Strategie und Management produzierender Unternehmen
Günther Schuh€•Â€Achim Kampker (Hrsg.)
Strategie und Management produzierender Unternehmen Handbuch Produktion und Management 1 Zweite, vollständig neu bearbeitete und erweiterte Auflage
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Herausgeber Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirt. Ing. Günther Schuh RWTH Aachen Werkzeugmaschinenlabor (WZL) Steinbachstraße 19 52074 Aachen Deutschland
[email protected]
Prof. Dr.-Ing. Achim Kampker RWTH Aachen Werkzeugmaschinenlabor (WZL) Steinbachstraße 19 52074 Aachen Deutschland
[email protected]
ISBN 978-3-642-14501-8╅╅╅╇╛╛↜渀屮e-ISBN 978-3-642-14502-5 DOI 10.1007/978-3-642-14502-5 Springer Heidelberg Dordrecht London New York Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Einbandentwurf: WMXDesign GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier Springer ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media (www. springer.com)
Vorwort
Unsere industrielle Welt wird immer technischer; die große Mehrheit der großen und kleinen Unternehmen und Institutionen sind heute faktisch Technologieunternehmen. Selbst Dienstleister, Handelsunternehmen oder Verwaltungen kommen nicht ohne anspruchsvolle Technologien in Produkten, Prozessen und der Arbeitsplatzgestaltung aus. Die heutigen Fach- und Führungskräfte müssen daher in naturwissenschaftlichen und ingenieurwissenschaftlichen Disziplinen qualifiziert sein und über ein ausgeprägtes Urteilsvermögen verfügen. Diese Herausforderung wird immer anspruchsvoller, je mehr Disziplinen im eigenen Aufgabenbereich hinzukommen, die man nicht gelernt oder studiert hat, über die man aber im betrieblichen Alltag dennoch mitdiskutieren und entscheiden können muss. Demzufolge kommt der typische Ingenieur in seiner Laufbahn regelmäßig an für ihn neue Aufgabengebiete und Fachdisziplinen vorbei, die er sich kurzfristig, zielsicher und schnell aneignen muss. Das geschieht besonders an der Schnittschnelle zwischen fachlichtechnischen Aufgaben und der Personalführungs- und Managementverantwortung. Für die Manager und Experten, die es mit neuen Aufgabengebieten und Disziplinen und der entsprechenden Führungsverantwortung zu tun bekommen, habe ich mit meinen Mitarbeitern dieses neue Nachschlagewerk erarbeitet. Es soll einen schnellen und unkomplizierten Zugriff zu den wichtigsten Begriffen, Zusammenhängen, Methoden und Beispielen liefern. Ich habe dazu das Themenfeld von Produktion und Management in einem generischen Ordnungsrahmen geordnet, indem wir den neun wichtigsten Themenfeldern – von der Strategie und dem Management produzierender Unternehmen, dem Technologiemanagement, dem Innovationsmanagement, dem Produktions- und Logistikmanagement, dem Qualitäts- und dem Einkaufsmanagement sowie dem Management industrieller Dienstleistungen bis zum Management des technischen Vertriebs und der Fabrikplanung – jeweils einen Band gewidmet haben. Das neue Werk soll damit schnelle Orientierung liefern, jeweils für die technischen und betriebswirtschaftlichen Fragestellungen, die typischerweise in entwickelnden und produzierenden Unternehmen auftreten. Die einzelnen Bände wenden sich damit sowohl an Fach- und Führungskräfte aus den jeweiligen Disziplinen wie auch an die entsprechenden Grenzgänger zwischen den Disziplinen. Ganz besonders sind aber auch die Studierenden der Ingenieurwissenschaften und der Betriebswirtschaftslehre angesprochen, die ihre Lerninhalte komprimiert und praxisorientiert nachlesen wollen. Die jeweiligen Bände geben den derzeitigen Stand der Wissenschaft und Praxis in den einzelnen Themengebieten in der Struktur eines
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Vorwort
Nachschlagewerkes und Handbuches wieder. Gleichzeitig bietet dieses Handbuch vielfältige, weiterführende Hinweise auf die einschlägige Fachliteratur, so dass man von hier aus schnell geeignete Vertiefungsmöglichkeiten findet. In diesem ersten Band des Handbuchs „Produktion und Management“ behandeln wir die Strategie und das Management produzierender Unternehmen. Produzierende Unternehmen befinden sich mehr denn je in einem Spannungsfeld unterschiedlicher Anspruchsgruppen. In Verbindung mit der hohen Dynamik des wirtschaftlichen Umfelds ist es umso wichtiger geworden, Entscheidungen im Kontext aller für ein Unternehmen relevanten Aspekte schnell und sicher zu treffen. Die Menge an Informationen, die heute dafür als Entscheidungsgrundlage zur Verfügung steht, ist allerdings kaum noch beherrschbar. Daher ist es in der heutigen Zeit erforderlich, neben der sicheren Anwendung der Methoden einer Strategie zu folgen und das Unternehmen logisch zu positionieren. Der Vorgehensweise dazu und den daraus resultierenden Fragestellungen widmet sich dieser Band zur Strategie und Management produzierender Unternehmen, der einen umfassenden und transparenten Überblick über Prozesse und Methoden des Managements und der Strategielehre gibt. Ich bedanke mich sehr herzlich bei meinen Mitarbeitern der Abteilung Unternehmensentwicklung des Werkzeugmaschinenlabors WZL der RWTH Aachen, die es unter der Leitung meines Mitherausgebers dieses Bandes, Herrn Prof. Dr.-Ing. Achim Kampker, mit ihren Ideen, ihrem enormen Engagement und ihrer Sorgfalt ermöglicht haben, dieses Werk herauszubringen. Ebenso herzlich danke ich dem Springer Verlag, der mich unter der Führung von Herrn Thomas Lehnert nicht nur beharrlich von der Notwendigkeit dieses Handbuches überzeugt, sondern der auch in sehr speditiver, professioneller und angenehmer Form das Werk umgesetzt hat und auch die weiteren Bände umsetzen wird. Aachen, im Oktober 2010
Günther Schuh
Inhaltsverzeichnis
1 Grundlagen des Managements produzierender Unternehmen╇ ���������������������� ╇╅ 1 Wolfgang Boos, Magdalena Völker und Günther Schuh 2 Strategie╇ ����������������������������������尓������������������������������������尓������������������������������������尓����� â•… 63 Günther Schuh, Wolfgang Boos, Achim Kampker und Ute Gartzen 3 Unternehmensstruktur╇ ����������������������������������尓������������������������������������尓����������������� ╇ 133 Achim Kampker, Günther Schuh und Bastian Schittny 4 Unternehmensentwicklung╇ ����������������������������������尓������������������������������������尓���������� ╇ 231 Günther Schuh, Achim Kampker und Robin Huesmann 5 Prozessmanagement╇ ����������������������������������尓������������������������������������尓���������������������� ╇ 327 Günther Schuh, Achim Kampker, Volker Stich und Kristian Kuhlmann 6 Rechtsformen, Rechnungswesen und Controlling╇ ����������������������������������尓��������� ╇ 383 Günther Schuh, Achim Kampker und Hagen Ziskoven 7 Vernetzte Wertschöpfung und Kooperationsmanagement╇ ����������������������������� ╇ 463 Günther Schuh, Achim Kampker und Moritz Rittstieg Sachverzeichnis╇ ����������������������������������尓������������������������������������尓����������������������������������� ╇ 537
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Autoreninformation
Dr.-Ing. Wolfgang Boos 52074 Aachen, Deutschland
[email protected] Dipl.-Kff. MS Ute Gartzen 52074 Aachen, Deutschland
[email protected] Dipl.-Wirtsch.-Ing. Robin Huesmann 52074 Aachen, Deutschland
[email protected] Prof. Dr.-Ing. Achim Kampker 52074 Aachen, Deutschland
[email protected] Dipl.-Ing. Dipl.-Wirt. Ing. Kristian Kuhlmann 52074 Aachen, Deutschland
[email protected] Dipl.-Ing. Moritz Rittstieg 52074 Aachen, Deutschland
[email protected] Dipl.-Wi.-Ing. Bastian Schittny 52074 Aachen, Deutschland
[email protected] Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirt. Ing. Günther Schuh 52074 Aachen, Deutschland
[email protected] Prof. Dr.-Ing. Volker Stich 52062 Aachen, Deutschland
[email protected] Dipl.-Wirtsch.-Ing. Magdalena Völker 52074 Aachen, Deutschland
[email protected] Dipl.-Ing. Dipl.-Wirt.Ing. Hagen Ziskoven 52074 Aachen, Deutschland
[email protected]
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Grundlagen des Managements produzierender Unternehmen
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Wolfgang Boos, Magdalena Völker und Günther Schuh
Kurzüberblick╇╛Der Begriff des Managements, der Manager sowie der Unternehmensführung ist heute allgegenwärtig in Berichterstattung und Alltagssprache. Die Begriffe Management und Unternehmensführung werden hier synonym verwendet, da der mancherorts gezogene Unterschied zwischen Management bezogen auf alle sozialen Systeme und Unternehmensführung begrenzt auf produzierende Unternehmen nicht relevant ist. Weil das Management seit dem letzten Jahrhundert eine gewachsene Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung hat, gibt es eine Vielzahl von Managementgrundsätzen und Handlungsanweisungen, die zu einer eigenständigen Wissenschaftsdisziplin herangewachsen sind. Das Gebiet der Unternehmensführung ist heute in großen Teilen eine lehr- und lernbare Disziplin geworden. Dieses Kapitel gibt eine erste Einführung in das Management produzierender Unternehmen, erklärt die wesentlichen Begrifflichkeiten und grenzt die Aufgabenbereiche ab. Zusätzlich werden grundlegende Managementtheorien erläutert und wichtige Managementansätze vorgestellt.
1.1 Einleitung und Grundlagen Die Bedeutung der Unternehmensführung in produzierenden Unternehmen hat stark zugenommen, da Manager neben der Verantwortung für das Fortbestehen des Unternehmens auch gesellschaftliche und ökologische Verantwortung tragen. Zur Klärung des Begriffes Unternehmensführung müssen beide Interpretationsweisen – die institutionelle und die funktionelle – erklärt und abgegrenzt werden, was automatisch auch eine erste Aufgabenbeschreibung für Unternehmensführung mit sich zieht. Die PerW. Boos () 52074 Aachen, Deutschland E-Mail:
[email protected]
G. Schuh, A. Kampker (Hrsg.), Strategie und Management produzierender Unternehmen, DOI 10.1007/978-3-642-14502-5_1, ©Â€Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
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sonalführung als Führung im sozialwissenschaftlichen Sinn wird in diesem Kapitel jedoch ausgeklammert. Das heutige Managementverständnis und die Notwendigkeit einer stark ausgeprägten und institutionalisierten Führung existieren in dieser Form erst seit etwas mehr als einem Jahrhundert, trotzdem besteht bereits ein breiter Fundus an Theorien und Handlungsmodellen.
1.1.1 Historische Entwicklung des Managements Das Verständnis von Management und die Anforderungen an das Management produzierender Unternehmen haben sich mit der Zeit stark gewandelt. In der Praxis war Management mit Planungs-, Steuerungs- und Kontrollfunktionen schon bei dem Bau der ägyptischen Pyramiden unabdingbar, um ein solches Projekt erfolgreich beenden zu können. Vorläufer der Unternehmen nach heutigem Verständnis existierten bereits im römischen Reich zur Rüstungs- und Tonwarenherstellung, da hier schon Massenware für das römische Weltreich gefertigt wurde. Das Buch „Die Kunst des Krieges“ (ca. 500€v.€Chr.) des chinesischen Generals Sunzi gilt als frühestes Buch über Strategie, das auch heute in vielen Managementkursen behandelt wird. Sokrates (469–399€v.€Chr.) und Aristoteles (384–322€v.€Chr.) setzten sich erstmals theoretisch mit Unternehmensführung auseinander und entwickelten erste Ideen zu Fragen der Spezialisierung. In der römischen Literatur ist neben der Kriegsliteratur und den darin enthaltenen Führungsanweisungen wenig vorhanden. Lediglich Marcus Cicero (106€v.€Chr.–43€n.€Chr.) beschäftigte sich in dem Brief „Ad Quintum fratrem“ damit, wie sich ein Statthalter zu verhalten hat. Nichtsdestotrotz herrscht in der Literatur weitgehende Einigkeit darüber, dass das moderne Management und die moderne Managementlehre mit der industriellen Revolution entstanden sind, die sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts von England aus auf das europäische Festland und auch nach Nordamerika ausbreitete. Den Grundstein für die industrielle Revolution bildete vor allem die Dampfmaschine in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die 1765 von James Watt entwickelt worden war. Aber auch neue ökonomische Ideen wie „The Wealth of Nations“ (1776) von Adam Smith spielten eine wichtige Rolle. Smith zeigte am Beispiel der Stecknadelproduktion, dass mit der Spezialisierung ein enormer Produktivitätsanstieg einherging: von 20 Stück pro Arbeiter und Tag auf 48.000 pro zehn Arbeiter und Tag. Grund dafür seien die steigende Geschicklichkeit durch Wiederholung und der nun mögliche Maschineneinsatz [1]. Diese technischen und ökonomischen Entwicklungen führten zu einem einschneidenden Strukturwandel von der handwerklichen Fertigung in kleinen Betrieben zur industriellen Produktion in den nun entstehenden Großunternehmen. Durch die zunehmende Größe und Komplexität solcher Unternehmen gewann die Unternehmensführung eine immer größere Bedeutung, da die wachsende Arbeitsteilung ohne eine koordinierende Instanz nicht funktionierte. Angesichts dieser wachsenden praktischen Bedeutung beschäftige sich bald auch die Wissenschaft verstärkt mit dem Thema. Im ausklingenden 19. Jahrhundert wurden dann die ersten Handelshochschulen im deutschsprachigen Raum in Leipzig, Wien
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und St. Gallen gegründet und die Unternehmensführungslehre etablierte sich als eigenständige wissenschaftliche Disziplin [2].
1.1.2 Unternehmensführung als Institution und Funktion Unternehmensführung als zielorientierte Gestaltung und Steuerung der Entscheidungen und Koordinationsinstanz umfasst nicht nur eine organisatorische Komponente, sondern auch die Personen im Mittelpunkt der Entscheidungen. Das Wort Unternehmensführung besitzt daher einen Doppelcharakter, da es personenorientiert als Institution und aufgabenorientiert als Funktion bzw. Komplex von Aufgaben verstanden werden kann [3]. Demnach werden in der Managementlehre die institutionelle Perspektive und die funktionelle Perspektive unterschieden (s. Abb.€1.1).
1.1.2.1 Unternehmensführung als Institution Unternehmen sind komplexe Gebilde mit vielen Teilbereichen, die mit unterschiedlichen Problemen konfrontiert werden und verschiedene Ziele verfolgen können. Um dennoch Unternehmensziele einheitlich zu verfolgen, bedarf es der Koordination. Die Mitarbeiter eines Unternehmens, die diese notwendigen Koordinationsaufgaben übernehmen, nennt man Unternehmensführung. Die Bedeutung von Unternehmensführung als Institution ist demzufolge, dass bestimmte Personen in einem Unternehmen die Aufgabenerfüllung der anderen Mitarbeiter koordinieren. Zwingende Voraussetzung dafür ist, dass die Unternehmensführung durch rechtliche oder organisatorische Vorschriften dazu legitimiert ist, Weisungen zu erteilen. Daher gehören Personen wie Meinungsführer, deren Einfluss auf andere nicht formal legitimiert ist, nicht zur Unternehmensführung. Mitarbeiter in der Unternehmensführung eines Unternehmens werden auch als interne Führung, Führungskräfte oder Manager bezeichnet. Als externe Führung werden Gremien wie die Hauptversammlung oder der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft bezeichnet. Die Mitglieder der internen Führung werden hierarchisch in Führungsebenen unterschieden: Eine Führungsebene ist ein strukturelles Merkmal, das eine Stufe der gesamten
Unternehmensführung
Abb.€1.1 ╇ Aspekte der Unternehmensführung
Institutionelle Perspektive
Funktionale Perspektive
Personen, die Koordinationsaufgaben legitimiert übernehmen
Tätigkeiten der koordinierenden Personen
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betrieblichen Organisationsstruktur verkörpert. Führungskräfte auf der untersten Ebene – das Lower Management – arbeiten unmittelbar mit Mitarbeitern ohne Führungsfunktionen zusammen, z.€B. Schichtleiter in der Produktion. Über ihnen ist die mittlere Führungsebene – das Middle Management – angesiedelt. Je nach Größe des Unternehmens kann es mehrere oder keine Ebenen des Middle Managements geben. Das Top Management schließlich nimmt Führungs- und Leitungsfunktionen für das Unternehmen als Ganzes wahr, es handelt sich hier z.€B. um Prokuristen, die Geschäftsführung oder den Vorstandsvorsitzenden. In Großunternehmen wird im Normalfall auch die zweite Führungsebene, z.€B. Leiter von Unternehmensbereichen oder regionale Führung, als Top Management bezeichnet [2]. Grundsätzlich gilt: Je höher die Ebene, desto langfristiger und weitreichender sind die Auswirkungen der Entscheidungen. Mit abnehmender Hierarchie wird der Entscheidungsspielraum enger, die zu treffenden Entscheidungen werden immer konkreter und betreffen zunehmend detaillierte Sachentscheidungen (s. Kap.€1.1.3).
1.1.2.2 Unternehmensführung als Funktion Der Begriff der Unternehmensführung steht nicht nur für die koordinierenden Mitarbeiter, sondern auch für deren Handeln. In diesem Zusammenhang spricht man von Unternehmensführung als Funktion oder Tätigkeit. Eine engere Definition des Begriffes Management bezieht sich alleine hierauf. Im Zentrum des Führungshandelns stehen die Entscheidungen, die die Arbeit der Menschen im Unternehmen koordinieren und somit die Richtung des Unternehmens festlegen. Bei den einzelnen Handlungskomplexen werden darunter unter anderem schon die von Fayol 1916 definierten Funktionen wie Zielbildung, Planung, Organisation, Kontrolle und Steuerung verstanden. Hierbei handelt es sich um Querschnittsfunktionen, die alle Stufen der Wertschöpfungskette beeinflussen. Die Existenz dieser Führungsfunktionen in der Realität wird kontrovers diskutiert, wobei ein abschließendes Urteil nicht möglich erscheint: Zwar konnte in empirischen Studien das Vorliegen der Führungsfunktionen nachgewiesen werden, wobei die drei wichtigsten Faktoren die Planungs-, Koordinations- und Kontrolltätigkeiten sind (auf diese drei Funktionen konzentrieren und beschränken sich fast alle Bücher zu Management und Unternehmensführung). Andererseits wird dieser Ansatz gerade in jüngster Vergangenheit durch empirische Studien, die das tatsächliche Handeln von Führungskräften untersuchten, in Zweifel gezogen, vgl. dazu [4]. Die Managementfunktionen stehen zu den betrieblichen Funktionen wie Einkauf, Produktion oder Vertrieb in einem komplementären Verhältnis. Sie verknüpfen und steuern die Aktivitäten innerhalb eines Betriebes. Abbildung€1.2 stellt diese Verknüpfung dar und zeigt das Management als Querschnittsfunktion zur Steuerung des Einsatzes von Ressourcen und des Zusammenwirkens von Sachfunktionen [5]. Aufgrund der Vielseitigkeit der Managementfunktionen werden diese häufig in die Teilfunktionen • • • •
Planung Organisation Führung Kontrolle
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Sachfunktionen Entwicklung
Produktion
Vertrieb
Planung Managementfunktionen
Organisation Führung Kontrolle
Abb. 1.2 ╇ Matrixdarstellung der Managementfunktionen in Anlehnung an [5]
unterteilt, vgl. dazu z.€B. [5]. Die Managementfunktionen lassen sich in einem Zyklus beschreiben (s. Abb.€1.3): Den logischen Ausgangspunkt bilden die Planungsaktivitäten. Ausgehend von dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit eines produzierenden Unternehmens ist eine möglichst exakte und umfassende Planung nötig, um die festgesetzten Unternehmensziele zu erreichen und Maßnahmen zu bestimmen. Nach Gutenberg ist Planung der „Entwurf einer Ordnung, nach der sich das betriebliche Geschehen in der Zukunft vollzieht“ [6]: Grundsätzlich werden alle Stufen des Wertschöpfungsprozesses geplant, im Zentrum steht die Entwicklung von Unternehmensstrategien. Planung gibt insofern die Grenzen der Handlungen fest und richtet die Handlungen auch nach diesen aus.
Schaffung einer zielgerichteten Handlungsgrundlage n
atio
anis
Org
Kompetente Besetzung der Stellen Fü
hr
Definieren
Zielgerichtete Ausrichtung der Ausführung
un
g
Dinge Entwurf einer Soll-Ordnung
Analysieren
Menschen
Ideen
Kommunizieren
Elemente
tro
Funktionen
Aktivitäten
Abb. 1.3 ╇ Management-Zyklus in Anlehnung an [5]
Ko n
ng
u an
lle
Pl
Basistätigkeiten
Soll-Ist Vergleich
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Nach der eher theoretischen Planungsphase folgt die Festlegung der steuernden Organisationsstrukturen: das Handlungsgefüge wird bereitgestellt durch den Aufbau von Abteilungen und Stellen und der Zuteilung von Kompetenzen (s. Kap.€3.1). Anschließend überwiegt die Führung im engeren Sinne, also die optimale Umsetzung der Unternehmensziele. Den Abschluss des Managementprozesses bildet die Phase der Kontrolle, in der ein abschließender Soll-Ist-Vergleich durchgeführt wird (s. Kap.€6).
1.1.3 Ebenen der Unternehmensführung Ergänzend zu der institutionellen und der funktionellen Perspektive spielt der Entscheidungsprozess in der Unternehmensführung eine wichtige Rolle: Die Unternehmensführung als Person muss entscheiden, um zu handeln. Insofern unterscheidet sich die Unternehmensführung von den eigentlichen Leistungsprozessen wie Entwicklung, Produktion und Vertrieb, da sie nicht Teil der Leistungserstellung im direkten Sinn ist, sondern diese Prozesse überlagert, verknüpft und steuert und durch ihre Entscheidungen die Leistungsprozesse gestaltet. Daher spielen in der Unternehmensführung Entscheidungen, z.€B. über zukünftige Produkte oder Investitionen eine zentrale Rolle. Die einzelnen Entscheidungen der Unternehmensführung unterscheiden sich dabei z.€B. nach Zeithorizont, monetäre Auswirkungen und Auswirkungen auf den Unternehmenserfolg. Davon ausgehend können die Führungsentscheidungen in Ebenen unterteilt werden, die die Tragweite der Handlungen und Zielsetzungen widerspiegeln. Diese drei Ebenen werden als normative, strategische und operative Unternehmensführung unterschieden, vgl. dazu [2, 7, 8]. Teilweise wird auch zwischen der der strategischen und der operativen Ebene die Zwischenebene der Taktik eingeordnet, vgl. dazu [8]. Nach dieser Systematik werden die Führungsentscheidungen zu Aufgabenbereichen zusammengezogen, um ein hierarchisches Modell der Unternehmensführung zu erstellen. Die übergeordneten Aufgaben geben dabei den Rahmen für die untergeordneten Aufgaben vor. Die normative und die strategische Führung gestalten, während die operative Führung in direktem Kontakt mit den Mitarbeitern lenkt – die Entscheidungen betreffen immer konkretere Aufgaben [8]: • Die normative Unternehmensführung prägt den identitätsstiftenden Gestaltungsrahmen. Sie bestimmt die grundlegenden Ziele des Unternehmens, wie z.€B. dessen Geschäftsfelder. • Die strategische Unternehmensführung schafft innerhalb der normativen Vorgaben neue Erfolgspotenziale und entwickelt bestehende weiter. • Die operative Unternehmensführung koordiniert nach den strategischen Vorgaben die laufenden Aktivitäten und sorgt für deren Umsetzung im Tagesgeschäft. Auch die operative Unternehmensführung kann Änderungen der Zukunftsvorstellungen und Strategien auslösen, wenn unerreichbare oder unerreichte Ziele dies nötig machen. Zwischen den Hierarchiestufen und den Unternehmensführungsebenen besteht im Normalfall ein direkter Zusammenhang. So beschäftigt sich das Top Management mit norma-
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tiv prägenden Entscheidungen, das Middle Management setzt sich mit strategischen Fragestellungen auseinander und sorgt dafür, dass die Umsetzung der operativen Führungsaufgaben durch das Lower Management nach seinen Vorgaben erfolgt.
1.1.3.1 Normative Unternehmensführung Die Ebene des normativen Managements beschäftigt sich mit generellen Zielen der Unternehmung, mit Prinzipien, Normen und Spielregeln, die darauf ausgerichtet sind, die Lebensund Entwicklungsfähigkeit der Unternehmen zu ermöglichen. [7]
Nach dieser Definition von Bleicher beschäftigt sich die normative Unternehmensführung vor allem mit Entscheidungen über die übergeordneten Ziele eines Unternehmens, die Unternehmensverfassung und die Unternehmenskultur. Die Entscheidungen zielen auf die Lebens- und Entwicklungsfähigkeit (Legitimität) des Unternehmens. Diese übergeordneten Entscheidungen haben einen normativen Charakter und sind oft das Ergebnis eines Abstimmungsprozesses zwischen unterschiedlichen Interessengruppen innerhalb eines Unternehmens.
Unternehmensziele Ziele bilden angestrebte, also gewollte zukünftige Zustände ab, die festgelegt und für verbindlich erklärt werden. In einem Unternehmen drücken sie darüber hinaus das Selbstverständnis und den Anspruch des Unternehmens aus. In Zielen werden die Interessen der Kapitalgeber und Mitarbeiter – hier vor allem der Führungskräfte – zusammengefasst. Zudem haben auch Kunden, Lieferanten, der Staat und die allgemeine Öffentlichkeit einen Einfluss bei der Zielformulierung. Gemeinsames Oberziel aller Einwirkenden ist die Erhaltung und erfolgreiche Weiterentwicklung des Unternehmens, sofern dadurch die Individualziele unterstützt werden [9]. Die Unternehmensziele umfassen die generellen Ziele des Unternehmens und die hiervon abgeleiteten strategischen und operativen Ziele sowie Handlungsziele. Sie fordern die Mitglieder des Unternehmens auf, Aktionen unter Einsatz bestimmter Mittel durchzuführen. Eine Charakterisierung kann nach Inhalt, Ausmaß und zeitlichem Bezug erfolgen. Ziele können darüber hinaus nach drei inhaltlichen Kategorien unterschieden werden [9, 10]: • Sachziele (auch Leistungsziele) beschreiben das angestrebte Tätigkeitsfeld des Unternehmens, d.€h. das angestrebte künftige Produkt- und Leistungsspektrum für spezifische Märkte, die und auf denen das Unternehmen in Zukunft anbieten will. • Wertziele (auch monetäre Ziele) geben Vorgaben für das künftige finanzielle Ergebnis und Ergebniskomponenten sowie für Liquidität und Liquiditätskomponenten wie beispielsweise den Cash-flow. • Als Sozialziele (auch Humanziele) werden angestrebte Verhaltensweisen gegenüber internen und externen Gruppen wie Mitarbeitern, Lieferanten, Gesellschaft und auch
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natürliche Umwelt bezeichnet. Sozialziele werden teilweise intrinsisch entwickelt, teilweise extrinsisch (z.€B. durch den Staat oder mächtige Interessengruppen) vorgegeben.
Unternehmensverfassung Die Gestaltung der Unternehmensverfassung ist eine weitere wichtige normative Führungsaufgabe. Eine Verfassung ist eine grundlegende, rechtswirksame Ordnung eines sozialen Systems (eines Staates oder einer Institution). In ihr werden zentrale Normen festgehalten, die die innere Ordnung und die Außenbeziehungen des Systems bestimmen; dies können Aussagen zum Existenzzweck und zu Möglichkeiten der Veränderung oder Auflösung sein. Des Weiteren werden in der Verfassung die Rechte und Pflichten der Mitglieder des sozialen Systems festgehalten. Oft beinhaltet die Verfassung auch grundlegende Organisationsfragen wie die Befugnisse und Zusammensetzung von Organen und die Aufgabenverteilung und Verantwortungsverteilung zwischen den Organen [11]. Die Unternehmensverfassung gibt dem Management einen strukturierten Rahmen, in dem die unterschiedlichen Interessen eingebunden sind. Getragen von der Unternehmensphilosophie wirkt die Unternehmensverfassung als struktureller Rahmen für die unternehmerische Entwicklung und die Handlungsfreiheit des Managements. Auf die Gestaltung der Unternehmensverfassungen nimmt der Gesetzgeber starken Einfluss (s. Kap.€1.1.5).
Unternehmenskultur Unter Unternehmenskultur werden das entwickelte Wissen und die entwickelten Fähigkeiten eines Unternehmens sowie die Einstellungen seiner Mitarbeiter zur Aufgabe, zum Produkt, zu den Kollegen, zur Führung und zum Unternehmen verstanden [12], s. Kap.€3.3.
1.1.3.2 Strategische Unternehmensführung Strategisches Management ist auf den Aufbau, die Pflege und die Ausbeutung von Erfolgspotentialen gerichtet, für die Ressourcen eingesetzt werden müssen. [7]
Strategien sind der Ausgangs- und Mittelpunkt der strategischen Unternehmensführung, s. Kap.€2. Die Strategie schafft Voraussetzungen, um die normativen Ansprüche an ein Unternehmen langfristig zu erfüllen. Dafür müssen sie von der strategischen Unternehmensführung ausformuliert, ausgewählt und mit Hilfe von Strukturen und Systemen umgesetzt werden. Die Strategien bestimmen darüber hinaus die externe Ausrichtung und interne Ausrichtung des Unternehmens. Die strategische Unternehmensführung schafft somit den langfristig gültigen Handlungsrahmen für konkrete Handlungen des Unternehmens [2].
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1.1.3.3 Operative Unternehmensführung Das operative Management setzt die strategischen Vorgaben mit den Prozessen der Mitarbeiterführung, der finanziellen Führung und des Qualitätsmanagements um. Der Handlungsrahmen der operativen Unternehmensführung wird durch die strategischen Entscheidungen bestimmt. Sie hat in der Regel einen sehr kurzfristigen Charakter. Die Aufgabe der operativen Unternehmensführung ist es, über konkrete Handlungen am Markt oder im Unternehmen zu entscheiden. Hierfür sind Ziele und Maßnahmen für die einzelnen Funktionsbereiche eines Unternehmens zu erarbeiten und umzusetzen. Darüber hinaus werden im Rahmen des operativen Managements die Beziehungen zwischen den Funktionsbereichen abgestimmt. Verantwortlich für die operativen Führungsaufgaben sind im Allgemeinen die Leiter der verschiedenen Funktionsbereiche im Unternehmen, also zum Beispiel Leiter von Forschung und Entwicklung, Beschaffung, Produktion oder Vertrieb Service [2].
1.1.4 Shareholder Value vs. Stakeholder Value orientierte Unternehmensführung Shareholder im engeren Sinne sind die Aktionäre, im weiteren Sinne betrifft der Begriff auch Eigenkapitalgeber anderer Rechtsformen, wie. z.€B. die Gesellschafter einer GmbH. Unter dem Begriff Shareholder Value versteht man daher den Wert des Eigenkapitals eines Unternehmens. Stakeholder sind die Interessensgruppen, die durch die Handlungskonsequenzen des Unternehmens betroffen sind. Hierzu zählen beispielsweise die Arbeitnehmer, der Staat, Zulieferer, Kunden und die Unternehmensleitung.
1.1.4.1 Der Shareholder Value-Ansatz Der Shareholder Value-Ansatz der Unternehmensführung besagt, dass die Unternehmensführung unternehmerische Entscheidungen allein so zu treffen hat, dass ein maximaler Nutzen für die Shareholder generiert wird. Der Nutzen der Shareholder ist dabei vor allem in der Unternehmenswertsteigerung zu sehen (vgl. Kap.€7.1.2.1) [13]. Konkretisiert auf der Rechtsform der Aktiengesellschaft muss ein Unternehmen mit einer Shareholderorientierten Unternehmensführung eine Maximierung der Marktkapitalisierung anstreben. Begründet wird die eindimensionale Ausrichtung auf die Interessen der Eigenkapitalgeber vor allem mit den vertraglichen Verpflichtungen der Unternehmensleitung gegenüber diesen (der sog. Prinzipal Agent-Beziehung) [14]. Des Weiteren soll der Shareholder ValueAnsatz mögliche Interessenkonflikte zwischen verschieden Typen von Eigenkapitalgebern entschärfen. Durch die andauernde, konsequente Steigerung des Unternehmenswertes werden die Ziele aller Eigenkapitalgeber, unabhängig von ihren individuellen Risiko- und Zeitpräferenzen, verfolgt.
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Die weite Verbreitung der Shareholder-orientierten Unternehmensführung lässt sich vor allem durch die seit Mitte der 1980er Jahre anhaltende Übernahmewelle begründen [15, 16]. Potenzielle Übernahmekandidaten zeichnen sich dabei vor allem durch eine Unterbewertung ihres Marktwertes aus [17]. Eine Schutzmaßnahme gegen eine (feindliche) Übernahme besteht demnach darin, den Wert des Eigenkapitals durch geeignete Maßnahme kontinuierlich zu vergrößern bzw. ggf. den aktuellen Marktwert dem tatsächlichen Wert anzunähern und dadurch rein monetär geprägte Übernahmeanreize zu minimieren [15, 18]. Die Ermittlung des Shareholder Value-Wertes stellt eine elementare Aufgabe des vorgestellten Ansatzes dar, insbesondere vor dem Hintergrund seiner Nutzung als Instrument zur Bewertung eines Unternehmens. Zur Bewältigung dieser Aufgabe hat sich die DiscountedCash-Flow-Methode (DCF-Methode) in den USA und zunehmend auch im deutschsprachigen Raum als gängiges Verfahren etabliert [19, 20]. Die DCF-Methode ermittelt den Shareholder Value in Anlehnung an die Kapitalmarktmethode über die Diskontierung zukünftiger Zahlungsüberschüsse [21]. Der Shareholder Value ist demnach mit dem Gegenwartswert des zukünftigen Free Cash Flows unter Berücksichtigung einer marktüblichen Risikoprämie gleichzusetzen [22].
1.1.4.2 Der Stakeholder (Value)-Ansatz Der Stakeholder-Ansatz fasst ein Unternehmen als Koalition von Anspruchsgruppen (Stakeholdern) auf, deren Beiträge notwendig für die Wertschöpfung innerhalb des Unternehmens sind [17]. Daher geht dieser Ansatz von der Notwendigkeit eines ausgeglichenen Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung zwischen Stakeholdern und Unternehmen aus. Anders als der Shareholder Value-Ansatz betont der Stakeholder-Ansatz, dass sich die Unternehmensentscheidungen nicht allein an den Nutzenerwartungen der Eigenkapitalgeber ausrichten dürfen. Vielmehr muss ein Unternehmen im Sinne einer Stakeholder orientierten Unternehmensführung Nutzen für eine ganze Reihe möglicher Stakeholder generieren (vgl. Kap.€7.1.2). Das übergeordnete Ziel des Stakeholder-Ansatzes lässt sich dabei im Fortbestand und der Wertschöpfung eines Unternehmens nur sehr allgemein charakterisieren [22]. Es liegt daher auch keine eindeutig definierbare Zielgröße zugrunde, demzufolge Eberhardt auch von einem zielpluralistischen System spricht [23]. Fallbeispiel╇╛Die Siemens AG Deutschland sieht das Ansehen bei Kunden, Geschäftspartnern und Investoren, das Vertrauen der Mitarbeiter, öffentliche Akzeptanz und Glaubwürdigkeit gegenüber Wissenschaft, Politik, Medien und gesellschaftlichen Institutionen als Grundvoraussetzungen für den geschäftlichen Erfolg. Die Beziehungen zu den Stakeholder-Gruppen werden in Abb.€1.4 dargestellt. So stehen z.€B. noch vor Kunden und Investoren Mitarbeiter hier im Zentrum des Beziehungsgeflechts, da aus Unternehmenssicht gut ausgebildete und hoch motivierte Mitarbeiter dazu beitragen, dass die Erwartungen der Kunden und Investoren erfüllen werden können. Trotzdem
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Siemens
Mitarbeiter
Lieferanten
Kunden
Investoren
Politik
Gesellschaft
Abb. 1.4 ╇ Selbstdarstellung der Beziehungen zwischen Siemens und den Stakeholdern [25]
stehen die Kunden und deren Bedürfnissen im Mittelpunkt der Geschäftstätigkeit, für die maßgeschneiderte Produkte erarbeitet und divisons-übergreifende Kundenbetreuung angeboten werden. Die Gesellschaft wird dabei als Grundlage gesehen, ohne deren Akzeptanz des Unternehmens keine Geschäftstätigkeit möglich ist. Eine breite gesellschaftliche Akzeptanz für Technologie und Innovationen als Treiber nachhaltiger Entwicklung ist eine wichtige Rahmenbedingung für den langfristigen Erfolg. Eine klar strukturierte und gelebte Corporate Governance (s. Kap.€1.1.5) hat dabei für die Siemens AG höchste Priorität und bildet die Grundlage aller Entscheidungs- und Kontrollprozesse. Sie steht für [24]: •â•‡eine verantwortungsbewusste, wertebasierte und auf den langfristigen Erfolg ausgerichtete Führung und Kontrolle des Unternehmens, •â•‡eine zielgerichtete und effiziente Zusammenarbeit zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, •â•‡die Achtung der Interessen unserer Aktionäre und Mitarbeiter, •â•‡Transparenz und Verantwortung bei allen unternehmerischen Entscheidungen sowie einen angemessenen Umgang mit Risiken. Aus dem ursprünglichen Stakeholder-Ansatz hat sich der sogenannte Stakeholder Value-Ansatz herausgebildet. In Abgrenzung zum Stakeholder-Ansatz hat der Stakeholder Value-Ansatz eine Steigerung des Unternehmenswertes zum übergeordneten Ziel [26]. Zentraler Gedanke ist es, dass ein ausgewogenes Management der Stakeholderbeziehungen langfristig zu einer Nutzenmaximierung aller Anspruchsgruppen führt: „Stakeholder interests go together over time“ [27]. Eine an den Stakeholder Value-Ansatz angelehnte Unternehmenspolitik führt demzufolge über einen längeren Zeitraum zu einer Maximierung des Nutzens der Eigenkapitalgeber, also einer Steigerung des Unternehmenswertes [28]. Es ist daher durchaus möglich, den Stakeholder Value-Ansatz als konzeptionelle Weiterentwicklung des Shareholder Value-Ansatzes zu begreifen [29]. Kritiker halten dem Stakeholder Value-Ansatz jedoch entgegen, „dass es ethisch begründbare und moralisch gebotene Entscheidungen zugunsten bestimmter Anspruchsgruppen geben kann, die sich auch langfristig nicht positiv auf den Shareholder Value auswirken, also einen bewussten Verzicht der Kapitalgeber zugunsten einer anderen Anspruchsgruppe implizieren.“ Sowohl innerhalb des Stakeholder-Ansatzes als auch des Stakeholder Value-Ansatzes liegt eine entscheidende Herausforderung in der Identifizierung und Klassifizierung der
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für die Unternehmen relevanten Stakeholder. In der Literatur haben sich betreffend dieser Herausforderung zahlreiche Ansätze heraus gebildet; an dieser Stelle soll jedoch dem Konzept von Freeman et€al. gefolgt werden: In diesem wird zwischen primären und sekundären Stakeholdern unterschieden [27]. Die primären Stakeholder zeichnen sich dabei aus, dass ihre Unterstützung essentiell für den Erfolg und die Überlebensfähigkeit der Unternehmen ist. Klassische primäre Stakeholder sind Kapitalgeber oder Mitarbeiter. Die sekundären Stakeholder hingegen beeinflussen nicht direkt das Unternehmen, wohl aber die primären Stakeholder. Sie haben daher Einfluss auf die Interaktion des Unternehmens mit den primären Stakeholdern. Zu dieser Klasse von Stakeholdern gehören typischerweise die Wettbewerber und die Medien. Das vorgestellte Konzept schlägt vor, die primären Stakeholder in den Fokus der Betrachtung zu setzen. Die sekundären Stakeholder sollten nur insofern Beachtung finden, als sie in der Lage sind, die primären Stakeholderbeziehungen zu beeinflussen. Neben der Identifikation der relevanten Anspruchsgruppen stellen die Bestimmung der Nutzenerwartungen, die Messung des Erfolgs durch Kennzahlen sowie die Festlegung bestimmter Methoden zur Nutzengenerierung die entscheiden Aspekte des Stakeholdermanagements dar [30]. Beachtet werden muss auch, dass manche Akteure im Umfeld der Unternehmen durchaus mehreren Anspruchsgruppen zuzuordnen sind und die identifizierten Nutzenerwartungen der Anspruchsgruppen häufig nicht nur unterschiedlich sondern sogar konträr sind.
1.1.4.3 Diskussion des Shareholder Value- und Stakeholder (Value)-Ansatzes Der Vergleich des Shareholder Value- und Stakeholder (Value)-Ansatzes wirft zunächst die zentrale Frage auf, welche Anspruchsgruppen mit ihren Nutzenvorstellungen in den unternehmerischen Zielbildungsprozess mit einbezogen werden sollten [29]. Diese Frage beinhaltet insofern auch einen moralischen Aspekt. Ob dieser Aspekt in die Strategieausrichtung einfließen soll, muss letztlich jedes Unternehmen für sich selbst entscheiden – eine rein moralisch bzw. ethisch begründete Nutzengenerierung hat in der Regel keine Unternehmenswertsteigerung zur Folge. Der ursprüngliche Stakeholder-Ansatz mit einer allgemeinen Zieldefinition schließt diese rein moralisch begründete Nutzengenerierung zumindest nicht aus. Da an dieser Stelle die moralische Frage ausgeblendet werden soll, fokussiert sich die weitere Diskussion der Konzepte auf den Shareholder Value- und den Stakeholder Value-Ansatz. Es stellt sich zunächst die Frage, ob die beiden Ansätze überhaupt miteinander vergleichbar sind bzw. miteinander konkurrieren. Wenn der Shareholder Value-Ansatz allein als Bewertungsinstrument betrachtet wird, ist die Vergleichbarkeit sicherlich zu verneinen, da sich der Stakeholder Value-Ansatz hauptsächlich als Konzept auf der Ebene des strategischen Managements versteht. In diesem Fall können beide Ansätze ergänzend zueinander verwendet werden. Eine Diskussion beider Konzepte lässt sich folglich nur auf der Ebene der strategischen Ausrichtung eines Unternehmens führen. Beide Ansätze stehen nicht grundsätzlich in Widerspruch zueinander, haben sie doch das gleiche übergeordnete
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Ziel der Unternehmenswertsteigerung. Da dieses Ziel den monetären Nutzenerwartungen der Eigenkapitalgeber entspricht, ist allein diese Anspruchsgruppe im Rahmen des Shareholder Value-Ansatzes für die Ausrichtung der Unternehmensstrategie relevant. Der Stakeholder Value-Ansatz hingegen geht davon aus, dass langfristig eine Unternehmenswertsteigerung nur dann zu erreichen ist, wenn die Nutzenerwartungen aller relevanten Anspruchsgruppen ausgewogen befriedigt werden. Dieser Unterschied offenbart den größten Vorteil des Shareholder Value-Ansatzes: Die Ausrichtung auf nur eine Anspruchsgruppe macht Kompromisse in der Nutzengenerierung überflüssig. Der Stakeholder Value-Ansatz hingegen stellt die Unternehmensleitung vor die Herausforderung, unter den verschiedenen Nutzenerwartungen der Anspruchsgruppen ausgewogen gewichten zu müssen [31]. Allerdings wird gerade der Umstand, dass der Shareholder Value-Ansatz auf eine explizite Berücksichtigung der Nutzenvorstellungen anderer Anspruchsgruppen verzichtet, in der Literatur häufig kritisiert [30]. Begründet wird diese Kritik mit dem Umstand, dass neben den Eigenkapitalgebern auch andere Anspruchsgruppen über für das Unternehmen überlebenswichtige Ressourcen verfügen und daher bei Nichtberücksichtigung ihrer Interessen eine existenzielle Bedrohung für die Unternehmen darstellen können [30]. Anhänger des Shareholder Value-Ansatzes halten dieser Kritik entgegen, dass die Maximierung des Shareholder Value auch zu einer Nutzengenerierung für andere Anspruchsgruppen führe [15, 29]. Diese Darstellung erscheint vor dem Hintergrund der sehr unterschiedlichen und zum Teil auch gegenläufigen Nutzenerwartungen der Anspruchsgruppen als zumindest zweifelhaft [30]. Die Fokussierung des Shareholder Value-Ansatzes auf die Eigenkapitalgeber hat zu einem sehr negativen Image dieses Konzeptes in der Öffentlichkeit geführt. Insbesondere vor dem Hintergrund einer bedeutenden Medienmacht in den Staaten mit einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsordnung kann es für ein Unternehmen durchaus bedenklich sein, sich öffentlich zu einer am Shareholder Value-Ansatz ausgerichteten Strategie zu bekennen. Kritisch wird das Shareholder Value-Ansatz des Weiteren auch aufgrund seiner ausschließlich monetären Ausrichtung beurteilt. Die Folge ist, „dass sowohl nicht-monetäre Wertschmälerungen als auch unentgeltliche Wertsteigerungen, die der Unternehmen durch die Umwelt bzw. vice versa zuschaden resp. zugute kommen, bei strategischen Entscheidungen unberücksichtigt bleiben“ [30]. Auch die immateriellen Ansprüche der Eigenkapitalgeber finden im Zielsystem des Shareholder Value-Ansatzes keine explizite Berücksichtigung (vgl. Kap.€7.1.3.1). Eine als positiv einzuschätzende Eigenschaft des Shareholder Value-Ansatzes ist die Möglichkeit, den Erfolg der Unternehmensleitung sehr kurzfristig über die Analyse des Unternehmenswertes als einzigem Zielwert beurteilen zu können. Allerdings lässt sich der Aspekt der kurzfristig möglichen Erfolgsmessung auch als Nachteil werten, da er die Unternehmensleitung unter Umständen dazu verführen kann, durch kurzfristig orientierte Unternehmenspolitik eine nachhaltige Steigerung des Unternehmenswertes zu beeinträchtigen. Der Erfolg einer an den Stakeholder Value-Ansatz angelehnten Unternehmenspolitik hingegen stellt sich in Bezug auf den Unternehmenswert unter Umständen erst langfristig ein. Kurzfristig macht es nur Sinn, den für die Stakeholder generierten Nutzen zu messen, wobei diese Messung in Ermangelung aussagefähiger Kennzahlen eine besondere Herausforderung bzw. unter Umständen eine Unmöglichkeit darstellt [29].
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1.1.5 Corporate Governance Corporate Governance beschäftigt sich im Kern mit der Art und Weise einer sinnvollen Unternehmensführung und -überwachung. Es werden dabei ganzheitliche Betrachtungen mit der Zielsetzung angestellt, Interessenskonflikte und Kontrollproblematik zwischen Stakeholdern und Managern beizulegen. Die Diskussion um eine zweckmäßige Corporate Governance hat in den vergangenen Jahren zunehmend das wissenschaftliche und öffentliche Interesse erweckt. Als Gründe für diesen Prozess ist nicht nur die Globalisierung mit ihren stetig wachsenden Kapitalverflechtungen anzuführen, sondern auch zahlreiche Unternehmenskrisen und Firmenzusammenbrüche in der jüngeren Vergangenheit. Auch wenn Corporate Governance für alle Unternehmen gilt, hat es doch die größte Bedeutung für börsennotierte Unternehmen, weswegen im Folgenden lediglich auf diese Bezug genommen werden soll. Aufgrund der inhaltlichen Tragweite des Begriffes Corporate Governance ist eine direkte Übersetzung des Begriffes nicht möglich. „Unternehmensverfassung“ bildet lediglich die rechtlichen Aspekte ab, nicht aber die einwirkenden Marktmechanismen. Daher hat sich der Anglizismus im deutschen Sprachgebrauch etabliert und steht für das „System der internen und externen Entscheidungs-, Einfluss- und Kontrollstrukturen eines Unternehmens, einschließlich Zielsetzungen und Beziehungen zu den wichtigsten Interessensgruppen“ [32]. Im Zentrum des Wirkungsgefüges stehen die gesellschaftsrechtlichen Organe des Vorstandes, des Aufsichtsrates und der Hauptversammlung, für die je nach System und Auffassung ein gesetzlicher Rahmen gefunden wird [33]. Berle und Means führten 1932 eine Studie durch, in deren Ergebnisse erstmals das entstehende Problem bei der Trennung von Eigentum und Verfügungsgewalt in einer unternehmerischen Gesellschaft auftauchte und seither als Kernproblem der Corporate Governance gilt. In der Studie wird primär die Problematik beleuchtet, dass Manager zu opportunistischem Verhalten tendieren, sofern sie nicht durch ein funktionierendes Kontrollorgan überwacht werden. Im Fokus dieser Betrachtung stehen damit, unter Annahme vollständiger Märkte, die Shareholder eines Unternehmens. Als Lösungsansatz wird der Unternehmensleitung der Gesellschaft folgerichtig die Maximierung des Shareholder Value empfohlen [34, 35]. Eine jüngere wissenschaftliche Position postuliert den notwendigen Einbezug aller Stakeholder und begründet diese These mit der Theorie unvollständiger Verträge. Das durch Berle und Means angeführte Problem der Interessenskonflikte wird dabei um die These erweitert, jenes Problem sei aufgrund hoher Transaktionskosten nicht durch einen vollständigen Vertrag regelbar. Auf Grundlage dieser Überlegungen scheint es notwendig, die Ziele der Unternehmenseigner um die Ziele all derjenigen Interessensgruppen auszuweiten, die durch die Handlungskonsequenzen der Unternehmen betroffen sind (Stakeholder) [36]. Diese theoretischen Ansätze bilden das Fundament für die zwei wesentlichen sowie komplementärsten Corporate Governance Systeme: das angloamerikanische und das kontinentaleuropäische Corporate Governance System.
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1.1.5.1 Das angloamerikanische Corporate Governance System Das angloamerikanische Corporate Governance System gründet auf dem marktliberalen Kapitalismus und wird mit dem Shareholder Value-Prinzip in Einklang gebracht. Aufgrund einer breiten Aktienstreuung in der Bevölkerung ist der amerikanische Wirtschaftsraum durch die Kapitalmarktkontrolle und Möglichkeit des Verkaufs der Aktien durch den Anteilseigner bei Unzufriedenheit charakterisiert. Auf Basis dieser Überlegungen hat sich schon frühzeitig ein eigenes Corporate Governance System entwickeln können. Die im Selbstverständnis der angloamerikanischen Literatur akzeptierte Definition der Corporate Governance beschreibt ihre Aufgaben als reines Organisations- und Kontrollproblem, die lediglich die Interessen der Shareholder gewährt. Als Folge macht es sich die angloamerikanische Corporate Governance lediglich zur Aufgabe, die Beziehung zwischen Managern und Eigentümern auszugestalten. Die aus dem angloamerikanischen Corporate Governance System resultierende Unternehmensverfassung ist ausschließlich auf die Anteilseigner ausgerichtet und kennzeichnet sich durch ein einstufiges Verwaltungsratsystem mit einem einheitlichen Verwaltungsrat; es herrscht keine Trennung zwischen Geschäftsführung und Überwachung derselben. Auch die Möglichkeiten der Ausgestaltung einer Corporate Governance innerhalb des gesetzlichen Rahmens sind für die Unternehmen deutlich weiter gefasst, als beispielsweise im deutschen Corporate Governance System. Aus diesem Grund finden sich neben gesetzlichen Regellungen vermehrt firmeninterne Corporate Governance Grundsätze, sog. Codes of Best Practice. Das angloamerikanische Verständnis wurde mehrmals an die veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und die gewonnenen Erfahrungen angepasst. Besonders hervorzuheben ist eine im Jahr 1991 verfasste Empfehlung, nach dieser das Board die Leistungen des Chief Executive Officers (CEO) regelmäßig durch unabhängige (Outside) Directors bewerten lassen sollte und die Ergebnisse den Aktionären anschließend mitteilt. Inzwischen ist es den Directors sogar gestattet, die bisherigen wertorientierten Steuerungssysteme der Marktwertmaximierung auch unter den Ansprüchen verschiedener Stakeholder betrachten zu dürfen [33, 37].
1.1.5.2 Das kontinentaleuropäische Corporate Governance System Stellvertretend für das kontinentaleuropäische Corporate Governance System wird im Folgenden das deutsche System der Corporate Governance vorgestellt. Jenes System ist bei der Diskussion um die optimale Form der Führung einer gesellschaftlichen Unternehmung die sowohl komplementärste, als auch meist herangezogene Referenz zur Abgrenzung vom angloamerikanischen Modell [33]. Im Gegensatz zu anderen Corporate Governance Systemen besteht in der deutschen Unternehmensverfassung wenig Gestaltungsspielraum für die Unternehmen selbst. Das deutsche Aktiengesetz schreibt Aktiengesellschaften anders als die angloamerikanische
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Gesetzgebung eine zwingende Trennung des Vorstandes vom Aufsichtsrat vor. Insgesamt ist daher eine dreigeteilte Organisationsverteilung vorgeschrieben. Diese gliedert sich in den Vorstand, den Aufsichtsrat und die Hauptversammlung. Deren Beziehung ist im Aktiengesetz festgesetzt: Generell hat der Vorstand das Unternehmen unter eigener Verantwortung zu leiten. Der Vorstand selbst wird vom Aufsichtsrat bestellt, abberufen, kontrolliert und beraten. Gesellschaftsorgan der Aktionäre ist die Hauptversammlung, durch sie sind die Anteilseigner mit Entscheidungsrechten über die Satzung, die Gewinnverwendung und die Ausgabe neuer Aktien ausgestattet. Darüber hinaus ist in Deutschland die Rolle der unternehmensinternen Mitbestimmung der Arbeitnehmer besonders ausgeprägt und geregelt. So sind die Arbeitnehmer nicht nur in Gewerkschaften organisiert, sondern auch durch gesetzliche Regelungen in den Organen des Vorstandes und Aufsichtsrates vertreten (s. Abb.€1.5) [38]. Seit einiger Zeit wird vermehrt von einer Konvergenz beider Corporate Governance Systeme gesprochen. Das deutsche System ist in der Vergangenheit nicht zuletzt aufgrund schwerwiegender Unternehmenszusammenbrüche deutlich in die öffentliche Kritik geraten. Die Regierung entgegnete dieser Entwicklung mit einer Reihe von Reformen, welche die Selbstregulierung der Gesellschaften anstoßen sollte. Wichtigste Neuerungen in diesem Zusammenhang sind zum einen das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich von 1998 (KonTraG) und zum anderen der Deutsche Corporate Governance Kodex von 2002. Neben einer Konkretisierung der Pflichten des Vorstandes und des Abschlussprüfers wurde hier vor allem die Position des Aufsichtsrates gestärkt. Des Weiteren konnte in Deutschland im Jahr 2002 ein Code of Best Practice etabliert werden. Dieser wurde durch die eigens eingerichtete Grundsatzkommission Corporate Governance entwickelt und führt das deutsche Corporate Governance System in Richtung des angloamerikanischen Systems der Corporate Governance. In diesem wird explizit ein verstärkter Einbezug des Shareholder-Ansatzes in der Unternehmensführung gefordert [39]. Auftrag
Abschlussprüfer Prüft Lagebericht und Jahresabschluss des Vorstandes
Vorstand Interne Überwachung durch Rechnungswesen
Aufsichtsrat Überwachung des Vorstandes
Interne Kontrollsysteme Revisionen
Bericht
Abb. 1.5 ╇ Interessenswahrung – Wirkungsgefüge der Überwachung in Unternehmen
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1.1.5.3 Vergleich und praktische Relevanz beider Systeme Die ökonomische wie juristische Diskussion richtet sich nach der Leitfrage, welches Corporate Governance Systeme das zweckmäßigste in einer kapitalistischen oder sozial orientierten Marktwirtschaft ist. Die Beantwortung der Frage fällt schwer und hängt massiv von den Strukturen des wirtschaftlichen Umfeldes ab: In den USA ist die Mehrzahl der Aktien im Streubesitz und wird zum Großteil von privaten Haushalten gehalten. Aus diesem Grund haben die Konsequenzen der Abwanderung oder eine drohende feindliche Übernahme bei sinkenden Aktienkursen ausreichend regulierenden Charakter. Die Unternehmensleitung ist daher bestrebt, mit ihren Handlungen eine Maximierung des Unternehmenswertes herbeizuführen. Eine Zielkongruenz zwischen der Geschäftsführung und den Anteilseignern ist gewährleistet [39]. Der deutsche Wirtschaftsraum hingegen ist zumeist durch längerfristig angelegtes Kapital charakterisiert, die Eigentümer können folglich nicht im selben Maße Druck über einen drohenden Ausstieg ausüben. Daher hat sich in Deutschland ein System der Mitsprache und des Widerspruches (sog. Voice-Option) etabliert, das im Gegensatz zum angloamerikanischen Modell durch institutionelle Mechanismen geregelt ist [33]. Weltweit dominiert das angloamerikanische Corporate Governance System, wobei das kontinentaleuropäische System der Corporate Governance in der internationalen Debatte auf immer stärkere positive Resonanz trifft [40]. In Europa gelten das deutsche duale System der Trennung von Leitungs- und Aufsichtsorgan sowie das monistische System des Verwaltungsorgans als gleichwertige Optionen [39].
1.2 Managementtheorien: Modelle und Konzepte Die Unternehmensführungslehre hat seit ihrem Bestehen eine Vielzahl unterschiedlicher theoretischer Ansätze hervorgebracht. Diese Theorien sollen Führungskräfte darin unterstützen, die Handlungsmöglichkeiten unter den bestehenden Bedingungen gegeneinander abzuwägen und schlussendlich eine Entscheidung zu treffen. Theorien dienen somit dem rationalen Entscheidungsprozess. Im folgenden Kapitel sollen grundlegende Theorien vorgestellt werden, die einen größeren Anklang in Wissenschaft und Praxis gefunden haben. Managementtheorien umfassen Modelle und Konzepte des Managements, die eine Reihe von grundsätzlichen Funktionen erfüllen, da sie es dem Praktiker erleichtern sollen, seine Führungsaufgaben in einem Bezugsrahmen zu begreifen und zu erfüllen. Konzepte und Modelle werden im Folgenden nach [41] wie folgt unterschieden: Auf der Grundlage allgemeiner Modelle können für spezifische Gegebenheiten des Unternehmens Konzepte entwickelt werden, die dem Management bei der Führung zur Orientierung dienen. Managementkonzepte sind im Normalfall durch eine hohe Anwendungsnähe getrieben, sie stellen Methoden und Instrumente bereit und wurden oft aus Unternehmensberatungen heraus getrieben [42].
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Ergänzend zu Managementmodellen werden auch Führungsstile beleuchtet, da zwischen Managementtheorien und Führungsstilen grundsätzlich starke Abhängigkeiten bestehen. Sie beeinflussen sich gegenseitig und haben Auswirkungen auf Motivation und Leistung der Mitarbeiter. Die dargestellte Auswahl an Modelle, Konzepten und Führungsstilen ist bei weitem nicht erschöpfend. In der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden sehr viele Ansätze entwickelt, die allerdings nicht alle behandelt werden sollen, für weitergehende Literatur vgl. z.€B. [43, 44]. Strategieorientierte Konzepte wie die Wettbewerbsstrategie nach Porter oder die Kernkompetenzen nach Hamal/Prahalad werden in Kap.€2 behandelt. Der Theoriebegriff selbst ist in der Wissenschaft nicht einheitlich definiert. Eine Theorie im wissenschaftlichen Sprachgebrauch ist ein übergeordnetes, grundsätzliches Aussagesystem. Sie soll die wesentlichen Bestandteile der Realität beinhalten und nebensächliche Aspekte so bewusst wie gezielt ausblenden [45].
1.2.1 Klassische Ansätze Die zu Beginn der Managementlehre entwickelten klassischen Ansätze basieren auf den praktischen Erfahrungen und den daraus entwickelten Ideen ihrer Autoren. Die Perspektive führt dabei von einem Fokus auf Arbeitsvorgänge zu einer umfassenden Diskussion von Managementfunktionen.
1.2.1.1 Scientific Management (Taylorismus) Das Scientific Management bzw. die „Wissenschaftliche Betriebsführung“ befasst sich hauptsächlich mit Prinzipien zum rationellen Einsatz von Menschen und Maschinen im Produktionsprozess. Es setzt sich insofern vor allem mit Fragen der Produktivität auf der untersten Managementebene auseinander. Der wichtigste Vertreter und Begründer dieses Ansatzes war Frederick Winslow Taylor (1856–1916), der von an 1884 Chefingenieur bei den Midvale Stahlwerken war und von 1909 bis 1914 an der Harvard University Scientific Management lehrte. Seine Werke „Shop Management“ (1903) und „Principles of Scientific Management“ (1911) legen die Grundlage nicht nur für das Scientific Management sondern auch für die Unternehmensführung im Allgemeinen [2]. Das Scientific Management entstand zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den USA, da hier der Arbeitskräftemangel zu einem immer größer werdenden Problem für Unternehmen wurde. In kleinen Betrieben war zu dieser Zeit das vorherrschende Organisationsprinzip die Werkbankfertigung, in der ein Mitarbeiter einen Auftrag komplett an seinem Arbeitsplatz fertigte. Vor diesem Hintergrund versucht das Scientific Management, Ansatzpunkte für eine Steigerung der Produktivität des knappen Faktors Arbeit zu identifizieren.
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Der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften brachte Taylor auf den Gedanken, jeden Handgriff in größeren Arbeitsstätten in ausgedehnten Zeit- und Bewegungsstudien genau zu untersuchen, um durch Rationalisierung der menschlichen Arbeit und durch Vermeidung von Zeitverschwendung eine erhöhte Produktivität zu erreichen. Das Ziel war eine wissenschaftliche Methode, um mit betrieblich-organisatorischen Verbesserungen die Produktivität des Unternehmens durch eine möglichst hohe Arbeitsteilung zu maximieren [46, 47]. Durch die Zerlegung in Teilarbeiten sollte die Arbeitsleistung aller aufgrund der Spezialisierung gesteigert werden. Die wichtigste Trennung erfolgte zwischen Hand- und Kopfarbeit: Der bis dato rein manuelle bzw. teilautomatisierte Arbeitsprozess wird in kleinste Arbeitsschritte unterteilt und bringt zwangsläufig den weiteren Ausbau der vorbereitenden und begleitenden Tätigkeiten mit sich. Das Prinzip der Arbeitsteilung ist bis heute ein prägendes Merkmal der industriellen Arbeit [48]. Zur Unterstützung der Umsetzung seiner Ideen hat Taylor vier Grundprinzipien für ein effektives Management aufgestellt, aus denen die Abb.€1.6 dargestellten Managementmethoden abgeleitet werden können [49]: • Wissenschaftliche Beschreibung aller Arbeitselemente durch das Management; Systematisierung von Informationen und Ableitung von Regeln, Gesetzen und Formeln • Auswahl der geeignetsten Arbeiter für die jeweilige Aufgabe durch die Betriebsführung, einhergehend mit Schulungen für die Mitarbeiter • Zusammenarbeit der Betriebsführung und Arbeiter in „herzlichem Einvernehmen“, Berücksichtigung der Verbesserungsvorschläge durch die Mitarbeiter • Gleichmäßige Aufteilung der Arbeitslast unter der Betriebsführung und den Arbeitern, Verständnis untereinander durch kooperatives Verhalten
Arbeitsteilung
Trennung von Planung und Ausführung, einhergehend mit weitgehender Arbeitsteilung
Arbeitsführung
Analyse und Kontrolle der Arbeitsausführung durch das Management
Akkordbezahlung
Leistungsgerechte Differenzierung durch finanzielle Anreize
Funktionsgliederung
Funktionale Gliederung der Organisation und der Aufgaben
Abb. 1.6 ╇ Management-Prinzipien des Scientific Managements
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Zwar war das Scientific Management sehr erfolgreich und verbreitete sich schnell, es war jedoch auch von Anfang an umstritten: Durch die mit der Arbeitsteilung verbundene Spezialisierung konnten Skaleneffekte erzielt und der Qualifizierungsaufwand niedrig gehalten werden. Dies ging jedoch mit einer Entfremdung des Arbeiters von seinen Aufgaben einher, da er nicht mehr den gesamten Arbeitsfortschritt überblicken konnte und meist eine monotone Maschinenbedienung ausüben musste. Entgegen dem Verständnis von Taylor, der eine bessere Zusammenarbeit von Führung und Arbeitern verlangte, führte die Anwendung des Taylorismus häufig zu inhumanen Arbeitsdrill, so dass es zu teilweise massiven Streiks kam [48]. Die Taylor’schen Gedanken trugen entscheidend zur Entwicklung des Managements bei, da hier erstmal die die Verselbstständigung und Gestaltung der einzelnen Managementfunktionen formalisiert und Planung und Kontrolle als eigenständige Funktionen definiert wurden.
1.2.1.2 Administrativer Ansatz nach Fayol Der administrative Ansatz befasst sich mit Fragen der Führung von Unternehmen als Ganzes, der Hauptvertreter und Begründer ist Henri Fayol (1841–1925). Der Franzose Fayol, Ingenieur und Generaldirekter einer Bergwerksgesellschaft, hat sich ausführlich mit den Aufgaben der Unternehmensführung beschäftigt. Er entwickelte eine Systematik der Managementfunktionen, die auch heute noch weitestgehend gültig ist und entwarf damit den ersten Bezugsrahmen innerhalb der Managementlehre. Seine Vorgehensweise war wesentlich systematischer als die von Taylor, allerdings hat auch Fayol nicht theoretisch geforscht. Das in seinem Lebens- und Hauptwerk „Administration Industrielle et Générale“ (1916) niedergeschriebene Wissen basiert hauptsächlich auf seinem gesammelten Erfahrungswissen als Generaldirektor und Berater des französischen Staates [45], indem er die von ihm definierten fünf Managementfunktionen systematisiert und vierzehn Prinzipien für die erfolgreiche Unternehmensführung aufstellt. Die von ihm unterschiedenen fünf Managementfunktionen, „éléments d’administration“, sind [5, 50]: 1. Vorausschauung und Planung (Prévoyance) Die Planung umfasst die Prognose und Vorbereitung der Zukunft und legt damit die Ziele und den Kurs des Unternehmens fest. Eine umfassende Planung ist nach Fayol die schwierigste Funktion. Ohne Planung kommt es zu zögerlichem Handeln, Schritten in die falsche Richtung und häufigen Kursänderungen, die oft der Ursprung für unternehmerisches Scheitern sind. 2. Organisation als Vorbereitung des Handelns (Organisation) Organisation umfasst den Entwurf und die Realisierung einer zweckmäßigen (Organisations-)Struktur, um das Geplante zu verwirklichen. Organisation ist für Fayol das Mittel, um die Planung durchzusetzen und das Handeln vorzubereiten.
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3. Anweisung (Commandement) Die Anweisungen setzen das Interesse des Unternehmens gegenüber den Einzelinteressen der Unternehmensmitglieder durch, um eine handlungsfähige Einheit zu schaffen. Für die Ausübung von Anweisungen werden die im Folgenden aufgelisteten Managementprinzipien benötigt. 4. Koordination als das Handeln selbst (Coordination) Durch Koordination werden die Vorgänge innerhalb eines Unternehmens örtlich, zeitlich und sachlich in einen einheitlichen Handlungszusammenhang gebracht, z.€B. mittels Besprechungen. Heute wird Koordination nicht mehr als Managementfunktion, sondern als die Hauptaufgabe des Managements gesehen (s. Kap.€1.1.2). 5. Kontrolle zur Überprüfung der Handlung (Contrôle) Durch Kontrolle wird überprüft, ob die tatsächlichen Ergebnisse der Handlung mit der Planung übereinstimmen. Sie prüft nicht nur den Zielerreichungsgrad an sich, sondern auch, ob die Ergebnisse in Übereinstimmung mit den erlassenen Instruktionen und nach den aufgestellten Grundsätzen erzielt wurden. Zudem stelle Henri Fayol 14 Prinzipien des Managements auf: ╇ 1. Arbeitsteilung: Mit Spezialisierung Rationalisierungseffekte erzielen. ╇ 2. Autorität und Verantwortung: Autorität ist die Macht zu befehlen und sich Gehorsam zu verschaffen. Autorität verlangt Verantwortung, sie ist die natürliche Gegenseite. ╇ 3. Disziplin: Kein Unternehmen kann ohne Disziplin überleben; die Disziplin einer Gemeinschaft hängt von der Eignung des Vorgesetzten ab. ╇ 4. Einheit der Auftragserteilung: Für jedwede Arbeit sollte ein Beschäftigter nur Anweisungen von einem Vorgesetzten erhalten. ╇ 5. Einheit der Leitung: Eine Person und ein Plan sollen für ein bestimmtes Ziel zuständig sein. ╇ 6. Unterordnung des Sonderinteresses unter das Gesamtinteresse: Einzelne Mitarbeiter oder Abteilungen ordnen sich dem Gesamtunternehmensinteresse unter. ╇ 7. Entlohnung des Personals: Löhne sind der Preis für geleistete Dienste, sie sollen daher angemessen sein, um die Motivation der Mitarbeiter nicht zu gefährden. ╇ 8. Zentralisation: Zentralisation ist für eine Einheit der Führung erforderlich, Delegation entlastet den Führungsstab. Das optimale Ausmaß an Zentralisierung muss für jedes Unternehmen individuell gefunden werden. ╇ 9. Rangordnung: Die Rangordnung ist der Instanzenzug, beginnend mit der höchsten Autorität bis zur untersten Führungsebene. Grundsätzlich sollten Informationen entlang der Rangordnung der Instanzen weitergegeben werden. In dringenden Fällen kann horizontal kommuniziert werden („Brückenschlag“). 10. Ordnung: Einen Platz für jede Person/und jede Person/Sache an ihren Platz. 11. Billigkeit: Da nicht alles normativ geregelt werden kann, müssen alle Führungsebenen einen Sinn für Billigkeit und Gerechtigkeit entwickeln. Freundlichkeit, Vertrauen, Willigkeit und Wohlwollen ist bei allen Mitarbeitern unabdingbar. 12. Stabiler Personalstand: Personal ist die Schlüsselressource eines Unternehmens, eine hohe Fluktuation ist aufgrund der Einarbeitungszeit unproduktiv. Personalauswahl und -entwicklung gehören daher zu den wichtigsten Funktionen der Unternehmensführung.
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13. Initiative: Initiative ist die Kraft der Mitarbeiter, einen Plan zu entwerfen und umzusetzen. Initiative ist die Quelle jeder Unternehmensstärke und muss daher von der Unternehmensführung unterstützt werden. 14. Gemeinschaftsgeist: Harmonie und Einigkeit der Mitarbeiter stärken das Unternehmen, daher muss die Unternehmensführung Sorge dafür tragen. Aus heutiger Sicht ist der Hauptbeitrag von Fayol zur Managementlehre die systematische Konzeptionalisierung der Managementfunktionen. Durch seinen amerikanischen Pragmatismus gewann Taylor in den USA schneller einen großen Einfluss, während Fayols wesentlich umfassenderes Konzept dort erst relativ spät wahrgenommen wurde. Die heutige Managementlehre gründet aber sehr viel mehr in den hoch innovativen und systematischen Anfängen von Fayol als der Taylor’schen Betriebsführungslehre. Hauptsächlich kritisiert wird die dünne empirische Grundlage, auf denen Fayol seine Theorie aufbaut [45].
1.2.1.3 Bürokratiemodell nach Weber Das Bürokratiemodell beschäftigt sich wie der administrative Ansatz mit den Fragen der Führung von Unternehmen als Ganzes. Der deutsche Soziologe Max Weber (1864–1920) deklariert in seiner Theorie die Bürokratie – die Ordnung durch klare Strukturierung – als die effizienteste aller menschlichen Organisationsformen. Weber ist im Gegensatz zu Taylor und Fayol Theoretiker; der promovierte Rechtswissenschaftler arbeitete vor allem auf dem Gebiet der Rechtssoziologie. Er gilt als Urvater der deutschen Soziologie und „Vater der Organisationstheorie“ [5], auf seinen Arbeiten bauen weitere bedeutende Managementtheoretiker wie Chester Barnard auf. Weber hat das Bürokratiemodell in seinem Hauptwerk „Wirtschaft und Gesellschaft“ (1922) vorgestellt. Auch wenn sich zuvor schon viele mit der Bürokratie beschäftigt haben, hat er doch als Erster keine uneinheitlichen Beurteilungen und widersprüchlichen Aussagen gemacht. Weber erstellte die ganzheitlichste Charakterisierung und beschrieb am saubersten die Effizienzwirkung der Bürokratie. Ausgangspunkt für Webers Arbeiten war das zu dieser Zeit schnelle Wachstum von Organisationen, mit dem die Überschaubarkeit der Handlungssituationen verloren ging und anderen Mechanismen zur Ordnung und Einhaltung der Regelmäßigkeit und Zielgerichtetheit innerhalb der Organisation benötigt wurden. Von zentraler Bedeutung für das Bürokratiemodell ist der Begriff der Herrschaft bzw. Autorität: Herrschaft bzw. Autorität ist „die Chance (…), für spezifische Befehle (oder: für alle Befehle) bei einer definierbaren Gruppe von Menschen Gehorsam zu finden“ [51]. Die Frage, worauf der Legitimitätsglaube basiert, führt zu den drei von Weber im Kontext des Bürokratiemodells kontrastierten Herrschaftsformen, die zum soziologischen und organisationswissenschaftlichen Grundwissen gehören [52]: die Legale Herrschaft (z.€B. durch Wahl oder Ernennung bestimmte Stadtverwaltung), die Traditionale Herrschaft (z.€B. aufgrund von Erbfolge ernannter König) und die Charismatische Herrschaft (z.€B. Napoleon, Jesus). Sowohl die charismatische als auch die traditionale Herrschaft erzeugen nach We-
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ber instabile Verhältnisse, sie sind daher sogenannte vorrationale Formen der Herrschaft. Die legale Herrschaft ist die einzige rationale und somit reinste Herrschaftsform, wobei die Bürokratie der reinste Typ der legalen Herrschaft ist. Die Bürokratie lässt sich anhand von elf Merkmalen charakterisieren [5, 51]: ╇ 1. Der Regelgebundene Amtsbetrieb ist Grundlage sämtlicher verwaltungstechnischer Entscheidungen. Die Regeln sollen genereller Art, eher abstrakt gefasst, möglichst zeitstabil und erschöpfend sowie vom Beamten leicht erfassbar sein. ╇ 2. Bürokratie ist durch eine klare Kompetenzabgrenzung und Arbeitsverteilung geprägt. Jeder Beamte bearbeitet einen sachlich abgegrenzten Bereich und hat die hierfür notwendige Befehlsgewalt, die auch Ranghöhere nicht an sich ziehen können. ╇ 3. Das Prinzip der Amtshierarchie beschreibt den streng vertikalen Aufbau des Verwaltungsapparates; der Instanzenzug ist in beide Richtungen stets einzuhalten. ╇ 4. Nach dem Prinzip der Aktenmäßigkeit sind alle Aufgaben schriftlich zu erledigen, um eine interne und externe Kontrolle zu ermöglichen. ╇ 5. In der Bürokratie sind Amt und Person strikt getrennt, es ist keine private Besitzergreifung des Amtes möglich. ╇ 6. Die Anstellung durch Arbeitsvertrag beinhaltet die hauptamtliche Tätigkeit (kein Ehrenamt), die Ernennung (der Beamte wird nicht durch Untergebene gewählt) und die Lebenslänglichkeit der Anstellung (entscheidungsbezogene Unabhängigkeit). ╇ 7. Definierte Qualifikationsanforderungen für Stelleninhaber stellen sicher, dass die Beamten mit ihrer hohen Fachqualifikation und ihrem Fachwissen politische Ziele auf ihre Machbarkeit beurteilen können, wodurch sie die Grundlage des modernen Staates bilden. ╇ 8. Jeder Beamte erhält ein Festgehalt, das unabhängig von der geleisteten Menge oder Qualität und eher niedrig ist, dafür aber langfristig gesichert. Dies kann die Unabhängigkeit des Beamten eher sichern als ein hohes Lohnniveau. ╇ 9. Der Beamte entwickelt sich innerhalb einer fixierten Laufbahn einschließlich einer Gehaltshierarchie weiter. Beförderungen erfolgen nach objektiven Kriterien. 10. Jeder Beamte ist einer strengen Amtsdisziplin und Kontrolle, der sog. Amtstreuepflicht, unterworfen. Er führt alle Instruktionen ohne persönliche Einstellung aus. Das Weber’sche Bürokratiemodell wird vor allem in der Soziologie, aber auch in der Managementlehre stark diskutiert. Positiv kann unter anderem gesehen werden, dass es weit mehr als eine Beschreibung der preußischen Staatsverwaltung ist, die Beobachtungen sind auch historisch eingebettet. Es hat sich als erstes Modell um eine Versachlichung von Organisations- und Führungsprozessen bemüht. Weber gehört zu den ersten, die einen umfassenden Ansatz zur Analyse von Verwaltungsformen entwickelt hat, vgl. dazu auch [52]. Demgegenüber werden dem Modell einige Schwächen vorgeworfen: So hat Weber keine eindeutige Definition des Wortes „Bürokratie“ gegeben, wodurch es zu begrifflichen Verwirrungen kam. Das vorgestellte Modell ist zudem ein Idealtypus, in der Realität erstarre der Verwaltungsapparat oft an Routine und Lethargie. Die Hauptleistung des Modells sei die Systematisierung, neue Ideen brachte Weber nicht ein. Der Hauptkritikpunkt ist das fast gänzliche Fehlen sozialer Aspekte und informeller Elemente von Organisationen, Genauigkeit und Zuverlässigkeit werden überbewertet [45].
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Beispiele aus dem Bundesbeamtengesetz BBG╇╛Zu Prinzip 7 z.€B. §Â€7€I Nr.€2,3 BBG „In das Beamtenverhältnis darf berufen werden, wer (…) die Gewähr dafür bietet, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten, und die für die entsprechende Laufbahn vorgeschriebene Vorbildung besitzt oder die erforderliche Befähigung durch Lebens- und Berufserfahrung erworben hat.“ Zu Prinzip 6 z.€B. §Â€6€I BBG „Das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit dient der dauernden Wahrnehmung von Aufgaben nach §Â€5. Es bildet die Regel.“ Zu Prinzip 9 z.€B. §Â€22€III BBG „Ämter, die nach der Gestaltung der Laufbahn regelmäßig zu durchlaufen sind, dürfen nicht übersprungen werden.“
1.2.1.4 Formen der Unternehmensführung nach Gutenberg Das Modell der Unternehmensführung nach Gutenberg beschäftigt sich mit den verschiedenen Formen der Aufteilung der Verantwortung zwischen den Mitgliedern eines Führungsgremiums und den Hauptmaximen der Führung. Der deutsche Wirtschaftswissenschaftler Erich Gutenberg (1897–1987) begann sein Studium unter den Bedingungen der Inflation nach dem ersten Weltkrieg. Durch diese Inflation wurde das Rechnungswesen, bis dahin eines der fundamentalsten Instrumente zur betrieblichen Informationsgewinnung, praktisch außer Kraft gesetzt. Demzufolge machte sich bei jungen Betriebswissenschaftlern das Interesse bemerkbar, den Gegenstandsbereich der Betriebswirtschaftslehre über die Grenzen des betrieblichen Rechnungswesens hinaus auszuweiten. Folglich galt Gutenbergs Interesse der Betriebswirtschaftslehre als Ganzes. Unter anderem beschäftigte er sich ausgiebig mit dem Gebiet der Unternehmensführung. Gutenbergs Definition einer Unternehmung als „Institution, in der Menschen unter Zuhilfenahme von weiteren Ressourcen (Inputs), ein Gut oder eine Dienstleistung (Output) erstellen“ [3] verlangt nach einer Instanz, die die Unternehmensprozesse steuert. Diese Entscheidungsbefugnis definiert Gutenberg als betriebliche Willensbildung, die für ihn eine der zentralen Problemstellungen in der Betriebswirtschaft darstellt, „weil der gesellschaftliche und ökonomische Charakter eines Unternehmens, aus der Art und Weise wie diese betriebliche Willensbildung in einem Unternehmen organisiert bzw. definiert wird, resultiert“ [53]. Gutenberg unterscheidet zwei Organisationsformen der Willensbildung: das Direktional- und das Kollegialsystem. Das Direktionalsystem wird durch eine Unternehmensleitung charakterisiert, in der alle Mitglieder für die Geschäftsführung verantwortlich sind, es jedoch ein Mitglied gibt, das die alleinige Entscheidungsmacht bei Meinungsverschiedenheiten mit den anderen Mitgliedern inne hat. Im Gegensatz zu dieser radikalsten Form des Direktionalsystems, kann das herausgestellte Mitglied auch lediglich über ein alleiniges Vetorecht bei allen Entscheidungen verfügen. Die Vorteile dieser Organisationsform sieht Gutenberg darin, dass Entscheidungen sehr schnell getroffen werden können und ein besser veranlagtes Mitglied nicht durch die Rückständigkeit der anderen Mitglieder an der Entfaltung seiner Fähigkei-
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ten gehindert wird. Dennoch stellt für Gutenberg die extreme Entscheidungsmacht eines Individuums eine weitaus größere Gefahr für den Fortbestand der Unternehmung dar, als die Verteilung der Verantwortung. Im Kollegialsystem unterscheidet sind prinzipiell alle Mitglieder der Unternehmensform gleichberechtigt. Innerhalb dieser Organisationsform existieren sowohl einstimmige Entscheide, bei denen jedes Mitglied ein Vetorecht besitzt, als auch Mehrheitsentscheide, bei denen nicht das Interesse jedes einzelnen Mitglieds berücksichtigt wird. Es kann ein „Primus inter pares“ ernannt werden, dessen Stimme bei Stimmgleichheit ausschlaggebend ist. Der Vorteil hier ist, dass Entscheidungen besonders gründlich überdacht werden und es einen guten Informationsgang zwischen den Mitgliedern der Unternehmensführung gibt. Nachteilig wirkt sich die längere Entscheidungsdauer aus. Die Unternehmensleitung ist nach Gutenberg in erster Linie für Führungsentscheidungen zuständig. Echte Führungsentscheidungen sind dadurch charakterisiert, dass sie aus dem Ganzen des Unternehmens heraus getroffen werden und nicht delegierbar sind. Darüber hinaus definiert er drei Leitmaximen, die die Geschäftspolitik der Führungsorgane bestimmen: 1. Das erwerbswirtschaftliche Prinzip geht davon aus, dass es das oberste Ziel der Unternehmung ist, ein möglichst hohes Geschäftsergebnis zu erzielen. Entscheidungen, die dieses Ziel betreffen, werden unter Unsicherheit getroffen, da die Einschätzungen des zukünftigen Marktgeschehens immer gewissen Unsicherheiten unterliegen. 2. Das Prinzip der Wirtschaftlichkeit gilt für alle Bereiche des Unternehmens und hat die Steigerung der Produktivität zum Ziel. Produktivität definiert Gutenberg als Verhältnis zwischen hergestellter Menge und dem Einsatz eines Produktionsfaktors. Dieses technisch-organisatorische Prinzip sollte der Leitfaden für die Geschäftsführung in allen betriebspolitischen Fragen sein. Es hat insgesamt jedoch nicht dasselbe Gewicht wie das erwerbswirtschaftliche Prinzip. 3. Das Prinzip der Aufrechterhaltung des finanziellen Gleichgewichts besagt, dass ein Unternehmen „die Termine der Rückzahlung aufgenommenen Kapitals mit, den betrieblichen Terminen der Kapitalfreisetzung in Übereinstimmung“ bringen muss. Vernachlässigt die Geschäftsführung diese Aufgabe, wird das Unternehmen nicht lange bestehen. Die Instrumente der Unternehmensführung nach Gutenberg sind dabei Planung, Organisation und Kontrolle, die eingesetzt werden, um die festgelegten Ziele der Unternehmenspolitik realisieren zu können. Mithilfe der Planung werden die Unternehmensziele in konkrete, zahlenmäßig-technische Vorgaben übersetzt, als Vorwegnahme des Ablaufs zukünftiger Geschehnisse. Die Organisation ist der verlängerte Arm der Geschäftsleitung. Ihr obliegt es, die Planungen zur praktischen Umsetzung im Unternehmen zu bringen. Die Organisation besteht dabei aus Regelungen, nach denen bestimmte Vorgänge ablaufen sollen, die Organisation hat also einen instrumentalen Charakter. Das dritte Instrument der Unternehmensführung, die Kontrolle, beinhaltet gleichzeitig Recht und Pflicht der Vorgesetzten, ihren Aufgaben- und Verantwortungsbereich zu überwachen. Verstöße gegen organisatorische Regelungen können so leicht festgestellt und eine Plankontrolle durchgeführt werden [53].
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1.2.2 Verhaltenswissenschaftlicher Ansatz In der verhaltenswissenschaftlichen Theorie werden das Individuum und sein Verhalten bei veränderten Umweltbedingungen in den Mittelpunkt gestellt. Es handelt sich hierbei nicht um ein einheitliches Aussagensystem, sondern um eine Theorie, die auf unterschiedlichen Arbeiten ungleichen disziplinären Ursprungs basiert und infolgedessen nicht immer konsistent ist [8, 45]. Der verhaltenswissenschaftliche Ansatz geht hauptsächlich auf die Hawthorne-Experimente zwischen 1924 und 1932 zurück (die Experimente wurden nach dem Durchführungsort, den Hawthorne Werken der Western Electric Company in Cicero/Illinois, benannt). Sie wurden durchgeführt, um die Wirkung physischer Einflussfaktoren auf die Arbeitsproduktivität zu ermitteln und stehen somit in der Tradition des Scientific Management. In diesem Experiment mit Arbeiterinnen in den USA wurde der Einfluss einer variierenden Beleuchtung auf die Arbeitsleistung untersucht. Das Ergebnis zeigte: Wird der Arbeitsplatz heller beleuchtet, steigt die Leistung. Überraschenderweise stieg die Arbeitsleistung jedoch weiter, als man die Beleuchtungsstärke wieder verringerte. Die Arbeitsleistung bei einer Verdunkelung bis Mondlichtstärke war schlussendlich sogar höher als vor der Studie. Da diese Ergebnisse nicht zufriedenstellend wissenschaftlich erklärt werden konnte, wurde Elton Mayo (1880–1949) von der Universität Harvard mit der Durchführung weiterer Experimente beauftragt. Die durchgeführte Veränderung von Arbeitsabläufen, Tages- und Wochenarbeitszeiten, Ruhepausen und Entlohnungssystemen brachte ähnliche Ergebnisse wie in den Hawthorne-Experimenten. Hieraus leiteten Mayo und seine Mitarbeiter ab, dass nicht nur die externen Einflussfaktoren die Arbeitsleistung beeinflussen, sondern auch soziale und emotionale Rahmenbedingungen wie die Mitgliedschaft in bestimmten Gruppen oder die gesteigerte Aufmerksamkeit durch das Management. Durch die Experimente wurde darüber hinaus die Bedeutung von Gruppennormen und informellen Beziehungen betont [2, 54]. Aus den Hawthorne-Experimenten heraus entwickelte sich in den 1930er Jahren des letzten Jahrhunderts die Human-Relations-Bewegung als Gegenbewegung zum Scientific Management von Taylor mit dem Leitgedanken, dass nur glückliche Arbeiter gute Arbeiter sind. Der Taylorismus war durch Arbeitszeitstudien naturwissenschaftlich und logisch begründbar, Mayo brachte eine völlig neue Betrachtungsweise in die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften ein, die durchaus einen Paradigmenwechsel darstellen, da sie in gewisser Weise eine Abkehr von Vernunft und Rationalisierung darstellen. Die Human-Relations-Bewegung legt den wissenschaftlichen Schwerpunkt auf die Arbeitszufriedenheit und Mitarbeitermotivation. So ist beispielsweise die Maslow’sche Bedürfnispyramide entstanden und das aktuelle Forschungsfeld des Organisational Behaviour baut grundlegend darauf auf. Das Menschenbild des verhaltenswissenschaftlichen Ansatzes unterscheidet sich stark von dem des quantitativen Ansatzes, da im Gegensatz von einem „rational economic man“ von Menschen mit „bounded rationality“ ausgegangen wird; der Entscheidungsträger agiert hier nur begrenzt rational und steht unter dem Einfluss des sozialen Umfelds [4, 54]. Der verhaltenswissenschaftliche Ansatz hat zwar die Führungslehre stärker als vorangegangene Ansätze beeinflusst, die Hawthorne-Experimente und die daraus abgeleiteten Rückschlüsse sind jedoch nicht unumstritten, vgl. z.€B. [54, 55]. So waren die Leistungs-
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steigerungen nicht in dem Inhalt der Änderungen, sondern in den Änderungen an sich begründet – die beobachteten Veränderungen sind insofern neuerungsbedingt und halten nicht lange vor. Außerdem werden bei den Hawthorne-Experimenten alle Faktoren außer Acht gelassen, die nicht im direkten Arbeitskontext liegen. Nichtsdestotrotz handelt es sich bei diesen Experimenten um die erste Untersuchung, die im breiten Rahmen die Bedeutung sozialer Einflussfaktoren auf die menschliche Arbeit untersucht. Sie sind der Ausgangspunkt für neue Wissenschaftsdisziplinen wie die Organisationspsychologie und -soziologie [45].
1.2.3 Quantitativer Ansatz Der quantitative Ansatz der Unternehmensführung entwickelte sich als Gegenbewegung zu den verhaltenswissenschaftlichen Ansätzen. Vorläufer des quantitativen Ansatzes finden sich schon im Scientific Management. Bereits hier versuchten Anhänger des quantitativen Ansatzes insbesondere Entscheidungsprobleme der Unternehmensführung in der Form formallogischer Modelle zu strukturieren und zu lösen. Auch in der Zeit nach Taylor wurden weitere mathematische Modelle, wie die von Andler 1929 entwickelte Formel zur Optimierung der Lagerhaltung, aufgestellt. Allerdings führte erst die Entwicklung der Linearen Programmierung in den 1940er Jahren zu einer nachhaltigen Anwendung mathematischer Verfahren. Britische und amerikanische Streitkräfte nutzten während des zweiten Weltkriegs mathematische Modelle zur Lösung logischer Probleme. Diese wurden in der Nachkriegszeit von Unternehmen wie DuMont oder General Electric zur Planung von Arbeitseinsatz, Standortoptimierung oder Lagerhaltung aufgegriffen. In den 1960er Jahren entwickelte sich daraus die Forschungsrichtung Management Science, die sich stark die Möglichkeit der elektronischen Informationstechnologie zu Nutzen machte. Ziel der Management Science war es, der Unternehmensführung eine auf mathematischen Modellen beruhende Wissenschaft zur Entscheidungsunterstützung zu geben. Dabei traten die Funktionen der Planung und der Kontrolle verstärkt in den Mittelpunkt, während die Funktionen Organisation und Führung eher vernachlässigt wurden. Man versuchte, Entscheidungsprobleme der Unternehmensführung wie zum Beispiel Losgrößen- und Durchlaufzeitenplanung, Produktprogrammplanung und kurzfristige Finanzplanung exakt zu formulieren und zu lösen. Durch die Weiterentwicklung der Informationstechnologie eröffneten sich der Management Science immer neue Möglichkeiten. Speziell im Bereich der Simulation und der dynamischen Programmierung konnten immer komplexere Modelle entwickelt werden [2, 4, 5]. Macharzina unterscheidet innerhalb des quantitativen Ansatzes der Unternehmensführung vor allem zwei Denkrichtungen: 1. ENTSCHEIDUNGSTHEORIE Entscheidungen sind für alle Individuen von existenzieller Bedeutung. Das Aufstellen und Lösen von Entscheidungsproblemen ist daher in mehreren Wissenschaftsdisziplinen stark beforscht worden – die Entscheidungstheorie ist ein interdisziplinäres Forschungs- und Anwendungsgebiet.
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In der Entscheidungstheorie werden zunächst die problemrelevanten Zusammenhänge selektiert und dargestellt, um die Problemlösung für praktische Zwecke zu ermöglichen. Es wird davon ausgegangen, dass eine Zielfunktion vorhanden ist, die unter gegebenen Umweltzuständen und Handlungsalternativen optimiert werden soll. Somit reduziert sich das Problem auf die Optimierung des Erwartungswerts dieser Alternativen [5, 56]. Es werden in der Entscheidungstheorie drei verschiedene Situationen unterschieden:
a.╇Sichere Entscheidungssituation: Der eintretende Umweltzustand ist bekannt. Man wählt die Alternative mit dem höchsten Nutzen. b.╇Risikobehaftete Entscheidungssituation: Verschiedene Umweltzustände mit bekannten Eintrittswahrscheinlichkeiten sind gegeben. Zur Lösung bietet sich die Bayes’sche Regel an: Ei =
Aij ∗ Wj (Summe von j = 1 bis n)
Ei:â•… â•›Erwartungswert einer Alternative Aij:â•…â•›der erwartete Nutzen der Alternative i bei Eintritt des Umweltzustands j Wj:â•… Eintrittswahrscheinlichkeit des Umweltzustands j c.╇Unsichere Entscheidungssituation: Die Eintrittswahrscheinlichkeiten der Umweltzustände sind unbekannt. Zu Lösung dieser Situation wurden mehrere Regeln entwickelt, wie die Maximin-Regel, die Maximax-Regel, die Savage-Niehans-Regel, die Hurwicz-Regel und die Laplace-Regel. Welche Regel angewendet wird, hängt von der Risikoneigung des Entscheiders ab. 2. MATHEMATISCHE MODELLE In der zweiten Denkrichtung wird die Unternehmensführung als logischer Prozess aufgefasst und mit mathematischen Modellen beschrieben. Auf diese Weise lassen sich gute quantitative Lösungen für Prognoseprobleme finden. In anderen Bereichen, wie in der Team- und Spieltheorie, werden ebenfalls mathematische Modelle eingesetzt. Teamtheorie╇ Die Teamtheorie beschäftigt sich mit der organisatorischen Gestaltung von arbeitsteiligen Handlungen. Dabei sollen optimale Handlungsempfehlungen für Entscheidungsgruppen mit gemeinsamer Zielsetzung gegeben werden [5]. Spieltheorie╇ In der Spieltheorie werden strategische Entscheidungssituationen analysiert. Es wird dabei davon ausgegangen, dass • das Ergebnis von den Entscheidungen mehrerer Entscheidungsträger abhängt; • ein Einzelner das Ergebnis nicht unabhängig von der Wahl der Anderen entscheiden kann; • jeder sich dieser Interdependenz bewusst ist; • jeder davon ausgeht, dass sich die anderen ebenfalls der Interdependenz bewusst sind; • jeder bei seinen Entscheidungen die genannten Punkte berücksichtigt. In der Spieltheorie können also die Entscheider mit ihren Entscheidungen andere Entscheider beeinflussen. Dabei werden Umwelteinflüsse kaum berücksichtigt, das interak-
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tive Verhalten tritt in den Vordergrund. Dadurch soll das individuell rationale Entscheidungsverhalten der Spieler bestimmt werden. Zentraler Bestandteil der Spieltheorie ist das Gefangenendilemma von Luce und Raiffa. Inzwischen wird sie unter anderem zur Analyse der Preispolitik von Mehrproduktunternehmen, zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit unternehmenspolitischer Handlungen oder zur Analyse des Verhandlungsphänomens angewendet. Mittlerweile wird die Spieltheorie verstärkt im Bereich der Strategieforschung eingesetzt, wo sie insbesondere als Instrument zur Modellierung wettbewerbsstrategischer Reaktionen in oligopolistischen Märkten genutzt wird [57]. Der quantitative Ansatz der Unternehmensführung birgt einige Vorteile. Er führte zu einer klaren Formulierung und besseren Handhabung von Planungsproblemen. Allerdings stößt der Einsatz von Mathematik und elektronischer Datenverarbeitung selbst in der Unternehmensfunktion Planung auf Grenzen, wo argumentative Begründungsverfahren benötigt werden. Dies ist häufig im Rahmen der strategischen Planung der Fall. Insgesamt ist der quantitative Ansatz der Unternehmensführung zwar prinzipiell sinnvoll, er ist aber nicht in allen Teilgebieten der Managementlehre anzuwenden [2, 5].
1.2.4 Systemtheoretischer Ansatz Unter System wird eine Gesamtheit von Einzelelementen verstanden, die sich in gegenseitig beeinflussen. Eine klare Struktur bzw. ein klares Beziehungsgefüge ist zu erkennen. Jedes System lässt sich in Subsysteme aufteilen und ist wiederum Teil eines übergeordneten Systems (zum Systembegriff s. Abb.€1.7). Die Systemtheorie ist in vielen Wissenschaftsdisziplinen angesiedelt, da eine allgemeine Theorie über soziale Systeme geschaffen werden sollte. In dem systemtheoretischen Ansatz der Managementlehre wird ein Unternehmen als sozio-technisches System verstanden. Chester Barnard (1886–1961) hat das Systemdenken in die Managementlehre integriert. Im deutschsprachigen Raum hat Ulrich mit dem St. Galler Management-Modell das Systemdenken eingeführt (s. Kap.€1.2.10.1). Die heutige Systemtheorie hat sich aus den Naturwissenschaften entwickelt und ist dann erst in die Sozial- und Gesellschaftswissenschaften übertragen worden. Als Grundaussage des Systemansatzes bezogen auf die Managementlehre lässt sich daraus für produktive Unternehmen ableiten, dass sowohl innerhalb der Unternehmen als auch mit der Umwelt vielfältige Wechselwirkungen bestehen; es handelt sich bei Unternehmen also um offene Systeme. Jede Maßnahme der Unternehmensführung und der Mitarbeiter zieht nicht abschätzbare Folgewirkungen sowohl im ökonomischen als auch im nicht ökonomischen System mit sich. Hieraus lässt sich die enorme Komplexität von Systemen ableiten. Auch die Forderung nach einem ganzheitlichen Denken ergibt sich hieraus, da eine isolierte Betrachtung der Elemente nicht zielführend ist. Unternehmen, die die Umwelt nicht ausreichend in die Handlungsplanung mit einbeziehen, können daher nach der Systemtheorie nicht bestehen [3, 45, 58]. Barnard stellte die Führungskraft in den Mittelpunkt seiner systemtheoretischen Betrachtungen, da sie die Erfolgsfaktoren eines Unternehmens mittels dreier Funktionen hauptsächlich beeinflussen [45, 59]:
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Abb. 1.7 ╇ Die fünf Kernmerkmale des Systembegriffs in Anlehnung an [45]
Ein System besteht aus einer Vielzahl Elementen.
Innerhalb der Elemente besteht eine hierarchische Gliederung.
Fünf Kernmerkmale eines Systems
Zwischen den Elementen bestehen vielfältige Beziehungen.
Die Systembestandteile bestimmen dessen Zustände & Verhaltensweise. Das Beziehungsgefüge zwischen den Systembestandteilen stellt die Systemstruktur dar.
1. Aufbau und Pflege eines effektiven Kommunikationssystems Kommunikation – gerade kurze Kommunikationswege – und die mitgetragenen Informationen sind ausschlaggebend für den Entscheidungsprozess. 2. Einstellung und Erhaltung von leistungsfähigem Personal Im Unternehmen sind Individuen mit unterschiedlichen Motivationstreibern angestellt, so dass sich auch das Verhalten derer stark unterscheidet. 3. Motivation des Personals Führungskräfte sollten nach Barnard nicht nur Quellen von Anweisungen sein, sondern Vordenker bezüglich der Werterhaltung und -steigerung des Unternehmens. Der systemtheoretische Ansatz schafft es erstmals, die Beziehung des Unternehmens zu seiner komplexen und veränderlichen Umwelt systematisch zu erfassen und auch zum Gegenstand der Theoriebildung zu machen. Der Ansatz ist universal anwendbar und betont die Multikausalität und Vernetztheit von Ereignissen. Der Systemansatz hat dadurch gerade die vormals im Denken eher enge Betriebswissenschaftslehre erweitert (die z.€B. nicht rein ökonomischer Ursachen ausgeblendet hatte). Darüber hinaus betont sie Dynamik von Veränderungen und die notwendige Anpassungsfähigkeit von Unternehmen. Demgegenüber gibt es auch viele Einwände gegen die Systemtheorie, die als zu schwierig, zu kompliziert und unverständlich beschrieben wird – auch und vor allem aufgrund der Sprache. Sie behandelt Probleme stark abstrakt und bewegt sich auf einer sehr allgemeinen Ebene. Daher sind die Aussagen oft unspezifiziert und können nicht mehr als einen inhaltsleeren Formelraster bauen. Grundsätzlich wird eine empirische Umsetzung der Systemtheorie angezweifelt, da sie die verwendeten Variablen einer Messbarmachung entziehen. Ergänzt wird dies durch die Aussage, dass systemtheoretische Arbeiten inhaltlich nicht
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ergiebig seien, weil die ableitbaren Aussagen im Normalfall auch ohne den Theoriebezug gemacht werden können [4, 45, 58].
1.2.5 Das Harzburger Modell Das Harzburger Modell ist ein Führungsmodell, dessen Ziel eine Verhaltensänderung der Mitarbeiter durch Führung im Mitarbeiterverhältnis besteht, vgl. [60]. Das für damalige Zeiten revolutionäre Modell betrachtete den Mitarbeiter als selbstständig denkenden, selbstständig handelnden und selbstständig entscheidenden Menschen. Das Modell wurde von dem Staatsrechtler Reinhard Höhn (1904–2000) an der Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft in Bad Harzburg entwickelt. Es wurde 1962 als geschlossenes Managementsystem vorgestellt und prägte lange das Führungsverständnis in Wirtschaft und Bundeswehr. Der Ursprung des Modells liegt vor allem in der wachsenden Größe der Unternehmen, die eine gestiegene Variabilität und Reichweite der Aufgaben mit sich brachte. Auch die mit einhergehende Arbeitsteilung und Spezialisierung trugen dazu bei, dass das Prinzip von Befehl und Gehorsam neu überdacht werden musste [61]. Die vier Hauptcharakteristika des Harzburger Führungsverständnisses sind nach [62]: 1. Die betrieblichen Entscheidungen werden auf der Ebene getroffen, der sie ihrer Aufgabe und Zielsetzung nach zugeordnet werden. 2. Die Mitarbeiter werden nicht „durch Einzelaufgaben, sondern durch Übertragung ganzer Aufgabenbereiche“ [63] geführt, innerhalb dieser Bereiche können sie im Rahmen der dazugehörigen Kompetenzen selbstständig entscheiden und handeln (sog. Delegation von Verantwortung – Management by Delegation, s. Kap.€1.2.6). Dies fordert einerseits eine exakte Definition und Abgrenzung der Aufgabenbereiche für den Mitarbeiter (Stellenbeschreibung), andererseits die Entlastung des Vorgesetzten von genau diesen Aufgaben (sog. Führung im Mitarbeiterverhältnis). 3. Aufgrund der Kongruenz von Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung wird ein Teil der Verantwortung an die Mitarbeiter delegiert; die Vorgesetzten greifen nur bei Kompetenzüberschreitungen ihrer Mitarbeiter ein 4. Die Aufgabenverteilung erfolgt von der Basis zur Unternehmensleitung: Es delegiert nicht der Vorgesetzte die Arbeiten nach unten, die er nicht erledigen kann oder will, sondern der Mitarbeiter die Angelegenheiten nach oben, die er aufgrund begrenzter Kompetenz nicht funktions- und sachgerecht ausführen kann. Der Mitarbeiter übernimmt also die in der Stellenbeschreibung dokumentierte Handlungsverantwortung und informiert seinen Vorgesetzten nach dem Informationskatalog; der Vorgesetzte übernimmt die Führungsverantwortung im Rahmen von normierten Führungsrichtlinien (Einhaltung des Dienstweges, kein Überspringen von Hierarchieebenen, keine Rücknahme der Handlungsverantwortung). Dem Modell liegt dabei eine klare hierarchisch gegliederte Organisationsstruktur zugrunde, bei der Führungsverantwortung (der Führende muss seine Mitarbeiter richtig führen) und Handlungsverantwortung (der Mitarbeiter ist für
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die an ihn delegierten Aufgaben voll verantwortlich) deutlich unterschieden werden. Die betriebliche Umsetzung wird von mehr als 300 Regeln unterstützt – das Harzburger Modell lässt sich insgesamt durch das Bestreben kennzeichnen, möglichst viele Handlungsprobleme vorab und generell zu regeln, d.€h. planerisch und organisatorisch zu lösen [64]. Positive Aspekte des Harzburger Modells sind in der durch die Stellenbeschreibung ermöglichten Transparenz von Handlungsbereichen, in der Betonung von Information und Beratung und in der geforderten Dezentralisation von Entscheidungsbefugnissen zu sehen. Der klare Aufbau und die Praktikabilität des Modells für Realisations- und Kontrollprozesse sind anzuerkennen. Der Hauptverdienst des Harzburger Modells ist es jedoch, die Veränderung und Überwindung herkömmlicher Führungsformen entscheidend beeinflusst zu haben, so dass der Mitarbeiter Möglichkeit zur Selbstständigkeit und Selbstverwirklichung erhält [60, 62, 65]. Dem Harzburger Modell sind auch verschiedene Mängel vorzuhalten, hauptsächlich die Folgenden: Erstens ist es kein vollständiges Führungsmodell, insbesondere hinsichtlich des Anreiz- und Personalentwicklungssystems. Zweitens wird das Organisationsprinzip der Gestaltung nicht konsequent durchgehalten – dies ist aufgrund der menschlichen Natur jedoch grundsätzlich nicht möglich. Drittens trägt die statische Natur dem Planungsaspekt nur ungenügend Rechnung, es ist nicht ausreichend flexibel konzipiert. Das Harzburger Modell enthält zudem zu viele Regeln und führt damit in Richtung einer bürokratischen Ordnung [60, 66, 67]. Ein weiterer Schwachpunkt des Harzburger Modells ist das Fehlen eines expliziten Anreizsystems, Ansatzpunkte zur Mitarbeitermotivation sind die Mitarbeiter- und Kritikgespräche. Allerdings können die zugestandenen Ermessensspielräume und die Dezentralisation von Entscheidungen motivationsfördernd wirken. Trotz der Kritikpunkte ist das Harzburger Modell ein verständliches und praktikables Führungsmodell, auch wenn es weniger den Ansprüchen der Theorie als vielmehr dem Verlangen der Praxis nach rezeptartigen Anleitungen Rechnung trägt.
1.2.6 „Management by“- Konzepte Die im Folgenden dargestellten Konzepte stammen größtenteils aus der praxisorientierten amerikanischen Managementlehre und sind unter der Bezeichnung „Management by“Techniken bekannt geworden. Teilweise geben sie lang bekannten Führungsprinzipien lediglich neue Namen, teilweise stellen sie jedoch auch neue Führungshilfen für Manager dar. Sie beziehen sich meist nur auf bestimmte Teilaspekte des gesamten Führungsprozesses, s. Abb.€1.8. Aus der Vielzahl der „Management by“-Konzepte sollen einige lediglich kurz vorgestellt und zwei Modelle, die eine größere Rezeption in der Praxis gefunden haben, ausführlicher diskutiert werden. Das Führungsprinzip des Management by Delegation (Führung durch Aufgabendelegation) basiert auf dem Grundsatz, Aufgaben mit den entsprechenden Kompetenzen und der entsprechenden Verantwortung von der Unternehmensführung hin zum Funktionsträger nachgeordneter Instanzen zu übertragen.
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Management by Objectives (Führen durch Zielvereinbarungen) Zielbildung
Management by Participation (Führen durch Partizipation) Management by Decision Rules (Führen durch Vorgabe von Entscheidungsregeln) Management by Exception (Führen durch Eingreifen im Ausnahmefall) Management by Delegation (Führen durch Delegation)
Durchsetzung
Management by Systems (Führen durch Systemsteuerung) Management by Breakthrough (Wandelorientierte Führung) Management by Motivation (Führen durch systematische Leistungsanreize)
Kontrolle
Management by Results (Führen durch Ergebniskontrolle) Management by Control (Kontrollorientierte Führung)
Abb. 1.8 ╇ Zuordnung der „Management by“- Konzepte zu den Führungsphasen in Anlehnung an [62]
Das System des Management by Delegation entspricht weitgehend dem auch als Harzburger Modell bekannten Ansatz (s. Kap.€1.2.5), das in Deutschland bis in die 1970er Jahre eine nicht unerhebliche Bedeutung besaß [68]. Das Management by Decision Rules (Führung durch Vorgabe von Entscheidungsregeln) ist eine Konkretisierung des Management by Delegation, da es bei der Weitergabe von Entscheidungen zugleich auch genaue Regeln vorgibt, nach denen die delegierten Entscheidungen dann zu fällen sind. Durch die vorgegebenen genauen Regeln kann das Management by Decision Rules allerdings nur bei Routineentscheidungen angewendet werden, da nur hier schon im Voraus genug Informationen und Wissen vorhanden war, um den späteren potenziellen Lösungsraum abzusehen und abzugrenzen. Die Idee des Management by Systems (Führung durch Systemsteuerung) ist es, über bis ins Kleinste ausdetaillierte Informations-, Planungs- und Steuerungssysteme eine Selbststeuerung der Unternehmensteile zu erreichen. Aufeinanderfolgende Arbeitsprozesse werden systematisiert und so Kosten gesenkt und Leistungen gesteigert. Unter den heutigen technischen Voraussetzungen ist dieses Konzept allerdings nicht umsetzbar und zudem aufgrund der Entfremdung von völlig automatisierten Arbeitsprozessen in vielen Unternehmen auch nicht gewünscht [62, 69].
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Bei Management by Results (Führung durch Ergebniskontrolle) steht die Ergebnisorientierung im Vordergrund, es wird durch die Überwachung von Resultaten geführt. Die Festsetzung der Ziels und die Kontrolle des Ergebnisses erfolgen durch den Vorgesetzten, was ein stark autoritäres Führungsverständnis bedingt. Management by Results spricht den Mitarbeitern weniger Verantwortung als z.€B. Management by Delegation zu, da es davon ausgeht, dass alleine die Delegation von Aufgaben nicht zum gewünschten Ergebnis führt [70]. Das Veröffentlichungsdatum des Management by Results liegt vor dem Harzburger Modell (vgl. Kap.€1.2.5), was in dem Führungsverständnis auch klar erkennbar ist.
1.2.6.1 Management by Objectives Das Management by Objectives (MbO, Führung durch Zielvereinbarung) ist das bekannteste und am häufigsten verwendete Führungskonzept. Das MbO wurde erstmals von Peter Drucker vorgestellt, basiert aber hauptsächlich auf den zwei grundlegenden Arbeiten zur zielorientierten Unternehmensführung von Humble und Odiorne sowie Carroll. Die Konzeption des MbO geht von der Erkenntnis aus, dass Zielen innerhalb der Struktur und des Prozesses von Entscheidungen eine besondere Bedeutung zukommt. Die Hauptbestandteile des MbO sind in Abb.€1.9 dargestellt. Die Zielfestlegung ist dabei nicht auf die oberste Führungsebene beschränkt, sondern es findet eine Abstimmung zwischen Mitarbeitern und Unternehmensführung statt. Odiorne versteht unter MbO einen Prozess, „in dem die Angehörigen des oberen und des unteren Managements eines Unternehmens ihre gemeinsamen Ziele festlegen, sodann die Verantwortlichkeitsbereiche der einzelnen und deren spezifische Aufgabe umreißen und diese Maßgrößen dann als Leitlinien für die Unternehmensführung benützen“ [71]. Diese Formulierung von Zielen wird als wichtigste Voraussetzung für den Ablauf von Handlungsprozessen im Unternehmen gesehen, da Ziele das einzige Führungsinstrument sind, das ohne zusätzliche Steuerungsinstrumente eingesetzt werden kann [72]. Innerhalb des so festgesetzten Arbeitsbereiches hat der Mitarbeiter einen erhöhten Handlungsspielraum und kann über die Maßnahmen zur Erfüllung der gesetzten Ziele frei entscheiden. Der Grad der Zielerfüllung dient anschließend als Grundlage für eine Leistungsbewertung und auch für Entlohnung, Beförderung und weitere Ausbildung. Zusätzlich zur Unterstellung einer Zielhierarchie aus Unter- und Oberzielen als primären Orientierungspunkt des Handelns ist die Annahme, dass ein kompatibles Verhältnis Hauptbestandteile des Management by Objectives
Zielrealisationskontrolle
Zielüberprüfung/ Zielanpassung
Partizipation der Mitarbeiter an der Zielbestimmung
Abb. 1.9 ╇ Hauptbestandteile des Management by Objectives
Zielorientierung
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zwischen sachlichen und humanen Zielen erreichbar sei, eine grundlegende Prämisse für das MbO. Dadurch wird auch eine Zuteilung von Kompetenzen und Verantwortlichkeiten möglich. Probleme entstehen dann, wenn die Ziele z.€B. wegen einer starken Interdependenz oder wegen eines niedrigen Konkretisierungsgrades von Aufgaben nur schwer aufgeteilt werden können, da auf der unteren Führungsebene detaillierte Anweisungen erforderlich sind. Die Effizienz des Management by Objectives ist an mehrere Voraussetzungen gebunden, vgl. [62]: • Es müssen allgemeine Führungsrichtlinien vorhanden sein, die die Zusammenarbeit innerhalb des Unternehmens regeln. • Ein klares und detailliertes Zielsystem formuliert ausgehend von den Unternehmenszielen die operationalen Ziele für Bereiche, Abteilungen und Mitarbeiter. • Es existiert eine zielorientierte Organisation mit Stellenbeschreibungen. • Durch ein Kontrollsystem, das Informationen zur Eigen- und/oder Fremdkontrolle und zur Leistungsbeurteilung liefert, wird die Zielerreichung überprüft. Das wichtigste Instrument der Willensdurchsetzung der Führungsentscheidungen ist die Leistungs-Ergebnis-Analyse, das das Kernstück der Realisierung und Kontrolle darstellt. Mit ihr können Mitarbeiter wie Vorgesetzte die Aufgaben und die erwarteten Leistungsergebnisse analysieren [73]. Zu den Vorteilen des MbO kann zusammenfassend gesagt werden, dass es im Vergleich mit dem Harzburger Modell als das umfassendere Führungsmodell angesehen wird, da es sich zusätzlich intensiv mit dynamischen Aspekten befasst. Es entlastet die Unternehmensleitung von Routineaufgaben, so dass sie sich anderen Führungsaufgaben widmen kann und ist besonders effektiv bei Aufgaben, die gleichzeitig innovative und operative Aspekte aufweisen. Durch die Mitarbeit an den Zielen wird auch die Identifikation mit denselben verbessert und die Leistungsmotivation, Eigeninitiative und Verantwortungsbereitschaft der Mitarbeiter erhöht. Da die Leistung der Mitarbeiter durch die Leistungs-Ergebnis-Analyse besser beurteilt werden kann, ist eine leistungsgerechtere Bezahlung möglich. Problematisch ist unter anderem, dass bei der Einführung relativ hohe Kosten entstehen und die Mitarbeiter durch den steigenden Leistungsdruck die Motivation verlieren können. Teilweise kann die Formulierung von operativen Zielen für sämtliche Ebene nicht realisierbar sein [62].
1.2.6.2 Management by Exception Das Konzept des Management by Exception (MbE, Führung durch Abweichungskontrolle und Eingriff in Ausnahmefällen) beschreibt die Delegation von Entscheidungsbefugnissen bei der Durchführung von Routineaufgaben. Der Vorgesetzte greift nur dann ein, wenn die benötigten Entscheidungen die fixierte Toleranzgrenze überschreiten und nicht mehr im Ermessungsspielraum des Mitarbeiters liegen; hierzu gehören auch Entscheidungen mit besonders schwerwiegenden Konsequenzen. Ansonsten kann der Mitarbeiter selbstständig entscheiden und handeln, nur bei den genannten Ausnahmefällen informiert er den Vor-
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gesetzten. Das MbE geht insofern mit der delegierten Verantwortung noch weiter als das Management by Delegation [74]. Voraussetzung zur Nutzung des Management by Exception sind: • Die Stellenbeschreibung mit Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungsbereich für den Mitarbeiter ist definiert. • Es existieren entsprechende Informations-, Kontroll- und Berichtsysteme, die den definierten Ausnahmefall signalisieren. • Im Unternehmen sind die operationalen Ziele bekannt und die Zuständigkeiten dafür klar geregelt. • Alle Beteiligten müssen die Ziele und Abweichtoleranzen, die Zuständigkeiten und Eskalationsmöglichkeiten kennen. Normal- und Ausnahmefälle sind klar voneinander abgegrenzt. • Der Soll-Ist-Vergleich muss durchführbar sein. Gerade die Definition von Normal- und Ausnahmefällen bereitet in der Praxis oft Probleme, da bei zu einer zu engen Definition der Vorgesetzte zu oft eingreifen muss und bei einem zu weit gefassten Aufgabenbereich der Mitarbeiter leicht überfordert werden kann. Mit diesen Voraussetzungen lässt sich das MbE in einem 5-Phasen-Plan durchführen: 1. Phase: Die Messgrößen als geeignete Indikatoren zur Bestimmung des Zielerreichungsgrades werden bestimmt. 2. Phase: Die Bewertungsmaßstäbe zur Bewertung der möglichen Abweichung vom geplanten Ziel werden festgesetzt. 3. Phase: Die Soll-Größen werden ermittelt. 4. Phase: Ein Soll-Ist-Vergleich wird durchgeführt. 5. Phase: Der Vorgesetzte entscheidet, sollten Toleranzgrenzen überschritten worden sein. Der wesentliche Vorteil dieses Führungskonzeptes ist die Entlastung der Führungskräfte von Routineaufgaben, die mit einem erhöhten Handlungsspielraum für die Mitarbeiter einhergeht. Dies wiederum bringt im Normalfall eine erhöhte Motivation und Eigeninitiative mit sich, das Management by Exception wirkt motivations- und leistungsfördernd. Dennoch wird die Unternehmensleitung über wichtige Vorgänge informiert und die Zuständigkeit bei großen Abweichungen ist durch die klare Regelung geklärt. Allerdings kann die große Routine und starke Kontrolle auch demotivierend wirken, und unangenehme negative Abweichungen nicht an die höheren Instanzen weitergeleitet werden. Verstärken kann dies die ausschließliche Weitergabe von Routineaufgaben, während die spannenden Probleme auf Leitungsebene entschieden werden [62, 68].
1.2.7 EFQM-Modell Das EFQM-Modell wurde 1988 von der European Foundation for Quality Management (EFQM) als ganzheitliches Qualitätsmanagementkonzept entwickelt. Ziel der EFQM
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war es, das Thema Qualität im Management stärker zu verankern. Grundlage war die Veröffentlichung von wissenschaftlichen Studien in den USA die belegten, dass qualitätsorientierte Unternehmen höhere Umsätze, Gewinne, Produktivitäten und eine bessere Aktienentwicklung haben als durchschnittliche Wettbewerber [44]. Das entwickelte EFQM-Modell ist ein nicht-normativer Handlungsrahmen und kann auf alle Branchen und Unternehmensgrößen, sowie unter allen kulturellen Rahmenbedingungen in Europa angewandt werden. Dass Modell basiert im Gegensatz zu anderen Ansätzen auf zwei Gruppen von Einflussgrößen: den Unternehmensfeldern („Enablers“) und den Ergebnissen („Results“). Die Enabler sind zentral für die Unternehmensführung und thematisieren eher den langfristigen Erfolg eines Unternehmens, die Ergebnisse sind Indikatoren für den Markterfolg eines Unternehmens (s. Abb.€1.10). Da für einen Markterfolg sowohl zufriedene Kunden als auch zufriedene Mitarbeiter unabdingbar sind, spielt auch die Umweltsicht und gesellschaftliche Verantwortung mit in das Modell mit ein. Das Wissen und die Erfahrung der Mitarbeiter werden dabei konserviert und ständig fort entwickelt [75]. Das EFQM-Modell liefert so Handlungsansätze für die Unternehmensführung in einer komplexer werdenden Umwelt, die stärker in der industriellen Praxis als in der wissenschaftlichen Theorie begründet sind. Die Vergangenheitsorientierung anderer Kontrollinstrumente wird verhindert, da sich das Modell auch mit möglichen Potenzialen für die Zukunft beschäftigt und ein Frühwarnsystem mit Signalen vom Markt beinhaltet. Da es mit Hilfe des Modells möglich ist, das Management zu strukturieren, analysieren und anschließend zu verbessern, ist es ein weit verbreitetes Instrument in der europäischen Industrie geworden.
Führungsstärke
Hebel
Mitarbeiter
Politik und Strategie
Partnerschaften und Ressourcen
Prozesse
Gesellschaftsergebnisse
Abb. 1.10 ╇ Das EFQM-Modell und seine Bestandteile in Anlehnung an [43]. (Quelle: in Anlehnung an ten Have et al. 2003)
Mitarbeiterergebnisse
Kundenergebnisse
Ergebnisse Zentrale Finanzergebnisse
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Allerdings gibt es nicht wirklich normative Handlungsanweisungen, sondern ist eher ein Analyseinstrument, das nicht bei der strategischen Ausrichtung sondern einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess unterstützt.
1.2.8 Business Reengineering Reengineering (…) is the fundamental rethinking and radical redesign of business processes to achieve dramatic improvements in critical, contemporary measures of performance, such as cost, quality, service and speed. [76]
Der Begriff des Business Reengineering (auch Business Process Reengineering) wurde in den 1990er Jahren vor allem durch Michael Hammer und James Champy mit dem Buch „Reengineering the Corporation: A Manifesto for Business Revolution“ (1995) geprägt, auch wenn sich viele weitere Autoren mit dem Thema beschäftigt haben. Es wurde in den Folgejahren zu einem der am stärksten diskutierten Managementkonzepte. Dieses vor allem aus den Managementberatungen getriebene Konzept wurde aus dem Bewusstsein geboren, dass die existierenden Ansätze wie Lean Management oder TQM nur inkrementelle Verbesserungen beinhalten. Radikale Umstellungen aber haben in einigen Unternehmen fundamentale Verbesserungen mit sich gebracht. Daraus ergeben sich das Charakteristikum des Business Reengineering: Es geht nicht um eine stetige Verbesserung und Optimierung der bestehenden Prozesse, sondern um eine radikale Veränderung von Unternehmensstrategie, -struktur und -kultur und der zugrunde liegenden Handlungen. Nur dann ist es möglich, sich an die sich schnell verändernden Marktbedingungen anzupassen und erfolgreich am Markt zu agieren. Die Ableitung des Begriffes Business Reengineering erfolgt aus dem fundamentalen Überdenken der Prozesse im Unternehmen (↜rethinking), die dann prozessorientiert völlig neu nach den Marktanforderungen, dem heutigen Wissensstand und den technologischen Möglichkeiten konzipiert werden (↜redesign) [76]. Die vielen Schriften zum Thema Business Reengineering haben eine relativ große Überdeckung, deren Gemeinsamkeiten im Folgenden kurz zusammengefasst werden. So stellen sie das Existierende bewusst in Frage und beschränken sich dabei nicht auf einzelne Bereiche – das Unternehmen wird ganzheitlich betrachtet. Das Ziel sind dann auch nicht schrittweise Verbesserungen, sondern „Quantensprünge“ in der Leistungsfähigkeit. Der bisherige Aufbau wird anschließend radikal verändert, um diesen Paradigmenwechsel einzuführen und sich auf die Kernprozesse zu konzentrieren. Die Prozess- und Kundenorientierung ist ähnlich zentral wie im Lean Management, wobei die Veränderungen hier durch das Top-Management initiiert werden [77]. Befürworter des Business Reengineering betonen, dass Reengineering die Effizienz eines Unternehmens deutlich steigern kann und ein Paradigmenwechsel häufig notwendig ist, um alte Strukturen verändern zu können. Kritisiert wird an dem Konzept, dass die im Unternehmen gesammelte Erfahrung bei der Neustrukturierung nicht betrachtet wird. Das Verfahren stellt nicht die Menschen ins Zentrum und geht nicht auf den notwendigen Lernprozess ein, sondern fokussiert sich alleine auf die Effizienz der Prozesse. In der Praxis ist Business Reengineering wesentlich
1â•… Grundlagen des Managements produzierender Unternehmen
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schwieriger umzusetzen und viele Projekte scheiterten in der Planungsphase, unter anderem weil das Middle Management gegen die im Normalfall mit einhergehende Hierarchieverflachung ankämpfte oder das Projektmanagement versagt [43, 44].
1.2.9 Lean Management Obwohl oder gerade weil die Ideen des Lean Managements heute global verbreitet sind, existiert keine einheitliche Definition des Begriffes. Das Ziel von Lean Management wird jedoch einheitlich beschrieben: Werte sollen ohne Verschwendung geschafft werden, unabhängig von der Produktart (materiell/immateriell), den Produktionsvorgängen oder Unternehmensabteilungen. Zum besseren Verständnis wird nachkommend die historische Entwicklung zum Lean Management aufgezeigt, die einzelnen Prinzipien des Lean Management beschrieben und die Auswirkungen des Lean Managements auf andere, nicht-produzierende, Bereiche anhand von Beispielen erläutert.
1.2.9.1 Historische Entwicklung Die Ideen der Lean Production basieren zu großen Teilen auf den schon existierenden westlichen Managementansätzen, die in die japanische Produktionsphilosophie übernommen und weiter ergänzt wurden. Auf der Grundlage des Scientific Managements (s. Abschn.€1.2.1) entwickelte Henry Ford (1863–1947) die Fließbandfertigung für das Model T im Jahre 1913. Ford erkannte, dass die Arbeitsteilung noch wesentlich gesteigert werden kann, wenn die Mitarbeiter nicht ihren Platz verließen sondern die zu montierenden Komponenten an den Arbeitern vorbeilaufen. Da die Mitarbeiter ihren fest zugeordneten Platz nicht verlassen durften, wurde der Arbeitsrhythmus nicht vom Arbeiter, sondern von der Bandgeschwindigkeit bestimmt. Der Arbeiter war dafür verantwortlich, seine Tätigkeiten so zu verrichten, dass eine möglichst geringe Ermüdung eintrat. Für die Produktivitätsfortschritte war allerdings nicht das Fließband, sondern die mit der Suche nach einer möglichst einfachen Verrichtung der Arbeit verbundene Standardisierung, Vereinfachung und Normung hauptverantwortlich [78]. Ford selbst betrachtete diese Art der Herstellung in seinen Werken als „Produktionssystem“, mit dem er zwischen 1908 und 1914 erhebliche Verbesserungen in Qualität, Durchlaufzeit und Produktivität erreichte. Die Grundzüge seiner Montageprinzipien können wie folgt zusammengefasst werden [79]: • Werkzeuge und Arbeiter sollen in der Reihenfolge der Verrichtung angeordnet werden, so dass möglichst geringe Wege zurückgelegt werden müssen. • Der Arbeiter soll immer am gleichen Fleck stehen; durch Transportvorrichtungen sollen die Teile möglichst unter Nutzung der Schwerkraft zum nächsten Arbeitsschritt gelangen.
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• Montagebahnen sollen genutzt werden, um die Bauteile in regelmäßigen Abständen in der benötigten Stückzahl zur Verfügung zu stellen. • Alle Verrichtungen folgen streng dem Prinzip der Arbeitsteilung; sie werden so kombiniert, wie es die Taktung erfordert. Fords Massenproduktion trieb das Spezialistentum nach den Grundlagen Taylors ins Extremum; zu den Merkmalen s. Abb.€1.11. Die Produktion teilte sich erstmals in einen direkten und einen indirekten Fertigungsbereich auf und die oft ungelernten Montagearbeiter übernahmen jeweils nur einen oder wenige Montageschritte. Führungskräfte galten für Ford nie als Befehlsgeber, sondern als unaufdringlicher Anweiser. Führung liegt in der Arbeit, nicht aber in einer Person, was als erster Ansatz eines Prozessdenkens aufgefasst werden kann. 3€% der Belegschaft waren als Inspektoren eingesetzt, die Unregelmäßigkeiten in der Materialzuführung oder Bearbeitung aufdeckten, und sich hauptsächlich damit beschäftigten, Verbesserungen in der Arbeitsverrichtung zu erarbeiten. Auch das Herstellungsverfahren wurde ständig analysiert und so Material eingespart und Arbeit erleichtert – die Vermeidung von jeglicher Verschwendung stand im Mittelpunkt. Mit den erfolgten Einsparungen wurden unter anderem die Arbeitslöhne erhöht und die eigenen Mitarbeiter zu potenziellen Konsumenten gemacht. Darüber hinaus schuf Ford durch die Maßnahmen zur Standardisierung und die Vereinheitlichung des Messsystems die Voraussetzungen für eine Reduktion der Fertigungs-
Akkordlohn
Arbeitsteilung
Einheitliches Messsystem
Qualitätsgerechte Produkt gestaltung
Voraussetzungen für das Produktionssystem nach FORD
3% KVPVerantwortliche
Austauschbarkeit von Teilen
Standardisierung
Getaktetes Fließband
Abb. 1.11 ╇ Merkmale des Fordismus in Anlehnung an [43]
EinzelArbeit
1â•… Grundlagen des Managements produzierender Unternehmen
41
tiefe, auch wenn noch fast alle Prozessschritte im eigenen Unternehmen ausführt wurden [78, 79]. Die Hauptarbeit bei der Entwicklung seines Produktionssystems lag vor allem darin, die Ideen des Scientific Management für eine Anwendung im industriellen Betrieb zu modifizieren und zu verändern. Die Inflexibilität der Fließbänder und die Spezialisierung der Mitarbeiter waren der wesentliche Nachteil des Ford’schen Produktionssystems. Zudem führte die anstrengende aber nicht abwechslungsreiche Beschäftigung zu einer sehr hohen Fluktuation der Mitarbeiter. Die dargestellten Methoden von Ford wurden von verschiedenen Unternehmen aufgegriffen und weiter perfektioniert. Ein Beispiel hierfür ist die Fertigung, wie sie Alfred P. Sloan (1875–1966) bei General Motors (GM) einführte; GM war der erste Konzern mit einer differenzierten Produktstruktur, die eine hohe Komplexität verursacht und nur durch die Divisionalisierung des Unternehmens beherrscht werden konnte. Die Divisionalisierung von GM in mehrere Automarken basiert auf der Beobachtung von Sloan, dass in sehr großen Unternehmen die Koordination im Sinne von Taylor immer schwieriger und umfangreicher wurde. Hieran anknüpfend wurden dezentrale Unternehmensbereiche geschaffen, die alleine durch wirtschaftliche Kennzahlen kontrolliert wurden. Es wurde ein Plattformsystem eingeführt, um bei der Variantenvielfalt von Modellen und Marken möglichst viele Gleichteile verwenden zu können. Zudem wurden durch die Arbeitsteilung auch auf Managementebene Spezialistenabteilungen wie Technik oder Finanzen ins Leben gerufen. Ausgehend von der Massenproduktion bei Ford kann bei dem entstandenen Produktionssystem von flexibler Massenproduktion gesprochen werden. Die flexible Massenproduktion verhalf Ford, GM und Chrysler zu großen Erfolgen und setzte sich bis zum Ende der 1950er Jahre auch in Europa durch (Volkswagen, Renault, Fiat, Mercedes) [80]. Auch in Deutschland wurde die Ideen von Taylor und Ford aufgenommen und weiterentwickelt. So wurde 1924 der „Reichsausschuss für Arbeitszeitermittlung“ (REFA, heute: Verband für Arbeitsstudien und Betriebsorganisation e.€V.) gegründet, mit dem Ziel, Wissenschaft und Bildung in den Bereichen Arbeitsgestaltung, Betriebsorganisation und Unternehmensentwicklung zu fördern [81]. In ihren Schriften behandelt die REFA unter anderem Fragen zur Ergonomie des Arbeitsplatzes, zur Lohndifferenzierung, Datenermittlung oder Motivation von Mitarbeitern. Mit den oben genannten Ideen kamen der Firmeninhaber von Toyota, Eiji Toyoda (*1913), und sein leitender Produktionsingenieur Taiichi Ohno (1912–1990) auf einer Forschungsreise im Jahr 1950 zu Ford in den USA in Kontakt. Die Firma Toyota sah sich nach der Wiederaufnahme der Automobilproduktion nach dem 2. Weltkrieg in Japan dem Problem ausgesetzt, dass Kapital zur Anschaffung spezialisierter Großserienanlagen fehlte und der kleine japanische Markt nach einer hohen Produktvielfalt bei kleinen Stückzahlen verlangte. Beide erkannten, dass die beobachtete inflexible und kapitalintensive Massenproduktion, die auf Prognosen und Schätzungen erfolgte, für Japan nicht den richtigen Weg darstellte. Die Vorteile der Massenfertigung standen den Nachteilen (hohen Beständen an fertigen und halbfertigen Erzeugnissen) und den damit verbundenen Kosten gegenüber. Ohno suchte daher eine Lösung, um die mit einer auf Vorhersage beruhenden Produktion verbundenen Nachteile zu überwinden: Toyota
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W. Boos et al.
sollte sich ausschließlich nach den eingegangenen Aufträgen richten. Diese bedarfsorientierte Produktion forderte dann die Minimierung der Durchlaufzeiten [46, 82]. Das nach diesen Beobachtungen entwickelte Produktionssystem wird heute als „ToyotaProduktionssystem“ beschrieben. Das Toyota-Produktionssystem ist eine Produktionsphilosophie und ein System für das totale Vermeiden von Verschwendung, das einerseits den Konterpart zu der amerikanischen Massenproduktion darstellt und andererseits als dynamische Weiterentwicklung unter veränderten Rahmenbedingungen gesehen werden kann [83]. Dieses System analysierten James Womack, Daniel Jones und Daniel Roos von 1984 an über 5€Jahre im Rahmen des International Motor Vehicle Program (IMVP). Die Wissenschaftler des Massachusetts Institute of Technology (MIT) untersuchten die Entwicklungs- und Produktionsbedingungen der Automobilindustrie in 15 Ländern, insbesondere die Unterschiede zwischen der traditionellen Massenproduktion und der schlanken Produktion Japan. Die Ergebnisse wurden unter dem Titel „The Machine That Changed the World“ (1990) veröffentlicht (deutsch: Die Zweite Revolution in der Automobilindustrie). Die Autoren arbeiten hier die Prinzipien eines auf Effizienz und Qualität getrimmten Entwicklungs- und Produktionssystems heraus, das sie als schlanke Produktion – Lean Production – bezeichnen. Im Gegensatz dazu wird die amerikanische und europäische Automobilindustrie als Buffered Production System bezeichnet, da die Pufferbestände wesentlich größer sind. Im Kern ist Lean Production ein Ansatz, der nicht so stark die technische Ablaufautomation als vielmehr eine schlanker Organisation betont. Das Buch und die in ihm vermittelten Produktionsprinzipien erzeugten weltweit eine starke Resonanz – insbesondere in der Automobilindustrie und ihren Zulieferern [78]. Die Grundgedanken der Lean Denkweise wurden von Womack und Jones 1996 unter „Lean Thinking“ zusammengefasst und veröffentlicht: „Lean Thinking can be summarized in five principles: precisely specify value by specific product, identify the value stream for each product, make value flow without interruptions, let the customer pull value from the producer and pursue perfection“ [84]. Diese Grundgedanken können und werden in alle Bereiche der betrieblichen Leistungserstellung übertragen.
1.2.9.2 Prinzipien des Lean Management Der Begriff des Lean Management hat sich im Verlauf der weiteren Adaption und Verallgemeinerung der Prinzipien der Lean Production auch auf andere Industrien ausge dehnt. Der Fokus verschiebt sich mit dem Begriff des Lean Management von einer Produktions- auf eine Managementphilosophie. Lean Management als Führungs- und Organisationskonzept betont dieselben Prinzipien wie Lean Production und hat zum Ziel, Verschwendung, Fehler und unnötige Kosten – bei gleichzeitigem Streben nach bestmöglicher Qualität – zu vermeiden. Durch den Einsatz verschiedener Instrumente soll ein effizienter, wertschöpfungs-, kunden- und auftragsorientierter Leistungserstellungsprozess realisiert werden [77, 78]. In der Literatur finden sich in Inhalt und Länge unterschiedliche Listen, die die Prinzipien des Lean Management enthalten. Diese Prinzipien liefern Lösungsprinzipien für neue
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1â•… Grundlagen des Managements produzierender Unternehmen
Kontinuierliche Verbesserung
Eigenverantwortung und Teamarbeit
Kundenorientierung
Verschwendung vermeiden
Vorausschauendes Handeln
Standardisierung
Feedbackkultur
Abb. 1.12↜╇ Die Prinzipien des Lean Managements
Problemsituationen, bieten aber keine konkreten oder standardisierten Lösungsanweisungen. Sie ersetzen die Außen- durch die Selbstregulation. Im Folgenden sollen die wichtigsten Prinzipien näher erläutert werden (s. Abb.€1.12) [82, 85]. 1. Kundenorientierung Da die Wünsche der Kunden oberste Priorität im Unternehmen haben, sind auch alle Aktivitäten und Unternehmensfunktionen auf die Erfüllung dieser ausgerichtet. 2. Kontinuierliche Verbesserung Kaizen als Begriff für die kontinuierliche, schrittweise Verbesserung von bereits stabilen Prozessen gilt als der Kernpunkt des Lean Management. Alle Mitarbeiter sind angehalten, sich an den Verbesserungen vor allem in ihrem Bereich zu beteiligen. Dem zugrunde liegt eine Prozess-, nicht eine Ergebnisorientierung. 3. Eigenverantwortung und Teamarbeit Die Mitarbeiter führen ihre Tätigkeiten in Eigenverantwortung durch. Sie werden dabei durch Standards unterstützt, die für jede Tätigkeit aufgestellt wurden. Wenn die gefor-
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derte Qualität nicht eingehalten werden kann, wird die Arbeit unterbrochen und Unterstützung angefragt. Die Aufgaben werden dabei im Team erledigt und interner Wettbewerb durch den Konsensgedanken verhandelt. 4. Standardisierung Alle sich wiederholenden Arbeitsgänge werden durch schriftliche und bildliche Darstellungen sowohl standardisiert als auch formalisiert. Zwar muss sich jeder Mitarbeiter an die Standards halten, er kann sie jedoch auch selbst verbessern. 5. Feedbackkultur Jede Tätigkeit wird durch ein intensives Feedback unterstützt. Das Feedback besteht sowohl aus objektiver Rückmeldung durch Zahlen und Daten und subjektiver Rückmeldung durch Meinungen und Reaktionen. Unternehmen als Ganzes können durch Benchmarking Feedback erhalten. 6. Vorausschauendes Handeln Das Management soll Entscheidungen am langfristigen Erfolg ausrichten, auch wenn kurzfristige Finanzziele darunter leiden. Auch Qualität ist kein Zufall, sondern das Ergebnis von langfristiger Planung, die nicht auf bestehende Probleme reagiert sondern künftige Probleme vorausschauend verhindert. 7. Verschwendung eliminieren Prozessüberlastungen müssen vermieden werden, dies fordert auch einen Ausgleich der Auslastungsschwankungen. Dadurch können Liege- und Wartezeiten verhindert werden. Im Gegensatz zu anderen Managementtheorien ist es nicht möglich, die Ideen des Lean Managements auf die Anwendungen von Prinzipien zu reduzieren: Die Umsetzung des Lean Managements schlägt sich auf das Verhalten der Mitarbeiter und die Atmosphäre innerhalb des Unternehmens wieder, weswegen in diesem Zusammenhang oft von „Lean Thinking“ gesprochen wird.
1.2.9.3 Transfer des Lean Managements in andere Bereiche Ausgehend von der Lean Production wurden das „Lean Thinking“ mit der Zeit in immer mehr Bereiche übernommen, gerade auch in Bereiche der indirekten Leistungserstellung.
Lean Innovation Lean Management beschreibt die Fokussierung auf echte Wertschöpfung und die Vermeidung von Verschwendungsleistungen als obersten Grundsatz [86]. Dieses Verständnis für Wertgenerierung aus Kundensicht ist für das Innovationsmanagement im Unternehmen besonders entscheidend, aber gerade dort heute noch drastisch unterrepräsentiert. Ziel von Lean Innovation ist es, die Grundsätze des Lean Thinking auf das Innovationsmanagement systematisch zu übertragen – bislang wurde dieser Übertrag in ersten Ansätzen begonnen, aber keineswegs systematisch vollzogen.
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1â•… Grundlagen des Managements produzierender Unternehmen
Motivation Produktidentifikation
Innovationsstrategie Strategische Erfolgspositionierung
Release-Engineering Derivieren
Perfektionierung Robustheitsmodellierung
ch gis ren ate ie Str ition s Po
er n ch re Si ptie a Ad
Lean InnovationSystematik h en fac sier Ein roni h nc
Datenkonsistenz Product Lifecycle Management
Sy
Synchronisation Taktung
Prozessoptimierung Wertstromdefinition
n üh re Fr urie t k tru
S
Wertesystem Zielhierarchisierung TechnologieManagement Roadmapping
LösungsraumManagement Freiheitsgrad-Modellierung Produktarchitekturgestaltung Technologie-/ Funktionsmodellierung
Sortimentsoptimierung Merkmals-Clusterung
Abb. 1.13↜╇ Die 12 Prinzipien des Lean Innovation [87]
Die voranschreitende Globalisierung zwingt Unternehmen zu immer kürzer werdenden Produktlebenszyklen und zugleich zu einer wachsenden Produktvielfalt. Aus diesem Grund gewinnt die Relevanz von Effizienz- und Effektivitätssteigerungen in Forschung und Entwicklung zunehmend an Bedeutung. Lean Innovation setzt hierbei auf eine verschwendungsfreie und wertorientierte Umsetzung von Produktinnovationen und hat damit eine generelle Steigerung der Konkurrenzfähigkeit von Forschung und Entwicklung zum Ziel. Grundsätzlich wird durch Lean Innovation systematisch die Verschwendung in der Produktentwicklung aufgedeckt. Auf diese Weise sollen gezielt Ressourcen gespart und der gesamte Prozess beschleunigt werden. Der Gestaltungsansatz der Lean Innovation heißt „Strategisch Positionieren, Früh strukturieren, Einfach synchronisieren, Sicher Adaptieren“. Dieser Ansatz wird durch die in Abb.€1.13 dargestellten zwölf Prinzipien in der Anwendung konkretisiert [87]. Die Summe dieser Prinzipien der Lean Innovation erlaubt eine ganzheitliche Optimierung des Innovationsmanagements und der Forschung und Entwicklung und bietet darüber hinaus eine bessere Integration anderer Unternehmensbereiche in den Innovationsprozess.
Lean Administration Die Lean Administration überträgt die Philosophie des Lean Production auf die administrativen Prozessketten von Unternehmen. Hier werden systematisch Einsparungs- und Effizienzsteigerungspotenziale offengelegt und durch gezielte Lösungsansätze genutzt.
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1
Abb. 1.14↜╇ Konzeption der Lean Administration
W. Boos et al.
Richtungweisend für die Prozessbeurteilung
Kundenbedarf Ausrichtung der eigenen Produktion an tatsächliche Nachfrage Reibungslosigkeit Lieferung des gewünschten Produktes zur richtigen Zeit an den richtigen Ort Standardisierung Ordnung und Sauberkeit
Auf diese Weise gelingen die Etablierung wettbewerbsfähiger Kostenstrukturen und die Vermeidung von Verschwendung. In einem ersten Schritt werden dabei die vorhandenen administrativen Prozesse der Unternehmen identifiziert. Anschließend werden Größen der Produktivität, des Ressourcenbedarfes und der benötigten Zeiten erfasst und damit eine Vergleichbarkeit der Prozesse sichergestellt. Das Kosteneinsparungspotenzial in den administrativen Unternehmensbereichen ist beachtlich. Oftmals sind es gerade kleinere Faktoren wie unnötige E-Mail-Fluten, zu viele und ineffiziente Besprechungen oder das Warten auf Informationen, welche letztlich große Effekte auf die Verschwendung von Unternehmensressourcen haben. Zudem rückt die Lean Administration eine kundenorientierte Prozessbewertung in den Vordergrund der Betrachtung (vgl. Abb.€1.14). Zentral behandelt und verbessert werden in diesem Zusammenhang die Faktoren Qualität, der Kosten und der Termintreue. Neben der dadurch erhöhten Kundenzufriedenheit kommen auf diese Weise Effekte der Effizienzsteigerung zum Tragen. Aufgrund der sinkenden Zahlungsmoral steigt beispielsweise die Notwendigkeit eines effizienten Forderungsmanagements. Das Forderungsmanagement hat vor allem für den Mittelstand und den Anlagenbau eine hohe Relevanz, da hier Forderungen oftmals erst nach vollständiger Lieferung fällig werden. Schlussendlich werden durch Lean Administration sämtliche direkt oder indirekt wertschöpfenden Prozessketten der Administration systematisch optimiert. Dieser Ansatz reduziert die Gemeinkostenzuschläge sowie die Kosten aus Vertrieb und Verwaltung und sichert den Unternehmen über prozessorale Effizienzsteigerungen bedeutsame Wettbewerbsvorteile gegenüber der Konkurrenz [88]. Fallbeispiel zur Implementierung von Lean Administrationâ•… Im Zuge der Restrukturierung des Privatkundengeschäfts einer Versicherung mit circa 6.500 Mitarbeitern und 12 Niederlassungen sollte die Bearbeitungsqualität gesteigert werden, einherge-
1â•… Grundlagen des Managements produzierender Unternehmen
47
hend mit einer Erhöhung der Prozesstransparenz, einer Steigerung der Dienstleistungsqualität sowie einer nachhaltigen Kostensenkung und kürzeren Durchlaufzeiten. Hierzu wurden die Wertströme und Geschäftsprozesse aufgenommen und nicht wertschöpfende Tätigkeiten innerhalb der Verwaltung ermittelt, unter anderem über eine aufgabenbezogene Tätigkeitsstruktur. Bei der Aufnahme wurde auch die Bearbeitungsqualität an sich berücksichtigt. Im Anschluss daran konnten auch durch eine optisch aufbereitete Darstellung der aktuellen Wertströme und Geschäftsprozesse im Sinne des Lean Managements optimierte Wertströme entwickelt werden. Daraus wurden anschließend Sofortmaßnahmen und eine Zeitschiene zu deren Umsetzung abgeleitet. Nach der Implementierung der Veränderungen konnte •â•‡ die Durchlaufzeit um 50€% •â•‡ die Rückfragequote um 58€% •â•‡ die Bearbeitungszeiten um 27€% gesenkt werden. Darüber hinaus konnte auch die Bearbeitungsqualität deutlich gesteigert werden. Das finanzielle Ergebnis der Implementierung der Lean Gedanken in der Versicherung beläuft sich auf ein Kostensenkungspotenzial von geschätzt 4,5€Mio.€€. Nötig hierfür war die Transparenz über Kosten, Kapazitäten und Ziele.
Lean Six Sigma Lean Six Sigma ist eine Kombination zweier erfolgreicher Konzepte zur Lösung technischer Probleme: Das Six Sigma-Konzept und der Lean Production-Ansatz. Beide werden als ganzheitliche Produktionssysteme verstanden und betonen neben der Kundenzufriedenheit die Relevanz der Qualität und die der Einbindung des Personals. Die jeweiligen Zielstellungen der Konzepte sind jedoch vollends divergent. Das Six Sigma-Konzept widmet sich der Produktqualität und fordert eine Verringerung der Varianz. Eine Minderung von Produkt- und Prozessvariation trägt massiv dazu bei, ein tieferes Prozessbewusstsein zu entwickeln. Dies bietet schließlich die Grundlage für eine nachhaltige Verbesserung bestehender Prozesse. Ferner fördert das Six Sigma-Konzept insbesondere den Einsatz von Daten bei der Entscheidungsfindung und trägt so zu einem analytischen Vorgehen bei. Im Fokus der Lean Production stehen hingegen der zu erhöhende Anteil wertschöpfender Prozesse, die Vermeidung von Verschwendung und die generelle Verbesserung des Fertigungsflusses. Die Stärke dieses Ansatzes liegt damit weniger auf der detaillierten Problemlösung als in der Verdeutlichung von Problemstellen (s. Abb.€1.15) [89–91]. Werden beide Ansätze zusammengeführt, entsteht eine hoch effiziente Methode der umfassenden Problemlösung. So belegen Studien, dass Lean Six-Sigma-Projekte zwei- bis dreimal schneller Resultate erzeugen als herkömmliche Six Sigma-Projekte. Aus diesem
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Six Sigma Verdeutlichen von Problemstellen
Lean Production Detaillierte Betrachtung der Prozesse
Analytisches Vorgehen
Vermeidung von Verschwendung
Entwicklung eines Prozessbewusstseins
Verbesserung des Fertigungsflusses
Stetige Verbesserung
Lean Six Sigma
Abb. 1.15 ╇ Bestandteile des Lean Six Sigma
Grund ist das Lean Six Sigma-Konzept ein hervorragendes Werkzeug, um im Rahmen von Qualitätsverbesserungsprojekten die Qualität von Produkten und Prozessen zu erhöhen.
1.2.10 St. Galler Systemansatz Der St. Galler Systemansatz versteht ein Unternehmen als System und betrachtet es daher ganzheitlich. Er geht auf den systemtheoretisch-kybernetische Ansatz zurück und wurde mit den Jahren weiterentwickelt. Im Mittelpunkt des massgeblich von Hans Ulrich und seinen Mitarbeitern entwickelten Systemansatzes stehen Grundfragen der Gestaltbarkeit und Steuerbarkeit von Unternehmungen. Dabei vermittelt der St.Galler Ansatz keine Handlungsanweisungen, sondern er bietet vielmehr einen Gestaltungsrahmen mit dem Führungskräfte dank besserer Kenntnis der Gesamtzusammenhänge Probleme selbst identifizieren und mögliche Lösungen finden können. Im Folgenden soll die Entwicklung des Systemansatzes im historischen Zeitablauf nachgezeichnet werden.
1.2.10.1 St. Galler Management-Modell Das St. Galler Management-Modell ist ein Bezugsrahmen, der dem Systemansatz verpflichtet ist. Das erstmals 1971 von Hans Ulrich und Walter Krieg veröffentlichte St. Galler Management-Modell wurde mit dem Ziel entworfen, Probleme offen anzugehen und nicht das rezeptreiche Vermitteln von Wissen in den Mittelpunkt der Ausbildung von Führungskräften zu stellen [92]. Hierin manifestiert sich auch der pragmatische Ansatz des St. Galler Management-Modells, wodurch es sich von den anderen gängigen Führungsmodellen unterscheiden will. Das Grundmodell des St. Galler Management-Modells ist in den darauffolgenden Jahren ausführlicher beschrieben und zum St. Galler Management-Konzept ergänzt worden. Ulrich stellte 1978 eine Adaption des Grundmodells auf den Bereich der Unternehmens-
1â•… Grundlagen des Managements produzierender Unternehmen
49
politik vor, die Malik 1981 als Vorlage für eine umfassendere Überarbeitung des Grundmodells diente. „Das Konzept Integriertes Management“ (1991) schließlich ist ein Überblicksband zum weiterentwickelten Konzept. Integriertes Management bedeutet die ganzheitliche Verknüpfung unterschiedlicher Module der Führung, wobei sich die Module aus einer Überlagerung normativer, strategischer und operativer Managementebenen mit den Aspekten Strukturen, Aktivitäten und Verhalten ergeben [7]. Der Anspruch des St. Galler Management-Modells ist es, den Manager bei Betrachtung, Diagnose und Lösung von Problemen bei der Führung mittels eines differenzierten Überblicks über Dimensionen und Module eines integrierten Managements zu unterstützen. Es will somit auf die wesentlichen Probleme und Interdependenzen des Führungsprozesses hinweisen. Ziel ist es, den Entscheidungsproblemen des Managements eine Ordnung zu geben. Das St. Galler Management-Konzept konzentriert sich auf die Berücksichtigung des Systems Unternehmen in seiner Umwelt ab, wodurch die geforderte Positionierung gegenüber den Anspruchsgruppen, sowie die Ausgestaltung der eigenen Wertschöpfung ermöglicht werden. Des Weiteren greift es eine Anpassung des Unternehmens an den Wandel der Umwelt auf, wodurch die hier vertretene Denkweise des Strategischen Managements kohärent zum gewählten Bezugsrahmen ist [7]. Ausgehend von einem kybernetischen und systemtheoretischen Hintergrund entwerfen Ulrich und Krieg ein dreistufiges Modell der Unternehmensführung [41]: 1. Das Unternehmensmodell Grundlage für die Führung von Unternehmen als offene Systeme bildet die Analyse der (unternehmensexternen) Beziehungen zwischen der Umwelt und dem System selbst (s. Abb.€1.17): Einerseits die Umwelt des Unternehmens in ihrer technologischen, ökonomischen, sozialen und ökologischen Dimension, andererseits die Märkte des Unternehmens als Beschaffungs- und Absatzseite. Darauf baut die Analyse der folgenden unternehmensinternen Zusammenhänge auf: • Die Funktionsbereiche umfassen den Vollzugsbereich, den Versorgungsbereich sowie den überlagernden Führungsbereich. • Die Gestaltungsbereiche des Unternehmens umfassen vor allem die im Unternehmen zu lösenden Gestaltungs- und Lenkungsaufgaben sowohl der technologischen, als auch der ökonomischen und sozialen Sphäre. • Die Unterscheidung zwischen repetitiven und innovativen Aufgaben verdeutlicht die Forderung, sich dem Spannungsfeld „Bewahrung – Fortschritt“ beziehungsweise „Stabilität – Wandel“ zu stellen. 2. Das Führungsmodell Das Führungssystem wird als informationsverarbeitendes System verstanden, dessen inhaltliche Analyse in drei Stufen erfolgt: • Die Stufen der Führung bilden den Prozess der Willensbildung und -durchsetzung der Unternehmensführung ab. Die Entscheidungen über Unternehmenspolitik, Unternehmensplanung und Disposition sind nach Reichweite, Zeithorizont und Detailliertheit zu unterscheiden. • Die Führungsphasen fragen nach der Zielbestimmung (was?), dem Ressourceneinsatz (womit?) und der Verfahrensbestimmung (auf welche Weise?).
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• Die Führungsfunktionen umfassen die Tätigkeiten im Rahmen der Führung: Entscheiden, Initiieren und Kontrollieren (s. Kap.€1.1.2.2). 3. Das Organisationsmodell Das Organisationsmodell stellt die Frage nach dem strukturellen Aufbau eines Unternehmens als reales System in den Mittelpunkt. Für organisatorische Strukturfragen können Hinweise aus der Umwelt, insbesondere auch den Marktbereichen, den Marktleistungen, den Funktionsbereichen sowie den repetitiven und innovativen Aufgaben gewonnen werden. Marktbereiche, Marktleistungen und Funktionsbereiche legen die grundlegende organisatorische Strukturierungsrichtung fest. Durch die Trennung in repetitive und innovative Aufgaben wird Einfluss auf die organisatorischen Strukturen auf Dauer bzw. Zeit (Projektstruktur innerhalb eines Unternehmens) genommen. Zudem bietet das Führungsmodell „die gedankliche Grundlage für die Ausbildung der organisatorischen Hierarchie und für die Strukturierung der Führungsprozesse“ [92].
1.2.10.2 Konzept integriertes Management Im St. Galler Management-Konzept werden in horizontaler Sicht die Ebenen des normativen, strategischen und operativen Managements unterschieden. Das normative und strategische Management haben eine Gestaltungs- und Entwicklungsfunktion, wobei sich das normative Management mit den generellen Zielen des Managements beschäftigt, die darauf ausgerichtet sind, Lebens- und Entwicklungsfähigkeit des Unternehmens sicherzustellen. Beide Ebenen finden ihre Umsetzung im operativen Management, das darauf ausgerichtet ist, die normativen und strategischen Vorgaben in Operationen, die sich an Fähigkeiten und Ressourcen ausrichten, vollziehend umzusetzen. In vertikaler Sicht durchziehen die Aspekte Strukturen, Aktivitäten und Verhalten diese drei Ebenen. Um den Zusammenhang von Managementebenen darzustellen entwickelte Bleicher die 3â•›×â•›3 Matrix, s. Abb.€1.16. Strategische Initiativen ergeben sich aus den übergeordneten Unternehmenszielsetzungen und orientieren sich daher an den Nutzenpotenzialen. Diese haben den Charakter einer Möglichkeit oder einer Chance, die von dem Unternehmen strategisch oder operativ genutzt werden kann. Ebenfalls zu betrachten ist die Umsetzung der normativen und strategischen Vorgaben auf operativer Ebene, da nur durch das Aufzeigen von Maßnahmen zur Umsetzung der strategischen Initiativen der Bezug zur Praxis sichergestellt werden kann [7].
1.2.10.3 Profil der strategischen Programme Aus den neun Feldern der Matrix ergeben sich einzelne Themenfelder, für deren Ausgestaltung Bleicher sog. „Profile“ entwickelt hat. Diese Profile dienen als Konzeptionshilfen zur integrierten Gestaltung des Managements und werden in vier Bereichen mit jeweils
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1â•… Grundlagen des Managements produzierender Unternehmen
Managementphilosophie Vision
Normatives Management Unternehmensverfassung
Unternehmenspolitik
Unternehmenskultur
Missionen Organisationsstrukturen Managementsysteme
Strategisches Management
Problemverhalten
Programme
Organisatorische Prozesse Dispositionssysteme
Operatives Management
Leistungs- und Kooperationsverhalten
Aufträge Strukturen
Verhalten Aktivitäten Unternehmensentwicklung
Abb. 1.16↜╇ Zusammenhang der Unternehmensführungsebenen in Anlehnung an [7]
zwei Dimensionen konkretisiert. Exemplarisch für die Profile wird im Folgenden das Profil der strategischen Programme näher erläutert, da es die größte Resonanz gefunden hat und die anderen Profile hauptsächlich zur Unterstützung und Umsetzung der aus den strategischen Programmen abgeleiteten Maßnahmen dienen. Das Profil der strategischen Programme setzt sich folgendermaßen zusammen: 1. Produkte a) Enges oder breites Leistungsangebot b) Standardisierte vs. individuelle Problemlösung 2. Wettbewerb a) Defensives vs. offensives Verhalten b) Imitatives vs. innovatives Verhalten 3. Aktivität a) Kostenorientierte Rationalisierung vs. kundenorientierte Optimierung b) Wertschöpfungsautarkie vs. Wertschöpfungsverbund
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4. Ressourcen a) Starres vs. flexibles Einsatzpotenzial b) Spezialisiertes vs. universelles Leistungsspektrum Das strategische Programm nach Bleicher wird detaillierter in Kap.€2.1.2.4 beschrieben.
1.2.10.4 Das neue St. Galler Management-Modell Das neue St. Galler Management-Modell von Johannes Rüegg-Sturm ist als organisatorische Weiterentwicklung des Modells aus den 1970er Jahren zu verstehen, unter anderem weil sich nicht nur die Praxis des Managements, sondern auch das Managementwissen stark weiterentwickelt hatte und dies in der Modellbildung berücksichtigt werden musste. Dabei haben sich die Schwerpunkte leicht verschoben, wichtiger geworden sind [93]: • Die systematische Auseinandersetzung mit den normativen Grundlagen der Unternehmensführung (unter anderem durch Corporate Governance, s. Kap.€1.1.3.1 und 1.1.4), • ein gesteigertes Bewusstsein für die unternehmerischen Anspruchsgruppen mit vielfältigen Interessen und Anliegen, • die Bedeutung des Faktors Zeit mit einer entsprechenden Ausrichtung aller Wertschöpfungsaktivitäten über klar strukturierte Prozesse auf die Anspruchsgruppen und • ein wesentlich breiter gefasster Ressourcenbegriff. Im neuen St. Galler Management-Modell werden sechs zentrale Begriffskategorien unterschieden (s. Abb.€1.17). Diese Begriffskategorien bezeichnen die zentralen Dimensionen der funktionalen Sicht des Managements [93]. 1. Umweltsphären Umweltsphären bilden den Kontext der unternehmerischen Tätigkeit. Abhängig von der Branche und den Tätigkeitsschwerpunkten sind diese Umweltsphären auf wichtige Veränderungstrends hin zu untersuchen. 2. Anspruchsgruppen Anspruchsgruppen (Stakeholder) sind organisierte oder nicht organisierte Gruppen von Menschen, Organisationen und Institutionen, die von den unternehmerischen Aktivitäten (positiv und/oder negativ) betroffen sind. 3. Interaktionsthemen Mit Interaktionsthemen werden Gegenstände der Austauschbeziehungen zwischen den Anspruchsgruppen und dem Unternehmen bezeichnet; dabei wird einerseits zwischen personen- und kulturgebundenen Elementen wie Anliegen, Interessen, Normen und Werte und andererseits zwischen objektgebundenen Elementen, d.€h. Ressourcen, unterschieden. Bei den Interaktionsthemen handelt es sich somit teils um thematische Felder der Auseinandersetzung, teils um handelbare Güter und Rechte. 4. Ordnungsmomente Unternehmerische Wertschöpfungsaktivitäten laufen in mehr oder weniger geordneten Bahnen ab, auch wenn die Kommunikations- und Handlungsmuster nicht immer
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1â•… Grundlagen des Managements produzierender Unternehmen
Gesellschaft Natur Technologie Wirtschaft Konkurrenz
Kapitalgeber
e
ur
kt
ru St
r
ltu
Ku
Managementprozesse
Lieferanten
ue ne Er ng ieru tim p O ng ru
gi
te
ra St
Kunden
Geschäftsprozesse Unterstützungsprozesse
Ressourcen Staat
Normen und Werte Anliegen und Interessen
Mitarbeitende
Öffentlichkeit NGOs Prozesse
Anspruchsgruppen
Ordnungsmomente
Umweltsphären
Enwicklugnsmodi
Interaktionsthemen
Abb. 1.17 ╇ Das neue St. Galler Management-Modell nach [93]
erkennbar sind. Die Ordnungsmomente geben dem organisatorischen Alltagsgeschehen eine zusammenhängende Form, indem sie diesem eine Ordnung auferlegen und so die Aktivitäten auf die Erzielung bestimmter Wirkungen und Ergebnisse ausrichten. 5. Prozesse Alle Wertschöpfungsaktivitäten eines Unternehmens und die dazu notwendige Führungsarbeit werden in Prozessen erbracht. Prozesse lassen sich durch eine bestimmte sachliche und zeitliche Logik beim Vollzug spezifischer Aufgabenfelder beschreiben. 6. Entwicklungsmodi Die hohe Umweltdynamik, an deren Erzeugung die menschliche Neugierde und Kreativität maßgeblich beteiligt ist, bringt für jede Unternehmung das Erfordernis einer kontinuierlichen Weiterentwicklung mit sich. Die Entwicklungsmodi umfassen grundlegende Muster der unternehmerischen Entwicklung.
1.2.10.5 General Management Navigator Einige der oben genannten Themenfelder wurden in weiterführenden Ansätzen konkretisiert, z.€B. Bleicher (Normatives Management) 1994; Gomez, Zimmermann (Unterneh-
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1
W. Boos et al.
Abb. 1.18 ╇ Der General Management Navigator nach [94]
Genese Initiierung
Positionierung PerformanceControlling
Prozess Wie (?) Veränderung
Inhalt Was (?)
Wertschöpfung Wirksamkeit
mensorganisation) 1993; Pümpin, Prange (Unternehmensentwicklung) 1991 und Schwaninger (Managementsysteme) 1994. Müller-Stewens und Lechner haben 1999 mit dem Ansatz des General Management Navigators eine Konkretisierung des Themenfeldes der strategischen Programme von Bleicher vorgenommen, der sich in den Bezugsrahmen des St. Galler Management-Konzeptes im Themenfeld der strategischen Programme eingliedert. Der General Management Navigator geht aber gleichzeitig als eigenständiger Bezugsrahmen für das strategische Management über das Themenfeld hinaus. Übergeordnetes Ziel des General Management Navigators ist die Betrachtung der Strategie- und Wandelarbeit. Strategiearbeit wird als Arbeit an einer vorteilhaften Positionierung des Unternehmens gegenüber seinen Anspruchsgruppen verstanden, während die Wandelarbeit die erforderlichen organisatorischen Veränderungen umfasst. Im General Management Navigator wird der Prozess zur Gestaltung strategischer Initiativen in vier plus ein Arbeitsfeld unterteilt (s. Abb.€1.18). So konzentriert sich beispielsweise die Mobilisierung einer Organisation zunächst auf die Veränderungen innerhalb der Organisation, um anschließend nach neuen strategischen Programmen für die Organisation zu suchen. Die integrierte Betrachtung von Strategie und Wandel verdeutlicht sich daran, dass die fünf Arbeitsfelder sich wechselseitig beeinflussen. Dies ermöglicht gleichzeitiges und vernetztes Arbeiten in mehreren bzw. allen der folgenden Felder. 1. Initiierung Es muss geklärt werden, wie strategische Initiativen und/oder ihr Kontext zu gestalten sind. 2. Positionierung Ein Unternehmen sollte sich eine vorteilhafte Stellung gegenüber seinen Anspruchsgruppen erarbeiten. Ziel ist eine aktive Gestaltung der Beziehungen zu den externen Anspruchsgruppen des Unternehmens. 3. Wertschöpfung Im Feld der Wertschöpfung sind die Beziehungen zwischen den einzelnen internen Elementen auszugestalten. Zwischen den Feldern der Wertschöpfung und Positionierung ist eine konzeptionelle und handlungsleitende Verbindung herzustellen, da die Erkenntnisse aus der Positionierung intern umzusetzen sind und zugleich die internen Verhältnisse wiederum die externe Positionierung beeinflussen. 4. Veränderung Das Feld der Veränderung umfasst die operative Umsetzung der in der Positionierung und Wertschöpfung erarbeiteten Inhalte. Müller-Stewens und Lechner erreichen hier
1â•… Grundlagen des Managements produzierender Unternehmen
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den Ringschluss zum Feld der Initiierung, da mit der Behandlung des Arbeitsfeldes die Auswirkungen strategischer Initiativen auf den organisatorischen Basisprozess transparent gemacht werden. 5. Performance Messung Das Feld der Performance Messung setzt sich mit der Frage auseinander, wie strategische Initiativen des Unternehmens beobachtet und beurteilt werden. Ergebnis dieses konzeptionellen Bezugsrahmens ist die Genese und Verwirklichung strategischer Initiativen. Müller-Stewens und Lechner betonen darüber hinaus weitere Verwendungsmöglichkeiten des General Management Navigators als Orientierungskompass in der wissenschaftlichen Disziplin des strategischen Managements, als Theoriespeicher, als Kommunikationsplattform, als Problemraster sowie als Heuristik zur Ideengenerierung [94, 95].
1.3 Ordnungsrahmen Produktion und Management Das neue St. Galler Management-Modell ist die Basis für den Ordnungsrahmen Produktion und Management, der dieser Schriftenreihe als Grundlage dient (s. Abb.€1.19). Die Anpassung erfolgt mit besonderer Rücksicht auf produzierende Unternehmen, ist doch das neue St. Galler Management-Modell allgemeingültig und auf jegliche Unternehmenstypen anwendbar. Um den Ansprüchen produzierender Unternehmen gerecht zu werden, wird daher der Betrieb als Aufrechterhaltung des Ist-Zustandes und die Leistungserstellungsprozesse stärker in den Fokus gerückt. Der Ordnungsrahmen gliedert sich in die innerbetrieblichen Fragestellungen auf den Flächenseiten des Würfels, die Anspruchsgruppen als Interaktionsschnittpunkt mit der Außenwelt und die Umweltsphären als externe Einflussgrößen auf das Unternehmen. Die innerbetrieblichen Fragestellungen sind aufgeteilt in die Unternehmensentwicklung, die Unternehmensstruktur und die Unternehmensprozesse. Der Bereich der Unternehmensentwicklung hat den Anspruch auf vollständige Abbildung der Bestandteile: Die Strategie hat die Aufgabe, die gewonnene Leistungsfähigkeit nicht nur erfolgreich zu halten (Betrieb), sondern kontinuierlich zu verbessern (Verbesserung) und bei Notwendigkeit auch radikal zu erneuern (Erneuerung). Der Begriff der Optimierung ist dabei bewusst durch Verbesserung ausgetauscht worden, da es sich in Unternehmen nicht um Optimierungsprobleme handelt, sondern um eine Verbesserung des Betriebes. Zwar bedeutet Optimierung umgangssprachlich die Verbesserung eines Vorganges oder Zustandes bezüglich bestimmter Aspekte wie Qualität, Kosten, Geschwindigkeit, Effizienz und Effektivität – manchmal auch zu Lasten eines anderen Aspektes. Im eigentlichen Sinne handelt es sich aber um die Suche nach dem Resultat eines Maximierungs- bzw. Minimierungsproblems: unter gegebenen Bedingungen wird der Output maximiert oder die Ressourcen für ein gegebenes Ziel minimiert. Unter dem Oberbegriff der Unternehmensstruktur werden die konstituierenden Elemente für ein Unternehmen aggregiert; sie sind für eine erfolgreiche Leistungserstellung
Staat
Natur
Fabrikplanung
Einkaufsmanagement
Öffentlichkeit NGOs
Technischer Vertrieb
Management industrieller DL
o
C
Umweltsphären Unternehmensentwicklung
Unternehmensstruktur
Mitarbeitende
Anspruchsgruppen
g llin
Kunden
Unternehmensprozesse
ro nt
r- ng Ve eru ss eb be tri Be
Qualitätsmanagement
n
Produktions- und Logistikmanagement
Er ng
Innovationsmanagement
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Kapitalgeber
ru
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Technologiemanagement
n ns io e ce au tion t r b a f a ou rm em Au nis ss fo yst a e n g I s R or
Normen und Werte
Technologie Wirtschaft
1
Abb. 1.19 ╇ Der Ordnungsrahmen Produktion und Management
Lieferanten/ Partner
Wettbewerb
Gesellschaft
56 W. Boos et al.
1â•… Grundlagen des Managements produzierender Unternehmen
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unabdingbar. Die implementierten Informationssysteme tragen einen erheblichen Teil zur Wertschöpfung bei und unterstützen alle weiteren Prozesse. Sie haben daher in produzierenden Unternehmen eine so große Bedeutung, dass sie in den Ordnungsrahmen aufgenommen wurden. Das Controlling als Unterstützungsprozess dient dem Soll-Ist-Vergleich der von der Strategie angeordneten Ziele und auch als Planungsgrundlage für Entscheidungen der Unternehmensführung. Der Bereich der Unternehmensprozesse ist wesentlich feiner aufgegliedert als im neuen St. Galler Management-Modell, das nur die übergeordneten Begriffe aufgenommen hat. Dabei werden die Managementprozesse dem Bereich der Unternehmensentwicklung zugeordnet, das Verständnis von Managementprozessen ist jedoch das gleiche (normative Orientierungs-/strategische Entwicklungs- und operative Führungsprozesse). Da die Zuordnung der einzelnen Prozessbereiche zu Geschäfts- und Unterstützungsprozessen fallspezifisch unterschiedlich sein kann, erfolgt diese Abgrenzung in den einzelnen themenbezogenen Bänden. Die Prozesse der Leistungserstellung geben darüber hinaus einen ersten Überblick über die Bandbreite unternehmerischer Entscheidungen und somit Unternehmensführungsaufgaben. Ein Unternehmen existiert niemals aus reinem Selbstzweck, sondern immer, um gesellschaftlichen Nutzen wie beispielsweise Arbeitsplätze oder Produkte zur Erhaltung der Gesundheit zu stiften. Dieser Nutzen wird in enger Interaktion mit den Anspruchsgruppen erstellt: So stellen beispielsweise Kapitalgeber die Finanzmittel zur Aufrechterhaltung, Weiterentwicklung und Erneuerung des Betriebes, um den Kunden die geforderte Ware anbieten zu können. Der Staat bietet zudem Rahmenbedingungen und Ressourcen, ohne die ein Unternehmen nicht agieren kann, z.€B. Gesetze und Infrastruktur und auch die Lieferanten oder kooperierenden Partner stellen materielle und immaterielle Ressourcen bereit. Der Staat selbst hat kein eigenes Interesse an Normen und Werten, er definiert sie im Interesse der Umweltsphäre Gesellschaft. Alle Anspruchsgruppen haben spezifische Anforderungen an die Unternehmensführung, die diese angemessen berücksichtigen muss. Die Anspruchsgruppen wiederum sind Teil der Umweltsphäre, die nicht wie im neuen St. Galler Management-Modell noch weiter in Interaktionsthemen unterteilt wird. Die Gesellschaft bzw. soziale Sphäre ist dabei die weitest reichende, da sie die anderen Sphären beeinflusst. So wirkt auf das ökologische Verständnis (Natur) ein, beeinflusst in ihrem Verhalten die Fortentwicklung von Technologien, gibt die wirtschaftliche Rahmenordnung und auch die rechtlichen Aspekte vor. Die Beeinflussung der Gesellschaft auf die Umweltsphäre Natur ist beispielsweise in den Mülltrennungssystemen und den gesetzlichen Anforderungen hierfür in verschiedenen europäischen Staaten klar zu erkennen. NGOs (non governmental organisations – Nichtregierungsorganisationen) wiederum fordern verbesserte Mülltrennungssystem und somit neue Technologien am Markt. Diese Teilsphären der Umwelt wirken auf die Anspruchsgruppen ein: So hat die Gesellschaft einen gewissen Bildungsanspruch (Mitarbeiter) oder die wirtschaftliche Ordnung einen maßgeblichen Einfluss auf die Konkurrenzsituation. Die Natur oder Umwelt kann aber auch als Punkt für sich stehen, da sie mit Ressourcenreichtum (Erdöl, Wasser), Anbindung an Weltmeere, Klima etc. den Unternehmen verschiedene Handlungsrahmen vorgibt.
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2
Strategie Günther Schuh, Wolfgang Boos, Achim Kampker und Ute Gartzen
Kurzüberblick╇ Getrieben durch die wachsenden Anforderungen an die Unternehmen im Sinne des sich verschärfenden globalen Wettbewerbs und des schnellen technologischen Wandels hat gerade in den letzten Jahren das Interesse an dem Thema Strategie wieder verstärkt zugenommen. Um ein Unternehmen richtig positionieren zu können und die Stärken des Unternehmens im Wettbewerb zu nutzen, bedarf es einer Strategie. Im Rahmen dieses Kapitels soll ein zweckdienliches Verständnis des Begriffs Strategie geschaffen werden. Im Anschluss daran werden im nächsten Kapitel Strategieinhalte thematisiert, die wesentliche in der Praxis relevante Strategien erfassen. Im dritten Abschnitt erfolgt schließlich eine Vorstellung ausgewählter Strategieprozessmodelle sowie von Methoden zur Strategieentwicklung.
2.1 Grundlagen der Strategie Der folgende Abschnitt bietet einen grundlegenden Überblick über den Strategiebegriff sowie die damit einhergehenden konstituierenden Merkmale einer Strategie. Nach einer kurzen Darstellung der historischen Entwicklung des Begriffs und des daran gebundenen Verständnisses werden anschließend die Strategiebestandteile Vision, Mission, Unternehmensziele sowie die verschiedene Strategieprogramme näher dargestellt. Abschließend werden ausgewählte relevante Sichtweisen des strategischen Managements erörtert.
2.1.1 Entwicklung des Strategiebegriffs und des strategischen Managements Nachfolgend wird ein Überblick über die historische Entwicklung und das damit einhergehende Verständnis des Strategiebegriffs sowie des strategischen Managements gegeben G. Schuh () 52074 Aachen, Deutschland E-mail:
[email protected] G. Schuh, A. Kampker (Hrsg.), Strategie und Management produzierender Unternehmen, DOI 10.1007/978-3-642-14502-5_2, ©Â€Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
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64
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G. Schuh et al.
werden. Zudem wird der Strategiebegriff in seiner gegenwärtigen Auffassung dargelegt werden.
2.1.1.1 Historie Der Strategiebegriff ist bereits seit mehreren Jahrhunderten von Relevanz, jedoch in verschiedenen Kontexten. Seine Wurzeln stammen aus der griechischen Antike (800€v.€Chr.– 600€n.€Chr.). Dort wurde unter Strategie die Kunst der Heerführung verstanden (stratosâ•› =â•›Heer, agosâ•›=â•›Führer) [1]. Etwa im gleichen Zeitraum (400–300€v.€Chr.) wird Strategie im chinesischen Kulturkreis als Entscheidungspfad zwischen Überleben und Aussterben aufgefasst. Durch Carl von Clausewitz wurde der Strategiebegriff Anfang des 19. Jahrhunderts für die Militärwissenschaft reinterpretiert [2]. In diesem Zeitraum reglementierte die Strategie den Gebrauch des Gefechts zum Zwecke des Krieges. Clausewitz zog erstmalig Parallelen zwischen Militär und Wirtschaft, wodurch langfristig der Weg für die Übertragung militärischer Strategien in die Ökonomie geebnet wurde [3]. Diesen Ansatz verfolgten Neumann und Morgenstern weiter und führten mittels eines mathematisch-spieltheoretischen Ansatzes den Strategiebegriff endgültig in die Wirtschaftstheorie ein. Dort wurde der Strategiebegriff im Kontext des strategischen Managements weiterentwickelt. Das strategische Management wird seit Beginn der 1960er Jahre innerhalb der Betriebswirtschaftslehre als eigenständige Disziplin aufgefasst. Keimzelle dieser Entwicklung waren die Business Schools der amerikanischen Universitäten, allen voran die Harvard Business School. Die Aufgaben des strategischen Managements dieser Zeit bestanden in der Festlegung der Mittel, die zum Erreichen vordefinierter Ziele benötigt wurden und in der unternehmenspolitischen Ausrichtung. Das Vorgehen war dabei wenig wissenschaftlich und basiert in erster Linie auf Erfahrungswerten. Erst ab Ende der 1960er Jahre entwickelt sich das strategische Management auch zu einer wissenschaftlichen/theoretischen Disziplin weiter [4]. In diesem Zusammenhang sind vor allem die Arbeiten von Penrose [5], Chandler, Andrews und Ansoff zu erwähnen. Ausgehend von Chandler, der inhaltlich auf die militärische Definition des Strategiebegriffs zurückgreift und demnach Strategie als „Festlegung der unternehmerischen Langzeitziele vor dem Hintergrund verschiedener Handlungsalternativen und der Verteilung notwendiger Ressourcen“ auffasst [6], erweitert Andrews diese Strategiedefinition um die Unterscheidung von Strategieprozessen in eine Formulierungs- und eine Implementierungsphase. Des Weiteren unterteilt Andrews die Strategie in einen Umwelts- und einen Fähigkeitsaspekt und behauptet, dass jedes Unternehmen entweder implizit oder explizit eine Strategie besitzt [7]. Mit dem Werk „Corporate Strategy“ entwickelt Ansoff das strategische Management zu einer Technik weiter, die es mit Hilfe von Werkzeugen zu beherrschen gilt. Zu diesen Werkzeugen gehören neben der SWOT-Analyse auch die Produkt-Markt-Matrix und ausgefeilte Phasenmodelle. Damit wird er zum Wegbereiter der strategischen Planung [8]. Gleichzeitig zu diesen theoretischen Konzeptionen konnten mit Hilfe von Beratungsgesellschaften wie der Boston Consulting Group oder McKinsey Ansätze zur praktischen Umsetzung entwickelt und erprobt werden [9]. Der Strategiebegriff entwickelt sich weiter zu einem präskriptiv-normativen Verständnis, dessen Fokus auf der
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2â•… Strategie
strategischen Planung lag. Aufgrund der inkrementellen, nicht-linearen und daher vom Zufall geprägten Prozesse war dieses Verständnis schnell veraltet. Mit den Arbeiten von Porter aus dem Jahre 1985 wird ein deskriptiv-empirisches Verständnis des Strategiebegriffs geprägt. Porter überträgt Ideen aus der Industrieökonomie in die Strategielehre und kann mit Hilfe der von ihm entwickelten Bezugsrahmen (zum Beispiel der Branchenstrukturanalyse) erklären, wie Wettbewerbsvorteile und Erfolgunterschiede zwischen Unternehmen zu begründen sind [10]. Zu Beginn der 1990er Jahre entwickelt sich in Anlehnung an die Gedanken von Penrose ein „Resource-based View des Strategischen“ [11] als Gegenpart zum „Market-based View“, der durch die Industrieökonomie geprägt wurde. Der Betrachtungsschwerpunkt verlagerte sich von der Theorie in die Praxis und somit in die Industrie, um dort die Quelle von nachhaltigen Wettebewerbsvorteilen zu ergründen. Die konfrontierenden Sichtweisen des „Market-based View“ und des „Resource-based View“ haben sich inzwischen nahezu aufgelöst und werden heute gleichgewichtet betrachtet [9] (s. Kap.€2.2.1). Eine Übersicht der historischen Entwicklung ist in Abb.€2.1 dargestellt. In der Industrie und den Universitäten ist das strategische Management inzwischen fest etabliert. Es gibt kaum eine Universität, die keine Kurse in diesem Bereich anbietet; die hohe Anzahl an Konferenzen und Publikationen bestätigt die Relevanz.
Antike
Anfang 19. Jh.
Militärisches Verständnis Planung des Mittel-/ Ressourceneinsatzes zur Verwirklichung definierter Ziele
Reinterpretation in der Militärwissenschaft Gebrauch des Gefechts zum Zwecke des Krieges
ab 1947
Mathematisch-spieltheretisches Verständnis Vollständiger Plan, der für alle denkbaren Situationen eine richtige Wahlmöglichkeit beinhaltet.
ab 1960
Präskriptiv-normatives Verständnis - Festlegung langfristiger, grundsätzlicher Ziele und Objekte - Wahl geeigneter Handlungsalternativen - Allokation der zur Zielerreichung erforderlicher Ressourcen
ab 1985
Deskriptiv-empirisches Versändnis Grundmuster unternehmerischer Entscheidungen und Handlungen
ab 1990
Respource-based View vs. Market-based View Verlagerung des Betrachtungsschwerpunkt in die industrielle Praxis
Abb. 2.1 ╇ Entwicklung des Strategiebegriffs
66
2
G. Schuh et al.
2.1.1.2 Gegenwart Gegenwärtig wird eine Strategie wie folgt definiert: Eine Strategie ist eine grundsätzliche und langfristig ausgerichtete Verhaltensweise eines Unternehmens und relevanter Teilbereiche gegenüber der Umwelt mit der Absicht, die angestrebten Ziele zu realisieren. In Abgrenzung dazu wird unter dem Begriff „strategisches Management“ Folgendes verstanden: Strategisches Management ist ein Prozess, in dessen Mittelpunkt die Formulierung und die Umsetzung der Strategie im Unternehmen stehen. Ziel des strategischen Managements ist demnach die Gestaltung der Entwicklung von Unternehmen [12]. Grundsätzlich werden mit der Unternehmens- und der Geschäftsfeldebene zwei Ebenen des strategischen Managements unterschieden: Auf der Unternehmensebene besitzt das strategische Management die Aufgabe der Gestaltung des Geschäftsfeldportfolios. Innerhalb der Unternehmensebene muss demnach die Fragestellung diskutiert werden, in welchen Geschäftsfeldern das Unternehmen tätig sein will und wie die einzelnen Geschäftsfelder untereinander zu priorisieren sind. Die Ergebnisse dieses Prozesses werden in der Unternehmensstrategie festgehalten. Damit einhergehend müssen auf Geschäftsfeldebene alle Geschäftsfelder, in denen das Unternehmen agieren möchte, gestaltet werden. Dabei gilt es Wettbewerbsvorteile gegenüber Konkurrenten aufzubauen, damit die angestrebten Ziele effektiv erreicht werden können. Auf der Geschäftsfeldebene entstehen somit für die einzelnen Geschäftsfelder die jeweils spezifischen Wettbewerbsstrategien. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Aufgabe des strategischen Managements darin besteht, die Unternehmensentwicklung zu flankieren, so dass die Unternehmensziele realisiert werden. Dafür müssen die entsprechenden Strategien formuliert und damit einhergehend die externe Ausrichtung (Marktposition) und die interne Ausrichtung (Ressourcenbasis) des Unternehmens bestimmt werden [13].
2.1.2 Strategiebestandteile Eine Unternehmensstrategie basiert auf einer Vision, Mission und Unternehmenszielen. Die Aufgabe des strategischen Managements besteht darin, die Vision in die Mission zu überführen. Auf der Mission basieren die Unternehmensziele, woraus wiederum die Strategieprogramme resultieren. Die nachfolgende Abb.€2.2 stellt exemplarisch die aufgeführten Entwicklungsstufen der Strategie dar [14].
2.1.2.1 Vision Die Basis einer jeden Unternehmensstrategie bildet die Unternehmensvision [15]. Über eine Vision wird seitens des Unternehmens festgelegt, in welcher Position sich das Unternehmen langfristig sehen möchte. Die Unternehmensvision ist eine Leitidee zur eigenen Entwicklung, also eine richtungweisende, normative Vorstellung eines zentralen Ziels [9].
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2â•… Strategie
Abb. 2.2 ╇ Entwicklungsstufen der Strategie [14]
Vision
Mission
Unternehmensziele
Strategische Programme
Durch dieses Ziel wird dem Unternehmen eine Richtung vorgegeben, in die eine Entwicklung angestrebt ist [16]. Für Unternehmen stellt die Vision daher eine Handlungsleitlinie dar. Sie ist zugleich Bestimmung und Existenzberechtigung eines Unternehmens [14]. Auch wenn die Vision weit über das Tagesgeschäft hinausreicht, sollte sie einen klaren Realitätsbezug aufweisen. Nur so gelingt es, ein ambitioniertes, aber erreichbares, Zukunftsbild des Unternehmens zu zeichnen [16], durch das die Mitarbeiter und die Öffentlichkeit für die eigene Idee eingestimmt und begeistert werden [14]. Die Mitarbeiter müssen die Vision erkennen und begreifen, welche Rolle sie selbst bei der Verwirklichung einnehmen. Henry Ford hatte die Vision ein Automobil herzustellen, das „[…] groß genug sein [wird], um die Familie mitzunehmen, aber klein genug, dass es ein einzelner Mann lenken und versorgen kann. Es wird aus allerbesten Material gebaut, von den allerbesten Arbeitskräften gefertigt und nach den einfachsten Methoden, die die moderne Technik zu erringen vermag, gebaut sein. Trotzdem wird sein Preis so niedrig gehalten werden, dass jeder, der ein anständiges Gehalt verdient, sich ein Auto leisten kann“ [17]. Wie dieses Beispiel verdeutlicht, ist eine Vision eine prägnante, aber dennoch präzise Aussage über das Zukunftsbild. Diese Prägnanz trägt dazu bei, dass Sie leichter in Unternehmensziele und -strategien übersetzt werden kann [18]. Die Vision ist langfristig für den Fortschritt des Unternehmens verantwortlich und stellt den Antrieb zum Handeln dar, sie erfüllt darüber hinaus folgende Funktionen: • • • •
Lokomotionsfunktion Integrationsfunktion Koordinationsfunktion Motivationsfunktion
Lokomotionsfunktion bedeutet, dass die Vision über die Tagesarbeit hinausragt und den Fixstern des unternehmerischen Handelns bildet, wodurch ihr Anspruch auf einen langfristigen Charakter begründet wird. Die Integrationsfunktion besagt, dass alle Mitarbeiter an der Vision teilhaben und sich auf eine einzige Vision einigen sollen. Die Vision schafft damit eine Gemeinschaft Gleichgesinnter.
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Unter Koordinationsfunktion versteht man die übergeordnete Handlungsanweisung der Vision in einem Unternehmen. Sie gibt an, auf welche gemeinsamen Ziele die Handlungen des Unternehmens ausgerichtet sind. Die Motivationsfunktion bewirkt, den Mitarbeitern Antrieb in ihrer Arbeit zu geben. Dies kann nur durch eine realitätsnahe Vision erreicht werden. Visionen ohne Realitätsbezug können unter Umständen dazu führen, dass Mitarbeiter am strategischen Management zweifeln und damit einhergehend ihr Vertrauen in das eigene Unternehmen verlieren [14]. Die Eigenschaften der Vision können somit zusammenfassend als sinnstiftend, motivierend und handlungsleitend formuliert werden [9]. In der Wirtschaft kommt eine Vielfalt visionärer Ideen vor, die sich wie folgt kategorisieren lassen: • • • •
Zielfokussierte Vision Feindfokussierte Vision Rollenfokussierte Vision Wandelfokussierte Vision
Zielfokussierte Visionen geben an, wann der zukünftige Zustand erreicht wird; sie definieren entweder quantitativ oder qualitativ die anzustrebende Wirklichkeit. Feindfokussierte Visionen haben zum Ziel, einen Konkurrenten zu übertreffen. Rollenfokussierte Visionen sind hingegen nicht materialistisch: Sie betonen vorrangig den Vorbildcharakter herausragender Unternehmen. Wandelfokussierte Visionen werden in erster Linie von älteren und größeren Unternehmen formuliert, die einen fundamentalen Transformationsprozess anstreben [19]. Fallbeispiele international agierender Unternehmen╇ Beispielsweise lautet die Vision des Schweizer Pharmakonzerns Novartis folgendermaßen: „…We want to be recognized for having a positive impact on people’s lives with our products, meeting needs and even surpassing external expectations…. In addition, we want to contribute to society through our economic contribution, through the positive environmental and social benefits of our products, and through open dialogue with our stakeholders…“. Anhand des Beispiels wird deutlich, dass eine Vision gleichzeitig motivierend und sinnstiftend ist, einen Zukunftsbezug aufweist und eine Handlungsanleitung darstellt. Der Aspekt „Zukunftsbezug“ besagt dabei zum einen, dass eine Vision explizit nicht Bestandteil der Gegenwart ist, sondern ausschließlich angestrebte zukünftige Gegebenheit widerspiegelt. Ist die Vision realisiert, ist sie hinfällig und die Formulierung einer neuen ist erforderlich. Zum anderen formuliert eine Vision den Anspruch, dass sie immer positiv formuliert werden muss. Eine Vision beschreibt somit immer eine bessere Zukunft. Ein weiteres Beispiel, „welches den genannten Kriterien einer Vision gerecht wird, ist die Vision der Firma Bosch:“… „…Als führendes Technologie- und Dienstleistungsunternehmen nutzen wir weltweit unsere Chancen für eine kraftvolle Weiterentwicklung. Wir haben den Anspruch, mit innovativen und nutzbringenden Lösungen die Lebensqualität zu fördern….“ Auch durch diese Vision werden die Kriterien Motivation, Sinnstiftung, Zukunftsbezug und Handlungsanleitung abgedeckt.
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2.1.2.2 Mission Im Unterschied zur Vision drückt die Mission aus, welchen Zweck das Unternehmen verfolgt [14]. Vision und Mission stellen die obersten Leitlinien für ein Unternehmen dar [15]. Sie bedingen sich gegenseitig bei der Beschreibung der strategischen Zielsetzung [18]. Die Mission muss sich nicht zwangsweise auf eine bessere Zukunft beziehen, sondern kann sich auch ausschließlich mit der Gegenwart auseinandersetzen. Dabei kann sie über Jahre hinweg unverändert bleiben [9] und dennoch nie erfüllt werden. Die Mission stellt eine Art Kompass dar, mit dem das Unternehmen gesteuert wird [18]. Sie legt fest, wie das Unternehmen auf die Umwelt wirkt und formuliert die Werte, die das Unternehmen erzielen möchte. Die Mission bildet einen Handlungsrahmen für die Mitarbeiter, in dem die Grundsätze des Unternehmens für die Wertschöpfung und den Umgang sowohl mit Kunden als auch mit den Mitarbeitern festgelegt wird. Der dadurch festgelegte IST-Zustand spiegelt sich in der Unternehmenskultur wider und steht im Gegensatz zum Unternehmensleitbild, welches den SOLL-Zustand darstellt. Aufbauend darauf lässt sich die Aufgabe der Mission als Lenkung des operativen und strategischen Verhaltens eines Unternehmens darstellen. Die Mission dient somit dem unternehmungspolitischen System als generelle Zielausrichtung und ist die Grundorientierung für das strategische und operative Management [20]. Demnach legt sie fest, was das Unternehmen ist, was es tut und wofür es steht. Die Aussagen eines Unternehmens bezüglich der eigenen Mission müssen mindestens vier zentrale Elemente vorweisen: Es müssen Aussagen über den Unternehmenszweck und die Ziele, aber auch zu den Werten, den Verhaltensstandards und den Strategien getätigt werden. Der Unternehmenszweck ist die unternehmerische Selbstdefinition: Er gibt an, wozu das Unternehmen existiert, wie es sich legitimiert und für wen es da ist. Der Unternehmenszweck und damit einhergehend die Unternehmensziele lassen sich zumeist in kurzen aber prägnanten Aussagen formulieren [21]. Fallbeispiel╇ Die Mission der Siemens AG lautet beispielsweise: „Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind die Quelle unseres Erfolgs. Wir arbeiten in einem weltweiten Netzwerk des Wissens und des Lernens zusammen. Unsere Unternehmenskultur ist geprägt von der Vielfalt der Menschen und Kulturen, von offenem Dialog, gegenseitigen Respekt, klaren Zielen und entschlossener Führung. […] Unsere Ideen, Technologien und unser Handeln dienen den Menschen, der Gesellschaft und der Umwelt. Integrität bestimmt den Umgang mit unseren Mitarbeitern, Geschäftspartnern und Aktionären“ [22].
2.1.2.3 Unternehmensziele Aus der Mission werden die Unternehmensziele abgeleitet. Unternehmensziele verkörpern eine Orientierungs- bzw. Richtgröße für das unternehmerische Handeln. Die Unter-
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nehmensziele treffen Aussagen darüber, mit welchen unternehmerischen Maßnahmen die anzustrebenden Zustände erreicht werden können [23]. Neben monetären Zielsetzungen sollten bei der Festlegung der Unternehmensziele auch die Erwartungen weiterer Interessengruppen (z.€B. Mitarbeiter, Aktionäre) berücksichtigt werden. Prinzipiell können zwei Arten der Zielausrichtung unterschieden werden: Der Shareholder-Ansatz zum einen orientiert sich an ökonomischen Zielen und stellt das Interesse der Aktionäre in den Vordergrund [24]; der Stakeholder-Ansatz zum anderen versucht Nutzen für die an den wirtschaftlichen Leistungen des Unternehmens interessierten Anspruchsgruppen zu generieren [25]. Für eine ausführlichere Darstellung beider Ansätze s. auch Kap.€1.1.4. Beide Ansätze befassen sich mit den Bereichen Wachstum, Profitabilität, Technologie, Produktangebote und den zu bearbeitenden Märkten [26]. Aus den auf dieser Basis generierten strategischen Unternehmenszielen werden in einem nächsten Schritt die operativen Unternehmensziele abgeleitet. Die operativen Unternehmensziele erweitern die strategischen um spezifische und zeitgebundene Messgrößen. Ein operatives Unternehmensziel könnte bspw. darin bestehen, in einer definierten Zeitspanne einen angestrebten Jahresumsatz zu erreichen. Die operativen Unternehmensziele sollten sich an den SMART-Kriterien orientieren, welche in Abb.€2.3 schematisch dargelegt sind [27]:
Spezifisch
Messbar
Ziele müssen eindeutig, konkret und präzise formuliert werden.
Ziele müssen messbar bzw. bewertbar sein, da sie so transparenter und daher motivierender sind
Anspruchsvoll
Ziele müssen eine Herausforderung darstellen, das heißt sie müssen Ansprüche beinhalten, die auf den Einzelnen zugeschnitten sind.
Realistisch
Ziele müssen als sinnvoll und erreichbar empfunden werden.
Terminiert
Ziele müssen zeitlich eingegrenzt sein.
Abb. 2.3 ╇ SMART-Kriterien für die operativen Unternehmensziele
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2â•… Strategie
2.1.2.4 Strategische Programme Zur Implementierung der Unternehmensziele bedarf es strategischer Programme, mit denen die Bereiche Produkt, Aktivitäten/Wertschöpfungsgestaltung, Wettbewerbsverhalten und Ressourcen entsprechend ausgerichtet werden können (vgl. auch Kap.€1.2.10.3). Bleicher dimensioniert diese strategischen Programme wie folgt (Abb.€2.4) [20]:
Produktprogrammstrategie Obwohl der Produktion als Unternehmensabteilung ausschließlich eine Vollzugsfunktion zugewiesen wird, bedingen die Entwicklungen der letzten Jahre, dass dort auch strategische Entscheidungen getroffen werden. Die Entwicklungen der letzten Jahre artikulieren sich dabei im Einzelnen über die zunehmende Unberechenbarkeit der Nachfrageentwicklung, die hohe Flexibilität, die immer größer werdende Variantenvielfalt und die Konkurrenz mit günstigeren ausländischen Standorten [28]. Die strategischen
(I) Produktprogrammstrategien (1) Strategien enger oder breiter Leistungsangebote (2) Standardisierte vs. Individuelle Problemlösung Wettbewerbsorientierte Definition von Strategie
(II) Wettbewerbsstrategien (3) Defensives vs. offensives Strategieverhalten (4) Imitatives vs. innovatives Strategieverhalten Ausrichtung der
(III) Aktivitätsstrategien (5) Kostenorientierte Rationalisierung vs. kundenorientierte Optimierung (6) Wertschöpfungsautarkie vs. Wertschöpfungsverbund
(IV) Ressourcenstrategien
wettbewerbsbezogene Programme
Abb. 2.4 ╇ Dimensionierung strategischer Programme [20]
(7) Starres vs. flexibles Einsatzpotenzial (8) Spezialisiertes vs. universelles Leistungssprektrum
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Aspekte des Produktprogramms beschäftigen sich daher im Allgemeinen mit folgenden Aspekten [9]: • • • •
Welche Produkte sollen in welcher Menge produziert werden? Welche Produktionskapazitäten werden dafür wann und wo benötigt? Welcher Grad der Fertigungstiefe (vertikale Integration) wird angestrebt? Welche Komponenten werden in Eigen-, welche in Fremdfertigung produziert?
Strategien enger vs. breiter Leistungsangebote Unternehmen, die ein breit gefächertes Leistungsangebot besitzen, müssen strategische Entscheidungen über die Gewichtung ihrer einzelnen Geschäftsfelder treffen. Die zu treffenden Entscheidungen können nach den Gedanken der Konzentration (engere Leistungsangebote) und der Dispersion (breitere Leistungsangebote) untergliedert werden. Der Grundgedanke der Konzentration zielt darauf ab, durch ein engeres Leistungsangebot und Skaleneffekte höhere Gewinne zu generieren. Im Gegensatz dazu fokussiert ein breiteres Leistungsangebot das Ziel, vielfältigen Kundenbedürfnissen und der Zersplitterung des Massenmarktes zu entsprechen. Diese komplexen Näherungsbeziehungen werden im oberen linken Quadrant von Abb.€2.6 dargestellt. Standardisierte vs. individuelle Problemlösung In Abhängigkeit der Breitenentscheidung des Leistungsangebots muss entschieden werden, inwieweit auf die individuellen Kundenbedürfnisse eingegangen werden soll bzw. eingegangen werden kann. Kundenseitig kann eine solche Entscheidung zu einer einzelfallspezifischen Problemlösung führen („economies of scale“, dtsch.: Skaleneffekte). Auf Anbieterseite wird im Gegensatz dazu von standardisierten Leistungsspezifikationen gesprochen („economies of scope“, dtsch.: Verbundeffekte). Stark typologisiert kann dieser Sachverhalt wie folgt dargestellt werden (Abb.€2.5) [20]: Unter „economies of scale“ versteht man die Tatsache, dass die Produktionskosten je Erzeugniseinheit mit steigender Ausbringungsmenge sinken. Die wichtigste Ursache für Economies of SCALE
SCOPE
Kostenminimierung durch Mengensteigerung standardisierter Leistungen
Nutzenmaximierung durch Fokussierung auf identitätsFördernde Interaktionen mit Benutzergruppen
Zeitliche Synchronisierung arbeitsteiliger Aktivitäten
zeitliche Synchronisierung der Lösung von Bezugsgruppenproblemen Economies of SPEED
Abb. 2.5 ╇ Economies of Scale and Scope [20]
2â•… Strategie
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diesen Sachverhalt stellt die Fixkostendegression dar. Bei steigender Ausbringungsmenge verteilen sich die Fixkosten der Produktion auf mehr Erzeugniseinheiten, sodass die Produktionskosten je Erzeugniseinheit degressiv sinken. Sowohl bei den „economies of scale“ als auch den „economies of scope“ müssen noch die Aspekte der Zeitbeschleunigung („economies of speed“) beachtet werden. Zeitbeschleunigung kann in diesem Zusammenhang sowohl als zeitliche Beschleunigung des Wertschöpfungsprozesses als auch damit einhergehend Reduzierung der Lieferzeiten aufgefasst werden. Zusammenfassend kann für die industrielle Praxis festgestellt werden, dass sowohl die Strategie eines individuellen Nischenprogramms mit einzelfallspezifischen Problemlösungen als auch das standardisierte Massengeschäft erfolgsversprechend sein kann. Um eine von Porter als „Stuck in the Middle“ beschriebene Position zu vermeiden, ist es wichtig, sich im Kontext der Produktprogrammstrategie eindeutig zu positionieren. „Stuck in the middle“ bezeichnet dabei eine Position „zwischen den Stühlen“. Dies impliziert, dass das Unternehmen nicht ausreichend genug Spezialist und nicht ausreichend genug Generalist ist, so dass es sich im Wettbewerb nicht eindeutig positionieren kann. Diese Strategie ist in der Regel mit Verlusten verbunden, es sei denn, alle Konkurrenten agieren ebenfalls auf der „stuck in the middle“-Strategie.
Wettbewerbsstrategie Eine Wettbewerbsstrategie definiert das Verhalten des Unternehmens im Wettbewerb. Für alle Geschäftsfelder müssen individuelle Wettbewerbsstrategien entwickelt und umgesetzt werden. Wettbewerbsstrukturen verlangen daher nach einer adäquaten Struktur und entsprechenden Systemen [24]. Eine solche Wettbewerbsstruktur kann durch die Attribute „defensiv/offensiv“ als auch „imitativ/innovativ“ umschrieben werden [20].
Defensives vs. offensives Wettbewerbsverhalten Unter einem defensiven Wettbewerbsverhalten kann eine abwehrende Strategie aufgefasst werden, die sich durch ein reaktives, retrospektives Verhalten im Wettbewerb äußert. Reaktiv bedeutet in diesem Zusammenhang eine Orientierung an der Konkurrenz; retrospektiv meint das Festhalten an früheren Verhaltensweisen. Ein offenes Wettbewerbsverhalten drückt sich durch das beständige Bestreben nach Differenzierung von der Konkurrenz und somit durch ein aktives, prospektives Auftreten aus [20]. Beide Verhaltensweisen verfolgen das Ziel, eine gefestigte Branchensituation zu erreichen, die ein Bestehen vor dem Hintergrund der fünf Wettbewerbskräfte herbeiführt (vgl. Kap.€2.3.2.1). Imitatives vs. innovatives Wettbewerbsverhalten Ein imitatives Wettbewerbsverhalten ist durch eine Nachahmung des Marktführers geprägt. Unternehmen, deren Strategie auf Imitation beruht, werden als „follower“ bezeichnet. Der Marktführer („leader“) prägt im Gegenteil zum „follower“ den Markt eigenständig und ausschließlich durch seine Innovationskraft [20]. Werden das defensive mit dem imitativen Wettbewerbsverhalten und das offensive mit dem innovativen Wettbewerbsverhalten gekoppelt, so entstehen die zwei extremen
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„individuelles Nischenprogramm“
Wettbewerbsstrategien
Produkprogrammstrategien
„Pionier“
„standardisiertes Massenprogramm“
„Konformist“
„internes Synergiepotential“
„deterministische Ressourcenzuordnung“
Aktivitätsstrategien
Ressourcenstrategien
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stabilisierende Strategie „nutzungsoffene Ressourcenvorhaltung“
verändernde Strategie
„externes Synergiepotential“
Abb. 2.6 ╇ Profil der strategischen Programme [20]
Positionen des Konformisten und des Pioniers. Der Konformist baut auf Sicherheit durch Imitation der Leistungen des Markführers, während der Pionier auf Wettbewerbsvorteile durch Marktinnovationen spekuliert [29]. Dieser Zusammenhang wird im oberen Quadranten von Abb.€2.6 dargestellt.
Aktivitätsstrategie Die Aufgabe der Aktivitätsstrategie besteht in der optimalen Gestaltung der Wertschöpfungskette. Die Gestaltung der Wertschöpfungskette lässt sich innerhalb zweier Fragestellungen dimensionieren:
Kostenorientierte Rationalisierung vs. kundennutzengerichtete Optimierung Auf Seiten der kostenorientierten Rationalisierung wird die Wertschöpfungskette systematisch durch Rationalisierungsmaßnahmen optimiert. Die kundennutzengerichtete Optimierung der Wertschöpfungskette besitzt die Aufgabe, diese aus Kundensicht auf zusätzliche Bedürfnisse zu durchleuchten [30]. Wertschöpfungsautarkie vs. Wertschöpfungsverbund Die aktivitätsstrategische Ausrichtung hin zu einer Wertschöpfungsautarkie zielt darauf ab, möglichst viele verschiedene Aktivitäten innerhalb der eigenen Wertschöpfungskette zu beherrschen. Die Besonderheit des Wertschöpfungsverbundes besteht in der erwei-
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terten Nutzung zwischenbetrieblicher Kooperationen. Diese Arten der Kooperation können sich beispielsweise durch Lizenzierungen, Joint Ventures oder strategische Allianzen ausdrücken. Dadurch können einige wesentliche wirtschaftliche Vorteile erschlossen werden: • Kostensenkung • Nutzen- und Umsatzsteigerung • Risikobegrenzung. Zusammenfassend können die Aktivitätsstrategien in zwei Grundmuster, das interne und das externe Synergiepotential zerlegt werden. Das interne Synergiepotential gilt es mit eigenen Aktivitäten zu nutzen, während das externe Synergiepotential nur zusammen mit Kunden und Lieferanten umgesetzt werden kann [20]. Dieser Sachverhalt wird im unteren rechten Quadranten von Abb.€2.6 dargestellt.
Ressourcenstrategie Die Ressourcenstrategie beschreibt die Verwendung der vorhandenen, unternehmensinternen Potentiale wie Sach- und Finanzressourcen. Dabei müssen das verwendete Einsatzund das entsprechende Leistungsspektrum voneinander differenziert werden [20]:
Starres vs. flexibles Einsatzspektrum Ein starres Einsatzspektrum zwingt den Anwender alle Potentiale mittels exakter Pläne genau vorherzubestimmen. Das dabei avisierte Ziel ist die Vollauslastung der Leistungspotentiale. Eventuell auftretende Überschüsse müssen daher als Auswirkung einer schlechten Ressourcenplanung aufgefasst werden. Die Kernidee des flexiblen Einsatzspektrums hingegen besteht in einer gößtmöglichen Flexibilität. Global erfolgt die Ressourcenplanung dabei nur in groben Rahmenplänen, welche in der Folge lokal und zeitnah der jeweiligen Situation angepasst werden. Dabei werden auch Überkapazitäten in Kauf genommen [20]. Spezialisiertes vs. universelles Leistungsspektrum Ein universelles Leistungsspektrum drückt sich durch eine hohe Adaptionsfähigkeit von Potentialen gegenüber veränderten Leistungserfordernissen aus. Ein spezialisiertes Leistungsspektrum hingegen ist innerhalb eines beschränkten Anwendungsgebiets höchst effizient, kann jedoch nur gering an neue situative Begebenheiten angepasst werden. Bzgl. der Ressourcenstrategien lassen sich aus diesen Erkenntnissen zwei Extrema, die deterministische Ressourcenzuordnung und die nutzungsoffene Ressourcenvorhaltung, ableiten [20]. Der Zusammenhang zwischen diesen beiden Extrema wird im unteren linken Quadranten von Abb.€2.6 dargestellt. Die einzelnen Dimensionen der vorgestellten Strategischen Programme können in einem gemeinsamen Profil integriert werden: Das Profil der strategischen Programme kann als Portfolioanalyse der strategischen Unternehmensausrichtung genutzt werden. Trotz des eher subjektiven Charakters, der bei der Positionierung der einzelnen Programme zum Ausdruck kommt, erlaubt dieses Modell einen Abgleich der IST-Situation mit der SOLL-Situation (vgl. auch Kap.€1.2.10.3).
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2.1.3 Sichtweisen auf das strategische Management In Kap.€2.1.1 wurde die historische Entwicklung des strategischen Managements und damit einhergehend die des Strategiebegriffs erläutert. Das Kap.€2.1.2 stellt darauf aufbauend die einzelnen Bestandteile der Strategie dar. Um einen Einblick in die Gesamtheit der Strategie und daran anknüpfend an das strategische Management zu erhalten, befasst sich dieses Kapitel mit den relevanten Sichtweisen auf das strategische Management.
2.1.3.1 Ansätze zur Strategieformierung Im Laufe der letzten Jahrzehnte haben sich verschiedene Sichtweisen auf das strategische Management herausgebildet, welche sich hinsichtlich ihres Fokus’ unterscheiden. So greifen die Industrieökonomik, die Neue Institutionenökonomie sowie die Evolutionstheorie insbesondere den direkten Bezug zur Außenwelt auf. Im Gegensatz dazu argumentieren der ressourcen-, fähigkeits- und wissensorientierte Ansatz primär aus der inneren Perspektive des Unternehmens heraus [19]. Im Rahmen der Industrieökonomik steht der Markt im Zentrum der Beobachtung; Ziel ist die Evaluation von Branchen- bzw. Industrieasymmetrien, welche eine Auslotung der Rentabilität der in der Branche aktiven Unternehmen erlaubt [4]. Die marktbezogene Performance eines Unternehmens ist abhängig von fünf Kräften, die in den 1980er Jahren durch Michael Porter definiert wurden. Diese Kräfte sind die Macht von Lieferanten und Abnehmern, die Bedrohung durch Wettbewerb und Ersatzprodukte sowie die Rivalität unter den bestehenden Wettbewerbern [31]. Gemäß Porter lassen sich nur Wettbewerbsvorteile erzielen, wenn das Unternehmen die genannten Kräfte versteht und basierend auf diesem Verständnis adäquate Strategien und somit Marktpositionierungen ableiten kann, etwa mit dem Ziel der Kostenführerschaft, der Differenzierung oder der Konzentration auf Schwerpunkte [31]. Die Neue Institutionenökonomie stellt im Gegensatz zur Industrieökonomik auf die Betrachtung und Erklärung industrieller Ordnungsmuster ab. Allen Theorien der Neuen Institutionenökonomik ist gemeinsam, dass sie weitgehend dieselben Annahmen hinsichtlich des menschlichen Verhaltens zugrunde legen: der Mensch wird als individueller Nutzenmaximierer mit begrenzter Rationalität aufgefasst [32]. Die evolutionstheoretischen Ansätze sind insbesondere durch eine starke Orientierung an Prozessen und die Kennzeichnung dynamischer Entwicklung geprägt. Sie versuchen, den Wandel ökonomischer Systeme zu berücksichtigen und bedienen sich daher der Prozesssicht anstatt einer Zustandsbeschreibung. Der Logik dieser Theorie folgend verläuft strategisches Management nach einem evolutionären Muster, wobei „Evolution“ als ein schrittweises Vorgehen verstanden wird [33]. Ein erster Schritt zu einer systemtheoretischen Sichtweise eines ganzheitlichen Managements wird durch die Münchner Schule um Kirsch geprägt, deren Anfänge auf die späten 1970er Jahre zurückgehen. Unter der Voraussetzung einer Lern- und Erkenntnisfähigkeit sowie Reaktions- und Handlungsfähigkeit geht Kirsch von einer gewissen Be-
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einflussbarkeit eines Systems durch Organisation desselbigen aus. Er bezeichnet dies als „geplante Evolution“. Gemäß dieser Annahme kann eine Organisation die eigene Entwicklung aktiv beeinflussen [33]. Der zweite systemtheoretische Forschungsbereich des strategischen Managements wurde durch die Universität St. Gallen begründet. Hans Ulrich publiziert gemeinsam mit Walter Krieg im Jahre 1972 das St. Galler Management-Modell, welches einen entscheidenden weiteren Schritt hinsichtlich der ganzheitlichen Denkweise in der Managementlehre darstellt (vgl. Kap.€1.2.4). Ulrich betrachtet die Unternehmung als ein produktives soziales System, welches charakterisiert ist durch viele verschiedenartige Elemente wie beispielweise Menschen, Maschinen, Abteilungen, etc [34]. Das System Unternehmung ist durch Regelkreise, Prozesse und Wechselwirkungen gekennzeichnet, die auf den verschiedenen Unternehmensebenen zu beobachten sind. Durch Prozesse, Vernetzungen und Aktivitäten der Teilsysteme als auch durch die Verbindungen der System-Elemente zur Außenwelt entsteht ein komplexes System, das es zu beherrschen gilt [34]. Daher sieht Ulrich die Hauptaufgabe des Managements in der Handhabung der Komplexität. Wesentliches Ziel eines Managements muss die Herstellung einer unternehmensbezogenen Entwicklungsfähigkeit sein, die es dem Unternehmen ermöglicht, sich in einem evolutionsartigen Prozess den Gegebenheiten der Umwelt anzupassen [34]. Im Rahmen dieses Modells herrscht jedoch – im Vergleich zu den folgenden Konzepten und Modellen – noch stark die Innensicht vor. Bleicher hat in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre an den Vorüberlegungen Ulrichs angeknüpft und die Idee der Ganzheitlichkeit weiter ausgeführt. Aufbauend auf der integrierenden-ganzheitlichen Sichtweise baut Bleicher das Urmodell weiter zu einer Matrix aus, welche auf horizontaler Ebene durch Strukturen, Aktivitäten und Verhalten geprägt ist und auf vertikaler Ebene durch die normative, strategische und operative Managementdimension: das Konzept integriertes Management (vgl. Kap.€1.2.10.2). Unter Bezug auf die Unternehmensentwicklung auf horizontaler Ebener spricht das von Bleicher entworfene Konzept insbesondere die Unternehmensentwicklung an. Dieser integrative Bezugsrahmen soll es dem Management ermöglichen, Komplexität durch eine Visualisierung der zentralen Fragestellungen der Unternehmensführung beherrschbar zu machen und den vorgegebenen Bezugsrahmen anhand der unternehmensspezifischen Gegebenheiten zu füllen [20]. Das normative Management hat dabei die Aufgabe, die Ziele des Unternehmens durch Werte, Regeln und Normen festzulegen und somit die Existenz des Unternehmens selbst zu rechtfertigen. Diese sollten so ausgerichtet sein, dass sie die Lebens- und Entwicklungsfähigkeit des Unternehmens sichern. Dem normativen Management nachgelagert ist das strategische Management. Dieses hat das Ziel, Erfolgsfaktoren für das Unternehmen zu schaffen. Gemäß Kirsch soll strategisches Management „als Ausdruck einer evolutionären Führungskonzeption Unternehmen in ihrer Höherentwicklung vorantreiben“ [33]. Das operative Management befasst sich schließlich mit der Umsetzung der auf der strategischen Ebene erarbeiteten Programme. Auf dieser Ebene erfolgt die Mitarbeiterführung, die Ressourcenbereitstellung sowie die Planung, Steuerung und Überwachung sämtlicher Geschäftsprozesse, kurzum: die Realisierung sämtlicher leistungs-, finanz- und informationswirtschaftlicher Prozesse. Der Sinn des operativen Managements ist dadurch
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bestimmt, die normativen und strategischen Vorgaben in Aktivitäten, welche sich an Fähigkeiten und Ressourcen ausrichten, zu übersetzen [20]. Rüegg-Stürm erweitert zu Beginn des neuen Jahrtausends das von Bleicher ausgearbeitete Konzept dadurch, dass er ein wesentlich größeres Augenmerk auf die Unternehmensumwelt legt (vgl. Kap.€1.2.10.4). Im Rahmen des von ihm entworfenen Modells wird der Begriff der „Unternehmung“ auf „Organisationen“ ausgeweitet, um das Modell auf sämtliche arbeitsteilig organisierte Verbunde beziehen zu können. Einen zentralen Begriff des neuen St. Galler Management Modells repräsentieren die „Interaktionsthemen“, welche „Gegenstände“ von Austauschbeziehungen zwischen Stakeholdern und der Organisation beschreiben [35]. Die Interaktionsthemen sind insbesondere durch Ressourcen, Normen und Werte, Anliegen und Interessen geprägt. Entgegen Bleichers Konzept rückt im neuen St. Galler Management Modell die Prozessdimension stärker in den Vordergrund. Gemäß Rüegg-Stürms Auffassung soll mehr Aufmerksamkeit auf die Erkenntnis gelegt werden, dass Management zu einem gewichtigen Teil daraus besteht, Sachlagen zu deuten und mit Sinn auszukleiden sowie die Abstimmung von Erwartungen und Leistungen zu erfüllen [35]. Rüegg-Stürms Modell vereint sowohl die Innensicht als auch die Außensicht durch die entsprechenden Dimensionen und bildet somit eine umfassende Grundlage für ein strategisches Managementmodell, welches sich vor allem durch seine Praktikabilität auszeichnet. Durch das neue St. Galler Management Modell ist es möglich, die Realität gewissenhaft abzubilden und derart in ein praxisorientiertes Management zu überführen. Der Prozess der Strategieformierung kann konzeptionell durch eine Vielzahl verschiedenster Möglichkeiten beschrieben werden [36]. Der folgende kurze Überblick orientiert sich an der Notation von Mintzberg. Mintzberg analysierte die vorhandenen Ansätze und strukturierte diese in zehn Denkschulen der Strategieformierung, welche zusammenfassend in Abb.€2.7 aufgezeigt werden. Diese Denkschulen kategorisieren Strategieformierungsprozesse nach einem groben Schema. Für eine detailliertere Darstellung bezüglich ausgewählter Sichtweisen auf die Strategieentwicklung sei auf Kap.€2.3.1 verwiesen [37]. Die Designschule, die Planungsschule und die Positionierungsschule beschreiben einen angestrebten Ablauf des Strategieprozesses und können daher als präskriptiv umschrieben werden. Die anderen von Mintzberg definierten Strategieschulen besitzen einen deskriptiven Charakter, sie beschreiben und erklären faktische Strategieformierungsprozesse. Im Folgenden wird detailliert auf die präskriptiven Schulen eingegangen sowie ein Überblick über die verschiedenen deskriptiven Strategieschulen gegeben.
2.1.3.2 Präskriptive Strategieschulen Die Designschule Die Designschule ist die einflussreichste Schule auf dem Gebiet der Strategieformierung [37]. Historisch gesehen basiert der Ansatz der Designschule auf den Arbeiten von Chandler [6] und Selznick [38]. Beide fassen die Strategieentwicklung als konzeptionellen Prozess der Harmonisierung zwischen internen Fähigkeiten und externen Möglichkeiten auf.
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konzeptioneller Prozess
formaler Prozess
analytischer Prozess
visionärer Prozess
Designschule
Planungsschule
Positionierungsschule
Unternehmerschule
mentaler Prozess
Strategieentwicklung ist ein ...
Kognitive Schule
sich herausbildender Prozess Lernschule
Verhandlungsprozess
kollektiver Prozess
reaktiver Prozess
Machtschule
Kulturschule
Umweltschule
Transformationsprozess Konfigurationsschule
Abb. 2.7 ╇ Ansätze zur Strategieformierung nach Mintzberg [37]
Dem in Abb.€2.8 dargestellten Ablauf entsprechend wird bei der Designschule zunächst die Situation des Unternehmens aus interner und externer Sicht eingeschätzt. Hieraus sollen die internen Fähigkeiten und externen Chancen bzw. Bedrohungen abgeleitet werden, um anschließend mit Hilfe der Überschneidung von distinktiver Kompetenz und Schlüsselfaktoren die Strategie zu formulieren. In diesen Prozess fließen zudem die Überzeugungen und Präferenzen des Managements sowie die ethischen Grundsätze der Gesellschaft mit ein. Der Strategieentwicklungsprozess der Designschule beschreibt die simultane Entwicklung mehrerer Strategien. Aus den vorgeschlagenen Strategien wird im Anschluss die Beste ausgewählt. Eine solche Auswahl wird gemäß Rumelt nach vier zu prüfenden Kriterien durchgeführt: Zunächst muss die Konsistenz der Strategie im Hinblick auf die Ziele und Grundsätze geprüft werden. Als zweiter Punkt wird das Zusammenspiel zwischen Strategie und Umgebung belichtet: Eine Strategie muss eine anpassungsfähige Reaktion auf die externe Umgebung und auf alle entscheidenden Veränderungen dieser Umgebung darstellen. Nachdem im dritten Schritt die Schaffung eines Wettbewerbsvorteils im ausgewählten Beschäftigungsumfeld durch die betrachtete Strategie bestätigt wurde, wird im letzten Schritt die Machbarkeit betrachtet: Falls eine Strategie die verfügbaren Ressourcen überbeansprucht oder zu einem unlösbaren untergeordneten Prüfen führt, wird sie nicht implementiert [40]. Die Strategieformierung der Designschule stellt einen „strikt kontrollierten Prozess menschlichen Denkens“ dar, welcher formal erlernt werden muss [41]. Der Stratege innerhalb der Organisation ist verantwortlich dafür, dass die bewusste Kontrolle beim Unter-
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Einschätzen der externen Situation
Einschätzen der internen Situation
Bedrohung und Chancen in der Umgebung
Bedrohung und Chancen in der Umgebung
Soziale Verantwortung
Sc h fü lüs r d se en lfa Er kto fo re lg n
e iv kt nz in ete t is D mp Ko
Erstellung einer Strategie
Managementwerte
Entwicklung und Auswahl einer Strategie
Implementierung einer Strategie
Abb. 2.8 ╇ Grundmodell der Designschule [39]
nehmensleiter bleibt. Hieraus lässt sich ableiten, dass in dem Modell ausschließlich topdown Entscheidungen von Relevanz sind; die unternehmerische Umgebung spielt lediglich eine untergeordnete Rolle. Der Prozess der Strategieformierung wird gemäß den Maßstäben der Designschule möglichst einfach und informell gehalten. Einheitslösungen werden strikt abgelehnt, jede zu entwickelnde Strategie muss individuell zugeschnitten sein und aus einem „kreativen Akt“ heraus entstehen [40]. Änderungen vor oder nach der Implementierung sind ebenfalls nicht erlaubt. Mit der Formulierung der Strategie ist der Designprozess abgeschlossen, wodurch wiederum die angewandte Trennung von Denken und Handeln verdeutlicht wird: Der Stratege entwickelt und formuliert die Strategie ohne bestehende Organisationsstrukturen zu berücksichtigen, er verwendet hierzu ausschließlich Fallstudien und weitergeleitete, gesammelte Daten. Das Unternehmen selbst muss die entwickelte Strategie implementieren. Dabei ist kritisch anzumerken, dass die Strategie nicht mehr verändert werden darf, sobald sie einmal formuliert wurde. Ein Prozess des Lernens wird somit ausgeschlossen und auf Veränderungen der Umwelt kann kaum reagiert werden. Ebenso wenig kann eine falsche Einschätzung der eigenen Stärken revidiert werden. Zudem wird in der Praxis nur selten der Fall vorkommen, dass ein bestehendes Unternehmen sämtliche bestehenden Strukturen aufgibt, um im Anschluss an die Strategieformierung eine neue Organisationsstruktur einzuführen. Die explizite Formulierung einer Strategie
2â•… Strategie
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fördert daher die Inflexibilität. Aus diesem Grund wird empfohlen, nicht grundlegend eine Formulierung vorzuschreiben, sondern situationsabhängig zu handeln [42]. Das Konzept der Designschule ist somit nicht anwendbar, wenn in komplexen Situationen ein Lernprozess, also ein nachträgliches Anpassen der Strategie, notwendig ist. Die zentrale Idee der Harmonisierung von externen Chancen und internen Fähigkeiten stellt dennoch eine Innovation der Strategieentwicklung dar.
Die Planungsschule Die Planungsschule entstand zeitgleich zur Designschule und basiert auf den Arbeiten von Ansoff. In der Planungsschule wird die Strategieformierung als kontrollierter und bewusster Prozess formaler Planung betrachtet. Dabei werden grundsätzlich sechs Phasen unterschieden: In der Zielsetzungsphase werden Verfahren angewendet, welche die einzelnen Ziele einer Organisation erklären und quantifizieren sollen. Die externe Prüfungsphase verfolgt das Ziel die externen und internen Bedingungen der Organisation festzustellen und Prognosen über zukünftige Bedingungen zu verfassen. Bei der internen Prüfungsphase wird die in der Designschule propagierte distinktive Kompetenz durch Checklisten und Tabellen zur Feststellung der Stärken und Schwächen ersetzt. Auch in der Planungsschule sollen zunächst mehrere Strategien entwickelt und anschließend die optimale ausgewählt werden. Nach der hierdurch bedingten Strategieevaluierungsphase folgt die Umsetzungsphase. Dabei werden die Strategien zunächst aufgeschlüsselt und hierarchisch angeordnet. Anschließend erfolgt die Synthese der einzelnen Ziele, Budgets, Strategien und Programme zu einem Masterplan, in welchem alle Einzelprozesse der jeweilig verantwortlichen Körperschaft exakt zugeordnet werden. Auf diesem Weg soll eine spätere Kontrolle ermöglicht werden. Ebenfalls geplant wird der zeitliche Ablauf des gesamten Prozess, wodurch unter anderem eine Deadline für die endgültige Formulierung der Strategie festgelegt wird. Die Prämissen der Planungsschule gleichen mehrheitlich denen der Designschule. Die Hauptunterschiede finden sich in der Ausarbeitung der Strategien, der Verantwortlichkeit des CEO und der Nutzung von Intuition: Die Strategieentwicklung in der Planungsschule erfolgt nach einem formalen, fast mechanischen Programmablauf der Analyse und Synthese. Es wird versucht, „Innovation zu institutionalisieren“ [43]. Des Weiteren wird der obersten Führungsebene die Kompetenz als Strategiearchitekt entzogen, die entwickelten Strategien werden lediglich genehmigt. Die eingesetzten Planer übernehmen somit das die Führung im Strategieprozess, das Top Management wird nur noch in den entscheidenden Phasen integriert. Kritisch zu sehen ist dabei die Ersetzung der menschlichen Intuition durch einen exakt formulierten Plan, welcher eine flexible Strategieführung untergräbt. Um das Modell der Planungsschule umzusetzen, müssen weit reichende, verlässliche Prognosen möglich sein. Gemäß Makridakris sind jedoch Prognosen von Diskontinuitäten, also bspw. technologische Durchbrüche und Preissteigerung nahezu unmöglich [44]. Die von den Planern verwendeten Daten sind zudem meist extrem verdichtet und mehrheitlich nicht aktuell genug. Es herrscht weiterhin kaum Interaktion mit dem Unternehmen, die Trennung von Handeln und Denken erlaubt daher keinen Lernprozess und führt somit zu einer beschränkten Anwendbarkeit des Modells.
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Die Positionierungsschule
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Die Ansätze der Positionierungsschule basieren größtenteils auf den Arbeiten von Porter. Die Positionierungsschule übernimmt mehrheitlich die Ansätze der Design- und der Planungsschule. Im Vergleich zu diesen beiden Strategieschulen besteht die größte Neuerung der Positionierungsschule darin, dass nicht mehr ausschließlich der Prozess der Strategieentwicklung, sondern vielmehr die Substanz der Strategie selbst betrachtet wird. Eine Strategie wird ferner nicht mehr nur als eine individuell zugeschnittene Kreation angesehen, sondern als ganzheitliches Konzept aufgefasst. Für Porter existieren nur wenige generische Strategien, die das Überleben im Wettbewerb sichern, also einen höheren Gewinn erwirtschaften und somit das Reservoir der Ressourcen für die gewählte Marktposition erweitern, festigen und gegenüber Konkurrenten verteidigen. Die Anschauung der Positionierungsschule sieht demnach vor, dass Strategien nicht chaotisch und aus einem kreativen Akt entstehen, sondern aus einer begrenzten Anzahl an Bausteinen in einem bewussten kontrollierten Prozess zusammengefügt werden können. Als generische Wettbewerbsstrategien können die Kostenführerschaft, die Produktdifferenzierung und die Konzentration auf Schwerpunkte aufgeführt werden. Um die branchenabhängige optimale Strategie zu finden, muss eine Wettbewerbsanalyse durchgeführt werden (vgl. Kap.€2.3.2.1). Hierbei werden die Bedrohung seitens neuer Marktteilnehmer und Substitutionsgüter, die Verhandlungsstärke der Lieferanten und Kunden sowie die Intensität der Rivalität zwischen den Konkurrenzunternehmen geprüft. Die Positionierungsschule stützt sich auf vier Forschungsmethoden, welche sich nach der Anzahl der zu untersuchenden Faktoren und der Art der Bedingungen (statische oder dynamische) unterscheiden: Bei der ersten Methode werden einzelne Faktoren bei statischen Bedingungen untersucht, also die optimalen Bedingungen für spezifische generische Strategien analysiert. Innerhalb der zweiten Methode werden individuelle strategische Positionen unter statischen Bedingungen in eine ganzheitliche Strategie integriert. Hierbei besitzen Kombinationen von Strategien, sogenannte strategische Gruppen, eine hohe Relevanz [45]. In diesem Forschungsgebiet werden zudem die von Porter genannten Mobilitätsbarrieren eingestuft [10]. Abschreckende Signale und substantielle Reaktionen auf technologische Durchbrüche und neue Konkurrenten werden in der dritten Forschungsmethode behandelt. Die vierte und letzte Methode thematisiert mehrere Faktoren unter dynamischen Bedingungen; es wird bspw. die Dynamik strategischer Gruppen untersucht. Auch in der Positionierungsschule wird das Handeln vom Denken unterschieden. Zunächst kreirt ein Stratege, nicht die oberste Führungsebene, losgelöst vom Geschäftsbetrieb mittels zahlreicher Kalkulationen und Datenanalysen aus den gegebenen Bausteinen eine optimale Strategie, welche anschließend als invariabel angesehen wird und durch das Unternehmen implementiert wird. Bereits Clausewitz erkannte dabei allerdings, dass „unendlich viele nebensächliche Umstände“ zu „unerwarteten Vorfällen führen, die man unmöglich in die Kalkulation einbeziehen kann“ [46]. Die Kalkulation kann demnach das Lernen und die Kreativität behindern und somit dem persönlichen Engagement abträglich sein [47]. Hamel stellt in diesem Zusammenhang fest, dass „Chancen für innovative Strategien sich nicht aus sterilen Analysen und Zahlenspielereien ergeben, sondern auf neuen Erfahrungen beruhen, die Chancen für neue Erkenntnisse schaffen.“ [48]
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Ein Schwachpunkt der Positionierungsschule besteht darin, dass sich der Stratege bei der Strategieentwicklung nur quantifizierbarer, „harter“ Daten bedienen soll, jegliche „weiche“ Faktoren werden nicht berücksichtigt. Ferner ist das System auf reife, stabile Branchen ausgerichtet, um ausreichend statische Daten zu erfassen. Es werden somit lediglich etablierte Kategorien verwendet und keine Neuschaffungen angestrebt.
2.1.3.3 Deskriptive Strategieschulen Nach dem Ansatz von Minztberg [37] existieren insgesamt sieben deskriptive Strategieschulen, die, wie bereits einleitend erläutert, ausschließlich faktische Strategieformierungsprozesse erklären und beschreiben. In Folgendem werden alle deskriptiven Strategieschulen kurz dargestellt und die jeweiligen Kerninhalte vermittelt.
Die Unternehmerschule Der Strategieformierungsprozess wird bei der Unternehmerschule ausschließlich und exklusiv durch die Unternehmensleitung gelenkt [49]. Die Unternehmensleitung leitet die Strategie dabei aus der Unternehmensvision ab (vgl. Kap.€2.1.2) und versucht durch einen ständigen Abgleich zwischen strategischer und operativer Ebene die Umsetzung letzterer voranzutreiben [37].
Die kognitive Schule Die kognitive Schule basiert auf der Strukturierung und der Systematisierung der mentalen Strategieformierungsprozesse. Ziel dabei ist es, aus wissenschaftlich fundierten Überlegungen eine Entscheidungsempfehlung abzuleiten. Die Besonderheit der kognitiven Schule besteht dabei darin, dass es eine enorme Vielfalt an Beiträgen gibt, die bisher noch nicht in ein Gesamtbild integriert werden konnten [37].
Die Machtschule Innerhalb der Machtschule wird die Strategie als Ergebnis eines Diskurses zwischen unterschiedlichen Individuen und Gruppen aufgefasst. Alle am Strategieformierungsprozess beteiligten Personen versuchen dabei durch machtpolitische Handlungen die Strategie zu ihrem Vorteil zu beeinflussen. Dabei können Mikro- und Makroebene unterschieden werden: Die Mikroebene fasst die unternehmensinternen Interaktionen auf, währende hingegen auf der Makroebene die Interaktionen des Unternehmens mit seiner Umwelt zusammengefasst werden [39].
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Die Kulturschule
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Die Unternehmenskultur prägt die vorherrschenden Glaubens- und Wertvorstellungen innerhalb einer Unternehmung. Die Kulturschule formuliert die Theorie, dass der Strategieformierungsprozess und dessen Implementierung durch eben diese Unternehmenskultur beeinflusst werden. Der Fokus der Betrachtung liegt dabei sowohl auf dem verwendeten Entscheidungsfindungsstil, als auch auf dem Widerstand gegen strategische Veränderungen [37].
Die Umweltschule Innerhalb der Umweltschule wird die Unternehmensumwelt als zentrale Kraft innerhalb des Strategieprozesses aufgefasst. Dabei muss sich das Unternehmen immer in Richtung der Umwelt orientieren. Unter der Strategieentwicklung wird in diesem Zusammenhang demnach der Abgleich zwischen Umwelt und Unternehmung aufgefasst [37].
Die Konfigurationsschule Die Konfigurationsschule betrachtet die Strategie aus zwei Perspektiven, der Konfigurationssicht und der Transformationssicht. Die Konfigurationssicht besagt, dass eine Organisation als eine relativ stabile Konfiguration beschrieben werden kann. Diese Stabilität unterliegt dabei allerdings zeitweilig einem Transformationsprozess. Die Aufgabe des strategischen Managements ist demnach die Aufrechterhaltung der Stabilität und gleichzeitig die Zulassung der sich ergebenden Transformationsprozesse [37].
Die Lernschule Die Prämisse der Lernschule besteht darin, die Strategieentstehung als Lernprozess aufzufassen. Demnach entsteht Strategie nach diesem Ansatz ausschließlich durch individuelles kognitives Handeln einer Einzelperson oder einer Gruppe mit dem Ziel der Erweiterung des Lernhorizonts. Die Unternehmensleitung besitzt dabei lediglich die Aufgabe den organisationalen Hintergrund zu formen, vor dem das mittlere und untere Management die Unternehmensstrategien entwickeln können [37].
2.2 Strategieinhalte Bei der Strategiefindung gilt es, interne und externe Fähigkeiten und Möglichkeiten gleichermaßen zu berücksichtigen. Nur so kann verhindert werden, dass weder die internen Stärken zu sehr fokussiert werden noch die Strategie lediglich ein Reagieren auf Marktveränderungen darstellt. Dieses Problem greifen die zahlreichen Strategieansätze auf unter-
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schiedlichste Weise auf. Nachfolgend wird ein Überblick über mögliche Strategieinhalte gegeben sowie in der Praxis oftmals verwendete Referenzstrategien.
2.2.1 Typisierung von Strategien Die Typisierung von Strategien wird im Zuge der stets komplexer werdenden Marktdynamiken zu einem wichtigen Hilfsmittel bei der Festlegung einer zu befolgenden Unternehmensstrategie. Es sollen zunächst die drei vorherrschenden Strategieperspektiven Marktperspektive, ressourcenbasierte Perspektive und Netzwerkperspektive, dargestellt werden. Mit der Vorstellung einer Synthese der einzelnen Perspektiven wird ein Überblick über die aktuelle Forschung gegeben.
2.2.1.1 Marktperspektive „While resources represent what can be done, the competitive environment represents what must be done to compete effectively in satisfying customer needs.“ behaupten Priem und Butler und beschreiben damit treffend die zentrale Annahme des marktorientierten Ansatzes [50]. Die Marktperspektive, im Englischen als Market-based View (MBV) bekannt, basiert auf einer marktorientierten Sichtweise ökonomischen Handelns, das strategische Management richtet sich an den Bedürfnissen des Marktes aus. Das Wachstum ist also im Rahmen der marktorientierten Sichtweise durch die Branchenstruktur determiniert [51]. Seine Ursprünge findet die Marktperspektive sowohl in der Industrieökonomik als auch in dem dort traditionellen „structure-conduct-performance“ Paradigma [52]. Dieses Paradigma fußt auf vier Grundannahmen, mit Hilfe derer die zentralen Konzepte abgeleitet werden. Es wird davon ausgegangen, dass ein überdurchschnittlicher Unternehmenserfolg aus der besseren Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen der Branchenstruktur resultiert und dass alle Unternehmen einer Branche über dieselbe Ressourcenausstattung verfügen. Weiterhin ist es Annahme des Paradigmas, dass die Ressourcen zur Strategieimplementierung keinerlei Mobilitätsbegrenzung unterliegen und die Entscheidungen der Manager stets rational und im Sinne des Unternehmens erfolgen [9]. Bain [53] und Mason [54] prägen dieses Paradigma, bei dem der Erfolg eines Unternehmens abhängig von einigen zentralen Branchencharakteristika ist, die wiederum das Verhalten des Unternehmens bestimmen und so das Markt- und Wettbewerbsergebnis einer gesamten Branche bzw. eines Industriesektors beeinflussen [55]. Der Erfolg eines Unternehmens wird demnach vielmehr durch die Branchenstruktur als durch die Entscheidungen des Managers bestimmt [56]. Um nun die einflussreiche Branchenstruktur zu analysieren, werden Eintrittsbarrieren, Anzahl und Verteilung von Firmen, Produktdifferenzierung sowie die Elastizität der allgemeinen Nachfrage von Interesse sein. Dabei sind besonders die Eintrittsbarrieren von
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essentieller Bedeutung, da Bains Modell statisch ist und sonst der Einfluss der Industriestruktur auf den Unternehmenserfolg so nicht herzuleiten ist [57]. Porter greift diese zentrale Aussage des Paradigmas auf und entwickelte basierend auf der marktorientierten Sichtweise das Konzept der Wettbewerbsstrategie. Dieses erläutert den Einfluss der Wettbewerbskräfte des Marktes auf die Strategien eines Unternehmens. Sie bestimmen die Wettbewerbsintensität und die Rentabilität der Branche. Porter kommt zu dem Ergebnis, dass der Erfolg eines Unternehmens einerseits von den Charakteristika des Umfelds und andererseits von dem strategischen Agieren des Unternehmens selbst abhängt. Neben der Attraktivität der Branche ist somit für den Erfolg ebenso von gleicher Bedeutung, wie sich ein Unternehmen innerhalb der Branche positioniert. Zur Analyse der Branchenstruktur stellt Porter das Fünf-Kräfte-Modell (engl. five forces) auf [10]. Dieses wird in Kap.€2.3.2.1 erläutert.
2.2.1.2 Ressourcenperspektive Der Fokus der Analyse wird nun von der Branchenstruktur auf die Ebene des Unternehmens verschoben oder anders: von der extern gerichteten Sichtweise auf die intern orientierte Sichtweise. Im Rahmen des ressourcenbasierten Ansatzes, der auch als Resource-based View (RBV) bekannt ist, wird die Generierung eines überdurchschnittlichen Unternehmenserfolges auf Effizienzvorteile der strategischen Ressourcen zurückgeführt. Erfolgsunterschiede sind demnach Effizienzunterschieden zwischen den verwendeten Ressourcen bzw. „crown jewels“ [58] gleichzusetzen [19]. Seine Ursprünge nimmt der ressourcenbasierten Ansatz in der von Penrose 1957 veröffentlichten „Theory of the firm“ [5], in welcher er das Unternehmen als Allokation von Ressourcen beschreibt. Wernerfelt führt diesen Gedanken weiter, er beschreibt das Unternehmen als Bündel von Ressourcen, wobei eine Ressource verstanden wird als alles, was dem Unternehmen zur Verfügung steht und auf das es direkten oder indirekten Zugriff hat [11]. Eine allgemein anerkannte Definition der Ressource ist jedoch nicht zu finden, da die theoretische Fundierung fehlt. Für weitere Ansätze zur Beschreibung des Ressourcenbegriffs wird an dieser Stelle auf Kap.€3.2 dieses Bandes verwiesen. Mit der grundlegenden Annahme der Heterogenität der Unternehmen setzt sich die Theorie klar von der Marktperspektive als auch von dem neoklassischen Modell ab. Die Modelle der neoklassischen Theorie gehen von einem vollkommenen Markt aus, der durch Markttransparenz, homogenen Gütern und Fehlen jeglicher Präferenzen geprägt ist. Basierend auf dieser Annahme werden ökonomische Entscheidungen mit Hilfe von Grenzwerten getroffen [59]. Der Unternehmenserfolg wird von den Begründern des ressourcenbasierten Ansatzes als Erwirtschaftung von Renten verstanden. Renten werden hierbei als die Erträge der Unternehmung verstanden, die die Opportunitätskosten des Ressourceneinsatzes übersteigen. Um diesen Erfolg zu gewährleisten, müssen mindestens drei Bedingungen erfüllt sein. Zunächst ist die Existenz einer ex ante-Beschränkung des Wettbewerbs um wertvolle Ressourcen erforderlich, da sonst die steigenden Kosten das Rentenpotenzial direkt aufbrau-
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chen würden. Weiterhin dürfen wertvolle Ressourcen nicht vollständig mobil oder handelbar sein – dies steht im Kontrast zur Marktperspektive –, da sie sonst für hohe Preise weggeboten werden könnten. Möglich wäre dies über einen hohen Grad der Individualisierung der Systeme. Als dritte Bedingung für die mögliche Erwirtschaftung von Renten wird eine ex post – Beschränkung genannt. Die Heterogenität bzw. die unvollständige Imitation und Substitution der Ressourcen müsse gewährleistet werden, um etwaige Nachbauten oder alternative Rekonstruktionen zu verhindern [19]. Rumelt nennt hier mögliche isolierende Mechanismen, z.€B. Eigentumsrechte an seltenen Ressourcen oder einmalige historische Anfangsbedingungen [60]. Eine weitere Möglichkeit sieht Reed in der kausalen Ambiguität. Diese besagt, dass bei einer bestehenden Unsicherheit über die Ursache von Effizienzunterschieden keine Imitation erfolgen wird [61]. Voraussetzung für einen überdurchschnittlichen Erfolg ist zudem, dass das erfolgreiche Unternehmen systematisch genauere Erwartungen über den zukünftigen Wert von Ressourcen hat als alle anderen Mitbewerber. Müller-Stewens bezeichnet den ressourcenbasierten Ansatz als „eine der fruchtbarsten theoretischen Strömungen der letzten Jahre“ [19]. Die Analyse der mikroökonomischen Ebene wird zwar als Fortschritt anerkannt, nachdem die Forschung überwiegend Strategien aus makroökonomischer Sicht thematisiert hat. Auch die hier vorausgesetzte Heterogenität der Ressourcen ist im Vergleich zu den restriktiven Annahmen des marktorientierten Ansatzes positiv zu erwähnen, jedoch wird nicht klar, wie ein Unternehmen das Gespür für den zukünftigen Wert einer Ressource erlangen kann. Dies ist gravierend, da im Sinne des ressourcenbasierten Ansatzes ein Unternehmen nur durch dieses Gespür eine nachhaltige Wettbewerbsposition erlangen kann [19]. Eine spezifische Ausprägung der strategischen Ressourcen stellen sogenannte Kernkompetenzen dar, denen sich der im ressourcenbasierten Ansatz verankerte Kernkompetenzansatz widmet. Dieser hebt bei der Analyse der Ressourcen die prozessualen, organisationalen und integrativen Aspekte der Generierung und Aufrechterhaltung nachhaltiger Wettbewerbsvorteile hervor [62]. Prahalad und Hamel reduzieren die potenziell wettbewerbsfähigen Ressourcen auf diejenigen, welche das Unternehmen in die Lage versetzen, einen wesentlichen Kundennutzen zu liefern [63]. Die den Ressourcen äquivalenten Kernkompetenzen stellen meist technisches und organisatorisches Wissen dar. Dieses beinhaltet Erfahrungen und durch die Anwendung erlernte Fähigkeiten. Um die Selektion der Kernkompetenzen rational gestalten zu können, führen Prahalad und Hamel drei Tests durch. Zunächst muss die Kernkompetenz das Potenzial haben, einen Zugang zu einer Vielzahl von Märkten zu ermöglichen. Des Weiteren muss sie einen Beitrag zum wahrgenommenen Kundennutzen des Endproduktes leisten. Abschließend muss es schwierig sein, die Kernkompetenz zu kopieren. Die Konkurrenz sollte sie sich nicht leicht aneignen, sondern nur langsam aufbauen können [63]. Strategische Ressourcen müssen somit wertvoll sein und die Unternehmungseffizienz und/oder -effektivität erhöhen. Da nur bei einer gegebenen Einzigartigkeit eine Differenzierung gegenüber der Konkurrenz möglich ist, sollten sie knapp und zudem nicht substituierbar sein. Es dürfen demnach keine Ressourcen existieren, die eine vergleichbare
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Performance erbringen könnten. Überdies muss die Imitierbarkeit derartiger Ressourcen eingeschränkt werden [64, 65]. Auf den zentralen Annahmen der ressourcenbasierten Perspektive basieren die strategischen Erfolgspositionen nach Pümpin. In attraktiven Nutzenpotentialen sieht Pümpin die Basis für eine erfolgreiche strategische Führung. Diese Nutzenpotentiale sind mittels strategischer Erfolgspositionen zu erschließen, um strategisch relevante Positionen zu besetzen und einen nachhaltigen Geschäftserfolg zu realisieren. Die strategischen Erfolgspositionen werden in Kap.€2.2.2.1 näher erläutert. Die Ansätze der Markt- und Ressourcenperspektive sind keinesfalls exklusiv und schließen sich daher nicht gegenseitig aus. Vielmehr verhalten sich die Ansätze komplementär zueinander, wie aus Abb.€2.9 hervorgeht. Im Zuge der Strategieformierung kann es durchaus von Vorteil sein, sowohl die Markt- als auch die Ressourcenperspektive einfließen zu lassen. Aus Marktsicht wird derart die Struktur der jeweiligen Branche berücksichtigt sowie die eigene Positionierung vor dem Hintergrund. Gleichzeitig ist unter Berücksichtigung von sogenannten Vorteilspotentialen, die sich entweder aus der Marktpositionierung ergeben (z.€B. Oligopol) oder aus der Gestaltung der Wertschöpfung (z.€B. verstärkter Fokus auf die Kernkompetenzen) die Strategieformierung aus ressourcenbasierter Sicht möglich. Unter Berücksichtigung beider Ansätze ist es möglich die in Kap.€2.2.1.1 und 2.2.1.2 aufgeführten Nachteile der jeweiligen Perspektiven abzuschwächen und ein ganzheitlicheres Bild in den Fokus des Strategiebildungsprozesses zu erzielen. Gemäß Abb.€2.9 ist es bei Kombination beider Ansätze möglich eine Strategie zu erarbeiten, welche auf den Vorteilspotentialen des Unternehmens basiert. Durch eine umfassende Analyse der externen und internen Unternehmenswelt kann die derart ermittelte Strategie zum Aufbau von Wettbewerbsvorteilen beitragen, die sich in einer vergleichsweise besseren Leistung und letztlich einer besseren Performance niederschlagen.
Marktperspektive
Positionierung
Outside-in Vorteilspotentiale
Strategie
Wettbewerbsvorteile
Bessere Leistung
Inside-out
Wertschöpfungsgestaltung
Ressourcenperspektive
Abb. 2.9 ╇ Kombination von Markt- und Ressourcenperspektive [19]
Überdurchschnittliche Performance
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2.2.1.3 Netzwerkperspektive Dieser maßgeblich durch Dyer und Singh geprägte, noch relativ junge Ansatz des strategischen Managements ist wie die marktorientierte und die ressourcenorientierte Perspektive auf die Erklärung dauerhafter Wettbewerbsvorteile von Unternehmen ausgerichtet. Die Netzwerkperspektive (engl. Relational View, RV) ist komplementär zum unternehmensintern orientierten ressourcenbasierten Ansatz und im Wesentlichen auf unternehmensübergreifende Beziehungen ausgerichtet [66]. Im Gegensatz zum ressourcenbasierten Ansatz und Kernkompetenzansatz umspannen die Wettbewerbsvorteile generierende Ressourcen Unternehmen und sind in internationalen Beziehungen eingebunden. Demnach können überdurchschnittliche Wettbewerbsvorteile nicht von einer Unternehmung allein generiert werden, sondern nur im Rahmen gemeinsamer, idiosynkratischer Beiträge der spezifischen Kooperationspartner. Der logische Schluss hieraus ist, dass die Analyseebene wieder weg von der einzelnen Unternehmung auf die Ebene des Unternehmensnetzwerkes übergeht [62]. Folgerichtig werden die den kooperativen Beziehungen zugeordneten Ressourcen als Netzwerkressourcen bezeichnet, die auf Grund ihrer Netzwerkspezifität die Erzielung dauerhafter Unternehmensvorteile, den sogenannten relationalen Renten, ermöglichen können. Diese Renten stellen sich ein, wenn die Netzwerkunternehmen materielle und immaterielle Ressourcen austauschen und/oder Steuerungs- und Kontrollmechanismen nutzen, um Transaktionskosten zu senken und weitere Vorteile aus synergetischen Ressourcenkombinationen zu erlangen. Kooperierende Unternehmen generieren somit Wettbewerbsvorteile gegenüber den Unternehmen, die keine Kooperation eingehen, indem sie ihre Ressourcen und Kompetenzen poolen [67]. Wenngleich als zentrale Analyseeinheit nicht mehr ein einzelnes Unternehmen, sondern das Unternehmensnetzwerk und die Erzielung relationaler Renten den Kern der relationalen Perspektive ausmachen, sind davon unabhängig auch stets die individuellen Wettbewerbsvorteile der einzelnen Unternehmen zu berücksichtigen und somit ist auch die ressourcenorientierte Perspektive zu betrachten [62]. Es wird deutlich, dass die Vorteilhaftigkeit effizienter kooperativer Arrangements neben den kompetenzorientierten Beziehungen auch auf der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen einzelner Mitglieder beruht. Nur durch ergänzende, besondere organisationale Fähigkeiten kann eine unternehmensübergreifende Verknüpfung eigener Ressourcen und Kompetenzen und damit das Erzielen relationaler Renten erfolgen [68]. Die Netzwerkperspektive nach Dyer/Singh zeigt vier Quellen der relationalen Renten auf. Durch Investitionen in interorganisationale, beziehungsspezifische Ressourcen werden eine bessere Abstimmung und eine Optimierung der gemeinsamen Geschäftsprozesse ermöglicht. Dies führt zu einer Stärkung der Intensität der Zusammenarbeit. Nach Dyer und Singh sind hier Investitionen in gemeinsame Ressourcen zu nennen, die zu einer effektiveren und effizienteren Interaktion der vor- bzw. nachgelagerten Organisationen der Wertschöpfungskette führen. Der Austausch von Wissen durch interorganisationale Ressourcen soll dazu führen, dass neue Ressourcen, Kompetenzen und Leistungsangebote individuell generiert werden
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können. Weiterhin werden mit diesem Anliegen eine partnerspezifische Absorptionskompetenz und Anreize zur Schaffung von Transparenz und zur Einschränkung opportunistischen Verhaltens erreicht. Die Vorteile einer Kopplung komplementärer Ressourcen- und Kompetenzausstattungen stellen sich dann ein, wenn die synergetische Nutzung der Ressourcen dem individuellen Aufwand überlegen ist. Voraussetzung ist hierbei die Fähigkeit, potenzielle Kooperationspartner identifizieren und bewerten zu können. Die Rolle der organisatorischen und kulturellen Komplementarität bei der Nutzung von Netzwerkressourcen muss ebenfalls berücksichtigt werden. Die vierte Quelle sehen Dyer und Singh in den effektiven institutionellen Rahmenbedingungen. Diese sollen zu geringeren Transaktionskosten führen als bei den Wettbewerbern [67]. Abbildung€2.10 illustriert eine exemplarische Argumentationskette der Netzwerkperspektive. Die Unternehmen müssen neben ihren einzigartigen Fähigkeiten Netzwerkkompetenzen aufzeigen, welche ein gemeinschaftliches Agieren im Netzwerk ermöglichen. Durch die synergetische Nutzung der jeweiligen Kernkompetenzen können innovative, unverwechselbare Produkte erstellt und somit Wettbewerbsvorteile erlangt werden. Ergänzende, besondere organisationale Fähigkeiten führen zu einer unternehmensübergreifenden Verknüpfung eigener Ressourcen und Kompetenzen und so zu der Erzielung relationaler Renten.
2.2.1.4 Synthese bestehender Perspektiven Die drei verschiedenen Ansätze können hinsichtlich der spezifischen Analyseebene, der Quellen und Mechanismen zur Erreichung eines überdurchschnittlichen Unternehmenserfolges und der Annahme einzeln oder kollektiv agierender Unternehmen unterschieden werden. Während bei der Marktperspektive die gesamte Branchenstruktur betrachtet wird, bezieht sich der ressourcenbasierte Ansatz auf die mikroökonomische Ebene. Die Netzwerkperspektive erläutert den Zusammenhang aus Sicht eines Netzwerkes. Porter als Vertreter der Marktperspektive sieht als Quelle für einen überdurchschnittlichen Unternehmenserfolg sowohl die Attraktivität der Branchenstruktur als auch die individuelle Positionierung in der Branche. Ermöglicht wird dies durch die generelle Annahme eines statischen Marktes, welcher durch Eintrittsbarrieren als ökonomischen Mechanismus angenähert wird. Mikroökonomische Prozesse werden in der Marktperspektive nicht betrachtet. Ressourcen werden innerhalb der Marktperspektive als homogen und perfekt mobil angesehen. Die ressourcenbasierte Perspektive fokussiert darauf, inwieweit einzelne Unternehmen überdurchschnittliche Gewinne basierend auf immobilen und heterogenen Ressourcen, Investitionen und internen Kapazitäten erzielen können. Die Ressourcen werden aufgeteilt in physische (z.€B. Grundstück, Rohstoffe), personelle (z.€B. Know-how), technologische (z.€B. Prozesstechnologien), finanzielle und immaterielle (z.€B. Reputation). Vorausset-
für
Basis
Agieren im Netzwerk
Agieren im Netzwerk
Wettbewerbsfähigkeit Wettbewerbsvorteile
Ermöglichen Gemeinsam erstellte Prozesse/Produkte
Ermöglichen
Ermöglichen
Netzwerkkompetenz
Kernkompetenzen im Netzwerk
Ermöglichen
Ermöglichen
Abb. 2.10 ╇ Exemplarische Argumentationskette der Netzwerkperspektive [68]
Ressourcen Unternehmen B
Ressourcen Unternehmen A
Netzwerkkompetenz
Auswahl und Kombination
Verteidigungsfähigkeit Relationale Rente
2â•… Strategie 91
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zung für die erfolgreiche Nutzung der Ressourcen ist die Nichtimitierbarkeit. Diese soll über isolierende Mechanismen, z.€B. Eigentumsrechte an seltenen Ressourcen oder einmalige historische Anfangsbedingungen gewährleistet werden. Die kausale Ambiguität spielt hierbei zudem einen bedeutenden Faktor. Häufig wird der Mechanismus zur Rentengenerierung kritisiert, diese soll durch Glück und „voraussehender“ Wahl unterbewerteter Ressourcen erfolgen. Die Netzwerkperspektive ist komplementär zum ressourcenbasierten Ansatz zu betrachten. Während bei der ressourcenbasierten Perspektive die einzelne Unternehmung die Kontrolle über den Renten generierenden Prozess inne hat, erzielen die verflochtenen Unternehmen im Rahmen der relationalen Perspektive sogenannte relationale Renten im Kollektiv. Als Quellen hierfür werden unternehmensübergreifende Investitionen, Wissensaustausch, synergetische Ressourcennutzung und abgestimmte überbetriebliche Prozessorganisationen genannt. Um die relationalen Renten erzielen zu können, müssen jedoch, äquivalent zu der Nichtimitierbarkeit der Ressourcen im ressourcenbasierten Ansatz, Markteintrittsbarrieren gegen weiteren Wettbewerb schützen [67]. Einen Überblick über die einzelnen Merkmalsausprägungen liefert Abb.€2.11. Grünig entwickelt eine Synthese aus den einzelnen Sichtweisen und wendet die Marktund Ressourcenperspektive auf Unternehmensnetzwerke an. Folglich werden die beiden Sichtweisen als marktbasierte Netzwerkperspektive (↜engl.: market-based relational view) und ressourcenbasierte Netzwerkperspektive (↜engl.: resource-based relational view) bezeichnet. Bei dem erstgenannten wird gemäß des „structure-conduct-performance“ Paradigmas der Unternehmenserfolg (performance) basierend auf der Branchenstruktur (structure) und der zu bestimmenden Strategie (conduct) erlangt. Im ersten Schritt wählen Unternehmen Branchenmärkte und strategische Gruppen, deren Struktur die Möglichkeiten der Erfolgs-
Dimension
Betrachtungsebene Quellen zur Generierung überdurchschnittliche Unternehmenserfolge
Markorientierte Perspektive
Ressourcenbasierte Perspektive
Relationale Perspektive
Branche
Unternehmen
Netzwerk
�
Attraktivität der Branchenstruktur
�
Individuelle Positionierung in der Branche
Mechanismen zur Erreichung des Erfolgs
Markteintrittsbarrieren
Kontrolle über den Renten generierenden Prozess
Branchenmitglieder
Ressourcen:
�
Unternehmensübergreifende Investitionen
�
physische
�
humane
�
technologische
Wissensaustausch
�
�
�
finanzielle
Synergetische Ressourcennutzung
�
immaterielle
�
Abgestimmte überbetriebliche Prozessorganisation
Nichtimitierbarkeit der Kompetenzen Einzelnes Unternehmen
Markteintrittsbarrieren
Netzwerk
Abb. 2.11 ╇ Vergleich der marktorientierten, ressourcenbasierten und relationalen Perspektive [67]
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generierung definiert. Im weiteren Verlauf wählen die Unternehmen eine kollektive Wettbewerbsstrategie und bauen die nötigen Ressourcen inklusive günstiger Kooperationsbeziehungen auf. Langfristige Erfolgsunterschiede erklären sich hierbei aufgrund der Attraktivität der gewählten Branchen und Gruppen, der Wettbewerbsstrategie sowie der Schaffung der Marktmacht und Markteintrittsbarrieren durch Kooperationsbeziehungen. Im Rahmen des resource-based (relational) view führt die Wirkungskette ausgehend von den Ressourcen über die gewählte Strategie zu dem erwünschten Unternehmenserfolg. Auf Grund ihrer Entwicklung erlangen Unternehmen per Zufall oder durch gezieltes Vorgehen nicht mit der Konkurrenz geteilte beziehungsspezifische Ressourcen, welche in Kooperationsbeziehungen eingebettet sind. Bedürfnisgerechte Angebote für bestimmte Branchenmärkte können durch die Nutzung der Ressourcen bzw. Kooperationsbeziehungen gestaltet werden und so zu nachhaltigen Wettbewerbsvorteilen führen [69].
2.2.2 Ausgewählte Referenzstrategien Strategische Programme und Referenzstrategien werden eingesetzt, um die teils als schwierig erachtete Implementierung von Unternehmenszielen zu erleichtern. Beide Ansätze versuchen gleichermaßen, die vorherrschenden Strategien produzierender Unternehmen zu identifizieren und zu kategorisieren. Mit der erfolgten Einordnung sollen Handlungsempfehlungen für die Industrie hergeleitet werden. In der Forschung erfolgt eine Einteilung der strategischen Programme in die vier Bereiche der Produktprogramm-, Wettbewerbs-, Aktivitäts- und Ressourcenstrategie (vgl. Kap.€2.2.1.4). Während der Produktion prinzipiell lediglich eine Vollzugsfunktion zugeordnet wurde, hat die Komplexität mit der wachsenden globalen Konkurrenzsituation, der Unberechenbarkeit der Nachfrageentwicklung, der geforderten hohen Flexibilität und wachsenden Variantenvielfalt stark zugenommen [28]. Diese bedingt einen hohen Organisations- und Planungsaufwand, welcher in der Produktprogrammstrategie eingebettet wird. In diesem Zusammenhang sind die Produktionsmenge, die nötigen Kapazitäten und das Verhältnis der Fremd- und Eigenfertigung zu bestimmen [19]. Hierbei muss sich das Unternehmen eindeutig positionieren und hinsichtlich der Ausprägungen der Konzentration und Dispersion sowie hinsichtlich der standardisierten und individuellen Produktion festlegen [20]. Im Zuge der Wettbewerbsstrategie wird das Wettbewerbsverhalten der Unternehmung bestimmt. Die strategische Führung muss bestimmen, ob es eher einem defensiven oder einem offensiven bzw. einem imitativen oder einem innovativen Verhalten folgen will [20]. Sie kann ferner die extremen Positionen des Konformisten, also defensiv und imitativ agierend, oder die des offensiv und innovativ handelnden Pioniers einnehmen [29]. Die optimale Gestaltung der Wertschöpfungskette wird mit der Aktivitätsstrategie verfolgt. Hierbei müssen erneut Grundsatzentscheidungen getroffen werden. Es wird einmal nach dem Ziel der Optimierung unterschieden, so kann entweder eine kostenorientierte Rationalisierung oder eine kundennutzengerichtete Optimierung angestrebt werden. Ferner gilt es zu bestimmen, ob ein hoher Eigenfertigungsgrad oder ein sogenannter Wert-
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schöpfungsverbund, also die synergetische Nutzung zwischenbetrieblicher Kooperationen verfolgt werden soll [20]. Abschließend wird in der Ressourcenstrategie die Verwendung unternehmensinterner Potentiale behandelt. Hierbei wird grundsätzlich zwischen dem Einsatz- und Leistungsspektrum unterschieden. In der Literatur werden vier grundsätzliche strategische Erfolgspositionen genannt, die aus Strategieaudits produzierender Unternehmen abgeleitet wurden. Mit diesen strategischen Erfolgspositionen sind attraktive Nutzenpotentiale zu erschließen, welche die Basis für eine erfolgreiche strategische Führung ausmachen. Auf diesem Weg können dann strategisch relevante Positionen besetzt und ein nachhaltiger Geschäftserfolg realisiert werden (vgl Kap.€2.2.2.1). Die vier typischen strategischen Erfolgspositionen sind Produktdesign/Produkttechnologie, Marke/Image/Marktzugang, Prozesskettenbeherrschung und Produktion/Prozesstechnologie. Jeweils zwei Positionen definieren eine Referenzstrategie, diese sind als verbindende Kanten in der Abb.€2.12 dargestellt. Die verfolgte Strategie sollte möglichst eindeutig auf einer dieser Kanten liegen, da sie sonst einer Konzentration der eigenen Fähigkeiten auf die jeweils wettbewerbsentscheidende Erfolgsposition entgegenstehen könnte. Die sechs Referenzstrategien sollen helfen, die strategische Grundausrichtung einer Unternehmung zu bestimmen. Sie können jedoch nicht die markt- und unternehmensspezifisch notwendige Verifizierung und Ausgestaltung der individuellen Unternehmensstrategie ersetzen. Produktdesign/ Produkttechnologie
Marke/Image/ Marktzugang
Design
In
Produktion/ Prozesstechnologie
no
va
tio
n-
O
l
po
o lig
Le
ve
ra
ge
Lateral
Abb. 2.12 ╇ Referenzstrategien produzierender Unternehmen [70]
Marktführer
Technology-Leverage
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Prozesskettenbeherrschung
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Designstrategie╇ Gezielte Investitionen und konsequente (Weiter-) Entwicklungen führen zu innovativen, unverwechselbaren Produkten, die das Firmenimage stützen und umgekehrt. „First mover“-Vorteile werden genutzt. Überdurchschnittliches Wissensmanagement mit regelmäßigen Innovationen stellt neben einem langfristig konsistent gepflegten Produkt- und Unternehmensimage die Basis der Strategie dar. Als prominente Vertreter dieser Strategie sind BMW, Intel und Hewlett Packard zu nennen. Oligopol-Strategie╇ Auf einem Markt mit hervorragendem Zugang bzw. exzellenter Markenidentität verbunden mit guter Technologie- bzw. Prozessbeherrschung, die jedoch nur eine limitierte Differenzierung erlaubt, entwickelt sich im Allgemeinen ein Verdrängungswettbewerb. Die verbleibenden großen Anbieter sollten sich diesem entziehen und mittels Markteintrittsbarrieren und durchdachter Preispolitik preisagressive, kleinere Anbieter bekämpfen. Die Unternehmen IBM und Bosch verfolgen beispielsweise die Oligopol-Strategie. Marktführer-Strategie╇ Analog zur Oligopol-Strategie basiert die Marktführer-Strategie auf einem hervorragenden Marktzugang bzw. einer starken Marke. Konträr ist hier jedoch das Streben nach dem signifikant höchsten Marktanteil, um durch Marktdominanz bzw. Marktbeherrschung Skaleneffekte in der Prozesskette zu erschließen. Als bekannte Marktführer sind in diesem Kontext Microsoft und Walmart zu nennen. Technology-Leverage-Strategie╇ In überschaubaren Märkten mit einer geringen Anzahl an Marktteilnehmern sowohl auf Lieferanten- wie auf Kundenseite existiert häufig eine Unsicherheit hinsichtlich der zu wählenden Strategie – dies trifft besonders bei Halbfabrikaten zu. Eine Einzigartigkeit in der betreffenden Wertschöpfungsstufe zu einer Marktführerschaft oder einem Oligopol auszubauen, ist meist wenig erfolgversprechend. Unternehmen in dieser Situation sollten bestrebt sein, die Einzigartigkeit durch Ergänzung von vor- oder insbesondere nachgelagerter Wertschöpfungsstufen zu verstärken (Technologie-Leveraging). Es können Wertschöpfungspartnerschaften wie Branchen, Cluster oder Genossenschaften genutzt werden. Gleichzeitig werden hierbei die „Customizing“-Fähigkeiten verbessert, d.€h., die Fähigkeit kundenspezifischen Wünschen nachzukommen. Ein bekanntes Unternehmen, welches diese Strategie verfolgt, ist der Getränkekarton-Hersteller SIG Combibloc. Innovation-Leverage-Strategie╇ In einem Markt, in dem Produktinnovationen in hoher Kadenz das signifikanteste Differenzierungsmerkmal darstellen bzw. einzelne „echte“ Innovationen auch Newcomern sofort zum Durchbruch verhelfen können, bietet sich die Innovation-Leverage-Strategie an. Diese basiert auf der Konzentration der eigenen Fähigkeiten in die Produktentwicklung und der Beherrschung eines strukturierten Wertschöpfungsnetzes. Dies meint, dass das genutzte Netzwerk aus Partnern, Zulieferern und Dienstleistern derart strukturiert ist, dass es Leistung und Lieferung zu akzeptablen Konditionen gewährleistet und somit auch die Option auf schnelle Technologiewechsel bietet. Unternehmensbeispiele für die Innovation-Leverage-Strategie sind Boss oder Nike. Laterale Strategie╇ Notwendige Fähigkeit der lateralen Strategie ist die hohe Problemlösungskompetenz bei individuellen Fragenstellungen, welche in Kombination einzelner, eigener überdurchschnittlicher, technologischer Fähigkeiten mit den Fähigkeiten anderer
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Anbieter erreicht wird. Die synergetische Nutzung unternehmensübergreifender Ressourcen ermöglicht eine außergewöhnlich hohe Verfügbarkeit der „best of breed“, d.€h. der Klassenbesten jeder Wertschöpfungsstufe. Auf Basis dieser immer wieder neu kombinierbaren Wertschöpfungskonstellation können einzigartige, kundenindividuelle und innovative Lösungen erreicht werden. Dadurch das eigene Technologien mit denen anderer Technologieanbieter verknüpft werden können, kann eine signifikante Einzigartigkeit erreicht werden. Prominente Befolger dieser Strategie sind zum Beispiel ThyssenKrupp Serv oder Siemens [70]. Nach Erläuterung der Strategieperspektiven und der Referenzstrategien ist es möglich, die Referenzstrategien zu einer der Perspektiven zuzuordnen. Die Oligopol-Strategie und die Marktführerstrategie können eindeutig in die marktorientierte Perspektive eingeordnet werden. Es ist klar ersichtlich, dass die gesamte Branche betrachtet wird. Mögliche Unternehmenskooperationen werden nicht erwähnt, weshalb der market-based (relational) view ausgeschlossen werden kann. Das einzelne Unternehmen strebt eine möglichst günstige Positionierung im Wettbewerb an, um Wettbewerbsvorteile zu erlangen. Bei der Designstrategie steht die Fähigkeit des Unternehmens, innovative und unverwechselbare Produkte zu erschaffen, im Vordergrund. Diese Fokussierung auf Kompetenzen zeigt deutlich die ressourcenbasierte Perspektive, bei welcher die Generierung eines überdurchschnittlichen Unternehmenserfolges auf Effizienzvorteile der strategischen Ressourcen zurückgeführt wird. Als Analyseobjekt wird das einzelne Unternehmen betrachtet. Der laterale Strategieansatz zielt auf eine synergetische Nutzung unternehmensübergreifender Ressourcen ab. Hierdurch sollen nachhaltige Wettbewerbsvorteile gegenüber einzeln agierender Unternehmen erreicht werden. Betrachtet werden ganze Unternehmensnetzwerke bzw. Branchen. Die laterale Strategie lässt sich folglich der Netzwerkperspektive zuordnen. Die Technology-Leverage-Strategie bezieht sich auf den Fall eines transparenten Marktes, hier besonders die Branche der Halbfabrikate. Ein Unternehmen sollte nicht versuchen, seine Kernkompetenzen auf einer Wertschöpfungsstufe isoliert zu betrachten, sondern durch Vorwärts- oder Rückwärtsintegration, ggf. mittels überbetrieblicher Kooperationen, die Einzigartigkeit zu verstärken. Der Markteinfluss wird in diesem Modell nur tangiert, es schränkt die Handlungsmöglichkeiten des Unternehmens zwar ein, aber das strategische Agieren des Unternehmens unter Berücksichtigung der eigenen Kompetenzen steht im Mittelpunkt des Interesses und ist der Mechanismus zur Generierung von Wettbewerbsvorteilen. Da ferner die Möglichkeit der überbetrieblichen Verflechtung der Wertschöpfungskette betont wird, kann die Technology-Leverage-Strategie in die ressourcenbasierte Netzwerkperspektive eingeordnet werden. Die Innovation-Leverage-Strategie empfiehlt Unternehmen, welche auf durch Produktinnovationen geprägten Märkten agieren, sich auf ihre Kernkompetenzen hinsichtlich der Produktentwicklung zu konzentrieren. Alle weiteren Stufen der Wertschöpfungskette sollen in ein Netzwerk erfolgen, welches es zu beherrschen gilt. Das Unternehmen wird zwar durch die Charakteristika des Branchenumfelds beeinflusst, wichtig für den Unternehmenserfolg ist jedoch die Konzentration auf die eigenen Kompetenzen. Das Unternehmen soll im Sinne der Innovation-Leverage-Strategie nicht isoliert agieren, sondern
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ein flexibles Netz aus Zuliefern und Kunden aufbauen und dies souverän beherrschen. Folglich kann eine Einordnung in die ressourcenbasierte Netzwerkperspektive erfolgen.
2.2.3 Geschäftsmodelle Geschäftsmodelle werden geschaffen, um im Prozess des strategischen Managements die Theorien und Methoden der marktorientierten und des ressourcenbasierten Perspektive zu vereinen. Sie werden als Hilfsmittel eingesetzt, um die strategische und operative Umsetzung der systemtheoretischen Strategielehre zu erleichtern [71]. Für eine ausführlichere Darstellung zu Geschäftsmodellen s. Band€8, Kap.€9.
2.2.3.1 Grundlagen eines Geschäftsmodells Der Begriff Geschäftsmodell ist gegenwärtig aufgrund der Neuheit wie auch der Vielfältigkeit der Ausgestaltungsmöglichkeiten und Erscheinungen im Markt nicht eindeutig definiert [72–77]. Im Allgemeinen werden unter Geschäftsmodellen Visionen, Ideen, Beschreibungsmerkmale, Erklärungsansätze oder Gestaltungsmodelle subsumiert [73, 75, 77, 78]. Ein Geschäftsmodell beschreibt somit auf einem hohen Abstraktionsniveau die konstitutiven, kritischen Geschäftsprozesse einer Unternehmung im Rahmen ihres sozialen Umfeldes mit dem Ziel der Erreichung der anvisierten Geschäftserfolge [79]. Es berücksichtigt Interdependenzen eines Systems mit seiner Umwelt und zwischen den einzelnen Systemen und zeigt auf, mit welcher Kombination der Produktionsfaktoren die Geschäftsstrategie eines Unternehmens umgesetzt werden soll [80, 81]. Mittels der konstitutiven Geschäftsprozesse kann die Realisierung der spezifischen Ressourcentransformationen sowie die Ausgestaltung und Aufrechterhaltung der überbetrieblichen Kooperationen erreicht werden [82]. Geschäftsmodelle stellen abstrakte Abbilder der Geschäftslogik und der Geschäftsbereiche einer Unternehmung dar, die den Inhalt, die Struktur und die Zielrichtung der unternehmerischen Tätigkeiten beschreiben. Die Abbildung muss zwei Bedingungen erfüllen, einerseits muss das Geschäftssystem ganzheitlich erfasst werden, andererseits muss die Komplexität auf die essenziellen Aspekte reduziert werden [72, 83]. So kann das Geschäftsmodell als unternehmerische Analyseeinheit genutzt und als Mechanismus zur Generierung von Werten im Markt verwendet werden [84, 85]. Müller-Stewens und Lechner heben den konkretisierenden Charakter des Geschäftsmodells hervor. Falls im Zuge der Geschäftsmodellierung die Komplexität der ablaufenden Prozesse zu stark vereinfacht werde, könnten die nötigen Anhaltspunkte zur Erlangung des Business Plans fehlen. Die Konfiguration der Wertschöpfung soll aus der Kapitalisierungsperspektive erfolgen, diese orientiert sich an der Positionierung der Unternehmung. Die Verifizierung des Kapitalisierungsansatzes erfolgt anschließend im Business Plan [19].
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Der Business Plan als operatives unternehmerisches Instrument enthält Angaben zu dem Hintergrund des Managementteams, dem Unternehmens-Kontext und dem finanziellen Risiko und Gewinn [86, 87]. Als Voraussetzung für die Entwicklung eines Geschäftsmodells wird das Vorhandensein einer Geschäftsidee angesehen. Dies impliziert wiederum, dass ein Geschäftsmodell ein Mittel zur Realisierung jener Geschäftsidee ist [88]. Mit der Nutzung von Geschäftsmodellen wird versucht, Erfolgspotenziale in Ertragsund Wachstumsmechanismen, Leistungssystemen, Kooperationssystemen oder neuartigen Kommunikationssystemen zu erfassen. Diese Geschäftsmodelle können bildlich als selbstverstärkendes Räderwerk zur Beschaffung von Werken aufgefasst werden. Demnach grenzt sich die Motivation für die Schaffung von Geschäftsmodellen klar von anderen Theorien ab, wie z.€B. von dem ressourcenbasierten Ansatz, bei dem das Erfolgspotenzial einer Kernkompetenz im Mittelpunkt steht [84]. In Anlehnung an die Wissenschaftstheorie werden zwei verschiedene Modellvarianten unterschieden: Das Beschreibungsmodell und das Gestaltungsmodell.
2.2.3.2 Beschreibende Geschäftsmodelle Der Zweck eines Beschreibungsmodells ist der Informationsgewinn über die Beschaffenheit eines Systems. Es ist die Konstruktion einzelner oder mehrerer Tatbestände, die durch Ordnungsmuster, Klassifikation oder Typisierungsschemata verknüpft sind. Im Allgemeinen wird ein Beschreibungsmodell zur Erfassung bestimmter Ergebnisse aufgestellt, um Ziele und Handlungsmöglichkeiten strukturiert zu erfassen [89]. Für die Beschreibung von Geschäftsmodellen werden verschiedene Strukturierungsraster definiert. Das Geschäftsmodell nach Knyphaußen-Aufseß und Meinhardt gründet auf einer umfassenden, integrierten Strategiesicht und besteht aus den drei Elementen Produkt-/MarktKombination, Durchführung und Konfiguration von Wertschöpfungsaktivitäten und Ertragsmechanik (vgl. Abb.€2.13). Das Zusammenwirken dieser Elemente zielt darauf ab, einen möglichst hohen Kundennutzen und eine lange Haltbarkeit von Wettbewerbsvorteilen zu generieren. Die Identifikation dieser Komponenten hilft im konkreten Fall, Geschäftsmodelle zu verstehen.
Produkt-/Markt-Kombination Im Rahmen der Produkt-/Markt-Kombination erfolgt die Entscheidung, auf welchen Märkten Unternehmen mit welchen Produkten konkurrieren wollen und Ausgestaltung der Transaktionsbeziehungen zum Kunden. Zu beachten ist hierbei, dass erfolgreiche Geschäftsmodelle meist einen Bezug zu Wachstumsmärkten aufweisen. Das hohe Wachstum der Märkte erfolgt entweder durch die Existenz proprietärer Technologien oder durch eine innovative Marktabgrenzung. Die Erfahrung zeigt, dass Produkte im Allgemeinen. ein höheres Wachstumspotenzial als Dienstleistungen aufweisen [84].
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Abb. 2.13 ╇ Elemente eines Geschäftsmodells [84]
Durchführung und Konfiguration der Wertschöpfungsaktivitäten
Produkt-/ Marktkombination Kundennutzen und Haltbarkeit von Wettbewerbsvorteilen
Ertragsmechanik
Durchführung und Konfiguration von Wertschöpfungsaktivitäten Die Wertkette stellt sämtliche Aktivitäten des Unternehmens in sequentieller Reihenfolge dar, beginnend beim Lieferanten über die Wertschöpfung bis zum Kunden. Ein Unternehmen muss im Hinblick auf sein Geschäftsmodell die Durchführung der Wertschöpfung strukturieren und durch eine sinnvolle Akzentuierung einzeln zu identifizierender Wertschöpfungsstufen Wettbewerbsvorteile erschließen. Innovative Akzentuierungen findet man z.€B. bei Dell und IKEA. Mittels der Konfiguration soll der vertikale Integrationsgrad definiert werden. Hierbei existieren viele Mischformen zwischen den Extremen des Integratoren (z.€B. IBM, Nestlé), des spezialisierten (z.€B. Valmet) und des netzwerkartig organisierten Unternehmens, das als ein Teil eines Netzwerkes mehrere Wertschöpfungsstufen zwischen verschiedenen Unternehmen koordiniert. Vorteile bei einem hohen Integrationsgrad sehen Knyphaußen-Aufseß und Meinhardt in dem großen Brancheneinfluss, einhergehend mit hohen Markteintrittsbarrieren. Nachteilig wirken sich jedoch die verminderte Flexibilität und die überdurchschnittliche Kapitalbindung aus. Vorteile eines Netzwerkes sind hingegen der erleichterte Wissenstransfer und die schnelle Durchführung von Innovationen [84].
Ertragsmechanik Die Ertragsmechanik gibt Aufschluss darüber, über welche Quellen ein Unternehmen seine Umsätze maßgeblich generiert. Die Umsatzerlöse drücken am deutlichsten die Geldmittelzuflüsse aus der Geschäftstätigkeit aus. Bei der Definition der Ertragsmechanik werden die vorherrschenden Umsatzquellen einer Unternehmung identifiziert und es wird angestrebt, synergetische Zusammenhänge zwischen diesen aufzuzeigen.
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Kundennutzen
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Ein für Investoren interessantes Geschäftsmodell muss Kundennutzen produzieren. Der Kundennutzen wird im Allgemeinen als Summe der gewichteten Produkteigenschaften, die zu einer Kaufentscheidung führen, verstanden. Die Forschung hat zahlreiche Instrumente kreiert, um den zu erwartenden Kundennutzen nicht nur qualitativ zu erfassen, sondern auch quantitativ greifbar zu machen. Als Beispiel sei hier die Conjoint-Analyse angeführt [90].
Haltbarkeit von Wettbewerbsvorteilen Zu prüfen ist hier, wie die bereits erwähnten Markteintrittsbarrieren und andere isolierende Mechanismen die Einzigartigkeit eines Geschäftsmodells, welches Wettbewerbsvorteile generiert, gegen externe Angriffe im Hinblick auf Imitationen oder Nachbauten schützen und so die Haltbarkeit gewährleisten können. Werden diese Wettbewerbsvorteile nicht deutlich, können potentielle Investoren leicht das Interesse an einem innovativen Geschäftsmodell verlieren. Probleme sehen Knyphaußen-Aufseß und Meinhardt zudem darin, dass viele Innovationen rasch diffundieren und zu schnell zur Normalität werden. Als Beispiel soll der Handykauf dienen. Hierbei wird der Kaufpreis über monatliche Gebühren auf die Vertragslaufzeit umgelegt. Was zunächst als innovativ und besonders Nutzen stiftend galt, ist heutzutage kein Differenzierungsmerkmal mehr [84]. Es können einige Zusammenhänge zwischen den einzelnen Elementen aufgedeckt werden. So ist zu beobachten, dass die Ertragsmechanik sehr stark mit der Produkt-/MarktKombination zusammenhängt. Einige Produkte bieten sehr viel mehr Umsatzquellen als andere, auch die Marktcharakteristika spielen hier eine große Rolle. Die Ertragsmechanik wird zudem von der Kostenstruktur des Unternehmens bestimmt, welche zu großen Teilen durch die Konfiguration der Wertschöpfungskette beeinflusst wird. So weisen zwar Integratoren geringere Fixkosten auf, dafür können z.€B. netzwerkartig organisierte Unternehmenskonglomerate die FuE-Kosten gemeinsam tragen. Die Höhe der Amortisationskosten des einzelnen Unternehmens sinkt dadurch erheblich. Mit dem vorgestellten Konstrukt lassen sich in fast sämtlichen Industrien Geschäftsmodelle identifizieren und optimieren.
2.2.3.3 Gestaltende Geschäftsmodelle Schuh entwickelt diesen Ansatz weiter und betrachtet hierbei das Geschäftsmodell aus einer gestaltenden Perspektive mit Fokus auf die Einbindung in Netze. Das Modell gründet neben den drei Basiselementen auf dem Marketing, der Produktion und der Produktentwicklung. Es können folgende Arbeitsschritte systematisiert werden: Definition des Markt-/Leistungsbereiches, des Kommunikationskonzeptes, des Ertragskonzeptes, des Wachstumskonzeptes, des Unternehmenskonzeptes und des Kooperationskonzeptes (Abb.€2.14) [91].
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Marketing
Perspektive Strategietheorie
tive & ek rie eo rsp kte Pe effe etzth tz N Ne che gis
ate Produktentwicklung
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str
Value management
Ertragsmechanik
We rt
Produkt-/ Markt Kombination
Produktion
Durchführung und Kombination der Wertschöpfungsaktivitäten
Abb. 2.14 ╇ Dimensionen von Geschäftsmodellen [91]
Treacy und Wiersema entwerfen ein weiteres Konzept für Geschäftsmodelle und differenzieren diese nach den nachfolgend aufgeführten drei Dimensionen:
Leistungsversprechen Das Unternehmen sichert seinen Kunden eine definierte Kombination von Nutzenkriterien wie Preis, Qualität, Leistung, Auswahl etc. implizit zu.
Operatives Geschäftsmodell Um das Leistungsversprechen einzuhalten, wird eine Interaktion von operativen Prozessen, Managementsystemen, Organisationsstruktur und Unternehmenskultur angestrebt.
Nutzenkategorien Die Nutzendimension basiert auf zu treffenden Entscheidungen bezüglich Kostenführerschaft, Produktführerschaft und Kundenpartnerschaft [92]. Eine Zusammenfassung der genannten Ansätze findet sich in dem achtstufigen Geschäftsmodell nach Bieger, das auf eine gestaltende Funktion abzielt. Nachfolgend werden die einzelnen stufen kurz erläutert.
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Im Leistungskonzept werden die Unternehmensleistungen mit ihren Zielkunden definiert. Das Kommunikationskonzept dient der kommunikativen Verankerung des Leistungskonzepts am Markt. Möglichkeiten der Umsatzgenerierungen werden durch das Ertragskonzept aufgegriffen. Das Wachstumskonzept richtet sich besonders an Kapitalgeber, es gibt die beabsichtigte Entwicklungsrichtung des Unternehmens wieder. Die Kompetenzkonfiguration bestimmt die benötigten Fähigkeiten von Unternehmen und Wertschöpfungspartnern. Daran anschließend ergibt sich die Organisationsform in Gestalt der jeweils adäquaten Wertschöpfungstiefe. Die konkreten Wertschöpfungspartner werden in dem Kooperationskonzept ausgewählt. Die Festlegung zu verwendender Koordinationsund Steuerungsmechanismen für die gemeinschaftliche Wertschöpfung erfolgt im Zuge des Koordinationskonzepts [84].
2.3 Strategieentwicklung Eine sinnvolle Strategieentwicklung berücksichtigt alle Unternehmensbereiche. Das vorliegende Kapitel geht zunächst auf verschiedene Sichtweisen bezüglich des Strategieentwicklungsprozess ein. Anschließend werden ausgewählte Methoden vorgestellt, auf Basis derer Unternehmen zum einen die unternehmensinterne Analyse vornehmen können als auch die des Umfelds. Dazu gehören neben der Untersuchung des eigenen Leistungsprofils auch die Analyse des Wettbewerbs sowie die relative Positionierung im Vergleich zu den Wettbewerbern. Darüber hinaus müssen Unternehmen zudem in der Lage sein, frühzeitig Trends aufzuspüren und mögliche Konsequenzen auf Basis dieser Prognosen ziehen zu können.
2.3.1 Prozess der Strategieentwicklung Generell gibt es zwei Sichtweisen auf den Strategieentwicklungsprozess: dieser kann zum einen deskriptiver Natur sein, also ex post den Prozess der Strategieentwicklung beschreiben, oder präskriptiver, d.€h. vorschreibender Natur. Nachfolgend werden die populärsten Ansätze der prä- und deskriptiven Strategieprozessmodelle expliziert, welche sich der in Kap.€2.1.3.1 vorgestellten Systematik von Mintzberg zuordnen lassen.
2.3.1.1 Präskriptive Strategieprozessmodelle Klassische Strategieprozessmodelle argumentieren in der Regel präskriptiv. Dies bedeutet, dass die Modelle Anweisungen geben und begründen, welche Maßnahmen vorzunehmen sind, um zu einem optimalen Ergebnis zu kommen. Annahme ist, dass Strategieprozesse einem Schema folgen, dessen logische Konsequenz die strategische Planung ist. Grundsätzlich werden Prozesse als steuerbar angenommen. Nachfolgend werden mit dem Stra-
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tegiemodell der Harvard Business School und dem Modell der strategischen Planung zwei ausgewählte präskriptive Strategiemodelle vorgestellt, die auf den genannten Annahmen fußen [93].
Strategiemodell der Harvard Business School Der Strategieprozess wird vom Modell der Harvard Business School, auch bekannt als Harvard Approach, in zwei zeitlich aufeinanderfolgende Phasen zerlegt. In der Phase der Formulierung steht das Treffen strategisch wichtiger Entscheidungen im Vordergrund. In der Phase der „Implementierung“ werden diese in administrative Teilaktivitäten überführt und Ergebnisse produziert. Im Zuge der Formulierung liegt der Fokus auf dem Treffen strategisch wichtiger Entscheidungen. Die zu fällenden Entscheidungen werden dabei von Faktoren wie etwa Umweltchancen und -risiken, vorhandenen Ressourcen oder Wertvorstellungen der obersten Führungsebene geprägt. Im Anschluss an die Strategieformulierung erfolgt die Implementierung, deren Ziel in der Umsetzung der formulierten Strategie besteht. Dies geschieht durch die Überführung der formulierten Strategie in administrative Teilaktivitäten, um anschließend Ergebnisse zu produzieren. Um dies zu erreichen, ist eine adäquate Anpassung von organisationaler Struktur, Beziehungen, Prozessen, Verhalten und Führungsstil erforderlich [94]. Folgende Annahmen begründen den präskriptiven Charakter des Strategiemodells: • Die Strategiebildung wird als bewusster Entscheidungsprozess aufgefasst. • Strategien sind das Ergebnis eines bewussten und wohl überlegten Denkvorgangs. • Auf Grund der Einzigartigkeit einer jeden Situation, sind Strategien ebenfalls einzelfallspezifisch zu formulieren. • Die Aufgabe der Strategieformulierung obliegt der obersten Führungsebene. Die Ausführung liegt bei der Restorganisation. • Der Strategieprozess wird als sequenzielle Abfolge eindeutig definierbarer Phasen, namentlich Formulierung und Implementierung, verstanden. Das Modell gibt Empfehlungen, wie bei Strategiebildungen vorzugehen ist und begründet diese Empfehlungen auf Plausibilität [19]. Weiterhin gibt es einen soliden Ordnungsrahmen für die Strategieprozessbildung vor, jedoch ist nicht zwingend anzunehmen, dass ein Strategiebildungsprozess streng nach diesem Schema abläuft. Weiterhin ist die Reihenfolge der Entscheidungen, zunächst der Prozess der Formulierung, dann der der Implementierung, nicht stets identisch: es besteht die Möglichkeit, dass Handlungen Entscheidungen hinsichtlich ihrer zeitlichen und inhaltlichen Komponente vorausgehen und werden erst ex post einer Entscheidung zugeordnet [19].
Strategische Planung Ein weiteres präskriptives Prozessmodell ist das der strategischen Planung nach Ansoff. Dieses Modell differenziert das Harvard-Modell weiter und formalisiert dieses aus. Im
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von Ansoff geprägten Planungsmodell sind 57 Arbeitsfelder enthalten sowie ausführliche Frage- und Checklisten. Trotz einer Vielzahl an Varianten lässt sich eine einheitliche Vorgehenslogik erkennen: Zunächst werden unternehmerische Ziele festgelegt, eine gründliche Analyse der Umwelt und des Unternehmens vorgenommen, strategische Alternativen generiert und evaluiert und schließlich eine dieser Alternativen ausgewählt. Im Anschluss erfolgen mittels Zeit- und Maßnahmenplänen sowie auf der Basis von Budgets die Umsetzung der Strategie sowie die Kontrolle der Ergebnisse. Im Gegensatz zum Strategieprozess nach der Harvard Business School wird der Prozess der strategischen Planung bereits zu Beginn in detaillierte Einzelschritte unterteilt sowie an einzelne Verantwortliche delegiert und ist somit nicht zwingend auf der obersten Führungsebene angesiedelt. Durch die aufgeführte Vorgehensweise wird deutlich, dass die strategische Planung ein Unternehmen dazu verpflichtet, sich intensiv mit seiner Umwelt zu beschäftigen, Informationen aufzubereiten, aus diesen Alternativen zu generieren und schließlich diese zu bewerten und auszuwählen. Jedoch setzt das Modell der strategischen Planung implizit voraus, dass die Zukunft prognostizierbar sei. Zudem besteht das Problem, dass Strategieformulierungen abstrakt klingen, an der operativen Basis, an die diese Entscheidungen delegiert werden, jedoch Details auftreten, die im Prozess der Strategieformulierung nicht berücksichtigt wurden [19].
2.3.1.2 Deskriptive Strategieprozessmodelle Im Gegensatz zu den präskriptiven Modellen des Strategieprozess stehen die deskriptiven Modelle. Diese versuchen ex post ein Erklärungsmodell für eine bereits existente Strategie abzuleiten und aus dieser Handlungsempfehlungen abzuleiten. Die Sichtweise der deskriptiven Strategieprozessbildung hat sich parallel zu der präskriptiven Sichtweise herausgebildet, wurde jedoch in mehr Modellen behandelt wie die präskriptiven Modelle. Im Folgenden werden die prominentesten deskriptiven Modelle vorgestellt.
Strategieformierung als Prozess der Ressourcenallokation Im Rahmen einer empirisch ausgerichteten Studie erkennt Bower den Prozess der Strategieformierung vielmehr als einen Prozess der Ressourcenallokation im Rahmen der Investitionsplanung. Die strategische Planung, die periodisch vollzogen wurde, nimmt zufolge Bower eine geringere Stellung ein als bislang angenommen. Basierend auf dieser Erkenntnis wird ein Bezugsrahmen entwickelt, der sich auf die drei Grundmuster Definition, Impetus und strukturellen Kontext stützt. Jede dieser drei Phasen assoziiert die Einbindung unterschiedlicher Management-Ebenen. In der Phase der Definition werden die Ansprüche an ein neues Projekt determiniert. Durch die Manager der Produkt- und Geschäftseinheiten werden entsprechende Initiativen veranlasst, da die ursprüngliche Idee diesem Personenkreis entstammt.
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Definition
Impetus
Structural Context
Corporate Management Division Management Business Unit Management
Abb. 2.15 ╇ Strategieprozess als Ressourcenallokation [95]
Die zweite Phase, genannt Impetus, legt fest, ob die definierte strategische Initiative hinreichend unterstützt wird und somit genug Momentum gewinnt. Die entscheidende Managementebene ist in dieser Phase das mittlere Management. In der dritten Phase schließlich werden durch das Top Management organisatorische Voraussetzungen geschaffen, die sich etwa in administrativen Systemen, Anreizsystemen oder Investitionsrahmen ausdrückt. Das Top Management gibt in diesem letzten Schritt somit den rahmen vor, der die Produkt- und Geschäftseinheiten in den strategischen Aktivitäten unterstützt. Bower bezeichnet dies als den strukturellen Kontext. Abbildung€2.15 zeigt schematisch die jeweiligen Managementebenen und deren Involvierung in der jeweiligen Phase auf. Wie aus Abb.€2.15 ersichtlich verläuft der Strategieformierungsprozess nach Bower als ein „bottom-up“-Prozess. Die ersten beiden Phasen des Prozess, Definition und Imeptus, lassen sich als Phasen deskriptiven Charakters beschreiben und stellen insbesondere auf die inhaltliche Dimension ab. Im Gegensatz dazu ist die Phase des strukturellen Kontexts normativ-präskriptiver Natur, folgt einem „top-down“-Ansatz und stellt auf die prozessuale Dimension des Strategieformierungsprozess ab. Bower kommt zu der Erkenntnis, dass der Strategieprozess als institutionalisierter Prozess auf der Top Management-Ebene weit weniger Einfluss auf die Unternehmensstrategie hat als bislang angenommen [19, 95].
Strategieformierung zwischen induziertem und autonomem Verhalten Aufbauend auf den Forschungsergebnissen von Bower entwickelt Burgelmann ein weiteres Strategieprozessmodell. Auf Basis seines Modells erklärt Burgelmann, wie neue Geschäftsfelder in divisional strukturierten Unternehmen zustande kommen. Im dargestellten Modell wird nach zwei grundsätzlich verschiedenen Verhaltensweisen unterschieden, welche in Abb.€2.16 zum Ausdruck kommen: induziertes strategisches Verhalten (1) und autonomes strategisches Verhalten (7). Während das induzierte strategische Verhalten sich an die Vorgaben der gegenwärtigen Strategie des Unternehmens hält, führt das autonome strategische Verhalten zur Besetzung
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(7)
2 Autonomes strategisches Verhalten
Strategischer Kontext (5)
(8)
Konzept der Unternehmensstrategie
(6)
Induziertes strategisches Verhalten
Struktureller Kontext (3)
(1)
(4) (2)
Starker Einfluss
Schwacher Einfluss
Abb. 2.16↜╇ Strategie als Ergebnis induzierten und autonomen Verhaltens [96]
neuer Geschäftsfelder. Die Initiativen, die sich im Rahmen dieses Verhaltens ergeben, liegen außerhalb der gegenwärtigen Unternehmensstrategie. Damit diese initiativen jedoch implementiert und legitimiert werden können, ist eine Anpassung der aktuellen Unternehmensstrategie notwendig (5). In dieser Annahme im Rahmen des Strategieprozess unterscheidet sich der vorgestellte Prozess von Bowers: BURGELMANN geht davon aus, dass neben „legitimen“ Projekten immer wieder neue Initiativen lanciert werden, die in einem nächsten Schritt legitimiert und somit Teil der Unternehmensstrategie werden. Nur auf dieser Basis können gemäß BURGELMANN echte Prozess- oder Produktinnovationen entstehen. Um diese Legitimation der strategischen Initiativen herbeizuführen, versucht das mittlere Management die Unternehmensleitung zur Überprüfung der neuen Initiativen zu bewegen und in nächster Konsequenz zur Anpassung der Unternehmensstrategie zu bewegen. Somit werden die neuen Initiativen im Rahmen dieses Strategieprozesses ex post rationalisiert und legitimiert (8). Mit Anpassung der Strategie ändern sich simultan die Rahmenbedingungen für das zukünftige autonome strategisch verhalten (7), wohingegen dieser Prozess die Beziehung zwischen strukturellen und strategischen Kontext nur minimal beeinflusst. Bezüglich des induzierten strategischen Verhaltens wird davon ausgegangen, dass das Top Management auf Basis seiner Erfahrung einen Rahmen vorgibt, innerhalb dessen strategische Initiativen entwickelt und umgesetzt werden. Durch beispielsweise ein adäquat implementiertes Planungssystem wird der strukturelle Kontext entsprechend der Unternehmensstrategie gestaltet (2). Im Kontext des induzierten strategischen Verhaltens treten
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Initiativen auf, die durch den strukturellen Kontext gefiltert werden und somit deren Konformität bezüglich der Unternehmensstrategie eruiert werden kann (3 und 4). Insgesamt zeigt Burgelmann auf Basis seines Bezugsrahmens, dass radikalem Wandel, der eng mit dem autonomen strategischen Verhalten des mittleren Managements assoziiert ist, weniger auf der Basis von strategischer Planung als „top-down“-Prozess begegnet werden kann. Vielmehr betrachtet er den Erfolg strategischer Initiativen als abhängig von der Fähigkeit, diesen als „bottom-up“-Versuchen entgegenzutreten und eine entsprechende Selektion aus diesen Initiativen vorzunehmen [19, 96].
Strategieformierung zwischen emergenten und beabsichtigten Strategien Ein durch mehrere Fallstudien belegtes Modell zum Prozess der Strategieformierung wird durch Mintzberg dargelegt. Die von ihm durchgeführten Studien lassen den Schluss zu, dass Strategien, die realisiert werden, nicht mit der formulierten Strategie konform sind, sondern vielmehr von dieser abweichen. Mintzberg unterscheidet nach mehreren Strategiearten, welche in Abb.€2.17 in ihrer Wirkweise dargestellt sind. Prinzipiell wird zwischen geplanten („intended“) und umgesetzten („realized“) Strategien unterschieden. Diese Strategien formieren gemeinsam unter sogenannten „deliberate strategies“. „Deliberate“ kann in diesem Kontext als bewusst gedachte Strategie aufgefasst werden. Dieser Strategietyp stimmt überein mit der Überlegung des klassischen Strategiemodells: eine Strategie als etwas plan- und durchsetzbares. Weiterhin führt Mintzberg Strategien an, die beabsichtigt sind, sich jedoch nicht wie geplant realisieren lassen und somit wird von diesen Strategien abgesehen. Diese Strategien bezeichnet er als unrealisierte Strategien („unrealized strategy“). Zudem führt Mintzberg den Begriff der emergenten Strategie („emergent strategy“) ein, welcher Strategien umfasst, die nicht geplant sind, aber dennoch Eingang in ein in sich stimmiges, strategisches Muster finden. Emergente Strategien sind dabei das Ergebnis der Verdichtung einzelner, nicht zusammenhängender Initiativen. Mintzberg bezeichnet den emergenten Strategietyp methaphorisch als „Graswurzelmodell“. Emergente Strategien entstehen – analog zu Gräsern im Garten – dort, wo offene, kreative, spielerische Menschen über die Befähigung verfügen, zu lernen und Erfahrungen mit Hilfe von verschiedenen Ressourcen nutzen zu können und dürfen. Im Gegensatz zur präskriptiven Sichtweise auf Strategieprozesse betrachtet Mintzberg „deliberate strategies“ in der Praxis für überbewertet. Denn diese Strategien setzen nicht nur voraus, dass sie akkurat formuliert sind, sondern auch, dass sie von allen Personen im
Geplante Strategie
Abb. 2.17↜╇ Strategieformierung nach Mintzberg/Waters [19]
Gedachte Strategie Unrealisierte Strategie
Emergente Strategie
Realisierte Strategie
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Unternehmen geteilt werden und unabhängig jeglicher externen und internen Einschränkungen realisiert werden. Mintzberg hat als einer der ersten Wissenschaftler die Diskrepanz zwischen präzisen Strategieformulierungen und den letztlich realisierten Strategien andererseits aufgedeckt und theoretisch dargelegt [19, 97].
Strategieformierung als logischer Inkrementalismus Quinn untersucht den Prozess der Strategieformierung anhand einer Vielzahl amerikanischer Unternehmen und kommt zu dem Ergebnis, dass der Planungsprozess in den seltensten Fällen zu einer zentralen Unternehmensstrategie führt. Ebenso werden radikale Umbrüche in Richtung völlig neuer Produkt- oder Marktbereiche nie durch den jährlichen Planungsprozess initiiert. Vielmehr sind eilige Ereignisse, Studien oder gewisse Vorstellungen der Grund für solche Umschwenkungen [97]. Gemäß Quinn können strategische Initiativen in allen Subsystemen des Unternehmens entstehen. Dabei werden die sich bildenden Initiativen stark von der Kultur des jeweiligen Subsystems beeinflusst. Welche dieser Initiativen letztlich realisiert wird, ist ex-ante nicht zu determinieren, da die Strategie, die sich durchsetzt, eine Summe der internen Entscheidungen und externen Ereignisse ist. Der logische Inkrementalismus bezeichnet dabei die Lenkung von Handlungs- und Ereignisströmen hin zu einer beabsichtigten, genauen Strategie. Diese Lenkung wird durch Manager proaktiv, rational und inkrementell vorgenommen. Das Top-Management nimmt in diesem Prozess nicht nur die Rolle des Promotors ein, sondern fungiert auch als ein Ideenkatalysator. Weiterhin übernimmt es die Gestaltung des Kontexts, im Rahmen dessen die Initiativen hervorgehen, aufeinandertreffen und in die Strategie aufgenommen werden. Zugleich verändert sich die Planungsabteilung von einer Strategie vorgebenden Abteilung hin zu einer Abteilung, die die Subsysteme unterstützt, indem sie erforderliche Methoden bereitstellt, den Strategieformierungsprozess vorantreibt und die letztlich sich durchsetzende Strategie dokumentiert und überwacht. Quinns Ansatz zeigt auf, dass im Rahmen des Konzepts des logischen Inkrementalismus die Bemühung besteht, den Ausgleich zwischen den strategischen Initiativen des Top-Managements auf der einen Seite und den emergent entstehenden Impulsen auf der anderen Seite zu finden. Einerseits bezieht Quinn damit emergente Entwicklungen ein, andererseits wird aber auch eine Beeinflussung dieser, wenn auch auf indirektem Wege durch die Kontextgestaltung, angestrebt [19, 97].
Strategieformierung als erklärungsbedürftiges Phänomen Die bisher angeführten Konzepte des Strategieformierungsprozess stimmen alle in der Annahme überein, dass eine Strategie in Unternehmen existent ist. Allerdings besteht auch die Möglichkeit, dass eine Strategie gar nicht vorhanden ist. Inkpen und Choudhury nehmen für diesen Sacheverhalt drei mögliche Szenarien an. Strategieabwesenheit kann zum einen darauf basieren, dass das Management schlicht keine Strategie formuliert hat. Dies kann zum einen negativ gedeutet werden, so dass dies als
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ein „Versagen“ seitens des Managements kritisiert werden kann. Zum anderen kann eine nicht vorhandene Strategie vom Management auch bewusst intendiert sein. Nämlich dann, wenn das Management bestrebt ist, auf diesem Wege mehr Flexibilität und ein besseres Innovationsumfeld zu schaffen und daher bewusst nicht durch eine Strategie einen Rahmen zu setzen. Eine Abwesenheit kann jedoch auch während einer Übergangsphase auftreten, dies bedeutet, dass Strategien noch in der Entstehungsphase sind [98]. Kirsch geht davon aus, dass eine Strategie zunächst ein erklärungsbedürftiges Phänomen ist, welches nicht als gegeben angesehen werden kann. Auf Grund möglicher Differenzen in der Interpretation und Akzeptanz einer Strategie wird nach Strategien von Individuen und Strategien von Organisationen differenziert, gleichwohl haben beide einen inhaltlichen Bezug auf das Unternehmen. Basierend darauf werden vier Prinzipien festgelegt, die die Existenz einer Strategie konstituieren: 1. Es müssen Prinzipien existieren, die handlungsleitend wirken 2. Diese Prinzipien müssen durch einen politischen Willen gefördert werden 3. Die Prinzipien beziehen sich implizit oder explizit auf Fähigkeiten und deren Entwicklung 4. Die dominierende Koalition, auch verstanden als Hauptleistungsträger, muss in Kenntnis der drei zuvor aufgeführten Kriterien sein. In dem von Kirsch gesetzten Kontext verfügen Strategien somit über einen formierten und daher emergenten Charakter [19].
2.3.2 Ausgewählte Methoden zur Strategieentwicklung Unternehmen bzw. Geschäftsfelder agieren innerhalb eines externen als eines internen Kontexts. Sie können einer bestimmten Branche zugeordnet werden, bewegen sich innerhalb eines rechtlichen, ökonomischen und technischen Umfelds und werden durch makroökonomische Faktoren beeinflusst. Bei der Entwicklung einer Strategie für ein Geschäftsfeld oder Unternehmen müssen all diese Faktoren Eingang finden in die Analyse und Bewertung der Strategiealternativen. Daher müssen zum einen das Umfeld, innerhalb dessen sich das unternehmen bewegt, analysiert werden sowie zum anderen die internen Komponenten, aus denen sich das Unternehmen in Summe zusammensetzt. Daher wird generell nach einer internen und externen Analyse differenziert oder in anderen Worten: nach Methoden mit Marktorientierung, Methoden mit Ressourcenorientierung sowie Methoden, die beide Perspektiven integrieren.
2.3.2.1 Methoden mit Marktorientierung Nachfolgend werden ausgewählte Methoden vorgestellt, auf Basis derer eine Analyse externer Faktoren möglicher ist. Diese dienen in der Regel dazu, Chancen und Risiken aufzudecken.
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Strategische Erfolgspositionen
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Der von Gälweiler geprägte Begriff des Erfolgspotenzials beschreibt „das gesamte Gefüge aller jeweils produkt- und marktspezifischen erfolgsrelevanten Voraussetzungen, die spätestens dann bestehen müssen, wenn es um die Erfolgsrealisierung geht.“ Die Verbindung des Erfolgspotenzialbegriffes mit dem strategischen Management geschieht über die Aussage, dass die Aufgabe des Strategischen Managements die Sicherung, der Aufbau und die Erhaltung hinreichend hoher und sicherer Erfolgspotenziale ist. In diesem Sinne sind die strategischen Erfolgspotenziale als Steuergrößen des strategischen Managements zu betrachten und sind gleichzeitig die Vorsteuergrößen für operative Größen wie Erfolg und Liquidität [99]. Pümpin erweitert diesen sich durch eine produkt- und marktspezifische Ausrichtung auszeichnenden Ansatz dadurch, dass er das Betrachtungsfeld auf die verschiedensten unternehmerischen Aktivitäten ausdehnt [20]. Er führt den Begriff der strategischen Erfolgsposition (SEP) ein, der eine im Unternehmen durch den Aufbau von wichtigen und dominierenden Fähigkeiten bewusst geschaffene Voraussetzung beschreibt, welche es dem Unternehmen erlaubt, im Vergleich zur Konkurrenz, langfristig überdurchschnittliche Ergebnisse zu erlangen [100]. Die SEP basieren auf den zentralen Annahmen der ressourcenorientierten Sichtweise. Pümpin betrachtet attraktive Nutzenpotentiale als Basis für eine erfolgreiche strategische Führung. Diese seien mit den SEP zu erschließen. Auf diesem Weg könnten strategisch relevante Positionen besetzt und ein nachhaltiger Geschäftserfolg realisiert werden. Pümpin weist darauf hin, dass strategische Erfolgspositionen durch Zuordnung von Ressourcen bewusst aufgebaut werden müssen und eine intensive Befassung seitens des Managements von Nöten ist. Umso anspruchsvoller und zeitaufwendiger der Aufbau ist, umso größer sollen die möglichen Gewinnchancen sein. Den Entscheid über den Aufbau von SEP fasst Pümpin als Aufgabe des Top Managements auf, da dieser die Geschäftsentwicklung langfristig und nachhaltig bestimmt. Eine SEP kann physischer und materieller Natur sein. Als Beispiel für eine physische SEP nennt Pümpin die Fähigkeit der Firma Metro, welche in der Lage ist, die besten Standorte zu eruieren und so immense Wettbewerbsvorteile zu erreichen. Dem gegenüber hat Hilti mit der Einführung einer Direktvertriebsorganisation eine immaterielle SEP aufgebaut. Bestätigt sieht Pümpin seine These durch die „Profit Impact of Market Strategies“-Studie (vgl. übernächsten Abschnitt), welche eine positive Korrelation zwischen der relativen Qualitätsleistung und der Profitabilität nachweist. Die Fähigkeit, überdurchschnittliche Qualität hervorzubringen, sei demnach eine SEP [100]. Pümpin führt weiter aus, dass eine ausufernde Diversifikation der SEP kaum realisierbar ist, somit sei eine Konzentration der Kräfte auf wenige, besonders wichtige SEP zu empfehlen. Um nun jedoch eine Unterversorgung nicht relevanter Unternehmensteile entgegen zu treten, soll eine Schwergewichtsbildung vorgenommen werden. Nicht releAufgrund der Bedeutung der Erfolgspotenziale für den Unternehmenserfolg wird der Begriff in der wissenschaftlichen Literatur des Strategischen Managements erweitert zum „Strategischen Erfolgspotenzial“.
╇
2â•… Strategie
111
vanten Bereichen sollen nur die zur Erfüllung ihrer Aufgaben nötigen Ressourcen zugeteilt werden. Schwergewichte seien dort zu bilden, wo eine SEP aufzubauen ist. In der Praxis gibt es diverse Fälle, in denen die zugeordneten Ressourcen nach dem erfolgreichen Aufbau einer SEP wieder abgezogen wurden. Die Annahme, eine aufgebaute SEP werde sich problemlos halten, führte zu immensen Problemen. Aus dieser Problematik heraus zieht Pümpin den Schluss, dass eine permanente Ressourcenzuordnung unerlässlich ist [100]. SEP richten die Fähigkeiten und Ressourcen des Unternehmens an den Nutzenpotenzialen aus [100]. Sie befähigen ein Unternehmen, sich gegenüber den Kunden durch das Angebot bestimmter Leistungen (Potenzial zur Kundenbefriedung) und gegenüber den Mitbewerbern durch diese Leistung (Positionierung) zu profilieren. Dies verdeutlicht die Kunden- und Wettbewerbsorientierung, die dem Konzept der SEP zugrunde liegt [20]. Auf Basis der SEP strebt ein Unternehmen die physische Besetzung im Wettbewerb an [100]. Insofern repräsentieren SEP die externe Orientierung des Unternehmens im Sinne der marktorientierten Sichtweise (vgl. Kap.€3.1).
Branchenstrukturanalyse nach Porter Eines der populärsten Instrumente zur Analyse von Branchen ist das von Porter entwickelte Branchenstruktur-Modell, auch bekannt als Fünf-Kräfte-Modell (↜auch bekannt als Porter’s Five Forces). Ziel des Modells ist die Auslotung der Wettbewerbssituation eines Unternehmens innerhalb einer Branche. Auf der Basis von strukturierenden Merkmalen einer Branche werden die Wettbewerbssituation und das Gewinnpotenzial determiniert. Nach Porter hängen Struktur und Rentabilität einer Branche von fünf Wettbewerbskräften ab [101]. Es handelt sich dabei um den Einfluss, den potenzielle neue Wettbewerber, Substitutionsmöglichkeiten durch Ersatzprodukte, Lieferanten, Abnehmer sowie das Wettbewerbsverhalten der etablierten Unternehmen untereinander auf eine Branche ausüben [13]. Abbildung€2.18 legt die fünf Wettbewerbskräfte schematisch dar. Neue Wettbewerber beeinflussen die Wettbewerbssituation insofern, als dass aus Sicht eines bereits im Wettbewerb aktiven Unternehmens wettbewerbsorientierte Reaktionen erforderlich werden, welche unweigerlich eigene Ressourcen verbrauchen und damit die Gewinnmarge eines Unternehmens reduzieren. Durch neue auf dem Markt angebotene Produkte oder Dienstleistungen, die das Potential besitzen, am Markt gehandelte Produkte oder Dienstleistungen zu substituieren, sinkt der Spielraum für die Preisgestaltung der am Markt gehandelten Produkte oder Dienstleistungen. Verfügen Lieferanten über Einfluss auf das Unternehmen, werden sie diesen Einfluss zu ihren Gunsten nutzen und die Preise ihrer Produkte erhöhen, so dass aus Sicht des belieferten Unternehmens die Profitabilität negativ beeinflusst wird. Ebenso besteht die Möglichkeit, dass Kunden ihren Handlungsspielraum hinsichtlich des Preises nutzen, versuchen, diesen zu minimieren und ebenfalls die Profitabilität des am Markt tätigen Unternehmens negativ beeinflussen. Die Rivalität zwischen den etablierten Unternehmen führt in der Folge dazu, dass die Unternehmen verstärkt in Forschung, Entwicklung und Marketing investieren, um im Markt bestehen zu können. Alternativ kann die Marktposition durch Preissenkungen der am Markt angebotenen Produkte oder Dienstleistungen gewahrt werden. Die mit diesen Aktivitäten verbundenen Anstrengungen wirken sich in der Summe negativ auf den Profit aus [101].
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G. Schuh et al.
Bedrohung durch neue Konkurrenten, Gefahr des Markteintritts
2
Neue Wettbewerber
Lieferanten
Wettbewerber in der Branche
Abnehmer
Verhandlungsmacht der Lieferanten
Rivalität unter den etablierten Unternehmen
Verhandlungsmacht der Abnehmer
Ersatzprodukte Bedrohung durch Ersatzprodukte- oder dienste
Abb. 2.18 ╇ Die fünf Wettbewerbskräfte [101]
Die Rivalität zwischen den bestehenden Unternehmen von Porter stellt die zentrale Triebkraft des Wettbewerbs dar. Er geht davon aus, dass die Stärke der fünf Kräfte von der Branche abhängt und sich auch mit der Zeit verändert bzw. durch Strategien beeinflusst werden kann. Da Kräfte außerhalb der Branche meist alle Wettbewerber treffen, werden diese von Porter nicht weiter betrachtet. Mit dem Fünf-Kräfte-Modell soll eine Branchenstrukturanalyse ermöglicht werden und dem Strategischen Management ein nützliches Instrument zur Seite gestellt werden, um die Attraktivität einer Branche bestimmen zu können. Um einen Wettbewerbsvorteil zu erreichen, reicht jedoch eine umfassende Analyse der Branche noch nicht aus. Ebenso wichtig ist die relative Wettbewerbsposition des Unternehmens innerhalb der Branche, in der es sich vor den angreifenden Kräften schützen bzw. diese sogar nutzen kann. Dazu muss das Unternehmen eine der beiden möglichen Formen des Wettbewerbsvorteils besitzen: Kostenführerschaft oder Differenzierung. Um in einen solchen Wettbewerbsvorteil zu kommen, stellt Porter drei mögliche Strategien zur Auswahl, die er als generische Wettbewerbsstrategien bezeichnet: Kostenführerschaft, Differenzierung und Konzentration auf Nischen [101].
2â•… Strategie
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Die Ursachen der Kräfte und die anzustrebende Position ist mittels der strategischen Grundsatzentscheidungen über vertikale Integration, die Entscheidung über Kapazitätserweiterungen, den möglichen Eintritt in neue Branchen und die Stilllegung zu analysieren bzw. zu erreichen. Abschließend ist noch darauf hinzuweisen, dass keine der Strategien dauerhaft verfolgt werden muss. Ihre Anwendung richtet sich vielmehr nach dem situativen Kontext. Auch sollte bemerkt werden, dass Porters Wettbewerbsstrategie im Rahmen der marktorientierten Sichtweise nur im Zusammenspiel der beiden Faktoren Branchenattraktivität und relative Wettbewerbsposition erfolgreich ist. Selbst wenn ein Unternehmen in einer attraktiven Branche tätig ist, so kann es in der falschen Position möglicherweise dennoch keine profitablen Erträge einfahren [31].
Profit Impact of Market Strategies (PIMS) Die Abkürzung PIMS kodiert die Worte Profit Impact of Market Strategy (dt.: Gewinnauswirkungen von Marktstrategien) und beschreibt eine Langzeitstudie, die seit 1975 vom Strategic Planning Institute in Cambridge/Massachusetts betreut wird. Ursprünglich zunächst als internes Projekt für General Electric gedacht, wurde dieses Programm zu Beginn der 70er Jahre für andere Unternehmen geöffnet. Im Fokus der Betrachtung stehen ungefähr 450 Unternehmen, deren wirtschaftliche Daten, wie etwa Produktionsstruktur, Marktanteile oder Bilanzdaten, in einer Datenbank für ca. 3.000 Geschäftsfelder erfasst werden [102]. Ziel des PIMS-Programms ist die Ermittlung des Zusammenhangs zwischen strategischen Faktoren und dem wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens. Dazu wird eine multiple Regressionsanalyse herangezogen, welche die statistischen Beziehungen zwischen den einzelnen Variablen aufdeckt. Als Kennziffer für den strategischen Erfolg wird der Return on Investment (vgl. Kap.€6.4.2.1) verwendet. Der ROI ist in diesem Kontext definiert als Nettobetriebsgewinn vor Zinsen auf Fremdkapital und Steuern in Prozent des eingesetzten Kapitals, das sich aus Anlagevermögen basierend auf Buchwerten und dem Working Capital zusammensetzt [103]. In Bezug auf den ROI ist als Ergebnis festzuhalten, dass eine hohe Investitionsintensität, verstanden als Investitionen eines Geschäftsfeldes in Relation zu dessen Umsatz, signifikant negativ mit dem ROI korreliert ist. Dahingegen ist ein hoher Marktanteil als auch eine hohe Qualität der Produkte stark positiv mit dem ROI korreliert. Auf Basis dieser und weiterer identifizierter Erfolgsfaktoren ist es auf Basis des PIMS-Programms möglich, bis zu 70€% der Abweichung zwischen den finanziellen Ergebnissen, repräsentiert durch den ROI, zweier verschiedener Geschäftsfelder zu begründen [104]. Um einen hohen Grad der Anwendbarkeit dieser Erkenntisse zu sichern, werden durch das PIMS-Programm vier Programme zur Verfügung gestellt, auf Basis derer Unternehmen das Erfolgspotential ihrer Geschäftsfelder bewerten und zusätzlich die Wirkung alternativer Strategien simulieren können. Der sogenannte „Par-Report“ erlaubt die Modellierung eines ROI, den ein Geschäftsfeld theoretisch auf Grund seines strategischen Profils theoretisch erreichen müsste. „Par“ ist in diesem Kontext aus dem Golfsport zu übertra-
114
gen. Weicht der tatsächliche ROI negativ vom im Par-Report ermittelten ab, so lässt dies Rückschlüsse auf Mängel im Bereich der strategischen Planung zu [104].
Produkt-Markt-Matrix
neu
Marktentwicklung
Diversifikation
bestehend
Im Zuge der strategischen Produktplanung wird durch eine Unternehmens- und Umfeldanalyse die Erschließung neuer bzw. sicherer Erfolgspotentiale angestrebt. Dazu werden Chancen und Risiken aus dem Unternehmensumfeld mit den Stärken und Schwächen des Unternehmens in vorteilhafte Beziehung zueinander gesetzt. Die strategische Produktplanung legt die Basis für die Neuproduktentwicklung und Erschließung neuer Märkte. Das Spektrum der Strategien, das für die Produktplanung zur Verfügung steht, geht in seinen Ursprüngen auf die durch Ansoff geprägte Produkt-Markt-Matrix zurück. Die Vier-FelderMatrix visualisiert die alternativen Strategien auf der einen Seite unter Berücksichtigung bestehender und neuer Produkte sowie auf der anderen Seite die Marktsituation auf der Basis eines bestehenden und eines neuen Marktes [105]. Die Abb.€2.19 stellt die Produkt-Markt-Matrix mit den jeweiligen Strategiealternativen dar. Die Produkt-Markt-Matrix interpretiert jedes Unternehmen als eine Ansammlung strategischer Geschäftsfelder. Jedes der vier möglichen Felder eröffnet diverse Zukunftsperspektiven, beispielsweise Marktwachstum oder finanzielle Möglichkeiten, die mittels verschiedener Strategien bearbeitet werden müssen. Aus diesem Grund ist es notwendig, dass ein Unternehmen festlegt, in welchen Geschäftsfeldern zukünftig operiert werden soll [71].
Marktdurchdringung
Produktentwicklung
bestehend
neu
Markt
2
G. Schuh et al.
Abb. 2.19↜╇ Produkt-MarktMatrix [8]
Produkt
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2â•… Strategie
2.3.2.2 Methoden mit Ressourcenorientierung Die nachfolgend aufgezeigten Methoden ähneln sich alle in der Tatsache, dass die unternehmensinternen Elemente im Fokus der Betrachtung stehen und somit die Stärken und Schwächen eines Unternehmens bzw. Geschäftsfelds aufzeigen.
Wertkettenanalyse Für die Modellierung der internen Prozesse und Strukturen wird auf die Wertkette nach Porter zurückgegriffen, da sie Unternehmensaktivitäten und Strukturen bezogen auf ein Unternehmen ausreichend abstrakt und strukturell geschlossen erfasst. Innerhalb des Modells der Wertkette unterscheidet Porter zwei Arten von Aktivitäten: (1) Primäre Aktivitäten der Wertschöpfung, zu denen Eingangs- und Ausgangslogistik, Operationen, Marketing und Vertrieb sowie der Kundendienst zählen und Unterstützende Aktivitäten, die als Querschnittfunktionen die Arbeit der Primären Aktivitäten unterstützen. Zu den Unterstützungsaktivitäten zählen die Unternehmensinfrastruktur, die Personalinfrastruktur, die Technologieentwicklung sowie die Beschaffung. Nach Porter werden im Rahmen jeder Aktivität eingekaufte Güter, Humanressourcen und Technologien kombiniert [106]. Abbildung€2.20 zeigt exemplarisch die Bestandteile einer Wertkette nach Porter auf. Die einzelnen Aktivitäten der Wertkette lassen sich jeweils in weitere Einzeltätigkeiten unterteilen, so kann der Bereich Marketing und Vertrieb beispielsweise in die Untertätig-
Infrastruktur
Unterstützende Aktivitäten
Personalmanagement
G
ew
in
Technologieentwicklung
ns
pa
nn
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Beschaffung
Abb. 2.20 ╇ Das Modell der Wertkette [31]
Kundendienst
Marketing & Vertrieb
Ausgangslogistik
Operationen (Produktion)
Eingangslogistik
Primäre Aktivitäten
e
nn
n
in
ew
G
a sp
116
2
G. Schuh et al.
keiten Werbung, Steuerung des Außendienstes, Verkaufsförderung und Verkaufsverwaltung unterteilt werden. Abhängig vom Analysezweck lässt sich diese Einteilung weiter vertiefen. Allen Aktivitäten gemein sind jedoch die folgenden drei Typen: direkte Aktivitäten, indirekte Aktivitäten und Aktivitäten zur Sicherung der Qualität. Schaffen die direkten Aktivitäten einen direkten Wertbeitrag, so stellen die indirekten Aktivitäten die Voraussetzungen für die direkten Aktivitäten dar. Im Zuge der Qualitätssicherung sind Aktivitäten wie etwa die Endkontrolle oder die Überwachung zu nennen. Neben einer Analyse von Stärken und Schwächen ermöglicht die Wertkette insbesondere eine Transparenz hinsichtlich des Werts, den ein Unternehmen als Summe seiner Tätigkeiten schafft. Der Gesamtwert der Wertkette ist die Summe aus dem Wert der Einzelaktivitäten sowie der Gewinnspanne [13]. Das Gestaltungsparadigma der Wertkette lautet, dass die durch die Aktivitäten verursachten Kosten geringer sein müssen als der geschaffene Wert, um eine Marge oder Gewinnspanne zu erzielen. Somit ermöglicht die Wertkette es, die Ausgestaltung der Kompetenzbasis eines Unternehmens in Relation zu den damit geschaffenen Werten zu setzen [106].
Finanzielle Analyse Zur internen Analyse auf Unternehmensebene dient die finanzielle Analyse, welche eine quantitative Einschätzung der Leistungsfähigkeit des Unternehmens erlaubt und somit implizit auch Anhaltspunkte zur Erkennung von Stärken und Schwächen des Unternehmens darlegt. Der Zweck der finanziellen Analyse auf der Unternehmensebene besteht darin, die finanzielle Situation des Unternehmens als Ganzes zu betrachten. Von Interesse sind bei dieser Betrachtung die gegenwärtigen Daten sowie vergangene Daten. Zudem kann auf Basis einer finanziellen Analyse eruiert werden, wie sich das Unternehmen – finanziell betrachtet – auf Basis der aktuellen Strategie zukünftig entwickeln wird. Die finanzielle Analyse lässt somit Rückschlüsse auf das finanzielle Potential des Unternehmens zu und zeigt eventuelle Probleme und Restriktionen auf. Die Frage, ob ein Unternehmen überhaupt ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung hat, auf Basis derer eine Strategie umgesetzt werden kann, ist essentiell. Daher sollte jeder mit einer Strategie in Zusammenhang stehende Finanzbedarf und mögliche Finanzierungsquellen aufgedeckt werden. Als übergeordnetes Merkmal der Finanzlage eines Unternehmens kann der Unternehmenswert herangezogen werden. Seine Höhe und Entwicklung im Zeitablauf lassen bereits Schlüsse hinsichtlich Stärken und Schwächen des Unternehmens zu. Um zu einer detaillierten Aussage bezüglich der Stärken und Schwächen zu kommen, ist es notwendig, die finanzielle Analyse ausgehend von der Unternehmensebene zu verfeinern und auf Geschäftsfeldebene herunterzubrechen. Prinzipiell gibt es bei der Detaillierung zwei Ansätze: einerseits können die wesentlichen Wertkomponenten und –treiber auf Unternehmensebene näher untersucht werden, andererseits können die einzelnen Beiträge eines jeden Geschäftsfelds näher beleuchtet werden. Exemplarische Analyseverfahren sowie geeignete Kennzahlen sind Kap.€6 zu entnehmen [13].
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2â•… Strategie
2.3.2.3 Integrative Methoden Wie der Name bereits vermuten lässt, integrieren die nachfolgenden, exemplarisch ausgewählten Analysemethoden dieser Sektion sowohl die Markt- als auch die Ressourcensicht.
SWOT-Analyse Hinter der SWOT-Analyse verbirgt sich eine Analysemethode, die das Aufdecken von Stärken und Schwächen sowie Chancen und Risiken ermöglicht. „SWOT“ codiert dabei die Begriffe „strengths“ und „weaknesses“ (Stärken und Schwächen) als auch „opportunities“ und „threats“ (Chancen und Gefahren). Diese Methode vereint dabei sowohl die markt- als auch die ressourcenorientierte Sichtweise (externe und interne Analyse), da zum einen Chancen und Risiken untersucht werden, welche sich aus dem Unternehmensumfeld ergeben, als auch Stärken und Schwächen, welche aus dem Unternehmen selbst abzuleiten sind. Die Schwächen, die das Unternehmen aufweist (interne Analyse), machen es für Risiken (externe Risiken), die von außen auf das Unternehmen einwirken, besonders „empfindlich“. Die Abb.€2.21 zeigt die gebräuchliche Darstellung einer SWOT-Analyse in Form einer Matrix. Ein Vergleich der genannten Dimensionen verdeutlicht, ob die identifizierten Stärken und Schwächen des Unternehmens bei einer angenommenen Entwicklung der Umwelt zum
Interne Analyse
S O Strengths
Wettbewerbsvorteil
Opportunities
Abb. 2.21 ╇ Matrix zur SWOT-Analyse
W T Weaknesses
Threats
Externe Analyse
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2
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einen relevant sind und zum anderen das Potential bieten, den ggf. herannahenden Chancen und Risiken entgegenzutreten.
Portfolioanalyse Die eigentliche Kernaufgabe der Strategieentwicklung besteht in der Formulierung möglicher Alternativen zur Gestaltung der Unternehmensstrategie und in der sich daran anschließenden Auswahl der für das Unternehmen bzw. das Geschäftsfeld attraktivsten Variante. Basierend auf einer Geschäftsfeldsegmentierung zielt eine Unternehmensstrategie somit auf die Auswahl, Priorisierung und Ausrichtung der Geschäftsfelder ab, die mit dem Interesse des Gesamtunternehmens konform sind. Portfolio-Analysen sind in diesem Kontext ein praktikables Instrument. In der Regel zielen Portfolio-Analysen darauf ab, attraktive strategische Optionen für Unternehmen bzw. Geschäftsfelder auszuloten. Seit den späten 1960er Jahren wurden Portfoliokonzepte erstmals in Verbindung mit dem strategischen Management gebracht, was seitdem zu einer nahezu unüberschaubaren Anzahl verschiedener Portfolio-Konzepte geführt hat. Im Kern ist allen Portfolio-Konzepten jedoch gemeinsam, dass die Vielfalt strategischer Erfolgsfaktoren auf zwei Dimensionen beschränkt wird. Diese Dimensionen lassen sich weiter nach einer externen und einer internen Dimension unterscheiden. Die externe Dimension reflektiert im Regelfall die Attraktivität eines Geschäftsfelds, wohingegen die interne Dimension die Stärke des betrachteten Geschäftsfelds in Relation zum Wettbewerb darstellt. Folglich lässt sich die externe Dimension eines Portfolios als gegeben und nicht vom Unternehmen beeinflussbar charakterisieren, wohingegen die interne Dimension vom Unternehmen kontrolliert werden kann. Somit wird die Alternativenentwicklung auf die beiden gewählten Dimensionen beschränkt. In der Visualisierung ist im Portfolio die externe Dimension auf der vertikalen Achse aufgetragen und die interne Dimension auf der horizontalen Achse. Die zahlreichen Portfoliokonzepte unterscheiden sich im Regelfall durch die Kriterien, welche zur Erfassung der beiden Dimensionen herangezogen werden. Als eines der prominentesten Portfolios wird nachfolgend das Marktwachstums-/ Marktanteils-Portfolio herangezogen, welches in den späten 60er Jahren von der Boston Consulting Group entwickelt wurde. Das auch als BCG-Portfolio (Boston Consulting Group-Portfolio) bekannte Konzept repräsentiert die beiden Dimensionen Marktwachstum und Marktanteil. Das Marktwachstum ist dabei als Ausdruck der externen Dimension, die nicht vom Unternehmen direkt beeinflussbare Attraktivität, aufzufassen, wohingegen der relative Marktanteil die vom Unternehmen kontrollierbare Stärke eines Geschäftsfelds darstellt. Der relative Marktanteil setzt den eigenen Marktanteil in Relation zu dem des stärksten Konkurrenten [13]. Abbildung€2.22 illustriert das Marktwachstums-Marktanteils-Portfolio, auch bekannt als Growth-Share-Matrix. Um eine höheren Grad der Eingänglichkeit zu erreichen, wurden die Quadranten auch jeweils als „Cash Cow“ (↜dtsch.: Melkkuh), „Stars“ (↜dtsch.: Sterne), „Question Marks“ (↜dtsch.: Fragezeichen) und „Poor Dogs“ (↜dtsch.: Arme Hunde) bezeichnet (ausgehend vom unteren rechten Quadranten gegen den Uhrzeigersinn).
119
2â•… Strategie
mittel
„Question Marks“
„Stars“
? „Poor Dogs“
„Cash Cows“
niedrig
Marktwachstum
hoch
Abb. 2.22 ╇ Das Marktwachstums-Marktanteils-Portfolio [104]
niedrig
mittel
hoch
Relativer Marktanteil
Im unteren rechten Quadranten sind Geschäftsfelder positioniert, die ebenfalls über einen hohen Marktanteil verfügen, jedoch in Märkten operieren, die zu stagnieren drohen oder nur noch minimal wachsen: die sogenannten „Cash Cows“. In der Regel sind dies Reifemärkte. Auf Grund der guten Marktposition besitzen Geschäftsfelder in dieser Sektion eine gute Kostenposition, die entsprechend hohe Gewinne begünstigt. Auf Grund der Reife des Marktes sind Investitionen, wenn überhaupt, nur in geringem Umfang notwendig. Die durch diese Geschäftsfelder erwirtschafteten Überschüsse können durch das Unternehmen zugunsten anderer Zwecke abgeschöpft werden. Auf Grund dieses „Melkens“ werden Geschäftsfelder dieser Positionierung in der BCG-Terminologie als „Cash Cows“ beschrieben. Der obere rechte Quadrant beschreibt Geschäftsfelder, die ebenfalls in Wachstumsmärkten tätig sind und in diesen über einen hohen relativen Marktanteil verfügen: im Portfolio als „Stars“ bezeichnet. Diese Geschäftsfelder verfügen über einen höheren Marktanteil als die Konkurrenz und sind daher Marktführer. Die eingenommene Position im Markt kann als attraktiv und stark beschrieben werden, weshalb diese Geschäftsfelder auch als „Stars“ tituliert werden. Geschäftsfelder, die sich dem oberen linken Quadranten zuordnen lassen, kategorisieren Geschäftsfelder mit einem vergleichsweise niedrigen Marktanteil. Jedoch sind diese Geschäftsfelder Märkten mit hohem Wachstum zuzuordnen. In diesen Märkten sind bereits Wettbewerber aktiv, die in der Regel über einen größeren Marktanteil verfügen, da sie beispielsweise als Pionier oder generell früher in den Markt eingetreten sind. Bei dieser Position ist noch nicht ersichtlich, ob das betrachtete Geschäftsfeld in der Lage ist, sich im Markt behaupten zu können. Auf Grund dieser Ungewissheit werden diese Geschäftsfelder metaphorisch als „Question Marks“ betitelt.
120
Der untere linke Quadrant vereint Geschäftsfelder, welche über geringe Marktanteile in gering wachsenden oder gar stagnierenden Märkten verfügen. Auf Grund des Reifegrads der Märkte sind Investitionen kaum erfolgversprechend. Zudem ist von Investitionen wegen der ungünstige Marktposition kein großer Vorteil zu erwarten. Auf Grund dieser wenig aussichtsreichen Positionierung werden Geschäftsfelder, die die beschriebenen Eigenschaften aufweisen, als „Poor Dogs“ charakterisiert. Aus der Analyse dieses Portfolios können drei wesentliche Erkenntnisse abgeleitet werden: 1. Das Geschäftsfeldportfolio kann hinsichtlich seiner Ausgewogenheit untersucht werden. 2. Das Portfolio ermöglicht die Aufdeckung von Geschäftsfeldern mit Finanzmittelüberschuss und –bedarf und schafft derart eine Transparenz hinsichtlich eines möglichen Finanzmittelausgleichs. 3. Aus der Positionierung eines Geschäftsfelds im Portfolio lassen sich Empfehlungen für die strategische Ausrichtung ableiten, welche sich kurz als Ausbau, Abstoß oder Erhalt eines Geschäftsfelds charakterisieren lassen.
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Abb. 2.23 ╇ Das Marktattraktivitäts-GeschäftsfeldstärkenPortfolio [13]
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hoch
Ebenfalls wie das Marktattraktivitäts-Marktanteils-Portfolio weist das von der Unternehmensberatung McKinsey entwickelte Marktattraktivitäts-Geschäftsfeldstärken-Portfolio eine externe und eine interne Dimension auf. Wie aus Abb.€2.23 ersichtlich verfügt dieses Portfolio über neun Felder. Im Rahmen dieses Konzepts wird die Geschäftsfeldstärke als interne Dimension betrachtet. Im Gegensatz zum vorab erläuterten Portfolio basiert die interne Dimension nicht auf einem Faktor – etwa dem relativen Marktanteil – sondern vielmehr auf einer Vielzahl unterschiedlicher Faktoren. Ausgewählt werden alle Faktoren, die hinsichtlich ihres
Marktattraktivität
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G. Schuh et al.
niedrig
mittel
Geschäftsfeldstärke
hoch
2â•… Strategie
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Einflusses auf die Geschäftsfeldstärke als relevant erachtet werden. Beispielhaft seien als Faktoren der internen Dimension Produktqualität, Vertriebsstärke, Forschungs- und Entwicklungsstärke oder die Finanzstärke angeführt. Für die externe Dimension, im Portfolio als Marktattraktivität dargestellt, können Faktoren wie Marktgröße, Marktrisiko, Markteintrittskosten, Wettbewerbsstruktur, Nachfragesituation und etwa der Investitionsbedarf herangezogen werden. Die externe und interne Dimension werden durch mehr als einen Faktor repräsentiert, so dass das Portfolio die Realität nicht so stark abstrahiert wie das BCG-Portfolio. Durch eine Gewichtung ist es möglich, die Faktoren unterschiedlich zu priorisieren und letztlich zu einem Gesamtwert zu verdichten, der die Positionierung auf der vertikalen bzw. horizontalen Achse determiniert. Die Ausprägungen der beiden Dimensionen lassen sich in die Kategorien niedrig, mittel und hoch einordnen und bilden die Grundlage für die Neun-Felder-Matrix. Die neun Felder sind analog zum BCG-Portfolio mit Normstrategien belegt, derer es drei gibt: die Investitionsstrategie, Selektionsstrategie und Desinvestitionsstrategie. Die Investitionsstrategie wird Geschäftsfeldern empfohlen, die sich in den drei Feldern rechts oben in der Matrix befinden. Diese Geschäftsfelder verfügen sowohl über eine hohe Marktattraktivität als auch eine gute Positionierung innerhalb des Wettbewerbs. Durch Zusatzinvestitionen soll die Wettbewerbsposition gehalten bzw. weiter ausgebaut werden. Die drei Felder, die sich im unteren linken Teil der Matrix wiederfinden, empfehlen eine Desinvestitionsstrategie. Die Geschäftsfelder, die sich diesen Feldern zuordnen lassen, sind durch wenig attraktive Märkte geprägt und zeichnen sich zusätzlich durch eine schlechte Wettbewerbsposition aus. Eine Investition in diese Geschäftsfelder erscheint als wenig aussichtsvoll, weswegen nahegelegt wird, diese Geschäftsfelder abzuschöpfen und gegebenenfalls zu desinvestieren. Der selektive Bereich, der im Portfolio durch die Diagonale von links oben nach rechts unten abgebildet wird, zeichnet sich dadurch aus, dass keine eindeutigen strategischen Empfehlungen für die in diesen Bereich fallenden Geschäftsfelder ausgesprochen werden können. Abhängig von der Situation des betrachteten Geschäftsfelds können sowohl eine Investitions- oder Desinvestitionsstrategie ausgesprochen werden [13]. Portfolio-Konzepte unterstützen prinzipiell dadurch, dass sie die Auswahl bestimmter Geschäftsfelder unterstützen und deren grundsätzliche Positionierung und Ausrichtung empfehlen. Der Vorteil ist, dass Portfolio-Konzepte die strategische Unternehmenssituation auf zwei Dimensionen abbilden. Gleichzeitig bildet diese Fähigkeit aber die größte Schwäche, da die Realität durch die Aggregation zahlreicher Einflussgrößen auf je eine Dimension zu stark vereinfacht wird.
Frühaufklärungssysteme Neben der Identifikation der Umweltfaktoren, die auf das Unternehmen und somit die verfolgte Strategie wirken, ist es essentiell, eine Veränderung dieser Faktoren zu thematisieren. Problematisch ist, dass dazu die Zukunft prognostiziert werden muss. Dennoch müssen Unternehmen in der Lage sein, in der Gegenwart Entscheidungen zu treffen, deren Konsequenzen erst in der Zukunft absehbar sind.
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Frühaufklärungssysteme unterstützen Unternehmen dabei, Zukunftsfragen systematisch zu bearbeiten und die Sensibilität von Unternehmen bezüglich Veränderungen der Umwelt zu erhöhen. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass sich Diskontinuitäten in der Regel durch schwache Signale ankündigen. Diese schwachen Signale zeichnen sich durch eine relative Unstrukturiertheit aus und auf Grund ihrer qualitativen Natur sind präzise Abschätzungen zunächst auch schwierig. Daher ist es hilfreich, diese schwachen Signale zu verdichten und somit die Sichtbarkeit zu erhöhen. Zumeist sind diese schwachen Signale in verdichteter Form auch quantifizierbar und daher messbar. Ziel der Frühaufklärungssysteme ist aber nicht lediglich das Erkennen solcher Signale, sondern zugleich auch die Erarbeitung von Strategien und Handlungsalternativen in Form von Aktionsprogrammen. Der Frühaufklärungsprozess basiert im Wesentlichen auf zwei Basisaktivitäten: dem sogenannten Monitoring und Scanning. Scanning beschreibt den Prozess der Umweltbeobachtung ohne spezielle Fokussierung. Das Unternehmensumfeld wird beobachtet mit dem Ziel, frühzeitig mögliche Einflussvariablen zu identifizieren, welche zu zukünftigen Diskontinuitäten führen könnten. Wurden mögliche Größen identifiziert, die zukünftig Einfluss auf das Unternehmen haben könnten, werden diese im Monitoring-Prozess verschärft beobachtet und gegebenenfalls in weiteren Analysen untersucht. Ansatzpunkt der strategischen Frühaufklärung ist somit der Bereich, der durch Prognosen nicht mehr erfasst wird. Durch die Sensibilisierung bezüglich Umwelteinflüssen ist das Unternehmen in der Position, frühzeitig Veränderungen und Trends aufzufassen. Trotz der theoretischen Plausibilität sind Frühaufklärungssysteme in der Praxis weitaus weniger verbreitet als man annehmen könnte. Als beispielhafte Argumente dafür sind die Priorisierung des Tagesgeschäfts zu nennen, welches zu einer Vernachlässigung zukünftiger möglicher Entwicklung führen kann. Weiterhin mag ein Problem in der Praktikabilität darin liegen, dass Frühaufklärungssysteme zunächst stark qualitativer Natur sind und quantitativ schwer fassbar sind, so dass ein solches Projekt unter Umständen schwer zu legitimieren ist [19].
Szenariotechniken Eine weitere Methode, welche den Umgang mit der Zukunft unterstützt, ist die heuristische Methode der Szenariotechnik. Diese beruht auf der Annahme, dass für ein zu analysierendes Objekt mehrere Zukunftsbilder entworfen werden können und somit mögliche Zukünfte zu definieren. Diese Alternativen können in einem nächsten Schritt überprüft werden, so dass das Unternehmen für jedes Szenario Handlungsalternativen entwickeln kann. Ausgehend von der aktuellen Situation werden zunächst zwei möglichst entgegengesetzte Szenarien gebildet. Diese drei Szenarien, das aktuelle sowie die beiden Extremszenarien, spannen einen sogenannten Szenariotrichter auf, welcher in Abb.€2.24 dargestellt ist. Die Gegenwart bildet den Ausgangspunkt des Trichters. Die größer werdende Öffnung repräsentiert die zunehmende Unsicherheit der zukünftigen Szenarien. Derart zeigt der Trichter auf, welcher Wirkungszusammenhänge, Abhängigkeiten und gegebenenfalls Störereignisse in einer möglichen Zukunft denkbar sind.
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Mögliche Zukunft
Mögliche Entwicklungspfade
Gegenwärtige Situation
Gegenwart
Zukunft Störereignisse
Abb. 2.24 ╇ Prinzipien der Szenariotechnik [13]
Die Szenarioentwicklung erfolgt zumeist in drei Schritten, die sich durch zwei unterschiedliche Herangehensweisen unterscheiden können: dem sogenannten „ForwardApproach“ und dem sogenannten „Backward-Approach“. Beide Herangehensweisen starten mit einer Identifikation der Faktoren, die zur Beschreibung der Zukunft herangezogen werden und analysiert werden müssen. Entscheidend sind Faktoren, die besonders einflussreich hinsichtlich des langfristigen Unternehmenserfolgs sind. Prinzipiell sind dies Faktoren aus der Makro- und Branchenumwelt des Unternehmens. Im zweiten Schritt wird der Unterschied zwischen Forward- und Backward-Approach sichtbar: Beim Forward-Approach werden Annahmen für jeden Faktor zugrunde gelegt, die alternative Ausprägungen formen. Der dritte Schritt des Forward-Approach führt schließlich zu einer Definition von zwei oder drei alternativen Szenarien, die variable Ausprägungen der unterschiedlichen Faktoren beinhalten. Der Backward-Approach eignet sich für Szenarien, die durch eine Vielzahl von Einflussfaktoren geprägt sind. Eine Kombination der verschiedenen Ausprägungen der Faktoren, wie sie im Forward-Approach erfolgt, wäre in dem Falle nicht mehr sinnvoll, so dass auf den Backward-Approach zurückgegriffen wird. Daher werden zunächst zwei Extremszenarien der Zukunft entworfen und die aktuelle Situation wird fortgeschrieben. In einem letzten Schritt werden dann diejenigen Faktoren ermittelt, welche zu einer solchen
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Situation führen. Entsprechend wird eruiert, welche Veränderung eines solchen Faktors stattgefunden haben muss, so dass das entsprechende Szenario eintreten könnte. Auf Basis der so entwickelten Szenarien ist das Unternehmen schließlich in der Lage, Alternativstrategien zu entwickeln und so einer möglichen Zukunft besser gegenüberzustehen [13, 19].
Strategieaudit Für die erfolgreiche Implementierung einer Unternehmensstrategie ist es notwendig, die aktuelle und angestrebte Positionierung im Markt kritisch zu überprüfen, mit der gegenwärtig im Unternehmen vorhandenen strategischen Ausrichtung abzugleichen sowie anschließend die Unternehmensprozesse auf die angestrebten strategischen Ziele anzupassen. Die skizzierten Schritte werden im Strategieaudit durchgeführt. Das Strategieaudit ist dabei als eine Methode zu verstehen, die sowohl die Umfeldanalyse als auch die Unternehmensanalyse miteinander vereint. Den Ausgangspunkt des Strategieaudits bildet die Abgrenzung des zu betrachtenden Geschäftsfelds, welches schließlich hinsichtlich seiner strategischen Positionierung hinterfragt wird (s. Abb.€2.24). Dies kann beispielsweise durch eine Branchenstrukturanalyse erfolgen, welche in Kap.€2.3.2.1 erläutert wurde. Im Anschluss an die Auswahl des zu untersuchenden Geschäftsfeldes werden die strategischen Erfolgspositionen (vgl. ebenfalls Kap.€2.3.2.1) für den Geschäftsbereich betrachtet, um in der Folge die für die Strategie notwendigen Kernprozesse und somit Prozessstrategien zu definieren. Dies mündet in der Erarbeitung eines strategischen Profils für den betrachteten Geschäftsbereich bzw. das betrachtete Unternehmen und wird schließlich konkretisiert über die Definition strategischer Programme. Schließlich werden basierend auf dem strategischen Programm die Kernprozesse bzw. Prozess-Strategien definiert. In einem abschließenden Schritt wird im Rahmen der Auditierung eruiert, welche Maßnahmen für die Initiierung des Veränderungsprogramms zu ergreifen sind. Der nachfolgenden Abb.€2.25 ist eine Übersicht der einzelnen Schritte des Strategieaudits zu entnehmen. Ein Strategieaudit bietet Unternehmen die Möglichkeit einer schnellen, umfassenden und umsetzungsorientierten Analyse ihrer strategischen Ausrichtung. Um anschauliche und umsetzungsorientierte Ergebnisse zu erzielen, ist es wichtig für den Erfolg eines Strategieaudits, dieses in Kombination mit einem unternehmensexternen Partner sowie auf der Basis der Expertise des Unternehmens durchzuführen. Dies stellt einerseits die Objektivität der Ergebnisse sicher, gewährleistet simultan andererseits ausreichend fachliche Expertise. Um ein hohes Akzeptanzlevel seitens der Mitarbeiter des Unternehmens sicherzustellen, sollte ein Strategieaudit im Erarbeitungsprozess durch eine Person moderiert werden, die dem Unternehmen objektiv gegenübersteht.
2.3.3 Ableitung von Prozessstrategien aus Unternehmensstrategien Die vorhergehenden Kapitel haben sich intensiv mit den Grundlagen der Strategie, den Strategieinhalten sowie der Strategieentwicklung befasst. Erfolgt eine Strategieentwick-
Abb. 2.25 ╇ Vorgehensweise im Strategieaudit. (Quelle: WZL)
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lung auf Unternehmensebene, so ist es essentiell diese weiter herunterzubrechen, so dass eine Strategie auf Geschäftsfeldebene entsteht. Analog muss dieser Schritt erfolgen, wenn eine Strategie auf Geschäftsfeldebene definiert wurde. Um diese zu „operationalisieren“, ist es unabdingbar, die Strategie auf die Ebene der Prozesse zu transferieren. Das vorliegende Kapitel bietet einen kurzen Überblick über den Zusammenhang von Prozess- und Unternehmensstrategie. Der Begriff Prozessstrategie impliziert, dass sich eine solche Strategie mehr an Abläufen als an Organisationseinheiten, etwa Geschäftsfeldern, orientiert. Um die Ziele der Unternehmensstrategie realisieren zu können, ist es erforderlich, diese auf die Prozessebene zu übertragen. Ein Prozess wird dabei verstanden als ein Bündel von Aktivitäten, welches aus Kundensicht Wert generiert. Wie bereits im Kap.€2.3.2.3 erwähnt werden im Zuge der Strategieentwicklung strategische Erfolgspositionen identifiziert. Basierend auf der Vision des Unternehmens und den sich daraus ergebenden Missionen für die jeweiligen Geschäftsfelder ergeben sich diejenigen Prozesse, die das Unternehmen bei der Erreichung des zukünftigen Zielbilds und den damit einhergehenden Anforderungen unterstützen. Die Prozessidentifikation zielt darauf ab, die erfolgskritischen Prozesse zu erfassen sowie ein einheitliches Verständnis für die Fähigkeiten zu schaffen, die benötigt werden, um die strategischen Ziele zu realisieren. Prozesse müssen dabei den Kriterien Effektivität und Effizienz im Bezug auf die strategische Zielsetzung genügen. Diese Kriterien lassen sich im Rahmen eines Prozessportfolios erfassen.
hoch
Prozesse 10
3 Prozesseffektivität
2
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8 7
mittel
9
5 4 1
2
6
1. Vertrieb 2. Projektmanagement 3. Konstruktion/ Entwicklung 4. Fertigung 5. Montage 6. Strategischer Einkauf 7. Qualitätsmanagement 8. Service 9. Personal 10. Logistik 11. Verwaltung
11 gering gering
mittel Prozesseffizienz
Abb. 2.26 ╇ Prozessportfolio
hoch
2â•… Strategie
127
Die Effektivität eines Prozesses beschreibt dabei den Beitrag des Prozesses zum wahrgenommenen Kundennutzen in Relation zum Wettbewerb. Die Prozesseffizienz hingegen erfasst den Mitteleinsatz im Vergleich zur Konkurrenz. Darüber hinaus werden in einer dritten Dimension die Prozesse hinsichtlich ihrer Bedeutung für den Unternehmenserfolg bewertet [107]. Die Bewertung erfolgt qualitativ anhand eines Portfolios. Üblicherweise wird eine duale Bewertung vorgeschlagen, bei der Prozesse im linken unteren Halbkreis abgebaut oder fremd vergeben werden sollten und Prozesse im rechten oberen Halbkreis gefördert werden sollten. Befinden sich bedeutsame Prozesse im linken unteren Halbkreis, so sollten sie durch entsprechende Maßnahmen in den rechten oberen Halbkreis überführt werden [107]. Abbildung€2.26 zeigt ein exemplarisches Prozessportfolio für ebenso exemplarisch dargelegte Prozesse auf. Gemäß diesem Portfolio ist der Prozess des Projektmanagements weder effizient und effektiv genug, um durch das betrachtete Unternehmen eigenständig durchgeführt zu werden. Er sollte daher entweder ausgelagert werden oder durch entsprechende Maßnahmen derart verbessert werden, dass er sich im oberen rechten Halbkreis wiederfindet. Die Prozesse 8, 9 und 10 hingegen befinden sich bereits in einem guten Effizienz- und Effektivitätsbereich und sollten somit weiter gefördert werden. Für eine weiterführende Thematisierung von Prozessen und deren Management sei auf Kap.€5 verwiesen.
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3
Unternehmensstruktur Achim Kampker, Günther Schuh und Bastian Schittny
Kurzüberblickâ•… Der Erfolg eines Unternehmens basiert unter anderem auf seiner strukturellen und organisatorischen Ausrichtung. Daher soll im folgenden Kapitel auf die vier Säulen Aufbauorganisation, Ressourcen, Informationssysteme und Unternehmenskultur als Bestandteil der Unternehmensstruktur eingegangen werden. In diesem Zusammenhang werden im Abschn.€3.1 „Aufbauorganisation“ die diversen Organisationsstrukturen und deren Vorzüge und Probleme vorgestellt. Abschnitt€3.2 behandelt die grundlegende Basis eines produzierenden Unternehmens, die verschiedenen Ressourcentypen, und die jeweiligen Möglichkeiten diese zu managen. Im Folgekapitel erfolgt zunächst ein Überblick über die historische Entwicklung von Informationssystemen bevor ihre strategische Bedeutung und ihr struktureller Aufbau erläutert werden. Abschließend wird eine Übersicht der wichtigsten betrieblichen Informationssysteme gegeben einschließlich der praxisrelevanten Vorgehensweise bezüglich der Softwareauswahl und -implementierung. Ausgehend von der Vision, die die Unternehmensphilosophie vorgibt, gliedert sich das normative Management in die drei Aspekte Unternehmenskultur, Unternehmenspolitik und Unternehmensverfassung. In Abschn.€3.4 erfolgt neben der Definition der einzelnen Managementaspekte die Darstellung ihrer Zusammenhänge und Wechselwirkungen mit der strategischen Managementebene sowie die Notwendigkeit von Leitbildern. ╇
A. Kampker () 52074 Aachen, Deutschland E-Mail:
[email protected] G. Schuh, A. Kampker (Hrsg.), Strategie und Management produzierender Unternehmen, DOI 10.1007/978-3-642-14502-5_3, ©Â€Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
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A. Kampker et al.
3.1 Aufbauorganisation
3
3.1.1 Grundlagen der Organisationsgestaltung 3.1.1.1 Arbeitsteilung und Organisation Die Aufteilung von Arbeitsschritten ermöglicht die gemeinschaftliche Erbringung von komplexen Gesamtaufgaben, die ansonsten nicht oder nur ungleich schlechter zu bewältigen wären. Diese Grundidee der Arbeitsteilung wird in Abb.€3.1 illustriert. Erstmals wurde die Arbeitsteilung innerhalb der Organisationsgestaltung von Frederick Winslow Taylor erwähnt. Der Taylorismus zeichnete sich u.€a. durch stark detaillierte Vorgaben der Arbeitsmethode und extrem detaillierte und zerlegte Arbeitsaufgaben aus. Heute wird durch den REFA-Verband für Arbeitsgestaltung, Betriebsorganisation und Unternehmensentwicklung eine differenziertere Methode der Arbeitsteilung vermittelt. So bedeutet die Arbeitsgestaltung das Schaffen eines aufgabengerechten optimalen Zusammenwirkens von arbeitenden Menschen, Betriebsmitteln und Arbeitsgegenständen durch zweckmäßige Organisation von Arbeitssystemen unter Beachtung der menschlichen Leistungsfähigkeit und Bedürfnisse [1]. Im Rahmen dieser Definition lässt sich der Zusammenhang zwischen Organisationsgestaltung und Aufbauorganisation ableiten. Die Aufbauorganisation als statische organisatorische Infrastruktur soll im Hinblick auf abzuwickelnde Aufgabenprozesse, durch zweckmäßige Organisation, unter Beachtung der humanen Randbedingungen, zur Erreichung der Unternehmensziele beitragen. Aufgrund der begrenzten individuellen Kapazität eines einzelnen Entscheidungsträgers wird die Bewältigung der umfangreichen Gesamtaufgabe eines Unternehmens ab einer bestimmten Größenordnung unmöglich. Zur Lösung dieses Problems dient die Aufteilung der Gesamtentscheidungsaufgabe in ein arbeitsteiliges System, so dass einzelne Entscheidungseinheiten mit ihren notwendigen Kompetenzen entstehen. Neben der Aufteilung von Arbeitsumfängen ist die Steigerung der Produktivität ein wichtiger Grund für Arbeitsteilung in einem Unternehmen. Spezialisierung führ dazu, das verschiedene Gruppen besondere Kenntnisse, Fähigkeiten und Verfahren aufbauen und somit produktiver arbeiten [2]. Die Aufteilung von Aufgaben bringt eine Delegierung von Entscheidungen auf ver-
Wertschöpfungssystem Arbeitsteilung
Input
Abb. 3.1↜╇ Grundidee der Arbeitsteilung
Aufgabe
Output
3â•… Unternehmensstruktur
135
schiedene Organisationseinheiten mit sich, wobei die Gesamtzielerreichung eines Unternehmens durch die einzelnen Entscheidungen beeinträchtigt wird. Die jeweiligen Organisationseinheiten sind über Interdependenzbeziehungen miteinander verbunden, wodurch die Entscheidungen einzelner Bereiche des Unternehmens sich gegenseitig beeinflussen. In moderneren Unternehmen setzt man sich das Ziel diese Interdependenzbeziehungen zu verringern, um unabhängig und flexibel am Markt handeln zu können. Somit besteht die Notwendigkeit geeignete Regelungen zur Abstimmung und Ausrichtung der Entscheidungseinheiten einzuführen, die weiter das Erreichen des übergeordneten Gesamtunternehmenszieles gewährleisten. Die Gestaltung dieser Organisationsstrukturen führt zu einem Konflikt, da es notwendig ist, die Gesamtaufgabe in autonome Teilaufgaben zu zerlegen und auf einzelne Entscheidungsträger zu verteilen, wobei weiter die Möglichkeit der Absprache interdependenter Teileinheiten zu bewahren ist. Zur Reduzierung der Komplexität unterteilt man die organisatorischen Gestaltungsaufgaben in die Aufbau- sowie die Ablauforganisation. Die Aufbauorganisation stellt eine „statische“ organisatorische Infrastruktur dar, innerhalb derer sich die Gesamtheit aller im Unternehmen abzuwickelnden Aufgabenerfüllungsprozesse vollzieht. Dabei möchte man verschiedene Anforderungen wie vertikale und horizontale Zerlegung komplexer Aufgaben, Zuweisung abgrenzender Aufgabenkomplexe auf organisatorische Einheiten (Stellenbildung), sowie der Gestaltung von Weisungs- und Kommunikationsbeziehungen zwischen diesen Einheiten zusammenfassen. Als „dynamische“ Struktur steht der Aufbauorganisation die Ablauforganisation gegenüber. Hierbei versteht man die Verknüpfung einzelner Arbeitsschritte zu komplexen (Geschäfts-) Prozessen (z.€B. Produktentwicklung und Auftragsabwicklung), sowie die prozessinterne und -übergreifende Harmonisierung in zeitlicher und räumlicher Hinsicht [3]. Eine Separation dieser beiden Betrachtungsweisen ist nicht möglich. Die Teilprobleme, die in verschiedenen Phasen des Gestaltungsprozesses entstehen, lassen sich nicht auf jeweils eine Betrachtungsweise beschränken. Die tatsächliche Organisationsstruktur ist immer als ein Zusammenspiel von aufbau- und ablauforganisatorischen Gestaltungsgliedern zu erkennen. Es ist schwer ist zu entscheiden, welchem Organisationselement ein höherer Stellenwert zugeordnet wird, denn durch die Dominanz einer Perspektive wird eine Einschränkung der anderen hervorgerufen. Nach der traditionellen Sichtweise wird der Aufbauorganisation eine Vorrangstellung gegenüber der Ablauforganisation gewährt [4]. In heutiger Zeit vertritt die Wissenschaft immer stärker die Ansicht, dass eine Schaffung primär ablauf- bzw. prozessorientierter Strukturen [5] oder zumindest ein häufiger Wechsel der Betrachtungsweise im Gestaltungsprozess gefördert werden soll. Auch in der Praxis besitzt die Schaffung prozessorientierter Strukturen einen hohen Stellenwert, da sich dadurch Ineffizienzen vermeiden lassen. Hierfür spricht beispielweise der große Anklang, den das Business Reengineering mit seiner Forderung nach einer radikalen Neustrukturierung der gesamten Unternehmensorganisation noch immer findet. Ein weiteres Prinzip der Komplexitätsreduktion ist die Unterscheidung aufbauorientierter Regelungen auf der Ebene einer Koordinations- und Motivationsdimension [3]. Der Grundgedanke der Koordinationsdimension liegt darin, dass organisatorische Einheiten so gebildet werden, wie es die aufgabenlogischen Anforderungen der Unterneh-
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mensaktivität vorlegen/festsetzen. Bei dieser Regelung wird das Verhalten der einzelnen Unternehmensmitglieder nicht betrachtet. Mangelnde Leistungsintensität oder bewusstes Fehlverhalten basieren auf den individuellen Entscheidungs- und Verhaltensmerkmalen der Entscheidungspersonen, welche im Konflikt zu den Unternehmenszielen oder den an ihnen gerichteten Verhaltenserwartungen stehen. Diese subjektiven Verhaltensmerkmale der einzelnen Mitarbeiter eines Großunternehmens und die Möglichkeit ihre Entscheidungen und ihr Verhalten im Hinblick auf das Gesamtunternehmensziel zu beeinflussen, spiegelt sich hingegen in der Motivationsdimension wieder. Als aufbauorganisatorische Regelung spielen Motivationsmaßnahmen als Begleitung der Koordinationsdimension eine bedeutende Rolle. Dabei steht die Sicherung der Existenz des Unternehmens bei der Erfüllung der Marktaufgabe im Vordergrund. Somit liegt die Hauptschwierigkeit der Organisationsstrukturen darin, eine Vielzahl von Entscheidungen bezüglich des Gesamtziels des Unternehmens und die Bereitstellung von Sachgütern und Dienstleistungen für den Markt zu koordinieren. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Entscheidungsaufgaben für die verschiedenen organisatorischen Einheiten inhaltlich klar definiert werden (zielleitende Funktion organisatorischer Regelungen). Dazu kann beispielsweise an einen Bereich eine bestimmte Aufgabe mit allen Ressourcen, die zur Bewältigung der Aufgabe nötig sind, übertragen werden. Folglich muss bei der Organisation arbeitsteiliger Systeme ein großer Wert auf die Formulierung von Verhaltenserwartungen an die Entscheidungsträger gelegt werden. Natürlich können Motivationsmaßnahmen dazu beitragen, dass Abweichungen zwischen den Verhaltens- und Entscheidungserwartungen und dem tatsächlichen Verhalten gering gehalten werden. Sie können jedoch nicht vollständig vermieden werden. Somit tragen Motivationsmaßnahmen dazu bei, dass die einzelnen organisatorischen Einheiten das Erreichen des Bereichsziels stets erstreben und dementsprechend das Verhalten der Entscheidungsträger beeinflussen und deren persönliche Zielsetzungen in den Hintergrund stellen. Auf diese Weise können allerdings keine konkreten und definierten Vorgaben für die Entscheidung festgelegt werden. Hierzu dienen maßgebende Koordinationsinstrumente, die einen großen Einfluss auf die Verhaltensweisen der Mitarbeiter ausüben (s. Abschn.€3.2). Bei der Gestaltung von Organisationsstrukturen ist es unmöglich auf Motivationsmaßnahmen zu verzichten. Jede organisatorische Einheit muss eine gewisse Entscheidungsautonomie erhalten, wobei durch die Festlegung von Normen und fundamentaler Werten bereits zielorientierte Vorgaben für das Verhalten und die Entscheidungen der Unternehmensmitglieder erstellt werden [3].
3.1.1.2 Koordinationssystem Das Koordinationssystem regelt das Zusammenführen der Einzelaktivitäten einer arbeitsteiligen Organisation mit vielfältig aufgesplitterten Aufgaben, unterschiedlichen Verantwortungen und nebeneinander bestehenden Regelungen im Hinblick auf ein übergeordne-
3â•… Unternehmensstruktur
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tes Gesamtziel [3, 6, 7]. Bezüglich der unter dem Begriff aufgeführten Koordinationsmaßnahmen, lassen sich zwei Ansichten unterscheiden: Die engere Betrachtung bezieht sich lediglich auf den integrativen Aspekt der Koordination. Verschiedene getrennte und unabhängig bearbeitete Teilaufgaben werden so zusammengeführt, dass schließlich das Gesamtunternehmensziel erreicht werden kann. Eine weitere und tiefere Betrachtung zeigt deutlich wie eng eine Differenzierung und Koordination eigentlich zusammenhängen. Aufgrund von Differenzierungsschritten treten bestimmte Koordinationsmaßnahmen auf. Das Prinzip der Aufgabenteilung und der Zuordnung von Entscheidungskompetenzen führt zur gegenseitigen Abhängigkeit. Aufgrund des Abstimmungsbedarfs der organisatorischen Einheiten ist eine Trennung der Begriffe „Differenzierung und Koordination“ unmöglich. Folglich können Differenzierungsmaßnahmen, welche von Koordinationsaspekten begleitet werden, dem Begriff der Koordinationsdimension untergeordnet/zugeordnet werden [3, 8]. Mit Koordinationsinstrumenten sind die Formulierung von Entscheidungskompetenzen (Entscheidungsdimension) sowie die Festlegung von Kommunikationsbeziehungen zwischen organisatorischen Einheiten gemeint. Einerseits muss die Rangfolge der Teilentscheidungen bestimmt und ein Entscheidungskomplex gebildet werden, andererseits muss der Informationsaustausch zwischen diesen Einheiten geregelt sein. Bei der Formulierung von Entscheidungskompetenzen wird beschlossen, in welchem Ausmaß eine Entscheidungseinheit das Recht zugesprochen wird Entscheidungen zu treffen. Dabei müssen die Grenzen bedingt durch die Aufteilung der Gesamtaufgabe stets eingehalten werden. Diese Handlungsvorgaben erstrecken sich auf den Kompetenzinhalt sowie auf dessen Spielraum. Der Kompetenzinhalt wird als eine Segmentierung einer gewissen Entscheidungsaufgabe bis hin zu einer Anreihung unabhängiger Teilentscheidungen vorgegeben. Dabei bilden Funktion, Produkt und Markt die drei wichtigsten Segmentierungsprinzipien [3, 6]: • Bei der funktionsorientierten Segmentierung wird die Gesamthandlungsmenge in unterschiedliche Teilhandlungen unterteilt, wobei gleichartige zusammengefasst werden können. Zusätzlich entsteht auf einer zweiten Ebene eine Hierarchie für die Bereiche „Beschaffung“, „Produktion“ und „Absatz“. Diese Art einer Strukturierung bezeichnet man als Funktionalorganisation. • Eine nach produktorientierten Bereichen gegliederte Spartenorganisation entsteht, wenn alle Entscheidungen im Hinblick auf das zu erreichende Produktionsziel hin ausgerichtet werden. • Bei einer marktorientierten Segmentierung des Gesamtunternehmens werden alle Entscheidungen, die einen regionalen Markt oder eine spezifische Kundengruppe betreffen, zu einer Einheit zusammengefasst. In der Realität sind Regionalorganisationen, die jeweils für eine gewisse Region zuständig sind, das bekannteste Beispiel für eine feldorientierte Segmentierung. Die Spielraumkompetenz nacheinander gelagerter organisatorischer Einheiten wird durch eine schrittweise Detaillierung einer Entscheidungsaufgabe eingegrenzt. Die Entscheidungsautonomie ist bereits durch die Überordnung einer anderen Einheit eingeschränkt und wird durch eine zusätzliche ausführliche Detaillierung weiter begrenzt. Ein Beispiel
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3
A. Kampker et al.
für den Kompetenzspielraum findet sich in der Festlegung für den maximalen Marktpreis, den die Entscheidungseinheit für die Beschaffung eines bestimmten Rohstoffs bezahlen darf [3]. Strukturierungs- und Segmentierungsmaßnamen müssen sich bei Gestaltung einer organisatorischen Rahmenstruktur eines Unternehmens immer parallel abspielen, da sie sonst nur die Entscheidungsinhalte oder die Entscheidungsspielräume ohne exakte Zielsetzung festsetzen würden. Die entstehenden Teilentscheidungskomplexe stehen oft in Abhängigkeit zueinander, sie teilen Ressourcen- und Marktpotentiale untereinander auf und sind so durch Interdependenzbeziehungen miteinander verbunden. Folglich gewinnt die Gestaltung von Kommunikationsstrukturen, also der Austausch von Informationen zwischen organisatorischen Einheiten, immer mehr an Bedeutung. Die Notwendigkeit entsteht immer dann, wenn sich der Ort von Informationsanfall bzw. -speicherung von dem des Informationsbedarfs unterscheidet. Sie ist zwischen allen organisatorischen Einheiten möglich, unabhängig von der vertikalen oder horizontalen Beziehung. Es muss lediglich eine Infrastruktur bereitgestellt werden, die die Weitergabe wichtiger Informationen bereitstellt. Oft wird auch untersucht, welche Informationen in welchem Umfang übermittelt werden dürfen. Bei der Gestaltung der Kommunikationsvorgänge sollten daher folgende Aspekte festgelegt werden [3] (Abb.€3.2): Durch Interdependenzen und Potentialtrennung können negative Folgeerscheinungen der arbeitsteiligen Organisationsstruktur deutlich werden. Man spricht von einer Interdependenzbeziehung, wenn die Entscheidung einer Einheit unmittelbare Konsequenzen für eine andere hat und so deren Entscheidungen zielrelevant beeinflusst [3, 9]. Abhängig von der Wettbewerbsstrategie eines Unternehmens sowie der jeweiligen individuellen organisatorischen Rahmenstruktur entsteht eine spezifische Interdependenzkonstellation, die einen hohen Kommunikationsbedarf benötigt um Ineffizienzen zu vermeiden. Zusätzlich kann die wirtschaftliche Nutzung durch die Segmentierung zusammenhängender Aufgabenteile beeinträchtigt werden, indem Ressourcen- und Marktpotentiale komplett von einander getrennt werden. So können beispielsweise durch eine Trennung der zentralen Beschaffungseinheit in eigenständige, lokale Beschaffungseinheiten gemeinsame und schließlich günstigere Lieferverträge durch Zusammenarbeit mehrerer Produktionseinheiten unbemerkt bleiben. Derartige Probleme lassen sich nur durch das Eingreifen übergeordneter Bereiche vermeiden.
Kommunkationsgrund Kommunikationsinhalt
Kommunikationsmedium Sprache
Abb. 3.2↜╇ Gestaltung der Kommunikationsvorgänge
Sender
Kommunikationsweg
Empfänger
3â•… Unternehmensstruktur
139
Die Einführung mehrdimensionaler Organisationsstrukturen besitzt durch eine bereichsübergreifende Sicht die Fähigkeit die negativen Konsequenzen einer Potentialtrennung zu vermeiden.
3.1.1.3 Effizienzkriterien Ein wichtiger Bestandteil der Organisationstheorie und ihrer organisatorischen Gestaltungsmaßnahmen ist die Herausforderung, aufgabenlogische und verhaltensbezogene Auswirkungen von organisatorischen Regelungen sowie die objektive Beurteilung der relativen Vorteilhaftigkeit alternativer Organisationsstrukturen zu erkennen. Oft werden aktuelle oder bereits erfolgreiche Organisationskonzepte übernommen. Diese Vorgehensweise resultiert nicht aus einer Unkenntnis über die vorherrschenden Unternehmensprobleme sondern vielmehr aus einer Unkenntnis der möglichen Auswirkungen der jeweiligen Organisationsstruktur auf die Erreichung des Unternehmensziels. Zudem besteht eine Schwierigkeit darin, aus dem Gesamtziel die einzelnen untergeordneten Teilziele herauszufiltern. Denn erst durch diese sogenannten Subziele können konkretere organisatorische Strukturen gewählt werden. Zur Bewertung der Effizienz alternativer Organisationsstrukturen ist es sinnvoll weiterhin zwischen der Koordinations- und Motivationsdimension zu unterscheiden. Während Kriterien zur Bewertung der Koordinationseffizienz aus dem Konzept der interpersonellen Arbeitsteilung ableiten lassen, muss für die Bewertung der Motivationseffizienz auf empirisch erarbeitete Kriterien zurückgegriffen werden [10]. Bewertungskriterien der Koordinationseffizienz: Die Koordinationseffizienz lässt sich als ein Vergleich der mit der alternativen Organisationsstruktur verbundenen Autonomie- und Abstimmungskosten beschreiben. Die arbeitsteilige Auflösung der Unternehmensaufgabe führt zu einer Übertragung von Entscheidungsautonomie auf untergeordnete Einheiten mit beschränkter Problemumsicht. Die Folge von suboptimalen Entscheidungen sind mitunter enorme Autonomiekosten. Um diese gering zu halten sind Abstimmungsmaßnahmen notwendig, welche im Gegenzug Abstimmungskosten mit sich bringen. Die optimale Koordinationsintensität liegt also im Minimum, das sich aus den Autonomie- und Abstimmungskosten zu Gesamtkosten zusammensetzt (s. Abb.€3.3) [10]. Die Koordinationseffizienz kann lässt sich weiterhin in folgende Bereiche untergliedern [10]: • • • •
Markteffizienz Ressourceneffizienz Prozesseffizienz Delegationseffizienz
Beim Bereich Markteffizienz stellt man die Nutzung von Potentialen in den Vordergrund. So sollen zum Beispiel Kontakte von Kunden und Lieferanten bereichsübergreifend auf das Gesamtunternehmensziel gereichtet werden. Indikatoren für eine niedrige Markteffizienz sind beispielsweise entgangene Beschaffungs- und Absatzchancen, sowie ungünstige Konditionen bei der Abwicklung von Markttransaktionen.
140
Kosten
Abb. 3.3↜╇ Zusammenhang zwischen Autonomie- und Kommunikationskosten
A. Kampker et al.
Gesamtkosten Autonomiekosten
3
Kommunikationskosten
0
K0 Intensität der Koordination
1
Wird die Ressourcennutzung (Personen, maschinelle Anlagen, Know-how) hinsichtlich der Ziele des Gesamtunternehmens über Bereichsgrenzen hinaus optimiert, spricht man von Ressourceneffizienz. Bei der Gestaltung des Leistungsprozesses, von seiner Auslösung bis hin zur Vertragserfüllung, sollte großer Wert darauf gelegt werden, alle Leistungsprozesse auf die Ziele des Gesamtunternehmens zu richten, um eine hohe Prozesseffizienz zu erhalten. Merkmale einer niedrigen Prozesseffizienz sind lange Durchlauf- und Zwischenlagerzeiten. Durch den Grad der Delegationseffizienz wird deutlich, in welchem Umfang die realisierte organisatorische Lösung die Nutzung des Informations- und Entscheidungspotentials durch übergeordnete Hierarchieebenen erlaubt. Für jede hierarchisch übergeordnete Einheit besteht die Möglichkeit sich den Informationsstand und das methodische Know-how untergelagerte Bereiche einzuholen, umgekehrt ist dies nicht möglich. Mit zunehmender Aufgabendelegation sinkt also die Entscheidungsqualität. Eine niedrige Delegationseffizienz wird durch eine unzureichende Verteilung von Ressourcen deutlich [10]. Bewertungskriterien der Motivationseffizienz: Im Gegensatz zu den Kriterien der Koordinationseffizienz, können die Kriterien zur Bewertung der Motivationseffizienz nicht logisch abgeleitet werden. Es werden daher die folgenden drei Konzepte, die in der Literatur oft als wichtige Einflussfaktoren auf die Motivation gewertet werden, herangezogen [10]: • Eigenverantwortung • Überschaubarkeit • Marktdruck Erhöhung der Eigenverantwortung durch Aufgabendelegation und dem Verzicht auf detaillierte und restriktive Vorgaben fördert Leistungsbereitschaft und setzt kreatives Potenzial frei. Ähnlich verhält es sich mit der Erhöhung der Überschaubarkeit durch die Untergliederung von Aufgabenbereichen in kleine Einheiten. Eine klare Definition der Grenzen der eigenen Aufgabe und die dadurch mögliche direkte Zurechnung von Ergebnissen fördern die Motivation der Beteiligten. Durch eine Erhöhung des Marktdrucks, also der Schaffung von Vergleichbarkeit der internen Prozesse mit Alternativen auf dem Markt, wird den Mit-
141
3â•… Unternehmensstruktur
arbeitern die Möglichkeit gegeben sich selbst gegenüber der Außenwelt zu benchmarken und so die eigenen Fähigkeiten objektiv zu betrachten [10].
3.1.1.4 Strategie Die oben aufgeführten Effizienzkriterien sind nicht für sich zu betrachten, da in der Regel Interdependenzen bestehen. Besonders zwischen den Kriterien der Koordinationseffizienz bestehen Trade-off-Beziehungen. So können beispielsweise Funktionalstrukturen eine hohe Markteffizienz, gleichzeitig aber eine niedrige Prozesseffizienz aufweisen. Es ist erforderlich die verschiedenen Koordinationseffizienzkriterien situationsabhängig zu gewichten. Es ist unbedingt notwendig, kritische Schnittstellen und Potentiale, welche essentiell bei der organisatorischen Gestaltung sind, zu erkennen. Durch die Summe aller in Betracht zu ziehenden Situationsvariablen kommt in diesem Zusammenhang der jeweils verfolgten Wettbewerbsstrategie eine besondere Bedeutung zu. Die Wettbewerbsstrategie verdeutlicht auf welche Art ein Unternehmen Wettbewerbsvorteile gegenüber der Konkurrenz erringen will. In Erweiterung des Strategiekonzepts von Porter [11, 12] lassen sich anhand unterschiedlicher Ausprägungen einer externen und internen Strategiedimension drei grundlegende Alternativen zur Erzielung von Wettbewerbsvorteilen unterscheiden ([13], s. Abb.€3.4 sowie Abschn.€2.1.2.4): • Strategie der Kostenführerschaft • Differenzierung bei Marktproduktion • Differenzierung bei Kundenproduktion Die Festlegung einer internen Strategiedimension beruht auf der Fragestellung, ob die angestrebten Wettbewerbsvorteile primär auf einem ausgeprägten Lieferservice und hoher Produktqualität oder auf der Realisierung von Kostenvorteilen basieren sollen. Die externe Strategiedimension gibt an, in welchem Ausmaß der Kunde in den Leistungserstellungsprozess einbezogen wird, das heißt wie viel Einfluss er auf die Produktionsgestaltung hat und bis zu welchem Zeitpunkt er Änderungswünsche äußern darf.
interne Dimensionen
Lieferserviceorientierung Qualitätsorientierung
Differenzierung bzgl. Marktpositionen
Differenzierung bzgl. Kundenproduktion
Kostenorientierung
Kostenführerschaft
(ineffiziente Strategien)
Standardprodukte
Varianten- Kundenindividuell konstruierte produkte Produkte
Marktposition
Kundenproduktion
externe Dimensionen
Abb. 3.4↜╇ Systematisierung von Wettbewerbsstrategien [2]
142
A. Kampker et al.
Die Koordinationsdimension von Organisationsstrukturen und der jeweils verfolgten Wettbewerbsstrategie stehen in enger Relation zueinander und beeinflussen sich [10]:
3
• Durch die Wettbewerbsstrategie werden die beiden Bestandteile der Ungewissheit „Komplexität und Dynamik“ festgelegt. Deren Ausprägung hängt von der Koordination der Organisationseinheiten ab und wird besonders stark durch die externe Dimension beeinflusst. Denn je mehr Einflussmöglichkeiten der Kunde besitzt, desto größer wird tendenziell die zu berücksichtige Ungewissheit. Daraus folgt, dass der Koordinationsaufwand und die erforderlichen Abstimmungskosten in einem Unternehmen mit konsequenter Kundenorientierung wesentlich höher sind, als die in einem Unternehmen, das standardisierte Produkte für einen breiten Markt erstellt. • Im Bezug auf die Wettbewerbsstrategie muss eine Beurteilung des strategischen Stellenwerts von Aufgaben und damit die Identifizierung der kritischen und koordinationsrelevanten Interdependenzen stattfinden. • Rückgreifend auf die Wettbewerbsstrategie muss entschieden werden, auf welches Effizienzkriterium bei der organisatorischen Gestaltung der Schwerpunkt gelegt wird, da eine gleichzeitige hohe Prozess-, Markt- und Ressourceneffizienz nicht möglich sind. Eine weiterführende Behandlung des Themenfeldes Unternehmensstrategie wurde in Kap.€2 durchgeführt.
3.1.2 Eindimensionale Organisationsstrukturen 3.1.2.1 Unternehmensbereiche Bei der organisatorischen Gestaltung des Gesamtunternehmens, der Entwicklung einer Rahmenstruktur für alle Unternehmensaktivitäten, werden zwei Schwachstellen deutlich. Die erste ist die Schaffung einer Unternehmensleitung und die zweite ist die Gestaltung der untergeordneten Unternehmensbereiche. Als Unternehmensleitung bezeichnet man die Kerngruppe des Unternehmens. Ihre Aufgaben obliegen der Formulierung und der Durchsetzung der für alle Unternehmensaktivitäten verbindlichen Ziele (vgl. Abschn.€1.1). Durch diese und dem dadurch vorgegebenen Handlungsrahmen werden die Aufgaben der nachfolgenden Unternehmensbereiche festgelegt [10]. Die Rahmenstruktur des Gesamtunternehmens und ihre inhaltliche Gestalt werden durch die Unternehmensleitung bestimmt. Sie formuliert die Entscheidungsinhalte und die Entscheidungsspielräume der operativen Bereiche der zweiten Hierarchieebene. Die Organisation der Unternehmensbereiche äußert sich in den Grundformen produktorientierter, funktionsorientierter oder marktorientierter Organisationsstrukturen. Doch zunächst soll gezeigt werden, wie weit man die Unternehmensleitung vom operativen Geschäft durch Maßnahmen der rechtlichen Verselbstständigung, insbesondere der Holdingkonzeption, abgrenzen kann.
3â•… Unternehmensstruktur
143
Bei der rechtlichen Verselbstständigung von Teilbereichen durch Bildung von Gesellschaften mit eigener Rechtspersönlichkeit ist aus organisatorischer Sicht vor allem die Entstehung gesonderter Organe der Willensbildung relevant. Wenn nun ein Unternehmensbereich verselbstständigt wird, werden die Entscheidungen der Bereichsleitung nach GmbH-Gesetz (GmbHG) zwei Organen, der Geschäftsführung und der Gesellschaftsversammlung, zugeordnet [14]. Aus Koordinationssicht ändert sich hierbei aber nichts, denn die Zuordnung von Entscheidungskompetenzen, die Einbindung in das Planungssystem des Gesamtunternehmens und die Regelung der Kommunikationsbeziehungen sind durch die rechtliche Verselbstständigung nicht betroffen. Aus Koordinationsgründen gibt es somit kein Argument für die rechtliche Verselbstständigung. Eigentlich orientieren sich nur die formalen Aspekte der Beziehungen zwischen Unternehmensleitung und Unternehmensbereichen an den Vorschriften des GmbHG [15]. Eine rechtliche Verselbstständigung kann auch wegen seiner Motivationsförderung unterstützt werden. Durch die Entstehung des Geschäftsführers auf der Ebene der Bereichsleitung (eines Willensbildungsorgans) entsteht zunehmend das Gefühl der Selbstständigkeit und Entscheidungsfreiheit, wodurch eine antreibende Wirkung und eine zusätzliche Motivation hervorgerufen werden. Die Bildung einer Holding unterscheidet sich von einer rechtlichen Verselbstständigung. Bei einem Holdingkonzept spricht man bezüglich des Unternehmens von der wirtschaftlichen Einheit „Konzern“. Die Konzernspitze bildet die Unternehmensleitung; sie ist rechtlich verselbstständigt. Auf der zweiten Hierarchieebene befinden sich die Unternehmensbereichsleitungen, welche ebenfalls als rechtlich verselbstständigte Einheiten gelten. Im Vergleich mit einem Stammhauskonzern werden die Merkmale des Holdingkonzepts deutlich. Beim Stammhauskonzern ist die Konzernunternehmensleitung mindestens einem Geschäftsfeld zugeordnet. Die Konzernmutter greift für diese Geschäftsfelder bei der Durchsetzung ihrer Entscheidungen auf Rechte, die sich aus dem Direktionsrecht ableiten lassen, gegenüber den Arbeitnehmern zurück. Innerhalb des Holdingkonzepts treffen definierte Gremien und Organe der rechtlich selbstständigen Einheiten Leitungsentscheidungen. Entscheidungen werden hierbei mit juristischem Hintergrund getroffen. Aus der Holdingdefinition ergeben sich keine koordinationsbezogenen Konsequenzen, die die Entscheidungsfreiheit der Bereichsleitungen weiter einschränken könnten. Es gilt, dass Effizienzvorteile nur aus Annahmen über die Motivationswirkungen abgeleitet werden können. Durch den Übergang eines Stammhauskonzerns zu einer Holding kann die empfundene Selbstständigkeit vergrößert und das Gleichgewicht der verschiedenen Geschäftsfelder in den Vordergrund gestellt werden. Durch diese wichtigen Punkte wachsen Selbstbewusstsein und Motivation der Mitarbeiter.
3.1.2.2 Funktionsorientierte Organisationsstrukturen Die Funktionalorganisation ist die älteste Form des Industriebetriebes und noch heute ist ein großer Teil der deutschen Unternehmen mit homogenen Produktprogrammen funktional organisiert. Bei der funktionsorientierten Organisationsstruktur wird das Unternehmen
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A. Kampker et al.
Abb. 3.5↜╇ Funktionsorientierte Organisationsstruktur [10]
Geschäftsleitung
Einkauf
3
Produktion
Vertrieb
Verwaltung
in Bereiche unterteilt, die alle gleichartigen Handlungen zusammenfassen s. Abb.€3.5. Besonders kleine und mittlere Unternehmen wählen häufig eine funktionale Organisationsform um Redundanzen, wie sie bei einer produktorientierten Organisationsstruktur vorkommen, zu vermeiden. Vorteilhaft zeigen sich weiterhin die Abgrenzung von klaren Aufgaben-, Kompetenz- und Verantwortungsbereichen sowie die Möglichkeit zur Spezialisierung. Als Nachteil sind mögliche Schnittstellenprobleme und „Bereichsdenken“ aufzuführen. Letzteres kann durch ungünstig ausgelegte Anreizsysteme noch verstärkt werden. Durch die internen Leistungsverflechtungen entstehen Abhängigkeiten. Sie betonen die Koordinationsproblematik der Funktionalorganisation. Bei dieser Organisationsform kommt der Interdependenzart und damit dem Kriterium der Prozesseffizienz eine große Rolle zu. Die Koordination in funktionsorientierten Organisationsstrukturen gilt als eine große Herausforderung, da alle internen Leistungsverflechtungen für einen reibungslosen Ablauf der Betriebsprozesse abgestimmt werden müssen. Dies geschieht mit Hilfe von Koordinationsausschüssen. Neben den laufenden Koordinationen gehört auch die Regelung der Interdependenzen bei der Erstellung von kurz- und mittelfristigen Planungen zu deren Aufgaben. Wenn einem Funktionsbereich eine dominierende Position zugeteilt wird, lassen sich die Leistungsverflechtungen weiter vereinfachen. Dieser Bereich setzt mit seiner dominierenden Rolle Planansätze fest und erstellt einen begrenzenden Rahmen für die Entscheidungen der andern Bereiche [16]. Ressourceninterdependenzen und Marktinterdependenzen stellen im Gegensatz zu den internen Leistungsverflechtungen keine hohen Ansprüche an organisatorischen Maßnahmen und stellen somit die Stärken der Funktionalorganisation dar. Durch die Vereinigung gleichartiger Funktionen wird gleichzeitig eine organisatorische Gliederung der Ressourcen vorgegeben. Die daraus resultierende effiziente Ressourcennutzung ist für Unternehmen mit homogenen Produktionsprogrammen ein entscheidender Grund für die Wahl der Funktionalorganisation. Auch im Bezug auf die Markteffizienz besitzt die Funktionalorganisation klare Vorteile. Die organisatorische Zusammenfassung aller Marktaktivitäten in einem Funktionsbereich verhindern Marktabhängigkeiten einzelner Bereiche [17]. Für die Funktionalorganisation lassen sich keine Auswirkungen auf die Motivation nachweisen. Da man davon ausgeht, dass die Motivationsauswirkung durch ein gewisses Maß an Autonomie und Abgrenzung zunimmt, ist anzunehmen, dass aufgrund der Leistungsverflechtungen bei der Funktionalorganisation die Motivation der Mitarbeiter beeinträchtigt wird. Allerdings spielen die individuell wahrgenommene Autonomie und die wahren Entscheidungsspielräume der Bereichsleiter eine ausschlaggebende Rolle. Eigenverantwortung bzgl. des Erfolgs einer Organisationseinheit ist ein zentrales Element der Funktionalorganisation, daher ist eine verminderte Motivationswirkung nicht zu erwarten.
145
3â•… Unternehmensstruktur
Fallbeispielâ•… Die funktionale Organisation eines inhabergeführten Werkzeugbauunternehmens aus Süddeutschland gliedert sich in die Bereiche Vertrieb, Projektleitung, Konstruktion, Programmierung, mechanische Fertigung, Montage, Einkauf und Versand. Das Unternehmen ist Teil einer Gruppe, die in fünf rechtlich unabhängigen Unternehmen europaweit insgesamt 460 Mitarbeiter beschäftigt. Die vier Schwesterunternehmen sind analog zu obiger funktionaler Organisationsstruktur strukturiert. Um der üblichen Koordinationsproblematik von funktionalen Organisationen entgegenzuwirken folgen in der Gruppe die Entscheidungsbefugnisse einer klaren Aufteilung, operative Entscheidungen werden weitgehend dezentral an den Standorten der einzelnen Unternehmen, strategische Entscheidungen zentral von der Führungsspitze getroffen. Dem vielfältigen Produktspektrum liegt eine Standardisierung der Prozesskette zugrunde, die es mit der standortübergreifenden Vernetzung der unabhängigen Unternehmen ermöglicht, komplexe Projekte in kurzer Zeit zu realisieren. Aufgrund der Aufteilung nach Märkten sowie den leicht verschiedenen Kernkompetenzen besteht zwischen den Unternehmen keine Konkurrenzbeziehung. Eine vernetzte Zusammenarbeit im Bereich der Beschaffung erlaubt die gezielte Nutzung von Skaleneffekten.
3.1.2.3 Produktorientierte Organisation Die produktorientierte Organisation bedeutet eine Abkehr von der traditionellen funktionalen Gliederung in die Bereiche Beschaffung, Produktion und Absatz. Bei dieser auch Spartenorganisation genannten Gliederung wird das Unternehmen in produktbezogene Teilbereiche mit notwendigen Kompetenzen für ein Produkt oder eine Produktgruppe unterteilt (s. Abb.€3.6). Produktorientierte Organisationsformen setzen eine gewisse Unternehmensgröße voraus, da die redundant angelegten Funktionsbereiche erst ab einem ausreichenden Arbeitsvolumen voll ausgelastet werden können. Vorteile liegen hierbei in einer verbesserten Abstimmung der Strategie und Prozesse auf die Produkte der jeweiligen Sparten. Weiterhin können die genauere Leistungszurechnung und gesteigerte Autonomie eine positive Auswirkung auf die Motivation der Mitarbeiter haben. Nachteilig sind jedoch der erhöhte Bedarf an Koordinations- und Leitungsstellen und der Verlust von Synergieeffekten. Potenzielle Differenzen zwischen Sparten- und Gesamtunternehmenszielen bergen zusätzliches Konfliktpotenzial.
Geschäftsleitung
Abb. 3.6↜╇ Produktorientierte Organisationsstruktur [10]
Produkt I
Produkt II
Produkt III
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3
A. Kampker et al.
Jedes Merkmal, welches sich produktspezifisch unterscheiden lässt, ermöglicht eine Unterteilung der Unternehmensbereiche. Folglich lässt sich jedes Mehrproduktunternehmen als Spartenkonzept, leider nicht immer ökonomisch sinnvoll, verwirklichen. Aufgrund der produktbezogenen Trennung der Ressourcen lassen sich bei dem Spartenprinzip Ressourcenanhängigkeiten vermeiden. Trotzdem kann bei dieser Organisationsstruktur die Ressourceneffizienz negativ beeinflusst werden. Eine exakte Ressourcenaufteilung ist nicht möglich woraus zwei ökonomische Nachteile entstehen. Einerseits wird durch die Zuteilung der Ressourcen zu verschiedenen organisatorischen Einheiten die Gesamtkapazität der jeweiligen Ressource erhöht, wodurch Leerkapazitäten auftreten können. Andererseits können bei der getrennten Beschaffung von Ressourcen unter Umständen wichtige Skaleneffekte nicht erreicht werden. Allerdings nimmt mit zunehmender Spartengröße der Einfluss der Ressourcenteilbarkeit ab. Wird eine Ressource nur nach bestimmten Kriterien von einer Sparte genutzt, spricht man von dem kritischen Bereich des Spartenkonzepts. Es folgt eine mangelhafte Ausnutzung und somit eine niedrige Ressourceneffizienz. Um dieser Problemstellung zu entweichen, werden Kernaktivitäten der Produktion zu „ zentralen“ Bereichen verschoben, so dass man weiter die Vorteile der Größendegression und der Spezialisierung nutzen kann. Bei solch einer ressourcenorientierten Spartenbildung bezeichnet man die zusammengefassten Produktionsaktivitäten als „Werke“. Ein entscheidender Vorteil der Spartenorganisation ist eine hohe Prozesseffizienz. Abhängigkeiten, welche durch interne Leistungsverflechtungen entstehen, beeinflussen diese nicht wesentlich. Der Hauptgrund dafür ergibt sich aus dem Segmentierungskriterium [10]. Aufgrund der Aufteilung in Sparten verfügt jede Entscheidungseinheit über Ressourcen und Kompetenzen zur Bewältigung ihrer Aufgabe. Auf diese Weise werden negative Konsequenzen der internen Leistungsverflechtungen umgangen. Die Spartenorganisation entsteht dabei häufig als Folge wachsender Unternehmen sowie einer zunehmenden Produktvielfalt. Anders als bei den Funktionalorganisationen, kann bei der produktorientierten Organisationsstruktur die Abhängigkeit von Marktschwankungen zu einem großen Problem werden. Sie stellen die Schwäche der Spartenorganisation dar. Die Aufteilung nach Produkten trennt oft einheitliche Märkte, so dass starke Marktinterdependenzen entstehen, welche sich in drei bedeutsame Formen zurückführen lassen [10]: • Konditionspolitische Interdependenzen zwischen den Sparten, • Substitutionskonkurrenz zwischen den Sparten, • Marktbezogene Synergieeffekte zwischen den Sparten. Das Problem der Marktinterdependenzen nimmt allerdings mit einem vielfältigeren Absatzmarkt ab. Bei extremer Diversifikation, bei sog. Konglomeraten, bestehen zwischen den verschiedenen Produktbereichen kaum relevante Marktinterdependenzen. Ist der Diversifikationsgrad gering, werden dagegen Marktinterdependenzen zwischen den Sparten unvermeidlich. Sie lassen sich durch organisatorische Maßnahmen nicht aufheben, können aber vernachlässigt werden. In diesem Falle wird ein Wettbewerb zwischen den Sparten erlaubt oder es werden absatzorientierte Instrumente bei den einzelnen Sparten aufgrund
3â•… Unternehmensstruktur
147
unternehmenspolitischer Entscheidungen auf bestimmte voneinander abgegrenzte Marktbereiche beschränkt eingesetzt. So kann diese Organisationsform zu einer starken Einschränkung der Markteffizienz führen und ist somit der funktionsorientierten Struktur deutlich unterlegen. Marktorientierte Modifikationen äußern sich vor allem darin, dass bei einer produktorientierten Grundstruktur manche Teilbereiche markt- und kundenorientiert gestalten werden, so zum Beispiel der Vertriebsbereich mit dem unmittelbaren Kundenkontakt. Ein Teil der Vertriebsaktivitäten werden aus den Sparten ausgegliedert und auf regional gegliederte Verkaufsorganisationen übertragen. Auf diese Weise werden Marktinterdependenzen in einem gewissen Grad in regionale „Verkaufsbüros“ verlagert. Wodurch eine kleine Erleichterung zur Abstimmung zwischen den Sparten erfolgt [10]. Für eine effizientere Nutzung trägt zusätzlich die Regelung der Kundenkontakte bei. Bei der stärksten Form der Kundenorientierung ist ein Mitarbeiter des Verkaufsbüros für alle Kontakte mit dem Kunden zuständig. Dieser kann sich auf die individuellen Kundenanforderungen einstellen, aber wegen seines begrenzten produktspezifischen Wissens muss er nach ersten Kontaktgesprächen zur Weiterführung der Verkaufsgespräche Spartenvertreter einbeziehen. Bei der Lösungsform mit schwächerer Kundenorientierung kann jeder Spartenvertreter in den regionalen Verkaufsbüros einen direkten Kundenkontakt knüpfen und pflegen. Da mehrere Mitarbeiter bei dem Kunden als Repräsentanten vertreten sind, sind weitere Koordinationsmaßnahmen innerhalb der Verkaufsbüros erforderlich. Durch die Spartengliederung entstehen in einem Unternehmen selbstständige Wirtschaftsbereiche mit autonom handelnden Bereichsleitern. Drucker geht davon aus, dass die Möglichkeit, selbstständig und eigenverantwortlich Entscheidungen zu treffen, positive Anreize für die Mitarbeiter schafft [18]. Zusätzlich ist bei einer reinen Form der Spartenorganisation eine eindeutige Ergebniszurechnung und Zuordnung von Gewinnverantwortlichkeiten möglich. Durch die einfache Möglichkeit auf verantwortliche Mitarbeiter zurückzuschließen, wächst die Motivation der jeweiligen Bereichsleiter. Hier zeigt sich allerdings auch die Kehrseite dieser Organisationsform, denn die größte Steigerung der Motivation wird mit gezielten Sanktionen als Leistungsdruck erreicht. Da die Sparten ressourcenunabhängig sind, ist es einfach Resultate zuzuordnen wodurch sich die Überwachung der einzelnen Sparten für die Unternehmensleitung als sehr einfach darstellt. Eine Vielzahl an Rentabilitäts- und Gewinngrößen, welche in der Wirtschaft weit verbreitet sind, dienen als Beurteilungskriterien. Dabei lässt sich der Erfolg nicht mit Hilfe von Bilanzkennziffern, sondern anhand des „Return of Investment“ bestimmen. Das Spartensystem ist somit ein organisatorisches Strukturkonzept mit vielen Werkzeugen zur simplen Erfolgsermittlung in den einzelnen Teilbereichen. Zu den besonderen Eigenschaften dieser Erfolgsindikatoren gehört, dass sie relativ einfach zu ermitteln sind und eindeutige Ergebnisse liefern. Diese unabhängige Anwendung auf die einzelnen Sparten des Systems fördert das Verantwortungsbewusstsein des einzelnen Spartenleiters und führt zu einem Wettbewerb zwischen den Unternehmensbereichen mit materiell unterschiedlichen Programmen, wodurch letztendlich ein zusätzlich fördernder Leistungsdruck entsteht. Solche genauen Kontrollen sind nicht immer realisierbar, da ressourcenorientierte Anpassungen zu Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Sparten führen. Daraus folgt, dass
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die Identifizierung und die Zuordnung des Erfolgsverantwortlichen wegen der unvermeidlichen Abhängigkeit und Beeinflussung anderer Spartenleiter immer schwerer wird. Diese Undurchsichtigkeiten spielen eine wesentliche Rolle im Bezug auf die Motivationswirkung. Um das Kontrollsystem trotz der unvermeidbaren Ressourcenunabhängigkeit dennoch aufrecht zu erhalten, dienen sog. Verrechnungspreise.
3 Fallbeispielâ•… Ein weltweiter Systemlieferant für die Bauindustrie folgt einer produktorientierten Organisationsstruktur, wobei sich seine Hauptgeschäftsfelder in Investitions- und Verbrauchsgüter unterteilen. Die Produkte werden über ein weltweites Direktvertriebsnetz angeboten, durch dessen regionale Verkaufbüros ein direkter Kundenkontakt hergestellt und gepflegt wird. Weitreichende strategische Entscheidungen, die den Auf- und Abbau von Arbeitsplätzen sowie Standortkapazitäten betreffen, werden von Vorstand und Verwaltungsrat gemeinsam getroffen. Dieser Entscheidungsprozess erfolgt projektbasiert. So werden Produktionsstandorte für Verbrauchsgüter nach Marktabdeckung ausgewählt, während Produkte der Sparte Investitionsgüter überschneidungsfrei einzelnen Standorten zugeteilt werden. Diese Unterscheidung erfolgt nach dem Kriterium der Wertdichte, welche nur bei den Investitionsgütern ausreichend hoch ist, um einen langen Transport zu rechtfertigen. Verbrauchsgüter werden jeweils im Markt für den Markt gefertigt. Zur Steigerung der Ressourceneffizienz werden ausschließlich diejenigen Produkte in-house gefertigt, die für das Unternehmen gegenüber den Mitbewerbern ein Differenzierungsmerkmal darstellen, sei es durch Kostenvorteile oder durch Qualitätsvorteile, und die besonderem Know-how Schutz unterliegen. Alle anderen Produkte und Komponenten werden aus externen Quellen/Werken bezogen. So stammen beispielsweise nur 20€% des Gesamtproduktes aus der internen Fertigung, 80€% eines Produktes sind Zulieferteile einschließlich sämtlicher Anbauteile.
3.1.2.4 Marktorientierte Organisationsstrukturen Die marktorientierten Organisationsstrukturen sind hauptsächlich regional orientiert. Die Einteilung der Entscheidungsträger und die organisatorische Gliederung der Teilbereiche richtet sich nach den Abnehmern bzw. Kundengruppen oder Branchen (s. Abb.€3.7).
Geschäftsleitung
Abb. 3.7↜╇ Marktorientierte Organisationsstruktur [10]
Region A
Region B
Region C
3â•… Unternehmensstruktur
149
Die Einzelbereiche des Unternehmens werden bei der Regionalorganisation so eingerichtet, dass sie die Entscheidungen, Funktionen, das Know-how und die Ressourcen, die für die Produkte einer bestimmten Region nötig sind, aufweisen. Vor allem große, global aufgestellte Unternehmen strukturieren sich in nach einer marktorientierten Organisation. Die Vorteile liegen hier klar bei der besseren Abstimmung der Regionalbereiche auf die Anforderungen der jeweiligen Märkte. Analog zur produktorientierten Organisationsstruktur bestehen jedoch auch Nachteile durch den Aufbau von redundanten Kapazitäten. Eine besondere Herausforderung kommt bei dieser Organisationsform auch dem Wissensmanagement zu, um sicherzustellen, dass erarbeitetes Wissen an allen Standorten verfügbar ist. Bei dieser Organisationsstruktur kommt der Markteffizienz die größte Bedeutung zu. Durch den regional abgegrenzten Markt ist ein schnelles Handeln im Bezug auf Kundenwünsche und Konkurrenten möglich. Mit dieser Marktunabhängigkeit kann die maximale Ausbeute des Marktpotenzials erreicht werden. Auf diese Weise können aber auch Vor- und Nachteile bezüglich des Absatzes entstehen. Einer der größten Vorteile sind mögliche Synergieeffekte. Diese können durch eine gemeinsame Nutzung von Ressourcen oder auch Vertriebskanälen erzielt werden. Die resultierenden Kostenersparnisse führen zu Wettbewerbsvorteilen. Als Beispiel kann man die Überschneidungen bei der Entwicklung zweier neuer Produkte in einem Großunternehmen nennen. Gefahr besteht hierbei hinsichtlich der gegenseitigen „Kannibalisierung“ der Produkte auf einem eingegrenzten Markt und dem daraus folgendem negativen Einfluss auf den Absatz. In Folge der Globalisierung und „Multinationalität“ wird die Zuordnung der Arbeitnehmer zu den einzelnen Regionen immer schwieriger und das Problem der Marktinterdependenzen kann auftreten. Das Fehlen von Ressourceninterpendenzen sowie der Abhängigkeiten interner Leistungsverflechtungen sind charakterisierend für die reine Form der Regionalorganisation. Aus diesem Grund würde die Prozesseffizienz innerhalb dieser Organisationsstruktur eine heraussaugende Stellung besitzen, wenn nicht Anforderungen bezüglich der Ressourceneffizienz der konsequenten Umsetzung der Regionalorganisation entgegenständen. Die Steigerung der Ressourceneffizienz hat eine Senkung der Prozesseffizienz zur Folge. Ressourcenautonomie ist oft durch räumliche Distanz vorgegeben, wobei Ressourcen wie Know-how auch bereichsübergreifend genutzt werden. Dies gilt speziell für Unternehmen, die Produkte mit hohem Innovationsgrad herstellen. Die einzige sinnvolle Lösung ist die Einführung eines Stammhauses als zentralem Ort, an dem solche Ressourcen zusammengefasst werden. Die Folge der Bildung einzelner gesonderter Einheiten mit Produkt-Know-how sind interne Leistungsverflechtungen, welche wiederum zu Sparten mit weltweiter Produktverantwortung führen. Dabei wird die strenge Form der Regionalorganisation aufgegeben. Bei einer reinen Form der Regionalorganisationen fällt die Motivationsauswirkung positiv aus. Der mitunter hohe Umfang an Koordinationsmaßnahmen und die daraus folgenden Abhängigkeiten führen zu einer Verminderung der Selbstständigkeit und Entscheidungsfreiheit. Veränderungen von Regionalstrukturen und zahlreiche Anpassungsmaßnahmen beeinflussen somit die Motivation nachteilig [10].
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Fallbeispielâ•… Ein weltweit operierender Nutzfahrzeughersteller organisiert sich nach einer marktorientierten Mischstruktur. Reine Marktorientierung ist im Hinblick auf die Nutzung von Synergieeffekten im Netzwerk meist nicht sinnvoll. Die Fertigung und Montage der Fahrzeuge erfolgt auf Basis eines globalen Netzwerks. Die einzelnen Fertigungsschritte sind auf die verschiedenen Standorte aufgeteilt, dadurch ist einerseits durch die räumliche Distanz eine Ressourcenautonomie gegeben, andererseits muss insbesondere das Know-how bereichsübergreifend genutzt werden. Dies erfordert sowohl hohen Kommunikationsaufwand, als auch die Nutzung von Synergieeffekten, die durch die gemeinsamen Zugriff Ressourcen und Wissen entstehen. Die Fahrzeugteilesätze werden in den lokalen Märkten für diese Märkte zusammengefügt, was eine Anpassung des Gesamtfahrzeugs an die dortigen Anforderungen erlaubt. Durch die modulare Bauweise und die marktgebundene Montage der Produkte ist eine schnelle und flexible Anpassung an die lokalen Kundenwünsche und Marktentwicklungen möglich. Aufgrund der Bündelung von Wissen über die Ressourcenkapazitäten und die spezifischen Kernkompetenzen an den jeweiligen Standorten erfolgt am Stammsitz die Entscheidung, wo ein Auftrag in jedem Einzelfall montiert wird.
3.1.2.5 Prozessorientierte Organisationsstrukturen Prozessorientierte Unternehmen konzentrieren sich im Wesentlichen auf ihre Geschäftsprozesse. Ziel ist es, sich von einer herkömmlichen funktionalen Organisationsstruktur zu lösen und das Unternehmen nach den Kernprozessen auszurichten. Nach Chandler ist die Organisationsstruktur einer Unternehmung eng mit ihrer Strategie verbunden und auf Prozessen basiert: „Structure follows process follows strategy“ [19]. Die Struktur soll den Ansprüchen der wichtigen Prozesse im Unternehmen folgen, und nicht umgekehrt. Unter einer Prozessorganisation versteht man eine dauerhafte Strukturierung, welche die Realisierung aller Prozessziele und deren Optimierung ermöglicht. Die Prozessorganisation soll einen essentiellen Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten. Zur Erfolgsidentifikation dienen folgende Einzelziele: Verkürzung der Durchlaufzeiten, Erhöhung der Prozessqualität, Verbesserung der Innovationsfähigkeit, Senkung der Kosten. Mit Hilfe der Prozessorganisation, welche sich bei der Gestaltung stark an Kundenwünschen sowie der Markt- und Wettbewerbssituation orientiert, verspricht man sich eine hohe Kundenzufriedenheit, wichtige Wettbewerbsvorteile, eine ausgeprägte Ressourcenintensität und die Möglichkeit flexibler und schneller Veränderungen am Markt gegenüber zu treten [20, 21]. Als Nachteil ist der hohe Aufwand bei der Einführung der Prozessorientierung in einem bestehenden Unternehmen zu sehen. Durch den Perspektivenwechsel von vertikalen, funktions- oder produktorientierten Strukturen hin zu horizontalen Strukturen
3â•… Unternehmensstruktur
151
erfordert ein fundamentales Umdenken im gesamten Unternehmen. Da Prozessschritte oft mehrere Funktionen betreffen wächst der Koordinationsaufwand zwischen diesen funktionalen Bereichen. Bei der Gestaltung optimaler Geschäftsprozesse sind vier Grundschritte zu beachten: • • • •
Definition Strukturierung Realisierung Optimierung
Die Funktionsweise der prozessorientierten Organisation basiert auf dem Gedanken, dass eine Unternehmung nur durch eine zielgerichtete Verknüpfung aller Aktivitäten marktfähige Leistungen erzeugen kann. Bei der Bewältigung dieser Aufgabe überwindet das Prozessmanagement durch seine strikte Ausrichtung auf die wertschöpfenden Abläufe die Mängel, die bei traditionellen Organisationskonzepten auftreten. Bei der Prozessorganisation werden ganze Prozessketten auf Organisationseinheiten zugeordnet. Man unterscheidet unternehmensinterne und unternehmensexterne prozessorientierte Organisationen. Es können unter anderem prozessorientierte Primärorganisationen, funktionale Organisationen mit Prozessverantwortung oder Matrix- bzw. Sekundärorganisationen als Organisationsformen eingerichtet werden [22]. Im Folgenden werden prozessorientierte Primär- und Sekundärorganisationen erläutert. Bei der prozessorientierten Primärorganisation wird das gesamte Unternehmen in Bereiche mit materiellen und informationellen Prozessen unterteilt, die alle miteinander verknüpft sind. Diese stellen eigenständige Organisationseinheiten dar und können völlig autonom ganzheitliche Aufträge bearbeiten. Dabei ist es die Aufgabe der Unternehmensführung eine Verbindung zwischen den Geschäftsprozessen zu erstellen und so eventuell problemlösend in die Prozessgeschäfte einzugreifen. Die Koordination innerhalb einer prozessorientierten Einheit folgt aus der aktuellen Marktsituation und den Wünschen externer und interner Kunden. So existiert keine hierarchische Grundstruktur, sondern eine variable sich selbst optimierende Struktur. Sie versucht sich dem wandelnden Marktwünschen und dem Wettbewerbsdruck mit der Zielsetzung der Marktfähigkeit anzupassen. Die Stellen- und Abteilungsbildung erfolgt also unter Berücksichtigung der spezifischen Erfordernisse eines effizienten Prozessablaufs. Die Aufgabenverteilung und die Festlegung der Stellenzahl orientieren sich dabei an der Anzahl der Bearbeitungsschritte und den jeweiligen Bearbeitungszeiten. Abbildung€3.8 zeigt die Organisationsstruktur eines Unternehmens mit vier Kernprozessen. Die Kernprozesse werden jeweils von einem Prozessmanager geführt und durch drei Zentralfunktionen und das Generalmanagement koordiniert. Als prozessorientierte Sekundärorganisation überlagert das Prozessmanagement die bereits bestehenden Primärstrukturen. Die Folge ist eine prozessorientierte Matrixorganisation, die aus einer vertikalen Dimension „Funktion“ und einer horizontalen Dimension „Prozess“ bestehen kann (s. Abb.€3.9). Auf diese Weise stellen die funktionsübergreifenden Geschäftsprozesse eine Schnittstelle dar. In jedem ehemals getrennten funktionellen Bereich existiert ein Prozessmanager (Process Owner), dessen Aufgabe die Steuerung aller Prozessabläufe umfasst.
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Geschäftsleitung Personalmanagement
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Finanzen
Einkauf
Kernprozess 1 Kernprozess 2 Kernprozess 3 Kernprozess 4
Abb. 3.8↜╇ Prozessmanagement als Primärorganisation [21]
Geschäftsleitung
Einkauf
Produktion
Vertrieb
Verwaltung
Einkauf
Produktentwicklungsprozess (PEP)
Einkauf
Auftragsabwicklungsprozess
Abb. 3.9↜渀 Prozessmanagement als Sekundärorganisation [21]
Fallbeispielâ•… Ein Anbieter von Maschinen und Dienstleistungen für den Industriezweig Druckmaschinen strebt durch eine Neustrukturierung eine prozessorientierte Sekundärorganisation an. Hinsichtlich der Verteilung von Wertschöpfungsumfängen soll an den verschiedenen Standorten eine Trennung nach Wertschöpfungsschritten anstelle von ganzen Produktlinien vorgenommen werden. Ein mögliches Szenario ist die Aufteilung in die Prozessschritte Entwicklung, Fertigung und Montage. Diesen Prozessschritten soll eine gemeinsame Beschaffung vorgelagert werden, so dass die Synergiepotentiale statt wie bisher zwischen vereinzelten Standorten, nun durch eine gemeinsame Steuerungsplattform unternehmensweit und durchgängig genutzt werden können. Die Abwicklung von Aufträgen und Produktentwicklungen sollen zukünftig als einheitlicher Prozess alle Wertschöpfungsschritte durchlaufen. Im Entscheidungsprozess existiert aufgrund der derzeitigen Matrixstruktur des Unternehmens erhöhtes Konfliktpotential. So besteht zum einen bei gewissen Entscheidungen keine klare Aufteilung der Entscheidungsbefugnisse und zum anderen konkur-
3â•… Unternehmensstruktur
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rieren teilweise gegensätzliche Zielvereinbarungen miteinander, wenn divisionale und funktionale Entscheidungskriterien gegenüber gestellt, bewertet und gewichtet werden müssen. Folglich wird in der zukünftigen Organisationsform ein Prozessmanager notwendig sein, dem die Steuerung der Prozesskette obliegt.
3.1.2.6 Zentralbereiche Bei Zentralbereichen handelt es sich um gesonderte Bereiche, welche nur Aufgaben erfüllen, die dem entsprechenden Unternehmensbereich zugehören. Dazu muss man eine der zuvor genannten Grundformen als Rahmenstruktur des Unternehmens wählen. Sie sind innerhalb der Bereiche für Aufgaben, welche aus Abänderungen und Ausgliederungen (Modifikationen) folgen, zuständig. Die Aufgaben des Zentralbereiches können sich über den Aufgabenbereich der Unternehmensleitung sowie über den der untergeordneten Unternehmensbereiche erstrecken und stehen somit „neben“ und „über“ den Unternehmensbereichen [10]: Die übergeordneten Zentralbereiche entstehen, wenn aus Sicht der Unternehmensleitung die Bewältigung bestimmter Aufgaben und Entscheidungen nicht den einzelnen Unternehmensbereichen übertragen werden kann. Dann kommt dem Zentralbereich die Rolle der Unternehmensleitung zu. Gleichgestellte Zentralbereiche, die auf einer Ebene mit den Unternehmensbereichen stehen, übernehmen ausgegliederte Aufgaben. Dabei kann es sich um Aufgaben handeln, die in keinem Unternehmensbereich mehr erfüllt werden, sondern nur noch in dem dafür zuständigen Zentralbereich. Ihm wird dafür die gesamte Entscheidungskompetenz, welche zur Bewältigung dieser Aufgabe nötig ist, übertragen. Oder alternativ werden den Zentralbereichen und den Unternehmensbereichen gleiche Aufgabenfelder mit den notwendigen Kompetenzen und Ressourcen zugeteilt.
Fallbeispielâ•… Früher basierte die Wertschöpfungsverteilung eines Lieferanten für Dichtungs- und Schwingungstechnik auf lokalen Standorten, die ein breites Produktspektrum zur Belieferung der lokalen Märkte anboten. Heute sind die Standorte in Lead Center und Partnerproduktionen eingeteilt. Innerhalb der Lead Center und Partnerproduktionen gibt es kleinere Business Units, segmentiert nach spezifischen Charakteristika (z.€B. Produkt A/B, Kleinserien/Großserien, Automatisierungsgrad). Die Lead Center sind als zentrale Produktentwicklungsstandorte zu verstehen. Erst nach marktreifer Entwicklung der neuen Produkte werden diese auf die Partnerproduktionen übertragen. Die Partnerproduktionen sind reine Produktionsstandorte mit sehr schlanken indirekten Bereichen, die sich aufgrund der ortsüblichen Lohnkosten überwiegend in Niedriglohnländern befinden. Mit einer
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A. Kampker et al.
Standardisierung der Produktionstechnologie wird zudem hinsichtlich Menge und Produktgestaltung angestrebt möglichst flexibel auf die Markt- bzw. Kundenanforderungen reagieren zu können.
3 Modelle der Zentralbereiche Letztendlich dient die Ausgliederung als Übersicht über alle von diesen Aufgaben abhängigen Bereichen. Die Vielzahl an Zentralbereichen unterscheidet sich in dem Punkt, wie weit sie die Unternehmensbereiche in ihrer Selbstständigkeit einschränkt. Diese erstrecken sich von den Extremen „vollständige Ausgliederung von Aufgaben“ (Kernbereichsmodell) und „keiner Bildung von Zentralbereichen“ (Autarkienmodell). Als „Zwischenlösungen“ dieser Fälle ergeben sich das Stabs-, Service-, Matrix- und Richtlinienmodell [10]. Beim Kernbereichsmodell entsteht ein Kernbereich, der auch intern weiter untergliedert werden kann. Er übernimmt Aktivitäten, die aus anderen Unternehmensbereichen gänzlich ausgegliedert werden. Dieser trägt als einziger Bereich die Verantwortung bei der Erfüllung dieser Aufgaben und so ist er in der Lage autonom zu handeln. Das Richtlinienmodell hat eine hierarchische Grundform. Die Teilaufgaben sind zwar dem Zentralbereich sowie den Unternehmensbereichen zugeordnet, dennoch besteht eine Dominanz des Zentralbereichs. Dieser darf den untergeordneten Unternehmensbereichen Richtlinien und Handlungsspielräume beim Erfüllen der Aufgaben vorgeben. Die Richtlinienbereiche besitzen also eine übergeordnete Stellung und können mit einer unternehmensweiten Sicht optimale Entscheidungen treffen und Handlungen koordinieren. Auch im Matrixmodell werden die Aufgaben von dem Zentralbereich sowie von den Unternehmensbereichen parallel erfüllt. Allerdings stehen bei diesem Modell die beiden Bereiche nebeneinander und dürfen Entscheidungen nur gemeinsam treffen. Dabei werden Ausschüsse mit gleichberechtigten Entscheidungsträgern aus beiden Bereichen gebildet. Der Vorteil des Matrixmodells ist die Zusammenführung des spezifischen Know-hows der einzelnen Unternehmensbereiche. Diese indirekte Verbindung über den Zentralbereich hat einen großen Einfluss auf die Entscheidungen. Das Servicemodell unterliegt dem einfachen Ausgliederungsprinzip. Dieser Zentralbereich ist für eine Vielzahl von Aufgaben aus dem Dienstleistungsbereich zuständig. Unternehmensbereiche und Zentralbereich übernehmen zusammen die Aufgabenbereiche, die durch die Fragen „Ob“ und „Was“ festgelegt werden. Dabei wird die Entscheidungsmacht aus den Unternehmensbereichen gebildet. Die übrigen Aufgaben und Entscheidungen über das „Wie“ der Auftragserfüllung kommen dem Zentralbereich hinzu. Im Gegensatz zum Servicemodell besitzt der Zentralbereich im Stabsmodell noch einen schwächeren Einfluss. Bei diesem Modell wird der Zentralbereich ähnlich wie beim Servicemodel als eine zusammengefasste Einheit mit Aufgaben der Unternehmensbereiche gesehen. Die Aufgaben des Zentralbereichs beruhen allerdings nur auf Entscheidungsvorbereitungen und sind somit für die Unterstützung der Unternehmensbereiche und der Informationenlieferung zuständig.
3â•… Unternehmensstruktur
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Im Autarkienmodell wird auf die Schaffung eines Zentralbereiches verzichtet. Die operativen Einheiten erfüllen die Aufgaben innerhalb ihres Autonomiebereiches weitgehend selbstständig.
Ziele und Beurteilung des Zentralbereiches Das Ziel bei der Bildung eines Zentralbereichs ist es, die maximale Ressourcen- und Markteffizienzen zu erreichen. Zusätzlichen können Ressourcen- und Marktabhängigkeiten in Entscheidungen stark berücksichtigt werden, wobei durch den unternehmensweiten Blick alle Potentiale vom Markt und der Ressourcen ausgeschöpft werden können. Ein besonderes Merkmal der Zentralbereiche sind die Mitarbeiter, die ein höheres Know-how, bereichsübergreifendes Wissen und bessere Sachmittelausstattung besitzen als die einzelner Unternehmensbereiche. So können Aktivitäten aus verschiedenen Teilbereichen in den Zentralbereich gebündelt werden, was zu einer Größendegression führen kann. Ein negativer Aspekt der Zentralbereich ist die negative Beeinträchtigung der Prozesseffizienz. Wenn beispielsweise die Vertriebsaktivitäten aus den Sparten ausgegliedert werden, entstehen interne Leistungsverflechtungen zwischen den Sparten und dem zentralen Vertriebsbereich. Zusätzlich leiden Motivationsvorteile, die auf einer horizontalen Autonomie der Unternehmensbereiche basieren. Da durch die Bildung eines Zentralbereichs die Selbstständigkeit der Unternehmensbereiche weitgehend verloren geht, zeigt sich in der Praxis, dass man die gemeinsame Nutzung von Markt- und Ressourcenpotentialen vermeidet. Mit der beibehaltenen Selbstständigkeit und Entscheidungsfreiheit, dem eigenen Markt- und Ressourcenpotential, sollen die Unternehmensbereiche eine große Verantwortung für ihre Funktionsbereiche übernehmen und somit motiviert handeln. Das Hauptziel der Entbürokratisierung ist es, keine Ressourcen für unwirtschaftliche Zwecke zu binden und keinen Programmen ohne sinnvollen Nutzen zu folgen. So folgt, dass man die Bildung von Zentralbereichen vermeiden will, da sie oft eine unbeabsichtigte Eigendynamik entwickeln. Ihre Unwirtschaftlichkeit wird aufgrund ihrer Marktdistanz nicht sichtbar und so stehen sie in einer engen Verbindung mit Unwirtschaftlichkeiten. Den größten Einfluss auf die Zentralbereiche haben die Unternehmensbereiche beim Servicemodell. Sie treffen hierbei die meisten Entscheidungen und können über Zeitpunkt und Art der Aufgaben der Zentralbereiche bestimmen. Folgen dieses Modells sind eine mangelnde Auslastung der Zentralbereichskapazitäten.
3.1.3 Mehrdimensionale Organisationsstrukturen Die „Dimensionalität“ beschreibt die Aufgabenteilung formaler Organisationsstrukturen. Eindimensionale Strukturen entstehen, wenn eine Aufgabe nach nur einem Kriterium zer-
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Geschäftsleitung
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Produkt I
Produkt II
Produkt III
Region A
Region B
Abb. 3.10↜渀 Mehrdimensionale Organisationsstrukturen: Zerlegung nach zwei Kriterien [10]
legt und organisatorischen Einheiten einer Hierarchieebene zugewiesen werden. Mehrdimensionale Strukturen entstehen dementsprechend, wenn mehrere Kriterien bei der Zerlegung einer Aufgabe beachtet werden [23] (s. Abb.€3.10). Mit mehrdimensionalen Organisationsstrukturen möchte man die Entscheidungsqualität verbessern und so negative Folgen eindimensionaler Strukturen vermeiden. Ein entscheidender Vorteil ist die Einbeziehung mehrerer Perspektiven bei mehrdimensionalen Organisationsstrukturen [23, 24], wobei gleichzeitig das Problem der Abstimmung der Teilaufgaben und der Erfassung aller komplizierten Entscheidungsprobleme folgen. Fallbeispielâ•… Bei einem Hersteller elektrischer/elektromechanischer und mechatronischer Komponenten basiert die organisatorische Ausrichtung auf einer mehrdimensionalen Diversifikation. Die Konfiguration der Wertschöpfungsverteilung wird einerseits nach Regionen andererseits nach Produkten vorgenommen. Die Standortwahl basierend auf dem Hauptkriterium Region folgt dem Prinzip „Follow-the-Customer“. Speziell die ersten ausländischen Standorte (Mexiko, Brasilien) folgten diesem Prinzip, aber auch neue Standorte für China und Indien. Die Fertigung findet in der Regel für den lokalen Markt bzw. für die lokalen Endprodukte der Kunden statt. Die Standorte werden von Kompetenzen und Kapazitäten so aufgebaut, dass sie weitgehend autark agieren können, inklusive der Entwicklung und Anpassung der Produkte an den lokalen Marktanforderungen. Das zweite Merkmal für die Verteilung der Wertschöpfungsumfänge unterteilt sich in low-cost und komplexe Produkte. Standorte für low-cost Produkte werden, soweit eine örtliche Entkopplung vom OEM möglich, im Hinblick auf Kostensenkungspotentiale ausgewählt. Die Standorte werden bewusst auf Kostenminimierung in der Fertigung ausgelegt, d.€h. Kompetenzen für Entwicklung werden zunächst nicht aufgebaut. Im Vergleich dazu können komplexe Kleinserienteile nicht wirtschaftlich an den großen Standorten hergestellt werden, die für die Produktion von Großserien ausgelegt werden. Unabhängig von der Konfiguration gelten für die Verteilung der Wertschöpfungsumfänge die Kriterien: Herstellkosten, Logistikkosten und Wechselkurse.
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3â•… Unternehmensstruktur
3.1.3.1 Prinzipen mehrdimensionaler Organisationsstrukturen Die Bildung dieser Organisationsstrukturen kann nach den Bildungsprinzipien „Überschneidung von Aufgaben“ und „Ausgliederung von Aufgaben“ erfolgen. In welchem Ausmaß sich die Prinzipien durchsetzten, entscheidet sich nach dem Einsatz von Rohstoffen die den Entscheidungskompetenzen zugewiesen sind.
Bildungsprinzip der „Überschneidung der Aufgaben“ Bei dem Bildungsprinzip der „Überschneidung der Aufgaben“ wird eine Aufgabe von mehr als einer organisatorischen Einheit übernommen um so die Mehrdimensionalität zu wahren. Dabei unterscheidet man das „Stabprinzip“ und das „Matrixprinzip“. Organisatorische Einheiten, die eine bestimmte Dimension repräsentieren, besitzen keine Entscheidungsgewalt über die Ressourcen der mehrdimensionalen Einheiten. Beim Stabprinzip findet eine strukturierte Aufgabenteilung statt, bei der einer bestimmten Einheit die Aufgabe „Entscheidungsvorbereitung“ und einer anderen „Entscheidungsfindung“ zugewiesen werden. Im Anschluss werden diese beiden Teilkomplexe nach verschiedenen Kriterien in weitere Teilaufgaben unterteilt. Man spricht von den sog. Stabseinheiten, die Beratungs- und Unterstützungsaufgaben für Linieneinheiten übernehmen. Die Hauptaufgaben der Stabseinheiten sind die Aufbereitung von Marktinformationen und die Entwicklung von marktorientierten Entscheidungsalternativen. Diese Aufgaben können von einer Einzelperson oder von mehreren Personen übernommen werden. Dabei kann es sich um den Kundenmanager oder den gesamten Beratungsausschuss handeln (s. Abb.€3.11). Der wesentliche Vorteil dieser Struktur ist die Tatsache, dass die Linieneinheiten alle nötigen Informationen ohne zusätzlichen Abstimmungsaufwand erhalten und folglich mit einer besseren Problemübersicht ihre Entscheidungsaufgaben erfüllen können.
Aufgabe
Vorbereitung der Entscheidung
Stab Markt A
Stab Markt B
Entscheidung
Produkt I
Produkt II
Produkt III
Unternehmensressourcen
Abb. 3.11↜渀 Stabsprinzip [10]
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Abb. 3.12↜渀 Matrixprinzip [10]
Aufgabe
Markt B
3
Produkt 2
Markt A
Produkt 1
kollektive Entscheidung
Aufgrund der mangelnden Entscheidungsfähigkeit der Stabseinheiten können Ineffizienzen zwischen Stab und Linie entstehen. Diese basieren auf personellen Konflikten oder auf der eventuellen Informationsmanipulation durch den Stab. Um die Koordinationsfunktionen zielgerichtet zu erfüllen, müssen die Mitarbeiter der Stabseinheiten als Integrationseinheiten durch die Entscheidungsträger der Linienbereiche akzeptiert werden [8]. Das Matrixprinzip beruht auf der gemeinsamen Bewältigung aller Entscheidungsteilaufgaben. Unter dem Matrixprinzip versteht man eine parallele Gliederung der Einheiten nach Aufgabenteilen. Im Gegensatz zum Stabprinzip besitzen alle Einheiten Entscheidungskompetenzen, wodurch aus verschiedenen Perspektiven Entscheidungen über den Einsatz der Ressourcen getroffen werden (s. Abb.€3.12). Die verschiedenen organisatorischen Einheiten, welche in einem unterschiedlichen Ausmaß Entscheidungen treffen dürfen, werden auf diese Weise durch Abstimmungsmaßnahmen verbunden. Dadurch werden Probleme schneller sichtbar und können besser in Planungen und Entscheidungen berücksichtigt werden. Je größer die Bereitschaft zur Zusammenarbeit aller Einheiten ist, umso erfolgreicher, schneller und zielgerichteter folgt die Umsetzung der Aufgaben. Das heißt, nur durch eine ausgeprägte Kooperationsbereitschaft aller Einheiten lassen sich Ziele erreichen und Konflikte wie gegenseitiges Blockieren und die Überlastung übergeordneter Einheiten durch Rückdelegationen vermeiden.
Bildungsprinzip der „Ausgliederung von Aufgaben“ Beim Bildungsprinzip der „Ausgliederung von Aufgaben“, dem Ausgliederungsprinzip, wird ein Aufgabenbereich, wie beim Matrixprinzip, nach mindestens zwei Kriterien zerlegt. Es folgt allerdings eine strikte Trennung der Aufgaben. Aufgabenteile, die einem Kriterium entsprechen, werden aus dem Aufgabenbereich, welches durch ein anderes Kriterium folgt, völlig herausgetrennt und separat behandelt. So entstehen unabhängige organisatorische Einheiten, die selbstständig über ihre zugewiesenen Ressourcen verwalten können (s. Abb.€3.13).
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3â•… Unternehmensstruktur
Aufgabe
Produkt I
Produkt II
Produkt III
Einkauf Produktion Vertrieb
Einkauf Produktion Vertrieb
Einkauf Produktion Vertrieb
Entwicklung
Entwicklung
Entwicklung
Unternehmensressourcen
Unternehmensressourcen
Unternehmensressourcen
Ausgegliederte Entwicklung
Unternehmensressourcen
ausgegliederte Aufgaben
Abb. 3.13↜渀 Ausgliederungsprinzip [10]
Kompetenzüberschneidungen mit anderen Einheiten hinsichtlich des Ressourceneinsatzes werden bewusst vermieden. Dieser Punkt ist ein wesentlicher Unterschied gegenüber dem Matrix- und dem Ausgliederungsprinzip, welcher die Koordination vereinfacht. Doch durch die fehlende Kooperation, besteht keine gemeinsame somit gegebenenfalls bessere Problemlösung.
3.1.3.2 Formen mehrdimensionaler Organisationsstrukturen Projektmanagement Ziel projektorientierter Organisationsstrukturen ist es, die Grenzen, an die traditionelle Organisationsstrukturen aufgrund häufiger Technologieänderungen, volatiler Märkte und wachsender Unternehmensgrößen stoßen, zu überwinden [10, 25, 26]. Hierzu wurde das Konzept des Projektmanagements entwickelt. Das Projektmanagement umfasst eine Vielzahl von Aufgaben bezüglich „zeitlicher Befristungen“, „Komplexitäten“ und „relativer
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Neuartigkeiten“. Ein Projekt enthält oft komplexe, schwer zu beurteilende Teilaufgaben und Abhängigkeiten, deren Einfluss meist weit über die Bereichsgrenzen hinauswächst. Projekte erfordern nicht nur die Mitwirkung verschiedener Spezialisten, sondern in einem erheblichen Maße auch die Bereitstellung technischer und finanzieller Ressourcen. Im folgenden werden zwei Problematiken des Projektmanagements [10] erläutert. Projekte sind befristete Vorhaben. Unternehmen hingegen sind organisatorische Systeme, die dauerhaft angelegt werden. Daraus resultieren zwei alternative Möglichkeiten zur Gestaltung der Projektorganisation. Zum einen kann die bestehende Organisationsstruktur ganz auf die Anforderungen des Projekts angepasst werden, mit allen daraus resultierenden Konsequenzen der Einrichtung und Auflösungen. Zum anderen kann das Projekt innerhalb der bestehenden Organisationsstrukturen durchgeführt werden, dabei muss man eine nicht optimal effiziente Projektorganisation akzeptieren. Projekte erfordern in der Regel die Mitwirkung verschiedener Unternehmensbereiche. Die Wirkungen dieses instabilen (weil zeitlich begrenzten) „Projektmanagements“ lassen sich nicht isolieren, sondern beeinflussen große Teile eines Unternehmens. Es lassen sich drei Formen des Projektmanagements unterscheiden: die Stabs-Projektorganisation, die Matrixprojektorganisation sowie die reine Projektorganisation [10]. Bei der Stabs-Projektorganisation werden die Projekte von Stäben wahrgenommen. Diese Projektstäbe sind selbstständig arbeitende Einheiten, die selbstverantwortlich Informationen sammeln und auf diese Weise Entscheidungen treffen. Theoretisch haben sie keine Weisungsbefugnis auf die am Projekt beteiligten Bereiche, doch aufgrund ihres Know-hows können sie dennoch einen großen Einfluss auf die Projektaktivitäten haben. Die Matrix-Projektorganisation beschreibt eine Aufteilung der Projektaufgaben nach Kompetenzen, das heißt, die Projektaktivität erfolgt in Zusammenarbeit verschiedener Fachabteilungen. In der Matrix-Projektorganisation liegt eine Überschneidung von Entscheidungskompetenzen hinsichtlich des Einsatzes von Ressourcen vor. Man spricht von einer reinen Projektorganisation, wenn die bestehenden Organisationsstrukturen auf die Anforderungen des Projekts angepasst werden. So werden projektbezogene Aufgaben aus dem Geschäftsbereich ausgegliedert und die projektbeteiligten Personen aus den verschiedenen Unternehmensbereichen einem selbstständigen Projektteilbereich zugeordnet. Folglich hat der Projektleiter dieses Bereiches im Bezug auf die Mitarbeiter uneingeschränkte Weisungsbefugnis. Bei Großprojekten ist auch die Gründung projektspezifischer Einzweckunternehmen denkbar [21]. Die Entscheidung für eine bestimmte Projektorganisationsform sowie deren Ausgestaltung hängt von vielen Faktoren ab. Besondere Bedeutung hat hier neben dem Leistungs-, Kosten- und Terminziel [25] auch die Motivationswirkung. Durch die Verselbstständigung des Projektbereichs in der reinen Projektorganisation wächst die Autonomie der Projektleitung und somit auch die Möglichkeit sich mit dem erzielten Projekterfolg zu identifizieren. Bei der Matrixstruktur hat die Projektleitung durch die ihr übertragene Verantwortung auch einen gewissen Grad an Freiheit. Die notwendige Inanspruchnahme von Ressourcen anderer Bereiche kann hier jedoch motivationsmindernd wirken, da eine eindeutige Ergebniszurechnung nicht mehr möglich ist. Generell können sich in der Matrix- aber auch in der Stabs-Organisation aus den vielfältigen Beziehungen zu den übrigen Unternehmensbereichen Beeinträchtigungen der Motivation ergeben.
3â•… Unternehmensstruktur
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Aus organisatorischer Sicht gilt es sowohl die Ressourcen- als auch die Prozesseffizienz zu bewerten. Da sich Ressourceneffizienz durch die Bündelung von Aufgaben, die die gleichen Ressourcen benötigen, ergibt, ist die reine Projektorganisation allen anderen Formen unterlegen. Je mehr man sich auf der Skala der organisatorischen Gestaltungsmöglichkeiten der Stabs-Projektorganisation nähert, desto höher sind die organisatorischen Lösungen hinsichtlich der Ressourcennutzung zu bewerten. Eine hohe Prozesseffizienz kann erreicht werden, wenn alle Aktivitäten auf ein Projektziel gerichtet sind. Diese Effizienz nimmt in dem Maße ab, in dem die Anzahl der Aufträge einer Projektgruppe wächst. In der reinen Projektorganisation sind die Aktivitäten aller Projektbeteiligten auf ein Projektziel ausgerichtet. Dagegen wird in der Matrix-Projektorganisation ein Teil der Mitarbeiter gleichzeitig durch Aufgaben anderer Projekte und/ oder Produkte in Anspruch genommen. Diese Abschwächung der Zielorientierung erreicht ihren Höhepunkt in der Stabsprojektorganisation. Die durch diese Abstufung abgebildete Zunahme der Koordinationsproblematik findet sich in der abnehmenden Prozesseffizienz in Richtung Matrix-Organisation wieder.
Produktmanagement Produktmanagement kann vereinfacht definiert werden als Handhabung aller mit der Betreuung eines Produkts oder einer Produktgruppe verbundenen Aufgaben des Produktmanagers von der Information über die Planung bis hin zur Kontrolle und Koordination. Der Anwendungsschwerpunkt des Produktmanagements liegt hauptsächlich im Absatzbereich. Dabei wird die produktorientierte Dimension in die organisatorische Grundstruktur verankert. Diese kann funktions-, markt- bzw. kundenorientiert sein. Entstehungsgründe des Produktmanagements sind vor allem: • Zunehmende Komplexität der Teilaktivitäten durch Ausweitung der betrieblichen Aufgaben, zum Beispiel Verkaufsförderung und Marktforschung. • Durch den zunehmenden Wettbewerb verkürzt sich die Lebensdauer einzelner Produkte. Zur eigenen Absicherung erfordert dies eine Auffächerung des Produktionsprogramms. Man spricht vom Trend zum Mehrproduktunternehmen. Die hierdurch gestiegenen Anforderungen an die Organisationsstrukturen sollen durch die Übertragung der Aufgaben eines Produkts oder eine Produktgruppe auf eine besondere Organisationseinheit (Produktmanager) bewältigt werden. Gleichzeitig wird eine funktionale oder marktorientierte Gliederung beibehalten. Der Produktmanager übernimmt die sonst nicht verankerte Abstimmung der verschiedenen Aktivitäten für ein Produkt. Zu seinen Aufgabenbereichen gehören [10]: • die Sammlung und Aufbereitung von produktbezogenen unternehmensinternen und externen Informationen, der Beobachtung des Marktes (Käufer, Konkurrenz), die Erstellung von Marktprognosen, die Analyse des Produktstatus und des Lebenszyklus • die Entwicklung langfristiger Wachstums- und Wettbewerbsstrategien für das einzelne Produkt, die Mitwirkung bei der Erstellung von Plänen, der Entwurf des Marketingprogramms im Rahmen des vorgegebenen Budgets
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• die Kontrolle der Realisation von Produktplänen, die Einwirkungen auf die verschiedenen Bereiche zugunsten des zugeordneten Produkts, Einleitung von Anpassungsmaßnahmen bei sich ändernden Marktbedürfnissen.
3
Markt-/Kundenmanagement Kundenmanagement bezeichnet in der Betriebswirtschaft ein Instrument für eine Organisation, ihre Kundenorientierung zu verbessern. Ziele sind die kundenorientierte Ausrichtung des Unternehmens, die Stabilisierung gefährdeter Kundenbeziehungen und die Erhöhung der Kundenbindung. Auch das Markt-, bzw. Kundenmanagement findet im Absatzbereich seinen Einsatzschwerpunkt. Auch das Markt- bzw. Kundenmanagement findet im Absatzbereich seinen Einsatzschwerpunkt. Hierbei wird bei funktions- oder produktorientierter Grundstruktur durch organisatorische Spezialeinheiten (den Marktmanagern) auf die besonderen Kunden- und Marktbedürfnisse eingegangen. Die Aufgaben werden jeweils für ein Marktsegment, insbesondere für Kunden und Kundengruppen, auf die Marktmanager übertragen. Unabhängig von der organisatorischen Basisstruktur des Unternehmens (produkt-, markt-, funktionsorientierter Organisationsform) lassen sich die Formen des Marktmanagements realisieren. Wie beim Produktmanagement, stellen hierbei auch die Stabs- und Markt-Organisationsform die wichtigsten Strukturen dar [10]. Marktmanager („Kundenmanager“ oder auch „Key-Account-Manager“) werden dann eingesetzt, wenn sich das Unternehmen einer überschaubaren Zahl an Marktsegmenten gegenübersieht, die ein unterschiedliches Marketing erfordern. Zu den Aufgaben des Marktmanagers gehören: • die Entwicklung einer auf das zu betreuende Marktsegment zugeschnittenen Marktstrategie (Marktforschung: Kunden- und Konkurrenzbeobachtung, Planung, Kontrolle und interne Koordination) • Verhandlungsführung und Kontaktpflege mit gegenwärtigen und potentiellen Abnehmern, die dem zugewiesenen Marktsegment angehören.
3.2 Ressourcen 3.2.1 Begriffserklärung Die im Bereich der produzierenden Unternehmen verwendeten Ressourcen können diversen Kategorien zugeordnet werden. Im Wesentlichen wird zwischen technischen Ressourcen, materiellen bzw. tangiblen Ressourcen und immateriellen bzw. intangiblen Ressourcen unterschieden.
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Die technischen Ressourcen sind im Unternehmen vorhandene Produktionsfaktoren, die als Input in den Produktionsprozess eingehen. Sie sind nicht für einen speziellen Anwendungsfall bestimmt, sondern existieren langfristig und unabhängig von konkreten Anwendungen. Beispiele sind Patente, spezielle Softwareprodukte oder eine maßgeschneiderte IT-Architektur. Zu den materiellen bzw. tangiblen oder visiblen Ressourcen zählen folgende Faktoren: • Gebäude, die den Schutz für Produktionsmittel gewährleisten bzw. wertschöpfende Prozesse, wie Reinraumanwendungen ermöglichen. • Kapital, als finanzielle Ressource (s. Abschn.€3.2.2.4), kann durch einfache Transferierbarkeit in andere Ressourcen höherer Bedeutung überführt werden. Technologisch ist sie minder relevant. • Eingangsmaterialien der gesamten Produktion, die ins Endprodukt eingehen (auch Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe (RHB-Stoffe)). Die stetige Verfügbarkeit der Materialien ist durch Lagerbestände zu gewährleisten. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass durch die renditelose Festlegung des Kapitals in der Ressource die Kapitalbindung steigt. RHB-Stoffe werden in diesem Kapitel nicht näher betrachtet [27]. • Informationssysteme unterstützen die betrieblichen Prozesse und dienen dem Personal als Werkzeug der täglichen Arbeit (s. Abschn.€3.3). • In technologieintensiven Unternehmen ist das Personal von besonderer Bedeutung (s. Abschn.€3.2.2.1). Ein Großteil des betriebsinternen Know-hows ist im Wissen der Mitarbeiter kodiert, so dass der Mitarbeiter als Träger der immateriellen Ressource „Wissen“ zu verstehen ist (s. Abschn.€3.2.2.2). Darüber hinaus trägt das Personal mit seinen Qualifikationen zu einem stabilen Ablauf von Unternehmensprozessen bei. • Unter Betriebsmittel sind nach VDI-Richtlinie 2815 alle Maschinen, Geräte und Anlagen zur Durchführung von Fertigungs-, Handhabungs-, Transport-, Prüf- und Lagerschritten subsumiert (s. Abschn.€3.2.2.3). Der dritte Bereich, die immateriellen Ressourcen, oder auch intangible Ressourcen genannt, beinhalten im Wesentlichen invisible Fähigkeiten eines Unternehmens: • Reputation: Hier ist der technologische Bezug nur bedingt gegeben. Das Image eines Unternehmens ist nur von Relevanz, wenn es impliziter Teil der Kundenanforderungen ist. Da Reputation aus produktionstechnischer Sicht nicht im Vordergrund steht wird im Folgenden nicht weiter darauf eingegangen. • Netzwerke, die über den organisatorischen Rahmen hinaus gehen. Die Möglichkeit Kapazitäten und Fähigkeiten über Partnernetzwerke zu erweitern spielt in der heutigen Zeit eine immer größere Rolle, um den Anforderungen des globalisierten Marktes gerecht zu werden [28]. • Wissen wird grundsätzlich unterschieden in implizites und explizites Wissen. Es handelt sich also um personenabhängiges und personenunabhängiges Wissen (s. Abschn.€3.2.2.2) [29]. Die Qualität des Technologiewissens kann anhand von vier Kategorien beurteilt werden [30]: • Systemprinzip-Wissen: Wenn ein Unternehmen über Wissen zu einer bestimmten Technologie in jedem der drei folgenden Bereiche verfügt, spricht man von Systemprinzip-Wissen. Es stellt die höchste Qualität von Wissen dar.
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• Gesetzeswissen: Die vollständige, theoretische Beschreibung der Technologie in Form von Formeln und Axiomen ist möglich. • Beobachtungswissen: Es existiert eine rein empirische Beobachtung der Wirkungsweise von Technologien, aus der noch keine Abstrahierung in Form von allgemeinen Gesetzen oder Theorien erfolgt ist. • Fertigkeitswissen: Diese Art des Wissens ist implizit in der ausführenden Person gespeichert und noch nicht explizit dargestellt [31]. Gelegentlich findet man in der Literatur als weitere Kategorie den Begriff strategische Ressourcen. Darunter fallen Ressourcen, die zu einem Wettbewerbsvorteil führen können. Im Gegensatz dazu sind gewöhnliche Ressourcen für den Betrieb des Unternehmens notwendig, bringen aber keine speziellen Vorteile. Ein Wettbewerbsvorteil liegt vor, wenn ein Unternehmen eine Strategie umsetzen kann, welche einen Wert generiert. Daraus lassen sich Anforderungen an eine Ressource ableiten, so dass sie strategische Relevanz erlangt [32]: • • • •
Knappheit und Unternehmensspezifität Unvollkommene Imitierbarkeit Unvollkommene Substituierbarkeit Werthaltigkeit bzw. Generierung eines markseitig reflektierten Nutzens
Folglich ist es sinnvoll bei der Gestaltung der Unternehmensressourcen darauf zu achten, dass Ressourcen mit einer geringen Imitier- und Substituierbarkeit sowie hoher Wertschöpfung aufgebaut werden [33]. Insgesamt gilt die vorherrschende Ansicht, dass intangible (immaterielle, invisible) Ressourcen im Vergleich zu tangiblen (materiellen, visiblen) einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil sichern [34].
3.2.2 Ressourcentypen Im Folgenden werden die vier Hauptressourcentypen eines produzierenden Unternehmens erläutert (s. Abb.€3.14). Teilweise wird in der Literatur „Boden“ als fünfte Ressource aufgeführt, im Rahmen dieser Ausführung soll letztere jedoch ausgeklammert werden.
3.2.2.1 Ressource Mensch Grundsätzlich versteht man unter Humanressourcen die intellektuellen und physischen Fähigkeiten der Mitarbeiter, deren Verhältnis untereinander und deren Bindung an das Unternehmen. Insbesondere durch Networking können Ressourcen erschlossen werden ohne sie kontrollieren zu müssen [32]. Humanressourcen als strategische Ressourcen tragen langfristig zum Unternehmenserfolg bei, da sie nachhaltige Wettbewerbsvorteile erbringen können. Allerdings kann es gelegentlich dazu kommen, dass Humanressourcen
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3╅ Unternehmensstruktur Abb. 3.14↜╇ Typen von Ressourcen
Unternehmen Kapital
Mensch
Ressourcen
Wissen
Boden
Betriebsmittel
sich dem zielorientierten Management entziehen, daher werden sie auch als nicht-triviale und individuelle Ressourcen bezeichnet. Die „Funktionsweise“ des Menschen kann nicht ohne weiteres verallgemeinert werden, wodurch Zweifel an einer umfassenden Steuerbarkeit dieser Ressource bestehen. Insgesamt führt dies dazu, dass der Mensch nicht als „Trivialmaschine“ betrachtet werden kann, deren Output durch einen spezifischen Input (Anreize, Arbeitsbedingungen, etc.) determiniert wird. Probleme des Humanressourcenmanagements können daher auch nicht als klassisches „Ingenieursproblem“ behandelt werden [35].
Mitarbeiterentwicklung Die übergeordnete Aufgabe der Mitarbeiterentwicklung besteht darin, die notwendige Qualifizierung von Mitarbeitern und Führungskräften sicherzustellen, um herausragende Leistungen für das Unternehmen zu erzielen. Im Speziellen fordert das Unternehmen, dass der Bedarf an qualifizierten Mitarbeitern und Führungskräften gesichert wird und gleichzeitig eine Steigerung der Motivation und Identifikation mit dem Unternehmen stattfindet. Im Gegensatz dazu erwarten Mitarbeiter von der Mitarbeiterentwicklung klare Karriere- und Aufstiegschancen, eine Aufrechterhaltung und Verbesserung der eigenen Qualifikationen sowie eine Einkommenssteigerung als Nebenprodukt der Qualifizierungsmaßnahmen. Um diesen Ansprüchen der Mitarbeiterentwicklung gerecht werden zu können, dient eine Vielzahl verschiedener Methoden und Instrumente zur Vorgehensweise. Im Folgenden wird auf zwei unterschiedliche Untergliederungen der Ansätze eingegangen, die jedoch nicht grundsätzlich verschieden sind, sondern sich in einigen Aspekten überschneiden. Aufteilung der Mitarbeiterentwicklungsinstrumente in [36]: • Beratungs- und betreuungsorientierte Ansätze: Jeder einzelne Mitarbeiter wird ganz individuell in seinem beruflichen Entwicklungsprozess und im speziellen bei der Analyse seiner spezifischen Situation unterstützt. Zunächst werden individuelle Ziele herausgearbeitet und deren Lösungswege entwickelt. Anschließend findet eine Kontrolle der
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Umsetzung und Überprüfung der Zielerreichung statt. Erreicht werden kann dies durch Mitarbeitergespräche, Coaching, Mentoring, kollegiale Beratung, 360°-Feedback und/ oder Karriereberatung. Arbeitsintegrierte Mitarbeiterentwicklung: Hierbei handelt es sich um ein Verfahren zur Qualifizierung von Mitarbeitern, welches von der Gestaltung der Arbeitsaufgaben bis zur Gestaltung der Arbeitsumgebung reicht. Aufgabenorientierte Mitarbeiterentwicklung: Bei diesem praxisbezogenen Verfahren erlangen die Lernenden Kompetenzen durch das selbstständige Lösen von realen oder realitätsnahen Aufgaben. Teamorientierter Ansatz: Es handelt sich um die Förderung individueller Kompetenzen durch die Entwicklung und Stärkung von Gruppen im Seminarraum oder „outdoor“. Verhaltenstraining: Das Ziel dieses Trainings ist eine nachhaltige Modifikation des Verhaltens und der Motivation.
Alle Maßnahmen können einzeln oder simultan angewendet werden. Die zweite Untergliederung besteht aus „…-the-job“-Methoden [37]: • Into-the-job: Maßnahmen, die auf den Berufseinstieg bzw. auf den Eintritt in ein neues Unternehmen vorbereiten. • On-the-job: Qualifizierungen und Weiterentwicklungen finden direkt am Arbeitsplatz statt, das Lernen erfolgt unbewusst in der Auseinandersetzung mit arbeitsplatzbezogenen Problemen. • Parallel-on-the-job: Dabei kommt den Führungskräften eine entscheidende Rolle für die Entwicklung eines Mitarbeiters zu, da sie Coaching- und Mentoring-Aufgaben übernehmen. • Near-the-job: Qualifizierungsmaßnahmen finden in enger räumlicher, zeitlicher und inhaltlicher Nähe zum Arbeitsplatz statt. • Off-the-job: Schulungen, die in räumlicher und zeitlicher Distanz zum Arbeitsplatz durchgeführt werden. • Out-of-the-job: Vorbereitende Maßnahmen zum Austritt eines Mitarbeiters aus dem Unternehmen, entweder durch Ruhestand oder Entlassung.
Mitarbeiterführung Mitarbeiterführung ist die zielorientierte Einbindung der Mitarbeiter und Führungskräfte in die Aufgaben des Unternehmens. Sie ist ein Teil der Unternehmensführung. Mitarbeiterführung lässt sich thematisch in die Bereiche Unternehmenskultur, Führungsstil und Managementmodelle, Führung und Motivation, Führungstechnik, Individualführung und Teamführung, Vorschlagwesen und Ideenmanagement, Gehaltsstruktur und Anreizsysteme sowie Führungsspanne untergliedern. Im Folgenden werden die folgenden vier Bereiche der Mitarbeiterführung näher erläutert: • • • •
Führungsstile Führungstheorien Führungstechniken Anreizsysteme
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Führungsstile werden in der einschlägigen Literatur hauptsächlich in die drei Grundrichtungen autoritär, kooperativ und bürokratisch eingeteilt. Jeder dieser Führungsstile kann in verschieden Ausprägungen und Intensitäten auftreten. Ein autoritärer Führungsstil erwartet bedingungslose Gehorsamkeit des „Untergebenen“, vom Vorgesetzten angeordnete Aufgaben sind auszuführen ohne die Sinnhaftigkeit in Frage zu stellen oder gar Widerspruch zu äußern. Im Gegensatz dazu steht der kooperative Führungsstil, hier stehen die Kooperation und Partizipation aller Mitarbeiter an Wissen und Verantwortung im Fokus. Auf rechtliche Gewissenhaftigkeit stützt sich der bürokratische Führungsstil. Er basiert darauf, dass nur solche Entscheidungen getroffen werden dürfen, die mit Sicherheit rechtlich zulässig sind. Dieser Führungsstil begründet sich in der Furcht für eventuelles Versagen zur Verantwortung gezogen zu werden [38]. Im Wesentlichen existieren drei unterschiedliche Führungstheorien: Eigenschaftstheorie, Führungsstiltheorie und situative Führungstheorie. Bei Ersterer sind bestimmte Eigenschaften wie Fähigkeiten, Leistungen, Verantwortung, Partizipation und Status, von Personen für die Qualität der Führung verantwortlich. Laut der Führungsstiltheorie wird die Qualität der Führung nicht allein auf Basis der Eigenschaften einer Führungskraft beurteilt, sondern auch anhand ihres Verhaltens den Mitarbeitern gegenüber. Beide Theorien sind mittlerweile veraltet, da sie bestimmte Umwelteinflüsse außer Acht lassen. Daher wurde die situative Führungstheorie entwickelt. Sie besagt, dass der Führungserfolg von situationsabhängigen Rahmenbedingungen abhängt, unter denen Führungskräfte und Geführte miteinander interagieren. Trotz dieser weitsichtigeren Ansätze ist es bis dato nicht möglich eine allgemeingültige Theorie zur Mitarbeiterführung in Unternehmen aufzustellen, so dass aus den bestehenden Theorien lediglich Führungstechniken abgeleitet werden können. So ist in der fachspezifischen Literatur häufig die Unterteilung in „Management by…“- Führungstechniken anzufinden. Diese Führungstechniken werden in Abschn.€1.2.6 näher beschrieben. Durch Anreizsysteme sollen Mitarbeiter dazu bewogen werden im Sinne des Unternehmens zu handeln. Die Einflussnahme auf ihr Verhalten erfolgt beispielsweise über materielle (Gehalt, Firmenwagen, Mitarbeiteraktien) und immaterielle (flexible Arbeitszeiten, angenehmes Arbeitsumfeld, gute Karrieremöglichkeiten) Anreize. Grundsätzlich werden materielle bzw. immaterielle Anreize den fixen und variablen Anreizen zugeordnet. Unter fixen Anreizen versteht man Anreize, die Mitarbeiter unabhängig von ihrer tatsächlich erbrachten Leistung in festgelegter (fixer) Höhe erhalten, z.€B. Grundgehalt, Firmenwagen, zusätzlicher Urlaubstage, Direktlebensversicherungen. Die Höhe der fixen Anreize ist unabhängig von der erbrachten Leistung, sondern richtet sich nach den Marktbedingungen und den Anforderungen einer bestimmten Tätigkeit. Anreize, die in Abhängigkeit von der Leistung eines Mitarbeiters in veränderlicher (variabler) Höhe gewährt werden, bezeichnet man allgemein als variable Anreize, darunter fallen Gewinnbeteiligungen, Umsatzprämien, Mitarbeiteraktien, Qualifizierungsmaßnahmen und/oder zusätzliche Urlaubstage. Sie dienen dazu, die Mitarbeiter zu motivieren um Leistungen im Unternehmensinteresse zu erbringen. Die Höhe der Anreize ist abhängig von der gezeigten Leistung. Mittlerweile hat sich eine Kombination der beiden Anreize etabliert, das Cafeteria-Modell. Bei diesem System kann jeder beteiligte Mitarbeiter selbst jene Anreize auswählen, die ihn am stärksten „reizen“ und damit für ihn die größte Motivationswirkung besitzen.
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Der Mitarbeiter erhält ein Punktekonto, dessen Höhe sich nach seiner Hierarchieebene richtet. Es können solange Anreize, die vordefinierte Punktewerte besitzen, ausgewählt werden, bis das Punktekonto aufgebraucht ist. Der Vorteil besteht in der individuellen Anreizgestaltung, die sich andererseits negativ auf die differenzierte Handhabung auswirkt. Alle oben aufgeführten Anreize können erst ihre Wirksamkeit entfalten, also von den Mitarbeitern wahrgenommen werden, wenn sie folgende fünf Anforderungen erfüllen [37]: 1. Zielorientierung: Es werden nur Anreize gewährt, wenn ein Mitarbeiter mit seinem Handeln zum Erreichen der Unternehmensziele beiträgt. 2. Leistungsbezug: Anreize werden nur vergeben, wenn bestimmte Leistungen erbracht werden, deren Ergebnisse im Unternehmensinteresse sind. 3. Transparenz: Damit sich ein Anreiz positiv auf die Motivation und Leistung eines Mitarbeiters auswirkt, muss dieser auch als solcher sichtbar sein, d.€h. die Mitarbeiter müssen im Vorhinein über Anreize informiert werden und die Ursache-Wirkungs-Beziehung zwischen Leistung, Leistungsergebnissen und Anreiz nachvollziehen können. 4. Individualisierbarkeit: Ob Anreize motivierend wirken, hängt von der individuellen Motivationsstruktur und den subjektiven Wahrnehmungen eines Mitarbeiters ab. Nur Anreize, die individuell als wertvoll eingestuft werden, können ihre Motivationswirkung entfalten. 5. Wirtschaftlichkeit: Der Nutzen eines Anreizsystems muss seine Kosten übersteigen.
3.2.2.2 Ressource Wissen Nach Davenport und Prusak ist Wissen eine fließende Mischung aus strukturierten Erfahrungen, Wertvorstellungen, Kontextinformationen und Fachkenntnissen, die in ihrer Gesamtheit einen Strukturrahmen zur Beurteilung und Eingliederung neuerer Erfahrungen und Informationen bieten. Entstehung und Anwendung von Wissen vollzieht sich in Köpfen der Wissensträger [39]. Das Wissen im Allgemeinen lässt sich nach dem „Speicherort“ in verschiedene Kategorien einteilen: • Individuelles vs. kollektives Wissen • Explizites vs. implizites Wissen Individuelles Wissen befindet sich in den Köpfen der einzelnen Personen. Die Größe der individuellen Wissensbasis eines Mitarbeiters verknüpft mit der Ausprägung seiner individuellen Problemlösungsfähigkeit bestimmt die Geschwindigkeit mit der Probleme gelöst werden können. Dieser Form des Wissens wird von Organisationen mehr Aufmerksamkeit geschenkt als dem kollektiven Wissen, um nachhaltige Wettbewerbsvorteile generieren zu können. Dazu muss dieses individuelle Wissen mit der Organisation geteilt werden. Wenn eine Mehrzahl von Individuen denselben Wissensinhalt nutzt oder ihn in ihrer Tätigkeit verwendet, wird dieses als kollektives Wissen bezeichnet. Die Wissensbasis der
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Gruppe und jedes einzelnen Mitglieds vermehrt sich stetig und ermöglicht es dadurch Wettbewerbsvorteile entstehen zu lassen. Eine weitere Art von Wissen ist das implizite und explizite Wissen. Wissen, das standardisierbar und in Strukturen, Prozessen, Technologien, Bibliotheken und Datenbanken angelegt ist, fällt unter das explizite Wissen. Diese Form des Wissens ist quantifizierbar, greifbar und sicher, also nicht an bestimmte Personen gebunden. Im Vergleich dazu, beruht das implizite Wissen auf subjektivem Können. Sowohl Personen und Gruppen als auch Organisationen können Besitzer von implizitem Wissen sein. Es ist begrenzt verfügbar, da es an den oder die Besitzer zeitlich und sozial gebunden ist und sich nur schwer in eine standardisierte Form bringen lässt. Implizites Wissen manifestiert sich in Werten, Idealen, Gefühlen, subjektiven Einsichten und in Institutionen. Diese vier Arten können nebeneinander und/oder gleichzeitig vorgefunden werden [39]. Je nach Literaturquelle findet man weiter herunter gebrochene Diversifikationen von Wissen, wie zum Beispiel internes und externes Wissen, Kernwissen und Randwissen, aktuelles und zukünftiges Wissen, bewahrtes oder neugewonnenes Wissen, formelles und informelles Wissen, herrschendes oder Minderheitenwissen, persönliches oder öffentliches Wissen. Voraussetzung für eine optimale Nutzung von Wissen in produzierenden Unternehmen ist allerdings der systematische Austausch zwischen den Beteiligten, z.€B. Kunden, Kooperationspartnern und Lieferanten mit Unternehmensvertretern wie Außendienstmitarbeitern, Verkaufsberatern, Vertretern aus Forschung und Entwicklung und Marketing [40]. Da die Ressource Wissen, zumindest in einer kodifizierten Form, unbegrenzt kopiert und vervielfältigt werden kann, ist deren Schutz für ein Unternehmen von besonderer Bedeutung. In der Literatur wird in diesem Zusammenhang oft der Begriff Intellectual Property verwendet. Das Intellectual Property eines Unternehmens umfasst unter anderem Patente, Copyrights und Markennamen, als Wissen, das rechtlich geschützt ist [41].
Wissensmanagement Im Allgemeinen bildet Wissensmanagement ein integriertes Innovationskonzept, das sich mit den Möglichkeiten zur Gestaltung, Lenkung und Entwicklung der organisatorischen Wissensbasis befasst [39]. Im Zuge dieser strategischen Planung von Wissen unterscheidet Sullivan zwischen Intellectual Capital Management (Top-down) und Wissensmanagement (Bottom-up) (s. Abb.€3.15), wobei unter Intellectual Capital das Humankapital in Form der Mitarbeiter sowie die Intellectual Assets also das geistige Eigentum (Lizenzen, Patente etc.) eines Unternehmens zu verstehen sind. Im Top-down Prinzip werden Werte und Ausrichtungen bezüglich der Wissensverwaltung und -beschaffung vorgegeben, während die inhaltliche Füllung der Wissensbasis mittels Bottom-up, also im täglichen, operativen Geschäft, erfolgt. Es wird deutlich, dass Wissensmanagement nicht das ungeordnete Streuen von Informationen an alle Mitarbeiter ist. Vielmehr handelt es sich um einen tätigkeits- und ziel-
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Intellectual Capital Management
Strategische Management Dimension Top-down
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Bottom-up Taktische/ Operative Management Dimension
Intellectual Capital Human Capital Intellectual Assets
Wissensmanagement
Abb. 3.15↜渀 Verständnis von Intellectual Capital und Wissensmanagement [42]
orientierten Zugang zu Informationen, damit diese in Wissen transformiert werden können. Es durchzieht alle Funktionen und Hierarchiestufen eines Unternehmens entlang der Wertschöpfungskette. Aber Wissensmanagement soll nicht nur interne Schranken eliminieren, sondern auch eine externe Öffnung des Unternehmens fördern, so dass Kunden, Lieferanten, Allianzpartner und andere Know-how-Träger einbezogen werden. Bei einer optimalen Nutzung des Wissens zur Verbesserung von Produkten, Prozessen und Geschäftsfeldern kann der Unternehmenswert nachhaltig gesteigert werden. Wissensmanagement ist eingebettet in andere Managementprozesse, die die Wettbewerbsfähigkeit steigern sollen, wie zum Beispiel das Corporate Identity Management, Business Reengineering und Change Management. Die Prozesse sollen koordiniert ablaufen und sich gegenseitig unterstützen. Zusammengefasst ist festzustellen, dass sich für ein dauerhaft funktionierendes Wissensmanagement die Durchführung folgender Kernschritte empfiehlt: Wissen erkennen, erwerben (Lernen, Wissen intern entwickeln, Wissen extern beschafften), speichern, verteilen, nutzen, steuern und bewerten. Bei konsequenter Verfolgung dieser Maßnahmen führt Wissensmanagement dazu, dass • • • • • • • • • • • • •
Informationen in Wissen transferiert werden, Wissen in wertschöpfendes Handeln umgesetzt wird, die Informationsbeschaffung strukturiert ist, Wissen an den richtigen Stellen verfügbar ist, Fehler als Erfahrungsgewinn gesehen werden, Wissen durch Erfahrung systematisch entwickelt wird, Wissen wiederverwendet wird, die Fähigkeiten der Mitarbeiter bekannt sind, Informationen bedarfsgerecht vorliegen, ausreichend Zeit für das Teilen von Wissen unter Mitarbeitern zur Verfügung steht, einzelne Wissensinseln miteinander verknüpft sind, Mitarbeiter bereit sind ihr Wissen miteinander zu teilen, Strukturen und Prozesse des Unternehmens das Gestalten von Wissen unterstützten [40].
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3â•… Unternehmensstruktur
Betriebsmittel
mit mittelbarer Produktionsbeteiligung
mit unmittelbarer Produktionsbeteiligung ohne Abgabe von Verrichtungen (aktive Betriebsmittel)
mit Abgabe von Verrichtungen (aktive Betriebsmittel)
ohne Abgabe von Verrichtungen (aktive Betriebsmittel)
Beispiele: Werkzeuge, Messund Prüfgeräte
Beispiele: Fördermittel
Beispiele: Lagereinrichtungen
mit Abgabe von Verrichtungen (aktive Betriebsmittel) Beispiele: Kraftmaschinen Arbeitsmaschinen Kesselanlagen
Lagerbediengerät
Modelle, Formen, Schablonen
Heizungs-, Klima-, Beleuchtungsanlage
Vorrichtungen
IT-Anlage
Geschäftseinrichtungen Betriebsgebäude Betriebsgrundstück Energieverteilungsnetz
Abb. 3.16↜渀 Einteilung von Betriebsmitteln nach [44, 45]
3.2.2.3 Ressource Betriebsmittel In VDI-Richtlinie 2815 wurden unter dem Begriff Betriebsmittel alle Maschinen, Geräte und Anlagen, die zur Durchführung von Fertigungs-, Handhabungs-, Transport-, Prüf-, und Lagerschritten verwendet werden zusammengefasst [43]. Diese Richtlinie wurde allerdings im Jahr 2001 vom VDI ersatzlos zurückgezogen, wodurch derzeit keine allgemeingültige Definition existiert. Eine häufig verwendete Einteilung von Betriebsmitteln ist in Abb.€3.16 aufgeführt. In dieser Gliederung werden aktive von passiven Betriebsmitteln unterschieden, die entweder in unmittelbaren oder in mittelbaren Bezug zum Produktionsprozess stehen. In der fachspezifischen Literatur werden Betriebsmittel im Hinblick auf produzierende Unternehmen weiter definiert. Demnach sind Betriebsmittel elementare Produktionsfaktoren bzw. Potentialfaktoren und stellen als solche dem Unternehmen Nutzungspotentiale zur Verfügung. Im Produktionsprozess wirken die Potentialfaktoren als Arbeitskräfte und Betriebsmittel auf die Arbeitsobjekte (die Werkstoffe bzw. Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe) ein um in zielgerichteter Arbeit Erzeugnisse hervorzubringen. Betriebsmittel sind Vermögensgegenstände, die eine mehrmalige, wiederholende, oft über viele Jahre dauernde Nutzungsmöglichkeit bieten. Deshalb sind sie als Gebrauchsgüter zu bezeichnen. Im Gegensatz zu den Verbrauchsgütern dienen sie mehreren Produktionszyklen, übertragen ihren Wert allmählich auf die Produkte und behalten über ihren gesamten Nutzungszeitraum ihre Naturalform bei [43].
Betriebsmittelmanagement Das Betriebsmittelmanagement ist sowohl als strategische als auch als operative Aufgabe zu verstehen. Die Aufgabe des strategischen Betriebsmittelmanagements ist die langfristi-
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ge Bereitstellung der technischen Anlagen und Kapazitäten, die zur Umsetzung der Strategie benötigt werden (s. Kap.€2). Diese Aufgabe ist analog zum strategischen Management aller Ressourcen zu betrachten und wird daher in Abschn.€3.2.3.1 zusammengefasst und näher erläutert. In der Regel ist eine große Anzahl an Betriebsmitteln zu bewirtschaften (externe Beschaffung oder Eigenfertigung, Ersatzzeitpunkt und Neubeschaffung, Instandhaltung) und ihr Einsatz ist zu planen und zu organisieren. Diese Tätigkeiten werden unter dem Begriff operatives Betriebsmittelmanagement zusammengefasst. Das Betriebsmittelmanagement stellt eine wichtige Querschnittsfunktion in den Unternehmen dar. Sie ist eine wesentliche Voraussetzung für die Sicherheit des termin- und qualitätsgerechten Ablaufes der Produktionsprozesse. Organisatorisch wird diese Querschnittsfunktion in kleinen und mittleren Unternehmen verschiedenen betrieblichen Funktionsbereichen zugeordnet. In großen Unternehmen wird häufig ein eigenständiger Verantwortungsbereich (Planungsbereich) gebildet. Besonders dort besteht die grundlegende Forderung, dass der Informationsfluss auf allen Ebenen, auf denen Betriebsmitteldaten benötigt oder generiert werden, durchgängig gestaltet wird. Mit einem direkten Informationsfluss zwischen den datentechnisch nur schwach unterstützten Produktionsbereichen und den informationstechnisch stark vernetzten Planungsbereichen ist eine Terminierbarkeit und zeitliche Koordination einzelner Tätigkeiten im Fertigungsbereich möglich [46]. Speziell die Beschaffung aber auch die Eigenfertigung von Betriebsmitteln ist in der Regel mit Investition verbunden, für die finanzielle Ressourcen benötigt werden. Finanzielle Ressourcen werden im folgenden Abschnitt behandelt. Eine umfassendere Erläuterung von Investitionen und Finanzierung ist in Abschn.€6.3 zu finden.
3.2.2.4 Ressource Kapital Bei der Behandlung der finanziellen Ressourcen sind zunächst grundsätzliche Begrifflichkeiten zu klären. So gilt es zwischen dem Kapital bzw. der Mittelherkunft sowie dem Vermögen bzw. der Mittelverwendung zu unterscheiden. Die Mittelherkunft wird durch die Passivseite einer Unternehmensbilanz abgebildet und lässt sich weiter aufteilen in Eigenkapital und Fremdkapital [47]. Das Eigenkapital setzt sich aus folgenden Positionen zusammen: • Gezeichnetes Kapital • Kapitalrücklage • Gewinnrücklage wie gesetzliche Rücklagen, Rücklage für eigene Anteile, Satzungsmäßige Rücklagen und andere Gewinnrücklagen • Gewinn-/Verlustvortrag • Jahresüberschuss/-fehlbetrag • Stille Reserven, die in der Bilanz nicht erkennbar aber im Unternehmen vorhanden sind Unter Fremdkapital versteht man die finanziellen Anteile, die von Gläubigern dem Unternehmen zur Verfügung gestellt wurde, wobei zwischen Rückstellungen und Verbindlich-
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keiten differenziert wird. Rückstellungen sind die Verpflichtungen, die prinzipiell bekannt sind, deren Höhe und Fälligkeit jedoch noch ungewiss ist. Verbindlichkeiten hingegen sind zum Bilanzstichtag in Höhe und Fälligkeit bekannt. Die Mittelverwendung wird auf der Aktivseite ausgewiesen und aus Bilanzsicht in Anlagevermögen und Umlaufvermögen gegliedert, d.€h. in Vermögenswerte, die dem Unternehmen dauerhaft bzw. nicht dauerhaft zur Verfügung stehen [47]: • Anlagevermögen − Immaterielle Vermögensgegenstände − Sachanlagen − Finanzanlagen • Umlaufvermögen − − − −
Vorräte Forderungen, sonst. Vermögensgegenstände Wertpapiere Schecks, Kassenbestand, Guthaben bei Kreditinstituten
In der Literatur werden Mittelherkunft und Mittelverwendung auch Finanzierung und Investition bezeichnet. Die finanziellen Ressourcen bilden somit die Grundlage für andere Ressourcen wie Betriebsmittel, die durch die Tätigung von Investitionen in das Vermögen des Unternehmens überführt werden. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Themen Finanzierung und Investition findet in Abschn.€6.3 statt, wobei hier speziell auf den Transfer finanzieller in andere Ressourcen eingegangen wird. Im Folgenden werden nun das Management finanzieller Ressourcen sowie die Kriterien zur Entscheidungsfindung erläutert.
Kapitalmanagement Zwar stellen finanzielle Ressourcen an sich meist keinen Wettbewerbsvorteil dar, das Management derselbigen jedoch schon [32]. Daher befasst sich das Kapitalmanagement mit zwei grundlegenden Aufgaben, der Kapitalaufbringung, welche sich in die Unterprobleme Kapitalstruktur, -volumen und -kosten aufgliedert, und der Kapitalanlage (Investition). Unter Kapitalstruktur wird die Zusammensetzung des Kapitals aus Fremd- und Eigenkapital, also den verschiedenen Finanzierungsarten, verstanden. Das Unterproblem Kapitalvolumen betrifft die Ermittlung des tatsächlichen Kapitalbedarfs. Um eine kostenoptimale Finanzierung sicherzustellen müssen die Kapitalkosten analysiert werden. So gilt es in Eigenkapitalkosten und Fremdkapitalkosten zu unterscheiden. Letztere sind in Form von Zinsen an die Gläubiger zu zahlen und hängen in der Regel von der Bonität also der Kreditwürdigkeit des Unternehmens ab. Im Bereich der Kapitalanlage müssen die drei richtungsweisenden Fragen „Welche Vermögensteile sollen beschafft werden, in welchem wertmäßigen Umfang sollen diese Vermögensteile beschafft werden und wie lange soll eine Kapitalanlage in den entsprechenden Vermögensteilen erfolgen?“ geklärt werden [48].
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Entscheidungskriterien
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Um fundierte und zukunftsweisende finanzwirtschaftliche Entscheidungen treffen zu können, muss der Gesamtkontext des Unternehmens, in den das Kapitalmanagement eingebettet ist, miteinbezogen werden. Dieser Kontext wird durch das interne sowie externe Rechnungswesen eines Unternehmens beschrieben (vgl. hierzu Abschn.€6.2). In den meisten Fällen werden die folgenden Zielprioritäten der Entscheidungsfindung zu Grunde gelegt [48]: Liquidität:╇ Die Liquiditätssicherung ist für ein Unternehmen existentiell. Denn durch sie wird gewährleistet, dass Zahlungsforderungen termin- und betragsgerecht beglichen werden können. Ist die Zahlungsfähigkeit eines Unternehmens nicht mehr gegeben, führt dies zur Insolvenz. Bei der Absicherung der Liquidität müssen die Komponenten situative, kurzfristige, und strukturelle Liquidität abgedeckt sein. Während die situative Liquidität die ständige Abstimmung zwischen Zahlungsaus- und Zahlungseingängen bedeutet und so eine unmittelbare Liquidität gewährleistet, beinhaltet die strukturelle Liquidität die Einhaltung der vorgegebenen Finanzierungsregeln. Die kurzfristige Liquiditätssicherung richtet sich nach den betrieblichen Leistungsprozessen und hat als Aufgabe die Ermittlung des freien Innenfinanzierungsvolumens. Das Thema Liquiditätssicherung wird weiterführend in Abschn.€6.3.3 behandelt. Unabhängigkeit:╇ Durch die Aufnahme zusätzlichen Kapitals, unabhängig davon ob es sich um Eigen- oder Fremdkapital handelt, wird die Dispositionsfreiheit des Unternehmens eingeengt. Bei der Aufnahme zusätzlichen Eigenkapitals geschieht dies durch das größere Mitspracherecht der Beteiligten, während bei Krediten die Sicherungsübereignungen oder Verpfändungen die Fügungsgewalt des Unternehmens einschränken. Daher sollten alternative Finanzierungsmöglichkeiten gesucht werden, die die Flexibilität und Unabhängigkeit der Unternehmensentscheidungen nicht beeinflussen. Rentabilität:╇ Die Rentabilität eines Unternehmens oder eines Teilbereiches über eine Periode oder den Gesamtlebenszyklus eines Projektes wird durch Kennzahlen ausgedrückt. Hierbei wird das Verhältnis von „Ergebnis einer finanzwirtschaftlichen Maßnahme (Überschuss)“ zu „eingesetztem Kapital“ gebildet. Die Kennzahlen können zur Ergebnisbewertung oder Zielbildung herangezogen werden. Sicherheit:╇ Durch die Bestrebungen einerseits die Rentabilität zu maximieren und andererseits das Risiko zu minimieren entsteht ein Zielkonflikt, dem durch die Kapitalkostenmethode oder die Sicherheitsäquivalentemethode entgegengewirkt werden kann. Hier wird eine Verbindung zwischen den Dimensionen Risiko und Rendite hergestellt und die Risikopräferenz des Entscheidungsträgers berücksichtigt, so dass eine rationale Entscheidung bezüglich der Kapitalaufbringung und Kapitalanlage abgeleitet werden kann. Shareholder Value (s. Abschn.€1.1.4.1):╇ Alle Maßnahmen und Entscheidungen in einem Unternehmen sind darauf ausgerichtet, den Wert des Unternehmens zu steigern. Im Hinblick auf den Shareholder Value, zu deutsch „Wert für den Aktionär“, erfolgt dies ausschließlich im Interesse der Eigentümer, bzw. Anteilseigner. Daher müssen auch alle finanzwirtschaftlichen Bestimmungen derart abgestimmt werden, dass sie die Einkom-
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mensposition des Shareholders verbessern, wodurch implizit eine Wertentwicklung des Unternehmens folgt [48].
3.2.3 Ressourcenmanagement 3.2.3.1 Aufgaben des Ressourcenmanagements Die Aufgaben des Ressourcenmanagements lassen sich in strategische und operative Aufgaben gliedern:
Strategische Aufgaben Die Verwirklichung der strategischen Unternehmensziele (s. Kap.€2) basiert unter anderem auf der Leistungsfähigkeit des Ressourcenmanagements. Adäquate Ressourcen, technische Fähigkeiten/Kompetenzen und deren gezielter Einsatz führen zu Kernkompetenzen, die in wertschöpfende Prozesse und Produkte umgesetzt werden können. Durch die Umsetzung einer aus der Unternehmensstrategie abgeleiteten Vision, mittels der zur Verfügung stehenden und/oder noch auszubauenden Ressourcen ist eine kooperative Zusammenarbeit zwischen Ressourcen- und Kompetenzmanagement empfehlenswert. Die Ressourcen eines Unternehmens bilden hierbei die Basis auf der ein erfolgreiches Ressourcenmanagement aufbaut (s. Abb.€3.17).
Operative Aufgaben Die operative Aufgabe des Ressourcenmanagements ist das Erkennen und Verwalten von „Engpässen“. Das durch eine entsprechende Stabstelle [49] koordinierte Ressourcenmanagement liefert wertvolle Informationen für die Notwendigkeit und Priorität von Projekten sowie für eine effektive Einsteuerung neuer Projekte unter Berücksichtigung der verfügbaren Ressourcen. Ressourcenmanagement sollte in einem Unternehmen mit Matrixorganisation so dezentral wie möglich und so zentral wie nötig aufgebaut werden. Für ein praktikables Ressourcenmanagement sollte die wesentliche Verantwortung für die Datenpflege und die Ressourcensteuerung bei den Ressourcenverantwortlichen in der Linienorganisation belassen werden (dezentral). Die Stabsstelle des Ressourcenmanagements hat lediglich die Aufgabe eine Informationsplattform und zentrale Standards zur Verfügung zu stellen und die dezentralen Informationen für eine Gesamtübersicht zu verdichten. Ressourcenmanagement als Querschnittsfunktion braucht klare Regeln und Abläufe damit alle Beteiligten effizient zusammenarbeiten können. Einige Erfolgsfaktoren hierzu sind:
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Umwelt
Einzigartiger Kundennutzen
Produkte
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Produkte
Wettbewerb
Produkte
Potenzial nutzen Ressourcenmanagement
Kernkompetenzen
Technische Kompetenzen
Unternehmen
Potenzial aufbauen
Technologiestrategie Technische Fähigkeiten
Ressourcen
Abb. 3.17↜╇ Ressourcen als Grundlage der Strategieumsetzung
• • • • •
Steuerung der eigenen und externen Ressourcen Kritische Einsatzmittel/Ressourcen detailliert planen und verfolgen Schriftliche Vereinbarung der Anforderung an Ressourcen Optimale Verteilung von Einsatzmittel/Ressourcen Systematische Verfolgung der eingesetzten Ressourcen im Rahmen der Projektsteuerung und durch die Ressourcenverantwortlichen (Linienmanagement) • Frühzeitiges Beheben vorhersehbarer Ressourcen-Engpässe durch Regelbesprechungen und Moderation • Geregeltes Eskalationsverfahren zum Beheben akuter Engpässe • Eine Gesamtübersicht der einsetzbaren Ressourcen und deren Belastung durch laufende und geplante Projekte im Zeitverlauf Der dezentrale Ressourcenverantwortliche ist für die termingerechte Erledigung aller projektbezogenen Aufgaben seines Bereichs verantwortlich, infolge dessen muss er für die
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bestmögliche Verteilung der Arbeit auf seine Mitarbeiter und die hohe und gleichmäßige Auslastung seiner Abteilung sorgen [49].
3.3 Informationssysteme 3.3.1 Historische Entwicklung Der Begriff „Informationssystem“ bezeichnet ein computergestütztes System, das „Informationen beschafft, verarbeitet, speichert, erzeugt, überträgt oder bereitstellt“. Weiter gefasst können Informationssysteme als sozio-technische Systeme beschrieben werden, die aus menschlichen und maschinellen Komponenten bestehen und das Lösen von Aufgaben als Ziel haben [50]. Der Einsatz von computergestützten Informationssystemen begann bereits in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts mit der Einführung von sogenannten Material-RequirementPlanning-Systemen (MRP). Aufgabe dieser Systeme war die Materialbedarfsplanung, wobei der Materialbedarf (Sekundärbedarf) sich nach dem Produktionsprogramm (Primärbedarf) richtete. Zur Erreichung einer ganzheitlichen markt- und ressourcenorientierten Planung wurde aufbauend auf dem MRP das MRP II (Manufacturing-Resource-Planning) entwickelt. Hierbei wurde das bestehende MRP-System um die Aspekte Absatz-, Kapazitäts- und Fertigungsablaufsplanung erweitert. Aus MRP II entwickelte sich in den 70er Jahren ein System zur Produktionsplanung und -steuerung (PPS), das bis Ende der 90er Jahre als Synonym für das „zentrale Informationssystem eines Produktionsunternehmens“ [50] galt. PPS Systeme deckten sowohl unmittelbar produktionsbezogene als auch betriebswirtschaftliche Funktionen wie Beschaffung, Kalkulation, Versand und Zeiterfassung ab. Anfang der 90er Jahre entstanden die ersten ERP-Systeme (Enterprise-Resource-Planning), die darauf abzielten, alle für die Geschäftstätigkeit eines Unternehmens relevanten Ressourcen in die Planung einzubeziehen. Ein zentrales Modul heutiger ERP-Systeme ist die Funktionalität der Produktionsplanung und -steuerung, wodurch ERP-Systeme alleinstehende PPS-Systeme in gewisser Weise ablösten. Moderne Informationssysteme beinhalten weiterhin Aspekte des Supply-Chain-Managements, des Kunden- und Lieferantenmanagements sowie weitere Anwendungssysteme, die den Produktentstehungsprozess über den ganzen Lebenszyklus unterstützen. Im Folgenden werden die verschiedenen Komponenten von betrieblichen Informationssystemen sowie Ihre Eingliederung im Unternehmen erläutert.
3.3.2 Strategische Bedeutung von Informationssystemen In Anlehnung an Krcmar können bei der Struktur von Informationssystemen die drei Ebenen Strategieebene, Architekturebene und Infrastruktur- bzw. Realisierungsebene unter-
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InformationssystemStrategie
Strategie
3 Prozessarchitektur
Anwendungsarchitektur
Daten-
Infra-
Aufbauorganisationsarchitektur
architektur
Kommunikationsarchitektur
struktur
InformationssystemArchitektur
InformationssystemRealsierung
Abb. 3.18↜渀 Ganzheitliches Modell der Informationssystemarchitektur [51]
schieden werden. Die oberste Ebene enthält die Geschäftsstrategie, deren grundsätzliche Richtung und Vision auch durchgängig in den anderen Ebenen zu finden ist (Abb.€3.18). Auf die Strategie eines Unternehmens wird in Kap.€2 detailliert eingegangen. An dieser Stelle sei angemerkt, dass nicht nur die Strategie einen Einfluss auf die Informationssystemarchitektur nimmt, sondern auch umgekehrt diese bei der Strategiebildung berücksichtigt werden sollte [52]. In einer Zeit in der Unternehmen global verteilt und arbeitsteilig agieren, stellt die Vernetzung über ein integriertes Informationssystem die einzige Möglichkeit einer sinnvollen und beherrschbaren Aufteilung der Aufgaben dar. Die Ebene der Informationssystemarchitektur unterteilt Krcmar weiterhin in Aufbauorganisationsarchitektur und Prozessarchitektur. Beide Unterebenen werden durch die Strategie eines Unternehmens maßgeblich geprägt. Innerhalb dieser Ebenen werden auf hohem Abstraktionsniveau die Zusammenhänge eines Informationssystems beschrieben. Anschließend erfolgt eine Umsetzung der Zusammenhänge auf der Ebene der Informationssystemrealisierung in Informations- und Kommunikationstechnologie, die dann im Unternehmen genutzt wird. Diese Ebene stellt damit die informations- und kommunikationstechnische Implementierung der Unternehmensstrategie dar.
3.3.3 Aufbau von Informationssystemen Für den Aufbau einer Informationssystemarchitektur bestehen verschiedene Ansätze. Als Beispiele seien hier das Information Systems Architecture (ISA)-Framework von Zachman
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oder die Architektur integrierter Informationssysteme (↜ARISâ•›) von Scheer genannt [53]. Auf der untersten Ebene, der Realisierungs- bzw. Infrastrukturebene wird beschrieben, welche Informations- und Kommunikationstechnologie an welcher Stelle im Unternehmen eingesetzt wird [52]. Darüber hinaus wird hier auch die Speicherung und Verwaltung von Daten realisiert. Im folgenden Abschnitt soll zunächst mit ARIS ein Ansatz zur Informationssystemarchitektur vorgestellt werden. Darauf folgend werden verschiedene Ansätze und deren Umsetzung im Sinne von betrieblichen Anwendungssystemen, die für produzierende Unternehmen eine besondere Relevanz besitzen, vorgestellt. Abschn.€3.5.5 beschäftigt sich abschließend mit der Datenverwaltung. Das von Scheer entwickelte ARIS-Konzept dient als Bezugsrahmen für die Beschreibung von Unternehmen. Im Vordergrund steht hierbei die Auswahl oder Implementierung von Informationssystemen. Dafür werden Modelle erstellt, die die Unternehmensprozesse beschreiben. Um die hohe Komplexität dabei zu reduzieren, werden zum einen verschiedene Sichten (Organisationssicht, Funktionssicht, Datensicht, Steuerungssicht und Leistungssicht) auf die Prozesse eingeführt und zum anderen verschiedene Ebenen (oder auch Schichten), mit denen diese Sichten auf unterschiedlichem Abstraktionsniveau beschrieben werden. Bei den Ebenen handelt es sich um das Fachkonzept, das Datenverarbeitungskonzept (DV-Konzept) und die Implementierung. Festgehalten wird diese Architektur in dem in Abb.€3.19 dargestellten ARIS-Haus. Die Organisationssicht dient der Beschreibung der Aufbauorganisation eines Unternehmens. Es werden die Verantwortlichkeiten der einzelnen Aufgabenbereiche definiert. Zu den Elementen der Aufbauorganisation gehören z.€B. Organisationseinheiten, Stellen oder deren Inhaber [53]. In der Funktionssicht werden sowohl die einzelnen Funktionen und Teilfunktionen als auch ihre Zusammenhänge beschrieben. Dabei ist eine Funktion eine fachliche Aufgabe oder Tätigkeit.
Fachkonzept DV-Konzept Implementierung Organisation Fachkonzept
Fachkonzept
Fachkonzept
DV-Konzept
DV-Konzept
DV-Konzept
Implementierung
Implementierung
Implementierung
Daten
Prozesse Fachkonzept DV-Konzept Implementierung Leistung
Abb. 3.19↜渀 ARIS-Haus [53]
Funktion
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Die Aufgabe innerhalb der Datensicht ist es, ein Modell der Daten, die in einem Informationssystem verwendet werden sollen, aufzustellen. Daten stellen dabei die Basis für Funktionen und Abläufe dar. Die Daten in dieser Sicht sind sehr umfassend. Sie können sowohl einzelne Daten wie das Geschlecht von Mitarbeitern, als auch komplette Datenbanken umfassen [54]. In der Leistungssicht werden die Input- und Output-Leistungen von Prozessen dargestellt. Dazu gehören sowohl materielle und immaterielle Leistungen, als auch Geldströme. Die Steuerungssicht schließlich integriert die einzelnen Sichten und schafft dadurch einen Gesamtüberblick über die Prozesse, die von einem Informationssystem unterstützt werden sollen. Sie stellt damit den Kern des ARIS-Konzeptes dar. Die Unterteilung der einzelnen Sichten in drei Ebenen dient der Komplexitätsreduzierung. Dabei wird auf Fachkonzepts-Ebene die betriebswirtschaftliche Problemstellung behandelt. Dazu erzeugt man eine Darstellung des Ist-Zustandes und des gewünschten Soll-Zustandes. Diese Ebene enthält noch keine Angaben über das zu realisierende Informationssystem. Die Ebene des Datenverarbeitungs-(↜DV)-Konzeptes enthält die Übertragung des Fachkonzeptes auf eine informationstechnische Beschreibung. Hierbei erfolgt die Beschreibung wie die Inhalte des Fachkonzeptes durch das Informationssystem umgesetzt werden sollen [54]. Es erfolgt also eine Definition der Architektur des zu realisierenden Informationssystems. Aufgabe auf der Implementierungsebene ist es, das DV-Konzept umzusetzen, indem die Software und Hardware, die für die Realisierung des Informationssystems benötigt wird, erstellt bzw. angeschafft wird. Das Ergebnis dabei ist ein Informationssystem mit lauffähiger Software.
3.3.4 Arten betrieblicher Informationssysteme In den anschließenden Abschnitten werden die wichtigsten betrieblichen Informationssysteme beleuchtet und das Zusammenwirken aus Perspektive des jeweiligen Systems erläutert. Folgende Systeme werden dabei betrachtet (s. Abb.€3.20):
3.3.4.1 Produktionsplanung und -steuerung (PPS) Wie eingangs beschrieben bildet das PPS-System, teilweise eingebettet in ein ERP-System, nach wie vor den Kern des Informationssystems eines Industrieunternehmens [55]. Die Aufgabe eines PPS-Systems besteht in der termin-, kapazitäts- und mengenbezogenen Planung und Steuerung der Fertigungs- und Montageprozesse. Ziel dabei sind eine hohe Termintreue, hohe und gleichmäßige Kapazitätsauslastung, kurze Durchlaufzeiten, geringe Bestände und hohe Flexibilität. Das Aachener PPS-Modell ist ein Referenzmodell zur Analyse, Bewertung und Konzeption der PPS. Anhand dieses Modells werden im Folgenden die Aufgaben der PPS beschrieben. Sie umfassen Netzwerkaufgaben, Kernaufgaben, Querschnittsaufgaben und die umfassende Datenverwaltung (s. Abb.€3.21).
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Abkürzung
System
PPS
Produktionsplanung und -steuerung
BDE
Betriebsdatenerfassung
ERP
Enterprise Resource Planning
MES
Manufacturing Execution System
PDM/PLM
Product Data Management/Product Lifecycle Management
CAx CAD CAP CAM CAQ
Computer Aided... Design Planning Manufacturing Quality
SCM SCD SCP SCE
Supply Chain Management Supply Chain Design Supply Chain Planning Supply Chain Execution
CRM
Customer Relationship Management
Abb. 3.20↜╇ Betriebliche Informationssysteme im Überblick
Produktionsprogrammplanung
Netzwerkabsatzplanung
Produktionsbedarfsplanung
Netzwerkbedarfsplanung
Fremdbezugs- Eigenfertigungsplanung und planung und -steuerung -steuerung
Lagerwesen
Netzwerkkonfiguration
Querschnittsaufgaben Auftragskoordination
Kernaufgaben
ERP - Controlling
Netzwerkaufgaben
Datenverwaltung
Abb. 3.21↜渀 Aufgaben der PPS nach dem Aachener PPS-Modell [56]
Netzwerkaufgaben sind Planungselemente der strategisch/taktischen Planung von inter- und intraorganisationalen Produktionsnetzwerken mit verteilten lokalen Unternehmenseinheiten. Sie können auf der lokalen Planungsebene (also bei den Kernaufgaben) ein entsprechendes Element besitzen, sind aber wegen des unternehmensübergreifenden Charakters gröber detailliert [56]. Netzwerkaufgaben sind: • Netzwerkkonfiguration (Produktprogrammplanung, Netzwerkauslegung) • Netzwerkabsatzplanung (Absatzmengenermittlung, Absatzmengenkonsolidierung)
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Abb. 3.22↜╇ Netzwerkaufgaben der PPS [56]
3
Netzwerkaufgaben Netzwerkkonfiguration
Produktionsprogrammplanung Netzwerkauslegung
Netzwerkabsatzplanung
Absatzmengenermittlung Absatzmengenkonsolidierung
Netzwerkbedarfsplanung
Netzwerkkapazitätsplanung Netzwerkbedarfsallokation Netzwerkbeschaffungsplanung
• Netzwerkbedarfsplanung (Netzwerkkapazitätsplanung, Netzwerkbedarfsallokation, Netzwerkbeschaffungsplanung). Netzwerkaufgaben besitzen Verbindungen und Interdependenzen zu verschiedenen Kernaufgaben (s. Abb.€3.22). Kernaufgaben umfassen die ursprünglichen PPS-Aufgaben eines einzelnen Unternehmens. Dies sind sämtliche Aufgaben des Produkterstellungsprozesses, mit denen ein Fortschritt im Produktionsprozess verbunden ist. Kernaufgaben sind die Produktionsprogrammplanung, die Produktionsbedarfsplanung, Eigenfertigungsplanung und -steuerung und Fremdbedarfsplanung und -steuerung. Ihre entsprechenden Unteraufgaben sind in Abb.€3.23 illustriert [56]. Querschnittsaufgaben dienen der Integration und Optimierung der PPS. Sie integrieren Kern- oder Netzwerkaufgaben. Aber auch die Integration einer Kombination aus
Kernaufgaben Produktionsprogrammplanung
Produktionsbedarfsplanung
Eigenfertigungsplanung und -steuerung
Abb. 3.23↜╇ Kernaufgaben der PPS [56]
Fremdbezugsplanung und -steuerung
Absatzplanung Primärbedarfsplanung Ressourcengrobplanung Bruttosekundärbedarfsermittlung Nettosekundärbedarfsermittlung Beschaffungsartzuordnung Durchlaufterminierung Kapazitätsbedarfsermittlung Kapazitätsabstimmung Losgrößenrechnung Feinterminierung Ressourcenfeinplanung Reihenfolgeplanung Verfügbarkeitsprüfung Auftragsfreigabe Bestellrechnung Angebotseinholung/-bewertung Lieferantenauswahl Bestellfreigabe
183
3â•… Unternehmensstruktur
Abb. 3.24↜╇ Querschnittsaufgaben der PPS [56]
Querschnittsaufgaben Auftragsmanagement
Angebotsbearbeitung Auftragsbearbeitung Auftragskoordination
Bestandsmanagement
Bestandsplanung Bestandsanalyse Lagerverwaltung Bestandsführung Chargenverwaltung Informationsaufbereitung Maßnahmenableitung
Controlling
Kern- und Netzwerkaufgaben ist möglich. Die einzelnen Querschnittsaufgaben sind das Auftragsmanagement, das Bestandsmanagement und das Controlling. Ihre entsprechenden Unteraufgaben finden sich in Abb.€3.24. Die Datenverwaltung übernimmt Aufgaben der Speicherung und Pflege von Daten. Das Ziel dabei ist eine möglichst hohe Datenqualität. Dabei ist die Datenverwaltung für Netzwerk-, Kern- und Querschnittsaufgaben von großer Bedeutung, da diese entsprechende Daten erzeugen und auf solche zurückgreifen. Die Daten lassen sich in Bewegungs- und Stammdaten unterteilen. Deren jeweilige Datenarten lassen sich in Abb.€3.25 erkennen. Da die Datenverwaltung auch bei den anderen Anwendungssystemen eine wichtige Rolle spielt, wird sie in Abschn.€3.4.5 eingehender erläutert.
3.3.4.2 Betriebsdatenerfassung (BDE)/Maschinendatenerfassung (MDE) Im Kontext der Produktionsplanung und -steuerung spielen auch die Betriebs- und Maschinendatenerfassung eine wichtige Rolle. Diese sammeln alle erforderlichen Ist-Daten aus dem Fertigungsbereich. Dabei wird zwischen auftragsbezogenen (z.€B. Produktionszeit, Transportzeit, Ausschuss), maschinenbezogenen (z.€B. Produktionszeit, Ausfallrate, technische Stillstandzeit), materialbezogenen (Bestand und Bewegungen von Rohstoffen,
Datenverwaltung
Stammdaten
Abb. 3.25↜渀 Datenverwaltung [56]
Bewegungsdaten
Materialstammdaten Ressourcendaten Stücklisten Arbeitspläne Kundenstammdaten Lieferantenstammdaten Lagerbestandsdaten Produktionsauftragsdaten Betriebsdaten
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3
A. Kampker et al.
Hilfsstoffen, Halbfertigteilen, Zukaufteilen), qualitätsbezogenen (z.€B. Mess- und Prüfwerte, Fehlerkennzahlen, Ausschussmengen) und mitarbeiterbezogenen (z.€B. Anwesenheit, Arbeitsstunden) Daten unterschieden [57]. Auf Basis dieser Daten erstellt die PPS neue Soll-Daten. Darüber hinaus dienen diese Daten der Kostenrechnung und Materialwirtschaft. Schließlich liefert die BDE auch Erfahrungswerte für die Arbeitsplanung. Für die operative Fertigungssteuerung und Qualitätsregelung dienen Rückmeldungen von Bearbeitungsstationen, Mess- und Prüfeinrichtungen und der Handarbeitsplätze als Grundlage [57]. Die Erfassung erfolgt dabei mit BDE-Geräten und kann automatisch mit Hilfe von Messeinrichtungen (Sensoren) oder manuell über Eingabegeräte geschehen. Weitere Möglichkeiten sind Ausweisleser für Magnet- oder Barcodes sowie eine akustische Dateneingabe [58].
3.3.4.3 Enterprise Ressource Planning (ERP) Enterprise-Ressource-Planning-Systeme (ERP-Systeme) sind ganzheitliche, prozessorientierte Softwarelösungen, die den betriebswirtschaftlichen Ablauf steuern, kontrollieren und auswerten. Wie einführend beschrieben, sind ERP-Systeme eine Weiterentwicklung der PPS- oder auch Materialwirtschaftssysteme. ERP-Systeme zeichnen sich dadurch aus, dass Geschäftsprozesse aus allen Unternehmensbereichen unterstützt werden. Dazu zählen bspw. die Logistik, die Produktion, das Finanz- und Rechnungswesen oder das Personalwesen. Eine zentrale Datenbank ermöglicht eine gemeinsame Nutzung von Stammdaten durch die verschiedenen Teilbereiche. Ein weiteres wesentliches Merkmal von ERP-Systemen ist eine hohe Prozessintegration. Wechselwirkungen von Aktionen eines Teilbereiches mit Aktionen eines anderen Teilbereiches können dadurch vereinfacht erfasst werden. Die Buchung eines Warenausgangs sorgt z.€B. für eine direkte Verbuchung auf den entsprechenden Vorratskonten in der Buchhaltung [59]. Typische Ziele von ERP-Systemen sind die Erfassung und Abbildung von Informationsflüssen (z.€B. Kapital, Produktion, Input/Output) im Unternehmen als Ganzes, das Aufdecken von Engpässen, sowie die verbesserte Auslastung sämtlicher Ressourcen (Mensch, Maschine, Material, Kapital).
IT-Unterstützung für das ERP Eine Reihe von Herstellern bietet derzeit ERP-Software auf dem Markt an. Zu den bekanntesten gehören SAP, Oracle, Infor, Lawson Software und Microsoft. Der prinzipielle Aufbau dieser ERP-Systeme ist in Abb.€3.26 zu sehen. Im Folgenden werden die wichtigsten Module dieser Systeme vorgestellt. Für eine vertiefende Darstellung dieser Module sei an dieser Stelle auf Abts/Mülder [60] sowie auf Hansen/Neumann [53] verwiesen:
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3â•… Unternehmensstruktur
Anwendungssystem für das Finanzwesen
Anwendungssystem für die Produktion
Anwendungssystem für Lager und Beschaffung
Anwendungssystem für Berichtswesen/ Controlling
Zentrale Datenbank
Anwendungssystem für die Personalwirtschaft
Anwendungssystem für Marketing/ Vertrieb
Anwendungssystem für Versand und Logistik
Anwendungssystem für den Kundendienst
Abb. 3.26↜╇ Prinzipieller Aufbau eines ERP-Systems [60]
Modul Beschaffung: • Bereitstellung aller notwendigen Roh-, Hilfs- und Betriebsmittel (zur richtigen Zeit, am richtigen Ort, in der richtigen Menge und der erforderlichen Qualität sowie zu den besten Konditionen) • Das Beschaffungsmodul erfasst und speichert alle externen Daten über den Beschaffungsmarkt sowie die internen Daten aus den Bereichen Lager, Produktion und Absatz. Modul Vertrieb und Distribution: • Abwicklung individueller Kundenaufträge (bei auftragsorientierter Produktion) • Abwicklung von Lagerverkäufen (bei Produktion auf Lager) • Unterstützung von Vertriebsprozessen von der ersten Kontaktaufnahme zu Kunden über die Bearbeitung von Anfragen bis hin zur Lieferung und Fakturierung Modul Produktion: • Verwaltung aller produktionsrelevanten Daten • Erfassung von Maschinenlaufzeiten und Ableitung des Kapazitätsgebirges zur Visualisierung vorhandener Kapazitäten Modul Finanzen und Rechnungswesen: • Finanzbuchhaltungssystem • Kostenrechnungssystem Modul Personalwirtschaft: • Personaldatenverwaltung und Entgeltabrechnung • Arbeitszeiterfassung und -kontrolle • Personalmanagement
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A. Kampker et al.
Ein weiteres wichtiges Modul ist die Produktionsplanung und Steuerung (PPS). Wegen seiner besonderen Bedeutung wird dies im Folgenden genauer vorgestellt.
3
3.3.4.4 Manufacturing Execution Systems (MES) Manufacturing Execution Systems (MES) dienen als Bindeglied zwischen ERP und der Prozessebene. Während ERP-Systeme in erster Linie die grobe PPS unterstützen, sind auf den darunter liegenden Unternehmensebenen detailliertere Aufgaben zu erfüllen. Diese liegen vor allem im Bereich der autonomen Ressourcenverwaltung und -steuerung. Gründe für die Trennung von ERP und MES liegen in den unterschiedlichen technischen und betriebswirtschaftlichen Anforderungen. ERP-Systeme haben das gesamte Unternehmen im Fokus. Eine logistische Optimierung erfolgt über Werke oder Linien hinweg. Dafür wird in der Regel keine Onlineaktivität benötigt. Dagegen verwalten MES in der Regel nur eine Produktionslinie. Es werden sowohl logistische Steuerdaten als auch technische Parameter online verwaltet. MES können also als ausführende Instanz der ERP betrachtet werden. In der Softwarearchitektur liegen MES daher unterhalb der ERP-Ebene (s. Abb.€3.27). Auf der ERPEbene (Koordinierungsebene) wird dabei die Planung für die Produktion erstellt. Der Produktionsplan wird dann an die MES-Ebene (Operative Ebene) übergeben. Auf dieser Ebene läuft die Echtzeitsteuerung der Produktionsaktivitäten ab. Das MES fungiert als Vermittler zwischen der Prozess- und der Koordinierungsebene und meldet als solcher Daten wie den Abarbeitungsstatus der einzelnen Aufträge an die ERP-Ebene zurück.
Koordinierungsebene
ERP
Manufacturing Execution System (MES) Operative Ebene
Prozessebene
Fertigungsleitstand
Ablaufsteuerung
Transportsteuerung
Qualitätsmanagement
Werkzeugverwaltung
Betriebsdatenerfassung
Materialverwaltung
Maschinentreiber
Zellenauftragsmanagement
Robotermanager
Zellenauftragskoordination
Robotertreiber
Werkzeugveraltung Zelle
Abb. 3.27↜╇ MES als Bindeglied zwischen ERP und Prozessebene [61]
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3â•… Unternehmensstruktur
Dieser wird wiederum für die logistische Steuerung wie z.€B. die Planung der nächsten Perioden verwendet. Der Nutzen von MES liegt in der erhöhten Transparenz, die durch die Echtzeitinformationen (z.€B. über Maschinen- und Anlagenzustände) gewonnen wird. Gleichzeitig wird eine hohe Reaktionsgeschwindigkeit ermöglicht, wodurch sich Liege- und Wartezeiten reduzieren lassen, was wiederum zu einer Reduktion der Durchlaufzeit führt.
3.3.4.5 Product Data Management (PDM)/Product Lifecycle Management (PLM) Bei Product Data Management (PDM) handelt es sich um einen Ansatz zur ganzheitlichen, unternehmensweiten Verwaltung und Steuerung aller Produktdaten und Prozesse. Das Product Lifecycle Management (PLM) fasst diese Funktion über den kompletten Lebenszyklus entlang der erweiterten Logistikkette – von der Produktplanung und Produktion über den Vertrieb und die Wartung bis hin zur Demontage und Recycling eines Produktes zusammen (s. Abb.€3.28). Durch einen integrierten Managementansatz, bestehend aus Methoden, Modellen und Werkzeugen, sollen die Daten und Informationen, die während des Produktlebenszyklus entstehen oder benötigt werden, gespeichert und zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle verfügbar sein. Beispiele für diese Informationen sind CAD-Modelldaten, die in der Phase der Produktentwicklung entstehen und während der Fertigung als Grundlage für ein NC-Programm
Produktlebenszyklus ProduktProduktplanung
Produkt-
Konstruktion
Arbeitsvorbereitung
entwicklung
Produktionsplanung
ProduktFertigung & Montage
herstellung
Vertrieb
nutzung
ProduktService
Recycling
entsorgung
Produktskizze
Pflichtenheft
Arbeitspläne
Stücklisten
Änderungen
Spezifikationen
Zeichnung
NC-Programme
Qualitätsdaten
Recycling Servicedaten
Daten im Produktlebenszyklus
Abb. 3.28↜╇ Die Phasen des Produktlebenszyklus [62]
188
A. Kampker et al.
dienen. Weitere Beispiele sind unter anderem Stücklisten, Arbeitspläne, Qualitäts- oder Entsorgungsdaten [62].
Nutzenpotentiale
3
Die Nutzenpotentiale von PLM lassen sich in drei Ebenen kategorisieren [63]: • Funktionsebene • Prozessebene • Unternehmensebene Zu den Bereichen der Funktionsebene gehören z.€B. Marketing, Entwicklung, Fertigung oder Service. Hier sind Nutzenpotentiale in einer höheren Effizienz (z.€B. durch geringeren Aufwand für die Suche nach Informationen), einer besseren Kundenbindung, einer geringeren Komplexität durch weniger Teilevielfalt sowie einem verbesserten Datenzugriff in Kombination mit Wissensmanagement zu sehen. Auf der Prozessebene finden sich Nutzenpotentiale z.€B. in einer schnelleren und kostengünstigeren Entwicklung. Ursache hierfür ist eine Kommunalisierung innerhalb der Produktplanung und die Möglichkeit der Wiederverwendung und Standardisierung in der Produktstrukturierung. Auch eine Senkung der Durchlaufzeit (DLZ) im Änderungsmanagement ist hier zu erwähnen. Nutzenpotentiale auf Unternehmensebene sind in einer erhöhten Innovationsproduktivität, einer höheren Service-Qualität, geringerer DLZ für Entwicklungsprogramme sowie geringeren Komplexitätskosten zu finden.
IT-Unterstützung für das PLM Um den PLM-Gedanken in der Praxis realisieren zu können, benötigt man entsprechende IT-Systeme, die eine effiziente Datenlogistik erst ermöglichen und dafür sorgen, dass die Produktdaten von den zugriffsberechtigten Personen jederzeit abgerufen werden können. Diese Personen befinden sich unter Umständen in völlig verschiedenen Phasen des Produktlebenszyklus und an unterschiedlichen Standorten [62]. In der Praxis werden sowohl eigenständige PLM-Lösungen als auch in ein ERP eingebetete PLM-Systeme verwendet.
Gestaltung einer integrierten PLM-Lösung Führt man sich vor Augen, wie viele unterschiedliche Unternehmensbereiche während des Produktlebenszyklus involviert sind, so wird schnell klar, dass auch eine große Anzahl von verschiedenen Software-Komponenten in einem IT-System integriert werden muss. So werden in der Konstruktion CAD- und CAE-Systeme verwendet, der Vertrieb dagegen benötigt CRM-Systeme. Gleichzeitig müssen Daten aus verschiedenen Unternehmensbe-
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3â•… Unternehmensstruktur
Produktplanung
CRM
Arbeitsvorbereitung
Konstruktion
Produktionsplanung
Fertigung & Montage
Vertrieb
CAD
Service
Recycling
CRM CAE CAM CAP
SCM PPS - ERP
CAQ
CAQ
CAQ
PDM PLM-IT-Lösung
Abb. 3.29↜渀 IT-Unterstützung für das PLM
reichen eingebunden werden. Ein Beispiel hierfür sind Daten, die im Service gesammelt wurden und in der Neuproduktentwicklung Berücksichtigung finden (s. Abb.€3.29) [62]. Eine Umsetzung der PLM-Idee mit allein stehenden „Insellösungen“ führt zu einer großen Zahl an Schnittstellen zwischen den Systemen. Diese Schnittstellen müssen zum einen realisiert und zum anderen gewartet werden. Dies hat eine hohe Komplexität zur Folge, was wiederum in der Praxis oftmals die Auswirkung hat, dass nur ein Teil dieser Schnittstellen auch wirklich implementiert wird. Häufig wird daher die PLM-Idee nicht vollständig umgesetzt.
IT-Funktionen des Product Lifecycle Management Eine integrierte IT-Lösung für das Product Lifecycle Management muss verschiedene Funktionalitäten besitzen. Diese sollen die Unterstützung des umfangreichen PLMGrundgedanken ermöglichen. Am Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen wurde diesbezüglich ein PLM-Modell entwickelt, das diese Funktionalitäten aufführt und beschreibt. Als Hauptbereiche sind dabei das Kerndatenmanagement, die Produktdatenentstehung, das Prozessmanagement und die Systemintegration genannt. Zum Bereich des Kernmanagements gehört die Verwaltung der zentralen Daten, durch die ein Produkt definiert ist. Diese sind in erster Linie Materialstammdaten, Produktstruktur und Produktkonfiguration. Das Kerndatenmanagement stellt damit die zentrale Datenverwaltung für die drei anderen Modellbereiche dar. Seine Funktionsgruppen sind [62]: • Produktplanung: Hierunter fallen sämtliche Funktionen für ein ganzheitliches Produktportfoliomanagement. Darüber hinaus gehören hierzu die Erfassung, Bewertung und Auswahl von Ideen für neue Produkte. Schließlich ist auch das Management von Kundenanforderungen eine Funktion der Produktplanung.
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3
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• Produktstrukturierung: Hier werden Materialstammdaten erfasst und verwaltet. Dabei hilft eine Klassifizierung der Materialien in Gruppen ähnlicher Teile dabei, den Suchaufwand nach bestehenden Objekten zu verringern. Dadurch wird eine Wiederverwendbarkeit erleichtert. • Änderungs- und Konfigurationsmanagement: Hierunter fällt der Freigabe- und Änderungsdienst. Dieser hat ein konfigurierbares Statusnetz sowie eine Versionskontrolle als Grundlage. Eine weitere Funktion ist die Verwaltung aller für das Konfigurationsmanagement relevanten Objekte innerhalb des Lebenszyklus. Zur Produktdatenentstehung gehören alle Funktionen, die neue Produktdaten hervorbringen. Diese sind [62]: • Fertigungsplanung: Hierzu gehört der Zugriff auf Ressourcendaten, die Erfassung von Arbeitsplänen und die Fabriklayoutplanung. • Beschaffung: Bestandteile der Beschaffung sind die Lieferantendatenbank und ein Komponentenkatalog. Auch die Erfassung und Durchführung von Ausschreibungen sind Bestandteil der Beschaffung. • Qualitätsmanagement: Die Funktionen des Qualitätsmanagements sind die Einführung von Qualitätsverfahren, die Erfassung von Qualitätskontrollplänen, die Verwaltung von Prüfmitteln und die Rückmeldung von Ergebnissen die bei der Qualitätsprüfung anfallen. • Dienstleistung, Wartung und Instandsetzung: Hierunter fallen die Planung und Abwicklung von Wartungs- und Serviceterminen der Betriebsmittel. • Umweltschutz/Arbeitssicherheit: Hier werden Stoffstammdaten in einem Stoffkatalog verwaltet. Darüber hinaus umfasst dieser Bereich die gesetzlichen Regelungen zur Handhabung von Gefahrgütern und die Unterstützung von Arbeitsschutzregelungen. Im Fokus des Prozessmanagements stehen die unterschiedlichen Unternehmensprozesse. Die Funktionen in diesem Bereich sind [62]: • Projektmanagement: Hierzu gehört zum einen die Planung und Steuerung einzelner Projekte. Zum anderen ist die Unterstützung einer ganzheitlichen Projektportfolioplanung eine Funktion des Projektmanagements. Auch die Erfassung des Ressourcenbedarfs aller Projekte sowie deren Zeitplan ist Bestandteil dieser Funktionsgruppe. • Dokumentenverwaltung: Eine Funktion der Dokumentenverwaltung ist die Speicherung der Dokumente in einem Datentresor. Dabei werden Dokumente mit Metadaten beschrieben und mit einem (oder mehreren) Objekten verknüpft. Des weitern werden technische Dokumente erstellt und Daten archiviert sowie visualisiert. • F&E-Controlling: Funktionen dieser Gruppe sind das Projektcontrolling und die Produktkostenrechnung in Bezug auf den kompletten Lebenszyklus. Weitere Aufgaben sind die kontinuierliche Ermittlung und Erfassung von Kennzahlen. • Kollaboration: Hierbei steht die Zusammenarbeit und die damit verbundene Kommunikation im Mittelpunkt. Dies kann z.€B. durch Videokonferenzen oder Applikationsmitbenutzung von CAD-Anwendungen realisiert werden. Weitere Funktionen sind die Unterstützung von automatisierten Arbeitsabläufen und einer gemeinsamen Wissensbasis.
3â•… Unternehmensstruktur
191
Im Bereich der Systemintegration sind die Standards für den Datenaustausch zwischen verschiedenen Systemen angeordnet. Darüber hinaus sind hier die Schnittstellen zwischen den einzelnen Systemen der ganzheitlichen PLM-Lösung erfasst.
3.3.4.6 „Computer Aided“ – Systeme (CAx) Unter CAx versteht man die Zusammenfassung aller rechnerunterstützten Systeme in einem Unternehmen. CA steht dabei für „Computer-Aided“. Das x symbolisiert dabei die verschiedenen Einsatzbereiche (z.€B. CAD, CAM, CAQ, etc.). Der Einsatz der Systeme entlang des Lebenszyklus eines Produktes ist in Abschn.€3.3.4.5 dargestellt (s. Abb.€3.29). Im Folgenden werden die wichtigsten dieser Systeme vorgestellt. Computer Aided Design (↜CAD) bezeichnet das rechnerunterstützte Entwerfen, Zeichnen und Konstruieren. CAD-Systeme spielen immer dann eine wichtige Rolle, wenn es sich bei den zu fertigenden Produkten nicht um Standardprodukte handelt. Bei einer Konstruktion mit CAD-Systemen werden die Ergebnisse – also Geometriedaten, Technologiedaten (Material, Oberflächen u.€ä.), Normteile, Zusammenstellungen und Stücklisten – in einer gemeinsamen Datenbasis abgelegt und verwaltet. Dadurch haben auch andere innerbetriebliche Abteilungen Zugriff auf diese Daten und die digitale Objektdarstellung, die bei der Konstruktion entstanden ist. Aus dem Einsatz von CAD-Systemen erfolgt ein großer Nutzen. So wird der Konstrukteur bei der Varianten- und Änderungskonstruktion unterstützt. Er kann auf Norm- und Wiederholteile zurückgreifen, die in der Datenbank abgelegt sind und vordefinierte Makros verwenden, um zeitintensive Routinetätigkeiten zu umgehen bzw. zu beschleunigen. Die Daten aus dem CAD-System dienen darüber hinaus der PPS. So können auf Grundlage von Stücklisten, Normteile- und Zukaufteilebeschreibungen entweder Anfragen an das Magazin gestellt oder ein Einkauf initiiert werden [57]. Computer Aided Planning (↜CAP) umfasst die EDV-unterstützte Arbeitsplanung. Grundlage hierzu sind die technischen Zeichnungen, Materialbeschreibungen, Konstruktionsdaten, etc. aus dem CAD-System. Diese dienen der Planung • • • • • • •
in welcher Reihenfolge an welchem Arbeitsplatz/welchen Arbeitsplätzen durch welches Personal mit welchem Material in welchen Zeiten (Rüstzeiten, Bearbeitungszeiten) mit welchen Werkzeugen und Maschinen und unter Zuhilfenahme welcher Informationen (z.€B. Arbeitsanweisungen und NC-Programme)
ein Werkstück, eine Komponente oder eine Baugruppe zu fertigen und zu montieren sind. Dies wird in Fertigungsunterlagen wie Prozessbeschreibungen, Verfahrensregeln, Steueranweisungen oder ähnlichem festgehalten. CAP-Systeme lassen sich in Arbeitsplanverwaltungssysteme und Arbeitsplanerstellungssysteme unterscheiden. Arbeitsplanverwaltungssysteme haben dabei eine auf Editierung und Verwaltung beschränkte Aufgabe.
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Arbeitsplanerstellungssysteme sind komplexer und unterstützen den kompletten Prozess der Arbeitsplanung [57, 58]. Computer Aided Manufacturing (↜CAM) umfasst alle rechnergestützten Fertigungsverfahren sowie Systeme der innerbetrieblichen Logistik. Dabei kann zwischen NC- (Numerical Control), CNC- (Computerized Numerical Control) und DNC- (Direct Numerical Control) Maschinen unterschieden werden. Während bei CNC-Maschinen die Programmierung direkt an der Maschine mit Hilfe eines Mikrocomputers erfolgt, werden bei DNC-Maschinen mehrere Werkzeugmaschinen von einem zentralen Rechner gesteuert. Die innerbetriebliche Logistik umfasst Materialflusssysteme, flexible Fertigungszellen und -systeme sowie Instandhaltungssysteme. Dabei werden Materialflusssysteme für den Transport in Lagern und den innerbetrieblichen Transport (z.€B. über Fließbänder) und für die Disposition eingesetzt. Flexible Fertigungszellen umfassen mehrere Werkzeugmaschinen einschließlich ihrer Materialhandhabungssysteme. Dadurch lassen sich an einem Werkstück mehrere aufeinanderfolgende Arbeitsgänge automatisiert durchführen. In flexiblen Fertigungssystemen sind Werkzeugmaschinen mit Werkzeugmagazinen, Materialhandhabungssystemen und automatischen Transporteinrichtungen integriert. Die Instandhaltung wird durch Anwendungssysteme unterstützt, indem diese die Daten der Produktionsanlagen verwalten. Hierbei stehen Wartungs- und Instandhaltungsmaßnahmen und deren Termin- und Ablaufsteuerung im Mittelpunkt [58]. Computer Aided Quality Assurance (↜CAQ) dient der Planung und Durchführung der Qualitätssicherung. Dabei werden auf Basis der Konstruktionsunterlagen aus dem CAD-Bereich und den Arbeitsplänen aus dem CAP-Bereich Prüfmerkmale abgeleitet und festgelegt. Darüber hinaus werden Mess- und Prüfpläne erstellt. Sollten rechnergestützte Prüfeinrichtungen existierten, werden dafür Prüfprogramme erstellt. Die Prüfvorgaben werden im automatisierten Produktionssystem durchgeführt und überwacht [57].
3.3.4.7 Supply Chain Management (SCM) Supply Chain Management ist die integrierte Planung und Steuerung von Prozessen zur Lieferantenwahl, Beschaffung und Logistikaufgaben entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Dabei werden die Material-, Informations- und Werteflüsse über das komplette Netzwerk vom Endkunden bis zum Rohstofflieferanten betrachtet. In Abb.€3.30 sind die drei grundlegenden Aspekte des SCM dargestellt. Der Aspekt „Kundenzufriedenheit“ wird durch Kriterien wie Produktverfügbarkeit, geringe Lieferzeiten, Lieferzuverlässigkeit, Produktqualität und Zusatzleistungen, die dem Kunden geboten werden, bestimmt. Der Aspekt „hohe Flexibilität“ wird durch immer kürzere Produktlebenszyklen und schwankende Nachfrage bedingt. Gleichzeitig gewinnen die Differenzierung und eine steigende Variantenvielfalt an Bedeutung. Es besteht also die Forderung nach einer hohen Flexibilität zum Erreichen des Kundennutzens sowohl im Ressourceneinsatz als auch in der Planung.
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3â•… Unternehmensstruktur
Abb. 3.30↜渀 Zielsystem des Supply Chain Managements (SCM) [64] Kundenzufriedenheit
SCMZielsystem Hohe Flexibilität
Kostenreduktion
Der Aspekt „Kostensenkung“ betrachtet die typischen Kosten innerhalb der Supply Chain. Dies sind bspw. Transaktions-, Transport-, Bestands- und Lagerhaltungskosten oder auch Obsoleszenzkosten, die durch Fehlmengen entstehen.
Aufgabenmodell der IT-Unterstützung für das SCM In einer Zusammenarbeit zwischen den Fraunhofer Instituten für Materialfluss und Logistik sowie für Produktionstechnik und Automatisierung und dem Zentrum für Unternehmenswissenschaften der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich wurde das in Abb.€3.31 dargestellte eSCM-Referenz- und Aufgabenmodell erstellt, wobei der Zusatz „e“ für die softwareseitige Implementierung des SCM-Systems steht. Die einzelnen Ebenen sollen dabei helfen, passende Software für das SCM auszuwählen. Die oberste Ebene stellt dabei das „Supply Chain Design (SCD)“ dar. Hierbei geht es um die strategische Netzwerkgestaltung. Es werden die Beschaffungs-, Produktions-, und Distributionsstrukturen durchleuchtet und optimiert. Ein wichtiges Werkzeug der Optimierung stellt hierbei die Simulation dar, die es ermöglicht verschiedene Szenarien innerhalb des Netzwerkes zu analysieren. Beispiele hierfür sind die Auswirkungen von Lieferantenwechseln oder Kundenausfällen [66]. Die darauffolgende Ebene ist als „Supply Chain Planning (SCP)“ charakterisiert. Sie enthält sowohl strategische als auch taktische und operative Elemente. Planungsinhalte sind hierbei: • • • • • • •
Bedarfsplanung Netzwerkplanung Beschaffungsplanung Produktionsplanung Distributionsplanung Verfügbarkeits- und Machbarkeitsprüfung sowie Beschaffungs-, Produktions- und Distributionsfeinplanung
Das Supply Chain Execution (SCE)-Ebene schließlich stellt die Ausführungsebene dar. Funktionen auf dieser Ebene dienen der Prozessabwicklung oder der Kontrolle. Beispiele
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Strategische Netzwerkgestaltung Bedarfsplanung
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Netzwerkplanung Beschaffungsplanung
Produktionsplanung
Distributionsplanung
Verfügbarkeits- und Machbarkeitsprüfung (ATP/CTP) Beschaffungsfeinplanung
Produktionsfeinplanung
Distributionsfeinplanung
Controlling Auftragsabwicklung Bestandsmanagement
Produktionsabwicklung
Transportabwicklung
Datenintegration und Workflowmanagement der eSupply Chain
Abb. 3.31↜╇ Ebenen und Module von eSCM-Systemen [65]
dafür sind die Auftrags- oder Produktionsabwicklung und das Bestandsmanagement. Das SCE stellt hierfür Kommunikations-, Visualisierungs-, eBusiness- und eCommerce-Lösungen bereit [65]. Ziel ist eine Entscheidungsunterstützung, die den Akteuren in der Lieferkette dabei hilft flexibel auf Veränderungen zu reagieren. Daher ist es notwendig, dass Informationen schnell zwischen den Partnern ausgetauscht werden können [67].
3.3.4.8 Customer Relationship Management (CRM) Unter Customer Relationship Management (CRM) versteht man eine Unternehmensphilosophie, die langfristig profitable Kundenbeziehungen zum Ziel hat. Dabei sind Kommunikations-, Distributions- und Angebotspolitik nach den Kundenbedürfnissen auszurichten. Moderne Informations- und Kommunikationstechnologien unterstützen die Sammlung, Bereitstellung und Nutzung von kundenspezifischen Informationen und damit das Erreichen einer hohen Kundenzufriedenheit. In Abb.€3.32 ist das Zielsystem des CRM dargestellt. Der Punkt Know-How beschreibt das Ziel, Märkte und Kunden zu verstehen. Dabei sollen einerseits die klassischen Kundenbedürfnisse befriedigt werden. Auf der anderen Seite wird es in Zukunft zunehmend wichtiger auch latente Bedürfnisse – die der Kunde evtl. noch gar nicht kennt und formuliert – aufzugreifen und daraus den eigenen Markt der Zukunft zu gestalten.
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3â•… Unternehmensstruktur
Abb. 3.32↜╇ Zielsystem des Customer Relationship Management (CRM)
Know-How Märkte und Kunden verstehen
Sell Kunden gewinnen
CRM
Service Kunden binden
Target Leistungsangebote entwickeln
Der Punkt Sell zielt darauf ab, Kunden zu gewinnen. Hierzu gilt es Leistungssysteme gezielter zu vermarkten und homogene Kundencluster zu bilden. Diese zeichnen sich durch weitgehend homogene Bedürfnisprofile aus. Darauf abgestimmt lassen sich Leistungspakete entwickeln, welche die für den Kunden relevante (kaufentscheidende) Merkmale vereinigen. Innerhalb der Kundencluster lassen sich die Vorteile der klassischen „Economies of Scale“ realisieren. Beim Punkt Target sollen die Kundenbedarfe getroffen werden. Es werden Leistungspakete aus physischen Produkten und Dienstleistungen entwickelt, bei denen die Frage, welche Leistungsmerkmale dem Kunden wie viel Wert sind, im Mittelpunkt stehen. Hierdurch kann das Leistungsniveau auf den Kundennutzen abgestimmt und ein optimaler Preis erzielt werden. Der Punkt Service hat das Ziel Kunden zu binden. Kern hierbei sind die Dienstleistungen, die ein Unternehmen bietet. Diese ermöglichen es dem Unternehmen, sich von seinen Konkurrenten zu differenzieren und den Kunden über den gesamten Produktlebenszyklus durch Dienstleistungen zu begleiten.
IT-Unterstützung für das Customer Relationship Management (CRM) CRM-Systeme bestehen i.€d.€R. aus den drei Bausteinen Kommunikatives CRM, Operatives CRM und Analytisches CRM (s. Abb.€3.33) [53, 68]. Das Kommunikative CRM dient als Schnittstelle zum Kunden und beinhaltet die Steuerung, Unterstützung und Synchronisation der verschiedenen Kommunikationskanäle zu diesem. Beispiele für Kommunikationskanäle sind: persönlicher Kontakt, E-Mails, Printmedien, das Fernsehen oder auch das Internet. Das Operative CRM dagegen beinhaltet die Anwendungen des „Front Office“, d.€h. zu denjenigen, die einen direkten Kontakt zum Kunden aufweisen. Es werden Prozesse der Bereiche Marketing, Verkauf und Service unterstützt. Durch eine Verbindung zu „Back
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A. Kampker et al.
Kommunikatives CRM
3
Operatives CRM
Internet Persönlicher Kontakt Front Office
Marketing Automation
Analytisches CRM Closed Loop Architecture
eMail
Mailings
Telefon
Customer Interaction Center Sales Automation
Data Mining
Wap TV/Radio
Service Automation
OLAP
Customer Data Warehouse bzw. Data Marts Back Office
SupplyChain Management
Enterprise Resource Planning
CIM
….
Abb. 3.33↜╇ IT-Unterstützung für das CRM [68]
Office-Anwendungen, wie z.€B. ERP-Systemen können wichtige Informationen (z.€B. Verfügbarkeit oder Lieferzeiten) für den Dialog mit dem Kunden eingeholt werden. Im Analytische CRM steht eine gezielte Aufbereitung kundenspezifischer Daten im Vordergrund. Dabei werden Kundenkontakte und -reaktionen erfasst und ausgewertet. Die gewonnenen Daten werden genutzt um Märkte zu segmentieren und Kunden zu differenzieren. Hierdurch kann die Kundenkommunikation verbessert und Produkte und Dienstleistungen effektiver den differenzierten Kundenbedürfnissen angepasst werden.
3.3.5 Datenverwaltung und -auswertung Die Vielzahl verschiedener Anwendungssysteme führt auch zu einer Vielzahl von verschiedenen Datenbanken. Problematisch wird hierdurch die konsistente Bereitstellung der gespeicherten Informationen in Echtzeit. Die Verfügbarkeit aktueller und korrekter Daten ist aber insbesondere für das Management sowie für das Controlling von großer Bedeutung. Zur Lösung dieses Problems soll das Data Warehouse beitragen. Hansen und Neumann [53] definieren das Data Warehouse als „ein unternehmensweites Konzept, das als logischer zentraler Speicher eine einheitliche und konsistente Datenbasis zur Entscheidungsunterstützung von Fach- und Führungskräften aller Bereiche und Ebenen bietet. Diese Datenbasis wird getrennt von den operativen Datenbanken verwaltet.“ Durch das Data Warehouse soll die Informationsversorgung im Unternehmen verbessert werden. Aus den operativen Daten des Unternehmens sowie externen Daten (wie Börsenkurse oder Wirtschaftskennzahlen) werden hierzu die jeweils relevanten Informationen
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Data Warehouse
operative Daten
Data Mart
externe Daten
operative Daten
Data Mart
externe Daten
Abb. 3.34↜渀 Zentrales und dezentrales Data Warehouse [60]
bereitgestellt. Dabei sollen kurze Zugriffszeiten realisiert und die Informationen aktuell gehalten werden [60]. Ein Data Warehouse kann, wie in Abb.€3.34 zu sehen ist, zentral oder dezentral aufgebaut sein. Das zentrale Data Warehouse besitzt dabei eine zentrale, von den operativen Systemen isolierte Datenbank [60]. Das dezentrale Data Warehouse wird auch als Data Mart bezeichnet. Hierbei bestehen mehrere dezentrale Datenbestände. Es können z.€B. für einzelne Teilbereiche im Unternehmen eigene Data Warehouses aufgebaut werden. Möglich sind unter anderem Produktions-, Vertriebs- oder Controlling- Data Warehouses [69]. Ein Ziel dieser dezentralen Variante ist es, Datenbestände an mehreren Orten schneller bereitzustellen. Weiterhin besteht die Möglichkeit den einzelnen Teilbereichen detailliertere und speziellere Daten zur Verfügung zu stellen [60]. Um die in den Datenbanken vorhandenen Informationen für das Management auszuwerten, gibt es zwei Möglichkeiten: Online Analytical Processing (OLAP) Analysen und Data Mining. Diese werden im Folgenden kurz vorgestellt. Für eine detailliertere Beschreibung wird an dieser Stelle auf weiterführende Literatur, z.€B. Hansen und Neumann, verwiesen [53]. Bei der OLAP Suche gibt der Nutzer vor wonach er sucht. Dabei ist es notwendig eine genaue Vorstellung von den gesuchten Information zu haben, da die OLAP Analyse keine dem Nutzer unbekannten Zusammenhänge einschließt. Eine mögliche Suchanfrage kann beispielsweise „Wie hoch war der Umsatz des Unternehmens innerhalb der Kundengruppe Automobilindustrie im Jahr 2008?“ lauten. Um die Suchergebnisse noch weiter einzuschränken kann die Anfrage beliebig detailliert werden. So kann eine weiter spezifiziert Anfrage wie folgt formuliert werden: „Wie hoch war der Umsatz der Artikelgruppe Fräsmaschinen in der Kundengruppe Automobilindustrie im Jahr 2008 in Deutschland?“ Beim Data Mining werden im Gegensatz zur OLAP-Analyse unbekannte Zusammenhänge in den Datenbeständen gesucht. Diese werden nach Mustern oder Regeln ausgewertet. Der Nutzer gibt dabei Ziele vor und das System leitet daraus Beurteilungskriterien ab. Auf Basis dieser Kriterien werden die Datenbestände analysiert.
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Geringer Anschaffungspreis
Herstellerabhängigkeit
Maßgeschneiderte Lösung
Hohe Entwicklungskosten
Know-how-Transfer
Teueres Spezialpersonal
Keine Anpassung der Organisation notwendig
Wartung teuer
permanente Weiterentwicklung an Marktstandards
Geringer Einfluss auf Weiterentwicklung
hohe Funktionalität Branchenneutralität und Individualität durch Customizing
Hoher Einführungsaufwand Anpassung aufwendig
Teilweise unzureichende Dokumentation
Unabhängigkeit von Softwarelieferanten
Abhängigkeit von Entwicklern
Ggf. strategische Vorteile
Strategischer Nutzen
Standardsoftware
Individualsoftware
Abb. 3.35↜渀 Standard- vs. Individualsoftware [69]
3.3.6 Softwareauswahl und -implementierung Generell steht man bei der Einführung und Auswahl von betrieblichen Anwendungssystemen vor der Entscheidung, ob man auf Standardlösungen zurückgreift oder Individualsoftware wählt. Wie Abb.€3.35 zeigt, besitzen beide Möglichkeiten Vor- und Nachteile. Eine Abwägung der Vorteilhaftigkeit muss dabei immer in Bezug auf die optimale Eignung der Softwarelösung für den zu erreichenden Sollprozess erfolgen. Da das Angebot von Standardsoftware für die Bereiche Fertigungsindustrie, Maschinenbau und Handel immer umfangreicher wird und somit ein Großteil der Anwendungsfälle mit vorhandenen Softwarelösungen abgedeckt werden kann [69], wird im Folgenden das Verfahren zur Auswahl und Implementierung von Standardsoftware dargestellt.
3.3.6.1 Auswahl von Standardsoftware Das Vorgehen bei der Softwareauswahl wird durch verschiedene Modelle beschrieben. Beispielhaft seien hier die Softwareauswahl nach Abts und Mülder [60], die systematische Auswahl von Unternehmenssoftware nach Vering [70] oder das an der RWTH Aachen entwickelte 3-Phasen-Konzept zur Auswahl von ERP-/PPS-Systemen [71] genannt. Im Weiteren wird die Auswahl von Standardsoftware nach Stahlknecht und Hasenkamp kurz vorgestellt [58].
Phase 1: Projektbegründung In der ersten Phase wird das Softwarebeschaffungsprojekt initialisiert. Das Ergebnis dieser Phase ist die Erteilung des Projektauftrags. Dabei finden die folgenden Tätigkeiten statt:
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• Projektvorschlag erarbeiten • Projekterwartungen formulieren • Projektauftrag erteilen
Phase 2: Analyse und Soll-Konzept-Erstellung Phase 2 setzt sich aus der Ist-Analyse und dem Soll-Konzept zusammen. Die Ist-Analyse besteht aus der Erhebung und Beschreibung des Ist-Zustandes sowie dessen Analyse und Bewertung. Ziel ist es die Schwachstellen der Ablauforganisation zu finden und die Voraussetzung zur Aufstellung des Soll-Konzeptes zu schaffen. Das Soll-Konzept wird unter Berücksichtigung der fachlichen Anforderungen an das Anwendungssystem erstellt. Wichtig ist hierbei, dass das Soll-Konzept im Sinne der Prozessorientierung die Entscheidungsgrundlage gemäß dem Grundsatz „Software follows Process“ bildet. Zusammengenommen werden diese Anforderungen als Systemspezifikation bezeichnet. Darauf aufbauend wird der Fachentwurf abgeleitet. In diesem werden die geforderten Funktionalitäten des neuen Anwendungssystems definiert.
Phase 3: Ausschreibung/Angebotseinholung Das Ergebnis der Analyse-Phase ist das Soll-Konzept. Dieses wird anschließend genutzt, um die Ausschreibung bzw. das Lastenheft zu erstellen, das an die Softwarehersteller geschickt wird. Wichtige Punkte innerhalb dieser Ausschreibung sind nach Stahlknecht/Hasenkamp: • Allgemeine Charakterisierung des Unternehmens • Beschreibung der IT-Infrastruktur • Beschreibung der Arbeitsgebiete und -abläufe, für die Standardsoftware eingesetzt werden soll • Mengengerüst der Daten • Ziele und Mindestanforderungen • Preisobergrenze • Zeitrahmen für die Einführung der Software • Anforderung von Informationen zu Schulungen, Systemeinführung, Support und Wartung • Anforderung von Referenzen des Softwareherstellers • Aufforderung zur Angabe des zuständigen Ansprechpartners • Termin für die Abgabe des Angebots
Phase 4: Grobbewertung der Angebote Die vierte Phase hat das Ziel, die Anzahl der Angebote oder auch Lastenhefte auf drei bis fünf zu reduzieren. Diese werden anschließend einer genaueren Prüfung unterzogen. Hierbei werden unvollständige Angebote von Anfang an ausgeschlossen. Die restlichen
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Angebote werden anhand einer Liste mit Ausschlusskriterien bewertet. Beispiele dafür sind ein zu hoher Preis, ein zu geringer Leistungsumfang, unsicherer Support oder ein zu hoher Anpassungsaufwand.
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Phase 5: Feinbewertung und Endauswahl In dieser Phase werden die verbliebenen Angebote einer Feinbewertung unterzogen. Stahlknecht und Hasenkamp schlagen hierzu das Verfahren der Nutzwertanalyse vor. Dieses besteht aus drei Schritten. Im ersten Schritt werden die Kriterien, die dem Anwender wichtig sind, erarbeitet und prozentual gewichtet. Im zweiten Schritt werden die verbliebenen Angebote im Hinblick auf diese Kriterien gegenübergestellt. Während im dritten Schritt die Angebote hinsichtlich der Kriterien durch eine Vergabe von Punkten bewertet werden. Die Skala kann dabei beispielsweise von 1 (schlecht) bis 5 (sehr gut) reichen. Die vergebenen Punkte werden anschließend mit den jeweiligen Gewichten multipliziert. Die Nutzwerte der einzelnen Alternativen ergeben sich aus der Summe dieser Multiplikationen und werden anschließend gegenübergestellt. Da die Ergebnisse subjektiv geprägt sind macht es Sinn im Folgenden eine Sensitivitätsanalyse durchzuführen, bei der die Gewichte oder die Punktbewertungen verändert werden, um verschiedene Szenarien durchzuspielen.
3.3.6.2 Softwareeinführung Nach der Auswahl der Software, beginnt die Phase der Softwareeinführung. Hierbei kann man zwischen einer schlagartigen Einführung („Big Bang“) und einer stufenweisen Einführung unterscheiden [60]. Bei der schlagartigen Einführung wird das neue System in seiner Gesamtheit zu einem festgelegten Zeitpunkt eingeführt und das alte System (sofern vorhanden) ersetzt. Der Vorteil dieser Strategie liegt darin, dass keine Einführungsphase über mehrere Monate oder sogar Jahre entsteht, wodurch die Notwendigkeit aufwändiger Zwischenlösungen entfällt. Nachteilig ist jedoch, dass unter einem großen Zeitdruck gearbeitet werden muss und somit Fehler auftreten, wodurch die Akzeptanz bei den zukünftigen Nutzern verringert wird [60]. Bei der stufenweisen Einführung werden Teilmodule der Software einzeln eingeführt, wobei das alte System parallel zum neuen weiter genutzt wird. Anwendung findet diese Strategie vor allem wenn das neue System einen sehr großen Funktionsumfang besitzt und die Umstellung sehr komplex ist. Vorteil dieser Variante ist, dass das Risiko wesentlich geringer ist, als bei der schlagartigen Einführung. Demgegenüber steht eine lange Einführungsphase, wodurch zusätzlicher Aufwand entsteht. Zudem müssen Schnittstellen zwischen den Systemen umgesetzt werden, die nur kurze Zeit benötigt werden [60]. Vor Beginn des Einführungsprozesses muss zunächst die Abnahme der Software erfolgen. Diese setzt unter anderem voraus, dass die Anforderungen, die z.€B. im Pflichtenheft festgelegt wurden, erfüllt werden. Der Output des Systems muss fachlich richtig und voll-
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ständig sein. Ein weiterer wichtiger Punkt ist in diesem Zusammenhang, dass das System mit den bereits bestehenden kompatibel ist [58]. Vor sowie parallel zur Einführung der Software sind Schulungsmaßnahmen zu treffen. Hierbei besteht die Möglichkeit diese Schulungen extern (z.€B. beim Softwareanbieter) oder intern (z.€B. in eigenen Schulungsräumen oder am Arbeitsplatz) durchzuführen. Zur Unterstützung können hierbei Lernprogramme zur Software dienen [60]. Der letzte Aspekt der Softwareimplementierung ist die Übernahme der Daten. Hierbei handelt es sich entweder um die erstmalige (manuelle) Einrichtung von Dateien, oder um die Übernahme vorhandener Datenbestände im neuen System [58].
3.4 Unternehmenskultur Die normative Managementebene des St. Galler Management Modells eines Unternehmens umfasst die drei Managementaspekte Unternehmenskultur, Unternehmensverfassung und Unternehmenspolitik. Über die Vision gibt die Unternehmensphilosophie die Leitlinie für die normative Ebene vor. Während die Verfassung und die Politik die Strukturen sowie die Aktivitäten innerhalb eines Unternehmens definieren, beschreibt die Kultur das Verhalten der relevanten Akteure. Die Zusammenhänge der drei Managementaspekte – Unternehmensverfassung (Strukturen), Unternehmenspolitik (Aktivitäten) und Unternehmenskultur (Verhalten) – sowie die Wechselwirkungen mit der strategischen Managementebene werden in den folgenden Kapiteln erläutert.
3.4.1 Bestandteile der Unternehmenskultur Die Unternehmenskultur ist ein wichtiger Bestandteil der „weichen“ Faktoren. Durch zunehmende dynamische Marktverhältnisse sind eine ausgeprägte Kommunikation, eine gute Zusammenarbeit und ein teamfähiges Verhalten der Mitarbeiter notwendig. Das Ziel ist es, die Anpassungsfähigkeit des Unternehmens an den Markt, das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen zu verbessern. So gewinnen diese Faktoren gegenüber den „harten“ Faktoren der Strategien und instrumentellen Gestaltung von Organisationsstrukturen zunehmend an Bedeutung.
3.4.1.1 Wesen, Elemente und Dimensionen der Unternehmenskultur Die Unternehmenskultur beschreibt zum einen die Fähigkeiten und das Wissen eines Unternehmens, zum anderen die Motivation der Mitarbeiter, das heißt ihre Einstellungen zum Unternehmen, zum Produkt, zur Führung, zu den Kollegen und zur Aufgabe, sowie ihre eigene Wahrnehmung und Zielsetzung aller Abläufe [72].
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Innerhalb eines Unternehmens ist die Entstehung der Unternehmenskultur unter den Mitarbeitern ein autonomer Prozess, der sich über mehrere Generationen hinweg zieht. Neue Erkenntnisse, Situationen, Erfahrungen sowie verschiedene Probleme und Hindernisse formen Traditionen und Verhaltensmuster. Entsprechend dem Grundsatz „Zukunft braucht Herkunft“ dienen sie als Grundlage für zukünftige Innovationen [73]. Die Unternehmenskultur: • tritt auf als „Oberflächenstruktur“: Dazu gehört ein gemeinschaftlich gepflegter Umgang der Mitarbeiter miteinander, die Sitten, Bräuche, Verhaltensweisen der Gemeinschaft sowie die Kleidungsgewohnheiten und die Architektur der Gebäude. Es handelt sich um ein System aus Symbolen, Mythen und Ritualen. • wird durch Werte der Mitarbeiter geprägt: Dieser Prozess läuft meist unbewusst ab. Ähnlich steht es mit den über Generationen weitergegebenen Annahmen und Denkweisen der Mitarbeiter über den Sinn und die Realität des Unternehmens. Diese werden ohne Zweifel und Hinterfragungen übernommen. Die Unternehmenskultur verleiht dem Unternehmen einen Charakter und gibt ihm nach innen wie nach außen eine individuelle Identität. Sie schafft eine gewisse Atmosphäre innerhalb des Unternehmens und formt auf diese Weise Verhaltensmuster an denen sich die Beteiligten orientieren können.
Entstehen von Unternehmenskulturen Im Laufe der Unternehmensgeschichte wird das Unternehmen mit einer Vielzahl an Ereignissen, Hindernissen und Problemen konfrontiert. Eine gemeinsame Bewältigung dieser Aufgaben fördert das Wachstum einer Unternehmenskultur und sorgt für einen dauerhaften Zusammenhalt unter den einzelnen Mitarbeitern. Eine gute und ausgeprägte Zusammenarbeit, gemeinsame Erlebnisse sowie die Intensität mit der die Mitglieder eingebunden werden, bestimmen die Stärke der Unternehmenskultur. Für den Aufbau eines klaren Wertegefüges ist die Führungskraft zuständig. Eine vorbildhafte Führung dient als eine Art Wegweiser. Diese Aufgabe kann sogar als die wichtigste Aufgabe angesehen werden. Motivationen und Leistungen der Mitarbeiter werden von den Werten und Ansichten der Führung gesteuert. Sie beginnt schon bei der Unternehmensgründung, indem der Gründer seine Visionen, Werte und Normen vorstellt und sie den Unternehmensmitgliedern als eine Art „Vorbild“ vorlebt.
Erfassung von Unternehmenskulturen Oft sind Merkmale der Unternehmenskultur nur noch für Außenstehende erkennbar. Sie sind nationale und brancheneigene Kulturen, die sich aus mehreren Subkulturen zusammensetzen. Sie entstehen durch verschiedene Aufgaben oder organisatorische und räumliche Distanzen. Obwohl die Subkulturen unter einem starken Einfluss der einzelnen Führungspersönlichkeiten stehen, sollen sie zusammen ein einheitliches System bilden, das das ganze Unternehmen als geschlossene Einheit repräsentiert. Ein gewisser Grad an
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subkulturellen Unterschieden wird bei der Umsetzung einer homogenen, schlüssigen und harmonische Gesamtunternehmenskultur dennoch beibehalten. Zur Entlastung des Sozialsystems in einem Unternehmen sollte ein minimaler Aufwand an Integration und Koordination zum gegenseitigen Verständnis und die unbürokratische implizierte Steuerung von Verhaltensweisen aufgebracht werden. In der heutigen Unternehmenswelt, mit seiner zunehmenden Dynamik und Instabilität kann dieser Grundsatz nur noch bedingt gelten. Denn bei einer zu starken Fixierung auf diesen Punkt gerät das Unternehmen in die Gefahr sich von den Ansprüchen der Umwelt abzukoppeln. Ein solcher Grundsatz erzwingt keine Konfrontation mit der Andersartigkeit zukünftiger Bedingungen. Erst die Spannung von Subkulturen zueinander ermöglicht die Durchsetzung neuer zukunftsweisender Werte im System und Anpassung im dynamischen Wandel [74].
Zusammenhang zwischen Unternehmenspolitik und Unternehmenskultur Die Umsetzung der Unternehmenspolitik gestaltet sich schwierig, wenn sie nicht im Einklang mit der Unternehmenskultur ist. Dieser Konflikt führt zu Maßnahmen bei denen die Unternehmenspolitik der Unternehmenskultur angepasst wird. Gleichzeitig müssen Bemühungen zur Weiterbildung der Unternehmenskultur folgen, welche zukünftige unternehmenspolitische Strategien erlauben. Der Einklang des unternehmenspolitisch Gewollten und strategisch Verfolgten ist ein Maß für die Stärke eines Unternehmens. Als Ziel ist ein „Strategie-Struktur-Kultur-Fit“ anzustreben. Die Unternehmenskultur wirkt als verhaltensgeprägter Multiplikator für die Maßnahmen der Führung. Stehen unternehmenspolitische Ziele und Unternehmenskultur in harmonischer Beziehung, kann die Kulturstärke nachhaltig gegenüber dem Wettbewerb abgeschirmt und somit geschützt werden, um sie als Nutzenpotential für die weitere Unternehmensentwicklung zu fördern [74, 75]. Es stellt sich als besonders schwierig heraus die verschiedenen Unternehmenskulturen zu untersuchen und ihre Schwächen und Stärken festzustellen. Als erstes müssen alle nötigen Kulturelemente aufgelistet werden, um eine ausreichende Darstellung der Ist-Kultur zu ermöglichen. Die Literatur bietet dazu vielfältige Ansätze, die zumeist auf eine Definition von Kulturtypen der Unternehmen anhand von Merkmalskriterien hinauslaufen, so zum Beispiel der Ansatz nach Deal und Kennedy [76], die sich an den beiden Dimensionen „Risikoextension“ und „Zeitkonstanten des Feedbacks“ orientiert. Bleicher entwickelt eine Kulturtypologie entlang der Dimensionen Offenheit und Differenziertheit einer Unternehmenskultur sowie Einstellungen und Verhaltensweisen der Unternehmensführung und der Mitarbeiter. Trotz der Vielzahl an Unternehmensausprägungen die sich hieraus ergeben, teilt Bleicher die Profile der Unternehmenskulturen in zwei typologische Muster ein: opportunistische Unternehmenskultur und verpflichtete Unternehmenskultur. Eine opportunistische Unternehmenskultur ist einseitig an den kurzfristigen Interessen der Anteilseigner orientiert und blendet eine weitergehende gesellschaftliche Verantwortung aus. Sie wird durch Geschlossenheit und Traditionen charakterisiert. Der Zusammen-
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halt wird dabei durch Werte, Vorstellungen und Normen gesichert. Die Führungsspitze wird als „Macher“ betrachtet und trifft alle Entscheidungen. Um solch eine Struktur zu bewahren, dient die Vorstellung und der feste Glaube an die „Allmacht“ der Führung als Grundvoraussetzung. Mit ihrer Entscheidungskraft legt sie den untergeordneten Bereichsleitern enge Handlungsräume vor. Damit verengt sie den Verhaltensraum so weit, dass sich letztendlich eine technokratische Kultur einstellt. So stehen die Mitarbeiter unter einer strikt organisierten Aufgabenverteilung mit wenig eigenem Handlungsspielraum [74]. Fallbeispielâ•… Ein Unternehmen, das seine Unternehmenskultur opportunistisch gestaltet, richtet sich nach den Interessen der Anteilseigner („shareholder“) aus. Bei diesem mono-ökonomischen Ansatz rücken die Interessen anderer Gruppen wie die der Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten etc. in den Hintergrund. Für die Gesellschafter fällt das Hauptaugenmerk auf die Überlebenssicherung sowie die Vermögens- und Gewinnentwicklung des Unternehmens. Die Shareholder-Value-Politik ist verbunden mit kurzfristiger Nutzung und Abschöpfung von Erfolgspotenzialen. Bei einer dem Sachlichen und Sozialen verpflichteten Unternehmenskultur müssen sich die unterschiedlichen Interessen als offen und änderbar erweisen. Eine besondere Eigenschaft der Kultur ist, dass sie empfindlich auf Änderungen des Marktes und auf Trendwandel reagiert. Durch dieses Reaktionsverhalten auf Veränderungen innerhalb der Teilbereiche nimmt die Komplexität des Gesamtunternehmens so weit zu, dass eine zentrale Führung nicht mehr realisierbar ist. Als Lösung dient eine Leitung durch Subsysteme und eine wertdifferenzierte Basisorientierung [74]. Fallbeispielâ•… Beispiel einer verpflichteten Unternehmenskultur ist die Umweltpolitik, wie sie Umweltmanagementsysteme nach der Norm ISO 14.001 vorsehen: Sie verpflichten das Unternehmen zu ökologischen Verhaltensweisen und Vermeidung von Umweltbelastungen.
3.4.1.2 Transformation von Unternehmenskulturen Strategie, Struktur und Kultur sind drei wichtige Punkte, die bei Veränderungsprozessen in Unternehmen beachtet werden müssen. Wandlungsprozesse sind nur dann realisierbar, wenn diese drei Aspekte im Hinblick auf das Ziel zusammen eingestimmt sind. Sie müssen von der gesamten Organisation angenommen und umgesetzt werden. Die Unternehmenskultur kann durch Interessensziele und Wertvorstellungen einer sachlogischen und richtigen Strategie im Wege stehen. Auch müssen die langen Zeiträume, die für den kulturellen Wandel nötig sind, sowie die geringe Vorhersehbarkeit der Ergebnisse der kulturellen Transformationsprozesse bei der Planung berücksichtigt werden.
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3â•… Unternehmensstruktur
Die herkömmlichen Interpretations- und
2.
Es tritt Verunsicherung ein. Die Symbole und Riten verlieren an Glaubwürdigkeit, werden kritisiert
Eine neue Kultur entfaltet sich mit neuen
3.
„Schattenkulturen“ treten hervor oder eine neue Führungsmannschaft versucht, neue Orientierungsmuster aufzubauen
4.
Alte und neue Kulturen kommen in Konflikt
1. Handlungsmuster führen in die Krise
6. Symbolen, Riten etc.
Wenn es den neuen Orientierungen
5. gelingt, die Krise zu meistern, werden sie akzeptiert
Abb. 3.36↜渀 Kulturwandel im Unternehmen [77, 78]
Diffusion neuer Kulturen Obwohl man von einem konservativen Charakter der Unternehmenskulturen spricht, unterliegt dieser einem stetigen Wandel. Ein Modell des Kulturwandels wird in Abb.€3.36 vorgestellt. Die Organisationsmitglieder akzeptieren nicht mehr die Normen, Werte und Vorschriften, die ihre Handlungen vorgeben. Dies führt dazu, dass Aufgaben nicht mehr zielgerecht erfüllt werden. Die Folge ist eine krisenhafte Situation. Der vermittelte Sinn der Aufgabenbewältigung wird nicht mehr als ausreichend empfunden. Dies führt zu Motivationssenkungen und die Mitarbeiter verweigern ihren vollen Beitrag zur Leistungserbringung. Führende Mitglieder der Organisation versuchen neue Verhaltensmuster aufzubauen, welche allerdings in Konkurrenz mit den alten stehen. Dieser Konkurrenzkampf lässt die sinnvollere Kultur in die Breite und Tiefe der Organisation diffundieren. Es kommt zur Handlungskoordination, wodurch neue Verhaltensmuster entstehen.
Änderung von Kulturen Das Interesse an der Unternehmenskultur und dem Kulturmanagement basiert auf dem Hintergedanken, das Erreichen der Unternehmensziele positiv beeinflussen zu können. Man unterscheidet zwischen zwei grundlegenden Meinungsgruppen, den „Kulturingenieuren“ und den „Kulturalisten“. Nach der Ansicht der Kulturalisten ist die Kultur etwas organisch gewachsenes und somit nicht „herstellbar“. Die Kultur ändert sich ohne direktes oder aktives Zutun und wird durch Sozialisation von einer Organisation aufgenommen [79, 80]. Dem gegenüber stehen die Kulturingenieure, die behaupten, dass sich die Kultur mittels bestimmter Methoden bewusst und gezielt verändern und beeinflussen lässt [75]. Eine solche intakte und funktionierende Kultur kann die Mitarbeiter in die Unternehmensstruktur integrieren, motivieren und folglich das Erreichen der Unternehmensziele unterstützen. Als Zwischenlösung würde man eine Kulturänderung zwar als bewusst initiierbar, aber nicht zielgerichtet steuerbar sehen [81, 82].
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In der Gründerphase eines Unternehmens wird die homogene Kultur von den Werthaltungen und der Persönlichkeit der Gründer vorbestimmt. Mit der Zeit nimmt der Einfluss dieser Führungsposition jedoch ab und löst sich in Subkulturen auf.
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Ansätze zur Gestaltung kultureller Wandelprozesse Es existieren vier Konzepte zur Gestaltung einer Kulturtransformation. Bei dem ersten handelt es sich um eine kulturelle „Kurskorrektur“. In der ersten Phase wird die Bewusstmachung der vorhandenen Unternehmenskultur beschrieben. Aufgrund der Komplexität ist eine ausführliche Diagnose nur teilweise möglich. Anschließend folgt eine Beurteilung darüber, welche Auswirkungen die bestehende Ist-Kultur auf eine Kulturänderung hätte und ob sich daraus ein bestimmter Veränderungsbedarf ergibt. Falls Änderungsbedarf besteht, sollte im Dialog mit den Beteiligten und Betroffenen über mögliche Kultureingriffe diskutiert werden [78]. Sackmann schlägt in ihrem Ansatz für die Gestaltung des kulturellen Wandels hin zu einem ökonomisch orientierten und menschgerechtem Unternehmen drei aufeinander aufbauende Grundprinzipien vor. Das erste Grundprinzip besteht darin, dass die sorgfältig ausgesuchten Mitarbeiter mit all ihren Fähigkeiten und Potenzialen in das Unternehmen eingebunden werden sollen. Voraussetzung dafür sind die zwei Grundprinzipien „Art der Führung“ und „Art der Unternehmensorganisation“. Beide müssen ein solches Einbringen der Mitarbeiter zulassen, fördern und nutzen [83]. Ein weiterer Ansatz stammt von Pümpin [75]. Er nimmt die Position des Kulturingenieurs ein und konzentriert sich ebenfalls auf drei Phasen des Managements der Unternehmenskultur: Diagnose, Beurteilung und Gestaltung. Der dritte Ansatz nach HampdenTurner lehnt sich stärker an dem eines Kulturingenieurs an und wird folgend detaillierter beschrieben [84]: 1. Am Anfang eines kulturellen Wandels sollte die existierende Kultur genau betrachtet uns analysiert werden. Man sollte darauf achten, die Spielregeln und Tabus der Unternehmensorganisation zu berücksichtigen sind, um nicht den Misswillen der Beteiligten zu erlangen. Unruhen dienen zum einen als Indikatoren für diese Spielregeln und Tabus und zum anderen lassen sie die kulturelle Dynamik der Organisation sichtbar werden. Unruhestifter, sogenannte „Schwarze Schafe“, sind dabei zu identifizieren, um Fehler zu vermeiden und so nicht gleich beim Einstieg als Kulturingenieur den Goodwill aller Beteiligten zu verlieren. 2. Systematische Interviews und Beobachtungen in der Organisation bilden die Kernaufgaben des Prozesses. Auf diese Weise sollen die Einstellungen der einzelnen Mitarbeiter zum Vorschein kommen, welches ansonsten aufgrund der Organisation nicht möglich ist. Die Interviews können so angelegt werden, dass der Interviewer von einer Ebene zu einer nächst höheren geht und auf diese Weise die Wertevorstellungen weitergibt. So erfahren die Organisationsmitglieder mehr voneinander, es wird ein einfacheres und besseres Kommunizieren ermöglicht und dadurch kann ein anpassungsfähigeres Verhalten erworben werden. 3. Anschließend werden die Ergebnisse aller Interviews in einem „Feedback Workshop“ mit den beteiligten Gruppen besprochen, um alle erforderlichen Änderungspunkte
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der Kultur, besonders die Spannungsfelder zwischen den Mitarbeitern, deutlich werden zu lassen. In diesen Sitzungen kann es auch sinnvoll sein, bestimmte Grundkonflikte der Gruppe nochmals aufzugeben und „durchzuspielen“, um zu sehen, wie diese damit umgeht. Zugleich sollte man aber eine ausufernde Konfrontation bekannter Stereotype vermeiden, um sich nicht einen harmonischen Abschluss zu verbauen. 4. Die Unternehmenskultur kann als Erbe der Vergangenheit gesehen werden. Werte, Normen, Verhaltensregeln, Mythen, Legenden oder Überlieferungen entstehen im Laufe der Zeit und sind somit die Erzeugnisse der Vergangenheit. Sie sind für jedes Unternehmen charakteristisch und spiegeln wichtige Ereignisse, Konflikte oder Spannungsfelder wieder. Ist die Wirkung dieser Vergangenheit nicht entwicklungsfördernd, so muss man die Sichtweisen der Mitglieder auf die Überlieferungen beeinflussen und zu neuen Interpretationen leiten, welche positive Auswirkungen auf die Arbeitsatmosphäre haben. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, dass ein neues Verständnis auch den Bestandteilen der Organisation (z.€B. den Anreiz- und Sanktionssystemen) neue Bedeutungen zuordnen kann. 5. Die oben genannten Produkte der Vergangenheit werden in den Symbolen, dem Selbstverständnis und den Ritualen der Organisation deutlich. Es können neue Rituale und Zeremonien entwickelt werden, die beim Erreichen der Zwischenziele zur Stärkung der vernachlässigten Werte führen, zum Beispiel eine ritualisierte Form der Auszeichnung einer Gruppe oder einer einzelnen Person für besondere Leistungen (Prämie, Urlaub). 6. Die Kultur bestimmt, was ihre Mitglieder wahrnehmen und somit die Entwicklung der Organisation und ihr Lernverhalten. Wertevorstellungen und Beurteilungskriterien beeinflussen die Entscheidungen der Mitarbeiter und folglich ihren Umgang mit neuen Informationen. Wer das Verhalten ändern will, muss also die Art der Erkenntnisgewinnung eines Unternehmens berücksichtigen und zusätzlich darauf achten, dass die Wahrnehmung der Mitarbeiter auf erfolgsrelevante Informationen sensibilisiert wird.
Kulturmanagement vs. kulturbewusstes Management Bisher wurde nur erläutert in wie weit die Änderung einer Kultur möglich ist. Nicht diskutiert wurde, ob es überhaupt wünschenswert ist, in die Kultur eines Unternehmens einzugreifen. So ist für „Kulturalisten“ die eingeschränkte Möglichkeit der Beeinflussung der Unternehmenskultur nur ein nebensächlicher Aspekt im Kampf gegen eine Kulturtransformation. Im Vordergrund steht die Kultur als historisches Erbe, welches die Vergangenheit des Unternehmens reflektiert und die Konsequenzen einer Kulturänderung deutlich macht. Das heißt die Auswirkungen auf die Mitarbeiter sowie die Manipulationen und kontrollierte Beherrschungen Dritter [85, 86]. Anders werden diese Fragen des Könnens und Dürfens bezüglich politischer Gebietskörperschaften gesehen, die über jahrzehntelange Erfahrungen einer Kulturpolitik (z.€B. im Bildungswesen) verfügen und wo es eine ganze Reihe erfolgreicher Modelle gibt.
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Einen Ausweg aus diesem Dilemma liefert ein „kulturbewusstes Management“ im Gegensatz zu einem einfachen „Kulturmanagement“ [87]. Nach Schein [88] ist Kultur zumindest soziokulturell lernbar und damit auch veränderbar. Im Sinne des obigen „Kurswechsels“ kann eine lernende Auseinandersetzung mit kulturellen Fragen gezielt in Gang gebracht werden und dabei das „Moderatorenteam“ sich echten Entwicklungen gegenüber offen zeigen. Die Mitarbeiter des Unternehmens sind in dem Falle aber keine Beherrschten, sondern autonom handelnde Individuen in einem „reflektiert funktionalistischen Ansatz“ [89]. Diese beteiligen sich an dem Lernprozess und der angestrebten Änderung. Die schwierige Aufgabe des Managements besteht darin, die Eigendynamik und den Eigenwert kultureller Prozesse zu akzeptieren und andererseits Kultur als Begründung erfolgreicher Strategien zu berücksichtigen. So kann die Unternehmensleitung Wertevorstellungen im eigenen Führungsstil vorleben und somit als einen wichtigen Teil der Unternehmenskultur bzw. als Bestandteil des Unternehmensleitbildes deklarieren [90]. Trotz ihrer begrenzten Planbarkeit ist es in Organisationen notwendig, sich mit dem Thema Kulturtransformation für einen erfolgreichen Ablauf auseinanderzusetzen. Bei der Betrachtung der Ist-Kultur, der möglichen Änderungswege und der Kulturdynamik entwickelt sich ein gemeinsames Verständnis kultureller Inhalte. Es sollen Strategien zur Unternehmensentwicklung hinsichtlich ihrer kulturellen Voraussetzungen hinterfragt werden. Dies schafft Rahmenbedingungen für die Entfaltungen gewünschter Werthaltungen.
3.4.2 Unternehmensphilosophie und -politik 3.4.2.1 Vision Im Rahmen des normativen Managements sind unternehmensphilosophische Visionen von zentraler Bedeutung für die Unternehmenspolitik (vgl. Abschn.€2.1.2.1). Diese definieren die Prinzipien der Integration aller Dimensionen im Hinblick auf die angestrebte Unternehmensentwicklung. Die unternehmerische Vision steht am Anfang der Überlegungen des Managements. Sie beinhaltet zum einen ein ausgeprägtes Zukunftsbild und zum anderen Möglichkeiten zu dessen Erreichung. Als Leitidee hat die Vision eine tragende Funktion für das Unternehmenskonzept. Für die Aktivitäten des Unternehmens dient die unternehmerische Vision als „Leitstern“, an dem es sich zu orientieren gilt [72]. Eine Vision ist eine von einem Individuum geschaffene denkbare Situation, welche in der Zukunft stattfinden könnte. Als Grundlage dienen sowohl zukunftsbezogene Informationen, als auch subjektive Einschätzungen des Individuums. „Die Vision ist ein konkretes Zukunftsbild, nahe genug, dass wir die Realisierbarkeit noch sehen können, aber schon fern genug, um die Begeisterung der Organisation für eine neue Wirklichkeit zu erwecken“ [91].
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Fallbeispielâ•… Visionen können in verschiedenen Ausprägungen formuliert werden, wobei jeweils das damit Verbunden strategische Ziel die Ausprägung bestimmen sollte. So war beispielsweise 1975 die Vision der Nike Inc. den damaligen Weltmarktführer für Sportartikel, Adidas, zu übertrumpfen. Dieses hochgesteckte Ziel begründete den Anspruch, der bei Nike an den wirtschaftlichen Erfolg geknüpft wurde. Ein Beispiel für eine weniger auf wirtschaftliche Interessen abzielende Vision ist das Versprechen J. F. Kennedys, den ersten Menschen zum Mond zu schicken. In der Zeit des kalten Kriegs war somit das erklärte Ziel der USA, die bis dato unangefochtene sowjetische Vorherrschaft im Weltraum zu beenden.
Komponenten einer Vision Die unternehmerische Vision besteht im Wesentlichen aus fünf Bestandteilen, welche untereinander korrelieren. Die wohl wichtigste Komponente ist die Kreativität. „Visionen sind durch kreative Höchstleistungen entstandene innere Bilder von einer im Prinzip noch anstehenden Wirklichkeit“ [92]. Jedoch reicht Kreativität alleine nicht aus. Die vorausschauende Vorstellung muss Offenheit in sich tragen, d.€h. sie sollte sich nach den Bedürfnissen der Menschen richten, zeitgemäß und Umweltveränderungen gegenüber aufgeschlossen sein. Eine gewisse Spontaneität, um sich kurzfristig auf neue Situationen einstellen zu können, ist dafür notwendig. Hinzu kommt, dass der Realitätssinn gewahrt werden muss. Vorstellungen sollten hinsichtlich ihrer Umsetzung neutral geprüft werden und nicht den Anschein von Utopie mit sich führen. Ein ständiger Vergleich von Zukunftsbild und Umsetzbarkeit in der Realität ist unumgänglich. Die von Hans Hinterhuber genannten Komponenten Realitätssinn, Offenheit, Spontaneität sind um den Bestandteil der Erfahrung zu ergänzen. Gerade die Erfahrung im Umgang mit komplexen Problemen trägt im großen Maße dazu bei, dass die Forderung nach einem hohen Realitätssinn eingehalten wird.
Visionsfindung Die Vision ist ein nie enden wollender Prozess der Weiterentwicklung, „denn jede Vorstellung von einer zu erschaffenden Zukunft kann immer noch prägnanter und facettenreicher werden“ [93]. Im Hinblick auf die Schöpfung und Weiterentwicklung der Vision gibt es grundsätzlich zwei verschiedene Ansätze. Kasimir Magyar ist der Auffassung, dass historisch begründet, Visionen „eher das Werk von einzelnen herausragenden Persönlichkeiten als von Teams sind“ [92]. Andere wiederum sehen gerade in einem „Visionsteam“, welches aus kreativen Mitarbeitern aus verschiedenen Funktionsbereichen besteht, die Chance die Kreativität bei der Visionsfindung zu steigern und die Suche zu institutionalisieren [94].
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Wirkung von Visionen
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Seit langem wird vermutet, dass Visionen motivationale Effekte und Wirkungen auf den Menschen haben. Momentan befindet sich die Wissenschaft im Anfangsstadium empirische Daten zu sammeln, um dies zu belegen. Nachfolgend werden Wirkungen von Visionen auf den Menschen nach zur Bonsen vorgestellt [93]: • • • • •
Handlungen erfolgen motivierter, Zielvorstellung beflügeln ihn Sensibilität für Informationen steigt wegen evtl. Nutzen für seine Vision Trennung von Wichtigem und Unwichtigem, Prioritäten werden gesetzt Kreativität steigt, Unbewusst formt das Gehirn Ideen aus Informationen Enthusiasmus des Visionärs reißt andere mit
Implementierung im Unternehmen Die Implementierung innovativer Visionen gestaltet sich in Unternehmen oft schwierig. Etablierte Denkens- oder Handlungsweisen im Unternehmen wollen den neuen ungern weichen. Um die Mitglieder eines Unternehmens zu überzeugen, den Status quo zu verändern, lassen sich drei Schritte nennen, die diesen Prozess unterstützen [95]: Kommunikation der Vision╇ Zunächst muss die Vision den Mitgliedern des Unternehmens mitgeteilt werden. Um diese von gewöhnlichen Maßnahmen abzugrenzen, bedarf es einer besonderen Inszenierung seitens der Führungsriege, damit die Wichtigkeit jedem Beteiligten bewusst wird. Man könnte diese durch Auswahl eines außergewöhnlichen Ortes oder durch symbolträchtige Gesten herbeiführen. Entwicklung eines Dringlichkeitsbewusstseins╇ Um die innovative Vision allen Beteiligten schmackhaft zu machen, empfiehlt es sich den bestehenden Zustand als überholt darzustellen. Außerdem muss aufgezeigt werden, dass ein Zögern negative Konsequenzen mit sich bringen würde. Dadurch wird bewusst Unzufriedenheit induziert, welche die Bereitschaft zur Veränderung vorantreibt. Wahrnehmung der Vision als positives Zukunftsbild╇ Eine einmalige Mitteilung der Vision reicht im Allgemeinen nicht aus. Nur durch permanentes Aufzeigen oder Vorführen von Vorteilen der Vision kann jedem Beteiligten ein positives Zukunftsbild vermittelt werden. Dies erfolgt unter Umständen sehr individuell für jeden Einzelnen und wird im Wesentlichen durch das mittlere Management durchgeführt.
3.4.2.2 Unternehmens- und Managementphilosophie Den Ursprung eines visionären Unternehmenskonzeptes bildet die Unternehmensphilosophie. Diese kann als eine zentrale übergeordnete Leitidee für das Unternehmen verstanden werden und positioniert das Unternehmen in der Gesellschaft. In der Unternehmensphi-
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losophie sind die Grundeinstellungen und Verhaltensweisen gegenüber unternehmensexternen sowie unternehmensinternen Bezugsgruppen geregelt. Aus ihr lässt sich für die normative, strategische und operative Managementebene die Managementphilosophie ableiten, welche im Einzelnen die Wahl von Aktivitäten, Strukturen und Verhalten in der Gesellschaft vorgibt.
Positionierung des Unternehmens im gesellschaftlichen Umfeld Ein Kernbestandteil in der Unternehmensphilosophie ist die gesellschaftliche Verantwortung. Sie muss klar definiert sein und muss immer wieder in Einklang mit der zur Verfügung stehenden Macht des Unternehmens gebracht werden. Bei diesen beiden Aspekten geraten Unternehmen gerne in einen Interessenskonflikt. Dieser zeichnet sich dadurch aus, dass bei steigender Machtfülle diese missbräuchlich genutzt wird und dadurch die Verantwortung gegenüber einzelner Bezugsgruppen oder der Gesellschaft nur noch vermindert getragen wird. Um die von der Gesellschaft anerkannte Handlungslegitimation nicht zu verlieren, sollte stets ein Gewinn von Macht mit einem Zuwachs von Verantwortung einhergehen. Neben der Einhaltung gesetzlicher Regelungen ist das ethische Verhalten des Unternehmens gegenüber allen Bezugsgruppen nicht zu vernachlässigen. Dieses Verhalten bei der Entscheidungsfindung kann aus moralischer Sicht umso höher angesehen werden, desto größer der Kreis der Betroffenen ist und je mehr Interessen und Bedürfnisse berücksichtigt werden [96]. Grundsätzlich gehört es zur Aufgabe der Unternehmens- und Managementphilosophie Werte für das Unternehmen festzulegen, diese weiterzuentwickeln und zu vermitteln. Alle Mitarbeiter eines Unternehmens müssen sich an diesen Werten messen lassen. Bei Nichteinhaltung der Werte und Prinzipien verliert die Unternehmensphilosophie selbst an Wert. Das normative Management ist generell gesprochen die Legitimation aller Handlungen des Unternehmens. Es sollte eher ganzheitlich betrachtet werden und im Gegensatz zum operativen und strategischen Management nicht durch detaillierte Ausformulierungen bestimmt sein.
3.4.2.3 Unternehmenspolitik Die Unternehmenspolitik umfasst die generellen Ziele eines Unternehmens bzw. bestimmt diese und legt somit die Unternehmenskonzeption fest. Die Unternehmenspolitik umfasst die Fixierung aller generellen ökonomischen und nichtökonomischen Ziele des Unternehmens. Sie ist Grundlage aller formulierten Ziele und Zielerreichungsentscheidungen. Unternehmensziele sind Richt- und Orientierungsgrößen für das gegenwärtige und zukünftige Entscheiden und Handeln in einem Unternehmen [97]. Grundlage der Unternehmensziele sind die individuellen Ziele der Menschen, die an dem Zielbildungsprozess beteiligt sind (dies sind meist Eigenkapitalgeber und die Führungskräfte eines
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Soziale Martkwirtschaft (Wettbewerbswirtschaft)
Kundeninteressen Fremdkapitalgeberinteressen
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Soziale Martkwirtschaft (Wettbewerbswirtschaft)
Eigenkapitalgeber-interessen
Erhaltung/ Weiterentwicklung des Unternehmens
Freiheitlichdemokratische Gesellschaftsordnung
Lieferanteninteressen Staatsinteressen Mitarbeiterinteressen
Freiheitlichdemokratische Gesellschaftsordnung
Vision/Leitbild Sach- bzw. Leistungsziele • Produkt- und Dienst-leistungsprogramm mit spezifischen Qualitäts-zeichen
Wert- bzw. monetäre Ziele • Überschuss-/Gewinnstreben • spezifische Gewinnverwendung • Liquiditätssicherung
Sozial- bzw. Humanziele • Mitarbeiterorientierung • Gesellschaftsorientierung • Umweltorientierung
Flexibilität
Abb. 3.37↜╇ Zweck, Ziele und Rahmenbedingungen des Unternehmens als gesellschaftliche Institution
Unternehmens). Entscheidungen, die zur Festlegung der oberen und generellen Unternehmensziele zählen, werden als unternehmenspolitische Entscheidungen bezeichnet (s. Abb.€3.37). Die generellen Unternehmensziele entstehen im Zielbildungsprozess. Im unternehmenspolitischen Zielbildungsprozess werden entweder die Ziele einzelner Personen oder Personengruppen als generelle Unternehmensziele autonom gesetzt oder es werden die generellen Unternehmensziele systematisch aus den Individual- und Gruppenzielen der Beteiligten abgeleitet. Das Zielsystem eines Unternehmens ist dann das Ergebnis eines Kompromisses im Rahmen eines Zielkonflikt-Zielkompromiss-Prozesses [16] (s. Abb.€3.38). Entscheidend für den Zielbildungsprozess und die Zielformulierung sind die Eigentumsverhältnisse des Unternehmens und die Frage der Rechtsform, der Organisationsform und Führungsorganisation. In diesem Zusammenhang spielen auch Unternehmensphilosophie und -kultur und die Vision eine Rolle für Unternehmenspolitik und deren Zielbildungspro-
Unternehmenspolitik = Festlegung der generellen Ziele des Unternehmens autonom gesetzte generelle Unternehmensziele
Abb. 3.38↜渀 Generelle Unternehmensziele als Resultate der Unternehmenspolitik
systematisch abgeleitete/geplante
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zess. Hauptzweck der Unternehmenspolitik ist zum einen die Formulierung des obersten Unternehmensziels und zum anderen die Formulierung der Sozial-, Sach- und Wertziele, die dieses oberste Ziel konkretisieren [16]. Alle Ziele eines Unternehmens sollten als (komparative) Wettbewerbsvorteilsziele formuliert werden – unter Beachtung ethischer und sonstiger Anforderungen und Restriktionen [16, 98]. Es wird zwischen drei Kategorien von Zielen unterschieden: Wertziele (monetäre Ziele), Sachziele (Leistungsziele) und Sozialziele (Humanziele).
Wertziele Die Entscheidungen und das Handeln in einem Unternehmen müssen mit dem Streben nach maximalem Ergebnis und Liquiditätssicherung verbunden werden, damit in einem wettbewerblich organisierten Wirtschaftsumfeld die Erhaltung und die erfolgreiche Weiterentwicklung des Unternehmens gewährleistet sind. Eine gesicherte Unternehmensentwicklung kann also nur durch Gewinnerwirtschaftung erreicht werden. Einen maximalen Kapitalwert zu erreichen und dabei jederzeit die Liquidität des Unternehmens aufrechtzuerhalten, sollte daher das oberste monetäre Ziel eines jeden Unternehmens sein. Vor dem Hintergrund der langfristigen Zukunftssicherung muss seit der Welle der Unternehmensübernahmen und -zerschlagungen der 80er Jahre den Ansprüchen der Eigenkapitalgeber wieder mehr Beachtung geschenkt werden. In seiner Ausprägung als Shareholder Value trägt der Kapitalwert diesen Forderungen der Unternehmenseigner eher Rechnung als andere Zielgrößen [99–102]. Das monetäre Oberziel, der Shareholder Value, muss maximiert werden und somit werden auch die Mindestansprüche anderer Unternehmensbeteiligter in künftigen Perioden berücksichtigt. Hinsichtlich der Gewinnerwirtschaftung berücksichtigt das Ziel „Maximierung des Shareholder Value“ daher die Mindestinteressen aller Interessen- bzw. Anspruchsgruppen eines Unternehmens. Das Konzept des Shareholder Value ist allerdings einseitig auf die Interessen der Eigenkapitalgeber ausgelegt. Residuale Überschüsse (erwirtschaftete Überschüsse, die nach Berücksichtigung aller MindestZahlungsansprüche aller Interessengruppen verbleiben) sollten deshalb zur Befriedigung der Ansprüche beider Hauptträger eines Unternehmens (also Eigenkapitalgeber aber auch Mitarbeiter und vor allem Führungskräfte) verwendet werden (s. Abb.€3.39).
Sachziele Ein Sachziel ist das angestrebte Tätigkeitsfeld eines Unternehmens. Hier geht es um angestrebte künftige Produkte und Dienstleistungen für spezifische Märkte, die das Unternehmen in Zukunft zur Erfüllung von Kundenwünschen bzw. -anforderungen anbieten will. Die Erfüllung der Sachziele ist notwendig um Wertziele eines Unternehmens zu verwirklichen. Bei Veränderungen in den Umfeldern müssen die Unternehmen entsprechend auch ihre Sachziele anpassen. Umfeldveränderungen können einerseits Tätigkeitsfelder für unternehmerisches Handeln der Unternehmen eröffnen und verschließen. Sich wandelnde Kundenbedürfnisse schaffen neue Märkte oder verschließen andere, auf denen Unternehmen tätig werden können. Produktinnovationen, also veränderte Sachziele, können um-
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1
3
Lieferanten
5
Staat
4
Mitarbeiter/ Führungskräfte
3
Kunden
2
Fremdkapitalgeber
2
Eigenkapitalgeber
Unternehmen Erhaltung und erfolgreiche Weiterentwicklung
Zusatzdividende
Strategieorientierte Überschussverwendung
Gewinnbeteiligung
1 Umsatz-
Zahlungen
und
2 Kapitaleinzahlungen
lung max! rt) leinzah apitalwe Kapita rschuß (K e b Ü r le residua ungen lrückzahl en/Kapita Investition und Zinsen 2 Mindestdividende iazahlungen 3 Lohn-, Gehalts- und Soz en hlung 5 Material- und Energieza Mitarbeiterzahl 0
Auszahlungen
4 Steuern und sonstige Zahlungen
1
2
3
4
5
Zeit/ Peroden
Abb. 3.39↜渀 Interessengruppen und obere Wertziele des Unternehmens
gekehrt auch neue Märkte entstehen oder alte verschwinden lassen. Gerade Produktinnovationen werden aber nicht immer von der Gesellschaft akzeptiert. Bei den zahlreichen technologischen Fortschritten der letzten Jahrzehnte bedeutet dies für die Unternehmen, dass sie ihre Sachzielkonzeption in einer schwierigen Gratwanderung markt- und technologieorientiert fortentwickeln müssen. Sachziele müssen auch politischen Entwicklungen angepasst werden. Ein Beispiel sind die neuen Handlungsspielräume für Unternehmen bei der Deregulierung und der dadurch resultierenden Öffnung der Märkte für Telekommunikation. Gesetzliche Umweltschutzanforderungen haben Sachziele der Unternehmen in den letzten Jahren nicht nur negativ beeinflusst: Das gewandelte Verbraucherbewusstsein hat für Unternehmen neue Betätigungsfelder eröffnet. Hier werden also neue Sachziele formuliert. Auch die Dimensionen von Sachzielen können sich innerhalb eines Unternehmens verändern. Während traditionell große Mengen und hohes Mengenwachstum attraktive Tätigkeitsfelder kennzeichneten, verliert diese Sachzieldimension – zumindest für Unternehmen in westlichen Industrieländern – immer mehr an Gewicht. Zu den primären Differenzierungsmerkmalen westlicher Unternehmen gehört heute hohe Qualität, die durch eine überlegene Geschwindigkeit (↜Zeit) in allen wettbewerbsrelevanten Abläufen erbracht werden muss [103, 104]. Schließlich gewinnt auch der Ort als Dimension von Sachzielen immer mehr an Bedeutung. Standortstruktur und regionale Platzierung von Führungs- und Ausführungsaufgaben der Unternehmen gewinnen im Kontext der Globalisierung zunehmend an Gewicht [105, 106].
3â•… Unternehmensstruktur
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Sozialziele Sozialziele bestimmen, welche generellen Verhaltensweisen ein Unternehmen gegenüber seinen Mitarbeitern, gegenüber der Gesellschaft und gegenüber der natürlichen Umwelt für die Zukunft anstrebt. Sozialziele können gesetzlich fixiert sein, im überwiegenden Teil sind sie aber im Unternehmen selber zu bestimmen. Sozialziele sind Ausdruck der sozialen Verantwortung eines Unternehmens und hängen letztlich von den ethisch-moralischen Werten einzelner Personen ab [107]. Mitarbeiterbezogene Sozialziele richten sich nach den individuellen Erhaltungs- und Entfaltungszielen der Mitarbeiter, denen entsprochen werden soll [108, 109]. Daneben gibt es gesellschafts- und umweltbezogene Sozialziele, welche Ausdruck der externen sozialen Verantwortung des Unternehmens sind (Abb.€1.1). Lebensnotwendige kardinale Rahmenbedingungen sollten mit zu den obersten Unternehmenszielen gehören [16]. Dies gilt besonders für die Forderungen nach: • • • •
Umweltschutz und Umweltverbesserung Innovativen, aber beherrschbaren Technologien Erhaltung der sozialen Marktwirtschaft als Wettbewerbswirtschaft Sicherung der freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsordnung.
Im Sinne der Erreichung der Unternehmenshauptziele bedeutet dies ggf. auch eine freiwillige Beschränkung auf ein gesellschaftlich akzeptables Zielsystem.
3.4.3 Unternehmensverfassung 3.4.3.1 Gestaltung der Unternehmensverfassung Um unternehmenspolitische Aktivitäten für das Erreichen von Unternehmenszielen auszurichten, bedarf es einer inneren Ordnung. Diese wird als Unternehmensverfassung bezeichnet. Basierend auf der Unternehmensphilosophie bildet sie den strukturellen Rahmen für Handlungen im strategischen und operativen Management. Die Unternehmensverfassung dient als Grundlage für die Unternehmenspolitik, in der die grundlegenden und langfristig ausgelegten Strukturregelungen des Unternehmens festgelegt sind. Diese stellt ein Regelungsgesamt dar, das „die Gründung und die Beendigung eines Unternehmens, sein Außenverhältnis, die Verteilung seines ökonomischen Erfolges (Gewinn, Wertschöpfung), die Grundrechte der Unternehmensmitglieder allgemein sowie speziell seiner Organe, insbesondere deren Bezeichnung, Zustandekommen, Zusammensetzung, Zusammenwirken und Kompetenzverteilung betreffen“ [95, 110]. Durch das Aufstellen der Verfassungsregeln wird ein einheitliches Verhalten des Unternehmens nach innen deutlich. Diese Regeln unterstützten die Einrichtung einer bestimmten Unternehmenskultur. Wenn diese verinnerlicht und praktiziert wird, dann kann die Unternehmensverfassung einen entscheidenden Beitrag zur Verbesserung der Effizienz der betrieblichen Prozesse leisten [111].
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Gebunden an die Rechtsordnung und über die Wahl der eigenen Rechtsform konstituiert, ist die Ausgestaltung der eigenen Unternehmensverfassung nach Anspruch und Wirklichkeit zu definieren und laufend weiterzuentwickeln.
3
3.4.3.2 Rechtsformenwahl Die Wahl einer Rechtsform ist von entscheidender Bedeutung für die Gestaltung der Unternehmensverfassung. Dabei bildet die Rechtsform den juristischen Grundrahmen für unternehmerische Aktivitäten. Diese kann neben den gesetzlich vorgegebenen Regelungen in rechtsformabhängigen Grenzen teilweise modifiziert und durch vertragliche Verfassungsbestimmungen ergänzt werden. An dieser Stelle muss entschieden werden, inwieweit eine entsprechende Detaillierung gewünscht ist. Kombinationen mehrerer Rechtsformen sind darüber hinaus auch zulässig. Aus diesem Grund ist die Rechtsformwahl eine außerordentlich komplexe und bedeutsame Entscheidung. Sie gehört zu den konstitutiven Grundlagenentscheidungen eines Unternehmens, die in unregelmäßigen Zeitabständen zu treffen sind. Anlässe für Rechtsformentscheidungen sind sowohl die Unternehmensgründung als auch der Wechsel der bisherigen Rechtsform, die z.€B. durch das Wachstum des Unternehmens sowie durch Veränderungen im Kreis der Unternehmensträger oder in den steuerlichen Rahmenbedingungen motiviert sein können.
Übersicht und Charakterisierung der wichtigsten Rechtsformen Die Einteilung der einzelnen Rechtsformalternativen lässt sich anhand verschiedener Merkmale hinsichtlich bestimmter Gründungsvoraussetzungen und grundlegender Struktureigenschaften vornehmen (s. Abb.€3.40) und zur Einteilung der verschiedenen Rechtsformen mit gewissen Unterschieden im Detail z.€B. [112, 113]. Hierbei unterscheidet man zunächst zwischen nationalen und supranationalen Rechtsformen. Ein Unternehmen hat die Möglichkeit sich für die nationale Rechtsform des Landes, in dem es seinen Firmensitz hat, zu entscheiden, oder für die supranationale, welche im Gemeinschaftsrecht mehrerer Staaten normiert ist. Die „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ (GmbH) ist ein typisches Beispiel für die deutsche Rechtsform (national), die „Europäische Genossenschaft“ für die europäische (supranational). Aus Gründen des Umfangs konzentrieren sich die weiteren Überlegungen auf die deutschen Rechtsformen insbesondere auf die privatrechtlichen (vgl. zu den europäischen Rechtsformen [114]). Die privatrechtlichen Formen setzen teilweise – wie etwa der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit nach VAG und die Partenreederei i.€S.€d. §Â€489 Abs.€1 HGB – ein bestimmtes Sachziel des Unternehmens voraus, sind in der weit überwiegenden Mehrzahl jedoch sachzieloffen (zu den sachzielgebundenen Formen [113]). Hierbei lässt sich eine weitere Differenzierung nach reiner/einfacher Grundform oder Mischform vornehmen. Die Mischform wie z.€B. die GmbH & Co. KG vereinigt mehrere Grundformen. Unternehmen wählen diese Form zumeist aus spezifischen Vorteilen (z.€B. Steuervorteile).
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3â•… Unternehmensstruktur
Rechtsformen Deutsche Rechtsformen
Ausländische Rechtsformen
Supranationale Rechtsformen
Privatrechtliche Rechtsformen
Öffentlich-rechtliche Rechtsformen (KdöR, AdöR, Stiftungen)
Sachzieloffene Rechtsformen Einfache Rechtsformen
Einzelunternehmung (eingetr. Kaufmann)
Personenvereinigung
Personengesellschaften (KG, OHG, Gbr) Kapitalgesellschaften (AG, GmbH)
Sachzielgebundene Rechtsformen
Zusammengesetzte Rechtsformen (GmbH & Co. KG, AG & Co. KG) Stiftungen
Körperschaften
Genossenschaften (eG)
Vereine (eV)
Abb. 3.40↜渀 System der Rechtsformen
Unter den einfachen Rechtsformen kommt der Einzelunternehmung sowie den Personenhandelsgesellschaften OHG und KG und den Kapitalgesellschaften AG und GmbH die größte Bedeutung für eine wirtschaftliche Betätigung zu. Sie stehen im Mittelpunkt der weiteren Überlegungen und werden kurz dargestellt. Die Einzelunternehmung (EU) besitzt keine eigene Rechtspersönlichkeit und hat nur einen einzigen Inhaber. Der Einzelunternehmer haftet mit seinem gesamten Vermögen, also auch mit seinem Privatvermögen. Für die EU bestehen keine besonderen Rechtsvorschriften. Sofern es sich um eine gewerbliche Unternehmung handelt, gelten die allgemeinen Regeln des Handelsgesetzbuch (HGB) (näher [113, 115]). Die Personenhandelsgesellschaften stellen einen Zusammenschluss von mindestens zwei Personen dar. Am Ende des Geschäftsjahres ist der Gewinn der Gesellschaft festzustellen, welcher dann gemäß ihrer Beteiligungsquote aufgeteilt wird [112]. Bei den Personengesellschaften ist zwischen zwei Unterkategorien zu unterscheiden. Die offene Handelsgesellschaft (OHG) hat zwei oder mehr Gesellschafter, die sich in ihrer Rechtsposition nicht prinzipiell unterscheiden. Sie haften gegenüber den Gesellschaftsgläubigern jeweils unbeschränkt. Die Gesellschafter sind zur Geschäftsführung und zur Vertretung der Gesellschaft berufen §§Â€105 Abs.€1; 128 HGB. Die Kommanditgesellschaft (KG) kennt zwei verschiedene Typen von Gesellschaftern. Zum einen den Komplementär, der unbeschränkt haftet, und zum anderen den Kommanditist, dessen Haftung auf seine Einlage beschränkt ist §§Â€161 Abs.€1; 171€ff. HGB. In der
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3
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Regel haben die Komplementäre die Geschäftsleitung inne; Kommanditisten haben nur Kontrollrechte §§Â€164; 170 HGB. Die Kapitalgesellschaften, die zusammen mit der OHG und der KG die Rechtsformgruppe der Handelsgesellschaften ausmachen, sind rechtlich verselbstständigte, sog. juristische Personen, bei denen das Trennungsprinzip zwischen Gesellschaftern und Gesellschaft gilt. Hiernach gehört das Gesellschaftsvermögen allein der Gesellschaft und ist damit der (auch gemeinschaftlichen) direkten Disposition der Gesellschafter entzogen [113]. Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) ist eine Kapitalgesellschaft und wird im GmbHG geregelt. Zur Gründung ist mindestens ein Gesellschafter notwendig, der sich mindestens mit einer Einlage von 25.000€€ am Stammkapital beteiligen muss. Allerdings ist dieser nur mit seiner Einlage beteiligt und haftet persönlich nicht für die Geschäftstätigkeit. Die Gewinnbeteiligung entspricht dem Verhältnis der Geschäftsanteile. Neben mindestens einem Geschäftsführer gehört die Gesellschaftsversammlung (beschließendes Organ) zu den gesetzlich vorgeschriebenen Organen der GmbH. Ab 500 Mitarbeitern ist ein Aufsichtsrat notwendig. Die im AktG normierte Aktiengesellschaft (AG) weist Parallelen zur GmbH auf. Die Einlage eines Gesellschafters beträgt hier 50.000€€. Die AG besteht stets aus den drei Organen: Vorstand, Aufsichtsrat, Hauptversammlung. Die Geschäftsführung wird durch den Vorstand ausgeübt, der mindestens aus einer Person besteht. Der Vorstand wird vom Aufsichtsrat bestellt und überwacht, welcher wiederum von der Hauptversammlung gewählt wird [114, 116, 117].
Entscheidungskriterien zur Rechtsformentscheidung Mit einer gewissen Vereinfachung lassen sich die wesentlichen Kriterien der Rechtsformentscheidung vier Gruppen zuordnen, die die Kompetenzordnung (↜organisatorische Kriterien), die Vermögens- und Finanzordnung (↜monetäre Kriterien), die Rechnungslegung und Publizität (↜informationelle Kriterien) sowie die von den gesetzlichen Rechtsformvorschriften eröffneten Freiheitsgrade der Gestaltung (↜渀ऀ屮flexibilitätsbezogene Kriterien) betreffen (vgl. zur Bewertung der Rechtsformen z.€B. [112, 113, 118, 119]). Die organisatorischen Kriterien befassen sich insbesondere mit der Unternehmensleitung und deren Überwachung sowie der unternehmerischen Mitbestimmung. Hierbei werden Aspekte wie die Übertragung der Unternehmensführung, starke oder schwache Überwachung der Geschäftsführung oder Interesseneinbringungen von Arbeitnehmern im Unternehmen in Betracht gezogen. Bei den monetären Kriterien liegt der Fokus vor allem auf der Finanzierung (z.€B. Einlagen der Gesellschafter), der Haftung (z.€B. Privatvermögen) sowie der Besteuerung. Gerade im Bereich der Besteuerung verläuft eine markante Trennlinie zwischen den Formen ohne eigene Rechtspersönlichkeit (EU, OHG, KG) und den Kapitalgesellschaften (AG, KGaA, GmbH). Während die juristisch unselbstständigen Rechtsformen nur ausnahmsweise selbst als Steuersubjekt fungieren (so z.€B. bei der Umsatzsteuer und der Gewerbesteuer) und im übrigen nur steuerrelevante Sachverhalte ihrer Inhaber bzw. Gesellschafter
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generieren, sind die Kapitalgesellschaften als juristische Personen stets eigenständig und ggf. neben ihren Anteilseignern steuerpflichtig. Die informationellen Kriterien umfassen die gesetzlichen Verpflichtungen zur Rechnungslegung und deren Publizität. Hierbei kommt es zum einen auf die Größe des Unternehmens an. Zum anderen kann grundsätzlich festgehalten werden, dass Kapitalgesellschaften gegenüber juristisch unselbstständigen Formen eher dazu verpflichtet sind, ihre Vermögens- und Ertragslage offenzulegen. Hieran knüpfen schließlich die Flexibilitätskriterien an. Je nach Rechtsform ist das Unternehmen an bestimmte Rechte und Pflichten durch den Gesetzgeber gebunden. Oftmals sind diese mit nicht zu vernachlässigen Kosten verbunden, wie z.€B. die notarielle Beurkundung qualifizierter Hauptversammlungsbeschlüsse §Â€130 AKtG.
Methodik zur Rechtsformentscheidung Trotz ihrer Kürze machen die voranstehenden Ausführungen deutlich, dass die Auswahl einer geeigneten Rechtsform für das Unternehmen sehr komplex ist. Dabei wird es sich in vielen Fällen anbieten zunächst eine Grundsatzentscheidung zwischen den beiden Gruppen der rechtlich unselbstständigen und der juristisch selbstständigen Formen zu treffen. Im Anschluss sollten zweckdienliche Grundformen herausgefiltert und überprüft werden, ob diese nicht in einer Mischform geeigneter sind. Dieser Prozess kann mehrmals durchlaufen werden, um die Qualität der Rechtsformenentscheidung iterativ zu verbessern. Zur Entscheidungsfindung gibt es eine Reihe von Verfahren, welche an dieser Stelle nicht weiter erläutert werden (zu diesen Verfahren [120–122]).
3.4.3.3 Organverfassung Im Rahmen der Organverfassung ist die Ausgestaltung der Spitzenorgane des Unternehmens nach dem jeweils geltenden Gesellschaftsrecht und ihrer Beziehung zur übrigen Leitungsorganisation zu betrachten. Dabei werden im Wesentlichen der Leitungsspitze drei Funktionen zugewiesen: zum einen Geschäftsführung und Überwachung und zum anderen die Vertretung spezifischer externer Interessen.
Auftrag zur Führung Die Leitung als Institution eines Unternehmens gliedert sich in das untere, mittlere, obere Management. Alle Ebenen unterliegen den funktionellen Aspekten der Führung, die in der Bildung, Durchsetzung und Sicherung des Willens erkannt werden. Hierbei interessiert ausschließlich die oberste Leitungsinstanz (Geschäftsführung), welche durch exogene juristische Normierung die Aufgabe zur Führung besitzt. Nicht alle Gestaltungsfelder des Führungsprozesses können gleichermaßen von der obersten Leitungsebene bearbeitet
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werden. Trotz gewisser Einschränkungen seitens der juristischen Vorstellungen lassen sich Führungsaufgaben delegieren. Allerdings können Kernfunktionen, bei denen die Existenz des Unternehmens berührt wird, nicht delegiert werden.
3
Auftrag zur Überwachung Die gesetzliche Übertragung allgemeiner Überwachungs- und Kontrollaufgaben an die Leitungsspitze lässt einen großen Spielraum zur Interpretation zu. Aufgrund sich immer schneller wechselnder Umweltbedingungen für Unternehmen reichen ausschließlich reine Strukturüberwachungen nicht mehr aus. Die Unternehmen sind dazu gezwungen Innovationen durchzuführen, um zukünftig auf dem Markt bestehen zu können. Diese Innovationen implizieren einen großen Unsicherheitsfaktor. Um diesen so gering wie möglich zu halten und um schnell reagieren zu können, sind prozessbegleitende Kontrollen aus ökonomischer Sicht essentielle Voraussetzung für eine effektive Erfüllung der Überwachungsaufgabe der Führungsspitze.
Auftrag zur Interessenvertretung Bei expandierenden Unternehmen findet meist mit der Zeit eine Entkopplung von Management und Eigentum statt. Besonders bei Aktiengesellschaften können schnell Anteile am Unternehmen gekauft und veräußert werden. Dies führt dazu, dass die Anteilseigner kaum mehr in der Lage sind, die Unternehmenspolitik und -strategie mitzugestalten. Diese Aufgabe übernimmt zunehmend das Management. Gleichzeitig zieht das Wachsen des Unternehmens gesellschaftspolitische Konsequenzen mit sich. Das Unternehmen ist an seine Umwelt gebunden. Aus diesem Grund möchten externe Interessensgruppen, dass ihre Ansprüche in der Unternehmenspolitik und -strategie berücksichtigt werden. Vor diesem Hintergrund wird ersichtlich, dass die oberste Führungsebene bei ihren Entscheidungen sowohl die Interessen der Aktionäre als auch die der verschiedenen Anspruchsgruppen wahren muss. Hierfür gibt es zwei Lösungsansätze: Eine institutionelle Lösung liegt dann vor, wenn Vertreter der jeweiligen Interessensgruppen im Spitzenorgan oder Kontrollgremium ansässig sind. Eine weitere Lösung ist die reduktionistische Lösung. Hierbei vollzieht jedes Mitglied des Überwachungsorgans den Interessensausgleich für und in sich selbst.
3.4.3.4 Kooperationsverfassung Kooperationen sind ein Instrument, den Strukturwandel aufzufangen und den daraus resultierenden Anforderungen gerecht zu werden. Die Relevanz von Kooperationen hat zugenommen und sollte deswegen auf der Ebene des normativen Managements einen institutionellen Rahmen bekommen.
3â•… Unternehmensstruktur
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Die Kooperationsverfassung kann als Teil der Unternehmensverfassung angesehen werden. Bleicher [95] weist auf zwei Problemkreise einer Unternehmensverfassung hin: die Organverfassung (Ausgestaltung der Spitzenverfassung) und die Kooperationsverfassung zur Abfassung der strukturellen Rahmenbedingungen für die Regelung der Arbeitsbeziehungen zwischen Unternehmen (-steilen). Mit Kooperationsverfassung sind externe und interne Beziehungen eines Unternehmens gemeint. Zum einen geht es um die Bewältigung der aktuellen Strukturverwerfungen in vielen Branchen und die damit einhergehende notwendige Öffnung der Grenzen des Unternehmens in Form sog. „Strategischer Partnerschaften“ [123, 124]. Zum anderen geht es auch um die Innenbeziehungen des Unternehmens wie z.€B. zwischen den teilautonomen Einheiten eines dezentralisiert aufgebauten Konzerns. Die Inhalte der Kooperationsverfassung von Unternehmen finden Eingang in die Kooperationspolitik. Kooperation betrachtet man als spezielle Form der Unternehmenszusammenschlüsse [125] und das Gelingen der Transaktion bei Kooperation hängt stark von der Erreichung eines Gleichgewichtes zwischen den Interessen der Kooperationspartner und von wechselseitigem Vertrauen ab. Die Motive für Unternehmenskooperation sind meist marktseitig verursacht. Kürzer werdende Produktzyklen, die nach immer schnelleren Formen der Vermarktung verlangen, die gemeinsame Stärkung der Partner im Wettbewerb aufgrund der Komplementarität ihrer strategischen Erfolgspotentiale oder die steigenden Kosten und Risiken bei Forschung und Entwicklung [126] sind beispielsweise marktverursachte Motive zur Kooperation. Die Kooperationsverfassung beinhaltet unter anderem die Frage nach der Ausgestaltung von Kooperationen. Die zentralen Fragestellungen lauten: Wo, wozu, mit wem, wie und wann soll eine Kooperation eingegangen werden? Die Ausgestaltungsmöglichkeiten zu diesen Fragen werden in Abschn.€7.3.6 näher ausgeführt. Aus kartellrechtlicher Sicht sind Kooperationsverträge (Verträge, Beschlüsse, Gentlemen’s Agreements, abgestimmtes Verhalten), die eine Beschränkung des Wettbewerbs auf einem Markt nach sich ziehen, nach GWB und europäischem Wettbewerbsrecht grundsätzlich verboten. Das europäische Wettbewerbsrecht findet aufgrund der stärker werdenden innereuropäischen Kooperationen auch innerhalb Deutschlands immer mehr Anwendung. Verstöße gegen deutsches und europäisches Kartellrecht werden von Fall zu Fall und unter bestimmten Voraussetzungen und mit existierenden Ausnahmen geprüft siehe GWB und EG-Vertrag, Artikel 81–97.
3.4.4 Leitbilder als Ausdruck normativen Managements Um ein Unternehmenskonzept, welches von Normen und Werten geprägt ist, erfolgreich in ein arbeitsteiliges Organisationssystems einzubetten, muss ein breiter Kreis von Mitarbeitern und allen am Unternehmen interessierten externen Beteiligten, die einen Einblick bezüglich der Visionen und Missionen besitzen, mit einbezogen werden. Die Intention einer Kommunikation ist bei allen Beteiligten die Erstellung eines Unternehmenskon-
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zeptes mit Einflüssen auf die Entwicklung einer Unternehmensidentität zu verdeutlichen. Dazu dienen Leitbilder als wesentliches Instrument der Kommunikation.
3
3.4.4.1 Leitbilder als Kommunikationsinstrument Das Unternehmensleitbild enthält die grundsätzlichsten und damit allgemeingültigsten, gleichzeitig aber auch abstraktesten Vorstellungen über angestrebte Ziele und Verhaltensweisen des Unternehmens. Es ist ein „realistisches Idealbild“, ein Leitsystem, an dem sich alle unternehmerischen Tätigkeiten orientieren (oder auch orientieren sollen). [127]
Zusammenspiel von Umwelt und Unternehmensentwicklung Ein Leitbild umfasst als interpretationsbedürftige und offene Orientierungsvorgabe allgemeine Aussagen über die Zwecke und Ziele, wie die angestrebten Verhaltensweisen des Unternehmens für die Mitarbeiter und die interessierte Öffentlichkeit. Wunschbilder, bzw. Idealvorstellungen, schränken allerdings die Freiheitsgrade möglicher Handlungen und Entscheidungen ein. Aufgrund Unterschiede zwischen dem tatsächlichen und dem zukunfts-, bzw. zielorientierten Verhalten sind sogenannte „Zukunftsfits“ von Umwelt- und Unternehmensentwicklung notwendig. Dieses drückt über einen längeren Zeitraum das zukunftsorientierte Verständnis eines Unternehmens aus. Da in der heutigen Gesellschaft Normen und Werte zunehmend an Bedeutung verlieren, nehmen Leitbilder zunehmend die Rolle einer Orientierungsfunktion ein. Es besteht allerdings die Gefahr, dass eine zu starke „Klammerung“ an diesen einen notwendigen Wandel blockieren kann. Leitbilder tragen auch zur Imagebildung eines Unternehmens bei. Sie dienen als Orientierungspfade, sollen allerdings nicht mit Grundsatzregelungen verwechselt werden. Durch den Entstehungsprozess von Leitbildern, in dem Akteure mit unterschiedlichen Interessenlagen, Sichtweisen und Wertsystemen interagieren, erweisen sich Leitbilder auch als Instrument unternehmenskultureller Umformungen [128] beim Übergang von einer bestehenden Ist-Kultur zu einer angestrebten Soll-Kultur. Dabei werden Grenzen einer beabsichtigten Kultur-Transformation sichtbar. Leitbilder, die den Werten der bestehenden Unternehmenskultur grundsätzlich entgegenstehende Verhaltensweisen aufzwängen und versuchen, der Kultur ihren „Stempel aufzudrücken“, laufen Gefahr, sich als aussichtsloses Unterfangen eines kultur-technokratischen Machens zu erweisen, das eher ein Festhalten an den tradierten Verhaltensweisen bewirkt (s. Abb.€3.41).
Leitbilder und Unternehmensvision Leitbilder sind einer Unternehmensvision nachgeordnet. Unter einer Vision versteht man die Vorstellung des zukünftigen Zustandes des Unternehmens. Durch diese erstrebenswerte Zielvorstellung sollen die Mitarbeiter motiviert werden.
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Funktionen und Dysfunktionalitäten
Funktionen von Leitbildern
Mögliche Dysfunktionalitäten
Entwurf eines „Zukunftsfits“ von Umwelt- und Unterenehmensentwicklung Orientierungs- und Stabilisierungsfunktion Beitrag zur Sinnfindung Verhaltensentwicklung Motivation und Kohärenz Erleichterung der Koodination Imagebildung Unternehmenskulturelle Transformationsfunktion Irreale Wunschbilder vermitteln Gefühl trügerischer Sicherheit Notwendiger Wandel wird blockiert Kosmetische Schönfärberei von Stäben; unglaubwürdige Leerformeln „Kulturtechnokratie“ mit kontraproduktiven Wirkungen
Abb. 3.41↜╇ Funktionen und Dysfunktionalitäten von Leitbildern
Durch Visionen wird das unternehmerische Handeln geprägt. Aus diesem Grund müssen sie auch wegweisend bei der Formulierung eines Leitbildes sein. Also gilt die Unternehmensvision gleichzeitig als Ausgangspunkt und als Regulativ bei der Erstellung des Leitbildes.
Leitbilder und Unternehmenspolitik Die Aufgabe der Unternehmenspolitik ist es, unter Beachtung der Vision und der Erfahrungen der Vergangenheit, einen Entwicklungspfad in die Zukunft zu entwickeln. Das Grundgerüst dieser Entwicklungspfade bilden bevorzugte oder wünschenswerte Verhaltensweisen, welche in der endgültigen Zielformulierung eine entscheiden Rolle spielen.
Verhaltensgrundsätze Nach Dill und Hügler werden die Leitbilder um weiter Aspekte bereichert. Die Leitbilder zeigen auf, auf welchem Wege sich die Unternehmenskultur weiterentwickelt [129]. Die Funktionen dieser Leitbilder sind: • Das Aufzeigen und Dokumentieren wichtiger Normen und Werte • Die Beschreibung von erwünschten Verhaltensweisen und von Sanktionen bei Missachtung von Vorschriften
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Abb. 3.42↜╇ Unternehmenskultur-Leitlinie
Unternehmenskulturleitlinie Mitarbeiterorientierung 1. Interne Stabilität
Gemeinschafts-/Integrationsorientierung Individualitätsorientierung Produkt-/Aufgabenorientierung
3
2. Leistungserbringung
Kostenorientierung (individuelle) Leistungsorientierung
3. Externe Beziehungen
Kundenorientierung Konkurrenzorientierung
Nach Schwarz folgt die Klassifizierung von Elementen für die Unternehmenskultur-Leitlinie, welche in Abb.€3.42 dargestellt wird. Leitbilder und Grundsätze für die Personalführung stellen den am stärksten entwickelten Bereich von Kommunikationsmitteln in Form von Leitbildern dar [130].
3.4.4.2 Formale Anforderungen an Leitbilder Innerhalb der Leitbilder bestimmen die Entscheidungen alle Unternehmensziele und Grundorientierungen bei der strategischen und operativen Gestaltung und Leitung. Sie stellen Handlungsvorschriften und Verhaltensgrundsätze dar, welche sich an den folgenden Anforderungen orientieren müssen [131]: 1. Allgemeingültigkeit 2. Wesentlichkeit 3. Langfristige Gültigkeit 4. Vollständigkeit 5. Wahrheit 6. Realisierbarkeit 7. Konsistenz 8. Klarheit Die Vor- und Nachteile von Leitbildern werden in Abb.€3.43 dargestellt.
3.4.4.3 Lernprozesse der Leitbildererarbeitung Durch Leitbilder werden Werte und Normen verbreitet sowie Richtlinien für die Verhaltensweisen der Mitarbeiter geschaffen. Ein großer Teil der Mitarbeiter des Unternehmens wird durch die Leitbilder angesprochen und so werden die verschiedenen Vorstellungen der Zielvorgaben an die des Leitbildes angepasst. Durch diese Einheitlichkeit wird eine starke Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen hervorgerufen, wodurch auch eine stärkere Befolgung der Normengabe resultiert.
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Abb. 3.43↜╇ Vor- und Nachteile der schriftlichen Fixierung von Leitbildern
Schriftliche Fixierung von Leitbildern Zwang zu genauerem, präzisen Denken Aktivierung des Problembewusstseins
Vorteile
Erhöhung der Verbindlichkeit und Beständigkeit durch die Niederschrift von Normen Erleichterung der Kommunikation Die nicht unbegründete Meinung, das persönliches Vorbild genüge Inhärente Tendenz zur Formalisierung
Nachteile
Verlust an Flexibilität gegenüber abweichenden Entwicklungen Formulierungsprobleme beschäftigen mehr als Inhalte Preisgabe von Firmengeheimnissen
Durch diese Partizipation der Mitarbeiter wird sichergestellt, dass die Normen akzeptiert und befolgt werden. Fraglich ist es jedoch, ob dies der wirtschaftlichste Weg zur Verhaltensbeeinflussung der Mitarbeiter ist. Meist hat nur eine Kerngruppe, als Vertreter für alle Mitarbeiter, das Recht an solchen Konsensprozessen teilzunehmen. Die Vorgehen und Ergebnisse dieser Dialoge leiten sie anschließend mündlich oder schriftlich an die übrigen Mitarbeiter weiter. Diese Kerngruppe sollte nicht nur aus Vertretern der Leistungsebene gebildet werden, sondern als eine Mischung von Vertretern verschiedenster Ebenen, Aufgaben Funktionen und Altersgruppen sein. Auf diese Weise soll durch die verschiedensten Perspektiven und Erfahrungen eine weite Problemübersicht geschaffen werden.
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4
Unternehmensentwicklung Günther Schuh, Achim Kampker und Robin Huesmann
Kurzüberblickâ•… Um erfolgreich zu sein, ist es für produzierende Unternehmen notwendig, reaktionsfähig bzw. flexibel zu sein, um sich damit auf die Veränderungen des Marktes einstellen zu können. Die Möglichkeiten zur Gestaltung der Rahmenbedingungen des eigenen Handelns sind dabei begrenzt, da sich Entwicklungen der Zukunft nicht voraussehen lassen. Veränderungen können sich beispielsweise durch neue Technologien, durch veränderte Kundenanforderungen, staatliche Eingriffe oder das Verhalten der Konkurrenz ergeben. Diese Veränderungen sind kaum prognostizierbar. Der Wandel kann daher selten von langer Hand geplant werden. Vielmehr ist es notwendig, Unternehmen wandlungsfähig zu gestalten, d.€h. sicher zu stellen, dass sie auch mit einem unvorhergesehenen Wandel zurechtkommen. Auftretende Marktveränderungen zwingen die Unternehmen, die eigenen Prozesse neu zu justieren oder ihre Marktpositionierung anzupassen. So erzwingen starke Veränderungen in den Konditionen zum Einkauf oder der Kapitalversorgung aber auch neu in den Markt eintretende Wettbewerber oder ein veränderter Kundenwunsch die Neuausrichtung des Unternehmens. Die Ursachen für eine Neuausrichtung können aber auch im Unternehmen selbst begründet sein. Ein über Jahre steigender, den Produkten nicht zurechenbarer Anteil von Gemeinkosten sowie ineffiziente administrative Bereiche in den Unternehmen verringern die Wettbewerbsfähigkeit und fordern damit, die Agilität die Prozesse neu auszurichten. Abbildung€4.1. fasst die Hintergründe zusammen, die Unternehmen zu einem Wandel zwingen und Unternehmen, die nicht wandlungsfähig sind, vom Markt verschwinden lassen. Unternehmen, die am Markt bestehen wollen, müssen die weitgehende Unprognostizierbarkeit von wichtigen Entscheidungsparametern bewältigen. Daher müssen Unternehmen ein ausreichendes Maß an Agilität vorhalten und kontinuierlich erweitern [1]. Die Fähigkeit, sich verändernde Umweltentwicklungen schnell zu erkennen und sich ohne Verzögerung darauf einzustellen, ist die Kernaufgabe der Unternehmensentwicklung.
G. Schuh () 52074 Aachen, Deutschland E-Mail:
[email protected] G. Schuh, A. Kampker (Hrsg.), Strategie und Management produzierender Unternehmen, DOI 10.1007/978-3-642-14502-5_4, ©Â€Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
231
232
G. Schuh et al.
Umfeld
Wirtschaftliche Einbrüche Globalisierung Wettbewerbsdruck Gesetzesänderungen
Unternehmen
4
Starkes Wachstum Qualitätsprobleme Wechselnde Mitarbeiter: Neues TopManagement Lange Lieferzeiten/Geringe Termintreue Technologien Hohe Gemeinkosten Prozesstechnologien Hohe Kapitalbindung Produkttechnologien Schlechte Auslastung Unzuverlässige Abläufe Ineffiziente Administration Anstreben einer ISO-Zertifizierung Unternehmenszukäufe/Integration
Wettbewerberstruktur Value Migration Neue Allianzen/ Kooperationen Akquisitionen
bewegtes Ziel
Marktbedarf - morgen -
aktueller Bedarf
Marktbedarf - gestern -
geplanter Bedarf
Investitionsentscheid - gestern -
geplante Flexibilität
Abb. 4.1 ╇ Notwendigkeit des Wandels [2]
4.1 Grundlagen der Unternehmensentwicklung Die Kernaufgabe des Unternehmens, Umweltentwicklungen schnell zu erkennen und sich ohne Verzögerungen darauf einzustellen, spiegelt sich in dessen Prozessen und Strukturen wieder. So können die Prozesse und Strukturen im Unternehmen drei mögliche „Entwicklungsmodi“ (Erneuerung, Verbesserung, Betrieb) einnehmen. Die Entwicklungsmodi beschreiben die Art und Weise sowie die Intensität der Unternehmensentwicklung. Der Ursprung einer angestrebten Unternehmensentwicklung ist idealerweise das Resultat eines Strategie-Entwicklungsprozesses, dessen Inhalt es ist, strategische Ziele zu entwickeln und im Unternehmen umzusetzen. In Abhängigkeit von der Ausprägung und Größe des Wandels werden Strukturen, Prozesse oder beide zusammen in die Veränderung einbezogen. Die Entwicklungsmodi der Strukturen und Prozesse sind dabei die Aggregatzustände des Wandels, die eine Umsetzung von strategischen Initiativen ermöglichen. Die Strategie hat somit die Aufgabe, die Leistungsfähigkeit von Prozessen und Strukturen langfristig nicht nur erfolgreich zu halten (Betrieb), sondern kontinuierlich zu verbessern (Verbesserung) und bei Notwendigkeit auch radikal auszutauschen (Erneuerung). Die Erneuerung von Prozessen oder Strukturen in einem Unternehmen verlangt die grundlegende Veränderung der bestehenden Muster. Zu einer Erneuerung kommt es, wenn Diskontinuitäten die Notwendigkeit erzeugen, mit den gewohnten organisatorischen Routinen, Denk- und Verhaltensmustern im Unternehmen zu brechen. Dieser Bruch mit der erlebten Wirklichkeit erfordert für die Anspruchsgruppen und im Speziellen für die Mitarbeiter eine geplante und durchdachte Organisation der Unternehmensentwicklung. Diese Wandel-
233
4â•… Unternehmensentwicklung
Tiefe der Veränderung Betrieb
Verbesserung
Betrieb
Erneuerung
Betrieb
Zeit
Abb. 4.2 ╇ Beispielhaftes Zusammenspiel der Entwicklungsmodi in der zeitlichen Abfolge des Wandels [3]
organisation muss neben den umfangreichen Aufgaben des Projektmanagements auch kontinuierlich die Ziele der Unternehmensentwicklung und den Wandel an sich weiterentwickeln und konkretisieren. Eine zentrale Aufgabe der Unternehmensentwicklung ist die Überzeugung und Einbindung der Mitarbeiter. Um den Mitarbeitern vor allem bei tiefgreifenden Wandelanstrengungen den Raum zur notwendigen Qualifizierung und zur Berücksichtigung der Widerstände zu geben, bedarf es eines Wechselspiels von Stabilität und Wandel. Die Erneuerung tritt daher immer im Zusammenspiel mit den Entwicklungsmodi Verbesserung und Betrieb auf. Eine mögliche Form des zeitlichen Zusammenspiels zeigt die Abb.€4.2. Das Wechselspiel von Stabilität und Wandel, von Erneuerung und Verbesserung gehört zu den anspruchsvollsten Aufgaben des Managements. Die Mitarbeiter suchen im Wandelprozess nach Inseln der Stabilität und geplanten Phasen der Konsolidierung, um sich in ihrem neuen Status quo zurechtzufinden. Doch auch in diesem stabilen Umfeld besteht die Notwendigkeit, die Prozesse kontinuierlich weiterzuentwickeln. Der Entwicklungsmodus der Verbesserung umschreibt die Feinabstimmung der Prozesse und Strukturen im Unternehmen. Die Mitarbeiter verbessern im Verlauf dieses Entwicklungsmodus das eigene Aufgabenfeld, so dass sie sich nach der Veränderung leichter in den neuen Abläufen und Strukturen zurechtfinden können. Deshalb sind bei Verbesserungen zumeist keine groß angelegten Qualifizierungsmaßnahmen notwendig. Auch ist auf Grund des Wiedererkennens von gewohnten Elementen in der überarbeiteten Arbeitsumgebung und der überwiegenden Selbstgestaltung der zukünftigen Prozesse und Strukturen weniger Arbeit zur Überwindung des Widerstands erforderlich. Der Entwicklungsmodus der Verbesserung entspricht dem von Rüegg-Stürm im neuen St. Galler Managementkonzept als Optimierung bezeichneten Modus. Rüegg-Stürm nutzt den Begriff entsprechend dem allgemeinen Sprachgebrauch (wie z.€B. der „Prozessoptimierung“) im Sinne einer kleinschrittigen, fortlaufenden Verbesserung. In der mathematischen Ursprungsbedeutung beschreibt der Begriff des Optimums dagegen einen besten er-
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4
G. Schuh et al.
reichbaren Zustand, der sich einstellt, wenn die zu beeinflussenden Parameter exakt richtig gewählt werden. Dies gilt unabhängig davon, ob das Optimum ein Maximum (bspw. des Nutzens) oder ein Minimum (bspw. des Aufwands) darstellt. Die Aktivität des Optimierens entspricht daher eigentlich dem exakten Erreichen dieses Zustands und gerade nicht der langsamen Annäherung, weshalb im Ordnungsrahmen der Begriff der Verbesserung statt des Begriffs der Optimierung verwendet wird. Wie beschrieben, gibt es in Projekten des Wandels eine zeitliche Dimension der Abfolge der verschiedenen Entwicklungsmodi im Unternehmen. Die zeitliche Dimension betrifft daher das Wechselspiel von Stabilität und Wandel bezüglich eines einzelnen Veränderungsfokus. Bei ausreichender Managementkapazität können aber auch Veränderungsprojekte parallel durchgeführt werden, die jeweils andere Prozesse und Strukturen des Unternehmens, also einen anderen Fokus der Unternehmensentwicklung adressieren. In jedem Fall existieren Prozesse im Unternehmen, die in ihrer aktuellen Form die Leistungsfähigkeit des Unternehmens sichern. Hier kommt der Entwicklungsmodus des Betriebs zum tragen. Der Entwicklungsmodus Betrieb stellt einen geordneten Ablauf von Strukturen und Prozessen dar. Im Modus des Betriebs findet das „normale Tagesgeschäft“ (die Wertschöpfung, die Produktion etc.) statt. Ferner ist der Modus Betrieb notwendig, um einen Wandel in anderen Bereichen zu ermöglichen. So werden durch die im Betrieb angestrebten stabilen und belastbaren Prozesse im Management die notwendigen Kapazitäten geschaffen, in anderen Bereichen geplante Wandelprojekte durchzuführen. Den Mitarbeitern werden durch die im Betrieb unveränderten Prozesse Inseln der Stabilität geboten, die die Akzeptanz und Offenheit für Veränderung in anderen Bereichen erhöhen. Abbildung€4.3 zeigt beispielhaft auf, wie der Zusammenhang zwischen den parallel im Unternehmen stattfindenden Entwicklungsmodi bestehen kann. Hierbei wird jeweils ein Wandelprojekt parallel zum Betrieb der restlichen Prozesse und Strukturen angenommen.
Tiefe der Veränderung
verschiedene Veränderungsvorhaben
Verbesserung
Betrieb
Betrieb
Erneuerung
Betrieb Erneuerung
Betrieb
Betrieb
Betrieb
t1
Verbesserung
Betrieb
Betrieb
t2
Betrieb
t3
Abb. 4.3↜渀 Parallele Existenz verschiedener Entwicklungsmodi im Unternehmen
Zeit
4â•… Unternehmensentwicklung
235
In den beiden folgenden Kapiteln werden die Bestandteile der Unternehmensentwicklung, deren Kernaufgaben und deren Hilfsmittel aufgezeigt. So werden im Kap.€4.1 Modelle vorgestellt, die dabei unterstützen, den Wandel von Unternehmen und die auf Unternehmen wirkenden Einflussfaktoren zu verstehen. Die Kenntnis der auf Unternehmen einwirkenden Einflussfaktoren hilft dabei, eine gezielte Steuerung des Unternehmenswandels bzw. eine gezielte Entwicklung von Unternehmen zu ermöglichen. Der Zweck der Modelle ist es, die Vielfalt, Mehrdeutigkeit und teilweise Widersprüchlichkeit der in Veränderungen befindlichen Vorgänge jeweils in Teilbereichen erklärbar zu machen und damit eine Gestaltung für den Praktiker zu ermöglichen [4]. Ferner befähigen die Modelle, die notwendigen abgeleiteten Schritte einer Veränderung zu verstehen. Kapitel€4.2 wird – darauf aufbauend – Hilfestellung geben, wie Veränderungen zu gestalten, zu vermitteln und durchzuführen sind, so dass die vom Management ausgegebenen kurzfristigen Maßnahmen oder auch strategische Initiativen umgesetzt werden können.
4.1.1 Einteilung der Modelle der Unternehmensentwicklung Der stärkere Einsatz von Maschinen in der Produktion, ermöglicht durch die Dampfmaschine, und organisatorische Änderungen haben Ende des 19. Jahrhunderts die Produktivität deutlich gesteigert und Handwerksbetriebe in Manufakturen und Fabriken überführt. Dies veränderte einerseits die Lebenssituation der Menschen und zwang andererseits die Unternehmen zu grundlegenden Veränderungen. So wurden Ende des 19. Jahrhunderts durch Taylor erste wissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt, die dem Veränderungsmanagement zugeordnet werden können. Das Ergebnis der Untersuchung war, dass durch die Art und Weise, wie die Arbeit organisiert wird, eine Produktivitätssteigerung möglich ist (vgl. Kap.€1.2.1) [5]. Durch die höhere Vergleichbarkeit der Arbeitsprozesse in den Manufakturen konnte Taylor nachweisen, dass Unterschiede in der Effizienz der vollzogenen Arbeitsinhalte bestanden. Diese führte er beispielsweise auf eine bessere Ausbildung, das Vorhandensein von Arbeitsanweisungen, Spezialisierung, Arbeitsteilung und leistungsgerechte Entlohnung zurück. Folgerichtig entwickelte Taylor Handlungsanweisungen, wie im Unterschied zur „traditionellen“ Arbeitsweise Unternehmen geführt werden sollten. Er überführte die aus Gesprächen und Beobachtung gewonnen Erkenntnisse in Regeln und Gesetze. Durch die schriftliche Niederlegung und Verbreitung dieser Gesetzmäßigkeiten wurde erstmalig der Inhalt (Content) einer Maßnahme des Veränderungsmanagements festgehalten. Die Verbreitung der von Taylor festgehaltenen Prinzipien stellte den Erfolg bei der Umsetzung sicher, so dass Teile der Prinzipien auch heute in jedem Unternehmen vorzufinden sind. In der Folge wurden neben den reinen Arbeitsinhalten auch die Umgebungsbedingungen wissenschaftlich untersucht. In dem Hawthorne Experiment in den USA wurde von 1924 bis 1933 versucht, die Einwirkung von aus der Psychologie und Soziologie abgeleiteten Methoden auf den Arbeitsalltag von Mitarbeitern zu erforschen [4]. Auch hier sollte wie bei Taylor die Produktivität unter unterschiedlichen Arbeitsbedingungen gemessen werden. So wurde während der Experimente beispielsweise die Lichtstärke in den Produktionsräumen verändert, um Produktivitätsunterschiede zu messen. Es wurde hierbei fest-
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4
G. Schuh et al.
gestellt, dass mit einer besseren Ausleuchtung der Arbeitsfläche die Produktivität steigt. Ferner wurde aber auch festgestellt, dass sich auch bei einer schlechteren Beleuchtung die Produktivität erhöhte. Dieses im ersten Augenblick paradoxe Ergebnis bewies, dass das Licht nur einer unter vielen austauschbaren Einflussfaktoren war [6]. So war nicht die Lichtstärke die Ursache der Produktivitätserhöhung, sondern vielmehr die Veränderung der Arbeitsbedingungen an sich, die den Mitarbeitern das Gefühl gab, unter Beobachtung zu stehen. In den weiteren Experimenten stellte sich heraus, dass Faktoren wie die freie Gestaltung der Arbeitsabläufe, Arbeitsplätze und Arbeitsgeschwindigkeit und die Behandlung durch den Vorgesetzten den weitaus größten Einfluss auf die Moral und Produktivität der Mitarbeiter hatten. Die Ergebnisse der Hawthorne Studie führten in der Folge zu einer weitergeführten Untersuchung der Komponenten des Wandels (Context) in den Arbeitsabläufen und Veränderungsprojekten innerhalb von Unternehmen. Durch die spürbaren Erfolge der wissenschaftlichen Forschung in den Bereichen des Inhalts und der Komponenten des Wandels wurde die wissenschaftliche Forschung vorangetrieben und eine immer größere Zahl von Ergebnissen erzielt. Die Folge war eine Steigerung von initiierten Veränderungsprojekten auf der Basis der Ergebnisse in den Unternehmen. Doch schon während des Hawthorne Experiments in den 30er Jahren, und sogar bis in die heutige Zeit hinein, erreichen Veränderungsprojekte nur vereinzelt ihre Zielstellungen in den Unternehmen. Auf der Basis dieser Erkenntnis beschreibt Lewin [4], dass ein Unternehmen aus seinem „Equilibrium“, also seinem Gleichgewicht der Kräfte gebracht werden muss, um verändert werden zu können. Dieses „Equilibrium“ muss laut Lewin zielgerichtet aufgeweicht werden, um es auf ein höheres Niveau überführen zu können. Hierfür empfiehlt Lewin eine Vorgehensweise für Veränderungsprojekte, die mit der Phase des „Auftauens“ (unfreezing) beginnt und mit der Phase des „Einfrierens“ (refreezing) endet. Viele der in der Folge entstandenen wissenschaftlichen Modelle zur Veränderung bauen auf den Erkenntnissen in den Bereichen Inhalt des Wandels (Content), Komponenten des Wandels (Context) und Modus des Wandels (Process) auf. Der Wandel in Unternehmen umfasst je nach seiner Ausprägung das komplette Unternehmen, dessen Anspruchsgruppen und Umwelt. Da diese unternehmensnahen Bereiche auch in Veränderungsprojekten vielfältig interagieren und zueinander in dynamischen Beziehungen stehen, zeichnen sich Veränderungsprojekte in der Realität durch eine hohe Komplexität aus. Um diese Komplexität erfassen und beschreiben zu können, werden im Folgenden Modelle zum Modus (Intensität und Geschwindigkeit), zum Inhalt (Inhalt und Tiefe) und zu den Komponenten (Stakeholder) des Wandels erläutert. 1. Die Modelle und die Erläuterungen zum Modus des Wandels (Process) beschreiben, wie tiefgreifend sich Veränderungen vollziehen. Hierfür ist relevant, in welchem Zeitraum die Veränderungen ablaufen und durch welchen Wandeltreiber sie ausgelöst werden. Der Modus des Wandels hängt vom Inhalt des Wandels ab, da Veränderungen, die ein ganzes Unternehmen betreffen, in der Regel auch tiefergreifend sind, als Veränderungen einzelner Prozessschritte. 2. Die Modelle und Erläuterungen zum Inhalt des Wandels (Content) beschreiben, auf welche Bereiche oder Aspekte in Unternehmen sich der Wandel bezieht bzw. „was
4â•… Unternehmensentwicklung
237
sich ändert“. Die Aspekte des Ordnungsrahmens, wie die Strategie, die Struktur, die Prozesse, aber auch Anspruchsgruppen und Umweltsphären können einem Wandel unterliegen. 3. Die Modelle und Erläuterungen zu den Beteiligten des Wandels (Context) beschreiben, welche Aspekte und Rahmenbedingungen bzgl. der beteiligten Anspruchsgruppen zu berücksichtigen sind. Die wichtigste der einzelnen Anspruchsgruppen einer Veränderung ist die der Mitarbeiter, da diese immer auch ein persönliches Interesse an der sich verändernden Situation haben. Die möglichen Einstellungen und Verhaltensweisen von Mitarbeitern in Veränderungen sind zu berücksichtigen, damit die Veränderungen nicht durch Widerstände gefährdet werden. Neben dem dem Handbuch Produktion und Management zu Grunde liegenden Ordnungsrahmen bietet die bestehende Literatur eine Reihe von unterschiedlichen Klassifizierungen zur Einteilung nach dem Modus des Wandels (z.€B. inkrementell/fundamental). Dieses Hauptkriterium zur Unterscheidung des Wandels wird in den folgenden Kapiteln anhand einiger der maßgeblichen Aspekte zur Tiefe des Wandels explizit erläutert.
4.1.2 Modus des Wandels Die Kriterien zum Modus des Wandels werden von den Autoren bei der Einstufung der Tiefe des Wandels herangezogen. Die folgende Beschreibung der Merkmale bietet somit eine Grundlage, die weiteren aufgeführten Modelle in ihrer Gänze beschreiben zu können. Um zunächst aber einen Überblick zu schaffen, sind im Folgenden die übergreifenden Kriterien beschrieben, die den Modus des Wandels charakterisieren. An dieser Stelle werden Kriterien zur Beschreibung des Wandels selbst, als auch zu seiner Gestaltung beschrieben. Die Kriterien Top-down und Bottom-up nehmen dabei eine zentrale Stellung ein, da diese, als extreme Ausprägungen sowohl die Ausgangsebene als auch die Implementierungsrichtung von Veränderungen beschreiben. Durch die von den Kriterien Top-down und Bottom-up repräsentierten tiefgreifenden Festlegungen, wird darüber hinaus nicht nur die Veränderung beschrieben, sondern insbesondere auch das Vorgehen bei der Veränderung festgelegt. Daher wird auf die Kriterien zur Beschreibung des Wandels im Kap.€4.2.1 zurückgegriffen, um die dort beschriebenen Ansätze der Gestaltung des Wandels einzuordnen. Abbildung€4.4 gibt eine Übersicht über die charakterisierenden Merkmale des Modus des Wandels und deren Autoren.
4.1.2.1 Top-down versus Bottom-up Zwei gegensätzliche Möglichkeiten der Implementierung sind das Top-down-Vorgehen, bei dem Veränderungen von oben aus dem Management initiiert werden, sowie das Bottom-up-Vorgehen, bei dem die Initiative von unten aus der Basis kommt [7].
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G. Schuh et al.
Top-down
Bottom-up Schuh; Rank/Scheinpflug
Discontinuous/Episodic
Continuous/Continuous flow Burke/Lake; Walter-Busch
Unternehmen
Einzelperson Burke
4
Japanisch geprägt
US-amerikanisch geprägt Schuh
Inkrementaler Wandel
Fundamentaler Wandel Pettigrew Revolutionärer Wandel
Evolutionärer Wandel Wahren
Transformational change
Transactional change Glatz; Krüger; Burke
Operational change
Dramatic/Systematic change Huy/Mintzberg
Abb. 4.4 ╇ Kriterien zur Beschreibung des Modus des Wandels
Bei der Anwendung des Top-down-Vorgehens wird eine konkrete Veränderungssituation von einer zentralen Instanz analysiert und eine passende Transformations-Architektur entwickelt. Im Rahmen eines zuvor ausgearbeiteten Transformations-Managements wird das Vorhaben dann schließlich umgesetzt [7]. Wichtige Merkmale dieses Vorgehens sind der geringe Zeitbedarf, die geringe Anzahl von Entscheidern, geringe Beteiligung von Mitarbeitern sowie die daraus folgende geringe Akzeptanz. Die geringe Akzeptanz gegenüber dem Veränderungsprojekt entsteht beispielsweise dadurch, dass die ausführenden Mitarbeiter bei der Erarbeitung der Inhalte nicht beteiligt werden. Um die Umsetzung trotz der geringen Akzeptanz sicherzustellen, bedarf es Sanktionen, einer sichtbaren Führung mit Vorbildfunktion und Visionen. Beispiele für die Anwendung des Top-Down-Vorgehens sind globale Reorganisationen [8]. Bei der Nutzung des Bottum-up-Vorgehens dagegen wird die Veränderungsidee im Kreis der Beteiligten erzeugt und ausgearbeitet. Nach einer Genehmigung durch die Vorgesetzten werden die Ideen, sofern der Wandel konsequent vorangetrieben wird, im Rahmen einer Veränderung umgesetzt [7]. Wichtige Merkmale dieses Vorgehens sind der hohe Zeitbedarf, der hohe Beteiligungsgrad der Mitarbeiter sowie die daraus folgende hohe Akzeptanz, aber auch die typische Sandwichposition des mittleren Managements [8]. So muss das mittlere Management sowohl den Wandel führen und gegenüber den Mitarbeitern verteidigen, als auch den Vorgesetzten gegenüber den Leistungsnachweis im Veränderungsprojekt sicherstellen. Konzepte mit Bottom-up-Vorgehen stammen vielfach aus dem japanischen Kulturkreis, wie z.€B. die „Methoden der kontinuierlichen Verbesserung der Unternehmensprozesse (KAIZEN)“, bei denen nicht die Prozessvision, also der Soll-Prozess, sondern der bestehende Prozess den Ausgangspunkt bildet und nach Effizienzkriterien optimiert wird [9]. Anwendungsgebiete für das Bottom-up-Vorgehen sind zumeist kleine Optimierungen. Neben den beiden Extrempositionen, wie Inhalte und Weisungen der Veränderung implementiert werden können, gibt es eine Reihe von Mischformen. Das Center-out-Vorgehen
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wird im mittleren Management gestartet und übermittelt die für die Veränderung notendigen Informationen in der Hierarchie sowohl nach unten als auch nach oben. Der Vorteil dieses Vorgehens ist das vornehmliche Interesse der Umsetzung im mittleren Management. Daher wird es bei eher langwierigen Projekten wie der Personalentwicklung eingesetzt. Ein Vorgehen, das bei der Umsetzung einer Unternehmensvision eingesetzt wird, ist das Multiple-nucleus-Vorgehen. In allen Hierarchieebenen wird mit der Unterstützung von Vorbildern ein Verständnis für die neue Vision erzeugt. Bei der Zusammenführung des Visionsverständnisses ist jedoch ein hohes Ausmaß an Koordination notwendig [8].
Unternehmen versus Einzelperson Neben der Art und Weise, wie Inhalte von Veränderungen implementiert werden, hat auch die Vorgehensweise einen Einfluss auf das soziale System des Unternehmens. Die Ebenen eines sozialen Unternehmensgefüges, die von Veränderungsprojekten angesprochen werden, können Individuen, Gruppen und das Gesamtsystem des Unternehmens sein. Alle drei Ebenen schließen jeweils den Umgang mit einer Entität der gleichen Ebene mit ein, beispielsweise zweier Individuen miteinander [4]. Auf der Ebene des Individuums geht es im Wandel hauptsächlich um die Auswahl und Befähigung des notwendigen Personals. So müssen die Beteiligten des Wandels befähigt und motiviert werden, den Veränderungsprozess nicht nur zu überleben, sondern den Wandel auch aktiv mittragen zu können. Jedoch muss bei Personalaktivitäten darauf geachtet werden, ob der Personaleinsatz sowie die Aus- und Weiterbildung speziell auf die Ziele und Inhalte des Wandels ausgerichtet sind. In einer Vielzahl von Unternehmen finden Personalaktivitäten ziellos statt, ohne auf die Zielstellung und das Verständnis des Wandels ausgerichtet zu sein, um in der öffentlichen Wahrnehmung im Bereich der Personalentwicklung vergleichbaren Unternehmen nicht nachzustehen [4]. Die Gruppenebene, die eigentliche Arbeitsebene, bildet das Verbindungsglied zwischen dem Individuum und dem Unternehmen. Die Gruppenebene ist das entscheidende Bindeglied, da auf der einen Seite die vom Individuum real wahrgenommenen Arbeitsbedingungen im Umfeld seiner Gruppe liegen und auf der anderen Seite die Gruppen, wie es schon im Hawthorne Experiment deutlich wurde, als eigentliche Arbeitsebene über die Effizienz eines Unternehmens entscheiden. Hinzu kommt, dass die Organisationspsychologie belegt, dass Individuen Ereignisse in Gruppen anders wahrnehmen sowie anders entscheiden, sprechen und handeln, als sie es als Einzelpersonen tun würden. Daher liegen die Schwerpunkte des Inhaltes von Wandelprojekten auf dieser Ebene im Bereich der Teamentwicklung, der Effizienzsteigerung im Bereich des Teams und der Einführung von selbstständig arbeitenden Arbeitsgruppen [4]. Die Gesamtheit der Gruppen, die dem Unternehmenszweck dienen, bildet das Unternehmen. Ein Wandel auf der Unternehmensebene betrifft umfassendere Organisationsthemen, wie die Effektivität von Prozessen und Strukturen im Unternehmen. Beispiele dafür sind Anpassungen der Unternehmensmission, der Unternehmensstrategie, der Unternehmensstruktur oder Unternehmenskultur. Neben den unternehmensinternen Themen sind auf der Unternehmensebene auch die Ausgestaltung von Kooperationen bis hin zu Unternehmensakquisitionen und Unternehmensintegrationen Inhalte von Veränderungsprojekten [4].
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US-amerikanisch geprägter versus asiatisch geprägter Wandel
4
Im Wesentlichen können auf Basis des Kulturraumes inhaltlich zwei Trends für prozessorientierte Veränderungsprojekte beobachtet werden. So gibt es den Unterschied, ob im Hinblick auf eine Veränderung der Fokus auf Effektivität oder eher auf die Effizienzsteigerung gelenkt wird [9]. Die Abhängigkeit vom Kulturraum ist wichtig, da beispielsweise eine unreflektierte Übertragung der eher revolutionären Top-down- und der eher evolutionären Bottum-up-Ansätze in europäischen Unternehmen nur bedingt zum Erfolg führen kann. Die Ansätze, die vorwiegend aus den Kulturkreisen USA und Japan entstammen, können auf Grund ihrer Herkunft in ihrer ursprünglichen Ausgestaltung wichtige Grundsätze für die erfolgreiche Umsetzung eines Veränderungsprojektes in einem europäischen Unternehmen nicht antizipieren. So ist in den Ansätzen die ausreichende Integration von Managern und Mitarbeitern in die Entwicklung von operativen Maßnahmen und strategischen Vorgaben nicht sichergestellt. Ein Beispiel für die Anpassung bestehender Ansätze an den europäischen Kulturraum ist das „Down-up-Vorgehen“ aus dem MOTION-Konzept [9]. Es ist ein integrativer Ansatz, der die Stärken der Top-down- und Bottom-up-Vorgehensweise miteinander kombiniert, was in der Verknüpfung strategischer Grundsatzentscheide zur Veränderung mit den operativen Gestaltungsrahmen realisiert wird. Neben intensiver Einbindung der Geschäftsleitung haben auch Mitarbeiter die Möglichkeit ihre Standpunkte vorzubringen. Dies erhöht die Umsetzungsstärke des verfolgten Vorhabens. Das Motion Konzept wird in Kap.€4.2.1.3. detaillierter vorgestellt [9].
Inkrementeller versus fundamentaler Wandel Pettigrew prägt die Literatur zum inkrementellen und fundamentalen Wandel. Die inhaltliche Unterscheidung zwischen dem inkrementellen und fundamentalen Wandel trifft Pettigrew anhand des Ausmaßes des Produktivitätsfortschrittes eines einzelnen Veränderungsprojektes. Ist eine Zeitspanne durch inkrementellen, aber nicht fundamentalen Wandel geprägt, so wird innerhalb der bestehenden Ordnung unter klaren unternehmerischen Zielsetzungen gehandelt [10]. Anders formuliert entspricht eine Periode ohne Sprünge im Wertschöpfungslevel eines Unternehmens einer Epoche des inkrementellen Wandels, und im Idealfall einer Epoche kontinuierlicher Verbesserung [11]. Inkrementeller Wandel geht häufig auch ohne Initiative der Unternehmensführung oder ausschließlich zu diesem Zweck geschaffener Change-Organe vor sich. Ziel des fundamentalen Wandels ist dagegen die radikale Erhöhung der Wertschöpfung in einem kurzen Zeitraum [12]. Er ist gekennzeichnet durch eine stärker sichtbare, meist physische Veränderung des Unternehmens und durch ein höheres Misserfolgsrisiko, das eine höhere Risikobereitschaft erfordert [10]. Auch fundamentaler Wandel ist kein singuläres Ereignis, sondern lässt sich in zeitliche Perioden einordnen.
Transformational change/evolutionärer Wandel versus transactional change/revolutionärer Wandel In der Literatur finden sich noch weitere, inhaltlich ähnliche Begriffspaare für die Unterscheidung des Wandels nach dem Produktivitätsfortschritt. So beschreiben die Begriffe
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Aktivität
Produktivität
2
2
1
Geplanter Produktivitätsverlauf beim kontinuierlichen Wandel
Phase fundamentalen Wandels
1
Phase kontinuierlichen Wandels Zeit
Geplanter Produktivitätsverlauf beim fundamentalen Wandel Zeit
Abb. 4.5 ╇ Verlauf der Aktivität und der Produktivität bei kontinuierlichem und fundamentalem Wandel [16]
„Wandel 1. Ordnung“, „transformational change“, „evolutionärer Wandel“ und „kontinuierlicher Wandel“ dem inkrementellen Wandel ähnliche Inhalte. Demgegenüber stellen die Begriffe „Wandel 2. Ordnung“, „transactional change“, „revolutionärer Wandel“ und „episodischer Wandel“ die inhaltlich an den fundamentalen Wandel angelegten Begriffsgegensätze dar. Der Begriff evolutionär ist dabei an die Theorie von Darwin angelehnt [4, 13–16]. Die Abb.€4.5 zeigt den Zusammenhang zwischen dem Produktivitätsfortschritt und dem Ausmaß des Wandels. Im Fall des kontinuierlichen Wandels zeigt die Abbildung eine Aneinanderreihung von kleinen Veränderungsprozessen, die ohne dramatische Umstrukturierungen vor sich gehen. Im Falle des radikalen Wandels zeigt die Abbildung parallel dazu ein einziges Veränderungsprojekt auf. Neben einer Einteilung nach dem möglichen Produktivitätsfortschritt durch das angestrebte Veränderungsprojekt lassen sich weitere inhaltliche Unterscheidungen treffen. So erfolgt bei Müller-Stewens und Lechner eine Unterscheidung der Veränderungsprojekte in evolutionären und revolutionären Wandel anhand der strategischen Ausrichtung. Revolutionärer Wandel bricht dabei besonders stark mit der vorherigen strategischen Richtung. In einer Situation einer aktuellen Krise müsste das Unternehmen sich in einen gänzlichen Umbruch begeben, da ein Anpassen einzelner Stellgrößen einer ehemaligen Erfolgskonstellation nur zu einem Misfit führen kann [10].
Dramatic, systematic versus organic change Eine verfeinerte Unterscheidung des Wandels und den daraus abgeleiteten Inhalten nehmen Huy und Mintzberg vor. Die Dreiteilung der Inhalte des Wandels weist die Reaktion auf die Krise, den „dramatic change“, die strukturierte Weiterentwicklung des Unternehmens den „systematic change“ und die von der Belegschaft getragene Verbesserung den „organic change“ auf. Der „dramatic change“, also dramatischer Wandel, bezeichnet
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4
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Veränderungen, die vorwiegend in schwierigen Zeiten wie zum Beispiel einer Krise angestoßen werden. Die revolutionären Veränderungen reichen von reinen Kostensenkungsmaßnahmen über Restrukturierung bis hin zur Überarbeitung der Unternehmensstrategie und Anpassung der Unternehmenskultur. In der Regel werden solche dramatischen Veränderungen aus der Unternehmensführung heraus angestoßen, in der Hoffnung, dass die Maßnahmen auch von der restlichen Belegschaft mitgetragen werden. Dieses Vorgehen kann in einigen Fällen gut gehen, es kann allerdings auch starken Widerstand hervorrufen [17]. Systematic change, also systematischer Wandel, ist langsamer und weniger ambitioniert, dafür fokussierter und strukturierter als dramatischer Wandel. Die Initiative zur Reform des Unternehmens kommt beispielsweise aus der Planungs- und Organisationsentwicklungsabteilung oder von externen Beratern. Über die Jahre haben sich diverse Ansätze des systematischen Wandels entwickelt; hierzu zählen zum Beispiel der Benchmarking-Ansatz, die Qualitätsoptimierung sowie die Strategieplanung. Problematisch ist hierbei der starke Fokus auf die technisch und inhaltlich korrekte Ausgestaltung der Veränderung, die durch die auslösenden Spezialisten betreut wird. Da der Inhalt des Wandels nicht aus dem Unternehmen heraus entsteht, sondern von einer herausgelösten Gruppe von Spezialisten erdacht und vorgegeben wird, müssen bei den Mitarbeitern Widerstände abgebaut werden. Oft ist es nötig, das entwickelte inhaltliche Konzept an die Bedürfnisse der Stakeholder anzupassen, um Widerständen begegnen zu können [17]. Organic change, also organischer Wandel, entsteht aus der Belegschaft heraus. Der organische Wandel wird vom höheren Management nicht formell geführt und angeleitet. Die Inhalte des Wandels sind die Verbesserung meist unstrukturierter, zeitintensiver Prozesse, die Mitbestimmung, Weiterbildung und auch politische Aktivitäten. Organische Veränderungsprojekte können sehr leicht aufgesplittet oder mit weiteren Seitenaspekten angefüllt werden. Die von der Belegschaft angestoßene Verbesserung kann so durch die fehlende Strukturierung dazu führen, dass Einzelgruppen im Unternehmen in Konkurrenz um die knappen Ressourcen treten. Durch eine ungesteuerte Abwicklung können daher auch weitere Projekte im Unternehmen negativ betroffen sein [17].
4.1.2.2 Phasenmodelle der Unternehmensentwicklung Wenn Unternehmen wachsen oder altern, entwickeln sich ihre Strukturen und Prozesse parallel mit der Zeit weiter. Die Entwicklung von Unternehmen kann in idealtypischen Modellen in Lebenszyklen wiedergegeben werden. Diese Lebenszyklen umschreiben den Prozess der Veränderung und damit die Reaktion der Unternehmen auf eintretende Ereignisse. Die Lebenszyklen der Unternehmen und damit die organisatorischen Veränderungsprojekte im Zeitverlauf wurden in der Literatur häufig in Analogie zur Biologie in die Phasen Geburt, Wachstum, Reife, Alter und Tod unterteilt. In Bezug auf die im vorangegangenen Kapitel erläuterten Merkmale, müssen für die Modelle zur Erklärung der Organisationsdynamik zwei Grundannahmen getroffen werden [18, 19].
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4â•… Unternehmensentwicklung
Die erste Grundannahme definiert, dass evolutionäre Phasen des stabilen Gleichgewichts und harmonischen Wachstums durch Veränderungsereignisse (Krisen o.€ä.) abrupt beendet werden. Der instabile Zustand wird in kurzen, revolutionären Übergangsperioden durch grundlegende Strukturveränderungen überwunden. Auf die revolutionäre Phase folgt dann wieder eine längere evolutionäre Phase. Die zweite Grundannahme schreibt vor, dass die evolutionären Phasen durch ein eigenes Führungskonzept und eine eigene Unternehmensphilosophie gekennzeichnet sind, die als Lebens- oder Wachstumsphasen aufgefasst werden können. In der Folge werden auf der Basis der beiden Grundannahmen die Phasenmodelle nach Greiner, Bleicher, Lievegoed und Mintzberg erläutert, die versuchen, den Wechsel von evolutionären und revolutionären Entwicklungsphasen zu erklären [20].
Wachstumsmodell nach Greiner Das Wachstumsmodell von Greiner umfasst fünf Phasen, die sequentiell durchlaufen werden und mit dem Alter und der Größe des Unternehmens zusammenhängen [6]. Jede Phase ist Ergebnis der vorhergegangenen sowie Ursache der folgenden Phase. Dabei ist die Reihenfolge nicht zwingend gemäß der Darstellung und die Dauer muss nicht gleich sein [21, 14]. Abbildung.€4.6 zeigt die Phasen des Unternehmens im Wachstum auf, die in fünf Phasen unterteilt sind. Die jeweils durch die Ursache des Wachstums beschriebene Phase
Phase 1
Phase 2
Phase 3
Phase 4
Phase 5
Größe der Organisation
…? Bürokratie fehlende Kontrolle
Autonomie
Führungsstil
Koordination
Delegation
straffe Führung
Kreativität Alter der Organisation
Abb. 4.6↜渀 Beispielhafte Phasen im Wachstumsmodell von Greiner [6]
mehr Teamgeist
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G. Schuh et al.
wird durch eine Krise, die einen revolutionären Wandel auslöst, abgebrochen. Wie die Grundannahme vorgibt, entsteht nach dem revolutionären Wandel wiederum eine Wachstumsphase mit evolutionärem Wandel.
4
Phase 1: Wachstum durch Kreativität – Krise durch Führungsstil Insbesondere bei neu gegründeten Unternehmen steht am Anfang ein Produkt, in dem die gesamte Kreativität gebündelt ist. Der Mitarbeiterkreis ist klein, die Führung obliegt dem oder den Unternehmensgründer(n). Bei größeren Wachstumsschüben sind diese schnell überfordert und eine Führungsstilkrise folgt auf die Pionierphase, die in dem Verlust der Führungskompetenz des Gründers gipfeln kann. Phase 2: Wachstum durch straffe Führung – Krise durch fehlende Autonomie Hierarchische Strukturen werden durch straffe Führung aufgebaut, die Kommunikationsbeziehungen formalisiert und sämtliche Befugnisse liegen bei der Unternehmensführung. Verschiedene Geschäftsbereiche werden festgelegt, was mit dem Verlust an Flexibilität einhergeht. Die Mitarbeiter werden in ihrer Kreativität eingeschränkt, das Bedürfnis nach Autonomie wächst. Die zentralistische Steuerung stößt an ihre Grenzen, eine Delegation von Entscheidungen und Weisungsbefugnissen wird notwendig. Phase 3: Wachstum durch Delegation – Krise durch fehlende Kontrolle Verantwortung und Kompetenzen werden mit der Einrichtung von dezentralen, selbstständigen Organisationseinheiten delegiert. Eine ergebnisabhängige Entlohnung soll die Mitarbeiter motivieren. Horizontale Kommunikation verstärkt sich, insbesondere die vertikale Kommunikation zur Unternehmensleitung aber wird mit zunehmender Komplexität und Größe schwieriger. Die oberste Führung verliert die Übersicht und Kontrolle. Die angestrebten Synergieeffekte zwischen autonomen Subeinheiten bleiben aus, der Koordinationsbedarf wächst. Phase 4: Wachstum durch Koordination – Krise durch zunehmende Bürokratie Neue Instrumente zur Koordination werden eingeführt, um das Unternehmen als Einheit zu erhalten. Ein Zusammenfassen zu größeren Produkt- oder Marktbereichen und ein verbessertes Berichtswesen sollen der Unternehmensführung die erforderlichen Steuerungsinformationen liefern. Stabs- und Dienstleistungsstellen zur Überwachung und Koordination der Teilbereiche werden eingeführt. Das aufkommende Übermaß an Planung und Kontrolle mündet in Bürokratie, Probleme werden verwaltet, nicht gelöst. Das Tagesgeschäft und die Innovationsfähigkeit werden eingeschränkt. Phase 5: Wachstum durch mehr Teamgeist – Krise durch…? Mehrdimensionale Organisationsstrukturen, die durch Projektmanagement ergänzt werden, in Verbindung mit einem partizipativen Führungsstil sollen zu mehr Teamgeist führen. Die weitere Entwicklung ist offen, Greiner vermutet, dass es zu Konflikten in der Teamarbeit zwischen Mitarbeitern kommt. Probst [22] nimmt an, dass auf Grund der Komplexität der Beziehungsgefüge eine Abwanderung zu Unternehmen erfolgt, die sich in einer früheren Wachstumsphase befinden.
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4â•… Unternehmensentwicklung
Umsatz Pionier- MarktDiversifikation phase erschließung
Akquisition
Kooperation
Restrukturierung
Krise Krise
?
Krise
? Krise
Krise
Zeit Innere Unternehmensentwicklung
Äußere Unternehmensentwicklung
Innere und äußere UE
Abb. 4.7 ╇ Wandelzyklen eines Unternehmens im Phasenmodell nach Bleicher [6]
Phasenmodell der Unternehmensentwicklung nach Bleicher Im Gegensatz zu Greiner, der die Entwicklung eher aus internen Anlässen heraus erklärt, unterscheidet Bleicher zwischen innerer (die ersten drei Phasen) und äußerer (Phasen viersechs) Unternehmensentwicklung. Er unterteilt den Gesamtzyklus in sechs Phasen normaler Entwicklung, die jeweils durch Krisen gestört oder beendet werden. Er sieht dabei Umsatz und Unternehmensalter als voneinander abhängig an (Abb.€4.7).
Phase 1: Pionierphase (innere Entwicklung) Im Mittelpunkt des unternehmerischen Interesses stehen die Beherrschung der Produkttechnologie und die Produktgestaltung. Abläufe werden eher improvisiert als organisiert. Kreatives Chaos wird durch unmittelbare persönliche Weisungen „gesteuert“. Neben unzureichendem Marktpotenzial sind es vor allem die Führungsfehler, die ein hohes Krisenpotenzial bergen. Eine zielgerichtete Markterschließung und eine frühe Organisation sind notwendig. Phase 2: Markterschließung (innere Entwicklung) Der Pionier gewinnt neue Kundenkreise und das schnelle Wachstum erfordert eine laufende Anpassung der personellen, finanziellen und materiellen Ressourcen. Durch das Einbeziehen neuer Kapitalquellen ändern sich die Machtverhältnisse. Außerdem werden unterstützende Führungssysteme für die Standardisierung von Kompetenzen und Aufgaben gebraucht. Eine funktionale Struktur ist hier sinnvoll, da es sich in dieser Phase meis-
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G. Schuh et al.
tens noch um ein Ein-Produkt-Unternehmen handelt. Die weitere Zentralisierung kann jedoch zu einer Überlastung der Unternehmensspitze führen. Das Krisenpotenzial sieht Bleicher als gering an.
4
Phase 3: Diversifikation (innere Entwicklung) Neue Erfolgspotenziale sollen aufgebaut werden und einen Ausgleich zwischen Chancen und Risiken von neuen Geschäftsfeldern bieten. Diese neuen Geschäftsfelder zwingen zu einer Neuausrichtung der Unternehmensziele, -strategie und möglicherweise auch -spitze. Kreativität und Pioniergeist sind wieder wichtig. Damit die beiden Welten der neuen und alten Geschäftsbereiche sich nicht gegenseitig behindern, ist eine divisionale Struktur nun vorteilhaft. Das Krisenpotenzial sieht Bleicher geringer als in den ersten beiden Phasen an, da sich verschiedene Produktlebenszyklen ausgleichen können. Dennoch birgt das Nebeneinander von zentralen und dezentralen Organisationseinheiten ein Risiko für das Gesamtunternehmen. Das Unternehmen stößt an seine Wachstumsgrenzen. Phase 4: Akquisition (äußere Entwicklung) Ziel ist der schnelle Aufbau neuer, ertragreicher Geschäftsfelder. Das Vorgehen ähnelt stark der Diversifikation, es werden jedoch fremde Unternehmen(-steile) eingegliedert. Eine Matrix-Struktur in Form einer Holding ist sinnvoll, eigenständige Tochterunternehmen werden einer Muttergesellschaft unterstellt, wobei eine völlige rechtliche und wirtschaftliche Neugestaltung oftmals nötig ist. Das Risikopotenzial ist hoch, da ein „Kulturkampf“ entbrennen kann. Die Anforderungen an das Management steigen enorm, da nicht nur das operative Geschäft im Auge behalten werden muss. Phase 5: Kooperation (äußere Entwicklung) Neue Produkt-Markt-Kombinationen sollen durch die Zusammenarbeit von Unternehmen realisiert werden. Im Innenverhältnis werden weiterhin die Primär- und Sekundärprozesse bewältigt, während im Außenverhältnis synergetische Lösungen gesucht werden, die die jeweiligen Stärken der Partner zum Ausdruck bringen. Da die Unternehmen weiterhin eigenständig bleiben, ist kein kulturelles Zusammenpassen nötig; das individuelle kulturelle Verhalten in den Unternehmen kann Krisenpotenzial mit sich bringen. Außerdem bleibt die Kooperation eine labile Form der Unternehmensentwicklung, da die Eigenständigkeit immer beibehalten wird. Eine Beendigung der Kooperation kann einen Partner in ernsthafte Krisen führen, falls z.€B. technologische Erkenntnisse ohne eigenen Nutzen preisgegeben werden. Phase 6: Restrukturierung (äußere und innere Entwicklung) Mit dem Abschluss der äußeren Entwicklungsphasen ist eine weitere Schwelle erreicht. Nur eine Restrukturierung der Unternehmenswerte kann das Unternehmen noch wachsen lassen. Die Restrukturierung kann sowohl innere als auch äußere Unternehmensentwicklung sein. Nicht mehr zukunftsträchtige Geschäftsfelder werden aufgegeben und ein Quantensprung auf eine frühere Phase, der eine neue Entwicklung, vielleicht sogar vom Pionierstadium aus, möglich macht, ist notwendig. Das Vorgehen der Restrukturierung,
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mit dem in dieser Phase noch Wachstum erzielt werden kann, wird im Kap.€4.1.2.2 beschrieben. Möglichkeiten einer Restrukturierung sind dabei das Gesundschrumpfen, ein Management-buy-out von Teilbereichen oder gar die völlige Aufgabe der Autonomie durch Integration in ein anderes Unternehmen. Es wurde eingangs bereits festgestellt, dass sich ein Unternehmen in seinem Wachstums- und Reifeprozess faktisch permanent im Wandel befindet. Beide aufgeführten Phasenmodelle beschreiben, dass entstehende Unternehmen aus einer Phase des kreativen Chaos kommend, in welcher der Unternehmensgründer eine wesentliche, orientierungsgebende Funktion besitzt. Bei weiterem Wachstum stößt diese informale, unstrukturierte Unternehmensorganisation auf Grenzen, womit die Veränderung im ersten Schritt zu zentralistisch formalisierten und in einem zweiten Schritt zu dezentralen, formalisierten Strukturen führt. Gemeinsamkeiten sehen die Modelle in der Regel ebenso in den relevanten Themen der Zukunft, welches vor allem in einer Erosion der Unternehmensgrenzen und einer verstärkten Kooperation liegt. Ein weiterer den Wandel bestimmender Faktor ergibt sich auch aus den Reifeprozessen von Märkten und der natürlichen Alterung eines Unternehmens. Jedes Unternehmen muss früher oder später seine Position im Markt, seine Kultur und Politik, überdenken und anpassen.
Lebensphasenmodell eines Unternehmens nach Lievegoed Lievegoeds Modell ist soziologischer Natur und fokussiert auf Organisationsführung und der Kommunikation mit den Mitarbeitern. Die erste Phase in Lievegoeds Modell zeichnet sich durch einen autoritären Führungsstil, direkte Kommunikation und ein großes Maß an Improvisation in der Produktion aus, die die „kräftige Identität“ [23] ausmachen. Der Gründer kennt seine Mitarbeiter und sieht den Betrieb als „eine große Familie“. Wichtig für das Wachstum ist die Bindung an den Kunden und die Erfüllung individueller Kundenwünsche. Ab einem bestimmten Punkt, wenn sich z.€B. externe Bedingungen oder die Technik ändern, kann das Unternehmen mit dem Wachstum nicht mehr mithalten, da die Strukturen an ihre Grenzen stoßen. Der Pionierbetrieb ist „überreif“ [23]. Die zweite Phase der Entwicklung ist die der Differenzierung. Sie ist gekennzeichnet von den Organisationsprinzipien der Mechanisierung, Standardisierung, Spezialisierung und Koordination. Eine rationale Ordnung von Aufgaben, Dingen und Prozessen wird geprägt durch Hierarchien, die mehr Führungspersönlichkeiten auf verschiedenen Ebenen verlangen [23]. Der Gründer allein ist überfordert. Probleme, die das Wachstum hier stoppen können sind Erstarrung auf Grund fehlender Flexibilität, Koordinationsprobleme und Kommunikationsprobleme. Außerdem sinkt die Motivation, da durch höhere Mechanisierung und Standardisierung die Abwechslung im Arbeitsalltag verloren geht [23]. Die dritte Phase nennt Lievegoed Phase der Integration. Ziel ist es, dass jeder Mitarbeiter „intelligent im Sinne des Ganzen“ handelt [23]. So soll ein Unternehmen entstehen, in dem jeder offen für Veränderungen ist und mit- und vorausdenkt. In diesem Unternehmen
248
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muss eine allgemeine Zielsetzung bekannt sein und Prinzipien zur Umsetzung bestimmt werden. Die Verwirklichung dieser Zielsetzung soll dem Menschen Entwicklungspotenzial bieten und eine Lebenserfüllung auch im Beruf gewährleisten [23].
4
Phasen organisationaler Entwicklung nach Mintzberg Das Modell der Entwicklung von Organisationen nach Mintzberg umfasst vier Phasen. An die Evolution angelehnt nennt er diese Geburt, Entwicklung, Reife und Verfall [24]. Die Phase der Geburt ist geprägt von einer starken Führungspersönlichkeit, die eine Autokratie als erste Stufe des Unternehmens erschafft. Die Autorität wird anfangs durch die von ihm selbst eingestellten Mitarbeiter, die ihm gegenüber loyal sind gestützt [24]. Nach der Geburt sieht Mintzberg zwei mögliche Wege, die das Unternehmen als Phase der Entwicklung einschlagen kann. Entweder verlässt der Gründer das Unternehmen und hinterlässt eine „Mission“, die die Mitarbeiter mit ihrer Arbeit erfüllen. Dadurch, dass der Gründer als Autorität das Unternehmen verlassen hat, ist dieser Weg relativ konfliktfrei. Anders sieht die Entwicklung aus, wenn der Gründer im Unternehmen bleibt oder eine neue starke Persönlichkeit die Führung übernimmt. Auf Grund des Wachstums sind hierarchische Strukturen notwendig und das Unternehmen wird „Instrument“ der Führung [24]. Die letzte Möglichkeit der Entwicklung ist das „geschlossene System“. Ähnlich wie nach dem Ende der Sowjetunion bleibt der bürokratische Apparat in gleicher oder ähnlicher Form erhalten, das System stabil, obwohl der starke Führer die Organisation verlassen hat. Hier wird die Reifephase ohne den Umweg über eine ausgeprägte Ent-
Instrument
geschlossenes System
Autokratie
politische Arena
Mission
Meritokratie Zeit Geburt
Entwicklung
Reife
Abb. 4.8 ╇ Phasen organisationaler Entwicklung nach Mintzberg [24]
Verfall
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wicklungsphase erreicht. Auch die Formen der „Mission“ und des „Instrumentes“ gehen irgendwann in ein „geschlossenes System“ über. Ein statisches System ist wegen des bürokratischen Apparats erreicht und schwer wieder aufzulösen. Der Prozess zur Entstehung einer Meritokratie (Leistungsgesellschaft) durchläuft ebenfalls keine Entwicklungsphase. Wenn von vorneherein klar ist, dass nach der Entstehung mit Wissen und Erfahrung eine schnelle Reife gezielt angestrebt wird, kann diese auch ohne Umwege erreicht werden [24]. Am Ende jedes Weges steht die „politische Arena“, eine politisierte Organisation in der die festgefahrenen Mitarbeiter Änderungen gegenüber kritisch sind. Das Unternehmen ist stabil, aber starr. Es folgt ein langsamer Verfall oder eine Wiedergeburt, falls äußere Umstände die Führung auf notwendige Erneuerung aufmerksam machen [24].
4.1.2.3 Phasen des Veränderungsprozesses Die Phasen des Wachstums und die damit vorgestellten Wandelansätze zeigen, dass sich Unternehmen situationsabhängig sowohl einem revolutionären als auch einem kontinuierlichen Wandel unterziehen müssen, um am Markt überleben zu können. Doch unabhängig von der Ausprägung des Modus im Wandelprojekt, werden im Projektablauf signifikante Phasen beschritten. In diesem Kapitel sollen verschiedene Modelle vorgestellt und erläutert werden, die die Entwicklungen solcher Veränderungsmaßnahmen aus unterschiedlichen Perspektiven beschreiben und in ihre zu durchschreitenden Phasen unterteilen. Im Folgenden soll insbesondere der episodenhafte Wandel betrachtet werden. Der episodenhafte Wandel kann als selten, unstetig und bewusst eingeleitet charakterisiert werden. Der Wandel kann als episodenhaft betrachtet werden, wenn er als Unterbrechung oder Abweichung von den ursprünglichen Strukturen betrachtet werden kann und sowohl tiefgehend als auch extern angetrieben ist. Diese Form des Wandels wird als notwendig erachtet, wenn das Unternehmen seine Prozesse und Strukturen nicht mit dem gleichen Tempo der sich verändernden Umwelt modifizieren und anpassen kann [25].
Phasenmodell des Veränderungsprozesses nach Lewin Der episodenhafte Wandel lässt sich nach dem Model von Lewin in die drei Phasen: Unfreezing, Moving und Refreezing unterteilen. Das Phasen-Modell von Kurt Lewin (1963) bildet die Grundlage für verschiedene Ansätze und stellt damit ein festes Schema für strukturelle Veränderungen von Unternehmen dar. Es bietet einen organisationspsychologischen Ansatz, der die beteiligten Individuen und die Gruppendynamik näher betrachtet und geht von einer fundamentalen, also bewussten und einschneidenden Veränderung aus. Lewin sagt, dass weitreichende Veränderungen nur möglich sind, wenn auch das Verhalten der Individuen sich einzeln und in der Gruppe verändert. Dabei geht er – auf das Unternehmen bezogen – zum einen von einer hemmenden Kraft, die das System zwingt, den Status quo beizubehalten, und einer treibenden Kraft aus, die wiederum auf Verände-
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Performance
Hemmende Kräfte
4 Treibende Kräfte
Unfreezing
Moving
Refreezing Zeit
Abb. 4.9 ╇ Das Drei-Phasen-Modell nach Lewin [20]
rungen drängt. Das soziale Kräftemodell befindet sich dadurch in einem quasi-stationären Gleichgewicht, legt somit den Gruppenstandard auf ein Niveau fest und grenzt dadurch auch die Veränderungsbereitschaft ein. Um letztendlich Veränderungen auslösen zu können, muss dieser Gruppenstandard auf ein höheres Niveau angehoben werden. Die Auswirkungen dieser Veränderungen sind jedoch meist von geringer Dauer. Daher muss über die Erreichung des gewünschten Niveaus hinaus auch auf das Fortbestehen der Veränderungen besonders hingewirkt werden (Abb.€4.9).
Phase 1: Unfreezing Ausgehend von dem beschriebenen sozialen Kräftemodell müssen also bestehende, sich gegenseitig verzögernde soziale Kraftstrukturen gelockert oder aufgebrochen werden, um alte Verhaltensweisen und Prozesse abzulegen und das Neue übernehmen zu können. Lewin geht dabei keineswegs von einem einfachen und standardisierten Vorgehen aus, sondern beschreibt diese Stufe als äußerst komplex und umfangreich. Daher ist die Einbindung und Motivation der Beteiligten besonders wichtig, um festgefahrene Strukturen zu lockern und die Bereitschaft für Veränderungen zu erzeugen. Die Beseitigung der widerstrebenden Kräfte und die zusätzliche Motivation sollen letztendlich die Strukturen des Unternehmens „auftauen“ und es in einen Zustand versetzen, in dem Veränderungen durchgeführt werden können. Phase 2: Moving Das Unfreezing dient der Motivation für Veränderungen, kann aber noch nicht die Richtung und das Ausmaß dieser Veränderung kontrollieren oder vorhersagen. Da sich dieses Vorgehen auf Grund der komplexen und vielseitigen Kraftstrukturen als sehr schwierig erweist, ist eine iterative Herangehensweise von Analyse, Handlung und erneuter Analyse
4â•… Unternehmensentwicklung
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notwendig. Lewin unterstreicht dabei die Notwendigkeit der ständigen Bestärkung der Handlung, damit der Wandel nicht von kurzer Dauer ist. In der Phase des Moving werden somit nach der Phase des Auftauens gezielt diese Veränderungen in Richtung des Sollzustandes ermöglicht und durchgeführt, was unter Umständen ein sehr langer Prozess sein kann.
Phase 3: Refreezing Das Refreezing bildet die letzte Phase und soll die Kräfteverhältnisse im sozialen System wieder stabilisieren und sicherstellen, dass die Strukturen und das Verhalten sich nicht wieder zurückbilden. Diese Veränderungen können nach Lewin nur ermöglicht werden, wenn sich nicht nur Individuen verändern, sondern auch die Umwelt und die sozialen Strukturen sich dem neuen Niveau anpassen. Dies geschieht bezogen auf Unternehmen beispielsweise durch einen Wandel der Unternehmenskultur, -politik oder sonstigen Strukturen, die den Zustand absichern und eine Rückkehr in altes Verhalten verhindern sollen. Der Theorie nach entspricht die Veränderungsbereitschaft eines Individuums seinem Wertestandard. Bleibt dieser Standard nun konstant, wird es keine große Bereitschaft für Veränderungen geben bzw. diese nur von kurzer Dauer sein. Wichtig ist daher, diesen Standard dauerhaft auf das Niveau zu heben, das dem gewünschten Zustand entspricht und daher Veränderungen erleichtert und ihre Verfestigung ermöglicht [4].
Phasen des episodenhaften Wandelprozesses Die meisten Veränderungsmodelle können in Lewins Drei-Phasen-Modell eingebettet werden, auch wenn die Anzahl der einzelnen Phasen variiert und dem Refreezing teilweise eine weniger hohe Aufmerksamkeit gewidmet wird. Die Phasen sind größtenteils aufeinander folgend oder aufbauend zu verstehen [4]. Einen stärker managementorientierten und weniger sozialpsychologischen Ansatz bildet der von John P. Kotter in seinem Buch „Leading Change“ entworfene PhasenProzess, welcher konkreter in seiner Ausgestaltung ist und den erfolgreichen Wandlungsprozess in insgesamt acht Phasen unterteilt. Das Veränderungsmodell von Kotter orientiert sich an Lewins Drei-Phasen-Modell und betrachtet dieses in einer größeren Differenziertheit. Angelehnt an das Modell von Lewin sollen die ersten vier Stufen darauf hinwirken, den eingesessenen Status zu lockern und können daher dem Unfreezing zugeordnet werden. 1. Ein Gefühl der Dringlichkeit erzeugen 2. Die Führungskoalition aufbauen 3. Vision und Strategien entwickeln 4. Die Vision des Wandels kommunizieren 5. Empowerment auf breiter Basis 6. Kurzfristige Ziele ins Auge fassen 7. Erfolge konsolidieren und weitere Veränderungen ableiten 8. Neue Ansätze in der Unternehmenskultur verankern
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Es ist zu erkennen, dass die ersten Stufen eins bis vier gezielt darauf hinwirken sollen, entsprechend Lewin die Bereitschaft und die Motivation für Veränderungen zu steigern. Durch die gezielte Einbindung von Schlüsselpersonen und Erzeugung einer Vision und Strategien für den Wandel sollen die Veränderungen weitreichend kommuniziert werden. Dies bildet schon die erste Grundlage, um den Wandel auch festigen zu können. Die Erzeugung einer Vision, eine Konkretisierung der Strategie und die Kommunikation des Wandels sind besonders wichtig, um Bedenken und Ängste der Beteiligten abzubauen und Veränderungen einzuleiten. Nachdem die Bereitschaft für Veränderungen erzeugt worden ist, ist es wichtig, dieser geeignete Strukturen in der Umwelt zu liefern und den Wandel schrittweise zu implementieren. Entsprechend Lewins Forderung nach dieser geeigneten Umwelt soll dies dadurch geschehen, dass strukturelle Barrieren abgebaut und die Beteiligten dazu befähigt werden, die Vision umzusetzen. Die Stufen fünf bis sieben dienen daher der Einführung umfassender und neuer Methoden, die letztendlich die Veränderungen im System ermöglichen. Diese sind dementsprechend dem Moving zuzuordnen. Da das Moving, wie bereits bei Lewin erwähnt, ständiger Bekräftigung bedarf, ist es wichtig, die Motivation der Beteiligten weiterhin zu stärken. Daher ist es notwendig, zunächst kurzfristige Ziele zu setzen und diesen nachzugehen, damit Erfolge abgeleitet werden können. Darauf aufbauend sollen diese dann gefestigt werden, um im Veränderungsprozess weiter voran schreiten zu können. Der achte und letzte Schritt soll letztendlich die Veränderungen in der Unternehmenskultur festigen und dauerhaft verankern. Diese Stufe entspricht nach Lewin der Stufe des Refreezing, siehe hierzu Abb.€4.10.
Doppler/ Lauterburg 1. Erste Überlegungen 2. Gezielte Sondierungen 3. Schaffung von Projektgrundlagen 4. Kommunikationskonzept 5. Datenerhebung 6. Diagnose und Kraftfeldanalyse
7. Konzeptentwicklung/ Maßnahmenplanung 8. Pilotprojekte und Praxistests 9. Entscheidungen 10.Praxiseinführung und Umsetzungsbegleitung
Müller/Stewens 5-Phasen Modell
1. Sensibilisierung 2. Auftakt
MüllerMotion Modell
Lewin
1. Vorprojektierung 2. Prozessanalyse und Design
Unfreezing
3. Roll-Out
Moving
3. Realisierung
Kotter 8-Phasen Modell 1. Ein Gefühl der Dringlichkeit erzeugen 2. Die Führungskoalition aufbauen 3. Vision und Strategie entwickeln 4. Die Vision des Wandels kommunizieren
5. Empowerment auf breiter Basis 6. Kurzfristige Ziele ins Auge fassen 7. Erfolge konsolidieren, und weitere Veränderungen ableiten
Refreezing
4. Verstetigung 5. Konsolidierung
8. Neue Ansätze in der Unternehmenskultur verankern
Abb. 4.10 ╇ Vergleich episodenhafter Phasenmodelle mit dem Drei-Phasen-Modell nach Lewin
4â•… Unternehmensentwicklung
253
Viele Unternehmen versuchen im Druck des Wandels einzelne oder sogar gleich mehrere Phasen zu überspringen. Kotter unterstreicht jedoch die Notwendigkeit, in einem Veränderungsprojekt alle acht Stufen in ihrer Reihenfolge zu durchlaufen, ohne dabei einzelne Schritte zu überspringen oder zu weit von ihnen abzuweichen [26]. Ähnlich dem Modell von Kotter differenziert auch das von Doppler/Lauterburg Entwicklungsprozesse und Veränderungsprojekte in klar unterscheidbare Phasen. Die einzelnen Phasen unterteilen sich folgendermaßen: ╇ 1.╛╇ Erste Überlegungen ╇ 2.╛╇ Gezielte Sondierungen ╇ 3.╛╇ Schaffen der Projektgrundlagen ╇ 4.╛╇ Kommunikationskonzept ╇ 5.╛╇ Datenerhebung ╇ 6.╛╇ Diagnose und Kraftfeldanalyse ╇ 7.╛╇ Konzeptentwicklung und Maßnahmenplanung ╇ 8.╛╇ Pilotprojekte und Praxistests ╇ 9.╛╇ Entscheidungen 10. Praxiseinführung und Umsetzungsbegleitung Dieses Modell setzt den Akzent stärker auf die psychologische Prozessgestaltung und befasst sich hauptsachlich mit den psychologischen Herausforderungen der einzelnen Phasen und Schritte. Es ist erkennbar, dass auch dieses in Lewins Drei-Phasen-Modell zwar eingebettet, aber hier nicht den einzelnen Bereiche zugeteilt werden kann [27]. Ebenfalls angelehnt an das Modell von Lewin, gliedert das Strategic Change Modell von Orgland den Wandel in die drei Phasen: Einleitung, Durchführung und Festigung des Wandels. Über diese zeitliche Dimension hinaus beinhaltet es aber auch eine räumliche, vorgehensorientierte Dimension, die aus den Elementen Top-down, Horizontale Veränderung und Bottom-up besteht, so dass sich aus der Kombination dieser beiden Dimensionen eine Matrix ergibt. Während die Top-down-Strategie mit einem Wandel auf der Ebene der Unternehmensleitung ansetzt, um daraus Veränderungen auf operativer Ebene abzuleiten, gehen Bottom-up-Ansätze gegensätzlich vor und setzen auf ausführender Ebene an. Der horizontale Ansatz behandelt Veränderungen in einer Hierarchiestufe (Abb.€4.11). Das Modell von Orgland bezieht sich weitestgehend auf die Erneuerung von Prozessen, bleibt aber sonst – verglichen mit dem Acht-Schritte-Prozess von Kotter – sehr allgemein bezüglich der verwendeten Methoden [28].
Phasen des evolutionären Wandelprozesses Der durchgehende oder auch als evolutionär bezeichnete Wandel bildet das Gegenstück zum episodenhaften Wandel von Unternehmen. Die Veränderungen sind bei diesem durchgehenden Wandel fortlaufend, aufeinander aufbauend und sich verstärkend. Es kann nicht mehr von einem Projekt der Veränderung gesprochen werden, da die langfristige Entwicklung des Systems in seiner Gesamtheit betrachtet werden muss. Auch der evolutionäre Wandel, der in viele kleine, aufeinander abfolgende Veränderungen unterteilt
254
G. Schuh et al.
Wandel initiieren
4
Veränderung bewältigen
Bewegung aufrechterhalten
Bewegung Institutionalisieren
Top-down Richtung vorgeben
Diagnose der Situation Vision erzeugen
Kommunizieren Zustimmung erhalten Planen und Lernen
Horizontale Prozesse umbauen
Identifikation der Probleme und Methodenauswahl
Teams bilden Prozessanalyse Prozess verändern
Fortgesetzte Prozessverbesserung
Bottom-up Leistungsverbesserung
Benchmarking Vision beeinflussen
Problemlösen Powerteams System verändern
Anhaltende Ausbildung Training
Evaluieren und wiederholen
Abb. 4.11 ╇ Das Strategic Change Modell von Orgland [28]
ist, verläuft in Phasen. Diese Phasen der Veränderung wiederum umfassen auf Grund der Größe der Projekte zumeist einen kürzeren Zeitraum. Der Wandel wird hier als Konstante in ständiger Modifikation, Variation und Anpassung bestehender Prozesse, Routinen und Strukturen an die Anforderungen der Umwelt beschrieben. Diese Veränderungen stammen aus der Organisation selbst und sind nicht auf externen Einfluss zurückzuführen. Das Unternehmen wird hier anders als bei Lewin nicht in einem festen Gleichgewicht betrachtet, sondern reagiert schnell auf ständige Veränderungen auf dem Markt und in seiner Umgebung. Auf Grund der unterschiedlichen Charakteristika der Veränderung ist auch das Phasenmodell des evolutionären Wandels nach Weick und Quinn von den zuvor beschriebenen zu unterscheiden. Um die einzelnen Veränderungen effektiv gestalten zu können, gliedert sich das Phasenmodell des dauerhaften Wandels im Widerspruch zum evolutionären Wandel in Freezing, Rebalancing und Unfreezing. Das Freezing des durchgehenden Wandels zielt darauf ab, die Muster der täglichen Abläufe durch Modelle sichtbar zu machen. Diese sollen hinterfragt und bekräftigt werden. Das durch das Freezing ermöglichte und beispielsweise durch eine Prozessanalyse sichtbar gemachte einheitliche Verständnis über die aktuelle „stabile“ Situation bildet die Grundlage, auf der der Wandel vollzogen werden kann. Die Phase des Rebalancing soll die Muster des Prozesses oder der Struktur verändern, dass Hindernisse und Hürden abgebaut werden und der durchgehende Wandel weiter ungehindert fortlaufen kann. Dazu werden die Muster neu interpretiert, bewertet und angepasst. In der letzten Phase des Unfreezing sollen Methoden und Wege gefunden werden, die den durchgängigen Wandel unterstützen und wahren sollen. Wichtig ist hier, die Veränderungen umzusetzen und fortzuführen [25].
4â•… Unternehmensentwicklung
255
Fallbeispiel eines Verlagesâ•… Ein familiengeführter Verlag, der sich bislang als eigenständiger Fachverlag einen Namen gemacht hatte, kann dem Preisdruck und den effizienten Prozessen der entstehenden Großverlage nicht mehr standhalten. Daher entschließt sich die Eigentümerfamilie das Kerngeschäft des Verlages an einen Großverlag gegen eine Aktienbeteiligung zu veräußern. In der Folge ist es notwendig, die Abläufe und Prozesse der beiden Unternehmen in einem Post-Merger-Integration-Prozess anzugleichen, um die Skaleneffekte der Fusion zu heben. Dies bedeutet eine radikale Änderung des bisherigen Arbeitsstiles, bei dem jeder der einzelnen Lektoren seine eigene Vorgehensweise bei der Planung und Erstellung von Manuskripten hatte. Die Geschäftsführung reagierte mit einer konsequenten Neuausrichtung mittels eines neuen, einheitlichen Prozess bei der Manuskripterstellung. Der neue Prozess sollte ein transparenter, einheitlicher und effizienter werden. In zahlreichen Sitzungen werden die unterschiedlichen Ansichten der Lektoren zum Erstellungsprozess zusammengeführt. Jedoch erkennt das Management schnell, dass bei jeder neuen Sitzung trotz Protokollen die bereits getroffenen Entscheidungen wieder von neuem diskutiert werden. Dies liegt vor allem daran, dass sich jeder der Lektoren mittels Microsoft-Excel eigene halbautomatisierte Lösungen für das persönliche Arbeitsumfeld geschaffen hat und auf diese in Zukunft nicht verzichten will. Das Management beschließt als Ausweg aus dieser Situation zunächst einen einheitlichen Ist-Prozess zu erstellen. Auf dieser gemeinsamen Basis wird ein neuer Soll-Prozess mit einer für alle Mitarbeiter verbindlichen Softwareunterstützung abgeleitet. Der Ist-Prozess wird mit den Mitarbeitern in einem Tagesworkshop mit der Methode des Prozessmappings erstellt. Durch die bessere Visualisierung kommen zwar erneut eine Reihe von Diskussionen auf, diese können jedoch durch die visuelle Dokumentation am Ende des Workshops unter der Zustimmung aller Beteiligten abgeschlossen werden. Die parallele Entwicklung einer an die Prozesse des Mutterkonzerns angelehnte „Projektmanagement-Software“ sichert durch eine gute Bedienbarkeit, dass auch in Zukunft der entwickelte Soll-Prozess benutzt wird. Damit kann zwar nicht verhindert werden, dass die Lektoren teilweise parallel ihre eigenen Excel-Lösungen pflegen. Der durch die Software vorgegebene Prozess hilft jedoch dabei, durch die aufkommenden Verbesserungsvorschläge den erstellten Prozess und die Software auf einer gemeinsamen Basis weiter zu optimieren. Die Ergebniskennzahlen des integrierten Verlages fallen in der Folge so gut aus, dass der Mutterkonzern auf den entwickelten Prozess und die entwickelte Software aufmerksam wird. Zwei der Lektoren des ehemals familiengeführten Verlages sind heute in der durch die Veränderung frei gewordenen Arbeitszeit als Beratungsdienstleister in den Schwesterverlagen tätig. Die Lektoren haben die Prozessoptimierung zu einer neuen Kernkompetenz im Verlag ausgebaut
4.1.3 Inhalt des Wandels Für die Darstellung der Inhalte des Wandels existiert eine Vielzahl von Modellen und Bezugsrahmen. Bei den Inhalten des Wandels sind die zu wandelnden Objekte, die Arche-
256
Abb. 4.12 ╇ Phasen eines evolutionären Wandels nach Weick und Quinn [25]
G. Schuh et al.
Prozessqualität
Freezing
Rebalance
Unfreezing
4 Optimierung
Zeit
typen des Wandels, die am Wandel beteiligten Anspruchsgruppen und Umweltsphären zu beleuchten. Ein Wandel, der in der internen Sicht des Unternehmens Strukturen, Prozesse und Strategien verändert, verändert in seiner Außenwirkung auch Rahmenbedingungen für die Anspruchsgruppen des Unternehmens. Daher ist es wichtig, die Inhalte des Wandels sowohl aus der Innen- wie auch aus der Außensicht des Unternehmens zu beleuchten. Die folgenden Modelle sollen den Anwender befähigen, die Inhalte des Wandels (Wandelobjekte, Archetypen, Anspruchgruppen und Mitarbeiter) zueinander in Bezug zu setzen.
4.1.3.1 Wandlungsobjekt Als Objekte des Wandels kommen die Struktur, Politik oder Kultur aber auch indirekt die Anspruchsgruppen des Unternehmens in Frage. Um das oder die Objekte des Wandels identifizieren zu können, ist zu ermitteln, welche Sicht (strukturell, politisch, kulturell) der organisatorischen Rahmenbedingungen zu verändern ist. Es ist zu ermitteln, wo eine Veränderung nötig ist, so dass der Wandel in Richtung des gesetzten Ziels voranschreiten kann. Bei der strukturellen Sicht soll die Organisationsform des Unternehmens dahingehend gestaltet werden, dass sie der Aufgabenstellung möglichst optimal gerecht wird. Dazu müssen beispielsweise die Aufbau- und Ablauforganisation den notwendigen Sturkuren angepasst werden. Die politische Sicht beinhaltet die Interessenskonflikte, bei denen es um Ausübung von Macht, Einfluss und Erzwingung von Gefolgschaft geht. Im Wandel werden Schauplätze benötigt, auf denen diese Interessenkonflikte ohne nachhaltigen Schaden für das Unternehmen bereinigt werden können. Macht kann in verschiedenen Formen ausgeübt werden. Persönlichkeits-, Informations- und Sanktionsmacht sind einige Formen, die in einem Unternehmen während eines Veränderungsprozesses von Relevanz sind. Die Verteilung dieser Macht beinhaltet bei gezieltem Vorgehen ein großes Potenzial. Auf der anderen Sei-
4â•… Unternehmensentwicklung
257
te birgt eine falsche und unüberlegte Verteilung aber auch große Gefahren, die den Wandel zum völligen Stillstand bringen können [29]. Der kulturelle Gestaltungsraum ist durch die vom Mitarbeiter erlebte Sinnhaftigkeit der Unternehmensprozesse gegeben. Kulturelle Gestaltungsmaßnahmen beeinflussen somit die unter dem Begriff Unternehmenskultur zusammengefassten soziologischen Charakteristika des Unternehmens. Dabei ist Unternehmenskultur der Oberbegriff für die Gesamtheit der gemeinsamen Grundannahmen, Werte und Normen der Mitglieder einer Organisation, die sich in den Regeln des Zusammenlebens widerspiegeln. Grundsätzlich wird bei der Unternehmenskultur zwischen einer kognitiven Dimension und einer affektiven Dimension unterschieden. Die kognitive Dimension entspricht den aus der Vergangenheit übertragenen Erfahrungen der Mitglieder des Unternehmens und ist damit die unveränderliche Basis der Unternehmenskultur. Hinzu kommen in der affektiven Dimension Werte und Einstellungen, die das Verhalten der Mitglieder prägen. Es ist davon auszugehen, dass unterschiedliche affektive Einstellungen in der gleichen Situation andere Reaktionen der einzelnen Mitarbeiter und ihrer Gemeinschaft hervorrufen [30]. Die strukturelle Sicht, die politische Sicht und der kulturelle Gestaltungsraum unterliegen in der Entwicklung des Unternehmens wie beschrieben wechselnd evolutionären, inkrementellen oder revolutionären, fundamentalen Phasen. Dies bedeutet in Bezug auf die eingeführten Entwicklungsmodi, dass die drei Objekte wechselnd dem Betrieb, der kontinuierlicher Verbesserung oder grundlegender Erneuerung unterliegen. Es werden im Folgenden zwei Modelle vorgestellt, um dem Anwender ein Erkennen der Intensität des Wandels zu ermöglichen. Die Intensität des Wandels in welchem sich der betrachtete Bestandteil des Unternehmens befindet, kann anhand eines Soll-/Ist-Vergleiches ermittelt werden. Da Dieses Erkennen der Soll-/Ist-Differenz nicht unproblematisch ist, sollen die in den Modellen beschriebenen Beurteilungsraster eine Zuteilung erleichtern.
Modell von Rüegg-Stürm Im Ersten der aufgeführten Modelle beschreibt Rüegg-Stürm die fünf Ansatzpunkte zur Unternehmensentwicklung wie die Abb.€4.13 darstellt [3]. Die Abbildung zeigt im Zentrum des dargestellten Modells das kollektive Selbstverständnis, also die gemeinsame Identität des Unternehmens. Das Selbstverständnis eines Unternehmens wird stark von normativen Orientierungs- und strategischen Entwicklungsprozessen geprägt. Wenn aus den durchgeführten Orientierungs- und Strategieprozessen neue grundlegende Denkmuster und Diskurse hervorgehen, lässt dies auf die Erneuerung des Unternehmens schließen. Eine Veränderung von Normen und Strategien löst zudem eine Erneuerung der mit dem kollektiven Selbstverständnis verbundenen Objekte des Wandels aus. Ebenso wird das kollektive Selbstverständnis eines Unternehmens durch die im Folgenden erläuterten fünf Objekte des Wandels beeinflusst. So kann durch die Differenz des Grades der Ausprägung vor und nach einem Wandelvorhaben die Intensität des Wandels bestimmt werden. Der Unternehmenszweck beschreibt die grundlegende Aufgabe eines Unternehmens. Die sogenannte Mission des Unternehmens beschreibt in erster Linie die Art und den Zweck der Leistungserstellung. Das dadurch erzeugte Leistungsangebot ist ein wichtiger
258
Abb. 4.13↜╇ Ansatzpunkte der Unternehmensentwicklung nach Rüegg-Stürm [3]
n/ pe up men r g r hs fo uc ns pr ktio s An tera In
Un te Le rne ist hm un e gs nsz an w ge ec bo k/ t
Kollektives Selbstverständnis
Proz einz essmus e ln en P ter der roze sse
ng ühru er F arbeit d n e en Form usamm Z und
4
G. Schuh et al.
Prozessarchitektur
Bezugspunkt der unternehmerischen Tätigkeit und hat für Mitarbeiter und Umwelt eine starke identitätsstiftende Wirkung. Die Anspruchsgruppen und Interaktionsformen beschreiben die Beziehungsebene eines Unternehmens. Die Anspruchsgruppen umfassen alle Gruppen von Menschen, Organisationen und Institutionen, die von der Wertschöpfung des Unternehmens positiv bzw. negativ betroffen sind. Ein Wandel kann für die Anspruchsgruppen die Grundlagen ihrer Beziehung mit dem Unternehmen verändern. Die Inhalte der Beziehung mit dem Unternehmen umfassen die Interaktionsthemen, die Anliegen und Interessen, Normen und Werte und auszutauschenden Ressourcen der Anspruchgruppen. Die unternehmensinterne Beziehungsebene wird durch die Formen der Führung und Zusammenarbeit beschrieben. Ein Wandel im Unternehmen kann den bestehenden tragfähigen Beziehungskontext verändern, der die konstruktive zielgerichtete Zusammenarbeit ermöglicht. Die Prozessmuster der einzelnen Prozesse und die Prozessarchitektur beschreiben gemeinsam die beobachtbaren Ablauf- und Verhaltensmuster eines Unternehmens, wobei die Prozessarchitektur das Zusammenwirken der einzelnen Wertschöpfungsprozesse umfasst. Die Prozessmuster stellen demgegenüber die Ausgestaltung der einzelnen Wertschöpfungsprozesse dar.
7-S-Modell nach McKinsey Die von Rüegg-Stürm aufgeführten Objekte des Wandels bieten die Angriffspunkte für Wandelanstrengungen in einem Unternehmen. So kann ein Vergleich des Zustandes der fünf Parameter vor und nach der Veränderung die Intensität der Veränderung aufzeigen.
4â•… Unternehmensentwicklung
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Beispielsweise wäre eine bessere Feinabstimmung der fünf Kategorien untereinander im Rahmen des Entwicklungsmodus Verbesserung erfolgt. Wenn sich dagegen im Verlauf eines Wandels in einer der Kategorien grundlegende Veränderungen ergeben, führt dies zwangsläufig zu Anpassungen in den anderen Kategorien des Wandels. Die dann notwendige Abstimmung mit den anderen Kategorien kann beispielsweise die Aneignung neuer Strukturen oder Fähigkeiten erfordern. In einem solchen Fall entspräche die Intensität des Wandels eher dem Entwicklungsmodus der Erneuerung, also einem strategischen oder fundamentalen Wandel [3]. Gerade in diesen fundamentalen Umgestaltungs- und Change-Prozessen konzentrieren sich viele Unternehmen auf die „harten Komponenten“ des Wandels. Die mitarbeiterbezogenen „weichen Komponenten“ des Wandels finden dagegen weniger Beachtung. Peters und Waterman argumentieren jedoch in ihrem 1982 erschienenen Buch „In Search of Excellence“, dass die erfolgreichsten Firmen in ihrer Ausrichtung auch die weichen Komponenten mit einbeziehen. Die Intention ihrer Untersuchung war herauszufinden, was diese Firmen exzellent macht. So führen Anstrengungen ohne die Einbeziehung von Fragestellungen bezüglich der Stakeholder zu einer suboptimalen Ausrichtung der Struktur. Gerade die weichen Komponenten können den entscheidenden Ausschlag für den Erfolg der Change-Prozesse geben, da neue Strukturen und Strategien nicht auf widersprüchliche Kulturen und Werte aufgebaut werden können. Folgerichtig muss jedoch auch auf Strukturen und Prozesse geachtet werden, wenn weiche Komponenten verändert werden. Diese Prämisse beachtend zeigte die Untersuchung von Peters und Waterman, dass eine umfassende Untersuchung einer Organisation mindestens sieben Variablen zu behandeln habe, die gegenseitig in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen: Struktur, Strategie, Systeme, Spezialkenntnisse, Stil, Stammpersonal und das Selbstverständnis des Unternehmens. Da alle sieben Erfolgskomponenten mit dem Buchstaben S anfangen, wird das Modell daher zumeist 7-S-Modell genannt [10]. Durch die Gewichtung sowohl weicher als auch harter Faktoren ist das 7-S-Modell gut geeignet, um die Konzeption von Veränderungsprozessen einzuleiten und deren Richtung zu bestimmen. Eine beispielhafte Anwendungsmöglichkeit wäre für jede der Komponenten, den Ist-Zustand zu bestimmen und den Idealzustand zu beschreiben. Davon ausgehend können unter Beachtung der gegenseitigen Wechselwirkungen Maßnahmen zur Erreichung des beschriebenen Zielzustandes bestimmt werden. Die nachfolgende Abbildung (Abb.€4.14) zeigt die von Peters und Waterman ermittelten Erfolgskomponenten und deren Verbindungen auf [31]. Die sieben abgebildeten Erfolgskomponenten werden nach ihrer Zugehörigkeit zu strukturellen oder mitarbeiterbezogenen Themen in hart und weich unterteilt. Jedes Unternehmen verfügt über alle der sieben Komponenten, je nach Unternehmen aber in unterschiedlicher Ausprägung. Eine Kernaussage des 7-S-Modells ist, dass Firmen erfolgreich sind, wenn sich alle Komponenten im Einklang mit der Umwelt des Unternehmens – Gesetzeslage, Vorschriften, Markterfordernisse – befinden. Darüber hinaus sind Unternehmen langfristig erfolgreich, wenn sie die Agilität besitzen, bei Diskontinuitäten der Umwelt die Erfolgsfaktoren schnell an die neuen Bedingungen anzupassen. Die harten Komponenten, die den Erfolg von Unternehmen bestimmen, sind Struktur, Strategie und System. Diese messbaren Komponenten verkörpern die Ausprägung von Rahmenfaktoren im Unternehmen. Die Faktoren spiegeln diejenigen Messgrößen wider, die allgemein als ausschlaggebend für den Erfolg von Unternehmen gelten.
260
G. Schuh et al.
Abb. 4.14↜╇ Das 7-S-Modell nach McKinsey [31] Struktur
4
Strategie
Systeme
Selbstverständnis
Spezialkenntnisse
Stil
StammPersonal
Die Struktur umschreibt die realisierte Hierarchiestruktur in einem Unternehmen. Die Struktur bildet die Basis für Spezialisierung, Koordination und Kooperation einzelner Unternehmensbereiche, also die Art und Weise, wie das Miteinanderarbeiten organisiert ist. Die Struktur wird wesentlich von der Strategie, der Unternehmensgröße und der Vielfalt der erbrachten Produkte/Leistungen bestimmt. Ein Auslöser für eine Veränderung könnte eine unpassende Struktur sein, die eine unklare Verantwortung für Prozesse oder Einheiten durch eine Matrixorganisation erzeugt [31]. Die Strategie umschreibt das Muster der zielgerichteten Aktivitäten eines Unternehmens, um den sich stellenden Herausforderungen zu begegnen. Die richtige Strategie entscheidet über Erfolg und Misserfolg, indem ihr alle Maßnahmen obliegen, die das Unternehmen in Erwartung bzw. Reaktion auf Veränderungen in seiner Umwelt plant. Ein Beispiel für einen Veränderungsauslöser in Folge von Strategiedefizienten ist eine unklare Position des Unternehmens in seinem Wettbewerbsumfeld oder ein unklarer Wachstumsfokus. Das System beschreibt regelmäßige Prozesse (Arbeitsabläufe) sowie offizielle und inoffizielle Informationsflüsse im Unternehmen. Die Prozesse dienen zur Umsetzung der Strategie in den gegebenen Strukturen. Als Prozesse werden hierbei Managementprozesse, Geschäftsprozesse und Unterstützungsprozesse angesehen und die dazu eingesetzten Hilfsmittel wie IT-Systeme angesehen. Anlässe für Veränderungsprojekte in diesem Bereich sind beispielsweise unsystematische Managementprozesse oder eine unregelmäßige Performance-Messung [31]. Die weichen Komponenten, auch Führungskonzept genannt, sind von eher personenbezogener, schlecht-messbarer Art. Die Komponenten Spezialkenntnisse, Stammpersonal, Stil und Selbstverständnis unterstützen als Führungskonzept die harten Erfolgs-
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261
faktoren. Hierbei wird laut Peters und Waterman die Leitlinie durch die harten Faktoren vorgegeben. Die Spezialkenntnisse beschreiben die vorherrschenden Merkmale und Fähigkeiten eines Unternehmens. Diese Kernkompetenzen sind die charakteristischen Fähigkeiten, die die Überlebensfähigkeit des Unternehmens am Markt ermöglichen. Darüber hinaus umfassen die Spezialkenntnisse die Maßnahmen zur Ausdehnung und Entwicklung solcher wesentlichen Fähigkeiten und Kompetenzen. Auslöser für Veränderungsprojekte in diesem Bereich sind beispielhaft die mangelnde Kompetenz eines internen Wachstums bzw. die fehlende Kompetenz, aus Akquisitionen Synergien zu erzielen [10]. Das Stammpersonal eines Unternehmens umfasst das gesamte Personal, alle Mitarbeiter und deren Fähigkeiten. Das koordinierte Zusammenspiel der Fähigkeiten der Mitarbeiter stellt die Funktionsfähigkeit eines Unternehmens sicher. Durch die Entwicklung der Strategie oder veränderten Anforderungen an die Spezialkenntnisse des Unternehmens ändern sich jedoch die Anforderungen an die Fähigkeiten des Mitarbeiterstamms. Daher umfasst die Komponente Stammpersonal auch die Weiterbildung, Aufstiegsmöglichkeiten, Mentoring- und Feedbacksysteme und die Einbindung von neuen Mitarbeitern in das Unternehmen. Anlass für Veränderungen in diesem Bereich kann eine hohe ungewünschte Fluktuation oder ein Mangel an qualifizierten Mitarbeitern sein. Die Komponente Stil beschreibt den Führungsstil und die Form des Umgangs im Unternehmen. Der Stil des Unternehmens besteht dabei aus zwei Komponenten: Die Kultur der Organisation – die dominanten Werte und Normen, die sich im Laufe der Zeit entwickeln und zu sehr stabilen Elementen im Unternehmen werden können. Die Managementkultur bzw. der Führungsstil – die Beschreibung, wie das Management handelt und kommuniziert. Auslöser für eine Veränderung, die sich aus dem Führungsstil ergeben, können kleine, dezentral agierende Einheiten im Unternehmen sein, die auf Grund langwieriger Top-down-Entscheidungsprozesse gelähmt sind. Das Selbstverständnis eines Unternehmens umfasst die Werte und Ziele, die von allen Mitarbeitern im Unternehmen geteilt werden sollten. Das Selbstverständnis des Unternehmens ist nach Peters und Waterman von richtungweisender Bedeutung für die Stabilität der anderen sechs Komponenten. Das Selbstverständnis kann nur sehr langfristig beeinflusst werden. Es umfasst die grundlegenden Ideen, auf denen das Unternehmen basiert und damit die Vision des Unternehmens. Veränderungen werden vor allem im Bereich des Selbstverständnisses notwendig, wenn eine Differenz der Werte oder Ziele des Unternehmens zu den anderen Komponenten des Modells besteht. Zusammenfassend ist das 7-S-Modell, wie der Name schon sagt, nur ein komplexitätsreduziertes Abbild der Wirklichkeit. Das grobe, normative Raster bietet einen guten Startpunkt für einen Soll-/Ist-Vergleich eines Unternehmens. Die Neuartigkeit des von Peters und Waterman entwickelten Modells liegt in der zusätzlichen Einbeziehung der weichen Faktoren. Die Einbeziehung soll es den Unternehmen ermöglichen, einen ganzheitlichen Wandel zu planen, durchzuführen und zu beenden. Kritik wird von verschiedenen Autoren an der mangelnden Tiefe des Modells geübt. So beschreibt das 7-S-Modell von McKinsey die Erfolgkomponenten nicht näher. Die im Modell dargestellten Hinderungsgründe helfen beim Aufbau eines neuen Selbstverständnisses nur ansatzweise weiter. Insbesondere für die im Modell beschriebenen weichen Komponenten fehlt es an praktischen Umsetzungsansätzen [31].
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G. Schuh et al.
4.1.3.2 Archetypen des Wandels Archetypen nach Reiß, Rosenstiel und Lanz
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Un
- Turnaround - Kulturwandel - Unternehmertum - Fitness -…
- Wertewandel - Rollenwandel - Technol.Wandel - Ökol. Wandel -…
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- Prozess-Organisation - Center-Organisation - Akquisition - Networking -…
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4
Die im letzten Kapitel beschriebenen Objekte des Wandels werden in Veränderungsprojekten unterschiedlich stark einbezogen. Diese unterschiedliche Zusammenstellung der beeinflussten Objekte des Wandels wird als Archetyp bezeichnet. Ein umfassenderes Modell zur Unterscheidung von Archetypen, den Inhaltsklassen des Wandels, wurde 1997 von Reiß, Rosenstiel und Lanz vorgestellt. Die Inhalte des Wandels lassen sich dem Model folgend in die Bereiche Strategiewandel, Ressourcenwandel, Strukturwandel und Unternehmenswandel unterteilen. Die folgende Abbildung (Abb.€4.15) zeigt schematisch, dass ein Wandel in den Unternehmensbereichen Strategie, Struktur oder Ressourcen stattfinden kann. Wird in einem Veränderungsprojekt mehr als einer dieser Bereiche involviert, wird dieser als ein ganzheitlicher Unternehmenswandel bezeichnet [32].
- Dienstleistungskonversion - Internationalisierung - Kundenorientierung - Kernkompetenzen -…
Strategiewandel Abb. 4.15↜╇ Archetypen des Wandels in Unternehmen nach Reiß, Rosenstiel und Lanz [32]
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Der Strategiewandel führt zu einer tiefgreifenden Veränderung und zu einer strategischen Neuausrichtung des Unternehmens. Beispiele für den Strategiewandel sind die Internationalisierung des Unternehmens, die Kundenorientierung oder der Aufbau von neuen Kernkompetenzen. Die Formulierung einer neuen Unternehmensstrategie ist ein Wandelprozess, der nach innen und außen wirkt. Darüber hinaus wirkt sich eine Strategie auf die bestehende Organisationsstruktur aus, so dass ein Strategiewandel gegebenenfalls in einer Reorganisation von Strukturen und Prozessen endet [6]. Auslöser für einen Strategiewandel sind beispielsweise der Verlust von Erfolgspositionen oder dass Markt- und Wettbewerbsveränderungen falsch eingeschätzt wurden [32]. Der Ressourcenwandel hat eine Änderung der technologischen, ökologischen Ressourcen und des Humankapitals des Unternehmens zur Folge. Ursachen für einen Ressourcenwandel sind auslaufende Patente, neue Technologien oder ein Wertewandel der Gesellschaft in Bezug auf das Rollenverständnis der Mitarbeiter oder den Stellenwert der Ökologie. Wie schon einleitend in der Beschreibung von Taylors „Scientific Management“ erläutert, besteht ein Zusammenhang von technologischem Wandel und Organisationsstruktur im Unternehmen. So wirkt sich ein Übergang von der Werkstattfertigung zu einer hoch automatisierten Fließbandfertigung in der Organisationsstruktur des Unternehmens aus. Dieser Zusammenhang wurde schon in den 50er Jahren empirisch von Woodward nachgewiesen [6]. Der Strukturwandel tritt bei tiefgreifender flächendeckender Veränderung wie bei einem Wandel der Aufbau und Ablaufstruktur im Unternehmen auf. Hierzu gehören die Bildung und Konfiguration von Organisationseinheiten, die Gestaltung eines Beziehungsgefüges und die Veränderungen bzw. Regelung von neuen Arbeitsabläufen und Strukturen. Beispiele für einen Strukturwandel sind die Center-Organisation, Prozess-Organisation und die Akquisition von neuen Unternehmensteilen. Alle Veränderungsprojekte, die mehrere Unternehmenssektoren ansprechen verursachen einen Unternehmenswandel. Das Verfehlen von Gewinn- oder Rentabilitätszielen oder ein abzusehender Mangel an Liquidität führen zu einem Unternehmenswandel. Als Beispiele hierfür nennt Reiß ein Turnaround, einen Kulturwandel oder die verstärkte Anforderung von Unternehmertum bei den Mitarbeitern.
Schalenmodell nach Krüger Die von Reiß vorgenommene Einteilung ermöglicht zwar eine systematische Einteilung nach den Inhalten der Veränderung, bietet jedoch ausgehend vom Inhalt der Veränderung eine nur beschränkte Aussage über Inhaltszusammenhänge oder Verknüpfungen mit Komponenten und dem Prozess des Wandels. In dieser Fragestellung unterstützt das Schalenmodell des Wandels von Krüger. Nach Krüger können die Inhalte des Wandels in Unternehmen nach harten Erfolgsfaktoren und weichen Fähigkeiten unterteilt werden. Hierbei besteht ein Zusammenhang zwischen den Inhalten und der notwendigen Tiefe der Veränderung. Krüger unterteilt deshalb den Wandel in Unternehmen in die vier verschiedenen Formen des Wandels: Die der Restrukturierung, der Reorientierung, der Revitalisierung und der Remodellierung. Um den Zusammenhang zwischen Tiefe und Inhalt des Wandels zu veranschaulichen, bedient sich Krüger eines Schichtenmodells, in welchem die Tiefe
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Abb. 4.16↜╇ Formen und Objekte des Wandels [14]
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Restrukturierung
Strukturen, Prozesse, Systeme, materielles Realisationspotential
Reorientierung Strategie
Revitalisierung
4
Fähigkeiten, Verhalten
Remodellierung
Werte, Überzeugungen
tendenziell von oben nach unten zunimmt. Anhand Abb.€4.16 kann beispielsweise abgelesen werden, dass bei einer Reorientierung des Unternehmens auch Strukturen, Systeme und Prozesse mit angegriffen werden müssen [14]. Die Restrukturierung bezeichnet die Veränderung von Prozessen, Systemen und Strukturen in Unternehmen. Restrukturierungen sind als Auswirkung eines tiefgreifenden Wandels ein notwendiger Bestandteil jedes Veränderungsprojektes, aber keineswegs muss jede Restrukturierung ein tiefgreifendes Wandelprojekt auslösen. So bedeutet beispielsweise eine Restrukturierung zur Senkung der Kosten eine Veränderung im Unternehmen, die begleitet werden muss. Die Veränderung der Kostenbasis hat jedoch nicht zum Ziel, nachhaltig die Erfolgspositionen anzupassen. Derartige Programme sind nicht tief genug, um zu einer wirklichen Erneuerung zu führen, da die Strategie nicht angetastet wird. Dies ist jedoch bei einer Reorientierung der Fall. Eine Veränderung der strategischen Ausrichtung führt zu einer Reorientierung des Unternehmens. Diese Schicht der Veränderung reicht tiefer als die Restrukturierung und ist eine notwendige Bedingung für den transformativen oder revolutionären Wandel. Ein Beispiel für eine Reorientierung ist die Ausweitung oder die Entwicklung eines Geschäftsfeldes [14]. Die Revitalisierung umfasst die grundsätzliche Veränderung personeller Fähigkeiten sowie des Führungs- und Kooperationsverhaltens. Als Beispiele werden von Krüger verstärkte Partizipation und Delegation, Eigenverantwortung und Unternehmertum angeführt. Die Änderung von Werten und Überzeugungen im Unternehmen erfordert eine Remodellierung. Eine Veränderung der Werte, Überzeugungen und Einstellungen, die den Kern der Unternehmenskultur bilden, erfordert neben der Restrukturierung alle weiteren im Vorfeld beschriebenen Formen des Wandels. Beispiele für eine Remodellierung sind die staatlichen Deregulierungs- und Privatisierungsbemühungen [14].
4.1.4 Beteiligte des Wandels In einem Wandelprojekt ist es wichtig, die Beteiligten und deren Motivation zu kennen. Damit ergibt sich die Möglichkeit durch Argumentation, Allianzen und Überzeugungskraft die Beteiligten des Wandels für das Veränderungsprojekt zu gewinnen. Zu diesem
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Zweck werden in diesem Kapitel die Anspruchsgruppen und die Psychologie des Wandels näher beschrieben. In Bezug auf die Anspruchsgruppen ist von Bedeutung, die jeweiligen Ansprechpartner und Verhaltensregeln, die den Wandel beeinflussen können, zu kennen. Dies ist notwendig, um den Wandelprozess nicht durch die mangelnde Beachtung der Rahmenbedingungen ungewollt zu beeinflussen. Dies wiederum ist wichtig, um beispielsweise nicht durch Referenzkunden oder Kartellbehörden in der Umsetzung behindert zu werden. Abschließend sollten auch die Ebenen des Wandels bekannt sein in welchen die Anspruchsgruppen interagieren, um die Intensität der Beteiligung der einzelnen Wandlungsobjekte einschätzen zu können [10].
4.1.4.1 Anspruchsgruppen des Wandels Wie Peters und Waterman in ihrem Modell veranschaulicht haben, ist die Berücksichtigung von „weichen“ Faktoren innerhalb des Unternehmens bei Wandelanstrengungen geboten. Doch auch außerhalb des Unternehmens sind „weiche“ und „harte“ Anforderungen und Wünsche der Anspruchsgruppen bei der Ausgestaltung des Wandels mit einzubeziehen. Die Mitarbeiter des Unternehmens verfügen hierbei über eine Doppelrolle. So treten sie sowohl als die Anbieter der intern im Unternehmen genutzten Fähigkeiten als auch als Empfänger von Entgeltzahlungen auf. Über die Mitarbeiter hinaus sind Anspruchsgruppen als organisierte oder nicht organisierte Gruppierungen von Menschen, Organisationen und Institutionen zu verstehen, die entweder einen signifikanten Einfluss auf die Aktivitäten des Unternehmens ausüben oder vom Unternehmen selbst signifikant beeinflusst werden [10]. Wenn die Anspruchsgruppen zu Beginn oder während des Wandels eine negative Haltung gegenüber der Veränderung einnehmen, muss zusätzlicher Aufwand betrieben werden diesen Widerstand zu überwinden. Wichtiger ist es jedoch, die Erwartungen der Anspruchsgruppen langfristig zu beachten, da eine nachhaltige Stabilisierung des Wandels im gewünschten Zustand gegen den Willen der Anspruchsgruppen nur schwer darzustellen ist. Ziel eines Wandelmanagements muss es sein, auf Dauer die Erwartungen seiner Anspruchgruppen zu erfüllen [10]. Es sollten daher die Erwartungen der Anspruchgruppen bei der Konzeption und Durchführung der Veränderungsprojekte berücksichtigt werden, so dass eine Erfüllung während und vor allem nach der Veränderung möglich ist.
Anspruchsgruppenkonzept nach Freeman Im strategischen Anspruchsgruppenkonzept nach Freeman orientiert sich die Auswahl der relevanten Anspruchsgruppen an der Wirkmächtigkeit der Ansprüche und Interessen einer Anspruchsgruppe und ihren Einfluss auf die zukünftige Entwicklung der Unternehmung. Die im Folgenden aufgeführten Anspruchsgruppen bilden als zentrales Element die Unternehmensumwelt. In der Anspruchsgruppe der Kapitalgeber wird zwischen Eigen- und Fremdkapitalgebern unterschieden. Trotz im Allgemeinen korrespondierenden Interessen von Eigen- und
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Fremdkapitalgebern können sich in Einzelfragen erhebliche Unterschiede in der Interessenslage ergeben. Eine Trennung wird zur Beschreibung beider Gruppen vorgenommen, obwohl in der Praxis bestimmte Gruppen sowohl als Eigenkapital-, als auch als Fremdkapitalgeber auftreten können. Diese Anspruchsgruppen-Doppelfunktion kann zu einem Interessenkonflikt führen. Eigenkapitalgeber haben für eine Unternehmung eine herausragende Bedeutung und gelten demnach als wichtigste Anspruchsgruppe [33]. Die Bedeutung der Eigenkapitalgeber ist zum einen auf die gesetzlich zugesicherten Eigentumsrechte zurückzuführen, zum anderen beeinflussen sie die notwendige finanzielle Sicherheit der Unternehmung. Die Sicherung der finanziellen Versorgung einer Unternehmung ist mit der Anforderung verbunden, über einen längeren Zeitraum einen angemessenen Nutzen für seine Eigenkapitalgeber zu generieren. In Ergänzung zu den materiellen Zielen, welche die Eigenkapitalgeber an eine Unternehmensbeteiligung knüpfen, existieren immaterielle Nutzenvorstellungen. Immaterielle Nutzenvorstellungen von Eigenkapitalgebern beinhalten sowohl den Wunsch nach „Macht, Mitsprache, Mitentscheidung und Einflussnahme durch Mitverwaltung“, als auch den „Anspruch auf Information und unter Umständen Risikobeschränkung bzw. -streuung.“ [34] Die Bedeutung der Fremdkapitalgeber steht weniger im Fokus der wissenschaftlichen Diskussion. Die Einflussmöglichkeiten der Fremdkapitalgeber hängen entscheidend von dem Grad der Verschuldung der Unternehmung ab, so dass diese bei einem Unternehmen mit geringer Eigenkapitalquote durchaus Einfluss auf wichtige Entscheidung haben können. Die Ziele, welche Fremdkapitalgeber mit ihrem Engagement in einer Unternehmung verbinden, entsprechen meistens den für die Kreditvergabe vertraglich festgeschriebenen Konditionen [35]. Analog zu den Eigenkapitalgebern erwarten auch die Fremdkapitalgeber eine dem Marktniveau entsprechende Verzinsung ihres bereitgestellten Kapitals [36]. Im Unterschied zu den Eigenkapitalgebern haben Fremdkapitalgeber jedoch ein höheres Sicherheitsverlangen und haben daher kein Interesse an einer extrem expansiven und risikoreichen Unternehmenspolitik. Mitarbeitern kommt im Leistungserstellungsprozess einer Unternehmung eine zentrale Rolle zu. Sie sind für den Unternehmenserfolg von großer Bedeutung. Übergeordnetes Ziel der Mitarbeiter ist eine erhöhte Lebensqualität [33]. Dieses übergeordnete Ziel einer erhöhten Lebensqualität lässt sich in drei Teilziele aufgliedern, die für die Anspruchsgruppe Mitarbeiter charakteristisch sind und im Folgenden zur Beschreibung der Mitarbeiter als Anspruchsgruppe genutzt werden sollen: Existenzsicherung, Lebensunterhaltsfinanzierung und Selbstverwirklichung. Die Existenzsicherung umfasst die Erhaltung des Arbeitsplatzes, soziale Absicherung und die Sicherheit am Arbeitsplatz. Der Grad der Erreichung des Teilziels Lebensunterhaltsfinanzierung ist von der Höhe der Entlohnung sowie möglicher Erfolgs– und Kapitalbeteiligungen an der Unternehmung abhängig. Das Teilziel Selbstverwirklichung ist von immateriellen Werten abhängig. Die unternehmerische Mitbestimmung, welche in Deutschland ohnehin gesetzlich verankert ist, trägt zur Erreichung dieses Ziels bei. Auch Weiterbildungs- und Aufstiegschancen, eine gewisse Souveränität der Mitarbeiter (z.€B. flexible Arbeitszeitgestaltung) sowie „die positive Gestaltung der sozialen Beziehungen innerhalb der Unternehmung“ tragen zum Teilziel der Selbstverwirklichung bei [33].
4â•… Unternehmensentwicklung
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Die Kunden einer Unternehmung stehen im Fokus der geschäftlichen Aktivitäten einer Unternehmung. Der Erfolg einer Unternehmung hängt in erster Linie von ihrer Fähigkeit ab, die Bedürfnisse der Kunden zu befriedigen bzw. diese besser befriedigen zu können als die Mitbewerber [37]. Als übergeordnetes Ziel der Anspruchsgruppe Kunden lässt sich die optimale Bedürfnisbefriedigung identifizieren, der vier Teilziele zugeordnet werden können: Marktleistung, Preis, Sicherheit und periphere Leistungen. Über die Bedeutung der Lieferanten als Anspruchsgruppe einer Unternehmung herrscht in der Literatur keine grundsätzliche Einigkeit. In der traditionellen Literatur wird die Bedeutung der Lieferanten hauptsächlich auf ihre „Beschaffungsfunktion“ hin für eine Unternehmung analysiert. Die Bedeutung der Lieferanten für eine Unternehmung variiert je nach Art der Lieferbeziehung [38, 33]. So können beispielsweise kleine Lieferanten in ein Abhängigkeitsverhältnis zu den belieferten Unternehmungen geraten. Durch die resultierende Nachfragemacht ist das Bedrohungspotenzial durch den Lieferanten unter Umständen gering und analog auch die Bedeutung als Stakeholder. Ein Lieferant, der in einem hohen Maße in den Produktionsprozess einer Unternehmung integriert und nicht substituierbar ist, ist für die Unternehmung möglicherweise überlebenswichtig. Das übergeordnete Ziel der Lieferanten liegt in der eigenen Existenzerhaltung und -entwicklung und gleicht damit im Wesentlichen dem Ziel einer jeden Unternehmung [33]. Die Bedeutung der Wettbewerber für eine Unternehmung ist vor allem in ihrem Einfluss auf andere Anspruchsgruppen zu sehen. Dabei ist ein Wettbewerber definitionsgemäß jeder Marktteilnehmer, der seine absatzpolitischen Aktivitäten auf die gleichen Kunden ausrichtet. Die für die Einschätzung des Einflusses der Wettbewerber maßgebliche Wettbewerbsstruktur wird nach Porter durch die Verhandlungsstärke der Kunden, die Verhandlungsstärke der Lieferanten, die Bedrohung durch neue Konkurrenten, die Gefahr durch Substitutionsprodukte und den Grad der Rivalität geprägt [39]. Das übergeordnete Interesse der Wettbewerber als eigenständige Unternehmungen liegt im Allgemeinen analog zu der Anspruchsgruppe der Lieferanten in ihrer eigenen Existenzerhaltung und -entwicklung. Die Bedeutung des Staates in seiner Funktion als Anspruchsgruppe einer Unternehmung ist im Allgemeinen als eher durchschnittlich zu betrachten. So verfügt der Staat zwar über durchaus effektive Mittel, seine Interessen durchzusetzen (Gesetze, Verordnungen, Ausrichtung der Wirtschaftspolitik etc.), „er wird sie aber in der Regel in einer gesellschaftlichen, demokratischen, freien Grundordnung nur im Rahmen seiner Oberziele zum Schutz des Gemeinwohls einsetzen.“ [40] Mit dem Willen des Staates zur Erreichung des Ziels der Wohlfahrtsmaximierung für die Bevölkerung beeinflusst der Staat verschiedene Themengebiete. Zur direkten Maximierung des Wohlstandes seiner Bürger strebt der Staat eine höhere Verteilungsgerechtigkeit, strengere Arbeitsschutzgesetzgebung und die betriebliche Mitbestimmung an. Darüber hinaus versucht der Staat auch in Krisenzeiten Massenentlassungen und deren Konsequenzen zu verhindern [35]. Auch volkswirtschaftliche Ziele wie die Erreichung von Vollbeschäftigung, Preisstabilität und das Wachstum des Bruttoinlandprodukts ermöglichen dem Staat eine Erhöhung der Wohlfahrt. Die Bedeutung der Öffentlichkeit als Anspruchsgruppe hängt wesentlich von der Größe der betrachteten Unternehmung ab. So sieht Janisch eine Großunternehmung als „quasiöffentliche Institution“ [41] mit weitreichenden wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen auf seine Umwelt. Eine Großunternehmung steht demzufolge im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Obwohl die Öffentlichkeit gerade an den Großunternehmungen
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Restrukturierung
Prozesse, Systeme, materielles Realisationspotential, Strukturen
Reorientierung Stratrgie
Revitalisierung
4
Verhalten, Fähigkeiten
Remodellierung
Werte, Überzeugungen
Abb. 4.17 ╇ Anspruchsgruppen des Wandels [33]
großes Interesse hat, ist ihr Einfluss auf diese dennoch begrenzt. Der Grund für diesen Umstand liegt darin, dass die Öffentlichkeit im Vergleich zu anderen Anspruchsgruppen (wie etwa dem Staat) über nur beschränkt wirksame Mittel verfügt, diese auch durchzusetzen. Trotz einer zum Teil widersprüchlichen Ausrichtung der Ziele der genannten Anspruchsgruppen sehen sich Unternehmen der Aufgabe gegenübergestellt, die Erwartungen gestaffelt nach der Priorität der Anspruchsgruppen zu erfüllen. So sollte immer der wirtschaftliche Erfolg und damit die Erfüllung der Wünsche der Kapitalseite der Fokus des wirtschaftlichen Handelns darstellen, gleichzeitig dürfen aber die Interessen von Mitarbeitern und der gesamten Öffentlichkeit nicht vernachlässigt werden. Zusätzlich muss es Ziel des Unternehmens sein, in Bezug auf seine Strategie und sein Geschäftsmodell eine für die Erreichung der Unternehmensziele vorteilhafte Stellung gegenüber den als relevant erachteten externen Anspruchsgruppen aufzubauen, seien es Kunden, Lieferanten oder Wettbewerber. Im Wandelprojekt sind Mittel und Wege zu eruieren, wie eine solche Stellung erreicht bzw. ausgeweitet werden kann. Die aktive und permanente Gestaltung der Beziehungen zu den einzelnen Anspruchsgruppen muss im Mittelpunkt stehen, da die Handlungsstrategie der Kunden, Lieferanten und Wettbewerber für die Zukunft maximal prognostizierbar ist. Daher ist in der Interaktion mit den Anspruchsgruppen zu beachten, dass stets die gesetzten Unternehmensziele verfolgt werden und möglicherweise auftretenden Abstimmungsproblemen durch die Generierung geeigneter Strategien zu begegnen ist [10].
4.1.4.2 Psychologie des Wandels Die Mitarbeiter eines Unternehmens treten neben ihrer Interessenvertretung als Anspruchsgruppe auch als Individuen und als Gruppen im Wandelprozess auf. Die Aufgabe
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der Psychologie des Wandels ist es dabei, die Mitarbeiter als Einzelpersonen oder in Gruppen in den Wandelprozess zu integrieren. Da die Mitarbeiter als Ausführende des Wandels einen notwendigen Bestandteil zur Umsetzung bilden, ist es wichtig, durch den Einsatz von Methoden der Psychologie, Widerstände im Unternehmen zu vermeiden bzw. den entstehenden Widerständen im Wandel zu begegnen. Die Bedeutung der Psychologie ist daran zu messen, dass Widerstände gegen einen Wandelprozess in allen der im letzten Kapitel eingeführten Anspruchgruppen auftreten können. Da jedoch die Gruppe der Mitarbeiter für die Führung und Umsetzung der Mitarbeiter der entscheidende Faktor bei der eigentlichen Umsetzung der Projekte ist, wird im Folgenden darauf fokussiert. Darüber hinaus gibt es auch beim Einsatz von Methoden der Psychologie eine Interaktion mit den anderen Dimensionen des Wandels. So wirken sich die Komponenten und Inhalte des Wandels auf die Notwendigkeit des Ausmaßes der Inanspruchnahme der Psychologie im Wandel aus. Beispielsweise können in einer lernenden Organisation durch viele kleine Schritte des Wandels Widerstände begrenzt oder vermieden werden [42]. Bei einem fundamentalen Wandel andererseits ist mit erheblichen Widerständen zu rechnen und somit eine bessere Betreuung und Führung der Mitarbeiter im Wandelprozess anzustreben [43]. Auch die Gewöhnung und Erfahrung einer Organisation in Wandelprojekten beeinflusst den notwendigen Einsatz von Methoden aus dem Fachbereich der Psychologie. So zeigte eine Untersuchung über die Vorgehensweise erfolgreicher Unternehmen in Veränderungsprojekten, dass eine Organisation sich in einem geringeren Maße mit Widerständen beschäftigen müsse, die regelmäßig größere bzw. fundamentale Wandelprojekte durchführt. Die Organisationen seien auch aus diesem Grund in einem höheren Maße erfolgreich, da sie schnell und adäquat auf Marktanforderungen reagieren könnten [44]. Trotz der unterschiedlichen Empfehlungen der einschlägigen Autoren in Bezug auf die präferierte Intensität des Wandels stimmen sie in einem Punkt überein: Das Gelingen eines Veränderungsprozesses in einem Unternehmen wird maßgeblich dadurch bestimmt, dass Mitarbeiter dieses Vorhaben mittragen und mitgestalten [45]. Die Einstellung der einzelnen Mitarbeiter gegenüber der Veränderung ist dabei sehr individuell und häufig von ganz persönlichen Motiven getrieben. Der Hintergrund von Widerstand lässt sich vielfach auf Verlustängste zurückführen, die einzelne Mitarbeiter bezüglich ihres sozialen Umfelds, ihres Arbeitsplatzes, ihres Einkommens oder ihres Ansehens im Unternehmen haben. Organisationaler Wandel bedeutet immer auch Veränderung und Veränderung führt zum Verlust von Sicherheit und Stabilität. Gepaart mit möglicherweise unklaren Zielsetzungen des Wandels sowie erlebtem Kontrollverlust während der Veränderung wird bei den Mitarbeitern sehr schnell Unsicherheit, Hilflosigkeit und Angst erzeugt – Angst, die wiederum den Wandel als Bedrohung oder sogar als konkrete Gefahr erscheinen lässt. Unter diesen Voraussetzungen ist von den Mitarbeitern wenig Unterstützung zu erwarten, vielmehr erklärt sich daraus der häufig auftretende Widerstand als Reaktion auf Veränderungsprojekte [6]. Zusätzlich zu der psychologischen Einwirkung des Wandels auf eine einzelne Person befinden sich Mitarbeiter immer in einem Gruppengefüge. Die innerhalb der Gruppe laufenden Prozesse beeinflussen ebenfalls die Einstellung und das Engagement der einzelnen Mitarbeiter und somit auch den Erfolg eines Veränderungsprozesses. Beide Aspekte sollen im folgenden Kapitel beleuchtet werden.
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G. Schuh et al.
4.1.4.3 Individuelle Nutzenmaximierung im Wandelprozess
4
Die ökonomische Theorie geht davon aus, dass menschliches Verhalten rational ist, wenn der individuelle Nutzen des Einzelnen maximiert wird. Es handelt sich hierbei nicht um die Beschreibung einer Gesellschaft mit lauter Egoisten, sondern lediglich um ein Modell, dass das menschliche Verhalten auf Grund einer Nutzenfunktion beschreibt. In diese Nutzenfunktion können auch selbstlose Parameter einfließen, wie der Nutzen für ein Individuum aus der Freude anderer. Dieses Modell dient allerdings lediglich als theoretisches Erklärungsprinzip und ein empirischer Nachweis ist schwer zu führen, da „Rationalität“ von dem „eigenen Willen“ als Entscheidungstreiber getrennt werden müsste [45]. In der psychologischen Forschung wird Rationalität daher nicht als heuristisches Prinzip angesehen, sondern als eine Beschreibung von Einstellungen, Denkweisen und Reaktionen der Individuen [46]. Die individuelle Einstellung der Mitarbeiter zu einem Veränderungsprojekt hat demnach häufig mit persönlichen Motiven zu tun. Dabei verfolgt die Mehrheit das Ziel der persönlichen Nutzenmaximierung, das heißt sie bewerten den Wandel nach dem, was sie gewinnen bzw. verlieren können im Vergleich zum Status quo. Plausible Gründe für eine Veränderung, die lediglich die Unternehmensziele berücksichtigt, zeigen daher bei den Mitarbeitern wenig bis gar keine Wirkung, so lange keine Verbesserung der eigenen Lage zu erkennen ist. Was genau nun dazu führt, dass ein Mitarbeiter positiv oder negativ zu einem geplanten Veränderungsprojekt steht, ist vielfältig. Im Ablauf der Meinungsbildung steht zunächst am Anfang des Prozesses die Wahrnehmung und Aufnahme der Veränderung durch den Mitarbeiter. So beeinflusst die Art, wie der Mitarbeiter die Veränderung wahrnimmt und auch welchen Teil der Information er behält letztendlich, welche Informationen er zur Meinungsbildung heranzieht. Ist der Mitarbeiter von Natur aus aufmerksam, so kann er in einem Zeitraum mehr Informationen sammeln und aufnehmen [47, 48]. Kann der Mitarbeiter die ihm aufgezeigten Argumente nachvollziehen oder kommen ihm einige der vorgestellten Muster sogar bekannt vor, erhöht dies ebenfalls die Menge an Informationen, die zu einem bestimmten Thema im Kopf des Mitarbeiters ankommen. Ist die Information zusätzlich für den Mitarbeiter von besonderer Bedeutung [45] weil sie zum Beispiel seinen Arbeitsplatz betrifft, werden zusätzlich die Kernpunkte der Aussagen häufig wiederholt, wirkt der Vortragende glaubwürdig [45]. Parallel zu einer zu geringen Aufnahme von Information können weitere Wahrnehmungsverzerrungen auftreten. So hinterfragt der Mitarbeiter die ihm zugängliche Information auf Grund seiner Einstellungen, Werte, Meinungen, Überzeugungen und seines Faktenwissens. Die Beziehungen der genannten Faktoren zu der aufgenommenen Information können verstärkend oder ablehnend sein und führen dazu, dass Informationen durch den Mitarbeiter nur selektiv wahrgenommen werden [49]. Dies hat zur Folge, dass zum Beispiel nur Informationen aufgenommen werden, die eine bestimmte Meinung bestätigen oder ein Mitarbeiter sich nur mit Leuten umgibt, die seine Werte teilen [49]. Mitarbeiter, die demnach voreingenommen auf ein Veränderungsprojekt zugehen, weil sie in diesem Bereich bereits schlechte Erfahrungen gemacht haben oder weil Gerüchte Unsicherheit
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Selbstverwirklichung Ich Bedürfnisse
Anerkennung, Geltung
Soziale Bedürfnisse
Freundschaft, Liebe, Zugehörigkeit
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Abb. 4.18 ╇ Die Bedürfnispyramide nach Maslow [50]
Sicherheitsbedürfnisse
Materielle und berufliche Sicherheit (Wohnen, Arbeiten)
Grundbedürfnisse
Essen, Trinken, Schlafen
verbreitet haben, sind daher schwerer von der Notwendigkeit eines Veränderungsprojektes zu überzeugen als Mitarbeiter ohne oder mit positiver Vorbelastung. Ein weiterer aufzuführender Effekt, der bei Mitarbeitern eine Wahrnehmungsverzerrung auslösen kann, ist die Neigung von Menschen, allem, was um sie herum passiert, einen Sinn verleihen zu wollen. Die Mitarbeiter versuchen alle Aktionen sowie Reaktionen von Vorgesetzten und Kollegen im Veränderungsprojekt in einen Gesamtzusammenhang zu betten, der diesen Ereignissen einen übergeordneten Sinn verleihen soll [45]. Dies führt zu Missverständnissen, da die so konstruierten Hintergründe nicht immer mit den tatsächlichen Handlungsmotiven oder Ursachen von Ereignissen übereinstimmen. Aus diesem Grund ist es gerade bei Veränderungsprojekten sehr wichtig, Hintergründe und Zusammenhänge für die Mitarbeiter transparent zu formulieren und so zu vermeiden, dass sich die Mitarbeiter auf Grund einzelner Ereignisse selbst „einen Reim darauf machen“. Der Art und Weise, wie ein Veränderungsprojekt kommuniziert wird, ist daher eine besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Die Vorgehensweisen und Methoden, um Fehlentwicklungen und Widerstände zu vermeiden, werden daher ausführlich im Kapitel Change Management erläutert. Nachdem die Informationen durch den Mitarbeiter unter den beschriebenen Faktoren aufgenommen wurden, kommen in der Folge des Prozesses der Informationsverarbeitung die Prägungen und Bedürfnisse der Mitarbeiter zu tragen. Die Meinungsbildung, die im Rahmen der individuellen Nutzenmaximierung abläuft, ist die Gewichtung der aufgenommenen Argumente. Daher wird der Mitarbeiter die zur Verfügung gestellten Informationen immer dahingehend bewerten, welche Bedeutung diese nach seiner persönlichen Prägung für ihn haben. Als Grundlage des Erklärungsansatzes soll die abgebildete Bedürfnispyramide (Abb.€4.18) nach Maslow herangezogen werden [50]. Fallbeispiel aus dem Anlagenbauâ•… Ein Unternehmen des Anlagenbaus will zur Entlastung des Fertigungsleiters eine Gruppenstruktur in der Fertigung schaffen. Die Gruppen sollen sich selbständig innerhalb einer vorgegebenen Grobplanung selbstständig steuern, um den bestehenden großen Bedarf an Abstimmung nachhaltig zu reduzieren.
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Zielstellung des Vorgehens ist es, eine Entlastung für den Fertigungsleiter zu erreichen, indem Alltagsprobleme und die Aufgaben der Feinsteuerung reduziert werden. Dem Fertigungsleiter soll durch die frei gewordene Zeit ermöglicht werden, sich um die langfristige Weiterentwicklung der Fertigungsprozesse zu bemühen. Bei der Umsetzung des Vorhabens setzt der Fertigungsleiter die fachlich begabtesten Mitarbeiter als Gruppenleiter ein, was aber eine Belastung zusätzlich zur alten Tätigkeit bedeutet. Hinzu kommt die Ablehnung der Mitarbeiter Führungsaufgaben zu übernehmen. Den zahlreichen Bedenken der Mitarbeiter, begegnet der Fertigungsleiter mit der Aussage, dass das Vorgehen für die weitere Existenz des Unternehmens unbedingt notwendig sei. Dies führt dazu, dass die vom Management erhofften Verbesserungen ausblieben und damit auch die Arbeitserleichterung für den Fertigungsleiter. Die vom Fertigungsleiter angestrebte brachiale Methode der Umsetzung hat keine Aussicht auf Erfolg, denn es ist eine Verhärtung zwischen den Fronten aus Befürwortern und den Gegner der Veränderung eingetreten. In einer solchen Situation wird ein unabhängiger Dritter gebraucht, der die Diskussion zwischen den beiden Parteien moderiert. Doch bevor eine inhaltliche Argumentation stattfinden kann, müssen Führungskräfte, Mitarbeiter und Betriebsrat von der Notwendigkeit grundlegender Veränderungen überzeugt werden. Dies wird durch den Besuch eines Betriebes, in dem die dezentrale Steuerung der Fertigungsinseln seit Jahren praktiziert wird, erzielt. Anschließend werden die Probleme der Mitarbeiter im Bezug auf die Veränderungen besprochen. Hierbei stellt sich heraus, dass die ausschließlich fachlich qualifizierten Mitarbeiter Bedenken haben, ihre Kollegen nach jahrelanger Zusammenarbeit plötzlich zu bevormunden. Zudem sind ihnen die zusätzlichen Arbeitsinhalte nicht vollständig klar bzw. fühlten sich die ausgewählten Mitarbeiter nicht fähig diese auszuführen. Nach der Identifikation der Ängste können diese adressiert werden. In den Gruppen werden diejenigen Mitarbeiter ausgewählt, die neben einer ausreichenden fachlichen Qualifikation auch eine Fähigkeit zur Führung besitzen. Bei der Auswahl der Mitarbeiter wird zudem darauf geachtet, dass deren Zielvorstellungen der eigenen Entwicklung mit den neuen Führungsaufgaben in Einklang gebracht werden. Nach Gesprächen und der Zustimmung der ausgewählten Mitarbeiter werden diese in Seminaren geschult und es wird ihnen zusätzlich ermöglicht, eine Woche in dem bereits besuchten Betrieb, in der Gruppenstruktur zu arbeiten. Mit diesem Vorgehen konnte den Sorgen der Mitarbeiter begegnet werden, wodurch die Umsetzung im Betrieb erfolgreich verläuft.
Veränderungsprojekte haben in der Projektion auf die Maslow-Bedürfnispyramide eine Auswirkung auf alle Bereiche. Durch die soziale Grundsicherung in Deutschland besteht jedoch in aller Regel keine Gefahr bei der Befriedigung der Grundbedürfnisse des Beteiligten bei einem Veränderungsprojekt [20]. Doch ist bei drohendem Arbeitsplatzverlust in jedem Fall das Sicherheitsbedürfnis des Mitarbeiters angesprochen. Wenn durch das Veränderungsprojekt eine Versetzung oder Umstrukturierung droht, ist das soziale Bedürfnis aber auch ggf. das Bedürfnis nach Anerkennung betroffen. Eine Situation in einem Ver-
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änderungsprojekt, die dem Mitarbeiter suggeriert, dass diese Bedürfnisse zukünftig nicht gesichert sind, lösen nach der Modellvorstellung Unbehangen aus. Die Defizitbedürfnisse, die auch als Hygienefaktoren bezeichnet werden, wirken sich bei Nichterfüllung oder drohender Nichterfüllung stark auf die Wahrnehmung des Nutzens durch den Mitarbeiter aus. Eine ernsthafte Bedrohung des individuellen Nutzens führt zu einer Ablehnung der Veränderung durch die Mitarbeiter. Dies wiederum bedeutet, dass sich der Mitarbeiter wehren und das Veränderungsprojekt nicht aktiv mittragen wird. Finden sich einige Mitarbeiter im Rahmen einer informellen Gruppe auf Grund gemeinsamer Motive und Ängste zusammen, so verstärkt sich der Widerstandseffekt wegen der stattfindenden Solidarisierung sogar soweit, dass die Einstellung einzelner Personen schwerer zu ändern ist, als wenn die Person allein stehen würde [45]. Um nachhaltig der Gefahr der Nichterfüllung der von Maslow bezeichneten Defizitbedürfnisse zu begegnen, ist es geboten, die Wachstumsbedürfnisse der Mitarbeiter anzusprechen und ihnen durch die Beteiligung bei der Ausgestaltung der Veränderung die Möglichkeit zu geben, Anerkennung zu erlangen, bzw. sich im Ergebnis der Veränderung selbst zu verwirklichen. Um dem Anwender ein Hilfsmittel zu geben, die Mitarbeiter für die Veränderung zu gewinnen, wird im weiteren Verlauf eine im Bereich der Wachstumsbedürfnisse detailliertere Theorie zur Leistungsmotivation beschrieben. Eine Detaillierung der Grundlage ist notwendig, da die Motivation zur Leistung ein höchst individueller Prozess ist, der für jeden Mitarbeiter, in der Praxis zumindest für Gruppen von Mitarbeitern maßgeschneidert vorgenommen werden muss. In der Theorie der Leistungsmotivation von McClelland [45] werden als Quelle menschlicher Motivation drei zentrale Bedürfnisse aufgedeckt. So können Personen durch Leistungsstreben, durch soziales Streben und Machtstreben zu einer Leistung in Veränderungsprojekten verleitet und geführt werden. Eine Identifikation der individuellen Motivationsaspekte erleichtert dabei die Führung der Veränderung. Im Folgenden werden die Mitarbeiter im Prozess der Veränderung aus drei Perspektiven beleuchtet. Die aufgeführten Ergebnisse sind aus Umfragen und Forschungsprojekten gewonnen. Intention der Forschungsbemühungen war, auf der Grundlage der Rollen innerhalb des Projektes, des beobachteten Verhaltens und der zentralen Bedürfnisse im Rahmen von Veränderungsprojekten verschiedene Mitarbeitertypen identifizieren zu können. Abbildung€4.19 zeigt die verschiedenen Perspektiven, aus welchen Mitarbeiter in Veränderungsprojekten gesehen werden können und deren Ergebnisse als Rollenbilder [45].
Rollenkonzept von Müller-Stewens und Lechner Als das Erste der drei in der Abbildung aufgezeigten Rollenkonzepte des Wandels soll das Modell von Müller-Stewens und Lechner vorgestellt werden. Das Modell fokussiert die Betrachtung der Rollenbilder auf den engeren Kreis des Projektteams. So unterscheiden Müller-Stewens und Lechner in einem Veränderungsprojekt zunächst funktional nach den Strategen, den Implementierern und der Belegschaft des Wandels in drei Rollen [10]. Die Strategen des Wandels entwickeln die Vision und das Programm für den Wandel. Daher handelt es sich in dieser Gruppe meist um die obere Führungsebene eines Unternehmens.
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Verhalten im Projekt
Persönliche Motive im Projekt
Müller-Stewens & Lechner Strategen Rollen im Projekt
MachtScouts Zuschauer promotoren Enthusiasten
Unternehmen im Wandel
Implementierer Belegschaft
Emigranten
Behaglicher
Offene Gegner
Nimmersatt
Untergrundkämpfer Untergrundk ämpfer
Stressvermeider
Abwartende Abwartende & & Gleichgültige
Macher
Opportunisten Opportunisten
Karrierist
Vahs
Aktive Gläubige
Gaßner Visionäre & Missionare
4
Abb. 4.19↜╇ Perspektiven und Rollenbilder in einem Veränderungsprojekt
Die Implementierer des Wandels übernehmen die Verantwortung für die Umsetzung des Wandels und bilden somit eine Schnittstelle zwischen den Strategen und der Belegschaft. Die Belegschaft des Wandels entscheidet durch ihr Handeln, ob der Wandel greift oder nicht und muss einen eindeutigen und transparenten, durch die Strategie gezeichneten Weg der Veränderung in Bezug auf ihren Arbeitsinhalt erkennen, um den Wandel aktiv zu unterstützen. In einer weiteren Detaillierung gehen Müller-Stewens und Lechner auf die zentralen Rollenbilder innerhalb der Strategen des Wandels ein und verwendet hierfür eine SiedlerTreck-Metapher. Das sprachliche Bild beschreibt einen Treck von Siedlern, der sich in der Pionierzeit Amerikas auf den Weg ins gelobte Land in Richtung Westen aufmacht. Alle sind begeistert, aber keiner weiß, wohin es nun konkret gehen soll. Außerdem wird die Reise durch Indianerüberfälle, Irrwege, Hindernisse sowie Berg- und Talfahrten des Willens deutlich erschwert. Um die Reise, in der Analogie den Wandel bewältigen zu können, bedarf es der vier im Szenario abgeleiten Rollen [10]. Machtpromotoren stellen die eigentliche Machtbasis dar, denn sie statten die Unternehmung mit den nötigen Ressourcen aus. Sie sind häufig dort anzutreffen, wo es etwas Neues zu erschließen gibt. Ihre Aufmerksamkeit für das Projekt ist in der Regel begrenzt, da sie nach erfolgreichem Start meist schon wieder auf der Suche nach neuen, spannenden Herausforderungen sind.
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Scouts führen als Berater die Projektgruppe an und vermitteln auch das Gefühl zu wissen, wo es lang geht. Sie begründen ihre Kompetenz in der Regel auf ihrem reichen Erfahrungsschatz aus vergleichbaren Unternehmungen in der Vergangenheit. Enthusiasten sind wild entschlossen, bei dem Projekt dabei zu sein, wobei die Begeisterung die unterschiedlichen Motive der Einzelnen überdeckt. In diese Gruppe fallen zum Beispiel Idealisten, die auf der Suche nach dem besseren Leben sind, genau wie Abenteurer, die etwas Aufregendes erleben wollen oder Missionare, die ihre Überzeugung weitergeben wollen. Zuschauer beobachten das Geschehen sehr aufmerksam und tun ihre Meinung kund, ohne sich aktiv am Projektgeschehen zu beteiligen. In diese Gruppe gehören die Zyniker und Skeptiker, die Fehler und Mängel benennen und im Zweifel häufig recht haben. Die Vergleichbarkeit der Analogie zu einem Unternehmen im Wandelprozess ist leicht zu erkennen. Auch in der Metapher macht sich eine Gemeinschaft auf eine Reise, um eine bessere Zukunft zu erreichen. Der Großteil der Beteiligten tritt diese Reise nur aus Not heraus an und deren Verlauf und das Ziel können noch nicht präzise beschrieben werden. Vielmehr ist die Situation durch eine Reihe von Unwägbarkeiten gekennzeichnet. Damit sich aber alle Beteiligten so weit wie möglich mit ihren Fähigkeiten einbringen können, muss eine gemeinsame Vorstellung von der Reise entwickelt werden.
Rollen der Mitarbeiter im Veränderungsprojekt nach Gaßner Ähnlich wie Müller-Stewens und Lechner beschreibt Gaßner in einer Analyse von Mitarbeitertypen die Verhaltensweisen und Rollenbilder in einem Wandelprozess [45]. Im Unterschied zu Müller-Stewens und Lechner detailliert Gaßner jedoch für jedes der von ihm erläuterten Rollenbilder die begründende Motivationslage des Mitarbeiters. Gaßner beschreibt zudem die Verteilung dieser Rollenbilder auf unterschiedlichen Hierarchieebenen. Der Autor führt im Folgenden Mitarbeitertypen auf, die während der Durchführung eines Veränderungsprojektes, also in der Implementierungsphase, zu beobachten sind. Für die vorgenommene Analyse verfolgte er keine Verhaltensbeobachtungen, sondern befragte die Mitarbeiter nach ihrer individuellen Präferenz zu einzelnen Gestaltungsparametern des Wandels. Hierbei sind beispielhaft die Vermeidung von Mehrbelastung, die Partizipation im Projekt und die Sicherheit und Anerkennung für die Karriere zu nennen. Je nach dem individuellen Stellenwert der Parameter konnte Gaßner die folgenden Gruppen ableiten, die nach ihren inneren Motiven aufgeteilt sind. Abbildung€ 4.20 zeigt die Verteilung der unterschiedlichen Rollenbilder von Mitarbeitern bezüglich ihrer Verteilung auf unterschiedlichen Hierarchieebenen. Der Karrierist hat ein geringes Anspruchsniveau und ist bereit, im Projekt Einschnitte in Kauf zu nehmen. Er hat kein Problem mit Mehrarbeit oder Druck, da er die eigene Bedeutung für den Veränderungsprozess sehr hoch einschätzt und sich positive Auswirkungen auf seine Karriere erhofft. Der Macher ist bereit, viel Mühe, Arbeit und Zeit in das Veränderungsprojekt zu stecken, will aber dafür selbst in Projektteams mitbestimmen. Er schätzt die eigene Bedeutung für den Veränderungsprozess am höchsten ein und erwartet für die Beteiligung Anerkennung sowie Entwicklungsmöglichkeiten für seine Karriere.
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7%
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29%
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17% Karrierist Macher
29%
14%
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16%
13%
36% Leitende Angestellte
9% Gruppenleiter/Meister
Nimmersatt Stressvermeider
29% 32%
Behaglicher
Mitarbeiter ohne Personalverantwortung
Abb. 4.20↜渀 Aufteilung der Rollengruppen im Veränderungsprojekt nach Hierarchiegruppen [45]
Der Nimmersatt hat ein sehr hohes Anspruchsniveau und ist nicht bereit, im Projekt Einschnitte in Kauf zu nehmen. Seine eigene Bedeutung für den Veränderungsprozess schätzt er am geringsten ein. Der Stressvermeider hat ein geringes Anspruchsniveau, ist aber dennoch nicht bereit, Mehrbelastung in Kauf zu nehmen und hat einen ausgeprägten Wunsch nach Sicherheit. Der Behagliche hat ein sehr hohes Anspruchsniveau und zeigt daher keine Bereitschaft, Mehrbelastung in Kauf zu nehmen. Anerkennung und Karriere sind für ihn sehr unbedeutend, da er keine Ambitionen für die Zukunft hat. Je nach Gestaltung des Wandelprojektes in Bezug auf die Veränderung des Arbeitsumfeldes der Mitarbeiter werden diese gestaffelt nach den Rollenbildern von Gaßner die Veränderung begrüßen oder ablehnen.
Mitarbeitertypen nach Vahs Vahs beschreibt das Verhalten der Mitarbeiter im Veränderungsprozess, indem er diese in sieben Personentypen unterteilt [6]. Er unterstellt bei der Anzahl der Mitarbeiter pro Personentyp eine Normalverteilung, so dass sich die meisten Mitarbeiter in der Gruppe „Abwartende und Gleichgültige“ wiederfinden. Zu den Extrempositionen der „Visionäre und Missionare“ und der „Emigranten“ werden dementsprechend nur wenige der Mitarbeiter zugeordnet. Abbildung.€4.21 zeigt die einer Normalverteilung zugeordneten Personentypen der Gesamtheit der Mitarbeiter eines Unternehmens. Visionäre und Missionare sind eine kleine Schlüsselgruppe und gehören in der Regel zum Top-Management. Sie haben die Ziele und Maßnahmen des Wandels mit entwickelt und sind somit überzeugt von der Richtigkeit ihres Vorhabens. Diese Gruppe ist auf Grund ihrer Definition mit der Gruppe der Strategen des Wandels von Müller-Stewens und Lechner vergleichbar. Aktive Gläubige haben den Wandel für sich akzeptiert und sind nun bereit, Arbeits- und Überzeugungsarbeit in das Veränderungsvorhaben zu stecken. Sie tragen Informationen zum Wandel in die Organisation und werden damit wiederum selbst zu Missionaren. Opportunisten suchen zunächst einmal ihre persönlichen Vor- und Nachteile innerhalb des Veränderungsprojektes und äußern sich ganz unterschiedlich in Gesprächen, je
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Häufigkeit
Visionäre und Missionäre
Aktive Gläubige
Opportunisten Abwartende und Gleichgültige
Unterstützung des Vorhabens
Untergrundkämpfer
Offene Gegner
Emigranten
Widerstabd gegen die Veränderung
Abb. 4.21 ╇ Normalverteilung der Mitarbeiter über die Personentypen nach Vahs [6]
nachdem wer ihnen gegenüber steht. Gegenüber Vorgesetzten äußern sie sich eher positiv, gegenüber Mitarbeitern und Kollegen dagegen eher zurückhaltend oder skeptisch. Abwartende und Gleichgültige bilden die Mehrheit unter den beteiligten Personen. Sie zeigen eine geringe Bereitschaft, sich aktiv an der Veränderung zu beteiligen. Auf Grund von Erfahrungen aus vergangenen Veränderungsprojekten sind sie überzeugt, dass letztendlich doch alles beim Alten bleiben wird, daher sind sie nur zur überzeugen, wenn sie deutliche Erfolge und spürbare Verbesserungen der persönlichen Arbeitssituation erwarten können. Untergrundkämpfer arbeiten verdeckt und sind davon überzeugt, dass getroffene Entscheidungen falsch und beschrittene Wege nicht zielführend sind. Gerüchte und stimmungsmachende Aktivitäten gehören zu ihrem Repertoire, dabei geht es ihnen immer um „die Sache“ und nicht im ihre persönlichen Interessen. Offene Gegner sind im Prinzip mit den Untergrundkämpfern gleich zu setzen, nur dass sie offen und nicht verdeckt arbeiten. Dies macht sie zu guten Ansprechpartnern, wenn es darum geht, das Veränderungsprojekt kritisch zu hinterfragen und mit Hilfe der Einwände und Ideen unter Umständen die Maßnahmen anzupassen. Emigranten sind meist Leistungsträger, denen in und nach der Veränderung nicht genügend Perspektiven geboten werden. Sie haben beschlossen, den Wandel nicht mitzutragen und verlassen in der Regel das Unternehmen. Provoziert ein Projekt eine hohe Anzahl Emigranten, so sollten die Entscheidungsträger unter Umständen ihren Projektablauf noch einmal überdenken. In allen betrachteten Arten der Gruppeneinteilung ist deutlich zu erkennen, dass es Mitarbeiter gibt, die sich für das Projekt einsetzen, andere, die eher passiv mitlaufen und wieder andere, die sich dem Veränderungsprojekt entgegen stellen. Um ein
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Scheitern des Projektes zu vermeiden, ist es wichtig, sich mit den Beweggründen der einzelnen Gruppierungen zu beschäftigen und diese gezielt zu adressieren. So kann es erreicht werden, dass einerseits möglichst viele im Projektinteresse mobilisiert werden und andererseits möglichst wenige gegen die Inhalte des Wandels Widerstand leisten. Die Hintergründe und Feingliederung der einzelnen Autoren lassen verschiedene Handlungsempfehlungen zu. Allen gemein ist aber die Tatsache, dass es sich bei den Motiven immer um persönliche Vor- und Nachteilsevaluierungen der einzelnen Mitarbeiter handelt. Eine reine Zielformulierung des Wandels aus Unternehmenssicht kann dem vom Mitarbeiter individuell vollzogenen Vorgang des Abwägens nicht begegnen, denn von den Zielen des Unternehmens profitieren die einzelnen Mitarbeiter in der Regel höchstens indirekt.
4.1.4.4 Begrenzte Rationalität des Wandels Wie in den letzten Kapiteln bereits erarbeitet, ist die Reaktion einer Organisation auf Veränderungen aus Unternehmenssicht nur begrenzt rational. Da alle Beteiligten subjektiv rational handeln, also eher im eigenen Interesse als im Unternehmensinteresse, ist nur schwer vorhersehbar, wie sich der Wandel gestalten wird. Dennoch ist dies möglich, wenn die verschiedenen Adressaten auch jeweils nach ihren Bedürfnissen angesprochen und eingebunden werden. Bei diesem Vorgehen durchlaufen alle einen ganz individuellen Prozess, der im Idealfall zu einer Identifizierung mit dem geplanten Veränderungsprozess führt. Dieser Prozess wird im Commitmentmodell nach Conner anschaulich dargestellt (Abb.€4.22).
Vorbereitungsphase
Akzeptanzphase
Commitmentphase Internalisieren Institutionalisieren
Grad der Unterstützung
4
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Annehmen Installieren
Positiv annehmen Verstehen
Kontakt
Bewusst werden
Zeit
Abb. 4.22↜╇ Commitmentmodell im Veränderungsprozess nach Conner [51]
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4â•… Unternehmensentwicklung
Emotionaler Stress/Druck zum Wandel
Phase 1
Phase 2
Phase 3
Schock
Ablehnung Verpflichtung/ Unterstützung
Kenntnisnahme/ Verlust Akzeptanz
Zeit
Abb. 4.23↜╇ Dominante Gefühle und Einstellungen zum Wandel [10]
Jeder Mitarbeiter durchläuft drei Phasen vom ersten Kontakt mit dem Veränderungsprojekt bis hin zur Verinnerlichung der Projektziele. Am anfälligsten für Störungen ist die Akzeptanzphase, also der Weg vom „Verstehen“ zum „positiv Annehmen“. Hier ist von entscheidender Bedeutung, inwieweit die persönlichen Motive des Mitarbeiters durch die Projektdarstellung adressiert werden. Eine ähnlich gelagerte Aussage leiten Müller-Stewens und Lechner für die Betriebswirtschaftslehre aus dem Phasenmodell von Kübler-Ross ab. Das ursprünglich für die Akzeptanz von letalen Krankheiten entwickelte Modell kann nahezu unverändert für Veränderungsprojekte eingesetzt werden. In diesem Modell kommt der Druck einer notwendigen Veränderung zum Ausdruck, der ebenfalls einen großen Einfluss auf die Einstellung der Mitarbeiter hat. Eine Veränderung im Rahmen einer Wirtschaftskrise, die das Überleben des Unternehmens sicher stellen soll, wird anders bewertet als die gleiche Veränderung vor dem Hintergrund einer gesunden und stabilen Wirtschaft (Abb.€4.23). Beginnend mit dem ersten Kontakt zum Veränderungsprojekt tritt zunächst eine ablehnende Haltung auf; da Veränderung immer etwas Destabilisierendes hat, wird dies in diesem Modell als „Schock“ bezeichnet. Je mehr das Projekt realisiert wird, desto stärker wachsen die Ablehnung und die Erkenntnis, dass für die persönliche Situation Nachteile zu erwarten sind. Dieser Vorgang verstärkt sich, wenn emotionaler Stress entsteht, zum
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Beispiel durch eine zwingende Notwendigkeit zum Wandel im Rahmen einer Wirtschaftskrise. Je mehr Unsicherheit erzeugt wird, desto mehr muss als Ausgleich etwas Stabilisierendes geboten werden, sonst bleibt der Mitarbeiter im Tal der Kurve hängen und schafft nie den Weg über die Akzeptanz zur aktiven Unterstützung des Projektes. Den beiden letzten in den Abbildungen dargestellten Modellen ist gemein, dass es ein Quantum Zeit braucht, um ein Veränderungsprojekt so zu kommunizieren, dass es auch bei den Mitarbeitern ankommt. Wird innerhalb dieses Prozesses außerdem adressiert, welche Vorteile die Veränderung für die einzelnen Mitarbeiter individuell bringt und Druck von außen so weit wie möglich vermieden, so ist es möglich, eine große Mehrheit für das Projekt zu gewinnen. Die so bei der Mehrheit der Mitarbeiter erzielte Einstellung für das Projekt muss im Projekt beibehalten und langfristig in deren Verhalten überführt werden.
Veränderung des Verhaltens Da zu Beginn des Wandelprozesses selten Aussagen über die schlussendliche Lösung getroffen werden können, ist es wichtig, während des Projektes alle Akteure zu motivieren und auch Minderheiten ein Gehör zu geben. Die Berücksichtigung der Bedenken und Einwände und deren Diskussion führen im Regelkreis zu neuen Iterationen, die Zug um Zug eine Anpassung des Verhaltens an den Sollzustand fördern sollten. Dennoch ist ein „Totalkonsens“ über die Notwendigkeit und Inhalte der Veränderung für den Erfolg nicht zwingend notwendig, vielmehr muss es eine Führungsaufgabe sein, gemeinsame Spielregeln und Verhaltensvorschriften zu erarbeiten. Spielregeln und Verhaltensvorschriften sind wichtig, um Probleme und Ablehnung des Wandels direkt thematisieren zu können. Die Nachhaltigkeit des Wandels wird insbesondere durch interne Widerstände gefährdet. Da alle Akteure der Organisation Veränderungen mittragen und mittragen sollen, ist es wichtig, die auftretenden Reibungen und Störungen zu überwinden. Der Widerstand gegen eine Verschiebung aus dem bestehenden Gleichgewicht ist mit Veränderung untrennbar verbunden, auch wenn die Veränderung als sinnvoll erachtet wird. Die Ausprägungen sind nach Doppler/Lauterburg sehr vielfältig (Abb.€4.24) [27]. Da die Überwindung von Widerstand nicht nur über ein Erkennen der Ausprägung geschehen kann, müssen die Ursachen für den Widerstand identifiziert werden. Wie bereits in Kap.€4.1 angesprochen, liegt der Widerstand zumeist in der Gruppendynamik oder in den individuellen Präferenzen des Mitarbeiters begründet. Dennoch lassen sich allgemeine Ansatzpunkte für die Beeinflussung des Widerstands herausarbeiten. So bietet der im
Abb. 4.24↜╇ Mögliche Ausprägungen des Widerstandes [27]
verbal
non-verbal
aktiv
Widerspruch Gegenargumente Vorwürfe Drohungen
Aufregung Unruhe Streit Intrigen
passiv
Ausweichen Schweigen Ins Lächerliche ziehen Unwichtiges debattieren
Lustlosigkeit Unaufmerksamkeit Müdigkeit Fernbleiben
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4â•… Unternehmensentwicklung
Wahrgenommene persönliche Kompetenz zur Veränderungssteuerung
Phase 1
Verneinung „Das stimmt nicht…“
Phase 2
Phase 3 Integration „Es ist selbstverständlich…“
Ausprobieren „Man könnte mal versuchen…“
Erkenntnis „Es geht ja tatsächlich…“
Einsicht „Vielleicht doch…“ Schock „Das kann nicht wahr sein…“
Akzeptanz „Es stimmt eigentlich…“
Veränderungspraxis
Zeit
Abb. 4.25↜╇ Idealtypischer Verlauf eines Veränderungsprojektes [52]
Folgenden dargestellte idealtypische Verlauf eines Veränderungsprozesses aus Sicht der Betroffenen einige Ansätze (Abb.€4.25). Der idealtypische Verlauf der Veränderung zeigt, wie der Erkenntnisprozess nach dem Prozessmodell von Weick in Iterationen bis zur Gewinnung der Erkenntnis abläuft. Wie schon im Kapitel der Kommunikation angesprochen, hat dieselbe neben der Qualifikation und der Motivation der Beteiligten den höchsten Stellenwert bei der Überwindung von Widerständen. Verschiedene Untersuchungen wie z.€B. die von Picot, Freudenberg und Glassner belegen neben der Bedeutung der Information, Kommunikation und Motivation auch die Beteiligung und Entwicklung der Betroffenen [53]. Auch Mohr und Woehe stellen die positive Einstellung gegenüber dem Wandelvorhaben als notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für die Akzeptanz von Veränderung dar [54]. Da der Wandel immer als dynamischer Prozess angesehen werden muss, ist es wichtig, auch Fehler und Misserfolge einzuplanen und zu akzeptieren. Daher muss im Wandel auch eine Kultur des Lernens aus dem Scheitern aufgebaut werden [55].
Verstetigung der Projektarena zur neuen Wirklichkeitsordnung Rüegg-Stürm [3] beschreibt mit dem Begriff Wirklichkeitskonstruktion das aktive, sichtbare Verhalten von Akteuren in einer Organisation, das Aufnehmen und Verarbeiten des aktuellen Geschehens, um sinnhafte Anschlusshandlungen zu ermöglichen. Die Wirklichkeitsordnung beschreibt das aufgenommene hilfreiche Wissen sowie die gemachten Er-
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fahrungen der Beteiligten. Um die Projektarena, die Wirklichkeitsordnung während eines Projektes nachhaltig zu verstetigen, muss sich neben dem Verhalten des Mitarbeiters auch seine Umgebung parallel verändern. Eine besondere Rolle kommt hierbei den Führungskräften zu, die die Wirklichkeitsordnung für die Mitarbeiter prägen. So können die Führungsgremien als personifizierte Form der Wirklichkeitsordnung verstanden werden [3]. Die Führungskräfte müssen ein Auge für Konflikte und eine konstruktive Form der Lösungssuche entwickeln, damit sich die Mitarbeiter während des gesamten Prozesses in den Wandel einbezogen fühlen. Darüber hinaus zeigen empirische Befunde, dass die Bereitschaft zur Veränderung gefördert wird, wenn einige zentrale kulturelle Muster und Praktiken beibehalten und die Erfolge der Vergangenheit nicht entwertet werden. Becke sieht darin den Erhalt von Stabilitätsankern in der Veränderung. Um den Mitarbeitern den Übertritt in die neuen Strukturen und Prozesse zu ermöglichen, schlägt Becke als Lösungsansatz sogar die gezielte Schaffung und Reproduktion solcher Stabilitätsanker vor [56]. Bei der Kreation von Stabilitätsankern ergibt sich keine konservierende, sondern eine dynamische, reproduktive Stabilität, die eine widerstands- und zugleich veränderungsfähige Organisation schafft [57].
4.1.4.5 Bestimmung der Wandlungsfähigkeit von Unternehmen Die vorangegangenen Kapitel haben gezeigt, dass für den Erfolg eines Veränderungsprojektes im Zuge der Unternehmensentwicklung ein koordiniertes Zusammenspiel aus harten und weichen Faktoren bestehen muss. So müssen die harten Faktoren, die Notwendigkeiten, die zum Wandel führen und die weichen Faktoren, die Möglichkeiten der Mitarbeiter, den Wandel zu verstehen und zu beherrschen, zu einem integrierten Ansatz führen. Durch ein bewusstes Setzen der Ziele des Wandels muss ein tragfähiger Kompromiss zwischen den harten, rein auf reine Kapitalgeber-Ziele ausgerichteten Fakten des Unternehmens und den weichen, die Fähigkeiten und Kultur des Unternehmens in den Vordergrund stellenden Fakten geschaffen werden. Bei McCalman und Paton [58] werden harte Faktoren als rein wissenschaftliche, technische Gestaltungsfaktoren definiert. Das im Folgenden von McCalman und Paton zur Veranschaulichung erzeugte Portfolio (Abb.€4.26) zeigt links unten die Zone der „harten“ Bestandteile der Veränderungen. Sie sind charakterisiert durch den geringen Grad der Mensch-Maschine-Schnittstellen und einer geringen Komplexität des Veränderungsvorganges. „Weiche“ Faktoren hingegen müssen bei komplexer werdendem Wandel und steigender Mensch-Maschine-Interaktion ebenfalls berücksichtigt werden. Die harten, quantifizierbaren Ziele und Hindernisse von McCalman und Paton entsprechen den aus der Positionierschule hervorgegangen Strategien von Mintzberg. Auch die Performance-Messung, die klare Problemdefinitionen, strukturierte Lösungswege und statische Umgebungsbedingungen sind in der Aktionsplanung und den Kontrollinstrumenten von Mintzberg wieder zu finden. Bei den harten Komponenten des Wandels handelt es sich um die Perspektive der E-Theorie (Economic Value).
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4â•… Unternehmensentwicklung
100 % Mensch/System-Schnittstelle wird größer
Abb. 4.26↜╇ Definition der „Hard“ und „Soft“ Facts nach McCalman, Paton [58]
Soft
Flexi
Hard
Komplexität und Fluktuation der Change-Umgebung wird größer
100 %
E-Theorie nach Beer und Nohria Die E-Theorie beschäftigt sich mit der strategischen Neuausrichtung und Umsetzung der harten Faktoren des Unternehmens. Beer und Nohria definieren die Eckpunkte der E-Theorie nach sechs Schlüsseldimensionen der Veränderung: 1) Ziele, 2) Führung, 3) Fokus, 4) Prozess, 5) System der Entlohnung, 6) Verwendung von Beratern. Shareholder Value ist das Maß und Ziel der unternehmerischen Leistung. Die Führung setzt sämtliche Schwerpunkte der Veränderung selbst und konzentriert sich dabei auf die Restrukturierung der Aufbauorganisation und Systeme. Die Vorgehensweise besteht im Wesentlichen aus Planung und Umsetzung. Motivation wird über monetäre Anreize geschaffen, wobei die Lösungen von Beratern analysiert und ausgearbeitet werden. Zusammenfassend kann die E-Theorie anhand der Komponenten des Wandeldesigns charakterisiert werden. Die Objekte der nach der E-Theorie gesuchten Strategie sind die Strukturen und Prozesse des Unternehmens, solange sie messbar sind. Die Akteure sind die Unternehmensführung als Strategen und Implementierer und das mittlere Management als Implementierer und Recipients. Der Fokus liegt auf Umstrukturierung, wobei die Entwicklungslogik durch eine diskrete Natur und ein klares Abschluss-Kriterium gekennzeichnet ist. Beispiel eines harten Problems wäre z.€B. das Auftreten von operativen Inseln, die aus der Kombination von Funktionsbarrieren und Hierarchiebarrieren resultieren.
Organisationspsychologie nach Schein Im Gegensatz dazu steht die von weichen Theorien geprägte O-Theorie (Organisationswirksamkeit). Die O-Theorie hat die Bewältigung der im Portfolio dargestellten hohen Ausprägung der Mensch-Maschine-Schnittstellen und einer hohen Komplexität des Veränderungsvorganges in weichen Bereichen zum Ziel. Schein beschäftigt sich in seinem
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Buch „Organizational Psychology“ (1965) als erster mit den inneren Kräften, die einer Organisation die erwähnte schwer kontrollierbare Eigendynamik verleihen. Die Ansätze von Schein resultieren in einer neuen, der Psychologie nahe stehenden Management-Methodik, der Organisations-entwicklung. Auf sie wird in den folgenden Kapiteln noch einmal genauer eingegangen. Das Ziel der Veränderung sind die Entwicklung der Wirksamkeit der Organisation mit von den Wurzeln des Unternehmens ausgehender Entwicklungsrichtung. Im Fokus der Veränderung steht die Entwicklung der Unternehmenskultur durch das gezielte Beeinflussen der Verhaltensnormen (formale Normen). Die Prozesse werden ausexperimentiert und dem Einfluss der Ideen, die von der Basis ausgehen, ausgesetzt. Berater wirken unterstützend für das Management beim Finden ihrer eigenen Lösungen. Auch McCalman und Paton beschreiben im Rahmen des von ihnen aufgestellten Portfolios, dass weiche Probleme ein weiches Gegensteuern erfordern. Die Bedeutung der OTheorie hat sich nun bereits seit geraumer Zeit in vielen ganzheitlichen Ansätzen des Veränderungsmanagements niedergeschlagen. Diese finden sich als kritische Erfolgsfaktoren in den Punkten Motivation und Akzeptanz oder wie bei Pettigrew als eine Kerndimension des Veränderungsmanagements, nämlich Ressourcen- und Mitarbeiterorientierung. Beer und Noria führten im Jahr 2000 die gegensätzlichen Theorien der harten und weichen Faktoren des Wandels, der E- und O-Theorie, in einer einzigen Theorie zusammen [59]. Abbildung€4.27 weist anhand der sechs von Beer und Noria herangezogenen Dimensionen der Veränderung auf Unterschiede in der strategischen Ausrichtung hin, die durch die Kombination der E- mit der O-Theorie entstehen.
Dimensions of Change
Theory E hard facts
Theory O soft facts
E and O combined
Goals
Maximize Shareholder Value
Develop organizational change
Explicitly embrace the paradox between economic value and organizational capability
Leadership
Manage change from the top down
Encourage participation from the bottom up
Set direction from the top and engage the people below
Focus
Emphasize structure and systems
Build up corporate culture, employees’ behavior and attitudes
Focus simultaneously on the hard and the soft
Process
Plan and establish programs
Experiment and evolve
Plan for spontaneity
Reward System
Motivate through financial incentives
Motivate through commitment-use pay as fair exchange
Use incentives to reinforce change but not to drive it
Use of consultants
Consultants analyze problems and shape solutions
Consultants support management in shaping their own solutions
Consultants are expert resources who empower employees
Abb. 4.27 ╇ Kombination der Hard und Soft Facts nach Beer/Nohria [59]
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4â•… Unternehmensentwicklung
Die zentralen Schlussfolgerungen von Beer und Noria sind: 1. Ziele:
2. Führung: 3. Fokus: 4. Prozess: 5. System der Entlohnung:
6. Verwendung von Beratern:
Das Paradoxon zwischen dem Verfolgen des Economic Value und der Organisationswirksamkeit sollte explizit in der Strategieneuausrichtung bewahrt werden Gleichzeitiges Aktivieren der Basis (von unten) und der Delegierenden von oben Sowohl auf den harten als auch auf den weichen Faktoren Ausrichten auf Spontaneität Finanzielle Reize können als Motivationsfaktor eingesetzt werden, sollten aber nicht alleinige Treiber des Wandels sein Berater fungieren unterstützend als Quellen des Wissens und der Erfahrung für Führung und Mitarbeiter
Da alle realen Wandelprobleme sowohl „harte“, als auch „weiche“ Seiten haben, setzen moderne Wandelkonzepte Akzente auf beide Theorien. Es gibt allerdings nur eine relativ kleine Anzahl von Ansätzen, die beide Theorien explizit und möglichst vollständig zu integrieren versuchen. Erwähnt seien an dieser Stelle der MOTION-Change-Management Ansatz und das „Model for Integrated Strategic Transformation“ der Harvard Business School.
4.2 Change Management Die Popularität des Begriffes Change Management entwickelte sich als eine Reaktion auf die Kritik an den in den 1990er Jahren durchgeführten Restrukturierungsmaßnahmen. Die Kritik entstand, da Veränderungsmaßnahmen mit dem Ziel Effizienzgewinne in Unternehmen und der öffentlichen Verwaltung zu erreichen, zumeist zu ernüchternden Ergebnissen führten [60]. Schumpeter umschrieb die zentrale Herausforderung bei Wandlungsprojekten in Unternehmen bereits Jahre zuvor als die Notwendigkeit, „sie lebendig, real zu machen, durchzusetzen.“ [61] Die im Folgenden als Bestandteil des Change Management dargestellten Ansätze, Gestaltungs-, Controlling- und Kommunikationsmethoden basieren auf den in Kap.€4.1 zusammengefassten wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Beschreibung der Wirklichkeit. So lassen sich als Change Management alle Aufgaben, Maßnahmen und Tätigkeiten zusammenfassen, die eine umfassende, bereichsübergreifende und inhaltlich weit reichende Veränderung in einem Unternehmen bewirken. Die Veränderungen dienen hierbei zur Umsetzung von neu entwickelten Strategien, Strukturen, Systemen, Prozessen oder Verhaltensweisen. Das Change Management hat damit neben der Entwicklung der angestrebten Soll-Zustände in erster Linie die Aufgabe, die Veränderungsbereitschaft und die Akzeptanz von skizzierten Visionen zu erhöhen, um die Entwicklung von Lösungen und die darauf folgende Umsetzung derer Inhalte zu ermöglichen.
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4.2.1 Ansätze des Change Management
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Die entscheidenden Kriterien zur Klassifizierung und Einteilung von Ansätzen des Change Management setzen sich aus den Kriterien zusammen, die im Kap.€4.1.2. zur Beschreibung des Wandels erläutert wurden. Daher wird im Folgenden zur Klassifizierung der Ansätze wie schon im referenzierten Kapitel insbesondere auf die Unterscheidung zwischen den Vorgehensweisen Top-down und Bottom-up eingegangen. Das bei Top-down-Projekten bestehende Planungsproblem des Wandels wird von Müller-Stewens und Lechner treffend als „Feldherrenansatz“ bezeichnet. Im klassischen „Feldherrenansatz“ liegen sämtliche Entscheidungsoptionen, wie ein Wandel durchgeführt werden sollte, bei der Unternehmensführung. Auch die Umsetzung erfolgt gebunden an die Zielsetzung und die Bestimmung von Handelsabläufen, die strikt nach den Vorgaben der Führung befolgt werden. Dies ist ein traditioneller Ansatz, bei dem, wenn Schwierigkeiten auftauchen, die Planungsdetaillierung erhöht wird, was in vielen Fällen aber nicht zu den gewünschten Ergebnissen führt [10]. In der Praxis gelten diese zumeist für Restrukturierung genutzten Anwendungen wegen ihrer Veränderungslogik und der Rolle der Führung als Top-down orientierte Ansätze. Im Folgenden werden beispielhaft die drei Ansätze Business Process Reengineering, Business Reengineering sowie Process Innovation aufgeführt. Beim Einsatz des Business Reengineering zeigte sich, dass rein planerisch angegangene Wandelvorhaben nach dem Top-down-Ansatz in den Organisationen oft nicht mit dem geplanten Erfolg umgesetzt werden konnten. Vor allem die Anpassung an schleichende Veränderungen der Umgebungsbedingungen wurde häufig von der Unternehmensführung nicht erkannt, womit eine kontinuierliche kleine Anpassung unmöglich war. In dem japanisch geprägten Bottom-up orientierten Gestaltungsansatz, Kaizen genannt, wird wie auch bei dem in Deutschland adaptierten kontinuierlichen Verbesserungsprozess und dem Lean Management versucht, durch verbesserte Strukturen und eine bessere Einbindung der Fähigkeiten der Individuen in die Prozesse die Probleme der kontinuierlichen Anpassung und Verbesserung zu lösen. Mit dem arbeitspsychologisch geprägten Ansatz der Organisationsentwicklung (OE oder OD, Organization Development) wird versucht Widerstände zu überwinden und über die Zufriedenheit der Mitarbeiter und Entfaltungsmöglichkeiten am Arbeitsplatz Wandel zu ermöglichen [62]. Abbildung€4.28 ordnet den genannten und in den nachfolgenden Kapiteln beschriebenen Ansätzen die in Kap.€4.1 herausgearbeiteten Merkmale des Wandels zu.
4.2.1.1 Top-down orientierte Ansätze des Change Management Business Process Reengineering bedeutet ein grundsätzliches Überdenken alter Strukturen, die Abkehr von einer arbeitsteiligen und funktionalen Arbeitsorganisation, die Konzentration auf Kernkompetenzen sowie eine fundamentale Erneuerung von geschäftlichen Abläufen in Richtung Kundenorientierung bei gleichzeitiger Kostensenkung und Effizienzsteigerung. Mit dem Neuzeichnen von Unternehmensprozessen sollen bei veralte-
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4â•… Unternehmensentwicklung
Merkmale des Wandels
Bottom-up
Top-down
gesteuerter Wandel
geführter Wandel Business Reengineering Business Process Reengineering Process Innovation
unternehmensweit Effektivitätsfokus E-Theorie radikal
gruppenbasiert Effizienzfokus O-Theorie kontinuierlich
episodisch
permanent
strategisch
operativ
Kaizen Kontinuierliche Verbesserungsprozesse OrganisationsEntwicklung
Abb. 4.28↜渀 Zuordnung der Change-Management-Ansätze zu den eingeführten Kriterien [63]
ten Geschäftsprozessen fundamentale Verbesserungen im Hinblick auf Qualität, Kosten, Durchlaufzeit und Service erreicht werden [64]. Beim Business Process Reengineering wird zwischen drei Typen unterschieden: Während Typ 1 das Ziel der Kostenreduktion und Typ 2 das Erreichen einer „Best-in-Class“ Position verfolgt, werden beim Typ 3 sämtliche Regeln des Prozesses neu geschrieben. Hierbei ist wichtig, dass sich die zu treffenden Maßnahmen immer nur auf einen Prozess beziehen. Entsprechend dem Ansatz von Johansson et€al. werden sowohl die Strategie- als auch die Prozessgestaltung berücksichtigt. Die Methoden und Instrumente zur Überprüfung, Ergänzung oder Erneuerung der Strategie und die Prozessanalyse und -gestaltung im Detail werden nicht beschrieben. Die Konzentration richtet sich auf wenige identifizierte Kernprozesse, aber auch weiche Faktoren werden in einem Rollenmodell vorgebracht. Trotz Betonung des Faktors „Mensch“ liegt das Hauptgewicht auf der oberen und mittleren Führungsebene [64]. Der Hauptkritikpunkt besteht im wesentlichen darin, dass grundlegende Hinweise fehlen, wie bei Störungen reagiert werden soll. Man unterscheidet daher bei der Umsetzung in vorgehens- und verhaltensbedingte Hindernisse. Zu den ersten zählen diejenigen Faktoren, die bei der Projektdurchführung im Projektmanagement selbst begründet sind. Dabei sei an dieser Stelle auf die besondere Bedeutung von Controlling-Instrumenten hingewiesen, um schon bei der Formulierung von Maßnahmen auf deren Klarheit und Controllingfähigkeit hinwirken zu können. Verhaltensbedingte Hindernisse sind in der Regel schwieriger zu fassen bzw. es entziehen sich einzelne Organisationsmitglieder, die unter Umständen zu den Projektzielen gegenläufige Interessen verfolgen. Daneben spielen Ängste von Managern und Mitarbeitern vor unumgänglichen Veränderungen eine weitere wichtige Rolle. Die Kenntnis der Methoden zum Umgang mit Mitarbeitern ist damit für eine Durchführungs- und Umsetzungsphase von Veränderungsprojekten von herausragender Bedeutung [65].
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Die Bezeichnung Business Reengineering taucht zuerst in den späten 1980er Jahren auf, im Zusammenhang mit der Überschwemmung des amerikanischen Automobilmarktes mit überlegenen Produkten japanischer Herkunft. Die amerikanischen Automobilbauer waren gezwungen, mit tief greifenden Veränderungen wie Just-In-Time-Konzepten, TQM und Kunden-Orientierung ihre Geschäftsstrukturen in vielen Bereichen zu überdenken [64]. Business Reengineering bedeutet also ein grundsätzliches Überdenken alter Strukturen, die Abkehr von arbeitsteiliger und funktionaler Arbeitsorganisation, die Konzentration auf Kernkompetenzen und eine radikale Erneuerung von geschäftlichen Abläufen in Richtung Kundenorientierung bei gleichzeitiger Kostensenkung und Effizienzsteigerung. Das „Was“ der Veränderung wird in diesem Konzept wie auch beim Business Process Reengineering sehr detailliert ausgeführt, während das „Wie“ möglicherweise zu kurz kommt [32]. Business Process Reengineering kann demnach als ein Bestandteil des Business Reengineering verstanden werden. Die Initiative der Prozessgestaltung geht beim Business Reengineering von der Spitze aus und setzt sich sukzessive in alle Unternehmensbereiche fort. Nach Hammer wird die Initiative von einem „Change Leader“ und mehreren „Reengineering–Teams“ geführt [65]. Andere Autoren fordern die direkte Führung durch die Unternehmensleitung [66]. An dieser Stelle soll exemplarisch ein Business Reengineering Konzept vorgestellt werden. Dabei ist auf die Betonung der harten Faktoren zu achten und den geringen Grad der Rücksicht auf Unternehmenskultur, Motivation und Akzeptanz. Davenport beabsichtigt mit seiner Methodik Process Innovation zur Prozessveränderung die Zusammenführung von Veränderungserkenntnissen aus dem fundamentalen Wandel, den er mit Innovation assoziiert, mit dem inkrementellen Wandel. Dabei steht die Modellfindung in engem Zusammenhang mit der Neugestaltung von Prozessen unter den erneuerten Bedingungen leistungsfähiger Informationstechnik [67]. Der Prozess nach Davenport beinhaltet fünf Phasen, die, genau wie bei den oben beschriebenen Top-downVerfahren, die Geschäftsprozesse von oben nach unten umwälzen soll: 1. Identifying Processes for Innovation 2. Identifying Change Levers 3. Developing Process Visions 4. Understanding Existing Processes 5. Designing and Prototyping the New Process Davenport erkennt nach Müller im Gegensatz zu den Business Process Reengineering und Business Reengineering Ansätzen die Bedeutung der weichen Faktoren, wenn er ihnen auch nicht eine ebenso zentrale Rolle zuweist, wie es in integrierten Change-MangementKonzepten der Fall ist. Darüber hinaus misst er den Verfahren und Instrumenten eine bedeutendere Rolle zu als andere Top-down-Verfahren [63].
4.2.1.2 Bottom-up orientierte Ansätze des Change Management Dem Kaizen-Prinzip liegt die Annahme zu Grunde, dass jedes System ab dem Zeitpunkt seiner Einrichtung dem Zerfall preisgegeben ist, wenn es nicht ständig erneuert bzw. verbessert wird. Hieraus leitet sich auch sein Leitsatz ab: „Kein Zustand ist so gut, dass er nicht
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noch verbessert werden könnte“. Das Wort Kaizen ist Japanisch und setzt sich zusammen aus: Kaiâ•›=â•›Veränderung, Wandel und Zenâ•›=â•›zum Besseren; Kaizenâ•›=â•›kontinuierliche Verbesserung. Im deutschen hat sich der Begriff „KVP“ (↜Kontinuierlicher Verbesserungsprozess) durchgesetzt. Die Kernpunkte des Kaizen sind die Eliminierung von Verschwendungen, die Fokussierung auf Prozesse, die Orientierung an Kunden, extern wie intern, die Einbeziehung aller Mitarbeiter sowie die Teamarbeit [63]. Die Botschaft von Kaizen beinhaltet, dass kein Tag ohne eine Verbesserung im Unternehmen vergehen soll. Kaizen ist somit die Philosophie der ewigen Veränderung und der Flexibilität, um auf die Veränderungen der Umwelt zu reagieren. Der Fokus der Unternehmensführung liegt nach Kaizen ausschließlich auf dem Erhalt und der Verbesserung von Standards. Dies bezieht sich vor allem auf die Beseitigung von Verschwendung, also alles, was für den Kunden keinen Wert hat und wofür er nicht bereit ist zu zahlen. Dies können auch unklare Ziele, Wartezeiten, unnötige Wege, Nacharbeiten, Bestände, mangelhafte Informationen, demotivierte Arbeiter, fehlendes Problembewusstsein, falsche Führung aber auch ungenutztes Kreativitätspotenzial der Mitarbeiter sein. Daher spielen in der KaizenPhilosophie die Mitarbeiter eine tragende Rolle. Sie sind die Akteure jedes Prozesses, die es zu ertüchtigen, zu bevollmächtigen und zu motivieren gilt, um selbstständig auf jeder Ebene agieren und reagieren zu können [68]. Nach Imai ist Kaizen der Weg der kleinen Schritte, die Innovation dagegen der Weg der großen Schritte. Westliche Unternehmen verfolgen oft die Strategie der Innovation, was zwar zu hohen Investitionen in Technologien und Maschinen führt, dagegen aber auch schlagartige Verbesserungen hervorbringt. Dabei wird oft unterschätzt, welche Vorteile durch weiche Faktoren wie menschlichen Einsatz, Kommunikation, Ausbildung, Teamwork, Anteilnahme und Selbstdisziplin in Folge stetiger Bemühungen erreicht werden können. Der Erfolg von Kaizen hängt insbesondere von den Fähigkeiten, der Motivation und dem Verhalten jedes Einzelnen ab [63]. Kaizen ist kein Element der Strategiefindung, sondern ist vielmehr ein Bottom-up ausgerichteter Prozess mit dem einfachen Ziel, durch verbesserte Prozesse bessere Ergebnisse zu erzielen. Durch Kaizen wird eine Verbesserung der Qualität durch eine geringere Fehlerrate angestrebt sowie eine höhere Zufriedenheit externer und interner Kunden. Dieses Ziel wird durch robuste Prozessabläufe, verbesserte Arbeitsbedingungen sichergestellt. Organisationsentwicklung ist eine weitreichende, programmatische Herangehensweise, organisationale Effektivität und Gesundheit zu fördern und auszubauen. Vom TopManagement angeordnete Programme beziehen die ganze Organisationseinheit mit ein und stützen sich auf verhaltenswissenschaftliche Erkenntnisse und Aktivitäten wie TeamBuilding, Konfliktvermeidung und Konfliktlösung sowie verbesserte Kommunikationsmethoden [62]. Die Organisationsentwicklung ist motiviert durch das Bewusstsein, dass es sich bei einem Unternehmen um ein soziales System handelt, dessen Funktionalität von der Menschlichkeit der Organisation, also den Einstellungen und Verhaltensweisen jedes Einzelnen, aber auch den zwischenmenschlichen Fähigkeiten der Mitarbeiter abhängig ist. Über die Beeinflussung des humanen Systems im Unternehmen soll die Zusammenarbeit verbessert werden und sollen Hürden und Widerstände abgebaut werden. Zentral ist hierbei die Rolle des Prozess-Beraters, der der Organisation zur Selbsthilfe verhelfen soll. Wie auch bei den anderen Bottom-up-Methoden stehen die Mitarbeiter im Mittelpunkt, welche im Rahmen des Veränderungsprozesses vom Betroffenen zum Beteiligten werden sollen [69].
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Die Zielfelder der Organisationsentwicklung sind demzufolge das individuelle Verhalten der Mitarbeiter, die Organisationskultur und das Organisationsklima sowie die Kommunikationsmuster des Unternehmens. Bei der Umsetzung von Veränderungsvorhaben, die auf der oben erwähnten Vorstellung eines Gleichgewichtszustandes nach Lewin basieren, kommt der Organisationsentwicklungsansatz vor allem in der Phase des Unfreezing/ Auftauens zur Geltung [4], um eine Bereitschaft zur Veränderung zu erzeugen. Auf diese Weise können Emotionen, die bei tiefgreifenden Veränderungen hervorgerufen werden, wie etwa Angst oder Verwirrung, im Vorfeld vermieden oder im Nachhinein abgebaut werden. Dies geschieht durch Kommunikation der Absichten und der Notwendigkeit der Veränderung, aber auch durch die Einbindung der Mitarbeiter. Ist die Bereitschaft zur Veränderung geschaffen, so ist eine erfolgreiche Umsetzung wahrscheinlich. In der dritten Phase nach Lewin, der Refreezing/Einfrier-Phase, wird mittels Organisationsentwicklung die Verankerung des Veränderten und Erlernten unterstützt. Instrumente sind FeedbackGespräche, aber auch fortlaufende Entwicklungen, die von den Mitarbeitern selbstständig im Sinne einer kontinuierlichen Verbesserung umgesetzt werden.
4.2.1.3 Das Motion-Modell Das Motion-Modell wurde im Rahmen des EU-Projektes ESPRIT entwickelt, um besonders den Anforderungen europäischer Unternehmen gerecht zu werden. Es wird versucht, besonders die Stärken der verschiedenen Change-Management-Ansätze einzubauen und mit einer Anzahl je nach vorliegenden Bedingungen einsetzbaren Instrumenten flexibel gestaltet. Beim Motion-Modell wird zuerst grob zwischen strategischer und Prozess-Ebene unterschieden [11]. Während von der Führung aus strategische Vorgaben nach unten hin realisiert werden, setzen Instrumente mit „weichem“ Fokus einen Bottom-up-Prozess in Gang, der sich insbesondere auf die zu gestaltenden Kernprozesse bezieht (Abb.€4.29). Die als Down-up bekannte Vorgehensweise beinhaltet die besondere Einbindung der Geschäftsleitung und das Profitieren von Ideen, die durch die Einbindung der Mitarbeiter gefördert werden. Grundsätzlich wird auch bei Motion dem 3-Phasen-Modell von Lewin gefolgt. Die erste Phase des Unfreezing bildet im Motion-Modell die Initiierung ab. Die Positionierung kann ebenfalls der Phase des Unfreezing zugeordnet werden. So werden im Zusammenspiel von Strategieaudit und Prozessanalyse Prozess-Strategien herausgearbeitet, die den Wandel bestimmen. Abgeschlossen wird das Motion-Modell durch das Moving in der Phase der Veränderung. Eine Nachhaltigkeit der Veränderung stellt das Performance Controlling sicher, das die Aufgaben der Phase des Refreezing abbildet [9]. Motion wurde während seiner Entwicklung insbesondere auf die Anforderungen des europäischen TotalQuality-Managements, des EFQM-Modells abgestimmt (Abb.€4.30).
4.2.2 Gestaltung der Unternehmensentwicklung Alle Ansätze der Veränderung – sowohl die Top-down als auch Bottom-up orientierten – müssen zu Beginn ihrer Ausführung geplant und gestaltet werden. Diese Aufgabe fällt
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4â•… Unternehmensentwicklung
strategische Ebene
Handlungsebenen
Führungsebene
Unternehmensstrategie
down Down-Up
up up
Prozessebene
Maßnahmen zur Prozessoptimierung operative Ebene gering
Umsetzungsstärke
hoch
Abb. 4.29↜╇ Down-Up-Veränderungslogik nach Schuh [63]
Inhalt Positionierung Prozess Initiierung
Strategieaudit
Den Wandel vordenken
Idee
Kernprozess Identifikation
Veränderung
Prozessstrategien
Den Wandel gestalten
Prozessoptimierung
Prozessanalyse
Wirksamkeit
Wertschöpfung Performance Messung
Abb. 4.30 ╇ Motion-Methode nach Schuh [11]
je nach Ansatz und dem Umfang des Wandels der Unternehmensführung oder den spezialisierten Gruppen zu, die die Veränderung tragen. Die Gestaltung der Unternehmensentwicklung ist eine Aufgabe, die sowohl bei der architektonischen Ausgestaltung des Vorhabens als auch während des Wandels bei der Reaktion auf Eventualitäten ausgeübt werden muss. Für eine erfolgreiche Unternehmensentwicklung kann es kein einheitliches Vorge-
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hen, kein Patentrezept, sondern nur maßgeschneiderte Lösungen geben. Die Einzigartigkeit des Vorhabens, der Beteiligten und Betroffenen erfordert eine speziell zugeschnittene Herangehensweise. Der Aufbau einer durchdachten Veränderungsarchitektur verschafft eine gute Ausgangsbasis für die Veränderung. Durch die Kenntnis des Unternehmens kann bekannten Ängsten begegnet oder können Ressourcen für absehbar kritische Teilprozesse zur Verfügung gestellt werden. Alle zukünftigen Umsetzungsprobleme können aber nicht eliminiert werden. Nicht alles ist in der Gegenwart für die Zukunft planbar, insbesondere wenn es um Personen und Organisationen geht [7]. Neben der kontinuierlichen Überprüfung und Anpassung des ursprünglichen Planes an die realen Gegebenheiten, dem Projektmanagement, müssen die Mitarbeiter nachhaltig von der Notwendigkeit der Unternehmensentwicklung überzeugt werden. Die Zukunft als Ergebnis der Veränderung tritt nicht ein, sondern muss durch nachdrückliche und nachhaltige Aktivitäten im Unternehmen angestrebt werden. Gerade das Initiieren der Veränderung erfordert einen Impuls, der Aufmerksamkeit bei den Mitarbeitern schafft und positive Emotionen für die Veränderung weckt, einen Impuls, der eine Aufbruchstimmung erzeugt und Energien für die Veränderung freisetzt. Den Mitarbeitern muss verdeutlicht werden, dass die Zukunft des Unternehmens nicht nur erlebt und erlitten wird, sondern dass die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens durch die Veränderung aktiv erarbeitet und gestaltet werden muss [14].
4.2.2.1 Gestaltungsdimensionen der Unternehmensentwicklung Da Veränderung in unterschiedlichen Formen auftritt und sämtliche Facetten des Unternehmens betreffen kann, soll auch an dieser Stelle (wie in Kap.€4.1 eingeführt) eine Unterscheidung nach dem Umfang des Wandels in den Betrieb, die Verbesserung und die Erneuerung getroffen werden. Der gezielte Einsatz von Gestaltungsmitteln muss in allen der drei Dimensionen vollzogen werden. Beispielhaft muss den Mitarbeitern auch im Entwicklungsmodus des Betriebes erläutert werden, dass sich in dem angesprochenen Bereich nichts ändert, jedoch aber Schulungen durchgeführt werden, um die neuen Schnittstellen zu den sich verändernden Prozessen und Strukturen kennen zu lernen. Zugleich Vorteil und Nachteil von Verbesserungen im Unternehmen kann sein, dass diese fast unbemerkt geschehen, d.€h. den Mitarbeitern eventuell gar nicht bewusst werden. Es werden keine existenziellen Ängste geschürt. Angst führt unter Umständen dazu, dass die Notwendigkeit des Wandels nicht erkannt wird. Bei hoher Dringlichkeit einer Veränderung kann Angst um den Arbeitsplatz als Motivator genutzt werden. Hohe Dringlichkeit ist insbesondere bei der Erneuerung, dem fundamentalen Wandel gegeben. Fundamentaler Wandel lässt sich häufig nicht ohne Aktivierung der Emotionen der Mitarbeiter verwirklichen. Eine weitere Dimension der Gestaltung des Wandels umschreibt die Zeit. So sind in den individuellen Phasen der Veränderung, dem Aufsetzen, der Neugestaltung und der Umsetzung, unterschiedliche Gestaltungsaufgaben zugeordnet.
4â•… Unternehmensentwicklung
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Architektur Phase: „Aufsetzen“ Festlegen von Projektzielen und Projektscope Analyse der Situation und des Umfeldes Aufbau des gemeinsamen Teams Sicherstellen von Top Management Commitment Aufsetzten von Governance Strukturen Festlegen von Rollen und Verantwortlichkeiten Erstellen des Projektplanes
Management Phase I: „Neugestaltung“ Aufnahme der derzeitigen Prozesse und Strukturen Design von zukunftsfähigen Prozessen und Strukturen Erzeugen von Commitment und Alignment Angst bei Mitarbeitern wahrnehmen und ansprechen Überprüfung der Machbarkeit und Funktionsfähigkeit anhand von Piloten (Systeme, Prozesse, Strukturen)
Management Phase II: „Durchstarten“ Einbinden der großen Mitarbeitermasse Übertragen der Pilotstrukturen auf weitere/alle Teile der Organisation Ausdehnung der Stakeholderinformation Befähigung der Mitarbeiter und Führungskräfte Nachhalten von Erfolgsparametern Sicherstellen der Nachhaltigkeit des Veränderungsprozesses
Abb. 4.31↜╇ Akzentuierte Checkliste nach Claßen [7]
Die grundsätzliche Zielrichtung der Dimensionen der Gestaltung von Veränderungen muss das Erreichen von erwarteten Erfolgsfaktoren (Erfordernisse) und das Vermeiden von vermuteten Umsetzungsbarrieren (Hindernisse) sein. Als Informationsspeicher zur Identifikation von Einflussfaktoren auf Erfolgsfaktoren steht dem Anwender das Erfahrungswissen der Literatur, vor allem aber das Erfahrungswissen aus dem eigenen Unternehmen zur Verfügung. Schwierigkeiten entstehen in den Unternehmen nur selten ad hoc aus der momentanen Situation heraus. Fast kein Veränderungsprojekt ist derart einmalig, als dass dort Umsetzungsbarrieren und Erfolgsfaktoren zum ersten Mal auftreten würden. Die meisten der auftretenden Probleme besitzen einen langen zeitlichen Vorlauf und eine absehbare Weiterentwicklung. Daher ist es wichtig, schon während der Gestaltung der Projekte den Erfahrungsschatz früherer Veränderungen in einem ausreichenden Umfang mit einzubeziehen. Eine Checkliste der zu gestaltenden Aktivitäten in den Phasen des Projektes bildet Abb.€4.31 ab [7]. Mit einem derartigen Mitdenken können viele der angesprochenen Umsetzungsbarrieren und Erfolgsfaktoren einbezogen und damit frühzeitig
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in der Auslegung des Modus der Veränderung adressiert werden. Wichtig ist dabei, diese Planung des Veränderungsprozesses rechtzeitig anzugehen. Aktuelle Studien beweisen, dass die Change-Management-Aktivitäten oft erst mit dem realen Start, der Umsetzung des Projektes beginnen bzw. erst dann begonnen werden, wenn erste Probleme mit der Umsetzung auftreten [7]. Die von Claßen vorgenommene Dreiteilung der Architektur-Phase eines Veränderungsprojektes ist eine etablierte, aber nicht ausschließlich Möglichkeit zur Gliederung. Ziel der abgebildeten Checkliste ist die Übertragung von Erfahrungswissen in die Unternehmen um negative Auswirkungen der Veränderung zu vermeiden, die von Claßen als Painpoints einer Veränderung bezeichnet werden [7]. In der tatsächlichen Situation einer Veränderung im Unternehmen ist eine darüber hinausgehende Gewichtung und Anreicherung in Bezug auf die Veränderungserfahrungen des Unternehmens vorzunehmen [7]. Neben der Abarbeitung von Checklisten bietet die Portfoliotechnik bei der Gestaltung von Veränderungsprojekten die Möglichkeit, Handlungsanweisungen für die Planung abzuleiten. Beispielhaft sind im Folgenden zwei Portfolios nach Vollmann und Schuh aufgeführt. So beschreibt Vollmann in einem Portfolio den Zusammenhang zwischen der notwendigen Geschwindigkeit der Umsetzung und dem Umfang der Veränderung. Der Zusammenhang gibt dem Gestalter der Veränderung die Möglichkeit einer ersten Charakterisierung. Wenn der Umfang der Veränderung gering ist, aber schnell vollzogen wird, kann von Reengineering gesprochen werden. Ist die Veränderung umfassend und schnell, handelt es sich um eine getriebene Neuorientierung, einen Turnaround. Eine langsame, in kleinen Etappen fortschreitende Entwicklung erinnert an das japanische Konzept des Kaizens, der kontinuierlichen Verbesserung. Die langsame, aber umfangreiche Veränderung des Unternehmens befindet sich in der oberen rechten Ecke der Matrix und wird von Vollmann mit Unternehmenstransformation bezeichnet. Sie ist dem evolutionären fundamentalen Wandel nach Müller-Stewens äquivalent [70]. Ein weiteres zu nennendes Portfolio, das Handlungsempfehlungen für die Gestaltung von Veränderungsprojekten geben kann, ist das Portfolio nach Schuh. Schuh beschreibt in einem Portfolio den Zusammenhang zwischen dem angestrebten Veränderungsgrad und der bestehenden Veränderungsbereitschaft. Eine Abwägung der beiden Dimensionen gegeneinander gibt dem Gestalter der Veränderung die Möglichkeit, eine Handlungsempfehlung für die Durchführung abzuleiten. Wenn die Bereitschaft zur Weiterentwicklung des Unternehmens gering ist, aber der Grad der Veränderung groß ist, lautet die Handlungsempfehlung zunächst, mit einem Pilotversuch in der Umsetzung zu starten. Ein erfolgreicher Pilotversuch hilft dabei Skepsis unter den Mitarbeitern abzubauen. Sind Veränderungsbereitschaft und der Veränderungsgrad groß, kann direkt mit dem Projekt begonnen werden. Jedoch ist auf Grund der Größe für die Umsetzung ein durchdachtes Projektmanagement nötig. Bei einem kleinen Grad der Veränderung, die aber bei einer kleinen Veränderungsbereitschaft vollzogen werden muss, bedarf es einer autoritären Anordnung durch das Top Management. Die vom Umfang her kleine Veränderung, die zugleich in einem Klima von hoher Veränderungsbereitschaft durchgeführt wird, kann dagegen ohne einen hohen Aufwand für Planung oder Reporting an höhere Managementebene direkt durchgeführt werden (Abb.€4.32) [9].
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Reengineering
Continuous Improvement
groß
groß
Transformation
klein
Pilot
Projekt
klein
Turnaround
Veränderungsgrad
slow
Scope
fast
broad
Veränderungsbereitschaft
narrow
Speed
Top-down
Do-it
Abb. 4.32↜╇ Portfolios zur Gestaltung von Veränderungsprojekten auf Basis der Veränderungscharakteristik [11, 70]
4.2.2.2 Projektdefinition Veränderungsprojekte sind in ihrer Umsetzung, verglichen mit dem Tagesgeschäft im Unternehmen, relativ neuartig und komplex, oftmals einmalig. Daher ist es für die erfolgreiche Umsetzung von Veränderungsprojekten wichtig, am Anfang eines Veränderungsprojektes die notwendigen Schritte, Meilensteine und Beteiligten festzulegen. Die Bezeichnung Veränderungsprojekt legt allein schon nahe, dass bei der Definition und auch bei der Umsetzung das Handwerkszeug des Projektmanagements herangezogen wird. Veränderungsprojekte der beabsichtigten Unternehmensentwicklung charakterisieren sich durch einen definierten Anfang und Abschluss [14]. Im Vordergrund des Projektmanagements steht dabei das Streben, alle in der Gestaltungsphase definierten Arbeitsschritte in Zwischen- und Endergebnisse zu überführen. Um jedoch als erste Aufgabe die Arbeitsschritte, Zwischen- und Endergebnisse des Veränderungsprojektes festlegen zu können, ist es notwendig, bereits in der Planungsphase ein detailliertes Bild über die im Projektverlauf durchzuführenden Aktivitäten sowie deren Interdependenzen zu besitzen. Die Vorab-Planung bildet die Grundlage, um in der Planung der Projektabwicklung die erforderlichen Ressourcen zur Zielerreichung weitgehend abschätzen zu können. Diese Detailliertheit ist ferner notwendig, um den Einfluss sowohl auf harte als auch auf weiche Faktoren der Veränderung einschätzen zu können. Folgende Punkte müssen daher definiert sein: [71] ╇ 1.╛╇Wer ist der Auftraggeber oder Sponsor des Projektes und ist daher am Erfolg des Projektes interessiert? ╇ 2.╛╇Besitzt der Auftraggeber oder Sponsor des Projekts darüber hinaus die Legitimität und Macht gegenüber den Mitarbeitern, um das Projekt positiv beeinflussen zu können? ╇ 3.╛╇Ist neben dem Sponsor ein Lenkungsgremium bekannt, das die Projektarbeit und die Erreichung der Projektziele überwacht? [14]
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╇ 4.╛╇Sind die Projektziele und der Projektumfang mit dem Auftraggeber ausreichend detailliert abgegrenzt? ╇ 5.╛╇Ist der Erfolg des Projektes durch eine Formulierung von messbaren Zielen quantifizierbar? ╇ 6.╛╇Wurde bei den Projektzielen eine Unterscheidung zwischen Festanforderungen, Wunschzielen und zu vermeidenden Ereignissen getroffen? ╇ 7.╛╇Gibt es Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Projekten im gleichen Unternehmen? ╇ 8.╛╇ Welches der Projekte, der Projektziele ist im Zweifel zu präferieren? [7] ╇ 9.╛╇Sind die Meilensteine, der Zeitplan und die Kosten des Projektes mit dem Auftraggeber abgestimmt? 10. Sind für die Einzelmaßnahmen, die zu den einzelnen Meilensteinen abgeschlossen sein müssen, die entsprechenden Ressourcen bereitgestellt? 11. In welchem Kräftefeld befindet sich das Projekt? Was sind hindernde, was unterstützende Einflüsse, die auf das Projekt einwirken können? 12. Gibt es darüber hinaus Vernetzungen mit anderen Projekten? 13. Wer ist außer dem Auftraggeber des Projektes über den Projektfortschritt zu informieren? 14. Welche Informationen sind den Stakeholdern zur Verfügung zu stellen? Welche informellen Informationsflüsse sind zu erwarten? 15. In welchem Umfang ist eine Dokumentation zu erstellen und inwieweit ist diese zu veröffentlichen? [7] Jedoch lassen sich zumeist Veränderungsprojekte im Vorhinein nicht so genau auf alle Eventualitäten hin planen, dass es keine Abweichungen geben kann. Daher ist die zweite und ebenso wichtige Aufgabe des Projektmanagements das Management der Problemlösungsprozesse [63]. Die Aufgabe des Projektmanagements während der Umsetzung ist die Regelung aller organisatorischen, ressourcen- bzw. zeitabhängigen Probleme während der Unternehmensentwicklung. Dabei muss das durchführende Projektteam darauf achten, dass der Veränderungsprozess kontinuierlich und ganzheitlich verläuft, das heißt, dass während des Projektes keine Brüche bzw. Unregelmäßigkeiten auftreten. Dazu gehören Feedback-Runden mit Trägern und Beteiligten des Veränderungsprozesses, Werbung für die Veränderung und Schaffung von Akzeptanz. Die dritte und abschließende Aufgabe des Projektteams liegt in der Durchführung von Workshops zur Entwicklung oder zur Unterstützung der Entwicklung von Verbesserungsmaßnahmen im Unternehmen. Im Normalfall wird das Projektteam allerdings nur beratend tätig, dass heißt, dass die Entscheidungsgewalt über eine Modifikation von Prozessen nicht beim Projektteam liegt, sondern weiterhin bei den jeweiligen Betriebsbereichsverantwortlichen. Erfahrungen zeigen, dass die Erfolgsquote dann besonders hoch ist, wenn den betroffenen Bereichen eine Hilfe zur Selbsthilfe geboten und diese auch angenommen wird. Dies lässt sich dadurch erklären, dass selbst gefundene und realisierte Lösungen nicht mit dem „Not invented here“-Syndrom“ zu kämpfen haben [62]. Die angesprochenen Aufgaben der Problemlösung und Maßnahmendefinition fallen in der Phase der Um-
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setzung dem eigentlichen Projektteam zu. Da ein Projektteam oft interdisziplinär und über Abteilungsgrenzen hinweg besetzt ist, ist die Auswahl der richtigen Qualifikationen und Persönlichkeiten entscheidend. Um eine Auswahl der Beteiligten treffen zu können, muss zunächst ein Aufgabenfächer für das Team festgelegt werden. Dabei ist das Projekt durch Einmaligkeit charakterisiert und die Aufgabe kann als Spezialaufgabe angesehen werden, da der Aufgabeninhalt neuartig und innovativ ist. Im nächsten Schritt muss die Projektleitung anhand der ausdetaillierten Aufgabenstellung für das Projekt Qualifikationsanforderungen für die Mitarbeiter herausarbeiten und die erforderlichen Stellen besetzen. Als ein weiterer Stellhebel ist die Teamgröße von entscheidender Bedeutung. Je nach Umfang und Komplexität liegt die optimale Größe zwischen drei und sechs Mitgliedern. Mehr Mitglieder schwächen Leistung und Effizienz [72]. Es muss geklärt werden, ob die Teammitglieder haupt- oder nebenamtlich Projektaufgaben erfüllen. Die Leistungsschwerpunkte der Teammitglieder sollten heterogen sein, sich aber dennoch ergänzen, um das Team möglichst diversifiziert zu machen. Das Top-Management und die zukünftigen Führungskräfte des zu verändernden Bereiches müssen vor allem bei strategieinduzierten Projekten vertreten sein, damit Klarheit über die Wandlungsziele besteht [14]. Für die Teamentwicklung beschreibt Tuckman vier typische Phasen, die erläutern, wie aus den einzelnen Mitgliedern ein Team entsteht [73]. Als ergänzende fünfte Phase kann die Auflösung des Teams gesehen werden: 1. In der Formierungsphase gewöhnen sich die Mitglieder aneinander, ein „Abtasten“ und eine Abhängigkeit vom Projektleiter kennzeichnen diese Phase. Misstrauen und geringe Übereinstimmung, was die Ziele angeht, stehen am Anfang. Ein „Wir-Gefühl“ ist noch nicht vorhanden. Im Erfolgsfall entsteht am Ende Gruppenkohäsion, die eine Ausgangsbasis für Lernprozesse und Unternehmenswandel bilden können. Eine zu hohe Kohäsion kann jedoch zur Gruppenbefangenheit führen [74]. 2. Durch den Vergleich der Führungskompetenzen und fachlichen Fähigkeiten nehmen in der Konfliktphase die Widerstände gegen den Projektleiter zu. Dieser wiederum muss durch seine Führung die Austragung von Meinungsverschiedenheiten moderieren. Die konstruktiv gelösten Meinungsverschiedenheiten über Inhalte und Teamnormen können ein Antriebsmotor der Veränderung werden. 3. In der Normierungsphase entwickelt sich der Gruppenzusammenhalt. Das Bedürfnis nach einer Sicherung der Gruppe, das zum „Wir-Gefühl“ führt, entsteht nach der Beilegung der Konflikte. Die Aufgabenverteilung zur Zielerreichung wird vorgenommen. 4. In der Arbeitsphase ist das Rollenverhalten im gefestigten Team flexibel und auf die Projektaufgaben gerichtet. Eine optimale Freisetzung der Wandlungsenergie wird ermöglicht, das Wandlungsziel und die daraus abgeleiteten Aufgaben rücken in den Vordergrund. 5. In der Phase der Teamauflösung wechseln die Teammitglieder zurück in ihre Linienfunktion oder übernehmen neue (Projekt-) Aufgaben. Bei der Wiedereingliederung in die alte Arbeitsumgebung können dabei Reentry-Probleme auftreten.
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4.2.2.3 Gestaltungsmittel der Unternehmensentwicklung
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Für die beschriebenen Aufgaben der Entwicklung von Inhalten und der Lösung von Problemen im Ablauf des Veränderungsprojektes stehen dem Projektteam eine Reihe von Gestaltungsmitteln zur Verfügung. In der Literatur werden den Gestaltungsmitteln einer Veränderung Begriffe wie Strategieaudit, Kernprozessidentifikation, Prozessanalyse, Konkurrenzanalyse, Benchmarkings sowie Marktstudien zugeordnet. Diese Gestaltungsmittel adressieren messbare, mit dem Wettbewerb vergleichbare Kennzahlen und somit „harte“ Faktoren, deren Auswertungen die Festlegung der Inhalte des Wandels unterstützen. Im Folgenden sollen beispielhaft einige der dafür geeigneten Gestaltungsmittel kurz beschrieben werden. Dem gegenüber stehen die dem Change Management zugeordneten weichen Gestaltungsmittel zur Identifikation und zum Lösen von Problemstellungen im Veränderungsprojekt. Anschließend wird den „weichen“ Faktoren höhere Aufmerksamkeit geschenkt, da diese ausschließlich im Rahmen des Veränderungsmanagements beschrieben werden.
Gestaltungsmittel der harten Faktoren Gestaltungsmittel der harten Faktoren der Veränderung haben messbare Zielgrößen als Ergebnis. Diese Zielgrößen können beispielsweise aus dem Prozessmanagement (vgl. Kap.€2.2.8), aus dem Prozess der Strategieentwicklung (vgl. Kap.€2.3.1), aus der Kostenrechnung (vgl. Kap.€6.2.3) oder aus dem Controlling (vgl. Kap.€6.4.1.1) abgeleitet werden. Beispielhaft sei das Stategieaudit aus dem Prozess der Strategieentwicklung kurz skizziert. Aus dem im Rahmen eines Strategieaudits ermittelten Strategiegesamtbildes werden Teilstrategien bezüglich der einzelnen Prozesse und Strukturen heruntergebrochen. Dazu müssen auf der einen Seite Prozessziele und Kennzahlen definiert werden. Auf der anderen Seite muss eine Ressourcenallokation nach der Priorität der Ziele stattfinden. Voraussetzung für erfolgreiche Prozessstrategien sind die „richtige“ Interpretation des im Strategieaudit definierten Prozessportfolios und realisierbare Operationalisierung der Vorgaben. Hierbei hilft die Kernprozessidentifikation [63]. Die Kernprozessidentifikation dient, der Bestimmung der wichtigsten Prozesse im Unternehmen und dem Ziel, ein gemeinsames Verständnis für den zu erfüllenden Kundennutzen zu schaffen. Bei dieser Vorgehensweise werden Mitteleinsatz und Kundennutzen der eigenen Prozesse mit denen der Wettbewerber verglichen. Dies erlaubt eine duale Bewertung der Prozesse nach Effektivität und Effizienz. Die Schlüsselherausforderungen sind das Erkennen von Prozessinterdependenzen und das Erkennen und Überwinden überkommener Strukturen. Eine erfolgreiche Kernprozessidentifikation hat die deutliche Kenntnis der wettbewerbsentscheidenden Prozesse zur Folge sowie der wesentlichen Einflussparameter auf seine Effizienz und Effektivität [63]. Auf der Basis der Ergebnisse einer Kernprozessidentifikation können die wettbewerbsentscheidenden Prozesse mit der geringsten Effizienz zur Verbesserung ausgewählt werden. In der Prozessanalyse werden die bestehenden Prozesse aufgenommen
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und modelliert. Dabei können die Teilschritte der Prozessanalyse in die Aufnahme der Prozesse, die Visualisierung der Prozesse und die Validierung der Prozesse unterteilt werden. Die Aufnahme und Validierung der Prozessdaten erfolgt hierbei über eine Befragung der Mitarbeiter. Als Ergebnis sollte nach der Prozessanalyse ein gemeinsames mentales Modell der Prozesse vorliegen und Motivation und Akzeptanz für deren Remodellierung gewachsen sein [63]. Darüber hinaus gibt es eine Anzahl von Instrumenten und Maßnahmen, die bereits in der Vorbereitungsphase des Wandels ansetzen und auf die „weichen“ Faktoren zielen. Diese Instrumente werden überwiegend eingesetzt, um positiven Einfluss auf die Bereiche Modus und Beteiligte des Wandels zu nehmen. Dazu zählen Coaching und Training des Managements und Sensibilisierungsmethoden für Gruppen. Auch diese Werkzeuge sollen an dieser Stelle anhand von Beispielen nur erwähnt werden.
Methoden zur Beeinflussung von weichen Faktoren der Veränderung Mit der Methode „World Cafe“ wird eine Kaffeehaus-Atmosphäre inszeniert, verbunden mit dem Ziel, unterschiedliche Meinungen zu einem bestimmten Thema möglichst offen und ungezwungen zu diskutieren. Dabei sollen neben Lösungsansätzen vor allem neue Sichtweisen generiert werden. Pro Tisch werden Themenabschnitte verteilt und besprochen. Die Ergebnisse können in Plenarform zwischendurch präsentiert werden, woraus sich dann wiederum neue Fragen oder Anregungen ergeben können [7]. Diese Methode eignet sich zur Einleitung eines komplexen Change-Prozesses mit breiter Beteiligung, da ohne Ergebnisdruck eine Austauschplattform zu einem bestimmten Thema geschaffen wird. Stille Menschen können sich leichter einbringen als in normalen Meetings oder Workshops, und die kleinen Gruppen lassen eine lockere und vertraute Atmosphäre zu, die bei üblichen Meetings mit festen Ritualen nicht zu erreichen ist. Die Methode ermöglicht den Mitarbeitern ihre Ideen bei der Ausgestaltung des Wandels einzubringen. Daher ist die Methode geeignet, die Beteiligten des Wandels einzubinden und Strömungen im Bereich der Anspruchsgruppen aufzunehmen [75]. Hinter der Methode „Kraftfeldanalyse“ verbirgt sich eine einfache Analyse der treibenden und rückhaltenden Faktoren in einer Situation. Diese Faktoren können so nicht nur identifiziert, sondern auch antizipiert werden, so dass sich zum Beispiel drohende Konflikte im Vorfeld auf ein Minimum reduzieren lassen [7]. Die Kraftfeldanalyse geht auf den Gestaltpsychologen Kurt Lewin [76] zurück und sollte möglichst frühzeitig im Projektverlauf eingesetzt und ggf. unter aktiver Beteiligung von Projektgegnern erfolgen [7]. In Abb.€4.33 ist beispielhaft ein Kraftfelddiagramm dargestellt. Ein solches Diagramm kann für jeden Einzelnen, jede Gruppe oder jede Funktion im Unternehmen aufgestellt werden. Dabei ist die Form wenig wichtig. Der Effekt liegt in der Visualisierung der Macht- und Kräfteverhältnisse. Die Methode unterstützt den Ablauf, also den Modus des Wandels und bindet die Meinungen der Beteiligten ein. McCalman und Paton schlagen eine Reihe von Attributen und Eigenschaften vor, anhand derer die im Diagramm austretenden Kräfte nach ihrer Quelle geordnet werden können. Überwiegen die von innen kommenden treibenden Kräfte, so hat das Veränderungsvorhaben große Aussicht auf Erfolg. Sie dient zu-
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Hemmende Kräfte Veränderungsbereitschaft hoch
4 Gleichgewicht
Zeit
Veränderungsbereitschaft gering Treibende Kräfte
Abb. 4.33↜╇ Kraftfeldanalyse
dem der Bestimmung des „Problem-Owner“ und Change-Management-Team bezüglich der Machtreferenzen im Unternehmen [58]. Die „Projektumfeldanalyse“ ist eine effiziente Methode, um bei einem Veränderungsprojekt schnell einen möglichst umfassenden Überblick über die Beteiligten des Wandels und ihre Beziehung zum Projekt zu bekommen. Dies ermöglicht, die Beteiligten entsprechend zu organisieren und einzusetzen, um das Projekt zum Erfolg zu führen. Auch diese Methode sollte frühzeitig, also in der Startphase eines Veränderungsprojektes zur Anwendung kommen, kann aber auch zu einem späteren Zeitpunkt sinnvoll sein, um tatsächliche oder befürchtete Widerstände gezielt herauszuarbeiten [75]. Das „Risikoportfolio“ bietet analog zur Projektumfeldanalyse eine gute Möglichkeit, sich schnell einen Überblick zu verschaffen. In dieser Methode geht es allerdings nicht um die Projektbeteiligten, sondern um die Projektrisiken. Durch die systematische Sammlung, Priorisierung und Bewertung der Risiken zu Beginn des Veränderungsprojektes lassen sich frühzeitig geeignete Maßnahmen für den Risikofall erarbeiten. Die Sammlung kann also als Grundlage für weitere Maßnahmepläne dienen, um im Falle des Eintretens eines Risikos einen negativen Einfluss auf den Modus des Wandels zu begrenzen [75]. Auch während eines laufenden Veränderungsprojektes können Methoden wie die die Kraftfeldanalyse, die Projektumfeldanalyse oder das Risikoportfolio dazu genutzt werden „weiche“ Problemstellungen zu identifizieren und zu beheben. Ferner kann jedoch bei einem sich in der Umsetzung befindlichen Projekt direkt auf die Einstellung der Mit-
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arbeiter gegenüber Sachverhalten eingewirkt werden. Ein Beispiel hierfür ist das Unternehmenstheater. Bei der Durchführung des „Unternehmenstheaters“ schlüpfen professionelle Schauspieler stellvertretend in die Rolle von Unternehmensvertretern und stellen typische Verhaltensmuster dar. Auf diese Art können kritische Veränderungsbotschaften, zum Beispiel aus dem Bereich der Unternehmenskultur, ungezwungen vermittelt werden, um sie im Anschluss in einem Workshop wieder aufzugreifen und mit den Beteiligten des Wandels zu diskutieren. Das Gelingen dieser Methode hängt stark von der Güte der Vorbereitung ab. Eine klar angegrenzte Botschaft, ein gut abgestimmter Regieplan sowie ein detailliertes Briefing der Schauspieler sind daher zwingend notwendig [7].
4.2.2.4 Erfolgsfaktoren der Unternehmensentwicklung Erfolgsfaktoren des Wandels umschreiben, was bei einem Veränderungsprojekt zu beachten und was zu vermeiden ist. Sie bieten neben dem Erfahrungswissen, das durch Checklisten und Portfolios übermittelt wird, eine Möglichkeit der Orientierung über die Ziele und Zwischenziele, die in Veränderungsprojekten angestrebt werden sollten. In der Literatur gibt es zahlreiche Ansätze zur Bestimmung von Erfolgsfaktoren. Die Vielzahl der Ansätze und der Umstand, dass die Durchführung von Untersuchungen und Studien zu dieser Thematik fortgesetzt werden, beweist die bestehende Aktualität und das bestehende Interesse an den Erfolgsfaktoren des Wandels. Die Ermittlung der Erfolgsfaktoren erfolgt dabei vornehmlich anhand von empirischen Studien. Die zumeist auf Fragebögen basierende Vorgehensweise der empirischen Erhebungen ermöglicht jedoch kaum fundamental neue Ergebnisse. Die durch die Erhebungen erzielten Ergebnisse spiegeln für den Betrachter daher überwiegend seinen eigenen Erlebnishorizont und damit den sogenannten „gesunden Menschenverstand“ wieder. Dennoch bieten die Ergebnisse einen entscheidenden Mehrwert für die Veränderung. Sie erlangen Bedeutung, da die in den Untersuchungen befragten Praktiker und die Autoren der Studien flächendeckend darauf hinweisen, dass deren oftmals praktizierte Nichteinhaltung der Hauptgrund für das Scheitern von Veränderungsprojekten ist. Die Ergebnisse der Untersuchungen variieren dabei situationsabhängig. Entsprechend sollen im Folgenden die 15 Erfolgsfaktoren von Vahs und Leiser detaillierter betrachtet und Erhebungen von Schuh/Müller/Tockenbürger 1998, Doppler/Lauterburg 1994 und Steinle 2008 gegenübergestellt werden [77]. Vahs macht den Erfolg der Veränderungsumsetzung von der effektiven Verbindung der harten, also strukturellen und monetären, als auch weichen, d.€h. humanen und kulturellen Faktoren abhängig. Dass ein Veränderungsprozess beide Theorien berücksichtigen muss, ist ersichtlich und wird seit Anfang der 90er Jahre in der wissenschaftlichen Literatur propagiert. Ebenfalls ausgehend von harten und weichen Erfolgsfaktoren beanstanden Beer und Nohria, dass Manager nicht ausreichend auf die Interdependenzen der E- und O- Theorie achtgeben [78]. Misstrauen ist die Reaktion der Mitarbeiter, wenn sie wechselnd und nicht abgestimmt mit harten Einschnitten in die gewohnte Umgebung und weichen Förderungen ihrer Fähigkeiten konfrontiert werden.
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Ausgehend von diesen harten und weichen Erfolgsfaktoren leiten Vahs und Leiser 15 einzelne Erfolgsfaktoren zur Erreichung der Veränderungsziele ab. Um die Ausprägung der Erfolgsfaktoren im Einzelfall erkennen zu können und zu verfolgen, wie und in welchem Umfang diese von Unternehmen eingesetzt werden, haben Vahs und Leiser auf univariate statistische Methoden zurückgegriffen. Diese analysieren einzelne Untersuchungsvariablen. Die 15 Erfolgsfaktoren, die aus der Analyse folgen, lassen sich in drei Gruppen unterteilen vgl [29]: (Abb.€4.34, 4.35, 4.36). A Faktoren und Hypothesen der Dimension Prozessqualität Vahs
Schuh
Doppler
Steinle
Zielsetzung
Klar definierte Ziele;
Denken in Prozessen statt Strukturen
Einsichtige Zielsetzung/ klare Zieloperationalisierung
Kundenorientierung der Prozesse
Unternehmen auf sein Umfeld ausrichten Von außen nach innen organisieren
Systematik Flexibilität
Prozessflexibilität Timing Strategie
Timing
Straffes Projektmanagement
Ressourcen
Ausreichende Ressourcen
Training
Zieladequate Ressourcenbereitstellung Lernen sicherstellen
Abb. 4.34↜╇ Gegenüberstellung der Erfolgsfaktoren der Dimension Prozessqualität B Faktoren und Hypothesen der Dimension Managementqualität Vahs
Schuh
Doppler
Steinle
Individualität Integration
Projektanbindung
Partizipation
Motivation u. Akzeptanz
Vernetzung durch Kommunikation
MA-Mobilisierung Motivation/Schulungen
Info und Kommunik.
Projektmarketing
Energie wecken und Vertrauen schaffen
MA bezogene Information und Kommunikation
Führungsverhalten
Umsetzungsmotivation
Führungsinstrumente
Konfliktmanagement
Professioneller Tool Einsatz
Abb. 4.35↜╇ Gegenüberstellung der Erfolgsfaktoren der Dimension Managementqualität
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C Wirkungen/Erfolgsfaktoren der Dimension Mikropolitik Vahs
Schuh
Doppler
Steinle
Machtverteilung Commitment
Top Management Commitment
Eindeutiger Wille der Unternehmensspitze
Zielorientierte Personalpolitik
Abb. 4.36↜╇ Gegenüberstellung der Erfolgsfaktoren der Dimension Mikropolitik
A Faktoren und Hypothesen der Dimension Prozessqualität 1. Zielausrichtung: Veränderungsziele müssen operational und konsistent formuliert sein, um den Erfolg der Veränderung positiv zu beeinflussen. 2. Systematik: die systematische Planung und Durchführung hat einen essentiellen Beitrag zum Veränderungserfolg. 3. Flexibilität: Nur durch eine flexible Planung und Maßnahmengestaltung kann zahlreichen Unsicherheiten und starken inneren sowie externen Negativeinflüssen begegnet werden. 4. Timing: Das Timing bildet oftmals das Kernproblem des Veränderungsmanagements. Entsprechend muss im richtigen Zeitpunkt begonnen, ein detaillierter Zeitplan mit Zwischenzielen aufgestellt und ein offizielles Prozessende bestimmt werden. 5. Ressourcen: Knappheit in finanziellen und personellen Ressourcen kennzeichnen ebenfalls zahlreiche Veränderungsprojekte. Die Bereitstellung ausreichender Ressourcen sichert die dauerhafte Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit und beeinflusst somit signifikant den Erfolg der Veränderung. 6. Training: Eine anforderungsgerechte Vorbereitung der Mitarbeiter durch Fach-, Methoden- und Sozialkompetenz zur Qualifizierung für den Veränderungsprozess ist ebenfalls von grundlegender Bedeutung.
B Faktoren und Hypothesen der Dimension Managementqualität 1. Individualität: Unter diesem Punkt wird die individuelle Ausrichtung einer Veränderungskonzeption auf die internen sowie externen Rahmenbedingungen eines Umsetzungsprozesses in einem Unternehmen verstanden. Es sind rein standardisierte, individuelle sowie kombinierte Verfahren möglich. 2. Integration: Tiefgreifende Veränderungsmaßnahmen betreffen verschiedene Bereiche des Unternehmens. Entsprechend ist eine Berücksichtigung vielfältiger Interdependenzen und eine Abstimmung dieser notwendig.
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3. Partizipation: Zur Steigerung der Bereitschaft und zur Überwindung mentaler Barrieren muss die Beteiligung der Ausführenden und Betroffenen an die Handlungen und Entscheidungen der Veränderung angepasst werden. 4. Information und Kommunikation: Die glaubhafte und verständliche Information aller Interessengruppen kann als Katalysator der Unternehmensentwicklung betrachtet werden und ist daher besonders zu berücksichtigen. 5. Führungsverhalten: Orientierung ist ein wichtiger Bestandteil grundlegender Veränderungen. Daher sind glaubwürdige und authentische Führungskräfte eine der grundlegenden Erfolgsfaktoren in einem Veränderungsprojekt. 6. Führungsinstrumente: Die prozessbegleitende Steuerung von Veränderungen bedarf angepasster Anreizsysteme, die materiell oder auch immateriell sein können sowie einem Veränderungscontrolling zur zielgerichteten Planung von Koordination und Kontrolle der Unternehmensentwicklung.
C Wirkungen und Erfolgsfaktoren der Dimension Mikropolitik 1. Machtverteilung: Es gibt verschiedene Formen von Macht; ihre Verteilung innerhalb des Systems kann den Veränderungsprozess sehr unterschiedlich beeinflussen. Die gezielte Machtverteilung zur Promotion des der Unternehmensentwicklung ist somit komplex, aber dennoch von entscheidender Bedeutung. 2. Commitment: Die starke Identifikation der Führungskräfte mit dem Veränderungsprozess hat eine Signalwirkung für das gesamte Unternehmen und beeinflusst den Prozess positiv. 3. Zielorientierte Personalpolitik: Hier werden diejenigen Personalmaßnahmen tragend, die in direktem Zusammenhang mit dem Veränderungsprozess stehen.
4.2.3 Kommunikation der Unternehmensentwicklung Studien belegen, dass Kommunikationsdefizite der Hauptgrund für den Misserfolg von Veränderungsprojekten sind [79]. Kommunikation ist innerhalb von Unternehmen ein elementarer Bestandteil von Geschäftsprozessen. Ohne diesen Informationsaustausch ist ein Unternehmen schon im Entwicklungsmodus des Betriebes nicht mehr handlungsfähig. Dieser Umstand kommt verstärkt zum Tragen, wenn Veränderungen im Unternehmen initiiert und durchgeführt werden sollen. Informationen über den Projektstand, die Zwischenergebnisse und vom Top-Management getroffene Entscheidungen sind für die Beteiligten sowie Unbeteiligten, die zu einem späteren Zeitpunkt mit den Ergebnissen konfrontiert werden, wichtig. Veränderungsprojekte sind vielschichtig, so dass der direkte Dialog mit allen Mitarbeitern im Unternehmen zu suchen ist. Der Kommunikationsweg in nur eine Richtung reduziert die Erfolgschancen, das Projekt innerhalb der veranschlagten Zeit, des
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veranschlagten Budgets und der anderen veranschlagten Ressourcen zu beenden. Der Dialog mit den Mitarbeitern ist unverzichtbar, da nur auf diesem Wege die Projektbeteiligten ein Feedback zur Veränderung erhalten. Auf diese Weise können auch Ängste, Konflikte und vorhandene oder sich anbahnende Widerstände lokalisiert und abgearbeitet werden. Einem jeden Veränderungskonzept muss eine klare und eindeutige Richtung zuzuordnen sein [32, 80, 81]. Jedoch gibt es keine universelle Kommunikationsstrategie für Veränderungsprojekte; diese muss vielmehr individuell erarbeitet werden. Auch durch Zurückhalten von Informationen und Stillschweigen über Veränderungen erhält der Mitarbeiter eine Aussage. Bei dieser Vorgehensweise entstehen Misstrauen und Spekulationen. Durch die Nicht-Kommunikation ergeben sich zahlreiche Interpretationsmöglichkeiten, die zu einer Fehlinterpretation führen. In Firmen mit einem Betriebsklima, welches durch Angst, Unsicherheit und Misstrauen geprägt ist, werden solche Interpretationen ermöglicht. Sollten sich Gerüchte etabliert und verfestigt haben, ist es kaum noch möglich, diese aus der Welt zu schaffen. Jedoch kann die Zeitspanne dazwischen zur Folge haben, dass die Mitarbeiter bereits in die Opposition treten und jeder Information des Managements kritisch gegenüberstehen. Genau diese Verhaltensweise erzeugt Unruhe und baut erste Barrieren auf, die das Management und das Projektteam langsam und mühsam wieder abbauen müssen [82, 53]. Besonders in wirtschaftlich schwierigen Perioden werden die Top-Manager von den Mitarbeitern mit großer Aufmerksamkeit beobachtet und jedes Verhalten, das sie an den Tag legen, wird eher überinterpretiert als übersehen. Dieses Verhalten ist durchaus nachvollziehbar, da Entscheidungen des Managements bis in die tiefste Hierarchieebene hineingreifen und schlimmstenfalls sogar die eigenen Arbeitsbedingungen beeinflussen. Veränderungsprojekte sollten eine Verbesserung innerhalb des Unternehmens erzeugen, jedoch bevor den Mitarbeitern eine Lösung präsentiert wird, muss bei allen Beteiligten ein Verständnis für den Bedarf erzeugt werden. Nicht nur das Management, welches das gesamte Unternehmen im Blick hat, kann Veränderungen anstoßen. Mitarbeiter direkt an der Maschine oder Meister können interessante Impulse für Veränderungen geben, wobei zwei stark divergierende Perspektiven einzuordnen sind. Das Verständnis für Probleme ist bei Führungskräften und Mitarbeitern unterschiedlich, was nicht heißen soll, dass der Mitarbeiter an der Maschine nicht in der Lage ist, eine weiterbringende Aussage zu tätigen. Des Weiteren darf nicht der Irrglaube aufkommen, dass die Veränderung zu komplex ist und der Mitarbeiter nicht in der Lage ist, diese zu verstehen. In solchen Situationen muss die Veränderung für die Kommunikation dementsprechend illustriert, aufbereitet und vermittelt werden, dass allen Mitarbeitern das Verstehen ermöglicht wird. Dieses Vorgehen ist die Grundlage dafür, alle Beteiligten an einem Veränderungsprojekt auf einen gemeinsamen Wissensstand zu bringen. Diese Befähigung sichert im späteren Verlauf des Projektes eine reibungslose Zusammenarbeit, da Ziel und Weg mit einem gleichen Verständnis gesehen werden [83]. Die Tragweite von Veränderungen kann so allen Teilnehmern vor Augen geführt werden. Wenn Mitarbeiter kein Problem erkennen, sehen sie auch keinen Handlungsbedarf und halten die vorgeschlagene Lösung automatisch für unnötig und überflüssig. Im schlimmsten Fall kann eine Verärgerung über die geplanten Projekte entstehen, da der Mitarbeiter dem Management vorwirft, seine Probleme nicht zu
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kennen und erst recht nicht zu verstehen. Eine frühzeitige Vermittlung des Handlungsbedarfs ist für größere Projekte wichtig, um nicht in der Startphase Widerstände und Zweifel zu generieren. Wenn Chancen und Risiken der Belegschaft zu spät nahe gebracht werden, verpuffen die Erklärungsversuche ohne jegliche Wirkung. Sobald die Fronten festgefahren sind, ist es schwer, eine sachliche Diskussion in einem angenehmen Klima zu führen. Das Risikobewusstsein ist ein typisches Verhalten, welches der Mensch an den Tag legt, wenn Veränderungen seinen Weg kreuzen. Erstmal gilt es, das Neue kritisch und zurückhaltend zu hinterfragen, bevor in falscher Euphorie ins „offene Messer gerannt wird“. Wenn nichts Bedrohliches von der Veränderung ausgeht oder die Sinnhaftigkeit erkannt wurde, ist der Mensch bereit, Engagement für die Sache aufzubringen. Diese Motivation muss durch ein strukturiertes Vorgehen in den Veränderungsprozess hineingetragen werden. Eine offene und transparente Kommunikation mit den Adressaten stärkt das Vertrauen und motiviert die Teilnehmer. Die maßgebliche Dimension zur Strukturierung des Vorgehens der Kommunikation der Veränderung ist die Zeit und der damit verbundene Inhalt der Veränderung. Krüger teilt die Aufgaben und Ziele der Kommunikation wie in der folgenden Abbildung dargestellt (Abb.€4.37) in die Phasen Initialisierung, Konzipierung, Mobilisierung, Umsetzung und Verstetigung auf.
Fallbeispiel aus der Umformbrancheâ•… Der Geschäftsführer eines familiengeführten Betriebes der Massivumformbranche ruft im Rahmen einer Unternehmensversammlung die Mitarbeiter dazu auf, künftig stärker in Eigeninitiative Ideen in den Betrieb einzubringen. Auf Grund von immer größerem Druck der Konkurrenz aus Osteuropa und Asien verringern sich die Marktanteile zusehends. Auch waren neue Produkt- und Prozessinnovationen rar. Zusätzlich war durch die bisher durchgeführten Rationalisierungsprojekte das Klima in der Firma und insbesondere zwischen verschiedenen Abteilungen schlecht. Durch neue abteilungsübergreifende IT-Systeme und eine Optimierung des Ideenmanagements hat der Vorstandsvorsitzende erste Grundlagen geschaffen und in einer flammenden Rede vor versammelter Belegschaft wird die neue Ära ausgerufen. „Angesichts zunehmender Konkurrenz brauchen wir neue Ideen, neue Energie und einen neuen Geist, um dieses Unternehmen wieder zum Marktführer in Deutschland zu machen. Und die Quelle dieser Veränderungen sind Sie“, so der neue Chef. „Im Rahmen unseres neuen Ideenmanagement-Konzeptes werden Sie mehr Informationen darüber erhalten, wie dieses Unternehmen zukünftig geführt wird. Sie werden mit Ihren Kollegen auf eine neue und kreative Art zusammenarbeiten. Und, das ist vielleicht das Wichtigste, Sie werden Ihre Träume verwirklichen können.“, so die hohen Ziele des Konzeptes. Nach der gelungenen Kick-off-Veranstaltung des Programms treten bei der Ideenmanagement-Software Probleme bei der Eingabe im Portal auf. Als Folge des Behebens dieser Probleme innerhalb eines Monats kann die Motivation der Mitarbeiter ausgehend von der Kick-off Veranstaltung auf einem hohen Niveau gehalten werden. Eine Flut an Verbesserungsvorschlägen wird abgegeben. Da die Bearbeitung dieser Vorschläge von den Führungskräften nebenbei erfolgt, dauert diese insgesamt über ein halbes Jahr. Auch werden viele der beim Kick-off angekündigten Kaizen-Arbeitskreise auf Grund
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Ziel
Aufgaben
Schwerpunkt
Initialisierung Vermittlung des Wandlungsbedarfs
• Persönliche Ansprache relevanter Promotoren • Entwicklung einer Change Story • Identifikation geeigneter Kommunikatoren
Informale, persönliche Kommunikation im kleinen Kreis
Konzipierung Legitimierte Kommunikation im Projektteam und darüber hinaus
Bedeutung und Beachtung der Kommunikation sicherstellen
• Entwicklung von Kommunikationsstrategie/-konzept • Verbreiterung der Basis • Einbindung/Schulung wesentlicher Kommunikatoren
Herstellung von Wandlungsbereitschaft
Persönliche und mediale • Generierung von Aufmerksamkeit • Überzeugende und emotionalisierende Kommunikation in Großund Kleingruppen Darstellung des Wandlungsbedarfs • Erzeugung von Akzeptanz und Verständnis
Vermittlung von Fähigkeiten und Unterstützung der Problemlösung
• Bereitstellen von Informationen zum Umsetzungsstatus • Überzeugende Darstellung der individuellen Vorteile • Kommunikation von Resultaten/ Erfolgen • Abhalten von motivierenden Events
Aufrechterhalten regen Erfahrungsaustauschs
• Kommunikation von Erfolgsbeispielen • Schaffung von Dialogplattformen für Austausch auf breiter Basis • Unterstützung der Überführung in die Regelkommunikation
Mobilisierung
Umsetzung Regelmäßige UpdateKommunikation für Großgruppen und Dialogkommunikation auf allen Ebenen
Verstetigung Dialogkommunikation auf allen Ebenen. Informale, persönliche Gespräche
Abb. 4.37↜渀 Strukturierter Einsatz der Kommunikation in Veränderungsprojekten [14]
des Drucks des Tagesgeschäfts nicht durchgeführt. Zudem wird versäumt, die auf den ersten Verbesserungsvorschlägen beruhenden Erfolge zu veröffentlichen. Die Anzahl der eingebrachten Ideen nimmt daraufhin rapide ab. Das Ideenportal wird von den Mitarbeitern nicht mehr oft frequentiert, so dass das Projekt neu aufgesetzt werden muss. Für den neuen Versuch bediente sich der Geschäftsführer eines umfassenderen Kommunikationskonzeptes, durch das sich das Ideenmanagement über vier Jahre bis zur nächsten Überholung mit großem Erfolg etablierte.
Die Ziele eines Veränderungsprojekts enthalten eine Vielzahl von erwarteten Verbesserungen, die den Mitarbeitern kommuniziert werden können. Jedoch muss das Management auch den Mut besitzen, die negativen Aspekte offen darzulegen und diese mit der
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Belegschaft zu diskutieren. Es wird kein Veränderungsprojekt geben, bei dem nicht ein Mitarbeiter oder eine Anspruchsgruppe eine negative Facette entdeckt. Die Aufgabe des Top-Managements ist es, diese negativen Facetten zu adressieren und deren Notwendigkeit zu erklären. Mitarbeiter werden sich vehement gegen die Veränderung wehren, wenn sie nicht auf die negativen Seiten aufmerksam gemacht werden und dadurch trotz eines brillant ausgearbeiteten Konzeptes die Vorteile und Chancen für sich und das Unternehmen nicht erkennen können. Das Management muss sich den Fragen der Mitarbeiter stellen, diese ernst nehmen und die Antworten in einer offenen Kommunikation allen Beteiligten zugänglich machen. Dabei muss aber deutlich gemacht werden, dass das Konzept der Veränderung bei konstruktiver Mitarbeit in Details abänderbar ist, aber auf Grund der vorgelegten Ursachen und Gründe nicht zur Disposition steht. Wenn der Eindruck aufkommt, dass das Management nicht hinter der Veränderung steht, treten Kritiker direkt in den Vordergrund und verunsichern weitere Mitarbeiter [84, 85]. Probleme müssen nicht sofort gelöst werden, aber sie müssen zeitnah registriert werden und der Mitarbeiter muss wissen, dass seine Stimme gehört wird. Dabei geht es nicht darum, jedes kleine Argument aufzugreifen; kritische Punkte sollen jedoch bedacht und mit Respekt dem Mitarbeiter gegenüber betrachtet werden [86, 87].
4.2.3.1 Initiierung und Kommunikation Nach Müller-Stewens ist vor allem die effektive, breitflächige Kommunikation Vorausetzung zur Schaffung von Motivation und Verständnis. Dabei muss ein ausreichender Impuls der Dringlichkeit durch das Unternehmen gehen, um es zu vitalisieren. Eine Unterscheidung ist bei der Art der Initiierung nach dem Ausmaß, also dem Entwicklungsmodus des Wandels zu treffen. So können Wandelprojekte in den Modi Betrieb und Verbesserung geschehen, ohne dass diese dem Mitarbeiter gesondert auffallen. Bei einer Erneuerung, dem revolutionären Wandel schlägt Müller-Stewens auf Grund seiner Massenwirkung einen „Big Event“ als Einleitung vor. Vorteil von Großereignissen ist, dass in kurzer Zeit viele Menschen erreicht werden. Wird die Botschaft positiv aufgenommen, kommen auch noch gruppendynamische Effekte dazu, die die Akzeptanz weiter steigern können. Voraussetzung ist allerdings die zügige Umsetzung der angekündigten Maßnahmen, da sonst Glaubwürdigkeit verloren geht und ein Wandelvorhaben dann umso schwieriger durchzusetzen wird. In der Literatur wird mehrfach auch das Spiel mit Irritation und Angst erwähnt. Wichtig sei, dass das Projekt überall „gehört, gesehen und gerochen“ werden könne. Dabei müssen Akzente gesetzt werden und diese für alle sichtbar sein. Gerade Massenkommunikation beruht auch auf Wiederholung und leichtem Verständnis der Botschaft. Eine einheitliche übergreifende Kommunikationsstrategie für alle Veränderungsprojekte kann nicht geschaffen werden, da zum einen Projekte und involvierte Mitarbeiter zu unterschiedlich sind und zum anderen Veränderungsprojekte eine Bandbreite (abteilungs-, standort- oder gar länderübergreifend) haben, die kein einheitliches oder gar standardisiertes Vorgehen erlaubt [88, 89]. Veränderungen greifen immer ins Tagesgeschäft
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ein und bewirken während der Umsetzung eine gewisse Lähmung des zu optimierenden Prozesses; Veränderungen laufen meist parallel zum Tagesgeschäft. Eine unzureichende Zuweisung von Ressourcen für die Kommunikation wie auch die Veränderung an sich sorgt dafür, dass Veränderungsprojekte gar nicht erst angegangen werden und durch Hinauszögern irgendwann versanden. Die Pflicht des Managements ist es, den Mitarbeitern Vertrauen in die beschlossenen Maßnahmen zu geben. Durch diesen Umstand ist der Mitarbeiter bereit, Mühe und Kreativität sowie Zeit (auch über das normale Arbeitspensum hinaus) zu investieren [90]. Als Faustregel gilt: Je mehr gescheiterte oder endlose Projekte die Firma vorzuweisen hat, desto demotivierter gehen Mitarbeiter in die Veränderung hinein. Es kostet mehr Aktivierungsenergie, den Elan für das Voranbringen der Veränderung zu erzeugen. Veränderungsprojekte erfordern von der Führungsmannschaft ein überdurchschnittliches hohes Engagement in der Startphase, welches langsam nach und nach herunter gefahren werden kann. Die Symbolwirkung, die der Einsatz des Chefs bedeutet, verdeutlicht den Mitarbeitern die hohe Priorität, die Veränderungsprojekte haben. Die Mitarbeiter werden denken: „obwohl der Terminkalender des Chefs voll ist, kümmert er sich stundenlang um diese Projekte, das ist wohl wirklich wichtig für die Firma.“ Neben den Führungskräften existieren in Unternehmen inoffizielle Machtstrukturen, die ein Veränderungsprojekt lähmen oder beflügeln können. Auf Grund ihrer respektierten Stellung werden Meinungsführer in Veränderungssituationen von ihren Kollegen oft zu Rate gezogen. Daher wissen die Meinungsführer über Entwicklungen im Unternehmen detailliert Bescheid und sind darüber hinaus von einer Vielzahl von Mitarbeitern als wichtige Stütze des Unternehmens respektiert. In einem Veränderungsprojekt sind diese Meinungsführer zu identifizieren. Eine Identifikation der Meinungsführer hilft dabei, diese richtig zu adressieren und deren Einfluss für die Umsetzung der Veränderung zu gewinnen. Zu den Charakteristika dieser Personen sei gesagt, dass sie in der Regel keinen ausgeprägten Karriereehrgeiz besitzen, jedoch über eine selbstbewusste und autonome Persönlichkeit verfügen. Meinungsführer sind meist seit mehreren Jahren im Unternehmen und sind sprichwörtlich bekannt „wie ein bunter Hund“. Sie sind hilfsbereit, haben für fast jedes Problem eine adäquate Lösung, ein offenes Ohr für Probleme und bekleiden zum Beispiel die Position des Lagerleiters, Vorarbeiters oder sind Mitglied im Betriebsrat. Es gibt kein Raster für einen Meinungsführer oder den typischen Meinungsführer. Als Berater oder Manager sind Meinungsführer ein starker Partner in Veränderungsprojekten [21]. Darüber hinaus spielen interne und externe Spezialisten eine Rolle. Aus Akzeptanzgründen ist es bedeutsam, dass die Projektleitung in der Aufbauorganisation des Unternehmens möglichst weit oben eingeordnet ist. Insbesondere bei fundamentalem Wandel erklärt sich der Vorstand selbst für die Veränderung verantwortlich. Für die erfolgreiche Umsetzung des Projektes sind Sachkompetenz, Methodenkompetenz sowie Verfügbarkeit und persönliches Engagement unbedingte Voraussetzungen der Projektleitung. Gleiches gilt für die Mitglieder des Projektteams. Der Einsatz von modernen Kommunikationsmethoden, wie zum Beispiel von Projektdatenbanken (digitalen Wissensenzyklopädien) oder Newslettern, eignet sich sehr gut, um über den Stand und die nächsten Schritte des Projektes zu unterrichten [91–93]. Der Einsatz dieser Kommunikationsmedien im Umfeld gut ausgebildeter nahezu unkündbarer Mitarbeiter verwundert nicht, da es vor allem im öffentlichen Bereich keine Möglichkeit gibt, Top-down Veränderungen im Unternehmen durchzusetzen.
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Projektdatenbanken haben den Vorteil, dass alle Mitarbeiter im Unternehmen, egal ob an den Maschinen, im Meisterbüro oder auf Führungsebene, Informationen und Prozesse sichtbar und transparent abrufen zu können. Des Weiteren besteht die Möglichkeit, Prozesse zu aktualisieren, wenn ein Mitarbeiter neue Erkenntnisse gewonnen hat. Sicherheitsmechanismen verhindern einen Abfluss von Wissen nach außen. Die Systeme bieten besonders bei Unternehmen mit mehreren Standorten, nicht nur innerhalb von Deutschland, sondern global, die Möglichkeit, wissen auszutauschen. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Tochterwerk ähnliche Probleme hat, ist gegeben. Somit müssen Unternehmen nicht für jeden Standort von neuem die gleichen Lösungen schaffen. Das spart nicht nur Zeit, die die Unternehmen gegenüber ihren Wettbewerbern nicht haben, sondern auch Kosten bei Mitarbeitern, Maschinen und anderen Ressourcen, die sonst blockiert wären. Ein auf einen „Kummerkasten“ bezogener Newsletter und Projektdatenbanken ermöglichen darüber hinaus eine strukturierte 2-Wege-Kommunikation. Eine institutionalisierte Kommunikationsplattform, die Fragen und Beiträge aufnehmen und beantworten kann, bietet viele Vorteile gegenüber der alten 1-Weg-Kommunikation, wie zum Beispiel Handbücher oder Leitfäden. Eine Übersicht über die Kommunikationsinstrumente der Veränderung enthält die Abb.€4.38. Neben einer institutionalisierten Kommunikationsplattform bieten aber auch regelmäßige Workshops die Möglichkeit, Kritik aber auch Anregung zu der geplanten Veränderung aufnehmen und diese mit den Mitarbeitern sinnvoll in die Veränderungskommunikation einbauen zu können. So werden Mitarbeiter abgeholt und haben ein beschränktes Mitspracherecht. Dies schafft eine höhere Zufriedenheit und Motivation [94]. Darüber hinaus sind Meilensteine ein elementarer Bestandteil für die Kommunikation eines Veränderungsprojektes. Sie lassen zu, eine Aufgabe in bezwingbare kleine EinzelNeue und bestehende Instrumente
Aktivitäten
medial • Flugblatt
Zeit
Empfänger
Inhalt
Sender
Einmalig
Alle
Start
Kom.-Team
• MANewsletter
14-tägig
Alle
Allg. Infos
Kom.-Team
• Projektdatenbank/ Intranet
Permanent
Alle oder begrenzt
Allg. Infos und Kom.-Team Hintergründe
• Kummerkasten, Newsletter
Permanent
Alle
Alle
Prog.-Mgt
Alle
Status
BR/Progr.-Mgt
persönlich • Betriebs¼-jährlich versammlung • Kick-off Big-Event
Einmalig
Alle
Konzept/ Vision
Progr.-Mgt
• Führungsdialog
Wöchentlich
Informationskreis
Problem
Vorstand
Abb. 4.38 ╇ Instrumente der Veränderungskommunikation [14]
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portionen zu segmentieren, die sich besser handhaben und kommunizieren lassen. Zudem bieten Meilensteine einen eleganten Weg, Ergebnisse von Mitarbeitern einzufordern, aber auch deren Erreichen in der Kommunikation als einen Erfolg im Veränderungsprojekt darzustellen. Insbesondere bei langwierigen tiefgreifenden Projekten wird so die Voraussetzung zur Veröffentlichung eines erfolgreichen Zwischenstandes geschaffen. Auf diese Weise haben neben dem Projektleiter/-koordinator und der Geschäftsleitung auch unbeteiligte Mitarbeiter die Möglichkeit zu überprüfen, ob das Schiff noch auf dem richtigen Kurs ist. Bei einer eklatanten negativen Abweichung zum Fahrplan muss das Management für alle Beteiligten transparent nachjustieren. Für den Erfolg des Projektes müssen jedoch solche Abweichungen die Ausnahme bleiben. Hierfür ist es notwendig, dass vorab eine Eskalationsstrategie erstellt wird und diese auch zu einem Bestandteil der Kommunikation wird, so dass jeder Projektteilnehmer sich über die Konsequenzen bei Nichterfüllung bewusst ist. Durch eine transparente Kommunikation des Projektmanagements muss das Nichterfüllen von Arbeitspaketen für jeden nachvollziehbar sein. Dies bedeutet, es müssen klare Vorgaben existieren, wer, was und zu welchem Zeitpunkt abzuliefern hat. Diese Überprüfung kann nur durch Messgrößen erfolgen, die ebenfalls im Projekt-Kick-Off oder bei der Initiierung des Projektes bekannt gegeben werden müssen. Fehlentwicklungen kann nur entgegentreten werden, wenn deren Eintreten auch messbar ist. Meilensteine bieten dem Mitarbeiter die Möglichkeit, die erledigte Aufgabe abzuhaken. Dies ist wichtig, da sich Aufgaben oder Projekte ohne erfahrbares Ende als ein großes Motivationsproblem erweisen. Darum lautet die Devise, große Projekte in kleinere zu unterteilen [95]. Für den wünschenswerten Fall, dass Projekte im Zielkorridor liegen und auch das geplante Ende gefunden haben und die Ergebnisse den Erwartungen entsprechen, ist es an der Zeit, diesen Erfolg gemeinsam zu feiern. Nach einem abgeschlossen Projekt kann das Ergebnis anderen Mitarbeitern vorgestellt werden. Auch aus diesem Grund ist eine Unterteilung von Großprojekten in stemmbare kleinere Portionen sinnvoll. Durch diese Taktik erhalten Mitarbeiter nach Beendigung eines Meilensteins einen erneuten Motivationsschub für die bevorstehenden Aufgaben. Des Weiteren besteht bei jedem Meilenstein-Meeting die Möglichkeit, Teilnehmer des Projektes auszutauschen, ohne den Anschein zu erwecken, dass etwas nicht nach Plan läuft. In diesen Meetings ist ein Personalwechsel einfach zu begründen. In großen Unternehmen mit einer Vielzahl von Veränderungsprojekten ist es sinnvoll, einen Lenkungsausschuss ins Leben zu rufen. Die Mitglieder dieses Ausschusses sollten der Geschäftsführung angehören. Dadurch wird erneut die Wichtigkeit von Veränderungsprojekten in der Unternehmenskultur verdeutlicht und die ausführenden Mitarbeiter der Veränderung müssen ihre Ergebnisse nicht nur vor dem Projektteam vorstellen, sondern auch vor Mitgliedern der Geschäftsführung. Dieser Lenkungsausschuss bewirkt unter anderem zwei Dinge: zum einen möchte kein Abteilungsleiter einen seiner Mitarbeiter vor dem Top-Management verteidigen, weil er seine Leistung nicht erbracht hat, aber zum anderen bietet diese Möglichkeit besonders engagierten Mitarbeitern eine Plattform, um aufzuzeigen, welches Potenzial in ihnen steckt.
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4.2.3.2 Vermittlung und Qualifizierung
4
Im Zentrum der Kommunikation eines Change-Management-Vorgangs stehen neben dem verfolgten Konzept der Informationsbereitstellung auch die Notwendigkeit, die Mitarbeiter für den Wandel zu befähigen. Die Mitarbeiter müssen nicht nur den Wandel tragen wollen, sie müssen diesen auch tragen können. Daher ist eine der elementaren Voraussetzungen für den Wandel die Qualifikation und damit die Motivation der Mitarbeiter. Das bedeutet, dass bei den Mitarbeitern nicht nur ein Bewusstsein geschaffen werden muss, dass nicht alles so in Ordnung war, wie es vorher war. Vielmehr muss das Wissen und Können der Mitarbeiter muss dahingehend beeinflusst werden, dass nachvollziehbar wird, wie etwas zukünftig besser zu machen ist. Abbildung€4.39 zeigt auf, das die Akzeptanz der Veränderung nur durch ein Zusammenwirken von der Befähigung und der Bereitschaft der Mitarbeiter zur Veränderung entstehen kann. Wenn der Mitarbeiter keinen Wissenszuwachs hat, dann wird er auch keine Innovation in einen Prozess einbringen. Da mit modernen Veränderungsprozessen meist auch ein „job enrichment“, d.€h. eine Zunahme der Verantwortlichkeit der Arbeit, oder ein „job enlargement“, d.€h. eine Zunahme des Umfangs der Arbeit einhergeht, müssen auch die Fertigkeiten im Vorfeld erlernt werden, die die Arbeitsperson später ausführen wird. Das Nicht-Beherrschen der Fähigkeiten, die die geplanten Prozesse erfordern, wird im besten Falle zu einer Blockade der Mitarbeiter auf Grund von Überforderung führen, wahrscheinlich aber eher zu einer drastischen Verschlechterung der Performance des Prozesses, wenn nicht sogar zum Erliegen der Prozesse führen. Deshalb ist die umfassende Qualifizierung von Mitarbeitern wichtig. Qualifizierung sollte nach Müller als ein permanenter Prozess implementiert werden. Akzeptanz der Änderung
Änderungsfähigkeit
Änderungsbereitschaft
Kennen
Können
Wollen
Sollen
Information Kommunikation Nutzung der Regelwege • Sonderaktivitäten •…
• •
Fachkompetenz Methodenkompetenz • Sozialkompetenz •…
•
Intrinsische Anreize • Extrinsische Anreize • Gegengeschäfte • Transparenz •…
•
• • •
Kommunikationsinstrumente
Qualifikationsinstrumente
Motivationsinstrumente
Projektorganisation • Promotoren • Partizipation • Begleitung •…
Organisationsinstrumente
Abb. 4.39 ╇ Zusammenhang zwischen Veränderungsfähigkeit und Veränderungsbereitschaft [32]
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4â•… Unternehmensentwicklung
Während Qualifizierung die Entwicklung der Fähigkeiten der Mitarbeiter bezeichnet, die zu einer höheren Flexibilität und Anpassungsfähigkeit gegenüber dem Wandel führt, soll mit Coaching die gezielte Beratung einer Führungskraft erreicht werden. Die Leistungsfähigkeit der Führung ist im Wandel von besonderer Bedeutung. Es bedarf nicht nur charismatischer Führung, sondern auch hoher fachlicher Kompetenz in vielen Bereichen, um Glaubwürdigkeit bei der Umgestaltung dieser Bereiche zu gewinnen. Der Ausbildung dieser Fähigkeiten sollen gezielte Maßnahmen des Coachings und Trainings bei Führungskräften dienen. Coaching wird sowohl als Einzel- als auch als Team-Coaching angeboten. Die wichtigsten Voraussetzungen für Coaching sind Freiwilligkeit, Neutralität des Coaches, Offenheit und Vertrauen. Im Einzel-Coaching sollte der Coach eine besonders erfahrene, sozialkompetente Führungskraft sein. Im Team-Coaching fungiert der Coach eher als Moderator denn als Lehrer. Dabei bietet Team-Coaching in modernen Management-Systemen einige Vorteile gegenüber Einzelcoaching. Es ist hoch-interaktiv, on-the-job, praxisbegleitend und prozessorientiert. Dabei werden Führungsfragen, Probleme und Konfliktsituationen aus dem Berufsalltag des Einzelnen in der Gruppe (5–6 miteinander im Alltag vernetzte Personen) diskutiert. Ergebnis von Coaching ist, neben der Entwicklung der ManagementKompetenz, die Verbesserung der Sozialkompetenz und Persönlichkeit der Führungskräfte, was global zu einer Steigerung der Problemlösungskapazität führt.
4.2.4 Controlling der Unternehmensentwicklung Wie im Rahmen der Veränderungskommunikation müssen die Meilensteine und die gesamte Zielerreichung von Veränderungsprojekten messbar und damit nachhaltbar sein. Auch Veränderungsprojekte sind wie das umfassendere unternehmerische Handeln Problemlösungsprozess von Bedürfnissen der Notwendigkeiten. Diesem Verständnis folgend kann Veränderungsprojekten wie auch im Unternehmen zum Controlling eine iterative Abfolge von vier Elementarschritten in der Reihenfolge Planen, Durchführen, Überprüfen und Reagieren (Abb.€4.39) zu Grunde gelegt werden (Deming-Zyklus) [96]. Auf dieser
1. Planung
4. Reagieren
Abb. 4.40↜╇ PDCA-Zyklus nach Deming [96]
DEMING-ZYKLUS
3. Überprüfen
2. Durchführen
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Basis wird die übergreifende Anwendbarkeit des Controllings deutlich: Es dient der Koordination von Planung und Kontrolle und stellt die Informationsversorgung sicher [97]. Jedoch ist die wissenschaftliche Meinung über die genaue inhaltliche Belegung des Controllingbegriffes nicht einheitlich [53]. Beim Einsatz von Controlling-Konzepten in den dynamischen Situationen des unternehmerischen Wandels, die u.€a. durch Restrukturierungsvorhaben hervorgerufen werden, unterliegt das Controlling gegenüber stabilen Situationen einem teilweise veränderten System aus Anforderungen, Zielen und Aufgaben. Die wesentlichen Ziele, die dem Controllingeinsatz im Wandel zu Grunde liegen, entgehen einerseits den Zielen des Restrukturierungsprojektes und bestehen andererseits darin, die Koordinations-, Reaktions- und Adaptionsfähigkeit innerhalb der Veränderungsphase zu erhalten. Auf übergeordneter Ebene muss letztlich ein formelles Projektcontrolling und eine prozess- und kundenorientierte Neugestaltung des Unternehmenscontrollings gewährleistet werden [98]. Aufgaben des Projektcontrollings sind vor allem die Koordination von Tätigkeiten und Aufgaben, die Wirkungsprognose alternativer Maßnahmenpakete und die Fortschritts- und Abweichungsanalyse des Projektverlaufes. Das Unternehmenscontrolling wird dem veränderten Umfeld angepasst, indem die bestehenden Systeme sowohl um Zusatzaufgaben ergänzt werden als auch um überflüssige Teile verschlankt werden [98]. Die einzelnen Anforderungen, die diesen Zielen untergeordnet sind, werden maßgeblich durch die Dynamik der Veränderungssituation geprägt. So sollte sich der Zeitbezug des Controllings durch hohe Aktualität der Daten auszeichnen. Das Controlling muss des Weiteren Sensitivität gegenüber den Veränderungen aufweisen und als flexibles System an Veränderungen angepasst werden, wobei Anpassungen zum Erhalt der Vergleichbarkeit ermittelter Daten vorhergehender Perioden dokumentiert werden müssen. Um eine hohe Relevanz der ermittelten Daten zu erreichen, sollte das Umsetzungscontrolling Prozessund Maßnahmenbezug herstellen und den Beitrag einzelner Maßnahmen an erreichten Ergebnissen verdeutlichen. Weiterhin müssen Wirtschaftlichkeit, Ganzheitlichkeit und Anwendbarkeit in durchgängig methodischer Vorgehensweise verwirklicht werden [98].
4.2.4.1 Erfassung der Zielerreichung durch Controlling Ein weiteres wesentliches Teilelement bildet die Kontrollfunktion. Im Anwendungskontext von Veränderungsprojekten bezieht sich die Kontrollfunktion vor allem auf die Erfassung der Zielerreichung des jeweiligen Veränderungsvorhabens. Die Zielerreichung kann sowohl in quantitativer Weise als auch in qualitativer Weise ermittelt werden, wobei die quantitative Methode des Kennzahlencontrollings eine besonders wichtige Rolle spielt. Der Grund dafür liegt darin, dass der Einsatz von Kennzahlensystemen bereits im Vorfeld des Projektes dazu veranlasst, das Einsatzszenario zu durchdenken und quantitativ zu erfassen. Während der späteren Laufzeit des Projektes verdeutlichen die Kennzahlen die Auswirkungen und den Verlauf der Zielerreichung [53]. Jedoch sollte neben der reinen Auswirkungsanalyse von Veränderungsmaßnahmen auch eine direkte Analyse des Implementierungsvorganges durchgeführt werden, um unerwartete Probleme unmittelbar aufzudecken [99].
4â•… Unternehmensentwicklung
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Ein Kennzahlensystem zum Controlling des Wandels kann beispielsweise durch eine Vielzahl von Ansätzen zur Nutzung einer Balanced Scorecard. Die Balanced Reorganization Scorecard nach Picot umfasst beispielsweise Informationen aus den Betrachtungsperspektiven des Projektes, der Mitarbeiter, der Kunden und der Finanzen bereit [53]. Weitere Ansätze zur Balance Scorecard werden im Kapitel Controlling vorgestellt. Die Projekt-Perspektive erfasst den Grad der Zielerreichung, indem das Restrukturierungsziel in delegierbare Module zerlegt wird, deren zeitlicher und inhaltlicher Fortschritt nachgehalten werden kann. Die Mitarbeiter-Perspektive erfasst die Zustimmung der Mitarbeiter zu den Restrukturierungsmaßnahmen sowie deren allgemeine Zufriedenheit und Zuversicht. Um die Auswirkungen der Unternehmensveränderung auf die Kunden transparent zu machen, werden im Rahmen der Kunden-Perspektive die Leistungsveränderungen in einzelnen Kundengruppen gesammelt. Die Finanz-Perspektive dient der Gegenüberstellung von Prozess-Aufwand und Prozess-Ertrag [100, 53]. Es können sowohl die vier oben genannten, als auch andere frei gewählte Perspektiven in eigenen Kennzahlensystemen für das Controlling eines Veränderungsprojektes berücksichtigt werden. Dazu stehen ökonomische Kriterien bereit, die sich mit monetärem Bezug auf die Kosten der Veränderung konzentrieren oder nichtmonetär die betriebliche und humane Leistungsfähigkeit beziffern. Arbeitswissenschaftliche Kennzahlen zeigen die Entwicklung der ergonomischen und arbeitspsychologischen Bedingungen [99].
4.2.4.2 Reporting durch Controlling Eine der Hauptaufgaben des Controllings ist es, die betriebliche Informationsversorgung zur Verfügung zu stellen. In Phasen des betrieblichen Wandels ist aber insbesondere die Informationsübermittlung von entscheidender Bedeutung, um bei Betriebsangehörigen eine hohe Transparenz und Akzeptanz bezüglich der Restrukturierungsmaßnahmen zu erreichen. Als operatives Werkzeug empfiehlt Womack dazu eine verknappte Darstellung von Problemlösungswegen durch einen so genannten A3-Bericht. Auf einer einzigen DIN-Seite des namensgebenden Formates (A3) entwickelt ein Autor anhand einer vorgegebenen Struktur einen spezifischen Problemlöseprozess. Die aus der klaren Struktur resultierende, mutmaßliche Verständlichkeit soll die abteilungsübergreifende Kommunikation und das Verständnis getroffener Entscheidungen fördern. Die Übersichtlichkeit kann durch ein einheitliches Bearbeitungsschema gefördert werden: Üblicherweise werden in einem ersten Schritt bestehende Probleme und deren Hintergründe identifiziert. Nach einer anschließenden Ursachenanalyse werden das Lösungsziel und die damit verbundenen Maßnahmen erarbeitet, um im nächsten Schritt deren Implementierung hinsichtlich Handlungen, Verantwortlichkeiten, Orten und der zeitlichen Dimension festzulegen. Zuletzt wird ein Nachfolgeplan dem Dokument hinzugefügt, um sicherzustellen, dass die erreichten Ziele langfristig beibehalten werden. Die Darstellung von Problemstellung, Lösungsansätzen und Umsetzungsmaßnahmen an einer (zentralen) Stelle erzeugt Transparenz auf mehreren Ebenen. So erfolgt sowohl für die Betroffenen der Veränderungsmaßnahme als auch für Mitglieder der übergeordneten Führungsebene eine Darstellung des gesamten Problem-
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Hintergrund − Hintergrund des Problems − Verstehensnotwendiger Kontext − Auswirkungen des Problems Derzeitige Ümstände
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− Abbild der derzeitigen Situation, z.B. Prozessabbild − Unstimmigkeiten im System − Ausmaß des Problems (z.B. Messwerte) Ziele
Vorgeschlagene Maßnahmen − Maßnahmenvorschlag mit Bezug auf ermittelteUrsachen − Beschreibung der Maßnahmen − Verantwortlichkeiten und betroffene Mitarbeiter − Erwartete Verbesserungen Plan − Zeitlicher Ablauf aller Maßnahmen − Einbezug von Verwantwortlichkeiten, Unterstützung und Begutachtung der Tätigkeiten
− Prozessvorschläge − Maßnahmen − Kennzahlen Nachfolgeplan Ursachenanalyse − Problemliste − Ursachenbezug herstellen: Warum entstehen diese Probleme?
− Prüfung der Ergebnisse − Wie wird der langfristige Erfolg der Veränderung gesichert?
Abb. 4.41↜╇ Exemplarischer Aufbau eines A3-Berichtes [101]
lösungsvorganges. Dadurch kann die Führungsebene aus der Bewertung der Arbeitsweise des Lösungsautors auch gezielte Schulungsmaßnahmen ergreifen. Die eindeutige Festlegung des Autors und der Betroffenen des Problemlöseprozesses sorgt für eine eindeutige Kompetenzverteilung [101]. Der Aufbau eines A3-Berichtes ist in Abb.€4.41 beispielhaft dargestellt. Fallbeispiel aus der Werkzeugmaschinenherstellungâ•… Ein Werkzeugmaschinen produzierendes Unternehmen hat durch den Preisverfall der letzten Jahre stark bei den auf den Umsatz bezogenen Gewinnmargen verloren. Um die Fähigkeit zu Investitionen zu sichern und damit die Zukunft des Unternehmens entschließt sich der Geschäftsführer Lean-Methoden einzuführen, um Fehler-, Bestands- und Transportkosten zu senken. Eine Arbeitsgruppe soll ein plattformbasiertes Just-in-Time-Produktionskonzept für die Pilotbereiche Blechverformung und Lackierung der Werkzeugmaschinenfertigung aufbauen. Zu diesem Zweck wird ein Projektteam gegründet, das sich mit Themenstellungen der Modularisierung und der Anwendung von Lean-Management-Prinzipien in den genannten Bereichen beschäftigt. Dies findet die Zustimmung insbesondere der jungen und engagierten Mitarbeiter, da diese seit Jahren, die während ihres Studiums erlernten Arbeitsprinzipien ohne nennenswerten Erfolg einzuführen versucht haben. Nach Wochen fruchtbarer Arbeit wird das erarbeitete das Konzept vorgestellt. Der Werksleiter selbst ist begeistert, das ganzheitliche Konzept, das sowohl Prozess- als auch Produktveränderungen mit einschloss, geht weiter als von ihm erwartet. Das Projektteam hat sich sogar Gedanken über die weitere Implementierung in der Produktion
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gemacht. Die Kompetenzen des zukünftigen autonomen Pilotbereiches werden erweitert und die zeitnahe Belieferung der Montage ist sichergestellt. Nach der ersten erfolgreichen Präsentation erwartete der Werksleiter, dass die Implementierung des Konzeptes schnell durch seine Mitarbeiter vollzogen werden wird. Doch in den folgenden Besprechungen, melden sich nach und nach fast alle Bereichsleiter zu Wort und geben ihre Bedenken preis. Schnell stellt sich heraus, dass das gesamte mittlere Management gravierende Einwände hat und sich das Konzept nicht realisieren lässt. Die Projektgruppe versuchte im Anschluss den Einwänden zu begegnen und verändert das Konzept entsprechend. Dieses ist durch viele Sonderlösungen geprägt und damit nur noch schwer vermittelbar. Daher wird das Projekt nach der Abschlusspräsentation mit den Worten beendet, dass „tolle Grundlagen“ geschaffen worden seien. Eine praktische Umsetzung des Konzepts wird aber nicht angegangen. Als sich der Werksleiter ein halbes Jahr später über den Fortschritt des Projektes erkundigte, muss er feststellen, dass er das Projekt nicht nachhaltig genug verfolgt hat. Ferner stellt er fest, dass er in den Besprechungen mit seinen Bereichsleitern durch das Kennzahlencontrolling immer das Tagesgeschäft in den Vordergrund gerückt hat. Auch dem mittleren Management konnte er nicht vermitteln, wie wichtig ihm das Projekt ist. Daher führt er bei der Wiederauflage des Projektes einen A3-Bericht ein und legt in diesem mit seinen Bereichsleitern auch quantifizierbare Ziele für die Veränderung fest. (Abb.€4.42) soll den Nutzen und die Übersichtlichkeit der A3-Methode verdeutlichen.
4.2.4.3 Steuerung durch Controlling Um die ergebnisorientierte Koordination von Planung und Kontrolle zu erfüllen, übernimmt das Controlling eine Steuerungs- oder Lenkungsaufgabe. Eine anzustrebende Steuerungsfunktion des Controllings kann mit Hilfe eines kybernetischen Regelkreises aus Regelinstanz und Prozessdurchführung beschrieben werden: Auf Grund von vorgegebenen Stellgrößen wird ein Prozess durchgeführt und die daraus entwickelten Ist-Daten an die Regelinstanz vermittelt. Durch die dortige Analyse von Soll/Ist-Abweichungen wird vorhandenen Störgrößen entgegengewirkt. Dadurch verhält sich ein solches System relativ unanfällig gegenüber Störeinflüssen, was gerade in Veränderungsprojekten anzustreben ist. Tockenbürger konzipiert auf der Grundlage kybernetischer Regelkreise ein Umsetzungscontrolling, in dem Kennzahlensysteme zur Ermittlung der Stell- und Ist-Größen verwendet werden.
4.2.5 Nachhaltigkeit der Unternehmensentwicklung Das Ziel der Nachhaltigkeit im Veränderungsmanagement muss in zwei Perspektiven gesehen werden. So erfüllt das im letzten Kapitel vorgestellte Controlling des Wandels mit einer
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Vorgeschlagene Maßnahmen
Hintergrund der Veränderung 7 5
B
6 19%
24%
Qualität
Kosten
57%
Aufnahme der Betriebsdaten Statistische Analyse Definition von Standardparam. Beschreibung der Anforderung Einholen von Angeboten Investitionsrechn.
Mayer
Derzeitige Umstände im Bereich 4 2 0 2007 2008 2009
Ziele der Veränderung Reduzierung Nacharbeitskost.
10%
Zeit:
Reduzierung Durchlaufzeit
15%
Qualität:
Reduzierung PPM
5%
Flexibilität:
Plan der Durchführung Verantwortung
Unter- Kontr. stützung größe
A
Müller
Abteilung
€/ Teil
B
Mayer
Abteilung
%
Ziele
Zeitdiagramm
Produktionsverbess. der aktuellen Anlage Vorschlag für Neuinvestition
Workload
Kosten:
Verantwortlich
Müller
A
Notwendige Investitionen in Neuanlage Bedarf zur Prozessverbesserung
Beschreibung
Investition in Neuanlage mit stabilen Prozessen
2010
UrGegensache maßnahme Verbesserung der techn. Einstellungen Werkzeug
2009
4
Wachsender Kundenbedarf Beschränkte Produktionsressourcen im Unternehmen
5
3
Ursachenanalyse Ausschuss
Verspätung
Form 30% Verzug 15% Flecken 10%
Bestand
Halbjährliche Kontrolle zur Sicherung der Zusammenarbeit Wöchentliche Überwachung mit Messung der Kennzahlen
39% 27%
34% A
Nachfolgeplan
B
Abb. 4.42 ╇ Beispiel eines A3-Berichtes [101]
roulierenden Prüfung der Veränderungsziele, dass die Organisation nicht mehr in die alten Verhaltensmuster und Strukturen zurückfallen kann. Die zweite Perspektive der Nachhaltigkeit muss dagegen die als notwendig erwiesene Agilität des Unternehmens sicherstellen, um im Markt bestehen zu können. So muss eine Organisation den Ausgangspunkt der Veränderung identifizieren und auf Störungen und Widersprüche in den Unternehmensabläufen oder in seiner Wettbewerbsposition reagieren. Als Ursache für Veränderungen sind dabei nicht nur als negativ besetzte Störungen gemeint, sondern auch unausgeschöpfte Nutzenpotenziale innerhalb des Unternehmens. Daher ist die Voraussetzung für einen nachhaltigen Veränderungsprozessprozess, eine kollektive Fähigkeit der systematischen Irritationstoleranz zu entwickeln [3], d.€h. die Fähigkeit, Störungen und Widersprüche, die im System einen Unterschied machen, als Information zu verwenden. Die zentrale Herausforderung des Organisierens eines Veränderungsprojektes besteht in der Verbindung von
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Stabilität (↜Vertrauen) und Wandel (↜Misstrauen). Bei vollem Vertrauen in die Vergangenheit droht eine Organisation zu stabil zu werden, die Notwendigkeit der Weiterentwicklung des Unternehmens wird in Frage gestellt. Andererseits kann bei vollständigem Misstrauen in die Vergangenheit und der daraus resultierenden ständigen Veränderung des Selektionssowie Verfertigungsprozesses eine Organisation ultraflexibel werden [3]. Weitere Autoren wie etwa Senge [102] oder Collins und Porras [103], aber auch Fujimoto gehen in ihrer Definition des Wandels über die Identifikation von Störungen hinaus und fügen dem Wandelbegriff von Rüegg-Stürm den im Unternehmen gemeinsam beschrittenen Such- und Explorationsprozess hinzu. Dabei ist reales, praktisches Tun und Austesten von Vorstellungen besonders wichtig. Dies soll an einem Fallbeispiel von Toyota verdeutlicht werden. Fujimoto [104] umschreibt den Erfolg wie auch den Fortgang der Entwicklung bei Toyota in einer dreistufigen Abfolge, die jedoch immer auf dem Verständnis der Mitarbeiter und Führungskräfte basiert. Das grundlegende Element ist das Verständnis der Beteiligten für die Anforderungen des Prozesses und für den jeweilig vorgeschalteten Produktionsschritt. Daneben fordert Fujimoto von den Mitarbeitern das Verständnis für die Anforderung des Gesamtunternehmens an die Prozessleistung [104]. Diese Anforderungen können nach der in vorliegender Arbeit gewählten Definition für Qualität auch als Prozessqualität bezeichnet werden. Die erste Stufe beschreibt das abgebildete Methodenwissen des Toyota-Produktionssystems, das die hochstehende Qualität der Fertigung ermöglicht. • Routinized manufacturing capability. Ein Bündel organisationaler Routinen, die das Niveau der Fertigungsperformance bei sich wiederholenden Produktions-, Entwicklungs- und Transaktionsprozessen beeinflussen. • Routinized learning capability. Ein Bündel organisationaler Routinen, die das Tempo von kontinuierlichen und sich wiederholenden Verbesserungen sowie die Erholung von Disruptionen und Schäden des Systems beeinflusst. • Evolutionary learning capability. Eine nicht-routinemäßige Fähigkeit zur Weiterentwicklung der oben genannten Routinen. Diese wird dadurch hervorgerufen, dass Unregelmäßigkeiten, die in Prozessen und Systemen entstehen nicht mehr durch bestehende Routinen gelöst werden können. Die Validierung und die Auswahl der durch die Problemlösung auf mehr als einem Pfad entstehenden Routinen, vergrößern den Routinensatz [104]. Die zweite Stufe stellt das Wissen um die kontinuierliche Verbesserung und deren treibende Faktoren dar. So werden die Prozessverbesserungen durch die behobenen Ursachen von Maschinenausfällen und Qualitätsmängeln getragen. Die dritte und bedeutendste Stufe der Theorie Fujimotos umfasst die Fähigkeit, zufällig auftretende oder absichtlich hervorgebrachte Erkenntnisse zu katalogisieren, zu bewerten und diese als neue Methodenentwicklungen in das Produktionssystem einzuführen. Fujimoto hält diese letzte Stufe für das eigentliche Geheimnis des Erfolges von Toyota, da sich das Produktionssystem immer wieder den nötigen Anforderungen der Umgebung anpassen kann. Fujimoto geht damit über die reine Gewinnung der Erkenntnis einer Störung hinaus und schreibt, dass zu einer nachhaltigen und erfolgreichen Entwicklung des Unternehmens die Fähigkeit erworben werden muss, systematisch die richtigen Ansätze und Lösungen im Unternehmen zu entdecken.
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Den Ansatz des Entdeckens der richtigen Lösung analysiert Weick [105] in seinem Prozessmodell. Das Prozessmodell des Organisierens beschreibt einen Prozess, der ausgehend von Störungen und Widersprüchen und dem darauf folgenden Wahrnehmen, Interpretieren und der abschließenden Speicherung von „Produkten erfolgreicher Sinngebung“, auf die Stabilität von Organisation eingeht und die Notwendigkeit von Wandel begründet. Das Modell ist in vier Stufen unterteilt: Der Ökologische Wandel ist laut Weick das Ergebnis von auftretenden Unterschieden im Ereignisstrom, also Veränderungen, die auf Grund von Störungen und Widersprüchen ausgelöst werden. Die Verfestigung der Erkenntnis (↜Verfertigung) (↜Enactment) führt dazu, etwas in der Wahrnehmung der Beteiligten „Wirklichkeit werden zu lassen“. Die Beobachtung der Häufung von Störungen und Widersprüchen führt zur Verfestigung der Erkenntnis. Die Verfertigung geschieht durch Handeln und Wahrnehmen und nicht durch zielorientiertes Strukturieren des Prozesses. Das Herauslösen (Wahrnehmen) ist der erste Schritt vor jeder Form von Erkennen oder Erfahrung. Die Selektion der Wahrnehmung der Verfertigung hat zum Ziel, die produzierten Mehrdeutigkeiten zu reduzieren. Durch die individuelle und gemeinsame Interpretation der Wahrnehmung und die Auslese, welche der mehrdeutigen Lesarten der gewonnenen Erkenntnisse sinnhaft ist und welche als sinnlos zu reduzieren sind, ermöglicht ein koordiniertes Anschlusshandeln. Die Retention umschreibt die Speicherung von „Produkten erfolgreicher Sinngebung“ (d.€h. wiederholt bewährte, sinnhaft zueinander in Beziehung gesetzte Interpretationsmuster) die es erlauben zu deuten, was in ähnlichen Situationen vor sich geht und zwar so, dass dies auch für andere Akteure verständlich ist. Der eigentliche Wandel setzt bei Weick, wie auch schon bei Fujimoto beschrieben, primär am Retentionsprozess an. Hier wird entschieden, inwiefern bewährte Gewohnheiten des Verhaltens und der Beobachtung weiterhin zur Anwendung gelangen und welche alten Gewohnheiten abgelegt werden. Als Konsequenz werden im Rahmen aktiver, kreativer Verfertigungs- und Selektionsprozesse neue, veränderte Verhaltens-, Wahrnehmungs- und Interpretationsschablonen angetestet. Dabei ist der Prozess nicht als Einbahnstraße zu sehen, sondern als Kreislauf, bei dem die vorangehenden Schritte immer wieder hinterfragt werden müssen. Das im Folgenden abgebildete Prozessmodell (Regelkreis) (Abb.€4.43) nach Weick verdeutlicht den Zusammenhang der beschriebenen Schritte. Die angeführten Ansätze zur Beschreibung des Erkenntnisprozesses in Unternehmen sollten als Grundlage genommen werden, das Erkennen einer Notwendigkeit von Wandelprozessen im Unternehmen zu institutionalisieren. Die Mitarbeiter eines Unternehmens können durch die Methoden und Denkmuster eines Produktionssystems befähigt werden, nachhaltig die Notwendigkeit eines Wandels im eigenen Unternehmen zu erkennen und diesen Wandel dann auch durchzuführen. Schein stellt in diesem Zusammenhang die Eckpunkte einer gesunden Organisation zusammen. Er beschreibt, wie diese bei Veränderung behandelt werden sollte, um die Organisation während und nach dem Wandel gesund zu erhalten. Dadurch entsteht ein neues Anforderungsbild an das Management. Profit und ROI sind nach dieser Betrachtungsweise zwar Symptome eines gesunden Organisationsteils, sagen aber nur bedingt etwas über dessen Wirksamkeit aus. Schein führt als Kriterium für gesunde Unternehmen die folgenden fünf Punkte an: [62]
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Handeln wahrnehmen (einklammern) Unterschiede im Ereignisstrom (Ökologischer Wandel)
+
Verfertigung
interpretieren
+
(Enactment)
+
Selektion
vergewissern +
+/–
+/–
+
Vertrauen in die gespeicherte Erfahrung und Weiterbenutzung als Schablone (Ursachenkarte)
–
Misstrauen in die gespeicherte Erfahrung und Diskreditierung
Abb. 4.43↜╇ Prozessmodell zur Stabilität und Flexibilität [105]
• Fähigkeit, Umweltveränderung zu spüren • Fähigkeit, Informationen „richtig“ (an die richtigen Orte ohne Informationsverlust) zu leiten • Fähigkeit, Informationen zu verarbeiten und die Ergebnisse zu verwenden • Fähigkeit, sich selbst zu transformieren und anzupassen, ohne sich selbst zu zerstören • Fähigkeit, Feedback aus Transformationsprozessen zu erhalten. Um die Nachhaltigkeit einer Unternehmensentwicklung zu erreichen, müssen die Mitarbeiter den Wandel selbst initiieren und auch selbst vollziehen können. Die für das Erkennen der Notwendigkeit von Wandelprozessen notwendige Ausbildung kann hierfür beispielsweise durch ein Produktionssystem im Unternehmen institutionalisiert werden. Ein Produktionssystem unterstützt die Mitarbeiter dabei, systematisch Analyseverfahren und Werkzeuge erlernen zu können, die für die Umsetzung einer nachhaltigen Unternehmensentwicklung notwendig sind.
Literatur ╇ 1. Müller-Stewens G, Spickers J (1995) Unternehmerischen Wandel erfolgreich bewältigen. Change-Management als Herausforderung, 1. Aufl. Gabler, Wiesbaden ╇ 2. Schuh G, Millarg K, Göransson Å (1998) Virtuelle Fabrik: neue Marktchancen durch dynamische Netzwerke. Hanser, München ╇ 3. Rüegg-Stürm J (2004) Das neue St. Galler Management-Modell. Paul Haupt, Berne ╇ 4. Burke WW (2008) Organization change. Theory and practice, 2. Aufl. Sage, Los Angeles ╇ 5. Taylor FW (2005) The principles of scientific management. 1st World Library, Fairfield ╇ 6. Vahs D (2003) Organisation – Einführung in die Organisationstheorie und -praxis. SchäfferPoeschel, Stuttgart ╇ 7. Claßen M (2008) Change Management aktiv gestalten. Personalmanager als Architekten des Wandels, 1. Aufl. Luchterhand, Köln
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Prozessmanagement Günther Schuh, Achim Kampker, Volker Stich und Kristian Kuhlmann
Kurzüberblick╇╛Der Ordnungsrahmen Produktion und Management beinhaltet die Unternehmensprozesse Technologiemanagement, Innovationsmanagement, Fabrikplanung, Produktionsmanagement, Logistikmanagement, Qualitätsmanagement, Einkaufsmanagement, Dienstleistungsmanagement sowie den technischen Vertrieb. Sie geben einen ersten Überblick über die Bandbreite unternehmerischer Entscheidungen und somit Unternehmensführungsaufgaben. Dieses Kapitel gibt einen Überblick über die einzelnen Unternehmensprozesse, die Grundlage der weiteren Bände sind. Für jeden Unternehmensprozess werden im Rahmen dieses Kapitels bereits die Schwerpunktthemen kurz erläutert. Diese Schwerpunktthemen stellen jeweils die Struktur des entsprechenden nachfolgenden Bandes dar. Um ein erfolgreiches Zusammenspiel der einzelnen Unternehmensprozesse zu gewährleisten, ist ein effizientes Prozessmanagement erforderlich. Dementsprechend definiert der letzte Teil dieses Kapitels zunächst den Prozessbegriff und zeigt anschließend auf, wie Unternehmen ihre Prozesse nachhaltig verbessern können.
Der Ordnungsrahmen gliedert sich in die innerbetrieblichen Fragestellungen auf den Flächenseiten des Würfels, die Anspruchsgruppen als Interaktionsschnittpunkt mit der Außenwelt und die Umweltsphären als externe Einflussgrößen auf das Unternehmen. Die innerbetrieblichen Fragestellungen sind aufgeteilt in die Unternehmensentwicklung, die Unternehmensstruktur und die Unternehmensprozesse. Die Unternehmensentwicklung befasst sich mit der Strategie. Aufgabe der Strategie ist es, die gewonnene Leistungsfähigkeit kontinuierlich zu verbessern und bei Notwendigkeit radikal zu erneuern. Das Controlling (Kap.€6) dient einerseits dem Soll-Ist-Vergleich der von der Strategie angeordneten Ziele, andererseits auch als Planungsgrundlage für Entscheidungen der Unternehmensführung. Die Unternehmensstruktur thematisiert die konstituierenden Elemente für ein Unternehmen. Hierzu gehören die Aufbauorganisation, die Ressourcen, die InforG. Schuh () 52074 Aachen, Deutschland E-Mail:
[email protected]
G. Schuh, A. Kampker (Hrsg.), Strategie und Management produzierender Unternehmen, DOI 10.1007/978-3-642-14502-5_5, ©Â€Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
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Staat
Natur
Öffentlichkeit NGOs
Technischer Vertrieb
Be
Einkaufsmanagement
Umweltsphären Unternehmensstruktur Unternehmensentwicklung
Anspruchsgruppen
Mitarbeitende
Kunden
Unternehmensprozesse
g llin tro n o C
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Dienstleistungsmanagement
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Logistikmanagement
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Qualitätsmanagement
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Fabrikplanung Produktionsmanagement
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Kapitalgeber
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Technologiemanagement Innovationsmanagement
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Normen und Werte
Wirtschaft
Technologie
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Abb. 5.1↜╇ Bezugsrahmen Produktion und Management
Lieferanten/ Partner
Wettbewerb
Gesellschaft
328 G. Schuh et al.
tri eb
5â•… Prozessmanagement
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mationssysteme und die Kultur. Der Bereich der Unternehmensprozesse gliedert sich in die bereits genannten Prozesse Technologiemanagement, Innovationsmanagement, Fabrikplanung, Produktionsmanagement, Logistikmanagement, Qualitätsmanagement, Einkaufsmanagement, Dienstleistungsmanagement sowie den technischen Vertrieb auf. Diese Unternehmensprozesse sind Thema dieses Kapitels. Ein Unternehmen existiert niemals aus reinem Selbstzweck, sondern immer, um gesellschaftlichen Nutzen zu stiften. Unternehmen stehen dementsprechend in einem Spannungsfeld unterschiedlicher Interessensgruppen. Dazu zählen Kapitalgeber, Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten sowie der Staat und die allgemeine Öffentlichkeit. Primäres Ziel aller Interessensgruppen ist die Erhaltung und erfolgreiche Weiterentwicklung des Unternehmens. Alle Anspruchsgruppen haben jedoch auch spezifische Anforderungen an die Unternehmensführung, die diese angemessen berücksichtigen muss. Die Anspruchsgruppen sind Teil der Umweltsphäre. Die Gesellschaft bzw. soziale Sphäre ist die weitest reichende, sie beeinflusst die anderen Sphären. Sie hat Einfluss auf Natur, Technologie, Wortschaft, Normen und Werte.
5.1 Technologiemanagement In Realkapital, Humankapital und Technologie (Zugang zu technologischem Wissen) sind nach überwiegender Meinung von Ökonomen die letztendlichen Gründe für Produktivitätsunterschiede und somit für Wettbewerbsvorteile zu suchen. Im Hinblick auf Technologien zeigt sich, dass im technischen Fortschritt ein erhebliches Potenzial zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit liegt, das sich in neuen Produkten, besserer Qualität und erhöhter Leistungsfähigkeit der Produktionsmittel widerspiegelt und darüber hinaus erhebliche Veränderungen in fast allen Lebensbereichen nach sich zieht. Ausgehend von technischen Basisinnovationen folgt die Reorganisation der gesamten Gesellschaft und ihrer Arbeitsstrukturen. Darüber hinaus beschleunigt sich der technische Fortschritt fortwährend. Diese Entwicklung ist u.€a. an immer kürzeren Produktlebenszyklen zu erkennen. Dementsprechend hat der beschleunigte technische Fortschritt auf fast allen Gebieten der wissenschaftlichen Forschung zu tiefgreifenden Veränderungen im unternehmerischen Handeln geführt. Machten sich früher technische Erkenntnisse und deren Konsequenzen aufgrund spärlicher Informationsflüsse und geringer Wissensakkumulation nur allmählich bemerkbar, so sind sie heute unmittelbare Ursache für permanente Anpassungsprobleme. Angesichts der internationalen Wettbewerbssituation sind technologieorientierte Unternehmen zur Sicherstellung eines nachhaltigen Unternehmenserfolgs somit gezwungen, relevante technologische Entwicklungen durch richtungweisende Entscheidungen im Rahmen der Unternehmensführung einzubeziehen. Technologien haben somit einen wesentlichen Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Auf der einen Seite stellen neue Technologien strategische Unternehmensressourcen mit erheblichen Entwicklungschancen dar. Auf der anderen Seite bedrohen neue Technologien diejenigen Unternehmen, die ihre Erfolgsposition auf veralteten Technologien gründen. Unternehmen sind somit gezwungen, Technologien schnell und
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G. Schuh et al.
kundenorientiert zu entwickeln, einzusetzen und rechtzeitig zu substituieren. Um dies zu realisieren, sind eine Vielzahl an unterschiedlichen Fragen zu beantworten. Hierzu bedarf es der Ergänzung der Managementkompetenz eines Unternehmens durch technologische Kompetenzen. Dieser Herausforderung soll durch das Technologiemanagement Rechnung getragen werden. Das Technologiemanagement ist in der Vergangenheit unterschiedlichen Definitionen unterworfen worden. Bei fast allen Autoren steht jedoch der Planungsaspekt des Technologiemanagements im Vordergrund. Dabei beinhaltet das Technologiemanagement die Planungsaktivitäten zur langfristigen Sicherung und Stärkung der Marktposition eines Unternehmens. Im Fokus steht die gezielte Änderung einer Technologie, eines Produktes oder der eingesetzten Produktionstechnologie. Konkret bedeutet dies, dass das Technologiemanagement die Aufgabe hat, für aktuelle und künftige Leistungen die benötigte Technologie (Produkt-, Produktions- und Materialtechnologie) zum richtigen Zeitpunkt und zu angemessenen Kosten verfügbar zu machen. Das Technologiemanagement stellt somit einen inhaltlichen Teilbereich der Unternehmensführung dar, der nicht notwendigerweise als spezialisierte organisatorische Einheit anzusehen ist. Dies ist eine Folge der Querschnittsfunktion des Technologiemanagements, so dass technologieorientierte Aktivitäten funktionsübergreifend und unternehmensweit verteilt sind. Das Technologiemanagement stellt somit die Schnittstelle zwischen Unternehmensführung und Technologie dar und verbindet die Aufgaben der Unternehmensführung mit Fragen zu den innerhalb einer Unternehmung genutzten oder entwickelten Technologien. Die Strategie stellt die Grundlage der Unternehmensentwicklung dar, aus der sich zukünftige Handlungsfelder in den Dimensionen Erneuerung, Entwicklung und Betrieb ableiten lassen. Im Zuge der zunehmenden Bedeutung des Technologiemanagements als Steuerungs- und Führungsaufgabe hat auch die Entwicklung von Technologiestrategien verstärkt Beachtung gefunden, um die langfristige Ausrichtung des Technologieportfolios zu planen und zu steuern. Dies hat sich in der Praxis als Erfolgsfaktor erwiesen: So zeigen zahlreiche Studien, dass Unternehmen mit einer expliziten Technologiestrategie erfolgreicher agieren als solche ohne schriftlich fixierte langfristige Marschrouten. Oftmals wird der Begriff Technologiestrategie nur mit generellen Aussagen zum Anstreben einer technologischen Führerschaft, d.€h. einer Überlegenheit gegenüber dem Wettbewerb oder einer technologischen Folgerschaft gleichgesetzt. Hier jedoch wird ein umfassenderes Verständnis vertreten, das auf folgender Definition aufbaut: Eine Technologiestrategie beschreibt, wie ein Unternehmen mit Technologien verfahren sollte, um Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Sie definiert die technologischen Ziele und zeigt den grundsätzlichen Weg zur Zielerreichung auf. Eine Technologiestrategie gibt an, welche Technologien ein Unternehmen zu welchem Zweck einsetzt, welches technologische Leistungsniveau dabei jeweils erreicht oder angestrebt ist, zu welchem Zeitpunkt der Technologieeinsatz erfolgt und woher die jeweilige Technologie bezogen wird. So sollte eine Technologiestrategie grundsätzlich Aussagen zu den inhaltlichen Dimensionen Technologieauswahl, technologische Leistungsfähigkeit, Technologiequelle, Technologietiming und Technologieverwertung enthalten. Dabei legt die Technologieauswahl fest, welche Technologien bzw. Technologiefelder in der Technologiestrategie adressiert werden. Für jedes zu be-
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5â•… Prozessmanagement
Technologiemanagement Innovationsmanagement
Technologiefrüherkennung
Fabrikplanung
Technologieplanung
Produktionsmanagement Logistikmanagement Qualitätsmanagement
Technologieentwicklung Technologieverwertung
Einkaufsmanagement
Technologieschutz
Dienstleistungsmanagement
Technologiebewertung
Technischer Vertrieb
Abb. 5.2↜渀 Detaillierung des Technologiemanagements im Ordnungsrahmen
rücksichtigende Technologiefeld müssen jeweils Entscheidungen in den Dimensionen Leistungsniveau, Technologiequelle, Technologietiming und Technologieverwertung getroffen werden. In der Praxis können Technologiestrategien unterschiedliche Detaillierungsgrade aufweisen und adressieren bei geringer Detailtiefe nicht notwendigerweise alle Dimensionen. Dem Prozesscharakter des Technologiemanagements wird durch die Einführung von sechs miteinander vernetzten Schwerpunktthemen Rechnung getragen, wie Abb.€5.2 zeigt. Die Technologiefrüherkennung stellt einen Bestandteil der unternehmensweiten strategischen Früherkennung (Business Intelligence) dar. Ziel dieser Frühaufklärung ist es, rechtzeitig relevante Informationen über Veränderungen im gesamten Umfeld des Unternehmens bereitzustellen, um potenzielle Chancen und Risiken frühzeitig zu erkennen. Die Schaffung einer transparenten Informationsbasis (Beschaffung, Analyse und Kommunikation) unterstützt strategische Entscheidungsprozesse im Unternehmen und stellt ein Bindeglied zwischen der Strategieformulierung und der Technologieplanung dar. Während die Früherkennung auf jegliche zukünftige Entwicklungen und Ereignisse im unternehmerischen Umfeld ausgerichtet ist, fokussiert die Technologiefrüherkennung als Teil dieser Aktivitäten auf die Analyse und Prognose der technologischen Potenziale neuer sowie der Bestimmung technologischer Leistungsgrenzen bestehender Technologien. Zielsetzung ist die Identifikation und Antizipation von Entwicklungen in interessierenden Technologiefeldern als Grundlage für Technologieentscheidungen im Unternehmen. Die Planung beinhaltet die Ermittlung und Systematisierung aller Aktivitäten, deren Ablauf sowie der Kosten, Ressourcen und Termine und stellt die geistige Vorwegnahme zukünftigen Handelns dar. Innerhalb der Technologieplanung bedeutet dies, die richtigen Entscheidungen im Hinblick auf die zukünftige technologische Ausrichtung des Unternehmens zu treffen und deren Umsetzung voraus zu denken. Es sind also die Fragen zu beantworten, mit welchen Technologien und auf welchem Wege der Umsatz und die Marktanteile eines Unternehmens gesteigert, die Kundenanforderungen besser erfüllt, die
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G. Schuh et al.
Unternehmenspotenziale gestärkt, Wettbewerbsvorteile und Zeitvorsprünge erzielt und Stärken ausgebaut bzw. die Schwächen abgebaut werden können. Die Technologieplanung beinhaltet somit die Operationalisierung der Technologiestrategie. Während in der Technologiestrategie im Wesentlichen Ziele beschrieben werden, erfolgt im Rahmen der Technologieplanung die Gestaltung des Weges zur Erreichung der Ziele. Kernergebnis der Technologieplanung ist der Technologieplan, der beschreibt, welche Technologie zu welchem Zeitpunkt und zu welchem Zweck zur Anwendung kommen soll. Darüber hinaus wird Auskunft erteilt, woher die Technologien bezogen werden und welche Vorgaben für die Ressourcenplanung gelten. Somit entstehen im Rahmen des Technologieplanungsprozesses konkrete, umsetzbare Vorgaben für die Entwicklung und den Einsatz von Technologien. Die Technologieentwicklung hat das Ziel, die Vorgaben aus der Technologieplanung effizient umzusetzen. Dies bedeutet, dass die Anforderungen an die Entwicklung neuer oder an Verbesserungen bereits im Unternehmen existierender Technologien in der vorgegebenen Zeit und mit den existenten Ressourcen zu realisieren sind. Dafür ist ein stringenter Technologieentwicklungsprozess erforderlich, der bereits im Ideenstadium einer Technologie einsetzt. Technologieentwicklungsprojekte können mittels interner Ressourcen aber auch mit Hilfe externer Ressourcen bearbeitet werden. Der Entwicklungsprozess gilt somit gleichwohl für interne als auch für Projekte mit externen Partnern. Der Formalismus des Prozesses ist zur Erzeugung von Transparenz und zur Erstellung einer Entscheidungsvorbereitung für die Technologieplanung unerlässlich. Er darf jedoch nicht dazu führen, dass der Prozess die Kreativität der Mitarbeiter zu stark einschränkt und schnelle Reaktionen auf Umfeldveränderungen verhindert. Der strategische Handlungsrahmen, der sich in der Frage der Technologieverwertung eröffnet, mündet zunächst in den beiden neutralen Dimensionen „interne Technologieverwertung“ und „externe Technologieverwertung“. Die interne Technologieverwertung fokussiert sich auf den Einsatz von einzigartigen technologischen Fähigkeiten in den Produkten des eigenen Unternehmens. Ziel ist es hierbei, einerseits dem Unternehmen durch den Einsatz von technologischen Fähigkeiten in den eigenen Produkten einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen und andererseits eine breite Nutzung von Technologien in mehreren Produkten, Absatzmärkten bzw. Branchen zu ermöglichen. Technologische Erfolgspositionen können jedoch nicht nur durch den Einsatz von herausragenden technologischen Fähigkeiten bei der Herstellung von Produkten erreicht werden, sondern darüber hinaus durch die Technologiennutzung in Form der Kommerzialisierung. Diese Handlungsoption wird als externe Technologieverwertung bezeichnet. Indem Technologien Dritten zur Nutzung übertragen werden, wird die Rentabilität der Technologieinvestition verstärkt und trägt somit ebenfalls zur Maximierung des wirtschaftlichen Nutzens bei. Dies beinhaltet beispielsweise organisationsübergreifende Kooperationen (z.€B. strategische Allianzen, Joint-Venture), Lizenzvergaben (inkl. Lizenzaustausch) und den Technologieverkauf (z.€B. Übertragung von Eigentum). Der Technologieschutz zielt darauf ab, die eigene Innovationskraft dafür nutzen, eigene Technologieentwicklungen vor Know-how-Übergang an Wettbewerber zu schützen, indem raffinierte Protektionsmechanismen entwickelt werden, die eine Imitation von Technologien und Produkten verhindern. Dazu zählen sowohl zahlreiche technische
5â•… Prozessmanagement
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Lösungen, wie z.€B. künstliche Erzeugung von Komplexität durch gekapselte elektrische Schaltungen oder zeitabhängige Steuerungen mit „Verfallsdatum“, aber eben auch Maßnahmen der Wettbewerbsgestaltung: Wirksame Eintrittsbarrieren lassen sich auch durch Erweiterung des Wertschöpfungskettensegmentes, durch das Angebot zusätzlicher kundenspezifischer Leistungen, Chinese Walls innerhalb der Supply Chain oder die exklusive Verpflichtung von Zulieferern realisieren. Mit gezielten, systematischen Anstrengungen kann der Gefahr des ungewünschten Know-how-Übergangs entgegen gewirkt werden. Die beschriebenen Elemente werden ergänzt durch die Technologiebewertung. Entscheidungen, die eine Technologiebewertung erfordern, treten in allen Phasen des Technologiemanagements auf. Eine hohe Leistungsfähigkeit in der Technologiebewertung bzw. die Fähigkeit zur Auswahl, zur Anwendung und zur Beherrschung der jeweiligen Entscheidungssituation angepassten Bewertungsansätze bildet daher eine wichtige, phasenübergreifende Voraussetzung zur effizienten und effektiven Gestaltung des Technologiemanagements. Im Sinne einer allgemeinen Begriffsdefinition bezeichnet Technologiebewertung die Ermittlung und Beurteilung des Erfüllungsgrades vorgegebener Zielstellungen oder -zustände für ein bestimmtes (technologiebezogenes) Bewertungsobjekt, um Entscheidungen bei der Entwicklung, Einführung und Nutzung von Technologien treffen zu können. Über „reine“ Technologien hinaus stellen dabei auch Ideen für neue Technologien, definierte Entwicklungsziele neuer Technologien, Zwischen- und Endergebnisse bei der Bearbeitung von Technologieprojekten oder Ergebnisse oder Erfahrungen aus der Nutzung von Technologien Bewertungsobjekte technologiebezogener Bewertungsprozesse dar. Durch den Einsatz von Bewertungsmethoden, die eine inhärente Systematik aufweisen, soll die Qualität der Entscheidungen und damit die Wahrscheinlichkeit des Handlungserfolgs gesteigert werden. In einer ersten Stufe lässt sich die Vielzahl der Ansätze unterteilen in eine klassifikatorische Bewertung von Technologie (d.€h. Bildung von Technologielisten), eine komparative Bewertung von Technologien (d.€h. Technologien werden zueinander ins Verhältnis gesetzt) und eine metrisierende Bewertung von Technologien (d.€h. Zuordnung von numerischen Werten). Die Managementaufgabe besteht in der Ausrichtung und der gegenseitigen Abstimmung der Elemente Technologiestrategie, Organisation, Technnologiefrüherkennung, Technologieplanung, Technologieentwicklung, Technologieverwertung, Technologieschutz und Technologiebewertung untereinander sowie mit denjenigen Unternehmensfunktionen, die Schnittstellen zu den Grundelementen aufweisen. Diese sind zwar nicht unmittelbarer Bestandteil des Technologiemanagements, jedoch für die Durchführung einzelner Aufgaben bzw. für die Bereitstellung spezifischer Fachinformationen von Bedeutung. Der Gestaltungsspielraum, der sich dabei eröffnet, ist durch drei Gestaltungsparameter gegeben, die situationsspezifisch zu konfigurieren sind: • Organisation: Verankerung des Technologiemanagements in der Unternehmensstruktur • Aktivitäten: Festlegung konkreter Tätigkeiten innerhalb des Technologiemanagements • Methoden: Bereitstellung von Hilfsmitteln und Tools zur Unterstützung der Aktivitäten
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G. Schuh et al.
5.2 Innovationsmanagement
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Das Management von Innovationen stellt einen Kernprozess in Unternehmen für die Sicherung ihrer zukünftigen Wettbewerbsfähigkeit dar. Etymologisch leitet sich der Begriff der Innovation aus dem lateinischen „novus“ (zu Deutsch: neu) ab und bedeutet daher im wörtlichen Sinne Neuerung bzw. Erneuerung. Im Gegensatz zur Invention handelt es sich bei Innovationen jedoch nur um die Neuerungen, die auch zu wirtschaftlichem Erfolg führen. Dabei bezieht sich das Management von Innovationen im Unternehmen nicht ausschließlich auf neue Produkte, sondern ebenso auf neuartige Prozesse bzw. Geschäftsfelder. Innovationsmanagement stellt daher eine bereichsübergreifende Aufgabe dar, deren zentrale Herausforderung in der effizienten Erzeugung wirtschaftlich erfolgreicher Neuheiten liegt. Die Kapitelstruktur des Bandes orientiert sich an den dargestellten Unternehmensprozessen. Zunächst erfolgt eine Charakterisierung existierender Typen des Innovationsmanagements, um die unterschiedlich ausgeprägten Rahmenbedingungen des Innovationsmanagements zu beleuchten. Die für das Innovationsmanagement relevanten Unternehmensprozesse sind die Sortiments- und Produktstrukturierung, der Innovationsprozess selbst, das Innovationscontrolling und das Product Lifecycle Management, wie Abb.€5.3 darstellt. Diese Bestandteile des Innovationsmanagements werden im Folgenden detaillierter beschrieben. Das Innovationsmanagement erfordert eine ganzheitliche und integrierte Betrachtungsweise. Zu diesem Zweck ist es notwendig, ein allgemeingültiges Innovationsverständnis zu entwickeln und den Begriff des Innovationsmanagements mit seinen Zielen und Aufgaben präzise zu definieren. Neben einem allgemeingültigen Innovationsverständnis werden bei einer Typologisierung des betrieblichen Innovationsmanagements die strategische Positionierung, mögliche Organisations- und Kooperationsformen sowie die verschiedenen Charakteristika von Innovationsprojekten berücksichtigt. Die verschiedenen Ausprägungen der Kriterien werden zum Schluss des Kapitels in ein Typologiemodell überführt.
Technologiemanagement Innovationsmanagement Fabrikplanung Produktionsmanagement Logistikmanagement
Typen des betrieblichen Innovationsmanagements Sortiments- und Produktstrukturierung Innovationsprozesse
Qualitätsmanagement Einkaufsmanagement Dienstleistungsmanagement Technischer Vertrieb
Innovationscontrolling Grundlagen des PDM/PLM
Abb. 5.3↜渀 Detaillierung des Innovationsmanagements im Ordnungsrahmen
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Um den Erfolg von Innovationen absichern zu können, wird bei der strategischen Ausrichtung des Innovationsmanagements der Fokus auf die strategische Positionierung und Produktplanung gelegt. Mit der Formulierung der Innovationsstrategie werden die Effektivität und damit der Beitrag des Innovationsmanagements zur Erreichung der Unternehmensziele sowie zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit festgelegt. Die Gestaltung effizienter Innovationsprozesse erfordert den Abgleich aller wesentlichen Einflüsse mit den Entwicklungsprojekten. Bei der Organisation des Innovationsmanagements werden die auf Dauer ausgelegte Unternehmensorganisation und die temporäre Projektorganisation unterschieden werden. Die Zielsetzung bei der Gestaltung einer erfolgreichen Innovationsorganisation ist das effiziente Zusammenspiel zwischen den verschiedenen Projektorganisationen und der Unternehmensorganisation. Innovationsmanagement ist keine ausschließlich innerbetriebliche Aufgabenstellung. Aus diesem Grund sind erfolgreiche Kooperationen mit externen Partnern für das Unternehmen von wettbewerbsentscheidender Bedeutung, wobei die Motive und spezifischen Charakteristika von Kooperationen im Rahmen des Managements von Kooperationen berücksichtigt werden müssen. Neben den klassischen Kooperationstypen berücksichtigt die Kooperationsform „Open Innovation“ die Öffnung des Innovationsprozesses und aktive strategische Nutzung der Außenwelt, um das eigene Innovationspotenzial zu erweitern. Die Charakteristika von Innovationsprojekten lassen sich durch den Innovationsbeitrag des Projektes, den technologischen Neuheitsgrad der Entwicklung sowie den Grad der Kundeneinbindung in das Innovationsprojekt beschreiben. Ein Produkt leistet dann einen hohen Innovationsbeitrag, wenn es eine Neuheit für den Markt darstellt. Der technologische Neuheitsgrad ist umso höher, je größer die Anzahl unbekannter Technologien ist, die in einem neuen Produkt zum Einsatz kommen. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um Produkt- oder Prozessinnovationen handelt, die erstmalig zum Einsatz kommen. Der Grad der Kundeneinbindung in einem Innovationsprojekt bewegt sich in einem Kontinuum zwischen einer generischen und einer kundengetriebenen Entwicklung. Die Klassifizierung von Innovationsprojekten anhand der beschriebenen Charakteristika bildet neben der strategischen Positionierung sowie möglichen Organisations- und Kooperationsformen die Grundlage für ein bedarfsgerechtes und somit für den jeweiligen Innovationstyp wirksames Innovationsmanagement. Das Management von Produktkomplexität erfolgt an der Schnittstelle zwischen den marktseitigen Funktionsbereichen wie Vertrieb, Marketing und Entwicklung sowie den fertigungsnahen Funktionsbereichen wie Einkauf, Logistik und Produktion. Die Herausforderung beim Management von Produktkomplexität liegt darin, den optimalen Grad der Sortimentsvielfalt über den Lebenszyklus des Produktes zu definieren, der durch die erzielten Nutzeneffekte am Markt und die resultierenden Kosteneffekte innerhalb der Wertschöpfung bestimmt wird. Um ein Optimum über dem Produktlebenszyklus nachhaltig gewährleisten zu können, bedarf es einer strategischen, organisatorischen und prozessualen Verankerung des Komplexitätsmanagements im Unternehmen. Das Komplexitätsmanagement ist in seiner Schnittstellenfunktion hierzu bereits früh in die Entwicklungsprozesse zu integrieren, da die Potenziale einer proaktiven Sortiments- und Produktstrukturierung im Sinne einer Vermeidung unnötiger Varianz in den frühen Phasen des Produktlebenszyklus am größten sind.
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Die Zielsetzung einer komplexitätsgerechten Sortiments- und Produktstrukturierung ist es, die marktseitig geforderte Sortimentsvielfalt in den internen Prozessen bestmöglich, d.€h. kosten- und ressourcenoptimal, abzubilden. Externe Komplexität resultiert aus den Bestrebungen der Unternehmen, die vielfältigen Anforderungen aus Markt- und Kundenbedürfnissen sowie gesetzlichen Vorgaben und Normen in Form der angebotenen Marktleistungen abzudecken. Die Leitfragen hierzu lauten: Welche Produktausstattung und Funktionalität verlangt der Markt, was wird vom Kunden wirklich gewünscht, von Gesetzeswegen gefordert und was ist überflüssig? Externe Komplexität drückt sich in der Varianz des Sortiments aus, welche durch die am Markt angebotenen Produkte und dessen Varianten bestimmt wird. Transparenz über die externe Komplexität wird durch die Analyse des Sortiments und die vorliegenden Variantentreiber erzielt. Hierfür werden die angebotenen Merkmale und Ausprägungen hinsichtlich ihres Differenzierungsbeitrages am Markt bewertet und die zu Grunde liegenden Absatzzahlen analysiert, um Stückzahlenträger sowie etwaige Exoten bzw. Altlasten zu identifizieren. Auf Basis dieser Analyse können Entscheidungen hinsichtlich möglicher Substitutionen oder Variantenbereinigungen fundiert getroffen werden. Im Gegensatz zur externen Komplexität entsteht interne Komplexität dadurch, dass die Varianz des Sortiments in den internen Wertschöpfungsprozessen erzeugt werden muss. Dies betrifft nicht nur direkt wertschöpfende Prozesse wie Produktion und Montage, sondern auch indirekte Prozesse wie Beschaffung, Produktionslogistik oder Entwicklung. Die interne Sicht des Komplexitätsmanagements geht der Frage nach, wie die geforderte Sortimentsvielfalt durch eine intelligente Produktstruktur abgebildet und möglichst schlank durch den Produktentstehungsprozess geschleust werden kann. Durch die Analyse der Variantenentstehung entlang der Entwicklungs- sowie Produktions- und Montageprozesse wird Transparenz darüber geschaffen, an welcher Stelle der Wertschöpfung die eigentliche Varianz entsteht und bei welchen Baugruppen und Bauteilen aus Sicht der Variantenoptimierung Maßnahmen erforderlich sind. Gleichsam ermöglicht die Analyse der Variantenentstehung die exakte Zurechnung von Komplexitätskosten zu einzelnen Varianten im Sortiment. Seltene bzw. exotische Varianten werden dadurch nach dem Kosten-Verursacher-Prinzip mehr belastet als Standardvarianten, die in standardisierten und somit optimierungsfähigen Prozessen erstellt werden können. Diese Kostentransparenz unterstützt maßgeblich die Entscheidung über das Für und Wider einer Variante im Sortiment. Innovationsprozesse beschreiben die zur Realisierung einer Innovation notwendigen Aktivitäten und Vorgehensweisen. Im Fokus stehen dabei Prozesse von der Ideenfindung bis zur Konkretisierung eines produktions- und verkaufsbereiten Produktes. Dies umfasst insbesondere die Prozesse des Ideenmanagements, der Produktprogrammplanung, der Produktentwicklung sowie die Querschnittsthemen des Risikomanagements und der integrierten Produkt- und Prozessgestaltung. Das Ideenmanagement behandelt das Vorgehen in der frühen Phase des Innovationsprozesses zur Generierung und Bewertung von Ideen. Der Prozess der Ideenfindung, -bewertung und -detaillierung filtert und konkretisiert innovative Ideen und stellt damit die Vorstufe zur Entwicklung erfolgversprechender Produktkonzepte dar. Für das Ideenmanagement und weitere Prozesse des Innovationsmanagements erschließt der gezielte Einsatz von Methoden bei einzelnen Aktivitäten wie auch im gesamten Vorgehen zusätzliche Effizienz- und Effektivitätspotenziale.
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Im Rahmen der Produktplanung oder Produktprogrammplanung werden die zukünftigen Anforderungen des Marktes und der Kunden analysiert und mit der Geschäftsstruktur sowie den Kernkompetenzen des Unternehmens abgeglichen. Auf dieser Basis können Potenziale für neue Produktkonzepte und neue Märkte erkannt und bewertet werden. Ein wichtiger Aspekt ist dabei die frühzeitige Planung von Produktreleases, damit der Innovationsgrad kontinuierlich und in handhabbaren Innovationssprüngen vorangetrieben wird. Da die Produktprogrammplanung ein sich zyklisch oder situativ wiederholender Prozess ist, ist die richtige Institutionalisierung in Zusammenhang mit der vorliegenden Unternehmensstruktur von hoher Bedeutung. In der anschließenden Phase der Produktentwicklung findet die Konkretisierung aussichtsreicher Produktideen zu realisierbaren Produktkonzepten statt. Hierbei stellt die Berücksichtigung aller Anforderungen entlang der Wertschöpfungskette eine große Herausforderung dar, der mit einem transparenten Anforderungsmanagement sowie durch eine konsequente Funktionsorientierung bei der Produktkonzeption und -ausgestaltung begegnet werden kann. Aufgrund der zunehmenden Komplexität der Produkte sowie der fortgeschrittenen Arbeitsteilung nimmt zudem das Management von Änderungen im Hinblick auf eine effiziente Entwicklung fortlaufend an Bedeutung zu. In jeder Phase des Innovationsprozesses gefährden exogene und endogene Innovationsrisiken die Erreichung der produktbezogenen Zielsetzungen wie beispielsweise Leistung oder Qualität, gleichzeitig bedarf aber auch die Einhaltung projektbezogener Zielsetzungen wie Entwicklungsdauer und Entwicklungskosten eine kontinuierliche Überwachung der Risikofaktoren. Hierzu gehört neben der Identifikation, Strukturierung und Bewertung der Innovationsrisiken auch ein begleitendes Controlling entlang des Innovationsprozesses. Für die Effizienz des Innovationsprozesses ist eine parallele und systematische Integration der beteiligten Organisationseinheiten unerlässlich, da eine rein sequenzielle Abarbeitung den Anforderungen an Entwicklungszeit und Entwicklungsqualität nicht mehr gerecht werden kann. Neben dem Einsatz einer angepassten Projektorganisation ist auch die Gestaltung der Informationsverteilung von großer Bedeutung. Insbesondere gilt es die Bereiche der Produktentwicklung, der Technologieplanung und der Produktionsprozessgestaltung eng miteinander zu verknüpfen. Dies kann beispielsweise durch den Einsatz des Simultaneous Engineering und weiterer Ansätze zur integrierten Produkt- und Prozessgestaltung erreicht werden. Die Schaffung von Transparenz über die Wirkung des Innovationsmanagements ist Aufgabe des Innovationscontrollings. Da das Innovationsmanagement keinem singulären Unternehmensbereich zugeordnet werden kann, handelt es sich beim Innovationscontrolling um eine Querschnittsfunktion, die die Planung und Steuerung des gesamten Innovationsprozesses unterstützt. Durch diesen abteilungsübergreifenden Ansatz steht nicht die reine F&E-Performance im Vordergrund, sondern die Effektivität und Effizienz der an der Innovation beteiligten Prozesse, von der Definition der Produktstrategie bis zur Herstellung und Vermarktung des physischen Produktes. Das Innovationscontrolling wird somit als ein Element eines Regelkreises verstanden, in dem der Innovationsprozess die Regelstrecke darstellt und das Innovationscontrolling die regelnde Einheit. Die zu regelnden Eingangsgrößen sind diesem Verständnis folgend die personellen und infrastrukturellen Ressourcen, auf die im Innovationsprozess zurück-
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gegriffen wird. Ziel des Innovationscontrollings ist es, die einzusetzenden Ressourcen so zu planen und zu steuern, dass der angestrebte Soll-Wert erreicht wird. Betrachtet man den gesamten Innovationsprozess als Regelkreis, so kann dieser Soll-Wert als Wert, den das Produkt für den Kunden im eigentlichen Sinne generiert, verstanden werden. Ebenso wie das Controlling auf Unternehmensebene, übernimmt das Innovationscontrolling sowohl strategische als auch operative Aufgaben. Das strategische Innovationscontrolling unterstützt die Planung der Entwicklungstiefe, die Technologieplanung sowie die Innovationsplanung und gibt somit den einzelnen Aktivitäten im Innovationsprozess SollWerte wie beispielsweise Zielkosten, time-to-market oder den Wiederverwendungsgrad von Komponenten vor. Diese werden mit Hilfe des operativen Innovationscontrollings in den Projekten kontinuierlich erfasst und entsprechend der Abweichungen geplant und gesteuert. Innerhalb des operativen Innovationscontrollings wird zwischen Multiprojekt-, Projekt-, Bereichs- und Produktcontrolling unterschieden. Während beim Multiprojektcontrolling die Priorisierung und Kapazitätsverteilung im gesamten Projektportfolio im Vordergrund steht, wird im Einzelprojektcontrolling die Erreichung der konkreten Projektziele unter Zeit, Kosten und Qualitätsanforderungen gemessen und gesteuert. Im Gegensatz hierzu liegt der Fokus des Bereichscontrollings auf der Kontrolle bereichsspezifischer, meist projektunabhängiger Ziele. Die Erfüllung der für ein zu entwickelndes Produkt definierten Vorgaben wird im Rahmen des Produktcontrollings geplant und kontrolliert. Ein in diesem Kontext weit verbreiteter Ansatz stellt das Target Costing dar. Die integrierte Verwaltung der im Innovationsprozess anfallenden Daten und Informationen stellt einen wesentlichen Erfolgsfaktor im Innovationsmanagement dar. Product Lifecycle Management (PLM) ist ein Konzept zur ganzheitlichen Steuerung und Verwaltung der produktbezogenen Informationen entlang des gesamten Lebenszyklusses. Durch die Integration der gesamten Wertschöpfungskette wird der Produktentstehungsprozess effektiv und effizient gestaltet. Der integrative Ansatz von PLM führt dazu, dass mit der Integration von Informationstechnologie, Ablauf- und Aufbauorganisation neue Strukturen geschaffen werden, die teilweise der traditionellen Arbeitsteilung entgegenstehen. Dieser Umstand führt unweigerlich zu einer neuen Orientierung des Produktentstehungsprozesse. Für den Begriff PLM existiert bisher keine einheitliche Definition. Die verschiedenen Sichtweisen spannen den Betrachtungsbereich von PLM auf, wobei heute insbesondere die Produktentwicklung fokussiert wird. Mit den unterschiedlichen Sichtweisen variieren die Erwartungen an den Nutzen von PLM. Es wird zwischen direkten und indirekten Nutzenpotenzialen unterschieden. Diese mehrdimensionale Betrachtung führt dazu, dass die Definition einer unternehmensgerechten PLM-Strategie als übergeordnetes Ziel von PLM-Projekten aufgrund von Zielkonflikten zu einer Herausforderung wird. Auch die Übersetzung der PLM-Strategie unter Berücksichtigung der individuellen Rahmenbedingungen eines Unternehmens in ein PLM-Konzept ist mit zahlreichen Hindernissen behaftet. Das PLM-Konzept wird in diesem Zusammenhang als Pflichtenheft verstanden, in dem die Gestaltungsobjekte sowie deren Ausprägung definiert werden, um die zuvor definierten PLM-Ziele zu erreichen. Um diese Hindernisse erfolgreich zu überwinden, existieren Hilfsmittel und Vorgehensweisen. Schließlich gilt es die Informationstechnologie, insbesondere die Funktionslandschaft und Leistungsfähigkeit jeder einzelnen Funktion, zu betrachten, um einen Abgleich mit
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der zuvor definierten Strategie bzw. Konzept abzustimmen. Erst dann wird deutlich, zu welchem Grad sich die zuvor definierten Ziele erfüllen lassen und wie hoch der Nutzen ausfallen wird.
5.3 Fabrikplanung Fabrikplanung ist kein triviales Unterfangen mehr, dem sich ein Unternehmen nur einmalig oder unregelmäßig widmet. Fabrikplanung ist vielmehr ein kontinuierlicher Prozess, der eine ständige Anpassung und Verbesserung der Produktion bezweckt. Sowohl die Fabrikplanung als auch die Fabrik selbst stellen komplexe Aufgaben- und Objektbereiche dar. In der Regel wird der Begriff Fabrikplanung lediglich mit einer Layoutgestaltung assoziiert. Dieses Verständnis der Fabrikplanung als Methodik zur Anordnung von Flächen greift jedoch zu kurz. Fabrikplanung umfasst die Planung der Wertschöpfungsverteilung in einem Produktionsnetzwerk, die Planung der eigentlichen Fabrik mit ihren verschiedenen Segmenten und die Planung von einzelnen Linien und Arbeitsplätzen. Diese Planungsebenen sind hierarchisch miteinander verknüpft. Dadurch erfordert die Planung ein Zusammenspiel über die einzelnen Ebenen hinweg. Die Fabrikebene umfasst die Generalbebauung bzw. das Werkslayout sowie den inner- und außerbetrieblichen Materialfluss. Neben der eigentlichen Produktion wird hier auch die Anbindung indirekter Bereiche festgelegt. In der Linien- oder Gruppenebene werden einzelne Arbeitsplätze zu Stationen oder Gruppen zusammengefasst und anhand ihrer Stellung im Bearbeitungsprozess räumlich angeordnet. Dabei muss insbesondere auf den Material-, Personal- und Informationsfluss Rücksicht genommen werden. Die niedrigste Stufe bildet der einzelne Arbeitsplatz mit seinen Ressourcen Betriebsmittel und Personal. Hier wird beispielsweise die Maschinenarbeitsplatzfläche unter Berücksichtigung von Bedien-, Bereitstellungs-, und Wartungsflächen ausgelegt. Es lassen sich grundsätzlich die Neuplanung von Fabriken (Greenfield), die Umplanung und/oder Erweiterung bereits bestehender Fabriken (Brownfield) oder der Rückbau von Fabriken als Planungsgrundfälle unterscheiden. Bei einer Neuplanung wird die Fabrik auf der „grünen Wiese“ mit maximalen Freiheitsgraden errichtet. Durch die hohen Freiheitsgerade kann eine weitestgehend optimale Ausgestaltung der Fabrik erreicht werden. Bei der Umgestaltung einer Fabrik werden die bestehenden Anlagen und Prozesse modernisiert und an marktseitige Produktionsprogrammänderungen angepasst, wobei stets bestehenden Restriktionen Rechnung getragen werden muss. Der Rückbau ist das Gegenstück zur Erweiterung und wird beispielsweise durch Anpassung der Werstschöpfungsstruktur, Outsourcing oder Umsatzrückgänge erforderlich. Die Fabrikplanung umfasst eine Vielzahl von Planungsanlässen und -aufgaben, wobei letztere in dem Band Fabrikplanung übergeordnet als Planungsdomänen zusammengefasst sind und der Kapitelstruktur des Bandes entsprechen. Fragestellungen hinsichtlich der Wertschöpfungsverteilung sowie der Prozess- und Ressourcenplanung werden dabei ebenso beantwortet wie Themen der Layout- und Infrastrukturplanung, der Fertigungs- und Montagetechnik sowie des Anlaufmanagements und der Inbetriebnahme von Fabriken. In Abb.€5.4 werden diese Kernprozesse zusammenfassend dargestellt.
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Technologiemanagement Innovationsmanagement
Wertschöpfungsverteilung
Fabrikplanung
Prozess- und Ressourcenplanung
Produktionsmanagement Logistikmanagement Qualitätsmanagement
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Einkaufsmanagement Dienstleistungsmanagement
Layout- und Infrastrukturplanung Fertigungs- und Montagetechnik Anlaufmanagement und Inbetriebnahme
Technischer Vertrieb
Abb. 5.4↜渀 Detaillierung der Fabrikplanung im Ordnungsrahmen
Für jede Fabrikplanung muss ein klares Zielbild sowie ein detailliertes Verständnis der Prozesse entwickelt werden. Im Wesentlichen fließen in das Zielsystem der Fabrikplanung vier unterschiedliche Aspekte ein. Erstens ist die strategische Positionierung des gesamten Unternehmens zur Erzielung dauerhafter Wettbewerbsvorteile relevant, die maßgeblich die strategische Ausrichtung des Produktionssystems bestimmt. Zweitens sind in der Fabrikplanung Zieldichotomien zu berücksichtigen, die eine zusätzliche Positionierung notwendig machen. Zieldichotomien sind Flexibilität versus Effizienz, Verfügbarkeit versus Auslastung, Redundanz versus Komplementarität sowie Scale versus Scope. Drittens gehen die Ziele des Planungsprojektes selber in das Zielsystem ein, die ihrerseits phasenbedingt veränderlich sind. Beispielsweise kann das Zielsystem in der Planungsphase von dem der Anlaufphase oder der Betriebsphase maßgeblich abweichen. Viertens ergeben sich aus den Erwartungen der Anspruchsgruppen und der zugrunde liegenden Unternehmenskultur Ziele, die die Fabrikplanung zu berücksichtigen hat. In der Planungsdomäne Wertschöpfungsverteilung werden Prinzipien vorgestellt, um den Wertschöpfungsumfang in den Dimensionen Wertschöpfungstiefe, -breite und -intensität und damit einhergehend die optimale Betriebsgröße zu bestimmen. Eingebettet ist die Thematik in das Vorgehen der Standortstrukturplanung (Global Footprint Design), welches weiterhin die strategische Ausrichtung eines Standortes innerhalb eines Wertschöpfungsnetzwerkes sowie die Ableitung und Bewertung unterschiedlicher Standortstrukturkonzepte ermöglicht. Die dargestellten Bewertungsverfahren zum Vergleich möglicher Standortalternativen unterstützen den Planer innerhalb eines mehrstufigen Auswahlprozesses bei der Standortentscheidung. Mit der Endauswahl eines Standortes sind die Weichen zur Auslegung der Fabrik gestellt. Diese Auslegung erfolgt über die Planungsdomänen Dimensionierung und Strukturierung der Produktion. Die Dimensionierung der Produktion umfasst die quantitative Bestimmung der Ressourcen, die für ein geplantes Produktionsprogramm in einer zukünftigen Periode benötigt werden. Aus dem Produktionsprogramm leiten sich die Kapazitätsbedarfe an Betriebsmitteln und Personal ab, die zu dessen Erfüllung erforderlich sind. Anhand der mengenmäßigen Kapazitätsbedarfe wird weiterhin die räumliche Ausdehnung der Struktureinheiten der Fabrik oder deren Teilsysteme ermittelt. Unter Berücksichtigung der Flächen und Einrichtungen, die für eine anforderungsgerechte Produktionsstruktur be-
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nötigt werden, wird eine Abschätzung der resultierenden Flächenbedarfe vorgenommen. Die räumliche Anordnung der unterschiedlichen Funktionseinheiten der Fabrik (z.€B. Fertigung, Montage, Lager) ist Gegenstand der Produktionsstrukturierung. Dabei bestimmt die Struktur eines Produktionssystems maßgeblich die Wirtschaftlichkeit der ablaufenden Prozesse. Ziele der Strukturierung sind daher die Minimierung der Transportkosten, die Transparenz des Materialflusses und die organisatorische Beherrschbarkeit des Prozessablaufes. Im Band Fabrikplanung werden Methoden vorgestellt, um die Struktureinheiten nach Größe, Flexibilität und Kompetenzverteilung zu bewerten. Direkte Bereiche einer Fabrik sind die Fertigung und Montage. Die Planung und Auslegung der Fertigungs- und Montageprozesse sowie die Planung der Produktionslogistik beinhalten die Planungsdomänen Produktionsprozessplanung und Produktionslogistikplanung. Die Produktionsprozessplanung beschäftigt sich mit der Fragestellung, wie die Anforderungen eines Produktes an seine Herstellung produktionsprozesstechnisch in zeitlicher und räumlicher Hinsicht optimal umgesetzt werden können. Die Produktionslogistikplanung umfasst die Auslegung der internen Logistikkette von Wareneingang bis Warenausgang, die Ermittlung von Logistik- und Lagerstufen sowie die Materialbereitstellungsmethoden an den jeweiligen Arbeitsplätzen. Die Ressourcenplanung ist für die Fabrikplanung eine Planungsdomäne, die eine starke Abhängigkeit zu anderen Planungsaufgaben hat. Die Auswahl der Produktionsressourcen – bspw. des Personals, der Fertigungsmaschinen, der Montagetechnik und der Logistiksysteme – muss in enger Absprache mit der Produktionsprozessplanung, der Produktionsstrukturierung und der Layoutplanung erfolgen. Das Vorgehen der Ressourcenplanung schließt eine wirtschaftliche Bewertung mit ein. Wichtigste Bewertungsinstrumente sind in diesem Zusammenhang Verfahren der technischen Investitionsrechnung, mit Hilfe derer der wirtschaftliche Nutzen einer Investition beleuchtet werden kann. Die Schnittstelle zwischen planenden und ausführenden Bereichen eines Unternehmens bildet die Produktionssteuerung. Im Speziellen die Produktionsstruktur und Produktionssteuerung bedingen sich gegenseitig. Die Planungsdomäne Produktionssteuerung hat die Aufgabe, die Vorgaben aus der Produktionsplanung trotz unvermeidbarer Störungen umzusetzen. Mit der Wertstromanalyse, der Bildung von Steuerungsabschnitten sowie der Gestaltung von Steuerungsabschnitten werden in dem Band Fabrikplanung drei Hilfsmittel vorgestellt, die die Auslegung der Produktionssteuerung sowie die Positionierung innerhalb des produktionslogistischen Zielsystems unterstützen. In der Planungsdomäne Layoutplanung werden die gewonnenen Erkenntnisse in Bezug auf den Produktionsprozess, die notwendigen Kapazitäten, die angestrebte Segmentierung und die vorherrschenden Restriktionen in ein oder mehreren Layouts abgebildet. Es werden die einzelnen Struktureinheiten der Fabrik vom Werkstrukturlayout bis hin zur Arbeitsplatzgestaltung detailliert. Beginnend mit einer Groblayoutplanung werden die verschiedenen Flächenbedarfe entsprechend des optimalen Materialflusses auf Fabrik- oder Segmentebene in einem Blocklayout angeordnet. In der sich anschließenden Detaillayoutplanung werden die Bereiche und Arbeitsplätze im Detail ausgeplant, wobei Fragestellungen der individuellen Arbeitsumgebung und der Arbeitsplatzgestaltung relevant sind. Anschließend wird das neue Layout einer Bewertung unterzogen. Fällt diese positiv aus, wird mit der Planungsdomäne Infrastrukturplanung, bestehend aus Gebäudeplanung und technischer Gebäudeausrüstung, fortgefahren.
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Mit Hilfe der der Planungsdomäne Anlaufmanagement werden die Inbetriebnahme der Fabrik unterstützt und Änderungen bzw. Störungen während des laufenden Fabrikbetriebs adressiert. Es handelt sich jedoch nicht um eine Planungsdomäne, die mit anderen Domänen in Wechselwirkung steht, sondern um über eine übergeordnete Querschnittsaufgabe. Das Anlaufmanagement umfasst dabei per definitionem alle Tätigkeiten und Maßnahmen zur Planung, Steuerung und Durchführung des Anlaufs eines Produktionssystems ab der Freigabe der Vorserie bis zum Erreichen der geplanten Produktionsmenge, unter Einbeziehung vorgelagerter Entwicklungsprozesse und der nachgelagerten Prozesse im Sinne einer messbaren Eignung der Produkt- und Prozessreife. Wesentlicher Erfolgsfaktor innerhalb des Anlaufmanagements ist das Projektmanagement, das die Methoden bereitstellt, um ein Projekt richtig zu strukturieren und mit geeigneten Controllingmaßnahmen Fortschritt und Kosten zu überwachen. Für die meisten Planungsdomänen stehen Hilfsmitteln der digitalen Fabrik zur Verfügung. Unter digitaler Fabrik werden Planungsansätze verstanden, die darauf abzielen, bereits vor dem physischen Aufbau der Fabrik ein möglichst realistisches Abbild des zukünftigen Produktionsbetriebs zu schaffen. Dabei werden sowohl Softwarewerkzeuge zur geometrischen Darstellung des Aufbaus beispielsweise der zu produzierenden Produkte, Maschinen, Anlagen und Fördersysteme als auch Simulationssysteme zur dynamischen Abbildung des zukünftigen Produktionsbetriebes eingesetzt. Dem Planer ist es dadurch möglich, verschiedene Prozesse, Systemzustände und Varianten zu planen und zu simulieren kann. Gleichzeitig werden die Vielzahl der Planungsbeteiligten und die unterschiedlichen Planungsprozesse vor dem Hintergrund der aufgezeigten Abhängigkeiten besser synchronisiert.
5.4 Produktionsmanagement Dem Produktionsmanagement als Wissenschaftsdisziplin kommt eine entscheidende Rolle zu. Im Sinne eines betrieblichen Wertschöpfungsprozesses bezeichnet der Begriff Produktion die Transformation von Material, Diensten, Rechten und Informationen. Transformationsprozesse finden innerhalb eines produzierenden Unternehmens auf verschiedenen Ebenen statt, die selbst wiederum eine mehr oder minder komplexe Struktur besitzen und zusammen ein Produktionssystem aufspannen. Ein Produktionssystem – beispielsweise das gesamte Produktionsunternehmen, ein Standort, ein Bereich oder eine Arbeitsstation – besteht aus zwei miteinander interagierenden Instanzen. In der Ausführungsinstanz wird der eigentliche Transformationsprozess vollzogen. Diesem übergeordnet ist das Produktionsmanagement als Lenkungsinstanz der Produktion. Die Aufgabe des Produktionsmanagements besteht demnach in der zielkonformen Gestaltung und Lenkung der Transformationsprozesse im Unternehmen. Dies meint die Planung, Überwachung und Steuerung aller erforderlichen betrieblichen Ressourcen, so dass Produkte und Dienste als Resultat dieses Wirkens in der erforderlichen Menge und Qualität, zum festgelegten Zeitpunkt unter geringst möglichem Kosten- und Kapitalaufwand erstellt werden können. Als zentrale Kernprozesse im Produktionsmanagement gelten die Prozesse der Produktionsplanung und -steurung (PPS). Der „moderne“ PPS-Begriff wurde Anfang der 1980erJahre geprägt, um die Material- und Zeitwirtschaft in der produzierenden Industrie unter
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einem übergreifenden Konzept zusammenzufassen. Seither hat sich dieser Begriff sowohl in der unternehmerischen Praxis, als auch in der akademischen Forschung sukzessive etabliert und ist heute als verbindendes Element zwischen beiden nicht mehr wegzudenken. Erstmalig hatte Hackstein für den Begriff der PPS in seinem gleichnamigen Buch eine breit akzeptierte Definition geliefert. Zielobjekt der PPS war danach die gesamte Produktion inklusive der indirekt beteiligten Bereiche wie etwa der Konstruktion. In der Folge wurde der PPS-Begriff ständig erweitert. Nach dem erweiterten Verständnis wurde PPS derart definiert, dass sie die gesamte technische Auftragsabwicklung von der Angebotsbearbeitung bis hin zum Versand des fertigen Erzeugnisses umfasst. Ihre Planungs- und Steuerungsaufgaben berühren dabei die betrieblichen Funktionsbereiche Vertrieb, Konstruktion, Einkauf, Fertigung und Montage sowie Versand und Inbetriebnahme. Auch wenn heute vielfach die Begriffe Enterprise Resource Planning oder Advanced Planning verwendet werden, behält das Kürzel „PPS“ seine prägende Bedeutung. Dabei ist ERP ebenso wie das Supply Chain Management (SCM) eher ein logischer Schritt auf dem Evolutionspfad von der klassischen Mengen- und Kapazitätsplanung in der Fertigung über die Einbeziehung der vor- und nachgelagerten Bereiche wie Beschaffung oder Vertrieb bis hin zur Planung und Steuerung der verteilten Produktion in Logistiknetzwerken. Die zuletzt genannten überbetrieblichen Aspekte der Produktion in logistischen Netzwerken werden aufbauend auf den Aufgaben und Methoden des Produktionsmanagements im zweiten Buch dieses Bandes „Logistikmanagement“ adressiert. Das Logistikmanagement gestaltet hiernach die Strukturen und Logistikprozesse zur Steuerung der Material- und Informationsflüsse entlang des gesamten Wertstroms vom Lieferanten des Lieferanten bis zum Kunden des Kunden. Im Zentrum dieses Buches stehen jedoch zunächst die Planungs- und Steuerungsprozesse der Produktion aus Sicht eines Unternehmens. Diese werden im Wesentlichen durch die in Abb.€5.5 dargestellten fünf Schwerpunktthemen abgebildet. In der Produktionsprogrammplanung werden die herzustellenden Erzeugnisse nach Art, Menge und Termin für einen definierten Planungszeitraum festgelegt. Die Planung des Produktionsprogramms ist eng mit der Absatzplanung verbunden, da sich die geplanten Absatzzahlen nur dann realisieren lassen, wenn die Erzeugnisse auch in den jeweils erforderlichen Mengen produziert werden können. Das Produktionsprogramm muss somit zwangsläufig in enger Abstimmung zwischen Produktion und Vertrieb entstehen. Zu be-
Technologiemanagement Innovationsmanagement Fabrikplanung Produktionsmanagement Logistikmanagement Qualitätsmanagement Einkaufsmanagement Dienstleistungsmanagement Technischer Vertrieb
Produktionsprogrammplanung Auftragsmanagement Produktionsbedarfsplanung Eigenfertigungsplanung und -steuerung Fremdbezugsplanung und -steuerung
Abb. 5.5↜渀 Detaillierung des Produktionsmanagements im Ordnungsrahmen
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stimmen sind die gewinn- bzw. kostenoptimalen Absatz- bzw. Produktionszahlen unter Berücksichtigung kapazitiver Restriktionen. Zwecks Überprüfung, ob das Produktionsprogramm zu einer ausgeglichenen Belastung der Kapazitäten führt und ob der zu erwartende Materialbedarf gedeckt ist, wird eine grobe Ressourcenplanung durchgeführt. Dazu ist der Primärbedarf in Form einer Deckungsrechnung mit den in der Produktion zur Verfügung stehenden Ressourcen grob abzustimmen. Ergebnisse der Produktionsprogrammplanung sind einerseits ein Produktionsplan für ausgewiesene Primärbedarfe und andererseits ein Rahmenbeschaffungsplan für den Einkauf. Das Auftragsmanagement ist in sämtlichen Phasen der Auftragsabwicklung von besonderer Bedeutung. Es beinhaltet die Aufgaben zur Auftragsplanung, -steuerung und überwachung, die aus auftragsbezogener Sichtweise zur Erfüllung des Kundenwunsches notwendig sind. Eine prozessorientierte, bereichsübergreifende Grobplanung der Auftragsdurchläufe und die permanente Auftragssteuerung und -überwachung erfolgt mit dem Ziel, die Transparenz der Auftragsabwicklung zu erhöhen und die Flexibilität bei der Reaktion auf unternehmensinterne wie externe Störgrößen zu verbessern. Gleichzeitig werden objektive Entscheidungshilfen zur Lösung von Interessenskonflikten zwischen den beteiligten Fachbereichen sowie zur Ausregelung von Zielkonflikten im Sinne einer effizienten Erfüllung der Gesamtaufgabe des Unternehmens bereitgestellt. Zu diesem Zweck umfasst die Auftragskoordination alle Aufgaben, die eine integrierte Planung und Steuerung der Aufträge erlauben. Das heißt, hier wird der Auftrag vom Kunden angenommen, ständig überwacht und abgeschlossen. Alle den Auftragsablauf betreffenden wesentlichen Informationen müssen vollständig erfasst und an die richtigen Stellen weitergeleitet werden. Dies beinhaltet die Angebotsbearbeitung, die Auftragsbearbeitung sowie die Auftragskoordination, welche die Kunden- und Produktionsaufträge hinsichtlich Terminen, Kapazitäten, Materialien und Kosten verfolgt. Die Wahrnehmung der Aufgaben im Bereich des Auftragsmanagements erfolgt betriebstypenspezifisch mit unterschiedlicher Intensität. So entfällt beispielsweise bei einer kundenanonymen Lagerproduktion der Aufwand für die Angebotsbearbeitung, da die Erzeugnisse katalogmäßig geführt und vertrieben werden, während genau diese Aufgabe bei einem Auftragsfertiger von besonderer Relevanz ist. Die Produktionsbedarfsplanung hat die Aufgabe, ausgehend von einem einerseits auftragsneutral zu realisierenden Produktionsprogramm und andererseits auf Basis konkreter Kundenaufträge, die hierzu mittelfristig erforderlichen Ressourcen zu planen. Die Produktionsbedarfsplanung erhält als Eingangsinformation den zu realisierenden Produktionsplan aus der Programmplanung und die bereits vorliegenden Kundenaufträge aus dem Auftragsmanagement. Dort sind bezogen auf Produkte bzw. Aufträge oder Produktbereiche beispielsweise monatlich zu produzierende Mengen vorgegeben. Die hierbei betrachteten Ressourcen sind Betriebsmittel, Material auf Sekundärbedarfsebene, Personal, Transportmittel etc. Die ermittelten Bruttosekundärbedarfe sind den Beständen gegenüberzustellen. Weiterhin ist die Zuordnung von Teilebedarfen zur korrekten Beschaffungsart (Fremdbezug/-Eigenfertigung) vorzunehmen. Schließlich folgen die klassischen Aufgaben der Zeitwirtschaft – die Durchlaufterminierung sowie Kapazitätsplanung. Die Durchlaufterminierung stellt zeitliche Zusammenhänge zwischen den Beschaffungsaufträgen her. Ergebnis der Durchlaufterminierung sind Ecktermine bezogen auf Kapazitäten bzw. Kapazitätsgruppen unter der Annahme von unbegrenzt zur Verfügung stehenden Kapazitäten. Im
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letzten Schritt der Kapazitätsabstimmung wird der Kapazitätsbedarf dem Kapazitätsangebot gegenübergestellt. Im Gegensatz zur Durchlaufterminierung wird hierbei die tatsächliche Belastung der Kapazitäten berücksichtigt. Die im Rahmen der Produktionsbedarfsplanung gebildeten Fertigungsaufträge sind so eingeplant, dass dem Planungsergebnis zufolge die Ressourcenverfügbarkeit gesichert ist. In der Eigenfertigungsplanung und -steuerung erhalten die eingeplanten Fertigungsaufträge Arbeitsgänge, die in einem oder mehreren Fertigungsbereichen abzuarbeiten sind. Die Fertigungsaufträge des Eigenfertigungsprogramms können je nach Fertigungsstruktur die komplette Fertigung eines Enderzeugnisses, einer Baugruppe oder einzelne Arbeitsgangfolgen enthalten. Die Arbeitsinhalte sind mit Mengen und spätesten Endterminen vorgegeben. In der Eigenfertigungsplanung und -steuerung werden die Planvorgaben im Rahmen des zur Verfügung stehenden Dispositionsspielraums detailliert und deren Umsetzung kontrolliert. Die wesentlichen Aufgaben innerhalb der Eigenfertigungsplanung und -steuerung lassen sich in Losgrößenrechnung, Feinterminierung, Ressourcenfeinplanung, Reihenfolgeplan sowie Verfügbarkeitsprüfung aufteilen. Die Auftragsfreigabe erfolgt unter Beachtung der Ergebnisse der Feinterminierung und der Ressourcenfeinplanung. Das Beschaffungsprogramm als Ergebnis der Produktionsbedarfsplanung gliedert sich auf in ein Eigenfertigungs- und ein Fremdbezugsprogramm. Letzteres ist die Eingangsinformation für die Fremdbezugsplanung und steuerung. Hierin ist festgelegt, welche Teile, Baugruppen und Erzeugnisse bezüglich Menge und Termin extern zu beschaffen sind. Der Trend geht in Produktionsunternehmen zu einer geringeren Fertigungstiefe, so dass immer größere Teile des Leistungserstellungsprozesses ausgelagert werden und der Fremdbezugsplanung eine zunehmend hohe Bedeutung zukommt. Die Aufgaben der Fremdbezugsplanung lassen sich in die Bestellrechnung, die Angebotseinholung und -bewertung sowie die Lieferantenauswahl untergliedern. Die abschließende Aufgabe der Bestellfreigabe löst basierend auf den Ergebnissen der vorgelagerten Arbeitsschritte die Bestellungen an die Lieferanten aus.
5.5 Logistikmanagement Die Globalisierung und eine zunehmende Virtualisierung der Geschäftsbeziehungen haben seit den 1980er Jahren die Komplexität logistischer Herausforderung signifikant erhöht. Die klassischen Funktionen der Logistik, wie Lagerung, Transport, Verpackung und Auftragsabwicklung wurden sukzessive um Aufgaben wie die Konzeption und Koordination von Logistiksystemen und -prozessen erweitert. Mit der zunehmenden Verflechtung der Warenströme hat sich auch der Gegenstand der Logistik vom einzelnen Unternehmen auf Logistiknetzwerke ausgeweitet. Dabei wird sowohl der Güterfluss stromaufwärts zum Lieferanten des Lieferanten als auch stromabwärts bis zum Kunden des Kunden betrachtet und als Versorgungskette, Wertschöpfungskette und insbesondere als Supply Chain bezeichnet. Die überbetrieblichen Aspekte in logistischen Netzwerken ergänzen die im Buch „Produktionsmanagement“ vorgestellten Aufgaben und Methoden. Im Mittelpunkt des Buches „Produktionsmanagement“ stehen die Planungs- und Steuerungsprozesse der Produktion aus Sicht eines Unternehmens.
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Technologiemanagement Innovationsmanagement Fabrikplanung Produktionsmanagement Logistikmanagement
Netzwerkkonfiguration Beschaffungslogistik Distributionslogistik
Qualitätsmanagement
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Einkaufsmanagement Dienstleistungsmanagement
Ersatzteillogistik Kooperationsgestaltung
Technischer Vertrieb
Abb. 5.6↜渀 Detaillierung des Logistikmanagements im Ordnungsrahmen
Die zunehmende Bedeutung logistischer Aktivitäten für den Unternehmenserfolg sowie der Zwang zur stetigen Optimierung wettbewerbssteigernder Faktoren wie Lieferflexibilität, Reaktionsfähigkeit und Lieferzuverlässigkeit führten dazu, dass die Logistik zu einer Managementdisziplin aufgewertet wurde. Das Logistikmanagement bezweckt die effektive und effiziente Führung des täglichen überbetrieblichen Geschehens der Leistungserstellung. Es kann deshalb als die Gesamtheit der Managementaktivitäten definiert werden, die zur Realisierung unternehmensübergreifender Logistikprozesse erforderlich sind. Durch die Querschnittsfunktion der Logistik steht das Logistikmanagement jedoch stets im Spannungsfeld der verschiedenen Anspruchshalter der Unternehmung und der widersprüchlichen Unternehmensziele. Diese Zielkonflikte gilt es zukünftig aufzulösen, um ein netzwerkweites Gesamtoptimum logistischer Aktivitäten zu erreichen und langfristig eine komfortable Ausgangssituation sichern zu können. Das Logistikmanagement enthält fünf Schwerpunktthemen, die in Abb.€5.6 dargestellt sind und im Folgenden näher erläutert werden. Die Netzwerkkonfiguration umfasst die Entscheidung über die Netzwerkstruktur, demnach die Anzahl und Lage sowie die potenziellen Verbindungen zwischen den verschiedenen Standorten für die Beschaffung, Produktion und Distribution von Rohstoffen, Zwischen- und Fertigprodukten. Des Weiteren steht im Fokus der Konfiguration logistischer Netzwerke die funktionale Ausrichtung dieser Standorte und die dispositive Abstimmung des unternehmensinternen Logistiknetzwerkes mit den Netzwerken von Zulieferern und Kunden. Die Gestaltung von logistischen Netzwerken ist somit Aufgabe des strategischen Logistikmanagements und erfolgt anhand strategischer und taktisch-operativer Merkmale. Diese können u.€a. quantitative und qualitative Standortfaktoren, räumliche Verteilung und Entwicklung von Beschaffungs- und Absatzmärkten sowie Breite und Differenzierung der hergestellten und distribuierten Produkte im Netzwerk sein. Die Methoden zur Bewertung von logistischen Netzwerken umfassen exakte Lösungsverfahren zur Bestimmung bzw. Auswahl kostenoptimaler Standorte in Netzwerken. Während die Beschaffung die allgemeine Suche nach Lieferanten, deren Management sowie die Durchführung von Lieferungen bezeichnet, umfasst die Beschaffungslogistik die
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logistischen Prozesse ausgehend von der Planung der Beschaffungsmengen, der tatsächlichen Bestellung bis zur Vereinnahmung der Waren. Somit verbindet die Beschaffungslogistik die Warenausgänge der Lieferanten mit dem Wareneingang des beschaffenden Unternehmens. Die Beschaffungslogistik steht damit im Wesentlichen für alle der tatsächlichen Wertschöpfung vorgelagerten Informations- und Materialströme in Produktionsnetzwerken bis zum Wareneingang. Zur Sicherstellung der termin- und mengengerechten Produktionsversorgung mit den benötigten Materialien, müssen diese daher entweder produktionssynchron angeliefert oder durch entsprechende Lagerhaltung bevorratet werden. Die Beschaffungslogistik kann planungsseitig in drei elementare Kernprozesse gegliedert werden: die Bedarfs-, die Bestands- und die Beschaffungsplanung. Zielkonflikte bei diesen Planungsschritten entstehen durch das Spannungsfeld zwischen der Sicherstellung der Produktionsversorgung, der Kapitalbindung durch Bestände und den kontinuierlich anfallenden logistischen Kosten. Um sowohl eine leistungsfähige als auch kostenminimale Beschaffungslogistik zu realisieren, müssen diese Prozesse durch adäquate Methoden und Prozesse ausgestaltet werden. Eine weitere Herausforderung stellt die Entscheidung zwischen einer zentralen und dezentralen Organisation der Beschaffungslogistik dar. Während die Zentralisierung der Beschaffungslogistik innerhalb eines konzerninternen Produktionsnetzwerks die Realisierung von Superpositionseffekten und damit Kosteneinsparungen in Aussicht stellt, kann eine dezentrale Beschaffung bei einem stark differenzierten Teilesortiment und damit geringem Gleichteileanteil vorteilhaft sein. Die Bewertung der Leistungsfähigkeit und der Kosteneffizienz der Beschaffungslogistik muss demnach gemäß standardisierten Kennzahlen erfolgen. Die Distributionslogistik beinhaltet die Planung, Steuerung und Überwachung des Material- und Informationsflusses zwischen dem liefernden Produktionsunternehmen und den Kunden des Unternehmens. Sie umfasst weiterhin die art- und mengenmäßig, räumlich und zeitlich abgestimmte Bereitstellung der Fertigerzeugnisse, um die vom Kunden vorgegebenen Liefertermine oder unerwarteten Nachfragen schnellstmöglich beliefern zu können. Zusätzlich müssen die Anforderungen des Kunden – Zeit, Kosten, Qualität und Flexibilität – an der eigenen unternehmensspezifischen Wirtschaftlichkeit und Effizienz ausgerichtet werden. Ein wesentliches Instrument zur Ausrichtung des Distributionssystems beschreibt die Distributionsplanung. Diese lässt sich in eine strategische, taktische und operative Planungsebene unterteilen. Die strategische Planungsebene beinhaltet die Festlegung der Absatzkanäle, der Unternehmensstrategie sowie deren Zielsystem. Die Auslegung der Distributionsstruktur, die Transportmittelwahl sowie die Kundenzuordnung zu den einzelnen Standorten werden in der taktischen Planungsebene bestimmt. Die operative Planungsebene beschäftigt sich mit der Tourenplanung, der Lagerdisposition sowie mit der einzusetzenden Lager- und Transporttechnik. Durch den zunehmenden Wettbewerbsdruck stehen Unternehmen immer öfter vor der Entscheidung, nicht wertschöpfende Tätigkeiten der Distributionslogistik mit Hilfe eines Logistikdienstleisters abzuwickeln. Das Ausmaß des Outsourcing ist dabei stark vom Dienstleistertyp und seinem Leistungsportfolio sowie von der eigenen Kosten-NutzenStruktur abhängig. Eine wachsende Bedeutung kommt im Logistikmanagement der Ersatzteillogistik zu. Dies liegt nicht zuletzt darin begründet, dass viele Unternehmen das Potenzial des After-
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Sales-Geschäftes bereits lange erkannt haben. Entsprechend einer repräsentativen Umfrage unter 122 Unternehmen verschiedener Branchen haben diese 2007 bereits durchschnittlich 27€% ihres Umsatzes im After-Sales-Geschäft erzielen können. Weiterhin prognostizieren die Unternehmen, dass der Anteil zukünftig noch signifikant weiter ansteigen wird. Bemerkenswert ist dabei, dass mit Ersatzteilen bei diesem hohen Umsatzanteil deutlich höhere Nettorenditen zu erzielen sind als im Primärproduktgeschäft. Neben der wirtschaftlichen Motivation für die Gestaltung einer effizienten Ersatzteillogistik gilt jedoch auch, dass gerade im Ersatzteilbereich spezielle Herausforderungen an die Logistikplanung gestellt werden. Diese sind bspw. begründet durch die schwierige Prognostizierbarkeit von Ersatzteilbedarfen, die notwendige Berücksichtigung der Produktlebenszyklen der Primärprodukte, die Anzahl und Altersverteilung der Primärprodukte im Markt oder die Problematik der Endbevorratung nach dem Produktionsende. Die Gestaltungsfelder der Ersatzteillogistik sind analog zur allgemeinen Logistik die Bedarfs-, Bestands- und Beschaffungsplanung, sowie die Gestaltung des logistischen Netzwerkes für die Distribution von Ersatzteilen. Für alle diese Felder existieren ersatzteilspezifische Vorgehensweisen und Methoden. Für die Kooperationsgestaltung in logistischen Netzwerken stehen verschiedene Gestaltungsansätze für gemeinsame Aktivitäten von Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette zur Verfügung. Trotz umfangreicher theoretischer Vorarbeiten finden logistische Kooperationskonzepte in der industriellen Praxis bisher nur beschränkt Beachtung. Es bestehen verschiedene Hemmnisse bei der Implementierung von Kooperationskonzepten. So fehlt zahlreichen Unternehmen das Wissen über prinzipiell verfügbare Konzepte. Darüber hinaus ist eine Branchenzuordnung der Konzepte in der Praxis bisher nicht etabliert, wodurch sich der Mangel an Transparenz der vorhandenen Ansätze nur verschärft. Ferner besteht keine Klarheit über das Nutzen- und Aufwandsverhältnis einer Einführung von Kooperationskonzepten. Ansätze zur Bewertung logistischer Kooperationen erlauben einen Rückschluss auf die Eignung unterschiedlicher Konzepte für unterschiedliche Branchen und erleichtern die Einschätzung des Verhältnisses zwischen Nutzen und Aufwand in einer Kooperation. Gelingt es, dieses Verhältnis klar zu identifizieren, so können SCMKonzepte in Unternehmensnetzwerken in steigendem Maße umgesetzt werden und helfen, ungenutzte Potenziale auszuschöpfen. Die Anforderungen an die Informationssysteme für das Logistikmanagement sind aufgrund der zunehmenden Internationalisierung der Märkte und Vernetzung der Wertschöpfungspartner stark angestiegen. Da die Standardfunktionalitäten herkömmlicher ERP-Systeme diesen heutzutage nicht mehr gerecht werden, haben viele Unternehmen eine Vielzahl von unterstützenden Anwendungen im Einsatz. In Zeiten steigenden Wettbewerbsdrucks muss die Interoperabilität der Systeme und somit die Qualität der Stammdaten als zentraler Erfolgsfaktor begriffen werden. 88€% erfolgreicher Unternehmen investieren in Daten- und Informations-Management, aber nur 35€% der so genannten Nachzügler. Um den Anforderungen der Gegenwart begegnen zu können, bedarf es gerade im Logistikmanagement eines zielorientierten Einsatzes ergänzender Module und/oder Systeme. Ebenso ist relevant, welche Arten von Systemen die einzelnen Aufgaben des Logistikmanagements unterstützen und welche Potenziale gehoben werden können. Es stehen Systeme zur Unterstützung strategischer Eigenschaften zur Verfügung sowie Systeme, die primär ein hohes Maß an Prozesseffizienz im operativen Betrieb sicherstellen. Bei der
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Auswahl und Bewertung der Informationssysteme ergeben sich ebenso Herausforderungen wie bei der Problematik heterogener Systemlandschaften in größeren Unternehmen.
5.6 Qualitätsmanagement Qualität ist eines der bedeutsamsten Differenzierungsmerkmale, mit dem Unternehmen den am Markt erzielbaren Preis für ihr Produkt gestalten und so letztlich den Umsatz steigern können. Kunden sind grundsätzlich bereit, höhere Preise für verlässliche, robuste und hochwertige Produkte zu zahlen als für Produkte, die diese Eigenschaften nicht aufweisen. Das heutige Verständnis von Wettbewerbsfähigkeit wird im Wesentlichen durch Kosten- und Kundenzufriedenheitsaspekte determiniert. In welchem Umfang eine Zufriedenstellung bzw. Begeisterung des Kunden gelingt, hängt vom Erfüllungsgrad seiner Erwartungen ab. Wurde in der Vergangenheit angenommen, dass die Erzeugung von Qualität kostenintensiv ist, hat sich gezeigt, dass die Abwesenheit von Qualität weitaus höhere Kosten verursacht, welche in operativen Bereichen eines Unternehmens in Form von Nacharbeit und Ausschuss deutlich zu Tage treten oder in Form von Garantie- und Kulanzkosten relevant werden. Aus diesem Grund ergreifen Unternehmen vielfältige Anstrengungen zur Vermeidung von Fehlern und zeitlichen Verzögerungen, um die angestrebte Qualität aufrechtzuerhalten oder wieder herzustellen. Das Innenverhältnis einer Unternehmung ist stets durch das Spannungsfeld Qualität, Kosten und Zeit geprägt. Neben der Erfüllung der Kundenforderungen besteht die Herausforderung darin, dieses Spannungsfeld unternehmensspezifisch optimal auszubalancieren. Qualität spiegelt die Erfüllung der Erwartungen unterschiedlicher Gruppen wider, die in die Herstellung, den Vertrieb oder den Verbrauch eines Produktes involviert sind; sie lässt sich daher nicht auf eine singuläre Größe reduzieren. Ebenso wie die Definition und das Verständnis von Qualität einem Wandel unterworfen sind, beeinflussen die geänderten veränderlichen Randbedingungen der Produktion in den Unternehmen die Erwartungen an ein leistungsfähiges Qualitätsmanagement. Unzählige Veränderungs- und Verbesserungsprogramme zielen darauf ab, dynamischen Qualitätsforderungen gerecht zu werden, Qualitätsdefizite aufzudecken und diese zu beseitigen. Dabei bauen zahlreiche, insbesondere die normativen Programme, welche durch die einschlägigen Normen zum Qualitätsmanagement geprägt sind, auf einem eindimensionalen Qualitätsverständnis auf. Sie definieren Qualität als den „… Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale Anforderungen erfüllt.“ Das bedeutet, dass lediglich explizit gestellte Forderungen vollständig erfüllt sein müssen, um eine optimale Qualität zu erreichen, Wechselbeziehungen und implizite Forderungen jedoch nur nachrangig Berücksichtigung finden. Diese Überbetonung der expliziten Forderungen führt in der Praxis häufig zu einer mangelhaften Umsetzung. Denn offenkundig zielen die grundlegenden Aktivitäten von Unternehmen nicht nur darauf ab, den Deckungsgrad zwischen Forderungen und Eigenschaften ihrer Produkte zu optimieren, sondern vielmehr die Nebenbedingungen der Optimierungsaufgabe, wie z.€B. die umwelt- und kostengerechte Gestaltung des Produkts,
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Technologiemanagement Innovationsmanagement Fabrikplanung Produktionsmanagement Logistikmanagement Qualitätsmanagement
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Einkaufsmanagement Dienstleistungsmanagement
Unternehmerisches Qualitätsmanagement Qualitätsprogramme Systemqualität Prozessqualität Produktqualität
Technischer Vertrieb
Abb. 5.7↜╇ Detaillierung des Qualitätsmanagements im Ordnungsrahmen
die Schaffung robuster Prozesse oder sogar die Wandlungsfähigkeit einer gesamten Produktion oder eines Unternehmens zu berücksichtigen, wie Abb.€5.7 zeigt. Das Verständnis unternehmerischer Qualität geht über die reine Fokussierung von Produkt- und Prozessqualität hinaus. Eine zentrale Aufgabe des Unternehmens ist hierbei die interne Ausrichtung zur Erzeugung von Qualität. Das beinhaltet sowohl das Vorhandensein von Strategie und Qualitätsphilosophie als auch die Bereitstellung von Betriebsmitteln, Infrastruktur oder auch Mitarbeitern. So wird ein hoher Überdeckungsgrad von Unternehmensleistung und Marktforderungen wiederum erreicht. Aus diesem Verständnis resultieren drei wesentliche Stellhebel, die ein unternehmerisch geprägtes Qualitätsmanagement nutzen kann. Die Systemqualität zielt auf die normative und strategische Ausrichtung sowie die Fähigkeiten des Unternehmens ab. Die Produktqualität beschreibt das Außenverhältnis des Qualitätsmanagements und greift die Transformation der Kundenforderungen in begeisternde Produkte auf. Die Verbesserung der Prozessqualität fokussiert auf die operative Ausgestaltung und Umsetzung der Ziele der beiden anderen Stellhebel und stellt sicher, dass Ressourcen und Dienste optimal zur Verfügung gestellt werden. Jedem dieser drei Stellhebel zur Optimierung der unternehmerischen Qualität können Aktivitäten zugeordnet werden, die in Summe die Aufgaben des unternehmerischen Qualitätsmanagements beschreiben. Die Aktivitäten im Rahmen der Systemqualität lassen sich in primär normativ oder strategisch geprägte Qualitätsprogramme und darüber hinaus gehende operative Gestaltungsaufgaben unterscheiden. Normative Programme, wie die Normen-Familie DIN EN ISO 9000, legen Forderungen an ein umfassendes Qualitätsmanagementsystem dar, zeigen jedoch bewusst keinen spezifischen Weg der Umsetzung auf. Die strategischen, qualitätsgetriebenen Verbesserungsprogramme hingegen bieten ein umfassendes Konzept zur Erreichung qualitätsbezogener Ziele. Sie dienen so der Umsetzung von Prinzipien zur Erreichung, Wahrung und Verbesserung eines angestrebten Qualitätsniveaus in Bezug auf Produkte und Prozesse. Daher sind die normativen Qualitätsprogramme z.€B. nach DIN EN ISO 9000€f. von strategisch geprägten qualitätsorientierten Verbesserungsprogrammen wie z.€B. Kaizen oder
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Six Sigma zu unterscheiden. Für die Gestaltung von Qualitätsmanagementsystemen sind jedoch sowohl strategische als auch normative Programme relevant. Denn Qualitätssysteme dienen der Strukturierung, Gestaltung und Dokumentation der qualitätsbezogenen Aufgaben und greifen daher bei der Umsetzung sinnvoller Weise auch auf Elemente von strategischen Programmen zurück. Für die operative Gestaltung von Qualitätsmanagementsystemen sind die Forderungen der DIN EN ISO 9000€ff. in der Praxis von großer Bedeutung. Ihre Erfüllung ermöglicht eine entsprechende Zertifizierung, welche in vielen Branchen, wie bspw. in der Automobilindustrie oder der Luftfahrt, vielfach die Grundlage für Kunden-Lieferanten-Beziehungen ist. Neben den Normschriften zur DIN ISO 9001 sind weitere Managementsysteme zur Sicherstellung der Produkt- und Prozessqualität wichtig. Unter dem Begriff Green Quality werden Umweltmanagementsysteme und Nachhaltigkeitsbetrachtungen subsumiert. In die Bewertungen der Nachhaltigkeit fließen neben ökologischen Faktoren auch ökonomische und soziale Aspekte ein. Kern dieser Betrachtungen ist vor allem der Lebenszyklus von Produkten und Leistungen. Um Produkte und Managementsysteme an sich wandelnde Anforderungen anzupassen, bedarf es Maßnahmen des Veränderungsmanagements, um entsprechende Ausrichtungen flexibel vornehmen zu können. Diese zielen darauf ab, die Bereitschaft sämtlicher Betroffener zur Durchführung des Veränderungsvorhabens zu aktivieren und Ziele bewerten und erreichen zu können. Ergänzend bedürfen grundlegende Änderungen einer Risikobetrachtung, denn Veränderungsprogramme ohne die Abschätzung möglicher Risiken können schnell kostspielig werden. Die Umsetzung eines integrierten Risikomanagements wird auch in den Richtlinien der DIN ISO 31000 und ONR 49000 beschrieben. Die Aktivitäten im Rahmen der Prozessqualität konzentrieren sich auf die Umsetzung der vorgegebenen Ziele und auf die Optimierung der dazu erforderlichen Prozesse. Hierunter fallen Effizienzbewertungen der Prozessabläufe in Form von Kennzahlenerhebungen, deren Reporting sowie Controlling und Dokumentation. Auf dieser Basis werden Maßnahmen zur Lösung von technischen und organisatorischen Problemen abgeleitet. Eine aussagekräftige und valide Bewertung der Prozesse ist die Voraussetzung für eine effiziente Leistungserbringung und eine kontinuierliche Verbesserung. Hierfür gestaltete Kennzahlensysteme, die den Forderungen eines unternehmerischen Qualitätsmanagements entsprechen, folgen dem Dreiklang Messen, Informieren, Steuern. Konkret bedeutet dies, dass eine Kennzahl immer eine Messgröße für einen konkreten abgegrenzten Sachverhalt ist und zwei wesentlichen Zwecken dient. Erstens dient sie dem Informieren von Entscheidungsträgern und Mitarbeitern, zweitens dient sie der Erkennung von Verbesserungsbedarfen, d.€h. der Entscheidungsfindung selbst. Zur Lösung von technischen Problemen und Engpässen in der Produktion sowie zur Verminderung oder zum Ersatz eingesetzter Ressourcen bietet sich die Systematik der Innovativen Prozesskettenoptimierung an. Zunächst wird mittels Visualisierungen von Ursache-Wirkbeziehungen den erkannten Problemen oder dem zu beseitigenden Missstand auf den Grund gegangen. Gerade bei komplexen Produkten ist dieser Schritt wichtig. Im nächsten Schritt werden dann Kreativitätstechniken (wie z.€B. TRIZ) eingesetzt, die eine Vielzahl alternativer Lösungen generieren, die das ursprüngliche Problem aufheben.
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Durch Priorisierung der Maßnahmen wird schließlich die effizienteste ausgewählt und implementiert. Liegen die Engpässe oder Reibungsverluste auf organisatorischer Ebene bzw. in Geschäftsprozessen vor, so bietet sich der Einsatz von Methoden zur Harmonisierung von Schnittstellen an. Dies können Schnittstellen zwischen Abteilungen oder zwischen einzelnen Schritten längerer Abläufe (z.€B. Auftragsabwicklung) sein. Die Methode der Prozess-Struktur-Matrix beispielsweise definiert Übergaben und deren Wichtigkeit zwischen Kunden und Lieferanten in einer Prozesskette. Hierbei kann es sich um tatsächliche Anbieter-/Abnehmerbeziehungen oder um eine standortübergreifende Entwicklung oder Produktion (wie es bei virtuellen Unternehmen der Fall ist) handeln, wie auch um interne Übergaben. Neben der systematischen Verbesserung von Prozessen steht eine präventive Absicherung im Fokus des Qualitätsmanagements. Hierzu findet z.€B. die Methode der Quality Gates Anwendung. Quality Gates sind ergebnisbezogene Messpunkte, an denen die Reife bzw. der Erfüllungsgrad der Ergebnisse bezüglich zuvor definierter Kriterien durch den Kunden und den Lieferanten einer Leistung bewertet werden. Im Rahmen dieser Systematik wird die Prozesskette in ihre Kunden-Lieferanten-Beziehungen strukturiert und durch ein System von Leistungsvereinbarungen wird die Ergebnisqualität effizient abgesichert. Denkansätze des Qualitätsmanagements, die auf eine Erhöhung der Produktqualität zielen, setzen sich aus Protective Quality und Perceived Quality zusammen. Unter Protective Quality werden alle Aktivitäten zur Verhinderung von negativen Erfahrungen bezogen auf Produkte und Leistungen verstanden. Hierunter fallen beispielsweise Beschwerde- und Fehlermanagement. Aktivitäten im Rahmen des Fehlermanagements sind die Erfassung und Abstellung von im Unternehmen, im Service oder beim Kunden auftretenden Fehlern und Abweichungen. Nach der Erfassung und ggf. dem Treffen von Sofortmaßnahmen zur Fehlerbehebung wird während einer Auswertung die Fehlerursache analysiert, so dass diese grundlegend beseitigt werden kann und durch sie hervorgerufenen Fehler an nachfolgenden Produkten nicht mehr in Erscheinung treten können. Äußert nun ein Kunde gegenüber einem Unternehmen seine Unzufriedenheit in Bezug auf deren Produkt, kommt das Beschwerdemanagement zum Tragen. Aktivitäten in diesem Rahmen dienen vor allem der schnellstmöglichen Wiederherstellung der Kundenzufriedenheit, welche einer negativen Mund-zu-Mund-Kommunikation sowie einem Abbruch der Geschäftsbeziehung entgegen wirkt. Hinzu kommt die Aufgabe der Gestaltung von Strukturen, die die Nutzung von Informationen aus Kundenbeschwerden für die Produktgestaltung in Produktentwicklungs- und Produktherstellungsprozessen gewährleisten. Die Merkmale der Protective Quality, z.€B. Lebensdauer oder Zuverlässigkeit, sind in der Regel objektiv beschreibbar. Jedoch sind nicht nur die objektiven Qualitätsmerkmale zur Beurteilung eines Produktes relevant. Erst die Gesamtheit aller, einschließlich der subjektiv wahrgenommenen, Produktmerkmale bietet eine aussagekräftige Grundlage für die Beurteilung der Produktqualität. Das Arbeitsfeld der Perceived Quality, der aktiven Gestaltung der wahrgenommenen Qualität eines Produktes, umfasst neben der Identifikation von Wahrnehmungscluster und Qualitätsmerkmalen vor allen Dingen die Objektivierung dieser Merkmale durch die Ermittlung ihrer technischen Deskriptoren.
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5.7 Einkaufsmanagement Der Einkauf bzw. die Beschaffung bezeichnet seit jeher alle betrieblichen Tätigkeiten, die darauf abzielen, die Materialversorgung eines Unternehmens zu gewährleisten, d.€h. die benötigten, aber nicht selbst hergestellten Güter in der richtigen Menge, zur richtigen Zeit und in der geforderten Qualität verfügbar zu machen. Struktureller Wandel in der betrieblichen Leistungserstellung und tiefgreifende Veränderungen im Unternehmensumfeld führen seit einigen Jahren dazu, dass der Einkauf im Wandel begriffen ist und einen stetigen, aber erheblichen Bedeutungszuwachs erfährt. Die Einsicht, dass der Einkauf im Erzielen und Sichern von Wettbewerbsvorteilen eine Schlüsselrolle einnimmt, ist nicht neu. Dennoch herrscht vor allem in der Praxis oftmals eine „Lücke“ zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Die Darstellung einer umfassenden Managementfunktion, die gleichermaßen der strategischen Relevanz und dem komplexer werdenden Umfeld gerecht wird, ist Gegenstand des Bandes „Einkaufsmanagement“. Anhaltende Tendenzen zu Outsourcing bzw. zu reduzierten Fertigungstiefen gelten als Haupttreiber für den erhöhten Stellenwert des Einkaufs. So werden in fast allen Industrien heute mehr als die Hälfte der Herstellkosten durch Materialkosten verursacht. Hohe Einkaufsvolumina vergrößern unmittelbar den monetären „Hebel“ auf das Unternehmensergebnis und bedingen darüber hinaus eine Verlagerung von Wertschöpfung und von Know-how auf Zulieferer. In solch einer Konstellation sind Unternehmen auf die Entwicklungskompetenz und Innovationskraft von Zuliefern angewiesen. Unter Kosten-, Zeit-, Qualitäts- und Risikogesichtspunkten steigt der Einfluss der Lieferanten auf die eigene Wertschöpfungsleistung. Unternehmen sind in hohem Maße abhängig von der Lieferantenbasis und Vorteile im Wettbewerb können vor allem kooperativ erschlossen werden. Die Orientierung des Einkaufs verschiebt sich vom kurzfristigen Erzielen von Preispotenzialen hin zu einer langfristigen, aktiven Integration von Lieferanten, durch die die Wettbewerbsfähigkeit auf Gesamtunternehmensebene gestärkt wird. Um diesem Anspruch gerecht zu werden vollzieht sich in vielen Unternehmen ein Paradigmenwechsel: Galt der Einkauf in der Vergangenheit als primär operative betriebliche Unterstützungsfunktion, setzt sich allmählich ein strategisches, „wertschaffendes“ Verständnis durch. Traditionelle Einkaufsziele werden hin zu mehrdimensionalen Zielsystemen erweitert, in denen neue Aspekte wie die gemeinschaftliche Kostenoptimierung, Risikovermeidung oder Innovationsförderung integriert sind. Der Einkauf wird zunehmend als Managementdisziplin betrachtet, die auf Augenhöhe mit anderen Funktionen wie die Forschung und Entwicklung, die Produktion oder der Vertrieb agiert. An der Schnittstelle zu den innerbetrieblichen Prozessen einerseits sowie zu vorgelagerten Marktpartnern bzw. Zuliefern andererseits nimmt der Einkauf dabei eine besondere Schnittstellenrolle ein. Das Beschaffungsumfeld erfährt seit einigen Jahren, einschneidende Entwicklungen, welche die Aufgaben des Einkaufs auf kontinuierlicher Basis verändern. Vorrangig sind die fortschreitende Globalisierung und die Fragmentierung von Lieferketten zu nennen, die bedingen, dass Unternehmen heute in komplexen Wertschöpfungsnetzwerken agieren. Das Erschließen von Wettbewerbsvorteilen, die vor allem an inter-organisationalen Schnittstellen entstehen, wird damit zum Kerngeschäft des Einkaufs. Durch produktionssynchrone
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Anlieferkonzepte sowie „Lean“-Systeme steigen die Anforderungen an die Koordination innerhalb von Wertschöpfungsketten. Reduzierte Lagerbestände führen dazu, dass sich Störungen in vorhergehenden Stufen unmittelbar bis hin zur eigenen Wertschöpfung fortpflanzen, wodurch der systematische Umgang mit Risiken in den Fokus des Einkaufs gerät. Auf der Produktseite steigt aufgrund zunehmend technologieintensiver Beschaffungsgüter, verkürzter Produktlebenszyklen und einer steigenden Variantenvielfalt der Anspruch an den Einkauf im Umgang mit Technologie und Dynamik. Diese Trends werden in vielen Branchen durch eine fortschreitende Konzentration an den Lieferantenmärkten sowie durch steigende Energie- und Rohstoffpreise überlagert, die bedingen, dass das Einkaufsumfeld nicht zuletzt durch einen anhaltenden Rationalisierungsdruck geprägt ist. Zur Begegnung dieser Herausforderungen sind aus Wissenschaft und Praxis neue Einkaufsansätze und -methoden hervorgegangen, die traditionelle Einkaufsinstrumente wie Verhandlungen oder Anfragen ergänzen oder sogar ersetzen. Insbesondere die Schaffung von Transparenz über Beschaffungsmärkte, Lieferanten und Marktleistungen wird zum Erfolgfaktor, der es durch analytische Werkzeuge und geeignete Informationssysteme zu begegnen gilt. Die Vielfalt neuer Methoden und Ansätze muss gezielt betrachtet, spezifischen Einkaufsaufgaben zugeordnet und in ein übergeordnetes Konzept integriert werden. Der Einkauf stellt meist ein abgegrenztes Teilsystem der umgebenden Unternehmensorganisation dar, wobei aufgrund steigender Interaktionanforderungen des Einkaufs mit anderen Funktionalbereichen keinesfalls eine losgelöste Gestaltung der Einkaufsorganisation erfolgen darf. Durch die Binnenstruktur werden die internen Prozesse koordiniert und somit maßgeblich die Funktionalität beeinflusst. Eine wesentliche Gestaltungsdimension ist diesbezüglich in der Definition und Organisation von strategischen und operativen Einkaufsaufgaben und -aktivitäten zu sehen. In der Ressourcendimension bilden Einkäufer zweifelsohne die Kernressource des Einkaufs. Das Bild des Einkäufers als Bestellfachkraft ist schon lange einer interdisziplinären und strategischen Managementrolle gewichen, dessen Aufgabenumfang und -vielfalt stetig ansteigt. Neben den personellen Ressourcen des Einkaufs können durch den gezielten Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien die Komplexität von Einkaufsprozessen reduziert und somit Transparenz- und Effizienzvorteile generiert werden. Die Strategie stellt die Grundlage dar, aus der sich zukünftige Handlungsfelder in den Dimensionen Erneuerung, Entwicklung und Betrieb ableiten lassen. Die strategische Ausrichtung wird insbesondere durch die Erarbeitung und Formulierung einer Einkaufsstrategie gewährleistet. Diese unterstützt und koordiniert die Aktivitäten des Einkaufs in der Orientierung an den langfristigen Einkaufszielen. In Anbetracht einer wachsenden Heterogenität in den Beschaffungsobjekten bzw. -märkten erweist sich die Erarbeitung differenzierter Einkaufstrategien als Erfolgsfaktor. Ausgangspunkt zur Einkaufsstrategieformulierung ist die Make-or-Buy-Entscheidung. Da die Bestimmung der Leistungstiefe insbesondere bei geringer vertikaler Integration unter Einbringung des Markt-Knowhows des Einkaufs erfolgen muss, steht die Einkaufsstrategie in enger Wechselwirkung mit der Strategieentwicklung hinsichtlich Make-or-Buy. Die Einkaufsstrategie gibt einerseits Leitlinien für die Einkaufsfunktion vor und bestimmt zum anderen konkrete strategische Handlungsoptionen auf der Ebene verschiedener Strategieobjekte wie etwa Beschaffungsobjekte, Waren- oder Materialgruppen, Lieferanten oder Prozesse. Unabhängig von der Form der Einkaufsstrategie werden typischerweise
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die Dimensionen Anzahl und Art der Bezugsquellen, Art der Kooperationsbeziehung, Beschaffungsobjekt (Komplexität); Zeit (Art und Ablauf der Bereitstellung), Ort und Areal der Wertschöpfung sowie die Verteilung der Wertschöpfungsstufen auf die Leistungsersteller adressiert. Typischerweise beinhalten Einkaufsstrategien eine Kombination verschiedener Ausprägungen dieser Dimensionen. Wie in anderen Disziplinen auch sind zur Strukturierung und Darstellung von Einkaufsstrategien Portfolio-Ansätze verbreitet. Zur Unterstützung strategischer Entscheidungen ist schließlich eine geeignete Grundlage führungsrelevanter Informationen erforderlich. Ziel des Einkaufscontrollings ist es daher, eine der Komplexität des Einkaufsmanagements entsprechende Informationsbasis bereitzustellen und eine konsistente Planung, Steuerung und Kontrolle auf der AktivitätenEbene zu gewährleisten. Dieses Verständnis geht über eine reine Kontrollfunktion hinaus und betont den Querschnittscharakter. Die Aufgaben des Einkaufscontrollings umfassen die Informationsversorgung sowie die ergebnisorientierte Koordination und Messung des Erfolgsbeitrags des Einkaufsmanagements. In der Regel wird dies durch ein Kennzahlensystem unterstützt, das in der Lage ist, alle erforderlichen Informationen mit dem entsprechenden Aktualitäts-, Genauigkeits- und Verdichtungsgrad für beschaffungspolitische Entscheidungssituationen bereitzustellen. Idealerweise wird das System aus den Unternehmenskennzahlen abgeleitet, so dass eine Informationsverdichtung auf allen steuerungsrelevanten Ebenen bis hin zur Mitarbeiterebene ermöglicht wird. Die ergebnisorientierte Koordination stellt eine formale, inhaltliche und zeitliche Abstimmung aller Einkaufsentscheidungen hinsichtlich der Unternehmensziele sicher. Die Quantifizierung der Einkaufsperformance im Sinne der Abbildung des Beitrags des Einkaufs auf den Unternehmenserfolg bedeutet heute eine mehrdimensionale Leistungsbemessung unter Verwendung differenzierter Zieldimensionen. Eine Voraussetzung bildet hierzu die Operationalisierung neuer Einkaufsziele. Zudem ist eine detaillierte und präzise Abgrenzung der eigenen Einkaufsleistung von der Leistung von Lieferanten und Sublieferanten erforderlich. Dies betrifft insbesondere den Umgang mit volatilen Preiseffekte (z.€B. bedingt durch Rohstoffpreis- oder Währungsschwankungen) bei der Bemessung der Einkaufsleistung. Die Aufgaben des Einkaufsmanagements können gemäß Abb.€5.8 in drei miteinander vernetzte Grundaktivitäten strukturiert werden. In Anlehnung an bestehende prozessbezogene Einkaufsmodelle orientiert sich die Gliederung an den Phasen des Einkaufsprozesses. Strategische Aufgaben des Einkaufs stehen im Vordergrund, wobei Bezüge zu operativen Aktivitäten an verschiedenen Stellen geschaffen werden. Eine umfassende Informationsbasis über die relevanten Beschaffungsmärkte ist eine unabdingbare Voraussetzung zur Erfüllung der Einkaufsfunktion. In Analogie zur Absatzmarktforschung wird die systematische Identifikation und Analyse der Gegebenheiten und Beeinflussungsmöglichkeiten von Beschaffungsmärkten als Beschaffungsmarktforschung bezeichnet. Das Ziel dieser Einkaufsaufgabe ist es, die Transparenz in den relevanten Beschaffungsmärkten zu steigern und eine fundierte Informationsgrundlage für strategische Entscheidungen in allen Phasen des Einkaufsprozesses zu schaffen. Die Aufgaben der Beschaffungsmarktforschung umfassen die systematische und zielgerichtete Suche, Sammlung und Aufbereitung von Informationen über Beschaffungsmärkte. Im Kern werden darunter die Beschaffungsmarktdefinition, -analyse, -beobach-
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Technologiemanagement Innovationsmanagement
Beschaffungsmarktforschung
Fabrikplanung Produktionsmanagement Logistikmanagement
Lieferantenauswahl
Qualitätsmanagement
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Einkaufsmanagement Dienstleistungsmanagement Technischer Vertrieb
Steuerung der Lieferantenbasis
Abb. 5.8↜渀 Detaillierung des Einkaufsmanagements im Ordnungsrahmen
tung und -prognose subsumiert. Zunächst werden unter Berücksichtigung des Anforderungsprofils der Beschaffungsobjekte die zu betrachtenden Wirtschaftsräume determiniert. Die Analysephase bezieht sich auf die Erforschung der Grundstruktur der Beschaffungsmärkte. Demgegenüber wird in der Beschaffungsmarktbeobachtung die Entwicklung der Marktgrößen im Zeitverlauf verfolgt. Auf Grundlage der gewonnen Informationen werden schließlich Prognosen über zukünftige Marktentwicklungen abgeleitet. Die gestiegene Abhängigkeit zwischen Unternehmen und deren Lieferantenbasis erhöht zwangsläufig die Relevanz der Lieferantenauswahlentscheidung. Über den eigentlichen Entscheid hinaus wird der Lieferantenauswahl innerhalb des Bezugsrahmens ein erweitertes Verständnis zugrunde gelegt, welches sowohl die Schritte der Lieferantenidentifikation, -analyse und -bewertung als auch die sich anschließenden Aufgaben der Vertragsanbahnung und des -abschlusses sowie der Lieferantenfreigabe umfasst. Der Auswahlprozess baut dabei auf der durch die Beschaffungsmarktforschung geschaffenen Informationsbasis auf, durch die in der Regel eine Vorselektion der relevanten Lieferanten gegeben ist. Ausgehend von einem konkreten Bedarf werden während des Lieferantenauswahlprozesses die potenziell in Frage kommenden Lieferanten durch systematische Bewertungsschritte sukzessive bis hin zum Lieferantenentscheid eingeschränkt. Der Prozess beinhaltet sowohl eine Bewertung der angebotenen Leistung als auch eine systematische Einschätzung des generellen Leistungsprofils der Lieferanten. Insbesondere für hochwertige, strategische Beschaffungsobjekte reichen einfache Angebotsvergleiche nicht aus. Einen besonderen Stellenwert haben erweitere, lebenszyklusübergreifende Ansätze (z.€B. Total Cost of Ownership-Ansätze) erlangt. Die Beurteilung der Lieferantenleistung setzt eine ganzheitliche Betrachtungsweise voraus, die vor allem durch mehrdimensionale Lieferantenbewertungsansätze erfüllt wird. Daraus resultiert die Anforderung einer cross-funktionalen Zusammenarbeit während der Lieferantenauswahl. Neben Lieferantenselbstauskünften oder -audits sind auch neue Bewertungsansätze zur Identifizierung strategiekonformer Lieferanten von Bedeutung (z.€B. Konzeptwettbewerbe zur Bewertung des Innovationspotenzials von Lieferanten). Während die Lieferantenauswahl mit engem Bezug zu Neuproduktprojekten dargestellt wird, werden Vorgehensweisen und Methoden des Einkaufs für das Seriengeschäft und insbesondere für den Umgang mit der bestehenden Lieferantenbasis hiervon losgelöst be-
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trachtet. Dies geschieht insbesondere vor dem Hintergrund, dass Lieferantenbeziehungen mehr und mehr durch Langfristigkeit geprägt sind und die Steuerung der Lieferantenbasis das Tagesgeschäft des strategischen Einkaufs dominiert. Einerseits betrifft dies eine kontinuierliche Optimierung der Lieferantenanzahl, um stets ein geeignetes Verhältnis zwischen der Wettbewerbsintensität in den Beschaffungsmärkten, der Versorgungssicherheit und der Kosteneffizienz zu realisieren. Andererseits wird das Ziel verfolgt, die Leistungsfähigkeit der Lieferantenbasis zu verbessern. Über Ansätze der kontinuierlichen Lieferantenbewertung oder der Lieferantenentwicklung hinaus werden im Sinne des sogenannten Supplier Relationship Managements zudem die Art und Weise der Zusammenarbeit mit Lieferanten und deren Einbindung in die eigene Wertschöpfungskette adressiert. Effizienz in der Steuerung der Lieferantenbasis fußt dabei auf einer Segmentierung der Lieferantenbasis, da dies eine differenzierte Ableitung von Maßnahmen zulässt. In Ergänzung dieser lieferantenbezogenen Aufgaben sind auch alle weiteren Einkaufsinstrumente zur Steuerung des Seriengeschäfts im Kontext dieser Phase zu thematisieren. Vornehmlich zu nennen sind analytische Ansätze, die insbesondere im Vorfeld von Verhandlungen dazu beitragen, Optimierungspotenziale zu identifizieren oder zu quantifizieren (z.€B. Variantenanalysen, erweiterte Kostenanalysen). Über Einkaufspotenziale mit unmittelbaren Preis- oder Kostenbezug schließt dies auch Maßnahmen zur Erschließung technischer, entwicklungsseitiger oder risikobezogener Einkaufspotenziale mit ein. Die Managementaufgabe besteht in der Ausrichtung und der gegenseitigen Abstimmung der Elemente Beschaffungsmarktforschung, Lieferantenauswahl und Steuerung der Lieferantenbasis untereinander sowie mit den Unternehmensfunktionen zu denen starke Wechselwirkungen bestehen. Der Gestaltungsspielraum, der sich dabei eröffnet, ist durch drei Gestaltungsparameter gegeben, die situationsspezifisch zu konfigurieren sind: • Organisation: Verankerung des Einkaufs(-Managements) in der Unternehmensstruktur • Aktivitäten: Festlegung konkreter Tätigkeiten innerhalb des Einkaufsmanagement • Methoden: Bereitstellung von Hilfsmitteln zur Unterstützung der Aktivitäten
5.8 Dienstleistungsmanagement Zur langfristigen Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit gewinnt das Angebot integrierter Lösungen als Kombination aus Sachgut und Dienstleistung ständig an Bedeutung. „Customers do not look for goods or services per se; they look for solutions that serve their own value-generating processes.“ Dieses Zitat von Grönroos spiegelt den notwendigen und immer deutlicher beobachtbaren Wandel von Unternehmen hin zum Lösungsanbieter umfassend wider. Die bisherige Trennung zwischen Sachgut und Dienstleistung ist folglich nicht mehr angemessen. Lösungen im hier verwendeten Begriffsverständnis gehen weit über Produkte, Services oder Zusatzleistungen hinaus. Sie entstehen erst durch die Integration von Produkten und Dienstleistungen, um die Probleme für ausgewählte Kunden umfassend und wirtschaftlich lösen zu können. Der vorliegende Beitrag geht von einer Integration von Sachgütern und
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Technologiemanagement Innovationsmanagement Fabrikplanung Produktionsmanagement Logistikmanagement
Geschäftsmodelle Leistungssysteme Kundensysteme
Qualitätsmanagement
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Einkaufsmanagement Dienstleistungsmanagement
Service Engineering Kennzahlen und Führungssysteme
Technischer Vertrieb
Abb. 5.9↜渀 Detaillierung des Dienstleistungsmanagements im Ordnungsrahmen
Dienstleistungen zu einem Leistungssystem auf Basis der bereits Ende der 90er Jahre von Belz entwickelten Konzeption aus. Es wird davon ausgegangen, dass wie in der folgenden Abbildung dargestellt, durch ein Leistungssystem ein mit dem Wertesystem des Kunden korrespondierender Kundennutzen generiert werden kann. Zentrales Charakteristikum von Leistungssystemen ist die Eigenschaft, Teilleistungen wie Produkte und Dienstleistungen zu integrieren, um mit diesem Angebot ein Kundenproblem umfassend zu lösen und so einen relevanten Mehrwert zu schaffen. Jedes Element für sich ist ein Produkt oder eine Dienstleistung, zusammen bilden sie jedoch eine Systemlösung für das zugrunde liegende Problem des Kunden. Integrierte Produkt- und Dienstleistungslösungen, wie sie durch den Ansatz der Leistungssysteme umfassend beschrieben werden, stellen die Unternehmensführung vor umfassende Herausforderungen. Das Management industrieller Dienstleistungen ist in Abb.€5.9 mit relevanten Schwerpunktthemen dargestellt. Gemeinsam mit dem Werteversprechen und dem Preismodell bilden die Geschäftsprozesse das Geschäftsmodell. Geschäftsprozesse verkörpern die Kernaktivitäten einer Unternehmung, die unmittelbar auf Kundennutzen ausgerichtet sind. Sie umfassen die Leistungserstellungsprozesse sowie die Kundenprozesse einschließlich der Markenführungsprozesse, Kundenakquisitionsprozesse und Kundenbindungsprozesse. Durch die Integration des externen Faktors in die Leistungserstellung sowie alle Kundenprozesse gewinnt der Kunde sowie die Interaktion mit diesem Geschäftsmodell und Geschäftsprozesse industrieller Dienstleistungen eine besondere Bedeutung. Das Werteversprechen setzt unmittelbar beim Kundennutzen, der durch die verschiedenen Leistungen erbracht wird, an. Die Leistungserstellungsprozesse generieren gemäß der Diktion nach Belz in Form von Leistungssystemen einen Nutzen für den Kunden, indem sie das Problem einer Kundengruppe lösen. Die hinter den im Leistungssystem zusammengefassten Teilleistungen liegenden Prozesse der Leistungserstellung umfassen alle Aktivitäten, die dazu führen, dass der Kunde die vereinbarten Leistungen bzw. die vereinbarte Problemlösung in der vereinbarten Qualität erhält. Dazu gehören auch die Teilprozesse der Herstellung der Leistungsbereitschaft (Beschaffung, Logistik) sowie der Leistungserstellung einschließlich der Integration des externen Faktors.
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Analog zu dem durch den Anbieter bereitgestellten Leistungssystem existiert ein aus einzelnen Kundenprozessen. Zu diesen Kundenprozessen gehören die drei Hauptprozesse Kundenakquisition, Kundenbindung und Markenführung. Diese Prozesse münden wiederum in wiederholte Kaufentscheidungen bzw. wiederholte Vertragsabschlüsse. Zu den Kundenprozessen gehören auch alle Aufgaben der Marktforschung, der Marktbearbeitung, des Aufbaus von Kommunikationsbeziehungen sowie die Weiterentwicklung und Intensivierung von Kundenbeziehungen im Sinne des Customer Relationship Management. Zu den Teilaufgaben gehören Aufgaben des Kundenmanagements für Klein- oder Großkunden. Für Teilprozesse, die zu einer systematischen Neuentwicklung und Neukonfiguration von Leistungsbestandteilen bei industriellen Dienstleistungen beitragen, hat sich der Begriff des Service Engineering etabliert. Unter dem Begriff des Service Engineering wird die systematische Entwicklung von Dienstleitung mit Hilfe ingenieurwissenschaftlicher Methoden aufgefasst. Das Service Engineering fasst die dazu notwendigen Schritte in ihrer sachlogischen Reihenfolge zusammen und stellt die zur Bearbeitung der einzelnen, anfallenden Aufgaben notwendigen Methoden und Werkzeuge in einer umfassenden Methodik zur Verfügung. Das Service Engineering bildet die methodische Basis für die Entwicklung der zu Leistungssystemen und Kundensystemen zusammengefassten Prozessbestandteile. Kennzahlen und Führungssysteme sind im Sinne des Performance Management für die Messung und Beobachtung des Verlaufs der Aktivitäten des Managements bzw. der durch diese initiierten Maßnahmen erforderlich. Die Performance Messung bezieht sich sowohl auf strategische Aspekte wie auch auf Ergebnisse der operativen Ebene. Für das Management industrieller Dienstleistungen ist die Verwendung mehrperspektivischer Kennzahlen und Führungssysteme erforderlich, die neben monetären Kennzahlen auch die Erfassung und Auswertung von Kunden- sowie Kundenprozess-bezogenen Kennzahlen ermöglichen.
5.9 Technischer Vertrieb Im Investitionsgüterbereich wird der Verkauf als „Technischer Vertrieb“ bezeichnet. Diese Form des Vertriebs stellt besondere Anforderungen an Verkäufer und Vertriebsorganisation. In der Regel gilt es die Kunden bei innovativen Produkten und Dienstleistungen vom Nutzen der neuen Lösung zu überzeugen. Erst recht, wenn deren Preis recht hoch und gegebenenfalls die anfängliche Marktakzeptanz gering ist. Das ehemals singuläre Verkaufsgespräch entwickelt sich beim Vertrieb von technischen Produkten und Dienstleistungen zu einem komplexen Verkaufsprozess. Die drei relevanten Schwerpunktthemen in Zusammenhang mit dem technischen Vertrieb, die Prozesse im technischen Vertrieb, die strategische Vertriebsplanung und die operative Vertriebssteuerung, sind in Abb. 5.10 dargestellt. Die Aktivitäten der Teilnehmer zur systematischen Interaktion auf dem Markt lassen sich als Geflecht verschiedener Prozesse darstellen. Als wesentliche Prozesse können dabei die Wertschöpfungsprozesse des Anbieters und des Nachfragers, die in einer Einzeltransaktion stattfindenden Interaktions- und Integrationsprozesse, die verschiedene Einzeltransaktionen verbindenden Geschäftsbeziehungsprozesse, die sich auf den Märk-
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G. Schuh et al.
Technologiemanagement Innovationsmanagement
Prozesse im technischen Vertrieb
Fabrikplanung Produktionsmanagement Logistikmanagement
Strategische Vertriebsplanung
Qualitätsmanagement
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Einkaufsmanagement Dienstleistungsmanagement
Operative Vertriebsabwicklung
Technischer Vertrieb
Abb. 5.10↜渀 Detaillierung des technischen Vertriebs im Ordnungsrahmen
ten vollziehenden Prozesse sowie die Prozesse in dem jeweils relevanten Umfeld unterschieden werden. Grundlage des Prozessmanagements im technischen Vertrieb ist die Tatsache, dass es stets zu einer Verknüpfung von Wertschöpfungsketten kommt. Interaktions- und Integrationsprozesse dienen der Analyse und Synthese eines Leistungs- und Gegenleistungsbündels, das Gegenstand der Markttransaktion zwischen Anbieter und Nachfrager ist. Auf Investitionsgütermärkten sind Markttransaktionen in der Regel in dauerhafte Geschäftsbeziehungen eingebettet. Die Geschäftsbeziehungsprozesse kennzeichnen insbesondere die inneren Verbindungen zwischen Transaktionspartnern, die im Laufe der Geschäftsbeziehung aufgebaut werden. Umfeldprozesse repräsentieren die dynamische Veränderung der technischen, ökonomischen, gesellschaftlichen, rechtlichen und politischen Umwelt der Marktteilnehmer. Die vorgestellten Prozesse schaffen ein ganzheitliches Verständnis der Vertriebstätigkeiten in Bezug zur Abwicklung von Markttransaktionen auf Investitionsgütermärkten. Zur kostenund leistungsseitigen Analyse und Gestaltung der Vertriebsprozesse ist jedoch eine konkretere Erörterung der Vertriebsfunktionen notwendig. Es bedarf einer kontinuierlichen Informationsgewinnung am Markt, mit dem Ziel der lang- und kurzfristigen Planung, Kontrolle und Steuerung der Unternehmensaktivitäten. Dieser Sachverhalt lässt sich als Kreislauf aus strategischer Planung und operativer Steuerung abstrahieren. Ausgehend von den Bedürfnissen des Marktes, die durch eine geeignete Marktforschung zu analysieren sind, muss im Rahmen der strategischen Vertriebsplanung festgelegt werden, auf welchen Märkten welche Güter und Leistungen angeboten werden sollen. Neben der Informationsbeschaffung über Käufer, Wettbewerber, Marktbeeinflusser und Drittparteien sind auch Informationen über das gesamtwirtschaftliche und gesellschaftliche Umfeld der Märkte einzuholen. Die unter Berücksichtigung interner Unternehmensrandbedingungen (Ressourcenpotenzial, Liquidität, Flexibilität etc.) zu präzisierenden Marketingziele bestimmen hierbei, welche Ergebnisse durch die kurz- und langfristigen Vertriebsaktivitäten erreicht werden sollen. Ziele sind dabei quantitativer Art (Marktanteile, Umsatz- und Ergebnisgrößen, Distributionsdichte etc.) oder auch qualitativer Art (Fortsetzung einer Geschäftsbeziehung,
5â•… Prozessmanagement
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Erlangen eines bestimmten Auftrags etc.). Zur Zielerreichung müssen die Unternehmensstrategie und die detaillierten Marktstrategien abgeleitet werden. Ergebnis der strategischen Vertriebsplanung sind neben den konkreten Marktstrategien auch Handlungsanweisungen zum operativen Einsatz von Marketinginstrumenten. Die operative Vertriebsabwicklung ist das Bindeglied zwischen den externen Kunden und der internen Leistungserstellung. Der Außendienst hat die Aufgabe der persönlichen Auftragsakquisition und -verfolgung sowie der technischen und kommunikativen Betreuung der Kunden vor Ort. Bei der Anbahnung des Verkaufs eines Investitionsguts sind sämtliche Kundenanforderungen und -wünsche, wie z. B. technische Leistungsspezifikationen, in Form eines Lastenheftes sowie Liefertermine, Konditionen etc. zu dokumentieren. Abhängig von der Vertriebsorganisation erstellt der Innendienst oder ein Absatzmittler in Rücksprache mit den internen Unternehmensabteilungen ein Angebot. Im Rahmen des Vertriebscontrollings liefern die Vertriebsmitarbeiter je nach Ausgestaltung des unternehmensspezifischen Controllingsystems Informationen für das Vertriebsmanagement. Die informatorische Rückkopplung befähigt das Vertriebsmanagement, entsprechend der Erfordernisse aus veränderten Rahmenbedingungen und Marktentwicklungen die Marktstrategien sowie Mitteleinsätze anzupassen. Die strategische Vertriebsplanung und die operative Vertriebsabwicklung bilden in der oben beschriebenen Weise somit einen Regelkreis zur marktorientierten Steuerung der Unternehmensaktivitäten.
5.10 Prozessmanagement Um die Vielzahl der vorgestellten Geschäftsprozesse gestalten und verbessern zu können, ist ein systematisches Prozessmanagement notwendig. Intransparente betriebliche Abläufe, redundante und ineffiziente Strukturen gepaart mit einem erhöhten Koordinationsbedarf sind zu vermeiden bzw. so weit wie möglich zu eliminieren. Prozessmanagement ist unabdingbar im Hinblick auf die Erfüllung externer Kundenerwartungen. Ursachen für die mangelnde Fähigkeit eines Unternehmens, Kundenerwartungen gerecht zu werden, sind oft auf Unzulänglichkeiten in Geschäftsprozessen zurückzuführen. Aufgabe des Prozessmanagements muss es also sein, die Geschäftsprozesse effizient d.€h. mit geringem Aufwand zu gestalten und zu koordinieren, sowie effektiv auf die Erfüllung der Kundenbedürfnisse auszurichten, um so Vorteile gegenüber dem Wettbewerb zu realisieren. Aufgrund der Vielzahl von Bedeutungen und Unterscheidungsarten für den Prozessbegriff werden zu Beginn des Abschnitts zunächst eine Übersicht über gängige Definitionen und Klassifikationsarten dargestellt. In der industriellen Praxis existieren bereits zahlreiche Methoden, die eine Veränderung und Verbesserung der Geschäftsprozesse zum Ziel haben. Eine Auswahl dieser Methoden werden dann anschließend vorgestellt. Neben der Vielzahl von Einsatzgebieten und Anforderungen an eine Prozessmodellierungssprache werden danach die drei Prozessmodellierungssprachen ARIS, Wertstromdesign sowie aixperanto näher betrachtet. Zum Abschluss des Kapitels werden die Phasen der Prozessanalyse und -gestaltung näher betrachtet.
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G. Schuh et al.
5.10.1 Definition und Klassifikation von Prozessen 5.10.1.1 Definition
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Von zentraler Bedeutung für das Prozessmanagement ist die Möglichkeit, Prozesse beschreiben und analysieren zu können, wofür ein gemeinsames Prozessverständnis bedingt durch einheitlich genutzte Begrifflichkeiten notwendig ist. In der Literatur und betrieblichen Praxis existieren zahlreiche Begriffe und Definitionen zum Prozess. So werden Prozesse, Unternehmensprozesse, Geschäftsprozesse und viele weitere auf unterschiedliche Arten definiert und unterschieden. Die Definitionen für die Begriffe „Geschäftsprozess“ bzw. „Unternehmensprozess“ als Teilmenge des Begriffs „Prozess“ weisen unterschiedliche Konkretisierungsgrade auf und differieren hinsichtlich der theoretisch-terminologischen Grundlagen. Insbesondere werden die Begriffe Prozess, Geschäftsprozess und Unternehmensprozess häufig synonym verwendet. Allerdings weisen sie deutliche Unterschiede hinsichtlich ihrer inhaltlichen Interpretationsmöglichkeiten auf. Eine Abgrenzung zu technologischen Prozessen wird nur selten vorgenommen. [1–5] Im neuen St. Galler Management- Modell wird eine Prozessdefinition bestehend aus den Begriffen „Prozess“, „Geschäftsprozess“, „Unterstützungsprozess“ und „Managementprozess“ angeführt, vorgestellt in Abb.€5.11. Es folgen die für dieses Buch relevanten Definitionen der Begriffe „Prozess“, „Unternehmensprozess“, „Technologischer Prozess“ und „Geschäftsprozess“, vorgestellt in Abb.€5.12 Besonderer Wert bei der Definition der Prozessbegriffe wurde auf eine unternehmensunabhängige Gültigkeit der einzelnen Definitionen gelegt. Definition Rüegg-Stürm Unter einem Prozess verstehen wir eine Menge (oder ein System) von Aufgaben, die ineiner mehr oder weniger standardmäßig vorgegebenen Abfolge zu erledigen sind (Aufgabenkette) und deren Bewältigung durch den Einsatz von Informationssystemen maßgeblich unterstützt werden kann. Geschäftsprozesse verkörpern den praktischen Vollzug der marktbezogenen Kernaktivitäten einer Unternehmung, die unmittelbar auf die Stiftung von Kundennutzen ausgerichtet sind. Unterstützungsprozesse dienen der Bereitstellung der Infrastruktur und der Erbringung interner Dienstleistungen, die notwendig sind, damit Geschäftsprozesse effektiv und effizient vollzogen werden können. Managementprozesse umfassen alle grundlegenden Managementaufgaben, die mit der Gestaltung, Lenkung (Steuerung) und Entwicklung einer zweckorientierten soziotechnischen Organisation zu tun haben. Mit anderen Worten vollzieht sich in den verschiedenen Managementprozessen die unternehmerische Führungsarbeit - von wem auch immer diese geleistet wird. Dazu zählen z.B. sämtliche Planungs-, Koordinations- und Qualitätssicherungs- und Controllingtätigkeiten für die einzelnen Geschäfts- und Unterstützungsprozesse.
Abb. 5.11↜渀 Prozessdefinitionen im St. Galler Management-Modell
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5â•… Prozessmanagement
Ein Prozess ist eine inhaltlich abgeschlossene zeitliche Folge von Transformationsschritten, die Input in Output überführen.
Biologische Prozesse …
Chemische Prozesse
Prozesse Unternehmensprozesse
Technologische Prozesse
…
Geschäftsprozesse Managementprozesse Planungsprozesse Ausführungsprozesse Unterstützungsprozesse
Alle Prozesse, die in einem Unternehmen stattfinden, heißen Unternehmensprozesse. Unter Verwendung von Ressourcen verfolgen Unternehmensprozesse das Ziel der Transformation von Input in einen prozessspezifischen Output. Dabei bildet der von einem Unternehmensprozess generierte Output den Input für nachgelagerte unternehmensinterne oder -externe Unternehmensprozesse, womit sich zwischen den Unternehmensprozessen eine Kunden-Lieferanten-Beziehung ergibt. Die meisten Unternehmensprozesse bestehen sowohl aus Technologie- als auch aus Geschäftsprozessen.
Unter Verwendung von Ressourcen verfolgen Technologieprozesse das Ziel der Transformation von materiellem Input in einen prozessspezifischen (materiellen) Output.
Unter Verwendung von Ressourcen verfolgen Geschäftsprozesse das Ziel der Transformation von immateriellem Input in einen prozessspezifischen (immateriellen) Output. Geschäftsprozesse lassen sich unterscheiden im Hinblick auf Management-, Planungs-, Ausführungs- und Unterstützungsgeschäftsprozessen.
Abb. 5.12↜渀 Prozessdefinitionen
Die Definition des Begriffes „Prozess“ ist für alle Prozesse ob biologischer, verfahrenstechnischer oder sonstiger Form gültig. Unternehmensprozesse bilden demnach eine Teilmenge der Prozesse. Sie können in Technologische Prozesse sowie Geschäftsprozesse aufgeteilt werden. Für Geschäftsprozesse gilt weiterhin die Aufteilung in Management-, Planungs-, Ausführungs- und Unterstützungsprozesse.
5.10.1.2 Klassifikation Bei der Unterscheidung von Unternehmensprozessen wird zwischen konstituierenden und beschreibenden bzw. klassifizierenden Unternehmensprozessmerkmalen differenziert. Das Vorhandensein eines Unternehmensprozesses wird dabei durch die konstituierenden Merkmale belegt, während die klassifizierenden Merkmale eine beschreibende Funktion ausüben. Die Klassifizierung der Unternehmensprozesse dient einer systematischen Ana-
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lyse. Die Zuordnung eines Unternehmensprozesses zu einer bestimmten Gruppe ermöglicht deren Vergleichbarkeit. Im Folgenden werden die verschiedenen konstituierenden sowie klassifizierenden Merkmale vorgestellt. Hierbei stehen die Geschäftsprozesse im Fokus. Es werden zunächst die konstituierenden Geschäftsprozessmerkmale beschrieben. Die Darstellung der klassifizierenden Geschäftsprozessmerkmale erfolgt anschließend.
Konstituierende Merkmale
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Grundsätzlich haben Geschäftsprozesse einen Objektbezug. Dabei werden diejenigen Objekte als Input eines Geschäftsprozesses verstanden, an denen innerhalb der Geschäftsprozessgrenzen eine bestimmte Aufgabe ausgeführt wird. Es werden immaterielle Objekte als Input für einen Geschäftsprozess vorausgesetzt. Als Beispiele für immaterielle Inputobjekte dienen Informationen und Dienstleistungen. Entscheidend ist an dieser Stelle, dass nur Objekte, die eine Veränderung erfahren, nicht jedoch solche, die eine Veränderung bewirken, als Input für einen Geschäftsprozess betrachtet werden können. Ein weiteres konstituierendes Merkmal eines Geschäftsprozesses stellt die Transformation des Inputobjektes innerhalb der Geschäftsprozessgrenzen dar. Lediglich wenn sich der Zustand des Inputobjektes verändert, kann von einem Geschäftsprozess gesprochen werden. Die Mittel und Ressourcen, die diese Zustandsänderung bewirken, können dabei grundsätzlich in Sach- und Personalmittel unterschieden werden. Schließlich resultiert die innerhalb der Geschäftsprozessgrenzen durchgeführte Transformation des Inputobjektes in einem Output, der analog zum Input immaterieller Natur ist. An dieser Stelle lassen sich drei Kategorien des Outputs unterscheiden: primärer, sekundärer und tertiärer Output. Outputobjekte, die den zuvor definierten qualitativen und quantitativen Sollwerten entsprechen, werden als primärer Output bezeichnet. Demgegenüber stehen Objekte, wie Ausschuss und Fehlteile, die die festgelegten Standards nicht erfüllen. Sie werden als sekundärer Output klassifiziert. Schließlich gelten die bei der Transformation lediglich aufgrund physikalisch-technischer Gegebenheiten freigesetzten Outputobjekte, deren Ausbringung nicht bezweckt ist, als tertiärer Output. Da der Output eines Geschäftsprozesses für den nachfolgenden Geschäftsprozess als Input fungiert, stehen die entsprechenden Geschäftsprozesse in einer Kunden-LieferantenBeziehung zueinander. Dies gilt unabhängig davon, ob der Output auf einem unternehmensexternen Markt abgesetzt wird oder ob es sich um einen innerbetrieblichen Vorgang handelt [3, 6]. Darüber hinaus ist die Zielorientierung ein konstituierendes Geschäftsprozessmerkmal. Sie steht für die Wertsteigerung im Rahmen der Transformation des Inputs zum Output. Dies bedeutet, dass jeder Geschäftsprozess ein Ziel hat, wobei der Output von dem geplanten Ziel abweichen kann. Ein weiteres konstituierendes Geschäftsprozessmerkmal ist die Beschaffenheit des Transformationsobjektes. Die Transformationsobjekte können grundsätzlich materieller oder immaterieller Natur sein. Während bei einem Technologischen Prozess die Transformation eines materiellen Gutes im Vordergrund steht, sind bei Geschäftsprozessen immaterielle Objekte bzw. Informationsträger (z.€B. Anträge, Meldungen, Aufträge, Anforderungen, Akten und Datenträger) Gegenstand der Betrachtung. Materielle Prozesse
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5â•… Prozessmanagement
Input (immateriell)
Geschäftsprozess A zielorientierte Transformation
Output A/Input B
Geschäftsprozess B
(immateriell)
zielorientierte Transformation
Output B (immateriell)
Kunden-Lieferanten-Beziehung
Abb. 5.13↜渀 Darstellung der verschiedenen konstituierenden Merkmale
werden meist durch die zum Einsatz kommende Technologie bestimmt und lassen sich daher verhältnismäßig einfach strukturieren. Eine Gliederung der Geschäftsprozesse mit definitionsgemäß immateriellem Prozessgegenstand lässt sich demgegenüber wesentlich schwieriger vornehmen, da bei ihnen eine Unterscheidung zwischen Transformationsobjekt und Arbeitsmittel teils nur schwer möglich ist [7–9]. Neben den dargestellten konstituierenden Geschäftsprozessmerkmalen ist ein feststehender Start- und Endpunkt ein weiteres wesentliches Merkmal. Mit der Beendigung der Transformation besteht meist ein eindeutiger Endpunkt des Geschäftsprozesses, während der Startpunkt in der Regel dogmatisch ermittelt werden muss [1, 10]. Die verschiedenen konstituierenden Merkmale für Geschäftsprozesse sind in Abb.€5.13 zusammenfassend dargestellt.
Klassifizierende Merkmale Zusätzlich zu den dargestellten konstituierenden Merkmalen existieren weitere Merkmale, anhand derer sich Geschäftsprozesse voneinander abgrenzen und verschiedenen Gruppen zuordnen lassen. Dabei hängt die Zuordnung eines Geschäftsprozesses stets von dem jeweiligen Untersuchungsziel und gleichzeitig von der subjektiven Beurteilung des Untersuchenden ab. Im Folgenden werden beispielhaft einige klassifizierende Geschäftsprozessmerkmale vorgestellt. Zunächst lassen sich die Geschäftsprozesse in Kategorien unterteilen. Man unterscheidet Managementprozesse, Planungsprozesse, Ausführungsprozesse und Unterstützungsprozesse. Managementprozesse übernehmen die Funktion der Steuerung des Unternehmens bzw. ihrer Abteilungen. Die Planungsprozesse dienen der Planung der verschiedenen Ausführungs- bzw. Unterstützungsprozesse. Sie planen das Zusammenspiel zwischen diesen beiden Prozesskategorien. Mithilfe der Ausführungsprozesse werden die konkreten Aufgaben abgearbeitet. Um einen effizienten Ablauf der Ausführungsprozesse zu gewährleisten, existieren Unterstützungsprozesse im Unternehmen. Diese Unterteilung der Geschäftsprozesse geschieht in Anlehnung an das SCOR-Modell (Supply Chain Operation Reference-Modell). Bei diesem Modell werden in zweiter Ebene zwischen den drei Kategorien Planungs-, Ausführungs- sowie Unterstützungsprozesse unterschieden. Ein weiteres Kriterium zur Klassifizierung von Geschäftsprozessen stellt deren Hierarchie dar. Dabei lassen sich unterschiedliche Ebenen der Geschäftsprozesshierarchie
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betrachten. Bspw. kann das gesamte Unternehmen als ein Geschäftsprozess betrachtet werden, was jedoch vor dem Hintergrund der Analyse, Bewertung und Gestaltung der Geschäftsprozesse als ein kritisch hoher Aggregationsgrad anzusehen ist. Daher sind die innerhalb des Unternehmens ablaufenden Prozesse in weitere Subsysteme zu dekomponieren. Diese Bestimmung einer hierarchischen Geschäftsprozessstruktur ist notwendig, um den Geschäftsprozessbestandteilen Aufgabenträger zuzuordnen und Verantwortlichkeiten festzulegen. Diese Zerlegung erfordert die Entscheidung über die anzuwendenden Gliederungskriterien und einen angemessenen Aggregationsgrad der Geschäftsprozesselemente. Dabei ist die Wahl der Anzahl der Gliederungsebenen dem Betrachter überlassen und abhängig vom konkreten Anwendungsfall [2]. Hinsichtlich ihrer Leistungsbeziehung zum Endprodukt kann zwischen Kern- und Supportprozessen unterschieden werden. Kernprozesse repräsentieren die Kernkompetenzen des Unternehmens und sind weder imitierbar noch substituierbar. Demgegenüber existieren Supportprozesse, die unterstützende Aufgaben erfüllen und dem reibungslosen Ablauf bzw. der Entlastung der Kernprozesse dienen. Als Beispiele für Supportprozesse können die Instandhaltung oder das Gebäudemanagement genannt werden. Ein weiteres Kriterium zur Klassifizierung von Geschäftsprozessen ist deren Marktbezug. An dieser Stelle lassen sich in Anlehnung an das Wertkettenmodell von Porter primäre und sekundäre Geschäftsprozesse unterscheiden. Die primären Geschäftsprozesse entsprechen in diesem Zusammenhang denen im Modell der Wertkette betrachteten primären Aktivitäten mit direktem Bezug zu den vom Unternehmen erzeugten Produkten. Sie sind direkt an der Herstellung, Vermarktung und Betreuung des Produktes oder der zur Verfügung gestellten Dienstleistung beteiligt. In ähnlicher Weise werden die sekundären Geschäftsprozesse durch unterstützende Aktivitäten zur Gewährleistung der Funktion der primären Geschäftsprozesse gekennzeichnet. Ihnen werden Aktivitäten wie die Beschaffung oder die Personalentwicklung zugerechnet, die zwar keinen direkten Bezug zum Endprodukt oder zur erbrachten Dienstleistung aufweisen, ohne die jedoch die Aktivitäten der primären Geschäftsprozesse nicht durchführbar wären [11]. Ein zusätzliches Klassifizierungsmerkmal von Geschäftsprozessen ist deren Reichweite. Dabei werden interorganisatorische, interfunktionale und interpersonale Geschäftsprozesse unterschieden. Interorganisatorische Geschäftsprozesse überschreiten die Unternehmens- bzw. Organisationsgrenzen. Sie haben demnach mindestens einen externen Kunden oder einen externen Lieferanten. Demgegenüber stehen interfunktionale Geschäftsprozesse, deren Grenzen innerhalb einer Organisation aber über die Grenzen unterschiedlicher Funktionsbereiche hinweg verlaufen. Die letzte Gruppe bilden schließlich die interpersonalen Geschäftsprozesse, die mit ihren Aktivitäten keine Abteilungsgrenzen überschreiten [12].
5.10.2 Geschäftsprozessmanagement in der Praxis Seit Ende der 80er Jahre wurden zahlreiche Prozessmanagement-Ansätze mit dem Ziel einer Verbesserung der Geschäftsprozesse entwickelt. Abb.€5.14 zeigt ausgewählte Prozessmanagement-Ansätze.
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5â•… Prozessmanagement
Anätze des Prozessmanagements
Bottom-up
Top-down
gesteuerter Wandel
geführter Wandel Business Reengineering Business Process Reengineering Process Innovation
unternehmensweit Effektivitätsfokus E-Theorie radikal
gruppenbasiert Effizienzfokus O-Theorie kontinuierlich
episodisch
permanent
strategisch
operativ
Kaizen Kontinuierliche Verbesserungsprozesse OrganisationsEntwicklung
Abb. 5.14↜╇ Ausgewählte Prozessmanagement-Ansätze
Auf der einen Seite stehen die top-down orientierten Ansätze, die meist eine radikale Veränderung der Unternehmensabläufe fordern. Demgegenüber existieren bottom-up orientierte Veränderungsmethoden, die eine kontinuierliche Verbesserung bestehender Prozesse innerhalb des Unternehmens verfolgen und eine im Vergleich langfristigere Orientierung aufweisen [13]. Das Business Reengineering (↜BPR) nach Hammer und Champy ist ein Ansatz zur Verbesserung der Geschäftsprozesse, der eine radikale Erneuerung der Unternehmensorganisation bezweckt. Der Ansatz basiert auf der Neugestaltung der Geschäftsprozesse und deren strategiekonformer Ausrichtung. Im Laufe der Zeit wurden unterschiedliche Methoden des BPR entwickelt, die jedoch in der Regel das gemeinsame Ziel verfolgen, innerhalb kurzer Zeit signifikante Verbesserungen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Unternehmens zu erreichen. Die Vorgehensweise beinhaltet in diesem Zusammenhang nicht die Veränderung bestehender Abläufe im Unternehmen, sondern eine konsequente Neugestaltung der Geschäftsprozesse basierend auf einer zuvor erarbeiteten Unternehmensstrategie. Weitere bekannte und in der unternehmerischen Praxis verbreitete top-down orientierte Ansätze sind das Business Process Reengineering nach Johansson et al sowie der Ansatz der Process Innovation nach Davenport [13]. Die mangelnde Integration der Mitarbeiter unterer Hierarchieebenen bei der Neugestaltung der Geschäftsprozesse ist ein wesentlicher Grund, warum ein Großteil der top-down orientierten Prozessverbesserungs- und veränderungsprojekte nicht erfolgreich ist. Die bottom-up orientierten Vorgehensweisen bieten gerade in diesem Zusammenhang einen entscheidenden Vorteil, da sie nicht auf einem vorgegebenen Soll-Zustand, sondern auf dem bestehenden Ist-Zustand der Geschäftsprozesse aufbauen. Ansätze, die den bottom-up orientierten Vorgehensweisen zugerechnet werden, sind Lean Management sowie KAIZEN. Da oftmals Kaizen als eine Methode des Lean Ma-
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nagement aufgefasst wird, sowie aufgrund ihrer engen thematischen Verknüpfung werden die beiden Ansätze in diesem Zusammenhang gemeinsam vorgestellt. Kaizen steht für eine stetige Verbesserung unter Einbeziehung der gesamten Organisation. Die Ziele von Kaizen bestehen in dem Vermeiden von Fehlern durch verbesserte Prozesse und Arbeitsabläufe, bessere Arbeitsbedingungen und somit einer höheren Zufriedenheit der Mitarbeiter und interner sowie externer Kunden. Kaizen setzt insgesamt auf viele kleine Verbesserungen aufgrund stetiger Bemühung. Bei Lean Management handelt es sich um ein ganzheitliches Konzept, das das Unternehmen von der Produkt- und Prozessentwicklung über die Produktion bis hin zur Einbeziehung der Kunden und Lieferanten in den Wertschöpfungsprozess betrachtet. Bei der Optimierung der Geschäftsprozesse nach dem Konzept des Lean Management steht dabei die Schaffung von Wert für den Kunden unter Vermeidung von Verschwendung im Vordergrund. Im Unterschied zu Kaizen wird bei Lean Management die Konzentration auf wenige Kernprozesse stärker betont. Sowohl Lean Management als auch Kaizen sind grundlegende Philosophien, die nicht den Veränderungsprozess beschreiben, sondern konkrete Gestaltungsempfehlungen bieten [13]. Neben den beispielhaft vorgestellten Ansätzen, die entweder eine top-down orientierte oder eine bottom-up orientierte Vorgehensweise beinhalten, sind Methoden entstanden, die die Vorteile beider Verfahren zu vereinen versuchen und auf diese Weise zu einer ganzheitlichen und nachhaltigen Verbesserung der Geschäftsprozesse zu gelangen. Eine Methode dieser Kategorie ist die am Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen in Kooperation mit der Hochschule St. Gallen entwickelte MOTION-Methode. Bei Motion handelt es sich um eine Methode des Change Managements, mit der ein Rahmen für Veränderungsprojekte geschaffen wird, der alle notwendigen Dimensionen eines Veränderungsprozesses umfasst, wie Abb.€5.15 verdeutlicht [13]. Zunächst gibt es die inhaltliche Gestaltung der Veränderung, die durch Strategieaudit sowie Prozessanalyse durchgeführt wird. Hier werden die zukünftigen Prozesse entworfen, mit denen die neuen strategischen Ziele erreicht werden können. Die zweite Sichtweise ist
Inhalt
Positionierung Prozess
Initiierung
Strategieaudit
Den Wandel vordenken Idee
Prozessanalyse
Kernprozess Identifikation
Veränderung
Prozessstrategien
Den Wandel gestalten
Prozessoptimierung
Wertschöpfung Performance Messung
Abb. 5.15↜╇ Die MOTION-Methode
Wirksamkeit
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die der Prozesse, die mit der Initiierung des Wandels beginnt und bis zur Veränderung, also der Umgestaltung des Unternehmens reicht. Der Fokus dieser Methode liegt dabei auf der strategiekonformen Gestaltung der Geschäftsprozesse, wobei bestehende Inkonsistenzen zwischen Analyse, Gestaltung und Transformation vermieden werden. Diese geschieht auf der einen Seite ähnlich der Vorgehensweise in den top-down orientierten, revolutionären Ansätzen durch die Konzentration auf die wesentlichen Veränderungsobjekte. Auf der anderen Seite steht eine schonende aber gleichzeitig effektive Nutzung der im Unternehmen vorhanden Ressourcen im Vordergrund der Vorgehensweise nach Motion, wie sie auch in den bottom-up orientierten Ansätzen Verwendung findet. Die Motion-Methode umfasst dabei drei Phasen. Die Vorprojektierung und Fokussierung, die die erste Phase darstellt, dient vorrangig der Ermittlung der Ziele, die es im Rahmen des prozessorientierten Veränderungsprojektes zu erreichen gilt. In der zweiten Phase findet zunächst eine Analyse der bestehenden Geschäftsprozesse statt, bevor mit dem Design einer neuen Geschäftsprozesslandschaft begonnen wird. Dabei wird ähnlich wie bei den zuvor vorgestellten top-down Vorgehensweisen eine strategiekonforme Neugestaltung der Geschäftsprozesse angestrebt. In der Transformationsphase erfolgen schließlich die Realisierung der Umsetzungsprojekte und die Implementierung der neu gestalteten Geschäftsprozesse [13].
5.10.3 Geschäftsprozessmodellierung Alle Methoden zum Prozessmanagement beinhalten zu gegebenem Zeitpunkt eine Geschäftsprozessmodellierung. Die unterschiedlichen Einsatzgebiete dieser Modellierung im konkreten Anwendungsfall haben verschiedene Anforderungen. Abhängig von diesen Anforderungen ist der Gebrauch bestimmter Prozessmodellierungssprachen empfehlenswert.
5.10.3.1 Einsatzgebiete der Geschäftsprozessmodellierung Im Folgenden werden kurz einige Einsatzgebiete von Geschäftsprozessmodellen vorgestellt. Das kontinuierliche Geschäftsprozessmanagement ist die Fortsetzung einer prozessorientierten Reorganisation. Ziel hierbei ist eine dauerhafte Planung, Durchführung und Kontrolle der Geschäftsprozesse. Dabei können die Geschäftsprozesse auf der Grundlage des modellierten Soll-Zustandes hinsichtlich ihrer Ziele bewertet werden. Typische Ziele sind Kosten, Qualität und Zeit. Geschäftsprozessmodelle für diesen Einsatzzweck benötigen daher Soll-Daten zu entsprechenden Kennzahlen. Gleichzeitig müssen auch aktuelle Kennzahlen erfasst werden, um einen Vergleich über die Zeit zu ermöglichen [14]. Ein weiteres Einsatzgebiet ist die Zertifizierung nach DIN ISO 9000€ff. Da eine erfolgreiche Zertifizierung von einer qualitativ hochwertigen Dokumentation abhängt, bieten
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sich Prozessmodelle zu ihrer Unterstützung an. Der Aufwand für die Zertifizierung wird dadurch reduziert, dass ein Verfassen von Verfahrens- und Arbeitsanweisungen entfallen kann [14, 15]. Geschäftsprozessmodelle finden auch im Wissensmanagement Verwendung. Aufgabe des Wissensmanagement ist die Bereitstellung von Strategien und Konzepten zur Beschaffung, Organisation, Planung, Kontrolle und Steuerung der organisatorischen Wissensbasis. Ziel dabei ist es, das verfügbare Wissen im Unternehmen einzusetzen und weiterzuentwickeln. Geschäftsprozessmodelle erhöhen die Transparenz über die Ressource Wissen. Dabei müssen Wissensträger sowohl in Form von expliziten Trägern (Datenträger, wie z.€B. Handbücher) als auch impliziten Trägern (z.€B. Personen mit bestimmtem Fachwissen) erfasst werden. Durch die Darstellung von Wissen als Input oder Output wird deutlich, wo welches Wissen benötigt oder erzeugt wird. Anschauliche Geschäftsprozessmodelle dienen dabei u.€a. auch dem Verständnis über die Unternehmensabläufe und fördern eine abteilungsübergreifende Zusammenarbeit [14, 16]. Geschäftsprozessmodelle können auch Grundlage für eine Simulation eines Systemverhaltens sein. Durch eine IT-gestützte Simulation können Schwachstellen im Geschäftsprozessablauf, wie hohe Liegezeiten, unzureichende Kapazitätsauslastung oder eine starke Durchlaufzeitenstreuung identifiziert werden. Wichtige Voraussetzung für das Aufzeigen verschiedener Handlungsalternativen zur Elimination der Schwachstellen ist, dass das Geschäftsprozessmodell verschiedene Attribute wie Zeiten, Mengen oder Kosten besitzt, die mit der Simulation untersucht werden können [14]. Geschäftsprozessmodelle unterstützen auch das Workflowmanagement. Unter einem Workflow versteht man einen automatisierten Geschäftsprozess. Dokumente, Informationen oder Aufgaben werden automatisch zwischen verschiedenen Beteiligten übertragen. Hierbei dient ein Workflowmanagementsystem zur IT-gestützten Ausführung der Geschäftsprozesse [17]. Des Weiteren spielen Geschäftsprozessmodelle im Rahmen der (↜Wirtschafts-) Informatik eine wichtige Rolle. Sie unterstützen die Softwareentwicklung, indem sie Anforderungen an die zu entwickelnde Software beschreiben. Für diesen Zweck werden oftmals integrierte CASE-Tools (Computer Aided Software Engineering Tools) eingesetzt, welche die Modelle direkt in Softwarecode überführen können. Eine wichtige Anwendung in diesem Bereich ist die Auswahl und Einführung von Standardsoftware. Softwareanbieter beschreiben die Funktionalität ihrer Software oftmals in Form von Referenzgeschäftsprozessmodellen. Ein Abgleich mit eigenen Geschäftsprozessmodellen zeigt auf, inwieweit eigene Anforderungen von diesen Funktionalitäten abgedeckt werden [14].
5.10.3.2 Prozessmodellierungssprachen im Überblick Im Zuge der Geschäftsprozessmodellierung werden Prozessmodellierungssprachen eingesetzt. Eine übliche Einteilung dieser Sprachen geschieht nach ihrem Formalitätsgrad. Es werden grundsätzlich informale, semiformale und formale Sprachen unterschieden. Prozessmodellierungssprachen sind normalerweise sowohl bei Technologie- als auch bei Geschäftsprozessen anwendbar. Jedoch legen einige Sprachen den Schwerpunkt auf die
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Geschäftsprozessmodellierung. Von den vielen existierenden Sprachen werden im Folgenden ARIS, Wertstromdesign und aixperanto detailliert vorgestellt, da sie im Falle von ARIS und Wertstromdesign einen hohen Bekanntheitsgrad aufweisen bzw. im Falle von aixperanto besonderen Schwerpunkt auf die Geschäftsprozessmodellierung legen [18].
ARIS Einer der bekanntesten Ansätze ist die „Architektur Integrierter Informationssysteme“ (ARIS). Ziel von ARIS ist es, einen allgemeinen Bezugsrahmen für die Prozessmodellierung zu bieten. Da ARIS aus der Wirtschaftsinformatik stammt, liegt ein Schwerpunkt bei der Betrachtung von Prozessmodellen auf der Auswahl und Implementierung von Informationssystemen. ARIS unterscheidet verschiedene Sichten: Organisationssicht, Datensicht, Steuerungssicht, Funktionssicht und Leistungssicht. Innerhalb dieser Sichten gibt es die drei Ebenen Fachkonzept, Datenverarbeitungskonzept (DV-Konzept) und Implementierung. Im Folgenden werden die Sichten und Ebenen kurz beschrieben. In der Organisationssicht wird die Aufbauorganisation eines Unternehmens betrachtet. Dazu gehören bspw. Abteilungen, Stellen, Personen und ihre Beziehungen. Es werden die Arbeitsteiligkeit des Unternehmens definiert und Verantwortlichkeiten festgelegt. In der Datensicht werden Zustände und Ereignisse erfasst, die durch Daten repräsentiert werden. Es werden die relevanten Informationsobjekte und deren Beziehungen untereinander modelliert. Dies geschieht mit dem Ziel, die Daten festzulegen, die in einem Informationssystem verfügbar sein sollen. Die Funktionssicht beschreibt die Funktionen, deren Teilfunktionen und deren jeweiligen Zusammenhänge. In der Leistungssicht werden die Produkte eines Unternehmens beschrieben. Sie sind die Ergebnisse von Unternehmensprozessen. Hierzu zählen materielle und immaterielle Leistungen inklusive Geldflüsse. Die Steuerungssicht schließlich integriert die verschiedenen Teilsichten. Die Steuerungssicht ist das Zentrum von ARIS. In ihr werden die zu realisierenden Prozesse dargestellt. Bei der Unterteilung der Sichten in die drei Ebenen sorgt das Fachkonzept für eine strukturierte Darstellung der Prozesse mithilfe DV-fremder Darstellungsformen. Innerhalb des Datenverarbeitungskonzeptes erfolgt die Umsetzung des Fachkonzepts in eine DVDarstellungsform. Auf der Implementierungsebene erfolgt schließlich die DV-technische Umsetzung der vorher beschriebenen Prozesse.
Wertstromdesign Wertstromdesign, auch unter dem englischen Begriff value stream mapping bekannt, ist eine Methode, Unternehmensprozesse zu erfassen und darauf aufbauend verbesserte Unternehmensprozesse zu konzipieren und zu realisieren. Der erste Schritt, das Erfassen der Ist-Unternehmensprozesse wird als Wertstromanalyse bezeichnet. Häufig wird Wertstromdesign im Zusammenhang mit Lean Management erwähnt, da es als Methode des Lean Management zur Aufnahme von Technologischen Prozessen in der Produktion gilt.
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G. Schuh et al.
Unter dem Begriff Wertstrom werden alle Aktivitäten zusammengefasst, die benötigt werden, um einen Input in einen vom Kunden gewünschten Output, das Produkt zu transformieren. Anfänglich wurden nur die Wertströme in den direkten Bereichen, d.€h. mit Fokus auf die Transformation materieller Objekte, betrachtet. Durch den Wunsch der Unternehmen in allen Bereichen „Werte ohne Verschwendung“ schaffen zu wollen, rückten neben den direkten Bereichen auch die indirekten Bereiche in den Analysefokus der Wertbetrachtung. Da sich die Methode der Wertstromanalyse zur Analyse von Technologischen Prozessen bewährt hat, wurde sie auch für Geschäftsprozesse angepasst. Somit ist die Methode der Wertstromanalyse nun ein Verfahren, mit dessen Hilfe die Wertentstehung in allen Unternehmensprozessen aufgenommen und analysiert werden kann. Da Wertströme bei Geschäftsprozessen teilweise nur unzureichend festgestellt werden können, ist der Einsatz bei Geschäftsprozessen jedoch als schwieriger zu betrachten. Bei der Durchführung der Methode der Wertstromanalyse steht die Betrachtung der übergreifenden Wertschöpfungskette im Mittelpunkt. Es geht darum, eine ganzheitliche Analyse der Wertschöpfungskette durchzuführen. Nicht die Verbesserung einzelner Prozessschritte sondern des gesamten Prozesses steht im Vordergrund. Bei einer ganzheitlichen Betrachtung werden neben den Prozessen auch die zugehörigen Informations- und Materialflüsse in die Analyse mit einbezogen. Um eine Aussage bezüglich der Wertschöpfung der einzelnen Bereiche treffen zu können, wird in diesem Verfahren das Verhältnis der Bearbeitungszeiten bezüglich der Durchlaufzeiten betrachtet. Durch seinen strukturierten und einfachen Aufbau werden die verschiedenen Zusammenhänge der einzelnen Prozesse erkannt. Angaben über Prozessreihenfolgen, Rückflüsse, Warte- und Bearbeitungszeiten unterstützen die Identifikation von Schwachstellen und das Ableiten von Handlungsbedarfen zur Erstellung eines Soll-Prozesses.
aixperanto aixperanto wurde am Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen entwickelt. Ziel dieser Methode ist es, eine partizipative Geschäftsprozessoptimierung zu unterstützen, also die beteiligten Mitarbeiter in den Veränderungsprozess von Beginn an einzubeziehen und dadurch die Akzeptanz bei der Umsetzung zu fördern. Bei aixperanto steht die Anwendung bei der Geschäftsprozessoptimierung im Vordergrund. Die Darstellung eines Geschäftsprozessschrittes auf der in Abb.€5.16 dargestellten Prozesskarte ist das zentrale Element von aixperanto. Sie dient ihrer Beschreibung. Darüber hinaus kann das Prozesselement weiter spezifiziert werden. So können Geschäftsprozessinput und -output sowie verschiedene Kennzahlen (Prozesszeit, Übergangszeit, Hilfsmittel, Ausschussrate, OEE) und sonstige Geschäftsprozessspezifika angegeben werden. Außerdem wird hier auch eine Bewertung des Geschäftsprozesses vorgenommen. Dabei kann zum einen der Wertschöpfungsbeitrag (wertschöpfend, bedingt wertschöpfend und Verschwendung) und zum anderen der Standardisierungsgrad (standardisiert, teilweise standardisiert, kreativer Prozess und nicht standardisiert) bewertet werden. Die Ampellogik, d.€h. die Darstellung des Standardisierungsgrades bzw. des Wertschöpfungsbeitrages in den Farben rot, grün und gelb hilft, zwischen „guten“ und „schlechten“ Geschäftsprozessen zu differenzieren. Eine exakte Erläuterung der auf der Prozesskarte darstellbaren Funktionen ist in Abb.€5.16 zu sehen.
373
5â•… Prozessmanagement
Wertschöpfung Wertschöpfender Prozess Bedingt wertschöpfender Prozess („Stützleistung“) Verschwendung
Prozessart
Standardisierung Standardisierte Prozessabfolge
Prüfen Ablage/ Dokumentation Information/ Klärung/Meeting
Kreativer Prozess Prozessbeschreibung
Planen Bearbeiten Steuern
Eingang:
Ausgang:
Teilweise standardisierter Prozess Keine standardisierte Prozessabfolge
Prozesszeit Übergangszeit Hilfsmittel Ausschussrate OEE
Abb. 5.16↜渀 Darstellung eines Prozessschrittes in aixperanto
Angeordnet werden die Prozesskarten in Swimlanes, die die am Geschäftsprozess beteiligten Abteilungen im Unternehmen kennzeichnen. Die Verknüpfung der einzelnen Geschäftsprozessschritte erfolgt über Pfeile, die den Material- oder Informationsfluss darstellen. Diese sind vom Wertstromdesign übernommen. Es wird zwischen First-in First-out, Push-Steuerung und Pull-Steuerung bzgl. des Materialflusses unterschieden. Der Informationsfluss wird in manuellen, elektronischen und datenbankbasierten Informationsfluss differenziert. Der Fluss kann durch Logikelemente verknüpft werden. Hierbei werden ODER, ENTWEDER-ODER, UND und JA-NEIN (als Sonderform des ENTWEDERODER) Verknüpfungen unterschieden. Ein weiteres wichtiges Element in aixperanto ist der Kaizen-Blitz, der Probleme bzw. Verbesserungsvorschläge am Ort einer erkannten Schwachstelle kennzeichnet. Im Bezug auf den Materialfluss können mit Symbolen für den Sicherheits- und Wartebestand weitere Schwachstellen gekennzeichnet werden. Abb.€5.17 zeigt beispielhaft einen aixperantoProzessplan.
5.10.4 Phasen der Prozessanalyse und -gestaltung Die operative Prozessverbesserung unterteilt sich in verschiedene Phasen. Die Hauptaufgabenbereiche des Prozessmanagements wie Planung, Steuerung, Kontrolle, Dokumentation, Darstellung, Analyse und Gestaltung der Prozesse können grundsätzlich in die vier Phasen Prozessidentifikation, Ist-Prozess Analyse, Soll-Prozess Gestaltung und Verände-
374
Arbeitsvorbereitung Auftragsbearbeitung Vertrieb
Übertrag der Infos in digitale Form
Kontrolle der Vollständigkeit
30 %
70 %
Prüfung des Angebots auf Rentabilität
50 %
5
Lange Bearbeitungszeit einer Kundenanfrage wegen Rückfragen an den Vertrieb
Prüfung, ob ähnliches Angebot existiert
40 %
Angebotserstell auf Basis eine alten Angebo
Merkmale von aixperanto Intuitive Symbolik für Werts chöpfung und Standardisierung
Kundenanfrage annehmen
PPS-System
5
G. Schuh et al.
Unnötiges Ergänzen fehlender Informationen → Kein Standardabfrageformular im Vertrieb
Einfache Identifikation von Schnitts tellen und Schwachs tellen Unterschiedliche Detaillierungsgrade möglich Modellierungssprache für Mitarbeiter schnell erlernbar
Abb. 5.17↜渀 Beispielhafte Darstellung eines aixperanto-Prozessplanes
rungsprogramm aufgeteilt werden. Diese Aufteilung ist bei der Analyse und Gestaltung jeglicher Art von Prozessen in der produzierenden Industrie anwendbar. In einem ersten Schritt werden die Kernprozesse sowie deren Ziele identifiziert. Sie grenzen das Handlungsfeld für die Prozessoptimierung ein. Die identifizierten Prozesse werden im zweiten Schritt aufgenommen, visualisiert und analysiert. Durch die Visualisierung der Prozesse werden Optimierungspotenziale deutlich. Die Gestaltung des SollProzesses erfolgt im dritten Schritt unter Berücksichtigung einer angepassten Aufbauorganisation und unter richtiger Auslegung der benötigten Kapazitäten. Im vierten Schritt muss der bestehende Ist-Prozess in den Soll-Prozess überführt werden. Die hierzu relevanten Maßnahmen werden in diesem Schritt definiert, in einem Portfolio gewichtet und in einem Maßnahmenplan in zeitliche Reihenfolge gebracht. Abb.€5.18 gibt einen Überblick über die vier Phasen der Prozessanalyse und -gestaltung. Im Folgenden wird auf die vier Phasen detailliert eingegangen.
5.10.4.1 Prozessidentifikation Im Rahmen einer operativen Prozessverbesserung stellt sich zu Beginn die Frage nach der Identifikation und Selektion der zu gestaltenden Prozesse. Um fokussiert die potenzialträchtigsten Prozesse zu verbessern, bietet sich das Kernprozessportfolio an. Hierfür werden zunächst die Kernprozesse sowie deren Prozessziele identifiziert. Dazu werden top-down die strategische Perspektive (z.€B. Unternehmensziele, Kunden/Markt, Wettbewerber) und bottom-up die operative Perspektive (z.€B. Auftragsstruktur, Durchlaufzeiten, bekannte Probleme) betrachtet.
375
5â•… Prozessmanagement
Ist-Prozess Analyse 3
Prozessidentifikation 2 1
4
Veränderungsprogramm
Soll-Prozess Gestaltung
Abb. 5.18↜渀 Die Phasen der Prozessanalyse und -gestaltung
Um die Schwerpunkte richtig zu setzen, bietet sich zur Priorisierung der Prozesse das Kernprozessportfolio an. Anhand der verschiedenen Prozesskenngrößen Prozesseffektivität, Prozesseffizienz, Prozessbedeutung in Bezug auf Umsatz und Kostenvolumen und Prozessabhängigkeit zwischen den einzelnen Prozessen werden die Prozesse bewertet und im Portfolio angeordnet. Zur Vorbereitung der Prozessbewertung müssen geeignete Bewertungskriterien bestimmt werden. Zu diesen Kriterien gehören die Prozessstabilität, die Prozessflexibilität, der Ressourcenverbrauch des Prozesses, der Einfluss des Prozesses auf die Wettbewerbssituation sowie der Nutzen der Prozesse. Das Kernprozessportfolio ermöglicht dann eine Einordnung der Prozesse anhand der beiden Achsen Prozesseffektivität und Prozesseffizienz. Die Prozesseffektivität beschreibt den relativen Beitrag zum wahrgenommenen Kundennutzen im Vergleich zum Wettbewerb. Die Prozesseffizienz setzt den Ressourceneinsatz ins Verhältnis zum Wettbewerb. Die Prozessbedeutung steht für die Relevanz der Prozesse in Bezug auf Umsatz und Kostenvolumen und unterstützt – genau wie die Prozessabhängigkeit in Bezug auf Leistungsverflechtung und Ressourceninterdependenz – die Priorisierung [19]. Aus den potenzialträchtigsten Kernprozessen ergibt sich das Handlungsfeld der Prozessoptimierung.
5.10.4.2 Ist-Prozess Analyse Bei der Ist-Prozess Analyse werden die bestehenden Prozesse des zuvor bestimmten Handlungsfeldes aufgenommen, visualisiert und analysiert. Ziel ist die Schaffung von Transparenz. Diese hilft den Beteiligten, ein Verständnis über die betrieblichen Abläufe zu
376
5
G. Schuh et al.
erlangen. Außerdem werden während der Ist-Prozess Analyse Schwachstellen identifiziert und Verbesserungspotenziale aufgezeigt. Ein wesentlicher Aspekt innerhalb dieses Schrittes ist die Mitarbeitereinbindung. Sie führt dazu, dass die Mitarbeiter ein Problembewusstsein entwickeln bzw. die Möglichkeit zu Verbesserungen erkennen. Dies ist von großer Bedeutung, da somit der Widerstand gegen Veränderungen vermindert wird. Ohne dieses Bewusstsein besteht die Gefahr, dass Effekte der Reorganisation nicht eintreten oder sogar ins Gegenteil verkehren. Die Partizipation der Mitarbeiter fördert die Akzeptanz der ausgearbeiteten Ergebnisse und damit auch ihre erfolgreiche Umsetzung. Die Ist-Prozess Aufnahme wird in Workshops gemeinsam mit den beteiligten Mitarbeitern durchgeführt. Hierbei werden gemäß des Autor-Kritiker-Zyklus, wie in Abb.€5.19 dargestellt, zunächst mithilfe der Mitarbeiter die Prozesse aufgenommen und anschließend im Prozessplan dokumentiert. Mithilfe der Dokumentation der Interviewresultate ist die Visualisierung der Teilergebnisse gegeben. Während der Überprüfung der Ergebnisse werden der dokumentierte Prozessplan hinterfragt, Fehler und Unstimmigkeiten aufgezeigt und korrigiert. Während jedes Durchgangs werden Schwachstellen identifiziert und gekennzeichnet. Je nach Zielsetzung können die zu erfassenden Teilaspekte variieren. Es gibt typische Schwachstellen, die sich aus einem bestehenden Geschäftsprozess ableiten lassen. So wird oftmals ein komplexes Geschäftsprozessgeflecht von interdependenten TeilgeschäftsproAufnahme der durchzuführenden Prozesse
Arbeitsschritte
Interview Projektteam
Mitarbeiter
Durchführung der Gespräche
Darstellung der Prozesse im Prozessplan Dokumentation
Überprüfung Überprüfung des Prozessplans Abstimmung des Prozessplans Korrektur des Prozessplans
Abb. 5.19↜╇ Autor-Kritiker-Zyklus
Überprüfung
Autor/KritikerZyklus
5â•… Prozessmanagement
377
zessen identifiziert, welche zeitintensiv sind. Ursache hierfür sind z.€B. unklare Abgrenzung von Aufgaben, Verantwortungen und Kompetenzen. Ein weiteres Problem findet sich in Schnittstellen. Diese entstehen z.€B. durch funktionale Arbeitsteilung. Wenn die einzelnen Teilgeschäftsprozesse voneinander abhängen, besteht die Gefahr, dass Zeitverluste auftreten. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn einzelne Aktivitäten nicht aufeinander abgestimmt sind. Rückschleifen, die insbesondere durch Nacharbeiten innerhalb des Geschäftsprozesses auftreten, zählen ebenfalls zu den typischen Schwachstellen. Außerdem können der Sackgasseneffekt (Geschäftsprozesse, die durchgeführt werden, ohne deren Ergebnisse zu nutzen) und der Flaschenhalseffekt auftreten. Dieser stellt ein Abhängigkeitsproblem dar. Ein Beispiel hierfür ist die Abwicklung sämtlicher Aufträge über einen Disponenten. Dies sind nur einige Beispiele für Schwachstellen, die bei der Ist-Geschäftsprozessanalyse identifiziert werden können [19]. Die Notwendigkeit einer detaillierten Ist-Prozess Analyse wird kontrovers diskutiert. Für eine detaillierte Ist-Prozess Analyse spricht die Schaffung eines Verständnisses der vorhandenen Abläufe, sowie einer Grundlage zur Aufdeckung von Schwachstellen und Verbesserungspotenzialen. Außerdem besteht in existierenden Prozessen häufig großes implizites Wissen. Trotz möglicher vorhandener Ineffizienzen stellen die existierenden Prozesse eine Möglichkeit dar, komplexe Aufgaben eines Unternehmens zu lösen. Dabei gibt es oftmals Gründe für bestimmte Prozesseigenschaften. Dies können z.€B. Kundenanforderungen oder gesetzliche Regelungen sein. Verzichtet man auf eine Ist-Prozess Aufnahme, so besteht die Gefahr, dass dieses Wissen bei der Soll-Prozess Gestaltung nicht berücksichtigt wird. Ein erstelltes Ist-Modell kann somit als Checkliste dienen, damit alle relevanten Sachverhalte im Soll-Modell erfasst werden. Ist-Modelle helfen auch dabei den Aufwand bei der Soll-Modellierung zu reduzieren. Schließlich hilft die Kenntnis des IstZustandes auch bei der Erarbeitung des Vorgehens, um vom Ist- zum Soll-Zustand zu gelangen. Gegen eine detaillierte Ist-Modellierung spricht der damit verbundene Aufwand. Besonders wenn die bestehenden Prozesse im Zuge einer Neugestaltung ersetzt werden, ist eine Darstellung des Ist-Zustandes fraglich. Außerdem erhöht die Ist-Modellierung die Gefahr, an vorhandenen Strukturen festzuhalten, ohne in Betracht zu ziehen, dass grundlegende Veränderungen den Prozess verbessern könnten. Die Kreativität der Beteiligten wird gehemmt.
5.10.4.3 Soll-Prozess Gestaltung Die Soll-Prozess Gestaltung erfolgt entweder auf Basis einer detailliert mit bestehenden Fehlern ausgearbeiteten Version des Ist-Prozesses oder sofern der Ist-Prozess nicht analysiert wurde bzw. noch kein Prozess besteht auf Basis rein theoretischer Überlegungen. Natürlich dürfen die unternehmensindividuellen Restriktionen nicht vernachlässigt werden. Hierzu gehören bspw. die bestehende Aufbauorganisation im Unternehmen, das jeweilige Kapazitätsangebot, der derzeitige und geplante Bedarf sowie der Qualifikationsgrad der Mitarbeiter.
378
G. Schuh et al.
eliminieren
standardisieren
integrieren/ modularisieren
A
X
A'
B
X
B'
substituieren A
5
parallelisieren
Iterationen vermeiden
A
B
C
C
D
A
D
B
B
outsourcen
kooperieren
autonom gestalten
beschleunigen Dauer
Abb. 5.20↜渀 Mögliche Ansätze zur Optimierung von Geschäftsprozessen
Während die Ist-Prozess Analyse lediglich zur Dokumentation bestehender Schwachstellen diente, müssen die einzelnen Schwachstellen nun eliminiert werden, um Einsparpotenziale zu erreichen. Mögliche Ansätze zur Optimierung von Geschäftsprozessen sind (siehe Abb.€5.20): • Eliminieren: Tätigkeiten, die keinen Beitrag zur Wertschöpfung leisten, müssen eliminiert werden. • Standardisieren: Routinefälle werden gebildet, um die Durchführung von Geschäftsprozessen effizienter zu gestalten und die Fehleranfälligkeit zu reduzieren. • Substituieren: Einzelne Geschäftsprozesse oder ganze Geschäftsprozessketten werden ersetzt. • Outsourcen: Geschäftsprozesse werden ausgelagert. • Autonom gestalten: Teilbereiche werden unabhängig gestaltet, um Schnittstellen zu reduzieren. • Integrieren: Einzelne Geschäftsprozesselemente werden zusammengefasst. • Parallelisieren: Wo möglich, können Geschäftsprozesse, die sequentiell ablaufen, parallelisiert werden. • Iterationen vermeiden: Durch eine Neudefinition der Reihenfolge sowie neuer Abstimmungselemente, können Iterationsschleifen minimiert werden. • Kooperieren: Hierbei soll auf der einen Seite eine Abstimmung von Anforderungen erfolgen, um verbesserte Ergebnisse zu erzielen. Auf der anderen Seite ermöglicht eine abgestimmte Ressourcenteilung eine effizientere Mittelnutzung. • Beschleunigen: Möglichkeiten der Verringerung der Geschäftsprozessdurchlaufzeit werden genutzt. Mithilfe der vorgestellten Möglichkeiten der Geschäftsprozessverbesserung wird ein SollGeschäftsprozess erstellt. Dieser angestrebte Soll-Geschäftsprozess zeichnet sich durch
5â•… Prozessmanagement
379
einen großen Wertschöpfungsanteil, wenig Rückschleifen, wenig Bestände, eine geringe Ausschussrate bzw. wenig Nacharbeit aus.
5.10.4.4 Veränderungsprogramm Um das Delta von bestehendem Ist-Prozess und angestrebtem Soll-Prozess zu schließen, müssen entsprechende Maßnahmen definiert werden. Die Priorisierung dieser Maßnahmen mündet im Anschluss in ein detailliertes Veränderungsprogramm. Am Anfang des vierten Schritts steht die allgemeine Maßnahmenformulierung, welche für jede identifizierte Schwachstelle mindestens eine Verbesserungsmaßnahme erstellt. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass ebenfalls (Prozess-)Experten an der Maßnahmenfindung teilnehmen, damit die entwickelten Verbesserungen auch umsetzbar sind. Um eine Maßnahme komplett zu erfassen, sind einerseits die inhaltlichen Aspekte, die zur Eliminierung der Schwachstelle führen entscheidend, andererseits sind Rahmendaten wie Verantwortlichkeiten, sonstige an der Maßnahme Beteiligte sowie einzuhaltende Fristen notwendig. Nachdem alle ursprünglich aufgenommenen Schwachstellen betrachtet und jeweils mindestens eine Verbesserungsmaßnahme abgeleitet wurde, erfolgt die Ermittlung des Aufwands und des Nutzens jeder einzelnen Maßnahme. Die Abschätzung von Aufwand und Nutzen kann natürlich monetär erfolgen. Dies erweist sich in den meisten Fällen jedoch als aufwändig; auch eine qualitative Abschätzung ist möglich. Anschließend werden die bewerteten Maßnahmen in ein Nutzen-Aufwand Portfolio eingetragen. Ein großes Nutzen-Aufwand Verhältnis belegt die entsprechende Maßnahme mit einer hohen Priorität. Zusätzlich zum Nutzen-Aufwand Verhältnis sind auch Abhängigkeiten, bedingt durch die erwähnten Rahmendaten zwischen verschiedenen Maßnahmen entscheidend bei der finalen Festlegung der Rangfolge ihrer Bearbeitung. Ist diese Rangfolge unter Beachtung der geschilderten Einflüsse erstellt, hat das Unternehmen ein Veränderungsprogramm in Form einer Umsetzungsplanung, das die Erstellung des gewünschten Soll-Prozesses koordiniert, ermöglicht. Das Vorgehen ist exemplarisch in Abb.€5.21 dargestellt. Fallbeispiel einer Geschäftsprozessanalyse und -gestaltung in einem Unternehmen des Werkzeugbaus:╇╛Die hohe Variantenvielfalt in Werkzeug- und Formenbaubetrieben stellt eine große Herausforderung nicht nur für die Produktionsplanung und -steuerung sondern auch für die administrativen Bereiche wie z.€B. die Auftragsabwicklung dar. Der für diese Branche charakteristische one-piece-flow in Verbindung mit der breiten Variantenvielfalt hat zur Folge, dass jedes einzelne Produkt gesondert von den indirekten Produktionsbereichen eines Werkzeug- und Formenbaus bearbeitet und verwaltet werden muss. Deswegen ist eine gut funktionierende und organisierte Administration im Werkzeugbau äußerst wichtig, um wettbewerbsfähig zu sein. Ziel eines Projektes in einem Werkzeugbaubetrieb war es dementsprechend, eine Effizienzsteigerung der indirekten Bereiche zu erreichen.
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Darstellung von Nutzen- und Aufwand 6
Sehr hoch
2
1
hoch
Nutzen
1
4
2
3
5
eher hoch eher gering
5
Einführung einer Werkzeugbau - Plantafel Überarbeitung der Konstruktionsrichtlinien
3
Verbesserung der internen Logistik
4
Überarbeitung des Lagerkonzepts
5
Überarbeitung der Kalkulation für externes Härten Ausrichtung der Montage nach Flussprinzip
6
gering Sehr gering sehr hoch hoch
eher gering sehr gering gering
eher hoch
Kosten*
* Kosten entsprechen dem Aufwand für das Projekt
Umsetzungsplanung Okt.
2010 Nov.
Dez.
Jan.
Febr.
2011 März
Apr.
Mai
Maßnahme 1 Maßnahme 2 Maßnahme 3 Maßnahme 4 Maßnahme 5 Maßnahme 6
Abb. 5.21↜渀 Vorgehen zur Ableitung einer Umsetzungsplanung
In diesem Zusammenhang wurden die Geschäftsprozesse gemäß den vier Phasen der Geschäftsprozessanalyse und -gestaltung betrachtet. Zunächst wurden die potenzialträchtigsten Geschäftsprozesse identifiziert. Dies waren im Einzelnen der Einkauf, das Projektmanagement sowie die Arbeitsplanung. Als Hilfsmittel diente ein Wettbewerbs-Benchmarking, in dem der Status Quo der Geschäftsprozesse des Werkzeugbaus in Bezug auf die Hauptgrößen der produzierenden Industrie Zeit, Kosten und Qualität untersucht wurde. Die anschließende Ist-Geschäftsprozessaufnahme mit aixperanto zeigte dann detailliert die Schwachstellen der betrachteten Geschäftsprozesse auf. Das
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größte Potenzial zur Verbesserung bot die mangelnde Prozesssynchronisation zwischen den einzelnen Bereichen. Insbesondere eine Abstimmung zwischen Projektmanagement und Einkauf sowie Arbeitsplanung war nicht gegeben. Das Projekt hat gezeigt, dass sich die Durchlaufzeit in den indirekten Bereichen durch eine Steigerung der Prozesssynchronisation erheblich verkürzen lässt. Neben der genauen Definition von Schnittstellen zwischen den Abteilungen ließen sich durch eine Parallelisierung der Arbeitsinhalte große Potenziale in der Zeiteinsparung schöpfen (Informationsbedarf, Informationsqualität, Informationszeitpunkt). Zur Umsetzung der Synchronisation waren die folgenden Maßnahmen erforderlich: •â•‡ Klare Definition der Schnittstellen zwischen den Abteilungen •â•‡â•›Aufteilung der Arbeitsinhalte eines Auftrages in nacheinander bearbeitbare Arbeitspakete (Bspw. verschiedene Stufen eines Werkzeuges) •â•‡â•›Definierte Übergabegespräche zwischen den Beteiligten •â•‡â†œæ¸•Klare Zeitvorgaben und definiertes Projektmanagement über die Abteilungen hinweg •â•‡â•›Nachhaltiges Auflösen von Fehlerursachen durch klare Standards Gemeinsam mit den Mitarbeitern wurden diese Maßnahmen erarbeitet, detailliert und in Bezug auf Aufwand und Nutzen gewichtet. Es konnte somit eine Umsetzungsplanung erarbeitet werden, die bis zum erfolgreichen Abschluss des Projektes als Controlling-Instrument für die Maßnahmen diente. Nach der erfolgreichen Umsetzung konnte eine Durchlaufzeitverkürzung um ca. 30€% festgestellt werden. Eine gleichzeitig deutlich höhere Stabilität der Geschäftsprozesse ermöglichte eine Steigerung der Termintreue um mehr als 20€%.
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11.╇╛Porter ME (2000) Wettbewerbsvorteile: Spitzenleistungen erreichen und behaupten (Competitive advantage), 6.€Aufl. Campus, Frankfurt a.€M. 12.╇╛Davenport TH, Short JE (1990) The New Industrial Engineering: Information Technology and Business Process Redesign. Sloan Manage Rev 31(4):11–27 13.╇╛Schuh G (2006) Change Management – Prozesse strategiekonform gestalten. Springer, Berlin 14.╇╛Rosemann M, Schwegmann A, Delfmann P (2008) Vorbereitung der Prozessmodellierung, 6.€Aufl. Springer, Berlin 15.╇╛Gaitanides M (2007) Prozessorganisation, 2.€Aufl. Vahlen, München 16.╇╛Schmelzer HJ, Sesselmann W (2008) Geschäftsprozessmanagement in der Praxis–Kunden zufrieden stellen, Produktivität steigern, Wert erhöhen, 6.€Aufl. Hanser, München 17.╇╛Drawehn J, Höß O (2008) Ausführung von Geschäftsprozessen. Fraunhofer IRB, Stuttgart 18.╇╛Lehmann FR (2008) Integrierte Prozessmodellierung mit ARIS. dpunkt, Heidelberg 19.╇╛Friedli T, Kurr MA, Stich V (2007) Tool des Prozessmanagement. Hanser, München
6
Rechtsformen, Rechnungswesen und Controlling Günther Schuh, Achim Kampker und Hagen Ziskoven
Kurzüberblickâ•… Die gewählte Rechtsform bildet den Rahmen bzw. das Grundgerüst eines Unternehmens. In diesem Kapitel sollen daher die wichtigsten Möglichkeiten bezüglich der Rechtsformwahl im deutschsprachigen Raum aufgezeigt werden. Die zentralen und konstituierenden Elemente eines produzierenden Unternehmens stellen jedoch das Management und die Strategie sowie die interne Unternehmensstruktur dar. Für eine erfolgreiche Unternehmensführung sowie zur Entscheidungsfindung werden verschiedenste, aggregierte Informationen über den aktuellen Zustand des Unternehmens und seine Umwelt, als auch über deren Entwicklung benötigt. Diese Aufgabe übernimmt in produzierenden Unternehmen einerseits das interne und externe Rechtswesen sowie andererseits das Controlling. Während sich das interne Rechnungswesen mit der Daten- und Kostenerfassung und deren Auswertung im Unternehmen beschäftigt, kommt das externe Rechnungswesen der gesetzlichen Verpflichtung bezüglich einer Veröffentlichung der aktuellen Unternehmenssituation und dem Erfolg der vergangenen Abrechnungsperiode nach. Beide Bereiche des Rechnungswesens sind dabei in der Kosten-, Aufwands- und Erfolgsaufbereitung eng verzahnt. Das Controlling dient einerseits als Planungsgrundlage für die Entscheidungen der Unternehmensführung. Andererseits wird es für einen Soll-Ist-Vergleich der von der Strategie festgelegten Ziele und deren Umsetzung herangezogen. Im Bereich Investition und Finanzierung werden die Möglichkeiten eines Unternehmens sich mit frischem Kapital zu versorgen beschrieben. Ferner werden die Bewertung und Durchführung von Investitionsvorhaben thematisiert. In enger Verbindung mit dem Controlling und der Investition und Finanzierung steht das Risikomanagement, welches bestrebt ist, die verschiedenen Risiken denen Unternehmen in ihrer Geschäftstätigkeit ausgesetzt sind, zu beurteilen. Das Aufgabenfeld des Kapitels lässt sich in den Bereich der Unternehmensentwicklung innerhalb des Ordnungsrahmens Produktion und Management einordnen (s. Kap.€1.6).
G. Schuh () 52074 Aachen, Deutschland E-Mail:
[email protected] G. Schuh, A. Kampker (Hrsg.), Strategie und Management produzierender Unternehmen, DOI 10.1007/978-3-642-14502-5_6, ©Â€Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
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6.1 Rechtsformen
6
Die folgende Übersicht konzentriert sich auf die wesentlichen, in Deutschland vertretenen Rechtsformen von Unternehmen (s. Abb.€6.1). In Deutschland wird zwischen Unternehmensformen des privaten Rechts und Unternehmensformen des öffentlichen Rechts unterschieden. Zu den Unternehmen öffentlichen Rechts gehören beispielsweise die Körperschaften des öffentlichen Rechts. Dies sind in Deutschland die Kirchen, einige Sparkassen und die Allgemeine Ortskrankenkasse. Darüber hinaus unterliegen viele gemeindeeigene Verkehrs- und Versorgungsbetriebe dem öffentlichen Recht (Eine Übersicht über deutsche Unternehmensformen bietet z.€B. [1]). Da diese Unternehmen in den meisten Fällen nicht dem produzierenden Gewerbe zuzurechnen sind, wird auf diese nicht weiter eingegangen. Bei den Unternehmen des privaten Rechts existieren Einzelunternehmen mit nur einem Inhaber und Unternehmen mit mehreren Gesellschaftern, die als Gesellschaften bezeichnet werden. Einzelunternehmen lassen sich in Kaufleute und Nichtkaufleute untergliedern (§Â€1–7 HGB). Kaufmann im Sinne von §Â€1, Abs.€1 des HGB ist dabei jeder, der „ein Handelsgewerbe betreibt“. Ein Kaufmann übt die Geschäftsführung allein aus und muss den Gewinn nicht mit anderen Gesellschaftern teilen. Auf der anderen Seite kann er kein zusätzliches Kapital durch die Aufnahme weiterer Gesellschafter beschaffen und haftet unbeschränkt mit seinem Privatvermögen. Betriebe der Land- und Forstwirtschaft werden gemäß §Â€3, Abs.€1 des HGB nicht zu den
Deutsches Recht
Privates Recht
Kaufmann im Sinne des HGB
Öffentliches Recht
Personengesellschaften
Gesellschaft Offene bürgerlichen Rechts Handelsgesellschaft (GbR) (oHG)
Kommanditgesellschaft (KG)
Kapitalgesellschaften
Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH)
GmbH & Co. KG
Abb. 6.1 ╇ Vereinfachte Übersicht Rechtsformen
Aktiengesellschaft (AG)
Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA)
6â•… Rechtsformen, Rechnungswesen und Controlling
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Kaufleuten gezählt. Bei den Gesellschaften wird zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften unterschieden. Darüber hinaus existieren Mischformen, die Merkmale aus beiden Gesellschaftsformen besitzen.
6.1.1 Personengesellschaften Personengesellschaften haften mit dem Geschäftsvermögen und zusätzlich mit dem Privatvermögen der Gesellschafter. Im Folgenden werden die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), die offene Handelsgesellschaft (oHG) und die Kommanditgesellschaft (KG) vorgestellt. Die Eigentümer von Personengesellschaften müssen auf ihre Gewinne Einkommenssteuer entrichten, im Gegensatz zu Kapitalgesellschaften entfällt jedoch die Körperschaftssteuer.
6.1.1.1 Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts wird auch BGB-Gesellschaft genannt, da sich deren Grundlagen nicht im Handelsgesetzbuch, sondern im Bürgerlichen Gesetzbuch befinden. Bei den Unternehmern handelt es sich nicht um Kaufleute im Sinne des HGB. Mindestens zwei Gesellschafter bringen eine vertraglich festgelegte Einlage in das Unternehmen ein. Im Gegensatz zu einer Einzelunternehmung können weitere Gesellschafter mit eigenem Kapital aufgenommen werden. Allen Gesellschaftern steht, falls nichts anderes im Gesellschaftsvertrag beschrieben wird, gemeinschaftlich das Recht zur Unternehmensführung zu. Die Gesellschafter haften als Gesamtschuldner mit ihrem gesamten Privatvermögen. Eine organisierte Eigenkapitalversorgung ist in der Regel jedoch nicht möglich.
6.1.1.2 Offene Handelsgesellschaft (oHG) Prinzipiell ähnelt die offene Handelsgesellschaft der Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Im Gegensatz zu dieser wird die Gesellschaft jedoch durch die rechtlichen Grundlagen des HGB bestimmt und im Handelsregister eingetragen. Wie bei der Gesellschaft bürgerlichen Rechts sind alle Gesellschafter zur Führung des Unternehmens berechtigt. Zusätzlich sieht §Â€114 HGB eine Verpflichtung zur Geschäftsführung vor.
6.1.1.3 Kommanditgesellschaft (KG) Bei Kommanditgesellschaften erfolgt die Kapitalbeschaffung ähnlich wie bei der offenen Handelsgesellschaft durch eine vertraglich festgelegte Einlage mindestens zweier
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Gesellschafter. Die Gesellschafter setzen sich dabei immer sowohl aus Kommanditisten als auch aus Komplementären zusammen. Die Kommanditgesellschaft haftet mit ihrem Gesellschaftsvermögen. Zusätzlich haftet jeder Komplementär als Gesamtschuldner mit seinem Privatvermögen. Da Kommanditisten nur mit ihrer Einlage haften, bietet sich der Kommanditgesellschaft eine Möglichkeit, Beteiligungskapital auch von Personen einzuwerben, die kein Interesse an der Geschäftsführung besitzen. Die Kommanditisten besitzen jedoch ein Recht zur Kontrolle des Jahresabschlusses und zur Einsichtnahme in die Geschäftsbücher.
6
6.1.2 Kapitalgesellschaften Kapitalgesellschaften besitzen im Gegensatz zu Personengesellschaften eine eigene Rechtspersönlichkeit und gelten als juristische Personen. Hier lauten die bedeutendsten Gruppen Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) und Aktiengesellschaft (AG).
6.1.2.1 Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) Bei der Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist die Haftung auf das so genannte Stammkapital beschränkt. Dieses Stammkapital beträgt mindestens 25.000€€ und wird aus den Stammeinlagen der Gesellschafter gebildet. Die Anteile an einer GmbH sind nicht verbrieft und damit nicht frei an der Börse handelbar. Neues Stammkapital kann ausschließlich durch eine Erhöhung des Stammkapitals erfolgen, wobei entweder die Stammeinlagen erhöht werden oder neue Gesellschafter aufgenommen werden. Die beschränkte Haftung erschwert den Zugang zu Darlehen, oft sichern sich die Gläubiger durch eine selbstschuldnerische Bürgschaft der Gesellschafter zusätzlich ab.
6.1.2.2 Aktiengesellschaft (AG) Die Aktiengesellschaft stellt ein emissionsfähiges Unternehmen dar. Bisher nicht börsennotierte Unternehmen geben im Rahmen einer Erstemission verbriefte Anteile am Unternehmen aus und erhalten im Gegenzug Eigenkapital. Die emittierten Anteile sind meist fungibel (übertragbar) und können auf Sekundärmärkten (Wertpapierbörsen) gehandelt werden. Die Herausgabe neuer Aktien bezeichnet man als Kapitalerhöhung. Jeder Aktionär haftet nur mit dem von ihm gezeichneten Kapital. Wegen des vereinfachten Zugangs zu Eigenkapital wählen die meisten großen und viele wachstumsstarke Unternehmen die Rechtsform der Aktiengesellschaft. Ähnlich wie eine GmbH besitzt sie ein festes Grundkapital von mindestens 50.000€€.
6â•… Rechtsformen, Rechnungswesen und Controlling
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6.1.3 Europäische Kapitalgesellschaften Im Zuge des Zusammenwachsens der europäischen Staaten wurden durch die EU Möglichkeiten zur Gründung einer europäischen Gesellschaftsform geschaffen. Als bedeutendstes Beispiel soll hier die Europäische Aktiengesellschaft vorgestellt werden. Weitere Beispiele für in Europa existierende Kapitalgesellschaften sind die aus dem Vereinigten Königreich stammenden Rechtsformen Limited Company (Ltd.) und Public Limited Company (PLC), die Société Anonyme (S.A. oder SA) in Frankreich, die Società per Azioni (S.p.A.) in Italien und die Sociedad Anónima (S.A.) in Spanien.
6.1.3.1 Europäische Aktiengesellschaft Die Europäische Aktiengesellschaft (SE, von lat. Societas Europaea) ermöglicht seit 2004 die Gründung einer Kapitalgesellschaft nach europaweit einheitlichen Rechtsprinzipien. Das Stammkapital beträgt 120.000€€. Der Firmensitz muss sich in einem EU-Staat befinden, kann jedoch jederzeit ohne Änderung der Gesellschaftsform in einen anderen EU-Staat verlegt werden. Bedingung für die Gründung einer Europäischen Aktiengesellschaft ist, dass das Unternehmen in mindestens zwei europäischen Staaten vertreten sein muss. Im Wesentlichen bestehen ansonsten zahlreiche Gemeinsamkeiten bezüglich der gesetzlichen Regelungen zwischen der Europäischen Aktiengesellschaft und einer deutschen Aktiengesellschaft.
6.1.4 Mischformen 6.1.4.1 GmbH & Co. KG Die GmbH & Co. KG ist eine Kommanditgesellschaft, deren persönlich haftender Gesellschafter eine GmbH ist. Dadurch ergibt sich ebenfalls eine beschränkte Haftung wie bei der GmbH. Auch die Möglichkeiten zur Kapitalbeschaffung sind ähnlich zur GmbH. Vorteile ergeben sich unter steuerlichen Gesichtspunkten. Im engeren Sinne handelt es sich bei der GmbH & Co KG um eine Personengesellschaft.
6.1.4.2 Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) Die Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) ist eine Kapitalgesellschaft und ähnelt der Aktiengesellschaft. Im Unterschied zu dieser besteht der Vorstand jedoch aus persönlich
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haftenden Gesellschaftern. Da die Gesellschafter die Kontrolle im Unternehmen auch bei einer Übernahme einer Mehrheit der Aktien durch Dritte behalten, reduziert diese Unternehmensform die Risiken einer Übernahme. Durch die Fähigkeit zur Ausgabe von Aktien besitzt die KGaA zudem einen besseren Zugang zu Eigenkapital als eine reine KG. Oft tritt die KGaA als GmbH & Co. KGaA oder AG & Co. KGaA auf.
6.2 Betriebliches Rechnungswesen
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6.2.1 Grundlagen des betrieblichen Rechnungswesens 6.2.1.1 Grundsätze und Zwecke des betrieblichen Rechnungswesens Das betriebliche Rechnungswesen stellt die Grundlage jeglicher Rechnungslegung sowie der Wirtschaftlichkeits- und Erfolgsrechnung dar und dient der Bereitstellung von relevanten Informationen für die Entscheidungsträger innerhalb und außerhalb eines Unternehmens. Der Begriff bezeichnet die planmäßige, lückenlose, chronologische und systematische Aufzeichnung aller Geschäftsvorfälle eines Unternehmens, die anschließend in regelmäßigen Zeitabständen in einem Abschlussbericht wiedergegeben werden. Unter Geschäftsvorfällen werden alle Vorgänge im Unternehmen sowie im Austausch mit der Unternehmensumwelt verstanden, die die Höhe oder die Zusammensetzung des betrieblichen Vermögens oder Kapitals betreffen [2]. Das Rechnungswesen teilt sich dabei in das interne Rechnungswesen, das sich an die Unternehmensleitung richtet, und das externe Rechnungswesen, das auch unternehmensfremden Personen oder Institutionen als Information dient, auf. Da das interne Rechnungswesen nicht an rechtliche Vorschriften gebunden ist, besitzen die nachfolgenden Ausführungen allgemeine Gültigkeit. Anders verhält sich dies beim externen Rechnungswesen, bei dem in den verschiedenen Ländern unterschiedliche Vorgaben die Ausfertigung bestimmen. Hier werden die in Deutschland geltenden Regelungen (beispielsweise das Handelsgesetzbuch HGB) sowie für in Deutschland ansässige Unternehmen wichtige internationale Regelungen beschrieben (International Financial Reporting Standards). Neben den verschiedenen gesetzlichen Bestimmungen des externen Rechnungswesens, die in späteren Abschnitten dargelegt werden, müssen auch die im Folgenden erörterten Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung (GoB) bei der betrieblichen Buchführung Beachtung finden (vgl. §Â€243 Abs.€1 HGB). Der Grundsatz der Richtigkeit und Willkürfreiheit dient als Sicherstellung, dass die Jahresabschlüsse aller Unternehmen nach gültigen Regeln erstellt werden und dass diese anhand von ordnungsgemäßen Belegen und Büchern objektiv überprüfbar sind (vgl. §Â€239 Abs.€2 HGB). Der Grundsatz der Klarheit und Übersichtlichkeit geht auf die äußerliche Gestalt der Buchführung ein, die derart ausgestaltet werden sollte, dass sie für sachverständige Dritte verständlich ist (vgl. §§Â€238 Abs.€1 S.€2, §Â€243 Abs.€2 HGB). Die unabhängige Bewertung einzelner Vermögensgüter und Schulden ohne die Möglichkeit der Kompensation von Wertsteigerungen mit Wertminderungen sind
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im Grundsatz der Einzelbewertung festgelegt, wobei es mehrere Ausnahmen von dieser Regel gibt (vgl. §Â€252 Abs.€1 HGB, §Â€201 Abs.€2 HGB). Der Grundsatz der Vollständigkeit unterstreicht die Verpflichtung zur lückenlosen Erfassung aller buchungspflichtigen Geschäftsvorfälle und nötigen risikobegründeten Rückstellungen im Jahresabschluss, wobei mithilfe einer Inventur auch die Veränderungen protokolliert werden müssen, die nicht als Geschäftsvorfall definiert sind, beispielsweise durch Klau oder Verderb (vgl. §§Â€239 Abs.€2, 246 Abs.€1 HGB). Das Prinzip der Vorsicht ist Grundlage des Realisationsprinzips und des Imparitätsprinzips (vgl. §Â€252 Abs.€1 HGB, §Â€201 Abs.€2 UGB) [3]. Das Realisationsprinzip legt fest, dass der Zeitpunkt der Gewinnrealisierung mit der Lieferung der Ware/Dienstleistung einhergeht. Das Imparitätsprinzip setzt aus Vorsichts- und Gläubigerschutz die Ungleichbehandlung von Gewinnen und Verlusten fest, wodurch Wertsteigerungen erst zum Zeitpunkt der Realisation in die Buchführung aufgenommen werden, Wertminderung jedoch bereits zu dem Zeitpunkt, an dem ihr wahrscheinliches Eintreten erkannt wird. Der Grundsatz der Stetigkeit schreibt eine stetige Anfertigung des Jahresabschlusses in aufeinanderfolgenden Jahren vor, da dies einen sinnvollen Vergleich der Unternehmensergebnisse erst ermöglicht. Richtigkeit, Klarheit, Vollständigkeit und Stetigkeit wurden zusätzlich im sogenannten Sicherungsgrundsatz, der auch die Verwendung der deutschen Sprache mit einschließt, niedergeschrieben. Der Grundsatz der Belegbarkeit und der Grundsatz der Prüfbarkeit dienen der nachträglichen Kontrollmöglichkeit der erstellten Dokumente. Der abschließende Grundsatz der Wirtschaftlichkeit soll daran erinnern, dass das Rechnungswesen und die damit verbundene Buchführung so durchzuführen sind, dass sie die Wirtschaftlichkeit der Unternehmung so wenig wie möglich beeinträchtigen. Zusätzlich zur Funktion als Informationsquelle hat die im Rechnungswesen erstellte Dokumentation aller Geschäftsvorfälle und deren Veröffentlichung im Jahresabschluss eine Beweis- und Sicherungsfunktion, da diese bei Konfliktfällen des Unternehmens, beispielsweise mit Gläubigern oder der staatlichen Finanzverwaltung, als Beweismittel dienen (vgl. §Â€258 HGB).
6.2.1.2 Verwendungsgebiete des betrieblichen Rechnungswesens Auf Basis der Gliederung des Rechnungswesens in die beiden Bereiche internes und externes Rechenwesen ist durch Schneider eine Systematisierung des betriebswirtschaftlichen Rechnungswesens erfolgt (s. Abb.€6.2) [4]. Die Rechnungslegung gibt demnach Außenstehenden Auskunft über mögliche Ansprüche und Verpflichtungen des Unternehmens gegenüber Dritten, wohingegen die zukunftsbezogene Prospektrechnung anhand von Vorschaurechnungen und Muster-Entscheidungsrechnungen einen Einblick in die Pläne und Aussichten des Unternehmens in den nachfolgenden Jahren ermöglicht. Unternehmensintern wird die Unternehmensleitung durch vergangenheitsbezogene Kontrollrechnungen und zukunftsbezogene Planungsrechnungen mit den nötigen Informationen versorgt. Die Ergebnisse des Rechnungswesens werden im Jahresabschluss dargelegt. Seine Adressaten sind einerseits die am Unternehmen selbst Beteiligten (Eigentümer und Mit-
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Internes Rechnungswesen Adressaten/ beabsichtigter Empfängerkreis Gesetzliche Grundlage
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Zweck
Typische Rechnungsarten
Externes Rechnungswesen
• Unternehmensleitung • Führungskräfte • Mitarbeiter
• • • •
Unternehmensleitung Gesellschafter Fiskus Öffentlichkeit
• keine Vorgaben
• HGB (insb. §238-239) • IFRS/IAS • US-GAAP
• Entscheidungsunterstützung • Kontrolle • Bestandsbewertung
• Rechenschaftslegung • Gesellschafterschutz • Besteuerung
• Kontrollrechnung (Vergangenheit) • Planungsrechnung (Zukunft)
• Rechnungslegung (Vergangenheit) • Prospektrechnung (Zukunft)
Abb. 6.2 ╇ Gegenüberstellung internes und externes Rechnungswesen
arbeiter), Gläubiger (derzeitige und potenzielle), sowie die Finanzverwaltung. Weitere Interessierte des Jahresabschlusses finden sich in gesellschaftlichen Gruppen wie Arbeitgeber- und Arbeitnehmervereinigungen, wissenschaftlichen Einrichtungen, der Wirtschaftspresse und der Konkurrenz [2]. Im Rechnungswesen wird grundsätzlich zwischen der Totalbetrachtung und der Partialbetrachtung eines Aspekts unterschieden. Unter einer Totalbetrachtung versteht man die Durchführung einer Untersuchung des Unternehmens in sachlicher und zeitlicher Hinsicht über dessen gesamte Bestehenszeit hinweg. Findet eine Beschränkung des Betrachtungsaspekts oder des Betrachtungszeitpunkts statt, so handelt es sich um eine Partialbetrachtung. Als Grundlage der weiteren Erläuterungen seien der Unterschied zwischen Bestandsund Bewegungsrechnungen bzw. kombinierten Bestands- und Bewegungsrechnungen erläutert. Bei Bestandsrechnungen wird anhand des Vergleichs der Bestände zu zwei geeigneten Zeitpunkten die Bestandsveränderung ermittelt. Bewegungsrechnungen bilden hingegen die Bestandsveränderung während eines bestimmten, zeitlich durch die Informationsermittlungsintervalle begrenzten Zeitraums, kontinuierlich ab.
6.2.2 Externes Rechnungswesen 6.2.2.1 Aufgaben und Regelwerke zum Jahresabschluss Das externe Rechnungswesen ist im Gegensatz zum internen an strikte Richtlinien und Gesetze, die zwischen den verschiedenen Staaten stark variieren, gebunden. In den meisten Staaten sind Unternehmen beispielsweise rechtlich verpflichtet, regelmäßig Finanzberich-
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te zu erstellen und diese unter Umständen zu veröffentlichen. In Deutschland sind insbesondere das deutsche Handelsrecht, das deutsche Steuerrecht (zum Beispiel Abgabenordnung, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Umsatzsteuergesetz) sowie das deutsche Publizitätsrecht (Gesetz über die Rechnungslegung von bestimmten Unternehmen und Konzernen) zu beachten. Aufgrund dieser Regelungen ist jedes Unternehmen zur Erstellung eines Jahresabschlusses, der alle Geschäftsvorfälle und die Situation des Unternehmens dokumentiert, verpflichtet (vgl. §§Â€242, 264 HGB). Der vollständige Jahresabschluss umfasst in Deutschland eine Bilanz, eine Gewinn- und Verlustrechnung, sowie je nach Rechtsform einen Anhang. Ergänzt wird der Jahresbericht bei einigen Rechtsformen durch einen zusätzlichen Lagebericht. Ferner gelten für bestimmte Branchen (Banken, Versicherungen und Pensionsfonds) weitergehende, spezifische Vorschriften (EU-Richtlinien 1986/635/EWG, 2001/65/EG, 2003/51/EG, 2006/43/EG und 2006/46/EG), auf die an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden soll. Bestimmte Unternehmensgruppen sind seit einigen Jahren außerdem zur Buchführungs- und Berichtspflicht nach den International Financial Reporting Standards verpflichtet. Konzerne, die auf dem US-amerikanischen Markt Geschäfte tätigen, müssen zudem ihren Konzernjahresabschluss nach dem Regelwerk des US-GAAP (United States Generally Accepted Accounting Principles) anfertigen.
6.2.2.2 Buchführungs- und Berichtspflicht nach dem deutschen Handelsgesetz Gemäß dem deutschen Handelsgesetz ist jeder Kaufmann im Sinne des HGB verpflichtet, „Bücher zu führen und in diesen seine Handelsgeschäfte und die Lage seines Vermögens nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung ersichtlich zu machen“ (vgl. §Â€238). Zusätzlich können auch andere Gesetze wie das Steuergesetz oder das Publizitätsgesetz (PublG) bei der Überschreitung bestimmter wertmäßiger Größenmerkmale, beispielsweise Umsatz und Gewinn, eine Buchführungspflicht bewirken [2]. In den verschiedenen Abschnitten des Dritten Buches des Handelsgesetzbuches (HGB) sind die Inhalts-, Gliederungs- und Bewertungsvorschriften niedergelegt, die in Abhängigkeit jeweils von der Rechtsform, der Unternehmensgröße, der Unternehmensverbindung und dem Wirtschaftszweig, in dem das Unternehmen tätig ist, anzufertigen sind. Die Ausführung ist dabei in deutscher Sprache zu verfassen (vgl. §Â€242 HGB). In den Artikeln §§Â€257, 261 des HGB sind zudem die Aufbewahrungspflichten und -fristen festgelegt, die der Sicherung der Dokumentierbarkeit und Prüfbarkeit der Buchführung dienen. Die Buchführungspflicht beinhaltet die regelmäßige Erstellung eines Abschlussberichts (Jahresabschluss). Dieser beinhaltet bei allen buchführungspflichtigen Unternehmen und Kaufleuten eine Bilanz sowie eine Gewinn- und Verlustrechnung (vgl. §Â€242 Abs.€3 HGB). Kapitalgesellschaften, Genossenschaften und bestimmte publizitätspflichtige Nicht-Kapitalgesellschaften sind zusätzlich zu der Erstellung eines Anhangs verpflichtet, in dem eine Erläuterung der vorher genannten Bestandteile des Jahresabschlusses erfolgt (vgl. §Â€336 HGB, §Â€5 PublG), (vgl. Abb.€6.3). Zu den publizitätspflichtigen Nicht-Kapitalgesellschaften werden all jene gezählt, bei denen als Vollhafter nur juristi-
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Jahresabschluss
Rechnungslegungsinstrumente nach dem HGB
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Jahresbilanz
Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) Anhang (nur bei Kapitalgesellschaften, GmbH & Co. KG und ähnlichen Rechtsgebilden, Genossenschaften und bestimmten Nicht-Kapitalgesellschaften)
Lagebericht
(nur bei mittelgroßen und großen Kapitalgesellschaften, mittelgroßen und großen GmbH & Co. KG und ähnlichen Rechtsgebilden, Genossenschaften und bestimmten Nicht-Kapitalgesellschaften)
Abb. 6.3↜╇ Rechnungslegungsinstrumente nach dem HGB
sche Personen eingesetzt sind, dies betrifft beispielsweise die Rechtsform der GmbH & Co. KG (vgl. §Â€264a HGB). Mittelgroße und große Kapitalgesellschaften (Einordnung entsprechend §Â€267 HGB), publizitätspflichtige Nicht-Kapitalgesellschaften sowie Genossenschaften sind ferner auch zur Erstellung eines Lageberichts verpflichtet, der jedoch nicht Bestandteil des Jahresabschlusses ist (vgl. §§Â€264 Abs.€1 S.€1, 289, 264a, 226 HGB, §Â€5 PublG). Die genauen Inhalte des Jahresabschlusses von Konzernen, die sich durch den Zusammenschluss mehrerer rechtlich selbstständiger Unternehmen bilden, sind dabei stärker gesetzlich reglementiert als die von einzelnen Unternehmen. Zusätzlich sind alle Kapitalgesellschaften zur Offenlegung ihres Jahresabschlusses verpflichtet, wohingegen aber nur mittelgroße und große Kapitalgesellschaften prüfungspflichtig sind (vgl. §Â€316 HGB). Die Bilanz stellt eine stichtagsbezogene systematische Gegenüberstellung bestimmter Vermögens- und Kapitalpositionen einer Unternehmung dar. In ihr enthalten sind auf der Aktivaseite die Mittelverwendung und auf der Passivaseite die Mittelherkunft, wobei beide Seiten mit der identischen Bilanzsumme abschließen müssen. Als Abschluss der Buchhaltung soll die Bilanz Auskunft über das Vermögen des Unternehmens geben, sowie anhand der Veränderung des Eigenkapitals das Jahresergebnis des Unternehmens wiedergeben. Das Jahresergebnis wird zusätzlich detailliert in der Gewinn- und Verlustrechnung aufgegliedert. Die Gewinn- und Verlustrechnung ist eine zeitraumbezogene Gegenüberstellung aller Erträge und Aufwendungen und bildet sämtliche Einnahmen und Ausgaben ab, die zu diesen geführt haben. Der Lagebericht dient der zusätzlichen Information der Adressaten. Er geht dabei auf den Geschäftsverlauf des Geschäftsjahres, die Unternehmenslage, aktuelle Vorfälle, zukünftige Erwartungen des Unternehmens und die Forschungs- und Entwicklungstätigkeit des Unternehmens ein (vgl. §Â€289 HGB). Er soll ergänzend zur Bilanz und zur Gewinnund Verlustrechnung einen Einblick in das Unternehmensgeschäft geben, da der Einblick allein mithilfe tabellarischer Informationen sehr eingeschränkt ist. Der Anhang des Jahresabschlusses dient ebenfalls der Erläuterung der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung und soll insbesondere den Adressaten die Inhalte des Jahresabschlusses näher bringen, die nicht explizit mit dem Lesen und der Interpretation solcher Rechnungen vertraut sind.
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6.2.2.3 Buchführungs- und Berichtspflicht nach den IFRS/IAS Die zunehmende Globalisierung hat eine starke Verflechtung des internationalen Kapitals bewirkt, welcher die nationalen Rechnungslegungsvorschriften hinderlich sind, da diese den Vergleich von Jahresabschlüssen erschweren bzw. ihn verhindern. Aus diesem Grund wurden die International Financial Reporting Standards (IFRS) entwickelt, die eine Vereinheitlichung der unterschiedlichen nationalen Vorschriften bewirken sollen. Bis jetzt sind in der Europäischen Union nur börsendotierte Unternehmen zu einem Konzernabschluss nach IFRS verpflichtet. Diese müssen trotzdem einen Jahresabschluss nach dem HGB aufstellen, da dieser die Grundlage für beispielsweise die Besteuerung des Unternehmens bildet. Die IFRS unterscheidet sich vom deutschen HGB dadurch, dass hier nicht der Gläubigerschutz, sondern die möglichst präzise Informationsversorgung von Stakeholdern, das heißt der verschiedenen Interessengruppen, im Mittelpunkt der Darstellung steht. Die Berechnung des Unternehmensergebnisses nach dem HGB erfolgt vergleichsweise pessimistisch. So werden beispielsweise Abwertungen von Vermögenswerten nach dem HGB zur Zeit der Entstehung in der Buchführung bedacht, wohingegen Vermögensaufwertungen erst bei ihrer tatsächlichen Realisierung (zum Beispiel Verkauf) Rechnung getragen wird. Demgegenüber sind die IFRS-gebundenen Jahresabschlüsse realistischer, da sich die Vermögensbewertung zumeist am aktuellen Marktwert orientiert. Würden die Prinzipien der IFRS allgemein anstelle des HGB in Deutschland angewandt werden, käme es in fast allen Fällen zu einer rein buchhaltungstechnischen Erhöhung des Eigenkapitals und des Jahreserlöses. Dies verdeutlicht erneut, dass eine direkte Vergleichsmöglichkeit zwischen den nach verschiedenen Rechtsgrundlagen erstellten Berichten immer noch nicht gegeben ist. Zusätzlich zu den nach HGB geforderten Bestandteilen des Jahresabschlusses sehen die IFRS die Anfertigung einer Kapitalflussrechnung, einer Gesamtleistungsrechnung, einer Eigenkapitalveränderungsrechnung, eine Segmentberichterstattung sowie eine Aufstellung früherer Finanzdaten und Wertpapierkurse vor. Das IFRS-Regelwerk ist sehr umfassend, da es viele Einzelfälle aufgreift, die bei der allgemeinen Erstellung von Finanzberichten keine Anwendung finden. Dies soll eine international weitgehend standardisierte Darstellung des Unternehmenserfolgs und damit die Möglichkeit des unabhängigen Vergleichs ermöglichen.
6.2.3 Internes Rechnungswesen Das interne Rechnungswesen dient der internen Information und ist dabei nicht an rechtliche Regeln gebunden. Es setzt sich aus der Kosten- und Leistungsrechnung, der Betriebsstatistik sowie weiteren Planungsrechnungen, insbesondere Investitions- und Finanzierungsrechnung, zusammen. Der Begriff Kosten bezeichnet hierbei den bewerteten, wertmäßigen Einsatz von Produktionsfaktoren, wogegen der Leistungsbegriff für das bewertete mengenmäßige Einsatzergebnis steht. Die Ausgestaltung des internen Rechnungs-
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wesens einschließlich der Terminologie ist dabei unternehmensspezifisch. Die Kosten- und Leistungsrechnung erstellt regelmäßig ein Zahlenwerk, das der Information der Unternehmensleitung dient. Im Falle eines vergangenheitsbezogenen Ist-Rechnungssystems erfolgt dies zumeist monatlich, wohingegen in Planrechnungssystemen in den meisten fällen nur jährlich eine Informationserhebung stattfindet. Die Kosten- und Leistungsrechnung dient der Bereitstellung von Informationen für Entscheidungsrechnungen, die bei der Nutzenplanung von bereits bestehenden Kapazitäten zu Rate gezogen wird. Außerdem wird sie zur Kontrolle der betrieblichen Wirtschaftlichkeit sowie zur Unterstützung der Preiskalkulation genutzt, die selbst eine wichtige Rolle beim betrieblichen Entscheidungsprozess einnimmt. Für die Kosten- und Leistungsrechnung ist die Einteilung der Kosten nach Zurechenbarkeit, Veränderlichkeit und nach der Herkunft der Einsatzgüter unverzichtbar. Nur eine exakte und richtige Zuteilung der einzelnen Kosten innerhalb der Kalkulationsverfahren ermöglicht eine genaue Auswertung der Unternehmensaktivitäten. Bezüglich ihrer Zurechenbarkeit auf Kalkulationsobjekte werden Kosten in Einzelkosten (beispielsweise Materialkosten) und Gemeinkosten (beispielsweise Verwaltungskosten) eingeteilt. In Hinblick auf ihre Veränderlichkeit werden fixe und variable Kosten unterschieden, wobei sich die variablen Kosten je nach Produktionsmenge verändern, wohingegen die Fixkosten unabhängig von der hergestellten Menge innerhalb des Abrechnungszeitraums gleich bleiben. Eine weitere Möglichkeit der Kosteneinteilung besteht in der Aufspaltung nach der Herkunft der Güter, wobei unter primären Kosten all jene Kosten zusammengefasst werden, die unternehmensextern anfallen (beispielsweise Zinsen und Rohmaterial), und unter sekundären Kosten unternehmensintern anfallende Kosten (beispielsweise innerbetriebliche Transportkosten) verstanden werden.
6.2.3.1 Teilgebiete der klassischen Kosten- und Leistungsrechnung Das klassische Problem der Kosten- und Leistungsrechnung besteht in der Zuordnung der Gemeinkosten zu einzelnen Produkten, um genaue Angaben über die durch die Produktion eines Produkts verursachten Kosten zu erhalten und somit Aussagen über die Wirtschaftlichkeit der Produktion treffen zu können. Um diese verursachungsgerechte Zuordnung der Gemeinkosten vornehmen zu können, werden die im Unternehmen entstanden Kosten strukturiert aufbereitet. Hierzu tragen die drei aufeinander aufbauenden Teilgebiete der Kosten- und Leistungsrechnung bei. Dies sind die Kostenartenrechnung, die Kostenstellenrechnung und die Kostenträgerrechnung.
Kostenartenrechnung Der Kostenartenrechung fällt die Aufgabe der systematischen Erfassung, Bewertung und Klassifikation der entstandenen Kosten zu. Sie soll die Frage beantworten, welche Kosten angefallen sind, und dient somit dem Informationszweck der Analyse der Entwicklung von
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den Gesamtkosten des Betriebes. Der weitaus wichtigere Zweck der Kostenrechnung ist jedoch die Disposition von Daten für weiterführende Rechnungen, wie etwa der Kostenstellenrechnung und der Kostenträgerrechnung. Es gibt zahlreiche Einteilungskriterien anhand derer die primären Kostenarten gegliedert werden können. Wie diese auszuwählen sind, richtet sich nach dem Informationszweck der Kostenartenrechnung, nach den folgenden Rechnungen sowie nach dem Prinzip der Wirtschaftlichkeit. Die häufigste Gliederungsart richtet sich nach der Art der verbrauchten Einsatzfaktoren: Arbeits- bzw. Personalkosten, Sachkosten, Kapitalkosten, Fremdleistungskosten und Kosten der menschlichen Gesellschaft. Unter Arbeits- bzw. Personalkosten werden Lohnkosten, Gehaltskosten und sonstige Personalkosten (beispielsweise Ausbildungsvergütungen und Personalleasingentgelte) zusammengefasst. Zu den Sachkosten – auch Materialkosten genannt – zählen Rohstoffund Hilfsstoffkosten sowie die Kosten für Betriebsstoffe. Kapitalkosten beinhalten die kalkulatorischen Zinsen des betrieblichen Vermögens, die sich aus Fremdkapitalzinsen und Opportunitätskosten des Eigenkapitals ergeben, sowie die kalkulatorischen Abschreibungen. Opportunitätskosten bezeichnen entgangene Erlöse, die dadurch entstehen, dass vorhandene Möglichkeiten (Opportunitäten) zur Nutzung von Ressourcen nicht wahrgenommen werden. Abschreibungen berücksichtigen die Wertminderung von über mehrere Perioden hinweg genutzte materielle und immaterielle Güter, wobei die Höhe dieser Abschreibungen anhand der angenommenen Nutzdauer der Güter kalkulatorisch festgesetzt wird. Innerhalb der Kategorie Fremdleistungskosten werden all jene Verpflichtungen zusammengefasst, die das Unternehmen aufgrund einer Inanspruchnahme von Dienstleistungen privater Anbieter oder durch Inanspruchnahme von Leistungen der öffentlichen Hand eingegangen ist. Die Kosten der menschlichen Gesellschaft bezeichnen öffentliche Abgaben und Steuern (Gemeinschafts- und Umweltkosten). Fallbeispiel aus der Textilindustrieâ•… Die Spinnovative GmbH ist ein Unternehmen des deutschen Mittelstandes, welches für den internationalen Markt Filamentspinnanlagen (FILSPIN X1 und FILSPIN X2) in Kleinserie produziert. Im letzten Geschäftsjahr konnte das Unternehmen bei einem Umsatz von 921€Mio.€€ einen Gewinn von 15€Mio.€€ erwirtschaften. Dieser Erfolg ist vorrangig auf drei Faktoren zurückzuführen: 1) Die Spinnovative GmbH produziert ausschließlich mit eigens ausgebildeten Mitarbeitern an drei modernen Standorten innerhalb Deutschlands. 2) Die Filamentspinnanlagen werden im eigenen Haus entwickelt, gefertigt und montiert; der Kunde erwirbt daher „Qualität aus einer Hand“. 3) In den vergangenen Jahren wurde stark in den Bereich „After-Sales-Services“ investiert. Mitarbeiter der Spinnovative GmbH montieren seither nicht mehr nur die Filamentspinnanlagen bei Kunden vor Ort, sondern garantieren auch weltweit innerhalb von 24€Stunden technische Fehler und Probleme zu beheben. Eine solche Unternehmensstrategie verursacht enorm hohe Kosten. Um im internationalen Vergleich dennoch konkurrenzfähig zu bleiben, ist die innerbetrieblichen Kosten- und Leistungsrechnung für die kurzfristige operative Planung besonders wichtig. Innerhalb der ersten Stufe der Kosten- und Leistungsrechnung, der sogenannten Kostenartenrechnung, werden dabei die angefallenen Kosten- und Leistungen
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erfasst und zweckgemäß gegliedert. Gliederungskriterien können u.€a. die Veränderlichkeit (fixe oder variable Kosten), die Zurechenbarkeit (Einzel- oder Gemeinkosten), die Herkunft (Primär- oder Sekundärkosten) oder die Verbrauchsart sein. Die durch die strategische Positionierung der Spinnovative GmbH entstehenden Kosten lassen sich beispielsweise in folgende Verbrauchsarten gliedern: Die Mieten und Reinigungskosten für die Produktionshallen in Deutschland werden als Raumkosten definiert. Den Personalkosten können die Löhne und Gehälter der Entwicklungsingenieure und Werker zugerechnet werden, die zur Herstellung der „Qualität aus einer Hand“ benötigt werden. Die Zusatzkosten, die durch die „After-Sales-Services“ entstehen, werden den Dienstleistungskosten zu gerechnet. Weitere nach der Verbrauchsart gegliederte Kostenarten sind bspw. Kapitalkosten, Materialkosten und Verwaltungskosten.
Kostenstellenrechnung Die Kostenstellenrechnung geht im zweiten Schritt der Frage nach, wo die jeweiligen Kosten entstanden sind. Hierzu werden im Unternehmen einzelne Kostenstellen als Berechnungsgrundlage gebildet. Kostenstellen sind funktional, organisatorisch oder räumlich abgegrenzte Bereiche eines Gesamtbetriebes (Betriebsabteilungen), in denen Kosten anfallen und denen Kosten angelastet werden [5]. Die Bildung der Kostenstellen erfolgt zumeist entweder nach Verantwortungsbereichen, betrieblicher Funktion, Räumen oder rechnungstechnischen Gründen. Zudem wird zwischen Haupt- und Hilfskostenstellen unterschieden. Typische Beispiele für Kostenstellen bilden Fertigungshauptkostenstellen, beispielsweise Dreherei oder Lackiererei, Fertigungshilfskostenstellen, beispielsweise Werkzeugbau oder Arbeitsvorbereitung, Verwaltung und Vertrieb. Die Hilfskostenstellen werden nach Abschluss der Aufnahme aller Kosten mithilfe des Betriebsabrechnungsbogens auf die Hauptkostenstellen verrechnet. Dies geschieht in den meisten Fällen durch Verteilungsschlüssel bzw. Zuschlagssätze. Die zentralen Funktionen der Kostenstellenrechnung bestehen in der Kostenermittlung und der Kostenkontrolle. Die Kostenstellenrechnung gestattet eine direkte Zuordnung der Gemeinkosten, beispielweise Maschinenkosten und Gehälter, die an den einzelnen Kostenstellen anfallen. Hierbei muss zwischen Kostenstelleneinzelkosten – Kosten, die der einzelnen Stelle direkt zugeordnet werden können – und Kostenstellengemeinkosten – Kosten, die von mehreren Kostenstellen verursacht werden – differenziert werden. Letztere werden im Rahmen der Kostenträgerrechnung anhand von Schlüsselgrößen (Gemeinkostenzuschläge) zunächst auf die Kostenstellen, dann auf die Kostenträger verteilt. Instrument für die Durchführung der Kostenstellenrechnung ist der Betriebsabrechnungsbogen (BAB) (Abb.€6.4). Der Betriebsabrechnungsbogen fungiert als „Kostenverteilungsblatt“ [6] und wird in zwei Stufen vervollständigt: • Verteilung der primären Gemeinkosten auf die Kostenstellen, • Verrechnung der innerbetrieblichen Leistungen (Sekundärkostenverrechnung).
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Hilfskostenstellen
Einzelkosten
Gemeinkosten
allgemeine Kostenstellen
Hauptkostenstellen
Fertigung
Material
Verwaltung
z. B. Fertigungslöhne
z. B. Fertigungsmaterial
z. B. Herstellkosten
Verursachungsgerechte Aufteilung innerbetrieblicher Leistungserbringung •
Verrechnung der allgemeinen Kostenstellen
•
Verrechnung der Hilfskostenstellen
Abb. 6.4 ╇ Betriebsabrechnungsbogen [In Anlehnung an 7]
Zu der Kostenstellenrechnung gehört auch die innerbetriebliche Leistungsverrechnung, die die Tatsache mit einbezieht, dass bezogene Güter nicht immer von außen, sondern auch von anderen Kostenstellen angeliefert werden. Dementsprechend müssen die Kosten der vorgeschalteten Kostenstelle auch in die nachgeschalteten einfließen. Der Betrag, mit dem die empfangende Kostenstelle belastet wird, wird der liefernden gutgeschrieben. Da Hilfskostenstellen ausschließlich innerbetriebliche Güter herstellen, sind ihre Endkosten gleich null. Die Beziehungen zwischen den einzelnen Kostenstellen können dabei sehr komplex sein. Es existieren aus diesem Grund verschiedene Systeme der innerbetrieblichen Leistungsrechnung, die je nach Struktur der Beziehungen spezifische Vorteile bieten. Als Beispiele können das Block-, das Treppen- und das Gleichungsverfahren genannt werden [8]. Insgesamt ermöglicht die Kostenstellenrechnung eine leichte Kontrolle der Wirtschaftlichkeit des Faktoreinsatzes der einzelnen Kostenstellen. Fallbeispiel aus der Textilindustrieâ•… Die innerhalb der Spinnovative GmbH gegliederten Kostenarten werden im weiteren Verlauf in Einzel- und Gemeinkosten unterteilt und im Anschluss daran in die Kostenstellenrechnung überführt. Die Kostenstellenrechnung stellt das Bindeglied zwischen Kostenarten- und Kostenträgerrechnung dar. Im Gegensatz zu den Gemeinkosten können die Einzelkosten den Kostenträgern direkt zugerechnet werden, weshalb diese in der Kostenstellenrechnung nicht weiter beachtet werden. Die gesamten Gemeinkosten werden über Gemeinkostenzuschlagsätze auf Kostenstellen umgelegt. In der Spinnovative GmbH werden hierzu unter anderem Fertigungshauptkostenstellen, Fertigungshilfskostenstellen, Materialkostenstellen und Verwaltungs-/Vertriebskostenstellen definiert. Ein Hilfsmittel für die Bildung der Gemeinkostenzuschlagsätze ist der Betriebsabrechnungsbogen. Innerhalb des Betriebsabrechnungsbogens werden die einzelnen Gemeinkostenpositionen (Miete,
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PPS-System, etc.) auf die einzelnen Kostenstellen verteilt und durch Bezug auf die Gesamtkosten die Gemeinkostenzuschlagsätze gebildet. Die Verteilung der Miete auf die Fertigungshauptkostenstellen und die Zuordnung der Kosten für ein PPS-System zu den Fertigungshilfskostenstellen hat somit schließlich zur Folge, dass jeder definierten Kostenstelle ein Gemeinkostenzuschlagsatz zugeteilt wird, mit dem die Einzelkosten beaufschlagt werden müssen, um die entstehenden Gemeinkosten verrechnen zu können.
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Kostenträgerrechnung Aufgabe der Kostenträgerrechnung ist, im dritten Schritt festzustellen, wofür die verschiedenen Kosten, insbesondere die Gemeinkosten, angefallen sind. Die Kostenträgerrechnung schließt somit den Prozess der verursachungsgerechten Kostenverrechnung ab. Als Kostenträger werden Ausgabezwecke bezeichnet, deren Absatz zum Umsatz des Unternehmens beitragen. Dies können Waren oder Dienstleistungen sein. Dies bedeutet, dass neben den Ausbringungsgütern eines Betriebes auch die zu aktivierenden innerbetrieblichen Leistungen (beispielsweise Anlagen, Werkzeuge, Maschinen etc.) zu den Kostenträgern zählen. Innerhalb der Kostenträgerrechnung werden daher Haupt-, Neben- und Hilfskostenträger unterschieden. Hauptkostenträger stellen Produkte oder Leistungen dar, deren Erstellung und Vertrieb der eigentliche Gegenstand des Unternehmens ist. Nebenkostenträger sind hingegen Produkte oder Leistungen, deren Erstellung im engen technischen oder wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Herstellung der Hauptkostenträger stehen. Nebenkostenträger sind, wie auch die Hauptkostenträger, verkaufsfähig und werden am Markt angeboten. Hilfskostenträger hingegen sind Leistungen, die zur Erstellung der Haupt- und Nebenkostenträger notwendig sind und im Unternehmen verbleiben. Um eventuellen Missverständnissen vorzubeugen, sei erwähnt, dass natürlich auch Vorprodukte, beispielsweise Halbzeuge und Entwicklungsaufträge, oder auch selbsterzeugter Strom zu Haupt- und Nebenkostenträger des Unternehmens werden können, sofern sie am Markt angeboten werden. Die Kostenträgerrechnung kann einerseits in die Kostenträgerstückrechnung, die die Kosten pro Mengeneinheit bestimmt, und andererseits in die Kostenträgerzeitrechnung, die die Kosten einer Abrechnungsperiode bestimmt, aufgeteilt werden. Eine genauere Darstellung dieser beiden Rechnungsarten ist in Kap.€6.2.3.4 zu finden. Fallbeispiel aus der Textilindustrieâ•… Zum Abschluss der kurzfristigen Kosten- und Leistungsrechnung der Spinnovative GmbH müssen in der Kostenträgerrechnung die Einzelkosten und die durch Gemeinkostenzuschlagsätze verrechneten Gemeinkosten den einzelnen Kostenträgern zugeordnet werden. In der industriellen Praxis werden in der Regel Hauptkostenträger, Nebenkostenträger und Hilfskostenträger differenziert. Die Hauptkostenträger sind im vorliegendem Beispiel die Filamentspinnanlagen FILSPIN X1 und FILSPIN X2. Da die Spinnovative GmbH nicht nur fertige Anlagen,
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sondern auch einzelne Anlagenteile verkauft, können die Spinnmodule als Beispiel für einen Nebenkostenträger aufgeführt werden. Hilfskostenträger sind vor allem Leistungen, die zur Erstellung im eigenen Betrieb dienen, also bspw. die interne Herstellung von Tiefziehwerkzeugen, die für die Umformung von Gehäuseteilen benötigt werden oder das verwendete PPS-System. Durch die Zuordnung sämtlicher entstandener Kosten zu vordefinierten Kostenträgern wird die kurzfristige Kosten- und Leistungsrechnung mit dem Ziel der operativen Planung bspw. in Form einer verursachungsgerechten Preiskalkulation ermöglicht. Dadurch wird die Spinnovative GmbH befähigt ihre Produkte kostendeckend zu vermarkten und somit im internationalen Vergleich auch zukünftig erfolgreich zu bestehen.
6.2.3.2 Umfang der Gemeinkosteneinbeziehung Erfolgsrechnungen können prinzipiell in die konkurrierenden Kostenrechnungsarten der Vollkostenrechnung, die dem Finalprinzip folgt, und der Teilkostenrechnung, die nach dem Marginalprinzip erstellt wird, eingeteilt werden. Beide Rechnungsarten können zur Wirtschaftlichkeitsprüfung des Entstehungsprozesses herangezogen werden.
Vollkostenrechnung Bei der Vollkostenrechnung werden alle im Unternehmen entstehenden Kosten anteilig auf die Kostenträger verrechnet, um so die effektiven Kosten der einzelnen Kostenträger zu ermitteln. Grundlage dieser Kostenrechnung ist die Aufteilung aller Kosten in Einzelund Gemeinkosten, wobei die Gemeinkosten anschließend mithilfe der Kostenstellen- und Kostenträgerrechnung auf die einzelnen Kostenträger verteilt werden. Die Vollkostenrechnung wird meist im Jahresabschluss verwendet, um eine Übersicht über die genauen Kostenanteile der einzelnen Produkte zu geben. Da diese Kostenrechnungsart alle Kosten beachtet, ist sie insbesondere für die langfristige Planung von Vorteil. Nachteilig ist jedoch der hohe Aufwand der Zurechnung der Kosten zu den verschiedenen Kostenträgern, die zudem oftmals nach dem Durchschnittsprinzip und somit unabhängig von der realen Kostenverursachung erfolgt.
Teilkostenrechnung Die Teilkostenrechnung verzichtet im Gegenzug auf eine Umverteilung fixer Kosten auf die einzelnen Kostenträger. Sie rechnet den Kostenträgern nur diejenigen Kosten an, die zu diesen in einer direkten Beziehung stehen, dies sind die variablen Kosten. Als Vorteil der Teilkostenrechnung ist der Verzicht auf die zum Teil sogar willkürlich vorgenommene Schlüsselung der fixen Gemeinkosten auf die Kostenträger zu nennen, weshalb die
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Teilkostenrechnung gerne bei kurzfristigen Entscheidungsprozessen, beispielsweise einer Make-or-buy-Entscheidung eingesetzt wird. Um dennoch eine Aussage über die Profitabilität eines Auftrags treffen zu können, wird der nach Abzug aller variablen Kosten von der Angebotssumme verbleibende Anteil bestimmt, der zur Deckung der Fixkosten des Unternehmens genutzt werden kann. Dieser Anteil wird daher als Deckungsbeitrag bezeichnet.
Deckungsbeitragsrechnung
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Die Deckungsbeitragsrechnung dient der Ermittlung der auftrags- oder erzeugnisbezogenen Gewinn- und Verlustrechnung. Der Überschuss des Erlöses über die mit dem Auftrag oder Erzeugnis verbundenen variablen Selbstkosten des Unternehmens wird als Deckungsbeitrag I bezeichnet. Werden ferner die spezifischen, dem einzelnen Erzeugnis zurechenbaren Fixkosten berücksichtigt, ergibt sich der Deckungsbeitrag II. Die zusätzliche Einbeziehung der Fixkosten der gesamten Erzeugnisgruppe schließlich resultiert im Deckungsbeitrag III. Fällt der Deckungsbeitrag negativ aus, werden durch den Verkaufserlös des Erzeugnisses nicht einmal die variablen Kosten abgedeckt und ein Verlust für das Unternehmen ist unvermeidbar. Eine entsprechende Auftragsannahme sollte höchstens in Einzelfällen unter strategischen Gesichtspunkten durchgeführt werden und ist wettbewerbsrechtlich bedenklich. Aber selbst wenn der Deckungsbeitrag aller Erzeugnisse positiv ausfällt, muss sich in der Aussummierung aller Erzeugnisse nicht automatisch ein Gewinn des Unternehmens ergeben. Der Deckungsbeitrag sagt zwar etwas darüber aus, ob ein Erzeugnis zur Deckung der Fixkosten beiträgt, jedoch kann dem Deckungsbeitrag nicht entnommen werden, ob die Gesamthöhe aller Deckungsbeiträge größer als die Summe aller Fixkosten. Nur dieser Fall würde aber ein positives Ergebnis für das Unternehmen bedeuten.
6.2.3.3 Zeitbezug der Kosten- und Leistungsrechnung Bezogen auf den zeitlichen Aspekt werden innerhalb der Kosten- und Leistungsrechnung die Ist-, die Normal- und die Plankostenrechnung unterschieden. Die Ist-Kostenrechnung und die Normal-Kostenrechnung sind vergangenheitsbezogen, wohingegen die Plankostenrechnung zukünftige Perioden betrachtet. Prinzipiell sind alle drei Rechnungsarten sowohl auf Vollkosten- als auch auf Teilkostenbasis möglich und es wird jeweils zwischen der Kostenstellenrechnung, der Kostenartenrechnung und der Kostenträgerrechnung unterscheiden.
Ist-Kostenrechnung Die Ist-Kostenrechnung ist die „traditionelle“ Kostenrechnung, die die tatsächlich angefallenen Kosten erfasst und diese den Kostenstellen und Kostenträgern anlastet. Sie ist
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im Gegensatz zu anderen Kostenrechnungsverfahren, die systematisch entwickelt worden sind, historisch gewachsen. Die Basis der Ist-Kostenrechnung ist das möglichst konsequente Ansetzen von Istwerten, das bedeutet die Nutzung von Kostenwerten der vergangenen Periode. Die Ist-Kostenrechnung eignet sich für die Feststellung des tatsächlichen Kostenanfalls, es gibt aber bezüglich Kostenkontrolle und der Planung Einschränkungen, da sich das Umfeld (beispielsweise Nachfrage und Angebot am Markt) der einzelnen Abrechnungszeiträume stark verändern kann und somit anhand der Ist-Kostenrechnung kein direkter Bezug zu zukünftigen Geschehnissen aufgebaut werden kann.
Normal-Kostenrechnung Eine Weiterentwicklung der Ist-Kostenrechnung besteht in der Normal-Kostenrechnung, wobei die in der Ist-Kostenrechnung sich periodisch ändernden Ist-Kosten durch konstante, aus vergangenen Ist-Kosten gemittelte, Normal-Kosten ersetzt werden. Die Normal-Kosten beziehen sich zusätzlich auf die Normal-Auslastung (durchschnittliche Beschäftigung). Vorteile der Normal-Kostenrechnung bestehen in der Schwankungsglättung der Kosten und der besseren Kontrollmöglichkeit, da sich anhand der Abweichungen von Ist- und Normal-Werten Rückschlüsse auf die Auslastung und die Beschäftigung ergeben. Demgegenüber können als Nachteile die fehlende Möglichkeit der exakten Nachkalkulation aufgrund der gemittelten Werte und die dürftige Eignung als Entscheidungsgrundlage genannt werden. Insgesamt hat sich diese Kostenrechnung in der betrieblichen Praxis nicht verbreiten können.
Plan-Kostenrechnung Die Plan-Kostenrechnung stellt eine Modifikation und Ergänzung der Ist-Kostenrechnung dar, wobei der Aufbau dem der Ist-Kostenrechnung entspricht. Der entscheidende Unterschied besteht im Zeitbezug der Rechnungsarten. Die Plan-Kostenrechnung dient der Festlegung von Kostenvorgaben, die als realistisch angesehen werden. Am Ende des Abrechnungszeitraums erfolgen schließlich ein Vergleich der Plan- und Ist-Werte sowie eine entsprechende Analyse etwaiger Abweichungen. Die Hauptaufgaben der Plan-Kostenrechnung sind die Vorkalkulation der betrieblichen Leistung, die Maßnahmenplanung, die Wirtschaftlichkeitsanalyse und die Abweichungsanalyseerstellung.
6.2.3.4 Kalkulationsverfahren der Kostenzurechnung Wie bereits in Kap.€6.2.3.1 erwähnt, können innerhalb der Kostenträgerechnung die Kostenträgerstückrechnung und die Kostenträgerzeitrechnung unterschieden werden. Die Kostenträgerstückrechnung basiert auf einer Mengenbetrachtung, und beantwortet die Frage, in welcher Höhe die Kostenträger Kosten verursacht haben. Ziel ist die Ermittlung der Herstell- oder Selbstkosten und in Konsequenz die Preisermittlung und -kontrolle. Die
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Kostenträgerstückrechnung
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Divisionskalkulation
Äquivalenzziffernkalkulation
Kuppelkalkulation
Zuschlagskalkulation
Mehrstufige Betriebe mit einheitlicher Massenproduktion
Erzeugung artverwandter Produkte (Sortenfertigung)
Simultane Erzeugung von Haupt- und Nebenprodukten
Heterogene Sachoder Dienstleistungen von Mittel- und Großbetrieben
Abb. 6.5 ╇ Verfahren der Kostenträgerstückrechnung
Kostenträgerstückrechnung ist somit mittel- bis langfristig ausgelegt. Die Kostenträgerzeitrechnung stellt hingegen eine Periodenbetrachtung dar und bezweckt die kurzfristige Ermittlung des Betriebserfolgs in der Betrachtungsperiode.
6.2.3.5 Kostenträgerstückrechnung Die Einsatzgebiete der verschiedenen Kalkulationsverfahren der Kostenträgerstückrechnung (s. Abb.€6.5) unterscheiden sich im Hinblick auf ihre Eignung zur Betrachtung der hergestellten Produktstückzahlen. Divisionsverfahren werden vorwiegend bei der Massenfertigung eines einheitlichen Produkts eingesetzt, während die Äquivalenzziffernrechnung dann zur Anwendung kommt, wenn mehrere ähnliche Produkte hergestellt werden. Bei einer hohen Varianz im Produktspektrum findet hingegen die Zuschlagskalkulation Anwendung. Die Kuppelkalkulation kommt dann zum Einsatz, wenn bei der Herstellung eines Produkts zwangsläufig weitere verkaufsfähige Produkte anfallen.
Divisionskalkulation Die Divisionskalkulation basiert auf einer Durchschnittsbetrachtung. So werden bei der einfachen Divisionskalkulation die gesamten angefallenen Primärkostenarten, unabhängig von ihrem Einzel- oder Gemeinkostencharakter, durch eine geeignete Bezugsgröße geteilt, zumeist durch die Menge der absatzbestimmten Kostenträger. Hierbei wird die gesamte Leistungserstellung eines Betriebes (inklusive Vertrieb) erfasst, ohne zu berücksichtigen, dass sich Fertigung und Vertrieb oftmals über diverse Stufen hinweg vollziehen. Sie wird in der Regel in einem Einproduktbetrieb mit homogenem Massenprodukt angewandt, wenn Lagerhaltung nicht möglich ist oder sich Bestände in der betrachteten Periode nicht verändert haben. Eine mehrstufige Divisionskalkulation ist somit erforderlich, wenn der Produktionsprozess mehrere sukzessiv hintereinander geschaltete Stufen, in denen jeweils eine Produktart
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gefertigt wird, aufweist und/oder die Bestände an fertigen sowie unfertigen Erzeugnissen schwanken [9]. Durch sie werden jeweils die Kosten je Fertigungs- und Vertriebsstufe, sowie die Ausbringungsmengen bzw. Verkaufsmengen gesondert erfasst. Die unfertigen Erzeugnisse werden entsprechend ihrem Fertigstellungsgrad mit Einzel- und Gemeinkosten belastet. Auf diese Weise werden die gesamten auf der jeweiligen Stufe anfallenden Kosten durch Division auf die in dieser Stufe bearbeiteten Einheiten umgelegt. Bestände, die auf dieser Stufe verbleiben, können somit ebenso bewertet werden, wie Kosten, die auf nachfolgende Prozessstufen weiterverrechnet werden müssen. Die Selbstkosten pro Stück k ergeben sich demnach gemäß folgender Formel: k = eM +
m KFj j=1
xFj
+
KW xA
Hierbei stellen eM die Materialkosten pro Stück, KFj die Fertigungskosten der Kostenstelle j, xFj die an der Kostenstelle hergestellte Stückzahl, m die Anzahl der Fertigungskostenstellen, KVV die Verwaltungs- und Vertriebskosten und xA die abgesetzte Produktmenge dar.
Äquivalenzziffernkalkulation Die Äquivalenzziffernkalkulation dient der Kalkulation von Herstell- bzw. Selbstkosten in Unternehmen, bei denen parallel verschiedene Produktarten hergestellt werden, wobei die Erzeugnisse im Wesentlichen die gleichen Fertigungsstellen durchlaufen (Sortenfertigung), beispielsweise Bleche unterschiedlicher Stärke oder Papier verschiedener Qualität. Zur Kostenrelation wird ein Gewichtungsfaktor eingesetzt, der unterschiedliche Kostenverhältnisse bei der Produktion der einzelnen Sorten berücksichtigen soll. Das Referenzprodukt erhält hierbei die Äquivalenzziffer 1. Allen anderen Produkten werden entsprechend ihres Kostenverhältnisses geeignete Äquivalenzziffern zugewiesen. Anschließend werden alle Produkte in eine fiktive Anzahl des Referenzproduktes umgerechnet. Hierzu werden die Kosten eines Referenzprodukts durch den Bezug der Gesamtkosten auf die fiktive Anzahl an Referenzprodukten ermittelt und die Stückkosten der einzelnen Produkte durch Multiplikation von Äquivalenzziffer und Kosten einer Referenzeinheit errechnet. Die einstufige Äquivalenzziffernkalkulation unterscheidet wie die einfache Divisionskalkulation nicht nach verschiedenen Kostenstellen. Ebenfalls sind Unterschiede zwischen produzierter Menge und verkaufter Menge nicht zulässig. Äquivalenzziffernreihen hingegen können aufgrund unterschiedlicher Kostenverursachung von Fertigungsstelle zu Fertigungsstelle variieren. Allerdings ist bei gleichen Äquivalenzziffernreihen eine Zusammenfassung mehrerer Fertigungsstellen (Vertrieb/Verwaltung) nur zulässig, falls die produzierten und abgesetzten Mengen der einzelnen Produkte übereinstimmen. Die Selbstkosten pro Stück kY eines Produkts y ergeben sich nach der mehrstufigen Äquivalenzziffernkalkulation gemäß folgender Formel: ky = eMy +
m j=1
KFj n
i=1
xFij aFij
ayj +
KW n
i=1
xAi aAi
aAy
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Hierbei sind eMy die Materialkosten pro Stück des Produkts y, KFj die Fertigungskosten der Kostenstelle j, m die Anzahl der Fertigungskostenstellen, n die Anzahl der Produkte, xFij die an der Kostenstelle hergestellte Stückzahl und aFij die jeweilige Äquivalenzziffer bezogen auf die Kostenstelle j. Ferner entsprechen KVV den Verwaltungs- und Vertriebskosten, xAi der abgesetzten Produktmenge, aAi der jeweiligen Äquivalenzziffer und aAy der Äquivalenzziffer des Produkts y in Verwaltung und Vertrieb.
Kuppelkalkulation
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Die Kuppelkalkulation wird traditionell in Branchen eingesetzt, in denen bei der Erstellung von Hauptprodukten prinzipbedingt auch Nebenerzeugnisse anfallen. So ist beispielsweise bei der Raffinerie von Erdöl keine verursachungsgerechte Zurechnung der Kosten auf die verschiedenen Haupt- und Nebenprodukte möglich. Bei der Kuppelkalkulation wird deshalb nach dem Tragfähigkeitsprinzip oder nach dem Durchschnittsprinzip vorgegangen. Wenn die gemeinsam anfallenden Produkte in ein Hauptprodukt und ein oder mehrere Nebenprodukte eingeteilt werden können, kommt die Restwertmethode zum Einsatz, bei der der Erlös der Nebenprodukte von den Gesamtkosten abgezogen wird und die verbleibenden Kosten alleinig dem Hauptprodukt zugerechnet werden:
kH =
KK −
n
i=1
(pNi − kNi )xNi xH
Die Herstellkosten pro Einheit des Hauptprodukts kH berechnen sich aus den Gesamtkosten des Kuppelprozesses KK, den Stückpreis pNi der Nebenproduktart i, n der Anzahl der Nebenproduktart, deren Weiterverarbeitungskosten kNi, der Menge der Nebenproduktart xNi und der Stückzahl des Hauptprodukts xH. Ist die Unterscheidung nach Haupt- und Nebenprodukt oder die anteilsmäßige Bewertung mehrerer Hauptprodukte jedoch nicht eindeutig möglich, muss die Verteilungsmethode angewandt werden. Hierbei werden die Kosten anhand von Äquivalenzziffern auf die einzelnen Erzeugnisse verteilt.
Zuschlagskalkulation Ein Schwachpunkt der bisher genannten Kalkulationsverfahren ist die Voraussetzung, dass das Leistungsspektrum in sich recht homogen sein muss, also eine enge Gleichartigkeit der Erzeugnisse gefordert ist. Bei Unternehmen mit Serienfertigung oder auftragsbezogener Einzelfertigung führen diese Verfahren aufgrund der Komplexität der Produkte bzw. der Produktionsprozesse nicht zu befriedigenden Ergebnissen. Hier sind Kalkulationsverfahren notwendig, die die verschiedenen Kostenentstehungsarten der einzelnen Leistungsobjekte beschreiben. Diese werden zusammenfassend als Zuschlagskalkulation bezeichnet. Kennzeichnend ist die Differenzierung nach Einzel- und Gemeinkosten. Die Einzelkosten werden jedem Kalkulationsobjekt (Auftrag oder Stück) direkt zugerechnet. Bei der Zurechnung der Gemeinkosten zeigt sich das Kernproblem der Zuschlagskalkulation. Der
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Zuschlag soll möglichst die Inanspruchnahme der betrieblichen Einrichtungen durch das Kalkulationsobjekt angemessen widerspiegeln. In manchen Fällen ist aber die Nutzung der betrieblichen Mittel nicht anzugeben (beispielsweise bei Versicherungen oder Steuerberatungsleistungen). Dort wird dann ein Zuschlagssatz festgelegt, der weder auf einem Verbrauch noch auf einer Beanspruchung basiert, sondern allenfalls eine Schätzung des Verbrauchs darstellt. Ausgehend vom Grundprinzip der Zuschlagskalkulation lassen sich zwei verschiedene Verfahren ableiten: die summarische (kumulative) Zuschlagskalkulation und die differenzierende Zuschlagskalkulation. Bei der summarischen Zuschlagskalkulation werden alle primären Gemeinkosten des Betriebes in Summe erfasst und auf Basis eines einzigen Zuschlagsbetrages den abgesetzten Kostenträgern zugerechnet. Die Selbstkosten eines Kalkulationsobjektes ergeben sich demnach aus der Addition seiner Einzelkosten und des pauschalen Gemeinkostenzuschlages. In der Regel wird der Zuschlagssatz aus dem Quotienten aus Gemeinkosten einer Periode und Einzelkosten derselben Periode gebildet. Demnach steigen mit zunehmenden Einzelkosten auch die berechneten Gemeinkosten. Es wird also eine Proportionalität impliziert, die selbstverständlich nicht gegeben ist. Hieraus ergibt sich der prinzipielle Bedarf, eine Zuschlagsbasis so zu wählen, dass ein plausibler Zusammenhang zwischen Anteil eines Auftrags an der Zuschlagsbasis und der Höhe des Gemeinkostenzuschlags besteht, was aber im Zuge der summarischen Zuschlagskalkulation nahezu nicht erreichbar ist. Einzig für Unternehmen mit geringen Gemeinkosten ist dieses Verfahren akzeptabel. Im Gegensatz dazu verrechnet die differenzierende Zuschlagskalkulation die Gemeinkosten nicht pauschal auf die Kostenträger, sondern teilt sie nach ihrem Entstehungsbereich ein und bildet je Entstehungsort einen oder mehrere separate Zuschlagssätze. Die Grundlage dafür liefert die Kostenstellenrechnung. Es wird für jede Endkostenstelle ein eigener Zuschlagssatz gebildet, so dass die Gemeinkosten jeweils individuell auf die Kostenträger verrechnet werden können. Analog zur summarischen Zuschlagskalkulation wird der Zuschlagssatz aus dem Quotienten aus Gemeinkosten und Zuschlagsbasis gebildet. Hier jedoch beziehen sich die Kosten auf eine Endkostenstelle und nicht auf die Periode. Die Selbstkosten pro Erzeugnis k ergeben sich gemäß folgender Formel:
k=
m j=1
�
eMj 1 + zMj +
n � i=1
�
kFi 1 + zFi + kLFi 1 +
w r=1
z V Vr
Hierbei stellt eMj die Materialkosten pro Erzeugnis an der Kostenstelle j, m die Anzahl der verwendeten Materialien, zMj den jeweiligen Materialgemeinkostenzuschlagssatz, n die Anzahl der Fertigungskostenstellen, kFi die Fertigungskosten pro Erzeugnis, zFi den Fertigungsgemeinkostenzuschlagssatz, kLFi die Fertigungslohnkosten pro Erzeugnis, zVVr die jeweiligen Verwaltungs- und Vertriebskostenzuschlagsätze der Kostenstellen r und w die Anzahl der Verwaltungs- und Vertriebskostenzuschlagsätze dar. Auch die bei der differenzierenden Zuschlagskalkulation üblichen Zuschlagsgrundlagen (Einzelmaterialkosten, Fertigungslöhne und -kosten der jeweiligen Hauptkostenstelle) erfüllen die Forderung nur sehr bedingt, die Güterverbräuche in den jeweiligen Hauptkostenstellen beanspruchungsgerecht zu verrechnen. Ein weiterer Kritikpunkt ist die Verteilung der Kosten der Forschung und Entwicklung. Zwar können diese durchaus bestimm-
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ten Produkten zugeordnet werden, jedoch wirkt sich der dazu gehörende Güterverzehr fast ausnahmslos in künftigen Perioden aus [9, 10]. Diesen Problemen kann zumindest teilweise durch eine Verfeinerung der differenzierenden Zuschlagskalkulation entgegen getreten werden, der Maschinenstundensatzrechnung. Voraussetzung dafür ist allerdings eine extrem detaillierte Kostenstellengliederung. Hauptunterschied zur differenzierenden Zuschlagskalkulation ist, dass der Großteil der Gemeinkosten nicht auf Basis wertmäßiger Schlüssel (Einzelkosten, Herstellkosten), sondern auf Basis eines mengenmäßigen Schlüssels (Bearbeitungszeit von Produkten an den jeweiligen Kostenstellen) berechnet wird [9, 11].
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Kostenträgerzeitrechnung Die Kostenträgerzeitrechnung ist im Gegenzug zur Kostenträgerstückrechnung eine kurzfristige Erfolgsrechnung und dient der laufenden Überwachung der Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens. Sie stellt Leistungen und Aufwendungen einer Abrechnungsperiode gegenüber und kann mithilfe des Gesamtkosten- oder des Umsatzkostenverfahrens aufgestellt werden. Beide Verfahren müssen jedoch zum gleichen Ergebnis führen, so dass ein Verfahren jeweils die Ergebnisse des anderen Verfahrens absichern kann, unter der Voraussetzung von richtigen Basisdaten.
Gesamtkostenverfahren Dem Gesamtkostenverfahren – auch als Produktionsrechnung bezeichnet – liegt die Erfassung der gesamten, nach Kostenarten gegliederten Kosten des Unternehmens zugrunde. Den Erlösen werden die Herstellungskosten der Abrechnungsperiode gegenüber gestellt. Lagerbestandsveränderungen an unfertigen oder fertigen Gütern werden zusätzlich in die Berechnung integriert. Die Bestandsveränderungen werden dabei lediglich mit den Herstellkosten bewertet, das heißt Material- und Fertigungskosten, Vertriebs- und Verwaltungskosten hingegen werden nicht berücksichtigt: BE = xA · p − (xA − xP )kH −
KHp
Die Bestimmung des Betriebsergebnisses BE erfolgt unter Berücksichtigung der abgesetzten Menge xA, der produzierten Menge xP, dem Verkaufspreis p, den Herstellkosten pro Stück kH und den Gesamtherstellkosten KHp der produzierten Erzeugnisse.
Umsatzkostenverfahren Beim Umsatzkostenverfahren – auch als Umsatzrechnung bezeichnet – werden den Erlösen der Abrechnungsperiode die Herstellkosten der abgesetzten Produkte und die gesamten Verwaltungs- und Vertriebskosten gegenübergestellt. Das Umsatzkostenverfahren ist insofern aussagefähiger als das Gesamtkostenverfahren, da bei seiner Anwendung nicht
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nur die Erlöse, sondern auch die Kosten der abgesetzten Produkte erkennbar werden. Somit können die Erfolgsbeiträge der einzelnen Produktarten offen gelegt werden: BE = xA · p − xA · kH −
KVV
Das Betriebsergebnis BE ergibt sich hier aus der abgesetzten Menge xA, der produzierten Menge xP, dem Verkaufspreis p, den Herstellkosten pro Stück kH und den Verwaltungsund Vertriebskosten KVV.
6.2.3.6 Weiterentwicklung der Kosten- und Leistungsrechnung Die verursachungsgerechte Zurechnung der Gemeinkosten stellt innerhalb der klassischen Kostenrechnung einen der zentralen Faktoren für die Ergebnisgüte dar. Nur wenn die Zurechnung der Gemeinkosten exakt erfolgt, liefert die klassische Kostenrechnung belastbare Werte. Da jedoch die Zurechnung in der Praxis aufgrund fehlender Daten vielfach auf Basis von Erfahrungswerten und Schätzungen erfolgen muss, ist eben die Zurechnung der Gemeinkosten ein Hauptdefizit der traditionellen Kostenrechnung. Dieses Defizit hat sich in den letzten Jahrzehnten durch zwei Entwicklungstendenzen noch verschärft. Einerseits sind durch die technologische Entwicklung immer mehr Fertigungs- und Montageprozesse automatisiert worden, andererseits ist die Varianz des Produktprogramms in fast allen Branchen in der Vergangenheit gestiegen und ein Ende dieser Entwicklung zu höherer Individualität sowie kürzeren Lebenszyklen der Produkte ist nicht absehbar. Beide Phänomene führen zu einem deutlichen Anstieg des Gemeinkostenanteils und somit zu zunehmender Unsicherheit der Ergebnisse der Kostenrechnung. Daher sind alternative Konzepte zur Kostenrechnung entwickelt worden und haben erfolgreich Einzug in die betriebliche Praxis gefunden.
Activity-Based-Costing Die Basis der heutigen Prozesskostenrechnung stellt das in den 80er Jahren von Kaplan und Cooper entwickelte Activity-Based-Costing dar. Die beiden Begriffe Activity-BasedCosting und Prozesskostenrechnung werden in der Literatur fälschlicherweise zumeist synonym gebraucht. Es existieren nicht nur Unterschiede im jeweiligen Konzept, sondern auch der Einsatzfokus ist ein anderer [12–16]. Das Activity-Based-Costing legt den Fokus auf eine vollständige Unternehmensanalyse mit dem Hauptziel einer entscheidungsorientierten Produktbewertung (Produktcontrolling). Die Grundidee des Activity-Based-Costing besteht darin, den Gemeinkostenblock weiter als solchen zu ermitteln, aber dann differenzierter zu verrechnen. Dazu stellt das Activity-Based-Costing die im Unternehmen stattfindenden Aktivitäten, das bedeutet die Prozesse der Leistungserbringung in den Vordergrund. Die Verrechnung der Gemeinkosten erfolgt über die mengenmäßige Inanspruchnahme von Teilprozessen nach dem Beanspruchungsprinzip.
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Das Activity-Based-Costing ist ein zweistufiges Verfahren. Nach einer Tätigkeitsanalyse werden die Kostentreiber (Cost Driver), das heißt die kostenbeeinflussenden Größen eines Prozesses, ermittelt. Sie stellen die bestimmenden Faktoren für die einem Kostenträger zurechenbare Leistungsmenge dar, anhand derer die verursachungsgerechte Verrechnung der Gemeinkosten ermöglicht wird [17]. Im Rahmen der verursachungsgerechten Verteilung der Gemeinkosten dienen die Kostentreiber als mengenabhängige Bezugsgrößen für die Berechnung der Prozesskostensätze. Zur Identifikation der ausschlaggebenden Kostentreiber lassen sich unterschiedliche Kriterien heranziehen, um die Aussagekräftigkeit und Anwendbarkeit der Prozesskostenrechnung sicherzustellen. All diejenigen Tätigkeiten, die über identische Kostentreiber, sogenannte First Stage Driver, verfügen, werden in der ersten Stufe des Activity-Based-Costing zu Teilprozessen zusammengefasst. Dieser Vorgang wird als Pooling bezeichnet, da jeder Teilprozess einem sogenannten Kostenpool zugeordnet wird. Ein Kostenpool beinhaltet die Gesamtkosten, die beim Durchlauf des zugehörigen Teilprozesses auf die Produktmenge je Abrechnungsperiode entfallen. In der zweiten Stufe werden die in der ersten Stufe gebildeten Teilprozesse auf die Kostenträger mit Kostentreibern der zweiten Stufe, sogenannte Second Stage Driver, verrechnet. Somit ergibt sich ein Analogschluss, der es erlaubt die im Unternehmen entstanden Kosten über den „Umweg“ der Prozesse auf die Produkte zu verrechnen.
Prozesskostenrechnung Im Gegensatz zum eng verwandten Activity-Based-Costing konzentriert sich die Prozesskostenrechnung zumeist auf indirekte Bereiche und stellt das Prozesscontrolling in den Vordergrund. Sie stellt dabei kein vorgegebenes Schema dar, das in jedem Unternehmen bedingungslos implementiert werden kann. Vielmehr muss die Prozesskostenrechnung an die unternehmensspezifischen Rahmenbedingungen, die als Eingangsinformationen dienen, angepasst werden. Nur so ist es möglich, durch eine gezielte Verwendung der im Unternehmen bereits verfügbaren Informationen den Aufwand für die Durchführung der Methode zu minimieren. Die Konzeption der Prozesskostenrechnung sieht folgende Schritte zur Bestimmung der Prozesskosten vor: • • • • •
Festlegung des Anwendungsbereiches Tätigkeitsanalyse Kapazitäts- und Kostenzuordnung Hauptprozessverdichtung Bestimmung der Kostentreiber
Mit der Festlegung des Anwendungsbereiches wird das Ziel verfolgt, die Bereiche des Unternehmens zu definieren, in denen die Prozesskostenrechnung angewendet werden soll. Im sich anschließenden Schritt der Tätigkeitsanalyse werden üblicherweise für jede zum Anwendungsbereich gehörende Kostenstelle die in ihr durchgeführten Tätigkeiten bestimmt. Wesentlicher Bestandteil der Prozesskostenermittlung ist die Kapazitäts- und Kostenzuordnung innerhalb der Kostenstellen zu den identifizierten Teilprozessen. Die Zuordnung der Kosten zu den Teilprozessen kann dabei entweder im Rahmen einer analytischen Planung oder retrograd basierend auf Vorjahreswerten erfolgen. Die analytische
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Vorgehensweise liefert in diesem Zusammenhang die genaueren Kalkulationsergebnisse, ist jedoch mit einem deutlich erhöhten Aufwand verbunden, weshalb in der Praxis meist die Verwendung von Vorjahreswerten bevorzugt wird. Um zu einer realitätsnahen Einschätzung der Kostensituation innerhalb einer Kostenstelle zu gelangen, ist es in der Regel nicht ausreichend, jeder Kostenstelle einen einzigen Teilprozess zuzuordnen, vielmehr sind unterschiedliche Teilprozesse innerhalb einer Kostenstelle zu unterscheiden. Die identifizierten Teilprozesse werden danach unterschieden, ob sie leistungsmengeninduziert (lmi) oder leistungsmengenneutral (lmn) sind. Die leistungsmengenindizierten Prozesse weisen einen direkten Bezug zur produzierten Leistungsmenge auf. Die leistungsmengenneutralen Prozesse hingegen können als unterstützende Aktivitäten der leistungsmengeninduzierten Prozesse angesehen werden und haben definitionsgemäß keinen Mengenbezug. Sie sind unabhängig von der erbrachten Leistungsmenge des betrachteten Hauptprozesses. In der Hauptprozessverdichtung erfolgt schließlich die Zusammenfassung der ermittelten Teilprozesse. Dabei werden aus den kostenstelleninternen Teilprozessen kostenstellenübergreifende Hauptprozesse gebildet. Bei der Verdichtung zu Hauptprozessen können unterschiedliche Aggregationsformen auftreten. So können die einem Hauptprozess zugeordneten Teilprozesse zu einer oder zu unterschiedlichen Kostenstellen gehören. In beiden Fällen kann ein Teilprozess anteilig in unterschiedliche Hauptprozesse eingehen. Im Allgemeinen handelt es sich bei der Hauptprozessverdichtung um eine iterative Vorgehensweise. Hierdurch wird eine Reduzierung der Anzahl der Kostentreiber bewirkt, womit sich die Transparenz über die Abläufe im Unternehmen erhöht und eine Grundlage für die analytische Betrachtung der Hauptprozesse geschaffen wird. Die Bestimmung der Kostentreiber der leistungsmengeninduzierten Teilprozesse sowie der Hauptprozesse ist ein weiterer wesentlicher Bestandteil zur Prozesskostenermittlung. Um zu einem realitätsnahen Abbild der Vorgänge einer Kostenstelle zu gelangen, kann die Verwendung unterschiedlicher Kostentreiber für verschiedene Teilprozesse erfolgen. Dies erhöht zwar den Aufwand der Prozesskostenbestimmung, jedoch wird auf diese Weise auch bei einer heterogenen Kostenstruktur innerhalb einer Kostenstelle eine verursachungsgerechte Zuordnung der Kosten zu den Prozessen ermöglicht.
Ressourcenverfahren Das Ressourcenverfahren stellt eine Modifizierung der Prozesskostenrechnung dar, mit der eine hohe Kostentransparenz erzielt werden kann. Das Verfahren basiert auf einer umfassenden Analyse der Auftragsabwicklung und umfasst eine vollständige Unternehmensanalyse. Auf diese Weise wird der primär produktorientierte Ansatz des Activity-BasedCosting mit dem prozessorientierten Ansatz der Prozesskostenrechnung verbunden. Beim Ressourcenverfahren werden zwei grundlegende funktionale Zusammenhänge unterschieden (s. Abb.€6.6). Dies ist einerseits der funktionale Zusammenhang zwischen den hergestellten Produkt- oder Dienstleistungseinheiten (zum Beispiel Anzahl der Auftragsnummern) und dem entsprechenden Verbrauch von Ressourcen (zum Beispiel Mitarbeiterstunden). Dieser funktionale Zusammenhang wird als Verbrauchsfunktion bezeichnet. Zum anderen wird der funktionale Zusammenhang zwischen Ressourcenverbrauch und den entstandenen Kosten betrachtet. Dieser zweite funktionale Zusammenhang stellt die
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Kostenfunktion K(x)
Verbrauchsfunktion U(x)
Ressourceneinsatz Personal [h] U(x)
K(x) 77 €/h
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Kosten pro Prozessdurchlauf Konstruktion [€] 2.000
Ressourcenverbrauch Komponenten [#] 1.000
0
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Abb. 6.6 ╇ Ressourcenverfahren nach Schuh
Kostenfunktion dar. Insbesondere die Abbildung des funktionalen Zusammenhangs zwischen den Kosten verursachenden Produkt- oder Dienstleistungseinheiten, das heißt den Kostentreibern und dem jeweiligen Ressourcenverzehr (Verbrauchsfunktion) bedarf eines sehr tiefgehenden Verständnisses der Arbeitsabläufe und Prozesse, um zu genauen Aussagen zu gelangen. Als kostenrelevante Ressourcen werden Personal, Betriebsmittel, Fläche/Gebäude, EDV, Kapital und Material definiert. Durch die monetäre Bewertung des Ressourcenverzehrs – funktionaler Zusammenhang zwischen dem Ressourcenverzehr und den Kosten – werden die Kosten je Prozess ermittelt, die zumeist eine lineare Funktion, den sog. Kostensatz, bilden. Ein solcher Kostensatz wird in jedem Unternehmensprozess für alle verwendeten Ressourcen ermittelt.
Target Costing Das Target Costing – auch Zielkostenrechnung genannt – stellt ebenfalls einen neuen Ansatz der Kostenrechnung dar. Es wurde bereits in den 70er Jahren in japanischen Unternehmen entwickelt und bezeichnet eine Methode zur Festlegung von maximal am Markt erzielbaren Preisen bzw. den entsprechenden Kosten der Produkterstellung. Eine Anwendung des Target Costing findet meist im Vorfeld oder aber frühen Phasen der Produktentwicklung statt. Während der Erzeugnisproduktion wird das Target Costing gezielt durch die zuvor beschriebenen Kostenrechnungssysteme ergänzt. Beim Target Costing steht die Frage, wie viel ein Produkt am Markt kosten darf, im Vordergrund. Durch diesen Ansatz hebt sich das Target Costing stark von der kostenbezogenen Preisfestlegung ab. Zur Ermittlung eines wettbewerbsfähigen Marktpreises (target price) erfolgt eine Markterforschung bzw. -analyse. Auf dieser Basis in Verbindung mit der angepeilten Gewinnmarge werden die maximalen Kosten des Erzeugnisses und seiner Komponenten errechnet. Diese werden anschließend mit den prognostizierten Kosten abgeglichen. Sollten die prognostizierten Kosten dabei über den erlaubten Kosten (Ziel-
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kosten) liegen, müssen die prognostizierten Kosten durch Veränderung am Produkt oder den Austausch von Fertigungsverfahren reduziert werden. Durch die retrograde Kalkulation können den einzelnen Abteilungen direkt am Anfang der Produktentwicklungsphase bindende Kostenvorstellungen vorgelegt werden, so dass diese sich bereits früh an klaren Vorgaben orientieren können.
6.3 Investition und Finanzierung 6.3.1 Grundlagen der Investitionsrechnung und Entscheidungstheorie Der Begriff „Investition“ ist in der Literatur nicht eindeutig definiert. Während der vermögensorientierte Investitionsbegriff die Umwandlung von Kapital in Vermögen in den Vordergrund stellt [18], beschreibt der zahlungsstromorientierte Investitionsbegriff eine Investition als Zahlungsstrom, der mit Auszahlungen beginnt und zu späteren Zeitpunkten Einzahlungen erwarten lässt [19]. Der Definition von Schulte [20] folgend sind Investitionsentscheidungen in produzierenden Unternehmen demnach „Entscheidungen über die Zusammensetzung des Vermögens (Sachvermögen, immaterielles Vermögen, Finanzvermögen) eines Unternehmens. Sie führen zur Kapitalbindung in wesentlichem Umfang und auf Dauer.“ Investitionsentscheidungen zeichnen sich zudem dadurch aus, dass Korrekturen im Nachhinein kaum oder nur sehr schwierig möglich sind und die Entscheidungsparameter sich in der Zeitspanne zwischen Investitionsentscheidung und Investitionsrealisierung ändern können [1]. Der Text geht im Folgenden von Investitionen als Zahlungsreihen aus. Auf Grund des Umfangs vieler Investitionsprojekte, verfügen Unternehmen, im Folgenden auch als Investor bezeichnet, nicht immer über ausreichend eigene Mittel zur Durchführung der Investition. Sie können sich in solchen Fällen zusätzliche, zur Tätigung der Investition notwendige Mittel am Kapitalmarkt beschaffen. Der Kapitalmarkt stellt den Markt für langfristige Kredite und Kapitalanlagen dar. In der Literatur werden aus Gründen der Vereinfachung Kapitalmärkte häufig als „vollkommen“ angenommen. Dies bedeutet, dass weder Transaktionskosten noch Steuern vorhanden sind. Jedem Akteur steht es am Kapitalmarkt frei, unabhängig von der Laufzeit und der benötigten Summe Kapital zum gleichen Zinssatz anzulegen und aufzunehmen. Weiterhin wird häufig von „vollständigen“ Kapitalmärkten ausgegangen. Dies bedeutet, dass die Zahl der am Markt gehandelten verschiedenen Wertpapiere gleich der Anzahl der möglichen Zukunftsszenarien, bzw. Entscheidungsoptionen ist. In der Realität ist jedoch kein Kapitalmarkt vollkommen oder vollständig. Dies reduziert die praktische Anwendbarkeit von darauf aufbauenden Modellen (zum Beispiel Fisher-Modell und Modigliani-Milller-Theorem), bleibt jedoch ohne Einfluss auf deren theoretische Gültigkeit. Im Gegensatz zu idealisierten Kapitalmärkten existieren in der Realität Differenzen zwischen Soll- und Habenzinsen sowie Preisunterschiede für dasselbe Wertpapier an verschiedenen Märkten. Diese Preisunterschiede nutzen Geschäftsleute für Arbitragegeschäfte. Durch Arbitrage, das heißt die Ausnutzung von Preis- und Zinsdifferenzen an verschiedenen Börsen, gleichen sich die Preise eines Wertpapiers an verschiedenen Märkten langfristig an.
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Um die verschiedenen Investitionsmöglichkeiten bewerten und vergleichen zu können, existieren verschiedene standardisierte Berechnungsgrößen. Der Begriff des Barwerts einer Investition bezeichnet den Wert einer in der Zukunft liegenden Zahlung bezogen auf den Investitionszeitpunkt t0 [1, 21].Der Barwert wird durch Abzinsung (Diskontierung) aus dem Barwertfaktor B =
6
1 (1 + i)n
berechnet. Der Kalkulationszinsfuß i – teilweise auch Kalkulationszinssatz genannt – gibt dabei die vom Investor geforderte Mindestverzinsung an. Als Nutzungsdauer n wird die Zeitspanne bezeichnet, während derer die Investition gemäß ihrem Verwendungszweck genutzt wird. Die Summe der Barwerte aller mit der Investition verbundenen Zahlungen abzüglich der Anschaffungsauszahlung a0 ergibt den Kapitalwert C [1, 21]. Der Liquidationserlös L schließlich bezeichnet den am Ende seiner Nutzungsdauer voraussichtlich erzielbaren Verkaufserlös eines Investitionsobjektes. Die Rendite gibt den Gewinn vor Zinsen dividiert durch den Kapitaleinsatz wieder.
6.3.1.1 Fisher-Modell und Nutzentheorie Das Fisher-Modell wurde vom amerikanischen Ökonom Irving Fischer [22, 23] entwickelt [21, 24, 25]. Fischer trennt Investitions- von Konsumentscheidungen, Konsum bezeichnet eine Freisetzung von Mitteln für den persönlichen Nutzen des Kapitalgebers. Das Fisher-Modell basiert auf einer Reihe von Annahmen, von denen die wichtigste der vollkommene und vollständige Kapitalmarkt ist. Zwar lässt sich das Fisher-Modell auch ohne Kapitalmarkt anwenden, doch entfällt in diesem Fall die Möglichkeit zur Fremdfinanzierung. Investitionsentscheidungen werden zudem immer im Interesse von Kapitalgebern getroffen. Diese kennen ihre Konsummöglichkeiten und streben eine Maximierung dieser an. Außerdem sind alle Erwartungen homogen, das heißt, alle Kapitalgeber treffen ihre Entscheidungen auf derselben Datengrundlage. Auf dem Kapitalmarkt können in der Zukunft anfallende Geldbeträge gegen heute zahlbare Beträge gehandelt werden. Fisher reduzierte sein Modell auf zwei Zeitpunkte t0 und t1. Das heißt, auf dem Kapitalmarkt kann heute (t0) für einen Betrag C0 ein Anspruch auf einen sicheren Kapitalwert C1 = C0 (1 + k)
im Zeitpunkt t1 erworben werden. Die Variable k steht hier für den konstanten Zinssatz am Kapitalmarkt. Zunächst gelte die Annahme, der Investor habe kein Interesse an einem Konsum zum Zeitpunkt t0. Liegt die Rendite einer Investition unter diesen Voraussetzungen höher als (1â•›+â•›k), so wird der Unternehmer einen Kredit am Kapitalmarkt aufnehmen, um mehr Kapital für die Investition zur Verfügung zu haben. Für ihn lohnt sich der Erwerb von Fremd-
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kapital, da die aus dem Kredit erwachsenden Verpflichtungen geringer sind als der Gewinn aus der Investition. Die Höhe des Kredites wählt er dabei so, dass die marginale Bruttorendite genau (1â•›+â•›k) entspricht. Nur in diesem Fall wird der Kapitalwert der Investition maximal. Liegt die Rendite der Investition niedriger als (1â•›+â•›k), wird der Unternehmer sein Vermögen bevorzugt am Kapitalmarkt anlegen. Der maximale Nutzen einer Investition für einen Kapitalgeber hängt in diesem Fall ausschließlich vom Zinssatz k des Kapitalmarktes ab. Anders verhält es sich, wenn der Unternehmer in beiden Zeitpunkten nicht nur investieren, sondern auch konsumieren möchte. Hier hängt die optimale Entscheidung sehr wohl von der individuellen Nutzenfunktion U(x) des Kapitalgebers ab. Die Nutzenfunktion U(x) berücksichtigt individuelle Präferenzen der Entscheidungsträger. Sie ordnet jeder Endvermögensrealisation einen Nutzenwert zu und ermöglicht es, Investitionsalternativen nach der Höhe des durch sie erzielbaren Nutzerwartungswertes zu bewerten [26]. Aus dem Fischer-Modell lassen sich zwei grundsätzliche Aussagen ableiten, die als Fischer-Separation bezeichnet werden [27, 28]: • Investitionsentscheidungen sind unabhängig von der individuellen Zeitpräferenz. Da alle Investoren nach der Maximierung ihres Nutzens streben, lassen sich Investitionsentscheidungen somit vom Investor an Dritte (etwa das Management) delegieren. • Konsumentscheidungen hingegen hängen von der individuellen Zeitpräferenz der Investoren ab. Je nach Zeitpräferenz werden Mittel auf dem Kapitalmarkt aufgenommen oder angelegt. Diese Transaktionen haben jedoch keinen Einfluss auf den Kapitalwert einer Investition. Bei Entscheidungen unter Unsicherheit existieren zu den jeweiligen Entscheidungsalternativen mehrere durch den Zufall bestimmte Ergebnisse [18, 29]. Dies bedeutet, dass das Ergebnis einer Entscheidungsalternative nicht sicher vorhergesagt werden kann. Um dennoch fundierte Investitionsentscheidungen treffen zu können, beschäftigt sich die Entscheidungstheorie mit den Präferenzen des Investors. Als Grundannahme wird davon ausgegangen, dass für jeden Investor eine begrenzte Anzahl von einander ausschließenden Investitionsalternativen Aj zur Wahl stehen. Dazu existiere eine ebenfalls begrenzte Zahl von Szenarien Ss die sich mit jeweils einer Eintrittswahrscheinlichkeit qs einstellen und nicht vom Investor beeinflussbar sind. Die Summe der Eintrittswahrscheinlichkeiten aller Szenarien entspricht 1 (100€%). Entscheidungsalternativen und Szenarien bilden gemeinsam einen Zustandsraum, in dem sich durch die gewählte Handlungsalternative und das ereignete Szenario ein Zustand xjs einstellt. Als Zustände lassen sich beispielsweise die zu erwartenden Gewinne annehmen. Da eine Alternative Aj auf Grund der Szenarien Ss mehrere Zustände zulässt, liefert der Erwartungswert E(xj ) =
S s=1
xjs · qs
auf Basis der Stochastik eine Ergebnisprognose für die Wahl der Alternative Aj. Der Erwartungswert entspricht dem stochastischen Mittelwert der Zustände gemäß deren Wahrscheinlichkeit bei häufiger Wiederholung der Investition. Der Erwartungswert liefert somit eine objektive Einschätzung der Ergebnisse.
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6.3.1.2 Weitergehende Kapitalmarktmodelle Capital Asset Pricing Model
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Das Capital Asset Pricing Model wurde in den sechziger Jahren von Sharpe, Lintner und Mossin [30] aufbauend auf der Portfoliotheorie von Markowitz [31, dazu: 32] entwickelt und ist eines der bekanntesten und am besten etablierten Kapitalmarktmodelle [26, 28, 32–34 „Capital Asset Pricing Model“, 35]. Das Modell dient der Erklärung von Wertpapierrenditen und hilft bei der Ableitung von Handlungsoptionen. Die grundsätzliche Aussage des Capital Asset Pricing Model lautet, dass ein effizientes Portfolio eine Rendite besitzt, die sich aus der Rendite einer risikolosen Investition und einem Risikozuschlag in Abhängigkeit von der Standardabweichung der Rendite zusammensetzt. Das Model basiert auf den gleichen Voraussetzungen wie das Fisher-Modell. Zusätzlich wird von einer Normalverteilung der Renditen der Wertpapiere ausgegangen. Weiterhin entscheiden alle Anleger im Sinne der Portfoliotheorie, sind risikoscheu und haben den gleichen Informationsstand und die gleichen Erwartungen. Beim Capital Asset Pricing Model handelt es sich um ein Gleichgewichtsmodell, das heißt, die einzige effiziente Zusammensetzung des Portfolios riskanter Wertpapiere (Risikoportfolio) befindet sich stets im Gleichgewicht zur Struktur der Gesamtheit der Wertpapiere (Marktportfolio). Als effizient wird ein Portfolio dann bezeichnet, wenn bei gegebenem Risiko die Rendite maximal oder bei gegebener Rendite das Risiko minimiert wird. Während die Zusammensetzung des Risikoportfolios unabhängig von der Risikoeinstellung des Investors ist, hängt die Gewichtung des Risikoportfolios innerhalb des Gesamtportfolios vom Grad der Risikoscheue ab (Tobin-Separation). Der praktische Nutzen der Theorie des Capital Asset Pricing Model wird jedoch wie beim Fisher-Modell durch die restriktiven Modellannahmen eingeschränkt [34 „Capital Asset Pricing Model“]. Außerdem widersprechen einige Aussagen den real auftretenden Effekten an den Kapitalmärkten.
Arbitrage Pricing Theory Die Arbitrage Pricing Theory wurde 1976 von Ross [36] formuliert. Anders als das Capital Asset Pricing Model zieht sie mehrere mikro- und makroökonomische Risikofaktoren zur Erklärung der Risikoprämie heran [28, 33, 34 „Arbitrage Pricing Theory“, 35]. Die unterschiedlichen Renditen der Wertpapiere ergeben sich aus unterschiedlichen Sensitivitäten βij gegenüber diesen Faktoren. Anders als beim Capital Asset Pricing Model stellt sich bei der Arbitrage Pricing Theory keine gleichartige Zusammensetzung der Portfolios ein. Auf Grund der weniger restriktiven Modellannahmen eignet sich die Arbitrage Pricing Theory jedoch besser für die praktische Anwendung. Zudem lassen empirische Beobachtungen darauf schließen, dass die Annahme mehrerer Risikofaktoren durch die Arbitrage Pricing Theory zutreffend ist, allerdings ist deren Identifizierung in der Praxis sehr schwierig [34 „Arbitrage Pricing Theory“]. Empirisch lassen sich im Wesentlichen fünf Faktoren beobachten: Der Produktionsindex (Maß der monatlichen Leistung des produzierenden Gewerbes) der kurzfristige Realzins, die kurzfristige und die langfristige Inflation und das Ausfallrisiko von Schuldverschreibungen.
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Time State Preference Model Ein weiteres Kapitalmarktmodell ist das Time State Preference Model. Es erklärt die Preise für zustandsabhängige Ansprüche [18, 33]. Das heißt, nur bei Eintritt eines bestimmten Zustandes findet tatsächlich eine Zahlung statt. Dieses Modell fußt auf ähnlichen Annahmen wie das Capital Asset Pricing Model. Wie bei diesem werden die Preise zustandsabhängiger Finanztitel durch eine Gleichgewichtsanalyse ermittelt. Die Preise sind umso höher, je größer die Eintrittswahrscheinlichkeit des entsprechenden Zustands und je niedriger der Zinssatz für risikolose Anlagen ist. Das Time State Preference Model berücksichtigt zusätzlich, dass die Zahlungen nicht in allen Fällen anfallen.
6.3.2 Beurteilung von Investitionsentscheidungen Zur Unterstützung der Entscheidung des Investors und zur Beurteilung einer Investition existieren aufbauend auf den grundlegenden Begrifflichkeiten verschiedene Verfahren zur Investitionsrechnung. Diese können in statische und dynamische Verfahren untergliedert werden. Allen Verfahren ist dabei die Beschränkung auf sichere Zahlungen gemein, dass heißt zur praktischen Anwendung müssen die eventuell mit Unsicherheit behafteten Zahlungen als sicher angenommen werden. Insofern müssen die Ergebnisse der Verfahren kritisch reflektiert werden. Fallbeispieleâ•… Eine detaillierte Vorstellung der einzelnen Verfahren mit mehreren Fallbeispielen einer technischen Investitionsrechnung mit erläuternden Anwendungsfällen findet sich im Band Produktionsmanagement der Betriebshütte. Im Folgenden stehen die Abgrenzung der einzelnen Verfahren untereinander sowie eine kurze Beschreibung des jeweils zugrundeliegenden Berechnungsprinzips im Vordergrund.
6.3.2.1 Statische Verfahren zur Investitionsrechnung Statische Verfahren ermöglichen eine Bewertung von Investitionsalternativen mittels verschiedener Kriterien. Anders als bei anderen Entscheidungsproblemen in der Investitionsrechnung werden Konsum- oder Vermögensstreben als Ziele des Investors nicht berücksichtigt. Stattdessen bilden die reine Gewinn- oder Renditemaximierung bzw. die Kostenminimierung die Entscheidungsgrundlage. Für eine Vergleichbarkeit müssen die Investitionsalternativen einander vollständig ausschließen. Ferner müssen der Investitionszeitraum und das Investitionsvolumen bei allen Alternativen identisch sein.
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Kostenvergleichsrechnung Die Kostenvergleichsrechnung ist das einfachste statische Verfahren und stellt ausschließlich die Kosten der Investitionsentscheidungen gegenüber, ohne eine Berücksichtigung der Erträge [1, 18, 20, 37–40]. Aus diesem Grund müssen für eine sinnvolle Anwendung alle Alternativen den gleichen (positiven) Ertrag aufweisen. Als beste Investitionsalternative wird jene mit den geringsten (durchschnittlichen) Kosten ermittelt. Die Vernachlässigung der Erlöse führt jedoch dazu, dass selbst die Variante mit den geringsten Kosten zu einem Verlust führen kann.
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Gewinnvergleichsrechnung Bei der Gewinnvergleichsrechnung hingegen werden alle Kosten und Erlöse berücksichtigt, die sich auf Grund der Investitionsentscheidung ändern (Prinzip der relevanten Kosten/Erlöse) [1, 18, 20, 37–40]. Es wird die Investitionsalternative mit dem höchsten durchschnittlichen Gewinn ermittelt. Bei unterschiedlichen Laufzeiten der Investitionsalternativen kann jedoch auch die Gewinnvergleichsrechnung zu falschen Ergebnissen führen, da beispielsweise Investitionen mit geringem Gewinn pro Periode bei entsprechend längerer Laufzeit zum höchsten absoluten Gewinn führen können.
Renditevergleichsrechnung Die Renditevergleichsrechnung – auch Rentabilitätsrechnung genannt – ist der Gewinnvergleichsrechnung sehr ähnlich [1, 18, 20, 37–40]. Anders als die vorhergehenden Verfahren gestattet die Renditevergleichsrechnung jedoch einen Vergleich von Investitionsalternativen mit unterschiedlich hohen Investitionssummen. Die Höhe des Gewinns wird in Relation zur Höhe des Investments gesetzt. Die daraus ermittelte Rendite liefert eine vom Investitionsvolumen unabhängige Kennzahl. Ist die Erlösseite bei allen Alternativen identisch, so kann die erzielte Kostenersparnis an Stelle des Gewinns verwendet werden [20]. Uneinigkeit herrscht in der Literatur über die Frage, ob der durchschnittliche oder aber der ursprüngliche Kapitaleinsatz zu verwenden ist [28].
Amortisationsrechnung Bei der Amortisationsrechnung – auch als Kapitalrückflussrechnung oder Pay-off-Methode bezeichnet – wird die Zeitspanne ermittelt, nach der das investierte Kapital zurückgeflossen ist [1, 18, 20, 37, 39–42]. Eine Einzelinvestition gilt dann als vorteilhaft, wenn die Amortisationszeit kürzer als ein vorher festgelegter Investitionszeitraum ist. Beim Vergleich der Alternativen ist die Variante zu bevorzugen, die eine kürzere Amortisationszeit verspricht. Die statische Amortisationsrechnung lässt sich in die dynamische Amortisationsrechnung überführen, indem Zinsansprüche des Investors in die Rechnung mit einbezogen werden [18, 20, 21, 37, 41]. Die Amortisationsrechnung wird selten als alleinige
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Grundlage der Investitionsbeurteilung eingesetzt. Oft dient sie jedoch als zusätzliches Kriterium zur Risikobeurteilung [37].
6.3.2.2 Dynamische Verfahren zur Investitionsrechnung Im Gegensatz zu den statischen Verfahren berücksichtigen die dynamischen Verfahren anfallende Zinsen während der Nutzungsdauer der Investition. Dies gestattet einen Vergleich von Investitionen mit unterschiedlicher Laufzeit.
Kapitalwertverfahren Beim Kapitalwertverfahren werden alle Ein- und Auszahlungen durch Abzinsung, das heißt unter Berücksichtigung der anfallenden Zinsen, auf den Zeitpunkt der Investition t0 bezogen [1, 18, 20, 37, 39–41]. Der Kapitalwert berechnet sich als Summe aller Ein- und Auszahlungen und stellt somit den über die Kapitalkosten der Investition hinausgehenden Gewinn bzw. Verlust dar [41].
Endwertverfahren Das Endwertverfahren liefert prinzipiell die gleichen Aussagen wie das Kapitalwertverfahren. Anders als dieses bezieht das Endwertverfahren die Zahlungsströme unter Berücksichtigung der anfallenden Zinsen jedoch nicht auf den Anfang, sondern das Ende der Investitionszeit [18, 20].
Interner Zinsfuß Bei einer Auswahl aus mehreren Investitionsalternativen ermittelt das Verfahren des Internen Zinsfußes [1, 18, 20, 21, 37–41] die Investitionsalternative mit dem höchsten internen Zinsfuß [41]. Dieser gibt die Rendite einer Investition wieder. Diese Methode arbeitet mit der Kapitalwertformel, allerdings wird der Kalkulationszinsfuß i in der Kapitalwertformel durch den Internen Zinsfuß r ersetzt. Anders als der Kapitalwertberechnung wird der Kapitalwert C0â•›=â•›0 gesetzt und an Stelle dessen der sich ergebende Interne Zinsfuß r bestimmt. Wird nur eine einzige Investition auf ihre Vorteilhaftigkeit überprüft, so muss sie die Bedingung râ•›>â•›i erfüllen.
Annuitätenverfahren Das Annuitätenverfahren arbeitet mit konstanten jährlichen Raten während der Laufzeit der Investition, die als Annuitäten bezeichnet werden [18, 20, 21, 37, 38, 40, 41]. Durch
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Multiplikation des Kapitalwerts C0 mit dem Annuitätenfaktor – teilweise auch als Kapitalwiedergewinnungsfaktor bezeichnet – wird die Gewinnannuität D berechnet. Der Annuitätenfaktor hängt dabei vom Zinssatz i und der Laufzeit n der Investition ab. Die Annuität bezeichnet den jährlichen Betrag, den eine Investition über die Kapitalkosten hinaus erwirtschaftet. Da das Annuitätenverfahren auf dem Kapitalwert aufbaut, liefert es keine weitergehenden Erkenntnisse, sondern stellt lediglich die jährlichen Zahlungen übersichtlich dar.
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6.3.2.3 Investitionsentscheidungen unter Unsicherheit Bei einer Entscheidung unter Unsicherheit lässt sich das Ergebnis einer Entscheidung nicht exakt vorhersagen. Daher gibt es auch bei einer eindeutigen Entscheidung mehrere mögliche Konsequenzen/Ergebnisse. Unter klassischen Entscheidungsregeln werden Kennzahlen gebildet, die die Wahrscheinlichkeitsverteilung des Gewinns repräsentieren. Diese Kennzahlen (z.€B. der Erwartungswert) werden zur Ermittlung von Präferenzen verwendet. Der Erwartungswert E(x) – teilweise auch mit μ bezeichnet – gibt als Prognose den Mittelwert der Ergebnisse bei häufiger Wiederholung an, sofern die Ergebnisse normalverteilt sind.
Bernoulli-Prinzip Das Bernoulli-Prinzip wurde vor etwa 250€Jahren durch den Schweizer Mathematiker Bernoulli [43] begründet und berücksichtigt die individuelle Risikoeinstellung [26, 28, 29, 33, 44]. In Bezug auf die Risikoeinstellung eines Entscheidungsträgers lassen sich drei Typen festlegen: Risikofreude, Risikoneutralität und Risikoscheue bzw. Risikoaversion. Risikoscheue Entscheidungsträger zeichnen sich dadurch aus, dass sie sicheren Einzahlungen einer bestimmten Höhe den Vorzug gegenüber unsicheren Einzahlungen mit dem gleichen Erwartungswert geben, risikofreudige Investoren verhalten sich gegensätzlich. Risikofreude und Risikoscheue existieren zudem in unterschiedlich starken Ausprägungen. Bei Anwendung des Bernoulli-Prinzips wird die Entscheidung nicht aufgrund der reinen Erwartungswerte der Ergebnisse xjs, sondern aufbauend auf dem korrespondierenden Nutzenwert U(xjs) gefällt. Zunächst wird für jeden Zustand der Nutzenwert U(xjs) und die Eintrittswahrscheinlichkeit qs ermittelt. Beispielsweise ist der Erwartungswert unabhängig davon, ob ein Gewinn sofort oder erst in einem Jahr anfällt. Der Nutzen für einen Investor ist jedoch in der Regel höher, falls er sofort über das Geld verfügen kann. Unter Anwendung der sechs Axiome des Bernoulli-Prinzips (Unabhängigkeit, Vergleichbarkeit, Stetigkeit, Transitivität, Dominanz und Beschränkung) [28] lässt sich die Nutzenfunktion ermitteln. Danach werden die Nutzerwartungswerte E(U(xj )) =
S
U(xjs )qs
s=1
ausgewertet. Der höchste Nutzerwartungswert entspricht dabei der besten Alternative.
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Dominanzprinzipien Für die Entscheidung zwischen mehreren Handlungsalternativen können alternativ auch sogenannte Dominanzkriterien herangezogen werden. Mithilfe der Dominanzkriterien wird überprüft, ob die mit Unsicherheit beaufschlagten Zahlungen einer Investitionsalternative diejenigen der anderen Alternativen über den Investitionszeitraum hinweg übertreffen. Eine Absolute Dominanz liegt dann vor, wenn der geringstmögliche Gewinn bei Handlungsalternative Aj größer ist als der höchstmögliche Gewinn bei Alternative Ak. Eine Untersuchung der Eintrittswahrscheinlichkeit ist in diesem Fall nicht erforderlich. Liegt ein solcher Fall nicht vor, erlaubt das Prinzip der Stochastischen Dominanz bei mehreren Entscheidungsalternativen den Ausschluss der unvorteilhaften Alternativen. Wenn die Wahrscheinlichkeit für jeden Gewinn xj der Handlungsalternative Aj mindestens einmal höher, jedoch keinmal schlechter ist als für jeden Gewinn xk der Handlungsalternative Ak, dann ist Aj der Alternative Ak vorzuziehen.
Sensitivitätsanalyse Die Sensitivitätsanalyse ist ein weiteres Instrument, um Entscheidungsalternativen zu bewerten [18, 26, 28, 41]. Mithilfe der Sensitivitätsanalyse wird untersucht, wie stark die Ausgangsgrößen (z.€B. Endvermögen, Kapitalwert) auf Änderungen der Eingangsgrößen (z.€B. Zahlungsreihe der Investition, Soll-Zins, Haben-Zins, Kalkulationszinssatz, Basiszahlungen, vorgegebenes Endvermögen) reagieren. Im Allgemeinen wird dabei ein Vorgehen in vier Schritten angewandt: 1. Identifizierung der unsicheren Eingangsgrößen 2. Modellierung der Abhängigkeit der Zielgrößen von den Eingangsgrößen 3. Vorgabe der zulässigen Intervalle der Ausgangsgrößen 4. Berechnung der zulässigen Schwankung der Eingangsgrößen Für das prinzipielle Vorgehen ist es dabei unerheblich, ob eine oder mehrere Eingangsgrößen als unsicher angenommen werden. Kritische Werte stellen in diesem Zusammenhang die Grenzen dar, innerhalb derer sich die Eingangswerte verändern dürfen, ohne die Entscheidung für oder gegen ein Investitionsprojekt zu beeinflussen.
6.3.3 Finanzierung und Liquiditätssicherung 6.3.3.1 Theorie der Kapitalstruktur Die Kapitalstruktur eines Unternehmens gibt an, aus welchen Quellen (Eigen- und Fremdkapital, vgl. Kap.€6.3.3.2.) sich die Mittel eines Unternehmens zusammensetzen. Zu diesem Thema wurde 1958 von Modigliani und Miller ein grundlegendes Theorem publiziert
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[45]. Das Modigliani-Miller-Theorem sagt aus, dass auf vollständigen Finanzmärkten unter Berücksichtigung des Risikos die Verschuldung eines Unternehmens weder dessen Marktwert noch dessen durchschnittliche Kapitalkosten beeinflusst [33, 35, 46 „Modigliani-Miller-Theorem“]. Es gibt somit keinen idealen Verschuldungsgrad, da die durchschnittlichen Kapitalkosten den Eigenkapitalkosten eines unverschuldeten Unternehmens entsprechen. Der Wert eines Unternehmens wird ausschließlich durch den Wert der Investitionen und nicht durch die Finanzierungsform bestimmt. In der Realität fallen zudem Steuern an, die das Gleichgewicht zugunsten der Fremdfinanzierung verschieben. Bei Einbeziehung potenzieller Konkurskosten lässt sich hingegen der gegenteilige Effekt beobachten [33]. Viele real beobachtbare Effekte widersprechen den Aussagen des Modigliani-MillerTheorems. So lassen sich die Unterschiede in der Kapitalstruktur zwischen einzelnen Staaten ebenso wenig erklären wie zwischen einzelnen Branchen. Die klassische These einer Kapitalstruktur mit optimalem Verschuldungsgrad [35] gilt durch das Modigliani-MillerTheorem jedoch als zu theoretisch [33]. Deshalb wird beim Modigliani-Miller-Theorem zumeist auf geeignete Erweiterungen [33, 35] (Einbeziehung von Steuern und Konkurskosten, Marktteilnehmer haben unterschiedliches Wissen) zurückgegriffen, um die bestehenden Widersprüche zwischen Theorie und Praxis zu beseitigen.
6.3.3.2 Finanzierungsinstrumente Während bei Investitionen über die Verwendung des Kapitals entschieden wird, beschäftigt sich die Finanzierung mit der Beschaffung von Kapital [20, 46 „Finanzierung“]. Der traditionelle Finanzierungsbegriff orientiert sich am bilanziellen Kapital (Passiva der Bilanz). Wird die Vermögensseite (Aktiva der Bilanz) mit einbezogen, so spricht man von einem am Vermögen orientierten Finanzierungsbegriff. Daneben hat sich ein an Zahlungsströmen orientierter Finanzierungsbegriff etabliert [35]. Die unterschiedlichen Finanzierungsformen werden meistens an den beiden Kriterien Herkunft des Kapitals und Rechtsstellung der Kapitalgeber unterscheiden (s. Abb.€6.7) [1, 35, 47]. Die Herkunft des Kapitals lässt sich in Innen- und Außenfinanzierung aufgliedern.
Herkunft des Kapitals
Außenfinanzierung (Kapitalzuführung)
Innenfinanzierung (Kapitalbildung)
Eigenfinanzierung (Eigenkapitalgeber)
Beteiligungsfinanzierung/ Eigenfinanzierung in Buch- oder Effektenform
Selbstfinanzierung (Gewinnthesaurierung)
Fremdfinanzierung (Fremdkapitalgeber)
Externe Fremdfinanzierung (Kreditfinanzierung)
Interne Fremdfinanzierung (Rückstellungen)
Rechtsstellung der Kapitalgeber
Abb. 6.7↜╇ Systematisierung der Finanzierungsalternativen [In Anlehnung an 48]
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Bei der Innenfinanzierung [1, 35, 44, 48] stammt das Kapital aus dem Unternehmen selbst, bei der Außenfinanzierung [1, 35, 44, 48] werden die Mittel dem Unternehmen von außen zugeführt. Die Beteiligungsfinanzierung deckt alle Formen der Eigenkapitalbeschaffung von außen ab [48]. Dabei kann die Beteiligung in Form von Finanz- und Sacheinlagen sowie in Form von Rechten, etwa Patente oder Lizenzen, erfolgen. Im Austausch gegen Kapital erwerben Eigenkapitalgeber verschiedene Rechte und Pflichten. Hier können Mitbestimmung, Mitsprache, Aufteilung der Gewinnanteile und Haftung beispielhaft genannt werden. Außerdem besitzt die Rechtsstellung des Kapitalgebers steuerliche Einflüsse. So fällt bei den Eigentümern von Personengesellschaften Einkommenssteuer an, Kapitalgesellschaften hingegen entrichten Körperschaftssteuer. In der finanzsystematischen Darstellung der Finanzierungsformen wird die Beteiligungsfinanzierung als Eigenfinanzierung eingeordnet. Neben Privatpersonen stellen auch Kapitalbeteiligungsgesellschaften Eigenkapital zur Verfügung [35]. Für junge Unternehmen mit hohem Wachstumspotenzial und dem damit verbundenen hohen Risiko sind vor allem Venture Capital bzw. Business Angels von Bedeutung [48]. Hier fördern risikofreudige Kapitalgesellschaften bzw. Privatpersonen kleine Unternehmen für eine befristete Zeit. Üblich ist hier eine Zeitspanne zwischen 2 und 10€Jahren. Für Unternehmen, die unter ihren Gesellschaftern keinen geeigneten Nachfolger für die Geschäftsführung findet, können auch Buy-Out-Lösungen von Interesse sein. Dabei übernehmen das Management oder die Mitarbeiter Anteile des Unternehmens und werden vom Angestellten zum Miteigentümer. Emissionsfähige Unternehmen (Aktiengesellschaften, vgl. Kap.€6.3.3.2.) verfügen im Gegensatz zu anderen Unternehmensformen über die Möglichkeit, Eigenkapital über den organisierten Kapitalmarkt einzuwerben [48]. Dabei werden Erstemissionen (Going Public) und Kapitalerhöhungen unterschieden. Für Aktiengesellschaften ist die Eigenkapitalgewinnung insofern vereinfacht, dass eine Beteiligung bereits mit geringen Beträgen möglich ist. Da die meisten Eigenkapitalgeber nur geringes Interesse an einem unmittelbaren Mitbestimmungsrecht haben, solange ihre Anteile Gewinn erwirtschaften, lässt diese Organisationsform zudem eine hohe Anzahl von Eigentümern zu. Zu den verschiedenen Aktienarten zählen Inhaberaktien und Namensaktien, wobei diese schwieriger übertragbar sind, da der Eigentümer namentlich im Aktienbuch der Gesellschaft verzeichnet werden muss [35]. Eine weitere Unterscheidung betrifft den Umfang der Rechte, die dem Inhaber eingeräumt werden. Stammaktien sichern ihrem Inhaber alle Rechte zu, die sich aus dem Aktiengesetz ergeben. Vorzugsaktien hingegen bieten gewisse Vorzüge, beispielsweise bezogen auf Stimmrecht oder Dividendenansprüche. Von der Beteiligungsfinanzierung unterscheidet sich die Selbstfinanzierung durch die Kapitalherkunft. Selbstfinanzierung findet meist durch Überführung des erzielten Gewinns in das Eigenkapital des Unternehmens statt (Gewinnthesaurierung). Dies bietet den Vorteil, unabhängig von neuen Kapitalgebern zu sein und kann die Finanzierungsmöglichkeiten und die Krisenresistenz verbessern. Selbstfinanzierung bindet jedoch Mittel und erschwert die Bewertung der Bilanzen. Anders als Eigenkapitalgeber füllen Fremdkapitalgeber eine Gläubigerposition gegenüber dem Unternehmen aus. Im Fall der Zahlungsunfähigkeit werden ihre Forderungen vorrangig gegenüber den Forderungen der Eigenkapitalgeber beglichen, al-
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lerdings erhalten sie kein Mitspracherecht bei Unternehmensentscheidungen, da sie nicht als Eigentümer auftreten. Die wichtigste Form der Fremdfinanzierung ist die Kreditfinanzierung. Dabei muss das Unternehmen zunächst kreditfähig sein. Kreditfähig sind nach deutschem Recht nur voll geschäftsfähige natürliche Personen, juristische Personen und Personengesellschaften, nicht jedoch BGB-Gesellschaften. Zusätzlich muss ein Unternehmen kreditwürdig sein. Die Kreditwürdigkeit bezeichnet dabei die erwartete Sicherheit der fälligen Rückzahlungen und wird vor der Gewährung eines Kredits überprüft. Diese Überprüfung findet entweder durch den Kreditgeber selbst oder durch Rating-Agenturen statt (Eine Übersicht über verbreitete Ratings findet sich bei [1]). Die bedeutendsten Faktoren bei der Beurteilung der Kreditwürdigkeit sind die Auswertung der Bilanz, vorhandene Sicherheiten, die Rechtsform des Unternehmens (Haftungskapital) und das wirtschaftliche Umfeld des Betriebs (Aufstellung, Branche, Konjunktur). Kredite lassen sich anhand ihrer Laufzeit in kurzfristige und langfristige Kredite unterteilen [48]. Bankkredite stellen die bekannteste Form kurzfristiger Kredite dar. Dabei stellt die Bank dem Kreditnehmer Zahlungsmittel zur Verfügung (Geldkredit) oder übernimmt eine Bürgschaft für diesen (Kreditleihen). Zu den kurzfristigen Krediten zählen außerdem Handelskredite. Hier kann der Lieferant seinem Kunden ein Zahlungsziel, Vorgabe eines Zeitraums zwischen Lieferung und Bezahlung, gewähren (Lieferantenkredit) oder der Abnehmer leistet eine teilweise oder vollständige Vorauszahlung für ein bestelltes Produkt (Kundenkredit). Eine Absicherung findet bei Handelskrediten über den Eigentumsvorbehalt statt. Das heißt, das Produkt bleibt bis zur vollständigen Bezahlung Eigentum des Lieferanten. Zu den langfristigen Krediten zählen insbesondere Darlehen und Anleihen. Darlehen besitzen ähnliche Eigenschaften wie Geldkredite, sind jedoch für eine längerfristige Tilgung über mehrere Bilanzjahre ausgelegt [35]. Insbesondere für nicht emissionsfähige Unternehmen stellen langfristige Darlehen, zumeist mit Schuldscheinen (Nachweis für das Bestehen der Schuld), eine attraktive Form der Finanzierung dar, da keine Börsenzulassung notwendig ist. Anleihen sind langfristige Darlehen in verbriefter Form. Diese können an der Börse frei gehandelt werden und sind daher in der Regel nur für große Unternehmen von Interesse. Daneben werden zunehmend sogenannte Mezzanine oder hybride Finanzierungselemente eingesetzt [24, 48]. Sie bilden eine Mischung aus klassischen Beteiligungs- und Forderungstiteln, das heißt, aus Eigen- und Fremdkapital. Beispiele sind Wandelschuldverschreibungen (Schuldverschreibungen von Industrieunternehmen mit Recht auf Umwandlung in Aktien) oder Genussscheine (Verbrieftes Recht auf Anteil am Reingewinn). Unter Interner Fremdfinanzierung werden meist Finanzierungen aus Rückstellungen verstanden. Rückstellungen werden von Unternehmen für mögliche Verluste oder unsichere Verbindlichkeiten gebildet. Die Mittel für die Rückstellung stammen dabei aus dem Unternehmen selbst, sind jedoch fest für die Bedienung von Forderungen Dritter eingeplant. Dazu zählen beispielsweise Pensions-, Steuer-, Garantie- oder Kulanzrückstellungen. Ist der Zeitraum zwischen Rückstellungsbildung und Fälligkeit der Forderungen ausreichend lang, so können die finanziellen Mittel in der Zwischenzeit zur Tätigung von Investitionen verwendet werden, sofern die Fähigkeit zur Bedienung der Forderungen bei Fälligkeit sichergestellt ist.
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6.3.3.3 Liquiditätssicherung Als liquide gilt ein Unternehmen im Allgemeinen dann, wenn es seinen Zahlungsverpflichtungen termingerecht und betragsgenau nachkommen kann [1, 27, 47]. Je höher die Liquidität ist, desto weniger Schwierigkeiten bereitet dem Unternehmen die Bedienung seiner Forderungen. Da die Kreditkonditionen der Bonität angepasst werden, ist Liquidität für den Erfolg eines Unternehmens unerlässlich [1]. Am Kapitalmarkt wird die Bonität von Anleihen aus diesem Grund regelmäßig bewertet und in Bonitätsklassen [1] eingeteilt. Liquiditätsquellen [27] stellen beispielsweise vorhandene Zahlungsmittelbestände, erwirtschaftete Einzahlungsüberschüsse sowie Finanzierungsreserven dar. Zu den Finanzierungsreserven zählen schnell veräußerbare Vermögensgegenstände oder nicht ausgeschöpfte Kreditlinien. Allerdings können durch Liquidität auch Kosten in Form von Opportunitätskosten verursacht werden, da liquide Mittel meist keine Zinsen erbringen. Unterschieden wird zwischen statischer Liquidität, die auf einen festen Stichtag bezogen wird, und auf die Zukunft bezogener dynamischer Liquidität [48]. Verschiedene Instrumente der Finanzplanung wie die Kapitalflussrechnung oder der Cashflow bieten dabei Möglichkeiten, die Liquidität zu lenken und zu steuern. Gemessen werden kann die statische Liquidität eines Unternehmens mittels dreier Liquiditätsgrade, die jedoch keine Aussage über die Entwicklung der Liquidität erlauben. Der Liquidität 1. Grades gibt Auskunft über die Fähigkeit, kurzfristige Verpflichtungen mit liquiden Mitteln zu begleichen: Liquidität 1. Grades =
Zahlungsmittel 100 kurzfristiges Fremdkapital
Die Liquidität 2. Grades bezieht zusätzlich die kurzfristigen Forderungen des Unternehmens mit in die Berechnung ein und sollte mindestens den Wert 1 erreichen. Hiermit kann rasch geprüft werden, ob die Zahlungsbereitschaft eines Unternehmens gefährdet ist. Auch eine hohe Liquidität 2.Grades ergibt noch keine Sicherheit über die zukünftige Zahlungsfähigkeit eines Unternehmens. Im Gegenteil: Eine Liquidität 2. Grades von 3 oder mehr zeigt lediglich eine momentane Überliquidität und somit einen Verzicht auf den rentablen Einsatz von Geldmitteln an. Liquidität 2. Grades =
Zahlungsmittel + kurzfristige Forderungen 100 kurzfristiges Fremdkapital
Die Liquidität 3. Grades bezieht das gesamte Umlaufvermögen des Unternehmens auf das kurzfristig aufgenommene Fremdkapital. Die Banker’s Rule besagt, dass die Liquidität 3. Grades mindestens den Wert 2 haben soll. Auf jeden Fall muss dieser Liquiditätsgrad eindeutig über 1 zu liegen, damit auch im Falle einer Zwangsliquidation alle Forderungen noch gedeckt sind, falls nur ein Teil des bilanzierten Umlaufvermögens realisiert werden kann. Liquidität 3. Grades =
Umlaufvermögen 100 kurzfristiges Fremdkapital
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Eine andere Einteilung unterscheidet dispositive Liquidität von struktureller Liquidität [35]. Dispositive Liquidität stellt die Zahlungsfähigkeit eines Unternehmens zu jedem Zeitpunkt sicher, während die strukturelle Liquidität sich auf eine optimale Finanzstruktur (akzeptable Verschuldung) konzentriert. Zusätzlich lässt sich Liquidität auf der Ebene der Liquiditätsarten untergliedern. Es kann zwischen güterwirtschaftlicher, verliehener, zukünftiger und antizipierter Liquidität unterschieden werden [47]. Güterwirtschaftliche Liquidität verleiht dem Eigentümer Tauschfähigkeit. Hierbei stellt Bargeld die am leichtesten zu tauschende Eigentumsform dar. Teilweise kann an Stelle der güterwirtschaftlichen eine verliehene Liquidität treten. Hierbei wird das Eigentum nicht veräußert, sondern nur beliehen. Um eine angemessene Sicherheit für den Kapitalgeber hinsichtlich seiner Forderungen zu erreichen, wird dabei oftmals der güterwirtschaftliche Wert der Eigentumsgegenstände als Bemessungsgrundlage verwendet. Zukünftige Liquidität bezieht sich auf die Fähigkeit eines Unternehmens, Gewinn zu erzielen, um die Forderungen der Kapitalgeber zur erfüllen. Ein Mittel zur Bewertung der zukünftigen Liquidität ist der Finanzplan, der alle bekannten und erwarteten Ein- und Auszahlungen der Unternehmung gegenüberstellt. Antizipierte Liquidität bezeichnet in diesem Zusammenhang die Beleihung zukünftiger Überschüsse oder Einzahlungen. Die Liquiditätsplanung beschäftigt sich im weitesten Sinne mit der langfristigen Sicherung der Zahlungsfähigkeit einer Unternehmung. Zur Liquiditätsplanung existiert eine Reihe von Grundsätzen, die die korrekte Aufstellung eines Budgets unterstützen [35]. Meist wird zwischen der Liquiditätsplanung im Sinne der systematischen Schätzungen, Berechnung und Steuerung der zukünftigen Ein- und Auszahlungen (Prognosefunktion) sowie dem Liquiditätsmanagement (Gestaltungsfunktion) unterschieden [1, 35]. Eng verknüpft mit der Liquiditätsplanung ist das betriebliche Rechnungswesen (vgl. Kap.€6.2), da es die Konzeptionen zur Berechnung der Bilanz des Unternehmens bereitstellt. Das Liquiditätsmanagement umfasst die Entscheidungsfindung und die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Liquidität. Auf mittelfristige Sicht ist die Liquiditätsplanung für die Lenkung der Zahlungsströme und die Kontrolle der ausgabenverursachenden betrieblichen Abteilungen, Instanzen und Stellen zuständig (Cash Management). Dazu gehört auch die Aufstellung eines Finanzplanes, der die Liquidität am Ende eines kürzeren oder mittleren Zeitabschnittes ermittelt.
6.4 Controlling 6.4.1 Grundlagen des Controllings Der Controllingbegriff hat sich im Laufe seiner Entwicklung kontinuierlich verändert, so dass sich seine anfängliche Bedeutung als Kontrollbegriff in ein breites Controlling-Anforderungsprofil weiterentwickelt hat [49], das eine Konzeption zur Wirkungsintensivierung der Unternehmensführung darstellt [50]. Sein Fokus liegt auf der Erfolgs-, Finanz-
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und Risikosteuerung von Unternehmen. In der wissenschaftlichen Literatur findet sich eine Vielzahl an Controllingkonzeptionen, die teils sehr verschiedene Vorstellungen des Controllings und seiner Ziele und Aufgaben vermitteln [49, 51, 52]. Allen Konzeptionen gemein ist die Einordnung des Controllings als Teil des Führungssystems und der Zusammenhang der Controllingaufgabe mit dem Erreichen des Unternehmensziels, wobei die genaueren Inhalte dieser Leitlinien stark variieren. Eine Darstellung aller etablierten Controllingkonzeptionen ist an dieser Stelle nicht möglich; der Schwerpunkt der nachfolgenden Ausführung bezüglich des Controllings, inklusive des Planungs- und Kontrollsystems sowie des Informationsbeschaffungssystems, liegt auf dem Controllingkonzept nach Horváth [53].
6.4.1.1 Ziele und Aufgaben des Controllings Übergeordnetes Ziel des Controllings ist die Sicherung und Erhaltung der Koordinations-, Reaktions- und Adaptionsfähigkeit der Unternehmensführung. Es unterstützt diese bei Anpassungs- und Koordinationsproblemen und befasst sich hierbei mit der Fragestellung, wie trotz notwendiger Dezentralisierung aufgrund der immer komplexeren Umweltdynamik eine zielgerichtete Unternehmensausrichtung sichergestellt werden kann, ohne dass dabei Wirtschaftlichkeitsaspekte und die Ergebniszielorientierung vernachlässigt werden [53]. Die grundsätzlichen Aufgaben des Controllings bestehen in: • der Bereitstellung relevanter Informationen für die Unternehmensleitung, • der Verankerung von Planung, Steuerung und Kontrolle auf den verschiedenen Unternehmensebenen und • der Nutzung und Weiterentwicklung des Unternehmenspotenzials [54]. Aufgrund der wachsenden Vielschichtigkeit von Abstimmungsprozessen gerade in großen Unternehmungen hat sich die Einrichtung eines Controllers bzw. einer Controllingabteilung weltweit etabliert. Unter Controlling versteht man in diesem Zusammenhang die Planungs- und Kontrollkoordination und die Informationsversorgung. Der Schwerpunkt der Controllingfunktion, der früher im Rechnungswesen zu finden war, hat sich hierbei über die Jahre auf betriebswirtschaftliche Beratung und Koordination der Unternehmensleitung verlagert, wobei die Aufgaben eines Controllers in Abhängigkeit von Kontextfaktoren wie beispielsweise der jeweiligen Umweltdynamik stark variieren (s. Abb.€6.8). Als Lieferant ergebnisorientierter Informationen für die Unternehmensleitung und Berater bei Planungs- und Steuerungsprozessen ist die Arbeit des Controllers stark am Ergebnisziel ausgerichtet, wobei er Teil der Unternehmensführung bzw. dieser unmittelbar unterstellt ist, um seine direkte Einbindung bei Entscheidungen zu gewährleisten [53]. Das Controlling kann somit als Unternehmensführungs-Servicefunktion verstanden werden, dass der Unternehmensleitung bei der zielgerichteten Führung des Unternehmens durch die Schaffung von Ergebnis-, Finanz-, Prozess- und Strategietransparenz zur Seite steht.
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G. Schuh et al.
historisch-buchhaltungsorientierter Controller
zukunfts- und aktionsorientierter Controller
managementsystemorientierter Controller
Dokumentationscharakter, Strukturierung durch ausgeprägte Ordnung, Genauigkeit, Vergangenheitsbezug
Entscheidungsunterstützungscharakter, Argumentationshilfe,Schnelligkeit vor Genauigkeit , Zukunftsbezug
Weitergabe von Methodenwissen neben den vom zukunfts- und aktionsorientierten Controller bereitgestellten Informationen
Informationsbereitstellung und Wissensweitergabe
6
kein Servicedenken vorhanden
Konflikte aufgrund aktiver Controllertätigkeit
Hilfe und Unterstützung seitens des Controllers
Verhältnis zu anderen Abteilungen im Unternehmen
Leitung eines traditionell aufgestellten Rechnungswesen
Leitung internes Rechnungswesen/ der Betriebswirtschaft
Neue geschaffene Position zur Beherrschung von Komplexität und Dynamik
Passende Positionen zum Controllercharakter
Abb. 6.8↜╇ Controllertypen nach Henzler [In Anlehnung an 55]
6.4.1.2 Grundstruktur des Controllingsystems Der Begriff Controllingsystem bezeichnet zum einen ein Subsystem des Führungssystems, das die führungsinterne ergebnisorientierte Koordination zur Funktion hat und sich dabei mit der Abstimmung von Informationsverwendung und Informationsbeschaffung im Rahmen der Führung in Hinblick auf das Ergebnis befasst [56]. Zum anderen versteht man unter diesem Begriff einen Bezugsrahmen zur Beschreibung und Analyse von Controllingsystemen. Das Controllingsystem ist nach Horváth im Führungssystem der Unternehmung angesiedelt. Indem es die Koordination und die Überwachung des Planungs- und Kontrollsystems sowie des Informationsversorgungssystems wahrnimmt, verfolgt es das Controllingziel, dessen Fokus auf der Sicherung und Erhaltung der Koordinations-, Reaktions- und Adaptionsfähigkeit der Unternehmensführung liegt. Dies bildet die Grundlage für eine effektive Umsetzung der Unternehmensziele durch das Führungssystem, die zuvor aufgrund von unternehmensinternen und unternehmensexternen Einflussfaktoren von der Unternehmensführung festgelegt worden sind. Insgesamt erfolgt ein reger Informationsverkehr zwischen dem Unternehmen, dem Führungssystem (insbesondere dem Informationsversorgungssystem) und der Umwelt. Zusätzlich gibt das Planungs- und Kontrollsystem Informationen an das Ausführungssystem weiter, welches daraufhin die Güter und das Geld des Unternehmens zur Umsatzerzeugung im Austausch mit der Umwelt verwendet. Anschließend gibt das Ausführungssystem Informationen über sein Handeln an das Informationsversorgungssystem weiter (s. Abb.€6.10).
427
6â•… Rechtsformen, Rechnungswesen und Controlling
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Abb. 6.9↜╇ Differenzierung der Controllingaufgaben [In Anlehnung an 53]
Verrichtung systembildend
systemkoppelnd
Innerhalb des Controllingsystems lassen sich die Aufgaben des Controllings anhand der Kriterien Unternehmensziele, Verrichtungsaspekte und Objektaspekte differenzieren (s. Abb.€6.9). So wird einerseits zwischen systembildenden und systemkoppelnden Aufgaben unterschieden, was die Unterschiede zwischen der einmaligen formalen Systembildung und der benötigten Abstimmung zwischen diesen einzelnen Subsystemen herausstellt [53]. Andererseits erfolgt eine Unterscheidung der Aufgaben in die Aufgabengebiete, die sich auf das Planungs- und Kontrollsystem beziehen, und jenen, mit denen sich das Informationsversorgungssystem befasst. Nähere Ausführungen hierzu sind im Kap.€6.4.1.3 und 6.4.1.4 zu finden. Zusätzlich erfolgt eine Einteilung in operative und strategische Controllingaufgaben (vgl. Kap.€6.4.1.5). Im Sinne des Controllingsystems als Teil des Führungssystems besteht die primäre Aufgabe in der Koordination und Funktionssicherung des Planungs- und Kontrollsystems und des Informationsversorgungssystems, um so die Funktionalität des Führungssystems zu sichern [57].
6.4.1.3 Planungs- und Kontrollsystem Das Planungs- und Kontrollsystem befasst sich vor allem mit den managementbezogenen Aufgaben des Controllings, indem es die Vollzugs- und Versorgungssysteme auf der Ausführungsebene der Unternehmung entwirft und gestaltet. Weitere Elemente seiner Aufgaben bestehen in der funktionalen und hierarchischen Arbeitsteilung, der ständigen Kontrolle und Selbstkontrolle der einzelnen Stellen und der anschließenden Neuplanung unter Bezugnahme auf die gewonnenen Erkenntnisse. Die Aufgabe des Controllings bezüglich des Planungs- und Kontrollsystems besteht in der Strukturentwicklung, der Implementierung und der Betreuung desselben, sowie der Beratung der Systembenutzer [54]. Als Versuch zur Bewältigung von Unsicherheiten muss die Planung und das mit ihr verbunde-
428
Unternehmung
Ziele
Führungssystem Führungsziele
Controllingziele
Spezifikation und Umsetzung der Unternehmensziele
Sicherung und Erhaltung der Koordinations-, Reaktions- und Adaptionsfähigkeit der Führung
Unternehmensinteme und –externe Einflussfaktoren
G. Schuh et al.
Controllingsystem
6
e tiert rien n o s i atio ebn erg oordin K Planungsund Kontrollsystem
Informationsversorgungssystem
d lden mbi pelnd e t s p sy mko te sys
Ausführungssystem Güter
Geld
Abb. 6.10 ╇ Controllingsystem nach Horvath [In Anlehnung an 53]
ne Planungs- und Kontrollsystem flexibel gestaltet werden. Ein Beispiel für ein flexibles Planungselement ist das Prinzip der rollierenden Planung, eine periodenorientierte Planungsform, die jeweils nach bestimmten Zeitintervallen bestehende Pläne unter Berücksichtigung des sich ständig verbessernden Informationsstandes aktualisiert, konkretisiert und überarbeitet.
6.4.1.4 Informationsbeschaffungssystem Die Qualität eines Planungsprozesses steht im direkten Zusammenhang mit der Leistungsfähigkeit des Informationsversorgungssystems. Dieses ist für die Bereitstellung von Informationen für die anderen Teilsysteme des Führungssystems, unter anderem des Planungsund Kontrollsystems, verantwortlich. Die Informationen müssen dabei den Erfordernissen der einzelnen Planungsstufen entsprechen. Das Informationsversorgungssystem bildet die intern ablaufenden Prozesse und die denen zugrunde liegende Strukturen ebenso ab, wie die äußeren Umwelteinflüsse [58]. Die grundsätzlich anfallenden informationswirtschaftlichen Teilaufgaben der Informationsbedarfsermittlung, -beschaffung, -speicherung und -übermittlung müssen vom Controllingsystem erfasst werden [59]. Eine zusätzliche Auf-
6â•… Rechtsformen, Rechnungswesen und Controlling
429
gabe bildet das Auffinden einer näherungsweisen Lösung des Informationsbeschaffungsproblems, welches darin besteht, dass der Wert einer Information von ihrem Nutzen abhängig, dieser aber erst anhand der Information abschätzbar ist [60]. Häufig wird die Informationsversorgung vereinfachend als Vorstufe der Planung aufgefasst, da sie die Informationsbasis für das Planungs- und Kontrollsystem liefert. In der Realität sind Planung und Informationsversorgung jedoch zeitlich parallel ablaufende Vorgänge. Informationsprozesse müssen daher immer zusammen mit den zugehörigen Entscheidungsprozessen (Planung und Kontrolle) betrachtet werden. Beispielsweise lassen sich strategische Alternativen erst im Lichte von Umfeldinformationen beurteilen. Andererseits erhellt sich die Bedeutung von Umfeldinformationen durch Kenntnis der Strategiealternativen. Dem Controlling obliegt dabei die Verantwortung dafür, dass die richtigen Informationen zum richtigen Zeitpunkt zur Verfügung stehen. Ein Informationsproblem kann sich insbesondere im strategischen Bereich in Hinblick auf den Informationsbedarf ergeben, wenn für bislang überhaupt nicht bekannte Entscheidungstatbestände der Informationsbedarf ermittelt werden soll. Dieser wird häufig erst mit der Konkretisierung der Planung schrittweise erkannt. Eine Früherkennung möglicher zukünftiger Informationsbedarfe ist daher von besonderer Bedeutung.
6.4.1.5 Ebenen des Controllings Aus den zentralen Aufgaben des Controllings ergeben sich Schnittstellen zu allen anderen Abteilungen des Unternehmens, was mit einem sehr breiten Spektrum benötigter Informationen einhergeht. Aufgrund dessen existieren sehr unterschiedliche Teilaufgaben und grundsätzlich verschiedene Methoden im Controlling (s. Abb.€6.11). Daher hat sich vielfach eine Trennung zwischen dem strategischen und dem operativen Controlling durchgesetzt.
Strategisches Controlling Der Begriff des strategischen Controllings ist sowohl in der Theorie, als auch in der Praxis nicht eindeutig definiert [61, 62]. Unterschiede finden sich in der verwendeten Terminologie und im geforderten Umfang des Controllingsystems. Ebenso verschwimmt zwischen den verschiedenen Beschreibungen in der Literatur die Zuteilung einiger Aufgabengebiete zwischen operativem und strategischem Controlling, insbesondere betrifft dies das Aufgabenfeld der Informationsversorgung. Die Ziele des strategischen Controllings sind langbis mittelfristig ausgerichtet und umfassen die Versorgung der Unternehmensführung mit entscheidungsrelevanten Informationen sowie die Koordination der operativen Ausrichtung der verschiedenen Abteilungen des Unternehmens vor dem Hintergrund der Unternehmensstrategie. Das strategische Controlling soll die Existenz des Unternehmens sichern sowie dazu betragen, das Erfolgspotenzial zu vergrößern und den Unternehmenswert zu steigern. Im Vordergrund steht somit die Unterstützung der Unternehmensführung. Das strategische Controlling betrachtet daher das Unternehmen als Ganzes und fokussiert insbesondere auf das Umfeld und die Umwelt des Unternehmens. In der Literatur
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G. Schuh et al.
Operatives Controlling
Strategisches Controlling Systematische Identifizierung/ Verteidigung von strategischen Erfolgspositionen Unternehmen und Mitwelt
6
Langfristige Absicherung der Existenzgrundlage Erfolgspotenzial (z.B. Marktanteil) Chancen & Risiken, Stärken & Schwächen, Szenarien & reale Entwicklungen
Aufgabe & Ziel
Betrachtungsfokus
Führungsziel
Führungsgrößen
Gegenstand
Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit der Wertschöpfungsaktivitäten primär Unternehmen Erfolgserzielung, Rentabilitätsstreben, Liquiditätssicherung, Produktivität Jahresüberschuss, Liquidität Kosten & Leistungen, Aufwand & Ertrag, Vermögen & Kapital
Abb. 6.11↜╇ Ebenen des Controllings [In Anlehnung an 49]
wird von einer primär unternehmensexternen Orientierung gesprochen. Die Rahmenbedingungen des strategischen Controllings zeichnen sich daher durch eine hohe Komplexität, Dynamik und Diskontinuität aus. Der Zeitbezug liegt in der nahen und fernen Zukunft. Insofern stellt das strategische Controlling eine innovative Aufgabenstellung dar. Die Informationen, die über das Unternehmensumfeld gesammelt und aufbereitet werden, sind zumeist unsicher und können nur qualitativ angegeben werden. Insbesondere die strategische Planung arbeitet in erster Linie mit unternehmensexternen, nicht-quantitativen Informationen (z.€B. Prognosen über die zukünftige technische Entwicklung), informelle und persönliche Kontakte spielen eine wichtige Rolle. Mit zunehmendem Konkretisierungsgrad der Planung werden diese in unternehmensinterne quantitative Informationen (beispielsweise Marktanteile, Produktivität) und schließlich in Wertgrößen (Plankosten, -erlöse, Deckungsbeitrag) überführt.
Operatives Controlling Wie beim strategischen Controlling existiert auch beim operativen Controlling keine genaue und allgemeingültige Definition. Allerdings werden die Ziele und Aufgaben sowohl in der Theorie, als auch in der Literatur hinreichend ähnlich beschrieben, so dass ein einheitliches Verständnis besteht. Während das strategische Controlling die Unternehmensführung unterstützt, übernimmt das operative Controlling hingegen die Umsetzung der Vorgaben der Unternehmensführung. Es steht somit nicht die Planung, sondern vielmehr die Steuerung und Kontrolle der verschiedenen Abteilungen des Unternehmens im Fokus der Aufgaben.
6â•… Rechtsformen, Rechnungswesen und Controlling
431
Das operative Controlling beschäftigt sich daher mit der Kosten- und Leistungsrechnung, der Finanz- und Finanzierungsrechnung sowie dem Jahresabschluss des Unternehmens. Daher herrscht eine primär unternehmensinterne Orientierung vor. Der Zeitbezug liegt in der Gegenwart und der nahen Vergangenheit. Da das operative Controlling somit über ein stabiles Umfeld verfügt und mit weitgehend sicheren Informationen hantiert, die quantitativ angegeben werden können, handelt es sich zumeist um Routineaufgaben. Allerdings gehört auch die Unterstützung einer kontinuierlichen Verbesserung der Prozesse im Unternehmen zu den Aufgaben des operativen Controllings. Insbesondere diese Tätigkeiten stellen größere Ansprüche an die Fähigkeiten der operativen Controller. Bedingt durch die notwendige, teilweise umfangreiche Datenerfassung und die Überwachung der Einhaltung von Zielen und Budgets besteht ein dauerhafter Kontakt zwischen dem operativen Controlling und den Mitarbeitern der direkten Bereiche des Unternehmens.
6.4.2 Instrumente des Controllings Die im Controlling verwendeten Methoden und Verfahren lassen sich gemäß den Ebenen des Controllings in strategische und operative Instrumente unterteilen. Bedingt durch die zukunftorientierten und mit Unsicherheit behafteten Daten des strategischen Controllings werden vor allem Portfolioanalysen, Szenariotechniken und Trendanalysen als Instrumente eingesetzt. Mit Hilfe dieser Instrumente werden Marktwachstum und -attraktivität, das Wettbewerbsumfeld, Versorgungslücken und Technologieentwicklungen sowie Veränderungen am Arbeitsmarkt abgeschätzt und bewertet. Die im operativen Controlling verwendeten Instrumente beschäftigen sich zumeist mit gesicherten Daten aus dem aktuellen Tagesgeschäft oder der jungen Vergangenheit und sind somit geprägt durch exakte Berechnungen. Hier müssen zunächst die diversen Verfahren des Rechnungswesens zur Kosten- und Erfolgsrechnung, vgl. hierzu Kap.€6.2.3, sowie den gesetzlichen Vorschriften und Angaben zum Jahresabschluss, vgl. hierzu Kap.€6.2.2, genannt werden. Weitere Instrumente finden sich in Bewertungsmethoden zur Materialstruktur, beispielsweise ABC- und XYZ-Analyse, und der Lieferantenanalyse sowie den Verfahren zur Investitionsplanung, vgl. hierzu Kap.€6.3.2. Diese Berechnungsverfahren liefern eine Fülle an gewonnenen Informationen, die aber ohne Verdichtung aufgrund ihrer Unübersichtlichkeit keine direkten Schlüsse zulassen. Zur Ableitung der richtigen Schlussfolgerungen werden daher vor allem im operativen, aber zum Teil auch im strategischen Controlling Kennzahlen und Kennzahlensysteme eingesetzt.
6.4.2.1 Kennzahlen und Kennzahlensysteme Als Teil der primär operativen Informationsbeschaffung dienen Kennzahlen der Darstellung der wirtschaftlichen Situation eines Unternehmens sowie der Produktivität der eingesetzten Ressourcen und deren Output anhand von spezifischen Daten. Hierdurch wird
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G. Schuh et al.
ein Vergleich des Erfolgs, Potenzials und der Wirtschaftlichkeit verschiedener Abteilungen und Bereiche innerhalb des Unternehmens, sowie von gesamten Unternehmen, auch wenn diese eine unterschiedliche Größe aufweisen, ermöglicht. Sie gehören daher zu den klassischen Instrumenten des Controllers, mit deren Hilfe er die gebündelte und fokussierte Informationsversorgung für die Unternehmensleitung sicherstellt.
Funktion und Klassifizierung von Kennzahlen
6
Kennzahlen sollen relevante Zusammenhänge in verdichteter, quantitativ messbarer Form wiedergeben. Als Aggregation einer funktional begrenzten Menge an Informationen bilden sie Orientierungspunkte, durch die sich aber nur quantitative Sachverhalte darstellen lassen [63]; sie dienen der Operationalisierung von Zielvorgaben, der Erstellung von Entwicklungstendenzen oder dem zwischenbetrieblichen Vergleich [49]. Zusätzlich ermöglichen sie einen differenzierten Einblick in die Teilbereiche des Unternehmens [64], was das Erkennen und Verstehen von Stärken und Schwächen oft erst ermöglicht. Die numerische Abbildung von Sachverhalten mit Hilfe von Kennzahlen ist gerade zur schnellen Analyse eines Unternehmens sinnvoll. Kennzahlen können absolute Zahlen oder Verhältniszahlen, die ein Verhältnis zwischen zwei Größen beschreiben, sein und ermöglichen die Bewertung betriebswirtschaftlicher Sachverhalte [65]. Bei den Verhältniszahlen wird zwischen Gliederungszahlen (Verhältnis des Teils zum Ganzen), Beziehungszahlen (Zusammenhang zwischen zwei begrifflich verschiedenen Merkmalen) und Indexzahlen (Verhältnis zweier gleichartiger Merkmale/Entwicklung eines Merkmals) unterschieden.
Kennzahlensysteme Zur richtigen Interpretation von Kennzahlen ist es wichtig, deren gegenseitige Verknüpfungen anhand von Beziehungsklassen genauer darzustellen (s. Abb.€6.12). Dies geschieht anhand von Kennzahlensystemen, die einen ausgewogenen und gleichzeitig konzentrierten Informationsinhalt sicherstellen, indem in ihnen verschiedene Kennzahlen kombiniert werden, die sich sinnvoll ergänzen und die Einschätzung eines gemeinsamen Sachverhaltes zulassen [67]. Über die Jahre haben sich verschiedene Systeme hierbei als besonders aussagekräftig erwiesen, von denen im Folgenden das DuPont-System (Return on Investment-Kennzahlensystem), das ZVEI-Kennzahlensystem und das Rentabilitäts-Liquiditäts-Kennzahlensystem genauer vorgestellt werden sollen.
DuPont-System of Financial Control Dieses bekannte Kennzahlensystem strebt als Unternehmensziel nicht die Gewinnmaximierung, sondern die Gesamtkapitalrentabilität (Return on Investment, ROI) an. Anfäng-
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6â•… Rechtsformen, Rechnungswesen und Controlling
definitorisch logische mathematisch
deterministisch Beziehungen zwischen Kennzahlen
empirische stochastisch
sachlich hierarchisch hierarchische subjektiv bewertend
Abb. 6.12 ╇ Beziehungsklassen zwischen Kennzahlen [In Anlehnung an 66]
lich zur internen Unternehmensanalyse entwickelt, hat das System nach einigen Abänderungen schnell Eingang in die Diskussion zur Jahresabschlussanalyse gefunden, wo es möglichen Interessenten wie Banken, Lieferanten, Konkurrenzunternehmen, Kunden, Anteilseignern und potenziellen Anlegern eine Vorstellung von der wirtschaftlichen Situation und möglichen Schwierigkeiten des Unternehmens vermittelt [68]. Das DuPont-System umfasst eine Baumstruktur und ermittelt mithilfe von Umsatz-, Gewinn- und Investitionswerten den Return on Investment, das bedeutet den Gewinn in Prozent des investierten Kapitals. Die Kennzahl des Return on Investment zeigt dabei die Investivrendite des betrachteten Unternehmensbereichs auf, was sie zu einer repräsentativen Globalkennzahl zur Erfolgsbeurteilung macht (s. Abb.€6.13) [49]. Zusätzlich informiert die Aufspaltung dieser Kennzahl über die verschiedenen Kosteneinflussfaktoren und über das Anlage- und Umlaufvermögen, wodurch eine systematische Analyse der Haupteinflussfaktoren des Unternehmensergebnisses ermöglicht wird [53]. Der Return on Investment stellt einen wichtigen Indikator für eine strategische, geschäftsfeldbezogene Rentabilitätsanalyse dar [69], lässt aber noch keine direkten Aussagen über die tatsächliche Potenzialausschöpfung zu. Um sinnvolle Aussagen treffen zu können, wird zur Rentabilitäts- und Liquiditätsrechnung häufig auch ein Vergleichswert zum Return on Investment aus der Datenbank der Profit Impact of Market Strategies (PIMS), einer empirischen Datenbank am Strategic Planning Institute in Cambridge, Massachusetts, zu Rate gezogen. Dieser wird anhand von Modellen und Softwareentwicklungen auf der Grundlage der Analyse der Datenbankinhalte, die mehrere hundert Firmen umfassen, bestimmt. Dieser ermöglicht in vielen Fällen die Klärung der Rentabilitätsunterschiede zwischen erfolgreichen und erfolglosen Unternehmungen [70]. Das DuPont-Kennzahlensystem kann auch bei dezentralisierten Unternehmungen angewendet werden und ermöglicht einen langfristigen Vergleich von Teilbereichsleistungen. Allerdings fördert es tendenziell eher eine kurzfristige Gewinnmaximierung und kann
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G. Schuh et al.
Produktionsprogramm Bruttoumsatz Nettoumsatz Deckungsbeitrag
6
Gewinn in % des Umsatzes Gewinn in % des investierten Kapitals
Gewinn
–
:
Fixe Kosten
– Variable Umsatzkosten
– Erlösschmälerungen
– Absatzwege
Umsatz Zahlungsmittel
x Umsatz Kapitalumschlag
+
:
Umlaufvermögen
Forderungen
investiertes Kapital
+
+
Anlagevermögen
Bestände
Abb. 6.13↜╇ DuPont-Kennzahlensystem
innovationshemmend wirken, da sich Investitionsausgaben teilweise nicht in der Aufstellung des Return on Investment (ROI) wieder finden [71].
Das ZVEI-Kennzahlensystem Entwickelt vom Zentralverband der Elektronischen Industrie (ZVEI) [72] setzt dieses Kennzahlensystem sein Hauptaugenmerk auf die Ermittlung der Effizienz des Unternehmens, wozu Wachstums- sowie Strukturkomponenten betrachtet werden (s. Abb.€6.14). Mit diesem System wurde ein analytisches Instrument für die Unternehmenssteuerung geschaffen. Es ist sehr umfangreich – es verfügt über ungefähr 200 Haupt- und Hilfskennzahlen – weshalb es hier nur als Übersicht wiedergegeben werden kann [49]. Die Wachstumsanalyse gibt anhand eines Vergleichs von Absolutzahlen (beispielsweise Umsatzerlöse, Jahresüberschuss, Personalaufwand) einen ersten Einblick in das betriebliche Geschehen. Die anschließend durchgeführte Strukturanalyse dient der Strukturierung und der Verdichtung der Informationen des betrieblichen Rechnungswesens und bildet den Kern des ZVEI-Kennzahlensystems.
Das Rentabilitäts-Liquiditäts-(RL-)Kennzahlensystem Das Hauptaugenmerk des RL-Kennzahlensystems liegt auf dem Erfolg und der Liquidität, zweier für die Existenz eines Unternehmens grundlegender Faktoren (s. Abb.€6.15).
435
6â•… Rechtsformen, Rechnungswesen und Controlling
Wachstumsanalyse Wachstumsgrößen Geschäftsvolumen
Personal
Erfolg
Strukturanalyse Spitzenkennzahl:
Eigenkapital-Rentabilität
Kennzahlengruppen:
Ergebnis Aufwand
Rentabilität
Liquidität
Vermögen
Kapital
Umsatz
Kosten
Finanzierung/ Investition
Beschäftigung
Produktivität
Abb. 6.14 ╇ Das ZVEI-Kennzahlensystem [In Anlehnung an 72]
Ordentliches Ergebnis
Finanzergebnis
Gesamtkapitalrentabilität
Return on Investment
Kapitalumschlagshäufigkeit
Umsatzrentabilität
Außerordentliches Ergebnis
Eigenkapitalrentabilität
Erzeugnisumschlagszeit
Materialumschlagszeit
Forderungsumschlagzeit
Betriebsergebnis
Liquide Mittel
Cashflow
Dynamischer Verschuldungsgrad
Working Capital Laufender EinnahmenÜberschuss
Disponierbarer EinnahmenÜberschuss
Liquiditätkoeffizient
IntervallFinanzplanung
Abb. 6.15 ╇ Das RL-System Allgemeiner Teil [In Anlehnung an 49]
Anlagendeckung
436
6
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Der Erfolg wird als originäres Ziel der Unternehmung anhand des ordentlichen Betriebsergebnisses, des ordentlichen Finanzergebnisses sowie des außerordentlichen Teils des Jahresabschlusses bewertet. Die Liquidität wird anhand der zentralen Steuerungsgröße der liquiden Mittel und festgelegten Planwerten beurteilt. Solange die festgelegten Indikatoren nicht weit von diesen Planwerten abweichen, ist nicht mit einem Liquiditätsengpass zu rechnen [49]. Das System setzt sich aus einem allgemeinen Teil und einem Sonderteil zusammen, die jeweils in eine Erfolgs- und eine Liquiditätskomponente eingeteilt sind. Der allgemeine Teil ist nicht branchen- oder firmenspezifisch, weshalb sowohl sein Erfolgs- als auch sein Liquiditätsteil neben ihren Funktionen als Planungs- und Kontrollinstrument auch für betriebliche Vergleiche genutzt werden können. Dagegen eignet sich der firmenspezifische Sonderteil, der die durch Oberziele festgelegte Informationsnachfrage der Unternehmensführung in das Kennzahlensystem einbringt, für eine individuelle Ursachenanalyse und Kontrolle [49]. Das RL-Kennzahlensystem kann zusätzlich zu seinem internen Einsatz auch für externe Analysen verwendet werden. Hierzu werden die allgemeinen Erfolgs- und Liquiditätskomponenten eigenständig als Jahresabschlusskennzahlen eingesetzt [73].
6.4.2.2 Balanced Scorecard Ziel des von KAPLAN und NORTON entwickelten Systems der Balanced Scorecard ist die Übertragung von langfristigen strategischen Zielen auf operative Zielgrößen, im speziellen auf kritische Erfolgsfaktoren. Dieses Instrument schließt somit die Lücke zwischen dem strategischen und operativen Controlling, da es die Strategieentwicklung und -formulierung mit deren Umsetzung zusammenbringt. Sie dient unter anderem der Strategiefestlegung, der unternehmensweiten Kommunikation dieser Strategie sowie dem Aufzeigen von Verbesserungsmöglichkeiten der Strategie [74]. Je nach Wettbewerbssituation muss die spezifische Gestaltung der Balanced Scorecard individuell auf das jeweilige Unternehmen und dessen Umfeld abgestimmt werden. Der Ansatz der Balanced Scorecard besteht darin, dass nicht nur die Finanzperspektive beleuchtet wird, sondern beispielsweise auch die humanen Aspekte betrachtet werden, die einen wesentlichen Einfluss auf die Zielerfüllung haben. Im Allgemeinen werden daher Ziele und Ressourcen aus vier Perspektiven beleuchtet um ein ausgewogenes Bild des Unternehmens zu erhalten (s. Abb.€6.16). Ein konstitutives Element der Balanced Scorecard stellt hierbei das Ursache-Wirkungs-Diagramm dar. Die Ermittlung der Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge erlaubt die auf oberster Ebene entwickelte Unternehmensstrategie mit der Kundensicht, der Prozesslogik und schließlich mit der Mitarbeitersichtweise zu verbinden. Um die gleichmäßige Einbeziehung aller vier Perspektiven sicher zu stellen, sollten in die Erstellung der Balanced Scorecard Interessenvertreter aus allen Unternehmensbereichen einbezogen werden. Im Zuge der Erarbeitung ergibt sich fast automatisch eine Logik der Abhängigkeiten. Die finanzwirtschaftliche Perspektive nutzt wie andere Instrumente auch verschiedene Finanzkennzahlen, beispielsweise die Rentabilität, das Wachstum und den Unternehmenswert, um eine Aussage über die Auswirkungen der Strategie auf das Unternehmensergebnis
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6â•… Rechtsformen, Rechnungswesen und Controlling
Finanzperspektive
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Kundenperspektive
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Interne Geschäftsprozesse
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Vision und Strategie
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Lernen und Entwickeln
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Abb. 6.16↜╇ Balanced Scorecard [In Anlehnung an 74]
treffen zu können. Für die Kundenperspektive werden Kennzahlen bezüglich der Aspekte Zeit, Qualität, Produktleistung, Services, und Preise eingesetzt, um die Einschätzung der Kunden in Bezug auf das Unternehmen simulieren zu können. Betriebsinterne Prozesse und die Kundenzufriedenheit werden mithilfe der betriebsablaufinternen Perspektive erfasst, die sich auf Kennzahlen aus dem Bereich der Fertigungszeiten, Qualität und Produktivität stützen. Die Innovations- und Wissensperspektive gibt schließlich einen Einblick in die Fähigkeiten des Unternehmens, sich weiterzuentwickeln und Innovationen in die Unternehmenstätigkeit zu integrieren. Um die positive, verständnisgenerierende Wirkung der Balanced Scorecard nicht zu gefährden, sollte jedoch die Zahl der Kennzahlen begrenzt werden.
6.4.2.3 Benchmarking Zum Vergleich verschiedener Unternehmensbereiche oder auch verschiedener Unternehmen wurde das Benchmarking entwickelt. Sein Ziel ist die Identifikation von erfolgreichen Praktiken, so genannten Best Practices, die unter Zuhilfenahme von Kennzahlen ermittelt werden. Sie sollen später anderen Unternehmen oder Bereichen als Anhaltspunkt dienen,
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6
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um beispielsweise Prozessvergleiche durchzuführen, anhand derer Unterschiede und Verbesserungsmaßnahmen abgeleitet werden können. Beim mittlerweise intensiv eingesetzten Konzept des Benchmarkings können vier Formen unterschieden werden (s. Abb.€6.17). Das interne Benchmarking beinhaltet den Vergleich von Abteilungen oder Standorten eines Unternehmens. Einen umfangreicheren Einblick in die Unternehmensumwelt ermöglicht das wettbewerbsorientierte Benchmarking, welches die Prozesse verschiedener Unternehmen einer Branche analysiert und vergleicht. Im funktionalen Benchmarking werden ähnliche Vorgänge mehrerer Unternehmen verschiedener Branchen untersucht, so dass eine Offenlegung der eigenen Prozessabläufe eines Unternehmens gegenüber den direkten Konkurrenten vermieden wird. Das generische Benchmarking letztlich vergleicht gleiche Funktionen von Unternehmen verschiedener Branchen, was zu revolutionären Lösungen in allgemeinen Prozessen führen kann [75, 76]. Der Benchmarkingprozess lässt sich in fünf Phasen durchführen [78]. Am Anfang des Prozesses steht die Identifizierung des Betrachtungsfokus, die durch die Zielsetzung des Benchmarkings festgelegt wird. Danach folgen die interne Prozessmodellierung und die Erstellung der Fragebögen. Für den anschließenden Vergleich und die nachfolgende Bewertung werden diese Fragebögen von geeigneten Abteilungen bzw. Unternehmen bearbeitet und in der Form eines Stärken-Schwächen-Profils ausgewertet. Nach Abschluss des eigentlichen Benchmarkings wird als vierter Schritt ein Maßnahmenkatalog für die einzelnen Firmen erstellt, der auf die anfangs festgelegten Ziele des Benchmarkings abzielt. Abschließend erfolgt die Umsetzung dieser Maßnahmen durch die Unternehmen, deren Zielbeitrag anhand eines erneuten Benchmarkings später überprüft werden kann. Vergleich unternehmensinterner ähnlicher Abteilungen, Sparten, Profit-Center oder Standorte
Vergleich direkter Konkurrenten
einfache Partnersuche Internes Benchmarking wenig neue Strategien Wettbewerbsorientiertes Benchmarking
Vergleich ähnlicher Prozesse verschiedener Branchen
Funktionales Benchmarking Generisches Benchmarking
Revolutionäre Lösungen begrenzte Übertragbarkeit auf eigene Problemstellung
Abb. 6.17 ╇ Formen des Benchmarkings [In Anlehnung an 77]
Positionierung im Wettbewerb und Identifikation erfolgreicher Strategien schwierige Gewinnung der Vertragspartner
Vergleich gleicher Funktionen verschiedener Branchen Revolutionäre Lösungen nur für allgemeine Prozesse (z. B. Zahlungsverkehr, Lohnbuchhaltung, etc.) geeignet
6â•… Rechtsformen, Rechnungswesen und Controlling
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6.4.3 Aufgabenfelder des Controllings 6.4.3.1 Kosten- und Erfolgscontrolling Das Kosten- und Erfolgscontrolling stellt die Ausgangsbasis des heutigen Controllings dar und hat bis heute nichts an seiner Bedeutung verloren. Um die Zielbezogenheit des Controllings sicherzustellen, müssen ständig die Ausgaben und Einnahmen des Unternehmens erfasst, überwacht und zu Kennzahlen aufbereitet werden. Hierbei kann zwischen der innerbetrieblichen, nur für Betriebsangehörige zugänglichen Detailauswertung und dem gesetzlich vorgeschriebenen externen Jahresbericht sowie der Gewinn- und Verlustrechnung unterschieden werden. Die Erstellung dieser Übersichten ist Aufgabe des Rechnungswesens, aus dem das heutige Controlling hergegangen ist. Die einzelnen Methoden und Verfahren des Rechnungswesens sind bereits in Kap.€6.2 dargelegt worden, so dass an dieser Stelle auf eine Aufzählung und Erläuterung dieser verzichtet wird.
6.4.3.2 Investitions-, Beschaffungs- und Finanzcontrolling Das Investitionscontrolling beschäftigt sich mit allen Investitionen, die von der Unternehmung getätigt werden. Hierzu gehören zum einen die Neuanschaffung bzw. der Ersatz von technischen Ressourcen, beispielsweise Maschinen, Anlagen und Vorrichtungen, zum anderen aber auch Investitionen in Immobilien und neue Standorte. Die wichtigste Aufgabe des Investitionscontrollings besteht im Abgleich der vorgesehenen Investitionen mit der Strategie des Geschäftsfelds, den bereits vorhandenen Ressourcen im Unternehmen sowie den Kundenbedürfnissen und Entwicklungen am Markt, um Chancen und Risiken der Investition bewerten zu können. Hierzu werden üblicherweise Portfolios und Szenariotechniken eingesetzt [49]. Das Beschaffungscontrolling hingegen ist für die Wirtschaftlichkeit der Versorgung des Unternehmens mit benötigten Sachmitteln verantwortlich. Hierzu zählen alle für die Produktion benötigten Roh-, Hilfs- und Betriebsmittel ebenso wie fertigbezogene Teile. Die zentrale Aufgabe des Beschaffungscontrollings besteht darin die Relation zwischen Beschaffungsleistung und -kosten zu beurteilen sowie zu kontrollieren, dass die Versorgung aller Bereiche und Abteilungen des Unternehmens stets zum passenden Zeitpunkt, in der erforderlichen Qualität und in der richtigen Menge mit den benötigten Materialien und zu wirtschaftlichen Preisen erfolgt. Hierdurch ergibt sich eine Überschneidung mit dem Aufgabenspektrum des Logistikcontrollings, das alle Warenströme innerhalb und außerhalb des Unternehmens überwacht. Die erste primäre Aufgabe des Finanzcontrollings ist die Überwachung der kurz-, mittel- und langfristigen Finanzsituation, dies bedeutet die Versorgung des Unternehmens mit ausreichenden, liquiden finanziellen Mitteln zur Outputerzeugung und Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit. Dabei muss das Finanzcontrolling zudem für die Wahrung der finanziellen Unabhängigkeit des Unternehmens sorgen. Hierbei kommt der Sicherung der
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Verfügbarkeit verlässlicher Informationen als Grundlage für Finanzplanung und -kontrolle die größte Bedeutung zu. Die spezifischen Instrumente zur Versorgung des Unternehmens mit Finanzkapital sind in Kap.€6.3.3 bereits ausführlich vorgestellt worden.
6.4.3.3 Produktions- und Logistikcontrolling
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Die zentrale Funktion des Produktionscontrollings besteht in der Überwachung des Spannungsfelds zwischen den vier Kenngrößen der Produktion: Auslastung der Ressourcen, Durchlaufzeit der Produkte, Bestände und Materialpuffer sowie Termintreue. Das Produktionscontrolling versucht dabei gleichzeitig die Kosten und Aufwände der Produkterstellung zu minimieren und den Nutzen sowie die Zufriedenheit der Kunden zu maximieren. Bei der Optimierung der Produktionsprozesse lassen sich zum Teil nicht die Ausprägungen aller betrachteten Kriterien gleichzeitig verbessern. Vielfach führt hingegen eine positive Veränderung des einen Kriteriums zur negativen Veränderung eines anderen. Ziel ist es, die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens durch eine Konzentration auf wertschöpfende Prozesse zu verbessern und eine ständige Anpassung an die sich verändernden Kundenanforderungen ermöglichen. Ferner sind die Verringerung der Ausschussquote – teilweise auch als Qualitätscontrolling bezeichnet – sowie nicht zuletzt die Kontrolle der Wirtschaftlichkeit aller Produktionsprozesse zentrale Aufgaben des Produktionscontrollings. Das Logistikcontrolling befasst sich mit der Überwachung der Waren- und Informationsflüsse im Unternehmen. Grundlage der Tätigkeit des Logistikcontrollings ist die systematische Abbildung des gesamten Material-, Waren- und Informationsflusssystems sowie der Wertschöpfungsketten der gefertigten Produkte und Dienstleistungen. Die Wertschöpfungskette umfasst dabei nicht nur die im Unternehmen ablaufenden Produktionsvorgänge, sondern auch die vor- und nachgelagerten externen Produktions- und Lieferstationen. Ergebnis des Logistikcontrollings ist eine Übersicht derjenigen Elemente, Merkmale und Beziehungen, denen Planungsrelevanz zukommt. Zu den planungsrelevanten Elementen zählen unter anderem der Ressourcenverzehr, Materialflussleistungen, Durchlauf- und Wartezeiten, Fehlmengen, die Produktionsmenge, Qualitätsstandards, Zeitvorgaben wie auch die einzelnen Leistungsstellungsprozesse/-funktionen selbst. Dabei ist stets das Ziel, die Materialflüsse zwischen Input und Output im Sinne einer hohen Wirtschaftlichkeit auszulegen.
6.4.3.4 Marketing- und Vertriebscontrolling Das Marketingcontrolling beschäftigt sich mit der Kundensicht auf das Unternehmen und seine Produkte. Die Hauptaufgabe besteht darin, die Effektivität und Effizienz der Interaktion des Unternehmens mit seinen bisherigen, aktuellen und potenziellen Kunden zu analysieren und zu bewerten. Hierzu gehört auch das Image des Unternehmens in der Öffentlichkeit, das maßgeblich durch die Produkte selbst, aber auch durch die Werbung sowie das Sponsoring beeinflusst wird. Insbesondere bei Marketingstrategien und Werbe-
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maßnahmen fällt die genaue Analyse der gewünschten Effekte schwer, da ein direkter Bezug zwischen einer Werbekampagne und der Veränderung der Absatzmenge des beworbenen Produkts zumeist nicht hergestellt werden kann. Die Aufgabe des Marketingcontrollings besteht ferner darin, die Produkt-Markt-Kombination, dass heißt die Positionierung des Unternehmens auf den verschiedenen Märkten, sowie die Erschließung von neuen Märkten, aber auch den Rückzug von Märkten zu überwachen. Zu den im MarketingControlling genutzten Methoden gehören unter anderem die Methoden des internen Rechnungswesens (s. Kap.€6.2.3) sowie das Benchmarking (s. Kap.€6.4.2.3). Das Vertriebscontrolling zeigt in seinen Aufgabenfeldern teilweise Schnittmengen mit dem Marketingcontrolling, die Aufteilung erfolgt – wenn diese überhaupt vorgenommen wird – unternehmensspezifisch. Hauptaugenmerk des Vertriebscontrollings liegt jedoch auf dem direkten Kontakt zum Kunden, dass heißt beispielsweise den Absatzkanälen, den Verkaufslokalitäten und -gesprächen, der Kundenbetreuung sowie den Serviceangeboten. Ziel ist es auch hier eine maximale Wirtschaftlichkeit unter maximaler Erreichung der Kundenzufriedenheit zu generieren. Hierzu ist insbesondere die Sicherstellung eines durchgängigen Informationsflusses vom Kunden über den Vertrieb bis in alle Abteilungen des Unternehmens erforderlich. Ein Beispiel für eine EDV-technische Unterstützung des Informationsflusses stellt das Computer Aided Selling dar.
6.4.3.5 Personalcontrolling Die primären Aufgaben des Personalcontrollings umfassen die Kontrolle und Unterstützung der Personalbedarfs- und Strukturplanung, der Personalentwicklung sowie der Personalkostenplanung und -kontrolle. Sie lassen sich in die Controllingkategorien Koordination, Integration und Frühwarnung einteilen. Die Koordinationsfunktion des Personalcontrollings ist insbesondere in großen Unternehmen von zentraler Bedeutung, um die mitunter nebeneinander herlaufenden Einzel- und Teilpläne im Personalwesen abzugleichen. Die Integrationsfunktion des Personalcontrollings schafft die Voraussetzung zur Eingliederung des Personalwesens in gesamtplanerische Maßnahmen der Geschäftsleitung. Durch die Frühwarnfunktion des Personalcontrollings kann ein Agieren statt ein Reagieren im Personalbereich realisiert werden. Die im Personalcontrolling behandelten Fragestellungen und Aufgaben können drei unterschiedlichen Ansätzen zugeordnet werden: dem kostenanalytischen Ansatz, dem Human Resources Accounting und dem kennzahlenorientierten Ansatz. Der kostenanalytische Ansatz versucht die Kosten personalwirtschaftlicher Maßnahmen zu erfassen und zu analysieren. Im Zuge der Personalkostenanalyse werden die mittelbar mit dem Unternehmenspersonal verbundenen Sachverhalte als Kostenträger erfasst und entsprechend verrechnet. Die meisten unmittelbaren Kosten oder aber Opportunitätskosten bleiben jedoch ebenso unberücksichtigt, wie die Leistung der Mitarbeiter. Das Human Resources Accounting teilt die Personalkosten nach Kostenarten auf und überführt diese in eine Investitionsrechnung, um dem Charakter des Personals als langfristige Anlage gerecht zu werden. Für jeden Mitarbeiter wird dabei ein eigenes Konto eröffnet. Die Ergebnisse des Human Resources Accounting lassen primär für die Einstellungs- und Entlassungspolitik,
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für die Personalentwicklung und die Selbstdarstellung des Personalwesens nutzen. Einen zentralen Nachteil des Human Resources Accounting kann die grundlegende Betrachtung des Mitarbeiters als Objekt vergleichbar mit dem Eigentum des Unternehmens darstellen. Der kennzahlenorientierte Ansatz schließlich versucht, die mittel- und unmittelbaren Personalkosten, aber auch die erbrachte Leistung in verschiedenen Kennzahlen abzubilden, da sich für viele beobachtbare Phänomene keine offensichtlichen kausalen Zusammenhänge erkennen lassen und zudem viele Phänomene nur schwer quantifizierbar sind. Dennoch hat der kennzahlenorientierte Ansatz das Potenzial, sich zu einem aussagekräftigen Controllinginstrument zu entwickeln [79].
6
6.4.3.6 Technologiecontrolling Grundsätzliches Ziel des Technologiecontrollings ist das rechtzeitige Erkennen von neuen aussichtsreichen Technologien sowie der frühstmöglichen Entdeckung von Fehlentwicklungen inklusive der Einleitung von entgegenwirkenden Maßnahmen. Zur Technologiefrüherkennung gehört eine strukturierte Überwachung der technologischen Umwelt. Neue technologische Entwicklungen müssen daraufhin analysiert werden, inwieweit sie Chancen oder aber Bedrohungen für das Unternehmen erkennen lassen. Dies betrifft einerseits Technologien, die in bestehende oder neue Produkte des Unternehmens einfließen können – oder aber diese im schlimmsten Fall ersetzen könnten – sowie Technologien die zur Herstellung der Produkte genutzt werden können. Es existiert daher keine Beschränkung auf einmal festgelegte Verfahren und fixierte Zielvorstellungen, sondern die Randbedingungen unterliegen vielmehr einer ständigen Veränderung. Das Technologiecontrolling hat sowohl zu der Forschungs- und Entwicklungsabteilung, als auch zur den produzierenden Bereichen des Unternehmens enge Schnittstellen. Im Rahmen des strategischen Technologiecontrollings werden Prämissen-, Strategieund Projektaudits durchgeführt. Es werden dabei nicht nur ex post die Realisierungsgrade angestrebter technologischer Ziele überprüft, sondern werden auch Prämissen und die Umsetzung von Technologiestrategien in konkrete Programme bzw. Projekte vereinbart. Nur die rechzeitige Erkennung neuer Technologien erlaubt es dem Unternehmen ausreichend früh auf neue Entwicklungen reagieren zu können und aus diesen einen Wettbewerbsvorteil zu generieren. Dafür ist zudem ein effektives Management der bestehenden Technologien und des dazu gehörigen Wissens im Unternehmen notwendig. Nur eine geschickte Kombination bekannter und günstig zu fertigenden Technologien mit neuen Entwicklungen und Erkenntnissen erlaubt auf Dauer eine wirtschaftliche Produktion.
6.4.3.7 Forschungs- und Entwicklungscontrolling Mehr noch als der Nutzen des Technologiecontrollings – auch wenn sich dies stetig ändert bzw. verbessert – ist der Nutzen des Forschungs- und Entwicklungscontrollings aufgrund des wachsenden globalen Wettbewerbs und der steigenden Produktkomplexität unbestrit-
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ten [80]. Während das Technologiecontrolling eher auf unternehmensexterne Entwicklung fixiert, stehen beim Forschungs- und Entwicklungscontrolling die unternehmenseigenen Aktivitäten im Vordergrund. Die generelle Aufgabe des Forschungs- und Entwicklungscontrollings besteht in der ergebnisorientierten Ausrichtung aller Prozesse zur Schaffung neuen technischen Wissens bezogen auf Produkte, Verfahren und Anwendungsgebiete. Darunter fällt beispielsweise die Unterstützung der strategischen und operativen Programmplanung der Forschung und Entwicklung, das Begutachten von Forschungsanträgen bezüglich Kosten und Wirtschaftlichkeit sowie die Budgetplanung. Aufgrund der kürzer werdenden Produktlebenszyklen und des damit verbundenen Innovationsdrucks rückt auch eine Steuerung der Forschungs- und Entwicklungsabteilungen in den Unternehmen gemäß der Faktoren Kosten, Zeit und Qualität in den Vordergrund. Für das Forschungsund Entwicklungscontrolling ist dabei entscheidend, dass dem Management quantitative Maßzahlen zur Verfügung gestellt werden können.
6.5 Risikomanagement 6.5.1 Grundlagen und Perspektiven des Risikomanagements Das Risikomanagement hat sich unter anderem aus vier Perspektiven in unterschiedlichen Branchen entwickelt, deren unterschiedlicher Umgang mit den verschiedenen Risiken das Verständnis von unternehmerischen Risiken geprägt und somit die Basis des Risikomanagements gelegt haben [81].
6.5.1.1 Versicherungsperspektive In seiner heutigen systematischen und analytischen Form basiert das Risikomanagement auf dem amerikanischen „Insurance Risk Management“ der 1950er Jahre [82]. Im Vordergrund stand bei diesem Ansatz zunächst die Optimierung von Versicherungsleistungen eines Unternehmens unter Ausnutzung von Skaleneffekten, etwa durch Bündelung von Versicherungen. Später erkannten die Versicherer das Potenzial präventiver Maßnahmen und begannen, die Implementierung von Schadensverhütungsmaßnahmen durch geringere Prämienforderungen zu honorieren [83]. Dadurch erweiterte sich das Aufgabenfeld des Managements um die Koordination von Risikominderungsmaßnahmen mit dem Ziel, die Kosten der Versicherungen zu reduzieren. Diese Form des Risikomanagements dient primär dem Erhalt des Vermögens im Schadensfall und erzielt per se noch kein höheres Sicherheitsniveau. Auf Grund der großen Bedeutung für diesen Sektor arbeiten heute vor allem Versicherungs- und Kreditinstitute mit internen Risikomanagementsystemen zur Prämienanpassung.
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6.5.1.2 Finanzperspektive
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Das Risikomanagement findet zudem im finanzwirtschaftlichen Bereich eine umfangreiche Anwendung. Als Markowitz 1952 seine Portfoliotheorie vorstellte, mit der sich Risiken von Investitionen verringern lassen, bezeichnete er die Varianz als unerwünschten Preis für eine hohe Rendite, allerdings ohne unmittelbar von „Risiko“ zu sprechen [31, 84]. Darauf bauten Sharpe et€al. das Capital Asset Pricing Model (vgl. Kap.€6.2.1.3) auf, das die langfristige Rendite eines Wertpapiers oder eines Portfolios abhängig vom systematischen Risiko bewertet [30, 84]. Die unterschiedlichen Modelle berücksichtigen zusätzlich zu weiteren systematischen Faktoren explizit die individuelle Risikoeinstellung einer Person. Im Rahmen des „Financial Risk Management“ versuchen Kreditinstitute, die Markt-, Kredit- und operationellen Risiken messbar und damit vorhersagbar zu machen. Ebenso wie die Versicherungsperspektive legt die Finanzperspektive den Fokus auf die Reduktion der entstehenden Kosten. Eine Risikovermeidung im engeren Sinne findet nicht statt.
6.5.1.3 Technische Perspektive Im technischen Bereich zielt Risikomanagement vornehmlich auf Schadensvermeidung ab. Falls diese nicht vollständig möglich ist, müssen zumindest die Auswirkungen eines Schadensfalles minimiert werden. Im Rahmen dieser Verwendung des Risikobegriffs ist der US-Military-Standard 882D bedeutend, der Risiken erstmals in ein zweidimensionales Feld aus Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensauswirkung einordnet [85]. Aus Sicht der Industrie sind vor allem die Behörden und Institute zur Sicherheitsbewertung und -überwachung bedeutsam. Diese setzen sich intensiv mit Fragen zur sicherheitsgerechten Gestaltung auseinander und entwickeln technische Regelwerke und Normen, deren Ziel die Vermeidung und Auswirkungsbegrenzung von Schadensfällen ist. In Deutschland gilt das insbesondere für den Technischen Überwachungsverein (TÜV), die Berufsgenossenschaften und die technischen Verbände wie den VDI oder den VDE. Zusätzlich zu allgemeinen Normen und Richtlinien existieren in der Industrie spezifisch angepasste Instrumente der Risikoanalyse. Bekannte Methoden sind die Failure Mode and Effects Analysis (FMEA), die Hazard Analysis and Critical Control Point (HACCP) in der Lebensmittelindustrie oder die Hazard and Operability Study (HAZOP) in der chemischen Industrie.
6.5.1.4 Managementperspektive Den vierten Ursprung des systematischen Risikomanagements bildet das „Business Risk Management“ [86]. Dessen Ziel war die Sensibilisierung der Unternehmensmitglieder für Risikoaspekte im betrieblichen Umfeld. Sie sollten in die Lage versetzt werden, planvoll
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und zielgerichtet mit Risiken umzugehen [87]. In den 1960er Jahren wurde die ChancenRisikoanalyse Teil des Instrumentariums des strategischen Managements und integrierte die Risikopolitik in die allgemeine Unternehmensführung [87–90]. Seitdem erweitert sich das Aufgabenfeld des Risikomanagements immer mehr zu einer umfassenden Erfassung und Lösung der Sicherheits- und Risikoprobleme im betrieblichen Umfeld. Nach einer zunächst rein qualitativen Erfassung können heute durch die Steigerung der Rechnerleistung auch quantitative Aspekte berücksichtigt und somit ein umfassendes Risikoverständnis erreicht werden [91].
6.5.2 Rahmen- und Beratungskonzepte zum Risikomanagement Das Risikomanagement kann aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden, daher existiert eine Vielzahl von unterschiedlichen Rahmen- und Beratungskonzepten. Die im Folgenden beschriebenen Konzepte liefern jeweils eine strukturierte Übersicht über das Themenfeld und aggregieren die einzelnen Elemente des Risikomanagements zu einem gesamtheitlichen Konzept. Damit liefern sie die Grundlage zur praktischen Ausgestaltung.
6.5.2.1 Enterprise Risk Management Das Enterprise Risk Management Framework (ERM) zählt zu den am weitesten verbreiteten Rahmenkonzepten des Risikomanagement. Es definiert das Risikomanagement als „a process, effected by an entity`s board of directors, management and other personnel, applied in strategy setting and across the enterprise, designed to identify potential events that may affect the entity, and manage risk to be within its risk appetite, to provide reasonable assurance regarding the achievement of entity objectives“ [92]. Konzipiert wurde das Enterprise Risk Management Framework 2004 vom amerikanischen Comittee of Sponsoring Organizations of the Treadway Commission (COSO) und der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers als Weiterentwicklung des Internal Control-Integrated Framework. Das Internal Control-Integrated Framework ist eine Konzeption des COSO von 1992, die die Bedeutung interner Kontrollstrukturen heraushebt und als Instrument zur Verbesserung der wirtschaftlichen Aktivitäten eines Unternehmens etabliert werden sollte. Das Framework besitzt die drei Dimensionen Zielkategorien, Komponenten und Ebenen (s. Abb.€6.18). Die Zielkategorien definieren Ziele, die hinsichtlich der Aufgabengebiete des Risikomanagements erreicht werden sollen. Ebenen bezeichnen im COSO-Framework die organisatorischen Einheiten im Unternehmen. Die Komponenten schließlich beschreiben die Aufgaben des Risikomanagements. Das COSO-Modell ermöglicht insbesondere eine sehr umfassende Betrachtung möglicher Zieldefekte. Abweichend von den meisten anderen Konzepten unterscheidet das COSO-Modell jedoch nicht zwischen Risiko und Chance, sondern spricht lediglich von einem „Event“, womit der Potenzialcharakter zwischen Risiko und Chance verwischt wird [84].
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Zielkategorien e
Zielsetzung (Objective Setting)
Komponenten
Identifikation von Risiken und Chancen (Event Identification) Risikobeurteilung (Risk Assessment) Risikobewältigung (Risk Response) Steuerungs- und Kontrollaktivitäten (Control Activities)
Division (Division)
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Unternehmensebene (Entity-Level)
Internes Umfeld (Internal Environment)
Information und Kommunikation (Information & Communication) Überwachung und ständige Verbesserung (Monitoring)
Untergeordnete Ebene (Subsidary)
er tze zd n t se e a i r e r z t ) e fi s f s le rG Ef n it d au zie de ten d ratio ke tung n g g s h if u n t pe lic at un hr tu en itä (O ss erst ) alt rsc ce) v ä ir ch ehm ) i h l o n e g r ht n kt s n c Ei d V plia fe ss Ve eric ortin Au nter tegi Ef roze un om B ep U tra P (C (R (S
Strategische Geschäftseinheit (Business Unit)
ch
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Abb. 6.18 ╇ COSO-ERM-Framework [In Anlehnung an 92]
6.5.2.2 Risikomanagement für Organisationen und Systeme Im Jahr 2004 veröffentlichten das österreichische Normungsinstitut (ON) und die Swiss Association for Quality (SAQ) ein normatives Regelwerk zum Risikomanagement für Organisationen und Systeme. Es enthält die Grundlagen des Risikomanagements und allgemeine Begriffsdefinitionen (ONR€49000), die Elemente des Risikomanagementsystems im Sinne überprüfbarer Systemanforderungen (ONR€49001), einen Leitfaden für das Risikomanagement (ONR€49002-1), einen für die Einbettung des Risikomanagements in das Managementsystem (ONR€49002-2), sowie Anforderungen an die Qualifikation des Risikomanagers (ONR€49003). Das Konzept versteht Risikomanagement als integrierten Bestandteil des allgemeinen Managements. Vor der eigentlichen Risikoanalyse steht die Systemdefinition, in der zunächst Ziele und Erwartungen definiert und allgemeine Rahmenbedingungen vorgegeben werden. Die Prozessschritte Risikobeurteilung, Risikobewältigung und Risikoüberwachung entsprechen dem klassischen Risikomanagement. Die Funktionsfähigkeit des Systems wird dabei ähnlich wie Qua-
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litätsmanagementsysteme durch Audits und Verbesserungsmaßnahmen kontinuierlich überwacht und verbessert. Das Risikomanagement für Organisationen und Systeme bietet einen guten allgemeinen Überblick über das Themenfeld. Für die praktische Anwendung im Unternehmen eignet sich die ausführliche Risikoliste, die einen Ansatz für die individuelle Risikoanalyse bietet. Wegen der sehr allgemeinen Konzeption leistet dieser Ansatz jedoch wenig Hilfestellung bei der praktischen Ausgestaltung eines Risikomanagements.
6.5.2.3 Enterprise-wide Risk Management Dieser von Andersen entwickelte Risikomanagementansatz integriert die obersten Führungsebenen in das Risikomanagement, um unternehmensweit eine einheitliche Strategie zu implementieren. Diesen Ansatz zeichnet die Einbeziehung der Unternehmensprozesse in das Risikomanagement aus. Außerdem berücksichtigt diese Konzeption in der Risikoperspektive auch den Chancenaspekt. Insgesamt besteht der Risikomanagementprozess aus sechs Schritten. Im ersten Schritt werden qualitative und quantitative Risikoziele definiert. Alle Risiken lassen sich dabei den drei Feldern Umfeld-, Prozess- und Informationsrisiken zuordnen. Der zweite Schritt beschäftigt sich mit der detaillierten Analyse der relevanten Geschäftsrisiken, dazu zählen insbesondere Risiken mit maßgeblichem Einfluss auf die Erreichung strategischer und operativer Ziele. Zu jedem Risiko müssen Risikotreiber und Risikowirkungen hinsichtlich Eintrittswahrscheinlichkeit und möglichem Schadensausmaß bewertet werden. Im dritten Schritt entscheidet das Management, wie die einzelnen Risiken zu behandeln sind, das heißt ob sie zur Nutzung unternehmerischer Chancen bewusst eingegangen oder gezielt vermieden werden sollen. Bei steuerbaren Risiken zielt die Vorgehensweise auf Verringerung der Eintrittswahrscheinlichkeit (effektive Kontrollmechanismen) und Reduktion des Schadensausmaßes (Versicherungen) ab. Im vierten Schritt findet die Integration der erarbeiteten Maßnahmen in den strategischen und operativen Planungs- und Controllingprozess statt. Im vorletzten Schritt wird ein System aus Kontrolle und Überwachung der Risikomanagementaktivitäten und Berichterstattung an die Unternehmensführung installiert. Der sechste Schritt stellt schließlich die Nutzung des Systems im Tagesgeschäft des Unternehmens dar. Hier werden die Ziele des Managements top-down an die Mitarbeiter kommuniziert und umgekehrt erhalten die Verantwortlichen bottom-up alle entscheidungsrelevanten risikobezogenen Informationen [93]. Das Enterprise-wide Risk Management ist sehr prozessfokussiert und integriert die Unternehmensleitung in den Risikomanagementprozess [87]. Die parallele Verarbeitung von Risiken und Chancen erschwert jedoch eine Abgrenzung des Risikomanagements von allgemeinen Managementaufgaben.
6.5.2.4 Business Risk Management Das Modell des Business Risk Management entspringt einer Marktstudie der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers. Gegenstand der Markt-
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studie war die Untersuchung des Verständnisses von Risiko und Risikomanagement in der Führungsebene von Unternehmen verschiedener Branchen und Staaten. Das Ergebnis ist eine Definition von Risiko und die Einteilung von Risikomanagementsystemen in verschiedene Reifestadien. Zur praktischen Umsetzung von Risikomanagementsystemen wurde die ORCA-Direktive entwickelt. Das Akronym steht für die Felder Objectives (Ziele), Risks (Risiken), Controls (Kontrollen und Prozesse) und Alignment (Ausrichtung der Organisation) [94]. Im Rahmen der Ziele werden die bedeutenden Stakeholder des Unternehmens identifiziert und Ziele und Erwartungen des Managements analysiert. Die Risiken (und korrespondierende Chancen) werden in einem Katalog erfasst und mittels einer Risk-Map (Risikolandkarte) priorisiert. Die Kontrollen und Prozesse beschreiben alle prozessualen Elemente und Kontrollmechanismen in der Organisation, die der frühzeitigen und präzisen Erkennung von Risiken dienen. Die Ausrichtung der Organisation sieht vor, dass Risikomanagementelemente auf allen Ebenen des Unternehmens integriert werden. Beim Business Risk Management wird das Risikomanagement aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet, und vereint diese zu einem integrierten Ansatz. Insbesondere in kleinen und mittleren Unternehmen fehlen jedoch meist die notwendigen ausdifferenzierten Organisationsentwicklungsprogramme.
6.5.2.5 Integriertes Risikomanagement Ein weiteres integriertes Risikomanagement-Rahmenkonstrukt stammt vom Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen KPMG. Es besteht aus den drei Kernelementen Risikound Kontrollstruktur, Risikomanagementorganisation und Risikomanagementprozess. Die Risiko- und Kontrollstruktur wirkt maßgeblich auf die Effektivität des gesamten Systems ein. Sie wird bestimmt durch die Unternehmensphilosophie, den persönlichen Führungsstil der Verantwortlichen, den Personaleinsatz und die Personalentwicklung, die Fähigkeiten der Mitarbeiter und die Schaffung einer funktionierenden Kommunikation. Die Risiko- und Kontrollstruktur ist die Grundlage für den verantwortlichen Umgang der Mitarbeiter mit Risiken und daher wesentliches Element jedes Risikomanagementsystems. Aufgabe der Risikomanagementorganisation ist die Integration des Systems auf allen Ebenen und in allen Strukturen des Unternehmens. Dazu zählt die Definition und Dokumentation risikopolitischer Grundsätze, der Aufbau einer Risikomanagementfunktion als Unterstützung der Koordinierung und Weiterentwicklung des Risikomanagementsystems, die Risikoverantwortung in den einzelnen Unternehmensbereichen und -prozessen mittels klarer Aufgaben und Verantwortung hinsichtlich Risikomanagement und Berichterstattung sowie die Definition von Anforderungen an die interne Revision zur Überprüfung der Wirksamkeit und Angemessenheit der eingeleiteten Maßnahmen. Der eigentliche Risikomanagementprozess schließlich vollzieht sich in den grundlegenden Phasen Risikoidentifikation, Risikoanalyse, Risikosteuerung und Risikoüberwachung. Die Bewertung der spezifischen Risiken erfolgt dabei in Risk-Maps durch Analyse von Eintrittswahrscheinlichkeiten und Auswirkungen [87, 94]. Das Integrierte Risikomanagement nach KPMG betont in der Gesamtbetrachtung den Chancenaspekt nicht gleichermaßen stark wie andere Konzepte. Für die praktische Anwendung fehlen zudem konkrete Ausgestaltungsempfehlungen.
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6.5.2.6 Risikomöglichkeits- und Einflussanalyse (RMEA) Der Name Risikomöglichkeits- und Einflussanalyse bzw. Risk Mode and Effects Analysis lehnt sich an die aus dem Qualitätswesen bekannte Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse (FMEA) an. Sie bildet ein unterstützendes Konzept zur Einführung eines strategischen Risikomanagements im Maschinen- und Anlagenbau, lässt sich aber auch auf andere Bereiche übertragen [81]. Die Errichtung eines Risikomanagementsystems lässt sich in drei Schritten vollziehen. Zunächst findet ein Initiierungsprozess statt, der die Organisation des Risikomanagements festgelegt. Hierbei werden das Risikomanagement positioniert und Verantwortlichkeiten definiert. Anschließend wird aus der Unternehmensstrategie eine adäquate Risikostrategie erstellt und davon allgemeine Risikoleitlinien abgeleitet. Ferner werden geeignete Methoden zur Risikoidentifizierung und Risikobewertung ausgewählt und dokumentiert. Mit der Gestaltung des Risikomanagementberichtswesens, in dem die Verfügbarkeit von Informationen auf inhaltlicher und formaler Ebene definiert wird, schließt der Prozess der Initiierung ab. Der folgende Schritt beschreibt die operative Umsetzung des Risikomanagements. Nach der Risikoinventur werden die ermittelten Risiken an Hand der ausgewählten Methoden klassifiziert und geeignete Risikosteuerungsmechanismen definiert. Die Tätigkeiten im Rahmen des Risikomanagements sowie Ergebnisse hinsichtlich der Effektivität der eingeleiteten Maßnahmen werden dokumentiert und geeignet zugänglich gemacht. Der letzte Hauptschritt umfasst den kontinuierlichen Verbesserungsprozess. Zur Schaffung einer positiven Risikokultur werden die Mitarbeiter und die Umwelt einbezogen. Dabei spielen Motivation, etwa durch das Kommunizieren erreichter Ziele und Vorbilder eine entscheidende Rolle. Zur kontinuierlichen Verbesserung zählen weiterhin interne und externe Kontrollprozesse und -organe, die die Wirksamkeit und Angemessenheit des Risikomanagements überwachen und steuern. Die Risikomöglichkeits- und Einflussanalyse zeichnet sich insbesondere durch einen sehr hohen Praxisbezug und gute Anwendbarkeit aus. Das Konzept ist jedoch auf mittelständische Unternehmen des Maschinen- und Anlagenbaus fokussiert.
6.5.3 Anwendung des Risikomanagements in Unternehmen 6.5.3.1 Probleme des Risikomanagements Aufgrund der Vielzahl der auf ein Unternehmen wirkenden Risiken beschränken sich viele wissenschaftliche Arbeiten auf die rein betriebswirtschaftliche oder technische Perspektive, liefern so kein zusammenhängendes Bild und vernachlässigen wesentliche Aspekte [95]. Zum Problem, eine interdisziplinäre Sicht zu gewinnen, kommt hinzu, dass der Zusammenhang zwischen Risikomanagement und Komplexität eine Planbarkeit in nur sehr eingeschränktem Maße zulässt. Nach Adam zeichnen sich gut strukturierte Planungsprobleme dadurch aus, dass sich die Planung auf eine modellhafte Abbildung der Planungsstruktur beschränkt [96]. In der Praxis entpuppen sich jedoch die meisten Planungsproble-
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me als schlecht strukturiert. Erben et€al. bezeichnet das Risikomanagement in diesem Zusammenhang als „Paradebeispiel für so genannte schlecht strukturierte Probleme“ [97].
Wirkungsdefekt
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Eine elementare Schwierigkeit des Risikomanagements liegt in der Identifikation von Kausalzusammenhängen [98]. Insbesondere in komplexen Systemen wie Unternehmen ist eine eindeutige Zuordnung von Ursache und entsprechender Wirkung oftmals nicht möglich. Dynamische Systeme sind ständigen Veränderungen ihrer Elemente und internen Beziehungen ausgesetzt. Zusätzlich tritt meist eine zeitliche Verzögerung zwischen Ursache und Wirkung auf. Dadurch ist die Identifikation der zugrundeliegenden Kausalzusammenhänge meist nicht mehr möglich [99]. Ein Ereignis kann zudem mehrere Folgen besitzen. Umgekehrt tritt ein Zustand oft nur beim Zusammenspiel mehrerer Folgen auf. Die Kombination aus Dynamik, Latenz, hochgradig ausgeprägten Interdependenzen und Rückkopplungseffekten erschwert die Planung des Risikomanagements in hohem Maße.
Bewertungsdefekt Aus der großen Komplexität eines Unternehmens ergibt sich eine Vielzahl verschiedener Handlungsmöglichkeiten und Systemzustände, die in ihrer Gesamtheit nicht erfassbar und bewertbar sind. Aus diesem Grund kann in der Praxis nur eine beschränkte Anzahl Alternativen berücksichtigt werden [93]. Zusätzlich führt die zunehmende Dynamik der Entwicklungen innerhalb und außerhalb eines Unternehmens zu einem schnelleren Eintreten unerwünschter Systemzustände. Daraus erwächst die Forderung nach einer schnellen Reaktion auf absehbare Entwicklungen, da mit steigender Identifikationsdauer der Handlungsspielraum zur Risikobewältigung immer kleiner wird. Auf der anderen Seite wächst mit der Zeitspanne zwischen ersten Anzeichen und Eintritt eines Zustandes auch die Unsicherheit der Prognosen, so dass die komplexen Wirkzusammenhänge kaum eine qualitative Bedeutung zulassen. Deshalb bedient sich das Risikomanagement statt analytisch-theoretischer Methoden zur Bewertung des Risikos zunehmend empirisch-statischer Verfahren [97]. Dieses Vorgehen, das sich auf die Extrapolation von Vergangenheitswerten stützt, liefert oftmals gute Näherungen, setzt allerdings eine kontinuierliche Entwicklung der Parameter voraus [100]. Zudem erfordern genaue Prognosen eine hinreichend große Datenbasis mit ähnlichen Zuständen.
6.5.3.2 Risikoverfassung Die Risikoverfassung stellt analog zur Unternehmensverfassung ein Regelwerk für die Ausgestaltung des Risikomanagements auf. Hierbei müssen rechtliche Vorschriften und Normen berücksichtigt werden, wie zum Beispiel das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) [101], Standards für die Prüfung des Risikoma-
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nagements durch die Interne Revision und Wirtschaftsprüfer, der Deutsche Corporate Governance Kodex (vgl. Kap.€1.1.4) und die Eigenkapitalverordnung Basel II. Das KonTraG wurde 1998 erlassen und sollte schwach ausgebildeten unternehmerischen Kontroll- und Informationsmechanismen sowie fehlendem Risikobewusstsein entgegenwirken. Durch Änderungen im Aktiengesetz (AktG), dem Handelsgesetzbuch (HGB) und dem Publizitätsgesetz (PublG) wurde die Leitungsaufgabe des Vorstandes, die Überwachungsfunktion des Aufsichtsrates und die Unterstützungsfunktion des Abschlussprüfers erweitert. Das Gesetz sieht explizit die Einrichtung und Kontrolle eines angemessenen Risikomanagements und einer entsprechenden Internen Revision vor. Formal betreffen diese Bestimmungen zwar nur Aktiengesellschaften (AG und KG a.€A.), in der Praxis beeinflussen sie jedoch auch andere Rechtsformen [102–106]. Außerdem schreibt dieses Gesetz die ausführliche Veröffentlichung der unternehmensrelevanten Chancen und Risiken im Lagebericht vor. Der Aufsichtsrat hat ferner die Verpflichtung, sich verstärkt mit der Kontrolle des Risikomanagements und der internen Kontrollsysteme auseinanderzusetzen. Während sich dieser somit mit der Zweck- und Verhältnismäßigkeitsprüfung des Risikomanagements beschäftigt, obliegt dem Abschlussprüfer die Kontrolle der Richtigkeit der im Lagebericht erwähnten Risiken und die Überprüfung der Existenz und Funktionsfähigkeit des Früherkennungs- und Überwachungssystems. Alle vom Unternehmen getroffenen Maßnahmen müssen zudem im Risikomanagement-Handbuch dokumentiert werden. Die neue Eigenkapitalverordnung Basel II des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht aus dem Jahr 2001 beinhaltet im Wesentlichen drei Themengebiete: den bankenaufsichtlichen Überprüfungsprozess (Supervisory Review Process), erweiterte Transparenzund Offenlegungspflichten (Market Discipline) und Mindestkapitalanforderungen bei der Kreditvergabe (Minimal Capital Requirements) [107, 108]. Die ersten beiden Gebiete genießen nur bankeninterne Bedeutung, der letzte Punkt beeinflusst jedoch unmittelbar die Kreditvergabe. Während die alte Verordnung Basel I unabhängig von der Bonität des Schuldners eine Hinterlegung der Kredite mit 8€% Eigenkapital vorsah, fließt in die Eigenkapitalhinterlegung nach Basel II nun der Risikoaspekt mit ein. Die Bewertung der Bonität geschieht dabei durch Ratings, denen verschiedene Bewertungskriterien zugrunde liegen. Die Banken können sich dabei auf externe Ratingagenturen verlassen oder eigene interne Ansätze verfolgen. Die externe Bewertung stellt jedoch den Standardweg dar.
6.5.3.3 Risikopolitik und -kultur Die Risikopolitik beschreibt die „bewusste, planvolle und zielgerichtete Auseinandersetzung mit dem Phänomen Risiko“ [109]. Sie betont den Managementaspekt und definiert die Rahmenbedingungen zum Aufbau eines Risikomanagementsystems [110]. Dabei werden risikopolitische Grundsätze durch die Unternehmensleitung festgelegt und dokumentiert [111]. Die Dokumentation soll über die Grundlagen des Risikomanagements informieren und den Mitarbeitern des Unternehmens als Leitlinie ihres individuellen Verhaltens dienen. Die Risikopolitik umfasst drei Aufgabengebiete. Zunächst müssen risikospezifische Begriffe – hierzu zählt beispielsweise die Festlegung und Erläuterung verschiedener Risikoarten – eindeutig definiert und die allgemeine Bedeutung des Risikomanagement-
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hoch
systems sowie seine Notwendigkeit und Funktionsweise erklärt werden [111]. Das zweite Aufgabengebiet umfasst die Anpassung des Risikomanagements an verschiedene interne oder externe Interessengruppen. Der dritte Aufgabenbereich beschäftigt sich mit der Definition risikospezifischer Verhaltensgrundsätze. Dabei soll das Handeln aller Unternehmensmitglieder auf das Sicherheitsziel des Unternehmens ausgerichtet werden [103]. Wichtig bei der Festlegung dieser Grundsätze ist eine ausreichende Konkretisierung, um Interpretations- und Verständnisprobleme zu reduzieren [112, 113]. Die Risikokultur stellt die „kollektive risikorelevante Einstellung und Verhaltensweise aller Mitarbeiter“ [81] dar. Sie spiegelt den Umgang mit Risiken im Unternehmen wieder. Da sich solch eine Risikokultur nicht etablieren lässt, sondern einer kontinuierlichen Entwicklung unterworfen ist, muss das Risikomanagement diese Entwicklung in eine gewünschte Richtung hin zu einer Soll-Kultur lenken [111]. Dabei ist die Vorbildfunktion der Unternehmensleitung von entscheidender Bedeutung. Verschiedene Unternehmen lassen sich hinsichtlich ihrer Risikokultur an Hand unterschiedlicher Merkmale unterscheiden. Einer der bekanntesten Typisierungen stammt dabei von Deal und Kennedy [114–117]. Zur Charakterisierung werden die Merkmale Risiko und Feedback herangezogen (s. Abb.€6.19). Ein anderer Ansatz unterscheidet wegen des großen Einflusses der Unternehmensleitung auf die Risikokultur verschiedene Managementstile. Die einzelnen Typen werden hier an Hand der Dimensionen Risiko und Kontrolle kategorisiert (s. Abb.€6.20). Der Umgang mit Risiken hat erheblichen Einfluss auf die Effizienz und Effektivität eines Systems. Aus diesem Grund kommt der Risikokultur eine Schlüsselrolle bei der Einführung und operativen Funktionalität des Risikomanagements zu [111]. Eine vorausschauende Risikokultur ermöglicht die Wahrung von Chancen und ein frühzeitiges Erkennen und Bewältigen von Risiken.
Investitionskultur „Bet your company“
Spekulationskultur „Tough guy macho“
Verwaltungskultur „Process“
Verkaufskultur „Work hard play hard“
gering
Risiko
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langsam
Abb. 6.19 ╇ Risikospezifische Unternehmenskulturen [in Anlehnung an 88, 117, 119]
schnell
Feedback
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hoch
Abb. 6.20 ╇ Risikomanagementstile [In Anlehnung an 113, 120]
Risikobewusst „Kontrollierter Unternehmer“
Risikoavers „Maus“
Risikopenibel „Bürokrat“
gering
Risiko
Risikoignorant „Cowboy“
gering
hoch
Kontrolle
6.5.3.4 Risikomanagementorganisation Die Risikomanagementorganisation liefert die strukturellen Grundlagen zur Ausgestaltung eines Risikomanagementsystems. Sie bildet den aufbauorganisatorischen Rahmen für das Risikomanagement und hat entscheidenden Einfluss auf den Risikomanagementprozess [121]. Bei der Wahl geeigneter Organisationsprinzipien spielen mehrere Faktoren, wie Unternehmensgröße oder Rechtsform eine Rolle [122–124]. Auf der Elementarebene lassen sich vier Merkmalspaare bilden, die bei der Strukturierung helfen können (s. Abb.€6.21). Zunächst lässt sich zwischen einer zentralistischen und einer dezentralen Struktur unterscheiden. Die Argumente für eine dezentrale Struktur beruhen auf der These, dass Risiken dort entstehen, wo Entscheidungen gefällt werden. In diesem Sinne wird jeder Entscheidungsträger in gewissem Umfang zum Risikomanager. Aufgrund der Nähe zum Tagesgeschäft und seinem hohen spezifischen Wissen kann er auftretende Risiken schnell identifizieren und bewältigen. Der Nachteil liegt in einer geringen Koordination der risikospezifischen Aktivitäten auf abteilungsübergreifender Ebene. Eine Lösung besteht darin, die Verantwortung für das Risikomanagement einer einzelnen Person oder Abteilung zu übertragen. Die zentrale Risikoidentifikation und -bewertung ermöglicht eine übergreifende Risikosteuerung. Zudem können sich die spezialisierten Mitarbeiter ein umfangreiches Repertoire verschiedener Risikomanagementstrategien aneignen. Die zweite Unterscheidung trennt die Stabsorganisation von der Linienorganisation. Während Stabsstellen sich durch ihre unterstützende Funktion gut für koordinierende und übergreifende Aktivitäten wie die Organisation der Risikokommunikation eignen, können sie nur in geringem Umfang Risikosteuerungsfunktionen übernehmen. Die Linienorgani-
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Zentralisation vs. Dezentralisation
Staborganisation vs. Linienorganisation
Integration vs. Separation
strategische vs. operative Verankerung
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Abb. 6.21↜╇ Organisationsprinzipien des Risikomanagements [In Anlehnung an 81]
sation ist hier von Vorteil, da die Entscheidungsträger durch ihre Befugnisse über aktive Gestaltungsmöglichkeiten verfügen. Die dritte Möglichkeit unterscheidet Separation des Risikomanagements von dessen Integration in andere Bereiche. Während beim getrennten Risikomanagement Spezialisierungseffekte zum Tragen kommen, ergeben sich durch die strikte Trennung jedoch gleichzeitig Redundanzen und schnittstellenbedingte Reibungsverluste [103, 125]. Integration bietet den Vorteil, dass organisatorische Synergien genutzt werden, da Entscheidungsträger immer auch Risikoabwägungen in ihre Entscheidungen einbeziehen müssen. Auf der anderen Seite ergeben sich für den Entscheidungsträger in diesem Fall oft Zielkonflikte zwischen Wirtschaftlichkeit und Sicherheit. Die vierte Möglichkeit der Gliederung bezieht sich auf die hierarchische Verankerung des Risikomanagements. Während sich eine operative Verankerung durch eine große Nähe zum Tagesgeschäft und ein hohes spezifisches Wissen auszeichnet, verfügt die Verankerung auf der strategischen Ebene über den Vorteil der besseren Kenntnis risikobehafteter Fragen der Unternehmensstrategie [124]. Dadurch wird eine objektive, unabhängige und übergreifende Berichterstattung über die jeweilige Risikosituation an die Unternehmensleitung ermöglicht. Das Risikomanagementsystem verankert die Umsetzung des Risikomanagements im Unternehmen und beinhaltet alle aufbau- und ablauforganisatorischen Elemente [126]. Für die Unternehmensleitung stellt das Risikomanagementsystem ein Führungsinstrument dar. Den Mitarbeitern dient es als Arbeitsinstrument, indem es standardisierte Methoden im Umgang mit Risiken zur Verfügung stellt. Das gesamte Risikomanagementsystem besteht aus insgesamt drei Teilsystemen. Das erste Element bildet das Früherkennungssystem. Es dient der frühzeitigen Erkennung, Verarbeitung und Weitergabe führungsrelevanten Wissens [127]. Die zweite Einheit ist das Controllingsystem (vgl. Kap.€6.4). Das dritte Element ist ein internes Überwachungssystem, das sich wiederum in die drei Teile organisatorische Sicherungsmaßnahmen, interne Kontrollen und interne Prüfungen gliedert. Organisatori-
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sche Sicherungsmaßnahmen verankern fehlervermeidende Prozesse und Strukturen in der Aufbau- und Ablauforganisation.
6.5.3.5 Risikoprogramm und -kommunikation Das Risikoprogramm umfasst normative und strategische Aspekte des Risikomanagements. Es bildet die Vermittlungsebene zwischen den richtungsweisenden Vorgaben der Risikopolitik und der operativen Risikomanagementebene. Das Risikoprogramm wird durch eine große Nähe zur allgemeinen Unternehmensstrategie geprägt und wird teilweise sogar als Teil derselben gesehen [110, 128, 129]. Das Risikoprogramm ist abhängig von den Zielen des Unternehmens und deshalb nah an der Unternehmensleitung angesiedelt. Im Risikoprogramm werden Grenzwerte bzw. Eingriffsgrenzen festgelegt, bei deren Überschreiten definierte Aktionen im Rahmen effektiver Risikosteuerung ausgelöst werden. Diese Grenzen müssen sinnvoll gewählt werden, so dass einerseits keine wesentlichen Risiken übersehen werden, zum anderen aufgrund einer Vielzahl von Bagatellrisiken keine Risikohysterie stattfindet. Wie die Eingriffsgrenzen konkret festgelegt werden, lässt sich nicht verallgemeinern, da sie abhängig von individuellen Randbedingungen sind. Beispielsweise kann als Grenzwert festgelegt werden, dass der Umsatz mit einem Kunden am Gesamtumsatz nicht mehr als 15€% darstellen darf [113]. Die Risikokommunikation dient dem bereichsübergreifenden Austausch von risikorelevanten Informationen und muss sich deshalb mit verschiedenen Anspruchsgruppen auseinandersetzen. Es empfiehlt sich, einerseits regelmäßig Informationen in formalisierter Form weiterzugeben, andererseits in gewissen Situationen flexibel durch Ad-Hoc-Berichterstattung reagieren zu können [130]. Bei der Informationsweitergabe sind die Grundsätze Wesentlichkeit, Genauigkeit, Vollständigkeit und Einheitlichkeit zu berücksichtigen. Alle wesentlichen Informationen müssen enthalten und leicht auffindbar sein und alle Informationen müssen sachlich richtig sowie so genau wie nötig sein. Bei der Risikokommunikation werden die beiden Ebenen interne und externe Risikokommunikation unterschieden. Die externe Unternehmenskommunikation ist teilweise bereits durch die Risikoverfassung festgelegt. Bezogen auf darüber hinausgehende Öffentlichkeitsarbeit genießt das Management jedoch deutliche Freiräume. Dabei hat sich gezeigt, dass eine proaktive und glaubwürdige Darstellung des Unternehmensrisikos Wettbewerbsvorteile schafft [131, 108]. Die interne Risikokommunikation findet in horizontaler und vertikaler Richtung statt, da meist mehrere Bereiche und Hierarchieebenen von einem Risiko betroffen sind. Sie stellt sicher, dass Informationen über getroffene Risikosteuerungsmaßnahmen und nicht bewältigte Risiken weitergegeben werden.
6.5.3.6 Risikomanagementprozess Der Risikomanagementprozess beschäftigt sich mit dem operativen Umgang mit Risiken. Er umfasst vier Kernelemente, die einen kontinuierlichen Prozess bilden: Risikoidenti-
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fizierung, Risikobewertung, Risikosteuerung und Risikokontrolle. Im ersten Schritt findet die Identifizierung der Risiken statt. Dabei sind die Postulate der Vollständigkeit, Richtigkeit, Aktualität, Wesentlichkeit, Systematik und Flexibilität zu beachten. Zunächst müssen die Risiken vollständig und richtig erfasst werden. Weiterhin ist auf eine frühzeitige Identifizierung zu achten, da der Handlungsspielraum zur Risikosteuerung im Laufe der Zeit abnimmt. Zudem müssen die zu behandelnden Risiken unter Beachtung von Kosten-Nutzen-Aspekten auf wesentliche Risiken beschränkt werden. Der Prozess der Risikoidentifikation muss außerdem standardisiert, systematisch und kontinuierlich erfolgen. Die Flexibilität stellt schließlich die Anpassung der Risikoidentifikation an veränderte Rahmenbedingungen sicher. Bei der Identifikation von Risiken stehen verschiedene Methoden zur Verfügung. Dazu zählen beispielsweise Kollektionsmethoden wie Checklisten, Interviews, Befragungen oder Betriebsbesichtigungen. Diese Methoden eignen sich besonders zur Identifikation bestehender und offensichtlicher Risiken. Daneben gibt es Suchmethoden. Hierzu gehören strukturierte Fragenkataloge, morphologische Verfahren, Ereignisablaufanalysen, Fehlerbaumanalysen, Brainstorming oder andere analytische und kreative Methoden. Bei diesen Techniken werden überwiegend bisher unbekannte Risikopotenziale aufgezeigt. Im zweiten Schritt findet die Bewertung, Analyse und Klassifizierung der identifizierten Risikopotenziale statt. Besonders verbreitet ist hierbei die Risk Map [103, 130]. In ein zweidimensionales Portfolio werden Risiken an Hand der Merkmale Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensausmaße eingeordnet. Das Portfolio wird in Bereiche eingeteilt, die verschiedene Risikoklassen darstellen. Als Bagatellrisiken werden solche Risiken bezeichnet, die sehr unwahrscheinlich sind und nur marginale Auswirkungen besitzen. Umgekehrt sind Katastrophenrisiken Szenarien mit hoher Wahrscheinlichkeit und sehr großem Schadensausmaß. Dazwischen befinden sich abgestuft andere Risikoklassen. Zusätzlich zu den aus der Risk Map definierten Dimensionen wird die Risikotransparenz eingeführt. Sie gibt an, wie früh ein Risiko erkennbar ist bzw. wie groß der Aufwand zur Behebung der Risiken ist. Ein Risikopotenzial wird auf einer ganzzahligen Skala mit einem Wert zwischen 1 (sehr gering) und 10 (sehr hoch) bewertet. Durch Multiplikation der drei Werte wird die Risikoprioritätszahl ermittelt, wobei ein Produkt von 125 ein mittleres Risiko beschreibt [85, 132]. Als Alternative bieten sich Scoring-Modelle an. Weit verbreitet ist an dieser Stelle der Business Environmental Risk Index, der die Berücksichtigung internationaler Risikoaspekte gestattet [133]. Vor der Einleitung von Steuerungsmaßnahmen werden die Einzelrisiken zu einem Gesamtrisiko aggregiert. Im dritten Schritt erfolgt die Risikosteuerung. Hier werden Handlungsstrategien festgelegt, um ein identifiziertes Bruttorisiko in ein zu tragendes Restrisiko (Nettorisiko) zu transformieren. Zu den möglichen Methoden zählen Risikovermeidung, Risikoverminderung, Risikobegrenzung, Risikoüberwälzung und Risikoakzeptanz [81]. Risikovermeidung und Risikoverminderung zielen beide auf eine partielle oder vollständige Auslöschung der verantwortlichen Risikoquellen. Bei der Risikovermeidung wird ein mit Risiken verbundenes Ziel dabei vollständig aufgegeben, während mit der Risikoverminderung nur Einschränkungen hinsichtlich der Zielerreichung verbunden sind. Die Risikobegrenzung reduziert das zu erwartende Schadensausmaß potenzieller Risiken. Risikoüberwälzung beschreibt den Transfer von Risiken auf andere Risikoträger. Beispielhaft sei hier die Übertragung auf Versicherungsunternehmen (Insurance Risk Transfer) genannt. Die Risikoakzeptanz
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schließlich definiert das verbleibende Restrisiko, das selbst zu tragen ist. Sinnvoll ist diese Strategie bei Bagatellrisiken oder beim bewussten Eingehen von Risiken zum Nutzen unternehmerischer Chancen. Als letzter Schritt fällt die Risikokontrolle an. Hier wird die Wirksamkeit der eingesetzten Steuerungsmaßnahmen überwacht und dokumentiert.
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Vernetzte Wertschöpfung und Kooperationsmanagement Günther Schuh, Achim Kampker und Moritz Rittstieg
Kurzüberblick╇╛Die Wirtschaft des 21. Jahrhunderts zeichnet sich dadurch aus, dass Unternehmen in stärkerem Maße als bisher mit einer sich diskontinuierlich verändernden Unternehmensumwelt konfrontiert werden. Die Unkalkulierbarkeit und Dynamik, mit dem sich der Wandel der Unternehmensumwelt auf verschiedenen Ebenen vollzieht, macht ihn zum stärksten Treiber von tiefgreifenden Veränderungen in der Unternehmensführung. Eine Hauptaufgabe der Unternehmensführung produzierender Unternehmen besteht darin, auf die Veränderungen des externen Handlungsumfelds zu reagieren. Veränderungen betreffen Märkte, Kundenbedürfnisse, Branchen, Technologien und weitere Größen der Unternehmensumwelt, die in Kap.€7.1 vorgestellt werden. Die heutige Komplexität der Unternehmensumwelt hat zudem zu einer großen Vielfalt an unternehmensübergreifenden Wertschöpfungsprozessen und Kooperationsformen geführt, die Unternehmen untereinander verbinden. Historische Entwicklung und Ausprägungen der heutzutage charakteristischen vernetzten Wertschöpfung werden in Kap.€7.2 thematisiert. Wertschöpfungsnetzwerke können den Unternehmensnetzwerken zugeordnet werden. Kooperationen und Unternehmensnetzwerke werden in Kap.€7.3 vorgestellt und in ihrer Vielfalt anhand von charakteristischen Merkmalen gegeneinander abgegrenzt. Kapitel€7.4 ist dem Management von Kooperationen und unternehmensübergreifenden Wertschöpfungsaktivitäten gewidmet. Ausgewählte Modelle und MeÂ� thodiken zu zentralen Themenfeldern des Managements von Kooperationen werden vorgestellt.
G. Schuh () 52074 Aachen, Deutschland E-Mail:
[email protected]
G. Schuh, A. Kampker (Hrsg.), Strategie und Management produzierender Unternehmen, DOI 10.1007/978-3-642-14502-5_7, ©Â€Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
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7.1 Unternehmensumwelt Das Verständnis eines Unternehmens als komplexes System, das der Betriebshütte in Anlehnung an die St. Galler Management Schule zugrunde liegt, [1, 2] fordert die Unterscheidbarkeit eines Unternehmens als Ganzheit von Elementen seiner Umwelt. Unterscheidbarkeit impliziert, dass Grenzen feststellbar sein müssen, anhand derer ein Unternehmen von seiner Umwelt abgegrenzt werden kann [1]. Dennoch wird das Unternehmen als Teil seiner Umwelt verstanden. Als Strukturierungshilfe für den Leser wird im Folgenden der Ordnungsrahmen Produktion und Management (vgl. Abb.€7.1) für die Beschreibung der Unternehmensumwelt verwandt, der in Kap.€1.1 detailliert vorgestellt wird.
7
7.1.1 Ordnungsrahmen „Produktion und Management“ In Anlehnung an die St. Galler Management Schule liegt dem Ordnungsrahmen Produktion und Management das Verständnis zugrunde, nach dem ein Unternehmen niemals Selbstzweck ist, sondern durch seine Geschäftstätigkeit einen gesellschaftlichen Nutzen stiften muss in aktiver Interaktion mit verschiedensten Anspruchsgruppen der Unternehmung. Alle Anspruchsgruppen im Ordnungsrahmen haben spezifische Anforderungen an ein produzierendes Unternehmen, das diese angemessen berücksichtigen muss. Die Art des gestifteten Nutzens ist hierbei abhängig von der jeweiligen Anspruchsgruppe. Aufgrund der Bedeutung von Anspruchsgruppen für eine Unternehmung werden die einzelnen Anspruchsgruppen in Kap.€7.1.1.1 detailliert vorgestellt. Die Anspruchsgruppen sind darüber hinaus Teil der Umweltsphären, von denen produzierendes Unternehmen umgeben wird. Die Umweltsphären einer Unternehmung werden in Kap.€7.1.1.2 vorgestellt.
7.1.1.1 Anspruchsgruppen Bei den auf der äußeren Schale des Ordnungsrahmens „Produktion und Management“ angeordneten Anspruchsgruppen handelt es sich um organisierte oder nicht-organisierte Gruppen von Menschen, Organisationen und Institutionen, die von den Wertschöpfungsaktivitäten einer Unternehmung positiv wie negativ betroffen sind. Die Auswahl der aufgelisteten Anspruchsgruppen lässt sich auf eine strategische bzw. normativ kritische Perspektive auf ein Unternehmen als Teil seiner Umwelt zurückführen. Im strategischen Anspruchsgruppenkonzept nach Freeman orientiert sich die Auswahl der relevanten Anspruchsgruppen an der Wirkmächtigkeit der Ansprüche und Interessen einer Anspruchsgruppe und ihren Einfluss auf die zukünftige Entwicklung der Unternehmung. Das normativ-kritisch (ethische) Anspruchsgruppenkonzept erkennt grundsätzlich alle Menschen,
Staat
Natur
Öffentlichkeit, NGOs
Technischer Vertrieb
Management industrieller DL
Einkaufsmanagement
Qualitätsmanagement
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Fabrikplanung
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Unternehmensentwicklung Umweltsphären
Unternehmensprozesse
Mitarbeitende
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Anspruchsgruppen
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Produktions- und Logistikmanagement
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Kapitalgeber
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Technologiemanagement
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Normen und Werte
Technologie Wirtschaft
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Abb. 7.1↜渀 Der Ordnungsrahmen Produktion und Management
Lieferanten, Partner
Wettbewerb
Gesellschaft
7â•… Vernetzte Wertschöpfung und Kooperationsmanagement 465
tri eb
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unabhängig von deren Einflussmöglichkeiten, ihrer Macht und Stellung, die von den Wertschöpfungsaktivitäten einer Unternehmung positiv wie negativ tangiert werden können, kraft ihres Menschseins und ihrer Menschenwürde als relevante Anspruchsgruppen an. Die aufgeführten Anspruchsgruppen als zentrales Element der Unternehmensumwelt werden im Folgenden anhand ihrer charakteristischen Merkmale vorgestellt.
Kapitalgeber
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In der Anspruchsgruppe der Kapitalgeber wird zwischen Eigen- und Fremdkapitalgeber unterschieden. Trotz im Allgemeinen korrespondierender Interessen von Eigen- und Fremdkapitalgebern können sich in Einzelfragen erhebliche Unterschiede in der Interessenslage ergeben. Eine Trennung wird zur Beschreibung beider Gruppen vorgenommen, obwohl in der Praxis bestimmte Gruppen sowohl als Eigenkapital-, als auch als Fremdkapitalgeber auftreten können. Ebenso ist es möglich, dass Fremdkapitalgeber (z.€B. Banken) zwar nicht gleichzeitig auch Eigenkapitalgeber sind, aber selbige im Wege des Depotstimmrechts vertreten. Diese Stakeholder-Doppelfunktion kann zu einem Interessenkonflikt führen. Eigenkapitalgeber (Shareholder) haben für eine Unternehmung eine herausragende Bedeutung und gelten demnach als wichtigste Anspruchsgruppe [3]. Die Bedeutung der Eigenkapitalgeber ist zum Einen auf die gesetzlich zugesicherten Eigentumsrechte zurückzuführen, zum Anderen beeinflussen sie die notwendige finanzielle Sicherheit der Unternehmung. Die Sicherung der finanziellen Versorgung einer Unternehmung ist mit der Anforderung verbunden, über einen längeren Zeitraum einen angemessenen Nutzen für seine Eigenkapitalgeber zu generieren [4]. Vorrangiges Ziel der Eigenkapitalgeber ist die Wertsteigerung des Unternehmens. Durch die Wertsteigerung der Unternehmung wird eine erhöhte Gewinn-, bzw. Dividendenausschüttung möglich. Als Folge ist eine Erhöhung des Wertes eines Unternehmensanteils zu erwarten [5]. Dabei liegt es im Interesse der Eigenkapitalgeber, dass die erzielte Rendite, also die Gewinnausschüttung in Relation zum investierten Kapital, mindestens der marktüblichen Verzinsung vergleichbarer Anlagen entspricht. In Ergänzung zu den materiellen Zielen, welche die Eigenkapitalgeber an eine Unternehmensbeteiligung knüpfen, existieren immaterielle Nutzenvorstellungen. Immaterielle Nutzenvorstellungen von Eigenkapitalgebern beinhalten sowohl den Wunsch nach „Macht, Mitsprache, Mitentscheidung und Einflussnahme durch Mitverwaltung“, als auch den „Anspruch auf Information und unter Umständen Risikobeschränkung bzw. –streuung.“ [6]. Die Bedeutung der Fremdkapitalgeber steht weniger im Fokus der wissenschaftlichen Diskussion. Die Einflussmöglichkeiten der Fremdkapitalgeber hängen entscheidend von dem Grad der Verschuldung der Unternehmung ab, so dass diese bei einem Unternehmen mit geringer Eigenkapitalquote durchaus Einfluss auf wichtige Entscheidung haben können. Die Bedeutung der Fremdkapitalgeber wird ebenfalls von der Wettbewerbsintensität auf dem Kapitalmarkt entscheidend geprägt. Durch einen hohen Wettbewerbsdruck unter den Banken schwindet ihre Macht. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass häufig
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467
nur Großunternehmen einen uneingeschränkten Zugang zum Kapitalmarkt haben. Für Mittel– und Kleinunternehmungen gilt der genannte Zusammenhang nicht uneingeschränkt. Im Falle einer durch einen hohen Anteil an Streubesitz gekennzeichneten Aktiengesellschaft kann sich insbesondere der Einfluss der Banken durch das von ihnen ausgeübte Depotstimmrecht noch erheblich ausweiten und im Einzelfall durchaus den Einfluss der Eigenkapitalgeber übersteigen [3]. Weitere Bedeutung können Fremdkapitalgeber durch die bei ihnen möglicherweise vorhanden Information über das Geschäftsumfeld einer Unternehmung haben, die für eine Unternehmung von erheblichem Wert sein können. Die Ziele, welche Fremdkapitalgeber mit ihrem Engagement in einer Unternehmung verbinden, entsprechen meistens den für die Kreditvergabe vertraglich festgeschriebenen Konditionen [7]. Analog zu den Eigenkapitalgebern erwarten auch die Fremdkapitalgeber eine dem Marktniveau entsprechende Verzinsung ihres bereit gestellten Kapitals [8]. Im Unterschied zu den Eigenkapitalgebern haben Fremdkapitalgeber jedoch ein höheres Sicherheitsverlangen und haben daher kein Interesse an einer extrem expansiven und risikoreichen Unternehmenspolitik. Sie wirken typischerweise mäßigend auf die Unternehmensführung ein. Auch werden seitens der Fremdkapitalgeber in der Regel Sicherheiten für die zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel verlangt (z.€B. Vermögenswerte, Bürgschaften, Garantien, etc.).
Mitarbeiter Mitarbeitern kommt im Leistungserstellungsprozess einer Unternehmung eine zentrale Rolle zu [9]. Sie sind für den Unternehmenserfolg von großer Bedeutung. Übergeordnetes Ziel der Mitarbeiter ist eine erhöhte Lebensqualität [3]. Dieses übergeordnete Ziel einer erhöhten Lebensqualität lässt sich in drei Teilziele aufgliedern, die für die Anspruchsgruppe Mitarbeiter charakteristisch sind und im Folgenden zur Beschreibung der Mitarbeiter als Anspruchsgruppe genutzt werden sollen: Existenzsicherung, Lebensunterhaltsfinanzierung und Selbstverwirklichung. Die Existenzsicherung umfasst die Erhaltung des Arbeitsplatzes, soziale Absicherung und die Sicherheit am Arbeitsplatz. Die Erhaltung des Arbeitsplatzes hängt dabei untrennbar mit der Überlebensfähigkeit der Unternehmung zusammen. Der Aspekt der sozialen Absicherung umfasst die gesetzlich geforderten Arbeitgeberbeiträge zu den bestehenden Sozialversicherungen sowie freiwillige Sozialleistungen der Unternehmung. Der Grad der Erreichung des Teilziels Lebensunterhaltsfinanzierung ist von der Höhe der Entlohnung sowie möglicher Erfolgs– und Kapitalbeteiligungen an der Unternehmung abhängig. Bezüglich dieses Teilziels ist demnach eine möglichst hohe Entlohnung im Interesse der Mitarbeiter. Das Teilziel Selbstverwirklichung ist von immateriellen Werten abhängig. Die unternehmerische Mitbestimmung, welche in Deutschland ohnehin gesetzlich verankert ist, trägt zur Erreichung dieses Ziels bei. Auch Weiterbildungs- und Aufstiegschancen, eine gewisse Souveränität der Mitarbeiter (z.€B. flexible Arbeitszeitgestaltung) sowie „die positive Gestaltung der sozialen Beziehungen innerhalb der Unternehmung“ tragen zum Teilziel der Selbstverwirklichung bei [3].
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Kunden
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Die Kunden einer Unternehmung stehen im Fokus der geschäftlichen Aktivitäten einer Unternehmung [9]. Der Erfolg einer Unternehmung hängt in erster Linie von ihrer Fähigkeit ab, die Bedürfnisse der Kunden zu befriedigen, bzw. diese besser befriedigen zu können als die Mitbewerber [10]. Die Bedeutung der Kunden leitet sich weiter aus deren Potenzial ab, starken Druck auf die Unternehmung ausüben zu können (z.€B. durch kollektive Boykottaktionen und wachsende Anforderungen) [11]. Als übergeordnetes Ziel der Anspruchsgruppe Kunden lässt sich die optimale Bedürfnisbefriedigung identifizieren, der vier Teilziele zugeordnet werden können: Marktleistung, Preis, Sicherheit und periphere Leistungen. Die Anspruchsgruppe der Kunden lässt bezüglich der Nutzenerwartung der Akteure weiter in 4 Segmente zu unterteilen – Endverbraucher, Großhandel, Detailhandel sowie industrielle Abnehmer – die die oben genannten Ziele teilen, sich allerdings durch die Setzung ihrer Prioritäten bezüglich der Teilziele unterscheiden.
Lieferanten Über die Bedeutung der Lieferanten als Anspruchsgruppe einer Unternehmung herrscht in der Literatur keine grundsätzliche Einigkeit. In Teilen der traditionellen Literatur wird die Bedeutung der Lieferanten beschränkt auf ihrer „Beschaffungsfunktion“ für eine Unternehmung analysiert. Das modernere Verständnis der Anspruchsgruppen Lieferanten berücksichtigt die Abhängigkeit vieler Unternehmungen von ihren Lieferanten und das daraus resultierende Bedrohungspotenzial. Aufgrund des von ihnen ausgehenden Bedrohungspotenzials sind nach diesem Verständnis auch Lieferanten entsprechend ihrer Nutzenerwartungen zu analysieren. Die Bedeutung der Lieferanten für eine Unternehmung variiert je nach Art der Lieferbeziehung [3, 12]. So können beispielsweise kleine Lieferanten in ein Abhängigkeitsverhältnis zu den belieferten Unternehmungen geraten. Durch die resultierende Nachfragemacht ist das Bedrohungspotenzial durch den Lieferanten unter Umständen gering und analog auch die Bedeutung als Stakeholder. Ein Lieferant, der in einem hohen Maße in den Produktionsprozess einer Unternehmung integriert ist und nicht substituierbar ist, ist für die Unternehmung möglicherweise überlebenswichtig. Das übergeordnete Ziel der Lieferanten liegt in der eigenen Existenzerhaltung und entwicklung und gleicht damit im Wesentlichen dem Ziel einer jeden Unternehmung [3]. Dieses Ziel lässt sich in Anlehnung an Janisch durch „eine eigene Unternehmenswertsteigerung sowie eine gewisse Unabhängigkeit“ erreichen. Letzteres gibt einen Hinweis auf die Sicherheitsinteressen, die von den Akteuren der Anspruchsgruppe Lieferanten verfolgt werden und sich als Anspruch auf Zahlungsfähigkeit des Abnehmers, faire Zahlungsmoral sowie möglichst langfristige Lieferbeziehungen zusammenfassen lassen. Charakteristisch ist ihr Ziel der Reduzierung der eigenen Substituierbarkeit, die durch Integration in den Prozessablauf des Abnehmers beabsichtigt wird [9].
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Wettbewerber Die Bedeutung der Wettbewerber für eine Unternehmung ist vor allem in ihrem Einfluss auf andere Anspruchsgruppen zu. Dabei ist ein Wettbewerber definitionsgemäß jeder Marktteilnehmer, der seine absatzpolitischen Aktivitäten auf die gleichen Kunden ausrichtet. Die für die Einschätzung des Einflusses der Wettbewerber maßgebliche Wettbewerbsstruktur wird nach Porter durch die Verhandlungsstärke der Kunden, die Verhandlungsstärke der Lieferanten, die Bedrohung durch neue Konkurrenten, die Gefahr durch Substitutionsprodukte und den Grad der Rivalität geprägt [13]. Die Bedeutung der Wettbewerber als Stakeholder korreliert dabei positiv mit der Wettbewerbsintensität. Die Wettbewerber sind dabei nicht notwendigerweise ausschließlich als Bedrohung anzusehen, da eine Kooperation mit ihnen im Bezug auf eventuelle Wettbewerbsvorteile für eine Unternehmung durchaus lohnenswert sein kann [9]. Das übergeordnete Interesse der Wettbewerber als eigenständige Unternehmungen liegt im Allgemeinen analog zu der Anspruchsgruppe der Lieferanten in ihrer eigenen Existenzerhaltung und -entwicklung. Im Rahmen dieses Interesses verfolgen die Wettbewerber die Sicherung ihrer unternehmerischen Aktivitäten, die eigene Unternehmensentwicklung, den Erhalt bzw. Ausbau der Marktmacht und die Erwirtschaftung einer Dividende als Teilziele.
Staat Die Bedeutung des Staates ins seiner Funktion als Anspruchsgruppe einer Unternehmung ist im Allgemeinen als eher durchschnittlich zu betrachten [12]. So verfügt der Staat zwar über durchaus effektive Mittel, seine Interessen durchzusetzen (Gesetze, Verordnungen, Ausrichtung der Wirtschaftspolitik etc.), „er wird sie aber in der Regel in einer gesellschaftlichen, demokratischen, freien Grundordnung nur im Rahmen seiner Oberziele zum Schutz des Gemeinwohls einsetzen.“ [9]. In der Literatur herrscht weitestgehend Einigkeit darüber, dass das übergeordnete Ziel staatlichen Handels im Bezug auf eine Unternehmung die Wohlfahrt der Bevölkerung ist [14]. Die Beeinflussungen des Staates zur Erreichung des Ziels der Wohlfahrtsmaximierung für die Bevölkerung beeinflusst der Staat verschiedene Themengebiet: Im Fokus der sozialpolitischen Interessen des Staates stehen die Themen Verteilungsgerechtigkeit, Arbeitsschutzgesetzgebung und die betriebliche Mitbestimmung. Darüber hinaus ist der Staat bemüht ist, das Überleben von Großunternehmen zu sichern, um „Massenentlassungen und deren Konsequenzen zu verhindern“ [7]. Im Hinblick auf die Wirtschaftspolitik stehen Unternehmen mit zunehmender Größe im Fokus der Staatsinteressen, da gerade von diesen die Erreichung volkswirtschaftlicher Ziele abhängen (z.€B. Vollbeschäftigung, Preisstabilität, Wachstum des Bruttoinlandprodukts etc.). Im Bereich Wettbewerbspolitik ist es das Ziel des Staates, einen funktionierenden Markt aufrecht zu erhalten und daher Kartellabsprachen unter Unternehmen zu verhindern und ggf. auch zu sanktionieren [3, 15]. Im Rahmen der Raumordnungspolitik strebt der Staat danach, die Standortwahl der Unternehmungen in seinem Interesse zu beeinflussen. Dieses Interesse
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kann zum Beispiel in der Stärkung eines industriell wenig entwickelten Gebietes liegen und mittels Subvention, Sanktionen, Auflagen und ähnlichem durchaus effektiv verfolgt werden [7]. Ebenfalls relevant können für ein Unternehmen die Aktivitäten des Staates im Bereich der Außen- und Rüstungspolitik sein, die sich für eine Unternehmung sowohl positiv als auch negativ auswirken können. Ein zunehmend wichtiges Interesse des Staates liegt in der Erhaltung des Lebensraumes seiner Bürger und zukünftiger Generationen, also der natürlichen Umwelt. Aktivitäten von Unternehmungen, die der Umwelt in überzogenem Maße schaden, wird der Staat entsprechend entgegenwirken [3]. Die beschriebenen Aktivitäten und Interessen des Staates auf den verschiedenen politischen Feldern sind immer auch vor dem Hintergrund zu beleuchten, dass der Staat seine benötigten finanziellen Mittel zu einem nicht unwesentlichen Teil durch die Steuerzahlungen der (Groß-)Unternehmen erhält [9].
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Öffentlichkeit Die Bedeutung der Öffentlichkeit als Anspruchsgruppe hängt wesentlich von der Größe der betrachteten Unternehmung ab. So sieht Janisch eine Großunternehmung als „quasiöffentliche Institution“ [2] mit weitreichenden wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen auf seine Umwelt. Eine Großunternehmung steht demzufolge im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Obwohl die Öffentlichkeit gerade an den Großunternehmungen großes Interesse hat, ist ihr Einfluss auf diese dennoch begrenzt. Der Grund für diesen Umstand liegt darin, dass die Öffentlichkeit im Vergleich zu anderen Anspruchsgruppen (wie etwa dem Staat) über nur beschränkt wirksame Mittel verfügt, diese auch durchzusetzen (z.€B. moralische Appelle und öffentliches Anprangern durch die Medien) [16]. einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsordnung mit einflussreichen Medien „als Artikulationsforum öffentlichen Anliegens“ [3] ist dennoch davon auszugehen, dass eine Missachtung der Nutzenerwartungen der Öffentlichkeit „einem grobfahrlässigen Verhalten seitens der Unternehmung gleichkäme.“ [3].
7.1.1.2 Umweltsphären Die Umweltsphären des Ordnungsrahmens Produktion und Management stellen in Anlehnung an die St. Galler Management Schule in diesem Zusammenhang zentrale Kontexte der unternehmerischen Tätigkeiten dar, die abhängig von der Branche und Tätigkeit des Unternehmens unterschiedliche Rahmenbedingungen vorgeben [17]. Für die Analyse der Unternehmensumwelt stellen die Umweltspähren Strukturierungshilfen dar, um Trends und Ereignisse zu erkennen, die potenziell die Unternehmensstrategie direkt wie auch indirekt beeinflussen können.
Gesellschaft Die Umweltsphäre Gesellschaft bündelt die sozialen Aspekte der Unternehmensumwelt. Sie stellt die umfassendste Umweltsphäre dar, da sie alle anderen Sphären beeinflusst. Sie
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wirkt auf das ökologische Verständnis (Natur) ein, beeinflusst die Entstehung und Weiterentwicklung von Technologien und gibt die Rahmenbedingungen der wirtschaftlichen Wertschöpfung vor. Von den Entwicklungen in der Umweltsphäre Gesellschaft hängen in der Regel auch die Entwicklung der anderen Umweltsphären ab. Es ist deshalb von besonderer Bedeutung, die maßgeblichen Aspekte dieser Umweltsphäre zu kennen. Beispielhafte Aspekte der Umweltsphäre Gesellschaft: [18] • Leistungsbereitschaft und Bildungsstand der Bevölkerung • Offenheit der Bevölkerung gegenüber Fremden und Neuem • Risikobereitschaft der Bevölkerung • Altersstruktur der Bevölkerung • Einkommens- und Reichtumsverteilung • Soziale Probleme und Konfliktpotenziale • Rolle des Staates, Formen der politischen Meinungsbildung • Staatliche Normen und Rahmenbedingungen • Politisches Kräftefeld • Öffentliche Infrastruktur, Bildungsangebot
Natur Die Umweltsphäre Natur umfasst die ökologischen Aspekte der Unternehmensumwelt. Die Wahrnehmung der Natur als Umweltsphäre hängt entscheidend von der öffentlichen Meinung betreffend ökologischer Fragen ab und kann demnach von in jedem Land bzw. jeder Kultur anders ausgeprägt sein. Die Natur ist also keinesfalls eine gegebene Größe, sondern ist in engem Zusammenhang mit der Umweltsphäre Gesellschaft zu betrachten. Eine genaue Analyse der Umweltsphäre Natur bezüglich ihrer Aspekte ist deshalb für Unternehmen von gehobener Bedeutung, insbesondere für global agierende Konzerne. Beispielhafte Aspekte der Umweltsphäre Natur: [18] • Ressourcenreichtum (Luft, Wasser, Bodenfläche, Bodenschätze, und Rohstoffe) • Zugang zum Meer • Agrarpotenzial • Topografie • Klima (Temperatur, Feuchtigkeit, Unterschiede im Tages- und Jahresverlauf) • Artenreichtum (Pflanzen und Tiere) • Kontamination
Technologie Die Umweltsphäre Technologie ist wie auch die Natur in engem Zusammenhang mit der Gesellschaft zu sehen. So prägt die öffentliche Diskussion beispielsweise die Wahrnehmung
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der Technologie bezüglich ihres Risikos. Auch die ökonomische Dynamik, und insofern die Umweltsphäre Wirtschaft, hat Einfluss auf die Umweltsphäre Technologie. Für eine Unternehmung ist es daher wichtig sowohl den Aspekt der Umweltsphäre Technologie als auch die Bildung regionaler Technologie-Cluster kontinuierlich zu beobachten.
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Beispielhafte Aspekte der Umweltsphäre Technologie: [18] • Bio- und Gentechnologien • Verfahrenstechnologien • Materialtechnologien • Energiegewinnungstechnologien • Verkehrstechnologien • Kommunikations- und Informationstechnologien
Wirtschaft Unstrittig unterliegt auch die Umweltsphäre Wirtschaft stark dem Einfluss der gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten. Sie umfasst volkswirtschaftliche Aspekte der Unternehmensumwelt und schließt Kooperationen und weitere Wertschöpfungsbeziehungen zwischen Unternehmen mit ein. Dabei ist diese Umweltsphäre der Bewegungsraum für die vielfältigen unternehmerischen Aktivitäten. Eine Analyse der Umweltsphäre Wirtschaft bezüglich ihrer Aspekte ist daher für eine Unternehmung von großer Bedeutung. Beispielhafte Aspekte der Umweltsphäre Wirtschaft: [18] • Volkswirtschaftliche Rahmenbedingungen • Zugang zu Beschaffungs- und Absatzmärkten • Effizienz von Arbeits- und Finanzmärkten, Verfügbarkeit von Kapital • Anbieter- und Abnehmerkonzentration • Verkehrsinfrastruktur • Telekommunikationsinfrastruktur
Normen und Werte Die Umweltsphäre Werte und Normen wird von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen stark beeinflusst. Aus den Werten und Normen leiten sich die die Anforderungen an den Staat für die Gestaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen ab. Durch den Einfluss auf rechtliche Aspekte der Unternehmensumwelt beeinflussen die Werte und Normen einer Gesellschaft deren Wohlstand maßgeblich.
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Beispielhafte Aspekte der Umweltsphäre Normen und Werte: [18] • Rechtliche Rahmenbedingungen • Legetimierungs- und Entscheidungsprozesse • Umgang mit ethischen Fragestellungen neuer Technologien • Arbeitszeit- und Entlohnungsmodelle • Schließung von Produktionsstandorten
7.2 Vernetzte Wertschöpfung Unternehmen reagieren auf die Veränderung des externen Handlungsumfelds (Wettbewerbssituation, Marktgröße, Marktanteil, etc.) durch die Beeinflussung unternehmensinterner Stellgrößen. Klassische Stellgrößen sind seit Anbeginn der Wirtschafts- und Organisationswissenschaften die Organisationsstrukturen und Organisationsstrategien in Verwaltung und Produktion, Führung und Management sowie die Förderung von Innovationsfähigkeit innerhalb des Unternehmens. Anhand der Ausprägungen und Kombinationen von unternehmensinternen und externen Einflussgrößen lassen sich betriebswirtschaftliche Konzepte charakterisieren, die sich in zeitgeistbestimmenden Paradigmen widerspiegeln. Im folgenden Kapitel wird die Evolution der Wertschöpfungsvernetzung anhand der intervallbestimmenden Paradigmen der Produktion dargestellt. Anschließend werden Wertschöpfungsnetzwerke als Ausprägung von Unternehmensnetzwerken vorgestellt.
7.2.1 Evolution der vernetzen Wertschöpfung Die historischen Entwicklungsstufen der Produktion von Beginn der Industrialisierung bis zur heutigen Situation werden im Folgenden anhand der charakteristischen Produktionsparadigmen vorgestellt. Einen Überblick über Entwicklung dieser Paradigmen gibt Abb.€7.2. Economies of Scale╇ Zu Beginn der Industrialisierung wurde das auf Taylor zurückgehende größtmögliche Maß an Spezialisierung und Arbeitsteilung als Garant für eine effiziente und erfolgreiche Produktion von Massengütern angesehen. Im Rahmen der ersten industriellen Revolution richtete sich der Fokus des Wandels auf die Produktionsprozesse. Die Einführung der getakteten Fließbandfertigung in den Produktionsstätten von Ford stellte eine einschneidende Weiterentwicklung der damaligen Produktionsprozesse hin zur Massenfertigung dar und führte zu enormen Effizienzgewinnen gegenüber der zuvor üblichen Werkstattfertigung. Der Fokus auf die Produktionsprozesse brachte zudem erste Standardisierungskonzepte hervor. Charakteristisch war ebenfalls die Integration einer großmöglichen Zahl von Bearbeitungsschritten vom Rohstoff bis zum fertigen Produkt
Prozess
Standardisierung
Kapazität
Linearität
Spezialist
Economic Man
Preisgünstigkeit
Task-Orientation
Massenproduktion
…des Innovationsfokus
…der Produktionscharakteristik
…des Managements/der Fokussierung
…der Branchencharakteristik
…des Mitarbeiterbildes
…der Führungskultur/des Menschenbildes
…der (Konsum-) Bedürfnisse
…der Unternehmenskultur
…des Produktionsparadigmas
Abb. 7.2↜渀 Historische Wechsel der Produktionsparadigmen
Taylorismus
Economies of Scale
… der dominanten Organisationsstrategie
Wandel…
7
Customization
People-Orientation
Vielfältigkeit
Social Man
Generalist
Volatilität
Kompetenz
Mass Customization
Growth
Verfügbarkeit
Selfactualization Man
Manager
Individualität
Integration
Flexibilisierung
Supply Chain
Produkt Modularisierung
Outsourcing
Economies of Speed
Diversifikation
Economies of Scope
Wandel der dominanten betriebswirtschaftlichen Konzepte
Mass Innovation
Change/Development
Wandlungsfähigkeit
Complex Man
Ich-AG
Fluidität
Wissen
Digitalisierung
Geschäft
Networking
Economies of Knowledge
474 G. Schuh et al.
7â•… Vernetzte Wertschöpfung und Kooperationsmanagement
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unter dem Dach des produzierenden Unternehmens. Aufgrund der Ausrichtung auf maximale Produktionseffizienz durch Firmengröße wird das dominante betriebswirtschaftliche Konzept jener Zeit wird als „Economies of Scale“ bezeichnet. Economies of Scope╇ Die Entwicklung von der Massenproduktion hin zur individualisierten Produktion verlief schrittweise. Sättigungsgrenzen von Massenmärkten und abnehmenden Gewinnmargen führten zu Anstrengungen von Unternehmen, durch Diversifizierung von Märkten und Produkten wirtschaftlichen Erfolg zu sichern. Die Erschließung von Marktnischen führte zur Individualisierung von Produkten, die zur Modularisierung unterschiedlicher Produktkomponenten führte. Durch starke Diversifizierung rückte die Nutzung von Synergieeffekten zwischen den Unternehmenseinheiten in den Vordergrund. Synergieeffekte treten beispielsweise durch die Zusammenführung einer Vielzahl von Segmenten mit vergleichbaren Produktionsprozessen durch die verbesserte Umlage von Gemeinkosten auf das gesamte Produktspektrum auf. Zur Erschließung von Synergieeffekten wurden große Mischproduktkonzerne durch Zusammenschluss oder Unternehmensübernahmen aufgebaut. Konzerne wie General Electric oder Siemens sind als populäre Beispiele anzuführen. Durch die Ausrichtung auf Synergieeffekte durch Zusammenfassung ähnlicher Produktionsprozesse wird das prägende betriebswirtschaftliche Konzept jener Zeit als „Economies of Scope“ bezeichnet. Economies of Speed╇ Die zunehmende Volatilität der Märkte führte dazu, dass Unternehmen bei der Erfüllung kundenindividueller Anforderungen mit ein und den selben Ressourcen innerhalb eines Unternehmens die Grenzen ihrer innerbetrieblichen Flexibilität erreichten. Bemühungen zur Steigerung der Flexibilität in einem sich beschleunigendem Wirtschaftsumfeld führten zur Entflechtung von Aktivitäten der Unternehmen. Eine typische Ausprägung dieser Entflechtung stellt das Outsourcen dar, d.€h. die Fremdvergabe von Aktivitäten die nicht zur Kerneigenschaft des Produktes oder zu den Kernkompetenzen des Unternehmens gehören. Im Rahmen der Optimierung der eigenen Fertigungstiefe wurden Arbeitsumfänge aus den Bereichen Dienstleistung, Teileherstellung sowie Forschung und Entwicklung zu externen Partnern verlagert. Die Effekte der „Economies of Scale“ konnten mit zusätzlichen Flexibilisierungsvorteilen in dezentralen Strukturen, d.€h. mit kleineren Betriebsgrößen und Vernetzung ebenfalls erreicht werden. Neben dem Aufbau strategischer Allianzen wurde dabei die Arbeitsteilung entlang der Wertschöpfungskette und der Supply-Chain zum Mittelpunkt der betriebswirtschaftlichen Konzepte [19]. Als Beispiel ist die Zuliefererstruktur großer Automobil-OEMs anzuführen, die sich durch strategische Partnerschaften und die Integration einer Vielzahl von Zuliefererunternehmen auszeichnet. Durch die charakteristische Entwicklung der Kundenbedarfe nach immer schnellerer Lieferung von an individuelle Wünsche angepassten Produkten, die die starke Zunahme der Vernetzung von Wertschöpfungsaktivitäten im Zuge der Flexibilisierung zur Folge hatte, wird das Paradigma als „Economies of Speed“ bezeichnet. Economies of Knowledge╇ Die Individualisierung der Produkte und die Flexibilisierung der Produktion führten zu einer starken Zunahme der Komplexität für die Unternehmen. Den hoch dynamischen und entsprechend hoch komplexen Anforderungen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umfelds können Unternehmen nur mit hoher interner Komplexität begegnen [20, 21]. Die heutige Komplexität von Produkten und Produktions-
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systemen bedingt einen wesentlich komplexeren Organisations- und Koordinationsaufwand, der durch die bestehenden hierarchischen Organisationskonzepte nicht abgedeckt werden kann. Die wachsende Komplexität der Organisation und Koordination führt dazu, das bekannte Hierarchieparadigma in der Organisation in Frage zu stellen, der Netzwerkgedanke und die systematische Verfügbarmachung von Wissen tritt stattdessen in den Vordergrund. Entscheidende Bedeutung besitzen in diesem Zusammenhang moderne Informationstechnologien, die das Management der Komplexität hochgradig dezentraler Strukturen, wie auch bei Wissensvermittlung und Kommunikation – den zentralen Anforderungen an Unternehmen der heutigen Zeit – die zu beobachtende Entwicklung erst ermöglichten. Ein Beispiel hierfür stellt die Wertschöpfung in Virtuellen Unternehmen dar, die beispielhaft für das Konzept der Virtuellen Fabrik in Kap.€7.4.3.3 näher erläutert wird. Neben der Organisationsform stellt diese Entwicklung die Wandlungsfähigkeit von Organisationen und den hochqualifizierten, weitestgehend zweckrationalen und individualisierten Generalisten als Mitarbeiter in den Vordergrund, der die Erreichung der Unternehmensziele durch die Nutzung kooperativer Zusammenarbeit verfolgt. Deshalb wird das betriebswirtschaftliche Paradigma als „Economies of Knowledge“ bezeichnet.
7.2.2 Wertschöpfungsnetzwerke Das Konzept der Wertschöpfungskette nach Porter, die im Detail in Kap.€2.3.2.2 vorgestellt wird, bezieht sich auf den unternehmensinternen Wertschöpfungsprozess zur Bereitstellung einer Leistung. Im Konzept wird festgelegt, dass ein Unternehmen eine sehr hohe Wertschöpfungs- bzw. Leistungstiefe haben muss [22]. Aufgrund der geänderten Bedingungen des Unternehmensumfelds, die in den letzten Jahrzehnten zur Konzentration von Unternehmen auf Kernkompetenzen und zur Reduzierung der eigenen Fertigungstiefe im Sinne einer Optimierung geführt haben, involviert der Leistungserstellungsprozess jedoch typischerweise eine Vielzahl von Wertschöpfungspartnern, denen jeweils ihre eigene unternehmensinterne Wertkette zur Verfügung steht. Die Verbindung zwischen Wertschöpfungspartnern zur kooperativen Leistungserstellung mit dem Ziel, auf das Know-How der Partner sowie auf Ressourcen, Produkt- oder Produktionstechnologien zurückzugreifen, kennzeichnet Wertschöpfungsnetzwerke [23]. In einem Wertschöpfungsnetzwerk haben die Wertschöpfungspartner jeweils für einen bestimmten Teil der Leistungserstellung Verantwortung. Konzeptionelle Auffassungen möglicher Strukturen sind in Abb.€7.3 dargestellt. Branchen-Wertschöpfungskette und Wertschöpfungspyramide stellen stark vereinfachende Konzepte zur Beschreibung vernetzter Wertschöpfungsaktivitäten dar. Sie teilen die Gemeinsamkeit, dass der Prozessoutput der vorgelagerten Wertschöpfungsstufe in eine oder mehrere Entitäten der nachgelagerten Wertschöpfungsstufe einfließt, ohne dass Rückflüsse vorgesehen sind. Die vereinfachend vorgenommene Abgrenzung der Wertschöpfungsstufen ist nur dann sinnvoll, wenn sie Prozesse mit gleichem Input und Output umfassen. Nutzen die Teilprozesse – wie in der Realität bei Wertschöpfungsprozessen zu beobachten – völlig verschiedene zufließende Inputs, lassen sie sich nicht sinnvoll zu Wertschöpfungsstufen zusammenfassen. Die Darstellung der Struktur vernetzter Wertschöpfungsaktivitäten aufgrund der beschriebenen vereinfachenden Konzepte ist somit nicht möglich.
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7â•… Vernetzte Wertschöpfung und Kooperationsmanagement
Branchen-Wertschöpfungskette
&
Zulieferpyramide (Wertschöpfungspyramide)
Wertschöpfungsnetzwerk
: Wertschöpfungsteilprozesse (ggf. parallel zu Unternehmensgrenzen abgegrenzt)
Abb. 7.3↜渀 Konzeptionelle Auffassung der Strukturen vernetzter Wertschöpfung [24]
Charakteristisch für reale Aktivitäten vernetzter Wertschöpfung ist die starke Überlagerung verschiedener Prozesse. Veranschaulichende Beispiele hierfür sind die Überlagerung von Leistungsentwicklung und Leistungserstellung, bidirektionale Güterflüsse zwischen Lieferanten und Abnehmern sowie Weiterverarbeitung der gelieferten Leistungen in verschiedenen Wertschöpfungsaktivitäten. Die Strukturen unternehmensübergreifender Wertschöpfungsstrukturen lassen sich allgemein valide nur dann erfassen, wenn sie als Netzwerke bzw. Systeme von Wertschöpfungsaktivitäten – wie in Abb.€7.3 (rechts) anschaulich dargestellt – beschrieben werden [24]. Wertschöpfungsnetzwerke sind durch n-laterale Güterflüsse zwischen den verschiedenen Akteuren bzw. Wertschöpfungsaktivitäten gekennzeichnet. Knecht definiert Wertschöpfungsnetzwerke generisch als „ein System unternehmensübergreifender Wertschöpfungsaktivitäten, die über Output-InputRelationen verknüpft sind“. Durch diese Definition von Wertschöpfungsnetzwerken lassen sich vereinfachende Konzepte zur Struktur von Wertschöpfungsnetzwerken – wie die Branchen-Wertschöpfungskette und die Wertschöpfungspyramide – subsumieren. Die ausführliche Darstellung von vernetzter Wertschöpfung erfolgt in Band€4 in Kap.€2. Wertschöpfungsnetzwerke stellen eine, auf die Bereitstellung unternehmensübergreifender Leistungen ausgerichtete, Form von Unternehmensnetzwerken dar. Kooperation als Interaktionsthema zwischen Unternehmen und seiner Umwelt sowie Unternehmensnetzwerke werden im folgenden Kapitel betrachtet.
7.3 Kooperationen und Unternehmensnetzwerke 7.3.1 Begriffliche Grundlagen und Abgrenzung Die Vielfalt der in der Praxis existierenden Formen zwischenbetrieblicher Zusammenarbeit bedingt in ihrer theoretischen Beschreibung eine Vielzahl unterschiedlicher Definitionen der Begriffe Kooperation und Unternehmensnetzwerk.
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Generisch können unter Kooperationen die Gesamtheit aller möglichen Formen von zwischenbetrieblichen Interaktionen subsumiert werden, die aus gemeinsamen Zwecken heraus entstehen [25]. Hohe Verbreitung im deutschsprachigen Raum besitzt die Definition von Kooperationen nach Picot. In seinem Werk „Unternehmung“ definiert Picot eine Kooperation als eine intensive Verbindung eines Unternehmens mit anderen, rechtlich und wirtschaftlich selbstständigen Unternehmen, indem es diese in die für die Erreichung der Zielsetzung der Unternehmung einsetzt. Die dadurch entstehenden Verbindungen können sowohl negative Auswirkungen wie z.€B. Abhängigkeiten als auch positive Auswirkungen haben [26]. Ebenfalls verbreitet ist die Definition nach Sydow der Unternehmenskooperationen „die gemeinsame Ausübung betrieblicher Funktionen mit dem Ziel größerer Wirtschaftlichkeit und Rentabilität der einzelnen Unternehmen“ versteht [27]. Neben der Vielfalt von Kooperationsformen in der Praxis bedingt die fehlende Trennschärfe bei der Abgrenzung der Begriffe Kooperation und Unternehmensnetzwerk das Fehlen einer präzisen Definition im eigentlichen Sinne. Die Begriffe werden im Sprachgebrauch synonym verwendet. Es existieren vielfältige Überschneidungen und Ambivalenzen. Daneben existieren eine Reihe weiterer Begriffe zur Beschreibung unterschiedlicher Formen interorganisationaler Zusammenarbeit wie z.€B. strategische Allianzen, Netze, Produktionsnetzwerke und Wertschöpfungsnetzwerke. Die diesem Werk zu Grunde liegende begriffliche Abgrenzung zwischen Kooperation und Unternehmensnetzwerk basiert auf der Analogie zur Trennung zwischen Aufbau- und Ablauforganisation, wie sie in der klassischen Organisationstheorie vorgenommen wird. Eigene Definition „Kooperation“╇ Diesem Werk liegt das Verständnis des Begriffs Kooperation als Oberbegriff für die überbetriebliche Zusammenarbeit zweier (dyadische Kooperation) oder mehrerer (multiple Kooperation) selbstständiger Partner innerhalb einer statischen Netzwerkstruktur zugrunde. Der Begriff Kooperation wird unabhängig gegenüber den Inhalten der zwischenbetrieblichen Zusammenarbeit sowie der formalen und organisatorischen Gestaltung der jeweiligen Interaktionsbeziehungen verwendet. Konstituierendes Merkmal von Kooperationen ist die freiwillige Bindung und Zusammenarbeit, die Personen und/oder Organisationen auf Basis informeller Absprachen oder vertraglichen Regelungen eingehen. Kooperationen werden von rechtlich und wirtschaftlich selbständigen Unternehmen gebildet und gehen mit einer mehr oder minder starken Einschränkung der unternehmerischen Entscheidungs- und Handlungsfreiheit sowie mit der Übernahme der Erfüllung spezifischer Aufgaben überein. Den Kern des Verständnisses des Begriffs Kooperation stellt der Fokus auf effiziente Unternehmensprozesse entlang einer interorganisationalen Wertschöpfungskette dar. Kooperation beschreibt folglich den prozessorientierten, auftragsbezogenen Anteil interorganisationaler Zusammenarbeit. Definition „Kooperation“╇╛Diesem Werk liegt das Verständnis des Begriffs Kooperation als Oberbegriff für die überbetriebliche Zusammenarbeit zweier (dyadische Kooperation) oder mehrerer (multiple Kooperation) selbstständiger Partner innerhalb einer statischen Netzwerkstruktur zugrunde
7â•… Vernetzte Wertschöpfung und Kooperationsmanagement
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Der Begriff Kooperation wird unabhängig gegenüber den Inhalten der zwischenbetrieblichen Zusammenarbeit sowie der formalen und organisatorischen Gestaltung der jeweiligen Interaktionsbeziehungen verwendet. Konstituierendes Merkmal von Kooperationen ist die freiwillige Bindung und Zusammenarbeit, die Personen und/oder Organisationen auf Basis informeller Absprachen oder vertraglichen Regelungen eingehen. Kooperationen werden von rechtlich und wirtschaftlich selbständigen Unternehmen gebildet und gehen mit einer mehr oder minder starken Einschränkung der unternehmerischen Entscheidungs- und Handlungsfreiheit sowie mit der Übernahme der Erfüllung spezifischer Aufgaben überein. Den Kern des Verständnisses des Begriffs Kooperation stellt der Fokus auf effiziente Unternehmensprozesse entlang einer interorganisationalen Wertschöpfungskette dar. Kooperation beschreibt folglich den prozessorientierten, auftragsbezogenen Anteil interorganisationaler Zusammenarbeit. Definition „Unternehmensnetzwerk“╇╛Der Begriff Unternehmensnetzwerk wird als die statisch-strukturelle Verbindung zwischen Unternehmen als eigenständige Wirtschaftseinheit verstanden Definitionsgemäß zeichnen sich Unternehmensnetzwerke durch die Eigenschaften zwischenbetrieblicher Kooperationen in unterschiedlichen Ausprägungen aus, d.€h. Aufnahme, Begründung und Durchführung der Zusammenarbeit erfolgt durch mindestens zwei rechtlich und wirtschaftlich selbständige Unternehmen [28, 29]. Im Vordergrund steht die Zusammenarbeit durch Verknüpfung betrieblicher Aktivitäten zur Erstellung eines am Markt verwertbaren Produktes oder einer am Markt verwertbaren Dienstleistung. Die Ausprägungen der Verknüpfungen und Schnittstellen zwischen den beteiligten Unternehmen können formeller und informeller Natur sein. Unternehmensnetzwerke können sowohl auf langfristigen Beziehungen (auftragsunabhängig) als auch auf kurzfristigen Beziehungen (auftragsabhängig) beruhen. Charakteristisch für Unternehmensnetzwerke sind drei weitere zentrale Aspekte: • Kooperationspartner stimmen ihre Funktionen innerhalb von Unternehmensnetzwerken ab, legen sie jedoch nicht zusammen • Die Zusammenarbeit in Unternehmensnetzwerken umfasst mindestens drei oder mehr Partner • Unternehmensnetzwerke sind auf den mehrmaligen Leistungsaustausch ausgelegt Unter einer Kooperation in einem Unternehmensnetzwerk wird somit die Erschließung und zielorientierte Freisetzung des Nutzenpotenzials im Netzwerk verstanden [4].
7.3.2 Theoretische Ansätze der Kooperationsforschung Die Komplexität des Phänomens Kooperation bedingt die Vielzahl theoretischer Ansätze zur Erklärung von Kooperationsvoraussetzungen, -gestaltungen und -wirkungen. Theorien unterschiedlicher Wissenschaftsbereiche tragen zum Verständnis und zur Beschreibung
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von Kooperationen bei. Es folgt ein Überblick über diejenigen Theorien, die in der Kooperationsforschung größere Bedeutung erlangt haben. Dabei werden für die Beschreibung und Erklärung von Kooperationen relevante Aspekte fokussiert.
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Systemwissenschaft╇ Die Systemwissenschaft thematisiert die Zusammenhänge und Wirkbeziehungen in Systemen und besteht aus den Elementen Systemtheorie, Systemanalyse und der Kybernetik genannten Systemtechnik. Im Bezug auf Kooperationen richtet sich die systemtheoretisch-kybernetische Perspektive, die zu großen Teilen auf Norbert Wiener als Begründer der Kybernetik zurückzuführen ist, ausgehend von der systemtheoretischen Komplexität von Kooperationen auf Unternehmen sowie auf Unternehmenskooperationen und Netzwerke als Ganzes. Die Theorie fokussiert dabei die in Kooperationen involvierten Entscheidungsträger. Der Begriff System entstammt der Systemtheorie und ist definiert als „eine geordnete Gesamtheit von Elementen (Knoten), zwischen denen Beziehungen jeglicher Art bestehen oder hergestellt werden können“ [30]. Im Rahmen des systemtheoretisch-kybernetischen Ansatzes unterscheiden sich die Eigenschaften von Kooperationen und Unternehmensnetzwerken nicht von den Eigenschaften komplexer und schlecht strukturierter Probleme. Kooperationen werden in der Systemtheorie und Kybernetik als interorganisationale, sozio-technische Systeme interpretiert. Interorganisatorische Netzwerke liegen zwischen autonomen, rechtlich selbständigen organisatorischen Einheiten vor. Soziale Systeme, deren Elemente soziale Akteure wie Personen, Gruppen oder auch Organisationen sind, gehören den Sozialwissenschaften an. Ist neben den sozialen Akteuren auch eine technische Einrichtung Bestandteil des betrachteten Systems, wird von einem sozio-technischen System gesprochen. Property-Rights-Theorie╇ Die Property-Rights-Theorie, die der neuen Institutenökonomie zuzurechnen ist und unter anderem auf Arbeiten von Ronald Coase basiert, thematisiert die Verteilung von Verfügungsrechten über knappe Ressourcen und die daraus resultierenden Verhaltensanreize für die betroffenen Individuen. Unter Property-Rights werden die den Güteraustausch begleitenden Übertragungen von Verfügungsrechten an Objekten verstanden [31]. Im Rahmen der Kooperationsforschung ist die Property-RightsTheorie für die Analyse der Konsequenzen einer gegebenen Struktur der Verteilung von Verfügungsrechte sowie für die Analyse von zwischenbetrieblicher Zusammenarbeit von zentraler Bedeutung. Sie dient der Gestaltung einer zweckmäßigen Verteilung der Verfügungsrechte zum Erreichen vordefinierter Ziele in Kooperationen. Transaktionskostentheorie╇ Die Transaktionskostentheorie als ein weiterer zentraler Pfeiler der Institutionenökonomik beschäftigt sich mit den vielfältigen Austauschbeziehungen zwischen Wirtschaftssubjekten und wird ebenfalls eng mit den Arbeiten von Ronald Coase verbunden [32]. Sie ist deshalb zentrales Element in der Kooperationsforschung. Kosten, die bei der Koordination und Zusammenführung von Leistungen einzelner Arbeitsschritte zu einem vermarktbaren Leistungssystem entstehen, werden als Transaktionskosten oder Koordinationskosten bezeichnet [33]. Gemäß der Theorie ist von Unternehmen diejenige Koordinationsart zu wählen, mit der die Transaktionskosten – bei gleichen Produktionskosten – minimiert werden. Somit eignen sich die Transaktionskosten als Effizienzkriterium zur Bewertung unterschiedlicher Unternehmensformen [34]. Dies ist besonders für Verständnis sowie die Bewertung alternativer Organisationsformen – wie z.€B. von Unternehmensnetzwerken – von Bedeutung.
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Strategieorientierte Ansätze╇ Strategieorientierte Ansätze in der Kooperationsforschung, z.€B. nach J. Carlos Jarillo, dienen der Analyse von Zielen und Potenzialen sowie der Entstehung von Kooperationen. Ausgangspunkt ist die Wahl einer Organisationsform des Unternehmens von Seiten der Wirtschaftsakteure zur Erlangung einer optimierten Wettbewerbsposition und zum Erreichen von Wettbewerbsvorteilen. Kooperationen und Unternehmensnetzwerke dienen als Instrument für die Realisierung der genannten Ziele. Je nach Betrachtungsebene steht die Strategie eines Unternehmens im Vordergrund (Mikroebene) oder die Erlangung von Wettbewerbsvorteilen für das Unternehmensnetzwerk und aller an der Kooperation beteiligten Unternehmen (Makroebene) [35]. Aufgrund der Notwendigkeit einer gemeinsamen Strategie als konstituierendes Merkmal von Kooperationen und der Entstehung von Unternehmensnetzwerken [36] ist der strategieorientierte Ansatz zur Erklärung des strategischen Verhaltens von in Kooperationen beteiligten Unternehmen notwendig. Wettbewerbstheorie╇ Die Wettbewerbstheorie, deren zentrale Thesen im Zentrum der klassischen Volkswirtschaftslehre nach Adam Smith stehen, ist ein Konglomerat aus Leitbildern und Konzepten, das die konkurrenzbezogene Organisation von Märkten bezüglich der Effizienz für Marktteilnehmer theoretisch beschreibt. Die Wettbewerbstheorie wird zur Aufdeckung von Ursachen sowie zur Analyse der Wirkung wettbewerblicher Prozesse genutzt, wozu verschiedene Theorien aus dem Bereich der Sozialwissenschaften herangezogen werden [37]. Anhand der Wettbewerbstheorie lassen sich Entstehung und Zielsetzung von Kooperationen und Unternehmensnetzwerken beschreiben und erklären. Spieltheorie╇ Der Ansatz der Spieltheorie ist eng mit dem Ansatz der Wettbewerbstheorie verknüpft. Die kooperative Spieltheorie, für die Robert J. Aumann und John Forbes Nash mit dem Nobelpreis der Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet wurden, fokussiert thematisch unterschiedliche Typen von Spielen, die durch Entscheidungsinterpendenzen geprägt sind. Diese besitzen eine spezielle Eignung für die Untersuchung vergleichbarer Beziehungen zwischen Wettbewerbern. In der Kooperationsforschung ist die Spieltheorie für ein Analyse der Entstehung und Gestaltung von Kooperationen zwischen Wettbewerbern und die effiziente innere Handhabung der Kooperation von Bedeutung [38]. Aufgrund der Eigenschaften der Spieltheorie wird vorrangig das Merkmal „Koordination durch Kooperation“ erklärt, während die konkrete Organisation sich den Erklärungsmöglichkeiten entzieht. Koordinationstheorie╇ Die Koordinationstheorie wurde von Thomas W. Malone und Kevin Crowston im Bereich der Wirtschaftsinformatik begründet und wird in der Kooperationsforschung für Leitlinien zur Beschreibung von Geschäftsbeziehungen als koordinierte Prozesse sowie zur theoriegestützten Ableitung von Handlungsanleitungen genutzt [34]. Zur Lösung von Koordinationsproblemen bietet sie generische Koordinationsmechanismen an. In der Koordinationstheorie werden in eklektischer Manier Theoriebausteine zahlreicher unterschiedlicher Disziplinen kombiniert [39]. Interdisziplinarität, Prozessnähe und Umsetzungsnähe sind ihre wesentlichen Merkmale. Netzwerkökonomie╇ Die Netzwerkökonomie, zu deren Vertretern z.€B. J. Carlos Jarillo zuzurechnen ist, liefert mit ihren Erkenntnissen zu „Path Dependence“, multiplen Gleichgewichten, Lock-in und ineffizienten Lösungen ein fundiertes Erklärungsmodell für die
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Entwicklung von Standards in Kooperationen und Unternehmensnetzwerken. Sie bildet somit die Grundlage für Gestaltungsmodelle von Kooperationen und Unternehmensnetzwerken. Darüber hinaus dient sie im betrachteten Zusammenhang mit Kooperationen der Gestaltung von Leistungen, Prozessen und Informationssystemen sowie als Erklärungsmodell zur Nutzung positiver Netzwerkexternalitäten [34].
7.3.3 Kooperationen entlang der Wertschöpfungskette
7
Eine verbreitete Möglichkeit der Typisierung von Kooperationen besteht unter Berücksichtigung ihrer Bedeutung für den Wertschöpfungsprozess der beteiligten Unternehmen. Kooperationen lassen sich generisch anhand ihrer Orientierung in der Wertschöpfung in horizontale und vertikale Kooperationen einordnen. Zusätzlich wird mit der Kollaboration als Mischform aus horizontaler und vertikaler Kooperation eine weitere Ebene der Betrachtung hinzugefügt. Die Richtung von Kooperationen hat geringe Aussagekraft bezüglich der Gründe und Motivationen für Kooperationen. Aufgrund der Korrelation der Eigenschaften von Kooperationen mit Phase und Funktion der betroffenen Wertschöpfungsstufe im Wertschöpfungsprozess wird anschließend für die Vorstellung verbreiteter Kooperationsformen genutzt. Untereinander abgrenzbare Kooperationsformen werden in Kap.€7.3.3.2 unter Bezug auf die von der Kooperation direkt betroffene Wertschöpfungsstufe anhand charakteristischer Merkmale beschrieben.
7.3.3.1 Generische Typologisierung von Kooperationen anhand der Richtung Grundlage der im Folgenden vorgenommenen Einordnung von Kooperationen anhand der Orientierung ist das Modell der Wertkette von Unternehmen nach Porter. Als Orientierung wird in diesem Zusammenhang die relative Position der Partner in Kooperationen relativ zu der eigenen Wertkette verstanden.
Vertikale Kooperationen Kooperationen in vertikaler Richtung (auch X-Koalitionen genannt) bezeichnen Kooperationen zwischen Partnern derselben Wertkette, die unterschiedliche Aktivitäten ausführen. Charakteristische Eigenschaft vertikaler Kooperationen ist die gemeinsame Abwicklung von Prozessen einer Wertschöpfungsstufe.
Horizontale Kooperationen Kooperationen in horizontaler Richtung (auch Y-Koalitionen genannt) bezeichnen Kooperationen zwischen Partnern, die die gleichen Aktivitäten innerhalb der Wertkette aus-
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führen. Charakteristisch ist die gemeinsame Abwicklung von Prozessen unterschiedlicher Wertschöpfungsstufen. Die vorgestellten idealtypischen Orientierungen sind bei der Einordnung von Kooperationen durch die Ausrichtung an der eigenen Positionierung im Wertschöpfungssytem behilflich. In der Realität lassen sich jedoch bei allen Kooperationen Mischformen zwischen beiden genannten Orientierungen feststellen. Die im Folgenden eingeführte dritte Dimension der Orientierung von Kooperationen trägt diesem Umstand Rechnung.
Kollaborationen Kollaborationen stellen Mischformen von horizontalen und vertikalen Allianzen dar. Horizontale Allianzen werden als Kooperationen zur Realisierung von Skaleneffekten verstanden, in denen Akteure der gleichen Industrie – also Konkurrenten – zusammenarbeiten [40]. Vertikale Allianzen bezeichnen Bindungen zwischen Abnehmer und Lieferanten, die entweder verschiedenen Industrien zuzuordnen sind, oder auf unterschiedlichen Stufen der gleichen Wertkette operieren [40]. Durch Kollaborationen sind Konstellationen erfasst, in denen ein Unternehmen aufgrund seiner Einbindung in unterschiedliche Wertschöpfungsnetzwerke der Lieferant des einen Unternehmens ist, welches gleichzeitig der Konkurrent einer seiner Partner ist. Ähnliche Konstellationen können beschaffungsseitig auftreten. Zur Veranschaulichung werden die komplexen Beziehungskonstellationen in Abb.€7.4 dargestellt.
Konsument A
Konsument B
Konsument C
Konsument D
Wettbe-
Montage
werber Kunde
Vormontage
Wettbewerber
Kunde Kaltverarbeitung
Lieferant Wettbewerber
Heißverarbeitung Unternehmen X
Abb. 7.4↜渀 Ausprägungen von Kooperationen entlang der Wertschöpfungskette
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Die Erweiterung der idealtypischen Richtungen von Kooperationen durch Einführung der dritten Dimension berücksichtigt das zeitgleiche Einnehmen verschiedener Rollen und Verhältnisse zum Kooperationspartner. Somit stellt die vorgestellte Erweiterung einen sinnvollen Beitrag zur Typologisierung von Kooperationen dar. Für die Ableitung von Empfehlungen für das Management von Kooperationen ist aufgrund der Komplexität eine weitere Detaillierung der Merkmale von Kooperationen notwendig.
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Fallbeispiel╇╛Die komplexen, häufig gleichzeitig existierenden Ausprägungen von horizontalen und vertikalen Kooperationen sollen durch ein Beispiel aus der Entwicklung und Fertigung in der Automobilindustrie veranschaulicht werden. Hierzu werden ausgewählte Kooperationen des Unternehmens BMW dargestellt. BMW bedient sich auf horizontaler Ebene Kooperationen mit anderen Automobilherstellern im Bereich der Entwicklung um die Größennachteile des Unternehmens bezüglich der Kosten der Entwicklung neuer Technologien auszugleichen. Während Massenhersteller wie VW bei der Entwicklung auf die eigene Größe zählen können, besteht für BMW die Notwendigkeit mit Konkurrenten zu kooperieren um Kosten zu senken. Dazu unterhält der gemessen am Absatz verhältnismäßig kleine Hersteller BMW z.€B. seit dem Jahr 2002 eine Kooperation mit Europas zweitgrößtem Fahrzeughersteller nach VW, dem PSA Konzern. Gemeinsam entwickeln und produzieren beide Unternehmen die kleinvolumigen Vierzylinder Motoren (1,4–1,6-Liter Motoren/75 bis 180€PS), die in mehreren Modellen des von BMW produzierten Mini sowie in einer Vielzahl von Modellen der Marken Peugeot und Citroen zum Einsatz kommen. Produziert werden die Motoren sowohl bei PSA in Nordfrankreich, als auch bei Mini in Großbritannien. Aufgrund der erfolgreichen Zusammenarbeit haben beide Hersteller kürzlich die kooperative Entwicklung einer neuen Vierzylindergeneration vereinbart, die die Abgasnorm EURO VI erfüllt und dann erstmalig auch im 1er BMW Verwendung finden soll. Die teure und von hohen Unsicherheiten geprägte Entwicklung neuer Antriebsformen wie Hybrid- und Elektromotoren ist ein weiteres Beispiel für eine horizontale Kooperation des Unternehmens BMW mit Wettbewerbern. Seit dem Jahr 2005 besteht dazu eine Allianz zwischen BMW, Daimler und GM, mit dem Ziel den Vorsprung der japanischen Konkurrenz im Bereich der Hybridtechnologie durch gemeinsame Entwicklung aufzuholen. Die Kooperation beinhaltet Entwicklungsaufwendungen von mehreren 100€Mio.â•›$. Schon heute steht jedoch fest, dass die Produktion der Elektround Verbrennungsmotoren im Anschluss individuell und durch die Marken eigenständig übernommen werden soll. Als Beispiel für eine vertikale Kooperation ist die kooperative Entwicklung und Markteinführung des BMW X3 zwischen BMW und MAGNA STYR Fahrzeugtechnik, einem der größten Automobilzulieferanten, anzuführen. BMW entschied sich zu der gemeinsamen Zusammenarbeit, um den X3 in kürzester Zeit zur Marktreife zu entwickeln und so im dynamisch wachsenden Markt der SUVs (Sport Utility Vehicle) keine Marktchancen zu verpassen. Nach der kooperativen Entwicklung des BMW X3 wird das Auto heute durch MAGNA in Graz produziert und montiert.
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Gemeinsames Ziel der Kooperation war die erfolgreiche Markteinführung des X3. Während für BMW dieses Ziel jedoch Selbstzweck war, wurden von Seiten von MAGNA ebenfalls strategische Ziele mit der Kooperation verknüpft. Für MAGNA war die erfolgreiche Markteinführung vor allem Mittel zum Zweck, die eigene Positionierung als 0.5 Tier Lieferant der Automobilindustrie zu etablieren. Damit ist gemeint, dass sich MAGNA vom reinen Lieferant der Automobilindustrie in Richtung der großen Automobilhersteller bewegt. Das von dem Kooperationspartner verfolgte Ziel bestand entsprechend auch darin, selbstständig Automobile produzieren und montieren zu können. Das Beispiel veranschaulicht dadurch, das eine erfolgreiche Kooperation – in diesem Fall für die Markteinführung und Produktion des X3 – auch dann erfolgen kann, wenn beide Beteiligten voneinander abweichende spezifische und ganz individuelle Ziele verfolgen. Als Grundlage der Kooperation der beiden Unternehmen wurden für Entwicklung und Markteinführung dazu zwei verschiedene Verträge geschlossen. Der eine regelt die Entwicklung des X3 bis zur Serienreife, der andere die Fertigung, Montage und Auslieferung der Fahrzeuge. Durch diese Regelung wurde berücksichtigt, dass in verschiedenen Phasen von Kooperationen eine unterschiedliche Art der Zusammenarbeit erfolgen muss und unterschiedliche Organisations- und Koordinationsformen erforderlich sind.
7.3.3.2 Kooperationen entlang der Wertschöpfungskette Zwischen den Eigenschaften von Kooperationen und ihrer Phase und Funktion innerhalb des Wertschöpfungsprozesses besteht eine starke Korrelation. Die Phase im Wertschöpfungsprozess wird im Folgenden zur Abgrenzung charakteristischer Kooperationsformen genutzt.
Forschungs- und Entwicklungskooperationen Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten haben einen zentralen Anteil am Wertschöpfungsprozess. Diese Art von Kooperationen sind von hoher Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und sind ein wichtiges strategisches Instrument. Bei Forschungs- und Entwicklungskooperationen kann es sich sowohl um Grundlagenforschung, eine Innovationskooperation oder eine Entwicklungs- und Konstruktionskooperation handeln. Kooperationen in frühen Phasen des Wertschöpfungsprozesses werden durch die Zusammenführung unterschiedlicher Wissensbasen der beteiligten Partner bestimmt [37].
Einkaufs- und Beschaffungskooperationen An die Forschung und Entwicklung schließen Formen der kooperativen Beschaffung an. Im Bezug auf Einkaufs- und Beschaffungskooperationen werden horizontale und vertikale
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Verbundeffekte unterschieden. Eine Einkaufskooperation ist im Wesentlichen horizontal ausgerichtet und strebt Skaleneffekte bei der Primärbeschaffung an. Bei hoher Homogenität der Beschaffungsobjekte (Volumenbündelung von Warengruppen) können vorhandene Ressourcen durch Kooperationen besser ausgelastet werden und somit kosteneffizienter eingesetzt werden. Gleichzeitig werden vorhandene Infrastrukturen besser genutzt. Hingegen ist die Abnehmer-Zuliefer-Kooperation eine vertikale Zusammenarbeit. Häufig wird hierfür auch der Begriff des Supply Chain Managements verwendet. In den Betrachtungsbereich der vertikalen Beschaffungskooperation als Supply Chain Management fällt gemäß der Porter’schen Value Chain ebenfalls die innerbetriebliche Logistik.
Produktionskooperationen
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Produktionskooperationen sind in einer vertikalen Ausrichtung nicht vom zuvor angeführten Supply Chain Management als Beschaffungskooperation zu unterscheiden. In ihrer horizontalen Ausrichtung sind Produktionskooperationen auf die gemeinsame Abwicklung von Prozessen einer Wertschöpfungsstufe ausgerichtet. Differenzierendes Merkmal ist die Existenz redundanter Ressourcen, d.€h., bestimmte Produktionsschritte können von mehreren Unternehmen ausgeführt werden. Eine kurzfristige Fremdvergabe wird so möglich. Somit wird in Produktionsnetzwerken primär die Möglichkeit zur Flexibilisierung der internen Produktionsabläufe gesehen. Die Ausgestaltung der Produktionskooperation bewegt sich in ihrer Ausprägung zwischen einem systematischen Kapazitäts- und Kompetenzmanagement.
Kooperationen im Bereich Marketing und Vertrieb Kooperationen im Bereich Marketing und Vertrieb sind durch eine von zwei oder mehreren unabhängigen Organisationen initiierte gemeinsame Nutzung und Entwicklung von Marketing- und Vertriebsressourcen und/oder die Zusammenlegung und Koordination von Marketingprogrammen der Partner [37]. Kooperationen im Bereich Marketing und Vertrieb werden in strategische sowie operative Marketingkooperationen unterschieden. Sie erstrecken sich von Servicekooperationen, Preiskooperationen oder Bonusprogramm bis hin zu Kommunikationskooperationen und Gütezeichen. Der kooperative Vertrieb fokussiert primär auf die gemeinsame Disposition und Leistungspolitik [37]. Hauptaufgabe der Vertriebskooperation ist es, Transaktionen mit Kunden herbeizuführen und zu diesem Zweck Geschäftsbeziehungen aufzunehmen und zu erhalten. Die Abwicklung von Kundentransaktionen bedingt eine klare vertragliche Vereinbarung der Zusammenarbeit.
7.3.4 Formen von Kooperationen und Unternehmensnetzwerken Zur Typisierung von Unternehmensnetzwerkformen werden Unternehmensnetzwerke in interne, stabile und dynamische Netzwerke unterteilt. Die im Folgenden vorgestellte Typologie orientiert sich an der Typologie nach Snow et al., die in der Theorie zu Kooperationen und Unternehmensnetzwerken eine große Verbreitung besitzt [41].
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7.3.4.1 Generische Typologie der Unternehmensnetzwerkformen Interne Netzwerke existieren innerhalb von großen Organisationen – u.€a. in Konzernen und Unternehmensgruppen – induziert durch zunehmend unberechenbare Ressourcenströme und die Intensivierung der Kosten. Am Netzwerk beteiligt sind rechtlich eigenständige Unternehmensbereiche, die über eine zentrale Einheit – z.€B. eine Konzernzentrale oder Holding – miteinander verbunden sind. Die Steuerung erfolgt über die zentrale Unternehmenseinheit durch strategische Vorgaben. Der Aufbau marktlicher Koordinationsmechanismen fördert das unternehmerische Denken und Handeln der Netzwerkmitglieder. Stabile Netzwerke entstehen, wenn unabhängige, spezialisierte Unternehmen – oft im Umfeld eines großen Unternehmens – entlang einer Wertschöpfungskette gemeinsam Produkte oder Dienstleistungen herstellen. Die beteiligten Unternehmen bringen dabei die erforderlichen Ressourcen in eine dezidierte Wertschöpfung ein. Die gemeinsame Zusammenarbeit in stabilen Netzwerken basiert auf Koordination durch ein zentrales Unternehmen, die sich durch eine funktional-orientierte Funktionsstruktur auszeichnet. Neben vertikal-hierarchischen Ausprägungen bestehen auch marktähnliche Strukturen. Die partielle Auslagerung von Prozessen an Netzwerkpartner erhöht die Flexibilität der gesamten Wertschöpfungskette [34]. Dynamische Netzwerke sind idealtypisch durch einen Pool potenzieller Partner gekennzeichnet, die sich zu auftragsbezogenen, zeitlich begrenzten Wertschöpfungsnetzwerken formieren. Charakteristisch ist eine hohe Anzahl an Pool-Partnern mit einem hohen Spezialisierungsgrad, die sich in kurzen Abständen entsprechend den herrschenden Marktbedürfnissen austauschen. Auch in dynamischen Netzwerken existiert ein zentrales Unternehmen, dem neben der strategischen Führung die Funktion der Vermittlung zwischen den Netzwerkpartnern zukommt. Aufgrund der hohen Dynamik besitzen dynamische Netzwerke besondere Eignung in sich schnell verändernden, kompetitiven Unternehmensumwelten.
7.3.4.2 Verbreitete Formen von Unternehmensnetzwerken und Kooperationen Im Anschluss an die vorgestellte Typisierung von Netzwerken werden in der Praxis verbreitete Formen von Kooperationen und Unternehmensnetzwerken mit Fokus auf die zugrundeliegende Struktur und Koordination vorgestellt. Eine Differenzierung der vorgestellten Formen von Unternehmensnetzwerken wird anschließend zu deren übersichtlichen Einordnung anhand der Dimensionen Zielsetzung und Kooperationsgrundlage in Abb.€7.5 vorgenommen.
Strategische Netzwerke Grundlage der Kooperationsbeziehungen in strategischen Netzwerken sind langfristige, stabile Beziehungsmuster zwischen einem beschränkten Kreis an beteiligten Unternehmen. Vertikale Kooperationsbeziehungen, in denen mehrere Unternehmen in Kunden-
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kurzfristig
ZIELE Produkt- bzw. Leistungsaustausch
Zeithorizont
Realisierung zeitl. begrenzter Projekte Synergierealisierung/ Risikoteilung
Virtuelles Unternehmen
Märkte
Joint Venture Cluster Strategische Allianz Konsortium
Fokales Netzwerk
Strategische Netzwerke
Plattform
Wettbewerbsbeschränkung
7
langfristig
Beteiligungen
Verträge
Vertrauen
Markt
gering
KOOPERATIONSGRUNDLAGE hoch
Flexibilität
Abb. 7.5↜渀 Formen von Kooperationen und Unternehmensnetzwerken [43]
Lieferanten-Beziehungen stehen und der Leistungsaustausch über den Markt stattfindet, sind charakteristisch für strategische Netzwerke. Ein weiteres Merkmal ist die Existenz eines fokalen Netzwerkunternehmens mit Leitungsfunktion. Die für die Leistungserstellung notwendigen Koordinationskompetenzen werden auf die einzelnen Unternehmen verteilt, das fokale Netzwerkunternehmen legt die strategische Zielsetzung fest und ermöglicht einen einheitlichen Auftritt am Markt. Optional werden bei der Ausgestaltung des Netzwerks die Netzwerkpartner in die Strategiefindung einbezogen. Das vordergründige Ziel strategischer Netzwerke ist die effiziente Abwicklung der operativen Zusammenarbeit. Die arbeitsteilige Konzentration auf einzelne Segmente der Wertschöpfungskette ermöglicht ein breites Angebot an Produkten und Dienstleistungen und die Realisierung effizienter Prozessabläufe. Dies ist häufig mit der wechselseitigen Nutzung von Ressourcen durch die Netzwerkteilnehmer und einer Risikosteuerung verbunden. Den genannten Vorteilen steht ein Verlust an Flexibilität gegenüber. Die strategische Führung des fokalen Netzwerkunternehmens führt in strategischen Netzwerken tendenziell zu hierarchischen Netzwerkstrukturen. Als Beispiel für strategische Netzwerke sind langfristige Kooperationsbeziehungen automobiler Firmen mit einem stabilen Netzwerk ausgewählter Zuliefererfirmen zu nennen, in denen der Automobilkonzern das fokale Unternehmen darstellt.
Strategische Allianzen Als Strategische Allianzen bezeichnet man formalisierte, längerfristige Beziehungen zwischen gleichberechtigten Partnerunternehmen, die mit dem Ziel aufgenommen werden, eigene Schwächen durch Stärkenpotenziale anderer Organisationen zu kompensieren und die eigene Wettbewerbsposition zu sichern und langfristig zur verbessern [27]. In ihnen werden Ressourcen, Wissen und Fähigkeiten zwischen Partnern geteilt oder gemeinsam
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genutzt mit der Zielsetzung die Wettbewerbsposition eines jeden Partners zu verbessern und einen Wettbewerbsvorteil für alle Partner zu sichern. Strategische Allianzen kennzeichnen Kooperationen, in denen mehrere rechtlich selbständige Unternehmen geschäftsfeldspezifische Aktivitäten miteinander verknüpfen. Charakteristisch sind relativ homogene, gegenseitige Abhängigkeiten, die zur zu polyzentrischen Strukturen in strategischen Allianzen führen. Es findet im Gegensatz zu strategischen Netzwerken kein gemeinsamer, einheitlicher Marktauftritt statt. Aus diesem Grund sind strategische Allianzen ausschließlich Kooperationen zwischen aktuellen bzw. potenziellen Konkurrenten eines Geschäftsfeldes und im Gegensatz zu Strategischen Netzwerken horizontale Kooperationen. Beispiele für Strategische Allianzen finden sich besonders zwischen Großunternehmen, z.€B. in der Automobil-, Luft- und Raumfahrtindustrie sowie in der Computerindustrie.
Joint Ventures/Gemeinschaftsunternehmen Das Joint Venture beschreibt eine horizontale, in der Regel grenzüberschreitende Kooperation von zwei oder mehreren Unternehmen zur Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks. Die beteiligten Partner errichten im Rahmen der Kooperation ein Gemeinschaftsunternehmen, an dem sie häufig paritätische Kapitalbeteiligungen besitzen. Somit erhalten sie ihre Selbstständigkeit. Durch das Gemeinschaftsunternehmen wird die Kooperation institutionalisiert [27]. Das Ziel ist es, durch die Nutzung gemeinsamer Erfolgspotenziale eine Marktchance gemeinsam zu erschließen. Joint Ventures finden sich vielfach in den Kooperationsbeziehungen internationaler Großunternehmen mit Unternehmen in Schwellenländern. Ihr vorrangiges Ziel ist die Erschließung von Märkten. Fallbeispiel╇╛Die Kooperationen des Unternehmens Bayer sind ein Beispiel dafür, wie durch gezielte Nutzung von Kooperationen einerseits neue Marktchancen erschlossen, andererseits die finanziellen Risiken der Entwicklung neuer Produkte abgefedert werden sollen. So nennt Bayer die in der Chemie-Branche üblichen, hohen finanziellen Aufwände für die Entwicklung von Produkten zur Erschließung neuer Märkte als Motivationstreiber für das Eingehen von Kooperationen. Der Kooperationswille beruht auf der Einschätzung, dass die hohen finanziellen Aufwendungen für neue Anlagen einer geringen Wahrscheinlichkeit der Entdeckung wirklich neuer, innovativer Kunststoffe gegenüberstehen. Demnach sind aus Sicht des Unternehmens Kooperationen als Konsequenz der hohen Unsicherheiten zu sehen, durch die Kostenrisiken bei der Entwicklung neuer Produkte zur Erschließung neuer Märkte abgefedert werden sollen. Als Kooperationsform werden von dem Unternehmen Bayer dazu nahezu ausschließlich Joint Ventures mit einer 50:50 Aufteilung der Beteiligung gewählt. Durch diese Auswahl der Kooperationsform will sich Bayer unter anderem das Commitment der Mutterunternehmen sichern.
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Konsortien Als Konsortien werden vertikale und horizontale Partnerschaften von Unternehmen zur gemeinsamen Erfüllung genau abgegrenzter Aufgaben und komplexer Projekte bezeichnet. Konsortien werden zur gemeinschaftlichen Bearbeitung komplexer Projekte bearbeitet, deren Kompetenz- und Kapazitätsbedarfe die verfügbaren Ressourcen der beteiligten Einzelunternehmen überschreiten. Die Verbindung zwischen den Unternehmen ist auf die Projektdauer befristet und umfasst umfangreiche vertragliche Regelungen. Nach außen tritt das Konsortium meist als Gesellschaft des bürgerlichen Rechts in Erscheinung.
Fokale Netzwerke
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Das fokale Netzwerk besitzt als zentrales Element eine klare, ökonomisch-monetär orientierte Zielsetzung, die eine begrenzte Zahl von Netzwerkpartnern gemeinsam tragen. Diese gemeinsame Basisintention kann entweder auf netzwerkexterne oder netzwerkinterne Nutzenpotenziale gerichtet sein. Die Operationslogik eines fokalen Netzwerks ist hierbei das interorganisatorische Geschäftssystem. Darunter wird das gesamte vordefinierte System zur Regelung der überbetrieblichen Geschäftstätigkeit zwischen Akteuren des Netzwerks zusammengefasst. Im aktivierten Geschäftssystem werden nur diejenigen Akteure beschäftigt, die für die Projektdurchführung notwendig sind. Das wesentliche Element der gesamten Leistung des Netzwerks ist der Prozess der Leistungserstellung. Diese begründet eine effiziente Leistungserstellung im Sinne der Kundenanforderung. Neben dem Effizienzgedanken steht die Sicherung der operativen Flexibilität im Vordergrund.
Märkte Märkte stellen eine weitere Form von Kooperationen dar, die sich durch ihre Koordinationsform auszeichnen. Märkte sind sowohl Tausch- als auch Informationsnetzwerke, die durch einen Organisator erschaffen werden. Im Markt werden Leistungen (Wirtschaftsgüter) zwischen Marktteilnehmern (Akteuren) beim Austausch gehandelt. Im Vordergrund steht hierbei die Effizienz der wirtschaftlichen Ressourcenallokation. Die Operationslogik von Märkten lässt umfasst die drei Ebenen Kooperationspotenzial, Marktteilnehmer und Transaktionen der Marktteilnehmer. Auf der Ebene des Kooperationspotenzials wird der Marktmechanismus in Form eines Handelssystems implementiert. Dieses umfasst die grundsätzlichen Elemente: Sicherung der Informationstransparenz, Abschluss von Transaktionen und die Erfüllung der Transaktion.
Plattformen Für Plattformen als Ausprägung der Unternehmensnetzwerke ist eine lose Kopplung der beteiligten Unternehmen charakteristisch. Dynamische Netzwerke mit offener und ge-
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schlossener Systemführerschaft werden den Plattformen zugeordnet. Anders als in fokalen Netzwerken existiert kein vordefiniertes Geschäftssystem. Das Geschäftssystem der Kooperationsbeziehung beschränkt sich auf die Initiierung und Anbahnung von Projekten sowie dem Management des Kooperationspotenzials. Zielsetzung der Plattformen ist der Aufbau zusätzlicher strategischer Flexibilität der beteiligten Unternehmen im Netzwerk. Der Wertschöpfungsfokus liegt auf dem Austausch von Informationen und Wissen um neue Geschäftschancen zu erkennen. Plattformen leisten entsprechend keinen monetären Nutzen für die beteiligten Unternehmen.
Virtuelle Unternehmen Virtuelle Unternehmen und Virtuelle Organisationen sind zentrale Elemente einer Strömung der Kooperationsforschung der 90er Jahre. Es handelt sich dabei um ein neueres Organisations- und Managementkonzept, das sich durch die Formlosigkeit der Organisation auszeichnet. Eine einheitliche Definition existiert nicht. Der Großteil der vorgestellten Konzepte zu virtuellen Unternehmen lässt sich den dynamischen Netzwerken zuordnen. Die temporäre Bildung eines Netzwerks durch eigenständige Unternehmen, die für einen begrenzten Zeitraum als Einheit agieren und dadurch Größe und Flexiblität demonstrieren, stellt eine weitere Gemeinsamkeit der Konzepte zu virtuellen Unternehmen dar [42]. Virtuelle Unternehmen stellen eine Weiterentwicklung hybrider Kooperationsformen zwischen Markt und Hierarchie – auf die in Kap.€7.3.5.2 eingegangen wird – auf Basis veränderter rechtlicher und technologischer Rahmenbedingungen dar [26]. Als Ziel virtueller Unternehmen ist die Verknüpfung von Kernkompetenzen zur Erhöhung von Flexibilität und Effizienz zu nennen.
Cluster Cluster stellen eine Form von Unternehmensnetzwerken dar, die eine räumliche Nähe zueinander als wesentliche Eigenschaft aufweisen. Die Definition von Clustern mit der größten Verbreitung geht auf Porter zurück. Danach ist ein Cluster definiert als geographische Konzentration miteinander verbundener Unternehmen, spezialisierter Zulieferer und Dienstleister, Unternehmen verwandter Branchen und weiteren Organisationen – z.€B. Universitätsinstitute, Standardagenturen, Industrieverbände – in einem bestimmten Bereich (Branche, Technologiefeld), die miteinander im Wettbewerb stehen und gleichzeitig kooperieren. Als zentrales Element von Clustern und Hauptnutzen der beteiligten Unternehmen wird der Wissensspillover zu nennen. Darunter wird die Wissensentstehung und Wissenserwerb, sowie die Wissensentwicklung und der Wissenstransfer subsumiert. Der regionale Aspekt von Clustern ist für den Wissensspillover an explizitem und impliziten Wissen von entscheidender Bedeutung, da informelle Kontakte, Konkurrenz und Kooperation zwischen den Akteuren diesen erst ermöglichen (Abb.€7.5). Die zuvor beschriebenen Ausprägungen von Kooperationen und Unternehmensnetzwerken sind in Abb.€7.5 dargestellt.
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Abb. 7.6↜渀 Koordinationsformen in Kooperationen und Unternehmensnetzwerken [25]
1
explizit
2
geführte, hierarchische Netzwerke
geführte, fokale Netzwerke
Koordination 4
implizit
7
3
heterarchische Hierarchie
Selbstorganisierende Netzwerke
monozentrisch/ intraorganisational
polyzentrisch/ interorganisational
Struktur
7.3.5 Spannungsfelder von Kooperationen und Unternehmensnetzwerken Kooperationen und Unternehmensnetzwerke weisen die verschiedensten Ausprägungen auf und unterscheiden sich anhand einer Vielzahl von Merkmalen hinsichtlich Inhalt und Form. Die Operationalisierung der wichtigsten Merkmale von Kooperationen und Unternehmensnetzwerken wird im Folgenden anhand von ausgewählten Spannungsfeldern vorgenommen. Spannungsfelder dienen dem Verständnis zentraler Merkmale von Kooperationen, die aus verschiedenen Blickrichtungen beschreiben werden. Die Operationalisierung der Merkmale von Kooperationen trägt zur Einordnung und Typisierung der in Kap.€7.3.6 vorgestellten Formen von Unternehmensverbindungen bei.
7.3.5.1 Spannungsfeld: Führung und Heterarchie Die meisten Definitionen von Kooperationen und Unternehmensnetzwerken weisen einen deskriptiven Charakter auf [44]. Dies wirkt sich nachteilig für die Betrachtung und Spezifizierung von Managementfunktionen in Kooperationen und Unternehmensnetzwerken aus, da präskriptive Ansätze zumeist fehlen. Zur Einordnung von Kooperationen anhand ihres Managementmechanismus im Spannungsfeld zwischen Führung und Heterarchie werden die Dimensionen Koordination und Struktur entsprechend der Abb.€7.6 genutzt. Hierbei wird die Architektur des Unternehmensnetzwerkes der zugrunde liegenden Koordinationsform gegenübergestellt. Die Struktur von interorganisationalen Unternehmensnetzwerken lässt sich zwischen den Extremformen der monozentrischen Struktur und der polyzentrischen Struktur unterscheiden.
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Der monozentrisch/intraorganisationale Typus zeichnet sich durch die Existenz eines bzw. einer geringen Zahl von Entscheidungszentren aus, welche Zweck und Ziele im Netzwerk determinieren. Die Netzwerkentitäten sind in der Regel rechtlich und wirtschaftlich miteinander verbunden. In diese Kategorie fallen beispielsweise Konzerne mit unterschiedlichen Unternehmenseinheiten. Polyzentrisch/interorganisationale Netzwerke besitzen eine große Zahl von Entscheidungszentren, im Extremfall stellt jede Entität im Netzwerk ein solches dar. Dieser Kategorie sind Netzwerke bestehend aus rechtlich und, zumindest weitgehend, auch wirtschaftlich unabhängigen Unternehmen zuzuordnen, die typischerweise klein oder mittelgroß sind. Zwei Pole der möglichen Gestaltung der Managementmechanismen von Kooperationen und Unternehmensnetzwerken werden unterschieden. Explizite Koordination ist zentrales Merkmal von geführten Netzwerken. Ungeführte Netzwerke zeichnen sich hingegen durch eine implizite Koordination auszeichnen. Die Merkmale dieser beiden Ausprägungen von Kooperationen und Unternehmensnetzwerken werden in Abb.€7.7 gegenübergestellt. Eine explizite Koordination entspricht dem Management von Kooperationen und Unternehmensnetzwerken über situative Weisungen an die Entitäten im Netzwerk und explizite Vorgaben für deren Aktivitäten. Derartige geführte Kooperationen und Netzwerke stellen eine explizite Integration von Regler und Regelstrecke in einem System dar. Ihre Ausprägung kann zwischen hierarchisch-weisungsbefugt und fokal-lenkend liegen. Sie repräsentieren die Manifestation zweckgerichteter künstlicher Systeme, da eine Zielverfolgung unter Wahrung von Sinn, Identität, Lebensfähigkeit und Anpassungsfähigkeit erfolgt [45, 46]. RS
RS
Geführte Netzwerke Hierarchische Netzwerke
Fokale Netzwerke
Eigenschaften:
Einsatzgebiet:
Triadisch
• eine Ebene: Netzwerk • instantane, lokale dyadische • Interaktion (Selbstorganisation) implizites Management (Kontext) • Reichweite =1
Einsatzgebiet:
• Entwicklung & Konstruktion • Produktion (Fertigung/Montage)
K : Kontext
Dyadisch
Eigenschaften:
• zwei Ebenen: Netzwerk & Kooperation • Konfiguration/Planung der Interaktion vor Ausführung • explizites Management (Fokale Instanz) • hohe Reichweite von Entscheidungen >1
Serien- & Massenfertigung
Ungeführte Netzwerke
K
R
• • • •
Innovationen in der Ideenphase Handel/Beschaffung Vertrieb Service
Einzelfertigung
R : Regler
RS : Regelstrecke
Abb. 7.7↜渀 Paradigmen der Koordination von Kooperationen und Unternehmensnetzwerken
494
7
G. Schuh et al.
Im Falle einer impliziten Koordination wird durch die koordinierende Instanz der Kontext der Netzwerkunternehmen durch verallgemeinerbare Regeln und Normen gestaltet und damit die synergetische Ausrichtung aller Aktivitäten am Zweck des Verbundes forciert. Derartige implizit koordinierte bzw. ungeführte Netzwerke und Kooperationen stellen unter Berücksichtigung des Regelkreises die Isolation der Regelstrecke als selbstorganisierendes, autonomes System dar, welches sich selbststrukturierend in einem Kontext bewegt. Dies bedeutet, dass der Regler Teil der kontextgestaltenden Umwelt ist und als übergeordnetes System nicht koordinierend in das kurzfristig situative Geschehen der Regelstrecke eingreift. Die Relevanz der angeführten theoretischen Unterscheidung für das Management von Kooperationen und Unternehmensnetzwerken in der Praxis lässt sich durch Studienergebnisse belegen. Diese weisen die beschriebenen Formen – geführte und ungeführte Unternehmensnetzwerke – als wesentliche Gestaltungsalternativen für Kooperationen und Unternehmensnetzwerke in der Praxis nach. Anhand der vorgenommenen Einordnung können Gestaltungsalternativen für Kooperationen und Unternehmensnetzwerke hinsichtlich ihrer Vor- und Nachteile gegeneinander abgewägt werden [43].
7.3.5.2 Spannungsfeld: Markt und Hierarchie Ein in der Literatur verbreiteter Ansatz für die Charakterisierung von Kooperationen und Unternehmensnetzwerken, der die zugrundeliegende Koordinationsform der Kooperation fokussiert, stellt die Einordnung in das Spannungsfeld zwischen Markt und Hierarchie dar. Die Einordnung von Kooperationen und Unternehmensnetzwerken zwischen den beiden Polen Markt und Hierarchie wird im Folgenden vorgestellt. Die Koordination der Leistungserstellung wird in der Hierarchie durch Weisungen – z.€B. der Unternehmensleitung – gegenüber einer prinzipiell unbegrenzten Zahl von Organisationsmitgliedern ersetzt. Dauerhaft angelegte Beziehungen werden als hierarchische Beziehungen bezeichnet. Koordiniert wird der Austausch unspezifizierter Leistungen. Der Markt ist eine „Organisationsform ökonomischer Aktivitäten“ die sich durch flüchtige und kompetitive Beziehungen zwischen den Marktteilnehmern auszeichnet [47]. Dieser ist dadurch charakterisiert, dass gleichberechtigte Marktteilnehmer, die sich grundsätzlich begrenzt rational und opportunistisch verhalten, eine genau spezifizierte Leistung austauschen. Koordiniert werden die Aktionen der weitgehend unabhängigen Marktteilnehmer auf der Grundlage von Preisen, die alle relevanten Informationen übermitteln. Kooperationen zwischen Unternehmen lassen sich in das Markt-Hierarchie-Kontinuum entsprechend ihrer Koordinationsform zwischen den Polen Markt und Hierarchie einordnen. Dabei werden Kooperationen in Form von interorganisationalen Unternehmensnetzwerken als eigenständige Organisationsform (Hybridform) mit eigenen Merkmalen angesehen (Abb.€7.8). Die Einordnung von Unternehmensnetzwerken als hybride oder intermediäre Koordinationsform zwischen den Polen Markt und Hierarchie stellt anschaulich dar, dass jede Kooperationsform typischerweise Elemente beider Koordinationsformen (Markt und Hierarchie) verknüpft [48]. Für die Einordnung der Koordinationsformen werden die Transak-
495
7â•… Vernetzte Wertschöpfung und Kooperationsmanagement
marktliche Koordination „spot contracting“
„relational/obligational contracting“
„employment relationship“
hierarchische Koordination
Kaufvertrag
Tauschgeschäft
Markt „arm’s-length transaction“
Langfristige Lieferverträge/ Sub-Unternehmerschaft
Internalisierung
Lizenz-/ Franchisingverträge
Joint Ventures
ProfitCenterOrganisation/ SGE
Interorganisationales Netzwerk „quasi firm“
Funktionalorganisation
Hierarchie „firm“ Externalisierung
Abb. 7.8↜渀 Unternehmensnetzwerke im Spannungsfeld von Markt und Hierarchie [47]
tionskosten in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt. Abbildung€7.9 fasst die Merkmale beider Pole bezogen auf Transaktionen zusammen und beschreibt die Ausprägungen im Hinblick auf Transaktionskosten. Somit stellen die Pole Extremausprägungen für die Einordnung von Kooperationen und Unternehmensnetzwerken dar, anhand derer die die Vorteilhaftigkeit der ausgewählten Koordinationsformen im Einzelfall geprüft werden kann. Somit fokussiert die Unterscheidung auf der wirtschaftlichen Vorteilhaftigkeit von Netzwerken zur Bewältigung spezifischer Aufgabenformen bei gegebenen Rahmenbedingungen. Die am Markt bzw. in der Hierarchie koordinierten Wirtschaftsaktivitäten werden durch kooperative Vereinbarungen ersetzt. Kooperationen als hybride Organisationsformen führen mit ihren Eigenschaften zur Aufweichung der Grenzen zwischen Markt und Hierarchie durch die konstituierenden kooperativen Elemente. Die Entstehung von Kooperationen in Form von interorganisationalen Unternehmensnetzwerken erfolgt, wie in Abb.€7.8 dargestellt, einerseits durch die Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, oder andererseits im Zuge einer begrenzten Funktionsgliederung durch Lockerung hierarchisch koordinierter Austauschbeziehungen [47]. Unternehmen entscheiden sich für Kooperationen, um auf diese Weise die Nachteile
Markt
Hierarchie
Koordination über den Markt falls: • sichere Transaktion • geringere Komplexität der Transaktion • große Anzahl potentieller Transaktionspartner • geringer Bindungsgrad von Ressourcen Geringere Transaktionskosten als bei einer Koordination über die Hierarchie.
Koordination über die Hierarchie falls: • unsichere Transaktion • komplexe Transaktionen • wenige Transaktionspartner • hoher Bindungsgrad von Ressourcen
Geringere Transaktionskosten als bei einer Koordination über den Markt.
Abb. 7.9↜渀 Eigenschaften von Markt und Hierarchie im Bezug auf Transaktionskosten
496
Abb. 7.10↜渀 Transaktionskostenvorteile von Unternehmensnetzwerken [47]
G. Schuh et al.
Vorteile von Unternehmensnetzwerken gegenüber der Koordinationsform des Marktes Geringe Suchkosten für Abnehmer und Lieferanten Gezielte funktionsspezifische Zusammenarbeit Transfer auch nicht-kodifizierbaren Wissens Geringere Informationskosten durch besseren Informationsfluss Geringere Kontrollkosten durch möglichen Verzicht auf (doppelte) Qualitätskontrollen
der Hierarchie Kombination hierarchischer mit marktlichen Koodinationsinstrumenten Größere Reversibilität der Kooperationsentscheidung Größere Umweltsensibilität des Gesamtsystems Leichtere Überwindbarkeit von organisatorischem Konservativismus bei der Anpassung an verändertes Umweltverhalten
7 der beiden Pole Markt und Hierarchie ausgleichen zu können. Abbildung€7.10 stellt die Vorteile der Koordinationsform Unternehmensnetzwerk den beiden Extremen Markt und Hierarchie mit einem Fokus auf die Transaktionskosten gegenüber.
7.3.5.3 Spannungsfeld: Flexibilität und Stabilität Der Begriff Flexibilität wird unterteilt in organisatorische, strategische und interorganisationale Flexibilität. Organisatorische Flexibilität „beinhaltet alle zukunftsgerichteten Überlegungen der langfristigen Schaffung und Sicherung von Handlungsspielräumen zur Begegnung von Risiken und Wahrnehmung von Chancen“ [49]. Unter strategischer Flexibilität wird im Zusammenhang mit Kooperationen und Unternehmensnetzwerken die „Fähigkeit eines Unternehmens [verstanden], sich unter Nutzung organisatorischer und interorganisationaler Flexibilitätspotenziale gewandelten Umweltsituationen anzupassen bzw. auf diese in seinem Interesse Einfluss zu nehmen“ [47]. Interorganisationale Flexibilität beschreibt die Fähigkeiten von Unternehmensnetzwerken, sich an quantitativ und qualitativ verändernde Wettbewerbssituationen anzupassen. Die Suche nach Flexibilitätspotenzialen ist eine strategische Aufgabe, die von Unternehmen als Reaktion auf die zunehmend turbulente wirtschaftliche Umwelt erfordert wird und nicht auf die Organisation innerhalb des Unternehmens begrenzt. Gegenpol für die Einordnung von Kooperationen im Zusammenhang mit Flexibilität ist die Stabilität. Diese fokussiert auf den Beziehungen zwischen den Netzwerkpartnern, die das gegebene System für die Dauer der Zweckerfüllung zusammenhalten [36]. Stabilität stützt sich in Einzelunternehmen auf mechanistische Strukturen der Organisation. Charakteristische Eigenschaften mechanistischer Strukturen sind Starrheit und mangelnde Flexibilität, wodurch sie eine geringere Eignung in einer dynamischen Umwelt besitzen. Im Gegensatz dazu basiert die Stabilität der Beziehungen von Kooperationen und Unternehmensnetzwerken häufig auf Kultur, Vertrauen und Verhalten. Wie in Abb.€7.11 dargestellt, verdrängen organische Strukturen in Unternehmensnetzwerken die mechanis-
497
7â•… Vernetzte Wertschöpfung und Kooperationsmanagement
Abb. 7.11↜渀 Determinanten der Stabilität im Prozess der Virtualisierung [36]
Portfolio-Worker-Netzwerk Dynamisches Netzwerk Strategisches Netzwerk Internes Netzwerk
Spezifität von Kompetenzen Komplementäre Synergie
Einzelunternehmen
Autonomie des Einzelnen Flexibilität
Prozess der Virtualisierung
starr
flexibel Determinanten der Stabilität
Vorgegebene Strukturen (mechanisch)
Kultur ersetzt Struktur
Beziehungen, Verhalten, Kultur (organisch)
tischen Strukturen, wodurch Kultur die vorhandenen Strukturen ersetzt und sich die Autonomie der involvierten Akteure erhöht. Die Vernetzung von Einzelunternehmen durch Kooperationen und Unternehmensnetzwerke im Rahmen des Prozesses der Virtualisierung führt dazu, dass die Bedeutung der Interaktionsthemen im Unternehmensführungsprozess rapide zunimmt. Durch Virtualisierung nimmt die Spezifität von Kompetenzen im Rahmen der Ausweitung der Arbeitsteilung und kooperativen Leistungserstellung zu. Die Flexibilität wird ebenfalls durch die Erschließung komplementärer Synergien mit anderen Organisationen verstärkt [36].
7.3.5.4 Spannungsfeld: Mechanismus und Organismus Die kooperierenden oder konkurrierenden Kooperationen und Unternehmensnetzwerke, die sowohl mit Flexibilität als auch mit Stabilität ausgestattet sind, können bezüglich formaler Beschreibungsgrößen in mechanistische und organische Unternehmensnetzwerke unterteilt werden. Dieser Aspekt wurde bei der Darstellung des Prozesses der Virtualisierung in bereits genutzt. Im Folgenden soll auf die unterschiedlichen Merkmale von mechanistischen und organischen Unternehmensnetzwerken eingegangen werden. Als charakteristisch für mechanistische Unternehmensnetzwerke werden ein hoher Standardisierungs-, Zentralisierungs- und Formalisierungsgrad angesehen. Dadurch eignen sich mechanistische Netzwerke im Vergleich zu organischen Netzwerken verstärkt zur Umsetzung der Strategie der Kostenführerschaft. Dies lässt sich durch die weniger formalisierten und standardisierten Strukturen organischer Strukturen von organischen Kooperationen und Unternehmensnetzwerken erklären. Organische Strukturen zeichnen sich hingegen durch stärkere Ausprägungen von Konnektivität, Reziprozität und Offenheit aus (Abb.€7.12).
498
G. Schuh et al.
Kriterium
7
Ideale mechanistische Konfiguration
Ideale organische Konfiguration
• Umwelt
• sicher • stabil
• unsicher • turbulent
• Missionen und Strategien
• einfach • unausgesprochen • unzusammenhängend • starr • reaktiv
• komplex • klar und deutlich • integriert • flexibel • manipulativ (beeinflussend)
• Führungsstil
• konservativ, seat-of-the-pants
• risikofreudig • Optimierung der Performance nach rationalen Analysen • Gebrauch flexibler, situativer Autorität • nicht autoritär • partizipativ
• Formale (vorgeschriebene) Netzwerke (prescribed networks)
• einfache integrative Mechanismen • Regeln und Programme • Hierarchie • Zielsetzung
• komplex integrative Selbstorganisation (devices) • vertikale Informationsflüsse • laterale Beziehungen
• Organisatorische Prozesse
• minimale Kommunikation • Konflikt vermeiden, werden „geradegebogen“ oder durch die Hierarchie gelöst • keine partizipative Entscheidungen
• offene Kommunikation, Zeitnah und ohne verzerrte Darstellungen • Konflikte angehen und offen managen • partizipative Entscheidungen
• Informelle (neu entstehende) Netzwerke (Emergent networks)
• „Klüngel“, der nicht aufgabenbezogen ist
• ausgeweitete aufgabenbezogene Netzwerke und Koalitionen
Abb. 7.12↜渀 Abgrenzung idealer mechanistischer gegenüber organischer Konfigurationen [36]
7.3.5.5 Spannungsfeld: Kooperation und Wettbewerb Eine interorganisationale Kooperation beinhaltet die partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Wirtschaftsunternehmen, die über den Leistungsaustausch zwischen Unternehmen hinausgeht. Ebenfalls möglich ist, dass die zwischenbetriebliche Kooperation zusätzlich auch die Gestaltung der Rahmenbedingungen des Leistungsaustauschs einschließt. Neben dieser gemeinschaftlichen Komponente verfolgen jedoch die beteiligten Partner immer das Ziel, weitere „den Umfang der originären Leistung übersteigende Vorteile (Steigerung der Wirtschaftlichkeit, Rentabilität) aus der Zusammenarbeit“ zu gewinnen [36]. Der Wettbewerb in Kooperationen als Antrieb für kontinuierliche Innovationen und Fortschritt stellt einen Gegenpol zur Kooperation als partnerschaftlichen Zusammenarbeit dar. Dadurch ergibt sich eine weitere Möglichkeit der Einordnung von Kooperationen in Form des Spannungsfelds zwischen Kooperation und Wettbewerb. Einerseits existieren Kooperationen, in denen Wettbewerb innerhalb der Kooperation gefördert wird. Der auf einzelne Tätigkeitsfelder beschränkte oder umfassende Wettbewerb zwischen Partnerunternehmen ist bei dieser Form gewollt und aus diesem Grund innerhalb des Netzwerks zugelassen. Andererseits bestehen Kooperationen, in denen Wettbewerb zwischen den Partnern innerhalb des Unternehmensnetzwerks fehlt. Dann sind die
7â•… Vernetzte Wertschöpfung und Kooperationsmanagement
499
nicht am Netzwerk beteiligten Unternehmen die Konkurrenten der beteiligten Unternehmen. Diese kämpfen typischerweise um einen Platz im Netzwerk. In beiden Fällen wird bewusst eine Konkurrenzsituation erzeugt, die die beteiligten Unternehmen dauerhaft zur Entwicklung von Innovationen und zur Besserung ihrer Kompetenzen zwingt.
7.3.5.6 Spannungsfeld: Autonomie und Interdependenz Ein weiteres Spannungsfeld zur Typisierung und Abgrenzung von Formen der Kooperationen und Unternehmensnetzwerken besteht in Bezug auf die Abhängigkeit in Beziehungen zwischen kooperierenden Unternehmen. Die Pole des Spannungsfelds stellen Selbstständigkeit (Autonomie) und wechselseitige Abhängigkeit (Interdependenz) zwischen den Unternehmen eines Unternehmensnetzwerks dar. Wie in Kap.€7.3.1 erläutert, bestehen Kooperationen und Unternehmensnetzwerke aus rechtlich selbstständigen, aber wirtschaftlich in Abhängigkeit stehenden Partnern. Rechtliche Selbstständigkeit bedeutet, dass die beteiligten Unternehmen untereinander explizite und implizite Verträge schließen können, ohne ihre eigene Rechtspersönlichkeit zu verlieren [50]. Die wirtschaftliche Selbstständigkeit bezeichnet andererseits die selbst zu treffenden und umzusetzenden strategischen Wahlentscheidungen eines Unternehmens. Diese Selbstständigkeit schränken Unternehmen durch Kooperationen ein. Als Maß für die Einschränkung bzw. die bereichsweise Aufgabe der wirtschaftlichen Selbstständigkeit ist die Bindungsintensität in Kooperationen angesehen. Für die Typisierung von Kooperationen und Unternehmensnetzwerken wird die Selbstständigkeit durch die Interdependenz ergänzt. Im Rahmen von Kooperationen gehen Unternehmen gegenseitige Abhängigkeiten bewusst ein. Diese Interdependenzen werden in horizontale, vertikale und symbiotische Interdependenzen unterschieden. Horizontale Interdependenzen entstehen beispielsweise im Wettbewerb um den Erwerb ähnlicher Ressourcen bzw. um den Absatz spezifischer Produkte. Vertikale Interdependenzen bestehen hingegen zwischen Unternehmen unterschiedlicher Wertschöpfungsstufen. Symbiotische Interdependenzen entstehen bei sinnvoller Ergänzung von Leistungen und Kompetenzen von Unternehmen.
7.3.6 Typologie der Unternehmensverbindungen Die Typologisierung von Kooperationen und Unternehmensnetzwerken ist für das Kooperationsmanagement von Bedeutung, da sich durch die Einordnung wesentliche Charakteristika und Managementanforderungen ableiten lassen. Zentrale Anforderung an Kooperationstypologien ist die wechselseitige Überschneidungsfreiheit der Kooperationstypen. Aufgrund der häufig fließend und nicht präzise bestimmbaren Übergänge zwischen Kooperationstypen und des hohen praktischen Nutzens wird die Typologisierung von Kooperationen und Unternehmensnetzwerken anhand einer Morphologie der Unternehmensverbindungen mit Fokus auf Kooperationen und Unternehmensnetzwerke vorgestellt.
500
G. Schuh et al.
Merkmal Bindungsintensität
Absprache
Vertrag
Kapitalbeteiligung
Integrationsgrad
autonom
koordiniert
integriert
Struktur
monozentrisch
polyzentrisch
Entscheidungsreichweite
=1
>1
Richtung Räumliche Dimension Dauer
7
Ausprägung
Bereich
horizontal lokal
vertikal regional
projektbezogen Forschung & Entwicklung
diagonal/lateral national
terminlich begrenzt
Beschaffung
Fertigung
international unbefristet
Montage
Vertrieb
Service
Kapazitäten
komplementär
redundant
komplementär-redundant
Kompetenzen
komplementär
redundant
komplementär-redundant
Anzahl der Partner Koordination
dyadisch
triadisch
implizit ungeführt
einfache Netzwerke
komplexe Netzwerke
explizit geführt
Abb. 7.13↜渀 Morphologie der Unternehmensverbindung
Morphologien stellen den Zusammenhang zwischen diesen Merkmalen und möglichen Ausprägungen dar. Somit stellen sie eine geeignete Basis für die Erkennung von relevanten Grundmustern und Merkmalen in Kooperationen dar. Morphologien unterstützen die Typisierung und Abgrenzung von Kooperationen und Unternehmensnetzwerken (Abb.€7.13). Die in der Morphologie der Unternehmensverbindungen enthaltenen Merkmale eignen sich für die Klassifizierung und Abgrenzung von Kooperationen und Unternehmensnetzwerken. Im Folgenden werden die Merkmale und ihre Ausprägungen erläutert. Bindungsintensität: Die Bindungsintensität beschreibt den Grad, zu dem sich die beteiligten Parteien eines Unternehmensnetzwerkes oder einer Kooperation ihre Autonomie, d.€h. Entscheidungsfreiheit aufgeben. Sie reicht von der mündlichen Absprache bis hin zur mehrheitlichen Kapitalbeteiligung. Integrationsgrad: Der Integrationsgrad reicht von Autonomie über die Festlegung gemeinsamer normativer und strategischer Rahmenbedingungen bis hin zur organisatorischen Integration mit institutionalisiertem Management (Bauer [38], S. 41, 194) . Struktur: Die Struktur bezeichnet die Verteilung der Koordinationsbefugnisse zwischen Partnern des Unternehmensnetzwerkes einerseits und der Kooperation andererseits. Entscheidungsreichweite: Die Entscheidungsreichweite bewegt sich auf eine Vereinbarung mit unmittelbarer Auswirkung auf einen oder mehrere Beteiligte eines Netzwerkes oder einer Kooperation. Richtung: Horizontale Unternehmensverbindungen sind Verbindungen von Partnern der gleichen Branche und Wertschöpfungsstufe. Dagegen bezeichnen vertikale Verbindungen Beziehungen von Partnern auf verschiedenartigen, aufeinander folgenden Produktionsstufen einer Branche. Diagonale Unternehmensnetzwerke sind eine Verbindung
7â•… Vernetzte Wertschöpfung und Kooperationsmanagement
501
aus Unternehmen verschiedener Branchen und unterschiedlicher Wertschöpfungsschritten (Zentes [37], S.€1071). Räumliche Dimension: Unternehmensnetzwerke und Kooperationen lassen sich anhand ihrer räumlichen Erstreckung unterscheiden. Sie reicht von rein lokaler Interaktion bis hin zur internationalen Zusammenarbeit. Dauer: Die Dauer der Zusammenarbeit in Netzwerken und Kooperationen kann sowohl ausschließlich auf ein Projekt bezogen sein (in diesem Falle würde eine stabile Netzwerkbasis als Voraussetzung fehlen) oder aber unbefristet (hierbei können sowohl das Netzwerk als stabile Basis als auch die Kooperation als aktivierte Wertschöpfungskette gemeint sein). Bereich: Die Zusammenarbeit von Unternehmen kann sich auf verschiedenste Bereiche der Wertschöpfungsstufe im Lebenszyklus eines Produktes beziehen. Frühe Phasen der Ideenfindung und Detailentwicklung stellen dabei andere Anforderungen an die Partner und deren Koordination als die spätere kollaborative Kundenbetreuung durch Services. Kapazitäten: Die Art der in einem Unternehmensnetzwerk zusammengeführten quantitativen Kapazitäten und ihre jeweiligen Qualitäten in einer aktivierten Kooperation können entweder komplementär oder redundant zueinander sein. Die Kombination ist von der strategischen Zielsetzung des Netzwerkes abhängig. Kompetenzen: Ähnlich wie die Kapazitäten sind Kompetenzen in ihrer Zusammenstellung im Netzwerk und in der Kooperation von der Zielsetzung und Aufgabe der Zusammenarbeit abhängig. Ihr eher qualitativer Charakter als Kombination aus Kapazitäten und Fähigkeiten erschwert eine quantitative Trennung. Anzahl der an einer Interaktion beteiligten Partner: In diesem Merkmal verwischt die Trennung zwischen Netzwerk und Kooperation. Eine rein dyadische Interaktion zweier Partner wird häufig als Allianz bezeichnet. Die Unterscheidbarkeit von statischer Vorvernetzung und dynamischer, projektbezogener Interaktion steigt mit zunehmender Partneranzahl. Koordination: Die Koordination der Interaktionen von Unternehmen in einem Netzwerk sowie in einer Kooperation lässt sich in zwei grundsätzlich verschiedene Paradigmen unterscheiden. Das Paradigma der explizit-führenden Koordination bejaht die Integration einer institutionellen Koordinationsinstanz in das kollaborative System Netzwerk/Kooperation. Das Paradigma der implizit-ungeführten Koordination hingegen postuliert die auf rein lokaler Abstimmung basierende Selbstorganisation mit geringer Reichweite der Entscheidungswirkung.
7.4 Kooperationsmanagement 7.4.1 Grundlagen Nach der Vorstellung von Kooperationen und Unternehmensnetzwerken wird in diesem Kapitel das Management von Kooperationen thematisiert. Unter Kooperationsmanagement wird im Rahmen dieses Kapitels, in Anlehnung an die Managementdefinition von
502
G. Schuh et al.
Ulrich, Funktionen, die sich als Gestalten, Lenken (Steuern) und Weiterentwickeln von Unternehmenskooperationen zusammenfassen lassen, mit dem Ziel, Kooperationen als sozio-technische Systeme systematisch zu gestalten und zum Erfolg der Kooperation beizutragen, verstanden. Anschließend an die Vorstellung ausgewählter Modelle zum Management von Kooperationen werden eigene Themenschwerpunkte des Kooperationsmanagements erörtert.
7.4.2 Modelle des Kooperationsmanagements
7
Eine Vielzahl von Modellen zum Thema Kooperationsmanagement existiert. In diesem Kapitel werden ausgewählte Modelle, die für das Kooperationsmanagement von Bedeutung sind, vorgestellt und detailliert.
7.4.2.1 Viable System Model Das Viable System Model (Modell lebensfähiger Systeme) – das bekannteste Unternehmensmodell der kybernetischen Managementlehre – ist ein funktionsorientiertes Strukturmodell, das auf Beer zurückgeht. Unter Lebensfähigkeit wird die Fähigkeit eines Systems verstanden, sich an eine dynamische Umwelt adaptiv anzupassen, eine eigene Identität als Unterscheidung von seiner Umwelt zu erhalten und den beteiligten Akteuren einen Sinn ihres Handels zu vermitteln. Zentrales Postulat des Modells ist, dass jedes Unternehmen als System über mindestens fünf Sub-Systeme verfügen muss, denen bestimmte Grundfunktionen des Systems zugeordnet werden können, um dauerhaft lebensfähig zu sein. Das Viable System Modell nach Beer ist in dargestellt (Abb.€7.14). Aufgrund der Allgemeingültigkeit des Viable System Model kann es ebenfalls auf Kooperationen übertragen werden und zur Systemgestaltung im Rahmen des Kooperationsmanagements Anwendung finden. Grundlage der Anwendung ist die Vorstellung, dass ein Unternehmensnetzwerk Eigenschaften eines Systems besitzt, das sich einer dynamischen – d.€h. einer sich ständig in unvorhersehbarer Weise ändernden Umwelt – anpasst. Zur Anwendung des Viable System Models auf Unternehmensnetzwerke ist die Zuordnung der Sub-Systeme vorzunehmen. Eine mögliche Interpretation der Sub-Systeme zur Übertragung des Viable System Modells auf Unternehmensnetzwerke nach Schuh et€al. [51] wird im Folgenden vorgestellt.
System 1: Partnerunternehmen des Unternehmensnetzwerks Die Systeme Eins sind die Lenkungsinstanzen für die Hauptaktivitäten, Untereinheiten oder Bereiche des lebensfähigen Systems. Im Unternehmens- und Netzwerkkontext stel-
503
7â•… Vernetzte Wertschöpfung und Kooperationsmanagement
Abb. 7.14↜渀 Viable System Model (Das Modell lebensfähiger Systeme) [45]
Environment/ Milieu
5
„MetaSystem“
Future 4
3
2
3* A
1A
B
1B
C
1C
D
1D
len sie quasi-autonome Einzelunternehmen dar, wobei sie gleichzeitig über ihre eigene, rekursive Unternehmensführung verfügen. Zwei Prinzipien sind entscheidend für die Gliederung eines lebensfähigen Systems in System-Eins-Bereiche: • das Prinzip der Lebensfähigkeit • das Prinzip der Rekursivität Verfassung, Politik und Kultur der Einzelunternehmen müssen kooperativ sein, damit sich das Unternehmen in den übergeordneten Kontext eingliedern kann [52]. Die Führung jedes Einzelunternehmens steht im direkten Kontakt mit der Netzwerkführung oder ist Teil dieser (System 3). Die Schnittstelle zur Vermittlungs- und Bahnungsfunktion ist hiervon unabhängig (System 2).
System 2: Taktisches Management von Unternehmensnetzwerken Jedes System Eins hat bis zur Definition und Verhandlung einer Kooperation bzw. eines Projektes völlige Verhaltensfreiheit. Das Einzelunternehmen als Teil eines umfassenden Systems „Unternehmensnetzwerk“, verfügt aufgrund des Netzwerks und zugunsten der anderen Systeme Eins über einen eingeschränkten Verhaltensspielraum. Die Abstimmung und Harmonisierung der Verhaltensweisen aller (beteiligten) Systeme Eins im Rahmen
504
7
G. Schuh et al.
einer Kooperation, stellt eine Koordinationsfunktion dar, die von System Zwei ausgeübt wird. Sie besteht darin, Dysfunktionalitäten und Oszillationen zwischen den Systemen Eins auszugleichen. Eine weitere wesentliche Funktion des taktischen Managements ist die zielgerichtete Wertschöpfungskettenkonfiguration in der Phase der Kooperationsanbahnung und -verhandlung. Diese Aufgaben werden von der Führungsinstanz übernommen oder unterstützt. Im Rahmen eines Projektes hat jede dezentralisierte Kooperation ihre quasiautonomen, konstituierenden Einheiten. Jeder einzelne Partner bzw. dessen Management hat aufgrund von Projektplanung und Zielvereinbarungen etc. mehr oder weniger klare Vorstellungen darüber, was von der Unternehmens- oder Netzwerkführung im Sinne einer Zweckorientierung angestrebt wird. Jedes Einzelunternehmen operiert innerhalb seiner relevanten Projektumwelt und hat spezifische Probleme, die es möglichst gut zu lösen versucht. Verursacht durch interne wie externe Störungen entstehen aufgrund der beschriebenen Problematik Koordinationsprobleme im Netzwerk. Eine weitere Funktion von System 2 besteht deshalb in der interorganisationalen Koordination des Unternehmensnetzwerks, die dazu beitragen soll, die angestrebten Synergieeffekte bzw. Kooperationspotenziale zu erreichen.
System 3: Operative Umsetzung netzwerkinterner Aktivitäten Durch System Zwei wird das Zusammenwirken der Systeme Eins koordiniert. Dadurch besteht jedoch noch keine Garantie, dass die koordinierten Systeme Eins zusammen einen größeren oder besseren Effekt erzielen, als die Summe der Einzelaktivitäten. Entsprechend ist die Aufgabe von System Drei, das Netzwerkpotenzial durch Koordination der operativen Aktivitäten sicherzustellen. Die prinzipielle Verhaltensfreiheit der Einzelunternehmen wird durch Vorgaben und Richtlinien, die das Gesamtsystem betreffen, eingeschränkt. Erarbeitung dieses operativen Gesamtplans wird von System Drei unter Einbezug von Informationen, die aus den Systemen Vier und Fünf sowie aus den Systemen Eins und Zwei übermittelt werden, vorgenommen. System Drei ist, mit Ausnahme seiner Verbindung zum System Vier, auf die permanente Einhaltung des internen Gleichgewichts sowie auf interne Harmonisierung und Optimierung des Unternehmensnetzwerkes ausgerichtet.
System 4: Strategische Positionierung des Unternehmensnetzwerks Das Unternehmensnetzwerk kann ohne Informationen über die Systemumwelt (Branche und Markt), innerhalb welcher es sich gesamthaft befindet, nicht existieren. Das interne Gleichgewicht im Sinne eines Kompetenzmanagements oder eine Kompetenzpoolung kann nur insoweit sinnvoll sein, als externe Faktoren berücksichtigt werden. Die Aufnahme, Verarbeitung und Weiterleitung von Umweltinformationen auf Gesamtsystemebene ist die Funktion von System Vier. Es gibt einige Transaktionen mit der Umwelt, die nur von dem Unternehmen- bzw. dem Unternehmensnetzwerk als Ganzes sinnvoll auszuführen sind und die deshalb die einzelorganisatorischen Transaktionen transzendieren.
7â•… Vernetzte Wertschöpfung und Kooperationsmanagement
505
Die Führungsinstanz des Netzwerkes hat die Aufgabe, die strategische Positionierung des Unternehmensnetzwerkes innerhalb seiner Umwelt entweder durch entsprechende Einwirkung auf System Drei oder durch die Eingliederung weiterer Partner vorzunehmen. Die Ausbalancierung von internem und externem Gleichgewicht wird durch das Zusammenwirken der Systeme Drei und Vier unter dem Einfluss und der Überwachung von System Fünf erzielt.
System 5: Normative Ebene der Führung von Unternehmensnetzwerken System Fünf repräsentiert die oberste Entscheidungsinstanz des Gesamtsystems in Hinblick auf die grundlegenden Normen, Werte und Regeln, in deren Rahmen sich alle anderen Systeme bewegen und mit Bezug auf die Erarbeitung und Auswahl der generellen Verhaltensalternativen im Sinne einer aktiven Gestaltung der Zukunft des Gesamtsystems. Das System Fünf hat die Aufgabe, für eine gemeinsame Netwerkverfassung und -politik zu sorgen, die als Leitlinie für die Positionierungsaktivitäten des Netzwerkes gelten. Es erhält seine Informationen über die Umwelt aus den Systemen Drei und Vier. Mit seinem Wissen über weitreichende Gesamtumwelt in Verbindung mit der Aggregation der Lokalinformationen aus den Teilsystemen Eins, fungiert es normativ als Mediator bei Interessensdifferenzen zwischen diesen. Seine Funktion kann entsprechend mit der eines Veränderungsmanagers gleichgesetzt werden. Als Grundlage für die Modellierung von Unternehmensnetzwerken fokussiert das Viable System Model das interne Komplexitätsmanagement und die unternehmensübergreifende Flexibilität als Schwerpunkte des Kooperationsmanagements. Anhand des Modells lassen sich dem Kooperationsmanagement vier Managementdimensionen zuordnen: • • • •
Normatives Management (System 5) Strategisches Management (System 4) Taktisches Management (System 2 und 3* ) Operatives Management (System 3)
Besondere Eignung besitzt das Modell für die interne Strukturierung von Unternehmensnetzwerken mit Bezug auf die gegebene Umweltkomplexität.
7.4.2.2 Generisches Architekturmodell nach Friedli Das Architekturmodell nach Friedli ermöglicht Beschreibung und strukturierten Umgang mit Kooperationen. Die Architektur stellt ein Leerstellengerüst dar, dessen Felder im Laufe des Modellierungsprozesses ausgefüllt werden müssen [53]. Im Fokus des Modells stehen drei, aus den Besonderheiten von Kooperationen abgeleitete, generische Bausteine, die sich weiter aufgliedern lassen. Als Bausteine von Kooperationen werden Einzelunternehmen, Kompetenzpool und die Kooperation im engeren Sinne definiert. Abbildung€7.15 stellt die generischen Bestandteile von Kooperationen und ihre Beziehungen zueinander dar.
506
G. Schuh et al.
Umfeld Adaption 3 Zweck Ziel
Restrukturierung
Interne Struktur
Lösung Design
Dekomposition 2
7
KompetenzPool (Interfaces)
Restriktionen
U’gentw
Einzelunternehmen 1
Strategie Standards Infrastruktur Spielregeln Services
Abb. 7.15↜渀 Generische Bausteine von Kooperationen [53]
Einzelunternehmen Das Einzelunternehmen mit seinen charakteristischen Eigenschaften – Strategie, Fähigkeiten, etc. – muss in Kooperationen auch dann berücksichtigt werden, wenn nur ein Unernehmensteil Bestandteil der geplanten Kooperation ist. Die im Einzelunternehmen existierenden Routinen und Ziele werden in Kooperationen hineingetragen und beeinflussen deren Entwicklung. Es bestehen Wechselwirkungen zwischen Kooperationen und der Entwicklung der beteiligten Einzelunternehmen, da durch die Konfrontation mit anderen Weltbildern neue Ideen ins Unternehmen hineingetragen werden können
Kompetenzpool Der Kompetenzpool bildet die zur Erfüllung einer Aufgabe potenziell in der Kooperation zur Verfügung stehende Ansammlung von Fähigkeiten nach. Je nach Kooperation können verschiedene Kompetenzpools existieren. Der Kompetenzpool beeinflusst die Modellierung von Kooperationen, weil darin Spielregeln, Infrastrukturen, Rahmenvorgaben etc. festgelegt werden, die die entstehende Kooperation maßgeblich beeinflussen.
Kooperation im engeren Sinne Die Kooperation im engeren Sinne ist diejenige Kooperation, die sich schließlich zur Erfüllung der anstehenden Aufgabe formiert.
507
7â•… Vernetzte Wertschöpfung und Kooperationsmanagement
Friedlis Architekturmodell von Kooperationen ermöglicht, die generischen Bausteine im Kontext ihres Umfelds sowie der inhärenten Dynamik zu modellieren, die durch die Pfeile zwischen den generischen Bausteinen integriert wird. Die Darstellung der generischen Bausteine dient dazu, mögliche Veränderungsdynamiken aufzuzeigen und transparent zu machen. Alle Bestandteile des Modells unterliegen einer Dynamik, die, unabhängig von der Ausgangskonfiguration, einen erheblichen Einfluss auf den Verlauf und das Ergebnis einer Kooperation haben kann. Das Modell der Architektur von Kooperationen als Grundlage des Kooperationsmanagements ist in Abb.€7.16 dargestellt. Die prozessuale, dynamische Sicht der zweckorientierten Zusammenarbeit steht bei der Modellierung von Kooperationen im Vordergrund. Dabei folgt das Modell dem Postulat Brownings, nachdem die Struktur in Abhängigkeit der Prozesse und die Prozesse in Abhängigkeit der Strategie zu gestalten sind. Die Gestaltung der Prozesse steht somit an erster Stelle. Das Netzwerk wird innerhalb des Modells als infrastruktureller Ressourcen- und Kompetenzpool im Rahmen der Dimension „Gemeinschaft“ berücksichtigt. Die Gestaltung schließt sich an die Gestaltung der Prozesse an. Anschließend sind die Schnittstellen und die Infrastruktur der Interaktion zu gestalten. Als Querschnittsdimensionen umfasst die Modellierung Rollen, Informationen, Ressourcen und Struktur. Die dritte Dimension „Planung und Entwicklung“ umfasst die Gestaltung der strategischen Führung einer Kooperation. Als Ordnungsrahmen dieser Dimension wird der General Management Navigator nach Müller-Stewens zugrunde gelegt, der die Phasen Initiierung, Positionierung, Wertschöpfung und Veränderung umfasst. Eine detaillierte Beschreibung des General Management Navigators ist in Kap.€1.2.10.5 angeführt.
Umfeld Adaption
3 Restrukturierung
Interne Struktur
Einzelunternehmen
1
Lösung Design
Dekomposition
2 KompetenzPool (Interfaces)
Restriktionen U’gentw
Zweck Ziel
Prozesse
Strategie Standards Infrastruktur Spielregeln Services
Gemeinschaft
Abb. 7.16↜渀 Architekturmodell von Kooperationen [53]
Funktionen
Ressourcen
Informationen
Rollen
Infrastruktur
P En lan tw un ick g, lu ng
Interfaces
508
G. Schuh et al.
7.4.2.3 Dynamisches Kooperationsmanagementmodell nach Kurr
7
Das dynamische Kooperationsmodell nach Kurr umfasst drei Kooperationsprozesse und ihre Beziehung zueinander. Die identifizierten Kooperationsprozesse üben auf die Entwicklung, wie auch das Management einer Kooperation einen entscheidenden Einfluss aus. Abbildung€7.17 stellt schematisch das dynamische Kooperationsmanagementmodell nach Kurr dar. Der Begriff Kooperationspotenziale steht im Modell stellvertretend für eine strategische Wertschöpfungsopportunität, welche durch die Hinzunahme externer Ressourcen, d.€h. über eine Kooperation, adressieren lassen. Die operative Planung und Durchführung repräsentieren dabei die kooperative Wertschöpfung. Der Prozess der Verhandlung und Vereinbarung bildet den Kooperationsrahmen. Dieser Kooperationsrahmen wird als Bindeglied zwischen der Wertschöpfungsopportunität (Kooperationspotenzial) und der operativen Umsetzung dieser Opportunität (Operatives Design) verstanden, auf deren Grundlage sich ein Mehrwert für die Beteiligten ergibt. Auf Basis des dynamischen Kooperationsmanagementmodells lassen sich die Wechselwirkungen zwischen den beschriebenen Kooperationsprozessen darstellen. Die Art und Bedeutung der Kooperationspotenziale im Rahmen der Unternehmensstrategie determiniert, welche Kooperationspartner in Betracht kommen und welche Verhandlungspositionen und -strategien ein Unternehmen gegenüber einem potenziellen Kooperationspartner einnimmt bzw. einnehmen kann. Die Beurteilung der Kooperationssituation erfolgt aus den für die Thematik relevanten Perspektiven. Diese Analysetätigkeit, die im Sinne des Modells vorbereitend auf den Verhandlungsprozess verstanden wird, ist mit dem Begriff
Kooperationspotenziale
Strategische Ebene
- Identifikation - Bewertung Operative Ebene
Kooperationsrahmen
Operatives Design
- Vereinbarung - Verhandlung
- Planung - Implementierung
Abb. 7.17↜渀 Dynamisches Koopertionsmanagementmodell [54]
7â•… Vernetzte Wertschöpfung und Kooperationsmanagement
509
Kooperationspotenzial verbunden. Trotz der beurteilten Ausgangssituation und den abgeleiteten Konsequenzen für die Verhandlungen wird im Rahmen des Modells angenommen, dass die Verhandlungen und Vereinbarungen kaum prognostizierbar verlaufen und jeweils unterschiedliche Ergebnisse mit sich bringen. Auf die Möglichkeit, dass sich durch den Verlauf der Verhandlungen Optionen auf weitere Kooperationspotenziale ergeben, wird explizit verwiesen. Die Ergebnisse der Verhandlungen determinieren im Rahmen des Modells die operative Ausgestaltung. Der starke Einfluss der Verhandlungen auf die Ausgestaltung und Entwicklung der Kooperation verdeutlicht ihre Bedeutung als Bindeglied zwischen dem strategischen und dem operativen Kooperationsmanagement. Die Erfahrungen der operativen Ausgestaltung und Durchführung von Kooperationen bilden die Basis für Anpassungen des vereinbarten Rahmens der Kooperation an die operativen Bedürfnisse. Die Bedeutung des Kooperationsrahmens wird in dem Modell herausgestellt, da dieser entscheidet, wie Entwicklungspotenziale schnell und flexibel genutzt werden können. Das Modell ordnet dem Kooperationsmanagement folgende beiden zentralen Handlungsfelder zu: • Ableitung von strategischen Kooperationspotenzialen • Bewertung von Kooperationspotenzialen Das dynamische Kooperationsmanagementmodell bildet die Grundlage einer integrierten Vorgehensweise zum Management dieser beiden Aspekte in Kooperationen. Im Rahmen der Detaillierung werden umfangreiche Methodiken zur Ausgestaltung der zentralen Handlungsfelder der Kooperationsmanagements aufgeführt.
7.4.2.4 Value System Design nach Riggers Im Zentrum des Value System Designs zur Modellierung und Gestaltung von Kooperationen steht das Value System. Als Value System wird ein strategisches, interorganisationales Unternehmensnetzwerk aus rechtlich unabhängigen Unternehmen verstanden. Diese bringen zum gemeinsamen Aufbau strategischer Erfolgspotenziale und zur Erschließung von Nutzenpotenzialen unter einer einheitlichen Marke komplementäre Kernkompetenzen in die Kooperation ein um den Wert des Ganzen (Value Systems) zu steigern. Das Modell folgt dem Modell der erweiterten Wertschöpfungskette als unternehmensübergreifendes Value System nach Porter. Als potenzielle Partner für ein Value System werden sowohl Großunternehmen als auch Unternehmen mittlerer Größe angesehen, die nicht einer spezifischen Branche angehören müssen. Das Value System wird dynamisch konfiguriert, um ein identifiziertes attraktives Nutzenpotenzial gemeinsam mit den beteiligten Unternehmen zu erschließen. Die Nutzung komplementärer Synergien steht dabei im Rahmen des Modells im Vordergrund. Durch die Ausrichtung der Kooperation auf die Erschließung attraktiver Nutzenpotenziale und weiterer Eigenschaften kann das Value System den strategischen Unternehmensnetzwerken zugeordnet werden. Parallel zu strategischen Netzwerken existiert im Value System die Rolle eines zentralen Unternehmens mit Koordinationsfunktion. In einem neu
510
G. Schuh et al.
Umwelt Service Provider Organisation 6 Zulieferer Organisation 4 A6 B6 C6 D6 E6 A4 B4 C4 D4 E4
Zulieferer Organisation 5
Kollektive Strategie Vertrieb Organisation 2
Produzent Organisation 1
Nutzenpotentiale
Kunde Markt
A2 B2 C2 D2 E2 A1 B1 C1 D1 E1
Produzent Organisation 3
Marktnische
A5 B5 C5 D5 E5
7
A3 B3 C3 D3 E3 Systemgrenze
C3 : Kernkompetenz
Gemeinsame Kooperationsbasis
A1 : Fremdleistung
B2 : Kompetenz
A, B,..., E...: Wertschöpfungsstufen
Abb. 7.18↜渀 Modell des Value Systems [36]
konfigurierten Value System wird nach dem Modell der Initiator diese Rolle einnehmen. In bestehenden Netzwerken können hingegen alle Unternehmen, die ein attraktives Nutzenpotenzial identifizieren, die Rolle des zentralen Unternehmens einnehmen. Abbildung€7.18 stellt die Konfiguration eines Value Systems im Rahmen des Value System Design Modells schematisch dar. Für ein Value System werden in dem Modell drei generische Referenzstrategien identifiziert: • Effizienzsteigerungsstrategie • Kompetenz-Leveraging Strategie • Kompetenz-Aufbau-Strategie Das Value System verfügt über eine Kooperationsbasis, deren Funktion die zielgerichtete Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen ermöglichen soll. Dabei sind sowohl kulturelle, organisatorische wie technische Aspekte relevant. Die Kooperationsbasis wird durch die organisatorische Gestaltung unternehmensübergreifender Prozesse und die Einrichtung gemeinsamer Informations- und Kommunikationsplattformen gebildet. Fallbeispiel╇╛Als Beispiel für die Ausgestaltung und das Management von Kooperationen soll an dieser Stelle das für die Versorgung mit Produktionswerkzeugen genutzte Value System der Philips Produkt Division DAP868 betrachtet werden. Das Unternehmen, das zur Philips Unternehmensgruppe gehört, ist der „Weiße Ware“ Branche zuzurechnen. Der Standort Klagenfurt ist internationales Entwicklungs- und Produktionszentrum u.€a. für elektrische Damenrasierer, Epiliergeräte, Barttrimmer, Haar-
7â•… Vernetzte Wertschöpfung und Kooperationsmanagement
511
schneider, Zahnpflege-Systeme, Küchenwaagen, Zitronenpressen und Stabmixer und damit von weltweit fünf Kompetenzzentren der Unternehmensgruppe. Die Versorgung mit Produktionswerkzeugen- und Werkzeugkomponenten für die Produktion von Kunststoffteilen besitzt einen ausgeprägten Kooperationscharakter sowohl zwischen internen Unternehmenseinheiten als auch mit externen Partnern. Dabei konzentriert sich das Unternehmen auf hochkomplexe und anspruchsvolle Werkzeuge, die oftmals einen hohen Neuheitsgrad hinsichtlich eingesetzter Konzepte und Technologien haben. Der Eigenfertigungsanteil von 10€% beschränkt sich auf diejenigen Werkzeuge, die aufgrund ihrer strategischen Bedeutung bzw. ihrer Komplexität im Haus hergestellt werden. Die durch die interne Werkzeugfertigung aufgebauten Kompetenzen werden systematisch zur Unterstützung des Sourcings der restlichen 90€% der Produktionswerkzeuge genutzt. Für das Sourcing steht dem Unternehmen als Value System ein Netzwerk an Werkzeugbau Unternehmen zur Verfügung, das über 20€Jahre aufgebaut wurde und aus Unternehmen in West-, Osteuropa und China besteht. Im Folgenden werden vier Stoßrichtungen, die sich im Bezug auf das Netzwerkmanagement identifizieren lassen, vorgestellt: 1.╇ Einkauf von Werkzeugen: Hier wird über ein Klassifizierungssystem zwischen 2.╇Lieferanten und bevorzugten Partnern unterschieden. Die von Philips genutzte Werkzeugbauplattform erleichtert die schnelle weltweite Suche nach Lieferanten. Die bevorzugten Partner werden von dem Unternehmen sehr eng eingebunden und entwickelt. 3.╇Einkauf und Lieferung von Komponenten: Ein weiteres Netzwerk erweitert das Value System zur Werkzeugversorgung um Unternehmen, die Komponenten für die selbst hergestellten Werkzeuge liefern. Auch hier gibt es wieder eine Unterteilung in diejenigen Unternehmen, die ‚quasi-standardisierte’ Komponenten wie Normalien liefern und diejenigen, die in enger Absprache Anfertigungsteile herstellen. 4.╇Technologie-Partnerschaften: Weitere Unternehmen übernehmen die Fertigungsschritte, die bei außerhalb des klar abgegrenzten Kompetenzfokus des Unternehmens liegen und deswegen nicht selbst durchgeführt werden. 5.╇Weiterentwicklung von Wissen: Hierzu steht das Unternehmen, neben seinen Partnern aus den drei erstgenannten Bereichen, mit ihren Kunden und den WerkzeugbauAbteilungen der anderen Philips Standorte im intensiven Austausch. Die Lernarena wird um die Zusammenarbeit mit externen Knowhow-Trägern wie beispielsweise Universitäten und weiteren Forschungseinrichtungen ergänzt. Die erfolgreiche Nutzung des eigenen Value Systems stellt für Philips gegenüber reiner Auftragsfertigung einen großen Wettbewerbsvorteil dar. Durch den Aufbau eines Value Systems und konsequentes Kooperationsmanagement steht dem Unternehmen jederzeit eine große Auswahl möglicher Partner zur Verfügung, so dass entsprechende Hebel für die Realisierung von Zeit-, Kosten- und Qualitätszielen gegeben sind. Zudem zeichnen sich Unternehmen und Mitarbeiter aufgrund der in den letzten zwei Jahrzehnten gewonnen umfangreichen Erfahrungen durch eine kooperative Unternehmenskultur sowie durch eine hohe Offenheit, Vertrauen und auch Know-how-Sensibilität aus, wodurch Kooperationen in weiteren Bereichen begünstigt werden.
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7.4.3 Ausgewählte Themen des Kooperationsmanagements Im Folgenden werden ausgewählte Themen des Kooperationsmanagements vorgestellt. Das Kooperationsaudit fokussiert auf die Ausgestaltung der Kooperationsstrategie und einzelner Kooperationen aus sich eines Einzelunternehmens auf Basis der Unternehmensstrategie. Anschließend wird ein Bewertungsverfahren von Aufwänden und Nutzen einzelner Kooperationen vorgestellt. Bei der virtuellen Fabrik handelt es sich um ein Konzept, dass die konkrete Ausgestaltung der Netzwerkstruktur und des Kooperationsmanagements beinhaltet. Anschließend wird ein Konzept zum Management eines hochschulnahen Innovationsclusters dargestellt.
7
7.4.3.1 Kooperationsaudit Das Kooperationsaudit dient der Ermittlung von Kooperationspotenzialen sowie der Analyse bestehender Kooperationen in Unternehmen mit Fokus auf deren Strategie. Grundlage des Kooperationsaudits ist die Überzeugung, dass Kooperationen nur dann sinnvoll und erfolgreich sein können, wenn sie zur Erreichung der strategischen Ziele jedes der involvierten Unternehmen beitragen.
Bezugsrahmen des Kooperationsaudits Bezugsrahmen des Kooperationsaudits sind die fünf Themenkomplexe einer Unternehmensstrategie – Anspruchsgruppen, Leistungsangebot, Fokus der Wertschöpfung, Fähigkeiten sowie Kooperationsfelder und -partner – nach Rüegg-Stürm. Das Kooperationsaudit stellt nicht die Entwicklung eines strategischen Programms in den Vordergrund, sondern prüft dessen Implikationen für die interorganisationale Zusammenarbeit aus Einzelunternehmensicht (Abb.€7.19). Der Themenkomplex Anspruchsgruppen umfasst Zielgruppen und Zielmärkte auf der Abnehmer- und Beschaffungsseite und ebenso die relevanten Zielsegmente und Erwartungen auf dem Arbeits- und Kapitalmarkt. Der Themenkomplex steht in direktem Zusammenhang mit der Thematik Kooperation, da Lieferanten, Kooperationspartner, sowie von der Kooperation explizit ausgeschlossene Unternehmen zu dieser Gruppe gehören. Der Themenkomplex Leistungsangebot umfasst Produkte und Dienstleistungen, mit denen eine Nutzenstiftung gegenüber den identifizierten Zielgruppen erreicht werden soll. Diese gilt es zu definieren, dem angestrebten Preissegment zuzuordnen und in Bezug auf die Zielgruppen auszudifferenzieren [1]. Der Themenkomplex des Leistungsangebots ist damit zunächst von der Thematik Kooperation losgelöst. Für die Systematisierung von Leistungssystemen wird im Rahmen des Kooperationsaudit ein Schalenmodell genutzt, das die Leistungen in Schalen um das ursprüngliche, physische Produkt anordnet. Die Inhalte der um das Produkt angeordneten Schalen sind in Abb.€7.20 veranschaulichend dargestellt.
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7â•… Vernetzte Wertschöpfung und Kooperationsmanagement
1
5
Anspruchsgruppen
2
Kooperationsfelder u. -partner
Leistungsangebot
Strategie
4
3
Kernkompetenzen
Fokus der Wertschöpfung
Abb. 7.19↜渀 Themenkomplexe einer Strategie als Bezugsrahmen des Kooperationsaudits
6 Emotionales Profil und Kundenerlebnis 5 Integriertes Projektmanagement 4 Integration der Leistung 3 Dienstleistungen 2 Sortiment 1 Produktsystem 0 Produkt Baukasten, intel. Produkte Einkaufs- und Verwendungsverbund Kundendienst, Finanzierung, Hotline, Schulung Problemlösung für Kunden, Kundenvorteile, Kundenbegleitung Frühe Initiative für bernahme von und Verantwortung für Gesamtprojekte Emotionales Profil und Erlebnis, Image, Vertrauen, Sicherheit und Beziehungsmanagement
Abb. 7.20↜渀 Darstellung eines Leistungssystems [55]
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Dritter, vierter und fünfter Themenkomplex betreffen die Ausgestaltung von Kooperationen und deren Management. Im Zusammenhang mit dem dritten Themenkomplex Fokus der Wertschöpfung trifft das Unternehmen die Entscheidung über den Teil der Gesamtwertschöpfung aus dem Leistungsangebot, den es fokussieren möchte. Über die Zuordnung in Eigen- und Fremdausführungsbereiche werden Teilleistungen gezielt anderen Überlassen [1]. Durch diesen Fokus bestehen starke Implikationen des Themenkomplexes Fokus der Wertschöpfung auf den Themenkomplex Kooperation. Die Überlegungen des dritten und fünften Themenkomplexes bedingen sich in hohem Maße. Der vierte Themenkomplex umfasst vorhandene bzw. aufzubauende Fähigkeiten, welche die überlegene Nutzenstiftung beim Kunden erlauben.
Prozessschritte des Kooperationsaudits
7
Die Systematik der Vorgehensweise des Kooperationsaudits ist in Abb.€7.21 schematisch dargestellt. Als erster Schritt der Anwendung des Kooperationsaudits auf ein Einzelunternehmen werden Zielgruppen und Zielmärkte auf der Abnehmer- und Beschaffungsseite ebenso wie die relevanten Zielsegmente und Erwartungen auf dem Arbeits- und Kapitalmarkt im Rahmen der Analyse der Anspruchsgruppen und des Leistungsangebots analysiert. Nutzenpotenziale
Anspruchsgruppen
Strategische Erfolgspositionen
Leistungsangebot
Leistungsangebot
Aktivitäten Fokus der Wertschöpfung Positionierung
Hauptaktivitäten
Abb. 7.21↜渀 Vorgehensweise im Kooperationsaudit
Nebenaktivitäten
515
7â•… Vernetzte Wertschöpfung und Kooperationsmanagement
In einem zweiten Schritt wird das aktuelle Leistungsangebot des Unternehmens aufgenommen. Aufbauend auf den Wettbewerbsstrategien müssen für das Leistungsangebot – im Unterschied zur Unternehmensstrategie – durch die Festlegung der Produkt-/Marktkombination konkrete Aussagen bezüglich der Differenzierungsmerkmale im Wettbewerb getroffen werden. Im Fokus steht die grundsätzliche strategische Ausrichtung des Unternehmens hinsichtlich des anzustrebenden Leistungsangebots. Aus der durchgeführten Analyse zum Themenkomplex der Anspruchsgruppen werden anschließend im Rahmen der Analyse der Unternehmensstrategie Nutzenpotenziale abgeleitet. Nutzenpotenziale sind die unspezifische bzw. potenzielle Nutzenstiftung des Leistungsangebots bei der identifizierten Zielgruppe. Nutzenpotenziale werden zur Generierung von Kundennutzen benötigt. Im zweiten Schritt des Kooperationsaudits ist festzulegen, welche Nutzenpotenziale aktuell adressiert werden und welche zukünftig adressiert werden sollen. Die Erschließung von Nutzenpotenzialen offeriert die Chance für das Unternehmen, potenziell im Markt vorhandene Bedürfnisse durch das Anbieten der eigenen Leistung zu erschließen. Die Analyse des aktuell adressierten Nutzenpotenzials ist ebenfalls Teil des zweiten Schrittes. Das Nutzenpotenzial, das ein Unternehmen mit seinem Leistungsangebot offeriert, deckt in der Regel das individuelle Bedürfnis eines jeden seiner Kunden nicht vollständig ab. Dieser Zusammenhang ist in Abb.€7.22 dargestellt. Im Rahmen dieses Schrittes sind Anpassungen des Leistungssystems möglich, die das Unternehmen vornehmen muss, um durch Differenzierung der Zielgruppe und des angestrebten Preissegments und den Aufbau von relevanten Fähigkeiten und Ressourcen die Erschließung des von Nutzenpotenzialen zu ermöglichen. Als folgenden Schritt ist die Festlegung von strategischen Erfolgspositionen anzuführen. Das Konzept der strategischen Erfolgspositionen wird in Kap.€2.3.2.1 detailliert
Leistungsangebot
Kundennutzen des Kunden C
Nutzenpotential
Kundenbed von Kunde C
Kundenbedürfnis von Kunde A
Nicht befriedigtes Kundenbedürfnis des Kunden A
Kundennutzen des Kunden B Nicht befriedigtes Kundenbedürfnis des Kunden B
Kundennutzen des Kunden A Kundenbedürfnis von Kunde B
Abb. 7.22↜渀 Zusammenhang zwischen Leistungsangebot und Kundenbedürfnissen
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G. Schuh et al.
beschrieben und soll im Folgenden aufgegriffen werden. Dem Konzept der strategischen Erfolgspositionen liegt die Anschauung zugrunde, dass Unternehmen aufgrund der einzigartigen Nutzengenerierung in der Lage sind, eine feste Position einzunehmen und diese langfristig durch Pflege und Aufbau der eigenen Fähigkeiten zu behaupten. Strategische Erfolgspositionen sind Wettbewerbsvorteile, die eine am Markt wahrgenomme Differenzierung gegenüber den Wettbewerbern langfristig erlauben. Sie dienen dem Aufbau einzigartiger Leistungen und sind damit Grundlage eines profitablen Geschäfts. Strategische Erfolgspositionen müssen für jedes Unternehmen einzeln hergeleitet werden und sind nicht verallgemeinerbar. Zur Veranschaulichung werden drei Ansätze zur Stiftung von Kundennutzen genannt werden, die entsprechend drei strategische Erfolgspositionen darstellen können:
7
• Integration in Kundenprozesse: Die Übernahme von Aufgaben des Kunden leistet einen Beitrag zur Steigerung der Innovation und Reduktion der Komplexität auf Kundenseite • Fokussierung: Die Konzentration erlaubt die Standardisierung der Produkt- und Prozesselemente, sodass der Kunde neben der Komplexitätsreduktion auch von Zeitvorteilen profitiert • Problemlösung: Innovations- (zum Beispiel. neue Verfahren) und zeitbedingte Kundenprobleme (beispielsweise Werkzeugausfall) werden mit ‚Feuerwehr’-Einsätzen gelöst Die identifizierten strategischen Erfolgspositionen beeinflussen direkt die Themenkomplexe Fokus der Wertschöpfung, die Ausrichtung der eigenen Fähigkeiten und die Kooperationsfelder. Sie dienen somit als Basis für die Ausrichtung der strategischen Themenkomplexe drei bis fünf. Mit dem Fokus der Wertschöpfung trifft das Unternehmen die Entscheidung über den Teil der Gesamtwertschöpfung aus dem Leistungsangebot, auf den es sich zukünftig fokussieren möchte. Dies geschieht im Zuge der Optimierung der eigenen Fertigungstiefe. Die Zuordnung in Eigen- und Fremdausführungsbereiche – d.€h. die Entscheidung, welchen Teil der Gesamtwertschöpfung das Unternehmen zukünftig selbst ausführen will und welche Teilleistungen gezielt an andere Unternehmen vergeben werden – erfolgt ebenfalls in diesem Schritt des Kooperationsaudits. Die simultan vorgenommene Positionierung beeinflusst zwei Ebenen. Zum einen wird in diesem Schritt festgelegt, wie das Unternehmen seine Wertschöpfungsaktivitäten hinsichtlich der vorgelagerten und nachgelagerten Wertschöpfungsstufen positioniert. Zum anderen beinhaltet die Positionierung die Entscheidung über zu besetzende strategisch wichtige Aktivitätenfelder der Wertkette, die Wettbewerbsvorteile eröffnende strategische Erfolgspositionen begründen. Im Rahmen des Kooperationsaudits werden die Wertschöpfungsaktivitäten nach erfolgter Positionierung in Haupt- und Nebenaktivitäten entsprechend ihrer Bedeutung für die Differenzierung des Unternehmens von Wettbewerbern eingeteilt. Hauptaktivitäten stellen in diesem Zusammenhang Aktivitäten dar, die Alleinstellungsmerkmale des Unternehmens und damit seine Differenzierung von Wettbewerbern begründen und die auch zukünftig aufgrund ihrer strategischen Bedeutung im Unternehmen verbleiben sollen, die sonstigen Aktivitäten werden als Nebenaktivitäten bezeichnet. Nebenaktivitäten können je nach Positionierung in der Wertschöpfungskette eigen- oder fremdgeleistet werden. Sie stellen somit den Ausgangspunkt für die Entwicklung einer Kooperationsstrategie dar.
7â•… Vernetzte Wertschöpfung und Kooperationsmanagement
517
Im nächsten Schritt gilt es, bereits vorhandene bzw. noch aufzubauende Fähigkeiten, mit denen das Unternehmen eine langfristig überlegene und einzigartige Nutzenstiftung für die eigenen Anspruchsgruppen erreichen kann, zu definieren und abzugleichen. Rüegg-Stürm setzt diese Fähigkeiten mit Kernkompetenzen gleich. Ausgehend von den zuvor festgelegten, zu besetzenden Wertkettenaktivitäten (Hauptaktivitäten) erfolgt nun der Abgleich mit den in den einzelnen Aktivitäten vorhandenen Kompetenzen des Unternehmens. Kernkompetenzen stellen dabei die Kompetenzen dar, die eine langfristig überlegene und einzigartige Nutzenstiftung sichern. Bei einem auf den Kundennutzen fokussierten Leistungsangebot und darauf abgestimmten Fokus auf Wertkettenaktivitäten entsprechen die Kernkompetenzen den zur überdurchschnittlichen Durchführung bzw. Beherrschung der determinierten Wertkettenschwerpunkte notwendigen Fähigkeiten. Aus der Zuordnung von Kernkompetenzen zu Hauptaktivitäten ergibt sich folglich, dass Fähigkeiten, die Nebenaktivitäten adressieren, nicht zu den Kernkompetenzen zählen. Bei einer konsistenten Ausrichtung des Leistungsangebots und der strategischen Erfolgspotentiale sollten diese Fähigkeiten für das Unternehmen nur von minderer Bedeutung sein. Nebenaktivitäten und die damit verbundenen Fähigkeiten sind grundsätzlich nicht unbedeutend oder unkritisch. Sie sind zur Erstellung des Produktes oder der Dienstleistung notwendig. Ein weiterer Bestandteil des Kooperationsaudits besteht im Management der Fähigkeiten im Unternehmen. Besteht ein Mangel an Deckungsgleichheit zwischen den festgelegten Hauptaktivitäten und den bestehenden Kernkompetenzen des Unternehmens sind neben dem internen Aufbau der Fähigkeiten – bspw. durch Mitarbeiterschulungen – zwei Strategien zum Erlangen der fehlenden Fähigkeiten denkbar, die den Themenkomplex Fähigkeiten entsprechend abdecken. Die Konfiguration von komplementären Kompetenzen basiert auf der Idee der komplementären Spezialisierung von Unternehmen innerhalb eines Unternehmensnetzwerks. Dabei konzentrieren sich Unternehmen auf ihre Kernkompetenzen, die komplementär zu den bereits vorhanden Kompetenzen innerhalb des Netzwerks sein müssen. Ziel ist es, die jeweiligen Stärken der Partner zugänglich zu machen und sich gegenseitig zu ergänzen. Dadurch werden Spezialisierungsvorteile und Verbundeffekte wie Kompetenzvorsprünge für die Kooperationspartner nutzbar. Als zweite Strategie zur Erlangung der notwendigen Fähigkeiten ist die Internalisierung von Kompetenzen durch Kooperationen zu nennen. Darunter wird die Aufnahme unternehmensfremder Kompetenzen in die eigene Organisation durch interorganisationales Lernen verstanden [36]. Identifizieren Unternehmen eine Kompetenzlücke zur Erschließung attraktiver Marktpotenziale, dann wird der Versuch unternommen, einen Transfer geeigneter Kompetenzen durch Kooperationen mit Unternehmen zu beginnen, die über die gesuchten Kompetenzen verfügen. Als letzten Schritt des Kooperationsaudits gilt es, eine Kooperationsstrategie für das Unternehmen abzuleiten. Dies betrifft den letzten strategischen Themenkomplex der Kooperationspartner und -felder. Hierbei sind in enger Abstimmung mit der Entscheidung über den Fokus der Wertschöpfung zunächst die Kooperationsfelder und dann die Kooperationspartner zu bestimmen. Kooperationsfelder sind vom Unternehmen unter Berücksichtigung der getroffenen Entscheidung über den Fokus der Wertschöpfung auszuwählen. Grundsätzlich kann dies alle Aktivitäten der Wertschöpfungskette betreffen. Die Entscheidung über Kooperationsfelder
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7
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wird in Abhängigkeit von den identifizierten Haupt- und Nebenaktivitäten unter Berücksichtigung der zuvor vorgenommenen Einteilung in Eigen- bzw. Fremdfertigung getroffen. Die Auswahl der Kooperationspartner beinhaltet sowohl die Identifikation potenzieller Kooperationspartner als auch deren Auswahl anhand von zu definierenden Anforderungen. Auswahlkriterium zur Identifikation potenzieller Kooperationspartner ist einerseits die Zweckausrichtung, die ein Unternehmen innerhalb einer Gruppe verfolgt. Zweites Auswahlkriterium ist die Vermeidung redundanter Kompetenzen. Ein weiteres Kriterium ist die Geschwindigkeit, mit der mit potenziellen Partnerunternehmen Kooperationen initiiert und konfiguriert werden können. Aus dem Kreis der potentiellen Kooperationspartner müssen die Unternehmen ausgewählt werden, die neben der grundsätzlichen Fähigkeit – das Erbringen der geforderten Kompetenzen, Leistungen oder Produkte – auch gewisse Anforderungen hinsichtlich der Fähigkeit der Mitarbeit im eigenen Wertschöpfungsprozess erfüllen.
7.4.3.2 Bewertung von Kooperationen Eine hohe Misserfolgsquote von Kooperationsvorhaben ist in der wirtschaftlichen Praxis zu beobachten. Ein entscheidender Aspekt, der zum Scheitern von Kooperationen führen kann, ist die die hohe Komplexität der interorganisationalen Zusammenarbeit vor dem Hintergrund zumeist begrenzter Ressourcen. Andererseits stellt die Bewertung von Aufwand und Nutzen von Kooperationen eine Herausforderung für Unternehmen dar. Im Zentrum des im Folgenden vorgestellten Verfahrens zur systematischen Bewertung von Nutzen und Aufwand von Kooperationen steht die Auffassung, dass Grundvoraussetzung für den Erfolg von Kooperationen die konkrete Nutzenstiftung aus Einzelunternehmenssicht eines jeden beteiligten Unternehmens ist. Dies gilt ebenfalls für die Bewertung der im Zusammenhang mit der Kooperation stehenden Aufwendungen. Für das Management von Kooperationen aus Einzelunternehmenssicht ist entsprechend die jederzeitige Transparenz über das Aufwand/Nutzenverhältnis der vorhandenen Kooperation von zentraler Bedeutung. Das Bewertungsverfahren wird aus Sicht des bewertenden Unternehmens im Bezug auf eine einzelne zu bewertende Kooperation durchgeführt. Im Zentrum des Verfahrens steht die Bewertung der eigenen Kooperation hinsichtlich multidimensionaler Aufwands- und Nutzenkategorien. Das Bewertungsverfahren gliedert sich in fünf Prozessschritte, die in Abb.€7.23 dargestellt sind und im Folgenden vorgestellt werden. In dem ersten Prozessschritt werden relevante Nutzen- und Aufwandskriterien ausgewählt. Der Auswahl des Detaillierungsgrads der Kriterien kommt aufgrund seiner Auswirkungen auf Aussagekraft der Bewertung und Bewertungsaufwand hohe Bedeutung zu. Die Bewertung erfolgt unter Berücksichtigung von ausgewählten Nutzenkategorien, die die Marktsicht wie auch die Ressourcensicht im Bezug auf die Bewertung von Kooperationen abdecken. Die Bewertung des Aufwands im Zusammenhang mit einer Kooperation erfolgt anhand ausgewählter Aufwandskategorien. Aufwandskategorien bewerten die kooperationsbedingten Investitions- und Transaktionskosten. Bei der Auswahl der Nutzen- und Aufwandskategorien steht die Interdependenz der Kategorien im Vordergrund. Die für die
Abb. 7.23↜渀 Prozessschritte im Bewertungsverfahren
Quantifizierung der Ziele und der jeweiligen Zielerreichung pro Nutzenkategorie
Gewichtung der Nutzenkategorien mittels paarweisem Vergleich
Nutzenbewertung
Definition relevanter Aufwands- und Nutzenkategorien
Auswahl relevanter Aufwands- und Nutzenkategorien aus einer Checkliste � Reduktion des Bewertungs aufwandes durch Fokussierung auf wesentliche Aspekte
2
1
Bewertung der Aufwandshöhe auf einer zehnstufigen Ordinalskala
Aufwandsbewertung
3
Bewertung des Einflusses jeder Aufwandskategorie auf jede Nutzenkategorie mittels einer zehnstufigen Ordinalskala
Bestimmung des Nutzeneinflusses von Aufwänden
4
- Top 3-Aufwände zur Erzielung der Top 3Ziele - „BlindleistungsAufwände“
Auswertung in Form eines ManagementCockpits, wie z.B.:
Ergebnisauswertung
5
7â•… Vernetzte Wertschöpfung und Kooperationsmanagement 519
520
Aufwandskategorien
Koordination der Aktivitäten Auswahl und Verhandlung mit Kooperationspartnern Know-how Management und Schutz Einführung und Verbesserung eines Kooperations-Controllings Gemeinsame Dokumentations- und Konstruktionsrichtlinien Standardisierung und Transparenz der Kooperationsprozesse Einrichtung und Nutzung von I&K-Technologie Standardisierung und Modularisierung der Produkte Kooperationsbedingte Mitarbeiterschulung Schaffung einer Kooperationskultur
Nutzenkategorien
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Kostenreduktion Zugang zu neuen Märkten Absatzsteigerung Kapazitätsauslastung bestehender Ressourcen Reduktion der Durchlaufzeit Erschließung externer Kompetenzen Verbesserung der Produktqualität Erfahrungsaustausch
Abb. 7.24↜渀 Nutzen- und Aufwandskategorien zur Bewertung von Kooperationen
Bewertung von Kooperationen herangezogenen Nutzen- und Aufwandskategorien sind in Abb.€7.24 dargestellt. Im zweiten Prozessschritt wird die Nutzenbewertung der betrachteten Kooperation aus Einzelunternehmenssicht vorgenommen. Die Quantifizierung erfolgt anhand der zuvor ausgewählten Nutzenkategorien und beinhaltet den Abgleich mit den Unternehmenszielen, die originär an die Kooperation geknüpft worden sind. Die Unternehmensziele sind inhaltsgleich zu den ausgewählten Nutzenkategorien und werden im Rahmen des Verfahrens in Unternehmensziele quantitativer Art (z.€B. Steigerung der Kapazitätsauslastung um 5€%) und Ziele qualitativer Art (z.€B. Erfahrungsaustausch mit Firma X zum Thema Y) unterteilt. Da die Schwierigkeit der monetären Bewertung des kooperationsbedingten Nutzens besteht, wird ein paarweiser Vergleich der Nutzenkategorien durchgeführt, um diese nach ihrer Wichtigkeit aus Sicht des Unternehmens zu gewichten. Anschließend wird der Zielerreichungsgrad mit den an die Kooperation geknüpften Unternehmenszielen bewertet, um so eine Aussage über die Effizienz der Kooperation zu ermöglichen. Der dritte Schritt des Bewertungsverfahrens dient der Bewertung des kooperationsbedingten Aufwands. Die Aufwandsbewertung kann nur mittels einer einheitlichen Bewertungsskala erfolgen, da die Aufwandskategorien mehrdimensional und somit nicht direkt vergleichbar sind (0 – kein Aufwand bis 9 – sehr großer Aufwand). Die Bestimmung des Nutzeneinflusses der Aufwandskategorien stellt den zentralen Schritt des Bewertungsverfahrens für Kooperationen dar. Ergebnis der Auswertung ist der Einfluss, den eine einzelne Aufwandskategorie auf die betrachtete Nutzenkategorie ausübt. Der zu bewertende Einfluss ist ein Maß dafür, inwieweit der Aufwand einen Nutzen erzeugt. Durch die Analyse der Wirkungszusammenhänge lassen sich die kooperativen Aktivitäten einordnen. Ebenso werden Stellschrauben zur Erhöhung des Nutzens aufgezeigt.
7â•… Vernetzte Wertschöpfung und Kooperationsmanagement
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Gleichzeitig werden die Leistungen aufgedeckt, bei denen hohe Aufwände nur einen vergleichsweise geringen Nutzen erzielen. In dem abschließenden fünften Schritt werden die Ergebnisse des bewertenden Unternehmens berechnet und grafisch aufbereitet. Die für den Anwender wichtigen Zusammenhänge werden in Form eines Management-Cockpits dargestellt. Für die Nutzenkategorie werden die bezüglich des Produkts aus Aufwandsgewichtung und Nutzeneinfluss relevanten Aufwandskategorien identifiziert. Das Vorgehen ermöglicht, die Aufwandskategorien mit dem geringsten Nutzenbeitrag zu ermitteln und somit die Ressourcen innerhalb des Unternehmens nutzenoptimiert einzusetzen. Das generische Vorgehen der Anwendung des Bewertungsverfahrens und die hohen Anforderungen an die Interpretation der bereitgestellten Ergebnisse berücksichtigen die hohe Individualität der Ausgestaltung von Kooperationen. Die Interpretation des Aufwand-/Nutzenverhältnis muss unter Berücksichtigung der zeitlichen Dynamik von Kooperationen erfolgen, da sich gemäß ihrer zeitlichen Verteilung Aufwand und Nutzen einer Kooperation gegenläufig zueinander verhalten.
7.4.3.3 Konzept der Virtuellen Fabrik Bei dem Modell der Virtuellen Fabrik handelt es sich um ein Modell für die Gestaltung und das Management geführter Netzwerke in Form eines virtuellen Unternehmens. Das Konzept der Virtuellen Fabrik wird im Folgenden in Anlehnung an das Buch [51] detailliert vorgestellt. Das strukturelle Konzept der Virtuellen Fabrik besteht aus den zwei Ebenen Stabile Plattform und Virtuelle Fabrik, die in Abb.€7.25 dargestellt sind. Virtuelle Fabrik: Dynamisches, auftragsbezogenes Wertschöpfungsnetzwerk
Stabile Plattform: Unternehmensnetzwerk
Abb. 7.25↜渀 Architektur der virtuellen Fabrik
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Stabile Plattform Das Kooperationsnetzwerk existiert in Form einer stabilen Plattform. Diese besteht aus rechtlich und wirtschaftlich unabhängigen Unternehmen, die in regionaler Nähe zueinander angesiedelt sind. Die begrenzte Anzahl an Mitgliedern führt zu wiederholten Transaktionen geschäftlicher oder auch sozialer Natur zwischen den beteiligten Partnerunternehmen, die ihre Kompetenzen in das Kooperationsnetzwerk einbringen. Die Stabile Plattform verfügt über ein hohes Potenzial an unterschiedlichsten Fähigkeiten, die auf Konkurrenzebene, nicht aber auf Endproduktebene miteinander konkurrieren. Die stabile Plattform ermöglicht die flexible Leistungserstellung und ist verantwortlich für:
7
• Die Exzellenz und Zusammensetzung der im Kooperationsnetzwerk verfügbaren Kompetenzen • Die Förderung der Kooperationsfähigkeit der beteiligten Netzwerkpartner • Die Optimierung der Prozesse zur schnellen Konfigurierung aktivierter Netzwerke
Virtuelle Fabrik Basierend auf dem durch die Stabile Plattform vorhandenen Kooperationspotenzial, werden die Fähigkeit der Partnerunternehmen dynamisch und auftragsbezogen fortlaufend in neue Virtuelle Fabriken integriert, die bedarfsgerecht aktiviert werden. Die während der Auftragsabwicklung geforderte Stabilität des aktivierten Netzwerks wird durch die Rolle des Auftragsmanagers sichergestellt. Nach der erfolgten Auftragsabwicklung löst sich die Virtuelle Fabrik auf und die beteiligten Partnerunternehmen kehren zurück in die stabile Plattform. Das beschriebene Vorgehen ermöglicht es, Auslastungsschwankungen der Partnerunternehmen im Netzwerk auszugleichen und neue Marktchancen schnell und zuverlässig zu erschliessen [56]. Die Auswahl der Partner erfolgt im Auftragsfall nach netzwerkinternen Marktmechanismen. Die optimale Erfüllung des Kundenbedürfnisses steht bei dem Modell der Virtuellen Fabrik im Mittelpunkt der Gesamtwertschöpfung. Lebenszyklus der Virtuellen Fabrik ist in Abb.€7.26 dargestellt. Parallel zum Lebenszyklus der Virtuellen Fabrik, die der Umsetzung des Leistungspotenzials dient und sich mit Abschluss des Auftrags auflöst, durchläuft die stabile Plattform einen kontinuierlichen Wandel. Dieser ist gekennzeichnet durch die stetige Weiterentwicklung der initialen Konfiguration aus Partnerunternehmen und Wirkprinzipien. Der kontinuierliche Wandel der stabilen Plattform bezieht sich auf die Weiterentwicklung einzelner Netzwerkunternehmen bezüglich der vorhandenen Kompetenzen, der Optimierung der Verknüpfungen im Netzwerk sowie die Integration neuer Partnerunternehmen und schließt den Ausschluss vorhandener Partnerunternehmen ein. Zentraler Aspekt bezüglich des Managements von Kooperationen im Modell der Virtuellen Fabrik, ist die Fluidität und inhärente Instabilität, die aus dem Kerngedanken idealtypischer Vorstellungen von Virtualität – der völligen Gleichberechtigung aller Beteiligten in virtuellen Organisationen – resultiert. Die orginäre Konzeption des Modells ist weitgehend
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7â•… Vernetzte Wertschöpfung und Kooperationsmanagement
Leistungserstellung
Rückkehr in die stabile Plattform
Initiale Konfiguration
Plattformentwicklung
Plattformaus-/umbau
Aufbau
Betrieb
Auflösung/ Veränderung
Aufbau & Erhalt des Leistungspotenzials
Umsetzung des Leistungspotenzials
Leistungskonfiguration
Abb. 7.26↜渀 Lebenszyklus im Modell der virtuellen Fabrik
auf selbstorganisierende Kräfte ausgerichtet. Die Existenz einer zentralen, quasi-hierarchischen Entität – z.€B. eines zentralen bzw. fokalen Unternehmens – wird kategorisch abgelehnt. Weitere konstituierende Merkmale lassen sich mit Bezug auf das Management Virtueller Fabriken identifizieren:
Kooperationsprinzipien Die Kooperations- oder Wirkprinzipien umfassen Regeln für die Kooperation, Mechanismen, Rollen, Aufgaben sowie einer geeigneten Infrastruktur der Virtuellen Fabrik. Ihre Aufgabe ist die Harmonisierung der Zusammenarbeit der Partnerunternehmen und Festlegung der Grundlagen kooperationsfähiger Unternehmen in der Virtuellen Fabrik.
Vermarktung Die Kompetenzen der unabhängigen Partner werden am Markt positioniert. Die Positionierung umfasst die Schritte Zielharmonisierung und Produktformung, gemeinsame Akquisition sowie eine langfristige Entwicklung der Virtuellen Fabrik zu einer Marke der Kooperation.
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G. Schuh et al.
Auftragsmanager: Broker: - Akquisition von Aufträgen - Vertrieb der Netzkompetenzen
- Auftragsabwicklung
- Engineering - Projektmanagement
Auditor: - Interner und externer Revisor - Beratung und Prüfung von Projekten
Leistungsmanager:
7
- Zusammenführung und Konfiguration der Leistungen - Kommunikation mit Kunden
In-/Outsourcingmanager: (je Partnerunternehmen) - Koordination - Kommunikation mit Leistungsund Auftragsmanager
Netzwerk-Coach: - Aufbau und Pflege des
Netzwerkes - Akquisition Partner - Konfliktmanagement - Netzwerkmarketing
Abb. 7.27↜渀 Das Modell der Virtuellen Fabrik
Dynamische Produktion im Netzwerk Die dynamische Produktion im Netzwerk umfasst die konfigurierte Kooperation, mit der eine Opportunität, eine Marktchance ausgeschöpft wird. Die Leistungserstellung kann sich dabei in Abhängigkeit von den marktseitigen Anforderungen in unterschiedlichsten kooperativen Formen vollziehen. Die Wahl der entstehenden Produktionsnetzwerke hängt vom marktseitigen Flexibilisierungsbedarf für die Herstellung des Produktes ab (Abb.€7.27). Aufgrund ihrer Bedeutung für das taktische und operative Management im Modell der Virtuellen Fabrik werden im Folgenden die involvierten Rollen und Aufgaben beschrieben:
Rollen in der virtuellen Fabrik Die Aufgabe des Brokers besteht in der Akquisition von Aufträgen. Er forciert die Bildung neuer Virtueller Fabriken (aktivierte Netzwerke), indem er potenziellen Kunden die Kompetenzen (Technologien und Fähigkeiten – nicht Produkte) der Netzwerkpartner anbietet und verkauft. Eingehende Anfragen werden durch den Broker an den Leistungsmanager weitergeleitet. Er kennt die Kompetenzen und Kapazitäten der Netzwerkpartner und verfügt über das notwendige Know-how, Anfragen in Teilleistungen zu zerlegen und die entsprechend am besten geeigneten Partner zu identifizieren. Er konfiguriert somit die eigentliche, auftragsbezogene Virtuelle Fabrik. Seine Zuständigkeit umfasst die Definition des Komplettangebots an den Kunden, welches neben der Produktion die zusätzlich notwendigen Dienstleistungen, wie z.€B. Service, Inbetriebnahme und Engineering umfasst.
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In-/Outsourcing Manager bieten die spezifischen Kompetenzen ihrer Unternehmen zur Nutzung im Netzwerk an. Sind sie entsprechend des Know-hows und der aktuellen Kapazitätslage an der Erbringung einer Teilleistung interessiert, so wickeln sie die Detailabklärungen mit dem Leistungsmanager ab. Nach Übernahme des Auftrags verantworten sie die adäquate Erstellung der Teilleistung und die entsprechend notwendige interne Auftragsabwicklung in ihren Unternehmen. Sie sind Ansprechpartner für den Leistungs- und den Auftragsmanager. Der Auftragsmanager ist der Leiter/Geschäftsführer der auftragsspezifisch konfigurierten Virtuellen Fabrik und übernimmt in dieser Funktion das Projektmanagement für die unternehmensübergreifende Auftragsabwicklung. Er überwacht die Termin- und Qualitätseinhaltung bei den an der Gesamtwertschöpfung beteiligten Partnerunternehmen und ist Ansprechpartner für die involvierten In-/Outsourcing Manager. Die Aufgabe des Netzwerkcoachs besteht im Beziehungsmanagement im Netzwerk. Seine zentrale Rolle entsteht durch seinen Einfluss auf die Kreation einer Vertrauensbasis. Die Vertrauensbasis legt das erreichbare Kooperationspotenzial fest. Er ist für die infrastrukturellen Voraussetzungen zuständig, die eine möglichst reibungslose, unternehmensübergreifende Kommunikation und Auftragsabwicklung gewährleisten. Der Auditor ist eine neutrale Instanz im Netzwerk. Er prüft den Prozess der Bildung, des operativen Betriebs sowie der Auflösung einer Virtuellen Fabrik. In seiner vermittelnden Funktion stellt er die Einhaltung der Spielregeln sicher und dient als interner und externer Revisor.
7.4.3.4 Management eines Innovationsclusters Forschung als Erzeugungsprozess transferierbaren Wissens gilt als Basis für Innovation. Die Wettbewerbsfähigkeit von Regionen hängt unmittelbar von deren Innovationsfähigkeit ab. Vor diesem Hintergrund haben Innovationscluster, insbesondere im Umfeld leistungsstarker Universitäten stark an Bedeutung gewonnen. Schlüsselfaktor zur konsequenten Erschließung sich für den Innovationsprozess ergebender Vorteile ist jedoch ein professionelles Clustermanagement. Unternehmer, Politiker und Forscher antworten auf die Frage nach dem Gegenmittel für wirtschaftliche Krisen und die Bedrohung des Standortes Deutschland aus Niedriglohnländern zumeist mit der einstimmigen Antwort: Innovation. Da der Komplexitätsgrad des Innovationsprozesses aber insbesondere in den letzten Jahren drastisch zugenommen hat, sind viele Unternehmen nicht mehr in der Lage sich alleine den technischen und gesellschaftlichen Herausforderungen – wie etwa aus den Bereichen Energie, Klima oder Sicherheit – zu stellen [57]. Innovative Lösungen werden immer öfter in interdisziplinären Forscherteams, z.€B. in Kooperation zwischen öffentlicher Forschung und privatwirtschaftlichem Know-how entwickelt. Das Modell des linearen Innovationsprozesses, bei dem Ideen und Wissen sequenziell von der Universität über das zentrale Forschungslabor zur Produktentwicklungsabteilung des Unternehmens wandern, ist überholt. Die diesem Verständnis innewohnende strikte Trennung zwischen Grundlagenforschung in Verantwortung der Hochschulen und der angewandeten Forschung im Unternehmen existiert
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in dieser Weise nicht mehr [58]. Die Entwicklung von Innovationen muss vielmehr als dynamischer, rekursiver und vor allem sozialer Prozess verstanden werden, welcher sich am besten in Netzwerken mit regen Austauschbeziehungen zwischen den „Wissens-Produzenten“ und den „Wissens-Anwendern“ entfalten kann. Wettbewerbsentscheidend ist hierbei vor allem der Austausch impliziten Wissens, da explizites Wissen aufgrund moderner Informations- und Kommunikationstechnologien ubiquitär geworden ist. Ende der 90er Jahre wurde aufgrund dessen der ‚Death of Distance‘ [59] prognostiziert. Tatsächlich aber gewann die Nähe zwischen Partnern in der Entwicklung immer mehr an Bedeutung. Insbesondere radikale Innovationen sind abhängig von implizitem Wissen. Diese „sticky information“ [60] aber sind ortsgebunden bzw. benötigen persönlichen Kontakt zu ihrer Übertragung. Dieser Anforderung entsprechen Innovationsclustern im Sinne einer räumlichen Agglomeration aller für den Innovationsprozess relevanten Akteure. Sie bilden die neuen Hot-Spots der Forschung.
Innovationscluster Die Verteilung des Wissens auf verschiedene Akteure führt zu einer kognitiven Distanz, welche im Zuge gemeinsamer Forschung immer wieder überwunden werden muss. Die Problematik wird am Beispiel unternehmensübergreifender Produktentwicklung deutlich. Die Heterogenität des Wissens für eine erfolgreiche Kooperation ist sowohl nach oben als auch nach unten begrenzt. Die jeweilige Wissensbasis muss sich in ausreichendem Maße von der des Kooperationspartners unterscheiden, damit ein Lernen vom Gegenüber überhaupt möglich ist [61]. Gleichzeitig darf die kognitive Distanz nicht zu groß oder die Wissensbasis zu unterschiedlich sein, da ansonsten dem Lernprozess die gemeinsame Grundlage fehlt [62]. Das ‚clustern‘ scheint eine vielversprechende Strategie zu sein, um diesen Balanceakt zu meistern. In Innovationsclustern wird die räumliche Nähe der Akteure mit institutioneller, kultureller und kognitiver Nähe kombiniert. Sie entwickeln eine ihnen eigene (Wissens-) Kultur mit spezifischen Werten und Einrichtungen, welche eine Basis für einen vereinfachten Transfer von (implizitem) Wissen zwischen den Akteuren schaffen. Der so entstehende Fundus ähnlicher und sich ergänzender Wissensquellen ermöglicht einen quasi-kontinuierlichen Strom von Innovationen. Zudem wird der Transfer von Wissen durch ein ähnliches Kommunikations- und Interaktionsverhalten erleichtert, insbesondere wenn es sich um Wissen mit einem hohen impliziten Anteil handelt. Sogenannte ‚untraded interdependencies‘ [63], also nicht handelbare Güter (z.€B. gemeinsame Konventionen, informelle Regeln und Verhaltensweisen), spielen in diesem Zusammenhang eine ganz besondere Rolle. Sie können als kumulativer Prozess durch verstärkte Interaktion verstanden werden. Jede erfolgreiche Interaktion wirkt verstärkend auf bestehende Beziehungen oder führt zur Erzeugung neuer. Dieser selbstverstärkende Prozess intensiver Interaktion fördert die räumliche Konzentration von innovationsrelevanten Akteuren und deren Vernetzung. Umgekehrt gilt dieses auch, da die räumliche Nähe eine Vernetzung der Akteure erheblich erleichtert und beispielsweise damit verbundene Kosten minimiert. Innovationscluster beschäftigen sich mit der Lösung von Fragstellungen, die Einzelne Akteure nicht mehr in der Lage sind zu lösen. Verdeutlichen lässt sich das am Beispiel
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eines Windrades. Die Betreiber von Windparks möchten bspw. die Gesamteffizienz ihrer Anlage signifikant steigern. Die Optimierung einzelner Komponenten, wie etwa Getriebe, Aerodynamik oder Stromeinspeisung, alleine bringen nicht mehr den erhofften Gewinn. Dies kann an der Optimierung einer Komponente auf Kosten einer anderen liegen oder aber auch an Schnittstellenproblemen bei der Integration. Der in Innovationscluster verfolgte systemische Ansatz bringt Aerodynamiker, Getriebefachleute und Elektroingenieure, also Wissenschaftler verschiedenster Disziplinen aus Hochschule und Industrie, frühzeitig zusammen und verhindert durch den gezielten Austausch später auftretende Probleme der Integration und Kommunikation und gewährleistet eine Effizienzsteigerung des gesamten Systems, nicht nur einzelner Komponenten. Gleichzeitig wird durch die kurzen Kommunikationswege die Time-to-Market (und somit auch die Time-to-Money) erheblich verkürzt. Die Voraussetzung, damit dies funktioniert ist eine von Vertrauen, Offenheit und Dynamik geprägte Atmosphäre, wie sie nur in erfolgreichen Innovationsclustern zu finden ist. Definition „Innovationscluster“╇╛Ein Innovationscluster ist definiert als eine Gruppe interdisziplinär zusammengesetzter Akteure (Wirtschaft, Universitäten, außer-universitäre Forschungseinrichtungen, Finanzinstitute & Kapitalgeber, öffentliche Einrichtungen), die Kommunalitäten und Komplementaritäten bei der Forschung in verwandten Bereichen besitzen. Die enge geographische Konzentration führt sowohl zu einer sozialen als auch zu einer kulturellen Nähe, welche Beziehungen und Interaktionen formaler und informeller Art zwischen den Akteuren fördert [58]. Die Essenz eines Innovationsclusters ist neben verschiedenen wirtschaftlichen Aktivitäten, ein signifikantes Maß an formalem und informellem Wissensaustausch und die Fähigkeit, komplexe gesellschaftliche und technische Probleme im systemischen Ansatz durch horizontale, vertikale und interdisziplinäre Kooperation und Konkurrenz zu lösen. Die verschiedenen Akteure, die entweder direkten Einfluss auf den Wissensfluss und somit auf das Geschehen im Cluster nehmen sowie diejenigen, die vorwiegend indirekten Einfluss, z.€B. durch Schaffung innovationsfreundlicher Rahmenbedingungen ausüben, sind in Abb. 7.28 dargestellt.
Die Rolle der Universität Eine starke Wissenschaftsbasis gilt als Voraussetzung für den Erfolg eines Clusters [64]. Hochschulen sowie außeruniversitäre Forschungseinrichtungen sind in vielfältiger Weise Ausgangspunkt von sog. Wissensspillovern innerhalb des regionalen Institutionengefüges und somit von besonderer Bedeutung für eine auf die F&E neuer Technologien abzielende Regionalentwicklung. Regionen mit einer führenden technischen Hochschule in ihrem Zentrum bringen mehr Innovationen hervor und besitzen ein überdurchschnittliches wirtschaftliches Wachstum [65]. Universitäten als Quellen des Wissens und qualifizierter Arbeitskräfte, welche implizites Wissen im Cluster verbreiten, nehmen eine Schlüssel-
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§
privatwirtschaftliche Unternehmen
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Finanzwirtschaftliche Unternehmen
Clustermanagement
€ Staat
Universitäten, Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen
Medien/Presse Nichtregierungsorganisationen
Abb.€7.↜28╇ Die Akteure eines Innovationsclusters
position bezüglich der Innovationsfähigkeit von Clustern ein [66]. Weltweit durchlaufen öffentliche Forschungseinrichtungen derzeit einen Bedeutungswandel, der zu weniger engen institutionellen Grenzen zwischen Universitäten und anderen Akteuren eines Innovationssystems sowie zwischen einzelnen Fachdisziplinen führt. Dies geht einher mit der Forderung nach Stärkung der Rolle der Universität im gesamten Innovationsprozess, nicht nur in der Grundlagenforschung. In diesem Zusammenhang kommt dem öffentlichen Sektor und insbesondere den Universitäten eine besondere Bedeutung zu. Sie müssen in enger Kooperation mit der Wirtschaft zum Innovationstreiber des Clusters werden. Die Präsenz einer technischen Universität in einem Innovationscluster unterstützt zwar dessen Entwicklung, wird aber im Allgemeinen nicht als zwingende Voraussetzung angesehen [67]. Dabei leisten Universitäten mindestens drei entscheidende Beiträge zum Wissensspillover und somit zum Erfolg des Clusters [68, 69]: • Wissensgenerierung: Durch ihre wissenschaftlichen Forschungsarbeiten und den daraus resultierenden Erkenntnissen bilden Universitäten häufig den Ausgangspunkt von Innovationsprozessen. Der Transfer der wissenschaftlichen Ergebnisse in bestehende Unternehmen oder durch Ausgründungen (Spin-Offs) gibt Impulse für das Wachstum oder zur Entstehung eines Clusters. • Wissensdiffusion: Die Universität fungiert als wissenschaftliche Austauschplattform innerhalb eines Innovationsclusters. Einerseits sorgt sie für hochqualifizierten Nach-
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wuchs in Form von Absolventen und im besten Fall durch ein umfangreiches und qualitativ hochwertiges Weiterbildungsprogramm für Mitarbeiter des Clusters mit Berufserfahrung. Andererseits fördert sie die Ausgründungsaktivitäten und trägt somit zur Verbreitung des Wissens außerhalb der Hochschule bei. • Wissensrezeption: Die Universität, wie auch die weiteren Forschungseinrichtungen des Clusters besitzen eine „Antennenfunktion“. Aufgrund ihrer Einbindung in die internationalen Netzwerke der ‚scientific community‘ sind sie stets auf dem neuesten Stand der Wissenschaft. Durch die Aufnahme, Verarbeitung und Verteilung dieses externen Wissens sind auch die beteiligten Cluster-Partner frühzeitig über relevante Entwicklungen auf der ganzen Welt informiert. Die Rolle der Universität innerhalb eines Innovationsclusters ist jedoch nicht auf die Generierung und Verteilung von akademischem und technischem Wissen beschränkt. In Zusammenarbeit mit kommunalen und regionalen Institutionen sind sie für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung der Region mitverantwortlich. Sie tragen zur Schaffung eines positiven Umfeldes bei und spielen eine zentrale Rolle für die Lebensqualität und die Attraktivität einer Region. Eine gute Universität mit hochwertigen Angeboten in Kunst, Literatur und Wissenschaft, einem Blick für das intellektuelle Leben und kulturelle Aktivitäten in der Umgebung ist ein entscheidender Faktor, um hochqualifizierte Arbeitskräfte und ihre Familien anzuziehen und zu halten. Denn letztendlich kann man Innovationen nicht fördern, sondern nur Innovatoren [70]. Nur wenn Menschen unter den besten Arbeitsbedingungen sich entfalten dürfen, kann dies zum Ziel führen. Offenheit und Kommunikation sind die Grundlage der Zusammenarbeit. Kooperation erfolgt nicht auf Befehl des Vorgesetzten; vielmehr lebt eine effektive Kooperation von der gegenseitigen Wertschätzung und von dem Glauben an den gemeinsamen Erfolg. Auch hier nimmt die Universität eine Schlüsselposition ein: als unparteiischer Partner der Akteure des Clusters ist sie mehr als alle anderen in der Lage, dafür Sorge zu tragen, dass sich die Akteure kennen lernen, wertschätzen und gerne in ihre jeweiligen Arbeiten einbinden.
Clustermanagement Die gemeinsame Ansiedlung von Forschungspartnern alleine führt nicht zur erhofften Steigerung der Lern- und Innovationsfähigkeit, dem Wissensspillover oder zur Entstehung von Wettbewerbsvorteilen. Vielmehr müssen diese komparativen Vorteile im Rahmen eines professionellen, institutionalisierten Clustermanagements bewusst und aktiv gestaltet werden. Die Ziele eines solchen Clustermanagements sind die Verbesserung der Zusammenarbeit sowie die Intensivierung der Vernetzung der Akteure im Cluster. Die Effektivität des Wissensgenerierungsprozess hängt erheblich von der Art der Zusammenarbeit der Teilnehmer ab. Der zentralen Steuerung und Koordination des Netzwerks kommt daher eine besondere Bedeutung zu; hier liegt ein Schlüssel zur Effizienz des gesamten Clusters. Vor diesem Hintergrund stellt die mit dem Clustermanagement betraute Clusterorganisation einen bedeutsamen Akteur im Cluster dar (vgl. Abb.€7.28); die zielgerichtete Führung und Lenkung der Aktivitäten der Akteure im Cluster muss in Zukunft
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weiter vorangetrieben werden. Vielerorts sind Clusterorganisationen und Initiativen zur Unterstützung von Clustern bereits zu einem integralen Bestandteil der Industriepolitik geworden. Eine von Sölvell et€al. durchgeführte Studie zeigt dabei, dass die Wettbewerbsfähigkeit und das generierte Wachstum des der Clusterorganisation übergeordneten Innovationsclusters in hohem Maße mit der Leistungs- und Handlungsfähigkeit des Clustermanagements korreliert [71]. Gegenüber dem derzeitigen Entwicklungsstand vieler Clusterorganisationen bedeutet dies eine notwendige Weiterentwicklung und Ausweitung der Tätigkeiten und damit auch der Bedeutung der Clusterorganisation, was sich auch in ihrer Akzeptanz durch die anderen Akteure im Cluster widerspiegeln muss. Nur so lässt sich auf lange Sicht die Leistungsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit des gesamten Clusters sicherstellen. In der Verantwortung des Clustermanagements liegt vor allem die effiziente Gestaltung der Clusterprozesse, wie etwa die Vernetzung der Clusterakteure, die Anbahnung von Kooperationsprojekten, die Zuordnung von Aufgaben- und Verantwortungsbereichen sowie die Steuerung und Evaluation der heterarchisch organisierten, netzwerkartigen Struktur des Innovationsclusters [72, 73]. Es gilt die Wissensflüsse auszubauen und Kooperationen zu ermöglichen. Eine Unterstützung in diesem Bereich wird immer dann notwendig, wenn gemeinsame Ziele für eine strategieorientierte Kooperation zwischen Akteuren nicht mehr ausreichen oder wenn alle Akteure von einer individuellen Tätigkeit profitieren könnten, diese sich aber für den einzelnen Akteur z.€B. als zu kostspielig erweist [74]. Die Aufgabe des Clustermanagements liegt demnach in der Initiierung, Förderung und ggf. Durchführung aller Prozesse, die nicht einzelnen Akteure dienen, sondern dem gesamten Cluster zu Gute kommen [75]. Fallbeispiel╇╛Die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen (RWTH Aachen) begegnet den beiden zentralen Forderungen – die Stärkung der Rolle der Universität im Innovationsprozess und Einrichtung eines professionellen Clustermanagements – mit dem RWTH Aachen Campus. Dieser bildet für die RWTH Aachen die Basis, sich zu einer der weltweit führenden technischen Universitäten zu entwickeln. Mit 19 untereinander vernetzten Innovationsclustern entsteht ein Hot-Spot der Forschung mit Büros, Hallen- und Laboreinrichtungen auf einer Fläche von ca. 800.000€m². Ziel ist es, die Zusammenarbeit von Industrieunternehmen und Hochschulinstituten in einer neuen Qualität zur ermöglichen und den Austausches ganzheitlich und interdisziplinär an definierten Forschungsthemen zu fördern. Technologieunternehmen erhalten die Möglichkeit, sich mit eigenen Forschungs- und Entwicklungskapazitäten auf dem Campus zu „immatrikulieren“ und sich – über einzelne Forschungskooperationen hinaus – längerfristig in die Forschungs-, Weiterbildungs- und Lehraktivitäten der RWTH Aachen einzubringen. Gleichzeitig profitiert das Studienangebot durch Beteiligung der Industrie an praxisorientierten Lehr- und Ausbildungsprogrammen bis hin zur Management-Ausbildung, um Mitarbeiter kontinuierlich zu qualifizieren und sich den Zugang zu qualifiziertem Nachwuchs zu sichern. Die direkte Anbindung an die RWTH Aachen eröffnet den Unternehmen damit gleichermaßen einen Vorsprung in Forschung und Entwicklung sowie in Aus- und Weiterbildung.
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Das Clustermanagement übernimmt die eigens zu diesem Zweck gegründete RWTH Aachen Campus GmbH. Vorgesehen sind Aufgaben, die weit über das operative Clustermanagement hinausgehen. Dazu gehören vor allem die clusterübergreifenden Funktionen: • • • • •
Operatives und strategisches Clustermanagement, Vertriebsmanagement, PR/Marketing, Finanzen/Recht/Controlling und Projektplanung Bau.
Die Kernaufgabe der RWTH Aachen Campus GmbH liegt im operativen und strategischen Clustermanagement. Im Clustermanagement sind alle Leistungen zur Entwicklung und Umsetzung des Campuskonzepts sowie des Geschäftsmodells des RWTH Aachen Campus zusammengefasst. Dazu gehören die Koordination des Vorgangs der Immatrikulation der Unternehmen sowie die Festlegung der F&E-Inhalte in enger Zusammenarbeit mit der RWTH Aachen. Gleichzeitig werden hier Vorschläge für die Aus-, Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen sowie die Lehrveranstaltungen im Hochschulbetrieb erarbeitet und mit den entsprechenden Stellen abgestimmt. Darüber hinaus fungiert das Clustermanagement als Ansprechpartner für die Leiter der jeweiligen Innovationscluster in allen praktischen Fragen eines Cluster-Betriebs sowie Einbindung potenzieller Cluster-Partner. Zudem koordiniert die RWTH Aachen Campus GmbH das clusterübergreifende Vertriebsmanagement für den RWTH Aachen Campus zur Unterstützung der Clusterleiter in der Akquisition von Unternehmen und sonstigen potenziellen Investoren. Darüber hinaus ist es zuständig für eine übergeordnete Clusterpartner-Betreuung und -pflege (key account management, investor-relations) und damit für die Qualitätssicherung des Gesamtvorhabens. Im Rahmen des PR/Marketing nimmt die RWTH Aachen Campus GmbH alle Maßnahmen zur Darstellung des RWTH Aachen Campus nach innen und außen wahr. Sie vertritt das Projekt seiner Bedeutung und Größenordnung angemessen national und international und sorgt für zunehmende Bekanntheit und Attraktivität dieses Großvorhabens. Dies wird in Zukunft neben einer Imageplattform für alle am Vorhaben beteiligten Akteure auch ein gemeinsames Eventmanagement beinhalten. In der angegliederten Funktion Networking/Lobbying kümmert sich die Gesellschaft um alle Fragen der Akzeptanz im politischen Umfeld und nimmt gleichzeitig die wichtigen Routerfunktionen zu den Technologiezentren, IHK, Stadt Aachen, Städteregion, RWTH Aachen und allen weitern Anspruchgruppen wahr. Die Eigenverwaltung der Gesellschaft findet durch ein eigenes Finanz- und Rechnungswesen/Controlling statt, in der Finanzbuchhaltung und die zentrale Controllerfunktion für die Gesellschaft angesiedelt sind. Da die Umsetzung in den nächsten Jahren einen deutlichen Erschließungs- und Baucharakter haben wird, gehören auch die Projektplanung und –entwicklung sowie die Baubetreuung zu den Aufgaben der RWTH Aachen Campus GmbH. So befasst sie sich mit der baulichen und infrastrukturellen Erarbeitung und Umsetzung des RWTH
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Aachen Campus und bildet damit die wichtigste Schnittstelle zwischen den Hauptbeteiligten: dem Land Nordrhein-Westfalen/BLB, der RWTH Aachen, den Bauträgern, der Stadt Aachen sowie weiteren im Prozess involvierten Akteure. Zukünftig wird diese Aufgabe durch das zentrale Facility Management mit der Dokumentation, Verwaltung, Bewirtschaftung und Verwertung der Flächen und Gebäude über die gesamte Nutzungsdauer erweitert. Bewertung des Clustermanagements durch die RWTH Aachen Campus GmbH: Innovationscluster sind aus den wirtschafts- und innovationsgeographischen Landkarten nicht mehr wegzudenken. Aber auch Innovationscluster brauchen wie jedes Unternehmen und jedes Netzwerk eine Strategie. Die reine Ansammlung von Unternehmen und Institutionen einer Branche reicht nicht, um die mit Innovationsclustern assoziierten (Wissens-) Vorteile zu generieren. Erst durch die Kombination der Einzelaktivitäten und Ausrichtung an einer gemeinsamen, abgestimmten Strategie unter der Führung des Clustermanagements lassen sich die erhofften Wettbewerbsvorteile im Innovationscluster realisieren. Um eine ausreichende Vernetzung und somit auch notwendige Akzeptanz der Akteure zu haben, muss das Clustermanagement selbst als Akteur im Cluster verankert sein. Die bisher gängige Praxis externer, zumeist in Behörden angesiedelter Clustermanager zeigt ihre größten Defizite vor allem in der mangelnden Ausschöpfung der Innovationspotenziale und den Ineffizienzen der verschiedenen Prozesse. Aus diesem Grunde, vor allem aber auch aufgrund ihrer Schlüsselposition im Innovationsprozess und bei der Verbreitung von Wissen, liegt es nahe, die im Cluster angesiedelten Universität mit der Aufgabe des Clustermanagements zu betrauen. Eine der Universität untergeordnete Gesellschaft zum Management des Innovationsclusters profitiert von den vorhandenen Strukturen und Ressourcen der Hochschule sowie von ihrer intensiven Vernetzung mit Industrie und Politik. Gleichzeitig aber kann sie aufgrund ihres Status als eigene Gesellschaft erheblich flexibler und agiler agieren und reagieren als die Hochschule mit ihrem verhältnismäßig großen Verwaltungsapparat. Entscheidend aber ist, dass ein so geartetes Clustermanagement durch die Nähe zur Hochschule und aufgrund fehlender eigener wirtschaftlicher Interessen als neutraler Partner von allen beteiligten Akteuren akzeptiert wird. Die RWTH Aachen, mit ihrer traditionell sehr intensiven Beziehung zur Industrie, setzt diese Ideen auf dem RWTH Aachen Campus um. Nur in einer solchen durch Offenheit und Vertrauen geprägten Atmosphäre führen aktiv gestaltete und effiziente Prozesse des Wissens- und Erfahrungsaustauschs zu nachhaltigen, innovationsgetriebenen Wettbewerbsvorteilen.
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Sachverzeichnis
A A3-Bericht, 315 Ablauforganisation, 135 Activity-Based Costing, 407 After-Sales-Geschäft, 348 aixperanto, 372 Aktenmäßigkeit, 23 Aktiengesellschaft, 9, 15, 218, 386 Aktiengesetz, 16 Aktivitätsstrategie, 74, 93 Allianz, strategische, 488 Amortisationsrechnung, 416 Amtsbetrieb, regelgebundener, 23 Amtsdisziplin, 23 Amtshierarchie, 23 Analyse, finanzielle, 116 Änderungsmanagement, 190 Anlagevermögen, 173 Anlaufmanagement, 342 Anleihe, 422 Annuitätenverfahren, 417 Anreiz fixer, 167 variabler, 167 Anreizsystem, 167 Anspruchsgruppe, 52, 57, 258, 265, 464 Konzept nach Freeman, 265 Äquivalenzziffernkalkulation, 403 Arbeitsablauf, 260 Arbeitskosten, 395 Arbeitsteilung, 19, 21, 134 Arbeitsverteilung, 23 Arbeitsvertrag, 23 Arbitrage Pricing Theory, 414 Architektur integrierter Informationssysteme (ARIS), 179, 371 Architekturmodell nach Friedli, 505 Auditor, 525 Aufbauorganisation, 134, 135
Auftrag zur Führung, 219 zur Interessenvertretung, 220 zur Überwachung, 220 Auftragserteilung, 21 Auftragsmanagement, 183, 344, 525 Aufwandskategorie, 520 Ausführungsprozess, 365 Ausgliederungsprinzip, 158 Autonomie, 499 Autor-Kritiker-Zyklus, 376 Autorität, 21 B Balanced Scorecard, 315, 436 Banker’s Rule, 423 Barnard, Chester, 29 Barwertfaktor, 412 Bedürfnispyramide nach Maslow, 271, 272 Benchmarking, 437 Berichtspflicht, 391 Bernoulli-Prinzip, 418 Beschaffung, 190 Beschaffungscontrolling, 439 Beschaffungskooperation, 485 Beschaffungslogistik, 347 Beschaffungsmarkt, 355 Forschung, 355 Beschaffungsprogramm, 345 Beschwerdemanagement, 352 Best Practice, 437 Bestandsmanagement, 183 Beteiligungsfinanzierung, 421 Betriebsabrechnungsbogen, 396 Betriebsdatenerfassung, 183 Betriebsmittelmanagement, 171 Bildungsprinzip Ausgliederung von Aufgaben, 158 Überschneidung der Aufgaben, 157
G. Schuh, A. Kampker (Hrsg.), Strategie und Management produzierender Unternehmen, DOI 10.1007/978-3-642-14502-5, ©Â€Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
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Billigkeit, 21 Bonität, 423 Boston Consulting Group Portfolio, 118 Branchenstrukturanalyse, 124 Branchenstrukturmodell, 111 Broker, 524 Bruttoinlandprodukt, 469 Buchführungspflicht, 391, 393 Buffered Production System, 42 Bürokratiemodell nach Weber, 22 Business Environmental Risk Index, 456 Intelligence, 331 Plan, 98 Process Reengineering, 38, 170, 286, 288, 367 Risk Management, 444, 447 C CAD-System, 188 CAE-System, 188 Capital Asset Pricing Model, 414 Change-Management, 170, 285, 294 Change-Prozess, 259 Cluster, 491 Clustermanagement, 529, 530 Coaching, 313 Code of Best Practice, 15, 16 Commandement, 21 Commitmentmodell im Veränderungsprozess, 278 Computer-Aided Design (CAD), 191 Manufacturing (CAM), 192 Planning (CAP), 191 Quality Assurance (CAQ), 192 Software Engineering Tool, 370 System (Cax), 191 Content, 236 Contróle, 21 Controlling, 57, 183, 287, 314, 383, 424, 426 Aufgaben, 425 Aufgabenfelder, 439 Ebenen, 429 Grundlagen, 424 Instrumente, 431 operatives, 430 strategisches, 429 Ziele, 425 Coordination, 21 Corporate Identity Management, 170 Corporate-Governance-System, 14 angloamerikanisches, 15 kontinentaleuropäisches, 15
Sachverzeichnis COSO-Modell, 445 Cost Driver, 409 CRM-System, 188 Customer Relationship Management (CRM), 194 analytisches, 196 IT-Unterstützung, 195 kommunikatives, 195 operatives, 195 Customizing, 95 D Darlehen, 422 Data Mart, 197 Data Mining, 197 Data Warehouse, 196, 197 dezentrales, 197 Datenauswertung, 196 Datenverarbeitung, 180, 183 Datenverwaltung, 196 Deckungsbeitragsrechnung, 400 Delegationseffizienz, 140 Deliberate strategy, 107 Denken, ganzheitliches, 29 Designschule, 78 Designstrategie, 95 Desinvestitionsstrategie, 121 Deutscher Corporate-Governance-Kodex, 16 Dienstleistung, 190 Dienstleistungsmanagement, 357 Direktionalsystem, 24 Discounted-Cash-Flow-Methode (DCF-Methode), 10 Distributionslogistik, 347 Distributionsplanung, 347 Divisionalisierung, 41 Divisionskalkulation, 402 Dokumentenverwaltung, 190 Dominanzprinzip, 419 Drei-Phasen-Modell nach Lewin, 251, 252 DuPont-System of Financial Control, 432 Durchlaufterminierung, 345 E E-Theorie, 301 nach Beer und Nohria, 283 Economies of Knowledge, 475 of Scale, 72, 473 of Scope, 72, 475 of Speed, 475 Effektivitätssteigerung, 45 Effizienzgewinn, 285 Effizienzkriterien, 139
539
Sachverzeichnis Effizienzsteigerung, 45 EFQM-Modell, 36 Eigenfertigungsplanung, 345 Eigenkapitalgeber, 13, 266, 466 Eigenschaftstheorie, 167 Eigenverantwortung, 140 Einkaufscontrolling, 355 Einkaufskooperation, 485 Einkaufsmanagement, 353 Einzel-Coaching, 313 Einzelprojektcontrolling, 338 Einzelunternehmen, 217, 506 Enactment, 320 Endwertverfahren, 417 Enterprise Resource Planning (ERP), 184 IT-Unterstützung, 184 Enterprise Risk Management, 445, 447 Entscheidungskompetenz, 137 Entscheidungssituation risikobehaftete, 28 sichere, 28 Entscheidungstheorie, 28 Entwicklungscontrolling, 442 Entwicklungskooperation, 485 Erfahrungswissen, 293 Erfolgscontrolling, 439 Erfolgsposition, strategische, 110 Erfolgspotenzial, 110 Ergebnis, maximales, 212 Ersatzteillogistik, 347 Ertragskonzept, 102 Ertragsmechanik, 99 Eskalationsstrategie, 311 Europäische Aktiengesellschaft, 387 Europäische Genossenschaft, 216 Evolutionary learning capability, 319 Evolutionstheorie, 76 F F&E-Controlling, 190 Fabrik virtuelle, 521, 522 Rollen, 524 Fabrikneuplanung, 339 Fabrikplanung, 339 Fabrikumgestaltung, 339 Failure Mode and Effective Analysis (FMEA), 444 Fayol, Henri, 20 Feedbackkultur, 44 Fehlermanagement, 352 Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse (FMEA), 449 Fertigungsauftrag, 345
Fertigungsplanung, 190 Financial Risk Management, 444 Finanzcontrolling, 439 Finanzierung, 411 Finanzierungsinstrument, 420 Finanzplan, 424 First Stage Driver, 408 Fisher-Modell, 412 Fixkosten, 73 Flaschenhalseffekt, 376 Flexibilität, 192, 321, 496 Ford, Henry, 39 Fordismus, 40 Forschungscontrolling, 442 Forschungskooperation, 485 Free Cash Flow, 10 Freezing, 254 Fremdfinanzierung, 422 Fremdkapitalgeber, 466 Frühaufklärungssystem, 121 Führung, 6 durch Abweichungskontrolle, 35 durch Zielvereinbarung, 34 im Mitarbeiterverhältnis, 31 Führungsebene, 3, 316 Führungsentscheidung, 25 Führungsfunktion, 50 Führungskonzept, 260 Führungskraft, 7, 309 Führungsphase, 49 Führungsrichtlinie, 35 Führungsstil, 18, 165, 261 autoritärer, 167 kooperativer, 167 Führungsstiltheorie, 167 Führungssystem, 361 Führungstheorie, situative, 167 Fünf-Kräfte-Modell, 86, 111 Funktionalorganisation, 144 G Gehaltshierarchie, 23 Geldkredit, 422 Gemeinkosteneinbeziehung, 399 Gemeinschaftsgeist, 22 Gemeinschaftsunternehmen, 489 General Management Navigator, 53, 507 Gesamtkostenverfahren, 406 Geschäftsfeldportfolio, 120 Geschäftsfeldstärke, 121 Geschäftsführung, 219 Geschäftsprozess, 358, 362, 366 beschreibender, 98 gestaltender, 100
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Grundlagen, 97 Inputobjekt, 364 Marktbezug, 366 operativer, 101 Outputobjekt, 364 Reichweite, 366 Zielorientierung, 364 Geschäftsprozessmanagement, kontinuierliches, 369 Geschäftsprozessmodellierung, 369 Gesellschaft, 470 bürgerlichen Rechts (GbR), 385 mit beschränkter Haftung (GmbH), 216, 218, 386 GmbH & Co. KG, 387 Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich, 16 Gestaltungsraum, kultureller, 257 Gewinnthesaurierung, 421 Gewinnvergleichsrechnung, 416 Global Footprint Design, 340 Globalisierung, 149 Green Quality, 351 Growth-Share-Matrix, 118 Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung (GoB), 388 Gutenberg, Erich, 24 H Handelsgesetz, deutsches, 391 Harzburger Modell, 31, 32 Hauptkostenträger, 398 Hawthorne-Experiment, 26, 239 Hazard Analysis and Critical Control Point (HACCP), 444 Hazard and Operating Study (HAZOP), 444 Hierarchiestruktur, 260 Hilfskostenträger, 398 Hochschule, 527 Höhn, Reinhard, 31 Holdingkonzept, 142, 143 Human Resources Accounting, 441, 442 Human-Relation-Bewegung, 26 Humanressource, 164 Humanziel, 7 I Ideenmanagement, 336 Implementierung, 102 In-/Outsourcing-Manager, 525 Industrieökonomie, 65, 76, 85 Informationsaustausch, 306 Informationsbereitstellung, 312
Sachverzeichnis Informationsbeschaffung, 428 Informationssystem, 178 Architektur, 178 Aufbau, 178 betriebliches, 180 strategische Bedeutung, 177 Informationstechnologie, 27 Inkrementalismus, logischer, 108 Innenfinanzierung, 421 Innovation, 289 Innovation-Leverage-Strategie, 95, 96 Innovationscluster, 525, 526 Akteure, 528 Innovationscontrolling, 334, 337 Innovationsmanagement, 44, 334 Innovationsprozess, 337 Insurance Risk Management, 443 Integrationsfunktion, 67 Intellectual Capital Management, 169 Interaktionsthema, 52 Interdependenzbeziehung, 138 International Financial Reporting Standard, 393 Investition, 411 Investitionscontrolling, 439 Investitionsentscheidung, 415 unter Unsicherheit, 419 Investitionsrechnung dynamische Verfahren, 417 statische Verfahren, 415 Investitionsstrategie, 121 Ist-Kostenrechnung, 400 Ist-Prozess-Analyse, 375 J Jahresabschluss, 390 Job enlargement, 312 Joint Venture, 489 Just-in-Time-Konzept, 288 K Kaizen, 238, 286, 288, 289, 294, 367 Kaizen-Blitz, 372 Kalkulationsobjekt, Selbstkosten, 405 Kalkulationszinsfuß, 412 Kapazitätsplanung, 345 Kapital, 172 Unabhängigkeit, 174 Kapitalanlage, 173 Kapitalgeber, 12, 265, 466 Kapitalgesellschaft, 218, 386, 392 europäische, 387 Kapitalisierung, 97
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Sachverzeichnis Kapitalmanagement, 173 Kapitalmarkt, 411 Kapitalmarktmethode, 10 Kapitalmarktmodelle, 414 Kapitalrückflussrechnung, 416 Kapitalstruktur, 419 Kapitalwertverfahren, 417 Karrierist, 275 Kennzahlen, 116, 314, 359, 431 Funktion, 432 Klassifizierung, 432 Kennzahlensystem, 351, 432 Kernaufgabe, 182 Kerndatenmanagement, 189 Kernkompetenz, 87 Kernprozessidentifikation, 298 Kernprozessportfolio, 375 Key-Account-Manager, 162 Kollaboration, 190, 483 Kollegialsystem, 25 Kommanditgesellschaft, 217, 385 auf Aktien, 387 Kommunikation, 138, 308 Kommunikationsdefizit, 304 Kommunikationskonzept, 102 Kommunikationssystem, 30 Kompetenzabgrenzung, 23 Kompetenzkonfiguration, 102 Kompetenzpool, 506 Komplexität externe, 336 interne, 336 Komplexitätskosten, 336 Komplexitätsmanagement, 335 Konfigurationsmanagement, 190 Konfigurationsschule, 84 Konsortium, 490 Kontrollaufgabe, 220 Kontrolle, 6, 25 Kontrollfunktion, 314 Kontrollsystem, 427 Kooperation, 477, 506 Bewertung, 518 Definition, 478 dyadische, 478 entlang der Wertschöpfungskette, 482, 485 Friedlis Architekturmodell, 507 horizontale, 482 im Bereich Marketing und Vertrieb, 486 Spannungsfelder, 492 vertikale, 482 Kooperationsaudit, 512 Kooperationsforschung, 461 strategieorientierte, 481
Kooperationskonzept, 102 Kooperationsmanagement, 463, 501, 512 Kooperationsmodell, dynamisches nach Kurr, 508 Kooperationsstrategie, 517 Kooperationsverfassung, 220, 221 Koordinationsdimension, 135 Koordinationseffizienz, 141 Bewertungskriterien, 139 Koordinationsfunktion, 68 Koordinationssystem, 136 Koordinationstheorie, 481 Körperschaften des öffentlichen Rechts, 384 Kosten, 393 Kostenartenrechnung, 394 Kostencontrolling, 439 Kostenrechnung, 394, 400 Weiterentwicklung, 407 Kostenstellenrechnung, 396, 405 Kostenträgerrechnung, 398 Kostenträgerstückrechnung, 402 Kostenträgerzeitrechnung, 406 Kostenvergleichsrechnung, 416 Kostenzurechnung, 401 Kraftfeldanalyse, 299 Kreativität, 209, 289 Kreativitätstechnik, 352 Kreditfinanzierung, 422 Kreditleihen, 422 Kreditwürdigkeit, 422 Kulturingenieur, 206 Kulturmanagement, 207 Kulturschule, 84 Kunde, 267, 468 Kunden-Lieferanten-Beziehung, 351, 364 Kundenakquisition, 358 Kundenbindung, 358 Kundenkontakt, 147 Kundenkredit, 422 Kundenmanagement, 162 Kundennutzen, 100 Kundenprozess, 360 Kundenzufriedenheit, 192 Kuppelkalkulation, 404 L Layoutplanung, 341 Lean Administration, 45 Innovation, 44 Management, 39, 42, 286, 367 Production, 39, 42 Six Sigma, 47 Thinking, 44
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Lebensphasenmodell nach Lievegoed, 247 Lebensqualität, 266, 467 Leistungs-Ergebnis-Analyse, 35 Leistungserstellungsprozess, 358 Leistungskonzept, 102 Leistungsmanager, 524 Leistungsmotivation, 273 Leistungsrechnung, 394, 400 Weiterentwicklung, 407 Leistungsspektrum spezialisiertes, 75 universelles, 75 Leistungssystem, 358, 359 Leistungsversprechen, 101 Leitbilder als Kommunikationsinstrument, 222 formale Anforderungen, 224 Lernprozesse der Erarbeitung, 224 Unternehmenspolitik, 223 Unternehmensvision, 222 Verhaltensgrundsätze, 223 Lernschule, 84 Lieferant, 267, 468 Lieferantenauswahl, 356 Lieferantenkredit, 422 Lieferkette, 353 Lineare Programmierung, 27 Liquidität, 174 antizipierte, 424 güterwirtschaftliche, 424 Liquiditätsplanung, 424 Liquiditätssicherung, 213, 423 Logistikcontrolling, 440 Logistikdienstleister, 347 Logistikmanagement, 343, 345 Informationssysteme, 349 Lokomotionsfunktion, 67 Lower Management, 4 M Machtschule, 83 Machtstruktur, 309 Make-or-Buy-Entscheidung, 354 Management, 1 by Decision Rules, 33 by Delegation, 31, 32 by Exception, 35 5-Phasen-Plan, 36 by Objectives, 34 by Results, 34 by Systems, 33 historische Entwicklung, 2 integriertes, 49, 50
Sachverzeichnis kulturbewusstes, 207 normatives, 7, 77, 221 Leitbilder, 221 operatives, 77 Science, 27 strategisches, 63, 64, 76, 77 Management-Cockpit, 521 Managementfunktion, 5 Managementkonzept, 17 Managementlehre administrativer Ansatz nach Fayol, 20 Bürokratiemodell nach Weber, 22 klassische, 18 moderne, 2 Scientific Management, 18 Managementphilosophie, 210 Managementprozess, 365 Managementqualität, 303 Managementtheorie, 17 Managementzyklus, 5 Manager, 1 Manufacturing Execution System (MES), 186 Market Discipline, 451 Market-based View (MBV), 85, 92 Marketingcontrolling, 440, 441 Markt, 490 Marktabhängigkeit, 155 Marktattraktivitäts-Marktanteils-Portfolio, 120 Markteffizienz, 139, 141, 149 Marktführer-Strategie, 95, 96 Marktinterdependenz, 144, 146, 149 Marktmanagement, 162 Marktorientierung, 109 Marktperspektive, 85, 88, 90 Marktportfolio, 414 Marktwachstums-Marktanteils-Portfolio, 118 Maschinendatenerfassung, 183 Maslow’sche Bedürfnispyramide, 26, 271 Massenkommunikation, 308 Massenproduktion, 40 flexible, 41 Material-Requirement-Planning-System, 177 Matrix-Projektorganisation, 160, 161 Matrixprinzip, 160 Medien, 12 Mehrproduktunternehmen, 161 Meilenstein, 310, 311 Meinungsbildung, 270 Meinungsführer, 3, 309 Mensch-Maschine-Schnittstelle, 282 Meritokratie, 249 Mezzanine, 422 Middle Management, 4 Mikropolitik, 304
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Sachverzeichnis Minimal Capital Requirement, 451 Mission, 69 Misstrauen, 319 Mitarbeiter, 266 Existenzsicherung, 467 Lebensqualität, 467 Lebensunterhaltsfinanzierung, 467 Qualifizierung, 312 Selbstverwirklichung, 467 Mitarbeiterentwicklung, 165 arbeitsintegrierte, 166 aufgabenorientierte, 166 teamorientierte, 166 the-job-Methode, 166 Verhaltenstraining, 166 Mitarbeiterführung, 166 Mitarbeitertypen nach Vahs, 276 Mittelherkunft, 172 Mittelverwendung, 172, 173 Modigliani-Miller-Theorem, 420 Monitoring, 122 Motion-Modell, 240, 290, 368 Motivation, 136, 308 Motivationsauswirkung, 149 Motivationseffizienz, Bewertungskriterien, 140 Motivationsfunktion, 68 Moving, 250, 252 Multinationalität, 149 N Nebenkostenträger, 398 Netzwerk dynamische Produktion, 524 dynamisches, 487 fokales, 490 internes, 487 logistisches, 346 stabiles, 487 strategisches, 487 Netzwerkanalyse, 200 Netzwerkaufgabe, 191 Netzwerkcoach, 525 Netzwerkökonomie, 481 Netzwerkperspektive, 89, 92 marktbasierte, 92 ressourcenbasierte, 92 Netzwerkressource, 89 Neue Institutionenökonomie, 76 Newsletter, 310 Nicht-Kapitalgesellschaften, 392 Normal-Kostenrechnung, 401 Nutzenfunktion, 270 Nutzengenerierung, 12 Nutzenkategorie, 520
O O-Theorie, 301 Offene Handelsgesellschaft (oHG), 217, 385 Öffentlichkeit, 267, 470 Oligopol-Strategie, 88, 95, 96 Online-Analytical-Processing-Analysen, 197 Open Innovation, 335 Operationsentwicklung, 289 Optimierung, kundennutzengerichtete, 74 ORCA-Direktive, 448 Ordnung, 21 Ordnungsmoment, 52 Ordnungsrahmen Produktion und Management, 55 Organic change, 242 Organisation, 20, 25 produktorientierte, 145 Organisational Behaviour, 26 Organisationseinheit, 135 Organisationsentwicklung, 286 nach Mintzberg, 248 Organisationsform, 102 Organisationsgestaltungsgrundlagen, 134 Organisationspsychologie nach Schein, 283 Organisationsstruktur, 6, 135, 139 dynamische, 135 eindimensionale, 142 funktionsorientierte, 143 marktorientierte, 148 mehrdimensionale, 155, 244 prozessorientierte, 150 Unternehmensbereiche, 142 Organisationstheorie, 22 Organisationswirksamkeit, 283 Organverfassung, 219, 221 Outsourcing, 347, 353 P Par-Report, 113 Partnerschaft, strategische, 221 PDCA-Zyklus, 313 Perceived Quality, 352 Performance Controlling, 290 Management, 357 Personalcontrolling, 441 Personalkosten, 395 Personalmotivation, 30 Personalpolitik, 304 Personengesellschaft, 385 Personenhandelsgesellschaft, 217 Plan-Kostenrechnung, 401 Planung, 25 strategische, 102
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Planungsprozess, 365 Planungsschule, 81 Planungssystem, 427 Plattform, 490 stabile, 521, 522 Porter’s Five Forces, 111 Portfolioanalyse, 118 Portfoliotechnik, 294 Positionierungsschule, 82 Prévoyance, 20 Primärorganisation, prozessorientierte, 151 Prinzipal-Agent-Beziehung, 9 Problemlösungsprozess, 296 Process Innovation, 286, 288 Owner, 151 Product Lifestyle Management (PLM), 187, 334, 338 integrierte Lösung, 188 IT-Unterstützung, 188, 189 Nutzenpotentiale, 188 Produkt-Markt-Kombination, 98 Produkt-Markt-Matrix, 64, 114 Produktcontrolling, 407, 486 Produktdatenentstehung, 190 Produktentstehungsprozess, 338 Produktionsbedarfsplanung, 344 Produktionscontrolling, 440 Produktionslogistik, 341 Produktionsmanagement, 342 Produktionsnetzwerk, 339 Produktionsplanung und -steuerung (PPS), 180, 342 Produktionsprogramm, 340 Produktionsprogrammplanung, 344 Produktionssteuerung, 341 Produktionsstrukturierung, 341 Produktmanagement, 161 Produktplanung, 337 Produktprogrammstrategie, 71 Produktstrukturierung, 190 Profit Impact of Market Strategy (PIMS), 113, 433 Programm normatives, 350 strategisches, 50, 71, 93 Project Data Management (PDM), 187 Projektcontrolling, 314 Projektdatenbank, 309 Projektdefinition, 295 Projektmanagement, 159, 190, 233, 244, 296 Projektorganisation, reine, 160 Projektumfeldanalyse, 300 Property-Rights-Theorie, 480
Sachverzeichnis Prozess Definition, 362 Klassifikation, 362, 363 Prozess-Struktur-Matrix, 352 Prozessanalyse, 298, 373 Prozessarchitektur, 258 Prozesseffektivität, 127 Prozesseffizienz, 127, 140, 141, 146, 149, 155, 161 Prozessgestaltung, 373 Prozessidentifikation, 126, 373 Prozesskettenoptimierung, innovative, 351 Prozesskostenrechnung, 408 Ressourcenverfahren, 409 Prozessmanagement, 190, 327, 361, 367 Sekundärorganisation, 152 Prozessmanager, 151 Prozessmodell nach Weick, 281 Prozessmodellierungssprache, 370 Prozessmuster, 258 Prozessoptimierung, 233, 374 Prozessorganisation, 150 Prozessportfolio, 126 Prozessqualität, 231, 303, 350 Prozessstrategie, 126 Ableitung aus Unternehmensstrategien, 124 Psychologie, 269 Publizitätsgesetz, 391 Q Qualifikationsanforderung, 23 Qualitätsmanagement, 36, 190, 349 Qualitätsprogramm, normatives, 350 Quality Gate, 352 Querschnittsaufgabe, 182 R Rangordnung, 21 Rationalisierung, kostenorientierte, 74 Rationalität, 270 Rebalancing, 254 Rechnungswesen, 383 betriebliches, 388 Grundlagen, 388 externes, 390 internes, 390, 393 Recht öffentliches, 384 privates, 384 Rechtsform, 216, 383 Entscheidungskriterien, 218 Mischformen, 387 nationale, 216 supranationale, 216
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Sachverzeichnis Rechtssoziologie, 22 Redesign, 38 REFA, 41, 136 Referenzstrategie, 93, 94 Refreezing, 251, 290 Regelkreis, kybernetischer, 317 Relational View, 89 Remodellierung, 266 Renditevergleichsrechnung, 416 Rentabilität, 174 Rentabilitäts-Liquiditäts-Kennzahlensystem, 434 Rentabilitätsrechnung, 416 Reorientierung, 264 Reporting durch Controlling, 315 Resource-based View (RBV), 86, 92 Ressource, 162 Betriebsmittel, 171 immaterielle, 163 intangible, 163 Kapital, 172 materielle, 163 Mensch, 164 strategische, 164 tangible, 163 technische, 163 visible, 163 Wissen, 168 Ressourcenabhängigkeit, 155 Ressourcenallokation, 490 Ressourcenautonomie, 149 Ressourceneffizienz, 140, 146, 149, 161 Ressourceninterdependenz, 144, 149 Ressourcenmanagement, 175 operative Aufgaben, 175 strategische Aufgaben, 175 Ressourcenorientierung, 109, 115 Ressourcenperspektive, 86, 88, 90 Ressourcenplanung, 341 Ressourcenstrategie flexibles Einsatzspektrum, 75 starres Einsatzspektrum, 75 Ressourcenteilbarkeit, 146 Ressourcenverfahren, 409 Ressourcenwandel, 263 Rethinking, 38 Return on Investment (ROI), 147, 432 Revitalisierung, 264 Risikobewusstsein, 306 Risikoidentifikation, 456 Risikokommunikation, 455 Risikokultur, 452 Risikomanagement, 351, 443 Anwendung im Unternehmen, 449
Bewertungsdefekt, 470 Finanzperspektive, 444 für Organisationen und Systeme, 446 integriertes, 448 Managementperspektive, 444 Probleme, 449 Risikoverfassung, 450 technische Perspektive, 444 Versicherungsperspektive, 443 Wirkungsdefekt, 450 Risikomanagementorganisation, 453 Risikomanagementprozess, 455 Risikomöglichkeits- und Einflussanalyse (RMEA), 449 Risikopolitik, 451 Risikoportfolio, 300, 414 Risikoprogramm, 455 Risikosteuerung, 456 Risk Map, 448 Rollenkonzept von Müller-Stewens und Lechner, 273 Routinized learning capability, 319 Routinized manufacturing capability, 319 Rückbau, 339 Rüegg-Stürm-Modell, 257 S Sachziel, 7, 213 Sackgasseneffekt, 377 Scanning, 122 Schadensvermeidung, 444 Schalenmodell nach Krüger, 263 Scientific Management, 18, 39, 41 Management-Prinzipien, 19 Sekundärorganisation, prozessorientierte, 151 Selbstkosten, 403 Sensitivitätsanalyse, 419 Service Engineering, 359 Shareholder Value, 9, 10, 70, 174, 213 Sicherheitsbedürfnis, 272 Sieben-S-Modell nach McKinsey, 258, 259 Skaleneffekt, 72 Softwareauswahl, 198 Softwareeinführung, 200 schlagartige, 200 stufenweise, 200 Softwareimplementierung, 198 Soll-Prozess-Gestaltung, 377 Sozialziel, 7 gesellschaftsbezogenes, 215 mitarbeiterbezogenes, 215 umweltbezogenes, 215
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Spannungsfeld Autonomie und Interdependenz, 499 Flexibilität und Stabilität, 496 Führung und Hierarchie, 492 Kooperation und Wettbewerb, 498 Markt und Hierarchie, 494 Mechanismus und Organismus, 497 Spartenorganisation, 145, 146 Spezialisierung, 19 Spieltheorie, 28, 481 Spontaneität, 209 St. Galler Management-Modell, 23, 29, 48, 50, 52, 77, 362, 464 Staat, 267, 469 Stabilität, 321, 496 Stabilitätsanker, 282 Stabseinheit, 157 Stabsprinzip, 157 Stabsprojektorganisation, 160 Stakeholder Value, 9, 10, 70 Stammhauskonzern, 143 Stammpersonal, 261 Standardsoftware, 198 Steuergesetz, 391 Steuerung durch Controlling, 317 Stimulation, IT-gestützte, 370 Stochastik, 413 Strategic Change Modell von Orgland, 253, 254 Strategie, 2, 63, 106, 260 Bestandteile, 66 Definition, 66 Entwicklung, 65 geplante, 107 Grundlagen, 63 Historie, 64 laterale, 95, 96 Typisierung, 85 umgesetzte, 107 Strategieaudit, 124, 298 Strategiedimension externe, 141 interne, 141 Strategieentwicklung, 102 Strategieformierung, 78, 105 als erklärungsbedürftiges Phänomen, 108 als logischer Inkrementalismus, 108 autonomes Verhalten, 105 beabsichtigte Strategie, 107 emergente Strategie, 107 induziertes Verhalten, 105 nach Mintzberg, 79 Ressourcenallokation, 104 Strategieformulierung, 102
Sachverzeichnis Strategieformung, 76 Strategieforschung, 28 Strategiegestaltung, 287 Strategieinhalt, 84 Strategieprozessmodell der Harvard Business School, 102 deskriptives, 104 präskriptives, 102 Strategieschule deskriptive, 83 kognitive, 83 präskriptive, 78 Strategiewandel, 263 Stress, emotionaler, 279 Strukturwandel, 263 Superpositionseffekt, 347 Supervisory Review Process, 451 Supplier Relationship Management, 357 Supply Chain, 345 Chain Planning (SCP), 193 Design (SCD), 193 Execution (SCE), 193 Management (SCM), 192, 343 Operation Reference Modell, 365 SWOT-Analyse, 64, 117 Synergieeffekt, 149, 475 Systematic change, 242 Systemtheorie, 29 Systemwissenschaft, 480 Szenariotechnik, 122 Backward-Approach, 123 Forward-Approach, 123 Szenariotrichter, 122 T Target Costing, 338, 410 Taylor, Frederick Winslow, 18 Taylorismus, 18, 26, 134, 235 Team-Coaching, 313 Teamauflösung, 297 Teamentwicklung, 297 Teamtheorie, 28 Technologiebewertung, 333 Technologiecontrolling, 442 Technologieentwicklung, 332 Technologiefrüherkennung, 331 Technologiemanagement, 329 Technologieplanung, 332, 338 Technologiestrategie, 330 Technologieverwertung externe, 332 interne, 332 Technology-Leverage-Strategie, 95, 96
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Sachverzeichnis Teilkostenrechnung, 399 Time State Preference Model, 415 Tobin-Separation, 414 Top Management, 4 Total Cost of Ownership, 356 Total-Quality-Management, 290 Toyota-Produktionssystem, 42 Trade-off-Beziehung, 141 Transaktionskostentheorie, 480 Transformationsarchitektur, 238 Transformationsmanagement, 238 Transformationsobjekt, 364 U Überwachungsaufgabe, 220 Umlaufvermögen, 173 Umsatzkostenverfahren, 406 Umweltschule, 84 Umweltsphäre, 52, 55, 57, 464, 470 Natur, 471 Normen und Werte, 472 Technologie, 471 Wirtschaft, 472 Unfreezing, 250, 251, 254, 290 Unrealized strategy, 107 Unternehmen, virtuelles, 491 Unternehmensform, 384 Unternehmenscontrolling, 314 Unternehmensentwicklung, 55, 231, 327 Controlling, 312 Einteilung der Modelle, 235 Erfolgsfaktoren, 301 Gestaltung, 290 Gestaltungsmittel, 298 Grundlagen, 232 harte Faktoren, 298 Kommunikation, 304 nach Bleicher, 245 Nachhaltigkeit, 317 Phasenmodelle, 242 Unternehmensführung, 1 als Funktion, 3, 4 Ebenen, 6 erwerbswirtschaftliches Prinzip, 25 institutionelle Perspektive, 3 mathematische Modelle, 28 nach Gutenberg, 24 normative, 6, 7 operative, 6, 9 Prinzip der Aufrechterhaltung, 25 Prinzip der Wirtschaftlichkeit, 25 quantitative, 27 Shareholder-orientierte, 10 strategische, 6, 8
systemtheoretische, 29 verhaltenswissenschaftliche, 25 Unternehmenskultur, 8, 201, 212 Entstehung, 202 Erfassung, 202 Kulturalist, 205 Kulturingenieur, 205 Kulturtransformation, 204, 206 Kulturtransformation, 206 opportunistische, 203 verpflichtende, 204 Unternehmensleitbild, siehe Leitbilder Unternehmensnetzwerk, 477, 486 Definition, 479 mechanistisches, 497 normative Ebene der Führung, 505 operative Umsetzung, 504 Partnerunternehmen, 502 Spannungsfelder, 492 strategische Positionierung, 504 taktisches Management, 503 Unternehmensphilosophie, 208, 210, 212 Unternehmenspolitik, 201, 203, 208, 211 Unternehmensprozess, 57, 362 Unternehmensselbstverständnis, 263 Unternehmensstrategie, siehe Strategie Unternehmensstruktur, 55, 133, 327 Unternehmensumwelt, 464 Unternehmensverbindung, 499 Morphologie, 500 Unternehmensverfassung, 8, 201 Gestaltung, 215 Unternehmensvision, siehe Vision Unternehmenswandel, 263 Unternehmenswert, 11, 13 Unternehmensziel, 69, 211 SMART-Kriterien, 70 strategische Programme, 71 Unternehmenszusammenschluss, 221 Unternehmenszweck, 257 Unternehmerschule, 83 Unterstützungsprozess, 365 V Value stream mapping, 371 Value System Design nach Riggers, 509 Veränderungsbereitschaft, 312 Veränderungsfähigkeit, 312 Veränderungskommunikation, 310 Veränderungsprogramm, 379 Veränderungsprojekt, 269, 295 Kommunikationsstrategie, 305 nach Gaßner, 275
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Veränderungsprozess, 249 Commitmentmodell, 278 nach Lewin, 249 Verantwortung, 21 gesellschaftliche, 211 Verbesserungsprozess, kontinuierlicher, 289 Verbundeffekt, 72 Verhaltensänderung, 280 Verhaltenstraining, 166 Verhaltensvorschriften, 280 Verkaufsbüro, regionales, 147 Vermarktung, 523 Vermögen, 172 Verrechnungspreis, 148 Verselbstständigung, rechtliche, 143 Versorgungskette, 345 Vertrauen, 319 Vertrieb, technischer, 359 Prozessmanagement, 360 Vertriebsabwicklung, operative, 361 Vertriebscontrolling, 440, 441 Vertriebsplanung, strategische, 361 Vetorecht, 25 Viable System Model, 502 Vision, 67, 68, 208 Implementierung im Unternehmen, 209 Kommunikation, 209 Komponenten, 209 Wahrnehmung als positives Zukunftsbild, 209 Wirkung, 210 Visionsfindung, 209 Voice-Option, 17 Vollkostenrechnung, 399 W Wachstumsbedürfnis, 273 Wachstumskonzept, 102 Wachstumsmodell von Greiner, 243 Wandel Anspruchsgruppen, 265 Archetypen, 262 begrenzte Rationalität, 278 Belegschaft, 274 Beteiligte, 264 Erfolgsfaktoren, 301 Implementierer, 274 individuelle Nutzenmaximierung, 270 Inhalt, 255 Modus, 236, 237 ökologischer, 320 Psychologie, 268 Strategien, 273 Wandelprozess, 270, 275
Sachverzeichnis Wandlungsfähigkeit von Unternehmen, 282 Wandlungsobjekt, 256 Weber, Max, 22 Wertkettenanalyse, 115 Wertschöpfung, 69, 93, 97, 115, 240, 340, 463, 514, 516 vernetzte, 473 Wertschöpfungsaktivität, 99 Wertschöpfungsautarkie, 74 Wertschöpfungskette, 74, 337, 345, 354, 372 Kooperationen, 482 Wertschöpfungsnetzwerk, 353, 476 Wertschöpfungsverbund, 74 Wertstromanalyse, 341 Wertstromdesign, 370 Wertziel, 7, 213 Wettbewerb, 12, 267, 469, 498 Wettbewerbsfähigkeit, 329, 349 Wettbewerbsstrategie, 73, 82, 93, 138, 141 Wettbewerbstheorie, 481 Wettbewerbsverhalten, 93 defensives, 73 imitatives, 73 innovatives, 73 offensives, 73 Wettbewerbsvorteil, 100, 112 Wirklichkeitskonstruktion, 281 Wissen explizites, 169 implizites, 169 individuelles, 168 kollektives, 168 technologisches, 329 Wissensdiffusion, 528 Wissensgenerierung, 528 Wissensmanagement, 149, 169, 370 Wissensrezeption, 529 Workflow-Management, 370 World-Café-Methode, 299 X X-Koalition, 482 Y Y-Koalition, 482 Z Zahlungsunfähigkeit, 421 Zeitbeschleunigung, 73 Zentralbereich Beurteilung, 155 gleichgestellter, 153 Kernbereichsmodell, 154
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Sachverzeichnis Matrixmodell, 154 Richtlinienmodell, 154 Servicemodell, 154 Stabsmodell, 154 übergeordneter, 153 Ziele, 155
Zentralisation, 21 Zielkonflikt-Zielkompromiss-Prozess, 212 Zielkostenrechnung, 410 Zinsfuß, interner, 417 Zuschlagskalkulation, 404 ZVEI-Kennzahlensystem, 434