Edwin Czerwick Systemtheorie der Demokratie
Edwin Czerwick
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Edwin Czerwick Systemtheorie der Demokratie
Edwin Czerwick
Systemtheorie der Demokratie Begriffe und Strukturen im Werk Luhmanns
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
. 1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Monika Mülhausen Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Satz: Anke Vogel Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15644-6
3.1 Zentrale Kennzeichen sozialer Systeme: Umwelt, Komplexität und Selbstreferenz
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort................................................................................................................. 7 Einleitung: Niklas Luhmann und die Theorie der Demokratie ...................... 9 1
Systemtheorie und Demokratietheorie.................................................. 19
2
Luhmanns Demokratiekonzeption und die politikwissenschaftliche Demokratiediskussion ................................... 29
3 3.1 3.2
Demokratie in der Systemtheorie Niklas Luhmanns ........................... 39 Zentrale Kennzeichen sozialer Systeme: Umwelt, Komplexität und Selbstreferenz ............................................................................................ 39 Luhmanns Demokratieverständnis ............................................................ 45
4 4.1 4.2 4.3
Gesellschaftliche Evolution und Demokratie........................................ 53 Demokratie als evolutionäre Errungenschaft ............................................ 53 Funktionale Ausdifferenzierung und Demokratie..................................... 63 Demokratie und die Positivierung des Rechts........................................... 69
5 Die Demokratie des politischen Systems ............................................... 75 5.1 Das politische System der Gesellschaft..................................................... 76 5.2 Die Subsysteme des politischen Systems.................................................. 81 5.2.1 Die Politik des politischen Systems .......................................................... 82 5.2.2 Das Publikum des politischen Systems ..................................................... 85 5.2.3 Die Verwaltung des politischen Systems .................................................. 88 Exkurs: Der Staat im (des) politischen System(s) ............................................... 90 5.2.4 Die Beziehungen zwischen den Subsystemen des politischen Systems ... 94 5.3 Selbstbeobachtung des politischen Systems: die öffentliche Meinung... 100
6 6 6.1 6.2 6.3 6.4
Inhaltsverzeichnis
Demokratie als Strukturbegriff der Politik des politischen Systems 105 Regierung und Opposition....................................................................... 105 Parteien .................................................................................................... 114 Politische Wahlen.................................................................................... 116 Politisches System und Demokratie ........................................................ 122
7 7.1
Selbstverständnis des politischen Systems als Demokratie ............... 127 Demokratie und Staat als Selbstbeschreibungsformeln des politischen Systems ................................................................................. 127 7.1.1 „Demokratie“ als Selbstbeschreibungsformel......................................... 127 7.1.2 Die Selbstbeschreibungsformel „Staat“ .................................................. 130 7.2 Reflexionstheorien der Demokratie......................................................... 133 7.3 Demokratie als Legitimationsformel....................................................... 136 8
Die politische Praxis der Demokratie: Problemlösung...................... 143
9 9.1 9.2
Gefährdungen der Demokratie ............................................................ 153 Selbstüberforderungen der Demokratie im Wohlfahrtsstaat................... 153 Demokratisierung der Demokratie? ........................................................ 155
10 Demokratie, Komplexität und Systemrationalität ............................. 161 10.1 Gesellschaftliche Komplexität und die Demokratie des politischen Systems ................................................................................. 161 10.2 Systemrationalität der Demokratie.......................................................... 169 10.3 Demokratie – (k)ein Exportmodell!(?).................................................... 172 11 11.1 11.2 11.3 11.4
Die Demokratie des Niklas Luhmann.................................................. 179 Luhmanns Demokratiekonzeption .......................................................... 180 Demokratie und ihre Werte ..................................................................... 183 Demokratie und der menschliche Faktor................................................. 186 Luhmanns Theorie demokratischer politischer Systeme ........................ 191
12 Literaturverzeichnis .............................................................................. 195 12.1 Verzeichnis der zitierten Literatur von Niklas Luhmann........................ 195 12.2 Sekundärliteratur ..................................................................................... 200
Vorwort
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Vorwort
Mit der vorliegenden Arbeit soll der Frage nachgegangen werden, ob es gerechtfertigt ist, von einer eigenständigen Systemtheorie der Demokratie zu sprechen, die sich deutlich von anderen Demokratietheorien unterscheiden lässt. Wie auch immer man diese Frage angeht, die Antwort darauf hängt natürlich davon ab, was man unter „Theorie“ versteht, welche Elemente sie aufweisen muss, welche Qualifikationskriterien sie beinhaltet, und welchen Anforderungen sie gerecht werden muss. Es hängt also im Wesentlichen davon ab, welche Maßstäbe man anlegt, um von „Theorie“ sprechen zu können. Um eine Antwort auf die Eingangsfrage zu geben, wird vor allem auf die Arbeiten Niklas Luhmanns zurückgegriffen, weil er sich von allen Systemtheoretikern noch am intensivsten mit dem Gegenstand „Demokratie“ auseinandergesetzt hat. Allerdings gilt zu bedenken, und dies darf nicht als bereits vorweggenommene Antwort missverstanden werden, dass Luhmann nie die Absicht gehabt hat, eine Demokratietheorie zu entwickeln. Dennoch wird zu prüfen sein, ob er, auch wenn er dies nicht beabsichtigt haben mag, nicht doch im Zusammenhang mit seinen systemtheoretischen Überlegungen zumindest die Konturen einer Theorie der Demokratie entwickelt hat, die sich im Kontext systemtheoretischen Denkens mit seinen Namen verbinden lässt. Dabei soll auf einige Verbindungslinien zwischen seinen demokratietheoretischen Überlegungen und, um seine Terminologie zu verwenden, „klassischen“ Demokratietheorien1 aufmerksam gemacht werden. Mit dieser Vorgehensweis verbindet sich die Erwartung, durch die Konfrontation der systemtheoretisch inspirierten Überlegungen Luhmanns zur Demokratie mit den „klassischen“ Demokratietheorien auf Erkenntnisse und Fragen zu stoßen, die 1
Es ist nicht ersichtlich, was Luhmann unter „klassischen“ Demokratietheorien versteht. Zu vermuten ist, dass er darunter alle gegenwärtigen, also nicht systemtheoretischen Demokratietheorien zählt. Ihre Kennzeichen sind eine auf Normen („Menschenrechte“, „Bürgerrechte“) ausgerichtete Konzeptualisierung von „Demokratie“ als „Volkssouveränität“, in der Bürgern das Recht zugesprochen wird, auf den Prozess der Herstellung kollektiv verbindlicher Entscheidungen (vor allem durch Wahlen) einzuwirken, die politischen Eliten gegenüber den Bürgern Rechenschaft ablegen müssen, und die Politik keine Einheit bildet, sondern aus einer Vielzahl unterschiedlicher Akteure (Staatsorgane, Parteien, Verbände) besteht, die sich wechselseitig kontrollieren („Gewaltenteilung“). Auch Jürgen Habermas spricht von „klassischen Demokratietheorien“. Dazu zählt er solche Demokratietheorien, die von der Idee einer Gesellschaft ausgehen, die über den Gesetzgeber auf sich selbst einwirkt (Habermas 1992: 621).
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Vorwort
der Demokratieforschung neue Impulse zu geben vermögen.2 Ob dies gelungen ist, wird der Leser entscheiden müssen. Als ich mich im Jahre 2001 erstmals mit Luhmanns Überlegungen zur Demokratie zu beschäftigen begann, wusste ich nicht, wo dies einmal hinführen würde. Eine Publikation war zum damaligen Zeitpunkt nicht beabsichtigt, sondern mich trieb vor allem die Frage um, worin denn die Besonderheit von Luhmanns Beiträgen zur Demokratie im Vergleich zu anderen demokratietheoretischen Vorstellungen, Positionen und Ansätzen bestanden. Auch interessierten mich die Gründe für seine skeptische Einstellung zur Demokratisierung der Demokratie. Naiver Weise glaubte ich, dass es ausreichen würde, mich auf seine wenigen Beiträge zur Demokratie konzentrieren zu können, um meine Wissensdefizite zu schließen. Dieser Glaube erwies sich aber relativ schnell als Irrglauben. Vor der Entscheidung stehend, entweder meine Auseinandersetzung mit Luhmanns demokratietheoretischen Überlegungen aufzugeben oder aber seine Arbeiten einigermaßen systematisch nach Stellungnahmen zur Demokratie zu durchsuchen und zu untersuchen, entschloss ich mich für die zuletzt genannte Alternative. Das Problem bestand dabei vor allem darin, die verschiedenen Versatzstücke seiner Ausführungen zur Demokratie in einen systematischen Zusammenhang zu integrieren, der mehr als nur fragmentarischen Charakter hat und der zugleich im Einklang mit seinen systemtheoretischen Überlegungen steht. Denn von wenigen Ausnahmen einmal abgesehen, hat Luhmann seine demokratietheoretischen Ausführungen nur selten direkt aus seiner Systemtheorie hergeleitet und mit ihr verknüpft. Wieder und wieder schien es mir deshalb nötig, die Konzeption, in die ich Luhmanns demokratietheoretische Ausführungen eingebettet hatte, zu revidieren und neu zu arrangieren. Die Arbeit an dieser Thematik wurde aus verschiedenen Gründen immer wieder für längere Zeit unterbrochen. Ein nicht ganz unwichtiger Grund für die Unterbrechungen war, dass mich immer wieder der Mut verlassen hat, jemals zu einem präsentierbaren Ergebnis zu gelangen. Zwar ist meine Skepsis nicht vollständig ausgeräumt, aber doch so weit gemildert, dass ich die Arbeit guten Gewissens jetzt einer an Luhmanns Werk oder an Demokratietheorie interessierten Öffentlichkeit präsentieren und zur Diskussion stellen kann. Gewidmet ist die Arbeit den „Unofanten“, allen voran Werner Dörr sowie: Tanja Brandt, Andreas Busa, Franziska Everts, Mona Gillmann, Kathrin Hendrischk, Martina Jahn, Dorle Lampert-Keitsch, Inna Linnik, Roman Paulus, Mathias Purr, Irina Spang, Tina Speiser, Gülsah Tokgöz, Caroline Wagner, Yvonne Wetzel, Daniel Willms und Isabelle Wittmer.
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Nicht ganz zu unrecht sprechen Buchstein/Jörke (2003) von einem „Unbehagen an der Demokratietheorie“.
Niklas Luhmann und die Theorie der Demokratie
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Einleitung: Niklas Luhmann und die Theorie der Demokratie Einleitung: Niklas Luhmann und die Theorie der Demokratie
Es ist interessant zu beobachten, mit welcher Unverfrorenheit, Naivität, Unbedenklichkeit oder Skrupellosigkeit gelegentlich von und über Demokratie gesprochen wird und von wem und wofür sie alles in Anspruch genommen wird. Dementsprechend groß ist auch die Verwirrung darüber, was Demokratie ist und wofür und für wen sie denn eigentlich gut sein soll. Es ist insofern relativ leicht möglich, die vermeintliche Verteidigung der Demokratie zu ihrem Abbau zu nutzen oder ihre angebliche Ausweitung zur Beförderung spezifischer, gegen das Allgemeinwohl gerichteter Interessen zu missbrauchen. Dass im Namen der Demokratie sogar Gewalttaten und Verbrechen begangen werden, ist, wie ein Blick in die Tageszeitung zeigt, aktuell wie eh und je, auch wenn dieser Tatbestand bisher wissenschaftlich nicht systematisch aufgearbeitet worden ist. Es hat den Anschein, als ob diejenigen, die ihr Handeln auf „Demokratie“ gründen, für sich eine „höhere“ Moral in Anspruch nehmen, die selbst massive Verstöße gegen die Demokratie einschließt. Darüber, warum dies immer wieder möglich ist, lässt sich nur spekulieren. Es scheint zumindest auf den ersten Blick so, als würde die Idee der Demokratie und ihre vielfältigen Verheißungen ein kritisches Hinterfragen der politischen Praxis erschweren. Die mit der Idee der Demokratie verbundenen Normen gewinnen das Übergewicht gegenüber einer politischen Praxis, welche die Einhaltung dieser Normen zwar systematisch verfehlt, aber gerade dadurch die Bedeutung dieser Normen stärkt. Dass an dieser Situation viele Demokratietheorien nicht ganz schuldlos sind, hat Jürgen Habermas zu Recht hervorgehoben: „Denn die Annahme, daß die politische Willensbildung unmittelbar theoriefähig sei und sich nach einer vorgängig konsentierten Vernunftmoral richten könne, hatte für die Demokratietheorie mißliche, für die politische Praxis verheerende Folgen“ (Habermas 1992: 608). Hellsichtig haben deshalb Robert A. Dahl und Charles Lindblom schon vor langer Zeit den Vorschlag unterbreitet, auf die Verwendung des (normativ überdehnten) Demokratiebegriffs zu verzichten und stattdessen besser von „Polyarchie“ zu sprechen. Zur Begründung wird angeführt: „Es bleibt fraglich, ob die Demokratie, sei es nun in ihrer realen oder nur vorgestellten Erscheinungsform, alle diese Tugenden oder auch nur eine davon besitzt. Ob in irgendeinem real existierenden politischen System die Herrschaftskontrolle seitens der Beherrschten tatsächlich in
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Einleitung
hohem Grade wirksam ist, muß ebenfalls bezweifelt werden. Das einzige, was wir von diesem System wissen, ist zunächst einmal die Tatsache, daß in ihnen das soziale Instrumentarium der Herrschaftskontrolle in einer einzigartigen und spezifischen Form ausgebildet ist. Um diesen Typ von System zu analysieren, sollte man nicht mit Annahmen über einen erst noch zu beweisenden Sachverhalt operieren, sondern lieber einen anderen Namen wählen und seine fünf Sinne beisammen halten“ (Lindblom 1983: 214). Zu denjenigen, die ihre fünf Sinne beisammen gehalten haben und hieraus die notwendigen wissenschaftlichen Konsequenzen gezogen haben, gehört Niklas Luhmann. Obwohl auch er den Demokratiebegriff verwendet, ist er im Gegensatz zu den „klassischen“ Demokratietheorien jedoch weit davon entfernt, in der Demokratie eine aus „ethischen“ oder „normativen“ Gründen besonders zu bevorzugende politische Herrschaftsordnung zu sehen. Natürlich will er damit nicht ausschließen, dass die Demokratie über eine Reihe von Vorzügen gegenüber anderen politischen Herrschaftsordnungen verfügt, doch sieht er diese Vorzüge gerade nicht im Bereich spezieller Normen oder Tugenden, sondern in Strukturen, Verfahren und politischen Arrangements. Insofern ist Luhmanns Beobachtung der Demokratie sehr viel nüchterner als viele zeitgenössische Verfechter der Demokratie und ihrer theoretischen Rechtfertigung. Sie ist zugleich aber auch sehr viel aufklärerischer, weil sie nicht etwas behauptet, das die Demokratie gar nicht leisten kann. Nicht zuletzt diese Gründe dürften ein wichtiger Anlass sein, sich intensiver mit Luhmanns Überlegungen zur Demokratie zu befassen. Es wird deshalb der Versuch unternommen, die Vielzahl der in seinem Gesamtwerk verstreuten demokratietheoretischen Überlegungen mit dem Ziel zu systematisieren, die Konturen einer „Systemtheorie der Demokratie“ herauszuarbeiten, die einige Annahmen der „klassischen“ Demokratietheorien als Mythen entlarven und die vielleicht darüber hinaus der Demokratieforschung neue Erkenntnisse und weiterführende Impulse zu geben vermögen. Am Beginn steht zunächst aber Luhmanns Frage, „(o)b systemtheoretische Analysen in einem Gegenstandsbereich wie Politik Vorteile bringen oder gar als wissenschaftlicher „Fortschritt“ angesehen werden können“ (Luhmann 1995: 109). Selbst wenn man den in der Frage mitschwingenden kokettierenden Unterton nicht weiter ernst nimmt, darf man sie heute doch mit Fug und Recht bejahen (Czerwick 2001a). Wäre Luhmann nämlich nicht davon überzeugt gewesen, dass systemtheoretische Analysen zu einem besseren Verständnis der Politik führen, warum hätte er sich so intensiv mit dem politischen System beschäftigen sollen? Auch haben seine eigenen Beiträge zur Systemtheorie der Politik im Rahmen seiner Theorie der Gesellschaft, wie immer man sie auch im Einzelnen beurteilen mag, überzeugend demonstriert, dass systemtheoretische Analysen nicht nur neue Perspektiven auf alte politische Probleme werfen können, sondern auch den Blick auf Probleme zu
Niklas Luhmann und die Theorie der Demokratie
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richten vermögen, die zuvor gar nicht oder nicht angemessen wahrgenommen worden sind. Von daher haben sie ohne Einschränkung zu einem besseren Verständnis von Politik geführt.3 In dem Luhmann zugleich im Zusammenhang mit der Formulierung seiner Frage darauf hingewiesen hat, dass „es nicht um Wahrheitsgewinne der Art (geht), daß das, was vorher für wahr gehalten wurde, nunmehr als unwahr zu gelten hat“ (Luhmann 1995: 109), hat er es gleichzeitig vermieden, die bisherigen wissenschaftlichen Arbeiten zur Politik abzuwerten. Was er zu bieten hat, ist ein wissenschaftliches Angebot zur Analyse von Politik, das zu zusätzlichen und weiterführenden Erkenntnissen über Politik führt. Luhmanns Systemtheorie führt aber nicht nur zu einem besseren Verständnis von Politik, sondern auch zu einer besseren Einsicht von dem, was landläufig als „Demokratie“ bezeichnet wird. Er hat sich im Laufe seiner wissenschaftlichen Tätigkeit immer wieder mit Fragen nach der funktionalen und strukturellen Bedeutung, dem politischen Stellenwert, den charakteristischen Merkmalen und der Überlebensfähigkeit von Demokratien auseinandergesetzt. Von daher kann der Versuch gewagt werden, das Potential seiner Arbeiten zur Demokratie für ein erweitertes oder auch für ein anderes Verständnis von Demokratie und für eine Weiterentwicklung der Demokratietheorie abzuschätzen. Es soll dabei auch untersucht werden, inwieweit und in welcher Weise Luhmanns Demokratievorstellungen Anschlussmöglichkeiten für die Demokratiediskussion bieten und inwieweit seine Ausführungen zur Demokratie ihrerseits an die Demokratietheorien anschließen. Insgesamt geht es also darum, welche neuen Perspektiven sich für die Demokratieforschung durch Luhmanns Arbeiten eröffnen. Um diese Aufgaben durchführen zu können, soll Luhmanns Konzeption von Demokratie (re-)konstruiert werden. Es soll aus den in seinem Werk verstreuten und nur selten kohärent entwickelten Vorstellungen von Demokratie sein Demokratieverständnis systematisch beschrieben und darauf hin geprüft werden, welche Möglichkeiten sie für eine theoretische Weiterentwicklung von Demokratie bieten. Eine solche Vorgehensweise scheint nicht nur deshalb vielversprechend, weil es bis jetzt abgesehen von einzelnen Arbeiten noch keine systematische Untersuchung zu Luhmanns Vorstellungen von Demokratie gibt, sondern vor allem auch deshalb, weil sich zwischen seinem Verständnis von Demokratie und demjenigen, das in den „klassischen“ Ansätzen und Theorien zur Demokratie zum Vorschein kommt, ein, zumindest auf den ersten Blick, tiefer Graben aufzutun scheint. Um sich von den „klassischen“ Demokratietheorien abzugrenzen, weist 3
Hier wird ausdrücklich nicht die Auffassung von Walter Reese-Schäfer (2002: 115) geteilt, welcher der Meinung ist, dass sich Luhmanns Systemtheorie im politikwissenschaftlichen Kontext nur „in der Heuristik“ als hilfreich erweisen könne und der zugleich betont hat, dass sie bei der Beantwortung der so aufgeworfenen Fragen kaum weiter helfe, „so dass wir hier wieder auf die herkömmliche politikwissenschaftliche Forschung zurückverwiesen sind.“
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Einleitung
Luhmann zum Beispiel darauf hin, dass der Demokratiebegriff nicht mehr länger als ein normatives Postulat verwendet werden könne, sondern als Richtungsangabe für Problemlösungen dienen müsse, „die mit hoher struktureller Unbestimmtheit und Variabilität komplexer System vereinbar, ja durch sie gefordert ist und gar nicht durch wertenden Vorentscheid von außen an das System herangetragen werden muß“ (Luhmann 1983c: 35-36). Die Normen der Demokratie, die von den „klassischen“ Demokratietheorien in der Regel als Ergebnis der Vereinbarungen von Menschen über die Art und Weise ihres Zusammenlebens und die Gestaltung ihres Gemeinwesens interpretiert werden, werden bei ihm vom politischen System absorbiert und zu Systemkategorien transformiert, die von menschlichen Intentionen und Handlungen weitgehend unabhängig gedacht werden.4 Es ist das soziale (hier das politische) System, das sich selbst die „Norm“ gibt, wobei der Gehalt der „Norm“ durch die gesellschaftliche Evolution, die zu einer Steigerung der gesellschaftlichen und politischen Komplexität führt, bestimmt wird. Im Unterschied zu den „klassischen“ demokratietheoretischen Ansätzen ist für Luhmann Demokratie also nicht das Ergebnis menschlicher Intentionen, Interessen und Aktionen, sondern vielmehr das „systemische“ Resultat evolutionärer Prozesse, die sich menschlicher Absichten und Steuerungsversuchen entziehen, trotzdem jedoch auf diese angewiesen bleiben. Demokratie ist also nicht „menschengemacht“, selbst wenn Menschen an ihrem Zustandekommen natürlich beteiligt sind, sondern sie verdankt ihre Existenz zunächst eher Zufällen als planvollen Handlungen. Es gibt für Luhmann insofern auch keinen „Masterplan“ der Demokratie, sondern nur politische Kommunikationen, die strukturelle Folgen haben, die wiederum zu dem führen, was wir uns angewöhnt haben als „Demokratie“ zu beobachten und zu beschreiben. Das schließt mit ein, dass dort, wo sich demokratische Strukturen erst einmal durchgesetzt haben, diese Strukturen den Möglichkeitsraum für weitere evolutionäre Zufälle einschränken. Hat sich Demokratie erst einmal etabliert, spricht nach Luhmann Einiges dafür, dass sie jetzt auch in der Lage ist, sich selbst zu reproduzieren. Allerdings würde es zu weit gehen, wollte man aus diesen Aussagen die Schlussfolgerung ableiten, dass damit Demokratie auf ewig garantiert und man am Ende der Geschichte angekommen sei. Vielmehr bleibt die Demokratie als eine spezifische Form von politischer Ordnung trotz „eingebauter“ Stabilisierungsmechanismen wie jede andere Ordnung gefährdet.5 Das betrifft nicht nur 4
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Dies hat Claus Offe offenbar übersehen, der Luhmann vorgeworfen hat, „einen normativ bis auf die Knochen abgemagerten Demokratiebegiff zum Ausgangspunkt zu wählen“ (Offe 1986: 218). In ähnlicher Weise argumentiert auch Jürgen Habermas, wenn er von einer „fetischierende(n) Verfremdung einer Systemtheorie“ spricht, „die alles Normative abräumt und die Möglichkeit einer fokusbildenden Kommunikation der Gesellschaft über sich als ganze analytisch ausschließt“ (Habermas 1992: 620). Grundlegend Eckstein (1992).
Niklas Luhmann und die Theorie der Demokratie
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die sogen. „Transformationsländer“, die sich dem westlichen Demokratiemodell verpflichtet fühlen und darum bemüht sind, trotz vielfältiger Widerstände und Hindernisse demokratische Strukturen aufzubauen. Es gilt, wenn auch in anderer Form, selbst für die Staaten, in denen die Demokratie sich erfolgreich durchgesetzt hat. In diesen Ländern ist die Demokatie heute vor allem in vierfacher Weise gefährdet. Zum einen durch den Abbau von Freiheitsrechten und den unkontrollierten Ausbau der Sicherheits- und Geheimdienste im Zuge des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus. Damit werden nicht nur die normativen und moralischen, sondern auch die strukturellen Voraussetzungen der Demokratie ausgezehrt bzw. überdehnt, die zu ihrer Rechtfertigung als unverzichtbar erscheinen. Zum zweiten sind sie dadurch in Gefahr, dass sich die Möglichkeiten politischer Interventionen in ökonomische Abläufe durch die Globalisierung immer mehr abschwächen (Crouch 2004: passim). Von daher wird der Bereich, in dem Demokratie politisch überhaupt wirksam werden kann, drastisch eingeschränkt und in zunehmenden Maße auf „sekundäre“ Probleme beschränkt. Drittens stehen die demokratischen politischen Systeme vor dem Problem, dass sie immer weniger in der Lage zu sein scheinen, die Probleme „ihrer“ Gesellschaften zu lösen, weil sie sich immer mehr selbst blockieren. Und schließlich macht sich viertens allenthalben Ernüchterung darüber breit, dass die mit der Demokratie verbundenen ideellen und ökonomischen Erwartungen nicht eingelöst werden (können). Das utopische Potential, das in der Demokratie angelegt ist und aus dem viele Menschen ihre Bereitschaft ableiten, sich politisch zu engagieren, hat sich ganz offensichtlich abgeschwächt (Habermas 1992a: 105-129). Insofern ist die Zukunft der Demokratie6, die für Luhmann so wichtig ist, keineswegs gesichert, zumal aus seiner Perspektive die Demokratie den Keim ihrer Beseitigung schon immer in sich trägt. Als eine höchst unwahrscheinliche Errungenschaft ist die Demokratie für ihn, zumindest mittel- und langfristig, immer in Gefahr. Deshalb ist die Zukunft der Demokratie prinzipiell offen. Das Einzige, was nach Luhmann in dieser Situation möglich und erfolgversprechend ist, ist nicht politisches Handeln, also Praxis, sondern Theorie. Nur durch bessere Theorien ist es möglich, Demokratie und ihre Gefährdungspotenziale zu verstehen. Dies mag für viele auch deshalb nur ein schwacher Trost sein, weil nach Luhmann eine bessere Theorie nicht zwangsläufig auch eine vernünftigere Praxis zur Folge hat. Schon diese wenigen Anmerkungen zu Luhmanns Überlegungen zur Demokratie lassen erkennen, dass er, im Gegensatz zu den meisten Demokratietheoretikern, der politischen Praxis in der Demokratie und den Möglichkeiten, die Demokratie gezielt zu stabilisieren oder zu demokratisieren, keine großen Chancen einräumt. Es kommt ihm deshalb auch nicht darauf an, mehr oder weniger 6
Hierzu ausgreifend Schmidt (2006).
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Einleitung
kluge Ratschläge für die Bewahrung und Weiterentwicklung der Demokratie zu geben. Worauf er stattdessen großen Wert legt, ist auf die strukturellen bzw. „systemischen“ Voraussetzungen der Demokratie aufmerksam zu machen. In ihnen sind die Maßstäbe enthalten, um die Demokratie vor noch so gut gemeinten politischen Anforderungen zu schützen. Luhmann begibt sich damit in die Rolle eines Beobachters der Demokratie. Dabei beobachtet er aber nicht „die“ Demokratie, sondern er beobachtet vielmehr, wie wirtschaftliche, wissenschaftliche oder politische Akteure die „Demokatie“ wahrnehmen, und er beobachtet weiterhin, welche Folgerungen sie aus ihren jeweiligen Wahrnehmungen für „die Demokratie“ ziehen. Für diejenigen, die beobachten wie Luhmann Demokratie beobachtet, stellt sich die Frage, von welchem Standpunkt aus er eigentlich „Demokratie“ beobachtet.7 Man kann ja nicht davon ausgehen, dass er seine Beobachtungen ohne eigenen Referenzpunkt vornimmt oder sich allein auf die Beschreibung dessen zurückzieht, wie die von ihm beobachteten Akteure Demokratie beobachten.8 Es wird in dieser Arbeit also auch darum gehen müssen, Luhmanns Beobachtungsstandpunkt zu beschreiben, der in erster Linie in seiner Theorie der Gesellschaft zu suchen ist. Aber auch für uns stellt sich natürlich die Frage, von welchem Standpunkt wir eigentlich Luhmanns Demokratiebeobachtungen beobachten. Denn auch wir müssen ja, ob wir es wollen oder nicht, einen Beobachtungsstandpunkt beziehen. Wir werden uns bei der Wahl des Standpunktes von unserer Fragestellung leiten lassen. Wir werden also Luhmanns Beobachtungen der Demokratie darauf hin beobachten, ob seine demokratietheoretischen Ausführungen den Referenzpunkten und dem Stand der politik- bzw. sozialwissenschaftlichen Demokratieforschung entsprechen. In einem zweiten Schritt werden wir, sozusagen über Luhmann hinausgehend, danach fragen, ob sich aus seinen Beobachtungen für die Demokratieforschung neue und weiterführende Fragestellungen und Erkenntnisse ergeben. Referenzpunkte wären in diesem Fall die „blinden Flecken“9 der „klassischen“ Demokratietheorien. Im ersten Kapitel stehen das Verhältnis von Systemtheorien und Demokratietheorien sowie die Besonderheiten systemtheoretischen Denkens und die Möglichkeiten, sie auf „Demokratie“ zu übertragen, im Vordergrund der Ausführungen. Im Anschluss daran sollen die politikwissenschaftliche Demokratiediskussion und Luhmanns Demokratiekonzeption in Beziehung gesetzt und nach dem Stellenwert von Luhmanns Arbeiten in der Politikwissenschaft gefragt werden. In den darauf folgenden Kapiteln werden die verschiedenen Facetten seiner De7 8 9
Zu den damit verbundenen Problemen Luhmann (1994, 1996d, 2002b). Siehe hierzu auch die von Luhmann in einem anderen Zusammenhang angestellten Überlegungen (Luhmann 1993: 17). Zur Beobachtung der Beobachter und zu den „blinden Flecken“ siehe von Foerster (1981), Luhmann (2002b: 65 und die Zusammenfassung von Esposito (2005).
Niklas Luhmann und die Theorie der Demokratie
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mokratiekonzeption aufgearbeitet. Zunächst geht es um die nähere Bestimmung der Stellung und Bedeutung von Demokratie innerhalb seiner Gesellschaftstheorie und um eine Rekonstruktion seines Verständnisses von Demokratie. Daran anschließend wird der Zusammenhang von gesellschaftlicher Evolution und Demokratie thematisiert und Demokratie als eine unwahrscheinliche evolutionäre Errungenschaft konzipiert, für die die funktionale Ausdifferenzierung der Gesellschaft ebenso unverzichtbar ist10 wie die Positivierung des Rechts. Beide, sowohl die gesellschaftliche Ausdifferenzierung als auch die Positivierung des Rechts bewirken ein Maß an gesellschaftlicher Komplexität, das für die Durchsetzung und Stabilisierung von Demokratie eine unverzichtbare Voraussetzung darstellt. Da Luhmann Demokratie aber nicht als eine gesellschaftliche, sondern als eine politische Ordnungskonzeption ansieht und sie von daher auf den engeren Bereich des politischen Systems reduziert11, werden in den folgenden Kapiteln das politische System der Demokratie und das demokratische System der Politik diskutiert. Hierbei geht es zum einen um die gesellschaftliche Stellung des politischen Systems, seine Subsysteme und deren jeweiliges Verhältnis zur Demokratie sowie um die öffentliche Meinung als eine Form „demokratischer“ Selbstbeobachtung und Selbstvergewisserung des politischen Systems. Zum anderen geht es hierbei aber auch um Luhmanns Beschreibung von Demokratie als Strukturbegriff des politischen Systems, in dessen Mittelpunkt neben dem Verhältnis von Regierung und Opposition auch die Beziehungen zwischen den Parteien und Wahlen stehen sowie um das Selbstverständnis des politischen Systems als Demokratie. Dabei werden vor allem die Selbstbeschreibung des politischen Systems als Demokratie, die Reflexionstheorien der Demokratie sowie der Einsatz der Demokratie als Legitimationsformel im Mittelpunkt der Überlegungen stehen. Damit ist auch die Überleitung gefunden zur Praxis der Demokratie und zu der Frage, warum eigentlich Demokratie? Im Gegensatz zu den meisten Demokratietheoretikern, die trotz ihrer unzähligen Defekte in der Demokratie die beste politische Ordnung zur Wahrung der Menschen- und Bürgerrechte und zur Selbstbestimmung des Volkes sehen, ist sie für Luhmann vor allem eine spezifische Form zur Lösung politischer Probleme. Genau darin sieht er auch die größten Gefährdungen für die Demokratie, die in einer doppelten Selbstüberforderung zum Ausdruck kommen können: sie entsteht zum einen dadurch, es allen Menschen bei der Lösung gesellschaftlicher Probleme recht zu machen, was schließlich zu einem nicht mehr kontrollier- und steuerbaren „Wohlfahrtsstaat“ führt. Zum anderen kommt es zur Selbstüberfor10 11
So ähnlich übrigens auch schon Laski (1934: 84). Im Gegensatz dazu siehe zum Beispiel die republikanische Auffassung von Demokratie, wie sie insbesondere von Hannah Arendt vertreten wird (Arendt 1953, 1958, 1993: 9-133; zusammenfassend Breier (1992).
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Einleitung
derung durch Versuche, die Demokratie zu demokratisieren. Neben diesen Formen der Selbstüberforderung der Demokratie befürchtet Luhmann aber auch, dass im Zuge der Lösung politischer Probleme die gesellschaftliche Komplexität zu weit abnehmen könnte, wodurch sie als notwendige Voraussetzung für die Demokratie ausfallen würde. Aus der Perspektive Luhmanns betrachtet kann die erfolgreiche Lösung gesellschaftlicher Probleme durch das politische System also von zweifelhaften Wert sein. Um Komplexitätseinbußen zu vermeiden, böte es sich deshalb an, die Engführung der Demokratie auf das politische System aufzugeben und die Demokratie als politische Ordnung auf die Gesellschaft insgesamt auszuweiten. Für Luhmann ist dies jedoch keine sinnvolle Alternative, und Demokratie insofern auch kein Exportmodell für die Gesellschaft bzw. für ihre Subsysteme. Er befürchtet nämlich, dass durch den Import von Demokratie seitens der anderen gesellschaftlichen Subsysteme die Logik des politischen Systems auf die gesamte Gesellschaft übertragen werden könnte, was für ihn zugleich bedeuten würde, dass die erreichte gesellschaftliche Ausdifferenzierung wieder rückgängig gemacht werden würde. Letzten Endes würde diese Entdifferenzierung eine so starke Reduktion der gesellschaftlichen Komplexität beinhalten, dass damit zugleich auch die Lebensfähigkeit der Demokratie in Frage gestellt wäre. Am Ende dieser Arbeit soll schließlich der Versuch unternommen werden, den wissenschaftlichen Stellenwert von Luhmanns Demokratiekonzeption zu bilanzieren und eine Antwort auf die eingangs aufgeworfenen Fragen nach ihrer Anschlussfähigkeit und ihrem Weiterentwicklungspotenzial zu geben. Es soll aber auch versucht werden, den normativen Kern seiner demokratietheoretischen Vorstellungen herauszuarbeiten. Dieser beruht auf einer Freiheit, die nichts oder nur wenig mit der Freiheit des oder der Individuen zu tun hat, sondern als eine „systemische“ Freiheit betrachtet werden muss, die auf Kontingenzerhalt und Kontingenzsteigerung gerichtet ist. Alles in allem ist also weder daran gedacht, eine Art Wirkungsgeschichte der Luhmannschen Ausführungen zur Demokratie zu schreiben, noch soll es vordergründig darum gehen, seinen Vorstellungen von Demokratie Widersprüche, Inkonsistenzen und Mängel nachzuweisen12, obwohl dies aufgrund der Unklarheiten vieler seiner Äußerungen natürlich nicht vermieden werden kann und auch nicht vermieden werden soll. Um Luhmanns demokratietheoretische Überlegungen zu untersuchen und zu systematisieren, werden seine öffentlich zugänglichen Publikationen herangezo12
Zur Kritik an Luhmann siehe Rödel u.a. (1989: 143-154), die auf der Basis einer völlig unzureichenden Literaturanalyse zu dem folgenden Ergebnis kommen: „Indem der Systemtheoretiker diese Perspektive (gemeint ist „das symbolische Dispositiv einer demokratischen Republik und seiner institutionellen Umsetzungen“, E.C.) abwehrt und von Demokratie nicht viel hält, gibt er sich als eher ängstlicher Ordnungsfreund zu erkennen, dem es darum geht, möglichst ungestört die heile Systemwelt theoretisch zu verwalten“ (Ebenda: 154). Im Gegensatz zu dieser simplifizierenden „Kritik“ siehe Habermas (1988: 426-445); Brodocz (2001: 485-489); Greven (2001); Krumm/Noetzel (2001).
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gen. Bei ihrer Auswertung wird in vielen Fällen der Kontext ausgeblendet, in dem er seine Ausführungen zur Demokratie gemacht hat. Dies betrifft vor allem solche Bemerkungen zur Demokratie, die er immer wieder „nur so nebenbei“ in seinen Büchern und Aufsätzen hat einfließen lassen13, und für die deswegen der Kontext keine so große Bedeutung für die Analyse seines Demokratieverständnisses hat. Dennoch stellt sich in diesem Zusammenhang das Problem, in welcher Form Luhmanns Ausführungen zur Demokratie am sinnvollsten untersucht werden können. Soll man eine chronologische Vorgehensweise wählen oder soll man einer systematischen Vorgehensweise den Vorzug geben? Eine chronologische Vorgehensweise wäre vor allem dann angemessen, wollte man die Entwicklung des Luhmannschen Verständnisses von Demokratie beschreiben, um eventuell einige im Laufe der Zeit sich einstellende Veränderungen aufzuzeigen. Da dies nicht intendiert ist, bietet sich stattdessen für die hier verfolgte Fragestellung eine systematische Vorgehensweise an, die vor allem auch deshalb angemessen ist, weil sich Luhmann nicht kontinuierlich, sondern nur sporadisch mit dem Thema Demokratie beschäftigt hat. „Systematische Vorgehensweise“ soll heißen, dass der Versuch unternommen wird, seine demokratietheoretischen Anmerkungen, Hinweise und Beiträge nach bestimmten Begriffen und Sachverhalten zu ordnen, in den allgemeinen Rahmen seiner Gesellschaftstheorie zu verorten und schließlich die zwischen ihnen bestehenden Verbindungen und Abhängigkeiten darzustellen. Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass es aus prinzipiellen Erwägungen heraus nur sehr beschränkt möglich ist, die Überlegungen einer anderen Person zu „verstehen“. Man wird deshalb davon ausgehen müssen, dass Luhmanns Vorstellung und Verständnis von Demokratie immer nur unvollständig erschlossen werden kann. Bei der Rekonstruktion seines Demokratieverständnisses ist man außerdem ständig der Gefahr ausgesetzt, nicht Luhmanns Vorstellungen von Demokratie heraus zu arbeiten, sondern stattdessen die eigenen Vorstellungen von Demokratie in Luhmanns Arbeiten hervortreten zu lassen. Dieser Gefahr wird man wohl nie vollständig begegnen können.14 Sie soll aber dadurch abgemildert werden, dass Luhmann immer wieder in Zitatform selbst zu Wort kommen wird.
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Dieser Umstand führt Hans-Joachim Giegel (2002: 195) zu der interessanten Frage, ob man Luhmanns Systemtheorie benötige, „um die Aussagen zur Demokratie zu gewinnen, wie wir sie bei Luhmann finden?“ Die Antwort, die ich im folgenden geben werde, lautet: „teilweise schon!“, wobei nicht immer klar sein dürfte, welche Teile seiner Systemtheorie Beachtung finden müssen und welche ignoriert werden können. Was in Beiträgen zu und über Luhmann immer wieder auffällt, ist, dass viele Autoren zunächst an seine Überlegungen anknüpfen, dann aber sehr schnell zu ihren eigenen Arbeitsgebieten vorstoßen. Dabei wird nicht selten Luhmanns Begrifflichkeit „ersetzt“ oder sogar „weiterentwickelt“. Die Mixtur, die hierbei entsteht, ist gelegentlich kaum nachvollziehbar.
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Schaut man sich die einschlägige politikwissenschaftliche Literatur zur Demokratietheorie etwas näher an, stellt man rasch fest, dass den Systemtheorien15 keine Bedeutung für ein besseres Verständnis der Theorie und Praxis demokratischer Systeme und ihrer Theorie(n) zugebilligt wird.16 Selbst wenn zugestanden wird, dass sozialwissenschaftliche Systemtheorien wichtige Beiträge zum besseren Verständnis der Politik erbracht haben, so wird ihre Leistung zur Weiterentwicklung der Demokratietheorie anscheinend sehr gering eingeschätzt, trotz der vielen empirischen Studien über die Demokratie, die auf eine Reihe systemtheoretischer Konzepte wie der politischen Kultur, der Performanz oder der Unterstützung („support“) politischer Systeme zurückgegriffen haben. Dennoch hat sich in den letzten Jahren mit einer Ausnahme (Massing/Breit (Hrsg.) 2005) keiner der zur Demokratietheorie publizierten Sammelbände näher mit den politikwissenschaftlichen Systemtheorien auseinandergesetzt. In den folgenden Ausführungen soll es deshalb zunächst ganz allgemein um die Bedeutung und den Stellenwert von Demokratie im Kontext systemtheoretischer Analysen gehen, um vor diesem Hintergrund die Relevanz der demokratietheoretischen Ausführungen Luhmanns besser abschätzen und in einen größeren theoretischen Zusammenhang einordnen zu können. Jedoch ist sogleich darauf aufmerksam zu machen, dass sich die Vertreter der Systemtheorie, zu nennen wären hier in erster Linie David Easton, Karl W. Deutsch und Gabriel A. Almond für die Politikwissenschaft und neben Niklas Luhmann Talcott Parsons, Richard Münch und Helmut Willke für die Soziologie, zumeist nur am Rande mit demokratietheoretischen Fragen auseinandergesetzt haben. Angesichts dieser Ausgangslage darf man also keine allzu großen Hoffnungen hinsichtlich der Existenz einer wie auch immer elaborierten Systemtheorie der Demokratie hegen. Allerdings wäre es 15
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Wenn hier und in den folgenden Ausführungen von „Systemtheorie“ die Rede ist, sind immer die sozialwissenschaftlichen Systemtheorien gemeint. Diese können wiederum grob unterteilt werden in politikwissenschaftliche Theorien des politischen Systems und in Gesellschaftstheorien des politischen Systems. Anders wohl Waschkuhn, der in seinem Buch über Demokratietheorien zwar auf wichtige Aspekte in den Arbeiten bekannter Systemtheoretiker eingeht, allerdings ohne dabei, mit Ausnahme einiger allgemeiner Bemerkungen zu Luhmanns Demokratieverständnis, den Bezug zur Demokratie herzustellen (Waschkuhn 1998: 356-410).
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aber auch falsch, wenn aus diesem Tatbestand die Schlussfolgerung gezogen werden würde, dass die Vertreter der Systemtheorie kein Interesse an oder keine Vorstellung von Demokratie und ihrer gesellschaftlichen Bedeutung gehabt hätten. Für Talcott Parsons zum Beispiel sind demokratische Associationen eine von sieben „evolutionären Universale“ (Parsons 1979: 69-72)17 und bei Gabriel Almond hat die Demokratie Modell- und Leitbildcharakter für die vergleichende Analyse politischer Systeme. Ausgangspunkt des systemtheoretischen Denkens ist die Unterscheidung zwischen System und Umwelt. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie sich soziale Systeme gegenüber ihren Umwelten behaupten, wie sie mit den Anforderungen aus den Umwelten umgehen, wie sie auf die Umwelten einwirken und welche Reaktionen sie mit ihren Aktionen sowohl in den Umwelten als auch in Bezug auf sich selbst auslösen. Im Gegensatz zu den „klassischen“ Demokratietheorien, die davon ausgehen, „daß die politische Willensbildung unmittelbar theoriefähig sei und sich nach einer vorgängig konsentierten Vernunftmoral richten könne“(Habermas 1992: 608), besteht die zentrale gesellschaftliche Funktion demokratischer Systeme aber nicht darin, demokratisch zu sein oder Demokratie zu praktizieren, sondern vielmehr in der Vorbereitung, Durchsetzung und Rechtfertigung von allgemeinverbindlichen Entscheidungen, die auf die Lösung politischer und/oder gesellschaftlicher Probleme gerichtet sind. Diese Problemlösungen sind wiederum zwangsläufig mit der (in der Regel) konflikthaften Verteilung gesellschaftlicher Güter und Werte verbunden, so dass politische Systeme bei der Durchsetzung ihrer Entscheidungen auf die Androhung oder den Einsatz von Macht zurückgreifen müssen. Als oberstes Ziel allgemeinverbindlicher Entscheidungen wird die Stabilisierung im Sinne einer dynamischen Selbsterhaltung der politischen Systeme angenommen, wobei die Selbsterhaltung nicht, wie fälschlich immer wieder behauptet wird, auf die Systemstrukturen gerichtet ist, sondern auf die Sicherstellung der Funktionen, die die politischen Systeme für die Gesellschaft (als Umwelt) und für sich selbst erbringen. Solange es den politischen Systemen gelingt, ihre Funktionen aufrecht zu erhalten und allgemeinverbindliche Entscheidungen zu treffen und durchzusetzen, so lange gilt ihre Existenz als gesichert, unabhängig davon, wie sehr sich im Laufe der Zeit ihre Strukturen und Ideologien auch verändern mögen. Die gesellschaftliche Funktion politischer Systeme, kollektiv verbindliche Entscheidungen zu treffen, gilt sowohl für demokratische politische Systeme als 17
Unter „evolutionäre Universale“ versteht Parsons „jede in sich geordnete Entwicklung oder „Erfindung“, die für die weitere Evolution so wichtig ist, dass sie nicht nur an einer Stelle auftritt, sondern dass mit großer Wahrscheinlichkeit mehrere Systeme unter ganz verschiedenen Bedingungen diese „Erfindung“ machen“ (Parsons 1979: 55). Zu Parsons Demokratievorstellung siehe Baum (1998) sowie Gerhardt (2002: 75-79, 260, 276-280).
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auch für autoritäre und totalitäre politische Systeme. Unterschiede bestehen zwischen den verschiedenen Typen politischer Systeme zum einen darin, wie offen sie jeweils gegenüber ihren Umwelten sind. Folgt man systemtheoretischen Überlegungen, zeichnen sich demokratische Systeme nicht zuletzt dadurch aus, dass die Zugangskanäle zum politischen Entscheidungssystem sehr vielfältig sind, die Besetzung der politischen Führungsämter durch freie, gleiche, allgemeine und geheime Wahlen an das Volk zurückgebunden sind und die Möglichkeiten, aus der Umwelt auf das politische System ein- und mitzuwirken, breit ausdifferenziert sind. Darüber hinaus sind demokratische politische Systeme durch ein hohes Maß an Subsystemautonomie gekennzeichnet. Die Subsysteme in autoritären oder totalitären politischen Systemen sind dagegen funktional, personell und ideologisch engstens mit der jeweiligen Staatspartei verknüpft, während sie in demokratischen Systemen weitgehend unabhängig gegenüber den Parteien und dem Staat sind. Almond/Powell differenzieren demokratische Systeme sogar noch einmal nach dem jeweiligen Grad der Autonomie ihrer Subsysteme. Sie unterscheiden zwischen „premobilized democratic systems“, „low-autonomy democratic systems“, “limited-autonomy democratic systems” und “high-autonomy democratic systems” (Almond/Powell 1978: 72-76).18 Schließlich heben sich die demokratischen politischen System von autoritären oder totalitären Systemen neben den bereits erwähnten Unterschieden noch dadurch ab, dass sie über typische Formen der Selbstbeschreibung und der Legitimation politischer Herrschaft verfügen. Aufgrund ihrer Besonderheiten wirken demokratische politische Systeme auf dem ersten Blick sehr viel instabiler als zum Beispiel autoritäre politische Systeme. Aber gerade aus dieser Instabilität ergibt sich für die demokratischen Systeme ein höheres Maß an Stabilität, weil mit ihr eine größere Zahl von Handlungsoptionen verbunden ist19, während die vermeintliche Stabilität autoritärer politischer Systeme paradoxer Weise eher zur Instabiliät neigt, da sie nur auf wenige Handlungsoptionen zurückgreifen können.20 Der Unterscheidung zwischen den verschiedenen Typen von politischen Systemen liegt in den meisten Fällen implizit die Differenzierung zwischen Politik und Demokratie zugrunde. Man vermeidet es also, Politik von vornherein mit 18 19 20
Siehe auch Almond/Powell (1966: 259-260, 291-298, 310-311). Eine andere Klassifikation findet sich noch bei Almond (1979: 221-226). Dort wird unterschieden zwischen Vormundschaftsdemokratien, Immobilistische Demokratien und Stabile Demokratien. Siehe hierzu Harry Ecksteins „Theory of stable democracy“ (1992) sowie am Beispiel politischer Kultur Almond (2002: 198-200). Aus der Zahl der einem politischen System zur Verfügung stehenden Handlungsoptionen lassen sich also Annahmen über den Charakter politischer Systeme und ihrer Stabilität ableiten. Aber dies allein reicht natürlich nicht aus. Hinzutreten muss auch die Bereitschaft, die zur Verfügung stehenden Handlungsoptionen ernsthaft hinsichtlich ihrer Praxistauglichkeit zu prüfen und flexibel und variabel einzusetzen.
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einer bestimmten politischen Herrschaftsordnung zu identifizieren. David Easton, dessen Ausführungen hierzu beispielhaft herangezogen werden können, zweifelt sogar daran, „whether we can ever secure the most reliable understanding of how democracies emerge and function unless we are able to invent a conceptual framework that applies to a much broader range of system types“ (Easton 1965: 15). Er geht davon aus, dass es erst im Rahmen einer allgemeinen und vergleichend angelegten (Easton 1959)21 Theorie der Politik und politischer Systeme möglich ist, Aussagen über demokratische politische Systeme und daran anschließend auch über Demokratie zu machen. Demokratietheorien sind für ihn deshalb auch nur „partial theories“ (Easton 1965: 480-481), und Analysen über die Probleme von Demokratien, zumindest auf theoretischer Ebene, demzufolge auch nur von zweitrangiger Bedeutung (Easton 1965: 481). Da der Politikbegriff der Systemtheorien also über politische Ordnungskonzeptionen hinaus reicht, ist für sie Demokratie nur eine besondere Form politischer Strukturen, die sich gegenüber nichtdemokratischen Politiken abgrenzen lassen.22 Erst demokratische und nichtdemokratischen Politiken zusammengenommen erlauben nach dieser Auffassung verallgemeinerbare Aussagen über Politik. Programmatisch haben dies Almond/Powell (1972: 414) wie folgt auf den Punkt gebracht: „But our purpose is to develop an analytical scheme which will enable us to explain the characteristics of any political system.“ Sozialwissenschaftliche Systemtheorien neigen jedoch dazu, einem sehr pragmatischen Verständnis von Demokratie zu folgen, man könnte es auch als zirkulär bezeichnen. Wenn politische Systeme bestimmte Strukturen und Eigenschaften aufweisen, die als „demokratisch“ gelten, werden sie als Demokratien bezeichnet. Demnach ist die Klassifikation politischer Systeme als Demokratie von formalen Merkmalen abhängig, von denen man, wie bei freien Wahlen, Gewaltenteilung oder Rechtsstaatlichkeit, der Auffassung ist, dass sie zur Demokratie gehören. Von daher besteht bei Systemtheorien trotz der Trennung zwischen Politik und Demokratie die Neigung, demokratische politische Systeme ohne jede weitere Differenzierungen mit „Demokratie“ gleichzusetzen. Daneben orientiert sich der systemtheoretische Demokratiebegriff aber auch an allgemein anerkannten Normen und Werten, die jedoch nicht isoliert betrachtet werden, sondern die als eng verbunden mit den demokratischen Strukturen angesehen werden. Dementsprechend ist es für die Vertreter der Systemtheorie von zentraler Bedeutung, dass die Strukturen politischer Systeme so gestaltet sind, dass 21 22
„By classifying systems as democratic, authoritarian, totalitarian, traditional, or modernizing, we are attributing to each type of system different characteristic modes of operation“ (Easton 1965a: 93). Easton spricht in diesem Zusammenhang von den „essential variables“ der verschiedenen Typen politischer Systeme (Easton 1965a: 92-97).
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diese in der Lage sind, demokratischen Werten wie Freiheit, Gleichheit oder Gerechtigkeit praktische Geltung zu verschaffen. Ihr Ausgangspunkt ist dabei das Modell eines voll entwickelten politischen Systems, das über ein hohes Maß an Eigenkomplexität sowie über Eigenschaften verfügt, wie sie nur demokratische politische Systeme besitzen (besonders deutlich bei Almond u.a. 1995: 2940). So wird immer wieder darauf hingewiesen, dass demokratische Systeme eine außerordentlich komplexe innere Organisation aufweisen, offen gegenüber Umweltanforderungen sind, ein hohes Maß an Lernfähigkeit besitzen und über die Kapazität verfügen, „to transform themselves, their goals, practices, and the very structure of their internal organization (Easton 1965a: 99). So gesehen orientieren sich die Vertreter der Systemtheorie, ohne dies jedoch immer auszusprechen, an den westlichen demokratischen Staaten, die als Vorbilder für den am weitesten fortgeschrittenen Entwicklungsstand politischer Systeme betrachtet werden. Abweichungen von diesem (demokratischen) Entwicklungsstand werden dementsprechend als defizitär verstanden. Zusammenfassend lässt sich feststellen, daß das Politikverständnis der Vertreter der Systemtheorie auf einem demokratischen Politikmodell aufbaut. Diese Modell beruht konzeptionell auf dem Zusammenwirken von vier politischen Dimensionen, die eine Vielzahl von Überschneidungs- und Berührungspunkten zu den „klassischen“ Varianten von Demokratietheorien erkennen lassen. Im Einzelnen sind dies die Anforderungen, die aus der Umwelt an das politische System gestellt werden („Input“), die Umwandlung der Umweltanforderungen in politische Entscheidungen („Konversion“ oder „Transformation“), die Durchsetzung von politischen Entscheidungen („Output“) und schließlich die Auswirkungen der Entscheidungen auf das politische System und auf seine Umwelt („Rückkopplung“). „Demokratisch“ ist nach diesem Modell ein politisches System, wenn die Politik gegenüber Umweltanforderungen „offen“ und „responsiv“23 ist, wenn die Bürger in freien Wahlen Einfluss auf die personelle Zusammensetzung des politischen Entscheidungssystems nehmen und die gesellschaftlichen Akteure auf den politischen Entscheidungsprozess unmittelbar einwirken können und wenn die politischen Entscheidungen den Bedürfnissen einer Mehrheit der Bevölkerung entgegen kommen. Der Akzent systemtheoretischer Analysen liegt demnach also neben den Konstruktionsmerkmalen politischer Systeme vor allem auf den Prozessen, die das Verhältnis zwischen dem System und seiner Umwelt überbrücken. Systemtheoretiker gehen deshalb auch mehr oder weniger explizit davon aus, dass in demokratischen Systemen der für das Operieren und das Überleben politischer Systeme so entscheidende Rückkopplungsprozess zwischen Bürgern und politischen 23
“In democracies outputs of regulation, extraction, and distribution are more affected by inputs of demands from groups in the society. Thus we may speak of democracies as having a higher responsive capability” (Almond/Powell 1972: 409).
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Eliten am besten funktioniert (Sorzano 1975: 103-105). Pointiert könnte man sogar sagen, dass ein politisches System um so demokratischer ist, je offener es gegenüber Umweltanforderungen und Umwelteinflüssen ist, die von der Mehrheit der Gesellschaftsmitglieder getragen und unterstützt werden und je mehr im Konversionsprozess diesen Anforderungen und Einflüssen Rechnung getragen wird. Mit diesen kurzen Ausführungen wird deutlich, dass der Zugang der Systemtheorie zur politischen Realität „systemisch“ ausgerichtet ist. Das heißt zunächst einmal, dass Politik nur aus einer ganzheitlichen Analyseperspektive beschreibbar und erklärbar ist (Rohe 1994: 120-130). Zum anderen bedeutet eine solche Betrachtungsweise aber auch, dass Politik als das Ergebnis von Prozessen aufgefasst wird, die emergente Eigenschaften und ermergente Ergebnisse aufweisen. Sie lässt sich deshalb als die Folge der Kommunikationen und Interaktionen24 zwischen Menschen, Gruppen, Verbänden, Organisationen oder Institutionen verstehen, die Wirkungen hervorbringen, die nicht aus den Zielen und Interessen individueller oder kollektiver Akteure abgeleitet und erklärt werden können, sondern die sich erst aus den Interaktionen selbst ergeben und die insofern eine politische Realität hervorbringen, die von niemanden bewusst angestrebt worden ist. „A systems approach shows how individual actors following simple and uncoordinated strategies can produce aggregate behvior that is complex and ordered, although not necessarily predictable and stable“ (Jervis 1999: 7).25 Emergente Prozesse sind deshalb „jene Eigenschaften eines Systems, die aus den Eigenschaften seiner Elemente nicht erklärbar sind, die mithin neu und charakteristisch nur und erst für die Ebene des jeweiligen Systems sind. Diese Eigenschaften sind nicht den Elementen zuzurechnen, sondern der bestimmten selektiven Verknüpfung der Elemente im Kontext des Systems“ (Willke 1993: 278). Aus einer solchen Perspektive drängt sich unweigerlich die Frage auf, ob nicht gerade die Demokratie und die demokratischen politischen Systeme die Folge solcher emergenter Prozesse sind, statt, wie die einschlägige demokratietheoretische Literatur es nahe legt, das Resultat absichtsvollen politischen Handelns ist, das sich der Durchsetzung spezifischer politischer Ideen oder Interessen verschrieben hat. Zum Beispiel hat die sogen. „empirische“ oder „realistische“ Demokratietheorie schon vor mehr als fünfzig Jahren darauf aufmerksam gemacht, dass die Demokratie selbst dann zu überleben vermag, wenn die Bürger in ihrer Rolle als Wähler nicht den (vermeintlichen) Anforderungen der Demokratie entsprechen, weil letztlich systemische Imperative selbst ein gegen die Demokratie gerichtetes Handeln in eine Stabilisierung der Demokratie überführen können 24 25
„The use of the concept of system means that attention is directed toward a specified group of interacting variables“ (Kaplan 1972: 479). Vgl. hierzu insbesondere auch Lindbloms Theorie des „partisan mutual adjustment“ (Lindblom 1965; 1968: 82-83, 92-100).
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(Berelson u.a. 1975: 99). Es wird sogar behauptet, dass scheinbar ein gegenüber der Demokratie konformes Verhalten, wie es zum Beispiel die normativen Demokratietheorien mit ihrer Forderung nach Partizipation am politischen Entscheidungsprozess propagieren, zur Gefährdung der Demokratie führen kann. Politische Apathie, die normalerweise für eine Demokratie als Gefahr eingeschätzt wird, kann somit als eine wichtige Stabilitätsbedingung demokratischer politischer Systeme interpretiert werden.26 Verantwortlich für solche ungeplanten Ergebnisse politischen Handelns sind also nicht die politischen Akteure und ihre Ideen und Interessen, sondern die „Logik“ oder „Rationalität“ des Systems, in dessen Kontext die politischen Akteure agieren und interagieren. „Systemisch“ heiß deshalb auch, dass politische Prozesse einerseits weitgehend unabhängig von menschlichen Eingriffen ablaufen, andererseits aber auf das menschliche Handeln bestimmend Einfluss nehmen. Ein derartiger Verweis auf die „systemische Logik“ oder die „systemische Rationalität“ mag zunächst einmal wenig zufriedenstellend sein, weil sich hieran sofort die Fragen anschließen lassen, worin denn die Logik des politischen Systems liegt und wie sie sich durchsetzt. Für Systemtheoretiker besteht die Logik des politischen Systems in den Bemühungen, sich in einer Welt ständigen Wandels zu erhalten27 und eine Art Gleichgewichtszustand, sowohl innerhalb des politischen Systems als auch zwischen ihm und seiner Umwelt, aufrecht zu erhalten. Auch wenn zugegeben wird, dass Selbsterhaltung und Gleichgewicht nur allgemeine Systemziele vorgeben, die noch viel zu unbestimmt und ungenau sind, als dass sie schon für die Erklärung der Systemlogik dienen könnten28, sind sie für die Systemtheoretiker dennoch von zentraler Bedeutung, weil mit beiden die Logik des Systems aus seinem Verhältnis zur und seinen Interaktionen mit der Umwelt abgeleitet werden kann. Es ist in einer solchen Perspektive deshalb auch falsch, das politische System isoliert von seiner gesellschaftlichen Umwelt untersuchen zu wollen. Überträgt man diesen Gedanken auf die Demokratie, dann gründet sich deren Logik nicht auf spezifischen politischen Ideen, sondern auf einer politischen Praxis, in deren Zentrum das Verhältnis zwischen politischem System und seiner Umwelt steht. Oder zugespitzt ausgedrückt: Demokratie ist das Produkt eines spezifischen Verhältnisses zwischen einem politischen System und seiner Umwelt. Um Demokratie deshalb verstehen zu können, genügt es demnach nicht, nur auf die Politik und ihren Strukturen zu blicken, sondern auch die gesellschaftliche Umwelt zu berücksichtigen, so wie sie von der Politik wahrgenommen wird. Politische Ideen mögen hierbei durchaus von Bedeutung sein, in dem sie zum Beispiel zu politischen Handlungen motivieren oder 26 27 28
Zur Kritik solcher Behauptungen siehe schon Duncan/Lukes (1963). Besonders ausgeprägt ist dies bei David Easton (1965). Hierzu auch die kritischen Anmerkungen von Easton (1956).
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diese legitimieren und ein demokratisches politisches System vielleicht sogar integrieren. Sie haben jedoch keinen Einfluss auf die Logik des Systems, die sich sozusagen hinter dem Rücken der Akteure durchsetzt und die je nach dem aktuellen Verhältnis von politischem System und gesellschaftlicher Umwelt entweder für die Demokratie förderlich oder hinderlich ist. Forschungspraktisch gewendet heißt dies, dass alles politische Handeln, auch und gerade in demokratischen politischen Systemen, sich aus prinzipiellen Erwägungen heraus einer jeden vorschnellen Bewertung entzieht. Was zunächst als positiv für die Selbstbehauptung, das Gleichgewicht und die Stabilität des demokratischen Systems erscheint, kann sich mittelfristig oder langfristig als negativ erweisen. Was auf dem ersten Blick negativ erscheint, kann sich später als Glücksfall für die Selbstbehauptung der Demokratie zeigen. Die Logik des politischen Systems steht aber nicht nur in enger Verbindung zu seiner Selbsterhaltung und dem Gleichgewicht gegenüber seiner Umwelt, sondern auch zu seiner gesellschaflichen Funktion des kollektiv verbindlichen Entscheidens. Wenn das politische System seine Funktion erfüllt, gilt dies bereits als ein erster Hinweis darauf, dass es sich zu behaupten vermag und in der Lage ist, gemäß seiner (funktionalen) Logik zu handeln. Allerdings variiert diese Logik je nach den politischen Ordnungsstrukturen. Auch von daher ist es für Systemtheoretiker wichtig zu unterscheiden, ob ein politisches System demokratisch, autoritär oder sogar totalitär ist. Welche Konsequenzen sich aus einer solchen „systemischen“ Perspektive für die Analysen von demokratischen politischen Systemen und von Demokratie ergeben und was dies konkret für die Logik demokratischer politischer Systeme bedeutet, ist bislang von systemtheoretischer Seite nicht näher untersucht worden. Insofern ist sie ihren eigenen Ansprüchen nur eingeschränkt gerecht geworden. Immerhin haben aber die sozialwissenschaftlichen Systemtheorien wichtige Beiträge für ein besseres Verständnis politischer, einschließlich demokratischer Systeme geliefert. Sie haben es ermöglicht, die Realität demokratischer politischer Systeme mit Hilfe neuer Prämissen, Begriffe, Ansätze und Konzeptionen genauer zu untersuchen, selbst wenn ein detaillierter Nachweis für den demokratietheoretischen Erklärungsgewinn durch die Systemtheorie im Einzelnen noch erbracht werden muss.29 Die Systemtheorie ist, trotz der vielen Zweifler, die das Erklärungspotenzial sozialwissenschaftlicher Systemtheorien von Anfang an mit großer Skepsis und ebensolchen Misstrauen beobachtet (z.B. Narr 1967) und mit
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Generell zu den politikwissenschaftlichen Leistungen der Systemtheorien aus deutscher Sicht Druwe (1995: 346-347), v. Beyme (1992: 145) und Waschkuhn (1995: 763-764), für die USA siehe Young (1974).
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Polemik abgewertet haben30, inzwischen zu einem integralen Bestandteil der Politikwissenschaft geworden (Czerwick 2001a; Münch 1995), auch wenn die systemtheoretischen Wurzeln in vielen politikwissenschaftlicher Arbeiten heute nicht mehr eigens ausgewiesen werden.31 Dennoch lassen sich die demokratietheoretischen Defizite der Systemtheorie nicht wegdiskutieren. Es ist ihr nicht gelungen, die für sie konstitutive System-Umwelt-Theorie in eine Systemtheorie der Demokratie zu überführen32 und damit die „klassischen“ Demokratietheorien nachhaltig herauszufordern und zu beeinflussen. Erst Niklas Luhmann hat sich intensiver darum bemüht, aus einer systemtheoretischen Betrachtungsweise der Gesellschaft wissenschaftliche Konsequenzen für eine Theorie der Politik zu ziehen, in die auch ein neues (und anderes) Verständnis von Demokratie mit einfließt. Von daher wird es in den folgenden Ausführungen darum gehen, seine Vorstellungen von Demokratie näher zu beschreiben und immer wieder zu prüfen, worin denn im Vergleich zu anderen Demokratietheorien die Besonderheiten seiner demokratietheoretischen Überlegungen bestehen und inwieweit sich hierin tatsächlich Möglichkeiten für eine systemtheoretische Weiterentwicklung von Demokratie oder auch nur Chancen für notwendige Ergänzungen der „klassischen“ Demokratietheorien erkennen lassen. Zugespitzt geht es dabei um die Frage, ob sich aus Luhmanns Arbeiten ein systemtheoretischer Demokratiebegriff und eine eigenständige Theorie der Demokratie oder wenigstens die Konturen einer systemtheoretischen Demokratietheorie herleiten lassen, die einer spezifischen Auffassung von Demokratie verpflichtet sind und die sich von den bisher bekannten Demokratietheorien und Demokratiekonzeptionen zumindest in einer Reihe wichtiger Punkte unterscheiden. Es soll deshalb immer wieder in Auseinandersetzung mit den „klassischen“ Demokratietheorien geprüft werden, wie innovativ und erklärungsstark Luhmanns Ausführungen zur Demokratie sind und ob bzw. inwieweit sie zu einem besseren Verständnis demokratischer politischer Systeme führen.
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Siehe zum Beispiel Vilmar (1973: 44-52), der mit falschen Behauptungen die Systemtheorie (Luhmanns) als antidemokratische Theorie („Systemtheorie contra Demokratietheorie“) auffasst. Das gilt zum Beispiel zum einen für den in der Politikwissenschaft mittlerweile weithin gebräuchlichen funktionalen, auf die Herstellung kollektiv verbindlicher Entscheidungen ausgerichteten Politikbegriff, zum anderen aber auch für den in Policy-Analysen und in der Implementationsforschung immer wieder verwendeten sogen. „policy-cycle“. Vgl. aber neuerdings Willke (1998).
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Kurz nach Luhmanns Tod lässt sich eine Häufung politikwissenschaftlicher Publikationen zu seinem Werk beobachten, die man ihm bereits zu seinen Lebzeiten gewünscht hätte.33 Gerade die Politikwissenschaft hat lange Zeit seine Arbeiten links liegen lassen34, obwohl er immer wieder wichtige Beiträge zum besseren Verständnis von Politik veröffentlicht hat. Über die Gründe dieser Ignoranz lässt sich nur spekulieren. Sicherlich haben seine Sprache, die Art seiner Gedankenführung und sein vermeintlicher oder tatsächlicher gesellschaftspolitischer Standort (hierzu insbes. Vilmar 1973: 44-52) zu dieser Haltung beigetragen. Erst in den letzten Jahren begann man in der Politikwissenschaft damit, Luhmann die Aufmerksamkeit zu widmen, die ihm von Anfang an gebührt hätte. Dabei wird man aber in Rechnung stellen müssen, dass der Umfang und die thematische Bandbreite seines Werkes alle Versuche aussichtslos machen, ihm wissenschaftlich vollständig Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.35 Hierzu fehlen nicht zuletzt die notwendigen Vorarbeiten, einmal ganz abgesehen davon, dass man wird abwarten müssen, was noch alles aus seinem Nachlass zu Tage gefördert werden wird. Sinnvoll ist es aber schon jetzt, zu einigen wichtigen politikwissenschaftlichen Einzelaspekten, die er im Verlauf seines Lebens immer wieder aufgegriffen hat, erste und vorläufige Untersuchungen anzustellen. Auf diese Weise ist es immerhin möglich, sich zumindest schrittweise einer (noch fernen) Gesamtbeurteilung und wissenschaftlichen Einordnung seiner Schriften anzunähern. In den folgenden Ausführungen soll der Versuch unternommen werden, Luhmanns Verständnis von Demokratie, so weit es sich aus seinen schon veröffentlichten Arbeiten erschließen lässt, zu rekonstruieren und zu diskutieren. Auch wenn sich in der kaum mehr zu überschauenden Fülle seiner Publikationen insgesamt gesehen nur verhältnismäßig wenige Arbeiten finden, die sich unmittelbar mit dem Thema „Demokratie“ befassen36, hat ihn die Idee der Demokratie 33 34 35 36
Vgl. u.a. die Sammelbände von Hellmann/Schmalz-Bruns (Hrsg.) (2002) und von Hellmann/Fischer/Bluhm (Hrsg.) (2003). Zur politikwissenschaftlichen Rezeption Luhmanns siehe Göbel (2000). Vgl. hierzu als einen ersten Überblick Reese-Schäfer (1999). Dies hat die Autoren des GLU (1997) sowie Dieckmann (2004) offenbar davon abgehalten, sich mit Luhmanns demokratietheoretischen Ausführungen zu beschäftigen.
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doch Zeit seines Lebens beschäftigt, auch und vielleicht gerade wegen seiner bekannten und häufig kritisierten Skepsis gegenüber Forderungen nach mehr Partizipation und Demokratie. Allerdings sind seine Vorbehalte gegenüber einer weiteren Demokratisierung der gesellschaftlichen und politischen Praxis kein Indiz für eine, wie ihm häufig unterstellt wird, prinzipielle Abneigung gegen Demokratie.37 Vielmehr sind es ernste Bedenken darüber, ob nicht eine unreflektierte „Demokratisierung“ der Demokratie wesentlich mehr politische Schäden anrichtet als Nutzen zu stiften vermag. Luhmann fehlt nämlich der Glauben daran, dass Menschen in der Lage sein könnten, bewusst die Demokratie zu demokratisieren. Eine Demokratisierung der Demokratie ist für ihn nur als ein Ergebnis von Evolution vorstellbar und von daher auch kein Ergebnis intentionalen menschlichen Handelns, sondern das Resultat einer Logik, die in erster Linie systemischen Imperativen folgt38, von denen letzten Endes aber auch niemand vorhersagen kann, wohin sie führen wird. Luhmann unterscheidet sich in dieser Frage grundlegend von der politikwissenschaftlichen Demokratiediskussion. Diese hegt bekanntlich in weiten Teilen den Glauben, dass durch empirische Analysen erworbenes Wissen über das Funktionieren demokratischer Systeme es möglich wird, diese so zu beeinflussen, dass sie ihre Leistungsfähigkeit verbessern können.39 Das Credo solcher Erwartungen hat schon vor langer Zeit Harold Lasswell in seinem Plädoyer für eine systematische Wissenschaft von der Demokratie folgendermaßen ausgedrückt: „Without knowledge, democracy will surely fail. With knowledge, democracy may succeed“ (Lasswell 1970: 1) und: “Without science, democracy is blind and weak. With science, democracy will not be blind and may be strong” (Ebenda: 12). Die Orientierung an der politischen Praxis40 hat dazu geführt, dass die politikwissenschaftliche Demokratieforschung mittlerweile eine so große Zahl an Facetten aufweist, dass sie kaum noch zu überblicken ist. Im Mittelpunkt der Forschung stehen unter anderem die folgenden Fragen: Was ist Demokratie? Wozu benötigt man Demokratie? Wie lässt sich Demokratie messen? Aus wel37
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Es gibt sogar den Versuch, Luhmanns Systemtheorie als verfassungswidrig zu brandmarken: „Die systemtheoretischen Modellannahmen lassen sich nicht nur theoretisch bestreiten, sie sind auch mit der vom Grundgesetz vorausgesetzten Ordnung nicht vereinbar“ (Lepsius 1999: 72). Man sollte solche Aussagen nicht zu laut kund tun, sonst kommt den Verfassungsschützern noch der Verdacht, die Systemtheoretiker könnten Umsturzpläne schmieden und Bundesinnenminister Schäuble könnte einmal mehr die innere Sicherheit bedroht sehen. Dementsprechend versteht Luhmann unter „Evolution“ „ein nicht vorweg koordiniertes Zusammenwirken von Variationen, Selektionen und Restabilisierungen“ (1993c: 60). Grundsätzlich zu diesen Gedanken vgl. seine Äußerungen in einem Interview im Jahre 1994 (Luhmann 2000c: 201-207). Ein klassisches Beispiel dafür ist die sogen. „Modernisierungsforschung“ und neuerdings wieder die Transformationsforschung. Dies gilt insbesondere für die amerikanische Demokratieforschung (Almond/Powell 1966: 5).
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chen Elementen besteht Demokratie? Warum ist Demokratie erstrebenswert? Wie ist Demokratie entstanden? Was sind die ideengeschichtlichen, normativen und empirischen Grundlagen von Demokratie? Welche Bedingungen sind für die Stabilität von Demokratie unverzichtbar? Wie leistungsfähig ist Demokratie? Wie lässt sich Demokratie durchsetzen? Was sind die sozialen Trägergruppen der Demokratie? Welche Formen von Demokratie gibt es? Im Hintergrund all dieser Fragen steht das Problem: „Wie kann Herrschaft ... so eingerichtet und ausgeübt werden, daß sie nicht nur die Freiheit und die Rechte des einzelnen möglichst wenig beeinträchtigt, sondern aus dieser Freiheit hervorgeht und auf diesen Rechten fußt?“ (Buchheim 1975: 2). Dementsprechend geht es auch in erster Linie darum, wie individuelle und kollektive Selbstbestimmung so miteinander in Beziehung gesetzt werden können, dass sich beide wechselseitig verstärken.41 Dahinter verbirgt sich erneut die Hoffnung, Demokratie bewusst planen und gestalten zu können. Das hat wiederum die Demokratieforschung dazu verführt, sich mit den vielfältigen Defekten demokratischer politischer Systeme zu beschäftigen und im Anschluss daran wohlfeile Vorschläge zu ihrer Behebung zu formulieren.42 Mit derartigen Fragen und Problemstellungen vermag Luhmann, wie sich zeigen wird, wenig anzufangen. Sie werden seiner Meinung nach den Strukturen, Semantiken, Selbstbeschreibungen und Funktionen moderner Gesellschaften und ihrer politischen Systeme nicht gerecht. Er teilt deshalb auch nicht den Glauben, dass sich Demokratie politisch gestalten und damit ihre Reichweite, Intensität und Konsequenzen kontrollieren lässt. Ebenso wenig teilt er die in der Demokratieforschung immer wieder belebte Auffassung, dass sich Demokratie auf die Ideen und Interessen politischer Akteure zurückführen lässt (neuerdings wieder Vorländer 2003) oder sogar zur Demokratie erzogen werden könnte (so aber Dewey 1964). Zwar sind auch für Luhmann die Ideen politischer Akteure, er spricht hier von „Reflexionsleistungen“, zur Erklärung des Entstehens von Demokratie von Bedeutung (Luhmann 1981f: 188)43, aber doch nur vor dem Hintergrund systembedingter sozialer Strukturen, als deren Ergebnis die Ideen erst zu verstehen sind.44 Nur so ist auch seine Aussage zu interpretieren, nach der Begriffe wie Demokratie „und die ihnen folgenden institutionellen Errungenschaften mit Hilfe von Theorie ins politische System eingeführt worden sind“ (Luhmann 1981: 12).45 Er weist deshalb auch darauf hin, dass Begriffe „nicht nur 41 42 43 44 45
Siehe hierzu schon Mill (1991: 5-23). Siehe hierzu die neueren Arbeiten über „Defekte Demokratien“ oder über „Grauzonen der Demokratie“. Einschränkend fügt Luhmann hinzu: „zumindest als formales Gerüst und als Bedingung der Möglichkeit, politisch bindende Entscheidungen zu treffen“ (Luhmann 1981f: 288). Siehe hierzu auch mit empirischen Daten Welzel (2002). Dies gilt auch für den Verfassungsstaat: „Der Verfassungsstaat war im wesentlichen durch politische Theorie induziert und entsprechend planmäßig realisiert worden“ (Luhmann 1987e: 109).
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wissenschaftliche Konstrukte, sondern vor allem Antworten eines akuten faktischen Problembewusstseins“ (Luhmann 1983f: 9) sind. Indes hatten sie „kaum den Sinn, faktische Ereignisse oder Verläufe zu erklären; sie dienten der Fixierung von Problemlösungen als institutionelle Errungenschaften, und ihre eigene Problematik bestand zu einem guten Teil darin, daß die ihnen vorausliegende Systemproblematik ungeklärt, oft ungenannt blieb, und dass die „Lösung“ nur in einer Kombination von Verhaltensforderungen und Folgeproblemen, nicht in einer Beseitigung des Problems bestehen konnte“ (Ebenda). Deshalb ist es auch möglich, dass wissenschaftliche Begriffe durch die Benutzung seitens der Politik ein Eigenleben gewinnen und sich von ihrem ursprünglichen Kontext ablösen können. Die Verwendung politischer Begriffe „überschreitet das Äußerungsniveau der erkennenden Wissenschaft dadurch, daß sie Ansichten, Begriffe, Meinungen, Resultate in die Politik einführt und mit ihrer Hilfe Politik macht oder verhindert“ (Luhmann 1981: 12). So gesehen diente der Begriff Demokratie und die darauf aufbauende politische Theorie einer noch unverstandenen politischen Praxis, die eine Antwort suchte auf das Problem, wie die Willkür politischer Machtausübung eingedämmt werden kann. Und sie fand die Antwort in den Ideen der Verfassung, der Gewaltenteilung, des Rechtsstaates, der Idee der demokratischen Wahl und der Befristung der Ausübung politischer Herrschaft (Ebenda: 13-14). Heute sind Luhmann zufolge alle diese Ideen historisch überholt (Ebenda: 16). Er unterscheidet sich damit prinzipiell von Positionen, die durchgängig die Notwendigkeit von Ideen für die Existenz und das Funktionieren von Demokratie behaupten.46 Stattdessen macht er unmissverständlich deut46
Hierzu die Position von Ernst-Wolfgang Böckenförde, der sogar die immer wieder zitierte These vertritt, dass der freiheitlich-demokratische und säkularisierte Staat die vorpolitischen, also ideellen Grundlagen, auf denen er beruht, nicht selbst garantieren kann (Böckenförde 1996: 89, 1976: 60). Diese These ist allerdings nur unter der Voraussetzung vertretbar, dass der demokratische Staat eine politische Ordnung repräsentiert, die sich nicht nur normativ ständig selbst überfordert, sondern auch über sich selbst hinausweist. Aufgabe demokratischer politischer Systeme ist es dagegen, „die moralischen und die institutionellen Bedingungen des Zusammenhalts der Bürger selbst zu erzeugen. Wenn wir von einer demokratischen Bürgergesellschaft sprechen, dann setzen wir auf die Hoffnung, einer Form der sozialen Integration, deren Bedingungen von den Menschen selbst erzeugt wird“ (Dubiel 1996: 85). Dubiel setzt dabei auf die sozial integrative Kraft des Konflikts und nicht des Konsensus (Ebenda: 87-88; Ders. 1994: 114-114-115). Auch Pelinka betont die enge Verbindung von Demokratie und Konflikt: „Aber ohne den Konflikt gibt es keine Demokratie“ (Pelinka 1976: 13). Im Gegensatz dazu heben Prothro und Grigg den Konsens als fundamentales Prinzip der Demokratie hervor (Prothro/ Grigg 1960). Auch Jürgen Habermas geht „davon aus, dass die Verfassung des liberalen Staates ihren Legitimationsbedarf selbstgenügsam, also aus den kognitiven Beständen eines von religiösen und metaphysischen Überlieferungen unabhängigen Argumentationshaushaltes bestreiten kann“ (Habermas 2005: 22). Er befürchtet aber auch ein „Abbröckeln der staatsbürgerlichen Solidarität ... im größeren Zusammenhang einer politisch unbeherrschten Dynamik von Weltwirtschaft und Weltgesellschaft“ (Ebenda: 26).
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lich, dass für die Steuerung und Kontrolle demokratischer Systeme und den mit ihnen verbundenen Konsequenzen Ideen keine zentrale Bedeutung mehr haben. An die Stelle der Ideen in den „klassischen“ Demokratietheorien tritt bei ihm der Begriff der „Evolution“ (vgl. Kapitel 4.1). Für ihn ist die Demokratie demzufolge „eine höchst voraussetzungsvolle, evolutionär unwahrscheinliche, aber reale politische Errungenschaft“ (Lumann 1987a: 131). Sie ist weder etwas Zufälliges, noch etwas Geplantes, weder ein Produkt der Phantasie, der Ideen und Interessen, noch ein politisches Konstrukt.47 Demokratie ist einfach das, was sie ist. Von daher wird auch verständlich, warum für Luhmann die Demokratie kein Problem der Staatsform ist, „sondern ... etwas so Selbstverständliches wie für die klassischen Autoren die Monarchie“ (Luhmann 1987b: 10-11).48 Wenn für Luhmann Demokratie zunächst einmal das ist, was sie ist, heißt das natürlich nicht, dass man darauf verzichten könnte, die sozialen, ökonomischen, kulturellen, kommunikativen, rechtlichen und politischen Bedingungen von Demokratie (e.g. Lipset 2000; Berg-Schlosser 1999) deutlich hervorzuheben oder auf eine nähere Beschreibung der aktuellen Ausprägungen von Demokratie zu verzichten. Ganz im Gegenteil: Gerade wenn das Selbstverständliche so unwahrscheinlich ist, wird es um so dringlicher zu verstehen, warum das Selbstverständliche selbstverständlich (geworden) ist und worin die Selbstverständlichkeit der Demokratie eigentlich besteht. Ohne an dieser Stelle hierauf schon eine befriedigende Antwort geben zu können49, kann man immerhin feststellen, dass sich die Selbstverständlichkeit von Demokratie bereits in der alltäglichen begrifflichen Verwendung zeigt.50 Dabei werden alle möglichen politischen Erscheinungen auf die Demokratie bezogen und als „demokratisch“ oder „nicht demokratisch“ qualifiziert. Von einem derartigen selbstverständlichen, zugleich aber auch willkürlichen Gebrauch des Demokratiebegriffes kann sich auch Luhmann nicht immer frei machen. In vielen Fällen verwendet er den Demokratiebegriff höchst unbestimmt, so wie ihm dies gerade geboten scheint, einmal diesen, ein anderes Mal jenen Aspekt von Demokratie betonend. Das soll nicht heißen, dass er keine begriffliche Vorstellung von Demokratie hat, sondern nur, dass er offenbar keinen nachdrücklichen Wert auf eine konsistente Definition legt (siehe hierzu Kapitel 3.3). Ein Grund für diese Haltung mag darin bestehen, dass für ihn 47 48
49 50
Siehe hierzu Shapiro (1994: 142-144), der darüber nachdenkt, wie man Demokratie in Abwesenheit eines Plans verfolgen kann. Mit dieser Aussage bezieht sich Luhmann natürlich auf die Menschen in der sogenannten „westlichen Welt“, für die Demokratie zu einer nicht mehr weiter hinterfragten und näher definierten Selbstverständlichkeit geworden ist und die in ihrer Komplexität, und vielleicht auch in ihrer Fragilität, gar nicht richtig verstanden wird. Hierzu aber Klier (1990). Als Beispiele hierfür „Zuschauerdemokratie“, „Parteiendemokratie“, „Verwaltungsdemokratie“, „Hochschuldemokratie“, „Verbandsdemokratie“ usw.
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Demokratie nicht etwas Abgeschlossenes ist, sondern sich ständig im Werden und Vergehen befindet51, was natürlich auch semantische Konsequenzen mit sich bringt. Außerdem hält er auf diese Weise den Demokratiebegriff offen für alle möglichen Erscheinungen innerhalb eines politischen Systems. Wie diese wenigen einleitenden Bemerkungen deutlich machen, sind Luhmanns Vorstellungen von Demokratie nur eingeschränkt mit der traditionellen, auf den Ideen der individuellen und der kollektiven Selbstbestimmung aufbauenden politikwissenschaftlichen Demokratiediskussion in Einklang zu bringen. In deren Mittelpunkt stehen ideengeschichtlich vielfach weit ausholende Überlegungen über „demokratische“ Werte wie Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit, das auf den Parlamentarismus fokussierte Repräsentationsprinzip, das Prinzip der Volkssouveränität, die Macht begrenzenden und Kontrolle ermöglichenden Konstruktionsmerkmale von Demokratie wie die horizontale und vertikale Gewaltenteilung, die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, das Mehrheitsprinzip und der Minderheitenschutz, die Suche nach dem „Wesen“ der Demokratie oder die sozialen Voraussetzungen und die ökonomischen Bedingungen von Demokratie. Es verwundert daher nicht, wenn seine einschlägigen Arbeiten in den Einführungen zur Demokratietheorie nicht näher berücksichtigt werden. Eher schon ruft Verwunderung hervor, wenn Überlegungen, die in seine Richtung zielen, so nebenbei abqualifiziert werden.52 Immerhin sind in jüngster Zeit eine Reihe von Publikationen erschienen, die sich nicht vordergründig polemisch (Vilmar 1973: 44-52), sondern ernsthaft um ein besseres Verständnis seiner Demokratiekonzeption bemühen (Demirovic 2001; Giegel 2002; Wimmer 2002; Hellmann 2003; Buchstein 2005). So zurückhaltend wie die Politikwissenschaft Luhmanns Arbeiten zur Demokratie zunächst zur Kenntnis genommen hat, sieht man einmal von ganz selte51
52
Rödel u.a. (1989: 41-45) und passim sprechen hier von einem unabgeschlossenen Projekt der Demokratie (vgl. auch Brunkhorst 1998). Vielleicht wäre es noch genauer, von einem unabschließbaren Projekt zu sprechen. Diese Ähnlichkeit in der Terminologie ist aber nur oberflächlich, weil im Gegensatz zu Luhmann Rödel u.a. damit die Gestaltbarkeit der Demokratie im Sinne ihrer Weiterentwicklung meinen. Zur politischen Gestaltbarkeit von Demokratie vgl. auch Di Palma (1990); Heine (2005); Sartori (1994). Samuel P. Huntington hat sogar „Guidelines for Democratizers“ (Huntington 1992: 601-616) entwickelt und Tatu Vanhanen (1997) spricht von „strategies of democratization“ (169-170), von „strategies of social engineering“ (170-172) und von „strategies of political engineering“ (172-174). Er geht davon aus, dass die Demokratie einerseits ein Resultat nicht intendierter Konsequenzen strukturellen und sozialen Wandels ist, andererseits es aber auch möglich ist „to further or obstruct democratization by conscious strategies of democratization“ (Vanhanen 1997: 169). Als ein besonders „gelungenes“ Beispiel habe ich das folgende Zitat gefunden: „Wer von der Idee der Selbstbestimmung abstrahiert, landet bei der bei Licht betrachteten absurden Konstruktion der sich „selbst-legitimierenden“ Politik, von der die Konstruktion der „subjektlosen Intersubjektivität“, aus der Recht und Gerechtigkeit „emergieren“, gar nicht so weit entfernt ist“ (Abromeit 2002: 205).
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nen Ausnahmen ab (vgl. Naschold 1968, 1969, 1970: 13-16, 20-22), so wenig hat Luhmann seinerseits die politikwissenschaftlichen Diskussionen über Demokratie, insbesondere die diesbezüglichen deutschen Diskussionen, beachtet.53 Eine kritische Auseinandersetzung mit der entsprechenden politikwissenschaftlichen Literatur ist bei ihm ebenso wenig feststellbar wie auch nur der Versuch, die eigenen Arbeiten über Demokratie an diese anzuschließen oder von ihr abzugrenzen.54 Gerade wenn man so wie er die systemische oder evolutionäre Bedingtheit in der Entwicklung von Demokratie in den Vordergrund rückt, hätte es sich angeboten, nach deren Grundlagen und Dynamik zu suchen. Immerhin hat Luhmann der Demokratie eine eigene Logik bzw. Rationalität bescheinigt, die es wert gewesen wäre, von ihm näher untersucht zu werden (siehe Kapitel 10.2). Dabei hätten sich für ihn im Kontext der politikwissenschaftlichen Demokratieforschung eine Reihe von wichtigen Anknüpfungsmöglichkeiten angeboten. Auch wenn nur selten expressis verbis von einer Logik der Demokratie gesprochen wird55, so gehen doch eine Reihe von demokratietheoretischen Ansätzen zumindest implizit davon aus, dass der Demokratie eine spezifische Logik immanent ist. Bekanntlich haben zum Beispiel Joseph Schumpeter (1993) die „Logik“ der Konkurrenz, Carol Pateman (1970) die „Logik“ der Partizipation, Jürgen Habermas (1992: 361-398) die „Logik“ der Kommunikation („Deliberation“) und Hannah Pitkin (1967) die „Logik“ der Repräsentation und der Responsivität in den Mittelpunkt ihrer Demokratietheorien gestellt. Im Kern wird von diesen Ansätzen die Stabilität, die Dynamik und die weiteren Verlaufsformen der Demokratie axiomatisch in Beziehung zu den eben genannten „Logiken“ gebracht. Alle diese „Logiken“ weisen Systemqualität auf, das heißt, sie sind in die Strukturen des Systems eingebettet und können nicht mehr ohne Weiteres „von außen“ und ohne unübersehbare Folgen verändert werden. Allerdings, und dies dürfte Luhmann wohl davon abgehalten haben, sich darauf näher einzulassen, sind diese „Logiken“ nicht mit den politischen Funktionen verknüpft, sondern auf die Durchsetzung der jeweils mit ihnen verbundenen Werte und Normen programmiert. Ihre soziale und politische Dynamik besteht in diesem Fall also darin, ihre in der politischen Praxis noch nicht 53
54 55
Ursprünglich war daran gedacht, systematisch die Autoren herauszustellen, auf die Luhmann in seinen Ausführungen zur Demokratie verweist. Es stellte sich jedoch sehr schnell heraus, dass der Aufwand im Verhältnis mit dem dabei zu erzielenden Erkenntnisgewinn viel zu hoch ist. Luhmann hat sich im wesentlichen, und auch nur höchst selektiv, auf einige amerikanische Demokratietheoretiker, wie zum Beispiel Charles Lindblom, Anthony Downs oder Robert A. Dahl, bezogen. Hierbei unterscheidet sich Luhmann fundamental von Jürgen Habermas, der immer darauf bedacht ist, seine Überlegungen an die Beiträge der „Klassiker“ anzuschließen. So aber Bell (1979: 324) sowie Zolo (1997: 130), der von einer „demokratischen Logik“ spricht. Nicht die „Logik“, wohl aber die „Intelligenz der Demokratie“ betont Lindblom (1965). Siehe hierzu auch Kapitel 10.2.
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eingelösten Versprechen zu verwirklichen (Marti 2006).56 Nicht von ungefähr hat deshalb zum Beispiel Giovanni Sartori den mit der Demokratie verbundenen Zielvorstellungen eine so große konstitutive Bedeutung für die Demokratietheorie eingeräumt (Sartori 1992: 27-28). Im Gegensatz zu Sartori lehnt Luhmann die Fixierung der Demokratie auf Ziele ab, weil dann automatisch, wie Sartori zugesteht, „auch eine empirische Theorie der Demokratie in gewissem Sinne normativ sein“ (Sartori 1992: 27) muss. Luhmanns Ablehnung ist nicht zuletzt dadurch motiviert, dass er die Logik der Demokratie im System verankert sieht und ihr zudem prinzipiell misstraut. Selbst wenn sich die Logik der Demokratie in der politischen Praxis durchsetzt, so ist für ihn damit noch keineswegs gewährleistet, dass sie per se eine höhere Vernünftigkeit oder Menschlichkeit beanspruchen kann, wie dies in den meisten Demokratietheorien immer wieder vorausgesetzt oder in Aussicht gestellt wird.57 Wie Luhmann (1981) gerade am Beispiel der Entwicklung zum Wohlfahrtsstaat gezeigt hat, kann eine systemischen Imperativen folgende politische Entwicklung Konsequenzen haben, welche die sozialen Voraussetzungen dieser Imperative in Frage stellen oder ad absurdum führen können. Von daher kann er auch nicht darauf vertrauen, dass die Freisetzung einer der Demokratie innewohnenden Logik vernünftige Ergebnisse zu produzieren vermag. Diese Einschätzung gilt selbst für die Vermutung auf Vernünftigkeit der Ergebnisse. Generell wird man deshalb davon ausgehen können, dass für Luhmann die politikwissenschaftlichen Diskussionen über Demokratie zu stark normativ aufgeladen und überfrachtet gewesen sind58, als dass er seine eigenen demokratietheoretischen Überlegungen darauf hätte beziehen wollen, zumal sie vielfach auch seiner erwähnten Skepsis gegenüber weiteren Demokratisierungen widersprochen haben. Von zentraler Bedeutung für seine Haltung dürfte schließlich aber auch gewesen sein, dass sich nach seiner Auffassung die „klassischen“ Theorien der Demokratie selbst überholt hätten und an ihr Ende gelangt seien. Er behauptet nämlich, dass sich in ihrer Blickbahn „die politische Wirklichkeit, die sie herbeizuführen halfen, nicht angemessen begreifen“ (Luhmann 1983: 153) lässt. Er konzediert allerdings, dass sie eine wichtige Überleitungsfunktion im Prozess der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung erfüllt hätten. Dies erkläre auch, „weshalb sie sich an der traditionellen Staatsformenlehre orientieren und auf änderbaren „Besitz“ der Macht abstellen mußten“ (Luhmann 1983: 153). So erlaubte es der von 56 57 58
Zu den uneingelösten Versprechen der Demokratie siehe neuerdings Marti (2006). Besonders deutlich wird dies in den neueren Arbeiten von Jürgen Habermas. „Seitdem Demokratie zum Wert erklärt worden ist, ist eine Art Demonstrativdemokratie entstanden, die für jede Lebenslage Geltung beansprucht und gerade deshalb die effektive Konzentration und Kontrolle wichtiger politischer Entscheidungen aus den Augen verliert“ (Luhmann 1977a: 174).
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den „klassischen“ Theorien verwendete Demokratiebegriff, „die politischen Veränderungen der Neuzeit zunächst im Rahmen der klassischen Typenlehre mit Hilfe schon bekannter Kategorien zu begreifen, sie als bloßen Wechsel der Staatsform, als Übergang „der“ Herrschaft auf das Volk zu verharmlosen“ (Luhmann 1999a: 148). Wenn Luhmann also davon ausgeht, dass die „klassischen“ Demokratietheorien am Ende sind, weil sie nicht in der Lage sind, die neuen politischen Strukturen angemessen zu verstehen und zu erklären59, so wird man von ihm erwarten dürfen, dass er zumindest Anstöße zu einer Neuorientierung der Demokratietheorie liefert, die besser in der Lage ist, die Wirklichkeit demokratischer Systeme zu erklären, als die von ihm kritisierten klassischen Theorien der Demokratie. Ob er diese Erwartung erfüllen kann, müssen die nachfolgenden Ausführungen ergeben.
59
Zur Begründung läßt sich anführen: „Die Theorie hat nicht das letzte Wort. Wenn sie als Kommunikation Erfolg hat, verändert sie die Gesellschaft, die sie beschrieben hatte; verändert damit ihren Gegenstand und trifft danach nicht mehr zu“ (Luhmann 2002a: 70, 1992b: 152).
3.1 Zentrale Kennzeichen sozialer Systeme: Umwelt, Komplexität und Selbstreferenz
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Demokratie in der Systemtheorie Niklas Luhmanns
3.1 Zentrale Kennzeichen sozialer Systeme: Umwelt, Komplexität und Selbstreferenz Es ist nicht sonderlich überraschend, dass in Luhmanns Gesamtwerk dem Thema „Demokratie“ nur ein peripherer Stellenwert zukommt, geht es ihm doch in erster Linie um eine Theorie, in deren Mittelpunkt die funktionale Ausdifferenzierung sozialer Systeme und ihre jeweilige systemspezifische Rationalisierung steht.60 Grundlegend für seine systemtheoretischen Überlegungen ist die allen Systemtheoretikern eigene Unterscheidung von System und Umwelt. Von dieser Unterscheidung nehmen alle seine Gedanken ihren Anfang und auf diese Unterscheidung lassen sich alle seine Ausführungen zurückführen. Immer wieder stellt er die Frage in den Mittelpunkt, wie soziale Systeme mit der Unterscheidung von System und Umwelt umgehen, wie sie diese Unterscheidung zum Ausgangspunkt ihrer Operationen machen und welche weiteren Unterscheidungen systemintern an die systeminterne Unterscheidung von System und Umwelt angeschlossen werden und wie sich dabei die sozialen Systeme ausdifferenzieren. „Systemdifferenzierung“, so schreibt er, „ist nichts anderes als die Wiederholung der Differenz von System und Umwelt innerhalb von Systemen. Das Gesamtsystem benutzt dabei sich selbst als Umwelt für eigene Teilsystembildungen und erreicht auf der Ebene der Teilsysteme dadurch höhere Unwahrscheinlichkeiten durch verstärkte Filterwirkungen gegenüber einer letzlich unkontrollierbaren Umwelt“ (Luhmann 1985: 22). Auch wenn Demokratie kein Teilsystem ist, so ist sie, so viel lässt sich schon jetzt sagen, das Ergebnis einer systeminternen Unterscheidung des politischen Systems von System und Umwelt, die wiederum auf das Verhältnis von System und Umwelt zurückwirkt. In dem soziale Systeme die Unterscheidung von System und Umwelt als systeminterne Differenz reproduzieren61 und daran ihre weiteren Operationen anschließen, können sie Komplexität aufbauen, die für Luhmann die zentrale 60 61
Von „Ausdifferenzierung“ spricht Luhmann (1995e: 267) immer dann, wenn ein soziales System einen höheren Grad an Autonomie und Selbstprogrammierung innerhalb der Gesellschaft erreicht. Luhmann bezeichnet diesen Vorgang in Anlehnung an George Spencer-Brown als „re-entry“ (Luhmann 1994. Siehe hierzu Kauffmann 1995).
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Vorbedingung für die Existenz von sozialen Systemen ist. Zugleich wird damit der Abbau von Komplexität zu ihrer primären Aufgabe, weil sie sich nur durch Reduktion von Weltkomplexität als soziales System gegenüber der (Um-)Welt stabilisieren können. „Alles, was über Systeme ausgesagt wird ... läßt sich ... funktional analysieren als Reduktion von Komplexität“ (Luhmann 1974a: 11). Insofern dient, so kann man zunächst pauschal feststellen, Demokratie dem sozialen System zur Reduktion von Komplexität. Die Ursache, warum die Komplexität der Welt zu einem Problem wird, liegt darin, dass die Komplexität der Umwelt immer größer ist als die eines jeden sozialen Systems. System und Umwelt unterscheiden sich deshalb durch ein Komplexitätsgefälle. „Diese Differenz der Komplexitätsverhältnisse ist das Grundproblem der Systemtheorie, das letzte Bezugsproblem aller funktionaler Analysen“ (Luhmann 1986c: 210-211) und damit auch, so darf man folgern, ein zentrales, wenn nicht sogar das wichtigste Problem von und für Demokratie. Demokratie kann entweder dazu verführen, dass politische Systeme zu viel Komplexität aufbauen, weil sie zu viel Umweltkomplexität verarbeiten, oder dass sie Komplexität zu sehr abbauen, weil sie zu wenig Umweltkomplexität bearbeiten. In beiden Fällen entstehen für politische Systeme erhebliche Probleme: In dem einen Fall werden sie überfordert, in dem anderen Fall unterfordert. Bei einer Überforderung lassen sich die Ansprüche und Erwartungen, die mit Demokratie verbunden sind, nicht einlösen, was sowohl die Demokratie als auch die politischen Systeme unter Veränderungsdruck setzt. Bei einer Unterforderung werden dagegen die Möglichkeiten, die die Demokratie bietet, nicht genutzt und laufen leer. In der politischen Praxis dürften sich vermutlich beide Phänomene, sowohl Unter- als auch Überforderungen, wenn auch auf verschiedenen Ebenen und Segmenten, zugleich nachweisen lassen.62 Um das Komplexitätsgefälle zwischen System und Umwelt zu bearbeiten und das heißt zunächst, um die Umweltkomplexität systemintern zu reduzieren, ist „Sinn“ von Nöten, der „die bewußte Erfassung und Reduktion hoher Komplexität“ (Luhmann 1974a: 61) ermöglicht. Sinn (Luhmann 1985: 92-147) ist von daher „eine bestimmte Strategie des selektiven Verhaltens unter der Bedingung hoher Komplexität“ (Luhmann 1974b 12). Da zur Verringerung der Umweltkomplexität aber bereits ein gewisses Niveau an Eigenkomplexität vorhanden sein muss, vermag ein System die systemintern konstruierte Umweltkomplexität erst zu bearbeiten63, wenn innerhalb des Systems die dafür nötigen Elemente und ihre Relationierungen schon bereit stehen. Gleichzeitig weist Luhmann darauf 62 63
Es wäre sicherlich wissenschaftlich reizvoll zu untersuchen, in welchen Bereichen und aus welchen Gründen es zu Überforderungen bzw. Unterforderungen politischer Systeme mit Demokratie kommt. Zu den unterschiedlichen Strategien der Komplexitätsreduktion vgl. Luhmann (1973a: 181187, 1973c: 23-32).
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hin, dass die Reduktion von Umweltkomplexität nur unter der Bedingung möglich ist, dass das System seine Eigenkomplexität steigert (Luhmann 1974: 309, 311). Reduktion von Umweltkomplexität und Steigerung der Eigenkomplexität gehen also Hand in Hand. Soziale Systeme entwickeln sich deshalb zwar in Bezug auf ihre Umwelt und stellen ihre Strukturen auf die Umwelt ein (Luhmann 1981j: 18), doch werden sie von der Umwelt keineswegs in ihren Operationen festgelegt. Indessen muss nach Luhmann die Komplexität des Systems der Komplexität des umgebenden Gesellschaftssystems entsprechen (Luhmann 1984g: 169). Insofern müssen die Bearbeitung von Umwelt- und von Eigenkomplexität immer eng aufeinander ausgerichtet sein (Luhmann 1984g: 160-163). Das schließt aber nicht aus, dass Systeme aus Präventionsgründen neuartige reduktive Strategien entwickeln können, „die in relativer Unabhängigkeit von der Umwelt angewandt werden können“ (Luhmann 1984f: 117). Auf diese Weise verschaffen sie sich ein Reservoir an Möglichkeiten, um zukünftige Veränderungen in ihrer Umwelt verarbeiten zu können.64 Da das Entsprechungsverhältnis von System und Umwelt vom System selbst definiert wird, ist die Komplexität, ob Eigen- oder Umweltkomplexität, immer eine Konstruktion des Systems (Luhmann 2000b: 314) und demzufolge immer nur systemrelativ zu verstehen. Da das System nicht von der Umwelt determiniert ist, entscheidet es „autonom“ (im Sinne Luhmanns) darüber, wie viel Umweltkomplexität durch Systemkomplexität reduziert werden soll. Das System ist somit in der Lage, eigene Regeln zur Erfassung und Reduktion von Komplexität zu institutionalisieren (Luhmann 1984f: 117). Unter bestimmten Voraussetzungen könnte man dies innerhalb des politischen Systems als „Demokratie“ bezeichnen, sofern man sich damit auf politische Systeme bezieht, die auf der Basis von hoher Eigenkomplexität spezifische Strukturen, Formen und Verfahren des Umgangs mit Umweltkomplexität entwickelt haben. Daraus könnte das Problem entstehen, dass die Eigenkomplexität einen so großen Aufwand erforderlich macht, dass das System schließlich nur noch mit der Bearbeitung seiner eigenen Komplexität befasst ist. Eine solche Situation würde nach Luhmann bei einer Demokratisierung der Demokratie unweigerlich eintreten. In diesem Fall könnte ein politisches System an seiner eigenen Geschichte festwachsen und damit evolutionsunfähig werden (Luhmann 1986c: 207). Wenn Komplexität für den Aufbau und die Operationen von sozialen Systemen von so zentraler Bedeutung ist (Luhmann 1974: 292-316; 1986c; 1996d; 1997a: 134-144; GLU 1997: 93-97)65, stellt sich sofort die Frage, was Luhmann 64 65
Ashby spricht hier von „erforderlicher Vielfalt“ („requisite variety“) (Ashby 1974: 278-279, 298-299, 306-307). Grundlegend hierzu auch Tainter (1988). Zur Bedeutung von Komplexität vgl. auch Simon (1981).
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eigentlich darunter versteht. Komplexität ist für ihn ganz allgemein „die Gesamtheit der möglichen Ereignisse“ (Luhmann 1984f: 115) sowie die Tatsache, „daß es stets mehr Möglichkeiten des Erlebens und Handelns gibt, als aktualisiert werden können“ (Luhmann 1974a: 32). Komplexität ist mit einem Zwang zur Selektion verbunden, weil nicht mehr alle Elemente in einem System mit allen Elementen des selben Systems miteinander in Beziehung gesetzt werden können. Damit gewinnt das System, ähnlich wie durch die Unterscheidung von System und Umwelt, die Möglichkeit, sich bei Bedarf zu differenzieren (Luhmann 1986c: 206). „Als komplex wollen wir eine zusammenhängende Menge von Elementen bezeichnen, wenn auf Grund immanenter Beschränkungen der Verknüpfungskapazität der Elemente nicht mehr jedes Element jederzeit mit jedem anderen verknüpft sein kann“ (Luhmann 1985: 46). Oder anders ausgedrückt: „Die Komplexität hat ihre Einheit also in der Form einer Relation: in der Relation wechselseitiger Ermöglichung von Elementmengen und reduktiven Ordnungen“ (Luhmann 1986c: 207). Luhmann bezeichnet solche hoch komplexen Systeme, die ihre Komplexität in Auseinandersetzung mit der Umweltkomplexität selbst herstellen, deshalb auch als selbstreferenziell und autopoietisch. Selbstreferenziell bedeutet, dass sie „in der Konstitution ihrer Elemente und ihrer elementaren Operationen auf sich selbst (sei es auf die Elemente desselben Systems, sei es auf die Operationen desselben Systems, sei es auf die Einheit desselben Systems) Bezug nehmen“ (Luhmann 1985: 25). Oder noch einmal mit anderen Worten ausgedrückt: Selbstreferenzielle Systeme stellen alles, was sie als Einheit verwenden, selbst her, wobei sie „rekursiv die Einheiten benutzen, die im System schon konstituiert sind“ (Ebenda: 602). Wiederum auf Demokratie übertragen heißt dies, dass in ihr die Elemente enthalten sind, die das System benötigt, um sich selbst zu reproduzieren. Durch diesen Vorgang reproduziert sich die Demokratie gleichzeitig aber auch selbst. Da sich das selbstreferenzielle Prozessieren sozialer Systeme aber nicht in der Wiederholung immer gleicher Vorgänge erschöpfen kann, was einer Tautologie bzw. Zirkularität entspräche, bedarf es entsprechender Vorkehrungen, die die operative Geschlossenheit selbstreferenzieller Systeme auf kognitive Offenheit umstellen. Dies geschieht dadurch, dass sie in der Beschreibung ihres Selbst „die Differenz von System und Umwelt systemintern als Orientierung und als Prinzip der Erzeugung von Informationen verwenden“ (Ebenda: 25 und 59). Auf Demokratie übertragen heißt dies, dass mit ihr nicht nur die Differenz von System und Umwelt innerhalb eines politischen Systems strukturiert wird, sondern dass in ihr zugleich ein Potential angelegt ist, das über ihre aktuelle Erscheinungsform im System hinausweist. Selbstreferenzielle soziale Systeme beziehen sich zwar ausschließlich auf sich selbst, doch fließen im Selbstbezug immer auch Umweltbezüge mit ein, die von den Systemen nach eigenen Kriterien und Prämissen gesteuert werden.
3.1 Zentrale Kennzeichen sozialer Systeme: Umwelt, Komplexität und Selbstreferenz
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Durch die Simultanverweisung der Systeme auf sich selbst und auf Anderes, lässt sich das Verhältnis von Offenheit und Geschlossenheit sozialer Systeme nicht mehr als ein Gegensatzpaar verstehen, sondern kann als ein Bedingungs- und Steigerungsverhältnis bestimmt werden. Umwelteinflüsse können also, und das ist hier der entscheidende Punkt, die Operationen des Systems nicht determinieren, sondern allenfalls auslösen, wobei das System selbst darüber entscheidet, von welchen Umwelteinflüssen es sich beeinflussen lässt und mit welchen Operationen es darauf reagiert. Insofern operieren selbstreferenzielle Systeme „im Selbstkontakt, und sie haben keine andere Form für Umweltkontakt als Selbstkontakt“ (Ebenda: 59). Dass alle Systemoperationen von systeminternen Strukturen bestimmt sind, werden Umwelteinflüsse in erster Linie danach ausgewählt, ob sie für die Reproduktion der Systemoperationen herangezogen werden können oder nicht. Die sozialen Systeme sind deshalb nicht nur selbstreferenziell, sondern auch autopoietisch. Sie verfügen nämlich über die Fähigkeit, die elementaren Einheiten, aus denen sie bestehen, aus eben diesen Einheiten zu reproduzieren und sich dadurch von ihrer Umwelt abzugrenzen (Luhmann 1986a: 266). In diesem Sinne sind die Operationen autopoietischer Systeme immer strukturdeterminiert. Dies gilt auch für alle politischen Systeme. Sie müssen für „Asymmetrisierungen“ sorgen, um zu verhindern, zirkulär zu werden (GLU 1997 1997: 21-24). Hierbei vermag die Demokratie vor allem deshalb gute Dienste zu leisten, weil sie Mechanismen, wie zum Beispiel Wahlen, vorsieht, die einer möglichen Strukturdeterminierung entgegenwirken können. Versucht man die Theorie selbstreferenzieller und autopoietischer sozialer Systeme auf politische Systeme (vgl. Luhmann 1981: 33-41) bzw. auf demokratische politische Systeme zu übertragen, so ist dies nicht immer einfach, weil Luhmann seine Vorstellungen von Demokratie nicht systematisch aus seinen grundlegenden systemtheoretischen Prämissen sozialer Systeme im Allgemeinen und politischer Systeme im Besonderen hergeleitet hat, sondern diese vielmehr im Rahmen seiner demokratietheoretischen Überlegungen stillschweigend vorausgesetzt hat. Insofern muss an mancher Stelle offen bleiben, wie sich seine allgemeinen systemtheoretischen Prämissen konzeptionell mit seinen Auführungen zur Demokratie verbinden lassen. Festzuhalten ist zunächst aber einmal, dass Demokratie als eine Errungenschaft von Gesellschaften anzusehen ist, denen es gelungen ist, Politik als Teilsystem auszudifferenzieren und funktional auf allgemeinverbindliche Entscheidungen zu programmieren. Demokratie bedarf also zu ihrer Existenz eine komplexe, in viele gesellschaftliche Subsysteme ausdifferenzierte Gesellschaft, wobei ihr genuiner Ort im politischen System liegt. Nur diesem System obliegt die Aufgabe, für die Gesellschaft allgemeinverbindliche Entscheidungen zu treffen. Von daher ist Demokratie auf politische Entscheidungen fokussiert. Wenn man davon ausgeht, dass die Entscheidungen der Poli-
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tik in enger Verbindung zu den Problemen stehen, mit denen Gesellschaften konfrontiert werden, lässt sich Demokratie weiterhin als eine spezifische Art und Weise verstehen, mit der die Politik für die Gesellschaft allgemeinverbindlich Probleme löst. Geht man mit Luhmann außerdem davon aus, dass ein Kennzeichen moderner Gesellschaften darin besteht, dass ihre gesellschaftlichen Teilsysteme die Unterscheidung von System und Umwelt als systemspezifische Unterscheidung in das System wieder einführen, so lässt sich Demokratie als ein Resultat der systeminternen Unterscheidung von System und Umwelt auffassen, über die das politische System jeweils seine gesellschaftliche „Umwelt“66 in eine systeminterne politische Umwelt transformiert. Demokratie lässt sich in diesem Zusammenhang deshalb auch als eine Art Filter und Selektionsmechanismus betrachten. Das politische System kann zum Beispiel das herkömmliche normative Selbstverständnis von Demokratie als „Herrschaft des Volkes“ dazu ausnutzen, um sich von den Erwartungen, Bedürfnissen und Interessen des „Volkes“ (hier verstanden als „Umwelt“) beeinflussen zu lassen und auf diese Einflüsse, die vom politischen System selbst konstruiert werden, mit allgemeinverbindlichen Entscheidungen (re-)agieren. Wie dieses Beispiel illustriert, konzeptualisieren und organisieren auch und gerade demokratische politische Systeme mit Hilfe von „Demokratie“ ihre Umweltkontakte als Selbstkontakte. Demokratie wird damit zu einem Mittel, durch das politische Systeme Offenheit und Geschlossenheit als Steigerungsverhältnis behandeln können, wobei die Demokratie den politischen Systemen aber gleichzeitig noch dazu dient, ihren selbstreferenziellen Zirkel zu unterbrechen und sich mit „Energie“ zu versorgen. Da nach Luhmann soziale Systeme aber auch autopoietisch sind, lässt sich die weitere Folgerung ziehen, dass Demokratie als ein Element des politischen Systems sich auch immer selbst reproduziert. Ist Demokratie im politischen System erst einmal als Arrangement aus Strukturen, Verfahren und Normen institutionalisiert, stabilisiert sie sich in gewisser Weise von selbst, weil sie in der politischen Praxis die Elemente (re-)produziert, aus denen sie besteht. Schließlich dient Demokratie politischen Systemen sowohl zur Reduktion von Umweltkomplexität, als auch zum gleichzeitigen Aufbau von Kapazitäten, die sie in Zukunft zur Komplexitätsreduktion benötigen könnten. Von daher weist sie immer auch über die aktuellen Systemoperationen hinaus und verschafft den sich auf Demokratie berufenden politischen Systemen ein Überschusspotential an zukünftigen Handlungsmöglichkeiten, die sie bei Bedarf wiederum zur Komplexitätsreduktion verwenden können. Genau in dieser Doppelfunktion, nämlich im Aufbau und im Abbau von Systemkomplexität, gewinnt Demokratie für Luhmann ihre allgemeinste Bedeutung. Die folgenden Kapitel werden deshalb auch zeigen, dass bei 66
Deshalb „Umwelt“, weil das politische System diese für sich selbst konstruiert.
3.2 Luhmanns Demokratieverständnis
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ihm primär die Elemente im Vordergrund seiner demokratietheoretischen Ausführungen stehen, mit denen sich das politische System über den Aufbau von Eigen- und den Abbau von Umweltkomplexität selbst beeinflusst. Dazu zählen politische Wahlen, Parteien, Staat, Regierung/Opposition, Politik, Verwaltung, Publikum, Reflexionstheorien, Selbstbeobachtungen, Selbstbeschreibungen sowie Problemlösungen. Damit wird verständlich, warum bei Luhmann Komplexität zu einem zentralen demokratietheoretischen Begriff wird. Schon deshalb muss dem Wechselverhältnis von Demokratie und Komplexität durchgängig eine große Aufmerksamkeit gewidmet werden.67 Diese Betonung von Komplexität, sei sie sachlich, zeitlich oder sozial begründet, unterscheidet Luhmann maßgeblich von den Vertretern „klassischer“ Demokratietheorien, die ihr, wenn überhaupt, nur eine geringe demokratietheoretische Relevanz zubilligen. Wie aber sieht sein auf Komplexität gründendes Demokratieverständnis aus? 3.2 Luhmanns Demokratieverständnis Luhmanns Demokratieverständnis weist einen solchen Facettenreichtum auf, dass es unmöglich ist, es auf eine kurze Formel oder Definition zu bringen. Es umfasst Strukturen, Prozesse, Subsysteme, Organisationen, Rationalitäten, Selbstbeschreibungen und Selbstbeobachtungen, Funktionen, Reflexionstheorien, wissenschaftliche Theorien, Komplexitätssteigerung, Evolution usw. Dabei ist keineswegs immer klar, in welcher Beziehung sie jeweils zueinander und insgesamt zur Demokratie stehen. Wenn deshalb in den folgenden Ausführungen auf Luhmanns jeweiligen Begriff von Demokratie abgehoben wird, so wird er als Komplementaritätsbegriff aufgefaßt. Mit dem auf Niels Bohr in einem völlig anderen Zusammenhang eingeführten Begriff der Komplementarität (Weizsäcker 1959, 1985: 506-511) soll zum Ausdruck gebracht werden, dass Demokratie ein aus vielen sozialen Komponenten und Phänomenen sich zusammensetzender Begriff ist68, die je nach Untersuchungsdesign und dem Standort des Untersuchenden nicht nur eine unterschiedliche Bedeutung und einen unterschiedlichen Stellenwert einnehmen können, sondern die sich in bestimmten sozialen Zusammenhängen auch ausschließen können, aber dennoch zur Vollständigkeit der Beschreibung von Demokratie unentbehrlich sind (Folse 1985: 168-174). Außerdem lassen sich die Phänomene nicht alle zur gleichen Zeit beobachten. Von 67 68
Siehe hierzu die Ausführungen im Kapitel 10.1. Hierauf baut Meyer (2005) seine umfassend angelegte „Theorie der Sozialen Demokratie“ auf, in der das „Soziale“ aber alsbald in Normen, Strukturen, Rechten, politischer Praxis, Kultur, Ökonomie, Effektivität, Globalisierung usw. entschwindet und nur noch erahnt werden kann. Im Gegensatz dazu siehe Rosenberg (1988) oder Moore (1969).
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3 Demokratie in der Systemtheorie Niklas Luhmanns
daher soll mit dem Begriff „Komplementarität“ darauf verwiesen werden, dass diese Phänomene weder in ihrer räumlichen und zeitlichen Entwicklung vollständig beschrieben werden können, noch dass sie alle in einem kausalen Zusammenhang stehen. Eine kausale Erklärung von Demokratie, die alle der ihr zugeschriebenen Phänomene erfasst, ist damit nicht mehr möglich. Diese Unmöglichkeit ist dabei weniger ein epistemologisches Problem als vielmehr ein Realitätsproblem. Demokratie ist so komplex geworden, dass zwischen den ihr zugeschriebenen Phänomenen keine Punkt-für-Punkt-Relationen mehr bestehen, sie aber trotzdem zur Demokratie gehören und zu ihr beitragen.69 In diesem Sinne sind sie eben „komplementär“ (Russell 2001). Luhmann hat sich schon sehr früh von der ursprünglichen und auch heute noch vielfach vorhandenen Vorstellung von Demokratie als Volksherrschaft distanziert.70 Er reiht sich damit ein in die Vielzahl der Autoren, die einer „realistischen“ bzw. „empirischen“ Demokratietheorie den Vorzug geben (Schattschneider 1975: 127-138), auch wenn er mit deren demokratietheoretischen Positionen ansonsten nur wenig übereinstimmt. Für ihn ist Demokratie, auch wenn sie wortgeschichtlich noch als eine Form von Herrschaft formuliert worden ist (Luhmann 2000: 429), weder Herrschaft des Volkes über das Volk, noch Aufhebung von Herrschaft, noch „ein Prinzip, nach dem alle Entscheidungen partizipabel gemacht werden müssen“ (Luhmann 1987a: 127, Hervorhebungen entfernt, E.C.). Seiner Ansicht nach hat das Volk „niemals geherrscht“ (Luhmann 1986: 139). Diese Aussage bedeutet jedoch nicht, dass für ihn damit das Verständnis von Demokratie als Volksherrschaft obsolet wird. Vielmehr fragt er nach der Funktion, die dazu beiträgt, warum noch immer von Demokratie als Volksherrschaft gesprochen wird, obwohl für ihn offensichtlich ist, dass das Volk noch nie geherrscht hat. Als Antwort weist er darauf hin, dass die Demokratie „im Text ihrer Selbstbeschreibung immer noch das „Volk“ voraus(setzt) als eine Art übergeordnete Instanz, in der sich das Wunder der Verschmelzung von Individualwillen zum Gemeinwillen vollzieht“ (Luhmann 2000: 366). Man könnte deshalb auch sagen, dass die Demokratie mit dem Verweis auf Volksherrschaft bzw. Volkssouveränität ihren eigenen Mythos begründet, der für ihre Akzeptanz und Glaubwürdigkeit unentbehrlich ist. Somit ist die Vorstellung von Demokratie als Volksherrschaft weder „richtig“ noch „falsch“, sondern sowohl „richtig“, nämlich auf einer „ideologischen“ Ebene der Selbstbeschreibung, als auch „falsch“, wenn sich diese Aussage auf die Wirklichkeit politischer Herrschaft bezieht. Bei Luhmann müssen also sehr genau die Aussageebenen unterschieden werden, wenn Demokratie mit Volksherrschaft in Beziehung gesetzt wird. 69 70
Zu den möglichen Gefahren einer solchen Perspektive Weizsäcker (1985: 638). Siehe hierzu insbesondere auch Kielmannsegg (1977).
3.2 Luhmanns Demokratieverständnis
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Dieses sowohl „richtig“ als auch „falsch“ von Demokratie als Volksherrschaft ist von daher auch keine Ungenauigkeit oder Unbestimmtheit, die sich bei einer genaueren Betrachtung auflösen lässt, sondern sie ist vielmehr für die Demokratie von konstitutiver Bedeutung. Dahinter verbergen sich nicht nur Probleme der Differenz von Theorie und Praxis sowie von Anspruch und Wirklichkeit, sondern auch ein politisches Leitbild, das zur Gestaltung der politischen Praxis und zur Mobilisierung von Unterstützung für eben eine bestimmte, nämlich „demokratische“ Praxis dient (Vilmar 1973). Da die Demokratie mittlerweile einen Wert an sich darstellt, der von niemanden mehr ernsthaft in Frage gestellt wird71, liegt in der Nicht- oder nur Teilverwirklichung des Prinzips der Volkssouveränität ein ständiger Ansporn, die Demokratie genau zu diesem Ziel, nämlich zur „Herrschaft des Volkes“, zu führen, was immer damit im Einzelnen auch gemeint sein mag. Mit dem Anspruch der Demokratie als Herrschaft des Volkes ist also eine Dynamik verbunden (Pelinka 1974; Buchstein/Jörke 2003: 490-493), die erst dann zur Ruhe kommt, wenn das Volk auch tatsächlich herrscht.72 Von daher sind Deutungen von Demokratie als Volksherrschaft wesentlich mehr als nur „semantische Chiffrierungen eines letztlich paradoxen Sachverhalts“ (Luhmann 1986a: 205f), wie Luhmann glauben zu machen versucht. Sie sind zugleich Deutungen einer politischen Praxis, die ihr Leitbild zwar aus einer Utopie herleitet (Furet 2000; Habermas 1992: 600-622), aber nicht um die Praxis zu diskreditieren, sondern vielmehr um ihr ein Ziel zu geben, das sie zu rechtfertigen vermag. Man könnte deshalb auch sagen: Demokratie kann deshalb als die Herrschaft des Volkes verstanden werden, gerade weil sie eine Utopie ist. Die Utopie wird damit zu einem integralen Bestandteil von Demokratie, die ihr beständig ein politisches Ziel vorgibt, das verhindert, dass die Politik zum Stillstand kommt. Sie ist also gerade kein vermeidbarer Defekt, wie man es gelegentlich in der politischen Auseinandersetzung und von Vertretern der „realistischen“ Demokratietheorie(n) hört. Allerdings besteht hierbei die Gefahr, dass jedes Mitglied des Volkes die Demokratie als Schwindel entlarvt, weil es weiß oder fühlt, dass es nicht herrscht (Popper 1996: 242). Luhmann ist sich ebenfalls des utopischen Charakters der Demokratie bewusst, wenn auch auf eine andere Weise. Demokratie basiert nach seiner Überzeugung auf einer Paradoxie, die darin besteht, dass sie sich begrifflich in Widerspruch zur Herrschaft setzt (Luhmann 1987d: 147). Demokratie als Paradoxie der Selbstherrschaft des Volkes (Luhmann 1998: 369), als Einheit der Differenz 71 72
Vgl. aber die mittel- und langfristigen sozialen Kosten („Demokratiekosten“), die entstehen, wenn Länder „demokratisiert“ werden, denen die Voraussetzungen zu einer Demokratisierung fehlen, wie dies bei vielen Ländern der Dritten Welt der Fall ist. „Democratic politics therefore needs a vigorous, chaotic, noisy context of movements and groups. They are the seedbeds of future democratic vitality” (Crouch 2004: 120).
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3 Demokratie in der Systemtheorie Niklas Luhmanns
von Herrschenden und Beherrschten sowie als Einheit von Volk und Staat hebt jedoch politische Herrschaft nicht auf, sondern verschleiert höchstens ihre Sichtbarkeit.73 „Immer wenn man die Einheit von etwas Unterschiedenem bezeichnen will, sabotiert man aber die Unterscheidung selbst. Man bejaht und verneint sie in einem Zuge. In diesem Sinne ist der Begriff der Demokratie seit seiner neuzeitlichen Reformulierung ein paradoxer Begriff: Ein Begriff, der Herrschaft in Anspruch nimmt und sie zugleich in ihrer essentiellen Asymmetrie von „oben“ und „unten“ aufhebt“ (Luhmann 1993b: 91). Demokratie wird damit zu einem „Klammerbegriff“, der „die als Einheit gefaßte Paradoxie der Volkssouveränität“ (Luhmann 1993b: 93) bezeichnet. Luhmann geht sogar noch einen Schritt weiter und nennt die Demokratie einen „Parasiten, der an der Differenz von Herrschenden und Beherrschten ansetzt, sich hier in das System hineinfrißt und sich schließlich selbst zum herrenlosen Herrn erklärt“ (Luhmann 2000: 357). Obwohl nicht vollständig klar wird, was Luhmann mit der Selbsterklärung der Demokratie zum „herrenlosen Herrn“ meint, so scheint mit dieser Formel immerhin deutlich zu werden, dass er der Demokratie Eigenschaften zugesteht, die einerseits auf Herrschaft und Herrschaftsausübung ausgerichtet sind, die sie andererseits zugleich aber auch wieder in Abrede stellen. Wenn schon das Volk nicht herrscht, so könnte man vielleicht sagen, herrscht wenigstens die Demokratie und das bedeutet dann, dass weder die Herrschenden noch die Beherrschten, weder der Staat noch das Volk, herrschen. Von daher gelangt Luhmann auch zu der Schlussfolgerung, dass „wir heute nicht mehr durch Personen regiert werden, sondern durch Codes“ (Luhmann 1987f: 168). Dabei verweist er insbesondere auf den Code Regierung/Opposition (siehe Kapitel 6.1). Demokratie löst nach Luhmann also den traditionellen und dichotomisch angelegten Herrschaftsbegriff auf und ruft sich selbst zur Herrscherin aus, die mittels eines Codes herrscht. Herrschaft stellt von daher nicht mehr ausschließlich eine soziale Eigenschaft dar, sondern weist vor allem systemische Eigenschaften auf, hinter die das „Soziale“ zurücktreten muss. Luhmann sagt zwar nicht deutlich, worin die systemischen Eigenschaften der Herrschaft und die damit verbundenen sozialen Konsequenzen in einem demokratischen System bestehen. Man könnte aber vermuten, dass eine Wirkung dieser systemischen Eigenschaften darin liegt, dass sie Herrschende und Beherrschte gleichermaßen den Imperativen, der Organisation und den Spielregeln des demokratisierten politischen Systems unterwerfen. An dieser Stelle kann schon einmal im Vorgriff auf Luhmanns dreifache Ausdifferenzie73
Hierbei spielt die repräsentative Demokratie sowohl begrifflich als auch in der Form ihrer institutionellen Realisierung eine zentrale Rolle, weil sie nach Luhmann die Paradoxie der Demokratie auflöst (Luhmann 2000: 429). Aber nur, so wäre gegen Luhmann hinzuzufügen, um sie neu zu etablieren, da durch die ihr zugrunde liegende Unterscheidung zwischen Repräsentanten und Repräsentierten eine erneute Teilung erfolgt.
3.2 Luhmanns Demokratieverständnis
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rung des politischen Systems in die Subsysteme Verwaltung, Politik und Publikum verwiesen werden.74 Mit dieser Dreiteilung entstehen zwischen den politischen Subsystemen spezifische Austauschbeziehungen, die sich nicht nur auf die Produktion allgemeinverbindlicher politischer Entscheidungen auswirken, sondern auch Einfluss nehmen auf die Ausübung von Herrschaft und die Verteilung von politischer Macht. Luhmann verweist hier auf zwei kreisförmig ausgerichtete Konstellationen (Luhmann 1981d: 163), die aus einem formalen und einem informalen Machtkreislauf bestehen.75 In beiden Kreisläufen ist Herrschaft zwar nicht aufgehoben, doch sind die Herrschenden zugleich auch die Beherrschten und die Beherrschten werden zu Herrschenden, in dem ihr Output zum Input der Beherrschten wird und jene den Output der Beherrschten zur Prämisse ihres Handelns machen, womit sie sich der Macht der Beherrschten unterwerfen.76 Es soll hier auf eine eingehende Kritik von Luhmanns Vorstellungen von Volkssouveränität und von politischer Herrschaft verzichtet werden. Nur so viel sei angemerkt: Seine skeptische Einschätzung der Möglichkeiten, das Volk herrschen zu lassen bzw. zur Herrschaft zu bringen, deckt sich weitgehend mit Teilen der politikwissenschaftlichen Literatur (Kielmannsegg 1977) zu diesem Thema. Während dort aber entweder technische Gründe für die Unmöglichkeit der Volksherrschaft angeführt werden oder auf die gesellschaftlichen und politischen Machtverhältnisse verwiesen wird, die einer Herrschaft des Volkes entgegenstehen sowie auf die Vergeblichkeit aufmerksam gemacht wird, das Volk als eine politische Wirkungseinheit zu konstituieren, betont Luhmann die systemischen Bedingungen, die dazu führen, dass Herrschende und Beherrschte gleichermaßen in Abhängigkeit zur Ausdifferenzierung des politischen Systems und der Demokratie geraten. Mit Hilfe einer solchen Argumentation wird es möglich, die spezifischen sozialen Voraussetzungen von Demokratie als Herrschaftsform bzw. Herrschaftsordnung auszublenden und zu verschleiern und gerade dadurch erst die Ausübung von Herrschaft in differenzierter Form möglich zu machen, ohne dass dabei ständig Fragen nach den jeweils Mächtigen bzw. Ohnmächtigen oder nach ihrer Legitimation aufgeworfen werden müssen. Zugespitzt könnte man vielleicht sogar sagen, dass durch die Verschleierung des Herrschaftscharakters der Demokratie in ihrer Deutung als Herrschaft des Volkes die Voraussetzungen für die Praktizierung von Demokratie überhaupt erst gelegt werden. Somit lässt sich jetzt das Verhältnis von Demokratie und Herrschaft sehr viel umfassender 74 75 76
Siehe Kapitel 5.2. Siehe hierzu auch Habermas (1992: 621-622). „Macht ist immer dann gegeben, wenn aus einem Bereich der Möglichkeiten eine bestimmte durch Entscheidung gewählt wird und diese Selektion von anderen als Entscheidungsprämisse übernommen wird, obwohl sie selbst nur auf Entscheidung beruht, also in ihrer Selektivität sichtbar bleibt“ (Luhmann 1984g: 162). Zu Luhmanns Verständnis von Macht siehe auch Hellmann (2005: 20-23) sowie Brodocz (1998).
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3 Demokratie in der Systemtheorie Niklas Luhmanns
und differenzierter fassen, als in vielen demokratietheoretischen Arbeiten, die sich dem Problem der Herrschaft als einer relativ stabilen sozialen Beziehung zwischen bestimmten Akteuren (Herrschenden und Beherrschten) und ihren jeweiligen Interessen und Bedürfnissen nähern. Für Luhmann ist das Verhältnis von Demokratie und Herrschaft aber noch in anderer Hinsicht problematisch. So weist er immer wieder darauf hin, dass Herrschaft, die auf die Anwendung legitimer Macht beruht, immer nur systemspezifisch zu verstehen ist. Dementsprechend weist jedes Teilsystem der Gesellschaft eine spezifische Herrschaftsstruktur und Herrschaftspraxis auf. Insofern muß also unterschieden werden zwischen wissenschaftlicher, wirtschaftlicher, rechtlicher und eben auch politischer Herrschaft. Eine Herrschaft der Gesellschaft, die über oder jenseits der Herrschaft der Subsysteme angesiedelt ist, gerät damit aus dem Blick. Versteht man jedoch Demokratie als Ausdruck der Volkssouveränität und damit als Herrschaft des Volkes („Gesellschaft“) über sich selbst, könnte sie als Ausdruck gesamtgesellschaftlicher Herrschaft interpretiert werden. Eine solche Interpretation wird von Luhmann aus den schon erwähnten Gründen jedoch zurückgewiesen. Da er die Demokratie ausschließlich im politischen System verortet (Kapitel 5), ist sie gleichsam automatisch auf politische Herrschaft, nicht aber auf wirtschaftliche, wissenschaftliche oder religiöse Herrschaft gerichtet. Alle anderen Formen von Herrschaft innerhalb des politischen Systems, wie zum Beispiel wirtschaftliche Herrschaft, sind danach ebenso systemwidrig wie politische Herrschaft im Wirtschaftssystem oder im Wissenschaftssystem. Folgerichtig stuft Luhmann Demokratie außerhalb des politischen Systems als schädlich ein.77 Sie wäre dort „ein Konzept für die Vermehrung ... von Organisation. Sie würde ... verstärken, was ohnehin schon augenfällig ist: eine laufende Beschäftigung mit selbstgeschaffenen Problemen und mit Versuchen, durch Entscheidungen auf Entscheidungen zu reagieren“ (Luhmann 1996: 311). Die Vermehrung von Organisation würde ihm zufolge vor allem die Sensibilität für Gruppeninteressen erhöhen und die gesellschaftlichen Subsysteme damit in verstärkter Form ihren eigenen sozialen Folgeproblemen ausliefern (Luhmann 1996: 311). Hier nun lässt sich an die Pluralismustheorie der Demokratie (Kremendahl 1977) anschließen, die ihren Blick zwar auf die Interessenverbände und nicht auf soziale Systeme richtet, aber von dort aus zu ähnlichen Ergebnissen wie Luhmann kommt: einer Pluralisierung von Herrschaft und einer damit verbundenen Fragmentarisierung und Ausdifferenzierung von gesellschaftlicher Macht (Dahl 1976), die nicht mehr als Einheit praktiziert werden kann. Daneben werden auch in der Pluralismustheorie die sozialen Komponenten von 77
Im Gegensatz dazu Marti (2006: 33), der die These vertritt, dass eine Demokratisierung der Demokratie nicht ohne gleichzeitige Demokratisierung der Wirtschaft möglich ist. Siehe hierzu auch Harris (1983).
3.2 Luhmanns Demokratieverständnis
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Herrschaft im Rahmen des Gruppenwettbewerbs in die systemische Anonymität des Marktes überführt (Truman 1971). Wenn aber Demokratie im Sinne von Volksherrschaft nur einen, wenn auch einen aus legitimatorischen Gründen unverzichtbaren Mythos darstellt, weil sie nicht zur Herrschaft der Gesellschaft über sich selbst und damit nicht zur Grundlage gesellschaftlicher Macht taugt78, wird es unausweichlich, Demokratie nicht gesellschaftlich, sondern politisch zu konzeptualisieren. Es ist deshalb nur konsequent, wenn Luhmann Demokratie und politische Herrschaft im politischen System verortet. Damit stellt sich jetzt aber um so nachdrücklicher die Frage, wie Demokratie, ob als gesellschaftliches oder als politisches Phänomen entstanden ist und wie sie sich im Verlauf der Jahrhunderte entwickelt hat. Darüber hinaus stellt sich weiterhin auch die Frage, wie es gelingen konnte, Demokratie einerseits gesamtgesellschaftlich als Herrschaft des Volkes zu deklarieren, sie andererseits zugleich aber auf das politische System zu konzentrieren bzw. im politischen System zu monopolisieren. Auch wenn Luhmann auf diese Fragen, wenn überhaupt, nicht immer eindeutige Antworten zu geben vermag, so lassen sich mit ihnen gleichwohl neue und wissenschaftlich weiterführende Problemstellungen für ein besseres Verständnis von Demokratie in Theorie und Praxis erschließen.
78
Davon unberührt bleibt die Frage, wie und in welcher Form in den gesellschaftlichen Subsystemen Herrschaft verteilt ist und praktiziert wird und in welchem Zusammenhang dies eventuell mit Demokratie steht. Zu überlegen wäre auch, ob es zwischen den verschiedenen Formen von Herrschaft ein Gefälle und Verrechnungseinheiten gibt (hierzu Parsons 1980: 57-137).
4.1 Demokratie als evolutionäre Errungenschaft
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4 Gesellschaftliche Evolution und Demokratie
4.1 Demokratie als evolutionäre Errungenschaft Um die Entwicklung zur und von Demokratie zu verstehen, greift Luhmann auf den für seine Gesellschaftstheorie so eminent wichtigen Begriff der „Evolution“ zurück (Luhmann 1997a: 413-594). Dabei geht er von vornherein davon aus, dass Demokratie ein politisches und nur in diesem Kontext auch ein gesellschaftliches Phänomen darstellt. Mit Hilfe des Evolutionsbegriffs glaubt er die Entstehung und Entwicklung der Demokratie unter der Voraussetzung ihrer systemischen Bedingtheiten genauer beschreiben zu können. Das setzt eine Aufarbeitung der Geschichte der Demokratie voraus, die er jedoch nicht vornimmt und deren Desiderat dadurch nur um so deutlicher zu Tage tritt.79 Auch versäumt er es zu spezifizieren, worauf sich seine Beschreibung des Verhältnisses von Evolution und Demokratie eigentlich bezieht: ist es die Evolution der Strukturen, der Begriffe („Semantiken“), der Selbstbeschreibungen oder der Ideen? Vermutlich wird man zunächst alle vier Faktoren unabhängig voneinander bei der Evolution der Demokratie berücksichtigen müssen. Aber das allein genügt natürlich nicht, sondern auch ihre Wechselbeziehungen müssten eingehender untersucht werden. Auch hierzu ist die Forschungslage bislang noch sehr unübersichtlich.80 Generell lässt sich zunächst jedoch feststellen, dass die erste und uns relativ gut überlieferte klassische Demokratie geschaffen worden ist, ohne dass die Athener eine konzeptionelle Vorstellung davon hatten, was sie damit eigentlich ins Leben riefen. So schreibt denn auch Christian Meier in seinen Studien über die Entstehung des Politischen bei den Griechen: „Es ist nicht einfach zu verstehen, dass ein Volk, das nichts von der Möglichkeit einer Demokratie weiß, Demokratie schafft“ (Meier 1980: 12). Die Reflexion der politischen Praxis der Athener setzte erst ein, nachdem die wesentlichen demokratischen Strukturen geschaffen worden sind.81 Im Gegensatz dazu konnte sich die Römische Republik schon am 79 80
81
Siehe aber das dreibändige Werk von Bryce (1923-1926 sowie Dunn (Hrsg.) 1992); Saage (2005). Zur Geschichte der Demokratie in Deutschland siehe Riethmüller (2002) und Dahrendorf (1968). Siehe hierzu Kern (2007), der allerdings die zentralen Arbeiten, die im Rahmen des „Social Science Research Council Comittee on Comparative Politics“ vorgelegt worden sind (Almond 2002: 95-97), nicht berücksichtigt, welche indessen die neueren differenzierungstheoretischen Ansätze als ziemlich defizitär aussehen lassen. Zum politischen Denken bei den Griechen als treibende Kraft der gesellschaftlichen und politischen Transformation siehe Meier (1980: 70-90); Roth (1999: 19-25).
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4 Gesellschaftliche Evolution und Demokratie
Beispiel der athenischen Demokratie orientieren und daraus der spezifischen gesellschaftlichen Situation Roms angemessene Änderungen vornehmen. Mit dem Untergang der Römischen Republik ist der Gedanke der Demokratie schließlich in Vergessenheit geraten. Erst mit der Übersetzung der Werke von Aristoteles im hohen Mittelalter fand die Idee der Demokratie in Gelehrtenkreisen wieder eine größere Beachtung, ohne jedoch eine politisch-praktische Bedeutung zu erhalten, sieht man einmal von den italienischen Stadtstaaten ab, in denen sich gewisse demokratische Strukturen ausbilden konnten. Auch sie lassen sich nicht auf ein planvolles Handeln zurückführen. Insofern entsprang auch die Demokratisierung des heraufziehenden liberalen Staates systemischen Notwendigkeiten, nicht aber einem konzeptionellen Denken oder planvollen menschlichen Handlungen (Macpherson (1971: 11). „There is our Western liberal democracy, which we saw was brought into being to serve the needs of the competitive market society” (Ebenda: 35). Ähnliches lässt sich für die Neuzeit konstatieren. Hier gewinnt man ebenfalls den Eindruck, dass sich die Demokratisierung eher unabhängig von planvollen menschlichen Handlungen vollzieht. Um es in den Worten von Charles Tilly zu sagen: „In watching democratization, we witness an erratic, improvisational, struggle-ridden process in which continuities and cumulative effects arise as much from constraints set by widely shared but implicit understandings and existing social relations as from any clairvoyant vision of the future” (Tilly 2000: 100). Ebenfalls als ein „systemisches“ Produkt lässt sich Demokratie auffassen, wenn man in ihr das Ergebnis von Auseinandersetzungen unterschiedlicher gesellschaftlicher Klassen oder sozialer Schichten um die Durchsetzung und Institutionalisierung ihrer jeweiligen Interessen sieht (Przeworski 1989). Erwähnenswert sind hier insbesondere die Kämpfe zwischen grundbesitzenden Oberklassen und Bauern (Moore 1969) oder zwischen Bourgeoisie und Proletariat (Levin 1983; Jahn 2004; Rosenberg 1988). Auffassungen, nach denen sich die Demokratisierung in Wellen vollzieht, neigen gleichfalls einer evolutionären82 und/oder „systemischen“ Interpretation der Entwicklung von demokratischen Systemen zu (Kaelble 2001; Huntington 1993, 2000; Diamond 2000; O´Loughlin u.a. 1998).83 Sieht man schließlich in der Demokratie das zentrale Resultat der „Modernisierung“ (Almond 1990: 219-262; 1970: 223233, 259-271; zusammenfassend Merkel 1999: 83-89)84, liegt es ebenfalls nahe, darin ein sich selbst tragendes, von den Eingriffen politischer Eliten weitgehend unabhängiges Evolutionsprinzip zu sehen (Welzel 2001: 17-18, 20, 2000: 496, 82 83 84
„Die jüngste Welle der Demokratisierung markiert einen Evolutionssprung in der gesamten Geschichte der politischen Herrschaft” (Welzel 2002: 32). „DEMOCRATIZATION WAVES AND REVERSE WAVES are manifestations of a more general phenomenon in politics” (Huntington 1993: 31). Siehe hierzu insbesondere auch den kritischen Rückblick von Almond (1990: 219-262).
4.1 Demokratie als evolutionäre Errungenschaft
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2002: 15, 54)85. Gemäß dieser Interpretation führt ökonomischer Wohlstand in Verbindung mit wachsender Bildung innerhalb der Bevölkerung zu einem Wertewandel, der wiederum von steigenden Emanzipationsansprüchen begleitet wird, die schließlich in die Forderung nach und die Institutionalisierung von Partizipationsmöglichkeiten einmünden (Welzel 2000).86 Eine zusätzliche Erklärung für die „systemisch“ bedingte Evolution von demokratischen Systemen lässt sich schließlich noch mit Verweis auf die Wirksamkeit „externer“ Faktoren gewinnen (grundlegend Wejnert 2005), die hieran beteiligt sind. Zu ihnen zählen das internationale System (Held 1992: 11-12, 33-34), die Europäische Union (Kaelble 2001: 10 und passim), geographische Nähe (Wejnert 2005: 56, 67, 72) und der finanzielle, politische oder moralische Druck etablierter demokratischer Staaten. Zu ihnen gehört aber auch, wie im Falle Deutschlands und Japans nach dem 2. Weltkrieg, der Einfluss von Besatzungsmächten, die im Kontext des Systemantagonismus im internationalen System und in Verbindung mit nationalen politischen Kräften demokratische Strukturen geschaffen haben, die im Laufe der Zeit eine Eigendynamik entfalteten, so dass es zu einer sich selbst tragenden demokratischen Entwicklung in den beiden Ländern kommen konnte. Im scheinbaren Gegensatz zur systemisch bedingten Evolution der Demokratie wird zugleich aber darauf hingewiesen, und auch Luhmann hat dies in Verbindung mit der Entwicklung zum Verfassungsstaat getan (Luhmann 1987e: 109), dass beim Kampf um die moderne Demokratie immer auch Ideen, Ideale oder Theorien eine wichtige Bedeutung gehabt haben (Merriam 1939: 45-49; Powell 1979: 400-402; Moore 1969:554-581; Bryce 1923: 24, 26, 28, 32, 33, 36, 37; Jahn 2004: 102, 104-105; Fischer 1996: 282, 284; Wootton 1992: 71).87 Insbesondere seien, wie behauptet wird, die „klassischen Demokratietheorien“ „a significant part of the body of ideas which have helped shape Western civilization, and people’s conception of themselves. Only barbarians, rejecting history or continuity, would deny the importance of critical exploration of what remain, in some sense, dominant political ideals” (Duncan 1983: 5).88 Dabei sollte man aber nicht vergessen, dass diese Ideale in sich widersprüchlich sind und auch, entgegen landläufiger Behauptungen, der Demokratie keineswegs immanent sind. 85
86 87 88
Welzel kommt in seiner empirischen Untersuchung zu dem Ergebnis, „dass die Entstehung und Stabilisierung von Demokratien aus einem übergeordneten entwicklungsgeschichtlichen Zusammenhang zu verstehen sind und dass die akteurszentrierte Demokratisierungsforschung wesentliche Aspekte, die für das Verständnis elementar sind, ausblendet“ (Welzel 2002: 233). Welzel (2000, 2002) spricht hier von „Humanentwicklung“. Zur „Trias der Humanentwicklung“ siehe Welzel (2002: 46, Tabelle 1). Ein besonders aussagekräftiges aktuelles Beispiel dafür bietet die sogen. „Feministische Demokratietheorie“. Siehe hierzu auch Greiffenhagen (1973: 40): Die Demokratie ist das politische Resultat der Aufklärung ... Keine Staatsform weist so starke theoretische Rückgriffe auf wie die Demokratie...“.
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4 Gesellschaftliche Evolution und Demokratie
Werte wie Freiheit, Gerechtigkeit, Rechtsstaatlichkeit usw. „are not coincident with or derived from the theoretical premise of democracy, but are rather eclectical gathered from several bodies of theory – idealism, Roman law, Christianity – which are seriously at odds with political democracy“ (Corcoran 1983: 24). Dieser Einschätzung widerspricht auch nicht der Hinweis darauf, dass die politischen Erfahrungen sowohl aus der Antike als auch der Neuzeit immer wieder eine wichtige Rolle bei der Begründung, Durchsetzung und Evolution der Demokratie gespielt hätten bzw. immer noch spielen (Roth 1999: 12; Bryce 1923: 1, 5, 32, 35-36; Fischer 1996: 281; Skinner 1992: 59, 60, 63; Maddox 1993: 2123), entweder um die jeweils dort ausgebildeten Elemente von Demokratie zu übernehmen oder auch nur um sich bewusst von ihnen abzugrenzen. Angesichts dieser unterschiedlichen Auffassungen über die jeweilige Relevanz von Faktoren, die für die Evolution der Demokratie von Bedeutung sind, ist es schwierig, zu eindeutigen Aussagen zu gelangen. Alles in allem wird man aber davon ausgehen müssen, dass im Falle der Demokratie zunächst die politischen Strukturen vor ihrer Idee existiert haben. Erst nachdem sich Strukturen herausgebildet haben, die man als „Demokratie“ bezeichnet hat, haben die mit ihr verbundenen Ideen ein Eigenleben gewonnen89 und haben, sofern sie von gesellschaftlichen Akteuren zu ihrem politischen Programm gemacht worden sind, gestaltend auf die politischen Strukturen Einfluss nehmen können. Nachdem sich in der politischen Praxis jedoch demokratische Strukturen durchgesetzt haben, vor allem weil ihnen der gesellschaftliche Entwicklungsstand förderlich gewesen ist90, haben sich zugleich die politischen Alternativen verringert. Der „Pfad der Demokratie“ konnte jetzt nicht mehr so leicht verlassen werden. Man könnte deshalb auch von „demokratischer Evolution“ bzw. von einer Entwicklung von der Evolution der Demokratie zur „demokratischen Evolution“ sprechen. Damit ist eine Entwicklung gemeint, in der die Demokratie dazu übergeht, sich aus sich selbst heraus („autokatalytisch“) fortzuentwickeln, wobei die Evolution von solchen Regeln, Strukturen und Akteuren vorangetrieben wird, die ihre Existenz der Demokratie verdanken. Von daher verbessern sich mit der Evolution der Demokratie für bestimmte soziale Gruppen die Chancen, ihre Interessen im politischen System durchzusetzen. Sie sind deshalb nicht nur die Nutznießer der Demokratie, sondern in der Regel auch ihre Unterstützer. Insgesamt wird man also davon ausgehen müssen, dass die Evolution der Demokratie
89 90
Zur eigenständigen Bedeutung von Ideen siehe Blyth (1997), Lieberman (2002) und Yee (1996). Als zentrale Bedingung dafür betont Vanhanen (1997) die relativ gleichmäßige Verteilung der Machtressourcen zwischen den verschiedenen sozialen Gruppen in einer Gesellschaft.
4.1 Demokratie als evolutionäre Errungenschaft
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bzw. die „demokratische Evolution“ auch von Ideen und Akteursinteressen bestimmt wird.91 Luhmann ignoriert in seinen demokratietheoretischen Überlegungen diesen Stand der Forschung. Für ihn sind Demokratie und ihre Strukturmerkmale ganz allgemein eine Folge gesellschaftlicher Entwicklungen, mithin ein Ergebnis „systemischer“ Notwendigkeiten (oder auch nur das Resultat von „Zufällen“). Demokratie ist also keine Konsequenz der Interessen sozialer Akteure oder gar das Resultat ihres zielgerichteten politischen Handelns, sondern sie formt sich auf der Basis struktureller gesellschaftlicher Gegebenheiten, funktionaler Notwendigkeiten und anstehender Problemlösungen aus. Bei der Evolution der Demokratie spielen seiner Überzeugung nach vor allem drei Mechanismen, die nicht immer miteinander synchronisiert sein müssen, eine zentrale Rolle: nämlich Variation, Selektion aus den Variationen und die Stabilisierung der Selektion. Demokratie ist also eine evolutionäre Errungenschaft, die mit einer Variation (oder auch mit einer Unterscheidung) begonnen hat, die sich, weil sie sich in der Praxis bewährt hat, stabilisieren konnte und die im Anschluss an ihre Stabilisierung weitere Variationen hervorbringt, allerdings in Abhängigkeit von der ursprünglich ausgewählten und stabilisierten Variation.92 Dieser Prozess hat sich bis heute fortgesetzt und wird so lange andauern, so lange die Demokratie genügend Variationen produzieren kann und so lange Variationen ausgewählt und stabilisiert werden können. So gesehen erzeugt sich die Evolution (und damit auch die Demokratie) „gewissermaßen selbst ... Die Evolution regt sich selber an, Ordnung aufzubauen“ (Luhmann 2002: 322).93 Indessen ist diese Ordnungsbildung nur um den Preis neuer Unordnung und das heißt: neuer Möglichkeiten zur Evolution zu haben. In diesem Sinne ist Demokratie immer im Wandel. Neue Möglichkeiten schaffen neue Integrations- und Kontrollnotwendigkeiten, die wiederum die Voraussetzung für Evolution darstellen usw. Demokratie befindet sich insofern immer in Bewegung94, was aber laut Luhmann nicht bedeutet, dass 91
92 93
94
So schreibt zum Beispiel Dunn über das Verhältnis von repräsentativer Demokratie und Ideen: „The power of representative democracy as a state form today has come largely from very practical and unehilarating achievements. But the power of democray as an idea is far less closely tied to these achievements” (Dunn 1992: 266). Dieser Entwicklungsprozess wird neuerdings mit dem Begriff „Pfadabhängigkeit“ belegt (Pierson 2000a und 2000b). Zu einem ähnlichen Ergebnis, wenn auch aus einer völlig anderen Perspektive, gelangt Jochum (1997: 159): „Die Untersuchung hat gezeigt, dass die Prämissen des demokratischen Prinzips sich in konkrete Anforderungen für demokratische Entscheidungsverfahren umsetzen lassen. Damit ist am Ende ein Beweis dafür erbracht worden, dass das Entscheidungsverfahren in der Demokratie durch das demokratische Prinzip selbst determiniert ist.“ Die Parallelität zwischen dieser Argumentation und ihrer eigenen Argumentation über Demokratie als ein unabgeschlossenes Projekt sehen auch Rödel, Frankenberg und Dubiel sehr deutlich (Rödel u.a. 1989: 143-144).
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4 Gesellschaftliche Evolution und Demokratie
sich die Demokratie linear immer weiter in Richtung Demokratisierung entwickelt. Vielmehr gibt es aus demokratietheoretischer Perspektive sowohl Rückschritte als auch Fortschritte (siehe auch Dahl 1998: 25). Diese Auffassung mag zwar für den Einzelfall zutreffend sein, doch lässt sich entgegen Luhmanns Skepsis die Existenz eines geschichtlichen Trends zur Durchsetzung der Demokratie bis heute nicht leugnen.95 Insofern ist die Evolution der Demokratie zwar insgesamt betrachtet ein widersprüchlicher Prozess (Kaelble 2001: 19), doch scheint sie sich in Richtung einer weiteren Demokratisierung zu bewegen (Dewey 1996: 127).96 Dies bekräftigt wiederum die These, daß die Evolution der Demokratie vor allem systemischen Imperativen folgt, die in der Demokratie selbst verankert sind. Die Evolution der Demokratie liegt damit in der Evolution der Demokratie begründet. Obwohl die Evolution der Demokratie systemischen Imperativen folgt, nehmen doch auch Menschen darauf Einfluss und hinterlassen dort ihre Spuren.97 Indessen nicht in dem Sinne, wie zum Beispiel Lipset behauptet (1995: XXVI), der das Schicksal der Demokratie in die Hände politischer Eliten legt.98 Das Ergebnis menschlicher Einflussnahmen ist vielmehr offen, unabhängig davon, wie bewusst politische Prozesse von politischen Eliten geplant und durchgesetzt werden. Sartori spricht von der Herausbildung der Demokratie deshalb auch als „ein sich entwickelndes Makro-Kunstprodukt“ (1992: 26) und sieht darin „das Ergebnis eines Sich-Durchwurstelns mittels Versuch und Irrtum“ (Ebenda: 2627), wobei er jedoch Idealen eine nicht unerhebliche Bedeutung einräumt (Ebenda: 76-78). In diesem Sinne versteht er die Demokratie als „Menschenwerk“ und die Hauptströmung der Demokratietheorie „ist im besonderem Maße von der Erfahrung, vom Ausprobieren geprägt“ (Ebenda: 488-489, Zitat: 489). Dieser Auffassung vermag Luhmann in Teilen durchaus zuzustimmen, wenn man einmal von der Relevanz der Ideale absieht, die Sartori ihnen für die Demokratieentwicklung zuspricht. „Evolution heißt: dass sich Strukturänderungen aus einem unkoordinierten („zufälligen“) Zusammenspiel von Variationen, Selektionen und Restabilisierungen ergeben und dass die Ergebnisse weder planbar noch prognostizierbar sind“ (Luhmann 1983a: 31).99 Schon im Jahre 1927 hat diesen Sach95 96 97 98
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So mit eindeutigen empirischen Belegen Welzel (2000: 479-480); Vanhanen (1997: 67-98, 2000: 194-196) und Wejnert (2005: 63). Von daher spricht Vanhanen berechtigter Weise von einer „Darwinian or evolutionary theory of democratization“ (Vanhanen 1997: 155, 162). Siehe hierzu insbesondere auch Mill (1971: 29-34, 47-57). Das gilt höchstens unter folgenden Bedingungen: Es müssen charismatische Führer vorhanden sein, es muss eine Krisensituation gegeben sein, die Zukunft muss im höchsten Maße unsicher sein und keine gesellschaftliche Gruppe vermag Dominanz über die anderen Gruppen auszuüben (Fischer 1996: 280, 283, 288-291). Zum Verhältnis von Variation, Selektion und Stabilisierung siehe Hellmann (2003: 190-207).
4.1 Demokratie als evolutionäre Errungenschaft
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verhalt John Dewey folgendermaßen beschrieben: „Die politische Demokratie ist als eine Art Netto-Folge aus einer riesigen Menge reaktiver Angleichungen an eine riesige Zahl von Situationen entstanden, von denen keine zwei einander glichen, die aber dazu neigten, in einem gemeinsamen Ergebnis zu konvergieren“ (Dewey 1996: 81, siehe auch 126). Politische Handlungen, wie zum Beispiel Maßnahmen zur Demokratisierung der Demokratie, sind demnach nicht von vornherein bedeutungslos, doch lässt sich weder prognostizieren, ob sie tatsächlich einen Beitrag zur Demokratisierung leisten, noch welche anderen Konsequenzen sich aus ihnen ergeben werden. Sollten sie tatsächlich zur Demokratisierung beitragen, wäre dies aus Luhmanns Sicht purer Zufall. Aus seiner evolutionären Perspektive sind deshalb alle Begleiterscheinungen der Politik für die Demokratie zunächst einmal gleichwertig. Sie können sowohl die Evolution der Demokratie fördern als auch einschränken.100 Erst im nachhinein wird es möglich zu beurteilen, wie sie auf die Evolution der Demokratie tatsächlich, ob „positiv“ oder „negativ“, eingewirkt haben. Eine aktuelle Bewertung des Handelns politischer Akteure wird damit zwar nicht unmöglich, doch ist sie nur eine Prognose, aber keine wissenschaftlich fundierbare Aussage. Insofern wird deutlich, dass Luhmanns Überlegungen zur Demokratie keine wie auch immer gearteten Maßstäbe zur Beurteilung von politischen Handlungen enthalten. Ebensowenig lässt sich aus ihnen ein politisch verwertbares Programm herauslesen. Die einzige konkrete politische Forderung, die sich aus seinen Überlegungen zur Evolution der Demokratie vielleicht ableiten ließe, könnte lauten: „Haltet euch zurück mit euren politischen Bemühungen, die Evolution der Demokratie beeinflussen zu wollen, denn ihr wißt nicht, was ihr damit auslöst!“ Es ist von daher nur konsequent, dass sich Luhmann von solchen Demokratiekonzeptionen scharf abgrenzt, die in der Demokratie eine Herrschaftsform verstehen, die auf dem Versprechen der Verwirklichung humanistischer Werte gründet und die in der Demokratie eine Möglichkeit sehen, vernünftige und selbstbestimmte Formen menschlichen Zusammenlebens organisieren zu können. Solche Ansätze sind für Luhmann zu einfach und auch theoretisch nicht weiterführend. Natürlich weiß auch er, dass die Demokratie eng mit bestimmten Werten und Normen verknüpft ist, die als Leitbilder oder Rechtfertigungen politischen Handelns eine wichtige Bedeutung haben. Wogegen er sich aber ausspricht, ist die Erwartung, dass man nur die „richtige“ Gesinnung und entsprechende Normen vertreten und in die politische Praxis umsetzen muss, um Demokratie zu ermöglichen.101 Eine solche Auffassung widerspricht nicht nur der alten Erkenntnis, dass gute Intentionen negative praktische Konsequenzen haben kön100 Damit schließt Luhmann aber jede aktuelle Bewertung von Politik für die Demokratie aus. 101 Dies ist übrigens auch der Irrglaube vieler Arbeiten, die im Kontext der Modernisierungsforschung und der Transformationsforschung vorgestellt werden.
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nen, sondern auch Luhmanns eigenen Erfahrungen mit Bemühungen, die Demokratie bewusst und zielgerichtet zu demokratisieren. Nach seiner Überzeugung handelt man sich damit statt mehr Demokratie nur mehr Probleme ein, die nicht selten der Demokratie sogar schaden können. Demzufolge ist für ihn auch die Vorstellung eines gesellschaftlichen Fortschritts, der von demokratischen Werten und ihrer politischen Umsetzung geleitet ist, nicht nachvollziehbar. Die Rationalität des Fortschritts liegt, so es einen solchen überhaupt gibt, nicht in den Werten, sondern findet sich in den Strukturen der sozialen Systeme und steht insofern nicht zur Disposition gesellschaftlicher Akteure.102 Zugespitzt könnte man deshalb sagen, dass sich die Evolution im Allgemeinen und die Evolution der Demokratie im Besonderen ihre Anlässe selbst schafft. Die Demokratie bildet demnach politische Strukturen aus, die als Anlässe und Mechanismen fungieren, die Demokratie voranzutreiben.103 Dies impliziert wiederum, dass für Luhmann, ganz im Sinne seiner Theorie selbstreferenzieller Systeme, die Evolution der Demokratie nicht von außen angestoßen und weitergetrieben wird, sondern von der Demokratie selbst induziert wird. Bis ein solches Stadium jedoch erst einmal erreicht ist, ist ein langer Prozess zu durchlaufen, der sich der Einsicht der Menschen zunächst jedoch entzieht. Erst wenn dieser Prozess ins Bewusstsein gedrungen ist und auf einen Begriff gebracht worden ist, gewinnt politisches Handeln Fix- und Orientierungspunkte sowie eine Basis für die Reflexion politischen Handelns.104 Das bedeutet aber nicht, dass zu dem Zeitpunkt, ab dem Demokratie den Menschen bewusst geworden ist, sie auch wirklich verstanden worden ist und gezielt gestaltet werden kann. Nach Luhmann wäre dies auch gar nicht mehr nötig. Die Demokratie hat jetzt nämlich ein Entwicklungsstadium erreicht, in dem sie sich nur noch selbst beeinflussen kann. Die Demokratie ist also „systemisch“ geworden und weist jetzt ähnliche Eigenschaften wie soziale Systeme auf. Sie unterliegt einer eigenen Entwicklungslogik, sie hat eigene Notwendigkeiten (Funktionalitäten) und eigene Rationalitätskriterien sowie eigene Reflexionstheorien und Überlebens- und Stabilitätsbedingungen, zugleich aber auch eigene Gefährdungspotentiale entwickelt. Obwohl die Demokratie systemisch geworden ist, hält dies die Menschen natürlich nicht davon ab, daran zu glauben, sie planen und gestalten zu können.105 Sie werden in ihrem Glauben durch die meisten Demokratietheorien noch 102 Was natürlich nicht ausschließt, dass sie darauf Einfluss nehmen. 103 Es geht hier nicht um die sozialen Voraussetzungen von Demokratie, sondern um die strukturellen Mechanismen, die ihre Fortentwicklung („Evolution“) ermöglichen. 104 Mit Bezug auf die athenische Demokratie Meier (1980, 1994: 171-181); Bleicken (1991). 105 Man stelle sich auf der Ebene der politischen Praxis nur den Zynismus derjenigen vor, die zum Beispiel vorgeben, die Demokratie zu demokratisieren, ohne jedoch daran zu glauben, dies auch tatsächlich bewirken zu können. Im Gegensatz dazu wäre eine solche Haltung aus der
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bestärkt, die davon ausgehen, dass zwischen der Demokratie und den menschlichen Bedürfnissen und Werten enge Verbindungen bestehen, trotz eingestandener offen zu Tage tretender Abweichungen und Widersprüche. Diese werden jedoch als prinzipiell überwindbar eingeschätzt, wie nicht zuletzt die nicht mehr zu überschauende und ständig noch anschwellende Flut an Vorschlägen zur Verbesserung der Demokratie deutlich macht. Im Gegensatz zu solchen Vorstellungen neigt Luhmann nicht nur der Auffassung zu, dass Demokratie schon aus prinzipiellen Gründen nicht gestaltbar ist, sondern er geht auch davon aus, dass sich die Evolution der Demokratie von den Bedürfnissen der Menschen entfernen kann, sofern dies evolutionär bedingte systemische Notwendigkeiten erforderlich machen.106 Demokratie kann somit den Menschen als eine „fremde“ politische Macht gegenübertreten. Man darf von daher auch vermuten, dass für Luhmann die systemischen Notwendigkeiten der Demokratie Vorrang gegenüber Normen und Werten gebührt, während die „klassischen“ Demokratietheorien genau den umgekehrten Weg gehen. Für sie haben Normen und Werte Priorität gegenüber systemischen Anforderungen und Notwendigkeiten. Luhmann käme deshalb wohl auch die Idee als reichlich überspannt vor, die Demokratie mit dem Glück der Menschen in Verbindung zu bringen (so Arendt 2000: 152 und passim). Aus der systemischen Perspektive betrachtet, ist Luhmanns Position durchaus nachvollziehbar. Aus der Akteursperspektive sieht dagegen der gleiche Vorgang ganz anders aus. Insbesondere die politischen Akteure müssen so tun oder zumindest glauben sie, es so tun zu müssen (Edelman 1988), als könnten sie die Demokratie und den demokratischen Prozess beeinflussen. Wie sonst sollen sie ihre Existenz als „Repräsentanten des Volkes“ auch rechtfertigen? Selbst wenn sie bezüglich der Evolution der Demokratie nichts zu bewirken vermögen, so sind ihre Bemühungen, auf die Evolution der Demokratie einzuwirken, dennoch ein wichtiger Bestandteil der politischen Realität. Von daher dürfen sie auch bei einer systemischen Betrachtungsweise nicht ausgeblendet werden. Denn schon durch das „Tun als ob“ werden sie zwangsläufig zu einem integralen Bestandteil der Evolution der Demokratie. Allerdings lässt sich einwänden, dass sie dabei nicht als autonome Akteure, sondern als „Agenten“ einer Evolution der Demokratie fungieren. Sie sind damit einer Rationalität unterworfen, die ihnen im Großen und Ganzen nahe legt, was sie tun und was sie unterlassen müssen, um Demokratie zu praktizieren. Im Einzelnen schließt dies aber keineswegs aus, Perspektive des Systems kein Zynismus, sondern Akzeptanz der Entwicklungslogik des Systems und damit eine Form von Vernunft. 106 Auch hierzu kann die Systemtransformationsforschung viele Beispiele anführen, dass die Demokratisierung eines Landes zumindest kurz- oder mittelfristig mit den Werten und Bedürfnissen der Menschen kollidieren kann. Für Georgien Czerwick/Rzchiladse (2003).
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dass sie die Demokratie auch gefährden oder den Prozess der Evolution der Demokratie verlangsamen bzw. zum Halten bringen können, wie nicht zuletzt Luhmanns ständige Warnungen vor einer Erweiterung der Möglichkeiten für politische Partizipation deutlich machen. Insofern können politische Akteure als Bestandteil der Evolution der Demokratie wider die Evolution der Demokratie handeln. Die Rationalität demokratischer politischer Systeme und die Logik der in ihnen handelnden Akteure können also auseinanderdriften. Deshalb bleibt die Demokratie ständig gefährdet, in Autokratie oder Totalitarismus abzugleiten, obwohl oder gerade weil auf systemischer Ebene Demokratie auf Demokratie aufbaut. Es bleibt empirischen Untersuchungen vorbehalten zu prüfen, wie sich Systemrationalität und Akteurslogik zueinander verhalten und welche Konsequenzen sich daraus für die Evolution der Demokratie ergeben. Sicherlich darf man aus Luhmanns (unausgeprochenem) Plädoyer für ein hohes Maß an politischer Zurückhaltung bei Versuchen, die Evolution der Demokratie anzutreiben, kein Politikverbot folgern, das ohnehin nicht einzuhalten wäre. Politik lässt sich nun einmal nicht vermeiden, wohl aber begrenzen, wenn sie der Evolution der Demokratie zuträglich sein soll. Zumindest wird dies von den „liberalen“ Demokratietheorien immer wieder postuliert. Auch Luhmann neigt dazu, der Politik Grenzen aufzuerlegen und Stoppregeln zu verordnen, weil er eine Überlastung des politischen Systems durch Politik befürchtet. Aber was ist das rechte Maß für Politik, und ab wann wird das Ausmaß von Politik zu einer Gefahr für die Demokratie? Auch wenn auf diese Fragen keine Antworten gegeben werden können, so machen sie doch erneut darauf aufmerksam, dass Demokratie und Politik nicht identisch sind und dass auch das Verhältnis zwischen den beiden Probleme aufwirft. Die Politik versucht sich nämlich nicht gerade selten den Anforderungen von Demokratien und den mit demokratischen politischen Systemen verbundenen gesellschaftlichen Kontrollen zu entziehen. Da das in der Regel aber nicht weniger, sondern mehr Politik bedeutet, werden auch hier Gefährdungen der Evolution der Demokratie durch Politik sichtbar. Insgesamt lässt sich deshalb der Eindruck gewinnen, als würde Luhmanns systemische Betrachtungsweise der Evolution der Demokratie, wenn auch mit anderen Argumenten, in eine „liberale“ Demokratietheorie einmünden, die Begrenzungen für Politik als wünschenswert betrachtet. Im Gegensatz zu Luhmann könnte man aber auch mit Luhmann darauf verweisen, dass das Maß an Politik davon abhängt, wie weit die Politik die der Evolution der Demokratie zugrunde liegende Entwicklungslogik Rechnung trägt. Je besser, so könnte deshalb die Hypothese lauten, die Politik in der Lage ist, die Entwicklungslogik von Demokratien zu durchschauen, desto größer kann das Maß an Politik sein. Und auch umgekehrt könnte man formulieren, dass je weniger die Entwicklungslogik der Demokratie von der Politik erkannt wird, desto
4.2 Funktionale Ausdifferenzierung und Demokratie
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geringer das Maß an Politik im Rahmen der Evolution der Demokratie sein sollte. Beide Hypothesen beantworten aber nur zum Teil die Fragen nach dem zuträglichen Maß an Politik für die Evolution der Demokratie. Ungelöst bleibt nämlich das Problem, wer autorisiert ist, festzustellen, ob und inwiefern die Entwicklungslogik der Demokratie durchschaut wird. Hier könnte sich für die Politikwissenschaft ein neues Aufgabenfeld auftun, bei dem der politikwissenschaftliche Erkenntnisgewinn zu einer wichtigen Voraussetzungen für eine politischdemokratische Praxis würde.107 Eine solche Schlussfolgerung hätte Luhmann zweifellos nicht gezogen, zumal er ein eher distanziertes Verhältnis zur Politikwissenschaft gepflegt hat. Er hätte ihr nicht zugetraut, das für die Evolution der Demokratie notwendige Maß an Politik zu bestimmen. Außerdem war ihm natürlich bekannt, dass sich die politischen Akteure nicht an politikwissenschaftlichen Erkenntnissen und Ratschlägen orientieren, sofern diese sich nicht zur Rechtfertigung politischen Handelns instrumentalisieren lassen. Er hätte schließlich aber auch darauf hinweisen können, dass die Entwicklungslogik der Demokratie viel zu komplex und unbestimmt ist, als dass sie einfach von der Ebene der wissenschaftlichen Erkenntnis auf die Ebene des konkreten politischen Handelns übersetzt werden könnte. 4.2 Funktionale Ausdifferenzierung und Demokratie Die Demokratie ist nach Luhmann Ergebnis und Folge der funktionalen Ausdifferenzierung der Gesellschaft (Luhmann 1985: 519) in verschiedene Subsysteme, die sich unter anderem durch systemspezifische Rationalitätskriterien voneinander abgrenzen. Dieser Prozess der Ausdifferenzierung ist unvermeidbar von einer Steigerung gesellschaftlicher und politischer Komplexität begleitet, die wiederum Demokratie im Rahmen eines politischen Systems überhaupt erst möglich macht. Demokratie ist von daher eng verbunden mit der Entwicklung zur modernen Gesellschaft (Luhmann 1987e: 107).108 Dabei ist von besonderem Interesse, wie die verschiedenen ausdifferenzierten gesellschaftlichen Subsysteme die Entwicklung zur Demokratie beeinflusst haben. Erneut macht sich Luhmann nicht die Mühe, dieses Problem systematisch zu beantworten, sondern er geht auch hier außerordentlich punktuell vor. So werden zum Beispiel die möglichen 107 Die Politikwissenschaft könnte somit jetzt in einer ganz anderen Weise zu einer „Demokratiewissenschaft“ werden als nach 1945, als nicht zuletzt unter amerikanischen Einfluss zunächst die Erziehung zur Demokratie im Vordergrund gestanden hat (Bleek 2001: 265-307). 108 Vgl. hierzu auch Parsons, für den die „demokratische Revolution“ ein „Teil des Differenzierungsprozesses des politischen Gemeinwesens und der gesellschaftlichen Gemeinschaft“ (Parsons 1996: 102-103, dazu auch 108-109) ist.
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Beiträge der Religion, der Wissenschaft oder der Kunst für die Ausbildung der Demokratie nicht näher analysiert. Immerhin geht er aber kurz auf die Beiträge des Wirtschaftssystems und des Rechtssystems zur Ausbildung der Demokratie ein. Vor allem in der Ausbreitung der Geldwirtschaft sieht er eine wichtige Vorbedingung für die Durchsetzung von Demokratie (Luhmann 1981c: 208). Er spricht von der „demokratischen Dividende“ der sozialen Marktwirtschaft (Luhmann 2002a: 86) und nimmt an, dass die funktionale Ausdifferenzierung des wirtschaftlichen Systems sowohl an der Demokratisierung der Politik als auch an der Positivierung des Rechts beteiligt war, ohne diese Annahme jedoch näher zu erläutern. Er verweist nur darauf, dass die Demokratisierung der Politik und die Positivierung des Rechts strukturierende Problemvorgaben von außerhalb des politischen Systems voraussetzen (Luhmann 1999b: 32). Insofern lässt er offen, wie und welche diese „strukturierenden Problemvorgaben“ die Demokratisierung der Politik beeinflusst haben. Eine Klärung dieses Sachverhalts erscheint aber gerade vor dem Hintergrund seiner Systemtheorie als besonders dringlich, weil er die Möglichkeit einer einfachen Übersetzung und Übertragung externer Anstöße in interne Herausforderungen des politischen Systems aus prinzipiellen Erwägungen nicht vorsieht. Er müsste zum Beispiel untersuchen, wie die Politik im Zuge ihrer funktionalen Ausdifferenzierung die Entwicklungen in den anderen gesellschaftlichen Subsystemen beobachtet hat und wie sie sich davon hat beeinflussen („irritieren“)109 lassen und welche Konsequenzen dies wiederum auf den Demokratisierungsprozess gehabt hat. Vor allem an dieser Stelle hätte er den systemischen Charakter der Demokratie weiter präzisieren können. Im Gegensatz zu Luhmann hat sich jedoch die sogen. „Modernisierungsforschung“ intensiver mit der Entwicklung zur Demokratie auseinandergesetzt. Hätte er sie rezipiert, hätte er die Evolution der Demokratie und die ihr zugrunde liegenden Antriebskräfte besser verstehen können. Die Modernisierungsforschung hat unter anderem gezeigt, dass die verschiedenen Stadien der Ausdifferenzierung politischer Systeme in der Regel auch mit unterschiedlichen Demokratisierungsgraden verbunden sind, die wiederum mit verschiedenen Entwicklungsstadien der anderen gesellschaftlichen Subsysteme verknüpft sind.110 Immerhin hat Luhmann aber verdeutlicht, wie man sich die Ausdifferenzierung des politischen Systems in Richtung Demokratie vorzustellen hat: „Zunächst in der Form der Ausdifferenzierung eines besonderen Herrschaftsapparates, die im 109 Unter Irritation versteht Luhmann die Fähigkeit eines autopoietischen Systems, mit Störungen, Ambiguitäten, Enttäuschungen, Devianzen, Inkonsistenzen zu verarbeiten (Luhmann 1991: 174). 110 Siehe hierzu insbesondere die Arbeiten von Gabriel Almond (zusammenfassend Almond 1970, 1990). Was es bedeutet, wenn die Demokratisierung des politischen Systems nicht ein Mindestmaß an Kompatibilität mit der es umgebenden Umwelt aufweist, hat das Schicksal der Weimarer Republik nachdrücklich gezeigt.
4.2 Funktionale Ausdifferenzierung und Demokratie
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„absoluten Staat“ abgeschlossen wird; sodann durch Reflexivwerden der Machtverhältnisse, durch Machtunterwerfung aller politischen (staatlichen) Macht und durch Inklusion auch des Publikums in die Ausdifferenzierung des politischen Systems. Der Titel, der sich hierfür durchsetzt, ist ´Demokratie`“ (Luhmann 1987k: 80). Demokratie stellt damit nicht nur ein spezifisches Entwicklungsstadium politischer Systeme dar, sondern in gewisser Weise auch ihr Endstadium. Erst beim Übergang zur „Leitidee der Demokratie“ (Luhmann 2000: 370) ist laut Luhmann ein politisches System voll ausdifferenziert. Somit drängt sich die Frage geradezu auf, was nach der Demokratie kommen wird, wenn sich die politischen Systeme, die heute Demokratie genannt werden, weiter ausdifferenzieren und sich zum Beispiel von ihrer nationalstaatlichen Verankerung lösen sollten. Wird es eine neue, heute noch nicht absehbare Stufe in der evolutionären Entwicklung der Demokratie geben? Wird die Demokratie abgeschafft werden, weil es jetzt kein funktionales Äquivalent für „Volk“ mehr gibt? Oder wird die Demokratie so sehr an politischer Relevanz einbüßen, dass nur noch der Begriff von ihr in Erinnerung bleibt, die politische Praxis aber andere Wege geht? Die von Luhmann behauptete Verknüpfung von Ausdifferenzierung des politischen Systems und Demokratie ist aber noch in einer anderen Hinsicht zu problematisieren. Wie verträgt sich zum Beispiel der Gedanke der funktionalen Ausdifferenzierung mit einem politischen System wie der athenischen Demokratie? Aus Luhmanns Perspektive dürfte die athenische Demokratie streng genommen nicht als Demokratie bezeichnet werden, weil ihr dafür zunächst wichtige Voraussetzungen fehlten, wie die Existenz von Parteien sowie die Institutionalisierung von Regierung und Opposition oder weil diese nur ungenügend entwickelt waren, wie der Ausschluss von bestimmten Bevölkerungsgruppen von der Politik (Frauen, Fremde und Sklaven).111 Paradoxer Weise wäre danach gerade der Ursprungsort von Demokratie (Castoriadis 1990: 298-328) und das in mancherlei Hinsicht Vorbild für die westlichen Demokratien höchstens als eine ihrer Vorformen zu qualifizieren. Selbst wenn eine solche Interpretation nicht sehr befriedigend ist, könnte sie immerhin die relativ kurze Lebensdauer der athenischen Demokratie begründen. Ferner ließe sich erklären, warum es, sieht man einmal von entsprechenden Ansätzen in der römischen Republik und im hohen Mittelalter ab, zwei Jahrtausende gedauert hat, bis die Demokratie sich erneut etablieren und sich schließlich weltweit, zumindest ihrem Anspruch nach, 111 Dennoch sollte das athenische Beispiel dazu genutzt werden, um die Grenzen einer Erklärung abzustecken, die die Entwicklung zur Demokratie und ihre Evolution von der funktionalen Ausdifferenzierung der Gesellschaft abhängig macht. Dies würde vor allem bedeuten, dass ein präziseres und differenzierteres Verständnis von der funktionaler Ausdifferenzierung politischer Systeme und ihrer Entwicklung zu demokratischen politischen Systemen entwickelt werden müsste als dies bei Luhmann geschieht.
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durchsetzen konnte. Von daher ist Luhmann darin zu unterstützen, wenn er so nachdrücklich auf die Bedeutung der systemischen Voraussetzungen von Demokratie verweist. Wenn, wie Luhmann angibt, die gesellschaftliche Ausdifferenzierung in funktionale Teilsysteme mit dazu beigetragen hat, der Demokratie innerhalb des politischen Systems den Weg zu ebnen, so schließt dies natürlich nicht von vornherein aus, dass sie unter bestimmten Voraussetzungen von dort aus auch auf die Gesellschaft ausstrahlt. Gemäß seiner Auffassung schafft die Demokratie vor allen Dingen neue Sensibilitäten bei der Selbstbeschreibung des Gesellschaftssystems auf den Ebenen der Sachdimension, der Sozialdimension und der Zeitdimension (Luhmann 1996c: 93). Auf der Ebene der Sozialdimension beziehen sich die gesellschaftlichen Sensibilitäten bei der Selbstbeschreibung auf die Personen, an die sich Demokratie richtet. Im Laufe der Jahrhunderte hat sich ihr Umfang immer mehr ausgeweitet. Demokratie kann unter diesen Bedingungen verstanden werden als die allmähliche Inklusion der Gesamtbevölkerung in das politische System, wobei das Wahlrecht und die verschiedenen Etappen seiner jeweiligen Durchsetzung für Luhmann als Beleg und Indikator für die Verwirklichung von Demokratie dient (Luhmann 2000: 97). Auf der Ebene der Sachdimension hat sich ebenfalls der gesellschaftliche Bereich für Demokratie ausgeweitet, nämlich in dem Maße, wie das politische System immer mehr gesellschaftliche Probleme zu seinen eigenen Problemen gemacht hat.112 Im Gegensatz zur Sach- und Sozialdimension macht Luhmann jedoch keine Angaben darüber, was er auf der Ebene der zeitlichen Dimension mit den neuen Sensibilitäten der Selbstbeschreibung auf der Ebene der Gesellschaft meint. In jedem Fall lassen diese neuen Sensibilitäten aber sowohl innerhalb der Gesellschaft als auch innerhalb ihrer Subsysteme immer wieder Forderungen aufkommen, die auf eine praktische Einlösung der demokratischen Versprechungen sowie auf die Demokratisierung der Demokratie drängen. Damit wird Demokratie automatisch zu einem Kampfbegriff nicht nur innerhalb des politischen Systems (Luhmann 2000: 97), sondern auch innerhalb der Gesellschaft. Die funktionale gesellschaftliche Ausdifferenzierung, der die politischen Systeme und die Demokratie ihre Existenz verdanken und die sie gleichzeitig weiter vorangetrieben haben, hat aber nicht nur neue Sensibilitäten auf der sachlichen, zeitlichen und sozialen Dimension von Gesellschaft entstehen lassen, sondern mit ihr sind unter den heutigen Bedingungen noch weitere Konsequenzen verbunden. Wenn die Gesellschaft ein Stadium erreicht hat, in dem es nur 112 Einen gewissen Höhepunkt markiert hier nach Luhmann der Wohlfahrtsstaat (Luhmann 1981). Damit ist aber noch keine Aussage über die jeweilige Intensität der Demokratie getroffen worden. Sie kann einen großen Handlungsbereich abdecken, aber nur von geringer Intensität sein; sie kann aber auch nur einen kleinen Bereich umfassen, aber dennoch sehr intensiv ausgeprägt sein.
4.2 Funktionale Ausdifferenzierung und Demokratie
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noch funktional ausdifferenzierte Subsysteme gibt, die prinzipiell voneinander unabhängig sind und die nur ihren eigenen, funktional bestimmten Logiken und Rationalitäten folgen, stellt sich die sowohl für die theoretische als auch für die politische Orientierung wichtige Frage, „ob man die Vorstellung einer Gesellschaft ohne Zentrum aushalten kann und gerade darin die Bedingungen für eine demokratisch-leistungsfähige Politik sieht...“ (Luhmann 1981: 23). In dem Luhmann diese Frage entschieden bejaht, wendet er sich gegen Vorstellungen, die im politischen System nach wie vor das Zentrum der Gesellschaft sehen und die daraus eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung des politischen Systems für das „Glück“ oder das „gute Leben“ der Menschen ableiten (Hennis 1977: 176197). Wie aber soll man sich eine demokratisch-leistungsfähige Politik in einer Gesellschaft ohne Zentrum vorstellen? Luhmann schweigt sich in dieser Frage aus. Helmut Willke (1992; 1997) hat zwar eine Reihe von wichtigen Anregungen gegeben, wie man Luhmanns Frage beantworten könnte, indem er die Gedanken der dezentralen Kontextsteuerung und der Supervision des Staates in die Diskussion eingeführt hat (Willke 1992, 1997), doch hat Luhmann gegenüber solchen Überlegungen eine nicht geringe Skepsis durchblicken lassen (Luhmann 1993c: 55). Mit einiger Phantasie könnte man sich jedoch vorstellen, dass erst unter den Bedingungen einer Gesellschaft ohne Zentrum das politische System seine Funktion, allgemeinverbindliche Entscheidungen zu treffen, erfüllen kann. Nur wenn das politische System nicht das gesellschaftliche Zentrum bildet, sondern nur ein Funktionssystem unter vielen anderen ist, besteht die Chance, dass die anderen gesellschaftlichen Subsysteme bereit sind, die Legitimität des politischen Systems freiwillig anzuerkennen, allgemeinverbindliche Entscheidungen zu treffen. Nur unter dieser Voraussetzung, nicht das Zentrum der Gesellschaft zu sein, sieht sich das politische System zudem genötigt, die Interessen der anderen gesellschaftlichen Teilsysteme in seinen allgemeinverbindlichen Entscheidungen zu berücksichtigen. Man könnte deshalb annehmen, dass die von Luhmann angesprochene Leistungsfähigkeit einer demokratischen Politik auch und gerade in einem höheren Maß an Akzeptanz politischer Entscheidungen liegt. Es gibt also viele Gründe, die es für ihn ratsam erscheinen lassen, im politischen System nicht das Zentrum der Gesellschaft zu sehen. Andernfalls wäre es ihm auch gar nicht möglich, die Demokratie auf das politische System zu beschränken. Er müsste stattdessen dem politischen System eine gesellschaftliche Führungsfunktion zuweisen und damit alle gesellschaftlichen Bereiche zur Disposition und Intervention des politischen Systems und damit von Demokratie stellen. Damit würde aber, zumindest potentiell, die Demokratie auch für alle anderen gesellschaftlichen Teilsysteme gelten. Dies würde jedoch wiederum seiner These von der funktionalen Ausdifferenzierung der Gesellschaft und der systemspezifischen Rationalisierung ihrer Teilsysteme widersprechen. Von daher liegt hier ein ge-
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wichtiges systemtheoretisch begründetes Argument vor, warum sich Luhmann gegen die im Prinzip der Volkssouveränität angelegte „Vergesellschaftung“ der Demokratie113 wendet. Die Geltung von Volkssouveränität in der ursprünglichen Bedeutung des Begriffes würde für ihn einen Primat des politischen Systems für die Gesellschaft begründen. Dementsprechend verbietet sich für ihn die Übertragung des Demokratieprinzips als Leitidee auf alle anderen gesellschaftlichen Subsysteme. Seiner Überzeugung nach wären alle Bemühungen des politischen Systems, die Demokratie auf andere gesellschaftliche Subsysteme zu übertragen, nichts anderes als der Versuch, die Logik der Politik über den Umweg der Demokratie als Prozessierungsform in den anderen gesellschaftlichen Subsystemen zu verankern.114 Genau dies erscheint Luhmann aber weder möglich noch wünschenswert, weil durch eine solche „Entdifferenzierung“ und Komplexistätsreduktion die Vorteile der funktionalen Ausdifferenzierung der Gesellschaft wieder zunichte gemacht würden. Somit wird auch plausibel, warum in den anderen gesellschaftlichen Subsystemen, wie in der Religion, der Wissenschaft oder der Wirtschaft, massive Vorbehalte und Widerstände gegen eine Ausweitung der Demokratie bestehen.115 Luhmann geht aber noch einen Schritt weiter und radikalisiert seine Position, in dem er für das politische System zugleich einen gravierenden politischen Bedeutungsverlust konstatiert. Er behauptet nämlich, dass in einer Gesellschaft ohne Zentrum und ohne Zentralregulierung dem wirtschaftlichen und dem wissenschaftlichen, nicht aber dem politischen Subsystem die Führung für evolutionäre gesellschaftliche Veränderungen zukommt (Luhmann 1999b: 32). Diese Annahme (ver-)führt ihn sogar zu der Schlussfolgerung, dass „die Bedingungen für eine demokratisch-leistungsfähige Politik“ nicht mehr länger im politischen System gesucht werden können, da es seiner Ansicht nach heillos überfordert wäre, wenn es versuchen wollte, die Wirtschaft zu steuern (Luhmann 1996b: 32, 345-349). Vielmehr hat es für ihn heute den Anschein, als bestimmten der Konjunkturverlauf der Wirtschaft und der wissenschaftliche Fortschritt (zum Beispiel in der Gentechnologie) wesentlich mehr das politische System als umgekehrt die Demokratie des politischen Systems die Wirtschaft oder die Wissenschaft. Welche Konsequenzen sich hieraus wiederum für die Evolution der Demokratie, ja sogar für ihre Überlebensmöglichkeiten ergeben, lässt Luhmann offen. Wenn aber die zwei genannten gesellschaftlichen Subsysteme, Wirtschaft und Wissen113 Siehe hierzu auch Arendt (2000). 114 Es wäre interessant, unter dieser Fragestellung jetzt noch einmal die sogen. „Politik der inneren Reformen“ zwischen 1969 und 1972 zu untersuchen. 115 Folgt man Luhmanns Argumentation könnten derartige Widerstände sogar für die Demokratie nützlich sein, weil durch eine Übertragung der Demokratie auf die anderen gesellschaftlichen Subsysteme zu viel Komplexität reduziert werden könnte, was wiederum die Demokatie, die auf Komplexität angewiesen ist, gefährden könnte.
4.3 Demokratie und die Positivierung des Rechts
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schaft, wirklich die gesellschaftliche Führung übernommen haben sollten, würde das zwar nicht unbedingt bedeuten, dass das politische System und mit ihm die Demokratie sich der funktionalen Logik und der systemischen Rationalität dieser beiden sozialen Systeme beugen müssten. Doch müsste es deren Operationen eine vergleichsweise größere Aufmerksamkeit widmen und sich darauf durch entsprechende systeminterne Strukturbildungen einstellen. Es müsste zumindest versuchen, seine sozialen, sachlichen und zeitlich dimensionierten demokratischen „Sensibilitäten“ verstärkt auf die Wirtschaft und die Wissenschaft hin auszurichten, um zu verhindern, dass andernfalls die Demokratie leer läuft (Crouch 2004). Die Gefahr einer solchen Entwicklung läge dann in einer „Selbstökonomisierung“ und „Selbstverwissenschaftlichung“ des politischen Systems. Mit seiner Absage an eine „Vergesellschaftung“ der Demokratie hat Luhmann die gesellschaftliche Realität auf seiner Seite. Denn die Gesellschaften und ihre Subsysteme versuchen zu verhindern, dass die demokratischen politischen Systeme ihre Logik ausweiten. Es hat sogar den Anschein, als würde diese Aussage um so mehr gelten, je mehr sich die Politik intern „demokratisiert“ hat. Für eine solche Annahme spricht zum Beispiel, dass sich mit der zunehmenden Demokratisierung gleichzeitig auch die verfassungsrechtlichen Fesseln und Grenzverläufe des politischen Systems verstärkt haben (Isensee 1985). Der Verfassung kommt damit die doppelte Funktion zu, einerseits Demokratie zu ermöglichen, andererseits aber auch zu verhindern, dass das politische System zu sehr steuernd und gestaltend in die Gesellschaft ausgreift. Luhmanns (rhetorische) Frage, „ob man die Vorstellung einer Gesellschaft ohne Zentrum aushalten kann und gerade darin die Bedingungen für eine demokratisch-leistungsfähige Politik sieht...“ (Luhmann 1981: 23), kann also unter den beiden Voraussetzung bejaht werden, dass einerseits die Demokratie gesellschaftlich nur im politischen System verankert ist und dass andererseits jede Vergesellschaftung der Demokratie, das heißt ihre Übertragung durch das politische System auf andere gesellschaftliche Subsysteme, wenn nicht ausgeschlossen, so doch stark begrenzt ist. 4.3 Demokratie und die Positivierung des Rechts Neben der Wirtschaft hat nach Luhmann auch das Recht sowohl bei der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung des politischen Systems als auch bei seiner (internen) Entwicklung zu einem demokratischen politischen System eine wichtige Rolle gespielt. Für ihn sind die Demokratisierung der Politik und die Positivierung des Rechts zwei Prozesse, die sehr eng aufeinander bezogen sind und die sich gegenseitig abstützen (Luhmann 1993: 416 und 439). Luhmann hebt nicht nur hervor, dass „die begriffliche und entscheidungstechnische Entwicklung des
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4 Gesellschaftliche Evolution und Demokratie
abendländischen Rechts eine wesentliche Vorbedingung der modernen Demokratie gewesen“ (Luhmann 1983: 172, Fn. 33) ist, sondern er geht noch einen Schritt weiter. „Fast“ glaubt er nämlich feststellen zu können, dass die Demokratie eine Folge der Positivierung des Rechts ist „und der damit gegebenen Möglichkeiten, das Recht jederzeit zu ändern“ (Luhmann 1993: 471) bzw. mit „Neuerungen zu überschütten“ (Luhmann 1997a: 782).116 Für ihn sind deshalb vor allem die demokratischen politischen Systeme in besonderer Weise den Verlockungen ausgesetzt, „Initiativen zur Änderung des Rechts zur Entscheidung zu bringen“ (Luhmann 1993: 480). Das gilt aber nur unter der Voraussetzung, dass dies unter demokratischen Prämissen und mit demokratischen Verfahren geschieht. Er weist deshalb darauf hin, dass das Recht in Demokratien als rechtmäßige Macht operationalisiert sein muss und dass die „demokratischen Errungenschaften“ auf rechtlich geregelten Verfahren beruhen müssen, „die einander anknüpfen und sich wechselseitig mit Prämissen versorgen können“ (Luhmann 1987f: 164).117 Zugleich müssen demokratische politische Systeme aber auch Vorkehrungen treffen, die „das höhere Risiko der jederzeitigen Veränderbarkeit des Rechts auffangen“ (Luhmann 1999b: 24) können. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass das Recht, weil es instabil und inkonsistent würde, seine Ordnungs-, Steuerungs-, Orientierungs- und Befriedungsfunktionen nicht erfüllen könnte. Von daher sind die Leistungen des Rechts nicht in politisch-beliebiger Weise zu erhalten (Luhmann 1973b: 180). Risiken, die durch die jederzeitige Veränderbarkeit des Rechts entstehen, sollen insbesondere durch Verfassungen verringert werden. Sie sind „soziologisch als ein Regulativ für System/Umwelt-Beziehungen des politischen Systems der Gesellschaft“ (Luhmann 1973b: 165) bzw. „als selektive Selbstfestlegungen der Identität des politischen Systems im Rahmen gesellschaftlicher Möglichkeiten zu begreifen“ (Ebenda: 172). Sie sollen in der laufenden Vermittlung von System und Umwelt die Entscheidungsfähigkeit der politischen Systeme gewährleisten (Ebenda: 169), wobei sie gleichzeitig dazu dienen, die politischen Systeme auf sich selbst zu beschränken (Luhmann 1997a: 856). Darüber hinaus sollen sie aber auch für „die Kontrolle der guten Absichten der Politiker“ zuständig sein (Luhmann 1997a: 1063). Verfassungen können in demokratischen politischen Systemen laut Luhmann noch weitere, dem politischen System und der Politik Grenzen setzende Funktionen zugeschrieben werden. Diese betreffen zum einen den jeweiligen Staat des politischen Systems, der die Eigenständigkeit der Gesellschaft zu respektieren hat, indem er die Grundrechte „als unantastbar aner116 Der Klarstellung halber sei nur darauf hingewiesen, dass diese Möglichkeit mindestens in gleicher Weise auch nichtdemokratische Systeme haben. 117 Man ist versucht, in diesem Zusammenhang an die klassische Gewaltenteilung zwischen Legislative, Judikative und Exekutive zu denken.
4.3 Demokratie und die Positivierung des Rechts
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kennt und sich selbst, um dies zu sichern, als Rechtsstaat organisiert“ (Luhmann 1987g: 71). Verfassungen werden damit gleichzeitig aber auch zu einem Merkmal für die Staatsförmigkeit der Politik (Luhmann 1998: 367). Grenzen setzen Verfassungen zum anderen aber auch den konkreten Operationen der politischen Systeme, weil nur durch die Höherrangigkeit des Verfassungsrechts gegenüber dem übrigen Recht das Demokratiepostulat eingeschränkt werden kann (Luhmann 1998: 368).118 Auf diese Weise lässt sich Demokratie stabilisieren. Wer sie verändern will, muss dafür erst einen breiten Konsens im politischen System (und in der Gesellschaft) herstellen. Auch dies trägt dazu bei, dass Entscheidungen des politischen Systems, und seien sie auch noch so sehr vom Volkswillen getragen, die Verfassung nicht einfach außer Kraft setzen oder wesentliche Teile von ihr suspendieren können. Gerade in solchen Situationen, in denen sich das politische System dem Volkswillen entzieht, wird sich seine Selbstbeschreibung deshalb auf die Verfassung beziehen (Luhmann 2000: 352). Die herausgehobene Stellung von Verfassungen in Demokratien ist für Luhmann ebenfalls eine Folge der Ausdifferenzierung politischer Systeme (Luhmann 1981: 119) aus der Gesellschaft und der damit verbundenen Gewinne an politischer Autonomie.119 „Politisch begründen sich die Höherrangigkeit des Verfassungsrechts und die sich daraus ergebenden Einschränkungen des Demokratiepostulats mithin aus dem Direktbezug auf Folgeprobleme des Autonomiegewinns“ (Luhmann 2000: 213). Mit der Verfassung legt sich das politische System selbst Zügel an, die um so straffer ausfallen, je autonomer das politische System gegenüber der Gesellschaft ist. Nicht über alles, was gesellschaftlich möglich ist, darf deshalb auch politisch entschieden werden. Andernfalls bestünde die Gefahr, daß die „Formalmechanismen der herkömmlichen Demokratie“ (Luhmann 1987h: 62), die dem politischen System Grenzen setzen, außer Funktion gesetzt werden könnten. Dies wäre insbesondere möglich, „wenn im politischen System darüber entschieden werden müßte, in welchem Umfang das, was wissenschaftlich möglich ist, was wirtschaftlich möglich ist, was pädagogisch möglich ist, auch faktisch realisiert werden darf“ (Luhmann 1987h: 61-62). Verfassungen tragen somit zur Wahrung der Autonomie anderer gesellschaftlicher Subsysteme gegenüber dem politischen System bei. Luhmann kann sich deshalb „kaum vorstellen, dass eine solche kontraprojektive, gegen das Mögliche gerich118 Zur Einschränkung des Demokratieprinzips durch Verfassungen siehe insbesondere Holmes (1989). 119 Autonomie ist für Luhmann die Fähigkeit politischer Systeme „die selektiven Kriterien für den Verkehr mit der Umwelt selbst zu setzen und nach Bedarf zu ändern“ (Luhmann 1984g: 156). Oder anders formuliert: „Autonomie heißt im Bereich der Politik: daß das politische System sich nur selbst regeln und nur durch Selbstregulierung auf Umweltprobleme reagieren kann“ (Luhmann 1987k: 80).
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4 Gesellschaftliche Evolution und Demokratie
tete Politik in demokratischen Formen möglich ist – es sei denn in stark irrationalisierter Form“ (Luhmann 1987h: 62). Obwohl Luhmann der Verfassung eine zentrale Bedeutung für die Möglichkeiten und Grenzen des politischen Systems und der Demokratie zubilligt, so ist er sich doch auch darüber im klaren, dass sie politischen Prozessen keine absoluten Grenzen setzen kann. Schon sehr früh hat er sich deshalb die Frage gestellt, „ob und wie weit das Normenwerk der Verfassung noch als Grundstruktur des politischen Systems zur Lösung seiner Hauptprobleme dient“ (Luhmann 1972: 47). Seine Skepsis bring er in der Feststellung zum Ausdruck, dass zwar das Postulat der Verfassungsmäßigkeit für die politische Machtausübung noch immer wichtig und eine politisch offene Demokratie nach wie vor von ihr abhängig sei, doch betont er gleichzeitig auch, dass die Rechtsförmigkeit des politischen, kollektiv-bindenden Entscheidens weit darüber hinaus geht (Luhmann 1989a: 499). Diese Feststellung ist insofern nicht besonders überraschend, als dem politischen System neben der Verfassung auch noch andere Rechtsquellen zur Verfügung stehen, um den Prozess des kollektiv-bindenden Entscheidens abzusichern. Auf diese Weise gewinnt das politische System die Möglichkeit, kollektiv verbindliche Entscheidungen dem Recht „external zuzurechnen.“ (Luhmann 1987d: 149; ebenso 1981d: 166). Es kann sich damit von Rechtfertigungsdruck auf Kosten des Rechts entlasten, das jetzt seinerseits vor der Notwendigkeit steht, politisch induzierten Rechtfertigungsdruck abzubauen.120 Recht (einschließlich Verfassungsrecht), so kann man zusammenfassend feststellen, schränkt einerseits die Autonomie des politischen Systems ein, in dem es ihm Handlungsrestriktionen auferlegt und Grenzen des Politischen (und der Demokratie) markiert. Andererseits schafft es ihm aber auch Handlungsspielräume, ermöglicht es ihm, sich bei der Rechtfertigung kollektiv verbindlichen Entscheidens zu entlasten und garantiert die Demokratie. Es sind also paradoxer Weise erst die Beschränkungen durch Recht, die dem politischen System die Gestaltungsspielräume eröffnen, um eine demokratische Willensbildung abzusichern (Luhmann 1997a: 783). Dies kann das Recht für das politische System aber nur leisten, wenn es selbst über ein hohes Maß an Autonomie verfügt (Luhmann 1993: 62-66). Je größer dabei die Autonomie des Rechts gegenüber der Politik ist, desto größer dürfte die Entlastung der Politik durch das Recht ausfallen. Insofern müsste gerade ein demokratisches politisches System von sich aus ein nachhaltiges Interesse daran entwickeln, die Unabhängigkeit des Rechts und die durch das Recht auferlegten (verfassungs-)rechtlichen politischen Beschränkungen zu respektieren. Darüber hinaus ist es erst unter solchen Gegebenheiten sinnvoll, „das Rechtssystem auf dem Wege der politisch inspirierten Gesetzgebung mit Neue120 Damit kann das Rechtssystem dann aber wieder das politische System belasten, wenn es zum Beispiel eine politische Entscheidung als rechtswidrig verurteilt.
4.3 Demokratie und die Positivierung des Rechts
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rungen zu überschütten, die ihrerseits der Politik als Erfolg bzw. Mißerfolg zugerechnet werden“ (Luhmann 1997a: 782-783) können. Wenn man aber mit Luhmann davon ausgeht, dass die Voraussetzungen demokratischer Politik neben der rechtlichen Ermöglichung von Politik auch in der Selbstbindung und Selbstkontrolle der Politik mit Hilfe des Rechts und in der rechtlich vorgegebenen Beeinflussung des Rechts durch die Politik liegen, könnte sich der Verdacht einstellen, dass er dem Recht Vorrang gegenüber der Demokratie einräumt. Tatsächlich sprechen für einen solchen Verdacht eine Reihe von Äußerungen. Zum Beispiel hat Luhmann darauf hingewiesen, dass die Demokratie zu einem Anhängsel des Rechts geworden sei (Luhmann 1999c: 258), dass die Demokratie primär der Stabilisierung des positiven Rechts diene (Luhmann 1984d: 151) und dass der individuelle Rechtsschutz und die verfassungsmäßigen Rechte des Einzelnen (Luhmann 1993: 416) gegenüber dem (demokratischen) politischen System garantiert sein müssten. In diesem letzten Hinweis sieht er auch eine Möglichkeit, dass sich die Politik „über Recht auf eine zweite Weise demokratisieren (kann), indem sie es jedermann ermöglicht, als Inhaber von Rechten direkt (das heißt ohne weitere politische Kontrolle) die Staatsgewalt zur Durchsetzung seiner Rechte zu mobilisieren“ (Luhmann 2000a: 47). So ist in Deutschland der Staat verpflichtet, die Würde des Menschen zu schützen und zu achten (Art. 1 Abs. 1 GG). In dem ein demokratisches politisches System rechtlich bzw. rechtsstaatlich bestimmt und garantiert ist, ergeben sich für die Bürger vielfältige Möglichkeiten, ihre Rechte nicht nur gegenüber, sondern auch mit Hilfe des politischen Systems in Anspruch zu nehmen. Gleichzeitig finden sich bei Luhmann aber auch Bemerkungen, die darauf hindeuten, dass das Recht, weil für seine Positivierung allein das politische System (Luhmann 1969a: 10-11) verantwortlich ist, zu einem Instrument der Politik geworden ist. Folgerichtig sieht er deshalb auch „den eigentlichen Grund für die Notwendigkeit von Demokratie“ in der „Aufwendung von Organisation und Arbeit für diese Vorselektion möglichen Rechts“ (Luhmann 1969a: 11). Damit will er unterstreichen, dass Demokratie „keine Herrschaftsform (Hervorhebung entfernt, E.C.), sondern (auch, E.C.) eine Technik der Systemsteuerung (ist), die als Folge der Positivierung des Rechts zwangsläufig wird“ (Luhmann 1969a: 11).121 Unter beiden Bedingungen, sowohl unter dem Vorrang des politischen Systems gegenüber dem Recht, als auch dem Vorrang des Rechts gegenüber dem politischen System, kann somit die Positivierung des Rechts zu einer wichtigen Voraussetzung dafür werden, dass Demokratie zur Norm des politischen Systems wird (Luhmann 1987i: 246). 121 An anderer Stelle spricht Luhmann von Demokratie im Zusammenhang mit der Positivierung des Rechts aber sehr wohl von einer Herrschaftsform unter anderem (Luhmann 1987i: 246).
4.3 Demokratie und die Positivierung des Rechts
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5 Die Demokratie des politischen Systems
Die funktionale Ausdifferenzierung und die damit einhergehende Komplexitätszunahme des politischen Systems ist für Luhmann, wie schon mehrfach dargelegt wurde, eine unentbehrliche Voraussetzung für die Etablierung der Demokratie (Luhmann 1998: 369). Hat diese erst einmal Fuß gefaßt, wird ihre weitere Entwicklung in zunehmenden Maße von ihren eigenen Strukturen abhängig122, die wiederum auf die Strukturen des politischen Systems einwirken. Dieser Sachverhalt veranlasst Luhmann dazu, in der Demokratie auch einen Begriff für die Beschreibung der Strukturen des politischen Systems zu sehen (Luhmann 1996: 252). Damit soll jedoch die Unterscheidung zwischen Demokratie und politischem System keineswegs aufgehoben werden, von der insbesondere das politische System profitiert. „Gerade weil die Demokratie nicht identisch mit dem politischen System ist, können dessen Herrschaftsakte legitim sein“ (Klier 1990: 16), und sei es nur, weil es dem politischen System die Möglichkeit bietet, sich als „Demokratie“ zu bezeichnen. Darüber hinaus kann durch die Unterscheidung das politische System demokratischen Erwartungen ausgesetzt werden, die seine Handlungsoptionen erweitern. Zum Beispiel lassen sich Defizite des politischen Systems bei der Lösung gesellschaftlicher Probleme mit einer Ausweitung oder Eingrenzung von Partizipationsmöglichkeiten kompensieren. Insgesamt ergeben sich also durch die Unterscheidung von Demokratie und politischem System politische Optionen sowohl im Hinblick auf die Ausgestaltung der Demokratie als auch hinsichtlich der Strukturen von politischen Systemen. Von daher liegt es nahe, die Ausdifferenzierung des politischen Systems sowohl mit der Demokratisierung in Beziehung zu setzen als auch getrennt von ihr zu konzeptualisieren. Die Ausdifferenzierung des politischen Systems erfolgt nach Luhmann auf mehreren Ebenen. Auf der Ebene der Subsysteme des politischen Systems unterscheidet er zwischen bürokratischer Verwaltung, politischer Politik und Publikum. Daneben differenziert er zwischen Staat und Parteien, zwischen Regierung und Opposition sowie zwischen Zentrum und Peripherie. Auch wenn bei ihm nicht eindeutig erkennbar wird, in welchem Verhältnis die verschiedenen Diffe122 Anders Dewey (1996: 81): „Noch weniger ist die Demokratie das Produkt der Demokratie, eines inhärenten Triebes oder einer immanenten Idee.“
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5 Die Demokratie des politischen Systems
renzierungsformen des politischen Systems zueinander stehen, so wird doch erneut deutlich, dass er Demokratie als ein strukturelles Arrangement versteht. Dabei fällt gleichwohl auf, dass er bei seiner Erläuterung von Demokratie als Strukturbegriff des politischen Systems ganz offensichtlich von nationalen Gesellschaften ausgeht, ohne die weltgesellschaftlichen Entwicklungen, die er ansonsten durchaus berücksichtigt, hier mit in den Blick zu nehmen. Seine Demokratiekonzeption ist auf die politischen Systeme der Nationalstaaten fixiert und auch nur von daher zu verstehen. Eine solche Engführung ist jedoch in dreifacher Hinsicht erstaunlich. Sie ist zum einen deshalb erstaunlich, weil Luhmann zu den ersten Wissenschaftlern gehört, die sich mit dem Topos „Weltgesellschaft“ auseinandergesetzt haben (Luhmann 1986g). Zum anderen aber auch, weil gerade auf weltgesellschaftlicher Ebene der systemische Charakter von Politik und Demokratie besonders deutlich herausgearbeitet werden könnte (Habermas1997a: 150-151). Drittens schließlich weisen schon seit längerem viele Politikwissenschaftler auf die Gefährdungen der Demokratie durch weltgesellschftliche Entwicklungen, wie zum Beispiel auf die ökonomische Globalisierung, hin.123 5.1 Das politische System der Gesellschaft Das politische System der Gesellschaft ist nach Luhmann für die Demokratie von zentraler Bedeutung. Ohne die Existenz politischer Systeme kann es keine Demokratie geben, wohl aber können politische Systeme ohne Demokratie existieren. Von daher ist das Verhältnis zwischen politischem System und Demokratie einseitig bestimmt. Demokratie ist damit zwar nicht unbedingt als ein politischer „Luxus“ anzusehen, aber doch als eine eher unwahrscheinliche evolutionäre Errungenschaft, die vom Entwicklungsstand der Gesellschaft, des politischen Systems und seiner damit verbundenen Komplexität abhängig ist. Das politische System ist, wie alle sozialen Systeme moderner Gesellschaften, ein selbstreferenzielles System (Kapitel 3.1). Von daher ist auch alles Politik, was das politische System als Politik definiert (Luhmann 1991: 171-172). Politik macht das politische System deshalb auch nur um der Politik willen, das heißt, es sucht die gesellschaftliche Umwelt aktiv nach Anlässen, Ereignissen und Themen ab, mit denen es unter Anlegung eigener Handlungsprämissen Politik betreiben kann (Luhmann 1991: 174). Das politische System konditioniert damit seine eigenen Möglichkeiten und es produziert und reproduziert die Strukturen selbst, aus denen es besteht (Luhmann 1981: 33). Demokratie kann unter diesen Bedingungen 123 Zu den Problemen einer Verankerung der Demokratie auf weltgesellschaftlicher Ebene vgl. Axtmann (2001: 45-52); Held (1998); Himmelmann (2001) sowie Keohane/Nye (2000: 32-38).
5.1 Das politische System der Gesellschaft
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deshalb immer nur ein Produkt des politischen Systems, jedoch kein Produkt der Gesellschaft sein. Als ein soziales selbstreferenzielles System der Gesellschaft differenziert das politische System Kommunikationszusammenhänge aus und grenzt sich damit gegenüber der Umwelt ab. Mit dieser Beschreibung lässt sich aber noch keine Besonderheit des politischen Systems im Vergleich zu anderen sozialen Systemen erkennen, da diese ja auch Kommunikationszusammenhänge ausdifferenzieren. Was Luhmann damit meint, wird etwas deutlicher, wenn er darauf hinweist, dass das politische System als Subsystem der Gesellschaft an der gesellschaftlichen Reproduktion teilnimmt, in dem es die „politische Kommunikation der Gesellschaft vollzieht“ (Luhmann 2000: 16). So verstanden kann das politische System sogar zur Gesellschaft werden, wenn und soweit diese politisch kommuniziert (Luhmann 1972a: 219). Doch auch mit dieser kommunikativen Eingrenzung des politischen Systems ist noch nicht sehr viel gewonnen, sofern nicht genauer bestimmt wird, worin das charakteristische Merkmal politischer Kommunikation124 besteht.125 Luhmann verweist hierbei auf die zentrale gesellschaftliche Funktion des politischen Systems, gesamtgesellschaftlich verbindliche, also autoritative Entscheidungen zu treffen. Danach gehört für ihn alles zur politischen Kommunikation, was auf die Vorbereitung, den Vollzug und die Rechtfertigung politischer Entscheidungen gerichtet ist.126 Da für die Durchsetzung politischer Entscheidungen aber auch die Androhung oder der Einsatz politischer Macht vonnöten ist, gehört zur politischen Kommunikation zugleich die Kommunikation von und über Macht. Wo auch immer solche Kommunikationen vorkommen und wer auch immer sie initiiert127, sie werden in jedem Fall zu einem Bestandteil des politischen Systems128, ohne dass es damit jedoch schon als „demokratisch“ bezeichnet werden darf. 124 Unter Kommunikation im Allgemeinen versteht Luhmann „eine laufende Synthese von Information, Mitteilung und Verstehen, die das System von Moment zu Moment reproduziert“ (Luhmann 1991: 173). 125 Siehe hierzu die vorzügliche Analyse von Bardmann (1995). 126 Noch allgemeiner formuliert lässt sich sagen, dass es bei der politischen Kommunikation „um Interaktionen (geht), die sich rekursiv (vorgreifend oder zurückgreifend) an den Prozessen politischer Meinungsbildung orientieren“ (Luhmann 2000: 254). Da an diesen Interaktionen die Subsysteme des politischen Systems unmittelbar beteiligt sind, werden sie über die politische Kommunikation weitläufig integriert. 127 Luhmann nennt unter anderem Antragsteller, Kläger, politische Wähler, Parteien, Verbände, Parlamente, Regierungen, Versorgungsempfänger oder Gesuchssteller (Luhmann 1983e: 46). 128 Eine solche Vorstellung vom politischen System scheint auf den ersten Blick dem herkömmlichen Verständnis von Politik zu widersprechen, das neben Regeln auf Institutionen und auf klar als solche ausweisbare politische Akteure fixiert ist. Tatsächlich aber gibt es einen solchen Widerspruch nicht, weil politische Institutionen nur Orte sind, in denen politische Kommunikationen in verdichteter Form vorkommen und politische Akteure dadurch gekennzeichnet sind,
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5 Die Demokratie des politischen Systems
Folgt man Luhmann in seiner kommunikationstheoretischen Konzeption vom politischen System der Gesellschaft, muss davon ausgegangen werden, dass sich dessen Grenzen, die er als Sinngrenzen konzeptualisiert, ständig im Fluss befinden. Folgerichtig ist für ihn der in der Kommunikation enthaltene Sinn ein variierender Selektionsmechanismus, der darüber entscheidet, ob eine Äußerung dem politischen System zugehörig ist oder irgend einem anderen sozialen System zugeschrieben werden muss (Luhmann 1984f: 115-116; Ders. 1985: 92147). Gesellschaftliche Akteure können von daher jederzeit das politische System „irritieren“, wenn sie politisch kommunizieren. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist diese relativ einfache und „natürliche“ Irritation des politischen Systems gerade für demokratische politische Systeme charakteristisch.129 Dennoch wird auch in diesen die Zugehörigkeit von gesellschaftlicher Kommunikation zur Politik im politischen Kommunikationsprozess immer wieder neu festgelegt. Unter bestimmten Umständen kann deshalb die Frage nach der Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zum politischen System zu ernsthaften Konflikten innerhalb der politischen Systeme führen. Insofern ist Luhmann zuzustimmen, wenn er darauf hinweist, dass die Maßstäbe für Politik im politischen Kommunikationsprozess formuliert und nicht extern induziert werden (Luhmann 1981: 61). In diesem Sinne bauen auch demokratische politische Systeme kommunikative Barrieren auf, um die politische Kommunikation zu kanalisieren (Czerwick 1990; Bardmann 1995: 243-244). Jedoch sind ihre Möglichkeiten dazu im Vergleich zu autoritären oder totalitären politischen Systemen stark eingeschränkt. Das politische System definiert aber nicht nur, wer oder was zu ihm gehört, was im funktionalen Kontext des kollektiv verbindlichen Entscheidens Politik ist und wie dadurch Demokratie möglich wird, sondern es sorgt auch dafür, dass seine Entscheidungen wahrgenommen, akzeptiert und vollzogen werden. Dazu muss es in der Lage sein, mit seiner Kommunikation die Aufmerksamkeit der Umwelt zu erregen (Sarcinelli 2005). Dafür wiederum benötigt es politische Macht, die jedoch so transformiert werden muss (Parsons 1969: 204-240, 352404), dass sie wirksam eingesetzt werden kann.130 Die Schwierigkeit für das politische System besteht dabei darin, dass die politische Macht weder eine feststehende Größe ist noch vom politischen System einfach aus seiner Umwelt importiert werden kann, sondern erst im Vollzug der Vorbereitung und Durchsetzung politischer Entscheidungen selbst erzeugt werden muss. Diese Aufgabe dass sie sich besonders häufig und intensiv zur Vorbereitung, Durchsetzung und Vollzug politischer Entscheidungen äußern. 129 Dies schafft bekanntlich aber auch Probleme. Zum Beispiel droht die politische Kommunikation in demokratischen politischen Systemen „seicht“ zu werden (Deutsch 1986). 130 Politische Macht muss also in wirtschaftliche, wissenschaftliche oder rechtliche Macht transformiert werden, um Bindungswirkungen erzeugen zu können.
5.1 Das politische System der Gesellschaft
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schätzt Luhmann so hoch ein, dass er das politische System auch und gerade im Hinblick auf politische Macht definiert. Für ihn ist ein politisches System deshalb „ein selbstregulatives, autopoietisches System der Machtanwendung, in dem alle Macht auf Macht angewandt wird und selbst der Machtanwendung unterliegt: also ein rekursiv-geschlossenes, daher symmetrisches, nichthierarchisches System, das Kommunikation unter dem Kommunikationscode von Macht ermöglicht und keinerlei Machtanwendung davon ausnehmen kann“ (Luhmann 1987g: 87). Wenn Macht aber für das politische System von so zentraler Bedeutung ist, kann dies nicht ohne Auswirkungen auf die Demokratie bleiben. In welcher Beziehung, so ist zu fragen, steht politische Macht demnach zur Demokratie? Demokratie, so könnte die Antwort auf die Frage lauten, ist wesentlich an der Transformation von gesellschaftlicher in politische Macht und von politischer Macht in gesellschaftliche Macht beteiligt. In beiden Richtungen ermöglicht und erleichtert sie den Einsatz politischer Macht für die Durchsetzung gesellschaftlich verbindlicher Entscheidungen. Dies geschieht im wesentlichen dadurch, dass in Wahlen gesellschaftliche Macht in politische Macht transformiert wird und dass mit der Demokratie die Perspektive der von den politischen Entscheidungen Betroffenen in den politischen Entscheidungsprozess einbezogen wird. Um politische Macht androhen sowie gesellschaftlich wirksam einsetzen zu können und um Folgebereitschaft, wenn sie nicht freiwillig erfolgt, erzwingen zu können, muss sie gesellschaftlich legitim sein. Diese Legitimität vermag vor allem die Demokratie zu gewährleisten, weil sie auf der notwendigen Fiktion131 beruht, als würden die Adressaten der kollektiv verbindlichen Entscheidungen des demokratischen politischen Systems in die Rolle von zumindest indirekt Beteiligten (siehe hierzu auch Kapitel 5.3) versetzt, weil in ihren Namen die Entscheidungen getroffen und verkündet werden.132 Dabei spielt es kaum eine Rolle, ob die „Beteiligten“ die Entscheidungen konkret beeinflussen können oder nicht. Mit dieser Interpretation bewegt sich Luhmann ganz im Rahmen „klassischer“ Demokratietheorien, seien dies Repräsentationstheorien, Pluralismustheorien oder Elitetheorien der Demokratie. Von jenen unterscheidet ihn jedoch, dass er zwischen der Eigenrationalität des politischen Systems, den für die Entscheidungen Verantwortlichen und den Interessen und Bedürfnissen der
131 Generell zur Notwendigkeit von Fiktionen siehe Brunsson (1985, 1989) und neuerdings Ortmann (2004). 132 Siehe hierzu im Detail die von Heino Kaack und Reinhold Roth auf der Grundlage eines DFGProjekts über „Parteiensystem und Legitimation des poltischen Systems“ herausgegebenen „Analysen und Berichte“ der „Forschungsgruppe Parteiendemokratie“. Die „Analysen und Berichte“ umfassen 17 Bände und sind im Zeitraum zwischen 1982 und 1986 in einer Auflage zwischen 80 und 100 Exemplaren als interne Schriftenreihe erschienen.
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5 Die Demokratie des politischen Systems
indirekt Beteiligten differenziert133, wobei er der Eigenrationalität Priorität einräumt. Dies hat zur Folge, dass das politische System Motivationsmittel benötigt, die so abstrakt sind, dass sie mit vielen Interessen und Zuständen der sowohl direkt als auch der indirekt Beteiligten verträglich sind (Luhmann 1969a: 13). Für die Demokratie hat dies zur Konsequenz, dass sie nur vordergründig („abstrakt“, nicht „konkret“) auf die spezifischen Werte festgelegt werden kann, die mit den Interessen und Bedürfnissen der gesellschaftlichen Akteure gekoppelt sind. Luhmann macht deshalb auch unmissverständlich deutlich, dass sein Ansatz eine Trivialisierung von Interessenkonflikten für die Erklärung von Politik und Demokratie beinhaltet (Luhmann 2000c: 199-200). Die sozialen Voraussetzungen der Interessenkonflikte werden in den und durch die demokratischen politischen Systeme in Verfahren überführt (Luhmann 1983) und dadurch entschärft.134 Luhmann weist ferner darauf hin, dass die Demokratie auch mit der Eigenrationalität des politischen Systems kompatibel sein muss, ihr zumindest nicht widersprechen darf. Er unterstreicht damit einmal mehr, dass er die Demokratie in Abhängigkeit zum politischen System sieht und nicht, wie dies in den meisten Demokratietheorien geschieht, das politische System von den Anforderungen einer von der Gesellschaft her proklamierten und konzipierten Demokratie bestimmt.135 Da er das politische System und seine Logik außerdem funktional definiert, muss von daher auch die Demokratie mit den Leistungen, die das politische System für die Gesellschaft erbringt, vereinbar sein, zumindest darf sie ihnen nicht dauerhaft entgegenstehen. Sie muss also einen Beitrag zur gesellschaftlichen Aufgabenerfüllung des politischen Systems leisten. Das bedeutet, dass sie unmittelbar darauf gerichtet und daran beteiligt ist, wie das politische System kollektiv verbindliche Entscheidungen vorbereitet, trifft und durchsetzt, wie es gesellschaftliche Komplexität in politische Komplexität überführt und das Spektrum des Politischen für die Gesellschaft festlegt, wie es politische Macht erzeugt, die Gesellschaft integriert und ungeregelte gesellschaftliche Konflikte in einen geregelten verbalisierten Kampf um Einfluss auf das politische Entscheidungssystem verwandelt (Luhmann 1984g: 158-164). Wie genau die Demokratie bei der Erfüllung dieser Aufgaben mitwirkt, kann nur empirisch-vergleichend, 133 Hieraus ergibt sich dann das Problem der Abstimmung von Systemrationalität und den Teilrationalitäten der politischen Akteure. Grundlegend hierzu Schimank (1985). 134 Siehe hierzu auch Etzioni (1975: 595-596), der von einer „Einkapselung“ (so in der deutschen Übersetzung) von Konflikten spricht. 135 Demokratietheorien neigen dazu, „die“ Demokratie zum Maßstab ihrer politischen Überlegungen zu machen. Entweder in dem sie politische Systeme von den Prämissen „ihrer“ Demokratievorstellung her entwerfen oder in dem sie konkrete politische Systeme im Hinblick auf deren Übereinstimmung mit demokratischen Prämissen überprüfen. Für Luhmann, wie für andere Systemtheoretiker auch, ist dies nicht akzeptabel. Für sie haben die Politik und das politische System analytisch den Vorrang gegenüber der Demokratie.
5.2 Die Subsysteme des politischen Systems
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von politischem System zu politischem System, untersucht werden. Obwohl sich Luhmann mit dieser Problematik nicht im Einzelnen auseinander gesetzt hat, so hat er doch die Lösung von politischen Problemen als den zentralen Fokus der demokratischen Praxis näher erläutert (siehe Kapitel 8). 5.2 Die Subsysteme des politischen Systems Nach Luhmann setzt sich das politische System aus den Subsystemen parteimäßige Politik, bürokratische Verwaltung und dem Publikum zusammen. Als Folge dieser strukturellen Differenzierung kann es seine Eigenkomplexität steigern, Umweltkomplexität besser verarbeiten und seine Flexibilität erhöhen. Mittels interner Differenzierung können politische Systeme „interne Grenzen zwischen den Teilsystemen stabilisieren im Sinne von Schwellen, die eine Effektübertragung beschränken ... So können störende Umwelteinwirkungen in Teilsystemen abgekapselt und neutralisiert werden; andere fördernde Leistungen könnten intensiviert werden, ohne daß jedes Ereignis alle Teile anginge und alles mit allem abgestimmt werden müßte“ (Luhmann 1984f: 123). Der naheliegenden Erwartung, die verschiedenen Funktionen des politischen Systems schwerpunktmäßig auf die verschiedenen Subsysteme zu verteilen und damit deren jeweilige Verantwortlichkeit unmittelbar für das politische System und mittelbar für die Demokratie hervorzuheben, wird Luhmann jedoch allenfalls teilweise gerecht. Vielmehr sind für ihn alle Subsysteme an der Erfüllung aller dem politischen System zugewiesenen Funktionen beteiligt. Das schließt natürlich nicht aus, dass sie in den verschiedenen Phasen des politischen Entscheidungsprozesses spezielle Aufgaben wahrnehmen, für die sie jeweils die primäre, nicht aber die ausschließliche Verantwortung tragen. Denn sollte ein Subsystem eine Funktion einmal nicht wahrnehmen, so kann diese vorübergehend auch von einem anderen Subsystem übernommen werden. Diese Aussage gilt aber ausdrücklich nicht für die Demokratie, für die nach Luhmann nur ein Subsystem des politischen Systems verantwortlich ist, nämlich die Politik des politischen Systems.136 Trotz
136 Vgl. zum Beispiel Luhmann (2000b: 399). Die Konsequenzen, die diese Engführung von Demokratie auf die Politik als ein Subsystem des politischen Systems sowohl für den Demokratiebegriff als auch für seine Konzeptualisierung des politischen Systems haben, sind von Luhmann nicht beschrieben worden. Ich glaube auch nicht, dass er darin Probleme für seine Theorie des politischen Systems gesehen hat, denn in der Regel hat er den Demokratiebegriff in Beziehung zum gesamten politischen System gesetzt. Damit werden aber Aussagen wie diese, dass ein zentral stark vernetztes politisches System „die Repräsentativdemokratie ausschließlich als internes Reglement“ (Luhmann 2000: 318) versteht, außerordentlich missverständlich. Allerdings könnte man sich über Luhmann hinausgehend fragen, welche Bedeutung
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5 Die Demokratie des politischen Systems
dieser Eingrenzung auf die Politik ist und bleibt Demokratie ein Strukturbegriff, der sich auf das gesamte politische System bezieht (Luhmann 1996: 252). Diese Festlegung lässt sich mit dem Hinweis begründen, dass nach Luhmann Demokratie ja vom Komplexitätsgrad des gesamten politischen Systems abhängig ist. In den folgenden Ausführungen soll deshalb der Frage nachgegangen werden, in welchen Verhältnis Demokratie zur Differenzierung des politischen Systems sowohl insgesamt als auch hinsichtlich seiner Subsysteme Politik, Verwaltungsbürokratie und Publikum steht. Dabei sei vorab schon einmal darauf hingewiesen, dass es für Luhmann keine gleichförmige Entwicklung des politischen Systems und seiner Subsysteme in Richtung einer Demokratisierung der Demokratie gibt. Eine Demokratisierung des Subsystems Politik zieht also keineswegs automatisch auch eine Demokratisierung der Verwaltung oder des Publikums nach sich. Vielmehr vertritt er sogar die gegenläufige Auffassung, dass eine Demokratisierung der Politik nahezu zwangsläufig auch eine weitere Bürokratisierung der Verwaltung zur Folge hat (Luhmann 1987m: 212-215). 5.2.1 Die Politik des politischen Systems Luhmann siedelt die Demokratie im Subsystem Politik an, das seine Existenz vor allem den Parteien (Luhmann 1987d: 148) verdankt. Politik ist für ihn ein eigengesetzliches Sozialsystem (Luhmann 1981: 44), „das sozusagen für das politische System die Politik macht“ (Luhmann 1981g: 273). Zu ihr gehören alle Prozesse, die sich im Vorfeld von Aktivitäten abspielen, die zu kollektiv bindenden Entscheidungen führen (Luhmann 1987i: 245). Dementsprechend zählt er zur Politik „jede Art von politischer Lobby, alle politisch positiv oder negativ selegierte Informationen in Presse, Hörfunk und Fernsehen, jede bedachte oder unbedachte inoffizielle Äußerung höherer Funktionäre oder Politiker, viele Arten von Intrigen, das Sichzeigen oder Sichnichtzeigen bei bestimmten Anlässen, das Fördern oder Nichtfördern politischer Karrieren und natürlich die politische Wahl mit all dem, was sie tatsächlich oder vermeintlich beeinflußt“ (1991: 172173). Im Subsystem Politik haben sich besondere Kriterien der Rationalität ausgebildet, die „weder mit der gesamtgesellschaftlichen Moral noch mit dem spezifisch bürokratischen Ethos konsistenten Entscheidens übereinzustimmen brauchen“ (Luhmann 1984g: 164). Zu diesen Rationalitätskriterien zählt er Wahlgewinne, Stimmenmaximierung und Postenmaximierung (Luhmann 1984g: 164). Es sind aber nicht nur spezifische Aktivitäten und Rationalitätskriterien, welche die besondere Stellung der Politik innerhalb des politischen Systems der Geselldemokratische Repräsentation in und für die öffentliche Verwaltung und für das Publikum hat oder haben könnte.
5.2 Die Subsysteme des politischen Systems
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schaft begründen, sondern es ist gleichermaßen die Demokratie, die sie auszeichnet. Sie gibt der Politik das spezifische Gepräge und garantiert ihre Unabhängigkeit gegenüber den beiden anderen Subsystemen des politischen Systems. Dementsprechend ist es die Aufgabe der Politik, Demokratie zu praktizieren und innerhalb des politischen Systems zur Geltung zu bringen. Doch kann es dabei weder das politische System als Ganzes noch die beiden anderen Subsysteme, die Verwaltungsbürokratie und das Publikum, auf Demokratie verpflichten. Demokratisierung des politischen Systems kann deshalb nur heißen: Demokratisierung des Subsystems Politik.137 Gehen Bemühungen über eine Demokratisierung des Subsystems Politik hinaus, hat man unweigerlich mit dysfunktionalen Konsequenzen in den anderen politischen Subsystemen zu rechnen, wie zum Beispiel mit einer Bürokratisierung der Verwaltung. Für Luhmann ist die Politik überkomplex, labil, konkurrenzmäßig und opportunistisch strukturiert (Luhmann 1983e: 50). Dies war keineswegs immer so, sondern es ist das Ergebnis politischer Evolution, die zu einer „Umgründung der Politik auf Fluktuationen“ (Hervorhebung entfernt, E.C.) (Luhmann 2000: 429) geführt hat, wodurch wiederum Variabilität zur Stabilitätsbedingung von Politik wird. Auf diese Weise wird einerseits ein opportunistischer Umgang der Politik mit Werten möglich.138 Andererseits muss dieser Opportunismus aber „berechenbar“, das heißt so erwartbar sein, dass man sich darauf einstellen kann. Vermutlich ist Luhmann deshalb der Überzeugung, dass neben Karriereorientierungen auch die Heuchelei zu den „Eigenwerten“ der Politik gezählt werden muss, weil sie „im politischen Betrieb Rekursivität und damit stabile Identitäten garantieren“ (Luhmann 1997: 29). Man weiß in derartigen Situationen zwar nicht, auf welche Werte die Politik zurückgreifen wird, immerhin weiß man aber, dass man es nicht weiß und somit auf Überraschungen, auf die man sich einstellen kann, gefasst sein muss. Demokratie lässt sich von daher auch als eine besondere Form des Umgangs mit und der Verarbeitung von Überraschungen verstehen.139
137 Luhmann schreibt in seinem Buch Liebe als Passion (1998d: 175) von einer „an sich denkbaren „Demokratisierung“ der Liebe im Sinne einer für alle gleichermaßen bereitgehaltenen Möglichkeit.“ Damit stellt sich jedoch die Frage, ob „Demokratie“, auch wenn Luhmann dies ausschließt, nicht doch auch in anderen sozialen Systemen oder deren Subsystemen vorkommen kann. Sie hätte dort natürlich andere Bedeutungen als in der Politik des politischen Systems. 138 Sowohl die Verwaltung als auch das Publikum reagieren abwehrend auf den opportunistischen Umgang der Politik mit Werten. Die Verwaltung, in dem sie dem Opportunismus der Politik mit Rekurs auf das Recht zu begegnen sucht, das Publikum, in dem es sich verdrossen von der Politik abwendet. 139 Im Vergleich dazu müssen die beiden anderen Subsysteme des politischen Systems die Überraschungen durch die Politik mit Rückgriff auf andere Mechanismen bewältigen.
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Der opportunistische, zu Selbst- und Fremdüberraschungen führende Umgang der Politik mit Werten liegt nicht zuletzt in der zentralen Funktion der Politik begründet, Durchsetzungsfähigkeit für bindende Entscheidungen vorzubereiten und bereit zu stellen (Luhmann 1981: 82). Da in der Regel vorab nicht bekannt ist, wie, mit wessen Unterstützung und womit die Durchsetzungsfähigkeit für bindende Entscheidungen erreicht werden kann, darf sich die Politik möglichst wenige Fesseln auferlegen (lassen), die ihre Handlungsspielräume einengen könnten. Die (Selbst-)Verpflichtung auf die Einhaltung „demokratischer“ Werte, wie zum Beispiel des Wertes Gleichheit, wäre aus einer solchen Perspektive für die Funktionserfüllung der Politik außerordentlich hinderlich. Wenn die Politik dagegen die Autonomie hat, je nach Bedarf zwischen mehreren Werten wie Gleichheit, Freiheit, Gerechtigkeit oder Solidarität zu wählen bzw. zwischen diesen Werten abzuwägen oder sie aufeinander abzustimmen, stehen ihr mehr Entscheidungsoptionen zur Verfügung, die es ihr erleichtern, Akzeptanz und damit Durchsetzungfähigkeit für bindende Entscheidungen zu gewinnen. Auf diese Weise schafft die Politik zugleich für die beiden anderen Subsysteme des politischen Systems die Voraussetzung, ihre eigenen Operationen anzuschließen, sie also als Prämissen für die eigenen Entscheidungen zu wählen, um so ihre jeweiligen Teilfunktionen für das politische System zu erfüllen. Ziel der Politik ist es bei der Vorbereitung und Bereitstellung von Durchsetzungsfähigkeit sicherzustellen, „dass auch andere an solche Entscheidungen gebunden sind, selbst wenn sie nicht zugestimmt haben oder ihre Zustimmung widerrufen können“ (Luhmann 1997b: 226). Im Einzelnen gehören zur Vorbereitung und Bereitstellung von Durchsetzungsfähigkeit vor allem Aufgaben wie die Erarbeitung von Entscheidungsprämissen, die Beschaffung von Legitimität und Unterstützung, die Bildung von legitimer Macht durch die Artikulation und die Generalisierung von Interessen, die Rekrutierung und Erprobung von Führungspersönlichkeiten, die Pflege legitimierender Symbole und Ideologien, die Ausarbeitung konsensfähiger Themen und Programme oder die Bildung von Konsens für bestimmte Programme und Personen (Luhmann 1983: 183-184; Ders. 1983f: 75; Ders. 1966: 74-75, 78; Ders. 1983g: 168; Ders. 1983e: 51; Ders. 1987d: 148; Ders. 1987i: 246.). Mit dieser Vielfalt an Einzelfunktionen, die die Politik für das politische System insgesamt sowie für seine beiden anderen Subsysteme erbringt, schafft sie die machtmäßigen Voraussetzungen, damit kollektiv verbindliche Entscheidungen überhaupt zustande kommen können. Faktisch getroffen werden diese Entscheidungen dann aber vom Subsystem Verwaltung nach dessen eigenen Entscheidungsprogrammen (Luhmann 1966: 67, 72-74; Ders. 1966a: 21, 27, 84; Ders. 1973a: 252-253; Ders. 1983: 184).
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5.2.2 Das Publikum des politischen Systems Was in den „klassischen“ Demokratietheorien zumeist normativ überfrachtet unter den Begriffen „Volkssouveränität“, „Öffentlichkeit“140 oder „öffentliche Meinung“ (Noelle-Neumann 1996) firmiert, reduziert sich bei Luhmann auf den Begriff des „Publikums“. Es ist neben der Politik und der Verwaltung das dritte zentrale Subsystem des politischen Systems. Allerdings hat er sich im Vergleich zu den beiden anderen Subsystemen mit dem Publikum nur selten auseinandergesetzt. Auch hat er dessen Bedeutung für das politische System und für den Prozess der Herstellung und Durchsetzung kollektiv verbindlicher Entscheidungen erst relativ spät erkannt. Zunächst hatte er nämlich die Ausdifferenzierung des politischen Systems auf die Subsysteme Politik und Verwaltung beschränkt (Luhmann 1986: 148) und erst später das Subsystem Publikum als weiteres Subsystem des politischen Systems in seine Theorie der Politik eingebaut.141 Ein wesentlicher Grund für diese Aufwertung dürfte in seiner Erkenntnis liegen, dass weder die Demokratie ohne Publikum142 noch das Publikum ohne Demokratie (Luhmann 1981: 44) zu denken ist. Er verweist deshalb immer wieder auf dessen (primär passive) politische Rolle im Zusammenhang mit Wahlen oder der Unterstützung von bzw. der Kritik an Parteien. Seine zentrale Bedeutung gewinnt das Publikum für Luhmann jedoch erst in Verbindung mit der Zweitcodierung des politischen Systems in Regierung und Opposition (Kapitel 6.1). „Die Omnipräsenz des Publikums ist durch das Schema Regierung/Opposition bewirkt, und ebenso das heimliche Regiment dieses Parasiten“ (Luhmann 1989: 21). Für ihn ist das Publikum deshalb ein Parasit, weil es sich in die Beziehung von Regierung und Opposition einnistet und daraus für sich Vorteile zieht. In ihm vollzieht sich nämlich nach Luhmann der Wiedereinschluss des aus der Politik zunächst ausgeschlossenen Dritten. „Der Ausgeschlossene gewinnt durch eben den Ausschluß eine Position, von der er sich unbemerkt(!), heimlich, geräuschlos wieder einschleichen kann“ (Luhmann 1989: 21). Zwar nimmt das Publikum an den Interaktionen zwischen Regierung und Opposition nicht unmittelbar teil, doch lassen sie sich beide über die öffentliche Meinung von ihm irritieren. Deshalb kann Luhmann auch feststellen, dass das Publikum nur in der Phantasie der Politik existiert (Ebenda) und gerade dadurch zu einer wichtigen und feststehenden Größe für die Politik wird. 140 Vgl. hierzu insbesondere die Arbeiten von Jürgen Habermas (1990; 1992: 435-465) sowie die Beiträge in: Marcus/Hanson (Hrsg.) (1993). 141 Vielleicht ist dies auch der Grund dafür, warum sich Luhmann mit dem Publikum im Vergleich zu den beiden anderen Subsystemen des politischen Systems nicht intensiver beschäftigt hat. 142 Von einer solchen Perspektive ausgehend muss man annehmen, dass nichtdemokratische politische Systeme offenbar über kein Publikum verfügen. An Stelle des Publikums könnten in solchen Systemen vielleicht „Untertanen“ stehen.
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Als Ergebnis der Demokratisierung des politischen Systems (Luhmann 1981: 44) setzt das Publikum auf Demokratie, womit, so Luhmann sehr vage, „jedermann seine eigenen Interessen meinen kann“ (Luhmann 1981: 56). Es wäre deshalb auch falsch, wenn aus den bisherigen Ausführungen die Schlussfolgerung gezogen werden würde, dass das Publikum demokratisch sein muss oder sogar die Demokratie zur Geltung bringen muss, wie dies in den „klassischen“ Demokratietheorien nicht zuletzt mit Verweis auf den Untergang der Weimarer Republik immer wieder hervorgehoben wird. Demokratisch zu sein und Demokratie zu praktizieren bleibt bei Luhmann bekanntlich der Politik vorbehalten. Aber dies beinhaltet eben auch darauf zu achten, dass das Publikum als Subsystem des politischen Systems nicht geschwächt wird, wenn man mit Luhmann davon ausgeht, dass die Demokratie von der Existenz des Publikums ebenso abhängig ist wie dieses von der Existenz der Demokratie. Von daher ist im politischen System dafür Sorge zu tragen, dass das Publikum in den Prozess kollektiv verbindlichen Entscheidens, in welcher Form auch immer, integriert ist. Dies ist natürlich kein überraschender Befund. Die „klassischen“ Demokratietheorien haben dies schon immer so oder zumindest so ähnlich gesehen. Dennoch gibt es zwischen ihnen und Luhmanns Position erhebliche Unterschiede. Sie betreffen vor allem seine Konzeption von Publikum, die er deutlich von seiner Vorstellung von öffentlicher Meinung (Kapitel 5.3) abgrenzt (Luhmann 2000: 274-318; Ders. 1983d). Von daher stellt sich um so drängender die Frage, was Luhmann eigentlich mit „Publikum“ meint und welche Funktionen er ihm innerhalb eines demokratischen politischen Systems zuweist. Zum Publikum gehören nach Luhmann nicht Menschen, sondern verschiedene Rollen wie die des Wählers, des Steuerzahlers, des Leserbriefschreibers oder des Unterstützers von Interessenverbänden (Luhmann 1984g: 164). Diese Rollen sind „nach den Erfordernissen des politischen Systems, insbesondere nach seinen Kommunikationswegen, aufgeteilt. Sie sind Rollen für komplementäres Verhalten ... Dadurch wird systemkonformes Verhalten in diesen Rollen zur Einflußbedingung“ (Luhmann 1984g: 164). Diese Aussage muss deshalb besonders hervorgehoben werden, weil das Publikum für Luhmann keine Organisation ist (Luhmann 2000: 253). Insofern stellt sich hier vor allem die Frage, wer oder was für system- bzw. für rollenkonformes Verhalten sorgt. Ist es die Gesellschaft, das politische System oder vielleicht sogar die „Demokratie“? Ferner stellt sich die Frage, was eigentlich unter einen „system- bzw. rollenkonformen Verhalten“ zu verstehen ist, worauf es sich bezieht und in welchem Zusammenhang es zur Demokratie steht. Im Gegensatz zu den „klassischen“ Demokratietheorien, die sich eine „Demokratie ohne Demokraten“ nur sehr schwer vorstellen können und für die systemkonformes Verhalten deshalb immer demokratieverträgliches Verhalten bedeutet, setzt Luhmann andere Akzente. Für ihn
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ist systemkonformes Verhalten des Publikums nicht direkt auf Demokratie, sondern in erster Linie auf die Funktionen des politischen Systems ausgerichtet. Es orientiert sich dabei sowohl an der Vorbereitung („Politik“) als auch an der Herstellung und den Vollzug („Verwaltung“) politischer Entscheidungen (Luhmann 1984g: 174, Fn. 41). Insofern ist das Publikum an allen wesentlichen politischen Operationen des politischen Systems beteiligt (Luhmann 1981: 44). Systemkonformität des Publikums zur Demokratie besteht aber insoweit, als es Erwartungen, Bedürfnisse und Interessen gegenüber der Politik geltend macht, so dass diese in der Lage ist, jene in den politischen Entscheidungsprozess einzubringen143 oder, wie Luhmann (1981: 153) es nennt, „die Perspektive der Betroffenen in die Politik aufnehmen“ können. Auf diese Weise setzt das Publikum Entscheidungsprämissen zumindest für das Subsystem Politik oder es übt, anders formuliert, auf die Politik „kommunikative Macht“ (im Sinne von Jürgen Habermas) aus. Um dies leisten zu können, müssen die Publikumsrollen jedoch „auf die Entscheidungsgeschichte des politischen Systems reagieren können“ (Luhmann 1984g: 174, Fn. 41), um daraus Schlussfolgerungen für die Zukunft zu ziehen. Voraussetzung dafür ist, „dass politische Ereignisse gleichzeitig allen bekannt werden (sofern sie nicht geheimgehalten werden), so dass der Politiker unterstellen muss, dass auch andere gleichzeitig mit ihm wissen, worauf er reagiert, und ihn verstehen, sei es billigen, sei es mißbilligen können“ (Luhmann 1981i: 314).144 Publikum setzt also ein Mindestmaß an Informiertheit voraus, gleichzeitig produziert es aber auch Informationen, die sich zur Öffentlichkeit verdichten. Diese fungiert wiederum für das Subsystem Politik innerhalb des politischen Systems als systeminterne Umwelt, durch die es sich irritieren lassen und Demokratie nach eigenen Prämissen praktizieren kann. Eine solche Vorstellung von Publikum und Öffentlichkeit unterscheidet sich erheblich von Konzeptionen, die Demokratie normativ als Herrschaft der Öffentlichkeit und „als Regierung der öffentlichen Macht in der Öffentlichkeit“ (Bobbio 1988: 87) bezeichnen.145 Nicht die Öffentlichkeit regiert und herrscht nach Luhmann, sondern die „Demokratie“ als strukturelles Arrangement der Politik innerhalb eines politischen Systems. Von daher ist es für Luhmann auch völlig verfehlt, Öffentlichkeit mit Gesellschaft gleichzusetzen, wie dies in den „klassischen“ Demokratietheorien häufig der Fall ist. Undenkbar ist es für ihn aber auch, im Publikum ein Medium der Vernunft und der Aufklärung zu sehen, wie dies bei Jürgen Habermas (1992: 143 Es sei daran erinnert, dass dabei die Politik die Erwartungen und Interessen des Publikums nach eigenen Rationalitätskriterien definiert und selektiert. 144 Siehe zu diesem Aspekt auch die für einen Politiker ungewöhnlich instruktiven Ausführungen von Wolfgang Schäuble (1985). 145 Siehe hierzu auch die Beiträge insbesondere von Hanson/Marcus, Page/Shapiro, Barber, Conover/Leonard/Searing, Hochschild sowie Moon in Marcus/Hanson (Hrsg.) (1993).
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435-465) zu beobachten ist. Für Luhmann können weder das Publikum noch die Demokratie eine höhere Vernunft in Anspruch nehmen. 5.2.3 Die Verwaltung des politischen Systems Das letzte Subsystem des politischen Systems ist, neben Politik und Publikum, die (öffentliche) Verwaltung.146 Zu ihr zählt Luhmann die Verwaltungsbürokratie, die Parlamente und die Regierungen (Luhmann 1981: 45).147 Die Begründung für eine so ungewöhnliche Konzeptualisierung ist primär funktional bestimmt. Da die Verwaltung nach Luhmann auf die Ausarbeitung, die Herstellung und die Ausfertigung kollektiv verbindlicher Entscheidungen spezialisiert ist (1966a: 21, 27, 84; Ders. 1966: 56, 67, 72-74), müssen ihr zwangsläufig Verwaltungsbürokratie, Regierung und Parlament zugerechnet werden. Luhmann lehnt also die traditionelle Zweck-Mittel-Unterscheidung ab, nach der die Politik die Zwecke vorgibt, die die Verwaltung dann umzusetzen hat. Ferner weist er aber auch das klassische Schema der Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative zurück. Stattdessen führt ihn seine funktionalistische Perspektive zu einem arbeitsteiligen Begriff des politischen Systems, in dem die Verwaltung als „ein organisiertes System tatsächlichen Entscheidungsverhaltens“ (Luhmann 1966a: 14) fungiert, und die er beschreibt als „die Gesamtheit der Einrichtungen, die nach politischen Gesichtspunkten oder im politischen Auftrag bindende Entscheidungen herstellen“ (Luhmann 1981: 45). Als Teil des politischen Systems ist die Verwaltung deshalb „immer politische Verwaltung“ (Luhmann 1972a: 219). Sie denkt und entscheidet programmatisch (Luhmann 1986: 153) unter Anwendung eigener Entscheidungsprogramme. Diese stellen Handlungsrichtlinien, wie zum Beispiel Gesetze, Rechtsverordnungen oder Verwaltungsrichtlinien dar, die am politischen Code Macht/Nichtmacht (siehe Kapitel 6.1) orientiert sind und welche die Entscheidungen der Verwaltung leiten. Sie entwickelt deshalb eigene Rationalitätskriterien, die sich gegenüber denjenigen der Politik und des Publikums unterscheiden. Luhmann verweist hier auf das Kriterium der „Richtigkeit“148, das „unter Wahrung gewisser Anforderungen an
146 Luhmann spricht daneben auch von „Staatsbürokratie“, „Staatsverwaltung“, Verwaltungsbürokratie“, „bürokratische Verwaltung“ und von „Staatsapparat“. Zur Rolle und Bedeutung von Verwaltung in Luhmanns Systemtheorie siehe die Beiträge in Dammann u.a. (Hrsg.) (1994). 147 Ursprünglich gehörten zur Verwaltung auch die Gerichte, also die Funktion der Rechtsprechung (Luhmann 1966a: 22; 1966: 74). Später hat Luhmann sie dann aber durch die Regierungen ersetzt und dem gesellschaftlichen System „Recht“ zugewiesen. 148 Luhmann spricht auch von „richtige(n) Entscheidungen“ (1983: 184; 1983g: 168) und von „rationale(r) Entscheidungsfertigung“ (1966: 56).
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die Konsistenz der Entscheidungen untereinander (nämlich Rechtmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit)“ (Luhmann 1984g: 164) anzuwenden ist. Im Gegensatz zu den beiden anderen Subsystemen Politik und Publikum des politischen Systems ist die Verwaltung für die Bindungswirkungen der (politischen) Entscheidungen zuständig. Nur sie verfügt über die notwendige Legitimation, kollektiv verbindliche Entscheidungen zu treffen (Luhmann 1983h: 182). Dabei muss sie auf das Recht als eine außerhalb des politischen Systems liegende Ressource zurückgreifen.149 Gleichzeitig ist das Recht die Grundlage ihrer Operationen und ihrer Autonomie gegenüber der Politik und dem Publikum innerhalb des politischen Systems (Luhmann 1966a: 24-25, 35 und passim). Nur wenn die Entscheidungen in Rechtsform als Gesetz, Rechtsverordnung oder auch Verwaltungsakt gekleidet werden, können sie Verbindlichkeit beanspruchen und sowohl die anderen Subsysteme des politischen Systems als auch die Adressaten der Entscheidungen dazu veranlassen, sie als Prämissen eigenen Handelns und Entscheidens zu übernehmen (Luhmann 1983h: 182; Ders. 1984g: 159). Das Recht sorgt dafür, dass durch die Entscheidungen der Verwaltung also nicht nur das politische System als Ganzes sowie seine Umwelt gebunden wird, sondern dass sich die Verwaltung damit gleichzeitig auch selbst bindet (Luhmann 1981: 45). Da Selbstbindungen aber die eigene Handlungsfreiheit beschränken, könnte dies die Verwaltung zu einem zurückhaltenden Gebrauch politischer Entscheidungen veranlassen. Dem steht allerdings entgegen, dass die Politik in Form der Parteien auf Entscheidungen drängt und, wie es auch die Bürokratietheorie Max Webers nahe legt, Selbstbindungen zur Machtsteigerung genutzt werden können. Welche Rolle die Verwaltung in der und für die Demokratie spielt, wird von Luhmann nicht weiter thematisiert. Für ihn ist die dreistellige Ausdifferenzierung des politischen Systems bereits ein allgemeiner Ausdruck für Demokratie, die dann aber im Subsystem Politik noch einmal in konkreter Form verankert ist. Insofern bewegt sich für ihn die Verwaltung bereits in einem demokratischen Kontext, ohne deshalb jedoch selbst „demokratisch“ zu sein. Mit dieser Feststellung wird aber die Frage nach dem Verhältnis von Verwaltung und Demokratie nicht überflüssig (hierzu Czerwick 2001: 11-86). Ist die Verwaltung der Demokratie entgegengesetzt und stellt somit ein wesensfremdes Element in der Demokratie dar? Oder ist sie ein integraler Bestandteil der Demokratie und, sofern diese Frage bejaht werden kann, in welcher Form? Muss die Verwaltung demokratisch organisiert sein, und trägt sie der Demokratie durch ihre Entscheidungen und Entscheidungsverfahren Rechnung? Es ist kein Wunder, dass sich Luhmann solchen Fragen nicht stellt, weil sie einen Begriff von Demokratie nahe legen, der nicht nur funktional-strukturell bestimmt ist, sondern der die Verfolgung 149 Recht als eine Ressource der Verwaltung hat einen spezifischen Umgang mit Recht zur Folge, der nicht mit dem Umgang mit Recht im Rechtssystem identisch sein muss (Roellecke 1996).
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spezifischer Werte mit einschließt. Wer Entscheidungen trifft, kommt ja nicht umhin, auf Werte als Grundlage der Entscheidungen zurückzugreifen. Aber auch die Zuweisung des Parlaments zum Subsystem Verwaltung hätte Luhmann dazu bringen müssen, die Frage nach dem Stellenwert von Demokratie in der Verwaltung anzusprechen. Schließlich werden die Parlamente vom Volk gewählt und damit, ob zu recht oder zu unrecht sei dahin gestellt, als Ausdruck der Volkssouveränität behandelt. Insofern hätte gerade die Verwaltung (im Luhmannschen Sinne) in enger Beziehung zur Demokratie konzeptualisiert werden müssen, zumal, um dies zu wiederholen, ja nur sie über die entsprechende Autorität und Legitimation verfügt, kollektiv verbindliche Entscheidungen zu treffen. Luhmann bewegt sich hier ganz offensichtlich in der Tradition des staats- und verwaltungswissenschaftlichen Denkens in Deutschland, das sich Demokratie in und durch die Verwaltung nur unter sehr eingeschränkten Bedingungen vorstellen kann. Dabei lassen sich in der Verwaltung eine Vielzahl von Strukturen erkennen, die als „demokratisch“ ausgewiesen werden können (Czerwick 2001: 334-378). Von daher ist die von Luhmann propagierte ausschließliche Zuweisung der Demokratie zum Subsystem Politik des politischen Systems viel zu eng. Er begibt sich damit nicht nur der Möglichkeit, Demokratie als ein in allen politischen Subsystemen vorkommendes Strukturmerkmal, wenn auch in jeweils unterschiedlicher Intensität und Ausformung, zu analysieren, sondern er blendet damit auch mehr oder weniger bewusst weitere Demokratisierungspotentiale im politischen System aus. Exkurs: Der Staat im (des) politischen System(s) Neben den Subsystemen Politik, Verwaltung und Publikum erwähnt Luhmann immer wieder auch den Staat als einen integralen Bestandteil des politischen Systems. Allerdings lässt sich dabei nicht immer erkennen, welchen Status der Staat innerhalb seiner Theorie des politischen Systems einnimmt und in welchen Beziehungen er zu den Subsystemen des politischen Systems steht. Im Folgenden soll deshalb ein erster Versuch unternommen werden, Luhmanns Überlegungen zum Staat im Kontext seiner Theorie des politischen Systems und seiner Konzeption von Demokratie kurz zu problematisieren. Denn seine Ausführungen zum Staat (vgl. Lange 2003: 238-247, 267-276) lassen sich weder problemlos in seine theoretische Konstruktion des politischen Systems noch in seine Konzeption von Demokratie integrieren. Vielmehr ergeben sich durch seine Staatskonzeption Brüche und Inkonsistenzen in seiner politischen Theorie, die sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt150 nicht beseitigen lassen. 150 Vorbehaltlich der Veröffentlichung weiterer Arbeiten zu diesem Thema aus Luhmanns Nachlass.
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Im Gegensatz zu der politikwissenschaftlichen Systemtheorie David Eastons (1971; 1981) trachtet Luhmann nicht danach, den Staat durch den Begriff des politischen Systems zu ersetzen, sondern er ist vielmehr bestrebt, den Staat als einen Bestandteil des politischen Systems auszuweisen. Dabei entsteht einerseits der Eindruck, als würde Luhmann den Staat entweder mit dem Subsystem Verwaltungsbürokratie des politischen Systems gleichsetzen oder den Staat als ein Subsystem der Verwaltungsbürokratie behandeln. Andererseits gewinnt man aber auch die Überzeugung, dass er im Staat eine notwendige strukturelle Einrichtung des politischen Systems sieht, wie zum Beispiel ein eigenständiges Subsystem des politischen Systems. Weiterhin fungiert der Staat bei ihm als eine juristische Person mit verschiedenen Rechten und Pflichten (Luhmann 1987k: 88). Darüber hinaus dient ihm der Staat aber auch als Selbstbeschreibungsformel des politischen Systems. „Die Selbstbeschreibung Staat ist nicht nur in den Institutionen, sie ist auch in den Ansprüchen und Erwartungshaltungen etabliert. Sie fixiert den kommunikativ unerläßlichen Adressaten, und dies nicht ad hoc, sondern als Einheit für unzählige Operationen des gesamten Systems. Es ist vorerst nicht zu ersehen, wie sie zu ersetzen wäre. Nach wie vor bleibt der Staatsbegriff deshalb der Bezugspunkt für eine Systematisierung politischer Ideen und Interessen...“ (Luhmann 1987k: 96). In dieser zuletzt genannten Bedeutung wird Politik also in Beziehung auf den Staat bestimmt. Gleichzeitig weist Luhmann dem Staatsbegriff die Aufgabe zu, das Medium Macht, verstanden als Staatsgewalt, semantisch zu überhöhen (Luhmann 1987k: 79). Auf diese Weise kann über den Staatsbegriff die Politik einerseits mit Sinn aufgeladen werden, andererseits aber auch in ihrem Gebrauch limitiert werden (Ebenda). Unabhängig davon, welcher der verschiedenen Vorstellungen Luhmanns von Staat man auch folgt, so wird eines doch sehr deutlich: Für ihn steht der Staat, ob real, kommunikativ oder virtuell, im Zentrum des politischen Systems. Für ihn gibt es auch und gerade im Kontext von Demokratie keinen Ersatz. Doch gewinnt er dort eine andere Bedeutung als in nichtdemokratischen politischen Systemen. Luhmann weist nämlich darauf hin, dass die Demokratisierung des politischen Systems die Systemkomplexität in einem Ausmaß erhöht habe, „dass das System sich eine hierarchische Organisation nur noch in einem „staatlichen“ Kernbereich leisten kann und als Gesamtsystem zur Differenzierung von Zentrum und Peripherie übergehen muss“ (Luhmann 1993: 336). Demokratie wird deshalb „zum Führungsbegriff, ja zu einer normativen Anforderung an alle Gebilde, die als Staat auftreten und Anerkennung finden wollen“ (Luhmann 2000: 96-97). Stellt man diese von Luhmann in unterschiedlichen Kontexten und zu unterschiedlichen Zeitpunkten gemachten Äußerungen gegenüber, muss man feststellen, dass jetzt der moderne Staat für ihn im Gegensatz zu früheren Epochen von der Demokratie her seine Begründung und Rechtfertigung erhält.
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Gleichzeitig wird aber auch deutlich, dass Luhmann mit seiner Zweiteilung des politischen Systems in Zentrum und Peripherie151 wieder das traditionelle Gewaltmonopol des Staates betont. So schreibt er in „Die Politik der Gesellschaft“: „Wir sehen, im Anschluss an die Staatslehre der Tradition, den Schlüssel für ein Verständnis des Staatsbegriffs im Begriff der Staatsgewalt, oder allgemeiner: in einer Theorie der Gewalt“ (Luhmann 2000: 192).152 Da der Staat von ihm deshalb auch als eine hierarchische Organisation begriffen wird, kann die Demokratie demnach nicht im Staat, sondern nur in seiner Peripherie praktiziert werden153, die von Parteien, Prozessen der Konsensbeschaffung und der politikrelevanten Interessenvermittlung gebildet wird. Gleichwohl wird man bei diesen Ausführungen immer wieder an die traditionelle (und inzwischen faktisch überholte) „Trennung“ bzw. „Unterscheidung“ von Staat und Gesellschaft erinnert. Luhmann meint aber, dass seine Unterscheidung den Vorteil haben könnte, dass, im Gegensatz zur Ebene des Zentrums, in der Peripherie darauf verzichtet werden kann, „den Staatsbegriff mit metaphysischen, sittlichen oder gemeinschaftsbezogenen Konnotationen aufzuladen. Er kann dann in seiner Funktion verstanden werden: in seiner Funktion der Asymmetrisierung von Politik“ (Luhmann 1987k: 87). Selbst wenn man bereit ist, dieser Interpretation zu folgen, bleiben doch einige offene Fragen zu Luhmanns staatstheoretischen Überlegungen. Ist darin eine Distanzierung gegenüber seinen ursprünglichen Ausführungen zum politischen System zu sehen? Ist der Staat doch mehr als nur eine Selbstbeschreibung des politischen Systems? Wird mit der Betonung des staatlichen Gewaltmonopols die Relativierung von politischer Herrschaft wieder rückgängig gemacht, auch wenn Luhmann betont, dass staatliche Gewalt nur dazu diene, „um Gewalttätigkeiten anderer Provinienz zu unterbinden“ (Luhmann 2000: 192)? Dass er mit dieser Argumentation selbst nicht zufrieden ist und einiges Unbehagen verspürt, zeigt sich an seiner Befürchtung, dass der Staatsbezug der Politik mit Kriegsgefahr verbunden sein könnte (Luhmann 1997a: 1096-1097). Zwar verzichtet er auch hier auf eine Begründung für seine Behauptung, sie lässt sich aber unter der Voraussetzung rechtfertigen, dass die Herausbildung des Staates auf Gewalt beruht (Krippendorff 1985) und seine Existenz auf dem Gewaltmonopol aufbaut (Weber 1964: 1042-1062). Beide Sachverhalte machen den Staat zweifellos anfällig dafür, Gewalt als Mittel der Politik nach innen und nach außen einzusetzen und damit entweder einen zwischenstaatlichen Krieg oder eine Bürgerkrieg einzuleiten.
151 Siehe hierzu auch Fuhse (2005: 85, 88-89) sowie Hellmann (2005: 15 und passim). 152 Die Parallelität dieses Gedankens zu Max Webers klassischen Staatsbegriff ist unverkennbar (Weber 1964: 39). 153 Siehe hierzu auch die ähnlichen Überlegungen bei Habermas (1992: 361-375).
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Zu fragen ist weiterhin aber auch, was es mit der Differenzierung in Zentrum und Peripherie auf sich hat und in welchem Verhältnis sie zur Ausdifferenzierung des politischen Systems in die drei Subsysteme Politik, Verwaltung und Publikum steht. Sollte die Differenzierung in Zentrum und Peripherie die Ausdifferenzierung des politischen Systems in die drei Subsysteme ablösen, ließe sich dies nur als Entdifferenzierungsprozess interpretieren, der die Systemkomplexität in einer Weise verringern würde, wie sie Luhmann wohl weder für sinnvoll noch für möglich gehalten hätte.154 Sollte jedoch die Differenzierung von Zentrum und Peripherie die Ausdifferenzierung des politischen Systems ergänzen oder überlagern, müsste geklärt werden, wie man sich dies theoretisch und praktisch vorstellen soll. Ebenfalls bleibt zu prüfen, wie sich denn die Differenzierung des politischen Systems in Zentrum und Peripherie mit dem politischen Code Regierung/Opposition (Kapitel 6.1) verträgt. Antworten auf alle diese Fragen sind nicht nur nicht in Sicht, sondern die Probleme, die sich mit seinem Staatsbegriff bzw. mit seinen Staatsbegriffen und den verschiedenen Differenzierungsarten des politischen Systems auftun, werden von Luhmann offenbar ebenso wenig beachtet wie die Konsequenzen, die sich daraus für seine Konzeptualisierung von Demokratie ergeben. Schließlich macht sich aber auch nachteilig bemerkbar, dass Luhmanns Demokratiekonzeption auf die politischen Systeme der Nationalstaaten fixiert ist und auch nur von daher zu verstehen ist. Zwar ist für ihn der (Regional-)Staat auch auf der Ebene der Weltgesellschaft „unentbehrlich, weil nur unter Anpassung an regional sehr unterschiedliche Bedingungen das politische System „demokratisiert“, das heißt: an Konsenschancen ausgerichtet werden kann“ (Luhmann 1999d: 118). Bedenkt man aber den weltgesellschaftlichen Bedeutungsverlust der Nationalstaaten, muss es zwangsläufig auch zu einem Bedeutungsverlust der Demokratie kommen (Guéhenno 1996; Beck 1998; Barber 2001; McGrew 1998; kritisch hierzu Abizadeh 2002). So gesehen muss die Zukunft der Demokratie jenseits der Nationalstaaten gesucht werden. Auf diese Problematik geht Luhmann jedoch nicht ein. Damit befindet er sich in guter Gesellschaft. Auch die „klassischen“ Demokratietheorien haben bislang keine überzeugende Lösung für das Problem gefunden, wie Demokratie im weltweiten Maßstab jenseits der Nationalstaaten praktiziert werden kann (siehe aber Burnheim 1986; Held 1992: 31-38).
154 So schreibt Luhmann an anderer Stelle: „Für funktionale Differenzierung gibt es aber keine Alternative – es sei denn, man wolle auf eine segmentäre Differenzierung (...) oder auf eine politbürokratische Hierarchisierung der Gesellschaft zurück“ (Luhmann 2002a: 77).
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5.2.4 Die Beziehungen zwischen den Subsystemen des politischen Systems Luhmann geht davon aus, dass sich die Beziehungen zwischen den Subsystemen des politischen Systems nicht mehr auf eine einheitliche Formel bringen lassen (Luhmann 1981: 62). Von daher würde er wohl auch den naheliegenden Gedanken verwerfen, Demokratie als einheitliche Formel für ihre Beziehungen einzusetzen. Vielmehr betont er, dass die Subsysteme unter verschiedenartigen und inkompatiblen Bedingungen operieren, nach Rollen getrennt sind sowie unterschiedliche Erfolgsbedingungen und Rationalitätskriterien verwenden. Er behauptet sogar, dass die Subsysteme des politischen Systems füreinander black boxes darstellen (Luhmann 1981: 52), die sich wechselseitig nur sehr begrenzt „verstehen“ können, weil sie nur im Selbstkontakt operieren, und weil sich ihre Entscheidungen immer nur auf ihre eigenen Entscheidungen beziehen (Luhmann 1980: 63). Die Subsysteme nehmen also die Entscheidungen und Operationen der anderen Subsysteme nur vor dem Hintergrund der eigenen Entscheidungen und Entscheidungsnotwendigkeiten wahr. Wie unter diesen Voraussetzungen jedoch das politische System seine Einheit gegenüber der Umwelt noch aufrecht erhalten kann, muss als eine offene Frage behandelt werden. Luhmann würde wohl auf die Frage antworten, dass die Einheit des politischen Systems eben in dieser Differenz liegt und dadurch Demokratie überhaupt erst möglich wird. So gesehen stehen die Beziehungen der Subsysteme des politischen Systems unter der Prämisse bzw. dem Spannungsverhältnis von Einheit und Differenz (Luhmann 1966: 56, 75). Beide, Einheit und Differenz, dürfen aber nicht als Gegensätze, sondern müssen als Steigerungsverhältnis betrachtet werden. Je mehr Einheit im politischen System vorhanden ist, desto mehr ist Differenz auf der Ebene der Subsysteme möglich; und je mehr Differenz im politischen System gegeben ist, desto mehr müssen die Subsysteme intern dem Einheitsgedanken Rechnung tragen. Für Luhmann liegt der Schlüssel der Integration des politischen Systems deshalb primär in den Interaktionen der Subsysteme. Diese stimmen ihre Handlungen untereinander dadurch ab, dass sie jeweils füreinander sowohl Entscheidungsgrenzen als auch Entscheidungsprioritäten setzen (Luhmann 1981: 45). Hierbei können sie die jeweiligen Rationalitätskriterien der anderen Subsysteme mit einplanen (am Beispiel Politik-Verwaltung: Luhmann 1981: 112). Es ist aber ausgeschlossen, dass ein Subsystem die anderen Subsysteme führen oder sogar dominieren kann.155 Da das das politische System vielmehr durch einen antihie-
155 Stattdessen heißt es bei Luhmann: „Die Kontrollen der Kontrollen – das ist das System“ (Luhmann 2000: 265). Eine andere Interpretation könnte durch eine Bemerkung Luhmanns nahegelegt werden, in der er darauf hinweist, dass das politische System durch das Subsystem „in einem verdichteten Sinne politische gesteuert wird“ (Luhmann 1981g: 273). Auch Talcott Par-
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rarchischen Aufbau gekennzeichnet ist (Luhmann 1983e: 47)156, besteht zwischen den Subsystemen kein Machtgefälle, sondern nur die Notwendigkeit, gemeinsam zu allgemeinverbindlichen Entscheidungen des politischen Systems beizutragen. Deren Zustandekommen wäre zum Beispiel gefährdet, wenn das Publikum keine Interessen artikulieren oder keine der Parteien wählen würde, die ihm von der Politik zur Wahl vorgeschlagen werden (Luhmann 1981: 46). Die Funktion der Politik liefe also leer. Dies wäre auch der Fall, wenn die Leistungen der Politik, nämlich die Mobilisierung von Konsens, von der Verwaltung nicht in Entscheidungen umgesetzt werden. Die Verwaltung wiederum könnte nicht entscheiden, wenn ihr die Politik nicht den dazu notwendigen Konsens verschaffen würde. Die Subsysteme des politischen Systems sind aber nicht nur funktional im Rahmen von Input-Output-Beziehungen bzw. von Teilentscheidungen untereinander verknüpft, sondern auch dadurch miteinander verbunden, dass sich ihre Rollenanforderungen überschneiden. Zum Beispiel richtet das Subsystem Politik im Rahmen der Konkurrenzbeziehungen zwischen den Parteien seine Aufmerksamkeit darauf, die Ämter in Regierung und Parlament, also innerhalb des Subsystems Verwaltungsbürokratie, zu besetzen (Luhmann 1966: 75; Ders. 1981: 63; Ders. 1983f: 75-76). Ferner müssen die Subsysteme jeweils auch die Probleme lösen, die die anderen Subsysteme innerhalb des politischen Systems erzeugen. So müssen Schwierigkeiten der verwaltungspolitischen Rationalisierung im Subsystem Politik gelöst werden (Luhmann 1981: 138). Darüber hinaus müssen sie in der Lage sein, eventuelle Leistungsausfälle eines Subsystems zu kompensieren. So kann es der Verwaltungsbürokratie durchaus einmal passieren, dass die Politik nicht genügend Unterstützung mobilisiert, um politische Entscheidungen durchsetzen zu können. In einem solchen Fall muss sich die Verwaltungsbürokratie die fehlende Unterstützung beim Publikum selbst besorgen (Luhmann 1983i: 151), falls das Publikum „zur Kooperation bereit ist, Informationen gibt und eigene Wünsche durchsetzen kann“ (Luhmann 1981: 47). Wenn man mit Luhmann davon ausgeht, dass die Interaktionen zwischen den Subsystemen des politischen Systems nur auf der Grundlage ihrer wechselseitigen Autonomie157 vollzogen werden158 und wenn man weiterhin annimmt, dass die Demokratie ausschließlich im Subsystem Politik des politischen Syssons (1969: 340-342) hat den Versuch unternommen, die Subsysteme des politischen Systems in eine hierarchische Ordnung zu bringen. 156 Siehe hierzu aber noch einmal die gegenteiligen Äußerungen Luhmanns im vorigen Abschnitt. 157 Unter Autonomie versteht Luhmann, um dies hier noch einmal in Erinnerung zu rufen, die Fähigkeit von sozialen Systemen, die Beziehungen zur Umwelt nach eigenen Selektionskriterien zu gestalten. 158 Zum Verhältnis von Politik und Verwaltung siehe Grunow (1994), zum Verhältnis von Verwaltung und Publikum Treutner (1994).
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tems verankert ist, stellt sich die Frage, ob und in welcher Form es unter derartigen Voraussetzungen möglich ist, dass das Subsystem Politik den beiden anderen Subsystemen Demokratie als Leistung zur Verfügung stellt. Weitergehend lässt sich sogar die Frage stellen, ob es dem politischen System überhaupt möglich ist, die beiden anderen Subsysteme des politischen Systems zu „demokratisieren“ und damit zu einer umfassenden Demokratisierung des politischen Systems beizutragen. Folgte man Luhmann, müssten die Antworten auf beide Fragen negativ ausfallen. Bezugnehmend auf die erste Frage müsste man darauf hinweisen, dass Demokratie keine Leistung im Sinne von Output darstellt. Zwar kann eine Entscheidung des Subsystems Politik in den beiden anderen Subsystemen des politischen Systems demokratisierende Wirkungen entfalten, doch niemals direkt, sondern nur indirekt. Die Verwaltungsbürokratie und/oder das Publikum müssten jeweils von sich aus bereit sein, sich durch die Politik demokratisieren zu lassen („Selbstdemokratisierung“). Dies ist, wie wir wissen, in diesem Fall nur möglich, wenn diese Selbstdemokratisierung zur Rationalität der Verwaltungsbürokratie (Czerwick 2001: 337-378) oder zur Rationalität des Publikums passt. Andernfalls besteht die Konsequenz in einer weiteren Bürokratisierung der Verwaltung, worauf Luhmann immer wieder hingewiesen hat, oder in einer Parteien- bzw. Politikverdrossenheit auf Seiten des Publikums (Czerwick 1996). Aus der Perspektive der Politik des politischen Systems heißt dies, dass durch die Übertragung von Demokratie auf die beiden anderen Subsysteme des politischen Systems die weitere Bürokratisierung der Verwaltung gefördert würde und durch die Parteien- bzw. Politikverdrossenheit die Herstellung von Konsens erschwert würde. Ein solches eher pessimistisches Ergebnis schließt selbstverständlich aber auch nicht aus, dass die beiden Subsysteme Verwaltungsbürokratie und Publikum nicht doch Nutzen daraus ziehen können, dass im Subsystem Politik die Demokratie verankert ist. Zum Beispiel kommt die in einem engen Zusammenhang mit der Wahl stehende Legitimation des politischen Systems auch der Verwaltungsbürokratie zu Gute, weil sie diese bei ihrer Selbstlegitimation entlastet. Oder die Politik macht das Publikum zum Schiedsrichter im zwischenparteilichen Wettbewerb vor Wahlen, wodurch sie dessen Entscheidungsfunktion stärkt.159 Mit Luhmann bleibt also zu überlegen, ob nicht doch eine Demokratisierung der Verwaltungsbürokratie und des Publikums seitens des Subsystems Politik, wenn auch nur indirekt, nicht nur möglich, sondern sogar wünschenswert ist. Nimmt man nämlich an, dass es politische Phänomene gibt, die es erlauben, die Grenzen zwischen den Subsystemen des politischen Systems zu transzendieren, führt dies automatisch zu der Überlegung, ob nicht Demokratie ein solcher transzendierendes Phänomen sein könnte. Zwar hat Luhmann sich 159 Giovanni Sartori nennt dies „- im Rahmen der Konkurrenztheorie – die Rückkopplungstheorie der Demokratie“ (Sartori 1992: 161).
5.2 Die Subsysteme des politischen Systems
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bei seinen diesbezüglichen Anmerkungen vor allem auf die politische Planung bezogen, aber es gibt keinen vernünftigen Grund, seine Ausführungen nicht auch auf die Demokratie zu übertragen. Nach seiner Meinung wird mit der politischen Planung die Grenze zwischen Politik und Verwaltung überschritten, weil sich weder ihr Ort noch ihre Kompetenz institutionell festlegen lassen (Luhmann 1983f: 81-82). Anders formuliert könnte man auch sagen, da politische Planung in allen Subsystemen des politischen Systems stattfindet, können über sie die Interaktionen zwischen den Subsystemen des politischen Systems organisiert werden. Es bliebe deshalb zu klären, ob dies nicht auch für Demokratie gelten könnte, die zwar im politischen Subsystem Politik ihren ursprünglichen Ort hat, die aber gleichzeitig auch für die politischen Subsysteme Publikum und Verwaltungsbürokratie nicht zuletzt deshalb von Bedeutung ist, weil auch in diesen Subsystemen Formen, Regeln und Prinzipien Geltung besitzen, die sich als „demokratisch“ qualifizieren lassen.160 Auch konstatiert Luhmann, dass alle drei Subsysteme „in allen politischen Operationen (nicht nur in ... Wahlen) mitbestimmende Bedeutung“ (Luhmann 1981: 44) besitzen. Es wäre deshalb unter anderem zu untersuchen, wie die Demokratie der Politik des politischen Systems in den Subsystemen Verwaltung und Publikum bestimmte „demokratische“ Operationen begünstigt und andere ausschließt, oder wie sie den Aufbau bestimmter „demokratischer“ Strukturen unterstützt bzw. behindert. Geprüft werden könnte aber auch, inwieweit Demokratie nicht den Aufbau von Rollen und Prozessen nahelegt, die Übersetzungsleistungen zwischen den Teilsystemen erbringen, ohne dass dabei die Vorzüge, die durch die Ausdifferenzierung gewonnen wurden, wieder verloren gehen.161 Insofern könnte die Demokratisierung des politischen Systems durchaus von Bedeutung für die Integration seiner Subsysteme sein. Luhmann hat hierzu selbst einige Hinweise im Zusammenhang mit seinen Erläuterungen zu den Machtkreisläufen (siehe schon Kapitel 5.2.4) zwischen den Subsystemen des politischen Systems gegeben, die zumindest die Richtung angeben, wie man sich solche Übersetzungsleistungen zwischen den Subsystemen des politischen Systems vorstellen kann. Die Demokratisierung des politischen Systems ist nach Luhmann gekennzeichnet durch den Übergang von einer zweistelligen zu einer dreistelligen Differenzierung. Während die zweistellige Differenzierung von einer hierarchischen Ordnung bestimmt ist, die nur zwischen unten und oben, Regierende und Regier160 Für die Verwaltungsbürokratie vgl. Czerwick (2001: 337-382). Für das Publikum siehe zum Beispiel die Diskussionen über die „demokratische Persönlichkeit“ (zusammenfassend BergSchlosser 2002) und über die Möglichkeiten, Demokratie zu lernen Breit/Schiele (Hrsg.) (2002); Beutel/Fauser (Hrsg.) (2001). 161 Zu denken wäre hierbei zum Beispiel an die sogen. „politischen Beamten“, die geradezu prädestiniert dafür sind, Übersetzungsleistungen zwischen den Subsystemen Politik und Verwaltung des politischen Systems zu erbringen (Czerwick 2001: 258-267).
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te, unterscheiden kann, beruht die Demokratisierung des politischen Systems auf einer dreistelligen Differenzierung zwischen Verwaltung, Politik und Publikum (Luhmann 1987d: 147-148; Ders. 1996b: 140-142). Diese drei Subsysteme des politischen Systems bilden eine kreisförmige Machtkonstellation, in der die Macht in einem Doppelkreislauf fließt: einem offiziellen (formalen) Kreislauf und einem inoffiziellen (informalen) Gegenkreislauf (Luhmann 2000: 255-265; 1981: 42-49; dazu auch Lange 2003: 105-109). Im offiziellen Machtkreislauf bestimmt das Publikum in Wahlen diejenigen Personen, die in das Parlament einziehen und die Regierung wählen.162 Die Regierung trifft mit dem Parlament und der Verwaltung die Entscheidungen, die von der Verwaltung implementiert werden und von denen das Publikum betroffen ist. Im inoffiziellen Kreislauf der Macht dagegen, der nach Luhmann den Regelfall bildet, sind es die öffentlichen Verwaltungen, die die Entscheidungen ausarbeiten, über die anschließend die Regierungen und Parlamente allgemeinverbindlich entscheiden und ihre Entscheidungen gegenüber dem Publikum rechtfertigen, das hierauf mit Zustimmung oder Ablehnung reagiert (Luhmann 1981: 45-46). Allerdings sieht sich auch die Verwaltung im inoffiziellen Machtkreislauf gezwungen, dafür zu sorgen, „ein kooperationswilliges Publikum von Fall zu Fall aufzubauen“ (Luhmann 1983: 209). Dies ist vor allem von Nöten, wenn es den Regierungen oder den Parteien nicht gelingt, der Verwaltung genügende politische Unterstützung zu beschaffen. Nach Luhmann (1996b: 141) dient die Demokratisierung also dazu, „die Machtverhältnisse zu differenzieren“. Beide Kreisläufe sind in Demokratien deshalb auch gleich wichtig. Sie sorgen dafür, dass die Teilsysteme des politischen Systems wechselseitig voneinander abhängig bleiben und die Leistungen eines Teilsystems zur Voraussetzung für die Funktionserfüllung der anderen Teilsysteme wird.163 Keines der Teilsysteme kann also die politische Führung übernehmen und das heißt: sie müssen die Macht untereinander teilen. Damit knüpft Luhmann zwar an die Idee der Gewaltenteilung an, die seit Montesquieu als eine zentrale Voraussetzung von Demokratie angesehen wird (Montesquieu 1967: bes. 212-226), doch gibt er ihr zusätzlich eine besondere Prägung (Jarass 1975), weil er ja gerade nicht der sonst üblichen Differenzierung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative folgt. Am detailliertesten hat Luhmann die Beziehungen zwischen den Subsystemen des politischen Systems am Beispiel von Politik und Verwaltung beschrieben, während er auf die Verbindungen zwischen Politik und Publikum nur am 162 Dies gilt natürlich nicht für präsidentielle, sondern nur für parlamentarische Systeme. 163 Dies bedeutet für das Verhältnis der Teilsysteme zweierlei: Einerseits ist jedes Teilsystem darauf angewiesen, dass die anderen Teilsysteme entspechende Entscheidungen auch tatsächlich treffen, andererseits muss es der Gefahr vorbeugen, durch diese Entscheidungen in ihrer Autonomie allzusehr beeinträchtigt zu werden.
5.2 Die Subsysteme des politischen Systems
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Rande sowie auf das Verhältnis von Verwaltung und Publikum so gut wir gar nicht eingegangen ist. Im Verhältnis von Politik und Publikum spielt das Publikum vor allem im Kontext der Zweitcodierung des politischen Systems in Regierung und Opposition (vgl. Kapitel 6.1) sowie im Verhältnis von Politik und öffentlicher Meinung (vgl. nächstes Kapitel) eine wichtige Rolle. In seiner Beschreibung der Beziehungen zwischen Politik und Verwaltung wendet sich Luhmann ganz bewusst von dem von der Staats- und Verwaltungsrechtslehre propagierten Modell der legislatorisch programmierten Bürokratie (Czerwick 2001: 100-104) ab, das von einem Dualismus zwischen Politik und Verwaltung ausgeht, gemäß dem die Politik der Verwaltung übergeordnet ist und politisch führt. Dementsprechend ist eine zentrale und befehlsförmige Lenkung der Verwaltung durch die Politik ebenso ausgeschlossen wie die Steuerung der Politik durch die Verwaltung. In dem Luhmann einmal mehr betont, dass Politik und Verwaltung unter verschiedenartigen und inkompatiblen Bedingungen operieren (Luhmann 1984f: 163), unterschiedliche Rationalitätskriterien und Erfolgsbedingungen verwenden (Luhmann 1983g: 168) und nach Rollen getrennt sind (Luhmann 1966: 75), kann er wiederum folgern, dass beide füreinander „black boxes“ darstellen (Luhmann 1981: 117), die sich nur sehr begrenzt wechselseitig „durchschauen“, „verstehen“ und beeinflussen können. Dennoch und gerade deshalb tragen Politik und Verwaltung mit dazu bei, dass das politische System seine zentrale gesellschaftliche Funktion, kollektiv verbindliche Entscheidungen zu treffen, erfüllen kann. Je schärfer aber die Trennung zwischen Politik und Verwaltung ausgebildet ist, obwohl sie sich wechselseitig Entscheidungsprämissen setzen, mit denen sie zugleich (indirekt) das politische System steuern (Luhmann 1972a: 226), „desto wichtiger werden die Rollen und Prozesse der Übersetzung von einer Sphäre in die andere“ (Luhmann 1983f: 75). Leider hat Luhmann diesen „Rollen und Prozessen der Übersetzung von einer Sphäre in die andere“ kaum Aufmerksamkeit geschenkt, sieht man einmal von dem soeben geschilderten Bereich der politischen Planung ab. Seine wenigen hierzu vorliegenden Anmerkungen sind vor allem personen- bzw. akteurszentriert. Er geht nämlich davon aus, dass die Übersetzung und Transmission vom politischen Bereich in den Verwaltungsbereich überall dort erfolgt, „wo Politiker Stellen des Verwaltungssystems besetzen, in denen über das Symbol ´verbindliche Entscheidung` verfügt werden kann, also namentlich in Parlamenten und in höheren Regierungsämtern“ (Luhmann 1983f: 75-76). Von daher laufen die Leitorientierungen (oder „Externalisierungsgesichtspunkte“) im Verhältnis von Politik und Verwaltung über die Orientierung an Personen, „die Ämter innehaben oder für die Besetzung von Ämtern in Betracht gezogen werden können“ (Luhmann 1981: 63). Dies mag übrigens auch die Neigung erklären, „Sachvorschläge immer gleich auf Karriereambitionen zuzurechnen“ (Luhmann 1981: 64). Aber
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auch im Hinblick auf die Beziehungen zwischen Politik und Verwaltung geht Luhmann nicht darauf ein, welche Bedeutung sie für die Demokratie haben. Wenn die Demokratie im Subsystem Politik ihren Ort hat und wenn jenes in der Lage ist, für die anderen Subsysteme des politischen Systems Entscheidungsprämissen zu setzen, liegt ja der Gedanke nahe, dass die Verwaltung zumindest im Verhältnis zur Politik nicht demokratiewidrig oder –feindlich operieren darf, weil sie andernfalls deren Entscheidungsprämissen in Frage stellen oder sogar konterkarieren könnte. Von daher bleibt die Aufgabe, genauer zu prüfen, inwieweit „Demokratie“ in die Entscheidungen der Politik eingeht und wie die Verwaltung auf solche „demokratische“ Entscheidungen reagiert (hierzu Czerwick 2001). 5.3 Selbstbeobachtung des politischen Systems: die öffentliche Meinung Für Luhmann ist die öffentliche Meinung eine Form der Selbstbeobachtung des politischen Systems (Luhmann 1990a: 180-182). Wie jedes soziale System zeichnet sich auch das politische System durch die Fähigkeit aus, sich selbst und andere zu beobachten, wobei es auch in der Lage ist, sich in der Beobachtung durch andere zu beobachten. Insofern kann es beobachten, wie es von anderen beobachtet wird. Selbstbeobachtungen sind mithin Unterscheidungen (Luhmann 2000b: 126), mit denen sich das politische System von etwas Anderem, sei dies die Umwelt, seien dies andere soziale Systeme, unterscheidet. Mit Hilfe von Selbstbeobachtung informiert sich das politische System nicht nur über sich selbst, sondern es zieht aus diesen Informationen zugleich auch neue Erkenntnisse über sich selbst, weil es sehen kann, wie sich die Fremdbeobachtungen anderer Systeme von seinen eigenen Selbstbeobachtungen unterscheiden. Über diese Fähigkeit, sich selbst zu beobachten, öffnet sich ein operativ geschlossenes System gegenüber seiner Umwelt. Das politische System muss sich also selbst beobachten können, „um eine Beziehung zu sich selbst herstellen zu können“ (Luhmann 2000b: 209). Damit Selbstbeobachtungen ihre Wirkungen entfalten können, müssen sie in Selbstbeschreibungen überführt werden (Ebenda: 435), mit denen sich das politische System dann identifizieren kann (Ebenda: 417). Es ist also von zentraler Bedeutung, mit Referenz auf welche Unterscheidung sich das politische System selbst beobachtet. Für demokratische politische Systeme kommt dabei vor allem der öffentlichen Meinung eine zentrale Bedeutung zu. In ihr sieht Luhmann den unsichtbaren Gott, den die Politik anbetet (Luhmann 1989: 21).164
164 Carl Schmitt (1996: 47) schreibt: „Wenn es nicht mehr heißt: Ein Gott – Ein König, sondern: Ein Gott – Ein Volk ... dann wird es demokratisch.“
5.3 Selbstbeobachtung des politischen Systems: die öffentliche Meinung
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Die öffentliche Meinung165 ist, wenn man sie zunächst ganz allgemein betrachtet, ebenso wie die Demokratie ein Ergebnis der gesellschaftlichen Evolution und damit ein Bestandteil der funktionalen Ausdifferenzierung der Gesellschaft (Luhmann 2000: 274-318). Zugleich leistet sie ebenfalls einen wichtigen Beitrag zur Steigerung der gesellschaftlichen Komplexität (Luhmann 1990a) und damit für die Ausbildung von politischen Strukturen, die auf die Handhabung, also den Aufbau und den Abbau mit dieser Art von Komplexität programmiert sind (Luhmann 1983d). Während jedoch in den „klassischen“ Demokratietheorien die öffentliche Meinung als integraler Bestandteil der Demokratie und als ein zentrales Regulativ des politischen Prozesses konzeptualisiert (Noelle-Neumann 1996) und meistens mit den Begriffen „Volk“ und „Öffentlichkeit“ assoziiert wird, wählt Luhmann einen anderen Zugang, um einen zum politischen System und zur Demokratie besser passende Vorstellung von öffentlicher Meinung (Luhmann 1998b: 22) zu gewinnen. Entsprechend seiner auf Kommunikation beruhenden systemtheoretischen Gesellschaftstheorie (Schützeichel 2004: 243-290) sieht er in der öffentlichen Meinung zunächst das Produkt einer spezifischen Kommunikation, die zum Ausgangspunkt für weitere Kommunikation wird (Luhmann 1997b: 108). Insofern richtet sie sich an jedes Subsystem der Gesellschaft, wenngleich in jeweils besonderer Weise. Auf das politische System bezogen versteht Luhmann unter öffentlicher Meinung „die politiksysteminterne Umwelt politischer Organisationen und Interaktionen“ (Luhmann 1996a: 185). Auf einer tieferen und konkreteren Ebene erfolgt deshalb die Vermittlung von Selbst- und Fremdbeobachtung im politischen System zwischen Politikern und Wählern (Luhmann 1997b: 108). Mit dieser Interpretation hat Luhmann eine wichtige Vorentscheidung getroffen. Öffentliche Meinung wird für ihn jetzt nur noch in den Ausschnitten relevant, wie sie „politisch“ sind. Von daher muss sie in direkter Beziehung zu seiner Theorie des politischen Systems (Luhmann 2000: 274-318) gesehen und hieraus auch interpretiert werden. (Luhmann 1983d: 10, 15 und 27). Als Luhmann sich erstmals mit der öffentlichen Meinung auseinandersetzte, ging es ihm primär um die Frage, welchen Beitrag diese zur Lösung des Systemproblems leistet, das darin liegt, „die einer gesellschaftlichen Lage entsprechende effektive Strukturierung des Prozesses politischer Kommunikation zu erreichen und damit das politische System trotz leistungsfähiger funktionaler Ausdifferenzierung in die Gesellschaft zu integrieren“ (Luhmann 1983d: 33, Anm. 50). Um eine Antwort auf seine Frage zu finden, entwickelt er eine für die Bedürfnisse seiner Theorie des politischen Systems spezifische Vorstellung von öffentlicher Meinung. Er versteht darunter nämlich konträr zum damaligen Forschungsstand die „thematische Struktur öffentlicher Kommunikation“ (Ebenda: 9-10). Danach 165 Zu Luhmanns Begriff der öffentlichen Meinung Marcinkowski (2002) und Ruhrmann (1994).
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setzt sich die öffentliche Meinung aus Themen, darunter versteht er „mehr oder weniger unbestimmte und entwicklungsfähige Sinnkomplexe“ (Ebenda: 13), und Meinungen zusammen, wobei diese „Doppelstruktur“ aus Themen und Meinungen dem politischen System sowohl zur Reduktion als auch zum Aufbau von Komplexität dient (Ebenda: 12-15). Da die Funktion der öffentlichen Meinung „in der Ordnung von Selektionsleistungen“ (Ebenda: 29) liegt, versetzt sie das politische System in die Lage, gesellschaftliche Bedürfnisse aufzugreifen und in politisch zu entscheidende Probleme zu transformieren (Ebenda: 28). Dabei ergeben sich für das politische System aber wiederum Probleme „nicht nur in der Bewirkung eines kompromierten Entscheidungsdrucks auf die Entscheidenden, sondern auch in der Themenkapazität der Struktur“ (Ebenda: 29). Es geht dabei also, vereinfacht ausgedrückt, um die Anpassung der Themenstruktur an die Entscheidungskapazität des politischen Systems bzw. an die Anpassung der Entscheidungskapazität des politischen Systems an die Themenstruktur der öffentlichen Meinung. Da diese Anpassungen aber eine Angelegenheit „von besonders dafür ausgerüsteten, hauptberuflichen Politikern“ (Ebenda: 26) sind, wird im politischen System darüber entschieden, wann und wie ein Sachverhalt, ein Ereignis oder auch eine Meinung zum politischen Thema gemacht wird. Von daher ist die öffentliche Meinung eine Selektionsleistung des politischen Systems (Ebenda: 29). Obwohl Luhmann also nicht, wie in den „klassischen“ Demokratietheorien, in der öffentlichen Meinung einen Ausdruck oder ein Surrogat des Volkswillens sieht, macht sich das politische System dennoch weitaus mehr von der öffentlichen Meinung abhängig als die anderen Funktionssysteme der Gesellschaft. Den Grund hierfür sieht er insbesondere darin, dass für „die Politik die öffentliche Meinung einer der wichtigsten Sensoren (ist), dessen Beobachtung die direkte Beobachtung der Umwelt ersetzt“ (Luhmann 1990a: 180). Die öffentliche Meinung wirkt also für die Politik wie ein Spiegel, in dem sie sich selbst beobachten und ihr Handeln reflexiv auf sich selbst beziehen kann (Luhmann 1990a: 181182), um daran weitere politische Operationen anzuschließen. Geht man nun davon aus, dass sowohl die Form als auch die Intensität der Orientierung der Politik an der öffentlichen Meinung eng mit Demokratie verbunden ist, lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass sich die Politik in der Beobachtung der öffentlichen Meinung selbst als „Demokratie“ beobachten kann. Die Beobachtung der öffentlichen Meinung kann aber die Politik auch zu einem gegenteiligen Eindruck führen, wenn sie nämlich beobachten muss, dass ihr ein politikverdrossenes Publikum demokratische Qualitäten abspricht. Ihr bleibt dann die Möglichkeit, durch politische Aktivitäten entsprechende Korrekturen vorzunehmen. Weil also die Politik im Spiegel der öffentlichen Meinung sehen kann, was sich hinter ihr abspielt (Luhmann 1989: 21-22), besteht für Luhmann die politische Bedeu-
5.3 Selbstbeobachtung des politischen Systems: die öffentliche Meinung
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tung der öffentlichen Meinung vor allem in ihrer Funktion als „Medium für ein Beobachten zweiter Ordnung“ (Luhmann 2000: 287). Als „Medium für ein Beobachten zweiter Ordnung“ kann die öffentliche Meinung sowohl von der Regierung als auch von der Opposition benutzt werden, wenn auch aus jeweils unterschiedlichen Beobachtungsperspektiven: zum einen aus der Perspektive der Macht (Regierung) und zum anderen aus der Perspektive der Ohnmacht (Opposition). Beide Perspektiven konvergieren in demokratischen politischen Systemen jedoch darin, dass sie auf den Gewinn von Mehrheiten fokussiert sind: die Regierung benötigt Mehrheiten, um ihre Macht zu erhalten, die Opposition, um politische Macht zu gewinnen und die Regierung abzulösen. „Die Politik sieht sich selbst (spiegelt sich selbst) im Kontext dessen, was sie für „Die Öffentliche Meinung“ hält, und bezieht sich selbst auf diese Letztinstanz, die die Gunst/Ungunst auf Regierung und Opposition verteilt“ (Luhmann 1989: 24). Sowohl Regierung als auch Opposition können in der öffentlichen Meinung simultan und synchron „die andere Seite der Politik und sich selbst“ (Luhmann 1992: 85) sehen, wodurch sie in die Lage versetzt werden, Selbstbeobachtung und Fremdbeobachtung im Kontext von Prozessen der Machtbildung aufeinander abzustimmen. Dies ist gerade für die Opposition als die andere Möglichkeit von Politik von größter Bedeutung. Will sie nämlich selbst Regierung werden, muss sie deren Politik kopieren können, sofern diese in der öffentlichen Meinung auf große Akzeptanz und Resonanz stößt (Czerwick 1981: 86-97). Luhmann ist deshalb auch davon überzeugt, dass ohne öffentliche Meinung „keine Oppositionskultur und damit keine Demokratie möglich“ (Luhmann 2000: 302) ist. Er vermutet deshalb auch, dass, funktional betrachtet, „die größte dynamische Beweglichkeit eines politischen Systems durch eine Funktionssymbiose von öffentlicher Meinung und Mehrparteiendemokratie erreicht werden kann“ (Luhmann 1998b: 33). Damit meint er nicht nur, dass die um die Wähler konkurrierenden Parteien sich an der öffentlichen Meinung orientieren, um sich politische Unterstützung in Wahlen zu sichern. Dies wäre für ihn zu einfach. Da Wahlen „nur mit erheblichen Zeitabständen erfolgen können, regiert die öffentliche Meinung in der Zwischenzeit und ermöglicht zugleich eine (laufend korrigierbare) Vorausschau auf die Ergebnisse künftiger Wahlen“ (Luhmann 2000: 281). (Parteien)Demokratie kann sich somit von konkreten Wahlterminen lösen und sich auf die gesamte Wahlperiode erstrecken. Die Beobachtung der öffentlichen Meinung wird damit zum funktionalen Äquivalent von Wahlen und von Demokratie. Allerdings kann die Beobachtung der öffentlichen Meinung zu Fehleinschätzungen führen, zumal sich die Funktionssymbiose zwischen öffentlicher Meinung und (Parteien-)Demokratie über die Reproduktion von Unsicherheit durch politische Entscheidungen vermittelt (Luhmann 1998a: 102). Weder können die Parteien wissen, ob sie die öffentliche Meinung angemessen berücksichtigen, noch kön-
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5 Die Demokratie des politischen Systems
nen die Wähler abschätzen, ob die politischen Entscheidungen ihren Erwartungen genügen werden. Von daher kann die entscheidende Verbindung zwischen öffentlicher Meinung und Demokratie nur darin bestehen, „konkrete Beiträge zum Thema offenzuhalten und sowohl Konsens als auch Dissens zu ermöglichen“ (Luhmann 2000: 301). Auch im Verhältnis von Demokratie und öffentlicher Meinung geht es also vor allem um das „Offenhalten der Zukunft für Entscheidungslagen mit neuen Gelegenheiten und neuen Beschränkungen“ (Luhmann 2000: 301). Voraussetzung dafür sind jedoch Strukturen, die mit Demokratie kompatibel sind, ihr zumindest nicht diametral entgegenstehen.
6.1 Regierung und Opposition
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6 Demokratie als Strukturbegriff der Politik des politischen Systems
Im Gegensatz zu den „klassischen“ Demokratietheorien, für die politische Strukturen das Resultat von Maßnahmen sind, die durch Normen begründet und angeleitet werden, spielen diese für Luhmann bei der Durchsetzung von Demokratie keine zentrale Rolle. Demokratie ist für ihn vielmehr ein Arrangement, bestehend aus einem komplexen Geflecht unter anderem von Strukturen, Kommunikationen, Organisationen, Verfahren, Funktionen, Rollen, Codes, Programmen und Selbstbeschreibungen, das sich eher zufällig im Laufe der politischen Evolution herausgebildet hat. Als Strukturbegriff des politischen Systems wird nach Luhmann die Demokratie vor allem geprägt durch das Verhältnis von Regierung und Opposition, die Parteien und politische Wahlen. Sie stehen deshalb auch im Vordergrund der nachfolgenden Ausführungen. 6.1 Regierung und Opposition Demokratie als Strukturbegriff des politischen Systems im Allgemeinen und des Subsystems Politik im Besonderen wird von Luhmann im Code Regierung/Opposition lokalisiert (Luhmann 1989; hierzu auch Lange 2003: 175-187). Erst mit der Herausbildung und späteren Institutionalisierung des Codes Regierung/Opposition im Verlauf der politischen Evolution wird das politische System zu einem demokratischen politischen System. Dementsprechend vermag es sich durch diesen Code auch deutlich von autoritären oder totalitären politischen Systemen abzugrenzen. Unter Code versteht Luhmann einen binären und invarianten Schematismus, der maßgeblich auf die Operationen und die Informationsverarbeitung im politischen System einwirkt und diese reguliert. Codierung bedeutet für ihn deshalb zunächst ganz allgemein, „daß das System sich an einer Differenz von positivem und negativem Wert orientiert“ (Luhmann 1987a: 127). Genau dies wird durch die Struktur Regierung/Opposition ermöglicht. „Als politisch ist nur erkennbar und zurechenbar, was die Chancen für Regierung bzw. Opposition betrifft und modifiziert“ (Luhmann 1989: 24). Dabei vermittelt die Regierung die Anschlussfähigkeit im System, weil nur sie „über rechtsförmig
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6 Demokratie als Strukturbegriff der Politik des politischen Systems
anwendbare politische Macht“ (Ebenda: 20) verfügt, während der Opposition die Funktion der „Kontingenzreflexion“ zufällt, mit der sich die Politik selbst einer Dauerreflexion aussetzt. Die Opposition soll demnach deutlich machen, dass die Regierungspolitik auf Entscheidungen beruht, die auch anders hätten getroffen werden können. „Im politischen System entstehen, sobald das System sich selber im Hinblick auf kollektiv bindendes Entscheiden betrachtet, Vorstellungen über Entscheidungsalternativen, die sich zur Opposition verdichten, sobald solche Gegenpositionen sich von Entscheidung zu Entscheidung fortsetzen lassen“ (Luhmann 1993: 421). Einschränkend weist er aber darauf hin, dass die Kontingenzreflexion innerhalb des politischen Systems zwar primär von der Opposition geleistet wird, aber auch auf die Regierung übergehen kann166, sollte die Opposition mit ihren Alternativen auf öffentliche Zustimmung stoßen. In einer solchen Situation ist die Regierung darum bemüht, zu verhindern, dass die Opposition ihre Chancen verbessert, die nächsten Wahlen gegen die Regierung zu gewinnen (Luhmann 1989: 20). Der Code Regierung/Opposition, der von der Existenz politischer Parteien abhängig ist, mit denen sich eine neue Form politischer Praxis durchsetzt, beruht auf der evolutionären Weiterentwicklung des ursprünglichen Codes Regierende/Regierte. Während für alle politischen Systeme die Primär- oder Erstcodierung Regierung/Regierte (Luhmann 1989: 18) bzw. Macht/Nichtmacht bzw. Machtüberlegenheit/Machtunterlegenheit bestimmend ist167, haben demokratische politische Systeme dieser Erstcodierung eine spezifische organisatorische Form gegeben, in der die eine Seite des Codes, nämlich Regierung bzw. Macht haben, noch einmal ergänzt wird durch die Unterscheidung von Regierung und Opposition (Luhmann 1989: 17). Dieser Code setzt jenen aber nicht etwa außer Kraft, sondern er präzisiert ihn vielmehr in seiner Anwendung und passt ihn den neueren, komplexeren gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen an. Während der Code Regierende/Regierte auf der Ebene des politischen Systems angesiedelt ist, ist der Code Regierung/Opposition konzeptionell im Subsystems Politik beheimatet, das wesentlich für die Vorbereitung von politischen Entscheidungen zuständig ist. Nach Luhmann besteht deshalb auch das zentrale Kennzeichen des Codes Regierung/Opposition darin, dass er, wie er feststellt, dazu verführt, „Entscheidungen unter dem Gesichtspunkt ihrer Auswirkungen auf politische Wahlen zu treffen“ (Luhmann 1991a: 156). Das Schema Regierungspar166 Luhmann spricht hier von einem „Ausfließen der Kontingenzreflexion“ und von einer „Generalisierung der Kontingenzorientierung“ (Luhmann 1989: 20). 167 Es ist nicht klar, in welcher Beziehung die Codes Regierung/Regierte bzw. Macht haben/keine Macht haben zueinander stehen. Bezeichnen sie den gleichen oder unterschiedliche Sachverhalte? Außerdem ist daran zu erinnern, dass Luhmann Macht als Kommunikationsmedium des politischen Systems konzeptualisiert hat (Luhmann 1972b).
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tei(en)/Oppositionspartei(en) ist für ihn deshalb auch die Form, „in der sich Demokratie periodisch zur Wahl stellt“ (Luhmann 1993b: 93). Bei Wahlen geht es deshalb auch nicht nur um die Selektion und Legitimation des politischen Führungspersonals, sondern mit ihnen steht neben dem Code Regierung/Opposition indirekt immer auch die Demokratie selbst zur Wahl. Durch diesen Code machen sich die Inhaber politischer Macht von den Entscheidungen der Wähler abhängig, zumal diese, wenn auch bekanntlich nur in sehr begrenzter Form168, die Möglichkeit haben, diejenigen, die formal über politische Macht verfügen, abzuwählen und durch andere politische Akteure zu ersetzen. So heißt es denn auch bei Luhmann (1981: 153), um dies noch einmal zu zitieren: „Demokratie bewahren, das heißt die Perspektive der Betroffenen in die Politik aufnehmen...“. Die Betroffenen sind damit jedoch in erster Linie ein Objekt, nicht das Subjekt des politischen Prozesses. In dem aber die Betroffenenperspektive für die Politik konstitutive Bedeutung gewinnt, ist immerhin gewährleistet, dass der Code in der Zeit zwischen den Wahlen nicht in Vergessenheit gerät, sondern dass er sich täglich neu reproduziert. Damit bleibt er im Bewusstsein der politischen Akteure ständig präsent. Der Code Regierung/Opposition ist aber nicht allein von Wahlen abhängig, sondern darüber hinaus auch von der öffentlichen Meinung und den Massenmedien. Er ist von der öffentlichen Meinung abängig, weil sie für die Politik als Spiegel wirkt (siehe Kapitel 5.3); er ist von den Massenmedien abhängig, weil sie durch die Darstellung und Herstellung von Politik Öffentlichkeit schaffen und damit Demokratie in einem konkreten Sinne sinnfällig werden lassen (Klier 1990: 97, 117), „indem sie das Panorama des demokratischen Universums entwerfen: wer wüßte sonst von den Orten und Architekturen, in denen „Demokratie“ stattfindet?“ (Klier 1990: 81). Luhmann glaubt, mit Hilfe des Codes Regierung/Opposition Demokratie neu beschreiben und deuten zu können. Deswegen verbindet er den Code auch nicht mit der sonst üblichen Mechanik der „checks and balances“ (Luhmann 1989: 24; Ders. 2000: 103-104), sondern er integriert ihn in den übergeordneten Zusammenhang der Operationen des politischen Systems, die durch eine „demokratische Codierung der Macht im Schema von Regierung und Opposition“ (Luhmann 1993: 421) bzw. durch eine „Neucodierung“ des politischen Systems (Luhmann 1989: 24) oder durch eine, wie Luhmann ebenfalls sagt, „Recodierung 168 „In begrenzter Form“ deshalb, weil die Wähler auf das Wahlangebot nur geringen Einfluss haben. Es sind die Parteien bzw. die Parteiführungen bzw. die Parteitagsdelegierten, die darüber befinden, wer sich mit Aussicht auf Erfolg zur Wahl stellen darf und wer nicht. Auch geben die Wähler in Wahlen ja ihre Stimme ab. Zu einer Fundamentalkritik der Stimmabgabe siehe schon Rousseau (1991: 103), der unter anderem schreibt: „Jedes Gesetz, das das Volk nicht selbst beschlossen hat, ist nichtig; es ist überhaupt kein Gesetz. Das englische Volk glaubt frei zu sein, es täuscht sich gewaltig, es ist nur frei während der Wahl der Parlamentsmitglieder; sobald diese gewählt sind, ist es Sklave, ist es nichts.“
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politischer Macht“ (Luhmann 2000: 98) gekennzeichnet sind. Die evolutionäre Unwahrscheinlichkeit einer solchen Konstruktion besteht nach seiner Auffassung darin, „daß die Spitze einer Hierarchie, die Garantie der Einheit des Systems, der Kontingenz ausgesetzt wird, und zwar ... strukturell und dauerhaft“ (Luhmann 1987n: 29). Die Spitze des Systems, in der die maßgeblichen politischen Entscheidungen getroffen werden, dient insofern „als Ausgangspunkt für den Einbau anderer Möglichkeiten, für ein Kontingentwerden des gesamten Systems“ (Luhmann 2000: 98). Luhmann spricht deshalb auch mit Verweis auf die Opposition von einer „Kontingenzcodierung von Macht“ (Luhmann 2000: 131). Als „demokratisch“ kann ein politisches System demnach bezeichnet werden, wenn es „eine politische Opposition vorsieht, die die Regierung übernehmen kann (und im Falle eines Wahlsiegs auch übernehmen muß!) und sich darauf einzustellen hat. Demokratisch ist also ein Regime, daß die Opposition durch Aussicht auf Regierungsübernahme motiviert und zugleich diszipliniert. Das setzt Möglichkeiten der Abwahl einer Regierung voraus und auf der Ebene der Organisation die Existenz von politischen Parteien, die Wahlgewinne und Wahlverluste, also die Übernahme der Regierungsgewalt und die Rückkehr in die Opposition überdauern können“ (Luhmann 1998a: 106-107). Erst durch die Anerkennung einer Zweiteilung innerhalb der Spitze des politischen Systems und damit auch durch die Übernahme des Rivalitäts- bzw. Konkurrenzprinzips unter der Bezeichnung „politische Opposition“ erwirbt das politische System das Recht, sich als „Demokratie“ zu bezeichnen (Luhmann 1997a: 717-718). Somit wird die Einheit des politischen Systems durch eine (interne) Unterscheidung repräsentiert169, mit denen die Politik die eigenen Operationen beobachtet. Das hat den Vorteil, dass alles, was innerhalb des politischen Systems geschieht, auch anders möglich ist, ohne dass dadurch jedoch dessen Einheit in Frage gestellt wird. Auf diese Weise kann sich das politische System selbst irritieren, ohne jedoch in die Gefahr zu geraten, seine Einheit aufs Spiel zu setzen, weil es die Irritation ja selbst institutionalisiert hat und sich auf sie eingestellt hat. Die Zweitcodierung des politischen Systems, die seine demokratische Qualität erst möglich macht, wird damit in die Autopoiese des politischen Systems einbezogen (Luhmann 1987c: 140). Deshalb führt die Unterscheidung von Regierung und Opposition auch zu Operationen, die unter Zuhilfenahme dieser Unterscheidung eben diese Unterscheidung wieder reproduzieren. Damit stellt das politische System auch hier die Elemente, aus denen es besteht, selbst her. Es wird zu einem autopoietischen System in dem Sinne, dass „mit Politik auf Politik reagiert wird in einer Gesell169 Die Behauptung Luhmanns, dass es dadurch vollends unangemessen sei, weiterhin von Herrschaft zu sprechen (Luhmann 1989: 18) wäre, wenn überhaupt, nur dann angemessen, wenn der Nachweis geführt werden könnte, dass die Opposition an der Ausübung von Herrschaft nicht beteiligt ist.
6.1 Regierung und Opposition
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schaft, die als konkrete Komplexität für das System unbekannt bleibt“ (Luhmann 1987c: 140). Mit dem Code Regierung/Opposition werden die politischen Konflikte als Kommunikationsform institutionalisiert (Luhmann 1989: 25). Allerdings wird man fairer Weise sagen müssen, dass Luhmann der Kommunikationsform Konflikt nicht unbedingt sozial und sachlich bedingte parteipolitische Gegensätze zuordnet, sondern er hebt in diesem Zusammenhang vor allem auf Verbalkonflikte ab, die er auch als „Phantasiekonflikte“ bezeichnet (Ebenda). „Wie in einem zwanghaften Ritual wird hier Konflikt gespielt, und falls die Gesellschaft Konflikte erzeugt, die nicht in Rechtsform erledigt werden können, kann dieser ohnehin laufende Mechanismus benutzt werden“ (Luhmann 1989: 25). Aber auch solche Verbalkonflikte sind in ihrer politischen Bedeutung nicht zu unterschätzen. Zum einen tragen sie dazu bei, das politische System zu irritieren sowie für politische Themen zu sensibilisieren. Auch sorgen sie für politische Aufmerksamkeit. Zum anderen können sich in Verbalkonflikte gesellschaftliche Interessen entweder auf Regierungsseite oder auf der Seite der Opposition „einhängen“ (Luhmann 1989: 25) und damit das politische Gewicht der einen oder der anderen Seite verstärken bzw. von der Regierung auf die Opposition (oder umgekehrt) verlagern. Luhmann geht einerseits davon aus, dass mit der Zweitcodierung des politischen Systems in Regierung und Opposition die Demokratie ein Niveau an Komplexität gewonnen hat, das politisch gerade noch praktizierbar ist (Luhmann 1989: 19). Andererseits sieht er in der Zweitcodierung aber auch Probleme für die Demokratie. Er fragt sich nämlich, „wie breit das Themenspektrum sein kann, das im Schema von Regierung und Opposition und in der Struktur der Parteiendifferenzierung tatsächlich erfaßt werden kann“ (Luhmann 2000: 102). Erneut äußert er die Befürchtung, dass die Zweitcodierung des politischen Systems zu viel Komplexität absorbieren und damit auch die Demokratie beeinträchtigen könnte. Seine Sorge erscheint auf den ersten Blick berechtigt, weil der binäre Code die gesamte politische Kommunikation auf die Frage konzentriert, wer an der Regierung und wer in der Opposition ist. Auf dem zweiten Blick wird jedoch deutlich, dass mit dem Code aber wohl eher eine Überforderung des politischen Systems mit Komplexität verbunden sein könnte. Führt man die Unterscheidung von Regierung und Opposition nämlich als Unterscheidung auf Seiten der Regierung und der Opposition noch einmal ein („re-entry“), ergibt sich ein sehr differenziertes Bild, das aber der politischen Realität angemessener ist als der Code Regierung/Opposition. So ist im Falle eines „re-entry“ zu beachten, dass in Koalitionsregierungen der Part der Regierung zwar von unterschiedlichen Fraktionen übernommen wird, von denen sich jedoch die eine oder andere veran-
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lasst sehen könnte, in der Regierung Opposition zu spielen.170 Ähnliches, wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen, gilt für die Opposition. Auch sie besteht in der Regel aus verschiedenen Fraktionen, von denen sich einige als „mitregierende Opposition“ verstehen können und die damit der Aufgabe der Kontingenzreflexion, die Luhmann der Opposition zuweist, nicht oder nur bedingt gerecht werden. Aber selbst wenn die Opposition in der Oppositionsrolle geeint ist, besteht immer noch die Wahrscheinlichkeit der Existenz einer außerparlamentarischen Opposition. Betrachtet man zum Beispiel die Geschichte der außerparlamentarischen Opposition in Deutschland, lässt sich immer wieder zeigen, dass sie nicht nur im Widerspruch zur Regierung, sondern nicht selten auch im Gegensatz zur parlamentarischen Opposition gestanden hat (Rupp 1970; Otto 1977). Diese Steigerung von politischer Komplexität, die Luhmann durchaus berücksichtigt171, die aber auch in seinem Code Regierung/Opposition konzeptionell angelegt ist, kann sehr schnell zu einer Überforderung des politischen Systems führen. Sie lässt sich nur verhindern, wenn bei der Mehrheit der politischen Akteure ein breiter Grundkonsens und ein hohes Maß an Kompromissbereitschaft vorhanden ist. Beide, politischer Grundkonsens und Kompromissbereitschaft, müssen die Fähigkeit einschließen, auch strukturelle Reformen, die die Ausübung des Codes betreffen, durchzuführen.172 Luhmann sieht aber noch andere Gefahren, denen der Code Regierung/ Opposition in der politischen Praxis ausgesetzt ist. Er weist zum Beispiel auf („Ethik-)Kommissionen“ der unterschiedlichsten Art hin, die immer häufiger zur Bewältigung gesellschaftlicher und politischer Probleme ins Leben gerufen werden. Sie sind ihm ein Indiz dafür, dass die Frage von Mehrheiten und Minderheiten (und damit auch von Regierung und Opposition) keine so große politische Rolle mehr spielt, obwohl auch in derartigen Kommissionen die Notwendigkeit, zu politischen Entscheidungen zu kommen, unabweisbar ist (Luhmann 1997: 3536). Bei diesen Kommissionen geht es aber in erster Linie darum, zu konsensualen Lösungen zwischen Akteuren mit unterschiedlichen Interessen zu kommen. Außerdem wird durch ihre Arbeit nicht nur der Code Regierung/Opposition außer Kraft gesetzt, sondern auch der „sorgfältig kalkulierte juristische Apparat der klassischen Repräsentativverfassungen ... übergangen. Von „Demokratie“ ist nur noch – die Rede“ (Luhmann 1999e: 250). An die Stelle der Differenz von Mehrheit und Minderheit, die nach Luhmanns Überzeugung „die Voten der par170 Insbesondere ist es der CSU immer wieder gelungen, einen solchen Eindruck zu erwecken. In Bayern hat sie sich nicht selten als Oppositionspartei im Bund präsentiert, obwohl sie dort Regierungsverantwortung getragen hat. Zur „Doppelrolle“ der CSU siehe Mintzel (1992: 256-258). 171 „Das Fassungsvermögen unseres politischen Prozesses ist, gemessen an ihren eigenen Idealen gering. Sie können zuwenig Alternativen zur Entscheidung bringen. Deshalb scheint „außerparlamentarische Opposition“ nötig zu sein“ (Luhmann 1992b: 28). 172 Als ein Beispiel hierfür kann die Föderalismusreform in Deutschland angeführt werden.
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lamentarischen Gremien bestimmen sollte, treten unterschiedliche Artikulationschancen in der öffentlichen Kommunikation“ (Luhmann 1999e: 250), die jedoch nicht mit „Demokratie“ zurückgekoppelt sind. Luhmann war sich also durchaus klar darüber, dass der Code Regierung/ Opposition nur unter bestimmten Voraussetzungen seine für die Demokratie notwendigen Wirkungen entfalten kann. Als besonders hinderlich für den Code betrachtete er jede Moralisierung der politischen Gegnerschaft und jede Verquickung des Verhältnisses von Regierung und Opposition mit einem Moralschema (Luhmann 1987a: 131; Ders. 1991b: 497-500). „Es darf gerade nicht dahin kommen, daß man die Regierung für moralisch gut, die Opposition für schlecht oder gar böse erklärt“ (Luhmann 1988: N3). Das würde nicht nur den politischen Grundkonsens gefährden, sondern wäre seiner Überzeugung nach sogar „die Todeserklärung für Demokratie.“173 Er wird deshalb nicht müde, immer wieder darauf hinzuweisen, wie verhängnisvoll es für die Existenz der Demokratie sein könnte, wenn der Code in Frage gestellt würde (Luhmann 1988: N3; Ders. 1987n: 31). Eine Moralisierung des Codes würde außerdem die entscheidende strukturelle Errungenschaft der Demokratie ruinieren, die Luhmann zum einen in der Erleichterung eines ordnungsgemäßen und regelgeleiteten Machtwechsels an der Spitze des politischen Systems und zum anderen in der relativen „Unabhängigkeit dieses Machtwechsels von der Macht der jeweils Regierenden“ sieht (Luhmann 1998c: 444-445). Er plädiert deshalb dafür, „daß politisches Handeln mit Rücksicht auf Demokratie auf einer Ebene höherer Amoralität (Hervorhebung entfernt, E.C.) ablaufen muß“ (Luhmann 1987a: 131).174 In der Anerkennung dieses Tatbestandes, der die moralische Achtung des politischen Gegners einschließt, zeigt sich deshalb für ihn die demokratische Einstellung (Luhmann 1987o: 159).175 Auch wenn sich Luhmann vehement gegen eine Moralisierung des Codes Regierung/Opposition wendet, schließt dies natürlich nicht aus, dass Politiker moralisch argumentieren. Aus dieser Gegensätzlichkeit, einerseits darf der politische Code nicht moralisiert werden, andererseits ist die politische 173 Dies gilt aber nicht nur für den Code Regierung/Opposition, sondern auch für den Gegensatz von rechten und linken parteipolitischen Orientierungen. „Von Demokratie kann man nur sprechen, wenn der Gegensatz als solcher rechtlich und moralisch zugelassen ist, so dass nicht die eine Seite als gut erlaubt, die andere dagegen als schlecht und verboten dargestellt wird. Nur unter dieser Bedingung kann die Wählerschaft wählen, das heißt durch ihre Entscheidung die regierende Gruppe bestimmen“ (Luhmann 1987o: 159). 174 Ebenfalls „zur höheren Amoralität einer demokratischen politischen Kultur“ zählt Luhmann die Ethik, die er als „Parallelaktion zu den Kontingenzen und Unwägbarkeiten, den Karrierespielen und den Zustimmungskalkülen der Parteiendemokratie“ begreift und die die Funktion hat, „Distanz zu legitimieren und zugleich den Anschein zu pflegen, als ob es nicht um Interessen ginge“ (alle Zitate nach Luhmann 1997: 36). 175 Auch dies ist kein neuer Gedanke, wenn man bedenkt, dass bei Messungen von Einstellungen zur Demokratie immer auch Fragen zur Existenz und Bewertung von Opposition gehören.
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Kommunikation mit moralischen Inhalten durchsetzt, zieht Luhmann die Schlussfolgerung einer strukturellen Nichtidentität des politischen Codes und des Moralcodes bzw. eines Widerspruchs „zwischen der kommunikativen Praxis der Politiker und den Funktionspostulaten einer Demokratie, zu der sie sich bekennen“ (Luhmann 1993d: 37).176 Anders formuliert ließe sich auch sagen, dass Politiker häufig nicht begreifen, was Demokratie eigentlich bedeutet und wie mit ihr umzugehen ist. Aber dies ist nur ein sekundäres Problem. Viel wichtiger ist, dass das strukturelle Arrangement der Demokratie, dessen Kern im Code Regierung/Opposition verankert ist, nicht in Frage gestellt und verändert wird. Der Code (als Struktur) wird von Luhmann somit normativ abgesichert, um zu verhindern, dass er zum moralischen Spielball der Politik (als Praxis) instrumentalisiert wird, was ihn zerstören könnte. Es geht ihm also nicht um die einfache Entgegensetzung von Moral und Politik, wie Claus Offe (1986: 228-229) fälschlich behauptet177, sondern um die Funktionalität der Moral innerhalb der Strukturen, die Demokratie diesseits und jenseits zwischenparteilicher politischer Auseinandersetzungen erst praktikabel machen. Auch wenn Luhmanns Ausführungen zum Code Regierung/Opposition eine Fülle neuer Einsichten im Verhältnis von politischem System und Demokratie enthalten, werden wiederum einige Fragen aufgeworfen, auf die er keine Antworten gibt. Unklar ist zum Beispiel, welche Auswirkungen der Code auf den Staat oder auf die beiden anderen Subsysteme des politischen Systems, insbesondere aber auf die Verwaltung hat. Auch sind seine Einsichten in die Bedeutung der Opposition für die Demokratie nicht besonders originell, obwohl zuzugestehen ist, dass sie von Luhmann zugespitzt werden, wodurch sie besser verstehbar werden. Hätte er die politikwissenschaftliche Literatur über das Verhältnis von Regierungen und parlamentarische Oppositionen zur Kenntnis genommen, hätte er sehen können, dass spätestens seit dem von Robert Dahl (1966) herausgegebenen Sammelband über politische Oppositionsparteien die Zulassung und die Existenz von Opposition als ein zentraler Bestandteil von demokratischen politischen Systemen jenseits von checks and balances untersucht wird (Czerwick 1981; Schneider 1974). Darüber hinaus lässt er unbeachtet, dass zum Beispiel im Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland mit seiner föderalistischen Struktur und dem Staatsorgan Bundesrat Parteien gleichzeitig sowohl in der Regierung als auch in der Opposition sein können. Auch übersieht er, dass die von Joseph Schumpeter (1993) maßgeblich angestoßene und von Anthony Downs (1968) weiter entwickelte und von Karl Popper aufgegriffene (Popper 176 Hier wäre ein Beispiel für den weiter oben angesprochenen Sachverhalt, dass die Logik der Demokratie von politischen Akteuren nicht völlig durchschaut wird. 177 Offe (1986) bezieht sich in seiner Kritik einzig auf Luhmanns Aufsatz über „Die Zukunft der Demokratie“ (1987a).
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1996: 207-214, 223-224) Konkurrenztheorie der Demokratie genau von diesem Gegensatz zwischen konkurrierenden politischen Eliten bzw. Parteien, also zwischen Regierungsparteien und Oppositionsparteien, ihren Ausgang nimmt. Von daher ist seine Konzeption von Demokratie als Austauschverhältnis von Regierung und Opposition keineswegs so neu wie er vielleicht annimmt. Ferner ist kritikwürdig, dass Luhmann seinen Code Regierung/Opposition auf die Besetzung der höchsten Staatsämter bezieht (Luhmann 1987n: 28-29) und damit die für die Demokratie ebenfalls wichtigen außerparlamentarischen Oppositionsbewegungen und neuen sozialen Bewegungen weitgehend unberücksichtigt lässt.178 Zudem beachtet er auch nicht, dass sich die Opposition als politische Alternative zur Regierung auch dadurch darstellen kann, dass sie aufgrund von wahltaktischen Überlegungen ganz bewusst auf die Präsentation von politischen Alternativen und damit auf das Schüren von Konflikten, auch von Verbalkonflikten, verzichtet. (Czerwick 1981: 109-114). Insofern lebt Luhmanns Konstruktion der Zweitcodierung des politischen Systems in mehrfacher Hinsicht von einem traditionellen Ideal parlamentarischen Oppositionsverhaltens, nämlich vom Bild der Opposition als politische Alternative und als der andere Beweger und Kontrolleur der Politik (Schmid 1955). Allerdings radikalisiert er diese Sichtweise. Er betont deshalb auch nicht die externen Kontrollen der politischen Herrschaft, also zum Beispiel die Kontrolle des Volkes gegenüber den von ihm selbst gewählten Repräsentanten oder die Kontrolle der Herrschenden durch das Recht oder durch die Medien im Sinne einer „vierten Gewalt“. Vielmehr verlegt er mit dem Code Regierung/Opposition die Kontrolle an und in die Spitze des politischen Systems. Kontrolle der politischen Herrschaft wird auf diese Weise zur politischen Selbstkontrolle, die Luhmann als wesentlich wirksamer hält als externe Kontrollen. In dem er die politische Herrschaft, sofern nach seiner Überzeugung von einer solchen in demokratischen politischen Systemen überhaupt noch gesprochen werden kann, in den Code von Regierung/Opposition integriert, wird sie dem unmittelbaren Zugriff der politischen Akteure entzogen und das heißt: sie hat Systemqualität. Ihr Einfluss kann sich von daher höchstens über die Programmcodes „konservativ“/„progressiv“ (Luhmann 1981g) oder wohlfahrtsstaatlich restriktiv/expansiv oder ökonomisch/ökologisch geltend machen (Luhmann 1987a: 130), sie kann aber nicht den Systemcode „Regierung/Opposition“ selbst zur Disposition stellen, es sei denn, in revolutionären Situationen, in denen die Demokratie selbst in Frage gestellt wird.
178 Vgl. generell hierzu Luhmann (1996c).
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6.2 Parteien Für Luhmann ist die Existenz von Parteien179 die wichtigste Bedingung für die Ausbildung des Codes Regierung/Opposition. Sie sind „die Voraussetzung für einen geordneten, an Wahlen orientierten Machtwechsel im politischen System“ (Luhmann 2000: 215) und damit ein integraler Bestandteil der Demokratie. Ihre primäre Aufgabe sieht er darin, kollektiv verbindliche Entscheidungen unverbindlich vorzubereiten (Luhmann 2000: 266) und „Sondermotive für Unterstützung und Indifferenz zu tragfähigen Entscheidungsgrundlagen zu kombinieren“ (Luhmann 1983e: 50). Mit dieser Einschätzung bewegt er sich ganz im Rahmen „klassischer“ Demokratietheorien (Wiesendahl 1980). Im Grundgesetz heißt es denn auch im Artikel 21 Abs. 1 S. 1: „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“ Weiterführende Ausführungen dazu finden sich dann im §1 des Parteiengesetzes. Dort werden die Parteien als ein „verfassungsrechtlich notwendiger Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ bezeichnet, die „mit ihrer freien, dauernden Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes“ eine öffentliche Aufgabe wahrnehmen. Sie sollen darüber hinaus die politische Bildung „anregen und vertiefen, die aktive Teilnahme des Bürgers am politischen Leben fördern, zur Übernahme öffentlicher Verantwortung befähigte Bürger heranbilden, sich durch Aufstellung von Bewerbern an den Wahlen in Bund, Ländern und Gemeinden beteiligen, auf die politische Entwicklung im Parlament und Regierung Einfluß nehmen, die von ihnen erarbeiteten politischen Ziele in den Prozeß der staatlichen Willensbildung einführen und für eine ständige lebendige Verbindung zwischen dem Volk und den Staatsorganen sorgen.“ In ähnlicher Weise wie das deutsche Parteiengesetz versteht auch Luhmann die Aufgaben der Parteien. Sie bestehen seiner Auffassung nach im Bemühen um konsistente Entscheidungsgrundlagen, in der Ingangsetzung von Innovationen, im sich Öffnen für immer neue Themen, in der Auslotung von Konsenschancen und im Testen der Tragfähigkeit von Personen und Themen (Luhmann 1993a: 52). Angesichts dieser Aufgabenvielfalt glaubt er, dass sich in den politischen Parteien das Subsystem Politik „sein eigenes organisatorisches Substrat“ (Luhmann 1981g: 273; vgl. auch Ders. 1983g: 169; Ders. 1983e: 47) entwickelt hat. Wenn man davon ausgeht, dass Demokratie im Subsystem Politik ihren originären (und einzigen) Ort hat, müsste dies bedeuten, dass die Parteien sowohl organisatorisch und programmatisch als auch operativ auf die Demokratie programmiert und ihr verpflichtet sind. Für diese Annahme ließen sich eine Vielzahl von Argumenten anführen. Zum Beispiel könnte man darauf hinweisen, dass Parteien ihrer inneren Organisation nach demokratischen 179 Zu Luhmanns Verständnis von Parteien siehe Reese-Schäfer (2002).
6.2 Parteien
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Prinzipien entsprechen müssen und dafür sorgen sollen, daß die politische Willensbildung „von unten nach oben“ verläuft. Nicht umsonst hat man es sich deshalb angewöhnt, von „Parteiendemokratie“ zu sprechen. Dennoch zeigen viele Untersuchungen, dass die interne Organisation und die verbalen Bekenntnisse der Parteien zur Demokratie in der politischen Praxis, um es vorsichtig auszudrücken, nicht immer eingelöst werden.180 Dies ist für Luhmann demokratietheoretisch aber nicht weiter von Bedeutung, weil es ihm für die Sicherstellung von Demokratie völlig ausreicht, wenn sich die Parteien dem Code Regierung/Opposition zuordnen lassen. Nach Luhmann sind die Parteien zwar auf den Staat hin ausgerichtet, faktisch aber von ihm getrennt. Erst diese Differenzierung zwischen Staat und Parteien hat seiner Auffassung nach „zu einem praktikablen Konzept von Demokratie“ (Luhmann 1998b: 22) geführt. Während die Parteien politische Programme mit dem Ziel entwickeln, sich voneinander zu unterscheiden, obliegt dem Staat „die Entscheidung zur Aktualisierung von Politik“ (Luhmann 1997a: 845). Durch ihn wird also entschieden , welche politischen Programme welcher Parteien zum Zuge kommen. Das vermittelnde Element zwischen Staat und Parteien sieht Luhmann in Wahlen. So kann er auch behaupten, dass Demokratie, reduziert man sie auf ihren Kern, in der Möglichkeit besteht, „politische Parteien für Teilnahme an (aber nicht: Verschmelzung mit) der Staatsregierung zu wählen“ (Luhmann 1998b: 31). Luhmann geht hier ganz offensichtlich von der Existenz von Mehrparteiendemokratien aus, wie sie sich in den westlichen Demokratien durchgesetzt haben. Sie zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sich die Parteien zumindest vordergründig in erster Linie am Input, also an Forderungen, Erwartungen und Unterstützung des Publikums, und erst in zweiter Linie am Output des politischen Systems orientieren (Luhmann 1984h: 194).181 Denn ihr Hauptziel, um das sie politisch gegeneinander konkurrieren, besteht darin, die Stellen in Parlament und Regierung zu besetzen, mit denen die Befugnis verbunden ist, allgemeinverbindlich zu entscheiden (Luhmann 1983c: 43). Diesem Ziel werden die Sachziele nach- oder untergeordnet. Auf eine spezielle politische Ideologie können die Parteien dabei verzichten, weil der Wahlerfolg als solcher bereits legitimiert (Luhmann 1983c: 43; Ders. 1983: 155-173). Da erst die Parteien einen geordneten Machtwechsel im politischen System ermöglichen (Luhmann 1998: 368), „kann man den Staat „demokratisch“ öffnen und auf Entscheidungsprämissen verpflichten, über die im politischen System selbst“ (Luhmann
180 Zu den „systemischen“ Gründen hierfür schon Michels (1970). 181 Output bezieht sich hier auf den jeweiligen sachlichen Gehalt der politischen Entscheidungen, der natürlich wichtig ist, wenn es um Fragen der Erfüllung von Anforderungen und Erwartungen und/oder der politischen Unterstützung geht.
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6 Demokratie als Strukturbegriff der Politik des politischen Systems
1993a: 52) entschieden werden kann. Insofern setzt die demokratische Öffnung des Staates ein gewisses Maß an struktureller staatlicher Stabilität voraus.182 Obwohl Luhmann den Parteien eine zentrale Rolle in der Demokratie zuweist, meldet er gleichzeitig Kritik gegenüber ihrer gegenwärtigen Politik an. Bedenken äußert er vor allem im Hinblick auf ihren politischen Immobilismus, durch den sich so etwas wie ein „blockierte Demokratie“ ankündige, welche die Leistungsfähigkeit des politischen Systems erheblich beeinträchtigen würde. Den Hauptgrund hierfür sieht er darin, dass die Demokratie inzwischen zu sehr auf organisatorisch gefestigten Mitgliederparteien beruht, „die in der Lage sind, Wahlgewinne und Wahlverluste zu überdauern und sich eventuell in der Opposition zu regenerieren“ (Luhmann 1994a). Anders formuliert könnte man auch sagen, dass er den Parteien nicht mehr ohne Weiteres zutraut, ausreichende politische Komplexität für das politische System und die Demokratie zu erzeugen. Tatsächlich wird ja auch in der öffentlichen Diskussion immer wieder Klage darüber geführt, dass sich die Parteien nicht mehr genügend voneinander politisch unterscheiden würden, keine klare politische Alternativen entwickeln würden und sich faktisch in einer konsens- und kompromissorientierten Allparteienregierung eingerichtet hätten (Wiesendahl 2006: 95-104; Hennis 1998). Eine solche Situationsbeschreibung mag auf den ersten Blick zutreffend sein. Dennoch ist zu fragen, ob nicht Wahlkampfphasen ein ganz anderes Bild vom politischen System, der Politik und der Demokratie vermitteln. Von daher soll im nächsten Abschnitt untersucht werden, welche Bedeutung Luhmann den Wahlen für die Demokratie beimisst. Insbesondere soll dabei geprüft werden, ob durch sie genügend Komplexität im politischen System erzeugt werden kann, um die Demokratie nicht zu gefährden. 6.3 Politische Wahlen Die demokratietheoretische Bedeutung und der Stellenwert von Wahlen liegt in erster Linie darin, dass sie „Demokratie“ nicht nur symbolisieren, sondern, sofern sie den demokratischen Wahlgrundsätzen entsprechen, in gewissem Maße erst möglich machen. Freie, gleiche, allgemeine, geheime und unmittelbare Wahlen sind deshalb nicht nur in den „klassischen“ Demokratietheorien ein wichtiger Indikator, um demokratische von nichtdemokratischen politischen Systemen zu unterscheiden. Sie stehen insofern zwangsläufig im Zentrum der meisten Demokratietheorien. „I want to point out ... the fact that all democratic ideas are focused on the mechanism of voting. All the elements of the democratic method 182 Diese Ausführungen machen erneut deutlich, dass für Luhmann der Staat doch mehr ist als nur eine Selbstbeschreibungsformel des politischen Systems.
6.3 Politische Wahlen
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are means to render voting practically effective and politically significant, and all the elements of the democratic ideal are moral extensions and elaborations of the features of the method that make voting work. Voting, therefore is the central act of democracy…” (Riker 1982: 5).183 In den „klassischen“ Demokratietheorien werden Wahlen als Ausdruck von Volkssouveränität („Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“, Art. 20 Abs. 2 GG) interpretiert (Böckenförde 1992: 289-378), die „durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt“ wird (Art. 20 Abs. 2 GG). In dem zwischen denjenigen, welche die Volkssouveränität verkörperen und denjenigen, die sie ausüben, unterschieden wird, wird sie zugleich mit einem bestimmten Verständnis von Demokratie, nämlich der repräsentativen Demokratie, verschmolzen, die im freien Mandat der Gewählten (Art. 38 Abs. 1 GG) ihren zentralen Ausdruck findet. Wahlen werden im Rahmen der repräsentativen Demokratie einerseits zu einem Mittel, das politische System vom ständigen und unmittelbaren Einfluss der Wähler abzuschirmen. Zum anderen werden sie zu einer Methode (Przeworski 1999: 43-50), die Demokratie auf die Konkurrenz zwischen den politischen Eliten um die Besetzung politischer Ämter reduziert (Schumpeter 1993: 427-470). Dabei sollen sie die Möglichkeit bieten, eine Regierung ohne Blutvergießen los zu werden (Popper 1996: 208, 223-224). Durch und mit Wahlen sollen sich den Wahlberechtigten politische Alternativen und Kontrollmöglichkeiten sowohl in personaler als auch in sachlicher Hinsicht eröffnen (Sartori 1992: 160-165; Miller 1983; Schmidt 2000: 197-240; 325-355). Um dieser Argumentation Stichhaltigkeit zu verleihen, muss jedoch davon ausgegangen bzw. unterstellt werden, dass die Gewählten ein Interesse daran haben, vom Volk wiedergewählt zu werden. Erst dadurch kann sichergestellt werden, dass sie sich trotz ihres freien Mandats an den Bedürfnissen der Wähler orientieren werden, so dass damit die Rückbindung an das Volk gewährleistet ist. Die Unzulänglichkeit dieser Argumentation besteht zumindest für deutsche Verhältnisse nicht zuletzt darin, dass die Wähler nur an nachgeordneter Stelle Einfluss auf die Auswahl der Repräsentanten haben, die bekanntlich von den Parteien (genauer: von den Parteiführungen auf den verschiedenen Ebenen des politischen Systems) zur Wahl vorgeschlagen werden und die deshalb auch nicht dem Volk, sondern ihren Parteien bzw. Parteiführungen verantwortlich sind.184 Von daher sind die Klagen darüber, wie sehr sich die politischen Eliten und ihre Parteien inzwischen vom
183 Im Gegensatz dazu sei darauf hingewiesen, dass für die griechische Demokratie nicht Wahlen, sondern das Losverfahren das konstitutives Merkmal der Demokratie war (Finley 1991: 93-124). 184 In diesem Sinne hat der Begriff „Parteiendemokratie“ bzw. „parteienstaatliche Demokratie“ durchaus seine Berechtigung. Siehe in diesem Zusammenhang auch die Parteienstaatslehre von Gerhard Leibholz (1974: 71-155).
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6 Demokratie als Strukturbegriff der Politik des politischen Systems
Volk entfernt hätten (zum Beispiel Hennis 1998: 69-92), keineswegs überraschend. Wie die „klassischen“ Demokratietheorien sieht auch Luhmann in der Wahl nicht nur eine spezifische Methode der Rekrutierung und Legitimation politischer Amtsträger, sondern auch „den Kern des Demokratieverständnisses“ (Luhmann, 1998a: 107). Indem das politische Wahlrecht für eine „Demokratisierung“ der politischen Herrschaft sorgt (Luhmann 1986: 136-161), erhält nach seiner Auffassung das „Gleichheitsprinzip einen prominenten Platz an der Basis des Prozesses politischer Rekrutierung“ (Luhmann 1983: 172).185 Entgegen den „klassischen“ Demokratietheorien geht es Luhmann jedoch nicht um die Bedeutung der Wahl für die individuelle und kollektive Selbstbestimmung der Menschen bzw. des Volkes186, die Interessenvertretung187 oder um die Durchsetzung demokratischer Ideale, sondern vielmehr um ihre strukturelle Bedeutung für das politische System. So stellt er lapidar und pauschalisierend fest: „Was wir „Demokratie“ nennen und auf die Einrichtung politischer Wahlen zurückführen, ist demnach nichts anderes als die Vollendung der Ausdifferenzierung eines politischen Systems“ (Luhmann 2000: 104-105). Er fasst die Wahl deshalb als ein Verfahren auf, das sich ausschließlich auf das politische System bezieht.188 Demnach sind an Wahlen auch alle politischen Subsysteme beteiligt. Während die beiden Subsysteme Politik und Publikum unmittelbar am Zustandekommen des Wahlergebnisses beteiligt sind, von denen das eine die zu wählenden Politiker, das andere die Wähler bestimmt, ist die Verwaltung vor allem mit der technischen Durchführung der Wahlen betraut. Konzeptualisiert man wie Luhmann Demokratie als ein Ergebnis der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung des politischen Systems, das eine spezifische Qualität von struktureller Komplexität aufweist, die sich selbst trägt, weil mehr Demokratie mehr Komplexität und mehr Komplexität mehr Demokratie bedeutet, dann müssen Wahlen vor allem danach bestimmt werden, welchen Beitrag sie zu eben dieser Komplexität des politischen Systems und seiner Demokratie leisten. Es sind ja gerade die Wahlen, die mit dafür sorgen, dass das politische System mit Unbestimmtheit, Unsicherheit und mit einer Vielfalt von Alternativen konfrontiert wird, die es benötigt, um sich selbst zu irritieren und zu reproduzieren. Dies darf jedoch nicht zufällig geschehen, sondern muss strukturell
185 Vgl. zum Beispiel die Artikel 33 Abs. 2 und 33 Abs. 3 GG. 186 Diese wird übrigens auch von der sogen. „realistischen“ Demokratietheorie skeptisch beurteilt (Sartori 1992: 113-122). 187 „Gewiß: der Staatsbürger wählt. Aber die politische Wahl ist keine Beauftragung mit Interessenvertretung“ (Luhmann 1973c: 60). 188 Er spricht deshalb auch immer wieder von „politischen Wahlen“.
6.3 Politische Wahlen
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erzeugt und abgesichert werden (Luhmann 1983: 151).189 Wahlen sind deshalb ein unmittelbarer Beleg für die („demokratische“) Komplexität des politischen Systems. Ihre funktionale Relevanz besteht darin, dass mit ihnen die „politische Unterstützung zum permanenten Problem gemacht wird, das durch Organisation und laufende Arbeit gelöst werden muss“ (Ebenda). Dies wiederum hat zur Konsequenz, dass die „Mobilisierung der Entscheidungsprämissen und die Mobilisierung der Bedingungen politischer Unterstützung“ (Ebenda) miteinander in Beziehung gebracht werden müssen, in welcher Form auch immer. Allerdings werden durch Wahlen die Gewählten nicht an die spezifischen Bedürfnisse und Interessen der Wähler gebunden (Ebenda: 165). Vielmehr gewinnt der politische Entscheidungskontext durch Wahlen an Autonomie und Indifferenz gegenüber konkreten politischen Forderungen. Von daher werden durch Wahlen auch nicht einfach die dominierenden gesellschaftlichen Konflikte in das politische System hinein verlängert, um sich dort schließlich zu verfestigen (Ebenda: 162). Da es bei Wahlen zunächst vor allem um Stellen und Kompetenzen, nicht aber um die Befriedigung von Bedürfnissen und Interessen geht (Ebenda: 164), wird in Wahlkämpfen nur noch sehr abstrakt über Politik kommuniziert (vgl. auch Sarcinelli 2005: 197-214). Dies als Mangel oder als Defizit aufzufassen, wäre jedoch verfehlt, weil auch das Wählerverhalten immer unbestimmter und für die Politik immer unkalkulierbarer wird. Im Verhältnis von Wählern und Gewählten geht es deshalb nur noch um „ein stark generalisiertes Tauschverhältnis, nämlich durch global gewährte Unterstützung gegen Befriedigung im großen und ganzen“ (Luhmann 1983: 166). Das heißt aber, dass für die Wähler die Wahlen in sachlicher und personeller Hinsicht politisch weitgehend bedeutungslos bleiben, während sie in anderer Hinsicht für die Wähler durchaus Folgen haben. Zum einen wird ihnen die Rolle des Wählers zugemutet, was offenbar als immer bedrückender empfunden wird, wenn man an die abnehmende Beteiligung an Wahlen denkt. Zum anderen haben sie die Möglichkeit, in Wahlen ihre Zufriedenheit oder ihre Enttäuschung über das politische System zum Ausdruck zu bringen (Luhmann 1973c: 60-61). Für das politische System bilden Wahlen dagegen den geeigneten Anlass und Kontext auf „das Sicheinlassen auf das, was die Menschen wirklich denken, fühlen und wollen“(Luhmann 1981b: 348), wenn auch natürlich nur in generalisierter Form. Darüber hinaus sorgen sie aber auch für die „Vermehrung von Sprechern und Interessenten, die gehört werden müssen“ (Luhmann 1972: 45), worin Luhmann nicht zuletzt den „Sinn der Demokratie“ erblickt. Die Qualität der Demokratie hängt deshalb auch davon ab, „wie weit 189 Von daher wird auch verständlich, weshalb politische Akteure, deren politische Karrieren von Wahlen abhängig sind, so sehr darauf bestrebt sind, sich von Wahlergebnissen unabhängig zu machen, wie zum Beispiel durch die Absicherung auf den Listenplätzen der Parteien oder durch Sicherstellung der materiellen Versorgung über die politische Karriere hinaus.
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6 Demokratie als Strukturbegriff der Politik des politischen Systems
der Wahlerfolg als Indikator hoher, strukturell zugelassener Komplexität funktioniert, wie weit, mit anderen Worten, die Orientierung am möglichen Wahlerfolg zu vielseitigen, politisch sensiblen, opportunistischen, innovativen politischen Konzeptionen führt“ (Luhmann 1983c: 43). Wahlen helfen somit dem politischen System dabei, externe (gesellschaftliche) Ungewissheiten in interne (politische) Gewissheiten zu überführen, wodurch sie erst vom politischen System bearbeitet werden können (Luhmann, 1998a: 107). Interessen und Bedürfnisse, die ihre Entstehung Ursachen verdanken, die außerhalb des politischen Systems liegen, werden durch die Wahlen aggregiert, gefiltert und durch das politische System in einer Weise transformiert („politisiert“), die es „verstehen“ und damit verarbeiten kann. Wahlen stellen somit den vom politischen System selbst organisierten und gesteuerten gesellschaftlichen Input in das politische System dar, für dessen Verarbeitung es entsprechende Strukturen ausgebildet hat.190 Sie sind somit „systemstrukturelle Garantien für einen weiten Selektionsbereich der Politik“ (Luhmann 1983c: 40) und damit zugleich auch für Demokratie. In dem Wahlen die Selbstreferenz im politischen System nicht nur anregen, sondern auch unterbrechen, leisten sie einen gewichtigen Beitrag zur Demokratie. Andernfalls wäre es dem politischen System nur eingeschränkt möglich, im Selbstbezug zugleich Umweltbezug realisieren zu können. Es geriete damit allzu leicht in die Gefahr, sich nur noch mit sich selbst und selbst geschaffenen Problemen zu beschäftigen. „Zu den Bedingungen der Möglichkeit von Demokratie gehört ... eine Selbstreferenzunterbrechung im politischen System. Es muß einen Strukturbruch geben, der sichert, daß die Politik nicht einfach in der Kontinuität bisheriger Politik weiterläuft. Die Funktion der politischen Wahl ist es mithin, die laufende Praxis des politischen Entscheidens mit einer für sie unbekannten Zukunft zu konfrontieren“ (Luhmann, 1998a: 107). Da Wahlen sicherstellen, dass die Zukunft für das politische Systeme unbekannt bleibt, sind sie eine wichtige Bedingung dafür, dass das politische System nicht in Routine erstarrt. Aus der Perspektive des politischen Systems bieten Wahlen weiterhin eine gute „Gelegenheit für den Ausdruck von Unzufriedenheit ohne Strukturgefährdung“ (Luhmann 1983: 171). Aus dieser Unzufriedenheit kann es für sich neue Motivquellen erschließen und eine so große Zahl von Alternativen gewinnen, die es ihm ermöglicht, sich selbst zu legitimieren (Ebenda: 173), was gerade für demokratische politische Systeme von zentraler Bedeutung ist. Anders ausgedrückt könnte man auch sagen, dass das politische System sich so weit flexibilisieren kann, dass es sogar von seinen eigenen Fehlern und Defiziten profitieren kann. Schließlich tragen Wahlen noch „entscheidend zur Bildung autonomer legitimer 190 Im Anschluss hieran siehe den Vorschlag von Andreas Schedler, „demokratische Wahlen als (nichttriviale) Kommunikationsprozesse eigener Art (Hervorhebung entfernt, E.C.) zu verstehen“ (Schedler 1994: 22).
6.3 Politische Wahlen
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Macht im politischen System“ (Ebenda: 164), nicht aber in der Gesellschaft, bei.191 Zwar ist in der Demokratie die Verteilung der Macht im politischen System von periodischen Wahlen abhängig, weil sie auf „demokratische“ Weise das Problem der politischen Kompetenzen und Verantwortlichkeiten innerhalb des politischen Systems, zumindest vorübergehend, zu lösen vermögen.192 Im Gegensatz dazu ist aber die Macht des politischen Systems gegenüber der Gesellschaft oder gegenüber den anderen gesellschaftlichen Subsystemen nicht oder nur zu einem geringen Teil193 von Wahlen abhängig. Luhmann ist offenbar der Überzeugung, dass die „Wahldemokratie“ nichts oder nur sehr wenig dazu beitragen kann, das Verhältnis zwischen dem politischen System und den anderen gesellschaftlichen Subsystemen zu regeln. Deshalb ist die Macht des politischen Systems zunächst einmal weitgehend unabhängig von denjenigen zu sehen, die durch Wahlen legitimiert sind, im Namen des politischen Systems allgemeinverbindliche Entscheidungen zu treffen.194 Seine Macht gründet allein in seiner Funktion, allgemeinverbindliche Entscheidungen zu treffen sowie in der Folgebereitschaft der anderen gesellschaftlichen Subsysteme, die Allgemeinverbindlichkeit der politischen Entscheidungen als eigene Entscheidungsprämissen zu verwenden. Die Macht des politischen Systems in der „Wahldemokratie“ ist deshalb auch keine Eigenschaft, die an politischen Akteuren festgemacht werden könnte, sondern in erster Linie ein Medium des politischen Systems der Gesellschaft. Wahlen sind aber nicht nur, wie bisher argumentiert worden ist, ein Beleg und eine Vorbedingung für die Erhaltung und Steigerung der Komplexität des politischen Systems, sondern sie leisten zugleich auch einen Beitrag zur Verringerung der Komplexität.195 Das politische System trifft in Verbindung mit Wah191 Das schließt natürlich nicht aus, dass die Ausübung politischer Macht im politischen System in der Gesellschaft Wirkungen zeigt. 192 Aber auch diese Aussage gilt nur bedingt, so lange nämlich die durch Wahlen festgelegte politische Machtverteilung mit den laufend zwischen den Wahlperioden durchgeführten Umfragen über die Zufriedenheit der Wähler mit den aktuell regierenden politischen Eliten übereinstimmt. Zeigt sich dagegen, dass die politischen Machthaber ihren Rückhalt bei einer großen Mehrheit der Wählern verloren haben, ist die Machtverteilung in Frage gestellt. Die Legitimität der politischen Machtausübung wird angezweifelt und die Forderung nach Neuwahlen laut. Aber gerade dieser Ruf nach Neuwahlen macht auch deutlich, dass man in einer Demokratie ohne Wahlen nicht auskommen kann. 193 „Zum Teil“ dann, wenn ein Großteil der Wähler die Politik darin unterstützt, in andere gesellschaftliche Systeme „politisch“ einzugreifen. 194 Macht wird hier zu einer gesellschaftlichen Kategorie, die auf die Beschreibung der Beziehungen zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Subsystemen gerichtet ist. Ergänzend sei aber noch darauf hingewiesen, dass Macht in der Regel nicht konstant gehalten werden kann, sondern ständig ab- und zunehmen kann, wie Geld akkumuliert werden kann sowie inflationären Prozessen unterliegen kann (vgl. hierzu Parsons 1980: 57-80). 195 Vgl. hierzu auch Parsons, der die Entstehung des Wahlrechts unter dem Aspekt der politischen Gleichheit diskutiert (Parsons 1996: 106-107) sowie Erich Jantsch, der die für die Demokratie
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6 Demokratie als Strukturbegriff der Politik des politischen Systems
len immer auch Vorkehrungen196, um keine unliebsamen Überraschungen durch die Konfrontation mit völlig neuen politischen Alternativen personeller197 oder sachlicher198 Art zu erleben.199 Von entscheidender Bedeutung für die Demokratie ist dabei, „auf welchem Niveaus Alternativen öffentlich präsentiert und mit Übernahme politischer Verantwortung zur Entscheidung gebracht werden können“ (Luhmann 1977a: 174). Gerade hier sieht Luhmann durch Mehrparteiendemokratien große Gefahren, weil es zwischen den Parteien nicht trotz, sondern wegen ihrer Konkurrenz um die Stimmen der Wähler tendenziell zu einer Angleichung der Parteiprogramme kommt (Luhmann 1983c: 43), wodurch das politische Alternativenspektrum und damit die Kontingenz politischer Entscheidungen beträchtlich reduziert wird.200 Aber nicht nur der Parteienwettbewerb trägt paradoxer Weise zur Verringerung der politischen Komplexität bei, sondern auch die Kodifizierung subjektiver Rechte. Luhmann glaubt deshalb, dass, wie er sagt, die „‚doppelte Demokratie’ der politischen Wahl und der subjektiven Rechte ... das politisch Machbare so sehr ein(schränkt), daß man in der aktuellen Beweglichkeit weit unterhalb der Schwelle bleibt, die von der Verfassung, ihren Kompetenzschranken, den Grundrechten und ihrer gerichtlichen Überwachung gezogen sind“ (Luhmann 2000a: 48). Es werden von daher neben den Wahlen zusätzliche Strukturen und Ereignisse benötigt, die noch auf andere Weise das politische System mit ausreichender Komplexität versorgen, wie etwa die schon erwähnte strukturelle Differenzierung des politischen Systems in Regierung und Opposition (siehe Kapitel 6.1). 6.4 Politisches System und Demokratie Im Vordergrund des letzten Abschnitts dieses Kapitels steht der Versuch, zusammenfassende Antworten auf die Fragen zu geben, in welchem Verhältnis das politische System zur Demokratie und in welcher Beziehung Demokratie zum politischen System steht. Die Wechselbeziehungen zwischen Demokratie und politischem System müssen somit sowohl aus der Perspektive des politischen
196 197 198 199 200
so wichtige komplexitätssteigernde Funktion durch das Mehrheitsprinzip gefährdet sieht. Hinter dieser Auffassung steht die Vorstellung, dass nur durch Minderheiten gesellschaftliche Veränderungen angestoßen werden können. „Das wohl tiefste Paradoxon unserer Zeit liegt darin, dass Selbstbestimmung der elitären Fluktuationen bedarf, um zur Selbsttranszendenz zu werden“ (Jantsch 1986: 366 sowie 354). Sie sind in der Regel im jeweiligen Wahlrecht kodifiziert. Siehe hierzu die Kandidatenaufstellung durch die Parteien. Siehe hierzu die Erarbeitung von Wahlprogrammen in Parteien. Siehe schon Kaack (1969). Hierzu Downs (1968).
6.4 Politisches System und Demokratie
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Systems als auch aus der Perspektive der Demokratie angesprochen werden, wobei zunächst grundsätzlich von der weiter oben bereits thematisierten Unterscheidung zwischen Politik und Demokratie auszugehen ist. Erst in demokratischen politischen Systemen kommt es zu einer Verbindung zwischen Demokratie und Politik. Demokratie ist nach Luhmann nur im politischen System und dort im Subsystem Politik zu finden, weil nur dort durch die Parteien politische Entscheidungen vorbereitet und in Form von Teilentscheidungen an die beiden anderen Subsysteme des politischen Systems weiter gegeben werden. Insofern hat die Demokratie außerhalb des politischen Systems für Luhmann keine Existenzberechtigung.201 Aber auch innerhalb des politischen Systems ist sie im wesentlichen nur auf die Politik konzentriert. Natürlich gibt es in Verbänden oder in Unternehmen Verfahren, die denen der Demokratie ähnlich sind, die im politischen System zur Anwendung kommen. Dazu zählen zum Beispiel die Wahl der Verbandsführungen durch die Verbandsmitglieder oder durch deren Delegierte, die Kontrolle der Unternehmensführungen durch die Anteilseigner, die Mitbestimmung („Partizipation“) der Beschäftigten bzw. ihrer gewerkschaftlichen Vertreter an Unternehmensentscheidungen usw. Doch gibt es hier weder Parteien noch durchlaufen alle diese Verfahren die Zweiteilung von Regierung und Opposition, durch das die Spitze eines Unternehmens oder Verbandes auf Kontingenz eingestellt wird. Selbst wenn es also in Verbänden oder Unternehmen eine interne Opposition geben sollte, so ist diese doch in der Regel nicht strukturell institutionalisiert und hat schon deshalb nichts mit einer Zweitcodierung wie in der Politik zu tun. Man könnte solche der Demokratie ähnliche Verfahren deshalb als „parademokratisch“ bezeichnen. Damit sich ein politisches System als „demokratisch“ ausweisen kann, muss ein bestimmtes strukturelles Arrangement innerhalb dieses Systems vorhanden sein. Demokratie ist für Luhmann von daher auch keine Eigenschaft, die man einem bestimmten Handeln zuschreiben könnte oder die man an Hand der Existenz bestimmter Werte und Normen identifizieren könnte. Indes wäre es falsch, daraus die Aussage abzuleiten, dass politisches Handeln ohne Eigenschaften, Werte oder sogar beliebig ist. Im Gegenteil, doch sind diese Eigenschaften und Werte „systemisch“ bedingt und werden durch die Logik des Codes Regierung/Opposition sowie durch die Konkurrenz zwischen den Parteien um die Zustimmung und Unterstützung der Wähler bestimmt. Alles politisches Handeln, das im Einklang mit der Parteienkonkurrenz und dem Code Regierung/Opposition 201 Hierzu aber im Gegensatz Tocqueville (1990), der in seinem Buch über die Demokratie in Amerika unter Demokratie mehr die Existenzweise einer ganzen Gesellschaft als nur das Operieren eines politischen Systems versteht. Darüber hinaus vernachlässigt Luhmann die möglichen demokratischen „trade-offs“, die sich durch die Demokratisierung des politischen Systems für die anderen gesellschaftlichen Teilsysteme ergeben können (Warren 2003: 244-246).
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6 Demokratie als Strukturbegriff der Politik des politischen Systems
steht, ist demgemäß, so muss man schließen, demokratisches Handeln. Insofern kann man sich an dieser Stelle auch mit einer Minimaldefinition von Demokratie begnügen. Demokratie wäre danach erfüllt, wenn der existierende politische Code Regierung/Opposition nicht in Zweifel gezogen wird. Diese Aussage impliziert nicht mehr (und nicht weniger) als die moralische Anerkennung des politischen Gegners (Luhmann 1987: 159) und die Bereitschaft, die Verteilung der Amtspositionen im politischen System an das Votum der Wähler zu binden. Luhmanns Sichtweise der Demokratie als ein Strukturbegriff des politischen Systems und das heißt auch: die ausschließliche Verankerung von Demokratie im Subsystem Politik des politischen Systems, hat zur Konsequenz, dass die in der politischen Praxis ständig diskutierten Ursachen einer Gefährdung der Demokratie sowie die Versuche einer Demokratisierung der Demokratie nicht außerhalb des politischen Systems gesucht werden dürfen. Sowohl Gefährdungen der Demokratie als auch eine Demokratisierung der Demokratie können nur innerhalb des politischen Systems ihren Ausgang nehmen, weshalb die Aufmerksamkeit weniger auf die gesellschaftlichen Anforderungen zu richten ist, die an das politische System herangetragen werden, als vielmehr auf die Herausforderungen bezogen werden muss, die das politische System sich selbst stellt. Nur so wird auch verständlich, warum für Luhmann Demokratie eine strukturelle Erfindung der Codierung und Programmierung des politischen Systems als eines autopoietischen Systems ist (Luhmann 1987a: 129). In dem Luhmann die Verantwortlichkeit für Demokratie im Wesentlichen der Politik und hierbei wiederum den Parteien zuweist, grenzt er sich sehr deutlich von solchen demokratietheoretischen Ansätzen ab, die sowohl die Gefährdungen der Demokratie und ihre Konsolidierung, als auch ihre Weiterentwicklung in enger Abhängigkeit zu den gesellschaftlichen Voraussetzungen sehen, mit denen politische Systeme konfrontiert sind (Lipset 2000). Nicht, dass er die sozialen Voraussetzungen von Demokratie gering einschätzen würde, lässt ihn den Schwerpunkt seiner Betrachtungsweise auf das politische System selbst legen. Es ist vielmehr seine Überzeugung, dass soziale Systeme prinzipiell nach eigenen Prämissen ihre Beziehungen zur Umwelt gestalten, die Umwelt mithin keine „objektiven“ Anforderungen an das politische System stellen kann.202 Zwar können äußere Anforderungen und selbstgesteckte Herausforderungen nicht vollständig voneinander getrennt werden, doch existiert auch kein Kausalitätsverhältnis in dem Sinne, dass äußere Anforderungen automatisch Reaktionen im Inneren des politischen Systems auslösen könnten. Zwischen inneren und äußeren Anforderungen besteht vielmehr ein Komplexitätsgefälle, das durch einen selektiven, das heißt selbst programmierten Zugriff des politischen Sys202 Mit dieser Auffassung unterscheidet sich Luhmann fundamental von politikwissenschaftlichen Systemtheoretikern wie Easton oder Almond und mit einigen Abstrichen auch von Deutsch.
6.4 Politisches System und Demokratie
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tems203 auf äußere Anforderungen gekennzeichnet ist. Demokratisierung der Politik des politischen Systems heißt deshalb auch immer Selbstdemokratisierung so wie die Gefährdungen der Demokratie immer nur Selbstgefährdungen sind. Eine solche Sichtweise des Verhältnisses zwischen politischen Systemen und ihren Umwelten legt die Schlussfolgerung nahe, dass in der Demokratie sowohl die Ansprüche der Politik an sich selbst liegen, als auch die Prämissen enthalten sein müssen, mit denen die Politik selektiv ihren Verkehr mit der Umwelt festlegt. Diese Prämissen hat Luhmann im Wahlgewinn, in der Stimmenmaximierung und in der Postenmaximierung gesehen (Luhmann 1984g: 164), die von daher von zentraler Bedeutung für seine Vorstellung von Demokratie sind. Dabei lässt er jedoch offen, wie Wahlen gewonnen, Stimmen und Posten maximiert werden können. Vielmehr sieht er die Besonderheit der Demokratie nur sehr pauschal im ungewöhnlichen „Offenhalten von Möglichkeiten zukünftiger Wahl“ (Luhmann 1987a: 126). Normen, die diese Wahl einschränken könnten, und seien sie auch noch so gut gemeint, würden die Demokratie deshalb eher gefährden als nützen. Luhmanns Plädoyer dafür, sowohl die Weiterentwicklung als auch die Gefährdungen der Demokratie im politischen System im Allgemeinen und im Subsystem Politik im Besonderen zu suchen und jeweils aus deren spezifischen Blickwinkeln zu beobachten, könnte dazu verführen, die gesellschaftlichen Voraussetzungen von Demokratie zu vernachlässigen. Genau dies wäre aber eine falsche Schlussfolgerung. Ihm geht es zwar darum, Demokratie als eine in erster Linie politische und nicht als eine gesellschaftliche Kategorie auszuweisen, doch nur, um damit das Verständnis von Demokratie analytisch klarer konturieren zu können. Für ihn ist Demokratie deshalb nur in einer Gesellschaft möglich, die ein so hohes Maß an Komplexität aufweist, dass sich ein politisches System ausdifferenzieren kann, das sich aufgrund der gesellschaftlichen Komplexität und ihrer Bearbeitung intern so ausdifferenziert, dass Demokratie unausweichlich wird. Die gesellschaftlichen Voraussetzungen von Demokratie werden von Luhmann deshalb nicht vernachlässigt, sondern sie fließen bei ihm in die funktionale Ausdifferenzierung und in den Begriff der Komplexität in die Analyse mit ein. Der Vorrang des politischen Systems gegenüber der Gesellschaft in Fragen der Demokratie ergibt sich dann aus dem simplen Tatbestand, dass es eben nur die Politik ist, die es mit Demokratie zu tun hat. Die Demokratie schirmt damit die Politik zugleich gegenüber Einflussversuchen aus der Umwelt ab. Wer die Politik beeinflussen will, muss dies in „demokratischen“ Formen tun, um jene „irritieren“ zu können. 203 Ähnlich wie Luhmann geht auch Habermas (1992: 618) davon aus, dass sich das politische System inzwischen selbst programmiert.
7.1 Demokratie und Staat als Selbstbeschreibungsformeln des politischen Systems
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7 Selbstverständnis des politischen Systems als Demokratie
7.1 Demokratie und Staat als Selbstbeschreibungsformeln des politischen Systems Um sich gegenüber seiner Umwelt abzugrenzen, greift das politische System auf zwei Selbstbeschreibungsformeln zurück: „Demokratie“ und „Staat“. Obwohl Luhmann nicht einsichtig zu machen vermag, in welchem Zusammenhang beide Selbstbeschreibungsformeln stehen, soll hier die Auffassung vertreten werden, dass das politische System inzwischen einen solchen Grad an Komplexität erreicht hat, dass die Selbstbeschreibungsformel „Staat“ seine Identität nicht mehr angemessen wiederzugeben vermag. Allerdings ersetzt die jetzt dominierende Selbstbeschreibung des politischen Systems als „Demokratie“ nicht die Selbstbeschreibungsformel „Staat“, sondern überlagert sie nur oder ergänzt sie. Insofern hat auch die Selbstbeschreibungsformel „Staat“ noch ihre Berechtigung. Neben semantischen Unterschieden zwischen diesen beiden Selbstbeschreibungsformeln differieren beide im Hinblick auf politische Macht. Während bei der Selbstbeschreibungsformel „Staat“ die Macht im Staat als „Staatsgewalt“ bzw. als „Gewaltmonopol“ konzentriert ist, zirkuliert sie bei der Selbstbeschreibungsformel „Demokratie“ zwischen den Subsystemen des politischen Systems im Rahmen verschiedener Machtkreisläufe. 7.1.1 „Demokratie“ als Selbstbeschreibungsformel In dem Luhmann die Demokratie im Subsystem Politik des politischen Systems verankert, weist er den Demokratiebegriff nicht als einen Gesellschaftsbegriff, sondern als einen Begriff aus, der ausschließlich der Sondersemantik des politischen Systems zugehört (Luhmann 1987j: 7). Neben vielen anderen Begriffen, die zur Sondersemantik des politischen Systems gezählt werden können, schreibt Luhmann dem Demokratiebegriff aber eine besonders herausragende Bedeutung zu. Demokratie wird für ihn nämlich mehr und mehr zu einer Selbstbeschreibungsformel des politischen Systems (Luhmann 2000: 356). Für diese These nennt er als Gründe das Bekenntnis der Parteien und der sozialen Bewegungen zur Demokratie sowie die Tatsache, dass Demokratie durch Verfassungen vorge-
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7 Selbstverständnis des politischen Systems als Demokratie
schrieben ist. Gleichzeitig hebt er aber auch hervor, dass Demokratie zu einem Schimpfwort geworden sei (Luhmann 2000: 356-357), was er ebenfalls als einen Hinweis für die Bedeutung der Demokratie als Selbstbeschreibungsformel wertet. Da mit der Selbstbeschreibung als „Demokratie“ das Vermögen des politischen Systems verbunden ist, sich selbst zu beobachten, behauptet Luhmann sogar, dass Demokratie in erster Linie die Fähigkeit des politischen Systems zur Selbstbeobachtung sei (Luhmann 1981: 127). Nur Selbstbeobachtung und Selbstbeschreibung bieten diesem die Voraussetzungen dafür, sich autonom gegenüber der gesellschaftlichen Umwelt zu positionieren (Luhmann 1981: 127) und sich in Abgrenzung zu dieser als „Demokratie“ zu definieren. Für Luhmann ist die Selbstbeschreibungsformel „Demokratie“ ein Ausdruck und ein weiterer Beleg für die Ausdifferenzierung und Komplexität des politischen Systems, weil er davon ausgeht, dass ein Bedarf an Selbstbeschreibung von sozialen Systemen erst mit zunehmender gesellschaftlicher Ausdifferenzierung entsteht. Demokratie steht deshalb zugleich auch in einem engen Verhältnis zu den Reflexionstheorien des politischen Systems (Luhmann 1987k: 81-83) (siehe Kapitel 7.2). Als Selbstbeschreibungsformel wird „Demokratie“ damit zurückgebunden an ein bestimmtes Entwicklungsstadium des politischen Systems204, das sich durch angebbare strukturelle Eigenschaften auszeichnet. Luhmann sieht deshalb auch keine Probleme darin, von „Parteiendemokratie“, „Mehrparteiendemokratie“, „Wahldemokratie“ (Luhmann 1997a: 782) oder auch von „Oppositionsdemokratie“ (Luhmann 2000: 366) zu sprechen. Im Gegenteil, da diese Spielarten von Demokratie das gegenwärtige Entwicklungsstadium des politischen Systems charakterisieren, werden sie automatisch auch zum Bestandteil seiner Selbstbeschreibung. Zu fragen bliebe jedoch, welche Bedeutung es hat, dass das politische System mit einer solchen Vielzahl von Selbstbeschreibungsvarianten von „Demokratie“ operiert. Einerseits könnte man darin einen Hinweis dafür sehen, dass es inzwischen eine Komplexitätsstufe erreicht hat, die seine Identität nur noch über differenzierte Selbstbeschreibungen zu erfassen erlaubt, wobei der Begriffsbestandteil „Demokratie“ den semantischen Kern dieser Identität versinnbildlichen würde. Man könnte andererseits darin aber auch ein Indiz für die Unsicherheit eines politischen Systems sehen, dem seine bisherigen Legitimationsgrundlagen brüchig geworden sind und das sich jetzt gezwungen sieht, mit einer Mehzahl von Selbstbeschreibungen zu experimentieren. Als Beleg für eine solche Interpretation bietet sich die Beendigung des OstWest-Konflikts an, durch den die „Demokratie“ als Selbstbeschreibungs- und Legitimationsformel für die westlichen demokratischen politischen Systeme zu einem Problem geworden ist. „Mit dem Wegfall der Systemkonkurrenz erschei204 Siehe hierzu auch Göbel (2003: 221).
7.1 Demokratie und Staat als Selbstbeschreibungsformeln des politischen Systems
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nen Rücksichten, die vorher funktional waren, nun als überflüssig. Das innere Gleichgewicht, das Demokratien in dieser Phase erreichten, ist, wie sich jetzt zeigt, aus sich heraus nicht ohne weiteres gewährleistet“ (Giegel 1999: 10). Denn gerade unter den Bedingungen des West-Ost-Gegensatzes standen die Selbstbeschreibungen der politischen Systeme des Westens als „Demokratie“ in einem sowohl glaubwürdigen als auch scharfen Kontrast zu den nichtdemokratischen Staaten in Osteuropa. Heute muss stattdessen die Legitimation des politischen Systems als Demokratie, je mehr die Erinnerung an den real existierenden Sozialismus schwindet, immer mehr aus sich selbst heraus erfolgen205, sofern es in naher Zukunt nicht gelingt, mit „Achsen des Bösen“ und dem internationalen Terrorismus neue Bedrohungsszenarien zu konstruieren, die funktional an die Stelle der früheren Systemkonkurrenz treten. Da dies bisher nur partiell gelungen ist, bleibt für das politische System die Aufgabe, mit neuen Selbstbeschreibungen als „Demokratie“ zu hantieren, die in der Lage sein könnten, die erwähnten Legitimationsverluste aufzufangen. Inwieweit diese Selbstbeschreibungen im politischen System selbst angefertigt werden oder von der Politikwissenschaft importiert werden können, muss dahingestellt bleiben. Es dürfte aber kein Zufall sein, dass man sich gerade zum gegenwärtigen Zeitpunkt in der politikwissenschaftlichen Demokratieforschung besonders intensiv mit Fragen der Vergangenheit, der Zukunft (Schmidt 2006), den ideengeschichtlichen Grundlagen (Massing/Breit (Hrsg) 2005; Saage 2005; Vorländer 2003; Frevel 2004), den sozialen und strukturellen Voraussetzungen (Lipset 2000) sowie den unterschiedlichen Formen und Typen der Demokratie beschäftigt. Alle diese Untersuchungen enthalten zugleich Aussagen, die vom politischen System als Informationen für die Selbstbeschreibung als Demokratie genutzt werden können. Selbstbeschreibungen, mit denen sich die „klassischen“ Demokratietheorien gar nicht oder nur in Ausnahmefällen beschäftigen206, übernehmen nach Luhmann für das politische System und innerhalb des politischen Systems vielfältige Aufgaben (Luhmann 1987k: 75-77). Sie zwingen es zur Selbstsimplifikation, dienen ihm zur Orientierung und sorgen dafür, dass es sich Informationen über sich selbst verschaffen kann. Selbstbeschreibungen bauen auf der Unterscheidung von System und Umwelt auf, die systemintern weiter geführt wird (Ebenda: 80) durch die Unterscheidung von interner und externer Darstellung, die wiederum durch die Differenz von Konformität und Abweichung (Luhmann 2000: 419) verarbeitet wird (Ebenda: 428). Mit allen diesen Unterscheidungen vermag sich das politische System auf den Gleichklang seiner Strukturen und Operationen mit seiner Selbstbeschreibung als „Demokratie“ einzulassen. Selbstbeschreibun205 Siehe hierzu auch die Bedeutung der Erinnerung im Übergang von autoritären zu demokratischen politischen Systemen (Rüsen 2005; van Beek/Ziolkowski 2005; van Beek/Lategan 2005). 206 Siehe die außerordentlich instruktive empirische Studie von Dryzek/Berejikian (1993).
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7 Selbstverständnis des politischen Systems als Demokratie
gen ermöglichen es politischen Systemen aber auch, sich mit sich selbst zu identifizieren (Luhmann 2000: 417). Beschreibt sich also ein politisches System als „Demokratie“, so ist dies nicht nur als ein der eigenen Rechtfertigung dienender, mehr oder weniger symbolischer Akt zu verstehen, sondern diese Selbstbeschreibung hält das politische System auch davon ab, sich nicht offensichtlich und dauerhaft demokratiewidrig zu verhalten. Deshalb ist davon auszugehen, dass „Demokratie“ als Selbstbeschreibungsformel nicht nur auf der rhetorischen Ebene von Bedeutung ist, sondern auch ein gewisses Maß an politischpraktischer Relevanz aufweist. Ständige Verstöße gegen die eigene Identität führen entweder zu Pathologien (Deutsch 1973: 302-309) oder zu einer Veränderung der Identität.207 Allerdings lassen sich Identitäten nicht einfach von heute auf morgen verändern, insbesondere dann nicht, wenn Selbstbeschreibungen dazu benutzt werden, die Besonderheit des Systems im System in einer Weise darzustellen, die wie die Idee der Demokratie auf allgemeine Anerkennung und Unterstützung stößt (Luhmann 2000: 438). Obwohl Selbstbeschreibungen dem System ein besseres Verständnis von sich selbst ermöglichen, ist doch mit Luhmann einschränkend darauf aufmerksam zu machen, dass sie „die Intransparenz des Systems für sich selbst nicht beseitigen“ (Ebenda: 417), sondern nur verringern können. Als Selbstsimplifikationen sind sie deshalb auch empfindlich gegenüber Störungen (Ebenda: 418). Von daher kann es sich für politische Systeme als überaus zweckdienlich erweisen, neben der Selbstbeschreibung als „Demokratie“ noch auf andere Selbstbeschreibungen zurückzugreifen.208 7.1.2 Die Selbstbeschreibungsformel „Staat“ Es dürfte kein Zufall sein, dass bei Luhmann neben der Selbstbeschreibung des politischen Systems als „Demokratie“ auch noch die Selbstbeschreibungsformel „Staat“ existiert (Luhmann 1987k; Ders. 2000: 189-227). Ungeklärt bleibt dabei aber, im welchen Verhältnis diese beiden Selbstbeschreibungsformeln zueinander stehen. Geht man von Luhmanns „Komplexitätstheorie“ des politischen Systems aus, darf man aber vermuten, dass beide Selbstbeschreibungsformeln vom politischen System je nach Bedarf als sich ergänzend, als widersprüchlich oder sogar als Einheit behandelt werden. Dabei wäre als einheitliche Selbstbeschreibungsformel an die Begriffe „demokratischer Staat“, „staatliche Demokratie“ 207 Zur Identitätsbildung von Gesellschaften und deren Konsequenzen siehe Habermas (1974). 208 In solchen Situationen spricht Luhmann ((1994: 9) von „hyper-complexity of systems which contain a redundancy of possible self-descriptions, implying more than one identity. Selfidentity becomes … self-diversity. Any self-description, then, has to describe a system with a plurality of self-descriptions …”.
7.1 Demokratie und Staat als Selbstbeschreibungsformeln des politischen Systems
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oder „Wohlfahrtsstaat“ zu denken. Vertretbar erscheint daneben aber auch die Auffassung, dass die Selbstbeschreibungsformel „Staat“ für eine ältere Struktur des politischen Systems steht, die zwar noch immer von Bedeutung ist, aber jetzt nicht mehr ausreicht, um die Einheit des Systems thematisch zu erfassen. Diese Lücke würde demnach jetzt immer mehr von der Demokratie geschlossen, ohne dass jedoch die Bedeutung der Selbstbeschreibungsformel „Staat“ aufgegeben werden könnte. Im Gegensatz zur Selbstbeschreibungsformel „Demokratie“ ist nach Luhmann mit der Selbstbeschreibung „Staat“ „eine semantische Überhöhung des politischen Mediums Macht“ (Luhmann 1987k: 79) verbunden. Da diese Macht im Staat, der hierarchisch organisiert ist, monopolisiert ist, besteht die Gefahr, dass die Selbstbeschreibungsformel „Staat“ des politischen Systems in Widerspruch zur Selbstbeschreibung als Demokratie gerät. Im Gegensatz zur Konzentration der Macht im Staat fließt sie in der Demokratie innerhalb verschiedener Kreisläufe zwischen den Subsystemen des politischen Systems (Kapitel 5.2.4). Damit stellt sich die Aufgabe, den Gegensatz zwischen der im hierarchisch organisierten Staat monopolisierten Macht einerseits und den Machtkreisläufen der Demokratie im politischen System andererseits zu überbrücken und in ein angemessenes Verhältnis zu den Strukturen des politischen Systems zu bringen. Luhmann konzeptualisiert deshalb Macht als „reflexive Macht“ und damit auch als „demokratische“ Macht. Sie ist erst dann operativ einsetzbar, wenn sie auf sich selbst angewendet werden kann. „Alle Macht kommt dadurch zustande, daß sie sich der Macht unterwirft, und die oberste Macht durch Unterwerfung unter die unterste Macht. Das nennt man Demokratie“ (Luhmann 1997a: 373). Das Reflexivwerden des Mediums Macht in der Demokratie bedeutet also konkret nichts anderes als die „Anwendung von spezifisch politischer Macht auch auf den höchsten Machthaber“ (Luhmann 1986d: 186). Genau hierin liegen deshalb laut Luhmann auch die motivationalen Bedingungen von und für Demokratie (Luhmann 1986d: 186). Politische Macht ist deshalb akzeptabel, weil ihr alle unterworfen sind. Für die Selbstbeschreibung des politischen Systems hat dies zur Folge, dass sie zwar nach wie vor auf das staatliche Gewaltmonopol Bezug nehmen kann, dabei aber berücksichtigen muss, dass der Staat seine Macht immer nur „demokratisch“, das heißt im Prinzip für alle einschließlich seiner selbst in gleicher Weise anwenden darf. Das impliziert nicht nur, dass sie immer an das Recht, das funktional in einem eigenen gesellschaftlichen Subsystem verankert ist, zurückgebunden werden muss, sondern vor allem bedeutet es auch, dass die Macht, zumindest symbolisch, vom Willen des Volkes abgeleitet bzw. auf die Stimme des Volkes gerichtet sein muss. Sie ist in demokratischen politischen Systemen insofern für den Staat keine „souveräne“, sondern immer nur eine delegierte Macht. Luhmann betont deshalb auch die Notwendigkeit von politi-
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7 Selbstverständnis des politischen Systems als Demokratie
schen Strukturen, „die es hinreichend plausibel machen, daß ´das Volk herrscht`, insbesondere politische Wahlen“ (Luhmann 1986e: 28).209 In dem Maße wie sich die Selbstbeschreibungsformel „Staat“ des politischen Systems „demokratisiert“ hat, hat sich auch der Charakter der staatlichen Herrschaft verändert.210 Die Zeiten, in denen der Staat souverän über die gesellschaftliche Macht als politische Macht verfügt und deshalb auch die Spitze der Gesellschaft repräsentiert hat, sind endgültig vorbei.211 Weder der Staat noch das politische System sind in der Lage, die Gesellschaft und ihre Subsysteme zu steuern. Dazu fehlt ihnen jetzt schlichtweg die dafür notwendigen Voraussetzungen. Politische Macht kann somit auch keine direkte gesellschaftliche Wirkungen erzeugen, sondern allenfalls Entscheidungsleistungen und –prämissen des politischen Systems übertragen (Luhmann 1984g: 159-163) und darauf hoffen, dass diese akzeptiert und übernommen werden. Darüber, ob diese dann tatsächlich angenommen oder verworfen werden, entscheidet nicht das politische System, sondern die anderen gesellschaftlichen Subsysteme unter Anwendung eigener Rationalitätskriterien. Trotz dieser Relativierung und Eingrenzung von „demokratischer“ politischer Macht bleibt Luhmann jedoch skeptisch. Er befürchtet nämlich, dass gerade in Demokratien die politische Macht besonders gefährlich werden kann, weil sie autonom gesetzt, unterbestimmt und selbstbestimmt ist (Luhmann 1987k: 91). Er meint deshalb auch, besondere Vorkehrungen errichten zu müssen, um die Gesellschaft vor ihr zu schützen. Dabei setzt er ihr vor allem die Menschenrechte entgegen, die seiner Überzeugung nach ihre eigentliche Funktion erst in der Demokratie gewinnen (Luhmann 1987k: 91).212 Verkürzt darf man deshalb wohl sagen, dass Luhmann offensichtlich davon ausgeht, dass sich die „demokratische“ Macht am wirksamsten mit Prinzipien und Rechten eindämmen lässt, die entweder in die Selbstbeschreibungen demokratischer poli209 Es geht also ausdrücklich nicht darum, Demokratie im Sinne von Volkssouveränität zu definieren, sondern nur darum die Strukturen, die die Volkssouveränität plausibel machen, anzugeben, unabhängig davon, ob diese Strukturen tatsächlich etwas mit Volkssouveränität zu tun haben oder nicht. Siehe hierzu auch den Versuch von Habermas, Volkssouveränität neu zu bestimmen (Habermas 1992: passim; insbesondere 364-365 und 600-631). 210 Nicht erst seit Max Weber werden Macht und Herrschaft kausal aufeinander bezogen. Im Gegensatz dazu zieht Luhmann Macht und Herrschaft begrifflich auseinander und versucht, Macht in einen gesellschaftstheoretischen, nicht aber herrschaftstheoretischen, Zusammenhang zu stellen (Luhmann 1975). 211 Dies bedauernd schon Carl Schmitt: „Die Epoche der Staatlichkeit geht jetzt zu Ende. Darüber ist kein Wort mehr zu verlieren“ (Schmitt 1963: 10). 212 Mittlerweile scheint hier aber eine Entwicklung in Gang gekommen zu sein, die Luhmann zu der Auffassung verführt hat, dass die Politik gegenwärtig nicht über zu viel, sondern eher über zu wenig Macht verfügt (Luhmann 1988a: 44). Auch wenn nicht ganz klar ist, was genau Luhmann damit aussagen will, kann dies doch nur bedeuten, dass die Entscheidungen des politischen Systems von den anderen Gesellschaftssystemen nicht mehr in dem Maße als Inputs für ihre eigenen Entscheidungen wahrgenommen werden, wie dies nötig wäre.
7.2 Reflexionstheorien der Demokratie
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tischer Systeme einfließen oder die von anderen gesellschaftlichen Subsystemen, wie zum Beispiel dem Rechtssystem, geschützt werden. Noch stärker zugspitzt lässt sich sagen, dass sich nach Luhmann ein Missbrauch „demokratischer“ politischer Macht am besten durch „Demokratie“ verhindern lässt. 7.2 Reflexionstheorien der Demokratie Eine Variante der Selbstbeschreibungen des politischen Systems sind die sogen. „Reflexionstheorien“.213 Darunter versteht Luhmann Selbstbeschreibungen von evolutionär besonders weit fortgeschrittenen politischen Systemen, die sich mit Hilfe von solchen Theorien ihrer eigenen Möglichkeiten, aber auch ihrer politischen Grenzen bewusst werden. Von „Reflexion“ lässt sich sprechen, „wenn die Einheit des Systems zum Thema der Kommunikation wird. Nur in diesem Fall stimmen Selbstreferenz und Systemreferenz überein, nur in diesem Fall beobachtet also das System sich als Gesamtheit und nicht eine einzelne Operation“ (GLU 1997: 154). Reflexionstheorien sind für Luhmann deshalb „Theorien des Systems im System“ (Luhmann 1987k: 93). Dementsprechend werden sie auch innerhalb des politischen Systems entwickelt. Dabei besteht ein enger Zusammenhang nicht nur mit den jeweiligen Strukturen des politischen Systems, sondern auch mit dessen Umwelten. Politische Systeme beobachten ihre Umwelten darauf hin, welche Aussagen dort über und zum politischen System gemacht werden („Fremdbeschreibungen“) und wie diese Aussagen für eine Reflexion des Systems im System genutzt werden können. Man könnte in diesem Zusammenhang zum Beispiel nach der Bedeutung der Politikwissenschaft für die Entwicklung von Reflexionstheorien im politischen System fragen. Von ihr, die in ihren deutschen Anfängen nach dem 2. Weltkrieg ja explizit als „Demokratiewissenschaft“ begründet worden ist, lässt sich erwarten, dass sie Demokratietheorien entwickelt, denen das politische System eine Vielzahl von Anregungen für die eigenen Reflexionstheorien entnehmen kann. Zu denken wäre hier zum Beispiel an die Pluralismustheorie, die Korporatismustheorie, die Theorie demokratischer Elitenherrschaft, die Konkurrenztheorie der Demokratie oder die Repräsentationstheorie. Sie alle bieten dem politischen System argumentative Anschlüsse, die es für seine Reflexionstheorien nutzen kann. Von noch größerer Bedeutung als die Politikwissenschaft dürfte für die Reflexionstheorien des politischen Systems jedoch die eng mit dem Bundesverfassungsgericht verkoppelte Staatsrechtslehre sein. Dies wäre auch kein Wunder, ist die Staatsrechtslehre doch nicht wie die Politikwissenschaft ein integraler Bestandteil des vom politi213 Hierzu Kieserling (2000).
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7 Selbstverständnis des politischen Systems als Demokratie
schen System separierten Wissenschaftssystems, sondern als politische Rechtslehre an der Nahtstelle zwischen politischem System und Rechtssystem angesiedelt. In dieser Position vermag sie das politische System wesentlich leichter als die Politikwissenschaft214 zu irritieren. Allerdings gilt auch hier, dass die Anleihen, die das politische System aus der Umwelt für seine Reflexionstheorien macht, immer erst durch das politische System, im politischen System und für das politische System „übersetzt“ und gefiltert werden (Luhmann 1979: 161162). Demzufolge entscheidet das politische System selbst darüber, welche Versatzstücke politikwissenschaftlicher oder anderer Theorien in politische Reflexionstheorien eingehen und welche unbeachtet bleiben.215 Selbstreflexionen ermöglichen es dem politischen System also nicht nur, „sich selbst als aus der Umwelt ausdifferenziert zu beobachten“ (GLU 1997: 70), sondern sich damit gleichzeitig auch auf andere gesellschaftliche Teilsysteme zu beziehen, ohne sich jedoch von diesen in irgend einer Form abhängig zu machen. Erst unter diesen Voraussetzungen kann das politische System in jeweils wechselnden Kontexten sich selbst erkennen. Reflexionstheorien sind von daher Theorien, die das System benötigt, um sich selbst besser verstehen zu können und die deshalb auch Informationen über die Identität des Systems enthalten (Luhmann 1979: 163). „Man findet Reflexionen in Systemen, die geraffte Informationen über sich selbst, eine Beschreibung ihrer selbst, eine Theorie über sich selbst enthalten und als Ausgangspunkt für weitere Operationen verwenden“ (Luhmann 1981k: 22). In diesem Sinne dienen sie auch der „Innenabsicherung neuartiger Funktionsautonomien“ (Luhmann 1987k: 93). Reflexionstheorien müssen somit „offen“ genug sein, um evolutionäre Entwicklungen im politischen System verarbeiten und integrieren zu können. Da Demokratie nach Luhmann kein eigenständiges soziales System ist, sondern ein spezifisches strukturelles Arrangement des politischen Systems darstellt, müssen Reflexionstheorien der Demokratie „politische Theorien“ (Luhmann 1981: 131-134) sein, durch die sich demokratische politische Systeme jeweils selbst als „demokratisch“ beschreiben und beobachten können. Gleichzeitig müssen politischen Reflexionstheorien aber auch „demokratisch“ sein. Ihr „demokratischer“ Charakter, der eine notwendige Bedingung für ein demokrati214 Damit lässt sich zumindest teilweise auch erklären, warum die in vielen politikwissenschaftlichen Theorien immer wieder angemahnte Demokratisierung von Staat und Gesellschaft in der politischen Praxis bisher nur einen geringen Widerhall gefunden hat. 215 Nimmt man die hier angestellten Überlegungen ernst, wäre es ausgesprochen sinnvoll, sich in Zukunft intensiver mit den Äußerungen politischer Akteure zu befassen. Hierbei sollte es weniger, wie sonst üblich, darum gehen, die Kluft zwischen Worten und Taten offen zu legen oder den jeweiligen ideologischen Standort der Akteure kenntlich zu machen, sondern ihre Äußerungen sollten vielmehr daraufhin untersucht werden, welchen Beitrag sie zur Selbstreflexion und damit zur Identität des politisch-demokratischen Systems leisten.
7.2 Reflexionstheorien der Demokratie
135
sches Politikverständnis ist, zeigt sich vor allem darin, dass sie verschiedene politische Optionen enthalten. Das heißt, die politischen Reflexionstheorien müssen immer auch „Verständnis für Alternativen aufbringen, ja systematisch erzeugen können“ (Luhmann 1981: 157). In diesem Sinne müssen sie zum Beispiel „Verständnis“ für die Dichotomisierung der politischen Spitze in Regierung und Opposition haben. Sie müssen aber auch und gerade Aussagen zum Verhältnis von Demokratie und Staat in seiner Bedeutung als Selbstbeschreibungen des politischen Systems enthalten. Luhmann geht nämlich davon aus, dass sich eine politische Reflexionstheorie an der Leitdifferenz von Demokratie und Staat (Luhmann 1987l: 33) orientiert. Diese Leitdifferenz216 bietet funktional betrachtet dem politischen System die Möglichkeit, „den Druck wirtschaftlicher Interessen auf den Staat im Begriff der Demokratie zu kanalisieren und zu legitimieren“ (Luhmann 1987l: 33), womit die Politik die „Wirtschaft“ sozusagen „unter der Hand“ zu einem Bestandteil von Demokratie befördert, mit dem sie sich dann „politisch“ näher auseinander setzen kann. Obwohl sich Luhmann nicht dazu geäußert hat, soll abschließend doch noch kurz der Versuch gewagt werden, Antworten auf die Frage nach den Orten bzw. den Strukturen zu geben, in denen innerhalb des politischen Systems Selbstreflexion in Verbindung mit der Selbstbeschreibung als „Demokratie“ stattfindet bzw. stattfinden könnte. Dabei ist davon auzugehen, dass alle Teilsysteme des politischen Systems bei der Ausarbeitung von Reflexionstheorien beteiligt sind. Desgleichen ist auch anzunehmen, dass jedes Teilsystem über seine „eigenen“ Reflexionstheorien verfügt, weil nur dadurch im politischen System „Verständnis für Alternativen“ aufgebracht werden kann. In dem für die Demokratie zuständigen Teilsystem Politik des politischen Systems sind es vor allem die Parteien, die politische Reflexionstheorien ausarbeiten. So könnte man zum Beispiel die Grundsatzprogramme der Parteien als Reflexionstheorien verstehen. Im Subsystem Verwaltung des politischen Systems werden vor allem Reflexionstheorien mobilisiert, wenn grundlegende Entscheidungen oder Verwaltungsreformen, wie derzeit die Einführung des New Public Management, durchgesetzt werden sollen. Wie gerade dieses Beispiel lehrt, führen sie zu einem neuen Selbstverständnis der Verwaltung und ihrer Sicht auf die Umwelt (Czewick 2007), was fälschlich sogar noch mit einigen demokratietheoretischen Argumenten untermauert wird (Mehde 2000). Im Gegensatz zu Politik und Verwaltung ist im Subsystem Publikum des politischen Systems nicht auf Anhieb zu erkennen, was als Reflexionstheorien fungieren könnte. Indes lässt sich vermuten, dass zum Beispiel in der Hochphase von Wahlkämpfen, in denen es inzwischen ja vor allem auch um die Höhe der Wahlbeteiligung geht, Reflexionstheorien zum Tragen kommen, in 216 Luhmann spricht auch vom „Schema Demokratie/Staat“ (Luhmann 1987h: 33).
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7 Selbstverständnis des politischen Systems als Demokratie
denen sich das Publikum an den mündigen Bürger erinnert, der sich vor allem dadurch auszeichnet, dass er von seinem Wahlrecht Gebrauch macht und damit einen Beitrag für die Legitimation des politischen Systems leistet. Demokratische politische Systeme, und dies dürfte sie gegenüber autoritären und totalitären politischen Systemen deutlich unterscheiden, verfügen also über eine Vielzahl von Reflexionstheorien. Diese dienen alle dem gemeinsamen Ziel, aus der Perspektive des eigenen Subsystems einen Beitrag zum besseren Verständnis des gesamten demokratischen politischen Systems zu leisten. 7.3 Demokratie als Legitimationsformel Wie schon erwähnt worden ist, bestehen zwischen der Selbstbeschreibung und der Legitimation des politischen Systems enge Verbindungen. Für Luhmann ist deshalb alle Legitimation des politischen Systems nur noch als Selbstlegitimation möglich (Luhmann 1981e), denn mit der funktionalen Ausdifferenzierung der Gesellschaft „tritt die herrschaftsnotwendige Asymmetrie der Unterwerfung direkt und gleichsam ohne kosmologische oder naturale Begründung ins Blickfeld; und erst jetzt ist das politische System darauf angewiesen, sich selbst mit Bordmitteln zu legitimieren“ (Luhmann 2000: 370). Im Unterschied zu nichtdemokratischen politischen Systemen wird in demokratischen Systemen die Demokratie zur „Rechtfertigungsform von Politik schlechthin“ (Luhmann 1983c: 38). Sie allein ist es, welche die Legitimität des politischen Systems sichert, weshalb Demokratie und Legitimität auch engstens aufeinander bezogen sind (Luhmann 1987i: 261). Dass hierbei den Parteien eine besonders wichtige Rolle zukommt, wurde bereits weiter oben (Kapitel 6.2) vermerkt.217 In Demokratien scheinen sowohl die Legitimation politischer Entscheidungen als auch die Legitimation des politischen Systems besonders einfach und besonders schwierig zugleich zu sein. Besonders einfach zu legitimieren scheinen politische Entscheidungen deshalb zu sein, weil diejenigen Amtsinhaber, die im politischen System die Entscheidungen treffen, durch Wahlen bereits ausreichend demokratisch legitimiert scheinen (Böckenförde 1992: 289-378). Damit sind die Entscheidungen der politischen Amtsträger per se gerechtfertigt, und zwar, natürlich in den Grenzen der Verfassung und der Gesetze, völlig unabhängig von ihren jeweiligen Inhalten. Genau dieser Umstand erschwert gleichzeitig aber auch die Legitimation politischer Entscheidungen, weil durch diese Art der 217 Siehe hierzu die von Heino Kaack und Reinhold Roth herausgegeben „Analysen und Berichte der Forschungsgruppe Parteiendemokratie“, in deren Mittelpunkt die Legitimation des politischen Systems durch Parteien steht. Die „Analysen und Berichte“ umfassen insgesamt 17 Bände. Die Ergebnisse der Forschungsgruppe zusammenfassend Czerwick (1986).
7.3 Demokratie als Legitimationsformel
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Wahllegitimation immer auch der Anspruch und die Erwartung verbunden sind, dass die politischen Entscheidungen auch inhaltlich den Interessen und Bedürfnissen der Wähler wenigstens zum Teil entsprechen. „Inputlegitimation“ und „Outputlegitimation“ bilden insofern jeweils nur Bestandteile einer Gesamtlegitimation des politischen Systems. Für Luhmann wäre aber eine solche Gesamtlegitimation des politischen Systems nicht besonders wünschenswert. Bekanntlich (vgl. Kapitel 6.3) hat er sehr deutlich hervorgehoben, dass sich das politische System nicht von den spezifischen Erwartungen der Wähler abhängig machen darf, weil es sonst zu viel Komplexität reduzieren müsste. Er geht deshalb davon aus, dass eine laufende Legitimation am „Volkswillen“ nur unter der Voraussetzung möglich ist, wenn „prinzipiell alles für Neuentscheidung offen gehalten wird“ (Luhmann 1987d: 149; ebenso 1981d: 166). Für eine solche Sichtweise spricht zum einen, dass der „Volkswillen“ raschen Veränderungen unterworfen sein kann, so dass „Neuentscheidungen“ unausweichlich werden. Zum anderen spricht für eine solche Sichtweise aber auch, dass in demokratischen politischen Systemen Legitimation allein schon deshalb möglich wird, weil jede politische Entscheidung immer unter dem Vorbehalt der jeweils aktuell bestehenden politischen Machtverhältnisse steht, die sich ebenfalls relativ schnell verändern können. Kommt es deshalb zu einer Änderung der politischen Machtverhältnisse, kann prinzipiell jede vorangegangene politische Entscheidung wieder zur Disposition gestellt werden. Claus Offe spricht in diesem Zusammenhang von einem „Vertröstungseffekt“, der sich darin ausdrückt, „dass der jeweiligen Minderheit der Gehorsam gegenüber der Mehrheitsentscheidung insofern erleichtert wird, als sie gewiß sein kann, eine „nächste Gelegenheit“ zu haben, bei der die Entscheidung erneut getroffen werden muß“ (Offe 1984: 153-154). Aber auch dadurch lässt sich das Spannungsverhältnis zwischen Demokratie und der Legitimation politischer Entscheidungen nicht aufheben, sondern nur abmildern. Deswegen bleibt die Legitimation für das politische System in Demokratien ein Dauerproblem. Luhmann nennt dafür noch zwei weitere Gründe. Erstens weist er darauf hin, dass zum Beispiel auf der Ebene der politischen Praxis „(d)ie Variation der Entscheidungsprogramme und das Fluktuieren der Bedingungen politischer Unterstützung ... je eigenen Änderungsbedingungen (folgen)“ und „durch neuartige politische Steuerungsprozesse vermittelt und aufeinander einreguliert werden“ (Luhmann 1984e: 246) müssen. Einfacher formuliert könnte man vielleicht auch sagen, dass die Rationalitäten der Subsysteme Politik und Publikum des politischen Systems aufeinander abgestimmt werden müssen. Zweitens weist er darauf hin, dass es immer auch gesellschaftliche Gruppen oder politische Akteure, wie die außerparlamentarsiche Opposition, gibt, die polititsche Entscheidungen nicht akzeptieren und dagegen mobil machen, weshalb immer wieder neue Anstrengungen unternommen werden müssen, um politische Entscheidun-
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7 Selbstverständnis des politischen Systems als Demokratie
gen zu rechtfertigen und der politischen Dauerproblematisierung zu entziehen (Luhmann 1987d: 149). Aber, und dies gilt es besonders hervorzuheben, die Legitimationsproblematik betrifft nur das politische System, nicht jedoch die anderen gesellschaftlichen Subsysteme. Diese müssen sich mit ihren jeweils eigenen Legitimationsproblemen auseinandersetzen. Gleichwohl sind sie aber keinesfalls unwichtig für die Legitimationsbemühungen des politischen Systems. Je nach dem, wie sie ihre gesellschaftlichen Funktionen erfüllen, hat dies auch Auswirkungen auf die Legitimation des politischen Systems und der Demokratie. Dies wird besonders offensichtlich am Beispiel der Wirtschaft. Je mehr Wohlstand sie produziert, desto leichter fällt dem politischen System, sich zu rechtfertigen. Und je weniger Wohlstand die Wirtschaft produziert, desto schwieriger wird es für das politische System, sich zu legitimieren.218 Dies hängt damit zusammen, dass wirtschaftliche Fehlleistungen häufig nicht der Wirtschaft, sondern dem politischen System angerechnet werden. Insofern muss sich die Politik nicht nur für sich selbst, sondern auch noch für die Wirtschaft legitimieren. Dieser ist es ganz offensichtlich gelungen, eigene Defizite auf das politische System abzuwälzen. Dieses Beispiel zeigt, dass das politische System mit seiner gesellschaftlichen Funktion, allgemeinverbindliche Entscheidungen zu treffen, auch die Kritik (oder die Zustimmung) der Allgemeinheit auf sich zieht, unabhängig davon, ob es tatsächlich für die Defizite der anderen gesellschaftlichen Subsysteme verantwortlich ist oder nicht. Auch dieser Umstand hält das Spannungsverhältnis von Demokratie und Legitimation am Leben. Wenn es der Demokratie also prinzipiell nicht möglich ist, den Herrschaftscharakter des „Modell(s) der legitimationsbedürftigen Demokratie“ zu beseitigen, weil dieses Modell nicht zuletzt „die Asymmetrie der Herrschaft als unverzichtbare Struktur“ (Luhmann 2000: 364) voraussetzt, so kann sie ihn in vielen Fällen, vor allem wenn sie als Volksherrschaft interpretiert wird, zumindest latent halten. Und eben genau darin besteht eine wichtige Aufgabe der Demokratie als Legitimationsformel. Sie soll Herrschaftsstrukturen nicht offen legen, sie soll den Herrschaftscharakter des politischen Systems aber auch nicht, wie man vielleicht vorschnell meinen könnte, verschleiern oder in Abrede stellen. Luhmann strebt hier sozusagen einen „dritten Weg“ an, von dem er glaubt, das Legitimationsproblem des politischen Systems realitätsgerecht darstellen zu können. Für ihn wird nämlich mit der „Formel ´Demokratie` ... Herrschaft als Selbstwiderspruch inszeniert“ (Luhmann 2000: 358). Selbst wenn mit dieser Formel das Legitimationsproblem ebenfalls nicht vollständig beseitigt werden kann, weil mit ihr Herrschaft zugleich legitimiert und delegitimiert (Ebenda), sowie postuliert 218 Zur Konjunktur als Bestimmungsfaktor der Politik siehe schon Kaltefleiter (1968) sowie Adam (1995: 82-92).
7.3 Demokratie als Legitimationsformel
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und dementiert wird, so verschiebt sich doch das Legitimationsproblem: Von der Legitimation des politischen Systems und der Legitimation von Herrschaft hin zur Legitimation der Demokratie. Sie verdeckt auf der einen Seite das Herrschaftsproblem, weil sie sich als Volkssouveränität begreift. Sie macht auf der anderen Seite das Herrschaftsproblem virulent, weil jeder weiß, dass Volkssouveränität, selbst wenn sie keine politische Fiktion wäre, die eigenen individuellen Abhängigkeiten, die durchaus als Herrschaft erfahrbar sind, nicht zu beseitigen vermag. Von daher ist es auch kein Zufall, wenn Luhmann nachdrücklich betont, „daß sich Demokratie auf Legitimation verwiesen sieht“ (Ebenda: 363). Auf diese Weise werden sowohl das politische System als auch Herrschaft legitimatorisch entlastet, während die Demokratie belastet wird. Dies wirft so lange keine grundlegenden Probleme auf, so lange das Verständnis von Demokratie als Herrschaft des Volkes nicht in Zweifel gezogen wird, weil in diesem Fall die Kritik an der Demokratie sogleich in eine (Selbst-)Kritik des Volkes überführt und damit entschärft werden kann. Das Volk, so ließe sich (verkürzt) argumentieren, ist schließlich selbst dafür verantwortlich, wenn die Politik nicht funktioniert, da es schließlich die politischen Amtsträger gewählt hat. Die Verschiebung des Legitimationsproblems von der Legitimation des politischen Systems und der Legitimation von Herrschaft zur Legitimation der Demokratie entbindet das politische System aber natürlich nicht, sich um die eigene Legitimation zu bemühen. Sie wird durch diese Verschiebungen aber ganz erheblich erleichtert. Doch kann auch mit Verweis auf „Demokratie“ nicht jede Entscheidung des politischen Systems gerechtfertigt werden (Luhmann 1987i: 261), obwohl die Demokratisierung der Politik, verstanden als System „der Sicherstellung politischer Unterstützung für legitime Macht“ (Luhmann 1983: 216), „eine hohe Legitimität der staatlichen Entscheidungstätigkeit gewährleisten“ (Ebenda) kann. Von daher bleibt die politische Unterstützung auch und gerade in der Demokatie ein wichtiges Entscheidungsthema für das politische System (Luhmann 1984e: 245-246). Allerdings darf die Legitimation politischer Entscheidungen nicht, wie schon mehrfach in Anlehnung an Luhmann betont worden ist, zu konkret ansetzen, weil sonst die demokratischen politischen Systeme zu sehr anhand ihrer eigenen Rechtfertigungen kontrolliert und politisch gebunden werden könnten. „Ein demokratisch-labil gesteuertes politisches System mit hoher struktureller Variabilität braucht entsprechend abstrakte, das heißt, mit vielen Zuständen und Entscheidungen verträgliche Motivationsmittel. Als solche dienen vor allem Indifferenz gegen Veränderungen außerhalb des Bereichs der Intimsphäre, die diffuse Verstreuung und Individualisierung von Sondermotiven für politische Unterstützung und physische Gewalt“ (Luhmann 1969a: 13, Hervorhebungen entfernt, E.C.). Das geeignete Verfahren, durch das diese abstrakten Motivationsmittel, sieht man einmal vom Einsatz physischer Ge-
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7 Selbstverständnis des politischen Systems als Demokratie
walt ab, bereitgestellt werden können, ist für Luhmann noch immer die demokratische Grundsätze beachtende Wahl der politischen Amtsinhaber (vgl. Kapitel 6.3). Im Gegensatz zu Luhmann glauben viele Vertreter „klassischer“ Demokratietheorien, insbesondere aber die Verfechter der partizipatorischen Demokratietheorie, das Legitimationsproblem durch die Ausweitung der Beteiligung am politischen Entscheidungsprozess wenn nicht lösen, so zumindest erheblich erleichtern zu können. Auch Luhmann zieht eine derartige Möglichkeit durchaus in Betracht, meint aber, dass eine solche „Abfangstrategie“ des politischen Systems nur begrenzt dazu tauglich sei, riskante gesellschaftliche und politische Probleme legitimatorisch zu lösen (Luhmann 1991a: 163-165). Immerhin kann das politische System seiner Meinung nach aber durch Gewährung von Partizipation Zeit gewinnen und diesen Zeitgewinn dazu „benutzen, um Proteste in Paragraphen zu verwandeln“ (Luhmann 1991a: 165). Mit seinem Verweis auf „Paragraphen“ zeigt Luhmann zumindest indirekt an, dass auch die Rechtsbindung und rechtliche Absicherung politischer Entscheidungen das politische System von Legitimationsdruck entlasten kann.219 Im Gegensatz zu vielen anderen Autoren (z.B. Barber 1984) ist für Luhmann eine Ausweitung der politischen Partizipation aber schon deshalb kein Allheilmittel, um das Legitimationsproblem zu entschärfen, weil sie mit einer Vielzahl von dysfunktionalen Folgen für das politische System verbunden ist220, die nur neue Legitimationsprobleme aufwerfen würden. Er geht nämlich davon aus, dass das Forcieren von Partizipation keine politischen, sondern höchstens praktische Grenzen kenne. Partizipation zieht nach seiner Auffassung insofern eine Dynamik nach immer mehr Partizipation nach sich, ohne dass jemals ein Ende der Partizipation absehbar wäre. Darüber hinaus nimmt er aber auch an, dass der Versuch, eine umfassende Partizipation durchzusetzen, „die Frustrierung zum Prinzip machen“ (Luhmann 1983c: 39) würde. Man könnte nämlich sehr schnell erkennen, dass sich auch durch Partizipation die meisten politischen Probleme nicht lösen lassen. Er plädiert statt für eine Ausweitung von Partizipation deshalb erneut dafür, „daß die Kommunikationswege für die Bildung politischer Unterstützung und für die Vertretung von Werten und Interessen hinreichend getrennt werden, so daß die politische Unterstützung nicht konkret von der Förderung bestimmter Werte oder Interessen abhängig gemacht werden kann, sondern pauschal erteilt oder verweigert werden muss“ (Luhmann 1983c: 41). Schließlich wendet sich Luhmann auch deshalb gegen eine Ausweitung von 219 Daraus ließe sich die Schlussfolgerung ziehen, dass auch das Rechtssystem an der Legitimation politischer Entscheidungen mitwirkt. In einer solchen Situation wird die Legitimation des politischen Systems in die Legitimation des positiven Rechts überführt (Luhmann 1993: 232). 220 Eine noch weitergehende Auffassung über die dysfunktionalen Folgen von Partizipation für die Demokratie vertritt am Beispiel der USA Samuel Huntington, der von einem „excess of democracy“ (Huntington 1975: 35) spricht und darin eine Gefährdung der amerikanischen Demokratie erblickt.
7.3 Demokratie als Legitimationsformel
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Partizipation, weil sie eine „Funktionärsideologie“ sei (Luhmann 1991a: 164), die demgemäß nur einem begrenzten Personenkreis zu Gute komme, insgesamt aber zur Bürokratisierung des politischen Systems führe. Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß „Demokratie“ zwar das politische System von Legitimationsdruck entlastet, in dem teilweise die Legitimation des politischen Systems auf die Legitimation der Demokratie übertragen wird, doch wird damit das Legitimationsproblem nicht gelöst, sondern nur entschärft. Aus einer funktionalen Perspektive ist es jedoch notwendig, dass das Legitimationsproblem auf der politischen Tagesordnung bleibt, weil nur so das politische System das Maß an Komplexität generieren kann, das es benötigt, um sich beständig selbst als demokratisches politisches System zu reproduzieren. Dazu gehört auch das Bemühen, gesellschaftliche Problemlagen in politische Problemlösungen zu überführen.
8 Die politische Praxis der Demokratie: Problemlösung
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8 Die politische Praxis der Demokratie: Problemlösung
Die Lösung von Problemen gehört nicht nur zu den zentralen Funktionen politischer Systeme, sondern sie ist überhaupt die Essenz von Politik, ja sogar des gesamten Lebens, wie nicht nur Karl Popper meint (Popper 1996: 255-264). „If we are to understand political reality, we have to come to grips not only with its deteminate aspects but, most particularly, with its creative, adaptive problemsolving aspects. For it is this last characteristic which is the essentially human property, and which is the unique mechanism and explanatory challenge of the social sciences” (Almond 1990: 39-40). Allerdings können politische Systeme durch die Art und Weise unterschieden werden, wie sie mit Problemen umgehen.221 Zumindest liegt die Annahme nahe, dass demokratische politische Systeme Probleme anders lösen werden als autoritäre oder totalitäre politische Systeme. Konsequent weitergedacht bedeutet dies, dass Selektion, Definition und Lösung von Problemen wesentlich mit darüber entscheiden, welche Bedeutung der Demokratie innerhalb eines demokratischen politischen Systems zukommt. Für Luhmann ist Demokratie deshalb nicht nur ein spezifisches strukturelles Arrangement eines politischen Systems sowie eine Formel seiner Selbstbeschreibung und Legitimation, sondern darunter versteht er auch eine spezifische Praxis, die darauf gerichtet ist, die neuartigen Risiken zu absorbieren, die durch den Nationalstaat, der mit der Pazifizierung großräumiger Gebiete seit der Wende des 17. Jahrhunderts entstanden ist, erzeugt worden sind (Luhmann 1984c: 217). Indessen liegt in der Demokratie nicht schon die Lösung der Probleme, sondern sie ist für ihn nur eine Voraussetzung dafür, um Lösungen für gesellschaftliche und politische Probleme vorzubereiten, durchzusetzen und zu legitimieren. Aber auch wenn sich die demokratischen politischen Systeme gegenüber autoritären und totalitären politischen Systeme bei den Problemlösungen unterscheiden (Schmidt 1997), bedeutet das ja nicht, dass sie alle auf die gleiche Weise die Probleme lösen werden. Gegen eine solche Auffassung spricht nicht nur die Tatsache, dass sich im Verlauf der politischen Evolution eine Vielzahl von unter221 Anders Almond/Powell (1966: 191). „It is not correct to say that democratic systems follow a particular course of domestic and foreign policy“. Zu einem noch sehr allgemeinen Vergleich der Leistungsfähigkeit von Demokratien und Diktaturen vgl. Schmidt (2000: 522-539).
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schiedlichen strukturellen Arrangements und Selbstbeschreibungen von demokratischen politischen Systemen herausgebildet haben, die sich grob als parlamentarische, präsidentielle oder semi-präsidentielle Demokratien oder als Konsensus- und Konkurrenzdemokratien klassifizieren lassen (Lijphart 1999), sondern dagegen sprechen auch die jeweils unterschiedlichen politischen Kulturen und Machtverhältnisse in den Systemen. Daneben haben sich aber auch innerhalb und zwischen den verschiedenen Typen demokratischer politischer Systeme vielfältige Problemlösungsverfahren entwickelt, ob konsensorientierte wie bei Verhandlungs- bzw. Proporzdemokratien (Czerwick 1999) oder dezisionistische wie bei Konkurrenzdemokratien. Trotz der verschiedenen Typen von demokratischen politischen Systemen stehen bei ihnen allen jedoch die immer wieder gleichen Herausforderungen im Vordergrund, nämlich wie sie einerseits die gesellschaftlichen Probleme und dabei gleichzeitig auch ihr Bestandsproblem, die Gewährleistung der Entscheidungsfunktion, lösen, und wie sie andererseits dabei sicherstellen, dass die Problemlösungen zugleich auch „demokratischen“ Ansprüchen und Erfordernissen genügen.222 Problemlösungen und Demokratie gehen also nicht unbedingt ineinander auf. Die Demokratie kann sowohl die Problemlösungen erleichtern als auch erschweren, und die Problemlösungen können die Demokratie sowohl gefährden als auch verstärken. Problemlösungen müssen deshalb sowohl mit Blick auf ihre für die politische Praxis relevanten Wirkungen, als auch die politische Praxis mit Blick auf ihre Konsequenzen für die Demokratie untersucht werden.223 Für Luhmann erhalten Probleme und Problemlösungen deshalb „ihren besonderen Sinn nicht durch einen vorausgesetzten invarianten Wesenskern, sondern durch ihre besondere Stellung in einem Gefüge anderer Möglichkeiten; ihr ´Wesen` definiert sich durch die Bedingungen ihrer Ersetzbarkeit“ (Luhmann 1973c: 2). Dieses „Gefüge anderer Möglichkeiten“ wird durch das politische System definiert und die „Bedingungen ihrer Ersetzbarkeit“ in der gesellschaftlichen Funktion des politischen Systems, allgemeinverbindlich zu entscheiden, konkretisiert. Dabei muss es allerdings, wie Luhmann mit Nachdruck hervorhebt, vermieden werden, „aus einer Funktion auf eine Leistung, aus Zwecken auf Mittel, aus Problemen auf Problemlösungen zu schließen“ (Luhmann 1969: 9). Deren jeweiliger Zusammenhang lässt sich nicht vorab bestimmen, sondern muss erst in empirischen Analysen immer wieder neu herausgearbeitet werden.224 Weiterhin gibt Luhmann mit Bezugnahme auf die 222 Wie schwierig das ist, zeigt sich nicht zuletzt in der Bekämpfung des internationalen Terrorismus, bei der häufig demokratische Freiheitsrechte auf der Strecke bleiben oder massiv eingeschränkt werden. 223 Siehe hierzu die Auflistung von Gründen für die Demokratie als Problemlöser und als Problemerzeuger bei Schmidt (2000: 497-502). 224 Praktisch würde dies bedeuten, dass die Demokratieforschung in Zukunft intensiver auf die Ergebnisse der Politikfeldforschung zurückgreifen muss.
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funktionale Methode zu bedenken (Luhmann 1984a; 1984b; 1969), dass jede Funktion durch eine Fülle funktional-äquivalenter Leistungen („Äquivalenzfunktionalismus“ genannt) erfüllt werden kann. Auch deshalb ist der Zusammenhang zwischen Funktion und Leistung nur sehr lose gekoppelt. Gleichwohl darf wegen der losen Kopplung von Problem und politischen System sowie von Funktion und Leistung nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, als sei die Art und Weise der Problemlösungen letzten Endes beliebig. Zum einen müssen die Leistungen sozialer Systeme strukturell gewährleistet sein. Schon deshalb weisen sie eine gewisse Stabilität, Konsistenz und Konstanz auf, die jedweder Beliebigkeit entgegensteht. Auf die Demokratie bezogen heißt dies, dass demokratische Strukturen „demokratische“ Problemlösungen zwar nicht garantieren können, wohl aber erwarten lassen, so dass offensichtliche Abweichungen davon zumindest besonders begründungspflichtig sind. Zum anderen greifen politische Systeme immer nur selektiv, unter Rückgriff auf eigene, funktional bestimmte Prämissen, auf ihre Umwelt zu (Luhmann 1995b). Auch diese Prämissen lassen sich nicht ständig variieren, weil sonst nicht klar wäre, vermittels welcher Kriterien denn die Selektionsleistungen des Systems durchgeführt werden sollen. Sind diese Bedingungen nicht erfüllt, wäre das Verhältnis des politischen Systems zu seiner Umwelt chaotisch und die Systembildung sowie die Erwartungssicherheit der Umwelt im Hinblick auf das politische System stark beeinträchtigt. Insgesamt gesehen verdanken also alle Probleme, mit denen sich soziale Systeme auseinandersetzen, „ihre Existenz voraussetzenden Strukturentscheidungen und haben dadurch bestimmbare Konturen. Die möglichen Problemlösungen, die möglichen Variationen des Systems sind dadurch begrenzt“ (Luhmann 1969: 12). In diesem Sinne setzt Demokratie deshalb auch der Funktion des politischen Systems, allgemein-verbindlich zu entscheiden, Grenzen.225 Das Wechselverhältnis zwischen politischen Problemlösungen und Demokratie, also die Fragen danach, wie die Demokratie auf die Lösung politischer Probleme einwirkt und welche Folgeprobleme sich dabei sowohl für die Demokratie als auch für die Probleme ergeben, wurde auch in der Demokratieforschung immer wieder thematisiert. Eine Forschungsrichtung, die als „Regierbarkeitsdebatte“ in die Geschichte eingegangen ist (Heidorn 1982), konzentriert sich dabei sowohl auf die Überlastung demokratischer politischer Systeme mit neuen sowohl mit extern als auch mit intern induzierten politischen Problemen, die zu einer Gefährdung der Demokratie führen könnten (immer noch unübertroffen
225 Es wäre sicherlich nicht uninteressant, einmal die Grenzen auszuloten, die die „Demokratie“ als Selbstbeschreibungsformel des politischen Systems dem politischen System bei der Vorbereitung und Durchsetzung allgemeinverbindlicher Entscheidungen setzt und wie sich im Laufe der Zeit dabei ihre Interpretation verändert.
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Crozier u.a. 1975; Newton 1995).226 Ausgangspunkt der Überlegungen ist, dass es für die Demokratie keine Überlebensgarantie gibt (Schmitter 1994; Diamond 2000: 25; Weidenfeld 1996: 9), sofern es ihr nicht gelingt, die wichtigsten gesellschaftlichen Probleme zu lösen.227 Die Besonderheit dieser Forschungsrichtung besteht darin, dass sie unter „Problemlösung“ vor allem die Verringerung der politischen Verantwortung für gesellschaftliche Probleme versteht. Aber das würde nur bedeuten, dass das politische System Aufgaben, die es von der Gesellschaft übernommen hat, an diese wieder zurück gibt, wo sie dann, weil ungelöst, weitere Folgeprobleme erzeugen. Es ist deshalb auch kein Wunder, wenn bereits von „Postparlamentarischer Demokratie“ (so erstmals Burns 1994)228 oder von „Postdemokratie“ gesprochen wird229, zumal die demokratischen politischen Systeme auch immer weniger in der Lage zu sein scheinen, ihre Problemlösungen gegenüber den anderen gesellschaftlichen Systemen, insbesondere gegenüber dem Wirtschaftssystem, durchzusetzen.230 Wenn dieser Befund zutreffen sollte und demokratische politische Systeme nicht mehr über ein ausreichendes Maß an Autonomie und Macht verfügen, um gesamtgesellschaftlich verbindliche Entscheidungen zu treffen, hat dies unter anderem zur Folge, dass die ohnehin schon auf das politische System bzw. auf das Subsystem Politik eingeschränkte Demokratie zwangsläufig weiter an politischer Substanz einbüßen wird.231 Skepsis im Hinblick auf die Fähigkeit demokratischer politischer Systeme, gesellschaftliche Probleme zu lösen, legen aber nicht nur solche „Krisentheorien“ der Demokratie232 an den Tag, sondern diese lassen auch die „Performanztheorien der Demokratie“ erkennen (Putnam 1993; Cusack 1997; Fuchs 1993: 100-108, 1997; Eckstein 1971). In ihnen wird davon ausgegangen, dass es zwischen der Problemlösungsfähigkeit eines demokratischen politischen Systems und seiner Akzeptanz bei den Bürgern einen engen Zusammenhang gibt. Deshalb wird die Problemlösungsfähigkeit zum einen von der Partizipation möglichst vieler am 226 Zur Kritik Offe (1979) sowie Forndran (2002: 139-205). Von einer Krise der Demokratie wird gesprochen, seit es die Demokratie gibt. Siehe hierzu zum Beispiel Bryce (1926: 136-137, 218219, 273, 296-304; Lindsay (1971: 7-10). 227 Siehe hierzu auch Stamps (1957); Newman (1965). 228 Luhmann spricht von einem „postdemokratischen Fall“ bei der Regression der Demokratie auf die einfache Unterscheidung von Regierenden und Regierten (Luhmann 1989: 19). 229 Zum Begriff der „Postdemokratie“ siehe Crouch (2004) sowie Jörke (2005). Der Gegensatz zu „Postdemokratien“ wäre dann wohl „Neodemokratien“ (Schmitter 1994: 72). 230 Im Gegensatz zur Theorie der „Postdemokratie“ sieht Burns in der „Post-Parliamentary Democracy“ oder auch „Organic Democracy“ zugleich Ansätze, die eine Erweiterung des „democratic principle“ bewirken könnten (Burns 1994: 166-178). 231 Die wahrscheinliche Folge wäre in einem solchen Fall dann die Entdemokratisierung des politischen Systems und der Politik. 232 Nach Zolo signalisiert die gegenwärtige Krise der Demokratie zugleich eine Krise der „klassischen Demokratietheorie“ (Zolo 1989: 222).
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politischen Entscheidungsprozess233 und ihren Interaktionen234 abhängig gemacht, zum anderen aber auch davon, ob und inwieweit die politischen Entscheidungen den Bedürfnissen und Erwartungen der von ihnen Betroffenen entgegenkommen. „Wenn der ‚Output’ des politischen Entscheidungssystems für die Legitimität der Demokratie nicht weniger wichtig ist als der ‚Input’ an artikulierten Interessen, Anforderungen und Erwartungen, dann wird eine empirisch-analytische Theorie der faktischen Funktionsweise des politisch-administrativen Systems zu einem untrennbaren Bestandteil der Demokratietheorie. Als Theorie des demokratischen Staates mußte auf eine auf den Willensbildungsprozess konzentrierte Demokratietheorie deshalb durch eine Steuerungstheorie und eine Theorie des Zusammenwirkens unterschiedlicher politisch-administrativer Instanzen ergänzt werden“ (Mayntz/Streeck 2003: 13). Im Mittelpunkt derartiger Theorien stehen die Möglichkeiten politischer Steuerung und des „guten Regierens“ (good governance) (Schuppert (Hrsg.) 2005; Benz (Hrsg.) 2003). Während jedoch GovernmentKonzepte normativ vor allem auf demokratische Normen und Werte ausgerichtet sind und an diesen sich orientierend Vorschläge für „ gutes Regieren“ entwickeln, geht Luhmann ganz im Gegensatz dazu davon aus, dass politische Steuerung aus prinzipiellen Gründen nicht möglich ist (Luhmann 1996b: 334-349). Demnach können demokratische politische Systeme zwar gesellschaftliche Probleme lösen, doch ist der Erfolg solcher Bemühungen eher zufällig; zumindest können sie laut Luhmann die Probleme nicht in einer für die Gesellschaft systematischen und planvollen Weise lösen. Er lehnt es deshalb auch strikt ab, die Lösung von Problemen mit Vorannahmen oder normativen Erwägungen zu belasten. Darüber hinaus hebt er hervor, dass politische Systeme als selbstreferenzielle Systeme immer nur ihre eigenen Probleme lösen und erst über die Lösung der eigenen Probleme, wenn die Bedingungen günstig sind, auch gesellschaftliche Probleme lösen. Politische Systeme orientieren sich demnach immer an sich selbst, wenn sie sich auf Umweltprobleme beziehen und diese bearbeiten. Es dürfte einleuchten, dass eine solche Sichtweise erhebliche Konsequenzen sowohl für die Selektion und Definition der Probleme als auch für die Problemlösungen haben muss. Es ist jetzt zumindest nicht mehr möglich, vom Vorhandensein „objektiver“ gesellschaftlicher Probleme auszugehen, die ihre eigene Dynamik im politischen Prozess entfalten, wie dies etwa die Policy-Forschung bzw. Politikfeldforschung (Schubert/Bandelow (Hrsg.) 2003) im Anschluss an Theodore Lowi (1964) nahe legt. Politische Probleme müssen vielmehr als die Konstruktionen demokratischer politischer Systeme verstanden werden. Diese bestimmen aber nicht nur die Auswahl und die Definition von Problemen, son233 Hier ist insbesondere auf die Partizipationstheorien der Demokratie zu verweisen. Im Überblick Schmidt (2000: 251-268). 234 Siehe hierzu insbesondere die Arbeiten von Fritz W. Scharpf (2000).
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dern sie legen auch fest, wie die Probleme gelöst und welche Verfahren und Instrumente dabei verwendet werden sollen, ohne jedoch garantieren zu können, dass die Probleme auch tatsächlich gelöst werden. Es besteht somit zwar ein enger Zusammenhang zwischen der Auswahl, der Definition und den beabsichtigten Problemlösungen, nicht aber zur tatsächlichen Lösung der Probleme. Außerdem ist davon auszugehen, dass politische Systeme etwas völlig Anderes unter der Lösung eines Problems verstehen können als ihre Umwelten. Für politische Systeme gilt ein Problem als „gelöst“, wenn am Ende des Problemlösungsprozesses eine allgemein verbindliche Entscheidung steht, die ihre Funktionsfähigkeit unterstreicht. Ob damit das Problem auch aus wissenschaftlicher, wirtschaftlicher oder religiöser Perspektive gelöst ist, ist eine ganz andere Frage, die für politische Systeme zunächst von zweitrangiger Bedeutung ist. Die politische „Lösung“ eines Problems bedeutet deshalb nicht unbedingt, dass die dem Problem zu Grunde liegende Ist-Soll-Diskrepanz beseitigt worden ist. Es mag dem demokratischen politischen System schon genügen, wenn es ihm gelingt, das Problem der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu entziehen oder so zu tun, als würde man an einer Problemlösung arbeiten (Edelman 1977). Mit Luhmann lässt sich also verdeutlichen, dass der Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen und politischen Problemen einerseits und ihrer Lösung durch demokratische politische Systeme andererseits keineswegs so direkt ist (Luhmann 1973a: 321), wie dies die „klassischen“ Demokratietheorien mit ihrer Betonung von politischer Responsivität immer wieder behaupten. Auch bleibt offen, inwieweit die gesellschaftlichen Erwartungen und Bedürfnisse an die Problemlösungen der Politik zurückgekoppelt sind, wenn seine Annahme zutrifft, dass demokratische politische Systeme immer nur ihre eigenen Probleme lösen. Von derartigen Rückkopplungen dürfte man vor allem bei der Lösung solcher Probleme weit entfernt sein, die in einer engen Verbindung zur Beschafftung von Ressourcen für politische Systeme235 oder für deren Bestandserhaltung stehen. In solchen Fällen geht die Aufrechterhaltung der Funktion nicht nur den gesellschaftlichen Problemlösungen, sondern auch der Demokratie voraus. Die Grenzen der Problemlösung demokratischer politischer Systeme liegen deshalb dort, wo die Problemlösungen deren gesellschaftliche Funktion, allgemeinverbindlich zu entscheiden, beschädigen. Demokratische politische Systeme sind deshalb ständig dabei zu prüfen, ob „ihre“ Demokratie nicht zu Problemlösungen führt, die ihre gesellschaftliche Funktion gefährden.236 So betrachtet kann Demokratie demokratischen politischen Systemen gefährlich werden, wenn sie näm235 Ein immer wiederkehrendes Beispiel hierfür ist die Frage der Anhebung (nie Absenkung!) der Diäten. 236 Siehe hierzu die in Deutschland geführten Diskussionen über die „blockierte Demokratie“ bzw. „blockierte Politik“.
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lich Lösungen nahelegt, die die gesellschaftliche Funktion des politischen Systems beeinträchtigen. Gleichzeitig kann aber auch durch die politische Lösung gesellschaftlicher Problem die „Demokratie“ in demokratischen politischen Systemen reproduziert oder sogar noch verstärkt werden. Dies dürfte vor allem für politische Probleme „zweiter Ordnung“, also für Probleme gelten, die aus Problemlösungen demokratischer politischer Systeme entstehen und die somit in gewisser Weise „demokratisch“ bedingt sind.237 Das Kennzeichen solcher Probleme „zweiter Ordnung“ ist, dass sie sich nur mit Hilfe von Strukturen lösen lassen, die das politische System nicht selbst als Demokratie in Frage stellen. Mit ihnen können die demokratischen politischen Systeme deshalb besonders gut ihren eigenen Befindlichkeiten Rechnung tragen, zum Beispiel ihre eigene Komplexität steigern, und damit wichtige Voraussetzungen zur Informationsgewinnung und Selbstreproduktion schaffen. Von daher müsste auch mit vielen Problemlösungen von demokratischen politischen Systemen eine im weitesten Sinne „demokratisierende“ Wirkung verbunden sein.238 Die Erhaltung der Demokratie wäre somit in die Logik des Systems eingebaut. Zu dieser Logik gehört auch, dass demokratische politische Systeme „ihre“ Probleme, selbst wenn sie es könnten, niemals vollständig lösen dürfen, weil sie dadurch zu viel Komplexität einbüßen könnten. Sie können sich somit darauf einstellen, von ihren eigenen Unzulänglichkeiten zu profitieren. Mit den Problemlösungen durch die politischen Systeme wird schließlich auch die Wertproblematik virulent. Obwohl ihr Luhmann aus dem Wege geht, weil er die Frage nach der Bedeutung von Werten für die „demokratische“ Lösung von Problemen theoretisch für irrelevant hält, wird die Werteproblematik unausweichlich schon allein dadurch aufgeworfen, dass jede Problemlösung eine Entscheidung beinhaltet. Sie kann, wie auch Luhmann immer wieder betont, so oder auch anders ausfallen. Unabhängig davon, wie eine Entscheidung ausfällt, immer sind dabei Werte mit im Spiel. Insofern lassen sie sich gar nicht ausblenden. Sie treten aber nicht nur bei Entscheidungen und deren Rechtfertigung auf, sondern sie sind zugleich in den politischen Strukturen verankert239, deren Exis-
237 Beispiele für solche Problemlösungen sind die Senkung des Wahlalters oder die Ausweitung von Mitwirkungsmöglichkeiten betroffener Bürger bei großräumlichen Vorhaben. Die Rücknahme solcher Problemlösungen muß sich deshalb den Vorwurf der „Entdemokratisierung“ gefallen lassen. 238 Zu Luhmanns Skepsis (1981b: 351). 239 „All forms of political organization have a bias in favor of the exploitation of some kinds of conflict and the suppression of others because organization is the mobilization of bias. Some issues are organized into politics while others are organized out” (Schattschneider1975: 69). Siehe hierzu auch Bachrach/Baratz (1977: 43-98, 139-141), Offe (1973: 65-105) sowie Fürst (1975).
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tenz ebenfalls auf Werten gegründet ist.240 Luhmann neigt ebenfalls dazu, „seine“ Werte in Strukturen und Funktionen zu verstecken oder darin aufgehen zu lassen. Von daher ist auch seine Kritik an Bemühungen, die Lösung von Problemen mit Hilfe der Mobilisierung von Werten (wie zum Beispiel Partizipation oder Gleichheit) anzustreben241 oder sogar die Durchsetzung von bestimmten Werten als Ersatz für die Lösung von Problemen zu nehmen, nicht sehr überzeugend, selbst wenn ihm zuzustimmen ist, dass demokratische politische Systeme hierfür besonders anfällig sind. Mit ihnen verbindet sich nicht selten die Hoffnung, dass politische Problemlösungen um so besser gelingen und auf um so mehr Akzeptanz stoßen werden, je mehr „demokratische“ Werte mit ihnen vereinbar sind. Für Luhmann ist eine solche Argumentation jedoch schon deshalb nicht akzeptabel, weil er prinzipiell allen Werten misstraut, die nicht im politischen System selbst erzeugt werden, sondern von der Umwelt an das politische System herangetragen werden.242 Er übersieht dabei aber, dass in der politischen Praxis zumindest gelegentlich suboptimale Problemlösungen in Kauf genommen werden, weil nur dadurch demokratische Werte wie Freiheit oder Gleichheit bewahrt werden können. Ferner bedenkt er nicht, dass demokratische Werte eine Ressource darstellen können, die mangelhafte Problemlösungen des politischen Systems auszugleichen vermögen. Außerdem ignoriert er den Umstand, dass Wähler zwischen Demokratie als einer erstrebenswerten politischen Ordnung einerseits und defizitären Leistungen politischer Akteure andererseits zu unterscheiden vermögen. Unzufriedenheit mit der Politik und den politischen Akteuren bedeutet nicht automatisch Unzufriedenheit mit der Demokratie. Als wesentlich größer als durch die Überforderung mit Werten könnte deshalb die Gefahr sein, dass bei geringer Problemlösungsfähigkeit eines politischen Systems mittelbis langfristig Problemlösungen bevorzugt werden, die nicht mehr mit den Imperativen einer Demokratie vereinbar sind. Es könnte sich sogar die Auffassung durchsetzen, dass mit einem autokratischen politischen System die vorhandenen gesellschaftlichen Probleme besser gelöst werden könnten. Von daher stehen demokratische politische Systeme immer vor der Gefahr, sich in Richtung von
240 Das schließt aber nicht aus, dass sich im Laufe der Zeit diese Werte verflüchtigen oder verändern. 241 Zur Verbindung zwischen der Logik der Demokratie und Werten vgl. Thorson (1962). 242 Luhmann schließt es durchgängig aus, dass ein demokratisches politisches System Werte wie Freiheit, Gleichheit oder Gerechtigkeit aus sich heraus erzeugen kann. Im Gegensatz zu Luhmann siehe aber Tocqueville, der in seiner Untersuchung über die Demokratie in Amerika auf die Gleichheit verweist, die einerseits der Logik der amerikanischen Demokratie entspringt, die andererseits aber nach seiner Meinung auch die amerikanische Demokratie gefährdet („Tyrannei der Mehrheit“) (Tocqueville 1990: bes. 139-181).
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autokratischen Systemen zu entwickeln.243 Gegen solche Gefährdungen scheinen nur bedingt evolutionär entstandene strukturelle Vorkehrungen zu helfen, die der Logik der Demokratie entsprechen. Insofern kann es zu Situationen kommen, dass die vermeintliche oder tatsächliche Unfähigkeit eines demokratischen politischen Systems, gesellschaftliche Probleme zu lösen, zu einer Infragestellung oder sogar Einschränkung der Demokratie führt. Damit wird noch einmal unterstrichen, wie sehr die Demokratie von der Fähigkeit demokratischer politischer Systeme abhängt, gesellschaftliche Probleme zu lösen.
243 Beispielhaft hierfür sind Bemühungen, das Problem der inneren Sicherheit zu lösen, die häufig mit massiven Einschränkungen grundgesetzlich garantierter Freiheiten (Datenschutz, Demonstrationsrecht, Pressefreiheit, Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis oder Unverletzlichkeit der Wohnung) verbunden sind.
9.1 Selbstüberforderungen der Demokratie im Wohlfahrtsstaat
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9.1 Selbstüberforderungen der Demokratie im Wohlfahrtsstaat Problemlösungen können sowohl politische Komplexität abbauen als auch politische Komplexität aufbauen. Wiederum geht es hier für politische Systeme darum, eine Balance zwischen der Reduktion und dem Aufbau von Komplexität zu finden, ohne jedoch schon im voraus verlässlich abschätzen zu können, wann ein solcher Ausgleich erreicht ist oder wann er möglicher Weise verfehlt wird. Luhmann sieht die notwendige Ausbalanzierung der Komplexität im und durch das politische System vor allem durch die Entwicklung zum Wohlfahrtsstaat gefährdet, da mit ihm die „Politisierung“ einer Vielzahl von gesellschaftlichen Problemen einhergeht, zu deren Lösung das politische System jedoch nicht oder nur sehr bedingt in der Lage ist, weil ihm dafür die notwendigen Ressourcen fehlen. Der Wohlfahrtsstaat ist so gesehen ein Ergebnis von politischen Problemlösungen, mit denen sich das politische System ständig selbst überfordert. Bei dieser Entwicklung spielt die Demokratie eine herausragende Rolle. Erst sie schafft nämlich die notwendigen strukturellen (und normativen) Voraussetzungen, damit gesellschaftliche Erwartungen, Bedürfnisse und Interessen im politischen System überhaupt auf eine größere Resonanz stoßen können. Insofern ist mit dem Wohlfahrtsstaat auch „ein politisches System gemeint, das Ansprüche an öffentliche Ordnungsmittel und öffentliche Kassen – bloße Ansprüche! – für politisch relevant hält und nach Möglichkeit zu befriedigen versucht“ (Luhmann 1981f: 289, Hervorhebungen entfernt, E.C.). Dementsprechend nimmt die Entwicklung zum Wohlfahrtsstaat auch auf die Selbstbeschreibung des politischen Systems Einfluss (siehe Kapitel 7.1), das darauf vor allem mit einem neuartigen Gefühl für Probleme reagiert (Luhmann 1987k: 95). Allerdings ersetzt der Begriff Wohlfahrtsstaat nicht die Selbstbeschreibung des politischen Systems als Demokratie, sondern ergänzt diese nur. Luhmann geht davon aus, dass weniger der Wohlfahrtsstaat die Demokratie, als viel mehr die Demokratie den Wohlfahrtsstaat zur Folge hat.244 Nachdem sich jedoch im Zuge der gesellschaftlichen und politischen Evolution der Wohlfahrtsstaat immer mehr durchgesetzt hat (Ritter 1991), wurde, so Luhmann, immer deutlicher erkennbar, dass er zu einer Gefährdung der Demokratie werden kann, wenn es nicht gelingt, seine innere Entwicklungsdynamik unter Kontrolle zu 244 Hierzu insbesondere auch Kielmannsegg (1980).
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bringen. Denn um seine „demokratische“ Qualität unter Beweis zu stellen, sieht sich das politische System dazu veranlasst, „Ansprüche auf Einlösung der wohlfahrtsstaatlichen Versprechen von Freiheit, Gleichheit, Sicherheit“ (Luhmann 1981: 127) zu stimulieren. Auf diese Weise wird der Demokratiebegriffs auf Versorgungsleistungen ausgeweitet (Luhmann 2000: 364), die vom politischen System, das für die Ausweitung zugleich verantwortlich ist, erfüllt werden müssen, ohne dass ihm aber die dafür erforderlichen Problemlösungskapazitäten und Entscheidungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen.245 Im Wohlfahrtsstaat kommt deshalb „ein ganz eigentümliches Prinzip der Selbstüberforderung der Politik zum Ausdruck“ (Luhmann 1981f: 289), so dass Luhmann zu der Auffassung gelangt, dass mit der Realisation des demokratischen Wohlfahrtsstaates zugleich das Ende von der Lehre vom begrenzten Staatszweck verbunden sei (Luhmann 1981: 28). Dies hängt seiner Meinung nach insbesondere auch damit zusammen, dass im Wohlfahrtsstaat mit der Demokratisierung der politischen Willensbildung und der Inklusion der Bevölkerung in das politische System Stoppregeln, die einer Politisierung (und damit Ausweitung) gesellschaftlicher Bedürfnisse Grenzen setzen könnten, an Bedeutung verloren haben. Er spricht deshalb auch pointiert von „einer Umstellung von Abweichungsverhinderung auf Abweichungsverstärkung, von negativem auf positivem feedback“ (Luhmann 1987k: 98), die mit der Demokratie einhergeht. Wenn aber die Demokratie für die Entwicklung zum Wohlfahrtsstaat mit der Folge der Selbstüberforderung des politischen Systems mitverantwortlich ist, stellt sich die wichtige Frage, „ob Wachstumstendenzen demokratisch gebremst werden können, oder ob der öffentliche Sektor, wenn nötig, im demokratischen Verfahren schrumpfen kann“ (Luhmann 1981f: 290, Hervorhebungen entfernt, E.C.). Luhmann geht davon aus, dass gerade dann, „wenn man an die Grenzen der Möglichkeit der Förderung von Wohlfahrt stößt, (...) demokratische Verfahren um so mehr gefragt“ (Luhmann 2000: 364-365) sind. Es hat den Anschein, als würde er hier politische Ansprüche und demokratische Entscheidungsverfahren gegeneinander ausspielen. Wenn schon nicht materiell im Sinne der Wählererwartungen politisch entschieden werden kann, dann sollen die Entscheidungsverfahren wenigstens „demokratisch“ sein.246 Und genau so stellt sich bekanntlich heute die Abwicklung des Wohlfahrtsstaates im Grundsatz dar. 245 So geht Luhmann auch davon aus, dass im Zuge der Demokratisierung der Politik der Anteil an Entscheidungen, nicht zu entscheiden, im politischen System zunimmt (Luhmann 1997a: 568). 246 Wie schwer sich politische demokratische Systeme gegenwärtig tun, soziale Kürzungen durchzusetzen, hängt auch damit zusammen, dass die Politik es nicht zu vermitteln versteht, dass diese Kürzungen nicht nur notwendig, sondern auch „demokratisch“ sind. Dies hängt damit zusammen, dass die Durchführung der Kürzungsprogramme nicht nur ein Verfahrensproblem darstellt, sondern auch ein Gerechtigkeitsproblem ist. Am Beispiel der sogen. „Agenda 2010“ siehe Offe (2003).
9.2 Demokratisierung der Demokratie?
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9.2 Demokratisierung der Demokratie? Aus eben diesem Blickwinkel einer potentiellen Überforderung des politischen Systems durch Demokratie muss Luhmanns schon mehrfach angesprochene Skepsis und Kritik an einer weiteren Demokratisierung des demokratischen politischen Systems verstanden werden (Luhmann 1987h: 62; Ders. 1987a; Ders. 1987o; Ders. 1987p). Auch wenn sich seine Bedenken nicht prinzipiell gegen die Demokratie richten, weil diese als eine evolutionäre politische Errungenschaft eine Selbstverständlichkeit darstellt, sind gleichwohl seine Vorbehalte gegenüber allen Versuchen, die Demokratisierung der Demokratie gezielt voranzutreiben, außerordentlich stark. Er hätte wohl nur dann keine Einwände gegen eine weitere Demokratisierung, wenn sie als ein Ergebnis der politischen Evolution des politischen Systems interpretiert werden könnte. Aber auch in einem solchen Fall wäre nicht auszuschließen, dass Luhmann dies als Selbstgefährdung oder sogar Selbstzerstörung der Demokratie interpretieren würde, wie seine Ausführungen zum Wohlfahrtsstaat (Luhmann 1981) zeigen. Weil ihm alle Bemühungen suspekt sind, die Demokratisierung der Demokratie voranzutreiben, hat er sich auch vehement dagegen ausgeprochen, die Demokratie vom politischen System auf andere soziale Systeme zu übertragen. Die zu Beginn der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts unter dem Schlagwort „Demokratisierung“ unternommenen Versuche, die Demokratie als gesellschaftliches Prinzip durchzusetzen247, hat Luhmann deshalb strikt abgelehnt. In derartigen Bemühungen sah er eine „Nachahmung von Politik in politikfernen Bereichen“ (Luhmann 1975: 94-95), und er befürchtete, dass durch eine solche, auf die Demokratisierung der gesamten Gesellschaft hinauslaufende Entwicklung „die Ebenendifferenzierung von Gesellschaftssystem und Einzelorganisation als auch die Differenzierung der gesellschaftlichen Funktionsbereiche ideologisch unterlaufen“ (Luhmann 1975: 96) werden könnten. Hinter seinen Befürchtungen steht die Annahme, dass es durch eine Übertragung der im Subsystem Politik des politischen Systems entstandenen und dort beheimateten Demokratie auf andere soziale Systeme248 zu einer gesellschaftlichen Entdifferenzierung kommen würde, die den erreichten gesellschaftlichen Fortschritt in Frage stellen könnte. Daneben glaubt er aber auch, dass durch eine Übertragung der Demokratie auf andere soziale Systeme deren eigenlogisches Prozessieren beeinträchtigt würde, womit schlimmstenfalls die Logik des politischen Systems und seiner Politik zur Logik der gesamten Gesellschaft 247 Einschlägig Vilmar (1973, 1997), aber auch schon Dewey (1996/1927: 125); kritisch dazu Hennis (1973), Eschenburg (1970: 8-13) und Buchheim (1975: 37-47). Siehe auch Greiffenhagen (Hrsg.) (1973). 248 Luhmann geht davon aus, dass die Demokratisierung und Rationalisierung von Organisationen „eigentümliche Irrationalitäten“ erzeugten (Luhmann 1997a: 839).
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werden könnte. Damit wäre dann wieder ein gesellschaftlicher Zustand erreicht, den Luhmann längst als überwunden und auch als nicht wieder herstellbar ansah. Wenn nämlich das politische System der Gesellschaft seine ihm spezifische Logik aufprägen könnte, würde es automatisch zum Zentrum und zur Spitze der Gesellschaft werden. Es könnte die Gesellschaft steuern, und alle anderen gesellschaftlichen Subsysteme wären seinem Primat unterworfen. Die als evolutionären Fortschritt gepriesene funktionale Differenzierung der Gesellschaft wäre somit wieder aufgehoben. Welche Konsequenzen ein solcher gesellschaftlicher Rückschritt haben könnte, lässt sich sehr gut an den osteuropäischen Gesellschaften studieren, die, weil sie auf einem politischen Primat aufbauten (Meyer 1979), eine Entfaltung der Eigenlogik der nicht-politischen gesellschaftlichen Subsysteme verhindert haben und dementsprechend ihre gesellschaftlichen Funktionen auch nur suboptimal ausbauen konnten, weil sie immer wieder große Rücksichten auf das politische System nehmen mussten. Luhmanns Sorge, dass die Übertragung der Demokratie auf die anderen gesellschaftlichen Subsysteme deren Eigenlogik gefährden könnte, ist in der Allgemeinheit, wie sie vorgetragen worden ist, sicherlich nicht unberechtigt. Allerdings ließe sich ihm entgegenhalten, dass sich zumindest einige Elemente von Demokratie durchaus auf andere soziale Systeme übertragen lassen, ohne deren Eigenlogik zu gefährden. Zu denken wäre hier etwa an die Mitbestimmung der Arbeitnehmerorganisationen an Entscheidungen in der Wirtschaft oder an die Entscheidungsverfahren in der sogen. „Gruppenuniversität“. Aber auch hier ist Luhmann Skeptiker. Er spricht sich gegen jede „Minidemokratisierung“ der gesellschaftlichen Subsysteme aus und plädiert stattdessen für eine „Zentraldemokratie“, das heißt für eine im politischen System zentralisierte Demokratie. „Soziale Demokratie kann nur politische Zentraldemokratie sein. Man muss verhindern, dass eine demokratisch nicht mehr kontrollierbare Demokratie entsteht, die sich unten immer schon verfilzt, arrangiert und legitimiert hat und dann nicht mehr zur Disposition steht“ (Luhmann 1979a: 15). Anzeichen, die in eine solche Richtung weisen, glaubt er zur Genüge erkennen zu können. Denn obwohl sich in den demokratischen Staaten des Westens die Forderungen nach einer umfassenden gesellschaftlichen Demokratisierung aufgrund der Widerstände der anderen gesellschaftlichen Subsysteme nicht oder nur teilweise haben durchsetzen lassen249, so waren sie nach Luhmann doch auch nicht folgenlos: „Was zu gelingen scheint, ist den in den Organisationen vorhandenen Positionsund Funktionseinfluss verstärkt sichtbar zu machen und in ein Netz von Kommunikationen oder Metakommunikationen über Machtfragen zu verstricken“ (Luhmann 1975: 97). Mit dieser Behauptung will er darauf hinweisen, dass die 249 Siehe hier nur das Schicksal der sogen. „Politik der inneren Reformen“ in der Bundesrepublik Deutschland nach 1969 (Fenner u.a. (Hrsg.) 1978).
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Stoßrichtung der Forderungen nach einer Demokratisierung von Staat und Gesellschaft, nämlich alle Formen unberechtigter Herrschaft mit dem Ziel offen zu legen, sie abzuschaffen, genau des Gegenteil dessen bewirken wird, was erreicht werden soll. Zwar mag es an einer Stelle gelingen, Herrschaft abzubauen, doch nur um den Preis, dass dafür an anderer Stelle neue Herrschaft errichtet wird. Er nimmt deshalb auch an, „dass damit die ohnehin organisationstypische Verhinderungsmacht verstärkt wird“ (Luhmann 1975: 97). Luhmanns Distanz gegen eine Demokratisierung der Demokratie bezieht sich jedoch nahezu ausschließlich auf den Partizipationsaspekt von Demokratie. Wie schon am Beispiel des auf Bedürfnisbefriedigung programmierten Wohlfahrtsstaates geht er auch jetzt davon aus, dass die mit der Ausweitung von Partizipation einhergehende Demokratisierung auf der Ebene der Organisationen ein Wachstumsprinzip ist, das aber gleichzeitig „qua Wachstum nichtmitdemokratisierte Strukturprobleme“ (Luhmann 1981b: 346) erzeugt. Diese negative Einstellung gegenüber Partizipation dürften wesentlich von seinen eigenen Erfahrungen herrühren, die er mit der „Gremienuniversität“ gemacht hat (Luhmann 1987p). Sie haben ihn die Schlussfolgerung ziehen lassen, dass eine Ausweitung von Partizipation unausweichlich mit einer Zunahme von Bürokratie verknüpft ist (Luhmann 1987o: 152). „Bürokratie entsteht durch Instrumentierung von Herrschaft und durch Instrumentierung von Demokratie, zur Vorbereitung und zur Durchführung von Entscheidungen“ (Luhmann 1987e: 109). Insofern bedeutet für ihn Demokratisierung die „Multiplikation der Entscheidungslast“ (Hervorhebungen entfernt, E.C.), also die „soziale Dekomposition des Entscheidens in Subentscheidungen über direkte oder indirekte (repräsentative) Zustimmung oder Ablehnung von Entscheidungen“ (Luhmann 1981b: 346).250 Da solche Entscheidungen in der Regel in Organisationen stattfinden, also in Gremien, Ausschüssen, Kommissionen und Konferenzen, bedeutet Demokratie deshalb „Auflösung und Rekombination der Sachentscheidung, und die dafür erforderliche Organisation nimmt unweigerlich bürokratisch, vorwegregulierte, formalisierte Strukturen an“ (Luhmann 1987m: 213). Durch die Beteiligung an den Entscheidungen entsteht ein zusätzlicher Entscheidungsbedarf mit Folgen wie Ineffektivität, Selbstlähmung, Unsinnigkeit und Überlastung (Luhmann 1987o: 156). Aus diesem Grund schlägt Luhmann zur Kennzeichnung einer durch die bürokratischen Fol250 Wird eine Entscheidung „demokratisch dekomponiert“, muss man „davon ausgehen, jeder Abstimmende habe entschieden, jeder, der ihn wählte, habe entschieden und jede Verfahrensentscheidung sei eine Wahl unter Alternativen. Das System kann sich qua Dekomposition in Richtung auf größere Explikation, Bewußtheit und Kontrollierbarkeit der Entscheidungsvorgänge entwickeln, also wachsen statt einfach nur zu unterstellen; aber es wird dabei vermutlich zugleich die Menge der Unterstellungen ebenfalls steigern. Sie folgen der Rationalisierung und der Demokratisierung wie ihr Schatten, und wehe dem, der sich nach seinem Schatten umsieht“ (Luhmann 1981b: 354).
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gen von Partizipation bedrängten Demokratie die Termini „Demobürokratien“ (Luhmann 1987o: 156) bzw. „Demobürokratisierung“ (Luhmann 1992b: 110) bzw. „Partizipationsbürokratien“ (Luhmann 2002a: 70) vor. Eine solche Begriffskonstruktion ist konsequent, wenn man wie er von einer „inneren Affinität von Demokratisierung und Bürokratisierung“ (Luhmann 1987e: 109) ausgeht. Unter „Demobürokratien“ sind demnach besonders weit demokratisierte politische Systeme zu verstehen, für die es aufgrund ihrer Demokratisierung immer schwieriger wird, allgemeinverbindliche Entscheidungen zu treffen. Dementsprechend nimmt bei ihnen auch die Wahrscheinlichkeit zu, dass es zu politischen Blockaden (Geis/Strecker (Hrsg.) 2005) oder „Nichtentscheidungen“ (Bachrach/Baratz 1977: 43-98) kommt (Luhmann 1997a: 568).251 Luhmann lässt deshalb auch keinen Zweifel darüber aufkommen, dass er einer möglichst reibungslosen Durchsetzung der Funktionslogik des politischen Systems eine wesentlich höhere Bedeutung einräumt als den normativen Forderungen nach einer umfassenden Demokratisierung der Gesellschaft, die seiner Überzeugung nach ohnehin nicht eingelöst werden können. Trotz seiner vielfältigen Vorbehalte ist sich Luhmann aber auch darüber im klaren, dass Demokratie ohne Partizipation, zumindest dem Schein nach, nicht existieren kann.252 „Soll Demokratie funktionieren und Allgemeininteressen verfolgen können, müssen gerade Unbeteiligte beteiligt, also artifizielle Beteiligung geschaffen werden“ (Luhmann 1981b: 345). „Artifizielle Beteiligung“ meint hier wohl keine wirkliche Beteiligung, sondern nur die Herstellung eines Gefühls der Beteiligung, man könnte vielleicht auch von einer politisch weitgehend folgenlosen oder auch von einer symbolischen Beteiligung sprechen.253 Die „artifizielle Beteiligung“ lässt sich als eine Reaktion darauf interpretieren, dass in der Demokratie die Voraussetzungen für eine Teilnahme an Politik „immens erweitert worden“ (Luhmann 1981h: 32) sind. Je mehr Partizipation möglich ist, so könnte man deshalb auch formulieren, desto geringer darf die Intensität der mit ihr verbundenen tatsächlichen Einflussnahmen ausfallen (siehe auch Dahl 1998: 109-110). Durch die Partizipation des/der einen wird die Partizipation des/der anderen zwangsläufig eingeschränkt. Je mehr Partizipation gewährt oder erkämpft wird, desto weniger ist die Partizipation also noch wert.254 Dieses Partizipationsparadox stellt nachdrücklich die Bedeutung der partizipatorischen Demokratietheorie in Frage. Luhmann weist deshalb auch auf die Gefahr hin, 251 Siehe hierzu auch die aktuelle Politik, die ihr Heil in Problemlösungen sucht, die auf eine Einschränkung von Partizipationsmöglichkeiten basieren. Als ein Beispiel unter vielen siehe das sogen. „Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz“. 252 In zwei Arbeiten identifiziert Luhmann sogar das „Konzept der Demokratie“ mit „effektive(r) Partizipation“ (Luhmann 1987i: 336; Ders. 1996: 149). 253 Vgl. hierzu auch Arbeiten von Murray Edelman (1976, 1977, 1988) sowie Sarcinelli (1987). 254 Zu diesem Partizipationsparadox auch schon Mayntz (1972).
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dass mit einer Ausweitung von Partizipation „der einzelne, was Demokratie und was Autonomie betrifft, mit Illusionen abgefunden“ (Luhmann 1987p: 215, Hervorhebung entfernt, E.C.) wird. Er erwartet deshalb auch, dass bei vermehrter Partizipation „die Enttäuschungsquote größer sein wird als die Befriedigungsquote“ (Luhmann 1981b: 346). Darüber hinaus werden der Partizipation aber noch dadurch Grenzen gezogen, „dass man immer aktuell informiert sein muss“ (Luhmann 1981h: 32). Spätestens seit Anthony Downs (1968) bahnbrechender Studie über die ökonomischen Grundlagen der Demokratie ist bekannt, dass die Suche nach Informationen hohe Kosten verursachen kann und gerade deswegen in vielen Fällen unterbleibt. Luhmanns demokratietheoretische Vorbehalte und Kritik an Partizipation erwecken den Eindruck, als würde er die Bedeutung und die Möglichkeiten von Partizipation überbewerten und überschätzen (Luhmann 1981b: 350). Er neigt der Auffassung zu, dass das derzeit erreichte Partizipationsniveau für die Demokratie eher schädlich als nützlich ist. Er stellt sich damit gegen solche Demokratietheorien, die in der Vermehrung der Möglichkeiten der Bürger zur Mitbestimmung in Politik und Gesellschaft eine zentrale Voraussetzung für ein höheres Maß an individueller und kollektiver Selbstbestimmung sehen und die gerade deshalb die Forderung nach mehr Partizipation ins Zentrum ihrer Demokratietheorie rücken. Von daher sieht er auch in der in der ersten Hälfte der siebziger Jahre so heftig geführten Debatte über eine weitere Demokratisierung von Staat und Gesellschaft nicht, wie man vielleicht meinen könnte, eine situationsbedingte politische Fehlentwicklung, sondern ein Grundproblem der Demokratie, das in der Paradoxie besteht, „wie eine Gesellschaft sich reproduziert, die auf der Ebene der Ideen ständig gegen sich selbst opponiert“ (Luhmann 1987o: 157). Er fragt sich deshalb, ob es nicht besser wäre, „eine Theorie demokratischer Politik von Vorstellungen über Partizipation und über Legitimation durch Werte ganz abzukoppeln und statt dessen die Optionen inhaltlich besser herauszuarbeiten und zur Wahl zu stellen, mit denen das Volk den politischen Kurs für eine gewisse Zeit bestimmen und mitbestimmen kann“ (Luhmann 1987o: 160). Dieser Vorschlag, der sich offensichtlich an Schumpeters Demokratieverständnis orientiert (Schumpeter 1993: 427-450), erweist sich insofern als zu kurz gedacht, weil, wie schon mehrfach erwähnt worden ist, gerade Werte in der politischen Auseinandersetzung ein nach wie vor wichtiges politisches Unterscheidungsmerkmal zwischen den Parteien und Regierung und Opposition sind und deshalb wahlentscheidenden Bedeutung haben können. Zugleich entlasten sie die politischen Akteure davon, allzu konkret ihre politischen Absichten kund zu tun. Werte sind ja mit unterschiedlichen politischen Leistungen und mit vielfältigen politischen Strategien erreichbar. Sie steigern somit eher die Flexibilität und damit die Komplexität des politischen Systems als dass sie diese zu sehr reduzieren. Von daher
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fällt Luhmann an dieser Stelle hinter seinen eigenen Erkenntnisstand zurück. Kritisch muss deshalb gefragt werden, ob er mit seinen skeptischen Ausführungen zur Partizipation nicht implizit seinen eigenen konzeptionellen Überlegungen zum politischen System und dessen Demokratie widerspricht. Denn eigentlich müsste er ja die Partizipation begrüßen, weil sie dazu beiträgt, dass sich das politische System selbst mit Komplexität versorgt.255 Einerseits richtet sich das politische System durch Partizipation an Ansprüche und Standards aus, die es nicht erfüllen kann. Andererseits schaffen diese nicht erfüllbaren Standards aber gleichzeitig die Voraussetzungen für den gesellschaftlichen Bedarf und für die Existenz des politischen Systems. Die Orientierung des politischen Systems an nicht erreichbaren Zielen mag zwar einerseits Motiv für eine beständige Kritik an ihm sein, sie ist aber gleichzeitig auch eine wichtige Voraussetzung für seine Zielsetzungen und Legitimation. In diese Richtung weisen nicht zuletzt Luhmanns eigene Überlegungen, in denen er darauf hinweist, dass der Widerspruch zwischen Mitbestimmung und Selbstbestimmung produktiv gemacht werden kann, denn „(j)eder Zug zugunsten des einen Prinzips erzwingt Kompensationen fürs andere“ (Luhmann 1987p: 215). Darüber hinaus fragt er sich, „ob nicht demokratische Politik die Möglichkeit bietet, das Paradox (gemeint ist das Partizipationsparadox, E.C.) zu entparadoxieren, indem sie es in eine Sequenz von entgegengesetzten, gleichzeitig nicht möglichen Optionen auflöst“ (Luhmann 1987o: 159). Hierbei denkt er vor allem an den politischen Code Regierung/Opposition (Kapitel 6.1), der es möglich macht, „nacheinander Entgegengesetztes zu tun und die Entscheidung darüber in der politischen Wahl zur Disposition zu stellen“ (Luhmann 1987o: 160). Ähnliches ließe sich wohl auch mit dem Verhältnis von Partizipation/Nichtpartizipation erreichen.
255 Allerdings weist Luhmann auch darauf hin, dass die Erzeugung von Komplexität offenbar leichter fällt als ihre Reduktion (Luhmann 1981b: 350).
10.1 Gesellschaftliche Komplexität und die Demokratie des politischen Systems
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10 Demokratie, Komplexität und Systemrationalität
10.1 Gesellschaftliche Komplexität und die Demokratie des politischen Systems Der Umgang demokratischer politischer Systeme mit gesellschaftlicher und politischer Komplexität gehört zu den Problemen, die für Luhmanns Verständnis von Demokratie von einschneidender Bedeutung sind, wie in den vorangegangenen Ausführungen immer wieder verdeutlicht worden ist. Der Komplexitätsbegriff 256 gewinnt damit einen wichtigen demokratietheoretischen Stellenwert, der ähnlich groß ist wie die Begriffe Gleichheit, Freiheit oder Gerechtigkeit in den „klassischen“ Demokratietheorien. Während diese jedoch die Komplexitätsproblematik nur sehr stiefmütterlich behandeln, sieht man einmal von wenigen Ausnahmen ab257, hat ihr Luhmann die theoretische Bedeutung eingeräumt, die ihr für das Verständnis moderner Gesellschaften gebührt. Für ihn ist Komplexität nicht nur ihr zentrales Kennzeichen, sondern „zugleich das letzterreichbare Bezugsproblem der funktionalen Forschung“ (Luhmann 1973c: 3). Er betont deshalb auch den prinzipiellen Gleichklang von Demokratie und Komplexität. Ein politisches System ist demnach um so komplexer, je demokratischer es ist. Und je demokratischer ein politisches System ist, desto größer ist auch seine Komplexität. Gesellschaftliche und politische Komplexität und Demokratie stützen sich somit gegenseitig und setzen sich wechselseitig voraus. Komplexität ist also eine zentrale Voraussetzung von Demokratie, die ihrerseits Komplexität schafft und garantiert, die wiederum Demokratie möglich macht.258 Luhmann behauptet demzufolge auch, dass das Erreichen höherer Komplexität im politischen System „Demokratie zum universell gültigen normativen Postulat, zur Rechtfertigungsform von Politik schlechthin (hat) werden lassen“ (Luhmann 1983c: 38). Für ihn wird deshalb die „Erhaltung der Komplexität trotz laufender Entscheidungsarbeit“ (Luhmann 1983c: 40) zum vordringlichen Problem demokratischer politi256 Zum Komplexitätsbegriff siehe auch La Porte (1975) und Wilson (1975). 257 Sheldon Wolin hat zum Beispiel die These vertreten, dass „democracy is too simple for complex societies and too complex for simple ones“ (Wolin 1996: 42), ohne diese interessante Behauptung jedoch näher zu erläutern. 258 Aus einer anderen Perspektive siehe hierzu auch Scharpfs auf die Komplexität und Widersprüchlichkeit von Normen abhebende „komplexe Demokratietheorie“ (Scharpf 1970: 66-93) sowie deren Darstellung bei Schmidt (2003). Scharpf verzichtet dabei bewusst darauf, „die normativen Kontroversen in objektive Systemerfordernisse aufzulösen“ (Scharpf 1970: 7).
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scher Systeme. Er vermutet sogar in der „Erhaltung eines möglichst weiten Selektionsbereichs für immer wieder neue und andere Entscheidungen“ die Rationalität, Menschlichkeit und Vernunft der Demokratie (Ebenda). Mit der Demokratie hat deshalb auch „unsere Gesellschaft jene Schwelle der Entwicklung überschritten, von der ab sie jede Kommunikation in Stabilität überführen, jeden Radikalismus sinnvoll placieren, auch die seltsamsten Färbungen noch verwenden, kurz: jede Komplexität zulassen und selektiv abarbeiten könnte“ (Luhmann 1992b: 27). Er geht also davon aus, dass die gesellschaftliche und politische Evolution für ein bestimmtes Maß an Komplexität gesorgt hat, ab dem Demokratie eine führende Rolle bei der Komplexitätsverarbeitung spielen kann. Andernfalls würde sie an Bedeutung verlieren (Luhmann 1977: 481). Er begründet diese Auffassung an dieser Stelle damit, dass durch Komplexität die Demokratie zu einem „Mechanismus gegen Bürokratie und gegen die Tendenz der Politik wird, das Entscheidungsfeld zu begrenzen“ (Luhmann 1987b: 39).259 Politik wird für ihn zwar durch die Demokratie komplizierter, aber eben gerade dadurch erst kontinuierlich möglich und leistungsfähig (Luhmann 1987b: 39). Die theoretische Verknüpfung von Demokratie und Komplexität hat Luhmann in seiner Erwiderung auf einen Beitrag von Frieder Naschold (Naschold 1968) dargelegt.260 Dieser hat als einer der ersten auf die Notwendigkeit hingewiesen, Demokratie und Komplexität theoretisch enger miteinander zu verzahnen (Naschold 1968; 1969: 326-327; 1970) und bei dieser Gelegenheit Luhmann einen stark verkürzten und nicht explizierten Demokratiebegriff vorgehalten (Naschold 1968: 505-506 und 510). In seiner Replik hat Luhmann seine Position mit dem Hinweis verteidigt, dass man nur durch eine radikale Uminterpretation des klassischen Konzepts der Demokratie als Herrschaftsform „die Demokratie komplexer politischer Systeme als Norm und Wirklichkeit“ (Luhmann 1983c: 35) begreifen könne. Er vertritt deshalb die Auffassung, dass „die soziologische Theorie politischer Systeme sehr wohl begreifen machen (kann), weshalb und in welchem Sinne gerade bei hoher Komplexität Demokratie zur Norm wird“ (Luhmann 1983c: 35). Luhmann geht in seinen Überlegungen also nicht vom Volk als dem eigentlichen Souverän aus, sondern „von dem Problem ungewöhnlich hoher, evolutionär unwahrscheinlicher Kontingenz und Komplexität des politischen Systems“ (Luhmann 1983c: 39). Nur eine solche Problemstellung kann nach seiner Vorstellung der soziologischen Theorie der Demokratie „den 259 Dies widerspricht nicht Luhmanns im vorigen Kaptiel diskutierten Behauptung, dass die Demokratisierung der Demokratie zur Bürokratisierung führt, wenn man bedenkt, dass seiner Auffassung nach nicht nur zu viel Demokratie, sonderrn auch zu wenig Demokratie zu einer Stärkung der Bürokratie führt. 260 Dies war übrigens einer der sehr seltenen Versuche, in denen Luhmann sich bemüht hat, Demokratie unmittelbar auf Systemtheorie zu beziehen und zu erläutern.
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Zugang zu den gesellschaftlichen Prämissen der Systemstrukturen des politischen Systems“ (Luhmann 1983c: 39) erschließen, und nur so kann sie „die Demokratisierung (und ebenso: die Bürokratisierung) des politischen System in ihrer gesellschaftlichen und evolutionären Bedingtheit untersuchen; sie kann auch herausarbeiten, wie sich diese Strukturanforderungen für das politische System in systeminterne Problematik umsetzen“ (Luhmann 1983c: 39). Mit dieser Problemstellung erhält der Komplexitätsbegriff jetzt neben seiner demokratietheoretischen Bedeutung zugleich auch einen wichtigen empirischen Stellenwert. Danilo Zolo glaubt deshalb auch, „dass der Begriff der Komplexität ... eine realistische Analyse der Bedingungen und des Schicksals der Demokratie in der postindustriellen Gesellschaft zuläßt“ (Zolo 1997: 19). Ähnlich wie Luhmann geht er davon aus, dass die gegenwärtigen Demokratietheorien über keine ausreichenden konzeptionellen Instrumente für eine realistische Deutung von Demokratie verfügen (Ebenda: 75, 86). Er vermutet sogar, „als sei die gesamte demokratische Enzyclopädie dazu bestimmt, obsolet zu werden, und zwar mit all ihren grundlegenden Paradigmen: Mitbestimmung, Repräsentation, wettbewerbsfähiger Pluralismus“ (Ebenda: 76; ähnlich Wilson 1975: 307). Für ihn rückt deshalb ebenso wie für Luhmann vor allem die Frage in den Mittelpunkt des demokratietheoretischen Interesses, wie sich zwischen gesellschaftlicher Komplexität einerseits und Demokratie andererseits ein Verhältnis der Entsprechung entwickelt.261 Hierbei kommt den politischen Systemen eine entscheidende Bedeutung zu. Gefragt ist nämlich ihre Fähigkeit, Demokratie so auf die Bedingungen gesellschaftlicher und politischer Komplexität abzustimmen, dass weder die gesellschaftliche und die politische Handlungsfähigkeit noch die Demokratie Einbußen erleiden. Obwohl es derzeit in Ermangelung einschlägiger empirischer Untersuchungen noch weitgehend offen bleiben muss, wie politische Systeme in der Realität gesellschaftliche Komplexität in politische Komplexität transformieren und mit Demokratie vermitteln, lassen sich doch zumindest die Grundstrukturen dieser Operationen angeben. Nach Luhmann sind die demokratischen politischen Systeme genötigt, Demokratie und Komplexität als operative Einheit zu behandeln. Hierbei geht es vor allem darum, sowohl die Komplexität zu verringern, um handlungsfähig zu sein, als auch Komplexität aufzubauen, um demokratisch zu bleiben. Nur durch die Aufrechterhaltung von hoher Komplexität bei gleichzeitigen Abbau von Komplexität (Luhmann 1984g: 171, ebenso Zolo 1997: 85, 101, 128) lässt sich Demokratie bewahren. Reduktion und Erhaltung von Komplexität sind deshalb auch nicht, wie man vielleicht vorschnell meinen könnte, Gegensätze, sondern notwendig komplementäre Operationen (im Sinne von Niels Bohr 1985: 107-108), die sich zwar wechselseitig ausschließen, aber 261 Siehe hierzu auch Dahl (1989: 335-337); Bohman (1996: 151-195) sowie Dryzek (1990: 5776), der in der diskursiven Demokratie ein Mittel zum besseren Umgang mit Komplexität sieht.
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dennoch zum Verständnis demokratischer politischer Systeme als Einheit betrachtet werden müssen, weil sie im Prozessieren dieser mit sich selbst und damit auch mit ihrer Umwelt gleichzeitig erbracht werden müssen. Erneut bleibt aber empirisch ungeklärt, wieviel Komplexität jeweils reduziert und wieviel Demokratie ermöglicht werden soll. Da Luhmann nur von „adäquater Komplexität“ spricht, die er nicht als Überlebens-, sondern nur als Konsistenzformel konzeptualisiert (Luhmann 1973: 144-147), ist jedoch anzunehmen, dass die Reduktion und die Erhaltung der Komplexität jeweils im Vollzug einer Operation zu erfolgen hat. Auch aus diesem Grund ist eine einseitige Demokratisierung der Demokratie weitgehend ausgeschlossen, weil dadurch zu viel Komplexität aufgebaut würde, so dass das politische System sich selbst überfordern könnte, wenn es nicht gleichzeitig Stoppregeln einführen würde, die die Demokratisierung der Demokratie wieder zurücknimmt.262 Eine derartige Strategie, die Demokratisierung der Demokratie voranzutreiben und sie gleichzeitig wieder einzuschränken, ist keineswegs so weltfremd wie sie vielleicht auf den ersten Blick erscheinen mag. Als ein Beispiel hierfür kann auf die Einführung der direkten Demokratie in die Verfassungen der deutschen Bundesländer hingewiesen werden (Kost (Hrsg. 2005). Dort wird die Einfügung direktdemokratischer Strukturen gleichzeitig an so viele (bürokratische) Hindernisse und Voraussetzungen gebunden, dass sie faktisch wirkungslos bleiben. Im Gegensatz zu Luhmann könnte man aber auch davon ausgehen, dass die Reduktion und Erhaltung von Komplexität nicht nur im Kontext einer einzelnen Operation erfolgt, sondern auch im Rahmen unterschiedlicher Operationen, die auf dem ersten Blick nichts oder nur sehr wenig miteinander zu tun haben. Somit könnte die Komplexitätszunahme, die im politischen System an einer Stelle durch die Demokratisierung der Demokratie entsteht, an anderer Stelle wieder kompensiert werden. Zum Beispiel könnte man die Einführung direktdemokratischer Elemente auf Bundesebene mit einer Verlängerung der Legislaturperioden kombinieren. Und natürlich gilt auch der Umkehrschluss: Dort, wo Komplexität zu sehr verringert wird, könnte sie an anderer Stelle durch eine Demokratisierung wieder ausgeglichen werden. Von einer solchen Perspektive ausgehend ergibt sich nahezu automatisch die Notwendigkeit, das politische System in seiner Gesamtheit zu betrachten, um zu keinen voreiligen Schlussfolgerungen zu gelangen. Denn gerade wenn man wie Luhmann Demokratie als ein facettenreiches strukturelles Arrangement versteht, wird es unausweichlich, zunächst prinzipiell davon auszugehen, dass alle Operationen innerhalb des politischen Systems in einem „demokratischen“
262 Die von Luhmann bei einer Demokratisierung der Demokratie befürchtete Bürokratisierung des politischen Systems könnte eine solche Stoppregel sein.
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Zusammenhang stehen.263 Diese Ausgangsprämisse ist auch deshalb plausibel, weil spätestens seit den bahnbrechenden Arbeiten von Charles Lindblom (1965, 1968, 1983, 1988) bekannt ist, dass die Bearbeitung von Komplexität innerhalb demokratischer politischer Systeme nicht in einzelnen großen Entwürfen erfolgt, sondern sich vielmehr in einer Vielzahl von kleinen Schritten vollzieht264, denen eine gewisse „demokratische“ Qualität nicht abgesprochen werden kann (Lindblom 1965). Sachlich geht es dabei um die Verarbeitung von Informationen mit dem Ziel, zu kollektiv verbindlichen Entscheidungen zu kommen, an denen eine Vielzahl von Akteuren mit zum Teil sehr unterschiedlichen Interessen beteiligt ist, was gerade deshalb die Vereinbarkeit der Entscheidungen mit Demokratie möglich macht. Zu den vielen Einzelschritten der Komplexitätsverarbeitung zählt Luhmann „Schritte, die zunächst Interessen artikulieren, Konsensmöglichkeiten abfühlen, Personen in Positionen schieben, generalisierte Programmvorschläge testen, die dann eine vorläufige Erstarrung des Verbindlichen durch Gesetzes-, Budget- oder Richtlinienentscheidungen herbeiführen, welche dann durch Prozesse der ‚Auslegung’ und ‚Anwendung’ zu unzähligen Fallentscheidungen kleingearbeitet werden. Jeder Schritt erklimmt eine neue Stufe der Selektivität, die neue Informationen aufnimmt und Alternativen ausscheidet“ (Luhmann 1973c: 60). Es scheint von daher für demokratische politische Systeme geradezu typisch zu sein, im Prozess der Problembearbeitung sowohl Komplexität ab- als auch Komplexität aufzubauen. Mit jeder Entscheidung, die vom politischen System getroffen wird, ist zwangsläufig immer auch eine Komplexitätsreduktion verbunden. Mit jeder Entscheidung sind aber auch Folgeprobleme verbunden, die wiederum bearbeitet werden müssen. Auch der Zwang zur Legitimation der Entscheidungen, dem sich vor allem demokratische politische Systeme sowohl nach innen als auch nach außen aussetzen, baut neue Komplexität auf. Jede Rechtfertigung beinhaltet eine Zukunftsvision, in der die angenommenen Wirkungen der Entscheidungen sich gegenüber den tatsächlichen Konsequenzen bewähren müssen. Somit setzt sich die Politik selbst unter Erwartungsdruck. Sie muss deshalb entweder sicherstellen, dass sich die von ihr geschilderten Entscheidungswirkungen tatsächlich auch einstellen werden, oder sie muss sich Gedanken darüber machen, wie sie es begründen kann, warum sich ihre Erwartungen nicht erfüllt haben. Komplexität wird aber nicht nur durch die Rechtfertigungsnotwendigkeiten der Politik aufgebaut, sondern auch dadurch, dass mit jeder Entscheidung auch neue politische oder administrative Strukturen geschaffen werden müssen, um sie zu implementieren. Außerdem stehen demokratische 263 Diese Forderung ist natürlich angesichts der Unüberschaubarkeit der Operationen innerhalb politischer demokratischer Systeme nicht einlösbar, muss aber als methodisches Prinzip dennoch ernst genommen werden. 264 Siehe hierzu auch Popper (2000: 293-308).
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politische Systeme unter einem ständigen internen Konkurrenzdruck, der sich durch den Code Regierung/Opposition (siehe Kapitel 6.1) einstellt. Die Ausbildung und Entwicklung von Demokratie ist, um diesen Gedanken noch einmal zu betonen, also nicht nur das Ergebnis der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung, sondern zugleich auch ein Resultat der zunehmenden Eigenkomplexität politischer Systeme. Und je mehr sich dabei die Demokratie innerhalb der politischen Systeme durchsetzt und ausweitet, desto mehr wird sie für die Produktion, aber auch für den Abbau von Komplexität in den politischen Systemen verantwortlich. Da die nicht zuletzt mit der Demokratisierung einhergehende Zunahme der Eigenkomplexität politischer Systeme dazu führt, dass sie einerseits gegenüber ihren gesellschaftlichen Umwelten immer unabhängiger werden, andererseits dafür aber auch von ihren eigenen Strukturen und selbstbezüglichen Operationen265 immer abhängiger werden, kann die Demokratie ihren genuinen Ort nur innerhalb des politischen Systems haben. Es ist nach Luhmann deshalb für die Aufrechterhaltung der Demokratie auch ganz allein verantwortlich. Die damit fast zwangsläufig in den Vordergrund tretende funktionale Betrachtungsweise, durch die Demokratie und politisches System miteinander gekoppelt werden (Luhmann 1987c: 42-43), könnte aber insofern Schwierigkeiten bereiten, als danach alle modernen Gesellschaften zugleich demokratische Gesellschaften sein müssten, weil alle ihre politischen Systeme über ein hohes Maß an innerer Komplexität verfügen. Und tatsächlich finden sich Ausführungen, in denen Luhmann osteuropäische Einparteiendemokratien und westliche Mehrparteiendemokratien als unterschiedliche Formen von „Demokratie“ behandelt. Beide Demokratieformen erscheinen nach seiner Auffassung „als funktional äquivalent und werden inkompatibel nur durch die Art, wie sie das Problem der Erhaltung hoher Komplexität lösen, und durch die Folgeprobleme ihrer Strukturentscheidungen“ (Luhmann 1987c: 42). Eine solche funktionale Gleichsetzung von Einparteien- und Mehrparteiendemokratien mag auf den ersten Blick verständlich sein, wenn man, wie Luhmann, die Demokratie gelegentlich als eine Technik begreift, die sich darin zeigt, „dass mehr Möglichkeiten mehr Beschränkungen unterworfen werden können“ (Luhmann 1975: 80). Dennoch bleibt die Gleichsetzung von osteuropäischen Einparteiendemokratien und westlichen Mehrparteiendemokratien schlicht falsch266, weil in Einparteiendemokratien die Möglichkeiten der Komplexitätssteigerung und der Demokratisierung den Interessen der Herrschaftssicherung einer Clique von Parteifunktionären untergeordnet sind (Meyer 1979: 30-41 und passim), die vor allem daran interessiert sind, möglichst 265 Darunter sind solche Operationen zu verstehen, die das politische System erbringen muss, um seine gesellschaftliche Funktion erfüllen zu können. Zum Beispiel muss es gesellschaftliche Unterstützung mobilisieren, um allgemeinverbindliche Entscheidungen treffen zu können. 266 Ähnlich wie Luhmann auch Macpherson (1977: 255, Fn. 3); kritisch Lange (2003: 143-144).
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viel gesellschaftliche und politische Komplexität abzubauen. Denn je geringer der Grad an gesellschaftlicher Komplexität ist, desto besser sind die Möglichkeiten der politischen Steuerung der Gesellschaft. So gesehen sind die Voraussetzungen, die konstitutiv für politische Systeme sind, um sie als „demokratisch“ zu charakterisieren, in „Einparteiendemokratien“ nicht vorhanden (Dahl 1971: 3).267 Man könnte deshalb in Luhmanns Gleichsetzung von Ein- und Mehrparteiendemokratien die logische Konsequenz eines systemtheoretischen, normativ weitgehend „entsubstanzialisierten“ Demokratiebegriffs sehen. Will man jedoch eine solche Schlussfolgerung vermeiden, kann man gegen Luhmann mit Verweis auf seine Ausführungen zum Verhältnis von Komplexität und Demokratie darauf hinweisen, dass die früheren osteuropäischen Einparteiensysteme noch bei weitem nicht den Komplexitätsgrad erreicht hatten, um sie als Demokratien bezeichnen zu können. Eine solche Interpretation liegt auch deshalb nahe, weil die osteuropäischen Einparteiensysteme, wie wir heute wissen, nicht wegen zu hoher, sondern wegen zu niedriger Komplexität und das heißt: wegen zu wenig (und nicht wegen zu viel) Demokratie zugrunde gegangen sind.268 Es würde sich deshalb im Anschluss an Luhmanns Überlegungen anbieten, vergleichende empirische Analysen über den jeweiligen Komplexitätsgrad von Gesellschaften durchzuführen, um Aussagen über ihren demokratischen Charakter machen zu können. Die Vielzahl an Arbeiten, die im Kontext der sogen. „Modernisierungsforschung“ entstanden sind, lassen zumindest eine enge Verbindung von Komplexität und Demokratie in „modernen“ politischen Systemen vermuten (Almond 1990: 219-262). Luhmanns zentraler Gedanke, das Operieren politischer Systeme auf ihren Umgang mit Komplexität zu konzentrieren und Demokratie von einem bestimmten Grad von gesellschaftlicher und politischer Komplexität abhängig zu machen, stellt für die „klassischen“ Demokratietheorien eine besondere Herausforderung dar. Sie gründen Demokratie auf Interessen und Werte, wie zum Beispiel Transparenz, Verantwortlichkeit, Konsens, Gleichheit, Gerechtigkeit oder Partizipation. Luhmann befürchtet dagegen, dass solche Werte die politischen Systeme von zu vielen Optionen abschneiden und damit ihre Komplexität zu stark verringern und somit die Demokratie gefährden könnten.269 Nach dieser Lesart würden also die genannten Werte, denen sich nahezu alle „klassischen“ Demokratietheorien verpflichtet fühlen, eher eine Einschränkung als eine Ausweitung 267 Eine gegenteilige Auffassung mit Verweis auf Einparteiendemokratien in unterentwickelten Ländern vertritt mit überzeugenden Argumenten Macpherson (1971: 24-33, 36). 268 So auch Luhmann in einem Interview im Jahre 1994 (Luhmann 2000c: 204). 269 Dass die Erhöhung struktureller Komplexität in den Subsystemen des politischen Systems auch zu einer Zunahme normativer Komplexität führen kann, wird von Luhmann nicht näher beachtet. Zur normativen Komplexität vgl. aber schon Scharpf (1975: 66-93).
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der Demokratie begünstigen.270 Ähnliches gilt auch für den Konsens, der ebenfalls in vielen Demokratietheorien eine konstitutive Bedeutung besitzt. Für Luhmann hängt Demokratie stattdessen von Differenz ab (Luhmann 1983: 247), während er den Konsens als „fatal für jede Demokratie (hält), weil damit die Entscheidungsfreiheit negiert wird“ (Luhmann 1995a: 577). Allein die Pluralismustheorie der Demokratie (Kremendahl 1977) hat hier mit ihrer Betonung der Meinungsvielfalt und der Konkurrenz organisierter Interessen zumindest vordergründig eine ähnliche Akzentsetzung wie Luhmann vorgenommen. Doch relativiert sie deren Bedeutung wieder, indem sie zugleich auf die Notwendigkeit eines politischen Grundkonsenses verweist und versucht, die gesellschaftliche Komplexität, die durch die Existenz unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen und Interessen hervorgerufen wird, durch die Bindung an das Gemeinwohl bzw. an das öffentliche Interesse zu bändigen (Fraenkel 1991: 297-325). Im Gegensatz dazu geht Luhmann davon aus, dass das Gemeinwohl gerade durch die Demokratisierung politisch uninterpretierbar geworden ist (Luhmann 1996: 203), weshalb es eher unter dem Aspekt der Komplexitätssteigerung betrachtet werden muss. Verallgemeinernd lässt sich feststellen, dass Luhmann in der Demokratie eine evolutionäre Errungenschaft sieht, die sich ab einer bestimmten Komplexitätsstufe politischer Systeme einstellt und die nicht zuletzt die Aufgabe hat, gesellschaftliche Komplexität in politische Stabilität zu überführen, ohne dabei aber die gesellschaftlichen Quellen von Komplexität trocken zu legen und damit ihre eigenen Voraussetzungen als Demokratie in Frage zu stellen. Variabilität muss deshalb nahezu zwangsläufig zu einer Stabilitätsbedingung politischer Systeme werden (Luhmann 1984: 167), was vor allem durch Demokratie ermöglicht wird. Dennoch äußert er immer wieder die Befürchtung, dass im Verlauf politischer Prozesse die Komplexität zu stark eingeschränkt werden könnte und vom politischen System nicht mehr genügend sinnvoll strukturierte Alternativen entwickelt werden könnten (Luhmann 1995a: 577). Alles, was der Komplexität dient, ist deshalb, so könnte man demnach formulieren, gut für die Demokratie, so lange sie das politische System nicht überfordert. Nützlich für die Aufrechterhaltung der Komplexität ist nach Luhmann deshalb auch das Unbekanntsein der Zukunft. Hierin und in „der Ausbeutung des Nichtwissens“ (Luhmann 2000: 161) sieht er eine weitere unentbehrliche Bedingung der Möglichkeit von Demokratie. Diese ist für Luhmann eben kein Selbstzweck, sondern vielmehr ein wichtiges funktionales Erfordernis, damit politische Systeme erfolgreich mit Kom-
270 Aus dieser Perspektive betrachtet ist der Vorwurf von Demirovic (2001: 226), dass Luhmanns Theorie unterkomplex sei, „weil sie die Demokratie als Norm immer wieder nur abwehrt, nicht jedoch als ein Moment der Reproduktion von Demokratie begreiflich macht“, unzutreffend.
10.2 Systemrationalität der Demokratie
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plexität umgehen zu können. Sie wird, so könnte man auch sagen, zur Systemrationalität komplexer politischer Systeme. 10.2 Systemrationalität der Demokratie In der demokratietheoretischen Literatur, insbesondere innerhalb der „klassischen“ Demokratietheorien, finden sich nur selten explizite Überlegungen (siehe aber Kapitel 2) darüber, worin denn die spezifische „Logik der Demokratie“ (Bell 1979: 324)271 oder die „Rationalität“ der Demokratie bzw. die „Rationalität“ von demokratischen politischen Systemen liegt (Flohr 1968; Downs 1968; Przeworski 1999: 25-31; Greven 1983: 407-412) und welche praktische Konsequenzen sich daraus für die Politik im Besonderen und für die Gesellschaft im Allgemeinen ergeben.272 Ein Grund für diese Defizite mag darin zu suchen sein, dass die Begriffe „Rationalität“, „Systemrationalität“ oder „Logik“ in unterschiedlichen Zusammenhängen und mit unterschiedlichen Bedeutungen Verwendung finden. Üblicher Weise wird jedoch der Rationalitätsbegriff mit ökonomischer Rationalität, also einer Zweck-Mittel-Rationalität273 oder einer Kosten-Nutzen-Rationalität identifiziert. Dies hat wiederum zu der Schlussfolgerung verführt, dass demokratische politische Systeme in dieser Hinsicht große Rationalitätsmängel aufweisen (Buchstein/Jörke 2003: 474-476 und passim).274 So wird immer wieder kritisiert, dass sie sich häufig selbst blockierten und deshalb auch immer nur suboptimale Entscheidungen treffen würden. Außerdem würde viel zu viel Zeit benötigt, um zu kollektiv verbindlichen Entscheidungen zu kommen. Dabei wird suggeriert, als würden sich (ökonomische) Rationalität und Demokratie prinzipiell ausschließen. Karl Homann fasst solche Positionen folgendermaßen zusammen: „Demokratie behindert oder verhindert Rationalität, und Rationalität erfordert umgekehrt eine zumindest teilweise Preisgabe der Demokratie. Wer für Demokratie ist, der ist damit gegen die Rationalität, und wer sich für die Rationalität einsetzt, muß bei der Demokratie Abstriche vornehmen, zugestehen oder verlangen“ (Homann 1988: 5). Kritisch lässt sich gegenüber solchen Positionen jedoch einwänden, dass der Vorwurf der mangelnden
271 Siehe hierzu auch die Ausführungen von Westbrook (2000) über die diesbezüglichen Arbeiten John Deweys. 272 Hierzu aber Spragens (1990). 273 “My thesis is that human behavior is generally rational, and that it cannot be understood without finding the connections between its actions and its goals” (Simon 1995: 60). 274 Einer der prominentesten „Ahnherren“ derartiger Auffassungen ist Max Weber. Im Gegensatz dazu siehe Dewey (1996: 156-181; zu Dewey auch Lange (2003: 211-222).
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10 Demokratie, Komplexität und Systemrationalität
Rationalität demokratischer politischer Systeme275 auf der Grundlage von Maßstäben und Verhaltensweisen erfolgt, die dem homo oeconomicus zugeschrieben werden, jetzt aber von diesem auf soziale Systeme übertragen werden. Wie der homo oeconomicus, so wird behauptet, streben auch soziale Systeme als kollektive Akteure immer nur danach, den eigenen Nutzen zu optimieren oder zu maximieren. Worin liegen aber die Vorteile demokratischer politischer Systeme? Wer definiert, was Vorteile sind? Woran, so kann weiter gefragt werden, lässt sich erkennen, dass sich ein kurzfristiger Nachteil auf längere Sicht gesehen nicht doch noch als ein Vorteil erweist bzw. dass das, was kurzfristig als Vorteil angesehen wird, langfristig nicht negative Konsequenzen hat? Allein diese Fragen lassen erkennen, dass es keineswegs zulässig ist, Kosten-NutzenErwägungen voreilig zum Maßstab der Beurteilung demokratischer politischer Systeme zu machen.276 Außerdem wäre es auch falsch, die Systemrationalität des wirtschaftlichen Systems undifferenziert zum Maßstab für demokratische politische Systeme zu machen. Im Gegensatz zu einem solchen reduktionistischen Verständnis von Rationalität spricht Luhmann vor allem dann von Rationalität, wenn komplexe soziale Systeme beginnen, die für sie konstitutive Unterscheidung von System und Umwelt „der Realität auszusetzen und an ihr zu testen“ (Luhmann 1997a: 184). Oder anders ausgedrückt liegt für ihn Systemrationalität immer dann vor, wenn „ein System sich operativ aus der Umwelt ausschließt und sich beobachtend in die Umwelt einschließt, indem es die Differenz zur Umwelt als Unterscheidung von Selbstreferenz und Fremdreferenz den systemeigenen Beobachtungen zu Grunde legt“ (Luhmann 1992a: 77). Oder noch einmal anders formuliert: „Rationalität ist erst gegeben, wenn der Begriff der Differenz selbstreferentiell benutzt wird, das heißt, wenn auf die Einheit der Differenz reflektiert wird ... Für Systeme heißt dies, daß sie sich selbst durch ihre Differenz zur Umwelt bestimmen und dieser Differenz in sich selbst operative Bedeutung, Informationswert, Anschlußwert verleihen müssen“ (Luhmann 1985: 640-641). So wie Luhmann Systemrationalität versteht, ist sie ein Sonderfall der Selbstreflexion sozialer Systeme (Luhmann 1985: 645; siehe auch Kapitel 7.2). Sie hat insofern etwas damit zu tun, wie ein System intern Umweltaspekte in Rechnung stellt (Luhmann 2002: 190). Nur ein System, das über seine Umwelt verfügt, bestimmt auch über sich selbst (Luhmann 1985: 642). Die Rationalität eines sozialen Systems zeigt sich deshalb in erster Linie darin, wie es selektiv auf die Umwelt zugreift, wie es einerseits Indifferenz gegenüber der Umwelt voraussetzt und sie andererseit zugleich als Variable behandelt (Luhmann 2000b: 463). Wie der Begriff Komplexität ge275 Argumente aus politischer Sicht gibt Merten (1984). Zur ökonomischen Sichtweise mangelnder Rationalität von Demokratie vgl. die Studie von Lambertz (1990). 276 Siehe hierzu mit Bezug auf die öffentliche Verwaltung schon Luhmann (1960, 1965).
10.2 Systemrationalität der Demokratie
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winnt damit der Begriff Systemrationaliät eine wichtige demokratietheoretische Bedeutung. Wie dieser wird die Systemrationalität zugleich auch für die empirische Analyse demokratischer politischer Systeme unverzichtbar, zumal die Systemrationalität immer nur eine vom System definierte Rationalität ist. Bei der Systemrationalität kommt es nach Luhmann vor allem auf die Konsistenz der Selektionsleistungen sozialer Systeme an (Luhmann 1985: 214-215). Übertragen auf das politische System liegt genau hierin eine wichtige Leistung der Demokratie. Sie dient dem politischen System im Allgemeinen und dem Subsystem Politik im Besonderen als eine Konsistenzformel, die sicherstellt, dass die Zugriffe des politischen Systems auf seine Umwelt relativ einheitlich ausfallen, ohne größere Überraschungen für sich selbst oder seine Umwelt zu provozieren. Sie regelt, in welcher Weise sich das demokratische politische System der Umwelt aussetzt, ohne die eigenen Selbstbeschreibungen zu gefährden. Sie legt die Spielregeln des Systems fest, also die Verfahren der Entscheidungsfindung sowie die dabei zu beachtenden Verfahren und Zuständigkeiten. Sie bestimmt, welche Strukturen vorhanden sein müssen, damit Demokratie praktiziert werden kann usw. Von daher wird auch erklärbar, warum Luhmann mit dem Begriff „Systemrationalität“ Operationen sozialer Systeme belegt, in denen diese im Vollzug dieser Operationen auf ihre konstitutiven Strukturen zurückgreifen und diese zugleich reproduzieren. Er hat dies in Verbindung mit Demokratie zum einen in seinen Ausführungen zum Code Regierung/Opposition (Kapitel 6.1) dargelegt. Zum anderen ist aber auch die Inklusion277 ein wichtiger Bestandteil der Systemrationalität politischer Systeme, weil sie auf „die Einbeziehung der Gesamtbevölkerung in die Leistungen der einzelnen gesellschaftlichen Funktionssysteme“ (Luhmann 1981c: 25) abhebt. Dabei spielt die Demokratie eine wichtige Rolle, die ohne Inklusion, also ohne die Teilnahmemöglichkeiten (Luhmann 1981c: 85) von Wählern oder sozialen Gruppen an politischen Entscheidungen, gar nicht denkbar ist. Insofern veranlasst Demokratie als Bestandteil der Systemrationalität demokratischer politischer Systeme diese dazu, darauf zu achten, wenigstens symbolisch Inklusionserwartungen und – ansprüche, die mit ihr verknüpft sind, zu genügen. Allerdings ist dies nicht ganz ungefährlich, weil, wie Luhmann gezeigt hat, sich die demokratischen politischen Systeme mit „Demokratie“ überfordern können. Eine Überforderung ist schon deshalb wahrscheinlich, weil Inklusion, da sie sich niemals vollständig verwirklichen lässt, „zur Dauerkritik der Gesellschaft an sich selbst“ (Luhmann 1986b: 161) führt. Gleichwohl ist eine solche Dauerkritik gerade für demokratische politische Systeme von Bedeutung, weil sie aus ihr Informationen für die eigenen Operationen ziehen können. Sie können zum Beispiel erkennen, ob sie die Inklusionsmöglichkeiten erweitern oder eingrenzen sollen, ob sie diese in Rechnung stellen sollen 277 Zur Inklusion vgl. auch Stichweh (1988: 262); Eckstein (1992: 345). Ursprünglich lässt sich der Gedanke der Inklusion auf Emile Durkheim und Max Weber zurückführen (Prager 1981).
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10 Demokratie, Komplexität und Systemrationalität
oder vernachlässigen können, ob sie ihnen politisch nachgeben sollen oder symbolisch genügen können. In Deutschland gibt es derzeit eine Reihe von Hinweisen auf Gefährdungen der demokratischen Systemrationalität. So werden zum Beispiel Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürger, wie sich an den Planfeststellungsbeschleunigungsgesetzen belegen lässt, drastisch beschnitten. Auch die Pläne um eine einjährige Verlängerung der Legislaturperiode auf Bundesebene weisen in eine solche Richtung. Derartige Einschränkungen der Partizipation an kollektiv verbindlichen Entscheidungen werden damit gerechtfertigt, dass sie die Entscheidungsfähigkeit des politischen Systems, insbesondere seine Effizienz und Effektivität, verbessern werden. Berücksichtigt man in diesem Zusammenhang weiterhin die Fülle an Maßnahmen, die im Zuge einer neoliberalen Ideologie darauf gerichtet sind, weite Teile ehemals staatlicher Aufgaben zu privatisieren und die Staatsorganisation einschließlich des öffentlichen Dienstes zu ökonomisieren (Czerwick 2007), kommt der Verdacht auf, dass die Systemrationalität des politischen Systems offensichtlich von der Systemrationalität des wirtschaftlichen Systems überlagert bzw. verdrängt wird. Man spricht dann zwar immer noch von „Demokratie“, meint damit aber eine Demokratie, die nur noch unter den Voraussetzungen und Bedingungen ökonomischer Rationalität praktiziert wird. Es ist deshalb nur konsequent, wenn Luhmann davon ausgeht, dass das wirtschaftliche System inzwischen eine gesellschaftliche Führungsposition übernommen hat (Luhmann 1999b: 32). 10.3 Demokratie – (k)ein Exportmodell!(?) Trotz ihres weltweiten Siegeszuges geht Luhmann davon aus, dass die Demokratie nicht auf andere gesellschaftliche Subssysteme transferiert werden kann. Bei dieser Einschätzung hat er vor allem die nichtpolitischen Subsysteme innerhalb einer Gesellschaft im Blick. Unberücksichtigt bleibt bei ihm dagegen die Möglichkeit, Demokratie vom politischen System einer Gesellschaft auf die politischen Systeme anderer Gesellschaften zu übertragen, worauf die Transformationsforschung immer wieder aufmerksam macht. Sie konnte damit den Nachweis erbringen, dass es prinzipiell möglich ist, das Modell der repräsentativen Demokratie auf nichtdemokratische Staaten insbesondere der sogen. „Dritten Welt“ oder der ehemaligen kommunistischen Staaten Osteuropas anzuwenden (Merkel 1999; Pridham 2000). In vielen Einzelstudien ist belegt worden, dass zumindest einzelne Elemente von Demokratie (Lipset 1995: IV; Dahl 1998: 85), wie zum Beispiel Organisationsfreiheit, Versammlungs- und Koalitionsfreiheit, Meinungsund Informationsfreiheit, Gewaltenteilung und die Rückbindung der staatlichen
10.3 Demokratie – (k)ein Exportmodell!(?)
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Gewalt an die Bürger über freie, gleiche, allgemeine, geheime und unmittelbare Wahlen, wenigstens formal umgesetzt worden sind.278 Dabei ist es nicht selten zu einem engen Zusammenwirken von gesellschaftlichen Gruppen innerhalb einzelner Staaten, die den Weg zur Demokratie eingeschlagen haben, mit externen Organisationen gekommen, wie zum Beispiel internationalen Organisationen, einzelnen Staaten oder Staatengruppen und zivilgesellschaftlichen Organisationen, die „von außen“ die Demokratisierung in diesen Ländern unterstützt und gefördert haben. Auch wenn seitens der Transformationsforschung bereitwillig eingeräumt wird, dass es außerordentlich schwierig ist, selbst die Minimalbedingungen von Demokratie zu verwirklichen und man sich auf lange Übergangszeiten bei der Entwicklung zu einer voll entwickelten Demokratie in vielen dieser Ländern einrichten müsse, so ist dennoch unumstritten, dass ein solcher Demokratieexport prinzipiell realisierbar ist. Luhmanns Einschätzung, dass Demokratie kein Exportmodell ist, muss also differenzierter gefasst werden. Sie gilt zumindest nicht für die Übertragung des westlichen Demokratiemodells auf die politischen Systeme anderer Gesellschaften. Sie muss, wie schon weiter oben gezeigt worden ist, aber auch im Hinblick auf die Situation innerhalb von Gesellschaften mit demokratischen politischen Systemen modifiziert werden. Er selbst gibt dafür einige Hinweise. Er begründet seine generelle Skepsis der Übertragung von Steuerungsleistungen des einen Subsystems auf andere Subsysteme innerhalb einer Gesellschaft (Luhmann 1996b: 334-349) damit, dass jede Steuerung nur Selbststeuerung sein kann (da: 334 und passim). Demokratie kann demnach vom politischen System nicht auf andere gesellschaftliche Systeme übertragen werden. Zugleich räumt er aber ein, dass die (demokratische) Selbststeuerung des politischen Systems für die anderen gesellschaftlichen Subsysteme „gewaltige Auswirkungen“ haben kann, „weil es Differenzen erzeugt, an denen sich andere Funktionssysteme dann ihrerseits orientieren müssen“ (Ebenda: 337). Diese Auswirkungen will er aber nicht als Steuerungsleistungen verstanden wissen, weil sie, sofern sie nicht ignoriert werden, von den anderen gesellschaftlichen Subsystemen nach eigenen Unterscheidungen, Codes, Realitätskonstruktionen und Prämissen verarbeitet werden (Ebenda und 346). Dennoch will auch Luhmann nicht in Abrede stellen, dass Steuerung stattfindet (Ebenda: 342). Von daher kann prinzipiell nicht ausgeschlossen werden, dass von einem demokratischen politischen System auch demokratisierende Wirkungen auf andere gesellschaftliche Subsysteme ausgehen können. Dies darf man sich aber nicht im Sinne einer Übertragung oder Angleichung279 278 Dies sagt natürlich nur wenig darüber aus, ob und inwieweit Demokratie tatsächlich praktiziert wird. 279 Luhmann spricht von Differenzminderung und Differenzminderungsprogrammen (Luhmann 1996b: 338).
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der Demokratie des politischen Systems auf ein oder mehrere andere gesellschaftliche Subsysteme vorstellen. Vielmehr übernehmen andere gesellschaftliche Subsysteme auf freiwilliger Basis und nach eigenem Ermessen sowie unter Berücksichtigung eigener Rationalitäten Strukturen, Normen und Verfahren, die in der Regel mit „Demokratie“ in Verbindung gebracht werden, wie zum Beispiel die Mitbestimmung in der Wirtschaft. Eine derartige „Selbstdemokratisierung“ wäre im Anschluss an Luhmann vor allem auf der Ebene der Programme möglich, die im Gegensatz zu den Codes variabel sind und als Differenzminimierungsprogramme eingesetzt werden können (Ebenda: 346). Unter der Bedingung, dass Demokratie als ein Programm (im Sinne Luhmanns) konzeptualisiert werden kann, besteht zumindest die Möglichkeit, dass einzelne Elemente von ihr von anderen gesellschaftlichen Subsystemen übernommen werden. Dabei muss allerdings offen bleiben, in welcher Form, mit welchen Strukturen und mit welchen Inhalten dies geschieht, weil auch auf der Ebene der Programme der selbstreferenzielle Charakter sozialer Systeme nicht außer Kraft gesetzt wird. Am Beispiel des Verhältnisses von Politik und Wirtschaft beschreibt Luhmann diesen Sachverhalt folgendermaßen: „Unter der Voraussetzung, dass die Systemdifferenz erhalten bleibt, und unter der weiteren Voraussetzung, dass in der Politik nur politische und in der Wirtschaft nur wirtschaftliche Programme realisiert werden können, kann die Politik es sehr wohl als ihre Aufgabe ansehen, Differenzminimierungsprogramme, nach denen man sich in der Wirtschaft richtet, zu beeinflussen“ (Luhmann 1996b: 346). Daraus lässt sich schließen, dass das politische System nur bei den Subsystemen eine Chance hat, sie durch demokratische Programme zu beeinflussen, in denen bereits Differenzminimierungsprogramme verwendet werden, die eine Affinität zur Demokratie besitzen. Es gilt deshalb zu bedenken, dass die mit Demokratie gekoppelten politischen Programme der Politik dabei auf Programme von „wirtschaftlicher Demokratie“, „wissenschaftlicher Demokratie“, „religiöser Demokratie“ oder auch „rechtlicher Demokratie“, was immer diese auch im Einzelnen bedeuten mögen, stoßen und von den jeweiligen gesellschaftlichen Subsystemen in ihre Programme integriert werden. Wenn Luhmann also auch die Demokratie im Subsystem Politik des politischen Systems verortet, so schließt das nicht aus, dass sie nicht auch in anderen gesellschaftlichen Subsystemen, zumindest in Teilaspekten, vorkommen kann. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang erneut neben der Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der Wirtschaft die Mitwirkung der Beschäftigtengruppen an den Selbstverwaltungsentscheidungen der Universitäten oder die Mitwirkung der Eltern an schulischen Entscheidungen. Neben seinen steuerungstheoretischen Überlegungen hat Luhmann aber auch mit seiner Theorie der strukturellen Kopplung (Luhmann 1997a: 100-120 und 776-788) wichtige Vorarbeiten dazu geleistet, um Antworten auf die Frage
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geben zu können, warum einzelne Elemente von Demokratie auch in anderen gesellschaftlichen Subsystemen Fuß fassen können. Ausgangspunkt ist dabei wieder die Überlegung, „dass es nirgends vollständige Punkt- für PunktÜbereinstimmungen zwischen Systemen und Umwelt gibt, sondern daß ein System sich durch seine Grenzen immer auch gegen Umwelteinflüsse abschirmt und nur sehr selektive Zusammenhänge herstellt“ (Luhmann 1986a: 41). Von daher entscheiden soziale Systeme auch autonom darüber, ob und in welcher Form sie sich mit anderen sozialen Systemen strukturell koppeln. Die Bezeichnung strukturelle Kopplung steht demzufolge nicht für beliebige, sondern für ausgewählte Beziehungen zwischen sozialen Systemen (Luhmann 1990b: 41 und 282). Sie binden diese an bestimmte Umweltausschnitte und schließen andere aus (Luhmann 1991c: 13; Ders. 1990c: 102-103). Strukturelle Kopplung bzw. Strukturkopplung werden deshalb von Luhmann auch nur auf soziale Systeme bezogen, die „autopoietisch“ und damit prinzipiell voneinander unabhängig sind (Luhmann 1997a: 776-788). Da solche „autopoietischen Systeme“280 aber eines Mediums bedürfen, „das die physikalischen Elemente bereitstellt, die die Prozesse der Produktion seiner Bestandteile erlauben“ (Maturana 1982: 143), ist die strukturelle Kopplung zwischen den autopoietischen Systemen über ihr jeweiliges Medium eine konstitutive Bedingung für ihre Interaktionen.281 Wenn davon auszugehen ist, dass ein solches Medium für das politische Subsystem Politik „Demokratie“, ob als Idee, Struktur, Verfahren, Selbstbeschreibung oder als eine bestimmte Form der Problemlösung, sein kann, lässt sich daraus folgern, dass „Demokratie“ im Interaktionsbereich der Politik prinzipiell mit anderen sozialen Systemen zur Geltung gebracht werden kann, sofern diese bereit sind, eigene Umweltausschnitte mit der Politik des politischen Systems zu koppeln oder, wie man diesen Sachverhalt auch ausdrücken kann, sich „irritieren“ zu lassen. Derartige Irritationen, wie Überraschungen, Enttäuschungen oder Störungen282, werden von den Systemen aufgrund des Netzwerks ihrer eigenen Operationen in weitere Operationen umgesetzt.283 „Strukturelle Kopplungen beeinträchtigen also die operative (autopoietische) Geschlossenheit des Systems nicht und dirigieren, längerfristig gesehen, trotzdem die strukturelle Entwicklung des Systems, indem sie es mit Irritationen versorgen und damit die Anläße vorselegieren, auf die das System überhaupt reagieren kann“ (Luhmann 1990c: 103-104). Die Wahrschein280 Es wäre falsch, anzunehmen, dass autopoietische Systeme aus sich heraus, also ohne Umweltkontakte, existieren könnten. Die Bezeichnung „autopoietisch“ gibt nur an, dass das System seine Einheit und alle Elemente, aus denen es besteht, selbst produziert. Zum Verhältnis Offenheit – Geschlossenheit autopoietischer Systeme Luhmann (1985 passim; 1991c: 13-17) sowie Willke (1996: 135-139). 281 Hierzu auch Hanus/Druwe (1990); Görlitz/Burth (1998: 207-210). 282 Maturana spricht von „Perturbationen". 283 Vgl. auch Maturana/Varela (1990: 85, 110, 113).
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lichkeit dafür dürfte um so größer sein, „wenn ein System bestimmte Eigenarten seiner Umwelt dauerhaft voraussetzt und sich strukturell darauf verläßt...“ (Luhmann 1993: 441, 443). Obwohl Luhmann mit struktureller Kopplung kein Kausalverhältnis, sondern ein Verhältnis der Gleichzeitigkeit bezeichnet (Luhmann 1990b: 39, 43-44, 164)284, will er doch auch nicht ausschließen, dass sich strukturelle Kopplungen langfristig auf die Strukturentwicklung der beteiligten Systeme auswirken können.285 Denn „(j)e nach dem, an welche Umweltausschnitte ein System langfristig gekoppelt ist, entwickeln sich im System andere Strukturen“ (Luhmann 1990b: 40-41). Demokratie kann also, wenn erst einmal die dazu notwendigen strukturellen Voraussetzungen geschaffen worden sind, gleichsam geräuschlos in andere soziale Systeme „einsickern“ und sie „demokratisieren“.286 Einschränkend muss jedoch angemerkt werden, dass strukturelle Kopplungen immer unter dem Vorbehalt stehen, sich wieder aufzulösen, so dass es weder zu einer Dauersynchronisation noch zu einem Aneinanderklebenbleiben der strukturell gekoppelten Systeme kommen muss (Luhmann 1990b: 31).287 Wenn zum Beispiel die Interaktionen der demokratisierten Politik mit anderen sozialen Systemen enden, können sich diese auch wieder „entdemokratisieren“.288 Gleichermaßen gilt jedoch zu bedenken, dass auch die anderen sozialen Systeme, mit denen die Politik interagiert, ihr jeweiliges „Medium“ zur Geltung bringen werden, so dass sich die Politik, wenn sie zum Beispiel mit der Wirtschaft interagiert, sich „ökonomisieren“ kann289 oder, wenn sie mit der Wissenschaft interagiert, sich „verwissenschaftlichen“290 kann. In beiden Fällen werden sich Rückwirkungen auf die Demokratie im politischen System nicht verhindern lassen. Dabei wird es zu einer „Anreicherung“ oder Überlagerung der Demokratie mit ökonomischen291 oder wissenschaftlichen Rationalitätskriterien kommen, was entweder zu einer Ausweitung oder zu Eingrenzung der Demokratie oder zu beiden zugleich führen kann. 284 Allerdings bestreitet Luhmann auch nicht die Möglichkeit von Kausalverhältnissen (Luhmann 1991a: 108). 285 Maturana und Varela nennen solche langfristigen Strukturveränderungen "Driften" (Maturana/Varela 1990 passim), worunter sie, vereinfacht ausgedrückt, die gemeinsame Veränderung ("Evolution") strukturgekoppelter Systeme unter Beibehaltung ihrer wechselseitigen Autonomie verstehen. 286 Am Beispiel Liebe Luhmann (1998d: 175). 287 Luhmann nennt dies „variable Kopplung“. 288 Zum Beispiel wird die wirtschaftliche Mitbestimmung derzeit nicht zuletzt auch deshalb in Frage gestellt, weil die Wirtschaft im Zuge der Globalisierung eine größere Unabhängigkeit gegenüber der Politik gewonnen hat. 289 Dass dies möglich ist, vermag nicht zuletzt die ökonomische Theorie der Demokratie zu verdeutlichen (zusammenfassend Lehner 1981; Kirsch 2004). 290 Hierzu Czerwick (2001: 219-225) mit Literaturverweisen. 291 Siehe zum Beispiel die ökonomische Theorie der Demokratie.
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Obwohl Luhmann insgesamt sehr skeptisch hinsichtlich der Möglichkeiten ist, Demokratie von der Politik des politischen Systems in andere Teilsysteme der Gesellschaft zu exportieren, weist er doch mit seinen steuerungstheoretischen Überlegungen und mit seiner Theorie der strukturellen Kopplung auf zwei Möglichkeiten hin, wie es dennoch dazu kommen kann, dass die Demokratie vom Subsystem Politik des politischen Systems auf andere gesellschaftliche Subsysteme überspringen und dort zu „Demokratisierungen“ führen kann. Doch dürfen diese Demokratisierungen immer nur als „Selbstdemokratisierungen“ begriffen werden. Und nur in diesem Sinne kann Demokratie als ein „Exportmodell“ aufgefasst werden.
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11 Die Demokratie des Niklas Luhmann
Die Intention der vorangegangenen Darstellung war es zu prüfen, ob es gerechtfertigt ist, von einer Systemtheorie der Demokratie zu sprechen, die sich deutlich gegenüber anderen Demokratietheorien unterscheidet. Dabei wurde insbesondere auf die demokratietheoretischen Überlegungen Niklas Luhmanns Bezug genommen, der sich von den sozialwissenschaftlichen Systemtheoretikern noch am intensivsten und am ausführlichsten mit Fragen und Problemen der Demokratie auseinandergesetzt hat. Zwar hat er nie die Absicht gehabt, eine Systemtheorie der Demokratie zu entwickeln, doch lassen sich die in seinem Gesamtwerk verstreuten demokratietheoretischen Anmerkungen zu einer solchen Theorie zusammenführen, wenn man sie in den Gesamtkontext seiner Gesellschaftstheorie integriert. Insofern lässt sich durchaus von der Existenz einer eigenständigen Systemtheorie der Demokratie sprechen, die eng mit Niklas Luhmann verbunden ist. Bei ihm wird eine andere wissenschaftliche Konzeption und ein anderes wissenschaftliche Verständnis von Demokratie erkennbar, das für die Weiterentwicklung der Demokratietheorie von größtem Nutzen sein kann. Insofern hat er mit seinen demokratietheoretischen Überlegungen wichtige Impulse gegeben, die, wenn sie in der politikwissenschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Demokratiediskussion angemessen rezipiert worden wären, zu einem realistischeren und weniger normativen sowie mit weniger Mythen behafteten Verständnis von Demokratie hätten führen können. So gesehen ist also das Potential seiner demokratietheoretischen Ausführungen für ein erweitertes und anderes Verständnis von Demokratie bislang noch lange nicht ausgeschöpft. Luhmanns illusionsloser Realismus über die Bedingungen, Grenzen und Möglichkeiten von Demokratie zeichnet sich weniger dadurch aus, dass er systematisch die Defizite der „klassischen“ Demokratietheorien herausgearbeitet hätte oder dass er die Unzulänglichkeiten demokratischer politischer Systeme „empirisch“ offen gelegt hätte. Stattdessen hat er seine demokratietheoretischen Ausführungen in einen völlig neuen theoretischen Rahmen gestellt, aus dem sich eine Vielzahl neuer Fragen und Probleme für die Demokratiediskussionen gewinnen lassen. Diese markieren sozusagen die „blinden Flecken“ (Esposito 2005: 295-296) der „klassischen“ Demokratietheorien. Ihn interessiert unter anderem die Frage, welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssen, um „deutlicher und vor allem genauer (zu) erkennen, wo das System in bezug auf seine
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11 Die Demokratie des Niklas Luhmann
eigenen strukturellen Erfordernisse inkonsequent und selbstgefährdend operiert“ (Luhmann 1987a: 132). Und wiederum hieraus folgend beschäftigt ihn das Problem, wie lange Demokratie noch existieren kann und welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit sie eine Zukunft hat. Gerade bei der Bearbeitung dieses Problems sieht er große Defizite in der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion und dementsprechend einen großen Nachholbedarf an theoretischer Reflexion. „Es ist dieser Kontext des Unwissens, der gesellschaftstheoretischen Defizienz und der ständig reproduzierten Fehlorientierungen, in dem man, und gegen den man, über die Zukunft der Demokratie diskutieren sollte.“ (Luhmann 1987c: 135). Da sich die wissenschaftliche Bedeutung theoretischer Überlegungen aber nicht nur daran bemisst, welchen Grad an Konsistenz sie aufweisen und wie viel sie zur Erklärung der Wirklichkeit beitragen, sondern auch daran messen lassen müssen, welche neuen Fragen sie aufwerfen, die die Realität in einem klareren Licht erscheinen lassen, soll abschließend der Versuch unternommen werden, Luhmanns Demokratiekonzeption einer ersten Würdigung zu unterziehen. 11.1 Luhmanns Demokratiekonzeption Fasst man Luhmanns bisherige Ausführungen zur Demokratie zusammen, stellt man fest, dass es ihm nicht um eine Theorie der Demokratie geht, die man als Ergänzung oder Weiterführung der „klassischen“ Demokratietheorien begreifen könnte. Während nämlich diese die Demokratie auf Normen und Werte gründen, die es paradoxer Weise in der politischen Praxis unmöglich machen, Demokratie auszuüben292, geht er von System-Umwelt-Unterscheidungen aus, die im politischen System Demokratie strukturell erst möglich machen. Insofern stellen seine alternativen demokratietheoretischen Überlegungen auch kein Konkurrenzangebot, sondern einen völlig anderen theoretischen Zugriff auf die Demokratie dar. Dies vermag vielleicht auch zu erklären, warum er weitgehend davon abgesehen hat, auf die jeweils aktuellen politik- und sozialwissenschaftliche Demokratiediskussionen näher einzugehen. Er hat sich deshalb auch nicht sonderlich darum bemüht, jenen Anschlussmöglichkeiten für seine eigenen Überlegungen anzubieten. Insgesamt sind deshalb die Verbindungslinien zwischen seinen demokratietheoretischen Ausführungen und denen der „klassischen“ Demokratietheorien nicht besonders groß und intensiv. Seine demokratietheoretischen Überlegungen beziehen sich auf Problembereiche, die von den „klassischen“ Demokratietheorien nur stiefmütterlich bearbeitet werden. 292 Eine solche Vorgehensweise wäre dann reizvoll, wenn man die Möglichkeit von Demokratie gerade darin erblicken würde, dass sie ihre Werte und Normen nicht einlösen kann und gerade darin ihre „Logik“ besteht.
11.1 Luhmanns Demokratiekonzeption
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Ausgangspunkt von Luhmanns demokratietheoretischen Überlegungen ist die für die politikwissenschaftliche Systemtheorie konstitutive Unterscheidung zwischen dem politischen System und seiner Umwelt. Diese Unterscheidung wird Luhmann zufolge aus der Perspektive des politischem Systems im politischen System institutionalisiert und zur Grundlage aller seiner politischen Operationen. Die systeminterne Unterscheidung des politischen Systems zwischen sich und seiner Umwelt generiert in einer Vielzahl langwieriger evolutionärer Prozesse Demokratie. Diese Prozesse entwickeln sich zwar zunächst eher zufällig, gewinnen aber nach Erreichen eines bestimmten Entwicklungsstands eine immer größere Konsistenz, Stabilität und Wahrscheinlichkeit (im Sinne von Prognostizierbarkeit). Sie laufen somit immer mehr nach einer funktional bestimmbaren Rationalität und Logik ab. Hat sich die Demokratie also erst einmal etabliert, wirkt sie wieder auf das Verhältnis von politischem System und der Umwelt zurück. Demokratie war also nicht von Beginn an ein Bestandteil politischer Systeme. Erst als sich politische Systeme im Zuge der gesellschaftlichen Evolution funktional ausdifferenziert haben und im Zuge weiterer politischer Evolution einen hohen Grad an struktureller Komplexität erreicht haben, wurde Demokratie unausweichlich. Insofern basiert Demokratie zum einen auf einer Unterscheidung zwischen dem politischen System und seiner Umwelt und zum anderen auf einem Maß an politischer Komplexität, das durch eben diese Unterscheidung im politischen System aufgebaut wird. Von daher hängt Demokratie von der Aufrechterhaltung eines je nach Situation variierenden Maßes an politischer Komplexität ab, das sie auf Dauer weder überfordern noch unterfordern darf. Die Einregulierung des Komplexitätsniveaus ist die Aufgabe demokratischer politischer Systeme, die sie im Rahmen ihrer gesellschaftlichen Funktion, allgemeinverbindlich zu entscheiden, wahrnehmen. Politische Entscheidungen sind als die Ergebnisse von Prozessen zu verstehen, in denen zwar gesellschaftliche Komplexität auf politische Komplexität reduziert wird, gleichzeitig aber auch Komplexität innerhalb des politischen Systems erzeugt wird. In diesen Prozessen der Komplexitätsreduktion und des Komplexitätsaufbaues fungiert die Demokratie als Filter, Selektionsmechanismus („Sinn“), Konsistenzformel, Regel, Struktur, Verfahren und Norm. Da all dies in den Prozessen der Reduktion und des Aufbaues von Komplexität reproduziert wird, entsteht Demokratie aus Demokratie und setzt sich als Demokratie fort. Die demokratische Entwicklung hat einen Zustand erreicht, in der Demokratie nicht mehr von außerhalb des politischen Systems beeinflusst werden kann, sondern nur noch auf sich selbst verweist. Demokratie ist deshalb auch ein Produkt des politischen Systems und nicht der Gesellschaft, trotz ihrer Umschreibung als „Volkssouveränität“. Gefährdungen oder Reformen von Demokratie können deshalb auch nur vom politischen System ausgehen. Von daher muss Demokratie immer auch mit der Eigenrationalität
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politischer Systeme kompatibel sein. Da diese Eigenrationalität funktional bestimmt ist, steht sie zwangsläufig in einer engen Verbindung zur gesellschaftlichen Aufgabenerfüllung des politischen Systems, allgemeinverbindliche Entscheidungen zu treffen. Hindert, bremst oder blockiert sie politische Systeme bei ihrer Entscheidungsproduktion, gerät sie in Gefahr, eingeschränkt oder abgeschafft zu werden. Auch deshalb, nicht nur evolutionär, ist die Demokratie der Politik nach- bzw. untergeordnet. Die Demokratie hängt also von der Politik und nicht die Politik von der Demokratie ab. Für Luhmann ist die Demokratie das, was sie ist. Sie ist das Resultat gesellschaftlicher und politischer Evolution, die sich, nachdem sie sich erst einmal durchgesetzt hat, selbst trägt, trotz ihrer prinzipiellen Abhängigkeit von der Politik. Sie ist damit „systemisch“ geworden und nicht mehr von Menschen, sondern nur noch von Codes, insbesondere dem Code Regierung/Opposition, abhängig. Das wiederum führt zu einer ganz bestimmten Konstellation zwischen Herrschenden und Beherrschten einerseits und der Demokratie andererseits. In dem Demokratie als Volksherrschaft definiert ist, wird die ihr zugrunde liegende Differenz zwischen Herrschenden und Beherrschten semantisch aufgehoben bzw. als Selbstwiderspruch inszeniert, wodurch sie sich jedoch zugleich ihren eigenen Mythos schafft. Dieser Mythos wird aber nicht „dekonstruiert“, sondern er wird vielmehr als Leitbild gepflegt, gerade weil das Volk nicht herrschen kann, aber doch herrschen soll. Wenn aber die Differenz zwischen Herrschenden und Beherrschten aufgehoben ist, und auch das Volk nicht herrschen kann, wer soll dann schließlich herrschen, wenn man nicht die Utopie einer herrschaftslosen politischen Ordnung teilen mag? Herrschen, so lässt sich als Antwort formulieren, kann in einer solchen Situation nur noch die Demokratie. Da ihr Herrschende und Beherrschte gleichermaßen unterworfen sind293, kann der Mythos „Volksherrschaft“ daraus sogar neue Nahrung ziehen. Wie man angesichts dieser Ausführungen unschwer erkennen kann, weisen Luhmanns demokratietheoretischen Überlegungen gegenüber den „klassischen“ Demokratietheorien eine Reihe von Besonderheiten auf, die noch einmal herausgestellt werden sollen. Eine Besonderheit besteht darin, dass er die Demokratie nicht in den Mittelpunkt der Gesellschaft rückt oder zu deren Mittelpunkt macht. Deshalb sei noch einmal ausdrücklich betont, dass er nicht die Absicht gehegt hat, eine systemtheoretisch angeleitete Theorie der Demokratie zu entwickeln. Sein Intention war es vielmehr, eine Theorie der Gesellschaft vorzulegen. Nur im Rahmen seiner Gesellschaftstheorie sind deshalb seine Überlegungen zur Demo293 Ich erlaube mir, noch einmal auf eine Bemerkung Luhmanns zurückzugreifen, die ich bereits weiter oben zitiert habe: „Alle Macht kommt dadurch zustande, daß sie sich der Macht unterwirft, und die oberste Macht durch Unterwerfung unter die unterste Macht. Das nennt man Demokratie“ (Luhmann 1997a: 373).
11.2 Demokratie und ihre Werte
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kratie verständlich, wobei er die Demokratie wiederum in den Kontext seiner Theorie des politischen Systems der Gesellschaft stellt. Das hat zur Folge, dass die Demokratie ihren Platz im Subsystem Politik des politischen Systems findet. Die damit vollzogene konzeptionelle, politisch-praktische und letztlich auch soziale Abwertung von Demokratie markiert einen deutlichen Bruch zu den „klassischen“ Demokratietheorien, die Demokratie, ob explizit oder implizit, unter dem Begriff „Volkssouveränität“ in der Gesellschaft verorten und damit suggerieren, als bilde das Volk die Gesellschaft und herrsche über sich selbst.294 Gemäß einer solchen Vorstellung steht die gesamte Gesellschaft und ihre Ordnung zur Disposition des Volkes, das wiederum mit seinen Interaktionen in der Gesellschaft aufgeht.295 Demokratie und Gesellschaft gehen nach Luhmann aber nicht ineinander auf. Für ihn verbietet es sich deshalb auch, von einer „demokratischen Gesellschaft“ zu sprechen. Die Gesellschaft ist viel zu komplex, als dass sie nach „demokratischen“ Vorstellungen zusammengehalten werden oder überleben könnte. Seine eigene wissenschaftlichen Präferenzen beruhen deshalb auch nicht auf einer Theorie der Demokratie, sondern auf einer Theorie der Gesellschaft. Sie ist der Referenzpunkt seiner Überlegungen, nur aus ihrem Blickwinkel wird Demokratie für ihn überhaupt zu einem untersuchungswerten Gegenstand. 11.2 Demokratie und ihre Werte Luhmanns demokratietheoretische Überlegungen beziehen sich in erster Linie auf die strukturelle Rationalität des politischen Systems statt auf Werte und Normen, auf Systemintegration statt auf Sozialintegration296 und auf Funktionen statt auf Interessen und Bedürfnisse. Im Gegensatz zu den „klassischen“ Demokratietheorien sieht er in der Demokratie deshalb auch keinen Wert an sich. Allerdings unterschätzt er die funktionale Bedeutung von Werten in und für die Demokratie. Überträgt man seine allgemeinen Einsichten über Werte auf die Demokratie (Luhmann 1995d: 121), wird rasch deutlich, dass sie in zweifacher Weise ihrer kommunikativen Absicherung dienen. Zum einen stigmatisieren sie die Kritiker der Demokratie. Wer die Demokratie kritisiert, so lässt sich argumen294 Allerdings nur, um dieses Prinzip sofort wieder, nicht zuletzt im Namen der Demokratie, durch allerlei Maßnahmen, wie zum Beispiel die Gewaltenteilung oder das Repräsentationsprinzip, einzuschränken. 295 Es wäre interessant unter diesem Blickwinkel einmal die Konsequenzen zu untersuchen, die sich aus Artikel 20 Abs. 2 GG ergeben, wonach alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Wenn das Volk auf die Staatsgewalt fokussiert ist, kann das Volk, so könnte man ja meinen, nur so weit seine Gewalt ausüben, wie weit (oder eng) die Grenzen der Staatsgewalt durch die Verfassung gezogen sind. Eine andere Interpretation könnte darin liegen, dass es das Volk selbst ist, das die Reichweite der Staatsgewalt definiert. 296 Zu dieser Unterscheidung Lockwood (1979).
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tieren, stellt die ihr zugrunde liegenden Werte in Frage, und wer die der Demokratie zugrunde liegenden Werte in Frage stellt, will die Demokratie beseitigen. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass Demokratie auf einer relativ großen Zahl von zum Teil in der politischen Praxis gegenläufgen Werten aufbaut, die je nach politischen Bedarf und sozialen Herausforderungen variiert werden und gegeneinander ausgespielt werden können: Sicherheit gegen Freiheit, Gleichheit gegen Gerechtigkeit, Entfaltung gegen Bindung usw. Im Gegensatz dazu betrachtet Luhmann Demokratie nicht aus der Wertperspektive, sondern aus der Perspektive der sozialen Evolution. Demokratie ist für ihn deshalb primär das Resultat politischer Systeme, die im Verlauf ihrer Evolution ein bestimmtes Maß an struktureller Komplexität entwickelt haben, das es ihnen erlaubt, Autonomie gegenüber ihrer Umwelt aufzubauen. Demokratie wird von Luhmann deshalb auch folgerichtig als eine „strukturelle Erfindung“ (Luhmann 1987a: 129) aufgefaßt. Sie ist also nicht von Menschen, die bestimmten Werten folgen und durchsetzen wollten, geplant und realisiert worden, sondern die Evolution hat bestimmte Strukturen geschaffen, die „aus historisch-zufälligen Gründen den Namen Demokratie bekommen“ (Ebenda) haben. Für ihn liegt es deshalb nahe, Demokratie in enger Verbindung mit der gesellschaftlichen Funktion des politischen Systems zu konzeptualisieren, kollektiv verbindliche Entscheidungen zu treffen. Bei diesen Entscheidungen geht es weniger darum, abstrakte, dafür aber sehr hoch eingeschätzte Werte in kleiner Münze auszuzahlen, sondern vor allem darum, konkrete gesellschaftliche Probleme zu lösen. Dabei werden „demokratische“ Werte schon deshalb in den Hintergrund gedrängt, weil mit der Lösung gesellschaftlicher Probleme das politische System zugleich seine Bestandsprobleme, bei denen es nicht auf Werte, sondern auf Funktionserfüllung ankommt, mitlösen muss. Das bedingt, dass demokratische politische Systeme zuallererst ihre Entscheidungsfunktion stabilisieren, um sicherzustellen, auch in Zukunft entscheiden zu können. Es geht also nicht darum, dass politische Systeme im Zuge politischer Problemlösungen „demokratischen“ Ansprüchen und Erwartungen wie Responsivität, Partizipation, Allgemeinwohlsicherung genügen, sondern nur, dass sie entscheiden. Dabei schadet es natürlich nicht, wenn der Eindruck erweckt werden kann, dass demokratische Ansprüche berücksichtigt worden sind (Edelman 1977: 127-128). Allein durch das mit der Demokratie gekoppelte formale Verfahren der Wahl kann das demokratische politische System allgemeine Folgebereitschaft fordern, selbst wenn seine Problemlösungen vom Publikum bzw. den Wählern kritisiert oder sogar abgelehnt werden sollten. Indessen geht auch Luhmann nicht davon aus, dass die Demokratie ohne Werte auskommen könnte. Doch sind diese Werte weder von Menschen durchgesetzt worden noch auf sie bezogen, sondern sie sind evolutionär begründet und von daher in den Strukturen, Funktionen, Reflexionsweisen und Operationsbe-
11.2 Demokratie und ihre Werte
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dingungen des politischen Systems verankert sowie auf dieses ausgerichtet.297 Dementsprechend treten in Luhmanns Überlegungen völlig andere „Werte“ als bei den „klassischen“ Demokratietheorien in den Vordergrund, nämlich die „Werte“ Komplexität, Opportunismus, Unbestimmtheit, Optionenvielfalt, Unbegreiflichkeit, Unberechenbarkeit, Offenheit oder Variabilität und Stabilität. Sie alle erschließen demokratischen politischen Systemen vielfältige Freiheiten, so oder auch anders handeln zu können. Freiheit, hier als Kontingenzsteigerung im Sinne von „systemischer Freiheit“ verstanden, wird damit zu einem integralen Bestandteil demokratischer politischer Systeme. Eine so verstandene Freiheit hat jedoch nur noch sehr wenig mit dem primär individuell geprägten Freiheitsbegriff der „klassischen“ Demokratietheorien zu tun. Im Gegensatz zu solchen „systemischen“ Werten werden von Luhmann „politische“ Werte wie Partizipation, Gerechtigkeit, Gleichheit oder auch Selbstbestimmung, die zumindest auf rhetorischer Ebene das politische Alltagsgeschäft bestimmen, entweder ausgeblendet oder als eine für die Demokratie potentielle Gefahr eingestuft, sollte ernsthaft der Versuch unternommen werden, sie politisch durchzusetzen. Im Gegensatz zu den „politischen“ Werten sind die „systemischen“ Werte in die Strukturen demokratischer politischer Systeme gleichsam298 eingewoben. Von daher geht Luhmann auch nicht, wie seit Max Weber (Bologh 1984) üblich, von einer Trennung zwischen Zweck- und Wertrationalität aus, sondern beide Rationalitätsformen bilden bei ihm innerhalb der Strukturen des Subsystems Politik des politischen Systems eine unauflösliche Einheit. Die Werte können somit in den Strukturen „versteckt“ werden.299 Wer sie ent- oder aufdeckt, um sie zur Disposition zu stellen, würde die Gefahr weitreichender struktureller Veränderungen provozieren, die ihrerseits Maßnahmen zum Schutz der Werte in den Strukturen auslösen würden. Auf diese Weise schützen sich soziale Systeme vor Veränderungen. Im Falle des politischen Systems zeigt sich dies darin, dass die Strukturen „entpolitisiert“, also zum Beispiel dem zwischenparteilichen Wettbewerb oder den Wahlen entzogen werden.300 Das hat zur Folge, dass die spezifischen gesellschaftlichen Interessen, die sich in die Strukturen eingeklingt haben 297 Ähnlich begründet Habermas den Rückzug der Volkssouveränität in Verfahren (Habermas 1992: 626). 298 In entsprechender Weise argumentiert auch Habermas im Kontext seiner Diskurstheorie der Demokratie. „Nach dieser Vorstellung zieht sich die praktische Vernunft aus den universalen Menschenrechten oder aus der konkreten Sittlichkeit einer bestimmten Gemeinschaft in jene Diskursregeln und Argumentationsformen zurück, die ihren normativen Gehalt der Geltungsbasis verständigungsorientierten Handelns, letztlich der Struktur sprachlicher Kommunikation und der nichtsubstituierbaren Ordnung kommunikativer Vergesellschaftung entlehnen“ (Habermas 1992: 360). 299 Siehe hierzu noch immer Marcuse (1967: 21-32 und passim). 300 Man spricht in solchen Zusammenhängen dann auch verschleiernd vom „Konsens der Demokraten“.
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und die vom System profitieren, als solche nicht mehr thematisiert werden und somit auch kaum noch erkennbar sind.301 Sie sind vielmehr in die Logik des Systems integriert. Es entsteht deshalb der Anschein, als würde das demokratische politische System nur seiner eigenen Logik oder Rationalität folgen. Was Luhmann deshalb als „Soziologische Aufklärung“ ausgibt, ist in diesem Kontext eine Aufklärung, die auf halber Strecke stecken bleibt, weil sie die immer aktuelle politikwissenschaftlich zentrale Frage (Lasswell 1936), welchen Interessen die Demokratie dient und zu wessen Nutzen sie ausgeübt wird, ausblendet. Er ist deshalb auch nicht an Fragen interessiert, die insbesondere in den „klassischen“ Demokratietheorien im Vordergrund stehen, ob und wie die demokratischen Systeme den von ihnen propagierten Werten tatsächlich gerecht werden. Von daher dürften ihm vergleichende Studien, in denen versucht wird, Demokratie auf der Basis der Verwirklichung bzw. der Existenz „demokratischer“ Werte zu messen (Lauth u.a. (Hrsg.) 2000; Vanhanen 1997, 2000), ziemlich suspekt, wenn nicht sogar überflüssig vorgekommen sein. Das soll aber nicht heißen, dass er Unterschiede zwischen politischen Systemen im Hinblick auf ihren demokratischen Charakter für grundsätzlich verzichtbar gehalten hätte. Ganz im Gegenteil. Anstatt aber die Werteverwirklichung in den Mittelpunkt einer vergleichenden Demokratiemessung zu stellen, steht bei ihm das jeweilige Maß an Komplexität des politischen Systems im Vordergrund des Interesses. Je größer die Komplexität, desto mehr ist für ihn Demokratie verwirklicht. Als Messgrößen für Komplexität (und damit auch für Demokratie) dienen ihm dazu unter anderen die interne Ausdifferenzierung des politischen Systems, das Maß an requisite variety (Ashby 1974: 298-299, 306-307), die Anzahl der im Entscheidungsprozess zur Verfügung stehenden politischen Optionen, die Stabilisierung von instabilen Strukturen innerhalb des politischen Systems, das Maß an Offenheit, sich irritieren zu lassen, die Vielfalt an Selbstbeschreibungen und Fremdbeschreibungen, oder das Potential, latente politische Probleme zu aktualisieren und zur Entscheidung zu bringen. 11.3 Demokratie und der menschliche Faktor In enger Beziehung zum Verhältnis von Demokratie und ihren Werten steht schließlich auch die Frage, welchen Einfluss menschliche Intentionen, Bedürfnisse und Interessen auf die Herausbildung und Evolution der Demokratie haben. Folgt man Luhmann, liegt die Antwort auf der Hand: entweder gar keinen oder nur einen sehr marginalen Einfluss.302 Auch in dieser Frage unterscheidet er sich 301 Siehe hierzu noch immer Offe (1973: 65-105) sowie Schattschneider (1975), Fürst (1975) und Bachrach/Baratz (1977). 302 Siehe hierzu Schimank (2005).
11.3 Demokratie und der menschliche Faktor
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wiederum grundlegend von den „klassischen“ Demokratietheorien, für die Menschen bzw. menschliche Kollektive (e.g. Macpherson 1977: 54-63) eine zentrale Rolle bei der Herausbildung und Entwicklung der Demokratie spielen. Sie konzentrieren sich vor allem auf das Problem, welchen Beitrag Menschen leisten können bzw. leisten müssen, um Werte wie Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit oder Partizipation zu verwirklichen. Im Gegensatz dazu sind für Luhmann solche Werte entweder viel zu abstrakt und widersprüchlich, als dass sie sich gezielt verwirklichen lassen würden, oder sie stellen faktisch jeweils nur eine Reaktion auf Strukturen und Prozesse dar. In diesem letzten Fall wären sie aber schon systemisch „infiziert“ und dementsprechend nicht als Ausdruck eines authentischen (Volks-)Willens interpretierbar.303 Insofern lehnt es Luhmann ab, den Menschen als theoretisches Konstrukt auch nur in Betracht zu ziehen (Schimank 2005: 266-267 und passim). Ihm geht es statt dessen vor allem darum, die systemischen Voraussetzungen, Bedingungen, Operationsweisen und Rationalitätskriterien von Demokratie von den Personen bzw. Akteuren weg und zu den politischen Subsystemen, deren Organisationen304 und Interaktionen hin zu verlagern, um präziser zu bestimmen, was Demokratie tatsächlich leistet. Wenn deshalb die Aussage zutreffend sein sollte, dass alle Demokratietheorien „are built upon assumptions about capabilities and dispositions of individuals“ (Dryzek/Berejikian 1993: 59), dann muss Luhmanns Demokratiekonzeption wohl eine seltene Ausnahme darstellen, da bei ihm die Bedürfnisse, Interessen und Fähigkeiten von Menschen für soziale Systeme im Allgemeinen (Dziewas 1992) und für die Demokratie im Besonderen nur eine sehr geringe Rolle spielen. Demokratische politische Systeme sind seiner Überzeugung nach inzwischen viel zu komplex geworden, als dass sie noch durch Menschenhand und Menschengeist gesteuert werden könnten. Den für komplexe soziale Systeme notwendigen Abstraktionsgrad können nur noch Kommunikationen erfüllen, von denen einige unter besonders günstigen Bedingungen im Rahmen von Prozessen der Selektion, Variation und Stabilisierung strukturelle Konsequenzen haben, ohne dass Menschen (hier im Sinne von psychischen Systemen) hierauf steuernd Einfluss nehmen können. Das schließt natürlich nicht aus, dass Menschen ihre Bedürfnisse und Interessen 303 Das gilt auch für viele Länder der sogen. „Dritten Welt“, denen die Demokratie verordnet wurde und die, da die entsprechenden evolutionären Voraussetzungen fehlten, sich sehr schnell in autoritäre Regime verwandelten. Es bleibt abzuwarten, wie die Demokratisierung der ehemals im sowjetischen Machtbereich liegenden osteuropäischen Staaten verlaufen wird. Aber auch hier ist schon jetzt zu sehen, dass die Demokratisierung in diesen Ländern nicht ein Ergebnis menschlicher Intentionen, sondern eine Reaktion auf systemische Zwänge ist, die vor allem vom Ausland gesetzt werden. 304 Siehe hierzu auch die Begriffe „Organisationsdemokratie“ bzw. „Organisierte Demokratie“, durch die ebenfalls die relative Bedeutungslosigkeit des Individuums für die Demokratie zum Ausdruck gebracht wird.
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kommunizieren und vielleicht auch ständig darum bemüht sind, auf die Demokratie des politischen Systems einzuwirken. Doch können sie nach Luhmann prinzipiell nicht wissen, was sie dabei eigentlich tun und was sie damit bewirken werden, weil sie Systeme, und dazu gehören auch die demokratischen politischen Systeme, grundsätzlich nicht verstehen können. Sie zu verstehen wäre aber eine notwendige Voraussetzung, um sie zu steuern. Es bleibt ihnen somit nur die Möglichkeit der Beobachtung. Allerdings würde man zu weit gehen, wenn man Luhmann den Vorwurf machen würde, er würde die menschlichen Intentionen für völlig irrelevant erachten. Immerhin kommen Individuen305 bei ihm in ihrer (demokratischen) Rolle als Politiker, Wähler oder Antragsteller vor. Von ihnen erwartet er auch, dass sie den für die Demokratie so wichtigen politischen Code Regierung/Opposition nicht in Frage stellen. Außerdem geht er davon aus, dass Individuen auf evolutionäre Veränderungen von Demokratie reagieren. Er schließt deshalb nicht aus, dass sie politische Präferenzen und Interessen haben und diese auch politisch zur Geltung bringen wollen. Was er allerdings verneint, ist, dass sie einen auf die Evolution der Demokratie nennenswerten Einfluss haben, weil seiner Überzeugung nach die politischen Präferenzen der Individuen von der Systemrationalität gebrochen oder durchkreuzt werden. Im Konflikt- und Regelfall setzt sich nämlich die Logik des Systems gegenüber den ihr eventuell entgegenlaufenden menschlichen Intentionen durch.306 Es sind demnach die evolutionären Prozesse, die auf der funktionalen Ausdifferenzierung der Gesellschaft im Allgemeinen und der Politik im Besonderen beruhen, die für die Entwicklung der Demokratie verantwortlich sind, nicht aber menschliche Bedürfnisse, Ideen und Interessen. Revolutionen, wie die englische Revolution, die französische Revolution, die Revolution von 1848/1849 in Deutschland oder die russische Revolution, die ja, wie die einschlägige Forschung lehrt, von menschlichen Intentionen nicht nur durchsetzt sind, sondern angeblich von ihnen sogar getragen worden sind (Arendt 2000; Tilly 1999), hätten demnach ihre Ursachen vor allem in strukturellen gesellschaftlichen Verwerfungen307, einer 305 Zu Luhmanns Begriffe des Menschen, des Subjekts, der Person und des Individuums siehe seine Aufsätze in Soziologische Aufklärung 6 (Luhmann 1995c). Zu seinem Begriff des Individuums siehe auch Schimank (2005: 271-272). 306 Diese Einschätzung gilt nur, sofern es spezifischen gesellschaftlichen Interessen nicht gelungen ist, zur Rationalität des Systems zu werden. Sie ist deshalb auch nicht im Fall der Herausbildung der amerikanischen Demokratie korrekturbedürftig, weil diese quasi in einem politischen Situation entstanden ist, der eine festgefügte politische Ordnung abging und die noch nicht so durchsetzt war von gewachsenen strukturellen Vorgaben, als dass sich schon eine Systemrationlität hätte ausbilden können, die menschliche Intentionen hätte leer laufen lassen können (Tocqueville 1990: 46-49). Nicht zu Unrecht beginnt die amerikanische Verfassung deshalb auch mit den Worten: „WE, the PEOPLE of the United States...“. 307 So sieht zum Beispiel Dahl in der Parlamentarisierung und Demokratisierung in England ein „product less of intention and design than of blind evolution, Parliament grew out of assem-
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bankrotten Politik oder, wie die Novemberrevolution von 1918/1919, in spektakulären Ereignissen wie zum Beispiel kriegerischen Niederlagen. Das schließt natürlich nicht aus, dass die Revolutionen, nachdem sie stattgefunden haben, später als ein Modell, eine Rechtfertigung und/oder als ein Symbol für die Möglichkeit der gezielten Durchsetzung von Demokratie herangezogen werden können (Laski 1934: 80; Kaelble 2001: 32-33, 205). Mit seiner nicht nur skeptischen, sondern sogar abwehrenden Haltung gegenüber dem „menschlichen Faktor“ als Erklärung für die Evolution der Demokratie ist Luhmann keineswegs so singulär, wie einige seiner Kritiker glauben lassen möchten. So schreibt zum Beispiel Jürgen Habermas, der sicherlich nicht im Verdacht steht, ein (heimlicher) Anhänger der Systemtheorie zu sein, in seinem Buch „Faktizität und Geltung“ (Habermas 1992: 607): „In komplexen Gesellschaften scheitern auch die ernsthaften Anstrengungen um politische Selbstorganisation an Widerständen, die auf den systemischen Eigensinn des Marktes und der administrativen Macht zurückgehen.“ Und er fährt an gleicher Stelle fort: „Inzwischen ist politische Herrschaft entpersonalisiert; die Demokratisierung arbeitet sich nicht einmal mehr an genuin politischen Widerständen ab, sondern an den systemischen Imperativen eines ausdifferenzierten Wirtschaftsund Verwaltungssystems“ (Habermas 1992: 607).308 Karl W. Deutsch hat ebenfalls darauf hingewiesen, dass man mit Hilfe der Systemtheorien erkennen könne, „dass das, was in der Politik und in der Regierung vor sich geht, zum großen Teil eher das Resultat der Auswirkungen eines politischen Systems und nicht so sehr auf die Machenschaften einiger Bösewichter oder Verschwörer zurückzuführen ist“ (Deutsch 1976: 308). Mit Luhmanns eindringlichen Vorbehalten gegenüber dem „menschlichen Faktor“ verliert die Demokratie zwar ihren Zauber, der in ihrem Verständnis als Volkssouveränität und der in dieser zum Ausdruck kommenden menschlichen Selbstbestimmung liegt, doch wird gerade erst dadurch ihre Funktion transparent, Demokratie scheinbar oder faktisch unabhängig von den politisch Herrschenden zu garantieren. Für Luhmann ist es deshalb ein Gewinn, „wenn man die angedeuteten Probleme nicht als Resultat von Fehlverhalten, von Machtmißbrauch oder von Unkenntnis begreift, sondern als Logik der Komplexität“ (Luhmann 2002a: 126). Nur in einer systemischen Betrachtungsweise, für die es ja gewichtige Gründe gibt309, besteht die Chance, Demokratie und Herrschaft als blies summoned sporadically, and under the pressure of need, during the reign of Edward I from 1272 to 1307“ (Dahl 1998: 21). 308 Diese Einsicht hindert Habermas bekanntlich nicht daran, „kontrafaktisch“ an der Vernünftigkeit der politischen Ergebnisse deliberierender Menschen festzuhalten. 309 „Aber nur eine radikale Soziologisierung – und damit Entpersönlichung – sozialer Systeme ist geeignet, deren Besonderheit und Eigengesetzlichkeit so zu fassen, dass das Soziale nicht zur
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strukturell bedingt, scheinbar unabhängig von den Intentionen und Interessen politischer Akteure, zu konzeptualisieren und offen zu legen. Das Konzept, das Johan Galtung im Zusammenhang mit der Analyse von Frieden und Gewalt einmal als „strukturelle Gewalt“ bezeichnet hat (Galtung 1972), kann cum grano salis auch auf die Demokratie übertragen werden. Allerdings, und dies ist gegenüber Luhmann hervorzuheben, lässt sich mit einer solchen Systemtheorie der Demokratie die „Parteilichkeit“ der Demokratie, also ihre Indienstnahme von bestimmten Interessen und ihre beobachtbare Praxis zugunsten bestimmter Interessen, natürlich nicht beseitigen. Aus einer solchen Perspektive muss er sich den Vorwurf gefallen lassen, zu schnell und zu pauschal die Bedeutung des „menschlichen Faktors“ für die Demokratie verneint zu haben. Es ist deshalb sicherlich nicht ganz unberechtigt, wenn viele Kritiker in Luhmanns „Entpersonalisierung“ der Politik und der Demokratie ein gravierendes Versäumnis sehen (e.g. Greven 2001: 207, 209, 211) und ihm einen restriktiven Demokratiebegriff bzw. eine restriktive Demokratievorstellung vorwerfen (Giegel 2002: 195, 201, 212). Als ein Beispiel dafür, dass der „menschliche Faktor“ durchaus eine gewichtige Bedeutung für die Demokratie gewinnen kann, sei nur noch einmal auf die „externe“ Einführung der Demokratie in Deutschland und Japan nach 1945 oder auf die antikolonialen Revolutionen in den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts verwiesen. Hinter allen diesen Ereignissen standen relativ klar zu erkennende Intentionen, Interessen und Bedürfnisse und nicht nur systemische Imperative. Aber auch die gegenwärtig zu beobachtenden Bemühungen vieler demokratischer Staaten und/oder von internationalen Organisationen sowie international operierenden zivilgesellschaftlichen Organisation zur Demokratisierung bzw. demokratischen Konsolidierung von Transformationsstaaten beizutragen (Diamond 2000: 30-31; Shin 1994: 164-166), lassen erkennen, dass politische Steuerungsbemühungen für die Entwicklung der Demokratie wichtig werden können. Es ist deshalb sicherlich eine zu verkürzte Sichtweise, die Entwicklung der Demokratie so einseitig als das unweigerliche Ergebnis systemischer Entwicklungen zu erklären, bei denen Individuen zu einem bloßen Vollzugsorganen der Evolution werden. Individuen, insbesondere wenn sie zur Elite gehören, sind offenbar durchaus in der Lage, mit ihren Interessen und Ideen der Evolution Richtung zu geben, auch wenn dies nicht unbedingt heißen muss, dass sie damit auch immer erfolgreich sind. Man wird also davon ausgehen müssen, dass die Evolution der Demokratie zwar systemische Ursachen hat, daneben aber auch die Intentionen und Interessen von Individuen in ihren jeweiligen gesellschaftlichen Rollen zu berücksichtigen sind, ohne dass zwischen beiden Einflussgrößen notwendiger Weise in jedem Fall enge Verbindungen bestehen müsbloßen Aggregation biologischer und psychischer Momente gerät“ (Willke 1996: 137). Vgl. hierzu vor allem auch Baecker (2003).
11.4 Luhmanns Theorie demokratischer politischer Systeme
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sen.310 Kann man Luhmann also entgegenhalten, den „menschlichen Faktor“ zu wenig Beachtung zu schenken, so kann man den „klassischen“ Demokratietheorien aber auch nicht den Vorwurf ersparen, dass sie zu sehr die menschlichen Ideen, Interessen und Bedürfnisse und zu wenig die systemischen Bedingungen und Gegebenheiten bei der Entwicklung der Demokratie berücksichtigen (Habermas 1992: 620). 11.4 Luhmanns Theorie demokratischer politischer Systeme Luhmanns Demokratiekonzeption bezieht ihre wesentlichen Impulse und Verfeinerungen aus seiner Theorie der Gesellschaft, die eindeutig Priorität genießt. Von daher erliegt er auch nicht der Gefahr wie die „klassischen“ Demokratietheorien, Demokratietheorie und Gesellschaftstheorie gleich zu setzen. Dieser Gefahr beugt er schon dadurch vor, dass er Demokratie nicht als eigenes soziales System darstellt, sondern als eine Selbstbeschreibungsformel, eine spezifische Praxis der Problemlösung und als ein strukturelles Arrangement innerhalb eines politischen Systems. Die Demokratie verleiht also dem politischen System erst dessen spezifische Prägung als demokratisches politisches System. Die Alternative, demokratische Systeme als eigenständige soziale Systeme zu konzeptualisieren und sie als eine Unterklasse politischer Systeme, neben autoritären und totalitären sozialen Systemen zu klassifizieren, hätte zwar ebenfalls ihre Berechtigung (Linz 2003), wird aber von Luhmann nicht in Erwägung gezogen.311 Obwohl er eine Systemtheorie der Demokratie nicht angestrebt hat, so hat er doch einen in seiner bisherigen Bedeutung noch nicht erfassten und verarbeiteten Beitrag zu einer Systemtheorie der Demokratie und demokratischer politischer Systeme entwickelt. Ihm ist es vor allem darum gegangen, die Konsequenzen anzugeben, die sich aus dem besonderen Blickwinkel seiner Systemtheorie im Allgemeinen und seiner Theorie des politischen Systems im Besonderen für die wissenschaftliche Konzeption von Demokratie ergeben. Seine systemtheoretisch inspirierte Demokratiekonzeption ist als ein gewichtiger Versuch anzusehen, die Demokratien der westlichen Welt aus der Logik bzw. Rationalität politischer Systeme zu (re-)konstruieren, die ihre gesellschaftlichen Funktionen jetzt nur noch angemessen erbringen können, wenn sie Demokratie praktizieren. Demo310 So versteht auch Saage die Entwicklung der Demokratie als einen offenen historischen Prozess, „der sich nur im Zusammenhang mit den auf ihn teils affirmativ, teils kritisch reagierenden Bewusstseinsformen und den aus ihm folgenden poltischen Einstellungen sowie dem restriktiven Rahmen gesamtgesellschaftlicher Reproduktionsbedingungen abbilden lässt“ (Saage 2005: 26, ähnlich auch 30, 31, 33, 34, 37). 311 In einer solchen Richtung gehen aber die politikwissenschaftlichen Systemtheorien von David Easton (1965), Gabriel Almond (1979) und Karl Deutsch (1973).
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kratie wird damit im Endeffekt zur wichtigsten Voraussetzung für die Weiterexistenz von politischen Systemen, die eine bestimmte Stufe der Evolution erreicht haben.312 Da Luhmann eine weitere Demokratisierung der Demokratie und damit Steigerung der politischen Komplexität aber ablehnt, ist davon auszugehen, dass die gegenwärtigen demokratischen politischen Systeme mit der Demokratie auch an das Ende ihrer evolutionären Entwicklung angelangt sind.313 Obwohl diese Auffassung nicht mit Fukuyamas Vorstellungen vom Ende der Geschichte (Fukuyama 1992) verwechselt werden darf 314, neigt auch Luhmann dazu, in der gegenwärtigen Situation einen gewissen „Sättigungsgrad“ an Demokratie zu vermuten. „In der Politik schließlich ist niemand mehr gegen Demokratie. Aber das scheint nun darauf hinauszulaufen, daß periodisch zwischen verschiedenen politischen Parteien gewählt wird, die sich in ihren Werten, Programmen und Versprechungen nicht mehr unterscheiden, von der Kritik des Geschehens leben und Personen mit größerem oder geringerem Unterhaltungswert zur Wahl stellen. Es braucht nicht zu wundern, wenn unter diesen Umständen wieder einmal vom „Ende der Geschichte“ gesprochen wird“ (Luhmann 2002a. 92-93). Demnach müsste sich ein demokratisches politisches System schon gegen die gesellschaftliche Evolution selbst wenden, wenn es den Demokratisierungsprozess weiter vorantreiben würde. Ähnliches lässt sich aber auch hinsichtlich von Bestrebungen feststellen, die Demokratie zu sehr einzuschränken. Allerdings müssten sich diese nicht einmal unmittelbar gegen die Demokratie richten. Es würde schon genügen, wenn politische Systeme, aus welchen Gründen auch immer, ihre Komplexität sehr stark verringerten, um die Demokratie zu gefährden. Aber, und auf eine solche Feststellung würde Luhmann Wert legen, die Gefährdungen der Demokratie können nicht direkt durch die Gesellschaft erfolgen, sondern nur durch das politische System selbst. Das gleiche gilt auch für die Demokratisierung der Demokratie im Sinne einer Komplexitätssteigerung politischer Systeme. Selbst sie kann nur durch das politische System selbst erfolgen. Obwohl Luhmann alle diese Prozesse nur enttäuschend ungenau als „Evolution“ bezeichnet, so zeigt er damit immerhin auf, dass man, um Demokratie zu verstehen, die gesellschaftliche Evolution und die Evolution politischer Systeme mit ihren jeweils aufeinander aufbauenden Prozessen der Variation, Selektion und Stabilisierung sehr genau kennen sollte, um ihre Zukunft ab312 Nicht von ungefähr bekennen sich deshalb auch die politischen Eliten zur Demokratie und verteidigen ihre Strukturen und Verfahren in der Regel sehr viel nachhaltiger als die breite Bevölkerung. 313 Kritiker Luhmanns können hier einhaken und ihm Affirmation der bestehenden Verhältnisse vorwerfen. Doch sollte man mit diesem Vorwurf vorsichtig umgehen, weil Luhmann sich hier nicht auf der inhaltlichen Ebene von Politik bewegt. Es geht ihm vielmehr um Komplexität, und diese ist mit sehr unterschiedlichen politischen Inhalten und Werten kompatibel. 314 Fukuyama meint damit, dass es für die Demokratie keine Alternative mehr gibt.
11.4 Luhmanns Theorie demokratischer politischer Systeme
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schätzen zu können. Leider hat bis heute weder die deutsche Politikwissenschaft noch die Soziologie auf die von ihm hierzu vorgelegten Gedanken in angemessener, das heißt in theoretischer und empirischer Form, reagiert.315 Nach wie vor haben bei ihnen allzu häufig normanfällige Begriffe und Ideen316 eine herausragende Bedeutung. Abschließend sei noch auf ein Problem hingewiesen, das ebenfalls von den „klassischen“ Demokratietheorien vernachlässigt worden ist, durch Luhmanns demokratietheoretische Überlegungen jetzt aber in den Vordergrund rückt. Dabei geht es um die Frage, wie Demokratie unter der Voraussetzung der Autonomie und der Eigenrationalität der verschiedenen gesellschaftlichen Funktionssysteme praktiziert werden kann.317 Wenn nämlich jedes der gesellschaftlichen Subsysteme grundsätzlich die Möglichkeit hat, den Verkehr mit seiner Umwelt nach eigenen Selektions- und Rationlitätskriterien zu gestalten, wie ist es dann überhaupt möglich, Demokratie zu praktizieren und aufrecht zu erhalten, wenn die Verantwortung für Demokratie nur in einem Subsystem eines gesellschaftlichen Funktionssystems liegt? Wie, so lässt sich weiter fragen, kommt es, dass die Wirtschaft, die Religion oder die Wissenschaft Demokratie als strukturelles Arrangement der Politik des politischen Systems überhaupt hinnehmen? Eine Antwort auf diese Fragen könnte möglicher Weise darin liegen, dass Demokratie vor allem deshalb von den genannten Systemen akzeptiert wird, gerade weil sie auf das Subsystem Politik des politischen Systems begrenzt ist. Die anderen gesellschaftlichen Teilsysteme können sich also auf Demokratie berufen, ohne sie selbst anwenden zu müssen, wenn man einmal von „Demokratisierungen“ absieht, wie zum Beispiel die Mitbestimmung im Wirtschaftssystem, die Synodalordnungen der katholischen Kirche innerhalb des Religionssystems oder die Mitwirkung der verschiedenen Gruppen innerhalb der Selbstverwaltung von Universitäten im Rahmen des Wissenschaftssystems.318 Die verschiedenen gesellschaftlichen Subsysteme können also Demokratie gerade deshalb tolerieren, weil sie unmittelbar nichts mit ihr zu tun haben. Gegen eine solche Argumentation ließe sich indessen einwenden, dass die Subsysteme von der Demokratie aber immer wieder herausgefordert werden, demokratische Prinzipien in Wissenschaft, Wirtschaft und Religion zu übertragen. Luhmann selbst hat auf diese Fragen keine befriedigenden Antworten gegeben. Dagegen hat Helmut Willke vorgeschlagen, Demokratie als „Idee der Selbstorganisation komplexer Sozial315 Vgl. hierzu aber Zolo (1997), Dahl (1989: 335-337) und neuerdings Demirovic (2001). 316 Zu den ideengeschichtlichen Grundlagen siehe Wilson (1975). 317 Allgemein zu intersystemischen Koordination siehe neben den Arbeiten von Willke (1997, 1999) vor allem auch Bendel (1993). 318 Eine breit angelegte Beschreibung von Demokratie und Demokratisierungsprozessen in verschiedenen gesellschaftlichen Subsystemen hat Vilmar (1973) vorgelegt. Leider hat sich bis heute niemand gefunden, der hieran hätte anknüpfen können. Dies unterstreicht die herausragenden Stellung, die Vilmars Arbeit noch immer hat.
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systeme“ (Willke 1995: 284, Hervorhebungen entfernt, E.C.) zu konzeptualisieren und als ein Steuerungsmodell hochkomplexer Gesellschaften aufzufassen, das auf den Koordinations- und Kompromissleistungen von Verhandlungssystemen aufbaut (Willke 1995: 297-298 sowie Ders. 1998).319 Auch wenn Willkes Vorschlag es verdient, genauer geprüft zu werden, ist ihm Luhmann distanziert gegenüber gestanden, weil er sozusagen „unter der Hand“ Demokratie zu einem allgemeinen Steuerungsmodus komplexer Gesellschaften erklärt und sie damit heillos überfordern würde. Gleichzeitig bleibt in Willkes Vorschlag unklar, wie etwa der Code Regierung/Opposition darin eingebaut werden könnte und welche Funktion Wahlen noch haben könnten. Versucht man am Ende der Ausführungen über „die Demokratie des Niklas Luhmann“ eine Art Gesamtfazit zu ziehen, so fällt das Urteil insgesamt ambivalent aus.320 Einerseits beschreitet er mit seiner Systemtheorie der Demokratie neue Wege, die von den ausgetretenen Pfaden der „klassischen“ Demokratietheorie wegführen. Er wirft dabei eine Vielzahl wichtiger Fragen auf, die er zwar in vielen Fällen nicht oder nur zum Teil beantwortet, die aber doch Defizite der „klassischen“ Demokratietheorien deutlich werden lassen und deren Beantwortung der Demokratietheorie neue Impulse in Richtung einer Weiterentwicklung und Ergänzung der „klassischen“ Demokratietheorien geben wird.321 Andererseits sind seine Überlegungen in vielen Fällen nicht zu Ende gedacht, sie werden plötzlich mitten im Gedankenfluss abgebrochen und sind nicht selten sogar widersprüchlich. Viele Begriffe und angesprochene Sachverhalte sind verkürzt dargestellt, so dass nicht immer Klarheit darüber zu gewinnen ist, was Luhmann eigentlich damit gemeint haben könnte.322 Man muss sich mit Interpretationen behelfen, von denen man nicht mit Bestimmtheit sagen kann, ob sie tatsächlich seinen Intentionen entsprechen. Dennoch ist es unverzichtbar, sich in Zukunft nicht zuletzt auch deshalb intensiver mit seiner Systemtheorie der Demokratie auseinanderzusetzen, um sie zur Weiterentwicklung der Demokratietheorie zu nutzen.323
319 Hier knüpft der Begriff „Verhandlungsdemokratie“ (Czerwick 1999) an. 320 Ein solches Ergebnis hätte Luhmann sicherlich zugesagt, weil er darin die Voraussetzung von Komplexitätserzeugung gesehen hätte. 321 Lange (2003: 291) spricht deshalb auch von einer „originelle(n) Demokratietheorie“. 322 Dieses Urteil mag an dieser Stelle aufgrund der vorangegangenen Ausführungen allzu harsch klingen, doch muss daran erinnert werden, dass mein Versuch, Luhmanns Überlegungen zu einer Systemtheorie der Demokratie zu „verdichten“, auf einer Vielzahl von in seinem Werk weit verstreuten Einzelbemerkungen über Demokratie beruht. 323 Man denke hier nur an Joseph Schumpeter (1993), dessen, reduziert man sie auf ihren Kern, relativ wenige Seiten zur Demokratie eine überaus reiche Forschungs- und Publizitätslandschaft hervorgebracht haben.
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