.6.5). = 2/
(4.21a)
IE Dies gilt fur den ideal sproden Zustand, den keramische Glaser und Kristalle mit hohem kovalenten Bindungsanteil erreichen. Die Eigenschaft »Bruchzahigkeit« ist dadurch bedingt, dafi nicht nur Oberflachen gebildet werden. Im RiBgrund tritt vielmehr plastische Verformung und Verfestigung auf. Dazu ist oft eine sehr viel hohere Energie erforderlich, die als speziflsche RiBausbreitungsenergie Gc in Jm - 2 bezeichnet wird:
^P=GC>2Y
(4.21b)
Wir sehen, daB E, Gc, y Werkstoffeigenschaften sind. Die ubrigen kennzeichnen die Beanspruchung (4.21c) Rm2na=GcE Fiir Spannungen a < aB bricht der Werkstoff trotz des Anrisses noch nicht. Diese unterkritische Beanspruchung wird durch die Spannungsintensitat K beschrieben. K = a \/^~a (Nm" 3/2 s Pam1/2) Diese Gleichung zeigt die Aquivalenz von auBerer Zugspannung a und AnriBlange a fur die Beanspruchung des Werkstoffs. Bei steigender Spannung a beginnt der Bruch bei der Spannung Rm fiir die Bruchzahigkeit Kc. Es kann aber auch bei konstanter Spannung G BC und werden mit KXc und G\c
4 Mechanische Eigenschaften
152 104 •m/s
i
:—
Nmm
HO' 2
:
unterkritisch
sA
uberkritisch
J Aiscc
-io- £ I j t^Iscc «ic Spannungsintensitat AJ ,willk.Einheiten, linear
10"2
10-3
I
' i i l l Frequenz : 4 Hz
b
|
800 10001200 1400 1600 1800 2000 N mm"2 2400 Streckgrenze /?po,2
0
Zug -Schwellbeanspruchung
°
n dest illie *tem Wasser n Vaku urn
10"A
10"5
io- 6 MO-7
10' 8
\
1
1
t 3/2
2 4 6 810 20 MNnf 100 Amplitude der Spannungsintensitat AK
Bild 4.17. a Schematische Darstellung des Einflusses der Spannungsintensitat auf die Ausbreitungsgeschwindigkeit von unterkritischen und uberkritischen Rissen. Klc Bruchzahigkeit, Klscc Grenzwert der Spannungsrifikorrosion. b Typische Mefiwerte der Bruchzahigkeit in Lufl (Klc) und des Grenzwertes der Spannungsrifikorrosion in 3,5-%-NaCl-Losung (Klscc) von hochfesten Stahlen. c Ausbreitungsgeschwindigkeit von Ermiidungsrissen in einem hochfesten Stahl als Funktion der dynamischen Spannungsintensitat. d Geschwindigkeit der Ausbreitung von Ermiidungsrissen von Polymeren abhangig von der dynamischen Spannungsintensitat AK
bezeichnet. Sie finden Verwendung bei Festigkeitsberechnungen mit hohem Sicherheitsbediirfnis. Eine entsprechende KenngroBe kann nicht nur fur die sprode und piastische RiBausbreitung definiert werden, sondern auch fiir den Bruch unter Spannungskorrosions(Abschn.6.4), Ermudungs- und Kriechbedingungen Kap.4.3. In den Bildern 4.17 und 4.18 werden eine Obersicht uber den Zusammenhang verschiedener A'-Werte sowie
4.4 Bruch
153
Fi 'max
Messung
L dfit
Auswertung
Kz K kritisch, statisch
K0 K c K unterkritisch, statisch
^SRK
^c
Spannungsridkorrosion
^
M0 K+\K K Ermudung
Kr K Kriechen
Druck
Bild 4.18. a tJberblick iiber die Moglichkeiten der RiBausbreitung. In der oberen Reihe sind die Versuchsbedingungen angegeben (dRiBdffnungsdehnung, a RiBlange, beide mit der Einheit [m], die zu den in der unteren Reihe dargestellten Funktionen der RiBausbreitung fiihren. 1 Bruchmechanischer Zugversuch, keine Verformung^>der Verfestigung im RiBgrund; 2 wie 1., aber mit Plastizitat im RiBgrund; 3 Zeitabhangiges RiBwachstum, gefordert durch chemische Reaktion mit der Umgebung des Werkstoffs; 4 Bruchmechanischer Ermudungsversuch: RiBfortschritt pro Lastwechsel; 5 Bruchmechanischer Kriechversuch: zeitabhangige Verformung im RiBgrund b Plastische Verformung an der RiBspitze ftihrt zu RiBfortschritt um Aa (Bild 4.18 a: Gleitstufen, Bild 4.18 c: plastisches Kontinuum) c Ausbreitung eines Ermudungsrisses durch Abgleiten in zwei Gleitsystemen
154
4 Mechanische Eigenschaften
Tabelle4.6a. Bruchzahigkeit einiger Konstruktionswerkstoffe. (Nach G.T. Hahn) Werkstoff
Glc KJm- 2
Al-Legierungen, duktiler Bruch Ti-Legierungen, duktiler Bruch unlegierte Baustahle, duktiler Bruch hochfeste Stahle, duktiler Bruch unlegierte und mikrolegierte Baustahle, sproder Bruch Poly-Carbonat, duktiler Bruch Poly-Carbonat, sproder Bruch Epoxidharz Epoxidharz mit Elastomerdispersion Kalkstein parallel zur Sedimendationsebene Kalkstein, senkrecht zur Sedimendationsebene Glas Douglas-Kiefer, parallel zur Faserachse Douglas-Kiefer, senkrecht zur Faserachse
7... 10... 500... 5...
K\c= y G\CE MNm~3/2 22 ... 30... 300... 30...
16 40 900 130
33 120 400 150
10... 100 1,1 0,4 0,8 3,9 1,1 24 0,3 . ..0,( 0,3 0,4
0,6... 60 50...60 7 0,2 2,6 0,06 0,23 0,002... 0,01 0,03 0,22
Tabelle4.6b. Kritische RiBlangen bei Belastung a = 0,8 Rp (ac= Kl/na2) Werkstoff
*P
MNm"2
ac mm
^Ic
MNm"3/2
220
350
T> Tv:200 T< Tv: 40 70
1350
60
1
St 37
280
AlZnMg-Blech (Flugzeugbau) hochfester Stahl
16
Beispiele zur Kennzeichnung einiger metallischer Werkstoffe mit bruchmechanischen Daten gegeben. Bild 4.17 a zeigt schematisch den EinfluB von K\ auf die Ausbreitungsgeschwindigkeit von Rissen. Oberhalb von Klc breiten sich Risse rein mechanisch und mit einer Geschwindigkeit aus, die die GroBenordnung der Ausbreitungsgeschwindigkeit elastischer Wellen erreichen kann (1X bis 10 X10 3 ms"1) (Bild 4.17, 4.18, Tab. 4.6). c) Ermiidung Die Beanspruchung der Probe beim Ermudungsversuch geschieht durch eine sich periodisch andernde Spannung oder Verformung. Gemessen wird die Schwingfestigkeit. a = cra sin cot, e — ea sin cot. Fur verschiedene Amplituden cra wird diejenige Zahl von Lastwechseln Nfestgestellt, bei der die Probe bricht. Daraus folgt das sog. Wohler-Diagramm <ja = f(N). Es umfaBt Bildung, unterkritischer und kritischer Fortschritt von Rissen. ((Bild 4.19 und 4.20a). co = 2n/Xo\ to ist die Schwingungsdauer.)
4.4 Bruch
155 ^ Kriechversuch (physikalisch)
Bild 4.19. Verlauf der Spannung, bei der Messung der Wechselfestigkeit. Der sinusformig wechselnden Spannung kann eine statische Zug- oder Druckspannung iiberlagert werden Daraus kann der Konstrukteur direkt die zulassige Belastung ablesen, wenn ein Werkstoff eine vorgegebene Zahl von Lastwechseln aushalten soil. Die Dauerwechselfestigkeit wird angegeben als aw (in Nmm 2 ), bei Metallen haufig fiir JV = 107. Im bruchmechanischen Ermiidungsversucri wird die Beanspruchung als Amplitude der Spannungsintensitat AA^gekennzeichnet. Die RiBbildung wird dann nicht untersucht. AK = cra \[%a Durch RiBwachstum a + da erhoht sich AK auch bei gleichbleibender auBerer Belastung cra. Daraus kann beschleunigtes RiBwachstum folgen (Bild 4.17). Die an einfachen Proben gewonnenen Ergebnisse sind haufig nicht ohne weiteres auf kompliziert geformte Konstruktionen zu iibertragen. Deshalb werden in der Praxis Versuche direkt mit diesen Teilen durchgefuhrt. Sie haben den Vorteil, fiir den speziellen Fall zuverlassige Daten zu liefern, aus denen sich aber keine allgemeingultigen Schlusse ziehen lassen. Ebenfalls um die Beziehung zu den in der Praxis auftretenden Belastungsweisen herzustellen, wird der Ermiidungsversuch haufig mit iiberlagerter statischer Zug- oder Drucklast durchgefuhrt. In Bild 4.20b und c ist die Beziehung zwischen diesen Versuchen und dem statischen Zugversuch hergestellt. Auftragen ist als Diagonale die bei dieser Last noch erreichte Wechselfestigkeit ± <ja. Wenn ± aa = 0, dann ist cr^ = Rm also gleich der Zugfestigkeit. Obwohl der Ermudungsbruch bei oberflachlicher Betrachtung das Aussehen eines verfoimungsfreien Bruches hat, sind fiir die Ermiidung kleine Betrage von plastischer Verformung notwendig, die lokalisiert auftreten und RiBbildung und -wachstum verursachen. Die Untersuchungen polierter Oberflachen haben ergeben, daB eine grobe Verteilung der Gleitstufen im Kristall eine entscheidende mikroskopische Voraussetzung fiir die Bildung von Rissen in der Oberflache und manchmal fiir kurze Lebensdauer eines metallischen Werkstoffes ist (Bild 4.18 c). Eine feine Gleitverteilung und damit erschwerte RiBbildung kann erreicht werden, wenn das Gefuge des Werkstoffes Gleitung in kleinen Stufen verursacht. (Bild 4.18 b) Wichtig fiir den Konstrukteur ist, daB kein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Streckgrenze Rp und der Wechselfestigkeit besteht. Vielmehr gilt
156
4 Mechanische Eigenschaften 0,2 < - £ L <1,2,
wobei an der oberen Grenze reine kfz Metalle, an der unteren hochwarmfeste Nickellegierungen und Aluminiumlegierungen mit hoher Streckgrenze liegen. Hohe Streckgrenzen konnen daher oft gar nicht ausgeniitzt werden, wenn mit schwingender Beanspruchung zu rechnen ist. Die Ursachen fiir diese Erscheinungen sind bis jetzt noch nicht vollstandig bekannt (Bild 8.12). Seit langem ist bekannt, daB die Oberflachenbeschaffenheit der Probe oder des Werkstiickes fiir die Lebensdauer bei Ermudungsbedingungen von groBer Bedeutung sind. Die Ermudungsrisse wachsen oft von der Probenoberflache aus. Kleine Kerben oder Risse einer rauhen Oberflache fiihren zu schnellerer Entwicklung von Anrissen als an einer polierten Oberflache. Entsprechendes gilt fur Kerben, die durch die Konstruktion bedingt sind. Beim Konstruieren kann die Lebensdauer eines mechanisch schwingenden Teils wesentlich dadurch verlangert werden, daB kleine Krummungsradien vermieden werden. Das Ermudungsverhalten ist also sowohl durch das mikroskopische plastische Verhalten der einzelnen Kristalle (Gleitverteilung) als auch von der makroskopischen Form des Werkstiickes abhangig. Durch Oberflachenbehandlungen wie Kugelstrahlen oder Nitrierharten von Stahl kann vielfach die Lebensdauer stark erhoht werden (Bild 12.9). Unterhalb von Klc gibt es mehrere Arten von unterkritischem RiBwachstum: SpannungsriBkorrosion, Ermiidung und RiBwachstum unter Kriechbedingungen (Bild 4.18 b). Spannungskorrosion tritt dort auf, wo dafiir empfindliche Werkstoffe mit spezifisch schadlichen, von auBen einwirkenden Medien zusammenwirken (Kap. 6). Beispiele fiir derartige ungunstige Paarungen sind alle hochstfesten Stahle und Wasser, hochfeste Aluminiumlegierungen und feuchte Gase, Aluminiumlegierungen und Quecksilber, hochfeste Titanlegierungen und Salzwasser, Messing und Ammoniak. In Bild 4.17 ist zu erkennen, daB sowohl bei Klc als auch bei K^ (engl: stress corosion cracking) eine starke Abhangigkeit der RiBausbreitungsgeschwindigkeit von der Spannung besteht. In einem mittleren unterkritischen Bereich ist die RiBausbreitungsgeschwindigkeit dagegen weniger abhangig von der Spannung. A^ wird als Grenzwert von K\ festgelegt, bei dem eine RiBausbreitung nach sinnvollen Zeiten nicht mehr zu beobachten ist (I0~10ms~1). Khcc ist technisch von groBer Bedeutung, weil damit eine Kombination von RiBlange und Spannung gegeben wird, unterhalb der auch ein fehlerhafter Werkstoff in ungiinstiger Umgebung nicht mehr bricht. Ein fiir alle Werkstoffe gultiger allgemeiner Zusammenhang zwischen Kic und Klscc besteht nicht. Beide hangen auf noch nicht geklarte Weise von Zusammensetzung und Gefiige und vom umgebenden Medium ab. Kennzeichnende Werte fiir die Abhangigkeit von #i c und 2£lscc von der Streckgrenze .Rpo,2 sind fiir eine groBe Zahl von hochfesten Stahlen in Bild 4.17 zusammengestellt. Es gilt, daB KXc und # 1 ^ umso kleiner sind, je hoher die Streckgrenze ist. Viele Falle von unerwartetem Werkstoffversagen haben gezeigt, daB haufig nicht R^2 oder ^i c , sondern KXscc die Belastbarkeit eines metallischen Werkstoffs bestimmt. Das Wachstum von Ermudungsrissen kann als ein Fall unterkritischer RiBausbreitung betrachtet werden. Das RiBwachstum strebt mit kleiner werdenden Spannungsintensitatsamplituden AK wiederum einem Grenzwert (da/dn = 10"9 m/Lastwechsel) zu, bei dem praktisch kein Fortschreiten festgestellt werden kann (AAQ = 5,5 MN/m3/2 in Bild 4.17 c). Auch das Wachstum von Ermudungsrissen ist vom umgebenden Medium
157
4.4 Bruch
Bild4.20a-c. a Ermittlung der Dauerwechselfestigkeit mittels der Spannungsamplitude tTa, bei der der Werkstoff nach einer vorgegebenen Zahl von Lastwechseln (meist 107) noch nicht versagt hat (Wohler-Kurve). b Mit zunehmender statischer Vorspannung <7m nimmt die zulassige Amplitude ab. c Vereinfachtes Schaubild fur dynamische und statische Belastung von zwei Baustahlen, am = 0 Wechselfestigkeit (Smith-Diagramm)
abhangig (Korrosionsermiidung). Die Wohler-Kurve (Bild4.20a) enthalt Information uber die Bildung und das Wachstum von Rissen. Nur letzteres kann mit Hilfe der Bruchmechanik behandelt werden. Dazu dienen dann Funktionen, die den RiGfortschritt Aa pro Lastwechsel AT mit der Beanspruchung, namlich der Amplitude der Spannungsintensitat AK, verkmipfen: (12.8 und 12.9)
i« = M ! dN
(4.22 a)
RVE
Eine allgemeine halbempirische Form dieser Gleichung berucksichtigt noch, daB unterhalb eines Schwellwertes AK 0 (oder Ai^ th , threshold) kein RiBwachstum mehr beobachtetwird(Bild4.18b): —
=
A(AK-AKthr
(4.22b)
158
4 Mechanische Eigenschaften
Bild4.20 d-g. Mikroskopische Analyse des Bruches. d interkristallin, NiCrAl-Legierung, REM; e transkristallin, ^-CuZn, langs (100}krz, RLM; f Ermudungsbruch eines Schalthebels, Stahl, Ermiidungsbruch (Details siehe g) und Gewaltbruch, RLM; g Schwingstreifen auf der Oberflache eines Ermudungsbruchs (vgl. Bild 4.18 b)
Durch ungiinstige chemische Umgebung kann diese Schwelle auf sehr niedrige Werte abgesenktwerden: K^ < A^ t h:bruchmechanischeBehandlungderSpannungsriBkorrosion (Abschn. 6.4).
4.5 Innere Spannungen Bisher ist nur der Fall behandelt worden, daG Spannungen im Werkstoff durch Einwirkung auBerer Krafte erzeugt wurden. Unter diesen Voraussetzungen sollte der Werkstoff nach dem Entlasten frei von Spannungen sein. Wenn das nicht der Fall ist, werden die zuruckgebliebenen Spannungen als innere Spannungen oder auch Eigenspannungen bezeichnet. Wir unterscheiden mikroskopische und makroskopische innere Spannun-
159
4.5 Innere Spannungen
gen. Die Linien von Stufen- und Schraubenversetzungen (Bildl.17) sind von einem Spannungsfeld umgeben. In Werkstoffen, die zwei Phasen mit verschiedenen thermischen Ausdehnungskoeffizienten enthalten, entstehen innere Spannungen durch Anderung der Temperatur. Ein makroskopischer Spannungszustand entsteht, wenn ein stabformiger Werkstoff mit positiven Warmeausdehnungskoefflzienten (Tab. 5.7) so schnell abgekuhlt wird, daB im Inneren noch eine hohe Temperatur herrscht, wahrend das AuBere schon kalt ist, daher kontrahiert und nicht mehr plastisch verformbar ist. Als Folge davon verformt sich der warme Kern plastisch und kuhlt anschlieBend ebenfalls unter Kontraktion ab. Das fuhrt zum elastischen Zusammendriicken des Stabmantels und zu plastischer Zugverformung des Kerns. Da im gesamten Korper Gleichgewicht der Krafte herrschen muB, herrscht nach beendigter Abkiihlung Zugspannung im Kern und Druck in der Oberflache (Bild 4.21). Diese Verteilung der inneren Spannungen wird in der Praxis hauflg angestrebt, da Druckspannungen in der Oberflache die Neigung zu RiBbildung vermindern. Durch schnelles Abkiihlen von Glas zur Erzeugung von innerer Spannung kann die Bruchfestigkeit stark erhoht werden. Die umgekehrte Verteilung der inneren Spannungen tritt auf bei negativem Ausdehnungskoeffizienten, oder wenn beim Abkiihlen eine Phasenumwandlung im festen Zustand mit VergroBerung des Volumens verbunden ist. Das ist beim Stahl der Fall. Es entstehen bei schnellem Abkiihlen Zugspannungen in der Oberflache. Der plastisch verformte Kern wandelt schlieBlich unter Volumenzunahme um, nachdem die Oberflache schon kalt ist. Diese Spannungen sind die Ursache fur die gefurchteten Harterisse in Stahl (Abschn. 8.5). Die Hohe der inneren Spannungen hangt von den Temperaturgradienten in einem Teil und damit von Form, Abkiihlungsgeschwindigkeit und Warmeleitfahigkeit ab. In duktilen Werkstoffen konnen die inneren Spannungen nicht viel groBer als die Streckgrenze R p werden, weil hohere Spannungen durch ortliche plastische Verformung ausgeglichen werden. In sproden Werkstoffen mit hohem Ausdehnungskoeffizienten und niedriger Warmeleitfahigkeit muB also sorgfaltig verfahren werden. Das trifft fiir viele keramische Stoffe zu und fiir alle Kunststoffe bei sehr tiefer Temperatur. Kieselglas (Si0 2 -Glas) und Jenaer Glas zeigen wegen ihres sehr niedrigen Warmeausdehnungskoefflzienten a nur sehr geringe innere Spannungen (siehe auch Viskoelastizitat Kap.4.8). a A 7 , = Ae = c r / E AT ist die TemperaturdifFerenz an zwei Orten in der Probe. Daraus ergibt sich die relative Verformung, aus der mit Hilfe des Elastizitatsmoduls E die innere Spannung o- berechnet werden kann.
Bild 4.21. Entstehen von Inneren Spannungen in einem zylindrischen Korper mit positiven Warmeausdehnungskoeffizienten, der von der Temperatur 7^ und T2 abgekuhlt wird. Der heiBe Kernbereich wird durch Kontraktion des kalteren Mantels plastisch gestaucht. Nach vollstandiger Abkuhlung herrscht deshalb auBen Druck und innen Zug
_"S
trT.
160
4 Mechanische Eigenschaften
Eine andere Ursache haben die »eingefrorenen« Spannungen bei Kunststoffspritzgu8. Sie beruhen darauf, da8 sich bei den FlieBvorgangen die Fadenmolekiile ausrichten unc} in dieser Stellung einfrieren. Dem Gleichgewicht entsprechend wollen sie aber bei etwas erhohter Temperatur in eine andere z. B. geknauelte Form ubergehen, was zu Formanderungen des gegossenen Teils fuhrt. Innere Spannungen konnen durch Messung der Formanderung bestimmt werden. Wenn man z. B. den Randbereich eines Stahles, der die Druckspannung enthalt, abdreht, verlangert sich der Kern entsprechend dem neuen Gleichgewicht der Krafte. Eine elegantere Methode ist die rontgenographische Spannungsmessung durch Bestimmung des Gitterparameters, da dieser in Richtung der elastischen Verformung verandert wird. Ein Verfahren zur Erzeugung von definierter innerer Spannung in einem Verbundwerkstoff wird in Zusammenhang mit dem Spannbeton in Abschn. 10.3 beschrieben.
4.6 Gummielastizitat Wahrend sich Stahl weit weniger als 1% elastisch verformt, bevor die plastische Verformung beginnt, kann Gummi mit geringer Kraft mehrere 100% elastisch verformt werden, ohne daB plastische Formanderung oder Bruch eintritt. Der Grund dafiir liegt darin, daB sowohl die direkten C-C-Bindungen als auch das gesamte Molekulgerust zu reversiblen Formanderungen in der Lage sind. Das andere Extrem zum Gummi ist der Diamant, bei dem nur feste C-C-Bindungen verzerrt werden konnen, und der den hochsten Elastizitatsmodul aller Stoffe besitzt. Gummi ist nicht bei alien Temperaturen gummielastisch (Bild 4.22 a). Der Elastizitatsmodul E ist bei tieferen Temperaturen hoch; der Stoff ist sehr kerbempfindlich, er verhalt sich wie ein keramisches Glas. Zwischen — 70 und — 40 °C fallt E schnell auf einen um 103 bis 104mal kleineren Wert wie bei tieferen Temperaturen ab und steigt von da an sogar etwas mit steigender Temperatur an. Dies steht im Gegensatz zum Verhalten aller normalen Elastizitatsmoduln, die mit der Temperatur abfallen (Bild 4.3), und kenn-
250 N
10A
B"uch-
-^ 1
Nmm"2
200
102
i 10° •J
/
I
M
150
/
i ioo
s.
\ 2
10
\
50
\ a
-100 -50 - 2 0 20 60 100 140 180 °C 260 Temperatur
0
5
15 2 0 % 25 10 e -
Bild 4.22. a Temperaturabhangigkeit des E-Moduls von vulkanisiertem Naturkautschuk mit Glaszustand, Gummiplateau und Erweichungsbereich. b Kraft-Dehnungskurve von Gummi. Ausgangsquerschnitt AQ = 42 mm2
4.7 Viskositat von Fliissigkeilfen und Glasern
161
zeichnet den gummielastischen Bereich. Dieser wird zu hohen Temperaturen begrenzt durch den Temperaturbereich, in dem der Gummi zahflussig wird oder sich chemisch zersetzt. Einen Temperaturbereich mit gummielastischem Verhalten findet man in alien lose vernetzten nicht- oder teilkristallisierten Kunststoffen. Viele Kunststoffe zeigen allerdings keinen deutlich ausgepragten gummielastischen Bereich in der E(T)-Kurve. Das elastische Verhalten des Gummis kann aus seiner molekularen Struktur erklart werden. Der verknaulte Zustand der Molektile ist thermodynamisch am stabilsten weil von hoher Entropie (Kap.2.2). Bei geringer Spannung bewegen sich die Knicke (Kap. 1) langs der Molektilfaden, was zu einer Streckung der Probe fuhrt. Bei weiterer Erhohung der Spannung schert das Molekiilgerust, so daB sich die Molektile immer mehr parallel zur Richtung der auBeren Spannung legen, bis schlieBlich nur noch direkte Streckung der C-C-Bindungen moglich ist und einzelne Faden schlieBlich zu reiBen beginnen. Dies fiihrt zur Erhohung von E mit zunehmender Dehnung (Bild 4.22 b). Bei tiefen Temperaturen werden die Kinken unbeweglich; diese Moglichkeit zur leichten elastischen Formanderung hort auf, und £steigt stark an. Die Erhohung von jE"mit zunehmender Temperatur im gummielastischen Bereich ist durch die Entropiestabilisierung des verknaulten Zustandes zu erklaren. Das Gummimolekul hat bei erhohter Temperatur eine starkere Tendenz zum ungeordneten verknauelten Zustand. Folglich ist eine etwas hohere Kraft K notwendig, diese verknauelte Struktur in x Richtung zu strecken (Entropieelastizitat, Bild 9.10). ^verkniiuelt ^ -^ ^geslreckt
K(T)=^= ^ - T ^ . dx ax ax Fiir den idealen Elastomer gilt:
(4.23 a )
4^«o, ^ < < o .
(4.23b)
ax
ax
4.7 Viskositat von Fliissigkeiten und Glasern In kristallinen Stoffen ist plastische Formanderung nur bei erhohten Temperaturen zeitabhangig, namlich wenn Versetzungen, die klettern, oder Korngrenzen, die abgleiten konnen, vorhanden sind. In nichtkristallinen Stoffen ist die Verformung immer zeitabhangig. Allerdings ist die Zeitabhangigkeit bei tiefen Temperaturen so gering, daB sie praktisch vernachlassigt werden kann. Das gilt fiir anorganische Glaser bei Raumtemperatur, fiir Polymere aber erst weit unterhalb der Raumtemperatur. Der Viskositatsbeiwert rj ist ein MaB fiir den Widerstand gegen das FlieBen. Er ist definiert als das Verhaltnis einer eindimensionalen Schubspannung zur Schergeschwindigkeit y=dy/dt, die der FlieBgeschwindigkeit cp proportional ist: rj= r/(p, (Bild 4.23): r=/y(^) = W
(4-24a)
rj hat die Einheit Nm" 2 s = Pa s. Die Viskositat kann mit einer Reihe von Prufgeraten abhangig von Zeit, Temperatur und FlieBgeschwindigkeit gemessen werden. Gemessen werden z. B. die DurchfluBzeit einer bestimmten Menge durch eine genormte Kapillare oder die Absinkzeit einer fallen-
162
4 Mechanische Eigenschaften In 77A
Tv
Bild 4.23. a Abhangigkeit der Verformung (p von der Zeit, b Abhangigkeit der FlieCgeschwindigkeit von der Spannung (Druck). c Abhangigkeit des Viskositatsbeiwertes 77 von der Temperatur (schematisch). d Ubersicht iiber die Viskositat der Stoffe bei verschiedener Temperatur. e FlieBverhalten von PE bei verschiedenen Temperaturen
A M, = const
104 10b Schubspannung
den Kugel. Bei Kunststoffen wird haufig der sog. Schmelzindex angegeben. Bestimmt wird die Menge (in g), die innerhalb von 10 min durch eine genormte Diise gelaufen ist. Der Schmelzindex wird als technisches MaB in g/10 min angegeben. Die Kenntnis der Viskositat ist aus zweierlei Griinden interessant. Einmal will man wissen, welche (geringe) Formanderung in einem polymeren oder keramischen Glas bei Gebrauchstemperatur unter Spannung zu erwarten ist. Zum anderen ist die Viskositat von Schmelzen wichtig fur die Beurteilung der Formgebungsprozesse, wie Blasen von Glas oder SpritzgieBen von Kunststoffen. Die Viskositat von Metallschmelzen ist von Bedeutung in der GieBereitechnik. Die Viskositat nimmt zu mit abnehmender Temperatur, zunehmender MolekiilgroBe und zunehmender Konzentration groBer Molekiile in einer Losung. Die Viskositat von Schmierstoffen, ebenso wie die Begriffe dynamische und kinematische Viskositat, werden im Kap. 9 erortert. Falls die FlieBgeschwindigkeit proportional der Spannung ist (4.21), bezeichnet man den Vorgang als newtonsches FlieBen. Die Polymere zeigen meist ein nichtnewtonsches Verhalten. 77 ist nicht nur von der Temperatur, sondern auch von der Spannung rabhangig: Das FlieBverhalten von Polymeren wird oft als Funktion von Viskositat 77 und FlieBgeschwindigkeit
4.7 Viskositat von Flussigkeiten und Glasern T=rj(T,T)^.
163 (4.24b)
In der Praxis verwendet man zur Beschreibung des Verhaltens solcher Flussigkeiten hauf ig empirische Gleichungen wie r = * ( ^ )
m
(4.24c)
mit Kund m als empirische Konstanten (vgl. 4.17 d). rj nimmt fur normale Polymere mit (p kontinuierlich ab, bis die Molekiile sehr stark orientiert sind. Fiir flussigkristalline Polymere tritt dieser Abfall in einem sehr engen Bereich von
(4.25a)
Die Aktivierungsenergie fiir viskoses FlieBen hat die gleiche GroBenordnung wie die Selbstdiffusion in der Fliissigkeit, hangt aber auBerdem etwas von Spannung und FlieBgeschwindigkeit ab. Mit Hilfe der Viskositat ist es moglich, die Grenze zwischen Fliissigkeit und Gas festzulegen. Gase haben eine Viskositat von etwa 10"3 Pa s bei Raumtemperatur. Flussige Metalle und Wasser liegen bei 10"1 Pa s, sehr zahfliissiger Teer bei 10 Pa s. Ein nichtkristalliner Festkorper sollte eine Viskositat von >10 1 5 Pa s haben. Oberhalb von diesem Wert ist viskoses FlieBen praktisch nicht nachweisbar. Die Viskositat von Losungen rjc einer Molekiilart in einem Losungsmittel mit der Viskositatskonstanten rjQ hangt von der Konzentration der gelosten Molekiile ab. Fiir nicht zu hohe Konzentrationen c gilt ifc=!fe(l + <w),
(4.25b)
Die Konstante a hangt von der GroBe und Form der gelosten Molekiile ab. Fiir stark konzentrierte Losungen findet man Funktionen hoherer Ordnung der Konzentration. Das andere Extrem zu den verdiinnten Losungen sind Stoffe wie Pasten, Ton, feuchter Sand und Schotter. Sie bestehen alle aus kleinen, meist kristallinen Kornern, die in eine Fliissigkeit von niedriger Viskositat eingebettet sind. Der Volumehanteil der festen Teilchen ist immer hoch (~ 60 bis 99%). Die Packungsdichte von gleich groBen Kugeln (74%) kann durch Mischen verschiedener TeilchengroBen stark erhdht werden. Die mechanischen Eigenschaften derartiger Gemische hangen sehr stark vom Volumenanteil der festen Bestandteile ab. Ton wird z. B. bei einem Wassergehalt von 30% gut knetbar. Die einzelnen Kristallchen sind von einer Wasserhaut umschlossen, deren Dicke von wenigen bis etwa 100 Molekiillagen reicht. Bei noch hoherem Flussigkeitsgehalt entsteht ein vergieBbarer Schlicker, wie er in der Technologie keramischer Stoffe eine Rolle spielt (Abschn.7.1). Die mechanischen Eigenschaften von Ton und Pasten ahneln mehr denen fester Stoffe als denen viskoser Flussigkeiten. Ihre FlieBgeschwindigkeit ist erst oberhalb einer Streckgrenze proportional der Spannung. Derartige Stoffe werden auch als Binghamsche
164
4 Mechanische Eigenschaften
Fliissigkeiten bezeichnet. Ihr FlieBverhalten wird durch folgende Gleichung befriedigend beschrieben:
Typische Werte fur Modelliertone sind Rv = 3Nmm~~2 und rj ^ 2Pas. Die geringe Viskositat der Pasten ist auf die Wasserschichten zwischen den festen Teilchen zuriickzufuhren. Die Streckgrenze wird durch die Krafte verursacht, die notwendig sind, die festen Teilchen aneinander vorbeizuschieben. Diese Kraft und damit Rp ist im Gegensatz zu rj nur wenig von der Temperatur abhangig. SchlieBlich sei noch erwahnt, daB das FlieBverhalten sich oberhalb einer bestimmten Reynoldsschen Zahl von laminarer zu turbulenter Stromung andern kann. Bei hochmolekularen Kunststoffen tritt der Umschlag schon bei verhaltnismaBig niedrigen Reynoldsschen Zahlen auf. Das kann in der SpritzguBtechnik zu unerwiinschter Narbigkeit der gegossenen Teile ftihren. Auch in metallischen Werkstoffen kann unter extrern hohen Drucken bei Sprengplattieren (Abschn. 10.5) Ubergang zu turbulentem FlieBen einer Grenzschicht auftreten, was in diesem Fall erwunscht ist, weil eine wellige Struktur zu besserer Haftung der zu verschweiBenden Metalle fiihrt. 4.8 Viskoelastizitat und Dampfung Im Hookeschen Gesetz wird vorausgesetzt, daB die elastische Dehnung unabhangig von der Zeit ist. Bei newtonschem FlieBen ist die Dehnung auch bei kleinen Spannungen nicht unabhangig von der Zeit. Wenn ein Material eine zeitabhangige aber vollig reversible Formanderung zeigt, nennt man den Stoff viskoelastisch. Die Kennzeichnung kann durch einen Kriech- (a = const) oder Spannungsrelaxationsversuch (e = const) oder durch Umkehrung der Spannungsrichtung (dynamische Beanspruchung) erfolgen. Die Gesamtdehnung wird in einen zeitunabhangigen und einen zeitabhangigen Anteil zerlegt, der aber reversibel sein muB (Bild 4.24). Die zeitabhangige Dehnung kann beim Gummi z.B. durch Wandern von Knicken in den Molekulketten zustande kommen. Es gibt derartige Erscheinungen aber auch in Kristallen. So springen die im Eisen interstitiell gelosten Kohlenstoffatome bevorzugt an diejenigen Platze, die durch die auBere
Bild 4.24. a Zeitunabhangiger e(0) und zeitabhangiger e(t) Anteil der elastischen Dehnung. b Phasenverschiebung zwischen o und s durch zeitabhangige elastische Verformung bei dynamischer Belastung des Werkstoffs. c Der komplexe £-Modul E setzt sich zusammen aus dem reellen Speichermodul E' und dem imaginaren Verlustmodul E"'
165
4.8 Viskoelastizitat und Dampfung
Spannung gedehnt sind. Bei Umkehrung des Vorzeichens der Spannung vollziehen sich die gleichen Vorgange in umgekehrter Richtung und wiederum zeitabhangig. Die Zeitabhangigkeit ist bestimmt durch die Sprunghaufigkeit der Knicke in der Polymerkette oder Kohlenstoffatome und damit temperaturabhangig wie ein Diffusionskoeffizient (3.2). Die Temperaturabhangigkeit wird bestimmt durch eine Relaxationszeit (4.17f). Bei schwingender Beanspruchung fiihrt viskoelastisches Verhalten zu einer Hysterese im Spannungs-Dehnungs-Diagramm. Das bedeutet, Energie wird dissipiert, und Schwingungen werden gedampft. Die Dampfung von Schwingungen ist technisch haufig erwiinscht. Werkstoffe mit guter Dampfungsfahigkeit fur Schwingungen sind Gummi, GuBeisen (wegen des Graphitgehaltes) und einige ferromagnetische Legierungen (Dampfung durch spannungsabhangige Bewegungen von Bloch-Wanden, Abschn. 5.4). Die Dampfungsmessung wird aber auch, besonders fur die Kunststoffe, zur allgemeinen Kennzeichnung der mechanischen Eigenschaften verwendet. Dazu werden erzwungene Schwingungen erzeugt, deren Frequenz von der auBeren Erregung bestimmt wird. Elastische Moduln und Dampfung mussen zur vollstandigen Kennzeichnung des Werkstoffes in einem groBeren Temperaturbereich bestimmt werden. Wie beim Ermudungsversuch (Abschn. 4.4) wird die auBere Spannung als a = am + aa sin cot,
In to = —
(4.27a)
to beschrieben. Die Verformung des Materials s ist bei viskoelastischem Verhalten zeitlich um einen Phasenwinkel cp verschoben. Fur kleine Amplituden, die ausschlieBlich ftir dieses Priifverfahren verwendet werden, gilt s = em + £a sin(&tf —
(4.27b)
Der Winkel der Phasenverschiebung cp ergibt sich aus dem Verhaltnis von Relaxationszeit JR zur Schwingungsdauer to. 27ttR to
Diese Relaxationszeit ist eine Werkstoffeigenschaft. Sie ist temperaturabhangig iiber eine Aktivierungsenergie Q: fa ~ exp Q/RT (siehe Aktivierungsenergie fur Diffusion Abschn. 3.1). Ftir einen elastischen Stoff ist cp = 0, fur einen viskosen Stoff ist cp = JT/2. Als Verlustfaktor d wird d = l2LTi(p = E"/E,
(4.27c)
definiert. Die dynamischen Moduln nehmen ab mit zunehmender zeitabhangiger Verformung: £' = —cosp,
(4.27d)
166
4 Mechanische Eigenschaften G
=
—COSG9.
(4.27 e)
Der Schubmodul wird fiir Kunststoffe am haufigsten angegeben, da er sich im Torsionspendel verhaltriismaBig leicht messen laBt. Zur Kennzeichnung der mechanischen Eigenschaften viskoelastischer Stoffe verwendet man komplexe Moduln, die wie folgt erklart werden: Die Schwingungsanteile (4.25 a) und (4.25 b) a = cra exp (icot),
(4.28 a)
e = ea Qxp[i(cot — qp)]
(4.28 b)
werden zu einer Funktion zusammengesetzt, die den realen Speichermodul E', und G und den imaginaren Verlustmodul E'\ und G' enthalt: Ex = E' + iE" |£^|exp (iq>), G* = G + /CT: \G*\exp(icp).
(4.28 c)
Der Verlustfaktor d = tan cp entspricht dem Verhaltnis der beiden Komponenten (4.25 c). Die Dampfung D [J/m3] ist der Energieverlust pro Schwingung und gleich dem Flacheninhalt der Hystereseschleife: D — Jt fa,crasin (p.
(4.29 a)
Bei einer vollstandigen Analyse der komplexen elastischen Konstanten ist zu beriicksichtigen, daB die Moduln nicht nur temperatur-, sondern auch frequenzabhangig sind. Am haufigsten wird der Schubmodul und Dampfung von Kunststoffen durch freie Torsionsschwingungen gemessen. Der Versuch ist besonders geeignet, die Temperaturbereiche des glas- und gummielastischen Zustandes sowie die Erweichungen festzustellen. Gemessen wird das sog. logarithmische Dekrement der Dampfung (Bild 4.25): (4.29 b)
*%-*•
wobei Ax und A2 die Amplitude zweier aufeinander folgender Schwingungen sind. Zwischen A und dem Phasenwinkel cp besteht folgende Beziehung: tan cp — d —
Alx 1 4- A2/An2
(4.29 c)
Bild 4.25. Spannungsverlauf bei freier Schwingung eines Werkstoffs mit starker Dampfung, z. B. Gummi, GuBeisen
4.9 Mehrachsige Beanspruchung, mechanische Anisotropic
h^^ 3 _ 5
OO <
10'
o^
167
°v (T) !!?V J
o
^v
•
S[T) 1
* *m} P T F ^Js* 10'
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/ / ^i \^> I V 1
^""^"-^.v
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'^* >> ys»_^
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p& 1
s^> 10'
-40
0
40
120
200
IT
Bild 4.26 a. Temperaturabhangigkeit des Schubmoduls G und des logarithmischen Dekrements (als MaB fur die Dampfung) von PVC und PTFE
Der Schubmodul kann aus der Frequenz, dem Massetragheitsmoment des Pendels, den Abmessungen der Probe sowie Korrekturgliedern fur Dampfung und Schwerkraft aus Messung freier Schwingungen berechnet werden (Bild 4.26 a-c).
4.9 Mehrachsige Beanspruchung, mechanische Anisotropic In der Mechanik wird der Werkstoff haufig als homogener isotroper Stoff ohne Rucksicht auf seinen atomaren Aufbau betrachtet. Es ist bereits erwahnt worden, daB diese Voraussetzung erfiillt ist fur eine Glasstruktur mit vollig regelloser Vernetzung der Molekiile und fur feinkristalline Aggregate mit regelloser Verteilung der Kristalle. Unter dieser Voraussetzung kann der Konstrukteur mit einem mittleren Elastizitatsmodul rechnen, obwohl die einzelnen Kristalle anisotrop sind. In sehr vielen anderen Fallen sind auch die makroskopischen Eigenschaften anisotrop, d.h. richtungsabhangig. Ursachen
168
4 Mechanische Eigenschaften
5000 •10"4 3000
r cm cz
2000 h MnCu-Legierungen
he Dan
*C5L
NiTi-Legierungen
o
.
JCZ
|
l_
fun
CJ)
Q-
E
:0 CD a> c_
little
|
500 h graues Gufleisen 12%Cr-Stahl 300 rh austenitisches GuBeisen 200 't- Ti-Legierungen Stahl 0,08°/oC, normalisiert L ferrit. nichtrost. Stahl perlit. Gufleisen
ex.
I
50 _ Stahl 0,45 und 0,95 %C ; normal. austen. nichtrost. Stahl 30 Bronze, Messing - Stahl 0,65/0,80%C; normal. 20 Al-Legierungen 10
funi
t= i
j|
r
E :0 CD CL> CD L—
1=3 a>
5
_j=t_
Bild 4.26 b. Dampfungsfahigkeit metallischer Werkstoffe
l-tr or-CuSn elastisch Dampfung
-cr a-Fe(C viskoelastisch Dampfung ohne Ermudung *
pseudo-plastische Dampfung ohne Ermudung
V3
Rni
AlMg plastisch Dampfung mit Ermudung
/?p<
Bild 4.26c. Mechanismen der Dampfung eriautert mit Hilfe dynamischer Spannungs-DehnungsDiagramme fur vollstandige Zyklen (Bild 4.19)
dafiir konnen eine Textur der Kristallite (Kap. 1.4), die Orientierung von Molekulketten (Kap. 9) oder von Faser in Verbundwerkstoffen (Kap. 10) sein. Fur die Behandlung mehrachsiger Spannungszustande wird der in Bild 4.1 und (4.1) eingefiihrte allgemeine Spannungstensor transformiert. Eine Grundeigenschaft eines
4.9 Mehrachsige Beanspruchung, mechanische Anisotropic
169
symmetrischen Tensors ist, da8 ein orthogonales Achsensystem existiert, fiir das alle Tensorelemente null sind auBer den Spannungen in diesen Achsen, den sog. Hauptspannungen. Entsprechendes gilt fiir die Verformungen:
(4.30 a)
ax sind reine Zug- oder Druckspannungen, deren GroBe von 1 nach 3 abnimmt. Weiterhin wird angenommen, daB der Beginn der plastischen Verformung unabhangig ist vom hydrostatischen Druck p und nur von der GroBe der Schubspannung rs abhangt. Im Gedankenexperiment wird dem unter dreiachsiger Spannung stehenden Werkstoff ein hydrostatischer Druck p = — (% iiberlagert, so daB c^ = 0 wird. Das Problem kann dann zweidimensional dargestellt werden (Bild 4.27). Dann wird die Hypothese aufgestellt, daB plastische Verformung beginnt, wenn eine bestimmte Schubspannung rs = {ox — cr3)/2 erreicht ist. Im einachsigen Zugversuch ist G\ = Rp; a2 = cr3 = 0 und T S = RP/2. SO erhalt man die allgemeine Bedingung fiir den Beginn der plastischen Verformung nach Tresca ^ = TS;2TS=J?P
(4.30b)
Ein ahnlicher Ansatz fuhrt nach v. Mises zu der Beziehung
i
(01 ~ Qi)2 + JPi ~ °3? + (<*3 ~ °i)2
= R
(4.30c)
Bild 4.27 zeigt die Bedingungen fur den Beginn der plastischen Verformung nach (4.30). Analog konnen auch Kriterien fiir das Eintreten des Bruchs aufgestellt werden. Derartige Kurven konnen fiir wirkliche Werkstoffe dadurch aufgenommen werden, daB Zugversuche in verschiedenen Richtungen des Werkstoffs (bei Blechen z. B. Walzrichtung, Querrichtung, Dicke) durchgefiihrt werden. Dabei zeigt sich allerdings, daB die Voraussetzungen der Isotropic und damit der FlieBkriterien in den seltensten Fallen erfiillt sind (Bild 4.27 b, c). Metallische Werkstoffe sind selten frei von Verformungsoder Rekristallisationstexturen, und auch Kunststoffe zeigen starke Anisotropic, z. B. durch Ausrichtung der Molekiile wahrend des FlieBens im Extruder. Deshalb ist in der Werkstofftechnik die Kennzeichnung der Anisotropic des plastischen Verhaltens ein wichtiges Problem. Als Beispiel dafiir soil die Beschreibung der Anisotropic von Blechen dienen. Bei plastischer Verformung kann angenommen werden, daB das Volumen annahernd konstant bleibt (
(Pi + (Pz + „ = 0.
(4.31a)
Wird die Probe in 1-Richtung um ^ gereckt, folgt daraus
(4.31b)
170
4 Mechanische Eigenschaften
1200 Nmm"2
150 Nmm"2
400
/
//
If
b
50
\
J
//
u
//
\
-1200 -1200
\
/
//
-400
100
y
-50 -800
-400 tfx
0
400 —
Nmrrf 1200
50
0
50 N m n f 100
c
400 600 Axialspannung a
8 0 0 MPa 1000
4.9 Mehrachsige Beanspruchung, mechanische Anisotropic
171
Bild 4.27. a Kriterien fiir den Beginn der plastischen Verformung, (nach Treska gestrichelt) fiir verschiedene Arten der Beanspruchung. I. Einachsiger Zug in 1-Richtung, II. Eina'chsiger Zug in 3-Richtung, III. Einachsiger Druck in 1-Richtung, IV. Einachsiger Druck in 3-Richtung, V. Zweiachsige Zugspannung, VI. Zweiachsige Druckspannung, VII. u. VIII. reine Schubspannungen. b, c Beispiele fiir das Verhalten von metallischen Werkstoffen mit Textur und daher anisotropen mechanischen Eigenschaften. (Nach Hosford). b Ti A14-Blech (gestrichelt, isotropes Verhalten nach v. Mises). c Mg-Blech mit sehr starker Anisotropic d Vergiitungsstahl, abhangig von Verformungsgeschwindigkeit £ und bleibender Verformung e (%) (IFAM, Bremen).
falls das Blech isotrop ist. Als MaB fiir die Anisotropic eines Bleches gibt man den sog. /?-Wert an: R=(Pi/
(4.31c)
wobei 2 die Breiten- und 3 die Dickenrichtung des Bleches sein soil. Der /?-Wert ist von groBer Bedeutung in der Umformtechnik. Fiir das Tiefziehen (Abschn. 11.2) wiinscht man Bleche mit moglichst hohem /?-Wert, was durch gezieltes Herstellen von Texturen erreicht werden kann (Kap. 1.4, Bild 1.23). Fiir isotrope Bleche konnen andererseits die bei verschiedenen Umformverfahren auftretenden Verformungszustande durch Deformationstensoren beschrieben und die jeweils gemessenen Bruchdehnungen cp^ angegeben werden, wie das in Bild 4.28 gezeigt wird.
VL
2A
\\
Bild 4.28. Darstellung mehrachsiger Verformungszustande in einem Blech. Fiir Formanderungen in der Blechebene (Richtung 1 und 2) sind die zugehorigen Umformverfahren angegeben. Der Werkstoff zeigt eine vom Deformationszustand abhangige Bruchdehnung q^
\
9?!= lnV£0 3
Z ©f = 0
+(P]
\
I. reines N \jH.Recken | IQ.ebene Dehnung IVStreck(RiHgrund) /' Ziehen Tief Ziehen, N NJeinachsig) Scherung
+(
Pi
4 Mechanische Eigenschaften
172 4.10 Technische Priifverfahren
Diese Priifmethoden liefern keine eindeutig physikalisch definierbaren Eigenschaften, die zur Bemessung von Bauteilen direkt verwendet werden konnen. Sie sind aber trotzdem niitzlich, z. B. fur die Werkstoffauswahl. Diese Prufverfahren sind entweder einfach und billig, wie die Harternessung und der Kerbschlagversuch, oder sie sind besonders praxisnah, indem ein FertigungsprozeB unter vergleichbaren Bedingungen nachgeahmt wird, wie die Messung der Tiefung als MaB der Tiefziehfahigkeit von Blechen oder die Standzeit eines spanenden Werkzeuges. Wahrscheinlich das am haufigsten benutzte Prufverfahren iiberhaupt ist die Harternessung. Alle im folgenden mit Anfuhrungszeichen versehenen Werkstoffeigenschaften sind physikalisch nicht exakt definierbar. Sie konnen nur verglichen werden, wenn genau festgelegte (genormte) Versuchsbedingungen eingehalten werden. »Harte« ist der Widerstand, den ein Werkstoff dem Eindringen eines sehr viel harteren Korpers entgegensetzt. Am altesten sind die Ritzverfahren. Es wird eine Hierarchie aufgestellt, in der der jeweils hartere den weicheren Werkstoff ritzt. Das Ergebnis ist z. B. die Mohssche Harteskala (Tab. 4.7). Bei dem Brinell-Verfahren wird z.B. eine Kugel in eine glatte Oberflache gedruckt und der Durchmesser des Eindrucks gemessen. Es ist leicht einzusehen, daB die Tiefe des Eindrucks abhangt sowohl von der Hohe der Streckgrenze als auch vom Verfestigungsverhalten. Der Verformungsgrad ist aber als Folge der Kugelform ortlich ganz verschieden. Aus dem Harteeindruck kann man weiter entnehmen, ob es sich um einen sproden oder duktilen Werkstoff handelt, je nachdem, ob in der Umgebung des Eindrucks Risse oder ein Wulst von plastisch zur Seite geschobenem Material auftritt. Ein unrunder Eindruck deutet auf Anisotropic des zu priifenden Materials hin. Niitzlich ist auch, daB es fur bestimmte Werkstoffe, z. B. fur Stahle, Faustregeln gibt, mit deren Hilfe aus dem Hartewert die Streckgrenze oder Zugfestigkeit zumindest gut geschatzt werden kann. Bei der Harternessung von Metallen und keramischen Stoffen wird der Eindruck nach dem Entlasten ausgemessen. Die Messung setzt also plastische Verformbarkeit voraus. Harternessung von Gummi wird unter Last, d. h. bei Einwirken auch der elastischen Formanderung durchgefuhrt. Plastische Formanderung wird bei Gummi nicht erwartet. Tabelle4.7. Die Mohssche Harteskala im Vergleich mit der Vikkersharte Mineral/keramischer Werkstoff
Mohs HV Harte
Vergleich mit arrdeTeh Werkstoffen
Talk Steinsalz Kalkspat FluBspat Apatit Orthoclas Quarz Topas Korund Diamant
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
PVC Reineisen Baustahl ausgeh. Al-Leg. vergiiteter Stahl
30 74 130 180 420 550 1000 1300 1900 8000
"
geharteter Stahl Hartmetall borierter Stahl hartester aller Stoffe
4.10 Technische PriifVerfahren
173 520 480 440 400 360 = 320 j 280 •E 240 CD
200 160 120 80
Bild 4.29 a, b. a Versuchsanordnung bei der Hartepriifung nach Brinell. b Naherungsweise Umrechnung von Brinell-Harte in Zugfestigkeit fur Stahle
40
/ /
200 400 600 800 1000 1200 Zugfestigkeit
Nmm"2 1800
Es gibt eine groGe Zahl von Hartepriifverfahren, bei denen mit Kugel (Brinell), Kegel (Rockwell) oder Pyramide (Vickers) entweder die Oberflache O des Eindrucks oder die Eindringtiefe gemessen wird. Die Brinell- und Vickersharte ist definiert als (4.32)
H = F/O,
wobei F die verwendete Belastung ist. Die Harte wird ohne Dimension angegeben, ist aber aus 0,1 Nmm 2 ableitbar. Die Dimension ist phanomenologisch und entspricht nicht streng einer Spannung (Brinell- oder Vickers-Verfahren). Eine Variante des Vickersverfahrens ist die Knoopharte. Eine gestreckte Pyramide erlaubt besser die Ermittelung mechanischer Anisotropic Molekulare Orientierung in Thermoplasten (Abschn. 9.2) kann zum Beispiel mittels der Knoopharte bestimmt werden. Beim Rockwell-Verfahren wird 0,002 mm Eindringtiefe des Kegels als 1 Hartepunkt definiert, der ohne Dimension angegeben wird (Bild 4.29 c, d). Sehr hauflg gemessen wird »Kerbschlagarbeit« sowohl von Stahlen als auch von Kunststoffen. Sie gilt als Ma6 fur die »Zahigkeit« eines Werkstoffs und ist deshalb der RiBausbreitungskraft Gc verwandt (Abschn. 4.4), aber nicht quantitativ mit ihr zu vergleichen, da sie die Energie zur RiBbildung enthalt. Gemessen wird die Arbeit HB (in J), die notwendig ist, eine mit genau definiertem Kerb versehene Probe zu zerschlagen. Die Arbeit wird bezogen auf den tragenden Querschnitt A (in mm2) und als ode
%- /
^-[Jmm-2]
(4.33)
angegeben (s. (4.8)). Nach der neuen Norm soil nicht mehr die auf die Flache bezogene Kerbschlagzahigkeit, sondern die Kerbschlagarbeit Av in Joule angegeben werden. Da-
174
4 Mechanische Eigenschaften
Bild 4.29 c, d. c Mikrohartemessung: untereutektische Al-6%Si-Legierung, REM; d Kratzermethode: iibereutektische Al-Si-Legierung, RLM (vergl. Bild 2.7 c)
zu gehoren dann Angaben iiber die Abmessungen der verwendeten Proben. Dieser Versuch laBt sich leicht in einem weiten Temperaturbereich durchfuhren und so der Ubergang von duktilem zu sprodem Verhalten bestimmen. Die Messung beruht darauf, da6 bei sprodem Bruch praktisch keine Arbeit zur plastischen Verformung verbraucht wird und deshalb Av —• 0 geht, wahrend die dem Bruch vorangehende plastische Verformung zu groBer Energieaufnahme der Probe fuhrt (Bilder4.30 und 8.26 c). Diinne Bleche erhalten durch Verfahren der Blechumformung wie Biegen oder Tiefziehen ihre endgiiltige Form. Ein technisches Verf ahren zur Priifung der »Tiefziehfahigkeit« ahmt den technischen Vorgang unter genormten Bedingungen nach. Ein Blechstuck wird eingespannt, dann ein kugelformiger Stempel in das Blech hineingedruckt bis es reiBt. Die Eindrucktiefe im Blech ist als »Tiefung« definiert und wird in mm angegeben. Die aus dem Versuch ermittelten Daten erlauben eine gezielte Werkstoffauswahl
4.10 Technische PriifVerfahren
175
JT=L
Bild 4.30a Probe zur Messung der Kerbschlagarbeit
-e-
- 2 0 0 -150
-100
-50 0 Temperatur 1
50
100 °C 150
Bild 4.30 b. Temperaturabhangigkeit der Kerbschlagarbeit mit Steilabfall unterhalb RaumtemperaturRT(vgI. Bild 8.26 c) 17 mm 16
X8CrNi1212
15 a - C u 2 n 28 14 a - C u Z n 37 13 en c: *aij
XblrNiloa
-12
'WWA p.
|
HI
Wm. -y -
fu
y/
11 10
Tiefziehstahl, k I
\ !
I
l
A
;
9
0,5
1.0 Blechdicke
1.5
mm 2,0
BUd 4.31. a Anordnung zum Napfchenversuch. b Tiefziehf ahigkeit abhangig von der Blechdicke d fur verschiedene Werkstoffe
176
4 Mechanische Eigenschaften
Bild4.32. Ergebnisse des Napfchenziehversuchs, Zipfelbildung bei plastischer Anisotropic des Bleches infolge von Textur
(Bild 4.31). Es folgt aus der Erfahrung, welche Tiefung ein Blech besitzen mu8, das fur einen bestimmten Umformvorgang verwendet wird. Der Tiefungsversuch liefert aber noch weitere qualitative Information iiber die »Tiefziehfahigkeit« eines Bleches. Sind die mechanischen Eigenschaften des Bleches als Folge einer Textur anisotrop, so zeigen sich beim Tiefziehen einer Blechronde Zipfel in den Richtungen hoher plastischer Verformbarkeit. Die Lange der Zipfel kann als grobes Ma6 fiir die mechanische Anisotropic verwendet werden. Die Beobachtung der Oberflache der gezogenen Probe zeigt, ob die KorngroBe des Werkstoffes geniigend klein war. Falls das nicht der Fall ist, hat sie ein apfelsinenschalenartiges Aussehen als Folge der sichtbaren Gleitung in den Gleitsystemen der einzelnen Kristalle, (Bild 4.32).
5 Physikalische Eigenschaften 5.1 Kernphysikalische Eigenschaften In diesem Abschnitt ist von Funktionswerkstoffen die Rede. Wie bereits erwahnt, sollen sie nicht-mechanische Funktionen erfullen: sie leiten elektrischen Strom, Warme, Licht, dienen als Speicher fiir Energie (Batterien) und Information (Disketten, Tonbander) oder als Sensoren und Aktoren in der MeB- und Regelungstechnik. Die mechanischen Eigenschaften beruhen auf der Bindung zwischen den Atomen oder Molekulen und damit auf der Wechselwirkung der auBeren Elektronen der Atome. Das gleiche gilt fiir die elektrischen, magnetischen und chemischen Eigenschaften der Werkstoffe, die vom Abschn. 5.2 an in diesem Kapitel behandelt werden. Eine Ausnahme machen, neben der Dichte, die kernphy sikalischen Eigenschaften, die zur Beurteilung der Werk- und BrennstofTe fiir Kernreaktoren notig sind. Sie werden von der Struktur des Atomkerns bestimmt und sind weitgehend unabhangig davon, wie die Atome miteinander verbunden sind. Die Bindung spielt erst bei den sekundaren Eigenschaften der Reaktorwerkstoffe, wie Empfindlichkeit gegen Strahlenschaden, Kriechverhalten oder chemische Bestandigkeit gegen Kuhlmittel eine Rolle. Eine wichtige Werkstoffeigenschaft ist die Massendichte Q/ [gem - 3 ] (Bild 1.1). In den meisten Fallen ist ein geringes Konstruktionsgewicht von Vorteil. Immer wenn Massen beschleunigt werden, fiihrt eine geringe Dichte zu Energieersparnis. Leichtwerkstoffe (Leichtmetalle, Polymere) bestehen aus Atomen im Bereich der niederen Ordnungszahlen des Periodischen Systems (Anhang Al). Aus dem Atomgewicht A und der Kristallstruktur in Anzahl der Atome pro Elementarzelle, V = abc deren Volumen, Kap. 1.3, N&, Anhang A If) laBt sich eine theoretische Dichte berechnen e=
An
[ gmol 1
N-AV = [™^\-
(5 la)
'
Fiir eine Verbindung aus den Atomarten A und B folgt die Dichte aus deren Atomgewichten A A und AB und deren Anteilen, n& + «B = n. AA«A + AB«B 6
=
NAV
/C1U
•
.
(5 lb)
-
Fiir die Phase NiTi gilt z.B. n = 2, «Ni/«Ti = 1,0. Die Dichte wird reduziert falls eine Kristallphase Leerstellen enthalt. Glaser zeigen eine etwas geringere Dichte als kristalline Phasen gleicher Zusammensetzung. Dies wird bei der Bestimmung des Kristallanteils in thermoplastischen Polymeren durch Dichtemessungen ausgenutzt. Poren verringern die Dichte natiirlich auch (siehe Sintern Kap. 11.2). Die Gtiltigkeit der Mischungsregel zur Berechnung der Dichte aller Arten von Phasengemischen wird fiir die Verbundwerkstoffe (Kap. 10) erortert. AuBer der Massendichte spielen in der Materialwissenschaft noch
178
5 Physikalische Eigenschaften
Energiedichten [Jm~ 3 ], Informationsdichten, Defektdichten (Kap. 1.4) und Ladungstragerdichten (Kap. 5.2) wichtige Rollen. Die Atomkerne werden durch Krafte zusammengehalten, die nur uber sehr kleine Entfernungen wirksam sind. GroBe Atomkerne bedingen groBere Abstande zwischen den Kernbausteinen (Abschn. 1.1) und sind deshalb weniger stabil als kleinere. Andererseits bestimmt, wie bei der Keimbildung (Abschn. 2.3), das Verhaltnis von Oberflache zu Volumen die Stabilitat des Kerns. Daraus folgt, daB kleinere Atomkerne weniger stabil sind als groBe und daB folglich Atomkerne mit mittlerer Ordnungszahl (in der Umgebung von Fe) am stabilsten sind. Daraus ergibt sich bereits eine Einteilung der Elemente in solche, die als Reaktorbrennstoffe und als Reaktorbaustoffe infrage kommen. Als MaB fiir die Stabilitat ist in Bild 1.1 die Bindungsenergie je Kernbaustein E (in MeV) aufgetragen. Zur Beurteilung der kernphysikalischen Eigenschaften sind folgende Reaktionen zwischen Kernen und Neutronen zu betrachten: Spaltung eines groBen Kerns (oder Verschmelzung kleiner Kerne); Neutroneneinfang ohne Spaltung, was zur Bildung eines neuen Isotops fuhrt (z.B. Voraussetzung fiir Brutreaktion von 238 U und fiir die Regelung des Reaktors); HerausstoBen eines Atoms aus der jeweiligen Kristall-, Glas- oder Molekulstruktur (Strahlenschadigung, z.B. Versprodung); Streuung des Neutrons, verbunden niit Schwingung des Kerns (Erwarmung). Die in der Kemtechnik verwendete Energieeinheit ist das MeV ^ 10~13 J pro Nukleon (Bild 1.1). Die in den Kap. 1 bis 4 behandelten chemischen und mechanischen Vorgange sind demgegenuber nur mit Energien der GroBenordnung 1 eV = 10~19 J verbunden. Im Reaktor entstehen iiberschussige Neutronen durch Spaltreaktionen wie l n , 235TT 0n+
92U
. 144o„ , 8 8 ^ r , l o n
-> 56Ba + 36Kr + 0 3n. Es entstehen im Brennstoff aber nicht ausschlieBlich die Elemente Barium und Krypton, sondern eine groBe Zahl von Elementen mit Ordnungszahlen in der Nachbarschaft dieser beiden Elemente, also eine Legierung. Die Spaltneutronen haben bei ihrem Entstehen eine sehr hohe Geschwindigkeit. Das kontinuierliche Geschwindigkeitsspektrum zeigt maximale Haufigkeit fiir Neutronen von 1 MeV, es ist aber auch ein groBer Anteil von 5MeV-Neutronen vorhanden. Diese Neutronen sollen im Reaktor zu weiterer Kernspaltung genutzt werden. Die Reaktorwerkstoffe haben kernphysikalische oder andere Funktionen. Kernphysikalische Eigenschaften haben Prioritat. Die wichtigsten Funktionen der Reaktorwerkstoffe sollen im folgenden kurz besprochen werden: 1. Absorberwerkstoffe dienen zur Regelung und zum Ein- und Ausschalten des Reaktors. Sie sollen Atome enthalten, die die Spaltneutronen absorbieren, ohne weitere Spaltung zu bewirken. 2. Moderatorwerkstoffe verlangsamen die Geschwindigkeit der schnellen Spaltneutronen (1 MeV) auf eine niedrige Geschwindigkeit (< 1 eV), die eine bessere Ausnutzung zu weiterer Spaltung erlaubt. Moderation beruht auf inelastischen StoBen der Neutronen an im Werkstoff vorhandenen kleinen Atomen. 3. Konstruktionswerkstoffe haben vor allem mechanische Funktionen. Ein Hiillrohr trennt z.B. Brennstoff und Kuhlmittel, dient dabei zur Warmeubertragung und muB kriechfest sein. Seine kernphysikalischen Eigenschaften sind dadurch bestimmt, daB es den Neu-
179
5.1 Kernphysikalische Eigenschaften
tronenhaushalt nicht storen darf. Der Konstruktionsstoff darf also auf keinen Fall Atome enthalten, die Neutronen stark absorbieren. Atomarten, die in Absorberwerkstoffen verwendet werden, miissen in Konstruktionsstoffen vermieden werden. 4. Diese Atomarten sind wiederum niitzlich fur den Strahlenschutz in der Umgebung des Reaktorkerns. Da aber nicht nur Neutronen, sondern auch y-Strahlen entstehen, miissen im allgemeinen Atomarten kombiniert werden, die entweder Neutronen oder y-Strahlen stark absorbieren, da es keine Atomart gibt, die beide Strahlenarten gleich gut absorbiert. Allerdings verwendet man, wenn das Gewicht keine Rolle spielt, aus wirtschaftlichen Griinden haufig Beton fur diesen Zweck. In besonderen Fallen wird Schwerspatbeton verwendet (BaSCU), der eine hohere Absorbtionsfahigkeit als normaler Beton auf CaBasis hat. Es erhebt sich die Frage, wie die fur die Reaktormaterialien geforderten Eigenschaften genauer gekennzeichnet werden konnen, und welche Atomarten fur den jeweiligen Zweck die giinstigsten Eigenschaften besitzen. Daraus folgen die Voraussetzungen fur die Entwicklung der Werkstoffe des Reaktorbaus, die vor einigen Jahrzehnten begonnen hat, aber noch langst nicht abgeschlossen ist. Der Wirkungsquerschnitt a (in m2) ist das MaB ftir die Wahrscheinlichkeit einer Reaktion von einem Neutron mit einem Atomkern. Die GroBe U = a - Nw (in m _ 1 ) ist der Wirkungsquerschnitt pro m3 Materie mit Nv als Anzahl der Atome pro Volumeneinheit. Er wird im Vergleich zu dem auf ein Atom bezogenen mikroskopischen Querschnitt als makroskopischer Wirkungsquerschnitt bezeichnet. Den mikroskopischen Wirkungsquerschnitt kann man sich vorstellen als diejenige Kreisflache in der Umgebung eines Atomkerns, in dem eine Reaktion mit einem vorbeifliegenden Neutron stattfindet. Bei groBem Wirkungsquerschnitt ist die Wahrscheinlichkeit einer Reaktion groBer, folglich ist der Weg A, den ein Neutron im Material bis zur Reaktion zurucklegt, klein. Es gilt fur die mittlere freie Weglange (Bild 5.2c) k = (aNyyl = E-\
(5.2a)
Zur Kennzeichnung der speziellen Reaktionen verwendet man zusammen mit a, U und k die Indexbuchstaben »f« fur Spaltung, »a« fur Absorption und »s« fur Streuung. Als MaBeinheit fur a wird in der Reaktortechnik 1 barn = 10 - 2 6 m2 verwendet. Die Wirkungsquerschnitte nehmen sehr stark mit der Geschwindigkeit, d. h. der Energie E der Neutronen ab. In bestimmten Geschwindigkeitsbereichen zeigt die a(£")-Kurve ein Linienspektrum durch Resonanzeinfang. Die Neutronen werden entsprechend ihrer Energie in drei Gruppen eingeteilt: thermische und epithermische Neutronen E < 1 eV, Resonanzneutronen 1 eV < E < 104 eV, Spaltungsneutronen E > 105 eV. Fur Atommischungen verliert a seinen Sinn, und es muB mit £ gerechnet werden. Der X'-Wert des Werkstoffs ergibt sich in guter Naherung aus den Streuquerschnitten und den Atom-Konzentrationen (Einheit Stoffmenge pro Volumen: molm - 3 ) der beteiligten Atomarten A und B: E
=
CA+CB = 1.
aAc
A
+
tfRCB,
(5.2b)
180
5 Physikalische Eigenschaften
Die Brennstoffe gehoren nicht im strengen Sinn zu den Werkstoffen. Sie werden aber wie metallische oder keramische Werkstoffe produziert und stehen im Hiillrohr in enger Beriihrung mit dem Konstruktionswerkstoff. Die Kerne sind entweder direkt spaltbar, oder sie werden durch Neutroneneinfang (Wirkungsquerschnitt aa) in ein spaltbares Material umgewandelt. Dieser Vorgang wird als Brutreaktion bezeichnet. Die Spaltmaterialien werden durch ihre Wirkungsquerschnitte gekennzeichnet (Tab. 5.1a). Tabelle5.1a. Wirkungsquerschnitte von Reaktorbrennstoffen Element
°a
<*
Verwendung
235TJ 239 p u
104 338 7 2,8
576 770 0 <10~ 3
Spaltmaterial Spaltmaterial Brutmaterial Brutmaterial
232
Th
238TJ
Die folgende Brutreaktion fiihrt U 238 in spaltbares Pu 239 liber: 2
| | U + J n -+ 2H U + y -* 2 I! Np + p -> 2H Pu.
Da es gleichgiiltig ist, wie diese Atomarten im Brennstoff gebunden sind, werden sie sowohl im metallischen Zustand (meist als Legierung) als auch als keramische Phasen (meist als Oxide oder Karbide) verwendet. Legierungen werden verwendet, um die nachteilige Wirkung der drei Phasenumwandlungen des Urans auf die Temperaturwechselbestandigkeit zu beseitigen (Bild 5.2 a). Es werden aber zunehmend keramische Uranphasen ( U 0 2 ) wegen ihrer hohen Schmelztemperatur verwendet (Tkf = 2840 ± 20°C). Das U0 2 -Pulver wird durch Sintern und andere keramische Verdichtungsverfahren (Kap.11.1) zu kompaktem Material verarbeitet oder auch als Kugeln in die Hiillrohre eingefullt (Bild 5.2 b). Der Hullwerkstoff umschliefit den Brennstoff meist als diinnes Rohr. Er mu6 folgende kernphysikalische und andere Anforderungen erfiillen (Bild 5.2): niedriger Wert fiir aa und af, Undurchlassigkeit fiir die radioaktiven Spaltprodukte aus dem Brennstoff, hohe Warmeleitfahigkeit, keine Reaktion an der Grenzflache mit Brennstoff und Kuhlmittel, Festigkeit bei erhohter Temperatur und keine Versprodung durch Strahlenschaden. Die erste Bedingung schrankt die Atomarten, aus denen der Werkstoff aufgebaut sein kann, stark ein, wie die aa-Werte wichtiger Elemente zeigen (Tab. 5.1b). Tabelle5.1b. Absorptionsquerschnitt und Schmelztemperatur von Atomen fur HullwerkstofTe Element Be aa barn
Mg
0,01 0,06 1227 650
Zr
Al
0,18 0,21 1852 660
Nb
Mo
Fe
Cu
Ni
V
W
Ta
2,4 3,6 2,4 4,7 4,5 19,2 21,3 1,1 2415 2610 1536 1083 1453 1900 3410 2996
Die Elemente von Be bis V kommen fiir die Verwendung als Hiillwerkstoffe infrage. Es sind Legierungen auf der Basis dieser Elemente entwickelt worden. Am haufigsten
5.1 Kernphysikalische Eigenschaften
1500 °C
.2
4
6 8 10 1.1 1
I ' '
181
3000 °C 2840±20°C
1400
Flussin^oii
2800 5 3
1300
3
-^"^" y
1200
^
Mischkristal
j"2600
- ^"^ 2390±20°C
1100
11133°C
2400 b
0 U02
20
40
60 Pu02-
Gew.-% 100 -
31000 7u
900
700
600
K\ V
\ V
«ul
\ N 1
500 a
0 U
10
20At.-%30 Mo-—~-
••^•-T
mechanische \ Beanspruchung (Kriechen) '
Bild 5.1a u. b. Zustandsdiagramme von Kembrennstoffen. a U-Mo-Legierungen; b System U0 2 - Pu0 2
-/j
Warmeleitung
-*-
Spaltneutronen
—
moderierte Neutronen Korrosion durch Kuhlmittel Reaktion mit Brennstoff
-,i. .
t Kuhlmittel Hultrohr I Hud Brennstoff
Bild 5.2 a. Beanspruchung eines Werkstoffes fiir Hiillrohre
Bild 5.2 b. Definition des mikroskopischen Wirkungsquerschnitts a, A mittlere Eindringtiefe, d Dicke des Materials.
182
~ ^
5 Physikalische Eigenschaften
o I—
J 10"1
1 1
1 eV 101
Energie der Neutronen
Bild5.2c. Neutromenabsorption durch Absorberstahl, der 10B als Teilchen der Phase BFe2 enthalt
verwendet werden Zr-Sn- und Zr-Nb-Legierungen (Zircalloy). Sie vereinen hohe Schmelztemperatur und gute Korrosionsbestandigkeit in Wasserdampf als Kuhlmittel (Kap. 6). Eine neuere Entwicklung von Reaktoren, die bei sehr hoher Temperatur arbeiten, geht dahin, Pulverteilchen des Brennstoffs mit einer keramischen Schicht zu umhiillen (engl.: coated particles), die z. B. aus folgenden Verbindungen bestehen kann (Schmelztemperatur in Klammern): Zr0 2 (3300 °C), BeO (2500 °C), ZrC (3500 °C), NbC (3500 °C), ZrN (3000 °C). Die Absorberwerkstoffe sollen die Neutronen in groBem Umfange absorbieren, urn die Anzahl der Spaltungsreaktionen zu verringern. Die infrage kommenden Atomarten miissen einen Absorbtionsquerschnitt aa > 50 barn haben. Besonders wichtig ist auch, daB die Absorbtion iiber einen groBeren Energiebereich der Neutronen erfolgt. Die mittlere freie Weglange der Neutronen muB immer kleiner sein als der Durchmesser des Regelelements. Hinsichtlich der Absorption von epithermischen Neutronen sind die Isotope 10B und 177 Hf am geeignetsten (Bild 5.2). Es ist aber auch moglich, durch Herstellen von Legierungen, (z. B. In-Cd-Ag) den ganzen Energiebereich gut abzudecken. Ideale Absorberwerkstoffe konnten aus Atomea der seltenen Erdmetalle hergestellt werden, wenn das wirtschaftlich moglich ist.
Tabelle5.1c. Chemische Zusammensetzung von Zirkonlegierungen fur Hullrohre, Gew.%
Zircalloy 2 Zircalloy 4
Sn
Fe
Cr
2 4
1,5 1,5
0,1 0,2
Neutronen konnen in thermischen Reaktoren nur dann zur weiteren Spaltung verwendet werden, wenn sie von Spaltenergie Ef « 2 MeV auf thermische Energie E& ~ 0,025 eV gebremst werden. Der Energieverlust AE = In EQ/E bei einem ZusammenstoB ist umso groBer, je kleiner das Atomgewicht A des angestoBenen Atoms ist. Es gilt fiir A > D2 (schwerer Wasserstoff) die Naherungsformel AE=
-ATm-
(5.2 c)
5.1 Kernphysikalische Eigenschaften
183
Es sollten also Stoffe mit kleinem Atomgewicht als Moderatoren verwendet werden. Die weitere Bedingung fiir einen guten Moderator ist ein hoher Streuquerschnitt Zs, damit viele StoBe moglich sind, aber ein niedriger Absorbtionsquerschnitt 2a, damit wenige Neutronen verloren gehen. Die GroBe AETS wird Bremskraft genannt; die Qualitat eines Moderator-materials durch die GroBe AE Is/Ia gekennzeichnet Tab. 5.1 e). Die dafiir geeigneten Stoffe sind z.T. gasformig oder fliissig und konnen dann kombiniert als Moderator und Kiihlmittel verwendet werden. Die Herstellung von Reaktorgraphit, der als Moderator verwendet wird, wird in Abschn. 7.2 beschrieben. Als feste Moderatoren konnen auch Hydride verwendet werden, wobei H im Metallgeriist sitzt (Beispiel: NbH). Die im Inneren eines Reaktors befindlichen Bauteile miissen iiber lange Zeiten mit hoher Sicherheit betriebsfahig bleiben. Unerwiinschte Eigenschaftsanderungen des bestrahlten Werkstoffs werden als Strahlenschaden bezeichnet. Die Ursachen sind durch
Tabelle5.1d. Atomphysikalische Konstanten von Absorberwerkstoffen 177
Hf 6Li
Element Hf aabarn 2 4 mm
91 320 1,7 -
10
B
818 0,45
Cd
113
Cd
3470 2210 18000 0,04 0,19 -
Sm
149
Gd
157
4760 0,14
57200
39800 0,017
139 • 103
Sm
Gd
Tabelle 5.1 e. Atomphysikaliscl le Konstanten von Moderatorwerkstoffen Stoff
Zustand
A
Za cm - 1
Zs cm"1
g g k k f f k f
1 2,02 9,01 12 18 20 93 14
0,002 2.5 • 10"6 0,001 2.6 • 10" 4 0,022 3,6 • 10"7 0,03 0,02
0,11 0,02 0,76 0,38 1,47 0,35 1,75 1,36
AEXS y **a
H D Be C H20 D20 ZrH2 (CH)n
61 5200 145 165 62 5000 49 62
800 MPa
J±~—
600
7
400 \^<
\ 200 Bild5.3a. Strahlenverfestigung und -versprodung von Stahl. fZugfestigkeit, 2 Streckgrenze, 3 Dehnung
20 N\
\
,A
^^^ ^ — —.
4 6 Neutronen
10 19 cm' 2 10
184
5 Physikalische Eigenschaften
Art der Wechselwirkung StoHprozesse
Art der Strahlenschaden
Wirkung der Strahlenschaden
Leerstellen, Zwischengitteratome
erhohte Diffusion
Versetzungsringe
beschleunigtes Kriechen
Poren
Strahlen -verfestigung -versprodung Schwellen
Kernumwandlung
Helium-
atome
Heliumblasen
Hochtemperaturversprodung
Bild5.3b. Ursprung der Strahlenschaden in Metallen (nach H.Bohm)
12
3 4 10 26 n s /m 2 Neutronendosis &-t (F>0.1 MeV)
6
Bild5.3c. Anderung der mechanischen Eigenschaften eines austenitischen Stahls (1.4988) mit Bestrahlungsdosis und -temperatur
185
5.2 Elektrische Eigenschaften, Werkstoffe der Elektrotechnik
Bestrahlung erzeugte Leerstellen, Zwischengitteratome oder groBere Defekte. Sie fuhren zu erhohter Streckgrenze, aber oft auch zu abnehmender Zahigkeit von Metallen (Bild 5.3 a und c) und zu Veranderungen der Leitfahigkeit von Halbleitern. Durch Kernreaktionen entstehende Gase (besonders He) scheiden sich bei erhohter Temperatur als Blasen aus und fuhren zur VergroBerung des Volumens und zu Formanderungen. Diese Erscheinung wird als »Schwellen« bezeichnet. Es wird versucht, Werkstoffe zu entwikkeln, in denen die Gase im Inneren absorbiert werden, ohne daB auBere Volumenanderung auftritt.
5.2 Elektrische Eigenschaften, Werkstoffe der Elektrotechnik Die nachfolgend und im Abschn. 5.3 erorterten Eigenschaften stehen bei den Werkstoffen der Elektrotechnik im Mittelpunkt. Es sind die Stoffe, die fiir Elektrizitatsleitung, Isolation, Kontakte, Elektro- und Dauermagnete und fiir die Festkorperelektronik (Transistoren, Dioden, integrierte Schaltungen) verwendet werden. Fiir primar mechanisch beanspruchte Konstruktionswerkstoffe stehen diese elektrischen und magnetischen Eigenschaften nicht im Vordergrund, sind aber auch nicht ohne Bedeutung. So ist in Metallen die elektrische Leitfahigkeit der Warmeleitfahigkeit proportional, zu geringe Leitfahigkeit kann zu Aufladungen in Kunststoffteilen fuhren, gleitende Flachen konnen durch Dauermagnetschichten entlastet werden. Manche ferromagnetische Legierungen zeigen ein besonderes Dampfungsverhalten und einen sehr geringen Ausdehnungskoeffizienten. Die elektrische Leitfahigkeit ist von entscheidender Bedeutung fiir das Verstandnis der Korrosionsvorgange (Kap. 6). Die Wechselwirkung von elektromagnetischen Feldern mit Elektronen oder Ionen fiihrt zur elektrischen Leitfahigkeit und zur dielektrischen Polarisation in Isolatoren. Leitfahigkeit a ermoglicht den Transport von elektrischer Ladung von einem Ort im Material zum andern. Der spezifische Widerstand g ist umgekehrt proportional der Leitfahigkeit a. Die spezifischen elektrischen Widerstande der Stoffe unterscheiden sich urn einen Faktor 1024 (Bild 5.4, Tab. 5.2a). Sie konnen nach der GroBenordnung ihres Widerstandes in vier Gruppen eingeteilt werden: Supraleiter Leiter Halbleiter Isolatoren
ft 10 - 8 Qm <& 10" 5 Q m
= < < <
0 10 - 6 Qm 10 +6 Q m 1016 Q m
Metalle, einige Oxide Metalle Germanium, Silizium, InSb, GaAs Polymere, Keramik.
In vielen Fallen ist die elektrische Stromdichte I/q direkt proportional zur Spannung U und damit zur elektrischen Feldstarke (Ohmsches Gesetz):
Nur gist eine Werkstoffeigenschaft (/Lange, gQuerschnitt des Stoffes). Daraus folgt die Wirkungsweise von DehnungsmeBstreifen. Mit ihrer Hilfe konnen kleine, elastische Formanderungen eines Werkstoffs in Anderungen des Widerstands umgewandelt werden. MeBdrahte werden auf die Oberflache geklebt. Die Verformung fiihrt z. B. zu Verlangerung / 4- A/ und Querkontraktion q — Aq und damit zu einer Widerstandserho-
5 Physikalische Eigenschaften
186 Tabelle 5.2 a. Spezifischer elektrischer Widerstand Werkstoff
0
Ag Cu Al Fe Graphit Phenolharz PA PVC PS PE
0,017 0,018 0,030 0,13 1,0
A ii
10~6 10" 6 10" 6 10" 6 10" 4 108 1010 1012 1015 1015
1000 K300 200
rm—'—
25-10-3K*1
30
Bild 5.4. Temperaturabhangigkeit der elektrischen Leitf ahigkeit von einigen Isolatoren, Halbleitem und Metallen
5.2 Elektrische Eigenschaften, Werkstoffe der Elektrotechnik
187
hung, aus der die mechanische Spannung direkt eraiittelt werden kann (Abschn.4.2, siehe auch piezo-elektrischer Effekt). Das FlieBen eines Stromes ist analog dem Verhalten einer zahen Flussigkeit unter mechanischer Spannung (4.21), wobei der speziflsche Widerstand Q der Viskositatskonstanten rj entspricht. Die elektrische Leitfahigkeit kann als Produkt der Elektronendichte n, der Elektronenladung eund der Elektronenbeweglichkeit me [cm s~1 • V cm -1 ] erklart werden: g~l = a= ne n\. (5.4) Als Beweglichkeit ist die Geschwindigkeit des Ladungstragers pro Einheit der Potentialgradienten definiert. Es miissen also bewegliche Ladungstrager vorhanden sein, urn eine Leitfahigkeit zu ermoglichen (Bilder5.5 bis 5.7). Offensichtlich ist das in den verschiedenen Stoffen in sehr verschiedenem Umfang der Fall. Metalle gehoren zu den Leitern, die meisten keramischen Stoffe und Kunststoffe zu den Isolatoren. Dazwischen liegen die vierwertigen, vorwiegend kovalent gebundenen Elemente Ge und Si sowie ahnlich aufgebaute Verbindungen wie InSb (Abschn. 1.3) als Halbleiter. Zur Erklarung dieser groBen Unterschiede muB von den erlaubten Energieniveaus der einzelnen Atome ausgegangen werden (Abschn. 1.1). Fiir die Niveaus der Einzelatome gelten folgende Regeln: Die Elektronen fullen die jeweils niedrigsten der erlaubten Energieniveaus. Mit der Besetzung eines hoheren Niveaus ist ein Energiesprung verbunden. Hochstens zwei Elektronen, aber mit umgekehrtem Spin, konnen ein Niveau besetzen. Infolge der geringen Atomabstande in festen Stoffen kommen die auBeren Elektronen in Wechselwirkung miteinander. Da ein Niveau immer nur fiir zwei Elektronen ausreicht, miissen sie auf andere diskrete, aber vom urspriinglichen Niveau nur wenig unterschiedene Niveaus ausweichen. In einem kondensierten Stoff sind deshalb Energiebander anstelle der diskreten Niveaus vorhanden (Bild 5.5). Einwertige Metalle wie Li, Na, K besitzen nur ein auBeres s-Elektron. Das auBere Energieband ist deshalb nur halb gefiillt. Elektronen konnen sich in diesen Metallen leicht bewegen, da sie die dazu notwendige erhohte Energie ohne weiteres annehmen konnen (Bild 5.6a, 5.7). Anders ist das bei Stoffen, die vollig gefullte Bander besitzen. Um ein Elektron zu bewegen, muB eine Energie Eg aufgebracht werden, die durch die GroBe der Liicke zwischen dem gefiillten und dem nachsten freien Band bestimmt ist. Diese Energie kann z. B. bei Diamant Eg = 6 eV betragen. Das fiihrt zu einem sehr Tabelle5.2b. Energieliicke zwischen Leitungs- und Valenzband bei 20 °C Stoff
£g eV
Diamant Si C GaAs Si Ge InSb Sn (grau)
6 2.8 1.4 1,1 0,7 0,18 0,08
188
5 Physikalische Eigenschaften
halb gefulltes Bond -2s 1
vollstandig gefulltes Band 1s2
Abstand r
'"o Abstand der Atome im Kristall
^ v ^ ^ ^ ^
erloubt
(Leitungs.
} verboten
band).
} erloubt
I
verboten
(Valenzband )
Bild 5.5. Bei Annaherung der Atome zum Kristallverband entstehen aus den scharfen Energieniveaus der Elektronen (Abschn. 1.1) Energiebander, d. h. Energiebereiche erlaubter Zustande
} Leitungsband
j Valenzband
Bild 5.6. a Metallischer Letter, das Leitungsband ist nur teilweise gefullt. Bewegung der Elektronen erfordert geringe Energie. b Isolator, im Leitungsband sind keine Elektronen, zur Aktiviening ist die Energie Eg notwendig
Tabelle5.2c. Ionisationsenergie (in eV) von Dotierungsatomen in Si- und Ge-Kristallen Dotierungselement
Si
Ge
Art der Leitung
p5+
0,045 0,049 0,045 0,057
0,012 0,013 0,01 0,01
n n P P
As 5+ B3+ Al 3+
hohen Widerstand. Der Stoff wird zum Isolator. In Halbleitern ist die Situation ahnlich wie in Isolatoren, nur ist die Liicke zwischen vollstandig besetzten und unbesetztem Band kleiner: Eg = 1 eV fur Silizium. Bild 5.6 zeigt schematisch die Bandstruktur eines Leiters und eines Isolators. Die Tab. 5.2 b und c geben einige Werte fur Eg von Isolator- und Halbleitermaterialien. Diese beiden Stoffgruppen unterscheiden sich lediglich dadurch, daB die Energielucke Eg beim Halbleiter durch thermische Aktiviening iibersprungen werden kann. Halbleiter sind also bei 0 K Isolatoren. Bei erhohter Temperatur steigt die Leitfahigkeit, weil eine zunehmende Zahl n von Elektronen in das freie Band springen kann. Das fiihrt nach (5.4) zur Leitfahigkeit. Zwischen der Zahl der beweglichen Elektronen n und Eg gilt eine ahnliche Beziehung wie (3.2):
5.2 Elektrische Eigenschaften, Werkstoffe der Elektrotechnik n = C exp (~
E
189
A = Energie zur Aktivierung von Elektronen
\ 2kT I
^ 5 ~,
thermische Energie
Es bilden sich durch thermische Aktivierung doppelt soviele Ladungstrager, wie Elektronen emittiert werden. Jedes Elektron, das aus dem gefullten Band emittiert wird, hinterlaBt dort ein »Loch«, das ebenfalls als beweglicher Ladungstrager mit positiver Ladung betrachtet werden kann (Bilder 5.9 und 5.10). Eine Veranderung der elektrischen Leitfahigkeit wird auch beobachtet, wenn manche Kristalle elastisch verformt werden (Kap.4), also die Positionen der Atome aus den Gleichgewichtslagen bewegt werden. Dieser piezo-elektrische Effekt (Tab. 5.2 d) ist geeignet, mechanische in elektrische MeBgroBen umzuwandeln: Sensoren. Umgekehrt fuhren elektrische Felder zu Formanderungen von Kristallen (Bild 5.12). Sie konnen folglich durch periodisch wechselnde Felder zu Schwingungen angeregt werden (Schwingquarz). Metallische Leiter liefern pro Atom etwa ein Elektron in ein unaufgefulltes Band. Diese Elektronen konnen sich am besten ungestort von Gitterschwingungen (Phononen) bewegen (Bilder 5.7 und 5.8). Der Widerstand von metallischen Leitern ist also bei 0 K am geringsten und nimmt mit der Temperatur zu. Die unterschiedliche Richtung der Temperaturabhangigkeit des Widerstandes wird in Bild 5.4 am Beispiel einiger metallischer Leiter, Halbleiter und Isolatoren gezeigt. ErwartungsgemaB besitzen die Metalle mit einer ungeraden Zahl von AuBenelektronen die groBte elektrische Leitfahigkeit, z. B. Ag, Cu, Au, Al, Na. Die Leitfahigkeit der zweiwertigen Elemente, z. B. Zn, Cd, riihrt von komplizierten Uberlappungen von Bandern her und ist nicht besonders hoch (Tab. 5.3). Die Beweglichkeit der Leitungselektronen wird in Metallen nicht nur durch Gitterschwingungen erniedrigt. Geloste Atome, Versetzungen, kleine Teilchen einer zweiten
Tabelle 5.3 a. Elektrische Leitfahigkeit einiger Metalle bei 20 °C Metall
a 10 8 • Q" 1 m" 1
Metall
a 10 8 • Q" 1 m" 1
Ag Cu Au Al Mg Na Zn
0,616 0,593 0,42 0,382 0,224 0,218 0,167
Co Ni Fe Cr V Ti Hg
0,16 0,14 0,10 0,08 0,04 0,024 0,011
Tabelle 5.3 b. Verwendung von Perowskiten als keramische Funktionswerkstoffe: A B 0 3 z.B. BaTi0 3 , (Bild 1.14b) Eigenschaft
chemische Zusammensetzung
Funktion
Supraleiter Ferroelektrikum Ionenleiter
LaxBayOz Pb 3 MgNb0 9 CaFe0 3
Transport Sensor Brennstoffzelle
5 Physikalische Eigenschaften
190 *
*
•
#
*
* Bild 5.7. Freie Elektronen zwischen den Atomriimpfen eines metallischen Leiters
K Russigkeft
3 55 <X> sz i_>
Mischkristolle
Z^
^\
„\ V
CD OJ
53 52
0 Cu
\ \
\
>^ 0,1
6ew.-% 0,2
Verunreinigungen
Bild 5.8. a Elektrische Leitf ahigkeit von Phasengemisch und Mischkristall in metallischen Werkstoffen. b Verminderung der Leitfahigkeit von Kupfer durch geringe Mengen anderer Atomarten
Phase und eine grofie Zahl weiterer Gitterstorungen erhohen den Widerstand eines Metalls, weil die Leitungselektronen an ihnen gestreut werden. Der Widerstand eines Metalls bei der Temperatur Tsetzt sich aus drei Anteilen zusammen: gT = g0 +
A^D
+ AgT.
( 5>6 )
gQ ist der Widerstand des reinen Metalls bei 0 K. Der Betrag A ^ , der durch die Defekte verursacht wird, ist von der Temperatur unabhangig (Restwiderstand g0 + A^p), der temperaturabhangige Anteil des Widerstands ( A ^ = 0 bei 0 K) nimmt mit steigender Temperatur zu. Der Widerstand von Metallen wird am starksten durch geloste Atome erhoht. Kupfer oder Aluminium, die als Leiter verwendet werden sollen, miissen deshalb sehr rein sein. In der Technik werden die Leiterwerkstoffe mit dem Reinstkupfer verglichen (%CS, copper standart). Hochreines (99,999%) Al hat einen Wert von 65%. Bild 5.8 zeigt, daB schon eine sehr kleine Konzentration von Atomen den Widerstand stark heraufsetzt, wenn diese Atome gelost sind. Sind diese Atome jedoch als Teilchen
5.2 Elektrische Eigenschaften, Werkstoffe der Elektrotechnik
191
a e elektrische Leitfahigkeit Rm Zugfestigkeit Bild 5.8 c. Kombination von physikalischen Eigenschaften fuhrt zur Werkstoffeigenschaft: oe • Rt ~ max; x = max
einer zweiten Phase vorhanden, so setzt sich der Widerstand additiv aus den Volumenanteilen f{ der Widerstande oder beider Phasen & zusammen, und die Erhohung ist sehr viel geringer als durch geloste Atome (Modell der Reihenschaltung von Gefugebestandteilen,Abschn. 10.1, (10.2)): Q = Qafa + Qfifp = QJa + 0J3 (1 " /«)•
(5.7)
Wird fiir Leiter- oder Kontaktwerkstoffe eine Kombination von geringem Widerstand und hoher Festigkeit gefordert, so ist das nicht durch Verwendung von Mischkristallen, sondern besser durch Teilchenhartung einer sehr reinen, gut leitenden Grundmasse zu erreichen (Bild 5.8 und 8.1). Dies ist fur Drahte von Freileitungen von Bedeutung. Deren primare Eigenschaft ist die hohe elektrische Leitfahigkeit. Dazu sollten aber die Masten in moglichst grofien Abstanden stehen. Die Forderung lautet, als daB Leitfahigkeit a und Zugfestigkeit i?m (Kap. 4.2) moglichst gro!3 sein sollen. a e = max. Rm = max. <7e - Rm - max. Dies kann auf zwei Wegen erreicht werden. Der erste besteht in einem WerkstofrVerbund aus einer „Seele", aus einem Stahl mit hoher Festigkeit, der umgeben ist von reinstem Al oder Cu (Abschn. 10.2). Der zweite Weg besteht in einem feinen Dipsersionsgefuge. Teilchen einer intermetallischen Verbindung oder eines Oxids (z. B. A1 2 0 3 in Cu) harten die Grundmasse aus Cu oder Al (Gl. 8.3, Bild 5.8 c). Dabei muB die Loslichkeit zwischen beiden Phasen sehr gering sein, damit die Leitfahigkeit der Grundmasse nicht verringert wird (Gl. 5.7). Die verhaltnismaBig geringe Leitfahigkeit der Halbleiter bei T> 0 K kann mehr noch als die der Metalle durch Gitterdefekte und geloste Atome manipuliert werden (Bild
5 Physikalische Eigenschaften
Bild 5.9. a Im Gitter eines Halbleiters geloste Atome erzeugen ortlich erlaubte Niveaus im verbotenen Energiebereich. b Schematische Darstellung der Dotierung eines Siliziumkristalls mit dreiwertigem (Al) und funfwertigem Atom (P)
5.9). Das fuhrt zu der groBen Zahl von Anwendungen in der Elektronik, z. B. als Widerstande, Gleichrichter oder Verstarker. Der Widerstand technischer Halbleiter liegt zwischen 10 2 und 10+2Q cm. Das wichtigste Grundmaterial sind Kristalle aus reinem Si mit einem Widerstand von 10 +5 Qcm. Die Leitfahigkeit kann erhoht werden durch Einbau von Atomen mit anderer Wertigkeit als Silizium. Die Nachbaratome P und Al aus der gleichen Periode bewirken, daB pro Atom ein Elektron zuviel (P) oder zuwenig (Al) im Siliziumgitter vorhanden ist. Beides fuhrt zu einer erhohten Leitfahigkeit. Beim Zusatz von P ist ein negativer Ladungstrager zuviel vorhanden. Das Energieniveau dieses Elektrons liegt in der »verbotenen« Zone, so daB es bei erhohter Temperatur leicht ins Leitungsband springen kann. Die dadurch hervorgerufene Leitfahigkeit wird als n-Leitung bezeichnet (Bild 5.9). Ebenso gibt das fehlende Elektron im Falle des Legierens mit Al die Moglichkeit zur Bewegung eines Ladungstragers, namlich der positiv geladenen Elektronenleerstelle. Daraus folgt die Bezeichnung p-Leitung fiir den Fall der Legierung mit geringerwertigen Atomen (Bild 5.9). Bei der Besprechung der Kristallstrukturen sind die III-V- und II-VI-Verbindungen bereits erwahnt worden (Abschn. 1.3), die ahnliche Kristallstruktur und Leitungseigenschaften wie Silizium und Germanium besitzen und auch als Halbleiterwerkstoffe verwendet werden. Als Beispiel fur die Funktion eines Halbleiterbauelements soil eine Diode mit einem pn-Ubergang dienen (Bild 5.10). Der Siliziumkristall sei auf der einen Seite p-, auf der anderen n-leitend. An diesen Kristall sollen elektrische Felder angelegt werden, was z. B. durch Aufdampfen von diinnen Metallschichten ermoglicht werden kann. Ohne Feld ist die mittlere Bewegung der vorhandenen Ladungstrager gleich null. Wird ein elektrisches Feld angelegt und so gepolt, daB die jenseits des pn-Obergangs liegenden Ladungstrager tiber diese Grenze hin angezogen werden, so entsteht durch diese Bewegung ein Strom, der etwa proportional dem Feld (der Spannung) ist. Wird das Feld umgekehrt gepolt, so werden sowohl Elektronen als auch Elektronenleerstellen von dem
193
5.2 Elektrische Eigenschaften, Werkstoffe der Elektrotechnik
pn-Obergang weggezogen. Es entsteht dort eine Zone mit niedriger Dichte der Ladungstrager, und der Stromdurchgang wird gesperrt. Diese Anordnung hat also die Funktion eines Gleichrichters. Transistoren sind z. B. als pnp-Obergange aufgebaut und besitzen iiber eine dritte Elektrode die Moglichkeit zur Steuerung des Stroms (Bild 5.10). Integrierte Schaltungen, bei denen auf kleinstem Raum eine groBe Zahl elektronischer Funktionen zusammengefaBt werden konnen, werden ebenfalls aus Blocken von sehr reinem und deshalb verhaltnismaBig gut isolierendem einkristallinem Silizium hergestellt. Durch ortliches Aufdampfen von Atomen und anschlieBende Diffusionsbe-
_p_Ji02 I^Al .
Eh • 0,
Eh
Eh* I—
Emitter
eV
'&1
Le J
Leitungsband
lllllj
1 Valenzband Ortskoordinate /
&
1
[W~\ i
AlAs |6(]As|
cu
^^sGaAs
a>
^vLicht
+ Kollektor Basis
AlP GaP^ \ A l A s
S> 2
Bandluckener
Barriere iQuantenjtopt ;
S—
AlSb
sjr iP
Si
\£e
\tabb ^JnSb
'
0,53 -0.55.
0,57 0,59 0,61 Gitterkonstante
0,63 nm 0,65
m ill
AfA
Bildi 5.10. a Wirkungsweise einer Halbleiterdiode. I. Ladungstrager werden vom p-n-Obergang abgezogen, kein Stromdurchgang bei Spannung -U. II. Ladungstrager werden iiber den p-n-Obergang angezogen, Stromdurchgang proportional der Spannung + U. b Aufbau eines Transistors. c Aufbau einer Schichtstruktur aus zwei Halbleitern mit verschieden groBer Energielucke Eg (Bild 5.10d). d Energieliicken fur verschiedene Halbleiterwerkstoffe e Abbildung der Atome in einer Al As/GaAs-Schichtstruktur, TEM, (T. Walther, D. Gerthsen, KFA Julich).
5 Physikalische Eigenschaften
194
LICHT
GLAS 0
ELEKTRODE
o-
fa-
p -Si
0
Si (undotiert) n-Si
QC 0
ELEKTRODE
oSi -Solarzelle
Bild 5.10f. Solarzelle, schematisch. In den p- und n-dotierten Zonen (Si) entstehen durch die Energie des Sonnenlichts getrennt positive und negative Ladungstrager, die zu einem Strom zwischen den Elektroden fuhren
•Qy^ PbQ
Pb
I H2S04 i i i i
GLAS, POLYMER PR Polypropylen
Pb — P b 2 + + 2 € | Pb 4 + —• Pb 2+ +2 0 1
Blei - Akku. Gitter - platten: Pb + 3-12%Sb Bild 5.10g. Zelle eines Bleiakkumulators. Durch Reduktion (Laden) und Oxidation (Entladen) des Bleis besteht die Moglichkeit zur Speicherung von Energie (Pb-Ca, Pb-Sn oder Pb-Sb Elektroden, Gehause PP Polypropylen, Kap. 9.2), vergl. Bild 6.2
5.2 Elektrische Eigenschaften, WerkstofFe der Elektrotechnik
195 ^PHOTONENLEITENDE MEMBRAN KATALYSATOR ^ Pt/PtRu
{/*
LUFT BRENNSTOFF •e
o><
m 7s
§
ABGAS H20
ANODE
KATHO.
Zr(Y)0 2
Bild 5.10 h. Brennstoffzelle. Dient zur Umwandlung von chemischer in elektrische Energie. Entscheidend ist die Leitung der Ionen durch einen keramischen Ionenleiter, der Kathode und Anode trennt
Tabelle 5.3c. Verschiedene Funktionen der Werkstoffe in der Energietechnik Funktion
System
Werkstoff
Einsammeln Speichern Umwandeln
Solarzelle Batterie Brennstoffzelle
Halbleiter Pb-Legierungen keramische Ionenleiter
handlung (Abschn. 3.1) werden p- und n-leitende Bereiche hergestellt. Metallisch leitende Zuleitungen entstehen durch Aufdampfen reiner Metalle, meist Aluminium. Sehr gut isolierende Schichten konnen schlieBlich durch Oxidation des Si zu Si0 2 hergestellt werden. Ebenfalls aus dotiertem Silizium hergestellt werden WerkstofFe fur Solarzellen (Bild 5.10, Tab. 5.3 c). Die Lichtquanten erzeugen freie Elektronen (photoelektrischer Effekt) und damit eine bestimmte Spannung von etwa 1V. Durch Parallel oder Reihenschaltung vieler Zellen lassen sich gewiinschte Spannungen oder Stromstarken erzielen. Eine reizvolle Weiterentwicklung der Halbleiterwerkstoffe beruht auf 3/5-er Verbindungen wie GaAs oder InP (1.10). Sie f inden Verwendung zum Beispiel in der Opto-Elektronik fur die Schnittstellen zwischen Licht und elektrischen Signalen, d.h. den AnschluBstellen von Lichtleitern (Bild 7.9). Durch Substitution von Ga durch Al in GaAs kann die Aktivierungsenergie Eg fur Elektronen ins Leitungsband (Tab. 5.2b) gezielt verandert werden: GaQAlx_QAs. Dabei andert sich die Kristallstruktur nicht, die Gitterkonstante nur sehr wenig (Bild5.10d). Folglich konnen aus diesen Verbindungen sogenannte Heterostrukturen angebaut werden. Durch Aufdampfen (MBE, molecular beam epitaxy) wachsen Kristalle mit nur wenigen Atomlagen dicken Schichten verschiedener chemischer Zusammen-
5 Physikalische Eigenschaften
196 2500 V/cm
/
2000
1500
£1000
^ 500
!
v
^7
^ 6 8 10 Entladungszeit /
Hmin 16
Bild 5.11. Entladungskurven von Polymeren ohne und mit »antistatischen« Zusatzen. / PS; 2 ABS; 3 und 4 PS antistatisch (Tab. 8.3 d)
setzung. Dies wiederum fiihrt zu in x-Richtung veranderter Energie Eg (Bild 5.6 c) also energetischer Barrieren und Talern fur die Elektronen. Zwischen diesen Barrieren konnen Elektronen (und Locher) in sogenannten Quantentopfen eingesperrt werden. Ein Vielfaches der halben Wellenlange paBt in den Quantentopf. Dies bestimmt wiederum die Energie der Elektronen (in Analogie zu Schallwellen in Orgelpfeifen). In opto-elektronischen Bauelementen konnen diese Elektronen entweder durch Licht angeregt werden oder Licht aussenden. Fur optische Wellenlangen (1.55-1.75 eV) sind GaAs-Quantentopfe mit Dicken zwischen 2nm und 10 nm (10-56 Atomlagen) notig. Auf dieser Grundlage konnen zum Beispiel Halbleiter-Laser hergestellt werden. Diese neue Werkstoffgruppe wird auch als Nanostrukturen oder Quantenwerkstoffe bezeichnet. In Abschn. 3.1 wurde besprochen, wie Atome oder Ionen sich thermisch aktiviert durch Diffusion bewegen konnen. In Isolatoren mit Ionenbindung ist das eine Moglichkeit, bei hoher Temperatur geringe Leitfahigkeit zu erhalten. Die Diffusion erfolgt dann bevorzugt in Richtung des elektrischen Feldes. In perfekten Kristallen ist die Diffusion und folglich die Leitfahigkeit gering. Hoher ist sie in Kristallen, die strukturelle Leerstellen oder Zwischengitteratome enthalten, oder in Glasern. Die Beweglichkeit des Ladungstragers m (5.4) nimmt proportional dem Diffusionskoeffizienten D (3.2) zu. Man findet deshalb fiir viele keramische Stoffe dieselbe Temperaturabhangigkeit fiir Diffusion wie fiir die elektrische Leitfahigkeit. Die Kunststoffe und die keramischen Stoffe gehoren zu den guten Isolatoren (Bild 5.4), die in der Technik z. B. zur Kabelisolation, zur Isolation von Freileitungen und zur Isolation von Platten der Kondensatoren verwendet werden. Die hochsten Widerstandswerte besitzen einige hochpolymere Kunststoffe. Dies ist fiir viele Anwendungen jedoch von Nachteil, wenn es nicht auf elektrische Isolierf ahigkeit ankommt. Die Isolatoren sind
5.2 Elektrische Eigenschaften, Werkstoffe der Elektrotechnik
197
z. B. durch Reibung in der Lage, sich aufzuladen und diese Ladung fur lange Zeit nicht zu verlieren. Neben der Gefahr der Funkenbildung bei Entladungen ist besonders das elektrostatische Anziehen von Staubteilchen ein groBer Nachteil der Kunststoffe. Dem versucht man beizukommen durch »antistatische« Behandlung. Dafiir gibt es zwei Moglichkeiten. Man bringt Graphit oder Metallpulver in den Kunststoff ein und erhoht so die Leitfahigkeit im gesamten Volumen. Auf diese Weise kann man auch halbleitende Kunststoffe herstellen. Die andere Moglichkeit besteht in einer Behandlung der Oberflache: Es wird ein diinner Uberzug aufgespriiht, der die Luftfeuchtigkeit durch Adhasion bindet und damit den Oberflachenwiderstand stark herabsetzt (Bild 5.11). Ein hoher elektrischer Widerstand ist nur eine notwendige Bedingung fiir einen guten Isolatorwerkstoff, die andere ist bestimmt durch die Dielektrizitatskonstante e. Die Kapazitat des Kondensators C ist C= Q = -^- T Ladung 1 (5 8a) U Ea' *• Spannung 1 ' ' da zwischen den Platten ein elektrisches Feld E besteht, das vom Verhaltnis Spannung U zu Plattenabstand a abhangt. Die GroBe der Kapazitat hangt davon ab, welches Material sich zwischen den Platten befindet. Den niedrigst moglichen Wert hat C, wenn keine Materie vorhanden ist. Der Wert fiir Luft unterscheidet sich allerdings nicht wesentlich von dem des Vakuums. Die Dielektrizitatskonstante e gibt das Verhaltnis der Kapazitat mit einem bestimmten Material CM zu der Kapazitat mit Luft oder Vakuum an: 7* = * - jr*~^"L
(5.8b)
^Vakuum
Die Werte fiir e liegen fiir die Kunststoffe bei 2 bis 5. Fiir keramische Stoffe konnen sie 80 erreichen. Es konnen auch Kunststoffe mit variablem Porengehalt hergestellt werden, deren Dielektrizitatskonstante von 1 an kontinuierlich zunimmt (Tab. 5.4a, b). Die Wirkung der Dielektrika beruht auf der Polarisierbarkeit der Molekiile (Abschn. 1.2, Bild 5.12a). Je groBer die Polarisierbarkeit ist, desto groBer ist e. Auch in symmetrischen Molekiilen wird ein Dipolmoment durch das auBere Feld erzeugt, wie z. B. der Wert von s = 2 fur Polyathylen zeigt (Bild 5.12b). Hohere Werte besitzen aber die Stoffe, die aus unsymmetrischen Molekiilen aufgebaut sind, die also auch ohne auBeres Feld ein Dipolmoment besitzen, wie die Polyamide. Je nachdem, ob ein Kondensator oder ein Starkstromkabel isoliert werden soil, wird man einen Werkstoff mit hoher oder niedriger Dielektrizitatskonstanten wahlen.
Tabelle5.4a. Statische Dielektrizitatskonstanten verschiedener Isolatoren Stoff Vakuum Luft (1 atm) Glas Gummi H2Q (fl)
1,00000 1,0006 5 ... 10 3...30 81,0 \
Polarisierbarkeit
198
5 Physikalische Eigenschaften
Tabelle5.4b. Dielektrische Eigenschaften einiger Polymere in der Reihenfolge zunehmender Polarisierbarkeit der Molekule (bei 23 °C und 1 MHz) Stoff
tan 8 • 10"4
$
PE
0,5
2,3
symmetrische
2,2 2,5 3,2 3,8 4,5
asymmetrische Molekule
PIB PS ABS PA PVC
4 1 200 300 400
'"°
a
102
103
104
105
106
107
108
109 HzIO1
Frequenz / b
Bild 5.12. a Verschiebung der Ionen eines Isolatorkristalls beim Anlegen eines aufieren elektrischen Feldes. Dabei tritt eine Dehnung e auf. Umgekehrt entsteht eine elektrische Ladung durch mechanischen Druck auf den Kristall: Piezoelektrizitat. b Dielektrischer Verlustfaktor von PE (1) und PS (2). Im Idealfall betragt die Phasenverschiebung zwischen Strom und Spannung
AuBerdem ist fiir die Isolation von Wechselstrom- oder Hochfrequenzkabeln noch der dielektrische Verlustfaktor tan 5 von Bedeutung (Abschn. 4.8). Ein Kabel, das aus leitendem Kern, Isolierschicht und metallischem Kabelmantel besteht, wirkt wie ein Kondensator. Das funit durch Auf- und Entladen beim Durchgang von Wechselstrom zu Energieverlusten. Der Energieverlust ist L^ = UI cos q>, wobei = 90°, coscp
5.3 Warmeleitfahigkeit
199
= 0. Fur einen nichtverlustfreien Kondensator ist ^><90°, cos'= 90° — £(Bild 5.12). Die Verwendung von tan 6 als MaB fiir die dielektrischen Verluste ist iiblich, da es sich bei dieser GroBe um das Verhaltnis von verlorener Wirkleistung Z^ zu Blindleistung LB, die in diesem Fall gewunscht wird (Bild 5.12), handelt: tan<5= -p^ = . y . (5.8c) LB sin
5.3 Warmeleitfahigkeit Die Warmeleitung erfolgt in Metallen ebenfalls durch die freien Elektronen des Leitungsbandes. Aus diesem Grund ist die Warmeleitfahigkeit A [J nrV 1 K'1] von Metallen proportional der elektrischen Leitfahigkeit a (Wiedemann-Franzsches Gesetz): A = Co= —. (5.9) 9 Die Folgerungen daraus entsprechen denen fiir die elektrischen Leitfahigkeit. Mischkristalle mit sehr hoher Konzentration an gelosten Atomen (z. B. austenitischer rostfreier Stahl, Kap. 8) haben eine geringe Warmeleitfahigkeit. Sie sind zum Warmeaustausch nicht gut geeignet und mussen vorsichtig erhitzt werden, um Spannungen als Folge groBer Temperaturunterschiede im Werkstoff zu vermeiden (Tab. 5.5). Die Warmeleitung geschieht in nichtmetallischen Stoffen nach einem anderen Mechanismus als bei Metallen. Die Proportionalitat zwischen elektrischer und Warmeleitfahigkeit gilt dann nicht. Die Warme wird durch Gitterschwingungen (Phononen) iibertragen, die an Storungen gestreut werden konnen. Die Warmeleitfahigkeit in Isolatoren ist deshalb bei tiefen Temperaturen und in perfekten Kristallen am groBten, wahrend die elektrische Leitfahigkeit mit zunehmender Temperatur stark ansteigt. Die geringe Warmeleitfahigkeit der polymeren und keramischen Werkstoffe ist der entscheidende Gesichtspunkt, falls Warmeiibertragung oder Isolation die primare Eigenschaft ist. In gleitenden Flachen (z. B. Kunststofflagern) sind die auftretenden Temperaturen hoher als in Metallen. Aus dem gleichen Grund sind die beim Erwarmen oder Abkiihlen auftretenden inneren Spannungen in Kunststoffen und Keramik groB. Dies fiihrt bei niedriger Bruchzahigkeit zu der geringen Temperaturwechselbestandigkeit keramischer Stoffe. Einige Angaben zur Warmeleitfahigkeit von Phasengemischen sind in Kap. 10 zu finden (Bild 10.4); Schaumstoffe fiir die Warmeisolation werden im Abschn. 9.5 behandelt (Bild 9.12).
5 Physikalische Eigenschaften
200 Tabelle5.5a. Spezifische Warmeleitfahigkeit Werkstoff
X Jm~ 1 s~ 1 K - 1
Werkstoff
Ag Cu Al SiC Fe WC
400 380 228 100 76 50
Si 3 N 4 Si0 2 -Glas Porzellan PE PTFE PVC
A
jm-v 1 *:- 1 15 2,0 1,2 0,50 0,24 0,16
Tab. 5.5 b. Energieaufwand durch Warmeleitung fur verschiedene Baumaterialien (relativer Vergleich) kWhm- 3
Material Al-Legierungena keramisches Glas PVC Stahl Vollziegel Bauholz Beton Leichtziegel PS-Schaum Glaswolle Mineralwolle
(Profile) (Scheiben) (Bild 9.7) (Blech) (Bild 10.12) (Bild 7.12) (Bild 9.12)
195000 15000 13000 6500 1100 550 500 400 400 150 100
Dem Stand der Technik entsprechen Verbundwerkstoffe mit Polymeren, die dann die thermische Leitfahigkeiten bestimmen (Kap.10.1, Bild 10.4, Gl. 10.2-10.4)
5.4 Ferromagnetische Eigenschaften, weich- und hartmagnetische Werkstoffe Ferromagnetische Stoffe werden besonders in der Elektrotechnik verwendet. Weichmagnetische Stoffe finden sich in groBen Mengen als Spulenkeme in Transformatoren, Generatoreii, Elektromagneten und in der Femmeldetechnik. Fiir Dauermagnete gibt es auch vielversprechende Anwendungsgebiete im Maschinenbau, z. B. die Entlastung von Gleitlagern durch ferromagnetische Schichten und die Entwicklung reibungsfreier Transportsysteme, deren bewegte Teile durch starke Magnetfelder freischwebend gehalten werden. Magnetwerkstoffe sind am haufigsten Metalle, keramische Magnete erfreuen sich besonders als Dauermagnete zunehmender Beliebtheit. Ferromagnetische hochpolymere Stoffe gibt es dagegen nicht, es sei denn, es wird ihnen ein ferromagnetischer anorganischer Stoff beigemischt. Metallische Glaser auf der Grundlage von Fe, Ni, Co konnen ebenfalls ferromagnetisch sein. Sie zeichnen sich durch gutes weichmagnetisches Verhalten bei hoher mechanischer Harte aus. Ferromagnetische Stoffe sind immer aus Atomen mit unaufgefullten Elektronenschalen (Kap. 1) aufgebaut. Die wichtigste Gruppe sind die Obergangsmetalle mit unaufgefiillter 3d-Schale, Cr, Mn, Fe, Co, Ni. Davon sind Fe, Co und Ni als reine Kristalle
5.4 Ferromagnetische Eigenschaften, weich- und hartmagnetische Werkstoffe
201
ferromagnetisch. Da der Ferromagnetismus auf der Wechselwirkung von 3d-Elektronen beruht, die 4s-Elektronen aber die chemische Bindung bestimmen, tritt der Ferromagnetismus bei verschiedener Bindungsart auf. Es gibt metallische und keramische Ferromagnete. Beispiele sind das a-Eisen und der Magnetit FeO.Fe203. Das Element Mangan ist nur ferromagnetisch in bestimmten, krz intermetallischen Verbindungen, z. B. Cu2MnAl (Heuslersche Legierungen) und in Ferriten. Das deutet darauf hin, daB neben der Elektronenstruktur ein bestimmter Abstand der Atome notwendige Voraussetzung fiir das Auftreten von Ferromagnetismus ist. Die zweite Gruppe von Elementen, aus denen ferromagnetische Werkstoffe aufgebaut werden konnen, sind die Seltenen Erden mit ihren unaufgefiillten 4f- und 5d-Schalen. Hier sind besonders die Elemente Sm, Eu und Gd wichtig fiir Dauermagnetwerkstoffe. Die erwahnten Phanomene deuten darauf hin, daft die Atome folgende Voraussetzung fiir das Auftreten von Ferromagnetismus erfullen sollten: unvollstandig gefiillte innere Schalen, aber mit einer groBen Zahl von Elektronen, d. h. stark angefiillte Bander. Der Ferromagnetismus ist die Eigenschaft eines StofFes, auch ohne ein auBeres Feld ein hohes magnetisches Moment zu besitzen. Grund dafur ist die Ausrichtung des Spins der Elektronen. Falls die Spins mit entgegengesetztem Vorzeichen gepaart auftreten, ist nach auBen kein magnetisches Feld zu beobachten. Eine bevorzugte Ausrichtung ungepaarter Spins macht den Stoff nach auBen magnetisch (Bild 5.18). Diese Ausrichtung ist ein Ordnungsvorgang, ahnlich wie die Ordnung von Atomen in manchen Mischkristallen (Kap. 2.1). Ordnungszustande sind aber nur bei tiefen Temperaturen stabil. Aus diesem Grund findet man den Ferromagnetismus auch nur unterhalb einer bestimmten Temperatur, der Curie-Temperatur Tc (Tab. 5.6 a) und zwar in Stoff en mit Kristall- und Glasstruktur. Die ferromagnetischen Werkstoffe konnen in zwei Gruppen eingeteilt werden: die magnetisch harten und die magnetisch weichen Werkstoffe (Bild 5.13 bis 5.17). Die harten Stoffe sind die Dauermagnete, die Tonband- und Speicherzellenwerkstoffe. Weiche Werkstoffe sind Kernbleche fiir Transformatoren, Elektromagnete, Spulen, alle elektrischen Maschinen und Abschirmwerkstoffe fiir Hochfrequenzkabel. Der Unter-
Tabelle5.6. Sattigungsmagnetisierung £s(fur20°C) und Curietemperatur Tc ferromagnetischer Stoffe Stoff
a-Fe
Co Ni Cu 2 MnAl MnAs CrTe FeO Fe 2 0 3 M n O • Fe 2 0 3 CoO Fe 2 0 3 M g O Fe 2 Q 3
Bs
104 • T
T K
1707 1400
1043 1400
485 500 670 247 480 410 400 110
631 710 318 339 858 573 793 713
202
5 Physikalische Eigenschaften
f^n
J$=Bs-nQH
1500 [iiojX^ •10'4| T //mi] 1000 CD
500
30
H
Bfld 5.13. Eisenkristalle sind in verschiedenen Richtungen verschieden leicht zu magnetisieren. Die leichte Magnetisierbarkeit in den drei {100}-Richtungen wird in Transformatorenblechen ausgeniitzt (nach Honda und Kaga)
45 kArrf1 60
-H
Bild 5.14 a u. b. Magnetisierungskurven eines magnetisch weichen (a) und harten Werkstoffs (b)
+
•0
t eten
CQ
(^)mox
cz en o ?'
/
/J
UJI en cz Z3
/%
AH'
-//
V/ !
1
S
a*
+//
cu cz en o S
1 l
Bfld 5.15. Zur Kennzeichnung der Giite eines Dauermagneten dient entweder die Koerzitivfeldstarke Hc oder das Produkt
-B auOeres magnetisches Feld
•{+)
5.4 Ferromagnetische Eigenschaften, weich- und hartmagnetische Werkstoffe
203
Richtung der Magnetisierung 'Richtung leichter Magnetisierbarkeit - — <100>
-Blech -Isolierschicht, l| 5ja,m
P
10 Wkg -1 6
JFe)
\
1
1
1 Fe-Si
1
1 nichtorientfert
\ |
^
0,8 v
0,6
r \kornorientiert
0,4
Bild 5.16. a Aufbau von Kernen fiir Transformatoren und elektrische Maschinen. b Ummagnetisierungsverluste verschiedener weichmagnetischer Werkstoffe (Fe + 4 Gew.-% Si; Fe + 50 Gew.-% Ni, Tab. 8.11)
Ni- F e
0,2
\ \ \
0,1.
1900
1920
1940 1960 Jahr
Fe-B-Si >sjGlas 1980
2000
schied zwischen beiden Gruppen wird aus der Form ihrer Magnetisierungskurve deutlich (Bild 5.14). Die Magnetisierungskurve beschreibt die magnetische Induktion im Werkstoff B (in T) als Funktion des auBeren Feldes //(in Am' 1 ). Fiir wissenschaftliche Auswertung zieht man das auBere Feld von B ab und erhalt so die reine Magnetisierung M — B/fiQ-H. fa ist die magnetische Feidkonstante (^ = 4 n • 10 7 TA_1m). Sie bestimmt die Steigung der Kurve B = f(H) fiir den Fall, da6 die Sattigungsmagnetisierung Ms erreicht ist. Die Steigung der Kurve dB/dH = \x wird als Permeabilitat bezeichnet. Die Anfangspermeabilitat fiA ist die Steigung beim Beginn der Magnetisierung. Hohe Werte fiir [iA werden bei manchen weichmagnetischen Werkstoffen in der Fernmeldetechnik benotigt (Spulenkerne). Es handelt sich um NiFe-Mo-Legierungen (Permalloy) mit Nickelgehalten von mehr als 70% oder neuerdings um metallische Glaser. Mit steigendem auBeren Feld steigt M bis zu einem Wert Ms, der Sattigungsmagnetisierung (Tab. 5.6 a). Das entspricht dem Wert, bei dem B nur noch proportional dem auBeren Feld H zunimmt. Die reinen Metalle Fe und Co haben eine sehr hohe Sattigungsmagnetisierung, die nur noch iibertroffen wird durch bestimmte Fe-Co-Mischkristalle. Alle Ferrite zeigen eine sehr viel geringere Sattigungsmagnetisierung. Den Verlauf der Magnetisierung abhangig von GroBe und Vorzeichen des auBeren Feldes zeigen Bild 5.15. Der Flacheninhalt der Schleife entspricht der Arbeit, die zum Ummagnetisieren notig ist. Magnetisch weiche Werkstoffe sollen deshalb eine enge Schleife, magnetisch harte eine weite Schleife haben. Sonderformen sind die Rechteckschleife, wie sie fiir die binaren Speicherelemente von Rechenmaschinen gefordert werden. Zur technischen Kennzeichnung der Qualitat von magnetisch weichen Werkstoffen, die in Wechselstrommaschinen verwendet werden, dienen die Leistungsverluste pro kg Werkstoff (W/kg, Bild 5.16), die z. B. durch Ausmessen der Magnetisierungsschleife bestimmt werden konnen. Dauermagnetwerkstoffe werden entweder bewertet nach der
204
5 Physikalische Eigenschaften >300
300 •103 TAm"1 *kJm"3 275
250
225 h
200
~ 175
150
125
100
75
50
25
JZL W-leg. Alnico C-Stahl (1885) (1938)
KobaltPlatin (1952)
Barium- KobaltFe-Nd Ferrit Samarium Bor (1954) (1969) (1993)
Bild5.17. VerbesserungderQualitat von Dauermagneten als Beispiel ftir erfolgreiche Werkstoffentwicklung. Die besten Werkstoffe liefern NdFeB-Legierungen. Die entscheidende Phase ist Nd2Fei4B
Koerzitivfeldstarke Hc (in Am 1 ) oder dem Produkt (BH)max. Die Koerzitivfeldstarke muB an einem voUstandig magnetisierten Werkstoff mit umgekehrten Vorzeichen der urspriinglichen Magnetisierungsrichtung angelegt werden, um ihn voUstandig zu entmagnetisieren. Die andere Moglichkeit der Kennzeichnung besteht darin, das Produkt BH in dem Quadranten ( + £, - / / ) zu bilden (Bild 5.15). Das Maximum der Funktion
5.4 Ferromagnetische Eigenschaften, weich- und hartmagnetische WerkstofFe
205
(BH) = 1(B) wird als (BH)maK (in kJm"3) angegeben. Es handelt sich also um eine magnetische Energiedichte. Je hoher dieser Wert ist, desto weniger Magnetwerkstoff wird fur eine bestimmte Wirkung benotigt. Bild 5.17 zeigt die zeitliche Entwicklung der erreichten (Z?//)max-Werte fur Dauermagnete als Beispiel fiir eine erfolgreiche Werkstoffentwicklung. Diese beruht auf einer Kenntnis der Ursachen fiir die Form der Magnetisierungskurve. Ein Kristall, in dem alle Spins in eine Richtung ausgerichtet sind, zeigt die Sattigungsmagnetisierung Bs. Ein ferromagnetischer Stoff kann aber auch nach auBen hin vollig unmagnetisch erscheinen. Der Grund dafiir ist, daB nur in bestimmten Bereichen, den WeiBschen Bezirken, die Magnetisierung in einer Richtung liegt. In a-Fe-Kristallen kann sie aber in £ verschiedenen {100}-Richtungen liegen (Bild 5.13 und 5.18). Der Stoff erscheint nach auBen hin unmagnetisch, wenn alle Magnetisierungsrichtungen gleich haufig auftreten. Die WeiBschen Bezirke werden getrennt von Grenzf lachen, in denen sich die Magnetisierung um 90 ° oder 180 ° dreht (Bild 5.18). Diese Grenzen werden als Bloch-Wande bezeichnet. Beim Anlegen eines auBeren Feldes //bewegen sich die Bloch-Wande in der Weise, daB sich die Bezirke, deren Magnetisierung in Richtung des auBeren Feldes liegt, vergroBern, wahrend sich andere Bezirke verkleinern oder ganz verschwinden. Kurz vor Erreichen der Sattigungsmagnetisierung sind schlieBlich nur Bezirke mit einer Magnetisierungsrichtung iibriggeblieben. Die Magnetisierung kann sich noch aus der bevorzugten (lOO)-Richtungen des a-Fe-Kristalls genau in die Richtung des auBeren Feldes drehen, wenn H weiter erhoht wird. Die Sattigung ist in diesem Zustand erreicht. In einem magnetisch weichen Werkstoff soil diese Verschiebung der Wande moglichst leicht vor sich gehen, und natiirlich soil die Sattigungsmagnetisierung groB sein. Dadurch werden folgende Forderungen an den mikroskopischen Aufbau z. B. eines Transformatorenbleches gestellt:
Bild 5.18 a. Magnetisierung der Probe durch Verschieben einer Bloch-Wand und Drehung der Magnetisierung. b Korngrenzen und Blochwande in a-Eisen. \ Richtung der Magnetisierung in den WeiB'schen Bezirken, TEM defokussiert (R. Glenn, US Steel)
206
5 Physikalische Eigenschaften
Phase mit hoher Sattigungsmagnetisierung: a-Eisen; Gefiige, in dem sich Bloch-Wande leicht bewegen konnen: die Kristalle miissen frei von inneren Spannungen, Gitterbaufehlern und Einschliissen zweiter Phasen sein; die Richtung der spontanen Magnetisierung im Werkstoff soil mit der Richtung der Magnetisierung im Transformator ubereinstimmen: der Werkstoff sollte aus einem einzigen Kristall mit dieser Orientierung bestehen oder aus einem Kristallhaufwerk mit gro6er hauflgkeit der (100)-Orientierungen der Kristalle in der gewimschten Richtung. Die besten Eigenschaften erreicht man bis jetzt mit einer Legierung aus Fe und 6% Si « 4 Gew.-%. Diese Legierung kann durch Rekristallisationsgluhung verhaltnismaBig leicht in den gewiinschten Zustand gebracht werden. Sie weist nicht die beim reinen Eisen und bei Fe-C-Legierungen auftretenden Umwandlungen im Temperaturbereich zwischen 720 und 910 °C auf. Durch den Siliziumgehalt wird das y-Gebiet »abgeschnurt« (Bild 5.19). Dadurch ist eine Warmebehandlung bis zu 1400 °C moglich, so daB ein Gefiige aus groBen Kristallen bestimmter Orientierung erhalten werden kann. Um die Verluste in elektrischen Maschinen und Transformatoren gering zu halten, sollten die Leistungsverluste in einem guten Transformatorenblech unter 1 W k g - 1 liegen. Bleche fur Spulenkerne elektrischer Maschinen haben einen geringeren Si-Gehalt. Dies fuhrt zwar wegen des geringeren elektrischen Widerstands zu hoheren Energieverlusten, entscheidend ist aber die grofiere Sattigungsmagnetisierung (Bild 5.19). Sie fuhrt zu erhohten Anziehungskraften und folglich Drehmomenten der Motoren. Die Anforderungen an das Gefiige eines hartmagnetischen Werkstoffes sind genau umgekehrt. Erhalten bleibt nur die Forderung nach einer hohen Sattigungsmagnetisierung. Dauermagnete sollen eine moglichst groBe Zahl von Storungen enthalten und aus einem Phasengemisch aus einer ferromagnetischen und einer nichtferromagnetischen Phase bestehen. Es gibt zwei Moglichkeiten fiir die Hartung von Magneten. Die urspriingliche Entwicklung ging davon aus, in eine ferromagnetische Grundmasse, z. B. aEisen, Teilchen und alle Arten von Gitterstorungen einzubauen, um damit die Bewegung der Bloch-Wande und damit die Entmagnetisierung zu behindern. Kohlenstoffstahle und Eisen-Kobalt-Legierungen folgen diesem Prinzip. Die andere Moglichkeit wird verwirk1400 °C 1300 1200
y I I I 2,2 Ciew.-% Si
.1100 1000
i
2,2 T 2,0
\ 1,6
o
: Si-»
i) ^
\ At .-% 10
Bild 5.19. Zustandsschaubild Fe-Si und Sattigungsmagnetisierung von a-Fe-Si-Mischkristallen
207
5.5 Supraleiter Stutz-
Speicherteilchen a>-Fe 2 0 3
/
teilchen Al 2 0 3
/
mm. mmsL j Bild 5.20. Aufbau einer Festplatte fur die magnetische Speicherung von Informationen (vergl. Bild 12.3).
[ ^_ Triboschicht 0,5p,m } Speicherschicht ~"r Haftvermittler ~3mm
Substrat AlMg3
licht durch ein Gefiige, das aus ferromagnetischen Teilchen in einer nichtferromagnetischeri Grundmasse besteht. Unterhalb einer bestimmten TeilchengroBe ist es energetisch gunstiger, die spontaii magnetisierten Bereiche nicht durch Bloch-Wande aufzuteilen; die Bereiche sind dann nur in einer Richtung magnetisiert. Das Ummangetisieren kann nicht durch Bewegung von Wanden geschehen, sondern nur durch Umdrehen der Magnetisierung. Dazu ist aber eine hohe von der Kristallanisotropie der Magnetisierung abhangige Energie, folglich eine hohe Koerzitiyfeldstarke, notwendig. Falls die Teilchen nicht kugelformig sondern langlich geformt sind, lafit sich diese Energie noch weiter erhohen. Man stellt derartige Magnete her, indem man die Ausscheidung der ferromagnetischen Phase im Magnetfeld ablaufen laBt. Es entstehen dann langliche Teilchen (Durchmesser ~ 20 nm), die alle in einer Richtung magnetisiert sind. Bei der Analyse der Ursache fur magnetische Harte sind also zu unterscheiden die Kristallanisotropie (die Energie, die notwendig ist, die Magnetisierung aus einer Vorzugsrichtung, z. B. (100) im a-Eisen, in eine andere zu drehen) und die Formanisotropie, hervorgerufen durch Abweichung von der Kugelforra der Teilchen. Auf diesem Prinzip beruhen die heute in der Technik.verwendeten Alnico-Magnete, eine Legierung aus Al, Ni, Cb. Ti. Ihr (BH)maK-Wert wird nur noch iibertroffen durch die neueste Entwicklung von Dauermagneten auf der Basis von Ubergangsmetall-Seltenerd-Verbindungen, wie SmCo5 (Bild 5.17). Die dureh Sintern hergestellten Ferritmagnete haben etwas andere, aber ebenso niitzliche Eigenschaften wie die Alnico-Magnete. Sie besitzen eine hexagonale Kristallstruktur. Technisch verwendete Ferrite sind BaOFe 2 0 3 und SrOFe 2 0 3 . Ihre Sattigungsmagnetisierung ist kleiner als bei Metallmagneten, da im Ferritgitter ein Teil der Spinrichtungen kompensiert wird (Ferrimagnetismus). Dagegen ist ihre Koerzitivfeldstarke als Folge sehr hoher Kristallanisotropie uniibertroffen hoch. Hergestellt werden sie wie viele keramische Stoffe (Kap. 7) durch Sintern (Abschn. 11.1). Ferritpulver kann auch in Kunststoffe, z. B. Gummi, eingelagert werden. Man erhalt so schneid- oder biegbare Magnete. Ebenso enthalten Tonbander und andere Informationsspeicher (Disketten) sehr kleine a-Eisen- oder Ferritteilchen (Fe203, Cr02), eingebettet in einer Duromerschicht (Bild 5.20). 5.5 Supraleiter Eng verkmipft mit dem magnetischen Verhalten ist das Auftreten der Supraleitung. Unterhalb einer sehr tiefen Temperatur, der Sprungtemperatur Tc, wird der elektrische Widerstand vieler metallischer Leiter null. (Nicht zu verwechseln mit der Curie-Tempe-
5 Physikalische Eigenschaften
208
ratur, die ebenfalls mit Tc bezeichnet wird). Es handelt sich bei den Stoffen mit verhaltnismafiig hoher Sprungtemperatur aber durchaus nicht um sehr gute Normalleiter (Tab. 5.6b). Auch die ferromagnetischen Stoffe sind in dieser Tabelle nicht zu finden. Vielmehr wird beim Obergang zum supraleitenden Zustand das magnetische Feld aus dem Leitermaterial verdrangt. Der Supraleiter ist also immer auch ein Diamagnet (Bild 5.21). Falls ein auBeres magnetisches Feld H angelegt wird, ist deshalb die verdrangte Magnetisierung 4nM proportional //, bis das Material in den normalleitenden Zustand iibergeht. Die kritische Feldstarke, bei der magnetischer FluB einzudringen beginnt, wird als Hcl bezeichnet, oberhalb von Hc2 gibt es nur noch Normalleitung. Tabelle 5.7. Sprungtemperatur supraleitender Metalle Stoff
T K
Stoff
Tc K
Nb3 (Al, Ge) Nb3Sn V3Si NbN MoN
20,7 18 17 16 12
Nb Pb V BiNi Sn
9,1 7,2 5,0 4,3 3,7
Supraleiter (NbTi) Normalleiter (Cu) Kiihlung(fl.He) Trennwand tiullere Kuhlung (N2 auBere Isolation
Bild 5.21 a. Aufbau eines supraleitenden Kabels. Techhische Kabel konnen mehrere hundert SL-Adern enthalten
Bild 5.21 b u. c. Die Stabilitat des supraleitenden Zustands. Der Ubergang von supra- zum normalleitenden Zustand abhangig von Temperatur und magnetischer Feldstarke
209
5.6 Optische Eigenschaften
Supraleiter sind also keine Ferromagnete. Mit supraleitenden Spulen konnen aber hochst mogliche Magnetfelder erzeugt werden. Fur supraleitende Leiterwerkstoffe ist es notwendig, daB die Supraleitung auch bei hohen Magnetfeldern erhalten bleibt, da der im Supraleiter flieBende Strom ein Magnetfeld erzeugt, das die Supraleitung zu zerstGren sucht. Die Stromtragfahigkeit hangt direkt davon ab, wie schwierig es fur den magnetischen FluB ist, in den Supraleiter einzudringen. Dieses Eindringen geschieht in quantisierten Einheiten, den FluBfaden. Wie die Bewegung von Bloch-Wanden kann auch das Eindringen von FluBfaden durch fein verteilte Teilchen, Versetzungsgruppen und andere Gitterstorungen behindert werden. Die Folge ist eine Aufweitung der Hystereseschleife, die verkniipft ist mit einer erhohten Stromtragfahigkeit. Die. Entwicklung von supraleitenden Werkstoffen geht in Richtung auf Erhohung sowohl der Stromtragfahigkeit, als auch der Sprungtemperatur. Die Gefiige dieser »harten« Supraleiter, z. B. von Nb-Ti-Legierungen, sind ganz ahnlich denen der hartmagnetischen Werkstoffe. Sie enthalten neben Gitterstorungen nichtsupraleitende Teilchen einer GroBe von <30 nm. Die hochste Sprungtemperatur, die bisher mit Metallegierungen erreicht wurde, liegt bei -25 K. Supraleitende Kabel enthalten den supraleitenden Werkstoffin Form von diinnen Fasern eingebettet in Kupfer, in dem oberhalb der Sprungtemperatur die Leitung erfolgt. Derartige Drahte werden durch Verbundwalzen oder Ziehen hergestellt (Kap. 10 und 11, Bild 5.21a). Bis zum Jahre 1986 waren nur Supraleiter mit Tc < 25 K bekannt (Bild 5.21b, c). Dann wurde uberraschend Supraleitung bei hohen Temperaturen in keramischen Kristallen mit dem Mineralnamen Perowskit entdeckt. Kennzeichnend fur deren Struktur sind die Reihen von Cu-Atomen, die als Elektronendonatoren Kanale bilden. Die Leitung erfolgt darin widerstandslos durch Elektronen, die sich in dem dazu notwendigen, paarweise geordneten Zustand befinden. Bemerkenswert sind die hohen Sprungtemperaturen Tc verglichen zu den besten Metallegierungen (Tab. 5.8). Tabelle5.8. Neue supraleitende Werkstoffe Supraleiter
Sprungtemperatur
bekannt seit
Nb-Ti LaxCuy07 Y Ba2 Cu307 Y BaxCuy(0
23 35 93 159
1976 1986 1987 1988
+
F)Z
K K K K
Nachdem diese Temperaturen die Siedetemperatur von N2 (7fg = 77 K) uberschritten haben, sind groBe Forschungsaktivitaten ausgelost worden. Heute ist allerdings nicht abzusehen, ob Supraleiter mit hoher Stromtragfahigkeit bei Raumtemperatur hergestellt werden konnen. Ein Erfolg wiirde zu einer Revolutionierung der Starkstromtechnik (Wegfall von Transformatoren) fuhren, ahnlich der Entwicklung der Elektronik seit 195Q durch Entdeckung und technische Entwicklung der Halbleiter 5.6 Optische Eigenschaften Es gibt durchsichtige und undurchsichtige Werkstoffe; sie konnen auBerdem in verschiedenen Farben erscheinen. Beispiele fiir durchsichtige Werkstoffe sind Silikatglaser (Fensterglas:Na2Si04) und organische Glaser (Plexiglas). Durchsichtig sind ebenfalls kerarni-
5 Physikalische Eigenschaften
210 100 % 90
W)
Y-AJ 70
I 60 QJ
.I 50 a>
f40 30
s~
20
/ /
i
10 1200 nm 800 600 400 Wellenlonge
>N^.
70
\— /
>60 50 40 300
V/
/
400
\J
300
250
Bild5.22a. Gold reflektiert rotes und gelbes Licht vollstandig, aber absorbiert einen Teil der kurzwelligen Strahlung. Es erscheint daher gelb, im Gegensatz zu Silber, das den gesamten Bereich des sichtbaren Lichts stark reflektiert
r~"
Rubin
500
600 700 Wellenlonge
900 nm 1000
Bild 5.22 b. Absorptionsspektrum von vollig durchsichtigem Saphir. Der Rubin enth< einige Prozent Cr^-Ionen anstelle von Al3+, die Absorption im blauen Bereich bewirken. Der Kristall erscheint deshalb rot
sche Einkristalle, wie z. B. Islandkalkspat (CaC0 3 ), der fur Polarisationseinrichtungen in der Lichtmikroskopie verwendet wird. Undurchsichtig sind alle Metalle, auch metailische Glaser. Die Farbe eines Werkstoffes kommt dadurch zustande, daB entweder beim Durchstrahlen oder bei Reflexion nur bestimmte Wellenlangen absorbiert werden. Germanium erscheint beim Durchstrahlen mit sichtbarem Licht rot, da nur der langwellige Bereich des sichtbaren Lichtes nicht absorbiert wird. Jedes Metall hat seine kennzeichnende Farbe, die davon abhangt, ob bestimmte Wellenlangenbereiche des sichtbaren Lichtes bevorzugt reflektiert werden. Der Unterschied in der Farbe von Gold und Silber kommt in der Spektralverteilung des reflektierten Lichtes deutlich zum Ausdruck. Das Silber erscheint weiB, da alles sichtbare Licht aller Wellenlangen gleich stark reflektiert wird (Bild 5.21).
5.6 Optische Eigenschaften
211
Der Begriff Farbe hat eine physikalische, eine physiologische und eine psychologische Bedeutung. Ein physikalisches Problem ist die Absorbtion von Licht bestimmter Wellenlangen im Werkstoff. Ins Gebiet der Physiologie gehort die Wirkung der Lichtstrahlen auf die Sehnerven, wie z. B. das Problem der Farbenmischung, um Nichtspektralfarben wie Purpur (blau + rot) zu erhalten. Ins Gebiet der Psychologie fallt z. B. die Frage der Farbharmonien. Das optische Verhalten der Werkstoffe hangt von der Art ab, in der die Elektronen gebunden sind (Bild 5.6). Wird ein Lichtstrahl durch einen Isolator geschickt, so geht er in Glas gebrochen, im Kristall gebrochen und polarisiert, aber sonst unverandert hindurch. Absorbtion des einfallenden Lichtes wiirde Anregung der Elektronen auf hohere Energie notwendig machen. Dazu ist jedoch der verbotene Energiebereich der Isolatoren zu breit (6 eV, Tab. 5.2). Falls jedoch der Isolator als Verunreinigung lonen einer anderen Atomart enthalt, konnen bestimmte leichter anregbare Energieniveaus eingebracht werden und damit bestimmte Wellenlangen absorbiert werden. Der Kristall oder das Glas wird dadurch gefarbt. Als Beispiel dafur konnen die Saphirkristalle dienen. Es handelt sich um verhaltnismaBig reines A1203. Saphire sind Isolatoren und durchsichtig (Bild 5.22). Wird dem A1203 jedoch etwas Chrom zugemischt, das das Aluminium im Kristallgitter ersetzt, so fiihren die Cr3+-lonen zu einem starken Absorbtionsband im Bereich des blauen Lichts. Der Kristall erscheint rot und wird als Rubin bezeichnet. Die griine bzw. braune Farbe von Weinflaschen ist auf geringe Beimengung von Fe 2+ - oder Fe3+-lonen zum Glas zuruckzufuhren. Beim Herstellen von farblos durchsichtigen Glasern muB deshalb von eisenfreiem Quarzsand ausgegangen werden (Kap. 7). In ahnlicher Weise wirken die im Zusammenhang mit Punktfehlern in Ionenkristallen erwahnten Farbzentren (Abschn. 1.4). In Metallen mit ihren unaufgefiillten Leitfahigkeitsbandern konnen die freien Elektronen durch das einfallende Licht fast jeden beliebigen Anregungszustand erfahren, da bei hoherer Energie keine durch quantenmechanische Bedingungen »verbotene« Zone liegt. Wenn diese angeregten Elektronen auf ihre urspriinglichen niedrigeren Energiezustande wieder zuriickgehen, emittieren sie die absorbierte Energie wieder als Lichtquanten. Die Elektronen verhalten sich dabei kollektiv als Plasma. Da dieser Vorgang in der Oberflache oder nur sehr wenige Atomlagen tief stattfindet, wird der groBte Teil des Lichts reflektiert. Licht kiirzerer Wellenlange kann etwas weiter in die Oberflache eindringen. Bei Gold ist das von der Wellenlange des griinen Lichtes (550 nm) an der Fall. Dieses Licht wird dann teilweise im Innern absorbiert und der reflektierte Anteil ist entsprechend geringer. Bei den meisten Metallen liegt dieser Ubergang aber jenseits des sichtbaren Lichtes im ultravioletten (300 nm), so daB sie nicht »bunt« erscheinen (Bild 5.21). Stoffe, die als Glaser oder perfekte Kristalle durchsichtig sind, werden dann makroskopisch undurchsichtig, wenn sie eine groBe Zahl von Defekten enthalten, die das Licht nach alien Richtungen streuen. Das trifft besonders zu fur Vielkristalle. Ein Beispiel dafur ist die Undurchsichtigkeit von Schnee. Die Kristallisation von Glas - bei der Herstellung von glaskeramischen Werkstoffen (Abschn. 7.4 und 7.6) - fuhrt bei einer KristallgroBe von der GroBenordnung der Wellenlange des Lichtes zu volliger Undurchsichtigkeit. Der Werkstoff zeigt dann den »milchigen« Glanz, wie er auch von Porzellan oder Gips her bekannt ist.
5 Physikalische Eigenschaften
212
Werkstoffe konnen auch kunstlich gefarbt werden. Beispiele daftir sind das Einmischen von Pigmenten in Kunststoff und Beton oder in die verstarkte Al203-Schicht, die beim anodischen Oxidieren von Aluminium entsteht (Kap. 6, Abschn. 8.4 und 10.5). Die optischen Eigenschaften von anorganischen Glasern einschlieBlich der Lichtleiter fur die Informationsubertragung werden in Abschn. 7.6 besonders behandelt. Die optischen Eigenschaften folgen aus der Wechselwirkung des Werkstoffs mit elektromagnetischen Wellen im Bereich des Lichts. Eine Veranderung der Struktur (Bildung von Punktfehlern, ungesattigte Bindungen) wird als Strahlenschadigung bezeichnet. Lichtbestandigkeit ist besonders bei Polymerwerkstoffen oft ein Problem: Verfarbung, Versprodung. Grundsatzlich gilt, daB die einfallende Strahlungsleistung 0O in einen reflektierten (r), absorbierten (a) und durchgehenden Anteil (t) aufgeteilt wird. ®i + ^a + ®t = t (5.10a) ®o Oo ®o Eine wichtige Materialeigenschaft ist der Reflektionsgrad, der nach der Fresnelschen Gleichung (senkrechter Strahleneintritt) mit dem Brechungsindex n = CQ/V zusammenhangt. {^=-^\2 (5.10b) &o \n + 1/ Fiir unbehandelte Oberflachen von Fensterglas (n ». 1,5 ergibt sich r = 0,04, fur Metalle r « 1 (co Liphtgeschwindigkeit im Vakuum, v im Werkstoff). Der Aufbau des Strangs einer Glasfaser fur die Lichtleitung ist in Bild 7.9 dargestellt worden. r=®i=
5.7 Thermis^he Ausdehnung Das Volumen von festen Stoffen nimmt im allgemeinen mit zunehmender Temperatur zu. Fiir kristalline Stoffe betragt die Volumenanderung im Temperaturbereich zwischen 0 K und der Schmelztemperatur ubereinstimmend etwa 7%. Die Ursache der Volumenanderung sind die Schwingungen der Atome, deren Amplituden mit zunehmender Temperatur zunehmen. Waren die Amplituden um die Ausgangslagen der Atome aQ (Kap. 1) gleich (harmonische Schwingung), so folgte daraus noch keine Volumenanderung. Wegen des unsymmetrischen Verlaufs des Potentials (Bild 1.4) sind aber die Amplituden bei Annaherung zweier Atome kleiner, so daB mit zunehmender Amplitude eine VergroBerung des Atomabstandes auftritt (Tab. 5.9). Tabelle5.9. Thermischer Ausdehnungskoeffizient Stoff
OQ..
• 50 °C
Stoff
io-- K-1 PE UP PA PVC PS Zn
20 12 8 7 7 3
«0 ••• 50°C
10~ 5 K- 1 Al Cu Fe (Stahl) Glas Porzellan Si02-Glas
2 2 1 1 0,5 0,1
5.7 Thermische Ausdehnung
213
Die thermische Ausdehnung der Stoffe wird gekennzeichnet durch den Ausdehnungskoeffizienten a. Ein Stab der Lange /0 (bei der Temperatur T0) hat bei der Temperatur Teine Lange von LT (4.7). Die relative Verformung e ist in<jl. (4.7) definiert worden. / T - /ofl + a ( r - r o ) l a =
5.11a
A/ l0AT
IT—IQ
lo(T-T0)
d/ IdT
d£
5.11b
Der Wert von a ist selbst abhangig von der Temperatur. Er nimmt von a = 0 bei T = 0 K an bei vielen Werkstoffen stetig zu, so daB diese lineare Beziehung nur in einem kleinen Temperaturbereich angewandt werden darf. Die Volumenanderung kann mit Hilfe von a berechnet werden, aber nur unter der Voraussetzung volliger Isotropic Es gilt dann V T = K 0 (l + ^ A 7 ) « / 0 3 ( H 3 a A 7 )
(5.11)
Der kubische Ausdehnungskoeffizient f$ betragt also etwa das Dreifache des linearen Ausdehnungskoeffizienten a. Als allgemeine Regel gilt, daB der Wert von a umso kleiner ist, je hoher die Schmelztemperatur eines Werkstoffs ist. Das ist dadurch zu erklaren,
4000 °C
Q.
0,25
k
%
3600
3200 2800
0,20
w
h J° Mo Jr
2400 2000
I o.io
?*lb
Rh
iv
0,15 en cz
(/) Z3
•o
< g0.05
l
CD
selglos I 0
' 1600 —Fe^ Nd k ~ Si° 1200
-0,05
. /)w\oC
800
Ba*
LQ
-0,10 0
400
0
Cd° °Pb^> 10
20
30
40
Li 50
60
No 70
25
50 Temperatur
75 °C 100
Bild5.24. Thermische Ausdehnung verschiedener Werkstoffe oberhalb 80.10'b IH00 der Raumtemperatur
JLRbJ^J
Bild 5.23. Zusammenhang zwischen Schmelztemperatur und Ausdehnungskoeffizient
214
5 Physikalische Eigenschaften
daB ein Stoff mit niedriger Schmelztemperatur infolge schwacherer Bindung bei einer bestimmten Temperatur mit groBerer Amplitude schwingt als ein Stoff mit hoherer Schmelztemperatur (Bild 5.23). Es gibt Besonderheiten des Verhaltens bei einigen Werkstoffen, die von technischer Bedeutung sind. a-Eisen dehnt sich beim Erwarmen aus, bis die Umwandlung in das dichter gepackte Gitter des y-Eisens beginnt. Damit verbunden ist eine Kontraktion. Das bedeutet, es treten negative Werte von a auf wenn, wie bei den Stahlen (Abschn. 8.5), die Umwandlung in einem groBeren Temperaturbereich ablauft. Legierungen aus Fe mit 25 At.-% Ni zeigen bei Raumtemperatur Werte von a « 0. Der Grund dafiir ist, daB die normale thermische Ausdehnung kompensiert wird durch eine Kontraktion, die durch Entmagnetisierung mit zunehmender Temperatur (Abschn. 5.4) hervorgerufen wird. Diese Legierung wird als »Invar« bezeichnet und eignet sich besonders zur Herstellung empfindlicher MeBwerkzeuge (Bild 5.25). Der sehr niedrige Wert von a fur das Si0 2 -Glas beruht zum Teil auf der festen Bindung von [Si0 4 ] 4 + in dem unregelmaBigen Netzwerk. Wesentlich scheint zu sein, daB im Glas im Gegensatz zu den Si02-Kristallen kaum Wechselwirkung zwischen den schwingenden Tetraedern auftritt. Da die GroBe von a in direktem Zusammenhang mit der Hone von inneren Spannungen steht (Abschn. 4.5), kann Kieselglas im Gegensatz zu anderen Glasern ohne weiteres in Wasser abgeschreckt werden (Bild 5.24). Dagegen treten als Folge von Phasenumwandlungen in kristallisiertem S i 0 2 groBe Volumenanderungen auf, die z. B. zu der geringen Temperaturwechselbestandigkeit von Silikasteinen (Abschn. 7.4) fuhren. Auf die Bedeutung des Ausdehnungskoeffizienten fiir das Auftreten innerer Spannungen (Abschn. 4.5) fiir die Temperaturwechselbestandigkeit keramischer Werkstoffe (Abschn. 7.3) beim Werkstoffverbund wird an anderer Stelle hingewiesen. Der Ausdehnungskoefflzient in Glasern und in kubischen Kristallen ist isotrop. Sowohl in Kristallstrukturen niederer Symmetrie als auch in Fasergefiigen ist a anisotrop,
%
i
20 -
i(r61
K" 15 -
V
06
10
/o°c
a+y
5 I
n
0 a
20
1
1
1
40 60 Gew.-% 100 Nib
Bild 5.25. Anomalien des Ausdehnungskoeffizienten. a Fe-Ni-Legierungen bei 0 °C. b Temperaturabhangigkeit des thermischen Ausdehnungskoeffizienten der Fe-Ni-Invar-Legierung. c Langenanderung beim Abkuhlen eines warmfesten Stahls (8°/min) aus dem /-Gebiet (1040 °C), 0,22 C, 0,34 Si, 1,10 Mn, 0,94 Cr, 0,30 Mo. Fs, Ps, Bs: Beginn der Bildung von Ferrit, Perlit, Bainit. Martensit wurde bei dieser geringen Abkuhlungsgeschwindigkeit nicht gebildet.
215
5.8 Formgedachtnis, Magnetoelektrostriktion
also ein Tensor zweiter Ordnung, wie die Formanderung (4.1). Im orthorhombischen Gitter des Uran ist er in zwei Richtungen positiv, in einer negativ. Das fuhrt im Verlauf der Temperaturzyklen zu unerwiinschten Formanderungen in Reaktorbrennelementen aus metallischem Uran, die dazu veranlassen, keramische Uranverbindungen wie UO2 als Brennstoffe zu bevorzugen (Bild 5.1 a). Der Ausdehnungskoeffizient thermoplastischer Polymere ist entsprechend der Schmelzpunktregel hoch, im gereckten Zustand quer zur Reckrichtung noch hoher. In Reckrichtung, also parallel den Molekiilachsen, wird er sehr klein und kann fur bestimmte Molekiilarten bei sehr hoher Orientierung auch negative Werte annehmen.
5.8 Formgedachtnis, Magnetoelektrostriktion Es ist erortert worden, daB Anomalien des thermischen Ausdehnungskoeffizienten oft im Zusammenhang mit Umwandlungen im festen Zustand stehen. Dies trifft auch fur das Formgedachtnis von Legierungen zu (Bild 5.26). In Temperatur- T-, Deformation-£-, Spannung-cr-Diagrammen werden a) das normale Verhalten, b) der Zweiweg-, c) der Einwegeffekt miteinander verglichen. Beim Zweiwegeffekt zeigt der Werkstoff in einem bestimmten Temperaturbereich, der zwischen 1° und lO^C liegen kann, eine Formanderung £2w (Bild 5.27). Entsprechend kann er im fest eingespannten System (e = 0) eine Kraft ausiiben. Beim Abkiihlen geht diese Formanderung auf gleichem Wege zuriick. Dieser Effekt kann z. B. zum Offnen und SchlieBen von Ventilen verwendet werden. Der Einwegeffekt erfordert zunachst die Einwirkung einer Kraft, die den Werkstoff scheinbar (pseudo-plastisch) verformt. Diese Verformung geht beim anschlieBenden Erwarmen vollstandig zuriick. Dies kann in der Befestigungstechnik z. B. fur vakuumdichte Rohrverbindungen mit Muffen aus Formgedachtnislegierungen verwendet werden. Die Superelastizitat ist der Gummielastizitat in mancher Hinsicht verwandt und dort bereits erwahnt worden (Abschn.4.6). Da alle diese Effekte an das Auftreten einer martensitischen Umwandlung (Abschn.3.6) gebunden sind, treten sie nur im unteren Temperaturbereich T\ < 1/3 r kf auf (Abschn.3.1). Weitere Angaben iiber den Aufbau der dafiir geeigneten metallischen Werkstoffe (CuZn-, NiTi-, FeNi-Legierungen) sind in Kap. 8 und Tab. 5.10 zu flnden.
(T=0
(T>Q
(T<0
(spannungsfrei)
(Zug)
(Druck)
Bild 5.26. Pseudo-elastische oder -plastische Formanderung unter Zug- oder Druck durch martensitische p ^taPhasenumwandlung
5 Physikalische Eigenschaften
216
Bild5.27. Spannungs(cr)-, Verformungs(£)-, Temperaturdiagramme (T). anormales Verhalten, b Pseudoelastizitat, c Zweiwegeffekt, d Einwegeffekt oder pseudo-plastisches Verhalten
Im Bild 5.27 ist das Verhalten von Werkstoffen im Temperatur T-, Spannung a- und Langenanderung £-Raum dargestellt. Normale Stoffe zeigen elastische €e, plastische ep und thermische Langenanderungen £T(Kap. 4.2): e{a, Tt^eM + E^ + STiT)
(5.11a)
dazu kommen pseudoelastische e^, pseudoplastische £pp (Einwegeffekt) Langenanderung und der Zweiwegeffekt ezw in reversibel martensitisch umwandelnde Legierungen (Kap. 3.6). e(cr, 7)-£pe(cr) + £Pp(
(5.11b)
5.8 Formgedachtnis, Magnetoelektrostriktion
217
Tabelle 5.10. Makroskopische Eigenschaften von Formgedachtnislegierungen des Typs /?-NiTi und £-CuZn £-NiTi Dichte
Q
el. Leitfahigkeit
a
Zugfestigkeit
Rm
6,5
106 — £2m MPa
1
10
800
500
7,5
6
4
£2W
4
2
-*max
°C
400
200
£1W
rel. Formanderung (Zweiweg) max. Gebrauchstemperatur
^ = r<> < AS
g cm3
% %
rel. Formanderung (Einweg)
'
^-CuZnAl
2
rt < r2 <
<
4 » r* »/(,
AS
/It > 7i > 4.
1? Lr^ f? 0 ^ 6
/It >7j}
>4
7
f7 > A,
Bild 5.28. Ein-Weg Gedachtnis eines Drahtes aus Ni-Ti. 1. beliebige Verformung bei 20 °C im martensitischen Zustand; 2.-6. Erwarmung auf 60 °C; 7. T > Af = 100 °C, vollstandige Riickumwandlung und Wiederherstellung der Form (RUB: Ruhr Universitat Bochum). Legierungszusammensetzung: 52,2 at % Ni, 47,8 at % Ti, Ms (Martensit-start) = 62 °C, Mf (Martensit-finish) = 50 °C, As (Austenit-start) = 52 °C, Af (Austenit-finish) = 68 °C
218
5 Physikalische Eigenschaften
Tabelle 5.11. Aktive Werkstoffe, die anomale Formanderungen zeigen, im Vergleich. Alle zeigen eine Phasenumwandlung bei tiefen Temperaturen und daraus folgend ein Domanengefuge (vgl. Abb. 5.18) FG, Formgedachtnis
FM, Ferromagnete
FE, Ferroelektrika
Effektart Formanderung
Ein-, Zweiwegeffekt
Magnetostriktion
Elektrostriktion
£FG < 1 0 %
£FM < 1%
Phasenumwandlung
Austenit -• Martensit para -> ferro(oder R-Phase) magnetisch
para -> ferroelektrisch
Domanenstruktur
+
+
+
Schaltbar durch
Schubspannung, Temperatur
magn. Feld, mech. Spannung
elektrisches Feld, mech. Spannung
Chem. Zusammensetzung Handelsname
NiTi, CuZnAl
Tb(Dy)Fe2
BaTi03,Pb3MgNb09
NITINOL
TERFENOL
PMN
£FE < 0 , 1 %
Q*
+ 4.89
20 min 900°C undeformed
aii
o
n
0.0-
o Of
-0.2A
•42.28 -0.4-100
-50
50 temperature l°C)
100
150
Bild 5.29. Die reversible martensitische Phasenumwandlung von NiTi, als Grundlage des Formgedachtniseffektes. Kalorimetrische Analyse der Umwandlungstemperaturen So wie eine auBere Spannung a eine Deformation ee = a/E erzeugt, kann eine Deformation 8j oder £2W thermische Spannung a\ erzeugen, falls die Randbedingungen die Deformation s beschranken (Werkstoffverbunde, Aktuatoren). Eine diffusionslose Phasenumwandlung bei tiefen Temperaturen zeigen auch einige keramische Werkstoffe und Legierungen (Tab. 5.11). Die Umwandlung fuhrt zu einem ferromagnetischen (Kap. 5.4) oder ferroelektrischen (Kap. 5.2) Zustand. Diese Umwandlung kann ebenfalls mit Anderungen der Form oder des Volumens verbunden sein:
5.8 Formgedachtnis, Magnetoelektrostriktion
219
Tabelle 5.12. Sattigungs-Magnetostriktion eFM • 103 bei T< Tc verschiedener Ferromagnetika *FM ' 1 0 3
Tc/K
Fe Ni FeCo Fe2Tb
1043 631 950 653
c
100
-19.50 -45.90 134
fin
^random
-18.80 -24.30 31 2450
-9 -34 70 1750
eFM = a-O s ; A = 0; T
Magnetostriktion (Tab. 5.11, 5.12) oder Elektrostriktion. Diese Anomalien sind allerdings etwa 100 mal kleiner als die Formanderungen der Gedachtnislegierungen. Trotzdem stehen sie in manchen Fallen im Wettbewerb. Vorteile haben sie, wenn Aktoren mit Hilfe von magnetischen oder elektrischen Feldern geschaltet werden sollen. Bemerkenswert ist auch, daB alle drei StofFgruppen bei der Umwandlung Domanenstrukturen bilden (Bild 3.23 und 5.18), auf denen die besonderen Eigenschaften beruhen.
6 Chemische und tribologische Eigenschaften 6.1 Oberflachen und Versagen des Werkstoffs Werkstoffe konnen mechanisch, thermisch, tribologisch und chemisch beansprucht werden. Daraus folgen vier Hauptgruppen von Vorgangen, die zum Versagen von Werkstoffen fiihren k6nnen: Bruch (B), VerschleiB (V) und Korrosion (K) (Bild 6.1) und Schmelzen, das in Kapitel 2 bereits erortert wurde. Ihre systematische Darstellung zeigt, daB es Kombinationen aus diesen Vorgangen gibt, z.B. SpannungsriBkorrosion (BK), tfibochemische Reaktion (VK), VerschleiB durch Mikrobrechen (VB) oder ReibungsermuBeanspruchung
1
mechanisch
chemisch
Ermi dung, Bruc h
Korro sion, Verzi ndern
SpannungsriBkorrosion
tribologisch
t Reibung, VerschleiH
abrasives Mikrobrechen
tribochemische Reaktionen
Bild 6.1 a, b. Verschiedene Moglichkeiten des Versagens von Werkstoffen. a Zusammenhang von Beanspruchung und Versagen; b Zusammenhange zwischen verschiedenen Versagensmechanis-
221
6.2 Oberflachenreaktionen und elektrochemische Korrosion Bild6.1c. Tribologisches System: Unter Reibkraft FR gleiten die Oberflachen der Werkstoffe A und B aufeinander. Meist spielt die Umgebung (Luft, Schmiermittel) sowie die Gleitgeschwindigkeit zusatzlich eine Rolle. A, Q, y sind Warmeleitfahigkeit, Warmestrom und Oberflachenenergie der Reibpartner A und B. ATist die Temperaturerhohung in der Nahe der aufeinander gleitenden Oberflachen. Die auBere Druckspannung (F, a) fuhrt in den Beriihrungspunkten zu Schubspannungen r
FIO-Q
J, Gase, Feuchtigkeit
FR, y = dx/df
dungskorrosion (VBK). Bruchvorgange werden in Kapitel4.4 behandelt. Sie spielen auch bei den Mechanismen des VerschleiB und der Korrosion eine wichtige Rolle. Grundsatzlich betrachtet ist der Bruch ein Vorgang, bei dem durch Trennung der Bindung zwischen Atomen oder Molekulen zwei neue Oberflachen entstehen. Diese Trennung kann durch chemische Einwirkung erleichtert oder auch allein herbeigefuhrt werden. Gelegentlich konnen derartige Reaktionen auch erwiinscht sein. Beispiel: die tribochemische Reaktion beim Anzunden mit Streichholzern. VerschleiB und Korrrosion sind Vorgange in vorhandenen Oberflachen des Werkstoffes; Oberflachen finden wir an alien Proben oder Bauteilen. VerschleiBwiderstand und Korrosionsbestandigkeit sind Systemeigenschaften. Ein Korrosionssystem besteht aus Werkstoff, einer chemisch aggressiven Umgebung und weiteren EinfluBgroBen, wie die Luftfeuchtigkeit (Bild 6.1 c). VerschleiB ist die Folge von Reibungskraften, die in der Regel durch zwei aufeinander gleitenden Oberflachen entstehen. Ein tribologisches System wird durch zwei Werkstoffe A und B gebildet, die in der Umgebung U (Gas, Schmiermittel) unter deflnierten Bedingungen (Druck, Gleitgeschwindigkeit, Temperatur) aufeinander gleiten. Es ist nicht sinnvoll, den Reibungskoefflzienten JI oder den VerschleiBwiderstand w~ 1 eines Werkstoffes anzugeben, wenn nicht das dazugehorige System deflniert wird (Bild 6.1 c). Dasselbe gilt fur einen Werkstoff, der sich in einer Umgebung beflndet, mit der er tiber seine Oberflache reagieren kann. Ein Korrosionssystem ist zum Beispiel Messing (Cu-30%Zn) mit inneren Spannungen (Abschn. 4.5) und ammoniakhaltige Luft. In dieser Kombination der Bedingungen neigt dieser Werkstoff, der sonst recht korrosionsbestandig ist, zum spontanen Bruch, sogar ohne auBere Belastung. 6.2 Oberflachenreaktionen und elektrochemische Korrosion Hier werden chemische Reaktionen in der Oberflache von Werkstoff en behandelt. Dazu gehoren die mit Diffusion verbundenen Oxidationsvorgange ebenso wie alle elektrochemischen Erscheinungen, die unter den Begriffen Atzen, Korrosion und SpannungsriBkorrosion zusammengefaBt werden, sowie einfache Auflosungsvorgange. Chemische Bestandigkeit ist deflniert als die Fahigkeit eines Werkstoffs, der Zerstorung durch irgendeine Reaktion zwischen Umgebung und Oberflache zu widerstehen. Mangelhafte chemische Bestandigkeit ist eine der Ursachen fur die begrenzte Lebensdauer von Bauteilen oder Maschinen.
6 Chemische und tribologische Eigenschaften
222
Bei der Korrosion handelt es sich um Reaktionen an der Oberflache mit Atomen oder Molekiilen aus der Umgebung. Diese Atome konnen aus gasformiger, fliissiger oder fester Umgebung stammen: z.B. Korrosion durch NH3 oder SO2, durch Wasser oder Na, durch festen Kembrennstoff am Hiillrohr eines Reaktorbrennelements. Einige Begriffe aus diesem Gebiet sollen hier erlautert werden. Korrosion ist die unerwiinschte Reaktion, die zur Entfernung von Atomen von der Oberflache des Werkstoffs fiihrt. Der Vorgang ist umso unangenehmer, je starker lokalisiert z. B. auf Phasen oder Kristallbaufehler er wirkt. Erwiinschte Abtragung von Atomen wie beim elektrolytischen Polieren ist keine Korrosion. Verzunderung ist die Reaktion der Werkstoffoberflache mit Sauerstoff der Atmosphare bei erhohter Temperatur ohne H 2 0. Der Begriff der „Hitzebestandigkeit" eines Werkstoffs enthalt die Forderung nach geringerer Neigung zur Verzunderung und zum Kriechen (hohe Zeitstandfestigkeit, Kap.4.3). HeiBgaskorrosion ist wiederum der lokalisierte Zundervorgang. Wasserstoffversprodung stellt einen haufigen Sonderfall der Korrosion dar, bei dem atomarer Wasserstoff, der an der Oberflache gebildet wird, in den Werkstoff diffundiert. Dieser Wasserstoff kann im Innern des Werkstoffs zu H2 oder mit dort vorhandenen Sauerstoffatomen zu H 2 0 reagieren, wodurch Mikrorisse, die als »Flocken« bekannt sind, entstehen. Er kann aber auch in geloster Form, an Komgrenzen, Versetzungen oder im Gitter die Bindungen der Metallatome schwachen und einen sproden Bruch begunstigen. SpannungsriBkorrosion tritt in sehr vielen Werkstoffen auf, wenn zusammen mit den aus der Umgebung stammenden Atomen oder Molekiilen gleichzeitig eine auBere oder innere Zugspannung wirkt. Es gibt noch einige weitere Moglichkeiten der Kombination von Korrosion mit anderen Vorgangen, z. B.: Korrosionsermiidung, Reibkorrosion, Korrosion mit Erosion. Korrosionserscheinungen treten bevorzugt bei metallischen Werkstoffen auf, weil es sich in vielen Fallen um in oxidierender Umgebung thermodynamisch wenig stabile Stoffe handelt. AuBerdem begiinstigt die hohe elektrische Leitfahigkeit eine hohe Reaktionsgeschwindigkeit elektrochemischer Vorgange. Kunststoffe sind verhaltnisma'Big korrosionsbestandig. Allenfalls bei Elastomeren, die Molekiile mit reaktionsfahigen Seitengruppen enthalten, kann von der Oberflache ausgehende Oxidation ein Problem sein. Am bestandigsten sind die voll oxidierten keramischen Stoffe. Sie liegen oft im thermodynamisch stabilsten Zustand vor. Folglich konnen auch keine Reaktionen stattfinden. In keramischen und polymeren Glasern spielt manchmal die Eindiffusion von H20-Molekiilen iiber die Oberflache im Innem des Werkstoffs eine Rolle fur mechanische Eigenschaften, die von der weicheren Oberflachenschicht beeinfluBt werden. Wenn ein Metall in Beriihrung mit einer leitenden Fliissigkeit kommt, so ist es bestrebt, sich als Ion aufzulosen. Die Abgabe von Elektronen wird als Oxydation bezeichnet. Es entsteht aus dem neutralen Atom das positiv geladene Ion: Na -» Na+ + e~, Mg -» Mg2+ + 2e", Al -» Al 3+ + 3e" oder allgemein fiir irgendein «-wertiges Metall M M-^M W + + «e".
6.2 Oberflachenreaktionen und elektrochemische Korrosion
223
Wahrend sich die lonen bilden, sammeln sich die von den urspriinglichen Atomen stammenden Elektronen an der Oberflache der Elektrode. Das elektrostatische Feld, das durch die Wechselwirkung von Elektronen und lonen hervorgerufen wird, ist bestrebt, die lonen in einer diinnen Schicht an der Oberflache zu halten. Je groBer die Neigung eines Metalls zur Bildung von lonen ist, desto grofier ist die Ladung an der Oberflache. Aus diesem Grunde hat jede Metalloberflache in Kontakt mit einer leitenden Fliissigkeit ein Elektrodenpotential. Falls zwei Metalle mit verschiedener Neigung zur Oxydation isoliert in einer leitenden Fliissigkeit stehen, so besteht ein Potentialunterschied zwischen den beiden Metallen. Werden beide Metalle leitend verbunden, so flieBt ein Strom. Das wird in Bild 6.2 a fur Kupfer und Zink gezeigt. Die Elektronen bewegen sich vom Zink zum Kupfer. Die Ladungsverteilung an den beiden Metalloberflachen wird gestort, da die Zinkelektrode Elektronen verliert. Um den Gleichgewichtszustand wieder zu erreichen, muB weiteres Zink aufgelost werden. Demgegeniiber gewinnt die Kupferelektrode Elektronen, die mit Kupferionen kombinieren, so daB sich metallisches Kupfer abscheidet. Die Elektrode,, die die Elektronen liefert, wird als Anode bezeichnet, die Elektrode, die Elektronen aufnimmt, als Kathode. Die Reaktion M-ne~ ->M"+, Zn - 2e~ -* Zn2+
(6.1)
wird als Oxydation bezeichnet, obwohl nicht unbedingt Sauerstoff daran beteiligt zu sein braucht. Die Reaktion Mn+ + m~ -* M, Cu2+ + 2e- -> Cu
(6.2)
ist die Reduktion. Diese Vorgange stellen auch den Grundmechanismus der Korrosion dar. Wenn sich an der Oberflache des Werkstoffs Orte verschiedenen Potentials befinden, so kann durch lokale Oxydation ein Angriff erfolgen, falls eine leitende Fliissigkeit vorhanden ist und zwischen den »Elektroden« ein Strom flieBen kann. Die leitende Fliissigkeit liefert haufig schon die Luftfeuchtigkeit, die leitende Verbindung ist in Metallen kein Problem. Das erklart, warum die Metalle in feuchter Umgebung besonders anfallig gegen Korrosionsangriff sind. Die Orte verschiedenen Potentials in der Oberflache konnen Phasen verschiedener Zusammensetzung, aber auch Korngrenzen oder Versetzungen sein. Die mikroskopische Anordnung, von Bild 6.2 b, c, wird als Lokalelement bezeichnet.
Bild 6.2 a. Unterschiedliche Tendenzen zur Auflosung von Cu und Zn ftihren zu verschiedenen Elektrodenpotentialen. Elektronen bewegen sich von Zn zum Cu, falls die Elektroden verbunden werden
0
6
3
0 €
9 9
9
€
9 9
3
e
ft* 9
e Zfl
€ G
w
Cu*
Zn'
9
snsr 1
224
6 Chemische und tribologische Eigenschaften feuchte Luft 02*H20
2e*0+H 2 0 — 2(0H)
Fe — Fe 2 + *2e
Bild6.2b u. c. Korrosion an Metalloberflachen. b Als Lokalelemente wirken Phasen mit verschiedenen Elektrodenpotential, sowie Komgrenzen und andere Gitterbaufehler beim Einwirken eines Elektrolyten. c LochfraB unter einer Schicht, die den Zutritt von Sauerstoff behindert. Auflosen des Eisens und Bildung der Hydroxylionen erfolgt an verschiedenen Stellen der Oberflache. Die durch ein Element oder ein Lokalelement aufgeloste oder abgeschiedene Stoffmenge m wird durch das Faradaysche Gesetz mit Stromstarke /und Zeit / verkniipft: A m= — It = nF
A Ex — E2 t nF R
(6.3) V J
n ist die Wertigkeit, A das Atom- oder Molekulargewicht und F = 96498 A s mol"1 die Faradaysche Konstante. Falls die elektrolytische Auflosung lokalisiert erfolgt und unerwiinscht ist, nennt man sie elektrochemische Korrosion. Die Starke des ortlichen Korrosionsstroms hangt von der Spannung (also von der Potentialdifferenz zweier Gefugebestandteile E1 - E?) und dem elektrischen Widerstand ab. Die Bewegung der Elektronen ist im metallischen Werkstoff kein Problem. Der Stromkreis wird geschlossen z. B. durch an der Oberflache adsorbiertes Wasser, das elektrolytische Leitfahigkeit bewirkt. Die abgetragene Menge ist an denjenigen Orten der Werkstoffoberflache am groBten, an denen Spannung und Leitfahigkeit am groBten sind. Das sind z. B. Phasengrenzen, Komgrenzen und feuchte Stellen. Ein geringfiigiges gleichmaBiges Abtragen der Werkstoffoberflache kann als elektrolytisches Polieren aber auch erwunscht sein. Bei diesem elektrolytischen Verfahren wird der aufzulosende Stoff mit einer auBeren Stromquelle als Anode geschaltet. Wird umgekehrt gepolt, so erhalt man elektrolytische Abscheidung im Elektrolyt befindlicher Metalle auf der Werkstoffoberflache. Die elektrolytische Versilberung, Verchromung oder Vernickelung sind wichtige Verfahren zur Erzeugung von korrosions- oder zunderfesten Werkstoffoberflachen (Abschn. 10.5). Die Neigung der Elektrode eines bestimmten Stoffes zur Auflosung kann als Anderung der Freien Enthalpie AG durch die Ionisationsreaktion ausgedriickt werden: Diese ist dem Unterschied des Elektrodenpotentials E proportional: AG=«F(£'1-£i).
(6.4)
Es gibt aber keine Methode, das Potential einer einzelnen Elektrode zuverlassig zu messen. Um trotzdem die verschiedenen Metalle oder Legierungen nach ihrer Neigung zur Oxydation einordnen zu konnen, wird jede zu messende Elektrode mit einer Normalelektrode verglichen, deren Potential willkurlich auf null festgesetzt wird. Der gemessene Potentialunterschied wird dann als das Potential der unbekannten Elektrode festgelegt. Als Vergleichselektrode dient im allgemeinen eine Wasserstoffelektrode (Platin mit Wasserstoff beladen bei 25 °C und 1.013 bar Druck in Wasserstofflosung festgelegter
6.2 Oberflachenreaktionen und elektrochemische Korrosion
225
Tabelle6.1. Elektrodenpotential bei 25 °C in molarer Losung der Metallionen Ionen
V
Li+ K+ Na+
+ 2,96 +2,92 + 2,71 +2,40 + 1,70 +0,76 +0,56 +0,44 +0,23 +0,14 +0,12 +0,045 ±0,000 -0,34 -0,47 -0,80 -0,86 -1,50
Mg 2 + Al3+ Zn2+ Cr 2+ Fe 2 + Ni 2 + Sn 2 + Pb 2 + Fe 3+
H+
Cu2+
Cu+ Ag + pt4+
Au +
anodisch A
•
> f
kathodisch
Konzentration). Die Einheitspotentiale der reinen Metalle, die auf diese Weise gemessen werden, sind in Tab. 6.1 zusammengestellt. Das Standardpotential des in Bild 6.2 a gezeichneten Elements ist demnach 1,1V. Gemische, deren Phasen aus Atomen bestehen, die in dieser Reihe sehr weit entfernt sind, sollten also korrosionsempfindlicher sein, da zwischen ihren Lokalelementen groBere Strome / (6.3) flieBen miissen als zwischen benachbarten Atomarten. ErwartungsgemaB wird das fur Al-Cu-Legierungen verglichen zu Al-Zn-Legierungen beobachtet. Tab. 6.1 gibt auch Auskunft iiber die Neigung der verschiedenen Metalle zur Oxydation, aber diese Bedingungen werden haufig durch die Bildung diinner Oberflachenschichten drastisch verandert. So verhalten sich z. B. Chrom und auch rostbestandige Chromstahle bei Gegenwart von Sauerstoff kathodischer als Eisen, im Gegensatz zu ihrer Stellung in der Spannungsreihe. Die Ursache ist die Oxidationsreaktion (Bild 6.3). Cr + 2Q 2 + 2e~
>[Cr04]2-
(6.5)
Diese Chromationen isolieren die Oberflache von ihrer Umgebung, so daB weitere Reaktionen nur noch sehr langsam ablaufen konnen. Man sagt, das Metall wird passiviert. Die Passivierung hat sehr viele praktische Anwendungen. Darauf beruht die Verwendung von Aluminium, Magnesium, rostfreien Stahlen, Chrom, Cobalt, Nickel, Titan und ihrer Legierungen. Eine Folge der Passivierung ist auch, daB konzentrierte Salpetersaure in Eisenbehaltern transportiert werden kann, nicht aber verdiinnte. Entsprechendes gilt fiir Schwefelsaure und Blei. Ein wichtiger Korrosionsfall ist die Bildung von Rost auf Eisen. Der Grundschritt ist die Oxydation von Eisen: Fe • Fe 2 + + 2e~ Fe 2 + - • Fe 3 + + e " .
(6.6 a) (6.6b)
226
6 Chemische und tribologische Eigenschaften Zn
Fe Zn
— ZnA*2e *Fe
-2e
(Srtlich)
Sn d
Cr*202 *2e'—HCrOJ2"
J Sn z * — 5 n - 2 e
Fe — F e 2 + - 2 e
Elektrolyt = const Temperatur= const
(ortlich)
Al 2 0 3
Al 2AU30 — Al 2 0 3
Bild6.3a-e. Beispiele fur verschiedene Korrosionsschutzschichten. aVerzinktes Eisen. bVerzinntes Eisen. c Eloxiertes Aluminium, d Passivierungsschicht an einem Stahl mit mehr als 14 Gew.-% Cr. e Anodische Stromdichte-Potentialkurve bei Bildung einer Passivschicht, schematisch Die Elektronen bilden an der Oberflache in feuchter Luft Hydroxylionen (Reduktion): 2e- + ^ 0 2 + H 2 0-+2(OH)-
(6.6c)
Falls der Angriff ortlich erfolgt, z. B. an einem Ri6 in einer schutzenden Zinnschicht, entsteht dort eine hohe Stromdichte und beginnt ein starker ortlicher Angriff, falls geniigend Sauerstoff vorhanden ist. Eisenionen und Hydroxylionen bilden Eisenhydroxyl (Rost): Fe3+ + 3 (OH)" -+ Fe(OH) 3 .
(6.6d)
Diese Reaktionen werden also nicht durch eine Zinnschicht oder eine andere »edlere« Schutzschicht verhindert, falls diese beschadigt wird. Demgegeniiber schutzt eine Schicht aus einem Metall mit hdherem Elektrodenpotential (Tab. 6.1) auch in diesem Fall. Bei verzinktem Eisen wirkt unter den gleichen Voraussetzungen das Zink als Anode. Es ldst sich bevorzugt auf und bewirkt, daft eventuell ortlich gebildete Eisenionen sich durch Vereinigung mit den von Zink stammenden Elektronen wieder abscheiden (Bild6.3a): Zn-*Zn 2 + + 2e", Fe 2 + + 2 e - - * F e .
(6.7) (6.8)
Das gleiche Prinzip wird zum Korrosionsschutz von Schiffskorpern, Wasserbehaltern oder unterirdischen Leitungen benutzt. Man verbindet sie mit einer Elektrode aus einem »unedlen« Metall wie Mg oder Zn, die sich allmahlich auflost und dabei die mit ihr
227
6.2 Oberflachenreaktionen und elektrochemische Korrosion
Bild 6.4. »Opferelektrode« aus Zn oder Mg, die durch bevorzugte Auflosung die Korrosion des eisernen Schiffskorpers verhindert
^
T Fez+*2e —Fe Zn —»*Zn2*+2e
verbundene Konstruktion aus dem »edleren« Metall schiitzt. Dem ist das Anlegen eines entsprechenden Potentials aus einer auBeren Stromquelle Equivalent (Bild 6.4). In neuerer Zeit ist ein Baustahl entwickelt worden, bei dem der Rost eine korrosionshemmende Wirkung hat und gleichzeitig der Stahloberflache eine besonders fiir architektoriische Anwendungen beliebte rotbraune Farbe gibt. Dieser Stahl enthalt auBer den iiblichen Legierungselementen (Abschn. 8.5) einige zehntel Prozent Kupfer. An der Oberflache entsteht neben Fe(OH) 3 metallisches Kupfer durch die Reduktionsreaktion Cu2+ + 2e" -» Cu. Es bildet sich in der Oberflache eine Schicht aus einem Phasengemisch von Cu + Fe(OH) 3 , die dichter ist als reines Fe(OH) 3 und damit weitere Oxadation starker verlangsamt. Genau wie bei zwei Metallen mit verschiedenem Potential so bewirkt eine ortlich verschiedene Konzentration der den Werkstoff umgebenden leitenden Flussigkeit eine Potentialdifferenz und damit die Neigung zur ortlichen anodischen Auflosung. Es soil angenommen werden, daB an einer Stelle die Oberflache abgedeckt wurde, und daB aus Sauerstoffmangel dort die Reaktion 2e~+ i o 2 + H 2 0-^2(OH) 1 langsamer ablaufen muB als in ihrer Umgebung. Die Elektronen flieBen deshalb zum unabgedeckten Teil und bilden die Hydroxylionen, wahrend unter der Abdeckung die Auflosungsreaktion M -> Mn+ + m~ bevorzugt ablauft. Dieser Vorgang fiihrt zu der unbeliebten Erscheinung des LochfraBes im Eisen (Bild 6.2b). Er bildet auch die Grundlage fiir das Wachstum von Korrosionsrissen. Der anodische RiBgrund lost sich bevorzugt auf. Haufig folgt der RiB den Orten mit hohem Potential im Gefiige, z. B. den Korngrenzen (interkristalline Korrosion). In besonderen Fallen kann durch Segregation von gelosten Atomen das Potential der Korngrenzen aber auch soweit erniedrigt werden, daB der RiB durch den Kristall hindurch wachsen muB, wobei er bevorzugt einer bestimmten Kristallflache folgt (transkristalline Korrosion). Sie tritt am haufigsten beim gleichzeitigen Einwirken einer mechanischen Spannung auf (Bild 6.5).
228
6 Chemische und tribologische Eigenschaften
6.3 Verzundem Reagiert die Oberflache eines Werkstoffes mit dem umgebenden Gas, z. B. Sauerstoff, kann nach erfolgter Keimbildung eine Schicht aus dem Reaktionsprodukt auf der Oberflache wachsen. 1st diese Schicht sehr diinn, bezeichnet man den ProzeB als Anlaufen, bei dickeren Schichten als Verzundem. Das Wachstum derartiger Schichten kann durch Anlegen eines elektrischen Potentials beeinfluBt werden. Durch anodisches Oxydieren erhalt man z. B. auf Aluminium dicke Schichten von A1203. Die Phase oder die Phasen, die in der Schicht zu erwarten sind, konnen aus dem Zustandsdiagramm (z. B. MetallSauerstoff) ermittelt werden. Ein MaB fur ihre Stabilitat liefert die Oxidationsenthalpie/f(Tab.6.2). Wenn eine saubere Metalloberflache der Atmosphare ausgesetzt wird, bildet sich dort durch Adsorption eine Schicht, deren Wachstum von der Diffusion der lonen durch diese Schicht bestimmt ist. Grundvoraussetzung fur das Ablaufen dieser Reaktion ist, daB sich ein thermodynamisch stabilerer Zustand ausbildet. Die Oxide des Goldes sind nicht stabil, oxidische Werkstoffe (Abschn. 7.4) sind haufig schon stabile Phasen, so daB sich keine neuen Phasen an der Oberflache bilden.
229
6.3 Verzundern Tabelle 6.2. Oxidationsenthalpien einiger Metalle (vgl. Tab. 6.1) Chem. Zusammensetzung
Hox kJmol-1
Au20 Ag20 Cu20 FeO Fe203 Cr203 A1203
-0 11 146 245 742 1058 1582
Vorausgesetzt, daB nur eine Phase auftritt, die fest an der Werkstoffoberflache haftet, ist das Wachstum bestimmt durch die Diffusion von Atomen durch diese Schicht hindurch. Mit dem einfachen Ansatz, daB die Wachstumsrate der Schicht dx/ dt der jeweiligen Schichtdicke umgekehrt proportional ist, erhalt man (Bild 6.6) mit ^=kldt
(6.9a) x
in x2 = k't
(6.9b)
ein quadratisches Verzunderungsgesetz. In vielen Fallen ist die Konstante k proportional dem Diffusionskoefflzienten Dj der langsamsten in der Schicht diffundierenden Atom-, Ionen- oder Leerstellenart. Dadurch ist die Temperaturabhangigkeit bestimmt (Kap. 3.1). Bei der Entwicklung zunderbestandiger Werkstoffe besteht die Kunst darin, den Diffusionskoefflzienten in einer festhaftenden Schicht moglichst klein zu machen. Das ist gewahrleistet in Oxiden, die eine geringe Konzentration an strukturellen Punktfehlern (Leerstellen, Zwischengitteratome) enthalten. Cr 2 0 3 , A1 2 0 3 und NiO bilden derartige »dichte« Deckschichten. Das wird bei der Entwicklung von hitzebestandigen Stahlen (Cr, Al als Legierungselemente) und Heizleitern fur elektrische Ofen (Fe-Ni-Cr-Al Legierungen) ausgeniitzt (Bilder 6.6 und 6.7). Es konnen entweder Ionen aus der umgebenden Atmosphare ins Metall hinein diffundieren (z.B. O in Nb) oder Metallionen durch die Schicht aus dem Werkstoff heraus diffundieren, (z.B. Fe durch FeO). Ein quadratisches Wachstumsgesetz wird unter der Voraussetzung gefunden, daB die Diffusion die Geschwindigkeit der Reaktion bestimmt. Im System Mo-0 wird das Oxid M0O3 oberhalb von 800 °C fliissig. Oberhalb dieser Temperate hort die Schutzwirkung der festen Schicht auf, und die Reaktionsgeschwindigkeit steigt sehr schnell an. Der Vorgang wird auch in molybdanhaltigen Stahlen beobachtet und dann als katastrophale Oxidation bezeichnet. In den Fallen der Bildung von Oxiden mit sehr schlechter elektrischer Leitfahigkeit (BeO, AI2O3, Cr 2 0 3 ) entsteht akuter Elektronenmangel an der Grenzflache zwischen Gas und Oxid. Die dadurch verursachte Raumladung fuhrt zu Verzogerung des Wachstums, und die Zeitabhangigkeit des Wachstums kann durch eine logarithmische Funktion dargestellt werden: x = kf(T)ln(kfft+l).
(6.10a)
230
6 Chemische und tribologische Eigenschaften
Fe
2?_ ^Wachstumsrichtung x
0 2 Ue'-*20 z ~
Bild 6.6. Diff usionsvorgange in einer Zunderschicht auf Eisen. Fe2+-Ionen bewegen sich durch die FeO-Schicht an der Oberflache und zum Ladungsausgleich die doppelte Zahl der Elektronen
10-,o
250
300
350
°C
450
i
i
I
kg nr s -1 2
4
/ 11
/
io-
/o
» IO"'2
* 10""
10""
Bild 6.7 a u. b. Wachstum von Zunderschichten. a Zeitabhangigkeit. Ni, 400 °C, p^ = 30 mmHg (Nach Engell). b Temperaturabhangigkeit. Mo, 250 < T> 450 °C (Nach Gulbransen)
m-15
!9-10-3K~1 1,7
15
13
-1/7
k' und k" sind Konstanten, die von der Temperatur und von der Leitfahigkeit des Oxides abhangen. Falls sich fliissige oder porose Schichten bilden (Rost) oder die Schicht infolge verschiedener spezifischer Volumen schlecht haftet (Eisenoxidul), ist das Wachstum unabhangig von der Schichtdicke: (6.10b) und damit linear
x=
k(T)t.
(6.10c)
Das gilt z. B. fur die Verzunderung von Eisen bei hoher Temperatur (Bild 6.6). Keramische Stoffe aus Oxiden, die mit den in der Atmosphare befindlichen Gasen im thermodynamischen Gleichgewicht stehen, verzundern nicht. Bei den organischen Kunststoffen spielt aber das Eindiffundieren von Gasen durch die Oberflache eine wichtige Rolle. Als Beispiel sei das Altern von Gummi erwahnt. Sauerstoff bewegt sich in das Molekulargerust des Gummis, nach einem Zeitgesetz entsprechend (3.4), (3.5) und (6.9). Dort erzeugen die Sauerstoffatome zusatzliche Querverbindungen zwischen den Molekulketten, was zunachst zu einer Oberflachenhartung fiihrt. Diese Querverbindun-
231
6.4 SpannungsriBkorrosion
gen bilden sich leicht, da die meisten Gummiarten viele reaktionsfahige Platze in ihrer Molekiilkette enthalten (Abschn. 9.4). Die Oxydation kann sich dann fortsetzen, bis zur Zerteilung der Hochpolymere in kleinere Molekule, was mit dem Verlust der Festigkeit verbunden ist.
6.4 SpannungsriBkorrosion Die SpannungsriBkorrosion (SRK) wurde bereits zusammen mit anderen Mechanismen der Ausbreitung von Rissen erwahnt (Abschn. 4.4). Sie tritt in vielen metallischen Werkstoffen, aber auch in manchen Kunststoffen auf, wenn gleichzeitig eine Zugspannung und ein korrosives Medium auf den Werkstoff einwirken. Bei der Auslosung dieser Erscheinung kann entweder normale Korrosion (z. B. LochfraB) entscheidend sein oder aber ortliche plastische Verformung. Der letztgenannte Vorgang kann insbesondere dann zum AufreiBen einer Passivierungsschicht fuhren, wenn die Gleitung auf eine einzige hohe Gleitstufe konzentriert ist. Fur die Bedeutung dieses Vorgangs spricht die Erfahrung, daB Mischkristallegierungen mit niedriger Stapelfehlerenergie (Abschn. 4.4), die hohe Gleitstufen bilden wie austenitische Stahle, und a-Messinglegierungen auch sehr empfindlich gegen SRK sind. Sehr gefahrdet sind auch hochfeste Aluminiumlegierungen, die im Gegensatz zu den zuerst genannten Legierungen aber interkristallin brechen. Das deutet darauf hin, daB bei ihnen die Korngrenzen die fur die SRK entscheidenden Gefiigeelemente sind (Bild 6.5). Die Empfindlichkeit eines Werkstoffs gegen SRK kann in einem Spannungs-ZeitSchaubild (ahnlich der Wohler-Linie fur die Ermudung, Abschn. 4.4) dargestellt werden. Es gibt die Zeit an, nach der die Probe in einem korrosiven Medium bei einer bestimmten Spannung bricht. Fur einen vollig unempfindlichen Werkstoff ergibt sich eine von der Zugfestigkeit R m ausgehende horizontale Linie. Sie fallt umso steiler ab je starker der Werkstoff mit dem korrosiven Medium reagiert. Diese Versuchsfuhrung hat den Nachteil, daB das Ergebnis RiBbildung and -ausbreitung einschlieBt. In vielen Fallen ist aber das RiBwachstum entscheidend, namlich dann, wenn Information iiber die voraussehbare Lebensdauer oder iiber die Belastbarkeit eines Bauteils, in dem schon Mikrorisse vor-
/Cjoderorf gebrochen
Zeit /
Bild 6.8
Spannungsintensitat/f
Bild 6.9
Bild 6.8. Kennzeichnung der Empfindlichkeit eines Werkstoffs gegen Spannungskorrosion Bild 6.9. Vergleich der RiBgeschwindigkeit in korrodierender Umgebung und im Vakuum. Definition von KiSRK
232
6 Chemische und tribologische Eigenschaften
Bild 6.10 a u. b. Zusammenwirken von plastischer Verformung in der Oberflache und Korrosionsangriff. Vorgange an einem KorrosionsriB. a RiBbildung. b RiBwachstum, im RiBgrund lost sich das Metall durch Oxidation
handen sind, gefragt ist. In diesem Fall ist die bruchmechanische Kennzeichnung des RiBwachstums sinnvoll (Abschn. 4.4). Es wird die Wachstumsgeschwindigkeit des Risses aufgetragen gegen die Spannungsintensitat AJ. Der EinfluB der Umgebung ergibt sich eindeutig aus dem Vergleich mit dem Rifiwachstum im Vakuum (Bilder 6.8 bis 6.10). SRK ist gegenwartig wohl die haufigste Ursache von unerwartetem Werkstoffversagen. Die Ursachen sind durchaus noch nicht vollstandig bekannt. Folglich handelt es sich um ein wichtiges Forschungsgebiet der Werkstofftechnik. Es sei hier noch erwahnt, daB die ortliche Entfernung von Atomen aus der Oberflache beim Anatzen von Metallen geniitzt wird. Das Atzen wird z. B. angewendet in der Mikroskopie von Werkstoffoberflachen. In einer polierten Oberflache werden nach dem Atzen sowohl Gitterbaufehler (Korngrenzen als Linien, Versetzungen als Punkte) als auch verschiedene Phasen in mehrphasigen Gefugen sichtbar (Bild 0.5). 6.5 Oberflachen, Grenzflachen und Adhasion Die vorangehenden Abschnitte handelten von Reaktionen der Oberflache des Werkstoffs mit seiner chemischen Umgebung. Die Oberflachen sind eine spezielle Art von Grenzflachen, namlich zwischen fester und gasformiger Phase (gelegentlich auch eine Flussigkeit oder, im Extremfall, das Vakuum). Im Werkstoffgefuge (Abschn. 1.6 und 3.7) finden wir haufig Grenzflachen zwischen festen Phasen. Korngrenzen sind Grenzflachen zwischen gleichen Phasen verschiedener Kristallorientierung (Kap. 1). Oberflachen gleicher oder verschiedener Phasen konnen zu Korn- oder Phasengrenzen miteinander reagieren. Dies ist ein erwunschter Vorgang beim Sintern (Abschn. 11.2) und bei Fugetechniken wie Kleben und Loten (Abschn. 11.5). Dagegen ist die Verbindung der Oberflachen im Gleitlager auBerst unerwiinscht: »Fressen« des Lagers. Oberflachen und Phasengrenzflachen besitzen eine speziflsche Energie y9 die meist in mJm - 2 angegeben wird (Tab. 6.3). In der Oberflache sind freie Bindungen vorhanden. Je starker sie sind, umso grofier ist die Oberflachenenergie, und umso starker die Neigung, mit der Umgebung zu reagieren. Aus diesem Grund steigt die Oberflachenenergie mit der Schmelztemperatur eines Metalls und ist proportional der Sublimationsenergie. Gemessen werden kann y ixber die Form von Fliissigkeitstropfchen. Dies ist allerdings schwierig, wenn die Oberflache oxidiert.
233
6.5 Oberflachen, Grenzflachen und Adhasion
Um diese Energie zu reduzieren, hat der Vielkristall die Tendenz, durch Kristallwachstum die Gesamtflache der Korn- und Phasengrenzen zu erniedrigen. Das ist aber nur moglich, wenn bei erhohter Temperatur Atome ihre Platze wechseln konnen. Die spezifischen Grenzflachenenergien entsprechen Grenzflachenspannungen, die drei ineinander miindende Grenzen im Gleichgewicht zu halten suchen. Aus dem Kraftedreieck der Grenzen mit den Energien ybc yac und yab folgt die Beziehung fur das Gleichgewicht der Krafte Ybc Kac Kab sin a sin fi sin y
(6.11a)
Komgrenzen gleicher Energie bilden danach Winkel von 120° miteinander (Bild 6.11 a). In Phasengemischen konnen die Energien von Korn- und Phasengrenzen sehr verschieden groB sein. Es soil der Fall betrachtet werden, daB eine Phase b zwischen zwei Kristallen der Phase a liegt. Die Energie der Korngrenze wird als y aa , die der Phasengrenze als y^ bezeichnet. Fur das Gleichgewicht der Krafte ergibt sich in diesem Fall (Bild 6.11b und c) Kaa = 2yab COS
P
(6.11b)
Durch Messen des Winkels ft laBt sich somit Xaa/Xab bestimmen, vorausgesetzt, daB die Phase b die Gleichgewichtsform annehmen konnte. Die Werte fur f3 konnen zwischen 0 und 180° liegen. Falls 2yab < Kaa ist, wird f$ = 0°, und die Phase kann sich als Film langs der Komgrenzen von a ausbreiten. Dies kann zu Korngrenzenkorrosion oder Korngrenzenversprodung fuhren. Diese Erscheinung ist in vielen Legierungen bekannt. Ein Beispiel ist die Rotbruchigkeit von Stahl durch flussiges FeS an den Komgrenzen. Fur 2yab
9Y±-
^V/MV/M' f 0=180° = /?,
k g Bild 6.11a-g. Winkel zwischen Komgrenzen und Phasengrenzen. a Drei Komgrenzen gleicher Energie bilden Winkel von 120° miteinander. b Die Winkel zwischen drei verschiedenen Phasen folgen aus deren Grenzflachenenergien. c, d Gleichgewicht der Krafte zwischen Komgrenzenenergie (aa) und Phasengrenzenenergie (ab) bestimmt die Form der an der Korngrenze gebildeten Phase b. e Form einer an Korngrenzknoten gebildeten Phase b. Der Winkel p kann zwischen 180° und 0° liegen. f Entstehen der Adhasionskraft durch Reaktion der Oberflachen der Werkstoffe A und B als einer Ursache der Reibung. g Verschiedene Winkel f$ als Folge verschiedener Grenzflachenenergien zwischen fliissiger (f) und kristalliner (k) Phase. (Vgl. Bedingungen fur Kleben, Kap. 11)
234
6 Chemische und tribologische Eigenschaften
> Xaa kann diese Form der Phase an einer Korngrenze nicht auftreten. Fur 2ya\y > ym nahert sich ft einem Wert von 180°. Dies wird z. B. beobachtet fur Graphitkristalle im Eisen oder Blei in Kupferlegierungen. Aus dem atomaren Aufbau der Werkstoffe konnen die verschiedenen Werte der Oberflachenenergie dadurch erklart werden, daB der Bindungszustand an der Grenzflache geandert wird. In den Oberflachen miissen freie Bindungen vorhanden sein. Die Oberflachenenergie hangt deshalb von der Bindungsenergie Hr ab (Kap. 3). Sie nimmt in der Regel mit zunehmender Schmelz- und Siedetemperatur eines Stoffes zu (Tab. 6.3). Werden die Oberflachen der Stoffe A und B vereinigt, so bildet sich die Grenzflache AB. Die Energiebilanz kann verschiedene Vorzeichen haben: X A + 7B - 7AB = Ax a d ^0.
(6.12)
Das ist wichtig in Zusammenhang mit Adhasion fur Reibung und Klebtechnik. Adhasion tritt nur auf, wenn A y > 0. Stoffe mit sehr geringen Oberflachenenergien sind deshalb geeignet, die Adhasion zu verhindern. Dies ist der Fall fur manche Kunststoffe wie PE, PTFE, insbesondere aber fur die Silikone (Kap. 10). Nach ihrer atomaren Struktur unterscheiden wir drei Arten von Phasengrenzen im Inneren der Kristalle: koharente, teilkoharente und nichtkoharente Grenzen. Dazu kommen die Oberflachen als Grenzflachen mit umgebenden Gasen oder Fliissigkeiten. In einer koharenten Grenzflache stimmen die Positionen der Atome der auf beiden Seiten liegenden Kristalle uberein. Die einfachsten koharenten Phasengrenzen treten dann auf, wenn die Positionen der Atome beider Kristallarten ubereinstimmen und sich nur durch Zusammensetzung c oder Ordnungsparameter s unterscheiden (Bild6.12). Ein anderer Fall ist die koharente Zwillingsgrenze (Bild 3.18). Die beiden Kristalle (gleicher Struktur) liegen spiegelbildlich zueinander mit der Grenze als Spiegelebene. Bei ge-
7k
Y\k •a—o
T T T T T T T
<
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9
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a
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T
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T
T
T
T
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T
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T
T
T
T
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T
T
T
4—e—e—T~T~TTT T
T
T
T
T—T
T
4—(L A 4—4-
tt H i l l
T
• 1 •—i i •—| J M 1 I I—i 1 A I 1—1 I i—4
4444444
Bild 6.12 a-c. Die Struktur von Phasengrenzen. a Koharent, b Teilkoharent, c Inkoharent. Die spezifischen Grenzflachenenergien nehmen in dieser Reihenfolge zu Tabelle6.3. Oberflachenenergie von Metallen im Vergleich zu anderen Eigenschaften
w Mo Fe Be Zn
kJmol"1
Schmelztemperatur Tu K
Elastizitatsmodul E 104 • MNffi" 2
807 564 363 321 120
3683 2883 1810 1550 693
41 33 21,5 30 10,5
Oberflachenenergie 2y Jm- 2
Ai/gk
2,9 1,9 1,4 1,0 0,76
Sublimationswarme
6.5 Oberflachen, Grenzflachen und Adhasion
235
ringen Unterschieden der Gitterabmessungen treten in koharenten Grenzflachen elastische Verspannungen auf. Falls die Abmessungen beider Kristallgitter in einer Ebene noch weniger ubereinstimmen, kann der Einbau von Grenzflachenversetzungen notwendig werden. Eine Stufenversetzung mit Burgers-Vektor 6 liegt dann so in der Grenzflache, daB durch die eingeschobene Ebene der Unterschied der Gitterparameter aa — ap = Aa ausgeglichen wird. Aus geometrischem Grunde ergibt sich, daB in alle x = b/ Aa Atomabstande eine Versetzung eingebaut werden kann. Ahnlich konnen Verdrehungen zwischen zwei Kristallgittern durch ein in die Grenzflache eingebautes Netz von Schraubenversetzungen ausgeglichen werden. Eine teilkoharente Grenzflache ist also gekennzeichnet durch den Einbau von defmierten Gitterbaufehlern, wahrend die dazwischen liegenden Bereiche noch koharent sind. Fiir koharente und teilkoharente Grenzflachen besteht ein deflnierter Zusammenhang der Orientierungen beider angrenzender Kristalle. Fiir nichtkoharente Grenzen kann dieser Zusammenhang beliebig sein. Die Struktur der nichtkoharenten Phasengrenzen entspricht im wesentlichen der einer allgemeinen GroBwinkelkorngrenze (Bild 3.18b). Hinzu kommt, daB neben Konzentration und Ordnungsgrad auch die Bindungsverhaltnisse der Atome auf beiden Seiten der Grenzen verschieden sein konnen. Das fiihrt zu Unterschieden in der Struktur und in der Energie der Phasengrenzen. Weisen die Phasen auf beiden Seiten verschiedene Bindungstypen auf, so ist die Energie der Phasengrenze sehr hoch, weil die sich in der Grenzflache beriihrenden Atome energetisch sehr ungiinstige Nachbarschaftsverhaltnisse aufweisen. Zur Werkstoffoberflache fuhrende Grenzflachen sind oft die Orte des Beginns der interkristallinen Korrosion (Bild 6.5). Dieser Vorgang hangt sehr von der Struktur der Kornoder Phasengrenzen ab. Ihre bevorzugte Anatzbarkeit wird aber auch in der Metallographie benutzt, um das Gefuge sichtbar zu machen. Sehr hohe Grenzflachenenergien /AB fuhren zu geringer Benetzbarkeit von Oberflachen, wahrend hohe Oberflachenenergien auf eine grofie Reaktionsbereitschaft, also Neigung zur Adhasion, hindeuten. Das spielt bei der Verbindung von Teilen durch Kleben, Loten und SchweiBen eine groBe Rolle. Aluminium ist z. B. deswegen nicht leicht lotbar, weil die immer in der Oberflache vorhandene Al203-Schicht eine sehr hohe Grenzflachenenergie und damit einen grofien Winkel /? (6.11 b) mit metallischem Lot (z. B. Sn-Pb) hat. Adhasion kann auch mit Gasen aus der Umgebung der Werkstoffoberflache auftreten. Der wichtigste Fall ist die Adsorption von Wassermolekulen. Bei Metallen kann dieser Vorgang das erste Stadium der Wasserstoff-Versprodung sein. Das absorbierte Wasser wird reduziert und der Wasserstoff diffundiert dann ins Innere des Metalls. Polymerwerkstoffe verhalten sich in dieser Hinsicht sehr verschiedenartig. Symmetrische Molekiile (PE, PTFE) fuhren zu geringer Oberflachenenergie (Tab. 10.6) und folglich geringer Adsorption, wahrend Adsorption und Diffusion von H20-Molekiilen bei Polyamiden (PA) eine wichtige Rolle spielen. Wenn sie z. B. als Lagerwerkstoffe verwendet werden, bewirkt diese Schicht aus H20-Molekiilen einen »Selbstschmier«effekt. Dies fuhrt zu dem Gebiet der Tribologie, in dem wir uns mit dem Verhalten aufeinander gleitender Oberflachen beschaftigen (Bild 6.1 c).
6 Chemische und tribologische Eigenschaften
236 6.6 Reibung und Verschleifi
Dies ist eine grundsatzliche Definition der beiden Vorgange, die durch tribologische Beanspruchung verursacht werden: - Reibung ist die Dissipation von Energie, Verschleifi ist die Dissipation von Materie in zwei aufeinander gleitenden Oberflachen (Bild 6.1). Derartige tribologische Systeme sind in Gleitlagern, Nockenwellen und Zahnradern in der Technik aufierst haufig anzutreffen. Ihre Beherrschung fuhrt zu Einsparung von Energie und sicherer Funktion und einer hohen Lebenserwartung von Maschinen. In vielen Fallen befindet sich ein Schmiermittel zwischen den Reibpartnern A und B (Kap.9.6). Die Reibung entsteht dann durch viskoses Fliefien in dieser Zwischenschicht (Kap.4.7). Trockene Reibung kommt durch ortliche Adhasion (Bild 6.1) und darauffolgende Trennung von Beriihrungsflachen zustande. Dazu mufi die Adhasionsenergie A/aufgebracht werden. Andere Ursachen der Reibkraft sind elastische (Gummi) oder plastische Verformung (Metalle) in der Nahe der geriebenen Oberflachen. Die Beruhrung der beiden Oberflachen geschieht aber nicht in der gesamten Flache A0, sondern nur in einem Anteil — = - R, A0 H
(6.13)}
der umso grofier ist, je grofier der Betrag der Druckspannung a — FA^ und je geringer die Harte ist (Eindruckharte nach Vickers oder Brinell, nominelle Dimension Pa = Nm~2). Dazu kommt ein weiterer Systemfaktor, die Oberflachenrauhigkeit R. Der Reibungskoeffizient ist definiert durch das Verhaltnis von Reibungskraft FR oder nominelle Schubspannung r(in der geriebenen Oberflache) zu Druckkraft F oder Druckspannung a (Bild 6.1c).
" = ^ = -^r F
(6-'14a)
a A0
Eine wichtige Ursache der Reibkraft ist die Adhasionsenergie (6.12). (6.14b) FR = &A dx Dazu kommen weitere Beitrage von elastischer und plastischer Verformung ye, yp, Bruchbildung y{ und tribochemischen Reaktionen yC9 sowie der Einflufi der Oberflachenrauhigkeit. Daraus folgt mit 6.13: p. (&* + *& + *&+4%+ *&) E£ V dx dx dx dx dx ' H
(6 .14c)
Aus den Gleichungen 6.13 und 6.14 ergibt sich eine Beziehung, die die physikalischen Ursachen der trockenen Reibung gut erkennen lafit: die Energiedissipation /pro Gleitweg x, dy/dx, in der effektiven Beruhrungsflache A. Die Reibung ist umso hoher, je grofier die Adhasion und je geringer die Harte ist. Bekanntlich kann durch Schmierung der Bildung von adhasiven Beruhrungspunkten entgegengewirkt werden. Es gibt flussige
237
6.6 Reibung und Verschleifi I
I
1
1
Umgebung definierte Luftfeuchte r.F. 1 uberdeckungsfrei
0,6
ri
^ f » ^
«
i ////////
0,4
T
P
0,2
V X
Bild 6.13. EinfluB der relativen Luftfeuchtigkeit auf die Reibungskoeffizienten von Polyamid gegen eine Walze aus poliertem Stahl (nach U. Karsch)
System Stift-Walze ,
1
= 23°C = 1MPa = 0,1 m/s = 20 m w=2fjim
20
0,5
7>^A ^/////7%
40 r.R-
60
% 100
2,5 PTFE
•10~4 0,4
2.0
PA
•^ 0,3
| 1.5 ._PE_
5
>
0.2
"
3
PTFE
0.1
PE_ '"""PA
0,5
20 30 Temperatur T
40 °C 50
20 30. Temperatur/*
40 °C 50
6.14 a, b. Reibungskoeffizient (trocken) und VerschleiBrate von drei Thermoplasten. Trotz geringer Reibung ist der VerschleiB von PTFE (Teflon) hoch (gegen polierten Stahl)
Bild 6.14 c, d. Polyamid (PA) naeh tribologischer Beanspruchung. c Oberflache derselben Probe, REM; d Delamination in der Oberflachenschicht mit starker Orientiening der Molekiile, RLM
238
6 Chemische und tribologische Eigenschaften
(01) und feste Schmiermittel (Graphit, Abschn. 9.6). Im Graphit bewirkt das plastische Gleiten der Kristallebenen des Schichtgitters (Kap. 3, Bild 3.7), da6 die Oberflachen getrennt werden. Fur selbstschmierende Werkstoffe seien drei Beispiele genannt. Durch Sintern wird ein poroser Werkstoff hergestellt, der anschlieBend mit einem fliissigen Schmiermittel getrankt wird. Es kann auch ein festes Schmiermittel (Graphit Kap. 6; PTFE, Kap. 9) mit einem Metall zusammen gesintert werden. Einen gewissen Selbstschmiereffekt zeigen auch graue GuBeisen (Abschn. 8.7). Der Graphit entsteht hier »naturlich«, entsprechend dem thermodynamischen Gleichgewicht (Zustandsdiagramm Fe-C). Die dritte Moglichkeit ist die Adhasion von Wassermolekulen aus der Luft an der Oberflache von Polymeren (z.B. PA) mit hoherer Oberflachenenergie. In dem zuletzt genannten Fall gibt es naturlich Probleme, wenn Gleitlager ungeschmiert in permanent trockener Umgebung (Wustenklima) laufen sollen (Bild 6.13, 6.14a). »VerschleiB« ist eine unerwiinschte Abtragung von Material von der Oberflache eines Werkstoffes nach ortlicher Verformung und Verfestigung durch Losbrechen kleiner Teilchen. VerschleiB tritt in alien Flachen auf die der Reibung unterworfen sind. Er entsteht auch durch Aufschlag von fliissigen oder festen Teilchen und wird in diesem Fall als Erosion oder Kavitation (implodierende Blasen) bezeichnet. Diese Art der Beanspruchung kommt in Dampfturbinen, Schiffsschrauben, aber auch bei durch Regen fliegenden Flugzeugen (Regenerosion) vor. Der VerschleiBwiderstand ist in komplizierter Weise verknupft mit anderen mechanischen Eigenschaften. Hohe Harte, Streckgrenze, Verfestigungskoeffizient, Bruchzahigkeit in der Oberflache, bedingen einen hohen VerschleiBwiderstand (Bild 6.14 und 6.15). Gemessen wird als VerschleiBrate w = da/dx die Abtragungstiefe Aa, das Volumen v oder das Gewicht g pro Gleitweg x (volumetrischer, gravimetrischer VerschleiB). Die effektive Beruhrungsflache A < A$ der aufeinandergleitenden Oberflachen ist proportional der spezifischen Druckbelastung a und entsprechend der Definition von (6.13) umgekehrt proportional der Harte H. Daraus folgt eine Beziehung zwischen w, a und H, die fur alle technisch reinen Metalle und weichgegliihten Legierungen mit befriedigender Genauigkeit gilt (Bild 6.15). w=
da , A — =k'—=k-. dx Ao
o H
(6.15)
Die Gleitgeschwindigkeit ist (Jv
— =v df und die VerschleiBgeschwindigkeit dw dt
da dxdt
(6.16a)
(6.16b)
Nach einer Zeit t betragt der VerschleiB (i. e. die Abtragung Aa): da a Aa = —t = k— = vt. dt H
(6.16c)
Dabei sind a, i>, t auBere Parameter, H eine Werkstoffeigenschaft und k die Systemeigenschaft »Abtragungswahrscheinlichkeit in der effekiven Beruhrungsflache«.
6.6 Reibung und VerschleiB Tabelle 6.4. Verschleifikoeffizienten k des Werkstoffs W^ der auf dem Werkstoff W2 gleitet (trockene Reibung) w
1
Baustahl Baustahl
W2
Loslichkeit*
Baustahl
++ + ++ ++ ++ +
Fe Fe Ni Ni Ni Ni Zn Zn
Cu Ag Pb Ni Fe Ag Pb Zn Fe
Bakelit
Bakelit
* + + : sehr hoch, + : hoch,
k- 104
450 5 0,7 0,7 290 59 0,7 0,7 1600
8 0,02 •: genng
k ist der VerschleiBkoeffizient, der das Verhalten eines Werkstofrpaares kennzeichnet. Es ist sinnvoll die Verschleifiraten mit der Druckspannung \-a\zu normieren w/a, urn die Eigenschaften des Werkstoffsystems von der Beanspruchung zu trennen. Entsprechendes gilt fur die Gleitgeschwindigkeit v (6.16). Allerdings gilt (6.15) immer nur im begrenzten Bereich von Bedingungen (Tab. 6.4). So konnen abhangig von Druck oder Gleitgeschwindigkeit ortliche Temperaturerhohungen und damit verbundene ortliche Formanderungen oder Oxidationen zu einer Anderung der VerschleiBbedingungen und damit des Koeffizienten k fuhren. Er ist das MaB fur die Wahrscheinlichkeit der Abtragung von Materie aus der effektiven Beruhrungsflache A (Tab. 6.4). In sproden Stoffen (z.B. Keramik) geschieht der VerschleiB durch Sprodbruch in viel starkerem MaBe als in plastisch verfontibaren Werkstoffen (Bild 6.15). Dies
Schleifmfttel: Siliziumkarbid
Harte des Werkstoffs
Bild 6.15. Ubersicht iiber die Abhangigkeit des abrasiven VerschleiBwiderstandes von der Harte fur metallische und keramische Werkstoffe
240
6 Chemische und tribologische Eigenschaften
erklart, daB der VerschleiBwiderstand mit zunehmender Harte abnehmen kann, wenn damit eine Versprodung verbunden ist. Die Mechanismen der Abtragung liegen also zwischen plastischem Pflugen und Spanen und sprodem Brechen. Sie hangen nicht nur von den Werkstoffeigenschaften, sondern auch von den Systembedingungen (Gleiten glatter Oberflachen, Abrasion, Erosion) ab. In manchen Fallen wird VerschleiB gefordert durch Wachsen von Ermiidungsrissen oder durch tribochemische Reaktionen. Haufig wirken diese Mechanismen in komplizierter Weise zusammen. Nur die Berticksichtigung der speziellen Bedingungen eines Systems fiihrt zur Auswahl der jeweils giinstigsten Werkstoffe. Die physikalischen Grundlagen der VerschleiBvorgange sind wegen der groBen Zahl von EinfluBgroBen oft nur qualitativ zu ermitteln. Es liegen aber sehr viele Erfahrungen vor, die z.B. bei der Entwicklung und Auswahl von Werkstoffen fur Gleitlager benutzt wurden. Ein Partner des Systems Lager/Welle ist das VerschleiBteil. Es soil verhaltnismaBig leicht zum Einsetzen eines Ersatzteils ausgebaut werden. In den meisten Maschinen ist das die Lagerschale. Die Welle eines Generators ist aus Stahl und soil so wenig wie moglich verschleiBen. Es gibt auch den umgekehrten Fall, z. B. waren in der Uhrentechnik die Lager aus Keramik (Edelstein), da die Wellen (Stahl) leichter ersetzt werden konnten. Eine weitere Regel ist, daB die Werkstoffe von Lager und Welle sich stark unterscheiden sollen. Dies ist mit Hilfe der Adhasionsgleichung 6.12 zu verstehen. Die Grenzflachenenergie zwischen beiden soil maximale AbstoBung bewirken. Fiir Stahl (Wellenwerkstoff) ist diese Bedingung erfiillt durch -
Kupferlegierungen (Bronzen, Abschn. 8.4), Zinn- und Bleilegierungen (WeiBmetall), Aluminiumlegierungen (Abschn. 8.3), Polymere (Kap. 9).
Graues GuBeisen ist auch als L,agerwerkstoff geeignet. Es funktioniert wegen des bereits erwahnten Selbstschmiereffekts. Neben den tribologischen Eigenschaften ist z.B. zum Tragen der Druckbelastung durch die Welle eine moglichst hohe Druckfestigkeit erforderlich. Die weichen WeiBmetallegierungen werden oft nur als dtinne Schichten in der Schale aufgebracht. Die Geftige dieser Legierungen enthalten harte Teilchen intermetallischer Phasen in weicher Grundmasse. Beim Einfahren drtickt die Welle diese Gefiigebestandteile in die Grundmasse. So entsteht eine an die Welle angepaBte Laufflache. In Tab. 6.5 wurden die in der Technik geforderten Kombinationen von Reibungskoeffizient /x und (auf die Druckspannung bezogener) VerschleiBrate W/cr zusammengestellt.
Tabelle 6.5. Angestrebte Kombinationen von Reibung und VerschleiB fiir verschiedene technische Anwendungen VerschleiB
Reibung
Anwendung
min min max max
min max min max
Lager Bremsbelage, Kupplung Schleifen, Spanen Schmelzsage
6.6 Reibung und VerschleiB
241
Tabelle 6.6. Angestrebte ReibungskoefFizienten /J u = max min
Klebeverbindungen Reifen, Schuhsohlen Gleitlager
Die Systeme Schiene/Rad oder Strafie/Reifen liefem Beispiele dafur, daB minimaler VerschleiB mit einem mittleren, optimalen ReibungskoefFizienten gepaart werden miissen. Dies wird bei Glatteis besonders deutlich. Das tribologische Verhalten von Eis ist bemerkenswert. Die Schmelztemperatur liegt meist nicht weit oberhalb der Umgebungstemperatur. Deshalb bildet sich leicht eine dunne Wasserschicht und es tritt ein Ubergang von trockener zu geschmierter Reibung auf. Ein weiteres Beispiel fur ein tribologisches System stammt aus dem Bereich der Datenspeicherung (vgl. Bild 5.20 und Kap.3). Die Information muB in das band- oder plattenformige Speichermaterial hinein »geschrieben« und heraus »gelesen« werden konnen. Der Lese-/Schreibkopf bei magnetischer Speicherung ist eine Induktionsspule, die durch einen Hartstoffmantel geschiitzt ist. Dieser bildet ein tribologisches System mit der Oberflache des Speicherwerkstoffs: Verbund von Duromer mit keramischen oder metallischen Magnetteilchen. VerschleiB fuhrt in diesem Fall auch zu Stoning und Zerstorung der gespeicherten Information(Bild 12.3).
Die vier Werkstoffgruppen
7 Keramische Werkstoffe 7.1 Allgemeine Kennzeichnung Zu dieser groBen Gruppe gehoren alle nichtmetallischen und anorganischen Werkstoffe. Die Grenze zwischen keramischen und metallischen WerkstofFen wird prazise mit Hilfe des Temperaturkoeffizienten des elektrischen Widerstands definiert (Kap. 5.2), der in Metallen ein positives, in keramischen StofFen ein negatives Vorzeichen hat. Die Grenze der keramischen Werkstoffe zu den hochpolymeren StofFen muB von der molekularen Struktur her festgelegt werden. Die Kunststoffe besitzen diskrete Molekiile, namlich Ketten, in denen die Kohlenstoffatome kovalent miteinander verbunden sind. Diese Molekiile sind im Kunststoff durch schwache Van-der-Waalssche Bindung oder Briicken verbunden. Im keramischen Werkstoff gibt es keine diskreten Molekiile, sondern raumliche Anordnungen einer oder mehrerer Atomarten, entweder geordnet als Kristallgitter oder regellos als Glas. Der groBte Teil der keramischen Werkstoffe sind chemische Verbindungen von Metallen mit den nichtmetallischen Elementen der Gruppen III A bis VII A. Der weitaus uberwiegende Teil davon sind Oxide: Zement und Beton, Ziegel, feuerfeste Steine, die keramischen Glaser, die Ferrite fur Magnete und U0 2 als Kernbrennstoff. Einen guten Uberblick iiber die Vielzahl keramischer Phasen liefert Bild 7.1. Ausgehend von irgendeinem Metall konnen Boride, Karbide, Nitride und Oxide gebildet werden. Die entsprechenden Verbindungen gehen auch von den Halbleitern Si, selten von Ge aus. Das SiC ist ein typischer keramischer Hartstoff (Schleifmittel) und S13N4 ein vielversprechender Kandidat fur bewegte Maschinenteile (Schaufeln). SchlieBlich bildet auch Bor mit C, N und O Phasen, die als Werkstoffe geeignet sein konnen. Dazu kommen die bereits erwahnten halbleitenden III-V- und II-VI-Verbindungen der Elemente in der Nachbarschaft der Gruppe IV A (Kap. 1). SchlieBlich spielen Oxid-Wasser-Verbindungen, die Hydrate, u. a. als Baustoffe eine groBe Rolle, da das Festwerden von Zement auf der Bildung von Hydraten beruht. Die Hydride SchlieBlich liegen genau an der Grenze zwischen metallischen und keramischen StofFen. Sie werden als ModeratorwerkstofFe (Abschn. 5.1) verwendet, wobei der WasserstofF die Neutronenmoderation besorgt und die Metallatome ein stabiles Geriist bilden, in dem sich die WasserstofFatome aufhalten. Die kennzeichnenden Eigenschaften der keramischen Stoffe sind Druckfestigkeit, hohe chemische Bestandigkeit und hohe Schmelztemperaturen. Sie sind auf die feste, kovalente Bindung und Ionenbindung der Atome dieser Stoffe zuruckzufiihren. Einwertige Stoffe mit vorwiegender Ionenbindung, also die Alkali- und Cu-, Ag-, Au-Halogenide, besitzen nicht die oben erwahnten Eigenschaften und werden nur in Ausnahmefallen als FunktionswerkstofFe (als lichtempFindliche Schichten) verwendet. Ob der Werkstoff kristallin oder als Glas vorliegt, spielt bei der hier vorgeschlagenen
246
7 Keramische Werkstoffe Bild 7.1. Atomarten, aus denen keramische Werkstoffe aufgebaut sind: • Metalle, z.B. Al, Ca, Mg ©Halbleiter, z.B. Si, Ge O Nichtmetalle
Abgrenzung der keramischen Werkstoffe keine Rolle. Allerdings ist es in der Praxis manchmal noch tiblich, nur kristalline Stoffe als keramisch zu bezeichnen und auch die Bindemittel in eine separate Gruppe einzuordnen. Ursprunglich war der Begriff Keramik noch enger gefaBt und auf Produkte, die aus Ton (Kaolinit: AI2O3 • SiC>2 • 2H2O) durch Formen und anschlieBendes Brennen hergestellt wurden, beschrankt (Abschn. 7.5). Die keramischen Werkstoffe sollen in diesem Kapitel exemplarisch behandelt werden, da wegen ihrer Vielzahl eine einigermaBen vollstandige Behandlung nicht moglich ist. Keramische Stoffe mit besonderen physikalischen Eigenschaften (Kap. 5, Ferromagnetika, Ferroelektrika, Dielektrika) werden etwas weniger ausfiihrlich behandelt. Die Betonung liegt auf den mechanischen Eigenschaften. Das gleiche gilt in den folgenden drei Kapiteln fur die Metalle, Kunststoffe und Verbundwerkstoffe. Die behandelten Werkstoffe wurden so ausgewahlt, daB sie entweder als Beispiele fur kennzeichnende Eigenschaften der jeweiligen Gruppe dienen oder weil ihre technische Bedeutung eine Behandlung notwendig erscheinen lieB. Die einatomaren Stoffe gruppieren sich alle um die vierwertigen Elemente C, Si, Ge. Die Hauptanwendungsgebiete fiir Si und Ge sind Halbleiter, fur C Reaktorgraphit und Diamant als Hartstoff (fur Schleif- und Schneidwerkzeuge, Beschichtungen). Die nichtoxidische Keramik ist eine Werkstoffgruppe der Zukunft, namlich fiir Verwendungen bei sehr hohen Temperaturen in der Energietechnik. Gegenwartig ist die Verbindung Si3N4 der hoffnungsvollste Kandidat zur Herstellung von bewegten Teilen, die bis zu 1400 °C verwendet werden konnen. Kristalline oxidische keramische Stoffe werden bereits langer als Metalle verwendet (Tonkeramik, Porzellan). Nachfolgend werden besonders die Schneidkeramik (Werkzeugwerkstoffe fiir die Trenntechniken, Abschn. 10.4 und 11.4) sowie die feuerfesten Steine behandelt, die zur Ofenauskleidung dienen. Oxide vom Typ ABO3 (Perowskit, BaTi03, Bild 1.14) zeigen oft bei tiefen Temperaturen eine para —>• ferro-elektrische Umwandlung. Sie zeigen dann piezo-elektrisches Verhalten. Die gleiche strukturelle Grundlage haben die neuen Hochtemperatursupraleiter (Tab. 5.8) und einige Ionenleiter fiir Brennstoffzellen (Bild 5.10). Hydratisierbare Silikate liefern den Zement, mit dessen Hilfe Sand und Schotter zu Beton verklebt werden (Abschn. 7.6). Die anorganischen Glaser schlieBlich sind Oxidgemische, in denen durch Schmelzen und schnelles Abkiihlen die Kristallisation verhindert werden kann. Ihre Anwendung im
247
7.2 Einatomare keramische Stoffe
Bau- und Verpackungswesen und in der Optik ist vielf altig. Im chemischen Apparatebau spielen sie eine bedeutsame Rolle als chemisch bestandige Konstruktionswerkstoffe.
7.2 Einatomare keramische Stoffe Diese Stoffe bestehen aus den vierwertigen A t o m e n der Gruppe IV des periodischen Systems (C, Si, Ge) wozu noch Bor kommt, das erst oberhalb 2 0 0 0 °C schmilzt und gelegentlich als Faser zur Verstarkung anderer Werkstoffe verwendet wird. D i e mit groBem Abstand wichtigste Werkstoffgruppe dieses Abschnitts, die Halbleiter, ist bereits im Abschn. 5.2 behandelt worden. V o n groBer Bedeutung sind noch die Werkstoffe auf der Grundlage des Kohlenstoffs, die fur Kernreaktoren (Graphit), Schneidwerkzeuge (Diamant) und im chemischen Apparatebau (Graphit, Kohleglas) eine wichtige Rolle spielen. Diamant kann jedoch nur im Verbund mit anderen, zaheren Werkstoffen oder als Schleifpulver eingesetzt werden (Cermets, Abschn. 10.4).
Tabelle 7.1. Eigenschaften von Kohlenstoffphasen
Schmelztemperatur °C ^Modul, GPa Chem. Bestandigkeit Dichte g c m - 3
Diamant
Graphit (Vielkristall)
Glas
Faser
4100 1200
3750 115
2500* 200
500
++ 2,26
1,4... 2,0
+
+
1,5 ... 1,6
1,8
* Obere Verwendungstemperatur. + +: sehr gut, +: gut, —: schlecht Kohlenstoff in der Form von Diamant, Graphit, Glas und Faden zahlt zu den keramischen Stoffen. D e r Diamant besitzt kennzeichnende Keramikeigenschaften in ganz ausgesprochenem MaBe (Tab. 7.1). D i e Diamantstruktur ist allerdings nicht die stabile Kohlenstoffphase, sondern der Graphit. Diamant wird erst bei erhohtem Druck stabil (Bild 7.2). Aus diesem Grunde ist er schwierig und nur in geringen Mengen synthetisch herzu-
106' bar
Clmetallisch )
^ ^ v J
flijssig
Diamant^.
104 <_>
Graphit
=3 CD
102
r T
gasformig
0 Bild 7.2. Zustandsschaubild von Kohlenstoff
2000 4000 Temperatur
K
6000
248
7 Keramische Werkstoffe
stellen. Dazu muB entweder der vom Gleichgewichtsdiagramm geforderte hydrostatische Druck erzeugt werden, unter dem die Diamantkristalle wachsen konnen. Einfacher ist es, sehr kleine Diamantkristalle herzustellen, indem man durch Sprengstoffe erzeugte StoBwellen durch Graphitpulver laufen laBt. Bei dem in den Wellen herrschenden Druck wandelt sich Graphit teilweise um. Ist Diamant einmal gebildet, so bleibt er als metastabile Phase auch bei Raumtemperatur und normalem Druck erhalten. Die haufigste Anwendung findet Diamant als Schleifmittel und in Schneiden fiir Werkzeuge zum Bohren oder Trennen sehr harter Stoffe. Die zweite Werkstoffgruppe auf Kohlenstoffbasis ist aus Graphit aufgebaut. Wegen seines Schichtengitters hat er eine geringe kritische Schubspannung und wird deshalb als Hochtemperatur-Schmiermittel zwischen gleitende Flachen gebracht. Wegen seines hohen Schmelzpunktes ist Graphit auch als Tiegelmaterial fiir Oxidschmelzen geeignet. Eine wichtige Anwendung hat Graphit als Moderator-, Hiillrohr- und sogar als Konstruktionswerkstoff im Kerareaktorbau gefunden (Abschn. 5.1). Dazu miissen groBe Formkorper aus Graphit hergestellt werden, in denen sich die Brennelemente befinden. Die Herstellung und die Eigenschaften derartiger Graphitkorper soil kurz beschrieben werden. Da Graphit tiber den flussigen Zustand oder durch Zusammensintern von Kohle technisch nicht zu gewinnen ist, bieten sich nur Methoden an, die grundsatzlich die thermische Zersetzung von Kohlenstoffverbindungen und die Gluhbehandlung dieser Kokskorner oberhalb von 2500 °C einschlieBen. Die Erwarmung geschieht durch direkten Stromdurchgang. Aus diesem Grunde wird der so hergestellte Graphit auch Elektrographit genannt. Mit zunehmender Temperatur und Zeit nimmt der Anteil, der als Graphit kristallisiert ist, zu. Ein haufig angewendetes Verfahren bedient sich durch Pyrolyse hergestellter Kohlenstoffkorner, die mit einem Bindemittel verkittet werden, das wiederum beim Gliihen zu Graphit wird. Dazu eignen sich z. B. Steinkohlenteerpech oder Duromere (Abschn. 9.3). Der so hergestellte Werkstoff wird als »heterogener« Graphit bezeichnet. Die anschlieBende Herstellung der Formkorper ist einfach, da sie mit Hartmetallwerkzeugen (Abschn. 10.4) leicht spanabhebend bearbeitet werden konnen. Im Gegensatz dazu konnen homogen aufgebaute Graphite und Kohleglas nur durch Schleifen bearbeitet werden. Die wichtigsten Eigenschaftsanderungen des Graphits im Reaktor sind direkt verkniipft mit der Bildung von Kristallbaufehlem durch Neutronen. Es entstehen vor allem Paare von Leerstellen und Zwischengitteratomen (Frenkel-Paare, Abschn. 1.4), die zu einer VergroBerung der C-Achse des Graphitgitters (Bild 1.8) und damit zu einer Formanderung des gesamten Korpers fiihren, falls die Graphitkristalle nicht statistisch verteilt sind (Textur, Abschn. 1.4). Die zweite Folge der Strahlenschadigung ist eine Zunahme der Energie des Graphits durch das Vorhandensein der Baufehler. Das kann dazu fiihren, daB diese plotzlich ausheilen, wenn ihre Konzentration sehr hoch ist. Dieses Ausheilen (Abschn. 3.2) kann zu einer drastischen Temperaturerhohung (> 200 °C) fiihren, durch die der gesamte Reaktorkern zerstort werden kann. Es muB also darauf geachtet werden, daB die durch Bestrahlung hervorgerufenen Baufehler ausheilen konnen, solange ihre Konzentration niedrig ist. SchlieBlich sei noch erwahnt, daB derartige vielkristalline Graphite bis zu etwa 2500 °C sprode sind. Erst daruber geht dem Bruch eine plastische Verformung voraus. Es ist kennzeichnend fiir alle keramischen Stoffe, daB sie erst kurz unterhalb ihrer Schmelztemperatur geringfiigig plastisch verformbar werden. Die dritte Form, in der Kohlenstoff verwendet wird, ist das Kohleglas (Abschn. 7.6).
249
7.3 Nichtoxidische Verbindungen
Es wird meist durch Zersetzen von organischen Verbindungen (z. B. Zellulose) hergestellt. Das Zersetzungsprodukt in Form von Kohlenstoffaden wird dazu unter Druck bei Temperaturen bis zu 3000 °C gesintert. Kohleglas ist dichter als gesinterter Graphit und sehr oxydationsbestandig. Es bricht bei Raumtemperatur glasartig. Seine Bruchfestigkeit erhoht sich beim Erwarmen bis auf 2500 °C um das Zwei- bis Dreifache. Kohleglas findet deshalb im Apparatebau zunehmende Verwendung als chemisch bestandiger Hochtemperaturwerkstoff. Nach einem ahnlichen Verfahren werden auch Kohlefasern hergestellt. Sie zeigen ein sehr giinstiges Verhaltnis von Festigkeit zu Dichte und werden zur Faserverstarkung in zunehmendem MaBe verwendet (Abschn. 10.2). Es kann auch amorpher Kohlenstoff oder polykristalliner Graphit verstarkt werden. Dann entsteht ein VerbundwerkstofF, der als CFC (kohlefaserverstarkter Kohlenstoff) bezeichnet wird. Wie die Metalle sind alle Kohlenstofrphasen in Sauerstoff nicht stabil. Sie konnen oxidieren, verbrennen. Kiirzlich wurde eine weitere Stoffgruppe entdeckt, die aus Kohlenstoffatomen besteht. Es handelt sich um kugelformige Molekiile von z. B. 60 Atomen die zu Elementen mit funf- und sechszahliger Symmetric zusammengefugt sind (Bild 1.8 d, Fullerene, Analogic: FuBball). Diese Kugeln konnen kristallisieren und in ihren Innenraumen andere Atom- oder Molekularten einlagern. Vielfaltige technische Anwendungen dieser Stoffe sind zu erwarten.
7.3 Nichtoxidische Verbindungen Die Stoffe dieser Gruppe bestehen aus mehr als einer Atomart. Es handelt sich um Verbindungen der Atome C, Si, Ge sowie B, N, H mit ihresgleichen oder mit Mefallatomen. Die Karbide werden seit langer Zeit als Hartstoffe verwendet (Abschn. 10.4). Neu ist die mogliche Verwendung von Nitriden und Karbiden als Hochtemperaturwerkstoffe im Maschinenbau. Bekanntlich steigt der Wirkungsgrad von Warmemaschinen mit der Temperaturdifferenz und damit mit der hochsten Betriebstemperatur. Diese ist werkstoffabhangig. Die hochsten Temperaturen, die mit Ni-Legierungen erreicht werden
Tabelie7.2a. Schmelztemperaturen und Dichten hochschmelzender keramischer Phasen Phase
A1 2 0 3 BeO Th02 MgO Zr0 2 SiC B4C WC TiC VC
Tu °C
e
2050 2530 3050 2800 2700 2700 2350 2800 3200 2830
3,97 3,00 9,69 3,58 6,27 3,17 2,51 15,7 4,25 5,4
gem
Phase 3
Mo2C TaC SiC BN TaN Si 3 N 4 A1N TiB 2 ZrB2 TaB 2
T» °C
P gem
2380 4000 2700 2730 3360 2170 subl.
8,9 14,5 3,2 2,25 14,4 3,44 3,26 4,5 6,08 12,38
2900 3060 3000
3
7 Keramische Werkstoffe
250
Tabelle 7.2 b. Temperaturabhangigkeit der Biegefestigkeit vonAl 2 0 3 T °C
MNm"2
°c
MNm- 2
25 630 1100
1000 915 765
1550 1965 2030
640 220 110
T
"m(max)
^m(max)
Tabelle 7.2 c. Eigenschaften von SiC und Si3N4 Herstellungsverfahren
SiC Si3N4
rekristallisiert heiB gepreBt reaktionsgebunden heiB gepreBt
E-Modul GNm"2 206 380 180 310
2000 MPa
Biegefestigkeit MNm"2
Warmeleitfahigkeit
Thermische Rm Ausdehnung Ea
Wm-iK" 1
1 0
125 700 280 800
23 100 15 30
4,8 4,3 2,8 3,2
-6.
K
-i
0,13 0,43 0,56 0,81
>2000
j j j | Verbesserung infolge Zr0 2 -Einlagemngen |
&77L
"| keramischer Werkstoff ohne Zr0 2
1500
^ VA
.1000
500
1000 Nmm"2 800 600 400
__r
en LO
S?
-=
-i
r^J
200
0
300
600
900
1200 °C 1500
Bild 7.3a, b. a Temperaturabhangigkeit der Biegefestigkeit von Si3N4 (heiBgepreBt) b Verbesserung der Biegefestigkeit verschiedener Keramiken durch eingelagerte Zr02-Teilchen PSZ (partially stabilised zirconia) und TZP (tetragonal zirconia polycrystals) sind vollstandig aus Zr0 2 bestehende Werkstoffe mit verschiedenem Gefuge (nach M. Rtihle)
7.3 Nichtoxidische Verbindungen
251
konnen, liegen bei 1000 °C (Abschn. 8.4). Si3N4 laBt eine obere Verwendungstemperatur von 1400 °C erwarten (Bild 7.2). Der Werkstoff wird oft durch Reaktionssintern hergestellt. Dabei dient als Rohmaterial Si-Pulver, das in Stickstoffstrom unter Druck gesintert wird (Abschn. 11.1). Das Fertigteil, z. B. eine Gasturbinenschaufel, kann so in einem Arbeitsgang hergestellt werden (Tab. 7.2). Es erhebt sich die Frage, welche physikalischen Eigenschaften maBgeblich fur die Auswahl gerade dieser chemischen Verbindung waren. Dabei ist zu beriicksichtigen, daB neben der hohen Warmfestigkeit die Moglichkeit bestehen muB, die Maschine ohne Schaden auf Raumtemperatur abzukuhlen. Dem steht entgegen, daB die keramischen Stoffe bei tieferen Temperaturen (T< 0,8 7^) sprode sind (Klc « 0). Die Beanspruchung des Werkstoffs stammt auBer den Belastungen im Betrieb (z. B. durch einen Gasstrahl) von Warmespannungen beim Abkiihlen. Bei einer gegebenen Abkiihlungsgeschwindigkeit nehmen die Temperaturgradienten und die daraus folgenden Spannungen zu mit zunehmendem Ausdehnungskoeffizienten a und Elastizitatsmodul E sowie mit abnehmender Warmeleitfahigkeit A. Die Bildung eines Risses wird dann umso leichter, je geringer die Bruchfestigkeit Rm (meist im Biegeversuch bestimmt) oder die Bruchzahigkeit ist. Die aus diesen physikalischen Eigenschaften kombinierte technische Eigenschaft heiBt Temperaturwechselbestandigkeit TWB. Bei der Entwicklung der keramischen Hochtemperaturwerkstoffe versucht man folgende Kennwerte zu optimieren. Bei einer Temperaturdifferenz A Tim Werkstoff ist die daraus folgende Verformung e oder
TWB! - 4 * '
(7.1)
Ecc
TWB2 = ^ * - 4 Ea TWB3 =
Klc A Tk{
(7.2)
.
(7.3)
Ecc Tabelle 7.2 c gibt einige Werte fiir SiC- und Si3N4-Werkstoffe an (verschiedene Herstellungsverfahren). Versuche zeigen, daB die bis jetzt giinstigsten Werte mit Si3N4 erhalten werden. Die Entwicklung ist aber noch keineswegs ausgereift. Im Erfolgsfall werden sich niitzliche Konsequenzen fiir die Energieerzeugung und fiir die Technologie der Gasturbinen ergeben. Ein weiteres Anwendungsgebiet der nichtoxidischen Keramik folgt aus der hohen Harte. Teile, die der Reibung ausgesetzt sind und folglich verschleiBen, konnen entweder
7 Keramische Werkstoffe
252
^a*\ A1~XA Aloe- e eE~cr~K Bild 7.3c. Thermische Beanspruchung durch AT = TrT2 begiinstigt durch geringe thermische Leitfahigkeit. Deformation e proportional dem Ausdehnungskoeffizienten a fuhrt zu innerer Spannung a oder bei AnriB Spannungsintensitat K = a \[na.
mit einer keramischen Schicht versehen (Abschn. 10.5) oder ganz aus Keramik hergestellt werden. Neuerdings wird z. B. Si3N4 fiir Dichtleisten von Kreiskolbenmotoren (Wankel) verwendet, wahrend der hohe VerschleiBwiderstand von A1N von der Nitrierhartung des Stahls seit langem bekannt ist. Die keramischen Stoffe sind weiterhin einer chemischen Beanspruchung in der Oberflache ausgesetzt. Nitride und Karbide oxydieren bei erhohten Temperaturen. Diese Gefahr besteht bei Oxiden nicht, die sich bereits in der hochsten Oxydationsstufe befinden. Diese Werkstoffe werden traditionsgemaB als »feuerfest« bezeichnet. Leider besitzen die im folgenden Abschnitt behandelten Oxide eine zu geringe Temperaturwechselbestandigkeit, so daB sie fur die Anwendung im bewegten Maschinenteil nicht infrage kommen. Diese kann jedoch durch Zumischen von Phasen, die unter Spannung martensitisch umwandeln (Zr0 2 , in A1203); wesentlich verbessert werden (Bild 7.3 b). Derartige Gefugebestandteile wirken als RiBstopper, sie machen die Keramik jedoch nicht »zah« durch einen Mechanismus, der plastische Verformung und Verfestigung an der RiBspitze, sondern durch Verringerung der Zugspannung infolge ortlicher Volumenanderung (Abschn. 4.4).
7.4 Kristalline Oxidkeramik Oxidische Stoffe miissen zwei Voraussetzungen erfiillen, wenn sie als feuerfeste Werkstoffe dienen sollen. Sie miissen einen hohen Schmelzpunkt besitzen und aus stabilen Phasen bestehen, die nicht zu chemischen Reaktionen neigen. Besonders geeignet sind fiir diesen Zweck die kristallisierten Oxide der mehrwertigen Metalle. Die weitere Forderung ist, daB beim Aufheizen und Abkiihlen keine groBen Volumenanderungen auftreten, d. h. daB der thermische Ausdehnungskoeffizient klein ist und daB keine Phasenumwandlungen im festen Zustand auftreten. Ein Blick auf das Zustandsdiagramm von Tabelle 7.3. Obere Verwendungstemperatur (in °C) feuerfester Stoffe Schamotte
Graphit
Silika
Sillimanit
Zirkonia
Korund
Beryllia
1670
1700
1710
1750
1750
2000
2200
Si02 +A1203
C
Si02
Si02 +A1203
Zr02
A1203
BeO
2050 °C 2000
2100 °C
1950
2000
2040°C
^At 2 0 3 +f
Schmelze 1900
i
/V / 1770°C
^1800
11800
1700 1650 / 1550 60
\S
1 C_)
l<_>
pro
Ic
1 crT
<
1608°C
Mullit + f
o_ CD CO
l(ZD
Si02 + f
CD
"1750
.1600
1880°C
1900
1880°C ys
5 1850
Al 2 0 3 +~] Mullit
Si02-. Mullit
1600
"<
|<\ 1
J
^ 1700
j
UD
Al203-Ca0
1 1 70
1
1500 1400
90 Al-%"
0
AUOv
-CaO
b
Si0 2
20
40
60
.1-Mullit
) Gew.-%'
Al 2 0 3 '
SiOz Die Kristallphasengleichgewichte des Systems C-A-S im reaktionsfahigen Zustand
CA6 Al 2 0 3 10 mm
0
I 1 Schamottsteine
i ^
^ ***
*T \ - •
I 1 Sillimanit stein
5
Silikastein
\
\
\
V
\ \
10 15 mm 20
900
N
1200
1500 Temperatur
\ I \1 \ \ °C
\
1800
1000 Temperatur
2000
BHd7.4a-e. Zustandsschaubilder keramischer Stoffe. a A I 2 0 3 - C a O . b A1 2 0 3 - Si0 2 . c Konzentrationsdreieck Al 2 0 3 -CaO-Si0 2 , in das die Zusammensetzung einiger keramischer Stoffe eingezeichnet wurde. d Langenanderung verschiedener feuerfester Steine bei einer Druckspannung von 0,2 N m m - 2 , Ausgangslange 7 0 = 50 mm. e Temperatur-Druck-Zustandsschaubild von Si0 2 (mit Angabe der Dichten in gem"3)
254
7 Keramische Werkstoffe
Oxidgemischen lehrt, welche Zusammensetzungen diese Stoffe haben miissen: Es miissen moglichst reine Oxide wie Si02, MgO, A1 2 0 3 sein (Bild7.4). Eutektische Zusammensetzungen sind am wenigsten geeignet. Da die Schmelztemperatur mit der Festigkeit der Bindung zusammenhangt, sind besonders Oxide, Boride, Karbide und Nitride mehrwertiger Metalle hochschmelzende Stoffe (Tab. 7.2). Es liegt nahe, daB diese Werkstoffe vorwiegend nicht durch Schmelzen, sondern durch Sintern hergestellt werden. Aus fast reinem Si0 2 bestehen die Silikasteine, die zum Ausmauern von Schmelzofen verwendet werden. Der Schmelzpunkt von Si0 2 liegt bei 1713 °C. Ungliicklicherweise macht das Si0 2 nach dem Erstarren noch zwei Phasenumwandlungen im festen Zustand durch, die mit erheblichen Volumenanderungen verbunden sind. Aus diesem Grunde sind Silikasteine gegen Temperaturanderungen empfindlich. Die Steine konnen bis zu 1710 °C verwendet werden (Bild 2.7 c und 7.8). Die technisch verwendeten Steine enthalten uber 95% Si0 2 , der Rest sind andere hochschmelzende Oxide wie CaO, MgO, A1 2 0 3 . Die billigste Sorte der feuerfesten Stoffe sind Schamottesteine. Sie konnen bis zu 1670 °C verwendet werden. Ihre typische Zusammensetzung liegt bei 70Gew.-% Si0 2 , 27 Gew.-% A1 2 0 3 , 3 Gew.-% Fe 2 0 3 . Sie werden aus Ton und Quarzsand hergestellt und finden die meiste Verwendung im Ofenbau. Fur hohere Temperaturen, wie sie z. B. fur Schmelzwannen der Glasindustrie notwendig sind, wird der Al 2 0 3 -Gehalt erhoht. Die Hochtemperatur-Schamotte hat eine Zusammensetzung von 55 Gew.-% Si0 2 , 42 Gew.% A1 2 0 3 , 2 Gew.-% Fe 2 0 3 , (vgl. Zustandsdiagramm Si0 2 - A1 2 0 3 , Bild 7.3b). Bei noch hdherem Al 2 0 3 -Gehalt erhoht sich die Verwendungstemperatur auf 1800 °C. Ein Material mit 36 Gew.-% Si0 2 , 63 Gew.-% A1 2 0 3 , 1 Gew.-% F e 2 0 3 wird Sillirnanit genannt. Die Phase 2 A1 2 0 3 • Si0 2 (Mullit) fuhrt infolge ihres Schmelzpunktes bei 1900 °C zu einem Werkstoff, der bis dicht unter diese Temperatur verwendet werden kann. Bis auf 2000 °C kommt man schlieBlich mit reinem A1 2 0 3 (Korund). Die feuerfesten Steine werden aus geschmolzenem A1 2 0 3 hergestellt, das 99% oder mehr A1 2 0 3 enthalt. Fur ahnliche Temperaturen eignen sich auch Magnesitsteine. Sie bestehen vorwiegend aus der Phase MgO. Die typische Zusammensetzung ist 81 Gew.-% MgO, 8 Gew.% Fe 2 0 3 , 7Gew.-% A1 2 0 3 , Rest CaO, Si0 2 . Dazu kommt noch eine groBere Zahl weiterer Oxidgemische, die im Ofenbau und als Tiegelmaterial Verwendung finden, z. B. Dolomit (CaO + MgO), Chrom-Magnesit (Cr 2 0 3 + MgO). In Tab. 7.2 sind die Schmelzpunkte einiger keramischer Phasen angegeben, die z. T. fur Anwendung bei noch hoherer Temperatur infrage kommen. In Tab. 7.3 sind fur einige Materialien die Temperaturen zusammengestellt, bis zu denen sie verwendet werden konnen (Bild 7.3). Die technologische Priifung der Hochtemperaturwerkstoffe geschieht durch kegelformige Proben. Diese werden fur bestimmte Zeit der Pruftemperatur ausgesetzt. Dann wird die Formanderungen beobachtet, die durch Kriechen und viskoses FlieBen verursacht werden (Seger-Kegel, Bild 7.4 d). Porzellan besitzt die kennzeichnenden mechanischen Eigenschaften der keramischen Werkstoffe. Daneben ist gutes Prozellan farblos und durchscheinend. Es soil hier als Beispiel eines »klassischen« keramischen Stoffes dienen. Als Rohstoffe dienen die Mineralien Kaolinit A1 2 0 3 • 2 Si0 2 • 2 H 2 0 , Feldspat KAlSi 3 0 8 und Quarz Si0 2 . Der Kaolinit ist ein hydratisiertes Silikat mit Schichtstruktur (Abschn. 1.3), die dem Kaolin oder dem Ton die typische »Plastizitat« verleiht. Er besteht aus abwechselnden Schichten von [SiOJ-Tetraedern und [A102(0H)4]-Schichten. Die Doppelschichten haben auf der einen Seite O-Atome, auf der anderen OH-Gruppen (Bild 7.5). Die Bindung zwischen den
255
7.4 Kristalline Oxidkeramik
Schichten kommt durch Wasserstoffbriicken zustande. Versetzt man feine Kaolinitkristallchen mit Wasser, so bilden sich mehrmolekulare Schichten an den Oberflachen, die dem Stoff die Eigenschaft einer Binghamschen Flussigkeit geben (Abschn. 4.7, Tab. 4.1). Die Wassermolekule bewirken sowohl eine Bindung der Kristallchen als auch das Abgleiten oberhalb einer bestimmten mechanischen Spannung. Die Masse kann auch andere kleine Teilchen enthalten (Quarz, Feldspat), die an der Verformung nicht teilnehmen. Das Verhalten derartiger Massen wird auch als »plastisch« bezeichnet. Der Mechanismus ist aber vollig verschieden von der Kristallplastizitat. Allerdings ist das makroskopische Verhalten von isotropen Vielkristallen bei erhohter Temperatur und von Kaolin oder Ton sehr ahnlich. In der keramischen Praxis wird dieser Zustand zur Formgebung des Werkstoffes ausgeniitzt. Ein anderes Formgebungsverfahren ist der SchlickerguB. Durch erhohte Wasserzugabe wird ein diinnflussiger Brei hergestellt. Nachdem er in eine gewiinschte Form gegossen wurde, wird das uberschussige Wasser abgesaugt. Fur dieses Verfahren eignen sich besonders Formen aus Gips (CaS04, Bild 7.5). Nach der Formgebung ist die Festig* keit der Porzellanmasse noch sehr gering. Ein fester Korper entsteht erst durch Brennen zwischen 1000 und 1460 °C. Einen Hinweis auf die Vorgange wahrend des Brennens gibt das Zweistoffsystem Si0 2 -Al 2 0 3 (Bild 7.3b). Es enthalt neben den beiden Komponenten eine Phase, die als Mullit bezeichnet wird, und deren Zusammensetzung zwischen 3 A1203 • 2 Si0 2 und 2 A1203 • Si0 2 liegt. Beim Erwarmen des Kaolins tritt zunachst eine Abspaltung des Wassers auf, was zu einer metastabilen Phase der Zusammensetzung A1203 • 2 Si0 2 fiihren mu6. Oberhalb von 1000 °C bilden sich dann entsprechend dem Gleichgewicht Kristalle des Mullits durch Reaktion mit dem in der Masse vorhandenen Quarz (Si0 2 ). Die Geschwindigkeit der Reaktion ist umso groBer, je kleiner die Quarzkristallchen sind. Durch diese Reak-
Seitenansicht oiler funf Schichten
i
—Q~Q~ i O i
DOOI Bild7.5a. Kaolinit besteht aus Doppelschichten von [Si205]2" und [Al2(OH)4]2+, zwischen denen Ionenbildung besteht. Diese Schichtstruktur ermoglicht zusammen mit adsorbiertem Wasser die Plastizitat von Ton
40z 2 OH"
4Al J Aluminium
O
o o
Silizium Sauerstoff Hydroxyl (OH)
•__•
OoocpeoH2-
256
7 Keramische Werkstoffe
Bild 7.5 b. Beim Trocknen einer Tonmasse wird das adsorbierte Wasser (schwarz) entfernt, so daB sich die Kristalle der Tonmineralien beriihren und beim Brennen zusammensintern
100 Gew.-% amorphe Phase
60 40 ^ ^ M
juTt
20 Feldspat^
Quarz
1000 1100 1200 1300 Brenntemperatur
°C 1400
Bild 7.6 a. Veranderung einer Porzellanmasse (Kaolinit: Feldspat: Quarz = 4 : 3 : 3 ) nach dem Brennen (2h) bei verschiedenen Temperaturen. Die Phase Mullit (Bild 7.3 b) wird neu gebildet
Bild 7.6 b. Konstitutionsgrundlage der Herstellung glaskeramischer Werkstoffe. Durch schnelles Abkuhlen entsteht die metastabile Glasstruktur, die Zusatze zur Erleichterung der Kristallkeimbildung enthalten muB. Beim Erwarmen auf TA scheiden sich kleine Kristalle der Phase aA aus. Es entsteht eine dem Porzellan ahnliche Mikrostruktur
tion allein wiirde es nicht gelingen, einen dichten keramischen Stoff zu erhalten. Dazu ist die Bildung kleiner Mengen flussiger Phase notwendig. Das wird durch den Zusatz von Feldspat erreicht. Die zahflussige Phase bewirkt eine Verkittung der Kristalle und fullt alle Zwischenraume. Nach dem Abkuhlen entsteht ein Stoff, der aus einem Gemisch sehr kleiner Kristallchen (< 1 urn) und Glasphase besteht (Bild 7.6). Da bei guten Porzellanen eine weiBe Farbe gewiinscht wird, ist es wichtig, daB die Ausgangsmaterialien vollig frei von F e 2 0 3 sind, damit eine braune Farbe (Steingut) vermieden wird. Die gute Durchscheinbarkeit mit sichtbarem Licht kommt dadurch zustande, daB das Porzellan an sich aus vollig durchsichtigen Phasen besteht. Die Schwachung des Lichtes erfolgt durch Streuung an den Korngrenzen. Sie erreicht ihr Maximum, wenn die KristallgroBe der Wellenlange des Lichtes (~ 0,6 um) entspricht. Die
7.5 Anorganische, nichtmetallische Glaser
257
Kristalle in guten Porzellanen sind kleiner. In der Technik wird Porzellan besonders wegen seiner guten chemischen Bestandigkeit und wegen seiner guten dielektrischen Eigenschaften fur Hochspannungsisolatoren verwendet. Als Schneidkeramik findet A1203 zunehmende Verwendung in der Zerspanungstechnik. Zusatze von Zr0 2 erhohen infolge einer mit Volumenzunahme verbundenen martensitischen Umwandlung die Bruchzahigkeit Klc, und dadurch auch den VerschleiBwiderstand. Haufig werden Schichtsysteme (Abschn. 10.1) verschiedener keramischer Phasen auf die Oberflachen durch Aufdampftechniken gebracht (Abschn. 10.5) und dadurch die Standzeit von Schneidwerkzeugen sehr verbessert. Zeolithe sind porose Gerustsilikate. Sie enthalten Hohlraume atomarer Dimension in ihrer Kristallstruktur in der Form von Kafigen oder Kanalen. Sie kommen als Mineralien vor, werden groBtenteils aber kiinstlich z. B. aus Si0 2 hergestellt. Durch eine Gluhbehandlung konnen die Hohlraume geleert werden. Dabei kann es sich um Metall- oder Halbleitercluster, Farbstoffmolekiile oder Polymerketten handeln. Daraus folgen Anwendungen als Molekularsiebe, lonenaustaucher, Katalysatorn, Speicherelemente oder Sensoren. 7.5 Anorganische nichtmetallische Glaser Die meisten keramischen Stoffe konnen sowohl als Kristalle als auch als Glaser erhalten werden. Wir unterscheiden diese Glaser durch die Bezeichnung keramisches Glas von polymeren oder metallischen Glasern. Es ist bereits erwahnt worden, daB wichtige keramische Werkstoffe, wie Porzellen, aus Gemischen von Glas und Kristall bestehen. Keramische Glaser werden als Funktionsmaterialien wegen ihrer isotropen Durchstrahlbarkeit mit sichtbarem Licht als Werkstoffe der Optik, z.B. fur Linsen und Lichtfilter und als faserformige Lichtleiter, verwendet. Ein weiteres Anwendungsgebiet ist der chemische Apparatebau, wo die gute chemische Bestandigkeit von Glas ausgeniitzt wird. Sehr stark zunehmend ist die Verwendung von Glasfasern zur mechanischen Verstarkung in Verbundwerkstoffen sowie als Warmeisolator (Glaswolle). Der Glaszustand entsteht durch nicht zu langsames Abkuhlen von Silikatschmelzen. Entscheidend ist dabei, daB infolge der Vernetzung der Fliissigkeitsstruktur eine Umordnung der Atome zu Kristallkeimen schwierig ist (hohe Viskositat) (Abschn. 3.4 und Tab. 7.5). Beim Abkuhlen unterhalb der Schmelztemperatur erhalt man zunachst eine unterkiihlte Riissigkeit, deren Struktur noch dem (metastabilen) Gleichgewichtszustand der Fliissigkeit entspricht. Unterhalb einer Temperatur Tg friert die Struktur der unterkiihlten Fliissigkeit ein (Bild7.7b). Das auBert sich in einer diskontinuierlichen Anderung des Temperaturkoeffizienten vieler Eigenschaften. Der Glasiibergang ist also im allgemeinen keine Phasenumwandlung, sondern ein Einfriervorgang der Fliissigkeitsstruktur. Die Viskositat erreicht in der Nahe von Tg den Wert, der als Grenze zwischen Riissigkeit und Festkorper angenommen wird: rj = 1015 Pa s (Bild 4.23 a). Ein einfach aufgebautes Glas erhalt man durch schnelles Abkuhlen einer Si0 2 Schmelze. Das Kieselglas besteht aus einem unregelmaBigen Netzwerk von [SiOJ4-Tetraedern. Wegen seiner guten Durchlassigkeit fiir ultraviolettes Licht wird es z. B. in sog. Quarzlampen verwendet (Abschn. 5.5). Wegen des hohen Schmelzpunktes von Si0 2 (als Cristobalit: 7^ = 1713 °C) ist dieses Glas nicht leicht herzustellen. Um das Glasrohmaterial leichter schmelzbar zu machen, setzt man dem Si0 2 weitere
258
7 Keramische Werkstoffe
Tabelle 7.4. Zusammensetzung einiger technischer Glaser (in Gew.-%) Stoff
CaO
Si0 2
Na 2 0 K20
B,0,
PbO
A122^03
Soda-Kalk-Glas Bleiglas (Flintglas) Borsilikatglas
10
75 3 . . .50
15 5 . . . 10
-
30. .60
_ -
6 0 . ..80
2 . . . 10
10. .25
_
1 . .4
Tabelle 7.5. Neigung zu Glasbildung und Aktivierungsenergie der Viskositat Hv (vgl. Gl.4.22) Stoff
Bindungstyp
Si0 2 B2031 NaClJ CaF Alkalimetalle C3H7OH C3H5(OH)3
Ionen + kovalent Ionen + kovalent
200... 700 80... 300
Ionenbindung
-25
metallisch Wasserstoffbriicken
~ 4 4 0 . . . 120
Neigung zur Glasbildung*
^visk.
kJ mol" 1
++ + +
+ +: sehr gut, +: gut, —: schlecht
Pa-s
^<^^ ~~"^~-i
£10*
k
400
•Si 0 0 H
\fc:
800 Temperatur
1200 °C
Bild 7.7 a. Struktur von Fensterglas (zweidimensionale Darstellung). b Temperaturabhangigkeit der Viskositat von Fensterglas (Soda-Kalk-Glas). Flussigkeit und Glas Kristall
Oxide zu, die seinen Schmelzpunkt stark erniedrigen (Kap.2.2). Diese Oxide werden im Gegensatz zu dem Netzwerkbildner Si0 2 als Netzwerkwandler bezeichnet. Man kann sich die Metallionen in das Netzwerk eingelagert denken. Dabei entstehen zunehmend offene Maschen des Netzes. Das wiederum hat zur Folge, da8 die Viskositat mit zunehmender Konzentration des Netzwerkwandlers abnimmt (Bilder7.7b und 7.8). Das iibliche Fensterglas ist ein Gemisch aus Si02, N a 0 2 und CaO). Das Zustandsdiagramm N a 2 0 - Si0 2 (Bild 7.8) zeigt, daB Zumischen von N a 2 0 die Schmelztemperatur von
7.5 Anorganische, nichtmetallische Glaser
259
1700 °C
/
1600
/iristo/ balit
Schmelze
1470 'C
1500
1400
1300 5
\ \
^ 1200 i.
/
Tridymit
1
i
\ 1100
1000 2Na20-Si02+ _LNa 2 0-SiO, J 867°C
Na20-2Si02+_ Na20-SiC
800 c:>
700
Bild7.8. Zustandsschaubild Si0 2 -Na 2 0
600. 20
UUUI/1
1 >1 c:> 1 c 1 1 I
CD
CD
In 1
In
CD I
40
Na 2 0-25i0 2 +Quarz
CD
OJ
30
1
cT
50
70
60
M o l - % 100
sio2 —
No 2 0
4000 Nmrrr2 3000
! 2000
IT
i
\\ 1000
? 1 tr~
\ * o&
Bild 7.9 a. Festigkeit von Glasfasern abhangig von ihrer Dicke
<0
"
TJ
-
6
8
10
I
I
I I 12 14
jLtm
18
Dicke der Fosern
Schmelztemperatur bei der eutektischen Zusammensetzung. In Tab. 7.4 sind die Zusammensetzungen einiger technischer Glaser angegeben. Die allgemeinen Prinzipien, die der Fahigkeit der verschiedenen Stoffe zur Bildung von Glasern zugrundeliegen, wurden bereits in den Kap. 2 und 3 behandelt. In Tab. 7.5 wird die Aktivierungsenergie der Viskositat (4.22) verschiedener Stoffgruppen vergli-
260
7 Keramische Werkstoffe
chen. Der hohe Wert fiir Si0 2 zeigt deutlich, daB sich Stoffe auf Silikatbasis bevorzugt zur Herstellung von Glasern eignen. Die mechanischen Eigenschaften der Glaser sind dadurch gekennzeichnet, daB sie sich bei tiefen Temperaturen wie ein sproder Festkorper verhalten, der das Hookesche Gesetz (4.2) genau erfullt, und bei hohen Temperaturen Newtonsche Fliissigkeiten sind. In allgemeiner Form kann ihr Verhalten unter mechanischer Spannung durch folgende Funktion der Versuchszeit /dargestellt werden (Kap.4). Der Ansatz wird deutlich durch ein Analogiemodell, die Reihenschaltung einer Feder (elastisch) und eines StoBdampfers(viskos): Feder, E
£ges — ^e + ^visk
StoBdampfer, 77 E
rj
L
Glas bei T
(7.4a)
Feder E = StoBdampfer J\ =
(7.4b) e,t
(7.4c)
1 r £ =<J
^
\E
e• = — E at ^visk
(7.4d)
tiefe Temperatur, elastisch
(7.4e)
hohe Temperatur, viskos fliefiend
(7.4f)
n ^ 20 o=10 21 PaS 728ooo= 102 Pa S a ist umgekehrt proportional dem Elastizitatsmodul E und zeitunabhangig, b umgekehrt proportional der Viskositatskonstante i\. Nach Entspannen einer Probe bleibt nur der Betrag at/rj an plastischer Verformung durch viskoses FlieBen zuriick. Das verschiedenartige Verhalten der Glaser beruht darauf, daB die Konstanten a, b sehr verschiedene
7.5 Anorganische, nichtmetallische Glaser
261
Funktionen der Temperatur sind. a ist sehr wenig temperaturabhangig (Bild 4.3), b sehr stark (4.22). Bei Raumtemperatur betragt die Viskositat eines Fensterglases etwa 1021 Pas, und eine Verformung durch viskoses FlieBen ist nicht nachzuweisen. Wenn bei erhohten Temperaturen die Zahigkeit nur noch < 100 Pas betragt, ist dagegen elastische Verformung nur noch mit Hilfe hochfrequenter Schwingungen festzustellen. Diese Unterschiede der mechanischen Eigenschaften werden ausgeniitzt, indem das Glas im zahfliissigen Zustand verformt wird z. B. durch Blasen oder Walzeh (Kap. 11.2). Verwendet wird es in einem Temperaturbereich, in dem die Verformung durch viskoses FlieBen vernachlassigbar ist. Plastische Verformung, die zeitunabhangig ist, tritt bei keramischen Glas nicht auf. Sie ist an das Vorhandensein einer Kristallstruktur gebunden (Abschn.4.1). Nur in dichtest gepackten Metallen flnden wir Kristallplastizitat bei beliebigen Temperaturen, bei keramischen Kristallen aber nur dicht unterhalb der Schmelztemperatur. Die theoretische Bruchfestigkeit von Glas im Temperaturbereich, in dem viskoses FlieBen vernachlassigt werden kann, ist sehr hoch. Sie betragt etwa E/5. Die wirklichim Biege- oder Druckversuch gemessene Festigkeit ist sehr viel geringer. Die Ursache dafiir sind Spannungskonzentrationen, die in erster Linie von Fehlern in der Oberflache und Mikrorissen ausgehen. Die Wahrscheinlichkeit fur das Auftreten solcher Fehler nimmt mit der GroBe einer Glasprobe zu. Aus diesem Grunde ist die Festigkeit von Glas groBenabhangig. In sehr kurzen Stiicken von dunnen Glasfasern konnte die theoretische Festigkeit annahernd erreicht werden. Derartige Fasern werden zur Verstarkung von Kunststoffen und Metallen in Verbundwerkstoffen verwendet (Abschn. 10.2, Bild 7.9a). Die wichtigsten Eigenschaften der Glaser sind jedoch nicht die mechanischen, sondern die optischen Eigenschaften. Ihre gute Durchsichtigkeit im Bereich des sichtbaren Lichtes ist ein gliicklicher Zufall. Freie Elektronen sind infolge der kovalenten und ionischen Bindung nicht vorhanden. Die gebundenen Elektronen werden erst durch Wellenlange des ultravioletten Lichtes (A < 300 nm) angeregt, so daB dieser Wellenlangenbereich stark geschwacht wird. Nur Kieselglas ist als Folge der festen Bindung des [Si0 4 ] 4 " auch im ultravioletten Bereich noch durchlassig. Auf der anderen Seite des Spektrums tritt starke Absorbtion ultraroter Strahlung auf. Sie ist auf Warmeschwingungen des Glasnetzwerkes zuruckzufuhren, die durch die Strahlung angeregt werden. Zum Beispiel liegt die Wellenlange der durch Anregung der Schwingung der Si-O-Bindung absorbierten Strahlung bei 900 nm. Zur Herstellung farbiger Silikatglaser mischt man bestimmte Ionen zu, von denen Co, Cr, Cu und Mn die kraftigsten Farbwirkungen haben. Die zum Farben benotigten Mengen sind gering. So geniigen 0,15 Gew.-% CoO, urn eine tiefblaue Farbung hervorzurufen. Ein schwieriges Problem bei der Glasherstellung ist es, unerwiinschte Farbung durch Fe 2 + - und Fe 3+ -Ionen zu vermeiden, da Eisen in den meisten Quarzsanden als Verunreinigung vorkommt. Man hilft sich manchmal durch Zusetzen von Ionen, die die Komplementarfarbe hervorrufen. Im Falle von geringer Fe203-Verunreinigung (gelb) fiihrt M n 0 2 (purpur) zur Entfarbung, womit allerdings eine verringerte Durchstrahlbarkeit verbunden ist. Auf jeden Fall muB zur Glasherstellung auBerst reiner Quarzsand verwendet werden. Die Fahigkeit, sichtbares Licht zu brechen, macht Glaser zu Werkstoffen fur optische Linsen. Der Brechungswinkel hangt fast allein von der elektronischen Ladungsdichte im Glas, und damit von der Ordnungszahl der Atome und der Dichte ihrer Packung ab. Glaser, die Schwermetallionen wie Pb 2 + oder Bi 3 + enthalten, haben einen sehr hohen
262
7 Keramische Werkstoffe Bild 7.9b. Aufbau des Strangs Juromer Lack einer Glasfaser fur Lichtleitung zur %$MMMMBMM£M$®Mi^Mi Informationsiibertragung. Si02 mit T Ge02 oder B203-Dotierung 3 Oder 6e02
Brechungsindex. Das als »Bleikristall« bezeichnete Glas ist keineswegs kristallin. Es handelt sich um ein Bleisilikatglas mit sehr hohem Brechungsindex. Ein ahnliches Gefuge wie beim Porzellan versucht man bei den sog. glaskeramischen Werkstoffen auf ganz anderem Wege zu erhalten. Der Ausgangszustand ist eine homogene Glasstruktur. Die Formgebung erfolgt in diesem Zustand als zahe Fltissigkeit. Danach wird das Glas fiir langere Zeit bei einer Temperatur unterhalb der Schmelztemperatur ausgelagert, um Keimbildung einer stabileren Kristallphase zu ermoglichen (Bild 7.6b). Falls eine sehr groBe Zahl solcher Keime entstehen kann, bildet sich nach deren Wachstum ebenfalls ein dichtes Gefuge, das aus kleinen Kristallen besteht, die durch diinne Glasschichten verbunden sind. Die homogene Keimbildung ist in stark vernetzten Glasern aber offensichtlich schwierig. Aus diesem Grunde gibt man zur Glasschmelze Stoffe hinzu, die heterogene Keimbildung ermoglichen. Es handelt sich um Stoffe, die die feste Vernetzung losen, z. B. sehr fein verteilte Edelmetalle, Sulfide, Fluoride. In der Praxis haben Zusatze von Ti02 eine gewisse Bedeutung erlangt. Glaskeramische Werkstoffe konnen vollig durchsichtig sein, wenn die Kristalle sehr klein sind und wenn Kristallund Glasphase einen ahnlichen Brechungsindex haben. Wichtige neue Funktionswerkstoffe sind die Lichtleiter. Sie ersetzen die Kupferleitungen (Abschn. 5.2, 8.1) bei der Ubertragung von Signalen. Die Faden bestehen aus sehr reinem Si02-Glas. Durch Einmischen von GeC>2 oder B2O3 wird ein von der Zylinderoberflache ausgehender Dichtegradient erzeugt. Dies bewirkt Totalreflektion der Lichtwellen in einem weiten Frequenzbereich. Bild 7.9b zeigt den Aufbau eines Kabelstrangs. Verglichen zu Kupferkabeln und elektrischen Signalen vergroBern sich die notwendigen Verstarkerabstande fiir die Informationsiibertragung um das Hundertfache. 7.6 Hydratisierte Silikate, Zement, Beton Beton ist ein Werkstoff, der heute oft mit verachtlichem Unterton genannt wird. Das hat er aber nur verdient, wenn er lieb- und kenntnislos verarbeitet wird. Der Begriff Zement stammt aus dem Lateinischen: opus caementitium. Das Pantheon in Rom wurde aus Beton erbaut. Auch zeigen romische Hafenanlagen eine wichtige Eigenschaft von Beton: Sein Abbinden unter Wasser. Mehrphasige Werkstoffe konnen hergestellt werden durch Entmischungsreaktionen (Abschn. 3.3), Sintern (Abschn. 11.1) und durch Verkleben fester Bestandteile mit Hilfe eines Zements oder Bindemittels. Die Wirkung eines Bindemittels besteht darin, daB es im fliissigen Zustand mit festen Bestandteilen zu einem Brei vermischt wird, so daB eine Formgebung moglich ist. AnschlieBend wird der Zement fest und bindet gleichzeitig iiber die Oberflachen der zugesetzten Bestandteile zu einem festen Aggregat.
7.6 Hydratisierte Silikate, Zement, Beton
263
Es gibt zwei wichtige Gruppen der Bindemittel: die hydraulischen und die polymeren Zemente. Der hydraulische Zement wird mit Wasser gemischt. Er reagiert mit dem Wasser zu einer neuen wasserhaltigen Verbindung (Hydrat), die die umgebenden Oberflachen anderer Stoffe verklebt. Bei polymeren Zementen wird ausgeniitzt, da6 eine zunehmende Vernetzung der Molekiile zur Verfestigung fuhrt und zu Reaktionen mit Oberflachen von Stoffen, die den Zement beriihren (Kap. 9). Die Vernetzung kann durch Katalysatoren oder Bestrahlung herbeigefuhrt werden. Zur Herstellung keramischer Werkstoffe werden bevorzugt hydraulische Bindemittel verwendet, deren wichtigstes der Portlandzement ist. Die Grundlage dafiir bilden Verbindungen der Komponenten CaO, A1203, Si0 2 , ferner Fe 2 0 3 . Die Zustandsdiagramme geben AufschluB iiber giinstige Zusammensetzung und Temperaturen der Warmebehandlung fur die Herstellung dieser Zemente (Bild7.10). Der Zement wird seit etwa 1840 durch Mischen von CaO-reichen und Si02-reichen Mineralien hergestellt. Davor wurde als Bindemittel vorwiegend geloschter Kalk verwendet. Er reagiert mit CO2 aus der Luft gemaB Ca (OH)2 + C0 2 -+ CaC03 + H 2 0 unter Neubildung von Kalziumkarbonat. Kalk ist deshalb kein hydraulisches Bindemittel. Im Gegensatz zum Kalk haben die hydraulischen Zemente den Vorteil, gegen Wasser stabil zu sein. Sie konnen deshalb auch bei feuchter Luft und unter Wasser verwendet werden. Die wichtigsten vier Phasen des Zements sind 3 CaO • Si0 2 Trikalziumsilikat, 2 CaO • Si0 2 Dikalziumsilikat, 3 CaO • A1 203 Trikalziumaluminat und 2 CaO • (A1203; Fe203) Aluminatferrit. Das Trikalziumsilikat fuhrt bei der Hydratation zu schneller stetiger Erhartung bei niedriger Hydratationswarme und ist deshalb eine erwiinschte Phase im Portlandzement. Das Zustandsdiagramm zeigt aber, dafi diese Phase nur zwischen 1250 und 2070 °C stabil ist. Aus diesem Grunde miissen die Ausgangsstoffe bei 1400 bis 1500 °C gebrannt werden. Der dadurch entstehende Zementklinker wird auf eine TeilchengroBe von 0,5 bis 50 um vermahlen, um eine groBe Oberflache des Zements zu erzielen. Der Zement wird mit Wasser vermischt. Die Hydratation erfolgt durch die Oberflache der Zementteilchen, die unter Bildung der Kristalle der Hydratphase aufgelost werden. Beispiele fiir diese Reaktion sind 2 (3 CaO Si02) + 6 H 2 0 -» 3 CaO 2 Si02 3 H 2 0 + 3 Ca(OH)2, 2 (2 CaO Si02) + 4 H 2 0 -> 3 CaO 2 Si02 3 H 2 0 + Ca(OH)2, 3 CaO A1203 + ^ H 2 0 -• 3 CaO A1203 6 H 2 0. Die Reaktion des 3 CaO • Si0 2 erfolgt unter Bildung des Hydrates und Calziumhydroxid. Falls die Zementteilchen geniigend klein sind und der Wasserzusatz ausreicht, verlauft diese Reaktion praktisch vollstandig. Der mikroskopische Ablauf der Reaktion wird in Bild7.11 dargestellt. Bei WasserunterschuB bleibt ein Teil des Zementklinkers unaufgelost. Bei WasseruberschuB bilden sich mit Wasser gefullte Kapillarporen. Mit zunehmendem Mengenverhaltnis Wasser/Zement wird der Zement leichter verarbeitbar. Die erreichbare Festigkeit des Zements nimmt oberhalb eines bestimmten Wassergehaltes ab. Die Losung des Zementklinkers und anschlieBende Neubildung sehr kleiner Hydratkristalle (10 bis 100 nm) fuhrt zur Erhartung des Zements, der im Endzustand als Zementstein bezeichnet wird (Bild 7.12).
264
7 Keramische Werkstoffe
70
80
Gew.% 100 CaO
Bild 7.10. Zustandsschaubild Si02-CaO mit den wichtigsten Zementphasen Beton wird hergestellt aus einem Gemisch von meist naturlichen keramischen Stoffen verschiedenerTeilchengroBe (Kies: 1 bis 10 cm, Sand: 0,1 bis 1 mm, Zement: 0,1 bis 10 um). Ein Gemisch aus Sand und Zement wird als Mortel bezeichnet. Bei den Zuschlagstoffen zum Zement handelt es sich meist um Quarz oder andere silikatische Gesteine (Granit, Basalt) mit ahnlicher Dichte (2 bis 3 g/cm3). Leichtbeton wird dagegen aus Zuschlagstoffen mit geringer Dichte oder geringer Rohdichte hergestellt. Als Zuschlagstoffe kommen deshalb geschaumte Schlacken, Blahtone oder Naturbims infrage, deren Rohdichte unter 1 g/cm3 liegt. Der Grund fur die Mischung von Teilchen verschiedener GroGe ist die Erzielung einer hohen Dichte des Betons (Bild 7.12). Bei dichtester Packung gleichgroBer Kugeln (Abschn. 1.3) ist eine maximale Raumerfiillung von nur 74% zu erreichen. Der Sand fullt die Zwischenraume zwischen dem Kies, der Zement die Zwischenraume der Sandkorner. Es entsteht so ein Gemisch mit hoher Raumfiillung, in dem die Hydratation stattfindet. Es ist anzunehmen, da!3 sowohl Kies- als auch Sandkorner als Orte heterogener Keimbildung (Abschn. 2.3) der Hydratkristalle dienen. Die an diesen Grenzflachen
7.6 Hydratisierte Silikate, Zement, Beton
265 ^***y:-.::::X:::\
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Zement
(T>
O
Wasser/ Silikatlosung
Sand (z.B.SiO,
Hydratkristalle
Bild 7.11 a-c. Schematische Darstellung des »Erstarrens« von Beton. a Gemisch aus Sand, Zement und Wasser. b Teilweise Hydratation des Zements und Verkleben der Sandkorner. c Yollstandige Hydratation und Verkleben der Sandkorner durch die Hydratphase
I aren
3,7cm3 kapillarePoren|
O 5*£
33,5cm3 kapillares Wasser
12cm3 ': gel. Wasser
|
7cm 3 kapillares Wasser
24 cm3 gel. Wasser
-
i
7,4 cm3 kapiltare Poren
CD
E CD
CD
CO
"o •o
30,8 cm3 teste Produkte der Hydration
61,6cm3 teste Produkte der Hydration
-
1
Hydratisierter Zement
CD
0% Hydration
50 % Hydration
100% Hydration
Bild 7.12. Veranderungen des Zement-Wasser-Gemisches wahrend der Hydratation (Volumenanteile)
266
7 Keramische Werkstoffe •10-6 __ Nmm"2 -o
£
2
Bruchstauchung 2,0... 2,5 V.a
ii
c
Nmm -2
Oehnung c
«
70
S
60
~
20 30 40 Nmm- 2 60 Bruchfestigkeit erBo
10
0
r
i
^
A
50 40 '"^\
/
30
1
\ \
20
a0,1
0,3
0,5 0,7 0,9 1,1 1.3 Verhaltnis Wosser zu Zement
1,5
Bild 7.13 a-d. Mechanische Eigenschaften von Beton. a Der 2s-Modul ist nicht unabhangig von der Spannung. b Unter konstanter Druckspannung kommt die Formanderung zustande, durch elastische Formanderung, Kriechen und Volumenkontraktion beim Austrocken. c Mit zunehmendem EModul nirnmt die Bruchfestigkeit ebenfalls zu. d Druckfestigkeit von Beton mit verschiedener Normenfestigkeit, abhangig vom Verhaltnis Wasser-Zement
gebildeten Kristalle wachsen schlieBlich zusammen und fiihren zum Verkleben von Sand und Kies. Kennzeichnend fur die mechanische Eigenschaft des Betons ist eine hohe Druck- und eine geringe Zugfestigkeit. Der Grund dafiir ist die fehiende Moglichkeit des Abbaus von Spannungsspitzen durch Kristallplastizitat. Der Bruch geht oft von der meist rohen Oberflache des Betons aus. Wasserhaltige Poren im Inneren sind weitere Orte, an denen Bruchbildung beginnen kann. Nur durch Zugspannungen werden diese Risse geoffnet, wahrend unter Druck die Bruchbildung bei sehr viel hoheren Spannungen durch Schubspannuhgen hervorgerufen wird, d. h. die Bruchflachen liegen etwa unter 45 ° zur Spannungsrichtung (Abschn. 4.4). Aufgrund der groBen Abmessungen der Gefugebestandteile des Betons muB die Priifung auch an Proben mit entsprechenden Abmessungen durchgefuhrt werden. Die Druckfestigkeit wird ublicherweise an Wiirfeln mit 20 cm Kantenlange gepriift. Die KorngroBe darf dabei 4 cm nicht iiberschreiten. Die genormte Druckfestigkeit wird 28 Tage nach Beginn des Erstarrens des Betons gemessen.
7.6 Hydratisierte Silikate, Zement, Beton
267
10 Nmm"2
—m • —•— — • — H
J/1
k
-10
/
1
^-20
I
"-30
1
<
/
I
-40
Bild7.14. Druckfestigkeit von Beton unter zweiachsiger Spannung. Unter Zugspannung ist die Festigkeit sehr gering
/
-50 £.
\ / .X-•— -50
Druck
l Jruchfestigkeit
./ -40
-30 -20 Spannung
-10
ON mm'210
Bild 7.15 a und b. Zur Priifung von Zement und Beton dient der Druck- oder Biegeversuch. Im Zugversuch bestimmt Kerbwirkung der Mikrorisse und Poren die geringe Festigkeit. Unter Druck erfolgt der Bruch in der Ebene groBter Schubspannung (a), beim Biegeversuch beginnt der Bruch in der Oberflache mit Zugspannung (b)
268
7 Keramische Werkstoffe
Einige mechanische Eigenschaften des Betons sind in Bild7.13 dargestellt. Die Reaktionsgeschwindigkeit kann durch KorngroBe und Zusammensetzung des Zements und durch die Temperatur beeinfluBt werden. Da die reine Zugfestigkeit des Betons schwierig zu bestimmen ist, wird auBer der Druckfestigkeit die Biegefestigkeit haufig gemessen. Diese Priifung entspricht auch der Beanspruchung, welcher der Beton in vielen Bauwerken ausgesetzt ist (Bilder 7.14 bis 7.15). Beton besitzt keinen konstanten Elastizitatsmodul unterhalb der Streckgrenze wie z. B. Stahl (Abschn. 8.5). Das Verhalten von Beton unter kontinuierlich zunehmender und unter konstanter Last ist in Bild7.13a und b dargestellt. Neben der elastischen Verformung findet man eine geringe viskoelastische Verformung und eine Formanderung durch viskoses FlieBen (Abschn. 4.7), die als Kriechen bezeichnet wird. Letztere ist wahrscheinlich durch nichtkristalline Anteile und durch die Korn- und Phasengrenze der kleinen Hydratkristalle verursacht. Eine weitere nicht von auBeren Spannungen abhangige Formanderung ist das Schwinden und Quellen. Beim Austrocknen an Luft schwindet der Beton, wahrend er beim Erharten unter Wasser quillt. Es handelt sich dabei um Formanderungen in der GroBenordnung von 0,5%. Das Schwinden des Betons beim Trocknen kann durch einen Zusatz von CaS0 4 kompensiert werden. Dann bildet sich ein neues, sehr wasserhaltiges Hydrat. Quellen und Schwinden erfolgen aber nicht gleichzeitig, so dafi die Kompensation der Volumenanderung erst im Endstadium eireicht wird. Eine weitere physikalische Eigenschaft von groBer praktischer Bedeutung ist die Warmeausdehnungszahl (Abschn. 5.6). Sie ist im wesentlichen durch die Zuschlagstoffe bestimmt und liegt zwischen (8 und 14) • 10~6 K _1 . Das entspricht einer Dehnung von 0,01 mm K~1 m _1 . Auf die Bedeutung des Warmeausdehnungskoeffizienten wird im Zusammenhang mit dem Stahlbeton (Abschn. 10.3) nochmals eingegangen.
8 Metallische Werkstoffe
8.1 Allgemeine Kennzeichnung Die metallischen Werkstoffe bilden die wichtigste Gruppe der Strukturwerkstoffe, d.h. der Werkstoffe, bei denen es yor allem auf die mechanischen Eigenschaften (Kap.4) ankommt. Kennzeichnend fur Metalle ist, daB sich ein Teil ihrer Elektronen unabhangig von den Atomrumpfen bewegen konnen. Die Folge davon ist die hohe Reflektionsfahigkeit fur Licht, elektrische und thermische Leitfahigkeit und ihre Neigung, in dichtesten Kugelpackungen zu kristallisieren. Diese dichtest gepackten Kristalle konnen auch bei tiefen Temperaturen plastisch verformt werden. Metalle sind deshalb die einzige Werkstoffgruppe, die zwischen OK und der Schmelztemperatur plastisch und bruchzah sein kann. Demgegenuber sind keramische Kristalle nur dicht unterhalb der Schmelztemperatur geringfiigig plastisch. Anorganische und organische Glasstrukturen sind ebenfalls nur bei erhohten Temperaturen durch viskoses FlieBen plastisch zu verformen. Es liegt in der Natur aller nichtmetallischen Stoffe, daB sie wegen geringer Beweglichkeit von Versetzungen oder hoher Viskositat rj bei tiefer Temperatur sprode werden. Dies ist ein Grund fur die bevorzugte Stellung der Metalle unter den Werkstoffen. Eine Einschrankung ist allerdings zu machen fur die kubisch-raumzentrierten Obergangselemente der Gruppen IV bis VIII einschlieBlich des a-Eisens. Ihre nichtdichtest gepackte Struktur (Koordinationszahl 8) kommt wahrscheinlich durch einen kovalenten Bindungsanteil zustande. Sie zeigen leider auch alle einen Ubergang zu sprodem Verhalten bei tiefen Temperaturen unterhalb ~ 0,3 7^. Dieser (Jbergang ist von groBer praktischer Bedeutung, da er z. B. die Verwendungstemperatur von Stahlen einschrankt. Die gute plastische Verformbarkeit erklart noch nicht, wie die hohe Festigkeit zustande kommt, die von vielen metallischen Werkstoffen erwartet wird. Reine Metalle spielen als Konstruktionswerkstoffe keine Rolle. Sie besitzen Streckgrenzen, die zwischen etwa 10 ~2 Nmm - 2 (Al, Cu, Au) und 10 Nmm~2 (reinstes Eisen) liegen*. Konstruktionswerkstoffe sollten aber Streckgrenzen tiber 200 Nmm"2 besitzen Die heute verwendeten Baustahle liegen zwischen 250 und 1500 Nmm -2 , die Eisenlegierungen mit hochster Festigkeit bei 3000 Nmm"2. Mit Aluminiumlegierungen lassen sich zwar nur etwa 700 Nmm"2 erreichen, doch muB diese Streckgrenze fur viele Anwendungen auf das Werkstoffgewicht bezogen werden. Daraus lassen sich dann viele Anwendungsmoglichkeiten des Aluminiums ableiten. In keinem Werkstoff, bei dem die mechanischen Eigenschaften eine Rolle spielen, kann man es sich erlauben, ein reines und defektfreies Metall zu verwenden. Metallische * 1 Nmm 2 = 1 MNm-2 — 1 MPa, alle diese Einheiten sind zur Angabe von Streckgrenze und Zugfestigkeit der Metalle iiblich. Fur ^moduli wird oft GPa benutzt.
270
8 Metallische Werkstoffe
Werkstoffe sind immer Legierungen, die meist auch eine groBe Zahl Gitterbaufehler enthalten. Aus den Mechanismen ihrer Hartung ergibt sich eine Einteilung der metallischen Werkstoffe, die im folgenden beniitzt wird. Grundsatzlich alle Metaile konnen durch Baufehler gehartet werden. Das geschieht einmal durch hohe Dichte von Korngrenzen (4.16), Beispiel: Feinkomstahle) oder durch eine hohe Dichte von Versetzungen, die meist durch Kaltverformung eingebracht werden (Beispiel: Klaviersaitendrahte Fe + 1 Gew.-% C, 95% kaltverformt). Die weiteren Moglichkeiten sind: Mischkristallhartung (Beispiel: a-Messing, Cu-Zn-Legierungen), Teilchenh£rtung (Beispiel: Al-Cu-Mg-Legierungen), Hartung durch martensitische Umwandlung (Beispiel: Stahle) sowie Hartung durch Ausnutzen der Anisotropic (Texturhartung, Faserverstarkung). Die Hartung durch martensitische Umwandlung spielt beim Stahl eine wichtige Rolle. Sie kommt durch kombinierte Wirkung von durch die Umwandlung entstandenen Gitterbaufehlern und starker Mischkristallhartung durch Kohlenstoff im a-Eisen zustande. Andere kombinierte Hartungsmechanismen konnen durch thermomechanische Behandlungen erreicht werden, z. B. durch Verfestigen mittels Kaltverformung uad anschlieBende Erwarmung zur Erzeugung von Ausscheidungen fur die Teilchenhartung. Fiir die hier gebrauchte Einteilung der metallischen Werkstoffe war der Gefiigeaufbau hinsichtlich ihrer Hartungsmechanismen entscheidend.
8.2 Reine Metaile, elektrische Letter Reine Metaile werden nie verwendet, wenn es primar auf die mechanischen Eigenschaften an kommt. Die Anwendung reinster Metaile ist erforderlich fiir elektrische Leitungsdrahte aus Kupfer, Aluminium oder Silber (Abschn. 5.2). Die daraus folgende geringe Festigkeit fuhrt zu Schwierigkeiten bei Freileitungen und hohem VerschleiB von Kontakten. Da die Zugfestigkeit groBer sein muB als die durch das Werkstoffgewicht hervorgerufene Spannung, benutzt man haufig Verbundwerkstoffe (gute Leitfahigkeit und hohe Zugfestigkeit, Bild 5.8, Kap. 10). In Bild 8.1 wird die Leitfahigkeit und Streckgrenze von Mischkristallen schematisch gezeigt. Es geht daraus hervor, daB fur beide Eigenschaften in einer Phase nicht die giinstigsten Werte erhalten werden konnen, sondern daB das Optimum (Rp/g -» max) durch reine Metaile mit dispergierten harten Phasen erreicht wird. Die zweite Gruppe der Metaile, die in reiner Form verwendet werden, sind die hochschmelzenden krz-Metalle, die in Bild 8.2 angegeben sind. Es handelt sich urn Hochtemperaturwerkstoffe. Am bekanntesten ist die Verwendung von Wolfram in Gliihbirnen. Andere Anwendungen sind z. B. Austrittsdusen von Raketen oder Heizstabe fiir Hochtemperaturofen. Ihre Verwendung beruht auf ihrem hohen Schmelzpunkt, kombiniert mit hoher elektrischer und thermischer Leitfahigkeit. Bei der Besprechung der thermisch aktivierten Prozesse (Kap. 3) war erwahnt worden, daB deren Geschwindigkeit in verschiedenen reinen Stoffen bei den auf ihre Schmelztemperatur bezogenen Temperaturen gleich schnell ablaufen. Aquivalente Temperaturen, bei denen thermisch aktivierte Prozesse sehr langsam ablaufen (0,3 T^ = T), liegen fur Blei bei -70°C, fur a-Eisen bei +300°C und fur Wolfram bei +1400°C (Bild 4.13). Wegen des hohen Schmelzpunktes von Wolfram ist dessen Herstellung als kompakter Werkstoff nicht einfach. Man erhalt es zunachst als Pulver durch Reduktion von WOi.
271
8.2 Reine Metalle, elektrische Leiter
Zustandsdiagramm
elektr. Widerstand Q
Streckgrenze /?p
A
C
Mischkristalt
Phasengemisch Ni
z.B.: Cu
200
500
Al
Si
10000
1000 1500 2000 3000 4000
H
^
PTFE
Al
Bild 8.1. Verlauf des elektrischen Widerstands Q und der Streckgrenze cxs fur den Fall, daB die Atomarten A und B vollstandig mischbar oder unmischbar sind
i r r Nb[. Ta ] C Fe Pt Mo
IKolbenmotor" iTurbinenmoton iStrahltriebwerk IRakete
°C
20000
—r—J
r—'
Sonnenoberfltiche
Plasmatron
n
1 Ionenmotor
Oxide - 4 [
J Q I l ^ + h b c h s t s c h m e l z e n d e Metalle n-andere keramische Verbindungen 4000°C
1500°C
1500
2000
SiO2
Al 2 0 3
nichtoxidische Keramik I
MoSi7
3000
2500
reine Metalle u. Graphit|
3500 °C 4000
|
Nb Mo Ta I I I BeO Zr02 MgO Th02
HZE WC TaB7 TIC NbC
TaC/HfC
Bild 8.2. a Die als Hochtemperaturwerkstoffe geeigneten Phasen. b Schmelztemperatur TM der Obergangsmetalle der IV., V. und VI. Periode
272
8 Metallische Werkstoffe
Dann muB ein modifiziertes Sinterverfahren angewandt werden, da eine Herstellung aus dem fliissigen Zustand (Abschn. 11.1) zu schwierig ist. Das Sinterverfahren besteht aus zwei Schritten: erstens Pressen und Sintern von Stangen, die noch einen hohen Gehalt an Poren aufweisen, und zweitens Warmverformung der Stangen zur weiteren Verdichtung, bevorzugt durch Rundhammern. Es entsteht ein Halbzeug, das dann z. B. durch Drahtziehen weiter verformt werden kann. In Wirklichkeit ist Wolfram, das bei hochsten Temperaturen verwendet werden soil, jedoch kein reines Metall. Es enthalt als zweite Phase kleine Teilchen von sehr hochschmelzenden keramischen Kristallen, bevorzugt T h 0 2 . Bei Verwendungstemperaturen von etwa 2000 °C sind namlich auch im Wolfram die Korngrenzen schon gut beweglich. Das dann auftretende Kornwachstum fiihrt zu ortlicher Querschnittsanderung und damit zu leichterem Durchbrennen der Drahte. Die keramischen Teilchen dienen dazu, die Korngrenzen festzuhalten, da sonst ungehindertes Kornwachstum nach folgendem Gesetz auftritt (Abschn. 3.2 und 3.3): 4CG~(IW)V2
(8.1a)
mit Z>KG als Korngrenzendiffusionskoeffizient t als Gliihzeit und dKG als Korndurchmesser. Es gibt fur einen bestimmten Volumenanteil fT der Teilchen einen bestimmten Durchmesser d^ den diese nicht uberschreiten diirfen, wenn ein Gefiige mit einer KorngroBe dKG stabilisiert werden soil: ^ ^
K G
^ m i n .
(8.1b)
Das Gefiige eines Wolfram-Gliihdrahtes ist in Bild 8.3 schematisch dargestellt worden. Das Metall Thorium hat noch eine weitere Wirkung: Es erniedrigt in der Drahtoberflache die Energie, die notwendig fiir den Austritt von Elektronen ist. Dies ist von Bedeutung, wenn Wolfram fiir Gliihkathoden verwendet wird.
Bild 8.3, Gefiige eines Gliihfadens. Die Korngrenzen des Wolframs werden durch eine Dispersion hochschmelzender keramischer Teilchen (Th0 2 ) an der Bewegung gehindert
8.3 Mischkristalle, Messing, Bronzen Bei maBigen Anspriichen an die Festigkeit konnen metallische Werkstoffe verwendet werden, die aus homogenen Mischkristallen aufgebaut sind. Ein Beispiel liefern dafur die als a-Messing (Zn) oder «-Bronze (Sn, Al) bezeichneten Kupferlegierungen. Sie finden Verwendung, wenn hohe Umformfahigkeit (Kap.4, 11.3) und Leitfahigkeit gefordert wird (Fassungen von Gluhlampen). Die Streckgrenze ergibt sich aus denjenigen des reinen Metalls a 0 plus dem Beitrag der Mischkristallhartung (fiir eine bestimmte KorngroBe): # P - O - 0 + ACTM.
273
8.3 Mischkristalle, Messing, Bronzen
Die Mischkristallhartung ACTM ist eine Funktion der Zusammensetzung cB und der speziflschen Hartungswirkung der gelosten Atomart B. Der Faktor (l/r A ) (dr/dc B ) (relativer Atomradienunterschied) ist fur Eisen und Kohlenstoff groB, fur Kupfer und Zink verhaltnismaBig gering (rCu = 0,256 nm; rZn = 0,266 nm). Allgemein gilt A
°™ = 7" T~
Gc 2
(8 2b)
»'
'
Wichtig ist fur die Messing- und Bronzelegierungen sowie austenitische Stahle, daB der Verfestigungskoefflzient und -exponent und damit die Zugfestigkeit der Mischkristalle mit der abnehmeriden Stapelfehlerenergie ySF steigt (Bild 4.5): da &
1 YSF
.
(8.2 c)
Die a-Messing-Mischkristalle zeichnen sich deshalb durch eine relativ geringe Streckgrenze bei stark erhohter Verfestigungsfahigkeit aus (Abschn. 1.4 und 3.2, Tab. 8.1). Tabelle8.1. Zugfestigkeit von Kupfer-Zink-Legierungen (Gew.-% Zn, Rest Cu)
Cu CuZn 10 CuZn 20 CuZn 30 CuZn 37 CuZn 40 CuZn 42 CuZn 46
Zugfestigkeit Rm Nmm~2
Phasen
Stapelfehlerenergie /SF 10 3 Jm- 2
Tiefziehfahigkeit
150 250 270 290 300 350 400 550
a a a a a
100 ±50 25 10 7* 6*
+ ++ ++ +++ +++ — _ —
a+p a+p
P
-
* Stapelfehlerenergie, vergleichbar mit chemisch bestandigen austenitischen Stahlen Andere Mischkristalle wie die des a-Eisens und Aluminiums zeigen diesen Effekt nicht, da die Versetzungen sich anders verhalten. Sie zeigen eine vorwiegend vom AtomgroBenunterschied abhangige Erhohung der Streckgrenze bei gleichbleibender Verfestigung. Als Beispiele fiir die Mischkristallwerkstoffe sollen in erster Linie die Legierungen auf der Basis Kupfer dienen. Die wichtigsten sind die Kupfer-Zink-Legierungen (Messinge) (Bilder 8.4 bis 8.6), gefolgt von den Kupfer-Zinn-Legierungen (Zinnbronzen) und den Kupfer-Aluminium-Legierungen (Aluminiumbronzen). Das Zustandsdiagramm Cu-Zn zeigt an, daB die Loslichkeit fiir Zink in Kupfer sehr groB ist. Sie reicht bis gegen 37 Gew.-%. Werkstoffe, die aus diesen kfz-Mischkristallen aufgebaut sind, werden als aKupfer-Zink-Legierungen (a-Kupfer-Zink-Legierungen, a-Messinge) bezeichnet. Die a-Kupfer-Zink-Legierung mit dem hochstmoglichen Zinkgehalt laBt sich noch sehr gut bei Raumtemperatur plastisch verformen (Tab. 8.1). Besonders hervorgehoben sei die gute Eignung zum Tiefziehen. Zur Vermeidung der Zipfelbildung sollten die Texturen in der Blechebene annahernd isotrop sein. Nach starkerer Kaltwalzung stellt sich eine immer ausgepragtere Textur mit Zipfelbildung unter 45 ° zur Walzrichtung ein. Bei der Rekristallisation stark verformten Materials bildet sich bevorzugt die Wtirfellage mit Zipfelbildung unter 0° und 90° zur Walzrichtung aus. Durch Abstimmung von Umformgrad, Zwischen- und Endgluhtemperatur laBt sich »zipfelfreies« Blech erzielen (Bild 4.32).
274
8 Metallische Werkstoffe
Bild 8.4 a
Bild 8.4 a-c. Zustandsdiagramm. a Cu-Zn, mit a-Messing und /J-Messing b (S. 215) Ti-Al, a-Ti-Mischkristalle (hexagonal) c (S. 216) TVMo, Stabilisierung der /S-Ti-Mischkristalle (krz)
Zu beachten ist auch die KorngroBe, die nicht nur Tiefziehfahigkeit und Eignung zur Weiterverarbeitung (grobes Korn ist besser tiefziehbar, fuhrt aber zu rauher Oberflache), sondern zudem die Entstehung der Wiirfellage beeinfluflt. AuBer der Verfestigung durch Baufehler (feines Korn, mechanische Verfestigung) gibt es keine weitere Moglichkeit, a-Messing zu harten. Falls hohere Festigkeit gewiinscht wird, kann der Zinkgehalt weiter erhoht werden. Man gelangt dann in das Zustandsgebiet des a + P-Messing und schliefilich ins Gebiet des P-Messing. Diese Phase hat eine geordnete krz-Kristallstruktur. Da es schwierig ist, diese intermetallische Verbindung bei Raumtemperatur zu verformen, muB man vielmehr zu erhohter Verformungstemperatur ubergehen. Haufig wird eine Legierung verwendet, die nach dem Abkuhlen aus je 50% a- und p-Messing besteht (Bild 2.3b). Diese Legierung hat etwa 58 Gew.-% Cu (Cu 58 Zn). Wegen ihres Anteils an P-Messing muB auch diese Legierung bei erhohter Temperatur umgeformt werden. Um giinstige mechanische Eigenschaften zu erzielen strebt man ein isotropes feinkorniges Phasengemisch an. Aus fertigungstechnischen Grunden ist manchmal eine gute Zerspanbarkeit (Abschn. 11.4) auch auf Kosten anderer mechanischer Eigenschaften erwunscht. Kupfer-Zink-Legierungen werden durch den Zusatz von 1 bis 3% Blei leicht zerspanbar. Die im a-Mischkristall praktisch unlosbaren feinen Bleitropfchen erleichtern die Zerspanung und erhohen die Spanbriichigkeit. Da reine a-Kupfer-Zink-Legierungen mit Bleizusatz schlecht warmumformbar sind (warmsprode), mit ausreichendem p-Gehalt dagegen gut warmumgeformt werden konnen, sind Zerspanungslegierungen in der Regel a + p-Kupfer-Zink-Legie-
8.3 Mischkristalle, Messing, Bronzen
2 4 6 8 10
15
I
1
1800 I ' ' °C
1
1
275 30 r—
20 1
40
50
_.._j
1 '
70 Gew.-% 90
pi
i
r1
1
1720°C
*
1700
^
;CC
^
•V
1600
f
^ \
H60°C
^N
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1500
1400
/» 1300
A (2
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1
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48,5
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3 1200
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j
* 1100
I
1000
II
cc 882°C
900
49,5
36,5 1 (24.5)1
I
!
I
(35,5)
800 665°C
700
600
Bild 8.4b
I I I L
| 660°C
U
70
(Al)-J 90 A t . - % 100
500
rungen. Klassischer WerkstofF fur Drehautomaten ist CuZn39Pb3 (rruher Ms58), das gegen 50% p-Anteil enthalt. Hoheren Anforderungen an Zahigkeit oder Warmumformbarkeit entsprechen Zerspanungslegierungen mit geringerem P-Anteil. In Abhangigkeit von Art und Menge des Legierungsmetalls sind Kupferlegierungen (vor allem Cu-Zn-Legierungen) im Kontakt mit Stickstoffverbindungen (Ammoniak, nitrose Gase) oder in quecksilberhaltiger Umgebung mehr oder weniger stark spannungsriB-korrosionsempflndlich. Diese Empfindlichkeit ist auf innere Spannungen, die ebene Versetzungsverteilung im Mischkristall als Folge niedriger Stapelfehlerenergie zuruckzufuhren. Das ahnliche Verhalten der austenitischen rostfreien Stahle hat die gleiche Ursache. a-Kupfer-Zinn-Legierungen und a-Kupfer-Aluminium-Legierungen besitzen sehr ahnliche Eigenschaften wie a-Kupfer-Zink-Legierungen. Die Moglichkeit, einzelne der
276
8 Metallische Werkstoffe Mo10 20
2800 °C
I
1
30
40
l
1
50
60
70
1
l
1
90
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i
1
~2625°C
2600
2400
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^
2200
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2000
, < / <** / '
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1800 5
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P*1660°C
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L1600
1400
1 1 oeine-Phase x zwei - Phasen
|s^882°C |x
xV O
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1000
1 V \ la
900
P vc+p
1 10
20
15
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25 % 30
Mo
0 Ti
10
20
30
40
50
60
70
80
90At.-%100 Bild8.4c
Mo
Legierungen in der |3-Phase mit krz-Struktur ahnlich wie Stahl durch martensitische krz/ kfz- oder bainitische Umwandlungen zu harten, wird fur Werkzeuge der Umformtechnik gelegentlich ausgenutzt. Dagegen finden besonders P-CuZnAl-Legierungen als Werkstoffe mit Formgedachtnis (Abschn. 5.8) zunehmend Verwendung. Sie zeigen eine martensitische Umwandlung der geordneten p-Phase bei Raumtemperatur. Vom klassischen RaffinadeprozeB her enthalten hochleitfahige Kupfersorten Restmengen von Sauerstoff (0,04% oder weniger). Wird er durch Phosphordesoxydation entfernt, biiBt das Kupfer einen wesentlichen Teil seiner elektrischen Leitfahigkeit ein, so daB fiir Leiterzwecke von einer solchen Behandlung abgesehen wird. Falls nun bei erhohter Temperatur in ausreichend wasserstoffhaltiger Umgebung (reduzierende Schweifibrennerflamme, Blankgluhofenatmosphare) Wasserstoff in das Kupfer hineindiffundieren kann, findet eine Reaktion 2H + Cu 2 0 = H 2 0 + 2Cu
277
8.3 Mischkristalle, Messing, Bronzen
statt. Durch den Druck des im Innern gebildeten Wasserdampfs entstehen Risse. Die damit verbundene Versprodung wird als Wasserstoffkrankheit bezeichnet. Nickel ist in Kupfer unter Bildung eines homogenen Misch-Kristalls in jeder Proportion loslich (d. h. auch Kupfer in Nickel). Die Kupfer-Nickel-Legierungen zeichnen sich nebst einer dem Legierungsgehalt entsprechend erhohten Zugfestigkeit durch gute Meerwasser-Korrosionsbestandigkeit (insbesondere mit geringen Zusatzen von Eisen oder Mangan) aus. Die wichtigsten Titanlegierungen sind ebenfalls aus zwei Mischkristallphasen aufgebaut. Ihre Bedeutung beruht auf zwei besonderen Merkmalen. Erstens handelt es sich
10
1700 °C
1
1600
1500
20
30
40
\\
II
ii
Si— 1.0
0.5
700 j
50 I
60 I
1
70
'i
- 577°C I
1400 J
500
1300
400 I
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600
660°C
\ J(AI)
N
577°C "1 11.3
S7 — I
500
400 0 Al
10
20
30
40
50
60
[
70
90At.-%100
Si-
Bild 8.5 a u. b. Zustandsdiagramme von Legierungen mit geringer Mischkristallbildung. a Al-Si, die Gufilegierung Silumin, hat eutektische Zusammensetzung, Si-Ausscheidung aus Al-Kristallen ist moglich. (Bild 8.7)
8 Metallische Werkstoffe
278 1600 °C 1550
\lL
tFe + 1 Pb
15Z7°C
1500
1450 fpb +
:
e
1400 5 3
L 450 400 327°C
350 300
Pb + F"e
250 200
0 Fe
10
20
30
40
50
60
70
90At.-%100
Pb
Bild 8.5 c. Pb-Fe, keine Mischbarkeit von fliissigem Blei und festem Eisen, macht Eisen als Tiegelmaterial fUr Blei geeignet, das Gleiche gilt fur Fe-Mg
beim Titan um ein verhaltnismaBig leichtes Metall (^ = 4,5 gem" 3 , ga.Fe = 7,83 gem - 3 ) mit hoher Schmelztemperatur (Bild 8.2). Zweitens kann mit Ti-Legierungen ein hohes Verhaltnis Festigkeit zu Dichte erreicht werden, wenn das Titan durch weitere Legierungselemente gehartet wird. Titan ist auBerdem sehr korrosionsbestandig, da es in nicht zu stark reduzierenden Medien zu Passivierung neigt (Kap. 6). Diese Eigenschaft kann durch Legierungselemente wie Mo noch gesteigert werden. Da Titan auch in der Erdrinde verhaltnismaBig haufig vorkommt, ist bei den Titanlegierungen eine starke Zunahme der Anwendung zu erwarten. Die Titanlegierungen konnen nach den Kristallstrukturen ihrer Mischkristallphasen in a-(hdP), |3-(krz), (a + (P)-Legierungen unterteilt werden (Bild 8.4). Die Legierungselemente lassen sich unterscheiden je nachdem, ob sie das a-Gebiet (Beispiel Ti-Al) oder das (3-Gebiet (Beispiel Ti-Mo) ausweiten. Die Ti-Al-Legierungen sind sowohl bei hohen (bis zu 540 °C) als auch bei sehr tiefen Temperaturen zu verwenden, da die hdPkrz-Umwandlung nur bei hohen Temperaturen auftritt. Die /?-Legierungen zeichnen sich durch besonders hohe Festigkeit aus. Die technische Legierung mit der bisher hochsten Zugfestigkeit von etwa 1500 Nmm" 2 besteht aus Ti, das durch 11 Gew.-% Mo in den (3Zustand gebracht wird. Sie enthalt auBerdem noch 5,5 Gew.-% Zr und 4,5 Gew.-% Sn. Eine weitere Erhohung der Festigkeit von Titanlegierungen wird mittels Ausscheidungshartung durch metastabile intermetallische Verbindungen erreicht. Gegenwartig werden
8.3 Mischkristalle, Messing, Bronzen
279 1500 °C 1000 1
V
T
y
500
cc &
1
0
\
-50
\ Bild 8.6. Zustandsschaubild von Fe-Ni-Legierungen mit 18 Gew.-% Cr. Austenitischer rostfreier Stahl (18 Gew.-% Cr, 8 Gew.-% Ni) ist eine metastabile Phase, die bei tiefen Temperaturen martensitisch umwandelt
-150
\ 0
4
8 Ni-
1.0 1.2 Ni-" 1.4
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if*
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°c 500
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Gew.-% 16 -
o,
1.6 1.8
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\\
CuT 0
•
/
[Li
2.4
- 200
\\
Mg
At.-% 102
Al-
BUd 8.7. Loslichkeit verschiedener Elemente in Aluminium neue, leichte Hochtemperaturwerkstoffe auf der Grundlage von intermetallischen Verbindungen (TiAl, Al3Ti) entwickelt. Sie verbinden ein geringes spezifisches Gewicht mit hoher Warmfestigkeit (Bild 8.4 b). Werkstoffe auf der Basis Aluminium sind fast nie homogene Mischkristalle. Schon das technische Reinaluminium mit 99,5% Al enthalt Eisen und Silizium, die in Verbindungen als zweite Phasen vorliegen. Nur in den Al-Mg-Legierungen wird allein die Mischkristallhartung ausgeniitzt. Die Loslichkeiten einiger Legierungselemente im Aluminium werden in Bild 8.7 zusammengestellt. Al-Mg-Legierungen zeigen bis zu etwa 5 Gew.-% Mg keine Ausscheidung. Durch zusatzliches Losen von etwa 1 Gew.-% Mn kann die Mischkristallhartung weiter gesteigert werden. So erhalt man eine Legierung mit einer Streckgrenze von 120 N m m - 2 , die durch mechanische Verfestigung noch etwa
8 Metallische Werkstoffe
280
auf das Doppelte gesteigert werden kann (AlMg 4,5 Mn). Diese Aluminiumlegierungen werden auch wegen ihrer chemischen Bestandigkeit gern verwendet (Meerwasserlegierung). Die anomal gute chemische Bestandigkeit von Aluminium trotz ungiinstiger Position seines Elektrodenpotentials beruht auf Bildung einer festhaftenden, dichten Passivierungsschicht (Abschn. 6.2). Sie wird im Zusammenhang mit den aushartbaren Aluminiumlegierungen im nachsten Abschnitt nochmals erwahnt. Es gibt eine natiirliche Grenze der Mischkristallhartung. Im allgemeinen ist namlich die Loslichkeit eines Elements in einer Kristallstruktur dann gering, wenn dieses Element eine hohe spezifische Hartungswirkung ausiibt (8.2). Aus diesem Grund ist die Bedeutung der reinen Mischkristall-Werkstoffe nicht besonders groB. Die beiden wichtigsten Gruppen der metallischen Werkstoffe, die Aluminiumlegierungen und die Stahle, sind fast immer aus zwei oder mehreren Kristallarten zusammengesetzt. 8.4 Ausscheidungshartung, A1-, Ni-Legierungen Die Ausscheidungshartung ist die wichtigste Methode zur Hartung von Legierungen. Sie beruht darauf, da8 in einem Grundgitter in sehr fein verteilter Form eine zweite Phase ausgeschieden wird. Diese Teilchen wirken als Hindernisse der Bewegung von Versetzungen (Bild 8.8). Die Streckgrenze setzt sich (bei gegebener KorngroBe) zusammen aus dem Beitrag des Mischkristalls, der die Grundmasse bildet, und der Teilchenhartung (8.3 a); Die maximal erreichbare Erhohung der Festigkeit ACFT wird dann erreicht, wenn die Versetzungen von den Teilchen gezwungen werden, sich zu Halbkreisen durchzubiegen und die Teilchen zu umgehen: Gb GbfA /0~ , A<7r= — = —f~, (8.3 a) or #r ^P = cro + A(JM + AcrT (8.3 b) mit G als Schubmodul des Grundgitters und b als Burgers-Vektor oder kleinstem Atomabstand. Aus dieser Beziehung ist zu erkennen, daB bei Volumenteilen/von 0,1 bis 10% sehr kleine Abstande der Teilchen ST oder des Teilchendurchmessers d? notwendig sind, um eine hohe Streckgrenze zu erreichen. Derartige feinverteilte Teilchen sind durch Ausscheidung besonders bei homogener Keimbildung zu erhalten. Alle ausscheidungshartbaren Legierungen zeichnen sich deshalb durch eine mit abnehmender Temperatur abnehmende Loslichkeit aus. Fur Aluminiumlegierungen ist der Temperaturverlauf der Loslichkeit fur einige Legierungen in Bild 8.7 angegeben worden. Die MaBnahmen, die zum Herbeifuhren der Ausscheidungshartung notwendig sind, konnen am besten anhand eines Zustandsdiagramms einer solchen Legierung erklart werden (Bilder 8.9 und 8.10). 1. Homogenisieren. Die Legierung wird bis zu einer Temperatur oberhalb der Loslichkeitslinie aufgeheizt und dort so lange gehalten, bis ein stabiler homogener Mischkristall entstanden ist. AnschlieBend wird sie so schnell wie notwendig abgekuhlt, um bei Raumtemperatur einen homogenen Mischkristall zu erhalten, der dann eingefroren ist. 2. Auslagern. Dieser Mischkristall wird auf eine erhohte Temperatur gebracht, bei der Diffusionsprozesse in Richtung auf das stabile Gleichgewicht langsam ablaufen. Die giinstigste Temperatur dafiir liegt bei 0,3 bis 0,5 7^, d. h. bei Aluminiumlegierungen A
8.4 Ausscheidungshartung, A1-, Ni-Legierungen
0
0,1
nm 10 c
281
0,2
0,3
6
4
0,4
3
0,5 1/
0,6
2
0,7
1,5
0,8
0,9
nm"1 1,1
1,0
dj
Bild 8.8. a Behinderung der Bewegung von Versetzungslinien (Abschn. 4.2) durch Teilchen in ausscheidungsgeharteten Legierungen b Die Teilchen werden durch die Versetzungen entweder abgeschert oder umgangen. c Berechnete Erhohung der Streckgrenze von a-Eisen Ao^, abhangig von Teilchendurchmesser df und fur verschiedene Volumenanteile (/in Bruchteilen von 1, d.h. 0,01 s 1%) der harten Teilchen (0,1; 0,3; 1,0%) z. B. TiC, VC, NbC (schraffiert: Bereich der mikrolegierten Baustahle)
zwischen Raumtemperatur und 100 °C, bei Titanlegierungen bei 350 °C und bei Nickellegierungen zwischen 600 und 800 °C. Bei hoher Obersattigung des Mischkristalls bilden sich dann sehr viele gleichmaBig verteilte Keime entweder von metastabilen oder stabilen Ausscheidungsphasen. Der ausgehartete Zustand der Legierung ist ein Zwischenzustand auf dem Wege zum thermodynamischen Gleichgewicht, nie der Gleichgewichtszustand selbst. Die erreichte Festigkeitssteigerung bleibt deshalb auch nur hochstens bis zu der Temperatur langere Zeit bestehen, bei der sich die Abstande der Teilchen durch Wachs-
282
8 Metallische Werkstoffe
turn (Abschn. 3.3) nicht stark vergroBern. Die Durchmesser der ausgeschiedenen Teilchen sollten 1-3 nm betragen, um starke Hartung zu erzielen. Deshalb kann die Ausscheidungshartung (erfunden 1905 von Alfred Wilm) mit gutem Recht als alteste NANO-Technologie bezeichnet werden. Um die gunstigste Warmebehandlung zu finden, untersucht man die Hartung bei verschiedener Temperatur abhangig von der Zeit. Ausgehend von den Eigenschaften des Mischkristalls ist zunachst ein Anstieg der Streckgrenze festzustellen, der auf die Ausscheidung eines zunehmenden Volumenanteils von Teilchen mit zunehmender GroBe zuruckzufuhren ist. Bei weiterem Wachstum der Teilchen und bei konstantem Volumenanteil nimmt schlieBlich ihr Abstand Sj zu. Damit nimmt nach (8.3) die Streckgrenze ab. Dieser Vorgang wird als Uberalterung der Legierung bezeichnet. Je hoher die Auslagerungstemperatur ist, desto schneller wird das Maximum der Streckgrenze erreicht. Dieses Maximum ist aber umso hoher, je niedriger die Auslagerungstemperatur ist. Aus diesen Bedingungen folgen dann die technischen Auslagerungsbedingungen, bei denen hochstmogliche Festigkeit innerhalb sinnvoller Auslagerungszeiten angestrebt wird. So konnen z.B. Niete aus Al-Legierungen im weichen Zustand sofort nach dem Abschrecken verarbeitet werden. Sie harten schon durch Liegenlassen der Nietverbin-
1000 K
i
1 +587°C-
K: ' £ 500
•372°C- 0,75
i i 1
0,50^ ||Aus hartung | | | j
-mm
l i i l _ 5 8 a C l 0,25
\ \ 0
2.5
Bild 8.9. Zustandsschaubild Al-Cu mit Temperaturbereichen fur Homogenisieren und Ausharten
At.-0/. 5,0
Cu
i \ Losungsgluhen Abschrecken
+ 1/ a , P . 1 Al
Ausscheidungsgluhen
^
( +
/
Cu.Mg
^ Zeit/
Bild 8.10. Mafinahmen zum Herbeifiihren der Ausscheidungshartung
283
8.4 Ausscheidungshartung, A1-, Ni-Legierungen
260 Nmm"2
-X
LI
yi
-2201
W
180
h- Mr
T40Hf
1 2 4 Auslagerdauer
a
10
17d 28
48 96 Lagerzeit
Bild 8.11. a Anderung der mechanischen Eigenschaften der Legierung AlCuMg2 nach dem Gliihen bei 175 °C , 160 °C , 140 °C • , 20 °C (Nach Brenner), b Erhohung der Festigkeit der Legierung AlCuMgl beim Auslagern in der Nahe der Raumtemperatur. (Kaltauslagern, nach v. Zeerleder)
Tabelle8.2. Chemische Zusammensetzung und mechanische Eigenschaften einiger geharteter Al-Legierungen Bezeichnung
1. AlCuMgl F400 2. AlZnMg 1 F360 3. AlMgSi 1 F320 4. AlLiCu F450
Gew.-%
4,0 Cu 1,0 Mg 4,5 Zn 1,5 Mg 1,0 Mg 1,0 Si 1,5 Cu 3,0 Li
SB
^m
^p0,2
Nmm-2
Nmm-2
400
270
13
360
280
8
320
260
8
450
310
8
%
284
8 Metallische Werkstoffe
dung fiir zwei Tage bei Raumtemperatur (Bild 8.11). Ohne die Moglichkeit der Ausscheidungshartung hatte das Aluminium keine groBe Bedeutung als Konstruktionswerkstoff erlangt. Die gesamte Flugzeugindustrie ist ohne diese Legierungen nicht denkbar. Die technischen Aluminiumlegierungen enthalten alle mehr als eine Atomart zur Bildung der Ausscheidungsphasen. Die wichtigsten Legierungsgruppen sind in Tab. 8.2 zusammengestellt. Die Gleichgewichtsphasen sind die Verbindungen Al2Cu fiir Al-CuLegierungen, MgSi2 und Mg2Zn fiir die Legierungen mit Mg + Si und Mg + Zn. Diese Phasen sind aber nie verantwortlich fiir die Hartung. Es bilden sich auBerdem vielmehr immer eine Reihe metastabiler Phasen. die sich durch groBere Koharenz mit dem Gitter des Aluminiums auszeichnen. Das ermdglicht homogene Keimbildung und damit die kleinen Teilchenabstande ( S T < 10 nm), die fiir starke Hartung notwendig sind. In den Al-Cu-Legierungen handelt es sich bei diesen metastabilen koharenten Teilchen um plattenformige kupferreiche Zonen. Sie bilden sich beim Auslagern bei Raumtemperatur innerhalb weniger Stunden. Dieser ProzeB wird deshalb als Kaltauslagern, die Anderung der mechanischen Eigenschaften als Kaltausharten des Aluminiums bezeichnet. Bei Temperaturen bis zu 200 °C bilden sich teilkoharente Teilchen, die Al- und Cu-Atome (und Mg) in geordneter Anordnung enthalten. Diese Teilchen fiihren zu starkerer Hartung als die bei Raumtemperatur gebildeten Teilchen. Diese Eigenschaftsanderung wird als Warmausharten bezeichnet. Bei den anderen genanntenJLegierungsgruppen treten ahnliche Phasen auf. Fiir das Verstandnis der Ausscheidungshartung von Aluminium ist bemerkenswert, daB bei den »erfolgreichen« Legierungen immer das eine Legierungselement kleiner als das Al-Atom ist (Cu,Si,Zn), das andere groBer (Mg,Li). Dies begiinstigt die Bildung von Nanometer-Teilchen (+/-)-Regel. Die maximale Hartung ist immer auf eine feinverteilte metastabile Ordnungsphase zuriickzufiihren. Diese Aluminiumlegierungen erreichen die Festigkeit der unlegierten Baustahle von etwa 400 Nmm" 2 . Die hochste Zugfestigkeit wird mit bestimmten Al-CuMg-Legierungen erreicht. Sie liegt bei 700 Nmm" 2 . Den offensichtlichen Vorteilen der Al-Cu-Legierungen hinsichtlich ihrer mechanischen Eigenschaften steht als Nachteil eine verglichen zu anderen Al-Legierungen deutlich verringerte Korrosionsbestandigkeit gegeniiber. Der Grund dafiir ist, daB in dieser Legierung Al- und Cu-Atome oder Al- und Cu-reiche Phasen nebeneinander vbrkommen. Der Unterschied der Normalpotentiale dieser Elemente ist sehr viel groBer als der anderer Legierungselemente wie Zn, Mg und Si zum Al. Es ist also zu erwarten, daB durch starke Lokalelemente ortlicher Korrosionsangriff gefordert wird. Die nachteilige Eigenschaft kann durch Werkstoffverbund, z. B. durch Walzplattieren von Reinstaluminium auf AlCuMg vermieden werden (Abschn. 6.4). Bemerkenswert fiir das Korrosionsverhalten aller Al-Legierungen ist, daB durch Ausbildung einer Schutzschicht ihr effektives Potential stark verandert wird. Reinstaluminium bildet eine hochstens 10 nm dicke, dichte Schicht aus praktisch nicht leitendem A1 2 0 3 . Aus diesem Grund ist es chemisch sehr viel bestandiger, als seine Stellung in der Spannungsreihe erwarten laBt. Legierungselemente im Aluminium bewirken eine Anderung der chemischen Zusammensetzung der Schicht. Mg findet sich z. B. dort in relativ hoherer Konzentration als Al. Das fiihrt zu verschiedenen Potentialen der AlLegierungen, fiir die einige Beispiele bezogen auf Reinstaluminium in Tab. 8.3 zusammengestellt wurden. Der Ausscheidungszustand hat naturlich auch einen EinfluB auf das Korrosionsverhalten. Phasen, die sich an der Korngrenze ausscheiden, konnen zu interkristalliner Korrosion fiihren.
8.4 Ausscheidungshartung, A1-, Ni-Legierungen
285
300 Nmm"2
/
£200
/
/
/
// / / / ^*
•as -a:
'"8 •53
% 100
/
/
x
°w
Js\ /°WK
0
100
200
300 400 Streckgrenze #p
500 Nmm"2600
Bild 8.12. Zusammenhang von Streckgrenze Rv und Wechselfestigkeit aw (ungekerbt), awK (gekerbt) von Aluminiumlegierungen
Tabelle 8.3. Elektrodenpotential gegen Reinaluminium in 2% NaCl-Losung Stoff gegen Al
V
Stoff gegen Al
V
Au XCrNil8,8 Cu CuZn 30 AlCuMg a-Fe AlMgSi 1
-1,00 -0,85 -0,55 -0,50 -0,15 -0,10 -0,01
Reinaluminium AlMgMn AlMg3 AlZnl Zn Mg Li
+ + + + + +
0,00 0,01 0,03 0,15 0,30 0,85 2,0
Ein anderes Problem der ausscheidungsgeharteten Al-Legierungen ist die Tatsache, daB die Dauerwechselfestigkeit nicht im Verhaltnis der Streckgrenze ansteigt. Die hohe Streckgrenze kann also nur dann ausgenutzt werden, wenn eine statische Belastung auftritt. Falls mit Anrissen und schwingender Belastung zu rechnen ist, darf der Werkstoff nur sehr viel geringer belastet werden (Bild 8.12): Ermudungsempfindlichkeit. Eine zweite wichtige Gruppe der aushartbaren Legierungen besteht aus Ni, Cr und Co mit Zusatzen weiterer Legierungselemente zur Bildung der Ausscheidungsphasen (Tab. 8.4). Die wichtigsten sind Al, Si, Ti, Mo, Nb und W. Anwendung linden sie als Hochtemperaturlegierungen bis 1000 °C, z.B. als Schaufeln fur Gasturbinen. Sie werden haufig als Superlegierungen bezeichnet.
Tabelle 8.4. Zusammensetzung und Verwendungstemperatur einiger ausscheidungsgeharteter Nickel- und Eisenlegierungen Bezeichnung X5NiCrTi2615 NiFeCrl2Mo NiCrl9CoMo NiCrl8Co NiCrl5Co
Zusammensetzung Gew.-% C Cr Ni Fe Co Mo Al Ti <0,1 15 26 R 1,5 0,3 2 <0,1 12,5 R 34 1 6 0,3 3 <0,1 19 R 5 11 10 1,5 3 <0,15 18 R 4 18 4 3 3 <0,1 15 R - 18 5 4,3 3,5
T °C fur Rmm = 140 Nmm"2 780 825 880 930 960
8 Metallische Werkstoffe
286 1100 Nmrrr2
I
I
,gegluht
1000
ii
900
npnnccpn
700
*i 3 A L 600
<\
'500
400 300 200 1230 °C / 4 h _ 870°C/64h
100
I 100
200
300 400 500 600 700 800 9Q0°C1000 Temperatur Ni C Cr Co Tf Al W Zr B Fe rest 0,15 9 10 2 5 12,5 0.05 0,015 <1.5
Bild 8.13. Temperaturabhangigkeit der Streckgrenze einer Nickel-Superlegierung. Die Festigkeit der Ausscheidungsphase Ni3Al nimmt mit zunehmender Temperatur zu und verursacht die Warmfestigkeit bis800°C.(NachB.Kear)
Als Grundlage fiir das Verstandnis ihres Aufbaus kann das Zustandsdiagramm Ni-Al dienen (Bild 2.9). Im Gleichgewicht mit dem kfz, nickelreichen Mischkristall y steht die ebenfalls kubisch-flachenzentrierte aber geordnete Phase Ni3Al = y'. Diese Phase paBt bei nur geringer Verzerrung in das y-Gitter. Die Bildung von koharenten Teilchen durch homogene Keimbildung in sehr gleichmaBiger Verteilung ist daher moglich. Das Wachstum der y'-Phase erfolgt bei 800 °C immer noch so langsam, dafi Legierungen iiber eine Zeit von 100 h. Spannungen von etwa 140 Nmm~2 ausgesetzt werden konnen. Bemerkenswert ist, dafi die Festigkeit der y'-Phase selbst, ausgehend von Raumtemperatur, zunachst zunimmt (Bild, 8.13), um bei 850 °C einen Hochstwert zu erreichen. Dies kann durch das besondere Verhalten von Versetzungen in geordneten Kristallen erklart werden. Die technischen Legierungen enthalten im y + y'-Phasengemisch deshalb einen hohen Volumenanteil, manchmal bis zu 80% der y'-Phase. Es hat sich gezeigt, dafi die Ausscheidung der stabilen Phase Ni3Al noch nicht zu groBtmoglicher Hartung fiihrt. Das Aluminium kann teilweise durch Obergangselemente wie Ti, V, Mo, W ersetzt werden. Die Verbindung wird dadurch zwar metastabil, die Teilchen bewirken aber infolge groGerer Volumenunterschiede zwischen y- und y'-Phase eine starke ortliche Verzerrung des Kristallgitters, die zu groBerer Hartung fiihrt. Diese metastabile Phase geht nach langer Gluhzeit in die stabile Phase iiber, z. B. das hexagonale Ni3Ti. Diese Phase sowie eventuell Karbide bilden sich auch an den Korngrenzen. Haufig fiihrt dies zu mechanischer und chemischer Schwachung der Korngrenzenberei-
8.4 Ausscheidungshartung, A1-, Ni-Legierungen 21 %
287
1(011)
* 18 GLl
770°C/700Nmrr
t_>
"-S 15 t_>
= 12 hk(12 ?} L)
Bild 8.14 a. Kriechkurven & von der einkristallinen Su£ 5 perlegierung, abhangig von der Kristallorientierung. 3 Giinstigste Richtung (001). 0 (nach B. Kear)
^(001) •
£EL 50
100
150
200
250 300 Zeit
350 400
450 h 500
Bild 8.14 b. Warmfeste Ni-Legierung unter Kriechbedingungen: 100 h 650 °C, 0= 100 MPa, Ni + M.6At%Al Bewegung von Versetzungen wird durch /-Teilchen behindert, TEM, 180000 x
288
8 Metallische Werkstoffe
Bild 8.15. Einkristalline Turbinenschaufel mit giinstigster Orientierung zur Richtung der Beanspruchung. In Richtung der Zugspannung sollten auch Korngrenzen oder Verstarkungsfasern liegen (vgl. Bild 10.7).
che. Deshalb strebt man durch gerichtetes Erstarren saulenformige Kristallite an, die giinstig zur Richtung der Beanspruchung liegen. Eine andere Richtung der Verbesserung der Superlegierungen ging dahin, die Korngrenzen ganz zu vermeiden, indem das ganze Teil, z. B. die Turbinenschaufel, als ein einziger y-Kristall hergestellt wird. Dieser Kristall wird nur durch koharente y'-Teilchen ausgehartet und so orientiert, daB die Kristallanisotropie der mechanischen Eigenschaften ausgenutzt wird. Die Richtung kleinster Schubspannung im Gleitsystem des Kristalls muB also mit der Beanspruchungsrichtung ubereinstimmen (Bilder 8.14 und 8.15). Zur Aushartung von Kupfer benutzt man am haufigsten Zusatze bis zu 3 % des Elements Beryllium. Nach Homogenisieren bei 750 °C bis 800 °C und Anlassen bei 300 bis 400°C steigt die Zugfestigkeit des Kupfers bis zu 1200 Nmm -2 . Die Hartung ist auf die Bildung metastabiler koharenter Be-reicher Teilchen im GroBenbereich unterhalb 10 nm zuruckzufuhren. Beim Uberaltern entsteht schlieBlich die stabile Phase CuBe. Die Festigkeit der ausgeharteten Legierung kann durch Kaltverfestigung, z. B. durch Drahtziehen, noch weiter erhoht werden (1700 Nmm -2 ). Kupfer-Beryllium-Legierungen konnen Sonderstahle (Abschn. 8.5) ersetzen, wenn Paramagnetismus verlangt wird (Uhrfedern, Instrumenteteile) oder in explosionsgefahrdeten Raumen funkenfreie Werkzeuge (Hammer, MeiBel, Schraubenzieher usw.) vorgeschrieben sind. Wegen der Toxiditat des Elementes Be wird gegenwartig nach anderen Kupferlegierungen mit vergleichbaren Eigenschaften geforscht. Manche Legierungen enthalten die Dispersion einer zweiten Phase, die zu grob ist, um bei Raumtemperatur nennenswerte Teilchenhartung herbeizufuhren. Diese Teilchen konnen dann andere Aufgaben haben: Die Behinderung des Kornwachstums ist im Abschn. 8.1 fiir Wolfram-Gluhdrahte erortert worden. Bei den meisten Warmebehandlungen der Stahle und Al-Legierungen ist ebenfalls Kornwachstum unerwiinscht. Sie enthalten dann z. B. Sonderkarbide (VC, TiC) oder intermetallische Verbindungen (Al3Fe, Al3Si), die das Kornwachstum behindern. Solche Legierungen werden als »iiberhitzungsunempfindlich« bezeichnet. Eine andere Funktion erfullen harte Teilchen einer zweiten Phase (z. B. Cu6Sn5 und SnSb) in Lagerwerkstoffen auf Zinn- oder Bleibasis. Die weiche Grundmasse ermoglicht, daB sich die Form der Lagerschale genau der Form der Welle anpafit (Einfahren), wahrend die harten Teilchen fur erhohten Widerstand gegen VerschleiB sorgen. Diese Teilchen sind sehr viel grofier ( 1 . . . 10 um) als in ausscheidungsgeharteten Legierungen (1 . . . 10 nm) (Abschn. 6.6).
8.5 Umwandlungshartung, Stahle
289
8.5 Umwandlungshartung, Stahle Die Stahle waren far viele Jahrhunderte (seit 1500 vor Chr. bis 1950) die wichtigste Werkstoffgruppe. Dies war auf die unubertroffene Festigkeit, und eine Vielzahl weiterer besonderer Eigenschaften (z.B. Ferromagnetismus) zuriickzuruhren (Bild 8.16, Tab. 8.1). Es ist sinnvoll, die Stahle in Baustahle (nicht hartbar), Werkzeugstahle (hartbar), Stahle mit besonderen physikalischen Eigenschaften (weichmagnetisch fur Spulenkerne) und Stahle mit besonderen chemischen Eigenschaften (rost- und saurebestandig) einzuteilen. Die Baustahle werden durch Streckgrenze oder Zugfestigkeit unterschieden, die bis zu »hoherfesten« (0,5 . . . 1 GPa) und »hochfesten« (1 . . . 2 GPa) und »ultrahochfest« ( > 2 GPa) Qualitaten reichen. Die hochste Zugfestigkeit erreichen thermo-mechanisch behandelte, martensitaushartende Stahle mit 3,5 GPa). Eine groBe neue Gruppe dieser Stahle, die mikrolegierten Baustahle, sind durch Ausscheidungsteilchen (TiC, NbC, VC) (Bild 8.8 c) gehartet, wahrend die Gefuge der konventionellen Baustahle immer im Zusammenhang mit der y —> a-Umwandlung des Eisens entstehen. Das gilt auch fur die zur Zeit hochstfesten Baustahle, die martensit-aushartenden Stahle. Sie erhalten ihre Festigkeit durch martensitische Umwandlung und anschlieflende Ausscheidung. Die Werkzeugstahle sollen fur Schneidwerkzeuge, oder auch fur Werkzeuge der Umformtechnik verwendbar sein. Die geforderten Eigenschaften sind ein Optimum an hoher Streckgrenze, Bruchzahigkeit, Warmfestigkeit und VerschleiBfestigkeit. Als Beispiel fiir die Stahle mit besonderen physikalischen Eigenschaften wurden die Transformatorenbleche (Abschn. 5.3), die Invarlegierungen (Abschn. 5.6) und die Stahle fiir den Kernreaktorbau (Abschn. 5.1) bereits erwahnt. Die vierte Gruppe stellen die rost-, saure- und hitzebestandigen Stahle (Kap. 6; Tab. 8.5).
Tabelle8.5. Beispiele fur die Zusammensetzung einiger Stahle und eisenhaltiger Legierungen Zusammensetzung Gew.-% 0,12 C 0,65 C
0,45 Mn 0,70 Mn
0,50 C
1,00 Mn
13,0 Cr
0,10 C
0,40 Mn
5,0 Cr
:0,15C
0,40 Mn
9,0 Ni
0,80 C
0,30 Mn
18,0 W
4,0 Cr 8,0 Ni
<0,10C <0,07 C 18 Ni
18,0 Cr
54 Ni
20 Cr
18Fe
4 Mo
0,5 Mo
2Ti 5 Mo
Phasen und Gefuge
Verwendung
Ferrit und Perlit angelassener Martensit angelassener Martensit Zwischenstufengeftige Ferrit
Baustahl Werkzeugstahl
,0 V angelassener Martensit und Sonderkarbide Austenit Ferrit angelassener Martensit 3A1 koharentes Gemisch Y+y'
rostfreier Messerstahl Stahl fiir hohere Temperaturen (350 °C) Stahl fiir tiefe Temperaturen(-200°C) Schnellarbeitstahl rostfreier Stahl Transformatorenstahl Stahl mit hochster Zugfestigkeit Werkstoff fiir hohe Temper aturen -800 °C
290
8 Metallische Werkstoffe
1950
60
70
80
90
2000
Jahr Bild 8.16. Stahlproduktion einiger Lander in den letzten Jahrzehnten Die iiblichen Bezeichnungen der Stahle erfolgen nach einer Vielzahl von Gesichtspunkten. Genormt sind die Werkstoffnummem und die funktionellen Bezeichnungen (Abschn. A3). Daneben wird aber eine groBe Zahl von weiteren Kriterien zur Benennung der Stahle verwendet, z.B. Verwendungszweck (Baustahl, Werkzeugstahl, Trafoblech); Gefiige, Kristallstruktur (austenitischer, ferritischer, martensitischer, perlitischer Stahl); chemische Zusammensetzung (unlegierte, mikrolegierte, hochlegierte Stahle, Ni-Stahle, CrNi-Stahle); Verarbeitbarkeit (Tiefziehstahl, Automatenstahl); Nachbehandelbarkeit (Einsatzstahl, Nitrierstahl, Emaillierstahl, hartbarer Stahl); Art der Oberflachenschicht (kunststoffbeschichteter, verzinkter Stahl); Verwendungstemperatur (Kalt- oder Warmarbeitsstahl), Form des Halbzeugs (Stabstahl, Winkeleisen, U-Eisen, T-Trager, Rohr). Wichtige Voraussetzungen fur das Verstandnis der Stahle wurde bereits in fruheren Abschnitten behandelt. Es sind dies die Kristallstrukturen des Eisens (Kap. 1.3), die Diffusion von substitutionell und interstitiell gelosten Atomen (Kap. 3.1), die Zustandsschaubilder und die daraus folgenden Erstarrungs- und Festkorperreaktionen (Kap. 2 und 3), die martensitische Umwandlung (Kap. 3.5) und das ferromagnetische Verhalten von aEisen (Kap. 5.4). Auf dieser Grundlage sollen wesentliche Eigenschaften der Stahle besprochen werden. Die Stahle sind die wichtigste Gruppe der Konstruktionswerkstoffe. Daruber hinaus zeichnen sie sich durch groBe Vielfaltigkeit ihrer Eigenschaften aus. So spielen sie wegen ihrer besonderen magnetischen Eigenschaften auch als Werkstoffe der Elektrotechnik eine wichtige Rolle. Den groBten Anteil an der Stahlproduktion (Bild 8.16) haben aber
8.5 Umwandlungshartung, Stahle
291
die unlegierten Baustahle. Es handelt sich dabei um Werkstoffe, die im wesentlichen aus Eisen mit geringen Mengen (0,06 bis 0,3 Gew.-%) Kohlenstoff bestehen. Deshalb soil zunachst das Fe-C-Diagramm im Hinblick auf die Einteilung und Warmebehandlung der Eisenlegierungen behandelt werden. Dabei muB unterschieden werden zwischen dem metastabilen Gleichgewicht FeFe 3 C und dem stabilen Fe-Graphit (Abschn. 2.4, Bilder 2.15 und 8.32). Fur die Stahle ist das Fe-Fe3C-Diagramm entscheidend. Der stabile Zustand tritt in Stahlen nur als Fehlerscheinung (Graphitausscheidung an Korngrenzen, sog. Schwarzbruch) auf, spielt aber beim GuBeisen (Abschn. 8.6) und beim TemperguB (Abschn. 11.1) eine Rolle. Die Einteilung der Eisenlegierungen soil zunachst anhand des Eisen-KohlenstoffDiagramms vorgenommen werden. Reinstes Eisen ist als Konstruktionswerkstoff infolge seiner geringen Festigkeit ohne Bedeutung (Bild 8.17 a, Rpo,2 < 20 Nmm -2 ). Nichthartbare Stahle, die als Konstruktionswerkstoffe verwendet werden, beginnen mit einem C-Gehalt von 0,06 Gew.-% und enden bei etwa 0,3 Gew.-%. Eine wichtige technische Eigenschaft, die SchweiBbarkeit, nimmt mit zunehmendem C-Gehalt ab. Das kommt daher, daB es schwierig ist, in dem in der SchweiBnaht erstarrenden Stahl die gleiche Verteilung des Kohlenstoffs im Gefuge zu erreichen wie im umliegenden Material. In Zonen hohen Kohlenstoffgehalts entsteht bei schnellem Abkiihlen sprodes Martensitgefiige. Zusammen mit gleichzeitig entstehenden, inneren Spannungen bilden sich an diesen Stellen leicht Mikrorisse (Kap.4 und 12). Bei hoheren C-Gehalten (etwa 0,5 . . . 2,5 Gew.-%) liegen die Werkzeugstahle. Das sind Werkstoffe, deren mechanische Eigenschaften durch den ProzeB der Stahlhartung bis zu sehr hoher Festigkeit (Rm = 1 5 0 0 . . . 3000 Nmm -2 ) gesteigert werden konnen. Sie eignen sich deswegen sowohl als Werkzeuge fiir spanabhebende Formgebung (Drehstahl) als auch fiir die plastische Verformung (Gesenke). Zwischen den nichthartbaren Bau- und den Werkzeugstahlen liegen die Vergiitungsstahle. Ihre mechanischen Eigenschaften konnen durch eine Behandlung ahnlich der Stahlhartung beeinfluBt werden. Sie erreichen aber nicht die sehr hohe Harte der Werkzeugstahle (Bild 8.17b und 8.32).
0 a
10
20
30 0 10 20 30 plastische Dehnung
0
10
20% b
30
400 500 600 °C 700 Umwandlungstemperatur 1
Bild 8.17. a Festigkeit von a-Eisenkristallen. / Einkristall; 2 Whisker; 3 hochfeste Legierung. b Festigkeit eines Stahles mit 0,8 Gew.-% C, der bei verschiedenen Temperaturen umgewandelt wurde
292
8 Metallische Werkstoffe
I Bild 8.18. Verschiedene Moglichkeiten der J I Warmebehandlung von Stahlen und Eisenlegie1 I rungen. 1 Ausscheidungshartung im Ferrit; 2 I I Martensitische Umwandlung; 3 AusscheidungsFe By hartung im Austenit; 4 eutektoide Umwandlung zu lamellarem oder kugelformigem Perlit
Die Grenze zwischen den Stahlen und dem GuBeisen ist gegeben durch die Ausdehnung des Phasengebiets der y-Mischkristalle (etwa 2 Gew.-%). Diese Phase wird in Stahlen als Austenit bezeichnet. Die Loslichkeit fiir C in a-Fe ist sehr viel geringer als im y-Fe. Sie betragt nur 0,02 Gew.-% bei 723 °C. Diese Mischkristalle werden als Ferrit bezeichnet. Aus dem Zustandsschaubild Fe-Fe 3 C ergibt sich, da!3 die Stahle im metastabilen Gleichgewicht folgende Gefiige aufweisen miissen: 1. C-Gehalt < 0,02 Gew.-%: Homogene Mischkristalle, aus denen sich unterhalb 723 °C die Phase Fe 3 C ausscheidet (Abschn. 3.3) 2. C-Gehalt = 0,8 Gew.-%: Beim Abkuhlen des y-Mischkristalls (Austenit) findet die eutektoide Reaktion. y-Fe(C) ^ a - F e ( C ) + Fe 3 C* statt. Das Gemisch der beiden Phasen ist meist lamellar und wird als Perlit bezeichnet. 3. 0,02 bis 0,8 Gew.-%: Beim Abkuhlen des y-Mischkristalls bildet sich zunachst ein aMischkristall mit geringem C-Gehalt. Dadurch erhohen die restlichen y-Mischkristalle ihren C-Gehalt. Bei 723 °C haben sie 0,8 Gew.-% erreicht und zerfallen nach der oben erwahnten eutektoiden Reaktion zu Perlit. 4. 0,8 bis 2,0 Gew.-%: Diese Stahle verhalten sich ahnlich wie die untereutektoiden Stahle. Nur bildet sich beim Abkuhlen zunachst Fe 3 C (auch als Zementit bezeichnet), und der y-Mischkristall verarmt an Kohlenstoff, bis die eutektoide Reaktion beginnen kann. Die Stahle konnen entsprechend ihrem Gefiige bei Raumtemperatur wie folgt eingeteilt werden (Bild 8.18 und 8.32): ferritische Stahle (Ferrit), eutektoide Stahle (Perlit), untereutektiode Stahle (Ferrit + Perlit), ubereutektoide Stahle (Perlit + Zementit), austenitische Stahle (Austenit). martensitische Stahle. * Fe(C) bedeutet, daB das Fe-Gitter noch C in Losung enthalt.
293
8.5 Umwandlungshartung^ Stahle
Austenitische Stahle gibt es nicht als reine Fe-C-Legierungen, da deren y -Phase bei Raumtemperatur nicht bestandig ist. Zu ihrer Herstellung miissen dem Eisen weitere Elemente, wie Ni oder Mn, zulegiert werden. Die Legierungselemente des Eisens konnen einmal danach unterschieden werden, ob und in welcher Weise sie sich in den Kristallgittern des Eisens auflosen, zum anderen danach, ob sie sich bevorzugt im y- im a-Eisen auflosen (Tab. 8.6). Die Ursache fiir verschiedene Loslichkeit ist eine unterschiedliche Losungsenergie (2.13) des Elements in dem kfz und krz Gitter. Als Regel gilt, daB sich die Elemente, die selbst im krz Gitter kristallisieren, auch bevorzugt im a-Eisen losen. Entsprechendes gilt fiir das kfz Gitter, wobei Aluminium eine Ausnahme bildet, das im a-Fe besser gelost wird. Alle interstitiellen Atome losen sich bevorzugt im y -Eisen, da sie dort »bequemere« Platze, also solche linden, deren Besetzung geringere Energie erfordert als im krz Gitter. Im Zustandschaubild »Fe 4- geloste Atomart« auBert sich das unterschiedliche Verhalten darin, daB der Temperaturbereich, in dem die y -Phase existiert, entweder vergroBert oder verkleinert wird. Die Verkleinerung kann bis zum volligen Abschniiren des y-Gebietes fiihren (Bild 8.19). Andererseits kann die y -> a-Umwandlungstemperatur auch auf Temperaturen unterhalb von 20 °C erniedrigt werden, so z.B. durch Zulegieren von Ni. Durch derartige Legierungselemente lassen sich austenitische Stahle herstellen. In Tabelle 8.6 sind einige wichtige Legierungselemente aufgefuhrt, je nachdem, ob sie den Existenzbereich der y-Phase vergroBern oder verkleinern. Die aus dem Zustandsschaubild abgeleiteten Gefiige hat der Stahl nur bei sehr langsamer Abkiihlung, da sich das Gleichgewicht durch Bewegung der Atome infolge Diffusion einstellt (Abschn. 3.1, Bild 8.6 und 8.18). Falls der Stahl sehr schnell abgekuhlt wird (Abschrecken = in Wasser tauchen), ist diese Voraussetzung nicht mehr erfiillt. Die y -> a-Umwandlung wird zunachst unterkiihlt, bis bei der Martensittemperatur Ms (Martensitstart) eine Umwandlung (Bild 3.21, 3.22, 3.23 a)
beginnt. Da bei einer martensitischen Umwandlung (Abschn. 3.5) keine Bewegung der Atome durch Diffusion erlaubt ist, findet man den hohen im y -Eisen loslichen Kohlenstoffgehalt in dem raumzentrierten Gitter CCM, der Martensitphase. Die C- Atome befinden sich durch Scherung in geordneter Anordnung, d. h. entweder nur in 1-, 2- oder 3-
Tabelle 8.6. EinfluB von Legierungselementen auf die Ausdehnung des Gebietes der kfz- y -Phase des Eisens (Austenit) Erweiterung
Kristallstruktur des Legierungselements
Verengung
Kristallstruktur des Legierungselements
Cu Au Ni y-Mn C
kfz kfz kfz kfz interstitiell
N
interstitiell
Ti V Cr Mo Nb W Al Si P
krz krz krz krz krz krz kfz kd
294
8 Metallische Werkstoffe 1600 °C KOQ 1200 1000
^
OC
N r IK
/ y+NbFe2
y
7I
L*
[a /
500 I 0 a
0 1At.-%3 0 Mo-
5
Cr-
10At.-%15 0
1At.-%2 Nb-
900 r9io°c °C 800 700
|V
y | 600
r
CD
I 500 (XI
/
-y
4
TiC.VC.NbC
400
i
OM
300 200 b
d Fe
i
1 1 1
1
0 Fe
10
20 Ni
30 A t . - % 50
Y
Ni
8.5 Umwandlungshartung, Stahle
295
0,306 nm 0,302
sc
0,298 600 LA
0,294
>400
0,290
M,
"""0
200
s°
0,286 0.5
1,0 C
Gew.-% 2.0
0
0.5
1,0
Gew.-% 2.0
C
Bild 8.20. Tetragonale Verzerrung des krz Gitters und Martenisttemperatur von Fe-Legierungen, abhangig vom C-Gehalt Zwischengitterplatzen des raumzentrierten Gitters (Bilder 2.1). Das fuhrt zu einer tetragonalen Verzerrung des krz Gitters des a-Eisens, die vom C-Gehalt abhangt. Die Martensittemperatur Ms wird durch Zusatz der meisten Legierungselemente zum Eisen (auch derjenigen, die das y-Gebiet verengen) erniedrigt. Eine Legierung mit A/S<^20°C ist ein austenitischer Stahl (Bild 8.6). Zwischen der Gleichgewichtstemperatur und Ms ist der Austenit metastabil (Bild 3.22 u. 8.21). Durch plastische Verformung kann die y -» aM-Umwandlung dann auch deshalb von Ms herbeigefuhrt werden. Die verformungsinduzierte Umwandlung fuhrt zu einem sehr hohen Verfestigungskoeffizienten des Stahls, der im »Manganhartstahl« (Fe + 1 2 Gew.-% Mn +1 Gew.-% C), einer sehr abriebfesten Legierung, ausgenutzt wird. Bei der Warmebehandlung der Stahle besteht manchmal die Gefahr, daB durch starkes Kornwachstum beim Gliihen im y-Gebiet eine unerwiinscht groBe KorngroBe entsteht. Das kann vermieden werden, wenn die Korngrenzen durch Teilchen einer zweiten Phase festgehalten werden. Dies gelingt durch Zusatz von Legierungselementen, die »Sonderkarbide« bilden. Solche sind eisenfreie Karbide von Elementen wie W, Mo, Nb, V, Ti (Schmelztemperaturen in Klammern): W2C (2800 °C), Mo 2 C (2410 °C), Nb 2 C (3100 °C), V 2 C (2200 °C), TiG (3140°). Teilchen dieser Phasen losen sich auch bei sehr hohen Gluhtemperaturen nicht auf und verringern damit die »t)berhitzungsempfindlichkeit« der Stahle. Sie sind im Gefuge von Stahlen fur Schneidwerkzeuge (Schnellarbeitsstahle) zu finden. Eine Obersicht des Umwandlungsverhaltens eines Stahls bestimmter Zusammensetzung gewinnt man am besten durch ein Zeit-Temperatur-Umwandlungsschaubild (ZTUDiagramm, Bild 3.22 u. 8.21). Dargestellt wird in einem Temperatur-Zeit-Koordinatensystem der Beginn und das Ende der Umwandlung bei isothermer Versuchsfuhrung. Es wird <
.—_ Bild 8.19 a-d. Zustandsschaubilder von Legierungen des Eisens. a Fe-Mo, Fe-Cr, Fe-Nb. Diese Legierungselemente erweitern das Gebiet der a-Fe-Mischkristalle (Ferrit). b Fe-Ni, Ni und Mn erweitern das Gebiet der x-Fe-Mischkristalle (Austenit). c Fe-C-Ti-Legierungen. / Fe-C-Legierungen; 2 Gebiet der mikrolegierten Baustahle; 3 Quasibinarer Schnitt Fe-TiC. d Zustandsdiagramm FeNi-Cr, qualitativ a ^ Ferrit ^ Krz, y £ Austenit £ kfz, • Zusammensetzung austenitischer, chemischbestandiger Stahle, 2 isotherme Schnitte: bei hoher Temperatur T2 sind die Legierungen stabil austenitisch. Bei tiefenTemperaturenT « T j ist das krz-Gitter stabiler (martensitische Umwandlung, Bild 8.6)
296
8 Metallische Werkstoffe LJL
800 °C
r
700
A+F A
600
>
t: 500
C pQ"
,h B
"a
1400 au
( V
M
Ms
300 200 100
1h
1min
106
104
103
1d
JL IWoche
Zeit t
Bild 8.21. Isothermes Zeit-Temperatur-Umwandlungsschaubild eines warmfesten Stahles mit 0,63 Gew.-% C, 0,73 Gew.-% Cr, 0,90 Gew.-% Mo, 0,73 Gew.-% Ni. Beginn der Bildung von TF Ferrit, TP Perlit, TB Bainit, Ms Martensit (siehe Kap.3.4, Bild 3.17)
eine Probe aus dem y-Gebiet so schnell als moglich auf eine bestimmte Temperatur abgekiihlt, und dort werden die Umwandlungsvorgange verfolgt. Im Diagramm erscheint die Temperatur des Beginns der Martensitbildung als waagrechte Linie, weil sie vollig zeitunabhangig ist. Der Beginn der Ferrit- und Perlitbildung hat die Form einer »Nase«. Das Maximum der Reaktionsgechwindigkeit liegt nach (3.10) bei derjenigen Temperatur, bei der die Unterkuhlung unter die Gleichgewichtstemperatur schon eine hohe »treibende« Energie fur die Reaktion ermdglicht, bei der aber die Reaktion infolge des mit abnehmender Temperatur abnehmenden Diffusionskoeffizienten (3.2) noch nicht »eingefroren« ist. In legierten Stahlen mit Elementen, die im Stahl Legierungskarbide bilden (die Ubergangselemente der Gruppen UIV bis t) VI), zeigt das ZTU-Schaubild zwei Maxima der Reaktionsgeschwindigkeit, das der Perlitbildung bei etwa 600 bis 750 °C, und ein weiteres zwischen etwa 500 °C und M,,. Es tritt eine andere Reaktion auf, die der Martensitbildung ahnlich ist. Sie fiihrt auch zu kleinen linsenformigen Kristallen wie der Martensit. Es bilden sich aber sofort nach Bildung des krz-Gitters durch Diffusion iiber kurze Wegstrecken feinverteilte Teilchen metastabiler Karbide. Das Produkt dieser Reaktion wird als Bainit oder Zwischenstufengefuge, die Warmebehandlung, die zu diesem Gefuge fuhrt, als Zwischenstufenvergiiten bezeichnet (Bild 3.23b, 8.22 und 8.31). Eine andere Art des ZTU-Diagramms erhalt man durch kontinuierliches Abkiihlen von Stahlproben mit verschiedenen Abkiihlungsgeschwindigkeiten (Bild 8.22). Dabei werden die im Laufe der Abkiihlung auftretenden Umwandlungen' gemessen und ins Diagramm eingetragen. Diese Versuchsdurchfiihrung entspricht mehr den in der Praxis auftretenden Warmebehandlungen der Stahle, wahrend die isothermen Diagramme zur
8.5 Umwandlungshartung, Stahle
297 1000
L\AN hsjNf A
p
\
400 h =
~ > ^ 200 h
V5 1
It?
11 10 h
Zeit t
Bild 8.22. Zeit-Temperatur-Umwandlungsschaubild fur kontinuierliche Abkuhlung. Es ist langs der Abkiihlungskurven zu lesen. Das Gefuge und die Harte, die beim Abkiihlen mit verschiedener Geschwindigkeit erhalten werden, sind angegeben (0,1 Gew.% C, 5,4 Gew.-% Cr, 0,50 Gew.-% Mo) wissenschaftlichen Analyse des Umwandlungsverhaltens geeigneter sind. Aus den »kontinuierlichen« Diagrammen erhalt man eine minimale Abkuhlungsgeschwindigkeit, die gerade noch an der Perlitnase vorbeifuhrt. Sie wird als kritische Abkuhlungsgeschwindigkeit bezeichnet und spielt fur die Hartbarkeit von Stahl eine wichtige Rolle. Bei hoherer Abkuhlungsgeschwindigkeit bildet sich nur Martensit (oder Bainit, Bild 3.23). Es kann dem ZTU-Diagramm ein Gefugeschaubild beigefugt werden, das die Anteile der verschiedenen Gefugebestandteile nach Abkuhlen mit verschiedener Abkuhlungsgeschwindigkeit zeigt. Die mechanischen Eigenschaften der (untereutektoiden) Baustahle sind im Wesentlichen bestimmt durch die Eigenschaften der Fe-C-Mischkristalle (Ferritkomer) nebst Korngrenzen und Perlitbereiche. Die Spannungs-Dehnungs-Kurve dieser Werkstoffe zeigt beim Beginn der plastischen Verformung eine Besonderheit, die diskontinuierliche Streckgrenze. Nach einem bestimmten Betrag elastischer Formanderung beginnt die plastische Verformung ohne Verfestigung oder sogar unter Abnahme der Zugkraft (obere und untere Streckgrenze aQ, cru). Dieses besondere Verhalten der unlegierten Baustahle ist darauf zunickzufiihren, dafi Versetzungen, die vor der Verformung vorhanden sind, durch Segregation von CAtomen vollig unbeweglich geworden sind. Erst bei der Spannung oQ konnen dann neue Versetzungen bevorzugt an den Korngrenzen gebildet werden. Nachdem das an einer Stelle in der Probe geschehen ist, breitet sich eine verformte Zone durch die gesamte Probe aus (Luders-Band mit erhohter Versetzungsdichte Q, Bilder 8.23 und 8.24). In der Kurve Bild 8.23 ist dieser Ubergang angezeigt durch einen Verfestigungskoeffizienten von null. Bei weiterer plastischer Verformung verfestigt der Stahl, weil sich dann iiber das gesamte Volumen die Versetzungsdichte erhoht. Bei der im Kraft-Verlangerungs-
8 Metallische Werkstoffe
298
Bild 8.23. Diskontinuierliche Streckgrenze (B), wie sie Kohlenstoffstahle zeigen, im Vergleich zur normalen kontinuierlichen Streckgrenze (A)
U P4>
Bild 8.24. Die plastische Verformung beginnt bei diskontinuierlicher Streckgrenze nicht im gesamten Probenvolumen. Vielmehr bewegt sich ein verformter Bereich (Querschnitt AL) durch die Probe hindurch (Luders-Band). Dann erst beginnt die gleichmaBige Verfestigung
\f 'i-/o d+£,:
2000 Nmm'2
Hartung durch Gitterbaufehler . cc- Eisen 0.4
0.8
Gew.-% 1.2
C J
I
30 Gew.-% 25
I
20 -Ni
I
15
L_
10
Bild 8.25. Analyse der Festigkeit von geharteten Kohlenstofilegierungen mit etwa gleicher Martensittemperatur, Ms Reine Mischkristallhartung durch C mit Segregation an Korngrenzen, Versetzungen
8.5 Umwandlungshartung, Stahle
299
Diagramm angezeigten maximalen Kraft (Fmax) hort die gleichmaBige Verformung (GleichmaBdehnung) wieder auf, und es bildet sich eine Einschniirung. Die zur Kennzeichnung von Baustahlen haufig benutzte Zugfestigkeit Fmax/A0 = Rm ist jedoch nicht die sinnvollste GroBe zur Kennzeichnung eines Konstruktionswerkstoffes. Wichtiger ist die Angabe des Wertes fur die Streckgrenze, da in fast alien Fallen plastische Formanderungen in den Konstruktionsteilen unerwiinscht sind. Die Wege zur Erhohung der Streckgrenze von Baustahlen folgen aus den in Abschn. 4.2 besprochenen allgemeinen Prinzipien. Durch Verkleinerung der KorngroBe (Feinkornstahl), Mischkristallhartung (Zusatz von 0,4% Mn im St 52), Erhohung des Kohlenstoffgehaltes zur Erhohung des Perlitanteils im Gefuge, Ausscheidung kleiner Teilchen (z. B. Kupfer oder Nb-, Ti- V-Karbide) konnen Baustahle mit erhohter Streckgrenze erhalten werden. Immer sind aber weitere Eigenschaften, wie Neigung zu Sprodigkeit bei tiefer Temperatur oder SchweiBbarkeit, entscheidend, ob ein derartiger Werkstoff verwendet wird. Einer groBen Beliebtheit fur die Priifung der Neigung von Baustahlen zu Sprodbruch erfreut sich der Kerbschlagversuch (Kap. 4.10, Bild 8.26c), weil mit verhaltnismaBig einfachen Mitteln Versuche in dem wichtigen Temperaturbereich (meist -70 °C bis +250°C) durchgefuhrt werden konnen. Zunehmend werden aber PriifVerfahren eingefuhrt, bei denen Messungen an angerissenen Proben auf der Grundlage der Bruchmechanik ausgewertet werden (Kap. 4.4b). Fiir Werkzeugstahle wird eine hohe Festigkeit gefordert. Zu ihrer Hartung wird die martensitische Umwandlung ausgeniitzt. Da der hohe im Austenit geloste Kohlenstoffgehalt im Martensitkristall gelost ist, fiihrt die Umwandlung zu einer metastabilen Phase mit sehr hoher Mischkristallhartung (Abschn. 4.2). Der Stahl muB aus dem Austenitgebiet mit hoherer als der kritischen Abkiihlungsgeschwindigkeit bis unterhalb von Mf abgekiihlt werden. Der Werkstoff ist danach sowohl sehr hart als auch sehr sprode, d. h. er reiBt im Zugversuch ohne meBbare plastische Verformung (Bild 8.25). Um technisch brauchbare Eigenschaften zu erhalten, muB der gehartete Stahl angelassen werden. Er wird auf Temperaturen (200 bis 600 °C) erhitzt, bei denen sich die gelosten C-Atome bewegen und als Karbide ausscheiden konnen. Damit verbunden ist ein Abbau der inneren Spannungen. Die Mischkristallhartung des Martensits wird nur teilweise ersetzt durch Teilchenhartung. Die mechanischen Eigenschaften anderh sich in der Weise, daB die Streckgrenze ab-, die Bruchdehnung, Kerbschlagzahigkeit oder Bruchzahigkeit zunimmt. Aus dem »AnlaBdiagramm« (Bild 8.26a) konnen die Gliihbedingungen entnommen werden, die zu den gewiinschten Werkstoffeigenschaften fiihren. In einem unlegierten Fe-C-Stahl nimmt die Streckgrenze schon beim Erwarmen auf 200 bis 300 °C sehr stark ab. Die C-Atome sind dann leicht beweglich, und die KarbidTeilchen konnen schnell wachsen. In legierten Stahlen (Legierungselemente z. B. Cr, Mo) ist zur Bildung der Karbide auch Diffusion der substituierten Atome notig, die sich erst bei sehr viel hoheren Temperaturen bewegen konnen. Folglich findet die Ausscheidung und die damit verbundene Abnahme der Streckgrenze erst bei hoheren Temperaturen statt. Diese Stahle werden als anlaBbestandig bezeichnet (Bild 8.27). AnlaBbestandigkeit ist notwendig, z. B. wenn in den Schneiden von Drehstahlen Erwarmung auftritt, und fiir alle Stahle, die bei erhohten Temperaturen beansprucht werden (siehe Zeitstandfestigkeit Abschn. 4.3). Daraus folgt die Unterteilung der Werkzeugstahle in Kaltund Warmarbeitsstahle. Letztere miissen anlaBbestandig sein, da sie im Gebrauch warm werden (Schmiede-Gesenke).
300
8 Metallische Werkstoffe
1400 Nmm"2 1200
i iooo
600 *§> 400
C 650 -200 b
500 550 Anlafltemperatur
-100 -50 Temperatur
°C
200
Temperatur
Bild 8.26a-c. Verhalten von Kohlenstoffstahl beim Erwarmen und Abkiihlen. a AnlaBdiagramm eines geharteten Stahls (0,38 Gew.-% C, 2,0 Gew.-% Cr, 4,5 Gew.-% Ni). Gluhzeit 30 min. Die Festigkeit nimmt ab, die plastische Verformbarkeit zu. b Mechanische Eigenschaften eines Stahls (0,02 Gew.-% C, 0,04 Gew.-% Cu) unterhalb von Raumtemperatur. Die plastische Verformbarkeit fallt bei —150 °C steil ab. c Typisches Verhalten der Kerbschlagzahigkeit von ferritischen Stahlen. Der Steilabf all mu8 mit Sicherheit unterhalb der Verwendungstemperatur des Stahls liegen 70
ySchnellarbeitsstcihl
1
60 | 50
.1 40
0,8 Gew.-0/ Kohlensto fstahlK
1 30
200
400 600 Gluhtemperatur
°C
Bild 8.27. Vergleich des AnlaBverhaltens eines Schnelldrehstahls (0,80 Gew.-% C, 18 Gew.-% W, 4 Gew.-% Cr, 2 Gew.-% V) mit einem Kohlenstoffstahl
301
8.5 Umwandlungshartung, Stahle
zunehmender Lamellenabstand
Probe -
^V
Wasser—--
Duse-
0
200
400
600
Harte HV
1
Bild 8.28 a u. b. Stirnabschreckversuch zur Messung der Durchhartbarkeit. a Versuchsanordnung und in der Probe zu erwartende Gefiige. b Vergleich der Durchhartbarkeit verschiedener unlegierter und legierter Baustahle
0 10 20 30 40 mm 50 Abstand vom abgeschreckten Ende der Probe
In manchen hochlegierten Stahlen findet man beim Anlassen einen neuen Hochstwert der Streckgrenze, wenn auf etwa 550 °C erhitzt wird. Diese Erscheinung wird als Sekundarhartung bezeichnet und ist auf Ausscheidungshartung durch sehr kleine Legierungskarbid-Teilchen zuruckzufiihren. Dritte Legierungselemente haben eine weitere wichtige Wirkung auf die Hartung der Stahle. Durch Zusatz von Legierungselementen (besonders soldier, die nicht wie Mn oder Co in beliebiger Menge in die Phase Fe3C eingebaut werden konnen), wird die Perlitnase im ZTU-Schaubild (Bilder 8.21 und 8.22) zu langeren Zeiten verschoben. Das kommt daher, daB dann zur Perlitreaktion nicht nur C-Atome, sondern die weniger beweglichen Substitutionsatome sich bewegen mussen. Die Folge davon ist, daB die kritische Abkiihlungsgeschwindigkeit durch Legierungselemente erniedrigt wird. In der Praxis bedeutet das, daB beim Abkiihlen zweier gleich dicker Stahlproben mit unterschiedlicher kritischer Abkiihlungsgeschwindigkeit die martensitische Umwandlung in einer verschieden dicken, von der Oberflache ausgehenden Schicht erfolgen kann. Man sagt, der Stahl mit der geringeren kritischen Abkiihlungsgeschwindigkeit »hartet starker durch«.
302
8 Metallische Werkstoffe
Die Durchhartung eines Bau- oder Werkzeugstahls wird meist im sog. Jominy-Test bestimmt (Bild 8.28). Eine zylindrische Stahlprobe wird durch Erhitzen in den Austenitzustand gebracht und anschlieBend ihre Stimflache aus einer genormten Duse mit Wasser abgekiihlt. Nach dem Erkalten der gesamten Probe kann der Verlauf von Harte und Gefiige abhangig vom Abstand von der Stimflache untersucht werden. Dieser Abstand steht in direktem Zusammenhang mit den variablen Abkiihlungsgeschwindigkeiten, wie sie beim Aufstellen eines ZTU-Schaubildes verwendet werden (Bild 8.22). Haufig werden Werkstoffe mit harter Oberflache, aber weichem Kem verlangt. Dieser Zustand kann bei Stahlen erreicht werden, wenn C- oder N-Atome in die Oberflache eines (nichthartbaren) Stahles mit niedrigem C-Gehalt diffundieren. Der Mechanismus der Oberflachenhartung ist fiir beide Atomarten verschieden. Kohlenstoff diffundiert in den Austenit. Die Diffusionsbedingungen richten sich nach der gewunschten Eindringtiefe (Abschn. 3.1). AnschlieBend wird der Stahl schnell abekuhlt. Er hartet nur dort, wo in der Nahe der Oberflache ein hinreichend hoher C-Gehalt vorhanden ist. Demgegentiber laBt man N-Atome in das a-Fe-Gitter diffundieren, in dem sie sich in verhaltnisma8ig hoher Konzentration losen. In unlegierten Stahlen bilden sich nur grobverteilte Nitridphasen (Fe4N). Stahle, die fiir Nitrierhartung verwendet werden sollen, erhalten deshalb weitere Legierungselemente, die im a-Fe substitutionell gelost sind - am besten Al. Die Reaktion der eindiffundierenden N-Atome mit dem gelosten Al fiihrt zu Nitridphasen (A1N mit Wurzitstruktur, ahnlich der Diamantstruktur) in feiner Verteilung und damit zu der gewunschten Oberflachenhartung. Die Nitrierhartung hat Vorteile verglichen zur »Einsatzhartung« durch C-Atome. Die Diffusionsbehandlung erfolgt bei niedriger Temperatur, und zur Hartung ist keine martensitische Umwandlung erforderlich, die infolge der damit verbundenen Volumenanderung (Abschn. 5.6) immer auch innere Spannungen (Abschn. 4.5) im Werkstoff hervorruft. Eine kombinierte Hartung durch C- und N-Atome wird durch Einsetzen in Cyanide (z. B. KCN) erreicht. Das Element Bor ist in den Kristallstrukturen des Eisen nicht loslich. Deshalb entstehen durch Borieren nur in der Oberflache Boride, die zu sehr hoher Harte fiihren konnen. In neuerer Zeit sind Eisenlegierungen entwickelt worden, die sich durch sehr hohe Zugfestigkeit (Rm = 2000 ... 3500Nmrn-2) ohne vollstandigen Verlust der Duktilitat und Bruchzahigkeit (eB = 6...8% Bruchdehnung, KiC = 50...75 Nmm _3/2) auszeichnen. Diese Werkstoffe werden dann eingesetzt, wenn sehr hohe Zugspannungen auftreten oder das Werkstoffgewicht gering sein muB, z. B. fiir Landegestange fiir Flugzeuge oder fiir Teile von Zentrifugen. Sie zeigen auch die Moglichkeiten, die hinsichtlich der Festigkeit von Stahl bestehen. Ihre Eigenschaften beruhen darauf, daB die Gefiige verschiedenartige Hindemisse der Bewegung von Versetzungen (Teilchen, Versetzungen, Korngrenzen) in hoher Dichte und gleichmaBiger Verteilung enthalten. Der geringe Abstand der Hindemisse fiihrt zur hohen Streckgrenze der Legierungen. Die Ursache fiir die gute Duktilitat ist, daB in ihrem Gefiige die Faktoren nicht wirksam sind, die sproden Bruch der Legierungen begiinstigen. Es sind dies durch Segregation (z. B. von P in a-Fe) versprodete Korngrenzen und die Bildung von ortlichen Spannungskonzentrationen (Abschn. 4.4), wie sie in Legierungen durch aufgestaute Versetzungen hervorgerufen werden konnen. Diese Voraussetzungen erfiillt das Gefiige der martensitaushartenden Stahle. Die Warmebehandlung entspricht der beim Harten und Anlassen von Fe-C-Stahlen. Die Legierungen sind jedoch fast frei von Kohlenstoff. Sie enthalten dafiir Legierungs-
8.5 Umwandlungshartung, Stahle
303
elemente wie Al, Si, Mo, Ti, die sich als intermetallische Verbindungen mit den Elementen Fe, Ni, Co ausscheiden, die die Grundmasse des Werkstoffes bilden. Durch die Umwandlung entsteht ein verhaltnismaBig weicher Martensit (Bild 8.29). In diesem Zustand kann die endgiiltige Formgebung geschehen. AnschlieBend wird der iibersattigte Mischkristall zur Ausscheidungshartung auf Temperaturen um 500 °C gebracht. Damit ist eine sehr viel geringere Volumenanderung verbunden, verglichen zu dem »klassischen« Verfahren der Stahlhartung, bei dem die Hartung durch die martensitische Umwandlung (A VIV) Y_a « 3,5 %) verursacht wird. Der Austenit-Verformungs-ProzeB fiihrt zu einem ahnlichen Gefiige des Stahls mit vielen Hindernissen fiir die Bewegung von Versetzungen. Geeignet dafiir sind Stahle, die in ihrem ZTU-Schaubild einen Temperaturbereich sehr geringer Reaktionsgeschwindigkeit zwischen Perlit- und Bainitbildung aufweisen (Bild 8.30). Der Stahl wird in diesem Temperaturbereich (meist durch Walzen, Abschn. 11.2) stark verformt. Dadurch entsteht eine grofie Zahl von Versetzungen, die bei der nachfolgenden Abkiihlung und martensitischen Umwandlung mit in das krz-Gitter geschert werden. Es ist sicher, daB wahrend der Behandlungen des Austenits auch Ausscheidungsvorgange ablaufen, so daB wieder ein Gefiige entsteht, das alle Arten von Hindernissen der Versetzungsbewegung enthalt. Die »Ausform-Stahle« sind die duktilen Eisenwerkstoffe mit der hochsten Zugfestigkeit, die zur Zeit erreicht werden kann (Rm « 3500 Nmm"2, Bild 8.31). Die Stahle zeichnen sich dadurch aus, daB ihr Gefiige und damit ihre Eigenschaften durch verschiedene Warmebehandlungen in weiten Grenzen geandert werden konnen. Die MaBnahmen, Ziele, sowie die ublichen Bezeichnungen fiir diese Warmebehandlungen werden im Folgenden kurz zusammengefaBt (Bild 8.18). 1. Normalgliihen, Normalisieren. Der untereutektoide Stahl wird kurz auf eine Temperatur von etwa 20 °C iiber der Gleichgewichtslinie im Austenitgebiet erhitzt und dann an Luft abgekiihlt. Es findet eine vollige Umkristallisation statt. Vorher vorhandene Texturen, sowie Verfestigung durch Kaltverformung verschwindet. Wiederholen des Vorgangs fiihrt zu abnehmender KorngroBe.
1600 r Nmm"2 1200
800fi
I 6 Gew-% Ti
j
s^Gew.-%Ti
|
1 Gew.-% T i " \
\~/ -7^6 Gew.-% Ti ^ = 3 Gew.-% Ti J \— — 1 Gew.-% Ti
400
"—
-A<7 Mischkristallhartung 1 10 10z Gluhdauer bei 500 °C
h 10J
0
10"1
1 10 10z h 10J Gluhdauer bei 500 °C
Bild 8.29. a Analyse der Festigkeit eines experimentellen martensitaushartenden Stahls (27 Gew.% Ni, 12 Gew.-% Al, 0,1 Gew.-% C). b Erhohung der Ausscheidungshartung des Martensits durch Zusatz von Titan (20Gew.-% Ni, 0,1 Gew.-% C) (Kap.4.1)
304
8 Metallische Werkstoffe
Austenitisieren Abkuhlen, martensitische Umwandlung Anlassen
Zeit t
n Lqsungsgluhen
Austenitisieren
^Abschrecken
-Abkuhlen, metastabiler Austenit
Kaltverformen
Verformen des Austenits
Ausscheidungs-
Abschrecken zur mart. Umwandlung
Zeit t Bild 8.30a-c. Thermische und mechanische Behandlungen fiir Stable mit hochster Zugfestigkeit. a Normale Hartungsbehandlung von Kohlenstoffstahl und fiir martensitaushartende Stahle. b Austenitverformen (Bild 8.31a). c Thermomechanische Behandlung einer ausscheidungshartbaren Legierung 800 3000 Nmm:2
h — . - _ ^*.^^
600 2500 •Temperaturbereich fur Austenitverformung
~2
x
^30%
^
2000
1500
" \
>0%
500 600 °C 700 Vertormungstemperatur des Austenits
Bild 8.31. a Temperaturbereich fur die Austenitverformung im Zeit-Temperatur-Ummwandlungsschaubild eines Stahles mit 0,40 Gew.-% C, 5 Gew.-% Cr, 1,3 Gew.-% Mo, 1 Gew.-% Si, 0,5 ) und Streckgrenze Rp ( ) dieses Stahles nach verschiedeGew.-% V b Zugfestigkeit Rm ( nen Verformungsgraden in Austenit, abhangig von der Verformungstemperatur. (Nach Zackay)
2. Rekristallisationsgluhen. Kaltverformter Stahl wird unterhalb der Temperatur der Perlitreaktion gegluht, so daB Versetzungen durch Erholung oder Rekristallisation (Abschn. 3.2) ausheilen konnen und ein Zustand mit niedriger Streckgrenze entsteht. 3. Weichgluhen. Ein Stahl mit etwa eutektoider Zusammensetzung wird »pendelnd« um die Temperatur der Perlitreaktion gegluht, so daB die reaktionsbedingte lamellare Form
8.6 GuBlegierungen und metallische Glaser
305
des Karbids in die dem Gleichgewichtszustand entsprechende Kugelform iibergeht (z. B. in Kugellagerstahl). 4. Harten. Erhitzen auf eine Temperatur im homogenen y-Gebiet, fur iiber-eutektoide Stahle oberhalb der Perlittemperatur. AnschlieBend muB schneller als mit kritischer Abkiihlungsgeschwindigkeit auf eine Temperatur unterhalb der Martensittemperatur abgekiihlt werden. 5. Anlassen. Nach der Hartungsbehandlung erwarmen auf 200 bis 600 °C, um den sproden Martensit durch Abbau von Spannungen, Ausheilen von Mikrorissen und Ausscheidung von Karbiden in einen duktilen Zustand zu uberfuhren. 6. Verguten. Wie Harten und Anlassen, aber fur Stahle mit geringerem Kohlenstoffgehalt als bei Werkzeugstahlen. Das Vergutungsverfahren kann nach dem angestrebten Gefiige (z. B. Zwischenstufenvergiiten) oder nach der angewandten Verfahrenstechnik (Patentieren: schnelles Abkiihlen und Anlassen im Pb-Bad) bezeichnet werden. 7. Spannungsfrei Gltihen. Erwarmen auf etwa 400 °C, um innere Spannungen, die bei plastischer Umformung oder beim SchweiBen erzeugt wurden, zu beseitigen. Die Gliihtemperatur liegt unterhalb der Temperatur beginnender Rekristallisation. Der Abbau der Spannungen erfolgt durch Erholung oder ortliche Kriechvorgange (Abb. 4.3) infolge der bei dieser Temperatur sehr niedrigen Streckgrenze der unlegierten Stahle. 8.6 Gufilegierungen und metallische Glaser Die metallischen Werkstoffe werden oft nach ihrer Eignung fur bestimmte Fertigungsverfahren (Kap. 11) in GuB- und Knetlegierungen unterteilt. Bei der Auswahl der Zusammensetzung technischer Legierungen fur den FormguB miissen einerseits die Faktoren der VergieBbarkeit wie Schmelztemperatur, Viskositat der Schmelze und Neigung zu Seigerungen und andererseits die gewunschten technischen Eigenschaften des Werkstoffs im festen Zustand beriicksichtigt werden. Meistens werden beim Erstarren aus der flussigen Phase zwei Ziele verfolgt: dem Werkstoff eine bestimmte Form (Abschn. 11.2) und ein Gefiige (Abschn. 3.7) zu geben, das wiederum zu den erforderlichen Gebrauchseigenschaften fuhrt (Abschn. 0.4; 12.2). In neuen technischen Entwicklungen wird versucht, durch besonders rasches Erstarren den endgultigen Abmessungen (z. B. eines Bandes oder Bleches) nahezukommen und gleichzeitig eine giinstige Mikrostruktur zu erhalten. Der Extremfall des Schnellabkuhlens ist das Schmelzspinnen, das zur Herstellung metallischer Glaser, aber auch metastabiler Kristallphasen geeignet ist (Abschn. 2.4; 3.3; 8.6). Eutektische Legierungen werden wegen ihres niedrigen Schmelzpunktes haufig als GuBlegierungen verwendet. Wegen der geforderten Eigenschaften des GuBstiickes ist das jedoch nicht immer moglich: z. B. bei StahlguB, BronzeguB und aushartbarem AluminiumguB. Im folgenden sollen einige technische GuBlegierungen besprochen werden. GuBeisen hat eine Zusammensetzung, die etwa bei dem Eutektikum des Eisen-Kohlenstoff-Diagramms liegt (Bilder 2.15 c und 8.32). Graues GuBeisen entsteht, wenn die eutektische Erstarrung nach dem stabilen Gleichgewicht f —»y-Fe + Graphit erfolgt. Die Form der eutektischen Gefiige hangt von Abkiihlungsbedingungen und Zusammensetzung ab. Der Graphit tritt im Gefiige meist als Lamellen auf. Wegen der geringen
306
8 Metallische Werkstoffe Graphit (1s+2s) 16
Cl VoL-% 24
4,3 Gew-% N.
fe,C
grau 1s+2s
1s+2msV Graphit i n V 1m+2m V Perlitgrund-V weifl \ masse
\
Gew.-% 7 Csi GuBeisen
Abkuhlungsgeschw.
Wanddicke
Werkzeugstahi Vergutungsstahl i Baustahl
!
hypo- ' hypereutektisches GuHelsen
•Iweiche i JFerromagnete |
Bild 8.32 a, b. a Zusammensetzung des weiBen GuBeisens und der Stahle in einem Fe-Fe3C Gefugeschaubild (vgl. Fe-C-Schaubild 2.15). b Gefiige von GuBeisen. Zunehmender Si-Gehalt und groBere Wandstarke begiinstigt das stabile System, Mangan und zunehmende Abkiihlungsgeschwindigkeit das metastabile System (Tab. 8.7). 1 Eutektikum, 2 Eutektoid, s stabil, m metastabil
Bild 8.32 c, d. Graues GuBeisen mit kugelformigem (GGG) und lamellarem (GGL) Graphit, RLM, (J.Motz)
Festigkeit des Graphits besitzt das GuBeisen eine geringe Zugfestigkeit. Eine niitzliche Wirkung des Graphits im Gefiige besteht darin, mechanische Schwingungen sehr stark zu dampfen (Bild 4.26b). Graues GuBeisen kann daher immer angewandt werden, wo komplizierte Formen am besten durch GieBen erhalten werden konnen, keine hohen Zugspannungen, aber Schwingungen auftreten, z.B. als Gehause fur Motoren oder als Gehause und Betten yon Werkzeugmaschinen. Durch eine Behandlung der GuBeisenschmelze z.B. mit Mg und Ce kann die Kristallisation des Graphits als Kugeln (Spharolithe) erreicht werden. Dieses GuBeisen ist schmiedbar. SpharoguB wird z.B. fur Kurbelwellen in Automobilmotoren verwendet. Eine andere Moglichkeit, schmiedbares GuBeisen zu erhalten, ist der Temper-
307
8.6 GuBlegierungen und metallische Glaser
guB. Dazu wird GuBeisen anschlieBend an das Giefien bei 1200 °C gegluht, wobei ein Gefiige aus a-Eisen und Graphit in giinstiger, zusammengeballter Form entsteht (Abschn.11.1). Eutektische Eisen-Kohlenstoff-Legierungen konnen auch nach dem metastabilen Zustandsdiagramm erstarren: f —>y-Fe + Fe 3 C Wegen der Farbe der Bruchflache wird dieser Werkstoff weiBes GuBeisen genannt. Es hangt vom Legierungsgehalt und von der Abkiihlungsgeschwindigkeit ab, ob das GuBeisen grau oder weiB erstarrt. Hohe Abkuhlungsgeschwindigkeit oder Zusatz von Mangan fordert weiBe Erstarrung, langsame Abkiihlung oder Zusatz von Silizium die graue Erstarrung. Es gibt Ubergangsgefuge, in denen Graphit und Fe 3 C nebeneinander vorkommen. Die Abhangigkeit des Gefiiges von der Abkiihlungsgeschwindigkeit oder vom Legierungsgehalt wird im GuBeisendiagramm dargestellt (Bild 8.32; Tab. 8.7). WeiBes GuBeisen findet Verwendung, wenn hohe Harte und VerschleiBfestigkeit gefordert werden. Es kann im Gegensatz zum Grauen GuBeisen nicht zerspant werden. Diesem Werkstoff werden meist weitere Legierungselemente (Cr, Mo) hinzugefugt, die Misch- oder Sonderkarbide bilden. Da diese viel harter als Fe3C sind, erhohen sie zusatzlich den VerschleiBwiderstand (Abschn. 6.6).
Tabelle8.7. Phasen und Gefiige der GuBeisen
Eutektikum Eutektoid
stabil (s)
metastabil (m)
Y + Graphit a + Graphit
Y + Fe3C a + Fe3C
1 2
vgl. GuBeisendiagramm Bild 8.32b.
Die Zugfestigkeit von grauem GuBeisen hangt von der Verteilung des Graphits und von dessen Volumenanteil, d. h. von C- und Si-Gehalt ab. GleichmaBig verteilter kurzadriger Graphit ist am gunstigsten, wenn hohe Zugfestigkeit verlangt wird. Der Zs-Modul bei Zugbeanspruchung ist abhangig von der Spannung (Tab. 8.8). Tabelle8.8a. Mechanische Eigenschaften von GrauguB mit lamellarem Graphit Bezeichnung
Zugfestigkeit Nmm -2
Elastizitatsmodul bei Belastung 1 . . . 4 Nmm- 2 1 ...8Nmm- 2
GG100 GG200 GG400
100 200 400
50000 113000 154000
40000 104000 152500
1 ... 14 Nmm"2 90000 150000
Tabelle8.8b. Mechanische Eigenschaften von GuBeisen mit Kugelgraphit
GGG-300 GGG-700 GGG-800 GGG-1000
Streckgrenze Zugfestigkeit Bruchdehnung A% flpa2MPa /?mMPa
Harte HB
220 380 480 580
200 250 280 250
250 650 800 950
0,5 4 5 8
lamellar
bainitisch austenitisch
8 Metallische Werkstoffe
308
Fur die Bruchzahigkeit (Tab. 8.9) und die Ausbreitung von Ermudungsrissen ist die Form der Graphiteinschliisse von entscheidender Bedeutung. Die Bruchzahigkeit Klc nimmt in der Reihenfolge StahlguB -» Spharo- und TemperguB -» GuBeisen mit lamellarem Graphit ab (Bild 8.33). Bei niedrigen Amplituden der Spannungsintensitat unterscheiden sich aber die RiBgeschwindigkeit von Stahl- und SpharoguB kaum mehr. Das ist darauf zuriickzufuhren, daB die GroBe der stark plastisch verformten Zone an der RiBspitze kleiner wird als der Durchmesser der Spharolithen. Bemerkenswert ist auch der Zusammenhang zwischen Streckgrenze und Bruchzahigkeit von GrauguB mit lamellarem und kugelformigen Graphit. Im lamellaren GuBeisen bewirkt eine abnehmende Lange der Graphitlamellen (die wie Mikrorisse wirken), daB Bruchzahigkeit und Streckgrenze ansteigen. Allerdings verringert sich unter entsprechenden Bedingungen die dritte wichtige Eigenschaft des Graugusses: die Dampfungsfahigkeit. SpharoguB zeigt demgegeniiber das iibliche Verhalten der zahen Werkstoffe: eine mit zunehmender Streckgrenze abnehmende Bruchzahigkeit und Bruchdehnung. Die Druckfestigkeit von GuBeisen mit lamellaren Graphit betragt, ahnlich wie bei keramischen Werkstoffen, etwa das Vierfache der Zugfestigkeit (Kap. 7). AuBer beim spharolitischen GuBeisen und TemperguB (Abschn. 11.1) ist die Bruchdehnung eFimmer
Tabelle8.9. Bruchzahigkeiten der Eisen-GuBwerkstoffe Werkstoff
MNm"3/2
weiBes GuBeisen graues GuBeisen, lamellarer Graphit SpharoguB, TemperguB StahlguB geharteter ubereut. Stahl
10. .30 10. .30 30. . 100 100. .400 8 . . 12
MN m"d/z
^INm
40
80
\ i
30
|
60
V
\h
e,A ^
^ T 20
4.*°
10
40
20
\ \ \
fff
0
200 300 MN m"z 400
0,
——• I 500
1000
1500 MNm"2 2000
^m
Bild 8.33. a Bruchzahigkeit K\Q und Bruchdehnung von GuBeisen mit lamellarem Graphit GGL. b Bruchzahigkeit K\c und Bruchdehnung e{ von GuBeisen von Kugelgraphit GGG.
309
8.6 GuBlegierungen und metallische Glaser
kleiner als 1%. In den letzten Jahren wurden graue GuBeisen mit Kugelgraphit entwickelt, die anschlieBend an das Erstarren, ahnlich wie Stahle, vergtitet werden (Tab. 8.8 b, GGG-1000). Dies fuhrt zu GuBwerkstoffen, die die mechanischen Eigenschaften von Verglitungsstahlen erreichen konnen. Eine wichtige AluminiumguBlegierung, das Silumin (Al + 1 1 . . . 13 Gew.-% Si), ist ebenfalls eine eutektische Legierung. Das Gefuge des Eutektikums besteht aus groBen, ungleichmaBig verteilten, spieBformigen Siliziumkristallen im Aluminium (Bild 8.5). Der Zusatz von kleinen Mengen von Natrium zur Schmelze bewirkt eine sehr feine, technisch giinstige Verteilung der Phasen (Veredeln des Silumins). Wie beim SpharoguB wird der Effekt durch Zusatz kleiner Mengen eines dritten Metalls verursacht. Es ist nicht sicher, ob das dritte Element die Keimbildung oder die Oberflachenspannung in der Erstarrungsfront beeinfluBt (Bild 4.29 c). Andere technische GuBlegierungen des Aluminiums haben keine eutektischen Zusammensetzungen, da besondere Eigenschaften verlangt werden. Aluminiumlegierungen mit 2 bis 5 Gew.-% Cu werden als aushartbare GuBlegierungen verwendet (Bild 8.9). Legierungen mit 4 bis 11 Gew.-% Mg sind besonders korrosionsbestandig. GuBeisen wird haufig durch Aluminium- oder MagnesiumguB ersetzt, wenn das spezifische Gewicht eine Rolle spielt. Das ist der Fall fur Motorengehause von Kraftfahrzeugen und Flugzeugen und fiir Motorzylinder und -kolben. Die am haufigsten verwendeten Kolbenlegierungen bestehen aus Al mit Si und Cu oder mit Cu, Ni und Mn. Wichtig ist fiir diesen Zweck neben der Warmfestigkeit ein geringer thermischer Ausdehnungskoeffizient, um geringe Anderung der Toleranzen zwischen Kolben und Zylinder bei Temperaturanderungen im Betrieb von Kolbenmaschinen zu erreichen. Die GuBlegierungen bieten den Vorteil, daB ein Formteil ohne den Umweg uber das Halbzeug hergestellt werden kann. Infolge des ungleichmaBigen und von GuBporen durchsetzten Gefiiges streuen jedoch die Gebrauchseigenschaften meist starker als fiir Werkstoffe, die nach dem Erschmelzen stark umgeformt worden sind. Seit etwa 40 Jahren ist bekannt, daB auch Metalle durch schnelles Abkuhlen von Schmelzen als Glas erhalten werden konnen (Abschn. 1.5 u. 3.3). Andere Moglichkeiten zur Erzeugung amorpher Metalle sind z.B. Aufdampfen oder elektrolytische Abscheidung. Die Herstellung aus dem fliissigen Zustand erfolgt meist durch Aufspritzen eines Strahls auf ein schnell rotierendes Rad, das aus einem gut warmeleitenden Werkstoff hergestellt ist (Bild 8.34). Es entstehen so Bander mit einer Dicke von bis 100 |xm. Die Breite ist unbegrenzt. Ein gutes Glasbildungsvermogen ist immer verkniipft mit einer geringen Reaktionsgeschwindigkeit der Kristallisation (Abschn. 2.3). Als giinstig erwiesen sich die Zusammensetzung stabiler (Fe-B) oder metastabiler Eutektika (Mg-Zn). Danach laBt
+ Bild 8.34. Schmelzspinnanlage. 1 Kupferrad, 2 Induktionsspule, 3 Metallschmelze, 4 Quarzrohr, 5 abgeschrecktes Band
310
8 Metallische Werkstoffe
sich auch verstehen, welche Legierungen als Glaser erhalten werden konnen (Tab. 8.10). Nicht moglich ist es, reine Metalle mit Glasstruktur herzustellen, da diese sehr schnell und schon unterhalb von Raumtemperaturen kristallisieren. In manchen Fallen ist ein Gemisch von drei Atomarten notig, um eine Glasbildung zu ermoglichen: Al + Y + Ni. Die metallischen Glaser zeigen bemerkenswerte Eigenschaften und damit Anwendungsmoglichkeiten auf verschiedenen Gebieten: eine Streckgrenze in der Nahe der oberen theoretischen Grenze (4.11), ohne daB die Legierung sprode bricht; ein gutes weichmagnetisches Verhalten, d. h. hohe Beweglichkeit von Blochwanden und folglich hohe Anfangspermeabilitat und geringe Wattverluste (Bilder 5.15 und 5.16); eine gute Korrosionsbestandigkeit mancher passivierender Legierungen (Bild 6.2 und Tabelle8.10. Legierungen mit gutem Glasbildungsvermogen (GBV) Gruppe
Beispiele
1 T"x + M 2
3 4 5 6
x xx T T' T" M La A B
(Fe,Co,Ni)-B, Fe-(C,P,Si,B) Pd-Si, Au-Si v + T"xx N b . N i T a . I r (Co,Ni,Cu)-Zr, Y-Co, Ti-Ni V + A Ti-Be, Zr-Be A + B Mg-Zn, Mg-Cu, Mg-Ga A + T + T" Al-Ni, Y x T" + La Co-Sm, Ni-Gd, Au-La
auch Edelmetalle: Au auch Kupfer: Cu Obergangsmetalle untere Obergangsmetalle: Ti? V, Cr-Gruppe obere Obergangsmetalle: Mn, Fe, Co, Ni-Gruppe Metalloide: B, C, Si, Ge, P Lanthaniden Metalle der Gruppe II A Metalle der Gruppen I B, II B, III A
Tabelle8.11. Mechanische Eigenschaften und Kristallisationstemperatur fur verschiedene metallische Glaser Legierungssystem
Harte HV
Zugfestigkeit Rm MPa
£-Modul MPa
E/Rm
Kristallisationstemperatur Tc °C
Fe80B2o Fe40Ni4oP14B6 Pd80Si2o Ni 75 Si 8 B 17 Co 75 Si 15 B 10 CutfjZXto Ti5oBe40Zr10 Co 50 Mo 4 oB 10
1100 750 325 860 910 540 730 1510 1750
3700 1750 1360 2700 3000 2000 1900 3290
1,69 10 5 1,47 105 0,68 10 5 1,05 105 1,06 105 0,76 105 1,08-10 5
45 84 50 39 36 38 57
390 412 380 460 490 480
— -
— -
785 906
MO60FC20B20
-
—
311
8.6 Gufilegierungen und metallische Glaser *f
Fe84B16 3000 MPa
famorph / '/teilkristallin
2000
Bild 8.35. Ergebnisse von Zugversuchen an schmelzgesponnenen Bandern, a Metallglas, abgeschreckt; b Metallglas, gealtert, aber vor Kristallisation; c Metallglas mit Primarkristallen; d kristalliner Zustand
/Q =360 °C h =RT
b o
fi
e
+
V
Bild 8.36. a Oberflachenverglasung nach Laserschmelzen einer Fe-18At%B-Legierung: 4 Glas; 3, 2: neu kristallisierte Schmelze, 1: eutektisches Ausgangsgefuge, RLM (S. Staniek). b Fein netzformiges Eutektikum in der Oberflache einer Al-Legierung nach Laserverschmelzung von SiC (siehe Bild 2.11c), REM
312
8 Metallische Werkstoffe
Laserstrahl I I
Oberflache
WarmeeinfluRzone + ursprungliches Gefuge
Bild 8.36c. Schematische Darstellung des Gefiiges von 8.36a. Reaktionen: / - » a Glasbbildung, / - » y homogene Kristallisation, /-> a + Fe3B eutektische Kristallisation, /flussige Phase 6.3) als Folge der Homogenitat der Struktur. Die mechanischen Eigenschaften einiger Metallglaslegierungen sind in Tab. 8.11 zu flnden. Technische Anwendungen der metallischen Glaser ergaben sich zunachst nicht in den erwarteten Bereichen, sondern z. B. als Lotfolien fur Hochtemperaturlegierungen (Abschn.11.5). Hier ist im Gebrauch die Glasphase gar nicht mehr vorhanden, sondern ein eutektisches Gefuge (Abschn. 22.2, Bild 8.36b). Inzwischen setzen sich Metallglaskerne fur kleine und mittelgroBe Transformatoren durch. AuBerdem gibt es eine groBe Zahl kleinerer Anwendungen, wie Kopfe von Tonbandgeraten. Die Verwendung von Metallglasbandern als Fasern in Verbundwerkstoffen laBt noch viele Anwendungen erwarten. Hierbei kann das hochfeste Metallglas sowohl die Verstarkung z. B. eines Polymerwerkstoffs ubernehmen, dazu noch eine andere physikalische Funktion ausiiben wie Abschirmung gegen magnetische Felder oder Strahlenschutz gegen Neutronen. Ein rasternder Laserstrahl erlaubt es, die Glasstruktur in der Oberflache von Legierungen zu erzeugen. Derartige Schichten konnen hohe Harte und Bruchzahigkeit verbinden. Sie lassen einen hohen VerschleiBwiderstand erwarten. Beim Laserlegieren wird der Werkstoff nicht nur aufgeschmolzen und anschliefiend durch Warmeabfuhr in den unaufgeschmolzenen Werkstoff abgekuhlt, sondern es werden Legierungselemente in die flussige Zone eingemischt (Bild 8.36). Dabei konnen auch keramische Phasen mit einem Metall verbunden werden oder eine Glasschicht auf einer nicht glasbildenden Legierung erzeugt werden. Versuche mit Al-Legierungen haben gezeigt, daB Schichten erzeugt werden konnen die fur eine Verwendung in tribologischen Systemen (Kugellager) in Frage kommen. Inzwischen haben sich Laser-Fertigungstechniken, insbesondere Fiigen undTrennen durchgesetzt. Auch dafur ist es notwendig, die durch den Laserstrahl verursachten Strukturanderungen beurteilen zu konnen (Bild 8.36, Kap. 11.4 und 11.5).
9 Polymerwerkstoffe 9.1 Allgemeine Kennzeichnung Die Verwendung organischer StofFe als Werkstoffe ist nicht neu. Natiirliche Werkstoffe wie Holz, Leder, Kautschuk und pflanzliche (Baumwolle, Sisal, Hanf) oder tierische Fasern (Wolle, Seide) werden ganz sicher schon langer verwendet als Metalle. Neu ist nur die kiinstliche Herstellung organischer Werkstoffe mit dem Ziel, die Eigenschaften der natiirlichen Werkstoffe zu iibertreffen, andere Werkstoffe zu ersetzen und neue technische Eigenschaften zu erreichen. So ist auch der Name Kunststoffe fur diese Werkstoffgruppe entstanden. Beispiele fur neue Eigenschaften sind die besonderen tribologischen Eigenschaften des Polytetrafluorathylen (PTFE) (Kap. 9.6), die dielektrischen Eigenschaften des Polyathylens (PE) oder die piezoelektrischen des PVDF (Abschn. 5.2). Mit den Kunststoffen ist eine neue Gruppe von Werkstoffen entstanden, fur die folgende Eigenschaften kennzeichnend sind: - gute chemische Bestandigkeit bei Raumtemperatur, - niedriges spezifisches Gesicht, - niedriger mittlerer E-Modul, aber hohe Anisotropic bei Orientierung der Molekiilketten (Fasern), - Sprodigkeit bei tiefer Temperatur, - geringe Festigkeit und chemische Bestandigkeit bei hoher Temperatur, - gute Verarbeitbarkeit durch plastisches FlieBen bei relativ niedriger Temperatur, - verschiedene Oberflachenenergie und folglich geringe Adhasion und Reibung in einigen Fallen und gute Klebfahigkeit in anderen. Die Polymere sind in der Regel gute elektrische Isolatoren. In letzter Zeit sind aber auch leitfahige Polymere entdeckt worden. Sie bestehen aus Ketten von Polyacethylen, das ahnlich wie Halbleiter (Abschn. 5.2) mit Elektronendonatoren oder Akzeptoren dotiert wurde. Im Gegensatz zu Metallen ist die elektrische Leitfahigkeit nur eindimensional. Die Elektronen bewegen sich nur langs der Molekiilketten. Die gute chemische Bestandigkeit und die Sprodigkeit haben die Kunststoffe mit den Keramiken die gute Verarbeitbarkeit mit den Metallen gemeinsam. Die restlichen Eigenschaften kennzeichnen sowohl die Vorteile als die Grenzen der Verwendung von Kunststoffen. Dieser Begriff sollte eigentlich durch »Polymerwerkstoffe« ersetzt werden. Er hat sich - allerdings im deutschen Sprachraum - so stark durchgesetzt, daB er auch in diesem Buch gelegentlich gebraucht wird. »Kunstlich« werden ja auch andere Werkstoffe hergestellt: fast alle Metalle durch Reduktion von Erzen. Alle Polymere haben gemeinsam, daB sie aus groBen, kettenformigen Molekulen aufgebaut sind (Kap. 0.3). Diese konnen natiirlichen oder kiinstlichen Ursprungs sein. Erstere entstehen durch Biosynthese z. B. aus H 2 0 und dem CO2 der Luft. Letztere werden von der chemischen Industrie hergestellt. Die Rohstoffe sind Steinkohle oder heute fast ausschliefilich Erdol und Erdgas.
314
9 Polymerwerkstoffe
7500
-10000
12500
Molekulargewicht M
15000
Bild 9.1. Beziehung zwischen Molekulargewicht und Zugfestigkeit Rm eines Kopolymers von Vinylchlorid und Vinylazetat. (Nach Crume und Douglas)
0,08 0,06 ; 0.04
1 1 1
I 0.02
1
1\ 1
1
1
|/t
"•{ 50000
X,
100000
150000 200000 250000 Molekulargewicht M
300000
Bild 9.2. Haufigkeitsverteilung der Molekulargewichte von Hochpolymeren
Sowohl Schmelztemperatur als auch Zugfestigkeit (Rm) organischer Stoffe steigen mit der GroBe der Molekiilketten, falls fur den Zusammenhalt nur zwischenmolekulare Krafte verantwortlich sind (Abschn. 1.2). Die Beziehung hat naherungsweise die allgemeine Form R.
K
m
max
* * M
(9.1)
A und Rm max sind Konstanten fur eine bestimmte Polymerart, und Rm max ist der Grenzwert, den Rm bei sehr groBen Molekiilketten erreicht. Aus diesem Grunde miissen grofie Molekiile aufgebaut werden, um einen festen Werkstoff zu erhalten (Bild 9.1). Die Kunststoffe bestehen deshalb aus Riesenmolekulen. Diese Molekiile werden aus kleinen Molekiilen (Monomere) durch Polymerisation gebildet. In Abschn. 1.1 ist der Begriff des Molekulargewichts M einer chemischen Verbindung erwahnt worden. Hochpolymere bestehen aus Molekiilen mit sehr vielen Atomen und deshalb mit sehr hohem Molekulargewicht M = 104 ... 107). Falls die Ketten alle genau gleich lang waren, konnte man ihnen einen einheitlichen Wert fur Mzuschreiben. In Wirklichkeit besitzen die Ketten immer eine bestimmte GroBenverteilung, so daB nur ein mittlerer Wert M angegeben werden kann. Zur voUstandigen Kennzeichnung eines Polymers gehort deshalb die Verteilungsfunktion von M. Das Verhaltnis von Molekulargewicht des Polymers MP und des Monomers MM wird als Polymerisationsgrad p bezeichnet: (9.2)
315
9.1 Allgemeine Kennzeichnung
Eine typische Verteilungskurve von Mp ist in Bild 9.2 dargestellt. Es lassen sich verschiedene Mittelwerte definieren. Eine Moglichkeit ist, den Gewichtsanteil w{ der Polymere in eihem bestimmten GroBenbereich M{ zu bestimmen. Dieser Mittelwert A/w ist definiert als (9.3 a) Ein unterschiedlicher Mittelwert ist gegeben durch die Zahl der Molekiile i\ in jedem GroBenbereich M{: Mn =
2/1/
(9.3b)
*
Es gilt immer Mn < Mw. Der Wert von Mw steht in Zusammenhang mit dem Viskositatsbeiwert rj (Abschn. 4.7), die Zugfestigkeit mit Mn. Alle diese Eigenschaften nehmen mit zunehmenden M-Werten zu (Tab. 9.3). Fur die Polymerisation gibt es mehrere Moglichkeiten: 1. Additionspolymerisation des Monomers A, z.B. von Athylen C2H4 (Bild 1.14a): p A —• - [A]p — (allgemein) [H i
H"
c=c 11
[H
rH
i
-> -
Hi 1 • C - c ii
L
11
i
H
H
ii
(Poly athylen).
J
H
Zur Polymerisation wird die C== C-Doppelbindung in eine einfache Bindung umgewandelt. 2. Die gleichzeitige Verkniipfung verschiedener Monomere A, B , . . . , auch Kopolymerisation genamt: [AnB„\
« A + m&
-.
Diese Reaktionen erfolgen z. B. bei der Bildung von Polyolefmen oder Polyaldehyden. Auch die neuen flussig-kristallinen Polymere werden aus steiferen und flexibleren Molekiilteilen kopolymerisiert. Dabei entstehen keine weiteren chemischen Verbindungen. 3. Dies ist der Fall bei der Polykondensation, die nach folgendem Schema ablaufen kann:
pA-+-[B]p-
+pC.
So entsteht Cellulose aus Glykose (Biopolymerisation, Kap. 10.6, 12.4) oder in der Technik Silikon durch Polykondensation aus den Silanen:
CH3 HO - Si - OH I CH3
CH3 I - Si - O
I CH3
+ «H 2 0.
316
9 Polymerwerkstoffe
Je nach den Bildungsbedingungen (Druck, Temperatur, Katalysatoren) konnen verzweigte oder unverzweigte Molekiilketten entstehen. Letztere werden als lineare Polymere bezeichnet. Fur den Aufbau von Kopolymerisaten gibt es verschiedene Moglichkeiten: Die Monomere konnen in regelloser Folge -A-B-B-A-B-A-A-A-Bgeordnet -A-B-B-A-B-B-A-B-Boder entmischt -A-A-A-A-A-B-B-B-B-A-Aangeordnet sein. Falls an einer Kette Seitenzweige angesetzt werden, die aus einem anderen Monomer bestehen, spricht man von einem Pfropfpolymerisat: -A-A-A-A-A-A-A-AB B B B B B Molekiile, deren Seitengruppen an beiden Seiten der Kette gleich angeordnet sind, werden als symmetrisch bezeichnet. Ein Beispiel dafiir ist das Athylen. Wird ein Teil der HAtome durch eine andere Seitengruppe (allgemein als R bezeichnet) ersetzt, so entsteht ein unsymmetrisches Molekiil (Bild 1.10). Ein Beispiel dafiir ist das Polyvinychlorid, das dadurch entsteht, da6 im Athylen ein Cl-Atom eingebaut wird. Andere Beispiele sind Polypropylen und -styrol: rH i
1 1
lc--c1 1 H J
L
H
R = - CI R = - CH3 R=
Fur die Anordnung der Seitengruppe gibt es verschiedene Moglichkeiten der Anordnung: , . , isotaktisch:
H R H R H R H R H ••i—i—i—i—i—i—i—i—i • • • H H H H H H H H H
,., . , H R H H H R H H H syndiotaktisch: • • ••—+—i—i—i—i—i—+—i • • • 3 H H H R H H H R H , . ,_ ataktisch:
H R H H H H H R H ••-i—i—i—i—i—i—i—i—i••• H H R H H R H H R
Es ist zu erwarten, da8 bei gleicher Pauschalzusammensetzung der Molekiile die Eigenschaften aus den verschiedenen Molekularten verschieden sind, da wegen ihrer verschie-
317
9.1 Allgemeine Kennzeichnung
denen Polarisierbarkeit verschieden starke Bindungskrafte zwischen den Molekiilen auftreten. Taktizitat ist eine Voraussetzung fur die Kristallisationsfahigkeit eines Polymers. Nachfolgend sind die Strukturformeln einiger Kunststoffe in zweidimensionaler Darstellung zusammengestellt. In Wirklichkeit sind es naturlich raumliche Anordnungen mit verschiedenen Winkeln (z. B. 110 ° bei PE) zwischen den Kohlenstoffatomen des Grundgeriistet (Bild 1.8 c). Die Molekule der Kunststoffe konnen kristallin, teilkristallin und amorph angeordnet Polyethylen (PE):
H
H
Polytetra-fluorathylen (Teflon, PTFE):
Polyisobutylen (PIB):
Polyvinylchlorid (PVC):
Polypropyjen (PP)
CH2—CH-h
Poly-cis-1.4-isopren (Naturkautschuk):
Polystyrol (PS):
- t - C H 2 — CH-
Polymethylmetacrylat (PMMA): (Plexiglas)
Polyamid (Perlon)
(PA):
Polyacrylnitril: (Oralon, Orion)
f-NH—(CH2)5—G-f 0 -j-CH2 — CH-|CN
Polydimethylsiloxan: (Silicon)
CH3 -Si —
I
CH 3 Polyimidazopyrolon:
Polyacethylen:
c=c-
t; i
I
318
9 Polymerwerkstoffe
sein. Die Neigung zur Kristallisation aus dem zahfliissigen Zustand nimmt mit zunehmender Bindungskraft zwischen den Molekiilen ab, da dann die Wahrscheinlichkeit fiir deren Umordnung gering wird. Am leichtesten kristallisieren unpolare oder isotaktische Molekule mit geringer Verzweigung wie PE und PTFE. Die zwischenmolekularen Bindungsenergien sind gering und erreichen nur etwa 25 kJ/mol bei der Bildung von Wasserstoffbriicken. Die Voraussetzung dafiir ist, daB dem H-Atom der einen Kette ein stark elektronegatives Atom wie F, CI, O, N gegeniiberliegt, was zu einem starken Dipoleffekt fiihrt: I
I
- c —cH3C-
H p|H
,0—H—0 £-CH3
H piCI
H UCl H
0-H—0
UH -CI
(^B~~^)-—Dipol
Eine festere chemische Bindung zwischen den Ketten wird als Vernetzung bezeichnet. Das bekannteste Beispiel dafiir ist die Bildung von Schwefelbriicken bei der Vulkanisation von Kautschuk zur Herstellung von Gummi (Bild 0.2). Die Einteilung der Kunststoffe geschieht nach ihren mechanischen Eigenschaften und deren Temperaturabhangigkeit (Tab. 9.1). Tabelle 9.1. Vergleich der Eigenschaften der Polymergruppen
Struktur Verarbeitbarkeit
Mechanische Eigenschaften
Plastomere (Thermoplaste)
Duromere (Kunstharze)
Elastomere (Gummi)
unvernetzt, nicht- bis teilkristallin plastisch verformbar bei erhohter Temperatur
vernetzt, nicht-kristallin nach der Vernetzung nur spanabhebend formbar
verknauelt und schwach vernetzt nur elastisch verformbar
£r<
ED RmD
>EE
^mT ^p0,2/1000 T
chemische Bestandigkeit*
++
<
^p0,2/1000 D
++
+-
* + +: sehr gut, + —: maBig
Thermoplaste haben einen Schubmodul von etwa 1 GPa bei Raumtemperatur. Sie werden bei erhohter Temperatur zahflussig und konnen dann plastisch verformt werden. Ihre Molekule liegen unvernetzt nebeneinander. Duromere besitzen einen etwas hoheren Schubmodul bei Raumtemperatur. Beim Erwarmen werden sie nicht zahflussig, sondern zersetzen sich chemisch oberhalb einer bestimmten Temperatur. Sie sind stark vernetzt und miissen deshalb vor der Vernetzung, z. B. durch GieBen, in eine bestimmte Form gebracht werden. Danach konnen sie nur noch durch Zerspanen geformt werden. Dafiir verlieren sie ihre Festigkeit mit zunehmender Temperatur nicht so stark wie die Thermoplaste. Elastomere unterscheiden sich in ihrem Aufbau von den Duromeren dadurch, daB sie streckfahige Molekule besitzen, die ein loses Geriist mit sehr viel weniger Vernetzungsstellen bilden. Die Folge davon ist ein auBerst niedriger Schubmodul, der auf Strecken
319
9.1 Allgemeine Kennzeichnung
r\ o>) r\ r\f r\ r\ y^ r\f\\ r\
r\ r\ o r\
r\ r\ r\ r\ r\ r\ r* n o jK r\ r\ r / f I
9
Sphfirolithenkern
[ ] J | Lamellenpaket amorphe Zwischenbereiche
Trs
X radiates Wachstum in die amorphe Grundmasse
100
200 Temperatur /"
'C
400
Bild 9.3 a-g. Elemente der Mikrostruktur (Morphologie) der KunststofFe. a Gestrecktes, verknaueltes Molekul. b Faltkristall mit Defekten (Bild 1.6d). c Spharolith, der aus Faltlamellen aufgebaut ist. d Morphologie nach Zusammenwachsen der Spharolite. e Umwandlungstemperaturen von PTFE. Die Umwandlungen sind mit Volumenanderungen verbunden. f, g Spharolitische Kristallisation von PP (Polypropylen) bei 130°C. DLM
320
9 Polymerwerkstoffe
der Molekiile und Schervorgange des Geriistes zuruckzufuhren ist. Das fuhrt zu Eigenschaften, die von Gummi her allgemein bekannt sind. Bei den metallischen Werkstoffen konnte die Festigkeit auf die Wechselwirkung von Versetzungen mit Hindernissen zuruckgefuhrt werden (Abschn. 4.2). Es gibt mehrere Prinzipien, auf denen die mechanischen Eigenschaften der polymeren Werkstoffe beruhen: z.B. intermolekulare Bindung, Kristallisation. Neben der Struktur der Polymermolekiile ist also auch deren Anordnung zur Beurteilung der Eigenschaften wichtig. Dieses »Gefiige« der Kunststoffe wird haufig als »Morphologie« bezeichnet. Es enthalt Elemente, die auch in metallischen und keramischen Werkstoffen vorkommen (z.B. Spharolithe) und andere, die nur in Polymeren auftreten. Einzelne Kristalle entstehen nur durch Ausscheidung aus einer Losung. Es bilden sich beim PE diinne, blattchenformige Kristalle, in die die Molekiile eingefaltet sind (Bild 9.3). Die Kristalle bilden zusammen mit Glasbereichen das Mikrogefiige der meisten Polymere. Manche Polymerkristalle zeigen Phasenumwandlungen, wie sie auch in den anderen Werkstoffgruppen eine wichtige Rolle spielen. Wichtige Kennzeichen der Umwandlung des PTFE, die bei Raumtemperatur ablauft und mit 1% Volumenanderung verbunden ist, sind in Bild 9.3 e dargestellt. Die drei wichtigsten Anordnungen kristallisierter Molekiile sind Spharolithe, mit radialer Orientierungsverteilung, Faltlamellen, die orientiert sind, und parallel ausgerichtete gestreckte Molekiile (Bild 1.25 und 9.3). Spharolithe entstehen beim Abkiihlen von ruhenden Polymerenschmelzen zunehmend mit zunehmender Unterktihlung. Aus flieBenden Schmelzen oder konzentrierten Losungen kristallisieren langs einiger Zentralmolekule Pakete von Faltkristallen. Durch das mechanische Strecken von Fasern konnen die Molekiile gestreckt und sehr stark parallel ausgerichtet werden. Sie sind deswegen von sehr groBer Bedeutung fur die mechanischen Eigenschaften der Kunststoffe, weil die Bindungsfestigkeit langs der Ketten und zwischen den Ketten sich um etwa das Hundertfache unterscheidet. Durch Kristallisation und Ausrichtung der Molekiile kann die Festigkeit des Kunststoffs in dieser Richtung entsprechend gesteigert werden. Vorausgesetzt, daB etwas plastische Verformbarkeit und folglich Zahigkeit vorhanden ist, ist die Streckgrenze umso hoher, je hoher der Kristallisationsgrad und der Vernetzungsgrad ist, je starrer der einzelne Molekiilfaden ist, je mehr Molekiile bevorzugt in einer bestimmten Richtung liegen und je hoher die Bindungsenergie pro Monomer zwischen den Ketten ist. Umgekehrt kann durch Zumischen von niedermolekularen Stoffen, die den Abstand der Fadenmolekiile vergroBern, die Streckgrenze verringert werden. Diese Stoffe werden deshalb als Weichmacher bezeichnet. Durch gezieltes Anwenden der oben genannten Prinzipien lassen sich Kunststoffe mit einer Vielzahl von verschiedenen mechanischen Eigenschaften herstellen. 9.2 Plastomere oder Thermoplaste Kennzeichnend fur die Struktur der Thermoplaste ist, daB ihre Molekiile unvernetzt nebeneinander liegen. Daraus ergibt sich die Moglichkeit, sie bei der Gebrauchstemperatur fest und bei einer erhohten Temperatur durch viskoses FlieBen verformbar zu erhalten. Ebenso wie alle anderen Kunststoffgruppen werden sie unterhalb der Gebrauchs-
9.2 Plastomere oder Thermoplaste
321
temperatur durch einen Glasiibergang hoffnungslos sprode. In ihrem mikroskopischen Aufbau sind sie teilkristallin oder amorph. Haufig werden ihnen einige Prozent nichtpolymerer Stoffe zur Beeinflussung ihrer Eigenschaften beigemischt. Diese Additive konnen die Eigenschaften des Grundmaterials in vielerlei Hinsicht modifizieren, z. B.: - Weichmacher - sind kleinere Molekule, die zwischen den Ketten eines Thermoplastes (PVC) liegen und die Versprodung bei tieferen Temperaturen reduzieren. - Stabilisatoren - Stoffe, die abgespaltene Molekiilteile (CI aus PVC) binden und so die Bildung von HC1 oder CI2 verhindern. - Antistatische Additive - Stoffe, die die elektrische Leitfahigkeit erhohen und Aufladungen, z. B. durch Reibung, vermeiden. - Pigmente - Farbstoffmolekiile, mit denen der Werkstoff in sehr weiten Grenzen gefarbt werden kann. In der Temperaturabhangigkeit des Schubmoduls auBert sich der amorphe Anteil durch einen kontinuierlichen Abfall, der kristalline Anteil durch einen steilen Abfall bei der Schmelztemperatur Tkf mit steigender Temperatur. Beim statischen Zugversuch zeigt sich die zunehmende Moglichkeit der Umordnung von Molekulen in einem Obergang von elastischer Verformung allein bei tiefer Temperatur, zu einem Anteil von plastischer Verformung bei erhohter Temperatur. Diese plastische Verformung ist teilweise auf Strecken und Ausrichten der Molekule und auf
1400 Nmm"2 1200
600 Nmm-2 500
1000 CD
800
JC=
<_> 1300
•g 600
CD CF>
200
^200
0
inn
[ . '
'
50 A Nmm"2 B PE mit hohemS chmelzi ndex
30 Nmm"2
40
25
CX>
cz
Ay
=3
IQ- 30 (/) CD
8 20
/B
cn
c CD
cz
CO
CD CD
10
10 * a
0,92
0,93
0,94 Dichte
g/cm 3 0,96
w
n
0,92
0,93
0,94 g/cm 3 0,96 Dichte
Bild 9.4 a. Abhangigkeit der mechanischen Eigenschaften von Polyathylen von der Dichte und damit vom Kristallisationsgrad
322
9 Polymerwerkstoffe
80 Nmm'2
10' Nmm"
uo°c
103 rr
60
E 40 a
&
20
™-*>^i >-
\f
3
86 °C
fio
z
|vPP PMMA
o
104 °C
10'
V
\
122°C
10 15 Dehnung e 120 Nmm"2
PA \
•o
IUP-Harz
I
20 % 25
-30
0
30
c
60 90 Temperatur
120
150X180
I
/ mit 34Gew.-% Glasfasermatte
100 80
fr
ol-Acrilnit ril
60 40 20
1 l/l «opDlymerisat
iBE 1
PS PE
/
(Bruchdehnung bei rd. 330%)
ihf/f 1 10
20
30 40 Dehnung e
50
60
11
% 70
Bild 9.4 b-d. b Spannungs-Dehnungs-Kurven von Polymethylmetacrylat (PMMA, Plexiglas) oberhalb von Raumtemperatur. DuktilsprSde-Ubergang Tg zwischen 80 und 40 °C. (Nach Alfrey). c Temperaturabhangigkeit des Schubmoduls einiger Kunststoffe (Bezeichnungen im Anhang). d Spannungs-Dehnungskurven verschiedener Kunststoffe bei 20 °C Abgleitvorgange zuriickzufiihren. Bei der Kennzeichnung der mechanischen Eigenschaften von Thermoplasten ist immer zu beriicksichtigen, da6 in der Nahe der Raumtemperatur die Werte sehr viel starker von der Verformungsgeschwmdigkeit abhangen als bei Metallen und keramischen Stoffen. Das Polyathylen (PE) ist ein Kunststoff mit verhaltnismaBig einfachem Aufbau, der groBe Bedeutung als Konstruktions- und Isolatorwerkstoff gefunden hat (Abschn. 5.2). Verzweigte Polyathylene entstehen durch Hochdruckpolymerisation, lineare Polyathylene durch Niederdruckpolymensation mit Hilfe von Katalysatoren. Mit dem linearen Molekiil ist ein hoherer Kristallisationsgrad, damit eine hohere Dichte und ein Polyathylen mit hoherer Festigkeit zu erreichen. Die Dichte des Polyathylens ist immer sehr gering, da es keine »schweren« Atome enthalt. Sie liegt zwischen 0,91 und 0,98 gem - 3 .
9.2 Plastomere oder Thermoplaste
323 1 ^^tm
^_(r^—«r~~
r*
—x-
_~
d— —a — —x~
101 Belastungszeit
/
1
° Polycarbonat —J v PYf oPMMA — A Polypropylen —
I—
102 —^
104
h
--^^Styrol-Acrylnitril-Mischpolymerisat
^/ABS schlag estes Polystyrol
Polyathylen hoher Dichte^*^"^
Polyattyden niec riger Di :hte
701—Polyesterharz mit 40% Glasfasermatten ^Formaldehyd-Mischpolymerisat—| -Polycarbonat-
101
102
103
Belastungsdauer
104h 105 10"1
10'
101
102
103
10'h
F
Belastungsdauer
Bild 9.5. a Kriechkurven von Kunststoffen bei einer Belastung von a = 2/3 Rm, der im Zugversuch bei 20°C ermittelten Kurzzeitfestigkeit Rm. b0,2% Zeitdehngrenzen einiger Kunststoffe. c Zeitstandfestigkeit einiger Kunststoffe iind von glasfaserverstarktem Kunstharz
324
9 Polymerwerkstoffe
Das PE kann mit verschiedener mittlerer MolekulgroGe und folglich auch mit verschiedener Zahfliissigkeit bei bestimmter Temperatur hergestellt werden. Zur technischen Kennzeichnung dient haufig (fiir PE und PP) der Schmelzindex (MFI: melting flow index)*. Der Wert dafur ist umso hoher, je diinnflussiger das geschmolzene Material ist. Bei Zunahme des Polymerisationsgrades p um den Faktor 3 nimmt der Schmelzindex auf etwa ein Hundertstel ab. Die mechanischen Eigenschaften von Polyathylen in verschiedenen Zustanden sind in Bild 9.4 a dargestellt. Die Temperaturabhangigkeit des Schubmoduls und der Dampfung ist kennzeichnend fiir einen teilkristallinen Zustand (Bild 9.4c). Der Schubmodul nimmt bereits im Temperaturbereich zwischen 50 und 100 °C so stark ab, daB eine Verwendung als Konstruktionswerkstoff bei hoherer Temperatur nicht mehr infrage kommt. Eindeutig ist der Zusammenhang sowohl des E-Moduls als auch der Streckgrenze mit der Dichte, deren Ursache verschiedener Kristallisationsgrad ist. In Bild 9.4b und d werden die Spannungs-Dehnungs-Kurven verschiedener Kunststoffe verglichen. Kennzeichnend ist eine starke plastische Dehnung, die auf Ausrichten und Aneinandervorbeigleiten der nur schwach gebundenen Molekulfaden beruht. Bei vernetzten Kunststoffen beginnt die RiBbildung bei geringerer Verformung durch AufreiBen der Briicken. Bild 9.5 zeigt das Kriechverhalten verschiedener Thermoplaste. Das Polyathylen kann leicht nach den ublichen Verfahren (Abschn.11.3) »thermoplastisch« verarbeitet werden. PE mit niedrigem Schmelzindex wird am besten im Extruder, mit hohem Schmelzindex im Spritzgufiverfahren verarbeitet. Die Auswahl einer bestimmten PE-Sorte richtet sich immer nach den gewiinschten Eigenschaften des daraus
200 300 400 500 600 700 Temperatur
C900
Bild 9.5 d. Das nach definiertem ErwSrmen auf bestimmte Temperatur noch vorhandene Gewicht dient zur Kennzeichnung der Hochtemperaturbestandigkeit von Kunststoffen Einheit: g/10 min. Beispiel: MFI 190/20 = jcbedeutet, daB bei 190 °Caus einer genormten Diise unter einem Druck von 20 Nmm -2 in 10 min x Gramm Kunststoff ausgeflossen sind.
325
9.2 Plastomere oder Thermoplaste
herzustellenden Teiles und nach der Verarbeitbarkeit. Dem PE konnen Pigmente, Stabilisatoren gegen Lichtschadigung (Ru8) oder »antistatische« Zusatze (Abschn. 5.2) zugemischt werden. Das Gefiige des so zusammengesetzten Werkstoffes ist dann zusatzlich durch die TeilchengroBe und den Grad der Durchmischung bestimmt. Nicht nur in Metallen, sondern auch in Kunststoffen kann SpannungsriBkorrosion auftreten. Bei gleichzeitiger Einwirkung von Zugspannung und polaren Fliissigkeiten bilden sich Risse. Fur PE sind gef ahrliche Fliissigkeiten Silikonole, atherische Ole und in Wasser geloste oberflachenaktive Stoffe. Die Neigung zur SpannungsriBkorrosion nimmt mit zunehmender MolekiilgroBe ab. Dariiberhinaus ist es empfehlenswert, innere Spannungen (Abschn. 4.5) in den Teilen zu vermeiden. Ein EinfluB der Umgebung auf die mechanischen Eigenschaften ist in vielen Fallen gefunden worden. Zum Beispiel kann die Temperatur, unterhalb der der Werkstoff glasartig bricht, je nach umgebendem gasformigen oder fliissigen Medium verglichen zum Vakuum erniedrigt werden. Die aus der Umgebung stammenden Molekule konnen ahnlich wie Weichmacher wirken und die mit Bildung von Zonen starker inhomogener Verformung (engl.: crazes) verbundenen plastischen Umordnungen der Molekule an der Spitze eines Risses ermoglichen (Bild 9.6). Ein weiterer thermoplastischer Kunststoff, der groBe technische Bedeutung erlangt hat, ist das Polyvinylchlorid (PVC). Chemisch unterscheidet es sich vom PE nur dadurch, daB ein Viertel der H-Atome durch CI ersetzt ist. Es entsteht dadurch ein polares Molekiil. Die Folge davon sind starkere Van-der-Waalsche Krafte zwischen den Mole-
^
c
Bruch
vAusbreitung
des Einschnurungsbereichs und weitere Verfestigung durch Streckung und Ausrichtung der Molekule
\
Bildung eines verfestigten Einschnurungsbereichs gleichmcinige plastische Verformung ^ elastische Dehnung
Bild 9.6 a-c Mechanische Eigenschaften thermoplastischer Kunststoffe. aErlauterungen zur Spannungs-Dehnungs-Kurve im Bereich hoher Bruchzahigkeit, a wahre Spannung, an nominelle Spannung (Abschn. 4.2). b, c Die Struktur ortlicher Zonen starker inhomogener Verformung (engl.: crazes), die zu zaher RiBausbreitung fuhren
»relative Dehnung e
craze-Zone
^unverformte Glasstruktur Hohlraum gestreckte Molekule
326
9 Polymerwerkstoffe
kiilketten und deshalb eine groBere Festigkeit, aber eine geringere Neigung zur Kristallisation. Die Chloratome sind die Ursache fiir die hohere Dichte des PVC verglichen zum PE. Der E-Modul und die Zugfestigkeit von PVC betragt unter vergleichbaren Bedingungen etwa das Dreifache der Werte von PE (Tab. 9.2). Tabelle9.2. Eigenschaften einiger thermoplastischer und duromerer Kunststoffe Stoff
e
PE PS PP PVC PA PTFE UP, EP
0,92... 1,05 ... 0,896 1,38 1,10... 2,10... 1,2
Nmm~2
E Nmm~2 10 2 '
%
T •'max °C
10...30 5 0 . . . 75 21 ...35 5 0 . . . 60 6 5 . . . 85 18... 26 60...70
2 ... 12 32...36 13 30 13 ...34 40 30...50
100..,. 1000 3 .... 5 250....700 20..,. 100 40.. .250 200.. . 250 2,0
6 0 . . .75 65 .. .85 90 85 80.. . 100 260 100.. . 125
^m
g cm" 3 0,96 1,08 1,15 2,3
£B
Die mechanischen Eigenschaften von PVC konnen durch den Zusatz von Weichmachern in weiten Grenzen geandert werden. Es handelt sich dabei urn verhaltnismaBig kleine Molekiile (M = 250 ... 500), die die Aufgabe haben, den mittleren Abstand der PVC-Molekiilfaden zu erhohen. Ein Beispiel dafur sind Ester der O-Phtalsaure .,
C00R
"
COOR
Das PVC wird mit zunehmender Konzentration des Weichmachers weicher, d. h. EModul und Streckgrenze nehmen ab, Dehnung, Schlagzahigkeit, Kaltebestandigkeit und Verarbeitbarkeit nehmen zu (Bild 9.7). Dem PVC werden Weichmacher in Konzentrationen bis zu 50% zugesetzt. Es nimmt dann gummielastische Eigenschaften ahnlich denen des Weichgummis an. Die Cl-Atome des PVC reagieren bei Einwirken von Warme oder Licht durch Abspaltung von CI und Bildung von HC1. Um die schadliche Wirkung dieser Reaktionen bei der Verwendung bei erhohter Temperatur oder bei der Umformung (T> 150°C) zu vermeiden, werden dem PVC Stabilisatoren zugesetzt. Diese Stoffe haben die Aufgabe, mit dem freiwerdenden Chlor zu reagieren, und es in einer unschadlichen Form zu binden. Haufig verwendet werden anorganische Verbindungen des Bleis oder organische Zinnverbindungen zugemischt. Die haufig verwendeten basischen Bleiverbindungen (Tribase) reagieren bei Erwarmen oder Bestrahlen unter Bildung von Bleichchlorid. Die Stabilisatoren werden als Kristalle von etwa 1 \xm Durchmesser im Kunststoff verteilt. AuBerdem konnen Stoffe als Gleitmittel zugesetzt werden. Sie haben die Aufgabe, das RieBverhalten der Kunststoffmasse zu verbessern und die Wandreibung zu vermindern. Insgesamt machen diese Zusatze etwa 3 bis 4 Gew.-% aus. Andere vielverwendete thermoplastische Kunststoffe sind Polypropylen (PP), Polyisobutylen (PIB), Polystyrol (PS), die Polyamide (PA) sowie eine groBere Anzahl von Kopolymerisaten. Das Polyisobutylen wird in verschiedener MolekiilgroBe benutzt. Es folgen daraus
9.2 PlastomereoderThermoplaste
Bild 9.7. Zugfestigkeit Rm und Bruchdehnung eB bei 23 °C von PVC abhangig von der Weichmacherkonzentration (Diocylphthalat, DOP)
327
0
5
10 15 20 25 30 Weichmacherkonzeniration
Gew.-% 40
verschiedene mechanische Eigenschaften und Anwendungsgebiete (Tab. 9.3). Die Zugfestigkeit von PIB bei 20 °C steigt bei Erhohung des Molekulargewichtes von 1 • 10 5 auf 2 • 10 5 von 2 auf 6 Nmm ~ 2 . Es ist gummielastisch bis etwa 100 °C und kann bei hoherer Temperatur thermoplastisch verarbeitet werden. Interessante Eigenschaften besitzen die fluorhaltigen Polymere. In Polytetrafluorathylen (PTFE) sind alle H-Atome des Polyathylens durch F-Atome ersetzt, so daB wieder ein symmetrisches Molekiil entsteht, das im Gegensatz zum PE allerdings ein spiralformiges Molekiil bildet, aber wie PE als Faltlamelle kristallisiert (Bild 9.3). Die relativ groBen F-Atome fuhren zu steifen, gestreckten Ketten. Der Staff kristallisiert Tabelle9.3. Eigenschaften und Anwendungsgebiete von Polyisobutylen verschiedener MolekiilgroBe Mittleres Molekulargewicht M
Eigenschaft
Verwendung
3000 50000 200000
viskosesOl klebrige plastische Masse rohgummiartig
Isolierol Klebstoffe, Dichtungsmassen thermoplastischer Werkstoff
vollstandig und kann deshalb nicht ohne weiteres thermoplastisch verarbeitet werden. Die Schmelztemperatur liegt bei 327 °C, die thermische Zersetzung beginnt bei 400 °C. Eine Verarbeitung ist nur dicht unterhalb dieser Zersetzungstemperatur moglich. Das geschieht entweder durch Sintern bei 350 bis 380 °C oder durch Extrudieren unter hohem Druck (Kap. 11). Durch schnelles Abkiihlen kann ein teilkristalliner Zustand erzeugt werden mit niedrigem E-Modul und hoherer Dehnung als der kristalline Zustand. Die bemerkenswerteste Eigenschaft dieses Kunststoffes ist seine sehr gute Temperaturbestandigkeit (Tab. 9.2), die auf der festeren Bindung innerhalb der Molekiile beruht, deren groBe F-Atome starker polarisierbar sind als die H-Atome des PE. Es ergeben sich aus dieser Eigenschaft Anwendungsmoglichkeiten, wenn es mehr auf Temperaturbestandigkeit als auf Festigkeit ankommt (Bild 9.5 d). Das PTFE besitzt neben den Silikonen die niedrigste Oberflachenenergie aller Stoffe. Daraus folgt ein sehr niedriger, trockener Reibungskoeffizient und die Anwendung zur Beschichtung von Gleitlagern. Infolge der nur maBigen Festigkeit der Bindung zwischen den Ketten ist allerdings der VerschleiBwiderstand nicht besonders hoch.
328
9 Polymerwerkstoffe
9.3 Duromere oder Kunstharze Im Gegensatz zu den Thermoplasten sind die Molekule in den Duromeren durch chemische Bindung (kovalente und lonenbindung) eng vernetzt (Bild 9.8). Die Bilder 9.9 a und 9.9 b zeigen schematisch die Temperaturabhangigkeit des Schubmoduls. Kennzeichnend ist eine geringe Anderung bis zur Temperatur der chemischen Zersetzung. Duromere konnen deshalb nicht durch viskoses FlieBen verformt werden. Sie miissen entweder in unvemetztem Zustand in die gewiinschte Form gegossen und dann durch Vernetzung gehartet werden, oder das Rohmaterial muB spanabhebend geformt werden. Die Molekule der Duromere sollten so aufgebaut sein, da8 die Vernetzungsreaktion leicht und kontrolliert ablaufen kann. Geeignet dafiir sind nicht stabile abgesattigte Molekule wie PE, sondern solche, die Seitengruppen enthalten, die zu Reaktion nur geringe Aktivierung benotigen. Diese Aktivierung kann durch Erwarmen, Bestrahlen oder durch Zusatz von Katalysatoren herbeigefuhrt werden. Die Briicken zwischen den Molekiilen konnen sich z. B. dann bilden, wenn ein H-Atom mit einer (OH)-Gruppe des zweiten Molekiils unter Abspalten von H 2 0 reagiert (Polykondensation). Eine andere Moglichkeit ist, Atome oder Molekule zuzumischen, die die Briicken herstellen (Abschn.9.4). Der Mechanismus der Hartung eines Duromers soil am Beispiel der ungesattigten Polyester (UP-Harze) erlautert werden (Bild 9.8). Die Polyester haben ein mittleres
ungesattigter Polyester
Q f ^ Styrol
R-R
Harter (zerfallt in der Warme in Radikale R • )
Bild 9.8. Hartung eines Duromers. Das Styrol dient als Losungsmittel und bewirkt mit Hilfe des Harters R-R die Vernetzung durch Aufbrechen der Doppelbindung und Reaktion mit den Ketten
329
9.3 Duromere oder Kunstharze
Molekulargewicht von 103. Sie entstehen aus ungesattigten Dikarbonsauren* und zweiwertigen Alkoholen. Die verhaltnismaBig groBen Molekiile der Polyester werden in Monomeren, am haufigsten in Styrol gelost:
* Ester sind Verbindungen von Sauren mit Alkoholen, die sich unter Abspaltung von Wasser bilden: 0 0 // // R'-C + H-OR"—-R'-C + H220 \ \ OH
OR"
Das Kennzeichen der Karbonsauren ist die Karboxylgruppe -COOH. Ihr einf achster Vertreter ist die Ameisensaure H-COOH. Fur UP-Harze werden Polyester von Dikarbonsauren wie z. B. Phtalsaure verwendet: COOH f ^ | — C O O H
vernetztes Harz (Duroplast)
Erweichung — H
[ teilkristalliner Thermoplast
Erweichenjl U-der—J | amorphen Anteile
Bild 9.9 a. Vergleich der Temperaturabhangigkeit des Schubmoduls G von Thermoplasten und Durometern
"T>
-eingefrorenerZustand——HL * . . . Erweichungsbereich
chemische Zersetzung
Schmelzen der i^*-kristallinen— I Anteile m Temperatur T
l
glasartig
f ,
~ " \
.Obergang
—\^— ' 2
Bild 9.9 b. Temperaturabhangigkeit des £-Moduls eines schwach vernetzten Duromers
Kautschukplateau ^^^HschwaclTvernetzt) >vKautschukfluG \ frei flieGend oder \ chemische \ Zersetzuna . Temperatur T
330
9 Polymerwerkstoffe
Das monomere Losungsmittel laBt sich mit dem Polyester durch Kopolymerisation vernetzen. Dies geschieht erst nach Zugabe eines Reaktionsmittels (organische PeroxidKatalysatoren). In Bild 9.8 zerfallt der Harter (R - R) und bewirkt die Offnung der Doppelbindungen des Styrols, das die Briicken zum Polyester bildet. Die Reaktion lauft bei 70 bis 150 °C mit technisch sinnvoller Geschwindigkeit ab. Phanomenologisch ist das Festwerden des Harzes durch zunehmende Vernetzung ahnlich der Ausscheidungshartung von Legierungen (Abschn. 8.3). Die Festigkeit steigt allerdings nur an, um beim Hochstwert konstant zu bleiben. Die Reaktion kann durch Einsatz weiterer Chemikalien so stark beschleunigt werden, da6 sie bei Raumtemperatur innerhalb einiger Stunden ablauft. Das gehartete Harz hat Eigenschaften, die in Tab. 9.2 angegeben sind. Dieser Werkstoff wird auBer als GieBharz auch im Verbund mit Glasoder Textilfasern gebraucht (Abschn. 10.2). Eine andere wichtige Untergruppe der Duromere sind die Epoxidharze (EP). Die Verbindungen enthalten an den Enden die reaktionsfahigen Epoxidgruppen —HC^^CH2
Die Hartung erfolgt durch Additionsreaktionen, je nach den zugesetzten Stoffen bei Raumtemperatur oder bei erhohter Temperatur. Die Epoxidharze schwinden bei der Hartung sehr wenig. Sie haften deshalb auf anderen Werkstoffen wie Metallen und Silikatglas sehr gut. Sie werden als GieBharze sowohl als mechanisch beanspruchte Konstruktionswerkstoffe (z. B. im Flugzeugbau) als auch in der Elektrotechnik als Isolatoren verwendet. Sehr haufig werden Epoxidharze auch als Bindemittel fiir anorganische Fiillstoffe wie Quarzmehl, Kaolin, Graphit verwendet. Der Zs-Modul dieser Verbundwerkstoffe ist sehr viel hoher als der des reinen Harzes, wahrend die Zugfestigkeit etwa konstant bleibt (Abschn. 10.2). Eine wichtige Anwendung finden Duromere als »optische Lacke« bei der Herstellung integrierter, elektronischer Schaltkreise (Kap.5.2 und 11.2). Sie kGnnen unvernetzt mit geeigneten LOsungsmitteln aufgelGst werden. Durch Bestrahlung, auch mit Licht, verlieren sie die LGslichkeit durch Vernetzung. Uber optische Masken konnen Strukturen hergestellt werden, die durch den Lack abgedeckt sind. An diesen Stellen kommen beim anschlieBenden Bedampfen die Dotierungselemente (Kap.5.2) nicht in Bertihrung mit dem Si-Kristall. 9.4 Elastomere oder Gummi Dies ist eine Werkstoffgruppe mit einzigartigen Eigenschaften, die wesentlich auf stark verknaulte Molekiileketten zuruckgefuhrt werden konnen. Physikalisch lehren die Elastomere die Bedeutung der Entropie (Unordnung des verknaulten Molekiils) fur das thermodynamische Gleichgewicht. Technisch bietet die Gummielastizitat Eigenschaften die durch keine andere Werkstoffgruppe erreichbar sind. Exemplarisch und in Erganzung zu Kap.0.6 soil die historische Entwicklung des Gummis an Hand einiger Geschichtszahlen aufgezeigt werden. 1500 Die Conquistadoren bemerkten, daB Mayas, Azteken und andere Bewohner Mittelamerikas Kautschuk als Spielballe aber auch fur Bekleidung (Schuhe) verwandten. Sie wenden ihre Aufmerksamkeit aber ausschliefilich den edleren Metallen zu. 1750 De la Condamine sendet ersten Bericht iiber Kautschuk an die Akademie Francaise.
9.4 Elastomere oder Gummi
331
1839 Goodyear errindet die Vulkanisation. 1888 Dunlop entwickelt Luftreifen. 1926 Buna - Polymerisation von Butadien mit Na, groBtechnische Herstellung synthetischer Gummis durch IG-Farben. 1949 Stahlgtirtelreifen bei Michelin entwickelt (Verbundwerkstoff, Kap. 10). Die Strukturen der Elastomere und der Duromere sind sehr ahnlich. Erstere sind weniger stark vernetzt und besitzen stark geknauelte Molekulketten. Die Verknauelbarkeit der Ketten hangt ab von der Rotationsenergie der -C-C-Bindung (Bild 1.8 c), die moglichst gering sein soil. Zum Abscheren dieser losen Molektilgertiste sind geringe Krafte notwendig. Mit der Abscherung verbunden ist eine Ausrichtung, also Ordnung der Molekiile. Beim Entlasten stellt sich der urspriingliche ungeordnete Zustand wieder ein. Diese Vorgange fiihren zu einem sehr niedrigen £-Modul des Stories. Wahrend sich andere Kunststoffarten in einem begrenzten Temperaturbereich gummielastisch verhalten, trifft dies fur Elastomere in einem weiten Temperaturbereich zu (Bild 9.10). Die chemische Vernetzung von Polymeren nennt man in der Gummiindustrie Vulkanisation. Das unvernetzte Material wird als Latex oder Rohkautschuk bezeichnet. Die Struktur eines wichtigen Bestandteils des Naturkautschuks wurde in Abschn. 9.1 angegeben (Poly-cis-1.4-isopren). Die Molektile des ktinstlichen Kautschuks sind diesem Molektil nachgebildet. Je nach Dichte der Vernetzungsstellen konnen verschiedene mechanische Eigenschaften des Gummis eingestellt werden. Bei hohem Vernetzungsgrad entsteht Hartgummi, dessen Eigenschaften mit denen der Duromere identisch werden. Die Polymerfaden der Kautschukarten zeichnen sich dadurch aus, daB sie eine groBe Zahl von ungesattigten Doppelbindungen enthalten. Bei der Herstellung eines Weichgummis werden sie nur teilweise abgesattigt. Das vermindert dann die chemische Bestandigkeit, z.B. die Oxidationsbestandigkeit an Luft. Bei Polymeren ohne Doppelbindungen besteht diese Gefahr nicht. Sie erfordern dann aber besondere Vulkanisationsverfahren. Es konnen auch Molektile thermoplastischer Stoffe z. B. durch Bestrahlen vernetzt und in den gummielastischen Zustand gebracht werden. In Gummiwerkstoffen spielt das Verstarken mit Ftillstoffen eine wichtige Rolle. Diese Zusatze (RuB ftir schwarzen, fein verteiltes Si02 fur weiBen Gummi) werden vor der Vulkanisation zugesetzt. Der Zusatz ftihrt zur Erhohung der Zugfestigkeit des Gummis. In Bild 4.22 wird das elastische Verhalten von Gummi gezeigt. Kennzeichnend ist der Anstieg des £-Moduls mit dem Verformungsgrad, der auf zunehmender Ausrichtung der Molektile beruht. Im einzelnen laufen in der Molektilstruktur mit zunehmender Spannung folgende drei Vorgange ab: Streckung der Molektilketten durch Bewegung von Kinken, Scherung des Molektilgertistes, elastische Dehnung der gestreckten Kette selbst. Der letztgenannte Vorgang besitzt eine groBe Kraftkonstante (1.6). Auf ihn folgt das ReiBen einzelner Ketten. Ein
Bild 9.10. Strecken eines Molekulknauls durch Scherung (Bild 9.3 a)
332
9 Polymerwerkstoffe
Zs-Modul kann fur Gummi eigentlich nicht angegeben werden, da er mit der Spannung zunimmt. Das Strecken eines Elastomers ist verbunden mit der Umwandlung des verknaulten Molekuls (mittlerer Abstand der Kettenenden L = 2/3c y^p) in den gestreckten Zustand (Molekiillange Lmax = c/?). Daraus folgt eine theoretische Streckfahigkeit
(9.4)
In Tab. 9.4 sind einige Eigenschaften gummielastischer Stoffe angegeben. Die obere Verwendungstemperatur ist gegeben durch den Beginn der thermischen Zersetzung, die untere durch den Obergang in den Glaszustand bei Tg (Abschn. 7.5). Diese Temperatur liegt fiir verschiedene Gummiarten zwischen —80 und —10 °C. Die obere Grenze der Temperaturbestandigkeit erreicht der Silikonkautschuk mit 180 °C. Die Verwendung des Gummis als Dichtungsmaterial beruht auf seinem geringen £-Modul, seine Dampfungsfahigkeit auf der Zeitabhangigkeit der elastischen Verformung. Eine Bemerkung ist notwendig zur Festlegung der Harte von Gummi. Sie wird unter Last gemessen, da die fur andere Werkstoffe giiltige Messung der plastischen Verformung zu HV = HB = «> fuhren wurde (Kap. 4.10). Als Reifenmaterial wird er im Verbund mit Metallen und Textilfasern gebraucht (Abschn. 10.2). Es wird ein mittlerer ReibungskoefFizient /J zwischen Kleben und Gleiten angestrebt (Abschn. 6.6).
Tabelle9.4. Eigenschaften von Elastomeren Dichte g cm"3
Naturkautschuk Cis-1,4-Polyisopren Chlorsulfoniertes PE Silikonkautschuk
0,93 0,93 1,25 1,25
Zugfestigkeit Nmm
2
unverstarkt
verstarkt
22 1 18 1,5
27 24 20 8
Elastische Bruchdehnung %
Bestandigkeit gegen Oxidation*
600 500 300 250
+ + + 4- +
* + +: sehr gut, +: gut, + —: maBig
9.5. Schaum-, Hochtemperatur-, Piezopolymere In diesem Abschnitt sollen erwahnt werden: 1. schaumbare Kunststoffe, die mit verschiedenen Rohdichten hergestellt werden konnen, 2. hochtemperaturbestandige Kunststoffe die zeigen, dafi durch Synthese neuer Polymerstrukturen diese kritische Grenze der Anwendbarkeit der Kunststoffe zu verschieben ist, 3. Silikone als Beispiel fiir eine Stoffgruppe mit ahnlicher Struktur wie die Kunststoffe, I
deren Molekiilgerust aber aus -Si-O- Elementen besteht,
9.5 Besondere Kunststoffe
333
4. Fliissig-kristalline Polymere, die gute FlieBfahigkeit mit hoher Orientierbarkeit der Molekule verbinden. 5. Klebstoffe sind eigentlich keine Werkstoffe sondern Zusatzstoffe. Sie sollten aber ahnlich wie Lote oder SchweiBzusatze die gleichen oder besseren Eigenschaften wie der zu verbindende Werkstoff haben, nachdem die Verbindung hergestellt ist. Beim Kleben sind allerdings meist besondere konstruktive MaBnahmen notwendig, um befriedigende Festigkeit der Verbindung zu erreichen (Abschn. 11.5). 1. Polymere mit einem grofien Anteil an Porenvolumen finden auf vielen Gebieten Anwendung, z. B. zur Warmeisolierung im Bauwesen und in der Kaltetechnik. Das Ausgangsmaterial ist ein thermoplastischer Kunststoff, z.B. Polystyrol oder Polyurethan. Das PS wird mit einem Treibmittel versehen. Beim Erhitzen auf etwa 90 °C wird es zahflussig. Die Teilchen blahen sich zu einem Schaumstoff auf, der aus geschlossenen Zellen aufgebaut ist. Die Rohdichte kann auf weniger als ein Fiinfzigstel abnehmen. Falls die Ausdehnung in einer geschlossenen Form ablauft, fiillt sich diese und eine definierte Dichte des Werkstoffs kann eingestellt werden. Zum Schaumen verwendet man vorzugsweise stromenden Dampf von etwa 105 °C und einem Oberdruck von 0,5 bis 1,2 bar. So werden Schaumstoffplatten oder Formteile hergestellt oder diinnwandige Hohlteile aus Metall durch Schaumstoff in ihrem Inneren versteift. Die Festigkeit des Schaumstoffs selbst ist erwartungsgemaB eine fast lineare Funktion der Dichte und damit des tragenden Querschnitts (Bild 9.11). Fur die Warmeleitfahigkeit ergibt sich ein Minimum bei 40% Porenanteil (Bild 9.12). Die GroBe und Dichtigkeit der Zellen sowie die Dicke der Zellwande sind weitere Faktoren, die die mechanischen Eigenschaften der Schaumstoffe bestimmen. Die Bruchdehnung ist bei offenen Zellen sehr viel groBer als bei geschlossenen. Letztere sind aber als federnde Polstermaterialien geeignet. 2. Neben dem niedrigen £-Modul ist die geringe Warmebestandigkeit der Kunststoffe eine entscheidende Grenze fur ihre Anwendbarkeit. Diese ist einmal gegeben durch
1.0 Nmm"2 0,6 0,4
Bild 9.11. Festigkeitsabnahme von geschaumten Thermoplasten etwa proportional dem Porenanteil (Styropor)
Bild 9.12. Warmeleitfahigkeit von geschaumten Thermoplasten zeigt bei bei mittleren Porenanteilen ein Minimum (Styropor)
0,2 n
10
0
13
10
16
20
20
30
25 Rohdichte
40
50 60 Rohdichte
30
70
kgm"3
80
40
kgm" 3 100
334
9 Polymerwerkstoffe
Tabelle9.5a. Thermische Zersetzung von Polymeren Polymer
Struktur
P-tetrafluorathylen P-butadien P-propylen
-CF 2 -CF 2 509 -CH 2 CH=CHCH 2 - - 407 -CH 2 CH387 CH3 380 -CF 2 -CFC1-CH 2 CH364 C6H5 -CH 2 C (CH 3 )328 COOCH3 -CH2CHC1260
P-chlortrifluorathylen P-styrol P-methylmetaacrylat P-vinylchlorid
Hd** kJmol" 1
Tf °C
339 259 242 238 230 217 134
* Temperatur, bei der das Polymer die Halite seines Gewichtes verliert, wenn es 30 min im Vakuum erhitzt wird. ** Aktivierungsenergie des Abbaus des Polymers Tabelle9.5b. Bindungsenergien einiger fur Hochtemperatur-Kunststoffe wichtiger Bindungen Bindung
kJmol" 1
Bindung
kJ mol"1
C= O C= C C - C (aromatisch)
727 606 518
C - C (aliphatisch) Si - O (Silikon)
334 372
Tabelle 9.5 c. Warmebestandigkeit einiger Kunststoffe Bezeichnung
Firmenbezeichnung
Chemische Bestandigkeit °C
Erweichungstemperatur °C
Poly-p-xylylen Polysiloxan Terephtalsaure Glykolpolyester Polytetrafluorathylen Polyimid aus Pyrmellithsaureanhydrid + 4,4 -Diamonodiphenylather
Karylen Silikon Diolen, Trevira, Mylar
95 200 130
40tf 200 260
Teflon, Hostaflon
250 250
330 800
die mit zunehmender Temperatur stark abfallenden mechanischen Eigenschaften wie elastische Konstanten und Streckgrenze. Zum anderen erleidet der Kunststoff zunehmend einen Substanzverlust durch thermisches Abdissoziieren und bei noch hoheren Temperaturen Zerstorung der Ketten selbst. Dem ist verwandt die Strahlenschadigung von Polymermolekulen. Hierbei kommt es auf das Verhaltnis von Dissoziationsenergie Hd zur Energie eines Strahlenquants an. Die Bildung von Cl+ kann PVC bereits durch sichtbares Licht erfolgen, wahrend PTFE recht stabil ist. Es gibt deshalb viele Versuche, neue Kunststoffe mit besserer Temperaturbestandigkeit zu entwickeln. Fur sehr kurze Verwendungszeiten konnen Duromere, die mit Pul-
9.5 Besondere Kunststoffe
335
vern keramischer Stoffe gefullt sind, fur Temperaturen bis zu 1000 °C gebraucht werden. Der Kunststoff verkokt in der Oberflache und bildet eine kurzzeitig wirkende Schutzschicht. Der Schwerpunkt der Entwicklung geht dahin, Kunststoffe zu entwickeln, die bei erhohten Temperaturen fiir langere Zeiten verwendet werden konnen. Neben den mechanischen Eigenschaften (Kap. 4) verwendet man haufig den Gewichtsverlust unter festgelegten Bedingungen zur Kennzeichnung der Warmebestandigkeit von Kunststoffen (Tab. 9.5). Sie kann erhoht werden, wenn die molekulare Struktur in folgender Weise beeinfluBt wird: Durch Erhohung der Kristallinitat wird eine groBere Moglichkeit zur Ausbildung der zwischenmolekularen Krafte gegeben. Lineares Polyathylen enthalt unter vergleichbaren Bedingungen einen groBeren Kristallanteil als stark verzweigtes. Eine Erhohung des kristallinen Anteils von 65 auf 90% entspricht einer Erhohung der Temperaturbestandigkeit von 90 auf 165 °C. Auf dem gleichen Prinzip beruht die gute Temperaturbestandigkeit des PTFE. Dazu kommt, daB die C-F-Bindung wesentlich starker ist, als die C-H-Bindung (460 bzw. 380 kJmol"1). Deshalb wird die stark geknickte Kette des PE gestreckt, wenn H- durch F-Atome ersetzt werden. Als Folge davon konnen sich die Ketten sehr eng zusammenlagern. Die schwachen zwischenmolekularen Krafte bewirken zwar, daB PTFE bei erhohter Temperatur zu kriechen beginnt., Infolge der sehr hohen innermolekularen Bindungsenergie istdieser Werkstoff aber sehr stabil gegen Gewichtsverlust durch thermische Zersetzung. Es besteht ein Zusammenhang zwischen der Bindungsenergie einzelner Atomgruppen der Molekule und der Warmebestandigkeit. Einige Werte dazu sind in.Tabelle 9.5 angegeben. Aromatische Verbindungen sind besonders warmebestandig. Die gewiinschten Kunststoffe entstehen, wenn sie als Monomere mit bestandigen Bindungen zu Polymeren verkniipft werden. Auf dieser Grundlage beruht die Entwicklung neuer Kunststoffe. Die Struktur der Molekule kann dabei folgendermaBen aussehen: In linearem Polymer sind die aromatischen Ringe durch eine stabile Bindung verkniipft. In Halb-Leiterpolymeren bestehen in Teilen der Kette zwei Verknupfungen der Ringe. In den Leiterpolymeren sind alle Ringe doppelt verkniipft (Bild 9.13).
Beispiel
Struktur
/V
J\-/ Polyphenylen
lineares Polymeres
my Hatb-Leiter Polymeres
» o
0 II
vo^
I o Po I y i m i d Y
^
II
o Leiter Polymeres
Bild 9.13. Grundtypen aromatischer Polymere. (Nach Behr)
Polypyron
9 Polymerwerkstoffe
336
Mit Hilfe der letztgenannten Polymere ist es moglich, die 300°C-Grenze fiir die Verwendung der Kunststoffe zu iiberschreiten. Ihre wirtschaftliche Herstellung wiirde dann dieser Werkstoffgruppe eine groBe Zahl neuer Anwendungen erschlieBen. Hier sind in den letzten Jahren die aromatischen Amide (Aramide) entwickelt worden, die als Fasern in Geweben oder faserverstarkten Werkstoffen besonders hohe Festigkeit zeigen. 3. Die Silikone bilden eine besondere Gruppe polymerer Werkstoffe, die sich da\m durch auszeichnen, daft nicht C-Atome, sondern Ketten der Struktureinheit - Si - O — I^ das Grundgeriist bilden. Obwohl keine vollstandige Analogie zu den organischen Kunststoffen besteht, konnen jedoch mit Silikonen Stoffe erhalten werden, die Eigenschaften wie Elastomere, Duromere und Ole besitzen. Vor den Kunststoffen auf C-Basis zeichnen sich die Silikone durch hohe Temperaturbestandigkeit und durch hohe chemische Bestandigkeit aus. Als Werkstoffe kommen Silikonharze infrage, die bis zu 180°C, kurzzeitig bis zu 300 °C verwendet werden konnen. Der Silikongummi zeigt eine Kon-
50 100 Temperatur
C 200
Bild 9.14. Temperaturabhangigkeit der Zugfestigkeit verschiedener Gummitypen. Die geringen Werte bei tiefen Temperaturen sind auf den Glasiibergang zuriickzufiihren. (Nach Noll)
iUU
% 90
Silikc nkaut schuk
U
1
80
ft
70 -60 .o
V
J , 50 a>
^Phen olharz
\
~40
\
' JU
30
-Epox yanarz angenaherte ^ P p l /ester iarz Gebrauchstemperatur 20 —. • i s ilikonkautschuk
.10
i
-
- mlenolharz —"IFpr xydharz » J Potyesl erhar;i
0 100 200 300 400 500 600 700 800 °C 900 Temperatur
Bild 9.15. Thermogramme von Duroplasten und Silikongummi (vgl. Bild 9.5 d)
337
9.5 Besondere Kunststoffe
stanz der mechanischen Eigenschaften tiber einen sehr viel groBeren Temperaturbereich als »organischer« Gummi (Bilder9.14 und 9.15). Wegen ihrer auBerst niedrigen Oberf lachenenergie werden Silikonbeschichtungen als »Antiklebmittel« verwendet. Fur die Herstellung von Thermoplasten eignen sie sich nicht, weil sie kaum kristallisieren und die Molektile nur durch schwache zwischenmolekulare Bindungen verkntipft sind. Um einen Stoff mit ausreichender Festigkeit zu erhalten, ist Vernetzung notwendig. 4. Flussig-kristalline Stoffe bewahren auch oberhalb der Schmelztemperatur noch einen Teil der kristallinen Ordnung. Fur Kettenmolekule unterscheiden wir lyotrope (in einem Losungsmittel beflndliche Molektile) und thermotrope (geschmolzene) Stoffe. Lyotrope Fltissigkristalle finden fur Digitalanzeigen vielfaltige Verwendung. Die thermotropen Polymere gehoren zur Familie der Thermoplaste. In geschmolzenem Zustand bewahren sie jedoch die kristalline Ordnung in Form von Bereichen mit parallel-liegenden Molektilketten. Wird eine solche Schmelze einem Schubspannungsgradienten ausgesetzt, i. e. zum FlieBen angeregt (Kap. 4.7), so orientieren sich diese Bereiche sehr viel leichter in FlieBrichtung als bei einem normalen Thermoplast. Die Folge ist, dafi schon bei geringer FlieBgeschwindigkeit ein starker Abfall des Viskositatsbeiwerts r\ auftritt (Kap. 4.7, 4.21, Bild9.16). Nach dem Abktihlen bleibt eine in FlieBrichtung sehr ausgepragte Orientierung der Molektile zurtick - mit hoher Festigkeit in dieser Richtung aber auch SpleiBneigung in der Querrichtung (Anisotropic ahnlich Holz, Kap. 10.6). Wegen der gtinstigen Kombination von fertigungstechnischen und Gebrauchseigenschaften hat diese neue Polymergruppe hohe Erwartungen geweckt. 5. Organische Klebstoffe mtissen zwei wichtige Forderungen erftillen: Adhasion mit dem zu verklebenden Werkstoff und Kohasion im Klebstoff, damit die Verbindung belastbar ist. Die Starke der Adhasion ergibt sich aus der Bilanz der Oberflachenenergien yKO, /wo und der neugebildeten Grenzflache Klebstoff - Werkstoff / K w (Kap. 6.6): (9.4)
XKO+XWO>XKW-
T = const
log Schergeschwindigkeit y Bild 9.16. Normale Flussigkeiten (Wasser, Metallschmelzen) andern ihre Struktur beim FlieBen nicht. In Polymeren orientieren sich die Molektile in FlieBrichtung. Diese Umorientierung geschieht aus dem flussigkristallinen Zustand besonders leicht. Daraus folgt deren gute FlieBfahigkeit
338
9 Polymerwerkstoffe
Folglich soil der Klebstoff eine hohe Oberflachenenergie yKO besitzen, d. h. aus unsymmetrischen, stark polarisierbaren Molekiilen bestehen. Aus dem gleichen Grund soil die Oberflachenenergie des zu verklebenden Werkstoffs ywo hoch sein. Aus symmetrischen Molekiilen aufgebaute Kunststoffe (PE, PTFE) sind deshalb schlecht klebbar. Die Kohasion der Klebung entspricht der Festigkeit des Kunststoffs. Thermoplaste sind deshalb kaum belastbar, wahrend die »Konstruktionsklebstoffe« die Stniktur von Duromeren haben. In der Klebtechnik werden Ein- und Mehrkomponentenkleber unterschieden. Einkomponentenkleber werden als Losung oder Schmelze aufgebracht. Mit Verdampfen oder Erstarren zunehmende Visiositat erzeugt dann Kohasion. Bei Mehrkomponentenklebern bewirken chemische Reaktionen wie Polyaddion das Festwerden des Klebstoffs, das dann als Ausharten bezeichnet wird. Der »Harter« ist ein Zusatz, der die Reaktion auslost und beschleunigt. UP-Harz und Styrol werden z. B. als Komponenten vermischt, denen dann organische Peroxide als Harter zugesetzt werden. Andererseits reagieren die Komponenten Epoxidharz und PA ohne daB ein Harter benotigt wird. Fiir alle mechanisch beanspruchten Konstruktionen werden Klebstoffe auf der Grundlage der Duromere verwendet, auBer den erwahnten auch Polyester, Polyurethane und Silikone. Tabelle9.6. Schmelztemperatur und OberflSchenenergien einiger thermoplastischer Polymere Polymer
Schmelztemperatur rkf [°C]
Oberflachenenergie y [10-3Jm-2]
PTFE PE PP PS PVC PA66 PMMA LCP
327 137 165 140 212 250 160 300
22 24 26 29 36 37 39 50
Tabelle9.7. Kunststoffe im europaischen Automobil, Gesamtgewicht 1200 kg, 70 kg Kunststoffe - 6% Menge kg PVC PE PP Polyester ABS Nylon, PA PE Rest.
Anteil %
15 15 10 8 7 4 3 9
22 22 13 12 9 6 4 12
70
100
Bild9.17. Gewichtsanteile der beim Bau von Personenkraftwagen verwendeten Werkstoffe (vgl. Tab. 9.7)
339
9.6 Schmierstoffe
Die Verwendung der verschiedenen Werkstoffe beim Bau von Personenkraftwagen zeigt Bild 9.17. Daraus geht hervor, daB heute noch metallische Werkstoffe das eindeutig vorherrschende Konstruktionsmaterial darstellen, aber auch Kunststoffe schon vielfaltig eingesetzt werden. Deren Anteil hat sich in den letzten Jahren stetig erhoht. Dies geschah, indem in der Regel fur einzelne Teile - wie z. B. der Benzintank - der Stahl durch Polymersysteme ersetzt wurde. Der Vorteil ist Leichtigkeit und die Herstellbarkeit komplexer Formen durch einen BlasprozeB (Kap.11.3). In letzter Zeit regt sich jedoch zunehmender Widerstand gegen den hohen Polymeranteil im Kraftfahrzeug. Der Grund ist eine verschlechterte Verschrottbarkeit, also groBere Probleme bei Abfallbeseitigung und Ruckgewinnung der Rohstoffe (Kap. 12). 9.6 Schmierstoffe Sie dienen der Trennung aufeinander gleitender Oberflachen. Der Zwischenstoff ist natiirlich kein Werkstoff, sondern Bestandteil des tribologischen Systems (Bild 6.1). Er ist in der Regel fliissig, kann aber auch fest sein. Bei »trockener Reibung« fehlt ein solcher Stoff. Erlaubt ist dann nur Luft einschlieBlich des in ihr enthaltenen Wassers. Die fliissigen Schmiermittel sind organische Molekiile, Silikone oder Wasser. Feste Schmiermittel sind Schicht- oder Faserkristalle, bei denen immer in einer oder zwei Richtungen eine sehr schwache Bindung zwischen den Atomen besteht: Graphit, MoS2, PTFE. Am gebrauchlichsten sind flussige KohlenwasserstofFe mit gesattigten, stabilen Bindungen, Cn H2„+2> z- B. (Tab. 9.3) T T T
T T T T t
T T T T
• (fa(b(pcbcbd)(b(b(fa(fa(b(b» • • • ! • • • • • • • •
n= 12
Doppelbindungen bewirken eine Reaktionsfahigkeit, die als Alterungsneigung unerwunscht ist, wahrend Isomere zu einer Vielfalt von ketten- oder ringformigen, gesattigten Molekiilen fuhren. Wir konnen sie nach der Anzahl n der C-Atome einteilen: 5 10 20 35
< < < >
n<4 n < 12 n < 22 n < 35 n
Gas Benzin Heiz-, Dieselol Schmierol Fett, Wachs
Alle diese Stoffe sind noch keine Hochpolymere, diesen aber nahe verwandt. Dies fuhrt dazu, daB sie miteinander durch Diffusion (z. B. Benzin durch Polymertank) oder als Losungsmittel reagieren konnen. Die wichtigste Eigenschaft der Schmiermittel ist ihre FlieBfahigkeit, die fur deflnierte Temperaturen angegeben wird. Bereits erortert wurde die dynamische Viskositat (4.21): 7] = [Pa • s]
(technisch oft in [m Pa • s] angegeben)
(9.5 a)
Sie ist maBgeblich, wenn das FlieBen in hohem Schergradienten, also unter Fremddruck, erfolgt. Die kinematische Viskositat ist auf die Dichte gbezogen. Sie gilt fur geringe Schergradienten, also das FlieBen unter Gravitationskraft:
340
9 Polymerwerkstoffe H
=
Q
L
:—J
=
g
—
(oftin[mm 2 s _1 ]angegeben)
(9.5 b)
s J
Wir erkennen, daB diese Einheit derjenigen des Diffusionskoeffizienten entspricht, wie auch die Temperaturabhangigkeit beider Materialkennwerte gleich ist (4.22). Zur technischen Kennzeichnung der Schmierstoffe dienen zunachst Viskositatswerte, die bei ganz bestimmten Temperaturen nach genormten Verfahren gemessen werden. Zum Beispiel bei 0° F= - 1 8 °C und 210° F = 100°C, die SAE Klassen (Society of Automotive Engineers) oder ISO VG (International Organization for Standardization, viscosity grades). Andere technische Eigenschaften sind der Stockpunkt (pourpoint), diejenige Temperatur, bei der die FlieBfahigkeit beginnt. Der Flammpunkt ist die Temperatur, bei der der Schmierstoff brennbare Dampfe bildet. Im tribologischen System (z. B. Lager/Welle) wird angestrebt, daB der Schmierstoff die beiden Oberflachen vollig trennt. Die Energiedissipation der Reibung flndet im flieBenden Schmiermittel statt. Dieser Zustand wird erst oberhalb einer bestimmten Gleitgeschwindigkeit vc erreicht. Darunter finden wir den Zustand der Mischreibung und der dx adhasiven Ruhereibung am Anfang. Aus der Gleitgeschwindigkeit v = — und der dt Spaltbreite Ay folgt der Schergradient im Schmiermittel: ^ 1 dydt
=
4Z dt
= }
,
=
JL = Ay
105_ioS-
1
(9.6)
Die angegebenen Werte treten in Gleitlagern unter normalen Betriebsbedingungen auf. Die Kettenform der Molekiile bedingt, daB Schmiermittel sich nicht streng linear wie Newtonsche Flussigkeiten verhalten. Die Reibungskraft FR steht in direktem Zusammenhang mit der Viskoitat r\ (Bild 9.16): FR=2-lA Ay
(9.7)
wobei A die Flache ist, in der das Schmiermittel die beiden Oberflachen verbindet. Fiir den Wert von rj ergibt sich ein Optimum, da Viskositat und Geschwindigkeit vdie Tragfahigkeit des Schmierfilms (z. B. fur die Welle) bestimmen (hydrodynamische Schmiertheorie). Die meisten Schmiermittel enthalten weitere Zusatze von meist andersartigen organischen Molekiilen in Mengen, die zwischen ppm und « 10% liegen konnen. Diese Additive haben vielerlei Wirkungen, z. B.: Verringerung der Alterungsempfindlichkeit des Schmiermittels, Verringerung der Neigung zur Schaumbildung, Verringerung des Reibungskoefflzienten, Verringerung der Korrosionsneigung in den Oberflachen, Dispergierung kleiner VerschleiBpartikel. Unter Alterung versteht man eine chemische Veranderung der Schmierstoffmolekule. Ein Beispiel ist die Reaktion einer Doppelbindung mit dem Sauerstoff der Luft. Es kann aber auch Briickenbildung auftreten. Ein Additiv reagiert mit derartigen Stejlen und schirmt sie ab. Entsprechendes gilt auch fur VerschleiBprodukte (Cu-, Fe-Teilchen). Diese werden umhtillt und im Schmierstoff dispergiert. Diese Additive bestehen aus einem nicht-polaren und einem polaren Molekiilteil.
9.7 Naturliche Polymere nicht-polar
341 polar
d) Cb (b (b 6 — ( | + )
Wahrend der polare Teil an Oberflachen oder ungesattigten Bindungen haftet, ist der unpolare Schwanz mit dem Ol vertraglich, i. e. mischbar. Bei den polaren Molekiilteilen handelt es sich oft urn metallorganische Verbindungen. Sie zersetzen sich allerdings mit Riickstand (Asche). Es wird deshalb angestrebt, sie durch aschefreie, rein organische Verbindungen zu ersetzen, die zu H 2 0 oder C0 2 riickstandfrei verbrennen (Bild 9.18).
Flieflrichtung
Schmiermittel
"I I I I I I
WW
Additiv Lager
b
1+)
(+
'//////////////////////,
Bild 9.18. aOrientierung der Molekiile im Schergradienten; bWirkung von Additiven an der Lageroberflache
9.7 Naturliche Polymere Dazu gehoren alle Stoffe, die nicht kunstlich durch chemische Synthese hergestellt werden. Ihr Ursprung ist die Biosynthese, in der mit Hilfe von Lichtenergie, H 2 0 und C0 2 aus der irdischen Atmosphare zum Glukosemolekul vereinigt werden. Dies geschieht in der Pflanze. Die Weiterverarbeitung zu polymeren Biomolekulen kann dann in einer Vielzahl von pflanzlichen und tierischen Lebewesen erfolgen (Bild 9.19). Diese Molekiile werden also biologisch aufgebaut. Ihr Abbau kann stets auch biologisch, also durch Bakterien erfolgen. Dies ist beim Schliefien von Stoffkreislaufen (Recycling, Kap. 12) von Bedeutung. Die biologische Abbaubarkeit kiinstlich hergestellter Polymere also der KunststofFe - ist in diesem Zusammenhang zur Zeit ein reizvolles Forschungsthema. Starke und Cellulose sind polymerisierte Kohlehydrate (Bild 10.21), Polypeptide und Proteine dagegen Polyamide. Letztere enthalten folglich N-Atome, oft auch S und in speziellen Fallen viele weitere Atomarten (z. B. Fe im Hamoglobin). Von den kiinstlichen Polyamiden (Nylon, Perlon) unterscheiden sie sich dadurch, dafi sie aus etwa 20 Aminosauren zusammengesetzt sind. Diese Bausteine werden in der Natur in einer Vielzahl von Folgen durch Polykondensation aneinandergefugt.
342
9 Polymerwerkstoffe CH2OH
(SonnensKern)-Energie
Ihv
-I
x C 0 2 + y H20
OH
H OH
OH
V
H
-
I H
i OH
Glukose
BlopolymerisQtion
4— +zH20
Starke, Cellulose durch Warme, Strahlung + biologisch (Mikroorganismen, Pilze) abbaubar = > geschlossener C02-Kreislauf! Bild 9.19. Biologischer Aufbau von Zellulosemolekulen. Deren biologischer Abbau (Kompostieren, Bild 0.2 b) liefert ein Beispiel fur einen geschlossenen Kreislauf der WerkstofFe
Beispiele fur Aminosauren COOH
COOH
1
COOH
1
NH2—C—H
NH2—C—H
1 1
1 1
1
NH2—C—H
COOH I
1 NH2—C—H 1
H
CH3
CHOH
CH2SH
Glycin
Alanin
Serin
Cystein
Ein Beispiel fur den Beginn der Bildung eines Polypeptids liefert die Bildung von Glycylglycin aus Glycin: O
II NH 2 —CH 2 —C—NH—CH 2 —COOH+H 2 0 Glycylglycin Die Folge der Monomere wird durch Katalysatoren (= Enzyme) gesteuert. Aus den 20 Bausteinen laBt sich bei entsprechender Lange der Ketten eine sehr groBe Anzahl verschiedener Kopolymere herstellen (M « 10 6 ). Dazu konnen die Ketten eine grofle Zahl von Konformationen aufhehmen. In der Natur dienen sie oft als Informationsspeicher
9.7 Natiirliche Polymere
343
(vgl. Bild 12.3) mit extrem hoher Speicherdichte. Eine kunstliche Herstellung derartiger molekularer Speicher ist gegenwartig noch nicht abzusehen. Die bekannte Einteilung der Kunststoffe nach ihrer Molektilkettenanordnung in Thermoplaste, Elastomere und Duromere konnte auch fur die natiirlichen Polymere vorgenommen werden. Jedoch bietet sich eine Begriffsbestimmung nach Herkunft der Biopolymere an (Bild 9.20). Es wird zwischen tierischem und pflanzlichem Ursprung unterschieden. Natiirliche Polymere tierischen Ursprungs sind beispielsweise Wolle oder Seide. Biogene Polymere mikrobieller Herkunft, wie PHB oder PHBV (Poly-(/?-hydroxybutyrat)/valreat), werden durch Bakterien fermentativ aus Zucker gebildet. Man erhalt ein wasserlosliches weiBes Pulver, das thermoplastisch verarbeitet werden kann. Auch Biopolymere pflanzlichen Ursprungs, wie die Polysaccharide Starke oder Zellulose sowie die netzwerkbildenden Polymere (Japanlack, Schellack, Kautschuk, Latex, Lignin) sind aufgrund ihrer Verarbeitbarkeit fur einen Einsatz als WerkstofFinteressant. Biologisch abbaubar sind nicht nur natiirliche Materialien. Ein Beispiel fur synthetische Herstellung eines abbaubaren Polymers liefert Zelluloseacetat (CA), das durch eine Esterreaktion der Zellulose entsteht. Es kann unter Verwendung von unterschiedlichen Weichmachem bei hoheren Temperaturen plastisch zu Folien, Fasern (Kunstseide) und Formteilen verarbeitet werden. Der Abbau wahrend der Kompostierung schreitet langsamer voran als bei reiner Zellulose. Das Polyester Polycaprolactan (PCL) ist ein biologisch abbaubares Polymer synthetischen Ursprungs. Es wird aus f-Caprolacton hergestellt, welches aus Cyclohexanon und Peroxyessigsaure erhalten wird. Auch PCL kann thermoplastisch verarbeitet werden. Jedoch wird seine Anwendung durch seinen relativ niedrigen Schmelzpunkt von 60 °C eingeschrankt, so dafl PCL in der Regel als Weichmacher und Gleitmittel zum Einsatz kommt. Polyvinylalkohol (PVAL) ist ein wasser-
Bild 9.20. Einordnung der Biopolymere innerhalb der Werkstoffgruppe der Polymere
344
9 Polymerwerkstoffe
loslicher Kunststoff und entsteht durch mehrere Syntheseschritte aus Acetylen und Wasser. Durch die Zugabe von Glycerin als Weichmacher ist eine thermoplastische Verarbeitung moglich. In der chemischen Industrie wird PVAL beispielsweise als Verdickungsmittel und Klebstoffzusatz sowie zur Impragnierung von Textilien und Papier verwendet. Es eignet sich zur Herstellung von wasserloslichen Filmen und Lacken sowie von Fasern, die aus einer Losung versponnen und verstreckt werden. PVAL wird in waBrigen Suspensionen biologisch abgebaut. In ihrer Gesamtheit betrachtet, konnen natiirliche Polymere in Partikel- oder Massivmaterial (Starke, Kautschuk), in Fasermaterial (Zellulose) oder in Verbundmaterial (Holz, Baumwolle, Chinaschilf) unterteilt werden. Kartoffelstarke wird seit Jahrzehnten vornehmlich in der Lebensmittel- und Papierindustrie eingesetzt. Sie kann ohne Zugabe von Additiven auf herkommlichen Kunststoffverarbeitungsmaschinen thermoplastisch verarbeitet werden. Im Gegensatz zu anderen Starkearten wie Reis-, Mais- oder Erbsenstarke kann die Kartoffelstarke bei einem Preis von unter 1 Euro/kg mit Massenkunststoffen konkurrieren. Einerseits steht sie in nahezu unbegrenzter Menge zur Verfgung, andererseits fordert eine erweiterte technische Nutzung den Abbau der Uberproduktion in der Europaischen Union. Daher scheint die Kartoffelstarke besonders geeignet zu sein, Werkstoffaufgaben zu erfullen. Im Wettbewerb der Werkstoffe hinsichtlich ihrer Umweltvertraglichkeit spielen viele Faktoren eine Rolle. Um die natiirlichen Polymere einordnen zu konnen, sollte ihr Lebenszyklus mit dem konkurrierender kunstlicher Materialien verglichen werden. Eine Bewertung ergibt in manchen Fallen Vorteile fiir natiirliche Polymere. Es lohnt jedenfalls, ihnen in Zukunft starkere Aufmerksamkeit zu widmen.
10 Verbundwerkstoffe 10.1 Eigenschaften von Phasengemischen Die Kombination von zwei verschiedenen Phasen oder Werkstoffen mit dem Ziel, einen Werkstoff mit neuen, besseren Eigenschaften zu erhalten, ist nicht neu. So besteht der Damaszenerstahl aus diinnen Schichten von hartbarem Stahl, eingebettet in weichem, kohlenstoffarmen Eisen (Abschn. 8.5). Auf diese Weise entsteht ein Werkstoff, der hohe Festigkeit der Schneide mit geringer Neigung zu Bruchbildung verbindet. Die Bereiche des weichen Stahls hindern die in den harten Zonen entstehenden Risse durch plastische Verformung am Weiterwachsen (Abschn. 4.4). Noch weiter zuriick liegt die »Erfindung« der organischen Verbundwerkstoffe. Das Holz besteht im wesentlichen aus festen Zellulosefasern, die durch Lignin verbunden werden. Es entsteht ein Werkstoff mit einem ausgezeichneten Verhaltnis von Zugfestigkeit (in der Faserrichtung) zur Dichte, der auch durch die neuesten Entwicklungen kunstlich hergestellter Verbundstoffe kaum ubertroffen wird. Die geringe Zugfestigkeit keramischer Stoffe wie Beton und Fensterglas kann verbessert werden, wenn sie mit Metallen kombiniert werden. Das fuhrt mit dem Stahlbeton und dem metalldrahtverstarkten Glas zu Verbundwerkstoffen, die auch Zugspannungen, ausgesetzt werden konnen. Die Bimetalle sind Verbundwerkstoffe mit Eigenschaften, die ihre Komponenten nicht zeigen. Zwei Metalle mit moglichst unterschiedlichen Ausdehnungskoeffizienten a (Abschn. 5.6) werden als Bander miteinander verschweiBt. Bei Temperaturanderungen biegen sie sich. Fiir temperaturabhangige Regelungsprozesse sind sie deshalb sehr nutzlich (Funktionswerkstoffe, Sensor + Stellglied). Je nach Form und Anordnung der beiden Komponenten ist folgende Einteilung sinnvoll(BildlO.l): Isotrope Gefuge (Bild 3.23): z.B. Hartmetalle, Cermets, Trankwerkstoffe, Kontaktwerkstoffe, Wolfram-Gluhfaden (W); Faserverbund-Werkstoffe: Faserverstarkte Kunststoffe oder Al-Legierungen, Stahlbeton; Schichtverbunde: Sperrholz, Sicherheitsglas, lamellenformige CVD-Hartbeschichtung von Werkzeugen; Oberflachenbeschichtung: korrosions-, zunder- und verschleiBmindernde Beschichtung. Aus diesen einfachen Geometrien lassen sich beliebig komplizierte Strukturen ableiten. Zu den Verbundwerkstoffen zahlen auch die integrierten Schaltkreise, in denen Leiter, Halbleiter und Isolatoren so angeordnet sind, da6 eine Vielzahl elektronischer Funktionen zustande kommen (Abschn. 5.1, 11.2). Die Abmessungen dieser Verbundstrukturen liegen oft unterhalb des Mikrometerbereichs, (10~~6 m). In der gegenwartig viel diskutierten Mikro- und Nanotechnik erreichen die Abmessungen der kunstlichen Gefiigeelemente einige Nanometer (10~9 m). Atomabstande liegen bei 10~10 m (Kap. 1).
346
10 Verbundwerkstoffe
Tabelle 10.1. Eigenschaften von Whiskern mit Durchmessern zwischen 1 und 4 urn bei20°C Stoff
Fe Cu Si Graphit A1 2 0 3 SiC
Zugfestigkeit Rn GPa
Dichte g gem -3
Zs-Modul GPa
°C
12 3 7 20 16 20
7,8 8,9 2,3 2,2 4,0 3,2
210 120 180 700 580 700
1540 1083 1456 3000 (Tkg) 2050 2600
Tkf
Tabelle 10.2 a. Zugfestigkeit verschiedener Fasermaterialien bei 20 °C
Sodaglas Kieselglas Bor Stahl,0,9C W Kohle Aramid
Zugfestigkeit R„ GPa
£-Modul GPa
Dichte g gem-3
4,5 (max) 10,0 10,0 5,0 (max) 5,5 5,0 3,0
98 105 550 210 360 525 125
2,5 2,5 2,3 7,9 19,3 1,8 1,4
Viele neue Entwicklungen gehen von dem Ziel aus, Werkstoffe mit sehr gunstigem Verhaltnis von Zugfestigkeit zu Dichte, mit hoher Warmfestigkeit und mit besonderen Eigenschaften der Werkstoffoberflache zu entwickeln. Bei einer Inspektion aller moglichen Phasen ist leicht zu erkennen, daB neben den Phasen des Kohlenstoffs (Abschn.7.1) die keramischen Verbindungen aus Elementen mit niedriger Ordnungszahl (z. B. BeO, A1203, SiC, B) die besten Voraussetzungen zum Erreichen einer hohen Festigkeit bei niedriger Dichte bieten (Tab. 10.1 und 10.2 a). Leider steht dem die geringe plastische Verformbarkeit und die daraus folgende auBerst groBe Kerb- und MikroriBempfindlichkeit entgegen, die zu sehr geringer Zugfestigkeit keramischef Stoffe fuhrt. Wenn es jedoch gelingt, keramische Stoffe ohne Mikrorisse mit atomar ebener Oberflache herzustellen und diese Oberflache im Gebrauch zu schutzen, waren diese Stoffe ideale Konstruktionswerkstoffe. Diese Bedingungen konnen erfullt werden, wenn dunne Fasern (BildlO.l) in eine plastisch verformbare Grundmasse eingebettet werden. Dies geschieht z.B. in glasfaserverstarktem Kunststoff oder korundfaserverstarktem Aluminium. Als Phasengemische werden einerseits Stoffe verwendet, bei denen zwei oder mehrere feste Phasen miteinander im thermodynamischen Gleichgewicht stehen (Kap. 2). Derartige Gemische haben den Vorteil, daB infolge der Stabilitat der Phasen bei erhohten Temperaturen keine Umwandlungsreaktion, sondern nur Wachsen der Kristallite zu erwarten ist. Die thermodynamischen Gleichgewichtsbeziehungen schranken die Moglichkeiten der Phasenmischung hinsichtlich der Art, Zusammensetzung und Volumenanteile der Phasen sehr stark ein. Es besteht aber die Moglichkeit zur Herstellung sehr feindisperser Phasengemische durch Festkorperreaktionen wie Ausscheidung und eutektoiden Zerfall.
10.1 Eigenschaften von Phasengemischen
347
Beliebige Phasen lassen sieh zu Gemischen vereinigen durch Sintern, Einbetten von Fasern in Kunststoff, Tranken von porosen Korpern und ahnlichen Verfahren. Voraussetzung fiir die Bildung eines kompakten Festkorpers ist, daB sich festhaftende Grenzflachen aus den Oberflachen der Komponenten bilden konnen. Da die Phasen nicht miteinander im Gleichgewicht stehen, sind an den Grenzflachen Reaktionen zu erwarten. Aus diesem Grunde sind derartige Gemische immer nur bis zu einer Temperatur zu verwenden, bei der die Geschwindigkeit der Reaktionen in den Phasengrenzen nicht groB ist. Hinsichtlich der Form der Phasen unterscheiden wir als einfachste Falle Kugeln, Stabe und Platten. Platten- und stabformige Phasen konnen sich z. B. bei diskontinuierlichen Reaktionen bilden. Die Langsachse steht dabei senkrecht auf der Reaktionsfront. Es hangt von den Volumenanteilen der beiden Phasen und von der Natur ihrer Grenzflache ab, welche Form sich aus dem fliissigen oder festen Zustand ausbildet. Durch gerichtete Erstarrung ist es moglich, Werkstoffe mit platten- oder stabformigen Teilchen zu erzeugen, wobei eine einheitliche Ausrichtung auch in groBen Volumen erreicht werden kann(Bild 10.7 c). Teilchen von bestimmter Form konnen in der Grundmasse statistisch regellos, ungleichmaBig oder regelmaBig angeordnet verteilt sein. Statistisch regellos verteilt z. B.* bei homogener Keimbildung; ungleichmaBig, wenn z. B. die Keimbildung nur an Korngrenzen erfolgte; regelmaBig, wenn sich y'-Teilchen in Ni-Legierungen in (lOO)-Richtungen anordnen (Abschn. 8.4). Interessant ist besonders die Anisotropic von heterogenen Gefiigen (nicht zu verwechseln mit Kristallanisotropie). Bei Gefiigeanisotropie liegen die Teilchen bevorzugt in einer bestimmten Richtung innerhalb einer Probe. Es gibt funf Moglichkeiten, Fasergefuge zu erzeugen (Bild 10.1): - die gerichtete eutektische Erstarrung (angewandt fur warmfeste Legierungen (Abschn. 2.3 und Kap. 8); - die Ausscheidung im Magnetfeld (angewandt fur Dauermagnete, Abschn. 5.3); - laminares FlieBen von unorientierten Gemischen aus Fasern in viskoser Grundmasse. - das Verbinden von Phasen die vorher kunstlich ausgerichtet wurden (faserverstarkte Werkstoffe, Trankverfahren, Abschn. 10.2). - das naturliche Wachstum von Phasengemischen (Holz, Abschn. 10.6).
Bild 10.1 a-d. Verschiedene Formen zweiphasiger Gefuge. a Kugeln, b Stabe in ^-Richtung, c Platten in yz-Richtung, d Oberflachenbeschichtung (a isotropes, b-d anisotrope Gefuge).
Bild 10.2 a-c. Zweidimensionale Darstellung dieser Gefuge unter Zugspannung in zRichtung. a aa = o^; b ea = £p, bei guter Haftung der Phasen. c Kombination von a undb
10 Verbundwerkstoffe
348 Kohlenstoff 0,6 Gew.-% 0,8
37 •lO"* K'1 32 0,48 J kg" 1 0.44
.
•—
0
25
• 50 Perlit
75 Gew.-%
Bild 10.3. Warmeinhalt, Dichte, Ausdehnungskoeffizient von a-Fe-Fe3CGemischen (linearer Zusammenhang exakt nur bei Darstellung in Volumenprozent)
Die Eigenschaften von Phasengemischen sind am einfachsten zu beschreiben fur einige schwach storungsabhangige und richtungsabhangige, extensive Eigenschaften: z. B. spezifische Warme, Warmeinhalt, Entropie, Dichte. Es gilt einfache Additivitat der partiellen Eigenschaften: PM = P,fi + Pif2 + . . . + / « , 2 / „ = l .
(10.1)
PM ist die Eigenschaft des Gemisches, Pt sind die Eigenschaften und ft die Volumenanteile des aus /Phasen bestehenden Gemisches. Bild 10.3 zeigt diese Additivitat fiir einige Eigenschaften der Ferrit-Zementit-Gemische in Stahlen. Fiir den Elastizitatsmodul und andere gerichtete GroBen gilt sie nur, wenn bestimmte geometrische Voraussetzungen der Anordnung der Phasen im Gefiige erfullt sind. Die wichtigsten anisotropen Gefiigebestandteile sind Platten oder Stabchen, die in einer einheitlichen Richtung in der Probe liegen. Gefiige sind isotrop, wenn Teilchen ortlich und hinsichtlich ihrer Orientierung statistisch verteilt sind (Bilder 10.1 und 10.2). In den Gefugen von Bild 10.1 b und c sind die Eigenschaften richtungsabhangig. Das soil zunachst fiir die elektrische Leitfahigkeit a von plattenformigen Phasengemischen gezeigt werden: aa und Op sind die elektrische oder thermische Leitfahigkeit der Phasen. Wird in y- und z-Richtung gemessen, sind die Widerstande parallel geschaltet (Bild 10.1 c).Es gilt oz= oY= aja + opfp.
(10.2)
In x-Richtung sind sie in Reihe geschaltet: 1
=
0"x
Ox
-
fa &a '
| h
(10.3 a)
CT|3
°"°?>
(10.3 b)
faOp + /pPa
(10.2) gilt in z-Richtung von Bild 10.1b. In x- und y-Richtung gilt (10.3) . Fur alle Richtungen in Bild 10.1a kann annaherungsweise mit der Beziehung fiir eine grobe Dispersion von (3 und a gerechnet werden, die von Parallel- und Reihenschaltung ausgeht:
349
10.2 Faserverstarkte Werkstoffe l + 2/B(l-qa/q6)/(2qa/qs+l) l-/p(l-aa/ap)/(2aa/q3+l)
(10.4)
Entsprechendes gilt fiir die Warmeleitfahigkeit. In Bild 10.4 sind MeBdaten und die nach (10.2) bis (10.4) berechneten Kurven fiir ein keramisches Gemisch eingetragen worden. Es ergibt sich somit, daB (10.1) nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen gilt, und daher meist eine lineare Interpolation der Eigenschaften in heterogenen Gebieten von Zustandsdiagrammen nicht gerechtfertigt ist. Dazu kommt noch, daB bei sehr feindispersen Gemischen weitere Erscheinungen, wie die Ausscheidungshartung (Abschn. 8.4) auftreten.
10.2 Faserverstarkte Werkstoffe Diese Werkstoffe haben grofies Interesse in der Forschung und inzwischen auch in der Technik (Flugzeugbau, Sportgerate) gefunden, da sie die Moglichkeit zu »maBgeschneiderten« Werkstoffen und Bauteilen bieten. Das bedeutet, daB durch eine geanderte Dichte und Orientierung der Fasern der Werkstoff an die verschiedenen Belastungen im Inneren eines Bauteils angepaBt werden kann. Es sind Kombinationen aller Werkstoffgruppen miteinander in Gebrauch (Tab. 10.2 b). Tabelle 10.2 b. Kombinationen von Werkstoffen bei Faserverstarkung Grundmasse
Faser
Beispiel
Keramik Metall Metall Kunststoff Keramik Kunststoff
Metall Keramik Kunststoff Metall Kunststoff Keramik
metalldrahtverstarktes Glas oder Beton korundfaserverstarktes Aluminium hartf aserverstarktes Aluminium metallfaserverstarkter Gummi kunststof fgebundener Beton glasfaserverstarkter Kunststoff
VerhaltnismaBig einfach ist die Berechnung der elastischen Eigenschaften fiir den Fall, daB sich alle Komponenten linear elastisch verhalten und die Phasen gut aneinander haften. Unter der Voraussetzung, daB die Kraft parallel den Fasern wirkt, und bei idealer Haftung zwischen Matrix a und Faser |3 kann angenommen werden, daB die Dehnungen in beiden Phasen gleich sind ea = % Die Spannungen konnen dann wegen obiger
1.2 1.0
1 0,8 I 0,6
,Mg zS'0< dis)ergie rt, GK10.4)
vS
"a>
| j 0,4
Bild 10.4. Warmeleitfahigkeit von MgOMgS04-Gemischen, gemessen und nach (10.2), (10.3) und 10.4) berechnet. (Nach Kingery)
^ M p O dispergiert, 61.(10.4)
s^c :io.2N> Gl. 10.3)
^3^-^
1 0.2 00 MgO
0,1 0.2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1,0 Mg 2 5i0 4
350
10 Verbundwerkstoffe
Voraussetzung in beiden Phasen nicht gleich sein, oa =t= o$. Ew E$, sind die Elastizitatsmoduln der Phasen a (Matrix) und |3 (fiir durchgehende Fasern von P) wie in Bild 10.2 b. Fiir den Fall, da8 die Fasern quer zur Belastungsrichtung liegen, oder bei schlechter Haftung zwischen Faser und Matrix gilt umgekehrt aa = o$ und ea 4= e$ (Bild 10.2a). Fiir die E-Modiiln der Gemische folgen daraus fiir Si
= «f3> °o. =t=op:
(7 =
(?J* +
°p/p»
£„ =
/p,
£„ = EJa
+
£p/p,
(10.5a) (10.5 b)
fur ea 4= ep, ora = Op e = Sofa +
1
3$> (10.6a)
Tj-
f+ V
l
(10.6b)
^a
EgE,
(10.6c)
^h =
Schliefilich gelangt man fiir dispergierte Teilchen zu ahnlichen Beziehungen wie (10.4). Sehr viel schwieriger wird eine quantitative Beschreibung des plastischen Verhaltens der groben Phasengemische. Unter der Annahme einer festen Faser (3 mit Streckgrenze Rpp oder Zugfestigkeit Rm$ die eingebettet ist in eine Matrix a mit Rpa < < Rp$, gilt in Faserrichtung (Bilder 10.2 b und 10.6) * p - W p + *pa(l-/p)«JWp
( 10 - 7 )
Bei Beanspruchung senkrecht zur Plattenebene sind die Streckgrenze, Zugfestigkeit und Bruchdehnung durch die weichere Phase bestimmt, falls die Grenzflachen nicht bevorzugt aufreiBen: Rm=Rma £B =£Bafa
Zugfestigkeit, Bruchdehnung.
. 1Q
8)
Bei nicht durchlaufenden Fasern (Bild 10.8 a) muG beriicksichtigt werden, daB auf diese durch die Schubspannung in ihrer Oberflache rap die Spannung o$ iibertragen wird.
351
10.2 Faserverstarkte Werkstoffe
Falls die Schubkraft groBer als die Kraft in der Faser ist, bricht der Werkstoff durch ZerreiBen der Fasern (Bild 10.8 b), falls rap kleiner ist durch plastische Verformung der Matrix und Abscheren der Grenzflache (Herausziehen der Faser): Fa< FT
ZerreiBen,
Fa> Fx
Herausziehen,
r2JiOpi2rJi/rap.
(10.9)
Fiir ein gegebenes Material ist die kritische Bedingung fiir diesen Ubergang also nur durch das Verhaltnis von Faserdurchmesser zu -Lange gegeben: Op > 2rap — Herausziehen,
o p < 2 T a p ~ ZerreiBen, 4 = —k- r 2raP
(10.10)
kritische Faserlange.
Vorausgesetzt ist immer, dafi die Teilchenabstande verhaltnismaBig groB sind. Bei ungeniigender Bindung in der a^-Grenzflache kann die Anwendung von Haftvermittlem zur Verringerung der kritischen Faserlange fiihren. Zur Erhohung der Bruchzahigkeit von Verbundwerkstoffen sollte Bruch unter Herausziehen der Fasern angestrebt werden. Bei kleinen Teilchen und Teilchehabstanden von d < 100 nm bestimmt Ausscheidungsoder Dispersionshartung die mechanischen Eigenschaften (Abschn.8.4, (10.11). Die Streckgrenze Rp ist dann hoher als in Gl. (10.7) angegeben. Die elastischen Konstanten werden durch die Feinheit des Gefuges nicht wesentlich verandert.
a
Dehnung e
b
Dehnung e
Bild 10.5 a u. b. Annahmen fur das Verhalten von Matrix m und Fasern/in faserverstSrkten Werkstoffen. a Spannungs-Dehnungs-Kurven fiir plastisch verformbare Matrix und sprode Fasern mit verschiedenem E-Modul und Bruchfestigkeit. b Sprode Matrix und sprode Fasern mit verschiedener Bruchfestigkeit
10 Verbundwerkstoffe
Bild 10.5c. Spannungs-Dehnungs-Diagramm eines Faserverbundwerkstoffes. Faser/, Matrix rti, Verbundwerkstoff m +f. Versagenskriterien: Rmm Bruchspannung der Matrix, sBf Bruchdehnung der Faser
Eine Faser mit geringerem £-Modul als die Matrix fuhrt nicht zur Verstarkung des Werkstoffes. In Bild 10.5 wird im schematischen Spannungsdehnungs-Diagramm fiir Matrix m und Fasern f{ die Grenze der gemeinsamen Dehnung von Faser und Matrix gezeigt. Fiir den Fall einer sproden Matrix darf die Gesamtdehnung nicht eBm uberschreiten. Die Faser f2 reiBt, bevor diese Dehnung erreicht ist, wahrend die Matrix reiBen wiirde, bevor die Zugfestigkeit der Faser fx erreicht ist. Falls die Matrix plastisch verformbar ist, muB entschieden werden, ob plastische Verformung erlaubt werden kann. Ist das nicht der Fall, dann ist die obere Grenze der Dehnung esm (Bild 10.5b), und nur die Faser /3 reiBt vor der Matrix. Mit plastischer Verformung kann der Werkstoff auch bis zum ReiBen der Fasern f2 belastet werden, wahrend die verformte Matrix vor der Faser/j reiBt. Faserverstarkte Werkstoffe sind zusammengesetzt aus Fasern mit hohem E-Modul und meist geringer plastischer Verformungsfahigkeit. Die Matrix sollte einen geringeren £-Modul aufweisen und im Falle des Bruchs der Faser sich ortlich plastisch verformen (Bild 10.5 a). Als Material fiir Fasern kommen infrage: 1. Haarkristalle (Whisker), die die theroretische Streckgrenze erreichen, da sie keine beweglichen Versetzungen enthalten (4.11c). Diese Kristalle konnen sowohl aus Metallen als auch aus keramischen Phasen hergestellt werden. Ihre wirtschaftliche Herstellung ist aber heute noch nicht moglich (Tab. 10.1). 2. Keramische Fasern, z. B. Kohlefaden. Bor- und Korundfasern zeichnen sich durch das giinstigste Verhaltnis von E-Modul zur Dichte aus. Sie bieten deshalb die besten Voraussetzungen als Komponenten von Werkstoff en der Luftfahrt. Haufig werden sie durch thermische Zersetzung von chemischen Verbindungen hergestellt. Als Ausgangsmaterial fur Kohlefaden dienen hochpolymere Molekiile. Borfaden werden durch Kondensation von B-Atomen auf sehr diinnen Metalldrahten erzeugt. 3. Fasern aus Legierungen mit hoher Festigkeit. Es werden verfestigte Metalle oder Legierungen, z. B. Wolfram (Bild 10.6) oder martensit-aushartende Stahle oder metallische
10.2 Faserverstarkte Werkstoffe
353
0 0.04 0,08 0,12 % 0,16 0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 a Dehnung b Cu W Bild 10.6. a Spannungs-Dehnungs-Schaubild von Cu, W, und Cu, das mit verschiedenen Volumenanteilen durchgehender W-Fasern verstarkt wurde. b Die Zugfestigkeit von W-Faser-verstarktem Kupfer folgt in einem groBen Bereich der Volumenanteile (10.2). Die Werte wurden in Faserrichtung fiir durchgehende Fasern a = ^ und fur kiirzere Fasern a = l/r = 5 gemessen. (Nach McDaniels)
Glaser verwendet (Abschn. 8.5). Sie konnen durch Drahtziehen oder Schmelzspinnen hergestellt werden (Abschn.11.2 und 8.7). Ihre Eigenschaften sind gekennzeichnet durch hohen 2s-Modul und hohe Streckgrenze und eine Bruchdehnung 5 > 0. Ihre Dichte ist aber immer grdBer als die der gunstigen keramischen Fasern. 4. Glasfasern konnen verhaltnismaBig leicht durch Ziehen von Faden aus der viskosen Schmelze hergestellt werden. Falls sie hinreichend diinn sind und ihre Oberflache glatt ist, erreichen sie die theoretische Bruchfestigkeit (4.4). 5. Orgariische Kettenmolekule konnen selbst als Fasermaterial dienen. Ein Beispiel dafur sind die Zellulosefasern im Holz und Aramidfasern (aromatisches Amid). Beim Aufbau faserverstarkter Werkstoffe werden entweder Einzelfasern in die Matrix eingebettet, oder die Fasern werden zu Garnen versponnen und zu Matten verwoben. Die Fasern konnen entweder uniaxial oder regellos angeordnet sein, je nachdem, ob ein Werkstoff mit isotropen oder anisotropen Eigenschaften gewunscht wird (Bilder 10.7 und 10.11). In raffinierten Faserwerkstoffen sind die Fasern verflochten und zu rohrformigen Korpern angeordnet, urn so giinstigstes Verhalten unter verschiedener Beanspruchungsart und geringes Materialgewicht zu erhalten. Haufig wird auf die Faser vor dem Einbetten in die Matrix noch eine Schicht gebracht, die das Ziel hat, die Haftung zu verbessern und der Grenzflache Faser/Matrix bestimmte mechanische Eigenschaften (ra(3 in (10.9) und (10.10)) zu geben. Als Material fiir die Grundmasse der meisten Faserverbundwerkstoffe dienen entweder duromere oder - in zunehmendem MaBe - thermoplastische Kunststoffe oder Metalle wie Aluminium. Durch die Faserkomponente soil dann der £-Modul, die Streckgrenze, die Bruchfestigkeit oder die Kriechfestigkeit der Matrix erhoht werden. Kennzeichnend fur viele faserverstarkte Werkstoffe ist die starke Anisotropic der Eigenschaften. Haufig findet man gute mechanische Eigenschaften unter Zugspannung, aber schlechte bei Druckspannung, da dann die Grenzflachen Faser-Matrix beim Ausbiegen der Fasern leicht aufreiBen. Es ist deshalb zu erwarten, daB neuartige Konstruk-
354
10 Verbundwerkstoffe
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Bild 10.7. a Verschiedene Moglichkeiten der Faserverteilung in Kunststoffen. b Die Faserverteilung kann der Art der Beanspruchung eines Konstruktionsteils angepaBt werden, c in-situ-Verbundwerkstoff, Fasern wachsen in einer eutektischen Erstarrungsfront, z. B. Ni-TaC fur Gasturbinenschaufeln tionsprinzipien fiir diese Werkstoffe notwendig werden. So ware es sinnvoll, einen solchen Werkstoff insgesamt unter Zugspannung zu setzen (im Gegensatz zu keramischen Stoffen), damit bei alien Beanspruchungen Druckspannungen vermieden werden. Technische Bedeutung haben faserverstarkte Werkstoffe bisher in stetig zunehmendem MaBe erlangt. So werden wichtige Teile des Airbus aus kohlefaserverstarkten Polymeren (CFK) hergestellt. In der Luft- und Raumfahrttechnik wird mit keramikverstarktem Aluminium experimentiert, um hohere Festigkeit dieses Materials bei Raumtemperatur zu erreichen. Ebenso gibt es viele Versuche, die Warmfestigkeit des Aluminiums durch keramische Phasen zu erhohen (Bild 10.15). Derjenige Verbundwerkstoff, der eine technische und wirtschaftliche Bedeutung auch im Maschinenbau gewonnen hat, sind die glas- und kohlefaserverstarkten Kunststoffe (GFK, CFK). Nachdem zunachst nur duromere Harze als Bindemittel verwendet wurden, findet man in neuerer Zeit zunehmend Thermoplaste, bei denen die Glasfasern wegen der Verarbeitung im Extruder und der SpritzguBmaschine (Abschn. 11.2) jedoch sehr kurz sind (Tab. 10.3). Tabelle 10.3. Eigenschaften faserverstarkter UP-Harze Material
Dichte gem-3
unverstarkt gehartet Glasmattenverstarkung 30... 35% 40... 45% 50... 55% Seidengewebe 60... 70% unidirektionales Rovinggewebe
Zugfestigkeit Rm Nmm -2
10 3 Nmm- 2
Druckfestigkeit Rm Nmm -2
Bruchdehnung £B
iT-Modul
%
1,22
60,
4,8
160
2,0
1,50 1,58 1,70
120 160 180
11 12 16
150 160 170
3,5 3,3 2,4
1,88 2,00
340 630
27 33
290 230
3,4 2,7
355
10.2 Faserverstarkte Werkstoffe
Die Glasfasern haben einen Durchmesser von 7 bis 13 \im, der E-Modul betragt 75000 N/mmr 2 , die Zugfestigkeit 3000 N/mm"2, die Bruchdehnung etwas iiber 2%. Diese Faden werden aus aufgeschmolzenen Kugeln oder Staben ausgezogen. 200 dieser Elementarfasern werden zu Spinnfaden zusammengefaBt (Glasseide). Aus diesen Spinnfaden werden die drei wichtigsten Verstarkungsmittel hergestellt: Strange engl: Rovings, Gewebe, Matten. Rovings bestehen aus einer bestimmten Anzahl parallel zusammengefaBter Spinnfaden, am haufigsten 60, aber auch 30 und 20. Gewebe werden wie in der Textiltechnik auf Webstiihlen aus senkrecht gekreuzten Spinnfaden hergestellt. Fur Matten werden die Spinnfaden 50 mm lang geschnitten und sind unregelmaBig in die Flache verteilt. Ein Binder halt die Fasern zusammen. Als GieBharze sind in erster Linie die ungesattigten Polyesterharze und die Epoxidharze zu nennen. Der Z>Modul und die Festigkeit der Harze betragt etwa ein Zwanzigstel der Werte des Glases. Die GieBharze werden im flussigen Zustand mit den Glasfaserprodukten zusammengebracht und harten nach der Formgebung zu festen Formstoffen, d. h. der Werkstoff entsteht erst bei der Verarbeitung. Da GieBharze und Glasfasern fur sich bereits fertige Werkstoffe sind, konnen die Eigenschaften des Verbundwerkstoffes weitgehend aus den Eigenschaften der Komponenten abgeleitet werden. GFK konnen daher bereits als Mikrokonstruktion betrachtet werden. Das Harz beeinfluBt in erster Linie die Formbestandigkeit in der Warme, die Witterungs- und Alterungsbestandigkeit, das dynamische Verhalten und die RiBbildungsgrenze. Die Glasfasern bestimmen Festigkeit, E-Modul, Bruchdehnung, thermischen Ausdehnungskoeffizienten und Richtungsabhangigkeit der Eigenschaften. Die meisten hier aufgezahlten Eigenschaften werden zusatzlich durch die Wechselwirkung der beiden Komponenten aufeinander beeinfluBt. So hangt z. B. die RiBbildungsgrenze oder der Ausdehnungskoeffizient neben dem Harz auch von dem Glasgehalt und der Form der Glasfaserverstarkung ab. Bei Laminaten aus Rovings, Geweben oder Matten verlaufen alle Verstarkungsfasern parallel zur Schichtebene. Senkrecht zur Schichtebene wirkende Krafte miissen folglich vom Harz und den Glas-Harz-Grenzflachen iibertragen werden. Beanspruchungen durch senkrecht zur Schichtebene wirkende Kraftkomponenten sollten deshalb nach Moglichkeit vermieden werden. Die ideale Beanspruchung fur ein GFK-Laminat ist demnach gegeben, wenn alle Krafte parallel zur Schichtebene wirken. Da Fasern nur in ihrer Langsrichtung verstarkend wirken, miissen auch solche Krafte, die zwar in der Schichtebene, aber quer zur Faserrichtung auftreten, vom Harz iibertragen werden (Bild 10.1 und 10.8). Bei dieser Querbeanspruchung wirken sich die eingelagerten Fasern nicht verstarkend, sondern schwachend aus (Bild 10.9). In Bild 10.10 sind
miMMiMMtymiMwmvww
K* Bild 10.8. Schematische Darstellung der Schub- und Zugspannungen in einem in Faserrichtung belasteten Werkstoff. o$ Zugspannung in der Faser. rap Schubspannung in der Grenzflache mit der Matrix (10.10)
wwwwwA I
wwwwww
10 Verbundwerkstoffe
356
1000 Nmm"2 800
U
600 •& ^00
•s-*
200
JUL
Bild 10.9. Vergleich der Zugfestigkeit von Polyesterharzen mit verschiedener Verteilung der Glasfasern
Bild 10.10 a u. b. Richtungsabhangigkeit der mechanischen Eigenschaften von glasfaserverstarkten Kunststoffen in der Blechebene. a Mattenverstarktes Laminat: annahernd isotrop. b Unidirektionales Gewebe (90:10): stark anisotrop
Biegefestigkeitswerte in einem Polardiagramm aufgetragen, wie sie sich bei einachsiger Beanspruchung bei einem normalen Gewebelaminat ergeben. Die Streckgrenze und Zugfestigkeit verhalten sich entsprechend. Ein Mattenlaminat zeigt bei regelloser Verteilung der Fasern in der Ebene das gleiche Verhalten wie ein texturfreies Blech, d. h. Festigkeit und E-Modul sind in alien Richtungen gleich. Beim Rovinglaminat mit Verstarkungsfasern ausschlieBlich in einer Richtung mu8 beriicksichtigt werden, daB senkrecht zu den Fasern nicht einmal ein Drittel der Zugfestigkeit des Harzes erreicht wird, da die Fasern wie Kerben wirken. Bei einachsiger Beanspruchung orientiert man deshalb alle Fasern moglichst genau parallel zur Richtung der Beanspruchung, beispielsweise bei Hubschrauberrotoren und Luftschrauben, die vorwiegend durch Fliehkrafte einachsig auf Zug beansprucht werden. Wenn die Beanspruchung zwar einachsig ist, ihre Richtung sich aber beim Betrieb des Teiles in Bezug auf eine korperfeste Achse dreht, geniigt es selbstverstandlich nicht mehr, Fasern in nur einer Richtung anzuordnen. Durchlauft die Beanspruchungsrichtung bei gleichbleibender Spannungshohe einen Winkel von 180°, wahlt man vorteilhaft ein quasiisotropes Laminat, z. B. ein Mattenlaminat. Im allgemeinen setzt sich eine ebene Beanspruchung aus zwei zueinander senkrechten Normalspannungen und einer Schubspannung zusammen (Abschn.4.9). Es gibt dann zwei zueinander senkrechte Richtungen, in denen nur Normalspannungen (die beiden Hauptnormalspannungen) und keine Schubspannung wirken. Wenn die Richtung der Hauptnormalspannungen in einem GFK-Bauteil sich wahrend der Verwendung nicht andert, kann man eine optimale Faserverstarkung z. B. dadurch erzielen, daB
10.3 Stahlbeton und Spannbeton
357
man die Verstarkungsfasern in der Richtung der Hauptnormalspannungen orientiert. Hierfiir bieten sich Gewebe oder rechtwinklig gekreuzte Rovings an. Ein Beispiel fur ein so ausgelegtes Bauteil ist das zylindrische Druckrohr, bei dem Fasern in Axial- und in Umfangsrichtung angeordnet sind.
10.3 Stahlbeton und Spannbeton Die Zugfestigkeit von Beton betragt etwa ein Zehntel der Druckfestigkeit. Das bedeutet, daB in reinen Betonkonstruktionen praktisch nur Druckkrafte auftreten durfen. Beton ist andererseits der wirtschaftlichste Werkstoff, wenn es auf die fur einen bestimmten Preis gelieferte Druckfestigkeit ankommt (Abschn. 0.7). Die Anwendbarkeit des Betons in Konstruktionen kann sehr erweitert werden, wenn man ihn mit einem Werkstoff verbindet, der eine gute Zugfestigkeit besitzt (Bild 10.11). Am giinstigsten ist dafur der Stahl (Abschn 8.5). Folgende Voraussetzungen sind fur das Zusammenwirken von Beton und Stahl im Verbund notig: 1. Der Warmeausdehnungskoeffizient (Abschn. 5.6) der beiden Stoffe sollte etwa gleich groB sein, damit bei Temperaturanderung keine innere Spannungen und folglich keine Trennung der Grenzflache auftritt. 2. Eine gute Haftung des Zementmortels (Abschn. 7.5) an der Stahloberflache muB bewirken, daB unter Gebrauchsspannung die Stahlstabe nicht gegen den Beton verschiebbar sind. 3. Der Stahl muB von dem ihn umgebenden Beton vollstandig vor Korrosion (Kap. 6) geschutzt werden. Es darf also weder Sauerstoff der Atmosphare mit dem Stahl in Beriihrung kommen, noch durfen Zementphasen mit dem Stahl reagieren. Am gefahrlichsten sind in dieser Hinsicht schon geringe Mengen Chlorionen, deren Konzentration im Beton deshalb sehr gering sein muB. Spannungskorrosion (Abschn. 6.4) des Betonstahls ist ein gegenwartig noch nicht befriedigend gelostes Problem. Bei der statischen Berechnung von Stahlbeton wird die Zugfestigkeit des Betons immer gleich null gesetzt, so daB die Festigkeit des Stahles ausreichen muB, die Zugspan-
Zug • * >
Stauchung
Druck
Dehnung • * Druckspannung +e Q^_im_Beton +e* l+Acrfuhrt im Beton -tf f noch nicht zu Zugspannung
Bild 10.11a u. b. Prinzip des Stahlbetons (a) und des Spannbetons (b). -»«- Druckspannung im Beton, <-» Zugspannung im Stafil. Durch eine Druckvorspannung (c) -Aaim Beton verschiebt sich das urspriingliche Koordinatensystem o, s j\x o*, e* mit dem Nullpunkt • fiir den Zustand ohne auBere Belastung. In dem Bereich a < ACT kann auch der Beton mit Zugspannung beansprucht werden
358
10 Verbundwerkstoffe
nungen aufzunehmen. Der E-Modul des Stahles ist groBer als der des Betons (£stahi = 215000Nmm~ 2 ; £Beton = 2 bis 50000Nmnr 2 ). Es folgt daraus, daB nach (10.5) gerechnet werden kann. Die Voraussetzung Es > E# ist erfullt, und damit kann fur Berechnung des Stahlbetons unter Last in Richtung der Stahlstabe ohne weiteres von der Bedingung es = £B ausgegangen werden. Fiir praktische Berechnungen wird das Verhaltnis n = ES/EB sogar meist mit 15 angenommen, um die Voraussetzung zu erfullen, da6 der Stahl fast die gesamten Zugspannungen aufnimmt. Fiir die Berechnung von Teilen, die unter reiner Drucklast stehen, wird (10.7) verwendet. Die zulassige Belastung wird meist als ein Drittel der Bruchfestigkeit des Betons festgelegt. Die Dehnfahigkeit von Beton unter Zugspannung ist begrenzt. Sie liegt bei s = 0,02%. Bei EB = 2 • 104 Nmm~2 entspricht das einer Spannung von 4 Nmm - 2 . Unter der Voraussetzung SB = £s wird in Stahl eine Spannung von 42 Nmm" 2 erreicht. Sie liegt damit weit unter der Streckgrenze eines Baustahls (St 370) von etwa 300Nmm" 2 . Die Anordnung der Stahlverstarkung im Beton ahnelt der von faserverstarkten Kunststoffen (Abschn. 10.2) mit einem GroBenmaBstab 1 : 1000. Es werden entweder einzelne Stabe oder geflochtene Matten verwendet. Querstabe mtissen zur Sicherung gegen Schubverformung angebracht werden. Natiirlich folgt die Stahlbewehrung dem Verlauf der Zugspannungen in der Konstruktion (Bild 10.11 a). Eine weitere Verbesserung der mechanischen Eigenschaften ist dadurch zu erreichen, da6 der Beton in Beanspruchungsrichtung unter Druckspannung gesetzt wird. Er kann dann in dieser Richtung auBeren Zugspannungen ausgesetzt werden, ohne daB im Beton selbst Zugspannungen herrschen. Zur Erzeugung der Druckspannung werden in den Beton Stahlstabe gebracht, die mit hoher Zugspannung (« 1000Nmm -2 ) gespannt werden. Die Summe der Zugkrafte im Stahl sind gleich den Druckkraften im Beton. Mit diesem Ansatz kann eine gewunschte Druckvorspannung eingestellt werden (Bild 10.11b). Als Spannglieder dienen Drahte, Stabe oder Seile aus hochfestem Stahl (Kap. 8.5), der auf a < 0,15RP belastet werden kann (Rp: Streckgrenze). Es handelt sich meist um niedrig legierte hochfeste Stahle, die im kaltverformten Zustand Streckgrenzen von bis zu 2000 Nmm - 2 erreichen konnen. Die Bruchdehnung £B dieses Stahls liegt zwischen 4 und 8%. Es ist zu erwarten, daB neue Eisenwerkstoffe mit noch hoherer Festigkeit fiir diesen Zweck verwendet werden, sobald ihre Anwendung wirtschaftlich ist. Das Spannen des Stahles kann vor oder nach dem Festwerden des Betons geschehen. Falls vorher gespannt wird, muB der Stahl in einem Rahmen befestigt werden, der nach Einbringen und Erharten des Betons entfernt wird, so daB dann der Beton zusammengedrtickt wird. Falls die Verspannung nach dem Festwerden des Betons aufgebracht werden soil, muB verhindert werden, daB Stahl und Beton aneinander haften. Das geschieht z.B. durch Rohren. Die Spannglieder konnen aber auch auBerhalb des Betons liegen. Das Verfahren erfordert eine sichere Ubertragung der Krafte auf den Beton. Dazu dienen besondere Verankerungsverfahren der Zugspannungsstabe durch Ringe oder Platten. Ein Problem ist das Schwinden und das Kriechen des Betons. Proportional zu der relativen Langenanderung nimmt die Zug- und die Druckspannung ab [4.17]:
Dabei ist ao die Spannung im Stahl, bevor die Langenanderungen in Spannungsrichtung durch Kriechen £Kr> und durch Schwinden £sch eingetreten sind, Aa ist der Spannungsab-
359
10.4 Hartmetalle und Cermets
fall (Abschn. 4.3). Die Abnahme der Spannung im Beton kann bis zu 150 Nmm" 2 betragen. Diese Auswirkung des Kriechens kann entweder durch Nachspannen des Stahls vermindert werden, oder es werden sehr hohe Vorspannungen in Stahl verwendet. Dann wird namlich der Spannungsabfall im Verhaltnis zur Gesamtspannung klein. Es ist heute iiblich, Stahle mit 1000 bis 2000 N m m - 2 Zugfestigkeit zu verwenden und auf das Nachspannen zu verzichten. Das Schwinden des Betons kann durch Zusatz von Stoffen, die eine VolumenvergroBerung bewirken, ausgeglichen werden. Als geeignet fur Portlandzement hat sich Gipszusatz (CaS0 4 ) erwiesen. Quellen und Schwinden tritt aber auch dann nicht gleichzeitig sondern nacheinander auf. Der Werkstoff wird als Quellbeton bezeichnet.
10.4 Hartmetalle und Cermets Bei diesen Stoffen handelt es sich um Phasengemische aus einem geringeren Anteil metallischer Phasen und einem groBeren Anteil keramischer Phasen. Die sog. Hartmetalle enthalten Karbide der Obergangsmetalle. Diese Stoffe liegen an der Grenze zwischen Metallen und Keramik. Sie schmelzen bei sehr hohen Temperaturen und zeigen eine hohe Harte, zweifellos infolge eines starken kovalenten Bindungsanteils. Dagegen weisen dichtgepackte Kristallstrukturen und eine relativ hohe elektrische Leitfahigkeit auf einen Anteil metallischer Bindung hin. In Tab. 10.4 a sind die Schmelztemperaturen und die Harten einiger wichtiger Karbide zusammengestellt. Unter vergleichbaren Bedingungen ist diese Harte dem VerschleiBwiderstand proportional (Abschn. 6.6). Die Karbide des Titans, Zirkons und Hafniums sind am hartesten. Aus wirtschaftlichen Griinden wird aber davon nur das TiC als Komponente von Hartmetallen benutzt. Haufiger werden das Wolframkarbid WC sowie Mischkristalle der Karbide (Mischkarbide) verwendet (Bilder 10.12 bis 10.14). Tabelle 10.4 a. Schmelztemperatur und VickershSrte einiger Karbide der Obergangsmetalle Stoff
TiC
vc
Cr 3 Q
ZrC
NbC
MojC
HfC
TaC
WC
r°c
3140
2830
1895
3530
3500
2400
3890
3780
2600
HV
3200
2950
2280
2560
2400
1950
2700
1790
2180
Tabelle 10.4 b. Vickersharte einiger Hartstoffe Stoff Diamant Borkarbid Siliziumkarbid Wolframkarbid WC Hartmetalle geharteter Stahl Baustahl St 370
HV 8000 3700 3500 2200 -1500 ~ 900 ~ 100
360
10 Verbundwerkstoffe
J
120 m/min 100
12 13 14 15 16 m/min 18 Schnittgeschwindigkeit
10 11
:hneidke ramik
20
rtmetall
5 1 a;
hnellstah
60 40
/ /r
tahl
/
CO
re
CO
1900 1930 1960 1990 Jahr der technischen Einfiihrung
Bild 10.12 Bild 10.13 Bild 10.12. Beziehung zwischen Standzeit und Schnittgeschwindigkeit zur Kennzeichnung der Qualitat von Werkzeugen der spanabhebenden Formgebung (Schnellarbeitsstahle) Bild 10.13. Schnittgeschwindigkeit bei gegebener Standzeit (t — 60 min) fur verschiedene Werkstoffe in ihrer zeitlichen Entwicklung 3400 °C 3200
3000
r
50 At.% 2200 °C
W2C
\
Is
WC
:hmelze
l"VJ
§2800
2600
V i
1800
\
QJ O.
f J\ lr r+wr
W
\ V ScN nelze
7 y+Sc lmelze
E ^ 1400
2525*C
| 2475*C
2400
2000
\ \
11600
2600'C
V
\
*"-^^
-i
r r
/
h Schm ?lze
~/Xi
1200
y+p
W+W 2 C 1000 2200
0 W
2
4
6 C
8 Gew.-% 10
0 TiC
20
40
60
A t . - % 100
Co-
BOd 10.14 a u. b. Zustandsschaubilder zum Aufbau der Hartmetalle. a W-C, das Karbid WC bildet die wichtigste Komponente der Hartmetalle. b TiC-Co, (quasibinar) die metallische Phase Co dient als Kitt fur das sprode Karbid
Die weiche metallische Phase, meist Cobalt, aber auch Nickel und Eisen, sowie deren Mischkristalle, dient als Bindemittel fur die harten Karbidteilchen. Der Anteil des Bindemittels liegt unter 20% (Bild 10.14 c). Es entsteht so ein Werkstoff, der hohe Harte, Abriebfestigkeit, Festigkeit bei erhohter Temperatur mit einer gewissen Duktilitat und Temperaturwechselbestandigkeit verbindet, die durch Verformung in der metallischen Phase
10.4 Hartmetalle und Cermets
361
Bild 10.14 c. Gefuge von Sinterhartmetall, RLM hervorgerufen wird. Die Hartmetalle sind besonders geeignet, wenn es auf hohe VerschleiBfestigkeit ankommt und wenn sich die Werkzeugschneide erwarmt, d.h. fur Werkzeuge der spanabhebenden Formgebung bei hohen Schnittgeschwindigkeiten (Bild 10.13), als Werkzeuge fiir plastische Verformung, besonders Ziehhole und als Beschichtung fur verschleiBbeanspruchte Oberflachen (Abschn. 10.5). Die Hartmetalle konnen nicht iiber den fliissigen Zustand hergestellt werden. Das Zustandsdiagramm W-C (Bild 10.14 a) zeigt, daB der Grund dafiir nicht nur die hohen Schmelztemperaturen der Karbide sind. Das WC zersetzt sich vielmehr bei 2600 °C und ist im fliissigen Zustand nicht bestandig. Diese Werkstoffe miissen deshalb durch Sintern hergestellt werden. Das geschieht gewohnlich in zwei Stufen. Die Karbide werden mit dem Bindemittel gemeinsam gemahlen und bei einer Temperatur vorgesintert, bei der das Metall noch nicht geschmolzen ist. Es entsteht ein poroser Rohkorper, der bei sehr viel hoheren Temperaturen (Tab. 10.5) fertig gesintert wird. Dabei schrumpft das Material um etwa 20%. Es kann anschlieBend nur noch durch Schleifen mit Stoffen bearbeitet werden, die eine sehr viel groBere Harte als die Metallkarbide aufweisen (Tab. 10.4b). Der Vorteil der Hartmetalle bei der spanabhebenden Formgebung gegemiber den unlegierten und legierten Werkzeugstahlen (Schnelldrehstahle, Abschn. 8.5) besteht darin, daB die mehrfache Schnittgeschwindigkeit erreicht wird (Bilder 10.12 und 10.13). Der Grund dafiir ist die Stabilitat der Karbide bei erhohter Temperatur, die es erlaubt, Tabelle 10.5. Sinterbedingungen einiger Hartmetalle (Sinterzeit je nach GroBe des Teils 20-200 min) Zusammensetzung Gew.-%
Sintertemperatur °C
85 WC, 15 Co 89WC,llCo 94 WC, 6 Co 78WC,14TiC,8Co 78WC,16TiC,6Co 34WC,60TiC,6Co
1380 1400 1420 1550 1600 1700
10 Verbundwerkstoffe 600 Nmm"
500
I Si02- faserverstarktes Aluminium
^400
°C 900
300
Bild 10.15 a u. b. Mechanische Eigenschaften von Gemischen metallischer und keramischer Phasen. a Temperaturabhangigkeit der Zugfestigkeit von Silber ohne und mit Verstarkung durch A1203 (Werkstoff fur elektrische Kontakte, Abschn. 5.2). b Aluminium verstarkt mit Si02-Fasern und SAP (Sinter-Aluminium-Produkt) Verstarkt mit A1203, das durch Oxydation von Al-Pulver erzeugt wurde
200
0 a
100 200 300 400 500 600 Temperatur
700
\ SAP (10%) ^
100
200 400 Temperatur
°C 600
da8 die Schneide Temperaturen von 600 bis 700 °C fur langere Zeit aushalt. Bei konventionellen Stahlen treten bei diesen Temperaturen Teilchenwachstum und Auf losung der Karbide auf, die zu einem schnellen Abfall der Festigkeit in der Schneide fiihren (AnlaBbestandigkeit, Abschn. 8.5). Im Aufbau analog den Hartmetallen sind die sog. Cermets. Sie enthalten neben der metallischen Phase immer eine echte keramische Phase, meist ein hartes, hochschmelzendes Oxid (Abschn. 7.3). Die Cermets werden als Hochtemperaturwerkstoffe verwendet, da die durch Sintern eingebrachte keramische Phase im Gegensatz zu Ausscheidungsteilchen (Abschn. 8.4) sich bis zur Schmelztemperatur weder auflost noch wachst (Bild 10.15). Ein anderes Anwendungsgebiet der Cermets sind die Reaktorwerkstoffe. Eine keramische Phase, die die kernphysikalisch wirksamen Atomarten enthalt, wird durch Metalle verbunden, deren Auswahl durch die in Abschn. 5.1 besprochenen Absorptionsquerschnitte begrenzt sind. Auf einem anderen Prinzip beruht die Verwendung von Trankwerkstoffen bei sehr hohen Temperaturen. Es wird durch Sintern ein Geriist aus einem keramischen Stoff oder aus einem sehr hochschmelzenden Metall wie Wolfram hergestellt. Der porose Korper wird getrankt mit einem Metall, dessen Schmelztemperatur weit unter dem des Geriistes liegt. Bei sehr hohen Gebrauchstemperaturen verdampft das Trankmetall. Die dazu notwendige Verdampfungswarme bewirkt eine Kiihlung des Grundgeriistes, so daB der Werkstoff sehr hohe Temperaturen aushalten kann, bis das Trankmetall vollstandig verdampft ist. Derartige Verbundwerkstoffe werden fur den Strahlaustritt von Raketen verwendet, wo fur kurze Zeit sehr hohe Temperaturen (3000 bis 4000 °C) auftreten.
10.5 Oberflachenbehandlung Die gewiinschten Eigenschaften des Werkstoffinneren, wie Zugfestigkeit oder elektrische Leitfahigkeit, sind vollig unabhangig von den Eigenschaften, die die Oberflache haben soil. Dabei handelt es sich meist um chemische Bestandigkeit in der umgebenden
10.5 Oberflachenbehandlung
363
Atmosphare oder auch um elektrische Isolation, Katalyse, Abriebfestigkeit, Reflexionsfahigkeit oder Farbe. Es gibt wenige Werkstoffe, in denen die Eigenschaften im Innern und der Oberflache zu einem Optimum vereint sind. Reinstaluminium besitzt eine bestandige Oberflache, aber sehr geringe Festigkeit, die hartbaren Al-Legierungen dagegen sehr viel schlechtere chemische Eigenschaften der Oberflache. Die Festigkeit hochschmelzender Metalle wie Wolfram ist hoch bis zu hohen Temperaturen. Sie reagieren aber sehr schnell mit dem Sauerstoff der Luft, so daB sie nur unter Schutzgas verwendet werden kdnnen. Es ist deshalb sehr haufig notig, durch Verbund zweier Werkstoffe ein Optimum der Eigenschaften an der Oberflache und im Innern zu erreichen. Daneben gibt es die Moglichkeit, die Oberflache ohne Verbund mit einem zweiten Werkstoff zu verandern, z. B. durch Verfestigung (Manganhartstahl) oder durch Eindiffundieren von Atomen (Einsatzharten). Im allgemeinen wird auf die Oberflache eine Schicht eines zweiten Werkstoffes aufgebracht, der fest haftet und die gewiinschten Oberflacheneigenschaften besitzt. Zum Aufbringen dieser Schichten gibt es eine groBe Zahl von Techniken, die danach geordnet werden konnen, ob die Schicht aus dem gasformigen (Aufdampfen, Plasmaspritzen), flussigen (Eintauchen, Aufspritzen, Elektrolytisches Auftragen) oder festen Zustand (Walzplattieren, Sprengplattieren) auf die Oberflache gebracht wird (Tab. 10.6). Grundsatzlich gibt es drei Moglichkeiten, die Oberflache zu verandern: 1. durch Aufbringen einer Schicht eines anderen Werkstoffs, 2. durch Veranderung der chemischen Zusammensetzung und 3. durch Veranderung des Gefuges bei gleichbleibender Zusammensetzung(Bild 10.16). Tabelle 10.6. Eigenschaften von Oberflachenschichten auf Stahl Werkstoffgruppe
Beispiel
Vorteil
Nachteil
Metall
Zinn
Keramik
Emaille
Kunststoff
PTFE (Teflon)
verformbar, gute Warmeleitung hart, bestandig bei hoher Temperatur mit dem Metall verformbar, guter Korrosionsschutz, geringe Reibung und Adhasion
Lokalelement, wenn Schicht gerissen, weich sprode, geringe Warmeleitung nicht bestandig bei erhohter Temperatur, geringe Harte
Bild 10.16 a u. b. Schichten zur Erhohung des Korrosions-, Zunder- oder VerschleiBwiderstands. a Plattierung von A und B, Bildung der intermetallischen Verbindung A^By ist meist unerwiinscht (Walzplattieren, Pfennige). b Diffusion von B-Atomen in die Oberflache von A Nitrierharten von Stahl. cVerfestigen der Oberflache durch Teilchenstrahl (Kugelstrahlen, Versetzungssymbole zeigen Verfestigung an, Abschn.4.3)
Metoll B
n Uy
Metall A G)
O) •
(B)
i
G)
B-Atome
| in A diffundiert
^^^^•^^^^^^^^^^^ a. -rr&i
Pv??^^ '
.LIT
Of Q.
Ck
Metall A
364
10 Verbundwerkstoffe
Die Atome konnen durch Erwarmung veranlaBt werden, in den Grundwerkstoff hineinzudiffundieren. Das geschieht beim Inchromieren von Stahl oder beim Dotieren von Halbleitem in integrierten Schaltelementen. Die Diffusion aus dem Grundwerkstoff kann dagegen die Lebensdauer einer Schutzschicht begrenzen. Wenn z. B. in einer mit Reinstaluminium plattierten Al-Cu-Legierung eine groGere Zahl von Kupferatomen die Oberflache erreicht haben, hort deren Korrosionsschutzwirkung auf, da sich Lokalelemente bilden konnen (Kap. 6). Die dafiir erforderliche Zeit kann bei bekannten Diffusionskoeffizienten aus der Beziehung fiir den mittleren Diffusionsweg berechnet werden. Eine weitere Moglichkeit, Schutzschichten zu bilden, besteht darin, durch Reaktion von Luftsauerstoff und geeigneten Legierungsatomen aus dem Werkstoff Verbindungen zu bilden, die weiteren Angriff in der Oberflache verhindern. Die Zusatze von Cr, Al und Si zum Eisen wirken in dieser Weise. Die elektrolytische Behandlung von Oberflachen wird als Galvanotechnik zusammengefafit. Voraussetzung zum galvanischen Auftragen oder Abtragen ist metallische Leitfahigkeit des Grundwerkstoffes. Auf die Oberflache von nichtleitenden Werkstoffen mufi vor der galvanischen Behandlung eine diinne leitende Schicht z. B. durch Aufdampfen gebracht werden. Zum Auftragen einer Metallschicht wird der Werkstoff in einen Elektrolyten gebracht, der die notwendigen Metallionen enthalt, und als Kathode geschaltet. Die Metallabscheidung folgt der Reaktion Me + + e~ -» Me (metallische Schutzschicht), Cr + + e" ->Cr. Die Herstellung von dichten Schichten aus Cr, Ni, Sn erfordert groBe Erfahrung hinsichtlich der Zusammensetzung des Elektrolyten und der Abscheidungsbedingungen. Haufig sind mehrere Schichten notwendig, um eine festhaftende Schutzschicht auf dem Grundwerkstoff zu erreichen. Die kritischen Bedingungen fiir gutes Haften sind eine geringe Grenzflachenenergie und eine gewisse gegenseitige Loslichkeit der Atomarten der beiden Stoffe. Aus dem Zustandsdiagramm der beiden Komponenten folgt, ob sie miteinander z. B. sprode intermetallische Verbindungen bilden. Diese konnen sich nachteilig fiir das Haften einer Plattierung erweisen, wenn beim Verformen des plattierten Metalls in der Zwischenschicht Risse auftreten. Der umgekehrte Vorgang ist das elektrolytische Polieren (oder Glanzen) und die anodische Oxydation: Me - e" —» Me + (oxidische Schutzschicht), Al - e" -*A1 + . Durch anodische Oxydation kann die Al203-Schicht an der Oberflache von Al verstarkt werden. Dieses Verfahren wird als Eloxieren bezeichnet. Es besteht dariiberhinaus die Moglichkeit, Pigmente in diese Schicht einzubauen. So erhalt man an der Oberflache von Aluminium eine Schicht mit verstarkter Korrosionsschutzwirkung in einer gewiinschten Farbe. Zwei duktile metallische Werkstoffe konnen durch Walzplattieren miteinander verbunden werden. Vorausgesetzt, da8 beide die gleichen mechanischen Eigenschaften besitzen, verringert sich ihre Dicke proportional beim Walzen. Die Verbindung kommt
10.5 Oberflachenbehandlung
365
durch paralleles FlieBen bei der plastischen Verformung zustande, wobei die oberen Atomlagen der beiden Metalle unter dem Walzdruck in die erforderlichen atomaren Abstande gebracht werden. Walzen bei erhohter Temperatur fiihrt zu verstarkter Bindung durch wechselseitige Diffusion von Atomen iiber die Grenzflache. Bei manchen Kombinationen besteht dann allerdings die Moglichkeit zur Bildung von sproden intermetallischen Verbindungen (Bild 10.16). Ahnlich dem Walzplattieren ist das Sprengplattieren (Bild 10.17). Mit diesem Verfahren konnen manchmal Metalle miteinander verbunden werden, bei denen konventionelle Verfahren versagen. Eine Platte des Metalls B wird mit Sprengstoff bedeckt und gegen die Platte A beschleunigt. Beim Auftreffen entstehen beim Kollisionspunkt A'in beiden Platten Spannungen, die hoher sind als ath (4.11). Das Material flieBt deshalb mit hoher Geschwindigkeit in der gleichen Richtung, in der der Kollisionspunkt sich bewegt. Dabei kann von einer kritischen Geschwindigkeit ein Obergang zur Turbulenz auftreten. Die wellenformige Grenzflache erfullt dann alle Voraussetzungen fur eine gute VerschweiBung. Mit dieser Methode konnen z. B. Korrosionsschutzschichten aus Titan auf Stahl plattiert werden. Es ist auch moglich, Rohre innen zu plattieren, wenn eine zylindrische Sprengladung verwendet wird. Die vielfaltigsten Moglichkeiten bietet das Herstellen von Oberflachenschichten durch Spritzen. Es konnen mit diesen Methoden nicht nur metallische, sondern auch keramische Stoffe und Kunststoffe aufgetragen werden. Die Verfahren konnen danach unterschieden werden, wie der Werkstoff erhitzt und wie er gegen die zu behandelnde Oberflache beschleunigt wird. Beim Flammspritzen wird der Spritzwerkstoff durch eine Brenngas-Sauerstoff-Flamme aufgeschmolzen und mit Druckluft auf das Werkstiick beschleunigt. Beim Lichtbogenspritzen dienen zwei Drahte aus dem Spritzwerkstoff als Elektroden, zwischen denen der Lichtbogen geziindet wird. Als Zerstaubergas wird wiederum Druckluft verwendet Das Plasmaspritzen verwendet ebenfalls zum Erwarmen einen Lichtbogen, gleichzeitig aber das im Lichtbogen entstehende Plasma zum Auf spritzen auf die Werkstuckoberflache (Bild 10.18). Die Schichten werden zum Schutz gegen Korrosion, Verzundern, VerschleiB, aber auch zur Herstellung von Formen und zum Ausbessern von GuBstucken verwendet. Das Gefiige der Schichten besteht je nach der Zahl der ortlichen Auftragungen aus mehreren Schichten. In den einzelnen Schichten kann der Werkstoff sehr schnell abkiihlen. Aus diesem Grunde ist zu erwarten, daB sich Phasen bilden, die nicht dem Gleichgewichtszustand entsprechen. Bei keramischen Stoffen und Kunststoffen ist die Bildung von Glasstrukturen wahrscheinlich, wahrend sich bei Gemischen von Metallatomen metastabile Mischphasen (Abschn. 2.3) bilden. Beim Erwarmen ist Ubergang in den Gleichgewichtszustand und die daraus folgenden Eigenschaftsanderungen zu erwarten. Die thermische Stabilitat (Abschn. 3.4) der Spritzschichten bestimmt deshalb die Grenze der Verwendung bei erhohter Temperatur.
Bild 10.17. Anordnung zur Herstellung einer Sprengplattierung
366
10 Verbundwerkstoffe Druckluft Brenngas-SauerstoffGemisch Spritzdraht
Pulver Brenngas-LuftGemisch
Spritzdraht
•Pol
Druckluft
Lichtbogen
Spritzdraht
-Pol
Bild 10.18 a-c. Einige Methoden zum Aufspritzen von Werkstoffen. a BrenngasSauerstoff-Flamme zum Metallspritzen. b Zufiihrung des Spritzwerkstoffs als Pulver. c Spritzwerkstoff dient als Elektroden zur Erzeugung eines Lichtbogens. Beim Plasmaspritzen wird Pulver durch einen Plasmastrahl (erzeugt durch einen Lichtbogen) erwarmt und transportiert
c
Bei Hochtemperaturwerkstoffen spielt die Herstellung von temperaturbestandigen keramischen Schichten eine wichtige Rolle. Durch Flammspritzen konnen Schichten von Stoffen mit einer Schmelztemperatur von bis zu 2500 °C aufgebracht werden, ohne daft nachtraglich Erwarmung des Grundwerkstoffes notwendig ist. Mit dem Plasmaspritzverfahren konnen Temperaturen von 20000°C erreicht werden und somit auch sehr hochschmelzende keramische Stoffe (z.B. HfC, TaC, Zr0 2 , HfC>2; Kap.7, Abschn. 10.4) verspritzt werden. Das wichtigste Anwendungsgebiet des Kunststoffspritzens ist der Korrosionsschutz. Beim Flammspritzen wird der Kunststoff auf dem Weg zur Werkstoffoberflache von der Flamme so stark erwarmt, da8 die Teilchen dort haften und sich zu einer Schicht vereinigen. Der Haftgrund kann entweder auf die Schmelztemperatur des Kunststoffes vorgewarmt werden, oder die Kunststoffteilchen miissen auf hohere Temperaturen erhitzt werden, damit sie eine dichte, fest haftende Schicht bilden. Am haufigsten werden Polyethylene oder Lacke verspritzt. Beim elektrostatischen Spritzen ist die Spritzpistole an eine Hochspannungsquelle angeschlossen. Die Teilchen werden dadurch aufgeladen, stofien sich ab und verteilen sich gleichmaBig auf der zu beschichtenden Oberflache. Durch anschlieBende Erwarmung bildet sich eine geschlossene Schicht. Eine starke Erwarmung des Schichtmaterials beim Spritzen ist in diesem Falle also nicht notwendig, ein Vorteil bei organischen Stoffen, die sich bei niedrigen Temperaturen thermisch zersetzen. Die Aufdampfverfahren sind in jiingster Zeit auch zur Herstellung diinner Schichten oder Schichtsysteme weiterentwickelt worden. So werden Hartmetalle durch das CVDoder PVD-Verfahren (chemical, physical vapour deposition) beschichtet und in ihrer Leistungsfahigkeit stark verbessert. In den letzten Jahren wurden zunehmend Laserstrahlen fur die Oberflachenbehandlung von Metallen angewandt. Dabei wird eine Erwarmung im festen Zustand (Oberflachenhartung von Stahl durch Erwarmung im /-Gebiet) oder ein Aufschmelzen (Oberflachenverglasung) einer Schicht herbeigefuhrt. In diese Fliissigkeit konnen Legierungselemente eingebracht werden, die sich mit dem Grundwerkstoff ganz oder teilweise vermischen. Ebenso konnen z. B. Hartstoffteilchen, die sich nicht auflosen, mit der ge-
10.6 Holz
367
schmolzenen Oberflachenschicht verbunden werden. Ein Beispiel dafur liefert Al mit SiC. Mogliche Anwendungen sind die Hartung von Zahnflanken von Aluminium-Zahnradern (Bild 8.36).
10.6 Holz Holz besitzt ein Gefiige, das im wesentlichen aus Zellulosefasern, einem Bindemittel, dem Lignin und Hohlraumen besteht (Bild 10.19). In der lebenden Pflanze hat dieses Gefiige dreierlei Funktionen: die Leitung von Stoffwechselprodukten, ihre Aufbewahrung und die mechanische Festigkeit des Pflanzenstammes herbeizufuhren. Die Zellulose befindet sich in den Zellwanden. Es handelt sich bei den Zellen meist um rohrformige Gebilde, die an den Enden zugespitzt verlaufen. Sie bilden uniaxiale Fasern, die durch das Lignin, einen Stoff ahnlich den duromeren Harzen verkittet sind. Die Zellulosemolekule der Zellwande sind in einer Weise angeordnet, daB sie vielfaltige Spannungen aufnehmen konnen. Haufig liegen sie als doppelte Spiralen in der Rohrflache, um auch Schubspannungen aufnehmen zu konnen. Das Innere der Rohren ist meist frei von fester Materie (Bild 10.19). Der Durchmesser der Zellen liegt zwischen 10"3 und 0,5 • 10~2 cm. Die Dichte einer Holzart hangt in erster Linie von der Dicke der Zelluloserohre im Verhaltnis zum Hohlraum ab (Tab. 10.7; Bild 10.19 -10.21). Die Zugfestigkeit der Holzarten ist wiederum proportional der Dichte. Im Friihjahr wachst das weitporige Friihholz, im Sommer das engporige Spatholz. Beide bilden zusammen die Jahresringe, die das Grobgefiige des Holzes kennzeichnen. Da das Wachstum des Holzes von innen nach auBen erfolgt, entstehen Zugspannungen in den auBeren Zellen, die durch Formanderung und Teilung der Zellen teilweise kompensiert werden. In der Rinde fiihren diese Spannungen schlieBlich zu RiBbildung. Aus dem makroskopisch inhomogenen Aufbau des Holzes folgt, daB auch keine GleichmaBigkeit der Eigenschaften zu erwarten ist, wie bei kunstlichen Werkstoffen. Die mechanischen Eigenschaften von Holz sind sehr anisotrop. Die Zugfestigkeit in Faserachse betragt etwa das Doppelte der Druckfestigkeit, da die Fasern beim Ausbie-
Bild 10.19 a Querschnitt von Holz. b Gefiigeanisotropie von Holz. Durch radiales Wachstum in Jahresringen yz und in z-Richtung gestreckter Zellen entsteht ein Werkstoff mit annahernd orthorhombischer Symmetrie (vgl. Tab. 1.5)
368
10 Verbundwerkstoffe
Bild 10.20. Gefuge von Fichtenholz. a Struktur der Jahresringe, RLM; b Zellstruktur mit Harzkanal, DLM
H
\/
c
/
H
CH 2 0H
H
\PH\/
OH
c \ - /
N
/0H/\ H H OH
X—0
V\ H
J
CH 2 0H
P
Bild 10.21. Element eines Zellulosemolekiils, das aus Glukose durch Polykondensation (Abschn.9.1) entsteht
gen unter Druckspannung aufreiBen. Die Festigkeit quer zur Faserachse ist schlecht. Sie betragt nur ein Fiinfzigstel der Zugf estigkeit und ein Zwanzigstel der Druckf estigkeit in der Faserachse. Trotzdem ist Holz infolge seines giinstigen Verhaltnisses von Zugfestigkeit zu Dichte ein beliebter Konstruktionswerkstoff im Bauwesen. Sehr dichte und damit feste Holzer dienen unter besonderen Bedingungen im Maschinenbau als Lagerwerkstoffe, so z. B. fur Walzwerke und Schiffsschrauben.
10.6 Holz
369
Tabelle 10.7. Eigenschaften einiger Holzarten Holzart
Dichte -3
gem
Festigkeit
Anwendung
MPa Druck
Linde,Tanne,Fich- 0,45... 0,55 te, Kiefer NuB, Apfel, Birne, 0,70... 0,85 Buche, Eiche, Ahorn Ebenholz 1,23 Holz und Phenol1,20... 1,40 harzverbund, Kunstholz PreBholz 1,10... 1,50
z-Richtung
Zug
40... 50
70... 110
55... 63
115... 135
Schnitzerei, Bauholz Hochbau, Schreinerei Lager in Wasser Flugzeugbau
105 175
225
150
250
Es gibt verschiedene Methoden, die Festigkeit von Holz zu erhohen und die Anisotropic zu erniedrigen. Komprimiert man Holz bei etwas erhohter Temperatur, so lassen sich die Hohlraume ganz oder teilweise schlieBen, und die Festigkeit erhoht sich auf das Zwei- bis Dreifache von unbehandeltem Holz. Eine ahnliche Wirkung hat das Tranken von Holz mit Kunstharzen. Die Anisotropic wird durch Lamination diinner Schichten mit verschiedener Faserrichtung verringert. Es entsteht Sperrholz. Seine Eigenschaften in einer beliebigen Richtung sind aber immer schlechter als die des unbehandelten Holzes in der Faserachse. Holz ist in viel groBerem MaBe als die meisten Polymerwerkstoffe in der Lage, Wasser aufzunehmen. Der Wassergehalt hangt von der Luftfeuchtigkeit ab und kann bis zu 25% betragen. Er liegt bei Bauholz bei 5 bis 10%. Die Dichte von Holz nimmt mit dem Wassergehalt zu. Die erwahnten Nachbehandlungen von Holz bewirken, daB die Wasseraufnahme und die damit verbundenen Eigenschaftsanderungen, wie z. B. Langenanderung, stark verringert werden. Neben den genannten organischen Stoffen enthalten manche Holzer anorganische Kristalle, vor allem Kalziumoxalat und Si0 2 in Mengen bis zu 3%. Diese Phasen konnen zu Schwierigkeiten beim Sagen des Holzes fuhren. Sonst kann Holz mit hoher Schnittgeschwindigkeit zerspant werden, wahrend eine plastische Umformung schwierig und sehr begrenzt ist. Fur die Herstellung von Papier werden Zellulosefasern extrahiert und mit Bindemitteln zu Folien gewalzt. Die mechanischen Eigenschaften sind in der Blattebene isotrop, wenn die Zellulosefasern regellos angeordnet sind.
Werkstofftechnik
11 Werkstoff und Fertigung 11.1 Halbzeug und Bauteil Die Werkstoffe werden nicht in den einfachen Formen der Proben (Kap.4.2 und 4.4) verwendet, sondern als Halbzeug oder Bauteil. Das Halbzeug ist eine Form »auf halbem Wege« zum endgiiltigen Teil: ein Blech, bevor es durch Tiefziehen zum Topf wird. Halbzeuge sind Bleche, Bander, Stangen mit vielerlei Profilen: Kreis, Quadrat, Rechteck, Winkel, U-, T- und Doppel T-Profile bis zu komplizierten, meist durch Strangpressen (Extrudieren) hergestellten Formen, wie sie fur Fertster und Fassadenteile in der Architektur verwendet werden (Bildll.1). Diese Formen und deren Abmessungen sind genormt (A.5). In der Nomenklatur spielen die Abmessungen oft eine Rolle. So wird zwischen Grob- (d > 6 mm), Mittel- (6 > d < 3), und Feinblechen (d < 3 mm) unterschieden. Teile sind Lagerschale und Welle, Kolben und Zylinder, Schraube und Mutter, Spule und Spulenkern und Halbleiterchip und Speicherplatte. Sie werden meist zu Systemen hoherer Ordnung zusammengefugt (Tab. 1.1). Die Teile werden entweder
Kurzzeichen
h
b
5
t
/
mm
mm
mm
mm
80 100 120 140 160 180 200 220 240 260 280 300 320 340 360 380 400 425 450 475 500 550 600
80 100 120 140 160 180 200 220 240 260 280 300 320 340 360 380 400 425 450 475 500 550 600
42 50 58 66 74 82 90 98 106 113 119 125 131 137 143 149 155 163 170 178 185 200 215
3,9 4,5 5,1 5,7 6,3 6,9 7,5 8,1 8,7 9,4 10,1 10,8 11,5 12,2 13,0 13,7 14,4 15,3 16,2 17,1 18,0 19,0 21,6
5,9 6,8 7,7 8,6 9,5 10,4 11,3 12,2 13,1 14,1 15,2 16,2 17,3 18,3 19,5 20,5 21,6 23,0 24,3 25,6 27,0 30,0 32,4
Bild 11.1. Genormte Abmessung fur I-Trager (DIN 1025) als Beispiel fur Halbzeug
374
11 WerkstoffundFertigung geschmiedet -127±o.i-
Formschrage 1° 30
m
Versatz 1,0 max. Durchbiegung 1,0
28 H10 r-75,25 ± o,H
gegossen —127*0,1
k-75,25+-o,i—i
^/\m Wmf
(27) Toleranz 1 Blattebene + 2,47-1,2
-105.35!?-$—H -124,85!
ml
-104,25*0.5-
Formschrage 0° 20" Versatz 0,4 max. Durchbiegung 0.8
21.25*0.5
Toleranz 1 Blattebene ±0,6 mm
Bild 11.2. Mafivergleich einer Serienkurbelwelle, wobei die geschmiedete von der gegossenen Ausfuhrung substituiert worden ist; in beiden Versionen wurden bzw. werden die Gegengewichte liicht bearbeitet. Beispiel fur ein Bauteil durch Umformen eines Rohmaterials oder Weiterverarbeiten eines Halbzeugs hergestellt. Bild 11.2 zeigt die beiden Moglichkeiten fur eine Automobilkurbelwelle. Die Form eines Teiles ergibt sich aus der Beanspruchung und den fertigungstechnischen Moglichkeiten. Ein gegossenes und ein geschmiedetes Teil unterscheiden sich in der Regel etwas in ihrer Form. Die wichtigere Forderung ist aber, daB ein Teil im Gebrauch seine Funktion erfullt: der Hebel ubertragt ein Moment ohne zu brechen, eine Halbleiterdiode liefert eine ausreichende Gleichstromdichte. Jeder Werkstoff muB also zweierlei technische Eigenschaften besitzen (Kap.O): Er muB in eine vom Konstrukteur gewiinschte Form gebracht werden konnen. Dies kann durch Urformen, Umformen, Trennen und Fugen, oder durch Kombinationen dieser Verfahren geschehen. AuBerdem muB der Werkstoff im Gebrauch die erforderlichen Eigenschaften zeigen. In diesem Abschnitt soil zunachst der erstgenannte Aspekt behandelt werden. Bei der Werkstoffherstellung werden allerdings oft beide Gesichtspunkte verknupft. Fur die Produktion von Bauteilen durch FormguB werden eutektische Legierungen bevorzugt (Abschn. 8.6). Sie sind leichtschmelzbar und besitzen ein zweiphasiges Gefuge, das zu giinstigen mechanischen Eigenschaften fuhrt. Ein anderes Beispiel liefert die Herstellung von Halbzeug aus hochfestem mikrolegiertem Baustahl durch kontrolliertes Walzen. Der ProzeB der Formgebung wird so gesteuert, daB der Stahl ein Gefuge erhalt (feines Korn, Dispersion von Karbid), durch das er die gewunschten Gebrauchseigenschaften z.B. eine hohe Streckgrenze erhalt (Bild 11.3). Ganz neuartige Moglichkeiten fur die Fertigung ergeben sich aus physikalischen Verfahren wie die vielerlei Aufdampf- und Strahltechniken. Laserstrahlen werden zunehmend in der Trenn-, Fuge- und Oberflachentechnik angewandt. Wahrend Elektronenstrahlen nur im Vacuum angewandt werden konnen, funktionieren Laserstrahlen in Luft und konnen dazu leicht durch Spiegelsysteme bewegt werden. Meist ist eine Folge mehrerer Fertigungsschritte notwendig, um ein Teil herzustellen. Eine Nockenwelle wird zunachst gegossen oder geschmiedet, dann werden die Laufflachen gedreht und schlieBlich die Oberflachen der Nocken gehartet. Fur die Herstellung eines Halbleiterchips ist eine noch groBere Zahl von Fertigungsschritten notwendig (Bild 11.14).
11.2 Urformen
375 1500 °C
1
1
homogenisieren
1200 r@V v90% Walzen in
"® B>/_D...obticnen^
*
Bildll.3. Die Fertigung von Blechen aus mikrolegiertem Baustahl durch kontrolliertes Walzen. Durch diese thermomechanische Behandlung entsteht in einem Arbeitsgang ein Blech mit den gewiinschten mechanischen Eigenschaften
1 I schnell \Abkuhlen
beliebig \Abkuhlen
0
0,5
1,0
1,5 2,0 Zeit /
2,5
i
1 1
8
3,0 h 3,5
11.2 Urformen: Sintern, GieBen, Aufdampfen, komplexe Systeme Bei den Urformverfahren entsteht der Werkstoff direkt in seiner Form als Halbzeug oder Bauteil. Je nachdem, ob der Rohstoff als Flussigkeit, Pulver, Gas oder im Elektrolyt gelost vorliegt, handelt es sich um GieBen, Sintern, Aufdampfen oder galvanisches Formen. Diese Techniken konnen grundsatzlich fiir alle Werkstoffgruppen angewendet werden. Durch Sintern werden Teile aus Keramik, Metall oder Polymer hergestellt; es konnen aber dabei auch Verbundwerkstoffe entstehen, z. B. ein Phasengemisch aus Metall und PTFE fur Schalen selbstschmierender Lager. In der Regel ist die Zusammensetzung eines Werkstoffs auch im Hinblick auf das gew^hlte Formgebungsverfahren bestimmt. Von einem GuBwerkstoff werden sowohl gute VergieBbarkeit als auch bestimmte Eigenschaften nach dem Erstarren bei Gebrauchstemperatur verlangt. Haufig ist zwischen beiden Forderungen nur ein KompromiB moglich. Die VergieBbarkeit ist eine Eigenschaft, die sich aus mehreren Faktoren zusammensetzt: der Viskositat der Schmelze, den durch das Zustandsdiagramm gegebenen Erstarrungsbedingungen, der Volumenanderung und der Anderung der Gasloslichkeit beim Erstarren sowie den Reaktionen mit der umgebenden Atmosphare beim Abkuhlen (Bild 11.4). In der GieBereitechnik wird die FlieBfShigkeit gemessen, indem die Schmelze in eine Spiralform gegossen wird. Nach der ausgelaufenen Spirallange wird das Formfullungsvermogen beurteilt (Abschn. 8.6). Neben der Viskositat kann eine Oxidhaut, wie sie sich z. B. an der Oberflache von fltissigem Aluminium bildet, die VergieBbarkeit beeinflussen (in diesem Falle verbessern). Die besten Voraussetzungen fiir GuBwerkstoffe bieten eutektische Legierungen, da sie gute VergieBbarkeit (niedrige Schmelztemperatur) und ein feinkristallines zweiphasiges Gefiige miteinander verbinden. Der groBte Teil der im Maschinenbau verwendeten GuBwerkstoffe sind eutektische Legierungen, namiich Fe 4- (2 . . . 4) Gew.-% C und Silumin (Al + (11 . . . 13) Gew.-% Si). Das gegossene Teil soil die Form vollstandig ausfiillen und dariiberhinaus frei von Lunkern (Abschn. 2.3) und Poren sein. Fiir das Entstehen von Poren und Lunkern kommen zwei Ursachen infrage: die beim
376
11 Werkstoffund Fertigung
0, Gew.
/
/
/
/
j flussig
0,36
/
0,32 H
(Fe+Oxid) fl ussig
+ Fe kri
13 0,28
Fe flus sig (mitgelos temO)
0,24
~
§ 0,20
).16 1500
1550
1600 1650 Temperatur
1700 °C 1750
Bild 11.4. Loslichkeit von Sauerstoff in flussigem Eisen (nach Elliot). In festem Eisen besteht praktisch keine Loslichkeit
Erstarren auftretende Anderung des Volumens und die Gasloslichkeit. Falls das Metall an den Wanden einer Form vollig erstarrt ist, fiihren die Volumenanderung oder sich ausscheidende Gase zur Bildung von Poren im Innern des Teiles. Der Porenbildung durch Volumenanderung wird durch einen auf das Formteil gesetzten Speiser entgegengewirkt, der ein Nachsaugen von flussigem Metall ermoglicht (Bild 11.5). Die Ausscheidung von gelosten Gasen beim Erstarren kann auf zweierlei Weise verhindert werden. Beim VakuumguB befinden sich Schmelze und GieBform im Vakuum. Das fliissige Metall kann dann aus der Atmosphare gar nicht erst Gase losen, die sich beim Erstarren ausscheiden konnen (Bilder 11.4 und 11.5). Die Gleichgewichtskonzentration zweiatomarer Gase wie H2, N2, 02 in einer Metallschmelze (z.B. Stahl) ist proportional yfp wobei p der Partialdruck des Gases ist. Obwohl beim groBtechnischen VakuumguB der Druck nur auf etwa 100 Pa gesenkt werden kann, geniigt das, um z. B. den schadlichen EinfluB des im Stahl gelosten Wasserstoffs ganz zu beseitigen. Die zweite Moglichkeit, Gasentwicklung beim Erstarren zu vermeiden, besteht darin, die Gasatome chemisch zu binden. Die chemische Reaktion des im Stahl gelosten Sauerstoffs mit dritten Atomarten ist von Bedeutung fur das Gefiige und die Eigenschaften von Stahlhalbzeug und soil deshalb als Beispiel dienen. Fliissiger Stahl enthalt immer Sauerstoff in Losung, dessen Loslichkeit beim Erstarren stark abnimmt (Bild 11.4). Er reagiert dann mit dem im Eisen gelosten Kohlenstoff, unter Bildung von CO, das weder im flussigen noch im festen Eisen loslich ist. O + C - * CO,gas*
Wird dem Stahl ein Element zulegiert, das mit Sauerstoff eine stabile chemische Verbindung bildet (z.B. Si, Al, Mg, Mn), dann bildet sich ein festes Reaktionsprodukt im flussigen Stahl: 3 0 + 2Al^Al 2 0 3 f c s t .
11.2 Urformen
377 ^Speiser
EinguR
kS rv^*
Vakuumpumpsystem
geteilter Formkasten
Bild 11.5. a Zweiteilige Sandform, durch Anbringen der Speiser wird die Bildung von Poren und Lunkern im Werkstiick verhindert. Bei der Abmessung des Modells mu6 das SchwindmaB des GuBwerkstoffes beriicksichtigt werden. b Prinzip des Vakuumgusses
Im ersten Fall bilden sich von einer bestimmten Ubersattigung an CO-Blasen im fliissigen Stahl. Diese bewirken, daB vor der Front des von der Formwand aus erstarrenden Stahls eine starke Konvektion auftritt. Falls eine feste Oxidphase gebildet wird, tritt diese Bewegung der Schmelze nicht auf. Die Teilchen bleiben entweder in der Schmelze dispergiert oder bewegen sich zur Oberflache hin. Der Stahl hat iiber den gesamten Blockquerschnitt die gleiche Zusammensetzung. Ein solcher Stahl wird als beruhigt erstarrt, der Vorgang als Desoxydation bezeichnet. Wenn der Stahl dagegen unberuhigt erstarrt, d. h., wenn bei der Erstarrung COBlasen entstehen, besteht der erstarrte Block aus einer auBeren Schicht aus verhaltnismaBig reinem Eisen, wahrend im Innern die Legierungselemente, besonders Kohlenstoff, aber auch Verunreinigungen wie P, S und N angereichert sind. Das kommt dadurch zustande, daB, wahrend von der Formwand aus die Erstarrung entsprechend den Gleichgewichtsbedingungen unter Bildung verhaltnismaBig reinen Eisens beginnt, das Innere des Blockes infolge der Durchwirbelung durch die Gasblasen flussig und bei gleichmaBiger Temperatur bleibt. Es reichern sich in dieser Flussigkeit wiederum entsprechend den Gleichgewichtsbedingungen die gelosten Elemente an. Am Ende der Erstarrung finden sie sich in hochster Konzentration im Inneren des Blockes. Diese Konzentrationsverteilung bleibt auch nach dem plastischen Umformen zu Profilen und Blechen erhalten, da die Difrusionswege zu groB fur einen Ausgleich sind (Abschn. 3.1). Die verhaltnismaBig reine Oberflachenschicht bewirkt eine verbesserte Korrosionsbestandigkeit des unberuhigten Stahls. , Die meisten unlegierten Baustahle (<0,25 Gew.-% C) sind unberuhigt, wahrend legierte Stahle beruhigt vergossen werden mussen, damit die Legierungselemente gleichmaBig verteilt sind (Bild 11.6). Die in beruhigtem Stahl dispergierten Al203-Teilchen konnen auch uber eine Beeinflussung der Textur (Kap. 3.2) die Tiefziehfahigkeit von unlegiertem Stahl verbessern. Die GieBverfahren fur den FormguB konnen danach unterschieden werden, ob die Form nur einmal oder mehrfach verwendet werden kann. Im ersten Fall verwendet man Sandformen (mit Ton gebundener Quarzsand (Bild 11.3 a), im zweiten Metallformen, die meist aus Stahl oder GuBeisen bestehen und als Kokillen bezeichnet werden (Bild 11.5). Infolge der geringen Warmeleitfahigkeit des keramischen Formmaterials ist die Abkuhlungsgeschwindigkeit in einer gleichgroBen Form beim SandguB sehr viel geringer als beim KokillenguB. Das kann z. B. dazu iiihren, daB GuBeisen in der Sandform entsprechend dem stabilen Gleichgewicht: y-Fe + Graphit erstarrt, wahrend in der Kokille
378
11 WerkstoffundFertigung CO
JFe'- 1 /Rein - Fe |C,M.P,S 1
U 1
SI
LA1 2 0 3
!
rsdl
ll
Bild 11.6. a Verteilung von Verunreinigungen in unberuhigtem Stahl, im GuBblock und im Halbzeug. b Beruhigter Stahl enthalt Legierungselemente gleichmaBig verteilt und das feste Deoxidationsprodukt AI2O3
Tabelle 11.1. Lineare SchwindmaBe einiger GuBwerkstoffe Stoff
%
StahlguB GrauguB SpharoguB Silumin andere Al-Legierungen Zn-Legierungen (DruckguB) Silumin (DruckguB)
2,0 1,0 1,6 1,0 1,5 0,5 0,5
sich das metastabile Eutektikum y-Fe + Fe 3 C und damit ein sehr hartes und sprodes, weiB brechendes GuBeisen bildet. Bei der Dimensionierung der Form muB die Volumenanderung beim Abkiihlen von der GieBtemperatur auf Raumtemperatur, das sog. SchwindmaB, beriicksichtigt werden (Tab. 11.1). Nach dem Erstarren wird die Sandform zerstort, und anschlieBend werden EinguB und Speiser vom GuBstiick abgetrennt (Bild 11.7). Kokillen werden zum AbgieBen von Rohblocken verwendet. Fur FormguB kommen sie dann infrage, wenn kleinere Teile in groBerer Stiickzahl hergestellt werden. Besonders fiir Zink- und Aluminiumlegierungen wird das Verfahren dadurch modifiziert, daB das flussige Metall unter Druck in die Kokille flieBt. Der DruckguB zeichnet sich durch besonders gute Formfiillung und geringes Schwinden aus und ist besonders fur die Herstellung von Kleinteilen mit reproduzierbaren Abmessungen geeignet (Bild 11.8). Das entsprechende Verfahren der Kunststoffverarbeitung wird als SpritzguB bezeichnet. Eine andere Abwandlung des KokillengieBens ist der SchleuderguB. Dabei wird das flussige Metall in ein Rohr gegossen, das um seine Langsachse rotiert. Durch die Zentrifugalkraft wird die Flussigkeit an die Rohrwand gedriickt, wo sie erstarrt. Dieses Verfahren wird besonders fiir die Herstellung von GuBeisenrohren angewandt. Es kann auch als VerbundschleuderguB zum EingieBen von Lagerschalen mit einer Laufschicht oder zum Aufbringen von korrosions- oder verschleiBfesten Schichten in Rohren dienen. Das StrangguBverfahren dient meist nicht zur Herstellung von FormguB, sondern von Halbzeug. Das flussige Metall wird in einen wassergekuhlten Kupferring gegossen, an dem das Metall erstarrt. Das feste Metall wird nach unten abgesenkt, so daB beliebig lange Blocke mit alien moglichen Profilen, besonders auch Hohlprofile, gegossen werden konnen (Bild 11.9).
379
11.2 Urformen
Innenlunker
Bild 11.7 a-c. GuBfehler (a, b) und deren Beseitigung durch geeignete Dimensionierung des Speiser (c)
Bild 11.8. Hydraulische DruckgieBmaschine. aEinguBformhalfte; b Auswerferformhalfte; c Auswerfer; d Druckkammer; e Druckkolben; /Tiegel;gOfen
V///////////////////M7f7^7\ Eingiefien des flussigen Metalles ^bKupferring Wasserkuhlung
Bild 11.9. Prinzip des Stranggusses
1 f
Absenken des Blockes
GuBteile miissen haufig zum Abbauen innerer Spannungen oder zur Veranderung des Gefiiges nachbehandelt werden. Beim Erstarren wachsen die Kristalle stengelformig in die Richtung, in der sich die Erstarrungsfront bewegt. Durch eine Rekristallisations-
380
11 Werkstoffund Fertigung
gliihung (Abschn. 3.2) kann ein normales Gefuge mit »runden« Kornern erhalten werden. Bei StahlguB muB nach dem GieBen eine Normalgluhung, bei legiertem StahlguB meist auch eine Vergiitungsbehandlung angeschlossen werden (Abschn. 8.5). Zur Herstellung von TemperguB wird zunachst »weiBer«, d. h. nach dem metastabilen System Fe — Fe3C erstarrter GuB hergestellt, der sehr sprode und hart ist. Durch eine anschlieBende Gliihbehandlung (Tempern) wird das Fe3C in Graphit umgewandelt: Fe 3 C^C Graphit + 3Fe. Es entsteht dann ein beschrankt plastisch verformbarer, leicht zerspanbarer Werkstoff. Das Tempern erfolgt bei r« 1000 °C, so daB sich zunachst y-Eisen bildet und beim Abkiihlen sekundar auch Perlit gebildet werden konnte, wenn nicht durch langsames Absenken der Gluhtemperatur auf 700 °C ein Gefuge erhalten wird, das nur aus a-Eisen (Ferrit) und Graphit besteht. Man kann auf diese Weise einen Werkstoff erhalten mit einerZugfestigkeit <7B = 500...800N/mm 2 undeinerBruchdehnungvon6=2...8%. Neue Verfahren zur Nachbehandlung von GuGeisen haben das Ziel, ein geeignetes Grundgefuge herzustellen (Bild 11.10). Die Eigenschaften derartiger GuBwerkstoffe konnen denjenigen von geschmiedetem und vergutetem Stahl nahekommen. Ein Verwendungsgebiet sind Kurbelwellen (Bild 11.2). Die Herstellung von StahlguB ist wegen der hoheren Schmelztemperatur und des hoheren SchwindmaBes schwieriger (Tab. 11.1). Beim TemperguB verbinden sich gute VergieBbarkeit (Formgebungseigenschaft) mit stahlahnlichen mechanischen Eigenschaften (Gebrauchseigenschaft). Teile aus hochpolymeren (SpritzguB) und keramischen (SchlickerguB) Werkstoffen konnen ebenfalls durch GieBtechniken hergestellt werden. Obwohl Kunststoffe in der Regel im fliissigen Zustand verformt werden, sind die dazu verwendeten Verfahren denen des Umformens von Metallen ahnlich, da die Viskositat einer Polymerschnielze etwa das Zehntausendfache einer Metallschmelze betragt (Abschn. 11.3). Der technische ProzeB des Sinterns dient entweder zur Herstellung eines Werkstoff es als Halbzeug (z. B. Stabe, Bleche, Rohre) oder zur Herstellung von Teilen in ihrer endgiiltigen Form. Die Sintertechnik wird seit langem in der Keramik angewandt. Sie hat
Bild 11.10. Gluhbehandlung von GuBeisen mit Kugelgraphit, GGG 1000 zur Herstellung eines bainitisch-austenitischen Gefuges, das zu hoher Zugfestigkeit, Ermiidungsfestigkeit und Bruchzahigkeit fiihrt
11.2 Urformen
381
aber auch grofte Bedeutung gewonnen fur die Herstellung von Metallen (z.B. Wolfram, Abschn. 8.2), Kunststoffen (z.B. FTFE, Abschn. 9.2) und Verbundwerkstoffen (z.B. Cermets und Sinter-Hartmetalle, Abschn. 10.4). Die gesamte »klassische« Keramik beruht darauf, daft Ton geformt und anschlieftend gebrannt werden kann. Ton ist ein Gemisch sehr kleiner Alkalimetall-AluminiumSilikat-Kristalle mit Wasser. Beim Brennen des getrockneten Korpers verbinden sich die Kristallenen, so daft ein fester Korper entsteht. Der Prozeft ist allerdings nicht einfach. Es entstehen dabei nicht nur neue Kristallphasen (SiC>2), sondern auch geringe Mengen fliissiger Phasen. In der Praxis wird die Bildung der Fltissigkeit durch Zusatz von Feldspat noch gefordert. Diese Fltissigkeit fordert den Sintervorgang, ist aber nicht unbedingt notwendig. Keramische Sinterwerkstoffe wie UO2 (Reaktorbrennstoff), BeO, AI2O3 (hohe Schmelztemperatur) sowie Ferrite (Ferromagnetika FeO-Fe203, nicht zu verwechseln mit Ferrit, a-Eisen-Mischkristall) werden ohne Bildung des fltissigen Zustands hergestellt. Si3N4 wird durch Sintern von Si-Pulver im Stickstoffstrom erzeugt. Sintern ist ein komplizierter Prozeft, in dem neben plastischem Flieften (Abschn. 4.2) - falls aufterer Druck angewendet wird - die Diffusion die wichtigste Rolle spielt. Er besteht meist aus zwei Teilschritten: erstens dem Herstellen eines Formkorpers aus den Pulverteilchen, der gentigend Festigkeit besitzt, daft er zweitens zum eigentlichen Sintervorgang bei hoher Temperatur in den Of en gebracht werden kann (Bild 11.11). Bei der quantitativen Behandlung des Sintervorgangs geht man aus von einem Kugelhaufwerk des Pulvers, das ein bestimmtes Porenvolumen enthalt. Die Pulverteilchen wachsen zusammen und bilden Korn- oder Phasengrenzen, je nachdem, ob es sich um gleiche oder verschiedene Phasen handelt. Die Triebkraft ist also die Oberflachenenergie der Pulverteilchen y. Mit abnehmendem Porenvolumen verbunden ist die Schrumpfung des Korpers A/ (relative Schrumpfung A///o, /o Ausgangslange). Folgende Beziehung zwischen Schrumpfung, Diffusionskoeffizient der geschwindigkeitsbestimmenden Atomart, Teilchenradius r, Oberflachenenergie y und Zeit / laftt sich aus dem in Bild 11.9 gezeigten Mechanismus ableiten:
ao ist der Gitterparameter, k die Boltzmann-Konstante. Diese Beziehung ist fur viele Sintervorgange, an denen nur feste Stoffe beteiligt sind, bestatigt worden (Bild 11.9d). Ihr liegt ein Modell zugrunde, bei dem Leerstellen in die Bertihrungszone diffundieren oder Atome in der umgekehrten Richtung. Beide Vorgange ftihren zur Schrumpfung A/. Falls das Sintern unter Druck geschieht, beschleunigen plastische Flieftvorgange durch Bewegung von Versetzungen den Vorgang. Sinterverfahren wurden ursprunglich da angewendet, wo hochschmelzende Stoffe zu kompakten Korpern vereinigt werden sollten. Aufter vielen keramischen Stoffen werden die hochschmelzenden krz-Metalle Nb, Mo, W durch Sintern des chemisch hergestellten Metallpulvers zu kompaktem Material verarbeitet. Die Umgehung des fltissigen Zustandes erweist sich aber unabhangig davon als niitzlich, wenn eine sehr feine und gleichmaBige Verteilung der Phasen angestrebt wird. Haufig ftihrt namlich Seigerung bei der Erstarrung zu sehr ungleichmaftiger Verteilung der Konzentrationen. Ein Beispiel ftir die vorteilhafte Anwendung des Sinterprozesses ist die neuere Entwicklung auf dem Gebiet der Schnelldrehstahle (Abschn. 8.5). Diese Legierungen laftt man nicht als Blocke erstarren, sondern zerstaubt sie aus dem fltissigen Zustand zu einem
382
11 WerkstofF und Fertigung
Bild 11.11 a-d. Vorgange beim Sintern. a Haufwerk kugelformiger Teilchen. b Es entstehen aus Oberflachen Grenzflachen, das spezifische Volumen nimmt beim Sintern ab. c Oberflache des Teilchens vor und nach -—-—- dem Sintern. Die Formanderung geschieht durch Selbstdiffusion: Diffusion von Leerstellen in die und von Atomen aus der Beriihrungszone der Teilchen. d Schrumpfung beim Sintern von A1203, Teilchengrofie 0,3 urn, Druck 35 Nmm"2. e Gesintertes Eisen, gegliiht 15 h/800°C, 20 Vol% Poren, RLM.
Pulver. Nach anschlieBendem Zusammensintem der Teilchen erhalt man einen WerkstofF mit sehr gleichmaBiger Verteilung der Phasen und sehr guten technischen Eigenschaften als Drehstahle (Abschn. 10.4). Das Sintern ist auch ein geeignetes Verfahren zur Herstellung poroser Formkorper. Das Pulver sollte dazu moglichst einheitliche TeilchengroBen haben. Der Sintervorgang wird in einem fruhen Stadium nach hinreichend starker Verbindung der Teilchen abge-
383
11.2 Urformen
brochen. Porose Formkorper dienen als Filtermaterial oder als Basis der Trankwerkstoffe z. B. fiir selbstschmierende Lager. Haufig ist aber auch die Herstellung eines vollig porenfreien Werkstoffs durch Sintern ein Problem. Dann hilft in manchen Fallen das HIP-Verfahren (hot isostatic pressing). Die kompliziertesten und kleinsten Bauteile der Technik sind die integrierten elektronischen Schaltkreise. Sie enthalten in und auf einem kleinen Kristallblock, dem »chip«, eine Vielzahl von elektronischen Funktionen; halbleitende Widerstande, Dioden, 101Z 1011 10
i-
^^
10
10 9
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L
/
-
/
/?
^
£106 £10 5
-
10
-
'1950
1960
1970
1980 1990 Jahr
2000
2010
2020
Bild 11.12. Zeitliche Entwicklung; der Dichte von in Si-Kristallen integrierten Bauelementen, die beim Erreichen atomarer Dimensionen (10~9 m, Nanostrukturen) enden mufl Pb/Sn-Lotanschluf3
p" Epitaxfalschicht p+Substrat I
| i
Bild 11.13. Aufbau von Mehhrschicht-Halbleiterbauelementen, schematisch. Die integrierten Stoffe sind Leiter, n- und p-Halbleiter, elektrische Isolatoren und eine Schutzschicht gegen die auBere Urngebung (mechanisch, chemisch), siehe Bild 5.10
384
11 Werkstoff undFertigung
Trioden, die zu logischen Schaltungen durch Leiter verkniipft und von einem Isolator geschiitzt werden (Kap. 5.2). Gegenwartig konnen in einem Chip mehr als 108 Bauelemente wie Gleichrichter oder Transistoren integriert werden (Bild 11.12). Ihre Herstellung geschieht groBtenteils durch Aufdampfverfahren und ist den Urformverfahren zuzuordnen (Bild 11.13). Die verschiedenen Schritte der Fertigung von integrierten Schaltkreisen werden im Folgenden anhand von Bild 11.14 beschrieben. 1. Ausgangsprodukt ist Silizium (Tab. 11.2). Nach den im Kapitel2.3 beschriebenen Prinzipien werden Einkristalle deflnierter Orientierung aus der flussigen Phase gezogen. Die geforderte hohe Reinheit wird durch wiederholtes Zonenschmelzen dieser Kristalle erreicht (Kap. 3.5). Tabellell.2. Einige Eigenschaften des wichtigsten Halbleiterwerkstoffs Silizium fur integrierte Schaltkreise GroBe
Symbol
Ordnungszahl Atomgewicht Kristallstruktur Gitterkonstante Bandstruktur Schmelztemperatur elastische Konstante Gl. (4.1)
Z A
Querkontraktionszahl Piezoresistiver Koeffizient Ausdehnungskoeffizient Warmeleitfahigkeit Spezifische Warme
a Es Tkt
c„ c12 C44
Einheit
nm eV K Pa Pa Pa
V
k a X Cv
TtPa"1 • 10"11 K"1 • 10"6 Wcm^K"1 Jg^K- 1
Zahlenwerte usw. 14 28,1 Diamant 0,543 1,12 1696 1,67 • 1011 0,65 • 1011 0,77 • 1011 0,281 100-150 2,8 (300 K) 1,4 0,71 (300 K)
2. Die Kristalle werden in Scheiben geschnitten, die einen Durchmesser von einigen cm haben. Sie mussen sorgfaltig auf Abwesenheit von Gitterbaufehlern gepruft werden: Versetzungen, Stapelfehler, Korngrenzen (Kap. 1.4). 3. Die Strukturen bestehen aus p- oder n-leitendem Silizium, Leitern (Au, Al) und Isolatoren (Si02). Sie werden durch optische Lithographie lokalisiert. Die Oberflache des Si wird mit einem lichtempflndlichen Lack bedeckt, der iiber eine Maske ortlich mit Licht bestrahlt wird. Durch Strahlenvernetzung (Kap. 9.4) wird dieser Lack unloslich, der unbestrahlte Lack abgelost und die Oberflache dort wieder freigelegt. 4. Nun werden fur die Herstellung der p- oder n-leitenden Bereiche entweder B, Al oder As, P aufgedampft. Diese Elemente diffundieren mit einer mittleren Eindringtiefe x = \/Dt in das reine Si. Temperatur und Zeit fur diesen Verfahrensschritt sind durch Gleichungen 3.3 bis 3.5 bestimmt. 5. Das in Bild 11.13 dargestellte MOSFET-Bauelement (Metall-Oxid-Silizium-Feldeffekt-Transistor) benotigt eine Kontaktierung und elektronische Isolation zwischen den n-leitenden Bereichen (Gate, Gatter). Davor wird der Zwischenbereich (Gatterlange « 1 \im) wiederum von erneut aufgebrachtem und unbestrahltem Lack freigelegt. Diesmal folgt eine Oxidationsbehandlung. Dazu wird der Chip bei hoher Tern-
11.2 Urformen
385
Bild 11.14. Einige Arbeitsgange bei der Herstellung von integrierten Schaltkreisen. 1 Abtrennen von Scheiben (wafers) von eineni bereits dotierten Si-Einkristall, jede Scheibe enthalt > 100 »chips« von einigen mm2 Flache. 2 Weiteres Dotieren geschieht durch Aufdampfen und Eindiffundieren geeigneter Atome (N, P, As fur n-Dotierung). Durch Oxidation bildet sich eine isolierende Schicht aus Si02. 3, 4 Das Aufdampfen erfolgt uber Masken, um ortlich begrenzt ein gewtinschtes elektronisches Verhalten zu erhalten. 5 Leitende Verbindungen werden durch aufgedampfte Metalle erzielt: Au, Al oder auch hochschmelzende Metalle (Mo), falls der Schaltkreis in der Fertigung bei Diffusionsbehandlungen hohe Temperaturen aushalten muB, 6 Die Masken entstehen durch optisch empfindliche Lacke. Sie vernetzen bei Bestrahlung (Kap. 9) und werden dann unloslich. An den unbestrahlten Stellen wird der Lack abgelost. Nur an den bestrahlten Stellen schtitzt er das darunter liegende Metall, das an alien anderen Stellen ebenfalls aufgelost wird.
peratur einer 02 -Atmosphare ausgesetzt, so daB sich ortlich eine dichte Schicht von Si0 2 bildet. 6. Entsprechend geschieht das Kontaktieren. Gut leitende Metalle werden auf die freigelegten Oberflachen aufgedampft, ohne daB eine Diffusionsbehandlung notig und erlaubt ist. 7. Der fertige Chip muB anschliefiend auf einem Substrat befestigt werden. Dabei spielt fur die Kompatibilitat der Ausdehnungskoeffizienten eine wichtige Rolle. Keramische Stoffe und zunehmend spezielle Polymere dienen fur diesen Zweck. 8. Fur die modernsten Schaltkreise finden wir eine komplizierte Folge dieser Verfahrensschritte. Die Moglichkeiten, aber auch die Komplexitat der Fertigung erhohen sich sehr stark beim Ubergang von zwei- zu dreidimensionaler Integration. Die hier erorterten ebenen Strukturen mussen dazu stockwerkweise zusammengefugt werden.
386
11 Werkstoff und Fertigung
11.3 Umformen Zum Umformen miissen auf den festen Werkstoff Krafte einwirken. Aus der Art dieser Krafte ergibt sich eine sinnvolle Einteilung der Verfahren. Der Zusammenhang mit den Eigenschaften des Werkstoffs ergibt sich dadurch, daB der erreichbare Verformungsgrad in der Reihenfolge Druck, einachsiger Zug, mehrachsiger Zug abnimmt. Biegung ist eine Kombination von Zug- und Druckbeanspruchung, bei der die Verformbarkeit des Werkstoffs oft durch die Verformbarkeit in der Zug-Randfaser begrenzt wird. Werkstoffe, die empfindlich gegen RiBbildung unter Zugspannung sind, konnen manchmal durch Verfahren, bei denen Druckspannungen wirken (Strangpressen), verformt werden. Die am besten umformbaren Werkstoffe sind diejenigen, die sich unter Zug und Druck gleich gut verhalten (Tiefziehwerkstoffe). Werkstoffe konnen plastisch verformt werden durch Kristallplastizitat und durch viskoses FlieBen. Bei der Kristallplastizitat unterscheidet man Kaltverformung und Warmverformung, je nachdem, ob die bei der Verformung im Werkstoff entstehenden Defekte (besonders Versetzungen) wahrend des Verformungsvorganges ausheilen konnen oder nicht. Kaltverformung ist immer mit Verfestigung des Werkstoffes verbunden. Der Temperaturbereich des Ubergangs von Kalt- zu Warmverformung (7K; 7\y) kann wie alle vorwiegend iiber Selbstdiffusion ablaufenden thermisch aktivierten Vorgange auf die Schmelztemperaturbezogen werden. Es gilt die Regel7k < 0,57^; 7w > 0,5Tfk.Bei Blei beginnt die Warmverformung also schon bei Raumtemperatur, fur metallische Werkstoffe mit hoheren Schmelztemperaturen entsprechend bei hoher Temperatur (Al: 200 °C, a-Fe: 600 °C, W: 1500 °C). Stahl wird z. B. bei Raumtemperatur kalt- und oberhalb von 700 °C warmverformt. Nichtkristalline Stoffe konnen nur warmverformt werden, und zwar bei Temperaturen, bei denen die Viskositat (Abschn. 4.7 Tw > Tg) gentigend niedrig ist. Bei Kunststoffen ist das oberhalb 200 °C, bei Silikatglasern oberhalb 800 °C der Fall. Warmverformung von vielkristallinen und von nichtkristallinen Stoffen ist makroskopisch gesehen ahnlich, mikroskopisch aber nicht gleich. Verformungsverfahren wie Walzen konnen fur
Tabelle 11.3. Umformverfahren Verfahren
Druck: a <0
Strangpressen, FlieBpressen, ~~+ Extrudieren Gesenkschmieden + Freiformschmieden, Stauchen, + Extrudieren Walzen, Kalandrieren + Recken Glasblasen, superplastisches Umformen Draht-, Stangen-, Rohrziehen + Biegen Tiefziehen + Tordieren -
+: ja, —: nein
Zug: a> 0 Z
Biegung: <x^0
Torsion: cr> 0
_
—
— -
— -
— —
-
-
-
+
-
-
+ +
—
+ +
+ -
-
+
11.3 Umformen
387
beide Werkstoffgruppen gleichermafien angewandt werden. Ausziehen von Faden und Biasen von Folien ist aber nur in viskos fliefienden Werkstoffen (Glas, Kunststoffe) moglich. Sehr feinkristalline Metalle verhalten sich nur bei ganz bestimmter Temperatur und Verformungsgeschwindigkeit ahnlich und werden dann als superplastisch bezeichnet. Die meisten Formgebungsverfahren konnen sowohl fur Warm- als auch fur Kaltverformung metallischer Werkstoffe verwendet werden. Eine Ausnahme bildet das Drahtziehen und Tiefziehen. Um die dabei auftretenden hohen Zugspannungen aufnehmen zu konnen, ist Verfestigung notwendig, so dafi vorwiegend kaltgezogen wird. Es ist sinnvoll, die Verfahren der plastischen Umformung nach der Art der Krafteinwirkung folgendermafien einzuteilen (Tab. 11.3). Kennzeichnend fiir eine Biegebeanspruchung ist, dafi Zugspannungen an der Aufienseite und Druckspannungen an der Innenseite entstehen. Oberschreiten diese Spannungen die Streckgrenze, wird der Werkstoff aufien gereckt und innen gestaucht, so dafi eine bieibende Durchbiegung die Folge ist. Diese ist dadurch begrenzt, dafi die Bruchdehnung in der Oberflache nicht iiberschritten werden darf (Bild 11.16). Werkstoffe mit geringer Bruchdehnung und kerbempfindliche Werkstoffe eignen sich deshalb nicht zum plastischen Biegen. Da die Formanderung immer elastische und plastische Anteile enthalt, miissen Biegewerkzeuge so konstruiert werden, dafi sich nach dem Entlasten und Zuriickfedern die gewiinschte Form einstellt. Das gilt nicht fur Stoffe mit Streckgrenzen # p « 0 , die warmverformt werden. Beim Tiefziehen wird als Ausgangsmaterial ein ebener Blechzuschnitt verwendet, der mit einem Ziehstempel durch einen Ziehring zu einem Hohlkorper verformt wird. Eine Anderung der Blechdicke ist dabei nicht beabsichtigt (/?-Wert, Abschn. 4.9). Der Verformungsprozefi ist in komplizierter Weise zusammengesetzt aus Biegen, Stauchen und Recken. Ein technisches Problem ist dabei die Faltenbildung. Sie wird verhindert durch Faltenhalter und Dimensionierung der einzelnen Verformungsschritte, so dafi die jeweiligen Formanderungen nicht zu grofi werden (Bild 11.17).
Bild 11.15. a Freiformschmieden. b Gesenkschmieden
o-(Zugspannung)
Bild 11.16. Verteilung der elastischen und plastischen Formanderung iiber den Querschnitt eines gebogenen Stabes
388
11 WerkstofFundFertigung
Bild 11.17. a Tiefziehwerkzeug. a Ziehring, b Stempel mit Luftloch; c Faltenhalterring; d Durchmesser des gezogenen Napfchens (e). b Arbeitsgange bei der Herstellung eines konischen Behalters aus einer ebenen Blechronde Fur das Tiefziehen geeignete Bleche rmissen eine niedrige Streckgrenze, einen hohen Verfestigungskoeffizienten und eine sehr hohe GleichmaBdehnung aufweisen. Andere notwendige Eigenschaften wurden bereits im Zusamrhenhang mit der Tiefziehfahigkeit (Abschn. 4.10) und des 7?-Wertes (Abschn. 4.9) besprochen. Werkstoffe mit der besten Tiefziehfahigkeit sind das a-Messing und austenitischer Stahl. Dem Tiefziehen verwandte Verfahren sind das Drucken, Abstreckwalzen, Gewinderollen oder -driicken und die handwerkliche Methode des Treibens. Beim Streckziehen ist im Gegensatz zum Tiefziehen der Werkstoff am Rande fest eingespannt und wird nur durch GleichmaBdehnung verformt. Beim Drahtziehen wird der Werkstoff durch eine Ziehduse mit einem Durchmesser, der kleiner ist als der Durchmesser des eintretenden Materials, gezogen. Beim Profilziehen hat die Diise die Form des Querschnittes des gewiinschten Profils. Mit einer runden Diise und einem dort befindlichen Dorn wird beim Rohrziehen gearbeitet. Beim Drahtziehen wird die zur plastischen Verformung wirksame Kraft Q indirekt iiber die Diisenwand durch die Zugkraft Ferzeugt (Bild 11.18). Es wirkt eine Druckkraft in einem Winkel von 90 ° - (a + g) zur Drahtachse. Der Reibungswinkel g ist kleiner als 3 ° (bei guter Schmierung, Reibungskoeffizient fi < 0,05). Die Querschnittsabnahme AA/A0 liegt zwischen 10 und 40%. Es wird im allgemeinen in vielen Stufen gezogen. Bei den dabei auftretenden hohen Verformungsgraden muB mit cp und nicht mit e gerechnet werden, d.h. die Formanderung muB auf den jeweiligen Querschnitt bezogen werden (Abschn. 4.2), da man sonst aus Querschnittsabnahme und Verlangerung verschiedene Werte erhalt. In der Ziehduse herrscht beim Ziehen ein komplizierter, aus Zug- und Druckspannungen zusammengesetzter Spannungszustand, der bei Kaltverformung zu einer sehr starken Verfestigung des metallischen Werkstoffs fuhrt. Das Ziehen wird deshalb nicht nur zur Formanderung, sondern auch zum Erhohen der Streckgrenze von Drahten und Staben durch mechanische Verfestigung angewendet. Das Strangpressen, Stauchpressen und FlieBpressen sind Verfahren, die durch auBere Druckkrafte eine Streckung des Werkstoffes erreichen. Dabei wird immer ausgeniitzt, daB die Duktilitat bei dreiachsiger Druckspannung stark zunimmt, so daB man sehr hohe Driicke (bis zu 2500 Nmm" 2 ) anwenden kann. Diese Verfahren konnen fur Warmverformung (Strangpressen von Stahl, Cu- und Al-Legierungen) oder zur Kaltverformung sehr duktiler Werkstoffe mit nicht zu hoher Streckgrenze angewandt werden.
389
11.3 Umformen <* = 5...10° 5 - 3 ° ; ^0.05 Q"3..JF
T"
Bild 11.18. Prinzip des Drahtziehens. FZugkraft; Q Druckkraft im Ziehhol; 2 a Offnungswinkel im Ziehhol; g Reibungswinkel im Ziehhol
_J_
verformter
Druckkraft F-
Stempel Aufnehmer
PreHwerkzeug
PreGwerkzeug b
Bild 11.19 a u. b. Prinzip des Strangpressens. a Vorwartspressen, b Riickwartspressen
In der Umformtechnik unterscheidet man Vorwartspressen und Riickwartspressen, je nachdem, ob der Druckstempel und das zu verformende Material sich in der gleichen oder entgegengesetzter Richtung bewegen (Bild 11.19). Beim Riickwartspressen fallt die Reibung zwischen dem Werkstoff und der Aufnehmerwand weg. Mit ahnlichen Verfahren konnen nicht nur Stabe, sondern auch Hohlkorper hergestellt werden, wie es in Bild 11.20 am Beispiel der Tubenherstellung gezeigt wird. Zur Herstellung von Halbzeug (Bleche, Stabe, Bander, Rohre, Profile) wird am haufigsten das Walzen angewandt. Dabei wird der Werkstoff unter dem Druck zweier zylindrischer - oder profilierter - Walzen gestreckt. Die Formanderung parallel zur Walzachse (Breitung) ist gering. Die durch die Walzen wirkenden Druckkrafte konnen auch mit einer Zugkraft kombiniert werden, die auf den aus dem Walzspalt austretenden Werkstoff wirkt. Es treten komplizierte Spannungszustande zwischen dem Eintritt und dem Austritt aus dem Walzspalt auf (Bild 11.21). Die Kraft F, die auf den Werkstoff beim Eintreten in die Walze wirkt, kann in die Komponente Fsin a;
Fv = Fcos a
(11.2)
zerlegt werden. Die Reibungskraft \i Fcos a versucht, den Werkstoff in die Walzen zu Ziehen. Damit das geschieht, mu6 die Bedingung Fsin a< fi Fcos a
(11.3)
oder t a n a < ju
erfiillt sein. Diese Bedingung ist identisch mit der Forderung, daB der Offnungswinkel der Walze kleiner als der Reibungswinkel sein muB. Die von der Walze auf den Werkstoff ausgeiibte Druckspannung muB die Streckgrenze ubersteigen. Durch Verkleinerung des Walzendurchmessers kann die zur Erzeu-
11 Werkstoff und Fertigung
390
C_J
Bild 11.20. Herstellung eines zylindrischen Gefafies durch FlieBpressen
Bild 11.21 a. Die Krafte im Walzspalt. F durch die Walzen ausgeubte Druckkraft; ju F cos a Reibungskraft, die den Werkstoff in die Walze zieht
Bild 11.21b. Mikrostrukturelle Vorgange beim Kaltwalzen: Anderung der Kornform und Erhohung der Versetzungsdichte fiihren zu Anisotropic und Verfestigung des Bleches gung dieser Spannung notwendige Kraft auf das Walzgeriist verringert werden. Ein zu geringer Walzendurchmesser wird aber zu elastischer oder gar plastischer Durchbiegung der Walzen fiihren. Aus diesem Grunde wurden Walzanlagen konstruiert, bei denen Arbeitswalzen mit geringem Durchmesser durch Stiitzwalzen mit groBem Durchmesser am Durchbiegen gehindert werden. Derartige Walzen werden besonders zur Herstellung diinner Bleche benutzt, da zu gleicher Dickenabnahme do - dx bei gleichbleibendem Offnungswinkel a fur abnehmende Blechdicke d$ abnehmende Walzendurchmesser erforderlich sind (Bild 11.22). In neuerer Zeit wurden Umformverfahren eingefiihrt, die sich dadurch auszeichnen, daB kurzzeitig groBe Krafte erzeugt werden. Als Energiequellen dienen detonierender Sprengstoff, Kondensatoren, die iiber Magnetspulen entladen werden, Funkenentladung oder bei Stromdurchgang explodierende Drahte. Das Explosivumformen ist dem Tiefziehen ahnlich. Die Form und der Sprengstoff befinden sich meist unter Wasser, das die
11.3 Umformen
391
Bild 11.22. Vielwalzengeriist, Arbeitswalzen mit geringem Durchmesser zum Walzen dunner Bleche, und ein System von Stiitzwalzen (System Sendzimir)
vom Sprengstoff ausgehende Druckwelle auf den Werkstoff iibertragt (Bild 11.23). Eine ahnliche Anordnung wird beim hydroelektrischen Umformen beniitzt (unter Wasser und elektrische Energiequelle). Beim Magnetformen wird durch Kondensatorenentladung in kurzer Zeit ein starkes Magnetfeld aufgebaut (Primarspule). In dem elektrisch leitenden, zu verformenden Werkstoff (Sekundarwicklung) wird ein Strom in umgekehrter Richtung induziert, der zu einer AbstoBungskraft in die Form fiihrt. Bei alien Verfahren ist die Verteilung der Krafte so, daB Umformvorgange durchgefuhrt werden konnen, die mit den konventionellen Verfahren nicht moglich sind. Das Explosivumformen wird z. B. dann angewandt, wenn groBere kompliziert geformte Blechteile aus schlecht schweiBbaren Werkstoff en mit hoher Streckgrenze in kleinerer Stiickzahl hergestellt werden miissen. Kunststoffe sind nichtkristallin oder nur teilweise kristallin. Die Moglichkeit zu ihrer plastischen Verformung beruht auf dem viskosen FlieBen bei so hoher Temperatur, daB technisch sinnvolle FlieBgeschwindigkeiten moglich sind. Die Verfahren zum plastischen Umformen von Kunststoffen wurden zum Teil aus den alten, bei metallischen Werkstoffen bewahrten Verfahren entwickelt. Dariiberhinaus sind neue Verfahren entstanden, die den mechanischen Eigenschaften der Kunststoffe gut angepaBt sind. Der plastischen Verformung sind Verfahren vorgeschaltet, die noch zur Herstellung des Kunststoffes dienen, wie Einmischen, Homogenisieren durch Kneten. Dem Verformen nachgeschaltet werden konnen Prozesse, wie Recken von Folien oder Bandera, die der Verbesserung der mechanischen Eigenschaften (Erhohung der Streckgrenze) dienen. Die Verformung der Kunststoffe kann, verglichen zur Warmverformung von Stahl, bei niedrigen Temperaturen von 100 bis 300 °C erfolgen. Das SpritzgieBen wurde aus dem Metall-DruckguB entwickelt. Es wird hauptsachlich
Sprengstoff mit Ziinder Wasser oder Luft unverformter Werkstoff Form
Bild 11.23. Explosivumformen eines unsymmetrischen Hohlkorpers aus einem Rohr
392
11 WerkstoffundFertigung UZuhaltekraft
Bild 11.24 a. Prinzip einer Spritzmaschine fur Kunststoffe
Bild 11.24 b. In einer Form erstarrtes PE (Polyathylen), Formwand (links) fuhrt durch schnellere Abkiihlung zu geringerem Kristallisationsgrad (Bild 9.3), DLM, polarisiertes Licht.
fur Thermoplaste angewandt, kann aber auch fur gut flieBfahige Duromere ohne oder mit Glasfaserverstarkung verwendet werden. Da Thermoplaste nach Fullen der Form schnell fest werden sollen, mu8 die Form gekuhlt werden. Das ist nicht notwendig fur Duromere und Elastomere, die durch Vernetzen in den festen Zustand iibergehen. Der fliissige Kunststoff wird entweder durch Kolben oder (jetzt fast ausschlieBlich) durch eine »Plastifizier«-Sehnecke in die Form transportiert (Bild 11.24 und 11.25 a). Mit dem SpritzguB verwandt ist das Strangpressen zur Herstellung von Profilstaben, Drahten und Rohren. In der Kunststofftechnologie wird dieses Verfahren als Extrudieren bezeichnet. Es dient ausschlieBlich zur Verarbeitung thermoplastischer Stoffe, die eine hohere Viskositat (niedrigere Temperatur) haben miissen als beim SpritzgieBen. Die Erwarmung und der Transport des Werkstoffes zur PreBdiise erfolgen in einem Zylinder, in dem sich eine Schnecke mit nach der Diise hin zunehmendem Durchmesser der Mittelachse beflndet (Bild 11.25). Wie bei den Metallen konnen durch Extrudieren auch Hohlkorper hergestellt werden. Ein fur Kunststoffe typisches Verformungsverfahren ist das Folienblasen. Dazu wird der im zahfliissigen Zustand aus dem Extru-
393
11.3 Umformen
Quetschwalzen Aufwicklung
^ ^ L J L ) /
eitrollen
Erstarrungszone Kuhlring Tempermanschette-
Bild 11.25. a Schneckenextruder zur Herstellung von Kunststoffprofilen (mit Formwerkzeug zur Herstellung von Rohren). b Herstellung von geblasenen Folien durch Kombination eines Extruders zur Herstellung eines Rohres, das in der Blasvorrichtung zur Folie aufgeweitet wird
Plastifizierschnecke
-Dorn Duse
F-Blasluft
der tretende Folienschlauch durch Druckluft bis zum ftinffachen Durchmesser aufgeweitet. Auf diese Weise werden ein groBer Teil der PE-, PVC- und PA-Folien hergestellt (Bild 11.25b). In ahnlicher Weise kann der Kunststoff in eine Form geblasen werden, wie es seit langer Zeit fiir Silikatglaser geschieht. Dieses Verfahren ist also fiir alle Werkstoffe geeignet, die sich durch viskoses FlieBen (Abschn. 4.7) verformen. Ein dem Walzen von Metallen ahnliches Verfahren wird in der Technologie der Kunststoffe und des Gummis als Kalandrieren bezeichnet. Es dient zur Herstellung von Platten aus diesen Stoffen. Der Kalander wird mit zahfliissigem Material beschickt, wobei haufig erst in diesem Stadium die Zusatze zugemischt werden (Bild 11.26). Die weiteren Walzen dienen dazu, den Durchmesser der Platte oder der Folie zu bestimmen und durch Recken die Festigkeit zu erhohen. Kalander sind auch geeignet zur Herstellung von mattenverstarkten Kunststoffen (Abschn. 10.2).
394
11 WerkstoffundFertigung I
Bild 11.26. Moglichkeiten fur die Anordnung der Walzen von Kunststoff-, und Gummikalandern. Beschickung erfolgt aus der Richtung der gestrichelten Pfeile, eine ahnliche Anordnung dient auch zum Schmelzwalzen von Metallen (Kap. 8.6) und zur Papierherstellung
11.4 Trennen: Spanen und Schleifen Die spanabhebende Formgebung bildet ein umfangreiches Gebiet, dem im Prinzip beabsichtigter, abrasiver VerschleiB zugrundeliegt. Es hat seinen Schwerpunkt nicht mehr in der Werkstoff- sondern in der Fertigungstechnik. Metalle und Kunststoffe konnen spanabhebend verformt werden. Bei keramischen Stoffen ist die Zerspanbarkeit eine Ausnahme (Reaktorgraphit, Abschn. 7.2). Die Zerspanbarkeit ist eine typische Systemeigenschaft. Es spielen zweierlei Werkstoffeigenschaften eine Rolle, namlich die des zu bearbeitenden Materials und die des Werkzeugs (Abschn. 8.5 und 10.4). Die fertigungstechnische Eigenschaft »Zerspanbarkeit« ist ahnlich wie der Reibungskoeffizient ju (Bild 6.1c) oder die Neigung zu SpannungsriBkorrosion (Bild 6.8) nur fur ein genau deflniertes System anzugeben. Es umfaBt folgende Stoffe: Werkzeugstoff, W zu spanender Werkstoff, Z sowie Kuhl- und Schmiermittel. Grundvoraussetzung ist eine Harte (Kap. 4.10) des Werkzeugstoffes, die deutlich hoher ist als die Harte des zu bearbeitenden Materials. Dies liefert die Voraussetzung fur minimalen VerschleiB des Werkzeuges (Kap. 6.6, Bild 10.18). Diese makroskopische Betrachtung genugt aber bei der Trennung heterogener Werkstoffe nicht (Bild 3.23), falls ein Gefugebestandteil in der weichen Grundmasse besonders hart ist. Das trifft zu fur glasfaserverstarkte Polymere, aber auch fur legierte Stahle, die sehr harte Boride, Karbide, Nitride oder Holzarten die SiC>2-Einschlusse enthalten. Gute Zerspanbarkeit bei erfiillter Grundvoraussetzung //w>>//z
(11.4a)
ist gegeben, wenn die zur Trennung des Spans notwendige Energie oder Kraft moglichst gering ist (Kap. 4.4): Gicz=>niin
(11.4b)
A'jcz^niin
(11.4 c)
Eine allgemeine Bedingung fur gute Zerspanbarkeit lautet also Gicz' Hz => min
(11.4 d)
11.4 Trennen: Spanen und Schleifen
395
Dies ist im Einklang mit der Erfahrung, daB nicht nur sehr harte Werkstoffe schlecht zerspanbar sind, sondern auch der weiche, aber stark verfestigende Manganhartstahl (Kap. 8.4). Dessen sehr hohe Bruchzahigkeit bewirkt, daB zum Abtrennen eines Spans hohe Energie benotigt wird. Den umgekehrten Fall einer sehr gut zerspanbaren Legierung liefert das graue GuBeisen mit lamellaren Graphit (Kap. 8.6).. Es besitzt eine verhaltnismaBig geringe Harte der metallischen Grundmasse (Ferrit, Perlit) und eine niedrige Bruchzahigkeit verursacht durch die Graphitlamellen (Bild 8.33). Wir erkennen, daB sich die gute Zerspanbarkeit und sehr hohe Festigkeit ausschlieBen mussen. Fiir den Werkzeugwerkstoff gilt genau die umgekehrte Forderung. G ICW -// W =^ max
(11.4e)
Deren technische Entwicklung wird im Bild 10.13 dargestellt. Kohlenstoffstahle erreichen zwar eine hohe Harte bei Raumtemperatur. Bei Erwarmung werden sie aber schnell weich (Bild 8.27). Legierte Stahle konnen anlaBbestandiger sein. Schnellarbeitsstahl ermdglicht hohe Schnittgeschwindigkeiten durch hohe Volumenanteile harter Karbide (VC, WC). Hartmetalle werden nicht mehr schmelzmetallurisch hergestellt. Durch Sintertechnik (Kap. 11.2) konnen Volumenanteile von etwa 90% mit Kobalt als Bindemittel erreicht werden. Dadurch entsteht ein Schneidwerkstoff mit noch hoherer Warmharte und erreichbarer Schnittgeschwindigkeit (Kap. 8.4). Die neuesten Entwicklungen der Schneidwerkzeuge verwenden Schneidkeramiken (Bild 7.3), oder Hartmetalle die durch AufdampfVerfahren (CVD, PVD = chemical, physical vapour deposition) beschichtet werden. SchlieBlich kann mit Diamant als hartesten aller Stoffe (Tab. 4.7) jeder andere Werkstoff bearbeitet werden. Die Diamantkristallchen (Bild 1.8) mussen wegen ihrer Sprodigkeit in ein Bindemittel (Metall, Duromer) eingebettet werden. Entsprechendes gilt auch fur andere keramische Hartstoffe (SiC, B4C3, A1203), zum Beispiel bei der Herstellung von Schleif- und Trennscheiben sowie Schmirgelpapier (Tab. 10.4). TeilchengroBe und -form bestimmen die Rauhigkeit geschliffener Oberflachen. In Bild 10.12 wird ein Beispiel fiir die Kennzeichnung der Bedingungen bei der Zerspanung abhangig von Schnittgeschwindigkeit und Standzeit gegeben. Dabei ist die »Standzeit«, die Zeit bis zum notwendigen Neuanschleifen des Werkzeugs bei bestimmter Umfangsgeschwindigkeit moglichst exakt festzulegen. »Zerspanbarkeit« ist das Verhalten des Werkstoffes bei spanabhebender Formgebung. Dieser Vorgang besteht aus einem komplizierten Zusammenwirken von plastischer Abscherung und Bruchbildung (Bild 11.27). Die Beziehungen zu anderen mechanischen Eigenschaften sind nicht eindeutig. Voraussetzung fiir Zerspanbarkeit ist, daB das Werkzeug, z. B. der Drehstahl, sehr viel groBere Harte besitzt als der zu zerspanende Werkstoff. Da die Keilkante des Werkstoffes sich bei hoher Schnittgeschwindigkeit stark erwarmt, ist hohe Warmfestigkeit des fur das Werkzeug verwendeten Werkstoffs erforderlich (Schnelldrehstahle, Abschn.8.5, Hartmetalle, Bild 10.13). Fiir die Zerspanungstechnik ist es von Vorteil, wenn der Span in kurzen Abstanden bricht und wenn das Material nicht zu groBe plastische Verformung vor dem Abtrennen erleidet. Aus diesem Grund sind sprode, aber nicht allzu harte Werkstoffe wie GuBeisen besser zu zerspanen als sehr zahe Metalle. Kunststoffe konnen im allgemeinen gut zerspant werden. Bei der Priifung der »Zerspanbarkeit« eines Werkstoffs bestimmt man die Standzeit eines genormten Drehstahles, abhangig von der Schnittgeschwindigkeit. Das ist die Zeit,
396
11 Werkstoff und Fertigung Bild 11.27. Spanbildung durch plastische Abscherung und Bruch, Vs Schnittgeschwindigkeit (s. Bilder 10.12 und 10.13)
bis zu der ein neuer Anschliff des Stahls notwendig ist. Das Produkt aus Standzeit und Schnittgeschwindigkeit kennzeichnet die Qualitat eines Werkzeugwerkstoffs (Bild 10.12). AuBerdem wird die Art des Spans gekennzeichnet (kontinuierliches Band oder in kleinen Abstanden brechend). Das letztere ist zum storungsfreien Betrieb von Drehautomaten notwendig. Falls die mechanischen Eigenschaften (besonders die Bruchdehnung £B) nicht besonders wichtig sind, fugt man duktilen Werkstoffen Phasen hinzu, die das Brechen des Spans fordern. Automatenstahl enthalt 0,2% Schwefel, damit sich die Phasen FeS und MnS bilden oder Blei, Automatenmessing enthalt ebenfalls 1% Blei, das nicht mischbar ist als dispergierte Teilchen. 11.5 Fiigen Die wichtigsten Verfahren zum Zusammenfugen von Teilen zu hoheren Systemen (Tab. 1.1) sind Nieten, Schrauben, SchweiBen, Loten und Kleben. Davon gehoren die ersten beiden ins Gebiet der Konstruktions- und Fertigungstechnik. Beim SchweiBen werden entweder zwei Metalloberflachen (oder Kunststoffoberflachen) nach Erwarmung durch Diffusionsprozesse verbunden (PreBschweiBen, WiderstandsschweiBen), oder es wird fliissiges Metall gleicher oder ahnlicher Zusammensetzung wie der zu verschweiBende Werkstoff zugesetzt. Beim Erstarren entsteht eine Verbindung der beiden Teile, die mit der Flussigkeit in Beriihrung waren und die in ihrer Oberflache selbst angeschmolzen wurden (Bild 11.28 a-c). Beim Loten wird ebenfalls ein fliissiges Metall verwendet, das aber einen niedrigeren Schmelzpunkt hat als die zu verbindenden Werkstoffe. Beim Kleben wird entweder ein polymerer StofT oder ein anorganischer Zement zwischen die zu verbindenden Teile gebracht. Klebstoffe werden fest durch Verdunsten eines Losungsmittels, Vernetzung oder Polymerisation (Abschn. 9.5), oder durch Hydratation (Abschn. 7.5) und Verbinden der Teile durch Adhasion. In einer SchweiBung lassen sich drei Bereiche unterscheiden: die erstarrte Schmelze; der Bereich, in dem durch Erwarmung in festem Zustand Gefiigeanderungen aufgetreten sind; der unbeeinfluBte Bereich, in dem innere Spannungen auftreten konnen.
397
11.5 Fugen BewegungsriGhtung
-*~7
^umhullte Elektrode ,
1PJ
h/
\
•»V77771
Grundwerkstoff
vi/ Vv\
\
yUmhullung /Kerndraht /Schutzgasmantel / /Schmelzbad
Vm // ,Scnlacke '
^\\A /iLjAylseschmolzene Zone
Warmeeinfluflzone Bild 11.28a. Prinzip der PunktschweiBung (WiderstandsschweiBung). Die Stromquelle muB eine Stromstarke liefern, die zum ortlichen Anschmelzen der Ubergangszone der beiden Bleche fuhrt, gleichzeitig wirkt eine Druckkraft F
Bild 11.28 b. Ablauf der LichtbogenschweiBung
Bild 11.28 c. Gefiigezonen einer SchmelzschweiBung. J Erstanter Werkstoff. // Struktur und Gefugeanderungen durch Reaktionen im festen Zustand (Uberalterung, Rekristallisation). / / / Thermisch unbeeinfluBtes Gefiige, evtl. mit inneren Spannungen
t^5y/f$1
Bild 11.28d. Fehlerfreie und fehlerhafte (Lunker) SchweiBnaht eines Baustahls, RLM.
Es wird angestrebt, daB das Gefiige der SchweiBung (mechanische und chemische) Eigenschaften besitzt, die gleich oder besser sind als die des Grundmaterials. Das beim SchweiBen erwarmte Grundmaterial sollte seine Eigenschaften nicht nachteilig andern. Das Erstarrungsgefiige und das erwarmte Grundmaterial sollte vor allem die erforderliche Streckgrenze bei hinreichender Duktilitat aufweisen und insbesondere frei von Poren und Mikrorissen sein. Zur Priifung von SchweiBnahten werden der Zug-, der Biege- und der Schlagbiegeversuch und neuerdings auch bruchmechanische Versuche angewandt.
11 WerkstoffundFertigung
398
Haufig werden geschweiBte Teile nachtraglich warmebehandelt, urn das Gefiige zu verandern und die Eigenschaften zu verbessern (z. B. Spannungsfreigliihen). Nachteilige Auswirkungen fiir die RiBbildung kann die Unebenheit der Oberflache haben (Kerbwirkung). SchweiBfehler sind Poren, die beim Erstarren als Folge der Volumenkontraktion entstehen, Schlackeneinschlusse und Risse, die durch innere Spannungen infolge ungleichmaBiger Temperaturverteilung beim Abkiihlen im festen Zustand entstehen. Die Eigenschaft »SchweiBbarkeit« ist kompliziert aus vielen verschiedenen Faktoren (Entmischungsvorgange beim Erstarren und im festen Zustand, Bildung von Oxidhauten, Warmeleitfahigkeit) zusammengesetzt. Nicht schweiBbar sind Werkstoffe, deren giinstige Eigenschaften durch thermisch aktivierte Reaktionen in der WarmeeinfluBzone verloren gehen, z.B. durch Kaltverformung, Ausscheidung und martensitische Umwandlung geharteter Legierungen. Gut schweiBbar sind reine Metalle mit nicht zu hoher Warmeleitfahigkeit und viele Mischkristallegierungen (Abschn: 8.3). Einige Angaben iiber die SchweiBbarkeit metallischer Werkstoffe sind in Tab. 11.4 zusammengestellt. Tabelle 11.4. SchweiBbarkeit einiger metallischer Werkstoffe Stahle St 330, St 340, St420, C15, C 22 St450,St520,C35 (groBe Stiicke auf 300 °C vorwarmen) niedriglegierte Stahle mit C < 0,2 Gew.-% mit Legierungselementen Cr,Mo,Ni,Mn austentitische Stahle mit niedrigem C-Gehalt oder stabilisiert mit Nb oder Ta (austenitische Elektrode) martensitische Stahle hoch-legierte ferritische Stahle (z. &. 20 Gew.-% Cr) SpharoguB (GasschweiBen, vorwarmen auf 200 °C, Nach-Warmebehandlung)
gut schweiBbar bedingt schweiBbar
gut schweiBbar gut schweiBbar nicht schweiBbar bedingt schweiBbar
Nichteisenmetalle Cu Messing, Bronze Al-Legierungen Pb Zn Ni
bedingt schweiBbar wegen hoher Warmeableitung gut schweiBbar Lichtbogen, Schutzgas (WIG, MIG), Unter-Pulver-SchweiBung (UP) mit H2-Flamme mit C2H2-Flamme gut schweiBbar mit alien Verf ahren
Die SchmelzschweiBverfahren werden unterschieden, je nachdem, ob mit einer Gasflamme (meist Azetylen) oder mit einem elektrischen Lichtbogen geschweiBt wird. Daneben gibt es noch die Moglichkeit, den erhohten Ubergangswiderstand, z. B. zwischen zwei Blechen, zur ortlichen Erwarmung auszunutzen (PunktschweiBen, Bild 11.22). Beim aluminiothermischen SchweiBen fiihrt die Reaktionswarme zum Aufschmelzen des Eisens, das sich nach der Reaktion 2 Al + F e 2 0 3 -» A1 2 0 3 + 2Fe
11.5 Fugen
399
aus einem Al-Pulver-Eisenoxidgemisch bildet. Dieses Verfahren wird besonders zum VerschweiBen von Schienen verwendet. Das LichtbogenschweiBen hat die groBte Verbreitung gefunden. Die Elektrode aus dem SchweiBnahtmaterial ist mit keramischen Stoffen umhiillt. Diese sollen den Lichtbogen stabihsieren, das abschmelzende Metall mit einer schiitzenden Gashiille umgeben und das niedergeschmolzene Metall mit einer schiitzenden Deckschicht aus Schlacke iiberziehen (Bild 11.23). Es ist oft notwendig, den SchweiBvbrgang in einem Schutzgas vorzunehmen, um Gasaufnahme und Oxydation zu vermeiden. Das Verfahren wird als Edelgas-Lichtbogen-SchweiBen bezeichnet, da meist He oder Ar dazu verwendet werden. Wichtig sind zwei Verfahren: das Wolfram-Inertgas-SchweiBen (WIG) mit einer Wolframelektrode, die kaum abschmilzt, und das Metall-Inertgas-SchweiBen (MIG) mit einer abschmelzbaren Metallelektrode. Beim WIG-SchweiBen brennt der Lichtbogen zwischen W-Elektrode und Werkstiick. Dazwischen wird der abzuschmelzende Werkstoff eingeschoben. Beim MIG-SchweiBen ist lediglich die abschmelzende Metallelektrode vorhanden. Diese Verfahren sind besonders zum SchweiBen von Aluminium-Legierungen geeignet. Zum VerschweiBen von Werkstoffen mit schlechter SchweiBbarkeit, (z. B. hochfeste Stahle) oder unter besonderen fertigungstechnischen Bedingungen, (z. B. SchweiBen in der Elektronik oder in Zusammenhang mit einem UmformprozeB) kann eine Reihe weiterer SonderschweiBverfahren angewandt werden. Sehr hohe Energiedichten und dadurch relativ geringe Abmessung der WarmeeinfluBzone errreicht man durch ElektronenstahlschweiBen, LaserschweiBen und PlasmaschweiBen. Im Vergleich zum ElektronenstrahlschweiBen, das ein Vakuum erfordert, hat das LaserschweiBen den Vorteil, daB es an Luft durchgefuhrt werden kann. Dieses Verfahren, ebenso wie das Laserschneiden, hat sehr giinstige Zukunftsaussichten. Lediglich durch Erwarmen des Werkstoffs im festen Zustand kommt eine Verbindung sich beriihrender Oberflachen wie beim Sintern durch DiffusionsschweiBen zustande. Durch plastische Verformung der sich beriihrenden Oberflachen kommt die Verbindung beim KaltpreBschweiBen, ExplosivschweiBen, UltraschallschweiBen und ReibschweiBen zustande. Bei den zuletzt genannten Vorgangen tritt immer auch Erwarmung auf, die Diffusion ermoglicht. In manchen Fallen kommt es zu ortlichem Anschmelzen in der Grenzschicht, was z. B. durch Bildung sproder Verbindungen die Festigkeit der SchweiBverbindung stark beeinflussen kann. Zum SchweiBen von Kunststoffen sind Temperaturen zwischen 180 und 210 °C notwendig. Als Warmequellen dienen heiBe Gase, die durch Mischen mit Luft auf die gewiinschte Temperatur gebracht werden. Polare Kunststoffe konnen durch dielektrisches SchweiBen verbunden werden. Die Beruhrungsflachen werden in einem Kondensatorfeld einer hochfrequenten Stromquelle erwarmt und anschlieBend zusammengedriickt. Das Verfahren ist besonders geeignet fur Folien von 0,05 bis 0,1 mm Dicke. Es ist nicht geeignet fur die unpolaren Molekiile wie PE, PTFE. Beim Loten hat der Zusatzstoff einen sehr viel niedrigeren Schmelzpunkt als der zu verbindende Werkstoff. Je nach Lottemperatur wird zwischen Hartloten (> 450 °C) und Weichloten (< 450 °C) unterschieden. Die Weichlote sind Blei-Zinn-Legierungen. Sie haben eine geringe Zugfestigkeit (10Nmm~ 2
400
11 Werkstoff und Fertigung
schichten befreit werden. Dazu dient beim Hartloten NaO • B 2 0 3 (Borax). Die Bindung kommt z. T. durch Adhasion, beim Hartloten auch durch wechselseitige Diffusion durch die Grenzflache iiber kleine Abstande zustande. Gelegentlich gehoren Lot und der zu verbindende Werkstoff der gleichen Legierungsgruppe an. Ein Beispiel daftir liefert eine eutektische Al-Si-Legierung als Lot fur hoher schmelzendes Reinaluminium fur Warmetauscher. In neuerer Zeit wird das Loten zunehmend durch das Kleben ersetzt (Abschn.9.5). Mit Hilfe der Klebtechnik konnen nicht nur Metalle, sondern beliebige Werkstoffe miteinander verbunden werden. Fur die Klebbarkeit sind Elastizitatsmoduln (Abschn.4.1) und Grenzflachenenergien der beteiligten Stoffe von Bedeutung. Unter giinstigen Voraussetzungen (is-Modul des Klebstoffes kleiner als der des Werkstoffes, hohe Adhasion Klebstbff-Metall) kann eine Klebverbindung vorteilhafter sein als alle anderen Verbindungsverfahren. Sie fiihrt zur gunstigsten Spannungsverteilung im Werkstoff, da weder Schraub- oder Nietlocher notwendig sind, noch die unebenen Oberflachen der SchweiBung auftreten (Bild 11.29). Fur die Gestaltung einer Klebverbindung ist es vorteilhaft, wenn nicht Zugspannungen, sondern Schub- oder Druckspannungen in der Klebflache wirken (Bild 11.30). Am
HiU MMMMH H H H
d
b
d
b
7
nffffffmmflTfflT
wammmmm Bild 11.29. Vergleich verschiedener Verbindungsverfahren, Spannungsverteilung bei Belastung der Verbindung. (Nach Krist). a Klebeverbindung; b Nietverbindung; c SchweiBverbindung
n %
t
J
|-
-p—
$
J
a
1
J
Bild 11.30. Klebeverbindungen miissen so gestaltet werden, daB Schub- oder Druckspannungen, aber keine Zugspannungen (FN) auftreten (richtig r, falsch f).
11.5 Fugen
401
Bild 11.31. Reaktion der Grenzflachen von Kleb- und Werkstoff ftihrt zu Adhasionskraften, Festwerden des Klebstoffes selbst zu Kohasion
giinstigsten ist eine gescharfte Uberlappung mit kleinem Keilwinkel a oder eine einfache oder doppelte Uberlappung. Die mechanischen Eigenschaften der Kleber selbst entsprechen denen der Kunststoffe, d.h. ihre Zugfestigkeit liegt zwischen 80Nmm~ 2 fur unverstarktes Polyesterharz und 800 N mm - 2 ftir ein glasfaserverstarktes Material. Die Klebstoffe sind Flussigkeiten, die sich im dunnfliissigen Zustand atomar genau an die Oberflachen der zu verbindenden Teile anpassen und die anschliefiend ihre Viskositat (Kap. 4.7; 9.5) so stark erhohen, daB sie sich wie ein fester Stoff verhalten. Die Krafte werden iiber die Klebung durch Adhasion und Kohasion ubertragen. Adhasion kommt dadurch zustande, daB zwischen polaren Klebstoffmolekiilen und den Atomen der Werkstoffoberflache (O) Bindungskrafte auftreten. Kohasion ist gegeben durch die Bindung der Molekiile im Klebstoff selbst. Fiir eine gute Klebverbindung sollte die Adhasion groBer sein als die Kohasion. Gute Adhasion setzt yKO -• max voraus. Fiir den Kontaktwinkel cp eines Fliissigkeitstropfens (Bilder 2.17 fund 11.31) ergibt sich eine Beziehung ahnlich wie fur Korn- und Phasengrenzen im Innern von Werkstoffen (Abschn. 2.5): Kwo = KWK + KKO cos cp.
(11.5a)
Bei vollstandiger Benetzung ware cp = 0 und cos cp — 1, dann folgt: XKO = Kwo + KWK-
(11.5b)
Die Adhasionsenergie h^ ist die Differenz aus den Oberflachenenergien YKO + Kwo und der Grenzflachenenergie der Klebung )AVK*
had = YKO 4- (ywo - KWK) = 2ywo,
(11.6a)
/ad = 2 ^ . (11.6b) b Dies ist der Hochstwert des Energiegewinns, der die GroBe der Adhasionskraft /a(i bestimmt (Abschn. 1.2). In Wirklichkeit wird y immer etwas groBer als null sein, b ist der wirksame Atomabstand. /ad hat die Dimension einer Spannung (Nmm~2); ytj einer Energie pro Flache (Jm~2 = Nm" 1 ). y^, y/o sind Oberflachenenergien in Luft oder Vakuum. Oberhalb von 250 °C konnen die organischen Klebstoffe nicht mehr verwendet werden, Es bleiben dann noch Silikat- oder Phosphatglaser, deren Zusammensetzung sich nach der notwendigen Viskositat bei der Verwendungstemperatur richtet. Fiir diese Klebeverbindungen ist kennzeichnend, daB ihre Festigkeit mit erhohter Temperatur steigt, da sie wie alle keramischen Stoffe bei tiefen Temperaturen sprode sind (Kap. 7). Die Klebtechnik findet heute schon viele Anwendungsgebiete, zum Verbinden von Hartmetallschneidkorpern, Flanschen, Kupplungs- und Bremsbelagen; im Flugzeugbau
402
11 Werkstoff undFertigung
fiir Fliigelteile, Stiitzelemente; zur Herstellung von Sandwichkonstruktionen. Das Kleben erlaubt, metallische, keramische Stoffe und Kunststoffe miteinander zu verbinden. Nachteile sind die geringe Kriechbestandigkeit und die Veranderung der Eigenschaften von Klebverbindungen durch die umgebende Atmosphare. Aus diesen Griinden konnen Probleme entstehen, wenn Klebkonstruktionen sehr lange Zeit in Betrieb sind. 11.6 Nachbehandlung Das Ende der Fertigung des Teils bildet oft eine Nachbehandlung. Wahrend der vorangehenden Schritte hat der Werkstoff im wesentlichen die gewunschte Form erhalten. Nun folgen noch Montage und Gebrauch. Davor ist oft eine Nachbehandlung notig. Sie soil dem Teil die endgiiltig dafur erforderlichen Eigenschaften geben. Dabei ist es sinnvoll, die Eigenschaften der Oberflache und des Werkstoffinneren zu unterscheiden. Einen Einblick in die Behandlungsverfahren der Oberflache haben wir bereits im Kapitel 10.5 erhalten. Die Ziele sind in den meisten Fallen ein Schutz gegen die Bildung von Ermudungsrissen (Abschn.4.4), Korrosion (Abschn. 6.2-6.4) und VerschleiB (Abschn.6.5,6.6). Es gibt aber eine groGe Zahl weiterer Griinde fiir die Nachbehandlung von Oberflachen, z. B. die »antistatische« Behandlung zur Vermeidung von elektrischen Ladungen, Behandlung zur Verringerung.von Adhasion und Reibung (oder umgekehrt) und die Feinpolitur zur Verspiegelung. Die abschliefiende Oxidationsbehandlung versieht das Si-Halbleiterbauelement mit einer schutzenden und isolierenden Schicht aus Si02- Schliefilich darf nicht die Vielzahl der Behandlungen vergessen werden, die durch Farbe und Glanz vorwiegend eine asthetische Wirkung erzielen sollen. Die Nachbehandlung des Werkstoffvolumens soil bei der Fertigung entstandene Schadigungen beseitigen oder erst die endgiiltigen Gebrauchseigenschaften herstellen. Letzteres wird oft als Vergiiten bezeichnet. Die wichtigsten Schaden, die im Werkstoff bei der Fertigung entstehen konnen, sind innere Spannungen (Abschn.4.5) und Mikrorisse (Abschn.4.4). Innere Spannungen o x addieren sich im Gebrauch zur auBeren Beanspruchung a a , so daft die Belastbarkeit entsprechend abnimmt: ai + cr a = (Tzui.
(11.7 a)
Durch Spannungsarmgliihen kann G X bis auf den Wert der Streckgrenze Rp bei der Gluhtemperatur abgebaut werden. Dies geschieht durch ortliches Kriechen (Abschn.4.3) oder viskoses FlieBen (Kap.4.6). Die Zeit- und Temperaturabhangigkeit wird kontrolliert durch die Aktivierungsenergie dieser Prozesse QKn die bei geringen Spannungen <jj derjenigen fur Selbstdiffusion QSD entspricht (Gl. 3.6, 4.17f). R (ohne Index) ist die Gaskonstante, RT di& thermische Energie, Kap. 3. < 7 i ( t ) - f l P = e x p _i G(O)-RV T
(11.7b) T
as exp - ^ ^ ^ exp ^ ^
rist die Gliihdauer, r d i e Relaxationszeit (4.17f), cJi(o) die urspriingliche Innere Spannung.
11.6 Nachbehandlung
403
Spannungsfrei gegliiht werden z. B. GuBteile nach dem Erstarren und auch ganze SchweiBkonstruktionen. Einen ganz anderen Zweck hat das Spannungsfreigluhen von optischen Glasern. Die Spannungen bewirken eine optische Anisotropic (Polarisation), die in der Spannungsoptik ausgenutzt wird. Insbesondere bei groBen Glaslinsen sind sie die Ursache von Linsenfehlern. Die Schmelze wird gesteuert sehr langsam abgekiihlt. Die Spannungsrelaxation wird durch die Temperaturabhangigkeit des Viskositatsbeiwerts (4.22) bestimmt. Die Nachbehandlungen zum Erzielen bestimmter Gebrauchseigenschaften sind in fruheren Kapiteln bereits behandelt worden. Erwahnt werden sollen hier nochmals die Verfahren, mit deren Hilfe die mechanischen und die ferromagnetischen Eigenschaften beeinfluBt werden. Fiir die mechanischen Eigenschaften finden wir Bezeichnungen wir Hdrtung, Aushdrten, Vergiiten. Sie alle haben zunachst einmal zum Ziel, die gewunschte Festigkeit einzustellen, also die fur eine Anwendung gunstige Kombination aus Widerstand gegen plastische Verformung plus Ausbreitung von Rissen (Bilder4.17, 8.11 und 8.26). Auch Weichgluhen kommt nicht nur als Zwischengluhung beim Kaltwalzen (Abschn.11.3), sondern auch als Nachbehandlung vor, wenn im Gebrauch hohe plastische Verformbarkeit gewiinscht wird (Hufnagel). Ein Beispiel fiir eine mechanische Nachbehandlung liefert das Einbringen von Versetzungen (Abschn.1.4 und 4.2), durch Recken (Abschn.11.3) von Spannstahl (Kap.10.3), wobei durch den Effekt des Reckaltems (Bild 8.23) die Streckgrenze zusatzlich erhoht wird. Sowohl magnetisch weiche als auch harte Werkstoffe konnen einer Nachbehandlung unterworfen werden (Abschn. 5.4). Elektrobleche sollen zur Optimierung der Magnetisierbarkeit a-Eisenkristalle enthalten, deren < 100 >-Richtung parallel der Richtung des auBeren magnetisierenden Feldes liegen (Bild 5.13). Dies geschieht durch Rekristallisation (Abschn. 3.2) mit einer Behandlung, die auch als Texturgltihung bezeichnet wird (Abschn. 1.4, Bild 1.23). SchlieBlich werden manche Dauermagnetwerkstoffe im magnetischen Feld gegliiht. Es entstehen dabei Ausscheidungsteilchen einer ferromagnetischen Phase, die nur einen WeiB'schen Bezirk enthalt. Drese sind wiederum alle in Richtung des auBeren Feldes magnetisiert. AuBerdem kann die Form des Teilchens in dieser Richtung orientiert sein. Eine Anderung der Richtung dieser Magnetisierung ist sehr schwierig. Es entsteht also durch diese Behandlung ein Zustand, der hohe Sattigung mit hoher Koerzitivfeldstarke in einer durch die Nachbehandlung bestimmten Richtung verbindet.
12 Der Kreislauf der Werkstoffe 12.1 VomRohstoffzumSchrott Das vergangene Jahrhundert war gekennzeichnet durch groBe Erfolge der wissenschaftlichen Beschaftigung mit Werkstoffen. Gezielt - aus Kenntnis des Zusammenhangs zwischen mikroskopischem Aufbau und Eigenschaften - wurden viele neue Werkstoffe gefunden, mehr noch die Eigenschaften von bereits bekannten, fruher empirisch entwickelten, stark verbessert. Beispiele fur neue Werkstoffe sind Halbleiter, Supraleiter und Legierungen mit Formgedachtnis. Aber auch die Eigenschaften vieler Strukturwerkstoffe, besonders der Stahle, der Legierungen des Aluminiums, auch der GuBeisen zeigten eine stetige Aufwartsentwicklung. Gleiches gilt fur die Hochtemperatur-Werkstoffe. Ihr Fortschritt macht auch die Bedeutung der Werkstoffe fur die Energietechnik deutlich (Bild 4.13b). Neben der analytischen Vorgehensweise in der Werkstoffwissenschaft ist aber eine synthetische Betrachtung des gesamten Weges zum und vom Werkstoff von gleicher Bedeutung (Bild 0.2b, 12.1, Tab. 1.1). Der gesamte technische ProzeB soil in eine Folge von sechs Teilschritten zerlegt werden. Dessen Ziel ist die Herstellung eines mitzlichen Produkts. Die Materie- und Energiestrome konnen durch Entropiebilanzen gekennzeichnet werden. Die gesamte Folge wird ganz, teilweise, oder gar nicht zu einem Kreislauf geschlossen (Bild 12.1 d). Letzteres gilt fur Feinverteilung in Atmosphare, Meer oder fester Erdoberflache oder fur das Deponieren. Die sechs Schritte sind jeweils mit Umverteilungen von Materie verbunden (Bild 2.3). Sie konnen deshalb wie strukturelle Umwandlungen (vonUngleichgewichtszustanden) behandelt werden (Kap. 3.4,3.5). Fur einen weitgehend geschlossenen Kreislauf (z. B. Recycling von Al-Getrankedosen, Bild 12.1 a, b) ist dann die gesamte Erhohung der materiellen Entropie minimal. Bei einer offenen Folge (z.B. Shreddern von komplexen Systemen, wie Elektronikschrott, Verbrennen von kohlenstoffhaltigen Werkstoffen (Bild 12.1c), steigt die Entropie stark an, i.e. maximale Unordnung der Materie wird erzeugt. Die Beschaftigung mit derartigen Fragen erfordert eine integrative" Werkstoffwissenschaft, also einen Uberblick uber die Lebenslaufe der Werkstoffe aller Gruppen (Bild 12.1c). Diese Betrachtungsweise wird sicher in Zukunft stark an Bedeutung gewinnen (Bild 12.1a). Die Werkstoffe sind mit den drei Grundphanomenen Materie, Energie, Information eng verknupft. Zu ihrer Herstellung werden Rohstoffe benotigt, die Atomarten enthalten, aus denen die Werkstoffe aufgebaut werden sollen. Eine wesentliche und erfreuliche Folge moderner technischer Entwicklung ist, daB pro technischem Nutzen immer
405
12.1 VomRohstoffzumSchrott
weniger Werkstoff gebraucht wird (Bild 12.2a), also die Rohstoffvorrate geschont werden. Dies ist neben verbesserten Konstruktionsmethoden, insbesondere auf neue sowie in ihren Eigenschaften verbesserte und genauer charakterisierte Werkstoffe, also auch auf verbesserte Informationen zuruckzufuhren. Bis vor kurzer Zeit gait die produzierte Menge an Werkstoff en - insbesondere Stahl (Abschn.8.5, Bild 8.16) - als MaB fur die Leistungsfahigkeit einer technischen Zivilisation. Dies gilt heute nicht mehr. Entscheidend sind in abnehmenden Mengen hergestellte, immer rafflniertere Werkstoffe, wie die Siliziumkristalle integrierter Schaltkreise. Diese Entwicklung gilt auch fur die Strukturwerkstoffe. So fuhrt das kontrollierte Walzen mikrolegierter Baustahle zuverlassig und preiswert zu Blechen mit hoher Festigkeit (Bild 11.3). Allerdings ist das AusmaB dieser Entwicklung bei Werkstoffen der Elektronik viel groBer (Bild 12.2 a). Dies ist fast ohne Einschrankung segensreich. Die Einschrankung betrifft die Hersteller traditioneller Massenwerkstoffe. Im ubrigen wird (immer auf einen bestimmten technischen Nutzen bezogen) nicht nur weniger Rohstoff, sondern auch weniger Energie verbraucht (Bild 12.2b). Es miissen weniger Massengiiter transportiert, schlieBlich verschrottet und evtl. deponiert werden. Zweifellos wird fur die Herstellung von Werkstoffen immer noch eine groBe Menge von Energie gebraucht. Dieser Aufwand umfaBt nicht nur die leicht zu definierende chemische Energie zur Reduktion des Erz zum Metall (Tab. 6.2); sondern auch diejenige fur Bergbau, Aufbereitung und Formgebung. Sehr viel grofler ist aber die Ersparnis von Energie z. B. durch verbesserte Hochtemperaturwerkstoffe (Kap. 7 und 8), Si-Solarzellen oder Elektrobleche (Kap. 5).
Pnmarrohstoff Energie, Information
(Sa-Sa) *mm
primdre Aufbereitung
'/
i sekunddre I Aufbereitung
r ^ (5Q-Sa)=>max
\
Rohstoff
| Demontage
Werkstoff
Maschine Fertigung j Gebrauch neu
alt
Bild 12.1 a. Zustandsanderungen der Materie beginnen bei den Atomen, die als naturliche Rohstoffe auf der Erdoberflache gefunden werden (a) und enden bei (Q). Die Moglichkeiten liegen dann zwischen Riickfiihrung in einen geschlossenen Kreislauf und feinster Verteilung der Atome (Bild 12.1 d). Ziel der gesamten Folge ist ein Werkstoff mit guten Gebrauchseigenschaften im technischen System (G)
unbrauchbare Legierung i WHI
Mg-haltige Schlacke
x
&-d
CaI )( Q jselektive ^ - y ^ V ^ O x i d a t i o n WI AlMg2Mn
(\fj
\-J
) WI * wn
G
^
&
-
& B
Bild 12.1b. Konkrete Beispiele fur geschlossene und offene Kreislaufe (Aluminiumlegierungen): A. Werkstoffe WI AlMg2Mn Dosenkorper WII AlMg3Mn Dosendeckel F daraus wird Getrankedose gefertigt (WI + WII) und gebraucht V durch Entschmelzen von WI + WII entsteht Sekundarwerkstoff WI Primares Mg mufi dem Kreislauf ftir die Produktion von Deckeln hinzugefugt werden. B. Werkstoffe WI Aluminiumlegierung WII Stahl F gefertigt wird ein Verbund aus WI und WII V nach Gebrauch ist Trennung des Eisens aus der Al-Legierung notwendig: CI -» Will (WI +WII) —> Will, da beim Einschmelzen unbrauchbare stark eisenhaltige Legierung Will entsteht
C - Rohstof f Q I Pyrolyse>Gummr
\Glas Q Al
^Fe / n
w y w V w
/vT^
HI
Shredder
I Fe
Komplexes System (Automobil) Bild 12.1 c. Vernetzung verschiedener Kreislaufe durch Fertigung eines komplexen Systems (ZW-» F). Zusammenwirken vieler Werkstoffe im Gebrauch bis zum Versagen der Maschine (G -» V). Anschliefiend Notwendigkeit der Trennung der Werkstoffe (Dekonstruktion V —» Q\ der Aufbereitung von Sekundarrohstoffen (Q -> a) oder Sekundarwerkstoffen (Q —> W). Manchmal konnen auch gebrauchte, unbeschadigte Teile wiederverwendet werden (Q —> F)
407
12.1 VomRohstoffzumSchrott
',
C0 2 .H 2 0
Verbrennung /~
sekundare Energie
Deponierung
/ /
^ \ . \ -i '£einst verteilung
Bild 12.1 d. Optionen fur die Zustandsanderung der Materie am Ende ihres technischen Gebrauchs. I Riickfuhrung in den Kreislauf als Werkstoff (Q -» W) II Umwandlung in einen SekundarrohstofF(0 -> a) III Deponierung in mehr oder weniger konzentrierter Form (CI -> D) IV Verbrennung und Deponierung von C0 2 in der Atmosphare (mit der Chance der Ruckgewinnung nur durch Biosynthese) V Feinste Dispergierung in der Nahe der Erdoberflache
Tabellel2.1. Naturliche und kunstliche WerkstofTe Naturliche WerkstofTe
Kunstliche WerkstofTe
Keramik
Granit, Schiefer Diamant
Porzellan Schneidkeramik (A1203 -f Zr02)
Metall
Meteoritlegierung (Fe + Ni) Gold
Aluminiumlegierung, Stahl
Hochpolymer
Cellulose, Starke, Seide
Polyathylen Polyamid
Verbundwerkstoffe
Holz, Bambus, Knochen
kohlefaserverstarkte Duromere polymerbeschichteter Stahl
408
12 Der Kreislauf der Werkstoffe
Bild 12.2 a. Abnehmende Werkstoffmenge pro technischem Nutzen in der modernen Technik; Beispiele: Werkstoffe im Flugzeugbau, elektronische Werkstoffe eines Radios
22 kWh 21
.20 1 19
2 17
13 1950
55
60
55
70 Jahr
75
85
1990
Bild 12.2 b. Sinkender Energiebedarf bei der metallurgischen Herstellung (Schmelzelektrolyse) von Aluminium (Grenzwert 8.8 kWh, siehe Tab. 6.2)
In diesem Zusammenhang ist eine Einteilung in naturliche und kunstliche Werkstoffe angebracht. Aus Tab. 12.1 folgt, daB die kiinstlichen die weitaus groBere technische Bedeutung haben. Sie erfordern fur ihre Herstellung auf chemischen Wegen mehr Energie und sind nicht regenerierbar wie das Holz oder praktisch unbegrenzt vorhanden wie Stein. Weiterhin ist zu beachten, daB PolymerwerkstofFe und Energie von denselben Rohstoffquellen zehren (Kohle, Ol, Erdgas). Bemerkenswert ist, daB nur ein geringer
12.1 VomRohstoffzumSchrott
409
Tabelle 12.2. Haufigkeit einiger fur die Herstellung von Werkstoffen wichtiger Atomarten in der Erdkruste Element
%
Vorkommen
Si Al Fe Mg Ti
28,2 8,2 5,6 2,3 0,6
haufig
C Cr Ni Cu Li B
20 • 10"3 10 8 5 2 1
Ag Pt Au Ir
7 • 10~6 0,5 0,4 0,1
selten
Tabelle 12.3. Preise fur einige Rohstoffe fur metallische Legierungen und Halbleiter (Stand 1.Marz 1991, Preis DM/kg; Reinheit Gew.%) Element
Preis
Ag Al Au Ca Co Cr Cu Ge* Li Mg Mn Ni Pb Sb Si** Sn Ti Zn
178,00 2,50 17680,00 9,80 56,00 9,80 4,00 620,00 87,00 4,90 2,75 14,00 1,05 2,54 2,20 9,20 10,00 2,00
Bemerkung 99,7
99,8 99,0 Elektrolyt 50Qcm 99,8 99,9 99,8 99,99 99,6 98 Schwamm 97,7
* Reinheit fur Anwendungen in der Elektrotechnik ** Reinheit fur Anwendungen als Legierungselement von Al, Mg, Fe Anteil der Roholproduktion fiir die Herstellung von Werkstoffen verbraucht wird (~5%). Der sehr viel grftBere Teil wird unwiederbringlich und C 0 2 erzeugend verbrannt. Es gibt Werkstoffe, die durch die Haufigkeit der Atomarten in der Erdkruste be-
410
12 DerKreislaufder Werkstoffe
giinstigt werden (Tab. 12.2 und 12.3). Die Reihenfolge Si|AljFe|Mg|TijC deutet darauf hin, daB es nie einen Mangel an Rohstoffen fur Halbleiter, Leichtmetalle, Stahl und GuBeisen geben wird - falls geniigend Energie fur die Umwandlung der Mineralien in Werkstoffe verfugbar ist. Dies gilt aber nicht fur viele andere Atomarten, auch nicht fur den Kohlenstoff, der weiterhin verantwortungslos verbrannt wird. Der Zusammenhang Werkstoff - Energie zeigt trotz des Energiebedarfs fur die Werkstoffherstellung (Bildl2.2) eine positive Bilariz. Durch neue oder verbesserte Werkstoffe werden namlich groBe Energiemengen eingespart. Drei Beispiele seien dafur genannt: 1. Leichtere Werkstoffe bedingen z.B. im Motoren-, Flug- und Fahrzeugbau, daB weniger Masse beschleunigt werden muB (Abschn. 8.3,10.2) 2. Hochtemperaturwerkstoffe erlauben z. B. in Gasturbinen, daB der thermodynamische Wirkungsgrad 77 = (Tb - T0)/T0 besser ausgenutzt wird (Tb Betriebstemperatur, T0 Raumtemperatur, Abschn. 7.2, 8.3, Bild 8.13) 3. Transformatorenbleche mit geringeren Wattverlusten begunstigen den weitreichenden Transport elektrischer Energie iiber Hochspannungsleitungen (Bild 5.16). SchlieBlich sei der Zusammenhang Werkstoff - Information erwahnt. Die Information iiber Werkstoffe nimmt gegenwartig stark zu und ist Gegenstand dieses Buches. Sie wird in Werkstoffdatenbanken gespeichert. Die sichere und konzentrierte Speicherung irgendwelcher Informationen geschieht in Speicherwerkstoffen. Die magnetische Speicherung ist bereits behandelt worden (Abschn. 5.4). Sie geschieht in Scheiben oder Bandern. Wie die integrierten Schaltkreise (Bild 11.14), konnen die magnetischen Speichersysteme als komplexe Verbundwerkstoffe (Kap. 10) betrachtet werden. Darin kommen alle Werkstoffgruppen (Kap. 0.2) vor. Als Trager dient eine Al-Mg-Platte oder ein hochfestes Polymerband (PET). Die wirksamen ferromagnetischen Phasen sind entweder Metalle (Co-Legierungen) oder Keramikteilchen (Ferrite) in einem Duromer (Bild 12.3). Andere Speichermethoden befinden sich in lebhafter Entwicklung: optische Speicher (Compact Disks). Die Werkstoffeigenschaft ist hier die Bitdichte (pro Flache). Die
A ^
(500)' nm^^Legierung
Video (Floppy)
\£~Legierung Ni-;P
Y-Fe;2V3
Al,0, 'JlW. /y/
AlMg3 Festplatte
^m , , , / : r ::.Q^D'spersion in Pol ymer A [n Polvmer
' /^2nm^
•AlMg3
Festplatte
Bild 12.3. Aufbau verschiedener Verbundsysteme fur die magnetische Speicherung von Information.
12.2 Auswahl und Sicherheit
411
groBte Speicherdichte wurden molekulare Speicher ermoglichen. Dabei soil die Information an Polymermolekulen (Abschn. 9.1) ahnlich der genetischen Information gespeichert werden. Nach RohstofF (R) und Werkstoff (W) sind in der Folge des technischen Prozesses vier weitere Stadien zu unterscheiden (Bild 0.2b, 12.1 a). Dabei andert sich der Zustand der Materie, entweder beabsichtigt (wie bei der Herstellung des Werkstoffs aus Rohstoffen) oder unbeabsichtigt (durch VerschleiB, Kap. 6, Ermudung, Kap. 4, Korrosion, Kap. 6). Diese Stadien konnen auch als Umwandlungen der Struktur der Materie betrachtet werden (Kap. 3.4): 3. (F) Fertigung (Herstellung der Teile, Zusammenbau, Programmierung des Systems, Kap. 11) 4. (G) Gebrauch (die Materie liefert dem Menschen mitzliche Eigenschaften: Energie, Nahrung, Mobilitat) 5. (V) Versagen (Bruch, Ermudung, Korrosion, VerschleiB sind in den Kapiteln 4 und 6 behandelt worden) 6. (S) „Schrott" (Endzustand, der entweder durch Ruckgewinnung als Sekundarwerkstoff Rs einem Materialkreislauf zugefuhrt wird, oder mehr oder weniger fein verteilt oder als Deponie, die Umwelt belastigt, Bild 12.1 d) Im Rahmen des Stadiums 3, der Fertigung, liegt die Auswahl der Werkstoffe und deren Dimensionierung so, daB sie im Gebrauch (Stadium 4) sicher also ohne unerwartetes Versagen (Stadium 5) funktionieren. 12.2 Auswahl und Gebrauch Neben der Entscheidung uber das oder die Fertigungsverfahren (Kap. 11) sind bei der Werkstoffauswahl zwei weitere Aspekte zu berucksichtigen: - Der Werkstoff liegt nicht als einfach geformte Probe oder Halbzeug (Bild 4.2 b, 11.1) vor, sondern als kompliziert geformtes Bauteil, z. B. als Kurbelwelle (Bild 11.2). - Die Beanspruchung im Betrieb kann ebenfalls vielf<ig sein (Bild 12.4). Dies wird durch ein Beanspruchungsprofll gekennzeichnet. Dem miissen die Werkstoffeigenschaften - das Eigenschaftsprofll des Bauteils - entsprechen (Bild 12.5). Es bereitet oft Schwierigkeiten, aus der Vielzahl der zur Verfugung stehenden oder in der Entwicklung begriffenen Werkstoffe den fur einen bestimmten Zweck gunstigen auszuwahlen. Gegenwartig werden umfangreiche Datenbanken angelegt, deren Nutzen aber noch begrenzt ist. Griinde dafur sind die Vielfalt der in der Praxis ublichen Bezeichnungsweisen (Tab. 12.4) und besonders die Schwierigkeit, alle fur eine bestimmte technische Anwendung geforderten Eigenschaften genau zu kennzeichnen. Bild 12.6 und 12.7 zeigt, wie bei der Werkstoffauswahl im Prinzip vorgegangen wird. Ausgehend von der Analyse der Beanspruchung eines Bauteils, stellen sich zwei Fragen auf einmal. Erstens: Welcher Werkstoff ist dieser Beanspruchung gewachsen? Zweitens: Wie kann das Bauteil aus diesem Werkstoff gefertigt werden? Fur die Auswahl hat die erste Frage Prioritat. Nachdem diejenigen Werkstoffe gefunden wurden, die die erste Bedingung erfiillen, muB aber sofort iiberlegt werden, wie das Teil gefertigt werden kann. In dieser Weise sind immer die Gebrauchseigenschaften 2/?G und die fertigungstechnischen Eigenschaften 2pF im Zusammenhang zu beurteilen. Fiir die Ent-
12 Der Kreislauf der Werkstoffe
Bild 12.4. Die mechanische Betnebsbeanspruchung eines Werkstoffes (unten) ist zusammengesetzt aus den oben gezeigten, einfachen Beanspruchungen
Zugfestigkeit
1
Rn
Streckgrenze Bruchzahigkeit krit. Rifllange
H3
ac bei 0,5 /?p
I
R
Schwingfestigkeit Korroslonsbestandigkeii Gewicht min. Anforderung
Eigenschaft
Bild 12.5a. Bei der Werkstoffauswahl muB des Beanspruchungsprofil mit dem Eigenschaftsprofil in Einklang gebracht werden
Wiederaufberoitung Versagen. Aufterbetriebnohme
B«triebssicherheit Bild 12.5b. Die Gebrauchsdauer ^G wahrt vom Ende der Fertigung F bis zum Versagen des technischen Systems V. Die optimale Lebensdauer fG folgt aus Werkstoffeigenschaften und Beanspruchung des Systems im Gebrauch. Sie kann durch verbesserte Werkstoffe und sorgfaltige Wartung verlangert werden und sollte fur nicht- oder schwierig ruckgewinnbare Werkstoffe besonders sorgfaltig maximiert werden. Entscheidend fur eine Werkstoffauswahl ist das Produkt mit der spezifischen Gebrauchseigenschaft (z.B. Energieeinsparung pro Zeit PQ)\ ?G • PQ = max
413
12.2 Auswahl und Sicherheit Tabelle 12.4. Ursprung der Bezeichnung von Werkstoffen Ursprung
Beispiele
Herstellungsverfahren Formgebungsverfahren Nachbehandlungsverfahren Gebrauchseigenschaft chemische Zusammensetzung Gefuge/Kristallstruktur Qualitat, Reinheit Farbe des Werkstoffs Farbe der Bruchflache Dichte Form und Abmessungen Handelsbezeichnungen
Hochdruck PE, LD-Stahl, Sintereisen GuB-, Knetlegierung, Thermoplaste Einsatz-, Vergutungsstahl, Aushartlegierung Leitkupfer, warmfester, hochfester Stahl C-Stahl, Cr-Ni Stahl, Al-Bronze, PVC perlitischer, austenitischer Stahl Edelstahl Bunt-, WeiB-, Schwarzmetalle graues, weiBes GuBeisen Schwermetalle, Leichtmetalle, -beton Grob-, Mittel-, Feinblech, Stabstahl, U-Eisen Widia, Duralumin, Teflon, Keflar
A Rohstoff
Analyse der Beanspruchung und Umgebung
i
Rohwerkstoff Halbzeug 1
<1 Auswahl des Werkstoffs und des Fertigungsverfahrens
•
Herstellung des Teils
\f Gebrauch des Teils
1r
Werkstoffund Bauteilprufung
'• Betriebserfahrung
\' Versagen des Teils
' 1 Bildl2.6. Teilschritte bei der Werkstoffauswahl |
' Verschrottung u. Ruckgewinnung
—
Abfall, Deponie
scheidung ist maBgeblich, welcher Werkstoff diese Eigenschaften am wirtschaftlichsten liefert: 2/7G + 2/?F = Optimum.
(12.1)
Die Prioritat der Gebrauchseigenschaften gilt nicht unbegrenzt. Vielmehr kann der Werkstoff mit den besten Gebrauchseigenschaften zugunsten eines Werkstoffs mit besseren Fertigungseigenschaften verworfen werden, dessen Gebrauchseigenschaften immer
414
12 DerKreislaufderWerkstoffe
Tabelle 12.5. Gebrauchseigenschaften und fertigungstechnische Eigenschaften Gebrauchseigenschaften (mechanische)
Fertigungstechnische Eigenschaften
Elastizitatsmodul Streckgrenze Zeitdehngrenze Schwingfestigkeit Bruchzahigkeit Dampfungsfahigkeit Harte VerschleiBwiderstand Temperaturwechselbestandigkeit
GieBbarkeit Kaltverformbarkeit Warmverformbarkeit Tiefziehfahigkeit Zerspanbarkeit SchweiBbarkeit Klebbarkeit Oberflachenhartbarkeit Lotbarkeit
noch gut sind. Ein Beispiel dafiir ist die Wahl eines Baustahls, der einfach und sicher geschweiBt werden kann, anstelle eines hoherfesten Stahls mit problematischer SchweiBbarkeit. In zunehmendem MaBe muB auBerdem beachtet werden, was mit dem Werkstoff am Ende seiner Lebensdauer geschieht. Der giinstigste Fall ist gegeben, wenn er als Schrott gesammelt, aufbereitet wird und als neuer WerkstofF in den Kreislauf zuriickkehrt (Bilder 0.2, 12.1 und 12.6). In Tab. 12.5 sind Beispiele fur Gebrauchs- und Fertigungseigenschaften von Werkstoffen angegeben, die in den vorangehenden Kapiteln besprochen worden sind. Unter den Gebrauchseigenschaften finden sich einfache physikalische sowie kompliziert zusammengesetzte technische Eigenschaften. Bei den geforderten Gebrauchseigenschaften handelt es sich fast nie um eine einzige dieser Eigenschaften, sondern oft urn mehrere oder viele Forderungen. Man spricht dann von einem Anforderungsprofil. Trotzdem gibt es oft eine Eigenschaft, die Vorrang hat, z. B. fur statisch beanspruchte Konstruktionen die Streckgrenze Rp. Sie ist dann die primare Gebrauchseigenschaft. Sekundar konnte z. B. Korrosionsbestandigkeit verlangt werden. AuBerdem wird zusammen mit hoher Streckgrenze immer eine ausreichende Bruchzahigkeit angestrebt. Die Forderung an die Gebrauchseigenschaften lautet dann (Bild 12.7). PG = RP ^ic • Korrosionsbestandigkeit = Maximum.
(12.2a)
Im Flugzeugbau wird ein geringes Werkstoffgewicht verlangt, und es treten Schwingungen auf: = *2l?»
=
Maximum.
(12.2b)
Q
wenn es nicht durch hohe Fluggeschwindigkeit notwendig wird, an Stelle der Streckgrenze die Zeitdehnungsgrenze oe , r zu beriicksichtigen. Fiir die Werkstoffauswahl kann das bedeuten, daB die Eigenschaften der Aluminiumlegierungen nicht mehr ausreichen und Titan oder Stahl gewahlt werden muB: . g gf i t r-
=
Maximum.
(12.2c)
12.2 Auswahl und Sicherheit
415 fertigungstechnische Eigenschaften
primare Gebrauchseigenschaften
Bildl2.7. Technische Werkstoffeigenschaften und Werkstoffauswahl
_/
_[
\
Fertigung und Betrieb
sekundare Gebrauchseigenschaften
Eine sehr anspruchsvoUe Kombination von Eigenschaften ist bei den Hiillrohren fiir Brennelemente von Kernreaktoren zu erfiillen. Geringe Neutronenabsorption Zfl, gute Warmeleitfahigkeit A, gute Kriechbestandigkeit a£t ,t T, und Korrosionsbestandigkeit gegen Brennstoff und Kuhlmittel sind die wichtigsten Forderungen: A • aetT - Korrosionsbestandigkeit PQ
= Maximum.
(12.2 d)
Die Kombination einer groBeren Zahl von Werkstoffeigenschaften ist das Eigenschaftsprofil. Die Werkstoffauswahl besteht darin die Ubereinstimmung mit einem Beanspruchungsprofll herzustellen (Bilder 12.4 und 12.5). In der Regel ist heute bei der Werkstoffauswahl ohne Erfahrungswissen nicht auszukommen. Bei neuen Techniken liegen diese Erfahrungen oft nicht vor, sodaB dann die Auswahl nur nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten vorgenommen werden kann. Der tragende Querschnitt eines Bauteils, wird durch die primaren Gebrauchseigenschaften eines Konstruktionswerkstoffs bestimmt. Bei rein statischer Beanspruchung bildet die Streckgrenze R^2 die wichtigste Grundlage der Dimensionierung. Die Bemessung kann so geschehen, daB nur elastische, elastische und ortlich plastische oder im gesamten Volumen plastische Verformung zugelassen wird. Am haufigsten wird nur elastische Verformung eriaubt. Im zweiten Fall wird verlangt, daB ein in Kraftrichtung durchgehender Bereich noch ausschlieBlich elastisch verformt ist. Im gesamten Volumen plastische Verformung tritt z. B. bei Dehnschrauben aus stark verfestigendem Stahl auf. Auch fiir die rein elastische Dimensionierung ist der Verlauf der Spannungs-Dehnungs-Kurve iiber die Streckgrenze hinaus wichtig. Der Sicherheitsfaktor S ^ 1 muB nicht nur nach dem Sicherheitsbediirfnis fiir eine Konstruktion, sondern auch danach festgelegt werden, ob der Werkstoff nach Oberschreiten der Streckgrenze stark oder wenig verfestigt oder bald sprode bricht (Bild 12.8): Der Sicherheitsfaktor ist allgemein definiert als Grenzspannung 12.3 a 5 = groBte Betriebsspannung Die Grenzspannung ist in den hier erwahnten Beispielen die Streckgrenze Rp oder RpQj. Ein sinnvoll vorgegebener Wert von S legt dann die zulassige Betriebsspannung o< azu\ fest (Bild 12.8).
416
12 Der Kreislauf der Werkstoffe
e stark verfestigend
e schwach verfestigend
e sprode
e entfestigend
Bild 12.8. Form der Spannungs-Dehnungs-Kurve und Sicherheitsfaktor S.(E = const; Rv • : const.) O Streckgrenze; 0 Bruch; (g) zulassige Spannung
S=
#p0,2
(12.3b)
^zul
Fur die Belastung von Werkstoffen unter Kriech- und Ermiidungsbedingungen kann man ahnlich vorgehen: (12.3c) &W,n
(12.3d)
^zul
Dabei ist darauf zu achten, daB die Werte nur fur die angegebene Zeit t und Temperatur T bzw. fur die Lastwechselzahl N gelten. Bei den durch die Wohler-Kurve gegebenen Daten (Abschn. 4.4) ist auBerdem zu berucksichtigen, daB sie nur fur einheitliche Amplitude, Frequenz, Oberflache und Form der Probe gelten und zwar einen Werkstoffvergleich ermoglichen, aber oft nicht einen Betriebsversuch am Bauteil ersparen. Fur mehrachsige Beanspruchung (Abschn. 4.9) muB berucksichtigt werden, daB die dafiir giiltigen Werkstoffeigenschaften eingesetzt werden. So ist z. B. unter mehrachsiger Zugbeanspruchung zwar die Streckgrenze hoher, die Bruchdehnung aber viel geringer als bei einachsiger Belastung. Fur die Dimensionierung bei zusammengesetzter statischer und dynamischer Belastung kann das Smith-Diagramm (Bilder 4.19 und 4.20) angewandt werden. Je nach Sicherheitsbedurfnis miissen Werte im Bereich 1 < S < 12 angewandt werden, wobei wenn moglich auf Erfahrungen iiber das Verhalten von Bauteilen unter Betriebsbedingungen zuriickgegriffen wird. 12.3 Verbesserte und neue Werkstoffe Fur eine technische Anwendung kommen haufig eine groBere Zahl von Werkstoffen in Frage. Datenbanken helfen dem Konstrukteur die giinstigste Wahl zu treffen. Dariiber hinaus ist aber fur ein gezieltes Vorgehen ein »Durchblick« erforderlich, der nicht nur vorhandene Werkstoffe sondern auch zukunftige Entwicklungen einbezieht. Datenbanken ebenso wie Normung (Abschn. 0.5, Anhang A5), konnen nur auf dem »Stand der Technik« griinden, und zeigen deshalb konservative Tendenzen. Unser Fachgebiet befindet
12.3 Verbesserte und neue Werkstoffe
417
sich aber gegenwartig in lebhafter Entwicklung auf dem Gebiet der Fertigungstechniken, aber auch auf dem Gebiet der Werkstoffe selbst. Deshalb ist es fur sachkundige Werkstoffauswahl notwendig, auch die Aussichten auf verbesserte und ganz neue Werkstoffe bei der Auswahl zu beriicksichtigen. Dabei standen bisher verbesserte Gebrauchseigenschaften (Bilder4.13, 5.16, 5.17, 10.13) im Vordergrund. Inzwischen findet auch die Riickgewinnbarkeit Beachtung (Kap.12.5). Dem ist wiederum die Verfugbarkeit der Rohstoffe und die gesundheitliche Unbedenklichkeit tibergeordnet. Wir konnen vier Wege unterscheiden auf denen sich die Welt der Werkstoffe verandert (Tab. 12.6): Tabelle 12.6. Wege zu neuen oder verbesserten Werkstoffen Problem
Losung
0
••
<S>
•#
1
2
3
Situation
Beispiel
die bekannten Eigenschaften vor- Erhohung der Streckgrenze und handener Werkstoffe werden ver- Bruchzahigkeit von Stahl und Albessert Legierungen neue Werkstoffe werden gezielt fur totalreflektierende Glasfasern als neue Anforderungen entwickelt Lichtleiter fur Informationsubertragung iiberraschende Entdeckungen fuh- Halbleiter fur Werkstoffe der ren zu neuen Werkstoffen Mikroelektronik
•*
0
O*
iiberraschende Entdeckungen fin- Metallische Gl£ser und Quasikri® den zunachst keine oder zdgernde stalle, Fullerene, keramische Anwendung in der Technik Supraleiter
4
1. Vorhandene Werkstoffe werden - wissenschaftgestutzt und damit gezielt - verbessert. Dies geschieht z. B. durch hohere Reinheit der Rohstoffe, Anderungen der chemischen Zusammensetzung oder des Gefiiges. Auf diese Weise ist in den letzten Jahren die Festigkeit von Stahlen und Al-Legierungen verbessert worden. 2. Ganz neue Werkstoffe mussen entwickelt werden, da neue Anforderungen auftreten die mit vorhandenen Werkstoffen nicht erfiillt werdein kCnnen. Beispiele dafur sind die Lichtleiter oder die Kacheln des Hitzeschildes von Raumkapseln. Ein Material fiir die Wande der Behalter in denen die Plasmen des Fusionsreaktors eingeschlossen sind wird noch gesucht. 3. Eine ganz andere Situation folgt aus uberraschenden Entdeckungen an denen die Materialwissenschaft in den letzten Jahren nicht arm war. Die Halbleiter und damit der Transistor und die integrierten Schaltkreise waren nicht langfristig geplante Entwicklungen. Allerdings ist der Nutzen der Reinigung durch Zonenschmelzen (Bild 2.17) und die dadurch ermSglichte Reproduzierbarkeit elektronischer Eigenschaften sehr schnell erkannt worden. Darauf aufbauend konnte die weitere Entwicklung der hochintegrierten Schaltkreise bis zu den »Quantentopfen« (Kap. 5.2) geplant werden. 4. Manchmal treffen wir auch die Situation an, daB eine iiberraschende Entdeckung nicht spontan Anwendung in der Technik findet. Der neue Stoff konnte dann Ldsungen bieten fur die die Probleme noch gesucht werden. Auch dafur gibt es Beispiele: - metallische Glaser (Kap. 1 und 8), - Quasikristalle (Kap. 1), - Fullerene (Kap. 1),
418
12 DerKreislaufderWerkstoffe
- Legierungen mit Formgedachtnis (Kap. 5), - Zeolithe(Kap.7). Dafiir gibt es vielerlei Griinde. Manchmal kann ein Stoff noch nicht mit der notwendigen Reproduzierbarkeit, Form, Menge, Wirtschaftlichkeit hergestellt werden. Oft besteht eine Kommunikationslucke zwischen Materialwissenschaft und Konstrukteuren. Es gilt die Regel: je origineller ein neuer Werkstoff ist, desto schwieriger ist dessen Einfiihrung in die Technik. Falls dann ein Durchbruch wie das Zonenschmelzen gelingt, kann das groBen EinfluB auf die gesamte Technik haben (elektronische Halbleiter Kap. 5.2, 11.2). 12.4 Gebrauch und Versagen Fiir das Ende des Lebens eines Bauteils gibt es eine Vielzahl von Grunden: in einfachen Fallen ein Uberschreiten der Grenzspannung in Gl. (12.3) also der Zugfestigkeit Rm9 Zeitstandfestigkeit crB,t oder der Schwingfestigkeit crw, N (Kap. 4.2, 4.3, 4.4). Bei richtig bemessenem Sicherheitsfaktor S diirfte dieses Versagen nicht, oder nach vorhersagbarer Zeit t, oder Lastwechselzahl N, auftreten. Trotzdem gibt es immer noch Falle von unerwartetem Versagen von Maschinen und Bauwerken, die manchmal zu Katastrophen fiihren konnen. Dies kann auf folgende Ursachen zuriickgefiihrt werden: - erhdhte und mehrachsige Spannung in der Umgebung von Kerben (Gewindegange, Oberflachenrauhigkeit), innere Spannungen im Werkstoff; - urspriinglich vorhandene (Materialfehler) oder in Betrieb entstandene (Korrosion, VerschleiB) Mikrorisse; - komplexe Folgen von Amplituden und Frequenzen bei schwingender Beanspruchung; - unerwartete Anderungen der chemischen Umgebung der Werkstoffoberflache; - unerwartete Veranderung der Werkstoffeigenschaften (Alterung, Strahlenschadigung). Alle EinfluBgroBen konnen wiederum zusammenwirken. Einige Ansatze fiir deren Beriicksichtigung werden im Folgenden behandelt. Selbst eine einachsige auBere Beanspruchung cr kann durch die Form eines Bauteils modifiziert werden. Bei ortlicher Erhohung oder Mehrachsigkeit der Spannung h a
(12.4a)
Fiir eine schwingende Beanspruchung vergleicht man die Werte einer glatten Probe cty mit denen einer gekerbten Probe O^K und bezeichnet das Verhaltnis als Kerbwirkungszahl &=-3SL*l. °WK
(12.4b)
419
12.4 Gebrauch und Versagen 325 N/mm2 300 g>275 Z3 XZ t_>
1-250 a CD
1(_>2 2 5 a>
I200 CD
175
/ nicht gebrochen gesteigert, gebrochen
150
10
2
5
10u
2
Anzahl Lastspiele
5
1,5
2,0 2,5 3,0 3,5 Kerbformzahl a K *
Bild 12.9. Schwingfestigkeit von CuA19Mn bei verschiedener Kerbgeometne (links). Bis zu einer Kerbformzahl ctK = 2,4 wirken die Kerben infolge Verfestigung des Kerbgrundes lebensverlangernd, pK < 1 (rechts)
In den meisten Fallen setzt ein Kerb die Lebensdauer herab: (3K > 1- (Abschn. 4.4). Bild 12.9 zeigt aber, daft dies nicht immer gilt. In Werkstoffen mit guter Verformungsund hoher Verfestigungsfahigkeit kann ein Kerb auch die Lebensdauer erhohen. Dies hangt mit erschwerter RiBbildung in der verfestigten Oberflachenzone zusammen (Abschn. 8.2). Dieses Beispiel zeigt, daB nur eine Kombination aus werkstoffwissenschaftlichem Wissen und Erfahrung ein sicheres Dimensionieren von Bauteilen moglich macht. Die in der Praxis auftretenden dynamischen Beanspruchungen weisen meist eine Vielzahl von Amplituden a a und nicht, wie bei der Bestimmung der Wohler-Kurve vorausgesetzt, eine einheitliche Amplitude auf (Bilder4.18, 4.19 und 12.4). Die Lebensdauer des Werkstoffs bei derartiger Beanspruchung wird als Betriebsfestigkeit bezeichnet. Grundsatzlich ist fiber das Zusammenwirken verschiedener Amplituden noch sehr wenig bekannt. Bei alien Polymerwerkstoffen und bei Stahl oberhalb von Raumtemperatur ist auch die Schwingungsdauer als EinflufigroBe zu beachten. Oft wird die Hypothese der linearen Akkumulation des Schadens zur Ermittlung der zulassigen Belastung (nach Palmgren und Miner) angewandt. Der Werkstoff soil mit den Amplituden ox und cfw N^ an. Fiir zusammengesetzte Belastungen addiert man die jeweiligen relativen Schadigungen rt\/N\ und fy/fy, wobei n{ die Lastwechselzahlen bei den Amplituden cr; sind. Der Bruch sollte in dem hier behandelten Falle nach n\ + n 2 Lastwechseln beider Amplituden eintreten, deren Reihenfolge beliebig sein kann: _Z?L
^ - = 1 . No
(12.5 a)
420
12 DerKreislaufderWerkstoffe
Fiir beliebig viele Amplituden /gilt entsprechend
(12.5 b)
Dieser Ansatz ist als grobe Naherung in machen Fallen niitzlich, in anderen Fallen nicht einmal qualitativ richtig. Deshalb ist bei seiner Anwendung Vorsicht geboten. Bei dem heutigen Stand unseres Wissens ist es vielmehr oft notig, das Verhalten von Werkstoffen bei Belastung mit verschiedenen Amplituden, die in vefschiedener Folge wirken, im Versuch zu ermitteln (Bild 12.10b). Die »klassische« Art der Dimensionierung beriicksichtigt noch nicht, da8 der Werkstoff urpriinglich oder im Betrieb Mikrorisse enthalten und einer fiir RiBbildung giinstigen Umgebung ausgesetzt sein kann. Wenn hohe Anforderungen an die Betriebssicherheit gestellt werden, wie fiir ReaktordruckgefaBe oder Flugzeugteile, miissen deshalb bruchmechanische Kriterien fiir die Dimensionierung herangezogen werden. Bei einer bestimmten auBeren Belastung o ergibt sich fiir einen Werkstoff der Bruchzahigkeit Kic eine RiBlange a^ bei der kritisches RiBwachstum einsetzt (Tab.4.6b, Bild 12.10a, Abschn.4.4). Befindet sich der Werkstoff in einer Umgebung, in der unterkritisches RiBwachstum durch SpannungsriBkorrosion (Abschn. 4.4 und 6.4) bei ATISRK auftritt, erniedrigt sich die erlaubte kritische RiBlange CI^RK s e n r stark: CI^RK «(*& Die Belastung des Bauteils o kann jetzt so festgelegt werden, daB 1. kein RiBwachstum moglich ist: a < o\\ 2. langsames unterkritisches RiBwachstum durch die Wandstarke zur Bildung von Haarrissen fuhrt, bevor das Teil bricht: 0\ < a < <J2 (engl.: leak before burst design); 3. kritisches RiBwachstum moglich ist: a > a2 (engl.: critical burst design).
./f IC =const
unterkritische, gefolgt von kritischer "RiOausbreitung
I Lange a des Anrisses Wandstarke des Bauteils
N} N2 log N Zahl der Lastwechsel
Bild 12.10. a Sicherheitskriterien definiert mit Hilfe bruchmechanischer Werkstoffeigenschaften. W Wandstarke des Bauteils; aAnriBlange; ^ i C Beginn des kritischen RiBwachstums; A^ISRK Beginn des unterkritischen RiBwachstums, z. B. SpannungsriBkorrosion (Abschn. 6.4) oder Ermudung (Abschn.4.4) b ErlSuterung zur Ableitung der Schwingfestigkeit fiir Beanspruchung mit zwei verschiedenen Spannungsamplituden A<7ai, A(Ta2 bei Giiltigkeit der linearen Schadensakkumulation
421
12.4 Gebrauch und Versagen cf|c
Bildl2.11a, b. Statistische Auswertung von Zugversuchen. (Das Symbol crwird sowohl fur mechanische Spannung als auch als MaB fiir die Streuung in (11.12) verwendet.) Die Schatzungen des Mittelwertes x = - Y x , = 397Nm- 2
relative
(12.6 a)
und der Streuung
S= [— T (^-x)l 1/2 = l6Nmm-2 (12.6b) Ln-1 fci J konnen zur Darstellung der Streuverteilung in einer kontinuierlichen Funktion (GauBverteilung) benutzt werden: Fiir n—• oo geht x—• n und S —• a. a Relative Haufigkeit
1
\/2n(T exp
i-^)
(11.12a)
+ 3C
w(x)= I
(12.7 a, b)
(11.12b)
Mit Hilfe der Summenhaufigkeit kann entsprechend dem technischen Sicherheitsbediirfnis eine zulassige Wahrscheinlichkeit H^ (Z. B. W^ — 0,01) fiir das Versagen des Werkstoffes festgelegt werden. Daraus folgt dann mit Hilfe von (11.12) die zulassige Spannung o^ = x^: Xzul
w(*^*mi)= J (p(x)dx
(12.7 c)
Im zweiten Fall wird das unterkritische RiBwachstum benutzt, urn vor dem bevorstehenden Schadensfall zu warnen (Bild 12.5 b). Die fiir die Dimensionierung verwendeten Eigenschaften zeigen je nach Qualitat des Werkstoffs eine Streuung um einen Mittelwert, meist in Form einer Normalverteilung Diese Streuung stammt von UngleichmaBigkeiten in der chemischen Zusammensetzung, MolekiilgroBe und Gefiige des Werkstoffs, aber natiirlich auch aus der MeBmethode: Priifmaschine, -temperatur, Probenabmessungen (Bild 12.11). Aus der kumulativen Haufigkeit ergibt sich die Moglichkeit, zahlenmaBig einen Sicherheitsfaktor festzulegen. So kann etwa diejenige Spannung angegeben werden, unterhalb der nur 1 % der Proben versagt haben. Auf diese Weise kann das Risiko zahlenmaBig festgelegt und die zulassige Belastung ermittelt werden. Dazu muB festgestellt werden, ob die Werte einer Werkstoffeigenschaft annahernd normal verteilt sind. Der Erwartungswert ist dann & das MaB fiir die Streuung cr, die aktuellen MeBwerte x(Gl. (12.6) und (12.7) Bild 12.11). Im Beispiel ist x die Zugfestigkeit.
422
12 DerKreislaufderWerkstoffe
Tabelle 12.7. Auswertung von 50 Zugversuchen (n= 50 Messungen der Zugfestigkeit Rm.) Zugfestigkeit von St 37 Klassen Nr.
Klasse, 7?mi = JC{ Nmm~2
Anzahl n\
Summe Irtj
Summenhafufigkeit 100 [%]
relative Haufigkeit ^•100[%] n
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
<355 355-365 365-375 375-385 385-395 395-405 405-415 415-425 425-435 >435
0 1 4 4 14 11 9 5 2 0
0 1 5 9 23 34 43 48 50 50
0 2 10 18 46 68 86 96 100 100
0 2 8 8 28 22 18 10 4 0
Von groBer Bedeutung ist die statistische Auswertung auch fiir die Festlegung der zulassigen Wechselbelastung. Die aus einer groBen Probenzahl ermittelte Wohler-Kurve (Abschn. 4.4) gibt an, welcher Anteil der Proben nach einer bestimmten Zahl von Lastwechseln n bricht. Bei der Verbesserung von Werkstoffeigenschaften kann es oft wichtiger sein, die Streuung a zu verringern als den Mittelwert \x zu erhohen. AbschlieBend folgen noch einige Bemerkungen zur Analyse von Schadensfallen. Grundsatzlich gibt es folgende Moglichkeiten fiir das Versagen einer mechanisch beanspruchten Konstruktion: elastische Instabilitat (Ausknicken), starke elastische Verformung (Verklemmen),
Anzahl Lastwechsel
Bild 12.11c. Wdhlerkurven: Die Uberlebenswahrscheinlichkeiten Po [%] eines Stahls CK 45 V und Gufieisens GGG-40 sind angegeben worden
423
12.4 Gebrauch und Versagen
hone plastische Verformung (Verbiegen), plastische Instability (Einschniirung), Dekohasion (sproder, duktiler Bruch), Korrosion (Abtragen der Oberflache und RiBbildung durch ortlichen chemischen Angriff), VerschleiB (Abtragung einer geriebenen Oberflache und RiBbildung). Schadensfalle konnen auch dann auftreten, wenn die Vorschriften der Dimensionierung beachtet wurden, falls der Werkstoff ortlich schlechtere als die angenommenen Eigenschaften aufweist (Werkstoffehler). Aber auch wenn der Werkstoff urspriinglich vollig fehlerfrei war, konnen im Betrieb Mikrorisse durch Geftigeanderung, VerschleiB, Korrosion oder Strahlenschaden entstehen und wachsen, bis sie zum Versagen des Bauteils ftihren. Fur den Fall des fehlerfreien Werkstoffs, dessen Belastung anscheinend korrekt dimensioniert war, ergibt sich jeweils eine Folge von Vbrgangen, die schlieBlich zum unerwarteten Versagen fuhren. Bemerkenswert fur die Schadensanalyse ist die historische Betrachtungsweise, durch die versucht wird, aus einer Folge von Vorgangen den entscheidenden herauszuflnden. Das unerwartete Versagen zeigt in seinem Verlauf meist drei Stadien (Bild 12.12). Zunachst entsteht ein MikroriB. Dann setzt unterkritisches RiBwachstum ein, und schlieBlich kommt es zum kritischen DurchreiBen. In der Praxis der Schadensverhiitung kommt es darauf an, entweder das Entstehen von Mikrorissen zu verhindern oder den RiB im unterkritischen Stadium durch regelmaBige Inspektion zu entdecken, urn das kritische Wachstum zu vermeiden. Fiir den Fall einer schwingenden Beanspruchung (Abschn. 4.4) und eines urspriinglich fehlerfreien Werkstoffs kann ein Teil der Schadensgeschichte mit Hilfe der
a-a^a^w^t
Werk stoff
korrosive Umgebung
-J
*
"1 °c\
12, >-
•-
-J
-4
£I
b
c
d
Bild 12.12 a-d. Typische Geschichte eines Schadensfalles. a Perfekter Werkstoff unter statischer und dynamischer Belastung in korrodierender Umgebung: AnriBlange a = 0. b Lochbildung durch Lokalelement: a = aj.c Unterkritisches RiBwachstum durch Korrosionsermudung: a = a2 (Kap. 4 und 6). d Kritisches RiBwachstum bei a = ac = Kic2/a\ a = am + cra, maximale Zugbelastung (weiB ES Werkstoff, grau s Umgebung)
424
12 DerKreislaufderWerkstoffe
Bruchmechanik quantitativ behandelt werden. Im allgemeinen sind vier Stadien zu unterscheiden: 1. zyklische Ver- oder Entfestigung des Werkstoffs: ATt < N; 2. Bildung von Mikrorissen, meist aus Gleitstufen oder Einschlussen einer zweiten Phase in der Oberflache: fy + N2 < N; 3. unterkritisches (langsames) Wachstum des Ermudungsrisses: ATt + N2 + N3 < N; 4. kritisches (schnelles) DurchreiBen; N = NB: NB = Nt + N2 + N3.
(12.8)
Die Wohlerkurve gibt die Lastwechselzahl bis zum endgiiltigen Bruch NB an (Bilder 4.20a und 12.11c. Bei NB hat der RiB seine durch die Bruchzahigkeit bestimmte kritische RiBlange ac erreicht (Tab. 4.6b). Nach (N^ + N2) Lastwechseln ist ein MikroriB der Lange ax entstanden. Die strukturellen Vorgange bis zur Bildung eines Risses konnen werkstoffwissenschaftlich, aber nicht bruchmeehanisch verstanden werden. Das unterkritische Wachstum N> NA + N2 kann durch Integration der Funktion dAa/dN=f(AK) (Bild 4.17 c und d) berechnet werden, bis bei N = NB der Gewaltbruch eintritt: N
f>
J
dAa ,mT dN
KIC2 no/
W + ^2)
Auf dieser Grundlage konnen Vorhersagen uber den voraussichtlichen Zeitpunkt, zu dem ein katastrophaler Schaden zu erwarten ist, gemacht werden, falls in einem Bauteil ein RiB entdeckt wird und die Beanspruchung bekannt ist (Bild 12.5 b).
12.5 Entropieeffizienz und Nachhaltigkeit Die in Bauten, Maschinen, Werkzeugen, Verpackungen verwendeten WerkstofFe haben eine begrenzte Lebensdauer. Am kiirzesten ist sie fur einmal verwendetes Verpackungsmaterial, langer fur Bauwerke, die gelegentlich Jahrtausende iiberdauern. Der gebrauchte Werkstoff kann zwei Wege gehen. Er wird dem Anfang des Kreislaufs (Kap. 12.1, Bild 12.6 und 12.13) nach Aufbereirung als Rohstoff wieder zugefuhrt oder in Deponien gelagert. Die Ruckgewinnung ist dabei der dem Gemeinwohl auf lange Sicht dienlichere Weg, die Deponierung oft der bequemste. Die Ruckgewinnung der Metalle hat eine lange Tradition. Stahlschrott und in noch groBerem Umfang wertvollere Metalle werden seit je gesammelt und zu erneuerten WerkstofFen aufbereitet (Tab. 12.8). Bemerkenswert ist, daB dabei nicht nur im Bergbau gewonnene Rohstoffe, sondern auch Energie gespart werden. Dies gilt in besonderem MaBe fur die Leichtmetalle Al, Mg und Ti. Weniger als 10% der fur deren erstmalige Herstellung erforderliche Energie wird fur die Werkstoffherstellung aus Schrott bendtigt (Bild 12.13), Manche wertvolle Metalle, wie Nickel aus dem Schrott von Superlegierungen (Kap. 8.4), werden zu mehr als 90% zuriickgewonnen. Andere wie Zink als Beschichtung von Blechen oder Gold aus Schaltkreisen gehen unwiederbringlich durch feine Verteilung in der Umwelt verloren (Tab. 12.8).
12.5 Entropieeffizienz und Nachhaltigkeit Tabelle 12.8. Anteil von aus Alt- und Abfallmaterialien riickgewonnenen Metallen am Gesamtverbrauch von Metallen in der westlichen Welt im Jahr 1983
Fe (Stahl)
Al Cu Zn Pb Sn
Verbrauch 1983 106t
davon aus Alt- und Abfallmaterial 106t
%
650,8 16,35 9,23 5,42 3,99 0,18
190,0 4,37 3,71 1,36 1,75 0,03
29,2 26,7 40,2 25,1 43,9 16,7
Tabelle 12.9. Gerundete Jahresdurchschnittspreise wichtiger NE-Gebrauchsmetalle in der Bundesrepublik Deutschland in DM je 100 kg (vergl. Bild 12.14)
1970 1975 1980 1983
Al
Cu
Zn
Pb
Sn
228 250 333 370
525 311 408 411
108 183 139 196
111 102 165 108
1392 1790 3256 3638
Rein metallische Werkstoffe und Konstruktionen verursachen in der Regel keine Probleme, da sie entweder wieder in den Rohstoffkreislauf zuruckgefuhrt werden oder sich infolge ihrer Neigung zur Oxidation in absehbarer Zeit in unschadlicher Form zersetzen. Als MaB fur deren Unschadlichkeit kann die Haufung eines Elementes in der Erdkruste angesehen werden (Tab. 12.2). Die Lebewesen sind fur Koexistenz mit den haufig vorkommenden Elementen konstruiert. Dies begiinstigt Werkstoffe auf der Grundlage von Al, Mg, Si, Fe. Seltenere Elemente (z. B. Ni, Be, Cd, Hg) sind haufig toxisch, wenn sie angereichert vorkommen. Dies gilt nicht nur fur technische Anreicherung, sondern auch fur naturliche Lagerstatten. Fur den Kreislauf der Polymerwerkstoffe sind im Vergleich zu den Metallen einige Besonderheiten zu beriicksichtigen. Wegen ihres C-Gehaltes konnen sie bei Ruckgewinnung nicht nur als Rohstoff fur die Herstellung neuer Werkstoffe, sondern auch als Energierohstoff, also als Brennstoff, dienen. Viele Molekularten (PE, PP, PTFE, PVC, PS, PMMA, PC) sind in der naturlichen Umgebung (Deponie) so reaktionstrage, daB sie sich praktisch nicht zersetzen. Andere Polymere, insbesondere solche, die auch durch organisches Wachstum entstehen konnen (Cellulose, Starke, Naturkautschuk, KaseinKunststoff, Kap. 9.7), zersetzen sich am besten unter Mithilfe von Mikroorganismen (Bakterien, Pilze, Hefe, Algen). Fur die Ruckgewinnung von Polymerwerkstoffen gilt das gleiche wie fur Metalle: unbeabsichtigtes Legieren verschlechtert fast immer die Eigenschaften der daraus wiedergewonnenen Werkstoffe. Es folgen daraus die beiden Moglichkeiten des sorgfaltigen und getrennten Sammelns oder die Verwendung als Brennstoff. Dabei sind die Teilprozesse thermische Dissoziation (Abschn.9.1, Tab. 9.5 a) und Oxidation von C zu CO2 und H zu H 2 0 zu trennen. Da auBer diesen Elementen auch CI, F, N, S in Polymerwerkstof-
426
12 DerKreislaufder Werkstoffe
fen eingebaut werden konnen, entstehen aber audi andere, unangenehmere Reaktionsprodukte wie HC1, CI2, HF, H2S. Die Weite der Probleme kennzeichnet die Tatsache, daB PVC auch zur Bindung des an anderer Stelle in der chemischen Industrie anfallenden Chlors dient. Der werkstofftechnische Grund ist aber dessen festigkeitssteigernde Wirkung durch Dipolbildung im Kettenmolekul. Ein noch groBeres und gegenwartig nicht befriedigend gelostes Problem liefert aber die chemische Bestandigkeit vieler Polymere in naturlicher Umgebung. In den Deponien lagern diese Stoffe ohne die geringste Veranderung (Tab. 12.10). Aus diesem Grunde sind Bemuhungen im Gange, biologisch abbaubare Werkstoffe zu entwickeln. Ein Erfolg ware nicht nur fur die Materialien der Verpackungsindustrie, sondern fur viele andere Kunststoffanwendungen nutzlich. Dabei stehen aber zwei Forderungen im Gegensatz. Die Werkstoffe sollen im Gebrauch stabil sein (keine Korrosion, Kap.6). Gleich nach ihrem Gebrauch sollen sie aber moglichst rasch zerfallen. Diese Reaktionen konnen am besten durch Mikroorganismen herbeigefuhrt werden. In diesem Zusammen-
Tabelle 12.10. Typische Zusammensetzung des Haushaltsmulls 1990, unter besonderer Beriicksichtigung der Kunststoffabfalle Alle Stoffe
Gew.-%
Polymere
Gew.-%
Papier Gartenabfialle Nahrungsabfalle Glas Polymere Stahl Nichteisenmetalle und Rest
40 18 12 8 7 7 8
LDPE HDPE
24 19
PS PP PET
14,5 14,5
Rest
23,5
Summe
100
Summe
100
I
4,5
| ursprunglich
|H1 ruckgewonnen
£5h co 4
23
£2
lh 0 Glas
Stahl
Polymer
Aluminium
Bild 12.13. Energiebedarf fur die Produktion von Behaltern fur Getranke. Bei Riickgewinnung ist er fur Al-Dosen am geringsten
12.5 Entropieeffizienz und Nachhaltigkeit
427
hang sind wiederum zwei Wege denkbar. Einmal sollen die in der natiirlichen Umwelt vorhandenen Mikroorganismen die Molekule der Kunststoffe z. B. von achtlos weggeworfenen Gegenstanden abzubauen. Zum anderen konnten in technischen Kompostierungsanlagen besonders geeignete Bakterien auf eine Polymerart angesetzt werden. Dabei gilt die Regel: je naher die Struktur der technischen Polymere den Biopolymeren ist, desto eher ist auch ein geeignetes Bakterium fur den Abbau zu finden. Fur die in den letzten Jahren synthetisch erzeugten Polymere hat die Natur (Evolution) noch nicht Zeit genug gehabt fiir die Entwicklung von Mikroorganismen, die sie fressen wollen. Es ergibt sich, daB metallische Werkstoffe zur Zeit als umweltvertraglicher gelten konnen als Polymere. Die Probleme sind noch groBer fiir Verbundwerkstoffe und Verbundkonstruktionen aus verschiedenen Werkstoffgruppen. Die erforderliche Trennung der verschiedenen Bestandteile ist z.B. in glasfaserverstarkten Kunststoffen manchmal unmoglich. Folglich besitzen diese Werkstoffe einen besonders niedrigen Schrottwert. Wir finden gegenwartig die ersten Ansatze fiir eine veranderte Philosophic der Konstruktionstechnik. Dabei wird nicht nur das Zusammenfugen der Teile zu Maschinen berucksichtigt, sondern auch deren Zerlegung am Ende ihres Lebens. Der Begriff dafur ist die »verschrottungsgerechte Konstruktion«. Auch bei der Auswahl der Werkstoffe und beim Wettbewerb zwischen ihnen sollte das Ende des Kreislaufs berucksichtigt werden. Vieles spricht in diesem Zusammenhang fiir eine Renaissance der in den vergangenen Jahren wohl zu Unrecht als wenig zukunftstrachtig beurteilten Metalle. Dabei ist wiederum den Legierungen der beiden Leichtmetalle Al und Mg die giinstigste Zukunft vorherzusagen (Bild 12.13). Eine sichere Vorhersage ist aber aus mehreren Griinden nicht moglich. Dies liegt nicht nur an der Unvorhersagbarkeit wissenschaftlicher Entdeckungen (Tab. 12.6), sondern auch an einer vergleichbaren Unsicherheit der wirtschaftlichen Randbedingungen (Bild 12.14). Als Beispiel dafur dient die Entwicklung der Preise fiir Aluminium zwischen 1988 und 1993 und von Gold seit 1996, die rational nicht zu deuten sind. Fiir das Recycling ist es ungiinstig, daB viele Preise der Rohstoffe gesunken sind. Ein gut geschulter Sachverstand und schnelles, phantasievolles Reagieren auf unvorhersagbare Situationen ist der beste Weg mit diesen Unsicherheiten fertig zu werden. Der Kreislauf der Werkstoffe bietet den Forschern und Ingenieuren sehr reizvolle Aufgaben. Ziel ist ein geschlossener Kreislauf, in dessen Rahmen Werkstoffe mit moglichst giinstigen Gebrauchseigenschaften po hergestellt werden, die zu Produkten mit hoher Lebensdauer verarbeitet werden: PQ • tQ = max. Dabei soil die Umgebung moglichst wenig belastet werden, also die Summe der Entropieanderungen durch den gesamten Kreislauf So gering sein (Bild 12.1 a) ^^ == max. -> Nachhaltigkeit (12.10a) So Auf dieser Grundlage laBt sich also der heute viel gebrauchte Begriff der »nachhaltigen Entwicklung« definieren. Bei der Herstellung eines niitzlichen Produktes soil die Umwelt moglichst wenig in ungunstiger Weise verandert werden, - moglichst wenig Unordnung erzeugt werden. Die Erhohung der Entropie in alien Stadien des technischen Prozesses So kennzeichnet die dabei erzeugte »Unordnung«. Dabei handelt es sich nicht nur um entwertete Energie (Abwarme), sondern um fein verteilte Materie wie CO2 und andere Gase in der Atmosphare, Salz oder N-Verbindungen im Wasser oder z.B. Schwermetalle als Altlasten im festen Boden nahe der Erdoberflache. Die Nachhaltigkeit eines Kreislaufs
428
12 Der Kreislauf der Werkstoffe
4
7 10 1988
Bild 12.14a,b. Verlauf der Weltmarktpreise fur Aluminium und Gold. Vorhersagen sind auBerst unsicher: Al 2400 $/t, Au 560 $/oz am 17.01.2006. Geringe Schrottpreise sind nachteilig fur das Recycling
ist also umgekehrt proportional der Entropieproduktion So wahrend des Kreislaufs. Diese kann auch auf den Ausgangszustand Sa (Bild 12.1) bezogen werden. Daraus folgt eine relative Nachhaltigkeit SCHLECHT 0 <
S«
So -f Sa
< 1GUT.
(12.10b)
Diese Definition konnte hilfreich sein, wenn sinnvolle, wirtschaftliche (Tab. 12.3 und 12.8), politische und rechtliche Randbedingungen geschaffen werden, die eine rational begriindete Umweltethik unterstiitzen konnen. Dann wird sich die Riickgewinnungslehre zu einem besonders mitzlichen und zukunftstrachtigen Teilgebiet der Werkstoffkunde entwickeln, fiir das gute Grundlagenkenntnis iiber alle Werkstoffgruppen die wichtigste Voraussetzung bieten.
Anhang
A.l Periodensystem
431
apjaujpj]
asDB]ap]
auanas: Q j OO CXI -— c ^ cxi —J cxi L O
5i J o
^ CD r— : UD r-J LO CXI
CD -^ , _ CO - JI Q _ CXJ
r— C D cxi I
UJ
(MCSI
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M
FA/B WA/B
_£D c-» >j> - CXI CXI
Stoffmenge Temperatur Stromstarke
m kg s
/ m t
Lange Masse Zeit
Dichte eines Zweiphasen-Gemisches
Volumenanteil der Phase a
QM
kgm"3
-
kgm - 3
/«; va
Pft
Rohdichte
kgnr 3
kgm - 3
Q
Dichte
m-3
m • m~~3
m 2 m" 3
Qcx
QL
Leerstellendichte
partielle Dichte einer Phase a
Qy\Nv
Versetzungsdichte
PKG
m
l;L;a;b
Lange
Grenzflachendichte (Korngrenzen)
Einheit
Symbol
GroBe
mol K A
n T I
2 der Versetzungslinienlange Probenvolumen
Qv~m = dw Versetzungsabstand cm, um m m - 3 ; m - 2 cm -2 je nach MeBmethode
0R = £ M / M + £ P / P
PM = ft/a + fp/p
0n -
a y^y^ .
v
f: Volumenanteil; M: Matrix; P: Pore oder Partikel
/M + / P = 1
2 der Korngrenzenflachen Probenvolumen
Quo'1 — dKG KorngroBe cm, um
Anzahl der Leerstellen Probenvolumen
l A = 10- 10 m 1" = 25,4 mm
1 mm = 10 m Probenabmessung 1 um = 10 - 6 m KorngroBe 1 nm = 10 - 9 m Atomabstand
-3
Nicht-SI-Einheiten, Bemerkungen
Einheit
Symbol
Andere SI-Einheiten, Bemerkungen
b) Geometrische Eigenschaften und Konzentrationsmafie
GroBe
Einheit
Symbol
Grundgrofien
GroBe
a)
A.2 Grofien und Einheiten
I
4-
n NA = N Teilchenzahl m = Mn
mol g mol -1 g mol" m 3 mol -1
n
M
A
vm
Molmasse
Atommasse
Molvolumen
i
1
V=
Vi
k
1=1
Vmn
m = An
f li-
*=i
yrrii
k
m
Molzahl/Stoffmenge
v 100 = Vol.-% (Volumenprozent)
"<
A;*
w • 100 = Gew.-% (Gewichtsprozent)
—
Volumengehalt = Volumenkonzentration
i
n
k
HV
a • 100 = At.-% (Atomprozent)
-
Massengehalt
> -
V
«i a
1
berechnet aus rontgenographisch best. Kristallstruktur und den Atomgewichten (enthalt nicht die Leerstellen) K
/= l
QM = S^ Qifi
Stoffmengengehalt
kgnr 3
mol m~3
kgm~
3
kgnr 3
Qi
Ci
Qx
PM
Massenkonzentration
Stoffmengenkonzentration
Rontgendichte
Dichte eines n-PhasenGemisches
G
%
RiBausbreitungskraft
Schlagarbeit, Kerbschlagzahigkeit
relative Verformung
V
HB, HV
Frequenz, Drehzahl
Harte
K
Spannungsintensitat
Verformungsgeschwindigkeit
Fl
mechanisches Moment
1
dynamische Viskositat
Ft
P
Druck (hydrostatisch)
Impuls
p; o; r
mechanische Spannung
V
F
Kraft
kinematische Viskositat
Symbol
GroBe
c) Mechanische Eigenschaften
r)Q~l = v
n^s"1
Hz
=
; e =
6w
^
de
d7
Belastung/0,1N Oberflache des Eindrucks / mm2
Hz = s~1
*
(p — In ^/IQ groBe Verformungsgrade £ — lx — LQ/IQ kleine Verformungsgrade
— S"1
Jm"2 1 Nm mm -2 = 1 0 0 Nm cm -2
K2 G = — jNm" 1 = Nmrn"2 = Jm - 2 E E: Elastizitatsmodul
Nmm - 2 = Jm -2
Nm'^Jm-2
Nm" 3/2
Nm
Ns
B: Brinell mit Kugel; V: Vickers mit Pyramide; »Hartezahl« soil ohne Dimension angegeben werden
bei Multiplikation mit 100: Angabe in %
1 kpm mm -2 « 10 Nm mm -2 = 10 J mm -2 1 Nmm mm -2 « 1,02 kpcm cm - 2
1J m - 2 = 10 3 erg cm - 2
l k J m " 2 = 10 6 ergcm" 2
1 MN m"3/2 » 3,16 kp mm"3'2 * 40,5 • 10 6 ksi in"1/2
mPa s = cP (fiir Losungen P = Poise) dPa s = P (fiir Kunststoffschmelzen)
Pa s = Ns m - 2
Pas
tfoc<7/1/2;/:RiBlange 1 MN m"3/2 = 1 MPa m 1/2 * 31,6 Nmrn"372
1 torr = 1 mm Hg = 133,3224 Pa 1 at = 98066,5 Pa 1 atm = 101325 Pa
bar
Pa
1 bar = 10 5 Pa
1 dyn = 10"5 N
Nicht-SI-Einheiten, Bemerkungen
1 Pa = 10 dyn cm"2 = 10,2 • 10" 6 kp cm"2 1 Nmm~2 = 0,102 kp mm"2 1 MNm-2«0,lkpmm-2 1 MPa = 0,014 psi
N = kgm s
2
Andere SI-Einheiten, Bemerkungen
Pa = Nm"2 (es wird empfohlen, die Bezeichnung Pascal zu verwenden, oder MN m -2 ) 1 MNm"2 = 1 Nmrn"2 = 1 MPa (empfohlene Einheit in Werkstoffkunde)
N
Einheit
T
a
A
D
Temperatur
linearer Ausdehnungskoeffizient
Warmeleitfahigkiet
Diffusionskoeffizient
S
p-Qs«L
£?mol
«L0L
/lypv
Entropie
Energie pro Atom; Leerstelle
Energie pro Mol
Leerstellenenergiedichte
Versetzungsenergiedichte
7KG0KG
_i
nrV
1
Js^K^m- 1
K
K
JKr 1
J
J mol"1
Jm"
3
Jm- 3
Jm"3
Jm- 1
Grenzflachenenergiedichte
Ey
J
-
Energie einer Leerstel- ^L le; eines gelosten Atoms
h
Korngrenzen-
1
4
2
lm s" = 10 cm s-
2
1
WK-lm-l-Js-1K-lm-1
£L: Leerstellendichte
dw: Versetzungsabstand
energie; dKG: Korndurchmesser
YKGQKG = /KG4CG - 1
I W K ^ n r 1 = 0,860kcal n r 1 ^ 1 ^ 1
1 kcal/mol = 4,1868 kJ/mol 23,06 kcal/mol = 1 eV/Atom oder Molekiil
hy, L Energie der gesamten Versetzunglinie der Lange L
^«G^ln — r o
1J nr 2 = 10 3 erg cm - 2
U = 10 7 erg l k J = 0,239 kcal U = 0,102kpm 1J = 2,778 • 10"7kWh 1 J = 0,625 • 10 1 9 eV 1 eV = 1,602 • 10"19Nm
Nicht-SI-Einheiten, Bemerkungen
Jm- 1 = Nmm- 1 = N
fiir
1 Nm mm -2 = 10 2 Nm cm -2
Jm- 2
Y',
Oberflachen- oder Grenzflachenenergie, Schlagarbeit
spezifische Energie der Versetzung
1 J = 1 Nm = 1 Ws l k W h = 3,6MJ
J
E; W; Q; H
Energie, Arbeit, Warmemenge, Enthalpie
Andere SI-Einheiten, Bemerkungen
Einheit
Symbol
GroBe
d) Thermische Eigenschaften und spezifische Energien
V Q
S
I
U
R
R-1
Q
Induktivitat
Stromstarke
Spannung
elektrischer Widerstand
elektrischer Leitwert
spezifischer Widerstand
RA
magnetische Feldkonstante (Induktionskonstante)
tt>
Hm
1
Vs A
m
= Qs m"
1
Fm"1
B
magnetische FluBdichte
_1
T
H
magnetische Feldstarke
-1
AsV^nr1
Am"
V
elektrisches Dipolmoment
elektrische Feldkonstante «b (Influenzkonstante)
T = Wbm~ 2 = Ws A"1 nr 2 = kgs^A" 1 Wb = Vs
Cm
E
elektrische Feldstarke
1
NA^s-^NC
Vm"1
Q
Ladungsmenge 1
C = As
C
C
F = A s V 1 =CV"1
1
F
2
Q- 1 m"1
n
= Qm 2 m _1 ; g — —jA: Querschnittsflache; L: Lange des Leiters a— g-1 Q
S = Q!
Q = VA1 = WA2 Q = kgm2s-3A"2
W A 1 = kgm2s-3A"1
A = Cs1
H = VsA
1
Andere SI-Einheiten, Bemerkungen
elektrische Kapazitat
spezifischer Leitf ahigkeit a
H A
L
Qm
Einheit
Symbol
GroBe
e) Elektrische und magnetische Eigenschaften
^ = 4 J I - 10- 7 NA" 2 = 1,256- K H V s A - i n r 1
-=0,885419 • lO^Fm" 1
*b = (MJQ 2 )" 1
1 G = 1(HT
1 0 e = 10 3 A/4jrm
1 D = 10-18esEcm
1 D « j • 1Q-29 C m = 3,33564 • 10~30 Ams
1C = 3 • 10 9 esE
V = NmA" 1 s- 1
Nicht-SI-Einheiten, Bemerkungen
All
A.3 Bezeichnung der Werkstoffe f) Wichtige Konstanten Konstante
Symbol
Avogadrosche Zahl Gaskonstante Boltzmann-Konstante Lichtgeschwindigkeit in Vakuum Plancksches Wirkungsquantum Ruhemasse des Elektrons Elementarladung Faradaysche Konstante
WA
R k = R/NA Co
h me e F
Wert (6,02217±4) • 1023 mol"1 (8,3143±3) J K"1 mol"1 (1,38062±6) • lO"23 J K"1 (2,997925 ±1) • 108 m s"1 (6,62620±5) • 10"34J s (9,10956±5) • lO"31 kg (1,602192±7) • 10"19 C (9,64867±5) • 104 C mol"1
A.3 Bezeichnung der Werkstoffe (Abschn. 0.7 und 12.2) a) Werkstoffnummern Das wichtigste System der Einteilung und Bezeichnung der Werkstoffe benutzt Werkstoffnummern. In DIN 17007 wird eine Zahl vorgeschlagen, die aus sieben Ziffern besteht. Die erste Ziffer bezeichnet die Werkstoffgruppe: 0 Roheisen, Ferrolegierungen, 1 Stahl, 2 andere Schwermetalle, 3 Leichtmetalle, 4-8 nichtmetallische Werkstoffe. Die zweite und dritte Ziffer geben bestimmte Klassen an. Bei Stahlen wird eingeteilt in: Massenstahle und Qualitatsstahle, Edelstahle. Die Edelstahle unterscheiden sich von den Massen- und Qualitatsstahlen nicht durch den Legierungsgehalt, sondern durch geringere Gehalte der schadlichen Legierungselemente S und P, sowie geringeren Gehalt an Schlackeneinschlussen. In der vierten und fiinften Ziffer werden die einzelnen Stahle einer Klasse aufgezahlt. Die sechste gibt das Schmelzoder GieBverfahren, die siebte den Behandlungszustand an. b) Stahle und Gufieisen (DIN 17006) Die Bezeichnung der Werkstoffe auf Eisenbasis sollte in folgender Reihenfolge geschehen (in den meisten Fallen werden einzelne Teile der Bezeichnung, wenn nicht zutreffend oder nicht wesentlich, weggelassen): 1. Art des GuBwerkstoffes (Buchstabe), 2. Art der Erschmelzung des Stahles (Buchstabe), 3. Kennzeichnung besonderer Eigenschaften (Buchstabe), 4. Kennzeichnung hochlegierter Werkstoffe (X), 5. Kennzeichnung der Mindestzugfestigkeit OQ oder Rm (St), 6. Kennzeichnung des Kohlenstoffgehaltes (C), 7. Aufzahlung der Legierungselemente (Zeichen der Elemente), 8. Kennzeichnung des Gewahrleistungsumfangs oder Giiteklassen bei Werkzeugstahlen, 9. Behandlungszustand mit Zugfestigkeit.
Anhang
438
Zul. GS GG GH GGG GTS GTW
StahlguB, GrauguB mit lamellarem Graphit, HartguB, GuBeisen mit Kugelgraphit, »schwarzer« TemperguB (nicht entkohlend gegliiht), »weiBer« TemperguB (entkohlend gegliiht).
Zu2. M T Ti E J Y
Siemens-Martin-Stahl, Thomas-Stahl, Tiegelstahl, Elektrostahl, Induktionsofenstahl, LD-Stahl.
Zu3. A R U S P Q Z
Alterungsbestandigkeit, beruhigter Stahl, unberuhigt vergossen, schmelzschweiBbar, pressschweiBbar, kaltverformbar, ziehbar.
Zu4. Die Grenze zwischen niedrig- und hochlegierten Stahlen wurde wie folgt festgelegt (immer in Gew.-%): unlegiert ist ein Stahl mit < 0,5% Si, < 0,8% Mn, < 0,1% Al und Ti, < 0,25% Cu, < 0.09% P, < 0,06% S; niedriglegiert sind Stahle mit < 5% eines besonderen Legierungselementes, »hochlegiert« (es wird mit X bezeichnet) ist alles, was daruber liegt. Zu 5. Falls der Stahl beim Verarbeiten nicht warmebehandelt wird und die Zugfestigkeit bei der Verwendung des Stahls entscheidend ist: St: Mindestzugfestigkeit. Zu 6. Es wird auf C folgend das Hundertfache des Kohlenstoffgehaltes angegeben. Bei legierten Stahlen wird der Buchstabe C nicht verwendet. Es folgen die Angaben iiber die weiteren Legierungselemente. Ck-Stahle sind unlegierte Edelstahle. Zu 7. Die Legierungselemente werden mit ihren chemischen Symbolen und in der Reihenfolge abnehmender Gehalte (Gew.-%) aufgefunit. Hinter alien Symbolen stehen die Kenn-
A.3 Bezeichnung der Werkstoffe
439
zahlen fiir die Gehalte, fiir die der folgende Schliissel gilt: der Prozentgehalt ergibt sich durch Division der im Symbol angegebenen Zahl durch: 4 bei Cr, Mn, Co, Ni, W, Si; 10 bei B, Be, Al, Ti, V, Cu, Mo, Nb, Ta, Zr, Pb; 100 bei P, S, N, Ce, C. Bei hochlegierten Stahlen mit X gilt dieser Schliissel nicht, sondern der Faktor 1 fiir die Legierungszusatze, auBer Kohlenstoff. Beispiele: 12CrNi6 4: niedriglegierter Stahl mit 0,12% C, 1,5% Cr, 1% Ni; XlOCrNi 18 8 ftiochlegierter Stahl mit 0,10% C, 18% Cr, 8% Ni; X100Mnl3: hochlegiert mit 1% C und 13% Mn (Manganhartstahl) Zu9. Kennzeichnung der Nachbehandlung und als Zahl hinter dem Buchstaben die Mindestzugfestigkeit, die durch diese Behandlung erzielt wird: A angelassen, E einsatzgehartet, G weichgegliiht, H gehartet, K kaltverformt, N normalgegliiht, NT nitriert, S spannungsfrei gegliiht, V vergiitet. Beispiel: C 40 V 750: Kohlenstoffstahl mit 0,40% Kohlenstoff, vergiitet auf 750 N/mm2.
c) Nichteisenmetalle 1. Es wird das chemische Symbol des Grundelements verwendet, dem die Symbole der Legierungselemente und Konzentrationsangaben in Gew.-% folgen. Bei Rein- oder Reinstmetallen folgt die Konzentration des Grundelements, z. B.: Al Mg 3 Si, Al 99,5. 2. Herstellung oder Verwendungszweck werden durch einen vorangestellten Buchstaben gekennzeichnet: G GuB GD DruckguB, GK KokillenguB, E elektrisches Leitmaterial. Beispiele: G-AISi 12: GuBlegierung, GD-ZnAl 4: DruckguBlegierung. 3. Buchstaben fiir besondere Eigenschaften werden angehangt: F Mindestzugfestigkeit (in Nmnr2), pi plattiert, w weich, a ausgehartet.
Anhang
440 d) Kunststoffe (DIN 7728) Kurzzeichen
Chemische Bezeichnung
ABS CA CAB CAP CN EC EP LCP PA PC PCTFE PE = PA PEEK PET PI PIB PMMA PP PS PTFE PUR PVA1 PVC UP
Acryl-nitril-Butadien-Styrol-Copolymere Cellulose-acetat Cellulose-aceto-butyrat Cellulose-aceto-propionat Cellulos-nitrat (Celluloid) Athyl-Cellulose Epoxid (Duromer) Flussig-Kristallines P. (liguid crystal) Poly-amid Poly-carbonat Poly-chlor-trifluor-athylen Poly-athylen Poly-ather-ather-keton Poly-athylen-terephthalat Poly-imid Poly-iso-butylen Poly-methyl-metacrylat (Plexiglas) Poly-propylen Poly-styrol Poly-tetra-fluor-athylen (Teflon) Poly-urethan Poly-vinyl-alkohol Poly-vinyl-chlorid ungesattigte Poly-ester (Duromer)
e) Zement und Beton 1. Bezeichnung der Phasen in der Zementtechnologie (Bild 7.3 d) 3 CaO • Si0 2 : C3S Tricalziumsilikat 2 CaO • Si0 2 : C 2 0 Dicalziumsilikat 3 CaO • A1203: C3A Tricalziumaluminat 2 CaO • (A1203, Fe 2 0 3 ): Q (A,F) Aluminatferrit 2. Bezeichnungen fiir anorganische Zemente Es wurden drei Giiteklassen festgelegt: Z 275, Z 375, Z 475. Die Zahlen entsprechen der Druckfestigkeit des Zements nach 28 Tagen (in 0,1 Nmm~2). 3. Bezeichnung der Zementart nach Herkunft und Zusammensetzung PZ Portlandzement, EPZ Eisenportlandzement, HOZ Hochofenzement, TZ Trasszement, SHZ Sulfathuttenzement.
A.3 Bezeichnung der Werkstoffe
441
4. Bezeichnung fur Beton Je nach Druckfestigkeit nach 28 Tagen wurden im Beton- und Stahlbetonbau 9 Giiteklassen festgelegt (in 0,1 Nmnr2 , gemessen mit Wiirfeln von 20 cm3): Bn20, Bn50, Bn80, Bnl20, Bnl60, Bn225, Bn300, Bn450, Bn600.
LB (Druckfestigkeit): Leichtbeton. f) Amerikanische Bezeichnungen fur Stahle und Al-Legierungen 1. Stahle. Die AlSI-Zahlen (American Iron and Steel Institute) und SAE-Zahlen (Society of Automotive Engineers) kennzeichnen die Zusammensetzung der Stahle. Die Zahlen bestehen aus vier oder fiinf Ziffern. Die letzten beiden Ziffern bestimmen den Kohlenstoffgehalt in 1/100 Gew.-%, wahrend die ersten beiden Ziffern eine bestimmte Legierungsgruppe bezeichnen, die sich aus einem Schlussel ergibt, z. B.: 10XX Kohlenstoffstahl, 13XX Mn 1,75, 25XX Ni5,00, 33XX Ni 3,5 Cr 1,55, 40XX Mo 0,25, 43XX Ni 1,80 Cr 0,50-0,80 Mo 0,25, 50XX Cr 0,30-0,60, 50XXX C 1,0 Cr 0,5, 51XX Cr 0,80-1,65, 51XXX C 1,0 Cr 1,0, 92XX Mn 0,85 Si 2,00, 98XX Ni 1,00 Cr 0,80 Mn 0,25. Vor oder hinter diese Zahlen werden zur weiteren Kennzeichnung groBe Buchstaben gesetzt. Fur Anwendungen, in denen eine bestimmte Durchhartung gefordert wird, steht der Buchstabe H nach der Zahl (Kap. 8). Die Buchstaben vor den Zahlen bezeichnen das Herstellungsverfahren: B fur Bessemerstahl, C fur SM-Stahl, E fur Elektrostahl. 2. Aluminiumlegierungen. Die »Aluminium Association benutzt cbenfalls ein VierZiffer-System. Al-Knetlegierungen 1XXX > 99,00% Al 2XXX Cu 3XXX Mn 4XXX Si 5XXX Mg 6XXX Mg + Si 7XXX Zn 8XXX andere z.B.Li Die erste Ziffer bezeichnet die Legierungsgruppe, die zweite die erlaubten Abweichungen von der Gfundzusammensetzung, die letzten zwei geben diese Legierungselemente an oder bestimmen die Reinheit. Den vier Ziffern folgt ein Buchstabe, der den Behandlungszustand der Legierung kennzeichnet, z. B.: O weichgegluht (annealed), H mechanisch verfestigt (strain hardened),
442
Anhang
W losungsgegliiht (solution treated), T angelassen (tempered). Der Bezeichnung fiir die AnlaBbehandlung (T) folgen immer Ziffern, die weitere Einzelheiten kennzeichnen, z. B.: T3 losungsgegliiht + kaltverformt T4 losungsgegliiht 4- kaltausgelagert (20 °C) T5 warmausgehartet ( > 20 °C) T6 losungsgegliiht + warmausgelagert T7 losungsgegliiht + stabilisiert T8 losungsgegliiht + kaltverformt + warmausgelagert T9 losungsgegliiht + warmausgelagert + kaltverformt.
A.5 Einige werkstoffnahe Normen A.4
443
Neue Normbezeichnungen fiir MeBgroBen aus der mechanischen Werkstoffpriifung
neu
alt
Bedeutung
neu
alt
Bedeutung
A Ag Rp ^PO,2
d,eB dg as 00,2
Bruchdehnung GleichmaBdehnung Streckgrenze 0,2%-Dehngrenze
Rm S Z Av
OQ A V -
Zugfestigkeit Probenquerschnitt Einschniirung Kerbschlagarbeit
A.5 Einige werkstoffnahe Normen Zugversuch Bruchmechanik
GieBeigenschaften Umformeigenschaften
SchweiBverbindungen Lotverbindungen Klebverbindungen Korrosion Tribologie Reibung VerschleiB Rauheit der Oberflache Viskositat (Schmierstoffe) Harte-Brinell Harte-Vickers Harte-Rockwell
DIN EN 10002 ASTM E 399-80 (KIc) ASTME561-56T(Gic) ASTM E 647-78T (da/dN) DIN 50131 DIN 50101 DIN 50102 DIN 50153 DIN 50120 DIN 8525 DIN 53288 DIN 50900 DIN 50323 DIN 50281 DIN 50320 DIN 4768 DIN 51519 DIN 50351 DIN 50133 DIN 50103
sowie: Literatur, Kap.O, Werkstoffnormen und Werkstoffpnifnormen
444
Anhang
A.6 ASTM-Korngroilen Zum schnellen Bestimmen der KorngroBe ist von der ASTM (American Society for Testing Materials) eine Methode eingefuhrt worden, der die Messung der Zahl der Korner pro Flacheneinheit im Anschliff zugrundeliegt. Die KomgroBenzahl n ist mit der Zahl der Korner k pro Quadratzoll bei lOOfacher VergroBerung durch k = 2"-1 verkniipft. Fur die Messung stehen Vergleichsnetze zur Verfugung, so daB n »auf einen Blick« bestimmt werden kann (Abschn. 1.4).
ASTM
Korner k pro Quadratzoll
KorngroBe n
Mittel
Bereich
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
1 2 4 8 16 32 64 128 256 512
< 1,5 1,5 ... 3 3...6 6 . . . 12 12... 24 24...48 48...96 9 6 . . . 192 192... 320 320... 704
Korner pro mm2
16 32 64 128 256 512 1024 2048 4096 8192
445
A.7 Englische Kurzbezeichnungen fur Verfahren von Werkstoffen
A.7 Englische Kurzbezeichnungen fur Verfahren der mikroskopischen und makroskopischen Analyse der Struktur von Werkstoffen ISS XES XRF WDX EDX EELS AES SIMS ESC A HX RBS AES EXAFS
A A A A A A A A A A A A A
ion scattering spectroscopy X-ray energy spectroscopy X-ray fluorescence spectroscopy wavelength dispersive X-ray spectroscopy energy dispersive X-ray spectroscopy electron energy loss spectroscopy Auger electron spectroscopy secondary ion mass spectroscopy electron spectroscopic chemical analysis ion induced X-ray emission spectroscopy Rutherford backscattering spectroscopy Auger Electron Specroscopy extended X-ray absorption fine structure spectroscopy
I-1 e-x x-x e-x e-x e-e e-e I-1 x-e I-x I-1 e-e x-x
ESAD LEED ECP EBSP XD HEED
P P P P P P
electron selected area diffraction low energy electron diffraction electron chanelling pattern electron beam scattering pattern (KIKUCHI) X-ray diffraction high energy electron diffraction
b s b b b b
e-e e-e e-e e-e x-x e-e
TEM HVTEM SEM STEM XT FIM SAXS LAXS
G G G G G G G G
transmission electron microscopy high-voltage transmission electron microscopy scanning electron microscopy scanning transmission electron microscopy X-ray topography field ion microscopy small-angle X-ray scattering large-angle X-ray scattering
b b b b b s b b
e-e e-e e-e e-e x-x I-I x-x x-x
A P G s b
Atomart Phase Gefiige Oberflache (surface) Inneres (bulk)
Literatur
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Sachverzeichnis
Abgleiten von Korngrenzen 13 8 Abkiirzungen fur physikalische Analyseverfahren 26,445 Absorberwerkstoffe 178 Additionspolymerisation 315 Adhasion 232 Adhasionsenergie 401 Adsorption 235 Aktivierung von Elektronen 173,189 Aktivierungsenergie 92 - Diffusion 90 - Elektronen im Halbleiter 188, 384 - Fe3C in Fe 84 - Keimbildung 80 - Kriechen , 130, 139 - Rekristallisation 97 - Sintern 381 - Spannungsrelaxation 402 - Viskoelastizitat 164 - Viskositat 169,234,258 Aktivierungsenergie der Keimbildung 79 Aktivierungsenergie der Viskositat 258 Aktivierungsenergien fur Kriechen 141 Altern von Gummi 230 Aluminiumlegieurng 1,280 Amerikanische Bezeichnungen 441 amorphes Metall 305 Analyse von Schadensfallen 419 Anisotropic 121, 167 Anisotropic, mechanische 167 Anlassen 302 anodische Oxydation 364 Antiklebmittel 335 Antiphasengrenze 52 Antistatische Additive 320 antistatische Behandlung 196 Aramidfaser 353 Aromatische Polymere 335 Atom 23 Atomabstand 29 Atomarten in der Erdkruste 409 Atomgewicht 24,62 Atomprozent 58,61 Atomradien 58,61 AufdampfVerfahren 363 Aufspaltung der Versetzung 50
Aufspritzen 362 Ausdehnungskoeffizient 212 Ausform-Stahle 303 Ausharten 88,280 Ausscheidung 104 Ausscheidungshartung 280 Bainit 264 bainitisch-austenitische Gefuge 380 Baustahle 13,291 Bauteil 373 Beanspruchung 121 Beanspruchungsprofil 411 Bestrahlen 177,308 Beton 1,262 Betriebsbeanspruchung 412 Beugung 8,11 Beweglichkeit einer Reaktionsfront 98 Bezeichnung der Werkstoffe 4,413, 437 Biegebeanspruchung 268,387 Biegefestigkeit 268 Bimetall 345 Bindemittel 246,263 Bindungsenergie 29 Bindungskraft 30 BlasprozeB 337 Blechtexturen 102 Bleikristallglas 257 Bloch-Wand 205 Borfaser 352 Borieren 302 Bronzen 272 Bruch 146, 220, 230 Bruchdehnung 147 Bruchmechanik 149,418 Bruchzahigkeit 151 Burgersvektor 47 Cermet 359 CFK 241 Chemische Eigenschaften 221 chemische Zusammensetzung 62 craze-Zone 325 Curietemperatur 201 CVD 366
454 Dampfung 164 Dauermagneten 200 Dehnung 128 Desoxydation 377 Diamantstruktur 34,247 Dichte 1,32,348 Dielektrizitatskonstante 198 Diffusion 88,302 Diftusionskoeffizient 92 Dimensionierung von Bauteilen 411 Dipolanziehung 37 Dipoleffekt 296,318 diskontinuierliche Streckgrenze 298 Dispersionsgrad 272 Dotieren 188,384 Drahtziehen 389 Dreistoffsystem 78 Druckfestigkeit 245,267 Durchhartung 300 Duromer 328 dynamische Moduln 165 dynamische Viskositat 340 EDX 26,445 EELS 26,445 Eigenschaftsprofil 1,411 Eindruckharte 172 Einkristall 38, 141 Einsatzharten 93, 302, 362 Einschnurung 130 Einschnurungsdehnung 131 Einwegeffekt 215 Eisen-Kohlenstoff-Diagramm 84 Elastische Konstanten 124 Elastizitat 121 Elastizitatsmodul 9, 121, 126, 346 Elastomer 160,330 elektrische Leitfahigkeit 185, 270 elektrochemische Korrosion 221 Elektrodenpotential 225,284 elektrolytisches Polieren 364 Elektronen 25,32, 187 Elementarzelle 38 Energiebedarf 404 Entmischung 64 Entropieelastizitat 161 Epoxidharz 328 Ermudung 154 ErmudungsriB 139, 158 Erosion 239 Erwartungswert 421 Eutektikum 72, 84, 277 eutektische Erstarrung 105 eutektische Erstarrungsfront 82, 353 eutektoide Reaktion 107, 292 ExplosivschweiBen 365
Sachverzeichnis Explosivumformen 391 Extruder 354,293 Faradsysches Gesetz 224 Farbe 209 Faserkristall 43 Faserverbund-Werkstoff 345 Faserverstarkung 349 Feinkornhartung 138 Fe-Ni-Invar-Legierung 214 Fensterglas 257 Ferromagnetische Eigenschaften 200 Fertigungstechnik 373 fertigungstechnische Eigenschaft 3,414 feste Phasen 23 Festigkeit 1, 109, 128 Festkorperanalyse 11, 26,445 Festkorperreaktionen 88 Fett 339 FlieBgeschwindigkeit 161 FlieBpressen 290 Flocken 222 Flussigkeiten 61, 161 Fliissig-kristalline Polymere 337 Folien, geblasene 393 Formgedachtnis 214 Formzahl 419 Freie Energie 67 Freie Enthalpie 67 Freiformschmieden 387 Fremddiffusion 89 Frenkel-Defekt 46 Fugen 396 Fullstoff 330 Fullerene 34 Funktionswerkstoffe 8, 177 Galvanotechnik 432 Gas 38 Gase, geloste 245, 376 GauBsche Fehlerfunktion 94,421 Gebrauchseigenschaften 8,414 Gefuge 115 Gefugeanisotropie 54, 345, 367 Gefugetyp 116 Geschichte 16 Gesenkschmieden 387 Gewichtsprozent 61 Gibbssche Phasengesetz 72 GieBharz 328 GieBverfahren 373,377 Gitterkonstante 41 Glas 38,56,252 Glasbildung 103 Glasbildungsvermogen 305 Glasfaser 259,349 glasfaserverstarkter Kunststoff 355
455
Sachverzeichnis Glasstruktur - Fe-B 55 - Fensterglas 257 - Gummi 9,331 - Polymer 9, 56 - Si0 2 9, 55 Glastemperatur 103 Gleitebene 131 Gleitlager 236,339 Gleitrichtimg 131 Gleitstufe 147 Gleitsystem 131 Gluhfaden 272 Gluhung im magnetischen Feld 347,403 Glukose 368 Graphit 34,247 Graues Gufieisen 305 Grenzflachen 220,400 GroBwinkel-Korngrenze 52 Gummi 160,330 Gummielastizitat 160 Gufieisen 305 Gufieisen mit Kugelgraphit 380 Gufifehler 379 Gufilegierungen 305 Haarkristall 346 Halbleiter 185,383 Halbleiterbauelemente 384 Halbzeug 373 Handelsbezeichnungen 15,413 hartbarer Stahl 289,301 Harte 172 Harten 131,281,301,402 Harter 328 hartmagnetische Werkstoffe 205 Hartmetall 359 Hartstoff 359 Hartungsmechanismus 138,281 Haushaltsmiill 426 Hebelbeziehung 73 Heizleiter 229 Heterogene Gleichgewichte 65 heterogene Keimbildung 79 HIP-Verfahren 383 hitzebestandige Stahle 229 Hitzebestandigkeit 145,229 Hochempfindlicher Film 46 hochleitfahige Kupfersorten 185,270 Hochpolymer 9, 313 hochschmelzende Stoffe 249, 270, 381 hochtemperaturbestandige Kunststoffe 334 Hochtemperatur-Supraleiter 43 Hochtemperaturwerkstoffe 249, 270, 285 Holz 367 homogene Keimbildung 79 Hookesches Gesetz 121 Hullrohre 180
Hydrat 245,263 Hydratation 264 hydraulische Zemente 263 Hydride 245 imaginarer Verlustmodul 166 innere Spannungen 158,402 integrierte Schaltkreise 195, 355, 370 interkristaline Korrosion 228 interstitielle Loslichkeit 72 Ionenbindung 31 Ionenradius 39 Isolator 196 I-Trager 370 Kalander 394 Kaltebehandlung 88 Kaltprefischweifien 399 Kaltverfestigung 131,386 Kaltverformung 386 Kaolinit 255 Karbide 245, 292, 307, 359 Kautschuk 160,330 Kavitation 26 Keimbildung 79 Keimgrofie 89,84 Keramische Faser 325, 349 Keramische Werkstoffe 5, 245 Kerbschlagarbeit 175 Kerbschlagversuch 13, 175, 300 Kerbwirkungszahl 419 Kernbrennstoff 177 kernphysikalische Eigenschaften 177 Kieselglas 9,56 kinematische Viskositat 343 klassische Keramik 248, 252, 383 Kleben 313,337,396 Kleinwinkelkorngrenze 91,98 Klettern von Versetzungen 91, 98 Kohasion 314,337,400 Kohlefasern 247,352 Kohleglas 247 Kohlenstoff 224,247 Kokille 350,378 kombinierte Reaktion 111 Komponente 64,68 Kompostieren 427 Kompressionsmodul 114,125 Kondensatoren 177, 197 Koordinationszahl 33,38 Kopolymerisation 315 Korngrenzen 52, 100 Korngrofie 88,102,444 Kornseigerung 97 Kornwachstum 101, 111 Korrosion 220,284 Korrosionsschutz 225
456 Korrosiotissystem 221 Korundfasern 346 Kosten, Relative 22,409 Kovalente Bindung 33 Krafte im Walzspalt 390 Kriechen 139 Kriechgeschwindigkeit 140 Kriechkurve 142,287, 323 Kristallanisotropie 53, 126, 287 Kristallbaufehler 44 Kristalle 9,38 Kristallerholung 99 Kristallisationsgrad 321 Kristallplastizitat 131 Kristallstruktur - AgBr 46 - Diamant 32, 33, 34 - Fe-C 295 - Fe3Al 62 - FeAl 62 - Graphit 34 - Kaolinit 255 - kfz (kubisch flachenzentriert) 9, 23,41 - krz (kubisch raumzentriert) 32, 33, 62 - Li 32 - MgO 32, 33 - NaCl 33,44,46 - Polyathylen 9,43 - Si0 2 9 Kritische RiBlange 149 kritisches RiBwachstum von Rissen 420 Kugelstrahlen 363 Kunstharz 328 kiinstliche Werkstoffe 378,404 Kunststoffabfalle 395,426 Lagerwerkstoffe 238,288 LaserschweiBen 399 Laserstrahl 312 Lebensdauer 141, 157,422 Leek vor Bersten (Bemessungsprinzip) 420 Leder 313 Leerstelle 45, 90, 228 Leichtmetalle 280,437 Leiter, elektrische 185 Leiter, thermische 199 Leitungsband 188 Lichtbogenschweifiung 397 Lichtleiter 262 Ligning 368 LochfraB 221 Lokalelement 203, 221 Losungsenthalpie 58,61,72 Loten 78,399 Luders-Band 298 Luftfeuchtigkeit 237 Lunker 82,397
Sachverzeichnis Magnetisierungskurve 201 Manganhartstahl 115,295 Martensit 112,216,289 martensitaushartender Stahl 251 Martensitische Umwandlung 104, 112 Martensitstart Ms 113, 216, 295 Martensittemperatur 295 Massegehalt 61 Mechanische Eigenschaften 121 Mechanisches Gleichgewicht 66 Mehraehsige Beanspruchung 167 mehraehsige Zugbeanspruehung 267,418 Mengenanteile 71 Messing 272 Metalle 269 Metallische Bindung 35 Metall-Inertgas-SchweiBen (MIG) 399 Metallische-Werkstoffe 269 Metallisches Glas 56, 305 metastabile Flussigkeit 103 metastabiles Gleichgewicht 83, 108 Metastabiles Zustandssehaubild Fe-C 84 MFI: melting flow index 321 mikrolegierte Baustahle 295 Mikroorganismen 426 Mikrorisse 149,423 Mischbarkeit 75 Mischkristallhartung 131, 272 Mischphasen 60 Mischreibung 340 Mischungsentropie 71 Moderatorwerkstoffe 177 Molekulare Gase 58, 61, 90 Molekulargewicht M 314 Molekulketten 5 f., 6, 316 Molekiilstrukturen -C n H n + 2 339 - H20 37 - HC1 37 - PA 317 - P E = PA 9,32,315 - P I 317,335 - PIB 317 - PMMA (Plexiglas) 317 - Pplyacethylen 317 - Polyisopren (Naturkautschuk) 317 - Polymere (DIN) 440 - Polypyron 335 - PP 316 - PS 316 - PTFE (Teflon) 316 - PVC 37,316,318 - Silikon 315 - Zellulose 368 Nachbehandlung 402 naturliche Werkstoffe 404
Sachverzeichnis Nieten 400 Nitride 246, 249; 302 Nitrierbehandlung 88,95 Nitrierhartung 95,302 n-leitende Gebiete 95, 188 Normalgluhen 303 Normbezeichnungen 443 Normung 443
Preise fur einige Rohstoffe 409 Produktion 21,290 Porzellan 254 Prufung 14 Prufverfahren 172 Pseudoelastizitat 216 PVD 366 Pyrolyse 324, 336,425
Oberflachen 220 Oberflachenbehandlung 362 Oberflachenenergie 232, 234, 338,401 Oberflachenschicht 432 Optische Eigenschaften 209 optische Glaser 257,402 Ordnungsparameter 63,274 Ordnungszahl 24 Organische Klebstoffe 337,401 Orientierung von Kristallen 54 Oxidationsenthalpie 229 Oxide 228,252 Oxidhaut 226,376 Oxidkeramik 252 Oxydation 222
Quantentopf 193 Quarz 9, 153 Quasikristall 56 Querkontraktionszahl 125
Passivierung 226 Pasten 122 periodisches System 23,431 Pesowskit 43,209 Pfannkuchenform 54 Pflanzenfasern 313 Phase 60 Phasengemische 60,345 Phasengrenze 63,232 Phasengrenze, inkoharent 234 Phasengrenze, koharent 234 Phasengrenze, teilkoharent 234 Phasenumwandlung 68, 104, 226, 289 Phononen 199 photoelektrischer Effekt 194 Photographie 46 Pigment 320 Plasma 38 Plasmaspritzen 365 plastische Formanderung 128, 386 Plastomere 320 Plattierung 363 p-leitende Gebiete 95, 188 Polykondensation 313 polymere Zemente 243 Polymerisation 9,315 Polymermolekule 9, 310 Polymerwerkstoffe 9,313 Pore 103,291 poroser Formkdrper 382 Portlandzement 263
Radar 199 Randentkohlung 95 Raumgitter 38 Reflektionsgrad 211 Reibkraft 221,236 ReibschweiBen 399 Reibung 236 Reibungskoeffizient 221, 237 Reibungskrafte 221, 339, 389 ReiBfestigkeit 147 Rekristallisation 97 Rekristallisation, sekundare 102 Rekristallisationsgluhen 304 Rekristallisationsschaubild 102 Relaxationszeit 106, 165,402 Reynoldssche Zahl 151, 164 reziproke Gitter 40,41 Riss 149,231,423 Rohkautschuk 330 Rohstoff 404 Rontgenstrahlen 11 Rost 227 rostbestandige Chromstahle 225 Rotbriichigkeit 233 Ruckgewinnung 3,424 R-Wert 171,390 SandguB 377 Sattigungsmagnetisierung 201 Schadensfall 413 schaumbare Kunststoffe 333 Schaume 117,333 Scherung 112,123 Schichtkristall 316,339 Schichtstruktur 42 Schichtverbund 347 Schleifen 394 Schleifmittel 245 SchleuderguB 378 SchlickerguB 254,380 Schmelzindex 161 SchmelzschweiBung 397 Schmelzspinnen 304
458 Schmelztemperatur 9, 93, 101, 180, 213, 2' 249, 346, 359 Schmelzwarme 67 Schmiermittel 220,339 Schmiermittel, feste 236, 339 Schmiermittel, flussige 236, 339 Schmierstoff 339 Schmirgelscheiben 394 Schneckenextruder 393 Schneidkeramik 360 Schnelldrehstahl 300,360 Schnittgeschwindigkeit 360,395 Schraubenversetzung 47 Schrottgerechte Konstruktion 424 Schubmodul 125 Schubspannung 125, 168 Schwefelbriicke 9,330 SchweiBbarkeit 398 SchweiBen 396 SchweiBen, aluminiothermisches 398 Schwellwert 158 SchwindmaB 350,378 Schwingfestigkeit 154,422 Sekundarhartung 300 Selbstdiffusion 89 Selbstschmiereffekt 236 Sensoren 177 Sicherheitsfaktor 416 Siedetemperaturen 75,431 Silikongummi 332,336 Silumin 277,306 Sintern 249,380 Sinterverfahren 251, 272, 382 Si0 2 9,253 Smith-Diagramm 15 7 Sonderkarbide 295 Spaltebene 146 Spanbildung 396 Spanen 395 Spannbeton 357 Spannung 12,123 Spannungen, nominelle 129 Spannungen, wahre 129 Spannungs-Dehnungs-Diagramm 130,416 Spannungsfrei Gluhen 158, 306,402 Spannungsinduzierte Umwandlung 113 Spannungsintensitat 151 Spannungskorrosion 231 Spannungsrelaxation 145,358 SpannungsriBkorrosion 231 Speicherdichte 410 Speichermodul 166 Speicherung von Information 207,410 SpharoguB 306,380 spharolithische Kristallisation 108 Sprengplattierung 365 SpritzgieBen 392
Sachverzeichnis Sprodigkeit 146 Sprungtemperaturen Tc 208 Stabilisator 320 Stahlbeton 357 Stahle 289 Starke 404 StahlguB 380 Stahlproduktion 290 Standzeit 359,394 Stapelfehler 50 Stapelfehlerenergie 51,138,273 Stapelfolge 41 Stauchung 123 stereographische Projektion 53, 54 Stirnabschreckversuch 3 01 Stoffmengengehalt 61 Strahlenschaden 184, 330 Strahlenschutz 178 Strahlenverfestigung 184 StrangguB 379 Strangpressen 389,392 Streckgrenze 128 Streuung von MeBwerten 421 Strukturwerkstoffe 7, 121 Stufenversetzung 47 Stutzwalzen 391 Styrol 328 Sublimationswarme 232 Superelastizitat 216 Superlegierungen 52,285 superplastisches Umformen 145 Supraleiter 208 Systemeigenschaft 221 Teer 161 Teilchenhartung 280 Teilchenvergroberung 106 Temperatur-Druck Diagramm 247, 253 Temperaturwechselbestandigkeit 251 TemperguB 380 Tetragonale Gitter 40 Textur 54 Texturgluhung 206,403 thermische Energie 92 Thermisches Gleichgewicht 66 thermodynamischer Wirkungsgrad 410 thermodynamisches Gleichgewicht 66 Thermomechanische Behandlung 109, 110, 304 Thermoplast 320,392 Tiefziehblech 51,175,392 Tiefziehen 388 Tiefziehfahigkeit 163, 175 Tiefziehwerkstoff 273 Titanlegierungen 278 Ton 158,257 Trankwerkstoff 362
459
Sachverzeichnis Transformatorblech 102,203 Transistoren 193 transkristaline Korrosuin 228 Trennen 394 Trennscheiben 394 tribologische Eigenschaften 220,236 Cberalterung 106 Ubergangselement 27,270 Uhrentechnik 236 UltraschallschweiBen 399 Umformen 386 Umformen von Kunststoffen 391 Umformtechnik 128, 375 Umformverfahren 359,375 Umwandlungen 104 Umwandlungen der Kristallgitter 69 Umwandlungshartung 289 Umwandlungswurme 68 unterkritisches Rifiwachstum 157,423 UP-Harze 354 Urformen 375 VakuumguB 377 Verbindungen 63,246 Verbundwerkstoff 6, 345 Verfestigungskoeffizient 13, 129 Verformungsenergie 52, 117, 129 veiformungsinduzierte Umwandlung 216, 295 Verguten 300, 305,403 Vernetzung 9,328 Versagen des Werkstoffs 146, 220,418 VerschleiB 220,236 VerschleiBkoeffizient 238 VerschleiBpartikel 340 VerschleiBwiderstand 239,359 Verschrottbarkeit 4,425 Versetzung 46, 98,135, 153, 232, 281 Versetzungsaufstau 146 Versetzungsdichte 49 Versetzungslinie 46, 124 Versetzungsring 46f., 48, 91, 281 versprodete Korngrenzen 302 Verwendungstemperatur 252,291 Verzundern 228 Vielstoffsystem 78 Vierstoffsystem 79 Viskoelastizitat 164 Viskositat 161,260 Volumenanderung beim Erstarren 75, 378 Vulkanisation 9,330 Wachs 329 Walzen 390 Walzen, kontrolliertes
375
Walzplattieren 365 Warmeausdehnungskoeffizient 212 Warmebehandlung 88,303 Warmeinhalt 65,348 Warmeleitfahigkeit 199, 349 warmfeste Werkstoffe 139, 245, 285 Warmverformung 388 Wassergehalt 238,263 Wasserstoffbrucke 57 Wasserstoffelektrode 225 Wasserstoffkrankheit 256,277 WasserstoffVersprodung 222 Wechselfestigkeit 154, 285,420 Weichgluhen 97,304 Weichmacher 320 Weichmacherkonzentration 327 weichmagnetische Werkstoffe 200 weiBes GuBeisen 305 Werkstoffdatenbanken 415 Werkstoffe der Elektrotechnik 185 WerkstofTkosten 3 Werkstoffkunde 3 Werkstoffmenge pro technischem Nutzen 408 Werkstoffhormen 443 Werkstoffprufhormen 14 Werkstoffprufung, mechanische 128,421 Werkstoffsystem 14,220, 236, 394 Werkstofftechnik 3 Werkstoffwissenschaft 2 Werkzeugstahle 299,360 Wertigkeit 39 Whisker 346 Widerstand 185 WiderstandsschweiBung 397 Wirkungsquerschnitt 177 Wohler-Kurve 154,285,420 Wolfram-Gluhdraht 270,272 Wolfram-Inertgas-SchweiBen (WIG) 399 Zeitdehngrenzen 139, 144 Zeitstandfestigkeit 139, 144 Zeitstandversuch 128, 131, 139, 143 Zeit-Temperatur-Diagramm - Ausformstahl 304 - Ausscheidung von Al-Fe 106 - bainitisches GuBeisen 380 - eutektoide Umwandlung 107, 114 - Rekristallisation Ni-Al 101 - Umwandlung, Cr-Stahl 297 - Umwandlung, kont. Abkuhlung 297 - Umwandlung, Stahl 114 Zellulosefasern 368 Zement 263 Zementmortel 358 Zeolithe 254,256 Zerkleinerungstechnik 146 Zerspanbarkeit 394
460 Ziehdiise 389 Zinnpest 69 Zipfelbildung 102, 176 Zugfestigkeit 13, 129 Zugversuch 12, 128,414 -Baustahl 128,414 - Beton 267 - mehrachsig 170,267 - Metallglas 311 - Polymer 322 - und Sicherheitsfaktor 414 - Spannbeton 330, 357 - Verbundwerkstoff 352 Zukunft 15 Zunderbestandigkeit 228 Zustandsdiagramm 64 - Al-Cu 282 - allgemein 71, 75, 78, 104 - Al-Si 277 - Al-Si-C 78 - Al-Si-O-Ca 79 - Al-X 279 - C 247 - CaO-Al203 253 - Cu-Zn 274 - Fe 70
Sachverzeichnis - Fe-C 84, 306 - Fe-Cr 294 - Fe-Cr-Ni 279 - Fe-C-Ti,V,Nb 294 - Fe-Mo 294 - Fe-Nb 294 - Fe-Ni 294 - Fe-0 376 - Fe-Pb 75,278 - Fe-Si 206 - Mg-Sn 127 - Na 2 0-Si0 2 258 - Ni-Al 72, 73 - Si0 2 253 - Si02-Al203 253 - SiOrAl203-CaO 253 - Si02-CaO 264 - TiC-Co 360 - Ti-Mo 276 - Ti-Al 275 - U-Mo 181 - U0 2 -Pu0 2 75,181 - W-C 360 ZweiwegefTekt 216 Zwischengitteratome 46, 62, 91 Zwischenmolekulare Bindung 37, 318
Dmck und Bindung: Strauss GmbH, Morlenbach