New Orleans – Jetzt kommt das Glück Rosemary Hammond Bianca Exklusiv 102-1 – 6/02
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New Orleans – Jetzt kommt das Glück Rosemary Hammond Bianca Exklusiv 102-1 – 6/02
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1. KAPITEL Als sie Michael Fielding zum ersten Mal begegnete, hatte Lelia eine fast panische Angst befallen, eine plötzliche, unerklärliche Furcht, die ihre gewohnte Selbstbeherrschung zu brechen drohte. Sie und Armand waren vom Stadthaus in der Chartres Street zur Plantage am Ostufer des Mississippi gefahren, um sich die Fortschritte der Renovierungsarbeiten anzusehen. Es war ein grauer Tag, für New Orleans im Februar kalt, und sie hoffte, dass die beiden Männer das Zittern, das ihren schmalen Körper durchfuhr, der Temperatur und nicht ihrem Nervenzustand zuschreiben würden. Als sie vorfuhren, stand er am breiten Säulengang des eleganten Wohnhauses und gab den Arbeitern Anweisungen. Er stand mit dem Rücken zu ihnen, und ihr erster Gedanke war, dass er von allem zu viel hatte. Er war zu groß, ein athletisch gebauter Mann in schwarzen Jeans und dickem grauen Pullover. Seine breiten Schultern waren körperlich zu beeindruckend, seine großen Hände waren in die schmalen Hüften gestemmt, seine Beine waren lang. Beim Näherkommen dachte sie, dass auch seine schwarzen Haare, die leicht über seinen Nacken und die Ohren fielen, zu lang waren. Als er sich umdrehte, waren seine ausdrucksvollen Augen zu blau, seine Gesichtszüge zu gleichmäßig, sein Unterkiefer zu ausgeprägt und gebieterisch. Er war unrasiert und mit den dunklen Bartstoppeln auf Kinn und Oberlippe sah er fast noch rauer und gefährlicher aus. Dann begann er zu sprechen, und das brachte sie wieder zur Besinnung. Er war nur ein Mann und wurde von ihrem Mann bezahlt: Wie konnte er für sie eine Bedrohung sein? „Mr. Duval", rief er. „Guten Morgen. Sind Sie gekommen, um sich zu informieren, wie die Arbeit vorangeht?" Er sah sie knapp und höflich an, trat einen Schritt vor, und Lelia beschlich wieder dieses eigentümliche Gefühl der Gefahr. „Guten Morgen, Mr. Fielding", sagte Armand. „Wie Sie sehen, habe ich diesmal meine Frau mitgebracht." Er blickte aus dem Rollstuhl zu Lelia hoch. „Liebling, das ist Michael Fielding, der großartige Mann persönlich, der ,Beaux Champs' wieder zu seinem ursprünglichen Glanz verhelfen will." Seine Stimme klang allzu angenehm. Obwohl die Worte selbst harmlos waren, schien er es auf eine heimliche Herausforderung abgesehen zu haben. Mir gegenüber? wunderte sich Lelia. Oder Michael Fielding gegenüber? Sie sah, wie der große Mann zu Armand heruntersah, dann richtete er seine blauen Augen auf sie. Sie hob leicht das Kinn und begegnete mit ausdrucksloser Miene seinem Blick. „Wie geht es Ihnen, Mr. Fielding?" Ihre Stimme klang kühl und kontrolliert. „Armand sagte mir, dass Sie hier Wunder vollbrächten." Er zuckte nur mit den Achseln, seine starken Brust- und Armmuskeln zeichneten sich unter dem grauen Pullover ab. Dann nickte er höflich. „Mrs. Duval", sagte er, dann wandte er sich wieder Armand zu. „Möchten Sie einen Rundgang machen?" Als Lelia den beiden Männern ins Haus folgte, fragte sie sich wieder verwundert, warum Armand sie heute Morgen dabeihaben wollte. Bestimmt nicht, um ihre Meinung zu hören. An der war er nie interessiert. Was bedeutete sein Blick, als er Michael Fielding vorstellte? Es war, als spielte er mit ihr, als wollte er ihre Abwehrhaltung, die kühle. Fassade, die sie sorgsam aufgerichtet hatte, durchbrechen. Während sie durch die weitläufigen Räume ging, an den unschätzbaren Teppichen und den Antikmöbeln vorbei, die mit Tüchern sorgsam abgedeckt waren, musste sie an die Unterhaltung am Frühstückstisch denken. „Ich möchte, dass du mich heute Morgen nach ,Beaux Champs' begleitest", hatte Armand gesagt. Lelia schaute ihn an. Er fuhr immer ohne sie zur Familienplantage, und sie wunderte sich,
warum er sie heute dabeihaben wollte. Allerdings pflegte sie Armands Wünschen nicht zu widersprechen. „Natürlich", erwiderte sie und setzte die zerbrechliche Porzellantasse auf der Untertasse ab. „Wann möchtest du fahren?" „Sobald du angezogen bist." Er dachte einen Augenblick nach. „Zieh das neue cremefarbene Wildlederkostüm an. Es wird kühl sein. Die Farbe passt zu deinem dunklen Teint." Sie rückte den eleganten Louis-Quinze-Stuhl von dem langen Mahagonitisch ab und stand auf, die bauschigen Falten ihres weißen Samtmorgenrocks umspielten ihre Knöchel. Armand hob die Hand. „Frühstücke erst zu Ende. Wir haben es nicht eilig." Obwohl sie jeden Abend mit Blanche und Tante Amalie im vornehmen Esszimmer mit den hohen Decken aßen, waren Frühstück und Mittagessen zwangloser. An diesem Morgen waren sie allein im Zimmer. „Ich bin fertig", sagte sie. Ein halbes Croissant, Saft und zwei Tassen starken schwarzen New-Orleans-Kaffees, der mit Sahne kräftig verdünnt wurde, bildeten ihr ganzes Frühstück. „Ich muss nur noch ins Bad und mich anziehen. Ich brauche nicht einmal eine Stunde." Sie zögerte und schaute eine Weile auf den gemusterten Aubusson-Teppich, dann sah sie in Armands klare Augen. Er erwiderte ihren Blick, wirkte aber gereizt und voll von Selbstmitleid. „Brauchst du Hilfe?" Sie traute sich nicht, auf seinen Rollstuhl zu schauen. „Nein", sagte er stirnrunzelnd. Er sah weg. „Ich tauge vielleicht nicht mehr viel, aber ich komme immer noch selbst vom Esszimmer zum Schlafzimmer." Seine Stimme klang verbittert. Sie nickte und ging zur Tür. „Soll ich fahren?" Er seufzte matt. „Nein. Peter wird uns im Rolls fahren. Man muss den Wagen, kennen, und ich weiß, dass du ihn nicht gerne fährst." Sie wollte protestieren, dass sie das nie gesagt hätte, aber sie sah ein, dass es dann nur zu einer weiteren langen Tirade über ihre Fehler kommen würde. Wenn Armand sie wie eine zerbrechliche Puppe behandeln wollte, wie ein unfähiges Kind, dann war es sein Recht. Sie ging durch den Flur zu ihrem eigenen Schlafzimmer, das mit seinen schweren blauen Damastvorhängen, den Teppichen mit Rosenmustern und den stoffüberzogenen antiken Stühlen bedrückend wirkte. Sie hielt es zwar für schön, konnte sich jedoch manchmal nicht des Eindrucks erwehren, es passe nicht zu ihr. Das Duval-Haus war einer der wenigen Privatwohnsitze, die noch im alten Französischen Viertel standen - dem Vieux Carre von New Orleans. Es gehörte wie die Plantage ,Beaux Champs' am Mississippi seit Generationen der Familie Duval. Die Duvals waren wie die anderen alten kreolischen Familien Teil der aristokratischen Gesellschaft von New Orleans. Armand, aus einer der reichsten und Spross der ältesten Familie, hatte die feste Absicht, ihre Häuser im ursprünglichen Glanz zu erhalten. Es sind fast Kunstwerke, dachte Lelia oft, aber man fühlt sich nicht heimisch. Sie badete im duftenden Wasser der Marmorbadewanne, cremte ihren Körper ein und zog die speziell angefertigte Spitzenwäsche an, die sie auf Armands Anweisung tragen musste. Dann setzte sie sich vor die mit einem Satinvolant verkleidete Frisierkommode, deren Spiegel mit vergoldetem Messing gerahmt waren, richtete ihr Haar und legte Make-up auf. Sie ließ ihr Haar zwei Mal wöchentlich machen, und zwischen den Hausbesuchen des französischen Friseurs brauchte sie die schwarze Haarfülle nur glatt zu bürsten und hübsch in die kunstvolle Frisur zu bringen, die Armand so gerne hatte. Das Make-up war einfach. Selbst wenn sie nach Armands Meinung wie eine verhätschelte Puppe aussehen sollte, verabscheute sie das Vulgäre. Für ihre weiche sanfte Haut waren weder übermäßiger Puder noch Schminke nötig, denn sie hatte von Natur aus etwas Farbe. Ein wenig Eouge, ein Hauch von Lippenstift, ein Nachziehen der Augenbrauen reichten für das Bild, das sie seiner Meinung nach abgeben sollte.
Lelia ging zum Wandschrank, um das Lederkostüm herauszuholen, und überlegte lustlos, welche Bluse, welches Halstuch und welchen Schmuck sie dazu tragen sollte. Sie hätte gerne ausgeblichene Jeans und ein Sweatshirt angezogen, ihre Haare kürzer geschnitten und lose herabhängen lassen, und auf jedes Make-up verzichtet. Sie musste jedoch wieder daran denken, dass ihre Meinung nicht zählte. Nur Armands Wünsche waren wichtig. Indem sie jeden seiner Wünsche befolgte, alle seine Launen ertrug, konnte sie die schreckliche Schuld ertragen, die sie auf sich geladen hatte. Es klopfte gebieterisch an der Tür. Armand rollte herein, er war wie immer vollkommen tadellos angezogen und trug einen braunen Anzug, der zu seinen sorgfältig geschnittenen und gekämmten Haaren passte. Seine gelähmten Beine standen auf dem Tritt seines Rollstuhls. Er riet ihr, welche Bluse, welches Halstuch, sogar welche Schuhe, Tasche und Parfüm sie tragen sollte. Er begutachtete sie kritisch, während sie wie ein gehorsames Kind dastand, von Kopf bis Fuß das wohl geratene Weib des Hausherrn, bis er sich zufrieden gab und sie gehen konnten. Während Lelia jetzt hinter den beiden Männern zurückblieb und kaum der Fachsimpelei zuhörte, wunderte sie sich wieder über Armands Einfall, sie hierher zu bringen. Seit dem Unfall vor fünf Jahren waren die Gedankengänge ihres Mannes für Lelia ein Rätsel. Nachdem er das Bewusstsein wiedererlangt und sich klargemacht hatte, dass er nie wieder gehen konnte, weil er bis ans Lebensende von der Hüfte abwärts gelähmt sein würde, hatte sich ein Vorhang vor seine Augen gelegt. Lelia war mit ihrer Schuld allein gelassen. Irgendwann hatte sie begriffen, dass sie ihr ganzes Leben lang für diesen einen dummen, schrecklichen Fehler würde büßen müssen, dass sie und Armand nie eine Ehe im Sinne des Wortes führen konnten. Und Lelia hatte sich in ihr Schicksal gefügt. Sie befanden sich jetzt im größeren der beiden prunkvollen Salons, und Lelia wurde in ihren Überlegungen von ärgerlich erhobenen Stimmen unterbrochen. „Nein", hörte sie den vertrauten Ton von Armands überdrehter, herrischer Stimme. „Ich diskutiere nicht darüber." Dann Michael Fieldings Stimme, tiefer, aber mit der ihr eigenen Bestimmtheit und Autorität. „Sie müssen sich nur die Zeichnungen des Architekten ansehen, wenn Sie mir nicht glauben. Sie werden sehen, dass die Originalholzarbeiten an allen Kaminen aus natürlichem Pecannussbaum sind. Im letzten Jahrhundert hatte wohl einer Ihrer Vorfahren die Neigung, nur bestimmte Sachen zu renovieren, aber es hat nur sehr wenig mit einer richtigen Restaurierung zu tun." Dann hörte sie Armand trotzig antworten. „Die Kamine sind seit jeher in der selben Farbe wie die Wände gestrichen worden, und so soll es auch bleiben." „Ich möchte Ihnen etwas erklären ..." „Nein!" Das Wort explodierte in dem großen Raum und warf ein Echo. „Nein", wiederholte Armand mürrisch. Lelia beobachtete sie aus den Augenwinkeln. Der dunkelhaarige Mann hockte vor dem Kamin neben Armands Rollstuhl, hatte eine Zeichnung in der Hand und zeigte darauf. Armand hatte ihr den Rücken zugekehrt, aber sie konnte sich seinen Gesichtsausdruck vorstellen, seinen missmutigen Blick, wenn ihm etwas nicht gefiel. Sie beobachtete Michael Fielding und konnte aus der Nähe sehen, wie ein Muskel seines harten Kinns zuckte. Er stand jetzt auf, rollte die Zeichnung sorgfältig zusammen und legte sie auf die Kamineinfassung. Seine blauen Augen waren halb geschlossen, sein Gesicht ausdruckslos. „Gut, Mr. Duval", sagte er ruhig. „Dann muss ich gehen. Sie haben mich wegen meines fachmännischen Rates angestellt, nicht um Ihre Launen zu befriedigen. Ich kann unter diesen Umständen nicht weiterarbeiten, ich habe das nie getan und werde es auch niemals tun." Im Raum war es still. Lelia wagte kaum zu atmen. Warum tat er das? Was könnte es Michael Fielding ausmachen, wie die Kamine letztendlich aussahen? Wenn Armand aus der
Fassung gebracht wurde, hatte sie letztendlich darunter zu leiden. Sie ballte die Fäuste und hasste ihn wegen seiner Arroganz, auf seiner Meinung zu bestehen. „Sie können jetzt nicht gehen", sagte Armand schließlich resignierend. „Das Haus zerfällt." „Ich kann Ihnen drei oder vier Männer empfehlen, die anpassungsfähiger sind", entgegnete er sanft. Wieder war es lange still. Dann rollte Armand herum und schaute Lelia an, die immer noch unbeweglich im Türrahmen stand. „Also gut", sagte er. „Tun Sie, was Sie für richtig halten." Lelia musste erleichtert seufzen. Ohne sie anzusehen, verließ Michael Fielding mit Armand den Raum, und die beiden Männer setzten ihren Rundgang fort. Sie starrte aus dem Fenster, bedauerte, gekommen zu sein, wünschte, die beiden würden sich beeilen, und ärgerte sich über den anmaßenden Mann, der Armand aus der Fassung gebracht hatte. Dann hörte sie sie im Foyer, und es klang, als wären sie wieder bei der Sache. Fielding redete, seine Stimme war vernünftig, aber auch bestimmt. „Wir leben im zwanzigsten Jahrhundert, Mr. Duval, nicht im achtzehnten. ,Beaux Champs' ist ein Wohnhaus, kein Museum. Wenn Sie diese Gelegenheit zur Modernisierung nicht jetzt ergreifen, werden Sie sie nie wieder bekommen." „Vor nicht einmal fünf Minuten, Mr. Fielding", sagte Armand, „haben Sie lieber mit der Kündigung gedroht, als auf die Museumsqualitäten zu verzichten." Sie waren jetzt im Salon. Michael Fielding stand mit gekreuzten Armen vor Armand, er hatte sich an eine Wand gelehnt. „Die rein dekorativen Räume sind eine Sache für sich", erklärte er geduldig. „Bei der Restaurierung müssen Sie sie wie Kunstwerke behandeln, wie Museumsstücke, wenn Sie so wollen. Im ursprünglichen Entwurf waren für ,Beaux Champs' keine Badezimmer vorgesehen, und die Küche war in einem eigenen Gebäude hinten am Haus." „Ich möchte nicht mehr darüber sprechen", sagte Armand laut. „Ich kann Zentralheizung verlegen, den Küchenbereich und die Bäder modernisieren, einen Aufzug einbauen", fuhr der große Mann beharrlich fort. „Niemand würde merken, dass es das hier nicht gab." „Ich würde es wissen." Armand schrie jetzt fast hysterisch. Lelia schaute weg und sah konzentriert auf den Kamin aus rosafarbenem Marmor. Zentralheizung, dachte sie wehmütig und erinnerte sich an die kalten Wintermorgen in den zugigen Räumen. Ein modernes Badezimmer und - obwohl sie kaum kochen durfte - ein richtiger Herd. Und ein Aufzug für Armand, so dass er nicht mehr die breite krumme Treppe hoch- und hinuntertransportiert werden musste. Aber sie sagte nichts. Im Raum war es jetzt völlig still, nur die Geräusche der Arbeiter draußen im Säulengang und Armands angestrengtes Atmen waren zu hören. Lelia dachte an sein Herz, das von der Aufregung des Unfalls, den Operationen und den Jahren der Untätigkeit schwach war alles ihre Schuld -, und sie wollte zu ihm gehen, ihn beruhigen und den herzlosen Mr. Fielding bitten, ihn allein zu lassen. Aber sie wagte es nicht. Sie blieb dort, wo sie war. Endlich sprach der große Mann. Seine Stimme klang ruhig und beherrscht. „Sehr gut, Mr. Duval. Es ist Ihr Haus, Ihr Geld. Da Sie jedoch Mrs. Duval schon einmal mitgebracht haben, möchte ich auch ihre Meinung hören." Lelia sah ihn völlig überrascht an, sie begriff, ihre Augen waren weit aufgerissen. Er hatte einen ernsten Gesichtsausdruck, seine blauen Augen waren zusammengekniffen. Er hob leicht die schweren Augenbrauen, spürte offenbar die Qual, die sie nicht verhehlen konnte, und sie setzte schnell die lang geübte unbeteiligte Miene auf. „Mein Mann trifft alle Entscheidungen", sagte sie mit ruhiger, gelangweilter Stimme. „Ich interessiere mich nicht für Architektur." Sie wandte sich von ihm ab und sah Armand an, auf dessen fahlem Gesicht der Ausdruck völliger Zufriedenheit lag, auf seinen schmalen Lippen zeichnete sich ein knappes Lächeln ab.
„Wie Sie sehen, Mr. Fielding", sagte er leichthin, „wird Lelia nicht Ihre Verbündete sein: Geräte, Leitungen und Heizungen langweilen sie." Er streckte die Hand aus, und sie kam zu ihm. Er packte eine ihrer perfekt manikürten Hände und zog sie kurz und Besitz ergreifend an seine Lippen. „Meine Frau soll eine schmückende Blume sein, keine nützliche Dienerin." Sie war von Armands Besitzerblick gebannt und nahm nicht die Verachtung in Michael Fieldings Augen wahr, als er sie von oben bis unten in ihrem Designerkostüm, ihrer kunstvollen Frisur und ihrer sorgfältig eingenommenen Pose musterte. Er sah weg. „Wie Sie wünschen", kommentierte er kurz. „Wollen Sie heute noch mehr begutachten? Wir haben oben bereits mit den Arbeiten begonnen." „Nein", erwiderte Armand. Er fuhr mit dem Rollstuhl herum und wollte den Raum verlassen. „Ich bin mit Ihrer Arbeit sehr zufrieden", rief er über die Schulter, „denn ich wusste, dass Sie der Beste sind, als ich Sie engagiert habe." Lelia lächelte. Ihn engagiert, tatsächlich! Sie erinnerte sich, wie Armand den hervorragenden Michael Fielding monatelang gebeten hatte, nach New Orleans zu kommen und die Restaurierung von ,Beaux Champs' zu beaufsichtigen. Er war auf seinem Gebiet der Top-Architekt, und wohlhabende Leute auf der ganzen Welt rissen sich um seine Dienste. Nur die unverhoffte Annullierung eines Auftrags in Paris hatte ihn veranlasst, überhaupt hierher zu kommen. Sie musterte ihn aus den Augenwinkeln, um seine Reaktion auf Armands gönnerhaften Kommentar zu sehen, und sie war überrascht, als sie ein flüchtiges Lächeln auf seinem sonst so teilnahmslosen Gesicht bemerkte. Er muss sehr selbstsicher sein, dachte sie. Sie beneidete ihn um diese Fähigkeit. Bis zur Heirat war ihr Leben konventionell und behütet gewesen, sie hatte nichts für ihr Selbstvertrauen getan. Jetzt würde sie noch nicht einmal ein Kind haben können. Ihr Leben war unnütz, ohne Bedeutung, ohne greifbares Ziel, ohne Hoffnung. „Kann ich Ihnen eine Tasse Kaffee anbieten, bevor Sie gehen?" fragte Michael Fielding. Sie wusste, dass er während der Arbeiten in ,Beaux Champs' in den alten Bedienstetenunterkünften hinter der Küche wohnte. Sie war neugierig und wollte sehen, wie er lebte, und wartete ab, was ihr Mann dazu sagen würde. „Danke, nein." Armands Stimme klang kalt und abweisend. „Meine Frau hat heute Nachmittag einen Friseurtermin und eine Anprobe beim Schneider. Sie müssen Verständnis haben, Mr. Fielding. Für eine Frau sind das sehr entscheidende Dinge." Er machte eine Kunstpause, seine Worte und sein Ton ließen keinen Zweifel daran, dass Lelia nur eine hohlköpfige, nutzlose Parasitin war. Eigentlich hat er ja auch Recht, dachte sie, obwohl sie sich ärgerte, dass Armand sie so eindeutig vor diesem beunruhigenden Mann vorführte. Beunruhigend? dachte sie überrascht. Warum hatte er diese Wirkung? Er war doch während ihres Besuchs höflich, distanziert und anständig gewesen. „Was ich noch wissen wollte", hörte sie Armand fortfahren. „Sie sind doch nicht verheiratet, Mr. Fielding?" „Nein, bin ich nicht." Seine Stimme klang flach, als wollte er diesen Eingriff in sein Privatleben abwehren. Armand nickte Lelia zu. „Komm, Liebling, wir müssen gehen." Sie durchquerten das Haus und kamen wieder zu dem breiten Säulengang an der Vorderfront. Der Eingang lag zu ebener Erde, und Armand konnte seinen Rollstuhl selbst zum wartenden Rolls Royce fahren. Peter in seiner steifen Chauffeuruniform kam ihm entgegen. Er öffnete die hintere Tür, und Armand stützte sich mit den Händen auf den Armlehnen des Stuhl ab und zog sich auf den Rücksitz. Peter klappte den Stuhl zusammen und stellte ihn dazu, dann ging er um den Wagen herum, um Lelia' die Tür zu öffnen. Armand kurbelte das Fenster hinunter und rief zu Michael Fielding hinüber, der in der Nähe des Wagens stand und wartete. „Übrigens, Mr. Fielding, wir werden Samstagabend im Stadthaus eine Abendgesellschaft
geben. Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie kommen könnten." Seine Stimme klang leicht, trügerisch höflich. Michael Fielding zögerte sichtlich. Lelia saß starr neben ihrem Mann und wartete auf die Antwort, sie hoffte, er würde ablehnen. Warum hatte Armand ihn eingeladen? Was hatte er vor? Sie blickte geradeaus, sah unverwandt auf Peters Schirmmütze. „Danke", erwiderte er schließlich. „Ich komme gern." „Gut", sagte Armand befriedigt. „Sieben Uhr. Sie kennen die Adresse. Es ist die Chartres Street im Vieux Carre. Das Französische Viertel", fügte er hinzu, als wüsste Fielding das nicht. „Ja", kam die trockene Antwort. „Ich weiß." Armand lehnte sich vor und klopfte an die Trennscheibe, drehte die Scheibe hoch, und der Rolls schnurrte auf dem kurvigen Weg kraftvoll an den riesigen Magnolien, dem Hartriegel und den Trauerweiden vorbei zur Uferstraße. Sie fuhren auf dem Deich entlang zurück zur Stadt, rechts zog sich der gewaltige Mississippi dahin. Die anderen alten Plantagen lagen abseits der Straße, weiter weg auf Sandinseln in den Bayous, jenen Flussläufen, die vom mächtigen Strom abzweigten. „Nun, meine Liebe", sagte Armand nach einer kurzen Pause. „Welchen Eindruck hast du von Mr. Fielding?" Sie schaute ihn mit ihren ruhigen dunklen Augen an. „Er scheint kompetent zu sein. Ist es nicht zu früh, darüber zu reden? Er hat gerade erst mit den Arbeiten begonnen." Er brummte nur und führte das Thema nicht weiter aus, Sie waren an einem Mittwoch nach „Beaux Champs" gefahren, und Lelia fragte sich während der nächsten Tage immer wieder verwundert, warum Armand sie mitgenommen hatte, warum er Michael Fielding für Samstagabend eingeladen hatte. Lelia hatte reichlich Zeit, sich diesen Gedanken hinzugeben. Ihr Leben bestand aus dem langweiligen Kreislauf von Einkaufen, Essen und gesellschaftlichen Verpflichtungen. Manchmal hatte sie den Eindruck, dass ihre wichtigste Entscheidung war, was sie zu diesem oder jenem Anlass tragen sollte, und meistens traf Armand auch diese Entscheidung noch für sie. Tante Amalie, Armands Mutter und Lelias entfernte Kusine waren für alle häuslichen Aufgaben in der Chartres Street zuständig, und Blanche, neben Lelia die andere arme, entfernte Verwandte, überwachte den Haushalt. An diesem Mittwochabend erwähnte Armand beim Essen gegenüber Tante Amalie und Blanche, dass er Lelia morgens zur Plantage mitgenommen hätte. Tante Amalie, eine schmale kleine Frau mit glänzenden schwarzen Augen, schaute Lelia kurz an, dann wandte sie sich Armand zu. „Warum um Himmels willen?" fragte sie. Armand runzelte die Stirn. „Warum um Himmels willen nicht, wäre eine bessere Frage. Sie ist meine Frau. Es ist auch ihr Haus." Lelia sah, wie Tante Amalie dies mit einer kurzen Handbewegung abtat. Sie sieht wie eine Krähe aus, dachte sie, stets ist sie schwarz gekleidet, unablässig hat sie ihre scharfen Augen überall. Nichts entgeht ihr. Blanche, groß und blond, gepflegt und selbstsicher, sah Armand vorwurfsvoll an. „Das ist ein starkes Stück", sagte sie leicht, als ob sie scherzte. „Ich habe dich wiederholt gebeten, mich mitzunehmen, Armand." „Werde ich auch, Blanche", erwiderte er sanft. „Sobald etwas zu sehen ist. Du hast hier eine wichtige Aufgabe. Du bist nicht so ungebunden wie Lelia." Ungebunden! dachte Lelia. Er macht Witze! Sie war gebunden und gefesselt, als säße sie im Gefängnis. Sie stocherte weiter in ihrem Boeuf Bourguignon, sagte nichts und hütete sich, sich ihre Gedanken anmerken zu lassen. „Gut", sagte Blanche leicht lächelnd. „Natürlich weiß ich, dass deine Frau Lelia bestimmte Privilegien genießt, die mir nicht zustehen." Ihre Stimme klang neckisch.
„Armand, du musst mir trotzdem versprechen, mich bald mitzunehmen." „Sobald irgendetwas zu sehen ist, Cherie, ich verspreche es dir." Lelia schob ihren Teller weg und hörte der Unterhaltung der anderen nur halb zu. Sie besprachen das Essen am Samstagabend und fragten sie auch nicht nach ihrer Meinung. Blanche liebt Armand, dachte sie, während sie an dem Glas mit dem ausgezeichneten Ciaret nippte. Das war schon immer so. Wie schön wäre es gewesen, wenn er sie statt meiner geheiratet hätte! Dann wäre der Unfall nie passiert. Armand würde gehen können. Die beiden hätten jetzt Kinder, und ich selbst wäre frei. Nach dem Essen nahm die Familie den Kaffee wie immer im Salon im Erdgeschoss ein. Das Haus war zweistöckig, und seit dem Unfall, der Armand zum Krüppel gemacht hatte, war es zu zwei in sich abgeschlossenen Wohnungen umgebaut worden. Lelia und Armand bewohnten das Erdgeschoss, so dass er keine Treppen zu überwinden hatte, und Blanche und Tante Amalie teilten sich die obere Wohnung. Ihr Gemeinschaftsleben fand im Erdgeschoss statt. Tante Amalie setzte sich, die Brille auf der Knopfnase, und widmete sich ihrer langwierigen Stickerei, während Blanche ihr Buch nahm. Lelia hätte auch lieber gelesen, aber Armand bestand nach dem Essen stets darauf, dass sie mit ihm Schach spielte. Sie saßen sich an dem mit Intarsien gestalteten Spieltisch gegenüber, die Schachfiguren aus Elfenbein glänzten im Licht des Kristallleuchters an der stuckverzierten Decke. Die antiken Stühle waren spindeldürr und unbequem. Lelia verlor bei diesen abendlichen Spielen immer. Sie war eine gute Spielerin, aber sie konnte sich nicht mehr konzentrieren. Sie kümmerte sich um das Schachspiel genauso wenig wie um alles andere in ihrem trostlosen Leben. „Du siehst heute Abend besonders schön aus, Liebling", murmelte Armand, während er die Schachfiguren aufstellte. Lelia sah ihn rasch an. Sie hatte sich vor dem Essen etwas Schlichtes aus rostfarbener feiner Wolleangezogen, das sehr elegant geschnitten war und die kleinen festen Brüste, die schmale Taille und die Rundungen ihrer Hüften betonte. Ihre dunklen Haare waren perfekt gemacht, und ihr leichtes Make-up war tadellos. Trauben von Perlen strahlten an ihren Ohren, der große diamantbesetzte Ehering funkelte an ihrem Finger. Ihre Haltung in dem unbequemen Stuhl war gelassen, damenhaft, so, wie sie es bei den Schwestern in der Klosterschule gelernt hatte. „Danke", sagte sie. Sie wusste, dass er ihr Aussehen bewunderte, stets bewundert hatte, seitdem sie vor sechs Jahren zum ersten Mal das Haus in der Chartres Street betreten hatte. Sie kam mit ihrer dunkelblauen Uniform, dem Pferdeschwanz und den linkischen Bewegungen geradewegs von der Klosterschule. Sie war achtzehn gewesen. Ihr Vater, der Sohn eines entfernten Cousins von Tante Amalie, war kurz zuvor gestorben, und das Waisenmädchen wurde wegen des ausgeprägten Familienbewusstseins der Kreolen in Louisiana aufgenommen. Ihre Mutter war bei der Geburt gestorben, und sie war jetzt allein auf der Welt. Sie hatte erwartet, nur als Bedienstete oder Gesellschafterin aufgenommen zu werden, im günstigsten Fall würde sie in der Spinnerei oder auf der Zuckerplantage der Familie Arbeit finden. Die Schwestern hatten bei der Erziehung zur Dame darauf bestanden, dass sie einen Beruf lernte, so dass sie sich nach Verlassen der Klosterschule nicht nur in Gesellschaft zu benehmen wusste, gut Klavier spielen und feine Nähte machen könnte, sondern auch in Buchhaltung geschult war. Sie war erst einen Monat im Haus, als sie die Aufmerksamkeit des einzigen Sohns der Familie, Armand Duval, auf sich zog, der nur drei Jahre älter war. Er war hübsch und kultiviert, umgarnte sie, machte ihr ständig den Hof, bis sie endlich in eine Heirat mit ihm einwilligte. Tante Amalie war zunächst erschrocken, doch als sie Lelias fügsame Art spürte, stimmte sie der Hochzeit zu. Als letzter männlicher Duval war Armand von seiner Mutter gehegt und gepflegt worden, so dass sie ihm nicht zu widersprechen wagte. Und schließlich hatte
das Mädchen Duval-Blut, wusste sich zu betragen und war keine Bedrohung ihres eisernen Regimes im Haushalt. „Du bist dran." Armands ungeduldige Stimme unterbrach ihre Gedanken. „Lelia, du wirst von Tag zu Tag zerstreuter. Man könnte meinen, du wärst achtzig statt vierundzwanzig." Lelia nahm sich zusammen und wollte sich auf das Spiel konzentrieren. Sie schaute auf die Figuren und zog den Läufer. Armand schlug ihn sofort mit einem Bauern. „Du versuchst es nicht einmal", kommentierte er gereizt. Das Zimmer war groß, und der Schachtisch stand etwas abseits von den beiden anderen Frauen. Aus der Stereoanlage erklang Musik. Lelia dachte einen Moment nach, dann wollte sie einen neuen Versuch unternehmen und etwas sagen. „Armand", begann sie leise. „Wenn ich nur etwas tun könnte, würde ich vielleicht wieder meinen Kopf gebrauchen und nicht mehr so unentschlossen sein." „Und was stellst du dir vor?" fragte er träge. „Ich weiß nicht. Irgendetwas. Haushaltsrechnungen. Einkaufen. Ich kann kochen. Vielleicht weißt du auch etwas für mich in der Spinnerei." „Kommt nicht infrage." Seine Stimme klang endgültig. „Du bist meine Frau. Du bekleidest eine gewisse gesellschaftliche Position. Du kannst nicht die Arbeit von Bediensteten machen." „Aber, Armand ..." „Nein", sagte er bestimmter, und sie hörte die Endgültigkeit heraus. Sie zuckte die Achseln. Es war hoffnungslos. Sie sah wieder auf das Brett und versuchte, sich zu konzentrieren. Dann sprach Armand wieder. „Vielleicht hattest du daran gedacht, Mr. Fielding bei der Restaurierung in ,Beaux Champs' zu helfen." Eine gewisse Absicht war aus der Stimme herauszuhören. Überrascht sah sie ihn an. „Was um alles in der Welt sollte ich dort tun?" „Oh, ich weiß nicht." Seine langen aristokratischen Finger spielten mit dem elfenbeinernen Läufer, den er ihr genommen hatte. „Ich bin sicher, er würde sich über deine Unterstützung freuen. Ich habe bemerkt, wie er dich angeschaut hat." „Du machst dich jetzt über mich lustig", sagte sie lachend. „Mr. Fielding hat mich bestimmt aus Mitleid mit einem unnützen Wesen so angeschaut." „Gewiss, vielleicht nutzlos, aber doch sehr dekorativ." Er nahm ihre Hand und führte sie an seine Lippen. „Du vertraust zu wenig auf deine Verführungskünste, mein Liebling." Er drehte die Hand um und küsste die Handfläche. Sie musste bei der Berührung zittern. Er stieß ihre Hand abrupt weg, und das Verlangen in seinem Gesicht wich einer quälenden Frustration. Sie atmete tief ein. Sie hatte verstanden. Sie war der Grund für seine Qualen, der Grund, warum er für sie kein Ehemann sein konnte, nie gewesen war und niemals sein würde. Während Lelia, bekleidet mit einem wunderbaren Nachthemd aus Spitze und Satin, allein in dem reich verzierten Bett lag, das mit blauer Seide bezogen war, dachte sie wieder an den Unfall. Die Hochzeit, das bedeutende gesellschaftliche Ereignis, wurde in der Basilika St. Louis am Jackson Place gefeiert. Armand sah hübsch aus, seine schmale Figur kam in dem Cut sehr gut zur Geltung. Lelia dachte zu dieser Zeit, dass sie furchtbar in ihn verliebt wäre. Jetzt war sie sich nicht mehr so sicher. Sie hatte in der Zeit vor Armand kaum mit Männern gesprochen. Sie bewunderte ihn, achtete ihn, war von seinen Aufmerksamkeiten geschmeichelt und stolz, dass er sie zur Frau genommen hatte. Nach dem großen Empfang in „Beaux Champs" waren sie allein zum Flughafen gefahren, um nach Paris zu fliegen. Es war Herbst, Oktober, die Hurrikansaison, und die kurvenreiche Uferstraße war regennass. Es war so dunkele dass Armand die Scheinwerfer einschalten musste, und die Scheibenwischer kamen kaum gegen den Dauerregen an. Lelia hatte noch gedacht, dass dies kein verheißungsvoller Auftakt für eine
Hochzeitsreise sei, als heulender, pfeifender Wind sie morgens geweckt hatte und dicke schwarze Gewitterwolken den Himmel bedeckten. Noch war sie glücklich und ängstlich zugleich, dass ein neues Leben als Mrs. Armand Duval beginnen sollte. Sie fuhren gerade in eine scharfe Kurve, als Lelia den jungen Hirsch direkt vor ihnen auf der Straße sah, unbeweglich und starr, von den Scheinwerfern wie hypnotisiert. „Halt, Armand!" hatte sie geschrien, aber es war zu spät, um auf der schlüpfrigen Straße zu bremsen. Als sie das bemerkte, griff sie in einem Augenblick panischer Angst ins Lenkrad. Der Wagen kam wenige Zentimeter vor dem Tier von der Straße ab, überschlug sich mehrmals auf der Böschung und blieb kurz vor dem Uferrand knirschend liegen. Es war ein Wunder, dass sie nicht ums Leben kamen, aber Armand wurde zum lebenslangen Krüppel. Er hatte seit seiner Kindheit ein schwaches Herz, und Lelia war dankbar, dass sie ihren Mann durch ihre gedankenlose Handlung nicht ums Leben gebracht hatte. Jeder hätte verstanden, wenn sie den Hirsch auf der Straße überfahren hätten. Die ganze Zeit musste sie nur an diese erschrockenen braunen Augen des Tieres denken. Sie hatte Armands Leben ruiniert, ihre Ehe, die Hoffnung der Familie auf einen Erben zerstört, und dafür musste sie zahlen.
2. KAPITEL Samstagabend um sieben stand Lelia am Eingang zum Salon, Armand saß in seinem Stuhl an ihrer Seite, sie begrüßten ihre Gäste, die aus dem Foyer hereinkamen. Tante Amalie und Blanche hatten alles vorbereitet, sie hatten entschieden, welches Essen und welcher Wein aufgetragen würden, die Sitzordnung an dem langen Esstisch festgelegt und die Dekoration des selten genutzten kleinen Ballsaals im Erdgeschoss überwacht. Die wichtigsten Leute der Gesellschaft von New Orleans waren eingeladen, strahlende Frauen in farbenfrohen langen Kleidern, elegante Männer im feierlichen schwarzen Anzug. „Guten Abend, Charles", begrüßte Armand einen stämmigen Mann mit dünnen rotblonden Haaren. Lelia wandte sich von der Frau ab, mit der sie gesprochen hatte, und streckte die Hand aus. Charles Donaldson war der Anwalt der Familie, ein alter Freund. „Schön, dich zu sehen, Charles", sagte sie, wobei sie den Kopf leicht neigte, wie sie es gelernt hatte. „Lelia", sagte Charles, verbeugte sich und küsste die dargebotene Hand. Es schien, als passte die Geste nicht ganz zu ihm. Er sah aus, als würde er sich auf dem Footballplatz eher zu Hause fühlen als in einem Ballsaal. „Du siehst schöner aus als je zuvor." Sie hatte für diesen Abend ein bezauberndes Kleid in zarten grau und rosa Pastelltönen angezogen. Als „Rosen und Asche" hatte der Schneider es bezeichnet. Es war knapp geschnitten, der runde Ausschnitt bedeckte kaum ihre festen Brüste, darunter war es gerafft und fiel in anmutigen Falten wie ein griechisches Gewand des Altertums. Es war wiederum von Armand ausgewählt worden. Sie wunderte sich oft, warum ein Mann, der nicht in der Lage war, mit seiner Frau zu schlafen und sie eifersüchtig von anderen Männern fern hielt, darauf bestand, dass sie diese aufreizenden Kleider trug. Es war, als wollte er der Welt bedeuten, dass diese verführerische Frau sein Eigentum war und dass ihm, obwohl sie ihm nicht ganz gehörte, der Neid anderer Männer Spaß machte. Während sich Charles und Armand über Geschäfte unterhielten, begrüßte Lelia neue Gäste, bis die Menschenschlange endlich aufhörte. Die anderen waren zu den Getränken in den Salon gegangen, und Lelia stand allein in der Tür. Michael Fielding war nicht gekommen. Sie machte ihm nach Armands Verhalten am Mittwoch daraus keinen Vorwurf. Es war gut so. Als sie gerade zu ihren Gästen gehen wollte, sah sie ihn. Er kam durch die lange Eingangshalle auf sie zu. Sie schaute ihn an, und für einen kurzen Moment sahen sie sich in die Augen. Er stand wenige Meter vor ihr, groß und atemberaubend im feierlichen schwarzen Anzug. Dünne Achatsteinchen funkelten auf seiner gestärkten Hemdbrust. Die ungestümen schwarzen Haare waren ordentlich gekämmt, sein Kinn frisch rasiert. Sein Gang war leicht und selbstbewusst. Sie wollte einem Impuls nachgeben und sieh abwenden, doch sie blieb stehen, ihre Hand zitterte noch, als sie sie ihm entgegenstreckte. „Guten Abend, Mr. Fielding", murmelte sie automatisch. „Schön, dass Sie gekommen sind." Ihre Hand verschwand in seiner großen festen Hand, dann ließ er sie los. „Es tut mir Leid, dass ich mich verspätet habe. In letzter Minute gab es in ,Beaux Champs' noch Aufregung." „Oh, Mr. Fielding." Armand war wieder zu ihr gerollt. „Willkommen. Kommen Sie mit zu den anderen." Während des Abendessens am langen Esstisch und nachher bei Weinbrand und Likör im Salon glitten Lelias Blicke immer wieder unwillkürlich zu dem hoch gewachsenen Mann hinüber. Ungeachtet ihrer persönlichen Gefühle für ihn war er ein Gast des Hauses, und sie musste ihre Rolle als fürsorgliche Gastgeberin perfekt spielen. Sie fragte sich, ob er sich
nicht in dieser Gesellschaft fehl am Platze fühlte und ob Armand ihn deshalb eingeladen hatte? Vielleicht als Strafe für den Streit, den sie vor einigen Tagen gehabt hatten? Armand konnte keinen Widerspruch leiden. Bald sah Lelia jedoch, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchte. Michael Fielding schien sich in einem Salon genauso wohl zu fühlen wie bei der Beaufsichtigung seiner Leute. Man war jetzt Zum Tanzen in den Ballsaal gegangen, und als sie zu ihm herübersah, konnte sie feststellen, dass er weder eingeschüchtert noch gelangweilt wirkte. Er stand bei einer kleinen Gruppe am Rande der Tanzfläche und hielt einen Drink in der Hand, hörte dabei der betagten Charlotte Valois zu, die eine ihrer endlosen, langweiligen Geschichten erzählte. Plötzlich richtete er sich auf, warf den Kopf zurück und lachte schallend. Lelia bemerkte die begehrlichen Blicke der jungen Frauen auf ihn und wandte sich ab. Wie dumm Frauen doch sind, dachte sie. Merken sie nicht, dass er sich verstellt? Dann wischte sie den Gedanken fort. Was ging sie das an? Sie fasste die Rückenlehne von Armands Stuhl und beugte sich zu ihm. „Soll ich dir etwas zu trinken bringen?" fragte sie. Sie musste lauter sprechen, damit er sie verstand. Blanche hatte für den Abend ein kleines Orchester bestellt, und als jetzt die Musik einsetzte, gingen die Paare auf die Tanzfläche. Armand schüttelte den Kopf. „Nein. Ich werde mir selbst etwas besorgen. Da kommt Charles. Tanz mit ihm." Sie runzelte die Stirn. Sie tanzte kaum. Seitdem Armand dies nicht mehr konnte, empfand sie es als Verrat ihm gegenüber, mit anderen zu tanzen. Er schien bei den wenigen Gelegenheiten, wenn sie es versucht hatte, bestürzt gewesen zu sein. „Ist, das dein Ernst?" Er nickte. „Lelia", sagte Charles, „möchtest du mit mir tanzen?" Er schaute Armand an, offensichtlich in- Erwartung einer ablehnenden Antwort. „Oh, ich werde dir meine schöne Frau anvertrauen", sagte Armand ironisch. „Nichts für ungut, aber als Anwalt der Familie wirst du sicher nicht versuchen, sie zu verführen." Lelia errötete. „Armand! Was denkst du dir eigentlich?" Er schaute sie nur an, sein Lächeln wirkte verschlagen. Charles lachte. „Keine Angst, Armand", sagte er leichthin. „Ich bin zwar nicht dagegen gefeit, aber es ist allgemein bekannt, dass man Lelia nicht verführen kann." Er bot ihr den Arm, und sie begannen zu tanzen. Sie lag steif in seinen Armen, und er respektierte den Abstand, den sie vorgab. „Es ist eine wunderbare Feier, Lelia." Er lächelte sie freundlich an. „Aber deine Feiern sind schließlich immer so." „Du musst Tante Amalie und Blanche dafür danken, Charles." Sie lächelte hölzern. „Sie sind dafür verantwortlich." Er runzelte die Stirn und hielt sie etwas fester. „Ich weiß, Lelia, es geht mich nichts an, aber du solltest dich mit irgendetwas beschäftigen." Sie schaute ihn rasch an. „Armand möchte das nicht." Ihre Stimme war ausdruckslos. „Ich habe ihn gefragt." „Ich weiß. Dann sollte ich vielleicht mit Armand sprechen." „Nein", sagte sie schnell. „Er würde jede Einmischung in sein Privatleben ablehnen, selbst von dir." Sie lächelte angestrengt. „Ich bin wirklich zufrieden. Wer wäre das nicht? Ich lebe wie eine Märchenprinzessin, jeder Wunsch wird mir erfüllt." Er hob eine Augenbraue. „Jeder Wunsch, Lelia?" fragte er sanft. Sie wurde rot, unterdrückte aufsteigende Tränen und wandte den Kopf ab. „Kennst du Mr. Fielding?" fragte sie, um das Thema zu wechseln. „Armand hat ihn für die Restaurierung von ,Beaux Champs' engagiert." „Ja, ich weiß. Er hat einen guten Ruf. Ich kenne ihn persönlich nicht sehr gut, aber er scheint nett zu sein." Er lachte. „Zumindest meinen das die Frauen." „Ja, das habe ich bemerkt", sagte sie trocken. „Für meinen Geschmack ist er zu
überwältigend." Die Musik brach ab, und Charles führte sie zum Rand der Tanzfläche. Sie sah sich nach Armand um, aber er war plötzlich verschwunden. „Tanz bitte weiter", sagte sie zu Charles. „Ein Junggeselle wie du hat doch genug Partnerinnen zur Auswahl. Kümmere dich nicht um mich. Ich werde Armand suchen." Als Charles weggegangen war, stand Michael Fielding auf einmal neben ihr. „Würden Sie gerne tanzen, Mrs. Duval?" fragte er höflich. Ehe das automatische „Nein, danke" herauskam, lag sie schon in seinen Armen und wurde zur Tanzfläche gewirbelt. Wenn sie vor ihm fliehen wollte, müsste sie eine Szene machen. Michael Fielding war nicht der Mann, der Widerstand sanftmütig akzeptieren würde. Dann dachte sie, schließlich ist es nur ein Tanz. Es war ein Tanz, wie sie ihn nie zuvor erlebt hatte. Im Gegensatz zu Charles hatte er kein Problem, sie eng an seinen großen schlanken Körper zu pressen, und es war nicht unangenehm. Sie wollte sich von ihm lösen, aber sein Händedruck und sein Arm um ihre Taille waren fest. Sie unterdrückte ihren Zorn, blieb steif und unnahbar. Sie sprachen nicht miteinander, aber Michael Fielding summte die Melodie des Stückes leise vor sich hin. Seine Schritte waren sicher, und allmählich entspannte Lelia sich trotz ihrer Unruhe. Er sah auf sie herab, sein Mund verzog sich zu einem ironischen Lächeln. „So ist es gut", sagte er. „Hören Sie nur auf die Musik." Sie versteifte sich sofort wieder, und seine Augen verengten sich. „Nicht doch", mahnte er rau und zog sie fester an sich. Als er sich im Rhythmus der Musik bewegte, spürte sie durch den Stoff seiner Hosen seine festen Schenkel. Sein muskulöser Arm hielt sie umschlungen, die kräftige Hand lag auf ihrer Hüfte, die Wärme drang durch ihr dünnes Kleid, und sie fühlte sich unwohl. Sie konnte weder die Glücksgefühle leugnen, die sie durchströmten, noch dass ihr biegsamer Körper sich fügte, als er sie an sich drückte. , „Nun, Mrs. Duval, haben Sie wieder einen zermürbenden Tag beim Friseur verbracht?" Er musterte das kunstvolle Werk auf ihrem Kopf. „Oder war es heute der Schneider?" Er sah jetzt unverschämt auf ihre Brüste, das dunkle Tal zwischen ihnen war in dem knapp geschnittenen Kleid gut zu erkennen. Lelia sah ihn kühl an. .„Beschäftigen Sie sich etwa mit meinem Privatleben, Mr. Fielding?" Seine Bemerkung schmerzte sie, doch sie ließ sich nichts anmerken. Er hob leicht die Augenbrauen und funkelte sie mit seinen blauen Augen an. Sie hielt seinem Blick stand, ohne mit der Wimper zu zucken. „Vielleicht", sagte er schließlich. Sein Griff wurde fester. Er sah weg und summte wieder zur Melodie. Was wollte er mit dieser Bemerkung sagen? Während sie darüber nachdachte, blickte sie über seine Schulter und sah Armand hinter den Leuten auf der Tanzfläche. Er saß in seinem Stuhl am Rand und nippte an seinem Glas. Charlotte Valois stand neben ihm, beugte sich jetzt herab und erzählte ihm offensichtlich etwas. Obwohl er Charlotte zuzuhören schien, starrte er Lelia intensiver über den Rand seines Glases an. Sie konnte den Ausdruck seiner Augen nicht erkennen, aber sie wusste instinktiv, dass er nicht begeistert war von dem, was er sah. Die Musik hörte auf. Sie löste sich von Michael Fielding und wollte zu Armand gehen, wobei sie inständig hoffte, die Hand, die ihren nackten Arm umfasste, abschütteln zu können. „Ich danke Ihnen für den Tanz, Mrs. Duval", sagte er feierlich, als sie bei Armand waren, und wandte sich ihm zu, „ ...und für die Einladung. Ich muss jetzt gehen." Sie sah, wie die beiden Männer einander abschätzig musterten. „Schön, dass Sie kommen konnten, Fielding", sagte Armand gedehnt. Er warf Lelia einen rätselhaften Blick zu, dann sah er wieder zu dem Mann auf. „Sagen Sie, stimmen Sie Charles Donaldson zu, dass meine Frau nicht zu verführen ist?"
Lelia hätte im Erdboden versinken mögen, aber sie hob nur das Kinn, ihre Gefühle hinter einer unbeteiligten Miene verborgen. Charlotte Valois brach in lautes Gelächter aus. „Aber, aber, Armand! Jeder weiß, dass Lelia die Unschuld in Person ist." Lelia lächelte knapp. „Wie viel Weinbrand hast du getrunken, Armand?" fragte sie leichthin. Sie wagte nicht, Michael Fielding anzusehen, aber sie spürte, dass er seinen Ärger nur mühsam im Zaum hielt. Armand lachte. „Sie müssen mir den dummen kleinen Scherz verzeihen, Mr. Fielding", sagte er leichthin. Er nahm Lelias Hand und führte sie an seine Lippen. Dabei ließ er den Blick über ihr schimmerndes, perfekt gerichtetes Haar bis zu ihren Brüsten wandern. Michael Fielding wandte sich ihr erneut zu und sah ihr in die Augen. „Gute Nacht, Mrs. Duval, und nochmals vielen Dank." Seine Stimme war ausdruckslos, sein Gesichtsausdruck unergründlich. Er nickte Armand zu, drehte sich um und ging. Groß und arrogant bahnte er sich einen Weg durch die Menge. Später an diesem Abend saß Lelia vor der Frisierkommode in ihrem eleganten Schlafzimmer und bürstete ihr Haar. Am Morgen würde der Friseur kommen und wieder eine kunstvolle Frisur erschaffen, aber heute Abend wollte sie die langen dunklen Strähnen spüren. Weich fielen sie ihr über die Schultern auf das weiße Kleid aus feinem Batist. Ihre Gedanken waren wieder bei der Feier. Ein weiterer Erfolg, dachte sie. Sie musste unweigerlich, fast gegen ihren Willen, an den Tanz mit Michael Fielding denken, und sie erinnerte sich an seine seltsam widersprüchliche Haltung ihr gegenüber. Er schien sie abzulehnen, sich über ihr nutzloses Leben zu amüsieren, als er sie an sich gedrückt hatte. Er ist ein Mann, dachte sie, der auf seine eigene Art mit Frauen umzugehen weiß. Wenn er die Frau seines Arbeitgebers anziehend gefunden hätte, hätte er seine Verführungskünste ohne Gewissensbisse spielen lassen. Es gab keinen Zweifel an diesen Künsten. Alle anderen Frauen hatten ihn mit ihren Blicken verschlungen, und sie war dankbar, als verheiratete Frau vor ihm geschützt zu sein. Es klopfte an der Tür. Armand kam herein und rollte neben sie. Er betrachtete ihr Bild im Spiegel, da sie weiter ihre Haare bürstete. „Bist du müde, Armand?" fragte sie. Sein Gesicht wirkte heute Abend noch blasser und abgespannter als sonst. „Nein. Warum sollte ich müde sein?" Seine Stimme klang schroff. Er streckte eine Hand aus und zog an ihren langen schwarzen Haaren. Sie zuckte vor seiner Berührung leicht zurück und hoffte, dass er es nicht bemerkte. Seine Hände packten die dichten Strähnen fester, zogen und drehten sie. „Armand!" schrie sie auf. „Du tust mir weh." Sie sah im Spiegel, wie seine Lippen bebten. Er schien sich beherrschen zu wollen, aber seine braunen Augen spiegelten ein böswilliges Vergnügen wider. Er hat Spaß daran, mir wehzutun, dachte sie schockiert. Sie schloss die Augen. Ich möchte sterben, dachte sie. Ich mache Armand keine Freude, und ich bin so unglücklich wie er. Warum soll das so weitergehen? Er lockerte den Griff in ihren Haaren. Sie öffnete die Augen. Der böse Blick war verschwunden, stattdessen sah er wieder gelangweilt aus, was sie noch mehr erschreckte. Sie wusste, dass sie mehr als angemessen Mitleid mit ihm hatte, aber sie wunderte sich manchmal über sein Selbstmitleid, das ihn dazu trieb, alles allein aus seiner Sicht zu sehen. Endlich sagte er dann etwas. „Hattest du Spaß an dem Tanz mit Mr. Fielding?" fragte er, während er mit dem Finger träge durch ihr Haar fuhr. „Keinen besonderen." „Er ist ein anziehender Mann." Sie zuckte die Schultern. „Ich denke, einige Frauen werden so empfinden." „Du nicht?" „Ich habe nicht darüber nachgedacht. Er hat kein Benehmen. Er ist arrogant und
anmaßend und zu sehr von sich überzeugt." „Du magst ihn also nicht?" „Nicht besonders." Es stimmte. Seine durchdringenden blauen Augen und die forschenden Fragen, die er ihr stellte, verursachten ihr Unbehagen. Einige Zeit war es still, und Lelia fuhr fort, ihr Haar zu bürsten. „Ich habe darüber nachgedacht, was du in der letzten Woche gesagt hast, dass du etwas tun willst", sagte er schließlich. „Ja?" fragte sie vorsichtig, weil sie sehr argwöhnisch war. Gewöhnlich kündigte sich mit Armands Freundlichkeit eine raffinierte Attacke an. „Ich habe beschlossen, dass du mir helfen kannst", fuhr er fort. „Die Arbeit in der Spinnerei häuft sich und fordert von mir viel Zeit und Konzentration. Deshalb möchte ich, dass du Verantwortung übernimmst und die Renovierung von ,Beaux Champs' überwachst." Ihre Augen wurden größer. Sie wusste, dass das nicht stimmte. Die Spinnerei wurde von anderen verwaltet. Armand war nur das Aushängeschild. Sie drehte sich zu ihm um, aber sein Blick war verschlossen, seinem Gesichtsausdruck nichts zu entnehmen. „Aber was kann ich tun? Ich habe davon überhaupt keine Ahnung." „Du musst nur dafür sorgen, dass meine Anweisungen ausgeführt werden." Er grinste. „Mr. Fielding hat sehr viele neue Ideen, die mir gefallen. Er ist der Beste auf seinem Gebiet, aber deshalb hat er nicht das Recht, sich meinen Anordnungen zu widersetzen. Ich traue ihm nicht." Könnte es sein, fragte sie sich verwundert, dass Armand Angst vor ihm hat und mich an seiner Stelle schickt? Wenn Michael Fielding weiterhin gegen seine Wünsche verstößt, kann Armand mich tadeln. Sie würde zwischen zwei Stühlen sitzen. „Armand, ich glaube nicht..." „Du hast gesagt, dass du etwas tun möchtest", unterbrach er sie gereizt. „Wenn ich dir jedoch eine Aufgabe anbiete, die mir Arbeit abnähme, schreckst du davor zurück. Warum, Lelia?" Er fuhr wieder mit der Hand durch ihre Haare. „Hast du vor dem schrecklichen Mr. Fielding Angst?" „Natürlich nicht. Es ist nur, dass ich mich nicht kompetent genug fühle ..." Ihre Stimme verlor sich. „Ich sage dir jetzt, was ich von dir erwarte. Du brauchst mir nur mitzuteilen, wenn er sich nicht an meine Anweisungen halten sollte." Seine Hand lag auf ihrer Schulter, er massierte sie sanft unter dem dünnen Morgenrock. „Ich brauche jemanden, dem ich vertrauen kann, jemanden, der nur mein Bestes will." „Also gut, Armand. Wenn du glaubst, dass ich es kann." „Gut", sagte er. „Das ist dann erledigt." Seine Hand glitt von der Schulter ihren Arm entlang. Sie zuckte unter seiner Berührung unwillkürlich zusammen, aber sie zwang sich, sich umzudrehen und ihn anzulächeln. „Danke, Armand", sagte sie. „Ich werde versuchen, dich nicht zu enttäuschen." Nachdem er gegangen war, legte sie, sich ins Bett und starrte nachdenklich ins Dunkle. Die schweren Fenstervorhänge dämpften die Geräusche, die von den lebhaften Straßen des Französischen Viertels kamen, der beliebten Touristenattraktion mit vornehmen Restaurants, Museen, Hotels und zahlreichen Angeboten für nächtliche Vergnügungen. Schwach ertönten Dixieland-Jazzklänge zu ihr herüber. Sie wunderte sich, warum Armand sie gebeten hatte, ihm bei der Aufsicht der Restaurierung zu helfen. Sie wollte gerne glauben, dass er nett sein wollte, aber irgendwie bezweifelte sie das. Sie traute ihm nicht. Er bot ihr scheinbar die Freiheit - eine nützliche Aufgabe - an, hegte aber im Hinterkopf einen gemeinen Gedanken. Sie wollte sich trotzdem anstrengen, um ihn zufrieden zu stellen. Dann blieb ihr plötzlich fast das Herz stehen, als ihr klar wurde, dass sie, wenn sie nach „Beaux Champs" ging, mit Michael Fielding zu tun haben würde. Natürlich war sich Armand dieser Tatsache bewusst.
Sie dachte an seine Bemerkung heute Abend beim Tanzen über ihre Verführbarkeit und die Art, wie er sie auf der Tanzfläche angesehen hatte. Wollte er sie bestrafen? Sie hielt die Tränen des Selbstmitleids zurück. Ich habe so viel, wofür ich dankbar sein sollte, erinnerte sie sich. Armand gibt mir alles, wonach ich verlange. Außer der Liebe, flüsterte eine kleine Stimme. Außer der Freiheit. In den folgenden Tagen war überhaupt nicht mehr die Rede von „Beaux Champs". Lelia wusste nicht, ob Armand zur Plantage gehen wollte oder nicht. Er sagte nichts. Sie glaubte schon, er hätte sein Versprechen vergessen. Einige Wochen später bat Armand sie beim Frühstück, an diesem Morgen nach „Beaux Champs" zu fahren. Es war ihr recht, aber sie war auch ein wenig besorgt. „Soll ich etwas Bestimmtes für dich tun?" fragte sie. „Du sollst nur darauf achten, dass Fielding seine Modernisierungsideen nicht ausführt." Sie nippte an ihrem Kaffee, strich Butter auf ein Croissant und dachte über seine Bemerkung nach. „Glaubst du, dass er das tun würde? Du hast ihm doch eindeutig klargemacht, dass du dagegen bist." Er lachte trocken auf und stieß seinen Rollstuhl vom Tisch ab. „Mr. Fielding lebt von dei? Vorstellung, dass er sein eigenes Gesetz ist", bemerkte er mürrisch. „Ich möchte ihn im Auge behalten." Er rollte zur ihr und küsste sie flüchtig auf die Wange. „Sei vorsichtig, Lelia." , Sie sah ihn an. „Was willst du damit sagen?" Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Oh, nichts weiter, als dass er dich davon überzeugen könnte, dich meinen Wünschen zu widersetzen." Lelia war schockiert. „Armand, du weißt, dass ihm das nie gelingen würde. Niemand könnte das." Er tätschelte ihren Arm und lächelte. „Du bist eine gute Frau. Du hältst zu mir." Es war ein sonniger Tag Mitte März, ziemlich warm, und während Lelia auf der gewundenen Straße nach „Beaux Champs" fuhr, sah sie erste Blüten an den Rhododendronbüschen. Nachdem sie den blauen Thunderbird geparkt hatte und aus dem Wagen stieg, fragte sie sich, ob Armand Mr. Fielding ihr Kommen angekündigt hatte. Wahrscheinlich nicht, dachte sie. Er wollte wahrscheinlich, dass es ein Überraschungsbesuch wird. In dem großen Säulengang gab es kein Lebenszeichen, aber aus dem Inneren des Hauses hörte sie Männerstimmen, den Klang von Hämmern und Sägen. Sie ging hinein. Diesmal hatte sie selbst ihre Kleidung ausgewählt, sie trug ein einfaches braunes Cordsamtkleid, ein cremefarbenes Seidenhemd und einen leuchtend rost- und goldfarbenen Schal. Sie fühlte sich in ihren weichen braunen Schuhen und mit dem Lederbeutel sehr geschäftig und wichtig, wie eine arbeitende Frau mit einem ausgefüllten und sinnvollen Leben. Schwungvoll schritt sie durch die Räume im Erdgeschoss zur Rückseite des Hauses, woher die Geräusche kamen. Sie waren in der Bibliothek, und als sie die Tür öffnete, sah sie Michael Fielding über dem Kamin, er hielt die Kaminfassung aus schwarzem Marmor, während zwei Arbeiter in Overalls zu seinen Füßen knieten und an einem Gerüst hämmerten. Es war ein ohrenbetäubender Lärm, und niemand schaute auf, als sie hereinkam. Lelia musste tief einatmen, und als sie ihn sah, sank ihr neu gewonnenes Selbstvertrauen. Er war bekleidet mit staubigen, abgetragenen Jeans und sonst nichts. Die Hose umspannte seine schmalen Hüften, und darüber glänzte sein geschmeidiger muskulöser Körper vom Schweiß. Seine Armmuskeln wölbten sich bei der Anstrengung, den schweren Marmor zu halten. Sie wartete, bis sie fertig waren, konnte aber währenddessen nicht den Blick von der kräftigen männlichen Gestalt mit den unordentlichen, dunklen Haaren wenden. Endlich setzte er den Marmor vorsichtig auf dem Holzgerüst ab, jeder Muskel angespannt, dann atmete er kräftig aus und stand auf. Er rieb die Hände an den Jeans ab, drehte sich um und
entdeckte Lelia. Sie ging zu ihm herüber. „Guten Morgen", begrüßte sie ihn höflich. „Ich hoffe, ich störe nicht. Mein Mann hat mich gebeten, mir Ihre Arbeiten anzusehen. Er konnte nicht selbst kommen." Ihre Stimme schwankte. Die drei Männer starrten sie nur an, und sie wurde unsicher, als hätte sie hier nichts zu suchen. „Guten Morgen, Mrs. Duval", antwortete Michael Fielding schließlich. Er nahm ein beschmutztes weißes Hemd von einem Holzstuhl, zog es an und knöpfte es langsam zu. „Was möchten Sie zuerst überprüfen?" Er lehnt meinen Besuch ab, dachte sie, und einen Moment lang war sie versucht, sich umzudrehen und wegzulaufen. Die bloße körperliche Anwesenheit des Mannes beunruhigte sie. Obgleich das Hemd jetzt fast zugeknöpft war, musste sie an das denken, was darunter war. Sie beobachtete, wie er es sorgfältig in die Jeans stopfte. Dann beschloss sie, sich von ihm nicht einschüchtern zu lassen. Sie hob das Kinn und sah ihn hochmütig an. Dies ist das Haus meines Mannes, wollte sie durch diese Geste ausdrücken, und ich bin hier, weil er mich geschickt hat. Es ist mein gutes Recht, hier zu sein. „Können wir mit der Küche beginnen?" Ihre Stimme war kühl und gefasst. Er nickte schroff, drehte sich um, gab den zwei Arbeitern, die noch am Boden knieten, knappe Anweisungen, und verließ hinter ihr den Raum. Sie gingen schweigend zur großen Eingangshalle, ließen das gewundene Treppenhaus hinter sich und kamen durch einen langen engen Flur zur Rückseite des Hauses. Alles -Teppiche, Möbel,
Gemälde, Leuchter. - war mit Baumwolltüchern abgedeckt. Es sieht wie ein Geisterhaus aus, dachte sie. Es war eher ein Museum als ein Ort, an dem man lebte. Sie mochte das kleinere Haus in der Chartres Street mit seinen überladenen Möbeln und schweren Vorhängen lieber. „Was möchten Sie eigentlich sehen?" fragte er sie jetzt mit offenem Interesse. Sie waren in der Küche, einem großen Raum mit einem riesigen schwarzen Holzofen, einem großen Tisch in der Mitte mit einer Marmorplatte darauf und riesigen Küchenschränken an den Wänden. Sie ging vertrauensvoll hinter ihm her und schaute sich im Raum um. Es gab keine Anzeichen für verdächtige Modernisierungen. Schade, musste sie denken, aber Armands Wünsche waren Gesetz. Alles schien in Ordnung zu sein. „Wir können auch mit den oberen Bädern beginnen", ertönte Michael Fieldings tiefe Stimme hinter ihr. „Mr. Duval wird sicherlich auch darüber einen Bericht haben wollen." Sie wirbelte herum und war sich des Sarkasmus in seiner Stimme bewusst. Er wusste, dass sie gekommen war, weil Armand ihm nicht traute. „Sehr gut", erwiderte sie. Irgendetwas in seiner arroganten Haltung und seinem kühlen abschätzigen Blick verärgerte sie. „Wie Sie bereits festgestellt haben, Mr. Fielding, gehört das Haus meinem Mann. Sämtliche Änderungen werden von seinem Geld bezahlt." Ihre Stimme klang scharf und schneidend. „Das stimmt", sagte er ruhig. „Und wir wissen beide, dass er den Gegenwert für das, was er bezahlt, auch bekommt, nicht wahr, Mrs. Duval?" Seine Andeutungen ließen sie e.rröten. Eine Unverschämtheit, dachte sie, und wünschte, sie wäre nicht gekommen. „Können wir gehen?" fragte sie kalt. Sie gingen den Weg zurück und stiegen die Treppe hinauf. Michael Fielding öffnete eine Tür, und Lelia betrat das erste Badezimmer. Ihr Mut verließ sie, als sie die kalte tiefe Porzellanwanne wieder erkannte, die altmodische Toilette mit diesem hässlichen Wasserkasten an der Wand darüber. Nichts war verändert worden. „Sie werden natürlich feststellen", sagte er, als er bei ihr stand, „dass diese Badezimmer im Stil des ausgehenden Jahrhunderts modernisiert wurden. Ihr Mann wird sie nicht im Ori-
ginalzustand bekommen, aber in einer veralteten Renovierung." Sie sah zu ihm auf. „Er weiß das sicherlich." Er zuckte die Achseln. „Ich habe es ihm damals sagen wollen. Er hat nicht zugehört. Er scheint anzunehmen, ich sei sein Feind und würde Gelegenheiten suchen, ihm Widerstand entgegenzusetzen. " Sie sah sich wieder im Raum um und war über die schäbige Aussicht bestürzt. „Aber gewiss", begann sie, unterbrach sich dann, als ihr klar wurde, dass er lachte. Sie sah ihn scharf an, wollte ihn zurechtweisen, merkte dann, wie ihre Lippen zitterten, bis sie schließlich mit ihm lachte. Sie spreizte die Hände. „Es ist so - so furchtbar", sagte sie und versuchte, die Fassung wiederzuerlangen. „Wenn Sie ihn überzeugen könnten ..." begann er. „Nein", unterbrach sie ihn scharf, die Angst bemächtigte sich ihrer wieder. „Da sehe ich keine Möglichkeit." „Also gut", lenkte er rasch ein und lächelte ihr wieder beruhigend zu. „Wir werden es ihm recht machen." Er berührte leicht ihren Arm. „Kommen Sie, da wir schon einmal hier sind, kann ich Ihnen noch die anderen Räume hier oben zeigen." Er zeigte ihr, was gemacht worden war, was noch gemacht werden musste, und fragte sie nach ihrer Meinung zu einigen Details. Nachdem sie ihren Rundgang in den oberen Räumen beendet hatten und unten im weiten Foyer standen, hatte Lelia ihre frühere Abneigung gegen Michael Fielding völlig vergessen. Er hatte geduldig ihre Fragen beantwortet, schien stets daran interessiert zu sein, die Einzelheiten seiner Arbeit zu erklären, und gab ihr das Gefühl, dass ihre Meinung auch zählte. „Danke für den Rundgang, Mr. Fielding", sagte sie. Sie standen jetzt an den massiven doppelten Bogentüren am Eingang. „Es war sehr interessant - und lehrreich." „Es war mir ein Vergnügen." Er zögerte. „Möchten Sie, ehe Sie fahren, eine Tasse Kaffee trinken?" Sie reagierte automatisch. „O nein, ich kann nicht." Der freundliche Ausdruck auf seinem Gesicht verhärtete sich unmerklich. „Wieder ein wichtiger Termin bei einem Friseur?" Seine Stimme klang, als machte er sich über sie lustig. Lelia zuckte zurück, sie war verletzt. „Nein. Das ist nicht der Grund." Sie wandte sich ab. „Es ist..." „Entschuldigung", unterbrach er sie. „Das war eine dumme Bemerkung. Verzeihen Sie mir?" Sie sah ihn schüchtern an. Er lächelte, seine blauen Augen blickten auf einmal sanft. „Nur eine Tasse", sagte er. „Damit wir unser weiteres Vorgehen besprechen können. Vielleicht gelingt es uns gemeinsam, Ihren Mann davon zu überzeugen, seine Meinung über die Modernisierung der Badezimmer zu ändern." Es war verlockend, aber es schien ihr nicht richtig, sich mit Michael Fielding gegen Armand zu verbünden. Sie erinnerte sich an seine Abschiedsworte heute Morgen. Sei vorsichtig. Plötzlich brach ein heller Sonnenstrahl durch das Oberlicht der Tür. Im Mimosenbaum nahe dem Haus zwitscherte eine Spottdrossel ihr gellendes Lied. Die beiden Arbeiter saßen auf dem Rasen unter dem Baum und aßen ihr Mittagessen. Welch eine friedliche Szene, dachte sie. „Also gut", sagte sie und lächelte zu ihm hinauf. „Eine Tasse."
3. KAPITEL Er hatte einen Teil der Bedienstetenquartiere übernommen, um während der Arbeiten an dem Haus darin zu wohnen. Der Job würde einige Wochen dauern, vielleicht Monate, und es sei praktisch, erklärte er ihr, auf dem Gelände zu wohnen. „Fühlen Sie sich nicht einsam hier?" fragte sie und blickte ihn verstohlen an. Sie saß an dem langen Arbeitstisch in der Nähe des Fensters und beobachtete ihn, wie er auf der Kochplatte Kaffee bereitete. Seine Bewegungen waren zügig und kontrolliert* und er schien sich in dem unaufgeräumten Raum wohl zu fühlen. „Einsam?" Er sah sie viel sagend an, während er Kaffee in den Filter füllte. „Ich habe zu viel zu tun, um mich einsam zu fühlen. Übrigens", grinste er, „gelegentlich gehe ich aus." Sie betrachtete das Zimmer. Früher war es der Gemeinschaftsraum des Hauspersonals gewesen. An einer Wand befand sich ein steinerner Kamin, in einer Ecke standen ein ordentlich gemachtes schmales Bett, ein Stuhl, eine Lampe, ein langer Küchentisch, auf dem die Heizplatte und ein kleiner Kühlschrank standen. Der Tisch, an dem sie saß, war mit Blaupausen und Zeichnungen übersät, außerdem standen oder lagen dort eine leere Kaffeedose voller Bleistifte, ein Laptop und ein voll gekritzeltes Notizheft. Alles sieht sehr professionell aus, dachte sie, und obwohl das Zimmer unordentlich war, hatte sie das angenehme Gefühl, zu Hause zu sein. „Sie vermissen bestimmt ein eigenes Heim", sagte sie schließlich. „O nein, ich hatte eigene Wohnungen, und ich werde wieder eine haben." Weiter sagte er nichts. Sie sah ihn an. Er stand entspannt neben dem Küchentisch und wartete, dass der Kaffee durchlief. Seine Hände steckten in den Gesäßtaschen seiner Jeans, sein Kopf war gebeugt, das Profil Lelia zugewandt, und er pfiff leise vor sich hin. Wie alt mochte er sein? Mitte dreißig, riet sie. Bei einem solch gut aussehenden Mann war es schwer zu sagen. Gut aussehend? dachte sie und betrachtete ihn näher, verglich ihn mit Armand, der einmal ihre Idealvorstellung von männlicher Schönheit verkörpert hatte. Es gibt zwischen den beiden Männern einen aufregenden Unterschied, dachte sie. Armand war vor dem Unfall viel jünger, irgendwie weicher gewesen. Dieser Mann war hart, er hatte einen wohlgebauten Körper, feste Gesichtszüge, einen wachen Verstand und einen entschiedenen Willen. Er trug die dampfenden Becher zum Tisch. „Sahne?" fragte er. Sie nickte. Louisianakaffee mit Zichorie vermischt konnte man pur nicht trinken. Er ging zum kleinen Kühlschrank. „Ich könnte ein Sandwich machen", rief er über die Schulter. Er drehte sich um und grinste. „Nichts Aufregendes," „Nein, vielen Dank. Vielleicht beim nächsten Mal." Nächstes Mal? dachte sie und war überrascht. Warum habe ich das gesagt? Er setzte sich ihr gegenüber an den Tisch, schob die Papiere zur Seite und stellte die Sahne hin, sie war noch in der Packung. „Sie müssen durch Ihre Arbeit viel in der Welt herumkommen", sagte sie, während sie die Sahne in den starken schwarzen Kaffee goss. „Armand sagte mir, Sie sind sehr gefragt." Er zuckte die Achseln und griff nach der Sahne. „Es geht so. Nicht jedem gefällt es." Er sah zu ihr hinüber, die blauen Augen waren von den langen schwarzen Augenwimpern fast überdeckt. „Die Kunden fragen einem ein Loch in den Bauch." Er lächelte, um seinen Worten die Schärfe zu nehmen, und sie erwiderte sein Lächeln. „Sind alle so schlimm wie wir?" fragte sie sorglos. „Das ist von Land zu Land verschieden. Amerikaner sind überhaupt nicht schlimm. Die Engländer trauen Ausländern nicht. Die Franzosen halten ihre Francs zusammen. Und so weiter." „Und doch mögen Sie Ihre Arbeit."
„Ja, sehr. Jedes neue Haus bedeutet eine Herausforderung. Man muss zu den ursprünglichen Vorstellungen des Architekten so fest wie möglich stehen, modernisieren, wo es notwendig ist, ohne die Wirkung zu zerstören." Sie seufzte. „Ich beneide Sie. Ich wünschte ..." Sie unterbrach sich erschrocken. Er schaute sie jetzt an, und als sie den Blick dieser leuchtenden blauen Augen sah, bedauerte sie ihre Schwäche, die zu viel von ihr offenbarte. Warum musterte er sie auf diese beunruhigende Weise? Aus Mitleid? Ja, aber auch mehr, etwas Verunsichernderes als Sympathie. Sie konnte nichts tun. Zwischen ihnen war etwas, das sie nicht erklären konnte, das aber ihr Herz schneller schlagen ließ. Sie dachte an ihre ursprüngliche instinktive Furcht vor diesem Mann. Der Besuch heute bei ihm hatte diese Furcht gemildert, doch jetzt war sie sicher, dass es ein Fehler gewesen war. Er schaute sie unentwegt an. Schließlich konnte sie dieses schreckliche Gefühl nicht mehr aushalten» Sie nahm einen letzten Schluck Kaffee und stand auf. „Ich muss gehen", sagte sie. „Es ist .spät." Er stand auf und stellte seine Tasse auf den Tisch zurück. Sie war ihm dankbar, dass er sie mit keinem Wort oder einer Geste zu halten versuchte. Vielleicht ist er froh, dass ich gehe, dachte sie. Lelia beschloss beim Abendessen, von Armand eine Lösung für das Problem mit den Badezimmern in „Beaux Champs" zu verlangen. Armand fand glücklicherweise den Anfang. Es war nach dem Dessert, einer Himbeereisbombe, die er sehr gern mochte. Er rollte seinen Stuhl ein wenig vom Tisch weg, als er fertig ' war, und seufzte zufrieden. Sein langes bleiches Gesicht schien heute Abend im Licht der Kronleuchter weniger verkniffen, er war nicht ganz so gereizt. Er sah sie an. „Gut, Lelia, wie war dein kleiner Ausflug heute?" Blanches Gabel fiel auf den Tisch, und das sonst so milde Gesicht verriet Argwohn. „Welcher Ausflug?" fragte sie scharf. Armand wandte sich zu ihr. „Lelia hilft mir in ,Beaux Champs'. Sie vertritt meine Interessen gegen den schrecklichen Mr. Fielding." Er lachte, wodurch er die ganze Sache bagatellisierte. Blanche ließ sich nervös darauf ein, und Tante Amalie sah ihren Sohn mit glänzenden Knopfaugen abschätzend an. „Also, Liebling?" sagte Armand gedehnt. Lelia berührte mit der Leinenserviette leicht ihre Lippen und legte sie dann neben ihren Teller auf den Tisch. Jetzt oder nie, dachte sie. Sie wollte Armand in die Augen sehen. „Wusstest du, Armand, dass die Badezimmer schon einmal umgebaut worden sind?" Ihre Stimme sollte normal klingen. „Mr. Fielding sagte, dass es gegen Ende des vorigen Jahrhunderts war." Armand nahm sein Weinglas, seine feinen dünnen Finger umschlossen den zerbrechlichen Stiel. Er nahm einen Schluck. „Hat er dir das erzählt?" Seine farblosen Lippen hatten diesen vertrauten gereizten Ausdruck. Lelia kannte das, aber sie riskierte es weiter. „Ja. Seiner Ansicht nach würden moderne Installationsarbeiten und Armaturen dem Gesamteindruck nicht schaden, da die Badezimmer nicht mehr im Originalzustand sind." Sie zögerte. „Natürlich weiß er, dass letztlich deine Entscheidung zählt. Das habe ich ihm klargemacht." „Natürlich zählt Armands Entscheidung", warf Blanche hitzig ein. „Dieser Mann ist leider zu arrogant und ordnet sich nicht unter." Sie wandte sich Armand zu. „Wenn er die Absicht hat, deine Frau aus Eigennutz gegen dich auszuspielen, solltest du ihn entlassen." Lelia musste lächeln. Sie erinnerte sich genau, dass Blanche eine der Frauen war, die beim Tanz vor zwei Wochen hinter dem flotten Mr. Fielding her gewesen waren. „Mr. Fielding könnte mich niemals gegen Armand ausspielen, Blanche", sagte sie ruhig. „Beide wissen das. Es ist Armands Entscheidung, aber ..." Sie wandte sich jetzt an ihren Mann, „... du hast mich gebeten, dorthin zu gehen, Armand, und ich sage nur meine
Meinung." Armand sah sie misstrauisch über sein Weinglas hinweg an. „Ich denke darüber nach", erwiderte er schließlich. Er stieß seinen Stuhl weiter ab. „Gehen wir in den Salon?" fragte er. „Und übrigens, Lelia, konzentrier dich heute auf das Spiel. Es macht mir keinen Spaß, so leicht zu gewinnen." Sie folgte ihm und war über den Erfolg glücklich. Vielleicht bekam sie in „Beaux Champs" nicht die Badezimmer, die sie sich wünschte, aber sie hatte ihre Meinung gesagt und einen Widerspruch abgewehrt. Es war für sie ein großer Sieg. Lelia kam in den nächsten drei Wochen nicht mehr nach „Beaux Champs". Sie hatte beschlossen, dass es nach diesem kleinen Erfolg vernünftiger war, den Bauarbeiten fernzubleiben. Armand fragte sie eines Tages, als er zur Spinnerei fahren wollte, ob sie nicht für ihn hinfahren könne. „Nein", sagte sie. „Willst du wirklich, dass ich das tue?" Sie befanden sich in der langen Eingangshalle, Lelia trug noch den Morgenrock. Er drehte sich an der Tür um und blickte zu ihr hoch. „Wir haben eine Abmachung, oder? Ich möchte, dass du heute fährst, wenn du Zeit hast." Seine Stimme klang ein wenig höhnisch. „Ich habe beschlossen, dass die Badezimmer modernisiert werden, und ich möchte, dass du dafür sorgst, dass Fielding meine Anordnungen befolgt." Er gab ihr ein Blatt Papier. „Hier ist eine Kopie der Liste, die ich ihm gegeben habe." Sie nahm das Blatt und las es, in der Hoffnung, dass er die freudige Erregung auf ihrem Gesicht nicht bemerkte. „Schön, Armand. Wenn du glaubst, dass es nötig ist." Nachdem er weg war, lief sie in ihr Schlafzimmer, um sich anzuziehen. Es war jetzt Anfang April, die schönste Jahreszeit in New Orleans, ehe die drückende und feuchte Sommerhitze begann. Sie zog einen einfachen Rock aus rosafarbener glänzender Baumwolle und eine glatte Bluse mit rosaweißen Streifen an. Es war ein milder Morgen. Sie würde keinen Pullover brauchen. Während sie mit dem blauen Thunderbird aus dem Französischen Viertel zur Uferstraße hinunterfuhr, fühlte sie sich unbeschwert. Sie hatte etwas vor. Die gewaltigen Mimosenund Magnolienbäume leuchteten am Mississippiufer, eine Symphonie in Gelb und Weiß, und als sie auf der langen gewundenen Straße nach „Beaux Champs" fuhr, sah sie zu beiden Seiten Azaleenbüsche, die in voller Blüte standen. Vor dem Haus parkte ein staubiger Kombiwagen mit New Yorker Kennzeichen. Sie sprang aus dem Thunderbird und ging durch den Säulengang, erwartungsvoll und froh wie seit Jahren nicht mehr. Die großen Doppeltüren des Eingangsbereichs standen weit auf, und sie ging hinein, Die beiden Arbeiter in weißen Overalls schmirgelten das Geländer oben am Treppenabsatz ab. Einer von ihnen bemerkte, dass sie hochschaute, und rief ihr etwas zu. „Morgen, Mrs. Duval", sagte er mit Cajunakzent. „Guten Morgen", rief sie zurück. „Ich suche Mr. Fielding." „Ist in seiner Werkstatt, Madam", war die knappe Antwort. Lelia ging durch den langen Flur zur Rückseite des Hauses und gelangte durch die Küche zu den Bedienstetenquartieren. Seine Zimmertür war offen, und sie ging hinein. Er stand am Arbeitstisch in der Nähe des Fensters, neben ihm war ein großes Mädchen mit langen blonden Haaren, die wie ein lockerer Seidenvorhang auf ihre Schultern fielen. Sie standen mit dem Rücken zu Lelia und schienen in ein Gespräch vertieft. Er hatte eine Hand leicht auf die Schultern des Mädchens gelegt, und mit der anderen zeigte er ihr etwas auf der Blaupause, die auf dem Tisch ausgebreitet war. Sie trugen beide Jeans. Das Mädchen hatte ein trägerloses Strickoberteil an, und er war oberhalb der Hüfte wieder nackt. Lelia stand in der Tür, sie konnte den Blick nicht von diesem gebräunten muskulösen Rücken abwenden, sie hörte kaum das Murmeln der Stimmen.
Wie kann er es wagen, seine Freundinnen in das Haus seines Arbeitgebers mitzubringen? dachte sie verärgert. Sie sah zum Bett in der Ecke hinüber. Es war so sorgfältig gemacht wie bei ihrem letzten Besuch. Nachdem sie Haltung angenommen hatte, klopfte sie heftig an die offene Tür. „Entschuldigung", rief sie mit kalter Stimme. Beide Köpfe drehten sich gleichzeitig um. Das Mädchen war ziemlich hübsch, es hatte einen gesunden rosigen Schimmer auf ihrer gebräunten Haut, auseinander stehende Augen und herbe Gesichtszüge. Lelia empfand einen wachsenden Groll. Dann sah sie den Ausdruck auf seinem Gesicht. Seine Hand war von der Schulter des Mädchens herabgerutscht, als er sich umgedreht hatte, und die strahlenden blauen Augen verrieten seine Freude. Als er ihr erhobenes Kinn und ihren Gesichtsausdruck sah, verschwand sein Lächeln. „Mein Mann hat mich gebeten, hierher zu kommen und die Badezimmer anzuschauen", sagte sie hochnäsig. „Ich hoffe, ich habe nicht bei etwas Wichtigem gestört." „Überhaupt nicht, Mrs. Duval", sagte er leicht. Er wandte sich zu dem Mädchen. „Das ist meine Assistentin, Karen Swenson." Lelia nickte dem Mädchen, das einen kurzen Gruß murmelte, knapp zu. Der Mann ging jetzt mit langsamen Schritten auf sie zu und blieb vor ihr stehen. Das blonde Mädchen ist seine Assistentin, dachte sie, und ihr Ärger legte sich ein wenig. Vielleicht half sie ihm nur. Dennoch wusste sie, dass Armand den Gedanken nicht ertragen würde, dass Mr. Fielding seine Geliebte bei sich hatte, auch wenn sie eine Mitarbeiterin war. „Möchten Sie jetzt hinaufgehen und sich die Bäder ansehen?" fragte er leicht. „Ich habe für Karen, bevor sie geht, noch ein paar Anweisungen." Er sah sie mit seinen blauen Augen prüfend an, als wollte er unter der Maske der Hochnäsigkeit ihre Gedanken lesen. „Sie ist nur kurz hier, ehe sie zu einem anderen Projekt nach Houston geht", fügte er mit leiser Stimme hinzu. Lelia nickte. Warum war sie so erleichtert, als sie hörte, dass seine Beziehung zu dem Mädchen rein beruflich war, dass sie nicht die Nacht mit ihm verbracht hatte? Sie schämte sich für ihre Reaktion, für ihre plötzliche Ablehnung, als sie die beiden dicht zusammen am Tisch gesehen hatte. „Ja, natürlich", sagte sie und war sehr erleichtert, dass ihre Stimme sicher klang. „Sie brauchen mich nicht zu begleiten. Wir können später darüber reden." Lelia wandte sich ab, und ohne sich umzuschauen, ging sie ins Foyer und die Treppe hinauf zu den Arbeitern. Als sie die erste Badezimmertür öffnete, war sie über die Veränderungen verblüfft, um nicht zu sagen, erleichtert. Die hässliche Porzellanwanne war verschwunden, ebenso der Wasserbehälter und die altmodische Kommode. An ihrer Stelle befanden sich glänzende cremefarbene, moderne Einrichtungsgegenstände. Doch die Tapete und die Schränkchen stimmten mit dem Stil der Zeit perfekt überein und milderten das ausgesprochen moderne Aussehen, so dass es mehr noch als vorher zum übrigen Haus passte. Sie hörte hinter sich Schritte und die tiefe feste Stimme. „Also, wie finden Sie es?" fragte er. Sie wirbelte herum und strahlte ihn zufrieden an. „O Michael, es ist perfekt." Er erzählte ihr eine halbe Stunde lang bis ins kleinste Detail, was er gemacht hatte, erklärte seine Absichten und die Technik, die dazu nötig war, als sähe er in ihr tatsächlich eine halbwegs intelligente Frau statt eines inkompetenten Püppchens. „Ich glaube, Armand wird es gefallen", sagte sie glücklich, nachdem sie mit der Besichtigung fertig waren und die Treppe hinuntergingen. Lelia bemerkte, dass die Arbeiter gegangen waren. Es musste Mittagspause sein. Sie bemerkte ebenfalls, dass Michael immer noch kein Hemd anhatte, und sie fühlte sich allmählich unwohl. Michael, dachte sie. Sie hatte ihn Michael genannt. Er ging gelassen neben ihr, unbeteiligt, gleichgültig. „Wie haben Sie es geschafft", fragte
er lächelnd, als sie im Foyer waren, „Ihren Mann für die Umgestaltung der Badezimmer zu gewinnen?" Sie antwortete, ohne zu überlegen. „Oh, ich habe so getan, als sei es sein Vorschlag gewesen", und spürte sofort ihren Verrat. Sie biss sich auf die Lippe. „Frauen!" rief er aus. „Sie sind so unberechenbar." Er lächelte sie an, und sie musste sein Lächeln erwidern. Armand würde im Grunde genommen genauso zufrieden sein wie sie. „Nun, ihr Männer zwingt uns dazu", erwiderte sie leichthin. Lachend warf er den Kopf zurück. Die Sehnen an seinem Hals zeichneten sich ab, seine Brustmuskeln und sein flacher Bauch bewegten sich leicht. Als sie ihn ansah, spürte sie wieder dieses Unbehagen. „Ich werde jetzt gehen", sagte sie, „und lasse Sie weiterarbeiten." „Es ist Mittagszeit. Möchten Sie ein Sandwich?" Als sie zögerte und ihn skeptisch ansah, setzte er schnell nach. „Ich habe nicht viel. Nur kalten Schinken und Roggenbrot. Ich finde bestimmt noch eine oder zwei Gurken, wenn Sie möchten." „ Gern ", entschied sie. „Wunderbar." Während er am Küchentisch seines Arbeitszimmers Kaffee und Sandwiches machte, saß sie untätig am anderen Tisch und sah sich die Blaupausen und Zeichnungen an. Sie schaute ab und zu zu ihm hinüber. Er hatte ein anderes fleckiges, weißes Hemd angezogen, und sie fühlte sich jetzt wohler. Er war völlig in sein Tun versunken, verrichtete jeden Handgriff jedoch mühelos und geschickt. Lelia wunderte sich, dass solch ein großer Mann so anmutig sein konnte. Armand dagegen hatte sich selbst vor dem Unfall eher linkisch bewegt. Außerdem besaß er einen schmächtigeren Körperbau. Armand schien stets eine aristokratische Haltung einnehmen zu wollen, während dieser Mann eine natürliche Anmut besaß, selbstzufrieden war und nichts beweisen musste. Da bemächtigte sich ihrer die Furcht, sie könne ihren Mann verraten. Sie musste aufhören, diese beiden Männer miteinander zu vergleichen. Es war nicht fair. Armand war für alle Zeiten an seinen Rollstuhl gefesselt, und sein ganzer Reichtum und seine gesellschaftliche Stellung konnten den Verlust nicht aufwiegen. Er hat alles in einer Minute verloren, dachte sie. Seit dem Unfall war er verbittert, aber manchmal schien er an der Macht Spaß zu haben, die ihm seine Hilflosigkeit über die drei Frauen in seinem Haus gab, wenn er ihr Mitleid und ihre Sorge ausnutzte. „Nun, es ist nicht wie das Essen bei ‚Antoine's'", sagte Michael jetzt, als er ihr den Teller hinstellte. Er goss Kaffee ein und setzte sich neben sie auf einen Stuhl. „Es sieht wunderbar aus. Wir haben einen fabelhaften Koch, aber manchmal bin ich die Gourmetverpflegung leid. In der Klosterschule haben wir immer so etwas gegessen, gut und einfach." Sie biss in das dicke Schinkensandwich und ließ es sich schmecken. Er sah sie verblüfft an. „Erzählen Sie mir doch nicht, dass Sie eine Nonne waren!" rief er. „Obwohl ich mir damit Ihre kühle, distanzierte Art erklären könnte. Jedes Mal, wenn ich denke, dass Sie sich endlich entspannen, ziehen Sie sich wieder zurück." Sie lachte. „Nein, keine Nonne. Meine Mutter starb bei meiner Geburt, und mein Vater konnte sich nicht um mich kümmern - er war Bergbauingenieur -, deshalb wuchs ich bei den Ursulinen in Bayou Laforche auf." Sie nahm einen Schluck Kaffee. „Ich habe sofort nach der Klosterschule geheiratet, vielleicht ist das die Erklärung für meine nonnenhaften Gewohnheiten." „Sie sind mit Ihrem Mann entfernt verwandt, nicht wahr?" „Ja. Woher wissen Sie das?" „Nun, Charles Donaldson hat es erwähnt."
Hat er Charles ausgefragt? fragte sie sich verwundert. Wenn es so war, was hat er ihm noch erzählt? „Charles und ich spielen einmal in der Woche zusammen Handball", erklärte er gleichgültig, als würde er spüren, dass sie unangenehm berührt war. „Und für gewöhnlich trinken wir hinterher etwas zusammen." Er grinste, zögerte, bevor er fortfuhr. „Charles mag Sie sehr - und Ihren Mann." Es hatte zu regnen begonnen, einer dieser unvorhersehbaren Wolkenbrüche im Frühling, die für kurze Zeit unbarmherzig herniederprasselten und dann so schnell, wie sie gekommen waren, wieder aufhörten. Sie sah zum Fenster hinaus. Der Himmel, der so blau und sonnig gewesen war, war jetzt bleigrau mit schweren Wolkentürmen verhangen, die rasch vorbeizogen. Bäume und Sträucher hatten ein metallisch glänzendes, hellgrünes Aussehen angenommen, und der Regen klatschte unablässig .gegen die Fensterscheibe. Aus der Ferne hörte sie ein grollendes Gewitter. Sie bemerkte, dass er sie anschaute, und sah über den Tisch unsicher zu ihm herüber. Er saß lässig auf seinem Stuhl, hatte die Kaffeetasse in der Hand, die Beine lang ausgestreckt und stützte sich mit den Hacken am Boden ab. Sein Gesichtsausdruck war nachdenklich. „Ihre Assistentin - Miss Swenson - ist sehr schön", sagte sie unvermittelt, nur um etwas zu sagen. „Ja, das ist sie", stimmte er zu. Er stellte seinen Stuhl wieder richtig hin und stützte sich mit den Ellbogen auf dem Tisch ab. „Sie ist übrigens Mrs. Swenson, und für den Fall, dass Ihre Vorstellungskraft mit Ihnen durchgeht, nachdem Sie sie heute Morgen gesehen haben sie ist nicht nur glücklich verheiratet, sondern ich halte mich auch stets an meinen festen Grundsatz, von verheirateten Frauen die Hände zu lassen." Lelia wurde rot und senkte ihren Blick. Nervös riss sie die Papierserviette, die sie in den Fingern hatte, in Stücke. Die Nonnen wären entsetzt, dachte sie grimmig, und hielt die Hände still. Er nahm einen Schluck Kaffee. „Nebenbei gesagt", fügte er hinzu, „ist sie nicht mein Typ." „Wie ist Ihr Typ?" fragte Lelia leichthin, um ihre Unsicherheit zu verdecken. Sie wusste kaum, was sie sagte. Er sah sie abschätzend an. „Nun ja, ich habe immer eine Vorliebe für dunkle Frauen gehabt." Seine Augen blitzten schelmisch. „Vor allem für kreolische Typen, mit weicher Haut, schwarzen Haaren und dem Duft von Magnolien. Wie aus einem Bürgerkriegsroman. Wie Sie. Sie sehen aus, als würden Ihnen ein üppiger Reifrock aus knisternder Seide und ein Sonnenschirm wundervoll stehen." Sie errötete wieder. „So bin ich gar nicht. Sie irren sich", widersprach sie. „Ich bin übrigens auch verheiratet." Wie sind wir nur auf dieses Thema gekommen? fragte sie sich erstaunt. „Ich weiß", sagte er ruhig. Er lächelte wieder. „Ich begnüge mich damit, etwas Schönes anzusehen und zu bewundern, wenn ich weiß, dass ich es nicht haben kann. Das ist doch nicht schlimm, oder?" Sie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte, und sah wieder zum Fenster hinaus, starrte die Bäume an, die sich im Wind bogen, und auf den herniederprasselnden Regen. Während sie auf die Regentropfen auf der Scheibe blickte und noch immer keine Worte fand, wurden ihr klar, dass der Wind sich gedreht und der Sturm sich plötzlich beruhigt hatte. Da entdeckte sie draußen etwas. Wenige Meter entfernt stand, mit erschrockenen braunen Augen und völlig verwirrt, ein kleines Rehkitz. Als Lelia in die Augen des ängstlichen Tieres sah, wurde sie an ihren Hochzeitstag vor fünf Jahren zurückversetzt. Mit einem unterdrückten Schrei sprang sie auf, kippte ihren Stuhl um und verschüttete den Kaffee. Nein, dachte sie in panischer Angst, ich halte es nicht aus. Sie stand zitternd da und hielt die Hände vor die Augen, während dieser fürchterliche Tag wieder lebendig wurde, der
Unfall, die schrecklichen Nachwirkungen. Sie musste unwillkürlich schluchzen. Dann fühlte sie feste Arme, sie wurde an eine starke Brust gedrückt. „Lelia, Lelia", hörte sie Michael immer wieder sagen. „Was ist los?" In ihrem Kopf hämmerte es, sie war von der schmerzhaften Erinnerung völlig durchdrungen. Sie sah mit wildem Blick zu ihm hoch, hatte sich kaum in der Gewalt. „Das Reh", brachte sie heraus, ,,Das Reh." „Ist ja gut", flüsterte er besänftigend. Er strich mit den Händen über ihre Haare und versuchte, sie zu trösten. „Sie kommen manchmal zum Haus, weil sie Salz suchen. Keine Angst. Es wird zu seiner Mutter zurückfinden. Der Sturm wird ihm nichts anhaben können." Michael lächelte Lelia beruhigend zu, aber sie zitterte nur und legte den Kopf an die feste Schulter. „Sie verstehen nicht", stöhnte sie. „Dann erzählen Sie es mir", sagte er. Lelia wandte sich ab. Sie konnte es nicht ertragen, ihm in die Augen zu sehen, aber er versuchte auch nicht, sie zu halten oder zu berühren. Schließlich nahm sie sich zusammen und schilderte mit dumpfer, monotoner Stimme den Unfall, der ihren Mann zum Krüppel gemacht hatte. Michael Fielding hörte ruhig zu und sagte kein Wort. Nachdem Lelia fertig war, fühlte sie sich von ihren Gefühlen und der Anstrengung, die fürchterliche Geschichte in Worte zu fassen, überwältigt und ausgelaugt. Aber sie war nach langer Zeit auch ruhiger und friedlicher. „Jetzt wissen Sie es“, schloss sie leise, während sie ihm noch den Rücken zugewandt hatte. „Es ist alles meine Schuld. Ich habe Armand zum Krüppel gemacht, sein Leben ruiniert." Da fühlte sie feste Hände sanft auf ihrer Schulter, er drehte sie herum, um ihr ins Gesicht zu sehen. Sie sah zu ihm auf, ihre Augen glänzten noch. Er nahm ihr verweintes Gesicht in beide Hände und sah sie aufmerksam an. „Lelia, Sie haben instinktiv reagiert, nicht absichtlich. Warum nehmen Sie die Schuld auf sich?" Als sie den Mund zum Protest öffnen wollte, legte er einen Finger auf ihre Lippen. „Schscht", sagte er. „Hören Sie mir zu. Sie sind eine gute Katholikin. Sie haben bestimmt gelernt, dass man erst dann eine Sünde begeht, wenn eine Absicht dahinter steht." Genau das hatte Pater Pierre ihr beigebracht. Sie nickte. „Ich weiß. Ich weiß, dass ich in den Augen Gottes unschuldig und ohne Sünde bin, aber mit dem zu leben, was ich getan habe, Tag für Tag, Jahr für Jahr, mit anzusehen, dass er mit der Zeit immer verbitterter wird ..." Der Gedanke an Armands Gesichtsausdruck ließ sie frösteln. „Manchmal denke ich, dass er mich hasst. Ich weiß es, und ich kann ihm keinen Vorwurf machen." „O Lelia", sagte er, zog sie wieder zu sich und legte die Arme um sie. „Welche Höllenqualen hat er Ihnen bereitet." Sie lehnte sich an ihn, dankbar für seine Stärke und seine beruhigende Gegenwart. Langsam wurde ihr jedoch klar, dass sie nicht so in seinen Armen bleiben durfte, aber sie war erleichtert, dass sie jemandem, der Verständnis zu empfinden schien, von der Tragödie erzählt hatte. Fünf Jahre lang hatte sie mit niemandem über ihre Gefühle gesprochen. Allmählich spürte sie, wie die Wärme seines Körpers auf sie überging. Das Zittern hörte auf, und stattdessen erwachte ein anderes Gefühl in ihr. Ein leichtes Prickeln erfasste sie. Michaels Hände lagen nicht mehr auf ihrem Haar, sondern glitten langsam zu ihrem Rücken. Ihre Hände waren auf seinen Schultern, und sie spürte, wie die Muskeln unter dem dünnen Hemd sich anspannten. Sein warmer Atem ging schneller. Unwillkürlich klammerte Lelia sich fester an ihn, und er umschlang sie mit beiden Armen. Er roch nach einem frischen männlichen Duft. Als sie zu ihm hochsah, bemerkte sie auf seiner Schläfe einen weißen Farbklecks, genau neben einer dunklen Haarlocke. Michael hatte die Augen geschlossen, die langen dichten Augenwimpern berührten die sonnengebräunte Haut. Dann öffnete er die Augen, und Lelia glaubte, in einem Meer von Blau zu versinken. Sie
seufzte, als sein fester Mund ihre Lippen berührte und sie hungrig küsste. Sie war noch nie so geküsst worden, und leidenschaftliches Verlangen stieg in ihr auf, und sie drängte sich dichter an ihn. Ihre Lippen öffneten sich, sie erwiderte gierig seinen Kuss und griff aufstöhnend in seine unordentlichen schwarzen Haare. Sie nahm jetzt keine Rücksicht mehr, sie fühlte sich nur als Frau. Seine Lippen liebkosten weich und feucht ihren Mund, und überall, wo seine Hand war, auf ihrem Rücken, ihrer Taille, ihren Hüften, spürte sie das Feuer. Unerwartet zog Michael sich zurück. Er legte die Hände auf ihre Schultern und drückte sie fast schmerzhaft. Dann trat er einen Schritt zurück. Lelia öffnete die Augen. Michael hatte den Kopf so, gedreht, dass sie nur sein Profil sehen konnte, die dunklen Haare fielen ihm in die Stirn. Sein Kinn war angespannt, seine Augen geschlossen. Sie glaubte, noch nie so einen schönen Mann gesehen zu haben, und berührte seine hohen Wangenknochen, die flachen Wangen und das markante Kinn. Er schaute sie an und ließ die Hände von ihren Schultern fallen. In diesem Moment merkte sie plötzlich, was sie getan hatte. Sie schlug mit einem kleinen Schrei die Faust vor den Mund und biss sich auf die Knöchel. „Lelia", sagte er. „Es tut mir sehr Leid. Vergib mir bitte." Vergeben? Was hatte sie ihm vorzuwerfen? Sie sah ihn betroffen an, drehte sich um und verließ das Zimmer. Wie gehetzt eilte sie den langen Flur entlang und kam zur Treppe, die zum Foyer führte. Sie hörte ihn hinter sich rufen. „Lelia. Warte." Mit wenigen Schritten war er bei ihr, fasste sie, am Arm, damit" sie ihm ins Gesicht sah. Aber sie konnte es nicht. Er drückte ihr etwas in die Hand. Sie schaute hinunter. Es war ihre Handtasche, die sie im Zimmer vergessen hatte. „Lelia, hör mir zu. Hör mir bitte zu." „Ich ...ich ..." Sie konnte nicht reden. Sie stand nur da, hielt ihre Handtasche fest, erfüllt von bitterem Schamgefühl. „Es ist nichts passiert, Lelia", hörte sie ihn ernst sagen. „Überhaupt nichts. Du warst aufgewühlt und verzweifelt. Du brauchtest jemanden, bei dem du dich ausweinen konntest. Ich war zufällig da. Es hätte auch Charles sein können. Jeder hätte es sein können." Er zögerte. „Lelia, sieh mich an. Sieh mich bitte an." Endlich sah sie hoch. Michael ließ sie los und seufzte. „So ist es gut." Er atmete tief ein, dann lächelte er. „Ich habe nicht vergessen, dass ich gesagt habe, ich würde verheiratete Frauen nicht anfassen. Es ist nur so, dass du für mich nicht verheiratet zu sein scheinst. Du wirkst irgendwie ... unberührt." Das Lächeln verschwand. „Hast du jemals daran gedacht, ihn zu verlassen? Wieder richtig zu leben?" Sie schüttelte energisch den Kopf. „O nein", sagte sie nachdrücklich, als sie ihre Stimme wieder gefunden hatte. „Das könnte ich niemals." „Es stimmt", sagte er und sah sie immer noch an. „Ich glaube, du könntest es nicht." Er war einen Augenblick lang still, bevor er fortfuhr. „Ich bin mit dem Job hier fast fertig. Ich werde weiterziehen. Wenn ich dich vorher nicht mehr sehe, möchte ich, dass du mir eines versprichst." Seine Stimme klang beschwörend. „Versprich mir, dass du diese Märtyrerrolle aufgibst, in die dein Mann dich gedrängt hat. Ich verstehe, dass du meinst, weiter mit ihm verheiratet sein zu müssen, aber um Himmels willen, Lelia,' lass nicht zu, dass er dich weiterhin drangsaliert. Er wird dich zerstören." Sie sah weg. „Du verstehst das nicht", murmelte sie. „O doch, das tue ich. Ich verstehe sehr gut. Ich bin auch ein Mann. Ich kenne die Versuchung, die alle Männer spüren, wenn sie einer Frau wie dir begegnen. Deine zarte, geheimnisvolle Schönheit, dieser unschuldsvolle Blick, der das Feuer, das in dir brennt, kaum verbergen kann, fordern nahezu heraus, dich beschützen zu wollen - und dich zu begehren!" Sie errötete, als sie an ihren hingebungsvollen Kuss denken musste, und sah ihn überrascht an. „Ich muss gehen", sagte sie, drehte sich um und lief nach draußen zum Wagen. Sie wollte nichts mehr hören. Er tat ihr und Armand Unrecht.
4. KAPITEL Einen Monat später waren die Arbeiten in „Beaux Champs" beendet. Nach ihrem letzten Besuch und dem aufwühlenden Zusammentreffen mit Michael hatte Lelia den Ort gemieden. Sie schützte Kopfschmerzen oder Desinteresse vor, wenn Armand sie darum bat, nach „Beaux Champs" zu fahren. Sie hatte zwei Mal nachgegeben und war mit ihm gefahren, aber sie hatte jedes Mal dafür gesorgt, dass sie und Michael Fielding niemals allein miteinander waren. An jenem stürmischen Tag hatte er gesagt, dass nichts passiert sei, und sie wollte es ihm glauben. Er verhielt sich bei ihren Begegnungen so, dass sie keinen Zweifel daran hatte. Ihr Leben verlief wieder in den gewohnten Bahnen. Zwei Mal lud Armand Michael zum Abendessen ein. Einmal hatte er abgesagt, beim zweiten Mal war er gekommen, aber sein Verhalten war so höflich und distanziert gewesen wie das ihre. Jetzt würde er weggehen, und sie war zwischen Erleichterung, seine beunruhigende Gegenwart nicht länger vermeiden zu müssen, und Bedauern bei dem Gedanken, was alles hätte sein können, hin- und hergerissen. Sie kannte ihre Pflichten. Doch in den wenigen Augenblicken der Schwäche, wenn sie nachts allein in ihrem Himmelbett lag und wieder diesen einen Kuss spürte, der auf ihrem Mund brannte, musste sie heftig gegen eine fiebrige Schwäche ankämpfen, die sich ihres Körpers bemächtigt hatte. Sie machte es ihr nicht leicht, an ihr Gelübde zu denken, Armand glücklich zu machen. In New Orleans wurde es mit jedem Tag wärmer und die Luft feuchter. Die Bougainvillea, die sich um die schmiedeeisernen Spaliere im Hof auf der Rückseite des Hauses in der Chartres Street wand, bekam allmählich Farbe. Bald würden auch die Rosen blühen. Lelia hatte Armand endlich überzeugen können, er erlaubte ihr ehrenamtliche Arbeiten für Wohltätigkeitszwecke, und somit waren ihre Tage ausgefüllt. Sie tat etwas Sinnvolles. An einem außerordentlichen warmen, herrlichen Tag Ende Mai kam sie von einer Wohltätigkeitsveranstaltung im „Hotel Montelone", nur fünf Häuserblocks weiter im Herzen des Französischen Viertels, nach Hause. Sie war den kurzen Weg zu Fuß gegangen. Die Straßen waren jetzt voller Touristen, und sie war froh, aus der grellen Sonne und der drängenden Menge, die die Gehwege beherrschte, weg in die kühle stille Abgeschiedenheit des Hauses zu kommen. Sie schloss erleichtert die schwere geschnitzte Tür und wollte über den gefliesten Boden des Foyers zu ihrem Schlafzimmer gehen. Sie musste unbedingt ein Bad nehmen. Ihr neues trägerloses Leinenkleid hatte unschöne Knitterfalten, und auf der Stirn hatten sich Schweißperlen gebildet. Als sie am Salon vorbeikam, hörte sie Armands Stimme. „Lelia. Bist du es?" „Ja, Armand." Sie ging hinein, blieb aber abrupt an der Tür stehen. Dort stand am Fenster mit dem Rücken zu ihr - Michael. Er drehte sich um, und für einen Moment trafen sich ihre Blicke. Er trug eine hellgraue Hose, die seine schmalen Hüften und seine langen Beine betonte, ein schwach gemustertes blauweißes Hemd und einen marineblauen Leinenblazer. Lelia hielt bei seinem Anblick ungewollt den Atem an. Die lockigen schwarzen Haare waren erst vor kurzem geschnitten worden, er hatte sich rasiert und sah atemberaubender aus, als sie ihn in Erinnerung hatte. „Guten Tag, Mrs. Duval", sagte er höflich und schaute wieder fort. Nachdem sie sich von der ersten Verblüffung erholt hatte, begrüßte sie ihn zurückhaltend, um dann durch den Raum zu Armand zu gehen. Sie beugte sich zu ihm herunter und küsste ihn leicht auf die blasse Wange. „Nun, meine Liebe, hast du Witwen und Waisen beigestanden? Oder waren es heute Gefängnisinsassen?" Er sah zu Michael Fielding hinüber. „Meine Frau ist eine Wohltäterin geworden." „Sehr lobenswert", sagte Michael knapp. Dann bemerkte sie, dass Charles Donaldson im Raum war.
Charles saß halb versteckt hinter Armand in einem wuchtigen Ohrensessel. Er stand jetzt auf, um Lelia zu begrüßen. „Wie geht es dir, Lelia? Du siehst so wunderbar aus wie immer." Sie lächelte. Sie mochte Charles, fühlte sich bei ihm wie zu Hause. „Ziemlich gut, Charles", erwiderte sie. „Draußen ist es nur sehr heiß, und die Straßen sind voller Menschen." „Nun gut, meine Herren", unterbrach Armand forsch. „Ich glaube, wir haben zu tun." Er sah zu Lelia hoch. „Mr. Fielding möchte sich nämlich verabschieden. Seine Arbeit ist beendet. Charles und ich sind heute Morgen hinausgefahren und haben ,Beaux Champs' begutachtet, und ich muss sagen, ich bin sehr zufrieden." Dann verengten sich plötzlich seine braunen Augen. Mit skeptischem Gesichtsausdruck musterte er sie, und seine Mundwinkel zogen sich langsam nach unten. Lelia erstarrte. Sie kannte diesen Blick. Was hatte sie getan? Sie hielt nervös ihre Handtasche fest. „Was um alles in der Welt trägst du da, Lelia?" ertönte seine hohe Stimme. Sie schaute an sich herab. Das blassgelbe Kleid hatte sie sich kürzlich in einem der großen Kaufhäuser an der Canal Street ausgesucht. Sie hatte es an dem Tag einfach gekauft, weil sie den Stil mochte. Es war nicht so eng, einfacher als die Kleider, die sie gewöhnlich trug, und sie fühlte sich darin wohler als in den hochmodischen Sachen, die Armand für sie aussuchte. „Es ist nur ein Kleid, Armand", sagte sie leichthin. „Du weißt, dass ich Gelb nicht leiden kann, Lelia. Es steht dir nicht." „Es ist ein sehr zartes Gelb, Armand." Sie lächelte, war jedoch verwirrt. Der Gesichtsausdruck ihres Mannes war kalt und unnachgiebig. Seine blutleeren Lippen waren höhnisch aufgeworfen, er seufzte geziert. „Du siehst, was passiert, Lelia, wenn du darauf bestehst, selbst etwas für dich auszusuchen." Er musterte sie von oben bis unten. „Du siehst damit aus, als kämst du gerade aus der Klosterschule." Dann wurde seine Stimme bestimmter. „Geh und zieh dich um. Sofort." „Armand", begann sie. Warum tat er ihr das an, warum erniedrigte er sie vor den beiden Männern? Sie konnte es nicht fassen, dass er sich wegen eines Kleides derart gehässig aufführte. Was sollte sie tun? Entweder sie gehorchte ihm, oder sie widersprach und machte eine Szene. Sie hörte, wie Charles sich räusperte, dann herrschte völlige Stille im Kaum. Während sie so dastand und überlegte, was sie tun sollte, Armand sie noch immer spöttisch anblickte und erwartete, dass sie ihm gehorchte, brach Michael Fieldings tiefe Stimme das Schweigen. „Ich dachte, es sei das Vorrecht einer Frau, sich ihre Kleider selbst auszuwählen." Seine Stimme klang mild, aber bestimmt, so dass Lelia überrascht zu ihm hinübersah. Als sie in seine blauen .Augen sah, bemerkte sie ein flüchtiges Lächeln auf seinem Gesicht, und seine Achseln zuckten leicht. Sie schaute wieder Armand an. Michaels Bemerkung und sein kurzer zustimmender Blick gaben ihr Mut. „Lass uns später darüber sprechen, Armand, ja?" sagte sie freundlich. Sie wandte sich Charles zu, nicht ohne den feindseligen Blick ihres Mannes zu registrieren. Ich werde später dafür bezahlen müssen, dachte sie. „Wie ist es dir ergangen, Charles?" fragte sie. „Wir haben dich lange nicht gesehen." Dann hörte sie hinter sich Armands Stimme. „Sie müssen sich bestimmt beeilen, Mr. Fielding. Ich will Sie nicht aufhalten." Sie drehte sich um, sah, wie Michael sich verneigte, dann zu ihr und Charles herüberkam. Er streckte Charles die Hand entgegen. „Auf Wiedersehen, Michael", sagte Charles herzlich. „Unsere Handballspiele haben Spaß gemacht, auch wenn ich nie gewonnen habe. Was werden Sie als Nächstes machen?" „Ich habe noch einen Job in Houston zu erledigen, dann werde ich für einige Monate nach Philadelphia gehen. Was danach kommt, weiß ich noch nicht." Charles lachte. „Sie sind immer auf Achse. Schön, ich hoffe, Sie werden eines Tages wieder
nach New Orleans kommen. Ich möchte dieses Spielergebnis wieder ausgleichen." Er wandte sich an Lelia. „Dieser Mann ist auf dem Handballplatz nicht aufzuhalten." Lelia konnte sich das, wenn sie an seinen muskulösen Körper dachte, sehr gut vorstellen. Er wandte sich zu ihr und gab ihr die Hand. „Auf Wiedersehen, Mrs. Duval. Es war ein Vergnügen, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Vielleicht sehen wir uns wieder." Sie nahm seine Hand. „Vielleicht", murmelte sie und lächelte ihn kühl an. Seine Hand war warm, und als er sanft die ihre drückte, merkte sie, wie Leid es ihr tat, dass er ging. Obwohl sie ihn gemieden hatte, war es doch ein schwacher Trost gewesen, ihn in ihrer Nähe zu wissen. Michael ließ ihre Hand los und ging ohne ein Wort oder einen Blick zurück aus dem Raum. Er hatte Armand weder die Hand geschüttelt noch Auf Wiedersehen gesagt. Sie hörte, wie die Haustür geöffnet und geschlossen wurde, dann war er fort. Lelia schaute Armand an. Ein trübsinniger Ausdruck lag auf seinem Gesicht. Sie seufzte und wandte sich an Charles. „Möchtest du etwas trinken?" Sie fragte ihren Mann. „Armand?" „Nein", sagte er kurz. „Mir geht es nicht gut. Ich glaube, ich werde mich hinlegen." Ehe sie ihm ihre Hilfe anbieten konnte, war er aus dem Zimmer gerollt, er ließ sie in angespannter Stille zurück. Endlich sagte Charles etwas. „Ich glaube, ich brauche etwas zu trinken. Du auch?" „Einverstanden." Sie ging zum Barschrank neben dem Marmorkamin, entnahm ihm zwei Gläser und eine Flasche. „Sherry?" rief sie. „Ja. Das ist gut." Er stellte sich neben sie und sah zu, wie sie einschenkte. Sie wollte verhindern, dass ihre Finger zitterten, aber die Reaktion auf die hässliche Szene mit Armand über ihr Kleid machte sich jetzt bemerkbar. Sie fürchtete, dass der Zwischenfall Folgen haben würde. Armand fand sicher einen Weg, um sie für ihren offenen Widerstand zu bestrafen. „Lelia", begann Charles leise. „Ich weiß, es geht mich nichts an, aber ..." „Nicht, Charles. Bitte sag nichts." Sie blickte ihm ins Gesicht und lächelte angestrengt, als sie seine Besorgnis sah. Er hob eine Hand. „Lass mich ausreden." Er nahm einen Schluck Sherry. „Was weißt du über Armands geschäftliche Angelegenheiten?" Sie blickte ihn erschrocken an. „Nur sehr wenig. Er gibt mir alles, was ich brauche. Ich habe kaum mit Geld zu tun. Warum fragst du?" Charles leerte sein Glas und setzte es auf dem Barschrank ab. „Die finanzielle Situation der Familie Duval ist recht ungewöhnlich, und ich denke, du solltest einiges darüber wissen." Er goss sich einen zweiten Sherry ein, ging zum Fenster und schob den schweren Damastvorhang zur Seite, um hinauszuschauen. „Neben der Baumwollspinnerei und der Zuckerplantage gibt es ein weiteres Familienunternehmen, für das Armand und Amalie als Inhaber verantwortlich zeichnen. Das ganze Geld der Duvals steckt praktisch in diesen Unternehmen, und die Teilhaber sind durch Verträge und Nebenabsprachen dazu verpflichtet, dass alle Anteile und flüssigen Vermögenswerte - damit ist das Geld gemeint - im Unternehmen bleiben. Dir als Armands Frau steht nichts zu." Lelia war bestürzt. „Und was hat das für mich zu bedeuten, Charles? Ich verstehe nicht, warum du mir das erzählst." Charles drehte sich um und sah sie lange an. „Wenn du von Armand geschieden würdest, bekämst du keinen Cent. Du könntest das Familienunternehmen verklagen, aber ich bezweifle, dass du gewinnen würdest, vor allem angesichts Armands körperlicher Verfassung." Lelia starrte ihn nur an. „Ich habe nicht die Absicht, Armand zu verlassen. Wie kannst du nur an so etwas denken?" Er kam rasch auf sie zu und sah sie entschlossen und ernst an. „Warum sollte ich nicht an so etwas denken?" fragte er. „Seit fünf Jahren sehe ich mit an,
wie er dich zu zerstören versucht, dich ausnutzt, dich bestraft, sein übersteigertes Selbstmitleid an dir auslässt." Lelia fasste sich schockiert an den Hals. „Charles, du verstehst das nicht. Ich bin an dem Unfall schuld. Das weißt du doch. Ich könnte Armand niemals verletzen, nie wieder. Ich schenke ihm mein Leben ..." „Du musst ihm gar nichts geben", unterbrach Charles sie leise und bestimmt. „Viele Menschen haben Behinderungen und kommen damit zurecht. Ich kann nicht tatenlos zusehen, wie er dich zerstört." Lelia kniff die Augen zusammen. Sie merkte, dass er die Wahrheit sagte, aber er war auch nicht derjenige, der mit dem nagenden Schuldgefühl leben musste. Obgleich Armand manchmal grausam zu ihr war, war er oft gut zu ihr. Und er brauchte sie. Selbst wenn es nur dazu diente, sein übersteigertes Selbstmitleid auszuleben, wie Charles es ausgedrückt hatte. „Bitte, Charles", murmelte sie. „Ich möchte nicht mehr darüber sprechen, nie wieder." Sie wandte sich ab. „Ich glaube, du gehst jetzt besser." Er schwieg einen Moment, bevor er antwortete. „Ich habe es versucht. Ich wollte dir nur zeigen, dass ich da bin und warte, solltest du jemals vorhaben, dein Gefängnis zu verlassen. Ich ..." Er sprach den Satz nicht zu Ende, sondern setzte das Glas ab und ging hinaus. Während Lelia sich für das Abendessen anzog, dachte sie darüber nach, was Charles heute Nachmittag gesagt hatte. Michael hatte damals in „Beaux Champs" praktisch das Gleiche gesagt, als sie ihm von dem Unfall und ihrer lähmenden Schuld erzählt hatte. Ähnlich hätte auch Pater Pierre reagiert, wenn sie ihm ihre Tat gebeichtet hätte. Hatten sie Recht? Sie betrachtete ihr Spiegelbild, die verhasste kunstvolle Frisur und das Designer-Seidenkleid, in denen sie wie eine Selbstparodie aussah. Würde sie jemals sie selbst sein können? Sie bedeckte ihr Gesicht mit den Händen und schüttelte sich. Vielleicht hatte sie für das, was sie getan hatte, genug bezahlt. Armand würde durch keine noch so hohe Buße wieder gehen können oder die Liebe wieder entfachen, die sie einst glaubte, für ihn zu empfinden. Sie sah erneut in den Spiegel. Ich kann Armand niemals verlassen, dachte sie, aber es ist vielleicht möglich, mehr aus meinem Leben zu machen. Ich könnte herausfinden, wer ich bin und sein, wie ich bin, statt nur so dahinzuleben wie ein verwöhntes Haustier. Ich werde meine Haare abschneiden, dachte sie wagemutig, mich anziehen, wie es mir gefällt. Zum ersten Mal seit Jahren hatte sie das Gefühl, wie ein lebendiger Mensch zu empfinden. Ich werde mit Armand reden, dachte sie, während sie den Flur entlang zum Essen ging. Und wenn er es ablehnt? Sie hob das Kinn. Dann werde ich einen Weg finden. Die anderen saßen am langen Esstisch, die Damasttischdecke, die Kristallgläser, das Silberbesteck und das Porzellan schimmerten miteinander um die Wette unter dem Kronleuchter. Armand sah sie flüchtig an, während sie Platz nahm. Sie fand, dass er heute Abend blasser als sonst aussah, und wunderte sich noch immer, wie ärgerlich er heute Nachmittag wegen des Kleides gewesen war. „Du hast dich verspätet", begrüßte er sie vorwurfsvoll. „Es tut mir Leid, Armand", sagte sie friedlich, aber ihr Herz schlug nicht schneller, wie sonst, wenn sie einen Tadel erwartete. „Ihr hättet ohne mich anfangen können." Während des Essens hörte Lelia den Gesprächen unbeteiligt zu und überlegte, ob es besser sei, jetzt darüber zu sprechen, dass sie die wohltätigen Aktivitäten ausweiten wolle, oder ob sie so lange warten sollte, bis sie und Armand allein waren. Vielleicht, dachte sie, sagst du auch nichts und tust es einfach. Sie sprachen über die Beendigung der Arbeiten in „Beaux Champs". „Es wäre schön, den Sommer dort zu verbringen", sagte Tante Amalie. „Allein schon wegen der Hitze. Wir könnten dort zum Frühlingsende eingezogen sein." „Ich denke, dass wir vorher einen großen Empfang geben sollten", warf Blanche aufgeregt
ein. Lelia wusste, dass sie nicht daran dachten, nach ihrer Meinung zu fragen, und aß schweigend weiter, hörte zu und dachte nach. „Ich halte es für besser", sagte Armand, „wenn wir erst im Sommer umziehen. Es müssen noch ein paar Dinge erledigt werden." Blanche gab einen gezierten Laut von sich. „Ich dachte, dieser Mann - Fielding - hat seinen Job beendet und ist dafür bezahlt worden." „Gewiss", sagte Armand gedehnt. „Er ist fort." Lelia spürte, dass er sie ansah, aber sie sagte nichts. „Dem Himmel sei Dank", erwiderte Blanche heftig. „Ein unverschämter Kerl. Ich weiß überhaupt nicht, wie du mit ihm ausgekommen bist, Armand." „Er hat seinen Job gemacht", erwiderte Armand milde. „Lelia hat dafür gesorgt, nicht wahr, Liebling?" Ehe sie auf diese rätselhafte Feststellung eine Antwort geben konnte, unterbrach Blanche. „Lelia!" Neben ihrem Vorwurf war auch unverhohlene Verachtung herauszuhören. „Es scheint, dass sie nichts Besseres wusste, als sich mit diesem Mann gegen deine Wünsche zu verschwören." Armand runzelte die Stirn, und Lelia merkte, dass er nach Blanches triumphierender Behauptung noch schwankte, wie er reagieren sollte. Dann schaute er Lelia an. „Hast du das getan?" fragte er langsam und lehnte sich zurück. Sie begegnete ohne Scheu seinem Blick. „Ich hoffe es nicht, Armand", antwortete sie ruhig. „Ich habe bestimmt nicht die Absicht gehabt, so etwas zu tun." Blanche lachte. „Einige Frauen hier finden ihn natürlich unwiderstehlich." Dich eingeschlossen, dachte Lelia, und plötzlich hatte sie genug von dieser Hetzerei. Warum musste sie das weiter ertragen? Sie legte ihre Gabel auf den Teller und sah Blanche direkt in die Augen. „Willst du damit andeuten, Blanche, dass ich es auf eine Affäre mit Michael Fielding abgesehen hatte?" Blanches hellblaue Augen weiteten sich. „Wenn dem so ist, denke ich, dass du dich bei mir - und bei Armand - entschuldigen wirst." Es war völlig still im Raum. Nur Tante Amalie aß weiter. „Also, Blanche?" sagte Armand schließlich. „Was hast du dazu zu sagen?" „Selbstverständlich habe ich nichts dergleichen andeuten wollen", meinte sie stockend. „Und selbstverständlich entschuldige ich mich bei euch beiden, wenn Lelia darauf besteht." Sie zögerte. „Allerdings kann ich mich nicht erinnern, dass von einer Affäre überhaupt die Rede war. Das hat allein Lelia gesagt, Armand, das musst du zugeben." Lelia spürte, wie alle drei sie jetzt ansahen, und ihr drehte sich der Magen um. Warum hatte sie das gesagt? Blanche hatte sie doch nur vor Armand herabsetzen wollen, um sich selbst herauszustellen. Armands Gesicht warf eine undurchdringliche Maske. Endlich stieß er seinen Stuhl vom Tisch ab. „Wollen wir in den Salon gehen?" sagte er ruhig. Lelia wartete in dieser Nacht in ihrem Schlafzimmer auf Armand, weil sie wusste, dass er kommen würde. Sie fürchtete sich vor der Szene, die sie erwartete, wegen ihres Widerstandes heute Nachmittag und wegen des Gesprächs beim Abendessen. Andererseits war sie froh, es hinter sich zu bringen. Es war besser als dieses verbissene Schweigen. Sie hatte sich gleich zu Beginn gewundert, warum er sie und Michael Fielding unbedingt zusammenbringen wollte. Jetzt war sie fast sicher, dass er sie auf die Probe gestellt hatte. Es ist widerlich, dachte sie, vor allem, weil sie sich so angestrengt hatte, ihn zufrieden zu stellen. Er hatte während des Schachspiels kaum mit ihr gesprochen, und sie hatte so schlecht gespielt, dass er vorzeitig entrüstet aufgab. Sie hatte dann Kopfschmerzen vorgetäuscht und war in ihr Zimmer gegangen. Nach dem Bad hatte sie das durchsichtige Nachthemd und den schweren weißen Samtmorgenmantel darüber angezogen und war mit einem Buch ins Bett gegangen. Sie
konnte sich nicht konzentrieren, und als es endlich klopfte, legte sie das Buch erleichtert zur Seite. „Herein", rief sie. Aber es war nur Peter, der in der Tür erschien, und nicht Armand. „Entschuldigung, Madam", sagte er. Er trug nicht die Chauffeuruniform, sondern den schwarzen Anzug, den er im Haus trug, wenn er Armand behilflich war. „Was gibt es, Peter?" „Es geht um Mr. Duval, Madam." Seine Stimme klang nach unterschwelliger Panik. „Er hatte einen Anfall und ist bewusstlos." Lelia sprang aus dem Bett und rannte den Flur entlang zu Armands Schlafzimmer. Sie sah, wie er in seinem Brokatmorgenmantel auf dem Bett lag, seine Augen waren geschlossen, und sein Körper bewegte sich nicht. Peter spähte ängstlich über ihre Schulter. „Was ist passiert^ Peter?" Sie fasste Armands schlaffes Handgelenk. „Er wollte zu Bett gehen", erklärte Peter stockend. „Er geht immer allein ins Bett. Ich war im Badezimmer, habe seine Handtücher aufgehängt und holte seine Medizin." „Und was passierte dann?" Sein Pulsschlag war schwach und langsam, aber er war zu ertasten. Während sie zu ihm hinuntersah, meinte sie, dass seine wächsernen Augenlider sieh leicht bewegten. „Ich hörte ein Geräusch. Dann schrie er. Er lag auf dem Boden. Er, ist bestimmt ausgerutscht. Ich hob ihn auf und legte ihn aufs Bett, und als er bewusstlos blieb, habe ich Ihnen sofort Bescheid gegeben." Lelia überlegte schnell. Er kann sich den Kopf gestoßen haben, dachte sie, aber es gab nichts in der Nähe des Bettes, wodurch er hätte besinnungslos werden können. Sein Herz! fuhr es ihr durch den Sinn. Wenn er nun einen Herzinfarkt bekommen hat? Dann riss sie sich zusammen. „Rufen Sie einen Krankenwagen", sagte sie energisch, „und bleiben Sie bei ihm, bis ich mich angezogen habe." Während der nächsten Woche war Charles für Lelia eine feste Stütze. Blanche und Tante Amalie waren trotz ihrer Tüchtigkeit und ihres autoritären Gehabes nicht zu gebrauchen. Zunächst reagierten sie hysterisch, als Lelia sie in der Nacht aufweckte, um ihnen zu sagen, dass sie mit Armand ins Krankenhaus fahren würde. Später weinten sie hilflos und überließen Lelia alles Weitere. Er kam nie wieder zu Bewusstsein. Das Herz, das ihm seit seiner Kindheit Schmerzen bereitet hatte, versagte ihm endgültig den Dienst. Er starb friedlich, ohne gelitten zu haben. Charles war bei ihr im Wartezimmer des Krankenhauses, als der Arzt kam und es ihr sagte. Obwohl sie mit dem Schlimmsten gerechnet hatte, war sie schockiert, als sie begriff, dass er wirklich gestorben war. Danach war sie völlig in sich gekehrt. Mit Charles Hilfe erledigte sie wie mechanisch die notwendigen Dinge, bereitete die Beerdigung vor, verschickte Todesanzeigen an Freunde und Bekannte und überstand irgendwie die nächste Woche. Tante Amalie und Blanche lagen bis zum Tag der Beerdigung niedergeschmettert in ihren Zimmern und waren Lelia keinerlei Hilfe bei den Entscheidungen. Wenn sie sie um ihre Meinung bat, winkten sie nur ab und wollten mit ihrem Schmerz alleine sein. Erst während der Totenmesse in der Kirche am Jackson Place, in der sie getraut worden waren, wurde ihr angesichts der Anteilnahme der gesamten Gesellschaft von New Orleans bewusst, dass Armand tot war. Während sie niederkniete und für ihn betete, verschwanden die fünf qualvollen Ehejahre aus ihrem Gedächtnis, und sie dachte an ihn, wie sie ihn vor dem Unfall gekannt und geliebt hatte. In ihren Augen waren Tränen der Liebe, die unter dem schwarzen Schleier an den Wangen herunterliefen. So war Armand in Wirklichkeit gewesen, dachte sie, als die Trauernden aus der Kirche kamen und in die wartenden schwarzen Limousinen stiegen. Er war so charmant gewesen,
mit seinem blendenden Aussehen, dem bleichen Gesicht und seinen aristokratischen Zügen. Er wurde auf dem alten Friedhof an der Rampart Street begraben, wo die Familie Duval seit Generationen eine Gruft besaß. Weil New Orleans unterhalb des Meeresspiegels lag, mussten alle Beerdigungen über der Erde stattfinden, und als Lelia zusah, wie die schwarz gekleideten Sargträger den schmalen Sarg in das hohe Grabmal legten, war sie froh, dass er nicht in der Erde begraben wurde. Ihre Augen waren jetzt trocken, und sie wandte sich nach der großen Trauergemeinde um. Charles war bei ihr, seine Hand auf ihrem Arm war ein Trost und eine feste Stütze. Blanche und Tante Amalie schnauzten sich geräuschvoll. Peter war auch da. Er schien über den Tod seines Herrn wirklich traurig zu sein. Der Priester sprach das letzte Gebet, und die Tür der Gruft wurde verschlossen. Lelia schüttelte sich, weil es so endgültig klang. Sie musste noch eine letzte Tortur aushalten. Man erwartete bei der gesellschaftlichen Stellung der Familie Duval, dass sie im Haus an der Chartres Street Essen und Trinken anbot, damit Armands Freunde ihr ein letztes Beileid aussprechen konnten. Dann würde es vorbei sein. Während sie mit Charles den Friedhof in Richtung der wartenden Limousinen verließ, glaubte sie, aus den Augenwinkeln eine vertraute große Gestalt mit schwarzen Haaren gesehen zu haben, die hinter der Menge stand. i Dann war sie in den Wagen gestiegen. Sie hatte sich bestimmt geirrt. Warum sollte Michael Fielding zur Beerdigung eines Mannes gehen, den er nicht einmal gemocht hatte? Charles blieb im Haus, bis sich alle Gäste verabschiedet hatten. Die beiden Frauen waren nach oben auf ihre Zimmer gegangen, er und Lelia befanden sich allein im Salon. Peter hatte nach dem Weggang der Gäste unaufdringlich aufgeräumt, und der Raum schien plötzlich still und einsam. Lelia war müde, emotional und körperlich ausgelaugt. Sie setzte sich auf die Brokatcouch, lehnte den Kopf zurück und schloss die Augen. Dann hörte sie, wie sich Charles neben sie setzte. „Hier", sagte er. Sie öffnete die Augen, und er reichte ihr ein Glas Wein. „Das kannst du jetzt gebrauchen." Sie dankte ihm lächelnd, nahm einen Schluck und lehnte den Kopf mit einem tiefen Seufzer wieder zurück. Charles räusperte sich. „Es ist vielleicht nicht der richtige Augenblick, Lelia, um mit geschäftlichen Angelegenheiten zu kommen, aber ich werde am Montag die Testamentseröffnung vornehmen, und ich denke, du solltest wissen, worum es geht, damit du planen kannst." Sie öffnete die Augen. „Du hast es schon erklärt, Charles. Ich weiß Bescheid. Ich werde nichts bekommen." Sie sah, wie er die Stirn runzelte, und sie legte die Hand auf seinen Arm. „Es ist schon gut. Es wird Zeit, dass ich etwas aus* meinem Leben mache." Er lächelte. „So schlimm ist es nicht. Wie ich dir schon vorher gesagt habe, verbleibt der Großteil des Vermögens zweckgebunden im Familienunternehmen. Natürlich behältst du deine Kleider, den Schmuck und den Thunderbird, weil er ein Geschenk war. Da ist außerdem ein kleines Erbe aus Armands persönlichem Vermögen, damit müsstest du deinen Lebensunterhalt ein Jahr lang bestreiten können." Er zögerte. „Ich bin sicher, dass Amalie dir ein komfortables Haus bis zum Lebensende überlässt. Oder bis du wieder heiratest." „Darum geht es mir nicht", sagte sie langsam. „Im Gegenteil, ich werde nicht wieder heiraten, sondern für mich selbst sorgen. Ich kann arbeiten." „Gut, in diesem Fall"; fuhr Charles erleichtert fort, „sollte ich dir sagen, dass Armand dieses Haus direkt besaß und dir vererbt hat. ,Beaux Champs' bleibt in der Familie, aber dieses Haus gehört dir, und du kannst damit machen, was du willst." Sie dachte nach. „Was ich will?" Er nickte. „Du kannst darin leben - obwohl der Unterhalt mehr kosten wird, als du aufbringen kannst - oder es verkaufen. Es gehört dir allein. Ich bin sicher, dass Amalie und Blanche so bald wie möglich nach ,Beaux Champs' ziehen werden. Du kannst so frei
leben, wie du willst." Frei, dachte sie und konnte es kaum glauben. Was ist der Preis? Sie starrte in das kostbare Kristallweinglas. Vielleicht, dachte sie, habe ich schon dafür bezahlt.
5. KAPITEL Wie Lelia vorausgeahnt hatte, waren Tante Amalie und Blanche entsetzt, als sie ihnen erklärte, was sie vorhatte. Sie hatte es sich sorgsam überlegt und wusste, was sie zu tun hatte. Bei einem Abendessen drei Wochen nach Armands Beerdigung hatte sich eine Gelegenheit ergeben. Die beiden Frauen hatten über die Rückkehr nach „Beaux Champs" gesprochen, und Tante Amalie hatte Lelia gerade gefragt, wann sie umziehen wolle, als sie die Bombe zündete. „Ich werde nicht mit euch nach „Beaux Champs" zurückkehren, Tante", sagte sie. Ihr Herz pochte, aber sie sprach äußerst ruhig. „Ich habe beschlossen, hier zu bleiben." „Das ist nicht dein Ernst, Lelia." Tante Amalie sah sie mit ihren kleinen schwarzen Augen durchdringend an, und Blanche klapperte unruhig mit ihrer Gabel auf dem Teller. „Du gehörst zu uns, zur Familie. Und noch etwas, du kannst es dir nicht leisten, allein hier zu wohnen." „Nein", erwiderte Lelia. „Das kann ich nicht. Ich habe mich entschlossen, die Wohnung oben zu vermieten." Blanche fand als Erste die Sprache Wieder. „Die Wohnung oben vermieten!" schrie sie. „Unsere Wohnung?" „Du und Tante Amalie, ihr werdet nicht obdachlos sein", antwortete Lelia trocken. „Ihr habt ,Beaux Champs' - und Geld genug, um zehn Stadthäuser zu kaufen, wenn ihr wollt." „Keine Diskussionen", sagte Tante Amalie bestimmt und aß ruhig weiter. „Wir werden nächste Woche auf die Plantage ziehen." Sie blickte Lelia entschlossen an. „Alle drei. Die Vorbereitungen sind bereits getroffen." Bei diesem bestimmenden Ton spürte Lelia die gewohnte Angst, und sie schwankte. Wie konnte sie sich dieser Frau widersetzen, der sie so lange gehorcht hatte, der Frau, die sich ihrer angenommen hatte, als sie niemanden hatte, an den sie sich wenden konnte? Dann dachte sie an diese endlosen gesellschaftlichen Aktivitäten, an die langweiligen, unausgefüllten Tage ihres vergangenen Lebens, und ihr Entschluss stand fest. „Welche Vorbereitungen, Tante?" fragte sie langsam. „Deine? Blanches? Ich bin dir sehr dankbar für alles, was du für mich getan hast, aber ich muss mein eigenes Leben leben, eine eigene Wohnung haben. Verstehst du das?" „Nein, das verstehe ich nicht." Tante Amalie legte Messer und Gabel vorsichtig auf den dünnen Porzellanteller. „Wie willst du allein zurechtkommen? Du stehst praktisch ohne einen Cent da." Lelia hob das Kinn. „Ich habe ein wenig Geld, genug, um damit für eine Weile zu leben. Das Haus gehört mir. Und ich kann arbeiten." Blanche rümpfte die Nase. „Und was kannst du, dass dir jemand dafür Geld gibt? Teure Kleider vorführen? Du hast nie in deinem Leben gearbeitet." Lelia hatte darüber noch nicht nachgedacht, aber sie war kräftig, und sie hatte bei den Nonnen eine gute Grundausbildung erhalten. Sie war sicher, Arbeit zu finden. „Dann wird es Zeit, dass ich es tue", sagte sie. „Ich werde etwas finden. Ich kann Schreibmaschine schreiben, Musikunterricht geben, in einem Geschäft arbeiten." Sie hob die Hände. „Woher soll ich wissen, was ich kann, wenn ich es nicht versuche?" „Und was ist mit uns?" Blanches Stimme war erregt. „Hast du daran gedacht, was es für unseren Ruf bedeutet, wenn du dich als Angestellte in einem Laden bewirbst oder in einem Büro Schreibmaschine schreibst? Eine Duval?" „Man muss sich für ehrbare Arbeit nicht schämen", erwiderte Lelia hitzig. „Ich kann ja wieder meinen Mädchennamen annehmen." Sie und Blanche sahen sich jetzt über den Tisch hinweg an.
Ich werde nicht aufgeben, schwor sich Lelia. Wenn ich nachgebe, habe ich verloren. Diese Fluchtmöglichkeit bekomme ich nie wieder. Dann wurde das feindselige Schweigen durch Tante Amalies ruhige autoritäre Stimme unterbrochen. „Gut, Lelia. Du willst nicht verstehen, was dein Wahnsinnsplan für Blanche und mich bedeutet. Aber was ist mit Armand?" Lelia vermied es, in diese schmalen schwarzen Knopf äugen zu sehen. „Armand? Was hat er damit zu tun? Armand ist tot." „Mein Sohn hat dich angebetet", fuhr die alte Frau fort. „Er hat dir alles gegeben. Er hat alle deine Launen befriedigt. Nun willst du mir weismachen, dass du die Erinnerung an ihn, seine Liebe und sein Vertrauen wegen einer Sache verrätst, die er, wie du weißt, verabscheuen würde." Lelia spürte, wie ihr bittere Tränen in die Augen schössen. „Das ist nicht fair, Tante", brachte sie heraus. Sie senkte den Kopf und starrte traurig auf ihren Teller. „Wenn Armand mich geliebt hat, wird er wünschen, dass ich glücklich bin." Tante Amalies Stimme war schneidend, als sie antwortete. „Armand ist durch seine Liebe zu dir zum Krüppel geworden!" Sie erhob sich von ihrem Stuhl und sah auf Lelia herab. Da hörte sie es wieder. Die Familie sah in ihr immer noch die Schuldige. Sicherlich war der Unfall ihrer Gedankenlosigkeit zuzuschreiben, aber Armand hätte sich freiwillig zum Geistes- und Gefühlskrüppel gemacht. Sie dachte an Charles, Pater Pierre, Michael Fielding - alle hatten sie davon zu überzeugen versucht, dass sie moralisch nicht für Armand, oder was er aus sich gemacht hatte, verantwortlich war. Sie war eine gute Frau gewesen, sie hatte alles getan, um ihm zu gefallen, selbst auf Kosten ihrer Selbstachtung. Sie sah wieder hoch. „Ich kann das nicht so sehen, Tante", sagte sie ruhig, wobei sie sich insgeheim vor dem hasserfüllten und verachtenden Blick der alten Frau ängstigte. „Dann gibt es nichts mehr zu sagen, Lelia." Sie schwieg, dann fuhr sie fort. „Außer, dass die Ablehnung meiner Wünsche, der Wünsche deines Mannes, das Ende unserer Beziehung bedeutet. Was du getan hast, wirst du bitter bereuen. Ich wasche meine Hände in Unschuld." Sie wandte sich! an Blanche. „Komm, Blanche. Wir müssen packen. Lelia möchte uns so schnell wie möglich aus ihrem Haus haben." Eine Woche später waren sie ausgezogen und hatten Kisten mit Porzellan, Kristall, Silber und sogar die meisten Möbel aus der oberen Wohnung mitgenommen. Eines Morgens .war ein großer Möbelwagen erschienen, und zwei Männer in weißen Uniformen hatten angefangen, Sachen aus der Küche einzuladen und die Möbel hinauszutragen. Während Lelia ihnen, zusah, überlegte sie, dass wahrscheinlich das meiste, was sie mitnahmen, rechtmäßig ihr gehörte. Es waren unbezahlbare Antiquitäten und komplette alte Porzellanservices und Glasgeschirr. Sie wollte sie nicht haben. Sie mochte das meiste nicht. Wenn sie damit glücklich würden, sollten sie es haben. Nachdem sie endlich fort waren und den Rolls mitsamt dem kleinlauten Peter mitgenommen hatten, ging Lelia durchs Haus, um eine Bestandsaufnahme von dem zu machen, was übrig geblieben war. Sie hatten sich nicht in das Erdgeschoss gewagt, und hier waren genug Möbel, um die praktisch leere obere Wohnung einigermaßen auszustatten. Sie wusste, dass sie mit der Vermietung keine Schwierigkeiten haben würde. Solche großzügigen Wohnungen im Französischen Viertel waren selten und erzielten eine hohe Miete. Charles hatte ihr geholfen, eine Aufstellung von Armands Besitz zu machen. Doch die Aufgabe, die ihr bevorstand, war nicht leicht zu lösen. Sie musste sich erst daran gewöhnen, Entscheidungen zu treffen und ihre eigenen geschäftlichen Dinge zu regeln. Sie brauchte Zeit, aber es drängte sie auch niemand. Nach dem Auszug der beiden Frauen ging sie zuerst in das große Kaufhaus an der Canal Street und kaufte neue Kleidung. Sie hatte ihre teuren Designersachen bereits im leeren Schrank in Armands Zimmer untergebracht und nur ein paar behalten. Sie kaufte zwei Paar Bluejeans, schlichtere Unterwäsche als die individuell angefertigte
Seidenwäsche, die sie bislang getragen hatte, Baumwollblusen und ein Paar Tennisschuhe. Sie hatte ein Bankkonto auf ihren Namen eröffnet, um das Geld aus Armands Vermögen einzuzahlen, und zum ersten Mal in ihrem Leben bezahlte sie ihre Einkäufe bar. Sie musste lächeln, als sie von den Verkäuferinnen gemustert wurde. Sie wundern sich bestimmt, dachte sie, warum sie als Angehörige der obersten Schicht von New Orleans im Givenchy-Kleid und dem teuren Äußeren diese billigen einfachen Sachen kaufte. Zurück im Haus an der Chartres Street, trug sie ihre Einkäufe in ihr Schlafzimmer, blieb einen Augenblick vor der Ankleidekommode stehen und betrachtete ihr Spiegelbild. Es ist die alte Lelia, dachte sie, aber mit einem entscheidenden Unterschied. Sie hatte etwas mehr Farbe und einen anderen Glanz in den dunklen Augen. Sie zog die Kostümjacke aus und fing an, ihre neuen Sachen auszupacken und die meisten teuren Kosmetiksachen und Parfüms auf der Kommode auszusortieren. Da sie schon dabei war, wollte sie auch die Schubladen ausräumen. Ich sollte mich umziehen, dachte sie beim Anblick der ungepflegten Seidenbluse. Aus ihrem kunstvollen Chignon hatte sich eine Locke gelöst. Sie versuchte, sie wieder festzustecken, aber sie hielt nicht. Schließlich gab sie verärgert auf. Es wird Zeit, dass ich mir das Haar abschneide, dachte sie und beschloss, gleich am Nachmittag zum Friseur zu gehen. Doch erst einmal musste sie etwas essen. Sie ging durch den Flur in die Küche. Es war ein großer heller Raum mit einem runden Eichentisch in einer Ecke beim Fenster, wo Peter und der Koch ihre Mahlzeiten eingenommen hatten. Der Kühlschrank und der Küchenschrank waren mit Dosen und Tiefkühlgerichten gefüllt, und sie benutzte das Geschirr und die Geräte der Bediensteten. Sie hatte Brot und Käse herausgestellt und war gerade dabei, Kaffee zu machen, als die Türglocke klingelte. Vielleicht der zukünftige Mieter, dachte sie. Sie hatte in der „TimesPicayune" eine Anzeige aufgegeben, die heute Morgen erschienen war. Sie wischte die Hände an einem Handtuch ab und eilte durch den Flur zum Foyer. Lelia öffnete die Tür und wich erschrocken zurück, als sie Michael Fielding sah. Er trug sein weißes Oberhemd am Hals offen, eine dunkle Hose und eine leichte graublaue Jacke. Ihre erste Reaktion war Freude.. Dann wechselte ihr Gesichtsausdruck, und sie sah wieder unnahbar aus. „Mr. Fielding", sagte sie gelassen. „Ich hatte keine Ahnung, dass Sie in New Orleans sind." Sie wunderte sich, warum er sie so gespannt ansah. „Ich komme nur vorbei, weil ich auf dem Weg nach Houston bin", sagte er schließlich, „und ich wollte mich nach Ihrem Befinden erkundigen. Außerdem möchte ich mein Beileid zum Tode Ihres Mannes ausdrücken." Sie wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. Die Höflichkeit gebot, ihn hereinzubitten, und einerseits wollte sie das auch. Sie freute sich wirklich, ihn zu sehen. Andererseits hatte sie Angst vor ihm und fühlte sich zutiefst verunsichert. Sie wollte, dass er gehen und sie in Ruhe lassen sollte, damit sie ihr neues Leben fortsetzen konnte. Am Ende besann sie sich auf ihre guten Manieren. Er würde ihr bestimmt nichts tun. Sie machte die Tür weiter auf und trat zur Seite. „Wollen Sie nicht hereinkommen?" fragte sie höflich. Er nickte und trat ein. Nachdem sie die Tür geschlossen hatte und der Straßenlärm verstummt war, schien das Haus plötzlich sehr still. „Ich habe mir gerade ein Sandwich gemacht", sagte sie, während sie den Flur entlanggingen. „Möchten Sie mir Gesellschaft leisten?" Sie standen jetzt an der Küchentür. Sie schaute zu ihm hoch, aber sie konnte seinen Gesichtsausdruck nicht deuten. Er war gebräunt und sah gesund aus, und die hellblauen Augen waren ausdrucksstark wie immer. „Danke", sagte er. „Sehr gerne." Sie wusste nicht, ob sie froh oder unglücklich sein sollte. Er machte sie nervös, und als er ihr in die Küche folgte, schien er. diese mit seiner Gegenwart auszufüllen. Er stand mit dem Rücken zu ihr und sah sich kritisch in dem großen Raum um.
Sie erinnerte sich an ihren ersten Eindruck von ihm an jenem Tag vor langer Zeit, als sie und Armand nach „Beaux Champs" hinausgefahren waren. Sie hatte damals gedacht, dass er von allem zu viel hatte, und in der Küche, in der sie jetzt mit ihm allein war, wirkte er noch beherrschender. „Setzen Sie sich bitte", sagte sie und wies auf den Tisch am Fenster. „Ich brauche nur eine Minute." Sie ging zur Küchentheke und belegte Sandwiches, setzte den Kaffee auf und hoffte sehr, dass sie sich bei diesen häuslichen Arbeiten nicht ungeschickt anstellte. Die Nonnen hatten ihr das Kochen beigebracht, aber es war über sechs Jahre her, sechs Jahre Untätigkeit. „Welche Pläne haben Sie?" fragte er hinter ihr. „Von Charles weiß ich, dass Sie sich entschlossen haben, hier zu bleiben, und nicht zu Ihrer Familie nach ,Beaux Champs' ziehen." Er hat wieder mit Charles über mich geredet, dachte sie. Die Vorstellung war ihr irgendwie unangenehm. Obwohl sie wusste, dass Charles als Anwalt der Familie diskret sein und nichts über ihre finanzielle Situation verraten würde. Sie brachte die Sandwiches zum Tisch und setzte sich ihm gegenüber. „Es stimmt", sagte sie. „Dieses Haus gehört mir. Ich werde die obere Wohnung vermieten." Er sah sie gespannt an. „Sie werden es nicht billigen, nehme ich an", sagte sie schnell. „Warum nicht?" fragte er. „Es ist Ihr Haus." „Ich dachte an Ihren Standpunkt als Architekt. Wie Sie wissen, ist es ein schönes altes Haus. Sie denken bestimmt, ich sollte es so lassen, wie es ist." Er zuckte die Achseln. „Häuser sind zum Wohnen da. Das Haus ist schließlich in zwei abgeschlossene Wohnungen aufgeteilt worden. Sie machen nichts falsch." Er biss in das Sandwich und kaute einen Moment nachdenklich, lehnte sich in dem Eichenstuhl zurück und ließ einen Arm bequem über die Rückenlehne hängen. Er schien völlig entspannt zu sein, und doch spürte Lelia eine gewisse Spannung, da er jede Bewegung von ihr verfolgte. Sie holte den Kaffee und die Sahne, und während sie einschenkte, merkte sie, wie er sie ansah. „Ich wundere mich dennoch, warum Sie einen Mieter aufnehmen wollen. Würde ein Fremder bei Ihren gesellschaftlichen Verpflichtungen nicht hinderlich sein?" sagte er schließlich. Sie war einen Augenblick unschlüssig, ob sie ihn in ihre Pläne einweihen sollte. Dann sah sie ihn offen an. „Ich habe keine gesellschaftlichen Verpflichtungen mehr", sagte sie gelassen. „Und ich brauche das Geld." Michael hob die Augenbrauen. „Sie sind voller Überraschungen, Lelia." Er sah flüchtig auf ihr zerknittertes Seidenhemd und ihre unordentlichen Haare. „Ich hatte die perfekte Porzellanpuppe von früher, erwartet - teuer, verhätschelt, gekünstelt. Und hilflos. Stattdessen finde ich eine wirkliche, lebendige Frau aus Fleisch und Blut, die ziemlich tüchtig ist." Lelia lachte leicht, um ihre Verlegenheit über seine freimütige und eindringliche Anerkennung zu überspielen. „Es tut mir Leid, wenn ich Sie enttäusche", sagte sie achselzuckend. „Ich habe gearbeitet." Michael lehnte sich zu ihr herüber und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen. „Ich bin nicht enttäuscht, Lelia", sagte er leise. „Ich habe diese Frau schon einmal gesehen. Erinnerst du dich an den Tag, als der Sturm kam?" Sie wurde dunkelrot und wandte den Kopf ab. „Das ist niemals passiert", murmelte sie. „Du hast es selbst gesagt." „Ich habe gelogen", bestätigte er einfach. „Es ist nun mal passiert. Ich weiß es, und du weißt es." Er machte eine Pause. „Deshalb bin ich heute hier, Ich wollte herausfinden, ob diese Frau noch existiert oder nur eine Einbildung war, ein Produkt meiner Fantasie." Sie sah ihn besorgt an. Warum ist er so grausam? dachte sie. Er weiß, dass ich an diese Geschichte nicht erinnert werden möchte. Sie stand auf, aber ehe sie einen Schritt machen konnte, fühlte sie seine Hand an ihrem Arm.
„Lass mich", sagte sie, weil sie plötzlich Angst vor ihm hatte. „Warum tust du das?" Er stand auf und sah missbilligend auf sie herab. Sie wandte sich ab, weil sie ihm nicht ins Gesicht schauen konnte. „Ich werde dir sagen, warum, Lelia. Du hast dich lange genug vor der Wahrheit versteckt." Er fasste ihr Kinn und zwang sie, ihm ins Gesicht zu sehen. „Ich weiß es, seitdem ich dich zum ersten Mal richtig bemerkt habe. Ich habe mich durch diese Hochnäsigkeit und Abwehr, durch dieses nonnenhafte Verhalten keine Sekunde zum Narren halten lassen. Die Art, wie du an jenem Tag auf mich reagiert hast, war der Beweis. Gib es zu." Was ging hier vor? Lelias Gedanken waren völlig konfus. Wie konnte der Mann, der während all dieser Monate so kühl und höflich gewesen war, plötzlich so körperlich bedrohlich und verlangend sein? „Du jagst mir Angst ein", sagte sie kaum wahrnehmbar. „Bitte lass mich los." Ihr Bitten schien ihn zu erregen. Er packte ihre Schultern und schüttelte sie. „Du warst eine Treibhauspflanze und hast beinahe die Fähigkeit verloren, etwas zu empfinden", erklärte er. Sie war von diesem, bei einem Mann wie Michael Fielding unerwarteten, Gefühlsausbruch so gebannt, dass sie ihm in die Augen blickte, weil sie verstehen wollte. Was sie dort sah, nahm ihr fast den Atem. Statt Feindseligkeit entdeckte sie rückhaltloses Verständnis. Statt unkontrollierter Leidenschaft sah sie ein Flehen. Ihr wurde allmählich bewusst, dass sie unbegreiflicherweise eine gewisse Macht über ihn hatte. Sie fing sich wieder, und plötzlich hatte sie keine Angst mehr vor ihm. „Was willst du von mir, Michael?" fragte sie ruhig. Sie sah ein befremdendes Leuchten in seinen blauen Augen. „Ich werde dir zeigen, was ich will", murmelte er triumphierend, während er den Kopf senkte. Sie schloss die Augen und wartete. Als ihr klar wurde, dass er sie küssen würde, kam ihr blitzartig der Gedanke, dass es am Besten war, wenn sie ihn gewähren ließ und sich nicht gegen ihn auflehnte. Sie gab sich widerstandslos hin. Bei der ersten Berührung seiner Lippen war ihr Vorhaben vergessen. Sie hatte einen kurzen heftigen Ansturm erwartet, nicht diesen sanften leichten Druck. Seine Lippen waren warm und leicht. Die Hände, die eben noch ihre Schultern gepackt hatten, umfassten sie jetzt, aber nicht brutal, so dass sie seinen großen festen Körper an ihrem spürte. Ein angenehmes warmes Kribbeln durchfuhr sie. Es gab keine störenden Gedanken mehr, vielmehr reagierte sie instinktiv auf ihn. Seine Lippen öffneten sich, sie wurden fordernder, und sie spürte, wie die Wärme zu Feuer wurde, das ihr Blut erhitzte. Ihre verborgene Sehnsucht, sich hinzugeben, wurde geweckt. Sie umklammerte seinen Nacken, fasste in seine Haare, und während sie sich fester an ihn drückte, spürte sie, wie er erbebte, hörte, wie er leise stöhnte. Er küsste ihre Wange, ihr Ohr, ihren Hals, er strich über ihren Rücken und die nackte Haut unter ihrer dünnen Seidenbluse. „Michael", flüsterte sie. „O Michael." Lelia bog den Kopf zurück und gab sich dem Taumel des Augenblicks hin. Das ist also die Sehnsucht, dachte sie, dieses Verlangen, das die Kraft hat, alles andere aus ihrem Gedächtnis zu verdrängen, wo es nur noch wichtig war, von diesen starken Armen fest gehalten zu werden, diesen Mund und diese Hände auf dem Körper zu spüren. Seine Hand glitt zu ihrer Brust, blieb dort liegen. Sie seufzte und öffnete die Augen. Michael blickte ihr tief in die Augen. Das Verlangen, das sie darin las, nahm ihr den Atem. „Lelia", hauchte er. „Ich will dich. Gott, wie habe ich dich in diesen Monaten begehrt." Er hatte die Hand noch auf ihrer Brust und knöpfte ihre Bluse auf. Ihr schwindelte von dem Pochen des Blutes in ihren Ohren, und sie hinderte ihn nicht. Aber jetzt hatte sie sowieso keine Kraft, ihm zu widerstehen. Sie streichelte seine Brust, seine breiten Schultern und berührte sein hartes Kinn. Sie küsste die Mulde an seinem Haaransatz und konnte seinen Pulsschlag fühlen. Während sie noch tief seufzte, drückte er sie wieder an sich, diesmal fester, so dass sie
seine Erregung fühlte, und zog die Bluse über ihre Schultern herab. „Du bist die schönste und begehrenswerteste Frau, die ich jemals kennen gelernt habe", hauchte er ihr ins Ohr. Ihre Bluse war jetzt halb ausgezogen, und er fuhr unter ihren Rockbund. „Als ich dich das erste Mal sah, träumte ich, dich so zu halten, dich so zu berühren." Er drückte sie fester, so dass ihre Körper fast eins waren. „Jedes Mal, wenn ich dich bei Armand gesehen habe, musste ich an den wunderbaren Körper unter diesen eleganten Kleidern denken ..." Lelia erstarrte in seinen Armen, und Michaels Stimme brach ab. Armand; dachte sie. Wie konnte ich Armand vergessen? Er hatte sie niemals so fest gehalten, so geküsst, so berührt. Er hatte sie niemals so betrachtet. Was tat sie hier, halb ausgezogen in den Armen eines praktisch Fremden, zumal ihr eigener armer, verkrüppelter Mann sie nur unter Höllenqualen der Frustration und des unbefriedigten Verlangens betrachten konnte? Sie wich zurück. „Armand", sagte sie. Michael starrte sie einen Moment an. „Nein, Lelia", sagte er schließlich. „Das kannst du nicht tun." Er wollte sie wieder an sich drücken, sie wieder küssen, aber sie wandte den Kopf ab und befreite sich aus seinen Armen. Sie stand nur da und war so schockiert über das, was sie getan hatte, was sie hatte tun wollen, dass sie keine Sehnsucht mehr verspürte. Sie sah ihn nur noch fassungslos an. „Armand", flüsterte sie wieder. Dann fing sie an zu zittern. Sie drehte ihm den Rücken zu, zog sich die Bluse an und knöpfte sie vorsichtig wieder zu. Schwankend lehnte sie sich an den Küchenschrank und wartete darauf, dass das Zittern endlich aufhörte. Sie weinte leise, die Tränen rannen über ihre Wangen. Sie bemerkte, wie er zu ihr kam, spürte seine Nähe, aber er berührte sie nicht. „Geh bitte", sagte sie schließlich matt. „Bitte." „Lelia, hör mir zu. Armand ist tot." Rasch drehte sie sich um. „Denkst du, ich weiß das nicht?" schrie sie. Er streckte ihr die Hand hin, zog sie aber schnell zurück, als sie vor ihm zurückwich. „Es tut mir Leid", sagte er. „Ich habe mich wie ein ungeschickter gefühlloser Trottel verhalten." Er fuhr durch seine unordentlichen schwarzen Haare. „Können wir es noch einmal versuchen?" Sie sah ihn an. Sie hatte noch niemals einen Mann kennen gelernt, der ihr so fremd war, wie er sich gab. Aber wie viele Männer hatte sie schon kennen gelernt? Sie hatte praktisch keine Erfahrung. Sie lag gerne in seinen Armen, mochte seine Küsse, seine Hände auf ihr, seinen starken Körper nahe bei ihr, aber er erdrückte sie. Sie spürte undeutlich, dass er sich genau wie Armand in ihr Leben einmischen und über sie dominieren würde, wenn sie ihn gewähren ließ. „Nein", sagte sie schließlich. „Es geht nicht. Ich möchte dich nicht wieder sehen." Er runzelte die Stirn. „Das ist verrückt, und du weißt es. Es ist zu spät, um zu leugnen, wie weit wir schon sind, und zwischen uns ist etwas sehr Wichtiges geschehen. Du hast es genauso empfunden. Da bin ich mir sicher." „Ich weiß nicht, was ich empfunden habe." Sie sah seinen skeptischen Blick. „Du verstehst nicht. Wie solltest du auch? Ich kann es nicht erklären, und selbst wenn ich es versuchte, würdest du es nicht glauben." „Versuche es für mich", sagte er knapp. Lelia suchte stirnrunzelnd nach Worten, um ihm zu sagen, was sie empfand. Sie wünschte sieh, dass er einfach gehen würde. Seine Nähe machte sie nervös. Die Empfindungen, die er in ihr ausgelöst hatte, beunruhigten sie. Jede neue Beziehung bedeutete erneute Abhängigkeit, und das wollte sie nicht. „Ich ... ich ..." begann sie und wurde dabei rot. Dann schluckte sie und atmete tief durch. „Ich muss herausfinden, wer ich bin." Sie machte sich auf ein höhnisches Gelächter gefasst, wie Armand es getan hätte, aber stattdessen sah Michael sie nur nachdenklich an, als würde er ihre Feststellung ernst
nehmen. „Das ist in Ordnung", sagte er schließlich. „Ich kann nachempfinden, wie du dich fühlst. Für uns alle ist es wichtig herauszufinden, wer wir sind. Du hast mir erzählt, dass du sofort nach der Klosterschule geheiratet hast, und ich verstehe, dass du niemals diese Chance bekommen hast." Ihre Anspannung ließ nach. Er verstand sie also. „Dennoch", fuhr Michael fort, „begreife ich nicht, was das alles mit uns zu tun hat." „Uns!" sagte sie, sie war wieder auf der Hut. „Es gibt kein ,uns'." „Zum Teufel!" Seine Stimme hallte in dem stillen Zimmer wider. „Ich habe mich vor einigen Minuten nicht verstellt. Und du dich auch nicht!" Sie drehte sich um und biss sich verzweifelt auf die Lippen. „Das wäre besser nicht passiert. Ich schäme mich so. Ich kenne dich kaum." „Das will ich dir doch nur sagen, Lelia", entgegnete er aufgebracht. „Wir sollten uns gegenseitig kennen lernen. Vergiss dein Mrs. Duval-Image und versuch, eine Frau zu sein." Er hob beide Hände. „Keine Haken, keine Verpflichtungen. Keine Liebe, wenn du es nicht willst." Er lächelte. „Ich bin vierunddreißig Jahre alt und habe meine Erfahrungen mit Frauen hinter mir, aber ich habe keine zu etwas gezwungen, was sie nicht genauso wollte wie ich." Das ist eben das Schlimme, dachte sie traurig. Er war zu anziehend, zu unwiderstehlich. Doch deshalb war sie nicht misstrauisch. Vielmehr traute sie sich selbst nicht. Wie konnte sie ihm das erklären? „Bei mir gelingt das doch nicht", sagte sie leise. „Ich bin noch nicht so weit. Es ist zu früh." Er winkte ungeduldig ab. „Wie kann ich dich überzeugen?" „Gar nicht. Du kannst nichts sagen." „Dann überzeuge mich", sagte er, während er sie starr ansah. „Überzeuge mich davon, dass dir das nichts bedeutet." Er küsste sie. „Oder das", flüsterte er, als er ihre Brust berührte. Ihre Knie wurden schwach, ihr Herz schlug heftig. Doch dann löste sie sich von ihm und wich einen Schritt zurück. „Ich muss dich von gar nichts überzeugen!" schrie sie. „Merkst du nicht, dass du nicht anders bist als Armand?" Sie hatte sich jetzt in Rage geredet. „Du möchtest nur eine Puppe haben, genau wie er." Er streckte ihr die Hand hin, aber als sie vor ihm zurückwich, ließ er sie sinken. „Das ist nicht wahr, Lelia." Sein Gesicht war bleich. „Du weißt, dass es nicht wahr ist." „Du hast behauptet, dass du niemals jemanden gezwungen hättest." Sie wusste kaum noch, was sie sagte. „Würdest du jetzt bitte gehen? Bitte", beschwor sie ihn. Sie schlug die Hände vors Gesicht und wandte sich ab. Unmittelbar darauf hörte sie Schritte, als er das Zimmer verließ, auf dem Flur und an der Haustür, bis er sie hinter sich schloss. Als sie sicher war, dass er wirklich gegangen war, setzte sie sich an den Tisch und starrte lange zum Fenster hinaus. Im Rotbusch draußen saß eine Gruppe von Spottdrosseln, und sie sah ihnen zu, wie sie um die Vogeltränke herumflatterten. Die Rosen standen in, voller Blüte. Ich könnte einige schneiden und ins Haus holen, dachte sie. Anstelle des Durcheinanders, das Michael Fielding in ihr angerichtet hatte, wurden ihre Gedanken langsam klarer. Sie wollte ehrlich sein. Sie konnte kein wirkliches Leben führen, wenn es auf einer Lüge beruhte. Er hatte Recht. Sie hatte auf ihn reagiert, Sehnsucht nach ihm gehabt. Sie mochte ihn auch. Dennoch hatte sie Angst vor ihm. Sie würde diesen blauen Augen, diesen starken Armen, diesem geheimnisvollen Mund verfallen, ehe sie sich selbst gefunden hatte. Nichts würde besser werden, wenn sie wieder in der Falle steckte, aus der sie sich endlich befreien wollte.
6. KAPITEL Die folgende Woche war hektisch, und Lelia hatte kaum Zeit, um an Michael Fielding zu denken. Wenn sich ihre Gedanken in diese Richtung bewegten, verdrängte sie sie rasch. Am Tage nach seinem Besuch hatte sie sich die Haare schneiden lassen. Sie hatte einen preiswerten Friseur an der Canal Street gefunden, wo man sie nicht kannte, und als sie sich nachher im Spiegel ansah, erkannte sie sich kaum wieder. Die dichten, glänzenden schwarzen Haare, die nicht mit Spray in Form gebracht worden waren, fielen jetzt locker auf die Schultern und wellten sich an den Spitzen leicht. Als sie mit den Händen darüber strich, fühlten sie sich sauber, gesund und voller Leben an. Lelia brauchte zwei volle Tage, um eine Bestandsaufnahme des Hauses zu machen, und beauftragte dann eine Umzugsfirma damit, einige Möbel nach oben zu schaffen. Wie sie geahnt hatte, war genug für beide Wohnungen da. Sie hatte schon seit Jahren das voll gestopfte Erdgeschoss aufräumen wollen. Als sie den Salon während der Inventur kritisch musterte, beschloss sie, sich auch von den schweren, bedrückenden Gardinen zu trennen. Durchsichtige Vorhänge würden mehr Licht hereinlassen. Charles kam eines späten Nachmittags. Die Möbelpacker waren gerade weg. Lelia hatte einige leichtere Möbel selbst verrückt und schwitzte, war durstig und müde, ihre Bluejeans und das karierte Baumwollhemd waren schmutzig und zerknittert. Nachdem sie ihm die Tür aufgemacht hatte, stand er nur da und starrte sie eine Weile an. Endlich grinste er. „Bin ich im richtigen Haus? Lelia Duval, nehme ich an?" „Komm herein, Charles", sagte sie und lächelte nervös. Er hatte sie noch nie in einem solchen Aufzug gesehen, und seine Blicke waren ihr peinlich. „Habe ich mein Aussehen so drastisch verändert?" Sie schloss hinter ihm die Tür, und sie standen sich im Foyer gegenüber. Charles sah groß, kräftig, ordentlich und in seinem gestreiften Anzug wie immer gut angezogen aus. „Ich bin froh, dass du vorbeigekommen bist, denn ich wollte dich um einen Rat fragen", fuhr sie fort. „Lass uns nach draußen in den Hof gehen. Ich könnte jetzt etwas Kaltes trinken." Charles war immer noch sprachlos und folgte ihr durch das Esszimmer in den gepflasterten Hof. Es war ruhig und friedlich, die hohen Ziegelmauern und das üppige Laubwerk schützten vor dem Straßenlärm. „Setz dich, Charles, und mach nicht so ein Gesicht. Du machst mich nervös." Sie war etwas besorgt. Sah sie womöglich hässlich aus? Sie war nicht sicher, ob sie Charles' Reaktion nicht einfach übergehen sollte. Er kratzte sich am Kopf, setzte sich bedächtig auf einen weißen schmiedeeisernen Stuhl und starrte sie noch immer ungläubig an. „Ich kann es nicht glauben", sagte er, als er endlich wieder sprechen konnte. „Du siehst so ..." Er machte eine Pause, runzelte die Stirn, dann grinste er. „So menschlich aus." Sie seufzte tief. „Gut, da bin ich irgendwie erleichtert. Du hast eben noch so geguckt, als wären mir plötzlich zwei Köpfe gewachsen." Er schüttelte verblüfft den Kopf. „Es tut mir Leid, Lelia. Ich wollte nicht grob sein. Du siehst großartig aus. Schöner als je zuvor. Ehrlich." Sie lächelte. „Ich kann es nicht beurteilen. Ich weiß nur, dass ich mich wunderbar fühle, sehr lebendig." Sie wurde rot. „Möchtest du etwas trinken? Limonade?" Sie holte einen Krug und zwei Gläser aus der Küche und stellte sie auf den Glastisch. Es war ziemlich warm, aber der große Rotbusch und die Mimosensträucher spendeten angenehmen Schatten, und auf der oberen Terrasse plätscherte ein kleiner Springbrunnen. „Hast du schon einen Mieter für die obere Wohnung gefunden?" fragte Charles. Sie runzelte die Stirn. „Ich hatte verschiedene Anrufe, aber keiner klang viel versprechend. Obgleich die beiden Wohnungen völlig abgeschlossen sind, sollte ich vielleicht jemanden nehmen, mit dem ich mich vertrage. Die Wohnungen liegen sehr
eng beieinander." Charles nippte ruhig an seinem Glas und nickte. „Das ist eine weise Entscheidung. Ich glaube nicht, dass es dir schwer fallen wird, einen passenden Mieter zu finden, und außerdem, musst du dich nicht beeilen." „Was ich dich fragen wollte, Charles, war, ob du mir weiterhin helfen kannst oder nicht." Er hob die Augenbrauen und lehnte sich über den Tisch zu ihr. „Natürlich werde ich dir helfen, Lelia. Wie konntest du daran zweifeln? Ich bin dein Freund." „Ich weiß, Charles", sagte sie rasch, „und ich schätze alles, was du für mich getan hast. Ich will damit sagen, dass du mir als Rechtsbeistand sehr geholfen hast." Sie blickte düster. „Du weißt, dass Tante Amalie und ich nicht sehr gut miteinander auskommen." Er sah sie scharf an. „Denkst du an einen Rechtsstreit?" „O nein. Nichts dergleichen. Ich hoffe es wenigstens nicht." Sie dachte an die Möbel, die Tante Amalie mitgenommen hatte, weil sie annahm, sie gehörten ihr. „Ich glaube nicht, dass sie mir Schwierigkeiten machen werden, und ich selbst möchte ihnen bestimmt keine bereiten." Charles lehnte sich zurück. „Gut, dann sehe ich keinen Grund, dich anwaltlich zu vertreten. Das einzige denkbare Problem, das aufkommen könnte, wäre ein Interessenkonflikt." Er grinste. „Und in diesem Fall hätte ich die Wahl, welchen Klienten ich vertreten soll. Ich könnte mich jederzeit von meiner Tätigkeit für Amalie zurückziehen." „O nein, Charles. Das würde ich nie von dir verlangen." Ihr war bekannt, dass die Familie Duval eine der besten Kundinnen seiner Firma war. „Ich wollte dich übrigens nur darum bitten, einen Mietvertrag aufzusetzen und mir möglicherweise dabei behilflich zu sein, ein paar Möbel und Schmuck zu verkaufen." Er hob die Hände. „Kein Problem. Wenn du mich brauchst, rufst du mich einfach an." Lelia fühlte sich sehr erleichtert, nachdem Charles ihr seine Hilfe angeboten hatte. Die Stille wurde von Charles' Stimme unterbrochen. „Wusstest du, dass Michael Fielding vor einigen Tagen in der Stadt war?" Sie fuhr auf und sah ihn überrascht an. Seine Stimme hatte normal geklungen. Zu normal, dachte sie. Nahm er an, dass ihre Beziehung persönlicher war, als es oberflächlich schien? Sie errötete und schaute weg. „Ja", sagte sie scheinbar lässig. „Er hatte an einem Nachmittag kurz Zeit und kam vorbei, um mir sein Beileid auszusprechen. Dabei erwähnte er, dass er auf dem Wege nach Houston sei", beendete sie ihre Gedanken. Charles sah sie lange abschätzend an. „Er scheint großes Interesse an dir zu haben", stellte er fest. „Ich glaube, dass er ein Mann ist, der wahrscheinlich an sehr vielen Frauen interessiert ist", erwiderte Lelia trocken. „Warum sagst du das?" : Lelia hob die Schultern. „Nur mein Eindruck. Habe ich Unrecht?" Charles lachte. „Ich kenne seine persönlichen Angelegenheiten nicht so gut", erwiderte er ausweichend. „Ich weiß, dass Frauen ihn anziehend finden. Du nicht? Es wäre ganz natürlich, wenn du ..." Er unterbrach sich. „Du weißt, was ich sagen will." „Ich mache mir darüber keine Gedanken", beharrte sie schwach und rutschte unruhig auf ihrem Stuhl. Seine Frage kam der Sache etwas zu nahe. „Er ist ein interessanter Kerl", fuhr Charles fort und spielte mit seinem Glas. „Er genießt weltweites Ansehen als Restaurierungsarchitekt und macht seine Sache wirklich gut." „Es scheint so", murmelte Lelia. „Er hat in ,Beaux Champs' Wundervollbracht." Sie goss die Gläser wieder voll, um etwas zu tun. Da das Gespräch jetzt von ihrer Beziehung zu Michael Fielding abgekommen war, wollte sie mehr über ihn wissen. „Das Merkwürdige ist", sprach Charles weiter, „dass er nicht arbeiten muss. Er hat mir einmal erzählt, er hätte seine Karriere als Hobby begonnen. Sein Vater war in Philadelphia ein prominenter Anwalt - ich kenne die Firma gut - und seine Eltern stammten aus reichen
Familien." „Er besitzt also Vermögen", bemerkte sie. Charles zuckte die Achseln. „Ich könnte mir das vorstellen. Seine Eltern sind tot, und er war das einzige Kind." Er lachte kurz auf. „Er sagte, dass sein Vater ziemlich aufgebracht gewesen sei, als er beschlossen hatte, in Harvard Kunstgeschichte und Architektur als Hauptfächer anstatt Jura zu studieren, aber anscheinend hat Michaels Erfolg den alten Herrn dann davon überzeugt, dass er das Richtige getan hat, und sie haben sich vor seinem Tod versöhnt." „Wenn er so gut ist, muss es ihm doch schwer fallen, bei seiner Arbeit wie ein bezahlter Angestellter behandelt zu werden." Lelia erinnerte sich an Armands hochmütiges Verhalten ihm gegenüber. Charles lachte. „O nein, Michael nicht. Ich kenne keinen Menschen, der sich so wenig darum kümmert, was die Leute von ihm denken oder wie sie ihn behandeln." Lelia gab ihm Recht. Sie dachte an seinen amüsierten Blick an dem Tage, als Armand so nachdrücklich betont hatte, dass er Michaels Auftraggeber sei. „Fährt er die ganze Zeit herum?" fragte sie jetzt. „Er muss doch irgendwo wohnen." „Ich glaube, er hat noch das Elternhaus in Philadelphia, sein eigentlicher Wohnsitz. Allerdings hat er mir einmal erzählt, dass er hier ein Haus sucht." Lelias Augen wurden größer. „Hier? Meinst du in New Orleans?" Charles sah sie scharf an. „Ja", sagte er langsam. „Du scheinst bei einem Mann, für den du dich angeblich nicht interessierst, sehr neugierig zu sein." Das Läuten der Türglocke enthob Lelia einer Antwort. „Entschuldige", sagte sie und sprang auf, froh über die Unterbrechung. Charles kam hinter ihr her. „Es ist Zeit, dass ich gehe. Ruf mich an, wenn du weißt, was du mit den Möbeln und dem Schmuck machen willst. Am Besten wäre es, die Angelegenheit einem Auktionshaus zu übergeben." Als sie die Haustür öffnete, stand eine große, kräftig gebaute, grauhaarige Frau vor ihr. Sie sah streng auf Lelia herab, dann zu Charles hoch, ohne ein Wort zu sagen. Charles blickte sie an und nickte kurz. „Auf Wiedersehen, Lelia", sagte er. „Du weißt, wo ich zu erreichen bin, wenn du mich brauchst." „Auf Wiedersehen, Charles. Und danke für alles." Nachdem er gegangen war, wandte sie sich der Frau zu. „Ja? Was kann ich für Sie tun?" „Mrs. Duval?" Ihre Stimme war leise und melodisch im Gegensatz zu ihren strengen Gesichtszügen. Lelia nickte. Die Frau sprach weiter. „Mein Name ist Madame Constanza Fiorini. Ich komme wegen der Wohnung." Lelia taxierte sie flüchtig. Madame Fiorini? Der Name kam ihr bekannt vor, aber sie wusste nicht, woher. Sie hatte schon mit verschiedenen Interessenten gesprochen und jeden abgelehnt. Ihr einziges Kriterium bei den Mietern war ihr eigener Instinkt. Sie wusste, dass sie keinen Mann haben wollte. Diese Entscheidung fiel ihr leicht. Bei den Frauen waren die einen zu jung und konfus, die anderen redeten zu viel, andere waren zu neugierig und so weiter, bis sie sich schließlich fragte, ob sie jemals die Richtige finden würde. Madame Fiorini stand an der Tür und wartete ruhig. Sie macht einen außergewöhnlichen Eindruck, dachte Lelia, sehr gelassen mit scharfen intelligenten Augen, denen nichts entgeht. „Kommen Sie herein", sagte sie schließlich. „Ich werde Ihnen die Wohnung zeigen." Während die beiden Frauen durch die Räume gingen, besprachen sie den Mietvertrag, die Mietzahlungen und andere geschäftliche Dinge. Lelia verstand sich auf Anhieb mit Madame Fiorini und merkte, dass sie über Nebenkosten, Kautionen und befristete Mietverträge Bescheid wusste. Als sie mit der Besichtigung fertig waren und oben an der Treppe standen, wandte sich Madame Fiorini an Lelia und schaute sie einen Moment genau an. „Bevor Sie sich entscheiden, erzähle ich ein wenig von mir. Es gibt ein ernstes Miethindernis, das Sie kennen sollten", sagte sie bestimmt.
Lelias Mut sank. Je länger sie redeten, desto mehr mochte sie die große Frau mit ihrer ruhigen überzeugenden Art. Für ihre Größe bewegte sie sich anmutig. Ihre Fragen waren intelligent, überhaupt nicht persönlich, und ihre Bemerkungen waren scharfsinnig und trafen die Sache genau. Eine ideale Mieterin, hatte Lelia entschieden. Jetzt gab es ein ernstes Hindernis. Sie seufzte. „Kommen Sie in den Salon hinunter", sagte sie. Als sie auf einem Sofa im Salon saßen, sah Madame Fiorini Lelia mit ihren dunklen ruhigen Augen an. „Ich bin Sängerin", sagte sie. Zum ersten Mal lächelte sie. „Vor Ihrer Zeit, fürchte ich." Natürlich, dachte Lelia. Daher kannte sie den Namen. Sie war ein berühmter Opernstar gewesen. „Ich habe schon von Ihnen gehört", murmelte sie. „Mir war nur der Zusammenhang entfallen." Die andere Frau nickte. „Ich singe natürlich nicht mehr beruflich", fuhr sie fort. „Aber ich gebe Stunden. Das heißt, ich trainiere sorgfältig ausgewählte Berufsanfänger." Sie lächelte wieder. „Musiker sind geräuschvolle Wesen, und Übungen sind langweilig, wenn man zuhören muss. Ich habe ein Klavier. Es ist ein lauter großer Konzertflügel. Ich weiß nicht, wie gut hier die Schalldämmung ist, aber ich glaube, diese alten Häuser sind sehr solide gebaut." Lelia biss sich auf die Lippen und dachte nach. Sie hatte von oben noch nie Geräusche gehört, als Tante Amalie und Blanche dort wohnten. Wie würde es sein, wenn von oben zu jeder Tages- und Nachtzeit Musik zu hören wäre? „Ich weiß nicht", sagte sie schließlich. „Geben Sie Ihre Stunden zu bestimmten Zeiten?" „O ja. Ich habe nur wenige Schüler und arbeite immer nachmittags." Sie seufzte. „Ich weiß, es ist eine schwierige Entscheidung, und Sie kränken mich nicht, wenn Sie mich ablehnen. Ich liebe die Wohnung. Für mich ist sie perfekt. Im Französischen Viertel sind Häuser selten, wie Sie wissen, und ich muss hier unbedingt wohnen. Neulich wurde ein Haus in der Dauphine Street zum Verkauf angeboten, aber jemand anderer kam mir zuvor, ehe mein Agent ein Angebot machen konnte." Sie hob die Schultern. „Vielleicht sollte ich mich weiter umsehen." „Nein", sagte Lelia, weil sie sich entschlossen hatte. „Ich möchte es auf jeden Fall versuchen." Diese Frau passt hierher, dachte sie, und vielleicht dringen die Geräusche nicht durch die dicke Decke, oder wenn es so sein würde, werde ich nicht darauf achten. „Sollen wir es einen Monat lang versuchen?" Madame Fiorini dachte nach. „Sehr gut", sagte sie dann. „Ein Monat." Sie stand auf und gab ihr die Hand. „Danke, Mrs. Duval. Sie sind sehr liebenswürdig." „Wann wollen Sie einziehen?" fragte Lelia, während sie zur Haustür gingen. „Sobald wie möglich." „Schön. Ich werde Charles - meinen Anwalt - bitten, sofort einen Mietvertrag aufzusetzen. Sobald er unterschrieben ist, können Sie einziehen." Zwei Tage später hatte Charles den Mietvertrag vorbereitet, und beide Frauen unterschrieben ihn. Charles freute sich, dass Lelia sich mit der Mieterin so gut verstand. Nach einigen Wochen war offensichtlich, dass beide perfekt miteinander auskamen. Obwohl sie sich kaum sahen, genoss es Lelia, dass jemand mit ihr im Haus wohnte. Lelias finanzielle Nöte waren durch die Miete, die Madame Fiorini ihr zahlte, behoben, und sie richtete es so ein, dass sie nachmittags aus dem Haus war, wenn die Schüler eintrafen. Sie hatte sich für freiwillige Arbeiten in einem Zentrum für behinderte Kinder engagiert und verpflichtete sich, nachmittags drei Stunden für eine Gruppe Sechsjähriger zu sorgen. Sie dachte kaum an Armand, und als die Zeit verging und der Schock seines Todes fast vergessen war, wurde ihr langsam klar, dass der Armand, den sie geliebt und geheiratet hatte, praktisch seit Jahren tot war. An seine Stelle war ein verbitterter, selbstmitleidiger Fremder getreten, und sie sah jetzt die fünf Ehejahre in der Rückschau als eine schmerzliche Gefangenschaft für beide an.
Schließlich war auch die Schuld an dem Unfall vergessen, der ihn zum Krüppel gemacht hatte und unter der sie gelitten hatte. Sie hatte stets versucht, eine gute Frau zu sein, und hatte ihm fünf Jahre geduldigen, treuen, klaglosen Gehorsam gewährt. Jetzt war das alles vorbei. Die Tage und Wochen vergingen, und ihr Leben war angenehm routiniert geworden. Gelegentlich erinnerte sie sich an die letzte Begegnung mit Michael Fielding, und zwei Mal glaubte sie, ihn auf der Straße gesehen zu haben, als sie sich auf dem Heimweg vom Zentrum für behinderte Kinder befand. Sie blieb jedenfalls bei ihrer Entscheidung, keine Beziehung mit einem Mann einzugehen, und damit strich sie ihn aus ihrem Gedächtnis. Charles verbrachte im Juli seinen Urlaub, und Lelia vermisste ihn. Er war eine enorme Hilfe gewesen und hatte alle Vorkehrungen getroffen, um für sie einige Schmuckstücke und die zerbrechlicheren Möbelstücke, die sie nicht haben wollte, zu verkaufen. Als er sich eines Tages zurückmeldete, erfuhr Lelia zu ihrer Überraschung auch Neuigkeiten über Michael Fielding. „Wusstest du, dass Michael Fielding in der Stadt war?" fragte Charles, nachdem er die Veränderungen, die Lelia in ihrer Wohnung vorgenommen hatte, bewundert hatte. Lelias Lächeln verschwand. „Nein, wusste ich nicht." Sie erinnerte sich daran, dass sie einmal auf der Straße gedacht hatte, ihn flüchtig gesehen zu haben. Vielleicht war er es sogar gewesen. „Ja", fuhr Charles fort. „Er hat ein Haus in der Dauphine Street gekauft." „Um dort zu wohnen?" fragte Lelia vorsichtig. Die Dauphine Street lag nur drei Häuserblöcke entfernt. „Also gut, um es irgendwie zu restaurieren. Ich glaube nicht, dass er sich schon festgelegt hat." „Madame Fiorini hätte beinahe ein Haus in der Dauphine Street gekauft. Es würde mich nicht wundern, wenn es dasselbe wäre." Charles zuckte die Achseln. „Möglich. Man kommt sehr schlecht an alte Häuser im Französischen Viertel." Er hielt inne. „Schön, Lelia, ich sollte ins Büro gehen. Die Arbeit wird sich nach einem Monat Abwesenheit aufgetürmt haben." „Selbstverständlich", murmelte Lelia verwirrt, während sie zum Foyer zurückgingen. Sie war über die Nachricht beunruhigt, dass Michael Fielding in ihrer Nähe wohnte, aber sie wollte sich gegenüber Charles nichts anmerken lassen. „Ich bin froh, dass du vorbeigekommen bist." An der Tür drehte er sich zu ihr um und sah sie lange ernst an. „Ich bin eigentlich gekommen, um dich am Samstagabend zum Dinner auszuführen." Sie konnte ihre Verwirrung nicht verbergen, und er sprach rasch weiter. „Ich möchte dich nicht drängen, Lelia. Du musst es sagen, wenn es noch zu früh nach Armands Tod ist." Lelia sah ihn skeptisch an und schaute nach unten. „Das ist es nicht, Charles." Sie seufzte. „Ich hatte gerade heute daran denken müssen, dass Armand sozusagen am Tag des Unfalls gestorben ist. Alles, was danach kam, war nur ein langes Fegefeuer. Für uns beide." Zaghaft sah sie zu ihm hoch. „Ich möchte noch nicht ..." „Ich verstehe", warf er schnell ein. „Du kannst mir vertrauen. Wir sind Freunde, das ist alles. Ich bin gerne mit dir zusammen." Sie strahlte. Es wäre ein Vergnügen, zum Abendessen auszugehen. Armand hatte Restaurants gehasst. „Gut", sagte sie. „Vielen Dank, Charles." „Wunderbar." Er machte die Tür auf. „Wohin möchtest du gehen? Zu ,Antoine's' ,Tortorici'? ,Pat O'Brien'? New Orleans ist für seine Restaurants berühmt." Sie dachte nach. „,Antoine's"', sagte sie. „Ich war noch nie dort." „Dann also ,Antoine's'." Ihm gefiel offenbar ihre Wahl. „Ich werde für Samstagabend reservieren und dich um sieben Uhr abholen." Er ging hinaus, Lelia lehnte sich gegen die Tür, nachdem sie sie geschlossen hatte, und starrte hoch. War es ein Fehler, mit Charles zum Essen zu gehen? Er schien damit einverstanden zu sein, dass sie kein Verhältnis mit ihm eingehen wollte. Sie schätzte seine
Freundschaft, aber würde ihm das genug sein? Sie seufzte, ging durch das Haus auf den Hof hinaus und räumte das Kaffeegeschirr ab. Kaum war sie in der Küche und spülte die Tassen, als sie daran dachte, was Charles über Michael erzählt hatte. Ihr Herz schlug heftig, und sie stützte sich an der Spüle ab. Hier in diesem Raum hatte sie ihn zuletzt gesehen. Jetzt lebten sie so nahe beieinander, und sie würde ihn sehen. Es war erstaunlich, dass es noch nicht geschehen war, außer diesen paar ungeklärten flüchtigen Begegnungen auf der Straße. Doch er, dachte sie erschrocken, meidet mich! Sie konnte ihm nicht böse sein, zumal sie ihn beim letzten Mal abgewiesen hatte. Das Schlimme war, dass sie keine Angst vor ihm hatte, aber vor dem, was er mit ihren Gefühlen machen konnte und tat. Sie liebte ihr neues Leben. Der Direktor des Kinderbundes hatte neulich auf die Möglichkeit eines bezahlten Bürojobs neben der ehrenamtlichen Arbeit hingewiesen. Das zusätzliche Geld wäre so willkommen wie die Genugtuung, für ihre Tätigkeit bezahlt zu werden. An diesem Nachmittag war Lelia im Zentrum mit den Kindern intensiv beschäftigt und hatte ihre Befürchtungen vergessen. Sie fühlte sich gut aufgehoben, als sie dem glücklichen Lachen und Händeklatschen beim gemeinsamen Singen zu ihrem Klavierspiel zuhörte. Sie wurde hier gebraucht. Hierhin gehörte sie.
7. KAPITEL ,Antoine's' war kleiner und voller, als Lelia sich vorgestellt hatte, aber es besaß immer noch diese unbeschreibliche Atmosphäre der eleganten alten Zeit. Charles sah sie schon eine Weile an und spielte mit seinem Glas. Schließlich sprach er. „Habe ich dir schon gesagt, dass du heute Abend sehr liebenswert aussiehst?" Sie lachte. „Ja, Charles, hast du. Mehrmals." „Entschuldigung", sagte er. „Nicht doch. Es gefällt mir ja." Sie spürte selbst, dass sie heute Abend bezaubernd aussah, und das sanfte Licht des voll besetzten Restaurants verstärkte diesen Effekt. Sie hatte ihr einfachstes Designer-Kleid aus dem Schrank geholt. Es war aus weißer Georgette-Seide, an den Schultern und in der Taille gerafft und mit einem trägerlosen Unterrock. Ihre schwarzen Haare umrahmten schimmernd ihr Gesicht, und dank der Gesichtsfarbe, die sie in den letzten Tagen bekommen hatte, brauchte sie kein Make-up, außer ein wenig Lippenstift. Ihre Augen funkelten vor Aufregung, weil sie überall hinsah, um nichts zu verpassen. Charles zündete sich eine Zigarre an. „Stört es dich?" „Nein, rauch nur." Er seufzte zufrieden. „Ich hoffe, dir hat das Essen genauso gefallen wie mir." „Ich genieße alles, Charles. Ich weiß nicht, ob ich jemals einen solch angenehmen Abend verbracht habe." Es stimmte. Dies war nach Armands Tod ihr erster Abend außer Haus und überhaupt der erste mit einem Mann. Sie sah Charles an. Mit einem Mann? wiederholte sie in Gedanken. Ja, aber er ist harmlos. Charles schaute auf seine Uhr. „Es ist noch früh, erst kurz nach zehn. Möchtest du woanders noch etwas trinken gehen? Vielleicht könnten wir uns eine Show in der Bourbon Street ansehen oder tanzen gehen." Lelia überlegte. An der Bourbon Street lagen die Nachtklubs, die hauptsächlich von Touristen aufgesucht wurden. Während der Saison waren alle Türen offen, so dass nicht nur die Straße ein großer misstönender Zusammenklang der gegensätzlichsten Jazzmusikrichtungen war, sondern auch die Tänzer - meistens mit freiem Oberkörper - zu sehen waren, die über den Holzboden der Bars wirbelten. „Ich weiß nicht, ob ich mich schon auf die Bourbon Street einlassen sollte." Charles lachte. „Ich auch nicht." Er dachte nach. „Es gäbe ,Pat O'Brien's' in der St.-PeterStreet. Es ist nicht weit, und ich glaube, man kann dort tanzen." Lelia hatte Bedenken. „Ist es dort nicht schrecklich überfüllt?" In diesem Augenblick bemerkte sie ein auffälliges Paar, das aus der Bar auf sie zukam. Sie hielt den Atem an, als sie den Mann als Michael Fielding erkannte, groß und eindrucksvoll in einem dunklen Anzug, an seiner Seite ein blondes Mädchen. Karen Swenson, dachte Lelia, und wunderte sich über den abwesenden Ehemann und Michaels Verhaltensregeln gegenüber verheirateten Frauen. Sie wandte sich ab, stöberte in ihrer Handtasche und hoffte, nicht gesehen zu werden. Charles saß mit dem Rücken zu ihnen, aber sie mussten auf ihrem Weg nach draußen an ihnen vorbeikommen. Zu allem Unglück drehte sich Charles in diesem kritischen Augenblick um, um dem Kellner ein Zeichen zu geben. Seine Augen wurden größer. „Michael", rief er. Der große Mann sah zuerst Charles, dann entdeckte er Lelia. Er sagte etwas zu Karen, dann kamen beide zum Tisch. „Wie geht es Ihnen, Charles?" fragte er mit dieser vertrauten tiefen Stimme, als sich die beiden Männer die Hände gaben. Dann schaute er sie unverwandt an. „Lelia, es ist schön, Sie wieder zu sehen." Er wies auf seine Begleiterin. „Ich glaube, Sie haben Karen schon
kennen gelernt." Lelia nickte und murmelte einen Gruß. Charles schien sie auch zu kennen, und Lelia fragte sich verwundert, woher. Was machte sie hier in New Orleans? Charles stand jetzt, unterhielt sich mit ihnen, und während sie redeten, schaute Lelia sich heimlich das Mädchen an,. Sie sah tatsächlich auffallend aus mit der tiefbraunen Haut zu dem blonden Haar, am Leib nur ein knapp geschnittenes, figurbetonendes schwarzes Kleid. Lelia wäre am liebsten aufgesprungen und gegangen, als sie hörte, dass Charles die beiden bat, sich an den Tisch zu setzen. Michael sah sie kurz fragend an. Sie lächelte höflich, obwohl sie insgeheim außer sich war. Aber ehe sie wusste, was geschah, hatte Charles den Platz neben sich für Karen freigemacht und sich dazugesetzt, während Michael den Stuhl neben Lelia nahm. „Lelia und ich sprachen gerade darüber, wohin wir gehen sollten", sagte Charles. „Wir haben uns entschlossen, durch die Bourbon Street zu schlendern und möglicherweise ins ,Pat O'-Brien' zu gehen." Während Charles und Michael die Sache besprachen, versuchte Lelia, sich auf die Unterhaltung zu konzentrieren. Anscheinend gab es die stillschweigende Übereinkunft, alles gemeinsam zu unternehmen. Sie fragte sich, ob sie nicht Kopfschmerzen vortäuschen sollte, damit Charles sie nach Hause fahren konnte. „Ich kenne einen abgelegenen Treffpunkt am Lake Pont-Chartrain", hörte sie Michael. „Das Gasthaus am See. Es ist nicht sehr besucht." „Natürlich", sagte Charles begeistert. „Ich kenne es gut." Er wandte sich Lelia zu. „Was meinst du? Wollen wir hinfahren?" Michael hatte sie nicht einmal angesehen, seitdem er sich hingesetzt hatte. Er schien abwesend, fast gleichgültig. Vielleicht hatte sie von ihm nichts zu befürchten. Ihr Herz hatte bei seinem ersten Anblick schneller geschlagen, aber sein normales Verhalten ihr gegenüber hatte sie beruhigt. „Ja, ich bin einverstanden", stimmte sie vorsichtig zu. Die vier beschlossen, beide Wagen zu nehmen. Während sie von der Gentilly Road zur Elysian Fields Avenue fuhren, den Stadtpark hinter sich ließen und am Bayou St. John vorbeikamen, musste Lelia ein Gefühl des Unbehagens unterdrücken. Charles schwieg und konzentrierte sich auf den dichten Samstagabendverkehr. Das Autoradio spielte eine bekannte Melodie. Es gibt keinen Grund, nervös zu sein, redete sie sich ein. Sie war bei Charles sicher, und was auch immer zwischen ihr und Michael vor zwei Monaten passiert war, sollte sie lieber vergessen. Er hatte es bestimmt aus seinem Gedächtnis gestrichen und schien nur Augen für die wunderschöne Karen zu haben. Sein Verhalten Lelia gegenüber blieb den ganzen Abend unverändert. Er vermittelte weder durch einen Blick noch durch eine Geste oder ein Wort den Eindruck, dass er jemals an ihr mehr als ein freundliches Interesse gehabt hatte. Selbst als sie tanzten, wahrte er Distanz. Sein Arm lag locker um ihre Taille, und die großen Hände hielten sie leicht, unaufmerksam. Sie fragte sich ernsthaft, ob sie diesen ganzen verwirrenden Vorfall damals in ihrer Küche, als sie ihrer Leidenschaft nachgab, nur geträumt hatte. „Charles hat mir erzählt, dass du ein Haus gekauft hast", sagte sie während eines Tanzes. Sein Blick war eigenartig. Sie beeilte sich fortzufahren. „Es war hoffentlich kein Geheimnis. Charles ist stets verschwiegen, er redet sonst nicht unachtsam." „Nein", sagte er. „Kein Geheimnis." Die Musik war zu Ende, und sie gingen wieder zu ihrem Tisch. „Ich bin nur etwas erstaunt, dass er es dir gegenüber erwähnt hat." Sie spürte seine Hand auf ihrer Taille, als er sie über die voll besetzte Tanzfläche führte. Seine Berührung war unpersönlich, eher höflich, und allmählich schwand ihre ursprüngliche Angst, den Abend mit ihm zu verbringen. „Kennst du das Haus?" fragte er, nachdem sie am Tisch saßen. Charles und Karen tanzten noch, sie waren allein. „Es ist das alte Bienvillehaus in der Dauphine Street."
„O ja, natürlich. Eine reizende Gegend." Sie lächelte. „Tatsächlich glaube ich, dass du es meiner Mieterin weggeschnappt hast." Er hob seine Augenbrauen. „Mieterin?" „Ja doch, erinnerst du dich nicht? Ich habe dir erzählt, dass ich ..." Sie unterbrach sich und errötete, dann trank sie schnell etwas, um ihre Verwirrung zu verdecken. Ihr war klar geworden, dass sie ihn an eine Begegnung erinnerte, die sie vergessen wollte. „Ist schon gut", sagte er leichthin, drehte sich kurz um und machte der Kellnerin ein Zeichen. „Wie ist es gelaufen?" „Ziemlich gut." Die Kellnerin kam. Lelia schüttelte den Kopf, als Michael sie fragend ansah, und er bestellte einen weiteren Scotch und Wasser für sich. „Sie heißt Constanze Fiorini." Sie lächelte. „Madame Fiorini. Ein früherer Opernstar. Wir kommen wunderbar miteinander aus." Karen und Charles gesellten sich wieder zu ihnen und bestellten auch noch etwas. Michael legte seinen Arm lässig auf die Rücklehne des Stuhls, auf dem das blonde Mädchen saß. Er berührte sie nicht, aber die Geste war vertraulich, hatte sogar etwas Beschützendes. Lelia fragte sich wieder, welcher Art ihre Beziehung war und was Karen in New Orleans zu tun hatte. „Karen ist einige Zeit hier in der Stadt, um mich bei den Restaurierungsarbeiten des neuen Hauses zu unterstützen", sagte Michael, als könnte er ihre Gedanken lesen. Es lag Lelia auf der Zunge, ihn zu fragen, wie die „Unterstützung" der schönen Blonden aussehen könnte, aber sie hielt sich zurück. Karens leise heisere Stimme ertönte. „Momentan", sagte sie lachend, „bin ich nur ein besserer Kuli - Näherin, Tapeziererin, Polsterin -, aber mein Chef liebt es, meinen Job besser klingen zu lassen, als er in Wirklichkeit ist." Michael lachte. „Das ist nicht wahr." Er sah sie liebevoll an, und sie lächelten beide. „Deine Hilfe ist für alle meine Projekte unbezahlbar, und du weißt es." Lelia ärgerte sich über seine freundliche Neckerei. Sie schaute Karens linke Hand an. Ein goldener Ehering steckte an ihrem Ringfinger. Am liebsten hätte sie nach ihrem Mann gefragt, aber sie wagte es nicht. „Werden Sie lange in der Stadt sein?" fragte Charles. Karen zuckte mit den Schultern. „So lange, wie ich gebraucht werde. Vielleicht noch eine Woche. Michael hat verschiedene Projekte im ganzen Land. Gelegentlich schauen wir vorbei, um die Fortschritte zu begutachten." „Dann können Sie vielleicht zu meiner kleinen Party kommen, die ich nächsten Samstagabend in meinem Haus gebe." Charles wandte sich an Lelia. „Ich habe es dir noch nicht gesagt. Ich gebe mir selbst eine Geburtstagsparty und hoffe, dass du auch kommst." Er seufzte theatralisch auf. „Wie ihr wisst, haben wir armen Junggesellen niemanden, der das für uns übernimmt." Seine Mundwinkel sanken pathetisch herab. „Charles!" ereiferte sich Lelia. „Ich werde selbstverständlich kommen. Das möchte ich nicht verpassen." Sie lachte. „Armer Charles. Ganz allein auf der Welt." Sie wandte sich an die anderen. „Nur die Hälfte aller Frauen von New Orleans sind hinter ihm her." Charles beugte sich leicht vor und nahm ihre Hand. „Das habe ich noch nicht bemerkt. Was ist mit der anderen Hälfte?" „Die ist wahrscheinlich hinter Michael her", sagte Karen unbekümmert. Sie wandte sich Charles zu. „Sollte ich noch hier sein, komme ich gern zu Ihrer Party." Es war fast Mitternacht, als sie aufbrachen. Lelia hatte den Abend mehr genossen, als sie für möglich gehalten hatte. Als sie zusammen zum Parkplatz des Gasthauses gingen, neckten sie Charles lachend und versuchten, sein Alter zu erraten. Lelia hatte das Gefühl, jugendliche Unbeschwertheit nachzuholen, die sie irgendwie verpasst hatte. Michael hatte seinen Wagen, einen grauen Peugeot, am Gasthaus geparkt, und die beiden Paare wünschten sich unter der großen Laterne, die diesen Teil des Grundstücks beleuchtete, eine gute Nacht. Charles' Wagen war weiter weg geparkt, und der Weg dorthin durch die milde Nacht tat Lelia gut. Sie glaubte, noch nie so glücklich und sorglos gewesen
zu sein. Ein Sichelmond stand am schwarzen Himmel, und die hell leuchtenden Sterne schienen so nahe zu sein, dass man sie hätte berühren können. „Hat dir der Abend gefallen, Lelia?" fragte Charles. Er hatte leicht ihre Hand gefasst. Mit leuchtenden Augen blickte sie ihn an. „Wunderbar, Charles. Es war so schön." Sie waren jetzt an seinem Wagen, und Charles zog seinen Schlüssel heraus. „Das freut mich", sagte er. „Ich mag es, wenn du glücklich bist." Lange sah er sie an. Lelia konnte kaum seine Gesichtszüge erkennen, aber der Klang seiner Stimme ließ sie zurückweichen. Rasch zog sie ihre Hand weg. Er drehte sich abrupt um und schloss die Beifahrertür auf. Sie wollte gerade einsteigen, als er heftig fluchte. „Was ist los, Charles?" Er stand neben dem Wagen und starrte auf die Hinterreifen. Bestürzt beobachtete sie, wie er um den Wagen ging und jeden Reifen kontrollierte. Als er zurückkam, atmete er schwer. Sein Ärger war nicht zu übersehen. „Jemand hat in jeden verdammten Reifen gestochen", erklärte er. „Charles, wie schrecklich. Wer könnte das gewesen sein?" fragte Lelia besorgt. Er zuckte mit den Achseln und seufzte verärgert. „Wer weiß? Jugendliche, nehme ich an. Sie wissen im Sommer nichts mit sich anzufangen." Er starrte wütend auf den Boden und dachte angestrengt nach. „Zum Teufel, uns bleibt nichts anderes übrig, als hineinzugehen und ein Taxi zu bestellen." In diesem Augenblick kam der dunkle Peugeot vorbeigefahren, und Michael lehnte sich aus dem Fenster. „Was gibt es?" rief er locker zu ihnen herüber. Charles ging zu ihm und erklärte laut und wütend, was passiert war. „Ich kann heute Nacht nichts tun", schloss er empört. „Ich wohne am Lark Shore Drive, und ich werde meine Werkstatt morgen beauftragen, den Wagen abzuholen." Sie waren sich dann einig, dass Michael Charles an seinem Haus absetzen und Lelia nach Hause fahren würde. Sie setzten sich nach hinten. „Entschuldige, Lelia", sagte Charles, als er vor seinem Haus ausstieg. „Aber du bist in besten Händen." „Sorg dich nicht um mich, Charles", erwiderte sie schnell. „Es tut mir Leid, dass du diesen Ärger mit deinem Wagen hast." „Ich rufe dich später an." Er wünschte Gute Nacht und ging ins Haus. Michael lenkte den Wagen ins Französische Viertel, und als er an den Bordstein fuhr, öffnete Lelia automatisch die Tür und stieg vom Rücksitz aus, wo sie allein gesessen hatte. Sie war kaum auf dem Gehweg, der selbst noch nach Mitternacht voller Leute war, als sie bemerkter dass sie nicht vor dem Haus in der Chartres Street parkten, sondern vor dem „Hotel Montelone". Karen war ebenfalls aus dem Wagen ausgestiegen und stand neben ihr. Die Beifahrertür hielt sie offen. Michael hatte sich herübergebeugt. „Gute Nacht, Karen", rief er. „Wir sehen uns Montag." Er grinste. „Es sei denn, du möchtest morgen arbeiten." „Nein, danke, Chef. Steht nicht in meinem Vertrag." Sie Wandte sich an Lelia und gab ihr die Hand. „Es war schön, Sie wieder zu sehen, Lelia. Bis zum nächsten Mal." Lelia war völlig verwirrt. Sie murmelte Abschiedsworte und schüttelte Karen die Hand. Warum hatte Michael Karen zuerst nach Hause gefahren? Nahm er an, dass sie jetzt zur Chartres Street laufen würde? Sie hatte selbstverständlich angenommen, dass er sie absetzen und dann zusammen mit Karen zu seinem Haus fahren würde, wo Karen vermutlich wohnte. Karen hielt immer noch die Tür auf, weil es für sie offensichtlich war, dass Lelia neben Michael Platz nehmen würde. Sie schaute ihn an. Sein Blick war rätselhaft. „Steig ein, Lelia", sagte er. Sie gehorchte. Die Tür schlug zu, und der Wagen reihte sich in den starken Verkehrsstrom ein.
Steif drückte Lelia sich in ihren Sitz. Krampfhaft umklammerte sie die Handtasche auf ihrem Schoß und starrte ausdruckslos vor sich hin. Was ging hier vor? Sie war den ganzen Abend so sicher gewesen, dass zwischen Michael und Karen eine intimere Beziehung als die von Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestand. Doch wenn sie es recht sah, konnte sie sich weder an ein Wort, einen Blick oder eine Geste erinnern, die ihre Vermutung bestätigt hätten. Während sie die wenigen Häuserblocks vom Hotel zu ihrem Haus fuhren, schaute sie ihn manchmal verstohlen an, Seine Aufmerksamkeit schien völlig auf den Verkehr gerichtet zu sein. Es fiel ihr erneut auf, wie attraktiv er war. Die dunklen Haare waren kurz geschnitten und sorgfältig gekämmt. Seine starke gerade Nase, sein schöner Mund und sein festes Kinn bildeten ein auffallendes Profil. Die Leichtigkeit, mit der er den Wagen lenkte, seine entspannte, aber auch wachsame Haltung verstärkten noch mehr den Eindruck von Anmut und Kraft. Michael hielt vor ihrem Haus. Sie griff nach dem Türöffner. „Danke für das Fahren", murmelte Sie und zog an dem Hebel, der rätselhafterweise aber nicht zu! bewegen war. Lelias Herz schlug schneller. Sie vermied es, Michael anzusehen. Dann hörte sie, wie er aus dem Wagen stieg, sah, wie er vorn herumging und zu ihr kam. Die Tür öffnete sich, sie stieg aus und stand neben ihm. Er lächelte sie entschuldigend an. „Die Kindersicherung", erklärte er schmunzelnd und fasste nach ihrem Arm. Was wird er jetzt tun? fragte sie sich entsetzt. Würde er von ihr erwarten, dass sie ihn hereinbat, und würde er sie küssen? Doch er berührte nur sanft ihren Arm und begleitete sie auf dem kurzen Weg zu ihrer Eingangstür. Nachdem sie den Türschlüssel in ihrer Handtasche gefunden hatte, blickte sie zaghaft zu ihm auf und lächelte höflich. Im trüben Licht der Eingangslampe wirkte sein Gesicht ernst und ausdruckslos. Er nahm ihr den Schlüssel ab, schloss die Tür auf und stieß sie weit auf. Als sie dann hineingegangen war und sich zu ihm umgedreht hatte, gab er ihr den Schlüssel zurück und nickte knapp. „Dann gute Nacht, Lelia", sagte er. „Es war ein angenehmer Abend." „Ja", entgegnete sie hastig. „Sehr angenehm. Nochmals danke für das Mitnehmen." Er wandte sich ab und ging zum Wagen, eine Hand hatte er in der Jacketttasche, sein Gang war gemächlich und elegant. Lelia machte die Tür zu, drehte den Schlüssel herum und lehnte sich an die Wand. Ihr Herz schlug heftig, und sie schloss die Augen, bis es sich wieder einigermaßen beruhigt hatte. Sie ging über den Flur in ihr Schlafzimmer und überlegte, wie sie sich am Besten auf Michaels seltsames Verhalten einstellen konnte. Einerseits war sie natürlich erleichtert, aber andererseits ... Er schien sie beim Wort genommen zu haben, die Tatsache akzeptiert zu haben, dass sie keine emotionale Beziehung zu ihm wünschte, und das war gut so. Oder? Langsam zog sie sich aus, wusch sich, zog ihr Nachthemd an und ging ins Bett. Der schwere Baldachin war jetzt weg, ebenso die steifen Vorhänge an den Fenstern. Das Zimmer schien heller zu sein, luftiger, frischer. Im Allgemeinen konnte sie gut schlafen. Heute Nacht allerdings wollte der Schlaf nicht kommen. Da sie das Nachtleben nicht gewöhnt war, schrieb sie es dem anregenden Abend und der Sorge um Charles' Wagen zu. Vielleicht hatte Michael das Interesse an ihr verloren. Wollte sie das erreichen? Natürlich. Aber warum, fragte sie sich, während sie sich wieder auf die andere Seite wälzte, fühlte sie sich dann so niedergeschlagen ? In der folgenden Woche hatte Lelia weder die Zeit noch die Neigung, diesen fruchtlosen Gedanken weiter nachzuhängen. Charles rief Mitte der Woche an, um ihr von der Reifenreparatur zu berichten und die Einladung zu seiner Geburtstagsfeier zu bestätigen.
Am Samstagabend stand Lelia um sechs Uhr vor ihrem Kleiderschrank und war unschlüssig, was sie tragen sollte. Sie hatte fast ihre ganze Designer-Garderobe aussortiert, weil sie nicht zu ihrem neuen Lebensstil passte, und nun konnte sie sich nicht entscheiden, welches der vier oder fünf verbliebenen Kleider dem Anlass gerecht werden würde. Sie wollte nicht dasselbe weiße Kleid anziehen, das sie zum Abendessen am letzten Samstag getragen hatte, obwohl sie es sehr mochte. Es gab noch zwei Kleider, ein schwarzes und ein dunkelrotes, die aber für den Sommer zu schwer waren. Übrig blieben ein blassgelbes, das ihr im Augenblick nicht gut stand, und ihr Hosenkleid im griechischen Stil. Es war schon spät geworden, fast halb sieben. Sie musste sich entscheiden. Sie zog das gelbe Kleid an und betrachtete sich skeptisch im Spiegel. Sie hatte in den letzten Monaten Farbe bekommen, und mit ein wenig Rouge und einem hellen Lippenstift würde es gehen. Sie streifte es ab und probierte das blasse, rosafarbige an. Die Farbe ist viel besser, dachte sie, fand es aber im Nacken ein wenig zu tief ausgeschnitten. Das Telefon klingelte, und als sie sich am Schlafzimmerapparat meldete, hörte sie Michael Fieldings tiefe Stimme. „Lelia? Hier ist Michael. Ich sprach gerade mit Charles, und er schlug vor, dass ich dich heute Abend abholen und zu ihm bringen sollte." Lelias Haut kribbelte vor Ärger. Charles sollte wirklich aufhören, sie wie eine zerbrechliche Porzellanfigur zu behandeln. „Ich habe verstanden", sagte sie kühl. Charles ging wirklich zu weit, und Michael tat es ihm nach. Sie würde nur zwischen ihm und der liebreizenden Karen stören. „Das wird nicht nötig sein. Ich habe vor, selbst zu fahren." Es war kurze Zeit still. „Wie du willst", sagte er. Dann wurde er deutlicher. „Aber es ist nicht sinnvoll, wenn wir mit zwei Wagen fahren und aus der gleichen Richtung kommen. Charles möchte gar nicht daran denken, dass du nachts allein nach Hause fährst. Ich auch nicht", fügte er hinzu. „Vor allem, wenn ich nur ein paar Häuserblocks weiter wohne." Sie zögerte. Vielleicht war sie zu eigensinnig, wenn es um ihre Unabhängigkeit ging. Sie wollte ihn fragen, ob Karen nichts dagegen hätte, zu dritt zur Party zu fahren, aber sie mischte sich ungern in sein Privatleben ein. Die Stille wurde von seiner leisen Stimme unterbrochen. „Wenn du glaubst, dass ich dir noch einmal zu nahe kommen könnte, so kann ich dich beruhigen. Du hast nichts zu befürchten." „O nein", erwiderte sie eilig. „Darum geht es gar nicht. Es ist nur so, dass Charles sich unnötig aufregt. Und", fügte sie hinzu, „ich dränge mich nicht gerne auf." „Aufdrängen?" gab er zurück. „Ich verstehe nicht." „Gut ..." Lelia suchte nach Worten. „Ich dachte ... das sei ... ich nahm an ..." Sie war froh, dass er nicht ihr rotes Gesicht sah. „Du und Karen ...?" hörte sie lahm auf. „Karen?" fragte er. „Karen ist weg. Sie ist heute Morgen nach Houston gefahren." „Ich verstehe. Gut, in diesem Fall ist es wirklich nicht sinnvoll, zwei Wagen zu nehmen." Sie lachte. „Und ich werde Charles glücklich machen." „Das ist dir wichtig?" fragte er ungeniert. „Charles glücklich zu machen?" „Charles ist ein guter Freund", erwiderte sie langsam. Einen Moment lang sagte er nichts, und als er wieder begann, klang seine Stimme lebhaft. „Gut, das wäre dann geklärt. Bist du in einer halben Stunde fertig?" „Ja, selbstverständlich." Nachdem sie aufgelegt hatte, starrte sie noch einige Zeit das Telefon an. Karen ist also weg, dachte sie und fragte sich, was das zu bedeuten hätte. „Charles hat mir erzählt, dass du mit behinderten Kindern gearbeitet hast", sagte Michael später, während sie auf der Gentilly Road zum See fuhren. „Das hört sich wie eine Herausforderung an." Sie wandte sich ihm eifrig zu. „Das stimmt. Aber es ist auch sehr befriedigend." Sie empfand ihn heute Abend angenehmer, weniger bedrohlich als je zuvor. Sie rief sich
ins Gedächtnis zurück, wie nett er in der Vergangenheit immer zu ihr gewesen war und außer diesem einen Vorfall einige Wochen nach Armands Tod - wie rücksichtsvoll er ihre Gefühle beachtet hatte. Während sie ihm einige Geschichten vom Kinderzentrum erzählte, die sie besonders berührt hatten, und ihn dabei beobachtete, wurde ihr klar, dass sie sein gutes Aussehen, seine Nähe, die Art, wie er sie anlächelte, mochte, ohne dass sie eine gefühlsmäßige Forderung von ihm zu befürchten hatte. „Wir sind da", sagte er, nachdem sie auf den Zufahrtsweg zu Charles' Haus am See eingebogen waren. Er schaltete den Motor ab und wandte sich ihr zu. „Ich hatte versäumt, dir zu sagen, wie schön du heute Abend aussiehst, Lelia. Ich mag dich, besonders in diesem Kleid." Lelia freute sich über das Kompliment. Nach dem Telefongespräch hatte sie keine Zeit mehr für große Entscheidungen gehabt und das blassgraue Kleid mit den Rosen angezogen. Der tief ausgeschnittene Nacken störte sie noch, aber sie hatte sich zum Schutz eine weiße Stola umgelegt. „Danke", murmelte sie. „Du gibst auch eine eindrucksvolle Figur ab." Es stimmte. Sein dunkelblauer Anzug war wunderbar geschnitten. Er trug ein weißes Hemd und eine blaue Krawatte, die zu seiner Augenfarbe passte. Er ging um den Wagen herum, und als er sich zu ihr beugte, um seinen Arm anzubieten, sah sie ihn freundlich an. Sie gingen die Treppe hinunter, die zum Straßeneingang des Hauses führte. Von drinnen schollen laute Musik, Gelächter und fröhliche Stimmen heraus. Lelias Herz zog sich plötzlich zusammen, und sie hatte Angst. Dies war die erste Party, an der sie ohne den Schutz des Ehemannes oder der Familie teilnehmen würde. Heute Abend war sie nur auf sich gestellt, Lelia Duval, und nicht ein Mitglied der High Society von New Orleans. Sie spürte Michaels feste Hand an ihrem Ellbogen und schaute zu ihm auf. Er lächelte amüsiert, aber freundlich. „Lampenfieber?" murmelte er. Sie nickte, blinzelte, dann schluckte sie, weil sie einen trockenen Mund hatte, und lächelte unsicher. „Ein wenig", gab sie zu. Sein Händedruck auf ihrem Arm wurde fester. „Es ist okay", sagte er bestimmend. „Du bist schön." Die Tür öffnete sich, der Lärm strömte ihnen entgegen, und ein gut gelaunter Charles erschien. Hinter ihm schien der Raum mit Leuten voll gestopft zu sein. Lelia zuckte vor dem Anblick und dem Lärm der Menge zurück, und Michael musste sie noch einmal fest drücken und sie sanft vorwärtsschieben. Sie holte tief Luft und ging hinein.
8. KAPITEL „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Charles", sagte Lelia und küsste ihn leicht auf die Wange. „Lelia, Michael", begrüßte Charles sie erfreut. „Es ist so schön, euch zu sehen." Die beiden Männer schüttelten einander die Hand, und Charles legte einen Arm um Lelias Taille, um sie hineinzuziehen. „Kommt herein." Das Wohnzimmer war sehr groß und in einem sachlichen modernen Stil eingerichtet, mit glatten hellen Möbeln und Polstersesseln in gedämpften Erdfarben. Die breite, verglaste Front des Raumes bot einen atemberaubenden Blick auf den Lake Pont-Chartrain. Der See war riesig und erstreckte sich kilometerweit, so dass man kaum das andere Ufer sah. Charles' Haus war nach Norden gerichtet, die Sonne stand jetzt ziemlich niedrig im Westen und legte eine goldene Hülle über das sich sanft kräuselnde blaue Wasser. Während Charles Lelia durch die Menge führte, schaute sie sich um, ob Michael noch hinter ihr war. Er hatte sie losgelassen, als Charles ihre Taille so Besitz ergreifend umfasst hatte. Sie sah ihn nirgends und fühlte sich trotz Charles' beruhigender Gegenwart plötzlich hilflos. Schließlich entdeckte sie ihn bei einer Gruppe von Gästen. Groß und eindrucksvoll stand er da, mit einem Drink in der Hand. Verärgert stellte Lelia fest, dass fünf der ungefähr acht Leute in der Gruppe Frauen waren. Eine dunkelhaarige Schönheit, die Charles gewöhnlich durch die Stadt begleitete, schaute Michael offensichtlich interessiert an. Lelia sah, wie er jede anlächelte, und obwohl er die bewundernden Blicke zu genießen schien, war sein Gesichtsausdruck unergründlich, die strahlenden Augen verrieten nichts über seine Gedanken. Lelia war verärgert. Warum hatte er sie im Stich gelassen? Da trafen sich ihre Blicke, bevor sie zur Seite schauen konnte. Die Verunsicherung war ihrem Gesicht bestimmt abzulesen, denn er hob erstaunt die Augenbrauen und zuckte fast unmerklich die Achseln. Sie hatte sich rasch wieder im Griff und sah ihn kühl und höflich lächelnd an, wandte sich Charles zu, der ihr etwas zu trinken reichte und sie Leuten vorstellte, die an der Bar standen. „Das ist also die wundervolle Lelia Duval", sagte ein großer blonder Mann. „Wo hast du sie versteckt, Charles?" Lelia wusste nicht, was sie sagen sollte, lächelte nur und murmelte ein schwaches „Hallo, wie geht es Ihnen?" Charles lachte und drückte ihre Taille fester. „Lelia, das ist Andy Stocker, ein Anwaltskollege, flink und gewandt, wie sie eben sind. Sieh dich vor ihm vor." Andy Stocker ist ein auffallender Mann, dachte Lelia, und sie wusste nicht, wie sie auf ihn reagieren sollte. Er war fast so groß wie Michael, tiefbraun und athletisch gebaut. Seine hellblonden Haare waren geschickt geschnitten, seine graublauen Augen sahen vergnügt aus, und als er ihr zulächelte, hatte er zwei tiefe Grübchen auf seinen glatten Wangen. „Ich werde mich vorsehen", sagte sie und trank etwas. Die Türglocke klingelte wieder. Charles lächelte traurig und ließ sie los. „Entschuldige, ich bin gleich wieder da", sagte er. Andy Stocker kam sofort zu ihr. Sie nahm schnell wieder einen Schluck aus ihrem Glas. Es schmeckte nach Orangensaft, aber nach der Wirkung, die sie spürte, war bestimmt Alkohol darin. Sie entspannte sich und hörte Andys leichtem unterhaltsamen Geplauder zu. „Ich weiß, dass ich Sie schon einmal gesehen habe", sagte er ernsthaft, wobei er sich vorbeugte. Lelia lachte. So naiv war sie nun auch nicht. „Da bin ich mir sicher", erwiderte sie aufreizend. „Mich und jede andere Frau in diesem Raum."
Er schaute verletzt und bemerkte ihr leeres Glas. „Sie sollten noch etwas trinken", sagte er. „Ich weiß nicht", sagte sie zweifelnd. Sie war es nicht gewohnt zu trinken. Trotz ihres regen gesellschaftlichen Lebens mit Armand hätte Blanche sich stets um die Getränke auf ihren Festen gekümmert, und Lelia hatte üblicherweise nur Wein getrunken. Sie betrachtete das Glas, das Andy ihr hinhielt. „Was ist darin?" „Viel Orangensaft und ein wenig Wodka", sagte er, während er ihr das Glas gab. „Es nennt sich Screwball." Sie nippte vorsichtig. Es schmeckte gut. Andys Hand lag jetzt auf ihrem Arm. Sie wollte zu einem Freund von Charles nicht unhöflich sein, aber seine Nähe machte sie nervös. Unsicher trank sie noch einen großen Schluck. „Wollen wir tanzen?" Andy deutete auf die breite Holzveranda. Lelia konnte sich nicht entscheiden. Sie sah sieh im Raum nach einem bekannten Gesicht um, aber diese Leute waren ihr alle fremd. Obwohl Charles früher an vielen gesellschaftlichen Anlässen der Familie Duval teilgenommen hatte, hatten sie nicht in denselben Kreisen verkehrt. Lelia sah keine Spur von Charles noch von Michael. Sie schaute Andy an. Er war ihr wenigstens nicht völlig unbekannt. Den Kopf ein wenig zur Seite geneigt, schien er sie genau zu betrachten. „Trinken Sie aus", sagte er leise. „Wir tanzen." Sie trank den Rest aus, stellte das Glas auf die Bar und ließ sich von Andy auf die Veranda führen. Die Sonne war gerade untergegangen, es wurde dunkel. Auf der Tanzfläche waren mehrere Paare. Jemand hatte die japanische Lampe am Balkongeländer angezündet, und das sanfte Licht mit dem See im Hintergrund und der romantischen Musik verbreitete eine wundervolle Stimmung. Als Andy sich umdrehte und sie in den Arm nahm, stolperte sie ein wenig, so dass er sie fest halten musste. Sie lächelte ihn entschuldigend an und war beunruhigt, als die Umrisse seines Kopfes und seiner Schulter langsam unscharf wurden. Sie schüttelte den Kopf, um wieder klar zu sehen, und blinzelte, aber es schien nichts zu nützen. Während sie tanzten, hielt sie die Augen lieber geschlossen, aber ihre Benommenheit nahm zu. Eigentlich, dachte sie, ist es ein angenehmes Gefühl. Sie hatte Angst, wieder zu stolpern, aber Andy hielt sie so fest, dass sie nicht fallen konnte. Dann hörte sie Charles hinter sich rufen. „Lelia, da bist du ja. Ich habe dich schon überall gesucht." Sie öffnete die Augen und blickte Charles entgegen. Er suchte sich einen Weg zwischen den Paaren auf der Tanzfläche zu ihr. In der frischen Luft schien die schlimmste Benommenheit vorbei zu sein, und im Dämmerlicht konnte sie sogar deutlich erkennen, dass er verärgert war. Andy lockerte seinen Griff und trat einen Schritt zurück. Charles fasste sie am Arm und sah den blonden Mann kurz an. „Du solltest Lelia nicht mit Beschlag belegen, Andy", sagte er. „Ich wollte sie auch meinen anderen Gästen vorstellen." Charles führte sie fort. Sie war noch etwas benommen, aber ihre alte Furcht kam langsam wieder. Hier waren so viele Mensche, und sie kannte niemanden. Sie suchte Michael, als sie ins Haus kamen. Er tanzte mit dem dunklen Mädchen, das schon vorher an seinem Arm gehangen hatte. Sie waren weiter weg in einer Ecke der Veranda, und im gedämpften Licht der bunten Lampen konnte sie nur vage den ernsten Ausdruck auf seinem Gesicht erkennen, als er den Kopf senkte, um ihr zuzuhören. Charles führte sie im Wohnzimmer herum und stellte sie weiteren Gästen vor. Bald hatte sie das Gefühl, die vielen Gesichter verschwammen ihr vor den Augen. Die Gesichtsmuskeln schmerzten vom angestrengten Lächeln, und als ihr jemand ein Glas gab, trank sie dankbar. Wieder einmal schien der Drink ihre Nerven zu beruhigen. „Charles, du hast noch nicht mit mir getanzt." Eine hoch gewachsene Rothaarige in einem smaragdgrünen Kleid beugte sich zu ihnen herüber, und als sie seinen Arm packte und ihn
hochzerren wollte, sah er Lelia entschuldigend an. „Kümmer dich nicht um mich, Charles. Du hast Gäste. Mir geht's gut." Als sie allein war, schaute sie sich im vollen Raum um und nippte an ihrem Getränk. Alle anderen schienen gut bekannt zu sein, und sie fühlte sich plötzlich ausgestoßen. Sie fragte sich, ob sie bald unbeobachtet fortgehen könnte. Doch dann war Andy Stocker wieder bei ihr. „Ihr Wachhund hat sie unbeschützt zurückgelassen." Er grinste und streckte die Hand aus, um ihr halb leeres Glas zu nehmen. „Wollen wir tanzen, oder sind Sie Donaldsons ausschließliches Eigentum?" Lelia sträubte sich. Das letzte Glas hatte sie wieder mutiger gemacht. „Ich bin kein Eigentum", sagte sie bestimmend. „Das ist eine sehr gute Nachricht", murmelte Andy. Er hielt ihr den Arm hin. „Wollen wir?" „Warum nicht?" Sie trank schnell aus und gab ihm das Glas. Er stellte es auf den Tisch, und bald waren sie auf der Veranda und tanzten wieder. Lelia brauchte nur ein paar Minuten, um zu erkennen, dass sie zu viel getrunken hatte. Sie war einerseits besorgt, andererseits kümmerte sie sich nicht darum. Andy drückte sie an sich, wie sie bemerkte, aber sie war jetzt mehr als dankbar für den Halt, zumal ihre eigenen Schritte nicht sicher waren. Ihre Stola rutschte herab, und Andys warme Hände lagen nun auf ihrem nackten Rücken. Seine Wange war an ihre gepresst, sein warmer Atem streifte angenehm und verführerisch ihr Ohr. „Wo wohnen Sie, Lelia? Ich möchte Sie gerne wieder sehen." „Ich wohne im Vieux Carre. In der Chartres Street." Sie schloss wieder die Augen. Mit einer Hand strich er zart über ihren Nacken. „Möchten Sie mit mir nächste Woche zu Abend essen?" Sie machte die Augen auf. Alles um sie herum schien sich zu drehen. „An welchem Abend?" murmelte sie. Sie konnte sich offenbar nicht konzentrieren. „An jedem Abend, der Ihnen gefällt, Gebieterin", flüsterte er inbrünstig. Plötzlich war der Schwips nicht mehr angenehm. Bisher hatte sie ihre Nervosität überspielen können, doch jetzt hatte sie ein unangenehmes Gefühl im Magen. Sie hatte keine Zeit zum Essen gehabt, bevor sie das Haus verließ, und hatte auf der Party etwas essen wollen. Aus dem nervösen Gefühl wurde langsam eine schreckliche Übelkeit. Lelia fragte sich erschrocken, ob ihr nicht richtig schlecht werden würde. Sie standen jetzt hinten in einer Ecke der Veranda. Sie stützte sich mit einer Hand auf dem Geländer ab lind senkte den Kopf. Als sie zu ihm aufschaute, grinste er. „Haben Sie ein wenig zu viel getrunken?" „Ich ... ich ..." stotterte sie und wusste nicht weiter. Ihr wurde plötzlich klar, welchen Eindruck sie machen musste. Sie schämte sich. Der Alkohol, von dem sie dachte, er würde ihre Nerven stärken, hatte ihr eher geschadet. Sie hatte nur den einen Gedanken - wegzukommen, ehe sie sich völlig blamierte. Sie konnte gerade noch ihre Gedanken sammeln, sich zusammenreißen und Andy anlächeln. „Nein, überhaupt nicht", kam es aus ihr heraus. „Doch wenn Sie mich entschuldigen, ich möchte die Toilette aufsuchen." „Kommen Sie schnell wieder", sagte er leise. Er lehnte sich vor und küsste sie leicht auf die Stirn. Lelia drehte sich um und versuchte, auf geradem Wege ins Haus zu gelangen. Sie hoffte inständig, dass sie weder Michael noch Charles begegnen würde. Am Besten wäre es, wenn sie ein Taxi rief und hier so schnell wie möglich herauskäme. Irgendwie gelangte Lelia durch die Menschenmenge auf einen langen Flur, der zum hinteren Teil des Hauses führte. Nach vergeblichen Versuchen an zwei geschlossenen Türen fand sie Charles Schlafzimmer und den Telefonapparat auf dem Nachttisch. Sie setzte sich aufs Bett und blätterte im Telefonbuch. Die Übelkeit wurde schlimmer, und schließlich war es so weit, dass sie nicht mehr dagegen ankämpfen konnte.
Sie legte das Telefonbuch hin und hatte gerade noch Zeit, in das angrenzende Badezimmer zu kommen, schlug die Tür zu und schloss ab. Sie beugte sich über das Becken und übergab sich. Nachdem es vorbei war, fühlte Lelia sich schrecklich schwach, aber die Übelkeit war weg. Sie spülte den Mund mit Mundwasser aus, das sie auf dem Tischchen gefunden hatte, und kämmte sich die Haare. Jetzt, dachte sie, werde ich ein Taxi rufen und mich nach Hause bringen lassen. Sie hatte keine Kraft mehr. Entschlossen öffnete sie die Badezimmertür und hielt erschrocken die Luft an, als sie Michael vor sich sah. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und blickte sie streng an. Als ihm klar wurde, wie mitgenommen sie war, milderte sich sein Gesichtsausdruck. Er ging einen Schritt auf sie zu. „Ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Geht es dir gut?" Sie lächelte schwach. „Nein." Sie ließ den Kopf hängen. „Geh bitte", flüsterte sie. „Ich werde ein Taxi rufen und nach Hause fahren." „Unsinn. Ich werde dich nach Hause bringen." Sie sah ihn blitzschnell an. „O nein. Für dich gibt es keinen Grund, die Party zu verlassen." „Ich habe dich gebracht", sagte er gelassen. „Also werde ich dich auch zurückfahren." Lelia war zu erschöpft, um zu protestieren. Die Tränen standen ihr in den Augen. „Michael", flüsterte sie. „Ich schäme mich so." Sofort war er bei ihr. Sie ließ sich gegen ihn fallen, weinte still, und er legte die Arme um sie, hielt sie sanft und strich die Haare aus ihrer Stirn. „He, du", murmelte er. „Du brauchst dich nicht zu schämen. So etwas passiert jedem einmal." Er hielt ihr Kinn hoch. Sie weinte nicht mehr, aber ihr Gesicht war nass, und ihre Augen glänzten noch. Sie fühlte, wie er mit dem Daumen Tränen wegwischte. Während sie zu ihm aufschaute, erinnerte sie sich an jenen Tag in „Beaux Champs", als sie den Hirsch sah. Damals hatte er sie genauso getröstet wie jetzt. Die Erinnerung an das, was danach passierte, stieg in ihr auf, und sie fragte sich, ob er sie wieder küssen würde. Ich wünsche es mir mehr als alles andere, merkte sie schockiert. Ihre Augen waren jetzt auf seinen Mund gerichtet. Sie wollte diese festen, warmen Lippen spüren, von diesen kräftigen Armen gehalten werden und den Druck dieses großen muskulösen Körpers fühlen. Angespannte Stille herrschte im Raum. Sie standen regungslos da. Er streichelte nicht mehr ihre Wangen, sondern hielt ihren Kopf mit beiden Händen umfasst. Lelia öffnete unwillkürlich die Lippen, sehnte sich nach seinem Kuss. Da ließ er sie plötzlich los. Sein Gesicht glich einer Maske. Er lächelte gezwungen und seufzte. „Ich sollte dich besser heimfahren", sagte er leichthin. Lelia war zu Mute, als hätte er sie geschlagen. „Bist du sicher ...?" Sie dachte an die dunkelhaarige Frau, mit der er getanzt hatte. Vielleicht war sie der Grund, warum er sie nicht küssen wollte. „Ich bin sicher", sagte er. Er drehte sich um und ging zur Tür. „Aber wenn es jemanden geben sollte, der auf dich wartet..." zauderte sie. Michael wirbelte herum und starrte sie eindringlich an, als wollte er ihre Gedanken lesen. „Es ist unwichtig", sagte er und hielt ihr die Hand hin. „Gehen wir." Lelia schlief auf der Heimfahrt ein und wachte erst auf, als der Wagen hielt. Als sie die Augen öffnete, waren sie vor ihrem Haus. Sie merkte auch, dass ihr Kopf an einer muskulösen Schulter ruhte und dass sie von einem starken Arm eng umfasst wurde. Sie schloss wieder die Augen und bewegte sich nicht. Sie wollte nicht, dass der Augenblick zu Ende ging. Es war sehr ruhig. Sie hörte Michaels regelmäßigen Atem, fühlte den rauen Stoff seines Jacketts auf ihrem Gesicht und den nackten Schultern, seine warme Hand, die ihren Unterarm fest hielt.
Schläfrig schaute sie zu ihm hoch, begegnete seinem Blick. Dann lächelte er. „Geht es dir besser?" „Ja, viel besser." Sie sah ihn an. „Michael, es tut mir so Leid." Sie biss sich auf die Lippen. „Ich habe dir die Party verdorben und mich selbst blamiert. Ich habe Charles noch nicht einmal gedankt oder Gute Nacht gesagt." „Mach dir keine Sorgen. Ich wollte schon längst gehen. Du hast mir eine gute Entschuldigung gegeben. Charles wird das verstehen." Seine Stimme wurde fester. „Er hätte dich besser nicht diesem Andy Stocker überlassen dürfen." „Oh, du tust Andy Unrecht", protestierte sie. „Er war sehr nett." Michael hob die Augenbrauen und zuckte die Achseln. „Entschuldigung, ich hatte den Eindruck, du seist an so etwas nicht interessiert." Er lachte kurz. „Offenbar habe ich mich geirrt. Von diesem Stocker lässt du dich anfassen, aber von mir nicht!" „Er hat mich nicht angefasst", stellte sie erregt klar. Michael runzelte die Stirn. „Verzeih mir", sagte er eisig. „Aber es sah für mich so aus. Seine Hände waren überall." Lelia wurde langsam ärgerlich. Einerseits warf er ihr vor, Andy Stocker Freiheiten erlaubt zu haben, andererseits hatte er selbst mit einer anderen Frau geflirtet. „Ich bin überrascht, dass du es bemerkt hast", warf sie ihm vor. „Du warst doch mit der dunkelhaarigen Frau beschäftigt. t Dein Typ, nicht wahr?" Er sah sie lange abschätzig an, dann lächelte er schließlich. Er lehnte sich an die Wagentür und hatte einen zufriedenen Ausdruck in seinen Augen. Dann besann er sich. „Ich habe es dir schon einmal gesagt, Lelia", sagte er sanft. „Du bist mein Typ." Ihr Herz machte einen Sprung, aber dann erinnerte sie sich, dass er heute Abend sehr zurückhaltend ihr gegenüber gewesen war. Sie seufzte. „Ich werde jetzt hineingehen", sagte sie. „Es tut mir Leid, dass ich vorhin grob gewesen bin. Es war kein guter Abend." Michael schaute sie unverwandt an, dann nickte er kurz. „Ja, natürlich." Während sie zur Eingangstür gingen, fragte sie sich, ob sie ihn hereinbitten sollte. Lieber nicht, dachte sie. Sie hatte ihm heute Abend schon zu viel enthüllt, und jetzt sehnte sie sich nach der Ruhe ihrer eigenen Wohnung. Sie schloss die Tür auf und wandte sich ihm zu. „Nochmals vielen Dank, Michael. Ich weiß die Art, wie du dich heute Abend verhalten hast, zu schätzen und entschuldige mich für mein schlechtes Benehmen." Er zuckte die Achseln. „Nicht ganz. Du hast etwas gelernt." „Gewiss", sagte sie, wobei sie das Gesicht verzog. „Für mich keinen Wodka mehr." Er lachte und berührte leicht ihre Wange. „Gutes Mädchen." Er zögerte, musterte sie eindringlich, ehe er sich verabschiedete. „Schlaf schön, Lelia." Daraufhin drehte er sich jäh um und ging zu seinem Wagen. Lelia trat ein und schloss die Tür.
9. KAPITEL Lelia schlief am nächsten Morgen lange. Als sie mit trockenem Mund und schwerem Kopf aufwachte, wurde ihr rasch klar, dass sie einen ordentlichen Kater hatte. Aber nach Orangensaft, starkem Kaffee und einem ausgedehnten Spaziergang ging es ihr besser. Nachdem sie wieder in der Chartres Street war, lag noch der lange Sonntagnachmittag vor ihr, und sie beschloss, Gesellschaft zu suchen. Spontan fragte sie bei Madame nach und lud sie zum Essen ein. Die Hausarbeiten waren praktisch erledigt, und sie hatte nichts weiter vor. Sie aßen draußen im Hof. Glühende Hitze lag in der Luft, aber hier gab es etwas Schatten, und beide Frauen verabscheuten Klimaanlagen. Lelia hatte sich umgezogen und trug Shorts und ein rückenfreies Oberteil, die Haare hatte sie locker aufgesteckt. Auf dem Tisch standen Meeresfrüchtesalat, geröstetes Brot und eine Karaffe Eistee. „Sie mögen doch Musik, Lelia, oder?" fragte Madame während des Essens. „Sehr gerne." . „Dann würde ich mich freuen", fuhr Madame zaghaft fort, „wenn Sie sich heute Nachmittag für den Vortrag einer Schülerin interessieren könnten. Es ist Bianca Felstad, eine sehr begabte Altstimme." Lelia kannte den Namen, eine junge Sängerin, die schon an der New Yorker Oper bekannt geworden war und im Herbst an der „Metropolitan Opera" ihr Debüt geben würde. „Liebend gern", erwiderte sie spontan, ihre dunklen Augen leuchteten vor Vergnügen. „Vielen Dank." „Keine Ursache. Sie sind zu mir sehr freundlich gewesen." Madame Fiorini lachte. „Sie sind eine sehr angenehme Vermieterin." Sie überlegte einen Moment, ehe sie fortfuhr. „Mit unserer Abmachung kann ich mehr als zufrieden sein. Der Monat ist längst um." „Tatsächlich", sagte Lelia überrascht. „Wie die Zeit vergangen ist." Sie lächelte Madame zustimmend an. „Ja, es ist eine wunderbare Abmachung. Mir geht es genauso wie Ihnen." Madame lächelte zufrieden. „Dann ist wohl alles in Ordnung." Der Telefonapparat im Innenhof klingelte schrill. „Entschuldigen Sie mich", bat Lelia und ging, um den Hörer abzuheben. Es war Charles, der sich darüber wunderte, wo sie in der letzten Nacht geblieben war. „O Charles, ich wollte dich später anrufen, um mich für meinen plötzlichen Aufbruch zu entschuldigen. Es tut mir sehr Leid, dass ich mich von dir nicht verabschiedet habe." „Ich habe mir Sorgen gemacht." Seine Stimme klang gereizt. „Es tut mir wirklich Leid. Ich habe mich plötzlich ziemlich schlecht gefühlt. Ich wollte ein Taxi rufen, aber Michael bestand darauf, mich nach Hause zu fahren." Seine Stimme veränderte sich schlagartig. „Dann ist alles in Ordnung. Andy Stocker verschwand kurz nach dir, und ich habe zwei und zwei zusammengezählt ..." „Und hast fünf herausbekommen", unterbrach Lelia halb amüsiert, halb verärgert. Charles war ein guter Freund, aber er hatte nicht das Recht, ihr nachzuspionieren. „So ungefähr", stimmte er zu. Er machte eine Pause. „Andy schien sich für dich zu interessieren. Wirst du ihn wieder sehen?" Jetzt war sie wirklich verärgert, verbarg es aber hinter einem Lachen. „Ich weiß es nicht. Er hat mich nicht gefragt." „Sieh dich vor ihm vor, Lelia", warnte er ernst. „Er hat einen ziemlich schlechten Ruf." „Ich kann auf mich selbst aufpassen, Charles." Nach ihrer Vorstellung gestern Abend wusste sie, dass es nicht ganz stimmte, aber sie hatte ihre Lektion gelernt. „Madame Fiorini und ich essen gerade, Charles. Ich muss Schluss machen." Lelia hatte rote Wangen, als sie zum schmiedeeisernen Tisch zurückkam. Madame sah sie nur rasch an und trank dann von ihrem Eistee. „Mr. Donaldson scheint sehr besorgt um Sie zu sein", bemerkte sie schließlich. „Ja", stimmte Lelia mitreinem trockenen Lächeln zu. „Ein wenig zu sehr." Madame nickte. Sie bestrich einen Toast langsam mit Butter.
„Dennoch ist solch ein Freund kostbar." Sie lächelte. „Ich denke allerdings, dass er sich mit Ihnen mehr vorstellt als nur die Freundschaft." Lelia machte den Mund auf, um etwas zu erwidern, aber das Telefon schrillte wieder. Sie zuckte entschuldigend die Achseln und lief hin. „Lelia?" ertönte eine fremde männliche Stimme, nachdem sie den Hörer abgenommen hatte. „Lelia Duval?" „Ja", erwiderte sie vorsichtig. Die Stimme kam ihr plötzlich doch bekannt vor. „Hier ist Andy", sagte er vertraulich. „Andy Stocker. Ich rufe nur an, weil ich wissen möchte, wie es Ihnen geht. Sie hatten sich gestern Abend sozusagen in Luft aufgelöst, ehe ich Gute Nacht sagen konnte." „Ja, Andy", antwortete sie schwach und wurde rot. „Ich ... mir geht es gut." Aber das stimmte nicht. Die ganze Angelegenheit war ihr peinlich. Er lachte. „Sie waren gestern Abend ganz grün um die Nase", meinte er. „Keine Sorge, Schätzchen. Einmal passiert es jedem von uns." „Danke, mir reicht das eine Mal", sagte sie trocken. Er lachte. „Ich dachte es mir, dass sie sich in dem Spiel noch nicht auskennen." Seine Stimme wurde vertraulich. „Hören Sie, Lelia, der Grund meines Anrufs ist, dass ich Sie gerne wieder Sehen möchte. Was halten Sie von einem Abendessen? Freitag? Samstag?" Als sie nicht antwortete, beeilte er sich. „Montag ... Dienstag ... Mittwoch ..." „Hören Sie auf", sagte sie lachend, obwohl ihr ganz anders zu Mute war. Sie zögerte lange, dann sagte sie: „Andy, ich weiß es, ehrlich gesagt, nicht." Sie wollte aufrichtig zu ihm sein. „Hören Sie, Charles sagte mir, dass Sie erst kürzlich Witwe geworden sind. Ich werde mich zurückhalten, wenn Sie noch nicht bereit sind. Sagen wir eine Woche?" Sie konnte sich das breite Grinsen auf seinem Gesicht vorstellen. „Sagen wir einen Monat", erwiderte sie fest. „Mindestens." Als Lelia kurz danach in der Küche darauf wartete, dass der Kaffee durchlief, klingelte die Türglocke. Es war Michael, und in dem Augenblick, als sie ihn sah, groß und attraktiv in einer braunen Cordhose und einem dunkelbraunen Strickhemd, schlug ihr Herz schneller. „Michael!" begrüßte sie ihn und schaute in seine strahlenden blauen Augen. „Ich bin nur vorbeigekommen, um zu sehen, wie es dir geht." „Mir geht es gut", sagte sie zaudernd, weil sie nicht wusste, was sie tun sollte. Sie kam sich dumm vor. Schließlich war es eine nette Geste von ihm, mehr nicht. Es wurde Zeit, dass sie in seiner Gegenwart ihre Nervosität ablegte. Sollte er sich jemals für sie interessiert haben, so tat er es jetzt bestimmt nicht mehr. Sie machte die Tür weit auf. „Willst du nicht hereinkommen?" Er nickte und trat ein. Während sie in dem kühlen dämmrigen Foyer standen, wurde ihr plötzlich bewusst, dass sie nur Shorts und ein rückenfreies Oberteil trug. War das der Grund für seinen prüfenden Blick? Sie drehte sich um und ging zur Küche. „Madame Fiorini und ich haben gerade gegessen. Ich habe Kaffee gemacht. Möchtest du eine Tasse?" „Ja, bitte", sagte er. „Gib mir das Tablett, ich trage es hinaus." Draußen stellte sie Michael Madame vor. „Meine Untermieterin", fügte sie hinzu. Als sie saßen, erläuterte sie die Zusammenhänge. „Michael hat das Haus in der Dauphine Street gekauft, für das Sie sich interessiert hatten. Er ist Architekt und hat sich auf Restaurierungen spezialisiert. Die Arbeiten in „Beaux Champs" sind unter seiner Leitung durchgeführt worden." Ihre Hand zitterte leicht, als sie den Kaffee eingoss, und sie betete, dass die anderen es nicht bemerkten. Michael nahm ihr die Kaffeetasse ab. „Einer der Gründe, warum ich hier bin, ist, dass ich dir anbiete, das Haus in der Dauphine Street zu besichtigen." Er wandte sich an Madame. „Und Sie ebenfalls, Madame Fiorini, wenn Sie interessiert sind." „Ich kann heute leider nicht, Michael", sagte Lelia eilig. Sie wünschte sich, dass dieser Mann sie nicht so verwirrte. „Madame nimmt mich zu einem Vortrag mit."
Er nickte. „Dann ein anderes Mal." Madame sah wissend von einem zum anderen. Sie nahm einen Schluck Kaffee. „Also, Sie, Mr. Fielding, sind derjenige gewesen, der das Haus gekauft hat, das auch ich gerne erworben hatte. Sagen Sie, haben Sie vor, dort zu wohnen, wenn die Arbeiten beendet sind, oder wird es eines Tages wieder angeboten werden? In diesem Fall würde ich mir gerne ein Vorkaufsrecht einräumen lassen." „Ich habe noch nicht entschieden", antwortete Michael. Er sah Lelia flüchtig an und stellte seine Tasse vorsichtig ab. „Das kommt darauf an." Sein Ton war schwer zu deuten. Während er und Madame über das Haus in der Dauphine Street sprachen, saß Lelia still da, hörte den technischen Einzelheiten nur mit halbem Ohr zu und grübelte über seine letzte Bemerkung nach. Auf was kommt es an? fragte sie sich. Auf Karen? Michael hatte schließlich seinen Kaffee ausgetrunken und stand auf. „Danke für den Kaffee, Lelia. Für die Unterhaltung ebenfalls. Es war schön, Sie kennen gelernt zu haben, Madame Fiorini. Vielleicht sehen wir uns mal wieder." Madame nickte leicht und lächelte. Als Lelia aufstehen wollte, wehrte Michael ab. „Du musst mich nicht hinausbegleiten. Ich kenne den Weg." Damit ging er. Lelia stellte das Kaffeegeschirr zusammen und war sich Madame Fiorinis Blicke wohl bewusst. „Ein sehr sympathischer Mann", sagte sie schließlich. „Außerdem sieht er ausgesprochen gut aus." „Ja", murmelte Lelia abwesend. „Ich glaube schon." Madame stand auf. „Er unterscheidet sich von den anderen." Lelia sah sie scharf an. „Den anderen?" Madame lächelte. „Die beiden Männer, die vorhin angerufen haben." Sie hob ihre mit Ringen geschmückte Hand. „Bei ihnen waren Sie ziemlich gefasst, kühl und selbstsicher. Mr. Fiedling hingegen hat Sie nervös gemacht. Das war nicht zu übersehen." Lelia zuckte die Achseln und dachte nach. „Ich weiß nicht, warum", antwortete sie wahrheitsgemäß. „Einmal dachte ich schon ..." Sie sprach nicht weiter, weil sie nicht an die Vergangenheit denken wollte, und zuckte wieder mit den Schultern. „Es gibt wirklich keinen Grund. Er ist stets sehr freundlich zu mir gewesen." Plötzlich wäre sie gerne heute Nachmittag mit ihm zu seinem Haus gegangen. Als er sie gefragt hatte, war sie froh gewesen, eine Entschuldigung zu haben, nicht zu kommen. Jetzt war sie sich nicht mehr so sicher. Während der kommenden Woche musste Lelia oft an Michael Fielding denken, sie versuchte, seine Beweggründe und ihre eigenen Gefühle zu verstehen. Schließlich rief er sie an, als sie sich sicher war, das» er es nie wieder tun würde. Sie war so froh, ihn zu hören, dass sie sofort einwilligte, als er sie zu einem Essen am kommenden Samstagabend einlud. Er fragte sie nicht wie Charles, wohin sie gehen wollte, und als er am Samstagabend an ihrer Tür erschien, groß und gut aussehend in einem dunklen Anzug, bemerkte sie den schnittigen Peugeot am Bordsteinrand nicht. „Du bist schon fertig", bemerkte er anerkennend. „Ich dachte, wir sollten im ,Hof zu den beiden Schwestern' essen. Wir können zu Fuß gehen." Er lächelte sie offensichtlich vergnügt ah. Für diesen Anlass hatte sie extra ein neues Kleid gekauft. Es war aus kirschroter Seide und bildete einen bezaubernden Kontrast zu ihren dunklen Haaren und der gebräunten Haut. Im Restaurant saßen sie draußen unter Magnolienbäumen. Auf den Tischen standen Kerzen, die die Insekten fern halten sollten, und weiche pilzförmige Leuchter verbreiteten auf dem weiten Rasen Licht. Eine Fontäne ergoss sich mitten auf dem Hof in ein Becken. „Was möchtest du trinken?" fragte Michael, als der Ober erschien. Der Blick, mit dem er sie dabei bedachte, war eindeutig. Lelia errötete und senkte den Blick. „Ich hätte gern ein Glas Sherry", erwiderte sie
bestimmt. Sie sah ihn an. Sie musste über den ironischen Ausdruck auf seinem Gesicht lächeln. „Ich habe meine Lektion gelernt." Er lehnte sich vor, die Ellbogen auf dem Tisch abgestützt und die Hände unter dem Kinn gefaltet. Dann nickte er ernst und gab die Bestellung auf. „Es tut mir Leid, dass ich mir am letzten Sonntag nicht dein Haus ansehen konnte", sagte Lelia. Er zuckte die Achseln. „Das hat Zeit. Eigentlich fangen wir gerade erst an. Wie war der Vortrag?" Als sie sich während des Aperitifs und während des Essens unterhielten, fragte Lelia sich verwundert, warum sie jemals vor ihm Angst gehabt hatte. Sie kam gut mit ihm aus, und obgleich sie seine gelegentlichen abschätzenden Blick bemerkte, fühlte sie sich sicher und geborgen. Nach dem Essen spazierten Michael und Lelia durch die belebten Straßen zur „Preservation Hall", wo lokale Jazzer und Gastmusiker zusammenkamen und ihre Jamsessions gaben. Es war dort immer voll, vor allem im Sommer. Als sie von einer Gruppe lauter Touristen bedrängt wurden, die Sturmlaternen schwenkten, die überall als Souvenir verkauft wurden, legte Michael seinen Arm um ihre Schultern. Er lächelte ihr gequält zu. „Touristen!" sagte er und verzog das Gesicht. Er umfasste ihre- Hüfte und drückte sie schützend an seinen großen geschmeidigen Körper. Es war eine natürliche Geste von Mann zu Frau, nichts Besitzergreifendes, und Lelia lehnte sich an ihn, sie war für seine Kraft, seinen schützenden Arm in der Menge dankbar. Es gelang ihnen schließlich, zwei Plätze auf einer der langen harten Holzbänke in der „Preservation Hall" zu ergattern. Die Musik swingte, es war der typische New Orleans Dixieland-Jazz, der den kleinen Raum mit seinem hinreißenden Rhythmus ausfüllte. Die Halle war überfüllt. Die Leute standen dicht gedrängt, klatschten und stampften mit den Füßen zu den wilden Klängen bekannter Melodien. Michael hielt Lelia fest und schützte sie vor der taumelnden, schreienden Menge. Einmal beugte er sich zu ihr herüber, um ihr etwas zu sagen, aber sie konnte wegen des Lärms nichts verstehen. Sie zuckte hilflos die Achseln, so dass er noch näher an ihr Ohr kam. „Geht es dir gut?" schrie er. Plötzlich spürte Lelia nur noch das raue Kinn an ihrem Gesicht, den warmen Atem an ihrem Ohr, den männlichen Duft seiner Haut. Sie schaute ihn an, ihre Gesichter berührten sich fast. Ihre Kehle war auf einmal wie zugeschnürt. Endlich lächelte sie und nickte, formte das Wort „Gut" mit ihren Lippen, so dass er verstand. Er lächelte zustimmend, beugte sich wieder vor und küsste sie sanft auf den Mund. Als sie eine Stunde später gingen, war Lelia wie betäubt, sowohl von der lauten Musik als auch von der Nähe zu Michael. Sie stolperte vor ihm aus der Halle, er hatte die Hände auf ihre Schultern gelegt und führte sie sicher auf die Straße. Draußen war es kälter, aber Lelia empfand es als eine wahre Wohltat, aus dem lauten verrauchten Raum herauszukommen. Michael grinste sie an. „Das war vielleicht eine Erfahrung", sagte er. Sie schwankte leicht, worauf er sie noch fester hielt. „Geht's?" Sie lächelte und fuhr sich durch die Haare. „Ich nehme es an. Ich bin solche Menschenmengen nicht gewohnt." Er runzelte die Stirn. „Nein, das weiß ich. Vielleicht hätte ich dich nicht hierher führen sollen." „O nein, sag das nicht", protestierte sie. „Ich wollte schon immer in die „Preservation Hall", aber mit Armand ..." Sie zuckte die Achseln. „Natürlich", sagte er knapp und nickte. Sie gingen jetzt in Richtung Chartres Street, und als er ihre Hand nahm, schien es ihr das Selbstverständlichste von der Welt zu sein. An ihrer Haustür zog Lelia den Schlüssel aus der Tasche und wandte sich schüchtern zu
Michael. Sie wollte ihn hineinbitten, aber sie war noch ein wenig ängstlich, mit ihm allein zu sein. Er nahm ihr den Schlüssel ab, schloss die Tür auf, drückte sie auf und gab ihr den Schlüssel zurück. „Es war ein wunderschöner Abend", brachte sie schließlich heraus. „Danke, Michael." „Ganz meinerseits", entgegnete er mit einer leichten Verbeugung. Sie sah ihm an, dass er mit sich kämpfte. Dann legte er eine Hand auf ihren Nacken, mit der anderen fasste er ihren Hinterkopf und beugte sich vor. Der Kuss war sanft, fast zaghaft, aber dann glitten seine Finger ihren Hals entlang, berührten den Ansatz ihrer Brust. Lelia hielt unwillkürlich die Luft an. Er hob den Kopf und zog seine Hände zurück. „Gute Nacht, Lelia", sagte er und drehte sich um. Sie sah ihm nach, verwirrt, dass er so plötzlich aufbrach, ging ins Haus und schloss die Tür. Ohne Licht zu machen, durchquerte sie den dunklen Salon zum Fenster, um die Vorhänge vorzuziehen. Sie sah Michael auf dem Gehweg vor dem Haus. Er zündete sich eine Zigarette an, und sie sah die klaren Linien seines Profils im Schein der Streichholzflamme. Während sie die Gardinen zuzog und eine Lampe einschaltete, hörte sie seine Schritte auf der Straße. Als sie ins Bett schlüpfte, dachte sie immer noch an Michaels Kuss. Es war zu kurz, dachte sie jetzt und fühlte ein Verlangen, das fast einem körperlichen Schmerz gleichkam.
10. KAPITEL In der nächsten Zeit sah Lelia Michael einmal in der Woche, manchmal öfters, wenn er nicht außerhalb der Stadt zu tun hatte. Gewöhnlich kam er am späten Nachmittag vorbei, und sie saßen im Hof bei einem Glas Limonade oder einer Tasse Kaffee. Am Wochenende gingen sie zum Essen, Tanzen oder zu einer Show. Während dieser sorglosen glücklichen Wochen wusste sie, dass Karen in der Stadt war. Es störte sie, obwohl Michael sich nichts aus der Anwesenheit des schönen blonden Mädchens in New Orleans zu machen schien. Sie fragte sich immer noch, wie wohl ihr Verhältnis war, aber sie konnte ihn nicht geradeheraus fragen. Wenn sie zusammen waren, wenn er sie leicht küsste, hatte sie manchmal das Verlangen, die Arme um ihn zu legen und ihn an sich zu drücken. Andererseits war sie für seine Zurückhaltung dankbar. Zurückhaltung? fragte sie sich. Oder war es mangelndes Interesse? Sie hatte ihn damals in der Küche abgewiesen und weggeschickt. In Karens Arme? fragte sie sich oft. Doch er war zurückgekommen. Er mochte sie sicher gern und genoss ihre Gesellschaft. Wenn Karen seine körperlichen Bedürfnisse befriedigte, wie sie annahm, dann war das der Grund dafür, dass er zu ihr auf Distanz blieb. Eines Nachts Ende September fuhren sie von einer Party in Charles' Haus am See zur Chartres Street zurück. Es war ein einfaches Barbecue gewesen, die letzte wunderschöne Gelegenheit des Sommers, draußen zu sein. Bald würde es kühler werden, und Lelia zitterte schon jetzt in ihrem leichten rückenfreien Oberteil. „Kalt?" fragte Michael. Er legte den Arm um sie, zog sie an sich, und seine Körperwärme tat ihr gut, als sie sich gemütlich an ihn kuschelte. Sie lächelte ihn an, und er drückte sie fester an sich. Ihre Schenkel berührten sich. Michael hatte eine Leinenhose und ein dunkelblaues Strickhemd an. Da zog er den Arm zurück, und Lelia fröstelte plötzlich. An ihrer Haustür nahm er ihr wie immer die Schlüssel ab. Er schloss auf, gab ihr den Schlüssel zurück, und sie erwartete den üblichen kurzen Gutenachtkuss. „Ich möchte heute Abend einen Moment hereinkommen, wenn ich darf, Lelia", sagte er leise. Sie reagierte überrascht auf den ernsten Ton seiner Stimme, dann lächelte sie. „Selbstverständlich." Er folgte ihr in den Salon. Sie zog die Vorhänge vor und machte das Licht an. „Setz dich, Michael. Möchtest du etwas trinken?" Er ging zu dem breiten Sofa und setzte sich, seine Augen waren auf sie gerichtet. „Nein. Jetzt nicht", erwiderte er und streckte die langen Beine von sich. „Komm, setz dich." Lelia zögerte. Der Tonfall seiner Stimme jagte ihr Angst ein. Er hörte sich an, als hätte er eine schlechte Nachricht zu überbringen. Wollte er fortgehen? Mit Karen weggehen? Langsam ging Lelia zur Couch und setzte sich neben Michael. Sie wartete atemlos darauf, dass er sprach. „Lelia, wir waren in den letzten Wochen ziemlich oft zusammen", begann er. „Ich habe dich immer gerne gesehen." Er machte eine Pause. „Ich denke ... ich hoffe ... du hast es auch genossen." „Ja, Michael. Sehr." Sie blieb still sitzen, ihre Hände auf dem Schoß gefaltet. „Ich habe mir um dich viel Gedanken gemacht", fuhr er düster fort. „Ich hoffe, ich habe dir auch etwas bedeutet." Ehe sie antworten konnte, strich er sich ungeduldig durch die Haare. „Zum Teufel", fluchte er leise. „Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Es ist das erste Mal für mich." Er starrte sie an und sagte einfach: „Ich liebe dich, Lelia. Ich möchte dich bitten, meine Frau zu werden." Ihre Augen wurden größer. „Deine Frau?" stieß sie schockiert aus. Sie wich zurück. „Ich
kann dich nicht heiraten. Das ist unmöglich. " Er packte sie an den Schultern und schüttelte sie. „Schön, was willst du dann?" fragte er eindringlich. „Möchtest du, dass ich ganz aus deinem Leben verschwinde? Ich möchte dir offen sagen, dass ich nicht länger Distanz zu dir wahren kann, Lelia!" Er stöhnte laut, dann wusste sie nur noch, dass er seinen Arm um sie gelegt hatte und sie an sich drückte. Er beugte sich zu ihr und küsste sie sehnsüchtig, so dass alle sorgfältig aufgebauten Schranken der vergangenen Wochen zusammenfielen. Die kühlen sanften Küsse von früher waren nichts gegen die ungestümen Empfindungen, die dieser Angriff in ihr auslöste. Ihre Lippen öffneten sich, und als seine Zunge vordrang, pochte ihr Blut heftig in ihren Adern. Ihr Widerstand erlahmte, seine Liebkosungen brachten sie fast um den Verstand, und sie schlang die Arme um ihn. Er streichelte erregt ihren nackten Rücken, ließ die Finger unter ihr Top gleiten, strich über ihren Körper bis zu ihren Brüsten. Er küsste sie nicht mehr, und sie spürte seinen rauen Atem an ihrem Ohr. „Lelia, wie habe ich mich nach dir gesehnt. Ich wollte dich so wie jetzt in den Armen halten. All die Wochen ..." Seine Stimme verlor sich, und er küsste sie inniger als zuvor. Sie reagierte instinktiv, atemlos vor Leidenschaft, als sei eine ungeheure Kraft in ihr verschlossen gewesen und würde plötzlich freigelassen. Er hatte einen Arm um ihren Nacken gelegt, mit dem anderen fasste er ihren Hals und drückte ihren Kopf auf die Sofakissen. Sie keuchte, umarmte ihn, als er ihr Oberteil aufknöpfte. Ihre Hände waren unter seinem Hemd, sie streichelte ungehindert über seinen festen muskulösen Rücken. Unter ihren Fingern spürte sie sein Herz pochen. Er schob das Oberteil zur Seite, und als seine Hände auf ihrer nackten Brust lagen, bog sie sich ihm entgegen. Sie lag da, ihren Kopf in die Kissen gedrückt, und gab sich ganz der Verzückung hin. Er hatte beide Hände auf ihrer Brust, und seine Daumen berührten sanft die dunklen Spitzen, so dass sie vor Sehnsucht stöhnte. Als er dann mit seinen gefühlvollen Händen die runde Fülle umfasste, küsste er zuerst die eine Rosenknospe, dann die andere. Er lag jetzt halb auf ihr, so dass sie sein Verlangen erahnte. „Ich liebe dich, Lelia", flüsterte er. „Ich liebe dich so sehr. Sag, dass du mich heiraten wirst. Ich möchte, dass du mir gehörst." Lelia fröstelte bei diesen Worten, ihre Leidenschaft erlosch. Ihm gehören! dachte sie. Niemals! Sie konnte es nicht. Nicht schon wieder. Sie zitterte und wandte den Kopf ab. „Tu das nicht!" bat er inständig und zwang sie, ihn wieder anzusehen. „Wende dich nicht einfach ab." Sie schaute ihn flehend an. „Ich kann dich nicht heiraten, Michael. Ich kann niemanden heiraten. Ich würde lieber sterben, als wieder jemandem zu gehören." Ihr wurde klar, dass er seine Wut nur mit größter Anstrengung unterdrücken konnte. „Lelia, ich bin nicht Armand." Er sprach jedes Wort langsam und deutlich aus. Sie fürchtete sich vor seinem kaum gezügelten Zorn, aber sie wollte auch standhaft bleiben. „Nein", stimmte sie zu, ihre Stimme war nur ein Flüstern. „Aber du tust das Gleiche wie er. Du willst mich besitzen." „Das ist nicht wahr!" stöhnte er. „Ich möchte dich nicht besitzen, ich will dich nur lieben." Als er dann ihr verängstigtes Gesicht sah, seufzte er und sah zur Seite. „Ich habe versucht, geduldig mit dir zu sein, Lelia. Ich habe Abstand gewahrt." Er sah sie an. „Ich wollte dir die Chance geben, mich kennen zu lernen und mir zu vertrauen. Und", fügte er sanft hinzu, „mich zu mögen." Sie biss sich auf die Lippen und schloss die Augen, es war ihr unmöglich zu sprechen. Selbstverständlich mochte sie ihn, zumal seine Berührung ihr Verlangen noch steigerte und seine Küsse ihren Puls zum Rasen brachten. Aber ihm gehören? Überhaupt wieder jemandem ganz und gar gehören? Das war einfach nicht möglich. Langsam zog er ihr Oberteil zusammen und knöpfte es zu. Selbst jetzt, als er leicht über
ihre Brust strich, spürte sie die Pfeile der Sehnsucht, aber sie wehrte sich dagegen. Er richtete sich auf, zog sie vorsichtig neben sich und zwang sie, ihm in die Augen zu schauen. „Ich frage dich noch einmal, Lelia. Willst du mich heiraten?" Sie wandte sich ab, weil es ihr unmöglich war, ihn anzusehen. „Ich kann nicht", flüsterte sie schluchzend. Er blieb lange völlig still neben ihr sitzen. Dann hörte sie, wie er tief seufzte, aufstand und fortging. Sie saß starr, unbeweglich, bis sich die Eingangstür hinter ihm schloss und seine Schritte auf der Straße zu hören waren. Jetzt erst weinte sie. „Michael", stöhnte sie laut. „0 Michael." Während der kommenden Wochen war der Schmerz über den Verlust zeitweise so groß, dass Lelia Angst hatte, völlig zusammenzubrechen. Sie hatte unter der Ehe mit Armand gelitten, aber das war angesichts der Höllenqualen, wenn sie an Michael dachte, nur ein schwacher Trost. Sie wusste, dass er meinte, was er sagte. Er hatte sie in jener Nacht zum letzten Mal gebeten, ihn zu heiraten, und sie hatte abgelehnt. Sie würde ihn niemals wieder sehen. Sie musste ihn aus ihrem Gedächtnis und Herzen verbannen. Eines Morgens Ende Oktober wurde sie von Madame Fiorini zum Kaffee eingeladen. Sie saßen in der Frühstücksecke der kleinen Küche, von wo man einen Blick auf den Hof hatte. Die Blätter fielen. Bald würde es Winter sein. „Gestatten Sie mir eine persönliche Bemerkung, Lelia", sagte Madame. „Sie sehen in letzter Zeit nicht sehr gut aus." Lelia schaute sie überrascht an. Es stimmte. Sie verspürte selten Appetit und schlief schlecht. „Vielleicht sollte ich Urlaub machen", entgegnete sie mit gequältem Lächeln. Ihre Stimme sollte leicht klingen. Madame sah sie mit einem kühlen, abschätzenden Blick über ihre Kaffeetasse hinweg an. „Vielleicht", murmelte sie. Beide schwiegen lange. Lelia sah zum Fenster hinaus und trank ihren Kaffee. „Ich habe Ihren charmanten Mr. Fielding schon lange nicht mehr gesehen", sagte Madame schließlich leichthin. „Hat er auswärts zu tun?" Bei der Erwähnung seines Namens kamen Lelia die Tränen. Sie konnte nichts dafür. Sie wandte sich Madame betroffen zu, die heißen Tränen liefen ihr ungehindert die Wangen hinunter. „O Madame", flüsterte sie, schlug die Hände vor das Gesicht und schluchzte bitterlich. Ohne ein Wort zu sagen, ließ Madame sie weinen. Lelia schien, als würde sie nie wieder aufhören können, aber schließlich tat sie es doch. Sie trocknete die Augen und putzte sich die Nase. „Es tut mir so Leid", sagte sie. „Ich weiß nicht, was mit mir los ist." „Wirklich nicht?" fragte Madame trocken. Sie reichte Lelia über den Tisch die Hand. „Warum erzählen Sie nicht?" Die Worte sprudelten förmlich aus Lelia heraus, über ihre Ehe mit Armand, seinen Tod, die Art, wie Michael in ihr Leben getreten war, ihre Reaktion auf ihn, und endlich das bittere Gefühl des Verlustes, nachdem er gegangen war. Als es vorbei war, fühlte sie sich zum ersten Mal seit Wochen wieder besser, weil sie ihre Last endlich mit jemandem geteilt hatte. Madame schwieg sehr lange. Dann erst fragte sie direkt nach. „Lieben Sie ihn?" „Ja", antwortete Lelia sofort. „Natürlich liebe ich ihn. Aber Armand habe ich auch geliebt." „Wie alt war Armand, als Sie ihn geheiratet haben?" „Zweiundzwanzig." „Und wie alt ist Mr. Fielding? Vierunddreißig, fünfunddreißig?" Lelia nickte. Sie verstand nicht. Was hatte das Alter damit zu tun? „Hören Sie, Lelia. Armand war ein verhätschelter Junge, als Sie ihn heirateten. Michael ist ein reifer Mann. Wenn er sagt, dass Sie ihm gehören sollen, versteht er darunter nicht das Gleiche wie Armand. Denken Sie einen Augenblick an die Geduld, die er gezeigt hat. Er
hat bewiesen, dass er auf Sie warten, Ihnen Zeit lassen kann. Im Gegenteil, er hat Ihnen eine gewaltige Macht über sich zugestanden. Sehen Sie nicht den Unterschied?" Lelia überlegte. „Sie mögen Recht haben", sagte sie schließlich teilnahmslos und ohne Hoffnung. „Aber es ist zu spät." Madame hob eine Augenbraue. „Wirklich? Er ist ein stolzer Mann, der sich vor Ihnen immer mehr erniedrigt hat. Ich stimme zu, dass er nicht wiederkommen wird. Aber was hindert Sie daran, zu ihm zu gehen?" Lelia starrte sie nur an, als ein kleiner Hoffnungsschimmer in ihr keimte. „Nichts", flüsterte sie schließlich. „Überhaupt nichts." Am späten Nachmittag ging Lelia langsam auf Michaels Haus in der Dauphine Street zu. Ihr Herz schlug so heftig, dass sie ernsthaft befürchtete, schwach zu werden, noch bevor sie die Haustür erreicht hatte. Nach dem Gespräch mit Madame heute Morgen hatte sie Stunden lang mit sich gerungen. Sie wusste jetzt, dass sie Michael liebte, wie sie Armand niemals geliebt hatte. Damals war sie ein furchtsames unerfahrenes Mädchen, das von Armands aristokratischem Charme überwältigt wurde. Jetzt war sie eine erwachsene Frau, die ihre Selbstständigkeit bewiesen hatte. Wenn Michael sie nun zurückwies, würde sie ihm keinen Vorwurf machen, aber sie würde sich nie verzeihen, wenn sie nicht doch noch einen Versuch unternommen hätte, ihn zurückzugewinnen. Sie stand vor der Eingangstür und nahm ihren Mut zusammen, um zu klingeln, als diese plötzlich aufgerissen wurde und Karen Swenson erschien. Lelias Mut sank. War sie zu spät gekommen? „Hallo, Lelia", sagte das blonde Mädchen herzlich. Dann betrachtete sie Lelia, bemerkte ihr Zögern und die geröteten Wangen. „Kommen Sie herein. Ich wollte gerade gehen." Sie machte die Tür noch weiter auf, und Lelia trat wie betäubt ein. „Michael", rief Karen nach hinten. „Hier ist jemand für dich." Sie wandte sich wieder an Lelia. „Entschuldigung, ich bin in Eile. Ich muss noch das Flugzeug bekommen. Schön, Sie wieder gesehen zu haben." Dann war sie fort. Lelia schloss leise die Tür hinter ihr und stand unschlüssig da. Da hörte sie Schritte hinter sich, drehte sich um und sah Michael auf sich zukommen. Er blieb wenige Meter vor ihr stehen und starrte sie an, die Arme hatte er vor der Brust verschränkt. „Hallo, Lelia", begrüßte er sie endlich. „Ich ..." begann sie unschlüssig. „Karen hat mich eingelassen. Sie sagte, sie wollte gerade gehen. Ich hoffe, ich habe nicht gestört." Er hob die Augenbrauen und ging langsam zu ihr, die ausdrucksvollen blauen Augen auf sie gerichtet. Nun stand er unmittelbar vor ihr, berührte sie fast. „Tatsache ist, Karen hat gerade ihren Job aufgegeben", sagte er kühl. „Ich verstehe. Tut mir Leid." Haben sie Streit gehabt? fragte sie sich verwundert. „Mir auch. Ich möchte sie nicht verlieren. Aber ich verstehe, dass ihre Ehe Vorrang hat." In seiner Stimme schwang eine Spur Bitterkeit mit. Sie musterte ihn rasch. Gilt mir die Bitterkeit? fragte sie sich, oder der Tatsache, dass er Karen verloren hat? Langes Schweigen. „Warum bist du gekommen, Lelia?" fragte er dann sanft. Sie beobachtete ihn. Sein Gesichtsausdruck war unergründlich. Er schien über das Wiedersehen nicht froh zu sein. War es falsch gewesen zu kommen? Plötzlich wusste sie nicht, ob sie nicht einen Narren aus sich machte. Wenn er sie abwies, wenn er Karen haben wollte, hatte sie es verdient. Sie wusste nur, dass sie ihn liebte. Sie hob das Kinn und atmete tief ein. „Michael, ich bin hier, um dir zu sagen, dass ich dich liebe und deine Frau werden möchte. Falls du deine Meinung nicht geändert hast." Einen Moment schwieg er. Dann sah sie, wie das Leuchten in seinen Augen strahlender wurde, und er machte den letzten Schritt zu ihr. „Meine Meinung geändert?" hauchte er schwach und berührte sie zärtlich und aufgeregt zugleich. „Niemals."
Zwei Wochen später wachte Lelia zum ersten Mal neben ihrem schlafenden Ehemann auf. Es dämmerte schon, und das Zimmer war noch dunkel. Sie hatten am Tage zuvor geheiratet, nur von Charles und Madame Fiorini begleitet. Sie stützte sich nun langsam, bedacht, ihn nicht zu stören, auf einen Ellbogen und schaute ihn an. Er lag auf dem Rücken, ein Arm über dem Gesicht, den anderen am Körper. Das dunkle Haar war zerzaust, und erbebend erinnerte sie sich an die vergangene Nacht. Erregende Wärme stieg in ihr auf, als sie an die Hochzeitsnacht dachte, und ihr Blick glitt von ihrem nackten Mann zum Bettzeug, das in der Liebesnacht heruntergefallen war. Sie wollte diese breiten Schultern und diese starke Brust berühren, den flachen Bauch und die festen Schenkel. Aber sie war immer noch schüchtern und wollte ihn nicht aufwecken. Vorsichtig setzte sie sich, beobachtete ihn und freute sich an seiner männlichen Schönheit. Sie merkte erst, dass er wach war, als sie seine leise neckende Stimme hörte. „Guten Morgen, Mrs. Fielding. Gefällt Ihnen die Aussicht?" Erschrocken sah sie weg. Sie fühlte sich ertappt, schlug die Hand unwillkürlich vor den Mund. Seine blauen Augen zwinkerten boshaft. Als er ihre Unsicherheit bemerkte, wurde er wieder ernst und streichelte beruhigend ihren Arm. „He, Liebling, alles in Ordnung. Es ist alles erlaubt." Er grinste. „Ich bin nicht schüchtern. Ich sehe dich gerne an. Warum solltest du nicht mich ansehen?" Das Grinsen wurde breiter. „Du kannst sogar anfassen, wenn du möchtest." „Michael!" protestierte sie errötend. „Du machst mich verlegen." „Du musst dich darüber hinwegsetzen", sagte er bestimmt. Er streichelte ihre Schultern und streifte die dünnen Träger ihres Nachthemds ab. „Übrigens", sagte er leise. „Du hast etwas Fesselndes an, es lässt der Vorstellungskraft nicht viel Raum." Er berührte ihre Brüste unter dem durchsichtigen Stoff. Sie seufzte tief und sah ihn an. „Habe ich dir letzte Nacht wehgetan, Liebling?" murmelte er. , „Ich hätte es wissen sollen, aber es war mir nicht klar, dass du noch völlig unberührt warst." Sie schmiegte sich an ihn. „Nur ein bisschen", sagte sie. „Ich hatte es mir schmerzhafter vorgestellt." Sein Arm lag um ihren Nacken, und er zog sie zu sich herunter, seine Hände streichelten ihren Rücken, ihre Taille, ihre Hüften. Er küsste sie innig, dann hielt er sie fest und flüsterte ihr ins Ohr. „Ich werde es dir beibringen", hauchte er. „Ich möchte, dass du den gleichen Spaß hast wie ich. Ich liebe dich so sehr." Lelia drängte sich wortlos an ihn. Sie war von ihrer Liebe zu ihm so überwältigt, dass ihr die Tränen in die Augen stiegen. Durch den dünnen Stoff ihres Nachthemdes spürte sie seine Erregung und merkte, dass Madame Recht gehabt hatte, als sie von ihrer Macht über ihn sprach. Er drehte sie auf den Rücken und zog ihr das Nachthemd aus. Dann streichelte er mit beiden Händen ihren Körper. Er küsste ihre Ohren, Nacken, Mund, die Mulde zwischen ihren Brüsten, erst die eine Knospe, dann die andere, bis Lelia aufstöhnte. Ihre zarten Hände begannen eine eigene Entdeckungsreise auf seinem harten muskulösen Körper. Diesmal tat es nicht weh, sondern es war eine zunehmende Spannung, ein Rauschen des Blutes, eine Explosion ... gekrönt von Wellen der Verzückung. Nachher lagen sie lange aneinander gekuschelt da, dann schliefen sie kurz ein. Als Lelia aufwachte, blickte Michael sie an. „Gut?" fragte er lächelnd. „Besser?" „Mm", murmelte sie, schmiegte sich an ihn und legte den Kopf an seine Schulter. „Schön", sagte er. Sein Kopf sank auf das Kissen zurück, und er streckte sich entspannt aus. „Es wird mit jedem Mal besser." Lelia verspürte bei seiner Bemerkung Eifersucht. Er hatte so viele Frauen kennen gelernt. Verglich er sie mit ihnen? Zum ersten Mal, seitdem sie ihm gesagt hatte, dass sie ihn
heiraten wollte, dachte sie an Karen. Warum war sie dort gewesen? Wie war ihre Beziehung? Sie redete sich ein, dass es jetzt keine Bedeutung mehr hätte, dass Michael sie liebte, mit ihr verheiratet war, aber die nagenden Zweifel blieben. Michael unterbrach sie in ihren Gedanken. „Warum runzelst du die Stirn, Liebling?" Sie hatte nicht gemerkt, dass man es ihr ansah, und sie bemühte sich zu lächeln, sie wollte ihn anlügen, ihn beruhigen. Doch dann dachte sie, ich kann es nicht. Es ist falsch. Ich kann Michael nicht anlügen und ihn so wie Armand behandeln. Sie hob die Hand und streichelte sein unrasiertes Gesicht. „Ich habe mir Gedanken über dich gemacht, Michael." „Was ist mit mir?" fragte er. Er nahm ihre Hand und küsste die Handfläche. „Ich bin hingerissen, berauscht, überglücklich. Was will ich mehr?" „Du bist also nicht enttäuscht?" „Enttäuscht! Keine Spur." Er erhob sich und sah sie eindringlich an. „He, was soll das?" Sie drehte sich zur Seite, aber er fasste ihr Kinn und zwang sie, ihm ins Gesicht zu sehen. „Sag es mir, Lelia. Du darfst vor mir keine Geheimnisse haben." Sie überlegte, dann wagte sie es. „Gut. Ich habe an deine früheren Frauen gedacht. Vor allem an Karen", fügte sie verhalten hinzu. Er sah erstaunt aus. „Karen! Mit Karen war nichts." „Ich dachte ..." Sie brach ab. „Du weißt, was ich meine. Ihr wart so oft zusammen und schient sehr vertraut miteinander zu sein." „Nur beruflich und als Freunde", sagte er bestimmt. „Sie und Gary hatten manchmal Probleme, und sie brauchte eine Schulter, an der sie sich ausweinen konnte. Letztendlich hatte sie zwischen ihrer Ehe und ihrem Job zu wählen. Sie wählte die Ehe, mit meinem Segen darf ich hinzufügen, auch wenn ich sie ungern verliere. Sie machte ihren Job sehr gut." , Lelia seufzte glücklich. Alles war gut. „Es tut mir Leid, Michael", sagte sie. „Ich hätte es wissen müssen." „Gut, jetzt weißt du es." Er küsste sie auf die Nasenspitze. „Ich hatte dir erzählt, dass ich nicht enthaltsam gelebt habe, aber seitdem ich dich kenne, gibt es für mich keine andere Frau mehr." Er küsste sie heftig. „Du musst jetzt mit mir auskommen, Mrs. Fielding, ein Leben lang." Ein Leben lang, dachte sie selig und küsste ihn innig.
-ENDE -