Atlan - Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 840 Die Schwarzen Sternenbrüder
Versteck im Dakkarraum von Falk-Ingo Klee Das G...
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Atlan - Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 840 Die Schwarzen Sternenbrüder
Versteck im Dakkarraum von Falk-Ingo Klee Das Geheimnis der Dimensionsdivergenzer Nach der großen Wende in Manam-Turu haben sich Atlan und seine Gefährten anderen Zielen zuwenden können, die sie in die Galaxis Alkordoom führen, in der der Arkonide bekanntlich schon zugange war. Fartuloon, Lehrmeister des Kristallprinzen Atlan, gelangt ebenfalls nach Alkordoom, wo der Calurier wiederum als Sternentramp Colemayn in Erscheinung tritt. Bis Ende Januar 3821 operieren die beiden Freunde getrennt. Atlan und Co. bestehen ihre gefahrvollen Abenteuer zumeist in der Zeitfestung mit dem Intern-Kosmos und den Zeitgrüften, Colemayn mit seinen Gefährten dagegen in der Sonnensteppe und im Nukleus von Alkordoom. Nun, im Februar, bringt Chybrain, der eben erst unsere Helden aus dem Zeitsumpf herausgeholt hat, die Dinge in Bewegung, und als Folge davon gelangen Colemayns HORNISSE, Atlans STERNSCHNUPPE und Spooner Richardsons ACORAH-CEN durch die Barrieren des Nukleus, um die Suche nach den Alkordern zu betreiben. Dabei kommt es zur Entführung Atlans, zu entscheidenden Entdeckungen – und zu erbitterten Kämpfen mit den Schwarzen Sternenbrüdern und ihren Helfern. Schließlich muß die ACORAH-CEN vor den Verfolgern flüchten – in das VERSTECK IM DAKKARRAUM …
Die Hauptpersonen des Romans: Geselle - Der Roboter reizt seinen »Vater« bis aufs Blut. Jododoom - Der Alkorder vermißt seine Gefährtin. Sarah Briggs und Spooner Richardson - Die Celester scheinen etwas füreinander zu empfinden. Chris Guhnard - Eine Celesterin, die »Mutterfreuden« entgegensieht. Temtemtuum - Ratsoberhaupt von Donalkor.
1. Seit nunmehr achtundvierzig Stunden hatten wir nichts mehr von Colemayn und der HORNISSE gehört, in sechs Tagen wollten wir uns an einem vereinbarten Koordinatenpunkt wieder treffen. Ob er im Nukleat eine Spur von Atlan finden würde, wie er vermutete? Ich hatte mich ihm nicht angeschlossen, da ich den Arkoniden in guten Händen glaubte, dagegen begleitete Jodokat den Sternentramp. Ein bißchen vermißte ich meinen Ziehvater, doch das belastete meinen Gemütszustand nicht ernsthaft. Anders dagegen Jododoom. Der Alkorder konnte die Trennung von seiner Gefährtin nur schlecht verwinden und beklagte bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit ihre Abwesenheit. Nun war das ja kein Abschied für immer, trotzdem tat mir der kleine Kerl leid. Vermutlich litt er zudem darunter, daß sein Erinnerungsvermögen noch immer lückenhaft war und nicht alle Informationen abrufbar waren. Weitere Erlebnisse und Begegnungen – Schlüsselszenen, wie er es nannte – konnten nach seinem Dafürhalten helfen, diese geistigen Barrieren einzureißen. Damit konnte ich ihm allerdings nicht dienen, denn meine Nachforschungen waren bisher im Sande verlaufen. Schon seit zwei Tagen kreuzte die ACORAH-CEN mit der angekoppelten STERNSCHNUPPE im Nukleus, ohne daß uns das zu neuen Fakten verholfen hätte. Die einzige Erkenntnis, die wir gewannen, war eher deprimierend: Auch hier war man vor den Häschern der Schwarzen
Sternenbrüder nie sicher. Mehrmals war es zu Begegnungen mit feindlichen Einheiten und überlegenen Flottenverbänden gekommen, und uns blieb keine andere Wahl, als Reißaus zu nehmen. Entsprechend vorsichtig operierten wir nun und konnten dennoch nicht verhindern, daß wir aufgespürt und überraschend angegriffen wurden. Dank der starken Defensivbewaffnung des Raumers konnten wir jedoch allen Überfällen bisher mit heiler Haut entkommen. Positiv war anzumerken, daß Spooner Richardsons Leute das Schiff inzwischen fast vollständig beherrschten. Die Positronik der ACORAH-CEN zeigte sich kooperativ und hilfsbereit, jede Anordnung der Celester wurde angenommen und befolgt. Ihre Systeme beobachteten nicht nur den Nukleus, sondern lauschten per Hyperfunk auch in das Nukleat hinein. Verwertbare Ergebnisse hatten wir allerdings nicht erhalten. Wenn Colemayn unter ähnlich widrigen Umständen operierte, würden wir uns wieder treffen, wahrscheinlich ohne einen Schritt weitergekommen zu sein. Wer mich kennt, weiß, daß ich nicht der Typ bin, der einfach aufgibt. Auch Hage Nockemann gehörte nicht zu den Pessimisten, die schicksalsergeben die Hände in den Schoß legen. Da Jododoom regelrecht danach lechzte, an Einsätzen mitzuwirken, um seinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen, betätigten wir uns als Handwerker und bauten eine Art Paladin. Zwar war es zweifelhaft, ob wir überhaupt etwas fanden, was unserer Sache dienlich war, aber falls es dazu kam, mußte der verwundbare Zwerg optimal geschützt und ausgerüstet werden. Der Raum, den wir mit Beschlag belegt hatten, war ein Mittelding aus Labor und Werkstatt, nicht mehr als zwanzig Quadratmeter groß, doch hervorragend ausgerüstet. Vor uns auf dem Tisch lag die Hülle eines mannsgroßen Roboters, an dem der Solaner und ich gemeinsam herumwerkelten, um ihn so zu präparieren, daß er den Alkorder nicht nur aufnehmen, sondern auch von ihm gesteuert werden konnte. Atlan hatte mir von dem siganesischen
Thunderbolt-Team erzählt, aber da wir es nicht mit einem Däumling zu tun hatten, schied diese Lösung aus. Aus den Augenwinkeln heraus beobachtete ich den Wissenschaftler. Er war ganz in seine Arbeit versunken und schraubte verbissen an einem winzigen Elektromotor herum. »Ist dir eigentlich an Sarah Briggs etwas aufgefallen?« Nockemann ließ das Werkzeug sinken und bedachte mich mit einem merkwürdigen Blick. »Seit wann interessierst du dich für Weiber, Kerl?« »Mein Interesse ist rein sachlicher Natur, Chef.« »Notgedrungen.« Der Scientologe kicherte albern. »Als Mann hast du ihr nämlich nichts zu bieten.« »Wie kann man nur eine so schmutzige Phantasie haben?« Mißbilligend schüttelte ich den Kopf. »Du solltest dich schämen. Da mimst du in der Öffentlichkeit immer den Moralapostel, dabei erweckt schon eine harmlose Bemerkung in dir schlüpfrige Gedanken.« »Diese Unterstellung ist eine bodenlose Frechheit«, erregte sich Hage. »Mein Verstand ist logisch orientiert und bewegt sich ausschließlich in wissenschaftlichen Bahnen. Wer hat denn mit den Ferkeleien angefangen, du Nargileh?« »Das ist nun wirklich ein starkes Stück. Ich habe lediglich … Was ist ›Nargileh‹ überhaupt?« »Eine orientalische Wasserpfeife, du Halbtrottel.« Natürlich – eine Beleidigung. Was war von ihm auch schon anderes zu erwarten? In Situationen wie dieser kamen mir ernsthafte Zweifel, ob es richtig gewesen war, ihn zu klonen. »Können wir nun mit der Arbeit fortfahren, oder willst du noch mehr Obszönitäten zum besten geben?« Manchmal war er wirklich unerträglich. Am liebsten hätte ich ihm einen Tritt vors Schienbein gegeben. »Ich habe dich lediglich gefragt, ob dir an Sarahs Verhalten etwas aufgefallen ist. Was ist daran unanständig?«
Nockemann sah mich treuherzig an. »Nichts. Was soll ich bemerkt haben?« Innerlich schäumte ich. Dieses SOL-Fossil brachte mich noch zur Weißglut mit seiner gespielten Naivität und seiner Wortverdreherei. »Du bist ein ausgesprochenes Ekel.« »Und du ein Vollidiot der Güteklasse 1!« schnauzte der Solaner. »Was ist nun mit der Frau?« Sollte ich es ihm sagen oder ließ ich ihn dumm sterben? Niemand konnte es mir übelnehmen, wenn ich mich jetzt in den Schmollwinkel zurückzog, andererseits drängte es mich, meine Neuigkeit loszuwerden. Da der Klügere ohnehin nachgibt, beschloß ich, ihn aufzuklären. »Zwischen Sarah und Spooner scheint sich etwas anzubahnen.« »Ach!« Nockemann machte ein überraschtes Gesicht. »Ich dachte, sie wäre auf Atlan fixiert.« »Vermutlich hat sie nach den letzten Ereignissen erkannt, daß sie ihn nicht für sich gewinnen kann.« »Der Arkonide ist ja auch viel zu alt für das Mädchen.« Hage lachte meckernd. »Er könnte schließlich ihr Ur-Ur-Ur-Ur-Großvater oder noch uriger sein.« »Biologisch gesehen, befindet er sich dank des Zellaktivators in den besten Jahren.« »Das weiß ich selbst, Blechnarr. Es sollte ein Scherz sein.« »Bei deinem Humorverständnis mußt du das vorher ankündigen«, gab ich bissig zurück. »Jeder andere hätte das bemerkt, aber du mit deinem unterbelichteten Oberstübchen …« Der Solaner tippte sich bezeichnend an die Stirn. »Wer hat dir eigentlich erzählt, daß die beiden zarte Bande knüpfen?« »Keiner, denn ich habe Augen im Kopf. Wenn sie sich unbeobachtet fühlen, halten sie Händchen. Und dann diese Blicke, die sie sich gegenseitig zuwerfen.« »Komisch, das habe ich noch gar nicht bemerkt. Na ja, mögen sie
miteinander glücklich werden. Los, Geselle, wir müssen Jododooms Trojanisches Pferd zusammenbasteln.« Das war typisch für ihn, sofort wieder zur Tagesordnung überzugehen. Ich, ein Roboter, erkannte das aufkeimende Pflänzchen der Liebe sofort, Hage, ein Wesen aus Fleisch und Blut, übersah solche zwischenmenschlichen Beziehungen einfach, er war für Gefühle blind und taub. Der knochentrockene Bursche taugte wirklich nur zum forschenden Wissenschaftler. Lautlos seufzend nahm ich die unterbrochene Arbeit wieder auf, doch dann dröhnte Ortungsalarm durch das Schiff. Ich ließ die Rüstung des Alkorders Rüstung sein und lief zum Ausgang. »He, wo willst du hin?« »In die Zentrale. Vielleicht werde ich gebraucht.« »Unsinn, du willst dich nur drücken, du Faulpelz!« zeterte Nockemann. »Du bleibst hier und hilfst mir!« »Später – falls wir den Angriff überstehen sollten!« Ich zwängte mich durch das aufgleitende Schott und rannte davon, verfolgt von wilden Drohungen und wüsten Beschimpfungen meines Scientologen-Partners.
* Kaum, daß ich das Kommandozentrum betreten hatte, erschütterte eine Serie von rasch aufeinanderfolgenden Treffern die ACORAHCEN. Ein schneller Blick auf die Orterschirme zeigte mir, daß wir es mit den hinlänglich bekannten Raumern zu tun hatten, wie sie die Helfer der Schwarzen Sternenbrüder benutzten. Diesmal waren sie jedoch sehr massiert aufgetaucht. Einer Einblendung war zu entnehmen, daß uns sechsunddreißig Einheiten im geschlossenen Verband attackierten. Trotz seiner unbestreitbaren Qualitäten war das Alkorder-Schiff einer solchen Übermacht nicht gewachsen. Richardson hatte das ebenfalls erkannt. Die Energieerzeuger liefen
auf der Vollaststufe, die Triebwerke waren auf Maximalschub hochgefahren worden und katapultierten die ACORAH-CEN durch den Leerraum, verfolgt von der wild feuernden Meute der Angreifer. Ein leichtes Vibrieren durchlief den Raumer, als seine Defensivsysteme mehrere Salven gleichzeitig abwehren mußten. Unvorstellbare Energien wurden schlagartig freigesetzt und tobten wie Orkangewitter durch die Schutzschirme, grelle Blitze und gleißende Kunstsonnen zerrissen das All, ein Schlund aus elementarer Glut und vernichtenden Strahlen drohte das Schiff zu verschlingen. Noch war die kritische Belastung der Abwehrfelder nicht erreicht, aber der Gegner setzte nach. Ein Meer aus Flammen hüllte das Schiff erneut ein, Turbulenzen beutelten es wie einen Dampfer bei Seegang. Ich schien der einzige zu sein, der es spürte. Was mich jedesmal aufs neue beeindruckte, war der Ablauf selbst in gefährlichen Situationen. Keine lauten Kommandos, keine sich überschlagenden Befehle, kein Antreiben zur Eile, jeder Handgriff saß, von Hektik keine Spur. Das lag zum einen sicherlich daran, daß die Celester und vor allem ihr Kommandant Spooner Richardson besonnene Leute waren, die wußten, was der alkordische Raumer zu leisten vermochte, zum anderen waren wohl die Roboter der Stammbesatzung dafür verantwortlich. Sie kannten keine Hast, ihr Vertrauen in die Positronik, drohende Gefahren abzuwenden, war wie bei allen Maschinen unbegrenzt. Ob Alarm oder Routine – sie taten unbeirrt ihren Dienst. Vermutlich hatte dieses emotionslose Handeln der Automaten ein wenig auf die Terra-Abkömmlinge abgefärbt. Man sah die Anspannung in den Gesichtern, Verbissenheit, Nervosität und auch unterschwellige Furcht, aber es herrschte keine Aufregung im eigentlichen Sinn. »Fluchtgeschwindigkeit erreicht!« »Überlichtetappe!« Die Feuerlanzen, die eben noch auf die ACORAH-CEN zurasten, verschwanden ebenso übergangslos wie die Verfolger. Auf den Bildschirmen zeigte sich das wesenlose Wallen des Kontinuums, in
das unser Raumer nun eingedrungen war. Mit millionenfacher Lichtgeschwindigkeit eilte er einem Ziel entgegen, das ich nicht kannte. »Wir haben es wieder einmal geschafft«, sagte Sarah Briggs erleichtert und bedachte Spooner mit einem gefühlvollen Blick. »Du hast die richtige Entscheidung getroffen.« Donnerwetter, das war ja beinahe so etwas wie eine verschlüsselte Liebeserklärung, denn jeder, der seine fünf Sinne beisammen hatte, hätte nicht anders gehandelt als Richardson – nicht anders handeln können. Die attraktive Maid mußte ziemlich in Flammen stehen, wenn sie eine Selbstverständlichkeit als außergewöhnliche Tat einstufte. Auch ihre Mimik sprach Bände. Nicht schlichte Dankbarkeit drückte ihr Gesicht aus, sondern Zärtlichkeit. Das Gesicht des Celesters entspannte sich, wurde gelöst und weich, als er die junge Frau ansah und ihr aufmunternd zunickte. Kein Zweifel, ihn hatte ebenfalls Amors Pfeil getroffen. Noch versuchten sie wohl, ihre gegenseitige Zuneigung vor den anderen zu verbergen, doch ich war meiner Sache sicher: Die beiden würden ein Paar. Auch ich wurde wieder Teil eines Paares – meine schlechtere Hälfte stürmte schnaufend in den Raum und baute sich drohend vor mir auf. »Wie ich sehe, konnte sich die ACORAH-CEN absetzen«, grollte mein geistiger Vater. »War das dein Werk, Geselle?« »Nein. Habe ich das behauptet?« »Werde nicht frech, du Tunichtgut. Dein Erscheinen hier war überhaupt nicht erforderlich.« »O doch. Allein schon meine bloße Anwesenheit wurde von der Mannschaft als moralische Aufrüstung empfunden.« Nockemann quollen fast die Augen aus den Höhlen, er schnappte nach Luft und stieß unverständliche Laute aus, sein Gesicht nahm die liebliche Färbung einer reifen Tomate an. Da ich nicht wußte, ob das nur ein Ausdruck von Wut war oder ein Erstickungsanfall
infolge von Sauerstoffmangel, klopfte ich ihm fürsorglich den Rücken. Selbstverständlich taugten keine Liebkosungen dazu, das vegetative Nervensystem an seine Aufgabe zu erinnern, es war schon eine feste Hand erforderlich, um den Atemreflex ins Lot zu bringen. Mit einem Aufschrei ging der Solaner in die Knie, röchelte ausgiebig und kam heiser krächzend wieder in die Höhe. Schon hatte er seine alte Schrumpfgermanen-Größe erreicht, ein kräftiges Babyrosa zierte jetzt sein Antlitz. »Das mit der Gymnastik war ein guter Einfall«, lobte ich ihn. »So kommt die unterbrochene Blutversorgung wieder ordentlich in Gang.« Der Wissenschaftler hustete so erbarmungswürdig wie ein Kettenraucher auf dem Holzkohlengrill. »Du Unhold hast mir beinahe die Lunge aus dem Leib geprügelt«, japste Hage zwischen zwei Hustenanfällen. »Das war vorsätzliche Körperverletzung.« Wie immer übertrieb er natürlich schamlos, doch er dauerte mich. Selbstlos wollte ich ihm zu Hilfe eilen und erneut die Klopfmethode anwenden, aber er wich zurück und hob abwehrend die Hände. »Weiche von mir, Satan!« Na also, er zitierte bereits wieder, also befand er sich auf dem Weg der Besserung. Als ich in seine Augen sah, revidierte ich meine Meinung allerdings sofort – Mordlust glitzerte in den Pupillen, und sie galt mir. Da war es gesünder, das Weite zu suchen. »Mein Name ist Gummi, ich ziehe mich zurück«, verkündete ich und eilte zum Schott. »Ich bin im Werklabor zu finden und stelle den Roboter fertig.« »Ich komme nach und mache dich fertig«, giftete Nockemann, nun wieder bei Puste und Stimme. »Du wirst gerädert und gevierteilt, eingestampft und kleingehackt, ich mache aus dir Spucknäpfe und Nasenringe, du mörderischer Metallnarr! Hirnloser Prügler, Trottel, Schaltkreis-Geier …« Er verstummte abrupt. Gemeinhin bedeutete das, daß ihm die
Titulierungen ausgegangen waren, doch diesmal mußte es einen anderen Grund geben. Wie hypnotisiert starrte er auf einen Punkt, auf seinem Gesicht zeichnete sich fassungsloses Staunen ab. Auch Richardson und die anderen anwesenden Celester zeigten diesen Ausdruck und fixierten die gleiche Stelle. Ich drehte den Kopf – und war nicht minder verblüfft als meine menschlichen Freunde. Aus dem Nichts heraus war mitten im Raum eine Holografie entstanden. Sie zeigte Atlan in seiner Kampfmontur und Chybrain in seiner Originalgestalt. Wie es um das farbige Ei bestellt war, konnte ich logischerweise nicht erkennen, doch der Arkonide schien guter Dinge und bei ausgezeichneter Gesundheit zu sein. Die beiden befanden sich in einer transparenten, etwa fünf Meter durchmessenden Kugel, die durch einen unbekannten Raum raste, auch das Ziel der Sphäre war nicht zu erkennen. Alles vollführte sich in gespenstischer Lautlosigkeit. In einem Sechseck auf der Oberfläche Chybrains blitzten mit atemberaubender Geschwindigkeit kurze optische Signale auf. Die Symbolfolgen konnte kein organisches Auge auseinanderhalten, allenfalls eine Hochgeschwindigkeitskamera – und ich. Wenige Sekunden nach dem letzten Aufblenden verschwand das Bild. Alle standen noch ganz unter dem Eindruck des unerwarteten Ereignisses, aber ich hatte alles sofort verarbeitet und bereits meine Schlüsse gezogen. Mit bedeutungsschwerer Stimme sagte ich in die fast greifbare Stille hinein: »Ich habe die Botschaft entschlüsseln können.« Schlagartig stand ich im Mittelpunkt des Interesses. Köpfe ruckten wie von Schnüren gezogen herum, zahlreiche Augenpaare musterten mich. Grübeln und Nachdenklichkeit in den Mienen wich Überraschung und wacher Aufmerksamkeit. Besonders schmeichelte mir, daß sogar der Solaner an meinen Lippen hing, ohne mich zu schmähen. »Die beiden haben uns etwas mitteilen wollen. Daß sie es nicht akustisch taten, hat meiner Meinung nach einen guten Grund: Sie
müssen sich tarnen, um sich nicht selbst zu verraten.« Ich machte eine Kunstpause, um die Spannung zu erhöhen. »Es ist …« Zu meinem Leidwesen hatte Hage wohl immer noch das Gefühl, sein Mütchen an mir kühlen zu müssen, gleichzeitig wollte er vermutlich unterstreichen, daß er jeder Situation gewachsen und sein Intellekt überragend war. »Komm endlich zur Sache und spiele dich nicht als Verkünder auf«, unterbrach er mich barsch. »Welche Information glaubst du erkannt zu haben?« »Da mir Mißgunst fremd ist, bin ich über alle Zweifel erhaben«, gab ich würdevoll zur Antwort. »Im Gegensatz zu manch anderem Zeitgenossen muß ich nicht mit Spekulationen aufwarten, um mich interessant zu machen, ich habe Fakten zur Verfügung.« »Dann spuck sie endlich aus!« zeterte der einstige GalaktoGenetiker. »Oder hast du wieder einmal den Mund zu voll genommen?« »Chybrains Signale übermittelten einen Koordinatensatz, dessen Ziel im Nukleus liegt«, dehnte ich genüßlich. »Glaubst du mir nun, Chef?« Nockemann schluckte, mochte sich aber dennoch noch nicht geschlagen geben, weil er es nur schlecht verkraftete, daß ich mehr wußte als er. Da er sich den anderen gegenüber jedoch keine Blöße geben wollte, versuchte er seine Niederlage zu kaschieren und rang sich ein gequältes Lächeln ab, während er sich geistig vermutlich heftig in den Hintern biß. Allein der Gedanke daran erfreute mich. Hage mußte wissen, über welch zähes Sitzfleisch er verfügte, und wenn er trotzdem seine Mundwerkzeuge in das verlängerte Rückgrat schlug – prost Mahlzeit. »Fein, daß du das herausgefunden hast, Geselle. Aber weißt du auch, was uns dort erwartet?« »Du kannst dir deinen Zynismus sparen. Ich bin weder das Orakel von Delphi noch ein wandelnder Sternenkartentank. Aber die Antwort findet sich bestimmt in den Speichern der ACORAH-
CEN.« Im Bewußtsein, die wichtigste Person in dieser Runde zu sein, begab ich mich zu einem Terminal und gab über die Tastatur die Koordinaten an den Rechner weiter. Die Datenauswertung erfolgte umgehend. »An dem bezeichneten Ort befindet sich ein Sonnensystem ohne Eigenname«, meldete die Positronik. »Es trägt die Katalognummer B-351-K-907 und ist völlig unbewohnt.« Auf dem Bildschirm leuchtete eine Grafik auf, die eine räumliche Darstellung zeigte. Danach stand der abgefragte Stern nur einhundertachtundsechzig Lichtjahre innerhalb der Barriere 2, etwa zwischen dem Ursprungsort des Jet-Strahls und der gedachten Linie zwischen APSIDION und Barriere 1. »Eine interessante Position«, murmelte Richardson. »Eher eine gefährliche«, meinte Chris Guhnard, eine junge zierliche Celesterin mit dunklem Lockenhaar, die von Haus aus Datensystem-Analytikerin und außerdem ausgebildete Funkspezialistin war. »Stimmt«, pflichtete Sarah Briggs ihr bei. »Es könnte sich um eine neue Falle der Schwarzen Sternenbrüder handeln.« »Unsinn.« Nockemann zwirbelte erregt seinen Bart. »Um uns mit Chybrain und Atlan zu ködern, hätte es nicht eines solchen Aufwands und dieser Geheimnistuerei bedurft. Ein akustischer Hinweis, ein verstümmelter Hilferuf aus dem Äther oder ein anderer Trick hätten uns ebenfalls aus der Reserve gelockt. Habe ich recht?« »Ja, doch wissen das auch die Sternenbrüder?« »Meine liebe Sarah«, Hage hob dozierend den rechten Zeigefinger, »man kann diesen Fieslingen alles nachsagen, aber dumm sind sie bestimmt nicht. Es gehört nicht viel dazu, um zu erkennen, daß der Arkonide zwar eine Kämpfernatur ist, zugleich jedoch einen ausgeprägten Hang zum Samaritertum besitzt. Wir als seine Freunde und Verbündeten müssen also zumindest eine ähnliche
Einstellung haben, um seinen moralischen Vorstellungen gerecht zu werden. Ein Arzt holt sich keine Killer und Schläger als Krankenpfleger ins Haus.« »Die Charakterisierung war sehr treffend«, erkannte ich neidlos an. Der Solaner musterte mich mißtrauisch. Offensichtlich war ihm ein Lob aus meinem Mund suspekt, aber er ging nicht auf meine Bemerkung ein und fuhr fort: »Völlig unklar ist allerdings, wieso uns die beiden auf die Fährte lenken wollen. Haben sie eine heiße Spur, die sie selbst nicht verfolgen können, weil sie durch irgendwelche Umstände davon abgehalten werden? Kann in diesem Sonnensystem möglicherweise nur die ACORAH-CEN etwas ausrichten?« »Wie man sieht, gibt es Fragen über Fragen, doch die Antwort finden wir nur im Beka-System«, sagte ich lautstark und schnitt Nockemann das Wort ab, bevor er allzusehr ins Theoretisieren kam. Ich kannte das: Er diskutierte über die Antriebstechnik von Raumschiffen, ließ sich dann über mathematische Formeln aus und referierte am Schluß über die Intelligenz staatenbildender Insekten. »Wir sollten Chybrains Information Folge leisten und uns diesen Stern einmal ansehen.« »Ich hätte große Lust, dich vorlauten Deppen zu würgen«, zischte der Galakto-Genetiker. »Irgendwann werfe ich dich den Schwarzen Sternenbrüdern noch zum Fraß vor.« »Das ist eine gute Idee«, gab ich ebenso leise zurück. »Bisher ist nämlich jeder, der mich zu schlucken versuchte, daran erstickt. Damit wären wir die Bedrohung auf einen Schlag los, ChefWürger.« Hage schwieg. Ob aus Verbitterung oder mangelnder Schlagfertigkeit, ließ ich dahingestellt. Seine mahlenden Kiefer und angeschwollenen Adern verrieten allerdings einiges über seinen Gemütszustand – er hatte die innere Kochstufe erreicht und schmorte jetzt im eigenen Saft.
Unauffällig blickte ich mich um. Man besprach sich und diskutierte. Anscheinend war den Anwesenden unsere kleine Unterhaltung entgangen oder man hatte dem trauten Zwiegespräch keine Beachtung geschenkt. »Ich unterstütze Geselles Vorschlag uneingeschränkt«, erklärte Jododoom mit fester Stimme. Einigermaßen überrascht sah ich den kleinen Kerl an. Mit so lebhafter Zustimmung von seiner Seite hatte ich eigentlich nicht gerechnet, denn gemeinhin gab sich der Alkorder eher zurückhaltend und scheu. Was veranlaßte ihn, so offen Partei zu ergreifen und sich so deutlich wie kaum zuvor zu artikulieren? Hoffte er, seinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen und wieder eine geistige Sperre niederreißen zu können? Ihn danach zu fragen, war müßig, denn er war nicht der Typ, der sich vorbehaltlos offenbarte. Auch unter den Celestern zeichnete sich eine deutliche Mehrheit für meinen Plan ab. Voller Genugtuung vernahm ich Spooner Richardsons Worte: »Wir fliegen zum Beka-System!«
2. In kurzen Linearetappen hatte sich die ACORAH-CEN ihrem Ziel genähert. Bei Orientierungsaustritten waren wir mehrmals in Kämpfe mit feindlichen Einheiten verwickelt worden, hatten die Überfälle jedoch unbeschadet überstanden und waren ziemlich sicher, etwaige Verfolger abgeschüttelt zu haben. Hage und ich hatten die Zeit genutzt, um den Roboter für Jododoom fertigzustellen. Nun hielten wir uns in der Zentrale auf. Behutsam näherte sich das Schiff den angegebenen Koordinaten. Es war nicht völlig auszuschließen, daß es doch eine Falle der Schwarzen Sternenbrüder war, und Vorsicht ist besser als Nachsicht. Alle aktiven und passiven Ortersysteme tasteten den
Raum ab und lauschten ins All hinaus, ohne Bedrohungen ausmachen zu können. Die Geschwindigkeit des Raumers war auf 95000 km/sec gedrosselt worden. Auf dem Hauptbildschirm zeichnete sich die rechnergestützte Darstellung eines Sternensystems ab. Bei dem Gestirn handelte es sich um eine blaue Riesensonne, die von zwei übergroßen Trabanten umkreist wurde. Der Abstand zur Bahn des äußeren Planeten betrug noch mehr als vier Lichtminuten und schrumpfte infolge unserer geringen Schubleistung kaum merklich. Erste Daten kamen herein und wurden eingeblendet. Energieemissionen konnten nicht angemessen werden, auch keine fremden Peilimpulse oder Streustrahlung. In dieser Hinsicht waren die Himmelskörper tot – und völlig lebensfeindlich dazu. Die Äquatortemperatur von Beka-1 lag bei minus zweiundsiebzig Grad, die von Beka-2 gar bei 114. Die Atmosphäre beider Planeten bestand überwiegend aus Wasserstoff, enthielt auch geringe Anteile von Kohlendioxid, Stickstoff und Sauerstoff sowie Spuren anderer Elemente. Für den menschlichen Organismus war dieser Gascocktail jedenfalls pures Gift. Wasser mußte vorhanden sein, allerdings nicht in seinem eigentlichen Aggregatzustand. Wenn es Meere gab, waren sie zugefroren und lagen unter einem dicken Eispanzer wie das Land selbst. Es gab Gebirge, bedeckt mit Firn, hier und da ragten felsige Erhebungen aus der trostlosen Schneelandschaft. Biologisches Leben existierte dort unten nicht, weder Pflanzen noch Tiere. Selbst Moose und Flechten gediehen unter solch extremen Bedingungen nicht. »Öd-System wäre ein besserer Name als Beka-System«, brummte Nockemann. »Weiß der Teufel, was sich Chybrain dabei gedacht hat, uns in diese gottverlassene Gegend zu schicken.« Ich verstand seine Enttäuschung, denn offensichtlich gab es hier nichts zu entdecken. Meine Hoffnung, daß die Taster etwas herausfanden, erfüllte sich nicht. Ein blauer Riese mit zwei übergroßen Planeten war zwar nicht alltäglich, aber auch keine
ausgesprochene Rarität. »Jedenfalls kann ich mir nicht denken, daß Atlan und Chybrain sich mit uns einen Scherz erlaubt haben«, meinte Richardson. »Vielleicht übersehen wir etwas.« Dieser Gedanke war mir ebenfalls schon gekommen. Aus den Augenwinkeln heraus beobachtete ich den Alkorder, der interessiert die Aufnahmen betrachtete. War es nicht denkbar, daß Beka so etwas wie ein Katalysator für ihn war, um blockierte Erinnerungen freizugeben? Dann hatte dieser Flug durchaus seine Berechtigung, selbst wenn wir sonst nichts in Erfahrung brachten. War es das, was die beiden beabsichtigt hatten, während wir vergeblich nach einem greifbaren Hinweis suchten? Schon wollte ich meine Gefährten darauf aufmerksam machen, als sich überraschend die angekoppelte STERNSCHNUPPE über die Intern-Verbindung meldete. »Ich habe entdeckt, daß beide Planeten ungewöhnlich hohe Metallvorkommen aufweisen. Den Ortungsergebnissen nach besitzen sie eine fast regelmäßige Struktur, was zu der Vermutung Anlaß gibt, daß sie nicht natürlichen Ursprungs sind.« Diese Nachricht schlug wie eine Bombe ein. Das konnte ein Ansatzpunkt sein, der uns auf die richtige Fährte brachte. Selbst das Gesicht des eben noch griesgrämig dreinblickenden Solaners hellte sich auf. »Kannst du genauere Angaben machen?« fragte ich die STERNSCHNUPPE. »Leider nicht. Die Echos sind zu diffus, um eine exakte Analyse vornehmen zu können.« »Was kannst du uns sonst liefern? Lagerstätte, Dichte, Masse?« »Nichts von alledem. Die schwachen Reflexe sind nicht auswertbar für eure Zwecke und taugen nicht einmal als Grundlage einer Hochrechnung. Ich bedauere, euch nicht weiterhelfen zu können.« Da ich einsah, daß das Schiff nicht mehr wußte, als es gesagt hatte, schaltete ich ab. Das mißfiel dem Wissenschaftler.
»Warum hast du dich so einfach abwimmeln lassen und nicht nachgehakt, du Taugenichts?« herrschte er mich an. »Die STERNSCHNUPPE hat angegeben, reiche Metallager ausgemacht zu haben, die möglicherweise künstlicher Natur sind. Wie hat sie das herausgefunden? Durch Hellseherei?« »Sie hat sich in der Vergangenheit stets loyal verhalten, warum soll ich diesmal an ihren Angaben zweifeln? Immerhin ist der ACORAH-CEN das Vorkommen völlig entgangen.« »Da geht es ihr wie dir – du bekommst auch nie etwas mit«, gab Nockemann süffisant zurück. »Jeder, der bis drei zählen kann – und das unterstelle ich selbst bei dir, Geselle – kennt den Unterschied zwischen Gestein und einer Erzader. Und was macht die beiden so verschieden? Ihre spezifische Dichte. Wenn die STERNSCHNUPPE nun behauptet, Metall aufgespürt zu haben, kann sie das ja schlecht irgendwo abgelesen haben, sondern sie muß Daten gesammelt haben, die zu diesem Schluß führen. Die hätte ich gern von ihr.« »Nun sei doch nicht so halsstarrig«, rief ich verärgert. »Wenn schon die Positronik sie nicht auswerten kann, was willst du dann damit anfangen können?« Hage funkelte mich böse an. »Das mag für dich gelten, du Blechtrottel, aber du solltest dein eigenes Unvermögen nicht als Norm ansehen. Ich habe im kleinen Finger mehr Verstand als du in deinem ganzen Spatzengehirn, und mit einer dämlichen Positronik nehme ich es allemal auf. Es gibt keinen Rechner, der mir das Wasser reichen kann.« Sollte das eine Anspielung auf meine Butler-Vergangenheit als Schwiegermutter sein? Nein, für diese satirischen Feinheiten sprachlicher Florettkunst hatte er keine Ader, er drosch lieber mit dem Pöbeleien-Säbel auf seine Mitmenschen ein. An mangelndem Selbstbewußtsein hatte er ja noch nie gelitten, doch allmählich lief er Neithadl-Off mit ihren Prahlereien sogar den Rang ab. Irgendwann mußte ich ihm beibringen, daß seine Selbstbeweihräucherung für seine Umgebung unerträglich wurde, bevor er endgültig abhob
nach dem Motto: »Ich und die Kosmokraten haben beschlossen …« »Wir sollten diese unerquickliche Diskussion beenden«, ließ sich Spooner vernehmen. »Warum siehst du mich dabei an?« schnappte Nockemann und zwirbelte erregt seinen Schnäuzer. »Der Kerl da hat angefangen und meine Qualifikation als Wissenschaftler angezweifelt.« Anklagend deutete er auf mich. »Warum hackt jeder auf mir herum und liest nicht diesem Spinner die Leviten?« Sarah Briggs ging zu ihm und nahm ihn freundschaftlich in den Arm. Charmant lächelte sie ihn an. »Aber Hage, das war doch kein persönlicher Affront gegen dich«, säuselte sie. »Jeder schätzt dein Wissen und Können, deine Qualitäten sind unbestritten.« Besonders wenn es darum ging, sich Beleidigungen auszudenken oder mich zu traktieren, setzte ich geistig hinzu. »Im Augenblick sollten wir alle uns drauf konzentrieren, herauszufinden, was es mit dem Beka-System auf sich hat. Hilfst du uns dabei?« Man sah, daß der alte Schwerenöter die Aufmerksamkeit der hübschen jungen Dame sichtlich genoß und wie Wachs in ihren Händen wurde, er schmolz regelrecht dahin. Vermutlich war das die Reaktion des einzigen verbliebenen männlichen Geschlechtshormons in seinem Körper, das nicht durch die Askese hinausgeekelt worden war und nun ein Ende der Fastenzeit erhoffte. Als ob ein solcher Durchhänger und Anti-Typ ein so gestandenes Mannsbild wie Richardson ausstechen könnte … »Natürlich könnt ihr mit meiner vollen Unterstützung rechnen«, sagte der Galakto-Genetiker geschmeichelt und strich der Celesterin linkisch über die Wange. Als ihm sein Tun bewußt wurde, errötete er bis unter die Haarwurzeln und murmelte eine Entschuldigung. »Äh, Geselle, ich … wir sollten, ich meine, wir Scientologen … also ich stehe zur … äh … Verfügung.« Innerlich grinste ich. Der Chef mußte ganz schön verwirrt sein,
denn er geriet so gut wie nie ins Stottern und war selten so kleinlaut. Spooner bedachte er mit scheuen Blicken. Nach seinen verknöcherten Moralvorstellungen war das Tätscheln schon eine Zärtlichkeit, die der Celester als Versuch ansehen mußte, ihm die Freundin auszuspannen, dabei wirkte Richardson keineswegs ärgerlich oder eifersüchtig, sondern eher erheitert. Daß er der Schönen zuzwinkerte und sie ihn mit einem innigen Augenaufschlag bedachte, entging dem Galakto-Genetiker – wie nicht anders zu erwarten. Ich nutzte die Gunst der Stunde, denn von Nockemann war im Moment kein Widerspruch zu erwarten. Da Jododoom offensichtlich keine Gedächtnisauffrischung erfahren hatte, stand mein Entschluß fest. »Ich werde die Planeten erkunden und versuchen, mehr über die ominösen Metallager herauszufinden. Die STERNSCHNUPPE möchte ich dazu nicht einsetzen, weil sie so etwas wie ein Trumpf in der Hinterhand ist, falls wir in Bedrängnis geraten sollten. Ein Beiboot der ACORAH-CEN tut es für meine Zwecke. Wer begleitet mich freiwillig?« Beinahe alle Anwesenden signalisierten Zustimmung, sogar Hage und der Alkorder, dabei brauchte ich nicht mehr als drei, vier Leute. Es sollte ja nur ein Erkundungstrupp werden und keine Völkerwanderung. »Wir werden zwei Schiffe ausrüsten und Beka-1 und 2 gleichzeitig untersuchen«, erklärte Spooner. »Das nimmt dann nur die Hälfte der Zeit in Anspruch und verringert das Risiko, von den Keilschiffen entdeckt und angegriffen zu werden. Die ACORAHCEN fliegt nicht in das System ein, sondern bleibt als unsere Basis hier in Warteposition.« Damit war ich sofort einverstanden, denn dieser Vorschlag kam meinen eigenen Vorstellungen sehr entgegen. Die Modalitäten waren schnell geregelt. Ich übernahm das Kommando über das Beiboot, das sich den inneren Planeten vornehmen sollte. Mit von
der Partie waren Nockemann, Chris Guhnard und der kleine Alkorder, der es kaum erwarten konnte, in seine Roboterhülle zu klettern. Die zweite Mannschaft wurde angeführt von Richardson. Ihn begleiteten – natürlich – Sarah Briggs und zwei weitere Celester. Eigentlich war es Spooner nicht ganz recht, daß die junge Frau an der Exkursion teilnahm, weil sie an Bord des alkordischen Raumers besser aufgehoben war, doch sie hatte darauf bestanden, mitzukommen. Ich teilte seine Einschätzung. Entweder wurde es ein stinklangweiliger Ausflug – oder ein gefährliches Unternehmen. Letzteres vermochte allerdings niemanden zu schrecken, und der Solaner, der bereits wieder Oberwasser bekam, verstieg sich gar zu der Behauptung, weder Tod noch Teufel zu fürchten. Vermutlich glaubte er, eine Art von Unsterblichkeit errungen zu haben und als Klon immer neu zu entstehen, wenn er ums Leben kam. Diesen Zahn würde ich ihm bei passender Gelegenheit ziehen, aber
wahrscheinlich hatte er daran gar nicht gedacht und nur wie üblich den Mund zu voll genommen. Gemeinsam begaben wir uns in den Hangar, in dem die drei Beiboote lagen. Da sie ständig von den Automaten der Stammbesatzung gewartet wurden, waren sie jederzeit startklar. Alle Schiffchen trugen interne Kodebezeichnungen, doch ich mochte diesen phantasielosen Zahlen- und Buchstabensalat nicht. So taufte ich Richardsons Fluggerät auf den Namen »Explorer«, was mir ein zufriedenes Nicken des Celesters eintrug. Meinen Raumer nannte ich »Klondike« – und zog mir damit den Unwillen Hages zu. »Diese Bezeichnung hast du absichtlich gewählt«, giftete er. »Meinst du, ich wüßte nicht, was das bedeutet, du hinterhältiges Subjekt?« Die Celester grinsten heimlich. Sie beherrschten noch die englische Sprache, einen Dialekt, der früher auf Terra gesprochen wurde. Und natürlich kannten sie die Übersetzung. »Damm des Klons – das ist eine Frechheit, eine absolute Unverschämtheit.« »Klondike ist der Name eines Flusses auf Terra«, tat ich arglos. »Papperlapapp!« schrillte Nockemann. »Du hast das Schiff ganz bewußt so genannt, um mich zu beleidigen. Auf einer DAMM DES KLONS fliege ich nicht. Ich mustere ab.« »Gut, wenn du zu feige bist, suche ich mir einen mutigeren Begleiter.« »Niemand nennt mich einen Feigling – du schon gar nicht«, zischte er und marschierte auf die Schleuse des Beiboots zu.
* Die Positronik der ACORAH-CEN hatte die Benennungen EXPLORER und KLONDIKE akzeptiert. Damit war gewährleistet, daß der gegenseitige Funkverkehr auch unter den neuen
Bezeichnungen abgewickelt werden konnte. Da wir eine größere Strecke zurückzulegen hatten, war die KLONDIKE zuerst ausgeschleust worden. Mittlerweile hatte auch die EXPLORER das Mutterschiff verlassen und folgte uns in einer Entfernung von knapp 500 000 Kilometern auf einem versetzten Kurs. Das Kommando an Bord des alkordischen Raumers hatte Spooners Stellvertreter übernommen. Mit ihm war vereinbart worden, daß wir untereinander nur im Notfall Verbindung aufnahmen, um nicht unbeabsichtigt feindliche Einheiten anzulocken. Mit einem Drittel LG pirschten wir uns an den Planeten heran. Sämtliche Taster und Orter waren in Betrieb, die Schutzschirme hatten wir nicht aktiviert. In dieser Hinsicht konnten wir uns auf das Schiff verlassen. Seine Positronik war so autark wie das wohl leistungsfähigere Gegenstück in der ACORAH-CEN, Roboter kümmerten sich hier wie da um die technischen Anlagen. Im Prinzip war weder ein Pilot noch eine menschliche Besatzung erforderlich. Der Rechner steuerte die KLONDIKE und versetzte sie bei Bedarf automatisch in Verteidigungsbereitschaft, doch er nahm auch bereitwillig Befehle an, die ihm von mir als Befugtem erteilt wurden. Unauffällig musterte ich meine Mitstreiter. Nockemann hockte verdrossen und vor sich hingrummelnd in seinem Sitz, Chris saß völlig entspannt da, während der Paladin, in dem Jododoom steckte, nervös in seinem Sessel herumzappelte. Es war schon ein komischer Anblick, einen sonst von stoischer Ruhe geprägten »Roboter« als Nervenbündel zu sehen. Auf meine Anweisung hin hatten wir Schutzkleidung angelegt. Zwar war ich nicht darauf angewiesen, aber falls es zu einer wie auch immer gearteten Begegnung mit Fremden oder Automaten kommen sollte, konnte ich mehr ausrichten, wenn ich mich als verwundbares Lebewesen tarnte. Der Alkorder war nicht eingekleidet worden. Seine Hülle verfügte über alle Einrichtungen,
die ihm ein Überleben ermöglichten einschließlich hochwirksamer Defensivsysteme, wie sie die SvA benutzten. Die starken Optiken hatten Beka-1 so nahe herangeholt, daß Details auf seiner Oberfläche auszumachen waren. Wo immer die Wolkendecke aufriß, zeigte sich ein bläulich überhauchter, weißbrauner Flickenteppich aus Felslandschaft und Schnee- und Firnfelder. Stürme orgelten über die Ebenen und schroffen Gebirge und verfrachteten die kalte weiße Pracht in die Atmosphäre, um sie woanders wieder abzuladen. Kein einziger bunter Farbtupfer bot dem Auge Abwechslung, kein leuchtender Fleck erfreute das Gemüt. Schiller mußte diese Welt und unsere Mission gemeint haben, als er dichtete »Klaglos zum Orkus hinab«. Die Aufnahmen wurden auf eine dreidimensionale Reliefkarte des eben gesehenen Gebiets eingeblendet. Die höchsten Erhebungen waren Viertausender, das steinige Flachland war zerklüftet und unter Schneemassen begraben, in denen sogar unser Beiboot völlig versinken konnte. Flache Senken waren zugefroren, mächtige Eispanzer bedeckten Meere, die bis zu achttausend Meter tief waren. Infolge der aus dem Planeteninneren abgestrahlten Wärme hatte das Wasser seine Aggregatform beibehalten, aber diese Information war zweitrangig, da wir keinen Tauchkurs abhalten wollten. Außerdem handelte es sich um eine Wiederholung bekannter Fakten, denn die ACORAH-CEN hatte uns bereits vorher mit solchen Darstellungen versorgt. Die Angaben, auf die wir sehnsüchtig hofften und warteten, blieben aus. Bisher hatte kein Instrument angezeigt, daß es die Metallvorkommen gab, die die STERNSCHNUPPE ausgemacht hatte. Ich war sicher, daß sie sich nicht geirrt hatte, aber wie war es um die Detektoren der KLONDIKE bestellt? Sie war das Produkt einer überragenden Technik, doch bestimmt war sie nicht für die Aufgabe konstruiert worden, für die wir sie nun einsetzten. Konnten wir unter diesen Umständen überhaupt Erfolg haben? Ob wir umkehrten und es noch einmal mit der SCHNUPPE versuchten?
Nein, das war keine Lösung. Abgesehen davon, daß wir zuviel Zeit verlieren würden, die wir möglicherweise nicht hatten, mußte es Spooner vor den Kopf stoßen. Er hatte das gleiche Material wie ich zur Verfügung, und ich selbst hatte verfügt, daß die STERNSCHNUPPE als Eingreifreserve zurückbleiben sollte. »Ich habe das Gefühl, daß dieser Einsatz umsonst war«, grollte der Solaner. »Daher schlage ich vor, daß du den Befehl zur Rückkehr gibst.« Er setzte eine grimmige Miene auf. »Daß wir mit leeren Händen zurückkommen, ist deine Schuld. Daß du dieses Schiff DAMM DES KLONS genannt hast, ist ein böses Omen. Ich habe dich davor gewarnt, aber du hast nicht auf mich gehört. Nun kehren wir blamiert und unverrichteter Dinge zurück.« »Davon kann keine Rede sein. Noch haben wir Beka-1 nicht einmal erreicht«, widersprach ich und gab meiner Stimme einen zuversichtlichen Klang. »Seit wann bist du eigentlich abergläubisch?« »Wenn du glaubst, mir mit Unterstellungen und Gemeinplätzen den Wind aus den Segeln nehmen zu können, hast du dich gründlich getäuscht, du Einfaltspinsel.« Der Wissenschaftler lachte meckernd. »Jeder weiß, daß mich Zauber und Magie nicht beeindrucken können, weil das alles Hokuspokus ist.« »Außer dem bösen Omen. Einen solchen Fluch kann nur ein Amulett neutralisieren.« »Hör zu, Blech-Idiot: Ich bin Wissenschaftler und kein Okkultist. Niemand weiß das besser als du. Warum versuchst du jetzt, mich in die geistige Nähe jener Spinner zu rücken, anstatt deinen Mißerfolg zuzugeben?« »Das eigentliche Ziel liegt noch vor uns«, ergriff Chris für mich Partei. »Dein Pessimismus erinnert mich an die Geschichte von dem Wanderer, der sich in der Wüste verirrt hatte und der Oase auswich, weil er sie für eine Luftspiegelung hielt, ohne sich zu vergewissern, ob es sich tatsächlich um eine Fata Morgana handelte.« »Was geschah mit ihm?«
»Er verdurstete unweit der Wasserstelle.« Nockemann schluckte heftig. Einen solch drastischen Vergleich aus dem Mund einer Vertreterin des schwachen Geschlechts zu hören, traf ihn tief, zumal er kein Dummkopf war und den Zusammenhang sofort verstand. Ziemlich zerknirscht versank er in seinem Sessel und haderte mit sich und der Welt. Ihm entging, daß mir die Celesterin einen aufmunternden Blick zuwarf, den ich dankbar erwiderte. Warum gab es nicht mehr von diesen entzückenden Evastöchtern als Raumfahrer? Sie verfügten über die gleichen Qualitäten, hatten zudem das Herz auf dem rechten Fleck und waren ein reizenderer Anblick als ihre männlichen Kollegen. Sofort rief mich eine positronische Komponente zur Ordnung und verwies auf meine Datenspeicher. Frauen sind psychisch belastbarer und physisch robuster. Die Schmerzen bei einer Geburt würden den Mann in die Ohnmacht treiben, sie übersteht das mit wachen Sinnen. Als Ärztinnen hantieren sie brutaler mit Spritze, Bohrer und Skalpell. Schwiegerväter gelten im allgemeinen als verträglich, Schwiegermütter haben einen schlechten Ruf. Ja, das konnte ich bestätigen. Damals hatte ich bei einem gewissen Käsehändler gearbeitet und anrüchigen Merlitong verkaufen müssen – eine unangenehme Erinnerung, die sich leider nicht löschen ließ. Wie dichtete Schiller doch so treffend in seinem »Teil«: O hätt' ich nie gelebt, um das zu schauen. Jetzt allerdings war schauen angesagt. Die KLONDIKE traf auf die äußersten Schichten der Lufthülle, und sank langsam tiefer. Subjektiv gesehen, änderte sich für uns nichts, objektiv schon. Die Materiedichte stieg deutlich an, die Schwerkraft von 1,83 g wurde merkbarer. Tief unter uns wühlten Blizzards die Atmosphäre auf, unterschiedlich warme Fronten trafen aufeinander und entluden sich unter heftiger Energiefreisetzung. Pausenlos übertrugen die Aufnahmegeräte Informationen über Bodenformationen und Geländestrukturen, alle möglichen Daten gingen ein, nur nicht die,
auf die wir gespannt warteten. Als das Schiff die Wettergrenze passierte, gerieten wir in starke Turbulenzen, die nicht immer völlig neutralisiert werden konnten. Orkane und Böen rissen und zerrten an dem Beiboot, Schauer aus Hagel und Eisregen prasselten auf die Hülle hernieder, mit schaurigem Heulen orgelten Stürme über uns hinweg. Unter diesen Umständen waren die normalen Außenkameras nutzlos, dennoch waren wir nicht blind. Die anderen Systeme versorgten uns mit Informationen, die optisch so aufbereitet waren, daß sie vom menschlichen Auge als naturgetreue Wiedergabe empfunden wurden. Auf den Schirmen spulte sich ein Film ab, der den Realitäten entsprach. Gemäß meiner Anweisung ging die KLONDIKE in acht Kilometer Höhe in einen Horizontalflug über und begann mit der geplanten Planetenumrundung. Selbst Jododoom schien sich nicht mehr viel davon zu versprechen. Der vorhin noch so zappelige Roboter, in dem der Alkorder steckte und der von ihm gesteuert wurde, machte nun einen eher lethargischen Eindruck. Unter uns huschte die eintönige, von Eis, Schnee und Dauerfrost geprägte Landschaft vorbei, eine erstarrte, unfruchtbare Ebene ohne merkliche Erhebungen. Es schneite ununterbrochen, heftige Stürme trieben die weiße Pracht vor sich her und wirbelten sie vom Boden hoch. Draußen mußte es Tag sein, doch es war so trübe und düster, als wäre die Dämmerung schon hereingebrochen. Dieses Stimmungsbild schien ziemlich genau Nockemanns Gemütsverfassung zu entsprechen, denn er tönte mit Grabesstimme: »Hoffen und Harren macht manchen zum Narren.« Auf seinem zerfurchten Antlitz bildeten sich Sorgenfalten, sein Gesicht bekam einen bekümmerten Ausdruck. »Nimm mir das Zitat nicht übel, Geselle, aber eleganter konnte ich meine Bedenken nicht formulieren. Ich will dich nicht kränken, doch ich möchte dir auch nicht verschweigen, was ich denke.« »Du hältst dieses Unternehmen für einen Schlag ins Wasser und
versuchst nun auf die höfliche Tour, mich davon zu überzeugen«, sagte ich ihm auf den Kopf zu. »Die Antwort ist nein. Wir machen weiter.« »Nur ein Spinner kann darauf bestehen«, wetterte Hage. »Früher warst du schon eigensinnig, aber Colemayn hat aus dir einen halsstarrigen, unbelehrbaren Rechthaber gemacht. Jeder, der über ein bißchen Grips verfügt, muß zu dem gleichen Schluß kommen wie ich. Beka-1 ist in jeder Hinsicht eine tote Hose.« »Ein Planet ist stets hüllenlos«, belehrte ich ihn. »Und dein Beinkleid nebst Inhalt steht hier ohnehin nicht zur Diskussion.« Ich wußte, daß der letzte Satz eine Bosheit war, aber diese Bemerkung konnte ich mir einfach nicht verkneifen, da er anders nicht zum Schweigen zu bringen war. Chris Guhnard kicherte leise, der Solaner dagegen fand das überhaupt nicht lustig. Er atmete geräuschvoll aus und wechselte die Farbe schneller als ein Chamäleon. Das dunkle Rot war mir ja vertraut, aber diesmal lief er sogar blau an. Schon überlegte ich, ob nicht Mund-zu-MundBeatmung angebracht war, doch dann ging die Gesichtsfärbung auf einen satten Burgunderton zurück. Zwar zuckten die Hände noch wie im Krampf und würgten einen imaginären Hals, aber dem schenkte ich keine Beachtung. Das waren nur die körperlichen Auswirkungen einer ausklingenden nervlichen Krise. Jododoom hatte unserem Dialog verständlicherweise nichts abgewinnen können und starrte mit dem Linsensystem seiner Paladinhülle wieder auf die Bildschirme. In Ermangelung anderer Daten konzentrierte ich meine Aufmerksamkeit ebenfalls darauf. Was ich sah, war nichts als Gegend und Schnee. Sollten unsere Nachforschungen wirklich im Sand verlaufen, der hier aus Eiskristallen bestand? Ein Gebirge mit eigenartigen Felsformationen tauchte vor uns auf. Übergangslos wuchsen die Berge aus der Landschaft empor, keiner war höher als dreitausend Meter. Die Gipfel standen eng beieinander und wirkten wie abgetragen. Überragt wurde das
Massiv von einem zerklüfteten Viertausender, dessen brettebenes Hochplateau nicht so recht zu seinen zerschrundeten Flanken passen wollte. Vermutlich hatten Wind und Wetter die Kuppen abgeschliffen, denn Kälte und Witterung waren hier extrem. »Stopp!« rief der Alkorder plötzlich zu meiner Überraschung. »Diese bizarre Geländeformation kenne ich!« Die Celesterin, die gedankenverloren die Übertragung sah, zuckte elektrisiert zusammen, der Wissenschaftler, schon wieder bleich wie immer, saß da wie vom Donner gerührt. Ich jubilierte innerlich, doch das hinderte mich nicht daran, der KLONDIKE geistesgegenwärtig den Befehl zur Umkehr zu geben und sie anzuweisen, über dem Gebirgszug zu verharren. Das Beiboot gehorchte sofort. In einer langgezogenen Kurve flog es zu dem Gebirge zurück und blieb über dem höchsten Gipfel in der Schwebe. »Ich bin sicher, schon einmal hier gewesen zu sein«, sprudelte Jododoom hervor. Er war aufgeregter als ein Jüngling vor seinem ersten Rendezvous. »Zumindest habe ich Bilder dieser Welt gesehen, jedenfalls erinnere ich mich deutlich an die unter uns liegenden Berge und ihre merkwürdige Formation.« Der kleine Mann in der Roboterhülle schnallte sich los und stand auf, ging zum Bildschirm und umriß das gezeigte Massiv mit einer Handbewegung. Nockemann wollte eine Frage an ihn richten, aber ich bedeutete ihm, zu schweigen. Es war ganz offensichtlich, daß Jododoom einen weiteren Teil seiner Erinnerungen zurückgewonnen hatte. Eine Störung der Konzentration zu diesem Zeitpunkt konnte sich nur negativ auswirken. »Hier hat sich in der Vergangenheit ein Stützpunkt der Alkorder befunden«, sagte der Zwerg mit feierlicher Stimme, »daran gibt es keinen Zweifel. In dieser Hinsicht funktioniert mein Gedächtnis wieder.« Erregt ging er auf und ab, betrachtete die von den Optiken übertragenen Aufnahmen und setzte seine unterbrochene Wanderung fort. Niemand wagte ihn anzusprechen, das einzig
hörbare Geräusch war das Tosen des Sturmes. »Ich weiß nicht, wie lange es zurückliegt, daß man auf Beka-1 Dimensionsdivergenzer gebaut hat. Jetzt sieht alles ganz anders aus, denn auf der Oberfläche existieren die alten Einrichtungen nicht mehr. Die Welt wirkt natürlich und unberührt, aber sie war eine Basis meines Volkes und Produktionsstätte zugleich. Leider weiß ich nicht, was aus den Wissenschaftlern und Technikern wurde, die hier lebten und arbeiteten.« Triumphierend blickte ich den Solaner an. »Na, willst du immer noch umkehren?« »Eine Erleuchtung stelle ich mir anders vor«, brummte er. Das war charakteristisch für ihn – immer wertete er meine Erfolge ab. Ich wandte mich an den Alkorder. »Fällt dir noch etwas ein? Gibt oder gab es subplanetare Anlagen, Hangars oder etwas Ähnliches?« Diese Frage stellte ich nicht von ungefähr. Wenn ich Jododooms Aussage in Zusammenhang mit der Feststellung der STERNSCHNUPPE brachte, drängte sich einfach der Verdacht auf, daß sich etwas im Innern des Planeten befinden mußte. Mit einer menschlich anmutenden Geste schüttelte der Paladin den Kopf und machte eine vage Handbewegung. »Nein, an mehr kann ich mich nicht erinnern.« Nockemann grinste ironisch. Vermutlich hatte er wieder eine abfällige Bemerkung auf der Zunge liegen, als die Orter der KLONDIKE ansprachen. Die Datensystem-Analytikerin stieß einen Freudenschrei aus. Wir hatten das gesuchte Metallvorkommen gefunden.
* Nun, da wir wußten, daß wir uns auf der richtigen Spur befanden, konnten wir gezielt vorgehen. Die Positronik hatte aufgrund der
Tastergebnisse ermittelt, daß die Lagerstätte eine Ausdehnung von mehr als zehn Kilometer Durchmesser hatte und sich unter dem Gebirge in einer Tiefe von dreitausend Meter unter normalem Bodenniveau befand. Insgesamt schützte also eine mehr als sechs Kilometer dicke Schicht aus gefrorenem Boden und Fels die Metallansammlung vor Entdeckung. Binnen einer halben Stunde gelang es uns, einen geheimen Zugang ausfindig zu machen. Er befand sich in achthundert Meter Höhe in einer überhängenden Wand und konnte nur fliegend erreicht werden. Rein äußerlich unterschied sich das Gestein an dieser Stelle nicht von seiner natürlichen Umgebung, aber die Detektoren des Beiboots hatte einen dahinterliegenden Hohlraum ausgemacht, der ins Innere des Berges führte. Außerdem hatte das Schiff minimale Streustrahlung angemessen, wie sie für Anlagen in passiver Bereitschaft typisch waren. Allerdings war das energetische Niveau so gering, daß eine zufällige Ortung ausgeschlossen war. »Nach Auswertung der Daten haben wir es nicht mit einem Erzlager zu tun, sondern mit inaktiven Produktionsstätten und Lagern«, zog ich Bilanz. »Es ist anzunehmen, daß sie alkordischer Herkunft sind. Wir sollten uns dort mal umsehen, vielleicht gibt es irgendwelche Hinweise, die uns weiterhelfen.« »Ich komme mit!« rief Jododoom spontan, und auch die Celesterin signalisierte Zustimmung. Hages Miene drückte Unsicherheit und Zweifel aus. Erst als ich ihn herausfordernd anblickte, bequemte er sich zu einer Antwort. »Grundsätzlich bin ich damit einverstanden, doch bei dem draußen herrschenden Orkan werden wir uns trotz der Gravo-Jets vermutlich gegenseitig mit zerschmetterten Gliedern von der Felswand abkratzen müssen.« Der Einwand war berechtigt, und ich hatte mir auch schon meine Gedanken darüber gemacht, wie wir den Einstieg mit heiler Haut erreichen konnten. »Wir können uns von der KLONDIKE mittels Traktorstrahlen an
Ort und Stelle bugsieren lassen.« »Das ist nicht nötig«, meldete sich die Positronik. »Ich kann einen Energietunnel schalten, der euch vor dem Unwetter schützt.« Nockemanns Antlitz hellte sich auf, Chris strahlte, und der zwerggesteuerte Roboter sprang tatendurstig aus seinem Sitz. »Hervorragend«, freute ich mich. »Dann steht der Exkursion nichts mehr im Wege.« Meine Begleiter hatten es auf einmal eilig, zum Ausstieg zu kommen. Ich verließ die Kommandoeinheit als letzter und gab dem Schiff noch einige Anweisungen. Eine bestand darin, einen Rafferimpuls an die ACORAH-CEN abzusetzen mit dem Inhalt, daß wir Erfolg gehabt hatten und uns nun anschickten, zu erkunden, was es mit dem Fund auf sich hatte.
3. Sicher wie in Abrahams Schoß waren wir durch den Energieschlauch zu dem geheimen Zugang gelangt. Der Kodegeber, den der Kleine mit sich führte, hatte die positronische Verriegelung binnen weniger Sekunden geknackt. Das bestätigte mich in meiner Annahme, daß wir es nicht nur mit alkordischer Technik, sondern auch mit einem alkordischen Stützpunkt zu tun hatten. Geräuschlos glitt das mächtige, mit meterdickem Fels verkleidete Schott zurück und gab den Weg frei in eine Schleuse, die sogar die KLONDIKE aufgenommen hätte. Hinter uns schlossen sich die Flügel wieder. Gespannt wartete ich darauf, ob irgendwelche Aggregate ansprangen, die einen Druckoder Atmosphärenausgleich vornahmen, aber das war nicht der Fall. Offensichtlich entsprach die für uns gewohnte Luftzusammensetzung auch dem Standard dieser Station, denn das Beiboot hatte die Verbindungsröhre mit dem Menschen zuträglichen Sauerstoffgemisch geflutet, obwohl wir Schutzanzüge
trugen und die Helme geschlossen hatten. Das Schiff hatte das als zusätzliche Sicherheitsmaßnahme bezeichnet. Hage nickte mir bedeutungsvoll zu. Ihm war also ebenfalls aufgefallen, daß es eine Identität zumindest der Versorgungseinrichtungen geben mußte. Eine Art Notbeleuchtung war aufgeflammt. In ihrem spärlichen Schein war zu erkennen, daß die Wände unverkleidet waren und aus nacktem Gestein bestanden. War das Absicht, Zufall oder Zeitmangel? Hatte man diese Station in aller Eile errichten müssen und Äußerlichkeiten deshalb vernachlässigt? Oder sollte die eigentliche Bedeutung heruntergespielt werden im Fall einer Entdeckung? Vor uns öffnete sich ein massives Portal und gab den Blick frei auf einen gewaltigen Stollen, der infolge seiner Krümmung nicht einzusehen war. Gemeinsam verließen wir die Kammer und folgten dem abwärtsführenden Gang. Er endete abrupt vor einem dunklen Schacht, dessen Querschnitt bestimmt achtzig Meter betrug. Wir leuchteten mit unseren Handscheinwerfern in die Tiefe, aber die Lichtstrahlen wurden von der Finsternis verschluckt, ohne daß das Ende der Röhre erkennbar wurde. »Wenn ich nur wüßte, was uns erwartet«, jammerte der Alkorder. »Ich kann nicht einmal sagen, ob mein Volk solche Einrichtungen gebaut hat.« »Um das herauszufinden, sind wir hier«, tröstete ich ihn. »Möglicherweise bekommst du das eine oder andere zu Gesicht, was einen weiteren Wegfall der geistigen Sperren bewirkt.« Ich wandte mich den beiden anderen zu. »Ich habe Messungen angestellt. Es gibt keinen Hinweis auf Sperren und Fallen.« »Worauf warten wir dann noch, wenn wir nicht gefährdet sind?« Nockemann hatte wieder Oberwasser. »Folgt mir, Herrschaften!« Er aktivierte sein Anzugtriebwerk, sprang über den Rand und ließ sich nach unten sinken. Notgedrungen folgte ich ihm, Chris und Jododoom schlossen sich an. Im Schein unserer Lampen war die
nahe Stollenwand zu erkennen. Sie war fugenlos mit einer Abdeckung aus einem dunklen, nicht näher zu definierendem Material versehen. Mir drängte sich der Eindruck auf, daß wir uns durch einen Antigravschacht bewegten, der einst der Beförderung von Lasten gedient hatte und nicht mehr funktionsfähig war. »Hätte ich gewußt, daß alles so riesig ist, wäre ich ganz gemütlich mit dem Beiboot hier eingedrungen«, ließ sich der Solaner vernehmen. »Es ist mir ohnehin ein Rätsel, wie den Tastern solche Hohlräume entgehen konnten. Fast habe ich den Eindruck, daß das Schiff zu bequem war für eine genaue Analyse, aber eine faule Positronik ist mir eigentlich noch nie untergekommen – außer bei dir, Geselle. Du bist die Ausnahme, die die Regel bestätigt.« Ich ließ die Provokation mit der mir eigenen Überlegenheit einfach von mir abprallen. Mich wunderte ebenfalls, daß die KLONDIKE einen solchen Tunnel regelrecht übersehen hatte. Gewiß, es gab Methoden, um Masse vorzutäuschen, doch das erforderte einigen Aufwand und Energie – nichts von dem konnte ich feststellen. Ein kühner Gedanke kam mir. »Jododoom, ist es möglich, daß die ACORAH-CEN, ihre Beiboote und vielleicht sogar andere Schiffe, die dein Volk gebaut hat, so etwas wie betriebsblind sind, wenn es darum geht, alkordische Einrichtungen aufzuspüren?« »Das weiß ich nicht«, klagte der Kleine. »Mein Gedächtnis ist immer noch sehr lückenhaft.« »Blödel, das ist die Lösung!« trompetete Hages Stimme aus den Helmlautsprechern. »Daß ich nicht gleich darauf gekommen bin.« Natürlich, jetzt war es auf einmal seine Idee. Ich wollte protestieren und meine eigenen Gedanken kundtun, aber der Wissenschaftler war nicht zu bremsen. »Die Orter verfügen über eine Art Affinitätsfilter, das heißt, sie nehmen alkordische Technik einfach nicht wahr. Eine raffinierte Vorsichtsmaßnahme der Erbauer. Fällt ein Raumer dem Feind in die Hände, so ist er der Gelackmeierte, weil seine Beute alkordische
Stützpunkte schlicht nicht anmisst. Der Erfinder muß ein Geistesriese gewesen sein, aber mein Genie durchschaut auch solche Werke.« Ich schwieg ergeben und wartete auf die Aufforderung, ihm zu huldigen, doch er ersparte sich und uns eine solche Peinlichkeit. Gutgelaunt summte er eine Melodie vor sich hin. Sie klang entfernt wie »Freude schöner Götterfunken«. »Meine Annahme deckt sich mit deiner in etwa, doch möchte ich einschränkend sagen, daß es nur ein Gedankenmodell ist.« Nockemanns Konzert endete mit einem mißtönenden Triller. »Und was paßt dir an meiner Erklärung nicht, Besserwisser?« »Es ist eine These, du dagegen tust so, als wäre es die absolute Wahrheit.« »Einwände?« schnappte der Solaner. »Beispielsweise die Tatsache, daß die KLONDIKE diese Station dennoch aufgespürt hat, wenn auch nur aus unmittelbarer Nähe.« »Das ist genau der springende Punkt. Hätten wir nicht die Koordinaten dieser Welt gehabt, hätte die STERNSCHNUPPE nichts ertastet und Jododoom sich dunkel erinnert, wären wir nämlich wieder sang- und klanglos aus dem Beka-System verschwunden. Stimmt's oder habe ich recht?« »Darf ich dich daran erinnern, daß dieser beglückende Fund nicht zuletzt meiner Ausdauer zu verdanken ist?« konterte ich. »Warst du es nicht, der heftig für eine Umkehr plädiert hat?« Das saß. Hage brummte etwas in seinen Bart und grantelte unverständliches Zeug, doch immerhin verschonte er mich mit Beleidigungen und die anderen mit seiner Selbstbeweihräucherung. Im Prinzip pflichtete ich ihm bei, denn die Nahortung des Beiboots aus kurzer Distanz bildete keinen gravierenden Widerspruch dazu, im Gegenteil. Nur ein Eingeweihter konnte die exakte Position einer alkordischen Einrichtung kennen. Versagte die Erfassung der Geräte selbst in unmittelbarer Nähe, wurde die Positronik eines wichtigen Hilfsmittels bei der Feinnavigation beraubt, beispielsweise beim
Anflug in eine subplanetare Station. Wir hatten mittlerweile gut zwei Kilometer zurückgelegt, und noch immer zeichnete sich kein Ende der Röhre ab, die Umgebung war unverändert. Ohne daß jemand widersprach, hatte ich die Führung übernommen. Mein Instrumentarium innerhalb meines Körpers war dem meiner Begleiter doch deutlich überlegen, und falls es zu einer Konfrontation mit irgendwelchen Wachanlagen kommen sollte, reagierte ich schneller und besaß bessere Chancen. Das galt nicht nur für die körperliche Unversehrtheit, sondern diente zugleich dem Schutz meines kleinen Trupps. Man mußte nicht unbedingt über meine Ausrüstung verfügen, um zu dem Schluß zu kommen, daß der Schacht direkt an Ort und Stelle führte, also exakt sechstausenddreiundsiebzig Meter Höhenunterschied überwand. Was mich ein wenig irritierte, war das Fehlen von aktiven Sicherheitseinrichtungen. Gemeinhin pflegte man Güter und Eigentum zu schützen und nicht nur zu tarnen, und in dieser Beziehung bildeten die Alkorder keine Ausnahme. War hier nichts mehr zu finden, das solchen Aufwand lohnte, oder funktionierten die Überwachungsanlagen nicht mehr? Verfallene Stützpunkte hatte ich anders in Erinnerung. Wir sanken nicht, wir stürzten regelrecht in die Tiefe. Unsere Gravo-Jets setzten wir dabei eher als Bremse denn als Antrieb ein, da die Gravitation des Riesenplaneten mächtig an uns zerrte. Eigenartigerweise hatte sich die Luftzusammensetzung nicht geändert und auch die Temperatur war konstant geblieben. Das bedeutete, daß es noch intakte Lebenserhaltungssysteme geben mußte, aber wozu? Allmählich wurde mir die Station rätselhaft, und der Alkorder, der vielleicht eine Erklärung parat haben konnte, schwieg beharrlich. Ich wollte den armen Kerl auch nicht direkt fragen. Er litt merklich unter seiner Amnesie, Jodokats Abwesenheit machte ihm zu schaffen, und ein ausgeprägtes Selbstbewußtsein, wie Hage es besaß, fehlte ihm völlig. Er war ein scheuer, zurückhaltender Typ,
jede Antwort, die er schuldig bleiben mußte, setzte seiner Psyche zu. Im sausenden Fall ging es weiter nach unten. Auf einmal verloren sich die Lichtfinger der Scheinwerfer nicht mehr irgendwo im Dunkeln, sondern warfen leuchtende Kreise auf einen glatten Untergrund. Augenblicklich drosselten wir unsere Geschwindigkeit und sanken nacheinander auf den matten Kunststoffbelag herab. Wir hatten die Ebene der eigentlichen Station erreicht und befanden uns nun gut sechs Kilometer unter dem Gebirgsmassiv. Nichts und niemand bedrohte uns. Links und rechts unterschied sich der ausgekleidete Stollen durch nichts von dem eben passierten Schacht, aber vor und hinter mir wuchsen im Schein der Handlampen mächtige Portale in die Höhe. Was sich dahinter verbarg, konnte ich nicht feststellen, aber eine Gefahr für uns registrierte ich nicht. Das sagte ich auch meinen Freunden, denn Jododoom stand verschüchtert herum, und Chris nestelte nervös an ihrem Strahler. Meines Wissens nahm sie erstmals an einem solchen Einsatz teil, und es war eben ein Unterschied, ob man sich in der gewohnten Umgebung eines Raumschiffs befand oder sich auf unbekanntem Terrain bewegte. Die Reaktion des Zwerges in seinem Roboter zeigte mir, daß er sich hier so fremd fühlte wie jeder andere. Es hatte also kein Schlüsselerlebnis gegeben, auf seine vielleicht vorhandenen, aber nicht abrufbaren Orts- und Detailkenntnisse konnte ich nicht zählen. Mein Scientologen-Partner, vor wenigen Minuten noch betont naßforsch, drehte sich unschlüssig im Kreis. Ob er sich vom Nachvollziehen geometrischer Figuren die gewünschte Erleuchtung versprach? Ich nahm ihm die Entscheidung ab und deutete nach links. »Zum Ziele führt dich diese Bahn.« »Du bist doch völlig unmusikalisch. Warum benutzt du nun ausgerechnet einen Satz aus der ›Zauberflöte‹?« Er starrte mich durchdringend an. »Ist das fauler Zauber von dir oder erwartest du
einen Feuerzauber?« »Weder noch. Es ist völlig egal, welches Schott wir benutzen – vorausgesetzt, es läßt sich öffnen.« »Robotische Schlauheit, was?« »Nein, positronische Intuition.« Nockemann öffnete den Mund – und schloß ihn wieder. Eine solch dreiste Behauptung hatte er wohl nicht erwartet. Heitere Impulse flossen durch meine Schaltkreise. Ich gab ihnen nach und gönnte meinem Antlitz ein schadenfrohes Colemayn-Lächeln, was Hage zur Verdüsterung seiner Miene veranlaßte und wohl zugleich seinen Blutdruck erhöhte. Da ich von derartigen organischen Reaktionen nicht geplagt wurde, wandte ich mich gelassen an den Alkorder. »Jododoom, versuchst du mal, ob sich das linke Tor mit deinem Kodegeber betätigen läßt?« Der Paladin zog das Gerät hervor, ging auf den verschlossenen Durchlaß zu und verhielt davor. Fragend sah mich das Kunstgesicht des Automaten an, denn das Zögern des Kleinen war nicht anders zu interpretieren. Ich wußte, was ihn verunsicherte – es gab keinen Öffnungsmechanismus, auch keinen Schließkontakt und keinen Hinweis darauf, wo sich die positronische Verriegelung befand. Mit einer Hand deutete ich auf eine Stelle, die mir geeignet und logisch vorkam. Er befolgte meinen Hinweis und setzte den Kodegeber dort an. »Was ist mit der schwachen Streustrahlung, die die KLONDIKE angemessen hat?« raunte die Celesterin mir zu. »Kannst du sie ebenfalls empfangen?« Ich schüttelte den Kopf und behielt das Schott im Auge. Nach meinem Dafürhalten hätte sich der Erfolg schon zeigen müssen, aber es rührte sich nichts. Doch, die mächtigen Flügel glitten zurück, es hatte geklappt! Das erste, was ich registrierte, war Energiefreisetzung auf einem niedrigen Niveau, also keine akute Bedrohung. Ich gab Entwarnung, bedeutete meinen Begleitern jedoch gleichzeitig, zurückzubleiben
und nicht vorzupreschen. Wie von Geisterhand bewegt, verschwanden die Portalhälften in den Wänden. Aus dem sich verbreiterndem Spalt fiel das abgemilderte Licht einer indirekten Beleuchtung in den Schacht, und man konnte erkennen, was sich jenseits des Schottes befand. »Ich werde verrückt!« entfuhr es Chris Guhnard.
* Das Bild, das sich uns darbot, hatte selbst ich nicht erwartet. Vor uns befand sich ein in seinen Abmessungen nicht zu überblickender Hangar, vollgestopft mit Raumschiffen aller Art. Da gab es die typischen Keilschiffe alkordischen Ursprungs, die uns in den letzten Tagen und Wochen so häufig zu schaffen gemacht hatten, die walzenförmigen Gondeln mit den pfeilförmigen Flossen, die in der ehemaligen Sonnensteppe Jagd auf uns und die HORNISSE gemacht hatten, weitere bekannte Typen, die ich in unangenehmer Erinnerung hatte, und unbekannte, teils exotische Konstruktionen. In Reih und Glied standen sie da, aufgereiht wie zum Appell. Sie wirkten fabrikneu oder zumindest hervorragend gewartet, bereit für den sofortigen Einsatz. Skurrile Instandhaltungsroboter wieselten und schwebten um die Raumer herum, ohne von uns Notiz zu nehmen. Selbst als ich an der Spitze meiner kleinen Mannschaft die Schwelle überschritt, interessierten sie sich nicht für uns. »Ich bin beeindruckt, sogar sehr stark beeindruckt«, gestand der Solaner. »Eine solche Anlage hätte ich nicht für möglich gehalten – zumindest nicht ein derartiges Arsenal von Schiffen.« Er warf dem Kleinen in der Roboterhülle einen schrägen Blick zu. »Jododoom, kommt dir das bekannt vor?« »Nein.« Die Antwort war mehr gehaucht als gesprochen. »Ich kann mich nicht erinnern.« Hage seufzte entsagungsvoll. Ich konnte mir vorstellen, was ihn
bewegte und was ihm durch den Kopf ging, dennoch zeugte seine Frage von wenig psychologischem Einfühlungsvermögen. Meine Gedanken gingen in eine ganz andere Richtung. »Unser Freund konnte uns mit seinem Kodegeber bisher zweimal Einlaß verschaffen, deshalb vermute ich, daß wir es mit einem ursprünglich alkordischen Stützpunkt zu tun haben. Dafür spricht auch, daß die überwiegende Zahl der Raumer aus Keilschiffen besteht. Nun wissen wir, daß die Alkorder von ihrer Mentalität her ein friedliches Volk sind. Es ist also kaum anzunehmen, daß die anderen Raumschiffe Beutestücke sind, andererseits kann es sich auch nicht um eine Sammlung oder ein Museum handeln, denn dafür reichen Einzelstücke.« Nockemann schien es zu dämmern, worauf ich hinaus wollte. Seine Mundwinkel zuckten nervös. Er wollte seinen Schnurrbart zwirbeln und brach sich dabei fast die Finger, weil er gegen die Helmscheibe stieß. Wie immer suchte er die Schuld nicht bei sich und seiner Zerstreutheit, sondern verwünschte das Material und den Schutzanzug. Ich ließ mich von seinem seltsamen Produkttest nicht beirren. »Hier hat jemand sich eine Flotte geschaffen, die auf Abruf startbereit ist. Da es einen enormen Aufwand erfordert, ein solches Depot anzulegen, kommen dafür eigentlich nur die Schwarzen Sternenbrüder in Frage.« Nun war es heraus. Meine Gefährten reagierten unterschiedlich. Der Alkorder schien auf einmal Schüttelfrost bekommen zu haben, denn der Paladin zitterte plötzlich an allen Gliedern, die Systemanalytikerin verzog erschreckt das Gesicht und sah sich ängstlich um, als fürchtete sie, daß einer der Schwarzen Sternenbrüder hinter ihr stehen könnte, und der Solaner nickte so heftig mit dem Kopf, daß ich einen Selbstmord durch Genickbruch befürchtete. Glücklicherweise war die Wirbelsäule von besserer Qualität als das, was der Schädel umschloß. Daß sein doch manchmal durchaus leistungsfähiges Gehirn meinen Schluß
bestätigte, war für mich ein zusätzliches Indiz dafür, daß meine Theorie stimmte. »Verdammt, Geselle, ich muß dir Abbitte leisten.« Die Stimme des Wissenschaftlers klang gequält, seine Mimik verriet, wie schwer es ihm fiel, sich quasi zu entschuldigen. »Ich war auf dem berühmten Holzweg, aber als du von einem ursprünglich alkordischen Stützpunkt sprachst, wußte ich, was ich übersehen hatte. Du hast recht. Nach allem, was wir inzwischen wissen, haben nur diese dunklen Teufel die Möglichkeiten und die Macht, ein solches Arsenal anzulegen. Es muß ein Teil des Planes der Schwarzen Sternenbrüder sein.« »Sollten wir nicht besser jetzt von hier verschwinden?« wollte Chris wissen. »Wir haben doch genug gesehen. Nachher entpuppt sich die Station noch als Falle für uns.« »Ich würde einen Rückzug ebenfalls begrüßen«, pflichtete ihr Jododoom zaghaft bei. Er wollte noch etwas hinzufügen, aber in diesem Moment meldete sich die KLONDIKE. Alarmiert horchte ich auf, doch schon nach den ersten Worten erfuhr ich, daß weder uns noch dem Beiboot Gefahr drohte. »Die EXPLORER hat eine Nachricht von ihrem Kommandanten übermittelt. Spooner Richardson hat auf Beka-2 eine ähnliche Station wie auf diesem Planeten entdeckt und ist in sie eingedrungen.« Das war natürlich eine angenehme Überraschung. Mit wenigen Sätzen erklärte ich dem als Relais fungierenden Schiff, wie dieser Stützpunkt aussah und was wir entdeckt hatten. Die Bordpositronik bestätigte, daß sie die Informationen via EXPLORER an den Celester weitergab und koppelte sich wieder vom internen Funkverkehr ab. »Wir sollten die Gelegenheit nutzen und uns noch ein wenig umsehen«, erklärte Nockemann tatendurstig. »Ich glaube nicht, daß wir mit unangenehmen Überraschungen rechnen müssen, denn sonst wären die Schotte ganz anders abgesichert gewesen.«
»Stimmt«, bestätigte ich. »Die Schwarzen Sternenbrüder glauben ihre Einrichtungen hinter der Doppelbarriere ziemlich sicher.« »Vielleicht sind es Terraner«, kalauerte Hage. »Irren ist menschlich.« Oha! Wenn jetzt sein eigenartiger Humor mit ihm durchging, hatten wir nichts mehr zu lachen. Chris und Jododoom wirkten nicht mehr verzagt, und so drängte ich zum Aufbruch. Da ein Fußmarsch bei den gewaltigen Abmessungen des Hangars Stunden dauern konnte, nahm ich mein Triebwerk in Betrieb und schwebte voraus. Wie ich erwartet hatte, folgten die anderen mit aktivierten Gravo-Jets. Aus der Höhe wirkte die Halle noch imposanter. Auch jetzt waren wir für die Automaten Luft, mit maschinenhafter Sturheit gingen sie ihren Tätigkeiten nach. Daß sie uns unbehelligt ließen, war mir nur recht. Vor uns tauchte ein weiteres, aber weit weniger mächtiges Tor auf. Ich ließ mich davor zu Boden sinken, meine Begleiter landeten ebenfalls. Vergnügt deutete der Solaner auf den deutlich sichtbaren Öffnungskontakt. »Der Tag der offenen Tür ist angesagt.« Er wollte darauf zugehen, aber ich stoppte ihn. »Die Art von Gastfreundschaft ist trügerisch, Hage. Die so einladende Platte steht unter Hochspannung. Wenn du sie berühren würdest, wäre das die letzte Tat in deinem Leben.« Der Wissenschaftler spuckte Gift und Galle. »So ein tückisches Pack. Erst wird man eingelullt und dann nichtsahnend ins Jenseits befördert. Wehe, wenn mir diese Anthrazit-Kreaturen in die Hände fallen sollten – sie hätten nicht einmal Zeit, ihr Testament zu machen.« Halb mitleidig, halb spöttisch sah ich ihn an. Als GalaktoGenetiker hatte er sich dem Leben verschrieben und betrachtete Waffen als Mordwerkzeuge. Organische Feinde paralysierte er allenfalls und hatte selbst dabei noch Gewissensbisse.
»Wie willst du sie umbringen? Reichst du ihnen den Schierlingsbecher oder bringst du sie dazu, sich totzulachen?« »Dieser Colemayn hat einen ausgesprochenen Widerling aus dir gemacht. Was hindert mich eigentlich daran, dir Gift zu geben und mir einen neuen Assistenten zuzulegen?« »Dein Verstand, weil du weißt, daß ich gegen Gifte aller Art immun bin.« »Aber ich kann dich einstampfen lassen, aus dir einen Müllschlucker machen, dich …« »Rädern und vierteilen, strecken und köpfen, hängen und strangulieren«, unterbrach ich die bekannte Litanei und ging in die Offensive. »Schämst du dich eigentlich nicht, so mit jemandem zu sprechen, der dir gerade das zweite Leben gerettet hat? Allein dein mittelalterliches Foltervokabular läßt jeden zivilisierten Menschen erröten.« Nockemann schnappte nach Luft, er erbleichte und erglühte abwechselnd wie ein Spotstrahler mit Wackelkontakt. »Wir haben weder die Zeit noch ist hier der richtige Ort, um über Moral zu philosophieren.« »Das ist ein eindeutiges Schuldeingeständnis«, sagte ich befriedigt. »Öffne endlich das Tor, Metallnarr!« herrschte er mich an. Grinsend kam ich der Aufforderung nach und betätigte einen verborgenen, aber von mir anmeßbaren Mechanismus. Das Hochspannungsfeld erlosch, ungefährdet konnte ich den Kontakt auslösen. Die Flügelhälften glitten zurück. Hage starrte mich an wie einen Geist. »Worauf wartest du noch? Der Eingang liegt vor dir.« Da er immer noch wie gelähmt wirkte, ließ ich ihn einfach stehen und betrat die Halle. Wäre ich ein Mensch gewesen, hätte mir sicherlich der Atem gestockt. Unzählige Roboter aller Couleur waren auf mehreren Ebenen versammelt und warteten auf den Aktivierungsimpuls. »Eine gigantische Armee«, flüsterte Chris überwältigt. Ihre
Stimme zitterte. »Ich mag mir gar nicht vorstellen, was passiert, wenn dieses Heer die zivilisierten Welten überflutet …« »Hier spricht die Zentrale Steuerpositronik«, schnarrte eine synthetische Stimme, die von allen Seiten zu kommen schien … Identifizierung!« Verflixt, mit so etwas hatte ich nicht mehr gerechnet. Wie sollte die Identifizierung aussehen? War sie optischer Natur, waren Marker oder Piktogramme damit gemeint, gab es ein Losungswort? Die Anlagen waren eindeutig alkordischer Herkunft. Sollte der Zwerg sich als Angehöriger dieses Volkes zu erkennen geben, um quasi als befugt zu gelten? Das konnte ins Auge gehen. Vermutlich war dem Rechner ein Programm eingegeben worden, das die Erinnerung an die ursprünglichen Erbauer überdeckte und ihn zu einem loyalen Werkzeug der Schwarzen Sternenbrüder machte. Geistesgegenwärtig rief ich: »Wir sind Beauftragte der Herren!« Eine Antwort blieb aus, eine bange Sekunde verstrich. Für kybernetische Systeme war das eine Ewigkeit. Was tat die Positronik jetzt? Strahlte sie eine Warnung nach draußen ab, alarmierte sie Kampfroboter, wurden Abwehreinrichtungen aktiviert? Das energetische Potential änderte sich nicht, doch das mußte nichts bedeuten. Insgeheim bereitete ich mich auf Kämpfe und einen überhasteten Rückzug vor. »Identifizierung positiv.« Die Erleichterung auf den Gesichtern meiner Gefährten war unübersehbar. »Warum hast du gezögert, uns als Befugte anzuerkennen?« »In meinen Speichern gibt es einen Hinweis auf eine weitere Kennung. Die entsprechenden Daten wurden jedoch gelöscht und teilweise unbrauchbar gemacht und sind nicht mehr auszulesen.« Damit hatten wir die endgültige Bestätigung dafür, daß die alkordischen Stützpunkte auf Beka-1 und wohl auch auf Beka-2 von den Schwarzen Sternenbrüdern übernommen worden waren. »Hast du irgendwelche Besonderheiten zu melden?« wollte ich
wissen. »Seit der Materialeinlagerung gab es keinen Besuch und keinen Zwischenfall.« Nun hätte ich gerne gewußt, wann die Kriegsgüter hierher gelangt waren, aber eine solche Frage mußte den Rechner mißtrauisch machen. Als angebliche Handlanger der Schwarzen Sternenbrüder hatten wir nur unsere Aufgabe zu erfüllen – Neugier gehörte nicht dazu. »Wir sind in geheimer Mission der Herren hier. Unsere Kontrolle ist außerplanmäßig. Dritten gegenüber hast du über unseren Besuch Stillschweigen zu bewahren.« »Ich bin den Herren zum Gehorsam verpflichtet.« »Wie wir. Natürlich mußt du den Herren Auskunft geben, wenn sie dich fragen, ob der Inspektionstrupp da war, aber anderen darfst du die Information nicht geben, sonst ist der Plan gefährdet.« »Ich verstehe. Deinem Befehl wird Folge geleistet.« Nun, da die Positronik von der Rechtmäßigkeit unseres Erscheinens überzeugt war und nichts über unsere Anwesenheit ausplaudern konnte, war es an der Zeit, dieses riesige Zerstörungspotential unbrauchbar zu machen. »Rein zufällig« hatte ich ein paar fernzündbare Bomben dabei, die ich nun meiner Ausrüstung entnahm. Nockemann verstand sofort und war mir behilflich, die winzigen Knallkörper zu verstecken und zu tarnen. Das taten wir natürlich unauffällig, während wir scheinbar interessiert umhergingen und das Arsenal inspizierten, damit die Positronik keinen Verdacht schöpfte. »Plandom fehlt!« rief Jododoom plötzlich. Der Solaner, der gerade einen Sprengsatz zwischen zwei Regalen deponieren wollte, war wie vom Donner gerührt, Chris zuckte heftig zusammen, und ich versetzte meinen Körper blitzartig in Verteidigungsbereitschaft. Es war falscher Alarm. Drei Augenpaare sahen den Alkorder befremdet an. »Was schreist du aus heiterem Himmel hier so herum?« schnauzte
der Wissenschaftler den Kleinen an. »Ich habe mich fast zu Tode erschreckt.« »Das Beka-System hat drei Planeten!« stieß Jododoom ein wenig atemlos hervor. »Ich erinnere mich wieder. Der dritte Planet heißt Plandom.« »Ein wenig leiser hättest du uns das schon mitteilen können«, sagte Nockemann in versöhnlichem Ton. »Ist dir noch etwas eingefallen?« Bevor der Alkorder antworten konnte, meldete sich die KLONDIKE. Sie berichtete knapp, daß Richardson eine identische Anlage vorgefunden hatte, die er mit ein paar »Knallfröschen« präparieren wollte. Das Beiboot drückte sich tatsächlich so aus. Jeder von uns wußte, was sich hinter dem Begriff verbarg. Wahrscheinlich hatte er die Umschreibung gewählt, um die Positronik nicht hellhörig zu machen. Ich ließ die KLONDIKE ausrichten, daß wir schon ein paar »Ostereier« versteckt hatten und unser Kontrollgang in Kürze beendet war. Kaum, daß das Schiff die Verbindung unterbrochen hatte, erklang in den Helmfunkempfängern eine bekannte Stimme. »Verschwindet aus dem Beka-System. In wenigen Stunden trifft ein Inspektionsteam der Schwarzen Sternenbrüder ein.« »Die Warnung stammt von Chybrain. Wir setzen uns ab!«
4. In aller Eile hatten wir den Rückzug angetreten. Spooner hatte die Warnung ebenfalls empfangen und war mit seinem Trupp ebenso ungeschoren wie wir zu seinem Schiff zurückgelangt. Nun befanden wir uns alle wieder an Bord der ACORAH-CEN, die fluchtartig das Beka-System verlassen hatte und sich nun im Ortungsschutz des nächsten Sterns verbarg. Alle Taster und Fernbeobachtungseinrichtungen waren auf den Sektor gerichtet, den
wir vor kurzem verlassen hatten. Alle Beteiligten waren wie ich der Ansicht, daß die Aktion ein voller Erfolg gewesen war. Es war nicht anzunehmen, daß die Bomben gefunden wurden. Wenn wir sie zündeten, besaß die gewaltige Armada in den subplanetaren Hangars nur noch Schrottwert. Ob wir damit einen Plan der Schwarzen Sternenbrüder ganz oder teilweise vereiteln konnten, wußte ich nicht, doch sicherlich erforderte der Verlust eines solchen Arsenals an Schiffen und Robotern eine Änderung der Strategie. Jeder Feldherr mußte umdenken, wenn ein Teil seiner Armee auf einmal nicht mehr zur Verfügung stand. Positiv bewertet wurde auch, daß ein weiterer Teil von Jododooms Erinnerungen freigelegt werden konnte. Hinter den Barrieren seines Gedächtnisses schien noch manches darauf zu warten, ans Licht des Bewußtseins geholt zu werden – das hatte er nach dem Einsatz selbst angedeutet. Über die Position Plandoms konnten wir nur Vermutungen anstellen. Die plausibelste war, daß der Planet sich im Nukleat befand. Was es mit dieser Welt auf sich hatte, welche Funktion sie erfüllte und was sich dort befunden hatte, vermochte der Alkorder nicht zu sagen. Daß Plandom ein Teil des Beka-Depots war, schloß ich aus, weil es widersinnig war. Plandom mußte eine besondere Bedeutung haben, denn sonst wäre ihm wohl keine Sonderbehandlung angediehen. Vielleicht fiel unserem Kleinen dazu noch etwas ein. Wir alle hatten uns in der Zentrale eingefunden, um das angekündigte Ereignis mitzuerleben, auch Jododoom. Er hatte seine Rüstung inzwischen verlassen und saß grübelnd in seinem Sitz. Meine Aufmerksamkeit und die der anderen galt den Anzeigen. Jeder hoffte, daß sich neue Anhaltspunkte oder Hinweise ergaben – und daß wir unentdeckt blieben. Was Spooner und mich am meisten interessierte, war die Reaktion der Stützpunkt-Positroniken. »Ortung!«
Auf dem Hauptbildschirm erschien die Darstellung eines Raumers, den wir bereits in den Katakomben von Beka-1 zu Gesicht bekommen hatten. Mit hoher Geschwindigkeit drang das Schiff in das System ein, ohne Anstalten zu machen, einen Planeten anzusteuern und darauf zu landen. Statt dessen entwickelte sich ein reger Datenaustausch zwischen dem Flugkörper und den Stationsrechnern. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich, daß Richardson aufatmete. Mit keinem Wort wurde unser Auftauchen in den Anlagen erwähnt, es gab nicht den geringsten Hinweis auf die gelegten Sprengsätze oder unsere Aktivitäten. »Wir müssen als Beauftragte der Herren ziemlich glaubwürdig gewesen sein«, krähte Hage vergnügt. Die Anspannung auf den Gesichtern lockerte sich. Sarah Briggs lächelte versonnen und bedachte Richardson mit einem warmen Blick, den dieser zärtlich erwiderte. »Spooner hat das auch von uns behauptet. Was macht ihr nun mit uns Kollaborateuren?« Wieherndes Gelächter war die Antwort, nur die Automaten gingen bierernst ihren Aufgaben nach. Leid taten sie mir deshalb nicht. Zum einen war ich ein besonderes Exemplar, mehr Mensch als Maschine, und zum anderen hatte ich oft auch nichts zu lachten. Jeder meiner Väter, egal ob es nun Nockemann oder Colemayn war, legte es darauf an, mich zu demütigen und unter seine Knute zu zwingen. Gedanken- bzw. bitverloren sah ich dem davonfliegenden Raumer nach. Die ACORAH-CEN war unbemerkt geblieben, doch ansonsten hatten wir keine Offenbarung erlebt. Überraschend meldete sich die Positronik zu Wort. »Das unbekannte Schiff hat eine kodierte Nachricht abgesetzt, die ich empfangen und entschlüsseln konnte. Der Text lautet: An die Herren. System B-351-K-907 wurde überprüft. Keine besonderen Vorkommnisse, es ist alles in Ordnung.« »Diese Mitteilung ist sehr aufschlußreich«, kommentierte Spooner
Richardson. »Wir wissen nun, daß die Schwarzen Sternenbrüder tatsächlich dahinterstecken und keine Ahnung davon haben, daß wir ihnen einen Strich durch die Rechnung machen.« In der lautstarken Zustimmung ging Jododooms Bemerkung fast unter. »Ich spüre da etwas. Der Aufenthalt in den subplanetaren Anlagen könnte weitere Erinnerungen freilegen.« Hages wissenschaftliches Interesse, der wie ich ganz Ohr war, wurde sofort geweckt – meins ebenfalls. Leider konnte ich mich nicht in die Unterhaltung einschalten, weil Chris zu mir kam und mich mit Beschlag belegte. Zweifellos war sie ein lieblicherer Anblick als der Alkorder, aber der war eben ein dankbareres Studienobjekt, wenn man es nicht auf die Ergründung weiblicher Anatomie abgesehen hatte, und die kannte ich als Scientologe. »Geselle, du bist doch auch Arzt, könntest du mich mal untersuchen?« raunte sie mir zu. »Sicher, aber du mußt wissen, daß ich weder ein Medo noch ein ausgebildeter Mediziner bin. Willst du nicht die Hilfe eines hier tätigen SvA in Anspruch nehmen?« »Nein. Es sind zwar liebe Burschen und hervorragende Diagnostiker, aber zu dir habe ich mehr Vertrauen.« Obwohl sie mich überschätzte, schmeichelte mir das ungemein, so daß ich ihr den Wunsch nicht abschlagen konnte. »Gut, gehen wir in ein Labor.«
* Obwohl die Umgebung steril und nicht sehr wohnlich war, wirkte die Celesterin zufrieden. Sie hatte die wohlgeformten Beine übereinandergeschlagen und sah mich aufmerksam an. Sie wirkten kein bißchen krank, und auch bei unserer Aktion hatte sie nicht über Beschwerden geklagt.
»Was fehlt dir?« »Das sollst du eigentlich herausfinden.« »Sicher, aber du mußt mir schon sagen, welche Beschwerden du hast.« »Mir ist in der letzten Zeit oft übel.« »Mußt du dich übergeben?« »Ja.« »Hast du eine Aversion gegen bestimmte Speisen?« Sie blickte mich mit großen Augen an. »Woher weißt du das?« »Ich habe es nicht gewußt, sondern versuche, das Leiden einzugrenzen. Bestimmte Symptome sind charakteristisch für organische Fehlfunktionen. Was ich bis jetzt erfahren habe, läßt drei Diagnosen zu: Ulcus, Hepathophatie oder eine intakte Gravidität.« »Du bist wirklich ein toller Arzt.« Chris himmelte mich regelrecht an. »Schon nach drei Fragen bist du im Bild.« »So ist es nun auch nicht«, berichtigte ich. »Ich habe lediglich aufgelistet, was deine Beschwerden verursachen könnte. Die eigentliche Ursache muß ich noch ergründen. Nehmen wir als simples Beispiel den Darm, obwohl das nicht sehr appetitlich ist: Der Patient hat Durchfall. Das kann eine harmlose Funktionsstörung sein, eine akute oder chronische Darmentzündung, aber auch ein Hinweis auf Typhus, Cholera oder Ruhr. Jede dieser Krankheiten muß anders therapiert werden.« »Und worauf tippst du bei mir?« »Auf ein Magenleiden, auf eine Lebererkrankung oder auf die natürlichste Sache der Welt – auf eine intakte Gravidität.« »Könntest du mir mal verständlich sagen, was diese natürlichste Sache der Welt ist?« Ich lächelte milde. Wie herrlich naiv Frauen doch manchmal sein konnten. »Heranwachsendes neues Leben im Mutterleib.« Die Reaktion der Celesterin ließ mein Lächeln gefrieren.
»Bist du verrückt, Geselle? Ich soll schwanger sein? Kannst du mir sagen, von wem?« »Mit einem Test läßt sich der Vater des Kindes leicht ermitteln.« Oha, da hatte ich einen völlig falschen Zungenschlag gemacht. Chris' Gesicht verzerrte sich. Wie eine Furie sprang sie aus ihrem Sitz, packte mich mit ihren zierlichen Händen und wollte mich beuteln. Angesichts meines Gewichts war das ein vergebliches Unterfangen. »Für was hältst du mich?« fauchte sie mich an. »Ich hätte große Lust, dich anzuspucken, du Schuft! Kein Mediziner und kein Medo würde auf derart schlüpfrige Gedanken kommen, doch dir fällt so etwas als erstes ein. Schämst du dich eigentlich nicht? Oder willst du mir weismachen, daß es beim Menschen Jungfernzeugung gibt?« »Entschuldige bitte, Chris, ich bin wohl von falschen Voraussetzungen ausgegangen«, gestand ich zerknirscht. »Nichts lag mir ferner, als dich zu beleidigen, aber es kam als eine Möglichkeit deiner Beschwerden in Betracht. Du wolltest es wissen, und ich habe es dir gesagt. Hätte ich dich anlügen sollen?« Sie beruhigte sich ein wenig. »Ich erwarte kein Kind«, erklärte sie trotzig. »Es könnte sich um eine Scheinschwangerschaft handeln.« Abwehrend hob ich die Hände, weil sie sich schon wieder aufregte. »Bitte, laß mich ausreden. Es handelt sich dabei um eine Hormonstörung, deren Ursache ergründet werden muß.« Ich nickte ihr aufmunternd zu. »Das finde ich heraus. Eine Elektrophorese, ein Hormonstatus und eine Harnuntersuchung schaffen Klarheit, was dir fehlt. Vertraue mir!« »Das fällt mir nach deiner Unterstellung schwer.« Ich seufzte. »Mädchen, das sind Labortests. Würdest du jetzt bitte nach nebenan in die Kabine gehen und Wasser lassen? Oder hältst du das für ein unsittliches Ansinnen?« Chris Guhnard bedachte mich mit einem vorwurfsvollen Blick,
gehorchte jedoch wortlos und verschwand in der Kammer. Himmel, wie mimosig das schwache Geschlecht doch manchmal reagierte. Schließlich hatte ich ja nicht den moralischen Zeigefinger erhoben, sondern nur meine Hilfe als Bio-Spezialist angeboten. Und als Roboter stand ich ohnehin über den Dingen. Ich hatte gerade meine Instrumente aufgebaut, als die Celesterin wieder auftauchte und mir das Glas mit der Urinprobe reichte. »Wann kann ich das Ergebnis erfahren?« »In einer guten Stunde. Ich gebe dir den Befund durch.« »Aber bitte nicht über die Rundrufanlage«, sagte sie schnippisch und verließ grußlos das Labor. Ich rannte ihr nach. »Warte, ich muß dir noch Blut abnehmen!« Sie kehrte um und ließ die Prozedur schweigend über sich ergehen, dann rauschte sie endgültig hinaus.
* Die Elektrophorese hatte keinen Anhaltspunkt für eine organische Erkrankung gegeben, aber das, was sie so heftig von sich gewiesen hatte, stand mit Sicherheit fest: Chris Guhnard war schwanger. Sagte ich ihr das auf den Kopf zu, kam ich wahrscheinlich in Teufels Küche, verschwieg ich es, war mein guter Ruf als Scientologe dahin. Hage würde sich totlachen und nimmer müde werden, mir ständig unter die Nase zu reiben, daß ich bei einer gezielten Untersuchung eine intakte Gravidität übersehen hatte. Nein, ich mußte anders vorgehen und erst einmal den Vater ermitteln. Das ging natürlich nur, wenn ich über genetisches Material der Mutter und des heranwachsenden Kindes verfügte. Unter dem Vorwand, eine Leberpunktion durchführen zu müssen, bat ich die Celesterin noch einmal ins Labor. Dank der örtlichen Betäubung spürte sie nichts von dem kleinen Eingriff. Sie merkte
auch nicht, daß mein Ziel nicht das Entgiftungsorgan war, sondern die Gebärmutter. Der ohne schädliche Röntgenstrahlen arbeitende Computer-Sonograph ermöglichte es mir dabei, auf den zehntel Millimeter genau meine Instrumente einzusetzen. Als Chris wissen wollte, was ihr nun eigentlich fehlen würde, warf ich ihr ein paar Fachausdrücke an den Kopf, schwafelte von leicht erhöhten Leberwerten und gab ihr ein unschädliches Medikament gegen Schwangerschaftserbrechen. Daß sie einem freudigen Ereignis entgegensah, behielt ich für mich. Ob sie es einen Tag früher oder später erfuhr, war nicht von Belang. Endlich wieder allein machte ich mich sofort daran, den genetischen Kode der Zellen zu entschlüsseln. Das erforderte einen wesentlich größeren Aufwand als die Bluttests. Mit komplizierten Verfahren rückte ich dabei den kleinsten Bausteinen des Körpers zu Leibe, um die DNS-Struktur zu entschlüsseln. Als das Ergebnis endlich vor mir lag, traf mich fast der Schlag. Aufgeregt stürzte ich zum Interkom-Anschluß und wählte eine Verbindung zur Zentrale. Dort war der Solaner nicht, also versuchte ich es in seiner Unterkunft. Er meldete sich nicht. Ob er sich in Jododooms Kabine aufhalten sollte? Tatsächlich hatte ich Glück. »Wo steckst du eigentlich?« knurrte er. »Ich habe Neuigkeiten für dich.« »Und ich eine Sensation. Du mußt sofort kommen!« Er musterte mich durchdringend. »Was hast du angestellt, Bube?« »Ich habe etwas herausgefunden, was dich interessieren wird, Chef.« Allmählich wurde ich ungeduldig. »Willst du dir das Resultat ansehen oder nicht?« »Wenn es sich wieder um eine deiner üblichen Albernheiten handeln sollte, lernst du mich kennen, du Drückeberger. Zielansprache!« Ich nannte ihm den Sektor und die Laborbezeichnung und trennte die Verbindung. Bei dem Tempo, das der Solaner gewöhnlich an
den Tag legte, rechnete ich damit, eine halbe Stunde warten zu müssen, doch bereits nach wenigen Minuten tauchte er schnaufend auf. Mit einem Blick umfaßte er, welchem Zweck die Geräte und die Versuchsanordnung dienten. »Treibst du genetische Studien oder willst du jetzt Colemayn klonen?« »Dein Sarkasmus wird dir gleich vergehen, du Frauenschänder!« Nockemann lief dunkelrot an. »Wie redest du denn mit mir, du Blechaffe?« brüllte er los. »Du weißt wohl nicht, wen du vor dir hast!« »Doch«, gab ich lautstark zurück. »Einen werdenden Vater.« »Du bist ja total übergeschnappt. Entweder ist bei dir eine Schraube locker, oder du hast deinen Plasmazusatz in reinem Alkohol gebadet«, schnaubte der Wissenschaftler, nunmehr nur noch babyrosa im Gesicht. »Für Scherze dieser Art habe ich keinerlei Verständnis. Das wird noch ein Nachspiel für dich haben.« Er wollte auf dem Absatz kehrtmachen und den Raum verlassen, aber ich hielt ihn zurück. »Setz dich hin und hör mir zu!« Tatsächlich kam er der Aufforderung nach. »Was gibt es noch?« »Vor einigen Stunden bat mich Chris Guhnard, sie zu untersuchen, weil sie unter Übelkeit und Brechreiz leidet.« »Interessant. Und was geht mich das an?« »Sie ist schwanger, schwört aber Stein und Bein, mit keinem Mann zusammen gewesen zu sein.« »Es gibt beim Menschen keine ungeschlechtliche Vermehrung, du Einfaltspinsel. Hat sie dir das eingeredet?« »Nein. Sie weiß noch nicht, daß sie ein Baby bekommt, dessen Vater du bist. Verstehst du? Das Kind ist von dir, und hier ist der Beweis!« Ich reichte Hage eine bedruckte Folie, auf der die experimentellen Ergebnisse und die gewonnenen Informationen zusammengefaßt
waren. Stirnrunzelnd überflog er die Daten und Graphiken, und je mehr Text und Formeln er gelesen hatte, um so bleicher wurde er. Mit zitternden Händen ließ er das Blatt sinken. »Blödel, ich versichere dir bei allem, was mir heilig ist, daß ich mit dieser Frau nie eine Verbindung eingegangen bin. Der einzige Körperkontakt war ein Händeschütteln nach der Rückkehr von Beka-1.« Wie ein Häufchen Elend hockte er in seinem Sessel und blickte mich flehentlich an. »Du mußt mir glauben, Blödel. Das muß ein schrecklicher Irrtum sein, eine Fehlinterpretation der Fakten. Bestimmt hast du dich getäuscht.« Irgendwie tat mir der gramgebeugte Solaner leid. Ich kannte ihn besser als jeden anderen hier, hatte Freude und Leid mit ihm in langen Jahren geteilt, sah man einmal davon ab, daß er als Klon eine identische Erstauflage war. Ein Lügner war er nie gewesen, auf sein Wort war stets Verlaß. Die Fakten sprachen gegen ihn, dabei war ich geneigt, ihm zu glauben, aber auch Chris machte auf mich nicht den Eindruck einer Schwindlerin. Nur – wie paßte das zusammen? »Sieh dir alles noch einmal selbst an!« Kraftlos schlurfte er zum Tisch und vollzog meine Arbeit nach. Da bereits alles vorbereitet und die Isolierung, Identifizierung und Charakterisierung von DNS-Fragmenten nicht mehr erforderlich war, nahm die Untersuchung nicht viel Zeit in Anspruch. Ziemlich geknickt kehrte er zu seinem Sitz zurück. »Es gibt keinen Zweifel, das Ungeborene besitzt einen Teil meiner Erbanlagen. Es ist mein Kind. Wie bringe ich das nur der Mutter bei?« Grübelnd zwirbelte der Solaner seinen Bart. »Sie muß künstlich befruchtet worden sein. Das geht während einer Vollnarkose, ohne daß sie es merkt, doch von mir gibt es kein Sperma-Depot.« Entrückt sah er durch mich hindurch. »Wie alt ist der Embryo?« »Keine Ahnung. Darum habe ich mich nicht gekümmert, denn es ging mir ja ausschließlich um den Vaterschaftsnachweis.« »Hast du mit dem Computer-Sonographen gearbeitet?« Als ich
bejahte, setzte er hinzu: »Ist das aufgezeichnet worden?« »Selbstverständlich. Warum fragst du?« Nockemann gab keine Antwort, eilte zu einem Monitor und rief den Film aus dem Speicher ab. Die Aufnahmen kannte ich bereits, Neuigkeiten waren nicht zu erwarten. Um so überraschter war ich, als Hage plötzlich aufschrie. »Deutlich ausgebildete Glieder, der unförmige Kopf bereits in der Rückbildung begriffen, Augen und Ohren erkennbar, Größe zehn Zentimeter.« Dem Jubelruf folgte eine Pause, dann sagte der Scientologe mit schneidender Stimme: »Du bist wirklich ein Vollidiot, Geselle. Dieser Fetus ist drei Monate alt, ich dagegen erfreue mich erst seit rund zwei Monaten meines neuen Lebens.« Insgeheim haderte ich mit meinem Schicksal. Warum war ich manchmal so unvollkommen, wenn es darum ging, gegen Hage in seinen ureigensten Disziplinen anzutreten? An den Programmen konnte es nicht liegen, denn ich war lernfähig und wißbegierig dazu, war dem Fortschritt aufgeschlossen und besaß das absolute Gedächtnis. Wie hatte ich übersehen können, was er auf Anhieb entdeckte? Angesichts der zu erwartenden Gardinenpredigt versuchte ich, Punkte zu sammeln durch exakte Terminierung. »Es sind genau …« »Geschenkt, Hohlkopf. Wenn es um Wochen geht, sind Tage und Stunden bedeutungslos.« Hocherhobenen Hauptes wanderte er auf und ab, keine Spur mehr von Zerknirschtheit. »Die junge Frau muß selbstverständlich über ihren Zustand aufgeklärt werden, damit das ungeborene Leben keinen Schaden nimmt. Du weißt schon: Anstrengungen vermeiden, gesunde Ernährung, keine Aufregung, viel Schlaf. Und natürlich die obligatorischen Vorsorgeuntersuchungen. Da du dich bereits intensiv um sie gekümmert hast, schlage ich vor, daß du sie weiterhin betreust.« »Abgemacht, wenn du ihr beibringst, daß sie ein Kind von dir erwartet, du jedoch nicht der Vater sein kannst.« »Verdammt, du hast recht.« Kraftlos sank Nockemann auf einen
Hocker. »Die Sache hat fatale Ähnlichkeit mit den Zehnlingen auf der SOL damals.« »Die Voraussetzungen sind anders«, korrigierte ich. »Es handelt sich um eine ganz normale Schwangerschaft mit der Einschränkung, daß du zum Zeitpunkt der Eibefruchtung selbst noch Zellmaterial warst. Biologisch bist du …« »Das weiß ich selbst«, begehrte der Solaner auf. »Wer steckt dahinter, warum ich, wieso ausgerechnet diese Frau? Wem könnte es nützen, mich zu kompromittieren?« Seine Stimme senkte sich. »Blödel, da sind höhere Mächte am Werk – hoffentlich nicht die Schwarzen Sternenbrüder.« Dieser Verdacht war mir bereits ebenfalls gekommen, aber den genetischen Kode des Genetikers kannte allenfalls Breckcrown alias Chybrain, der mir die beiden Kapseln mit Hages Zellstrukturen überlassen hatte. Aus dem Material eines dieser Behälter war mein Lehrmeister geklont worden, der andere befand sich sicher und wohlverwahrt in meinem Körper. Eher routinemäßig kontrollierte ich seine Lage und erschrak. Ohne daß ich es bemerkt hatte, war die zweite Hülle mitsamt Inhalt verschwunden. War das die Lösung?
* Wir befanden uns auf dem Weg nach Donalkor. Diesen Namen und die Koordinaten des Planeten hatte Hage mit Hilfe der Schiffspositronik aus Jododooms Gedächtnis herausfiltern können. Der Kleine erinnerte sich verschwommen daran, daß es sich um die vermutlich letzte noch freie Alkorderwelt im Nukleus handelte, eine subplanetare Kolonie. Wenn das zutraf und es uns gelang, Verbindung aufzunehmen, war das ein Bombenerfolg, der uns ein gutes Stück weiterbrachte. Angesichts des bevorstehenden Ereignisses wurde alles andere zweitrangig. Um Chris' geheimnisvolle Schwangerschaft und die
verschwundene Kapsel mit Hages Zellmaterial mußte ich mich später kümmern. Jetzt galt es erst einmal, ungeschoren unser Ziel zu erreichen und darauf zu achten, daß wir keine Verfolger und ungebetene Begleiter zu Donalkor hinführten. Wenn dessen Position erst einmal dem Gegner bekannt war, war das Leben der dort wohnenden Alkorder keinen Pfifferling mehr wert. Richardson ging sehr umsichtig zu Werk. Immer wieder nahm er Kursänderungen vor, die auf die falsche Spur führten, Geschwindigkeitswechsel und verschiedene Linearetappen taten ein übriges. Das kostete natürlich Zeit, aber Jododooms Artgenossen durften auf keinen Fall gefährdet werden. Endlich kündigte die ACORAH-CEN das Ende des Überlichtflugs an, übergangslos zeigten die Bildschirme wieder eine reale Umgehung. Sofort liefen die Orter und Taster an und suchten mit unsichtbaren Strahlen den umliegenden Raum ab. Unsere Vorsicht hatte sich ausgezahlt. Niemand lauerte uns auf, weit und breit war nicht einmal ein Metallbrocken anzumessen. Einsam und sonnenlos stand ein Planet im All, ohne Atmosphäre, ein kraterübersäter Riesenmond von 18000 km Durchmesser. Die Polkappen wurden von großen Eiswüsten bedeckt, die einen Radius von tausend Kilometern hatten und wohl aus früheren Zeiten stammten. Wenn das wirklich Donalkor war, dann war die Tarnung vollkommen. Wer kam schon auf den Gedanken, daß der unwirtliche Himmelskörper, verlassen im Leerraum und fernab jeden Sterns, der Stützpunkt einer Zivilisation war? Nicht das kleinste Energieecho kam herein. Das konnte aber an der ACORAHCEN liegen. »Ob das wirklich die gesuchte Welt ist?« zweifelte Sarah Briggs. »Ich bin ganz sicher«, sagte Jododoom aufgeregt. »Mir fallen Einzelheiten ein, Namen. Wir müssen Kontakt mit Temtemtuum aufnehmen. Er steht dem Alten Rat der Zwölf als Ratsoberhaupt vor. Der ARZ regelt die Belange meines Volkes auf Donalkor.« »Ist das eine Art Krisenmanagement?« wollte der Solaner wissen.
»Nein, es sind demokratisch gewählte Vertreter. Eins der Ratsmitglieder ist Jamora, die Lebensgefährtin von Temtemtuum«, sprudelte der Zwerg hervor. »Ich kenne die beiden gut.« Mittlerweile war der Abstand auf vier Lichtsekunden geschrumpft. Mit gedrosselten Triebwerken hielt das Schiff auf den Riesenmond zu, der seinen Heimatplaneten verloren zu haben schien. »Auf welcher Frequenz sollen wir senden?« erkundigte sich Spooner. »Überlasse das der ACORAH-CEN. Sie soll sich in meinem Namen und in meinem Auftrag melden«, erklärte der Alkorder. Die Bordpositronik bestätigte und begann zu funken. Gespannt warteten wir auf Antwort.
* Zu meinem Erstaunen kam die Bildfunkverbindung schon nach wenigen Sekunden zustande. Das Abbild eines Alkorders war zu erkennen, über ihm schwebte ein anderer in der Denkergestalt. »Jododoom! Daß du unversehrt zurückgekehrt bist, ist eine freudige Überraschung für uns alle.« »Auch ich bin froh, dich heil und munter zu sehen, Temtemtuum«, erklärte der Kleine feierlich. »Ich bringe gute Nachrichten mit, aber auch schlechte Botschaften.« »Ich vermisse Jodokat.« »Sie ist mit anderen Freunden unterwegs. Ich habe viel zu berichten.« »Wir werden dir zuhören, aber zuerst einmal muß die ACORAHCEN eingeschleust werden. Ihr bekommt einen Peilstrahl. Bis später!« Der Schirm wurde dunkel. Automatisch hielt der Raumer auf die südliche Polkappe zu. Dort begann es zu brodeln und zu rumoren,
die Eisdecke schmolz und verwandelte sich an einer Stelle in einen tausend Meter durchmessenden See, in den das Schiff hinabtauchte. Während das Wasser über uns in Sekundenschnelle wieder gefror, nahm ein riesiger erleuchteter Schacht die ACORAH-CEN auf. Glitzernde Schneekristalle und erstarrte Rinnsale bedeckten die verkleideten, von Rauhreif überpuderten Wände. Ohne eigenen Antrieb passierte das Schiff eine doppelte Sicherheitsschleuse. Nun sank es schneller in die Tiefe, wurde von einem Antigravfeld abgefangen und landete sanft. Ein mächtiges Schott glitt zur Seite, Traktorstrahlen erfaßten den Raumer und bugsierten ihn in einen gewaltigen Hangar. Den Anzeigen war zu entnehmen, daß er mit warmer, atembarer Luft geflutet war. Das Portal schloß sich wieder, ein anderes Tor öffnete sich. Vier Alkorder in ihrer Handler-Gestalt traten aus der dahinterliegenden Kammer. »Endstation, alles aussteigen!« rief der Wissenschaftler vergnügt und stemmte sich aus seinem Sessel hoch. Die anderen folgten seinem Beispiel. Da wir hier bei Freunden waren, erübrigten sich Sicherheitsmaßnahmen, zudem konnte die ACORAH-CEN recht gut auf sich selbst aufpassen. »Bis auf die Roboter kann die gesamte Mannschaft von Bord gehen!« verkündete Richardson. Das ließ sich keiner zweimal sagen, und so strebte die Crew einschließlich Nockemann und mir einträchtig der Personenschleuse zu. Kaum, daß wir festen Boden unter den Füßen hatten, näherte sich das Empfangskomitee. Wir wurden freundlich aufgenommen, besonders herzlich war die Begrüßung der Alkorder untereinander. Die vier nannten ihre Namen: Temtemtuum und Jamora, die wir bereits kannten sowie Pardan und Berbernoot. Wir stellten uns ebenfalls artig vor. Daß Jododoom mich als seinen Lebensretter bezeichnete und mir die medizinischen Fähigkeiten der SvA bescheinigte, war mir mehr als peinlich, zumal Hage bei Erwähnung meiner ärztlichen Künste anzüglich hüstelte. Wäre ich er gewesen, hätte ich ihm unauffällig einen Tritt versetzt, doch das verbot mir
meine gute Kinderstube. Angeführt von der hochkarätigen Abordnung gelangten wir zu einem Antigrav, den wir drei Decks tiefer wieder verließen. Ein Dutzend robotgesteuerter Wagen wartete auf uns. Nachdem wir in den Formsitzen Platz genommen hatten, setzten sie sich geräuschlos in Bewegung und schwebten auf Prallfeldern den breiten, in freundlichen Farben gehaltenen Gang entlang. Eine geschwungene, nach unten führende Rampe nahm uns auf. Es ging vorbei an unzähligen Türen, hinter denen sich, so erklärte Pardan, Magazine und Depots befanden! Unbemannte Transporter kamen uns entgegen, die Behälter mit Material geladen hatten. Ein Bus mit winkenden, lärmenden Miniaturausgaben unserer Gastgeber überholte uns. »Schüler, die mit ihren Lehrern den subplanetaren Raumhafen besichtigt haben«, kommentierte die Alkorderin. Den Mienen meiner Gefährten nach zu schließen, war ich nicht der einzige, der überrascht war. Zum ersten Mal hatten wir Kinder zu Gesicht bekommen. Unsere Kolonne bog nach links ab. Die Wände wichen zurück, und ich glaubte mich in ein liebliches Tal versetzt. Am künstlichen Himmel spendeten Atomsonnen Licht und Wärme, ein murmelnder Bach speiste einen kleinen See, Bäume und Sträucher in saftigem Grün erfreuten das Auge. In eine sanft ansteigende Landschaft waren wie Berge und Hügel wirkende Häuser geschickt integriert worden, davor leuchteten Blumenbeete und Blütenrabatten. Saubere, von Büschen gesäumte Straßen und Wege durchkreuzten die grasbewachsenen Matten, die von weißen, gelben und blauen Farbtupfern durchsetzt waren. Angesichts dieses kleinen Paradieses schwiegen die Celester andächtig, nur Nockemann nahm die Idylle nicht gefangen. »Recht hübsch gemacht.« »Es ist phantastisch!« »Übertreibe nicht immer so schamlos!« zischte er.
»Naturbanause!« gab ich ebenso leise zurück. Die Alkorder hatten die letzten beiden Sätze nicht mitbekommen. Sie fühlten sich sichtlich geschmeichelt, daß uns diese Oase gefiel. Die Wagen schwenkten nach rechts und glitten einen Pfad hinauf, dann stoppten sie vor einem Gebäude ab, das wie ein von Rasen bedeckter Fels gestaltet und sechs Stockwerke hoch war. Das Obergeschoß konnte allenfalls noch drei Zimmer haben. »Eins unserer Gästehäuser«, sagte Pardan und stieg aus. »Ruht euch ein wenig aus und entspannt euch. Wenn ihr einen Wunsch habt, laßt es mich wissen.« Sie wandte sich an Jododoom. »Kommst du mit?« »Nein, ich bleibe bei meinen Freunden. Für wann ist eine Besprechung anberaumt?« »Das liegt ganz bei dir und deinen Begleitern.« »Gut, ich melde mich wieder!« Die Ratsmitglieder winkten verabschiedend, Pardan kletterte wieder in das Gefährt, dann fuhr die Kolonne davon und verschwand hinter einer Serpentine. »Eine Einweisung hätte nicht schaden können«, nörgelte der Solaner. Der Kleine hatte die Bemerkung gehört. »Du wirst dich ohne Mühe zurechtfinden. Die Technik entspricht der auf der ACORAH-CEN. Meine Artgenossen hätten es als aufdringlich empfunden, zivilisierten Gästen eine Wohnung und deren Einrichtung zu erklären.« Verlegen drehte Nockemann sich um und ging ins Haus. Ich folgte ihm amüsiert. So eine Zurechtweisung hatte er öfter verdient.
* Hage und ich hatten das Dachgeschoß mit Beschlag belegt und uns dort häuslich niedergelassen. Tatsächlich bestand es nur aus zwei
Zimmern und dazugehörigen Naß- und Hygienezellen sowie einer kleinen Robotküche. Von hier oben aus hatte man einen herrlichen Blick über die künstliche Berglandschaft, die ein genialer Architekt gestaltet haben mußte. Alles wirkte weit und offen, wenn man nicht wußte, daß man sich im Innern einer Welt befand, wäre niemand auf den Gedanken gekommen, über sich zig Millionen Tonnen Gestein zu haben. Wie der Alkorder gesagt hatte, bereitete uns die Technik der Einrichtung keinerlei Probleme. Das Mobiliar war auf Wesen unserer Größe zugeschnitten oder paßte sich unseren Maßen an wie etwa die Formsessel. Es gab Kommunikationsund Unterhaltungsgeräte, Servoautomaten lieferten Getränke und sogar eine Art Wein. Gravitation und Luftzusammensetzung entsprachen ebenso unseren Bedürfnissen wie Helligkeit und Temperatur. Es war eine Umgebung, in der man Urlaub machen konnte. Besonders hoch rechnete ich den Alkordern an, daß sie uns nicht isoliert untergebracht hatten, sondern in einer normalen Wohnanlage. Wir wurden auch nicht überwacht und gegängelt, sondern konnten uns frei und nach Gutdünken bewegen. Da ich weder Müdigkeit kannte noch einer Erfrischung bedurfte, hatte ich gleich nach der Besichtigung der Räume einen kleinen Ausflug unternommen – allein, denn dem Genetiker war jede überflüssige körperliche Bewegung ein Greuel. Vermutlich war die Bevölkerung gebeten worden, während unserer Ankunft die Häuser nicht zu verlassen, doch jetzt wimmelte es regelrecht von Männlein und Weiblein – und von spielenden Kindern. Der Nachwuchs bevorzugte die hominide Form, um seinen Bewegungsdrang auszutoben, doch ich sah auch einige der schwebenden Riesenerdnüsse en miniature. Ein beliebtes Spiel schien so etwas wie Drachensteigen zu sein. Kinder in der Denkergestalt hielten dabei mit ihrer einen Hand eine Schnur umfaßt, die ein Junior am Boden festhielt. Den natürlichen Ballon am Faden nachziehend, rannte er auf einen mit Stangen
abgesteckten Parcours zu und überwand die Hindernisse. Obwohl ich hier auf die Alkorder und vor allem auf die Kinder wie ein Mondkalb wirken mußte, wurde ich weder angestarrt noch angepöbelt, im Gegenteil. Man grüßte freundlich zurück und ließ mich meiner Wege gehen, niemand brachte Töchter oder Söhne in Sicherheit, wenn ich auftauchte. So faßte ich Mut und näherte mich einer Gruppe von juchzenden Zwergen. »Guten Tag, mein Junge. Darf ich euch zusehen?« Der zwanzig Zentimeter große Steppke musterte mich neugierig. »Sicher, du kannst bestimmt noch etwas von mir lernen«, meinte er altklug. »Wie heißt du?« »Geselle. Und du?« »Nasastee.« Er schaute mich interessiert an. »Du hast einen komischen Namen und siehst seltsam aus. Wo kommst du her?« »Von ganz, ganz weit. Ich bin mit einem Raumschiff hier.« »Toll. Ich will auch einmal Raumfahrer werden.« »Das ist aber nicht ganz einfach, Nasastee.« »Aber auch nicht so schwierig. Vorhin habe ich mit meiner Gruppe den Raumhafen besichtigt – da geht alles automatisch. Springlaufen ist viel schwieriger.« »Wie geht denn das Spiel?« »Man muß so schnell wie möglich alle Hindernisse überwinden. Dabei darf meine große Schwester«, er deutete nach oben, »nicht selbst steuern, und ich muß aufpassen, daß sie die Stangen nicht berührt.« »Aha. Und wer ist der Beste?« »Ich natürlich!« erklärte der Winzling im Brustton der Überzeugung. »Nasastee, mach endlich!« rief ein Mädchen. »Du bist dran!« »Entschuldige, aber du siehst, ich werde gebraucht!« Sprach's und lief davon. Lächelnd sah ich ihm nach und machte mich auf den Rückweg. Nockemann erwartete mich bereits ungeduldig.
»Wo hast du dich wieder herumgetrieben, du Nichtsnutz? Ich sitze hier auf heißen Kohlen, und du lustwandelst in der Gegend herum!« »Es muß ein ziemlich mickriges Feuerchen gewesen sein, denn dein Hinterteil ist nicht einmal angesengt«, erklärte ich nach eingehender Betrachtung seiner Kehrseite. »Erstens geht dich mein Sitzfleisch überhaupt nichts an, zweitens bin ich nicht zu Albernheiten aufgelegt, und drittens bin ich in Eile«, bellte er. »Komm endlich, Jododoom wartet auf uns!« »Und was will er? Mit uns tafeln?« »Nein, du Trottel, er hat uns zur Berichterstattung beim Alten Rat der Zwölf angemeldet.« »Schön. Was wollen sie uns erzählen?« »Nichts«, geiferte Hage. »Wir sollen denen etwas erzählen.« »Also ist Märchenstunde angesagt.« Hage schäumte vor Wut. Das war mir wieder gut gelungen. Wenn er schon keinen Sport trieb, mußte man seinen Organismus von Zeit zu Zeit auf andere Weise auf Trab bringen. Ich lief zur Tür. »Was ist, warum kommst du nicht? Deine Trödelei läßt uns jedesmal zu spät kommen!« Der Solaner rang vernehmlich nach Luft, sein Brustkorb hob und senkte sich wie ein Blasebalg, ein irrer Blick trat in seine Augen, also machte ich, daß ich davonkam.
* Die Fahrt zum Amtssitz der Ratsmitglieder dauerte eine knappe halbe Stunde. Vorsorglich hatte ich mich in einen anderen Wagen gesetzt als der Solaner. Ich war so nicht nur vor Tritten, Püffen und Beschimpfungen sicher, sondern konnte mich auch ungestört der Umgebung widmen. Was die Alkorder innerhalb Donalkors geschaffen hatten, war
erstaunlich und verdiente höchste Anerkennung. Sie hatten nicht einfach einen von Zweckmäßigkeit bestimmten Riesenbunker gebaut, sondern neben der Funktionalität deutlichen Wert auf Ästhetik gelegt. Lager- und Wohnstätten wechselten mit Pflanzungen ab, Regionen, in denen geforscht und produziert wurde, wurden durch Parks aufgelockert, es gab Freizeitzentren und Erholungseinrichtungen. Von der Technik, die das alles ermöglicht hatte, versorgte und erhielt, sahen wir nichts. Auch das war bewundernswert. Unbehelligt passierten die Fahrzeuge einen aus Robotern bestehenden Sicherheitskordon und folgten einer Röhre, deren zahlreiche Warntafeln darauf hinwiesen, daß Unbefugten die Benutzung nicht gestattet war. Das war verständlich. Unterwegs hatte ich erfahren, daß die Lebenszone der Alkorder in drei Kilometer Tiefe begann und bis etwa zehntausend Meter reichte. Zweiundsechzig Milliarden verteilten sich auf den dazwischenliegenden Ebenen, und wenn es nur einem Tausendstel der Bevölkerung in den Sinn kam, die Ratsmitglieder persönlich aufzusuchen, war das Chaos perfekt. Der Schacht endete in einer Höhle, die an eine verwunschene Meeresgrotte erinnerte. Sonnen an der Decke, die sich dem organischen Auge entzog, tauchten die Umgebung in diffuses blaues Licht und ließen die Konturen verschwimmen. Das Gebäude im Mittelpunkt hob sich dagegen deutlich ab. Es war ein überdimensionales Symbol, angestrahlt von unsichtbaren Scheinwerfern und funkelnd wie ein lupenreiner Brillant. Unsere Kolonne bremste vor dem irisierenden Eingang ab. »Wir sind da«, erklärte Pardan, die uns auch jetzt wieder betreut und begleitet hatte. »Bitte steigt aus!« Das taten wir und folgten Temtemtuum, der uns persönlich empfing, in den Sitzungssaal. Dort hatte man eigens für uns Sitzgelegenheiten aufgebaut. Jododoom belegte eine davon sofort mit Beschlag. Da er mit der Zeremonie vertrauter war als ich, hatte
ich keine Hemmungen, seinem Beispiel zu folgen. Nun nahmen auch die anderen Platz. Zu meinem Leidwesen hatte Nockemann es so einrichten können, daß er zu meiner Rechten thronte. »Das hättest du dir wohl nicht träumen lassen, Blödel?« Nein, wahrhaftig nicht. Dennoch verzichtete ich auf eine Antwort und konzentrierte mich auf das, was sich vor uns tat. Mit einem Blick stellte ich fest, daß der »Alte Rat der Zwölf« vollständig versammelt war. Nochmals wurden wir von seinem Oberhaupt begrüßt und willkommen geheißen. »Wir leben hier ziemlich isoliert und sind von den kursierenden Nachrichten so gut wie abgeschnitten«, begann der ranghöchste Alkorder. »Um so erfreulicher ist es, Informationen aus erster Hand zu erhalten. Daher will ich mich gar nicht erst lange mit der Vorrede aufhalten und erteile Jododoom das Wort.« Der Kleine erhob sich würdevoll. »Daß ich heute unter euch weilen kann, verdanke ich meinen hier anwesenden Freunden. Sie haben mir selbstlos geholfen.« Beifall kam auf. Peinlicherweise bezog Hage ihn ausschließlich auf sich. Er lächelte selbstgefällig und winkte den Ratsmitgliedern huldvoll zu. »Halte dich gefälligst zurück!« raunte ich. »Du hast den geringsten Anteil dazu beigetragen.« »Nur kein Neid, Wichtigtuer!« »Die uralte Prophezeiung stimmt«, fuhr Jododoom fort und enthob mich damit einer Antwort. »Wir alle wissen, daß die angekündigte Bedrohung Realität geworden ist, aber wir stehen nicht mehr allein. Kassja-Narktuan, der uns einen Weg aufgezeigt hat, wie wir dem Unheil entgehen können, hat recht: Atlan existiert und setzt sich für unsere Sache ein, und es gibt auch die Celester. Sie helfen uns ebenfalls. Eine Gruppe davon sitzt vor euch!« Die sonst eher zurückhaltenden Alkorder gerieten fast aus dem Häuschen. Sie applaudierten so begeistert, als hätten sie soeben erfahren, daß die Schwarzen Brüder das Zeitliche gesegnet hätten.
Jetzt fehlte nur noch, daß sie pfiffen und trampelten und grölten »So ein Tag, so wunderschön wie heute!« Glücklicherweise blieb uns das erspart, da ihnen das von meist trunkenen Zungen geschmetterte terranische Liedgut unbekannt war. Nockemann saß neben mir wie eine Zitrone. Nicht, daß er gelb angelaufen war, denn das hätte eine Hepatitis bedeutet, nein, seine Miene verriet eine säuerliche Grundstimmung. Endlich hatte er begriffen, daß die Ovationen nicht ihm galten, zumindest nicht ausschließlich. Aus Erfahrung wußte ich, daß er Ruhm nicht gerne mit anderen teilte, noch nicht einmal mit mir als seinem MitScientologen. Die Begeisterung ebbte ab. Nun hatte Jododoom Gelegenheit, umfassend zu berichten, was er und damit auch wir erlebt hatten, wie nach unseren Kenntnissen der Stand der Dinge war und wie es »draußen« aussah. Meine Verdienste hob er dabei hervor, den Solaner erwähnte er eher beiläufig – sehr zu dessen Mißvergnügen. Sein Gesichtsausdruck verriet, daß er sich innerlich in eine Essiggurke verwandelte, diesen Zustand als Katalysator benutzte und auf dem besten Wege war, den Tag als Essigessenz in fester Form zu beenden. Ich gönnte mir ein Zitat aus »Goethes Faust« und säuselte: »Am Ende hängen wir doch ab von den Kreaturen, die wir machen.« »Kreatur ist das richtige Wort«, zischte Hage und zerschmolz mich fast mit den Augen. »Warte, wenn wir zurück sind! Aus dir mache ich einen Blechdackel mit Maulkorb!« »Metall läßt sich nicht klonen«, gab ich süffisant zurück. Teufel, das hatte gesessen! Nockemann zerriß es beinahe. Was andere für einen Schluckauf halten mußten, waren innere Explosionen, abwechselnd verschlug es ihm den Atem, röchelte, schnaufte, keuchte und knirschte mit den Zähnen. Der Schnauzbart zitterte, die Haarspitzen vibrierten, die Lippen bebten, und die Augen unternahmen deutliche Anstrengungen, die angestammten Höhlen zu verlassen, was ihnen jedoch nicht gelang. Ich schätzte die
Sprengkraft der Emotionen, die den schmächtigen Körper beutelten, auf eine Gigatonne TNT. Es war wirklich erstaunlich, was ein lebender Organismus verkraftete. Nach wie vor galt die uneingeschränkte Aufmerksamkeit Jododoom. Der hatte seinen Vortrag mittlerweile beendet, aber das Informationsbedürfnis der Ratsmitglieder war schier grenzenlos. So wurden wir ebenfalls in die Befragung einbezogen und standen Rede und Antwort. Dabei erfuhren auch wir einige interessante Dinge. So war Donalkor kein einsamer Planet, sondern gehörte ursprünglich zum Turuftan-System. Das Zentralgestirn war eine kleine rote Sonne, die außer Donalkor einen weiteren Trabanten namens Cenalkor besaß. Der Stern gehörte zu der einundzwanzig Lichtjahre durchmessenden Turuf-Ballung, 7440 Lichtjahre vom Zentrum der jetzigen Nukleat-Ebene entfernt auf der dem Jet-Strahl abgewandten Seite. Donalkor war nicht versetzt worden, sondern stand an der gleichen Position wie früher, nun allerdings im Nukleus. Diese »Aufteilung« war von den Alkordern schon vor dreitausendsechshundert Jahren vorgenommen worden. Turuftan und damit auch Cenalkor wurden quasi auf natürliche Art geschützt. Wegen der eng beieinander stehenden Sterne und der daraus resultierenden Phänomene war die Turuf-Ballung ein gefährliches Gebiet, um das Raumfahrer lieber einen weiten Bogen machten. Zusätzlich wurde der nur 5400 Kilometer durchmessende Planet durch Schirmfelder als urtümliche unbewohnte Welt getarnt, die von Großstationen auf den beiden Monden erzeugt wurden. Man hatte also bei Cenalkor eine andere Art des Schutzes als bei Donalkor gewählt. Cenalkor war die zweite große Kolonie der Alkorder, aber zwischen beiden Welten gab es keine Verbindung. Der Meinungsaustausch hatte bis in die Nachtstunden gedauert und wurde mit einem Festmahl beendet. Nun sollte die Gesprächsrunde ihre Fortsetzung finden. Wie gestern hatten wir uns in dem Sambol-Gebäude versammelt, Roboter servierten Getränke
und sogar frische Früchte, die aussahen wie Äpfel. Die Ratsmitglieder, sonst eher ernst und etwas scheu wie alle Alkorder, wirkten erheitert, als Berbernoot erklärte: »Ihr könnt das Obst getrost verzehren. Unsere Untersuchungen haben ergeben, daß es eurem Metabolismus nicht abträglich ist.« Hage, der sich bisher in vornehmer Zurückhaltung geübt hatte, ließ sich das nicht zweimal sagen und griff zu. Wie ein Halbverhungerter schlug er seine Zähne in das knackige Naturprodukt und zermahlte den Bissen genüßlich. »Schmeckt angenehm säuerlich«, brabbelte er mit vollem Mund. »Du solltest auch einmal kosten.« Das war wieder eine seiner Spitzen, denn er wußte genau, daß ich beziehungsweise mein Körper damit nichts anfangen konnte. »Wie du weißt, ernähre ich mich von reiner Energie«, gab ich würdevoll zurück. »Manchmal habe ich mehr den Eindruck, daß du von Vogelfutter lebst«, sagte er kauend und tippte sich bezeichnend an die Stirn. »Spatzen-IQ.« »Wie der Herr, so's Gescherr!« Nockemann lief rot an, verschluckte sich und hustete zum Gotterbarmen. Sofort richteten sich aller Augen auf ihn. Ein Automat wieselte diensteifrig heran, doch ich schickte ihn weg und klopfte meinem Chef ausgiebig die Lungen frei. Das wirkte dann schließlich. »Laß es gut sein«, krächzte der Solaner mit tränenerstickter Stimme, »du brichst mir ja das Rückgrat.« Das war nun klar übertrieben, denn die Wirbelsäule hält durch ihre Gliederstruktur einiges aus, dennoch stellte ich meine Hilfeleistung ein. Da ich kein Berufssanitäter war, mußte ich ihm ja nicht beistehen. »Bist du wieder in Ordnung, Hage?« erkundigte sich Jododoom teilnahmsvoll. »Oder möchtest du in die Unterkunft zurück?« »Es war nichts Ernstes, nur eine kleine Unpäßlichkeit. Bitte
beginnt ruhig.« Temtemtuum ergriff das Wort, das heißt, er wollte es, aber über ein »Liebe Freunde!« kam er nicht hinaus. Mit schreckgeweiteten Augen starrte er auf eine plötzlich aufgetauchte, nur schemenhaft erkennbare Gestalt. Während die Alkorder wie gelähmt dasaßen, waren die Celester aufgesprungen und richteten drohend ihre Strahler auf die nebulöse Erscheinung. Nicht minder schnell reagierten die Roboter. Sie stürzten heran und bildeten um ihre Herren einen schützenden Kordon, wie aus heiterem Himmel bauten sich Energieschirme auf. Die ohnehin unscharfen Konturen wurden noch diffuser, und trotzdem glaubte ich, einen alten Bekannten erkannt zu haben. »Das ist Kassja-Narktuan!« rief ich. »Er kann sich nicht stabilisieren. Desaktiviert die energetischen Absicherungen!« Meine Begleiter ließen ihre Waffen sinken, weil sie ebenfalls erfaßt hatten, daß keine Gefahr drohte, und auch die Alkorder erwachten aus ihrer Starre. Sie kannten die alten Prophezeiungen, und die Erwähnung des Namens elektrisierte sie regelrecht. Das Ratsoberhaupt sprach etwas in ein unsichtbares Aufnahmegerät. Gleich darauf verschwanden die Absperrungen, das Zerrbild wurde deutlicher. Dann schienen noch weitere technische Schutzeinrichtungen abgeschaltet zu werden, denn der Körper wurde stabil. Es war der Prophet. »Endlich kann ich mich mitteilen.« Der weißhaarige Alte machte einen matten, beinahe kranken Eindruck. Ein wenig vorwurfsvoll sagte er in Richtung Alkorder: »Eure Technik hat mich daran gehindert, mich zu stabilisieren, dabei betrifft meine Mitteilung euch besonders.« Niemand von den Ratsmitgliedern versuchte, sich zu rechtfertigen. Ehrfürchtig hingen sie an den Lippen des Hominiden, dem das Sprechen deutliche Mühe bereitete. »Der furchtbare Plan der Schwarzen Sternenbrüder wird in Kürze realisiert werden.« Er artikulierte sich langsam und schleppend,
j edes Wort schien ihn anzustrengen. »Alle Sterne und Planeten im Nukleus und im Nukleat werden untergehen, und es ist sehr wahrscheinlich, daß die Außenregionen Alkordooms dieses Schicksal teilen.« Auf den Gesichtern der Anwesenden zeichnete sich Entsetzen ab, selbst mir fuhr der Schrecken in die synthetischen Glieder. So klar und deutlich hatte noch niemand die Auswirkungen dessen formuliert, was die Bösewichte beabsichtigten. Es war unfaßbar. Da sollte eine ganze Galaxis mit Billionen von Intelligenzen und unzähligen anderen Lebewesen einfach ausgelöscht werden. So etwas konnte sich nur ein krankes Gehirn ausdenken, wer einen solchen Massenmord in Kauf nahm, um ein Ziel zu erreichen, mußte wahnsinnig sein. »Wann wird die Katastrophe eintreten?« fragte ich KassjaNarktuan eindringlich. Der Alte blickte mich entrückt an. Wußte er die Antwort nicht, oder meditierte er? Versuchte er, unsere Real-Zukunft zu ergründen, konnte er den Zeitpunkt überhaupt kennen oder erfahren?
»Donalkor wird nicht mehr von seiner Sonne beschienen. Wäre das noch der Fall, würde der Planet Turuftan noch achtundfünfzigmal umlaufen, bis das Verhängnis über diese und die anderen Welten hereinbricht.« Der Prophet hatte kaum ausgesprochen, als er so plötzlich verschwand, wie er erschienen war. Die Alkorder bekamen das gar nicht richtig mit. Von Grauen gezeichnet, saßen sie da, starr und reglos wie Marionetten, deren Fäden keiner zog. Im Gegensatz zu mir konnten sie mit den Angaben von Kassja-Narktuan etwas anfangen, und diese Eröffnung mußte ihnen wohl einen zusätzlichen Schock versetzt haben. Temtemtuum wirkte von allen Ratsmitgliedern noch am ansprechbarsten. Behutsam bat ich ihn um einige Angaben, damit ich den Zeitpunkt errechnen konnte, an dem der schreckliche Plan in die Tat umgesetzt werden sollte. Das Ratsoberhaupt war immer noch ziemlich konfus und niedergeschlagen, doch er lieferte mir die Daten, die ich benötigte. Das Ergebnis jagte mir einen Schauer über den Rücken. »Nun sage schon, zu welchem Schluß du gekommen bist!« Nockemann kaute nervös auf seiner Unterlippe. »Haben wir eine Chance?« »Der angekündigte Untergang vollzieht sich am 7. Mai 3821.« Hage wurde noch bleicher, als er ohnehin war, und selbst der hartgesottene Spooner Richardson wurde blaß. »Verdammt, da bleibt uns nicht mehr viel Zeit«, stieß der Celester hervor. »In acht Wochen wird Alkordoom vernichtet.« Sarah Briggs Stimme war tonlos, ihr Gesicht maskenhaft starr. »Der Kampf ist aussichtslos geworden. Diese kurze Spanne reicht nicht aus, um das Unheil noch abzuwenden.« Der Rest der Besatzung war der gleichen Meinung. Deprimiert und mit hängenden Köpfen standen sie da. Auch mich hatte die Prophezeiung Kassja-Narktuans desillusioniert, aber an Aufgabe
dachte ich nicht. »Nun werft nicht gleich die Flinte ins Korn«, versuchte ich meine Mitstreiter aufzurütteln. »Noch ist nicht aller Tage Abend. Uns bleiben fast zwei Monate, um den Plan der Schwarzen Sternenbrüder zu durchkreuzen.« »Spare dir deine Gemeinplätze«, knurrte der Solaner verbittert. »Kapitulierst du etwa ebenfalls?« fragte ich herausfordernd. »Ein Wissenschaftler von meinem Format steht seinen Mann bis zum letzten Atemzug«, erklärte Nockemann theatralisch. »Sprücheklopfen bringt nichts, die Leute müssen motiviert werden, und nichts spornt besser an als ein Erfolgserlebnis. Das müssen wir der Mannschaft verschaffen, Geselle.« Richardsons Gestalt straffte sich. »Freunde, ihr braucht nicht in die psychologische Trickkiste zu greifen. Jeder von uns brennt darauf, es den Schwarzen Sternenbrüdern zu zeigen, und daran hat die Ankündigung des Alten nichts geändert, allerdings muß eine solche Nachricht erst einmal verkraftet werden. Was Kassja-Narktuan da verkündet hat, war ja eine apokalyptische Botschaft im wahrsten Sinne des Wortes. Das schlägt deutlich aufs Gemüt.« »Das gibt sich«, behauptete Nockemann. »Hauptsache, der Geist ist willig und der Verstand klar.« »Wir sollten uns um die Alkorder kümmern«, sagte ich mit Blick auf unsere Gastgeber, die wie ein Häufchen Elend wirkten. »Sie haben unsere moralische Aufrüstung jetzt besonders nötig.« »Sie brauchen unseren Beistand«, korrigierte der Genetiker und sah mich mißbilligend an. »Aufrüstung hat einen militärischen Beigeschmack, der bei diesem friedlichen Volk und gerade in dieser Situation einen völlig falschen Eindruck erwecken kann.« »Du könntest Spezialist für Mikro-Chirurgie sein«, ärgerte ich mich. »Keiner versteht sich besser auf Haarspalterei als du.« »An Diplomatie und Einfühlungsvermögen hat es dir schon immer gemangelt, Blödmann.«
»Und wie definierst du einen Hexenschuß mit einem zivilen Ausdruck? Oder Killer-Lymphozyten?« »Als alberne Redensarten eines dummen Assistenten.« »Gut. Kann ich dann die Bratpfanne vom Eiterherd nehmen?« »Noch so ein Kalauer, und du beziehst Prügel«, drohte Nockemann. »Das schätze ich so an dir, Hage: Du demonstrierst nicht nur Friedfertigkeit, sondern lebst sie auch vor.« Die Nasenflügel des Solaners bebten, er öffnete den Mund. Ein deutliches Zischen war vernehmbar. Ich lachte mir ins Fäustchen. Daß er Dampf abließ, bewies, daß ich seinen Kreislauf mächtig in Schwung gebracht hatte. Er hatte mal wieder seine innere Kochstufe erreicht und haderte vermutlich mit seinem Schicksal, weil er in Anwesenheit der Alkorder nicht handgreiflich werden konnte. Frohgemut begleitete ich den wandelnden Siedewasser-Reaktor getreu dem Motto: Es folgt der Sohn dem Vater-Klon …
5. Mit vereinten Kräften und in langen Gesprächen war es uns gelungen, die zutiefst geschockten Ratsmitglieder davon zu überzeugen, daß durchaus noch Hoffnung bestand. Konkrete Lösungen konnten wir ihnen nicht anbieten, aber sie glaubten uns, als wir versprachen, alles in unserer Kraft Stehende zu tun, um das Vorhaben der Schwarzen Sternenbrüder zu vereiteln. Niemand zweifelte daran, daß Kassja-Narktuans Voraussage der Wahrheit entsprach. Der Alte war so etwas wie ein Volks-Prophet unserer Gastgeber, ein Mahner und Warner, dessen Visionen in der Vergangenheit stets Realität geworden waren. Nun hatte er den Untergang einer ganzen Galaxis angekündigt. Da war es verständlich, daß die friedliebenden Zwerge allen Mut verloren, zumal sie selbst nichts tun konnten, um das drohende Schicksal
abzuwenden. Bei früheren Auftritten hatte der Greis darauf verwiesen, daß Atlan und die Celester noch am ehesten eine Chance hatten, das drohende Unheil abzuwenden. Daran klammerten sie sich nun, obwohl Kassja-Narktuan mit keinem Wort erwähnt hatte, daß die Katastrophe aufgehalten werden konnte. Wohlweislich erwähnten wir das nicht, und die Alkorder schienen es aus ihrem Gedächtnis verdrängt zu haben. Trotz der Bedrohung und vielleicht zur eigenen Ablenkung hatten es sich die freundlichen Planetarier nicht nehmen lassen, uns zu informieren und herumzuführen. Wir besichtigten eindrucksvolle technische Anlagen und liebevoll gestaltete Wohnregionen, hochmoderne Labors und Fabrikationsanlagen, Gemüsegärtnereien und Pflanzungen. Donalkor war so durchlöchert wie ein Schweizer Käse, doch was die Alkorder daraus gemacht hatten, verdiente Respekt. Sie hatten das Innere dieser unwirtlichen Welt in ein kleines Paradies verwandelt – und mußten nun darum fürchten, daß ihre subplanetare Oase vernichtet wurde und sie alle dabei umkamen. Obwohl wir uns sehr wohl fühlten und Temtemtuum und seine Artgenossen noch weiteren Zuspruch benötigt hätten, mußten wir aufbrechen. Es war nicht nur die Acht-Wochen-Frist, die drängte, sondern auch unsere Absprache mit Colemayn, die HORNISSE zum vereinbarten Zeitpunkt aus dem Nukleat zu holen. Die Ratsmitglieder ließen uns nur schweren Herzens ziehen. Vermutlich vermittelte ihnen unsere Anwesenheit Sicherheit, doch die war trügerisch. Auf oder besser in Donalkor konnten wir nichts zur Rettung Alkordooms unternehmen, und das sahen unsere kleinen Freunde ein. Jododoom hatte sich entschlossen, mit uns zu gehen. Wie er erklärte, wollte er seinen Teil dazu beitragen, um diese Galaxis zu retten – es zumindest zu versuchen. Seiner Meinung nach konnte er uns noch manch wertvollen Hinweis geben, vorausgesetzt, daß
weitere Gedächtnissperren beseitigt werden konnten. Daß er uns begleitete, war allen sehr recht. Der Abschied geriet zu einem regelrechten Spektakel. Sämtliche Ratsmitglieder waren anwesend, als wir an Bord der ACORAHCEN gingen. Unzählige Kinder winkten uns begeistert zu, Transparente wurden hochgehalten, auf denen man uns viel Glück und Erfolg wünschte, Leuchtschriften signalisierten dasselbe. Spots tauchten uns in grelles Scheinwerferlicht, Girlanden aus Blumen schmückten die Schleuse. »Ein großer Bahnhof für uns«, murmelte Nockemann. »Hoffentlich können wir das in uns gesetzte Vertrauen rechtfertigen. Acht Wochen sind eine verdammt knappe Zeit.« Dem hatte ich nichts hinzuzufügen. Lächelnd und damit Zuversicht demonstrierend, marschierte ich auf die Schleuse zu, doch meine Gedanken eilten voraus. Wie mochte es dem Sternentramp ergangen sein, was hatte er in Erfahrung gebracht?
* Der Raumer schoß aus dem Schacht wie der Korken aus einer Sektflasche. Fünftausend Meter über der Planetenoberfläche sprang das Normaltriebwerk an und katapultierte das Schiff regelrecht in den Raum hinaus. Donalkor, eben noch bildschirmfüllend, schrumpfte zu einer von Eis und Kratern bedeckten Kugel und wurde zunehmend kleiner. Schon vor dem Start hatten wir alle möglichen Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Dabei hatten wir uns nicht ausschließlich auf die Anlagen Donalkors verlassen, sondern zudem die Taster der ACORAH-CEN eingesetzt. Es gab keinen Ortungsreflex, der Alkorderwelt drohte keine unmittelbare Gefahr. Ein wenig wehmütig betrachtete Jododoom das Abbild des Himmelskörpers, der zweiundsechzig Milliarden seiner
Artgenossen beherbergte. Ob er seinen Entschluß bedauerte, mit uns zu kommen? Oder dachte er an Jodokat, die Colemayn begleitet hatte und mit der er bald wieder vereint sein würde? Beim Stichwort »Frau« kam mir die schwangere Celesterin in den Sinn. Ich wandte mich an Hage, der ganz selbstverständlich neben mir Platz genommen hatte. »Meinst du nicht auch, daß es endlich an der Zeit wäre, Chris über ihren Zustand aufzuklären?« »Sicher, aber man muß es ihr schonend beibringen.« Nockemann wirkte recht kleinlaut. »Würdest du mir beistehen, Blödel?« Einen solchen Wunsch konnte ich ihm nicht abschlagen, zumal er an diesem Dilemma schuldlos war. »Natürlich. Bringen wir es hinter uns.« Ich erhob mich und ging zu Chris' Platz. »Bist du abkömmlich?« Sie nickte. »Hage und ich haben etwas mit dir zu besprechen. Würdest du uns in seine Kabine begleiten?« »Läßt sich das nicht hier bereden?« »Im Prinzip schon, aber das wäre dir und ehrlich gesagt auch mir peinlich.« Die Celesterin sah mich forschend an. »Hast du bei der Untersuchung etwas herausgefunden, was du mir bisher verschwiegen hast? Habe ich eine Krankheit, die vielleicht ansteckend ist?« »Nein, in dieser Hinsicht kann ich dich beruhigen. Du bist gesund. Kommst du?« Sie erhob sich aus ihrem Sessel, der Solaner ebenfalls. Verfolgt von neugierigen Blicken verließen wir die Zentrale und begaben uns zu Nockemanns Unterkunft. »Also, meine liebe Mutter … äh, Chris, die Sache ist die«, stotterte er. Auf seiner Stirn bildeten sich feine Schweißperlen. »Wie gesagt, die Sache ist … äh … Gehen wir das Thema doch einmal biologisch
an. Du weißt vermutlich, daß es … nun, es ist, äh … eine Tatsache, daß es zwei«, er räusperte sich, »zwei Geschlechter gibt.« Hage druckste herum und warf mir einen hilfesuchenden Blick zu. Himmel, war der Bursche verklemmt. Wenn ich ihn gewähren ließ, brachte er bestimmt noch das Beispiel von den Bienen und den Blumen. »Chris, ich habe mich seinerzeit nicht getäuscht. Du erwartest tatsächlich ein Baby.« Zornbebend sprang sie auf, ihre Hände ballten sich zu Fäusten. »Fängst du schon wieder davon an? Ich habe dir gesagt, daß es unmöglich ist!« »Ich weiß es, und dennoch entspricht es den Tatsachen. Auch der Vater des Kindes kann sich das nicht erklären.« Die junge Frau lachte hysterisch. »Und wer, bitteschön, soll das sein?« »Er sitzt vor dir.« Sie deutete auf den Wissenschaftler, ihr Lachen wurde noch schriller. »Ausgerechnet der?« Nockemann saß mit puterrotem Gesicht da und wurde immer verlegener. Schutzsuchend verkroch er sich in die Polster. Das unmotivierte Gelächter brach abrupt ab. Aufschluchzend ließ sich die Celesterin in ihren Sitz fallen und schlug die Hände vors Gesicht. Ein Weinkrampf schüttelte sie, immer wieder bewegte sie verneinend den Kopf hin und her. Tröstend fuhr ich ihr übers Haar, doch sie schlug meine Hand wütend zur Seite. »Chris, ich kann dich verstehen, aber …« »Überhaupt nichts verstehst du!« schrie sie mich an, Tränen rannen über ihre Wangen. »Du bist ein Roboter – und ein männlicher dazu. Was weißt du schon von Gefühlen und den Empfindungen einer Frau? Du wirst nie in eine solche Situation kommen!« Anklagend deutete sie auf den Solaner. »Und du auch nicht!« Sie wischte sich über die Augen und schniefte.
»Bitte, Chris, jetzt hör mir mal zu. Das Ungeborene besitzt Hages Erbanlagen ebenso wie deine. Genetisch gesehen, ist er der Erzeuger, aber aus einem ganz einfachen Grund kann er nicht der Vater sein: Zum Zeitpunkt der Befruchtung existierte er als Mann noch gar nicht.« Mit tränenumflortem Blick sah mich die System-Analytikerin an. »Du spinnst!« sagte sie im Brustton der Überzeugung. »Eben nicht. Du bist im dritten Monat schwanger. Hage wurde jedoch erst vier Wochen später geklont.« »Das ist unmöglich!« »Biologisch ja, dennoch ist es eine Realität. Und das bereitet uns beiden Kopfzerbrechen.« »Ich bin völlig durcheinander.« Chris Guhnard zog ein Tuch aus den Taschen ihrer Kombination und schneuzte sich. »Es ist zuviel, was da auf mich einstürzt. Aus heiterem Himmel erfahre ich, schwanger zu sein, der Vater des Kindes kann nicht der Vater sein, ist es aber doch … Das ist total verrückt.« Befriedigt stellte ich fest, daß sie schon wieder wesentlich gefaßter wirkte. »Chris, wo hast du dich vor einem Vierteljahr aufgehalten?« »An Bord der VIRGINIA III.« »Kam es zu irgendwelchen Phänomen im Schiff? Ich meine, tauchten unbekannte Gestalten auf, gab es unerklärliche Erscheinungen oder merkwürdige Zwischenfälle?« »Nein. Hast du einen bestimmten Verdacht?« Ich zuckte mit den Schultern. »Leider nicht. Selbst der Beweggrund ist mir ein Rätsel.« Nockemann räusperte sich. »Bist du mir jetzt böse? Ich meine, das Kind … äh … du als werdende Mutter … Willst du es behalten?« »Ja, aber über meinen Zustand muß ich mir erst noch klarwerden. Das kam doch alles ein wenig überraschend, und die Umstände sind sehr mysteriös. Ich brauche jetzt Ruhe und Zeit zum Nachdenken.«
Die Celesterin stand auf und verließ den Raum. »Vielleicht sollte ich ihr nachgehen«, dachte Hage laut. »Ihr Nervenkostüm ist nicht in bester Verfassung. Sie benötigt Zuspruch und Fürsorge.« »Du hast doch gehört, daß sie allein sein will.« »Ob ich ihr nicht wenigstens ein leichtes Beruhigungsmittel geben soll?« »Sag mal, hast du dich etwa in Chris verliebt?« Der Solaner bekam rote Ohren. »Unsinn«, brummte er. »Ich mache mir lediglich Sorgen um sie.« »Ihr fehlt nichts, sie ist lediglich schwanger.« »Eben. Und das Kind, das sie unter dem Herzen trägt, ist auch mein Kind.« »Du solltest lieber versuchen, das Geheimnis deiner Vaterschaft zu ergründen, anstatt geistig schon Windeln zu wechseln.« Au weia, da hatte ich in ein Wespennest gestochen. Verfolgt von Drohungen und Beschimpfungen verließ ich fluchtartig die Kabine. Die Symptome waren eindeutig: männliche Schwangerschaftspsychose. Es sollte mich nicht wundern, wenn sich bei ihm ebenfalls morgendliche Übelkeit einstellte.
* Die Koordinaten, an denen die ACORAH-CEN in das Nukleat hinüberwechseln sollte, waren erreicht. Das Schiff fiel in das Einstein-Universum zurück, und sogleich gellte der Ortungsalarm durch die Zentrale. Automatisch bauten sich die Schutzschirme auf – und wir steckten mitten im dicksten Getümmel. Wie den Anzeigen zu entnehmen war, hielten sich in unserer unmittelbaren Nachbarschaft mehr als fünfzig der robotbemannten Keilschiffe auf. Wie Greifer stürzten sie sich auf unseren Raumer, der mit vollen Werten verzögerte, um unter der Flotte wegtauchen
zu können. Erste Feuerzungen schossen auf uns zu, doch sie verfehlten uns. »Das sieht nicht gut aus«, meinte Richardson mit skeptischem Gesicht. »Ich habe fast den Eindruck, daß der Nukleus abgeriegelt werden soll.« »Wenn er ohnehin vernichtet werden soll, ergibt das keinen Sinn«, erwiderte ich. »Es sei denn, daß hier etwas zusammengebraut wird.« Die ersten Treffer schlugen in der Schirmhülle ein. Mittlerweile hatte sich der Gegner formiert und griff in kleinen Verbänden an. Drei gleichzeitig abgefeuerte Salven, auf einen Punkt konzentriert, machten den Defensivsystemen deutlich zu schaffen und trieben die Belastungswerte in den Rotbereich. Gleich darauf erschütterte ein weiterer Schlag die ACORAH-CEN trotz der Ausweichmanöver. Um uns herum explodierte der Weltraum, die schlagartig freigesetzten Energien beutelten das Schiff, das unter den Attacken stöhnte und ächzte wie ein lebendes Wesen. Unter uns rumorte es. Alle Energieerzeuger arbeiteten mit Vollast, die Manöver, die der Raumer vollführte, waren materialzermürbend, und doch hatten wir gegen eine solche Übermacht keine reelle Chance. Das erkannte auch der Celester. »Zwar ist es noch zu früh, um die HORNISSE zu treffen, doch wir setzen uns trotzdem ab!« befahl er. Die Positronik reagierte sofort und beschleunigte das Schiff. Pausenlos entstanden vor und hinter uns künstliche Sonnen, es blitzte und wetterleuchtete ununterbrochen. Eingehüllt in grelle Glut raste die ACORAH-CEN dahin, gejagt und verfolgt von den Schergen der Schwarzen Sternenbrüder, dann war der Spuk vorüber. Das Schiff hatte die Existenzebene gewechselt.
*
Ich hatte uns in Sicherheit gewähnt und war genauso enttäuscht wie meine Begleiter, als ich erkannte, daß wir vom Regen in die Traufe geraten waren. Im Nukleat lauerte uns eine noch größere Flotte der 174 Meter langen, einhundertneun Meter breiten und 61 Meter langen Konstruktionen alkordischen Ursprungs auf. »Es kommt mir beinahe so vor, als ob die Häscher hier auf uns gewartet haben«, sagte Spooner bitter. »Das ist ja wie im Märchen vom Hasen und vom Igel. Wo wir auch auftauchen, der Feind ist schon da.« In die Phalanx der Keilschiffe kam Bewegung. Dichtgestaffelt flogen sie auf uns zu, etliche Einheiten scherten aus der Formation aus und vollführten eine Zangenbewegung, die ersten, uns am nächsten befindlichen Angreifer lösten ihre Geschütze aus, aber nur zwei brisante Ladungen fanden ihr Ziel. Damit wurden die Schutzschirme fertig, doch die Quote würde sich bald ändern. Der Celester hatte erkannt, daß unsere Lage ziemlich bedrohlich war. Auf beiden Existenzebenen lauerten uns die Schergen der Sternenbrüder auf, wir waren nicht mehr als ein Korn, das zwischen den Mühlsteinen Nukleus und Nukleat zermahlen werden sollte. Ein Hin- und Herpendeln zwischen beiden vermochte an unserem endgültigen Schicksal nichts zu ändern, wir konnten es allenfalls ein wenig hinauszögern. Und dann war da ja auch noch der Sternentramp mit seinen Begleitern. Die HORNISSE war nicht in der Lage, das Nukleat zu verlassen. Eine heftige Erschütterung riß mich hoch und warf mich gegen die Halterung eines anderen Sitzes, in dessen Gurten Nockemann hing. Das Material knirschte überbeansprucht, hielt dem Aufprall jedoch trotz meines Gewichts stand. Verdammt, ich hätte mich doch anschnallen sollen. Dank meines synthetischen Körpers überstand ich den Sturz ohne Beeinträchtigung. Hage hatte von dem Zwischenfall glücklicherweise nichts mitbekommen. Grünstichig hockte er in seinem Sessel, den erbarmungswürdigen Blick zur Decke gerichtet.
Das Schiff wurde hin und her gewirbelt wie eine Nußschale auf dem offenen Meer. Obwohl sich die Filter längst vor die Optiken geschoben hatten, erfüllte gleißende Helligkeit die Zentrale, unheilvolles Knistern und Knacken war zu hören. Sicherheitsschotte schlugen knallend zu, der Boden vibrierte, Aggregate heulten überlastet auf. Ein Stoß wie von einer Dampframme traf die ACORAH-CEN und riß sie mit urtümlicher Gewalt aus ihrer Bahn. Lose herumliegende Gegenstände sausten wie Geschosse durch die Zentrale und zerschmetterten die Abdeckung eines Instrumentenpults, ein Display ging zu Bruch. Das aufgeregte Blinken zahlreicher Kontrolleuchten ging in der eindringenden Lichtflut fast unter. Das Brüllen des Antriebs, der den Raumer auf den alten Kurs bringen wollte, war im allgemeinen Geräuschorkan kaum wahrzunehmen. Als ich einen Blick auf die Schirmfeldanzeige warf, erschrak ich: Sie hatte sich bei einhundertachtundsechzig Prozent eingependelt, Ausschläge gingen stets nach oben und nicht nach unten. Ich wußte, welche Qualitäten die alkordischen Defensivsysteme besaßen, aber eine solche Überlastung konnten selbst sie nicht auf Dauer kompensieren. Gab es wirklich keinen Ausweg? »Wir müssen fliehen!« rief jemand in höchstem Diskant. »Was denkst du, was wir tun?« fauchte Richardson. »Seit unserer Ankunft befinden wir uns auf der Flucht. Meinst du, mir gefällt das?« »Die ACORAH-CEN wird das Dauerbombardement nicht mehr lange überstehen. Laß uns in den Nukleus zurückkehren!« Spooner wurde einer Antwort enthoben, weil sich überraschend die STERNSCHNUPPE meldete. »Die Situation wird immer aussichtsloser. Ich werde mich absetzen.« »Den Teufel wirst du tun!« schrie ich, um den Lärm zu übertönen. »Du bleibst gefälligst hier wie wir alle, Memme von einem Schiff!« »Das ist der sichere Untergang!«
Wie zur Bestätigung dieser Worte erhielt der Raumer erneut einen Volltreffer. Die Schiffszelle dröhnte wie eine Glocke, die ACORAHCEN schlingerte und stampfte heftig, irgendwo krachte und knallte es. Vermutlich waren das erste Auflösungserscheinungen, der Anfang vom Ende. Und ich mußte dem tatenlos zusehen. »Es besteht kein Grund zur Aufregung«, erklärte die Positronik des alkordischen Raumers so ruhig, als würden die Keilschiffe nur über Wasserpistolen verfügen. »Da die Existenz der ACORAH-CEN und damit auch eure eigene gefährdet ist, werde ich sie in den Raum zwischen der fünften und sechsten Dimension versetzen. Für die Angreifer ist sie damit verschwunden.« »Worauf wartest du dann noch?« brüllte Spooner. Er hatte kaum ausgesprochen, als die reale Umgebung verschwand. Keine Spur mehr von den Angreifern und dem Energiegewitter. Es war auf einmal beängstigend still, die Bildschirme, die eben noch atomare Glut gezeigt hatten, übertrugen wesenloses Wallen. Ob es sich die STERNSCHNUPPE anders überlegt hatte oder sich nicht mehr rechtzeitig hatte absetzen können, ließ ich dahingestellt, jedenfalls war sie immer noch angekoppelt, wie ich einer Einblendung entnahm. »Wir sind gerettet«, strahlte Sarah Briggs und drückte Richardsons Hand: »Warten wir es ab, noch ist nicht aller Tage Abend«, knurrte Hage, der sich inzwischen wieder erholt hatte. Er beugte sich nach hinten und raunte mir zu: »Du hast recht, die beiden sind verliebt, aber ihr zärtliches Getue ist für einen Wissenschaftler wie mich unerträglich. Ich gehe. Während meiner Abwesenheit kannst du sie ja darüber aufklären, wie das derzeitige Raumgefüge beschaffen ist.« »Nur die zwei?« »Nein, alle Anwesenden, du Idiot.« Er erhob sich. »Bist du dazu in der Lage?« »Sicher, aber wo willst du hin?« »Ich muß nach Chris sehen, schließlich könnte sie und damit auch
das Ungeborene Schaden genommen haben.« Fadenscheiniger konnte eine Ausrede eigentlich nicht sein, weil sich die Celesterin mit Sicherheit gemeldet hätte, falls sie Beschwerden hatte. Und ich sollte hier den Kasper machen und einen Vortrag halten, damit sein Verschwinden nicht auffiel. »Wenn's recht ist, möchte ich euch ein paar Informationen zu unserer Umgebung vermitteln. Nach eigener Aussage hat sich die ACORAH-CEN in den Raum zwischen der fünften und sechsten Dimension versetzt. Es handelt sich dabei um die Dakkarzone, auch Hypersexta-Halbspur oder Dakkarraum genannt. Es ist ein dem Linearraum vergleichbares Medium, das als fünfdimensionaler Überlagerungsraum die energetisch neutrale Librationszone zwischen der fünften und der sechsten Dimension bildet. Die Dakkarzone als übergeordnetes Universum ermöglicht eine billionenfache Lichtgeschwindigkeit.« Auf sonderlich großes Interesse stießen meine Ausführungen nicht. Das war eigentlich kein Wunder, denn Theoretische Physik ist ein trockenes Fach, zudem steckte allen noch der Schrecken in den Gliedern. Mit Mühe und Not und quasi in letzter Sekunde waren wir den mörderischen Angriffen entkommen, und nun stellte ich mich hin und erzählte ihnen, wie das mit den Sinnen nicht erfaßbare um uns herum beschaffen war. Mit dem Aufsagen eines Kinderreims hätte ich vermutlich mehr Aufmerksamkeit erweckt. Auf so eine Schnapsidee konnte nur der Solaner kommen, dennoch fuhr ich unverdrossen fort: »Damit ein Raumschiff in den Dakkarraum eindringen kann, muß es mit speziellen Antriebssystemen ausgerüstet sein, dem Dimesextatriebwerk. Sein Herzstück ist ein Konverter, der ein Paratronfeld erzeugt.« Überraschend tauchte Nockemann wieder auf und zischte: »Hör auf mit dem Quatsch, es hört ja eh keiner richtig zu.« »Erlaube mal, du selbst hast mir das aufgetragen«, empörte ich mich. »Nun ist es auf einmal Unsinn.« »Ja, vergiß es!«
»Du hast schlechte Laune. Hat Chris dir eine Abfuhr erteilt?« »Nein, sie hat mir gar nicht erst geöffnet.« »Du hättest eben als kleiner Junge deine Märchen besser lesen sollen. Die sieben Geißlein haben den Wolf auch erst ins Haus gelassen, als er seine Pfote mit Mehl weiß gemacht und Kreide gefressen hatte.« »Irgendwann wirst du an deinen albernen Scherzen ersticken, Metallnarr«, fauchte Hage mit unterdrückter Stimme. »Spätestens dann, wenn ich dir meine Faust in deinen vorlauten Rachen ramme.« Ich gönnte mir ein inneres Grinsen. »Eher wirst du Milch geben, als daß ich an Atemnot zugrunde gehe, Papa.« Nockemann lief blau an, er zitterte und bebte am ganzen Leib. In diesem Augenblick bereute ich, mich nicht mit Psychopharmaka eingedeckt zu haben. Seinem Blick nach zu urteilen war die Einrichtung neben mir am meisten gefährdet. Hoffentlich zerbiß er nur die Sitze und zertrümmerte nicht das Mobiliar …
6. Wir waren in einem seltsamen Raum gelandet, herausgekommen oder dorthin zurückgefallen, wie immer man es nennen wollte. Das, was uns umgab, hatte mit einem uns bekannten Universum nichts gemein. Allgemeines Unbehagen machte sich breit. »Wo sind wir hier?« wollte der Wissenschaftler wissen. Er schon wieder – vorlaut wie immer. Hoch anzurechnen war ihm, daß er sich mannhaft beherrscht und sich damit begnügt hatte, unsichtbare Gegner zu zerreißen, zu würgen und sonstwie zu traktieren. Immerhin war die Zentrale unversehrt geblieben und somit voll funktionsfähig. Die Bildschirme zeigten ein Gewimmel von winzigen Leuchtpunkten.
»Meine Ortungseinrichtungen arbeiten auch in dieser Umgebung«, meldete die Positronik der ACORAH-CEN, ohne direkt zu antworten. »Natürliche Himmelskörper wie Sterne und Sonnensysteme existieren nicht. Anmeßbar sind massereiche Objekte mit fremdartiger, aber energetisch starker Strahlung. Ich habe ermittelt, daß es rund eine Milliarde solcher Körper gibt. Ihre Anordnung ergibt eine gewaltige Kugelschale mit einem Durchmesser von 20000 Lichtjahren.« »Teufel, das klingt nach Gigantismus, und das ist eine Spezialität der Schwarzen Sternenbrüder«, orakelte Nockemann und zwirbelte seinen Bart. »Möglicherweise ist das hier eine riesige Auffangstation, in denen ganz Hartgesottenen der Garaus gemacht wird.« »Standortveränderungen und Ortsversetzungen sind nicht auszumachen«, erklärte der Rechner. »Die Kapsel, in der wir uns befinden, liegt in der Dakkarzone.« »Die Auskunft ist weder beruhigend noch befriedigend«, knurrte der Solaner und wandte sich an den Alkorder. »Jododoom, kannst du mit dieser Aussage etwas anfangen? Sagen dir die Punkte etwas, ihre Zahl, ihre Formation?« »Ich weiß nicht, was das zu bedeuten hat«, tönte der Kleine kläglich. »Vielleicht könnte Jodokat uns helfen, doch sie ist weit weg.« Kein Zweifel, der Zwerg litt unter der Abwesenheit seiner Gefährtin. Er tat mir leid. Wahrscheinlich traf es ihn am schwersten, daß wir fliehen mußten, so daß wir das Treffen mit Colemayn nicht einhalten konnten. Schließlich befand sich an Bord der HORNISSE neben anderen nicht nur der Sternentramp, sondern auch Jodokat. »Es erscheint mir am sinnvollsten, wenn wir uns erst einmal umsehen und Fakten sammeln«, sagte Richardson. »Vermutungen und Verdächtigungen bringen uns nicht weiter und schaffen nur neue Verunsicherung.« »Genau«, pflichtete ich ihm bei. »Deshalb schlage ich vor, daß wir
eins von diesen Gebilden untersuchen. Dabei gehe ich davon aus, daß die ACORAH-CEN auch hier einsatzfähig ist.« »Uneingeschränkt«, bestätigte die Zentral-Positronik. Spooner machte ein entschlossenes Gesicht. »Dann sollten wir keine Zeit mehr verlieren. Wir steuern das am nächsten gelegene Objekt an.« »Aber bitte mit der gebotenen Vorsicht. Wir haben eine werdende Mutter an …« Abrupt brach Hage den Satz ab, preßte die Lippen zusammen und schlug sich die Hand auf den Mund, doch er wußte, daß er sich verplappert hatte. Schamröte schoß ihm ins Gesicht, er schrumpfte regelrecht in sich zusammen und blickte verlegen zu Boden. Hätte sich dort ein Mauseloch aufgetan, wäre er mit Sicherheit darin verschwunden. »Deine Meldung ist etwas ungewöhnlich.« Der Kommandant zeigte sich amüsiert. »Bei der celestischen Flotte ist es Brauch, daß sich die betreffende Frau selbst an ihren Vorgesetzten wendet, denn eine Schwangerschaft ist ein gottgewollter Zustand und keine Krankheit oder gar unanständig. Schwangere bekommen Diensterleichterung und werden von gefährlichen Einsätzen befreit.« Übergangslos wurde er ernst. »Schon in der Heiligen Schrift steht geschrieben: Wem das Herz voll ist, dem geht der Mund über. Ich gehe daher davon aus, daß du der glückliche Vater bist. Darf ich nun auch erfahren, mit welcher Partnerin du dein Leben zu teilen gedenkst?« Bibelfest waren sie noch immer, die Nachfahren der von der Erde verschleppten Puritaner – und ein wenig hölzern, wenn es um zwischenmenschliche Beziehungen ging. Wie hatte der Apostel Paulus gesagt? »Also ist das Gesetz unser Erzieher geworden auf Christus.« »Ich glaube, ich bin mißverstanden worden«, stotterte der ehemalige Galakto-Genetiker. »Was ich lediglich ausdrücken wollte, war meine persönliche Einschätzung, daß sich eine Schwangere an
Bord befinden könnte – eventuell. Das ist doch nicht auszuschließen, oder?« Als er die skeptischen Mienen der anderen sah, setzte er hinzu: »Meine Äußerung ist rein hypothetischer Natur, aber immerhin wäre es möglich. Findet ihr nicht?« »Ich vermisse Chris Guhnard«, bemerkte Sarah Briggs. »Ist sie die Dame deines Herzens?« »Nein, äh …« »Hör endlich auf, dich herausreden zu wollen, und sage endlich die Wahrheit. Es ist ohnehin an der Zeit, Spooner zu informieren.« Ein wenig stockend und von mir assistiert, erzählte der Solaner die ganze Geschichte. Zuerst löste sie ungläubiges Staunen aus, aber da wir Scientologen über jeden Verdacht erhaben waren, Märchenerzähler zu sein, wurde der Bericht akzeptiert, zumal wir mit Fakten aufwarten konnten. »Mein erster Gedanke war, daß die Schwarzen Sternenbrüder oder ihre Helfer dahinterstecken, doch welchen Sinn ergibt das?« Nachdenklich kratzte Richardson sich am Kinn. »Selbst wenn das Ungeborene konditioniert wäre, könnte es nicht zugunsten der negativen Mächte eingreifen. Wann hat die Befruchtung stattgefunden?« »Auf den Tag genau läßt sich das nicht sagen. Es könnte zu dem Zeitpunkt gewesen sein, als ich die HORNISSE nahe des Jets in die Sonnensteppe gesteuert habe und wir mit euch Kontakt bekamen«, erklärte ich. »Damals hatten wir Sarah und Arien an Bord, die von den SvA aus dem Asteroiden Jassal gerettet wurden.« »Ich weiß. Das war im Dezember vorigen Jahres, aber das hilft uns auch nicht weiter. Ob Chybrain der Urheber ist?« »Warum hätte er das tun sollen? Um uns zusätzliche Rätsel aufzugeben?« »Die Sache ist und bleibt sehr mysteriös.« Der Überzeugung war ich auch.
* Das Schiff hatte abgebremst und trieb antriebslos dahin. Auf den Bildschirmen zeichneten sich die Umrisse eines merkwürdigen Gebildes ab, das auf den ersten Blick an einen zu kurz geratenen Buckelwal mit aufgerissenem Maul erinnerte. Aus dem kompakten Leib wuchsen an verschiedenen Stellen Stacheln und antennenartige Auswüchse. Den eingeblendeten Daten war zu entnehmen, daß das Objekt beachtliche Ausmaße hatte: 1550 Meter lang, fünfhundertfünfzig Meter breit und 650 Meter hoch. Ich tippte auf eine Raumstation, doch Jododoom belehrte mich eines Besseren. »Das ist ein Dimensionsdivergenzer!« rief er spontan. »Ich kann mich wieder ganz deutlich an alle Einzelheiten erinnern.« Aufgeregt sprang er auf. »Es sind alkordische Konstruktionen.« Das war nun wirklich eine Überraschung. »Die Dimensionsdivergenzer wurden von meinem Volk gebaut und in die Dakkarzone gebracht. Vor viertausendneunhundert Jahren, als wir die Aktionen des Juwels bemerkten, wurden die ersten aktiviert. In den folgenden eintausendvierhundert Jahren folgten weitere, so daß sich im Nukleus eine eigenständige zweite Existenzebene bildete, das Nukleat. Leider haben wir seit dem Erscheinen der Schwarzen Sternenbrüder keine Gewalt mehr über unsere Maschinen. Sie wurden von den Sternenbrüdern so manipuliert, daß sie zusätzlich die beiden Barrieren erzeugten, die Nukleus und Nukleat fast vollständig von den Außenbereichen Alkordooms abriegelten. Deshalb entwickelten wir die ACORAHCEN.« Es wurde immer deutlicher, daß die Macht der Schwarzen Sternenbrüder zum großen Teil auf dem fußte, was die Alkorder geschaffen hatten. Sie hatten die Hochtechnologie für sich vereinnahmt, für ihre üblen Zwecke umgerüstet und sich so ein
Instrumentarium geschaffen, das sogar gegen die eigenen Erbauer eingesetzt werden konnte. Beispiele gab es genug: Stützpunkte wie das Beka-System, das DOMIUM, die Keilschiffe und eben die Dimensionsdivergenzer. »Leben Artgenossen von dir an Bord der Stationen?« wollte Nockemann wissen. »Nein, sie sind unbemannt und werden vollrobotisch betrieben. Sie arbeiten mit Dimetrans-Energien, einer dimensionsübergreifenden Form der Hyperenergie. Alle Dimensionsdivergenzer können aus eigener Kraft ihren Standort verändern und sind sogar fernflugtauglich.« Der Kleine schien es regelrecht zu genießen, wieder über sein verschüttetes Wissen zu verfügen und es preisgeben zu können. »Im Prinzip sind die Stationen wie Raumschiffe ausgerüstet. Sie verfügen über Funk und verschiedene Ortungseinrichtungen bis hin zum Dakkar-Halbraumspürer, sie besitzen Beiboote und abkoppelbare Reparatureinheiten, verschiedene Schleusen und Mannschaftsräume für Instandsetzungsteams. Da sie eigene Magazine und Ersatzteildepots haben, sind sie nicht nur von der Energieversorgung her autarke Einheiten.« Das klang sehr beeindruckend. Mein Forscherdrang war geweckt. »Ich bin dafür, daß wir dem Dimensionsdivergenzer einen Besuch abstatten und ihn erkunden.« Richardson wiegte unschlüssig den Kopf. »Es ist kein Risiko. Ihr könnt mich ausschleusen. Irgendwie wird es mir schon gelingen, mir Zugang ins Innere zu verschaffen.« »Dabei werde ich dich als Führer begleiten«, sagte Jododoom spontan. »Na also, dann sind wir schon zu zweit.« Ich warf Hage einen auffordernden Blick zu. »Was ist mit dir, Chef?« Dem Solaner war anzusehen, daß er mit sich rang. Als Wissenschaftler war er von Haus aus neugierig und immer darauf aus, neue Erkenntnisse zu gewinnen, kein Einsatz war ihm zu
gefährlich, aber Chris' Schwangerschaft schien ihn verändert zu haben. Wahrscheinlich versuchte er, abzuwägen, welche Risiken ihr und dem Ungeborenen drohten, wenn er seine Zustimmung gab. Was war nur aus den Männern geworden, die ich früher gekannt hatte? Ich war von Zauderern umgeben. Spooner schien sich um Sarahs Wohlergehen zu sorgen, und Nockemann ängstigte sich um eine andere Celesterin. Unter diesen Umständen konnten wir gleich die Segel streichen und uns in den Dienst der Schwarzen Sternenbrüder stellen. »Wollen wir den Alkordern und den anderen Völkern Alkordooms helfen oder den Plänen der Sternenbrüder Vorschub leisten?« Lautstark machte ich meinem Unmut Luft. »Nichts zu tun, ist ganz im Sinn dieser Fieslinge. Jedes Zögern kostet uns Zeit, die wir nicht haben. Denkt an den 7. Mai.« »Das Datum hat sich in meinem Hirn eingebrannt«, gab der Genetiker gallig zurück, »aber was haben die Dimensionsdivergenzer damit zu tun?« »Sie sind zu Werkzeugen unserer Feinde geworden«, trumpfte ich auf. »Wenn wir sie abschalten oder durch gelegte Bomben vernichten können, bringen wir ihnen eine empfindliche Schlappe bei.« Richardson konnte sich meiner Argumentation nicht verschließen, zumal seine Angebetete zustimmend nickte. Ich gewann den Eindruck, daß Sarah Briggs im Augenblick der einzig richtige Mann an Bord war und die Entschlossenheit ihrer Vorfahren zeigte. »Also gut, wir fliegen die Station an«, erklärte Spooner. »Wir kehren allerdings sofort um, falls sich eine Gefahr für die ACORAHCEN abzeichnen sollte.« Damit konnte ich leben, denn ich hatte nicht vor, mich Hals über Kopf in ein Abenteuer zu stürzen, das mich die Existenz kostete. Zu oft schon hatte ich die Hülle gewechselt und dabei einige üble Erfahrungen gemacht, vor allem als positronisches Paket. Die Einblendung auf den Bildschirmen veränderte sich. Unser
Raumer hatte Fahrt aufgenommen.
* Einige Lichtsekunden vor dem Dimensionsdivergenzer stoppte das Schiff ab. Alle Anwesenden klagten über einen schier unerträglichen geistigen Druck, den ich sogar empfand, wenn auch in abgeschwächter Form. Nach übereinstimmender Aussage hatten meine Begleiter das Gefühl, daß ihr Gehirn in einen Schraubstock eingespannt war, der langsam zugedreht wurde, und mit jedem zurückgelegten Meter wurde die Qual unerträglicher. »Ich schlage vor, zum Ausgangspunkt zurückzukehren«, meldete sich die Positronik der ACORAH-CEN. »Die energetische Strahlung wird zu stark, und das Schiff verfügt über keine geeigneten Schutzeinrichtungen, um das zu neutralisieren.« »Umkehren, sofort umkehren«, stöhnte Richardson. Augenblicklich setzte der Rechner die Anweisung in die Tat um. Der geistige Druck ließ nach, je weiter wir uns von dem Dimensionsdivergenzer entfernten. Schließlich war nichts mehr zu spüren. »Du mit deinen Einfällen«, grollte der Solaner. »Außer Kopfschmerzen hat uns das nichts eingebracht.« »Vielleicht gelingt es uns über Funk, Kontakt aufzunehmen und die Station in unserem Sinn zu beeinflussen.« Die Positronik faßte das als Befehl auf. Tatsächlich kam eine Verbindung zustande, aber sie war recht einseitig. Die kategorische Antwort der Dakkarraumstation war unmißverständlich. »Ich gehorche nur den direkten Befehlen der Schwarzen Sternenbrüder.« Das war eindeutig und bedurfte keiner Interpretation. Nockemann sah mich mißbilligend an. »Wann erkennst du Dickkopf endlich, daß du kein Schlaumeier,
sondern ein kleines Licht bist, Blödel? Dein dummer Einfall hat uns nichts gebracht außer einer Gefährdung unserer Gesundheit, wir haben Zeit verloren und nichts erreicht.« »Stimmt, doch wer nicht wagt, der nicht gewinnt.« »Sagte der faule Holzfäller und klopfte Sprüche.« Ich verzichtete auf eine Erwiderung. Redensarten auf diesem Niveau waren schon immer unter meiner Würde.
7. Um keine weitere Aufmerksamkeit zu erwecken, hatten wir uns mit der ACORAH-CEN abgesetzt und einen anderen Ort im Nukleat aufgesucht. Unsere Hoffnung war, eine Spur von Atlan, Colemayn oder Chybrain zu finden, möglicherweise gab es Hinweise, die zu Kassja-Narktuan führten. In dieser Hinsicht hatten wir uns nicht festgelegt, wir wollten jedem Fingerzeig folgen, der Erfolg versprach. Sollte uns das wider Erwarten nicht gelingen, würden wir Cenalkor anfliegen, jene Alkorderwelt, die durch einen Tarnschirm geschützt war. Nach Jododooms Aussage konnten wir von seinen dort lebenden Artgenossen Unterstützung erwarten. Die hatten wir beim Kampf gegen die Schwarzen Sternenbrüder auch dringend nötig.
ENDE
Worauf die Schwarzen Sternenbrüder mit ihren tödlichen Angriffen und nicht minder tödlichen Manipulationen eigentlich abzielen, hat sich nicht auf Anhieb klar erkennen lassen. Die Protagonisten – allen voran Atlan – haben sich jedoch inzwischen den erforderlichen Durchblick verschafft. Der Arkonide
begreift die wahren Ziele der Kosmokraten – und den »Plan der Schwarzen Sternenbrüder« … DER PLAN DER SCHWARZEN STERNENBRÜDER – so lautet auch der Titel des von Peter Griese geschriebenen Atlan-Bandes 841.