Verrückt nach dir und deinen Küssen Kim Lawrence Julia 1408 16 1/2000
scanned by suzi_kay
1. KAPITEL Adam Deacon dreh...
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Verrückt nach dir und deinen Küssen Kim Lawrence Julia 1408 16 1/2000
scanned by suzi_kay
1. KAPITEL Adam Deacon drehte sich zur Tanzfläche um. Die junge Frau mit der schlanken Gestalt war ungemein faszinierend und wirkte sehr erotisch. Sie bewegte sich rhythmisch und ausgesprochen geschmeidig im Einklang mit der Musik. Seine Begleiterin merkte, wie gefesselt er war. "Möchtest du auch tanzen?" fragte sie lächelnd. "Nein, nein", antwortete er und konzentrierte sich wieder auf Rosalind. Sie war eine schöne und intelligente Frau, und man konnte ihr nichts vormachen. Deshalb tat er erst gar nicht so, als hätte er ihr in den letzten Minuten zugehört. "Sie ist gut, stimmt's?" sagte Rosalind leise. "Kennst du die wilde Kleine?" Er warf wieder einen Blick auf die Tanzfläche. Die Musik hatte aufgehört zu spielen, und die junge Frau legte gerade ihrem Tanzpartner die Arme um den Nacken und küsste ihn auf die Lippen. "Wilde Kleine - eine passende Beschreibung. Ja, ich kenne sie." Rosalind Lacey lächelte geheimnisvoll. Dann winkte sie der jungen Frau zu, die sich den Weg durch die Menge bahnte. "Ich stelle sie dir vor." Er war nicht begeistert, denn das Mädchen interessierte ihn nicht. Weshalb sich Männer in reiferem Alter zu Teenagern hingezogen fühlten, konnte er nicht verstehen. Stirnrunzelnd dachte er daran, wie mühsam die Unterhaltung sein würde. Aber
als die schlanke Brünette an den Tisch kam, setzte er eine höfliche Miene auf. Offen und interessiert blickte die junge Frau ihn an. Ihre Gesichtszüge wirkten nicht ganz so perfekt wie ihr biegsamer Körper, und die Nase und die vollen Lippen waren etwas zu auffallend in dem ovalen Gesicht. Doch ihre großen braunen Augen waren absolut faszinierend und wurden von langen, dichten Wimpern umrahmt. "Bist du okay, Anna?" fragte Rosalind besorgt. Selten merkte man noch etwas von der Verletzung, durch die die viel versprechende Karriere ihrer Schwester als Balletttänzerin so jäh zerstört worden war. Adam war nicht entgangen, dass Anna das eine Bein vorsichtiger belastete als das andere. Er betrachtete ihre schlanken Beine, die unter dem kurzen schwarzen Kleid beinah in voller Länge zu sehen waren und bemerkenswert gut geformt waren. Das winzige Etwas schmiegte sich eng an ihre hohen Brüste und war unten leicht ausgestellt. Durch die fernen schwarzen Strümpfe konnte er keine Narben sehen. "Reg dich nicht auf", erwiderte Anna leicht ungeduldig und liebevoll zugleich. Adam sah ihr in die Augen, die nach der hinreißend erotischen Vorstellung immer noch strahlten. Selbstbewusst und belustigt erwiderte sie seinen Blick. "Haben Sie alles gesehen?" fragte sie mit ernster Miene und streckte graziös einen Fuß aus. "Ich hatte den Eindruck, Sie könnten das eine Bein nicht richtig belasten", antwortete er vorwurfsvoll. Sie sollte sein Interesse ja nicht falsch interpretieren, aber sie bewegte sich wirklich so geschmeidig wie eine Raubkatze. "Normalerweise merkt man es nicht. Um dir zuvorzukommen, Lindy, ich weiß selbst, dass ich nicht so ausgelassen hätte tanzen dürfen, aber es hat mir Spaß gemacht. Ich liebe diese Musik." Anna seufzte glücklich.
"Hast du schon mal etwas von Maß halten gehört?" fragte Rosalind nachsichtig. Ihr war klar, dass sie nur ihre Zeit verschwendete. Ihre Schwester lebte gern in Extremen. Manchmal beneidete Rosalind Anna um ihre Lebenslust, die jedoch darüber hinwegtäuschte, wie sensibel sie war. "Hast du schon mal etwas davon gehört, dass Langeweile tödlich sein kann?" entgegnete Anna und wandte sich dann an den großen Mann an Lindys Seite. "Ich habe die Einladungen selbst geschrieben und weiß, dass Sie keine erhalten haben. Hat Lindy Sie mitgebracht?" Sie musterte ihn so ungeniert, dass es in seinen Augen missbilligend aufblitzte. "Anna, das ist Adam Deacon, Adam, das ist meine Schwester Anna." "Hast du noch mehr Geschwister? Ich dachte, deine Eltern hätten mit den Drillingen genug gehabt", erklärte Adam. "Mögen Sie keine Kinder, Mr. Deacon?" fragte Anna sogleich. "Schon, aber nicht zu viele." "Er könnte zu dir passen, Lindy", spottete Anna sanft. Sie hoffte, ihre Schwester mit dem goldblonden Haar und den schönen blauen Augen würde eines Tages einen Mann kennen lernen, der sie in ihrem seelischen Gleichgewicht erschütterte. War vielleicht dieser hier der Richtige? Wenn ja, dann muss ich mich zurückhalten, nahm Anna sich vor. Rosalind lächelte leicht verlegen. Für ihren Geschmack war Anna mit ihren Bemerkungen wieder einmal zu weit gegangen. "Adam ist der neue Chefarzt der Orthopädie am St. Jude's Krankenhaus", erklärte Rosalind. "Er ist nicht mein Freund, oder was auch immer du denkst", fügte sie hinzu und lächelte Adam wie um Entschuldigung bittend an. "Ich wollte ihn nur den Leuten aus dem Ort vorstellen. Übrigens, Adam, wir sind nur drei Geschwister. Anna ist die Älteste von uns Drillingen."
"Oh." Er war verblüfft. Rosalind war sechsundzwanzig Jahre, wie er wusste, aber Anna konnte man leicht für einen Teenager halten. "Ich bin das schwarze Schaf der Familie", sagte Anna. "Scheint so." Sie blickte ihn erstaunt an. "Das war aber jetzt nicht nett." Irgendwie fand sie seine distanzierte Art einschüchternd. Oder verbarg sich hinter der strengen Fassade vielleicht doch ein warmherziger, interessanter Mann? Ließ das seltsame Leuchten in seinen Augen hoffen, er habe Sinn für Humor? Wenn sich herausstellte, dass er nur ein vornehmer Wichtigtuer war, wäre es reine Zeitverschwendung, überhaupt mit ihm zu reden, obwohl er sehr attraktiv war. "Sie wirken nicht so, als mangelte es Ihnen an Selbstbewusstsein." Sie ist ganz anders als ihre zurückhaltende Schwester, überlegte er. Diese Brünette hier schien sogar mit ihrer erotischen Ausstrahlung zu kokettieren. Gegen seinen Willen ließ er den Blick über die schlanke Gestalt gleiten. Anna erbebte. Sie hatte deutlich gespürt, dass er sie beim Tanzen beobachtet hatte. Doch so aus der Nähe bekam sie unter seinem prüfenden Blick Herzklopfen, und der Mund wurde ihr ganz trocken. Er war schlank, mindestens einen Meter fünfundachtzig groß und hatte glänzendes blondes Haar. Ein Mann wie er erregte immer und überall, wo er auftauchte, Aufsehen und hinterließ Eindruck. Trotz seiner Größe wirkten seine Bewegungen geschmeidig, was Annas Phantasie vom ersten Moment an angeregt hatte. Er strahlte Autorität und Macht aus. Seine grünen Augen leuchteten seltsam geheimnisvoll, und seine Haut war leicht gebräunt. Zusammen mit der leicht gebogenen Nase und dem energischen Kinn wirkte er beinah perfekt.
Natürlich ließ Anna sich nicht von Äußerlichkeiten blenden. Sie war jedoch irgendwie erleichtert, als ihre Schwester erklärte, er sei nicht ihr Freund. "Können Sie tanzen?" fragte sie ihn herausfordernd. "Nein, jedenfalls nicht so hingebungsvoll wie Sie." "Ich bin anpassungsfähig." "Heißt das, Sie fordern mich auf?" "Hätte ich warten sollen, bis Sie es tun?" Sie lächelte und neigte den Kopf zur Seite, so dass ihr wunderschöner schlanker Hals zu bewundern war. Und das gab den Ausschlag. Obwohl er sonst nicht impulsiv handelte, war Adam viel zu fasziniert von dieser Frau, um sich zurückzuhalten. "Glauben Sie denn, ich hätte es getan?" Das Knistern zwischen ihnen war beinah körperlich zu spüren. Annas verblüffter Blick bewies, dass auch sie sich der erotischen Spannung bewusst war. Obwohl ihr das Herz bis zum Hals klopfte und sie überzeugt war, sich lächerlich zu machen, wollte sie sich nicht herausreden. "Wahrscheinlich hätten Sie es schließlich geschafft, wenn die Musik Ihnen gefallen und Ihre Würde es erlaubt hätte." "Sie halten mich für würdevoll?" Sekundenlang blitzte es in seinen Augen amüsiert auf. "Ich finde, Ihre Würde wirkt einschüchternd", erwiderte sie feierlich. "Die Schwestern im Krankenhaus haben sicher viel Respekt vor Ihnen." "Sie haben altmodische Vorstellungen vom Krankenhausalltag." Wieder verzog er ironisch die Lippen. "Ja, ich bin eben eine altmodische Frau." "Dann ist der Walzer genau das Richtige für Sie. Kommen Sie mit." Besorgt blickte Rosalind hinter ihnen her, wie sie zur Tanzfläche gingen. Sie hatte die knisternde Spannung zwischen
ihrer Schwester und Adam Deacon gespürt. Und sie hatte den beiden beinah atemlos zugehört. Doch am meisten beunruhigte sie, in welch perfekter Harmonie sie sich jetzt zur Musik bewegten. Wie kann ich Anna warnen, ohne den Anschein zu erwecken, mich einmischen zu wollen? überlegte Rosalind.. Adam konnte wirklich gut tanzen, wie Anna verblüfft feststellte. Außerdem war sie überrascht, wie nervös sie auf seine Nähe reagierte. Das erregende Kribbeln, das ihren ganzen Körper zu durchdringen schien, ließ sie die lästigen Schmerzen im Knie vergessen. Da alle Paare in der spärlichen Beleuchtung eng umschlungen tanzten, wagte Anna es, sich an Adams schlanken, muskulösen Körper zu schmiegen. "Sie tanzen gut, Adam." Sie betrachtete fasziniert sein Gesicht. "Sind Sie immer so ... freundlich, Miss Lacey?" Er betonte die förmliche Anrede. Diese Frau beunruhigte ihn viel zu sehr, er musste unbedingt Distanz wahren. Was mache ich überhaupt hier? fragte er sich ärgerlich. "Sie wollten doch Einheimische kennen lernen", erklärte Anna, als hätte sie seine Gedanken erraten. Da seine Stimme ziemlich feindselig geklungen hatte, lächelte sie nicht mehr, und das erotische Knistern zwischen ihnen verschwand. Adams Stimmung war unvermittelt umgeschlagen. Offenbar habe ich mich getäuscht, dachte Anna, obwohl sie sich sonst auf ihr Gespür, ihre Intuition verlassen konnte. Und sie hatte den Eindruck gehabt, sich mit Adam auf eins der größten Abenteuer ihres Lebens einlassen zu können. "Ich bin eine Einheimische. Aber wenn Sie nur aus Höflichkeit mit mir tanzen, sollten wir es lassen. Ich dachte, Sie hätten es gewollt." Sie versuchte, die Hände zurückzuziehen, die sie ihm auf die Brust gelegt hatte. Doch er hielt sie fest. "Ich wollte es auch, bin es jedoch nicht gewöhnt, dass Frauen die Initiative ergreifen. Es ist mir andersherum lieber."
Seine Stimme klang tief und voll. Anna seufzte leise auf. Er war nur ein vornehmer Wichtigtuer mit leichtem Machogehabe. Wie schade und was für eine Verschwendung! "Gut, dass Sie nicht der Freund meiner Schwester sind." "Würden Sie die Freunde Ihrer Schwestern nicht verführen? Um es klarzustellen, ich bin nicht an einem One-Night-Stand interessiert." Seine Arroganz war wirklich unerträglich. Anna hob herausfordernd das Kinn. Wenn er nicht mit Offenheit und Ehrlichkeit umgehen konnte, war das nicht ihr Problem. Sie fand ihn attraktiv, und es gab keinen Grund, es nicht zuzugeben. Sie hatte sogar geglaubt, es könne interessant sein, ihn näher kennen zu lernen. Aber das bedeutete nicht, dass sie mit ihm ins Bett gehen wollte. "Lindy braucht sowieso einen ganz anderen Mann als Sie. Sie sind viel zu verklemmt und verbittert für sie - und für jede andere Frau auch", erklärte sie seidenweich und betrachtete seine langen, kräftigen Finger, mit denen er ihre Handgelenke umfasste. Adam Deacon war verblüfft und fing an, sich zu ärgern. Dieses sanfte Kätzchen zeigte tatsächlich Krallen. Dabei hatte er nur in ihrem und seinem Interesse Abstand halten und die erotische Spannung auflösen wollen. "Sie sollten etwas zurückhaltender sein. Ihre Schwester ist eine ausgezeichnete Ärztin und hat eine blendende Zukunft vor sich. Und sie ist so anständig, dass Sie sich ein Beispiel an ihr nehmen können." Anna atmete tief ein. "Ich bin wirklich froh, dass Frauen sich heutzutage nicht mehr vorwerfen lassen müssen, unanständig zu sein", stieß sie hervor. "Offenbar habe ich mich in Ihnen getäuscht." Er hielt sie wohl für eine leichtfertige Verführerin oder dergleichen.
"Sagen Sie, Dr. Deacon, finden Sie es nicht ziemlich scheinheilig, mir Moral zu predigen, während Sie mich insgeheim begehren, seit Sie hereingekommen sind?" "Wahrscheinlich sind Sie nur dann glücklich, wenn alle Männer in Ihrer Nähe verrückt nach Ihnen sind", antwortete er verächtlich. "Mit Ihrem Benehmen fordern Sie Sex geradezu heraus." Jetzt reichte es ihr. "Das ist doch lächerlich!" Nie wäre es ihr in den Sinn gekommen, dass jemand ihr Verhalten als sexuelle Provokation bezeichnen könnte. "Das Kleid beispielsweise." Adam betrachtete den schmalen Träger, der ihr über die Schulter gerutscht war. "Und die Art, wie Sie sich bewegen. Es wirkt wie eine einzige Herausforderung, wie eine sehr direkte sogar, nicht wie eine subtile." Er zog die Hand so unvermittelt zurück, als hätte er sich verbrannt. "Ich bin auf der Party, um mich zu amüsieren." Sie überlegte, ob er auch das erregende Kribbeln gespürt hatte, während er sie festgehalten hatte. "Ja, das habe ich gemerkt", stieß er hervor und verzog spöttisch die Lippen. "Aber offenbar haben Sie nicht mitbekommen, dass die Musik aufgehört hat zu spielen." Sie lächelte ihn betont verständnisvoll an. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass sie reglos mitten auf der Tanzfläche standen. Adam war klar, dass er und Anna sich viel zu auffallend benahmen. Er warf ihr einen verächtlichen Blick zu und fluchte leise vor sich hin. Als sie sich umdrehte, um die Tanzfläche zu verlassen, war er sogleich neben ihr. "Fühlen Sie sich etwa zu mir hingezogen?" fragte sie und eilte zur Terrassentür. Sie brauchte unbedingt frische Luft. Du liebe Zeit, was ist dieser Mann doch für eine Enttäuschung, dachte sie. Sie ärgerte sich, weil sie sich von seinem beinah perfekten Äußeren hatte beeindrucken lassen.
"Wenn wir in verschiedene Richtungen gingen, würden wir noch mehr Aufsehen erregen." "Es gefällt mir, aufzufallen", erwiderte sie ironisch. "Als Arzt kann es meiner Karriere schaden, zu sehr aufzufallen." "Sie wirken zu lächerlich, um jemals bekannt oder berühmt zu werden." "So, Sie halten mich für verklemmt und lächerlich", antwortete er gereizt. Als sie die Schultern zuckte, drehte er Anna zu sich herum und zwang sie, ihn anzusehen. "Sie sind wahrscheinlich sowieso schon zu alt, um sich noch zu ändern", stellte sie mitleidig fest. "Ehrlich gesagt, Sie sind ...", begann er ärgerlich. Doch dann umfasste er ihr Gesicht und presste die Lippen auf ihre. Sein Verlangen war so heftig, dass er sich nicht beherrschen konnte. Sekundenlang stand Anna wie erstarrt da. Mit so einer Reaktion auf ihre spöttischen Bemerkungen hatte sie nicht gerechnet. Sie gestand sich ein, dass er ihr nicht so gleichgültig war, wie sie es sich einzureden versuchte. Eigentlich hätte sie Adam empört zurückweisen müssen. Stattdessen empfand sie nur den brennenden Wunsch, ihm alles zu geben, was er haben wollte. All ihre Sinne waren ab hellwach wie noch nie zuvor, während tausend Eindrücke auf sie einstürzten. Überdeutlich spürte sie Adams warme Lippen, das heftige Pochen seines Herzens und seine starke Erregung. Sie hielt sich krampfhaft an ihm fest, weil sie das Gefühl hatte, ihre Knie zitterten. Als es sie heiß überlief, erbebte sie am ganzen Körper. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und legte ihm die Hände um den Nacken. Adam stöhnte auf, ehe er ihre Taille umfasste und Anna von sich schob. Sie atmete tief ein, um sich zu beruhigen, während er sie fassungslos ansah. In seinen Augen blitzte es entsetzt und verächtlich auf.
"Ausgerechnet Sie haben mir vorgeworfen, viel zu direkt zu sein", stellte sie betont unbekümmert fest, um ihre Verlegenheit zu überspielen. Sein Kuss hatte sie zutiefst erschüttert, obwohl ihr klar war, dass Adam nur frustriert gewesen war. Sie strich das glatte, kurze Haar zurück und erinnerte sich daran, wie seine Finger sich darin angefühlt hatten. "Und Ihnen ist es offenbar ziemlich gleichgültig, wo Sie sich küssen lassen. Sie waren so richtig in Fahrt." "Normalerweise entscheide ich lieber selbst, wer mich küssen darf und wer nicht." Zufrieden beobachtete sie, dass seine Wangen sich röteten. "Es war ein Fehler. Aber Sie hätten sich ja wehren können." "Typisch Mann." Insgeheim gestand sie sich ein, dass er Recht hatte. "Es gefällt mir nicht, dass Sie mich für alles verantwortlich machen. Vermutlich haben Sie das höhnische Lächeln jahrelang geübt, und ich muss zugeben, Sie können die Lippen wunderschön verziehen. Doch das wirkt bei mir nicht. Außerdem habe ich mich nur deshalb nicht gewehrt, um Sie nicht noch mehr zu reizen. Manche Männer werden dann völlig unberechenbar." "Ersparen Sie mir Einzelheiten Ihrer sexuellen Erlebnisse. Schlüpfrige Lebensbeichten sind nicht mein Geschmack." "Wenigstens bin ich nicht großspurig, selbstgerecht, scheinheilig und langweilig", entgegnete Anna empört. "Anna!" hörte sie plötzlich Rosalind rufen, die mit Hope auf sie zukam. "Adam, ich bin ..." "Wag es ja nicht, dich für mich zu entschuldigen", warnte Anna sie. "Adam ist unser Gast." "Nein, meiner nicht. Ich lade nur Leute ein, die ich mag", erwiderte sie reichlich kindisch. "Adam, das ist Hope", stellte Rosalind rasch ihre andere Schwester vor.
Offenbar erkannte er Hope sogleich. Sie war unter dem Namen Lacey als Model berühmt und bekannt geworden. Sie war einen Meter achtzig groß, sehr schlank, hatte perfekte Gesichtszüge und endlos lange Beine. Und sie hatte das gewisse Etwas. Das braune Haar war mit hellen Strähnen durchzogen, die aussahen wie reines Gold, und ihre langen Wimpern waren gefärbt. "Ich freue mich sehr, Sie kennen zu lernen", sagte Adam. Wie kitschig, dachte Anna, als Adam Hopes Hand an die Lippen führte. "Lindy hat mir erzählt, dass Sie auch Arzt sind." Hope setzte ihr berühmtes Lächeln auf, das man von vielen TV-Werbespots kannte. "Was haben Sie Anna getan, dass sie so gereizt ist?" Sie lächelte belustigt. "Er hat mich geküsst." "Das war ziemlich mutig." Lindy warf Adam einen leicht vorwurfsvollen Blick zu. "Es hat ihn wohl niemand vor dir gewarnt, Anna." Hope lachte. "Ihr seid ja nicht gerade solidarisch", beschwerte Anna sich. "Entschuldigt mich", fügte sie gleichgültig hinzu. Dann drehte sie sich um und ging davon. Sollten ihre Schwestern sich doch um Adam Deacon kümmern. Es war für Anna nicht leicht gewesen, die Vorbereitungen für die Überraschungsparty für ihre Eltern in der Gemeinde geheim zu halten, wo jeder jeden kannte. Durch die Reaktion ihrer Eltern fühlte Anna sich jedoch reichlich belohnt für ihre Mühe. Erst im Hotel, wo angeblich ein Tisch für ein Candle-LightDinner für sie reserviert war, erfuhren sie, dass eine große Party zur Feier ihres dreißigsten Hochzeitstags stattfand. Anna beobachtete neidlos, wie überschwänglich die beiden sich freuten, ihre Schwestern zu sehen. Lindy war Ärztin in einem großen Londoner Krankenhaus und hatte deshalb nur selten Zeit. Und Hope hatte ihren festen Wohnsitz in New York.
Da sie beruflich viel unterwegs war, besuchte sie ihre Eltern eher selten. Nur Anna war immer noch zu Hause. Nachdem alle Gäste mit Getränken versorgt waren, um auf das Jubelpaar anzustoßen, gesellte Anna sich zu ihren Schwestern aufs Podium und begrüßte die Anwesenden. Charlie Lacey hatte Tränen der Rührung in den Augen. "Was soll ich dazu sagen? Die Überraschung ist perfekt gelungen", bedankte er sich und legte den Arm um seine Frau. "Ich bin ein glücklicher Mann", fügte er schlicht hinzu und bedachte die vier Frauen in seinem Leben mit liebevollen Blicken. Anna lächelte scheinheilig, als ihre Mutter ihr später am Abend einen wirklich netten Arzt und Freund von Lindy vorstellen wollte, wie sie betonte, der ein Haus hier in der Gegend suchte. "Wir kennen uns schon", sagte Anna und zog die dunklen Brauen leicht hoch. "Ihr habt so viel gemeinsam." Beth Lacey lächelte erfreut. "Ach ja?" fragten Adam und Anna gleichzeitig, und Anna konnte nur mühsam ein Lächeln verbergen. "Natürlich, ihr seid doch auf dem medizinischen Sektor tätig." "Sind Sie etwa auch Ärztin?" "Sie hätte es werden können, wenn sie nicht so viele andere Interessen gehabt hätte", antwortete Annas Mutter für sie. "Sie ist gelernte Krankenschwester, nach dem ..." "Ich habe aber nie als Krankenschwester gearbeitet", unterbrach Anna ihre Mutter sanft. "Für meinen Geschmack ist das hierarchische Gefüge im Krankenhaus zu starr, man hat keinen Freiraum, keine Bewegungsfreiheit." "Was machen Sie stattdessen?" Adam beobachtete, wie ausdrucksvoll sie beim Sprechen mit den schönen Händen gestikulierte. "Ich bin Aroma- und Massagetherapeutin." "Wie ... interessant!" Er lächelte leicht verächtlich. Dieser widerliche,
engstirnige, großspurige Kerl, schoss es Anna durch den Kopf. "Offenbar halten Sie nichts von alternativen Heilmethoden." "Heilmethoden nennen Sie es? Haben Sie damit etwa schon Erfolge erzielt?" "Ich wusste doch, dass ihr viel gemeinsam habt." Beth Lacey war begeistert. "Ich lasse euch allein, dann könnt ihr fachsimpeln." Anna bemerkte, wie entsetzt Adam hinter ihrer Mutter hersah. "Sie ist weder arglos noch dumm", erklärte sie. Eher etwas hinterlistig, fügte Anna insgeheim liebevoll hinzu. "Sie versucht immer wieder, mich mit irgendwelchen Junggesellen zusammenzubringen. Sie will mich unbedingt verheiraten. Mit Lindy und Hope macht sie so etwas nicht. Aber die beiden wohnen ja auch nicht mehr zu Hause." "Leben Sie etwa noch bei Ihren Eltern?" fragte er erstaunt. "Ja. Um ehrlich zu sein, ich habe einige ausgesprochen wilde Jahre hinter mir, ehe ich Schwesternschülerin wurde. Aber wie gesagt, ich habe dann nie als Krankenschwester gearbeitet." "Es gibt eben Menschen, die alles Mögliche ausprobieren." Anna ließ sich von seiner unschuldigen Miene nicht täuschen. "Nicht jeder kann so grundsolide und anständig wie Sie sein." "Ich wollte Sie nicht kritisieren. Es war nur eine Bemerkung." "Alles, was Sie sagen, hört sich wie Kritik an", entgegnete sie ärgerlich. "Es ist eine großartige Party. Das soll ein Kompliment sein. Sie haben sie doch organisiert, oder?" In dem Moment stieß ein junger Mann sie so heftig von hinten an, dass sie das Gleichgewicht verlor. Instinktiv breitete Adam die Arme aus, um Anna festzuhalten. Der Inhalt des beinah leeren Glases ergoss sich auf sein Hemd, und als er sie mit seinen Armen auffing, landete sie mit der Wange genau auf dem nassen Fleck. Sie nahm seinen herben männlichen Duft wahr und spürte, wie heftig sein Herz
klopfte und wie angespannt er war. Sekundenlang fühlte sie sich leicht und beschwingt. Doch dann war der magische Moment wieder vorbei. "Es ist nur Mineralwasser", antwortete sie auf die freundliche Frage des Schuldigen. "Das trocknet wieder." Dann hob sie den Kopf und begegnete Adams kühlem Blick. "Du liebe Zeit, das war kein plumper Versuch, mich Ihnen zu nähern oder Sie zu verführen. Sie können ganz beruhigt sein", fuhr sie ihn an und atmete tief ein und aus. Zu gern hätte Adam sich entspannt. Es gelang ihm jedoch nicht. "Habe ich etwas gesagt oder getan, Sie zu ärgern?" Er betrachtete ihr schönes schmales Gesicht. Diese lebhafte junge Frau, die so leicht zu durchschauen war, faszinierte ihn. Aber war sie wirklich so offen und ehrlich, wie sie wirkte? "Außer dass Sie über mich hergefallen sind?" Anna verstand selbst nicht, warum dieser Mann sie so sehr irritierte. Seine grünen Augen wirkten geheimnisvoll, und Anna verspürte ein Kribbeln im Bauch, wenn er sie ansah. "Das war ein Fehler." Allzu deutlich erinnerte er sich an den Vorfall. Sogar sein Körper reagierte schon wieder viel zu heftig. "Aber es hat Ihnen gefallen", stellte sie spontan fest. "Ja." Er schien sich das Eingeständnis geradezu abzuringen. "Mir auch, wenn es Ihnen die Sache erleichtert", erwiderte sie heiser. In seinen Augen leuchtete es sekundenlang auf, als wäre er wirklich zu Gefühlen fähig/Doch dann verschwand die Wärme wieder aus seinem Blick. Adam wirkte kühl und gleichgültig, und Anna wünschte, sie hätte geschwiegen. "Nein, Anna, es erleichtert überhaupt nichts", antwortete er langsam. "Sie sind eine ungemein attraktive junge Frau, und jeder Mann fühlte sich geschmeichelt ..." Nur er nicht, dachte sie und zauberte ein Lächeln auf die Lippen, um sich nicht anmerken zu lassen, wie verletzt sie war. Dieses Mal habe ich mich wirklich total lächerlich gemacht,
dachte sie ärgerlich. Der Mann versuchte, sie höflich zurückzuweisen. So offen hatte sie sich noch nie zu ihren Gefühlen bekannt. Und warum das alles? Nur weil sie die erotische Spannung zwischen ihnen spürte? "Aber ich bin hauptsächlich deshalb hier, um ein Haus zu kaufen für mich und meine Frau, jedenfalls wird sie ..." "Sparen Sie sich den Rest", unterbrach sie ihn kühl und zuckte gleichgültig die Schultern. Sie fühlte sich plötzlich schrecklich elend. Weshalb reagierte sie so überzogen? Der Mann war für sie doch ein Fremder. "Für verheiratete Männer bin ich nicht die richtige Ansprechpartnerin." Ihr Lachen klang irgendwie spröde. "Ich kann Sie mit hiesigen Immobilienmaklern bekannt machen, wenn Sie möchten. Ich sehe mal nach, ob ich einen unter den Gästen finde." Rasch ging sie davon und versuchte, die Tränen zu unterdrücken. Nur weil ich so offen und ehrlich bin, kann man mich so leicht verletzen, überlegte sie. Später bedankte sich der Makler bei ihr. "Vielleicht werde ich jetzt doch das alte Pfarrhaus los, Anna", erklärte er und rieb sich die Hände. "Solche Anwesen, noch dazu in dieser Preisklasse, lassen sich heutzutage kaum noch verkaufen." Annas Stimmung erreichte den Tiefpunkt. "Ist es denn für ihn überhaupt geeignet?" fragte sie und stellte sich das stilvolle große Haus vor, das seit einem Jahr leer stand. "Für eine fünf- oder sechsköpfige Familie auf jeden Fall. Er braucht viel Platz, hat er gesagt", antwortete der Mann und ging zufrieden weiter. Vor lauter Zorn versteifte Anna sich, und in ihren Augen blitzte es verächtlich auf. Was war dieser Adam doch für ein skrupelloser, treuloser, pathetischer Mann. Verheiratete Männer, die fremde Frauen küssten, konnte man nur verachten. Offenbar konnte sie sich doch nicht auf ihre Intuition verlassen. Sie hatte auf seine erotische Ausstrahlung reagiert und war sich jetzt sicher, dass er insgeheim über sie lachte.
2. KAPITEL Es regnete schon den ganzen Morgen. Die kleine Gruppe Demonstranten löste sich allmählich auf, bis nur noch Anna und ein älteres Ehepaar herumstanden. Anna schmerzten die Arme, weil das Plakat, das sie trug, so schwer war. Und nach den Mienen ihrer beiden Begleiter zu urteilen, hatten sie ähnliche Probleme. "Machen wir Schluss?" fragte Anna. "Nicht unseretwegen", versicherte ihr die weißhaarige Frau tapfer. "Heute beachtet uns sowieso niemand mehr, Ruth", erwiderte Anna freundlich. "Wir können uns über einen neuen Termin verständigen und eine andere Strategie zurechtlegen." Wir müssen mehr auffallen, damit diese Philister im Bauamt endlich aufwachen und uns wahrnehmen, überlegte sie. Sie war entschlossen, nicht aufzugeben, sondern wollte weiterhin gegen das Parkhaus und den Supermarkt demonstrieren, die dort gebaut werden sollten, wo jetzt noch die alten Cottages im georgianischen Stil standen. Wenn man die Leute in der Planungsbehörde gewähren lässt, leben wir eines Tages in einer Betonwüste, dachte sie empört. "Wenn du meinst, meine liebe Anna", antwortete George Thompson sichtlich erleichtert. "Dann fahren wir jetzt nach Hause. Können wir dich mitnehmen?"
"Nicht nötig, danke. Ich nehme die Abkürzung." Sie zog sich die Kapuze tiefer ins Gesicht und eilte davon. Nach der Party ihrer Eltern hatte Anna sich entschlossen, vorerst nicht mehr am alten Pfarrhaus vorbeizugehen. Doch an diesem Tag machte sie eine Ausnahme. Während sie den Pfad entlanglief, der an den verwilderten Garten grenzte, entdeckte sie zu ihrer Erleichterung keinerlei Anzeichen, dass schon jemand in dem Haus wohnte. Das Gebäude wirkte leer und verlassen. Sie entspannte sich etwas, achtete jedoch sorgsam auf den Weg vor sich, um nicht auszurutschen und in den Bach zu fallen. Die Begegnung mit Adam Deacon hatte sie viel stärker aus dem seelischen Gleichgewicht gebracht, als sie sich eingestehen wollte. Am schlimmsten war, dass sie sich nicht mehr auf ihre Intuition verlassen konnte. Als Lindy - allzu beiläufig, wie Anna fand - Adams Verantwortung gegenüber seiner Familie erwähnt hatte, hatte Anna betont kühl reagiert. Sie hatte sich fest vorgenommen, nicht mit ihren Schwestern über ihren Kummer zu reden. Sie wollte mit dem Schmerz über das, was sie letztlich selbst provoziert hatte, ganz allein zurechtkommen. Sie hatte sich Adam viel zu direkt und unsensibel genähert. Kein Wunder, dass Lindy so besorgt gewesen war, denn sie hatte ja gewusst, dass er verheiratet war und Familie hatte. Wahrscheinlich glaubte Adam, sie würde sich jedem einigermaßen attraktiven Mann an den Hals werfen. Nie würde er erfahren, dass sie sich zu keinem anderen so sehr hingezogen gefühlt hatte wie zu ihm - jedenfalls schon seit langer Zeit nicht mehr, wie sie sich insgeheim selbst korrigierte. Natürlich hatte sie Freunde, mit denen sie gern zusammen war. Doch Romanzen hatten in ihrem Leben keine große Rolle gespielt. "So, jetzt habe ich Sie endlich erwischt", ertönte plötzlich eine männliche Stimme hinter ihr, und jemand legte Anna den
Arm um den Nacken. Sie schrie entsetzt auf, doch der Mann drückte ihr mit der einen Hand viel zu fest die Kehle zu, während er mit der anderen versuchte, sie auf den Boden zu werfen. "Wehren Sie sich lieber nicht, sonst könnten Sie es bereuen." Sie ignorierte die Aufforderung und schlug heftig mit ihrem Plakat auf den Angreifer ein, bis sie beide die Böschung hinunter in den Bach fielen. Prustend und keuchend versuchte Anna, in dem seichten Wasser aufzustehen. Dabei griff sie nach dem erstbesten Gegenstand, um sich zu verteidigen. Na, da habe ich Glück und er Pech gehabt, dachte sie, als sie den Angreifer betrachtete, der in seiner dunklen Kleidung auf dem Rücken vor ihr lag. Sekundenlang glaubte sie, er sei bewusstlos. Doch als er sich bewegte, versteifte sie sich und hob drohend die Hand. "Ich warne Sie, ich bin Karatemeisterin", erklärte sie. "Du liebe Zeit, Sie sind es! Ich glaube es nicht." Der Mann richtete sich auf. Plötzlich erkannte Anna ihn. Es war Adam Deacon, und er betastete seine Wange. Anna war erleichtert. Auch wenn Adam ein treuloser Ehemann und Frauenheld war, ein Vergewaltiger oder sonst ein Krimineller war er nicht. "Was? Dass ich Karatemeisterin bin? Sie haben Recht, ich habe leicht übertrieben", gab sie zu. "Ich habe einen Selbstverteidigungskurs mitgemacht." "Und dabei haben Sie sich bestimmt auf unfaire Tricks spezialisiert. Sie sollten Warnlichter tragen." Er stand langsam auf. "Wenigstens habe ich mir nichts gebrochen, glaube ich. Ich fühle mich, als wäre ein Zehntonner auf mich gefallen." "Was erwarten Sie denn, wenn Sie die Leute von hinten überfallen? Übrigens wiege ich nur achtundvierzig Kilo. Stellen Sie sich nicht so an."
Die Bemerkung raubte Adam sekundenlang den Atem. "Sie sind auf meinem Grundstück herumgelaufen", erklärte er schließlich. "Für den Weg besteht ein öffentliches Nutzungsrecht. Wenn Sie den Kaufvertrag durchlesen, werden Sie feststellen, dass es stimmt." "Wollen Sie damit behaupten, durch meinen Garten verliefe ein öffentlicher Weg?" fragte er. "Ja, aber es wissen nicht viele." Anna fing an zu zittern vor Nässe und Kälte. "Ich rate Ihnen jedoch, nicht jeden, der ihn benutzt, anzugreifen. So geht man hier bei uns auf dem Land nicht mit den Nachbarn um." "Sie beweisen mir selbst immer wieder, wie nett man hier miteinander umgeht", antwortete er sarkastisch. "Bei mir wurde eingebrochen, nur deshalb bin ich da. Man hat versucht, die kunstvollen Dekorationen zu zerstören. Das Gesims im Wohnzimmer ist beinah ganz verschwunden, und wenn die Einbrecher nicht gestört worden wären, hätte man .den Kamin auch völlig zerstört." "Den aus Sandstein?" Anna war beunruhigt. "Offenbar kennen Sie sich aus in dem Haus." Er zog die Augenbrauen hoch. "Wenn Sie nicht so verdammt verstohlen hier herumgelaufen wären, hätte ich Sie gar nicht festgehalten. Sie wirkten sehr schuldbewusst." Anna errötete. Er hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Sie hatte sich wirklich schuldig gefühlt, weil sie sich von ihm als verheiratetem Mann hatte küssen lassen und sich ihren erotischen Träumen hingegeben hatte. "Kommen Sie mit ins Haus. Sie sollten nicht länger in der Kälte herumstehen, Sie zittern ja", forderte er sie ungeduldig auf. Es war kein besonders verlockendes Angebot, aber der Gedanke, in den nassen Sachen nach Hause laufen zu müssen, gefiel ihr noch weniger. Natürlich gehe ich nicht deshalb mit
ihm, weil ich gern mit ihm zusammen bin, versuchte sie sich einzureden. Aber sie fand diesen Mann viel zu faszinierend, wie sie sich eingestand, als sie hinter ihm die Böschung hinaufkletterte. Es wäre besser, er wohnte nicht in ihrer Nähe. Plötzlich blieb er stehen, und sie dachte schon, er würde ihr die Hand reichen, um ihr zu helfen. Er tat es jedoch nicht, sondern schob sie tief in die Tasche der durchnässten Jacke und ging dann weiter. Wahrscheinlich war es ihm irgendwie peinlich, dass er seiner Frau in gewisser Weise untreu geworden war. Sie folgte ihm ins Haus und in die Küche. "Das ist der einzige Raum, in dem es warm ist. Ich habe heute Nacht hier geschlafen." Mit einer Kopfbewegung deutete er auf den zusammengerollten Schlafsack auf dem alten Sofa und schloss die Tür. In dem Raum mit der hohen Decke und den Steinfliesen standen außerdem nur noch ein alter Holztisch und ein noch älterer Herd, in dem ein Feuer brannte, das wohlige Wärme verströmte. Mit steifen Fingern schob Anna die Kapuze zurück und fuhr sich durchs Haar. Ihr war klar, dass sie, nass wie sie war, kein besonders erfreulicher Anblick war. Sie ahnte jedoch nicht, wie faszinierend Adam, der sie mit regloser Miene beobachtete, ihre Gesichtszüge und ihre feine Haut fand. "Ich habe Sie zunächst für einen jungen Mann gehalten." "Ach, fallen Sie lieber über junge Männer her? Ihr Geheimnis ist bei mir gut aufgehoben", erwiderte sie. "Es gefällt Ihnen wohl, andere mit bissigen Bemerkungen zu verletzen." Nein, nur Sie fordern mich zu solchen Boshaftigkeiten heraus, hätte sie am liebsten geantwortet. "Bilden Sie sich ja nicht ein, Ihre Worte wirkten weniger verletzend", stieß sie stattdessen ironisch hervor. Dann betrachtete sie das Wasser, das
aus ihren Sachen auf den Boden tropfte und sich langsam um ihre Füße herum ausbreitete. Auch Adam sah es. Er zog die Regenjacke aus, unter der er kein Hemd trug, sondern nur verwaschene Jeans. Die bloßen Füße steckten in Freizeitschuhen, die wahrscheinlich jetzt nicht mehr zu gebrauchen waren. Anna bemühte sich vergebens, ihn nicht allzu interessiert zu mustern. Der Arzt, der in dem eleganten Anzug so distanziert und abgehoben gewirkt hatte, hatte kaum noch Ähnlichkeit mit diesem Mann mit den kräftigen Muskeln und der gebräunten Haut. Während sie den Blick über seinen flachen Bauch gleiten ließ, bekam sie Herzklopfen. Er hatte wirklich einen phantastischen Körper. Sie schluckte und hob den Kopf. In Adams Augen blitzte es so geheimnisvoll auf, dass es ihr beinah den Atem raubte. Doch dann fing der Wasserkessel an zu pfeifen, und der zauberhafte Moment war vorbei. "Ich wollte mir Tee machen", stellte Adam fest. "Doch dann sah ich eine verdächtige Gestalt draußen herumschleichen. Was, zum Teufel, wollten Sie eigentlich da, wenn Sie mit den Leuten, die hier eingebrochen sind, nichts zu tun haben", fuhr er fort und blickte sie vorwurfsvoll an, ehe er das Wasser abstellte und Tee aufgoss. "Ich wollte den Weg nach Hause abkürzen." Sie betrachtete seine breiten Schultern, seinen muskulösen Rücken und die schmalen Hüften, an die sich die nassen Jeans schmiegten und ihn geradezu unverschämt attraktiv aussehen ließen. "Na ja, für einen Spaziergang ist es wirklich das richtige Wetter", sagte er spöttisch. "Laufen Sie immer bewaffnet durch die Gegend? Vielleicht vorsichtshalber, weil es hier so unsicher ist? Mich hat man jedenfalls niedergeschlagen, ehe ich überhaupt richtig eingezogen bin, und auch noch ausgeraubt." "Ausgeraubt!" wiederholte sie verächtlich. "Außerdem haben Sie nur einige Kratzer abbekommen."
Adam lachte auf. "Sie sind wirklich gut! Was haben Sie da eigentlich mit sich herumgeschleppt?" "Ein Plakat", erwiderte sie so herablassend, als hätte er es wissen müssen. "Das hätte ich mir denken können. Sie sind eine von denen, die grundsätzlich gegen alles demonstrieren." Als sie den Kopf hob und Adam streitsüchtig ansah, verzog er verächtlich die Lippen. "Vermutlich lehnen Sie alles Neue grundsätzlich ab." "Ich habe wenigstens ein soziales Gewissen", fuhr sie ihn zornig an. Er war ein typischer Vertreter des Establishments. "Ich trete für meine Überzeugungen ein, deshalb bin ich noch lange kein Freak. Aber von einem Chirurgen, für den Operationen das Allheilmittel sind, kann man nicht erwarten, dass er die Zusammenhänge des Lebens versteht." "Was wäre Ihnen denn lieber, wenn Sie sich beispielsweise das Bein gebrochen hätten, meine Kenntnisse als Chirurg oder Ihre Heilöle? Demonstranten haben meiner Meinung nach zu viel Zeit und kein Privatleben." "Weil wir uns nicht damit abfinden wollen, dass die Welt von spießigen Bürokraten regiert wird? Und weil wir uns für die Zukunft verantwortlich fühlen? Vermutlich glaubt so ein engstirniger, egoistischer und selbstgefälliger Mensch wie Sie ..." Ein heftiger Niesanfall unterbrach ihren leidenschaftlichen Ausbruch. "Du liebe Zeit, stehen Sie doch nicht da und predigen. Sie holen sich noch eine Erkältung. Ziehen Sie lieber das Zeug aus." "Erstens predige ich nicht, und zweitens lasse ich mir nichts befehlen." Sie rieb sich die Nase. "Sie hören sich an wie eine verwöhnte Vierjährige. Tun Sie lieber, was ich gesagt habe." "Und wenn nicht?" fragte sie, die Zähne zusammengebissen. "Sind Sie immer so streitsüchtig? Wenn Sie die Klamotten nicht freiwillig ausziehen, zwingen Sie mich, Ihnen zu helfen."
Obwohl ihr klar war, dass sie ihn provoziert hatte, blickte sie ihn verblüfft an. Rasch verdrängte sie die Vorstellung, wie er die langen, schlanken Finger über ihren Körper gleiten lassen, sie unter das nasse Shirt schieben und ihre Brüste umfassen würde. "Und natürlich nur aus Sorge um meine Gesundheit", stellte sie fest. Adam gefiel ihre heisere Stimme ausgesprochen gut. Plötzlich überlief es sie heiß und kalt, und sie bekam eine Gänsehaut. Ärgerlich überlegte sie, ob es an den erotischen Gedanken lag, die ihr in seiner Gegenwart im Kopf herumschwirrten. Normalerweise war es für sie kein Problem, Versuchungen zu widerstehen. Sie gestand sich jedoch ein, dass sie Adam gar nicht widerstehen wollte. "Na, ich würde es bestimmt nicht tun, um meine Neugier zu befriedigen. Der winzige Fummel, den Sie kürzlich auf der Party anhatten, hat kaum etwas verhüllt. Ehrlich gesagt, ich finde es geheimnisvoller und aufregender, wenn man die Phantasie noch spielen lassen kann." "Soweit ich mich erinnere, waren Sie völlig begeistert von meiner plumpen Zurschaustellung, wie Sie es offenbar nennen würden", warf sie ihm zornig an den Kopf. Adam fühlte sich sichtlich unbehaglich. "Ich bin sicher, ich kann meine niederen Instinkte beherrschen, wenn Sie das meinen. Dahinten finden Sie etwas zum Anziehen." Er wies auf den offenen Kleidersack auf dem Fußboden. "Wenigstens können Sie sich notdürftig verhüllen, während Ihre Sachen trocknen. Ich drehe mich um, falls Sie plötzlich Hemmungen haben." "Ich gehe lieber ins Badezimmer, wenn Sie nichts dagegen haben", erwiderte sie kühl. Rasch durchwühlte sie den Kleidersack und bemühte sich, Adams persönliche Sachen nicht zu genau zu betrachten. Schließlich zog sie ein hellblaues Jeanshemd hervor. Es war lang genug und erfüllte den Zweck. Mit erhobenem Kopf ging Anna aus dem Raum.
Nachdem sie alles, was sie angehabt hatte, über der Badewanne ausgewrungen hatte, fuhr sie sich durchs Haar, um es in Form zu bringen. Dann streifte sie das Hemd über, das ihr bis zu den Knien reichte, und ging barfuß die Treppe hinunter. In der Küche war es so kalt, dass Anna fror. Doch Adam, der am Tisch saß und seinen Tee trank, schien die Kälte nicht zu spüren. Aber immerhin hatte er jetzt ein Hemd an und die Jeans gewechselt. "Hängen Sie alles dort auf." Er wies auf die altmodische Trockenvorrichtung über dem Herd. Anna betrachtete das Gestell, das man herunterziehen konnte, skeptisch. "Lassen Sie mich mal machen." Er nahm ihr die Sachen aus der Hand und hängte sie selbst auf. Während er ihre Dessous an der Leine befestigte, bemühte Anna sich, ihre Verlegenheit zu überspielen. Unter den Jeans und dem Shirt hatte sie einen reizvollen BH aus champagnerfarbener Seide und Spitze mit einem winzigen Slip aus dem gleichen Material getragen. "Das passt zu Ihnen"', erklärte Adam dann auch prompt. "Typisch!" Ganz verzweifelt wünschte sie, sie würde nicht erröten. "Männer sind so berechenbar, dass es langweilig ist. Wenn man einen Slip nur erwähnt, geraten sie in Ekstase." Erstaunt zog er die Augenbrauen hoch. "Ich wollte damit nur sagen, dass Ihre Dessous etwas über Ihre Persönlichkeit verraten." "Dann halten Sie mich wahrscheinlich für geschmacklos." "Nein, ich finde Sie erotisch", entgegnete er bestimmt. Dabei blitzte es in seinen Augen so seltsam auf, dass Anna weiche Knie bekam. "Möchten Sie auch einen Tee?" Anna war so irritiert über seine Feststellung, dass sie sekundenlang kein Wort herausbrachte. Deshalb nickte sie nur und nahm die Tasse in die Hand, die er ihr reichte. Sie setzte
sich auf einen der Umzugskartons. Adam saß auf einem anderen Karton und hatte die langen Beine ausgestreckt. "Sie scheinen sich in dem Haus auszukeimen. Jedenfalls wussten Sie, wo das Badezimmer ist", erklärte er. "Ich habe es vor einiger Zeit zusammen mit dem Makler besichtigt. Das ist völlig legitim, und Sie brauchen nicht so misstrauisch zu sein." "Ist er Ihr jetziger oder ein ehemaliger Freund?" fragte er. "Ich meine den Makler", fügte er hinzu, als sie ihn verständnislos ansah. "Oh, ich habe viele Freunde." "Ja, das kann ich mir vorstellen." "Wenn ich etwas Abwechslung in Dir langweiliges Dasein bringen kann, tue ich es gern. Ich bin nicht gebunden und habe keinen Grund, zurückgezogen oder enthaltsam zu leben." Sie blickte ihn missbilligend an. "Dann sind Sie so etwas wie ein Freigeist." "Ich bin frei und kann tun und lassen, was ich will", erwiderte sie. "Irgendwie habe ich das Gefühl, Sie wollen damit etwas Bestimmtes sagen." Er sah sie nachdenklich an. "Ich kann es nicht ertragen, wenn verheiratete Männer, die außer ihrer eigenen noch andere Frauen küssen, so scheinheilig tun." "Aber ich bin nicht verheiratet." "Erwarten Sie, dass ich Ihnen glaube?" fragte sie, empört über die schamlose Lüge. "Glauben Sie, was Sie wollen. Es ist mir völlig egal." "Angeblich haben Sie das Haus wegen der vielen Schlafzimmer gekauft. Wen wollen Sie denn darin unterbringen, wenn nicht Ihre Kinder?" "Es existieren Kinder, das stimmt. Aber ich habe sie sozusagen geerbt und nicht selbst gezeugt. Damit Sie es genau wissen, ich bin verlobt und nicht verheiratet."
"Das ist doch beinah dasselbe", beharrte sie. "Wie kann man denn Kinder erben?" "Mein Bruder und seine Frau sind beim Bergsteigen ums Leben gekommen." "Das tut mir Leid." Sogar in ihren eigenen Ohren klang die Bemerkung seltsam nichts sagend. Sie empfand tiefes Mitleid mit ihm, spürte jedoch instinktiv, dass sie es nicht zeigen durfte. Auf solche Regungen legte Adam Deacon keinen Wert. "Bestimmt nicht so sehr wie den Kindern", antwortete er verbittert. "Wie viele sind es?" "Vier." "Für Ihre Verlobte war es wahrscheinlich auch ein Schock." Sie konnte sich gut vorstellen, wie wenig begeistert die junge Frau über die Aussicht war, einen Mann mit vier Kindern zu heiraten. "Damals waren wir noch nicht verlobt. Möchten Sie sonst noch etwas wissen? Sie brauchen sich nicht zurückzuhalten, aber das tun Sie ja sowieso nicht." Anna zog die Augenbrauen zusammen und trank den Tee. "Ich finde, es gehört viel Anpassungsfähigkeit dazu, vier fremde Kinder zu akzeptieren." "Überhaupt zu heiraten erfordert außergewöhnliche Anpassungsfähigkeit. " Sie sah ihn kritisch an. "Sie scheinen nicht begeistert zu sein." "Ich habe mich nur wegen der Kinder zu diesem Schritt entschlossen." Das passte so gar nicht zu Annas romantischen Vorstellungen von Liebe und Ehe. "Weiß es die Frau, die Sie heiraten wollen?" "Jessica hat sich der neuen Entwicklung angepasst." "Ich bin froh, dass Sie das Opfer, das sie bringt, zu schätzen wissen." Für Annas Geschmack sprach er viel zu unbeteiligt und
unpersönlich über die ganze Sache. "Leben Sie und Jessica schon lange zusammen?" "Ist Ihnen taktvolle Zurückhaltung ein Begriff?" Anna legte die Füße übereinander. Sie empfand keinerlei Schuldgefühle. "Wenn ich den Eindruck gehabt hätte, Sie seien verletzlich, wäre ich sicher diskreter gewesen." Sie lächelte ihn so selbstsicher an, als wollte sie ihn auffordern, sich nicht so anzustellen "Jessica und ich haben nie zusammengelebt. Wir haben beide Wert auf unseren Freiraum gelegt. Sind Sie jetzt zufrieden?" Er wurde langsam ungeduldig. Vielleicht ist diese Jessica ja eine Heilige, aber eine Frau, die angeblich ihren Freiraum braucht und dann, ohne zu zögern, bereit ist, einen Mann mit vier Kindern zu heiraten, macht mich misstrauisch, überlegte Anna. Sie lächelte Adam leicht spöttisch an. "Na ja, auf Ihren Freiraum müssen Sie wohl in Zukunft verzichten. Wie lange kennen Sie sich?" "Drei Jahre. Mit der Familie bin ich schon viele Jahre befreundet." "Das hört sich ganz nach einer leidenschaftlichen Beziehung an", spottete sie. "Jessica muss ja völlig hingerissen sein von Ihnen." "Glauben Sie etwa, ich hätte Jessica lange bitten müssen?" fragte er. Du liebe Zeit, er war wirklich irgendwie naiv. Merkte er nicht, dass die Frau nur die Gelegenheit nutzte, ihn an sich zu binden, was ihr zuvor offenbar nicht gelungen war? Aber vielleicht sehe ich das alles zu eng, dachte Anna schuldbewusst. Eifersüchtig war sie natürlich überhaupt nicht, wie sie sich einzureden versuchte. "Ich bin sicher, sie ist eine großartige Frau. Es würde mich nicht wundern, wenn sie die Lösung sogar selbst vorgeschlagen hätte." Anna lächelte betont unschuldig. "Für mich wäre es kein
Kompliment, wenn ein Mann mich heiraten wollte, nur um eine Mutter für die Kinder zu haben." "In so eine Lage kommen Sie erst gar nicht", antwortete er leicht verächtlich. "Weiß Ihre Verlobte, dass Sie allein umherlaufende Frauen aufgreifen?" "Sie erinnern mich an eine umherirrende Katze", stellte er fest, statt ihre Frage zu beantworten. Er ließ den Blick über ihre schlanke Gestalt gleiten. Offenbar war er in Gedanken ganz woanders. Doch dann runzelte er die Stirn. "Zugegeben, ich habe einen kurzen Augenblick die Kontrolle verloren. Aber ich hatte ja auch noch keine Zeit, mich daran zu gewöhnen, verlobt und gebunden zu sein." "Sind Ihnen drei Jahre nicht genug?" Anna war einfach zu neugierig, was sein Privatleben anging, obwohl es irgendwie masochistisch war, darauf herumzureiten. "Ich habe nur gesagt, Anna, dass Jessica und ich uns seit drei Jahren kennen. Es war jedoch eher eine unverbindliche Beziehung." "Dann schlafen Sie wohl mit allen möglichen anderen Frauen", hielt sie ihm ärgerlich vor. "Ich wechsle die Partnerinnen nicht wahllos und nicht zu häufig, wenn Sie das andeuten wollen mit Ihrem moralischen Einwand." "Wäre es Ihnen denn egal, wenn Ihre Verlobte mit anderen Männern schlafen würde?" fragte Anna ungläubig. "Jessica ist viel zu taktvoll, um so etwas überhaupt zu erwähnen. Und ich würde selbstverständlich so ein Thema gar nicht erst anschneiden." "Wie zivilisiert!" Anna war entsetzt. "Ich dachte, gerade Sie mit Ihrer wenig angepassten Lebensweise würden so eine Übereinkunft ideal finden."
"Dann haben Sie falsch gedacht", rief sie aus. "Wenn mir der Mann, den ich liebe, untreu wäre, würde ich bestimmt nicht höflich schweigen, sondern ..." Seltsam fasziniert beobachtete Adam, wie sie aufsprang. In ihrem so lebendig wirkenden Gesicht spiegelte sich Leidenschaft. Es war kaum zu übersehen, wie heftig sich ihre Brüste hoben und senkten. "Wenn ich bereit wäre, mich jemandem bedingungslos hinzugeben, müsste es auf Gegenseitigkeit beruhen. Ich hasse Unehrlichkeit ..." Zu spät wurde ihr bewusst, wie aufschlussreich ihre Bemerkung war. "Bedingungslos?" Seine Stimme klang rau und nachdenklich, und er blickte Anna so interessiert an, dass sie sich wieder hinsetzte. "Sagen wir es so, Sie und ich haben unterschiedliche Meinungen über Liebe und Ehe", erwiderte sie betont beiläufig, um die Spannung zwischen ihnen aufzulösen. "Glauben Sie, dass die Leidenschaft, von der Sie offenbar träumen, lange anhält?" Er schüttelte den Kopf und lächelte ironisch. "Für kurze Zeit können solche Gefühle sehr anregend und befriedigend sein. Aber für eine Ehe reichen sie nicht aus. Respekt und gemeinsame Interessen sind eine viel solidere Grundlage." "Jessica tut mir wirklich Leid, wenn sie von Ihnen nur Respekt erwartet." "Jedenfalls ist es sinnvoller, als sich lebenslang nur wegen einer körperlichen Reaktion zu verpflichten", antwortete er leicht betroffen. "Denken Sie doch nur an uns beide. Vom ersten Moment an hätten wir uns am liebsten gegenseitig die Kleidung vom Leib gerissen. Aber lieber würde ich einen Wirbelsturm über mich ergehen lassen, der ist im Vergleich zu Ihnen ruhig und friedlich."
"Wenigstens bin ich nicht langweilig." Insgeheim gestand sie sich ein, dass er Recht hatte. Er hätte es jedoch auch netter ausdrücken können. Ich wollte Adam unter allen Umständen aus dem Weg gehen, doch was habe ich stattdessen bei erstbester Gelegenheit getan? fragte sie sich verbittert. War sie etwa davongelaufen? Nein, im Gegenteil, sie saß sogar leicht bekleidet und in intimer Atmosphäre mit Adam Deacon zusammen. Die Kehle war ihr wie zugeschnürt, denn die Situation war ziemlich gefährlich. "Und was heißt das?" Seine Stimme klang leicht belustigt. "Durch Sie erhält der Begriff vornehmer Wichtigtuer eine ganz neue Bedeutung", erklärte sie betont freundlich. "Wie alt sind Sie? Fünfunddreißig? Sie hören sich an, als hätten Sie Ihr ganzes Leben wie ein Computerprogramm geplant. Ich bin sicher, Sie haben die besten Absichten. Doch wenn die Kinder Ihres Bruders in einem liebevollen Elternhaus aufgewachsen sind, werden sie sich keinen einzigen Tag von der Situation, die sie bei Ihnen vorfinden, täuschen lassen." Sie betrachtete die kindlichen Bilder, die er an die Wand geklebt hatte. "Haben Ihre Nichten und Neffen sie gemalt?" "Ja, Sam und Nathan", antwortete er, und seine Stimme klang liebevoll. "Zwillinge, drei Jahre alt. Sie haben immer noch Albträume. Momentan kümmert sich meine Mutter um die Kinder. Aber sie brauchen wieder ein geordnetes Familienleben." "Ich finde es ziemlich pathetisch, zu glauben, Sie brauchten nur zu heiraten und aufs Land zu ziehen, dann wäre alles in Ordnung", erwiderte sie ernst. "Man sollte nicht wegen bestimmter Umstände heiraten, Adam." "Wachen Sie endlich auf, Anna. Sie sind daran gewöhnt, alles zu bekommen, was Sie haben wollen. Doch so geht es meist nicht. Im wirklichen Leben muss man Kompromisse schließen." "Dazu wäre ich nicht bereit. Deshalb bin ich aber nicht realitätsfern." Sie dachte an ihre zerstörten Hoffnungen und
Träume. "Ihre Vorstellungen sind unrealistisch, das alles kommt mir vor wie eine einzige Lüge, Man kann nicht ein Zuhause schaffen wie ein Filmset. Lassen Sie sich denn nie von Ihrer Intuition leiten?" "Seien Sie froh, dass ich es nicht tue", fuhr er sie an. In seinen Augen blitzte es auf, und er atmete tief ein und aus. "Und wenn ich bereit wäre, das Risiko zu tragen?" Wieso habe ich das denn jetzt gesagt? überlegte sie und presste. die Lippen zusammen, um nicht noch mehr herausfordernde Bemerkungen zumachen. Adams Miene wirkte angespannt und seine Haltung verkrampft. Offenbar konnte er sich nur mühsam beherrschen. "Ach, vergessen Sie es", forderte sie ihn rasch auf. "Sie haben nichts gehört." "Oh, ich habe Sie sogar sehr deutlich verstanden." Seine Stimme klang rau, und in seinen Augen leuchtete es beinah verwegen auf, während er Anna ungeniert musterte. Sie lachte unsicher und versuchte vergebens, seine Absicht zu erraten. Momentan wirkte er ziemlich gefährlich und unberechenbar, während sie ihm gerade noch unterstellt hatte, langweilig und voreingenommen zu sein. Als er die Lippen geheimnisvoll und viel versprechend verzog, verkrampfte sich ihr der Magen. Sie bemühte sich, sich ihre Nervosität und Vorfreude nicht anmerken zu lassen. "Ich sage oft irgendetwas daher." "Aber Sie haben es ernst gemeint", warf er ihr vor. Anna fühlte sich durchschaut und kam sich ziemlich hilflos vor. Doch plötzlich ärgerte sie sich. Sie brauchte das alles ja nicht mitzumachen, sondern konnte aufstehen und gehen. Sie blieb jedoch reglos sitzen. "Komm her, Anna", forderte Adam sie auf. Seine Stimme klang so heiser, dass Anna eine Gänsehaut bekam. Langsam stand sie auf und ging zu ihm. Sie verstand sich selbst nicht mehr.
Schließlich stand sie vor ihm, und in seinen Augen blitzte es zufrieden auf. Er streckte die Hand aus und berührte Anna an der Schulter. Dann ließ er die Finger über ihren Arm gleiten. Die leichte Berührung ließ sie erbeben. Und als Adam sie an den Schultern packte und sie hinunter auf die Knie drückte, erbebte er auch. Sein heftiges, primitives Verlangen löschte jeden vernünftigen Gedanken in ihm aus. Behutsam strich er ihr einige Strähnen ihres seidenweichen Haars aus der Stirn, ehe er ihr schmales Gesicht umfasste. Einen Augenblick lang, der ihr wie eine halbe Ewigkeit vorkam, betrachtete er sie fasziniert. Anna klopfte das Herz zum Zerspringen, und sie war sich sicher, er würde es hören. "Du bist das bezauberndste und perfekteste Wesen, das ich je kennen gelernt habe", flüsterte er, ehe er die Lippen auf ihre presste und mit der Zunge ihren Mund erforschte. Sie legte ihm die Hände auf die Brust und spürte seine warme Haut durch das feine Material des Hemds hindurch. Als Adam aufstöhnte, wurde ihr bewusst, was sie da tat. Sie öffnete die Augen und begegnete seinem Blick. "Ich kann es nicht", sagte sie rau, obwohl sie sich mit ihrem ganzen Körper nach ihm sehnte. Es fühlte sich herrlich an, seine Lippen auf ihren zu spüren, seinen männlichen Duft wahrzunehmen und seine Haut zu streicheln. "Warum nicht?" fragte sie heiser. Dann umfasste er ihren Po, hob sie hoch und setzte sie auf seine Oberschenkel. Sein Verlangen war so stark und so heftig, wie Anna es sich nicht hätte vorstellen können. Er schob ihre Beine auseinander und drängte sich dazwischen. Als sie seine starke Erregung spürte, errötete sie. Anna hielt den Atem an, während er ihr die Hände unter das Hemd schob und langsam ihren Po, ihre Hüften und ihre Taille streichelte, ehe er ihre Brüste umfasste. Mit den Daumen
liebkoste er die aufgerichteten Spitzen so zärtlich, dass sie es kaum ertragen konnte. "Du treuloser Kerl!" fuhr sie ihn unvermittelt an. "Lieber das als eine Verführerin, die sich im entscheidenden Moment zurückzieht", entgegnete er zornig und frustriert. Er versuchte erst gar nicht, sie festzuhalten. "Verführerin!" wiederholte sie empört. Sie zitterte am ganzen Körper. Der Absturz aus den höchsten Höhen sinnlicher Gefühle in die ernüchternde Wirklichkeit kam zu plötzlich. Doch seine arrogante Bemerkung bestätigte ihr, dass sie sich richtig entschieden hatte, auch wenn es schmerzte. "Du liebe Zeit, es überrascht mich schon gar nicht mehr, dass du Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit nicht erkennen kannst. Du bist total verklemmt und steckst voller Vorurteile. Auch wenn du es nicht glaubst, ich halte nichts von Gelegenheitssex. Weshalb soll ich nicht offen zugeben, dass ich jemanden attraktiv finde? Hör bitte gut zu, ich habe dich attraktiv gefunden, ehe ich feststellen musste, was für ein engstirniger, heuchlerischer Mensch du bist. Nur damit du es weißt, ich bin keine sexbesessene Verführerin." "Vergiss nicht, was soeben passiert ist, liebe Anna." Seine Miene wirkte so nachdenklich und kühl, dass Anna beunruhigt war. "Dafür verachte ich mich selbst." "Ah ja, das glaube ich dir sogar aufs Wort", antwortete er voller Ironie. "Ich brauche meine Sachen." "Du brauchst etwas ganz anderes." Als er die Tränen sah, die ihr bei seinen Worten plötzlich in den Augen standen, fühlte er sich schuldig. Sie begehrte ihn so sehr wie er sie, was sie offen zugegeben hatte, während er es zu verheimlichen versuchte. Er hatte gehofft, sein völlig untypisches Verhalten vor einer Woche sei nur eine vorübergehende Verirrung gewesen. Doch schon wenige Sekunden in Anna Laceys Gesellschaft hatten ihm das
Gegenteil bewiesen. Sie faszinierte ihn so sehr, dass er alles andere vergaß und sich wie ein verantwortungsloser Teenager benahm, der sich nicht beherrschen konnte. Er war entsetzt über sich und schämte sich. Anna spürte, was in ihm vorging. Es machte sie krank. "Nein, Adam, das stimmt nicht." "Warum hast du es dann herausgefordert?" fragte er verbittert. Offenbar wollte er die Verantwortung auf sie abwälzen. Und Anna gestand sich ein, dass sie wirklich nicht ganz unschuldig war. "Irgendwie kann ich mich bei dir nicht beherrschen", erwiderte sie leise. Doch plötzlich ärgerte sie sich über die unmögliche Situation. "Denk bitte nicht, ich sei glücklich darüber, mein Urteilsvermögen und meinen guten Geschmack verloren zu haben!" Er heiratet in Kürze eine andere Frau, und ich biete mich ihm praktisch immer wieder an, sagte sie sich zornig. Ihr seltsam widersprüchliches Verhalten war ihr unerklärlich. "Am besten gehen wir uns aus dem Weg. Ich möchte deine Pläne nicht durchkreuzen." "Das schaffst du sowieso nicht." "Freut mich", behauptete sie. Adam fuhr sich übers Kinn. Er schien wütend zu sein. "Tu nicht so, als wärst du nicht genauso daran beteiligt gewesen wie ich. Was ist eigentlich mit dir los? Musst du jeden Mann haben, den du attraktiv findest? Oder willst du dich rächen, weil ich an dem Abend nicht so reagiert habe, wie du es dir gewünscht hast?" "Das ist doch kompletter Unsinn", fuhr sie ihn zornig an. "Mach mich doch nicht dafür verantwortlich, dass du nicht treu sein kannst! Und mach mich auch nicht zum Sündenbock,
nur weil du wegen deiner gar nicht so perfekten Beziehung frustriert bist." "Zieh dich an, dann fahre ich dich nach Hause", forderte er sie mit angespannter Miene auf. "Ich gehe lieber zu Fuß." Er versuchte nicht, sie umzustimmen. Obwohl Anna es auch nicht erwartet hatte, war sie sich nicht sicher, ob sie sich darüber freuen oder ärgern sollte.
3. KAPITEL Durch das Läuten des Telefons wurde Anna geweckt. Sie lag mit einer Grippe, die sie sich nach dem unfreiwilligen Bad im Bach geholt hatte, im Bett. Es ging ihr jedoch schon wieder besser. Rasch stand sie auf. "Hallo, Anna, wie geht es dir?" ertönte Rosalinds Stimme. "Na ja, ich werde es überleben. Ist bei dir alles in Ordnung?" "Hast du Adam gesehen?" "Nein, das will ich auch nicht", erwiderte sie. Schon beim Gedanken an diesen Mann verkrampfte sich ihr der Magen. Rosalind seufzte. "Natürlich nicht. Ich habe nur überlegt, ob ich ... Ach nein, ich komme auch so zurecht." "Willst du mir nicht sagen, was los ist?" Anna verstand überhaupt nichts mehr. Ihre sonst so besonnene Schwester hörte sich seltsam beunruhigt an. "Es ist nichts, wirklich nicht", versicherte Rosalind ihr betont heiter. "Ich habe nur Probleme mit dem neuen Facharzt. Wir hatten uns viel zu sehr an Adam gewöhnt. Er ist einfach wunderbar. Ich vermisse ihn sehr." Anna rang nach Atem. Wie hatte sie nur so naiv sein können? Offenbar war auch ihre Schwester von Adam begeistert. Lindy hatte über ein Jahr mit ihm zusammengearbeitet. "Grüß Mam und Dad, und pass auf dich auf. Bis bald", verabschiedete Rosalind sich dann rasch.
Schockiert legte Anna den Hörer auf. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, Adams starker erotischer Ausstrahlung zu widerstehen und sich ihren Gefühlen für ihn nicht hinzugeben. Deshalb hatte sie nie darüber nachgedacht, was ihre Schwester empfand. Dabei hätte es sie stutzig machen müssen, dass Rosalind ihn mit auf die Party genommen hatte. Nachdem sie sich den Kimonomantel und Freizeitschuhe angezogen hatte, betrachtete sie sekundenlang ihr blasses Gesicht im Spiegel. Sie war überzeugt, dass ihre Schwester in Adam Deacon verliebt war. Hatte er ihre Zuneigung etwa ausgenutzt? Anna machte sich einen Tee, den sie mit nach oben ins Schlafzimmer nehmen wollte. Wo ist meine Mutter eigentlich? fragte sie sich unvermittelt. Sie hätte schon längst wieder zu Hause sein müssen. Plötzlich hörte Anna die Stimme ihrer Mutter aus dem Wohnzimmer und blieb sekundenlang stehen, ehe sie die Tür öffnete. "Ich wusste nicht, dass du ..." "Du bist ja wach, Anna. Du siehst immer noch schlecht aus. Stimmt's, Adam?" "Ja, das finde ich auch." Adam betrachtete sie und spürte, wie verletzlich sie war. Er hätte sie am liebsten beschützt. Ihm war klar, dass sein Besuch problematisch werden könnte. "Mein Auto hat schon wieder gestreikt, und Adam hat mir freundlicherweise geholfen. Komm, begrüß ihn." "Das geht nicht", murmelte Anna. Sie war sich seines Blickes viel zu sehr bewusst. Dabei hatte sie sich vorgenommen, bei der nächsten Begegnung mit ihm kühl und sicher aufzutreten und ganz besonders gut auszusehen. Sie hatte unbedingt beweisen wollen, wie leicht es ihr fiel, ihn aus ihrem Leben zu streichen. "Ich möchte Adam nicht anstecken." "Unsinn. Du steckst niemanden mehr an. Du tust dir nur etwas Leid momentan. Ich wollte Adam gerade Fotos zeigen." Ihre Mutter deutete auf das Fotoalbum vor ihr.
"Nein, bitte nicht", protestierte Anna viel zu heftig. "Er interessiert sich bestimmt nicht dafür." "Doch, tue ich", erklärte er. "Er wusste nicht, dass du getanzt hast." "Woher auch?" Annas Hand zitterte, als sie die Tasse auf den Tisch stellte. Immer wieder schaffte es Adam, dass sie sich schrecklich dumm und ungeschickt vorkam. Aber das musste aufhören. "Gut, dass du Tee gemacht hast. Möchten Sie auch einen, Adam?" Ohne seine Antwort abzuwarten, eilte Beth Lacey aus dem Raum. Anna ärgerte sich über ihr gar nicht perfektes Aussehen und die Tatsache, dass er sich ziemlich gleichgültig ihre Lebensgeschichte auf den Fotos ansah. Außerdem hätte sie ihn am liebsten gefragt, warum er sich ihrer Schwester gegenüber so unsensibel verhielt. "Was war das für eine Verletzung an deinem Knie?" "Ein Bänderriss." Sie nahm das Fotoalbum an sich und legte die Zeitungsausschnitte zusammen. "Wer hat dich operiert?" fragte er ungerührt. "Sir James Kennedy." "Der Beste." "Das bist du doch", fuhr sie ihn ironisch an. "Lindy glaubt es jedenfalls. Mehr hat sie vorhin am Telefon nicht sagen wollen", fügte sie hinzu. Aber er tat so, als hätte er die Anspielung nicht verstanden. "Wie geht es Lindy?" erkundigte er sich. "Als ob du das nicht wüsstest!" "Dann hätte ich nicht gefragt." Er zog erstaunt die Augenbrauen hoch. "Sie vermisst dich." "Deine Abneigung der Medizin gegenüber kann ich ja verstehen, aber Jamie Kennedy ist wirklich Kniespezialist. Hat es Komplikationen gegeben?"
"Ich lehne die Schulmedizin nicht grundsätzlich ab", erwiderte sie gereizt. "Ist dein Interesse rein beruflicher Natur? Aus deiner Sicht war es wahrscheinlich eine erfolgreiche Operation, wenn ich nicht ausgerechnet Balletttänzerin gewesen wäre." "In den Kommentaren nannte man es tragisch. Man habe ein junges und viel versprechendes Talent verloren, war da zu lesen." "Im großen Weltgefüge ist Tanzen nicht so wichtig, glaube ich. Deshalb würde ich es nicht tragisch nennen. Zeitungsleute übertreiben gern." "Hätten sie dich nicht loben sollen?" "Okay, ich war gut, aber wer weiß schon, was aus mir geworden wäre." "Bist du nicht verbittert?" Aufmerksam sah er sie an, als könnte er nicht glauben, dass sie wirklich so gut mit allem fertig geworden war, wie sie tat. In den Zeitungsartikeln hatte man erwähnt, was für eine glänzende Zukunft sie vor sich gehabt hätte. Jahrelang hatte sie auf ein bestimmtes Ziel hingearbeitet. War sie wirklich so stark, dass sie den Schicksalsschlag so leicht verkraftet hatte? "Es hätte leicht passieren können", gab sie zu und erinnerte sich an die vielen Jahre harten Übens. Sie war ihrem Ziel sogar sehr nahe gewesen. Nachdem sie bei Gastspielen an Theatern verschiedener Städte als Primaballerina aufgetreten war, hatte man sie schon als neuen Stern am Balletthimmel gelobt. Sie richtete sich auf. Adam brauchte hier nicht den Psychologen zu spielen. "Willst du behaupten, du würdest das alles vom philosophischen Standpunkt aus betrachten? Fühlst du dich nicht betrogen?" Er verstand wirklich nichts. Anna zuckte die Schultern und sah auf einmal sehr zerbrechlich und verletzlich aus. Aber sie war nicht zerbrechlich. Die vielen Jahre harten Trainings hatten
ihren Körper biegsam und geschmeidig gemacht. Wenigstens diese Stärke hatte sie sich bewahrt. "Natürlich habe ich mich bemitleidet und geglaubt, das Schicksal habe mich ungerecht behandelt. Doch dann habe ich mich entschlossen, mich den neuen Herausforderungen zu stellen. Ich hasse es, Zeit zu verschwenden, und wollte den goldenen Jahren nicht nachtrauern. Ich habe mein Leben noch vor mir. Es lässt sich nicht ändern, dass ich nicht mehr als Balletttänzerin auftreten kann. Deshalb habe ich jedoch nicht aufgehört, Musik und Tanzen zu lieben." "Ja, das habe ich gesehen." Bei der Erinnerung daran blitzte es in seinen Augen auf. Sogleich fühlte Anna sich unbehaglich. "Du hast es nicht gut gefunden", sagte sie steif. "Aus der Entfernung hat es mir gefallen." "Warum nur aus der Entfernung?" Sein angedeutetes Lächeln faszinierte sie. "Aus der Nähe bist du ... zu beunruhigend." "Vielleicht brauchst du eine neue Herausforderung." Sie freute sich über sein Eingeständnis. Aber ihr war klar, dass er längst nicht so irritiert und unglücklich war wie sie. Er hatte sein Leben sorgsam geplant, und für sie gab es darin keinen Platz. "Wozu willst du mich herausfordern?" fragte er und blickte sie verächtlich an. Anna fuhr insgeheim zusammen. "Es war nur eine harmlose Bemerkung." "Umso besser. In dem Outfit wirkst du nicht gerade wie eine Verführerin." "Danke. Du hättest mich wirklich nicht daran zu erinnern brauchen, dass ich nicht gut aussehe." In dem Moment kam Beth Lacey freundlich lächelnd herein und stellte das Tablett mit Tee und Gebäck auf den Tisch. "Ich freue mich, dass Sie Anna Gesellschaft leisten. Sie ist sehr ungeduldig."
"Er ist nicht hier, weil er mich sehen wollte." Anna ärgerte sich über die verständnisvollen Blicke, die ihre Mutter und Adam tauschten. "Du hättest mich nur darum zu bitten brauchen", erklärte er. Anna biss die Zähne zusammen. "Ich habe genug Freunde, die mich gern besucht hätten, wenn ich es gewollt hätte", entgegnete sie verdrießlich. "Hat Adam dir schon von den Einbrechern erzählt?" fragte ihre Mutter. "Er hat sie auf frischer Tat ertappt. Ich finde ihn sehr mutig. Sind Sie etwa dabei im Gesicht verletzt worden?" Besorgt betrachtete sie den Kratzer an seiner Wange. "Nein, das war eine streunende Katze." Er warf Anna einen spöttischen Blick zu und fuhr sich über die Wange. Er hat wirklich in Gefahr geschwebt, dachte Anna betroffen. "Er war nicht mutig, sondern dumm", wandte sie scharf ein. "Wäre es nicht besser gewesen, du hättest die Polizei gerufen, statt dich wie ein Macho aufzuführen?" "Nett von dir, dass du dir Sorgen um mich machst." Adam verstand ihre Bemerkung absichtlich falsch. "Aber ich bin kein Held, Anna." "Warum raubst du mir die Illusionen?" "Anna, musst du unbedingt so unhöflich...", begann ihre Mutter streng, überlegte es sich jedoch anders. "Na ja, vielleicht heitert es dich auf, wenn du erfährst, wer wieder hier ist." Anna wollte es nicht wissen. Sie ärgerte sich, wie perfekt Adam in der beigefarbenen Hose und der hellbraunen Lederjacke aussah. Plötzlich läutete Adams Handy. Er entschuldigte sich und zog es aus der Tasche. "Hallo? Deacon hier." Er hörte eine Zeit lang zu, ehe er ausrief: "Was haben sie getan? Nathan und Sam haben sich im Badezimmer eingeschlossen und es überschwemmt? Warum, zum Teufel, das denn? Gerat jetzt nicht in Panik."
Anna wurde rasch klar, dass er keine Ahnung hatte, wie er mit der Krise umgehen sollte. Er sah so entsetzt aus, dass sie lächeln musste. "Es freut mich, dass du das so lustig findest", fuhr er sie an. "Zwei beinah hysterische Kinder sind nicht zum Lachen." Er wandte sich wieder an die Person am anderen Ende der Leitung. "Ja, Kate, du hast mir schon gesagt, dass sie weinen." "Du musst sie herausholen", mischte Anna sich schließlich hilfsbereit ein. Auch wenn er ein schrecklicher Mensch war, das hier war ein Notfall, und die Kinder taten ihr Leid. "Kommen sie ans Schloss?" Adam gab die Frage übers Telefon weiter. "Okay, Kate, du brauchst mich nicht anzuschreien. Offenbar ist ein Bein vom Stuhl abgebrochen", erklärte er Anna. "Sie können den Wasserhahn nicht zudrehen." Sein Blick wirkte geradezu flehentlich. Na, das war einmal etwas ganz anderes. Offenbar war er gar nicht so souverän und unabhängig, wie er immer tat. "Sie sollen den Stöpsel aus der Badewanne ziehen", schlug sie vor. "Verflixt, warum habe ich denn nicht daran gedacht?" Er gab den Tipp weiter. "Sie haben es getan. Jetzt müssen wir nur noch überlegen, wie wir sie aus dem Badezimmer bekommen. Hallo, Jake. Gut, dass du da bist." Er seufzte erleichtert auf. "Was für ein Schloss ist es? Okay, dann kannst du es von außen abschrauben." Er machte eine Pause. "Sag ihnen, sie sollen sich beruhigen. Wie?" "Man muss sie beschäftigen." Adam betrachtete Anna sekundenlang. Dann nickte er. "Hier, du kannst selbst mit ihr sprechen." Mit zwei Schritten war er bei ihr und reichte ihr das Handy. Sie blickte ihn finster an. Das war wieder einmal typisch, sie sollte sein Problem lösen.
"Hallo, ich bin Anna", sagte sie ins Telefon, und sogleich verflog ihr Ärger, denn sie hörte die Panik in der so jung klingenden Stimme. Kate stellte sich auch vor. Dann riet Anna ihr so sanft, was sie tun solle, dass das aufgeregte Mädchen sich schon bald beruhigte. "Erklär ihnen, was Jake da tut. Am besten improvisierst du. Und hör nicht auf, mit ihnen zu reden. Okay. Ich gebe dir jetzt wieder deinen Onkel." Sie runzelte missbilligend die Stirn und warf ihm das Handy zu. Adam fing es lächelnd auf. "Danke, Anna." Er sah seltsam vergnügt aus. Sie errötete und war sich seiner beunruhigenden Gegenwart viel zu sehr bewusst. Ich bin eben auch nur ein Mensch, schoss es ihr durch den Kopf. "Du bist die Heldin des Tages", erklärte er, nachdem er das Gespräch beendet hatte. Misstrauisch sah sie ihn an. Offenbar meinte er es ernst. "Ich kann eben praktisch denken." "Und du hast ein weiches Herz", fügte er hinzu. "Kate bedankt sich für die Hilfe." "Du machst mich ganz verlegen", sagte sie unsicher. "Das bist du schon. Ich hatte mir eingebildet, mit jeder Krise fertig zu werden." Er verzog verächtlich die Lippen. "Du hast gute Ansätze gezeigt", erklärte sie so nachdrücklich, dass er sie spöttisch ansah. Sein eindringlicher Blick war nur schwer zu ertragen. Doch dann ertönte die Stimme ihrer Mutter, und Anna wurde sich bewusst, dass sie mit Adam nicht allein war. In dem kurzen intimen Augenblick hatte sie alles um sich her vergessen. "Anna hat sich immer daran erinnert, was es bedeutet, Kind zu sein. Nur wenige Menschen haben so viel Mitgefühl."
"Sie ist sowieso ein außergewöhnlicher Mensch." Offenbar hatte auch Adam vergessen, dass sie nicht allein waren, denn er blickte sie so innig an, dass es ihr beinah den Atem raubte. "Ich bin froh, dass alles wieder in Ordnung ist", sagte sie unsicher und bemühte sich, die seltsam intime Atmosphäre, die sie einzuhüllen schien, zu ignorieren. "Red weiter, Mam, du wolltest doch unbedingt den neuesten Klatsch loswerden." "Simon Morgan ist wieder da!" Anna stand sekundenlang wie erstarrt da. Dann beherrschte sie sich und warf Adam einen kühlen Blick zu. Seine Miene wirkte freundlich, aber uninteressiert. Dennoch war Anna sich sicher, dass ihm ihr Entsetzen nicht entgangen war. "Wie schön", stieß sie schließlich hervor. "Ich habe mir gedacht, dass du dich freuen würdest", fuhr ihre Mutter unbekümmert fort. "Anna und Simon waren während der ganzen Schulzeit eng befreundet", erklärte sie Adam. "Simon war vier Jahre in Kanada. Unglaublich, wie die Zeit vergeht." "Ist er mit seiner Familie zurückgekommen?" fragte Anna. Die ganze Familie ... Simon, Rachel und das Baby, das jetzt keins mehr war. "Sie haben sich getrennt", antwortete Beth Lacey. Damit hätte Anna nicht gerechnet. Sie schluckte. "Na ja, ich lasse euch lieber allein. Ich bin müde und muss mich hinlegen", verkündete sie dann unvermittelt. Sie eilte die Treppe hinauf und ließ sich atemlos aufs Bett sinken. Nach all den Jahren war Simon ohne Rachel zurückgekehrt. Seit ihrem achten Lebensjahr war er ihr bester Freund gewesen. Sie hatte geglaubt, ihn besser als sonst jemanden zu kennen. Doch dann hatte sie erfahren müssen, wie sehr sie sich getäuscht hatte. Immer noch sah sie ihn vor sich, wie er ihr lachend und etwas reumütig und ausgerechnet an seinem Hochzeitstag erklärt hatte, schon jahrelang in sie verliebt zu sein.
"Ich wollte unsere wunderbare Freundschaft nicht zerstören, Anna. Du warst nie an mir interessiert, sondern immer nur an deiner Karriere als Balletttänzerin. Mir war klar, dass du keine Zeit für eine ernsthafte Beziehung hattest", sagte er. Es verschlug Anna die Sprache. Die Situation war geradezu grotesk, denn sie war schon jahrelang in ihn verliebt. Deshalb hatte sie sich in dem Moment geschworen, ihre Gefühle nie mehr zu verbergen und keine Gelegenheit zum Glücklichsein zu versäumen. Jetzt war Simon wieder da - allein.
4. KAPITEL "Was willst du, Adam?" Anna richtete sich auf und legte die Arme um die Knie. "Deine Mutter schickt mich mit dem Tee. Du hast ihn vergessen." Er stellte die Tasse ab und sah sich interessiert um. "Du bist nicht sehr ordentlich, stimmt's?" Er hob ihren SpitzenBH vom Boden auf. "Was bildest du dir eigentlich ein?" fragte sie zornig, während er sich neben sie aufs Bett setzte. Anna versteifte sich. Adam so dicht neben ihr auf dem Bett löste in ihr viele Assoziationen aus. "Erzähl mir von Simon", forderte Adam sie auf. "Da gibt es nichts zu erzählen", erwiderte sie kühl. "Das glaube ich nicht. Du hättest eben deine Miene sehen sollen. Hat er dich sitzen lassen, oder hattest du keine Ausdauer?" fragte er ironisch. "Zu deiner Information, Simon und ich waren nur ..." "Gute Freunde?" unterbrach er sie spöttisch. "Dann verstehe ich nicht, warum du so entsetzt warst, als du hörtest, er sei wieder da. Er muss außergewöhnlich dumm sein, dass er damals nicht gemerkt hat, was du für ihn empfunden hast." "Simon ist nicht dumm", wehrte sie sich gereizt. "Aber frei und wieder zu haben", sagte er betont sanft und beobachtete sie. Warum bringe ich es nicht fertig, mich von
Anna Lacey fern zu halten? überlegte er ärgerlich. Er hatte kein Recht, sie auszufragen. Anna bemerkte, dass Adam sich mit grimmiger Miene im Zimmer umsah. Sie kam sich plötzlich in ihrem Schlafzimmer eingeschlossen und wie in einer Falle vor. "Er wird seine Eheprobleme bestimmt lösen", erklärte sie. "Was für eine edle Denkweise!" antwortete er. "Ich weiß überhaupt nicht, wer dir das Recht gibt, mich über meine Beziehungen auszufragen." Sie blickte ihn zornig an. "Du hast dich so sehr für meine Privatangelegenheiten interessiert, dass ich aus lauter Höflichkeit dasselbe tue. Aber ich gebe zu, ich hatte erwartet, du würdest in seidener Bettwäsche und verführerischen Nachthemden schlafen. Stattdessen entdecke ich hier nur ganz normale Sachen." Er lachte leise auf. "Es ist alles aus Baumwolle." Sie fühlte sich in ihrem Stolz verletzt. Offenbar machte er sich über sie lustig und hielt sie für altmodisch. Wie um sich zu vergewissern, befühlte er das Material ihres Nachthemds mit Daumen und Zeigefinger und berührte dabei ihre Schulter. Als Anna seinem Blick begegnete, bekam sie Herzklopfen. "Was macht Jessica?" fragte sie rasch, um den magischen Moment aufzulösen. "Sie kommt heute Abend und will sich das Haus ansehen." Seine Miene wirkte auf einmal kühl und verschlossen. "Mit anderen Worten, sie kennt es noch gar nicht", stellte sie missbilligend fest. Er runzelte die Stirn. "Sie verlässt sich auf mein Urteil", behauptete er, obwohl er insgeheim befürchtete, Jessica würde das alte Pfarrhaus nicht gefallen. Dennoch war er überzeugt, es sei genau das Richtige für ihn und die Kinder. "Das hört sich irgendwie seltsam an."
"Wir sind uns in allen Punkten einig." Ihm war klar, wie defensiv seine Stimme klang, und er verzog verächtlich die Lippen. "Wie harmonisch!" spottete sie. "Gehässig, Anna?" "Ach geh weg, ich bin krank", murmelte sie und barg den Kopf in den Kissen. Sie schämte sich wegen der bissigen Bemerkung, doch das ging ihn nichts an. Plötzlich zog er ihr das Kopfkissen weg, und sie richtete sich empört auf. "Keine Sorge, ich werde ihr nicht verraten, dass ihr zukünftiger Mann ein Wüstling ist." "Deine Anteilnahme kannst du dir sparen." Adam stand mit dem Kissen in der Hand neben dem Bett. "Jessica regt sich nicht über unbedeutende Kleinigkeiten auf. Was ist denn schon passiert, außer dass wir uns geküsst haben? Das kann man nicht damit vergleichen, was Jessica und ich gemeinsam haben." "Unbedeutende Kleinigkeiten?" In ihren Augen blitzte es zornig auf. Sie sprang auf und verwickelte ihn in eine Kissenschlacht. Schließlich beendete Adam das Spiel, indem er sich Anna über die Schulter warf. Sie wehrte sich mit Händen und Füßen. "Lass mich los!" forderte sie ihn zornig auf. Er atmete heftig und fluchte vor sich hin. Die Schläge, die er einstecken musste, waren keineswegs harmlos. Schließlich legte er sie ohne weitere Umstände auf den Rücken aufs Bett und kniete sich vor sie. Dabei stützte er sich zu beiden Seiten ihres Kopfes auf die Hände. Als sie ihn ansah, verschwand langsam ihr Zorn. Fasziniert betrachtete sie Adams Miene, denn in seinem Gesicht spiegelte sich nicht nur Ärger, sondern auch etwas viel Aufregenderes, Ungezügelteres. Plötzlich breitete sich eine Lethargie in ihr aus, die sich herrlich erotisch anfühlte. Nervös befeuchtete sie die trockenen Lippen. Adam beobachtete sie, und in seinen Augen leuchtete es auf. "Weshalb bist du eben so wild geworden?" fragte er rau.
"Weil du mich als unbedeutende Kleinigkeit bezeichnet hast." "Na ja, das war falsch. Unbedeutend bist du auf keinen Fall", antwortete er leicht ironisch, während er mit einer Hand ihre Wange leicht berührte. "Unter anderen Umständen ..." Er zog die Hand zurück. "Unter anderen Umständen?" wiederholte sie und fühlte sich wie verzaubert. "Aber sie sind leider nicht anders." Seine Miene wurde abweisend, doch er blickte Anna immer noch voller Verlangen an. "Ich habe Verpflichtungen, ich kann mir nicht erlauben ..." Er sprach den Satz nicht zu Ende. "Ich werfe dir nichts vor. Du kannst nichts dafür, dass du so bist, wie du bist. Du reagierst auf Reize, ohne an die Folgen zu denken." Anna war bestürzt. Das Herz klopfte ihr zum Zerspringen. "Wie bin ich denn?" Jedenfalls völlig ungeeignet für eine Beziehung mit so einem abgehobenen Mann wie Adam Deacon, fügte sie insgeheim hinzu. "Du bist unorthodox, spontan, unberechenbar und ... ungemein sinnlich." "Ist das denn schlimm?" Sie fuhr ihm mit der Hand durchs Haar und ließ sie auf seinem Nacken liegen. "Das wollte ich schon die ganze Zeit tun", gab sie offen zu, obwohl ihre Ehrlichkeit immer wieder negative Folgen hatte. Sie spürte, wie seine Muskeln sich unter ihren Fingern anspannten. "Du kommst mir vor wie eine einzige Versuchung, der ich früher wahrscheinlich nachgegeben hätte", sagte er heiser und ließ sich von ihr hinunterziehen. Dann berührte er mit den Lippen sanft ihre Wangen. Anna stöhnte insgeheim auf, während sich die sinnlichsten Gefühle in ihr ausbreiteten. Sie nahm den männlichen Duft seiner Haut wahr und sah ihm fasziniert in die grünen Augen mit den goldfarbenen Sprenkeln.
"Hast du keine Lust mehr, dich auf Abenteuer einzulassen?" fragte sie leise und sehnte sich danach, seine Lippen auf ihren zu spüren. "Jetzt habe ich Familie." Vor Anspannung klang seine Stimme irgendwie brüchig. "Ich bin den Kindern ein geordnetes Familienleben schuldig ...", fügte er seltsam vage hinzu und schien den Blick nicht von ihren Brüsten wenden zu können. "Mit Jessica", gab Anna das Stichwort, um die viel zu intime Stimmung aufzulösen. "Sie brauchen eine Mutter, einen festen Halt. Ben und Tess waren wunderbare Eltern." "Du sprichst immer nur davon, was die Kinder brauchen. Aber was ist mit dir?" "Diese Leidenschaft vergeht so rasch, wie sie ...", begann er so nachdrücklich, als müsste er sich selbst überzeugen. Dann stöhnte er auf, während Anna behutsam die Hand über die angespannten Muskeln seines Oberschenkels gleiten ließ. Schließlich nahm er ihre Hand und führte sie dahin, wo sie sein heftiges Verlangen spürte. "Ich brauche dich. Wolltest du das hören?" fragte er verbittert und schob ihre Hand weg. "Okay, es stimmt. Ich brauche dich so sehr, wie ich noch keine Frau gebraucht habe. Alter schützt vor Torheit nicht, so sagt man doch, oder?" "Du bist nicht alt." Anna kam langsam zur Besinnung. Kein Wunder, dass er mich für eine Verführerin hält, überlegte sie. Sie kannte sich ja neuerdings selbst kaum noch. Aber den intimen Moment voller Sinnlichkeit hatte sie genossen. Sie war ungemein erregt und aufgeregt gewesen. Und sie hatte Herzklopfen gehabt und sich ganz in den herrlichen Augenblick hineinsinken lassen. "Wenn ich dich ansehe, fühle ich mich aber alt." "Unsinn." Ihr wurde immer klarer, dass er Jessica nicht liebte. Wenn die Frau ihm etwas bedeutete, würde er mich nicht begehren, sagte Anna sich. Er würde unglücklich, wenn er sie
nur wegen der Kinder heiratete. Aber weshalb machte sie, Anna, sich überhaupt Gedanken darum, ob der Mann sein Leben ruinierte oder nicht? Er hielt sie sowieso für unmoralisch. Dass sie viel mehr gemeinsam hatten als nur die gegenseitige erotische Anziehung, auf die Idee kam er erst gar nicht. Sollte er doch sein Leben zerstören. Als Adam ihr Gesicht umfasste und sie fest auf die Lippen küsste, spürte Anna deutlich, wie verzweifelt er war. "Ich hätte nicht zu dir aufs Zimmer zu kommen brauchen." Er hob den Kopf. "Deine Mutter hat mich nicht darum gebeten. Aber ich wollte es, ich wollte mir beweisen, dass ich mit dir allein sein kann, ohne dass etwas geschieht." Er ließ die Hand über ihren schlanken Körper gleiten. "Oder vielleicht sogar, dass ich jederzeit aufhören kann." "Jetzt reicht's, Adam", sagte sie heiser. Einer von ihnen musste die Sache beenden, und er schien es nicht mehr zu können. "Ich begehre dich." "Das ist nicht genug", erwiderte sie und hoffte, er würde nicht merken, wie wenig überzeugend es klang. Adam schloss die Augen und presste die Lippen zusammen. Dann schien er zur Besinnung zu kommen und legte sich neben Anna. Davon hatte sie immer geträumt, doch jetzt wagte sie kaum, ihn anzusehen. "Was hast du gesagt?" fragte er. "Dass es nicht genug ist. Ich halte nichts von sexuellen Abenteuern, bei denen Gefühle keine Rolle spielen, und du magst keinen One-Night-Stand. Das hast du doch behauptet, oder?" Er atmete tief ein und aus, ehe er sich zu ihr umdrehte und ihr Kinn mit Daumen und Zeigefinger umfasste. Obwohl ihre Nerven zum Zerreißen gespannt waren, blickte sie ihn ruhig an. Sie spürte, wie aufgewühlt er war.
"Großartig!" sagte sie verbittert. "Für dich ist es in Ordnung, beleidigt zu sein, während es mir egal sein soll, dass du nichts von mir willst als flüchtigen Sex. Du hast erwähnt, wie schwer es dir fällt, dein Verlangen zu beherrschen. Aber niemand hat mich nach meinen Gefühlen gefragt. Glaubst du, es sei ein Kompliment für mich, dass du dich entschlossen hast, deine Prinzipien für kurze Zeit zu vergessen? Weshalb bist du dir so sicher, dass ich genauso empfinde? Nur weil ich nicht so engstirnig bin wie du, bin ich nicht unmoralisch." "Lass uns nicht philosophieren, Anna. Tatsache ist, wenn ich dich berühre, weiß ich genau, was du empfindest. Ich brauche dich nicht zu fragen. Oder willst du etwa behaupten, es sei eine einseitige Angelegenheit?" "Ich versuche nur, dir klarzumachen, dass ich keine flüchtigen Affären mag, die eine Zeit lang vielleicht ganz amüsant sind, aber einen unangenehmen Nachgeschmack hinterlassen. Und ich schlafe auch nicht mit verheirateten oder verlobten Männern." "Wann hast du dir denn diese hehren Grundsätze zurechtgelegt? Ist es nicht zu spät für solche Regeln? Oder gibt es dir einen besonderen Kick, Männer bis an den Rand der Beherrschung zu treiben? Das ist ein gefährliches Spiel, Anna", warnte er sie hart. "Ich habe nur die Wahrheit gesagt", erklärte sie unglücklich. "Habe ich etwa unsere Begegnungen absichtlich herbeigeführt? Es ist einfach geschehen. Ich kann nichts daran ändern, wie ich gewisse Dinge empfinde, weil du mich ..." Unvermittelt unterbrach sie sich und biss sich auf die Lippe. "Was tue ich?" Er verstärkte den Druck seiner Finger auf ihr Kinn. Sie schüttelte den Kopf. Die Frage würde sie ihm nicht beantworten. "Der Mann, dem ich mich hingebe, muss an mir als Mensch interessiert sein. Er darf nicht alles, woran ich glaube, ablehnen. Wir beide, du und ich, sind uns einig, dass zu
einer echten Beziehung mehr gehört als körperliche Anziehung, Adam. Vielleicht bist du bereit, dich mit weniger zufrieden zu geben, ich schaffe es jedoch nicht." Ohne dass sie es merkten, kam Beth Lacey ins Zimmer. Erstaunt betrachtete sie die Szene vor sich. "Es tut mir Leid, Simon, wir müssen es auf morgen verschieben", sagte sie ziemlich laut und verließ eilig den Raum. "Sie ist noch mit dem Doktor beschäftigt." Plötzlich begriff Anna, was um sie her geschah. "In meinem ganzen Leben habe ich mich noch nicht so gedemütigt gefühlt", stöhnte sie und stand auf. "Deine Mutter hat Sinn für Humor." Adam richtete sich auf und lachte. "Schön, dass du es lustig findest", fuhr Anna ihn zornig an. "Was denkt Simon jetzt?" Unvermittelt wurde Adams Miene hart. "Simon, natürlich. Bist du seinetwegen auf einmal so moralisch? Wahrscheinlich ist ein verheirateter Mann, der sich von seiner Frau getrennt hat, für dich eher zu akzeptieren, oder?" Anna nahm eine Hutnadel von dem roten Nadelkissen, das auf dem Tisch lag, und drohte ihm damit. "Du solltest verschwinden." Langsam steckte sie die Nadel wieder in den Samt. "Du liebe Zeit, du kannst vielleicht nicht mehr als Balletttänzerin auftreten, aber dein heftiges Temperament hast du nicht eingebüßt." Als er sah, dass sie zusammenzuckte, fügte er rasch hinzu: "Das war unfair." "Etwas anderes erwarte ich schon gar nicht mehr von dir." "Normalerweise bin ich nicht so ein Unmensch. Immer wieder habe ich versucht zu ignorieren, was ich für dich empfinde..." "Und was ist das?" "Verlangen." Es klang seltsam verletzlich. "Es gibt nur eine Lösung."
"Was für eine?" "Wir leben das Verlangen aus, dann vergeht es wieder." "Mit anderen Worten", erwiderte sie, "ich soll mit dir schlafen, damit du Jessica heiraten und den Kindern ein perfekter Vater sein kannst, nachdem du diese vorübergehende Leidenschaft überwunden hast. Ist das richtig?" "Ich hätte es anders ausgedrückt, aber ..." "Das kann ich mir vorstellen." Er meint es wirklich ernst, dachte sie fassungslos. "Andere Männer an meiner Stelle hätten sich einfach genommen, was sie hätten haben können, und dich dann verlassen. Ich hingegen bemühe mich, offen mit dir darüber zu reden. Sieh die Dinge doch realistisch, Anna." "Das ist völlig verrückt." Merkte er nicht, wie sehr er sie beleidigte? "Es gefällt mir nicht, diese Schwäche zuzugeben", erklärte er. "Es wäre mir sogar lieber, ich wäre dir nie begegnet." "Du hast eine einmalige Art, einer Frau einen Antrag zu machen, Adam. Für Originalität würdest du bestimmt die Bestnote bekommen." "Wäre es dir lieber, ich wäre sentimental?" Er zog die Augenbrauen hoch. "Du liebe Zeit, nur das nicht. Du bist der arroganteste und unsensibelste Mann, der mir jemals begegnet ist!" fuhr sie ihn zornig an. "So schrecklich gern habe ich dich auch nicht. Aber hier geht es nicht darum, ob wir zusammenpassen oder nicht. Momentan treibt uns unser körperliches Verlangen an. Du machst dir nur selbst etwas vor, wenn du dir einbildest, standhaft bleiben zu können." "Hältst du dich etwa für unwiderstehlich?" "Nein, aber dich", antwortete er und verschwand.
Anna hatte sich von Adams Bemerkung noch nicht wieder erholt, als ihre Mutter mit einer Tasse heißen Tees erschien. Sie musterte ihre Tochter leicht spöttisch. "Du bist sicher jetzt schockiert, weil ich einen Mann geküsst habe, der mit einer anderen verlobt ist", sagte Anna. "Na ja, das habe ich nicht gesehen. Ich habe es jedoch vermutet." "Es war meine Schuld", gab Anna unglücklich zu. "Adam hat behauptet, er sei dafür verantwortlich." "Wie bitte?" "Als er sich dafür entschuldigte, meine Gastfreundschaft missbraucht zu haben, erklärte er, du seist das unschuldige Opfer." "Ich glaube es nicht. Was hast du geantwortet?" Der Mann schaffte es immer wieder, sie zu überraschen. Altmodische Ritterlichkeit und leidenschaftliches Verlangen ließen sich kaum miteinander vereinbaren. Er litt wahrscheinlich sehr unter dieser Kombination. "Dass meine Anna niemals ein Opfer sein kann. Aber ich habe ihm klargemacht, dass wir nicht zulassen, dass eine unserer Töchter verletzt wird." "O Mam." Tränen standen in Annas Augen. "Was sollte ich nur ohne dich tun." Sie barg das Gesicht an der Schulter ihrer Mutter und schluchzte. "Ich habe ihm auch gesagt, dass du selbst entscheiden kannst, wen du küssen willst. Wir haben euch schon als Teenager erlaubt, eure Freunde mit aufs Zimmer zu nehmen." "Ihr wart immer sehr großzügige Eltern", erwiderte Anna lächelnd. "Adam ist bestimmt nicht so aufgeschlossen und vorurteilsfrei wie ihr. Er begehrt mich, und damit kommt er nicht zurecht. Irgendwann wird er mich sicher hassen." "Und was empfindest du dabei, Liebes?" Anna schüttelte schweigend den Kopf. Sie war noch viel zu verwirrt, um mit ihrer Mutter über ihre Gefühle zu reden.
"Ich verlasse mich auf dein Urteil, Anna." Sie hob das tränenüberströmte Gesicht. "Ich bin nicht sicher, ob ich mir noch selbst vertrauen kann, Mam."
5. KAPITEL Als Adam um die Ecke bog, bremste er scharf. Vor ihm stand eine lange Schlange. "Ich dachte, so etwas passierte nur in der Londoner City." Er sah ungeduldig auf die Uhr. Jessica legte ihm ruhig die Hand mit den rot lackierten Fingernägeln auf den Arm und lächelte mitfühlend. "Armer Liebling." Bis vor kurzem hatte ihre Beziehung nur aus angenehmen Theater- und Restaurantbesuchen und intimen Abenden zu zweit bestanden, so dass Jessica Adam nie von einer negativeren Seite kennen gelernt hatte. Was sie jetzt erlebte, missfiel ihr. Sie behielt es jedoch lieber für sich. Das Mädchen im Teenageralter auf dem Rücksitz bemerkte die besitzergreifende Geste und lächelte seinen älteren Bruder viel sagend an. Jake war sich bewusst, dass sein Onkel sie im Rückspiegel beobachtete. Deshalb warf er Kate einen warnenden Blick zu. Nach gründlicher Überlegung hatten sie beschlossen, die grässliche Jessie auf eine eher subtile Art loszuwerden, statt sich ihr gegenüber offen feindselig zu verhalten. Die kleinen Geschwister waren zu jung, um mitzuspielen. Aber Jake und Kate hatten sich vorgenommen, dieser Frau das Leben schwer zu machen. "Ich muss mal", ertönte ein zartes Stimmchen. "Du warst doch erst auf der Toilette, ehe wir abgefahren sind", wandte Kate stirnrunzelnd ein.
"Ich muss auch", verkündete ein anderes Stimmchen verschlafen. Kate und Jake sahen ihre dreijährigen Zwillingsbrüder an und erklärten einstimmig: "Sie müssen wirklich, Onkel Adam!" "Und was soll ich jetzt machen?" fragte Adam, während ein Lieferwagen hinter ihnen anhielt, so dass sie zwischen den wartenden Autos eingeklemmt waren. "Weiß ich nicht", antwortete Jake belustigt. "Es muss jedoch rasch etwas geschehen", fügte er hinzu, als seine Brüder anfingen, auf den Sitzen unruhig herumzurutschen. "Sie müssen warten", mischte Jessica sich ein. "Sind die vom Fernsehen?" Leute mit Kameras sprangen aus dem Lieferwagen hinter ihnen und eilten auf den Rathausplatz zu. Nachdenklich betrachtete sie sich im Spiegel. "Vielleicht sollten wir doch aussteigen und eine Toilette suchen, Liebling", schlug sie dann vor. "Gute Idee, Jessie", sagte Jake. "Jessica", korrigierte Adam ihn gereizt, weil seine Verlobte die Abkürzung hasste. "Es ist mir nur so herausgerutscht", entschuldigte Jake sich. "Dann pass besser auf", forderte Adam ihn auf. "Ihr braucht nicht alle mitzukommen", fügte er hinzu, weil plötzlich alle aus dem Wagen stiegen. "Wir wollen nur herausfinden, warum die Reporter hier sind", erklärte Kate. "Kinder sind ja so neugierig." Jessica lächelte nachsichtig. "Jessie ... Jessica kann sich um die Jungen kümmern, wenn es sie nicht interessiert, was los ist", schlug Kate vor und legte sogleich die kleine klebrige Hand ihres Bruders in die so perfekt manikürte der Blondine. "Keine Angst, es ist nur Schokolade", sagte sie betont hilfsbereit, als Jessica entsetzt den dunklen Fleck auf ihrem hellen Leinenrock betrachtete. "Sam will nicht mit ihr gehen", verkündete der Zwilling an Adams Hand.
"Nein, will ich nicht", stimmte sein zurückhaltenderer Bruder bereitwillig zu. Jessica lächelte tapfer und ließ den Kiemen los. "Die armen Kinder. Das traumatische Erlebnis wirkt natürlich nach, aber man sollte ihnen nicht alles durchgehen lassen." Ohne auf Jessicas Bemerkung einzugehen, nahm Adam die Zwillinge auf die Arme. "Lass uns das hier hinter uns bringen." Ungefähr zweihundert Meter weiter hatten sich mindestens fünfzig Demonstranten auf dem Rathausplatz versammelt und trugen große Plakate. Viele Radio- und Fernsehteams waren anwesend, und die Zuschauer beobachteten fasziniert, wie Frauen in pastellfarbenen Regency-Kleidern neben Männern in hautengen Hosen und mit steifen Hemdenkragen stolzierten. "Am Markttag so ein Verkehrschaos zu verursachen ist typisch für diese bizarre Gruppe, die sich jedem Fortschritt widersetzt. Was ist denn mit den Jobs?" Ein großer Mann sprach mit einer gewissen Autorität in das Mikrofon, das man ihm hinhielt. Plötzlich stellte sich eine schlanke junge Frau neben ihn. "Wir brauchen nicht noch einen Supermarkt und auch kein Parkhaus. Die Cottages sind ein Kulturerbe", erklärte sie und blickte mit ernster Miene in die Kamera. In der leichten Brise hielt sie die Haube krampfhaft fest. Man sah deutlich, wie sich ihre Brüste hoben und senkten unter dem tief ausgeschnittenen Kleid, das immer wieder die Aufmerksamkeit des Kameramanns erregte. "Wenn sie irgendwo aufgeführt würden ..." "Mr. Shaw weiß, dass wir dabei sind, die Aufnahme in die offizielle Liste zu beantragen", unterbrach Anna ihn. "Wir haben es hier nicht mit einem wertvollen Gebäude zu tun, sondern nur mit einigen verwahrlosten Cottages." Er lachte verächtlich.
Das herablassende Lächeln wird ihm gleich vergehen, schoss es Anna durch den Kopf. "Mr. Shaw, stimmt es, dass Sie ein persönliches Interesse daran haben, den Supermarkt zu bauen?" "Ich bin nur am Wohl der Stadt interessiert, junge Frau, im Gegensatz zu Ihnen und Ihren verrückten Anhängern." Mit klarer Stimme, die man über den ganzen Platz hörte, fuhr Anna fort: "Ich frage nur, Mr. Shaw, weil ich erfahren habe, dass der Bauunternehmer, der den Auftrag erhalten soll, Ihr Schwiegersohn ist." "Mein Schwiegersohn ist kein Bauunternehmer", antwortete der Mann immer noch ziemlich selbstsicher. "Sonst hätten Sie sich natürlich als befangen erklärt. Aber Ihr Schwiegersohn ist Manager der Firma, die die Ausschreibung für den Supermarkt gewonnen hat. Aus zuverlässiger Quelle habe ich die Information erhalten, dass Sie mit Ihrem Schwiegersohn geschäftlich eng zusammenarbeiten." Zufrieden lächelnd trat Anna vom Mikrofon zurück und schloss sich wieder der singenden Gruppe an, die die Hauptstraße blockierte. Der Reporter hatte genug gehört, er würde der Sache nachgehen. Plötzlich drehte sie sich um und entdeckte in der Menge den großen Mann mit dem blonden Haar und den beiden kleinen Jungen auf den Armen. Ihre Blicke begegneten sich. Es raubte ihr beinah den Atem, und ihr Magen verkrampfte sich so sehr, dass sie sich ganz schwach und elend fühlte. Dir Lächeln verschwand, und sie brauchte mehrere Sekunden, bis es ihr gelang, den Blick abzuwenden. "Du hast gerade so seltsam ausgesehen. Ich dachte schon, du würdest ohnmächtig", sagte Ruth Thompson besorgt. "Die Kameras haben mich nervös gemacht", improvisierte sie. "Das hat niemand gemerkt. Du hast sehr natürlich gewirkt. Die Kostüme waren eine gute Idee, glaube ich. Mit so vielen Fernsehteams habe ich nicht gerechnet."
Anna lächelte leicht ironisch. Sie hatte mehrere Stunden herumtelefoniert, um die Medien auf ihr Anliegen und die Demonstration aufmerksam zu machen. "Offenbar hat Mr. Shaw genug für heute." Anna beobachtete den kräftigen Mann, der an den Kameras vorbei zu seiner Limousine ging, neben der der Fahrer wartete. Mit der Hand auf der Hupe bahnte der Chauffeur sich den Weg durch die Demonstranten. Und dann geschah alles so rasch, dass Anna sich später nicht mehr an Einzelheiten erinnerte. Sie wusste, dass Ruth wegen ihrer Arthritis etwas langsamer war als die anderen und dem Auto nicht so rasch ausweichen konnte. Mit einem Aufschrei stürzte Anna auf sie zu und landete genau zwischen dem Wagen und der grauhaarigen Frau. Plötzlich wurde sie brutal nach vorn geschleudert. Es gelang ihr noch, die Hände vors Gesicht zu halten, ehe sie hinfiel und mit den Knien aufschlug. Es entstand viel Aufregung, die Limousine hielt an. Anna ignorierte die besorgten Fragen. Sie konnte nur an das Loch denken, das sie ins Kostüm gerissen hatte. Dabei hatte sie versprochen, es der Laientheatergruppe, die ihnen die Sachen geliehen hatte, unversehrt zurückzugeben, "Ich bin okay, wirklich", sagte sie leise und winkte die Leute weg, die ihr beim Aufstehen helfen wollten. Doch als sie sich bewegte, stöhnte sie vor Schmerzen auf. Nein, nicht schon wieder das Knie, bat sie insgeheim. "Sie hat mir das Leben gerettet", erklärte Ruth irgendwo links neben Anna. "Bist du verletzt?" Anna erkannte Simons Stimme. "Wieder am Knie. Ich kann mich nicht bewegen, es ..." Sie biss die Zähne zusammen. "Liebes, du musst von der Straße weg", redete Simon ihr gut zu. "Ich bin Arzt, lassen Sie mich bitte durch." Der Mann, der sich als Mediziner ausgab, schob Simon einfach zur Seite.
Natürlich, das hätte ich mir denken können, schoss es Anna durch den Kopf. Adam fühlte sich verpflichtet, ihr zu helfen, obwohl er ihre Aktion bestimmt nicht billigte. "Geh weg, Adam", stieß sie hervor und schloss die Augen, als er sich neben sie kniete. "Wie konntest du nur so dumm und leichtsinnig sein." Seine Stimme klang so zornig, dass Anna die Augen lieber nicht öffnete. "Kannst du dich bewegen?" fragte er ziemlich sachlich und legte ihr die Hände auf den Rücken. "Glaubst du, ich würde hier so sitzen, weil es mir Spaß macht?" fuhr sie ihn an. Plötzlich traten ihr Tränen in die Augen. "Ich befürchte, das Knie ist wieder verletzt. Es tut jedenfalls höllisch weh." "Schreien Sie sie doch nicht so an", forderte Simon Adam empört auf. Als Simon sich neben sie kniete und ihr wie schützend die Hand auf die Schulter legte, forderte sie ihn ungehalten auf: "Du liebe Zeit, Simon, pass doch auf, dass du dir nicht die Hose beschmutzt. Ich habe schon mein Kostüm ruiniert." Sie stöhnte wieder auf. "Sie hat Schmerzen", stellte Simon besorgt fest. "Danke für den Hinweis." Adams Stimme klang sarkastisch. "Wenn Sie mir Platz machen, kann ich selbst die Diagnose stellen." "Wie wollen Sie denn beweisen, dass Sie wirklich Arzt sind?" fragte Simon ärgerlich. "Er ist nicht nur irgendein Arzt, sondern der jüngste Professor in der Geschichte des Krankenhauses", mischte sich Jessica ein. "Adam, du solltest dich nicht mit diesen Leuten abgeben. Man hört immer wieder, dass Ärzten wegen irgendwelcher angeblicher Behandlungsfehler Prozesse angehängt werden, wenn sie spontan geholfen haben. Der Krankenwagen wird bestimmt jeden Moment eintreffen."
"Ich tue für meine Patientin, was ich kann, Jessica! Mach dich nützlich - und kümmere dich um die Zwillinge." Jessica ärgerte sich über Adams Zurechtweisung und wurde blass. "Ich wollte dir nur einen Rat erteilen." "Anna, ich muss dir jetzt helfen, deine Position zu verändern." Adam konzentrierte sich völlig auf die verletzte junge Frau und ignorierte die Kameras und Zuschauer um ihn her. "Ich habe Angst, mich zu bewegen", gab sie widerstrebend zu. Sie schämte sich wegen ihrer Wehleidigkeit. Doch sie fühlte sich hilflos und zitterte bei der Erinnerung an die schmerzhafte Knieverletzung von damals. "Natürlich hast du Angst", beruhigte er sie. "Aber das Knie sollte nicht länger belastet werden. Jake, du packst sie an der Taille, und wir drehen sie zusammen um. Bist du bereit, Anna?" Sie nickte. Dann geschah alles ganz rasch, Anna saß schließlich auf dem Boden. Als sie die vielen Menschen sah, die sie neugierig betrachteten, schlang sie instinktiv die Arme um sich. "Ich komme mir wie eine Idiotin vor - und ich bin nicht deine Patientin." "Durchsichtiges Theater. Sie will nur Aufsehen erregen", ertönte plötzlich eine Stimme. "Meinen Fahrer trifft keine Schuld." "Jake, sorg dafür, dass dieser Angeber verschwindet." Adam warf einen ärgerlichen Blick über die Schulter. "Gern", antwortete der junge Mann vergnügt und sprang auf. Er lächelte Anna freundlich an, und mit einem verwegenen Leuchten in den Augen, die an Adams erinnerten, ging er weg. "Dein Neffe?" fragte Anna, während Adam den voluminösen Rock beiseite schob, um das verletzte Knie zu untersuchen. Sie war beeindruckt von Jakes Selbstvertrauen und auch davon, dass Adam ihm zutraute, die Situation zu klären. Adam nickte, ehe er die Hände über ihr Bein gleiten ließ und es abtastete. Auf einmal zuckte sie zusammen. "Tut das weh?"
"Na ja, nicht sehr. Ich glaube, ich bin momentan überempfindlich", gestand sie ein. "Das ist verständlich." Adam hob den Kopf. Zum ersten Mal nach dem Unfall sah sie ihn an. Wunderbare Wärme breitete sich in ihr aus. Mit geröteten Wangen blickte sie ihm in die Augen. Es raubte ihr beinah den Atem, und sie fühlte sich seltsam befangen. "Es tut mir Leid, dass ich dir so viel Mühe mache." Ihre Stimme klang sanft, und Adam blickte sie unverwandt an. Die Menschenmenge schien in weite Ferne gerückt zu sein. "Ich glaube nicht, dass du dich ernsthaft verletzt hast. Letzte Klarheit kann nur ein Röntgenbild schaffen. Das hört sich an wie der Krankenwagen", erklärte Adam schließlich. "Zu dem Kostüm gab es wohl nicht die passenden Schuhe." Er berührte ihren Fuß, der auf seinem Schoß ruhte und in Freizeitschuhen steckte. Anna ließ die Hand stirnrunzelnd über das ruinierte Kleid gleiten. "Ich habe versprochen, alles in einwandfreiem Zustand zurückzubringen", sagte sie wehmütig. "Du solltest dich lieber um dein Knie kümmern statt um das Outfit." "Das tue ich doch", erwiderte sie angespannt. "Lass mich raten. In deiner lebhaften Phantasie malst du dir schon aus, dass du hinken oder im Rollstuhl sitzen wirst, stimmt's?" Als sie erbebte, legte er ihr sein Jackett um die Schultern. "Ich möchte den Untersuchungsergebnissen nicht vorgreifen, doch ich bin ziemlich sicher, es ist kein bleibender Schaden entstanden." Anna ließ die Schultern hängen. Das Jackett war noch warm von Adams Körper, und sie wünschte sich plötzlich, seine warme Haut an ihrer zu spüren. Sie rechnete damit, er würde sie allein lassen, sobald der Krankenwagen eintraf. Zu ihrer Überraschung verkündete er jedoch, er würde sie begleiten.
"Das ist nicht nötig", erklärte sie steif, obwohl sie sich nichts sehnlicher wünschte. Es passt nicht zu mir, schwach und hilflos zu sein, mahnte sie sich streng. "Ist es auch nicht. Ich fahre mit dir, Anna", mischte Simon sich ein. "Danke, Simon." Sie lächelte ihn an. Irgendwie war sie nicht darauf vorbereitet, mit Adam auf so engem Raum im Krankenwagen zusammen zu sein - oder überhaupt mit ihm zusammen zu sein. "Ich muss die Patientin meinem Kollegen übergeben und die Vorgeschichte besprechen ..." "Ich kann ganz gut für mich selbst sprechen", unterbrach Anna ihn. "Es ist ein Akt der Höflichkeit", antwortete er kurz angebunden. "Vielleicht kann dein Freund", fuhr er spöttisch fort, "sich nützlich machen und deine Eltern informieren." Er warf Jake, der zurückgekommen war, die Autoschlüssel zu. "Fahr schon zum Hotel zurück. Wir sehen uns später." In dem Moment erschien seine Nichte mit den Zwillingen. "Wo ist Jessica, Kate?" fragte er. "Die Jungen haben es nicht bis zur Toilette geschafft. Sie wollte im Wagen warten. Ich nehme an, es ist ihr zu peinlich." "Stirbt die Frau auch wie unsere Mam?" fragte einer der Zwillinge und beobachtete, wie Anna auf die Krankentrage gelegt wurde. "Nein, bestimmt nicht", versicherte Adam dem Kleinen. "Morgen fahren wir zu Grandma zurück. Tut bitte, was Jake sagt." "Anna?" Simon war nicht bereit, sich einfach wegschicken zu lassen. "Es ist in Ordnung." Sie versuchte, ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern. "Informier bitte Mam und Dad, aber sorg dafür, dass sie nicht in Panik geraten", bat sie ihn.
"Ich brauche dich nicht, Adam", erklärte sie klar und deutlich, als sie in den Krankenwagen getragen wurde. "Du musst dich mit meiner Anwesenheit abfinden", antwortete er unnachgiebig. "Spar dir deshalb deine Worte." "Sind die Wünsche anderer dir immer egal?" fragte sie zornig. "Und wenn du dir einbildest, ich würde mich von dir untersuchen lassen ..." "Ich will genauso wenig dein Arzt sein wie du meine Patientin", stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. "Wahrscheinlich meinst du, ich müsse dir dankbar sein." "Ich glaube schon lange nicht mehr an Wunder", stellte er spöttisch fest, während die Türen des Krankenwagens geschlossen wurden. Kate warf ihrem Bruder einen nachdenklichen Blick zu und lächelte. "Denkst du dasselbe wie ich?" Jakes Miene wirkte ausgesprochen heiter. "Hast du gehört, wie er mit dieser Frau geredet hat? So ist ihm noch nie jemand unter die Haut gegangen." Kate schüttelte den Kopf. "Hast du Jessicas Miene gesehen, als er sie so kurz und bündig abgefertigt hat?" "Dass die beiden so betont zivilisiert und höflich miteinander umgehen, finde ich irgendwie unerträglich", gestand Jake ein. "Wer ist diese verkleidete Frau überhaupt?" "Sie macht Werbespots. Ich habe sie an der Stimme erkannt." Kate lächelte ihren Bruder viel sagend an. "Vielleicht ist sie die Lösung unseres Problems." "Schraub deine Erwartungen nicht zu hoch, Schwesterchen", riet Jake ihr. "Sie ist zu jung für Adam." Kate warf ihrem Bruder einen mitleidigen Blick zu. "Onkel Adam ist für keine Frau zu alt. Außerdem hast du auf alles andere geachtet, nur nicht auf ihr Gesicht. Männer sind wirklich abscheulich."
Jake lächelte unbeeindruckt. "Die Leute hatten sich doch nur deshalb so auffallend angezogen, damit man genau hinsieht", entgegnete er. "Eigentlich ist sie nicht Adams Typ, und ich bleibe dabei, sie ist zu jung für ihn." "Und zu alt für dich", erklärte Kate schadenfroh. "Onkel Adam ist viel zu ernst. Ehrlich, Jake, er braucht jemanden mit etwas Feuer und Lebenslust, damit er auch mal lachen kann." "Er hat aber nicht gelacht", wandte ihr Bruder ein. "Im Gegenteil, als sie vor das Auto geriet, dachte ich, er würde ausrasten." "Ach, du weißt genau, was ich meine", erwiderte Kate ungeduldig. "Er lacht nie mit Jessie. Und wenn er es doch mal tut, gelingt es ihr, ihm klarzumachen, dass es sich für einen Chirurgen nicht gehört. Die Frau ist eine richtige Nervensäge. Ununterbrochen verherrlicht sie die Internatsschulen. Uns beiden kann es ja egal sein, wir gehen sowieso bald aus dem Haus. Aber den Zwillingen zuliebe müssen wir verhindern, dass Adam die Frau heiratet." Darin waren sie sich einig. Zwei Stunden später saß Anna im Flur der Notaufnahme und wartete auf ihren Vater. Ihr Bein war mit einem dicken, wenig attraktiven Verband umwickelt, und zwei Krücken lehnten an ihrem Rollstuhl. Sie wünschte sich, sie hätte etwas zum Überziehen, was den tiefen Ausschnitt verhüllte, denn sie fiel in dem Outfit viel zu sehr auf. Zu ihrer Erleichterung hatte sich Adams Diagnose bestätigt. Die Schwellung würde relativ rasch zurückgehen. Man hatte ihr Ruhe und Schmerztabletten verordnet. "Ich dachte, du seist schon weg", ertönte plötzlich Adams Stimme. "Ich habe ein Taxi bestellt." "Simon hat Dad gebeten, mich abzuholen." "Während man dich untersucht hat, habe ich deine Eltern angerufen, um sie zu beruhigen. Sie sind einverstanden, dass ich dich nach Hause bringe."
"Warum fragst du mich nicht, ehe du solche Entscheidungen triffst?" "Ich wusste genau, dass du Nein sagen würdest, schon aus Prinzip." "Oder weil ich mich in deiner Gesellschaft nicht wohlfühle", erwiderte sie betont liebenswürdig. Gut, dass er nicht ahnte, was sie wirklich für ihn empfand! "Nimm jetzt die Krücken, dann sind wir weg", forderte Adam sie auf. Dann beugte er sich zu ihr hinunter und hob sie hoch. "Was soll das denn schon wieder?" "Das siehst du doch." Es war für Anna eine neue und unglaublich aufregende Erfahrung, von ihm getragen zu werden. Als er sie spöttisch ansah, unterdrückte sie ein Seufzen und schloss die Augen. Sie wollte sich die Freude nicht verderben lassen, auch wenn alles nur eine Illusion war. Er duftete ungemein verführerisch und sehr männlich. Vor dem Krankenhaus setzte er sie in das wartende Taxi und nannte dem Fahrer die Adresse, ehe er sich auf den Rücksitz neben Anna drängte. "Hier ist nicht Platz genug für uns beide." Sie hatte Mühe, die Augen offen zu halten, denn die Schmerztabletten fingen an zu wirken. "Doch." Kurz entschlossen nahm er ihre Beine auf den Schoß. "Dein Neffe Jake sieht aus wie du", erklärte sie. Plötzlich fiel ihr auf, wie müde Adam wirkte. Er hatte wirklich genug mit sich selbst zu tun und brauchte nicht noch für sie Kindermädchen zu spielen. Natürlich genoss sie seine Aufmerksamkeit, aber sie fühlte sich auch schuldig. "Du möchtest Konversation machen? Okay." Er zuckte die Schultern. "Jake ist seinem Vater sehr ähnlich, und ich habe viel Ähnlichkeit mit meinem Bruder." "Ich hatte ihn mir jünger vorgestellt." "Im Herbst geht er auf die Uni, er ist beinah neunzehn." "Er wirkt sehr kompetent."
"Ich glaube, er ist ein Mensch, der Verantwortung übernehmen kann", antwortete Adam. "Das ist unter den Umständen wohl ganz normal." Adam nickte. Er schien sich nicht bewusst zu sein, dass er die schlanke Wade ihres unverletzten Beins langsam und zärtlich streichelte. Anna wünschte, sie könnte auch alles um sich her vergessen, ganz besonders seine liebevollen Berührungen, die ihre Haut prickeln ließen. "Er ist zu jung, ich möchte nicht, dass er zu viel Verantwortung übernimmt. Kate ist auch so. Die Zwillinge sehen in ihr schon einen Mutterersatz." Als er sie ansah, begriff Anna, dass sie sich getäuscht hatte. Er wusste genau, was er tat, er streichelte sie nicht zufällig. "Jessica wird Kate entlasten", sagte Anna betont gleichgültig. "Das ist doch Sinn der Sache, oder?" Es gelang ihr nicht, die Skepsis zu verbergen. "Sie bemüht sich jedenfalls. Die Zwillinge sind manchmal sehr anstrengend." "Ich finde sie ganz bezaubernd", sagte Anna liebevoll. "Ben und Tessa haben sich wie Kinder gefreut über die beiden." Adams Miene verfinsterte sich. "Jetzt bist du für sie da", versuchte Anna, ihn zu trösten. Er blickte sie überrascht an. "Ich eigne mich nicht zum Vater." "Ich habe dir schon mal gesagt, du hast ein gewisses Potenzial. Hast du das etwa vergessen?" "Vermutlich habe ich nichts von dem vergessen, was du gesagt hast." Das Eingeständnis verblüffte sie. "Niemand ist als Vater oder Mutter auf die Welt gekommen, in die Rolle wächst man hinein. Natürlich wirst du Fehler machen. Sei nicht so streng mit dir selbst." Was hatte es zu bedeuten, dass er sich an alles erinnerte, was sie gesprochen hatten? Hatte sie vielleicht doch einen tieferen
Eindruck auf ihn gemacht, als sie ahnte? Nein, ich darf mich keinen Illusionen hingeben, er will nur meinen Körper, mahnte sie sich sogleich. "Ich hätte nicht erwartet, dass du so nachsichtig mit mir bist." Er blickte sie aufmerksam an. Sie wandte den Blick ab und war sich sehr bewusst, dass sie ihn zu vehement verteidigt hatte. Betont gleichgültig zuckte sie die Schultern. "Die Elternrolle ist eher ein Job für Laien, während du ein ausgesprochener Perfektionist bist." "Wie würdest du denn reagieren, wenn so etwas auf dich zukäme?" Erstaunt hob sie den Kopf. "Darüber habe ich noch nicht nachgedacht", gestand sie ein. "Wahrscheinlich denkst du grundsätzlich nicht viel nach." Er verzog missbilligend die Lippen. "Wie beispielsweise bei diesem ganzen Theater heute Nachmittag." "Damit du es weißt, in dieses Theater, wie du es nennst, habe ich viel Zeit investiert", fuhr sie ihn ärgerlich an. "Ein organisiertes Chaos muss sorgfältig geplant werden. Ich bin sehr zufrieden mit dem Verlauf. Nur das hier musste nicht sein." Sie deutete auf das bandagierte Bein. "War es etwa keine Absicht?" spottete er. "Beherzte Demonstrantin riskiert ihr Leben, um ältere Mitstreiterin vor dem Auto wegzureißen - das ist doch so richtig nach dem Geschmack der Medien." "Du hältst mich wirklich für völlig verrückt, stimmt's? Als ob ich jemals so etwas absichtlich inszenieren würde! Wenn man sich für eine gute Sache einsetzt, muss man manchmal Dinge tun, die die Phantasie anregen, damit man gehört wird. Ich wünschte, es wäre leichter, die Leute wachzurütteln ..." "Spar dir den Vortrag." Er beugte sich zu ihr hinüber und legte ihr einen Finger auf die Lippen. "Hast du keinen Humor? Es war doch nur ein Scherz."
Sie war sich der kleinen Geste viel zu sehr bewusst und sah ihn misstrauisch an. "Mein Sinn für Humor ist völlig in Ordnung. Aber dass du auch so etwas hast, überrascht mich." "Das habe ich wohl verdient!" Er wich zurück. "Vermutlich war das alles deine Idee, oder? Hast du Regie geführt?" "Und wenn schon!" "Mir ist noch nie jemand mit so viel mentaler und auch körperlicher Stärke und Ausdauer begegnet", erklärte er nachdenklich. Anna konnte kaum glauben, dass er sie wirklich zu bewundern schien, wenn auch nur widerwillig. "Du engagierst dich für alles Mögliche." "Und gewinne gelegentlich." Eines Tages kann ich ihn vielleicht überzeugen, sich auch für etwas einzusetzen, überlegte sie und vergaß für einen Moment, dass sie mit Adam Deacon nichts mehr zu tun haben wollte. "Wie deinen Simon? Der Mann ist ein Verlierer." "Nein!" Sie blickte ihn ärgerlich an. "Du kennst ihn gar nicht. Außerdem ist er nicht mein Simon." "Er hat mich mit dir ins Krankenhaus fahren lassen", erinnerte er sie. "Ich kenne Typen wie ihn", fuhr er überraschend heftig fort. "Er verlässt sich auf sein jungenhaftes Aussehen und seinen Charme. Sein hilfloser Blick soll Mutterinstinkte wachrufen." "Für Simon habe ich aber keine mütterlichen Gefühle", wandte sie sanft ein und lächelte rätselhaft. Es war irgendwie schockierend und seltsam beruhigend zugleich, dass Adam so feindselig reagierte. Dadurch fühlte Anna sich weniger ohnmächtig. "Hast du dich von der Geschichte verabschiedet, ihr wärt nur gute Freunde?" "Ich kenne Simon beinah mein ganzes Leben lang, und ich bin froh über die Freundschaft. Er ist nett und zuverlässig und verurteilt Menschen nicht leichtfertig." Langweilig ist er auch, fügte zu Annas Bestürzung eine kleine innere Stimme hinzu.
"Jedenfalls ist er kein arroganter Flegel mit aufgeblasenem Ego und ..." Weiter kam sie nicht, denn Adam presste die warmen Lippen fest auf ihre. , "Und er würde niemals so etwas Schreckliches tun", sagte Adam rau, als er den Kopf hob. Vor nicht allzu langer Zeit hätte ich so etwas wirklich nicht getan, überlegte er. Aber diese Frau ließ ihn alle Prinzipien vergessen. "Ich schaffe es beim besten Willen nicht mehr, mich von dir fern zu halten", gab er verbittert zu. "Nein, das würde Simon sicher nicht tun", stimmte sie heiser zu. "Meine Schwester ist in dich verliebt." "Welche?" Er streichelte ihre Wange mit dem Daumen. "Frag nicht so dumm." Mit aller Macht kämpfte sie dagegen an, dass ihr die Augen zufielen. Plötzlich lachte er, sogar ziemlich herzlos, wie sie fand. "Es ist kein Scherz. Ich bin überrascht, dass du ihr nicht den Job als Ehefrau und Mutter angeboten hast. Sie wäre viel besser dafür geeignet als Jessica." "Ich betrachte es als Kompliment, dass du glaubst, Rosalind interessiere sich für mich. Unsere Beziehung ist jedoch eine rein kollegiale. Sie ist eine sehr zielstrebige Frau, ich hätte bestimmt gemerkt, wenn sie in mich verliebt wäre. Es hätte sich sowieso negativ auf unsere Zusammenarbeit ausgewirkt, und das hätte ich nicht zugelassen." Das hörte sich kalt und gleichgültig an, doch Anna ignorierte es. "Wieso bist du dir so sicher?" "Was genau hat Lindy gesagt?" "Sie wurde dich vermissen und hätte Probleme mit dem neuen Chef." "Und warum hast du daraus geschlossen, sie sei in mich verliebt?" Anna gestand sich ein, dass sie die Bemerkungen ihrer Schwester vielleicht falsch interpretiert hatte. "Sie hörte sich so ... emotional an. Normalerweise zeigt sie keine Gefühle."
"Im Gegensatz zu dir", bemerkte er leicht spöttisch. "Lindy ist eine hervorragende Ärztin, aber es dauert immer eine gewisse Zeit, bis man sich an einen neuen Vorgesetzten gewöhnt hat. Das ist ganz normal." Er zuckte die Schultern. "Ich könnte mal mit Steven reden ..." "Nein, misch dich lieber nicht ein, das würde Lindy nicht gefallen. Glaubst du wirklich, das sei alles?" Anna hatte sich sehr darüber geärgert, dass sie eifersüchtig auf ihre Schwester gewesen war, und war jetzt ungemein erleichtert. "In meinen ersten Berufsjahren hat mein Chef mir auch sehr geholfen. Wenn er mich nicht immer wieder ermutigt hätte, hätte ich den Job wahrscheinlich sogar an den Nagel gehängt. Angus Montford war eine inspirierende Persönlichkeit und ein guter Freund." "Ist er es nicht mehr?" Anna war tief berührt von Adams wehmütiger Miene. "Angus ist vor drei Jahren gestorben. Jessica ist seine Stieftochter." Plötzlich breitete sich Hoffnungslosigkeit in Anna aus. Seine Verlobte war die Stieftochter des Mannes, dem Adam seine Karriere verdankte, wie er meinte. Diese Frau würde er niemals verlassen. Ich kann mit ihr nicht konkurrieren, doch das habe ich immer schon gewusst, dachte Anna verzweifelt. "Dann kennst du sie sicher schon lange." "Nein, erst seit der Beerdigung. Sie war genauso erschüttert über Angus' Tod wie ich. Er war ein außergewöhnlich sensibler und großherziger Mensch." "Und du hast sie natürlich getröstet. Irgendwie seltsam, dass du ihr zuvor nie begegnet bist, wenn sie ihren Stiefvater so sehr geliebt hat." "Das ist überhaupt nicht seltsam", entgegnete er kurz angebunden. "Na ja, lassen wir das. Es ist immerhin möglich, dass ich aus Lindys Bemerkungen die falschen Schlüsse gezogen habe. Sie
würde sich sowieso nicht mit einem Mann einlassen, der nicht frei ist. Das bringt kein Glück." "Was für eine Erkenntnis", sagte er betont beeindruckt, und Anna errötete. "Aber wir beide brauchen uns nichts vorzumachen, Anna. Wenn Lindy sich verliebt hat, dann bestimmt nicht in mich. Ein Mann spürt so etwas." "Ach ja?" Wie unangenehm! dachte sie. Wollte er damit etwa andeuten, er wisse, was in ihr vorging? "Mir ist klar, dass du deinen Simon nicht liebst." Sekundenlang war Anna erleichtert, doch dann ärgerte sie sich. "Du weißt bestimmt auch, dass du Jessica nicht liebst!" Sie schob seine Finger weg, mit denen er immer noch ihre Wange streichelte. "Jessicas Gefühle für mich sind immerhin so stark, dass sie den Job in New York abgelehnt hat, von dem sie immer geträumt hat." "Und dafür bist du ihr so dankbar, dass du mit mir schlafen willst", erklärte sie vorwurfsvoll. "Meinst du nicht, das hätte ich mir schon selbst gesagt? Du liebe Zeit, Anna, du kannst dir offenbar nicht vorstellen, was ich empfunden habe, als du von dem Auto erfasst wurdest. Ich weiß, meine Gefühle sind völlig verrückt." Er stöhnte auf und umfasste ihr Gesicht. Anna war tief bewegt. "Ich kann mich nicht mit einer Nebenrolle in deinem Leben begnügen, Adam." "Erwartest du, dass ich mich von Jessica trenne nach allem, was sie meinetwegen aufgegeben hat?" "Ich erwarte nichts von dir, außer dass du mich in Ruhe lässt", erwiderte sie ruhig. Den Rest der Fahrt legten sie schweigend zurück, was Anna nicht überraschte. Nach der Ankunft vor dem Haus ihrer Eltern bemerkte sie seine finstere Miene. Deshalb protestierte sie lieber nicht und ließ es zu, dass er sie ins Haus trug.
Als ihre Eltern sie herzlich und besorgt begrüßten, traten ihr Tränen in die Augen. "Du kannst dir nicht vorstellen, wie viele Leute angerufen und gefragt haben, wie es dir geht. Du bist so etwas wie eine Heldin", erzählte ihre Mutter. Anna verzog das Gesicht. "So, Sie können sie hier absetzen", forderte ihr Vater Adam auf und deutete aufs Sofa. "Wir haben euch beide gerade in den Lokalnachrichten im Fernsehen gesehen. Na ja, meist nur Anna, obwohl man Sie dann doch noch als den Arzt vorgestellt hat, der zufällig in der Nähe war." "Wie aufregend!" meinte Adam. Anna spürte, dass ihm die Publicity nicht gefiel. "Wir sind Ihnen sehr dankbar. Setzen Sie sich doch, Adam", sagte Charlie Lacey. "Das geht leider nicht. Der Taxifahrer wartet auf mich, und meine Verlobte hat sich schon den ganzen Nachmittag allein um meine Nichte und Neffen gekümmert. Die Pflicht ruft." "Übernachten Sie alle zusammen im Pfarrhaus?" fragte Beth Lacey. "Im Hotel. Im Haus ist es noch zu primitiv." Er verschwieg lieber, dass sich Jessicas Begeisterung über das neue Zuhause in Grenzen gehalten hatte, vorsichtig ausgedrückt. "Nächste Woche wird mit dem Umbau angefangen, obwohl von der Struktur her eigentlich alles in Ordnung ist. Je eher wir einziehen können, desto besser ist es für uns alle. Die Kinder leben momentan bei meiner Mutter, was jedoch nur eine vorübergehende Lösung sein kann." Annas Mutter nickte verständnisvoll. "Danke, dass Sie sich um Anna gekümmert haben. Simon hat uns alles erzählt. Er war bis eben hier. Aber wir konnten ihn überreden, nach Hause zu gehen. Es war besser so, denn Anna hasst es, wenn man so ein Theater um sie macht. Sie reagiert darauf ziemlich ... na ja, abweisend und hart", erklärte sie, ohne auf den Protestausruf
ihrer Tochter zu achten. "Vielleicht ist Ihnen das auch schon aufgefallen." Adam sagte vorsichtshalber nichts dazu. Stattdessen verabschiedete er sich: "Gute Nacht, Mrs. Lacey, Mr. Lacey." "Danke, Adam, mein Lieber." Beth Lacey sah Anna so eindringlich an, als wollte sie sie auffordern, sich an ihr gutes Benehmen zu erinnern. "Danke", stieß Anna hervor, die Worte ihrer Mutter Adam, mein Lieber noch im Ohr. Zu gern hätte Anna ausprobiert, wie es sein würde, sie selbst auszusprechen. Zu ihrer Überraschung beugte Adam sich zu ihr hinunter und berührte ihre Stirn mit den Lippen. "Wirf dich nicht zu oft vor Autos." Sein Blick wirkte angespannt, obwohl seine Bemerkung allgemeine Heiterkeit auslöste. "Bei Anna kann man nie wissen, was passiert. Sie handelt zu spontan und unüberlegt", antwortete ihr Vater, ehe ihre Mutter Adam zur Haustür begleitete. Dieses Mal habe ich mich wirklich selbst übertroffen, ich habe mich rettungslos und hoffnungslos verliebt, gestand Anna sich ein.
6. KAPITEL Nachdem Anna zwei Tage auf Krücken herumgehumpelt war, war sie völlig frustriert. "Ist wirklich nur die Knieverletzung die Ursache für deine schlechte Laune?" fragte ihre Mutter, als Anna in die Küche kam. "Oder ist das nur eine willkommene Ausrede?" "Was willst du damit sagen?" Anna wusste selbst, dass sie sich unmöglich benahm, sie konnte sich jedoch nicht beherrschen. "Ich meine, dass du vielleicht nicht nur deshalb So unerträglich bist, weil du momentan in deiner Beweglichkeit eingeschränkt bist." "Mir ist klar, dass es mir gleich Leid tut, dich gefragt zu haben. Dennoch, worauf genau willst du hinaus?" "Adam Deacon?" Beth Lacey blickte ihre Tochter mitfühlend an. "Er hat mit mir überhaupt nichts zu tun." Genauso gut könnte ich abstreiten, dass meine Augen braun sind, dachte sie, als sie die Miene ihrer Mutter bemerkte. Beth Lacey lächelte. "Wenn du es sagst, Liebes. Aber ich habe dich immer für eine Kämpferin gehalten." "Mam, hast du vergessen, dass Adam so gut wie verheiratet ist?" "Aber noch nicht ganz. Manchmal lässt das Schicksal uns nicht viel Zeit, mein Kind."
"Ist es wirklich so offensichtlich?" Anna gab es auf, ihrer Mutter etwas vorzumachen. "Für ihn vielleicht nicht. Habe ich etwas Lustiges gesagt?" fügte Beth Lacey erstaunt hinzu, als Anna anfing zu lachen. "Ganz zu Anfang hat Adam auch behauptet, ich sei leicht zu durchschauen. Ich glaube nicht, dass ich ihn vom Gegenteil überzeugen konnte." Seit ich Adam kenne, ist nichts mehr in Ordnung in meinem Leben, überlegte sie finster. Zuerst hatte er ihre Offenheit missverstanden und sich zurückgezogen. Als er sich schließlich entschlossen hatte, seinen Gefühlen nachzugeben, hatte sie sich eingestehen müssen, dass sie viel mehr von ihm wollte als eine flüchtige Affäre. Adam legte großen Wert auf seine Integrität. Und Anna war klar, dass er sie für seine unmoralischen Wünsche und Sehnsüchte verantwortlich machte. Vielleicht wäre er ihr eines Tages sogar dankbar, dass sich zwischen ihnen nichts abgespielt hatte. Am Nachmittag fuhr Simon sie zu dem kleinen Behandlungsraum, den sie in der Stadt gemietet hatte. Sie wollte wenigstens den Papierkram erledigen, denn die Termine für die ganze Woche hatte sie absagen müssen. Simon blickte sich neugierig in dem Zimmer um. "Du hast überall Lautsprecher angeschlossen, wie ich sehe." "Ja, dezente Musik, beruhigendes Licht und die richtige Atmosphäre sind wichtig", erklärte sie. Ihr fiel auf, wie verkrampft Simon wirkte. "Lass uns fahren", forderte sie ihn auf, nachdem sie alle Unterlagen zusammengesucht hatte, die sie mitnehmen wollte. Sie fühlte sich unbehaglich mit ihm allein in dem kleinen Zimmer. Du liebe Zeit, früher wäre ich glücklich gewesen, wenn Simon mich so angesehen hätte, dachte sie, während sie die Tür
hinter sich abschloss. Sie seufzte und ging langsam die Treppe hinunter auf die Straße. "Hallo, Sie!" sagte plötzlich jemand zu ihr. "Erinnern Sie sich an uns?" "Natürlich", erwiderte sie und blickte sich rasch nach allen Seiten um. Doch Adam war nirgends zu sehen, nur die Kinder standen vor ihr. "Das ist Simon ..." Jake nickte flüchtig in Simons Richtung, sah aber dabei Anna an. Irgendwie fand sie den jungen Mann sehr anziehend. "Ich bin Jake." Er reichte Anna die Hand. Als ihm bewusst wurde, dass sie keine Hand frei hatte, lachte er. "Das sind Sam und Nathan", stellte er dann seine kleinen Brüder vor. Zwei identische Augenpaare musterten Anna eingehend. Die beiden Jungen sahen sich so ähnlich, dass sie sie nur an dem braunen Fleck auf Nathans T-Shirt auseinander halten konnte. "Hallo, Jungs." "Adam sieht sich mit Kate die Schulen hier im Ort an", erklärte Jake. "Wir müssen uns eine Stunde irgendwie beschäftigen. Eigentlich wollte ich durch die Stadt bummeln, aber die beiden hier brauchen alle zwanzig Meter etwas zu essen oder müssen auf die Toilette. Wissen Sie, wo es Eis gibt?" Obwohl Jake ganz gut mit seinen kleinen Brüdern zurechtkam, täuschte er geschickt eine gewisse Hilflosigkeit vor. Und sogleich fingen auch die Zwillinge an, mit ihren durchdringenden Stimmen "Eis, Eis" zu singen. "Wisst ihr was, ich zeige euch einen Tearoom. Dort gibt es wunderbares Schokoladeneis." Als sie Jakes dankbarem Blick begegnete, freute sie sich über den spontanen Einfall. "Sie kommen doch mit uns, oder?" fragte er. Anna konnte nicht widerstehen. "Du auch, Simon?" "Ich muss nach Hause, Liebes", antwortete er mürrisch. "Ich hole dich in einer Stunde ab, okay?" "Gut, danke." Anna hob den Kopf, um sich von ihm auf die Wange küssen zu lassen. Doch zu ihrer Verblüffung küsste er
sie auf den Mund. Als sie sich umdrehte, bemerkte sie, dass Jake die Szene missbilligend beobachtete. Prompt errötete Anna schuldbewusst. Zehn Minuten später saßen sie alle zusammen zufrieden im Tearoom. "Wenn Jessie die Jungen so sieht, fällt sie wahrscheinlich in Ohnmacht." Jake musterte seine Brüder, deren Gesichtchen total verschmiert waren, liebevoll. "Ist sie auch hier?" fragte Anna bestürzt. Jake nickte. "Sie lässt Adam nie lange aus den Augen", antwortete er leicht gereizt und lächelte gequält. "Menschen, die sich lieben, sind gern zusammen." Wenn man bedenkt, wie wahnsinnig eifersüchtig ich bin, ist das wirklich ein überaus selbstloser Kommentar, dachte sie. "Onkel Adam liebt diese Frau nicht", wandte Jake spöttisch ein. Sie konnte Jake wohl kaum zustimmen, obwohl er Recht hatte. "Adam hätte sicher etwas dagegen, dass wir über ihn reden", erwiderte sie unbehaglich. "Aber ich fühle mich so verdammt verantwortlich. Wenn er sich nicht um uns kümmern müsste ..." Anna runzelte beunruhigt die Stirn. "So darfst du nicht denken", versuchte sie Jake zu trösten. "Dein Onkel kann sehr gut für sich selbst sorgen." "Sie kennen Jessica nicht", entgegnete Jake mit finsterer Miene. "Sie nutzt seine Situation aus und tut so, als wäre sie besorgt. Meine Mutter hat auch immer gesagt, sie sei unglaublich zielstrebig und hinterhältig", erklärte er verbittert. "Am schlimmsten ist, dass Onkel Adam als Student schlechte Erfahrungen gemacht hat. Mein Vater hat erzählt, Adam sei total verliebt gewesen in ein Mädchen ... nein, eine Frau und hätte seinen Freunden nicht glauben wollen, dass sie nur mit ihm spielte.
Aber sie hat ihn dann so tief verletzt, dass er richtig zynisch geworden ist. Natürlich hat er danach nicht wie ein Mönch gelebt, doch alle seine Freundinnen waren wie Jessica, oberflächlich, egoistisch, gefühllos, leer und hohl." Anna atmete tief ein. "Das hättest du mir eigentlich nicht erzählen dürfen." Sie streckte die Hand aus und legte sie auf seine, wie um ihn zu trösten. Offenbar hatte Adam die Frau sehr geliebt. "Es tut mir Leid. Manchmal ist es leichter, mit jemandem zu reden, der unbeteiligt ist", gestand er lächelnd ein. Sie hatte den Eindruck, ihre Schuldgefühle würden ihr im Gesicht geschrieben stehen. Ich habe allzu gern jede noch so winzige Information aufgeschnappt, die Jake mir gegeben hat, dachte sie. "Aber Sie haben Recht, ich hätte Sie nicht mit meinen Problemen belasten dürfen." "Nein, darum geht es nicht", begann sie und unterbrach sich, weil einer der Zwillinge die Gläser umstieß. Anna war sich ziemlich sicher, dass es Absicht war. Beide lachten, während die Flüssigkeit auf den gefliesten Boden tropfte und sich auf dem weißen Leinentischtuch ausbreitete. "Hier seid ihr", ertönte plötzlich Adams Stimme neben ihnen. "Wir sind stundenlang umhergelaufen und haben euch gesucht. Von dir hätte ich mehr Rücksicht erwartet, Jake", sagte die Frau an Adams Seite sanft und vorwurfsvoll zugleich. Anna betrachtete die Frau. Das Gesicht passte zu der Stimme. Alles wirkte perfekt, war aber weder aufregend noch außergewöhnlich, sondern eher leblos und uninteressant. "Nur fünf Minuten", korrigierte Kate sie und stellte sich vor ihren Onkel. "Hallo", begrüßte sie Anna. "Wie geht es Ihrem Knie? Ich habe mich bei Ihnen noch gar nicht bedankt, dass Sie uns kürzlich übers Telefon geholfen haben."
"Wir sollten gehen, Liebling, wenn wir bis heute Abend bei deiner Mutter sein wollen", versuchte Jessica Adams Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. "Es tut mir Leid, dass wir so ein Chaos veranstaltet haben", entschuldigte Anna sich. "Das Eis war meine Idee." "Ist Hope Lacey wirklich Ihre Schwester?" fragte Jessica betont skeptisch. "Als Adam es mir erzählte, konnte ich es nicht glauben. Vor der Kamera haben Sie keine Ähnlichkeit mit Ihrer Schwester, stimmt's? Ich habe Sie in den Nachrichten gesehen." "Ist es nicht seltsam, wie unterschiedlich die Gene verteilt werden?" erwiderte Anna gelassen. "Übrigens war ich an dem Tag nicht gerade in Bestform." "Können Sie mir ein Autogramm beschaffen?" Jake lächelte Anna verführerisch an. "Und was Sie betrifft, dem Kameramann sind einige verdammt gute Einstellungen von Ihrem Ausschnitt gelungen." "Ich werde Hope bitten, dir etwas ganz Persönliches auf das Foto zu schreiben." Anna zwinkerte ihm dankbar zu. "Hoffentlich sind Sie wieder gesund, Miss Lacey", sagte Jessica kühl und unbeteiligt. Anna klopfte leicht auf das bandagierte Bein, das sie von sich gestreckt hatte. "Nächste Woche wird der Verband abgenommen. Hoffentlich gefällt Ihnen unsere Stadt trotz des Zwischenfalls, Miss ...?" "Jessica Talbot. Nennen Sie mich 'Jessica. Ich habe schon so viel von Ihnen gehört, dass ich das Gefühl habe, Sie ganz gut zu kennen." "Jessica", sagte Anna gehorsam, während sie sich krampfhaft ein Lächeln abrang. "Normalerweise ist es hier sehr ruhig." "Ihre kleine Einlage hat mich sehr beeindruckt, Anna. Ich arbeite selbst in der Werbebranche." "Dann lasse ich mich vor unserer nächsten Demonstration von Ihnen beraten."
"Kommt es denn oft vor, dass Sie so etwas veranstalten?" Jessica lachte spöttisch. Meint die Frau etwas ganz anderes als die Demonstration, oder bilde ich mir das nur ein, weil ich ein schlechtes Gewissen habe? überlegte Anna. Aber sie war nicht bereit, sich einschüchtern zu lassen. Herausfordernd blickte sie Adam an. "Anna ist immer für Überraschungen gut", stellte er fest. Sam spürte, wie kritisch die Stimme seines Onkels klang. Deshalb kletterte er auf Annas Schoß und legte die Ärmchen um sie. "Ich mag dich", sagte er, wie um sie zu verteidigen. "Ich mag dich auch, Sam", erwiderte sie herzlich und fuhr dem Kind durch das gelockte blonde Haar. Und dann legte ihr auch noch Nathan den Kopf in den Schoß. Anna lächelte. "Euch beiden habe ich es zu verdanken, dass ich heute so viel Eis essen konnte." "Ist das nicht erstaunlich, Onkel Adam?" fragte Kate. "Anna kann die beiden schon auseinander halten, während andere immer noch Mühe damit haben." Betont unschuldig blickte sie Jessica an. "Ich habe versucht, einige grundsätzliche Regeln einzuführen hinsichtlich Ernährung und dergleichen, was Außenstehende natürlich nicht zu schätzen wissen." Jessica lächelte verständnisvoll. "Verbotene Früchte wirken auf Kinder immer ganz besonders faszinierend", erwiderte Anna genauso verständnisvoll, "Auch Erwachsene haben damit manchmal Probleme." Dieses Mal lautete die Botschaft klar und deutlich: "Hände weg von Adam!" Anna merkte plötzlich, dass ihre Hand immer noch auf Jakes lag. Leicht verlegen zog sie sie zurück. "Woher wissen Sie, dass ich Süßigkeiten liebe?" fragte sie mit unschuldiger Miene und rang nach Fassung. Sie fühlte sich zutiefst gedemütigt. "Ganz besonders Schokoladeneis?" mischte Jake sich lächelnd ein.
Der junge Mann ist großartig, schoss es Anna durch den Kopf. "Haben Sie sich über die Schulen informieren können?" erkundigte sie sich höflich. "Die Schulen hier am Ort scheinen nicht besonders gut zu sein. Wir müssen woanders suchen", antwortete Jessica verächtlich. "Ich bin auch hier zur Schule gegangen", wandte Anna ruhig ein, obwohl sie vor Zorn beinah kochte. "Und Sie wenden alternative Heilmethoden an, habe ich gehört. Ich glaube nicht, und ich spreche jetzt für Adam ..." Anna ärgerte sich immer mehr. "Ja, das sollten Sie auch tun, denn er kann sich nicht besonders gut ausdrücken, stimmt's?" "Wir wünschen uns jedenfalls für die Kinder etwas anderes", fuhr Jessica fort. "Er hat gerade vor einigen Tagen noch gesagt, wie absurd das alternative Zeug ist, wenn nicht sogar gefährlich." "Alternative Heilmethoden sind eine nützliche Ergänzung der Schulmedizin", entgegnete Anna angespannt und warf Adam einen zornigen Blick zu. "Ich habe jedenfalls denken gelernt und selbstständig zu handeln, auch wenn ich nur das Gymnasium hier am Ort besucht habe." Sie konnte sich kaum noch beherrschen und war froh, als die anderen sich verabschiedeten. .. Die Zwillinge reichten Anna ihre klebrigen Händchen, ehe sie brav hinter Adam hergingen. Er nickte ihr nur flüchtig zu und schien sie kaum wahrzunehmen. Nachdem sie sich in der Damentoilette gewaschen und etwas beruhigt hatte, ging sie nach draußen. "Du hast dir ja viel Zeit genommen", beschwerte Adam sich. Sogleich war es wieder mit ihrer Ruhe vorbei. "Ich kann doch machen, was ich will", fuhr sie ihn an. "Wenn ich gewusst hätte, dass du wartest, hätte ich mich natürlich beeilt", fügte sie ironisch hinzu. "Wie komme ich zu der Ehre?" "Tu nicht so unschuldig, Anna. Was genau hast du vor?"
"Gib mir einen Anhaltspunkt. Ich habe keine Ahnung, was du meinst." "Wie du dich bei meinem Neffen und bei meiner Familie beliebt machen willst. Du versuchst, Jessica auszustechen." "Du liebe Zeit, was für ein Unsinn! Ich war nur freundlich und kann nichts dafür, dass die Kinder sie nicht mögen." In ihren Augen blitzte es ärgerlich auf. Er runzelte skeptisch die Stirn. "Dann hast du auch Jakes Hand nicht gehalten? Er sieht mir ja sehr ähnlich." "Mit. anderen Worten, du unterstellst mir, wenn ich dich nicht haben könne, würde ich mich mit einer .jüngeren Ausgabe von dir begnügen. Du bist wirklich unglaublich eingebildet und arrogant, Adam Deacon. Jake ist ein warmherziger, sensibler junger Mann, was mich viel mehr beeindruckt als die äußerliche Ähnlichkeit mit dir. Damit du es weißt, ich verführe grundsätzlich keine halben Kinder. Aber vielleicht bist du ja nur eifersüchtig", erklärte sie spöttisch. "Jake ist kein halbes Kind mehr, sondern ein gut aussehender junger Mann." "Was erwartest du von mir? Soll ich auf die andere Straßenseite gehen, wenn ich ihn sehe, um ihn vor meinem verhängnisvollen Charme zu schützen? Nur weil du dich in dem Alter lächerlich gemacht hast, kannst du nicht so tun, als wäre er so unreif ..." Mitten im Satz hielt sie entsetzt inne. "Du hättest nur zu fragen brauchen. Es wäre nicht nötig gewesen, Jake auszuhorchen." "Das habe ich auch gar nicht getan! Ich mag Jake. Außerdem kann man sich die Zusammenhänge sowieso zusammenreimen. Wenn ein Mann in deinem Alter nicht verheiratet und auch nicht homosexuell ist, was du offenbar nicht bist...." "Es freut mich, das zu hören", unterbrach er sie ironisch. "Dann hat er vermutlich wegen schlechter Erfahrungen Angst vor festen Beziehungen", fuhr sie fort. "Deine Reaktion beweist eigentlich, dass du emotional sehr verletzt bist." Sie ließ die
Stimme betont dramatisch und mitfühlend klingen. "Armer alter Adam. Du bist in Wirklichkeit ein ganz empfindsamer Mensch. Ich nehme an, Jessicas Stiefvater hat dir über die kritische Zeit hinweggeholfen. Stell dir vor, er hätte es nicht getan. Dann hätte das Establishment ja eine seiner Stützen verloren." O nein, was rede ich denn da, dachte sie und betrachtete ihn besorgt. "Es wundert mich wirklich, dass noch niemand versucht hat, dir die Kehle Zuzudrücken. Hör einfach auf, Wirbel zu machen, Anna, und lass meine Familie in Ruhe", forderte er sie verbittert und gereizt auf. "Es ist nicht meine Schuld, dass die Kinder Jessica nicht mögen", erwiderte sie und lächelte provozierend. Je rascher Adam begriff, dass sie sich von ihm nichts gefallen ließ, desto besser. "Hier geht es nicht um Beliebtheit", fuhr er sie an. "Kinder haben immer etwas gegen Leute, die ihnen Disziplin beibringen." "Aber nicht, wenn sie spüren, dass die Regeln und Verbote mit liebevollen Gefühlen verbunden sind." Ihr war klar, dass er die Situation falsch einschätzte. Er schien nicht zu merken, wie ungern Jessica mit den Kindern zusammen war. "Warum kannst du nicht zugeben, dass du dich getäuscht hast, Adam?" Provozierend legte er die Hände um ihren schlanken Hals, jedoch so leicht und behutsam, dass er kaum ihre Haut berührte. Sie erbebte, und die beunruhigendsten Gefühle breiteten sich in ihr aus. Die Kehle war ihr wie zugeschnürt, während die Spannung, die sich in ihr aufbaute, unerträglich wurde. Er ließ die Hände langsam über ihren Rücken gleiten und zog sie an sich. Dass dabei die Krücken krachend auf den Boden fielen, merkten sie gar nicht. Sein warmer Atem an ihren Lippen und sein männlicher Duft betörten sie ungemein, sie fühlte sich schutzlos und hilflos.
Adam berührte ihre Lippen so federleicht, dass Anna es kaum wahrnahm. "Adam, ich ...", bat sie und rang nach Atem. Er erbebte und presste die Lippen fest auf ihre. Dann ließ er jegliche Zurückhaltung fallen und erforschte ihren Mund so ungestüm, dass Anna alles um sich her vergaß. Doch viel zu rasch war alles wieder vorbei. Adam hob die Krücken auf und reichte sie Anna. Sie nahm sie entgegen und senkte den Kopf, um seine Miene nicht sehen zu müssen. Er ärgerte sich wahrscheinlich doch nur wieder über sich selbst. Ich muss den Verstand verloren haben, dass ich ihn am hellen Tag mitten in der Stadt vor allen Leuten küsse, dachte sie entsetzt. "Bist du okay?" Sie hob den Kopf. "Nein, überhaupt nicht." Was für eine dumme Frage! Er fuhr sich mit den Fingern durchs blonde Haar. "Es würde die Sache erleichtern, wenn du einmal nicht die Wahrheit sagtest." Seine Stimme klang so rau, dass Anna eine Gänsehaut bekam. Ich liebe diesen Mann, gestand sie sich plötzlich ein. "Das kann ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren. Aber jetzt geh bitte", bat sie ihn erschöpft. "Bestraf deine Verlobte, aber nicht mich. Sie war sehr unhöflich, wie du sicher bemerkt hast." Jessica Talbot war ein raffiniertes Biest, doch Adam schien es nicht wahrhaben zu wollen. "Unter den Umständen hat sie sich noch sehr zurückgehalten, finde ich." "Was für Umstände meinst du?" fragte Anna zögernd, denn sie hatte den Verdacht, die Antwort würde ihr nicht gefallen. "Ich habe ihr von dir erzählt." Seine Miene wirkte rätselhaft. "Ah ja. Aber was genau?" "Ich habe ihr erklärt, dass ich mich zu dir hingezogen fühle, sehr sogar, und dass es dir genauso geht."
"Wie bitte? Du hast so intime Details mit ihr besprochen?" Anna konnte es nicht fassen. "Sie hat mich nach dir gefragt. Und sie hat viel Verständnis." "Das klingt immer unglaublicher", fuhr sie ihn an. "Hat sie dir auch erlaubt, mit mir zu schlafen?" "Du brauchst nicht hysterisch zu werden." "Das musst du schon mir überlassen. Ich bin eben nicht halb so verständnisvoll wie Jessica. Du hast wirklich das große Los gezogen, Adam. So eine großzügige Frau wünscht sich jeder Mann." "Ich will keine großzügige Frau", stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Red weiter, du dummer Kerl, forderte Anna ihn insgeheim auf, während sie ihn unverwandt anblickte. "Es ist nicht der richtige Zeitpunkt und nicht der richtige Ort, eine Entscheidung zu erzwingen, Anna", antwortete er hart. Er tut so, als hätte das alles nichts mit mir zu tun, sagte sie sich empört. "Ah ja", erwiderte sie. "Du kannst mit Jessica über mich reden, doch ich darf nicht mit dir über sie sprechen. Ich habe schon gehört, dass es Situationen gibt, in denen man beim besten Willen nicht gewinnen kann. Es wäre sogar richtig komisch, wenn es nicht so verdammt... verdammt... Oh, wo bleibt eigentlich Simon?" fragte sie und blickte sich um. "Er müsste schon da sein." Sie wollte nur noch weg. "Dieser zuverlässige, gewissenhafte Simon." "Du brauchst gar nicht so überheblich zu tun. Er misshandelt mich wenigstens nicht auf der Straße." "Vielleicht provozierst du ihn nicht so wie mich." "Ich widerspreche dir manchmal, das ist alles. Nur weil du ein guter Chirurg bist, bist du in anderen Fragen nicht unfehlbar. Mir scheint, niemand wagt es, dich darauf hinzuweisen, dass du manchmal Unsinn redest." "Und du meinst, du müsstest es tun."
"Ich würde jedenfalls nicht zögern, den Mythos zu zerstören, ein Arzt sei ein Halbgott und wisse alles. Da kommt ja Simon", fügte sie erleichtert hinzu. "Was spielt sich eigentlich zwischen euch ab?" fragte Adam und warf ihr einen missbilligenden Blick zu. "Entschuldige, dass ich dich habe warten lassen, Liebes." Atemlos blieb Simon vor ihr stehen. "Deacon", fügte er hinzu und nickte flüchtig in Adams Richtung. "Du kommst gerade richtig, Simon", versicherte sie ihm. "Ich habe gerade den Doktor aufgefordert, sich um seine eigenen Angelegenheiten zu kümmern", erklärte sie betont liebenswürdig. "Es ist immer sehr aufschlussreich, mit dir zu reden, Adam." Sie ließ ihn einfach stehen, ohne sich zu verabschieden. "Verdammt, Anna, was hast du ihm angetan?" Simon eilte hinter ihr her. "Ich befürchtete schon, er würde dich ... Mein Wagen steht da drüben." Er legte ihr die Hand auf die Schulter. "Typisch Mann, sogleich zu vermuten, es sei alles meine Schuld", fuhr sie ihn an und schüttelte seine Hand ab. "So habe ich es nicht gemeint", erklärte Simon hastig. "Er wirkte nur so - na ja, als wollte er dich umbringen." "Wenn es dich so sehr interessiert: Er wollte wissen, ob ich mit dir schlafe." "Ah ja. Wäre das so unmöglich?" "Du weißt, dass es das ist", erwiderte sie etwas traurig. Ihr Ärger war verschwunden, und sie war einfach nur noch unglücklich. "Ich habe zwar keine Ahnung, was zwischen dir und Rachel vorgefallen ist. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass du nicht um deine Ehe kämpfen willst. Dann hättest du dich sehr verändert." "Das verstehst du nicht." Frustriert half er ihr beim Einsteigen. "Du weißt, dass Rachel fürs Fernsehen arbeitet?" fragte er, nachdem er sich auf den Fahrersitz gesetzt hatte.
Anna nickte. "Man hat ihr einen besseren Job angeboten, und das bedeutet, wir würden umziehen müssen." "Ist das alles? Ihr habt nicht aufgehört, euch zu lieben? Du willst nur nicht umziehen?" "So, wie du es sagst, klingt es schrecklich banal", beschwerte er sich. "Sie hat es noch nicht einmal mit mir besprochen, sondern geht einfach davon aus, dass ich mitkomme. Was ist mit Emily? Sie sieht ja jetzt schon ihre Mutter viel zu selten." "Hätte sie deiner Meinung nach das Angebot ablehnen sollen?" "Ja, unserer Ehe Zuliebe." "Wohl eher deinem Stolz zuliebe", wandte Anna ungeduldig ein. "Was ist los, Simon? Wird sie mehr verdienen als du?" Seine Miene verriet ihr, dass dies zumindest ein Teil des Problems war. "Du könntest doch überall arbeiten." Simon war selbstständiger Architekt und an mehreren Projekten in Nordamerika beteiligt. "Wenn dir wirklich an deiner Ehe etwas liegt, solltest du flexibler reagieren. Es geht mich letztlich nichts an, aber weil du offenbar bereit bist, mich zu benutzen, um dich abzulenken, ohne dass ich dich dazu ermutigt hätte, darf ich auch ehrlich zu dir sein." "Ich mag dich sehr, Anna:" " Gute Freunde verletzen sich nicht gegenseitig", sagte sie ruhig. "Und das alles nur wegen dieses verdammten Adam Deacon", brummelte er vor sich hin und gab plötzlich Gas. "Adam hat damit überhaupt nichts zu tun", entgegnete sie kühl. In der nächsten Woche müsste Anna zunächst einmal die verpassten Termine nachholen. Sie arbeitete meist bis spätabends und machte doppelt so viele Hausbesuche bei den Klienten wie sonst.
"Für dich", sagte ihre Mutter, als Anna am Freitagabend um acht nach Hause kam, und reichte ihr das Telefon. "Wer ist es?" fragte sie leise. Doch Beth Lacey schüttelte nur den Kopf. "Hallo, hier Anna Lacey", meldete sie sich dann. "Miss Lacey, ich hoffe, Sie verzeihen mir, dass ich Sie störe. Aber Jake hat mir viel von Ihnen erzählt, und ich weiß nicht, was ich machen soll." "Entschuldigen Sie, wer sind Sie?" "Ach so, ja. Ich bin Sara, Jakes Großmutter. Ich sage Ihnen gleich, was geschehen ist. Adam ist bis Dienstag in Amsterdam. Er hat mit Jake und den Kindern vereinbart, das Wochenende mit Jessica im neuen Haus zu verbringen. Ich weiß nicht, ob Sie über die Situation informiert sind, ich will Ihnen jedoch nichts vormachen. Ich bin selbst schuld ..." Sara atmete tief ein und aus und fuhr fort: "Ich habe Adam geraten, Jessica die Kinder einige Tage anzuvertrauen, damit sie genau weiß, worauf sie sich einlässt. Sie wollten sich heute Nachmittag im Haus treffen. Jake hat sie kurz vor ihrer Abfahrt angerufen, um sie zu bitten, Fieberzäpfchen für die Zwillinge zu besorgen, weil sie erhöhte Temperatur haben. Und wissen Sie, was die Frau getan hat? Sie hat sich geweigert, die Kinder zu betreuen - um sich nicht anzustecken, wie sie sagt. Können Sie sich das vorstellen?" Anna konnte es, behielt es jedoch lieber für sich. "Das heißt, Jake und Kate sind mit den Jungen jetzt allein und brauchen Hilfe", stellte sie fest. "Es ist mir sehr unangenehm, Sie um etwas zu bitten." Saras Stimme klang nicht mehr so angespannt. "Ich würde selbst hinfahren, aber momentan kann ich mich nicht gut bewegen. Ich soll in Kürze eine künstliche Hüfte bekommen. Bis dahin verlasse ich mich lieber auf öffentliche Verkehrsmittel und könnte erst morgen früh da sein. Jake ist ein sehr vernünftiger Junge, doch ich habe deutlich gespürt, wie beunruhigt er ist. Sie kennen dort keinen Arzt, und im Haus ist alles noch ziemlich
primitiv, wie Adam erzählt hat. Ich weiß, es ist eine Zumutung ..." "Unsinn", erwiderte Anna freundlich. "Ich gehe hin und sehe, was ich machen kann. Ich rufe Sie später wieder an." "Danke, Miss Lacey. Jake war sich sicher, dass man sich auf Sie verlassen kann." Eine Viertelstunde später parkte Anna vor dem alten Pfarrhaus. Seit sie zum letzten Mal hier gewesen war, hatte sich einiges verändert. Von außen sah alles schon viel gepflegter aus. Anna klopfte an die Küchentür und ging hinein. Der große Raum wirkte kahl, man hatte überhaupt noch nichts gemacht. Was hatte Adam sich dabei gedacht, die Kinder das Wochenende hier verbringen zu lassen? Er hatte wahrscheinlich Glück gehabt, dass Jessica abgesagt hatte. In diesem Chaos hätte sie sich bestimmt nicht wohlgefühlt. "Hallo!" rief Anna und durchquerte die Eingangshalle, in der es nicht besser aussah als in der Küche. "Wir sind hier." Anna eilte in die Richtung, aus der die Stimme kam. Im Kamin des einigermaßen wohnlichen Zimmers brannte ein Feuer, und die Zwillinge lagen in Schlafsäcken auf zwei Gästebetten. Kate saß mit übereinander geschlagenen Beinen auf dem Boden zwischen den beiden und war sichtlich erleichtert, als sie Anna sah. "Gut, dass Sie gekommen sind. Ich glaube, sie sind wirklich krank." Mit einem Blick auf die geröteten Gesichtchen und verquollenen Augen war Anna klar, dass es kein falscher Alarm war. "Wo ist Jake?" fragte sie und beugte sich über die Kinder, um sie zu untersuchen. "Er holt Holz für den Kamin", antwortete Kate. "Da ist er ja", fügte sie hinzu, als ihr Bruder mit einem Korb voller Holzscheite hereinkam. "Wir hatten es uns so lustig vorgestellt, hier zu übernachten."
"Ich bin erstaunt, dass euer Onkel es überhaupt vorgeschlagen hat", sagte Anna. "Wir haben uns auch gewundert", gab Jake zu. "Irgendetwas hat er bestimmt damit bezweckt. Ist es schlimm?" fragte er Anna. "Eine genaue Diagnose kann ich natürlich nicht stellen, doch ich glaube, sie haben Mumps." "Mumps", wiederholte Jake erleichtert. "Eigentlich müssten sie dagegen geimpft sein." "Sind sie wahrscheinlich auch. Trotzdem können sie die Krankheit in abgeschwächter Form bekommen." "Na, wenn das eine abgeschwächte Form ist, möchte ich lieber nicht wissen, wie die Krankheit sonst verläuft", erklärte er mitfühlend. "Hast du schon Mumps gehabt?" "Ja, als Baby", versicherte er lächelnd. "Sie denken vielleicht, ich könne mir nicht helfen. Zu Hause hätte ich sogleich den Arzt gerufen, aber hier kennen wir niemanden außer Ihnen. Hoffentlich haben Sie nichts dagegen, dass ich Grandma Ihren Namen genannt habe. Sie war total aufgeregt." "Natürlich habe ich nichts dagegen. Es war eine gute Idee. Ihr kommt mit auf die Farm, und ich lasse den Arzt kommen." "Ist es Ihren Eltern denn recht, dass wir einfach so bei ihnen aufkreuzen?" fragte Kate. "Meine Mutter liebt Krisen", erwiderte Anna. "Habt ihr Telefon hier?" Jake zog ein Handy aus der Tasche und reichte es ihr. "Mein Beitrag zur Krisenbewältigung."
7. KAPITEL Anna lehnte sich zurück, um die Knie zu entlasten. Es war eine ermüdende Sache, auf dem Boden, der mit Bauschutt bedeckt war, herumzukriechen. Sie seufzte. "Wo mag er nur sein?" sagte sie leise vor sich hin. "Genau das frage ich mich auch." Schockiert drehte Anna sich um. "Adam! Du liebe Zeit, was machst du denn hier?" Sie runzelte vorwurfsvoll die Stirn. "Ich dachte, du seist in Amsterdam." "Ich weiß, wo ich eigentlich jetzt sein sollte. Aber warum bist du hier? Und wo sind Jessica und die Kinder?" Sie errötete. Er tat gerade so, als wäre sie in sein Haus eingedrungen. Offenbar hatte er sich darauf gefreut, Jessica zu sehen. "Hat sie es dir nicht mitgeteilt? Deine Mutter meinte, sie würde es tun." "Meine Mutter?" wiederholte er verständnislos. Er stand immer noch auf der Türschwelle und wirkte mit seiner großen muskulösen Gestalt ungemein beeindruckend und machtvoll, obwohl er müde aussah. Der elegante dunkle Anzug war leicht zerknittert, die Krawatte hatte er gelöst. "Willst du mir nicht endlich verraten, was los ist?" "Es besteht kein Grund zur Beunruhigung." Sie stand auf. "Das hört sich nach schlechten Nachrichten an." "Jessica ist nicht gekommen."
Seine Miene wurde ärgerlich. "Warum, zum Teufel, geht immer alles schief?" Anna fühlte sich plötzlich schrecklich elend. Er war offenbar nur früher zurückgekommen, weil er erwartet hatte, Jessica sei hier. Kein Wunder, dass er ziemlich entsetzt gewesen war, stattdessen nur sie, Anna, vorzufinden. "Weißt du, als Jake ihr mitgeteilt hat, die Jungen seien krank ..." "Was ist mit ihnen?" unterbrach er sie beunruhigt. "Warum hat mich niemand angerufen?" "Es ist doch alles in Ordnung. Sie haben Mumps, aber heute geht es ihnen schon wieder besser. Jake dachte, Jessica würde dich informieren." "Heißt das, sie sind hier und nicht bei meiner Mutter?" "Ja. Jake war schon hergefahren. Und dann wusste er nicht, was er machen sollte." Adam beobachtete sie mit rätselhafter Miene. Plötzlich lächelte er ironisch. "Aber du hast es natürlich gewusst, nehme ich an." "Deine Mutter hat sich sehr aufgeregt, und sie konnte nicht so schnell hier sein." Weshalb versuche ich überhaupt, mich zu rechtfertigen? dachte sie ärgerlich. "Warum nicht?" "Na, du bist gut." Sie war entsetzt über seine Gefühllosigkeit seiner Mutter gegenüber. "Sie hat Probleme mit der Hüfte, Adam. Mit dem Zug dauert es stundenlang, bis sie hier ist. Deshalb habe ich ihr geraten, zu Hause zu bleiben." "So hat es dir meine arme, ans Haus gefesselte Mutter am Telefon erklärt?" "Ja. Jake hat ihr meine Nummer gegeben. Ihm ist sonst niemand eingefallen. Ich habe alle auf die Farm mitgenommen, hier ist kein Platz für kranke Kinder. Was hast du dir dabei überhaupt gedacht, Adam? Es gibt noch nicht einmal fließendes Wasser."
"Man hatte mir fest versprochen, bis zum Wochenende sei alles fertig. Weshalb bist du auf dem Boden herumgekrochen?" "Nathan hat die ganze Nacht um seinen Teddy geweint. Und Sam hat einen Schuh verloren, doch den kann man ersetzen. Den Teddy muss ich finden." "Hast du etwa wegen der Kinder die ganze Nacht nicht geschlafen?" fragte er skeptisch. "Ich war nicht die ganze Nacht wach." Seine seltsame Reaktion auf die Nachricht, dass sie sich um seine kostbare Familie gekümmert hatte, irritierte sie. "Ich weiß, du glaubst, ich sei völlig nutzlos, doch ..." "Nein, das denke ich nicht", unterbrach er sie ungewöhnlich sanft. "Du siehst einfach nur sehr erschöpft aus." "Na ja, du auch." Sie war nicht gerade begeistert über seine Bemerkung. Es gibt eben keine Gerechtigkeit, ich sehe übernächtigt und müde aus und er so sexy, dass man es kaum ertragen kann, überlegte sie. "Steh nicht einfach da herum, sondern hilf mir, Alexander zu suchen." "Wen?" "Nathans Teddy natürlich." "Bist du immer so launisch, wenn du müde bist?" "Das hängt davon ab, warum ich nicht geschlafen habe", antwortete sie sanft und lächelte ihn betont liebevoll an. "Raube ich dir den Schlaf, Anna?" fragte er rau. Anna bereute ihre Bemerkung. "Davon kannst du höchstens träumen, Adam." Sie bemühte sich, ganz besonders verächtlich zu klingen. "Über meine Träume sollten wir jetzt lieber nicht reden, das ist ein heikles Thema", erklärte er heiser. "Aber wenn du darauf bestehst, können wir es tun." Sein warmer Atem streifte ihren Nacken. "Du bist verlobt", rief sie aus und wirbelte ärgerlich herum. "Oder hast du das etwa vergessen?" Wie leicht wäre es, mich auf die erotische Stimmung einzulassen, dachte sie beunruhigt.
"Wie könnte ich das? Du erinnerst mich ja alle paar Minuten daran." Er schloss die Augen und legte sich die Hand auf die Stirn. "Ich muss so schnell wie möglich eine Lösung finden. Bist du sicher, dass der Arzt hier nicht mit Jake, Kate und natürlich auch meiner Mutter gemeinsame Sache macht?" Anna sah ihn verständnislos an. "Leidest du plötzlich an Paranoia? Warum sollte deine Mutter den Zwillingen Mumps wünschen?" "Meine Mutter scheint überzeugt zu sein, ich könne nicht ohne ihre weisen Ratschläge zurechtkommen." "Mir ist natürlich klar, wie enttäuscht du bist, dass das Wochenende nicht wie geplant verläuft. Aber du brauchst deinen Frust nicht an mir oder den Kindern auszulassen. Die Zwillinge sind nicht absichtlich krank geworden." "Enttäuscht ist nicht der richtige Ausdruck", fuhr er sie an. "Du könntest uns die Sache erleichtern, wenn du ..." Seine Stimme klang so leidenschaftlich, dass Anna unwillkürlich erbebte. "Wenn ich mit dir schlafen würde?" half sie ihm weiter. "Das habe ich nicht gemeint." "Oh." Jetzt verstand sie gar nichts mehr. "Sieh mich nicht so beleidigt und verhetzt an. Natürlich möchte ich mit dir schlafen, wahnsinnig gern sogar. Es würde jedoch nichts ändern. Die Dinge sind viel komplizierter." "Ich bin weder beleidigt noch verletzt, sondern erleichtert." "Lügnerin." Sein Selbstvertrauen war offenbar durch nichts zu erschüttern. "Okay, Adam, dann bist du eben unwiderstehlich", erklärte sie ironisch. "Aber du kannst dich trotzdem nützlich machen und mir helfen, den verdammten Teddy zu suchen." Zu ihrer Überraschung tat er es sogar und fand den Schuh auf der Fensterbank. Wenig später entdeckte Anna den Teddy unter einem Holzstoß. "Wir sind ein gutes Team", stellte Adam fest.
"Ich kann mir nicht vorstellen, dass du dich in ein Team einfügst." Sie bemühte sich, Adams auffallend herzliches Lächeln zu ignorieren. "Du kannst hinter mir her zur Farm fahren." "Ich bin vom Flughafen mit dem Taxi gekommen." "Okay, dann kommst du mit mir." "Fährst du immer so rasant?" fragte er wenig später im Auto. "Ich bin eine gute Fahrerin." Seine Gegenwart irritierte so sehr, dass sie wirklich etwas risikobereiter war als sonst. "Eigentlich hätte Ich mir denken können, dass du auch so ein Macho bist, der es nicht ertragen kann, dass eine Frau neben ihm am Steuer sitzt." "Onkel Adam!" riefen die Zwillinge aus und warfen sich ihm in die Arme, als er ins Wohnzimmer kam. "Schon zurück?" fragte Jake betont beiläufig und blickte Adam an. "Ja, sieht so aus." Leicht spöttisch betrachtete Adam die friedliche Szene. "Habt ihr mich vermisst?" Während er sprach, sah er Anna an. Sie errötete und überlegte gereizt, worauf er hinauswollte. "Wir haben Sie lange genug belästigt", fügte er an Beth Lacey gewandt hinzu, die hereinkam, um ihn zu begrüßen. "Unsinn", antwortete sie herzlich. "Wir haben gern geholfen, und die Kinder sind ganz entzückend." Plötzlich fiel Anna etwas ein. "Adam, hast du ...?", begann sie und errötete. "Ob ich Mumps gehabt habe? Ja, Anna, das habe ich. Lieb von dir, dass dir meine Zeugungsfähigkeit am Herzen liegt", erklärte er mit ernster Miene. "Onkel Adam, du machst Anna ganz verlegen", warf Kate ihm lachend vor. "Für eine Farmerstochter sind solche Sachen etwas ganz Natürliches", mischte Beth Lacey sich ein. "Es braucht schon mehr, um Anna verlegen zu machen." Sie betrachtete ihre
Tochter, die den Kopf senkte und undeutlich zustimmte, "Hope hat eben angerufen." "Schade, dass ich sie verpasst habe", sagte Anna bedauernd. Gerade in der komplizierten Situation sehnte sie sich nach ihren Schwestern, die jedoch beide keine Zeit hatten. "Sie hat eine Rolle in einem Film mit Sam Rourke bekommen", erzählte Beth Lacey aufgeregt. "Mit diesem Traummann?" rief Kate begeistert aus. "Ich freue mich für Hope." Anna wusste, dass ihre Schwester sich schon immer gewünscht hatte, in einem guten Film mitzuspielen. Sie hatte mehrere Rollen abgelehnt, die ihrem Ruf nur geschadet hätten, weil sie nichts anderes hätte zu tun brauchen, als sexy auszusehen. "Sie sind sicher sehr stolz auf Ihre Tochter." Adam löste sich aus Sams Umarmung und stellte ihn auf den Boden. "Ich bin auf alle drei Töchter stolz", sagte Beth Lacey liebevoll. "Hoffentlich macht es Ihnen nichts aus, Adam, dass Sie sich das Zimmer mit Jake teilen müssen. Wir haben kein anderes mehr frei. Oder möchten Sie lieber auf dem Sofa schlafen?" "Wir haben Ihre Gastfreundschaft schon viel zu lange in Anspruch genommen", erklärte er zu Annas Erleichterung. "Ich glaube nicht, dass es eine gute Idee ist, was Sie da vorhaben, mein Lieber", stellte Beth Lacey freundlich und etwas tadelnd fest, was er, ohne mit der Wimper zu zucken, hinnahm. "Den Kindern geht es natürlich wieder besser, aber noch nicht gut genug für die lange Fahrt. Vergangene Nacht hatten sie hohes Fieber. Wenn Sie mir die Bemerkung erlauben, Sie selbst sehen auch nicht gerade blendend aus." "Im Hotel...", begann Adam. "Nein, mit Kindern, die eine Infektionskrankheit haben, wären Sie sicher dort unerwünscht. Schluss damit, ich will keine Einwände mehr hören."
In einem Punkt weigerte Adam sich jedoch nachzugeben: Er bestand darauf, im Zimmer der Zwillinge auf dem Gästebett zu schlafen. Obwohl Anna sehr müde war, konnte sie nicht einschlafen. Sie lag stundenlang wach und lauschte Kates gleichmäßigem Atmen am anderen Ende des Zimmers. Der Tag war in zwangloser Atmosphäre überraschend heiter und friedlich ausgeklungen. Adam hatte sich offenbar in der ihm ungewohnten Umgebung wohl gefühlt. Er war entspannter, als Anna ihn je zuvor in Gegenwart der Bänder erlebt hatte. Plötzlich hörte sie ein Geräusch aus dem Zimmer der Zwillinge. Sie wartete sekundenlang, und dann ertönte wieder ein Schrei. Statt lange zu überlegen, ob Adam es auch gehört hatte, entschloss sie sich, aufzustehen und nachzusehen. Vor der Zimmertür zögerte Anna kurz. Doch dann hörte sie leises Wimmern und ging auf bloßen Füßen in den Raum. Adam lag reglos da und schien fest zu schlafen. Behutsam bewegte sie sich um die spanische Wand herum. Keiner der Jungen war wach, und sie hatten glücklicherweise auch kein Fieber, wie Anna sich vergewisserte. Offenbar hatte einer der beiden im Schlaf geweint. "Die beiden sind okay, aber ich bin es nicht", hörte sie auf einmal Adam leise sagen. "Ich wollte dich nicht stören", flüsterte sie nervös. "Manchmal genügt eine gute Absicht nicht." Seine Stimme klang so rau, dass Anna Herzklopfen bekam. Die erregendsten Gefühle bemächtigten sich ihrer. Rasch drehte sie sich um, sie musste unbedingt weg hier. "Geh nicht", bat er sie. "Versuch lieber zu schlafen", forderte sie ihn streng auf. "Ich habe schreckliche Rückenschmerzen." "Klar, das Gästebett ist für dich ungeeignet." "Du hörst dich richtig scheinheilig an."
"Sprich nicht so laut, sonst weckst du sie auf. Glaub mir, in Wirklichkeit willst du gar nicht, dass ich bei dir bleibe." "Habe ich mich schon bei dir bedankt?" "Nein, nur bei meinen Eltern", erwiderte sie und kam näher. Sie wollte Nathan nicht aufwecken, der sich unruhig herumwälzte. "Sie sind ja auch viel netter zu mir als du." "Schlaf jetzt, Adam." Sie wollte gehen, er hielt sie jedoch am Fuß fest. "Lass mich los, du verdammter Kerl", fuhr sie ihn leise an. "Und wenn nicht? Schreist du dann?" fragte er zufrieden. "Mein Rücken schmerzt viel zu sehr. Warum hast du kein Mitleid mit mir und behandelst mich?" "Du hältst doch nichts von alternativen Heilmethoden", sagte sie heiser. Beim Gedanken daran, seine Haut zu berühren, überlief es sie heiß. "Dann versuch doch, mich zu überzeugen. Ich möchte so gern wieder einschlafen." "Du kannst dich aufs Sofa legen. Ich passe auf die Jungen auf", schlug sie vor. "Nein, ich fühle mich ja jetzt schon schuldig, weil du letzte Nacht nicht geschlafen hast. Aber ich brauche auch dringend Schlaf, weil ich morgen und übermorgen ein volles Programm habe." Er streichelte mit dem Daumen ihr Bein. "Du liebe Zeit, ich kann keine Wunder vollbringen." Sie gab sich geschlagen und kniete sich neben ihn. In der Dunkelheit streckte sie vorsichtig die Hand aus und wich entsetzt zurück, als sie ihn berührte. "Ich sehe überhaupt nichts", fuhr sie ihn an. "Stört dich das?" Er drehte sich auf dem Bett um. "Ich bin dir doch sowieso ausgeliefert." Rasch verdrängte sie die erotischen Phantasien, die seine Bemerkung in ihr auslöste. "Meine Hände sind zu kalt", erklärte sie ruhig, während sie ihm die gespreizten Finger auf den Rücken legte. Adam atmete tief ein, als sie die Daumen langsam
über seine Wirbelsäule entlanggleiten ließ. Dann massierte sie geschickt seine Rückenmuskeln. "Du bist viel zu angespannt", sagte sie leise, während sie sich über ihn beugte und sich bemühte, die verspannten Stellen zu ertasten. Er stöhnte zufrieden auf. Anna fühlte sich immer sicherer und fuhr fort, seinen Rücken sanft zu massieren. Schon bald kam sie sich vor wie in einem Rausch und vergaß alles um sich her. Erst als Adam tief und gleichmäßig atmete, hielt sie inne. Sie dachte, er sei eingeschlafen, und empfand plötzlich so viel Zärtlichkeit für ihn, dass ihr Tränen in die Augen traten. Sie richtete sich auf. Unabsichtlich streifte sie dabei seinen Oberschenkel und stand sekundenlang reglos da. "Du hast bestimmt kalte Füße." Seine Stimme klang schläfrig. Anna fuhr erschrocken zusammen. "Schlaf endlich", forderte sie ihn betont gleichgültig auf. "Komm und wärm dich." "Red keinen Unsinn, Adam." Panik stieg in ihr auf, und sie gestand sich ein, wie gern sie sich neben ihn legen würde. Es wäre so leicht, sich in der schützenden Dunkelheit den Gefühlen hinzugeben. "Du musst schlafen", wiederholte sie energisch. "Nicht ehe deine Füße wieder warm sind." Er klang immer noch verschlafen, doch er wusste offenbar genau, was er sagte. Da sie befürchtete, die Zwillinge würden wach, überlegte sie nicht mehr lange, sondern schlüpfte unter die Decke. Alles in ihr schien sie zu warnen, doch sie ignorierte es. Stattdessen presste sie die kalten Füße an seine Waden und schmiegte sich an seinen Rücken. Für andere Aktivitäten war das Bett sowieso nicht breit genug. "So gefällt es mir schon viel besser", sagte er rau und sehr zufrieden. Als Anna ihm den Arm um die Taille legte, umklammerte er ihr Handgelenk. Er schläft bestimmt gleich ein, überlegte sie
und rührte sich nicht. Sie brauchte nur darauf zu warten, dass er den Griff lockerte. Krampfhaft bemühte sie sich, nicht darüber nachzudenken, wo sie sich befand und welche Gefühle seine Nähe in ihr auslöste. Wenn sie ihm das linke Bein über die Oberschenkel legte, würde sie vielleicht nicht mehr befürchten müssen, aus dem schmalen Bett zu fallen. Es war ein riskantes Manöver. Doch nachdem sie sich mit dem Gedanken vertraut gemacht hatte, musste sie es auch unbedingt tun - und es fühlte sich herrlich an. "Willst du mich etwa benutzen?" "Adam! Ich dachte, du würdest schlafen", fuhr sie ihn an und wollte das Bein zurückziehen. Er schob jedoch den Arm unter ihr Knie und hielt sie fest. "Ich bin müde, sonst nichts." "Und ich wäre beinah aus dem Bett gefallen. Es ist zu schmal für uns beide." Plötzlich hielt sie den Atem an, denn er ließ die Finger über die Innenseite ihres Oberschenkels und dann höher gleiten. Anna stöhnte auf und erbebte unter seiner Berührung. Sie barg das Gesicht an Adams Nacken. "Hör auf damit, das ist dumm", stieß sie hervor und streifte dabei mit den Lippen seine Haut. Sie wollte sich gar nicht mehr von ihm lösen. "Nein, nicht dumm, sondern sensationell." "Ich habe dir ganz umsonst den Rücken massiert. Du verspannst dich schon wieder." "Ich könnte dir zeigen ..." Er beendete den Satz nicht. "Ja, das kann ich mir vorstellen", erwiderte sie. "Wag nicht, dich zu bewegen, Adam Deacon", forderte sie ihn entsetzt auf, als sie spürte, was er vorhatte. "Wenn du dich umdrehst ..." "Was dann?" fragte er heiser. "Weißt du nicht, dass Kinder immer im falschen Moment wach werden?" Ehrlicherweise gestand sie sich ein, dass sie sich nur wegen der Zwillinge zurückhielt. Ihre halbherzigen Proteste verfehlten sowieso ihre Wirkung und wurden von Adam nicht
ernst genommen. Hinter der spanischen Wand konnten sie sich nicht wirklich sicher fühlen. "Ahnst du überhaupt, was ich empfinde?" fragte er nach sekundenlangem Schweigen. Dann atmete er tief aus. Offenbar kostete es ihn sehr viel Mühe, sich zu beherrschen. "Ich gehe jetzt", verkündete sie rasch. Ich sollte mich auf dieses erniedrigende Spiel nicht einlassen, überlegte sie. Doch sie konnte nicht mehr zurück. Der ständige Kampf gegen ihre Gefühle hatte sie viel zu weich und empfänglich gemacht. "Du glaubst doch nicht, dass ich es zulasse, oder?" Seine Stimme klang leidenschaftlich und sinnlich. "Ich will mich umdrehen, damit du deine wunderschönen schlanken Beine um meinen Körper legen kannst. Es ist reine Verschwendung, dass du deine Brüste nur an meinen Rücken presst. Ich möchte sie mit den Händen umfassen, sie schmecken. Und ich will deinen ganzen herrlichen Körper erforschen. Du sollst mich bitten, dich zu berühren, und ich möchte spüren, wie bereit du bist, wenn ich in dich eindringe", sagte er sanft. "Das alles wünsche ich mir schon, seit du mich zum ersten Mal angelacht hast. Und ich habe mir jedes Detail in meiner Phantasie ausgemalt. Versuch jetzt bitte nicht davonzuschleichen, sonst suche ich einen Platz, wo wir allein sind", fügte er hinzu. Am liebsten hätte sie ihn gebeten, alles mit ihr zu machen, was er mit seiner so sinnlich klingenden Stimme versprach. Die Liebe war eben doch stärker als der Wunsch, die ganze Sache einigermaßen würdevoll zu überstehen. Seine Worte klangen in ihr nach und verstärkten den Zwiespalt, in dem sie sich befand. "Okay, Adam", sagte sie schließlich leise, "ich bleibe hier." "Wie schade!" Ja, finde ich auch, dachte sie traurig. "Willst du es etwa nicht mehr? Eben hast du noch etwas anderes behauptet." "Natürlich will ich es. Jetzt versuch nicht, aus der Sache herauszukommen, sonst garantiere ich für nichts." Er seufzte
wehmütig, als sie das Bein zurückzog. "Na ja, vielleicht ist es besser so." Anna rechnete damit, eine unruhige Nacht zu verbringen. Doch sie war so erschöpft, dass sie, eng an Adam geschmiegt, schon bald tief und fest schlief. Am nächsten Morgen hörte Anna wie aus weiter Ferne etwas rascheln, und jemand kicherte leise. Sie zog die Decke höher und kniff die Augen zusammen. "Warum liegt Anna bei dir im Bett, Onkel Adam?" ertönte plötzlich eine Kinderstimme. Das darf doch nicht wahr sein, rief Anna insgeheim aus. Das leichte Prickeln an ihrer Wange kam von den Härchen auf Adams Brust. Ich bin wirklich eingeschlafen, dachte sie und machte entsetzt die Augen auf. "Guten Morgen", begrüßte Adam sie und blickte sie mit den grünen Augen unschuldig an. Rasch schloss sie die Augen wieder und wünschte sich verzweifelt, sich unsichtbar machen zu können. Sie lag halb auf ihm, das eine Bein hatte sie über seine gelegt und ihm den einen Arm um den Nacken geschlungen. Mit ihren Brüsten presste sie sich an seinen Körper, und ihr Kopf ruhte unter Adams Kinn. Da sie nur ihr dünnes Seidenhemd anhatte und er noch weniger, spürte sie deutlich, wie sehr die Nähe ihn erregte. "Sie ist wach! Sie ist wach!" riefen die Zwillinge einstimmig aus. "Dürfen wir uns zu euch legen?" Anna seufzte, ehe sie sich umdrehte und auf dem Boden landete. Dabei hielt sie die Decke fest. "Wie konntest du nur!" Sie blickte Adam zornig an. Erst jetzt und viel zu spät wurde ihr klar, dass es keine gute Idee gewesen war, ihm die Decke wegzuziehen. Er hatte den herrlichsten Körper, den sie je gesehen hatte. Bei seinem Anblick würde so mancher griechische Gott vor Neid erblassen.
"Warum denn nicht?" antwortete er. "Kinder, verschwindet ins Badezimmer!" forderte er die Jungen auf, die die Szene interessiert beobachteten. Obwohl sie am liebsten weiter zugeschaut hätten, gehorchten sie ihrem Onkel. "Gib es zu, Anna, du wärst beleidigt, wenn ich nicht auf deine Nähe reagierte", neckte Adam sie. "Du bist ein Lüstling", erwiderte sie aufgebracht. Seine raue, sinnliche Stimme und das seltsame Leuchten in seinen Augen machten ihr Angst. "Ich bin ein Mann, der mit einer wunderschönen, warmen und sinnlichen Frau im Arm aufgewacht ist. Im Übrigen siehst du sogar heute Morgen richtig schön aus. Da ist doch meine Reaktion verständlich, oder?" "Dir wäre wohl jede Frau recht gewesen, oder?" wandte sie ein. "Erwartest du, dass ich dir schon wieder Komplimente mache?" Geschmeidig richtete er sich auf. "Wenn du noch mehr Bestätigungen brauchst, dass ich dich attraktiv finde, haben wir offenbar ein Verständigungsproblem. Ich dachte, ich hätte das gestern Abend schon klar und deutlich gesagt." "Es ist aber nicht unbedingt ein Kompliment, dass du die Situation ausgenutzt hast." "Im Gegenteil, ich habe mich unglaublich anständig verhalten." Er ließ den Blick über ihre schlanke Gestalt gleiten und lächelte etwas wehmütig. "Es hat mir gefallen, dich beim Aufwachen halb über mir zu finden, und ich habe genau hingesehen." In seinen Augen blitzte es belustigt auf, als Anna leise stöhnte. "Ich bin eben nur ein schwacher Mann. Gestern Abend war ich nicht fit genug." "Na, ich habe es anders in Erinnerung", erwiderte sie spöttisch. "Aber egal, du hast dich offenbar bestens erholt." "Das hast du gemerkt?"
"Nur was davon überhaupt zu merken war", versuchte sie, ihm einen Dämpfer aufzusetzen. Als er sie dann seltsam anlächelte, errötete sie, wie ihr ärgerlich bewusst wurde. "Diesen Vorwurf kann ich nicht auf mir sitzen lassen, meine Liebe." "Adam!" rief sie warnend aus. "Komm zu mir, und wärm ... deine Füße, Liebling", forderte er sie auf. Ihr war klar, dass er sie nur necken wollte, dennoch verspürte sie ein Kribbeln im Bauch. "Das ist nicht lustig", fuhr sie ihn an. "Was sollen die Zwillinge denken?" "Sie sind glücklicherweise noch völlig unschuldig." "Du hörst dich mal wieder schrecklich überheblich an. Sie werden es wahrscheinlich erzählen, wenn auch in aller Unschuld. Andere denken sich dann mehr dabei." "Meinst du, deine Eltern erwarten jetzt, dass wir heiraten?" fragte er interessiert. "Sei doch mal ernst, Adam. Wäre ich bloß nicht eingeschlafen", beklagte sie sich auf einmal, während sie sich mit gekreuzten Beinen hinsetzte und sich die Decke um die Schultern legte. "Das ist alles so ... demütigend." "Ich glaube, du machst aus einer Kleinigkeit eine Tragödie", sagte er. "Es ist doch nichts passiert. Es sei denn, du hättest mich im Schlaf benutzt." "Red keinen Unsinn." Sie warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. "Angeblich bin ich doch derjenige, der keinerlei Sinn für Humor hat. Findest du nicht, dass deine Reaktion etwas überzogen ist? Warum bist du überhaupt zu mir ins Bett gekommen?" "Weil du mich dazu aufgefordert hast", erinnerte sie ihn verbittert. Er fuhr sich über die Stirn. "So einfach ist das? Ich fordere dich auf, und du tust es?" fragte er völlig verblüfft. "Und ich
dachte, man müsste Frauen zu einem romantischen Dinner einladen, ihnen Blumen kaufen und so." "Ach halt den Mund. Mich hast du weder zu einem romantischen Dinner eingeladen noch mir Blumen geschenkt." "Heißt das...?" Ohne dieses rätselhafte Leuchten in seinen Augen würde ich mich viel sicherer fühlen, schoss es ihr durch den Kopf. "Ich habe mich zu dir ins Bett gelegt, um die Zwillinge nicht aufzuwecken und weil du mir Leid getan hast. Du warst schrecklich müde", erklärte sie wenig überzeugend. "Ah ja, mit anderen Worten, du hast es aus reiner Nächstenliebe getan." "Wenn Jessica davon erfährt, findest du es bestimmt nicht mehr so komisch." Nachdenklich sah er sie an, dann ließ er sich zurück aufs Bett sinken. "Glaubst du, sie würde es erfahren?" Er faltete die Hände hinter dem Kopf und blickte zur Decke. Offenbar beunruhigte ihn das überhaupt nicht. Im Gegenteil, der Gedanke schien ihm sogar zu gefallen. Anna verstand sein widersprüchliches Verhalten beim besten Willen nicht mehr. "Was ist eigentlich mit euch beiden los? Ist euer Sexleben so langweilig, dass du Abwechslung brauchst?" "Möchtest du diese Abwechslung sein?" Plötzlich hatte sie eine Idee. Mit einem hinterhältigen Lächeln stellte sie den Fuß auf das untere Ende des Gästebetts, um dann ihr ganzes Gewicht darauf zu verlagern. Es hatte den gewünschten Effekt. Adam rutschte völlig überrascht und ziemlich unelegant auf den Boden. Ehe er reagieren und sich rächen konnte, war sie schon aus dem Zimmer geeilt.
8. KAPITEL Als sie alle zusammen am Frühstückstisch saßen, erschien überraschend Simon. "Es tut mir Leid, dass ich störe. Aber ich muss dringend mit Anna reden." Er wirkte ziemlich verstört. "Setz dich und bedien dich", forderte Annas Vater ihn auf. "Sie hat noch nichts gegessen", fügte er vorwurfsvoll hinzu. Anna hatte gehofft, es würde niemandem auffallen, dass sie keinen Appetit hatte. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt, denn sie befürchtete, die Zwillinge würden jeden Moment in aller Unschuld erzählen, was sie gesehen hatten. "Es ist sehr dringend, und ich möchte mit Anna allein sprechen." "Ich bin sowieso fertig", erklärte Anna rasch und viel zu heftig. "Wir können im Garten spazieren gehen", schlug sie vor und schob den Stuhl zurück. "Gut." Simon sah sie dankbar an. "Entschuldigt mich bitte." Unwillkürlich glitt ihr Blick zu Adam. Er saß zwischen den Zwillingen, denen man Kissen untergeschoben hatte, damit sie an den Tisch heranreichten. Das schwarze T-Shirt stand ihm gut. Es betonte sein blondes Haar und seine gebräunte Haut. Und die Jeans schmiegten sich so eng an seine schmalen Hüften und muskulösen Oberschenkel, dass
es Annas Phantasie anregte. Sie errötete, und ihr wurde der Mund ganz trocken. Offenbar spürte Adam ihren Blick, denn er hob leicht den Kopf und blickte sie an. Dabei blitzte es in seinen Augen so kalt und feindselig auf, dass sie insgeheim zurückwich. Wie konnte er es wagen, sie zu verurteilen? Sie versuchte, nicht mehr an ihn zu denken, während sie Simon durch den Kräutergarten ihrer Mutter führte. Anna spürte, wie angespannt er war. "Was ist los?" ermutigte sie ihn schließlich. "Ich habe darüber nachgedacht, was du über meine Ehe gesagt hast. Du hast Recht", erklärte er hastig. "Kann ich dir irgendwie helfen?" "Ich hatte gehofft, du würdest es anbieten." Simon nahm ihre Hand. "Das hört sich rätselhaft an", sagte sie leise. "Die Sache ist so, Anna, am Wochenende hat Emily Geburtstag. Ich wollte sie eigentlich überraschen, auch Rachel." "Das klingt gut." Worauf wollte er hinaus? "Meine Mutter ist nach Schottland in Urlaub gefahren. Sie hat jemanden, der sich um den Laden und die Poststelle kümmert. Und ich wohne in der Zeit im Haus, damit jemand da ist, einfach zur Sicherheit." "Dann soll ich an deiner Stelle das Haus hüten?" fragte sie erleichtert. "Ist das alles?" "Würdest du es tun?" Unvermittelt hob er sie hoch und wirbelte sie vor lauter Dankbarkeit im Kreis. "Du bist ein Engel." "Simon", rief sie belustigt aus, "sei vorsichtig! In der letzten Zeit habe ich genug Unfälle gehabt." Er stellte Anna wieder auf die Fuße. "Entschuldige. Meinst du, es sei richtig, was ich da tun will?" "Da bin ich ganz sicher", erwiderte sie.
"Und da ist noch etwas", begann er unbehaglich. "Du darfst nicht denken, ich hätte dich nur benutzen wollen. Ich fand dich schon immer ungemein attraktiv ..." "Ach, den kleinen Zwischenfall habe ich längst vergessen." Wenig später verabschiedete er sich. Anna sah nachdenklich hinter ihm her und wünschte, ihre eigenen Probleme würden sich auch so leicht lösen lassen. "Wollte Simon nicht mit reinkommen?" fragte Beth Lacey, als Anna wieder im Haus war. "Nein, heute nicht. Er hat viel zu tun." "Jake ist in den Ort gefahren, um die Sonntagszeitung zu holen. Er ist ein wunderbarer Junge", fuhr ihre Mutter fort. "Was? Ah ja", stimmte Anna zerstreut zu. "Er ist genau wie sein Onkel." Anna wurde aufmerksam. Die viel zu unschuldige Miene ihrer Mutter hatte etwas zu bedeuten. "Die Ähnlichkeit ist rein äußerlich. Aber Jake ist wirklich ein wunderbarer junger Mann." "Hoffentlich irritiert ihn deine grenzenlose Bewunderung nicht", ertönte Adams spöttische Stimme hinter ihr. Sie wirbelte herum und blickte ihren Peiniger an. "Ausgerechnet du musst so etwas sagen", fuhr sie ihn streitsüchtig an. "Ich helfe Kate und den Jungen beim Packen", verkündete Beth Lacey, als merkte sie nichts von der feindlichen Atmosphäre zwischen Anna und Adam. "Ist dein Geliebter weg?" "Wenn du Simon meinst, ja, er ist weg." Fasziniert beobachtete Anna, wie heftig sein Puls an den Schläfen pochte. Warum war er so wütend? "Er passt nicht zu dir." "Wieso glaubst du, dass mich deine diesbezügliche Meinung interessiert?" In ihren großen Augen blitzte es zornig auf. "Im Übrigen geht es dich nichts an." "Doch."
Ihr wurde klar, dass er eifersüchtig war. Das war der Gipfel der Scheinheiligkeit. Sie konnte es nicht fassen. "Was ist eigentlich los, Adam? Du willst mich doch gar nicht. Aber ein anderer soll mich auch nicht haben, stimmt's?" "Natürlich will ich dich", antwortete er frustriert und gereizt. "Sozusagen als Appetithappen", warf sie ihm verbittert vor, "um dann Jessica zu heiraten." "Jessica hat damit überhaupt nichts zu tun." "Da bin ich anderer Meinung." Er legte ihr die Hände auf die Schultern. Sie fühlten sich so schwer und bedrückend an wie die Liebe, die Anna mit sich herumschleppte und die so schmerzlich war. "Was genau kann Simon dir schon bieten? Er ist verheiratet." "Momentan noch", erwiderte sie leicht spöttisch. "Und was würde er sagen, wenn er wüsste, dass du in meinem Bett und in meinen Armen aufgewacht bist?" fragte er, ehe er ihr Gesicht umfasste. "Wahrscheinlich würde er darüber lachen." Ihr eigenes Lachen klang seltsam angespannt. "Letztlich war es ja nicht mehr als ein Scherz, oder?" Er wurde ganz blass unter der gebräunten Haut, und in seinen Augen spiegelten sich die heftigsten Emotionen. Sie erkannte ihn kaum wieder und wich zurück. Vielleicht war sie etwas zu weit gegangen, aber sie hatte sich dafür rächen wollen, dass er sie so schrecklich unglücklich machte. Natürlich fühlte er sich jetzt in seinem Stolz verletzt. "Ist das etwa auch ein Scherz, Anna?" Ganz bestimmt nicht, dachte sie wie betäubt, als er sich wenige Sekunden später von ihren Lippen löste. "Und das hier?" fuhr er heiser fort und küsste sie wieder so zärtlich, dass sie die herrlichsten Gefühle erfassten. Schließlich hob er den Kopf, und Anna blieb reglos stehen. Wie hypnotisiert betrachtete sie seine Augen, in denen es triumphierend aufblitzte.
Ärgerlich blinzelte sie die Tränen weg. Er war gemein! Sie zog die Hände zurück, die sie auf seinem Rücken verschränkt hatte, und ließ die Arme sinken. "Damit hast du nur bewiesen, was mir auch so schon klar war: Ich bin dir völlig egal. Du wolltest mich verletzen. Bist du jetzt... zufrieden?" Sie eilte aus dem Zimmer und ließ ihn verblüfft zurück. Anna warf Adams Einladung zum Dinner in den Papierkorb. Er wollte sich bei ihr und ihren Eltern für die gute Betreuung der Zwillinge bedanken. Sie betrachtete die beiden Bilder, die die Kinder gemalt und der Karte beigelegt hatten, und wischte sich ärgerlich die Tränen weg. Da ihre Eltern nicht da waren, brauchte sie wenigstens keine Ausrede zu erfinden. Sie holte den Brief wieder aus dem Papierkorb hervor, um sich die Telefonnummer aufzuschreiben. Am besten würde sie auf dem Anrufbeantworter eine Nachricht hinterlassen. Mit Adam persönlich wollte sie nicht sprechen. Was dachte er sich dabei? Es musste ihm doch klar sein, dass sie absagen würde. Sie zog die Jacke über und eilte zum Auto, um zur Arbeit zu fahren. Zerstreut winkte sie Joe zu, der während der Abwesenheit ihrer Eltern die Arbeiten auf der Farm erledigte. Nachdem die Kühe am Abend gemolken waren und Anna sich gerade ein warmes Bad einlassen wollte, läutete es an der Haustür. Wer könnte das denn sein? überlegte sie überrascht. "Guten Abend." Anna blickte die Besucherin verblüfft an. Jessica hätte sie am allerwenigsten erwartet. "Darf ich reinkommen?" "Natürlich, bitte." Anna war ziemlich irritiert, während Jessica kühl und beherrscht wirkte. "Kommen Sie mit ins Wohnzimmer." Die große junge Frau folgte Anna in den gemütlichen Raum, in dem sie sich nachsichtig lächelnd
umblickte. Rasch nahm Anna einen Stoß Zeitschriften vom Sessel und forderte Jessica auf, sich zu setzen. "Sind Ihre Eltern zu Hause?" , "Nein, sie sind bis Sonntagabend weg." "Ich bin froh, dass Sie allein sind. Darf ich offen mit Ihnen reden?" "Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass alle so anfangen, die einem etwas Unangenehmes mitteilen wollen?" fragte Anna und setzte sich auf die Sofalehne. Plötzlich bemerkte sie, wie entsetzt Jessica ihren Overall musterte. "Ich habe die Kühe versorgt", erklärte Anna. "Ich habe schon überlegt, wonach es hier so seltsam riecht. Darf ich zur Sache kommen?" "Sicher, das wünsche ich mir schon die ganze Zeit." Anna mochte diese Frau nicht, aber nicht nur, weil sie eifersüchtig war. "Es geht um die Einladung zum Dinner." "Welche? Ich habe mehrere erhalten." Jessica verzog die rot geschminkten Lippen. "Die von Adam", erwiderte sie beinah widerstrebend. "Ah ja, die. Ich ..." Hatte er die Frau etwa geschickt? "Sie werden sie natürlich nicht annehmen, oder?" Obwohl Anna vorgehabt hatte abzusagen, überlegte sie es sich jetzt anders. "Meinen Sie?" fragte sie ruhig. "Es wäre sicher am besten, wenn Sie ablehnten." "Am besten für wen?" "Für alle Beteiligten. Ich weiß, Adam ist Ihren Eltern dankbar, dass sie ausgeholfen haben. Und er konnte Sie natürlich bei der Einladung nicht einfach übergehen. Aber er hat erwähnt, wie unangenehm es für ihn wäre, wenn Sie mitkommen würden." "Was genau hat er Ihnen denn erzählt?" Annas Stimme klang gefährlich ruhig. "Na ja, um ehrlich zu sein ..."
"Das haben Sie eben schon angekündigt", unterbrach Anna sie. "Sprechen Sie es endlich aus." "Adam findet es ziemlich geschmacklos, dass Sie sich ihm an den Hals werfen." "Hat er das gesagt?" "Zumindest angedeutet." Jessica lächelte mitleidig. "Er ist ein sehr attraktiver Mann, viele Frauen interessieren sich für ihn. Ich weiß, dass Sie für ihn eine ganz neue Erfahrung sind. Das hat einen gewissen Reiz, darüber haben wir freimütig geredet. Aber ich dachte, ein offenes Wort von Frau zu Frau könnte Ihnen Demütigungen ersparen." "Wie rührend! Hat Adam klar und deutlich gesagt, er würde mich nicht mehr attraktiv finden?" "Oh, ich möchte nicht übertreiben, doch ich kenne Adam gut genug, um seine Andeutungen zu verstehen." Jessicas Lachen ging Anna auf die Nerven. "Sie übertreiben ganz bestimmt", fuhr Anna sie an. Sie stand auf und stützte die Hände in die Hüften, während es in ihren Augen zornig aufblitzte. "Hat Adam Sie gebeten, zu mir zu kommen? Oder war das Ihre Idee? Sind Sie ganz sicher, dass Sie vor mir keine Angst haben?" fragte sie provozierend. "Wenn Sie so aussehen würden wie Ihre Schwester Hope, wäre ich sicher beunruhigt", antwortete Jessica und musterte Anna verächtlich. "Doch Männer nehmen Frauen wie Sie sowieso nicht ernst." "Meine Schwester Hope hätte Sie an meiner Stelle schon längst auf den Teppich befördert. Sie hat ein aufbrausendes Temperament", erklärte Anna grimmig. "Hören Sie gut zu, Miss Talbot. Ich lasse mir von niemandem sagen, was ich tun soll, am allerwenigsten von Ihnen. Man könnte ja beinah glauben, Sie fürchteten die Konkurrenz." Jessica war irritiert. "Ich wollte Ihnen nur raten, sich nicht noch lächerlicher zu machen. Adam kann eine Frau wie Sie
nicht gebrauchen. Dafür ist er sich seiner Stellung und seiner Verantwortung viel zu sehr bewusst." Was ist diese Frau doch für eine Snobistin, dachte Anna ungläubig. "Wenn Sie wirklich davon überzeugt sind, warum sind Sie dann hier?" "Adam ist ein viel zu feiner Mensch, um Sie zu bitten, die Einladung nicht anzunehmen. Daddy hat immer gesagt, er sei von Natur aus ein Gentleman", erklärte Jessica leicht spöttisch. "Vielleicht spielt er nur Ihnen gegenüber den Gentleman, Jessica, ich kenne ihn als ganz normalen Mann." Kämpfe ich etwa um Adam? fragte Anna sich insgeheim. "Weshalb wollen Sie ihn überhaupt heiraten? Man spürt doch deutlich, dass Sie die Kinder nicht ertragen können." "Ich habe nichts gegen Kinder, wenn sie von einem Kindermädchen betreut werden oder in der Schule sind. Adam wird sie auch nicht ständig um sich haben wollen. Er und ich sind ein ideales Paar. Daddy hat sich immer gewünscht, dass wir heiraten." "Und Sie werden natürlich dafür sorgen, dass Adam das einsieht", stellte Anna angewidert fest. "Wenn Ihr Daddy es sich wirklich so sehr gewünscht hat, warum hat er Sie Adam nie vorgestellt? Wahrscheinlich hat Ihr Stiefvater Adam vor Ihnen schützen wollen." "Mein Stiefvater war ein Dummkopf. Aber das muss unter uns bleiben. Ich habe jedenfalls jetzt schon einen gewissen Einfluss auf Adam." Jessica lächelte triumphierend. "Und als seine Frau noch mehr. Wir haben dieselben Vorstellungen vom Leben, und ich werde mich ihm ganz widmen." "Ich glaube nicht, dass Adam das verdient hat, trotz seiner Fehler", entgegnete Anna langsam und betrachtete die so beherrscht wirkende Frau vor sich mit finsterer Miene. "Du liebe Zeit, Sie werden ja immer pathetischer." Jessica verzog verächtlich das Gesicht. "Bei dem ganzen Theater um die
Kinder und deren Wohlergehen wird mir ganz übel und auch, wenn ich mir Ihr Video ansehe." "Welches Video?" fragte Anna. Sie war verblüfft über die Wendung, die das Gespräch plötzlich nahm. "Spielen Sie ruhig den Unschuldsengel. Ich weiß nicht, was Sie damit erreichen wollen. Sie können ja nicht mehr tanzen, oder?" "Adam hat ein Video von mir als Balletttänzerin?" Anna war entsetzt. "Wenn Sie es so nennen wollen", antwortete Jessica geringschätzig. "Jedenfalls bleibt kaum etwas der Phantasie überlassen." Annas Gedanken wirbelten durcheinander. Jessicas Anspielungen konnten nur bedeuten, dass Adam das einzige Video hatte, das von ihr existierte. In einem modernen Ballett, das Jason Delaney, ein neuer und talentierter junger Choreograf, extra für sie entworfen hatte, hatte sie den Solopart getanzt. Vor ihrem Unfall hatte es nur eine einzige, nicht öffentliche Aufführung vor den Mitgliedern des Theaters gegeben, die Jason auf Video aufgenommen hatte. Später hatte er ihren Eltern das Video geschenkt. Aber wieso hatte Adam es? "Es war eine Liebesgeschichte", erklärte sie leise und erinnerte sich an die simple Geschichte mit tragischem Ende. Emotional und ihrem tänzerischen Können hatte der Part Anna sehr viel abverlangt. Es war jedoch auf keinen Fall pornografisch, wie Jessica angedeutet hatte. "Sie sollten jetzt gehen", forderte sie Jessica schließlich ruhig auf. "Werden Sie die Einladung annehmen?" "O ja, ganz bestimmt", erwiderte Anna fest. Jessicas Besuch hatte Anna wachgerüttelt. "Eigentlich wollte ich es nicht, aber Sie haben mir ganz neue Aspekte aufgezeigt. Sie haben mich daran erinnert, dass mir die Rolle einer romantischen Heldin nicht liegt. Meine Stärke ist leidenschaftliches Kämpfen."
Als sie Jessicas bestürzten Blick bemerkte, lachte sie. "Was ich damit sagen will, Jessica: Sie müssen mit mir als Konkurrentin rechnen. Ich liebe Adam, Sie lieben ihn nicht. Auch wenn er vielleicht meine Gefühle nicht erwidert, eine Frau wie Sie kann er in seinem Leben nicht gebrauchen." "Das werden Sie bereuen", drohte Jessica nervös. "Haben Sie denn keinen Stolz?" fragte sie, als Anna sie zur Tür begleitete. "Sie sind in der Hoffnung zu mir gekommen, mich verunsichern zu können. Aber ich habe ein gesundes Selbstbewusstsein, wie Sie sehen. Ich liebe Adam, und Sie lieben nur seine Stellung in der Gesellschaft, sein Ansehen und seinen Beruf." "Dann wissen Sie Bescheid über seine Familie?" Jessica lächelte verbittert. "Das hätte ich mir denken können. Jedenfalls werde ich um ihn kämpfen", versprach sie. Als Jessica weg war, lehnte Anna sich von innen an die Eichentür. Was auch immer jetzt passiert, ich habe keinen Zweifel daran gelassen, was ich vorhabe, überlegte sie. Jessica konnte nicht wissen, ob Anna alles ernst gemeint oder nur geblufft hatte. Sie wusste es selbst nicht so genau. Es fühlte sich jedenfalls ungemein gut an, nicht mehr die Opferrolle zu spielen, die sowieso nicht zu ihr gepasst hatte. Aber was hatte Jessicas Bemerkung über Adams Familie zu bedeuten? Anna runzelte die Stirn. Sie vergaß es jedoch schon bald wieder, denn sie musste über wichtigere Dinge nachdenken. Am nächsten Abend entschied Anna sich für ein einfach, aber raffiniert geschnittenes helles Seidenkleid, das ihre schlanke Gestalt und die Rundungen betonte. Als sie sich die Goldkette um den Hals legte, merkte sie, dass ihre Finger zitterten. "Tief einatmen", sagte sie sich streng. Dann betrachtete sie sich im Spiegel und lachte laut auf. "Jetzt rede ich schon mit mir selbst!" Sie trat einige Schritte zurück, um die Wirkung ihres Outfits zu prüfen. Perfekt, dachte sie und nickte zufrieden. Der
Ausschnitt ihres Kleides betonte die schön geschwungenen Linien ihrer Schultern und ihres schlanken Halses und deutete den Ansatz ihrer Brüste an, die sich unter dem weichen Material abzeichneten. Während sie in die eleganten cremefarbenen Schuhe schlüpfte, strich sie sich den Rock glatt. Sie wünschte sich, Adam wäre beeindruckt. Als es läutete, bekam sie Herzklopfen und eilte die Treppe hinunter. Ich schaffe es, sagte sie sich insgeheim immer wieder, ehe sie die Tür öffnete. "Hallo, Adam." "Dann war die Nachricht auf meinem Anrufbeantworter doch kein Scherz!" Er schien von ihrem Anblick nicht gerade überwältigt zu sein. Anna bemühte sich, sich dadurch nicht aus dem Konzept bringen zu lassen. "Natürlich nicht." Sie lächelte ihn strahlend an. Doch auch das beeindruckte ihn nicht. Seine Miene wirkte immer noch skeptisch. Wieder einmal fiel Anna auf, wie ungemein attraktiv er war. "Es tut mir Leid, Mam und Dad können nicht kommen." "Tut es dir wirklich Leid?" "Na ja, bis jetzt eigentlich noch nicht", gestand sie ein und ärgerte sich über seine mangelnde Bereitschaft mitzuspielen. In seinen Augen blitzte es leicht belustigt auf. "Ich war mir ziemlich sicher, du würdest absagen. Vielleicht erinnerst du dich, wir sind nicht gerade als Freunde auseinander gegangen. Und jetzt empfängst du mich so ... herzlich. Du bist immer für Überraschungen gut, Anna Lacey." "Es gibt Menschen, denen ist nichts recht", erwiderte sie gereizt. "Hast du noch nie so eine Auf-der-Straße-nachDamaskus-Erfahrung gemacht?" "Hört sich interessant an. Du kannst mir später einmal erklären, was es bedeutet." Er sah auf die Uhr. "Ich habe für acht einen Tisch reserviert." Plötzlich beugte er sich vor und stützte sich mit der Hand über Annas Kopf ab. Mit der anderen Hand
berührte er ihr seidenweiches dunkles Haar. "Es glänzt so schön. Wie machst du das?" Wenigstens etwas, was ihn fasziniert, schoss es ihr durch den Kopf. "Komm mit", forderte er sie dann unvermittelt auf, ehe er sie am Ellbogen packte und nach draußen zu seinem Wagen führte. Anna fand seinen knappen Kommentar ziemlich irritierend. Sie ließ sich auf den Ledersitz sinken, und erst als Adam den Motor startete, fing sie an, sich zu beruhigen. "Habe ich die Tür abgeschlossen?" fragte sie nervös. "Ja, hast du", bestätigte er. "Habe ich schon erwähnt, dass du ungemein schön aussiehst heute Abend?" "Nein, noch nicht." "Verzeihst du mir, wenn ich es jetzt nachhole?" "Das muss ich mir erst überlegen. Wenn eine Frau sich so viel Mühe gibt, erwartet sie auch etwas Anerkennung. Ich habe stundenlang gebraucht - na ja, jedenfalls sehr lange -, um so auszusehen. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie Hope es schafft, immer perfekt und glamourös zu wirken. Aber sie ist ja auch von Natur aus schöner." "Vielleicht." Er warf ihr einen kurzen Blick zu, ehe er sich wieder aufs Fahren konzentrierte. "Ich verspüre jedoch nicht die geringste Lust, ihr die Kleidung herunterzureißen oder in ihrem Haar herumzuwühlen", sagte er rau. "Dann bist du die absolute Ausnahme", erwiderte sie heiser und viel weniger streng, als sie beabsichtigt hatte. Es war eine herrliche Vorstellung, dass Adam sich erotischen Phantasien mit ihr hingab. Hatte ich mir nicht vorgenommen, den ganzen Abend über den Dingen zu stehen? fragte sie sich plötzlich. Das war eine Illusion gewesen, denn wenn sie mit Adam zusammen war, bestimmte er die Spielregeln. Das Restaurant in einem exklusiven Hotel hatte eine behagliche und angenehme Atmosphäre. Obwohl es nicht unbedingt zu der Jahreszeit passte, brannte im Kamin ein Feuer, und die Terrassentüren standen weit offen und ließen die
betörenden Düfte der Sommernacht und das leise Stimmengewirr der Gäste, die im Freien saßen, herein. "Hier war ich noch nie", stellte Anna fest, nachdem der Kellner die Bestellung aufgenommen hatte. "Es gefällt nur gut." Adam sah ihr in die Augen. "Das freut mich." Dann nahm er ihre Hand und führte sie an die Lippen. Der Kuss, den er darauf hauchte, war so sanft und sinnlich, dass Anna eine Gänsehaut bekam. Beim Klang seiner rauen Stimme und bei dem geheimnisvollen Leuchten in seinen grünen Augen klopfte ihr das Herz zum Zerspringen. Ein wunderbar sehnsüchtiges Gefühl erfasste sie. "Ich glaube, ich kann nichts essen." "Warum nicht?" Er schien sie mit zärtlichen Blicken zu umarmen. "Ich habe einen Kloß im Hals, genau hier." Sie legte die Finger auf die Stelle an ihrer Kehle, wo die goldene Kette im Licht schimmerte. Adam ließ ihre Hand los und berührte fasziniert ihren Hals. "Am liebsten würde ich dich dort jetzt küssen. Und da ... und da ..." Langsam ließ er die Finger hinuntergleiten bis zu der Vertiefung zwischen ihren Brüsten. "Adam", sagte sie beinah flehentlich. "Es gefällt mir, wie du meinen Namen aussprichst." Plötzlich klang seine Stimme leidenschaftlich und sinnlich. Und als er Anna wieder in die Augen sah, spürte sie, wie angespannt er war. "Sir, Madam ..." Der Kellner wollte das Essen servieren. Und sogleich zog Adam sich zurück. Anna bekam kaum etwas herunter, wie sie schon befürchtet hatte. "Was machen die Zwillinge?" fragte sie in dem Versuch, Normalität herzustellen. "Sie sind hyperaktiv. Und um dir die nächste Frage zu ersparen: Kate und Jake geht es auch gut. Doch das Thema
interessiert mich momentan überhaupt nicht. Oder hast du die Einladung nur angenommen, weil du die Kinder magst?" "Nein." "Aber warum bist du hier, Anna? Weshalb hast du Ja gesagt? Bist du etwa nur mitgegangen, um mich verrückt zu machen?" "Nein. Ich konnte es kaum noch ertragen, dich nicht zu sehen." Sie redete viel zu schnell. "Es wäre sinnlos, es ... abzustreiten. Du liebe Zeit, ich sage genau das Verkehrte", fügte sie kläglich hinzu. "Beruhige dich", forderte er sie auf. Sie blickte ihn an. "Eigentlich wollte ich nur sagen, ich bin zu einem Kompromiss bereit. Du hast einmal erklärt, leidenschaftliches Verlangen könne man loswerden, indem man es auslebt." "Und wenn ich mich getäuscht habe?" "Nein, das glaube ich nicht", erwiderte sie leicht spöttisch. "Adam Deacon täuscht sich nicht." "Aber wenn es nun die entgegengesetzte Wirkung hat?" fügte er hinzu, ohne auf ihre Bemerkung einzugehen. Das hoffe ich sogar, dachte Anna und lächelte. Er musste einsehen, dass diese schreckliche Jessica nicht die richtige Frau für ihn war. Anna wollte Adam beweisen, dass sie ihn liebte. Aber sie durfte ihm keine leidenschaftliche Liebeserklärung machen, sonst würde er wahrscheinlich die Flucht ergreifen. Sie musste subtiler vorgehen. "Willst du damit sagen, dass du deine Meinung geändert hast? Möchtest du keine Affäre mehr mit mir?" Plötzlich stieg Panik in ihr auf. Sie riskierte viel zu viel im Vertrauen darauf, er würde sie unwiderstehlich finden. Immerhin hatte er noch nie angedeutet, dass er außer sexuellem Verlangen noch etwas für sie empfand. Wenn ich etwas erreichen will, sollte ich nur Schritt für Schritt vorgehen, sagte sie sich entschlossen.
"Das fragst du mich?" Er sah sie fassungslos an. "Wenn du Mauern einreißt, Anna, tust du es gründlich." "Geht es dir etwa zu schnell?" fragte sie betont unschuldig. Er warf ihr einen zornigen Blick zu. Dann stand er unvermittelt auf und packte sie unsanft am Arm. "Was hast du vor?" Sie war alarmiert. "Ich nehme dich mit nach oben. Oh, habe ich etwa vergessen zu erwähnen, dass ich hier ein Zimmer gemietet habe?" Er zog Anna mit sich an dem Kellner vorbei. "Ja!" "Geht dir das alles etwa zu schnell?" fragte er betont sanft und ironisch. "Der Lift ...", protestierte sie schwach, weil er daran vorbeieilte. "Wenn wir allein im Lift wären, würde ich dich dort lieben. Obwohl das ganz aufregend sein könnte, kann ich mir etwas Bequemeres vorstellen." Sie schluckte und lächelte krampfhaft. Das ist doch genau das, was ich wollte, oder etwa nicht? überlegte sie und folgte ihm die Treppe hinauf.
9. KAPITEL "Na, ist das nicht hübsch?" sagte Anna betont unbekümmert und sah sich in dem großen Raum um. "Ja, wunderbar", stimmte Adam zu, während er das Jackett auszog und aufs Bett warf. Dann löste er die Krawatte und knipste die Nachttischlampe an, ehe er die Deckenbeleuchtung ausschaltete. "Komm her, Anna." Seine Stimme klang so sanft und liebevoll, dass es Anna heiß überlief. Sie schlüpfte aus den hochhackigen Schuhen. "Wir haben das Dinner stehen lassen." Sie betrachtete seine reglose Gestalt, ängstlich, aber auch sehnsuchtsvoll. "Was werden die Leute jetzt denken?" "Dass ich dich mit aufs Zimmer gezerrt habe, weil ich keine Sekunde länger warten konnte, dich leidenschaftlich zu lieben. Um dir die Frage zu ersparen: Ich möchte nicht fernsehen." "Das wollte ich doch gar nicht vorschlagen!" rief sie empört aus. "Unten warst du noch nicht so nervös." Du liebe Zeit, offenbar habe ich ihn dazu gebracht, seine Erwartungen viel zu hoch zu spannen, dachte sie und wurde mutlos. Wahrscheinlich hielt er sie für eine geschickte Verführerin. "Ich habe schon lange nicht ... ich glaube, ich sollte es dir sagen ... ach verdammt!" rief sie aus und rang verzweifelt die Hände.
"Willst du mir etwa klarmachen, dass du noch Jungfrau bist?" Es sollte ein Scherz sein. Sie dachte nach. "Nein, technisch gesehen nicht", erwiderte sie schließlich. "Wie geht das denn?" fragte er seltsam verhalten. Nie hätte er damit gerechnet, dass eine Frau mit so viel natürlicher Sinnlichkeit keine sexuelle Erfahrung haben könnte. Er war verblüfft, zugleich empfand er jedoch tiefe Freude. "Ich glaube, du wirst schockiert sein." Sie seufzte. Nur ungern erinnerte sie sich an die unangenehme Episode, auf die sie nicht stolz war. Eins hatte sie jedenfalls daraus gelernt: Sex ohne tiefere Gefühle war keine gute Erfahrung. Jetzt war sie älter und hoffentlich auch klüger. Und sie hatte sich verliebt. Die Zeit war reif, dass sie lernte, das eine mit dem anderen zu verbinden. "Du wirst feststellen, dass man mich nicht so leicht schockieren kann", antwortete er und betrachtete ihre nachdenkliche Miene. "Als ich noch Tänzerin war, hatte ich einen Freund. Er war ... ist auch Tänzer, jetzt sogar ein sehr berühmter. Wir haben beinah gleichzeitig beim Theater angefangen und waren oft zusammen. Eines Abends waren wir auf einer Party und sind später im Bett gelandet. Er hatte zu viel getrunken, und ich hatte ihn sehr gern." Sie schloss die Augen. Es sollte sich nicht so anhören, als bereute sie, was damals geschehen war, obwohl es falsch gewesen war. Sie hätte es verhindern können, wenn sie es wirklich gewollt hätte, wie sie sich ehrlicherweise eingestand. "Wenn du es unbedingt wissen willst, ich war wahrscheinlich neugierig", fuhr sie hastig fort. "Alle redeten über Sex, und ich wollte endlich mitreden können. Deshalb bin ich keine Jungfrau mehr, jedenfalls glaube ich es nicht." "Du kannst es nicht genau sagen?" Er beobachtete sie fasziniert.
"Na ja, es lief dann alles schief. Es war mein Fehler. Ich habe alles verdorben." "Wie hast du das denn geschafft?" "Ich musste lachen, nicht nur kichern oder so, sondern richtig hysterisch lachen", gab sie mit finsterer Miene zu. "Ausgerechnet im entscheidenden Moment. Aber ich konnte es nicht ändern. Alles kam mir so schrecklich lächerlich vor. Danach hat er kein Wort mehr mit mir gesprochen. Ich wollte dich nur warnen, damit du Bescheid weißt." Eine Zeit lang herrschte Schweigen. "Warum hast du die Augen geschlossen?" "Weil es mir peinlich ist", fuhr sie ihn an. "Bist du immer so offen und ehrlich, Anna?" In seiner Stimme schwang ein liebevolles Lachen. Anna ließ ihn gewähren, als er ihr die Hand, mit der sie die Augen bedeckt hatte, wegzog. "Nein, nicht immer", gestand sie ein, während Adam seine Zunge zärtlich über ihre Lider gleiten ließ. »Wahrscheinlich bist du jetzt enttäuscht." Sie versuchte, sich gegen seinen Ärger zu wappnen. "Aber jeder muss irgendwann anfangen zu lernen", fügte sie hinzu, wie um sich zu verteidigen. "Da hast du Recht. Es erstaunt mich jedoch, dass du so eine lächerliche Erfahrung, wie du es genannt hast, noch einmal machen willst." Er umfasste ihr Gesicht und zwang sie, den Kopf zu heben. "Danach war ich weder verzweifelt noch verletzt oder dergleichen, sondern habe mich lieber aufs Tanzen konzentriert. Gern würde ich behaupten, ich hätte daraus etwas gelernt. Aber ich glaube, das wäre Wunschdenken. Es ist eben nicht genug, dass man jemanden mag." Sie fühlte sich plötzlich ganz schwach, als Adam ihr mit dem Zeigefinger das Gesicht und mit der anderen Hand den Rücken streichelte. "Hast du mich nicht gern?" fragte er betont gleichgültig.
Anna spürte, wie angespannt er war. "Nur manchmal. Aber irgendetwas empfinde ich immer für dich." Das kann man eine klassische Untertreibung nennen, fügte sie insgeheim hinzu. "Ist das gut?" Er zog sie so dicht an sich, dass sie seine Erregung spüren konnte. "Nein, nicht wenn ich deshalb nachts nicht schlafen kann", erwiderte sie heiser. Sie legte den Kopf zurück, als Adam ihren Hals sanft mit den Lippen streichelte, und stöhnte auf. "Die Frage ist", erklärte er, während er den Kopf hob und Annas geschlossene Augen betrachtete, "kann ich den Test bestehen, oder wirst du mich auslachen?" "Willst du sagen, es dürfe nicht gelacht werden?" Anna ließ sich auf die erotische Stimmung ein. Dann machte sie die Augen auf und schrie leise auf, als er sie nach hinten bog und sie herumwirbelte. "Du bist ungemein biegsam und geschmeidig." Er hob sie hoch und trug sie zum Bett. "Das eröffnet ungeahnte Möglichkeiten", stellte er viel sagend fest, ehe er sie ohne weitere Umstände auf die gut gefederte Matratze fallen ließ. Lachend landete Anna auf dem Rücken. Sie überlegte jedoch, wie ernst er das alles meinte. "Das muss aufhören", sagte er und legte sich neben sie. Der Kuss wirkte wie eine Urgewalt und Adam selbst irgendwie leichtfertig und sorglos. Als er den Kopf hob, sah Anna ihn atemlos an. Ihre Lippen fühlten sich geschwollen und wund an, und ihr ganzer Körper schien zu vibrieren. Sie sehnte sich nach Adam. "Jetzt lachst du nicht mehr." Adam musste sich sehr zusammennehmen, ihr nicht die Kleidung herunterzureißen und sich zu nehmen, was sie ihm zu geben bereit war. Ihr Eingeständnis hatte ihn zutiefst berührt. Sie hielt nichts zurück. Eine Frau wie sie hatte er noch nie kennen gelernt. Das Geheimnis, das sie ihm anvertraut hatte, hatte ihm bewiesen, wie unschuldig und verletzlich sie trotz
ihres selbstbewussten Auftretens war. Er war fest entschlossen, ihr zu zeigen, wie schön es sein konnte, sich zu lieben. "Ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt noch atme", flüsterte sie. Dann berührte sie seine Brust. Das feine Material seines Hemds war feucht, und auf seiner Stirn standen Schweißperlchen. Anna spürte die Härchen auf seiner Haut. Und sein männlicher Duft war so aufregend und erregend wie alles an Adam. Sie stöhnte auf. "Oh, du atmest", versicherte er ihr, "merkst du es?" Er legte ihr die Hand auf die Brust, um ihr zu zeigen, was er meinte. Dabei umfasste er langsam eine ihrer Brüste. Anna bog sich ihm entgegen, als er ihre Brustspitze durch ihr Kleid hindurch mit der Zunge streichelte. "Ich glaube, du hast zu viel an." Er umkreiste mit der Zunge die feuchte Stelle auf ihrem Kleid, die seine Lappen hinterlassen hatten, während Anna ihm durchs Haar fuhr. "Wollen wir das nicht ändern?" "Doch." Er streifte ihr das Kleid ab und warf es in hohem Bogen auf den Teppich. "Du liebe Zeit", flüsterte er rau. Sie saß vor ihm, und er brauchte nur noch die Hand nach ihr auszustrecken. Berühr mich, schien ihr Blick zu sagen, und ihr ganzer Körper erbebte vor Begehren. Er streichelte ihre Lippen. "Nie werde ich vergessen, wie du mich angelächelt hast. Deine wunderschönen Augen haben gestrahlt", sagte er heiser. "Ich konnte nicht glauben, dass jemand so verdammt sinnlich aussehen kann, ohne es einstudiert zu haben. Und ich habe mich gefragt: Für wen hält sie sich eigentlich? Es war mir unverständlich, dass du so viel Lebensfreude ausstrahltest, während ich mich wie erschlagen fühlte." "Dabei wollte ich nur erreichen, dass du dich mit mir freutest und mit mir lachtest, Adam. Stattdessen hast du die Nase gerümpft."
Er erbebte, als sie ihm die Arme entgegenstreckte. Die Geste wirkte so graziös wie alle ihre Bewegungen. Es berührte ihn so tief wie ein ganz besonderes Musikstück Oder ein wunderbares Gemälde. Doch Anna, dieses außergewöhnliche Kunstwerk, inspirierte ihn auf ganz andere Art. Er empfand ein leidenschaftliches erotisches Verlangen. Langsam legte er ihr die Hände auf die Hüften und schob die Finger unter ihren winzigen Seidenslip. Außer diesem kaum etwas verhüllenden Stückchen Stoff und den Strümpfen mit Spitzenrand hatte sie nichts mehr an. Sie beugte sich vor und legte ihm die Arme um den Nacken. Dann schmiegte sie sich mit dem Kopf an seine kräftige Schulter. "Das alles hätte ich am liebsten schon bei unserer ersten Begegnung getan", gestand er ein. Er zog sie an sich und spürte ihre Brüste an seiner Brust. Dann küsste er sie so heftig und ungestüm, dass sie beinah keine Luft mehr bekam. "Ich will dich Streicheln, ganz und gar, ohne etwas auszulassen." Er betrachtete ihre wohlgeformten Brüste. Und als sich die rosigen Spitzen unter seinem bewundernden Blick aufrichteten, stöhnte er auf, ehe er den Kopf senkte, um sie mit den Lippen zu liebkosen. "Und ich will dich schmecken." Sie hatte das Gefühl, in den Wogen sinnlicher Lust zu ertrinken. Geschickt und erfahren ließ er die Hände kreisförmig über ihren Rücken gleiten, während er ihre Brüste mit der Zunge und den Lippen so zärtlich streichelte, dass sie aufstöhnte. "Ich will dich auch schmecken", gab sie heiser und wie um Entschuldigung bittend zu. Als er sie ansah, begriff er, wie unsicher sie war. "Du brauchst mich nicht um Erlaubnis zu bitten", versicherte er ihr und fing an, sich das Hemd aufzuknöpfen. "Du kannst mit mir machen, was du willst", fügte er rau hinzu. Es klang wie ein Versprechen. Sie erbebte vor Aufregung und Erregung: "Dann lass mich das machen", sagte sie mutig.
Sie hatte damit gerechnet, dass sie sich ungeschickt anstellen würde, doch die Knöpfe schienen sich unter ihren Fingern wie von selbst zu öffnen. Plötzlich gefiel es ihr, Macht über Adam zu haben. Sie streifte ihm das Hemd über die Schultern. Du liebe Zeit, er hat wirklich einen phantastischen Körper, dachte sie, und ihre Bauchmuskeln verkrampften sich so sehr, dass es schmerzte. Sie presste sich an ihn und ließ sich hineinsinken in das herrliche Gefühl, seine Haut an ihrer zu spüren. Dann krümmte sie sich leicht, als sich die Schnalle seines Gürtels in ihren Bauch drückte. "Das stört." Er setzte sich auf die Bettkante. Mit dem Rücken zu Anna streifte er sich die Hose und den Minislip ab. Sie betrachtete seinen Rücken, seine Taille, die Hüften und den festen Po. Als er aufstand und einige Schritte machte, ehe er sich zu Anna umdrehte, spannten sich die Muskeln an seinen kräftigen Oberschenkeln. Sie hatte eine gute Vorstellung davon, was für einen schamlosen Anblick ein völlig erregter Mann bieten würde. Doch was sie jetzt sah, verblüffte sie. Tausend Gedanken wirbelten ihr durch den Kopf. Entweder entsprachen ihre eigenen Maße nicht der Norm, oder Adam war überdimensional... "Ich glaube es nicht", sagte sie beeindruckt und betrachtete ihn fasziniert. "Vielleicht bin ich für diese Sache ungeeignet", versuchte sie zu scherzen, ihre Stimme klang jedoch heiser und seltsam schwach. "Kannst du mir vertrauen?" fragte er, und in seinen Augen leuchtete es zärtlich und leidenschaftlich auf. Dann legte er sich wieder neben sie. Sogleich nahm sie den Duft seines erhitzten Körpers wahr. "Ja", erwiderte sie, ohne nachzudenken. Die Freude und beinah triumphale Zufriedenheit, die er über ihre spontane Antwort empfand, spiegelten sich in seinem
Gesicht. "Berühr mich", forderte er sie auf und beugte sich über sie. Anna fuhr ihm mit den Fingerspitzen über die Brust, wo sich die kräftigen Muskeln deutlich abzeichneten, bis hinunter zu seinem flachen Bauch. "Das ist gut, Liebling, mach weiter", forderte er sie rau auf. Sie wurde immer mutiger und stöhnte leise auf, wenn sie spürte, wie sensibel er auf ihre Berührungen reagierte. Als er schließlich ihre Hand festhielt und sich auf die Seite legte, protestierte Anna leise. "Ich gebe mich nicht mit rein technischen Möglichkeiten zufrieden", sagte er und atmete schwer. Obwohl ihre Zweifel noch nicht ganz ausgeräumt waren, lachte sie. Doch sogleich presste er die Lippen auf ihre und erstickte das Lachen. Und dann fing er an, mit der Zunge und den Händen ihren Körper zu erforschen. Mit Worten und Gesten bewies er ihr, wie schön und begehrenswert sie für ihn war. Als er schließlich an der sanften Rundung ihres Bauchs angelangt war, glaubte Anna, alles erfahren zu haben, was man im Taumel der Sinne erfahren konnte. Doch sie hatte sich getäuscht, wie sie rasch begriff. "Das hier sollten wir loswerden." Er streifte ihr den Seidenslip ab und kniete sich zwischen ihre Beine, um ihr langsam die Strümpfe auszuziehen. Und dann gab es nichts Trennendes mehr zwischen ihnen. Anna fand es ungemein erotisch und aufregend, zu sehen, wie er über ihr kniete. Sie vergaß ihre Angst, für ihn zu unerfahren zu sein. "Bitte, Adam, bitte", bat sie ihn heiser. "Nein, noch nicht." Anna war richtig frustriert über seine Antwort, am liebsten hätte sie geweint. Sie wünschte sich sehnlichst, endlich mit ihm vereint zu sein. Als er die Hände über die seidenweiche Haut ihrer Oberschenkel gleiten ließ und dann mit der Zunge die zarten
Innenseiten streichelte, stöhnte Anna auf. Und Während er sich langsam mit Zunge und Lippen ihrer intimsten Stelle näherte, eine Reise der Lust, die er mit den Fingern schon zurückgelegt hatte, verlor Anna vollends die Beherrschung. Leise rief sie ihn beim Namen und bewegte sich hin und her. Was sie mit Adam erlebte, übertraf ihre kühnsten Vorstellungen und Träume. Dann wurde die herrliche Quälerei so unvermittelt beendet, wie sie angefangen hatte. "Adam, ich brauche dich", schluchzte Anna auf. "Ich dich auch", antwortete er rau, ehe er sich zwischen ihre weit geöffneten Oberschenkel kniete und Anna mühelos hochhob, bis sie auf seinen Knien saß. Dabei spürte sie, wie erregt er war, und bemühte sich, den Kontakt zu intensivieren. Deshalb packte sie ihn entschlossen an den Schultern. "Okay." Er veränderte leicht ihre Position und drang langsam und behutsam in sie ein. Sie öffnete sich ihm bereitwillig. Nachdem er sich zunächst vorsichtig in ihr bewegte, konnte sie sich nicht mehr zurückhalten und verstärkte den Druck und den Rhythmus, die ihr so viel Freude bereiteten. "Gefällt es dir?" fragte er, während er noch tiefer in sie eindrang. "Ja!" rief sie triumphierend aus. Sie streichelte seinen Po und legte ihm die Beine um den Rücken, während sie sich im Rhythmus ihrer Gefühle bewegten. Der Höhepunkt, der für Anna viel zu plötzlich kam, schockierte sie in seiner Heftigkeit. Sie vergaß alles um sich her, als Wogen der Lust ihren Körper durchfluteten. Und wenig später gelangte auch Adam zum Höhepunkt. Schließlich ließen sie sich zusammen in die Kissen sinken, die sich unter ihrer erhitzten Haut wunderbar kühl anfühlten. "Adam?" "Hm?" "Ich bin froh, dass es technisch geklappt hat."
"Ehrlich gesagt, ich bin einigermaßen zufrieden mit mir", erklärte er leicht selbstgefällig. Dann küsste er ihre Schulter und barg das Gesicht an ihren Brüsten, ehe er einschlief. "Was hast du vor?" Anna hatte aufstehen wollen. "Ich muss gehen", erwiderte sie sanft. Dann beugte sie sich zu Adam hinüber und küsste ihn auf die Schulter. "Nein, noch nicht", erklärte er entschlossen. Er streckte die Hand aus, aber Anna entzog sich seinem Griff. Es war ihr sowieso schwer genug gefallen, sich aus seiner Umarmung zu lösen. "Ich muss, Adam. Es ist halb sechs." "Du liebe Zeit", stöhnte er. Dann richtete er sich auf und fuhr sich durchs Haar. "Ich habe versprochen, heute Morgen zu melken", gestand sie wehmütig ein. "Natürlich würde ich lieber bei dir bleiben." "Hast du nicht noch eine halbe Stunde Zeit?" Anna schüttelte den Kopf, obwohl sie ihm die Bitte allzu gern erfüllt hätte. "Nein, wirklich nicht." Schließlich zuckte er so gleichgültig die Schultern, dass es Anna wie eine Beleidigung vorkam. Er ließ sich in die Kissen zurücksinken und verschränkte die Hände hinter dem Kopf, während er sie beobachtete. Seltsam verlegen suchte sie ihre Sachen zusammen und zog sich an. "Du kannst meine Zahnbürste benutzen, wenn du willst." "Danke, ich schaffe es auch so bis nach Hause." Bestimmt gab es Frauen, die mit dem Morgen danach perfekt umgehen und das Hotelzimmer eines Mannes völlig ausgeglichen und selbstsicher verlassen konnten. Aber Anna fühlte sich ziemlich hilflos. Die Gedanken, die sie am Abend zuvor und in der Nacht hatte verdrängen können, stürzten plötzlich auf sie ein. Und Adams Worte bestätigten ihre schlimmsten Befürchtungen. "Ich muss heute Morgen nach London zurückfahren. Es gibt einiges zu erledigen ..."
"Gute Fahrt", unterbrach sie ihn und war selbst überrascht, wie ruhig sie äußerlich wirkte. "Du kannst mich anrufen", bot sie ihm betont uninteressiert an. War das alles? Hatte er sonst nichts zu sagen? Du liebe Zeit, wie naiv war sie doch gewesen! Was hatte sie erwartet? Dass er ihr ewige Liebe schwören würde? Er mochte in der Nacht seinen Spaß mit ihr gehabt haben, aber er hatte nicht von Liebe geredet. Jessica wird nicht aus seinem Leben verschwinden, das lässt er gar nicht zu, überlegte Anna traurig. Adam war es recht so. Aber ihr war es nicht recht, wie sie sich eingestand. Sie hatte es zumindest versucht, etwas zu ändern, und sie hätte es sich nie verziehen, wenn sie es nicht getan hätte. Ich will keine Affäre mit dir, Adam, das ist mir viel zu wenig, rief sie ihm insgeheim zu. "Ach ja? Und dann gehen wir zusammen zum Lunch?" "Was auch immer", erwiderte sie gleichgültig. "Ich meine, wir sollten uns darüber unterhalten, wie es mit uns weitergeht. Ich muss dir einiges erklären. Letzte Nacht ..." "Nein!" Panik stieg in ihr auf. Wollte er ihr anbieten, seine Geliebte zu werden? "Ich glaube nicht, dass es überhaupt mit uns weitergeht", fügte sie hinzu, ehe sie aus dem Zimmer eilte und die Tür hinter sich zuschlug. "Momentan sind wir offenbar wie Schiffe, die sich in der Nacht begegnen", sagte Charlie Lacey, als er den Koffer seiner Tochter die Treppe hinuntertrug. Anna lächelte und hielt ihm die Haustür auf. "Ich bin ja bald wieder da", versicherte sie ihm und ging neben ihm her zum Auto. Nachdem er ihr Gepäck verstaut hatte, schlug sie den Kofferraum zu. "Wann?" "Nächste Woche kommt Mrs. Morgan zurück," "Hast du auch genug geschlafen während unserer Abwesenheit?" fragte er und streichelte ihr die Wange.
"Mir geht es gut", behauptete sie betont heiter, obwohl sie die Tränen kaum noch zurückhalten konnte. "Danke, dass du bis heute Nachmittag die Stellung gehalten hast. Deine Mutter hat versucht, dich anzurufen, aber du warst nicht zu erreichen." "Ach, vielleicht hatte ich versehentlich das Telefon abgestellt." Es fällt mir immer leichter zu lügen, dachte sie und küsste ihren Vater zum Abschied auf die Wange. Dann stieg sie ins Auto. Sie hatte das Telefon absichtlich abgestellt, weil sie mit Adam nicht mehr reden wollte. Ich bereue die Nacht mit Adam nicht, überlegte sie während der Fahrt. Es war eine ganz besondere Erfahrung für sie gewesen, ein Erlebnis, das sie nie vergessen würde. Nur weil sie ihn wirklich liebte, hatte es so wunderschön sein können, dessen war sie sich ganz sicher. War es Wunschdenken gewesen oder Dummheit, dass sie geglaubt hatte, Adam würde genauso empfinden? Insgeheim stöhnte sie auf, als ihr einfiel, was sie in ihrer Leidenschaft alles gesagt hatte. Ich muss mich mit den Tatsachen abfinden, mahnte sie sich. Adam liebte sie nicht, aber deshalb würde die Welt nicht untergehen. Und sie würde nicht an gebrochenem Herzen sterben oder sich irgendetwas antun. Ärgerlich wischte sie die Tränen weg. Wenigstens hatte sie erst einmal Zeit zum Nachdenken und brauchte ihren Eltern zuliebe keine fröhliche Miene aufzusetzen, während sie für Simon das Haus hütete. Ihre Mutter hatte schon gemerkt, dass etwas nicht stimmte. Und wenn ihre Mutter jetzt aus lauter Sorge zu viel fragte, würde Anna vielleicht zusammenbrechen. Aber das durfte nicht geschehen. Am nächsten Morgen wurde Anna um sechs Uhr unsanft geweckt. Jemand klopfte lautstark an die Tür der Poststelle. Noch völlig verschlafen, bemühte sie sich, sich zu
konzentrieren. Sie musste handeln, sonst würden noch alle Nachbarn durch den Lärm wach. Rasch zog sie den Kimonomantel über und eilte die Treppe hinunter in den kleinen Laden. Durch die Milchglasscheibe erkannte sie Adams Gestalt. "Hau ab, Adam", rief sie ihm zu. "Ich mache dir nicht auf." "Okay, dann unterhalten wir uns eben so. Die ersten Vorhänge in der Nachbarschaft haben sich schon bewegt." "Wenn ich Glück habe, hat schon jemand die Polizei gerufen", fuhr sie ihn an, während sie an dem Sicherheitsschloss herumhantierte und die Tür schließlich öffnete. "Es stimmt also." "Was meinst du? Klär mich auf, dann kann ich dir sagen, ob du Recht hast oder nicht." Er blickte sie verächtlich an. "Dein Vater hat mir verraten, wo du bist. Aber ich wollte es nicht glauben." "Mein Vater lügt eigentlich nie." Immer noch verstand sie nicht, warum Adam so empört war. Ihre Bemerkung erzürnte ihn noch mehr. "Du versuchst noch nicht einmal, etwas abzustreiten. Du liebe Zeit, wie dumm bin ich gewesen, und wie blind! Ich dachte ..." Er unterbrach sich und sah sie gereizt an. "Wo ist er überhaupt?". Langsam dämmerte es ihr. Er glaubte offenbar, sie sei mit Simon zusammen. Konnte er sich das wirklich vorstellen? Anna schüttelte verständnislos den Kopf. "Adam, Simon ist nicht ... Hörst du mir bitte zu? Und hör endlich auf, wie ein Wahnsinniger umherzulaufen, sonst wirfst du noch alles um." "Dir zuhören!" entgegnete er mit finsterer Miene. "Lass es bleiben, wenn du dich völlig lächerlich machen willst." Zunächst hatte sie sich gefreut, dass er eifersüchtig war. Aber jetzt ärgerte sie sich. Adam steckte so voller Widersprüche, dass es beinah schon absurd war. Er wagte es, sie
wegen einer vermeintlichen Affäre mit Simon zu verurteilen, während zu Hause Jessica auf ihn wartete. "Das habe ich sowieso schon getan", stieß er hervor. "Wenn ich mir vorstelle, dass ich mir eingebildet habe, unsere gemeinsame Nacht hätte dir etwas bedeutet! Weiß er, dass er sich bei mir für die neue, sexuell befreite Anna bedanken kann? Soll ich es ihm verraten? Hast du ihm dieselben Worte ins Ohr geflüstert wie mir? Du liebe Zeit, ich hätte nie geglaubt, dass du so billig sein könntest. Aber ich hätte mir denken können, was zwischen euch läuft, als ich euch im Garten zusammen gesehen habe." "Billig" hat er mich genannt, dachte sie wie betäubt. Heißer Zorn packte sie. "Wie kannst du es wagen, mir nachzuspionieren? Du bist ja so selbstgefällig! Es muss ein gutes Gefühl sein, auf andere Sterbliche von deiner Höhe herabzusehen. Wer gibt dir das Recht, mir Moralpredigten zu halten? Ich habe jedenfalls nicht die Absicht, einen anderen zu heiraten. Du bist hier der Betrüger, Adam, nicht ich." "O nein, da irrst du dich. Jetzt bist du schockiert, nicht wahr? Was ist los, Süße? Hättest du meine Anrufe beantwortet, wenn du gewusst hättest, dass ich so frei und verfügbar bin wie dein Simon? Und noch dazu eine viel bessere Partie, ohne mich selbst loben zu wollen? Wenn du heute Morgen fünf Minuten gewartet hättest, hätte ich es dir gesagt." "Es ist doch wohl nicht möglich, dass so ein billiges Flittchen wie ich eine Beziehung zerstört hat, die sozusagen im Himmel geschlossen wurde", spottete sie. Mit den Neuigkeiten musste sie erst einmal fertig werden. "Lass es mich so ausdrücken: Ich habe zu viel für selbstverständlich gehalten", erklärte er verbittert. "Und wenn ich mir vorstelle, dass ich dachte ..." Er unterbrach sich und sah so aus, als ekelte er sich vor sich selbst. "Du hast gedacht, ich könnte dich wert sein?" fragte sie kühl. "Und jetzt habe ich meine Chancen verspielt. Nur damit du es
weißt, ich habe weder mit Simon noch sonst jemandem geschlafen. Simon ist in Kanada, um seine Ehe zu retten, und ich hüte in der Zeit das Haus. Ich habe versucht, es dir zu erklären", fügte sie hinzu, als Adam ganz blass wurde. "Aber du wolltest mir nur beweisen, was für einen schlechten Charakter ich habe, und hast mich nicht zu Wort kommen lassen. Nein, Adam!" Sie hob abwehrend die Hand, weil er sie unterbrechen wollte. "Jetzt rede ich, du hast gesagt, was du sagen wolltest, und es war sehr aufschlussreich. Eins sollte dir klar sein, ich würde auch dann nicht Jessicas Platz einnehmen, wenn du der einzige Mann auf dem Planeten wärst. Du bist mir viel zu engstirnig, arrogant und langweilig." Plötzlich verrauchte ihr Zorn, und sie hätte am liebsten geweint. Aber noch lieber hätte sie sich in Adams Arme geworfen. Natürlich tat sie es nicht, sondern hob herausfordernd das Kinn. "Dann bleibt mir nur noch, mich zu verabschieden." Mit regloser Miene ging er zur Tür. Wenn er überhaupt etwas empfand, dann beherrschte er sich perfekt. Na ja, jetzt bin ich ihn wohl endgültig los, ohne ihn geht es mir sowieso besser, fuhr es ihr durch den Kopf, während sie die Tür hinter ihm schloss. Dieser Gedanke hatte jedoch überhaupt nichts Tröstliches, und sie weinte sich erst einmal aus.
10. KAPITEL "Steck mir das bitte fest, Mam." Anna reichte ihrer Mutter die Startnummer und die Stecknadeln. "Dann dreh dich um." Beth Lacey nahm die große Zahl 66 und befestigte sie auf dem pinkfarbenen Ballettkleid ihrer Tochter, zu dem sie eine helle Strumpfhose, Fußballschuhe und orange gestreifte Socken trug. "Sehr auffallend, aber nicht gerade aerodynamisch, meine Liebe." "Ich mache nicht mit, um zu gewinnen, Mam, sondern um Spenden zu sammeln." "Es ist traurig, dass Krankenhäuser auf Spenden angewiesen sind, um überleben zu können." Beth Lacey seufzte. "Mit unseren Appellen haben wir schon viel erreicht." "Ja, ihr habt hart gearbeitet", stimmte Beth Lacey zu. "Das alte Kleid hier erinnert mich an das Video, das Jason damals aufgenommen hat", sagte Anna betont beiläufig. "Weißt du, wo es ist?" "Im Wohnzimmer, nehme ich an." "Mam ...", begann Anna warnend. "Na ja, ich habe es Adam geliehen. Er interessierte sich für dein Tanzen", erklärte Beth Lacey. "Du hast wohl nicht darüber nachgedacht, dass ich etwas dagegen haben könnte?" "Ehrlich gesagt, nein. Ich glaube sogar, er wäre der Richtige für dich. Er ist sehr charmant."
"Ja, da würde er dir zustimmen", rief Anna ihr über die Schulter hinweg zu, während sie zur Startlinie lief. In den vergangenen zwei Wochen war es ihr gelungen, Adam beinah zu vergessen. Jedenfalls redete sie es sich ein. Die Profiläufer waren schon längst unterwegs, als Anna zusammen mit zwei älteren Männern startete. Insgesamt herrschte eine gelöste Stimmung. "Die erste Meile ist am schwierigsten", sagte ein großer Osterhase neben ihr, als sie durch die erste Kurve lief. "Na ja, etwas Optimismus hilft immer. Bekommst du in dem Ding überhaupt Luft?" fragte sie, als der Hase nach einer halben Meile immer noch an ihrer Seite war. Unter dem dicken Pelz musste man doch ersticken. "Vielleicht muss man mich nachher wieder beleben." "Du könntest den Kopf des Kostüms abnehmen", schlug Anna vor. "Später." Anna zuckte die Schultern und hielt ihre Sammelbüchse den Zuschauern entlang der Strecke hin. In der nächsten Kurve war der Hase schon wieder da. "Hast du so etwas schon mal gemacht?" rief sie ihm zu. "Nein. Und du?" "Ich habe zwei halbe Marathons und einen ganzen hinter mir." "Trainierst du etwa dafür?" Anna fing an, sich Sorgen zu machen um den Mann im Hasenkostüm. Um bei der Hitze in so einem Outfit herumzulaufen, musste man wirklich fit sein. "Du nicht?" "Es war eine spontane Entscheidung." Er atmete plötzlich ziemlich schwer. "Du solltest etwas trinken." "Geht nicht in dem Ding." "Du kannst jederzeit aufhören."
"Und das Sponsorengeld verlieren? Warte nicht auf mich", fügte er mit verzerrt klingender Stimme hinzu, als Anna ihr Tempo seinem anpassen wollte. "Irgendwann komme ich ans Ziel." Die nächsten Meilen legten sie schweigend zurück, außer dass die Gestalt neben Anna keuchte und stöhnte. Und dann passierte es. Der Osterhase taumelte und fiel Anna direkt vor die Füße, was ziemlich dramatisch aussah. "O nein." Sie war entsetzt und kniete sich neben den Mann. "Ich muss dich aus diesem Ding befreien. Holt die Sanitäter", rief sie den Leuten zu, die sich um sie versammelten. Hoffentlich kann der arme Mann noch atmen, dachte sie, während sie sich mit dem Kostüm abmühte. Plötzlich hielt sie den Kopf in der Hand. "Bist du ...?" Sie unterbrach sich und fügte zur Verblüffung der Helfer zornig hinzu: "Du verdammter Kerl!" "Ein Hase, Anna, ich bin ein Hase", korrigierte Adam Deacon sie. Er atmete ganz normal, es ging ihm offenbar gut. "Du hast das alles nur gespielt", erklärte sie ärgerlich. "Es geschieht dir recht, dass du dich lächerlich gemacht hast." "Gut, dass du es gemerkt hast. Warte auf mich, Anna!" rief er hinter ihr her, als sie davoneilte. Aber seine Kondition war besser als ihre. Sosehr sie sich auch bemühte, ihn abzuschütteln, es gelang ihr nicht. Er blieb neben ihr. "Hast du es immer noch nicht begriffen? Ich will dich nicht", fuhr sie ihn schließlich frustriert an. "Doch, du willst mich. Und ich verschwinde erst dann, wenn du es zugibst." "Bist du verrückt?" "Nur verzweifelt. Es war die einzige Möglichkeit, mit dir zu reden. Mir war klar, dass du den Lauf nicht abbrechen würdest." "Bin ich so berechenbar?"
Was, zum Teufel, sollte das alles? Adam konnte unmöglich ernst meinen, was er da gesagt hatte. "Du hast noch mein Video." Sie warf ihm einen finsteren Blick zu. "Meine Mutter hätte es dir nicht geben dürfen, es ist viel zu persönlich." Offenbar habe ich die seelische Krise überwunden, ich komme mit der Situation ganz gut zurecht, dachte sie irritiert. Oder machte sie sich nur etwas vor? Sie stolperte, und sogleich streckte Adam die Hand aus. Anna ignorierte die Geste genauso wie seine beleidigte Miene. Es war nicht der richtige Zeitpunkt zum Händchenhalten. "Hat deine Mutter es dir verraten?" "Nein, Jessica." "Wie bitte?" Er war überrascht. "Sie hat es mir bei einem Gespräch von Frau zu Frau anvertraut", erklärte sie sanft und leicht spöttisch. "Du weißt ja, wie das ist." "Nein, glücklicherweise nicht." "Wie hast du mich denn als Solotänzerin gefunden?" fragte sie. "Interessiert dich plötzlich meine Meinung? Du wolltest doch nichts mehr davon hören, was ich dir zu sagen habe. Gehst du überhaupt noch ans Telefon? Deiner armen Mutter fallen schon keine Ausreden mehr ein." "Du unterhältst dich offenbar regelmäßig mit meiner Mutter." "Erst als ich das Video sah, wurde mir klar, was du aufgegeben hast", erklärte er unvermittelt. "Wenn du nicht so viel Willenskraft und innere Stärke hättest, wärst du vielleicht daran zerbrochen. Dass du jetzt dieses Ding da anziehen kannst", er berührte den kurzen Rock ihres Outfits, "und noch dazu zum Spaß, das beeindruckt mich mehr, als du ahnst. Du bist eine ganz besondere Frau, Anna." Seine Stimme klang so aufrichtig, dass Anna Mühe hatte, die Tränen zurückzuhalten. "Hat meine Mutter dir erzählt, was wir heute hier veranstalten?"
"Ich werde meine Informanten nicht preisgeben. Ich wusste ja, dass du freiwillig nicht mit mir reden würdest. Hast du wirklich geglaubt, dein Schweigen würde mich dazu bewegen, eines Tages aufzugeben?" Er war so unerträglich selbstsicher, dass Anna am liebsten geschrien hätte. Sie wollte jedoch keine Energie verschwenden, denn die brauchte sie noch für die vor ihr liegende Strecke. "Warum hast du so ein seltsames Kostüm an?" fuhr sie ihn an. "Ich dachte, du würdest dich freuen, dass ich mich deinetwegen völlig lächerlich mache. Andererseits kann ich mich eigentlich nicht noch lächerlicher machen als an jenem Morgen." Sekundenlang kam sie aus dem Rhythmus. "Du bist ein Dummkopf, Adam." Sie konnte es kaum glauben, er versuchte, sich zu entschuldigen. Doch was immer er ihr zu verstehen geben wollte, er musste es klar und deutlich aussprechen. "Ich hasse es, gesagt zu bekommen, was ich tun soll, Anna ..." "Das klingt sehr rätselhaft." "Du liebe Zeit, Anna, lass mich doch ausreden. Ich war wirklich überzeugt, es sei richtig, mich mit Jessica zu verloben. Weil alle aus meiner Familie dagegen waren, war ich erst recht entschlossen, sie zu heiraten. Ich wollte nicht zugeben, dass die anderen Recht hatten. Wahrscheinlich hätte ich am Ende Jessica sowieso nicht geheiratet, auch wenn ich dich nicht kennen gelernt hätte", erklärte er. "Ich kam mir vor wie ein Schuft. Aus meiner Sicht war Jessica zu allen möglichen Opfern bereit. Irgendwie hatte ich den Entschluss, mich zu verloben, zu spontan gefasst. Nach Bens und Tessas Tod hätte ich mir mehr Zeit zum Nachdenken nehmen müssen, was ich leider nicht getan habe.
Anna, was machst du da? Wenn du das Tempo beibehältst, kommst du nie ans Ziel." Er umfasste ihre Taille und zwang Anna, stehen zu bleiben. "Ich mag es auch nicht, wenn man mir sagt, was ich tun soll. Was fällt dir eigentlich ein?" Kurz entschlossen hob Adam sie hoch und küsste sie. Die anderen Läufer liefen um sie herum und applaudierten. "Adam, die Leute beobachten uns!" Wie betäubt hielt sie sich an ihm fest, weil sie sich plötzlich seltsam schwach fühlte. "Lass sie doch", antwortete er unbekümmert, während es in seinen Augen besitzergreifend aufleuchtete. Sie bekam Herzklopfen. "Ich dachte, du müsstest auf deinen Ruf achten." "Glaub ja nicht, ich würde dich jemals wieder gehen lassen. Ich liebe dich, Anna." Sie war begeistert über sein Geständnis. "Du hast Jessica geliebt", erinnerte sie ihn trotzdem. "Nein", antwortete er leicht ungeduldig. "Das hat sie gewusst, und du wusstest es auch. Schon lange vor unserer gemeinsamen Nacht habe ich ihr erklärt, dass es aus sei. Das wollte ich dir an dem Abend erzählen. Doch dann kam alles ganz anders." Anna errötete, als ihr einfiel, wie zielstrebig sie ihn hatte verführen wollen. "Jemanden zu heiraten, den man nicht liebt, bringt kein Glück." "Ja, das habe ich eingesehen. Im Übrigen ist es Jessica nie um meine blauen Augen gegangen. Von Anfang an hat sie meine Dankbarkeit Angus gegenüber ausgenutzt. In ihrem Zorn über das Ende der Beziehung hat sie zugegeben, Angus nie gemocht zu haben. Sie war entsetzt darüber, dass ein Teil seines Vermögens an eine Institution für medizinische Forschungszwecke gehen sollte. Da ich der Direktor dieser Institution bin, hat sie offenbar zunächst geglaubt, sie könne mich dazu bringen, Angus' Testament zu ignorieren.
Und was den Job betrifft, den sie angeblich mir zuliebe aufgegeben hat, den hat sie nie gehabt." Er verzog spöttisch die Lippen. "Jessica ist sehr ehrgeizig, deshalb war sie sicher sehr betroffen, dass die Stelle, um die sie sich zwei Jahre lang bemüht hatte, an einen anderen Bewerber vergeben wurde. Aus irgendwelchen Gründen hat sie sich dann entschlossen, sich auf mich zu konzentrieren. Es klingt vielleicht eingebildet, aber es erklärt auch, warum sie so verständnisvoll war, als ich ihr erzählte, was ich für dich empfinde. Ich habe fest damit gerechnet, sie würde von selbst einsehen, dass wir überhaupt nicht zusammenpassen. Deshalb sollte sie an dem Wochenende die Kinder betreuen. Doch Mumps und meine Mutter haben es verhindert. Ich wollte ihr die Möglichkeit geben, die Verlobung von sich aus zu lösen." "Sie sind grün", stellte Anna fest. "Deine Augen, meine ich." Sie musste erst einmal damit fertig werden, was sie soeben erfahren hatte. Jessica hatte sie demnach aus reiner Bosheit besucht. Sie konnte Adam nicht haben und hatte dafür sorgen wollen, dass auch sie, Anna, ihn nicht bekam. "Ah ja, das hast du bemerkt." Er lächelte zufrieden. "Natürlich. Aber du hast schlimme Dinge zu mir gesagt." "Ich glaubte ja auch, du seist aus meinem Bett sogleich in das eines anderen gesprungen. Normalerweise bin ich eher sanft. Vergiss es bitte. Es ging um den Kerl, in den du als Teenager verliebt warst und der dich im Garten geküsst hat." "Du hast mir nicht vertraut." Er zog die Handschuhe aus und umfasste Annas Gesicht. "Der Morgen danach verlief leider nicht so, wie ich es mir gewünscht hatte", erklärte er leicht spöttisch. "Ich war drauf und dran, dir meine ewige Liebe zu gestehen, und damit hatte ich keine Erfahrung. Und ich wollte dir erzählen, dass es zwischen Jessica und mir aus sei. Aber du warst mir gegenüber so schrecklich gleichgültig. Ich befürchtete, du hättest es geschafft, deine Sehnsucht und dein Verlangen zu überwinden."
"Das war deine Idee", erinnerte sie ihn. "Damals habe ich mich an jeden Strohhalm geklammert, Anna. Ehe ich dir begegnete, hatte ich nie einen Grund, meine Integrität infrage zu stellen. Es war schwierig, zu begreifen, dass Liebe stärker ist als Stolz." "Weshalb hast du eigentlich in der Nacht nichts gesagt?" fragte sie heiser. "Ich habe immer wieder von Liebe geredet, aber du hast dich dazu nicht geäußert." "Weil man in so einer leidenschaftlichen Situation oft Dinge sagt, die man nicht meint." "Aber das gilt nicht für mich", gestand sie ein, und ihr Blick raubte Adam beinah den Atem. "Das konnte ich nicht wissen. Deshalb habe ich lieber gewartet. Es sollte zwischen uns keine Missverständnisse geben. Leider konnte ich mit den Kühen nicht konkurrieren." Er verzog die Lippen. "Und ich dachte, du wolltest nur eine Affäre, Adam. Ich musste davon ausgehen, dass du Jessica heiraten würdest. Deshalb hatte ich kein Recht, irgendetwas von dir zu erwarten. Dennoch hat es sich immer richtig angefühlt, dich zu lieben, Adam." Ihre Stimme klang heiser und leidenschaftlich. "Ich konnte dich nicht Jessica heiraten lassen, ohne wenigstens zu versuchen, dir zu zeigen, wie sehr ich dich liebe. Später war ich überzeugt, einen schrecklichen Fehler gemacht zu haben. Ich wollte mehr sein als nur deine Ge liebte." Er packte sie so fest am Arm, dass es schmerzte. "Wenn du mich wirklich liebtest, würdest du sanfter mit mir umgehen", sagte sie vorwurfsvoll. "Ich erwarte nicht, dass die Ehe mit dir ein Kinderspiel ist." "Soll das ein Heiratsantrag sein?" Anna bemühte sich, eine schockierte Miene aufzusetzen, was ihr jedoch nicht gelang. Stattdessen lächelte sie ihn strahlend an. "Ich habe mich von meiner Familie beraten lassen ..."
"Adam, ich werde dich nicht deshalb heiraten, weil die Kinder mich mögen", erklärte sie. Waren das die ersten Wolken am Himmel der Freude? "Anna, mein Liebling, es wäre mir sogar egal, wenn die Kinder dich hassten. Dass sie es nicht tun, macht jedoch vieles leichter", gab er zu. "Du hast mir noch keine Antwort gegeben. Stört dich mein familiärer Anhang?" "Nein, überhaupt nicht." Sie verdrängte die dummen Gedanken. "Mit den Kindern komme ich besser zurecht als mit dir." "Dann sag es endlich, Anna. Sag, dass du mich liebst und mich heiraten wirst." "Lass mir Zeit", forderte sie ihn gespielt ernst auf. "Anna, die vergangenen zwei Wochen waren die reinste Hölle. Ich lasse dich erst los, wenn ich weiß, dass du meine Frau wirst." Plötzlich warf sie sich an seine Brust und legte ihm die Arme um den Nacken, "Ich habe mich schrecklich elend gefühlt. Du bist der einzige Mann, den ich jemals verführen wollte und den ich jemals geliebt habe." In ihren braunen Augen leuchtete es auf, als Adam sie ansah. "Und du bist die einzige Frau, für die ich mich jemals als Osterhase verkleidet habe. Ich mache mich bei dir nicht zum ersten Mal lächerlich, aber zum ersten Mal in aller Öffentlichkeit. Dabei hatte ich mich entschlossen, die Dummheit vom Morgen danach nicht zu wiederholen. Aber deine Kühnheit und Unbekümmertheit sind ansteckend. Ich sehe jetzt sozusagen die Welt mit deinen Augen. Und weißt du, was ich festgestellt habe? Sie ist gar nicht so schlecht, solange es dich gibt." "Sei nicht so fürchterlich nett", bat sie ihn eindringlich und schluckte. "Sonst fange ich noch an zu weinen!" Verblüfft betrachtete er ihre feuchten Wimpern. "Ich verstehe die Frauen einfach nicht."
"Ja, das merke ich, sonst hättest du dich nicht mit Jessica verlobt. Als sie mich warnte ..." "Daran wirst du mich wohl immer erinnern, stimmt's?" unterbrach er sie. Plötzlich runzelte er die Stirn. "Sie hat dich gewarnt?" "Ja, als sie mich besucht hat. Aber ich erzähle dir nicht, was ich gesagt habe. Es würde dich nur in deiner Meinung bestärken, ich sei schamlos und verwegen. Außerdem bist du eingebildet genug. Du brauchst nicht zu wissen, dass Frauen sich um dich streiten. Hope wäre an meiner Stelle ganz anders mit Jessica umgesprungen" , erklärte Anna leicht wehmütig. "Ihr aufbrausendes Temperament ist nicht zu zügeln." "In was für eine Familie bin ich da geraten?" fragte er mit gespielt finsterer Miene. Doch als Anna ihn anlachte, blitzte es in seinen Augen leidenschaftlich auf. "Du liebe Zeit, ich würde dich am liebsten hier und jetzt lieben", sagte er. "Dann lass uns jetzt endlich den Lauf beenden" " schlug sie vor und lächelte ihn verführerisch an. Einige Zeit später liefen sie Hand in Hand über die Ziellinie. "Da bist du ja, Adam", ertönte plötzlich eine Stimme, die Anna irgendwie bekannt vorkam. "Was machst du denn hier?" Resigniert drehte Adam sich zu der großen eleganten Frau in dem Designeroutfit um, die sich den Weg durch die Zuschauer bahnte. Anna betrachtete die Frau. War das Adams Mutter, mit der sie am Telefon gesprochen und die den Eindruck erweckt hatte, eine gebrechliche alte Dame zu sein? Älter war sie vielleicht, doch diese Frau strotzte vor Gesundheit. "Ich wollte dir zuschauen. Willst du mich nicht deiner charmanten Freundin vorstellen? Ich glaube, wir haben schon miteinander gesprochen. Sie sind Anna, oder? Ich konnte es kaum erwarten, die Frau kennen zu lernen, für die mein Sohn sich als Osterhase verkleidet." "Woher weißt du es überhaupt?" fragte Adam.
Seine Mutter lächelte überlegen. "Wenn man einen Sohn hat, der so verschwiegen und wenig kooperativ ist wie du, muss man erfinderisch sein." Anna lächelte scheu. "Mrs. Deacon?" "Nein, nicht Deacon, sondern Arnold. Nennen Sie mich doch einfach Sara - oder Mutter?" Sie warf Adam einen herausfordernden Blick zu. "Sieh mich nicht so vorwurfsvoll an. Kannst du es mir verdenken, dass ich erleichtert bin über deine nette Begleiterin, nachdem du uns mit dieser schrecklichen Jessica so erschreckt hast? Und da du normalerweise sehr zurückhaltend bist, ist euer Händchenhalten vermutlich so etwas wie eine öffentliche Liebeserklärung. Meinen Sie nicht auch, dass er ziemlich... reserviert ist?" fragte sie Anna neugierig. "Eigentlich wollte ich pedantisch sagen, aber ..." Sie zuckte lächelnd die Schultern. "Meine Söhne wollten ihren Namen nicht ändern, als ich Gerald heiratete", erklärte sie Anna. "Anna ist ziemlich schockiert, weil sie gedacht hat, du seist eine schwächliche und grauhaarige alte Dame. Offenbar hast du am Telefon maßlos übertrieben." "Ich war sehr besorgt. Du kannst mir nicht vorwerfen, dass ich die Situation in gewisser Weise ausgenutzt habe." "Das tut er selbst auch immer", stellte Anna fest. "Genau", stimmte Sara Arnold ihr zu und lächelte Anna anerkennend an. "Ich habe graues Haar, Adam, und ich bin fünfundsiebzig Jahre. Als Adam geboren wurde, war ich vierzig, Anna, und er war ein sehr schwieriges Baby. Ich bin froh, dass er endlich zur Ruhe kommt. Fünfunddreißig Jahre hatte ich nichts als Ärger und Sorgen." "Wie bist du überhaupt hergekommen?" wollte er wissen. "Mit dem Bus? Oder hast du heute den Chauffeur gebeten, dich zu fahren? Meine Mutter, Anna, ist die Witwe von Gerald Arnold, dem Inhaber von Arnold Frozen foods."
Annas Gedanken wirbelten durcheinander. Sie kannte die große Lebensmittelkette. "Dann bist du ja reich", stellte sie bestürzt fest. "Mein Stiefvater hat Ben und mir einen Teil der Aktien vererbt", gab er leicht verlegen zu. "Adam und die Kinder erben nach meinem Tod auch noch den Rest des Vermögens", fügte Sara Arnold hinzu. »Es fällt mir nicht leicht, zuzugeben, dass Jessica mehr in mein Vermögen verliebt war als in mich. Sie hatte schon Pläne gemacht, wie sie es ausgeben wollte. Deshalb war sie sogar bereit, sich mit den Kindern abzufinden und dass ich in eine aridere Frau verliebt war. Es war für mich eine Erleichterung, als mir bewusst wurde, dass sie nicht an mir, sondern nur an meinem Bankkonto interessiert war. Würdest du uns bitte einige Minuten allein lassen?" bat er dann seine Mutter so schroff, dass Sara Arnold die Augenbrauen hochzog. "Das war unfair", sagte Anna vorwurfsvoll und sah hinter der älteren Frau her, die sich leicht auf einen Stock mit Silberknauf stützte. "Wenn du meine Mutter einmal besser kennst, begreifst du, dass man bei ihr auf die sanfte Art nichts erreicht. In diesem Fall kannst du mir wirklich vertrauen. Komm, wir setzen uns hin." Er zog sie auf eine Bank am Rand des Sportplatzes. "Du sollst keine Zweifel mehr haben wegen Jessica", erklärte Adam ernst. Dabei blickte er sie so liebevoll an, dass Anna eine tiefe, überschwängliche Freude empfand. "Die Beziehung hat nur so lange gehalten", fuhr er fort, "weil wir rein gar nichts voneinander wussten. Es war immer nur eine oberflächliche und irgendwie egoistische Partnerschaft, auf beiden Seiten", gestand er ein. "Schon längst glaubte ich nicht mehr an die große Liebe. Ben und Tessa hielt ich für die absolute Ausnahme.
Dann begegnete ich dir, und du hast mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt. Ich war vom ersten Moment an verloren, Anna. Alle Hindernisse, die ich aufzubauen versuchte, und alle Einwände, die ich mir selbst gegenüber erhob, lösten sich auf, je besser ich dich kennen lernte. Da ich glaubte, Jessica hätte mich wirklich gern, wollte ich sie nicht verletzen. Ich vertraute darauf, dass sie die Beziehung beenden würde, sobald sie merkte, dass es nicht funktionierte. Das Wochenende mit den Kindern sollte sie endgültig in die Flucht schlagen." "Du bist ja richtig hinterhältig!" erwiderte Anna gespielt empört, während sie das Gefühl hatte, so viel Glück nicht ertragen zu können. "Danke! Als ich dann erfuhr, dass alles ganz anders verlaufen war als geplant, war ich total frustriert. Danach entnahm ich einigen ihrer vorsichtigen Andeutungen, dass sie sehr an meinen finanziellen Verhältnissen interessiert war. Endlich begriff ich, worum es ihr letztlich ging." Er lächelte ironisch. "Die Trennung von ihr ist mir sehr leicht gefallen." "Warum hast du dein Vermögen nie erwähnt?" "Du würdest ja doch nur alles für einen guten Zweck spenden wollen, stimmt's?" Seine Stimme klang leicht belustigt. "Um ehrlich zu sein, Anna, ich denke nie darüber nach, was ich von meiner Mutter erben werde. Ich bin natürlich nicht annähernd so reich wie mein Stiefvater, aber ich lebe in gesicherten finanziellen Verhältnissen. Gerald war ein großartiger Mensch, doch ich brauche den Luxus und die Pracht nicht, womit er sich gern umgab." "Hattest du vielleicht Angst, ich würde mich auch nur für dein Geld interessieren?" "Hör zu, Anna", begann er und umfasste ihr Gesicht, "du hast wirklich die schönsten Augen, die ich je... Was wollte ich eigentlich sagen?" fragte er zerstreut und betrachtete ihre Lippen. "Ach ja, ich weiß es wieder. Liebling, du bist die
uneigennützigste Frau, die jemals gelebt hat. Hoffentlich kannst du es mit deinen Idealen vereinbaren, einen reichen Mann zu heiraten." "Und wenn nicht?" erwiderte sie. "Würdest du dann alles verschenken?" In ihren Augen blitzte es belustigt auf. Adam fand ihre leicht geöffneten Lippen unwiderstehlich. "Ich verstehe, du bist auch so eine Frau, die ihren Mann unbedingt ändern will." "Du bist nicht perfekt. Aber ich mag dich nun mal so, wie du bist. Es waren die schlimmsten zwei Wochen meines Lebens, Adam", gestand sie ein. "Kannst du mir eine Therapie vorschlagen, wie ich von dem Trauma geheilt werden kann?" Adam reagierte prompt. "Phantastisch!" sagte Anna einige Minuten später und atmete tief ein, als er sich von ihren Lippen löste. "Hast du dir das Outfit geliehen?" Er nickte und blickte sie verblüfft ah. "Du hast offenbar den Verstand verloren." "Ja, in dem Moment, als ich dir begegnete", stimmte er ihr zu. "Aber glaub mir, es ist ein herrlicher Zustand."
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