Benjamin Klein
Kennst Du Deinen Engel?
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Benjamin Klein
Kennst Du Deinen Engel?
scanned by ab corrected by mm Ist eine Behinderung wirklich nur ein Schicksalsschlag? Besteht der Sinn des Lebens wirklich nur darin, möglichst viel Spaß zu haben? Wo liegen die wahren Ursachen der Krankheit und wie schütze ich mich davor? Wer bin ich überhaupt? Warum bin ich hier? Warum mache ich immer wieder dieselben Fehler? Was ist Streit, Krieg, Frieden, Tod? Wer ist Gott? Barbara, ein behindertes Mädchen, und Michael, ihr Engel, lassen viele alltäglichen Dinge in einem ganz anderen Licht erscheinen. Ein Roman, der uns einführen will in die Welt des Geistes. ISBN 3-928080-008 14. Auflage 2002 REGIATREX-VERLAG Titelbild: Hans Peter Rast Umschlaggestaltung: Wolfgang Geiger
Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!
In Dankbarkeit und Liebe meinem geistigen Führer gewidmet und all denen, die mich auf meinem Weg leiten und begleiten.
1
Es war Nacht, als Barbara zur Welt kam. Meterhohe Schneeverwehungen begruben die letzten Reste von Nächstenliebe unter sich. Die Kälte hielt das Land wie ein drohender Dämon in ihren Klauen. "Die Nacht hat das Licht aufgefressen", hatte Michael einmal gesagt. Und mit ihm verschwand die Wärme. Es blieb die Kälte nur. Eisige Kälte! Der starke Frost und der Schneesturm hatten vor Tagen schon den Strommast geknickt. Die Technik war besiegt; es war dunkel und kalt. Holz und Kerzen taten ihr Möglichstes. Sie trotzten der Nacht wenigstens etwas Wärme ab, still und unauffällig verzehrten sie sich in Liebe, ohne Zögern und ohne Murren - und ohne Gegenleistung. Im Tod erschufen sie Leben durch Licht und Wärme. Einsam und still lag das kleine Haus im Schnee. Keine Hebamme, kein Arzt war durchgekommen, sie hatten es erst gar nicht versucht. Es war furchtbar! Eine unheimliche Kraft wollte mich erdrücken. Ich spürte die Kälte, ich wollte zurück. "Michael hilf mir!" Wo blieb er? Er hatte doch versprochen, mich nicht zu verlassen. "Michael!" Ich wurde zusammengepreßt wie mit eisernen Zangen. Was mir bisher Schutz und Geborgenheit war, drohte mich nun zu vernichten. Doch irgend etwas ließ es nicht zu. -3-
Schon war ich eingetaucht in den engen Tunnel, an dessen Ende die Kälte lauerte. Panische Angst ergriff mich. Ich wehrte mich, ich wollte zurück. Zu spät! "Ist es ein Junge?" Die tonlose Stimme meiner Mutter ließ noch etwas Spannung ahnen. Es sollte wenigstens ein Junge werden. Vater antwortete nicht. Er hielt mich hilflos in seinen großen, schützenden Händen. Ich war starr, unfähig, mich zu bewegen. Kein Schrei, kein Atemzug, nichts. Die Kälte hatte gesiegt. "Ist es tot?" Ich hörte wieder diese tonlose Stimme; dann umfing mich Dunkelheit, tiefe, zeitlose Nacht. Als Vogel flog ich dahin, als kleiner Kolibri, emsig von Lotosblüte zu Lotosblüte. Der Teich war über und über mit Seerosen bedeckt, die Sonne schien hell und warm, kleine Dunstschleier lösten sich langsam aus dem taubedeckten Gras. Ein leises Raunen wehte durch das Tal, der Hauch Gottes lag über allem. Plötzlich spie die Erde Feuer vor mir. Das gewaltige Krachen zerriß meine Ohren. Schwefelgeruch breitete sich aus, und aus einem vulkanähnlichen Erdloch flog eine riesige Elster direkt auf mich zu. Ihre mächtigen Schwingen vereitelten jeden Fluchtversuch. Angst schnürte mir die Kehle zu, die Stimmbänder erlahmten und ließen meinen Angstschrei ersterben. Dann war nichts mehr. Tiefes, dunkles Nichts. Es dauerte lange, zu lange. Als mein Körper sich langsam an den Tod zu gewöhnen begann, fingen meine Lungen an zu arbeiten. Doch der Sauerstoffmangel hatte bereits tiefe Spuren in mein Gehirn eingegraben. Nun war es da: Ich würde nie 'normal' sein. Michael hatte es gesagt: "Es wird schwer werden, aber du wirst es nicht bereuen." Wie oft noch sollte ich über diesen Satz -4-
nachdenken! Ich erfaßte seine Bedeutung noch nicht. Nun war es da, unabdingbar. Ich war gezeichnet, würde mein Leben lang behindert sein. "Michael, hilf mir!" Was wird alles auf mich zukommen? Kann ich es schaffen? Werde ich jemals glücklich sein? Werde ich mich selber versorgen können oder ein Leben lang auf das Wohlwollen der anderen angewiesen sein? In groben Zügen wußte ich ja schon, was geschehen würde. Michael hatte alles mit mir durchgesprochen, mich ermuntert, mir Mut gemacht. Alle wichtigen Stationen meines Lebens hatte er mir erklärt, ihren Sinn, ihre Möglichkeiten und Chancen. "Es wird schwer werden", hatte er gesagt, und ich war einverstanden. Aber das war in einer friedlichen Umgebung. Ohne Not, ohne Krankheit, ohne Leiden, nur Glück und Liebe und Überfluß. Konnte ich damals überhaupt ahnen, was mich hier erwartete? War ich überhaupt fähig gewesen, mich in dieses Leben hineinzudenken und einzufühlen? Die Erinnerung daran wurde ausgelöscht. Nach und nach verblaßte sie, die Bilder verschwammen immer mehr. Nebelschwaden gleich tauchten sie ab und zu noch auf aus dem See des Vergessens, um bald darauf wieder aufgelöst zu werden von der Mühsal des Lebens. Und das war auch gut so. Es wäre sonst nicht möglich gewesen, ein Leben voller Entbehrungen, Enttäuschungen und Verachtung durchzustehen. Nie mehr war ich so allein wie jetzt, so hilflos. Körper und Geist waren eine Einheit geworden, zerschmettert und niedergedrückt durch die Fessel der Materie, den Fluch des Bösen. Niemals mehr traf er mich mit solcher Wucht als in dem Moment meiner Geburt, dem Sinnbild des Paradiessturzes. Kann ein Gegensatz je größer sein? Unendlicher Liebe und Wärme, unendlicher Ruhe und -5-
Zeitlosigkeit, eingebettet in ein Meer von Zärtlichkeit und Überfluß, folgt übergangslos ein Kampf mit unvorstellbarer Gewalt. Die vorher noch so schützende Umgebung wird plötzlich zum Dämon, versucht den kleinen Körper zu erdrücken und läßt ihn wie ein gewaltiges Erdbeben erzittern. Mit Macht wird er auf den engen Kanal zugeschoben, der hinausführt in Kälte, Hast und Unruhe. Der Geist fühlt, daß seine Freiheit zerrinnt. Unwillig nur begibt er sich in das Gefängnis des Körpers, wohl wissend, daß die Tür zu seiner Zelle für lange Zeit geschlossen bleibt - eingesperrt im Körper eines Säuglings, zur Hilflosigkeit verdammt. Oder wie in meinem Falle, mit einem unvollkommenen Körper auch noch der normalen Entwicklungsmöglichkeiten beraubt. Michael hatte mir einmal gesagt, die Geburt werde auch "Pforte des Lebens" genannt. Für mich ist es der Tod des Geistes, ein grauenvoller und grausamer Tod, dem meist ein langes Siechtum folgt in Nacht, Kälte und Unwissenheit, mit einem kleinen Lichtpunkt in unendlicher Ferne. Wie ein guter Freund legt sich der Schleier des Vergessens auf die Seele, wie kleine Schneeflocken, die sie zärtlich immer mehr umhüllen. Denn erst unter einer dicken Schneedecke läßt sich das Leben ertragen, werden Lernen und Erfahrungen möglich. Nur hier kann sich der Geist entfalten, bis er wie ein Krokus im Frühjahr die Schneedecke durchstößt und mit weitgeöffnetem Kelch die Morgensonne trinkt. "Es tut mir leid, aber Sie wissen ja selbst, der Schnee und die Kälte, es war einfach nicht möglich, ich konnte nicht kommen." "Ich weiß!" Mehr sagte Vater nicht. In seinem Gesicht lagen Trauer und Verständnis. "Auf Wiedersehen, Herr Doktor." -6-
"Die Reflexe sind gestört, die Stimmbänder gelähmt, der ganze Körper schlaff und reaktionslos", hatte er gesagt. "Das Kind muß schnell in eine Spezialklinik, mir ist eine Behandlung unmöglich. Eine starke Behinderung wird auf jeden Fall bleiben." Es dauerte Tage, bis ein Transport in die Klinik möglich war. Mein Vater kümmerte sich mit unendlicher Liebe um mich. Mutter war sehr mitgenommen. Zorn, Wut und Trauer verhinderten ihre Genesung. Ihre Ablehnung saß so tief, daß schon bald die Milch versiegte. Nun ersetzte mir Vater auch noch die Mutter. Er wickelte, badete und fütterte mich mit größter Sorgfalt und Zärtlichkeit. Seine Arme und Hände gaben mir einen Teil der verlorenen Geborgenheit zurück. Ich dankte ihm mit dem Glanz meiner Augen, und er nahm es schweigend an. "Warum hast Du mich gehindert, das Kind abzutreiben, damals, als ich die Röteln hatte!" Wie ein schneidendes Schwert flog dieser Vorwurf durch die Luft. "Sie lebt." Vater sprach nie viel. "Was ist das für ein Leben! Ein Krüppel wird sie sein, stumm und bewegungsunfähig. Unfähig, sich selbst zu versorgen, nur ein Klotz am Bein. Nie wird sie die Vergnügungen des Lebens auskosten können, womöglich ist sie noch nicht einmal in der Lage, richtig zu denken. Ewig wird sie uns zur Last fallen, und das ist alles Deine Schuld." "Weißt Du denn, was Leben ist?", entgegnete Vater ruhig. "Meinst Du immer noch, daß das Leben darin besteht, möglichst viel von dem Kuchen für sich abzuschneiden, der allen zugedacht ist? Glaubst Du, es fragt Dich am Schluß jemand, wie viele Vergnügungen Du wie tief ausgekostet hast? Oder wie bequem Du es Dir -7-
gemacht hast?" Seine friedliche Stimme dämpfte den Schmerz, der mich durchzuckte. Wie viele bange Stunden und Tage hatte ich durchlebt, als Mutter mich damals abtreiben wollte. Der Arzt hatte es ihr geraten, und sie war fest entschlossen dazu. "Denken Sie daran, es kann ein Krüppel werden!" "Tu es nicht, ich bitte dich, laß mich doch leben. Es bedeutet mir viel, dieses Leben. Ich brauche diese Erfahrungen, sie werden mich weiterbringen. Bitte zerstöre nicht, was so lange gereift ist. Mach mir meine Chance nicht kaputt, du hast kein Recht dazu. Ich werde es dir danken mit Liebe, soweit ich es kann. Gott wird dir lohnen, was ich nicht vermag." Stundenlang habe ich mit ihr geredet, habe versucht, in ihr Liebe zu wecken, Verständnis. Sie hat mich nicht einmal wahrgenommen. Sie wollte sich gar nicht auf mich einstimmen, wollte keine Verbindung zu mir herstellen. Sie kämpfte um die Trennung, wollte mich loswerden. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, zum Gespött der anderen zu werden. Mit einem "Klotz am Bein". Angebunden zu sein, ihr Leben ändern zu müssen, zu verzichten. Aber Vater ließ es nicht zu. Ihn hatte ich erreicht mit meiner Bitte, er nahm meine Gefühle wahr, identifizierte sich damit. Ich bin sehr froh und dankbar, daß er mir dieses Leben bei ihm ermöglicht hat. Ein starkes Band der Liebe verbindet uns, es wird mich vieles leichter ertragen lassen.
* "Einige wichtige Zentren des Gehirns sind schwer -8-
geschädigt." Für den Arzt war ich lediglich ein Objekt, das zu seinem 'Job' gehörte. "Schauen Sie her!" Er piekste mich bestimmt zwanzigmal mit einer Nadel von oben bis unten. Wer hat denn gesagt, daß ich keine Schmerzempfindung habe, auch wenn mein Körper nicht in der Lage ist, normal zu reagieren? Das war nun ungefähr das zehnte Mal, daß ich in den letzten Wochen diese Quälerei über mich ergehen lassen mußte. Wozu? Der Besserung meines Zustandes diente es jedenfalls nicht. Nur eine tiefe und zu späteren Zeiten für meine Umwelt unverständliche Abneigung und Furcht vor allem, was nach Klinik und Arzt aussah, wurde in mir geboren. Die endlosen Blutabnahmen, das grelle Licht in den Augen, die ständigen Untersuchungen hatten sich tief in mein Unterbewußtsein eingegraben. Wissen die Ärzte eigentlich, was in einem Kind vorgeht, das an den Füßen gehalten und am Kopf plötzlich losgelassen wird? Für sie ist es die selbstverständlichste und nebensächlichste Angelegenheit der Welt. Zehn-, zwanzigmal durfte ich dieses Zirkusstück üben. Jedesmal krampften sich mir Magen und Zwerchfell zusammen, obwohl mein Körper nicht die verlangte Reaktion zustande bringen konnte. Bodenloser Schrecken überfiel mich jedesmal. Ich wollte schreien, jeder sollte meine Not hören, aber meine Stimmbänder gehorchten den ohnehin unvollkommenen Nervsignalen nicht. Wer kann ermessen, was es für ein Kind bedeutet, auf dem Röntgengerät kopfüber Riesenrad zufahren, nachdem die Gehirnflüssigkeit zuerst gegen Luft und dann gegen ein Kontrastmittel ausgetauscht worden ist? Bei jeder Bewegung scheinen im Kopf Berge einzustürzen. Das Gehirn scheint zerplatzen zu wollen - und ich konnte nicht einmal schreien. Wochenlang noch tobten Wirbelstürme in -9-
meinem Kopf, ohne je ganz verschwinden zu wollen. Hat sich jemals einer dieser Ärzte Gedanken gemacht, welche Existenzangst aufbricht, wenn der Körper von zwei Greifarmen gepackt und in eine enge 'Röntgenbratröhre' geschoben wird? Sekunden werden hierzu Stunden. Woher nehmen sie diese Macht, wer gab ihnen das Recht, Seelen zu zertrümmern, ohne auch nur den Körper heilen zu können? Wer hat diese modernen Foltermethoden erfunden? Wer hat sie legalisiert? Wer hat Denken und Intuition durch kalte, nackte Apparate ersetzt, die den Menschen in Hunderte von Einzelteilen und Einzelfunktionen zerlegen und perfekte Diagnosen stellen können, um dann in der Therapie jedem intuitiv arbeitenden Arzt weit unterlegen zu sein? Einsam - trotz hektischer Betriebsamkeit. Verlassen trotz ständiger Beobachtung. Hilflos - trotz der vielen Helfer. Es war kalt und dunkel. Etwas Licht brachte erst Schwester Benedicta, der ich die letzten Tage zur Obhut übergeben wurde. Obwohl sie ständig bis zur Erschöpfung arbeitete, strahlte sie eine Ruhe aus, die von tief innen kam. Für sie war Leben, Lieben und Helfen dasselbe. Sie verstand es, viele Risse zu kitten und mich wenigstens einigermaßen wieder mit der Welt zu versöhnen. Sie hatte auch ihre Aufgaben, mußte auch unangenehme Dinge tun, Blut abnehmen zum Beispiel oder Pflaster wechseln. Sie tat es jedesmal mit einer stummen Entschuldigung in ihrem Herzen. Ihre Ausstrahlung, ihre Schwingung, wickelte mich in Wärme und Liebe und neutralisierte den Schmerz bereits im Entstehen. Bei ihr wußte ich, es war notwendig, überlegt, und es geschah so vorsichtig wie möglich. Wer hat den anderen die Liebe gestohlen? "Die Nacht hat das Licht aufgefressen." Und bei seinem Verlöschen nahm es die Wärme mit. Es blieb die Kälte -10-
nur. Diese zehn Wochen in der Klinik waren nach der Geburt mein schlimmstes Erlebnis. Bei dem Gedanken daran läuft mir immer noch ein kalter Schauer über den Rücken.
* Vater hatte mich abgeholt, stumm und verstehend wie immer, von Liebe umstrahlt. Er ließ mich eintauchen in sie, und die Welt versank um mich herum. Weggewischt waren die bösen Stunden, Friede und Güte herrschten. Ein schlafloser Traum entführte mich, ich schwebte einer Nebelschwade gleich dem Licht entgegen, tauchte ein in einen Wasserfall aus Tausenden von Lichtfunken. Es tat unendlich gut. Erfrischt und gekräftigt setzte ich mich auf eine Wiese, umgeben von Tausenden der allerschönsten Blumen. Duftend, klar, kühl war die Luft. "Barbara!" Michael stand neben mir. In seinem schlichten weißen Gewand mit dem Gürtel aus Edelsteinen, klein und anmutig die Gestalt, jugendlich, fast etwas spitzbübisch das Gesicht, fast zu jung nach menschlichen Gesichtspunkten. Wortlos nahm er mich in seine Arme. Seit meiner Geburt hatte ich ihn nicht wiedergesehen. "Du warst lange fort. Ich habe dich gerufen, hast du mich denn nicht gehört?" "Ich habe dich gehört, mein Kind, und ich versichere dir, daß ich immer bei dir war." "Aber ich habe dich nicht gesehen." "Das konntest du auch nicht." "Aber früher habe ich dich doch auch immer gesehen, wenn ich Sehnsucht nach dir hatte, ich mußte dich nicht -11-
einmal rufen." "Aber nun bist du auf der Erde und mußt dich ihren Gesetzen anpassen. Sie sind streng, unerbittlich und unabänderlich. Es war notwendig, dich in dieser Zeit alleinzulassen. Du mußtest dich eingewöhnen, hattest sehr viel durchzustehen, konntest schon sehr viele Erfahrungen machen. Dazu war es notwendig, daß du alleine warst, ohne Rettungsanker. Zudem wäre es nicht einfacher geworden, wenn du durch mich ständig an Schöneres erinnert worden wärest. Aber das ist nur die eine Seite." Michael machte eine lange Pause. "Wirklich 'sehen' können auf der Erde nur sehr wenige. Einigen ist es angeboren. Für sie ist es eine große Prüfung - es ist sehr schwierig, mit dieser Gabe richtig umzugehen -, oder sie haben bestimmte Aufgaben. Ansonsten ist 'Sehen' nur dann möglich, wenn ein Mensch in der Lage ist, seine Schwingung völlig auf unsere Schwingung einzustellen. Diese ist jedoch viel reiner und geistiger, von keiner Materie belastet. Viele Hindernisse stehen auf der Erde dazwischen. Eines nur will ich dir heute schon zeigen, das größte und schwerste. Es ist dies der Haß und alle ihm verwandten Gefühle, Vorwurf, Ärger, Lieblosigkeit. Haß erzeugt die niederste, die gröbste, die tiefste Schwingung. Sie zieht dich hinunter und verunmöglicht jeden Kontakt mit der geistigen Welt. Seine Schwingung kann sich so verdichten, daß einigermaßen sensible Menschen ihn bereits körperlich spüren können. Er ist zwar nicht die Ursache allen Leides, sondern eine Folge der ersten Ursache, die ich dir später noch erklären werde; aber er ist das destruktivste Gefühl überhaupt. Er zerstört alles, läßt der Liebe nicht die geringste Chance." "Und ich habe angefangen, alles zu hassen, was gegen mich ist. Meine Mutter, die Klinik, die Ärzte." -12-
"Du siehst nun, daß es nicht richtig war. Der Haß zieht dich auf die niederste, die dichteste Ebene herunter, wo das Gesetz, das der Materie zugrunde liegt, voll zum Tragen kommt. Schmerz ist eine der Geiseln, über die Materie verfügt. Er trifft dich am härtesten, wenn du auf der untersten Stufe stehst. Schmerz ist keine vorgegebene Größe. Er wird über die Nerven in das Gehirn geleitet, und erst dort kommt die Schmerzempfindung zustande. Diese ist aber abhängig von dem Zustand, in dem sich dein Gehirn befindet; und da das Denken dem Fühlen untergeordnet ist - auch wenn es heute in der nüchternen Welt anders gelehrt wird -, hängt die Schmerzempfindung vor allem von unserem Seelenzustand ab. Ein und derselbe Schmerz, im Schwingungszustand des Hasses erlebt, wird ungleich stärker empfunden als im Schwingungszustand der Liebe, des Verstehens und Verzeihens." "Darum also waren die Schmerzen so unerträglich, so voll brutaler Gewalt!" "Siehst du nun, welch wichtige Erfahrungen du schon gemacht hast? Du hast eines der wichtigsten und elementarsten Gesetze kennengelernt: Es hängt vom Zustand der Geistseele ab, wie tief du dich in der Materie verstrickst. Ausdruck der Seele sind die Gefühle, und umgekehrt bestimmst du mit deinen Gefühlen den Schwingungszustand deiner Geistseele. Halte dir als Beispiel einen Pendel vor Augen. Je langsamer er schwingt, also je niederer sein Schwingungszustand ist, desto leichter faßbar wird er. Je schneller er schwingt, desto schwieriger wird es, ihn zu greifen, bis du schließlich überhaupt keine Chance mehr hast, weil er so schnell schwingt, daß du ihn nicht mehr sehen kannst; er ist deinem Blickfeld entschwunden. Trotzdem würde niemand auf die Idee kommen zu sagen, den Pendel gibt es nicht, denn ich sehe ihn nicht mehr. Den Weg des Pendels -13-
bis hierher konnte man ja verfolgen. Es ist logisch. Logisch ist aber nur das, was wir mit unserem Verstand fassen und denken können. Drei und drei ist sechs. "Das ist doch logisch", sagt jeder. Für ein kleines Kind ist das überhaupt nicht logisch, sein Verstand ist eben noch nicht so ausgereift. Deshalb ist drei und drei aber trotzdem sechs, auch wenn es das Kind noch nicht versteht. Sobald der Mensch jedoch erwachsen ist, meint er, er wisse nun alles. Dabei ist der Verstand des Menschen im Vergleich zum höchsten kosmischen Bewußtsein, dem Allwissen Gottes, nicht einmal ein Sandkorn in der Wüste. Zurück zu unserem Beispiel: So wie der Pendel deinem Auge entschwindet, wenn er schneller schwingt, so sind auch Wesen unsichtbar, die sich in einem höheren Schwingungszustand befinden. Ein Engel oder Geistwesen kann sich zwar unter bestimmten - sehr seltenen Bedingungen auch materialisieren und damit einen niedereren Schwingungszustand annehmen. Aber in der Regel ist es eben umgekehrt: du mußt dich in den höheren Schwingungszustand versetzen, um mit diesen Wesen Kontakt aufnehmen zu können. Je vollkommener dir das gelingt, desto vollkommener wird auch der Kontakt sein, desto vollkommener wirst du ihre Wesenheit wahrnehmen können. Das geht vom bloßen Ahnen über Fühlen und Hören bis hin zum Sehen, bzw. in der Vollendung zum gleichberechtigten Gegenüber. Willst du daher mit der geistigen Welt Kontakt aufnehmen, dann meide alles, was deinen Schwingungszustand erniedrigt. Dazu gehört neben den Gefühlen auch dein Denken, dein Handeln und noch einiges mehr; aber darüber später. Von den Gefühlen ist der Haß das niederste. Er hält dich unten, bindet dich in der Materie fest und verunmöglicht jeden Versuch, dich geistig und seelisch höher zu entwickeln. Es folgen nun viele Abstufungen bis hin zur -14-
reinen, selbstlosen Liebe. Mit ihr kannst du bis in die höchsten Gefilde der geistigen Welt vorstoßen, in der Vollendung bis zum Throne Gottes. Die Liebe schließt alle Tore auf, sie ist das "Sesamöffne-Dich" der geistigen Welt. Als du nun in der Klinik anfingst, alles zu hassen, stelltest du dich auf die niederste Stufe. Alles Negative mußte dich darum mit voller Wucht treffen. Krankheit ist die zweite, mit dem Schmerz eng verwandte Geißel der Materie. Du kannst dir wahrscheinlich schon denken, was nun folgt. Die geistige Welt kennt keine Krankheit. Je tiefer dein Schwingungszustand ist, je mehr du dich also in die Hände der Materie begibst, desto anfälliger wirst du dafür. Umgekehrt: du kannst ihr entkommen, indem du dich mit Hilfe der höheren Gefühle, vor allem also der Liebe, auf die geistige Ebene zubewegst. Deine Gefühle sind wie Finger auf der Harfe des Lebens. Sie schlagen die Saiten an, deren Tonhöhe die Schwingung deiner Geistseele bestimmt. Übe dich in den hohen, reinen Klängen. Ihre Schwingung strebt dem Unendlichen zu." Lange Zeit waren wir so schweigend nebeneinander hergegangen. Es herrschte eine friedliche, fast feierliche Stimmung. Die Sonne, obwohl nirgends zu sehen, verbreitete ein warmes Dämmerlicht. Sie schien überall zu sein, kein Schatten konnte ihr trotzen. Der Bach mit seinem kristallklaren Wasser plätscherte leise vor sich hin. Die Luft war angefüllt mit einem eigenartigen, übernatürlichen Schwingen, das nicht nur von den Ohren, sondern vom ganzen Körper wahrgenommen werden konnte. Ein unbeschreibliches Gefühl von Geborgenheit durchströmte mich. Instinktiv klammerte ich mich fest an meinen Begleiter. -15-
"Es ist eine große Gnade, daß ich dich bereits am Anfang deines Lebens in diese Dinge einweihen darf, die viele am Ende ihres Lebens noch nicht kennen. Es ist gleichzeitig aber auch eine große Verpflichtung für dich. Handle danach, verbreite das Licht auf der Erde!"
* Als ich wieder aufwachte, war ich bereits daheim. Widerwillig und mißmutig wickelte mich meine Mutter, um mich anschließend mit Milchbrei zu füttern. Zum ersten Mal war ich nicht in der Lage, ihren Ärger zu erwidern. Mein Traum hielt mich noch ganz gefangen. Es war ein wunderschönes Gefühl. Ich konnte ihrer Lieblosigkeit mit Liebe begegnen, hielt die Kälte mit Wärme fern. Wie ein Schild legte sie sich schützend um mich, und plötzlich tat die Kälte nicht mehr weh. Im Laufe der Zeit lernte ich, daß man nicht notwendigerweise Ablehnung mit Ablehnung und Lieblosigkeit mit Lieblosigkeit beantworten muß. Diese negativen Gefühle tun nur dann weh, wenn man sie in sich hineinläßt. Nur dann können sie verletzen und Wunden schlagen. In dem Moment aber, wo es gelingt, diese negative Energie umzuwandeln und als Liebe zurückzuschicken, ist kein 'Krieg' mehr möglich. Ein Schwertkämpfer kann nur solange kämpfen, wie er auf Widerstand trifft. Geht sein Schlag ins Leere, wird er sofort verdutzt aufhören. Ein Tennisball fliegt nur dann zurück, wenn er auf den harten Boden auftrifft und zusätzlich durch die Kraft des Schlägers mit neuer Energie versorgt und wieder zurückgeschlagen wird. Er verliert all seine Energie, wenn er auf weichen, nachgiebigen Boden trifft und niemand da ist, der ihn zurückschlägt. Ebenso ergeht es auch Haß und Ärger. -16-
Meine Mutter war wohl sehr verdutzt, als ich zum erstenmal diesen 'geistigen Kleinkrieg' auf solche Weise unterbrochen habe. Irgendwie konnte sie ihren Zorn nicht mehr auf mich abladen. Dafür mußte allerdings der arme Katzenpeter dran glauben, der ihr gerade nichtsahnend zwischen die Beine gelaufen war. Aber Katzen scheinen hart im Nehmen zu sein. Der Fußtritt besehene ihm zwar eine ungewollte Flugreise von mehreren Metern, konnte ihm aber nicht einmal ein Schmerzensmiau entlocken. Mein Leben gestaltete sich zunächst recht eintönig. Meine Mutter kümmerte sich nicht viel um mich, und auch meine Brüder, Horst zwölf und Willi zehn Jahre alt, hatten anderes im Sinn, als sich mit der "blöden Geiß" abzugeben. Die blöde Geiß, das war ich. Still lag ich den ganzen Tag in meiner Ecke und schien meine Umwelt kaum zur Kenntnis zu nehmen. Sprechen konnte ich nicht; die Lähmung hatte die Stimmbänder atrophieren lassen; ich würde für immer stumm bleiben. Ein Ohr war völlig taub, das andere funktionierte noch ein bißchen. Meine Glieder waren schlaff, meine Nerven spielten nicht mit. "Ein Defekt in der Transmitter Substanz, die den Kontakt zwischen Nerven und Muskeln herstellt", hatte der Arzt gesagt. "Eine seltene Krankheit." Ja, sehr selten, aber ich mußte damit zurechtkommen. Sitzen konnte ich nur, wenn ich gestützt wurde, und Mutter war nur selten bereit dazu. In der Regel lag ich auf einer kleinen Decke im Wohnzimmer. Es war eigentlich kein schlechter Platz. Im Winter heizte der Kachelofen kräftig ein. Ich liebte seine Wärme. Sie drang in mich ein, sie wärmte auch noch tief innen, füllte mich ganz aus. Es war echte, lebendige Wärme, verströmt von dem sich dafür verzehrenden Holzscheit. Ich habe oft darüber nachgedacht. Zeit hatte ich ja genügend. Was kann man tun, wenn man zur Untätigkeit verdammt ist? Sicherlich, -17-
ich schlief viel, zumindest in den ersten Jahren. Aber die restlichen Stunden? Sie dauern sehr lange, wenn man nichts tun kann, oft zulange. Ich war dankbar, daß meine Augen ziemlich unversehrt waren. Im Haus sah ich alles, draußen im hellen Licht hatte ich Schwierigkeiten. Die Lichtempfindlichkeit war zu hoch, oft war die Bindehaut entzündet und tat weh. Als ich später eine dunkle Brille bekam, wurde es wesentlich besser. Meine Augen waren sonst praktisch das Einzige, um mit der Umgebung in Kontakt zu treten. Ich konnte stundenlang einen Gegenstand betrachten oder den Fliegen zuschauen oder den Blumen. "Geduld ist eine der großen Eigenschaften Gottes", hatte Michael gesagt. "Übe dich darin, so oft es geht." Damals habe ich den Sinn noch nicht richtig verstanden. Aber das machte nichts. Meine Krankheit hat mich geführt. Sie ließ mir nur die Wahl zwischen Geduld und Auflehnung oder Verzweiflung. Geduld schien mir das 'geringere Übel'. Ich bin unendlich dankbar für die Erfahrungen, die ich so machen durfte, für die Hilfe, die ich bekam. Meine Krankheit war ein guter Lehrmeister. Damals hätte ich noch mit jedem gesunden Körper getauscht. Heute danke ich Dir, Vater, daß Du es nicht zugelassen hast. "Nur ein Blinder wird ein schön geformtes Gefäß einem Goldklumpen vorziehen. " Ich liebte die Art, wie Michael es verstand, große Dinge mit einfachen Vergleichen verständlich zu machen. "Der Körper, die materielle Hülle, schon kurz nach Beginn des Lebens der Vernichtung preisgegeben, unabänderlich seinem Verfall zustrebend, was taugt er schon im Vergleich zu dem unsterblichen Geist? Er ist sein Gefängnis, kann ihn knechten und unterdrücken, ja, manchmal auch völlig ausschalten - aber nur auf kurze Zeit. Schlimmstenfalls ist es ein Dornröschenschlaf, meist keine hundert Jahre -18-
dauernd. Von einem Prinz namens Tod wird der Geist wieder wachgeküßt. Wie gut, wenn er dann erkennen kann, daß er sich nicht seinem Kerkermeister bedingungslos ausgeliefert hatte, daß er seinem Körper ein Schnippchen geschlagen und - offiziell sich demütig unterordnend - im geheimen doch die höchsten Gipfel erklommen hatte. Was interessiert das Küken, wenn es ausschlüpft, die Schale, die es gerade zerbrochen hat? Was nützen all die vielen körperlichen Vergnügungen und Freuden im Reich des Geistes? Wohl dem, der frühzeitig die Gnade dieser Erkenntnis erhält." Mein Körper hat mir diese Erkenntnis ersetzt. Erbarmungslos, brutal - und doch unendlich liebevoll. Geduld? Läßt sie sich finden in der Hektik des Lebens? Im Sog körperlicher Unversehrtheit, ausschließlich der Befriedigung materieller Bedürfnisse dienend? Dankbar nehme ich die Geißel an, die meinen Körper zerschlagen hat, die die Gefängnismauern eingerissen und den Geist befreit hat. Deutsch, Rechnen, Fußball stand auf dem Stundenplan meiner Brüder; Geduld und Liebe auf meinem. Es war eine harte Schule. Am schlimmsten war es, als ich mich noch nicht selber drehen konnte. Ich mußte oft tagelang auf der gleichen Stelle liegen. Mutter hat es sicherlich nicht absichtlich getan, aber sie war nicht in der Lage, sich in mich einzufühlen. Ich lag solange auf derselben Stelle, bis die Haut wund wurde. Es waren große und langdauernde Qualen, die ich damals erdulden mußte. Schreien konnte ich ja nicht; so wimmerte ich oft stundenlang vor mich hin, mit dem Erfolg, daß sich Mutter noch mehr von mir zurückzog, weil ihr "die Heulsuse den letzten Nerv raubte". Ich versuchte ständig, keinen Haß aufkeimen zu lassen, keine Vorwürfe und keine Verurteilung. Es war unendlich schwer und kostete mich sehr viel Überwindung. "Kälte -19-
läßt sich nicht durch Kälte lindern, aber Wärme schmilzt mit der Zeit jedes Eis", hatte Michael gesagt. Ich wußte, daß er recht hatte. Ich wußte, daß dies der einzige Weg war, mein Weg. Aber er war steil, steinig und rutschig. Oft dachte ich: zu steil. Ich bekam die Macht des Körpers zu spüren. Mit seiner stärksten Waffe, dem Schmerz, peinigte er mich. Und der Geist hatte noch nicht die Kraft, sich darüber zu erheben. Ich war noch die Gefangene meines Körpers, meiner Gefühle. Der Schmerz kontrollierte Reaktion und Denken. Mühsam und langwierig ist der Weg, die Gefühle von den Sinneseindrücken des Körpers abzukoppeln und sie dem inneren, eigentlichen Ich, dem Geist, zu unterstellen. "Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Fühlen dürfen nicht automatisch entsprechende Reaktionen auslösen", hatte Michael gesagt. "Du sollst die Empfindungen erkennen und registrieren. Aber laß sie nie dein Handeln und deine Gefühle bestimmen. Wenn dich jemand beschimpft, bist du wütend, wenn dich jemand verachtet, bist du traurig, wenn dich jemand lobt, freust du dich, fügt dir jemand Schmerz zu, fängst du an, ihn zu hassen. Du bist wie ein Roboter: Drückt man auf den Knopf, so bringt er eine bestimmte, immer gleiche Bewegung hervor. Meinst du, Gott wollte Roboter erschaffen? Das hätte er auch einfacher haben können. Er hat mit dem Menschen ein Wesen erschaffen, das mit allem ausgestattet ist, was ihn befähigt, frei zu sein, um in völliger Freiheit die höchsten Sphären zu erklimmen. Viele Gefahren lauern am Wegrand. Nur zu oft läßt der Mensch sich übertölpeln, läßt sich seine Freiheit abkaufen für ein Butterbrot. All die billigen Vergnügungen, die materiellen und sexuellen Abhängigkeiten, die Suchtmittel, Alkohol, Rauchen, Rauschgift, Tabletten, die Mode, die man unbedingt mitmachen muß, all die Dinge, die man tun muß, um vor -20-
der Welt groß dazustehen, das neue Auto, das man braucht, weil der Nachbar auch eins hat, die neue Sportart, ohne die man nicht gesellschaftsfähig ist, der Putzwahn, um der Nachbarin zu zeigen, daß man es doch besser kann. Es gibt Tausende solcher 'Zwangsneurosen , die alle die Freiheit zunichte machen, den Menschen zum Roboter degradieren. Dabei hat der Mensch eine wunderbare Waffe mitbekommen, die alle Angriffe abwehren kann: Die Liebe. Die Liebe zu Gott besiegt alle diese Gefahren. Liebe zu Gott heißt, den zu lieben, der mich erschaffen hat, der Ursache und gleichzeitig Ziel meiner Entwicklung ist, der meinem Dasein den Sinn gegeben hat, ihm in völliger Freiheit seine Liebe erwidern zu können. Diese Liebe schafft alle Schranken ab; wie ein Bruder, wie eine Schwester will Gott uns neben sich haben. Nicht als großen Herrscher sollen wir ihn lieben, nicht wegen seiner Weisheit, seiner unendlichen Größe und Überlegenheit. Er will ganz einfach nur geliebt werden, weil er da ist, wie ein Kind seine Mutter, wie eine Mutter ihr Kind liebt. Diese echte Liebe soll so stark wachsen, daß sie durch nichts getrübt wird. Nichts soll sie jemals wieder stören oder schmälern können. Sie ist etwas Einmaliges, etwas Unüberbietbares, etwas Heiliges. Sie ist das Größte, was es je gab und je geben wird. Sie ist Ursache und Sinn des Lebens, ja, sie ist das Leben selbst. Nun ist es aber nicht möglich, mit dieser Liebe erschaffen zu werden. Auch für einen allmächtigen Gott ist dies nicht möglich. Denn dann hätte er ja Roboter geschaffen. Was habe ich von einer Liebe, die keine andere Wahl hat, die mich lieben muß, weil ihr die Möglichkeit fehlt, mich nicht zu lieben? Die Liebe einer Frau ist doch deshalb so wertvoll, weil sie sich frei dafür entschieden hat. Sie wäre doch unendlich viel weniger wert, gäbe es nur einen einzigen -21-
Mann auf der Welt, so daß sie gar keine andere Wahl hätte. Erst die freie Entscheidung macht die Liebe so wertvoll. Auch für Gott. Er wollte keine Roboter. So mußte er uns Entwicklungsmöglichkeiten schaffen, wo wir uns frei entscheiden können. Für Gott oder für das Geld, für Gott oder für Sex, für Gott oder für die Abhängigkeit von Suchtmitteln, für Gott oder für eine der vielen 'Zwangsneurosen'. Gott läßt uns ganz bewußt die Wahl. Er kann und darf sich nicht einmischen. Viele sagen, ich glaube erst an Gott, wenn ich ihn gesehen habe, wenn er ein solches Wunder vor meinen Augen wirkt, daß ich ganz sicher bin. Was wäre denn, wenn er ein solches Wunder wirken würde? Wenn er sich in seiner ganzen Größe und Herrlichkeit zeigen würde? Dann würde zwar jeder sagen : "Ja, jetzt kann ich endlich glauben, jetzt werde ich dich lieben." Aber das ist doch keine freie Entscheidung mehr. Diese Liebe ist nichts wert. Sie kommt nicht aus dem Herzen, sondern aus dem Verstand. Berechnende Liebe mag auf der Erde zwar manchmal mit echter Liebe verwechselt werden, aber Gott läßt sich nicht täuschen. Es wäre dasselbe, wie wenn eine Frau einen Mann erst dann liebt, wenn ihr seine Bankkonten und seine Besitztümer groß genug erscheinen. Das hat doch mit Liebe nichts zu tun. Wahre Liebe - und nur sie gibt es bei Gott - ist frei von jeder Berechnung. Sie stellt keine Forderung, erwartet keine Gegenleistung. Sie liebt einfach. So will auch Gott geliebt werden. Einfach, weil er da ist. Nicht deswegen, damit wir nicht in die 'Hölle' kommen; nicht deswegen, damit wir im 'Himmel' ewig unsere Ruhe haben; nicht deswegen, weil Gott über alle Möglichkeiten verfügt, uns das 'ewige Leben' angenehm zu gestalten. Gott will nicht wegen etwas geliebt werden, sondern einfach nur, weil es ihn gibt. Und dazu ist es nun einmal nötig, daß er sich auf der Erde zurückhält, daß es Dinge gibt, die eine -22-
Alternative darstellen, daß er uns eine echte Wahl läßt. Zeichen gibt es genug. Jeder, der ihn sucht, wird sie in übergroßer Fülle finden. Was ist die Natur anderes als ein Wunder Gottes? Die Blume, die aus der Zwiebel wächst, der Baum aus dem Samen? Oder die Blattbegonie, die aus einem einzigen Blatt wieder eine neue Pflanze entstehen läßt? Ohne Schwierigkeiten kann jeder, der will, eine gewaltige ordnende Macht dahinter feststellen. Zu behaupten, das alles sei zufällig aus einer Urmaterie entstanden, also die Ordnung aus dem Chaos, ist so absurd wie die Behauptung, der Sand in der Wüste könne von alleine die Pyramiden erbauen, man müsse ihm nur genügend Zeit lassen. Wer hat schon einmal Ordnung aus dem Chaos entstehen sehen? Von alleine? Der zweite Teil dieser Liebeswaffe ist die Liebe zu den Mitmenschen. Sie unterscheidet sich nur unwesentlich von der Liebe zu Gott. So wie diese alle materiellen Versuchungen, Süchte und Zwänge besiegen kann, so kann die Nächstenliebe deine Gefühle besiegen. Oder wie kann ich Haß fühlen, wenn ich mein Gegenüber liebe? Oder Vorwürfe machen? Alle negativen Gefühle werden besiegt durch die Nächstenliebe. Sie fragt nicht warum, sie ist einfach da, für jeden. Wie kann ich, fragst du, meinen Feind lieben, der mir nur Böses antun will? Das ist ganz einfach. Er ist dasselbe, was du auch bist. Er ist ein Geschöpf Gottes, geschaffen aus der Liebe und für die Liebe. Gott liebt ihn genauso wie dich. Liebe macht keine Unterschiede. Wie kannst du nun, wenn du vorgibst, Gott zu lieben, denjenigen hassen, den Gott genauso liebt wie dich? Wenn man jemanden wirklich liebt, dann liebt man ihn ganz, mit all seinen Eigenschaften. Wenn du Gott wirklich liebst, dann mußt du auch alle seine Eigenschaften lieben, auch, daß er alle seine Geschöpfe ohne Unterschied liebt. Wie kannst du dann auch nur eines -23-
dieser Geschöpfe nicht lieben? Das gibt es nicht einmal bei der weltlichen Liebe. Wenn ein Mann seinen Freund sehr liebt, dann wird dieser von seiner Frau doch wenigstens toleriert und freundlich behandelt. Und bei Gott soll dies anders sein? Da müssen wir doch unsere Mitmenschen wenigstens auch freundlich behandeln. Das ist doch die selbstverständlichste Sache der Welt. Aber verzweifle nicht. Es ist auch die schwerste. Wir werden noch oft darüber reden." Auch heute durfte ich wieder lange an Michaels Arm durch die duftenden Auen wandern, die frische, kühle Luft genießen. Es herrschten wieder dieselben eigenartigen Lichtverhältnisse, ein wunderschönes, sehr helles Dämmerlicht, das aber keinen Schatten warf. Die Sonne war nirgends zu sehen. Eine unendliche Vielfalt an Blumen und Bäumen begleitete uns. Ich kann es nicht anders ausdrücken. Die Natur war nicht einfach da, sie schien mit uns mitzuleben, schien in unsere Gefühle eingewoben zu sein, schien unsere Stimmung zu beeinflussen und gleichzeitig von ihr beeinflußt, ja, erhalten zu werden. Viele Vögel zwitscherten um uns herum, viele Schmetterlinge umgaukelten uns, Bienen summten, alles war erfüllt von blühendem Leben. Auch die Tiere waren nicht einfach da. Sie schienen irgendwie ein Teil von mir zu sein und waren doch auf geheimnisvolle Weise lebendiger, als ich sie je auf Erden wahrgenommen habe. Es war nirgends auch nur ein Hauch von Angst oder Sorge zu spüren. Nur Liebe. Jeder gab alles und wußte doch, daß ihm niemand etwas nahm. Ich erkannte mich in den Vögeln, in den Blumen, in der kleinsten Schnecke. Ich wußte, ich war sie, und sie waren ich, und doch waren wir nicht dasselbe. Sie waren auch keine Phantasiegebilde; man konnte sie anfassen, mit ihnen reden, ohne zu sprechen. Allein die gedankliche Verbindung mit ihnen -24-
ermöglichte eine Verständigung, die nahezu unbeschreiblich ist. Ich war in der Lage, ihr ganzes Wesen, ihre Gefühle zu erfassen und zu erleben. Nicht nur, daß ich mich in sie einfühlen konnte, ich durfte sie völlig in mich aufnehmen. Es war - wie wenn Liebe sich selber liebt. "Das, was du hier siehst und erlebst, hat nichts Vergleichbares auf der Erde. Auf der Erde macht jede Pflanze, jedes Tier, ja, jeder Stein seine eigene Entwicklung durch. Es sind dies alles Geistfunken Gottes, die über unendlich viele Zwischenstufen zur Reife geführt werden. Willst du dich mit ihnen verbinden, dann mußt du dich ihrem Schwingungszustand anpassen, was eine hohe geistige Reife voraussetzt. Für den Durchschnittsmenschen ist somit eine Verbindung nicht sichtbar. Die materielle Denkweise läßt die Zusammenhänge nicht erkennen, sondern muß in ihnen notgedrungen eigenständige, von der eigenen Person wesentlich verschiedene Daseinsformen sehen. Nicht so in der geistigen Welt. Hier ist alles in dir, was du siehst, alles, was du erlebst. Denn nur, was in dir ist, kannst du auch erleben und wahrnehmen. Es ist ein Teil von dir und du ein Teil von ihm. Alles, was ist, sind Liebesfunken Gottes. Wie der Tropfen im Meer eins wird mit den Myriaden anderer Tropfen, von außen nicht mehr unterscheidbar, trotzdem seine Eigenständigkeit voll bewahrend, so sieht sich ein geistig entwickeltes Wesen eingebettet in die gesamte Schöpfung. So wie ein Tropfen, wenn er gefriert, seinen Zusammenhalt mit den anderen Tropfen verliert, sich als Eiskristall von den anderen abgrenzend, so verliert der Mensch das Gefühl des Einsseins mit der Schöpfung, wenn er sich selber abgrenzt, wenn er die Wärme flieht und die Kälte der Materie ihn gefangennimmt. Wenn eine Seele nur nach Materiellem strebt und geistige Werte vernachlässigt, dann muß sie hier auch mit einer -25-
Dürrelandschaft vorlieb nehmen. Wer die Liebe verkümmern läßt, wird hier keine Blumen hervorbringen können. Es ist alles Liebe. So viel Liebe du in dir entwickelt hast, so viel kannst du in der geistigen Welt aus dir hervorbringen. Das, was du heute gesehen und erlebt hast, war erst der Anfang. Wie du schon bemerkt hast, herrscht ständiges Dämmerlicht. Schon ein sehr helles zwar, aber die Sonne ist noch nicht zu sehen. Du könntest sie auch noch nicht ertragen. In der geistigen Welt wird dir nichts aus 'Strafe' vorenthalten. Du erhältst alles, was du ertragen kannst. In die 'Hölle' wird man nicht geworfen. Es ist ein Zustand, in dem man sich befindet, weil man das Licht nicht ertragen kann. Auch darüber werden wir noch oft sprechen. Würdest du in deinem jetzigen Schwingungszustand die geistige Sonne sehen, du würdest verglühen wie eine Glühbirne, die aus einer 300000 Volt Starkstromleitung gespeist wird. Sie kann nur dann mit dem Strom etwas anfangen, wenn er auf 220 Volt heruntertransformiert wird. Auf dieselbe Weise transformiert die Christus-Sonne ihr Licht jeweils auf den Schwingungszustand herunter, auf dem du dich befindest. Und das geschieht dann nicht, um dir zu zeigen, daß du noch lange nicht reif bist! Es geschieht aus Liebe zu dir, weil du mehr noch nicht ertragen könntest, weil du darin verglühen würdest. Es gibt nur diese zwei Möglichkeiten. Entweder transformiert Christus sein Licht auf deine Ebene herunter, oder du transformierst deine Schwingung zur Christus-Sonne hinauf. Den Weg hierzu kennst du. Der Transformator ist die Liebe, allein die Liebe. Sie erhält die Weisheit umsonst, während die ganze Weisheit der Erde nicht einen Tropfen Liebe erhalten wird, wenn sie ihn nicht selber hervorbringt. Gott besitzt alle Weisheit. Er braucht deine Weisheit nicht. Er gibt dir gerne davon ab, so viel du ertragen kannst. Was er von dir dafür will und -26-
braucht, ist deine Liebe. Öffne deine Augen und verliebe dich in Ihn."
* Ich öffnete sie und blickte in die Augen meines Vaters. Jetzt erinnerte ich mich wieder. Er hatte mich zärtlich in seine Arme genommen, und ich war glücklich darin eingeschlafen. Vater sagte nichts. Er schaute mich nur an. Mit seinem warmen, wissenden Blick hüllte er mich ein, nahm mich in sich auf. Bei ihm war ich geborgen. Bei ihm war ich kein Krüppel mehr. Ich war ein Mensch, ich war seine Tochter, die er liebte. Es tut so gut, geliebt zu werden! Die Liebe besiegt jeden Schmerz, macht alle Sorgen vergessen. Warum nur war Vater so selten daheim, warum nur konnte er nicht öfters bei mir sein? Wie wenn er mich verstehen würde, drückte er mich stärker an sich. "Ich habe heute gekündigt." Mutter blieb vor Schreck die Luft weg. Nicht einmal den heißen Kaffee schien sie zu bemerken, den sie auf ihr Kleid verschüttete. "Ich will nicht mehr so viel unterwegs sein. Ich gehöre hierher, zu Dir und vor allem auch zu Barbara." "Das ist gemein! Wenn Du mich auch nur ein bißchen lieben würdest, hättest Du das nicht getan. Du wirst nie wieder eine Stelle finden, wo Du so viel Geld verdienst. Wovon soll ich denn nun meine Kleider bezahlen, das neue Auto, das wir im Sommer kaufen wollten? Mußt Du immer alles kaputt machen? Schon so lange hast Du mir einen Teppichboden versprochen, damit endlich niemand mehr über unseren 'Arme-Leute-Holzfußboden' spotten kann. -27-
Wovon willst Du das nun alles bezahlen? Was willst Du überhaupt machen? Hast Du schon eine neue Arbeitsstelle?" "Nein! Und was ich machen werde, weiß ich auch noch nicht. Ich weiß nur, daß Barbara mich braucht, und das genügt mir." "Hätte ich doch dieses verdammte Ding damals abgetrieben. Womit habe ich das verdient. Den ganzen Tag habe ich nur Arbeit und Scherereien mit ihr, und jetzt stößt Du mich auch noch wegen ihr zurück. O Gott, warum ist die Welt nur so ungerecht! Ich hasse Euch alle!" Sie kämpfte mit den Tränen, und als die Tür ins Schloß fiel, mußte ich an Michaels Worte denken: "Haß kann man körperlich spüren." Wie spitze Pfeile bohrte er sich tief in meinen kleinen Körper und ließ ihn erzittern. Vater drückte mich schützend an sich. Ja, er war unangreifbar geworden. Seine Liebe umgab ihn schützend wie ein Schild. Ich wußte, er würde Mutter, wenn sie sich beruhigt hatte, wieder in seinen Arm nehmen und ihr nie etwas nachtragen, sie mit keinem Wort mehr daran erinnern. Ich bewunderte Vater. Ob er wohl die Sonne schon sehen konnte? Vater war Monteur bei einer großen Firma, die vorwiegend im Ausland tätig war. Er war oft vier Wochen oder noch länger weg und kam dann höchstens für ein paar Tage heim, um gleich wieder mit einem neuen Auftrag in ein anderes Land geschickt zu werden. Er mußte dabei wohl sehr viel Geld verdient haben. Auf jeden Fall war Mutter in dieser Zeit mächtig stolz auf ihn gewesen. Was würde er nun wohl anfangen? Sicher hatte er nicht unbedacht gekündigt. Alles, was Vater tat, war überlegt. Er handelte nie emotional. Er beherrschte seine Gefühle. -28-
Wir lebten auf einem kleinen Hof, den Vater von Großvater geerbt hatte, in einem Weiler mit acht weiteren Gehöften, weitab, in einer einsamen, verlassenen Gegend. "Vernachlässigt", pflegte Mutter zu sagen. Die nächste größere Stadt mit etwas Industrie war 50 km entfernt. Früher hatte Vater den Hof bewirtschaftet. Anfangs ging es auch ganz gut, obwohl Mutter nie mithalf, denn die 'Drecksarbeit' war unter ihrer Würde. Wir besaßen damals 5 Kühe und 8 ha Land. Vater hat dieser Zeit immer nachgeträumt. Er muß wohl damals sehr glücklich gewesen sein. Mutter wollte schon immer mehr. Sie wollte so leben können wie ihre Verwandten in der Großstadt. In schicken Kleidern, in einer sauberen Wohnung, mit einem neuen Auto, und vor allem: jedes Jahr in Urlaub fahren. Vater hat sich nie davon beeindrucken lassen. "Wir sind hier nicht auf der Erde", hatte er zu Mutter gesagt, "um möglichst viel Geld zu verdienen und uns mit vielen materiellen Dingen zu belasten. Wir sind hier, um möglichst viele Erfahrungen zu sammeln, um uns geistig weiter zu entwickeln, um anderen zu helfen, nicht um Geld, sondern um ihrer selbst willen. Wir sollen Liebe und Geduld erlernen, und vor allem sollen wir erkennen, daß Geld und alle materiellen Dinge unwichtig sind, ja sogar schädlich, daß sie uns vom geistigen Weg abbringen. Das einzige, was uns ewig bleibt, sind die geistigen Früchte. Und diese reifen in Armut und Demut meist besser als in Reichtum und Überheblichkeit." Vater hätte wohl auch nie aufgegeben, wenn nicht damals die große Hetzjagd auf alle Kleinbauern begonnen hätte, zu Gunsten immer größerer Agrarfabriken. Die Erlöse sanken immer mehr, die Arbeit der Bauern war nichts mehr wert. Große Maschinen konnte Vater sich nicht leisten, und Zuschüsse bekam er nur ab einer bestimmten Größe. Die Bauernfunktionäre boten ihm an, -29-
eine Kälbermast zu finanzieren, einen Stall für mindestens 70 bis 100 Tiere mit allen modernen Einrichtungen versehen, jedes Kalb einzeln in einer engen Box, damit es nicht durch Bewegung zuviel Futter verbraucht. Ressentiments und Sentimentalitäten ließe der Markt nicht zu. Entweder er mache mit, oder er gebe auf. Vater gab auf. Für ihn war jedes Tier, ja jede Pflanze zu heilig, als daß er es übers Herz gebracht hätte, ein Tier so zu vergewaltigen. "Denkt ja nicht", hatte er gesagt, "Tiere oder auch Pflanzen seien etwas grundsätzlich Verschiedenes vom Menschen. Sie ähneln uns viel mehr, als ihr denkt. Jedes Tier, jede Pflanze hat schon eine Seele. Jedes Wesen ist ein Geschöpf Gottes, hervorgebracht aus seiner unendlichen Liebe. Jedes Tier, jede Pflanze hat Gefühle, die teilweise weit empfindlicher reagieren als unsere. Die meisten Tiere besitzen auch so etwas wie einen siebten Sinn; den meisten Menschen ist er ja längst abhanden gekommen. Jeder Bauer weiß, wie sich die Tiere instinktiv wehren, wenn es in Richtung Schlachthof geht, obwohl sie noch nie mit ihm konfrontiert wurden. "Macht euch die Erde untenan", hatte Gott gesagt. Nicht: Herrscht als Tyrannen über die Erde, sperrt die Tiere ein, quält sie, mordet sie, und erfreut euch daran. Die Tiere sind unsere kleinen Geschwister in der großen Gottesfamilie. Wir sollten auf sie acht geben, sie leiten und führen. Mit unserer egoistischen, brutalen und unmenschlichen Art, die Tiere aus rein materiellen Gründen zu quälen wie der schlimmste Kerkermeister, fügen wir uns selbst am meisten Unheil zu. Zum einen direkt durch den Genuß des Fleisches, das Unmengen von Giftstoffen und Medikamenten enthält. Erst Hormone, Antibiotika und Anabolika ermöglichen ja diese perversen Mastmethoden. Nahezu alles lagert sich im Fleisch ab und ist bereits -30-
heute für sehr viele Erkrankungen und StoffwechselStörungen verantwortlich. Der zweite Punkt wiegt noch schlimmer. Daß Tiere denken können, ist von der Biologie schon lange nachgewiesen worden. Es ist ein primitives, instinktives Denken, aber es sind Gedankenschwingungen, die sich prinzipiel in nichts von den unseren unterscheiden. Alles, was ist, ist Energie, auch ein Gedanke. Auch das hat die Physik schon lange nachgewiesen. Ebenso wie die Tatsache, daß Energie niemals vernichtet werden kann. Sie kann wohl in andere Energieformen umgewandelt, aber nie vernichtet werden. Was denken nun Tiere, die derart gequält werden? Es sind Gedanken der Angst, Furcht, Qual, teilweise wohl auch ähnlich unserem Haß, durchweg also negative Energie. Diese Energie kann sich nicht auflösen. Sie lastet auf uns wie ein Damoklesschwert. Sicher, sie kann nicht gemessen und gewogen werden, und sie ist auch nicht sichtbar. Aber das ist Radioaktivität auch nicht, und trotzdem hat sie verheerende Wirkungen! Diese negative Energie fügt uns allen Schaden zu. Sie entspricht der Radioaktivität auf der geistigen Ebene. Was die Radioaktivität dem Körper antut, das tut diese negative Energie dem Geist an. Keiner kann sagen, das habe ich nicht gewußt, das habe ich nicht gewollt! Wir alle sind mit schuld daran. Echte Liebe macht nicht gerade vor den wehrlosesten Geschöpfen halt, sie bezieht sie als erste mit ein." Als Vater diese Gedanken bei der Bauernbezirksversammlung äußerte, haben sie ihn schier zerrissen. Nur wenige Freunde hielten zu ihm, einige waren nachdenklich geworden, die große Mehrheit nannte ihn einen schwärmerischen Idioten, ohne jeden Sinn für Realität. Oder was soll man sonst von einem vegetarischen Bauern halten, der Fleischgenuß sowohl aus gesundheitlichen als auch aus ethischen Gründen ablehnt? Aufgrund dieser -31-
Rede, die auch in der Presse einiges Aufsehen erregt hatte, wurde er damals wegen verbandsschädigenden Verhaltens aus dem Bauernverband ausgeschlossen. Erst sehr viel später erfuhr ich diese Geschichte von Michael. "Dein Vater", sagte er, "ist einer der vielen Heiligen, die unerkannt bleiben, die im Kleinen und Verborgenen arbeiten. Was er für Recht erkannt hat, das vertritt er auch, ohne einen Gedanken an sich zu verschwenden. Er begegnet allen mit Liebe, hilft allen, verletzt niemanden, ohne je nachzugeben, wenn irgend jemand Schaden erleidet oder göttliches Recht mißachtet wird. Er ist einer derjenigen, die das Gute in der Welt festigen und mehren. Weltverbesserer haben noch nie etwas erreicht. Große Reden und der fromme Wunsch, "die da oben sollen endlich etwas tun", haben noch nie jemandem geholfen. Jeder kann die Welt verbessern, nämlich da, wo er lebt. Die Welt, das ist deine Umgebung, die Menschen, das sind deine Nächsten. Kritisiere sie nicht, verurteile sie nicht! Ändere nur dich selber, und die anderen ändern sich automatisch mit. Sie reagieren auf deine Schwingung. Auf Haß folgt selten Liebe. Aber auf Liebe kann auf die Dauer niemand mit Haß reagieren. An deinem kleinen Beispiel kann auf die Dauer keiner vorübergehen, ohne angesteckt zu werden. Es ist nicht möglich, ein Orgelkonzert zu hören und gleichzeitig "Hänschen klein" zu pfeifen. Es ist nicht möglich, in eine Kerze zu schauen und Dunkelheit zu sehen, nicht einmal mit geschlossenen Augen. Aber die Kerze muß brennen, du mußt sie anzünden. Die meisten reden immer nur davon, daß sie irgend jemand anzünden müßte. Auch ist es viel sinnvoller, eine Kerze anzuzünden, als davon zu reden, daß man bei dieser Dunkelheit mindestens zwanzig anzünden müßte. Die Welt ist wie ein Dominospiel. Es stehen hundert Steine in einer Reihe hintereinander. Die Weltverbesserer versuchen nun, diese -32-
alle gleichzeitig umzuwerfen, und weil das unmöglich ist, scheitern sie oder resignieren. Dabei ist es so einfach. Du mußt nur den Stein umwerfen, der neben dir steht, und die dann folgende Kettenreaktion wirft ohne dein weiteres Zutun alle anderen um. Eine Lawine fängt immer klein an, an einem Punkt. Sie wird nie groß geboren und hat doch oft eine verheerende Wirkung. Dein Vater hat nicht auf die große Lawine gewartet, die irgend jemand "von denen da oben" irgendwann einmal auslösen würde. Er hat viele kleine Lawinen losgetreten. Ob es dann große Lawinen werden, das hängt von vielen Umständen ab. Das liegt nicht in eurer Hand, dafür seid ihr nicht verantwortlich. Aber lostreten müßt ihr sie! Die Welt ist nicht an einem Tag erschaffen worden. Glaubt ihr, ihr könnt ihr an einem Tag ein völlig anderes Gesicht geben? Die meisten geben nach kurzer Zeit auf, wenn sie keine Erfolge sehen. Sie denken nur an sich. Warum treten sie nicht einfach die Lawine los, die dann vielleicht erst ihre Kinder oder ihre Enkel überrollt? In materiellen Dingen denken viele bereits an übermorgen. Die Kinder sind noch nicht einmal richtig geboren, wird schon das Erbe bis ins Detail festgelegt. Aber im Geistigen, da muß alles sofort passieren, sonst wird man mutlos und gibt auf, "weil sich ja doch nichts ändert". Nimm dir deinen Vater als Beispiel. Er hat vieles ins Rollen gebracht, wovon auch er keine Ahnung hatte. Er hat nie etwas vom Erfolg abhängig gemacht. Er hat einfach gehandelt, wie er eben handeln mußte." Vater verkaufte damals seine Kühe an einen Freund, wo er sie gut aufgehoben wußte, verpachtete ihm noch das Land dazu und trat die Stelle als Monteur an. Und nun hat er gekündigt. Wäre ich nicht stumm gewesen, ich hätte einen Freudenschrei nicht unterdrücken können. Die Vorstellung, Vater nun öfters -33-
bei mir zu haben, war einfach zu schön. Bestimmt hatte dies Michael in die Wege geleitet, ich habe ihn so oft darum gebeten. "Lieber Michael, ich danke dir, daß ich soviel Hilfe erhalte." Vater drückte mich noch einmal fest an sich, gab mir einen Kuß und verabschiedete sich dann. Zum letzten Mal mußte er für sechs Wochen weg, dann? Ja, was würde dann sein? Es waren harte sechs Wochen für mich. Ich bemühte mich, so gut ich konnte, aber ein Erfolg war nicht zu sehen. Meine Mutier war eher noch gereizter und reservierter mir gegenüber. Ich blickte sie so liebevoll an wie möglich, ich wünschte ihr in Gedanken alles Liebe, ich nahm alle Schmerzen geduldig auf mich, aber es half nichts. Sie ließ mich völlig links liegen. Das Essen brachte sie mir nur unregelmäßig und widerwillig. Was hätte ich darum gegeben, selbstständiger zu sein! Wenigstens selber essen oder selber aufs Klo gehen zu können. Aber ich bemühte mich, nicht mit meinem Schicksal zu hadern, ich bemühte mich, keine negativen Gedanken entstehen zu lassen. Wenn sie schimpfte, weil ich wieder eingenäßt hatte, versuchte ich, sie zu verstehen, mich stumm dafür zu entschuldigen, daß ich ihr wieder so viel Arbeit gemacht hatte. Ich versuchte, ihr dankbar zu sein für alles, was sie tat. Es war nicht leicht, aber mit der Zeit ging es besser, und mit der Zeit lernte ich sogar, Schmerzen zu ertragen, ohne zu klagen, ohne Vorwürfe zu machen, wenn sie mich wieder einmal sehr unsanft anfaßte. Immer wieder hatte ich Vater vor Augen und wußte, daß ich es schaffen mußte. Ich war fest entschlossen, auch meinen Beitrag zu leisten, meine "kleinen Lawinen" loszutreten, war aber stets etwas enttäuscht, daß sie nicht gleich als große Lawinen ins Tal donnerten und alles zum Einsturz brachten. Im Gegenteil, es tat sich nichts, gar nichts! Auch meine Brüder machten es mir nicht allzu leicht. Sie -34-
kümmerten sich nicht um mich, und wenn sie es mußten, dann widerwillig. Und das ließen sie mich auch spüren. Es ist unendlich demütigend, sich nicht richtig bewegen zu können und dafür auch noch ausgelacht zu werden. Es mag vielleicht für gesunde Ohren wie ein Spaß klingen, wenn sie mich in meinem Kinderwagen am Rand des Fußballplatzes abstellten, mit ihrem Ball um mich herumschössen und mir zuriefen: "Du bist der Torwart, paß auf, daß du keinen reinläßt!" Ich aber habe das nie als Scherz empfunden. Auch wenn ich es nun fertigbrachte, ihnen deswegen nicht böse zu sein, tief im Innern tut es trotzdem sehr weh. Viele dieser Hänseleien mußte ich über mich ergehen lassen. Als meine Brüder mit ihren Kameraden merkten, daß ich mich vor Fröschen ekelte, machten sie sich einen Spaß daraus, sie mir in den Schoß zu werfen. Man ließ mich als lebende Puppe den Berg heruntersausen, daß es mir schier den Magen umdrehte oder stellte mich einfach in die Ecke, wenn ich nicht zu gebrauchen war. Entweder war ich für sie einfach Luft, man durfte mich ja ungestraft übersehen - schreien oder hinterherlaufen konnte ich ja nicht -, oder ich wurde als Spielzeug betrachtet. Beides ist sehr demütigend. Ohne Michael, ohne das Wissen, das er mir schenkte, hätte ich mich aufgelehnt, wäre innerlich von Kummer, Zorn und Wut zerrissen worden. Noch viel schlimmer traf mich jedoch das Mitleid der vorwiegend älteren Leute. "Ach du lieber Gott, ist die aber arm dran! Ja gibt's denn das wirklich, so klein und so verkrüppelt? Ist sie denn auch geistig behindert? Oder kann sie wenigstens ein bißchen denken?" Das war noch schwerer zu ertragen, als das Spielzeug meiner Brüder zu sein. Da war ich wenigstens noch etwas. Ich hatte wenigstens noch irgend einen Wert. Aber so? Sicher, diese Leute meinen es nicht bös. Aber sie drücken -35-
dir damit den Stempel der absoluten Nutzlosigkeit auf. Dieses Mitleid zerstört alle Werte, setzt dich auf die niederste Stufe menschlicher Existenz, nicht geachtet, nicht geliebt, nicht ernst genommen, nur eben noch toleriert. Und wie oft ist dieses Mitleid auch noch unecht, nur Maske der Angst, es könnte einen selbst treffen, man müßte selbst einmal mit einem behinderten Kind klarkommen, mit all der Arbeit, den Entbehrungen und vor allem: was würden die anderen sagen? Wie oft spricht aus dem Mitleid schon die Erleichterung, selber davon verschont geblieben zu sein! Und die Trauer, die dabei zum Ausdruck gebracht wird, ist oft nur das Erschrecken: das hätte mir ja auch passieren können! Wenn man mit Stimme, Ohren und Händen nicht viel anfangen kann, bleibt einem nur die Möglichkeit, das Gefühl zu schulen. "Die meisten Menschen", hat mir Michael einmal gesagt, "wissen nicht einmal, daß es dieses Gefühl gibt, das Gefühl für die Schwingungen unserer Mitmenschen. Alle Gedanken und Gefühle sind ja Schwingungen. Sobald ein Gedanke gedacht ist, verläßt er uns in Form einer winzigen Energiemenge, die sich wie das Licht nach allen Seiten ausbreitet. Der Körper besitzt hierfür kein Organ, um diese Schwingungen aufzunehmen. Wohl aber unser Geist! Wer daher übt, Geist und Körper in Einklang zu bringen, wird auch bald diese Schwingungen aufnehmen und richtig deuten können. Kleine Kinder besitzen diesen Sinn zumeist noch. Oder wie will man sonst erklären, daß manche Kinder bei bestimmten Leuten, die sie noch nie gesehen haben, plötzlich zu schreien anfangen und auch mit sehr viel Geduld nicht mehr zu beruhigen sind, während sie zu anderen, ebenso fremden, richtig zutraulich sind? Ja, viele Kinder besitzen dieses Gespür noch. Doch anstatt darauf zu achten, reagieren die -36-
meisten Erwachsenen ärgerlich: "Du dummes Kind, was ist nur in dich gefahren!" Das Kind merkt dann bald, daß diese Reaktion unerwünscht ist und verlernt sie mit der Zeit. Das einzige, was bei den meisten davon übrigbleibt, ist das Gefühl der Sympathie oder Antipathie, wobei Sympathie nichts anderes besagt, als daß die Schwingungen des anderen annähernd auf derselben Wellenlänge liegen wie die eigenen, während Antipathie die Verschiedenheit der jeweiligen Schwingungsfrequenz bedeutet." Durch die Abgeschlossenheit, in der ich aufwuchs, konnte ich dieses Gefühl in mir immer stärker entwickeln. Niemand hat es mir auszureden versucht, da ja niemand davon wußte. Und von Michael erhielt ich die nötigen Hilfestellungen. Mich kann schon lange niemand mehr anlügen. Es ist sofort zu spüren, ob sich die Worte mit den Gedankenschwingungen decken oder nicht. Und wie oft decken sie sich nicht! Wie oft steckt hinter dem schnell Daher gesagten "so ein armer Kerl" nur die Hoffnung, nie selber in diese Lage zu kommen! Und wie oft ist es nur so daher gesagt, ohne irgendeine innere Anteilnahme! Wie oft heißt die Entschuldigung: "Ich konnte nicht, weil" in Wirklichkeit: "Ich wollte nicht". Und wie oft wurde ich trotz der Bemerkung: "Das Kind trägt sein Leiden aber sehr tapfer", an das unterste Ende der Werteskala geschoben, lebensunwertes Leben, gerade noch toleriert! Was das Körperliche anbelangt, da gebe ich allen gerne recht. Nur - ist der Körper denn mein Leben? Bin ich denn mein Körper? Mein Geist ließ sich nicht täuschen von den frommen Reden der anderen. Er war in der Lage, die Maske vom Gesicht zu unterscheiden. Ich brauchte nicht zu glauben, was mir vorgesetzt wurde, ich konnte es nachprüfen. Ist -37-
das nicht wichtiger? Was ist denn das Leben? Ist es wirklich nur Fußballspielen und neue Kleider einkaufen? Ich habe mir diese Frage längst beantwortet. Die einzigen, die mich bisher in meinem Leben voll angenommen haben, das waren Schwester Benedicta in der Klinik, das war mein Vater, und das war Michael. Für Schwester Benedicta war ich ein Kind wie jedes andere auch. Ich war krank, und es war selbstverständlich, daß sie mir half. Ich war ein 'normaler Kranker', nicht mehr und nicht weniger. Für meinen Vater war ich die Tochter, die er liebte. Er liebte sicherlich nicht meinen Körper, er war oft betrübt darüber. Er liebte den Menschen, der in diesem Körper steckte, den Menschen, den Gott erschaffen hatte wie ihn auch und der daher denselben Stellenwert besaß wie er selber. Nicht mehr und nicht weniger. Für Michael war ich ein Freund. Ein Freund, den er zu leiten hatte, den er in die Geheimnisse des Lebens einführen durfte, seine jüngere Schwester, die er mit all ihren Fehlern und Schwächen voll akzeptierte, die er versuchte, durch seine Anleitungen auf seine Stufe hochzuheben. Streng, aber liebevoll. Ich war 'normal, wie jeder andere auch. Nichts mehr und nichts weniger. Und nur das wollte ich sein: 'normal', ein Mensch, nichts mehr und nichts weniger. Als ich Michael um Hilfe bat, stellte er mir nur eine Frage: "Wie willst du denn Demut lernen, ohne gedemütigt zu werden? Glaubst du, ein König könne je Demut lernen oder ein Sieger? Nein, sicherlich nicht. Sei denen dankbar, die dich demütigen, denn sie geben dir die Möglichkeit dazu. Es steht nicht geschrieben: Der Stolze und der Hochstapler werden das Himmelreich erben. Nur in Demut läßt sich Gott erfahren. Die Demut ist der ständige Begleiter der Liebe, sie schließt dir das Tor zum Himmel auf, bahnt dir den Weg zu Gott. Demut ist nicht die feige und einfältige Denkweise -38-
armseliger Geister, als was sie gerne belächelt wird. Demut heißt nicht, alles einfach über sich ergehen lassen, weil man sich halt nicht wehren kann. Demut ist nichts Passives. Sich ergeben, das ist Resignation, keine Demut. Echte Demut erfordert einen aktiven Willensakt, erfordert Mut, den Mut, sich selber geringer zu achten als den anderen. Es ist keine Demut, sich nach außen hin unterzuordnen und im Inneren zu denken: "Eigentlich stehe ich ja sowieso viel höher, was bin ich nur für ein toller Kerl, daß ich es schaffe, mich diesem Blödian unterzuordnen; da wird Gott ja Seine helle Freude haben!" Wahre Demut trägt keine Maske, sie ist kein Spiel. Es ist auch keine Demut, sich vor Gott in den Staub zu werfen, nur weil man insgeheim Angst hat, er könnte einen ja in die 'Hölle' werfen. Wahre Demut ordnet sich aus Liebe zu Gott unter, nicht aus Angst. Und den Mitmenschen gegenüber ordnet sich wahre Demut nicht unter, um ja keinen Fehler zu machen, sondern aus Überzeugung, weil jeder von uns ein Geschöpf Gottes ist, dessen Bewertung uns nicht zusteht. Gott hat es sich vorbehalten, den Wert jedes einzelnen festzulegen, und er dürfte sich wohl oft über unsere Meßlatte hinwegsetzen. Du hast allen Grund, deiner Umgebung dankbar zu sein. Sie hat dich sehr viel gelehrt. Du warst aber auch ein gelehriger Schüler und hast einiges schon so fest in dir verankert, daß es dich keine Anstrengung mehr kostet. Ich will dir nun eine Übung geben, die dich dein ganzes Leben lang begleiten und dich zur Reife führen wird. Es ist das Schwerste, was es gibt, es ist die Krone der Demut, es ist die Geisteshaltung, die in kürzester Zeit die Erde in ein Paradies verwandeln würde: Entschuldige dich dafür, daß du der Anlaß für die Wut oder den Ärger des anderen bist, auch wenn du -39-
menschlich gesehen im Recht bist. Wenn dich einer schlägt, dann entschuldige dich dafür, daß du der Anlaß bist, daß er in Wut geraten ist. Wenn dich einer wegen deines Aussehens verspottet, dann entschuldige dich für dein Aussehen. Und wenn sich einer an dir stört, dann entschuldige dich für deinen Körper. Du denkst, ich sei verrückt geworden? Nein! Ich meine es ganz ernst. Versuche es dir einmal zu vergegenwärtigen. Nimm als Beispiel einen Schüler. Sein Lehrer tadelt ihn sehr streng, wegen einer schlechten Note. Der Schüler führt nun alle möglichen Ausreden zu seiner Entschuldigung an, worauf der Lehrer nur noch ungehaltener reagiert. Was meinst du, was passiert wäre, wenn der Schüler geantwortet hätte: "Ja, ich weiß, es tut mir leid, daß ich mich so dumm angestellt habe." Der Lehrer wäre sofort freundlicher geworden und hätte ihn wohl sogar getröstet. Es läßt sich auf jede nur denkbare Situation übertragen. Denk dir einen Polizisten, dessen Vorgesetzter ihn tadelt, weil er den Einbrecher nicht erwischt hat. Übliche Entschuldigungen wie : es war zu dunkel, das Auto sprang nicht schnell genug an, mein Kollege hat mich behindert, bewirken oft das Gegenteil. Wie würde sein Chef wohl auf die ehrliche Antwort reagieren: "Es tut mir leid, ich hatte einfach Angst, und deswegen habe ich versagt!" Oder wenn sich der Chef ärgert, weil ihm seine Sekretärin die Unterlagen erst am letzten Tag der Frist bringt, die er ihr dafür gesetzt hat? Sicherlich, sie kann sagen: "Was wollen Sie denn, ich hatte doch bis heute Zeit bekommen." Damit wäre sie wohl im Recht. Sie kann aber auch demütig sein und sagen: "Es tut mir leid, ich war hier sehr langsam, es ist meine Schuld, entschuldigen Sie bitte." Wer wird hier hart bleiben können? Sie hat ihm damit die Möglichkeit gegeben, großherzig zu sein, zu sagen: "Naja, so schlimm ist es ja nun auch wieder nicht. -40-
Sie brauchen sich wirklich keine Vorwürfe zu machen." Der Ärger ist verflogen, an seine Stelle tritt das Gefühl, jemanden getröstet, jemandem geholfen zu haben. Demut ist eng verwandt mit Liebe. Sie verletzt den anderen nie, sie pocht nie auf ihr Recht, sie nimmt die Schuld auf sich und schafft dadurch dem anderen die Möglichkeit, seinen Ärger, seine Vorwürfe zurückzuziehen und durch positive Gefühle des Verstehens, Verzeihens, ja des Liebens zu ersetzen. Da nun die Gesamtstimmung auf dem Planeten Erde von der Gesamtschwingungsfrequenz der Gefühle und Gedanken abhängt, kannst du damit auch eine Verbesserung der Gesamtsituation erreichen, du hast die Welt effektiv verbessert. Mehr kannst du nicht tun. Und das hier ist schwer genug." "Ich glaube, ich habe dich jetzt verstanden." Aber da ich wußte, daß es mir unendlich schwer fallen würde, mich so zu demütigen, versuchte ich meinen letzten Trumpf auszuspielen: "Aber ich bin doch stumm!" Leise lächelte er mich an, halb mitleidig, halb vorwurfsvoll. "Weißt du noch immer nicht, daß Kommunikation nicht nur über die Stimme funktioniert? Du kannst geistig viel schneller, viel präziser ausdrücken, was du meinst. Du mußt es ja nur denken. Wenn du deinen Bruder im Geiste aufrichtig um Verzeihung bittest, ist es dasselbe, wie wenn du ihn wirklich darum gebeten hättest. Sein Geist ist immer in der Lage, deine Schwingung aufzunehmen und die Entschuldigung anzunehmen. Ohne daß ihm dieser Vorgang bewußt wird, ändern sich dadurch langsam seine Gefühle. Und nach einiger Zeit ist die Verzeihung vollzogen, ohne daß ihm der Mechanismus bekannt ist. Es -41-
funktioniert immer! Nur manchmal nicht unbedingt in der Zeit, die man sich dafür gesetzt hat. Sicherlich aber in der Zeit, die dafür richtig ist. Es gibt jedoch einen Unterschied zwischen Geist und Wort: der Geist muß ehrlich sein! Es sind ja die Gedanken, die sich übertragen; daher ist es auch nicht möglich zu denken, jetzt tue ich einfach so als ob. Das funktioniert nie! Von den Worten dagegen lassen sich zunächst noch viele täuschen; aber auf Dauer geht auch das nicht." Wieder waren wir lange zusammen gewesen. Ich konnte Michael stundenlang zuhören. Bei ihm wurde es mir nie langweilig. Ich weiß nicht, was ich mehr genossen habe, seine Gegenwart oder die Umgebung, die Landschaft, in der wir uns jeweils befanden. Wenn er still wurde, mich an der Hand faßte und wir langsam die duftenden Auen durchwanderten, beschlich mich mit der Zeit immer die Angst, bald wieder 'aufwachen' zu müssen, dem Traum zu entfliehen. Oh könnte ich doch nur hier bleiben für immer! Das ging nicht. Ich wußte es wohl.
* Ich war nicht überrascht, als ich plötzlich Vater sah. Er war wieder da, die sechs Wochen waren vorüber. Es waren lange Wochen gewesen. In seinen Armen war ich wieder jemand, brauchte mich nicht zu schämen. In seinen Armen verwandelte sich das häßliche Entlein. Ich mußte an mein erstes Theaterstück denken, das ich sehen durfte. Ich hatte das Privileg, in der ersten Reihe fast alleine zu sitzen. Denn wer wollte sich schon neben eine Behinderte setzen! Vater war immer sehr traurig darüber. Ihn trafen die ständigen stummen Mißbilligungen und Seitenhiebe, -42-
das vorsichtige Auf-Distanz-Gehen, das ängstliche SichZurückziehen viel stärker als mich. Er litt wirklich für mich. Er war in der Lage, für mich und mit mir zu fühlen. Er liebte mich. Das Märchen, das gespielt wurde, hieß: "Das häßliche Entlein". Es handelte von einem Entlein, das ganz anders war als die anderen und immer wegen seines Aussehens gehänselt wurde, eben das "häßliche Entlein". Bis es eines Tages vor lauter Kummer den Entenhof verließ und einen großen See zu seiner neuen Heimat erwählte, wo es hoffte, unerkannt in Frieden leben zu können. Doch in dem See waren auch Schwäne, und plötzlich sah es in seinem Spiegelbild einen wunderschönen Schwan. Der letzte Satz, den der Erzähler sprach, lautete: "Es schadet nichts, auf einem Entenhof geboren zu sein, wenn man nur in einem Schwanenei gelegen hat. "Ich habe mir den Satz damals umformuliert: "Es schadet nichts, als Behinderter geboren zu werden, wenn…, ja, wenn der Geist dadurch die Möglichkeit erhält, Erfahrungen zu machen, die er sonst nie hätte machen können." In der nächsten Nacht hatte ich einen Traum. Ich spielte Theater. Es war ein Ein-Mann-Stück. Ich hatte alle Rollen selbst zu spielen, den Clown, den König, den Hausierer, den Wirt, den Betrunkenen, den Kriegsblinden mit nur einem Bein und den Opernsänger. Jede Szene erntete tosenden Beifall. Am Ende zeigte ich mich noch einmal in allen sieben Masken. Der Beifall schwoll zum Orkan. Dann kam ich das letztemal ohne Maske, nur als Mensch, kein Schauspieler mehr. Da standen die Leute auf und gingen. Ich weinte. Der Direktor tröstete mich: "Das ist immer so. Daran kannst du nichts ändern. Der Mensch interessiert sie nicht, sie wollen nur die Maske." -43-
Nun, Vater war wieder da, ihn interessierte keine Maske, er liebte mich. Und das war unendlich schön. Vater hatte es geschafft, eine neue Stelle zu bekommen. Er konnte halbtags bei der Stadt arbeiten, als Straßenkehrer in dem größeren Nachbardorf. Außerdem fing er an, den Hof wieder zu bewirtschaften. Finanziell bedeutete es wohl eine gewaltige Einbuße, aber Vater war glücklich. Er freute sich auf die Arbeit draußen im Freien, in der Natur, die ihn auch körperlich wieder forderte, im Gegensatz zu seiner bisherigen Tätigkeit in den lauten und stickigen Montagehallen. Er war auch auf das soziale Prestige nicht angewiesen, er liebte viel mehr die Ruhe der Arbeit, die ihm Zeit ließ für seine Gedanken, für die Verbindung mit Gott. Mutter sträubte sich anfangs gewaltig gegen den sozialen Abstieg, auch gegen die finanzielle Einbuße, was doch merkliche Einschränkungen bedeutete. Vater hat auf ihre Zornesausbrüche nie grob reagiert. Er hat sie demütig mit stoischer Ruhe ertragen, hat ihr immer seinen Standpunkt erklärt, ruhig, sachlich und bestimmt, aber liebevoll. Und ich glaube, mit der Zeit hat sie es auch akzeptiert. Sie half Vater sogar in der Landwirtschaft, langsam wurde sie eine richtige Bäuerin. Und obwohl es manchmal viel zu tun gab, hat es ihr doch gut getan, draußen zu arbeiten. Nun waren wir wieder eine richtige Familie. Vaters ruhige Art, seine Ausstrahlung, lag wie eine Schutzglocke über uns allen, gab uns Frieden. Es bedeutete den großen Wendepunkt in unserem Leben. Für mich brach eine herrliche Zeit an. Jeden Tag nahm sich Vater ein bis zwei Stunden Zeit für mich. Er unterrichtete mich auch in der Taubstummensprache und machte gymnastische Übungen mit mir. Es war nicht leicht. Der Unterricht forderte mich sehr stark, die Gymnastik war unangenehm, oft schmerzhaft. Aber ich -44-
genoß die Liebe, die von meinem Vater auf mich ausströmte. Mutter hatte ja früher diese Übungen hin und wieder auch schon gemacht mit mir, aber der rein mechanische Ablauf, die Teilnahmslosigkeit ihrerseits ließen sie mir zur Qual werden. Lange Zeit hatte ich daher ihre ablehnende Haltung auch mit Ablehnung beantwortet. Seit ich dann meine Gefühle mit Michaels Hilfe besser unter Kontrolle halten konnte, machte es mir schon viel weniger aus. Es war dies eine sehr wichtige Erkenntnis für mich, wie ein und derselbe Ablauf, derselbe Schmerz völlig anders empfunden werden kann. Es war ein deutliches Zeichen, daß der eingeschlagene Weg richtig war, daß ich Michael voll vertrauen konnte und mußte, wenn ich weiterkommen wollte. Und weiterkommen wollte ich! Ich wollte die Chance nützen, die mir dieses Leben bot, wollte so viele Erfahrungen sammeln wie nur irgend möglich. Wenn ich auch nach außen hin teilnahmslos und debil schien, mein Geist war umso reger, und mein Wille war sehr stark. Ich wußte ja von Michael, wie schwierig es war, einen Körper zu bekommen. "Weißt du", hatte er gesagt, "Milliarden von Seelen warten darauf, inkarnieren zu können. Sie wissen, daß sie in ihrer Entwicklung nur dann weiterkommen können, wenn sie auf der Erde inkarnieren. Hierzu bedarf es jedoch zweier Menschen, die bereit sind, einen 'Ausbildungsplatz' zur Verfügung zu stellen, einem Kind dieses Leben zu ermöglichen. Die heutige Mentalität ist für alle diese Seelen ein Schlag ins Gesicht. Die meisten Menschen sind zwar froh, hier leben zu dürfen, geboren worden zu sein, aber die wenigsten sind bereit, dieses Leben weiterzugeben, weil sie dafür ein Stück ihrer vermeintlichen Freiheit aufgeben müssen. Diese Menschen halten sich für frei, meinen ungebunden zu sein und sind von der täglichen Pille abhängig wie ein Alkoholiker vom -45-
Wermut. Sie bilden sich ein, frei zu sein, indem sie möglichst viele fremde Länder besuchen und merken nicht, daß sie unter dem Zwang stehen, die Ferne zu bereisen, weil sie in ihrem Inneren nur Leere spüren. Diese Leute werden dann als welterfahren bezeichnet, mit Ehrfurcht und Neid betrachtet und herumgereicht wie Heilige. Wie wenn man äußerlich Erfahrungen machen könnte! Wirkliche Erfahrungen lassen sich nur im Inneren machen. Dazu braucht man keine fremden Kulturen und ferne Länder, man braucht nur die Menschen, die einen umgeben, den Beruf, den man erlernt hat und die Lebensumstände, denen man unterworfen ist. Viele halten es für Freiheit, jeden Abend ausgehen zu können, ohne auf jemanden Rücksicht nehmen zu müssen. Dabei merken sie nicht, daß sie unter dem Zwang stehen, jede Einladung annehmen zu müssen, um in bestimmten Gesellschaftskreisen in zu sein, auch wenn die Atmosphäre noch so verkrampft und die Unterhaltung noch so banal ist. Sie müssen jeden Abend ausgehen, weil sie mit sich selber nichts anfangen können, weil sie Angst haben vor sich selber, weil sie Angst haben, in den Abgrund zufallen, der sich in ihrem Inneren auftut. Sie halten es für Freiheit, genügend Geld zu haben und es nach Belieben ausgeben zu können, merken aber nicht, daß sie unter dem Zwang stehen, immer das neueste und schnellste Auto zufahren, um damit den anderen zu imponieren. Sie sind nicht in der Lage, den Menschen zu sehen, mit ihm Kontakt aufzunehmen, sich auf seine Gefühle einzulassen. Sie sehen nur den Schauspieler, die mit Kleidern, Autos, Wohnung und gesellschaftlichem Ansehen umgebene Marionette. Viele gehen heute schon so weit, völlig allein zu leben, sich bewußt aus der göttlichen Ordnung herauszulösen, um ihre Wünsche und Leidenschaften ungestörter befriedigen zu können. Sie halten es für -46-
Freiheit, mit jedem beliebigen Partner sexuell verkehren zu können und merken nicht, daß sie nur Gefangene ihrer Leidenschaft sind, daß sie gar nicht mehr über sich selbst bestimmen können, weil ihr Sexualtrieb sie völlig versklavt hat. Sie halten es für Freiheit, die ausgefallensten Sportarten betreiben zu können und merken nicht, daß sie unter dem Zwang stehen, sich vor sich selber und vor den anderen mit körperlichen Fähigkeiten zu bestätigen, weil die geistigen noch nicht gereift oder schon abhanden gekommen sind. Was zählt, ist nur der Körper, das Äußere, die Schau. Echte Werte sind nicht gefragt, man kann sie ja nicht sehen, und man ist doch nur 'wer', wenn die anderen große Augen machen. Da es die wenigsten wirklich alleine aushalten, müssen dann größere Treffen organisiert werden, bei denen es viel einfacher ist, sich hinter seiner Maske oder hinter den anderen zu verstecken. Eine Beziehung wird nur bis zu dem "point of no return" zugelassen, bis zu dem Punkt also, wo der Verstand die Gefühle noch kontrollieren kann, der Verstand, der so miserabel arbeitet, daß es eigentlich genau umgekehrt sein sollte: das Gefühl müßte den Verstand beherrschen. Und das alles nur deswegen, weil diese Menschen Angst haben, sich einem anderen ganz zu öffnen, ihn ganz in ihr Gefühl aufzunehmen. Angst, die Maske ablegen zu müssen und nackt dazustehen. Angst, der andere könnte sie verletzen, wenn sie ihre Rüstung, den Panzer der Äußerlichkeiten, abgelegt haben. Derartiger Egoismus schadet der Seele weit mehr, als die meisten auch nur ahnen können. Wäre nicht der unbändige Sexualtrieb, und würde ihnen nicht immer wieder die Vergeßlichkeit und die Unzuverlässigkeit der meisten Verhütungsmittel einen Strich durch die Rechnung machen, es wäre bald überhaupt nicht mehr möglich, auf diesem Planeten -47-
geboren zu werden. Obwohl es mit etwas gutem Willen und ohne größere Probleme möglich wäre, auf der Erde die zehnfache(!) Menge an Menschen unterzubringen und zu ernähren, wird heute alles getan, die Menschheit zu dezimieren, in einigen Ländern sogar von Gesetzes wegen, unter Strafandrohung bei Zuwiderhandlung. Sind schon die Verhütungsmittel völlig unzulässig, und zwar ohne Ausnahme, da sie den eigenen Brüdern und Schwestern die Türe vor der Nase zuschlagen, so ist die Abtreibung das größte Verbrechen gegen Menschen, das es je gegeben hat und je geben wird. Bereits bei der Zeugung, unmittelbar nach der Vereinigung von Samen- und Eizelle, ist der kleine Körper - um den handelt es sich nämlich bereits - von einer Seele bewohnt. Es gibt in dem ganzen unendlichen Weltall nicht ein einziges Atom, das nicht beseelt ist. Jedes Tier, jede Pflanze, ja jeder Stein ist beseelt, und da soll ausgerechnet das höchst entwickelte Geschöpf einen seelenlosen Zustand durchmachen? Du hast es selbst erfahren, als du mit deiner Mutter um dein Leben kämpftest und dich schließlich nur das absolute Nein deines Vaters rettete. Die Lebensumstände, die du hier vorgefunden hast, sind so präzise auf dich, auf deine geistige Entwicklung zugeschnitten, daß es wohl lange gedauert hätte, wieder ähnliche Verhältnisse für dich zu finden. Mehr als fünfzig Millionen müssen jährlich diese bittere Erfahrung machen, daß ihre Hoffnung, sich weiterentwickeln zu dürfen, Gott einen Schritt näher zu kommen, brutal und ohne Gnade durch Abtreibung zunichte gemacht wird. Und das alles nur aus Eigensucht! Gott ist zum Fremdwort geworden in dieser Umgebung. Wo die Kälte regiert, erfriert die Wärme, und mit ihr erlöscht die Liebe. Wie viele müssen diese bittere Erfahrung noch machen, bevor diese Greuel aufhören?"
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* Mein Vater gab sich sehr viel Mühe mit mir. Anfangs machte ich jeden Versuch zunichte. Ich wollte meine Isolation nicht verlassen. Ich wollte meine Ruhe behalten. Aber Michael hat mich überzeugt, daß dies nicht richtig ist. "Wenn sich jemand Mühe gibt und dir helfen will, dann enttäusche ihn nicht. Stoße ihn nicht vor den Kopf, sondern gib ihm Gelegenheit zu helfen, und nimm seine Hilfe dankbar an." Trotzdem waren fast keine Fortschritte sichtbar. Trotz größter Willensanstrengung gelang es mir nicht, meine Glieder unter Kontrolle zu bringen. Da ich mit den Händen nichts anfangen konnte, war es mir auch nicht möglich, die Taubstummensprache zu erlernen. Nur mit dem Kopf nicken, das konnte ich einigermaßen. Aufbauend auf dem Morse-Alphabet hat mir Vater damit die Möglichkeit geschaffen, wenigstens das Allernötigste und Wichtigste ausdrücken zu können. Nun war ich doch froh, nicht aufgegeben zu haben. Es waren zwar keine großartigen Unterhaltungen möglich, aber ich konnte nun wenigstens bei wichtigen Dingen auch 'mitsprechen'.
* Der 'Zufall' wollte es, daß damals ein indischer Jogi und Arzt, ein Ayuwede, in der Nähe weilte, dem der Ruf großer Wundertätigkeit vorausging. Neue Hoffnung keimte in meinem Vater auf, als er mit mir in die Stadt fuhr. An der Schwingung, die von dem Jogi ausging, merkte ich, daß es ein sehr heiliger Mann sein mußte. Er fing sofort an, im -49-
Geiste mit mir zu reden, wie ich es bisher nur von Michael gekannt hatte. Obwohl ich nichts dazu tat, konnte er mir seine Gedanken einprägen, und ich wußte, daß er auch meine aufnehmen konnte. Er schien alles zu wissen, alles zu verstehen. Vater merkte, daß etwas Ungewöhnliches vor sich ging und verhielt sich völlig still. Es war schön. Ich hätte mich gerne stundenlang mit diesem Mann unterhalten, der mich so umfassend verstand und vorbehaltlos akzeptierte. Schließlich wandte er sich meinem Vater zu: "Ich darf ihr Kind nicht heilen! Würde ich seinen Körper heilen, dann würde ich seinen Geist töten. Es gibt Gesetze und Umstände, denen wir Rechnung tragen müssen, die wir nicht umstoßen können und dürfen. Sie werden es sehr bald erfahren." Damals wußte ich noch nicht, was er damit meinte. Er nahm mich zum Abschied in seine Arme und segnete mich. Ein Gefühl der Wärme und Kraft durchströmte mich, das ich bisher nicht gekannt hatte. In meiner Wirbelsäule schien ein Strom zu fließen, der meinen ganzen Körper vibrieren ließ. Er war so stark, daß ich das Bewußtsein verlor. Die Sonne schien. Ganz allmählich erst wurde mir klar, was das bedeutete. Die Sonne schien! Sie war greifbar nahe. Ich zersprang fast vor Freude. Still kniete ich nieder und betete. Ich fühlte mich so eng mit Gott verbunden, ich wußte, daß Jesus Christus nicht weit war, ich wußte, daß er es war, den ich in der Sonne schauen durfte. Völlig überwältigt legte ich mich ins Gras und genoß dieses Wunder. Doch langsam zog Nebel auf. Nebelschwade für Nebelschwade legte sich vor die Sonne, bis nichts mehr zu sehen war. Ich hatte Angst. In dichtem Nebel sah ich nach langer Zeit endlich ein Licht auf mich zukommen. Es war Michael. Er hielt eine Laterne in der Hand und trug einen -50-
weißen Mantel mit großer weißer Kapuze. "Was ist los, Michael", hörte ich mich sagen, "was ist das für eine Umgebung, warum ist kein Licht zu sehen, keine Landschaft? Wo sind die Vögel, die Bäume? Warum ist es so kalt hier?" "Fürchte dich nicht, ich werde immer bei dir sein. Auch wenn der rauhe Wind mein Licht ausbläst und du mich nicht mehr sehen kannst, bin ich trotzdem bei dir. Denke daran, nur Wärme kann den Nebel auflösen." Tatsächlich blies ein starker Windstoß das Licht in seiner Laterne aus, und nahezu gleichzeitig krachte es fürchterlich. Irgendetwas prasselte auf mich nieder, begrub mich unter sich. Ich bekam keine Luft mehr, ich wollte schreien! Dann wußte ich nichts mehr.
* Als ich die Augen öffnete, lag ich im Krankenhaus. Über mir hingen einige Flaschen, über mehrere Schläuche tropften Flüssigkelten in meinen Körper. Ich fühlte starke Schmerzen in meinem Bein, mein Kopf war verbunden, alles tat mir weh, und ich war sehr müde. Ich war nicht fähig, normal zu denken, ich wußte nicht, was mit mir vorging. Ohne Klarheit zu bekommen, schlief ich wieder ein. Traumlos, tief und dunkel war die Nacht, bis ich erneut erwachte. Warum war ich hier? Warum lag ich im Bett? Was war mit meinem Bein, mit meinem Kopf los? Und vor allem, wo war Vater? Ich konnte ihn nicht mehr fühlen, er mußte weit weg sein. Langsam kehrte die Erinnerung wieder zurück. Wir waren bei dem indischen Arzt gewesen, er hatte sich verabschiedet, hatte Vater noch die Hand gedrückt und ihn lange angeschaut: "Sie geht ihren Weg. Er war nicht leicht, und er wird noch -51-
steiniger werden, aber sie wird ihn gehen. Machen Sie sich darüber keine Sorgen, egal was passiert. "Dann segnete er mich, und ich bin eingeschlafen. Vater mußte ja dann mit mir nach Hause gefahren sein. Nur, warum war ich im Krankenhaus, und warum war Vater nicht da? Warum war überhaupt niemand da? Nach einer Ewigkeit kamen zwei Ärzte. "Sie scheint wach zu sein, vielleicht können wir schon mit ihr sprechen." Sie fragten mich, wie ich heiße, ob ich wisse, was passiert sei. Ich versuchte mit dem Kopf zu antworten, wie es mir Vater gelehrt hatte, aber es ging nicht. Bei jeder Bewegung schienen Berge in mir einzustürzen und meinen Kopf zu zerreißen. Sie hätten mich wohl auch kaum verstanden. "Sie hat durch den Schock vorübergehend die Sprache verloren", hörte ich den einen sagen. Was für ein Schock? Was ist hier los? Wieso sagt mir denn keiner was? Natürlich konnten sie nicht wissen, daß ich stumm war. Und ich hatte keine Möglichkeit, es ihnen mitzuteilen. Es folgten viele Stunden der Ungewißheit, voller Angst und Verzweiflung. Lange Zeit hielten die Ärzte meine Sprachund Bewegungslosigkeit für eine Folge des Schocks, wobei sie sich immer wieder wunderten, daß sonst sämtliche Werte in Ordnung waren. EEG und EKG, Puls, Blutdruck, Temperatur, alles war in Ordnung. Immer noch hingen die Flaschen über mir und tropften in meinen Körper. Hunger hatte ich keinen, aber fürchterlichen Durst. Was hätte ich nur gegeben für ein bißchen Flüssigkeit. Aber ich konnte mich nicht bemerkbar machen. Ich hatte Schmerzen und Durst, und ich hatte Angst, panische Angst. Es mußte etwas Schreckliches passiert sein, das wußte ich.
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Plötzlich stand Mutter vor mir. Ich hatte sie nicht kommen sehen. In ihren Augen standen Tränen. Sie nahm mich in den Arm und streichelte mich. Das hatte sie noch nie gemacht. Und dann wußte ich es, bevor sie es mir sagte. "Vater ist tot. Er ist auf der Autobahn bei dichtem Nebel in eine Massenkarambolage geraten. Du wurdest aus dem Auto geschleudert in eine Hecke, die dir das Leben gerettet hat und deine Verletzungen, wie der Arzt gesagt hat, glimpflich ausfallen ließ. Aber Vater ist tot. Das Auto war sofort in Brand geraten, er hatte sich nicht mehr retten können. Über fünfzig Autos waren daran beteiligt gewesen, und wohin du gehörtest, das wußte niemand. Deshalb hat es so lange gedauert, bis ich dich gefunden habe." Für mich brach eine Welt zusammen. Wie war das möglich, wie konnten sie mir Vater nehmen. Jetzt, wo er endlich daheim gewesen war, wo er endlich Zeit für mich gehabt hatte. Nachdem die Ungewißheit weg war, nachdem es schreckliche Wahrheit geworden war, da war plötzlich alles leer. Ich war unfähig zu denken, ausdruckslos stierte ich vor mich hin. Irgendwie gingen die Tage vorüber, es war mir einerlei. Zum erstenmal war ich froh darüber, daß ich nicht sprechen könne, daß man mich in Ruhe ließ. Meine Stimmung wechselte zwischen Trauer und Zorn, zwischen Anklage und Selbstmitleid, und ständig kreiste mir nur das eine Wort im Kopf herum: "Warum?" Warum ich, warum nicht jemand anders? Warum ich, die ich doch sowieso schon so viel durchzustehen hatte, warum nicht jemand anders, dem es bisher gut ging? Warum? War das gerecht? War das Liebe? Warum half Michael mir nicht? Warum war er nicht da, jetzt wo ich ihn brauchte? Nach ein paar Tagen konnte ich nicht mehr weinen. Meine Augen waren geschwollen und brannten. -53-
Ich konnte einfach nicht mehr weiter. Ich wollte nicht mehr. Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich sofort aufgegeben. Ich wollte weg, egal wohin, nur weg von hier, weit weg. Meinem Schicksal, meinem Kummer entfliehen. Ich wollte fliehen vor mir selbst, vor dem Abgrund, der sich plötzlich in mir auftat. Viele Wochen schon war es her, seit ich aus der Klinik entlassen worden war. Aber meine Verbitterung verstärkte sich eher. Zum erstenmal in meinem Leben wurde ich krank. Ich war völlig erschöpft und hatte ständig hohes Fieber, obwohl die Unfallfolgen längst überwunden waren. Daß ich noch längere Zeit Kopfschmerzen haben würde, hatten die Ärzte schon angedeutet. Was aber viel schlimmer und unangenehmer war - es ist schwer zu beschreiben : Mir schien, als würde mich jemand am Brustkorb umfassen und wie mit eisernen Zangen zusammendrücken. Dabei hatte ich ständig das Gefühl, nicht mehr genügend Luft zu bekommen. Das Atmen war anstrengend, jeder tiefere Atemzug tat weh. Ich konnte nur noch ganz oberflächlich atmen. Der Puls war stark beschleunigt, ich spürte jeden Herzschlag, als wolle das Herz alsbald zerspringen. Dabei war mein Brustkorb bei dem Unfall überhaupt nicht in Mitleidenschaft gezogen worden. Keine Prellungen, keine blaue Flecken, nichts. Mir hatte auch damals nichts weh getan. Diese Symptome stellten sich erst daheim ganz allmählich ein. Anfangs hielt ich es für eine Täuschung, aber mit der Zeit wurde es so deutlich, daß ich nicht mehr wußte, was eigentlich los war: Immer wieder sah ich um mich herum schwarze Schatten huschen. Es war keine Einbildung, das wußte ich genau. Auch konnte ich genau so gut sehen wie vorher, es lag also auch nicht an den Augen. Michael, den ich um Hilfe bat, antwortete nicht. Ich wurde unruhig und ängstlich und ich konnte nachts nicht mehr richtig schlafen. Ich war immer müde, gereizt und innerlich völlig -54-
unausgeglichen. Zorn, Trauer, Wut, Verzweiflung, Angst. Die Gefühle schienen sich nicht mehr abzuwechseln, sie waren alle gleichzeitig da. Dabei hätte ich allen Grund gehabt, mich zu freuen. Denn Mutter war völlig verändert. Der Tod Vaters hatte sie wohl sehr getroffen; aber nicht materiell, wie ich vermutet hätte, weil nunmehr finanziell noch schlechtere Zeiten anbrachen, sondern seelisch. Sie trauerte um ihren Mann, nicht um ihren Ernährer. Sie trauerte um einen echten Freund, nicht um jemanden, der sie nur versorgt hat. Früher hatte ich nie das Gefühl der Wärme in ihrer Nähe. Und nun war sie fast zärtlich zu mir und liebevoll und versuchte, mich zu trösten, obwohl sie selbst voller Kummer steckte. Sie betete auch mit mir jeden Morgen und jeden Abend; ich habe sie früher nie beten sehen. Sie sagte mir, sie würde oft von Vater träumen. Gleich in der dritten Nacht nach dem Unfall sei er im Traume bei ihr gewesen. Und jedesmal hätte er einen Freund dabei, der sich immer im Hintergrund halten und nie auffallen würde. Er hätte ein einfaches, langes, weißes Kleid an, langes, blondes, wallendes Haar, einen Gürtel um seine Taille, besetzt mit lauter Edelsteinen, und ein für sein Alter viel zu junges Gesicht. Vater sei gekleidet wie immer, er sehe ganz normal aus. Nur seine Schneidezähne seien nicht mehr so schief, sondern richtig schön geworden. Er hätte aber nie mit ihr gesprochen, bis auf das letzte Mal. Da habe er gesagt: "Geh zu Inanda Rama." Dann habe er sie geküßt, habe sie gesegnet und sei anschließend in die Kirche gegangen, um auf einer sehr großen Orgel, die sie noch nie gesehen hätte, zu spielen. Mitten in dem herrlichen Stück, das er spielte, sei sie dann aufgewacht. Seither habe sie nicht mehr von ihm geträumt. Sie wisse allerdings nicht, was sie mit dem Hinweis anfangen solle, zu diesem Mann zu gehen, den sie gar nicht kenne. -55-
Ich war zornig! Konnte Vater nicht wenigstens auch einmal mir im Traum erscheinen? Bedeutete ich ihm gar nichts? Zweifel gruben sich tief in mein Herz hinein. Hatte er mich überhaupt geliebt? Ich beschloß, Mutter nicht zu sagen, daß dieser Mann der indische Arzt und Jogi war, den Vater mit mir besucht hatte. Aber irgend etwas zwang mich dazu. Je mehr ich mich dagegen wehrte, desto stärker war diese innere Macht. Sie schien keinen Widerspruch zu dulden. Ich mußte einfach gehorchen. So gut ich konnte, erklärte ich es ihr, und schließlich hat sie es auch verstanden. Sie war überglücklich. Aber ich war in Auflehnung und Trotz gefangen und konnte mich nicht befreien. Ich wollte es nicht und versteckte mich hinter meiner Krankheit. Ich wurde hochdosiert mit Antibiotika behandelt, aber das Fieber ging nicht runter, bis ich nach vier Wochen wieder in die Klinik eingeliefert wurde. Das Krankenhaus war hoffnungslos überbelegt. Ich wurde in einen Raum geschoben, in dem sich schon vier Kranke befanden. Todkranke! Sie hatten alle Krebs im Endstadium und mußten sehr viel leiden. Trotz großer Mengen Morphium jammerten sie oft. Ich hatte überhaupt keine Zeit mehr, an mich zu denken, dafür beschäftigten mich diese vier Menschen viel zu stark. Zwei von ihnen, Frauen im mittleren Alter, hatten drei bzw. vier Kinder, die sie fast jeden Tag besuchen kamen. Doch wie groß war der Unterschied zwischen ihnen! Während die eine Familie fast nur weinte und überhaupt nicht in der Lage war, vernünftig zu reagieren, benahmen sich die anderen, wie wenn ihre Mutter lediglich Blinddarmentzündung gehabt hätte und bald wieder nach Hause dürfte. Sie beteten viel zusammen mit ihrer Mutter. Sie wußten genau, daß nicht ihre Mutter sie verließ, sondern nur ihr Körper, daß ihre Mutter weiterlebte und zwar unbeschwerter als -56-
bisher. Zum erstenmal seit dem Tod meines Vaters betete ich wieder intensiv. Die Zuversicht dieser Menschen, ihre Liebe, baute ein Feld auf, in dem ich mich geborgen fühlte. Obwohl sie selber genug zu tragen hatten, brachten sie es fertig, mich in ihren Kreis einzubeziehen, auch mir Mut zu machen. Und jedesmal, wenn wir beteten, waren die Schatten verschwunden, ließ der Druck auf meiner Brust nach. Ganz langsam begann ich zu ahnen, was mit mir los war. Nein, ich ahnte es nicht, ich wußte es! Ich hatte mich in meinen eigenen Fallstricken verfangen, hatte mich trotzig von Gott abgewandt, mit ihm gehadert und war eine leichte Beute geworden für die dunklen Mächte, die ständig auf der Lauer liegen und nur darauf warten, daß wir uns eine Blöße geben. Vater lebt ja, schoß es mir durch den Kopf! Wie konnte ich nur auf die Idee kommen, er sei mir genommen worden! Wie konnte ich nur auf die Idee kommen, mit Gott zu streiten, ihn zu beschuldigen, wo ich doch genau wußte, daß er überhaupt nicht in der Lage ist, auch nur einem Seiner Geschöpfe weh zu tun! Wo ich doch genau wußte, daß Gott reine Liebe ist, Liebe, die wir uns gar nicht vorstellen können! Liebe, die auch nicht den kleinsten Teil des Bösen in sich trägt! Ich erschrak vor mir selber. Wie oft schon hatte ich diese Liebe erfahren dürfen, wie viel hatte mir Michael schon erzählt davon, wie sicher hatte ich mich gefühlt, ja, wie hochmütig war ich in dieser Beziehung geworden! Ich hatte ja auch große Fortschritte gemacht. Alle Demütigungen hatte ich mit Liebe beantwortet, Vorwurf, Haß und Aggression hatte ich besiegt. Ich war Meister über meine Gefühle geworden, hatte die Hölle in mir in ihre Schranken verwiesen, ich war der Liebe Gottes würdig geworden. Glaubte ich wenigstens. Und nun dies. Wie war das möglich? Ja, war ich denn von allen guten Geistern verlassen? Die Schwere meiner Verfehlung ließ -57-
mich erschauern. War ich das wirklich selbst? Bin ich sehenden Auges in diese Katastrophe hineingeschlittert? Habe ich mich freiwillig zum Spielball des Bösen gemacht? In meinem Kopf drehte sich alles. Tiefe Reue überkam mich. Ich wollte vor lauter Scham davonlaufen, mich verstecken. Wie sollte ich Michael unter die Augen treten, was würde Gott von mir denken? Und plötzlich waren sie wieder da! Wie Hornissen stürzten sie sich auf mich. Unzählige Schatten umlagerten mich, griffen nach mir, drückten mir die Kehle zu. In höchster Verzweiflung schrie ich nach Michael, nach Jesus. "Helft mir, ich kann nicht mehr!"
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2
Die Nebelschwaden verzogen sich langsam, erste Lichtstrahlen verirrten sich zu mir. Gras, Blumen und Bäume wuchsen aus dem Nebel, Vögel ließen sich wieder sehen, ließen die Luft leise erzittern mit ihren frohen Stimmen. Der kleine Wasserfall plätscherte wieder, es herrschte Friede. Und da war Michael! Nicht vorwurfsvoll, wie ich erwartet hatte, nicht streng und mahnend. "Ich liebe dich." Ich wußte nicht, was ich darauf antworten sollte. Ich schämte mich so sehr. Er beugte sich zu mir herunter, nahm mich in seine Arme und drückte mich zärtlich an sich. "Schäme dich nicht! Du hast die größte Prüfung deines Lebens erfolgreich bestanden. Willst du dich nicht freuen?" "Wie kannst du dich über mich lustig machen? Ich weiß, daß ich versagt habe. Ich habe Gott beleidigt. Ich habe ihm zugetraut, daß er mir absichtlich weh tut. Ich habe ihn verstoßen. Ich kann mich ja selbst nicht verstehen, kann mir selbst nicht verzeihen, wie soll ich da jemals Gott gegenüber treten können?" "Du hattest Gott verstoßen, nicht er dich. Gott verstößt nie jemanden, nicht den größten Teufel, nicht einmal Luzifer selbst. Du hattest ihn verstoßen, er war immer bei dir. Nun bist du wieder da, und er ist immer noch da. Was hat sich denn geändert gegenüber vorher? Gott braucht -59-
dir nicht einmal zu verzeihen. Die Liebe verzeiht jede Tat schon im Ansatz. Liebe ist immerwährende Verzeihung, sie verurteilt nie, sie beschuldigt nie, sie verstößt nie. Du hattest Gott verstoßen und hattest dir dadurch selbst größten Kummer bereitet. Nicht Gott hast du verletzt dadurch, nur dich selbst. Verzeihe dir selbst, so wie es Gott längst schon getan hat. Oder willst du gerechter sein als Gott? Willst du dich über ihn stellen? Auch du bist ein Geschöpf Gottes. Wenn er diesem Geschöpf längst verziehen hat, wie willst du dann deinen Groll dir gegenüber rechtfertigen? Jeder Abfall von Gott schadet nur uns selbst. Gott ist unangreifbar. Sein Licht kann kein Schatten durchdringen, der höchsten Liebe ist es nicht möglich, vom Bösen verletzt zu werden. Dazu mußte Gott erst aus sich selber heraustreten, mußte sich in Jesus Christus eine Identität schaffen, die in der Lage ist, das Böse wahrzunehmen, es empfinden zu können und mit ihm umzugehen. Wie ernst er diese Aufgabe genommen hat, das hat er mit seinem Erdenleben bewiesen. Er hat für alles Böse gelitten, hat es körperlich und seelisch zu spüren bekommen. Er ging bis zur absoluten Grenze, gab auch das Letzte noch. Auch für dich, auch dafür, daß du ihn verstoßen hattest. Aber Sein Leiden hat dies schon ausgeglichen. Er hat bereits bezahlt dafür. Die Schuld ist schon beglichen, du findest nach deiner Rückkehr nur Liebe vor. Du selbst hättest die Schuld nie begleichen können. Du hast es soeben erfahren. Die Erkenntnis deiner Schuld hat dir nichts genützt, auch deine Reue nicht. Die schwarzen Mächte haben dich nur noch mehr bedrängt. Erst als du in völliger Demut deine Hilflosigkeit erklärt und Jesus um Hilfe gebeten hast, erst dann war der Bann gelöst, erst dann hast du ihm die Möglichkeit gegeben, dir zu helfen, dich in Sein großes Opfer mit einzubeziehen. Darum ist die Demut so wichtig. Demut -60-
erkennt die eigene Machtlosigkeit, sie pocht nicht auf ihre vermeintlichen Verdienste, sie gibt alles auf und erhält dadurch alles. Die Demut ist die Eintrittskarte zum Zelt Gottes, das sich schützend über alle wölbt, die sich ihm anvertrauen wollen. Kein Sturm wird es je zerreißen. Wer meint, mit seinen Gebeten und Verdiensten ein eigenes Zelt bauen zu können, wird spätestens von einem starken Sturm eines Besseren belehrt werden, wenn sein Zelt einfach weggefegt wird. Hochmut ist der Name des Affen, der die Menschen immer wieder beißt, der sie immer wieder dazu verleitet, ein eigenes Zelt zu bauen. Es ist noch keinem gelungen! Mach dir keine Vorwürfe, daß du dem Bösen in die Falle gegangen bist. Die Erde ist die Brutstätte Satans. Satan ist der Mittelpunkt der Erde. Sein Geist durchweht alles, und seinen Schwingungen kann sich auf der Erde niemand entziehen. Durch ihren Abfall von Gott, die 'Erbsünde', sind die Menschen einer Gesinnung geworden mit Satan. Sie haben sich ihm freiwillig unterworfen, indem sie sich von Gott lossagten. So ist Satan der Beherrscher der Erde geworden, und keiner konnte ihm entfliehen. Satan hieß vor seinem Fall Satana, das heißt der Gegenpol. Er war der erste und der größte Engel, von Gott als Gegenpol zu Sich geschaffen, als der Gegenpol, der Ihm die Liebe, die er aussandte, wieder zurückbringen sollte. Er, und mit ihm die ganze Schöpfung, sie waren praktisch der Spiegel, in dem Sich Gott selbst erblicken konnte. Denn wozu ist Liebe nütze, wenn es niemanden gibt, der bereit ist, sie aufzunehmen? Wenn es niemanden gibt, der diese Liebe in seinem Herzen umwandelt und sie wieder zurücksendet? Es ist wie beim Radar. Die Radarwellen werden ausgesandt, treffen auf einen Gegenstand und werden von diesem wieder zur Sendestation zurückgeworfen. Wozu wäre die Sendestation nütze, wenn es keine Gegenstände -61-
gäbe, die die Radarstrahlen zurückwerfen könnten? Oder was macht ein Tennisspieler alleine? Er schlägt den Ball einmal - und dieser kommt nie wieder zurück. Mit der Zeit weiß er nicht einmal mehr, wie der Ball ausgesehen hat, ja, ob er ihn überhaupt geschlagen hat. So ergeht es auch Gott. Er braucht die Schöpfung, um die Liebe, die er aussendet, wieder zurückzubekommen, ja, um sich überhaupt erst als Liebe erkennen zu können. Hier kann er aber keine Roboter gebrauchen. Denn mit Liebe kann ein Roboter wenig anfangen. Wenn ich einem Roboter ein Bild zeige und ihn frage, ob es ihm gefällt, dann antwortet er mit Ja oder Nein, je nachdem, wie er programmiert worden ist. Er hat ja keine eigene Meinung, er kann nur das wiedergeben, was ihm bei seiner Programmierung eingegeben worden ist. Nun, wer wäre in diesem Falle der Programmierer? Ja, Gott selber! In diesem Falle erhielte er also die Antworten, die er Seinen Geschöpfen selber eingegeben hat. Was sollte er denn damit anfangen? Nein! Roboter hätten Ihm nichts genützt. Für die Liebe taugt nur ein freies Wesen, das sich völlig frei entscheiden kann. Denn erst durch seine bewußte Entscheidung für Gott bringt es die Liebe zurück, die es ständig umströmt. Gott mußte also in der Welt das Licht anknipsen, um sehen zu können. Das Licht ist die Schöpfung, und derjenige, der es gebracht hat - das war Satan! Er heißt ja auch Luzifer (Lichtträger). Er war es, der das Licht von Gott in die Welt getragen und dadurch erst die Schöpfung ermöglicht hat. Er war dazu von Gott mit großer Macht ausgestattet worden, denn ein Schwächling hätte dies wohl schwerlich fertiggebracht. Die Schöpfung war aber eine rein geistige. Es gab keine Materie, keine Erde, keine Sterne. Alles, was war, war Geist. Wobei, wie du ja schon weißt, Geist und Materie nicht wesentlich verschieden sind. Reiner Geist ist Energie mit einer sehr reinen und hohen Schwingungs-62-
frequenz, während Materie 'verdichtete Energie' ist, von einer unreinen, tiefen Schwingungsfrequenz also. Nun, es ist lange Zeit gut gegangen, bis Luzifer hochmütig wurde. Der freie Wille und seine große Macht wurden ihm zum Verhängnis. Er wollte der Größte, der Erste sein. Er fühlte sich stark genug, um mit Gott zu kämpfen und brachte einen Teil der Engel hinter sich. Als der Plan dann geschmiedet war, war der Kampf auch schon vorüber. Es gab keinen 'Krieg der Sterne' mit Lanzen und Kanonen. Der Geist braucht keine Werkzeuge. Durch reine Willenskraft ist es möglich, andere zu blockieren, ihnen die Energie wegzunehmen bzw. abzuschneiden. Das wird übrigens auch auf der Erde häufig praktiziert. Man sagt z.B.: "Der laugt mich völlig aus", und meint damit unbewußt diesen Vorgang. Eine Tat gilt dann als vollzogen, wenn sie ganz durchdacht ist, wenn im Geiste der komplette Plan vorliegt und für seine Ausführung keine Vorbehalte mehr existieren. Das gilt auch für die Erde! Nun, mit Gott läßt es sich schlecht kämpfen. In Sekundenbruchteilen war der Kampf vorüber. Luzifer und seine Engel wurden in die Tiefe gestürzt, wie es so schön heißt. Richtiger wäre: Sie wurden in die Tiefe gezogen. Von ihrer eigenen Tat! Gott hat noch nie jemanden bestraft und wird es sicherlich auch nie tun. Er ist dazu nicht fähig. Reine, höchste Liebe kann nicht verurteilen, und es schmerzt mich ungemein, ständig hören zu müssen, was Gott für ein brutaler Kerl ist, der seine Kinder bei jeder nur möglichen Gelegenheit züchtigt und die meisten am Schluß ins ewige Feuer wirft. Und zu so jemandem sagt ihr "lieber Vater". Ich würde ihn eher einen blutrünstigen Tyrannen nennen. Aber Gott ist nicht so. Er straft nie! Er ist nur Liebe und Verzeihung. Der Geist straft sich vielmehr selbst. Jede Tat -63-
birgt automatisch schon die Folge in sich. Es ist, wie wenn ich hinfalle und mir das Knie aufschürfe. Kein normaler Mensch würde auf die Idee kommen zu sagen, das ist die Strafe fürs Hinfallen. Nein, es ist lediglich die Folge davon. Und wenn ich stärker falle, dann verstauche ich mir eben das Bein; oder noch stärker, dann ist es eben gebrochen. Alles ist zwangsläufige Folge des Fallens, ohne daß jemand anders die 'Strafe' verhängt. So ist es auch beim Geist. Der Abfall von Gott ist eine so schwerwiegende Verfehlung, sie läßt den Geist so tief sinken, daß dadurch die reine Energie des Geistes so verunreinigt und so verdichtet wird, daß er aus dem rein geistigen Zustand in einen teilmateriellen Zustand fällt, der sich, wie beim Hinfallen auch, nach der Schwere der Verfehlung richtet. Automatisch! Allein dadurch, daß die Energie durch die Gedanken verunreinigt wird. So war es auch beim 'Geisterfall'. Gott brauchte nur seine 'Hand zu erheben', um den geistigen Angriff abzuwehren. Alles andere passierte von alleine. Luzifer und seine Engel stürzten auch nicht gleich in die 'Hölle', sie 'rutschten zunächst nur ein kleines Stück ab'. Und wie ihr Menschen, so deuteten auch sie diesen Fall als Strafe. Sie wurden trotzig und zornig und fingen an, Gott zu hassen, der sie vermeintlich so hart geschlagen hatte. Was Haß jedoch bedeutet, habe ich dir ja schon erklärt. Haß ist die tiefste Schwingung. Je größer der Haß wurde, desto tiefer sanken die Geister in ihrem Schwingungszustand, desto materieller wurden sie. Es war ein richtiger 'Teufelskreis'. Je mehr sie haßten, desto tiefer sanken sie, und je tiefer sie sanken, desto mehr haßten sie Gott für diese 'Strafe'. Nun, bei Satan war die Verfehlung am größten. Er war Gott am nächsten gewesen. Er war der Anführer gewesen. Sein Wesen befindet sich dadurch heute in dem tiefsten Schwingungszustand, den es überhaupt gibt, und damit ist -64-
er dichteste Materie, unbeweglich wie ein Stein. Er ist zum materiellen Mittelpunkt der Erde geworden! Aber Gott hat ihm nicht seine Macht genommen. Gott hat noch niemals jemandem etwas genommen! Daher kommt es, daß Luzifer mit solcher Macht ausgestattet ist. Gott hat einmal gesagt: "Wenn ich je einen Fehler gemacht habe, dann den, daß ich Luzifer zu vollkommen erschaffen habe." Das bedeutet aber: er macht nicht einmal Luzifer einen Vorwurf! Kannst du die Tragweite dieses Satzes verstehen? Nicht einmal der Urheber alles Bösen wird von Gott verdammt. Liebe kann einfach niemanden verdammen! Das hat nichts damit zu tun, daß Gott nicht allmächtig wäre. Gott ist sehr wohl allmächtig. Aber Allmacht kann nicht alles, sie kann nicht gegen sich selber handeln! Liebe kann nicht hassen, Verzeihung kann nicht strafen, auch bei aller 'Allmacht' nicht. Würden sich die Menschen das doch endlich einmal hinter die Ohren schreiben! Gott weiß, daß auch Luzifer eines Tages zu ihm zurückkehren wird, und er wird ihn mit offenen Armen empfangen. Luzifer ist nämlich der verlorene Sohn, von dem Jesus in seinem Gleichnis spricht, und den der Vater nach seiner Rückkehr mit allen Ehren aufnimmt. Nur das wird sicherlich noch 'Ewigkeiten' dauern, aber Gott denkt nicht in Stunden und in Tagen. Er denkt in 'Schöpfungszeiträumen', die wir uns nicht vorstellen können. Momentan jedenfalls ist Satan als Mittelpunkt der Erde auch der Herrscher über die Erde. Niemand kann sich seinen Schwingungen entziehen. Daran liegt es auch, daß man auf der Erde nicht neutral sein kann. Wer auf der Erde neutral ist, 'weltoffen', wie es so schön heißt, unterliegt dadurch automatisch dem Einflußbereich Satans. Es ist, wie wenn du in einem reißenden Strom auf einen Wasserfall zutreibst. In diesem Fall kannst du auch nicht neutral bleiben, sondern du -65-
mußt mit aller Kraft gegenrudern, damit du das schützende Ufer erreichst und nicht von dem Wasserfall in die Tiefe gerissen wirst. Wer neutral bleibt, wird von den Schwingungen Satans erfaßt und ist williges Opfer und Werkzeug seines Hasses gegen Gott. Du hast es selbst erlebt. Als du nach dem Tod deines Vaters aufhörtest, dich aktiv nach Gott auszurichten und willentlich bewußt Liebe zu leben und Gott zu lieben, da gerietest du automatisch in den Sog Satans, der dich mit seinen Zweifeln überfiel und dich so deiner Verbundenheit mit Gott beraubte. Du bist zum Spielball Satans geworden, nicht weil du dich aktiv bewußt auf seine Seite gestellt hast hättest du das getan, wäre dir die Rückkehr bei weitem nicht so leicht gelungen -, sondern nur dadurch, daß du aufhörtest, Gott aktiv zu lieben. Neutralität mag es auf den Sternen vielleicht geben, auf der Erde gibt es sie nicht. Wer nicht für Gott ist, ist gegen ihn. Auch reicht es hierzu nicht, sich an einen unpersönlichen Gott zu halten, der irgendwo in der Tiefe des Weltalls sitzt und vor Urzeiten alles erschaffen hat und womöglich noch selbst Gut und Böse in die Welt gesetzt hat, damit sich die Menschen frei für das eine oder das andere entscheiden können! Manche gehen sogar so weit zu sagen, das Wesen Gottes enthalte bereits alles Gute und alles Böse, Gott sei uns nur darin überlegen, daß das Gute bei Ihm die Oberhand behalten habe. Oder sie halten Gott für den 'Urknall', durch den sich dann im Laufe der Zeit alles entwickelt hat. Milliarden von Mutationen (Veränderungen der Gene, die als Baumuster für die Zellen dienen) wären nötig, um von der unbelebten Materie zur Pflanzen- und einfachen Tierwelt zu gelangen, weitere Milliarden um von der niederen Tierwelt zur höheren Tierwelt zu gelangen und unzählige Milliarden, um von dem höchstentwickelten Tier zum Menschen zu gelangen. Wohl werden laufend Mutationen festgestellt. Von hundert -66-
sind neunundneunzig unsinnig oder schädlich und führen entweder zum Tode - Krebs z.B. ist ja eine solche -, oder sie werden von der Natur wieder eingestellt. Eine von hundert ist sinnvoll und dient meist der Anpassung an eine veränderte Umwelt. Andere Zähne z.B. bei Veränderungen in der Nahrungsgewohnheit, oder längere und schnellere Beine, wenn dies nötig wird, oder ein dickeres Fell, wenn die klimatischen Bedingungen sich ändern. Nicht eine einzige Mutation wurde von euch in den letzten paar tausend Jahren festgestellt, die den Übergang von einer Art in eine andere auch nur angedeutet hätte. Auch nicht die allerkleinste Veränderung in diese Richtung war nachweisbar. Aber in den Jahren davor, da sollen Milliarden von sinnvollen Mutationen abgelaufen sein? Diese Theorie stützt sich hauptsächlich auf haarsträubende Auslegungen prähistorischer Knochenfunde, die oft sang- und klanglos wieder in der 'geschichtshistorischen Unterwelt' verschwinden, wenn entweder die Fälschung bekannt wird, oder sich z.B. der einzelne Zahn, aus dem dann ein ganzes Menschenskelett mit allen Knochen und Merkmalen rekonstruiert worden ist, als Schweinezahn (!) entpuppte! Der durch eine rachitisähnliche Krankheit deformierte Körperbau des Neandertalers - was ja einige eurer Professoren auch schon richtig erkannt haben - muß als Beweis für eine 'zufällige' Abstammung des Menschen vom Affen herhalten. Diese Beweisführung soll Gott entbehrlich machen, denn wenn alles 'zufällig' durch Mutationen entstanden ist, dann kann man auf ihn ja verzichten. Und diese Theorie ist heute noch gültig, obwohl sie schon Darwin, ihr Erfinder, am Ende seines Lebens selber angezweifelt hat. Nichts, nicht das kleinste Sandkorn ist zufällig entstanden! Die ganze materielle Schöpfung ist nur Abbild des Geistigen. Sie ist bis ins Kleinste durchdacht und gesteuert und dient -67-
ausschließlich dem großen Ziel, alles Geschaffene wieder zum Vater zurückzuführen. Wenn nun hierzu eine Art nicht mehr nötig ist, dann stirbt sie eben aus; ansonsten wäre sie nur hinderlich. Wird dagegen eine neue Art benötigt, dann entwickelt sie sich entsprechend diesem Plan. Nie aber zufällig! Wer Gott nicht mehr als Person sieht, wer nicht mehr in der Lage ist, ihn als liebenden Vater zu erkennen, der hat schon halb verloren. Denn wie kann ich eine Urkraft lieben, ein 'unbekanntes Etwas', von dem ich zwar weiß, daß es mich erschaffen hat so wie alles andere auch, daß es jetzt aber alles schleifen läßt, ohne Mitleid, ohne Hilfe: "Soll der Mensch doch zusehen, wie er aus dem Dreck wieder rauskommt, er hat ihn sich ja selbst eingebrockt!" Das ist doch kein Gott, den man lieben kann! Höchstens ein Urvieh, vor dem man sich fürchten muß! Bei einem solchen Gott wäre ich schon längst zum Teufel geworden. All diese Thesen hat Satan in die Welt gesetzt, denn je weiter Gott aus dem Bewußtsein der Menschen wegrückt, je unpersönlicher er wird, desto schwächer wird die Bindung an ihn und desto stärker der Einfluß Satans. Genauso hat er es geschafft, die Engel aus dem Bewußtsein der meisten Leute zu vertreiben. Wie soll ich nun von jemandem Hilfe erbitten, von dem ich glaube, daß es ihn gar nicht gibt? Das ist schon ein wahres 'Teufelsstück'. Der große Coup ist ihm aber erst in den letzten Jahren gelungen, als er es geschafft hat, sich selbst für nicht existent zu erklären! Für dieses Glanzstück gebührt ihm eigentlich alle Anerkennung. Wie soll ich mich denn vor jemandem fürchten oder in acht nehmen, von dem ich glaube, daß es ihn gar nicht gibt? Wenn es keinen Teufel mehr gibt, brauche ich doch keine Angst zu haben vor ihm, oder? Ich brauche mich nicht zu wehren! Ich kann damit auch auf die starke Ausrichtung auf Gott -68-
verzichten. Denn einen Teufel, der mich von Ihm wegziehen will, gibt es ja nicht! Das ist schon ein starkes Stück! Und die Menschheit glaubt es bereitwillig. Wenn ihr nur sehen könntet, wie sich Satan darüber ins Fäustchen lacht, wie er sich über diese Dummköpfe lustig macht, das Spotten würde euch vergehen. Nein.' Der Teufel ist so wirklich wie du und ich. Also quäle dich nicht weiter, daß du ihm auf den Leim gegangen bist. Straucheln darfst du auf deinem Weg zu Gott, du darfst auch hinfallen, nur liegen bleiben, das darfst du nicht! Die meisten Heiligen waren keine Übermenschen. Auch sie sind gestrauchelt. Aber sie haben sich immer wieder hochgerappelt. Demütig und voller Liebe. Keiner kann sich auf der Erde dem Einfluß Satans entziehen. Satan hat ja sogar Jesus Christus versucht. Er hat es nicht geschafft, aber er hätte ihn nicht versucht, wenn er keine Chance gehabt hätte. Auch Satan tut nichts von vornherein Sinnloses. Das war ja die große Tat Gottes, daß er nicht als Gott auf die Welt kam, sondern als wirklicher, wahrhaftiger Mensch. Es gibt nur wenige, die in der Lage sind, dies in seiner ganzen Tragweite zu ermessen. Das bedeutet nämlich: Jesus Christus hätte auch versagen können! Wie jeder Mensch hätte er den Verlockungen Satans erliegen können; dann hätte er seine Aufgabe nicht erfüllt, und Satan wäre Sieger gewesen! Was das bedeutet hätte, könnt ihr euch nicht vorstellen! Es war ein ungeheures Risiko, das Jesus hier eingegangen ist. Jesus hat alles gewagt - und hat alles gewonnen. Er hat es geschafft! Er ist zur Brücke zwischen dem Vater und den Menschen geworden. Er konnte mit Recht von sich sagen: "Ich bin der Weg!" Gott selbst hat damit den Menschen die Schlüssel zu seinem Reich übergeben. Aber nicht kraft seiner göttlichen Allmacht. Nein, sich demütig seinen -69-
eigenen Gesetzen unterwerfend, hat er sich als Mensch durch das Dickicht satanischer Bosheit, Lüge, List und Versuchung bis zu euch vorgearbeitet und dabei das ganze Repertoire des Bösen bis zur äußersten Brutalität zu spüren bekommen. Seine Standhaftigkeit hat Satan die Schlüssel entrissen. Jeder Mensch hält dadurch nun die Schlüssel zu Gottes Reich in seinen Händen. Aber den Weg dorthin, den muß er selber gehen! Es ist derselbe Weg, den auch Jesus Christus gegangen ist: durch das Dickicht satanischer Bosheit, List, Lüge und Versuchung. Keinem, der die höchste Trophäe erringen will, bleibt dies erspart. Fehler und Straucheln - das ist auf diesem Weg normal, und niemandem wird deswegen ein Vorwurf gemacht. Gott weiß um diese Schwierigkeiten, er hat sie ja selbst erlebt! Er empfindet nie Zorn oder Wut. Seine Antwort ist Mitleid, Verständnis, Barmherzigkeit und Geduld. Jesus ist in der Lage mitzufühlen, mitzuleiden, aber nie zu verdammen. Seine Liebe und Güte ist so unendlich wie er selbst. Sei dankbar, daß du eine sehr wichtige Erfahrung machen durftest. Du wirst in Zukunft mehr aufpassen und dich nicht mehr so leicht übertölpeln lassen. Und du wirst deinen Hochmut besser im Zaum halten und nach Demut streben. Demut und Liebe werden dir jede weitere derartige Erfahrung ersparen. Gott hat dich zwar nicht in Versuchung geführt, aber er hat all das zugelassen und dir dadurch rechtzeitig die Möglichkeit gegeben umzudenken, bevor dich der Hochmut so geblendet hätte, daß du die Wahrheit nicht mehr hättest sehen können. Es folgte ein langes Schweigen. Ich betete inbrünstig und dankte Gott dafür, daß er mich aus dieser Verstrickung heil herausgeholt hat, und daß ich soviel lernen durfte. "Was meinst du, wer dich herausgeholt hat aus dieser Umarmung mit Luzifer?" Michael unterbrach meine -70-
Träume. "Ja - Gott natürlich!" "Schon, Gott ist ja der Urheber von allem, er steht hinter allem und über allem. Aber er wird nie direkt auf der Erde tätig. Er hat in seiner Allmacht Gesetze geschaffen die immer und absolut gültig sind, und die auch er nie übertritt. So kann ein Geist - also auch Gott - nie direkt in die Materie eingreifen. Gott ist der Zahnarzt, aber zum Zähne ziehen braucht er nun einmal eine Zange, ein Werkzeug. Und obwohl niemand auf die Idee kommen würde, sich anschließend bei der Zange zu bedanken, weil sie ihm den Zahn so großartig gezogen hat, so ist sie doch nötig, weil auch der beste Zahnarzt ohne sie nichts ausrichten kann. So braucht auch Gott ein Werkzeug, wenn er auf der Erde tätig sein will. Gebet und Meditation öffnen den Weg dafür. " "Dann warst du es?" "Nein!" Michael lachte. "Auch ich bin ja reiner Geist, auch ich kann nicht direkt auf der Erde tätig werden. Ich kann dir zwar Gedanken eingeben und dich leise führen und deinen Weg dadurch etwas begradigen. Ich bin auch in der Lage, dich von den bösen Mächten abzuschirmen, wenn du in Einheit mit mir lebst und mich darum bittest. Aber in dieser Situation wolltest du ja nichts von mir wissen. Nein, es war Inanda Rama, der dich befreit hat. Du erinnerst dich doch: Deine Mutter hatte geträumt von ihm, und nur sehr widerwillig hast du ihr davon erzählt. Der, der dich dazu getrieben hat, das war übrigens ich. Nun, deine Mutter war bei Inanda und hat ihm von deinem Zustand berichtet. Inanda hat sich sofort deiner angenommen. Er hat geistig die Wege bereitet, hat erreicht, daß du ins Krankenhaus gekommen bist zu diesen Leuten, die dir letztendlich die Augen geöffnet haben. Er hat dich abgeschirmt von den bösen Mächten, hat sie -71-
zurückgehalten. Und er hat dich mir übergeben, als du in höchster Not um Hilfe geschrieen hast." Wieder folgte eine lange Pause, die mir dazu diente, mit dem Gefühl wahrzunehmen, wozu mein kleines Hirn nicht in der Lage war. Wir lagen an einem kleinen See, Frösche quakten, Libellen schwirrten um mich herum, eine Ringelnatter schlängelte sich neben mir durchs Gras. Einem plötzlichen Impuls folgend, streichelte ich sie. Sie dankte mir und kuschelte sich dicht an mich. Es war wunderschön. Ein Frosch hüpfte herum, und da fiel mir zum erstenmal auf: alle Tiere lebten hier friedlich nebeneinander! Keiner störte den anderen, keiner fraß den anderen auf. " Wovon ernähren sich die Tiere hier?" fragte ich Michael. "Sie brauchen keine Nahrung. Auch wir brauchen keine Nahrung. Wir leben von dem Licht und dem Kraftfeld Gottes, das uns ständig umgibt. Trotzdem essen wir ab und zu etwas. Meist sind es Früchte, die in speziellen Gärten angebaut werden. Sie dienen aber nicht der körperlichen Stärkung. Wir essen gemeinsam der Geselligkeit wegen, wobei wir in gemütlicher Runde zusammensitzen. Auch die Tiere essen ab und zu Früchte. Töten, um zu überleben, das gibt es nur in der Gottferne und kommt bei höher stehenden Wesen nicht mehr vor. " Zum erstenmal seit langem war ich wieder glücklich. Ich schmiegte mich dicht an meinen Begleiter und fiel in einen tiefen Schlaf, begleitet von dem fröhlichen Zwitschern der Vögel und dem freundlichen Zischen der Ringelnatter. Plötzlich stand Vater vor mir. Ich konnte vor Freude nicht sprechen, Tränen rannen über mein Gesicht, als ich in seinen Armen lag. "Du kleines Dummerchen! Wie konntest du nur -72-
annehmen, ich hätte dich verlassen? Ich werde dich nie verlassen, solange die Ewigkeit dauert. Ich habe meine Arbeit getan auf der Erde. Ich habe viele kleine Lawinen los getreten. Damals habe ich nicht viel davon gespürt. Ich war oft traurig und verzweifelt darüber, habe mich oft in Frage gestellt. Aber von hier aus kann ich nun schön ihren Fortgang beobachten. Einige sind schon ganz ordentliche Lawinen geworden, andere brauchen noch etwas länger. Manche vielleicht auch sehr lange. Aber hier geht die Zeit anders, und Ungeduld gibt es nur auf der Erde. Ich habe meine Arbeit auf der Erde getan. Ich habe meine Saat ausgebracht, gießen und ausjäten kann ich von hier aus besser. Ich bin froh und dankbar, daß unser Vater mich wieder zurückgeholt hat. 'Arbeiten' tue ich hier mehr als früher auf der Erde. Aber arbeiten macht hier keine Mühe mehr. Arbeiten zu dürfen, ist hier die größte Freude. Auch steht hier niemand unter Erfolgszwang. Es herrschen Friede und Glück, wie man es auf der Erde nicht ermessen kann." "Es tut mir leid, Vater, daß ich so untröstlich war, daß ich dich zurückgesehnt habe. Jetzt freue ich mich mit dir darüber, daß du gehen durftest. Bitte verzeih mir." "Ich habe dir nichts zu verzeihen. Ich bitte dich um Entschuldigung, daß ich dich so plötzlich verlassen habe. Aber ich glaube, wir dürfen auch in Zukunft oft beieinander sein. Ich stehe sowieso immer neben dir, ebenso wie Michael auch. Du bist jetzt schon sehr weit, und es gehört nicht mehr viel dazu, dann kannst du hier bei uns sein, wann du willst. Michael wird dich bald darüber unterrichten. Ich freue mich, daß du nicht mehr traurig bist. Ich liebe dich. Mach's gut, bis bald." Ich lag immer noch in Michaels Armen. "Ich habe von Vater geträumt. " Michael lachte. "Du hast nicht geträumt! Bei uns gibt es -73-
weder Zeit noch Raum. Du bist automatisch dort, wo du dich hinbegeben willst. Du hast dich nach deinem Vater gesehnt und warst auch wirklich bei ihm. Obwohl er sich in Wirklichkeit viele Lichtjahre entfernt befindet. Hast du den Unterschied nicht bemerkt? Es gibt dort eine ganz andere Vegetation. Weniger Blumen, weniger. Landtiere, aber unheimlich mächtige Bäume und unzählige, große Vögel. " Die Landschaft war sehr bergig, im Gegensatz zu hier. Ja jetzt erinnere ich mich. Wir waren weit spazieren gegangen unter riesigen Zypressen, die sich wie ein Dach über unsere Wege spannten. Trotzdem war es nirgends dunkel. Das Licht schien von überall zu kommen, sogar aus dem Boden. Wir waren viele Hügel hinauf und hinunter gegangen und trotzdem war das Laufen nie anstrengend gewesen. Mächtige Adler wohnten hoch oben in den Bergspitzen. Man konnte sie gut sehen. Es gab auch für das Auge keine Grenze. Und ich hatte die Sonne gesehen! Ein klein wenig nur, einen kleinen Streifen über dem höchsten Berg. Aber ich hatte sie gesehen. Blutrot war der Himmel um sie herum, das schönste Morgenrot, das ich je gesehen. Michael lachte. "Ich glaube, wir müssen dich wieder zurückbringen, sonst kriegen wir dich nicht mehr los." Ich fand es zwar nicht ganz so lustig, aber ich wußte, er hatte recht. Es war schon schwer genug, mich wieder im Leben zurechtzufinden. Aber es mußte sein. Ich hatte ja soeben erst angefangen zu begreifen, war eben erst erwacht. Michael hatte versprochen, mich zur Reife zuführen, und "Wir brauchen dich noch", hatte er gesagt. Ich wußte nicht, was er damit meinte.
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"Drei Tage warst Du bewußtlos, mein Kind. " Mutter saß neben mir und hielt meine Hand. Ich liebte sie. Zum erstenmal in meinem Leben konnte ich von Herzen sagen, ich liebte sie. Vorher hatte es mich Mühe gekostet und Anstrengung. Jetzt ging es ganz leicht. Tränen rannen über ihre Wangen. "Die Ärzte wollten dich schon aufgeben, aber ich wußte, daß Du es schaffst. Inanda Rama hat es mir gesagt. Du würdest sehr lange schlafen und dann völlig gesund aufwachen." Und tatsächlich. Ich hatte kein Fieber mehr, ich fühlte mich nicht mehr müde und matt. Für die Ärzte war ich ein Rätsel. Sie entließen mich zwei Tage später. Mutter sagte es mir erst im letzten Augenblick. Sie brachte es fast nicht heraus. Unter Tränen stammelte sie: "Ich kann Dich nicht mehr mit heim nehmen. Ich muß doch jetzt arbeiten." Es war wie ein Schlag ins Gesicht. Aber diesmal konnte ich Wut und Enttäuschung schon im Keim ersticken: Nie wieder wollte ich mich auflehnen, nie wieder mit meinem Schicksal hadern. Sicher, es traf mich hart. Aber ich wußte auch, daß Mutter es ehrlich meinte. Zum erstenmal spürte ich, daß sie mich gerne bei sich gehabt hätte. Ihre Trauer war echt. Und die Freude darüber sollte eigentlich meinen Schmerz vergessen lassen. Und das tat sie dann auch. War das eine von Vaters kleinen Lawinen? Mutter versprach mir jedenfalls, mich oft zu besuchen, mich nicht allein zu lassen. Es war eine neue Situation entstanden, ein neuer Abschnitt. Er brachte mir Ungewißheit, aber er bot auch -75-
neue Möglichkeiten. "Wir brauchen dich noch", hatte Michael gesagt.
* Das Heim sah nicht besonders einladend aus. Ein alter Backsteinbau mit verwitterten Fassaden, einfach, zweckmäßig und etwas verkommen. Aber es lag ruhig und völlig abgeschieden in einer herrlichen Landschaft. Es war Frühsommer, und wir fuhren durch eine Fliederallee zum Haus. Fliederduft lag über allem, Vögel gab es viele und Schmetterlinge und Blumen. Ein großer Park mit alten Bäumen, der Fluß im Hintergrund, eine richtige Paradieslandschaft. Aber irgend etwas stimmte nicht. Schon bei der Einfahrt hatte ich es bemerkt. Ich wurde unruhig, aber nicht ängstlich. Ich wunderte mich darüber, da ich sonst immer sehr schnell Angst bekam. Und da sah ich sie auch schon. Sie huschten unter den Bäumen, hielten sich im Verborgenen, scheuten das Licht. Die Schatten waren wieder da! Sie umlagerten das Haus wie Drohnen die Bienenkönigin. Ich konnte Michaels Hand auf meinem Arm spüren. "Hab keine Angst, sie können dir nichts anhaben." Ich wußte es ohnehin schon und war auch voller Zuversicht. "Wir brauchen dich noch", hatte Michael gesagt. Was hatte er damit gemeint? In dem Heim wurden vorwiegend Taubstumme und Körperbehinderte, meist spastisch Gelähmte, betreut. Auch waren Kinder mit geistigen Behinderungen da, darunter einige Mongoloide. Mongolismus entsteht dadurch, daß sich eines der Gene, die für die Ausprägung der Zellen verantwortlich sind, zweimal teilt, so daß statt -76-
zwei dann drei dieser Gene existieren. Unsere Wissenschaftler haben den körperlichen Defekt bis ins Detail untersucht. Sie wissen genau, daß es sich um das einundzwanzigste Gen handelt, weshalb die Krankheit auch den Namen 'Trisomie 21' bekam. Auch eine dieser 'sinnlosen Mutationen', würden unsere Wissenschaftler sagen. Ach, würden sie doch den geistigen Hintergrund genau so detailliert erforschen, vielleicht würden sie dann zu einem anderen Ergebnis kommen. Ich jedenfalls sehe mich ganz und gar nicht als 'sinnlose Mutation' an. Das Heim wurde geleitet von katholischen Schwestern, Franziskanerinnen, die nur wenige Meter entfernt in einem kleinen Kloster wohnten. Zum Kloster gehörte eine kleine wunderschöne Kirche, die aussah wie die Miniaturausgabe des großen Barockmünsters, das ich mit Vater in der Stadt gesehen hatte. Obwohl äußerlich schon ziemlich verfallen, war sie innen in sehr gutem Zustand. Eine große Zahl von Heiligen besetzte die Pfeiler an der Außenwand, die gewölbte Decke wurde fast in ihrer Gesamtheit von großen Gemälden beherrscht, deren zarte, blasse Farben schon lange keine Restaurierung mehr über sich ergehen lassen mußten. Alles war überladen mit Schnörkeln und Ornamenten, man konnte die Liebe förmlich noch spüren, mit der diese Kirche erbaut worden war zu einer Zeit, wo man noch Zeit hatte, wo Gott keine Randfigur war, wo er zentraler Mittelpunkt des Lebens war. Wo ein großer Teil der Zeit ihm gewidmet war, wo sein Haus noch sämtliche andere Häuser an Schönheit und Prunk übertraf und nicht vor lauter Zweckmäßigkeit und Einfachheit von jeder kleinen Hütte in den Schatten gestellt wurde. Doch es muß auch eine Zeit gewesen sein, in der die Angst regiert hat. Die Decken- und Wandmalereien ließen es deutlich spüren. Sie waren beherrscht von dem großen 'Donnergott', der mit all seiner -77-
Macht und seinen Engelheeren eher einem Feldherrn glich, bereit, die Ungläubigen und Untreuen niederzuwerfen und in der Hölle zu braten. Auch der Gesichtsausdruck vieler Heiligen ließ darauf schließen. Doch zwei Figuren ließen die große Liebe ahnen, die das Wesen Gottes ausmacht: Maria und der Apostel Johannes. In ihren Gesichtern war nicht die Spur von Angst zu erkennen. Das Kreuz im Altarraum, unter dem sie knieten, überstrahlte alles. Wenn die Morgensonne durch die oberen Fenster der kleinen Kuppel schien, leuchtete es in seiner goldenen Farbe und strahlte wie die Sonne selbst bis in den hintersten Winkel. Auch Christus selber strahlte. Er hing nicht 'tot' am Kreuz, wie es so oft zu sehen ist. Sein Körper mag tot gewesen sein, er aber strahlte. Er war der Sieger. Er hatte den Tod besiegt, den geistigen Tod nämlich, hatte uns von der absoluten Ankettung an Luzifer befreit und war zur Brücke zum Vater geworden. Der Künstler scheint sich dessen bewußt gewesen zu sein. Wie in einem Buch konnte man in diesem Jesus lesen. Er hatte eine Ausstrahlung von solcher Kraft und Geborgenheit, wie ich sie noch nie erlebt hatte. Nie habe ich in dieser Kirche einen Schatten gesehen. Es war, als wäre Christus leibhaftig anwesend und würde alle, die hier beteten, in seine Schwingung eintauchen lassen. Die silbrigen und doch weichen Töne der alten mechanischen Barockorgel, die ebenfalls noch keine Restaurierung erdulden mußte, unterstrichen diese Wirkung und zauberten eine nahezu überirdische Stimmung. Kein Ton war zu scharf, zu schrill, kein Mißklang zerstörte die Andacht. Lieblich und anmutig schwebten die Klänge im Raum, der mit seiner Form diese Schwingungen unterstützte und abrundete. Auch der Baukörper konnte nicht zufällig entstanden sein. Seine Baumeister müssen um diese Dinge gewußt haben, sie waren eingeweiht in die -78-
Welt der Schwingungen und Harmonie. Keine Ecke, keine Kante zerstörte die Schwingung des Gebetes. Die Form war ihm angepaßt wie ein Handschuh. Es kam dem harmonischen Weben und Schwingen sehr nahe, das ich so oft mit Michael erleben durfte. Nie war ich auf der Erde glücklicher als in dieser Kirche. Ganz anders das Heim. Viele waren von Schatten umgeben, die sich wie Kletten an sie hefteten und Tag und Nacht begleiteten. Es war schaurig anzusehen. Ich war ziemlich bestürzt darüber, früher war mir ähnliches ja nie aufgefallen. Bisher konnte ich nur fühlen, ob von einem Menschen eine gute oder eine schlechte Schwingung ausging. Nun mußte ich feststellen, daß es oft die Schatten waren, die die Schwingung veränderten. Je mehr von ihnen einen Menschen belagerten, desto stärker fühlte ich mich von ihm zurückgestoßen, desto härter traf mich seine Schwingung, obwohl die Schatten selber auf mich nie bedrohlich wirkten. Sie schienen mich gar nicht zur Kenntnis zu nehmen. Viele der Schwestern waren sehr freundlich, aber es gab nur zwei, die mich, wie damals Schwester Benedicta, ganz in sich aufnahmen. Diese beiden waren auch völlig frei von jedem Schatten. Ihre Schwingung war hell und rein. Wo sie waren, verbreiteten sie Ruhe und Frieden. Auch die Kinder, die von einer ständigen Unruhe getrieben wurden, reagierten darauf. In ihrer Gegenwart gab es kaum einmal Zank oder Streit, sie erstickten ihn schon im Ansatz. Sie pochten nie auf ihr Recht, sie mußten einen Streit nicht als Sieger verlassen, sie konnten demütig nachgeben, ohne vor sich selber das Gesicht zu verlieren. Sie waren in sich so gefestigt, daß sie auf alles Äußere nicht mehr angewiesen waren. Mit der Zeit, als ich tiefer in die Herzen sehen konnte, wußte ich auch warum: Tief in ihrem Inneren brannte ein Licht, das sie ganz -79-
durchstrahlte. Dieses Licht war Christus selbst. Sie hatten sich diesem Licht ganz hingegeben, hatten es vorbehaltlos in sich aufgenommen. Indem sie ihr eigenes Ich, ihre eigenen Wünsche aufgegeben hatten, konnte sie dieses Licht ganz durchdringen. Sie hatten alles aufgegeben, hingen an nichts mehr. Geld, Kleider, Essen, Ansehen, Ehre, weltliche Begierden, alles hatten sie losgelassen und dadurch unendlich viel mehr erhalten. Sie durften verschmelzen mit der Wesenheit des Lichtes. Sie mußten Haß, Zorn, Wut nicht mehr unterdrücken. Diese Gefühle existierten nicht mehr in ihnen, "sie fanden nichts mehr, wo sie wohnen konnten." So waren diese beiden Schwestern selbst zur Liebe geworden. Ihre tiefe innere Ruhe und Geborgenheit war ihnen Halt genug, sie bedurften nichts anderes mehr und waren dadurch frei, alles zu geben, ohne Unterlaß ihre Liebe zu verströmen. Wahre Liebe ist nicht wie eine Kerze, die sich verzehrt und hingibt. Das Licht der Liebe leuchtet durch die Hingabe immer stärker. Es wird zur nie verlöschenden Sonne, ständig wachsend und heller werdend, gespeist aus dem ewigen Licht, der Ursonne Gottes. Die Liebe dieser Schwestern machte auch vor denen nicht halt, die mit vielen Schatten leben mußten. Sie schirmten sich nicht ab gegen sie. Sie mußten sich nicht innerlich dagegen wehren, sie konnten die Aggressionen aufnehmen und sie in Liebe umwandeln. Und jedesmal erbebten die Schatten, verloren oft ganz ihren Halt und fielen in die Tiefe oder wurden zurückgedrängt. Auch die meisten der anderen Schwestern waren sehr nett und freundlich. Sie waren immer bereit, zu helfen und zu trösten. Es war ihr Beruf geworden, uns zu versorgen, und sie ließen es an nichts fehlen. Sie mühten sich redlich ab. Aber es kostete sie Anstrengung, den ganzen Tag liebevoll zu sein. Einige waren wenigstens noch gut abgeschirmt. -80-
Ihr Energiefeld blieb stabil. Aggression oder Ärger prallten daran ab wie an einem Spiegel, wurden aber nicht umgewandelt in Liebe, sondern blieben als negative Energie im Räume stehen. Den meisten aber fehlte dieser Schutz. Ihr Energiefeld war nicht stabil, es war wie ein Gastank, der ein Leck hat. Die Schatten saugten sie begierig aus. Es war ein ständiger Energiefluß zu sehen, der sich wie eine geistige Nabelschnur durch den Raum zog. Und nicht nur ihre eigenen Schatten hingen wie Vampire an ihnen, auch die der Kinder beteiligten sich begierig daran. Sie schienen dadurch zu wachsen und irgendwie aggressiver, lebendiger zu werden und traktierten die Kinder stärker. So entstand oft die paradoxe Situation, daß in der Umgebung einer freundlichen Schwester ständig Unruhe herrschte, Streit und Eifersucht. Diese Schwestern wurden von ihrem Beruf 'aufgefressen'! Im wahrsten Sinne des Wortes! Wenn einem ständig Energie weggenommen wird, muß man ja müde und ermattet sein. Diese Schwestern waren wie Kerzen. Sie verströmten auch Licht, auch Wärme, aber sie verzehrten sich dadurch! Sie hatten das ewige Licht noch nicht in sich aufgenommen, das unaufhörlich neue Energie nachströmen läßt. Es fehlte ihnen das Vertrauen dazu. Dieses Licht kann nur der aufnehmen, der sich ganz aufgegeben hat, der alles losgelassen hat. Und dieser Akt der Selbstaufgabe erfordert unendlich viel Mut und Vertrauen. Doch dann wird aus dem Glauben ein Wissen. Das "Ich glaube an Gott" wird zum "Ich weiß, daß es Dich gibt". Das ist der entscheidende Schritt. Der Riegel, der die Türe davor verschließt, das ist die Angst! Angst, sich loszulassen, weil man nicht weiß, wo man hinfällt. Angst, alles aufzugeben, weil man nicht weiß, ob man nachher nicht doch nackt dasteht, einsam und verlassen. Angst, -81-
sein eigenes Ich aufzugeben, weil man nicht weiß, was man dafür erhält. Angst, das Sichtbare, Materielle aufzugeben, weil man dem Unsichtbaren, Geistigen nicht traut, man kann es ja nicht sehen. Angst, es könnte Gott vielleicht doch nicht geben! Dies ist der entscheidende Wendepunkt unseres ganzen Daseins. Wenn wir an diese Türe gelangt sind, kann uns niemand helfen. Wir selber, und nur wir ganz allein, können und müssen diesen Riegel öffnen. Jeder, der sucht, wird bis hierher geführt, jeder, der darum bittet, muß diesen Weg nicht alleine gehen. Aber diesen Riegel, den muß er alleine beiseiteschieben. Ohne Hilfe! Er muß selbst seine Angst besiegen. Er muß sagen: "Ja, ich glaube, ich weiß, daß es Dich gibt. Ich weiß, daß es Dich gibt und daß Du gut bist. Ich weiß es! Nicht, weil ich Dich gesehen habe, nicht, weil Du mir Zauberstücke vorgeführt hast, nicht, weil Du mir durch irgendein Wunder keine andere Wahl mehr gelassen hast. Nein - ich weiß es einfach, weil ich es fühle, daß es Dich geben muß, weil ich die Liebe spüre, die von Dir ausgeht. Ich weiß es einfach, und ich liebe Dich!" Die Angst ist der größte Verbündete Satans. Er schürt sie auch nach Kräften, denn die Tür, die von ihr zugehalten wird, ist das Tor zur Freiheit, das Satans Reich endgültig hinter sich läßt. Wenn die Tür sich hinter dir wieder schließt, hat er keine Macht mehr, seine Anfechtungen sind nur noch Scheingefechte. Der, der vor der Tür steht, wird leicht noch einmal gepackt von ihm und wieder ein Stück in die Tiefe gerissen. Wenn du hindurch bist, hast du es geschafft. Viele stehen jahrelang vor dieser Tür. Sie sind stark genug, sich die ganze Zeit über der Angriffe Satans zu erwehren, aber sie trauen sich nicht, den Riegel wegzuschieben. Sie haben Angst, ihr 'Ego' aufzugeben, das sie so sorgsam gehütet haben und das ihnen in den Augen der Welt Ehre und Ansehen -82-
verschafft hat. Sie haben Angst, weil sie nicht glauben können, daß wahre Stärke im Geiste liegt - der Körper vergeht ohnehin in ein paar Jahren. Enttäuscht und innerlich zerbrochen kehren sie wieder um, steigen die Stufen hinunter, suchen ihr Heil in materieller Sicherheit und brauchen dann oft sehr lange, bis sie wieder an die Schwelle des Geistes gelangen. Sie gleichen einer Kerze, die sich nicht anzünden läßt, aus Angst, daß sie dabei zugrunde geht. Nur - zu was ist sie dann nütze? Sie gleichen dem Saatkorn, das sich nicht in die Erde stecken läßt, weil es dann seine Identität aufgeben muß. Aber eben nur dadurch kann es weitere Frucht hervorbringen, die sein Leben weiter trägt, in der es geistig weiterleben kann. Wozu ist es sonst nütze? Es kann sich noch einige Jahre halten, welkt, fault und stirbt dann. Dieses Sterben erfolgt zwar Jahre später, als wenn es ausgesät wird, ist aber dafür endgültig. Im einen Fall bringt sein Sterben neues Leben hervor, im anderen Fall ist es tot. Die Schwestern dieser zweiten Gruppe schöpften ihre Kraft aus dem Gebet. Das Gebet ist die äußerliche Form, die die innerliche Verbindung mit dem Urlicht Gottes ermöglicht. Ich konnte oft sehen, wie die Schwingung des Gebetes den Betenden ganz einhüllt, sich schützend um ihn legt. Wie sie den Körper ganz durchdringt. Die hohe Schwingung eines inbrünstigen Gebetes, das wirklich von Herzen kommt, kann die niedrigere Schwingung des Körpers auf eine viel höhere Ebene hinauf transformieren, 'entrücken'. Das Gebet reinigt die eigene Schwingung, so daß der Mensch in der Lage ist, die hohe, reine Energie Gottes aufzunehmen. Es ist wie beim Radio. Ein schlechtes Radio kann die einzelnen Frequenzen nicht richtig trennen, es sind immer Nebengeräusche und Störgeräusche da. Der ganze 'Dreck' wird mit aufgenommen und wiedergegeben. Das Gebet ist der Trennfilter. Je -83-
intensiver, je demütiger, je liebevoller es ist, desto besser funktioniert er, desto mehr 'Dreck' filtert er aus, desto reiner und wertvoller ist die Energie, die er durchläßt. Wie viele begnügen sich mit dem Dreck! Und wundern sich dann, wieso ihr 'Motor' nicht richtig läuft, wieso er dauernd stottert und stehen bleibt, wieso sie dauernd in die 'Werkstatt' müssen, um ihn wieder in Gang zu bringen. Sehr schnell erkannte ich, was für ein Segen das Gebet ist für diejenigen, die demütig und vertrauensvoll daran glauben. Auch die Kinder, die am schlimmsten dran waren, wurden während des Gebetes meist sehr ruhig. Seine Schwingung lähmte die Schatten. Sie hingen mit der Zeit wie schlaffe Säcke an ihren Opfern, ja, sie mußten sich oft ganz entfernen. In der hiesigen Klosterkirche habe ich im Gegensatz zu anderen Kirchen, die ich kannte, nie Schatten gesehen. Ihre Form, ihre Figuren, die Bilder, die Harmonie, die Wärme und die Geborgenheit, die sie ausstrahlte, gab eine solch reine und dichte Schwingung - sie war für die Schatten undurchdringlich. Ein Gebet in dieser Umgebung ist noch weit wirkungsvoller, und es potenziert sich noch einmal, wenn viele gemeinsam beten. Eine solch gewaltige Schwingung durchschlägt einfach den Isolator, der zwischen Mensch und Gott liegt, der Strom kann frei fließen. Ein 'Schauer' läuft über den Rücken. Das ist die Energie, die über die Wirbelsäule in uns einströmt, es ist die geistige Nahrung, die unsere Energiezentren versorgt. Bei der physischen Nahrung für unseren Körper weiß es jeder: je reiner die Nahrung, je weniger Abfallstoffe sie enthält, je weniger 'Dreck', desto besser, desto hochwertiger ist sie. Genau so ist es mit der 'geistigen Nahrung' auch. Nur, daß diese viel wichtiger ist für die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit als die körperliche Nahrung. Warum begnügen sich hier so viele mit 'Dreck'? -84-
Es gab auch einige Schwestern, die immer schlecht gelaunt waren, gereizt und streitsüchtig und lieblos. Wie Packesel schleppten sie ihre Schatten mit. Am schlimmsten war es bei der Hausmeisterin. Es war eine einzige dunkle Masse, die da brodelte und darauf wartete, ihr Opfer wieder zu neuen 'Taten' anzuspornen. Diese Schatten sind ja nicht in der Lage, selbst ihre schlechten Taten zu verüben. Sie brauchen jemanden, der es für sie tut. All die Eifersüchteleien und Intrigen, die heimlichen Machtkämpfe, die offene Feindschaft und Aggression, Haß, Wut, Ärger, Lüge und Zerstörung dienen diesen Schatten zur Befriedigung ihrer abartigen Sinne. Sie befriedigen sich an der Gier ihres Opfers und treiben es unersättlich an zu allen Leidenschaften und Ausschweifungen, Alkohol, Genußsucht, Sexualität in allen Variationen, Rauschmittel und Tablettensucht, alles Dinge, die die rein göttliche Energie umwandeln in negative, zerstörende Energie. Merken diese Menschen denn gar nicht, wie sie ihre Freiheit aufgegeben haben, wie sie sich versklavt haben freiwillig ein Spielball der bösen Mächte? Wenn sie sehen könnten, wie sich diese Schatten über jede gelungene Aktion freuen, ihnen würde vor Ekel schlecht werden! Ansehen und Ehre, danach strebt heute die ganze Welt. Macht über möglichst viele andere. Dabei haben die meisten nicht einmal Macht über sich selber. Selbstverwirklichung ist das große Schlagwort! Man sucht sie überall, in der Einsamkeit, in der Disco, in fremden Ländern - nur nicht bei sich selber. Wie soll ich mich denn selbst verwirklichen, wenn ich wie ein Roboter funktioniere und brav allen Einflüsterungen der bösen Mächte Folge leiste? Keiner ist ihnen hilflos ausgeliefert! Jeder kann sich wehren! Die Waffen sind Wille und Gebet - und mein Engel, der still neben mir hergeht und nur darauf wartet, daß ich ihm endlich die Zügel meines -85-
Lebens in die Hand gebe, daß er mich führen und leiten kann - nicht in die Sklaverei, wie viele Spötter behaupten, nein: in die Freiheit! Nur heißt Freiheit nicht, alles tun und lassen zu können, was man will. Freiheit heißt, alles tun zu können, was richtig ist. Unser Wille ist viel zu stark beeinflußt von allen möglichen Seiten. Sämtliche Schwingungen der anderen Menschen und der bösen Mächte beeinflußen ihn. Erst wenn wir Gottes Willen angenommen haben, sind wir wirklich frei. Er besitzt den einzig freien Willen, unbeeinflußt von allen anderen, und jeder mit Ihm, der bereit ist, Seinen Willen anzunehmen. Auch die Schwestern dieser letzten Gruppe beteten, genauso wie die anderen. Äußerlich war kein Unterschied festzustellen. Doch wie gut, daß die meisten nicht ins Herz sehen können! Es ist unvorstellbar, was manche neben dem Gebet her zu denken in der Lage sind. Der saubere Anzug mag über manches hinwegtäuschen; wichtig aber ist, wie es darunter aussieht.
* Das also war meine neue Umgebung für die nächste Zeit. Ich wurde gut versorgt, die Schwestern gaben sich wirklich alle Mühe. Eine von ihnen hatte mir sogar das Lesen beigebracht. Sie konnte sich sehr weit in mich einfühlen und merkte rasch, daß ich hierzu imstande sein müßte. Ich lernte es auch sehr schnell, nur brauchte ich immer jemanden, der mir die Seiten umblätterte, denn dazu waren meine Hände nicht in der Lage. Aber wir waren eine große Gemeinschaft, wo jeder dem anderen half, so gut er konnte. Es war eine große Bereicherung für mich. Ich merkte bald, daß mir viele Dinge völlig fremd waren. Hatte ich bisher schon genügend Gelegenheit, -86-
mich in Geduld zu üben, so mußte ich nun wohl einen Meisterkursus absolvieren. Jedesmal, wenn ich eine Seite fertiggelesen hatte, mußte ich warten, bis jemand kam, der mir umblätterte. Ich hatte zwar eine Klingel, mit der ich mich bemerkbar machen konnte, aber ich wollte die anderen auf keinen Fall tyrannisieren und benutzte sie nur im Notfall. So wartete ich eben jedesmal geduldig, bis jemand kam, auch wenn es noch so spannend war; und für mich war alles spannend. Aber ich wußte auch, daß es eine besondere Gnade war, einen solch intensiven Kursus in Geduld absolvieren zu dürfen. Es ist wie bei allem. Solange man drin steckt und sich abmühen muß, wird vieles als lästig empfunden. Wenn man aber durch ist und eine Aufgabe gelöst hat, ist man froh, sie bewältigt zu haben, durchgehalten zu haben, um eine Erfahrung reicher zu sein. Auch mit der Demut haperte es anfangs noch gewaltig. Es kostete mich viel Überwindung, mich von den fremden Schwestern wickeln, anziehen und füttern zu lassen, meine Hilflosigkeit zu akzeptieren. Besonders schwierig wurde es dann, wenn ich bei einigen feststellte, daß sie es nur mit Widerwillen taten, daß es zwar zu ihrer Arbeit gehörte, daß sie sich aber vor mir ekelten. Das merkt übrigens fast jeder. Ekel ist ein sehr starkes Gefühl. Es läßt sich nicht verbergen, und es gehört nicht viel dazu, dieses Gefühl spüren zu können, auch ohne Hellseher zu sein. Auch wenn der Versuch unternommen wird, es äußerlich zu vertuschen, das mißlingt meistens. Es ist nicht schön zu spüren, daß sich andere vor einem ekeln. Es ist so erniedrigend. Aber die meisten können nichts dafür. Sie sind Gefangene ihrer Gefühle. Wer kann schon über seinen Schatten springen? Es war schwer für mich, in solchen Situationen nicht zu denken: du magst dich zwar ekeln vor mir, und ich muß mich dir hilflos ausliefern, -87-
aber geistig stehe ich doch weit über dir. Lange Kämpfe hatte ich mit mir selber auszufechten. Aber schließlich hatte ich es doch geschafft. Es war mein schwerster Sieg, aber mein wichtigster. "Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden." Jesus hat es nicht gesagt, um die Armen und Kleinen zu trösten. Nein - er hat uns damit einen der Schlüssel zum Himmelreich in die Hand gegeben. Geistiger Hochmut ist der schlimmste Feind auf diesem Weg. Ich habe es selbst erlebt. Es ist eine Erfahrung, die jeder einmal machen muß, die keinem erspart bleibt. Es ist eine der wichtigsten Erfahrungen, aber leider auch eine, die man oft allzu leicht wieder vergißt. Hochmut ist die Wurzel allen Übels. Satan ist gefallen, weil er hochmütig geworden ist. Hochmut zieht den Neid hinter sich her. Wer hochmütig ist, wer also meint, über anderen zu stehen, der entwickelt automatisch Neidgefühle gegenüber denen, die eine höhere Stellung bekleiden. Das nächste ist dann die Angst, die Angst, entdeckt zu werden. Wer einen anderen um seine Position, sein Auto, sein Geld, seine Frau beneidet, hat meist Angst - wenn auch oft unbewußt -, der andere könne dies merken und sich dagegen wehren. Und der andere hat Angst, weil er die Schwingung des Neides spüren kann, und weil er merkt, daß irgend etwas Bedrohliches auf ihn zukommt. So hat dann jeder Angst vor dem anderen, und Angst ist das zerstörendste Gefühl, das es überhaupt gibt. Wie der Haß den anderen zerstören kann, so zerstört Angst dich selber. Für viele Erkrankungen ist Angst die Ursache. Auch Herzinfarkt und Krebs wurzeln meist in der Angst. Diese sitzt jedoch oft so tief und ist schon so 'selbstverständlich', daß sie nicht mehr als solche erkannt wird. Alles andere, auch Streß, Umweltbelastungen usw., sind nur zusätzliche Faktoren. Sie vergrößern das Risiko, sind aber nie der -88-
Auslöser. Warum sind Manager so oft vom Herzinfarkt betroffen? Sicher, sie arbeiten viel, sind ständig in Hektik, stehen unter Druck. Aber das sind viele andere auch. Nur - sie haben Angst, dem Druck nicht gewachsen zu sein, zu versagen und entlassen zu werden. Warum haben Zahnärzte die höchste Herzinfarktquote überhaupt und nahezu die geringste Lebenserwartung? Sie arbeiten auch nicht mehr als viele andere. Sicher, sie stehen unter der psychischen Belastung, es jedem recht machen zu müssen, aber das geht vielen anderen auch so. Nein, sie arbeiten ganz dicht am Patienten - und dieser hat Angst! Und diese Angst überträgt sich auf sie, da die wenigsten wissen, wie man sich wirksam dagegen schützen kann. Wieso bekommen so viele Krebs? Sie haben Angst! Angst vor Strahlen, Angst vor Schadstoffen, Angst vor dem Alter, vor dem Alleinsein, Angst vor den anderen, Angst vor sich selber, Angst vor allem. Sie haben Angst, Krebs zu bekommen, und das ist die sicherste Methode, wirklich daran zu erkranken. "Was sorgt ihr euch ängstlich um morgen. Habt ihr denn kein Vertrauen mehr? Sehet die Vögel, die Tiere, die Natur!" Wäre die Gazelle ein Mensch, sie könnte dem Löwen sicher nicht entkommen. Angst würde ihr die Beine lahmen. Wäre der Vogel ein Mensch, er müßte verhungern. Vor lauter Sorge, wovon er sich morgen ernähren soll, könnte er heute nicht ausfliegen, um Insekten zu fangen. "Angst verleiht Flügel!", heißt ein bekanntes Sprichwort. Das ist keine Angst, sondern das Gegenteil davon: der Wille zu überleben. Angst hemmt nur, sie beflügelt nie. Und die Angst löst dann alle anderen negativen Gefühle aus. Wenn ich vor jemandem Angst habe, werde ich mit der Zeit wütend auf ihn, beginne ihn zu hassen. Und was die Angst mir antut, das tue ich mit meinem Haß ihm an. -89-
Und der andere schlägt zurück! Er wehrt sich. Er weiß ja nicht, daß er mit seiner Angst schon den ersten Angriff gestartet hat, daß der Haß nur die Reaktion darauf war. Er fühlt sich im Recht. "Und wenn dich einer auf die rechte Backe schlägt, halte ihm auch die linke hin." Darauf bezieht sich dieser Satz. Nicht totschlagen lassen soll man sich, wie viele spötteln, den geistigen Schlagabtausch soll man beenden. Den Haß nicht erwidern, sondern ihn aufnehmen, umwandeln und als Liebe zurückschicken. Dann kannst du ruhig die andere Backe hinhalten. Es kommt nichts mehr zurück. "Liebe deine Feinde!" - nicht deswegen, weil du blinde Kuh spielen sollst! Du sollst sie auch nicht in ihrer Eigenschaft als Feinde lieben, sondern in ihrer Eigenschaft als Menschen, die genauso Gottes Kinder sind wie du, genauso wertvoll. Höre auf, sie zu hassen, fange an, sie zu lieben, und ihr Haß wird ins Nichts verpuffen. Wenn er nicht mehr geschürt wird, verzehrt er sich selbst wie ein Feuer, das keine Nahrung mehr erhält. Und plötzlich sind sie nicht mehr deine Feinde. Der Fehler ist, daß wir in viel zu kurzen Zeitabständen denken. Wenn ich heute aufhöre, meinen Nachbarn zu hassen, den ich jahrelang als Feind betrachtet habe, dann wird er mich wohl kaum morgen umarmen. Aber vielleicht kann ich mich in einigen Monaten, vielleicht sogar erst in ein paar Jahren wieder normal mit ihm unterhalten. Vielleicht entwickelt sich nach Jahren sogar eine kleine Freundschaft daraus. Nur - eine Woche Liebe probieren, und wenn es dann nicht klappt, den 'alten Deppen' wieder links liegen lassen - soll er doch selber sehen, wo er ohne meine Großzügigkeit hinkommt - das funktioniert nicht! Wahre Liebe stellt keine Bedingungen, kein Ultimatum. Sie ist einfach da. Immer! Und die Geschichte ist voll von Beispielen dieser An. Tausend Bücher könnte man darüber -90-
schreiben. Ghandi ist wohl das bekannteste und eindrucksvollste Beispiel. Ohne jede Gewalt, mit unendlicher Liebe und Geduld hat er sein Volk aus der Unterdrückung herausgeführt. Afghanistan hat den anderen Weg eingeschlagen. Nun ist ein Viertel der Bevölkerung tot oder vertrieben. Und der Rest? Jeder von Elend gezeichnet, kaum eine Familie ohne Tod, Verwundung, Krankheit, Not, Hunger! Nicht zu kämpfen, heißt nicht: aufgeben, sich nicht wehren. Ghandi hat es gezeigt. Liebe deine Feinde heißt nicht: sich wehrlos unterdrücken lassen. Die Waffen der Liebe helfen auch, aber sie verletzen nicht! Das ist der Unterschied. Demut ist eine der Voraussetzungen dafür und die absolute Gewißheit, daß mir niemand irgend etwas nehmen kann, weil mein Geist ja unvergänglich und unverletzlich ist. Und alles andere ist völlig unwichtig.
* Hochmut war der Anfang. "Hochmut kommt vor dem Fall!" Viele Sprichwörter enthalten bei weitem mehr Wahrheit, als man ihnen zutraut. Mit der Zeit habe ich gelernt, auch dann demütig zu bleiben, wenn es schwer fiel, wenn es wirkliche 'Demütigungen' waren. Und ich bin froh darüber, durch diese Schule gegangen zu sein. Es wurden mir dadurch geistige Möglichkeiten erschlossen, von denen man normalerweise nicht einmal zu träumen wagt. Letztes Mal hatte mich Michael gefragt: "Hast du eigentlich schon einmal darüber nachgedacht, wie unsere Unterhaltungen bisher zustande gekommen sind? Fühlen konntest du mich ja fast immer, manchmal hast du mich auch gesehen oder zumindest erahnt. Du -91-
warst offen für mich, und ich konnte dir oft Gedanken eingeben. Aber wenn du wirklich mit mir zusammen warst? Kannst du dich an die Umstände erinnern?" Ja, darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht, ich war immer in den Armen meines Vaters aufgewacht! "Aber - was hat er damit zu tun?" "Er hat es dir überhaupt erst möglich gemacht. Seine Liebe zu dir, sie war sehr stark. Sie hat dich in einen Schwingungszustand versetzt, der es dir ermöglichte, deinen Körper zu verlassen und unsere Ebene zu erreichen." Sprachlos schaute ich ihn an. "Der Geist ist zwar der Gefangene des Körpers, aber wenn dieser schläft, kann ihn der Geist verlassen und in den sogenannten Astralbereich eintauchen. Der Astralbereich ist die geistige Sphäre, die dem physischen Körper am nächsten liegt, also die unterste der geistigen Ebenen. Der Geist schläft nie. Er braucht keine Erholungsphase wie der Körper. Er ist sogar nachts noch aktiver, wenn er die Fesseln des Körpers abgestreift hat. So sind viele Menschen jede Nacht 'unterwegs'. Nur ist aus ganz bestimmten Gründen das Wachbewußtsein ausgeschaltet, und in der Regel existiert am Morgen keine Erinnerung mehr daran. Die Träume jedoch könnten der Menschheit darüber Aufschluß geben, wenn sie nicht so blind wäre. Viele Träume sind nämlich keine Hirngespinste und entspringen auch nicht dem Unterbewußtsein. Es sind vielmehr Erlebnisse, die der Geist aus der Astralsphäre mitbringt, und die - allerdings oft ziemlich verkümmert und bruchstückhaft - den Weg in unser Bewußtsein finden. Wie viele haben schon von verstorbenen Verwandten geträumt oder von Bekannten, an die sie schon gar nicht mehr gedacht haben! Oder wie viele haben im Traum -92-
schon Wege gezeigt bekommen, nach denen sie schon lange gesucht haben, oder Lösungen für Probleme, an denen sie gerade arbeiteten! Sehr viele Erfindungen werden 'im Traum' gemacht. Was soll da das Unterbewußtsein für eine Rolle spielen? Oder wie viele haben schon von Ereignissen geträumt, die dann kurze Zeit später auch eingetroffen sind? Was soll da das Unterbewußtsein für eine Rolle spielen? Im Astralbereich verwischen sich die Grenzen zwischen Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit. Ihr könnt euch das nicht vorstellen, da die Zeit auf der Erde eine unumstößliche Größe darstellt, an der niemand vorbeikommt. Aber das gilt nur für die Materie. Für den Geist gibt es eine Zeit in eurem Sinne nicht. Eine Erdensekunde kann für einen Geist eine Ewigkeit bedeuten, und tausend Erdenjahre können für ihn in einem Augenblick vorbei sein. Nur die Materie ist fest an die Zeit gebunden. Auch ist die Zukunft bei weitem nicht so rein zufällig, wie viele meinen. Sie unterliegt ganz bestimmten Gesetzen und läßt sich meist ziemlich genau aus der Vergangenheit errechnen. Nicht mit Kartenlegen oder Handlesen, obwohl bestimmte Hinweise dadurch möglich sind. Denn der Geist prägt ja den Körper, und so haben oft geistige Merkmale, die für die Zukunft bestimmend sind, ihre Entsprechung im Körper. Teils recht brauchbare Aussagen kann die Astrologie machen. Nicht die Allerweltsastrologie. Sie taugt höchstens für die Klatschspalten der Illustrierten. Nein, die kosmische Astrologie, die die geistige Bedeutung der Sterne erfassen kann! Die Sterne haben einen sehr großen Einfluß auf euch. Nur ist es hier wie überall: was der Mensch nicht sehen oder erleben kann, das glaubt er nicht. Daß der Mond einen Einfluß hat, das wird nicht bestritten. Das kann ja jeder an Ebbe und Flut sehen. -93-
Auch daß es viele Mondsüchtige gibt, ist nicht zu bestreiten. Nun, wenn es schon das bißchen Mond schafft, solche Veränderungen hervorzubringen, sollen dann die unvorstellbar großen Sterne des Weltalls die Erde unbeeinflußt lassen? Sicher, der Mond ist näher da; aber die Sterne haben eine solch unfaßbare Größe, daß sie auch bei weitester Entfernung noch einen gewaltigen Einfluß ausüben. Soeben haben eure Astronomen angefangen umzudenken. Inzwischen sind über fünfhundert Sterne, sogenannte Quasare, bekannt, von denen der kleinste, laut Berichten von NASAWissenschaftlern, größer ist, als alle einhundert Milliarden Sterne eures Sonnensystems zusammengenommen! Kannst du dir das vorstellen? Doch das sind noch kleine Steinchen im unendlichen Universum. Die größten Sterne haben Durchmesser von mehreren Trillionen Lichtjahren! Dies sich vorzustellen, fällt sogar uns schwer. Und die sollen keinen Einfluß haben, wenn das kleine Möndchen schon in der Lage ist, das riesige Meer um mehrere Meter anzuheben? Bei den meisten Menschen ist schon der Denkansatz verkehrt. Es ist keineswegs so, daß mir eine bestimmte Zukunft blüht, nur weil ich zufällig unter einem bestimmten Stern geboren bin. Es ist vielmehr genau umgekehrt. Niemand wird zufällig geboren. Sämtliche Geburtsumstände sind ganz genau berechnet. Und dann wird man unter einer bestimmten Sternkonstellation geboren, weil deren Einflüsse genau die Lebensumstände ermöglichen, die für eure weitere Entwicklung nötig oder hilfreich sind. Wenn nun jemand dieses Wissen besitzt und imstande ist, die Sterne richtig zu 'lesen , kann er hieraus einiges ableiten. Nun für uns ist es bedeutend einfacher. Denn alles, was war, und alles, was daraus zwangsläufig entsteht, ist in -94-
den geistigen Büchern verzeichnet. Auch die Taten und Einflüsse der jüngsten Vergangenheit, über die ja z.B. die Sterne keine Auskunft geben können. Trotzdem bleiben für die Vorhersage der Zukunft immer noch Unwägbarkeiten, die aus dem freien Willen der Einzelnen resultieren. Diese geistigen Bücher - in Wirklichkeit sind es ja keine Bücher, sondern nur Energieformen, die der Kundige lesen kann - ziehen sich durch alle geistigen Sphären. Aber nur in der obersten ist die Information vollständig. In der Astralebene liegen nur Bruchstücke davon herum. Große geistige Wahrheiten und Erkenntnisse sind hier nicht zu finden. In diesem Bereich sind z.B. viele Verstorbene anzutreffen, die den Aufstieg in die höheren Ebenen noch nicht geschafft haben. Ihre Begierden und Leidenschaften, von denen sie auch jetzt noch nicht loskommen, ihre materielle Ausrichtung und ihr mangelnder Glaube hindern sie daran. Die Astralebene ist außerdem der Tummelplatz vieler unreiner und böser Geister, und auch die meisten Menschen bewegen sich des Nachts in dieser Ebene. Daß dabei oft nichts Gescheites herauskommt, kannst du dir sicher denken. Aber viele Alpträume haben hier ihre Wurzel, denn es sind oft schreckliche Dinge, die sich in dieser tiefsten geistigen Ebene abspielen. Und diese finden dann als Alpträume den Weg ins Wachbewußtsein. In diesen Bereich sehen die meisten eurer Hellseher hinein. Sie gleichen damit stark Kurzsichtigen, die keine Brille tragen und nun versuchen, eine weite Landschaft zu beschreiben. Die Büsche und Sträucher im Vordergrund mögen sie noch erkennen, vielleicht auch noch die Umrisse des Gebirges. Nie aber die vielen herrlichen Wälder und Berge, die Blumen und Tiere im Hintergrund. Sie erkennen nur Bruchstücke und halten sie für das Ganze. Sie nehmen alles für bare Münze, unfähig, Lug und -95-
Trug zu erkennen. Sie halten alles für wahr, was sie sehen. Hinweise auf materielle und persönliche Dinge lassen sich hier einige finden. Durchaus auch manche zukünftige Ereignisse. Viele Hellseher sind hierin erfolgreich, selten aber, wenn es um geistige Dinge geht. Bruchstückhaft lassen sich einige Dinge zusammentragen. Christus oder seine Engel wird hier aber niemand finden. Auch nahezu alle spiritistischen Sitzungen spielen sich in diesem Bereich ab. Niedere Geister, teils auch böse Geister und sogenannte Foppgeister, die sich königlich freuen, wenn ihnen jemand auf den Leim geht, geben sich für große Geister, oft für hohe Engel aus. Sicherlich sind immer einige Wahrheiten dabei, denn ein gewisses Wissen besitzen sie ja auch, und sie können, zumal wenn es sich um Verstorbene handelt, natürlich verblüffende Dinge aus ihrer Vergangenheit angeben. Nur - die Sonne hat von ihnen noch keiner gesehen. Sie müssen sich mit Dunkelheit oder Dämmerlicht begnügen. Und da wird Sehen zum Glücksspiel. Zudem ist diese Art von Spiritismus unheimlich gefährlich. Die meisten arbeiten ohne jeden geistigen Schutz. Nun muß sich ein Medium ja völlig öffnen, um mit geistigen Bereichen Kontakt zu erhalten, es liefert sich den dunklen Mächten völlig aus. Wie viele haben dies schon mit dem 'Leben' bezahlt. Ihr Geist wurde verdunkelt, und sie vegetierten unter erbärmlichsten Bedingungen dahin, meist in psychiatrischen Anstalten. Aber nicht nur im Schlaf und als Medium lassen sich geistige Bereiche erreichen. Der bessere Weg ist die Meditation. In der Meditation lassen sich die Sinne von der Welt abkoppeln. Tiefe Meditation ist äußerlich dem Schlaf sehr ähnlich, aber das Bewußtsein ist nicht ausgeschaltet. Meditation ist auch nicht ein SichvölligGehenlassen, wie es oft gelehrt wird. Meditation ist nichts -96-
Passives, sondern aktive Arbeit, ein aktives Zugehen auf das Göttliche, das dann möglich wird, wenn sich die äußeren Sinne von der äußeren Welt zurückziehen. Wenn dein äußeres Ohr keine Reize mehr aufnimmt, dann kann sich dein inneres Ohr entfalten, ebenso dein inneres Auge und dein Gefühl für die Schwingungen der geistigen Welt. Du fragst dich schon die ganze Zeit, warum ich dir das alles erzähle. Nun schau, die Meditation, das ist dein Weg. Du bist schon sehr weit. Du hast deine Gefühle besiegt, Geduld, Liebe und Demut gelernt. Du hast deine Lehrzeit erfolgreich beendet, nun neigen sich auch deine Gesellenjahre dem Ende zu. Ich will dich nun lehren, wie du über die Meditation geistige Sphären erreichen und geistig arbeiten kannst. Denn momentan bist du noch nicht in der Lage, den Weg zu mir alleine zu gehen. Deine Gedanken auf Gott und auf mich zu richten, das bist du ja schon lange gewohnt. Aber was du noch nicht weißt bzw. nie richtig glauben wolltest: alles, was du dir vorstellst, ist Wirklichkeit! Alles! Je ausgebildeter, je geübter du bist, je intensiver du es dir vorstellst, desto wirklicher, desto wirksamer wird es. Das ist ein großes Kapitel. Ich,, will versuchen, dir das Wichtigste zu erklären."
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"Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dieses war im Anfang bei Gott. Alles ist durch dieses geworden, und ohne es wurde auch nicht eines von dem, was geworden ist. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen." Einer der größten Mystiker, der Evangelist Johannes, beginnt so sein Evangelium. Und Ähnliches findet sich bei den meisten Religionen in ihren heiligen Schriften. Eure Bibelübersetzer aber können sich ja mit dem, was sie lesen, nicht zufrieden geben. Der Begriff "Wort" - "logos", wie es im Griechischen heißt - wurde umgedeutet. Es sei ein Synonym für Christus! Als Beweis dafür gilt der Satz, der einige Zeilen später steht: "Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt." Selbstverständlich ist damit Christus gemeint, aber deshalb ist Christus nicht das "Wort". Man muß nur zum griechischen Urtext zurückgehen. Johannes hat sein Evangelium ja in Griechenland für seine griechischen Schüler geschrieben, und wer würde wohl auf die Idee kommen, wenn er einen Lehrtext schreibt, zur Abwechslung zwischendurch für Christus den Begriff "das Wort" zu verwenden? Das kann doch im Ernst niemand annehmen! Nein! Das griechische "logos", das Johannes hier verwendet, hat zwar auch die Bedeutung "das Wort", seine Hauptbedeutung ist aber die "Gedankenkraft"! Nur waren die Griechen in dieser Beziehung etwas weiter als der moderne, aufgeklärte Mensch. Sie wußten, daß Gedanken und Worte eng zusammengehören. Das Wort ist ja -98-
lediglich die Urbarmachung des Gedankens. An seiner Wirklichkeit ändert es überhaupt nichts! Johannes will also sagen: die Gedankenkraft ist alles! Sie steht am Anfang, und ohne sie gäbe es nichts! Alles hat Gott nur durch Seine Gedankenkraft erschaffen! Und in Jesus Christus ist diese Kraft Gottes für uns sichtbar geworden: "Und das Wort ist Fleisch geworden." Das heißt aber nichts anderes, als daß wir alle, die ganze Schöpfung Gottes, nur seine Gedanken sind. Er hat uns nur gedacht, und trotzdem sind wir doch Wirklichkeit. Das ist ja auch die Lehre nahezu aller Religionen, auch der christlichen Kirchen. Und von hier aus ist es gar nicht schwer, den richtigen Weg zu finden! Zwischen den Gedanken Gottes und den Gedanken eines Engels oder Menschen besteht kein wesentlicher Unterschied! Nur der, daß Gottes Gedanken unendlich viel mächtiger sind als meine oder deine. Dadurch können sie ja auch soviel mehr bewirken, verwirklichen. Und im Gegensatz dazu wird ein schwacher Mensch mit seinen schwachen Gedanken auch nur wenig bewirken können. Das heißt aber auch, je mehr du deinen Geist schulst, je stärker dein Geist wird, desto mehr wirst du bewirken können. Und dann haben wir es schon! Es bleibt also nichts anderes mehr zu tun, als den Geist zu trainieren und zu stärken. Wirkliche Veränderungen, bleibende Werte können nur mit dem Geist erschaffen werden. Alles Materielle ist vergänglich, das wird doch jedem täglich vor Augen geführt! Es dürfte dir nicht allzu schwer fallen, denn du bist sehr gut vorbereitet! Nimm im Gebet Energie auf, laß diese in deine Gedanken einfließen und denke dann intensiv an das, was Wirklichkeit werden soll. Wenn du zu mir gelangen willst, dann stelle dir intensiv mich und diese Umgebung vor, so deutlich, bis es Wirklichkeit geworden -99-
ist. Und dann bist du hier! Nicht mit deinem Körper selbstverständlich. Der interessiert niemanden. Du, das ist dein Geist! Ich habe einmal gesagt: "Wir brauchen dich noch." Du konntest es dir bisher nicht erklären. Weißt du es jetzt? Bald werde ich dich darin unterrichten. Jesus Christus möge dich in seiner Gnade behalten, mach' s gut und übe fleißig und komm bald wieder. " Das war fast zuviel auf einmal. Mir brummte der Kopf. Ich brauchte einige Tage, bis ich alles verarbeitet und begriffen hatte. Na ja, genügend Zeit hatte ich ja. Und es ging besser, als ich gedacht hatte. Ich war es ja schon lange gewohnt 'abzuschalten'. Wenn ich nicht wollte, nahm ich einfach nichts von dem wahr, was um mich herum vorging. Für meine Umwelt sah es dann so aus, als ob ich schliefe, und sie ließ mich in Ruhe. Es wunderte sich daher auch niemand, daß ich plötzlich den halben Tag 'schlief, es gab ja nur ganz wenige, die mich normal behandelten. Ich meine damit, daß nur wenige im Umgang mit mir genauso natürlich reagierten, wie wenn sie einen Gesunden vor sich hätten. Die meisten denken immer, da sie ja einen Behinderten vor sich haben, müßten sie übervorsichtig sein, sich alles ganz genau überlegen, was sie tun und sagen. Aber das ist unnatürlich, und ein Behinderter will genauso normal behandelt werden, wie jeder andere auch. Er bemerkt jede Unsicherheit, jedes Zögern, jedes Augenzwinkern und Achselzucken. Auch ist es ein Irrtum zu glauben, ein Taubstummer würde nichts mitkriegen, nur weil er nichts hören kann. Oder ein geistig Behinderter, weil er ja nicht richtig denken kann. Das mag sein, aber fühlen können alle - und zwar meist viel besser als ein Gesunder! Und er bemerkt sehr wohl, ob man normal über ihn spricht oder abfällig oder mitleidig. Und es tut so gut, normal behandelt zu werden. Nun, auf jeden Fall störte sich niemand daran. So -100-
konnte ich stundenlang meditieren. Auch fiel es mir nicht schwer, mich auf etwas längere Zeit zu konzentrieren, das war ich ja schon immer gewohnt. Ich richtete meine Gedanken auf Michael, versuchte ihn mir intensiv vorzustellen. Konnte ich bisher schon im 'Normalzustand' oft seine Gegenwart spüren, so erhielt ich mit jeder tieferen Meditation einen noch engeren Kontakt zu ihm. Ich konnte spüren, wie er seine Hand auf meinen Arm legte, konnte ihn hören, auch schon manchmal mit ihm reden. Er machte mir immer wieder Mut und bestärkte mich. Er war immer da, wenn ich ihn brauchte. Wohl dauerte es lange, und meine Fortschritte waren klein, doch sie waren beständig. Und um Geduld zu üben, hatte ich ja schon genügend Zeit gehabt. Eines Tages sagte Michael zu mir: "Denk doch mal an deine Mutter, aber bete zuerst." Mutter besuchte mich alle drei Wochen, denn die Fahrt hierher dauerte sehr lange, und da Mutter kein Auto hatte, war es auch sehr umständlich mit Zug und Bus und das letzte Stück zu Fuß. Es war immer schön, wenn sie da war. Ich liebte sie, und sie hatte mich inzwischen akzeptiert. Es war wohl noch keine echte Liebe, aber es war Freundschaft. Letztes Wochenende war sie dagewesen, war wie immer um die Mittagszeit gekommen, hatte mit mir gegessen, mir vorgelesen, von meinen Brüdern erzählt, bis sie dann abends wieder heimgefahren ist. Ich dachte eigentlich oft an Mutter, aber nie war mir eingefallen, sie auch in die Meditation miteinzubeziehen. Ich wußte auch nicht so recht, wieso ich vorher beten sollte. Aber ich hatte mich daran gewöhnt, Michaels Anweisungen zu befolgen und war damit nicht ein einziges Mal schlecht gefahren. So tat ich auch diesmal, wie er mir aufgetragen hatte. Es war Freitag nachmittag. Ich betete lange, dankte Gott für die Liebe und Hilfe, die ich ständig -101-
erhielt und war bald in tiefer Meditation versunken. Ich stellte mir intensiv Mutter vor. Freitag mittag, da kam sie immer früh von der Arbeit heim, hat sie mir erzählt. Und da sah ich sie auch schon. Ja, ich träumte nicht, ich sah sie wirklich. Sie öffnete die Gartentüre, lief den kurzen Steinweg hinunter und schloß die Haustüre auf. Ich ging dicht neben ihr her und setzte mich neben sie auf das alte Sofa. Sie mußte ziemlich müde gewesen sein, jedenfalls schlief sie bald ein. Ich begann mit ihr zu 'reden', da passierte etwas Eigenartiges. Ein 'Etwas' wie eine Nebelschwade löste sich von ihrem Körper und schwebte vor mir im Raum, durch eine hauchdünne, silbrige Schnur mit ihrem Körper verbunden. Das 'Etwas' hatte ungefähr das Aussehen ihres Körpers, ein bißchen größer vielleicht und so zart und durchsichtig wie ein Seidenschleier. Kurze Zeit blieb ich noch bei ihr und konnte mich mit ihrem Geist unterhalten. Dann war ich plötzlich wieder in meinem Körper, mußte mich wieder seiner Beschränktheit unterordnen. Aber ich war glücklich. Das erste Mal hatte ich meinen Körper bewußt verlassen können; zwar nur für kurze Zeit, doch das machte nichts. Ich wußte, ich hatte den Anfang geschafft. Schon am nächsten Tag besuchte mich Mutter. Sie hatte sich solche Sorgen um mich gemacht. Sie hatte von mir geträumt: "Du bist mit mir spazieren gegangen. Wir haben uns unterhalten wie zwei Freundinnen über Mode und Kleider und sonstige unwichtige Dinge. Wir sind auf einem steilen, steinigen Weg hinaufgegangen durch ein kleines Wäldchen aus eigenartigen Bäumen. Solche Bäume habe ich noch nie gesehen. Sie waren vollbehangen mit Trauben kleiner, hellroter Früchte, die wie Vogelbeeren aussahen. Die Früchte waren sehr schön und gleichmäßig, und auf jeder von ihnen, obwohl sie so klein waren, stand -102-
dein Name in goldenen Buchstaben: "Barbara". Die unteren Äste waren durch ihre Last tief zur Erde gebogen, so daß wir sie bequem erreichen konnten. An einem kleinen Teich haben wir dann Rast gemacht und von deinen Früchten gegessen. Sie schmeckten süß und hatten keinen Stein und keine Kerne. Als du kamst, ging es mir nicht besonders gut. Ich war müde und auch etwas krank und hatte Mühe, mit dir Schritt zu halten. Kaum hatte ich jedoch von den Früchten gegessen, fühlte ich, wie eine große Kraft in mich einströmte. Ich wurde auf einmal ganz leicht, fast schwerelos. Plötzlich fiel ein großer Schwarm schwarzer Elstern über uns und das Wäldchen her, um deine Früchte aufzufressen. Ich wurde sehr ängstlich, aber du hast einfach gebetet. Und dieses Gebet hat sich wie eine Glocke schützend über uns gelegt. Dann kamen vom Himmel her zwei mächtige Adler, und mit häßlichem Kreischen flohen die Elstern vor ihnen. Einer der Adler flog direkt auf dich zu, packte dich zärtlich mit seinen Klauen und nahm dich mit. Du hast zwar gelächelt und mir noch zugewinkt, aber ich wußte nicht, ob dir nicht doch etwas passiert war. Ich hatte Angst, es könnte Unheil bedeuten, darum bin ich gleich heute zu dir gekommen." Still lächelte ich vor mich hin. "Viele Träume entspringen nicht dem Unterbewußtsein", hatte Michael gesagt. Der Traum war wie ein Märchen. Der Trauminhalt, das war die Wirklichkeit, die das Unterbewußtsein lediglich mit Bildern verbrämt hat. Es war ein schöner Samstag nachmittag. Mutter war ganz ruhig, von innerem Frieden durchstrahlt. Und sie war gesund. Lange bin ich nach ihrem Abschied noch wach gelegen und habe nachgedacht. Wie war Mutter gesund geworden? Woher war die Kraft gekommen, die sie durchströmt hatte? Eine leise Ahnung stieg in mir hoch. Ich träumte in dieser Nacht von Glück und Frieden. -103-
Ich war ein kleiner Vogel, unbeschwert und frei, ohne Sorgen. Und so fühlte ich mich auch.
* Am Sonntag war die Kirche besonders schön geschmückt. Es war Pfingsten. Der Gottesdienst war sehr weihevoll. Die vielen Ministranten, der Weihrauch, der Kirchenchor sang eine lateinische Messe. Es war eine besondere Schwingung in der Kirche. "Pfingsten war nicht nur einmal zur Zeit der Apostel", hatte Michael gesagt. "Jedes Jahr ergießt sich der Geist Gottes neu über diejenigen, die bereit sind, ihn aufzunehmen." Jeder schien das Besondere dieses Tages zu spüren. Ruhe und Frieden war da - und Kraft. Die Kraft eines liebenden Gottes, der sie immerfort über seine Kinder ausgießt in der sicheren Gewißheit, daß irgendwann auch der Letzte bereit und fähig ist, seine Liebe aufzunehmen. Wie üblich saß ich ganz vorne rechts, vor den ersten Bänken, in meinem Rollstuhl. Ich ließ mich von der Schwingung und der Kraft tragen und tauchte ein in die Botschaft des Bildes über mir: Jesus erweckt Lazarus von den Toten. Michael hat mir seine Bedeutung schon einmal erklärt. Lazarus war der erste. Irgendwann wird Jesus alle 'geistig Toten' erweckt haben, wird sie von ihren materiellen Wünschen und Begierden befreien. Er wird sie erlösen aus ihrer Gottferne, aus ihrer Verstrickung in die Materie und von all den Leiden, die durch den Abfall von Gott - den geistigen Tod - entstanden sind. Er wird sie auferwecken zu einem neuen Leben, zu einem Leben in der göttlichen Ordnung, zu einem Leben, das getragen ist von den sieben Eigenschaften Gottes: Liebe, Wille, Geduld, Ernst, Ordnung, Barmherzigkeit und Weisheit. Das ist die Auferstehung von den Toten, von den -104-
geistig Toten nämlich. Der Körper ist wertlos, nur der Geist ist es, der lebt. Ich verlor mich in der Betrachtung des Bildes. Die Farben wurden heller, lebendiger, die triste Grabhöhle wich einer sanften Hügelkette, Bäume und Blumen tauchten auf und Jesus ging auf mich zu. Nein - es war nicht Jesus, es war Michael! Ich hatte es geschafft! Aus eigener Kraft! Michael schaute mich an. Nein, natürlich nicht aus eigener Kraft! Fast wäre ich wieder hochmütig geworden. Es war die Kraft Gottes, die mich getragen hat. Ich brauchte nur die Leine zu ergreifen, die er uns ständig zuwirft, und mich hochziehen lassen. Aber zum ersten Mal war es mir gelungen, diese Leine ohne fremde Hilfe zu ergreifen. Liebe und Demut hatten mich soweit gereinigt, hatten mich von dem Ballast befreit, der uns normalerweise den Weg verwehrt. Ich war überglücklich. Es war mir, als wäre ich zum ersten Mal wirklich hier. Michael trat zu mir her. "Danke!" "Ich bedanke mich bei dir." Verwirrt blickte ich zu ihm auf. "Ja, ich danke dir, daß du meine Lehren aufgenommen hast, daß du ein so williger Schüler warst. Wie oft werden wir zurückgestoßen, verlacht! Engel? Die gibt es doch nur im Märchen! Wie oft ist unsere Mühe vergeblich, wie oft werden unsere Einflüsterungen einfach in den Wind geschlagen! Bestenfalls sind wir dazu gut, Unfälle abzuwenden und die Menschen vor 'Schicksalsschlägen' zu bewahren. Aber geistige Führung? Nein, die brauchen die Menschen heute nicht mehr. Sie sind aufgeklärt und vernünftig geworden. Sie beherrschen die Natur und die Technik. Sie können sogar auf den Mondfliegen. Und da sollen sie sich wie kleine, unmündige Kinder führen lassen? Das kann doch niemand im Ernst von ihnen verlangen. Unendlich viel Geduld und Liebe sind nötig, -105-
um jahrelang, ja oft ein Leben lang 'vergeblich' arbeiten zu können, verlacht und zur Märchenfigur abgestempelt. Doch auch uns geht es wie euch auf Erden. Auch die kleinste Lawine wird einmal groß. Irgendwann geht die Saat auf. Irgendwann reift bei jedem der Same zum Korn. Wann, das steht nicht in unserer Macht." Darüber hatte ich mir noch nie Gedanken gemacht. Wir verzweifeln schon nach kürzester Zeit, wenn der erwartete Erfolg nicht eintritt. Welche Größe gehört dazu, jahrzehntelang, ja ein ganzes Menschenleben lang ohne sichtbaren Erfolg zu arbeiten? Ohne je die Geduld zu verlieren, ohne je lieblos zu werden? Oh wie stümperhaft sind doch wir Menschen! "Du brauchst nicht zu verzweifeln", mischte sich Michael in meine Gedanken ein. "Auf der Erde ist es bedeutend schwerer. Die meisten Menschen sind ja der Meinung, daß das Leben nach dem Tod endet, während wir die ganze Ewigkeit vor Augen haben. Auch hat ja die Zeit für uns eine ganz andere Bedeutung. Etwas davon wirst du bald verstehen. So! Aber nun schau dich erst mal um!" Ich konnte nichts besonderes entdecken, es war wie immer. Vielleicht blühten die Blumen etwas intensiver, duftete das Gras stärker, zwitscherten die Vögel noch lieblicher. Aber sonst? Es war heller als früher. Ja natürlich, es war heller! Und dann sah ich sie. Hoch am Himmel stand die Sonne in ihrer vollen Größe. Sie war heller als tausend Erdensonnen, und trotzdem konnte ich sie nach kurzer Zeit voll anschauen. Nein, das war nicht der richtige Ausdruck! Sie hing nicht einfach passiv da, um ein Licht zu verströmen, das ihr nicht gehörte. Nein! Sie war das Licht! Sie schaute mich an! Sie durchstrahlte mich ganz und sie war überall. -106-
"Ja, sie wird jetzt immer scheinen für dich. Es ist das Urlicht selbst, es ist Jesus Christus, es ist seine Sonne, die für dich nun nicht mehr untergehen wird. " "Aber wie kommt es, daß ich sie überall sehe, ich kann mich drehen, wie ich will, in jede beliebige Richtung sehen, sie ist immer da." "Wir haben schon oft darüber gesprochen. In der geistigen Welt gibt es keine Dinge, die irgend jemand erschaffen oder hingestellt hat, Haus, Baum, Auto, oder Blumen und Tiere - es gibt ja keine Materie. Es gibt für die geistige Welt auch keine Augen. Das geistige Auge, das ist die Seele selbst. Du kannst nur das sehen, was in dir ist! Nun hast du das Licht Jesu Christi, Seine Liebe in dich aufgenommen, also kannst du es auch sehen. Aber überall natürlich, denn es hat ja keinen festen Platz am 'Himmel'. Es ist ja in dir. Und überall wo du bist, ist es auch. Jemand der nur nach Materiellem strebt, der nur für Geld und für die Befriedigung seiner körperlichen Sinne lebt, dessen Geist wird völlig leer sein. Er wird in der geistigen Welt auch nur nackte Felsen sehen können. Kein Gras, keine Blumen wird er hervorbringen, nur Kälte und Öde und Leere und Dunkelheit! Je mehr er Liebe in sich sammelt, desto wärmer und freundlicher ist sein 'Herz', desto wärmer und freundlicher wird also auch seine Umgebung sein. Sie stellt immer das Abbild der Seele dar! Das ist auch der Schlüssel zum Verständnis von 'Himmel und Hölle'. Gott richtet nie! Nie! Liebe ist zwar fähig, jemanden an die Kandare zu nehmen, Prüfungen und 'Schicksalsschläge' zu schicken, wenn sie dazu dienen, ihn zum umdenken zu veranlassen und ihn dadurch auf dem geistigen Weg weiterzubringen. Liebe ist auch, einem Kind auf die Finger zu klopfen, um es vor Schlimmerem zu bewahren, wenn es zum fünften Mal versucht, den heißen Wasserkessel vom Herd zu ziehen. Aber Liebe straft nie, -107-
schon gar nicht ewig. Nein, jeder belohnt oder bestraft sich selbst. Die Liebe, die du auf Erden gesammelt hast, bestimmt die Umgebung, in der du dich in der geistigen Welt befinden wirst. Liebe wird dich in den 'Himmel' führen. Haß kann jedoch, wie schon auf der Erde, so auch in der geistigen Welt, nur Streit und Leiden hervorbringen in einer öden Landschaft ohne Licht und Wärme. Das ist die 'Hölle', und in dieser Hölle ist jemand nur so lange, wie er ihr seiner Gesinnung nach angehört. Wenn er meint, Gott ewig hassen und trotzen zu müssen, dann wird er sich auch ewig in diesem Zustand, in der 'Hölle' befinden. Aber er wird nie von Gott hineingeworfen, es ist seine freie Entscheidung! Wenn er umkehrt und sich innerlich der Liebe zuwendet, so wird sich im selben Maße auch seine Umgebung wandeln. Das ist das Gesetz. Und das wird nie vergehen, solange die Schöpfung existiert. Würde jemand, der seiner Gesinnung nach in die 'Hölle' gehört, in den 'Himmel' aufgenommen, er könnte es nicht ertragen. Er kann das Licht nicht ertragen, es wäre für ihn die größte Qual, und er würde sich schnellstens in die Dunkelheit zurückstürzen. Es ist, wie wenn jemand stark lichtempfindliche Augen hat. Er kann das Licht nicht ertragen und fühlt sich nur in der Dämmerung wohl. Je mehr sich sein Zustand bessert, desto mehr Licht kann er auch ertragen. Aber die Schuld liegt an den Augen, nicht am Licht! Daher kannst du nun auch das Licht Jesu Christi überall sehen. Du bist nun so weit, daß du anfangen kannst, geistig zu arbeiten, ein Werkzeug Gottes zu werden auf der Welt. Du weißt nun, daß alles, was ist, durch Gedanken hervorgebracht wird. Auch die Erde und alles auf ihr. Am Anfang war das Wort, der Gedanke, also reine Energie, und diese wurde dann so verdichtet, so 'schwer', daß sie zur Materie geworden ist. Durch Gedanken läßt -108-
sich alles erschaffen, ändern, vernichten. Sie müssen nur entsprechend stark sein. Die Kraft dazu erhältst du von Gott. Aber schütze dich, bevor du anfängst, vor allem, wenn du deinen Körper verläßt. Bisher haben es andere für dich getan. Nun mußt du es selber tun. Die bösen Mächte lauern immer, und wenn du dir eine Blöße gibst, schlagen sie sofort zu. Schütze dich zweifach. Erstens durch das Gebet, dessen Schwingung sich wie eine Glocke undurchdringlich um dich legt. Zweitens: Denke dir ein Lichtkreuz, das in dir, in deinem Körper drin steht und nach außen strahlt. Stelle es dir intensiv vor, und es wird in der geistigen Welt Wirklichkeit sein. Mache es aus hellem, reinem, klarem Licht. Stelle dir vor, daß seine Strahlen alles Böse, alles Negative zurückdrängen und von dir fernhalten, daß sie aber allem Guten, allem Positiven den Weg zu dir bahnen. Das Licht kann kein böser Geist ertragen." Das also war es, was er mit den Worten gemeint hatte: "Wir brauchen dich noch." Meine Entwicklung war schon weit fortgeschritten, nun durfte ich anderen helfen. Ich war froh darüber, glücklich und dankbar. Michael umarmte mich. "Nun geh in der Liebe Gottes, ich bin immer bei dir." Tief unten bemerkte ich meinen Körper. Ich schwebte unter der Kuppel des Altarraumes und genoß die Unbeschwertheit des Geistes. Die Musik, das Gebet, alles wirkte viel unmittelbarer, viel lebendiger. Kein Schmerz, keine Sorge, kein 'schwerer' Körper beeinträchtigte den Geist. Ich zögerte, und plötzlich wußte ich, warum diese Fähigkeit nicht jedem gegeben ist, warum sie in der Regel hart erkämpft werden muß. Die meisten würden nicht mehr zurückkehren wollen! Sie würden die Weite und die Schönheit des Geistes nicht mehr mit der Enge und den Leiden des Körpers vertauschen. Wenn sie aber nicht -109-
mehr zurückkehren wollen, reißt irgendwann das Band, das Körper und Geist verbindet. Damit ist der Körper tot, und sie haben keine Möglichkeit mehr, sich weiter zu entwickeln und die Erfahrungen zu machen, die für sie, ihrem momentanen Zustand entsprechend, am wichtigsten sind. Als ich mich wieder in meinem Körper befand, traf mich der Schmerz mit voller Wucht. Es dauerte einige Zeit, bis ich ihn wieder unter Kontrolle hatte. Die Messe war noch nicht vorüber, das heißt, ich war höchstens eine halbe Stunde weg, und gefühlsmäßig hatte ich mit Michael doch viele Stunden zugebracht. Das also war der Unterschied in der Zeit. Langsam begann ich zu begreifen. Ein Glücksgefühl breitete sich in mir aus, das ich bisher nicht gekannt hatte. Ich hatte die Möglichkeit erhalten, mit der göttlichen Welt Kontakt auf zunehmen, und ich begann, meinen verkrüppelten Körper zu lieben. Er hatte es mir ermöglicht. Ohne ihn hätte ich diesen Weg nicht so leicht gefunden.
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Beim Mittagessen fütterte mich Fred. Er war ein lieber Junge, achtzehn Jahre alt, aber von seinem Verstand her mit einem Sechsjährigen vergleichbar. Er war taubstumm, und seine Beine waren steif, aber er war immer freundlich, ja vielleicht sogar lustig. Einer, der sich nie beklagte. Er kümmerte sich oft um mich, ich war gerne in seiner Nähe. Ihn begleiteten keine Schatten. Plötzlich verschwamm sein Bild vor meinen Augen. Ein König stand vor mir. Er saß auf einem goldenen Thron, umgeben von seinen Hofschranzen, die ihn anhimmelten. Der Saal war überaus prächtig ausgestattet. Ein üppiges Mahl wurde aufgetragen, die Tafel war fürstlich gedeckt, alles war vom Feinsten. Die Bilder wechselten schnell. Es schien ein sehr weiser und gerechter König zu sein, alle, die bei ihm Rat suchten, waren zufrieden. Er mußte auch sehr großzügig gewesen sein, in einem großen Vorsaal wurden die Armen gespeist und erhielten Kleider und andere wichtige Dinge. Ich sah ihn beten und in die Kirche gehen. Der Dom war herrlich ausgestattet. Er saß in seiner Königsloge und nahm gnädig lächelnd die Grüße seiner Untergebenen entgegen. Sein Gebet sowie seine innere Haltung waren 'gerecht'. Er förderte die Kirche nach Kräften und nahm selber regen Anteil daran. Da trat plötzlich ein Mann vor, der sich bisher fast unsichtbar im Hintergrund gehalten hatte. Er war schlicht gekleidet, sein Antlitz von Licht umstrahlt. Er sprach: "Du bist ein König, wie er Gott gefällt, weise, gerecht, geduldig und voll Liebe. Du hast keine Mühe gescheut und bist der -111-
Versuchung, die Macht und Reichtum mit sich bringen, nicht erlegen. Nun bist du reif, auch das Letzte und Schwerste lernen zu dürfen, die Demut." Die Bilder verblaßten, und Fred stand wieder vor mir. Er lächelte mich an und schob mir einen großen Löffel Kartoffelsalat in den Mund. Ich konnte durch ihn durchsehen, konnte seinen Geist erkennen und sah ihn fragend an. Er nickte und lächelte. Nun wußte ich, wieso ich mich zu ihm so hingezogen fühlte. Wir waren uns sehr ähnlich in unserem 'Schicksal.
* Die nächste Zeit verging wie im Fluge. Ich betete viel und vertiefte mich oft in die Meditation. Ich erhielt dabei soviel Kraft, daß ich oft keinen Schmerz mehr verspürte. Deutlich war das Einströmen der Energie über Kopf und Rücken zu fühlen. Es war, wie wenn ich unter Strom stehen würde. Zufriedenheit, Glück und Frieden breiteten sich aus, um mich nie wieder zu verlassen. Fast nie! Ich konnte den Strom spüren, der meine Wirbelsäule hinaufund hinunterfloß. Er formte sich zu großen Wirbeln, den Kraftzentren und Energie speichern. Ich stellte mich regelmäßig in ein Kreuz aus gleißendem Licht, das von diesen Zentren aus gespeist wurde. Wie Michael mir gesagt hatte, war es immer da, sobald ich es mir intensiv vorstellte. Trotzdem war ich überrascht, als ich es nach einiger Zeit wirklich sehen konnte. Schon längere Zeit hatte ich ja bemerkt, daß die Schatten der anderen, wenn sie auf mich zukamen, oft wie vom Blitz getroffen zusammenzuckten und sich mir nicht weiter nähern konnten. Jetzt sah ich, daß diese Wirkung von dem Kreuz ausging. Seine Strahlen drängten sie zurück. So konnte ich -112-
auch feststellen, daß viele Kinder in meiner Nähe ruhiger wurden. Auch die Schwestern, die gemeinhin als 'ungenießbar' galten, wurden in meiner Umgebung viel friedlicher. Selbst die kratzbürstige Hausmeisterin brachte es in letzter Zeit fertig, mich auch einmal zu streicheln, mit mir zu reden oder mir die Seiten meines Buches umzublättern. Ja, sie schien es sogar zu genießen, eine Zeitlang in meiner Nähe weilen zu dürfen. Nun wußte ich auch warum!
* Eines Morgens fing Benjamin wieder an, wie wild zu toben. Er schlug mit dem Kopf ununterbrochen gegen die Wand, man konnte kaum hinschauen. Er hatte diese Anfälle öfters. Körperlich war er überhaupt nicht behindert und machte zeitweise einen ganz normalen Eindruck. Auffallend war nur seine große, fast übertriebene Hilfsbereitschaft, während er gleichzeitig so tollpatschig war, daß jeder, wenn irgend möglich, auf seine Hilfe gerne verzichtete, was ihn immer sehr traurig stimmte. Sein ausgeprägtes Einfühlungsvermögen ließ ihn nämlich jedesmal diese Absicht durchschauen. Alle paar Tage nun hatte er diese Anfälle. Meist dauerten sie ein bis zwei Stunden und richteten ihn oft übel zu. Anschließend wimmerte er stundenlang vor sich hin, schien aber keinen großen Schmerz zu verspüren. Diesmal war er wieder wie ein wild gewordenes Tier. Wie kleine Kobolde saßen ihm eine Unmenge von Schatten im Genick und hämmerten mit ihren Fäusten auf ihn ein und trieben ihn an. Niemand konnte ihn bändigen, bis mir plötzlich ein Gedanke durch den Kopf schoß. Ich stellte ein Lichtkreuz in ihn hinein, stellte es mir so intensiv wie möglich vor und versorgte es -113-
gedanklich mit Energie. Ich konnte zusehen, wie es immer heller und mächtiger wurde, bis es alles überstrahlte. Die Schatten wehrten sich dagegen, sie drohten mir, waren aber nicht stark genug. Kaum hatte der letzte seinen Halt verloren, war Benjamin auch schon völlig ruhig. Er lag nur noch erschöpft da und wimmerte still vor sich hin. Zum erstenmal war mir nun die Macht des Geistes richtig bewußt geworden. Sowohl die Macht, die diese Wesen hatten, als auch die Kraft, die ich dagegensetzen konnte. Äußerlich hatte niemand etwas bemerkt. Auffällig war höchstens, daß Benjamins Anfall nach so kurzer Zeit schon beendet war. Auch ich war äußerlich völlig unverändert. Aber es hatte viel Kraft gekostet. Ich war müde und unheimlich erschöpft, und es dauerte mehrere Stunden, bis ich in der Lage war, mich langsam über die Meditation wieder mit Energie aufzuladen. Erst nach zwei Tagen war ich wieder ganz in Ordnung! Etwas ungläubig war ich schon gewesen, als mir Michael von dem Kampf der Geister erzählte. Nun hatte ich erlebt, wie real dieser Kampf ist, mit welch großer Kraft er geführt wird. Ich bedankte mich bei Michael, daß er mir den nötigen Anstoß dazu gegeben hatte. Seine Hand schien sich zärtlich auf meine Schulter zu legen. "Das war der Anfang", sagte er. "Mit der Zeit wirst du lernen zu kämpfen, ohne zu ermüden. Nur werde nicht leichtsinnig, nimm sie immer ernst!" Ich freute mich, daß er bei mir war und schlief bald ein. Es war dunkel und kalt. Die Wände des unterirdischen Gewölbes waren feucht. Drei Männer waren fast nackt an der Wand angekettet. Ihre Gesichter waren vom Wahnsinn verzerrt, Ratten und anderes Ungeziefer hatten ihnen schon die Beine angefressen. Ungefähr alle zwei Sekunden tropfte ein Wassertropfen aus einer eigens dafür konstruierten Vorrichtung auf ihren Kopf. Ununter-114-
brochen! Tagelang! Wochenlang! Ein Mann stand vor ihnen und grinste sie an. Immer wieder ging er zu dem Wasserbehälter, anscheinend in der Absicht, ihn abzustellen, um sich hinterher daran zu weiden, wenn der Funke Hoffnung, der in ihren fast ausdruckslosen Augen aufgeleuchtet hatte, wieder erstarb und dem Wahnsinn Platz machte. Es war schauerlich anzuschauen. Plötzlich wandte sich der Foltermeister um, so daß ich sein Gesicht ganz sehen konnte. Ich schrie auf vor Entsetzen. Es war Benjamin! Lange hat es gedauert, bis ich in dieser Nacht wieder Schlaf gefunden habe. Immer wieder tauchte dieses schreckliche Bild vor mir auf. Warum? Ich konnte es nicht ergründen. Kein Tier ist fähig, ein anderes zu quälen. Nicht einmal die Katze, die mit der Maus spielt, tut es aus Freude daran, sondern nur aus Instinkt, weil das Fleisch nachher süßer schmeckt. Dabei ist die Maus jedoch so paralysiert, daß sie nichts mehr fühlt. Wie kann ein Mensch so etwas fertig bringen! Wie kann sich ein Mensch an den Qualen eines anderen erfreuen! Welche Gottferne ist dazu nötig! Doch Gott verstößt niemanden. Auch diese Menschen nicht. Welche Mittel sind nötig, um solchen Menschen die Augen zu öffnen, um ihnen die Verkehrtheit ihres Tuns klarzumachen? Ermessen kann ich es nicht! Nur eines weiß ich sicher: Es sind nie Strafen! Auch wenn es in den Augen der unwissenden und ungläubigen Welt noch so sehr danach aussieht. Es sind nie Strafen, nur Hilfestellungen, die in die richtige Richtung weisen, wenn jemand bereit ist, sich zu fügen und ihre Botschaft anzunehmen. So will sich der Mensch zum Richter über Gott aufspielen. Er fühlt sich verdammt oder zumindest ungerecht behandelt und flucht ihm ob der schweren 'Strafe', die Gott über ihn verhängt hat. Dabei ist er nur -115-
nicht in der Lage, die unendliche Güte Gottes zu sehen, die es ihm so erst ermöglicht, den richtigen Weg zu finden und trotzdem seinen freien Willen zu behalten. Das ist die große Schwierigkeit. Wäre der freie Wille nicht, es wäre für Gott ein Leichtes, ihn in einer Sekunde zu sich zu holen, ohne Leiden, ohne Qual. Aber er hätte damit seinen freien Geist für immer zerstört, hätte ein freies Wesen zum Sklaven gemacht. Wer ist in der Lage, den engen Pfad zu beschreiten, der zwischen freier Willensentscheidung und unzulässiger Beeinflussung hindurchführt? Wer kann diese Gratwanderung ermessen und wer die Mittel kritisieren, die Gott hierzu einsetzt? Wenn einer, dem ich die Hand reiche, weil er ins Wasser gefallen ist, diese Hand aus Hochmut nicht ergreifen will, dann bin ich doch nicht schuldig, wenn er mit dem Ertrinken kämpft. Für einen, der weit weg steht, mag es vielleicht so aussehen, als habe ich ihn zurückgestoßen. Nur der Nahestehende kann das Gegenteil bezeugen. Warum glaubt ihm niemand? Das Kind mag über die Hand böse sein, die es schnell und unsanft vor dem nahenden Auto wegreißt. Daß es dieser Hand sein Leben verdankt, weiß nur der Sehende - und der Gläubige.
* Gestern ist Schwester Gracia gestorben. Lange schon war sie krank gewesen, ohne je auch nur einmal geklagt zu haben. Ich wußte, daß sie starke Schmerzen hatte, ich konnte ihr Inneres leiden sehen, was ihr Äußeres demütig verbarg. Alles, was sie tat, war ein Gebet. Alles, was sie tat, tat sie für Gott. Immer stand sie in geistiger Verbindung mit ihm und dankte Ihm für das Leiden, das er ihr geschickt hatte. Und immer hatte sie Zeit, und immer -116-
fand sie tröstende Worte für jeden. Vor einer Woche schon hatte sie ihren Tod vorausgesehen. Ein Engel sei zu ihr gekommen und habe gesagt: "Komm, der Vater wartet auf dich!" Der Engel hat sie in dieser Woche nicht mehr verlassen, hat sie vorbereitet auf das neue Leben, den Tod des Körpers und die 'Geburt' des Geistes. Drei Stunden vor ihrem Tod nahm sie Abschied von allen, bat demütig den Priester um die Absolution. Ihre letzten Worte klangen wie eine Beschwörung: "Die Liebe Gottes ist sein Geheimnis. Geheimnisse pflegen nicht auf der Straße herumzuliegen. Aber jedem, der zu ihm kommt und ihn darum bittet, teilt er es mit. Das Böse hat die Türe zu seinem Zimmer mit drei Schlössern verriegelt. Die Schlüssel dazu sind: Liebe, Demut und Geduld. " Kurz vor ihrem Tod erschienen zwei weitere Engel. Sie nahmen ihre Geistseele in ihre Mitte und entführten sie, dem Licht entgegen. Eine kurze Strecke konnte ich sie begleiten, dann entschwanden sie mir. Diese Höhe konnte ich noch nicht erklimmen. Der Vogel war wieder frei; von drei Adlern geleitet flog er bis in den höchsten Himmel. Er kümmerte sich nicht mehr um den toten Käfig, den alle beweinten.
* Mutter war oft bei mir. Seit einiger Zeit besuchte sie mich fast jede Woche. Auch ich war im Geiste oft bei ihr, redete viel mit ihr, gab ihr Kraft. Ich konnte auch die Schatten vertreiben, die sie plagten. Anfangs jedesmal aufs neue. Mit der Zeit schien die Wirkung immer länger anzuhalten, bis sie eines Tages das Feld völlig räumten. Die Liebe war gewachsen in ihr und bildete zusammen mit dem Gebet eine schützende Hülle um sie. Wohl wurde sie immer -117-
wieder belästigt von diesen bösen Geistern, die sie mit ihren Attacken und ihren Zweifeln plagten, aber festsetzen konnten sie sich nicht mehr. Auch Vaters Liebe hatte einst dasselbe bewirkt und hatte ihr oft für kurze Zeit Ruhe verschafft. Stunden, in denen sie mit Vater sehr glücklich war. Bemerken konnte Mutter dies alles nicht. Aber sie spürte die Verbindung, die ich zu ihr aufgebaut hatte. Sie hatte nun Gott in ihr Leben aufgenommen, hatte endlich etwas Frieden gefunden. Aber ihre Vergangenheit nagte ständig an ihr. Vorwürfe plagten sie. Eines Mittags brach sie weinend zusammen. "Ich habe Vater und Dir das Leben so schwer gemacht. Ich war so lieblos und egoistisch. Wie soll ich das je wiedergutmachen können?" Wie gerne hätte ich nun Mutter einen langen Vortrag gehalten über die Liebe Gottes, die nie zu verzeihen braucht, weil sie nie angeklagt hat. Aber dazu war ich nicht in der Lage. Ein paar tröstende Gedanken konnte ich ihr verständlich machen, und das ging schon schwer genug. Aber ich wußte, was ich mit ihr im Geiste sprach, das dauerte vielleicht etwas länger, bis es in ihr Bewußtsein trat, aber dann war es ihr Eigentum geworden. Es kam dann von 'innen' und konnte daher viel schneller verstanden werden als fremde Gedanken im normalen Gespräch. "Wie oft stammen Gedanken nicht von euch selber", hatte Michael einmal gesagt. "Die meisten können fremde Gedanken nicht von eigenen Gedanken unterscheiden. Euer Engel ist ständig damit beschäftigt, euch Gedanken einzugeben, die euch den richtigen Weg zeigen. Es ist das, was oft als Skrupel bezeichnet wird. Doch wie oft werden diese leichthin wieder verworfen! Ein Engel hat ja keine Macht, euch zum Guten zu zwingen, er darf euren freien Willen ja nicht außer Kraft setzen. Auf der anderen Seite -118-
flüstern die Schatten pausenlos auf euch ein, bestätigen euch in euren Lastern und Begierden, treiben euch zu Schandtaten und Verbrechen, an denen sie sich dann weiden. Warum hören nur so viele bereitwillig auf sie? Auch das sind ja nicht ihre eigenen Gedanken." "Ich muß Vater unendlich dankbar sein, daß er bei mir geblieben ist!" Mutter holte mich aus meinen Träumen wieder zurück. "Ich hätte es ihm nicht verdenken können, wenn er gegangen wäre, wenn er es mit dieser kratzbürstigen, lieblosen Frau nicht mehr ausgehalten hätte. Doch er war es, der mir den Weg bereitet hat mit seiner Liebe. Ohne ihn hätte ich nicht zurückgefunden zu Gott. Ich träume auch immer wieder von Vater, und er ist stets so lieb und geduldig wie früher. " Ja, seine Botschaft war die Liebe. Er hat oft im Geiste mit Mutter gesprochen, wie mir Michael erzählt hat. Nicht bewußt, wie ich es nun konnte. Die Liebe tut das automatisch. Und ihre Botschaft kommt immer an, auch wenn es manchmal für unsere Begriffe unendlich lange dauert, ja selbst dann, wenn für uns überhaupt kein Erfolg sichtbar wird. Irgendwann einmal sind die Umstände günstig, dann geht die Saat auf. Wir müssen nur unsere kleinen Lawinen lostreten. Groß werden sie dann von alleine. Wie viele werfen die Flinte heute so schnell ins Korn und trennen sich, weil es ihnen niemand zumuten kann, mit "so jemandem" zusammenzuleben. Sie sind nicht mehr bereit, Opfer zu bringen, zurückzustecken oder vielleicht auch einmal zu dienen. Sie sind nicht mehr bereit, auf einen anderen einzugehen, ihn voll anzunehmen, ihm bei der Bewältigung seiner Probleme zu helfen. Geblendet von ihrem eigenen Egoismus sehen sie nur seine (vermeintlichen) Fehler. Liebe ist unmodern geworden: Selbstverwirklichung heißt das Schlagwort! Und dabei ist der andere doch nur hinderlich. Er wird -119-
lediglich 'benützt' wie ein Gegenstand, soweit er den eigenen Interessen und Wünschen dienlich ist - und hinterher wieder weggeworfen. Es war so schön zu sehen, wie Mutter sich gewandelt hatte. Sie betete viel und half anderen soviel sie konnte. Materielle Dinge bedeuteten ihr weit weniger als früher. Aber es waren nicht nur 'Schätze für den Himmel', die sie sammelte. Auch hier und jetzt ging es ihr dadurch schon viel besser. Sie war zufriedener geworden. Bei aller Arbeit und Kummer wohnte doch ein stilles Glück in ihr. Vater freute sich sicher sehr darüber. Er hatte ihr im Traum bedeutet, sie solle nicht ihm in Gedanken nachhängen, sondern solle sich darum kümmern, daß meine Brüder, die nun beide schon erwachsen waren und eigene Familien hatten, ebenso den richtigen Weg finden können. Viel Geduld und Liebe wird hierzu nötig sein.
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6
Wieder einmal mußte ich zur Untersuchung in die Klinik, in eine Universitätsklinik, in der ich noch nie gewesen war. Ich wollte mich zunächst wehren, merkte aber bald, daß ich keine Chance hatte; also ergab ich mich in mein Schicksal. Seit der Zeit des Unfalles hatte ich keine Klinik mehr betreten, und das war schon etliche Jahre her. Schon von weitem beschlich mich ein ungutes Gefühl. Als wir dann vor der Pforte standen, bin ich zu Tode erschrocken. Zum ersten Mal seit ich 'sehen' konnte, überkam mich unbeschreibliche Angst. Es war ein Bild des Chaos. Die Geister von Lebenden und Toten, von Tieren und Menschen, alles war zu einer brodelnden, schwarzen Masse geworden. Über allem lag ein gewaltiger geistiger Hilfeschrei. Wie war es jemandem möglich, hier zu arbeiten, ohne davon erdrückt zu werden? Zwei Tage sollte ich hier bleiben, hatten sie mir gesagt. Ich zitterte am ganzen Körper. Es war mir nicht möglich zu meditieren. Pausenlos hämmerten Schatten auf mich ein, ließen mir nicht den geringsten Platz der Ruhe. Ich bat Michael um Hilfe, erst dann gelang es mir, mit dem Lichtkreuz etwas Freiraum und Ruhe zu schaffen. Nie wieder wurde mir seine Wirkung so klar bewußt wie hier. Seine Strahlen schufen eine Mauer, die mich schützend umhüllte. Aber an Schlaf war nicht zu denken. Sobald ich von den Ärzten in Ruhe gelassen wurde, flüchtete ich mich zu Michael. "Viele müssen hier ihr ganzes Leben verbringen!" Ich schaute mir die Ärzte und Schwestern an. Wie -121-
Gefangene in einer Burg der Schatten sahen sie aus. Von allen Seiten kamen sie und zogen an ihnen, saugten sie aus. Wer hier überleben wollte, mußte eine wahre Roßnatur haben oder ein Heiliger sein. Ich konnte einige dieser Heiligen sehen. Gebet und Liebe umgaben sie wie ein schützendes Zelt. Demütig dienten sie allen, hielten stets ein Stück Frieden in den Händen und verteilten es an alle, die sich danach ausstreckten. Verständnis, Güte und Trost hüllten auch ihre Patienten in einen schützenden Mantel ein. Die Energie, die sie ständig verströmten, floß ununterbrochen aus dem geistiggöttlichen Bereich nach, eine nie versiegende Quelle für den, der darum bittet und betet. Unter meinem Zimmer mußte sich der Vorhof zur Hölle befinden. Nur mit Michaels Schutz wagte ich mich dorthin. Es waren die Geister von Zehntausenden von Tieren, die wie ein wogendes Meer aus Tränen, Furcht und Anklage die Räume füllten. Nie habe ich Schrecklicheres gesehen, nie größeres Leiden. Unbeschreibliche Qualen mußten diesen Tieren zugefügt worden sein. Es war die Hölle! Geschaffen durch eines der schrecklichsten Verbrechen der Menschheit, die Vivisektion. Bei lebendigem Leib, ohne Betäubung wurden viele dieser Tiere operiert. Wenn es eine Schule für Teufel gab, das hier mußte sie sein. Die Tiergeister, sonst so fröhliche Wesen, waren bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Der Geist der Tiere steckt bei weitem nicht so fest im Körper wie bei den Menschen. Darum kann ein Tier 'normale' Schmerzen viel leichter ertragen. Ein Tier leidet in der Regel unter Verletzungen und Krankheiten bei weitem nicht so stark wie ein Mensch. Die Maus, mit der die Katze spielt, das Zebra, das der Löwe geschlagen hat, die Fliege, die von der Spinne eingefangen wurde, sie leiden nicht darunter. Ihr Geist entfernt sich so weit vom Körper, daß er davon unbehelligt bleibt. Nur -122-
unmenschliche Folterqualen können bei einem Tier dazu führen, daß sein Geist mit einbezogen wird, daß er Höllenqualen erleidet und derart verunstaltet wird, wie ich es hier vorgefunden habe. "Warum? Wozu?" Eine Antwort hierauf ist nicht möglich. "So, wie aus einem Krieg nie wahrer Friede und aus dem Unglück anderer nie echtes Glück erwachsen kann, so läßt sich auch durch Leiden anderer nie die eigene Krankheit überwinden. Aus Schmerz, Not und Tod kann auch oder gerade wenn es sich um Tiere handelt - nie Gesundheit geboren werden. Medikamente und Operationsmethoden, durch Tierversuche entwickelt, mögen auf den ersten Blick bei vielen Erkrankungen hilfreich sein. Insgesamt richten sie jedoch schon durch ihre Nebenwirkungen weit mehr Schaden an, als sie nützen, ganz abgesehen von den geistig seelischen Folgen, die noch weit schwerer wiegen. Tod kann kein Leben erschaffen. Das ist ein Gesetz!" Selbst Michael war es nicht möglich, ruhig zu bleiben. Noch nie hatte ich ihn so bewegt gesehen. "Für unendlich viele Leiden der Menschheit ist dieses Verbrechen verantwortlich! Wirklich geheilt wurde dadurch noch niemand!" Wir konnten nicht einmal Hilfe leisten. Es war zu entsetzlich! Ich war froh, schnell wieder von da unten fortzukommen. Aber die Bilder blieben mir ein Leben lang in Erinnerung. Die fürchterliche Schwingung, die von diesem Ort ausging, hielt die ganze Klinik gefangen. Am nächsten Morgen wurde ich von Dr. Stern untersucht. Es war 'zufällig' derselbe Arzt, der mich bei meinem ersten Krankenhausaufenthalt nach meiner Geburt so gequält hatte. Aber diesmal gelang es mir, Haß und Vorwurf zu unterdrücken, ja sogar in Liebe zu -123-
verwandeln. "Er ist ein Gefangener seines Berufes", hatte Michael gesagt. "Jahrelang, schon seit seiner Ausbildung, ist er dieser Schwingung hier ausgesetzt. Er muß selbst Tierversuche durchführen. Jahrelang wird ihm eingetrichtert, daß die Apparate das einzige sind, auf das er sich verlassen kann. Von Intuition spricht niemand. Gott taugt allenfalls noch für die Märchenbücher. Diese Schule läßt keine andere Wahl. Schau dir doch Dr. Stern einmal genau an. Er ist nicht böse. Er ist überzeugt, das Richtige zu tun. Er ist überzeugt, nur so heilen zu können. Wer in seiner Ausbildung gelernt hat, nur Apparaten zu vertrauen, wer gelernt hat, nur den erkrankten Körperteil und nicht den Mensch als Ganzes zu betrachten, wer gelernt hat, daß es sich nicht gehört, Gefühle zu zeigen, wer dann ohne Gott in diese Klinik geworfen wird, ständig ihrer negativen, zerstörenden Schwingung ausgesetzt, wer das 'Blut' der Versuchstiere 'trinkt', wer Leiden zur Normalität werden sieht, wie soll der Einfühlungsvermögen und Liebe hervorbringen? Frage dich lieber, wie es möglich ist, daß es noch immer so viele gibt, die auch durch diese Mühle gegangen sind und für die trotzdem Liebe und Helfen keine Fremdwörter sind, die mitfühlen können und bei allem, was sie tun müssen, doch immer den ganzen Menschen vor sich sehen. In ihnen hat Gott schon Wohnung genommen, auch wenn sie es oft noch gar nicht wissen." "Es kostet dich nun viel Selbstüberwindung, wieder in deinen Körper zurückzukehren und dich den schmerzhaften und unangenehmen Untersuchungen zu unterziehen, ich weiß! Aber nicht mehr zurückzukehren, das würde einem Selbstmord gleichkommen. Auch hast du ja schon begriffen, daß Schmerz und Leiden nie sinnlos sind. Sie peinigen zwar den Körper, aber sie tragen immer eine Botschaft in sich. -124-
Meist lautet sie: Kehr um! Du bist auf dem falschen Weg! Halte dich an die natürliche Ordnung Gottes, und kümmere dich um geistige Werte! Wer seinen Geist in die Materie hineinziehen will, wer ihn zwingt, sich der Befriedigung körperlicher Begierden zu widmen, wer die Gaumenlust zum Küchenchef macht und die natürliche Auswahl der Nahrungsmittel seiner Genußsucht unterordnet, wer seinen Geist durch die Abhängigkeit von einem Suchtmittel der Freiheit beraubt, der darf sich nicht wundern, wenn sein Geist leidet. Die Krankheit und das Leiden sind der Hilfeschrei des Geistes und mahnen zur Umkehr. Tabletten und Apparate können nicht heilen, ja sie dürfen es auch gar nicht! Sinn des Lebens ist es ja nicht, mit einem gesunden Körper über die Runden zu kommen. Es soll euch vielmehr Gelegenheit geben, euch geistig weiterzuentwickeln, euch der Liebe zu öffnen. Wo Haß, Zwietracht, Streit, Unzufriedenheit und Neid regieren, kann ein Körper nicht gesund bleiben. Diese tiefen, negativen Schwingungen verändern die gesunde Eigenschwingung des Körpers derart, daß er krank wird. Das ist keine Strafe, sondern der Hilferuf: "Hier stimmt etwas nicht!" Allein das Umdenken, die Umkehr läßt ihn wieder gesunden. Tabletten mögen betäuben, heilen können sie nicht! Wer sich von seiner Angst 'auffressen' läßt, der sollte dankbar sein, wenn die Krankheit ihn ermahnt und ihm sagen will: "Du bist nicht dein Körper, du bist dein Geist, sorge dich nicht um deinen Körper! Hab keine Angst um ihn, er ist unwichtig! Richte deinen Geist auf Gott, und die Angst wird von alleine verschwinden, da sie unnötig geworden ist!" Nur muß man diese Botschaft verstehen! Verstehen wollen! Krankheit ist nie zufällig, sie wird nicht von Bakterien oder Viren verursacht. Infektionskrankheiten treffen meist nur wenige. Es gibt genügend Menschen, die sogar Pest und -125-
Lepra unbeschadet überstanden haben, obwohl sie den Kranken bedingungslos geholfen haben, ohne Schutzvorkehrungen! Die Liebe ist Schutz genug. Auslöser der Krankheit ist das eigene Fehlverhalten, der Verstoß gegen die göttliche Ordnung. Erst dann wird der Boden für Bakterien und Viren bereitet. Leider ist dieser Zusammenhang den meisten verloren gegangen. Sie sind nicht einmal mehr in der Lage, die allerdeutlichsten Zeichen zu erkennen. AIDS ist eines davon. Jeder weiß, daß man in der Regel nur daran erkranken kann, wenn man der Körperlust freien Lauf läßt, in entarteter Sexualität und Drogensucht. Und anstatt die Ursachen zu beseitigen, umzukehren und sich wieder in die göttliche Ordnung einzufügen, sucht man nach Möglichkeiten, den verkehrten Weg weitergehen zu können und mit allen möglichen Mitteln und Schutzvorrichtungen der vermeintlichen 'Strafe' zu entkommen. Wäre es eine Strafe, dann könnte man diese Haltung zwar nicht billigen, aber verstehen. Denn man kann ja versuchen, eine Strafe zu umgehen, zumal, wenn man sich für sehr clever hält. Aber es gibt keine Strafen! Alles ist nur zwangsläufige Folge des verkehrten Lebenswandels. Und diese läßt sich nie umgehen. Aber spätestens dann, wenn sich alle Auswege als Sackgassen erwiesen haben, spätestens dann werden sie erkennen, daß es einen ganz einfachen Weg gibt, der immer zum Erfolg führt: umzukehren und die göttliche Ordnung wieder anzuerkennen. Wie soll denn ein Arzt Krankheiten heilen können, wenn er die Ursache nicht kennt? Es ist ungefähr so, wie wenn jemand einen Maulwurf dadurch vernichten will, daß er ihm den Maulwurfshügel kaputtmacht. Morgen schon wird er dir an einer anderen Stelle erneut Gelegenheit dazu geben. Wenn du heute den Magen 'heilst', wird schon morgen das Herz betroffen sein, oder der Darm, oder..! -126-
Du kannst so viele Maulwurfshügel abtragen, wie du willst, es werden ständig neue geboren. Sie hören erst dann auf, wenn du den Maulwurf gefangen hast. Darum heile den Geist! Und dann brauchst du dich um den Körper nicht mehr zu kümmern! Auch viele eurer sogenannten Geistheiler gehen den verkehrten Weg. Läßt man einmal die Scharlatane beiseite, so beschränken sich doch viele darauf, mit dem Geist den Körper zu heilen. Nur wenige sind in der Lage, die geistigen Ursachen zu beheben. Das allein führt zu einer dauerhaften Heilung. Nimmt einer viel Geld für seine Tätigkeit, so kannst du sicher sein, daß es keine göttliche Kraft ist, mit der er heilt. Geistige Gaben lassen sich nicht verkaufen. Sie sind ein Geschenk Gottes und müssen weitergeschenkt werden. Gott läßt sich nicht bezahlen und seine Werkzeuge ebensowenig. Das gilt für alle geistigen Gaben. Hat jemand von Gott die Gabe des Hellsehens oder Hellfühlens erhalten, so wird er sie verschenken bzw. nur eben seinen Lebensunterhalt damit bestreiten. Geld ist die größte und wirksamste Erfindung des Teufels, und wer mit dem Feuer spielt, darf sich nicht wundern, wenn er dabei die Finger verbrennt. Wie wenige nur sind imstande, die Ursache zu beheben und wirklich den Geist zu heilen! Auch erheben viele Geistheiler, wie auch Ärzte, den Anspruch, alles heilen zu können. Gott sei Dank sind sie nicht in der Lage dazu! Sie würden dem Menschen oft die einzige Chance nehmen, die ihn zur Umkehr zwingt. Vielen schon ist ihre Krankheit Anlaß geworden, das Materielle zu verlassen und sich auf Gott auszurichten. Oder was wäre passiert, wenn Inanda Rama dich geheilt hätte? Er hätte dich beraubt! Denn deine 'Krankheit' ist wichtig für dich, ja 'lebensnotwendig'. Sie ist dein bester Freund geworden. Ohne sie hättest du -127-
nie die Möglichkeit gehabt, dich so weiterzuentwickeln. Vergnügungen, Hast und Trägheit hätten dich gefangengenommen und dir den geistigen Weg verbaut. Und ohne die Möglichkeit, Demut, Liebe und Geduld zu erlernen, wärst du heute nicht hier. Oder schau dir die anderen Behinderten an, die du schon kennengelernt hast. Für alle ist ihre 'Krankheit' wichtig, sie hat einen Sinn!" Ja jeder von uns durfte dankbar sein für seine Behinderung, die seinem Geist eine solche Fülle von Lernund Entwicklungsmöglichkeiten bietet, die ein 'Gesunder' nur schwer erhält. Es ist eine Entwicklungsstufe. Wie ein Schmetterling zuerst Puppe sein muß, um sich entfalten zu können, so kommt auch in der menschlichen Entwicklung einmal der Punkt, wo eine Behinderung Erfahrungen ermöglicht, die sonst nicht gemacht werden können. Für einen Gesunden, der nicht bereit ist, hinter die Dinge zu sehen, mag dies vermessen klingen. Doch der Geist steht darüber.
* Matthias ist erst fünf Jahre alt, spastisch gelähmt und taubstumm. Als er zu uns kam, hat er sich mir so 'vorgestellt': "Helfen habe ich gelernt. Es ist etwas Schönes, Befriedigendes. Es tut gut, helfen zu dürfen. Nun muß ich lernen, mir helfen zu lassen. Das ist viel schwieriger. Gleichzeitig kann ich den anderen Gelegenheit geben zu helfen." Ja, sich helfen zu lassen, das ist weit schwieriger, als zu helfen. Aber jeder, der helfen will, braucht jemanden, der bereit ist, sich helfen zu lassen. Und genau das ist der Sinn von vielen Behinderungen. Seine Eltern wollten die "Mißgeburt" nie bei sich haben. -128-
Bis jetzt hat sich seine Großmutter liebevoll um ihn gekümmert, hatte ihm die für einen Behinderten so nötige Wärme gegeben, obwohl sie selbst schwer krank war und kaum mehr gehen konnte. Oder gerade deswegen? Von Michael wußte ich, eine solche Bindung, wie sie diese beiden aufgebaut haben, wird ewig halten. Kein Sturm wird sie je zerreißen können. Das sind Früchte des Geistes, die wir hier sammeln sollen, um drüben davon zu leben. Geld hat noch nie jemand mitnehmen können. Doch nun hatte seine Großmutter die Erde verlassen dürfen. So kam Matthias zu uns. Sein Geist war freier als bei den anderen. Ich konnte mich gut mit ihm 'unterhalten', auch wenn er wach war. Der Geist vieler Behinderter ist nicht so fest an ihren Körper gebunden, wie bei 'normalen' Menschen. Das ist auch der Grund, daß viele von ihnen Schmerz bei weitem nicht so stark empfinden, wie 'normale' Menschen. Ihr Geist geht mehr auf Distanz, er braucht sich nicht so sehr mit dem Körper zu identifizieren, da ja die weltlichen Begierden, das Materielle, Hetze und Streß ihn nicht dazu zwingen. Das ist eines der 'Vorrechte', das die meisten Behinderten genießen. Auf der anderen Seite nehmen sie viel auf sich. Für sich, um auf ihrem Weg ein großes und meist schwieriges Stück voranzukommen, aber auch für andere, ihnen Gelegenheit zum Helfen zu geben und um ihnen die Augen zu öffnen mit ihrer stummen Botschaft: "Nicht der Körper ist es, der zählt, er ist unvollkommen und vergänglich, ihn gilt es zu überwinden. Nur der Geist bleibt ewig, ihn gilt es zu vollenden!"
* Wieder einmal ging ich mit Michael den engen Hohlweg -129-
hinunter, am Wasserfall vorbei, zu dem kleinen Teich, an dem wir so oft saßen. Zum ersten Mal fiel mir auf, die Blumen blühten immer, die Bäume trugen immer Früchte, es war immer angenehm warm, alles gedieh prächtig, ohne daß ich je einen Regentag erlebt hätte. Als ich mir noch die Frage genau überlegte, um mich möglichst wenig zu blamieren, lächelte mich Michael an. "Es gibt keinen Winter bei Gott. Alles ist voller Leben. Immer! Nichts ist vergänglich, nichts kann welken. Alles steht immer in der Blüte seines Lebens. Regen, Sonne, Nahrung, das ist nur für die materielle Welt nötig. Der geistigen Welt ist Christus alles in einem. Seine Kraft durchwirkt alles, von Ihm lebt alles. Schwester Gracia könnte dir einiges davon erzählen." Eine Hand berührte mich leicht an der Schulter. Ich drehte mich um. Ein junger Engel stand vor mir. "Schwester Gracia, wie kommen denn Sie hierher!" Sie lachte. "Das könnte ich dich aber mit größerem Recht fragen." Ja, das stimmte allerdings. "Michael, schon oft wollte ich dich das fragen. Ich kenne nun einige Arten von Krankheiten. Ihren Sinn, ihre Möglichkeiten. Aber was hatte das Leiden von Schwester Gracia für einen Sinn? Sie war doch schon so weit mit Gott verbunden, daß sie es nicht mehr brauchte, um den richtigen Weg zu finden." "Ja, das stimmt! Bei Gott gibt es viele Möglichkeiten, und das ist eine davon." "Ich durfte leiden, liebe Barbara. Es war eine Gnade Gottes. Nicht für mich habe ich dies auf mich genommen, ich habe es für andere getragen. So wie Jesus im großen für alle gelitten hat, so durfte ich im kleinen für andere leiden. Und es sind gar nicht so wenige, die diese Gnade -130-
für sich erbeten und sie auch erhalten." Geheimnisvoll schaute sie Michael an. Er nickte ihr zu. "Du bist auch eine davon." "Ich?" "Ja! Auch du brauchst deine ständigen Schmerzen nicht mehr für deine Entwicklung. Aber du erträgst sie in stiller Demut und Aufopferung. Genau das ist es, was ich gemeint habe." "Aber wie ist das möglich? Jeder muß doch seinen Weg alleine gehen. Es können ihm doch nicht die Verdienste eines anderen angerechnet werden. Das würde doch seinen freien Willen außer Kraß setzen." "Es ist eines der Geheimnisse Gottes, das sehr schwer zu verstehen ist. Auch ich bin nicht in der Lage, es voll zu erfassen. Auch die höchsten Geister wissen nicht alles. Sie wachsen ständig in ihrer Weisheit, und die unendliche Weisheit Gottes reicht für alle Ewigkeit. Aber das, was sie nicht verstehen, das nehmen sie demütig und gläubig an. Darin unterscheiden sie sich so gewaltig von euch Menschen. Sie wissen, daß sie Gott vertrauen, daß sie sich auf ihn verlassen können. Gott hat noch nie eines seiner Gesetze außer Kraft gesetzt, und er wird es auch nie tun, auch nicht das kleinste. Sicherlich wäre er in der Lage dazu, und sicherlich könnte er damit die Entwicklung der Schöpfung ganz gewaltig beschleunigen. Aber er tut es nicht. Er hat für Seine Schöpfung klare und gerechte Gesetze erschaffen, und er hält sich daran. Würde er einmal eine Ausnahme machen, nie wieder könnten sich seine Geschöpfe ganz auf ihn verlassen. Weißt du nun, was 'glauben' heißt? Du darfst also ganz sicher sein, daß er Gebet und Leiden, das für andere aufgeopfert wird, so zu verwenden weiß, daß es hilfreich ist, ohne den freien Willen außer Kraft zu setzen. Vertraue auf ihn!" Ich war -131-
glücklich. Meine Behinderung, die war wichtig und notwendig für mich. Das wußte ich wohl. Aber die Schmerzen, die in der letzten Zeit immer stärker geworden sind, haben mich mit Zweifeln geplagt. Weil ich ihren Sinn nicht verstehen konnte, habe ich sie insgeheim schon für sinnlos gehalten. Oh wie kleingläubig sind wir doch! Nun, da ich wußte, daß sie anderen zur Hilfe dienten, freute ich mich darüber. In letzter Zeit durfte ich einigen Hilfe geben und konnte einiges verändern in meiner Umgebung. Der alten Hausmeisterin hatte ich ihre Last abgenommen. Ich mußte mich zwar jeden Tag von neuem darum kümmern, denn sie war noch lange nicht stark genug, den Anfechtungen der Schatten zu widerstehen. Aber sie machte ständig kleine Fortschritte. Sie wurde freundlicher, hilfsbereiter, wenn sie betete, war sie auch innerlich daran beteiligt. Ganz langsam, fast unbemerkt baute sie ein Feld um sich herum auf, das negative Gefühle und Gedanken nicht mehr so leicht aufkommen ließ. Sie wußte die Ursache nicht, aber sie merkte, daß etwas da war, das es ihr leichter machte. Da erwachte das Gute in ihr, und sie arbeitete mit aller Kraft an sich. Die Arbeit an sich selber, die kann einem niemand abnehmen, sonst wäre ja der freie Wille dahin. Wohl sind oft Hindernisse da, die unüberwindlich scheinen. Doch sobald die Arbeit an sich selber beginnt, sobald der ernsthafte Versuch unternommen wird, sich zu ändern, seine negativen Gefühle und Gedanken einzutauschen für Liebe und für Jesus Christus, dann ist auch jemand da, der die Hindernisse aus dem Weg räumt. Vielleicht nicht morgen, vielleicht auch nicht übermorgen. Manchmal wird es nötig sein, lange Zeit auszuharren, denn Wille und Geduld wollen auch trainiert sein. Keiner kann sie geschenkt bekommen. Die Türe zum Gefängnis, die werden andere öffnen, wenn man lange genug daran -132-
rüttelt. Aber herausgetragen wird man nicht, man muß schon selber gehen.
* Auch Erwin hatte gewaltige Fortschritte gemacht. Er war nur leicht körperlich behindert, litt aber unter einer ausgeprägten Schizophrenie, seit seinem dritten Lebensjahr. Diese Persönlichkeitsspaltung war so schwerwiegend, daß er ständig beruhigende Medikamente einnehmen mußte. Dadurch wurde er jedoch so gedämpft, daß er nicht mehr in der Lage war, seinen Verstand zu gebrauchen, selbstständig zu entscheiden. Er war zu einem Sklaven geworden. Im Normalzustand war er ein lieber Kerl, der alles für einen tat. Wenn er seine Anfälle hatte, war er Napoleon. Jeder war sein Feind, und er griff mit allem an, was er in die Finger bekam. Sein Gesicht, seine Haltung, ja sein ganzes Wesen veränderten sich jedesmal völlig. Sogar die Sprache klang anders. Als ich zum ersten Mal sah, was hier vor sich ging, wollte ich es nicht glauben. Zu phantastisch war das, was ich gesehen hatte. Auch war mir der Zusammenhang nicht klar geworden. So bat ich Michael um Rat. "Du hast schon richtig gesehen", antwortete er mir. "Es sind wirklich zwei Geister, die sich um seinen Körper streiten. Der Geist des Jungen und ein weiterer Geist, der es geschafft hat, sich so fest in den Körper hineinzusetzen, daß ihn der Junge aus eigener Kraft nicht mehr loswerden kann. Zudem nehmen ihm die Medikamente, die er ständig einnehmen muß, auch noch die letzte Chance dazu." "Aber - wie ist das möglich?" "Durch bestimmte Erlebnisse kann sich der Geist sehr weit vom Körper entfernen. Wenn sich nun in dieser Zeit -133-
ein anderer Geist seines Körpers bemächtigt, kann es sein, daß er bei seiner Rückkehr den ungebetenen Gast nicht mehr losbekommt. Es herrscht dann ein ständiger Kampf zwischen den beiden. Siegt der eine, so herrscht er über den Körper. Gewinnt der andere für einige Zeit die Oberhand, so muß der Körper ihm gehorchen. Da ja auch die körperliche Ausprägung vom Geist abhängig ist, ändert sich dann oft das gesamte Erscheinungsbild dieses bedauerlichen Menschen. Nur ist es hier wie bei allem: was man nicht sieht, das glaubt man auch nicht. Ein Großteil derer, die in den psychiatrischen Anstalten ihr kümmerliches Dasein fristen, gehört dazu. Persönlichkeitsspaltung nennen es die Psychiater. Sie wissen gar nicht, wie recht sie mit diesem Wort haben. Es gibt auch Fälle, wo sich der oder die Geister so fest im Körper festsetzen, daß der rechtmäßige Besitzer überhaupt nicht mehr zurückkehren kann. Auch das ist nicht so selten. Verläßt der Geist den Körper unbewußt, also im Schlaf, kann nichts passieren. Der Körper wird wie ein König bewacht. Das ist eine unserer Aufgaben. Und wir sind zuverlässig! Tritt der Geist aber bewußt aus dem Körper aus, so muß auch ein bewußter Akt ihn schützen! Das ist ein Gesetz und hängt mit der freien Willensentscheidung zusammen. Darum ist es so wichtig, daß du dich vor jeder Meditation um einen Schutz kümmerst: durch Gebet und durch das Lichtkreuz! Es gibt noch andere Möglichkeiten, von denen vor allem die Schwarzmagier Gebrauch machen. Diese beiden aber sind die mächtigsten, und du kannst dich immer und absolut darauf verlassen. Viele sogenannte Medien haben diese Unterlassung in ihrer Selbstherrlichkeit oder ihrem Leichtsinn schon mit dem 'Verlust' des Körpers bezahlt. Das Leben, das sie dann als 'Verrückte' führen, verdient nicht einmal mehr diesen Namen. Es ist ein lebendiger -134-
Tod, den sie erleiden. Ich will dir zeigen, was bei Erwin die Ursache war. " In schneller Folge sah ich nun Bilder aus seiner Kindheit. Sein Vater war dem Alkohol verfallen. Immer, wenn er getrunken hatte, schlug er seine ganze Familie, auch den kleinen Erwin. Zweimal war er deswegen bereits im Krankenhaus gewesen, mit eineinhalb und zwei Jahren. Das eine Mal war er von oben bis unten mit blauen Flecken übersät; er sei die Treppe heruntergefallen, hieß es. Das zweitemal hatte er den Arm gebrochen - ein Sturz beim Spielen auf der Straße. Als er nun mit seinen knapp drei Jahren nachts das Bett einnäßte, geriet sein Vater völlig außer sich. Er steckte ihn in die Badewanne ins kalte Wasser und tauchte ihn solange unter, bis er bewußtlos war. Da war es geschehen. Sein Geist hat diesen Schock nicht ertragen können und sich plötzlich sehr weit vom Körper entfernt. Nun - einer der vielen Schatten, die sein Vater ständig mit sich herumschleppte, hat sich sogleich seines Körpers bemächtigt. Erwin gelang zwar noch die Rückkehr, aber er war nicht mehr allein. Von Reue zeigte sein Vater keine Spur. Auch diese Mißhandlung konnte er vertuschen. Erwin kam ins Heim, und der Fall war erledigt. "Fünfhunderttausend Kinder werden jedes Jahr allein in Deutschland mißhandelt", sagte mir Michael. "Davon müssen über hunderttausend im Krankenhaus stationär behandelt werden. Doch die meisten Fälle werden vertuscht und als Unfälle getarnt. Und dann gibt es Leute, die den Teufel immer noch als Märchengestalt abtun!" Eine sehr lebendige Märchengestalt, scheint mir. Fragend schaute ich Michael an; er nickte nur, und seither kümmerte ich mich jeden Tag intensiv um Erwin. Ich versuchte, seinen Widersacher herauszudrängen, 'beschoß' ihn mit Lichtkreuzen und hatte sehr schnell -135-
Erfolg. Schon das erste Mal verlor er sofort die Herrschaft über den Körper. Er wurde zusehends kraftloser. Sein gelegentliches Aufbäumen war nur noch ein Rückzugsgefecht. Wenige Wochen danach war es geschafft. Völlig erschöpft mußte er das Feld räumen. "Das Licht siegt immer", hatte Michael gesagt, "auch wenn es manchmal lange dauert, auch wenn es sich manchmal ganz zurückzieht, um dann mit einem Überraschungsangriff um so mehr Erfolg zu haben." Hoffentlich kehrt es bald wieder zurück in diese Welt! Erwin jedenfalls war geheilt. "Die neuen Medikamente haben sehr schnell gewirkt", meinten die Ärzte. "Zur Sicherheit sollte er sie noch mehrere Jahre einnehmen, damit ein Rückfall vermieden werden kann." Aber Nachlässigkeit und Schlamperei sind nicht immer negativ. In diesem Fall ermöglichten sie Erwin, bald ein ziemlich normales Leben zuführen. Seine leichte körperliche Behinderung fiel nicht weiter auf. Ich war überglücklich, nur die Frage nach dem "Warum" beschäftigte mich noch. Daß es keinen Zufall gibt, weiß ich, und daß es keine Strafe war, das wußte ich auch. Als uns Erwin verließ - er war nun achtzehn geworden und konnte gut auf eigenen Füßen stehen - sah ich plötzlich einen Mann vor mir, der in fröhlicher Runde einen Freund zum Trinken verführte. Immer wieder bearbeitete er ihn, nannte ihn einen Waschlappen und Schwächling, obwohl er wußte, daß der junge Mann keinen Alkohol vertragen konnte. Immer wieder hatte er Erfolg und freute sich königlich, wenn dieser dann betrunken war. Aber es dauerte nicht lange, da war er völlig dem Alkohol verfallen, wurde von seiner Familie verstoßen und starb nach einigen Jahren im Elend. Wohl bereute der Mann nun insgeheim seinen Fehler. Nach außen hin redete er -136-
sich aber damit heraus, jeder müsse ja wohl selber wissen, was er tue. Über unserer Eingangstüre hängt ein großes Schild. Darauf steht: " Verschlungene Pfade, Schatten und Licht, alles ist Gnade, fürchte dich nicht." Ob Erwin es wohl verstanden hat? Vielen habe ich helfen dürfen. Immer habe ich auf ihren Geist eingewirkt, habe sie von ihren Schatten befreit, habe ihnen Gedanken eingegeben, sie den richtigen Weg finden lassen. Die, die bereit dazu waren, sind diesen Weg freudig gegangen. Ihre Krankheiten verschwanden von alleine, nachdem die Ursache dafür, der verkehrte Lebenswandel, beseitigt war. Doch waren auch viele nicht imstande dazu. Sie spürten wohl die Erleichterung, wollten sich aber nicht anstrengen. Sie waren zu träge, um ihre Gewohnheiten zu ändern, sie waren zu schwach, um sich aufzurappeln und ihrem Leben eine andere Richtung zu geben. "Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg." Aber wenn der Wille fehlt, wird auch der Weg wieder zuwachsen.
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Der Winter war kalt und streng gewesen, aber nun war es Frühling geworden. Die Sonne schien noch etwas zaghaft, der Wind war noch etwas kühl, aber die Vögel zwitscherten so laut und fröhlich, und die ganze Natur schien sich mit ihnen über Ostern zu freuen. Zum ersten Mal in diesem Jahr durften wir wieder raus, raus aus dem Käfig, mit dem sich eine unwissende Menschheit vor der Natur abschließt. Wir Behinderte sind ja viel stärker mit der Natur verbunden. Zum einen ist unser Geist viel freier, nicht so fest an den Körper gebunden, und zum zweiten wird er von dem 'Alltagsstreß' nicht blockiert. Beides sorgt dafür, daß wir die Natur viel hautnaher erleben können. Ein Behinderter kann sich in der Regel weit besser in die Natur einfühlen. Er fühlt sich zur Natur gehörig, fühlt den gleichen Ursprung von Natur und Mensch: Gott! Er kann mit den Vögeln reden, die Sprache der Katze verstehen, er kann dem Baum sein Herz ausschütten und weiß, er wird ihn verstehen. Vieles schafft der Geist im Verborgenen, was der 'Körpermensch' mit seinen fünf Sinnen nicht erfassen kann. Es war das Schönste, in dem großen Park 'Spazierengehen' zu dürfen. Wenn das Wetter mitmachte, war Mutter jedesmal mit mir draußen und schob mich im Rollstuhl unter den hohen Bäumen, entlang der grünen Wiese und der duftenden Hecke. "Ich würde mir nicht so viele Umstände machen, sie hat doch nichts davon", sagte einmal jemand zu meiner Mutter. Das stimmt nicht! Nicht mit den Füßen, nicht mit einem gesunden Körper, ja nicht einmal mit einem gesunden Gehirn wird die Natur erlebt. -138-
Allein der Geist ist dazu in der Lage. Nur den sieht man nicht. Wie viel haben uns die Bäume zu sagen! Stumm stehen sie da. Jahrein, jahraus am selben Platz. Sie sind keine tote Materie. Ein Baum lebt. Und wie! Es ist ein energiegeladener Riese, ein richtiges 'Energiebündel'. An einem Baum kann man sich mit Energie aufladen, und er ist gerne dazu bereit, wenn man ihn darum bittet. Ein Baum ist nicht tot. Er kann fühlen! Anders als wir, aber genau so intensiv. Ein Baum empfindet Schmerz, wenn man ihm Schaden zufügt, Rinde abschält z.B. oder Äste abschlägt. Unsere Vorfahren wußten das noch. Baumfrevel wurde unheimlich streng bestraft. Sicher nicht aus Grausamkeit, sondern aus diesem Wissen heraus. 'Mein Baum', das war eine große, mächtige Lärche nahe dem kleinen Bach. Seit Jahrhunderten stand sie an derselben Stelle, stumm und ergeben. Ein Musterbeispiel für Demut und Geduld. Wie viel könnten wir von den Bäumen lernen, wenn wir uns die Zeit dazu nehmen würden! Wenn man sich auf einen Baum oder eine Pflanze einstellt, kann man die Schwingung spüren, die von ihnen ausgeht. Man kann Gefühle austauschen wie mit einem Menschen. Ein Baum kann ein Freund sein. Er ist ein Geschöpf Gottes wie wir, aus Seiner Liebe geboren. Unsere fünf Sinne lassen diese Erkenntnis nicht zu. Ein Behinderter aber, dessen Geist durch die Sinnestrübung etwas mehr Freiraum bekommt, kann oft hinter diese Dinge sehen und fühlt sich der Natur instinktiv verbunden. Schwester Magdalena muß darum gewußt haben. Sie nahm viele Mühen auf sich, um uns so oft wie möglich hinauszuführen. Sie brachte es fertig, daß wir mit einem Bus auch einmal die weitere Umgebung kennenlernen durften. Es war jedesmal ein Festtag. Sicherlich war es beschwerlich, die Rollstühle über Waldwege zu schieben, aber ich bin ihr sehr dankbar dafür, daß sie uns viele -139-
solcher glücklichen Stunden geschenkt hat. Noch etwas anderes hat sie durchgesetzt, als sie vor einem Jahr zu uns kam. Bisher gab es keine Tiere. Das war nicht erlaubt. Sie aber hat einfach ein paar Katzen eingeschmuggelt, und die meisten von uns haben sie gleich so in ihr Herz eingeschlossen, daß an eine Entfernung nicht mehr zu denken war. Inzwischen sind es wohl zehn Katzen und drei kleine Hunde, die sich bei uns sehr wohl fühlen. Für einen geistig Behinderten ist ein Tier ein großer Segen. Sein Verstand baut keine 'Standesunterschiede' auf, auch muß er nicht beweisen, daß er der Mächtigere ist. Ein Behinderter kann mit seinen Gefühlen ein Tier völlig in sich aufnehmen. Und wenn es keine 'Standesunterschiede' mehr gibt, dann wird das Tier zum Freund, dann ist jedes lebende Wesen Gottes gleichberechtigt - und alles, was Gott erschaffen hat, lebt.
* Mein Leben war plötzlich so ausgefüllt, seit ich anderen helfen durfte. Jeden Tag vereinigte ich mich in Gebet und Meditation mit Gott und sandte geistige Hilfe aus, wo sie benötigt wurde. Ich durfte Krankheiten heilen oder lindern, Kraft und Trost spenden, durfte Hindernisse aus dem Weg räumen, die sich zwischen den Suchenden und Gott gestellt hatten. Ich durfte viele von ihrer Last befreien, ihnen ihre Schatten abnehmen. Aber auch einige aus dem 'Schattenreich' selbst ließen sich gerne führen. Es sind nicht nur böse Geister; oft sind es auch 'arme Seelen', die den Weg noch nicht gefunden haben. Wie viele glauben heute nicht mehr an ein Leben nach dem Tod! Sie rechnen fest damit, daß nach dem Tod alles aus ist. Man sollte meinen, nach dem Tod würden sie ja sehr schnell -140-
das Gegenteil feststellen. Weit gefehlt! Insbesondere, wenn sie eines plötzlichen Todes gestorben sind, völlig unvorbereitet, wissen sie oft überhaupt nicht, was eigentlich passiert ist. Für einen Lebenden klingt das reichlich merkwürdig. Aber wenn man sich einmal in diese Situation versetzt, wird es schnell verständlich: Wenn einer glaubt, nach dem Tod 'tot' zu sein, dann kommt ihm nicht der Gedanke, daß er sich geirrt hat, sondern er denkt, er sei gar nicht tot. Er lebt ja, und da man nach dem Tod 'tot' ist, kann er doch gar nicht gestorben sein! Das ist doch logisch, oder? Er merkt wohl, daß etwas nicht stimmt, aber er kann es sich nicht erklären. Er ist ja nicht in einem räumlich getrennten 'Jenseits' oder an einem fremden Ort namens 'Fegefeuer'. Er ist weiterhin hier, genau da, wo er gestorben ist. Und er kann alles hören und sehen, noch viel besser sogar als vorher. Erfindet es nur merkwürdig, daß ihn die anderen so völlig 'links liegen lassen', daß sie nicht mehr mit ihm reden. Ich habe viele gesehen, die wie bisher ihrer Arbeit nachgingen! Sie kamen wie gewohnt heim zum Essen, Schlafen, Fußballspielen. Es fällt ihnen auch nicht auf, daß sie plötzlich durch Wände und geschlossene Türen gehen können. Viele schauen bei ihrer eigenen Beerdigung zu und fragen sich, was denn nun schon wieder los ist. Sie finden es wohl auch komisch, daß es immer so dunkel ist, daß die Sonne nicht mehr scheint, daß es nicht mehr regnet. Aber sie kommen nicht dahinter, was wirklich passiert ist. Viele hängen auch an bestimmten weltlichen Dingen, die sie sehr geliebt haben, sei es ein Schrank, eine besonders schöne Lampe, ein Buch, ihr Haus oder ein Musikinstrument. Sie können sich vom Materiellen nicht lösen. Auch wenn es nach Märchen klingt, es ist wahr! Man darf sich das ja nicht so vorstellen, wie wenn wir jetzt mit unserem Verstand 'drüben' stehen würden. Uns -141-
würden die Unterschiede selbstverständlich sofort auffallen. Aber der Verstand ist nicht mehr! Er gehört ja zum Körper, und der ist tot! Es bleibt nur die Geistseele. Und bei Menschen, die sich zeitlebens nicht um sie gekümmert haben, ist sie sehr ärmlich dran. Sie ist 'geistig behindert', und zwar in höchstem Maße. Nun werden solche Reaktionen schon verständlicher. Diese Geister werden oft von ihren nächsten Angehörigen noch bestärkt in ihrem Tun. Wie oft kommt es vor, daß eine 'liebende Gattin' einfach nicht zur Kenntnis nimmt, daß ihr Mann gestorben ist. Sie stellt ihm wie bisher bei jeder Mahlzeit seinen Teller hin, spricht mit ihm wie bisher, sehnt ihn herbei. Oder wenn ein Kind stirbt, das die Mutter nicht gehen lassen will! Es ist das Schlimmste, was diesen Seelen passieren kann. Sie werden in ihrer Umnachtung gefangen gehalten und brauchen oft sehr lange, bis sie den richtigen Weg finden. Dabei ist es so einfach, ihnen zu helfen. Man muß nur Christus bitten, daß er ihnen einen Engel sendet, der sie führt, ihnen den Weg zeigt. Wir müssen für unsere Verstorbenen beten. Viele sind hilflos, und ihr Erkenntnisvermögen gleicht dem eines kleinen Kindes! Der Osten ist uns hier weit voraus. In Tibet gibt es das sogenannte "Tibetanische Totenbuch". Ein Teil daraus wird regelmäßig einem soeben Verstorbenen vorgelesen. Es enthält alles, was er nach ihrem Verständnis wissen muß über das Leben nach dem Tod und den Weg, den er nun gehen muß. Es ist die größte Hilfe, die man einem Verstorbenen leisten kann, wenn man Gott für ihn bittet, daß er ihn auf den Weg zu Ihm führt. Auch ist es nicht richtig, über den Tod eines geliebten Menschen untröstlich zu sein. Ich habe es bei meinem Vater selbst erlebt. Er war jedoch geistig schon so weit fortgeschritten, daß er davon nicht angefochten wurde. Viele aber sind noch zu sehr Mensch, um darüberzustehen. Sie wollen ihre Ange-142-
hörigen trösten und bleiben oft lange Zeit noch bei ihnen, was ihrer weiteren Entwicklung meist sehr abträglich ist. Liebe, das heißt nicht, einen anderen in seiner Entwicklung zu hemmen. Das heißt vor allem, ihn gehen zu lassen, wenn es für ihn besser und schöner ist und sich mit ihm zu freuen! Es gibt viele (Natur-) Völker, bei denen der Tod ein Freudenfest ist. Sollten sie vielleicht mehr wissen, als die zivilisierten Menschen? Tod ist auch niemals, niemals zufällig! Er ist auch nie eine Strafe! Für niemanden! Der Tod bedeutet das Ende eines Ausbildungsabschnittes. Es ist wie bei einem Studium. Alle Fächer müssen belegt werden. Es nützt nichts, wenn der angehende Arzt nur Unterricht in Anatomie erhält. Sobald er hierin ausgebildet ist, legt er eine Prüfung ab und belegt dann eines der weiterführenden Fächer. Besteht er die Prüfung nicht, so muß er diesen Kursus wiederholen. Es kann auch sein, daß er nur ein Teilgebiet einer Prüfung nicht besteht, dann muß er eben dieses Teilgebiet wiederholen. Und Gott ist ein gnädiger Professor! Er läßt niemanden endgültig durchfallen. Jeder kann die Prüfung wiederholen. Aber er muß auch den dazugehörenden Kursus wieder absolvieren. Daher ist jede Frage nach dem "Warum" überflüssig! Der Kursus ist beendet, ein neues Fach in einem anderen Semester steht an. Niemand kennt den 'Ausbildungsstand' eines anderen. Darum kann auch niemand sagen: "Was hatte denn das für einen Sinn, schon zwei Tage nach der Geburt ist das Kind gestorben." Auch die Schwangerschaft, vor allem die Geburt, und gerade auch der Tod gehören zu unseren Prüfungsfächern! Sie bergen so viele Erfahrungsmöglichkeiten in sich, daß es nie sinnlos war, 'nur' das erlebt zu haben. Wir sind viel zu kurzsichtig. Ein Kurzsichtiger mag vielleicht den Mond noch sehen. Die zahllosen, gewaltigen Sterne sieht er nie. Er hat aber eine Möglichkeit, etwas darüber -143-
zu erfahren: den Glauben! Es tut so gut, helfen zu dürfen. Hilfe annehmen zu müssen, mir helfen zu lassen, das war eine wichtige Erfahrung für mich. Und ich bin dankbar und glücklich darüber. Aber wie viel schöner ist es, helfen zu dürfen! Die Liebe ist wie ein Bumerang. Der wahre Egoist sendet Liebe, soviel er kann. Er bekommt sie hundertfach zurück. Beim Geld macht es jeder so. Das gibt man auf die Bank, damit es Zinsen bringt. Aber die Liebe, die will jeder für sich behalten. Wie soll sie dann Zinsen bringen? Gott sendet ununterbrochen nur Liebe aus, reine Liebe. Er bekommt daher auch am meisten zurück. Das, was man gemein hin als Egoismus bezeichnet, das ist genau das Gegenteil davon. Gemeint ist dabei jemand, der sein Ego (also sich selbst) nach außen hin abschirmt, der nicht bereit ist, zu helfen und zu geben, und der materielle Güter anhäuft nur für sich alleine. Wie unglücklich sind diese Menschen meist in Wirklichkeit! Wie oft müssen sie sich scheiden lassen, wie oft müssen sie vor den anderen davonlaufen, weil sie meinen, irgendwo etwas bekommen zu können, das ihnen noch fehlt! Trotz ihres Reichtums, trotz ihrer vielen Aktivitäten und ständigen Veränderungen verarmen sie innerlich völlig. Wer sein Glück nur in materiellen Dingen sucht, der läßt seinen Geist qualvoll verhungern! Wer nur nimmt und versucht, von dem Kuchen, der für alle da ist, möglichst viel selber zu essen, der braucht sich nicht zu wundern, wenn ihm hinterher schlecht wird davon. Wahrer Egoismus ist, wenn ich etwas tue, das mir etwas einbringt, das ich behalten kann! Spätestens der Tod nimmt alle materiellen Güter wieder weg, wenn es nicht schon meine schlechten Werke viel früher besorgt haben. Der wahre Egoist sammelt geistige Schätze. Denn die kann er mitnehmen und erhält obendrein noch einen -144-
Zinssatz dafür, der jedem Bankier die Tränen in die Augen treiben würde. Ich mußte viele Schmerzen ertragen in letzter Zeit. Trotzdem war ich richtig glücklich. Gebraucht zu werden, helfen zu dürfen, aktiv an Gottes großem Schöpfungswerk mitarbeiten zu dürfen, was gibt es Schöneres? Wer dieses Gefühl nie gehabt hat, ist der ärmste Mensch auf der Welt. Im Beruf ist das für jeden selbstverständlich. Wenn man einen guten Chef hat, strengt sich jeder an, so gut er kann. Er versucht, sich unentbehrlich zu machen und freut sich, wenn sein Chef ihn dann lobt und ihm zu verstehen gibt, daß er ihn braucht. Und im Leben selbst, da soll es ganz anders sein?
* Eines Tages fragte ich Michael: "Bin ich nun soweit wie Inanda Rama?" Noch nie habe ich ihn so überrascht gesehen. "Ich sehe schon, das Wichtigste hast du immer noch nicht begriffen, und du kannst es auch nicht voll begreifen, solange du immer noch selbstsüchtige Gedanken hast." Ich wollte protestieren, wollte ihm sagen, daß ich doch eigentlich ein Musterbeispiel für Demut und Liebe geworden bin. Ich machte nie mehr jemandem einen Vorwurf, auch wenn ich noch so ungerecht behandelt wurde. Ich liebte jeden, ich half geistig jedem, ohne Unterschied. Ich achtete mich nie höher als jeden anderen, betrachtete sogar Tiere und Pflanzen als meine Brüder und Schwestern. Aber Michael, der ja in meinen Gedanken lesen konnte wie in einem Buch, ließ keinen Widerspruch zu. -145-
"Du hast völlig recht", sagte er. "Trotzdem hast du die letzte Hürde noch nicht genommen. Schwer ist es zu erklären, noch schwerer zu verstehen. Du liebst alle, sagst du. Das stimmt. Und du bist sehr glücklich dabei, freust dich, wenn deine Liebe angenommen wird, freust dich über das dankbare Lächeln des anderen, oder?" "Ja", sagte ich, "das stimmt!" "Reine Liebe braucht keinen Erfolg! Sie erfreut sich allein daran, daß sie lieben darf. Sie erwartet keine Reaktion. Wenn du dich darüber freust, daß deine Liebe angenommen wird, dann bist du automatisch auch traurig, wenn sie zurückgewiesen wird, oder?" "Ja", sagte ich, "das stimmt schon!" "Wenn dich aber allein die Tatsache, daß du Liebe geben darfst, glücklich macht, ohne daß du nach dem Erfolg fragst?" "Dann kann ich nicht mehr unglücklich sein!" "Siehst du den Unterschied? Wenn wir so lieben würden wie die meisten Menschen, der Himmel wäre die reinste Hölle! Voll von Traurigkeit und Unglück! Wie oft weisen die Menschen unsere Liebe zurück? Wie oft wird Gott vor den Kopf gestoßen? Er wäre wohl die unglücklichste Kreatur der ganzen Schöpfung! Sicher, Liebe ist ein Bumerang! Aber nur die absolut selbstlose Liebe. Wenn die Absicht dahintersteht, etwas zurückzubekommen, dann ist schon der Ansatz verkehrt. Aber Liebe, die einfach nur liebt, Hilfe, die einfach nur hilft, weil der andere sie braucht, einfach weil es den anderen gibt, das ist wahre Liebe. Sie allein macht für immer glücklich, und jede Traurigkeit hat ein Ende. Das heißt nicht, daß wir blind sind und das Leid nicht sehen können. Im Gegenteil! Wenn ein Kind sich schwer verletzt, dann kann in der Regel ein Außenstehender, der sich nur auf das Kind konzentriert, -146-
viel besser helfen als die Mutter, die, von Schmerz und Trauer überwältigt, auch noch mit ihren eigenen Gefühlen kämpfen muß." Eine lange Pause ließ mich mit meinen Gefühlen allein. Was wußte ich von Liebe? Was wissen die Menschen überhaupt von Liebe? Es gibt wohl kein anderes Wort, das so viele Möglichkeiten zuläßt. "Was freut dich mehr, einem einzigen helfen zu können, oder vielen?" "Vielen natürlich!" Michael lächelte. "Auch das ist verkehrt. Ist denn einer weniger wichtig als viele? Jeder ist genauso wichtig wie der andere. Es ist nicht so wie bei den Äpfeln, wo zwei doppelt soviel wiegen wie einer. Jeder ist ein völlig eigenes Wesen. Es gibt in der ganzen Schöpfung nicht zwei gleiche Wesen. Daher ist jeder wichtig. Wenn alle gleich wären, dann hättest du recht. Fünf sind dann wichtiger als einer. Aber jeder einzelne ist anders, er ist in seiner An unersetzlich. Wenn du eine Uhr hast mit fünfzig Zahnrädern, und du nimmst nur eines weg, dann läuft sie nicht mehr. Kannst du nun sagen, die anderen neunundvierzig zusammen seien wichtiger als dieses eine? Sicherlich nicht! Merke dir gut: Jeder ist wichtig, genau so wichtig wie alle anderen. Und Gott läßt nicht einen einzigen verkommen. Nicht einen einzigen! Aber es wird bei manchen größerer Anstrengungen bedürfen, sie wieder auf den rechten Weg zurückzuführen, als bei anderen. Wenn du nur einem einzigen Menschen den rechten Weg zeigst, hat dein Leben den größten Sinn gehabt, und du bist um nichts weniger wert und hast nichts weniger geleistet, als wenn du fünfzig Menschen geholfen hättest. Gott ist kein Viehhändler. Er stellt die Taten nicht auf die Waage, er mißt nicht in Kilogramm oder Zentner. Er mißt nur die Liebe, die du ausgesandt hast. Nur dafür bist du verantwortlich. Den -147-
Erfolg, den überlasse Gott. Viele scheitern daran. Ich habe dich vorgestern in der Meditation zu Frau Ziegelbauer geführt. Du hast versucht, sie zu trösten. Sie ist ein Paradebeispiel dafür. Sie jammert ständig, daß es niemanden gibt, dem sie helfen kann. Sie hat ja nur ihr Jossele. Sie würde so gerne allen Menschen helfen, würde so gerne die böse Welt in Ordnung bringen und klagt Gott an, daß er ihr keine Gelegenheit gibt, größere Taten zu vollbringen. Und vor lauter Selbstmitleid ist sie nicht in der Lage, ihrem Jossele zu helfen. Nur dafür ist sie nämlich da. Er braucht ihre Hilfe dringend, er geht zugrunde, wenn sie so weitermacht, und sie könnte ihm soviel geben, daß sich ihr Leben zehnmal rentiert hätte. Kümmere dich in nächster Zeit ab und zu um sie, und versuche ihr dies klar zu machen. Es besteht schon noch Hoffung bei ihr. Wie viele wollen Weltverbesserer spielen, gefallen sich als große Redner, auf Demonstrationen und in Vereinen, aber sehen nicht, daß der, der neben ihnen steht, zugrunde geht, weil sie ihn nicht bemerken, weil er ihnen zu unwichtig erscheint, weil sie ihn nicht lieben, weil sie in Wirklichkeit nur sich selbst lieben. Weißt du nun, was Liebe ist?" Etwas niedergeschlagen nickte ich. "Sei nicht traurig. Auch diese Hürde wirst du noch nehmen, die ganze Ewigkeit liegt noch vor dir. Auch ich habe nicht ausgelernt. Niemand hat je ausgelernt. Gott ist so unendlich, daß die Ewigkeit nicht ausreicht, Ihn voll zu begreifen. Aber das ist ja das Schöne. Langeweile gibt es nie. Und Lernen und Arbeiten sind nicht, wie auf der Erde, mit Mühsal verbunden. Lernen und Arbeiten ist die höchste Freude für uns." "Wenn du die reine Liebe verstanden hast, so kann ich dir nun deine Frage beantworten: Du bist schon lange viel weiter als Inanda Rama." -148-
Ungläubig schaute ich ihn an. "Wie ist das möglich, wo er doch so große Taten vollbringt, so weise und gut ist?" "Du denkst schon wieder rein menschlich. Nicht nach Weisheit sollst du streben, nicht nach vielen Taten. "Du sollst Gott lieben mehr als dich selbst und deinen Nächsten wie dich selbst!" Das ist alles! Das bedeutet aber, schaue zuerst, daß du zu Gott kommst. Jesus Christus hat den Weg genannt: "Ich bin der Weg. Niemand kann zum Vater kommen als durch den Sohn." Doch wie üblich, geben sich die Menschen nicht mit dem zufrieden, was sie lesen, sie müssen es gleich umdeuten. Hiermit sei das 'Christusbewußtsein' gemeint. Christus, das seien wir alle, das sei das Prinzip der Liebe und vieles andere mehr. Nein! Jesus sagt ganz deutlich: "Ich bin der Weg!" Und er hat es wörtlich gemeint. Wer wirklich zu Gott kommen will, wer die wahre Gotteskindschaft erlangen will, der muß den Weg über Jesus Christus nehmen. Einen anderen Weg gibt es nicht! Und dieser Weg läßt sich nur auf der Erde finden. Wer ihn hier nicht gefunden hat, der findet ihn auch 'drüben' nicht! Manche Jogis sind Heilige, sie haben sehr viel erreicht, sie sind sehr weit gekommen, ja, sie können Gott sehr nahe sein. Sie haben viel gearbeitet dafür, viel auf sich genommen, viele Opfer und Entbehrungen gebracht, Gebet und Buße. Sie haben sehr viel Weisheit gesammelt. Aber die letzte Türe können sie aus eigener Kraft nicht öffnen. Sie öffnet Jesus Christus allein denen, die Ihn demütig darum bitten. Das ist das größte Geheimnis der gesamten Schöpfung. Inanda Rama ist sehr weit fortgeschritten. Er hat schon lange diese Ahnung. Sie hat ihn hierher gebracht. Seine Liebe ist so mächtig, sie wird ihn über kurz oder lang zu Jesus Christus führen. Aber es muß seine freie Entscheidung sein. Zwingen darf ihn niemand dazu. Er muß selbst den Weg zu Jesus Christus gehen. Er erhält -149-
dieselben Hilfen wie jeder. Die Entscheidung muß aber sein freier Wille herbeiführen. Vielen weisen Menschen fällt es sehr, sehr schwer, sich in Demut zu beugen. Darum ist auch dieser Weg nicht der leichteste. Aber Inanda Rama wird es schaffen. Es wird auch dein Erfolg sein." Wieder schaute ich ihn ungläubig an. "Er hat dich oft besucht, ihr seid seit langen Zeiten schon durch ein starkes Band der Liebe verbunden. Deine Demut und deine tiefe Ergebenheit Jesus Christus gegenüber haben auf ihn abgefärbt und sind dabei, ihm die Augen zu öffnen. Siehst du nun, was Liebe ist? Ohne den Erfolg im Auge zu haben, bringt sie ein Wunder nach dem anderen hervor. Was du brauchst, ist nicht Weisheit. Wäre Gott nur Weisheit, er hätte nie eine Schöpfung ins Leben gerufen. Er wäre ein einsamer Philosoph geworden und hätte Sich an Seiner Weisheit erfreut in alle Ewigkeit. Nein! Gott ist Liebe! Und Liebe ist keine Geisteswissenschaft. Liebe führt keine weisen Reden. Liebe kann nur gelebt werden. Liebe verströmt sich immerfort, sonst ist es keine wahre Liebe. Und verströmen kann sich Liebe nur, wenn es jemanden gibt, der sie aufnehmen kann. Das einzige, was Gott von uns will, ist, daß wir Ihn lieben aus unserem freien Willen heraus und von ganzem Herzen. Er selbst hat diese Liebe in die Welt gebracht. Und nur über Ihn, über Jesus Christus, kann diese höchste Liebe erreicht werden. Die Weisheit wird uns dann Gott lehren. Die ganze Ewigkeit steht dazu zur Verfügung. Das ist der Weg! "Trachtet zuerst nach dem Reiche Gottes, und alles wird euch dazu gegeben werden." Nur das zählt! Sonst nichts! Viele Tiefgläubige müssen sich heute noch verspotten lassen, wegen ihrer 'Einfalt'. -150-
Sie streben nicht nach Klugheit und menschlichem Wissen. Sie glauben einfach und lieben in aller Demut. "Selig die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich!" Nämlich: Selig die, die demütig glauben, ohne immer gleich alles hinterfragen zu müssen! "Seid wachsam", hat Jesus gesagt. Auch der Satan besitzt Wissen und große Macht. Auch das Böse vermag Wunder und große Dinge zu wirken. Aber eines kann es nie: lieben! Denn dann ist es nicht mehr böse! Wie vielen fällt es schwer, sich heute der Kirche anzuschließen bzw. unterzuordnen, an der vieles verkehrt ist. Viele geben lieber die ganze Wahrheit preis, als einiges zu dulden, was nicht richtig ist. Sie erkennen nicht, daß Satan lange schon in die Kirche eingedrungen ist und sie teilweise übel zugerichtet hat. Aber gerade das ist doch der Beweis für das Königtum Christi. Satan tut nie etwas Sinnloses. Er würde nicht mit aller Macht versuchen, die Kirche kaputtzumachen, wenn er nicht genau wüßte, daß sie ihm eines Tages das Genick brechen wird. Der Geheimdienst bespitzelt doch in der Regel nicht den Freund. Nein, aber in die feindliche Regierung dringt er ein und versucht die höchsten Positionen zu erreichen! Und wenn er eine Regierung unterwandert hat, dann schlägt man doch nicht die Regierung tot. Man versucht vielmehr, die Saboteure zu entfernen und wieder geordnete Zustände herzustellen. Wenn einer krank ist, und ihr bringt ihn zum Arzt, dann schlägt er ihn doch nicht vollends tot, sondern versucht, ihm zu helfen! Warum macht ihr es mit der Kirche nicht ebenso? Sie gleicht einem Schiff, das leck geschlagen ist und zu sinken droht. Wenn alle zusammen helfen würden, wären die schadhaften Stellen schnell ausgebessert, und das Schiff könnte seine Fahrt fortsetzen. Statt dessen flüchten sich viele kopflos in die Rettungsboote. Nur - das sichere Land erreichen sie hiermit nicht. Die Stürme des -151-
Lebens lassen die meisten von ihnen kentern!" "Aber warum läßt Gott zu, daß seine Kinder aus der Kirche hinaus getrieben werden? Warum greift er nicht ein?" "Weil Gott nie seine eigenen Gesetze übertritt! Würde er direkt eingreifen, zerstörte er ja den freien Willen der Menschen. Das kann er niemals wollen. Aber er gibt so viele Hilfestellungen! Auch sind es (noch) nicht seine Kinder, die hinausgetrieben werden. Seine Kinder kennen und lieben ihn. Und die Liebe nimmt auch Demütigungen in Kauf, sie kann vieles ertragen und über vieles hinwegsehen. Die sich an allem stören, die alles kritisieren und verurteilen, sie haben die Liebe noch nicht. "Ich würde ja glauben, wenn…", das sagt die Liebe nie. Und nur sie ist es, die zählt. Aber irgendwann einmal kehrt jeder zurück. Das Gleichnis vom "verlorenen Sohn", das gilt für jeden. Manche müssen lange in der Fremde zubringen, bis sie das eigene Unvermögen erkennen und in Demut und Liebe zum Vater heimkehren. Aber sei deshalb nicht traurig. Die Türe zum Vater bleibt immer offen! Er wird sie nie zuschlagen! Und keiner von ihnen ist deshalb weniger wert! Der Vater macht keine Unterschiede! Er liebt jedes seiner Kinder gleich, es spielt keine Rolle, wie lange es in der Fremde war. Wer zum Vater kommt, den wird er mit offenen Armen aufnehmen. Nie wird er ihn bestrafen - oder gar ins Feuer werfen! Die Zeit, wo er in der Fremde war, das ist die Zeit des Unglücks, der Not, das ist 'Strafe' genug. Satan hört diese Botschaft nicht gern. Er hat schon immer alles daran gesetzt, sie in ihr Gegenteil zu verkehren! Und so viele gehen ihm bereitwillig auf den Leim." "Ja! Aber es muß doch eine Möglichkeit geben, seine Macht zu brechen, jedem diese Zusammenhänge klarzumachen. Schau, ich habe dich. Ohne dich wäre ich -152-
nie so weit gekommen. Wieso haben nicht alle einen Engel, der sie führt?" Michael schaute mich verdutzt an. "Das weißt du nicht? Jeder hat einen Engel! Nur kannst du auch noch nicht alles sehen! Jedem steht ein Engel zur Seite, genau wie ich dir. Und jeder hat die Möglichkeit, mit seinem Engel Kontakt aufzunehmen. Die meisten Kleinkinder können noch in unsere Welt hineinsehen. Doch sobald sie sprechen können und davon erzählen, wird es ihnen als Phantasiegespinst ausgeredet. Immer wieder versuchen wir, uns bemerkbar zu machen und geben den Menschen gute Gedanken ein. Doch ob sie diese annehmen, das liegt in ihrem freien Willen. Wenn einem das Gewissen schlägt oder Skrupel kommen, dann steckt sehr oft sein Engel dahinter. Doch meistens werden seine Eingebungen einfach beiseite geschoben, während die Einflüsterungen des Bösen begierig aufgenommen werden. Satan hat es geschafft, daß die meisten Menschen nicht mehr an unsere Existenz glauben. Wie soll man nun auf jemanden hören, von dem man glaubt, daß es ihn gar nicht gibt? Alltagsstreß, Hetze und Unruhe verhindern sowieso jeden Kontakt mit der geistigen Welt. Bestimmte Schutzfunktionen jedoch üben wir immer aus. Für jeden Menschen. Wir bewachen den Körper im Schlaf, wenn der Geist auf Reisen geht, wir wehren die Angriffe des Bösen auf euer Leben ab, die vielen 'zufälligen' Unfälle, die es euch zugedacht hat. Doch diese 'Schutzengelfunktion' ist nur der selbstverständlichere, kleinere Teil unserer Aufgabe. Du hast in deinem Zimmer ein Bild hängen, auf dem ein Schutzengel ein Kind über eine Brücke geleitet. Es ist ein Bild mit einer herrlichen Ausstrahlung. Der es gemalt hat, der hatte einen innigen Kontakt mit der geistigen Welt. Er konnte seinen Geist weit öffnen und unsere Schwingung aufnehmen, die er -153-
dann in das Bild umgesetzt hat. Gemeint ist hier die geistige Brücke, die als enger Steg von der materiellen Welt hinüberführt ins Reich Gottes. Das ist unsere eigentliche, viel wichtigere Aufgabe. Geistiger Führer wollen wir den Menschen sein. Nur - hier hat eben der freie Wille auch ein Wörtchen mitzureden. Wir dürfen keinerlei Zwang ausüben. Wir würden den Menschen ansonsten einen nicht wieder gutzumachenden Schaden zufügen. Denn würde der Wille durch Zwang gebrochen, der Freie wäre für immer zum Sklaven geworden! Das ist der Schlüssel zum Verständnis der Welt! Und das macht unsere Aufgabe so unendlich schwer. Aber alles, worum ihr uns bittet, dürfen wir für euch tun! Alles, was ihr vertrauend in unsere Hände legt, werden wir für euch erledigen. Das gilt für die geistigen Dinge genauso wie für die weltlichen. Ihr könnt uns auch nicht zuviel Arbeit machen, denn Arbeit in eurem Sinne, die mit Mühe verbunden ist und mit Zeit, gibt es ja für uns nicht. Was euch Mühe ist, ist uns Freude. Je mehr ihr uns übergebt, je mehr ihr uns wirken laßt, desto inniger wird unser Kontakt zu euch sein. Ihr könnt euch tragen lassen von unserer Schwingung, und alles, was ihr uns übergebt, wird zu eurem Besten geregelt werden. Wohlgemerkt, zu eurem Besten! Das heißt aber oft: Nicht so, wie ihr es euch vorstellt, auch nicht unbedingt in der Zeit, die ihr dafür ausersehen habt. Wer den Überblick hat, der sieht meist andere und bessere Wege, als der, der im Sumpf feststeckt. Alles, was ihr tun müßt, ist bitten, glauben, vertrauen und Geduld üben. Genauso wie ich dir stets zur Seite gestanden habe, genauso ist es bei jedem. Wie intensiv das Verhältnis wird, liegt allein in eurer Hand. Glauben an uns und von uns wissen, das kann jeder, der uns liebend und vertrauensvoll seine Probleme übergibt und plötzlich -154-
die Lösung in Händen hält. In geistigen Kontakt mit uns zu treten, uns zu fühlen oder gar zu hören, das geht nur in der Stille, über Gebet und Meditation und Geduld. Wie lange übt ihr, um eine fremde Sprache perfekt zu erlernen? Wie viele Jahre lernt ihr geduldig Tag für Tag, stundenlang? Um welch kleiner Ziele willen entwickelt ihr manchmal eine ungeheure Energie und Ausdauer? Und wie viel Zeit investiert ihr täglich in euren Körper, um ihn zu trainieren und zu verschönern? Keiner wird seinen Körper behalten. Dem Staub sieht man die Muskeln nicht mehr an, auch stören keine Falten mehr. Wäre es nicht auch der Mühe wert, sich jeden Tag wenigstens einige Minuten zu reservieren, um in Stille, Gebet und Meditation mit Gott in Verbindung zu treten? Mit Gott und mit uns, die wir euch nach Seinem Willen führen und begleiten auf dem Weg zu Ihm! Schon in eurem jetzigen Leben würdet ihr die Zeit, die ihr in der Stille verbringt, mehrfach zurückerhalten. Ein Werk, das ihr mit uns beginnt, gelingt! Euer Schaffen, zu dem ihr unsere Hilfe erbittet, wird nicht erfolglos sein! Die Reise, die ihr mit uns plant und zu der ihr uns mitnehmt, wird nicht im Chaos enden! Der Streit, den ihr uns zur Schlichtung übergebt, ist schon halb beendet! Eure Sorgen werden zerrinnen und eure Probleme in der halben Zeit gelöst sein! Wie viele Dinge tut ihr, deren Erfolg ihr nicht kennt, die ihr nicht überprüfen könnt? Uns könnt ihr überprüfen! Schon nach kurzer Zeit! Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, und wem der Wille fehlt, dem nützt auch der breiteste Weg nichts! Siehst du nun, wie schön alles geregelt ist? Für jeden steht ein Auto vor der Tür. Nur fahren muß er selber! Und wenn er sich den Motor stehlen läßt, oder Wasser in den Tank schüttet, oder wenn er seinen Freunden erlaubt, aus den Rädern Seifenkisten zu bauen, dann darf er die Schuld nicht dem Auto geben. Will er trotzdem an sein Ziel -155-
gelangen, muß er eben den langen und beschwerlichen Weg zu Fuß gehen - oder das Auto wieder reparieren." Ich war ziemlich bestürzt über das, was ich gerade gehört hatte. Damit hatte ich nicht gerechnet. Warum sind die Menschen so blind? "Satan ist so clever und verschlagen, niemand kann ihm in dieser Hinsicht das Wasser reichen. Er gibt den Menschen einen Zuckerbrocken, und während sie begierig daran nagen, stiehlt er ihnen das Auto. Hinterher behauptet er, es wäre noch nie eines dagewesen. Und die meisten glauben ihm aufs Wort. Wie viele nehmen dann auch noch sein Angebot an, sie ein Stück des Weges zu tragen! Sie lassen sich von ihm die Augen verbinden und merken nicht, daß er in die entgegengesetzte Richtung geht! Oh, wenn sie nur wüßten, daß sie den ganzen steilen Weg zu Fuß wieder zurückgehen müssen!" "Aber man muß sich doch dagegen wehren können." "Natürlich kann man das! Du hast dich ja auch erfolgreich gewehrt dagegen. Die Waffen sind: Gebet, Meditation und Liebe! Vor allem die Liebe!"
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An Pfingsten wurde ich plötzlich schwer krank. Ein großer Tumor hatte sich in meinem Gehirn gebildet. "Inoperabel", hatten die Ärzte gesagt. Doch die Liebe, die ich gesät hatte, war schon aufgegangen. Mutter holte mich sofort aus dem Krankenhaus heraus und nahm mich zu sich. Sie arbeitete nur noch halbtags, und während dieser Zeit schaute eine Nachbarin nach mir. Mutter mußte sich dadurch gewaltig einschränken, aber das machte ihr nichts mehr aus. Materielle Dinge bedeuteten ihr nicht mehr viel. Sie trank keinen Alkohol mehr, auch das Rauchen hatte sie aufgegeben. Es war nicht mehr nötig für sie, sie hatte ihren Frieden gefunden. Fast hätte sie die vorgeschlagene Chemotherapie akzeptiert. Doch ich konnte ihr zu verstehen geben, daß ich das nicht wollte. Auch der Arzt verstand diesen Standpunkt. "Bei diesem Tumor sind die Chancen sowieso nicht sehr groß", meinte er. " Vielleicht würde sie etwas länger leben dadurch, aber bestimmt nicht glücklicher. Wenn Sie bei ihr bleiben und sie pflegen, wird sie die letzte Zeit ihres Lebens sicher in besserer Erinnerung behalten. Falls die Schmerzen zu groß werden, helfe ich ihr jederzeit." Ich war froh, einen so verständigen Arzt bekommen zu haben. Obwohl ich wußte, was meine Krankheit bedeutete, und obwohl ich mich darüber freute und sie geduldig annahm, hatte ich doch ein bißchen Angst vor dem, was nun auf mich zukommen würde. Würden die Schmerzen arg schlimm werden? Würde ich durchhalten können? -157-
Ständige Schmerzen war ich ja schon gewohnt, und ich konnte auch recht gut mit ihnen umgehen. In den ersten Monaten war es auch noch gut erträglich, ich nahm nur selten Schmerzmittel. Mutter saß oft neben mir. Sie hatte gelernt, sich schweigend mit mir zu unterhalten. Ohne Worte, nur mit dem Gefühl. Ich war so glücklich zu sehen, wie weit sie gekommen war. Von Inonda Rama hatte sie Beten und Meditation gelernt, und sie war eine gelehrige Schülerin gewesen. Wir versenkten uns häufig gemeinsam in die Stille des Geistes und waren bald durch ein Band der Liebe verbunden, wie ich es bisher nur bei Vater gekannt hatte. Vater war oft bei uns, und auch Mutter konnte seine Anwesenheit fühlen. Einige Male ist es mir sogar gelungen, Mutter mit hinauf zu nehmen, ihr einige 'Lichtblicke' in die geistige Welt zu ermöglichen. Auch meine beiden Brüder besuchten mich ab und zu. Ganz langsam begann sich auch ihre Härte und ihr materielles Weltbild aufzuweichen. Mutters Wandel hatte sie nachdenklich werden lassen. Sie hatten wohl gemerkt, daß sie keine 'Betschwester' vor sich hatten, die es im Alter mit der Angst zu tun bekam und die nun versucht zu retten, was noch zu retten ist. Ihre Schwingung war rein und ehrlich, ihre Liebe echt. Sie brauchte nicht viel zu reden, man konnte es fühlen, konnte es ihr ansehen. Viel hatte sie gebetet für meine Brüder, viel an sie gedacht. Auch ihre 'Lawine' wird eines Tages groß werden.
* Dreiunddreißig Jahre war ich gestern alt geworden, und ich wußte, daß das mein letzter Geburtstag war. Ich war bereit zu leiden, war glücklich, meinen Teil beitragen zu -158-
dürfen - aber ich war auch glücklich zu wissen, daß ich nicht mehr lange in meinem Körper gefangen war. Die Käfigtüre stand schon offen, der Vogel war bereit auszufliegen, er wartete nur noch auf das Zeichen. Trotzdem beschlich mich immer wieder ein Hauch von Angst! Michael hatte mich schon gewarnt. "Sei vorsichtig", hatte er gesagt, "die Zweifel kommen wieder! Am Ende zieht Satan noch einmal die Daumenschrauben an. Er nutzt die Unsicherheit, den Rest, der sich zwischen Glauben und Wissen befindet." Ich hatte zuviel gesehen, zuviel erlebt, um zu verzweifeln. Auch nachdem ich nun nicht mehr die Kraft hatte, mich zu Michael zu flüchten. Aber ich konnte die Nadelstiche spüren, die mich mürbe machen sollten, und ich kann alle verstehen, die diesen Zweifeln erliegen und trotz ihres tiefen Glaubens verzagen und mit der Angst ringen. Doch wer in guten Zeiten beten gelernt hat, wird auch diese Drangsal überstehen können. Ich war inzwischen fast völlig gelähmt und konnte es auch beim besten Willen nicht mehr ohne starke Schmerzmittel aushallen. Ich konnte kaum mehr schlucken, das Essen wurde zur Qual. Immer häufiger fiel ich in tiefen, bewußtlosen Schlaf. Immer häufiger hatte ich Traumgesichte. Meist waren es Engel, die mich besuchten und zärtlich ihre Flügel über mich ausbreiteten. Meist waren auch schwarze Elstern da, die in einiger Entfernung lauerten, sich den Engeln aber nie zu nähern vermochten. Eines Tages kamen drei wunderschöne, große Engel auf mich zu. Sie hatten ein Paar Flügel für mich mitgebracht. Schmetterlingen gleich erhoben wir uns in die Lüfte und flogen der Sonne entgegen. Höchstes Glück durchflutete mich. Als ich mich umdrehte, sah ich tief unter mir ein kleines Zimmer. In einem Bett lag ein ausgemergelter Körper, der -159-
sich vor Schmerzen wand und einen fürchterlichen Todeskampf zu erleiden hatte. Eine Frau stand hilflos weinend daneben, hinter ihr zwei Engel, die sie trösteten. Die Frau schaute zu mir hoch - es war meine Mutter! Ich war es, die dort unten mit dem Tode rang! Es war kein Traum! Ich war erlöst! Ich war frei! Und dann sah ich sie wieder, größer und leuchtender als je zuvor: Die Sonne! Meine Sonne! Jesus Christus! Vor Freude und Dankbarkeit sank ich auf die Knie. Ich war nicht gestorben. Nein! Ich war geboren worden! Michael hob mich auf, Vater war da und Schwester Gracia. Ich war wieder daheim! Michael reichte mir eine Schale mit den herrlichsten Früchten, die ich je gesehen hatte. "Iß, du kannst eine Stärkung gebrauchen." "Was sind das für Früchte?" "Sie gehören dir. Ich habe sie dir aufgehoben. Es sind die Früchte, die du auf Erden gesammelt hast." Hand in Hand gingen wir heim, dem Licht entgegen.
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Nachwort zur 2. Auflage Geistige Bereiche lassen sich nicht mit dem Verstand begreifen. Im Gegenteil: oft steht er uns dabei im Wege. Er gehört ja zum Körper und kann nur das verarbeiten, was ihm unsere fünf Sinne zutragen. Die breite Zustimmung, die dieses Buch erfahren hat, freut mich sehr. Daß einige kritische, auch völlig ablehnende Stimmen dabei waren, hat mich veranlaßt, mit diesem Nachwort einige Dinge zu erklären. Ich habe versucht, die unendliche Liebe Gottes darzustellen, die alle Geschöpfe umfaßt und die unendlich viel größer und umfangreicher ist, als wir es uns vorstellen können. Viele Dinge mögen in Wirklichkeit anders aussehen, wir können sie heute mit unserem kleinen irdischen Verstand nicht begreifen. Nur Christus führt zum Vater, nur er ist der Weg! Doch wen er, wie und wann auf diesen Weg führt, das kann ich nicht beurteilen. Nur eines weiß ich sicher: Sein Geist, Sein Heiliger Geist, der weht überall, auch außerhalb der Kirchen. "An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. " Man muß nur die Augen aufmachen und sich an Sein wichtigstes Gebot erinnern: "Liebet einander…"! Nur das zählt! Man kann sich nicht hinter Dogmen, Vorschriften und Verurteilungen verschanzen; Gott findet jeden, und dann mißt er ihn an seiner Nächstenliebe! Kirche, Buße, Sakramente, wie nichtig sind sie alle, wenn sie nicht zu mehr Demut und Nächstenliebe führen, und wie mächtig, wenn sie uns die Kraft geben, uns in der Liebe Christi zu vollenden! Ich bedanke mich bei meinen geistigen Lehrern. Ihr Wissen, ihre Geduld und ihre Liebe haben mir den geistigen Weg erschlossen und mit diesem Buch all denen, die in Demut -161-
suchen. Wo Worte und Buchstaben fremd klingen, da können wir in die Stille gehen und die Schwingung erfühlen, die hinter diesen Worten steht und uns von ihr tragen lassen. Benjamin Klein, im November 1988
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