DER AUTOR
DIE SERIE
R. L. Stine wurde 1943 in einem kleinen Vorort von Columbus/Ohio geboren. Bereits mit 9 Jahren en...
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DER AUTOR
DIE SERIE
R. L. Stine wurde 1943 in einem kleinen Vorort von Columbus/Ohio geboren. Bereits mit 9 Jahren entdeckte er seine Liebe zum Schreiben. Seit 1965 lebt er in New York City, wo er zunächst als Lektor tätig wurde. Seine ersten Bücher waren im Bereich Humor angesiedelt. Seit 1986 hat er sich jedoch ganz den Gruselgeschichten verschrieben.
Der Autor selbst sagt: »Das Lesen eines Gruselbuchs ist wie eine Fahrt mit der Achterbahn: Kinder haben gerne Angst, wenn sie wissen, was sie erwartet; sie wissen, dass sie unterwegs fürchterlich schreien werden, aber sie wissen auch, dass sie am Ende der Fahrt wieder sicher am Boden ankommen werden.« Seit 1992 der erste Band von GÄNSEHAUT (GOOSEBUMPS) in Amerika erschienen ist, hat sich die Serie binnen kürzester Zeit zu dem Renner entwickelt. Durch GÄNSEHAUT sind - das belegen zahlreiche Briefe an den Autor - viele Kinder, die sich bis dato nicht sonderlich für Bücher interessiert haben, zu Lesern geworden.
R. L Stine
Wenn das Morgengrauen kommt Aus dem Amerikanischen von Günter W. Kienitz
Band 205401
Der Taschenbuchverlag für Kinder und Jugendliche von C. Bertelsmann, München
Siehe Anzeigenteil am Ende des Buches für eine Aufstellung der bei OMNIBUS erschienen Titel der Serie.
Erstmals als OMNIBUS Taschenbuch März 1999 Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform Die Originalausgabe erschien unter dem Titel „Gousebumps # 54: Don't go to Sleep“ bei Scholastic, Inc., New York © 1997 by The Parachute Press, Inc. All rights reserved, Published by arrangement with Scholastic, Inc. 555 Broadway, New York, NY10012, USA. »Goosebumps«1" and »Gänsehaut«™ and its logos are registered trademarks of The Parachute Press, Inc. © 1997 für die deutsche Übersetzung C. Bertelsmann Jugendbuch Verlag, München in der Verlagsgruppe Bertelsmann GmbH Alle deutschsprachigen Rechte, insbesondere auch am Serientitel »Gänsehaut«, vorbehalten durch C. Bertelsmann Jugendbuch Verlag Übersetzung: Günter W. Kienitz Lektorat: Christa Marsen Umschlagkonzeption: Klaus Renner bm Herstellung: Stefan Hansen Satz: Uhl + Massopust, Aalen Druck: Presse-Druck Augsburg ISBN 3-570-20540-1 • Printed in Germany 10 9 8 7 6 5 4 3 2
Klonk! Au! Der Klingone hat mich erwischt!“ Ich rieb mir den Kopf und trat das lebensgroße, auf Pappe gezogene Foto eines Klingonen - eines dieser kriegerischen Aliens aus Star Trek - mit dem Fuß aus dem Weg. Ich hatte nach einem meiner Lieblings Bücher; Angriff der Ameisen auf Pluto, gegriffen, als das riesige Stück Pappe vom obersten Brett herabfiel und mir auf den Kopf knallte. Ich verpasste dem Klingonen noch einen Tritt. „Nimm das, du mieser Pappkamerad!“ Ich hatte die Nase voll. Ständig gingen meine Sachen auf mich los. Mein Zimmer war voll gepackt mit Ramsch. Immer wieder fielen Dinge von den Regalen und knallten mir an den Kopf. Dies war nicht das erste Mal gewesen. „Grr!" Wütend versetzte ich dem Klingonen einen weiteren Tritt. „Matthew Amsterdam, ein zwölf Jahre alter Spinner.“ Greg, mein älterer Bruder; stand in der Tür zu meinem Zimmer und sprach leise ins Mikrofon seines Kassettenrecorders. „Verzieh dich aus meinem Zimmer!“, knurrte ich. Greg ignorierte mich völlig. Das tut er immer. „Matt ist dürr und klein für sein Alter und er hat ein rundes, schweinchenähnliches Babygesicht“, sagte er. Er redete noch immer in den Kassettenrecorder. „Matts Haar ist so blond, dass er aus der Ferne kahlköpfig aussieht.“ Greg sprach mit tiefer, verstellter Stimme. Offenbar ahmte er den Typen nach, der in einer dieser Natursendungen im Fernsehen immer die Tiere beschreibt. „Wenigstens trage ich keine Putzwolle auf dem Kopf“, spottete ich. Greg und meine Schwester Pam haben beide drahtiges braunes Haar. Meines ist weiß-blond und ausgesprochen dünn. Meine Mom sagt, dass Dad dasselbe Haar wie ich hatte. Aber ich erinnere mich nicht an ihn. Er starb, als ich noch ein Baby war. 5
Greg grinste mich hämisch an und fuhr in seiner Fernsehstimme fort: „Matts natürlicher Lebensraum ist ein kleines Zimmer; voll gestopft mit Sciencefictionbüchern, Modellen außerirdischer Raumschiffe, Comic-Heften, schmutzigen Socken, vergammelten Pizzarändern und anderem Spinnerzeug. Wie hält Matt das aus? Darüber zerbrechen sich Wissenschaftler die Köpfe. Wie Sie wissen, stellen Spinner seit jeher ein geheimnisvolles Rätsel für normale Menschen dar.“ „Lieber bin ich ein Spinner als so ein Streber wie du“, sagte ich. „Du bist gar nicht helle genug, um ein Streber zu sein“, schoss er mit normaler Stimme zurück. Meine Schwester Pam tauchte neben ihm im Türrahmen auf. „Wie steht's denn so in der Spinnerwelt?“, fragte sie. „Ist das Mutterschiff endlich gekommen, um dich abzuholen, Matt?“ Ich schleuderte das Buch nach ihr, das ich in der Hand hielt. Pam geht in die zehnte Klasse. Greg ist in der elften. Die beiden piesacken mich ständig. Greg sprach wieder in seinen Kassettenrecorder: „Wenn er sich bedroht fühlt, geht der Spinner zum Angriff über. Aber er ist etwa so gefährlich wie eine Schüssel Kartoffelbrei.“ „Raus jetzt!“, rief ich. Ich versuchte die Tür zuzumachen, aber die beiden blockierten sie. „Ich kann nicht gehen“, protestierte Greg. „Ich habe ein Projekt für die Schule zu erledigen. Ich muss jedes einzelne Familienmitglied beobachten und aufschreiben, wie es sich benimmt. Es geht dabei um eine soziale Studie.“ „Geh und beobachte Pam beim Nasenbohren“, schnauzte ich. Pam rempelte Greg beiseite und drängte sich an ihm vorbei ins Zimmer. Sie packte mich hinten an meinem Star- Trek- T~Shirt. „Nimm das zurück“, befahl sie mir. „Als mich los!“, schrie ich. „Du weitest mein T-Shirt aus!“ „Wenn es um seine Spinnerklamotten geht, ist Matthew ziemlich pingelig“, murmelte Greg in den Rekorder. „Ich sagte, nimm das zurück!“ Pam schüttelte mich. „Oder ich hetze dir Biggie auf den Hals!“ Biggie ist unser Hund. Er ist nicht groß - er ist ein Dackel. Aber aus irgendeinem Grund hasst er mich. Bei jedem anderen - selbst bei völlig Fremden - wedelt 6
er mit dem Schwanz, schleckt Hände ab und kriegt sich kaum mehr ein. Doch bei mir knurrt er und schnappt. Einmal hat sich Biggie in mein Zimmer geschlichen und mich im Schlaf gebissen. Ich bin ein Tiefschläfer – es braucht viel dazu, mich aufzuwecken. Aber glaub mit, wenn dich ein Hund beißt, dann wachst du auf. „Hierher; Biggie!“, rief Pam. “Okay!“, sagte ich schnell. „Ich nehme es zurück.“ „Gute Antwort“, sagte Pam. „Dafür verdienst du den Kopfnusspreis!“ Sie begann mir auf den Kopf zu klopfen. „Au! Au!“, keuchte ich. „Die Schwester des Spinners gibt ihm Kopfnüsse“, kommentierte Greg. „Der Spinner sagt: „Au!“ Endlich ließ mich Pam los. Ich stolperte und fiel aufs Bett. Das Bett stieß gegen die Wand und ein Stapel Bücher regnete vom Regal über mir auf mich herab. „Gib mir mal kurz den Kassettenrecorder“, sagte Pam zu Greg. Sie schnappte ihn ihm aus der Hand und brüllte ins Mikrofon. „Der Spinner ist geschlagen! Dank mit Pamela Amsterdam, ist die Welt wieder sicher für coole Leute! Wuu! Wuu! Wuu!“ Ich hasse mein Leben. Pam und Greg benutzen mich gerne als menschlichen Sandsack. Vielleicht könnte Mom die beiden davon abhalten, wenn sie „öfter einmal zu Hause wäre. Aber sie ist nur selten da. Sie hat zwei Jobs. Tagsüber bringt sie Leuten den Umgang mit dem Computer bei. Und abends tippt sie in einer Anwaltskanzlei. Pam und Gregs Aufgabe ist es, sich um mich zu kümmern. Und sie kümmern sich um mich, das kann man wohl sagen. Sie sorgen dafür; dass ich mich vierundzwanzig Stunden am Tag mies fühle. „In diesem Zimmer stinkt es“, stöhnte Pam. „Komm, wir verschwinden von hier; Greg.“ Sie schlugen die Tür hinter sich zu. Da fiel mein ModellSpaceshuttle von der Kommode herunter zu Boden. Zumindest ließen sie mich alleine. Es war mir egal, was für gemeine Dinge sie zu mir sagten, solange sie sich nur trollten. Ich setzte mich auf dem Bett zurecht, um Angriff der Ameisen auf Pluto zu lesen. Wie gern wäre ich auf Pluto und nicht zu Hause gewesen - selbst wenn die Riesenameisen Strahlen auf mich abschossen! 7
Das Bett war unbequem. Ich schob mehrere Bücher und Klamotten beiseite und auf den Boden hinunter. Ich hatte das kleinste Zimmer im ganzen Haus - na klar. Ich bekomme immer von allem das Schlechteste. Selbst das Gästezimmer war größer als mein Zimmer. Ich verstand das nicht. Schließlich hatte ich ein großes Zimmer nötiger als irgendjemand sonst! Ich hatte so viele Bücher; Poster, Modelle und anderen Kram, dass mir kaum Platz zum Schlafen blieb. Ich schlug das Buch auf und fing zu lesen an. Ich kam zu einer echt gruseligen Stelle. Justin Case, ein menschlicher Raumfahrer; wurde vom bösen Ameisenkaiser gefangen und der Ameisenkaiser kam bedrohlich immer näher und näher. Ich schloss eine Sekunde lang die Augen - nur eine Sekunde lang aber dabei musste ich wohl eingeschlafen sein. Plötzlich spürte ich den heißen, stinkenden Atem des Ameisenkaisers im Gesicht! Igitt! Er roch genau wie Hundefutter. Dann hörte ich ein Knurren. Ich schlug die Augen auf. Es war noch schlimmer; als ich dachte. Schlimmer als der Ameisenkaiser! Es war Biggie - bereit zum Sprung!
„Biggie!“, rief ich. „Geh weg!“ SCHNAPP! Er griff mich mit seinem aufgerissenen Dackelmaul an. Ich wich ihm aus und er verfehlte mich. Ich stieß ihn vom Bett hinunter. Er knurrte mich an und versuchte wieder hinaufzuspringen, doch er war zu klein. Ohne Anlauf schaffte er es nicht, aufs Bett zu kommen. Ich stellte mich im Bett auf und Biggie schnappte nach meinen Füßen. „Hilfe!“, brüllte ich. In dem Moment sah ich Pam und Greg in der Türe stehen und sich vor Lachen die Bäuche halten. Biggie machte kehrt, um Anlauf zu nehmen. „Helft mir!“, flehte ich meine Geschwister an. „Pustekuchen“, sagte Pam. Greg lachte sich halb tot. 8
„Kommt schon“, jammerte ich. „Ich kann hier nicht runter! Sonst beißt er mich!“ Greg japste nach Luft. „Was glaubst du denn, wieso wir ihn überhaupt erst auf dein Bett gesetzt haben? Hahahaha!“Erneut schüttete er sich vor Lachen aus. „Du solltest nicht so viel schlafen, Matt“, fuhr Greg fort, als er wieder sprechen konnte. „Wir dachten, wir sollten dich aufwecken“. „Außerdem war uns langweilig“, setzte Pam hinzu. „Da wollten wir ein bisschen Spaß haben.“ Biggie galoppierte durchs Zimmer und machte einen Satz aufs Bett. Während er hinaufsprang, hüpfte ich hinunter. Ich huschte über den Boden - und rutschte beim Laufen auf Comicheften aus. Biggie rannte hinter mir her. Ich flitzte auf den Flur hinaus und schlug die Tür gerade noch rechtzeitig hinter mir zu, bevor er herauskommen konnte. Biggie bellte wie verrückt. “Lass ihn raus, Matt!“, schimpfte mich Pam. „Wie kannst du zu dem armen, süßen Biggie bloß so gemein sein?“ „Lass mich in Ruhe!“, rief ich. Ich rannte die Treppe hinunter ins Wohnzimmer. Dort lümmelte ich mich auf die Couch und schaltete den Fernseher ein. Ich machte mir nicht die Mühe, lange herumzuzappen - ich gucke immer den gleichen Kanal. Den Sciencefictionkanal. Ich hörte Biggie die Treppe herunterhoppeln. Angespannt erwartete ich, dass er auf mich losging. Doch er watschelte in die Küche. Wahrscheinlich vertilgt er ein paar eklige Hundekekse, dachte ich. Dieses fette kleine Monster. Die Haustür ging auf und Mom kam herein, in den Händen Tüten mit Lebensmitteln. „Hallo, Mom!“, rief ich. Ich freute mich, dass sie kam. Wenn sie zu Hause war; verhielten sich Pam und Greg weit weniger biestig. „Hallo, mein Schatz.“Sie trug die Tüten in die Küche. „Da ist ja mein kleiner Biggie!“, rief sie mit Honigstimme. „Wie geht's denn meinem süßen kleinen Hündchen?“Alle außer mir lieben Biggie. „Greg!“, rief Mom. „Du bist heute an der Reihe, dich ums Abendessen zu kümmern!“ „Ich kann nicht!“, schrie Greg von oben herunter. „Mom, ich hab schrecklich viele Hausaufgaben auf! Ich kann das Abendessen heute nicht machen.“ 9
Aber sicher. Er war so mit seinen Hausaufgaben beschäftigt, dass ihm genug Zeit blieb, mir pausenlos den Nerv zu rauben. „Sag Matt, er soll es machen“, rief Pam. „Er hat nichts zu tun. Er sieht nur fern.“ „Ich habe auch Hausaufgaben auf und das wisst ihr auch“, widersprach ich empört. Greg kam die Treppe herunter. „Klar“, sagte er. „SiebtklässlerHausaufgaben sind ja auch so schwierig.“ „Ich glaube nicht, dass du sie einfach gefunden hast, als du in der siebten Klasse warst.“ „Jungs, hört bitte auf zu streiten“, sagte Mom. „Ich habe nur ein paar Stunden, bevor ich wieder zur Arbeit muss. Matt, fang an dich um das Abendessen zu kümmern. Ich gehe nach oben und lege mich ein paar Minuten aufs Ohr.“ Ich stürmte in die Küche. „Mom! Ich bin aber nicht dran!“ „Greg kocht dafür ein andermal das Abendessen“, versprach Mom. „Was ist mit Pam?“ „Matt, das reicht jetzt. Du kochst. Und damit Schluss.“ Sie schleppte sich die Treppe hinauf und ins Schlafzimmer. „Blöder Mist!“, maulte ich. Wütend öffnete ich die Tür eines Küchenschranks und knallte sie gleich wieder zu. „Nie geht's hier nach mir!“ „Was kochst du denn zum Abendessen, Matt?“, fragte Greg. „Spinner-Burger?“ „Matthew Amsterdam kaut mit offenem Mund.“ Schon wieder plapperte Greg in sein dämliches Aufnahmegerät“t. Wir saßen alle in der Küche und aßen zu Abend. „Heute gibt es bei den Amsterdams Tunfischauflauf aus der Tiefkühltruhe“, sagte er. „Matt hat ihn aufgetaut. Doch er hat den Ofen zu lange angelassen. Nun sind die Nudeln unten alle verbrannt.“ „Halt die Klappe“, brummte ich. Einige Minuten lang sprach keiner. Die einzigen Geräusche waren das Klappern der Gabeln auf den Tellern und das Scharren von Biggies Krallen auf dem Küchenboden. „Wie war es heute in der Schule, Kinder?“, fragte Mom. „Mrs Amsterdam fragt ihre Kinder, wie deren Tag war“, sagte Greg in den Kassettenrecorder. „Greg, muss das bei Tisch sein?“, seufzte Mom. 10
„Mrs Amsterdam beklagt sich über das Benehmen ihres Sohnes Greg“, murmelte Greg. „Greg!“ „Gregs Mutter erhebt die Stimme. Wird sie womöglich wütend?“ „GREG!“ „Ich muss das tun, Mom“, wehrte sich Greg mit normaler Stimme. „Es ist für die Schule!“ „Es geht mir auf die Nerven“, sagte Mom. „Mir auch“, mischte ich mich ein.“Wer hat dich denn gefragt, Matt?“, giftete Greg. „Heb dir das bitte bis nach dem Abendessen auf, okay?“, meinte Mom zu Greg. Greg sagte nichts darauf. Aber er legte das Aufnahmegerät auf den Tisch und fing zu essen an. Pam fragte: „Mom, kann ich meine Winterklamotten in dem Schrank im Gästezimmer verstauen? Mein Schrank platzt aus allen Nähten.“ „Ich überlege es mir“, antwortete Mom. „He!“, rief ich. „Sie hat einen riesigen Schrank! Ihr Schrank ist beinahe so groß wie mein ganzes Zimmer!“ „Und wenn schon?“, sagte Pam hämisch. „Mein Zimmer ist das kleinste im ganzen Haus!“, beschwerte ich mich. „Ich kann mich darin kaum umdrehen.“ „Das liegt daran, dass du so ein Schlamper bist“, stichelte Pam. „Ich bin kein Schlamper! Ich bin sehr ordentlich! Aber ich brauche ein größeres Zimmer. Mom, kann ich ins Gästezimmer umziehen?“Mom schüttelte den Kopf. „Nein.“ „Aber wieso nicht?“ „Ich will, dass dieses Zimmer für Gäste hübsch und aufgeräumt bleibt“, erklärte Mom. „Was für Gäste denn?“, maulte ich. „Wir haben doch gar nie Gäste!“ „Deine Großeltern kommen jedes Weihnachten.“ „Das ist einmal im Jahr. Oma und Opa macht es sicher nichts aus, wenn sie einmal im Jahr in meinem kleinen Zimmer schlafen. Schließlich haben sie den Rest des Jahres ein riesiges Haus ganz für sich alleine!“ „Dein Zimmer ist zu klein, als dass zwei Leute darin schlafen könnten“, sagte Mom. „Tut mir Leid, Matt. Aber das Gästezimmer kannst du nicht bekommen.“ 11
„Mom!“ „Was juckt es dich überhaupt, in welchem Zimmer du schläfst?“, sagte Pam. „Du schläfst tiefer als irgendjemand sonst auf der Welt. Du könntest sogar während eines Hurrikans schlafen!“ Greg nahm sein Aufnahmegerät zur Hand. „Wenn Matt nicht gerade vor dem Fernseher sitzt, schläft er normalerweise. Er verschläft mehr Zeit, als er wach verbringt.“ „Mom, Greg hat schon wieder in seinen Kassettenrecorder gelabert“, petzte ich. „Ich weiß“, sagte Mom müde. „Greg, leg das Ding weg.“ „Mom, bitte lass mich das Zimmer tauschen. Ich brauche ein größeres Zimmer! Ich schlafe nämlich nicht nur in meinem Zimmer ich lebe darin! Ich brauche Platz, um Pam und Greg aus dem Weg gehen zu können. Mom, du hast ja keine Ahnung, was hier los ist, wenn du nicht da bist! Die beiden sind immer so gemein zu mir!“ „Matt, lass gut sein“, antwortete Mom. „Du hast wunderbare Geschwister und sie kümmern sich gut um dich. Du solltest das wirklich mehr schätzen.“ „Ich hasse sie!“ „Matt! Jetzt habe ich aber genug davon! Geh auf dein Zimmer!“ „Da ist kein Platz für mich!“, schrie ich. „Geh sofort auf dein Zimmer!“ Während ich die Treppe hinauf in mein Zimmer rannte, hörte ich Greg mit seiner Kassettenrekorderstimme sagen: „Matt wurde bestraft. Sein Vergehen? Er ist ein Spinner.“ Ich knallte die Tür hinter mir zu, vergrub das Gesicht in meinem Kissen und brüllte. Den Rest des Abends verbrachte ich auf meinem Zimmer. „Das ist nicht fair!“, murmelte ich vor mich hin. „Pam und Greg bekommen immer alles, was sie wollen – und ich werde bestraft!“ Niemand benützt das Gästezimmer, dachte ich. Es ist mir egal, was Mom sagt. Von jetzt ab werde ich einfach darin schlafen. Mom verließ das Haus und machte sich auf den Weg zu ihrem abendlichen Nebenjob. Ich wartete, bis ich hörte, wie Pam und Greg das Licht ausschalteten und in ihre Zimmer gingen. Dann stahl ich mich aus meinem Zimmer und schlich ins Gästezimmer. Ich würde im Gästezimmer schlafen. Und nichts würde mich davon abhalten. Ich hielt das für keine große Sache. Was war das Schlimmste, was passieren konnte? Dass Mom auf mich sauer werden würde. Na und? 12
Ich hatte ja keine Ahnung, dass mein Leben nach dem Aufwachen am nächsten Morgen eine einzige Katastrophe sein würde.
Meine Füße waren kalt. Das war das Erste, was mir auffiel, als ich aufwachte. Sie ragten unter der Bettdecke hervor. Ich setzte mich auf und warf die Decke über sie. Doch dann zog ich die Decke wieder hoch. Waren das wirklich meine Füße? Sie waren groß. Nicht monstermäßig groß, aber zu groß für mich. Viel größer jedenfalls, als sie am Vortag gewesen waren. Mannomann, dachte ich. Von Wachstumsschüben hatte ich ja schon gehört. Mir war klar, dass Kinder in meinem Alter schnell wuchsen. Aber das hier war einfach absurd! Vorsichtig schlich ich mich aus dem Gästezimmer hinaus. Ich konnte Mom, Pam und Greg unten beim Frühstücken hören. O nein, dachte ich. Ich habe verschlafen. Hoffentlich hat niemand bemerkt, dass ich letzte Nacht nicht in meinem Zimmer geschlafen habe! Ich machte mich auf den Weg ins Badezimmer; um die Zähne zu putzen. Alles fühlte sich ein bisschen sonderbar an. Als ich den Türgriff berührte, schien er sich an falschen Stelle zu befinden. Als ob ihn jemand über ein Stück nach unten versetzt hätte. Die Decke kam ebenfalls niedriger vor. Ich schaltete das Licht an und schaute in den Spiegel. War das ich? Ich konnte mich gar nicht mehr von meinem Anblick losreißen. Ich sah wie ich selbst aus - und dann auch wieder nicht. Mein Gesicht war ziemlich rund. Ich berührte Oberlippe. Sie war mit blondem Flaum bedeckt. Und ich war etwa fünfzehn Zentimeter größer als ich am Tag zuvor gewesen war! Ich - ich war „älter. Ich sah wie sechzehn aus! Nein, nein, dachte ich. Das kann nicht sein. Bestimmt bilde ich mir das nur ein! 13
Ich schließe einfach für eine Minute die Augen. Wenn ich sie dann öffne, bin ich wieder Zwölf. Ich kniff die Augen zu und zählte bis zehn. Ich schlug die Augen auf. Nichts hatte sich geändert. Ich war ein Teenager! Mein Herz hämmerte. Irgendwann einmal hatte ich alte Geschichte von Rip van Winkle gelesen: Er schläft hundert Jahre lang, und als er aufwacht, ist alles anders. War mir das Gleiche passiert?, fragte ich mich. Hatte ich etwa vier Jahre am Stück geschlafen? Eilig lief ich nach unten, um Mom zu finden. Sie würde mir bestimmt sagen Können, was hier vor sich ging. Noch im Schlafanzug rannte ich die Treppe hinunter; aber ich war es nicht gewohnt, so große Füße zu haben, und stolperte auf der dritten Stufe über meinen linken Fuß. „Neeeiiin!“ RUMMS! Den Rest der Treppe kugelte ich hinunter. Direkt vor der Küche landete ich auf der Nase. Greg und Pam lachten schallend los - na klar. „Gute Nummer; Matt!“, sagte Greg. „Zehn Punkte!“ Mühsam rappelte ich mich hoch. Für Gregs Witze hatte ich jetzt keine Zeit. Ich musste mit Mom reden. Sie saß am Küchentisch und aß Spiegeleier. „Mom!“, rief ich aufgeregt. „Sieh mich an!“ Sie guckte mich an. „Ich sehe dich. Du bist noch nicht angezogen. Du beeilst dich besser; sonst kommst du zu spät zur Schule.“ „Aber; Mom!“ Ich ließ nicht locker. „Ich bin ... ich ~ ein Teenager!“ „Das ist mir nur allzu gut bekannt“, sagte Mom „jetzt beeil dich. In fünfzehn Minuten gehe ich aus dem Haus“ „Ja, beeil dich, Matt“, gab Pam ihren Senf dazu „Wegen dir kommen wir noch alle zu spät zur Schule!“ Ich wandte mich ihr streitlustig zu - hielt dann inne. Sie und Greg saßen am Tisch und futterten Frühstücksflocken. Daran war nichts Sonderbares, richtig? Das Merkwürdige war - sie sahen ebenfalls anders aus. Wenn ich sechzehn war, dann hätten Pam und Greg eigentlich neunzehn und zwanzig sein müssen. Doch das waren sie nicht. Sie waren noch nicht einmal fünfzehn oder sechzehn. Sie sahen wie elf und Zwölf aus! Sie waren jünger geworden! „Das ist unmöglich!“, kreischte ich. 14
„Das ist unmöglich!“, äffte Greg mich nach. Pam kicherte. „Mom, hör mir zu!“, rief ich aufgeregt. „Hier geht etwas Irres vor sich. Gestern war ich Zwölf - und heute bin ich sechzehn!“ „Du bist irre!“, witzelte Greg, worauf er und Pam in schallendes Gelächter ausbrachen. Obwohl sie jetzt jünger waren als ich, waren sie noch immer dieselben Ekelpakete wie vorher. Mom hörte mir nur mit halbem Ohr zu. Ich schüttelte en Arm, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. „Mom! Greg und Pam sind meine älteren Geschwister! Aber jetzt sind sie plötzlich jünger! Erinnerst du dich nicht? Greg ist der Älteste!“ „Matt ist völlig plemplem! „, spottete Greg. „Plem-Plemplem! Pam konnte sich vor Lachen nicht mehr halten und fiel vom Stuhl. Mom stand auf und stellte ihren Teller ins Spülbecken. „Matt, dafür habe ich nun wirklich keine Zeit. Geh jetzt nach oben und zieh dich an“ „Aber; ..... „Jetzt sofort“ Was konnte ich schon tun? Niemand wollte auf mich hören. Sie benahmen sich so, als wäre alles ganz normal. Ich ging nach oben und zog mich für die Schule an, aber ich konnte meine früheren Klamotten nicht finden. In den Schubladen meiner Kommode lagen lauter Sachen, die ich noch nie gesehen hatte. Sie passten alle zu meinem neuen, größeren Körper. Konnte das Ganze eine Art Streich sein?, fragte ich mich, während ich mir die Turnschuhe der Größe 45 zuschnürte. Bestimmt spielte mir Greg irgendeinen verrückten Streich. Aber wie? Wie sollte Greg es bewerkstelligen, wachsen zu lassen und sich selbst zu schrumpfen? Nicht einmal Greg konnte das schaffen. Da kam Biggie hereingetrottet. „O nein!“, rief ich. „Bleib mir vom Leib, Biggie. mir vom Leib!“ Doch Biggie gehorchte nicht. Er rannte geradewegs auf mich zu und schleckte mir das Bein ab. Er knurrte nicht. Er biss nicht. Er wedelte mit dem Schwanz! Nun war mir alles klar: Die ganze Welt war komplett: verrückt geworden! „Matt! Wir gehen!“, rief Mom. 15
Hastig lief ich die Treppe hinunter und zur Haustür hinaus. Die anderen saßen bereits alle im Wagen. Mom fuhr als Erstes zu meiner Schule, der Madison- Mittelschule. Ich stieg aus. „Matt!“, rief Mom. „Wo willst du hin? Komm wieder rein!“ „Ich gehe in die Schule!“, erklärte ich ihr. „Ich dachte, du wolltest, dass ich in die Schule gehe!“ „Tschüss, Mom“, zwitscherte Pam. Sie und Greg küssten Mom zum Abschied und sprangen aus dem Wagen. Sie rannten ins Schulgebäude. „Hör auf herumzukaspern, Matt“, sagte Mom. „Ich komme noch zu spät zur Arbeit.“ Ich stieg wieder ins Auto und Mom fuhr weiter. Nach ein paar Meilen hielt sie an... vor der Highschool! „Hier wären wir, Matt“, sagte Mom. Ich schluckte schwer. Highschool! „Aber ich bin noch nicht so weit, zur Highschool zu gehen!“, wandte ich ein. „Was ist denn heute bloß los mit dir?“, schimpfte Mom. Sie langte über den Beifahrersitz und „öffnete mir die Tür. „Und jetzt ab mir dir!“ Ich musste aussteigen. Mir blieb gar nichts anderes übrig. „Ich wünsch dir einen schönen Tag!“, rief sie, als sie losfuhr. Ein Blick auf diese Schule, und mir war klar – einen schönen Tag würde ich ganz bestimmt nicht haben!
Die Glocke schrillte und lauter Jugendliche, die zum Fürchten aussahen, strömten ins Schulgebäude. „Kommt schon, Leute. Ein bisschen fixer.“ Ein Lehrer schob mich auf die Tür zu. Mir drehte sich der Magen um. Dies war wie der erste Schultag mal zehn! Mal eine Billion! Am liebsten hätte ich gebrüllt: Ich kann nicht in die Highschool gehen! Ich bin erst in der siebte Klasse! Zwischen hunderten anderer Jugendlicher wanderte ich durch die 16
Gänge. Wo gehe ich eigentlich hin?, fragte ich mich. Ich weiß ja noch nicht einmal, in welcher Klasse ich bin! Ein riesiger Typ, der eine Footballjacke trug, kam auf mich zugestiefelt und schob mir sein Gesicht dicht vor die Nase. „Ähm, hallo“, sagte ich. Wer war der Kerl? Er rührte sich nicht und sagte kein Wort. Er stand nur da, Nase an Nase mit mir. „Ähm, hör mal“, begann ich. „Ich habe keine Ahnung, in welche Klasse ich gehöre. Weißt du, wohin sie Teenager stecken, die etwa du weißt schon - in meinem Alter sind?“ Der große - sehr; sehr große - Kerl öffnete den Mund. „Du miese kleine Ratte“, knurrte er. „Ich krieg dich dran für das, was du mir gestern angetan hast.“ „Ich?“ Mein Herz flatterte. Wovon redete der Typ? „Ich soll dir etwas getan haben? Kann ich mir nicht vorstellen. Ich hab dir nichts getan! Ich war gestern ja noch nicht einmal hier!“ Er legte mir seine gewaltigen Pranken auf die Schultern - und drückte zu. „Au!“, schrie ich. „Heute nach der Schule“, sagte er bedächtig, „kannst was erleben.“ Er ließ mich los und ging langsam den Gang hinunter; ganz so, als ob ihm das ganze Gebäude gehörte. Ich war so eingeschüchtert, dass ich in das nächstbeste Klassenzimmer huschte, an dem ich vorbeikam und mich in die letzte Reihe setzte. Eine große Frau mit dunklen Locken trat vor die Tafel und brüllte. „Lasst uns anfangen.“ Als alle leise waren, sagte sie: „Schlagt eure Bücher auf Seite siebenundfünfzig auf.“ Was für ein Fach ist das?, fragte ich mich. Ich sah wie das Mädchen neben mir ein Buch aus seinem Ranzen zog und schielte auf den Titel. O Gott! Das konnte doch nicht wahr sein! Der Titel des Buches lautete: Mathematik für Fortgeschrittene: Differenzialrechnungen. Differenzialrechnungen! Davon hatte ich bisher noch nicht einmal gehört! Ich war schlecht in Mathematik - sogar in Mathematik der siebten Klasse. Wie sollte ich da Differenzialrechnungen können? Die Lehrerin entdeckte mich und kniff die Augen zusammen. „Matt? Gehörst du wirklich in diese Klasse?“ 17
„Nein!“, rief ich und sprang von meinem Sitz auf. „Ich gehöre nicht in diese Klasse, soviel ist sicher!“ Die Lehrerin setzte hinzu: „Du gehst in meinen Unterricht um halb drei, Matt. Es sei denn, du müsstest tauschen?“ „Nein, nein! Das geht schon klar.“ Langsam schob ich mich aus dem Raum hinaus. „Ich habe nur etwas durcheinander gebracht, das ist alles!“ So schnell ich konnte, verschwand ich aus dem Klassenzimmer. Das war knapp, dachte ich. Und um halb drei werde ich auch nicht hier sein. Ich schätze, ich lasse Mathe heute sausen. Was tue ich jetzt?, überlegte ich. Ich schlenderte dem Korridor entlang. Wieder läutete die Glocke und ein anderer Lehrer - ein kleiner, untersetzter Mann mit Brille - trat in den Gang heraus, um die Tür zu seinem Klassenzimmer zu schließen. Er entdeckte mich. „Du kommst schon wieder zu spät, Amsterdam“, blaffte er mich an. „Dalli, dalli!“ Hastig betrat ich den Raum. Ich hoffte, der Lehrer unterrichtete ein Fach, mit dem ich zurechtkam. So etwas wie Englisch vielleicht, wo wir Comichefte lasen. Doch so viel Glück hatte ich leider nicht. Das Fach war Englisch, so weit lag ich richtig. Aber wir lasen keine Comichefte, sondern ein Buch mit dem Titel Anna Karenina. Erstens einmal hat dieses Buch ungefähr zehntausend Seiten. Zweitens hatten es alle gelesen, nur ich nicht. Und drittens: Selbst wenn ich versucht hätte es zu lesen, hätte ich in einer Million Jahren nicht verstanden, worum es darin ging. „Nachdem du als Letzter zum Unterricht erschienen bist, Amsterdam“, sagte der Lehrer; „bist du der Erste, der liest. Fang auf Seite siebenundvierzig an.“ Ich setzte mich an einen Tisch und fummelte herum. „Ähm, Sir“ ich kannte seinen Namen nicht -, „ähm... ich habe das Buch nicht dabei.“ „Nein, natürlich hast du es nicht dabei“, seufzte der Lehrer „Robertson, würdest du Amsterdam bitte dein Buch leihen?“ Robertson war wie sich herausstellte, das Mädchen neben mir. Was war mit diesem Lehrer eigentlich los? Wieso nannte er jeden beim Familiennamen? Das Mädchen reichte mir sein Buch. 18
„Danke, Robertson“, sagte ich, worauf sie mich ungnädig ansah. Ich schätze, sie konnte es nicht leiden, Robertson genannt zu werden. Aber ich kannte ihren Vornamen nicht. Schließlich hatte ich sie noch nie im Leben gesehen. „Seite siebenundvierzig, Amsterdam“, wiederholte der Lehrer. Ich öffnete das Buch auf Seite siebenundvierzig. Ich überflog die Seite und holte tief Luft. Die Seite war mit langen Wörtern bedeckt. Mit komplizierten Wörtern. Mit Wörtern, die ich nicht kannte. Und außerdem standen da lauter lange russische Namen. Ich bin drauf und dran, mich zum Narren zu machen, stellte ich fest. Lies einfach einen Satz nach dem anderen, sagte ich mir. Das Knifflige war jedoch, dass die Sätze lang waren. Ein einziger Satz zog sich über die ganze Seite! „Liest du nun oder nicht?“, wollte der Lehrer wissen. Ich atmete tief ein und las den ersten Satz. „Die junge Prinzessin Kitty Shcherb Sherba - Sherbet...“ Robertson kicherte. „Scerbackaja „, korrigierte mich der Lehrer. „Nicht Sherbet. Wir sind diese Namen doch schon alle durchgegangen. Mittlerweile solltest du sie eigentlich kennen.“ Scerbackaja? Selbst nachdem der Lehrer mir den Namen vorgesprochen hatte, konnte ich ihn nicht aussprechen. In unseren Lesetests in der siebten Klasse waren solche Wörter nie vorgekommen. „Robertson, lies für Amsterdam weiter“, befahl der Lehrer. Robertson nahm ihr Buch zurück und begann vorzulesen. Ich versuchte der Geschichte zu folgen. Es ging um irgendwelche Leute, die zu Bällen gingen, und um Typen, die Prinzessin Kitty heiraten wollten. Mädchenkram. Ich gähnte. „Langweilst du dich, Amsterdam?“, fragte der Lehrer. „Vielleicht kann ich dich ein bisschen aufmuntern. Wieso erklärst du uns nicht, was dieser Absatz bedeutet?“ „Bedeutet?“, wiederholte ich. „Sie meinen, was er bedeutet?“ „Genau das habe ich gesagt.“ Ich bemühte mich, Zeit zu schinden. Wann war die Stunde endlich zu Ende? „Ähm... bedeutet? Was bedeutet er?“, murmelte ich vor mich hin, als würde ich angestrengt nachdenken. „Sozusagen, was hat er für eine Bedeutung? Wow, das ist wirklich eine schwierige Frage...“ 19
Alle anderen Schüler drehten mir ihre Köpfe zu und starrten mich an. Der Lehrer klopfte ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden. „Wir warten.“ Was konnte ich tun? Ich hatte keine Ahnung, worum es bei der Geschichte ging. Ich entschied mich für einen narrensicheren Ausweg. „Ich muss auf die Toilette“, sagte ich. Alle bis auf den Lehrer lachten. Der verdrehte die Augen. „Dann verschwinde“, sagte er. „Und auf dem Rückweg gehst du ins Direktorat. „Was?“ „Du hast mich gehört“, sagte der Lehrer. „Du hast einen Termin bei der Direktorin. Und nun verschwinde aus meinem Unterricht.“ Ich sprang auf und rannte aus dem Zimmer. Mannomann! Highschool-Lehrer waren ja echt fies! Obwohl ich bestraft worden war; war ich heilfroh, da herausgekommen zu sein. Ich hätte nie gedacht, dass ich das jemals sagen würde, aber ich sehnte mich nach der Junior-Highschool zurück! Ich wünschte mir; dass alles wieder normal wäre. Auf der Suche nach dem Direktorat ging ich den Korridor entlang. Ich fand eine Tür mit einem Milchglasfenster. Große Lettern auf der Fensterscheibe verkündeten: MRS McNAB, DIREKTORIN. Soll ich reingehen?, überlegte ich. Aber warum? Sie würde mich sicher nur anbrüllen. Ich wollte gerade kehrtmachen und gehen. Doch da kam jemand den Gang entlang auf mich zu. Jemand, den ich ganz und gar nicht sehen wollte. „Da bist du ja, du miese kleine Ratte!“ Es war der große Typ von heute Morgen. „Ich ramme dich ungespitzt in den Boden!“
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Schluck. Plötzlich kam mir das Direktorat gar nicht mehr so Furcht erregend vor. Dieser Kerl - wer immer er war - würde mir niemals im Büro der Direktorin etwas tun! „Du brauchst eine plastische Operation, wenn ich mit dir fertig bin!“, brüllte der Typ. Schnell öffnete ich die Tür zum Direktorat und huschte hinein. Eine große Frau mit stahlgrauem Haar saß hinter einem Schreibtisch und schrieb etwas. „Ja?“, sagte sie. „Was gibt's?“ Ich blieb stehen, um wieder zu Atem zu kommen. Wieso war ich gleich wieder hier? Ach, richtig. Wegen der Englischstunde. „Mein Englischlehrer hat mich hergeschickt“, erklärte ich. „Ich schätze, ich stecke in der Tinte.“ „Nimm Platz, Matt.“ Sie bot mir einen Stuhl an. Sie schien ganz nett zu sein, zumindest blieb sie ruhig und freundlich. „Was gibt es für ein Problem?“ „Irgendetwas stimmt nicht“, begann ich, „denn ich gehöre nicht hierher. Ich sollte gar nicht in der Highschool sein!“ Sie runzelte die Stirn. „Wovon redest du?“ „Ich bin Zwölf Jahre alt!“, rief ich erregt. „Ich bin ein Siebtklässler! Ich darf noch gar nicht auf die Highschool. Ich sollte eigentlich in der Mittelschule sein!“ Sie sah mich entgeistert an, streckte den Arm aus und legte mir den Handrücken auf die Stirn. Jetzt prüft sie, ob ich Fieber habe, sagte ich mir. Ich muss mich wie ein Verrückter anhören. Sie sprach langsam und deutlich. „Matt, du gehst in die elfte Klasse, nicht in die siebte. Kannst du mich verstehen?“ „Ich weiß, dass ich wie ein Elftklässler aussehe“, sagte ich. „Aber ich bin zu jung für diesen Lehrstoff, wie zum Beispiel gerade eben, im Englischunterricht. Da lesen sie ein dickes Buch mit dem Titel Anna irgendwas und ich konnte noch nicht mal den ersten Satz lesen!“ 21
„Beruhige dich, Matt.“ Sie stand auf und trat an einen Aktenschrank. „Natürlich kannst du das alles. Ich beweise es dir.“ Sie zog eine Mappe heraus und schlug sie auf. Ich starrte auf das oberste Blatt. Es war ein Schülerbogen mit Noten und Kommentaren. Oben auf dem Bogen prangte mein Name. Und darunter standen meine Noten aus der siebten, achten, neunten, zehnten und der ersten Hälfte der elften Klasse. „Siehst du?“, sagte Mrs McNab. „Du kannst das alles. Du hast fast nur Zweien. Jedes Jahr. Es waren sogar ein paar Einsen darunter.“ „Aber... aber ich bin noch gar nicht so weit“, protestierte ich. Was war hier bloß los? Wie konnte ich so weit in der Zukunft gelandet sein? Was war mit all den Jahren dazwischen passiert? „Mrs McNab, Sie verstehen nicht richtig“, beharrte ich.“Gestern war ich noch zwölf und heute bin ich aufgewacht und war auf einmal sechzehn! Ich meine, mein Körper war sechzehn, aber im Kopf bin ich noch immer zwölf!“ „Ja, ich weiß“, antwortete Mrs McNab.
„Ja, ich weiß, dass du gerne Sciencefictionromane liest“, sagte Mrs McNab. „Aber du erwartest doch nicht im Ernst, dass ich dir diese alberne Geschichte glaube - oder?“ Mrs McNab verschränkte die Arme und seufzte. Ich konnte sehen, dass sie langsam die Geduld mit mir verlor. „Du hast in der nächsten Stunde Sport, nicht wahr?“, sagte sie. „Was?“ „Das Ganze sollte wohl eine Art Scherz sein, richtig?“ Sie warf einen Blick auf meinen Stundenplan, der meiner Akte beilag. „Wusst ich's doch“, murmelte sie. „Du hast in der nächsten Stunde Sport. Und du willst dich davor drücken.“ „Nein! Ich erzähle die Wahrheit!“ „Du gehst jetzt in den Turnunterricht, junger Mann“, sagte sie. „Er beginnt in fünf Minuten.“ 22
Ich starrte sie an. Meine Füße fühlten sich an, als wären sie am Boden festgeklebt. Mir hätte gleich klar sein müssen, dass sie mir nicht glauben würde. „Wird's bald?“, fragte sie schroff. „Oder muss ich dich persönlich zur Turnhalle bringen“ „Nein, nein, ich gehe ja schon!“ Ich verließ das Büro und rannte den Korridor entlang. Mrs McNab streckte den Kopf zur Tür heraus und rief hinter mir her. „Laufen auf den Gängen ist verboten“ Pam und Greg behaupteten immer, die Highschool wäre ein Graus, dachte ich, als ich zur Turnhalle trottete. Dabei war sie in Wirklichkeit ein Alptraum! Ein schriller Pfiff ertönte. Der Sportlehrer blies in seine Trillerpfeife. „Volleyball! Stellt euch auf, um Mannschaften einzuteilen.“ Der Sportlehrer war ein stämmiger Mann mit schwarzem Toupet. Er wählte zwei Mannschaftskapitäne und diese stellten ihre Mannschaften zusammen. Nimm nicht mich! Nimm nicht mich!, betete ich im Stillen. Doch einer der Mannschaftskapitäne, ein blondes Mädchen namens Lisa, wählte mich. Wir stellten uns an den Volleyballnetzen auf. Die gegnerische Mannschaft hatte den Anwurf. Der Ball schoss wie eine Kanonenkugel auf mich zu. „Ich krieg ihn! Ich krieg ihn!“, schrie ich. Ich reckte den Arm, um den Ball zurückzuschlagen. WUMM! Der Ball knallte mir gegen den Kopf. „Au!“ Ich rieb mir den schmerzenden Schädel. Ich hatte ganz vergessen, dass mein Kopf jetzt viel höher saß als zuvor. „Wach auf, Matt!“, brüllte Lisa. Ich hatte so das dumpfe Gefühl, beim Volleyballspiel nicht gerade ein Ass zu sein. Wieder kam der Ball auf uns zugeflogen. „Dein Ball, Matt!“, rief jemand. Diesmal streckte ich mich höher. Doch da stolperte ich über meine riesigen Füße und warf - rumms! - beim Umfallen den Jungen neben mir um. 23
„Pass doch auf, Mann!“, rief der Junge böse. „Geh runter von mir!“ Dann hielt er sich den Ellbogen. „Au! Ich hab mich am Ellbogen verletzt! Der Lehrer blies in die Trillerpfeife und eilte zu dem Jungen. „Du gehst besser ins Krankenzimmer“, sagte er. Der Junge humpelte aus der Turnhalle. „Na toll, Matt“, sagte Lisa bissig. „Vielleicht stellst du dich zur Abwechslung mal etwas geschickter an, okay?“ Vor Verlegenheit lief ich rot an. Ich stand wie ein Idiot da. Aber ich konnte meine Körpergröße noch nicht richtig einschätzen, fühlte mich ungelenk. Ein paar Runden stand ich durch, ohne etwas zu vermasseln. Genau genommen kam der Ball aber auch nicht mehr in meine Nähe. So hatte ich gar keine Gelegenheit, etwas zu verbocken. Dann sagte Lisa: „Dein Aufschlag, Matt.“ Das hatte ich kommen sehen, deshalb hatte ich allen anderen beim Aufschlag genau zugesehen. Dieses Mal werde ich es nicht vermurksen, schwor ich mir. Dieses Mal nicht. Ich werde diesen Ball über das Netz befördern und einen Punkt für meine Mannschaft einheimsen. Dann werden sie nicht mehr sauer auf mich sein und können es mir nicht in die Schuhe schieben, wenn wir verlieren. Ich warf den Ball in die Luft und schlug ihn mit der Faust, so fest ich konnte, damit er sicher übers Netz gelangen würde. WAMM! Meine Faust schmerzte vom Aufprall, aber der Ball zischte so schnell durch die Luft, dass man ihn kaum sehen konnte. PLATSCH! „Au!“ Lisa krümmte sich und hielt sich den Kopf. „Wieso hast du ihn so hart geschlagen?“, rief sie und rieb sich dabei den Kopf. Der Lehrer kam zu ihr und untersuchte sie kurz. „Das ist ein übler Bluterguss“, sagte er. „Du gehst besser ebenfalls ins Krankenzimmer.“ Lisa funkelte mich wütend an und stolperte davon. Der Lehrer sah mich mit eigentümlichem Blick an.“Was ist los mit dir, Junge?“, fragte er. „Kennst du deine eigene Kraft nicht? Oder legst du es bewusst darauf an, deine Mitschüler der Reihe nach auszuschalten? „Ich... ich habe das nicht mit Absicht gemacht“, stotterte ich.“Das schwöre ich!“ 24
„Ab unter die Duschen, Leute“, sagte der Lehrer. Ich trottete mit hängendem Kopf in den Umkleideraum zurück. Schlimmer kann der heutige Tag wohl nicht mehr werden, dachte ich. Unmöglich. Trotzdem - warum sollte ich es darauf ankommen lassen? Es war Mittagspause und ich hatte noch den halben Schultag vor mir. Aber ich würde nicht hier bleiben. Ich hatte keine Ahnung, wo ich hinwollte oder was ich tun sollte. Ich wusste nur; dass ich auf keinen Fall in dieser Schule bleiben würde. Die Highschool war schrecklich. Falls ich jemals wieder in mein normales Leben zurückkehren sollte, würde ich daran denken, diesen Lebensabschnitt zu überspringen. Ich verließ die Turnhalle und das Schulgebäude, so schnell ich konnte. Ich rannte den Korridor entlang und zur Tür hinaus. Auf der Straße warf ich einen Blick zurück. Verfolgte mich der riesige Kerl? Hatte die Direktorin bemerkt, dass ich mich fortstahl? Nein, es war niemand zu sehen. Die Luft war rein. Doch dann – RUMMS! O nein. Nicht schon wieder.
Ich stieß mit jemandem zusammen, taumelte rückwärts und landete mit einem Plumps auf dem Boden. Au! Was war passiert? Mir gegenüber saß ein Mädchen auf dem Bürgersteig. War ebenfalls gestürzt und um sie herum verstreut lagen Bücher. Ich half ihr auf. „Alles in Ordnung?“, fragte ich. Sie nickte. „Das tut mir schrecklich Leid“, sagte ich. „So etwas mit schon den ganzen Tag.“ „Nicht so schlimm.“ Das Mädchen lächelte. „Ich bin nicht verletzt.“ Sie war kein Highschool-Mädchen - sie sah aus, als wäre sie etwa in meinem Alter. Ich meine damit mein eigentliches Alter; also zwölf. 25
Sie war hübsch und hatte langes, festes blondes Haar; das sie zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte. Ihre blauen Augen blitzten, als sie mich ansah. Sie bückte sich, um ihre Siebensachen einzusammeln. „Ich helfe dir“, bot ich ihr an und langte hinunter; um ein Buch aufzuheben. PENG! Wir stießen mit den Köpfen zusammen. „Jetzt ist es mir schon wieder passiert“, jammerte ich. Langsam reichte es mir. „Mach dir deswegen keine Sorgen“, sagte das Mädchen. Sie hob die restlichen Bücher auf. „Ich heiße Lucy“, sagte sie zu mir. „Ich bin Matt.“ „Was ist los, Matt?“, fragte sie. „Wieso hast du es so furchtbar eilig?“ Was konnte ich ihr antworten? Dass mein ganzes Leben umgekrempelt worden war? Da flog die Schultür auf und Mrs McNab trat heraus. „Ich muss schleunigst von hier verschwinden“, sagte ich. „Ich muss nach Hause. Bis bald!“ Rasch rannte ich die Straße hinunter, bevor Mrs McNab mich entdecken konnte. Zu Hause ließ ich mich erschöpft auf die Couch fallen. Es war ein schrecklicher Tag gewesen. Doch wenigstens hatte ich es nach Hause geschafft, bevor der Riesentyp mich verprügeln konnte. Aber was würde ich morgen tun? Ich schaute fern, bis Pam und Greg von der Schule heimkamen. Pam und Greg. Die beiden hatte ich völlig vergessen. Sie waren jetzt jünger als ich. Und sie schienen zu erwarten, dass ich mich um sie kümmerte. „Mach uns was zu essen! Mach uns was zu essen!“, rief Pam im Takt. „Macht euch gefälligst selbst was zu essen“, fuhr ich sie an. „Das sag ich Mommy!“, schrie Pam. „Es ist dein Job, uns was zu essen zu machen! Und ich bin hungrig!“ Da fiel mir die Ausrede ein, die Pam und Greg immer benutzt hatten, um sich vor solchen Aufgaben zu drücken. „Ich muss noch Hausaufgaben machen“, sagte ich. O ja, allerdings! Wahrscheinlich musste ich tatsächlich Hausaufgaben machen. 26
Highschool-Hausaufgaben. Sie waren bestimmt zu schwer für mich. Aber wenn ich sie nicht erledigte, bekam ich morgen Ärger. Aber den hätte ich ohnehin, dachte ich, als mir der riesige Junge wieder in den Sinn kam. Was hatte ich ihm eigentlich getan? Als es Zeit fürs Bett war, steuerte ich auf mein altes Zimmer zu. Doch darin schlief nun Pam: Also ging ich wieder ins Gästezimmer. Ich stieg ins Bett. Was soll ich nur tun?, fragte ich mich besorgt, als mir die Augen zufielen. Ich habe keine Ahnung, was hier vor sich geht. Ich habe keine Chance, etwas richtig zu machen, weil mir alles so fremd ist. Wird mein Leben jetzt etwa für immer so weitergehen?
Ich öffnete die Augen. Sonnenschein fiel durchs Fenster herein. Es war Morgen. Na großartig, dachte ich. Nun steht mir also der nächste fabelhafte Tag an der Highschool bevor. Ich schloss die Augen wieder. Das bringe ich nicht fertig, dachte ich. Vielleicht lösen sich alle meine Probleme, wenn ich einfach im Bett liegen bleibe. „Matt! Zeit zum Aufstehen!“, rief Mom. Ich seufzte. Mom würde es niemals zulassen, dass ich die Schule schwänzte. Es gab keine Möglichkeit zu kneifen. „Matt!“, rief sie noch einmal. Ihre Stimme klingt merkwürdig, dachte ich. Höher als gewöhnlich. Vielleicht ist sie ausnahmsweise einmal nicht so müde. Ich quälte mich aus dem Bett und setzte die Füße auf den Boden. Einen Moment mal! Meine Füße - sie sahen anders aus. Ich meine, sie sahen aus wie früher. Sie waren nicht mehr groß. Ich hatte meine alten Füße wieder! Ich sah mir meine Hände an und wackelte mit den Fingern. Das war wieder mein altes Ich! 27
Ich rannte ins Badezimmer, um mich im Spiegel zu betrachten. Ich wollte ganz sichergehen. Ich schaltete das Licht an. Ja, das war ich ein schmächtiger Zwölfjähriger! Glücklich hüpfte ich auf und ab. „Jippie! Ich bin wieder zwölf! Ich bin wieder zwölf!“ All meine Probleme waren gelöst! Ich musste nicht mehr in die Highschool gehen! Auch dem bulligen Streithammel musste ich nicht noch einmal gegenübertreten! Der Alptraum war vorüber! Jetzt war alles in Ordnung. Ich freute mich sogar darauf, Pam und Greg und Biggie, der nun wieder feindselig wäre, wieder zu sehen. „Matt! Du wirst noch zu spät kommen!“, rief Mom. Ist sie erkältet?, fragte ich mich, während ich mich rasch anzog und die Treppe hinunterlief. Sie klingt eindeutig anders als sonst. Ich flog buchstäblich in die Küche. „Ich nehme heute Cornflakes zum Frühstück, „..... Abrupt hielt ich inne. Am Küchentisch saßen zwei Leute. Ein Mann und eine Frau. Ich hatte die beiden noch nie gesehen.
„Ich habe Toast für dich gemacht, Matt“, sagte die Frau. „Wo ist meine Mutter?“, fragte ich.“Wo sind Pam und Greg?“ Der Mann und die Frau schauten mich verständnislos an. „Du bist heute wohl noch nicht ganz bei dir; Sohn“, sagte der Mann. Sohn? Die Frau stand auf und lief geschäftig in der Küche hin und her. „Trink deinen Saft, mein Schatz. Dein Dad bringt dich heute zur Schule.“ Mein Dad? „Ich habe keinen Dad!“, sagte ich nachdrücklich. „Mein Vater starb, als ich noch ein Baby war!“ Der Mann schüttelte den Kopf und biss in eine Scheibe Toast. „Sie haben mir ja gesagt, dass er in diesem Alter ein bisschen sonderbar werden würde. Aber ich hatte keine Ahnung, wie sonderbar.“ 28
„Wo sind sie?“, wollte ich wissen. „Was haben Sie mit meiner Familie gemacht?“ „Ich bin heute nicht zu Scherzen aufgelegt, Matt“, sagte der Mann.“Wir sollten jetzt langsam los.“ Eine Katze schlich in die Küche und rieb sich an meinem Bein. „Was macht diese Katze hier?“, fragte ich. „Wo ist Biggie?“ „Wer ist Biggie? Wovon redest du?“, sagte die Frau. Langsam wurde mir angst und bange. Mein Herz klopfte und meine Beine drohten nachzugeben. Ich ließ mich auf einen Stuhl sinken und trank meinen Saft in einem Zug aus. „Wollen Sie mir etwa weismachen, dass Sie meine Eltern sind?“ Die Frau küsste mich auf den Kopf. „Ich bin deine Mutter; das ist dein Vater und das ist deine Katze. Punkt.“ „Ich habe keine Geschwister?“ Die Frau zog eine Augenbraue hoch und warf dem Mann einen Blick zu. „Geschwister? Nein, mein Liebling.“ Mich schauderte. Meine echte Mom hätte mich niemals „Liebling“ genannt. „Ich weiß, dass du gerne einen Bruder hättest“, fuhr die Frau fort. „Aber das würde dir nicht gefallen. Schließlich teilst du nicht besonders gern mit jemand anderem.“ Ich hielt das nicht länger aus. „Okay, Schluss damit, auf der Stelle“, verlangte ich. „Hören Sie auf herumzualbern. Ich will es jetzt sofort wissen - was geht hier vor?“ Meine ›Eltern‹ wechselten einen Blick und wandten sich dann wieder mir zu. „Ich will wissen, wer Sie sind!“, rief ich, am ganzen Leib behend. „Wo ist meine richtige Familie? Antworten Sie mir!“ Der Mann stand auf und packte mich am Arm. „Setz dich ins Auto, Sohn“, befahl er. „Nein!“, brüllte ich. „Der Spaß ist vorbei. Ab jetzt ins Auto.“ Mir blieb keine andere Wahl. Ich folgte ihm zum Wagen - ein glänzender neuer; nicht die alte Schrottmühle meiner richtigen Mutter. Ich stieg ein. Die Frau kam aus dem Haus gelaufen. „Vergiss deine Bücher nicht!“, rief sie und schob mir durch das offene Wagenfenster einen 29
Schulranzen entgegen. Dann küsste sie mich noch einmal. „Argg!“ mich schauderte. „Hören Sie auf damit!“ Ich kannte sie nicht gut genug, um mich von ihr küssen lassen zu wollen. Der Mann ließ den Motor an und steuerte den Wagen aus der Einfahrt hinaus. Die Frau winkte mir nach. „Ich wünsch dir einen schönen Tag in der Schule!“ Sie meinen es ernst, dämmerte es mir. Sie denken wirklich, sie wären meine Eltern. Ich fröstelte. Was geschah bloß mit mir?
An einem Tag bin ich zwölf Jahre alt und am nächsten plötzlich sechzehn. Dann, tags darauf, bin ich wieder zwölf - nur lebe ich nun mit einer völlig anderen Familie. Ich starrte zum Fenster hinaus, während „Dad“ den Wagen lenkte. Wir fuhren durch ein Viertel, das mir völlig unbekannt war. „Wo fahren wir hin?“, fragte ich mit kläglicher Stimme. „Ich bringe dich zur Schule. Was dachtest du denn -dass wir in den Zirkus fahren würden?“, antwortete der Mann. „Das ist aber nicht der Weg zur Schule“, sagte ich. Der Mann schnaubte bloß und schüttelte den Kopf. Er glaubte mir nicht. Er hielt vor einer Junior-Highschool an - aber das war nicht meine. Ich hatte dieses Schulgebäude noch nie gesehen. „Okay, Sohn. Einen schönen Tag noch.“ Der Mann griff über mich hinweg zur Beifahrertür und öffnete sie. Was konnte ich schon tun? Ich stieg aus dem Wagen. m„Dad“ fuhr davon. Was nun?, überlegte ich. Ich bin zwar wieder zwölf - gehe aber auf eine völlig andere Schule. Bin ich wach? Ich trat mir selbst vors Schienbein, um das festzustellen. Au! Das tat weh. Das bedeutete wohl, dass ich wach war. Kinder strömten in das Schulgebäude. Ich folgte ihnen hinein, da ich nicht wusste, was ich sonst hätte tun sollen. Vor mir ging ein Mädchen mit einem langen, dicken Pferdeschwanz. Plötzlich drehte es sich um und lächelte mich an. 30
Es kam mir bekannt vor. Wo hatte ich es schon einmal gesehen? „Hallo“, sagte ich zu ihr. „Hallo“, antwortete sie. Ihre blauen Augen blitzten mich an. „Ich heiße Matt.“ Ich zermarterte mir noch immer das Hirn, wo ich sie schon einmal getroffen hatte. „Ich bin Lucy.“ Lucy! Natürlich. Ich war am Vortag in sie hineingerannt - vor jener Horror-Highschool. Ich setzte an zu sagen: „Wir haben uns gestern kennen gelernt, weißt du noch?“, hielt dann aber inne. Erkannte sie mich wieder? Ich hätte es nicht sagen können. Aber warum sollte sie? Ich sah völlig anders aus als am Tag zuvor. Wie hätte sie darauf kommen sollen, dass der zwölfjährige Junge, der nun vor ihr stand, der ungeschickte Teenager von gestern war? „Was hast du in der ersten Stunde?“, fragte sie mich. „Ich habe Mittagspause“ „Mittagspause? Aber es ist doch erst halb neun Uhr morgens!“ „Du bist neu hier, stimmt's?“, sagte sie. Ich nickte. „Diese blöde Schule ist so überfüllt, dass sie mittags nicht alle gleichzeitig in der Cafeteria unterbringen können“, erklärte sie. „Deshalb habe ich jetzt Mittagspause.“ „Ich habe ebenfalls Mittagspause“, log ich. Aber vielleicht war das ja gar keine Lüge - was wusste ich schon? Ich hatte überhaupt keine Ahnung, was vor sich ging. Langsam sah es so aus, als würde mir die Schule mehr Probleme bescheren, als sie wert war. Ich folgte Lucy in die Cafeteria. Dort servierten sie tatsächlich bereits Mittagessen. Der durchdringende Geruch von Rosenkohl hing in der Luft. Ich würgte. „Es ist zu früh am Morgen für Rosenkohl“, stellte ich fest. „Lass uns draußen auf dem Sportplatz essen“, schlug Lucy vor.“Es ist so ein schöner Tag.“ Wir traten aus der Cafeteria und setzten uns unter einen Baum. Lucy trank eine Packung Schokomilch. Ich durchwühlte meinen Rucksack auf der Suche nach einem Pausenbrot. Ich ging davon aus, dass meine neue ›Mom‹ mir etwas eingepackt haben musste. Ja, tatsächlich. Mortadella mit Ketschup auf Weißbrot. Eine kleine Plastiktüte mit Karottenstiften. Und als Nachspeise Vanillepudding. Alles Essen, das ich hasse. Lucy hielt mir ein kleines Schokotörtchen hin. „Magst du das? So früh am Morgen ist mir das zu viel.“ 31
„Danke.“ Ich nahm das Törtchen entgegen. Lucy schien echt nett zu sein. Sie war der netteste Mensch, der mir begegnet war, seit mein Leben zum Alptraum geworden war. Genau genommen war sie die einzige nette Person, die ich seither getroffen hatte. Vielleicht würde sie mir glauben. Ich wollte unbedingt mit jemandem reden. Ich fühlte mich so einsam. „Komme ich dir bekannt vor?“, fragte ich sie. Sie musterte mein Gesicht. „Ja, du kommst mir bekannt vor“, sagte sie. „Ich bin sicher; ich habe dich schon mal in der Schule...“ „Das meine ich nicht.“ Ich beschloss, ihr zu erzählen, was mir zugestoßen war. Das würde sich zwar verrückt anhören, aber ich musste mich einfach jemandem anvertrauen. Ich begann vorsichtig. „Bist du gestern zufällig an der Highschool vorbeigekommen?“ „Ja. Da gehe ich jeden Tag auf dem Heimweg vorbei.“ „Und ist gestern jemand mit dir zusammengestoßen? Ein Teenager? Direkt vor der Highschool?“ Sie setzte zu einer Antwort an, doch da stach ihr etwas ins Auge und sie sah zum Schuleingang. Ich folgte ihrem Blick Zwei Typen marschierten in unsere Richtung. Sie trugen schwarze Jeans und schwarze T-Shirts und sahen Furcht erregend aus. Einer der beiden trug ein blaues Stirnband um den Kopf. Der andere hatte die Ärmel seines T-Shirts abgeschnitten, damit seine muskulösen Arme besser zur Geltung kamen. Sie mussten mindestens sechzehn oder siebzehn sein. Was taten sie hier? Sie kamen geradewegs auf uns zu. Mein Herz begann zu wummern. Irgendetwas sagte mir, dass ich mich vor ihnen fürchten musste. Vielleicht lag es an ihrem bösen Gesichtsausdruck. „Wer sind diese Kerle?“, fragte ich. Lucy antwortete nicht. Dazu blieb ihr gar keine Zeit. Denn jetzt deutete einer der Burschen in Schwarz auf mich und schrie: „Da ist er!“ „Los, wir schnappen ihn uns!“
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Die beiden Kerle liefen schnurstracks auf mich zu. Wer waren sie? Ich hatte keine Ahnung. Doch ich hielt mich nicht lange mit Grübeleien auf Ich sprang auf und rannte schnell davon. Im Laufen warf ich einen Blick zurück. Verfolgten sie mich? „Wir müssen ihn aufhalten“, rief einer der beiden. Doch Lucy trat ihnen entgegen und versperrte ihnen den Weg. „Danke, Lucy“, flüsterte ich. Ich rannte vom Sportplatz und lief durch ein mir unbekanntes Viertel, während ich fieberhaft überlegte, auf welchem Weg ich wohl nach Hause kam. Einige Straßenblocks von der Schule entfernt hielt ich an, um zu verschnaufen. Keine Spur von den beiden Jugendlichen. Auch von Lucy war nichts zu sehen. Hoffentlich war mit ihr alles in Ordnung, aber die beiden sahen nicht so aus, als ob sie ihr etwas tun wollten. Sie schienen es nur auf mich abgesehen zu haben. Aber wieso? Am Vortag hatte mir ein Raufbold gesagt, er wolle mich nach der Schule verprügeln. Heute, in meiner neuen, verrückten Welt, hatte ich ihn dagegen nicht zu Gesicht bekommen. Er war keiner der beiden Kerle in Schwarz. Das waren zwei neue Raufbolde. Ich brauchte Hilfe! Auch wenn ich nicht begriff, was mir geschah, so war es doch alles zu viel für mich. Und zu beängstigend. Ich wusste schon kaum mehr, wer ich wirklich war. Ich irrte durch die Straßen, bis ich schließlich den Weg nach Hause fand. „Mom“ und „Dad“ waren ausgeflogen. Die Haustür war abgesperrt. Ich kletterte durch das Küchenfenster hinein. Meine richtige Mom, meine Geschwister und selbst mein Hund blieben verschwunden. Aber es muss doch sonst jemanden geben, den ich kenne, dachte ich. Irgendjemanden, der mir helfen kann. Vielleicht war meine Mom irgendwo hingefahren, beispielsweise zu Verwandten. Ich beschloss, mein Glück bei Tante Margaret und Onkel Andy zu versuchen. Ich wählte ihre Telefonnummer. Ein Mann meldete sich am anderen Ende der Leitung. „Onkel Andy!“, rief ich. „Ich bin es, Matt!“ Die Stimme sagte: „Wer ist da?“ „Matt!“, wiederholte ich. „Dein Neffe!“ 33
„Ich kenne keinen Matt“, sagte der Mann schroff. „Du musst dich verwählt haben.“ „Nein, Onkel Andy, warte!“, rief ich. „Mein Name ist nicht Andy“, knurrte der Mann und hängte auf. Verdattert glotzte ich das Telefon an. Der Mann hatte auch nicht wie Onkel Andy geklungen. Wahrscheinlich habe ich mich wirklich verwählt, dachte ich. Ich wählte die Nummer noch einmal. „Hallo?“ Es war derselbe Mann. Diesmal probierte ich es mit einer neuen Methode. „Ist Andy Amsterdam da, bitte?“ „Du schon wieder! Hier gibt es keinen Andy, Junge“, sagte der Mann. „Falsch verbunden.“ Er knallte den Hörer auf die Gabel. Ich gab mir Mühe, nicht in Panik zu geraten. Aber mir zitterten die Hände. Ich wählte die Auskunft. „Welchen Eintrag, bitte?“, fragte die Dame. „Andrew Amsterdam“, antwortete ich. „Ich sehe nach“, sagte die Dame. Eine Minute später sagte sie: „Tut mir Leid. Unter diesem Namen haben wir keinen Eintrag.“ „Vielleicht wird er anders geschrieben. Soll ich ihn für Sie buchstabieren?“ Ich ließ nicht locker. „A-m-s“ „Ich habe bereits nachgesehen, Sir. Es gibt keinen Eintrag unter diesem Namen.“ „Könnten Sie es dann mit Margaret Amsterdam versuchen?“ „Es gibt überhaupt keinen Eintrag unter dem Namen Amsterdam, Sir.“ Mein Herz klopfte, als ich den Hörer auflegte. Das kann doch alles nicht wahr sein, dachte ich. Es muss irgendwo jemanden geben, den ich kenne! Ich werde es mit meinem Cousin Chris versuchen, dachte ich. Ich wählte Chris' Nummer, aber auch dort ging ein Unbekannter an den Apparat. Es war, als ob Chris und Onkel Andy und meine Mutter und alle anderen Menschen, die ich kannte, nicht existierten. Wie konnte es sein, dass meine ganze Familie verschwunden war? Der einzige Mensch, den ich kannte, war Lucy. Aber sie konnte ich nicht anrufen, denn ich kannte ihren Nachnamen nicht. Die Haustür öffnete sich und die Frau, die sich als meine Mutter bezeichnete, kam mit Einkaufstüten in die Küche. 34
„Matt, Liebling! Was machst du denn mitten am Tag zu Hause?“ „Das geht Sie nicht die Bohne an“, schnauzte ich. „Matt! Sei gefälligst nicht so unverschämt!“, schimpfte sie. Ich sollte nicht so garstig zu ihr sein, dachte ich. Aber was spielte es schon für eine Rolle? Sie war sowieso nicht meine richtige Mutter. Meine richtige Mutter war vom Angesicht der Erde verschwunden. Mich schauderte, als mir klar wurde, dass ich mutterseelenallein auf der Welt war. Ich kannte niemanden - nicht einmal meine eigenen Eltern!
„Zeit fürs Bett“, zwitscherte meine Möchtegernmutter. Den ganzen Abend hatte ich vor dem Fernseher gesessen. Allerdings hatte ich nicht richtig geguckt, sondern nur gedankenverloren auf den Bildschirm gestarrt. Vielleicht sollte ich damit aufhören, diese Leute als meine unechten Eltern zu betrachten, sagte ich mir. Immerhin sind sie im Augenblick real und es ist gut möglich, dass ich für immer bei ihnen bleiben muss. Das werde ich morgen früh herausfinden, dachte ich, während ich langsam die Treppe hinaufging. Mein früheres Zimmer war jetzt das Nähzimmer. Zum Schlafen ging ich wieder ins Gästezimmer. „Gute Nacht, Liebling.“ Mom gab mir einen Gutenachtkuss. Wieso musste sie mich andauernd küssen? Sie schaltete das Licht aus und sagte: „Wir sehen uns morgen früh.“ Morgen früh. Ich fürchtete den Morgen. Bis jetzt war jeder Tag unheimlicher als der vorangegangene gewesen. Ich hatte Angst davor, einzuschlafen. In welcher Umgebung würde ich aufwachen? Es wäre großartig, wenn diese unechten Eltern verschwunden wären - aber wer würde dann ihren Platz einnehmen? Vielleicht wäre die ganze Welt verschwunden, wenn ich aufwachte! Ich versuchte mit aller Macht, wach zu bleiben. Bitte, betete ich. Bitte lass alles wieder 35
normal werden. Ich wäre sogar froh, Greg und Pam wieder zu sehen, wenn nur alles wieder ganz normal wäre Irgendwann musste ich dann doch eingeschlafen sein, denn das Nächste, was ich wahrnahm, war, dass ich aufwachte - und es war Morgen. Eine Minute lang blieb ich still liegen. Hatte sich irgendetwas verändert? Ich hörte Geräusche im Haus. Es waren eindeutig Menschen hier. Eine Menge Menschen. Mein Herz begann zu hämmern. O nein, dachte ich. Was erwartet mich bloß diesmal? Ich hörte jemanden Akkordeon spielen. Das war leider ein ziemlich untrügliches Zeichen dafür; dass meine frühere Familie nicht zurückgekehrt war. Doch das Wichtigste zuerst: Wie alt war ich heute? Ich hielt mir die Hände vors Gesicht. Sie kamen mir bisschen klein vor. Ich stand auf und ging ins Badezimmer wobei ich mich bemühte, nicht in Panik zu geraten. Langsam hatte ich diese tägliche Prozedur ziemlich satt. Der Spiegel schien höher als sonst zu hängen. Ich betrachtete mein Gesicht. Ich war nicht mehr zwölf, so viel stand fest. Ich sah wie acht aus. Acht, dachte ich seufzend. Das bedeutet, dass ich in die dritte Klasse gehe. Na ja, wenigstens würde ich nun mit Mathe zurechtkommen. Plötzlich spürte ich einen heftigen Schmerz im Rücken. Au! Es waren Krallen! Winzige Krallen bohrten sich in meinen Rücken. Ich schrie auf.
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Etwas war mir auf den Rücken gesprungen! Ein kleines haariges Gesicht tauchte im Spiegel auf. Irgendein Tier war auf meine Schulter geklettert! „Runter! Runter von mir!“, rief ich. „Ihhh! Ihhh! „, kreischte das Tier. Ich rannte auf den Flur hinaus - und wäre beinahe mit einem riesigen Mann zusammengestoßen. „Nehmen Sie das Tier von mir runter!“, schrie ich. Der Mann folgte meiner Anweisung, aber dabei lachte er laut und mit tiefer Stimme, wie ein böser Nikolaus. „Was ist denn los mit dir; Matt?“, sagte er dröhnend. „Hast du plötzlich Angst vor Pansy?“ Pansy? Der Mann hielt das Tier in seinen Armen. Es war ein Affe. Der Mann tätschelte meinen Kopf. „Zieh dich an, Junge. Wir haben heute morgen Probe.“ Probe? Was sollte das denn heißen? Ich sah mir den Mann genauer an. Er war sehr groß, hatte einen Kugelbauch, glänzendes schwarzes Haar und einen großen Schnurrbart. Das Verrückteste an ihm aber war seine Kleidung: Er trug ein knallrotes Kostüm mit goldenen Borten und einem goldenen Gürtel. O nein!, dachte ich und das Herz rutschte mir in die Hose. Das kann doch wohl nicht... mein Vater sein? Von unten schrie eine Frauenstimme: „George!“ Der Mann reichte mir ein zusammengelegtes Kleidungsstück. „Zieh dein Kostüm an“, sagte er. „Und dann komm runter zum Frühstück - Sohn.“ Ich hatte es gewusst. Er war also mein Vater. Zumindest für heute. Meine „Familie“ wurde von Tag zu Tag schlimmer. „GEOOORGE!“, brüllte die Frau erneut. Das wird Mom sein, dachte ich unglücklich. Sie klingt ja wie ein echter Schatz. Kinder kamen aus den anderen Zimmern gelaufen. Es schien, als gäbe es dutzende davon, alle in verschiedenen Altersstufen. Doch bei genauem Hinsehen waren es nur sechs. 37
Ich versuchte alle neuen Informationen zu ordnen. Ich war acht Jahre alt, hatte sechs Geschwister und einen Affen als Haustier. Meine Mutter hatte ich noch nicht zu Gesicht bekommen, aber mein Vater war ein kompletter Spinner. Und ich musste ein völlig verrücktes Kostüm anziehen, dachte ich, während ich den blauen Anzug musterte, den mir der Mann gegeben hatte. Es war eine Art Trikot. Der untere Teil war blau mit weißen Streifen, der obere Teil war mit weißen Sternen bedeckt. Was sollte das darstellen? Und zu welcher Probe musste ich? Trat ich etwa in einem Theaterstück auf? Ich schlüpfte in das Kostüm. Es passte mir wie angegossen. Ich kam mir wie ein Vollidiot vor. Dann ging ich zum Frühstück hinunter. Die Küche war ein Irrenhaus. Die anderen Kinder lachten und johlten und warfen mit Essen um sich. Pansy hüpfte auf dem Tisch herum und stibitzte gebratene Speckstücke. Eine große, hagere Frau stapelte Pfannkuchen auf Teller. Sie trug ein langes, purpurrotes, mit Pailletten besetztes Kleid. Auf ihrem Kopf saß eine silberne Krone. Meine neue Mom. „Beeil dich und iss, Matt - bevor alles weg ist!“, rief sie. Ich schnappte mir einen Teller und begann zu essen. Dabei musste ich andauernd Pansy verscheuchen. „Sieht Matt in seinem kleinen Superheldenkostüm nicht süß aus“, spottete ein Mädchen, offenbar eine meiner älteren Schwestern. „So süß wie ein Knopf“, sagte ein Junge bissig. Er schien etwa zwei Jahre „älter zu sein als ich. Er zwickte mich fest in die Backe. Zu fest. „Süßer kleiner Matt“, höhnte er. „Der aufsteigende Stern am Zirkushimmel.“ Zirkus! Vor Schreck fiel mir die Gabel aus der Hand. War ich wirklich im Zirkus gelandet? Das alberne Kostüm, der Affe - auf einmal ergab alles einen Sinn. Ich stützte den Kopf in die Hände. Matthew Amsterdam, ein Zirkusjunge. Mir war zum Heulen zu Mute. Ich hatte das Gefühl, dass mein Bruder eifersüchtig war. Als ob er gern der Star dieses doofen Zirkuses gewesen wäre.
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Und wenn es nach mir ginge, hätte ich ihm gern den Vortritt gelassen. Ich wollte ganz bestimmt nicht der Star in einem Zirkus sein. „Lass Matt zufrieden, sonst bekommt er wieder Lampenfieber“, schimpfte die Mutter. Ich musterte den Rest der Familie. Alle hatten leuchtend bunte Kostüme an. Ich schien wirklich Teil einer Zirkusfamilie zu sein. Die Pfannkuchen lagen mir schwer im Magen. Ich habe den Zirkus noch nie gemocht. Selbst als kleines Kind konnte ich ihn nicht ausstehen. Aber nun war der Zirkus mein Leben - und ich war der Star. Du liebe Güte! „Zeit für die Probe!“, rief der Vater. Er setzte sich einen schwarzen Zylinder auf den Kopf und knallte mit einer Peitsche auf die Treppe. „Abmarsch!“ Wir ließen die Teller auf dem Tisch stehen und zwängten uns alle in einen zerbeulten alten Transporter. Mom fuhr mit etwa 150 Stundenkilometern. Meine Brüder und Schwestern balgten sich während der ganzen Fahrt. Ein kleines Mädchen zwickte mich ständig, ein anderes boxte mich. „Hört auf damit!“, fuhr ich sie an. Wieso konnte ich nicht in einer Welt mit netten Geschwistern aufwachen? Der Wagen fuhr tuckernd auf ein Kirmesgelände und hielt vor einem großen Zirkuszelt an. „Alles raus!“, kommandierte Dad. Meine Geschwister und ich drängten uns schubsend und rempelnd aus der Familienkutsche. Dann folgte ich den anderen zum Zelt. Im Inneren des Zeltes blieb ich staunend stehen und schaute mich um. Andere Artisten waren bereits da und probten. Hoch oben, knapp unter der Kuppel, sah ich einen Mann auf einem Hochseil. Ein Elefant stand auf den Hinterbeinen und tanzte. Clowns kurvten in albernen kleinen Autos herum und drückten immerfort auf die Hupe. Ich fragte mich, worin meine Nummer wohl bestand. Zwei meiner Schwestern kraxelten geschwind eine Leiter empor und begannen eine Trapeznummer zu üben. Voller Entsetzen sah ich ihnen dabei zu. Das Trapez! Keine zehn Pferde würden mich da hinaufbringen! Nie und nimmer. 39
Bitte, nicht das Trapez, betete ich. „Komm, Matt“, sagte Dad. „Machen wir uns an die Arbeit.“ Nicht das Trapez. Nicht das Trapez, betete ich innerlich. Dad führte mich von der Leiter fort. Ich fing an mich zu entspannen. Was immer ich tun sollte, nichts konnte schlimmer sein, als auf einem Trapez zu schaukeln. Richtig? Falsch. Dad führte mich in den hinteren Bereich des Zeltes, und ich folgte ihm durch einen Irrgarten von Tierkäfigen. Auf einen der Käfige steuerte Dad zu und öffnete die Tür. „So, mein Sohn“, sagte er mit seiner lauten Stimme. „Rein mit dir.“ Mir blieb der Mund offen stehen. Ich traute meinen Ohren nicht. „D-d-da r-r-rein?“, stotterte ich. „Aber in dem Käfig ist ein Löwe!“ Der Löwe riss das riesige Maul auf und brüllte. Zitternd wich ich zurück. „Gehst du jetzt endlich rein?“ Dad stieß mich mit dem Ende seiner Peitsche an. „Oder muss ich dir nachhelfen?“ Ich rührte mich nicht von der Stelle. Ich konnte einfach nicht. Da schob Dad mich in den Löwenkäfig - und schloss die Tür.
Ängstlich wich ich an die Käfigwand zurück. Die kalten Stahlstäbe drückten sich in meinen Rücken. Meine Beine zitterten so heftig, dass ich dachte, ich würde jeden Moment zusammensacken. Der Löwe sah mich an und schnüffelte. Ich habe gehört, dass Tiere Angst riechen können. Für diesen Löwen musste ich geradezu gestunken haben! Mein ›Vater‹ - der Löwenbändiger - trat ebenfalls in den Käfig und stellte sich neben mich. „Wir probieren heute einen neuen Trick aus, Matt“, sagte er. „Du wirst auf dem Löwen reiten.“ 40
Seine Worte waren wie ein Schlag in den Magen. Ich sollte auf dem Löwen reiten? Na klar. Aber sicher. Der Mann ist ja ein toller Vater, dachte ich. Verfüttert seinen eigenen Sohn an einen Löwen. Augen. ROOOAAAR! Der Atem des Löwen blies mir wie ein heißer Wind ins Gesicht. Mir standen die Haare zu Berge. Der Löwe trottete auf uns zu, aber da knallte Dad mit der Peitsche und schrie: „Ha!“ Der Löwe wich zurück und leckte sich die Lefzen. „Mach schon, Junge“, sagte Dad mit dröhnender Stimme zu mir. „Steig auf Herkules' Rücken. Dann rutschst du zu seiner Schulter hoch und ich werde ihn mit der Peitsche dazu bringen, dass er im Käfig herumläuft.“ Ich war sprachlos. Entgeistert schaute ich den Mann an. „Was glotzt du mich so an? Du fürchtest dich doch nicht etwa vor Herkules, oder?“ „F-fürchten?“, stotterte ich. „Fürchten“ war nicht ganz das richtige Wort. Starr vor Angst vielleicht. Entsetzt, voller Panik, wie gelähmt. Aber fürchten? Nein. Wieder knallte er mit der Peitsche. „Keiner meiner Söhne ist ein Feigling!“, schrie er. „Und jetzt setz dich gefälligst endlich auf den Rücken des Löwen!“ Dann beugte er sich herab und flüsterte: „Pass bloß auf, dass er dich nicht beißt. Denk an deinen armen Bruder Tom, der sich noch immer bemüht, mit der linken Hand schreiben zu lernen.“ Er knallte abermals mit der Peitsche - direkt vor meinen Füßen. Doch ich weigerte mich standhaft. Ich würde nicht auf dem Löwen reiten. Nie und nimmer! Und ich wollte auch keine Sekunde länger in diesem Käfig bleiben! Erneut schwang Dad die Peitsche. Ich sprang beiseite kreischte: „Neeeiiin!“ und riss die Käfigtür auf. Dann rannte ich so schnell aus dem Käfig hinaus, dass Dad kaum mitbekam, was geschah. Ich raste aus dem Zelt, während eine Stimme in meinem Kopf brüllte: „Versteck dich! Rasch! Du musst ein Versteck finden!“ Auf dem Parkplatz vor dem Zelt entdeckte ich einige Wohnwagen. Ich huschte hinter einen davon - und rannte geradewegs in Lucy. 41
„Du schon wieder!“, keuchte ich. Es war unheimlich, wie sie ständig irgendwo auftauchte. „Ich muss mich verstecken“, erklärte ich ihr. „Ich stecke in der Tinte!“ „Was ist los, Matt?“, fragte sie. „Ich will kein Löwenfutter werden!“, rief ich. „Hilf mir!“ Lucy versuchte die Tür des Wohnwagens zu öffnen, doch die war abgeschlossen. „O nein! „, stöhnte ich. „Sieh nur!“ Ich deutete seitlich am Wohnwagen vorbei auf zwei Kerle, die auf uns zurannten. Sie kamen mir bekannt vor - es waren die beiden Typen in Schwarz. Sie waren hinter mir her! Ich rannte los. Da es nichts gab, wohin ich laufen, nichts wo ich mich hätte verstecken können, hastete ich zurück ins Zelt. Ich schoss durch den Eingang und wartete schnaufend darauf, dass sich meine Augen an das Dämmerlicht gewöhnten. Draußen schrie einer der beiden Kerle in Schwarz: „Dort hinein! Er ist ins Zelt gelaufen!“ Auf der Suche nach einem Versteck stolperte ich vorwärts. „Schnapp ihn dir!“ Nun waren die beiden Burschen im Zelt. Ich rannte blindlings weiter - geradewegs in den Löwenkäfig hinein.
Rasch knallte ich die Käfigtür zu. Die Kerle in Schwarz packten die Gitterstäbe und rüttelten daran. „Du entkommst uns nicht!“, rief der eine. Mein ›Dad‹, der Löwenbändiger, war fort. Ich war alleine im Käfig - mit Herkules. „Ruhig, Junge. Ganz ruhig ... „, murmelte ich, während ich mich Zentimeter für Zentimeter am Gitter entlangschob. Der Löwe stand in der Mitte des Käfigs und beäugte mich. Die beiden Kerle rüttelten erneut an der Käfigtür. Die Tür schwang auf, die beiden traten ein und funkelten mich böse an. „So leicht entkommst du uns nicht“, warnte mich der eine. 42
Der Löwe knurrte sie an. „Das ist doch nur ein alter Zirkuslöwe“, sagte der andere. „Der tut uns nichts.“ Aber ich konnte sehen, dass sie sich da nicht so sicher waren, wie sie vorgaben. Wieder knurrte Herkules, dieses Mal lauter. Die beiden Kerle blieben stehen. Ich drückte mich weiter an der Käfigwand entlang, um den Löwen zwischen mich und die beiden Kerle zu bringen. Das war meine einzige Chance. Vorsichtig machte einer der beiden einen Schritt vorwärts. Der Löwe brüllte ihn an. Der Typ wich einen Schritt zurück. Die Augen des Löwen wanderten von den beiden Kerlen zu mir und wieder zurück. Offenbar überlegte er; wer von uns die leckerste Mahlzeit abgeben würde. „Ihr verschwindet besser aus dem Käfig“, warnte ich die beiden. „Herkules ist noch nicht gefüttert worden.“ Die beiden Kerle beobachteten Herkules argwöhnisch. „Mich greift er nicht an“, bluffte ich. „Ich bin sein Herrchen. Aber wenn ich es ihm befehle, geht er euch an die Kehle!“ Die beiden Typen wechselten einen Blick. „Er lügt“, meinte der eine, aber der andere schien sich da nicht so sicher. „Ich lüge nicht“, behauptete ich nachdrücklich. „Verzieht euch auf der Stelle - oder ich hetze ihn auf euch!“ Der eine der beiden wollte zur Käfigtür; doch der andere packte ihn am Arm und hielt ihn zurück. „Mach dir bloß nicht ins Hemd“, schnauzte er. „Pack sie, Herkules! „, schrie ich. „Fass!“ Herkules brüllte grimmiger als je zuvor - und machte einen Satz. Sofort flitzten die beiden Typen aus dem Käfig und knallten, gerade als Herkules hinausspringen wollte, die Tür hinter sich zu. „Du entkommst uns nicht!“, brüllte der eine durch die Gitterstäbe hindurch. „Wir kommen wieder!“ „Was wollt ihr von mir?“, schrie ich ihnen nach. „Was hab ich getan? Was hab ich euch getan?“
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Herkules hatte gar nicht vor; jemanden zu fressen. Er wollte nur aus dem Käfig hinaus. Als ich hinaushuschte, versuchte er nicht, mich aufzuhalten. Ich schlich mich zum Familienauto, um mich darin zu verstecken, bis die Proben vorüber waren. „Wo hast du den ganzen Tag über gesteckt?“, brummte Dad, als er mich schließlich fand. Alle anderen kletterten in den Wagen und wir fuhren nach Hause. „Mir war schlecht“, jammerte ich. „Ich musste mich hinlegen.“ „Dann lernst du diesen Trick eben morgen, Matt“, sagte Dad mit Nachdruck. „Noch einmal wirst du dich nicht davor drücken!“ Ich gähnte nur; denn ich ging davon aus, dass es kein Morgen geben würde. Zumindest nicht für meine Zirkusfamlie. Der morgige Tag würde mir einen neuen Schrecken bescheren. Oder vielleicht würde ja ausnahmsweise auch einmal etwas Gutes passieren. An diesem Abend ging ich früh zu Bett. Das Leben als Achtjähriger in einer Zirkusfamilie gefiel mir ganz und gar nicht, deshalb konnte ich es kaum erwarten, diese Rolle einzutauschen. Meine Zirkusbrüder kletterten an den Wänden in meinem alten Zimmer herum. In diesem Raum würde ich nie einschlafen können. Darum schlich ich mich ins Gästezimmer; um dort zu schlafen. Doch ich hatte Probleme, Schlaf zu finden. Die Frage, was mich am nächsten Tag wohl erwartete, ging mir nicht aus dem Kopf. Es ist schwierig, sich zu entspannen, wenn man nicht weiß, in welcher Welt man am nächsten Morgen aufwachen wird. Anfangs versuchte ich Schäfchen zu zählen, aber dass wirkt bei mir nie. Also dachte ich mir alle möglichen tollen Dinge aus, die am nächsten Morgen vielleicht Wirklichkeit werden konnten. Ich konnte zum Beispiel als Baseballspieler in der Oberliga aufwachen und als bester Werfer in die Geschichte des Baseballs eingehen. Oder ich konnte ein sehr, sehr reiches Kind sein, das alles bekommt, was es sich wünscht. Oder ich konnte als Weltraumforscher 44
fünfhundert Jahre in der Zukunft aufwachen. Wieso passierte mir nie etwas in der Art? Am allermeisten wünschte ich mir, am nächsten Morgen aufzuwachen und wieder in meiner Familie zu sein. Meiner richtigen Familie. Die trieb mich zwar gelegentlich zum Wahnsinn, aber wenigstens war ich an sie gewöhnt. Ich vermisste sie ein kleines bisschen. Also gut, sehr sogar. Endlich, kurz vor dem Morgengrauen, schlief ich ein. Es war noch immer früh am Morgen, als ich erwachte. Ich schaute mich im Zimmer um. Alles erschien mir ein wenig verschwommen. Wer bin ich diesmal?, fragte ich mich. Das Zimmer sah normal aus. Ich hörte kein Geräusch und erkannte daran, dass die Zirkusfamilie verschwunden war. Am besten bringe ich es gleich hinter mich, beschloss ich und sprang aus dem Bett. Ich fühlte mich ein bisschen zittrig auf den Beinen. Langsam spazierte ich ins Badezimmer und schaute in den Spiegel. Nein. O nein! Das war bisher das Schlimmste, das Allerschlimmste das Schlimmstmöglicbe überhaupt!
Ich war ein alter Mann! „Nein! „, schrie ich. Ich hielt das nicht länger aus. So schnell mich meine wackligen alten Beine trugen, lief ich zum Bett zurück. Ich kroch unter die Decke und schloss die Augen. Ich wollte sofort wieder einschlafen. Ich hatte keine Lust, einen ganzen Tag als alter Mann zu verbringen. Nicht, solange ich in Wirklichkeit zwölf Jahre alt war. Ich döste rasch ein. Als ich aufwachte, wusste ich sofort, dass ich mich verwandelt hatte. Ich war kein alter Mann mehr. Ich spürte einen Energiestoß. Kraft. Ich fühlte mich stark. Vielleicht bin ich nun endlich ein Baseballspieler, hoffte ich. 45
Ich rieb mir die Augen und erhaschte dabei einen Blick auf meine Hand. Sie - sie war grün. Meine Haut war grün. Und an Stelle von Fingern hatte ich Klauen! Ich schluckte schwer und bemühte mich, trotz ansteigender Panik ruhig zu bleiben. Was war dieses Mal mit mir geschehen? Ich verschwendete keine Sekunde darauf, es herauszufinden. Mit merkwürdig schwerfälligen Schritten ging ich zum Spiegel im Badezimmer. Als ich mein Gesicht erblickte, stieß ich vor Entsetzen und Abscheu ein lautes Gebrüll aus. Ich war ein Monster geworden! Ein grässliches, widerwärtiges Monster.
Ich wollte ›Das darf doch nicht wahr sein!‹ rufen, aber ich brachte bloß ein entsetzliches Knurren zu Stande. Nein!, dachte ich verzweifelt. Am liebsten hätte ich mir die schreckliche Haut vom Leib gerissen. Ich war ein grässliches Ungeheuer - und konnte nicht einmal mehr sprechen! Ich war groß - über zwei Meter - und kräftig. Meine Haut war geschuppt und grün mit schwarzen Streifen, wie die einer Eidechse. Und ich sonderte überall Schleim ab. Mein Kopf sah wie der eines Dinosauriers aus und war über und über mit Warzen bedeckt. Zwischen vier spitzen Ohren ragten oben auf meinem Kopf drei gezackte Hörner auf. An Händen und Füßen hatte ich Klauen. Meine Zehennägel klickten beim Gehen auf dem Badezimmerboden. Ich war abgrundtief hässlich! Ich wünschte mir, ich wäre ein alter Mann geblieben. Mit jedem Aufwachen wurde mein Leben noch schlimmer! Wann würde das jemals enden? Was konnte ich tun, damit das aufhörte? Ich dachte an Lucy. Egal, wo ich hinging, sie schien jedes Mal dort aufzutauchen. Und sie hatte mir geholfen, diesen beiden Typen in Schwarz zu entkommen. Sie schien eine echte Freundin zu sein. Ich musste sie finden. Bestimmt war sie irgendwo da draußen. 46
Sie war meine einzige Chance. Ich wankte in meinem Monsterkörper durchs Haus. Außer mir war niemand da. Wenigstens hatte ich dieses Mal keine Familie, mit der ich mich herumschlagen musste. Eine Familie von Monstern wäre wirklich ein AIptraum gewesen! Ich musste für die kleinen Dinge dankbar sein. Besonders jetzt, wo ich eine grüne Haut hatte und mir drei Hörner auf dem Kopf wuchsen. Ich torkelte zur Tür hinaus und ging die Straße entlang. Ich versuchte zu schreien: „Lucy! Lucy, wo bist du?“ Doch mein Mund konnte die Worte nicht formen. Alles, was herauskam, war ein dröhnendes, Furcht erregendes Gebrüll. Ein Auto, das die Straße entlangfuhr, hielt plötzlich an. Der Fahrer gaffte mich durch die Windschutzscheibe an. „Keine Angst!“, rief ich ihm zu, aber zu hören war bloß wildes Gebrüll. Der Mann kreischte, legte den Rückwärtsgang ein und fuhr mit Vollgas zurück. Dabei krachte er in ein anderes Auto. Ich ging näher, um nachzusehen, ob jemand verletzt war. Im anderen Wagen saßen eine Frau und ein Kind. Doch niemandem schien etwas passiert zu sein, denn als sie mich sahen, sprangen alle quicklebendig aus den Autos und rannten schreiend davon. Meine riesigen Eidechsenfüße trugen mich in die Stadtmitte. Ich walzte durch Gebüsche und trat Aschentonnen um. Die Menschen brüllten vor Entsetzen, wenn sie mich zu Gesicht bekamen. Lucy, dachte ich. Ich muss Lucy finden. Ich versuchte an nichts anderes zu denken. Aber ich bekam allmählich Hunger. Großen Hunger. Normalerweise esse ich zwischendurch gerne Toast mit Erdnussbutter und Marmelade. Doch an diesem Tag hatte ich einen Heißhunger auf ein knackiges Stück Metall. Die ganze Stadt war in Panik. Die Leute liefen schreiend herum, als wäre das Ende der Welt gekommen. Doch ich hatte nicht vor, jemandem etwas zu tun. Alles, was ich wollte, war ein kleiner Imbiss. Also baute ich mich vor einem lecker aussehenden Kleinwagen auf. Der Fahrer trat auf die Bremse. ROOAARR! Ich klopfte mir mit meinen breiten Monsterarmen an die Brust. 47
Der Fahrer kauerte sich im Wagen zusammen. Ich streckte die Hand aus und riss einen Scheibenwischer ab. Nur so zum Probieren. Mmmhh. Leckerer Gummi! Der Mann riss die Wagentür auf. „Nein!“, schrie er. „Tu mir nichts. L-lass mich laufen“ Er rannte davon, um sich irgendwo zu verstecken. Es war nett von ihm, mir den Wagen zu überlassen. Ich riss die Tür des Autos heraus, brach den Türgriff ab und stopfte ihn mir ins Maul. Köstlich! Guter, kühler Chrom. Dann biss ich einen großen Happen aus der Tür heraus. Mampf, mampf. Meine Zähne waren groß und scharf wie Rasierklingen - mit ihnen war es kein Problem, das Metall zu zerkauen. Mmh - ein Stück Lederpolsterung zur Geschmacksabrundung. Ich verspeiste die Tür und griff dann in den Wagen, um einen der Schalensitze herauszureißen. Gelbe Schaumstoffstücke fielen mir beim Essen aus dem Mund. Das Leder war delikat. Aber die Schaumstoffüllung war ein bisschen trocken. Sie schmeckte wie Popcorn ohne Butter. Bäh. Ich riss gerade das Steuerrad heraus, als ich Sirenen hörte. Oje. Ich sah, dass sich viele Menschen um mich herum versammelt hatten. Die Leute zeigten aufgeregt auf mich. „Er frisst ein Auto!“, kreischte jemand. Na, also bitte, dachte ich. was erwartet ihr denn, dass ein Monster frisst - Rice Crispies? Die Sirenen kamen näher. Streifenwagen hielten um mich herum an. „Machen Sie den Weg frei“, ertönte eine Stimme über Lautsprecher. „Treten Sie zurück. Machen Sie Platz.“ Ich verschwinde jetzt besser von hier, beschloss ich. Ich ließ das Steuerrad, an dem ich herumknabberte, fallen und rannte los. Sofort stoben die Menschen auseinander. „Haltet es auf! Schnappt das Monster!“ Wieder zerriss das Heulen von Polizeisirenen die Luft. Wenn sie mich fingen, würden sie mich sicher einsperren - oder Schlimmeres mit mir anstellen. Ich musste dringend verschwinden und mich verstecken. Ich stolperte durch die Menge hindurch und steuerte auf den Stadtrand zu. Da entdeckte ich sie: Lucy. Sie war die Einzige, die auf mich zugelaufen kam, während alle anderen Leute scharenweise vor mir wegrannten. Ich knurrte, versuchte Lucy etwas zuzurufen. 48
Sie packte mich am schleimbedeckten Arm und zog mich aus der Menge heraus und in eine Gasse hinein. Allmählich ließen wir die Menge hinter uns. Ich hätte Lucy gerne gefragt, wohin wir liefen. Aber ich konnte ja nicht sprechen und ich befürchtete, mein Gebrüll hätte sie erschreckt. Ohne Pause rannten wir weiter, bis wir den Wald am Stadtrand erreichten. Lucy führte mich in den Wald hinein, immer tiefer und tiefer. Sie bringt mich zu einem Versteck, dachte ich glücklich. Ich wünschte, ich hätte mich bei ihr bedanken können. Ich folgte Lucy einen schmalen Weg entlang. Plötzlich endete der Pfad und wir mussten uns einen Weg durchs Gestrüpp bahnen. Schließlich kamen wir zu einem kleinen Häuschen, das hinter Bäumen und Rankenpflanzen verborgen lag. Selbst wenn man davor stand, konnte man es kaum sehen. Ein Versteck, dachte ich. Wie hatte Lucy diesen Ort entdeckt? Ich fragte mich, ob es in dem Haus wohl etwas Gutes zu essen gab. Ich wurde schon wieder hungrig. Ein paar Fahrräder würden mir jetzt gut schmecken, dachte ich und trat ins dämmrige Innere. Da lösten sich zwei Leute aus der Dunkelheit und kamen auf mich zu. Nein. O nein! Nicht die schon wieder. Aber sie waren es. Die Typen in Schwarz. „Danke, dass du ihn hierher gebracht hast“, sagte der eine zu Lucy. „Das hast du gut gemacht.“
RRRROOO ROOAAAAARRRR! Ich schlug wild um mich. Ich war mächtig wütend! Lucy hatte mich verraten! Ich musste hier raus - und zwar schnell! Ich machte einen Satz auf die Tür zu, doch sie warfen mir ein Netz über und zogen mit einem Ruck daran. Ich stolperte und landete mit einem lauten Plumps auf dem Boden. Die beiden Kerle schlossen das Netz über mir. Ich 49
brüllte und schlug mit aller Kraft um mich, konnte mich aber nicht befreien. Sie zogen das Netz fest um mich zusammen. „Holt mich hier raus!“, hätte ich gerne gebrüllt. Ich versuchte das Netz mit den Klauen aufzureißen und biss mit den Zähnen hinein. Doch es war aus einem eigenartigen Material gemacht. Es gelang mir nicht, es zu zerstören. Eine ganze Weile knurrte und wehrte ich mich. Doch alle Bemühungen blieben erfolglos. Schließlich wurde ich müde und legte mich auf den Boden. Lucy und die beiden Kerle standen über mir und schauten mich völlig ruhig und gelassen an. Ich wünschte mir so sehr, sprechen zu können. Beharrlich probierte ich es immer wieder, ich konnte nicht anders. „Wieso hast du mir das angetan?“, versuchte ich Lucy zu fragen. „Ich dachte, du wärst meine Freundin!“ Doch ich brachte nichts als Knurren und Fauchen heraus. Lucy starrte auf mich herab. Sie konnte nicht verstehen, was ich sagte. Die schwarz gekleideten Kerle verschränkten nur die Arme vor der Brust und sahen mich höhnisch an. „Wer seid ihr?“, fragte ich sie in der Monstersprache. „Was wollt ihr von mir? Was habt ihr mit mir vor?“ Doch natürlich antwortete mir keiner. Der eine der beiden Kerle, der größere, sagte: „Okay. Wir sperren ihn am besten hinten ein.“ Wieder brüllte ich und versuchte mich freizukämpfen, während die drei mich über den Boden schleiften und in einen kleinen Raum hinten im Haus schoben. Dort sperrten sie mich ein. Im Raum war es dunkel. Es gab bloß ein kleines Fenster mit Metallstäben davor. Vielleicht konnte ich die Gitterstäbe essen, sagte ich mir und versuchte sie zu erreichen. Aber ich konnte mich in dem Netz nicht bewegen. Lange Zeit lag ich still und wartete darauf, dass etwas passierte. Aber niemand kam zurück. Und leider konnte ich nicht hören, was sie in den anderen Räumen machten. Durch das Fenster hindurch sah ich, wie das Tageslicht verblasste. Es wurde Abend. Ich konnte nichts tun, außer einzuschlafen - einzuschlafen und darauf zu hoffen, dass ich als Mensch wieder aufwachte.
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Am nächsten Morgen fühlte ich mich wie zerschlagen und mein Magen schmerzte. Mannomann, dachte ich. Was habe ich gestern bloß gegessen? Es fühlte sich an, als läge mir ein Riesenklumpen Metall im Magen. Da fiel es mir wieder ein. Ich hatte ja wirklich Metall im Magen! Oh, na klar. Ich hatte einen Kleinwagen als Zwischenmahlzeit verputzt. Dabei hatte Mom mir schon immer gesagt, ich sollte zwischendurch nicht so viel essen. Ich nahm mir vor, das in Zukunft zu beherzigen. Ich setzte mich auf und betrachtete mich. Puh! Ich war wieder ein Mensch. Was für eine Erleichterung! Das Netz lag offen um mich herum. Anscheinend hatte es jemand aufgeschnitten, während ich schlief. Aber wer war ich jetzt? Meine Arme und Beine waren dünn. Meine Füße waren schmal und im Verhältnis zu meinen Beinen viel zu groß. Aber sie waren nicht sehr groß. Nicht monstermäßig groß. Ich war wieder ein Junge. Aber mein altes zwölfjähriges Ich hatte ich nicht wieder. Ich schätzte, dass ich etwa vierzehn war. Nun, dachte ich, das ist immerhin besser, als ein Monster zu sein. Viel besser. Aber ich befinde mich noch immer in dem Haus im Wald, stellte ich fest. Ich bin noch immer ein Gefangener. Diese beiden Kerle hatten mich schließlich doch erwischt. Was wollten sie? Was hatten sie mit mir vor? Ich stand auf und versuchte die Tür zu „öffnen, aber sie war abgeschlossen. Ich schaute zum Fenster. Die Gitterstäbe zu durchbrechen war völlig unmöglich. Ich saß in der Falle. Da hörte ich einen Schlüssel im Schloss. Sie kamen! Ich kauerte mich in eine Ecke des Raums. Die Tür flog auf. Lucy und die beiden Kerle traten ein. „Matt?“, sagte Lucy. Sie entdeckte mich in der Ecke und machte einen Schritt auf mich zu. „Was habt ihr mit mir vor?“, fragte ich. Es war gut zu hören, dass wieder Worte aus meinem Mund kamen, statt nur Gebrüll. „Lasst mich gehen!“, rief ich. 51
Die Typen in Schwarz schüttelten den Kopf. „Das geht nicht“, sagte der kleinere der beiden. „Wir können dich nicht gehen lassen.“ Sie kamen näher, mit geballten Fäusten. „Nein!“, schrie ich. „Bleibt mir vom Leib!“ Der größere der beiden knallte die Tür zu. Dann kamen sie auf mich zu.
Verzweifelt schaute ich mich in dem Raum nach einer Fluchtmöglichkeit um. Der Weg zur Tür war mir durch die beiden Kerle versperrt. Ich hatte keine Chance. „Wir wollen dir nichts tun, Matt“, sagte Lucy sanft. „Wir möchten dir helfen. Wirklich.“ Die Kerle machten einen weiteren Schritt auf mich zu. Ich sank in mich zusammen. Sie sahen leider ganz und gar nicht so aus, als ob sie mir helfen wollten. „Hab keine Angst, Matt“, sagte Lucy. „Wir müssen mit dir reden.“ Sie setzte sich vor mich, um mir zu zeigen, dass ich mich nicht zu fürchten brauchte. Doch die beiden Kerle standen links und rechts neben ihr und passten auf. „Sag mir, was hier vor sich geht“, verlangte ich. Lucy räusperte sich. „Du sitzt in einer Realitätsschleife fest“, erklärte sie. Als würde mir das etwas sagen. „Oh, natürlich. In einer Realitätsschleife“, witzelte ich. „Mir war gleich klar, dass irgendetwas Merkwürdiges vor sich ging.“ „Spar dir die Witze“, knurrte der kleinere der beiden Typen. „Das ist kein Spaß. Du verursachst eine Menge Probleme. Lucy bedeutete ihm zu schweigen. „Ruhe, Wayne. Ich erledige das.“ Sie wandte sich wieder mir zu und fragte mit sanfter Stimme: „Du hast keine Ahnung, was eine Realitätsschleife ist, stimmt's?“ 52
„Nein“, antwortete ich. „Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie mir nicht gefällt.“ „Als du in eurem Gästezimmer eingeschlafen bist, bist du in ein Loch der Realität gefallen“, sagte sie. Ihre Worte ergaben immer weniger Sinn. „Es gibt ein Loch in der Realität - im Gästezimmer?“ Sie nickte. „Du bist in einer Realität eingeschlafen und in einer anderen aufgewacht. Seitdem steckst du in diesem Loch fest und änderst jedes Mal, wenn du schlafen gehst, was real ist und was nicht“ „Nun, dann stoppt das!“, forderte ich. „Ich werde dich gleich stoppen“, drohte der größere der beiden Kerle. „Bruce, bitte“, herrschte Lucy ihn an. „Was hat das alles eigentlich mit euch zu tun?“, fragte ich. „Du brichst das Gesetz, Matt“, sagte sie. „Jedes Mal, wenn du dich veränderst, brichst du die Gesetze der Realität.“ „Aber das mache ich doch nicht mit Absicht!“, brauste ich auf. „Ich habe noch nie etwas von den Gesetzen der Realität gehört! Ich bin unschuldig!“ Lucy versuchte mich zu beruhigen. „Ich weiß, dass du das nicht mit Absicht tust. Doch das spielt keine Rolle. Es passiert. Jedes Mal, wenn du den Körper wechselst, veränderst du für viele andere Menschen das, was real ist und was nicht. Wenn du dich weiterhin ständig verwandelst, wirst du noch die ganze Welt durcheinander bringen.“ „Du verstehst nicht!“, schrie ich. „Ich will, dass das aufhört! Ich würde alles dafür tun, dass Schluss damit ist! Ich will wieder normal sein!“ „Mach dir keine Sorgen“, murmelte Wayne. „Wir werden dafür sorgen, dass es aufhört.“ „Wir sind von der Realitätspolizei“, erklärte mir Lucy. „Unser Job ist es, die Wirklichkeit unter Kontrolle zu halten. Wir haben uns bemüht, dir auf den Fersen zu bleiben, Matt. Das war nicht einfach, bei all den Veränderungen, die du durchgemacht hast“ „Aber wieso?“, fragte ich. „Was werdet ihr tun?“ „Wir mussten dich einfangen“, sagte Lucy. „Wir Können nicht zulassen, dass du weiterhin die Realitätsgesetze brichst.“ 53
Ich überlegte rasch. „Es liegt am Gästezimmer, stimmt's? Das ist alles bloß passiert, weil ich im Gästezimmer geschlafen habe?“ „Nun...“ „Ich werde nie wieder im Gästezimmer schlafen!“, versprach ich. „Es macht mir auch nichts aus, wenn ich mein altes Ich nicht wiederbekomme. Dieser magere Körper eines Vierzehnjährigen ist gar nicht so schlecht.“ Lucy schüttelte den Kopf. „Dafür ist es jetzt zu spät, Matt. Du bist in dem Loch gefangen. Es spielt keine Rolle mehr, ob du im Gästezimmer schläfst oder nicht. Ganz egal, wo du gerade bist, veränderst du die Realität mit dem Einschlafen und Aufwachen.“ „Du meinst - ich darf nie wieder einschlafen?“ „Das trifft es nicht ganz.“ Lucy warf den beiden Kerlen einen Blick zu. Dann richtete sie ihre blauen Augen wieder auf mich. „Es tut mir Leid, Matt, wirklich. Du scheinst ein netter Junge zu sein.“ Ein eisiger Schauer lief mir das Rückgrat hinunter. „Was - wovon redest du?“ Sie tätschelte mir die Hand. „Wir haben keine andere Wahl, Matt. Wir müssen dich schlafen legen - für immer.“
Entsetzt starrte ich sie an. „Das - das könnt ihr nicht tun!“, stotterte ich. „O doch, das können wir“, sagte Wayne. „Und das werden wir auch“, setzte Bruce hinzu. „Nein!“, rief ich, sprang hastig auf die Füße und versuchte zur Tür zu gelangen. Doch Bruce und Wayne waren darauf gefasst gewesen. Sie schnappten mich und drehten mir die Arme auf den Rücken. „Du gehst nirgendwohin, Junge“, sagte Wayne. „Lasst mich los!“, brüllte ich. Ich zappelte und wand mich. Aber ich war kein riesiges Monster mehr. Ich war ein schmächtiger Junge – kein ernst zu nehmender Gegner für Bruce und Wayne. Selbst Lucy hätte wahrscheinlich mit mir fertig werden können, wenn sie das gewollt hätte. 54
Die beiden Kerle stießen mich gegen die Rückwand des Raums. „Wir kommen später wieder“, versprach Lucy. „Mach dir bitte nicht allzu viel Sorgen, Matt. Es wird nicht wehtun.“ Sie verließen den Raum. Ich hörte, wie der Schlüssel im Schloss umgedreht wurde. Wieder war ich eingesperrt. Ich suchte den Raum nach einer Fluchtmöglichkeit ab. Er war völlig leer - es gab keinerlei Möbel, nicht einmal einen Stuhl. Nur vier nackte Wände, eine verschlossene Tür und ein kleines Fenster mit Metallgitter. Ich öffnete das Fenster und rüttelte an den Gitterstäben. Ich hoffte, dass sie locker saßen. Doch sie rührten sich nicht. Es war wie im Gefängnis. Eingelocht von der Realitätspolizei. Ich legte das Ohr an die Tür und lauschte. Im Nebenzimmer sprachen Lucy, Bruce und Wayne miteinander. „Er muss das Schlafmittel trinken“, sagte Wayne. „Du musst darauf achten, dass er das ganze Glas austrinkt - sonst wacht er möglicherweise wieder auf.“ „Aber was ist, wenn er es ausspuckt?“, fragte Lucy. „Oder wenn er es nicht schluckt?“ „Ich werde ihn dazu bringen, es zu schlucken“, versicherte ihr Bruce. Igitt! Ich hatte keinen Bedarf, weiter zuzuhören. Verzweifelt lief ich im Zimmer hin und her. Sie würden mir einen Schlaftrunk einflößen, der mich für immer schlafen lassen würde! Das übertraf alle bisherigen Schwierigkeiten bei weitem! Mein Tag an der Highschool hatte mir bereits Angst gemacht, mein Leben als Monster war ebenfalls Furcht erregend gewesen, aber jetzt - jetzt steckte ich wirklich in der Klemme! Ich musste einen Ausweg aus diesem Schlamassel finden! Aber wie? Wie? Da fiel es mir ein. Wie war ich bisher aus den Schwierigkeiten herausgekommen? Ich war eingeschlafen. Und damit war das Problem jedes Mal gelöst gewesen. 55
Sicher, mit jedem Aufwachen hatte ich ein neues, größeres Problem gehabt. Aber nichts konnte schlimmer sein als das hier! Vielleicht, so hoffte ich, wache ich woanders auf und kann auf diese Weise fliehen! Aufgeregt wanderte ich weiter im Zimmer auf und ab. Das einzige Problem war - wie sollte ich jetzt einschlafen können? Ich hatte solche Angst! Aber ich musste es auf jeden Fall versuchen. Also legte ich mich auf den Boden. Es gab kein Bett, kein Kissen, keine Decke und durch das vergitterte Fenster fiel Tageslicht herein. Es würde nicht leicht werden. Du schaffst es, sagte ich mir. Ich erinnerte mich daran dass meine Mom - meine richtige Mom - immer gesagt hatte, ich könnte selbst in einem tosenden Sturm oder während eines Hurrikans schlafen. Ich bin ein fester Schläfer, so viel ist sicher. Ich vermisste meine Mom. Es kam mir so vor, als hätte ich sie schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen. Wenn es doch nur irgendeine Möglichkeit gäbe, sie zurückzubekommen, dachte ich, als ich die Augen schloss. Als ich noch ganz klein war, hatte sie mich immer in den Schlaf gesungen. Ich erinnerte mich an das Schlaflied. Darin ging es um niedliche Ponys... Leise summte ich das Lied und dämmerte dabei ein.
Ich öffnete die Augen und rieb sie mir. War ich eingeschlafen? Ja. Wo befand ich mich? Ich blickte nach oben. Eine kahle Zimmerdecke. Ich schaute herum. Nackte Wände. Eine Tür. Ein Fenster mit Gitterstäben davor. „Nein!“, rief ich außer mir. „Nein!“ Ich war noch immer im selben Zimmer, im selben Haus im Wald. Ich war noch immer ein Gefangener. Mein Plan hatte nicht funktioniert. Was konnte ich jetzt noch tun? „Neeeeiiiin!“ Ich war so wütend, so enttäuscht, so voller Angst. Zornig sprang ich auf dem Boden herum. Mein Plan hatte versagt. Nun fiel mir nichts 56
mehr ein. hatte keine Ahnung, was ich tun sollte. Jetzt war ich mir sicher, dass es kein Entkommen für mich gab. Ich war verloren. Im Nebenzimmer hörte ich Lucy und die beiden Kerle. Sie bereiteten den Schlaftrunk vor. Sie würden mich für immer schlafen legen. Ich würde weder meine Mutter noch Greg oder Pam jemals wieder sehen. Wie konnten sie mir das antun? Das war nicht fair! Ich hatte nichts Falsches getan, zumindest nicht mit Absicht! Je länger ich darüber nachdachte, desto wütender wurde ich. Ich brüllte: „NEEEEEIIIIINNN!“ Irgendwie klang es seltsam in meinen Ohren. Ich wiederholte mein Rufen, diesmal nicht ganz so laut. „Neeeiiin!“ Ich dachte, ich hätte ›nein‹ gesagt. Aber das war es nicht, was ich hörte. Ich hörte ein Quieken. „Nein!“, sagte ich noch einmal, hörte aber wieder „iih“. Es war meine Stimme, aber es war keine menschliche Stimme. Ich betrachtete mich selbst. Das hatte ich bisher völlig vergessen. Ich war so in Panik gewesen, als ich entdeckte, dass ich noch immer in der Falle saß - da hatte ich gar nicht daran gedacht, dass ich mich möglicherweise verwandelt hatte. Aber ich hatte mich verwandelt. Ich war klein, etwa zwanzig Zentimeter groß, und hatte winzig kleine Pfoten, ein graues Fell und einen großen buschigen Schwanz. Ich war ein Eichhörnchen! Mein Blick wanderte zum Fenster. Jetzt konnte ich mich leicht zwischen den Gitterstäben hindurchzwängen. Ich verschwendete keine Sekunde. Flink kletterte ich die Wand hinauf und schlüpfte zwischen den Gitterstäben hinaus. Ich war frei! Jippie! Vor Freude schlug ich einen kleinen Eichhörnchenpurzelbaum. Dann rannte ich so schnell ich konnte durch den Wald, bis ich wieder in die Stadt gelangte. Auf meinen winzigen Eichhörnchenpfoten huschte ich durch die Straßen. Ich schien viel Zeit dafür zu brauchen. Kurze Entfernungen kamen mir viel länger als sonst vor. In der Stadt war alles ruhig. Es gab keine Anzeichen dafür; dass hier vor kurzem ein Monster durchgelaufen war und Autos gefuttert hatte. Ich schätze, diese Realität ist verschwunden, dachte ich. 57
Das hier ist die neue Realität. Ich bin ein Eichhörnchen. Aber zumindest bin ich ein waches Eichhörnchen. Das ist immer noch besser; als ein Junge zu sein, der für immer schläft. Ich reckte die Nase in die Luft und schnupperte. Ich hatte einen erstaunlichen Geruchssinn. Obwohl ich mitten in der Stadt war; konnte ich mein Zuhause riechen. Ich rannte über die Straße, vergaß dabei aber, was mir meine Mutter immer eingetrichtert hatte. Schau immer erst nach rechts und links, bevor du eine Straße überquerst. Ein Auto kam um die Ecke gesaust. Der Fahrer konnte mich nicht sehen. Riesige schwarze Reifen kamen auf mich zu. Ich versuchte vor ihnen davonzulaufen. Doch dazu blieb mir keine Zeit. Ich schloss die Augen. Werde ich so enden?, schoss es mir durch den Kopf. Als platt gefahrenes Eichhörnchen?
QUIETSCH! Der Fahrer trat die Bremse durch und der Wagen kam schlitternd zum Stehen. Dann war alles ruhig. Vorsichtig öffnete ich die Augen. Einer der Reifen berührte fast mein Ohr. Schnell flitzte ich unter dem Reifen hervor und überquerte die Straße. Das Auto brauste davon. Wohlbehalten und erleichtert erreichte ich den Bürgersteig. Da bellte mich ein Hund in einem Vorgarten an und rannte auf mich zu. Wupps! Ich huschte an ihm vorbei und kletterte geschwind einen Baum hoch. Der Hund lief kläffend hinter mir her. Ich machte es mir auf dem Baum bequem und wartete ab, bis dem Hund die Bellerei langweilig wurde. Schließlich rief ihn sein Herrchen und er trottete davon. Sofort kletterte ich vom Baum hinunter und sauste durch den Garten. Allmählich konnte ich die Gefahren besser einschätzen und wich auf dem restlichen Heimweg allem aus: Autos, Fahrrädern, Leuten, Hunden, Katzen. Endlich, zu guter Letzt, stand ich vor meinem Haus 58
und schaute an der Fassade hoch. Es war nichts Besonderes, mein Zuhause. Nur ein schlichtes weißes Haus, von dem die Farbe abblätterte. Aber in meinen Augen war es wunderschön. Ich hatte einen neuen Plan, der diese verrückte Geschichte hoffentlich ein für alle Mal beenden würde. Mein Problem hatte damit begonnen, dass ich im Gästezimmer geschlafen hatte, so viel wusste ich. Dort befand sich das Loch in der Realität - das hatte Lucy gesagt. Doch seit ich das erste Mal im Gästezimmer geschlafen hatte, war ich nicht mehr in meinem Zimmer gewesen. Kein einziges Mal. Irgendetwas hatte mich immer davon abgehalten. Entweder schlief jemand anderes darin oder es wurde für einen anderen Zweck benützt. Mein Zimmer war der Raum, in dem ich schlief, als mein Leben normal war. Mein winziges altes Zimmer. Ich hätte nie gedacht, dass ich es eines Tages vermissen würde. Wahrscheinlich musste ich nur wieder in meinem alten Zimmer schlafen, damit alles wieder normal wurde. So wie früher. Das klang zwar dämlich, aber es war einen Versuch wert. Und außerdem hatte ich keine andere Idee. Behände kletterte ich an der Regenrinne zum ersten Stockwerk hoch und schaute durchs Fenster in mein altes Zimmer. Da war es! Mein altes Zimmer. Mit meinem Bett und allen anderen Möbeln! Doch das Fenster war geschlossen. Ich versuchte es mit meinen kleinen Eichhörnchenpfoten aufzudrücken, aber vergeblich. Ich versuchte mein Glück bei den anderen Fenstern des Hauses, ebenfalls erfolglos. Keines stand offen. Es musste einen anderen Weg geben, ins Haus zu kommen. Vielleicht konnte ich mich irgendwie durch die Tür schleichen. War jemand zu Hause? Ich spähte durchs Wohnzimmerfenster hinein. Mom! Und Pam und Greg! Sie waren wieder da! Ich war so aufgeregt, dass ich auf und ab hüpfte. Da watschelte Biggie ins Zimmer. Du liebe Güte, Biggie hatte ich völlig vergessen! Ich war nicht gerade glücklich, ihn jetzt wieder zu sehen. Denn Biggie war ganz wild darauf, Eichhörnchen zu jagen. Er entdeckte mich sofort und fing zu bellen an. Pam blickte auf und deutete lächelnd auf mich. Ja!, dachte ich. Komm und hol mich, Pam. Mach das Fenster auf und lass mich rein! 59
Behutsam öffnete sie das Fenster. „Hallo, kleines Eichhörnchen“, gurrte sie. „Bist du aber süß!“ Ich zögerte. Ich wäre zu gerne hineingesprungen, aber Biggie bellte wie verrückt. „Bring Biggie in den Keller!“, sagte Pam zu Greg. „Er macht dem Eichhörnchen Angst.“ Jetzt, wo ich ein Eichhörnchen war, war sie netter zu mir, als sie je zu ihrem kleinen Bruder gewesen war. Doch das war mir im Augenblick egal. Greg brachte Biggie in den Keller und schloss die Tür. „Komm herein, Eichhörnchen“, zwitscherte Pam. „Jetzt bist du hier sicher.“ Ich hüpfte ins Haus. „Seht nur!“, rief Pam. „Es will hereinkommen. Sieht fast so aus, als wäre es zahm!“ „Lass es bloß nicht herein!“, warnte Mom. „Viele Tiere haben Tollwut! Oder Flöhe, im harmlosesten Fall!“ Ich versuchte diese Bemerkung zu überhören. Es ist nicht gerade schön, wenn einen die eigene Mutter derart beleidigt. Ich konzentrierte mich darauf, die Treppe zu erreichen. Wenn es mir nur gelang, in mein Zimmer zu kommen und einzuschlafen, nur für ein paar Minuten „Es läuft davon!“, rief Greg. „Fang es!“ Pam stürzte sich auf mich, aber ich huschte schnell davon. „Wenn dieses Eichhörnchen frei im ganzen Haus herumläuft, Pamela“, sagte Mom giftig, „dann bekommst du gewaltigen Ärger!“ „Ich fange es ein“, versprach Pam. Nicht, wenn es nach mir geht, schwor ich mir. Pam schnitt mir den Weg zur Treppe ab. Ich sauste in die Küche. Pam folgte mir und schloss die Küchentür hinter sich. Ich saß in der Falle. „Hierher, kleines Eichhörnchen“, rief sie. „Komm her!“ Ich zuckte mit dem Schwanz und schaute mich nach einem Fluchtweg um, während sich Pam Zentimeter für Zentimeter auf mich zuschlich. Sie gab sich Mühe, mich nicht zu verscheuchen. Ich flitzte unter den Tisch. Sie griff nach mir und verfehlte mich. Doch als ich davonhuschte, drängte sie mich in eine Ecke, packte mich. Ich hatte keine Ahnung gehabt, dass sie so flink war. Sie packte mich im Genick und hielt meine Beine fest. 60
„Ich habe es!“, rief sie triumphierend. Greg riss die Küchenür auf. Hinter ihm stand Mom. „Schaff es raus - rasch!“, befahl Mom. „Kann ich es nicht behalten, Mom?“, bettelte Pam. „Es wäre so ein süßes Haustier!“ Mich schauderte. Ich, als Pams Haustier! Was für ein Alptraum! Aber möglicherweise war das die beste Gelegenheit für mich, in mein Zimmer zu kommen. „Nein!“, sagte Mom resolut. „Dass du es behältst, kommt überhaupt nicht in Frage. Bring es sofort nach draußen!“ Pam zog einen Flunschmund. „Okay, Mom“, sagte sie niedergeschlagen. „Wie du meinst.“ Sie trug mich aus der Küche. „Mom ist so gemein“, sagte sie so laut, dass Mom sie hören konnte. „Ich will dich doch nur eine Zeit lang behalten und knuddeln. Was ist so schlimm daran?“ Eine Menge, dachte ich. Pam war die letzte Person, von der ich gehätschelt und geknuddelt werden wollte. Von Greg einmal abgesehen. Sie öffnete die Haustür. „Tschüss, kleines Eichhörnchen“, sagte sie. Dann schlug sie die Türe zu. Doch dabei ließ sie mich nicht los. Sie hielt mich noch immer fest. Und dann huschte sie die Treppe in ihr Zimmer hoch. „Keine Bange, Eichhörnchen“, wisperte sie. „Ich werde dich nicht lange behalten. Nur ein kleines Weilchen.“ Und mit diesen Worten zog sie etwas unter ihrem Bett hervor. Ihren alten Hamsterkäfig. Sie öffnete die Käfigtür und schob mich hinein. „Nein!“, fiepte ich, aber natürlich konnte sie mich nicht verstehen. Sie verriegelte das Türchen. Schon wieder war ich gefangen!
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Was mache ich jetzt bloß?, überlegte ich verzweifelt. Ich stecke in diesem blöden Käfig fest und kann mich nicht verständlich machen. Wie soll ich es da je schaffen, in mein altes Zimmer zukommen? Mir kam noch ein anderer schlimmer Gedanke. Wenn ich nun im Hamsterkäfig einschlief - wie würde ich dann erwachen? Pams großes Gesicht tauchte über dem Käfig auf. „Bist du hungrig, kleines Eichhörnchen? Ich hole dir ein paar Nüsse.“ Sie verließ das Zimmer und ich lief grübelnd im Käfig auf und ab. Plötzlich merkte ich, dass ich im Hamsterlaufrad rannte. Hör auf damit!, befahl ich mir selbst und zwang mich, das Laufrad zu verlassen. Ich hatte keine Lust, mich an ein Leben als Haustier zu gewöhnen. „Hier bin ich wieder, Eichhörnchen.“ Pam war mit einer Hand voll Nüsse ins Zimmer zurückgekehrt. Sie öffnete das Türchen und legte die Nüsse in den Käfig. „Lecker; lecker!“, säuselte sie. Du meine Güte! Ich futterte die Nüsse. Nach meinen vielen Abenteuern war ich schrecklich hungrig. Aber sie hätten mir weitaus besser geschmeckt, wenn Pam mich nicht die ganze Zeit über beobachtet hätte. Das Telefon klingelte. Einen Moment später hörte ich Greg rufen: „Pam! Telefon!“ „Komme!“, rief Pam erfreut, sprang auf und rannte aus dem Zimmer. Ich hockte wie ein Trottel da und mampfte Nüsse. Es dauerte fünf Minuten, bis mir auffiel, dass Pam die Käfigtür unverriegelt gelassen hatte. „Ja!“, quiekte ich. Ausnahmsweise war ich froh darüber, dass Pam kein Genie war. Ich drückte die Tür mit den Pfoten auf, schlich zur Zimmertür und lauschte, ob jemand in der Nähe war. Nein, die Luft war rein. Das war die Gelegenheit für mich! Ich sauste zur Tür hinaus und durch den Flur zu meinem Zimmer. Die Tür war zu. Ich versuchte sie zu öffnen, indem ich mich mit meinem winzigen Eichhörnchenkörper dagegen warf. Unmöglich. Sie war fest geschlossen. 62
Mist! Am Ende des Korridors erklangen Schritte. Pam kam zurück! Ich musste schnell verschwinden, bevor sie mich wieder in den Käfig steckte. Oder bevor meine Mutter mich mit einem Besen hinausscheuchte. Ich huschte die Treppe hinunter und ins Wohnzimmer. Stand das Fenster noch offen? Ja. Ich rannte hinter die Couch, sauste an der Wand entlang, unter einem Sessel hindurch Dann sprang ich aufs Fensterbrett und hinaus in den Garten. Ich kletterte auf einen Baum und rollte mich auf einem Ast zusammen, um mich auszuruhen. Als Eichhörnchen schaffte ich es nicht, in mein Zimmer zu kommen. Es gab nur eines, was ich tun konnte: Ich musste wieder schlafen. Und dieses Mal sollte ich besser als Mensch aufwachen. Denn ich musste unbedingt in mein altes Zimmer. Wenn mir das nicht gelang, steckte ich in der Tinte. Tief in der Tinte. Die Leute von der Realitätspolizei waren mir auf der Spur. Es war nur eine Frage der Zeit, wann sie mich fanden. Und wenn das geschah, konnte mich nichts mehr retten.
KNACKS! PLUMPS! UUH! Ich landete unsanft auf der Erde. Was für ein Erwachen! Wer war ich dieses Mal? Was für eine Erleichterung! Ich war wieder ein zwölfjähriger Junge. Aber mein früheres Ich hatte ich noch immer nicht wieder. Diesmal war ich ein sehr, sehr pummeliger Junge. Ein richtiger Pfannkuchen. Kein Wunder, dass mich der Ast nicht gehalten hatte! Doch das machte mir nichts aus. Immerhin war ich wieder ein Mensch und konnte sprechen. Und vielleicht gelang es mir endlich, mir Zutritt zu meinem alten Zimmer zu verschaffen. 63
Ich marschierte schnurstracks auf die Haustür zu und drehte am Türgriff. Abgesperrt. Also klopfte ich. Ich hatte keine Ahnung, wer aufmachen würde. Ich hoffte, es war keine Monsterfamilie. Die Tür öffnete sich. „Mom!“, rief ich. Ich war überglücklich, sie zu sehen. „Mom - ich bin's! Matt!“ Mom starrte mich an. „Wer bist du?“, fragte sie. „Matt! Matt, Mom! Dein Sohn!“ Sie musterte mich blinzelnd. „Matt? Ich kenne keinen Matt“, sagte sie. „Aber natürlich tust du das, Mom! Erinnerst du dich nicht an mich? Erinnerst du dich nicht an das Schlaflied, das du mir immer vorgesungen hast, als ich ein Baby war?“ Misstrauisch schaute sie mich mit zusammengekniffenen Augen an. Hinter ihr tauchten Greg und Pam auf. „Wer ist das, Mom?“, fragte Pam. „Greg!“, rief ich. „Pam! Ich bin es - Matt! Ich bin wieder da!“ „Wer ist dieser Junge?“, fragte Greg. „Keine Ahnung“, sagte Pam. O nein, dachte ich. Bitte lass nicht zu, dass das passiert. Ich bin so nah dran „Ich muss in meinem alten Zimmer schlafen“, sagte ich flehend. „Bitte, Mom. Lass mich nach oben gehen und in meinem Zimmer schlafen. Es geht um Leben oder Tod!“ „Aber ich kenne dich doch gar nicht“, sagte Mom. „Und ich kenne auch keinen Matt. Du musst dich in der Tür geirrt haben.“ „Dieser Junge ist ein bisschen plemplem“, sagte Greg. „Mom! Warte!“, schrie ich. Doch sie schlug mir die Tür vor der Nase zu. Ich wandte mich um und ging langsam die Einfahrt hinunter. Was mache ich nun?, fragte ich mich. Dann blieb ich stehen und schaute die Straße hinunter. Drei Leute kamen auf mich zugelaufen. Die letzten Leute, die ich sehen wollte. Lucy, Bruce und Wayne. Die Realitätspolizei! Sie hatten mich gefunden!
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„Dort ist er!“ Lucy deutete auf mich. Die drei rannten schneller. „Schnappt ihn euch!“ Ich drehte mich um und rannte los. Das war nicht einfach, denn ich konnte nicht besonders schnell laufen. Wieso musste ich diesmal ausgerechnet als Dickerchen aufwachen? Einen Vorteil hatte ich jedoch. Ich kannte die Gegend wie meine Westentasche - die drei aber nicht. Ich rannte durch den Vorgarten zum Haus unseres Nachbarn. Ich warf einen Blick zurück. Die Realitätspolizei holte auf. Die drei waren nur noch einen halben Straßenblock weit von mir entfernt. Ich verschwand hinter dem Nachbarhaus und schlich mich dann von hinten zu meinem Haus zurück. An der Rückseite der Garage stand dichtes Buschwerk. Ich tauchte hinter den Sträuchern ab und hielt den Atem an. Wenige Minuten später eilten drei Paar Füße an mir vorbei. „Wo ist er hin?“, hörte ich Lucy fragen. „Er muss in die andere Richtung gelaufen sein“, sagte Wayne. „Kommt mit!“ Sie rannten davon. Puh! Nun konnte ich wieder atmen. Zischend stieß ich die angehaltene Luft aus. Für den Augenblick war ich sicher. Doch ich war mir darüber im Klaren, dass mich die Realitätspolizei wieder finden würde. Ich musste zurück in mein Zimmer. Aber es war ausgeschlossen, dass Mom mich hineinließ. Sie hielt mich für einen Verrückten. In diesem Fall blieb mir nur noch eines übrig: Ich musste ins Haus einbrechen. Ich würde warten, bis es Nacht war und alle schliefen. Dann würde ich mir irgendwo ein offenes Fenster suchen - oder wenn nötig, eines einschlagen. Drinnen im Haus würde ich mich in mein Zimmer schleichen und mich dort schlafen legen. Ich hoffte nur, es würde nicht bereits jemand in meinem Bett liegen. In der Zwischenzeit musste ich abwarten, bis es dunkel wurde. Ich blieb in meinem Versteck hinter den Büschen und lag so reglos da, wie ich konnte. Ich gab mir alle Mühe, wach zu bleiben. Schließlich wollte ich auf keinen Fall jetzt schon einschlafen. Denn wer wusste schon, wie ich 65
dann erwachte? Vielleicht würde ich es nie schaffen, in mein Zimmer zu kommen. Die Stunden verstrichen langsam. Endlich brach die Dunkelheit herein und im Viertel wurde es still. Vorsichtig krabbelte ich hinter den Büschen hervor. Meine Arme und Beine schmerzten vom unbequemen Liegen. Ich schaute zum Haus. Bis auf Mom waren alle zu Bett gegangen, aber in ihrem Zimmer brannte noch Licht. Ich wartete, bis auch dieses Licht erlosch, und wartete dann eine weitere halbe Stunde, um Mom Zeit zum Einschlafen zu geben. Schließlich schlich ich um das Haus herum zur Vorderseite. Mein Zimmer lag im ersten Stock. Ich wusste, dass Mom alle Türen verriegelt und alle Fenster im Erdgeschoss geschlossen hatte. Das tat sie jeden Abend. Ich musste also in den ersten Stock hinaufklettern und durch mein Zimmerfenster einsteigen. Das war der einzige Weg. Im Einzelnen bedeutete das, erst an dem Baum vor meinem Fenster hochzuklettern und von dort nach der einen halben Meter entfernten Regenrinne zu greifen. Dann musste ich mich an ihr festhalten, während ich versuchte mich auf den schmalen Sims vor meinem Fenster zu setzen. Und von dort aus konnte ich möglicherweise das Fenster öffnen und hineinkriechen. Zumindest war das mein Plan. Doch je länger ich darüber nachdachte, desto dämlicher kam er mir vor. Du denkst besser nicht zu viel darüber nach, sagte ich mir. Tu's einfach. Ich stellte mich auf Zehenspitzen und streckte mich nach dem untersten Ast des Baumes, der sich jedoch ein Stückchen außerhalb meiner Reichweite befand. Ich musste springen und erwischte den Ast mit den Fingerspitzen, konnte ihn aber nicht festhalten. Wäre ich doch bloß nicht so pummelig gewesen! Ich kam kaum vom Boden hoch. Aber ich würde nicht aufgeben, schwor ich mir. Wenn nicht klappte, war ich verloren. Also holte ich tief Luft und nahm all meine Kraft zusammen. Ich ging in die Hocke und sprang dann so hoch ich konnte. Ja! Ich bekam den Ast zu fassen! Eine Sekunde lang hing ich zappelnd in der Luft. Ich schwang die Beine in Richtung Stamm, aber sie waren so schwer! 66
Ich wand mich und konnte die Beine schließlich gegen den Stamm stemmen. Vor Anstrengung grunzend, hievte ich mich auf den Ast. Puh! Der Rest der Übung war dann ziemlich einfach. Ich kletterte bis zum Ast vor meinem Fenster, packte einen höher gelegenen Ast über meinem Kopf und richtete mich auf. Jetzt konnte ich die Regenrinne erreichen. Ich hoffte inständig, dass sie hielt. Dann versuchte ich einen Fuß auf den Fenstersims zu stellen. Doch ich trat daneben. Jetzt hing ich nur noch mit den Fingerspitzen an der Regenrinne! Ich schaute nach unten. Der Boden schien weit entfernt. Ich presste die Lippen zusammen, um einen Schrei zuunterdrücken. Ich musste meinen Fuß auf den Sims bekommen - oder ich würde hinunterfallen. Ich drehte mich nach links, versuchte näher an den Sims heranzukommen. KNACKS! Was war das? KNACKS! Die Regenrinne! Sie würde nicht mehr länger halten!
KNACKS! Ich spürte, wie ich abwärts glitt. Die Regenrinne drohte jeden Moment abzubrechen. Ich nahm alle Kraft zusammen, klammerte mich an die Regenrinne und streckte einen Fuß so weit aus, bis meine Zehenspitzen den Fenstersims berührten. Ich setzte den einen Fuß auf, dann zog ich den anderen nach. Ich hatte es geschafft! Ich kauerte mich auf den Sims. Mit einer Hand hielt ich mich noch immer an der Regenrinne fest, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Reglos rang ich nach Atem. Obwohl es kühl war, spürte ich, wie mir dicke Schweißtropfen übers Gesicht liefen. 67
Mit der freien Hand wischte ich sie fort. Ich spähte durch das Fenster nach drinnen. In meinem Zimmer war es dunkel. War jemand darin? Das konnte ich nicht feststellen, denn das Fenster war geschlossen. Bitte, lass es nicht verriegelt sein, betete ich. Wenn ich es nicht schaffe, ins Zimmer zu gelangen, hing ich auf dem Fenstersims fest, denn von hier aus kam ich nicht mehr nach unten. Außer ich fiel hinab, natürlich. Vorsichtig versuchte ich das Fenster aufzuschieben. Es ließ sich öffnen. Es war nicht verriegelt! Ich schob es hoch, kroch ins Zimmer und sprang auf den Fußboden. Ich erstarrte. Hatte mich jemand gehört? Kein Laut war zu hören. Alle schienen zu schlafen. Ich rappelte mich auf. Da war mein Bett! Mein altes Bett! Und es war leer! Ich war so glücklich, dass ich am liebsten einen Luftsprung gemacht und gejubelt hätte. Aber ich ließ es bleiben. Das Feiern hebe ich mir für morgen auf, dachte ich. Wenn mein Plan funktioniert hat. Ich zog die Schuhe aus und kroch ins Bett. Ich seufzte. Saubere Laken. Es fühlte sich so gut an, wieder daheim zu sein. Alles war beinahe wieder normal. Ich schlief in meinem eigenen Bett und Mom, Pam und Greg schliefen alle in ihren Zimmern. Gut, ich sah nicht wie ich selbst aus. Noch hatte ich meinen früheren Körper nicht zurück. Und meine Familie erkannte mich nicht. Wenn sie mich jetzt gesehen hätten, hätten sie mich für einen Einbrecher gehalten. Oder einen Irren. Schnell verdrängte ich diese unangenehmen Gedanken. Ich wollte lieber an den nächsten Morgen denken. Was wird morgen passieren?, fragte ich mich schläfrig. Wer werde ich sein, wenn ich aufwache? Wird mein Leben dann wieder seinen normalen Gang gehen? Oder werden Lucy und diese beiden Typen an meinem Bett stehen, bereit, sich auf mich zu stürzen? Es gab nur einen Weg, das herauszufinden. Ich schloss die Augen und schlief ein.
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Ich spürte etwas Warmes im Gesicht. Sonnenstrahlen. Ich öffnete die Augen. Wo war ich? Ich sah mich um. Ich befand mich in einem kleinen, unordentlichen Zimmer voller Trödel. In meinem alten Zimmer! Mein Herz setzte einen Schlag lang aus. Hatte mein Plan funktioniert? War ich wieder normal? Ich konnte es kaum abwarten, das herauszufinden. Ich warf die Decke beiseite, sprang aus dem Bett und lief zum Spiegel an der Innenseite der Zimmertür. Ich sah einen schmächtigen blonden zwölfjährigen Jungen. Ja! Ich war wieder ganz der Alte! Ich war wieder ich! „Juhu!“, jubelte ich. Biggie stieß mit der Schnauze die Tür auf und kam ins Zimmer gewatschelt. Er knurrte mich an und bellte. „Biggie!“, rief ich glücklich. Ich beugte mich zu ihm und knuddelte ihn. Er schnappte nach mir. Guter alter Biggie! „Matt!“ Ich hörte Moms Stimme aus der Küche. Die Stimme meiner richtigen Mom. „Matt! Lass Biggie in Ruhe! Hör auf ihn zu ärgern!“ „Ich ärgere ihn nicht!“, brüllte ich zurück. Sie schiebt mir immer für alles die Schuld in die Schuhe. Doch das war mir egal! Ich war so glücklich, wieder hier zu sein! Ich sauste die Treppe hinunter zum Frühstück. Da saßen sie. Mom. Pam. Greg. Genau so, wie ich sie zurückgelassen hatte. „Der Spinner, betritt die Küche zur Morgenfütterung“, sprach Greg in sein Aufnahmegerät. „Was isst ein Spinner? Wir wollen ihn beobachten und es herausfinden.“ „Gre-eg!“, sang ich, schlang ihm die Arme um den Hals und drückte ihn an mich. Er scheuchte mich fort. „Weg von mir, Spinner!“ „Und Pam!“ Auch sie umarmte und drückte ich. „Was ist denn mit dir los, Erbsenhirn?“, giftete sie. „Ich weiß - du wurdest letzte Nacht von Außerirdischen gekidnappt! Habe ich Recht? Und die haben dich einer Gehirnwäsche unterzogen!“ 69
Ich überhörte ihre Witzeleien und strich ihr über das Putzwollehaar. „Lass das!“, zeterte sie. Meine Mom umarmte ich am stürmischsten. „Danke, mein Schatz.“ Sie strich mir über den Rücken. Wenigstens sie war zur Abwechslung einmal auf meiner Seite. „Hol dir Cornflakes, Matt“, sagte sie. „Ich bin spät dran.“ Ich seufzte glücklich und machte mir einen Teller Cornflakes. Alles war wieder normal. Niemandem war aufgefallen, dass ich fort gewesen war. Nie wieder gehe ich in dieses blöde Gästezimmer, schwor ich mir. Niemals. Von nun an bleibe ich in meinem kleinen Zimmer - ganz egal, wie voll geramscht es auch sein mag. ZACK! Etwas piekste mich im Nacken. Ich fuhr herum. Greg grinste mich an. Er hielt einen Strohhalm in der Hand. Er sprach in seinen Kassettenrecorder: „Was geschieht, wenn man einen Spinner mit einem Papierkügelchen beschießt? Wie reagiert er darauf?“ „Ich wette, er heult wie ein Baby“, sagte Pam. Ich zuckte die Achseln und wandte mich wieder meinen Cornflakes zu. „Ihr könnt mich nicht nerven“, sagte ich. „Dazu bin ich viel zu glücklich.“ Pam und Greg sahen sich verwundert an. Pam tippte sich mit dem Zeigefinger an die Schläfe. Das war die internationale Zeichensprache für: „Er ist plemplem.“ „Irgendetwas ist mit dem Spinner geschehen“, verkündete Greg. „Allerdings“, pflichtete Pam ihm bei. „Der Spinner hat sich verändert.“ An diesem Tag machte mir die Schule richtig Spaß. Es war großartig, wieder in die siebte Klasse zu gehen. Alles war viel einfacher als in der Highschool. Beim Fußballspiel in der Turnhalle schoss ich sogar ein Tor. Doch auf dem Weg zur letzten Stunde sah ich etwas, was mein Herz stillstehen ließ: Ein Mädchen schlenderte den Korridor entlang. Sie war etwa in meinem Alter und hatte langes, dichtes blondes Haar; das sie zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte. O nein. Lucy! Ich erstarrte. Was sollte ich tun? War die Realitätspolizei noch immer hinter mir her? Ich hatte doch alles in Ordnung gebracht! Sie brauchten mich nicht mehr schlafen zu legen! 70
Ich muss schleunigst von hier verschwinden, dachte ich entsetzt. Ich war drauf und dran davonzurennen. Da drehte sich das Mädchen um und grinste mich an. Es war gar nicht Lucy! Nur irgendein anderes Mädchen mit langen blonden Haaren. Erleichtert atmete ich tief durch und versuchte mich zu entspannen. Es war vorbei. Es war alles nur ein schlimmer Traum gewesen oder so etwas Ähnliches. Das Mädchen entfernte sich und ich ging in die letzte Stunde. Nirgends war eine Spur von Lucy, Bruce oder Wayne. Auf dem Heimweg pfiff ich bei dem Gedanken daran, wie einfach die Hausaufgaben waren, fröhlich vor mich hin. Ich trat ins Haus: „Hallo, Matt!“, rief Mom. „Mom?“ Ich war überrascht, sie anzutreffen. Normalerweise war sie in der Arbeit, wenn ich nach Hause kam. „Was machst du denn so früh zu Hause?“ Sie lächelte mich an. „Ich habe mir den Tag freigenommen“, erklärte sie. „Ich hatte einiges im Haus zu erledigen.“ „Oh.“ Ich zuckte mit den Achseln und schaltete den Fernseher ein. Mom schaltete ihn ab. „Matt - bist du nicht neugierig?“ „Neugierig? Weswegen?“ „Willst du nicht wissen, was ich den ganzen Tag über getan habe?“ Ich schaute mich im Wohnzimmer um. Alles sah aus wie sonst. „Ich weiß nicht“, sagte ich. „Was hast du denn getan?“ Sie lächelte wieder. Sie sah aus, als wäre sie wegen irgendetwas aufgeregt. „Hast du es vergessen?“, sagte sie. „Du hast diese Woche Geburtstag!“ Das hatte ich in der Aufregung der letzten Tage tatsächlich vergessen. Wenn du um dein Leben bangst, denkst du nicht mehr viel an deinen Geburtstag. „Ich habe eine ganz besondere Überraschung für dich“, sagte Mom. „Komm mit nach oben, dann zeige ich sie dir.“ Ich folgte ihr die Treppe hinauf Langsam steckte mich ihre freudige Erregung an. Was für eine Überraschung konnte das sein? 71
Es sah meiner Mom gar nicht ähnlich, wegen meines Geburtstags so viel Wind zu machen. Die Überraschung musste etwas echt Umwerfendes sein. Vor der Tür zu meinem Zimmer blieb Mom stehen. „Sieh nach.“ Sie stieß die Türe auf. Ich schaute hinein. In meinem Zimmer stapelten sich große Kartons, vom Boden bis zur Decke. Wow! „Sind das alles Geschenke für mich?“, fragte ich. Mom lachte. „Geschenke? Diese Kartons? Natürlich nicht!“ Sie kicherte. Na ja, das wäre auch zu schön gewesen, um wahr zu sein. „Also, was ist die Überraschung denn dann?“, fragte ich. „Matt“, begann sie, „ich habe über das, was du vor ein paar Tagen gesagt hast, nachgedacht. Und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass du Recht hast. Dein Zimmer ist zu klein für dich. Deshalb habe ich es zum Abstellraum gemacht.“ „Du - du hast was?“ „Du hast richtig gehört.“ Sie ging über den Flur und öffnete die Tür zum Gästezimmer. „Tata!“ Nein. O nein! Das kann nicht sein. Tu mir das nicht an! „Alles Gute zum Geburtstag, Matt!“, rief Mom. „Willkommen in deinem neuen Zimmer!“ „Ähm...“ Vor Schreck brachte ich kein Wort heraus. Mein Bett, meine Kommode, meine Poster und Bücher - alles war ins Gästezimmer umgeräumt. „Matt? Was ist denn los?“, rief Mom. „Das ist doch, was du dir gewünscht hast!“ Mein Mund öffnete sich zu einem lang gezogenen Schrei.
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Band8 OMNIBUS Nr. 20262 Die Puppe mit dem starren Blick Band 9 OMNIBUS Nr. 20263 Nachts, wenn alles schläft
Atemlos, mit kalten Händen oder eben mit einer Gänsehaut verschlingt man diese Bücher. Die Helden sind ganz normale zehn- bis zwölfjährige Mädchen und Jungen, ziemlich neugierig und mutig, die keine Angst davor haben, nachts auf einen Friedhof zu gehen. R. L. Stine selbst sagt: »Das Lesen eines Gruselbuchs ist wie eine Fahrt mit der Achterbahn: Kinder haben gerne Angst, wenn sie wissen, was sie erwartet; sie wissen, dass sie unterwegs fürchterlich schreien werden, aber sie wissen auch, dass sie am Ende der Fahrt wieder sicher am Boden ankommen werden.«
Band 10 OMNIBUS Nr. 20355 Der Gruselzauberer Band 11 OMNIBUS Nr. 20356 Die unheimliche Kuckucksuhr Band 12 OMNIBUS Nr. 20023 Die Nacht im Turm der Schrecken Band 13 OMNIBUS Nr. 20396 Meister der Mutanten Band 14 OMNIBUS Nr. 20397 Die Geistermaske Band 15 OMNIBUS Nr. 20398 Die unheimliche Kamera
Band1 OMNIBUS Nr. 20149 Der Spiegel des Schreckens
Band 16 OMNIBUS Nr. 20399 ... und der Schneemensch geht um
Band 2 OMNIBUS Nr. 20150 Willkommen im Haus der Toten
Band 17 OMNIBUS Nr. 20417 Der Schrecken, der aus der Tiefe kam
Band 3 OMNIBUS Nr. 20151 Das unheimliche Labor
Band 18 OMNIBUS Nr. 20418 Endstation Gruseln
Band 4 OMNIBUS Nr. 20152 Es wächst und wächst und wächst...
Band 19 OMNIBUS Nr. 20419 Die Rache der Gartenzwerge
Band5 OMNIBUS Nr. 20153 Der Fluch des Mumiengrabs Band6 OMNIBUS N r. 20236 Der Geist von nebenan Band7 OMNIBUS Nr. 20308 Es summt und brummt - und sticht!