Maike Vollstedt Sinnkonstruktion und Mathematiklernen in Deutschland und Hongkong
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Maike Vollstedt Sinnkonstruktion und Mathematiklernen in Deutschland und Hongkong
VIEWEG+TEUBNER RESEARCH Perspektiven der Mathematikdidaktik Herausgegeben von: Prof. Dr. Gabriele Kaiser, Universität Hamburg PD Dr. Rita Borromeo Ferri, Universität Hamburg Prof. Dr. Werner Blum, Universität Kassel
In der Reihe werden Arbeiten zu aktuellen didaktischen Ansätzen zum Lehren und Lernen von Mathematik publiziert, die diese Felder empirisch untersuchen, qualitativ oder quantitativ orientiert. Die Publikationen sollen daher auch Antworten zu drängenden Fragen der Mathematikdidaktik und zu offenen Problemfeldern wie der Wirksamkeit der Lehrerausbildung oder der Implementierung von Innovationen im Mathematikunterricht anbieten. Damit leistet die Reihe einen Beitrag zur empirischen Fundierung der Mathematikdidaktik und zu sich daraus ergebenden Forschungsperspektiven.
Maike Vollstedt
Sinnkonstruktion und Mathematiklernen in Deutschland und Hongkong Eine rekonstruktiv-empirische Studie
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Frederick K. S. Leung, Hong Kong University
VIEWEG+TEUBNER RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Universität Hamburg, 2010 Diese Studie wurde durch ein Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Graduiertenkolleg 821 Bildungsgangforschung gefördert.
1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Ute Wrasmann | Britta Göhrisch-Radmacher Vieweg+Teubner Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.viewegteubner.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8348-1474-6
FürmeineElternGerlindundWilli undmeinenMannTobias.
Geleitwort Humanssearchformeaning,andstudents,beinghumans,searchformeaning whendealingwithmathematicalcontentsinaschoolcontext.However,todate aspectsimportantforstudentstoengageinlearningmathematicsmeaningfully arestillnotwellknown.Withherstudy,MaikeVollstedtengagesinthishighly relevant and very current field of research. She examines aspects of student orientated learning, as well as the teaching of mathematics focusing on the interestsandneedsofstudents.Bytakingthelearners’perspectiveshetraces their hurdles, and needs and motivations for pursuing a successful learning process. By doing so, she develops a model describing different kinds of per sonalmeaningandusesthisasthestudents’attributionofpersonalrelevance tolearningobjectsandtheiractiveinvolvementwithcontents.Hermodelcom prises seventeen different kinds of personal meaning ranging from the impor tanceofthefulfilmentofsocietaldemands,thewishforcognitivechallengeall the way to the enjoyment of social relatedness between students. Maike groups these different kinds of personal meaning according to their relation withmathematicsandtheselfintosevendifferenttypes.Throughsodoing,she presents a concise theory of personal meaning grounded in ample empirical interviewdata. Fully aware of the rich potential of comparative studies, Maike conducts herstudyinGermanyandHongKong,takingthetwoplacesasexemplarysys temsfromEastAsiaandtheWest.Shesuccessfullydeepensthemodeldevel oped in her study concerning the influence of students’ cultural background, and refrains from taking a onesided Western viewpoint. By comparing these results while taking cultural differences into account, she emphasizes similari ties and differences between students from each of the two places. Thereby, thetheoryofpersonalmeaningissharpenedandillustratedwithreferenceto richempiricaldatashowingcountryspecificpreferences. Maike’sstudyischaracterizedbyahighlevelofmethodologicalreflective ness, a remarkable theoretical depth, as well as rich data. She comes up with highly interesting results and presents them convincingly. I wish her a broad readershipandasuccessfulfuture. October2010,HongKong
FrederickKoonShingLeung
Danksagung Während der Arbeit an meiner Dissertation habe ich von vielen Seiten Unter stützungerfahren,fürdieichmichandieserStellevonHerzenbedankenmöch te. AlserstesmöchteichmeinerDoktormutterProf.Dr.GabrieleKaisermei nenDankdafüraussprechen,dasssiemichinmeinerPromotionszeitaufvielfäl tigeWeiseunterstützthat.SiemachtedamalsdenVorschlag,Sinnkonstruktion in Deutschland und Hongkong zu untersuchen undhatmir dadurch Perspekti veneröffnet,vondenenichnichtahnte,dassessiegibt.Zudemhatsiemichbe reitszuBeginnmeinerPromotionszeitermuntert,annationalenundinternatio nalenTagungenteilzunehmenundmirdamitdasEintauchenindie(inter)nati onale mathematikdidaktische Diskussion ermöglicht. Danke für das Vertrauen, dassDuinmichundmeineArbeitsetzt. IchmöchtemichebenfallsbeiProf.Dr.MeinertMeyer,Prof.Dr.UweGel lert,Prof.Dr.HansChristophKollersowieProf.Dr.AisoHeinzefürdievielfälti genAnregungen,Literaturverweise,philosophischenAnmerkungenundoffenen Ohren bei methodischen Problemen bedanken.Oftmalswaren dieseHinweise eineKognitiveHerausforderungfürmich,gabenmirsoaberauchdieMöglich keitderKognitivenSelbstentwicklung.VonalldiesenHinweisenhabendement sprechendsowohlmeineArbeitalsauchichselbstsehrprofitiert. EineempirischeArbeitüberdiePerspektivederLernendenkannnichtoh nedieMitwirkungderLernendenselbstentstehen.Ichmöchtemichdaherganz besondersherzlichbeiallenSchülerinnenundSchülernbedanken,diesointen sivmeinevielenFragenbeantwortethaben,ebensowiebeiihrenLehrerinnen undLehrern,diemichsamtVideokamerasinihrenUnterrichtgelassenhaben. ᓬᔃᐩ⵰ᚒⴲᔃᗵ⻢⍴ᤨ㑆⏶ኒ㓸࿁╵ᚒ㗴⊛ᚲቑ↢㧘એᗵ⻢ ઁ⊛⠧Ꮷమ⸵ᚒᡣᏯౌㇱᡤᯏ෴ⷹઁ⊛⺖ၴޕᴎૢ⊛⊛ᐎഥᚒ ⊛ዃ㗴⎇ⓥᤚਇน⢻ቢᚑ⊛㧘ᚲએ㕖Ᏹ㕖Ᏹᗵ⻢ૢޕSpecialthanksgoto Prof.Dr. Frederick Leung, Prof.Dr. Issic Leung and Regina Wong, who opened lotsofHongKongclassroomsformeandmystudyandwhosesupportIvalue beyondallmeasure. DarüberhinausdankeichdenMitgliederndesForschungskolloquiumsvon Prof.Dr.GabrieleKaisersowiedenMitgliederndesDFGGraduiertenkollegsBil dungsgangforschung an der Universität Hamburg. Die intensiven Diskussionen um das Konzept der Sinnkonstruktion, meine Typenbildung und kulturelle Un
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Danksagung
terschiedehatteneinengroßenAnteilanderAusschärfungderhierpräsentier ten Theorie. Insbesondere möchte ich PD Dr.habil. Rita Borromeo Ferri, Dr.Marcus Schütte und Prof. Dr.Angelika BiknerAhsbahs sowie Dr.Johannes MeyerHamme hervorheben. Mein Dank geht darüber hinaus an Karen Stadt landerfürihrevielseitigeUnterstützung,insbesonderebeikulturellenFragen. BesondererDankgiltauchmeinen(ehemaligen)KolleginnenundKollegen anderUniversitätHamburgbzw.demLeibnizInstitutfürdiePädagogikderNa turwissenschaften und Mathematik an der Universität Kiel (IPN). Meine Sinn konstruktionen Soziale Eingebundenheit erleben und Ausgeglichenheit können durchEuchjedenTagaufsNeuerealisiertwerden.Hiermöchteichinsbesonde reBeatevonderHeydtundMeikeGrüßingsowieBjörnSchwarz,NilsBuchholtz undFelixKrawehlhervorheben.BesondererDankgebührtJanMartenIhmefür seinemethodischeBeratung,VerenaHanefürdieGestaltungderGrafikenso wie Ulrike Brügmann, Anja Friedrichs, Monique Grundig, Ayla Ünlü, Isabelle Siché und Susanne Vogel für ihre unermüdliche Unterstützung bei der Trans kription,derDatenauswertung,demKorrekturlesenundsovielenDingenmehr. AußerdemdankeichmeinerLektorinvomVerlagVieweg+Teubner,FrauBritta GöhrischRadmacher,fürdieallzeitfreundlicheundkompetenteUnterstützung beiderVeröffentlichungmeinerArbeit. Neben fachlicher Unterstützung bedarf es bei einer solchen Arbeit insbe sondere an persönlichem Rückhalt. Ganz besonderer Dank geht hier an Dr.TanjaRütten,dieichfürihreStärkeundAusdauerzutiefstbewundere.Ich danke Dir für Deine wunderbare Freundschaft. Darüber hinaus möchte ich Prof.Dr. Sebastian Wartha dafür danken, dass es schön ist, Wastl2 zu sein. Außerdem bedanke ich mich bei Ronja, Biene und Lasse für die gute Gesell schaftsowiebeimKaninchenzüchtervereinKielfürdenHasenimHut. SchließlichgehtderallergrößteDankanmeineliebeFamilieGerlind,Willi, Sandra und Arne Vollstedt sowie Karin, Bernd und Tim Schaffrik – ohne Euch hätteichdieseArbeitnichtschreibenkönnen.IchdankeEuchfürdiefortwäh rendeUnterstützungmeinesWeges.Esistgutzuwissen,dassichimmereinen Platzhabe,andemichwillkommenbinundandenichgehöre.DerletzteDank – und das ist der wichtigste von allen – gilt meinem Mann Tobias. Es tut gut, dassDuanmeinerSeitebist.IchdankeDirvonHerzenfürDeineUnterstützung! KielimJanuar2011
MaikeVollstedt
Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis.................................................................................XV Tabellenverzeichnis...................................................................................XVII 1 Einleitung.................................................................................................1 TeilA: TheoretischerHintergrund................................................................9 2 SinnundSinnkonstruktionimKontextschulischenLernens.......................9 2.1 DieThematisierungvonSinninderPädagogik....................................10 2.1.1 SinnundschulischesLernen......................................................13 2.1.2 SinnimKontextschulischenMathematiklernens.....................15 2.2 VerschiedeneDimensionenvonSinn...................................................20 2.3 DasSinnkonzeptdieserArbeit..............................................................23 2.3.1 TheoretischeVorarbeit..............................................................23 2.3.2 DasdieserArbeitzugrundeliegendeSinnkonzept....................28 2.3.3 AbgrenzungvonanderenBegriffen...........................................30 2.4 EntstehungvonSinn.............................................................................40 2.5 EigenschaftenvonSinnkonstruktion....................................................43 2.6 TheoretischerRahmenderSinnkonstruktion.......................................48 2.6.1 PersönlicheMerkmale...............................................................51 2.6.2 Hintergrundmerkmale...............................................................63 3 DieAußenperspektiveHongkong............................................................67 3.1 MöglichkeitendurchdieAußenperspektive.........................................67 3.2 KulturellgeprägteBeliefszumLernenundLehrenvonMathe matikinderkonfuzianischgeprägtenKulturHongkongs.....................69 3.2.1 DieRollevonBildung.................................................................71 3.2.2 GrundsätzlicheBildbarkeitundPerfektionierbarkeitder Menschen..................................................................................72 3.2.3 LernenfürdieSelbstperfektionierung......................................72 3.2.4 DasZusammenspielvonLernen,Anstrengung,Willens stärkeundmenschlicherPerfektionierung...............................73 3.2.5 Leistungsmotivation..................................................................75 3.2.6 LehrenvonMathematik............................................................77 3.3 DasSchulsysteminHongkong..............................................................78
XII
Inhaltsverzeichnis
TeilB: MethodologieundmethodischesVorgehen....................................83 4 MethodologischeGrundorientierungen..................................................83 4.1 ZurrekonstruktivenAnlagederStudie.................................................84 4.2 GrundlegendeAnnahmenrekonstruktiverForschung.........................85 4.3 CharakteristikarekonstruktiverForschungspraxis...............................87 4.4 GütekriterienrekonstruktiverForschung.............................................90 4.5 TheoriebildungmittelsGroundedTheory............................................92 5 DesignderStudieundMethodenderDatenerhebung.............................99 5.1 AuswahlderSchulensowiederinterviewtenSchülerinnenund Schüler................................................................................................100 5.2 UnterrichtsvideografieimZweiKameraDesign.................................101 5.3 TeilstandardisierteInterviews............................................................102 6 DatenauswertungundTheoriebildung..................................................109 6.1 Transkription.......................................................................................109 6.2 FallauswahlundSamplingStrategien.................................................110 6.3 DatenanalysedurchtheoretischesKodieren......................................112 6.4 Theoriebildung....................................................................................119 6.5 AuffindenderländerspezifischenUnterschiedeundGemeinsam keiten..................................................................................................121 6.6 KommunikativeValidierungderErgebnisse.......................................125 TeilC: ErgebnissederStudie...................................................................127 7 EineTypologiederSinnkonstruktion.....................................................127 8 Sinnkonstruktionstypen........................................................................139 8.1 KognitiveSelbstentwicklung...............................................................140 8.1.1 CharakterisierungundAbgrenzungdesTypus........................140 8.1.2 ZugrundeliegendeSinnkonstruktionen..................................142 8.1.3 Prototypen:JohannaundVincent...........................................149 8.2 Anwendungsrelevanz.........................................................................158 8.2.1 CharakterisierungundAbgrenzungdesTypus........................158 8.2.2 ZugrundeliegendeSinnkonstruktion......................................159 8.2.3 Prototypen:LeaundWilliam...................................................161 8.3 WohlbefindendurcheigeneLeistung.................................................169 8.3.1 CharakterisierungundAbgrenzungdesTypus........................169 8.3.2 ZugrundeliegendeSinnkonstruktionen..................................170 8.3.3 Prototypen:VivianundMarcus...............................................174
Inhaltsverzeichnis
XIII
8.4 EmotionalaffektivgeprägteEntfaltung.............................................182 8.4.1 CharakterisierungundAbgrenzungdesTypus........................182 8.4.2 ZugrundeliegendeSinnkonstruktionen..................................183 8.4.3 Prototypen:YannickundToby................................................189 8.5 AktiveAuseinandersetzungmitMathematik.....................................197 8.5.1 CharakterisierungundAbgrenzungdesTypus........................197 8.5.2 ZugrundeliegendeSinnkonstruktion......................................198 8.5.3 Prototypen:MirkoundEmma.................................................200 8.6 EffizienteundunterstützendeGestaltungvonUnterrichtspro zessen.................................................................................................204 8.6.1 CharakterisierungundAbgrenzungdesTypus........................204 8.6.2 ZugrundeliegendeSinnkonstruktionen..................................206 8.6.3 Prototypen:SandraundLaura................................................211 8.7 ErfüllunggesellschaftlichgeprägterAnforderungen..........................220 8.7.1 CharakterisierungundAbgrenzungdesTypus........................220 8.7.2 ZugrundeliegendeSinnkonstruktionen..................................222 8.7.3 Prototypen:MirkoundBarry..................................................227 9 KulturellePerspektive..........................................................................235 9.1 StatistischeUntersuchungderErgebnisse.........................................235 9.2 EbenederSinnkonstruktionstypen....................................................240 9.3 EbenederSinnkonstruktionsarten.....................................................243 9.3.1 Unterschiede...........................................................................243 9.3.2 Gemeinsamkeiten...................................................................250 9.4 Hypothesen.........................................................................................255 TeilD: ZusammenfassungundAusblick...................................................257 10 Zusammenfassung................................................................................257 11 KritischeReflexionderentwickeltenTheorie........................................261 11.1 Reichweite..........................................................................................261 11.2 Diskussion...........................................................................................263 11.2.1 ElementederVoraussetzungenausdemtheoretischen RahmenderSinnkonstruktion.................................................264 11.2.2 ZusammenschaumitdemModellvonVorhölter....................266 11.2.3 Intendiertevs.verwirklichteSinnkonstruktionen...................268 11.2.4 SinnkonstruktionalsdidaktischeLeitlinieimUnterricht.........269 12 Ausblick................................................................................................271
XIV
Inhaltsverzeichnis
Anhang .....................................................................................................275 1 Interviewleitfaden.......................................................................................275 2 Transkriptionsregelnundhinweise............................................................277 3 ListederKodes............................................................................................279 Literaturverzeichnis...................................................................................297 Schlagwortverzeichnis...............................................................................313
Abbildungsverzeichnis Abbildung1: Abbildung2: Abbildung3: Abbildung4: Abbildung5: Abbildung6: Abbildung7: Abbildung8: Abbildung9: Abbildung10: Abbildung11: Abbildung12: Abbildung13: Abbildung14: Abbildung15: Abbildung16: Abbildung17: Abbildung18: Abbildung19: Abbildung20: Abbildung21:
Sinnkonstruktion,KompetenzentwicklungundIdentitäts bildungzwischenzweiAchsenderUnterrichtsgestaltung.........4 SinnimZusammenspielmitBedeutung,Intention,Ziel, Zweck,NutzenundWert..........................................................39 TheoretischerRahmenderSinnkonstruktion...........................49 AufbaudesHongkongerBildungssystems................................79 AusschnittausdemKategoriensystemnachdemoffenen Kodieren..................................................................................115 InterviewausschnittvonJanicebeimoffenenKodieren.........116 InterviewausschnittvonBarrybeimaxialenKodieren...........118 StufenmodellempirischbegründeterTypenbildung..............121 MehrfeldertafeldesMerkmalsraumsderrekonstruierten SinnkonstruktionenmitnummeriertenGruppenfeldern.......133 TypologiederSinnkonstruktion..............................................133 TypologiederSinnkonstruktionmitentwickelten Sinnkonstruktionstypen..........................................................137 KodierparadigmaderSinnkonstruktionAutonomieerle ben..........................................................................................144 KodierparadigmaderSinnkonstruktionKognitive Herausforderung.....................................................................145 KodierparadigmaderSinnkonstruktionPurismusder Mathematik............................................................................147 KodierparadigmaderSinnkonstruktionSelbstperfektio nierung....................................................................................149 KodierparadigmaderSinnkonstruktionAnwendungim Leben.......................................................................................160 KodierparadigmaderSinnkonstruktionKompetenzerle ben..........................................................................................172 KodierparadigmaderSinnkonstruktionZensuren..................173 KodierparadigmaderSinnkonstruktionAusgeglichenheit.....185 KodierparadigmaderSinnkonstruktionEmotionalaffek tiveBindungandieLehrperson...............................................186 KodierparadigmaderSinnkonstruktionSozialeEiŶgebun denheiterleben.......................................................................188
1 Einleitung AlsoimmernursofvonxgleichxhochzweidurchvieroderkeineAhnung,da... seheichüberhauptnichtdenSinndarin,warumsollenwirdaslernen.Ichmeine, ichmussesjatrotzdemlernen,aberesbringtmirhaltnichts.(Christine115)1
AufdieseWeiseäußertsichChristine,eineSchülerinder10.Klassenstufeeines norddeutschen Gymnasiums, über ihre Einstellung zum Lernen von Mathema tik.DieseundweiterePassagendesInterviewslassenerkennen,dassChristine nicht nachvollziehen kann, warum sie formalistische, innermathematische In halte lernen soll, die keinen Anwendungsbezug zum Leben haben. Sie vertritt die Ansicht, dass ihr diese nichts bringen würden. Da Mathematik jedoch als PflichtfachbiszumAbiturbelegtwerdenmuss,fügtsiesichinihrSchicksalund lerntweiterhinMathematik,diesiefürsinnloshält. ChristineistinihremMathematikunterrichtoffenkundigaufderSinnsuche. Diese ist klar fokussiert, da sie anscheinend bereits Situationen erlebt hat, in denenihrdieMathematiksinnvollerschienoderaberihrdasSinnangebotder Anwendungsmöglichkeitplausibelerscheint.DasseineAnwendbarkeitinihrem Leben jetzt oder später im Beruf mathematische Inhalte für sie mit Sinn füllt, formuliertsieanfolgenderStelle: Ja also der Sinn von Mathe ist ja eigentlich, dass ... ja dass man halt im Alltag da wasausrechnenkannoderauchfürArchitekturfindeichdasziemlichwichtig.Mein Vater […] der braucht auch täglich viel Mathe und wenn man halt so eine Firma zumLeiten,denkeichmal,brauchtmandasauchviel.Und...jaaberichfindees trotzdemso...soeinpaarSachen,ichverstehenicht,warumwirdielernenmüssen ...soPotenzgesetzeodersowas,daswerdenwirniewiederbrauchen.Unddasse heichhaltnichtein.(Christine107)
Fehlt diese Anwendbarkeit oder Nützlichkeit von Mathematik im Leben, emp findet Christine siealssinnlos,wendetsichemotionalvonderMathematikab undreagierttrotzig.DieseEinstellungzurMathematikhatAuswirkungenaufihr LernenvonMathematik.WennChristinedieInhaltealssinnlosempfindet,ent wickeltsieauchwenigAnsporn,sichmitihnenauseinanderzusetzen: 1
DieserNameist–ebensowiealleanderenPersonen,SchulundOrtsnamen–anonymisiert. LediglichDeutschlandundHongkongwurdenalsBezeichnungbeibehalten.Aufdiezugehöri gen Transkriptausschnitte kann im Onlinematerial zu diesem Buch auf http://www.vieweg teubner.dezugegriffenwerden. M. Vollstedt, Sinnkonstruktion und Mathematiklernen in Deutschland und Hongkong, DOI 10.1007/978-3-8348-9915-6_1, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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[…] ich finde das auch sinnlos so, weiß ich nicht, so Sachen wie binomische For meln,diewerdeichnieinmeinemLebenbrauchen,dasweißichjetztschon.Des halb...najalegeichdaauchwenigEhrgeizrein.(Christine104)
AusdiesenkurzenInterviewausschnittenwirddeutlich,wiewichtiggelingende Sinnkonstruktionen im Kontext schulischen Lernens für erfolgreiche Lernpro zesseseinkönnen. Die zitierten Abschnitte aus dem Gespräch mit Christine sollen als exem plarischesBeispielaufzeigen,dassSchülerinnenundSchülerimKontextschuli schenLernensaufderSuchenachSinnsind.SiebedürfensubjektivenSinns,um positive Gefühle mit dem Lernen in Zusammenhang zu bringen und um sich aktivundmitEiferindenLernprozesseinzubringen.StelltsichdasGefühlvon subjektivemSinnein,sostelltUlrichGebhardfest(2003,S.208209),dannist Lernenerfolgreichundnachhaltig. ÄhnlichwieChristinebeurteilenSchülerinnenundSchüler„dieSinnhaftig keit der von der Schule vermittelten Lerninhalte vornehmlich unter dem Ge sichtspunkt […], diese auf ihr gegenwärtiges und zukünftiges Leben […] bezie henzukönnen“,soWolfgangFichten(1993,S.2829).Dabeikommeinsbeson dere dem angestrebten Beruf eine Schlüsselrolle zu. Die Unterrichtsinhalte werdenhinsichtlichihrerVerwertbarkeitim(späteren)Lebeneingeschätztund beieinerDiskrepanzzwischenLebensbezugundUnterrichtsrealitätalssubjektiv bedeutungslosangesehen.DieUnterrichtsinhaltewerdenalsoalsnichtsinnvoll erlebt, wenn die Lernenden keinen subjektiv relevanten Bezug zu ihnen her stellenkönnen(vgl.auchFurtnerKallmünzer&Hurrelmann,1984).DasSinnde fizit, das die Schülerinnen und Schüler auf diese Weise im Unterricht erleben, führe dann u.U. zu verschiedenen Formen der Ablehnung von Schule etwa in Form von Unlust, Teilnahmslosigkeit und Disziplinproblemen (Fichten, 1993, S.2829). DieExistenzundNotwendigkeitvonSchulewirdzwar,soKlausHurrelmann (1983, S.34), von den Jugendlichen nicht grundsätzlich in Frage gestellt, sie fassendieSchulzeitjedochfolgendermaßenauf(Hurrelmann,1983,S.50): DieJugendlichenbetrachtendieSchulzeitimwesentlichenalseineunvermeidliche Durchgangsphase im Lebenslauf, die noch nicht zum 'eigentlichen' Leben dazuge hört,sondernVoraussetzungfürdenEintrittin'dasLeben'ist.EinesolcheDeutung dereigenenSituation,ineinerobjektivengesellschaftlichenKonstellation,dieden Statusübergang in den Beruf gefährdet, muß von sensiblen Jugendlichen zwangs läufigalsunzureichendundsubjektivunbefriedigendempfundenwerden.
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Dadurch,dassdieSchulzeitalssolchenochnichtalssinnhafterlebtwird,offen bart sich hier ein Sinndefizit, das viele Schülerinnen und Schüler mit Schule in Zusammenhangbringen(vgl.auchFurtnerKallmünzer&Hurrelmann,1984). UmsinnhaftesLernenzuermöglichen,müssendieErfahrungenundErleb nisse der Lernenden in den Unterricht integriert werden, so dass die Heran wachsendeneineMöglichkeithaben,dieLerngegenständemitsubjektivemSinn zu füllen. Meinert Meyer (2008, S.123) plädiert daher im Kontext der Bil dungsgangforschungfürdieBerücksichtigungvonSinnkonstruktionalswichtigs tesGütekriteriumfürdieUnterrichtsgestaltung.Bildungsgangforschunghatsich dabei zum Ziel gesetzt, Lern und Bildungsprozesse aus der Perspektive der Schülerinnen und Schüler zu erforschen und insbesondere ein Augenmerk auf dasSpannungsverhältniszwischengesellschaftlichinstitutionellenVorgabenauf dereinenSeiteundderenindividuellbiografischerAusgestaltungaufderande renSeitezulegen.DaSchulederwichtigsteOrtinstitutionalisierterBildungist, ist Bildungsgangforschung zunächst also LehrLernForschung bzw. Unter richtsforschung. Dabei ist die Frage zentral, in welcher Weise und unter wel chen Bedingungen Lernende biografisch bedeutsamen Sinn mit den Inhalten und Formen schulischen Unterrichts verbinden (Graduiertenkolleg Bil dungsgangforschung, 2004, S.8; Meyer, 2005). Der Biografie der Lernenden kommtalsoeinezentraleRollezu,soMeyer(2008,S.123): WeralsSchüleretwasalssinnvollempfindetoderdasGefühlhat,dassdas,wasder Lehrer von ihm verlangt, eigentlich sinnlos ist, argumentiert aus seiner biographi schen Situation heraus, im Blick auf seine wie auch immer antizipierte Zukunft. Sinnkonstruktion ist also die Herstellung von Bedeutung der Lerngegenstände in BezugzureigenenPerson.
SinnschlägtdabeieineBrückezwischendemIndividuumunddemLerngegen stand,indemdiesermitVorstellungen,Erfahrungen,EinstellungenundWerten verknüpftwirdundzugleichaufdieaußerunterrichtlicheebensowiedieaußer schulische Lebenswelt bezogen wird (Meyer, 2008, S.123). Eine besondere Position für die Konstruktion von Sinn nehmen die Entwicklungsaufgaben ein, die Barbara Schenk (2001, S.263) als „'Motor' des Lernens“ versteht. Sie kön nen charakterisiert werden als unhintergehbare, gesellschaftliche Anforderun gen an Menschen in ähnlichen biografischen Lebenssituationen und müssen individuell gedeutet und bearbeitet werden (Dreher & Dreher, 1985; Havig hurst,1972;Hericks&Spörlein,2001). Die Bearbeitung von Entwicklungsaufgaben auf der einen Seite und der bisherigeBildungsgangderSchülerinnenundSchülerbzw.ihre(Lern)Biografie auf der anderen Seite bilden die eine Achse, die – so fordert Meyer (2008,
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Abbildung1:
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Sinnkonstruktion,Kompetenzentwicklungund Identitätsbildung zwischen zwei Achsen der Unterrichtsgestaltung (nach Meyer, 2008,S.124).
S.124)–sowohlvonLehrendenalsauchvonLernendenbeiderUnterrichtsge staltungberücksichtigtwerdensollte(vgl.Abbildung1,S.4).DiezweiteAchse setztsichausAspektendesLehrensundderjeweiligenFachkultur(vgl.Gellert, 2007; Lüders, 2007) bzw. des Lernens unter den Bedingungen sozialer und interkulturellerPluralitätzusammen(vgl.Hu,2005;Schütte,Gogolin,&Kaiser, 2005).Meyerstelltfest,dass„[l]ernförderndeSinnkonstruktion[…]inderSchu le möglich [wird], wenn die vier Bedingungen oder Dimensionen 'positiv be setzt' sind“ (Meyer, 2008, S.124). Sinnhaftigkeit sei dabei „Ausdruck von und gleichzeitige Arbeit an Kompetenzentwicklung und Identitätsbildung“ (Meyer, 2008,S.123). Wieobenbereitsbeschrieben,sindSinnkonstruktionundEntwicklungsauf gaben zentrale Begriffe in der Bildungsgangforschung (vgl. auch Koller, 2008b undTrautmann,2004).MitVorlagedieserArbeitmöchteichweiterzurKlärung undAusdifferenzierungdesBegriffsderSinnkonstruktionbeitragenunddiesen insbesondereuntereinerkulturellenPerspektiveuntersuchen.Dabeifokussiere ich insbesondere die Perspektive der Schülerinnen und Schüler, deren Sinn konstruktionen ganz unterschiedlich im Vergleich zu denen der Lehrpersonen ausfallenkönnen(Meyer,2008,S.123).Handlungsleitendistgrundsätzlichfol gendeForschungsfrage:
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Forschungsfrage1:WelchenSinnsehenSchülerinnenundSchülerdarin,imschuli schenKontextMathematikzulernenbzw.sichmitmathematischenInhaltenzube schäftigen?
Zieldabeiistes,verschiedeneArtenvonSinnkonstruktionausderPerspektive derSchülerinnenundSchülerzuerarbeiten,diediesebeiderAuseinanderset zungmitMathematikvornehmen.Forschungsfrage1lässtsichalsokonkretisie ren: Forschungsfrage 1.1: Welche Sinnkonstruktionsarten lassen sich empirisch bei SchülerinnenundSchülernimKontextschulischenMathematiklernensrekonstruie ren? Forschungsfrage1.2:InwiefernlassensichdierekonstruiertenSinnkonstruktionsar tensystematisierenbzw.typologisieren?
Im Zuge derBeantwortungdieser Forschungsfragen ist es notwendig, ein Mo dellvonSinnkonstruktionzuerarbeiten,welchesfürdieempirischeErforschung von Sinnkonstruktion geeignet ist. Dabei spielen insbesondere notwendige VoraussetzungenundmöglicheAuswirkungenderSinnkonstruktioneinezentra le Rolle. Ein als relevant eingeschätzter Aspekt ist dabei der kulturelle Hinter grundderLernenden.DarausergibtsichmeinezweiteForschungsfrage: Forschungsfrage2:WelcheRollespieltderkulturelleHintergrundderSchülerinnen undSchülerfürdievonihnenvorgenommenenSinnkonstruktionen?
UmdieseForschungsfragebeantwortenzukönnen,bietetsicheineZweiländer studie in unterschiedlichen Kulturen an. Daher habe ich meine Studie in DeutschlandundHongkongalsBeispielländerfürdiewestlicheKulturEuropas unddiekonfuzianischgeprägteKulturOstasiensdurchgeführt.AufdieseWeise eröffnete sich die Möglichkeit, eine Außenperspektive auf das Lernen in Deutschlandeinzunehmen,sodassdiezweiteForschungsfragedurchdieKon trastierung der Ergebnisseaus beiden Ländern2 ebenfalls konkretisiertwerden kann: Forschungsfrage 2.1: Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten lassen sich hin sichtlichderindividuellenBedeutsamkeiteinzelnerSinnkonstruktionenfürSchüle rinnenundSchülerausDeutschlandundHongkongnachzeichnen?
2 Streng genommen ist Hongkong kein eigenes Land, sondern eine Sonderverwaltungszone derVolksrepublikChina.AusGründendereinfacherenFormulierungwerdeichweiterhinvon zweiLändernsprechen.
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Forschungsfrage 2.2: Inwiefern können Erklärungsansätze für diese Unterschiede und Gemeinsamkeiten gefunden werden, die auf den kulturellen Hintergrund der Lernendenzurückgreifen?
Wie gerade angedeutet ist es notwendig, für die Erforschung von Sinn konstruktion ein tragfähiges Konzept zu entwickeln, welches empirisch unter sucht werden kann. Ich habe daher im Kontext des Graduiertenkollegs Bil dungsgangforschungzusammenmitKatrinVorhölter(vgl.auchVorhölter,2009) einenVorschlagzurtheoretischenFassungvonSinnkonstruktionerarbeitet(vgl. auch Vollstedt & Vorhölter, 2008). Dieser wird in Kapitel2 (S. 9) ausführlich dargestellt.EshandeltsichdabeiumdieFassungdesKonzeptsnachAbschluss des Forschungsprozesses. Zu Beginn der Studie lag zunächst ein Entwurf vor, der sich auf theoretischen Annahmen gründete. Dieser wurde im Laufe der ForschungandenDatenüberprüftundweiterausgearbeitet.ZurDarlegungdes vonunserarbeitetenKonzeptsderSinnkonstruktionwerdenzunächstdieNot wendigkeitderThematisierungvonSinninderPädagogikunddieVielschichtig keit des Sinnbegriffs aufgezeigt. Daran schließt sich die Darstellung unseres Sinnverständnisses an. Anschließend werden verschiedene Eigenschaften von SinnkonstruktionbeschriebenunddertheoretischeRahmenwirdvorgestellt,in den Sinnkonstruktion eingebettet ist. Verschiedene Konzepte der Pädagogi schenPsychologieundderMathematikdidaktikspielenhiereinezentraleRolle für die persönlichen Merkmale des Individuums. Die Kultur, in der das Indivi duumaufgewachsenist,isteinesseinerHintergrundmerkmale. DasdritteKapitelderArbeit(S.67)wendetsichderAußenperspektivezu, diedurchdieForschunginHongkongeingenommenwerdenkonnte.Zunächst wirdeinEinblickindieMöglichkeitenderAußenperspektivegegeben,worauf hin ein Überblick über die kulturell geprägten Einstellungen zum Lernen und Lehren von Mathematik in der konfuzianisch geprägten Kultur gegeben wird. EinÜberblicküberdasSchulsysteminHongkongrundetdasdritteKapitelab. TeilBderArbeitlegtdanndieMethodologie,inderichmeineStudiever orte (Kapitel4, S.83), sowie die verwendeten Methoden der Datenerhebung (Kapitel5, S.99) und Auswertung (Kapitel6, S.109) dar und macht den For schungsprozess auf diese Weise nachvollziehbar. Ich habe mich entschieden, eine rekonstruktive Studie mit qualitativen Methoden durchzuführen, die spä ter um einen Exkurs in statistische Methoden bereichert wird (vgl. Ab schnitt6.5,S.121). In Teil C (S.127) werden im Anschluss die Ergebnisse der Studie präsen tiert. Zunächst wird die von mir entwickelte Typologie der Sinnkonstruktion hergeleitet (Kapitel7, S.127). In Kapitel8 (S.139) werden anschließend die
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entwickelten Typen mit den ihnen zugrunde liegenden Sinnkonstruktionsarten ausführlich vorgestellt. Die so gewonnenen Ergebnisse werden in Kapitel9 (S.235)auseinerkulturellenPerspektivereflektiert,sodassUnterschiedeund GemeinsamkeitenzwischenDeutschlandundHongkongherausgearbeitetwer denkönnen. DenAbschlussderArbeitbildetTeilD(S.257),indemerstinKapitel10(S. 257) die Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst werden, um dann anschlie ßendinKapitel11(S.261)kritischreflektiertzuwerden.DieArbeitwirdschließ lich mit einem Ausblick auf weitere Forschungsmöglichkeiten (Kapitel 12, S.271)geschlossen.
TeilA: TheoretischerHintergrund DerersteTeilmeinerArbeitsolleinenEinblickindentheoretischenHintergrund geben, der ihr zugrunde liegt. Dazu wird zunächst das Konzept der Sinn konstruktion entwickelt, welches eines der Schlüsselbegriffe in der Bil dungsgangforschungist(vgl.Meyer,2008,S.124bzw.Koller,2008b).DieKon zeptualisierung,dieichhierpräsentierenwerde(vgl.Kapitel2,S.9),habeichin ZusammenarbeitmitKatrinVorhölter(vgl.auchVorhölter,2009)entwickelt.Da die Theorie im Kontext des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Graduiertenkollegs Bildungsgangforschung an der Universität Hamburg entstanden ist, liegt ihr naturgemäß eine westliche Perspektive zu grunde. Kapitel3 (S.67) gibt anschließend einen Einblick in die Möglichkeiten einerStudie,dieinzweiKulturendurchgeführtwird.Außerdemwerdenkultu rell geprägte Einstellungen zum Lernen und Lehren von Mathematik in einer konfuzianischgeprägtenKulturaufgezeigt.
2 SinnundSinnkonstruktionimKontextschulischen Lernens Obgleich Sinn in der Erziehungswissenschaft als „ein grundlegendes Moment vonUnterrichtundErziehung“(Biller,1991,S.1)angesehenwerdenkann,spielt der Sinnbegriff in der erziehungswissenschaftlichen und fachdidaktischen Lite ratur bisher eine bestenfalls untergeordnete Rolle. Eine systematische Ausei nandersetzung mit dem Sinnkonzept fehlt bisher (Biller, 1991, S.16) und Stu dien,diesichexplizitmitSinninLehrLernKontextenbeschäftigen,sindrar.Als ein paar der wenigen Ausnahmen von Texten mit einer allgemein erziehungs wissenschaftlichen Perspektive, die Sinn und sinnvolles Lernen als zentralen Begriff diskutieren, sind beispielsweise Biller (1991), Combe und Gebhard (2007)sowieGebhard(2003)zunennen.InderMathematikdidaktikbeschäftigt sichu.a.SylviaJahnkeKlein(2001)mitsinnstiftendemMathematikunterricht. Leider findet oftmals keine tiefer gehende Auseinandersetzung mit dem Sinnbegriffstatt,sodassinvielenFällenunklarbleibt,welchesKonzeptmitdem Terminusgenauerbeschriebenwird.Esistanzunehmen,dassdieserMangelan einer expliziten Bestimmung des zugrunde liegende Sinnbegriffs in mehreren
M. Vollstedt, Sinnkonstruktion und Mathematiklernen in Deutschland und Hongkong, DOI 10.1007/978-3-8348-9915-6_2, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Faktoren begründet liegt. Auf der einenSeite mag ein als gegeben hingenom menes Alltagsverständnis von Sinn vorliegen, welches scheinbar nicht näher expliziertwerdenmuss.AufderanderenSeiteisteinedezidierteAuseinander setzungmitdemSinnbegriffaufgrunddessenVielschichtigkeitundVerwendung indenverschiedenstenFachundForschungsrichtungenaufwändigundschwie rig.AusdiesemGrundbeanspruchtauchderhiergegebeneEinblickkeineVoll ständigkeit. Vielmehr besteht das Ziel darin, durch aussagekräftige Beispiele einenÜberblickzugeben. Um das hier zugrunde liegende Verständnis von Sinn möglichst explizit werden zu lassen,beginntdiese Arbeit mit einem ausführlichen Theorieteil zu Sinn und Sinnkonstruktion. Zunächst wird das Sinnkonzept, auf dem diese Ar beitbasiert,entwickeltundeineexpliziteCharakterisierungdeshierverwende ten Sinnbegriffs geliefert (vgl. Abschnitte2.1 bis 2.5, S.10 ff.). Ausgehend von einerArgumentationfürdieBerücksichtigungdesSinnbegriffsinderPädagogik allgemeinbzw.speziellin(schulischen)LehrLernKontexten(vgl.Abschnitt2.1, S.10),solldasdarananschließendeTeilkapitelverschiedeneArtenundDimen sionen von Sinn vorstellen (vgl. Abschnitt2.2, S. 20). Dieser Einstieg bildet die Grundlage für die Entwicklung des hier entworfenen Sinnkonzepts (vgl. Ab schnitt2.3,S.23).DiebesondereSchwierigkeitdabeiist,dassdasKonzeptzum einen eine Vielschichtigkeit von Bedeutungen und Verständnissen umfassen soll,zumanderenaberauchfürdiepraktischeErforschunghandhabbarbleiben muss.DerzugrundeliegendeSinnbegriffwirdnachfolgendineinenhermeneu tisch geprägten erziehungswissenschaftlichen Theorierahmen eingebettet und vonanderen,ihmnahestehendenBegriffenabgegrenztbzw.mitdieseninBe ziehunggesetzt. Dann wird die ArtderEntstehung vonSinn ausführlich disku tiert (vgl. Abschnitt2.4, S.40). Im Anschluss an die Darlegung verschiedener Eigenschaften von Sinnkonstruktion (vgl. Abschnitt2.5, S.43) wird schließlich der theoretische Rahmen der Sinnkonstruktion vorgestellt, in dem der Begriff derSinnkonstruktionzuverschiedenenBegriffenundKonzeptenausderpäda gogischpsychologischen sowie der mathematikdidaktischen Forschung in Be ziehung gesetzt wird (vgl. Abschnitt2.6, S.48). Eine auf diese Weise explizit gemachte Bestimmung des Sinnverständnisses soll die spätere Rekonstruktion verschiedenerTypenvonSinnkonstruktionennachvollziehbarmachen. 2.1 DieThematisierungvonSinninderPädagogik Ein zentrales Werk zu sinntheoretischen Grundlagen der Pädagogik hat Karl heinzBiller(1991)vorgelegt.ErbeginntseineAusführungenmiteinerArgumen
2.1DieThematisierungvonSinninderPädagogik
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tationfürdieThematisierungvonSinninderPädagogik.Diesebestehtausdrei Argumenten, die im Folgenden kurz dargestellt werden sollen (vgl. auch Voll stedt&Vorhölter,2008,S.2627). Das erste von Biller (1991, S.1012) angeführte Argument ist ein zeitge schichtliches und bezieht sich auf die Suche nach einer Antwort auf die Sinn frage. Biller zufolge besteht „in unserer Zeit neben einer Fülle an Sinmöglichkeiten [sic!] ein nicht zu übersehendes Maß an SinnDefizit“ (Biller, 1991, S.12; vgl. auch Frankl, 1978b, S.27). Andreas Lange und Peggy SzymenderskibeschreibenmiteinersoziologischenArgumentation,dassdieser Sinnverlust das „Hervortreten gesellschaftlicher Komplexität“ (2005, S.52) kennzeichne.EinerseitsseienmehrSinnangebotevorhanden,wodurcheingrö ßerer Handlungsspielraum eröffnet werde, andererseits jedoch liegen durch sozialeUngleichheitendifferierendeChancenvor,aufdieseSinnangebotezuzu greifen. Biller (1991, S.12) bezieht das existierende Sinndefizit über ein allge meineressoziologischesVerständnishinausvorallemaufdenBereichvonUn terrichtundErziehung.DerSinnvonSchuleundUnterrichtwerdeoftmalsvon denLernendennichterkannt,sodassvielejungeMenschenaufihreSinnfrage keinesieüberzeugendeAntwortfänden.DiesesSinndefizitkönnedamitauchin einer„LegitimationskrisederSchule“(Fichten,1993,S.29)münden. AuchKlausHurrelmann(1983)beschreibtdieseSuchenachdemSinnschu lischer Anforderungen. Schülerinnen und Schüler wollen sich selbst durch das VerstehenundBegreifendereigenenPersonunddurchdiesieumgebeneWelt weiterentwickeln.DaherwerdevondenLernendensowohldieFragenachder unmittelbarensowiederspäterenRelevanzderinderSchulegelerntenInhalte fürdaseigeneLebenthematisiert.DaderBezugcurricularvorgegebenerUnter richtsinhalte zur alltäglichen Lebenswelt oftmals künstlich und verkrampft er scheine,akzeptierenvielelediglicheineVorbereitungaufdasspätereLebenals gültigenSinnvonSchule(vgl.Hurrelmann,1983,S.49,vgl.auchFichten,1993, S.2830).DieSchulzeitwerdedamitjedochalseine„belastendeundsubjektiv alssolchenichtsinnvolldefinierteZeit“(Hurrelmann,1983,S.36)wahrgenom men.Sieverkommevielmehrzueiner„unvermeidliche[n]Durchgangsphaseim Lebenslauf, die noch nicht zum 'eigentlichen' Leben dazugehört, sondern Vo raussetzungfürdenEintrittin'dasLeben'ist“(Hurrelmann,1983,S.50).Dasich die Suche nach einem persönlichen Sinn schwierig gestalte, komme der Päda gogik daher, so Biller (1991, S.1012), die Aufgabe zu, die Schülerinnen und SchülerbeiderSuchenachSinnzuunterstützen,umdasbeschriebeneSinndefi zitzuüberwinden.
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Das zweite Argument, welches Biller (1991, S.1216) für die Thematisie rungvonSinninderPädagogikanführt,istanthropologischerNaturundstützt sichaufdasVerständnisdesMenschenals„sinnfähigesundsinnstrebigesWe sen“ (Biller, 1991, S.12). Sinnfähig sei der Mensch insofern, als dass er zur Selbsttranszendenz und zur Selbstdistanzierung fähig sei. Selbsttranszendenz kennzeichnet dabei, dass das „Menschsein über sich selbst hinaus auf etwas verweist,dasnichtwiederesselbstist“(Frankl,1978b,S.16).DerMenschkön ne also nicht existieren, ohne sich mit Elementen der ihn umgebenden Welt auseinanderzusetzen. Der Begriff der Selbstdistanzierung beschreibt hingegen denUmstand,dassesdemMenschen–imGegensatzzuTieren–möglichsei, seinenTriebwünschenzuopponieren(vgl.Biller,1991,S.14).Aufderanderen Seite zeige sich die Sinnstrebigkeit des Menschen in seinem Willen zum Sinn (vgl.Frankl,1978b).DiesermanifestieresichgeradeineinemAspektderSelbst transzendenz, nämlich darin, dass der Mensch „über sich hinaus nach einem Sinnlangt,denzuerfüllen–undzunächstüberhaupterstmalzuentdecken–es gilt“ (Frankl, 1978b, S.17). Der Begriff des Willen zum Sinn umfasse also das Bedürfnis eines Menschen, jeder Lebenssituation einen Sinn zu unterlegen (Frankl,1978a,S.239240).DieSinnfähigkeitundSinnstrebigkeitdesMenschen sindalsoGrundvoraussetzungendafür,dassSinnerfülltwerdenkann;undesist gerade „die Sinnerfüllung […], die den Menschen zu seinem Menschsein ver hilft“(Biller,1991,S.13).DerMenschverließedadurch,soBiller(1991,S.13), diepsychophysischorganismischeEbene,dieermitanderenLebewesenteile, undgelangedurchdiesenSprungaufeinequalitativhöhereDimension,dieder geistigpersonalenExistenz.AuchUlrichGebhardcharakterisiertunterRückgriff aufHansBlumenberg(1999,S.10)dasmenschlicheSinnverlangenandieReali tät,alsodasBedürfnis,die„Weltalsbedeutungsvollundsinnhaftzuinterpretie renbzw.dieszuwollenodergeradezuzumüssen“alsein„spezifischmenschli chesBedürfnis“(Gebhard,2003,S.209;vgl.auchCombe&Gebhard,2007,S.7 19). DiesesSinnverlangen ist damitauch eine wesentliche Lernmotivation und Grundlage für eine stete Anstrengung, Sinn zu konstituieren und das eigene Leben sinnvoll zu führen (Gebhard, 2003, S.208211). Folglich müsse die Be rücksichtigung dieses Wesenszugs von Sinnfähigkeit und Sinnstrebigkeit der Heranwachsenden auch grundlegend für pädagogischdidaktische Überlegun gensein(Gebhard,2003,S.207).SeineBerücksichtigungermöglichedanneine ErziehungzurLebensbewältigung(Biller,1991,S.1216). Das letzte, wissenschaftstheoretische Argument, welches Biller (1991, S.1619)anführt,ist,dassdiePädagogikals„sinnverstehendeDisziplin“(Biller, 1991,S.17)aufgefasstwerdenkönne.SinnseivonAnfanganeinzentralerIn
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halt,überdenindergeisteswissenschaftlichenPädagogikreflektiertwerde,was sich etwa im Bestreben widerspiegele, Jugendliche in ihrer Sinnhaftigkeit ver stehenzuwollen(vgl.auchAbschnitt2.1.1,S.13).Darüberhinausnehmeder Sinnbegriff eine zentrale Position verschiedener namhafter Pädagogen und Pädagoginnenein,beispielsweiseindenTheorienvonDilthey,Schleiermacher und Nohl (vgl. Biller, 1991, S.1619). Grundsätzlich sei Erziehung also auf das Subjektbezogen,welchesseinLebensinnerfülltverbringensolle.Billerkommt zudemSchluss,dassdieErziehungwesentlichzurSinnvermittlungbeiträgtund 'Sinn'erzieherischesGeschehenrechtfertigt(Biller,1991,S.19).DiePädagogik müsseSinndaherimmerberücksichtigen. EineThematisierungvonSinnistbesondersdannnotwendig,wenndasZiel verfolgt wird, dass Lernende ihre Schulzeit als eine sinnvolle Periode erleben unddiesenichtlediglich,wievonHurrelmann(1983)gezeigt,alseinZwischen stadium vor Beginn des eigentlichen Lebens wahrnehmen. Dementsprechend isteserforderlich,dieRelevanzderUnterrichtsinhalteundvonSchuleallgemein fürdieLernendenpersönlicherfahrbarzumachen.DiesesAnliegenwirdauchin der Bildungsgangforschung vertreten, in deren Theorie der Begriff der Sinn konstruktioneineSchlüsselpositioneinnimmt(vgl.Koller,2008b).Diefolgenden TeilkapitelbeschreibendaherzunächstdieRollevonSinnfürschulischesLernen allgemein bzw. genauer im Kontext von schulischem Mathematiklernen (vgl. Abschnitte2.1.1und2.1.2,S.13bzw.15). 2.1.1 SinnundschulischesLernen Die gerade angeführten Argumente für eine Thematisierung von Sinn in der Pädagogik legen die Grundlage für die Berücksichtigung von Sinn im Kontext schulischen Lernens. Obwohl die Forderung nach sinnverständigem Lernen zunächstselbstverständlicherscheine,soSybilleSchütte(1994,S.124),gelinge esdochoftmalsinderschulischenPraxisnicht,sieauchumzusetzen.Diesliege an der Diskrepanz zwischen einem von den Lernenden nachvollziehbaren „Handlungssinn“imGegensatzzudemvonderLehrpersonintendierten„didak tischen Sinn“ (Schütte, 1994, S.124, Hervorhebung im Original). Schülerinnen undSchülervermissendaheroftmalsdenBezugderimUnterrichtbehandelten Inhalte zu sich selbst und zu möglichen Anwendungen (Hurrelmann, 1983, S.44), so dass sie keine persönliche Bindung zu den Gegenständen herstellen können.Sielernenalso„inderSchuleundfürdieSchule“(BundLänderKom mission für Bildungsplanung und Forschungsförderung, 1997, S.8). Da Schule als solche leider keine Auskunftüber ihren Sinngibt(Jahnke, 2004, S.6), wird
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ein subjektiver Sinn folglich von vielen Schülerinnen und Schülern vermisst, obgleich diese nicht grundsätzlich die Existenz und Legitimität von Schule in Fragestellen(Hurrelmann,1983,S.34). AndererseitsverlaufenlautGebhard(2003,S.208)schulischeLernprozesse gerade dann erfolgreich, wenn dabei das Gefühl von subjektivem Sinn erlebt wird. Das Erkennen solch einer persönlich relevanten Bindung an den Lernge genstandistdemnachnotwendig,damitdasWissen,welcheserlerntwird,nicht „trägesWissen“bleibt,sondernsich„sinnvollundsinnstiftendmitdereigenen Biografie verbindet“(Gebhard, 2003,S.210). Diese Form von Lernen, die eine solche Beziehung „zwischen dem anzueignenden Fremden und der eigenen Person“herstellt,kanndannals„sinnvollesLernen“aufgefasstwerden(Gradu iertenkollegBildungsgangforschung,August2004,Abschnitt3.4.2(2),Graduier tenkollegBildungsgangforschung,2005,S.24). Ähnlich wie die Vermittlung zwischen anzueignendem Fremden und dem Subjekt verfolgen Barbara Born und Ulrich Gebhard (2005, S.258259) eine VermittlungzwischenSubjektundObjektalsbildungsgangdidaktischePerspek tive.SieunterscheidendabeiunterRückbezugaufErnstBoesch(1980)zwischen Subjektivierung,alsoden„symbolischenBedeutungenderDinge,dieinsubjek tiven Vorstellungen, Phantasien und Konnotationen zum Ausdruck kommen“, und Objektivierung verstanden als „die 'objektive', systematisierte Wahrneh mung, Beschreibung und Erklärung der Realität“ (Born &Gebhard, 2005, S.258). Subjektivierung und Objektivierung stellen dabei gleichzeitige bzw. komplementäreZugängezudenObjektenderWeltdar,inderenVerschränkung Sinnerkanntwerdenkann(2005,S.259).EinesolcheVerbindungzwischendem zulernendenfremdenGegenstandunddemeigenenSubjektbietetsomiteine Möglichkeit,dassLernendeihreLernprozessealssinnvollinterpretieren.Diese Verbindung entsteht insbesondere dann, wenn die explizite Reflexion alltägli cher oder auch subjektivierender Zugänge zum Lerngegenstand nicht nur ge duldet wird, sondern Teil des Unterrichts ist (Born & Gebhard, 2005, S.256). Dadurch wächst die Zahl der potentiellen Anknüpfungspunkte zu bereits vor handenemWissen,sodassdasLernenwahrscheinlichalssinnvollwahrgenom menwird(Hennings&Mielke,2005,S.249251).EinesolchpositiveWahrneh mungvonUnterrichtundschulischemLernenisteineguteVoraussetzungdafür, dassLernenauchgelingt.ThomasJahnke(2004,S.6)formuliertdiesüberspitzt folgendermaßen: Schülerinnen und Schüler können nur lernen, wenn sie letztlich innerlich – sicher nicht in jedem Moment – auch lernen wollen und im Prinzip den Unterricht als
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sinnhaftwahrnehmenundihnnichtnurmehroderminderwiderwillighinnehmen oderalssozialeVeranstaltungbetrachten.
Als sinnhaft wahrgenommener Unterricht sei also eine Voraussetzung dafür, dass Schülerinnen und Schüler die Zeit, die sie in der Schule verbringen, als „subjektivsinnstiftendenErfahrungsraum“(Hurrelmann,1983,S.30,Hervorhe bungimOriginal)wahrnehmenundnichtalseine„alssolchenichtsinnvolldefi nierteZeit,dieimLebenslaufnotwendigerweiseüberbrücktwerdenmuß,umin einendannalssinnstiftendanerkanntenLebensabschnitteinrückenzukönnen“ (Hurrelmann, 1983, S.36, Hervorhebung im Original). Gerade weil die Schule einensehrbeträchtlichenAnteilderLebenszeitderJugendlicheneinnimmt,sei Schule dazu verpflichtet, dem „Auftrag, Lernen in sinnstiftenden Kontexten zu arrangieren“ (BundLänderKommission für Bildungsplanung und Forschungs förderung,1997,S.8)nachzukommen. 2.1.2 SinnimKontextschulischenMathematiklernens Nachdemgrundlegendfestgestelltwurde,dassdieThematisierungvonSinnim KontextschulischenLehrensundLernensaufgrundtheoretischerKonzeptionen alsförderlichangesehenwerdenkann,wendenwirunskonkretdemMathema tikunterricht zu. Stella Baruk (1989, S.218) erhebt für diesen einen schweren Vorwurf: DerMathematikunterrichtkümmertsichnichtumdenSinn,weilernichtweiß,wo derSinnstecktundwovonmanausgehenmuß,wennmanihnherausarbeitenwill; weilernichtweiß,daßDenkeninMathematikzunächstbedeutet,diesemDenken im gewöhnlichen Denken einen Ausdruck zu verschaffen; weil er nicht weiß, daß das Denken die Sprache konstituiert und von ihr konstituiert wird, und daß die Sprache selbst aus zwei Sprachen besteht, der Muttersprache und der Hochspra che.
BarukwirftdemMathematikunterrichtalsoaufdereinenSeitezwareineForm von Ignoranz dem Sinn gegenüber vor, beschreibt auf der anderen Seite aber auchdieHilflosigkeit,dererausgesetztist.Wennnichteinmalklarsei,woder Sinnstecke,geschweigedenn,wiemansichihmnähernkönne,bestehekaum Hoffnung auf die Änderung dieses Zustandes. Inwiefern sich dadurch eine Art von Sinnlosigkeit im Mathematikunterricht etabliert, zeigt Baruk anhand einer Studie, in der Grundschulkindern die mittlerweile legendär gewordene Kapi tänsfrage gestellt wird: „Auf einem Schiff befinden sich 26 Schafe und 10 Zie gen. Wie alt ist der Kapitän?“ 76 der befragten 97 Kinder rechneten mit den gegebenen Zahlen, und nannten das Ergebnis ihrer Rechnung als Antwort auf
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die Frage (vgl. auch IREM, 1980). Daraus lässt sich schließen, so Rudolf Wille (1996, S.42),dass „der Mathematikunterricht bei vielen Menschen die Erwar tungverstellt,MathematikhabeetwasmitihreneigenenLebensundSinnvor stellungen zu tun“. Mathematik und folglich auch der Mathematikunterricht scheinenlosgelöstvom sonstigenLebenzusein,sodasseineVerbindungzwi schen Mathematik und dem eigenen Leben (oder gar eine Sinnhaftigkeit der Mathematik)nichtohneweiteresangenommenwird.HansFreudenthal(1982) hingegen interpretiert die Ergebnisse der IREMStudie anders als Baruk und Wille, indem er den Kindern einen magischen Kontext zugesteht. In diesem imaginärenPhantasiekontextwerdenAngaben,dieinderrealenWeltinkeiner bedeutungsvollen Beziehung zueinander standen, arbitrarisiert, so dass die Zahlen neu miteinander verbunden werden können. Auf diese Weise werden scheinbarabsurdeAufgabeninauthentischeProblemeumgewandelt,diegelöst werden können. Uwe Gellert und Eva Jablonka (2009) stellen daher fest, dass Sinn oder “sense making“ eine vage Kategorie ist, um die Schwierigkeiten der Lernendenzuinterpretieren. Besonders durch den strengen und formalen Aufbau der Fachinhalte scheint der Mathematikunterricht also prädestiniert für Kritik bzgl. (scheinba rer)Sinnlosigkeitzusein.DiesmagbesondersdannderFallsein,wennetwaauf eine Anbindung an die Realität im Unterricht verzichtet wird. Nach Werner Blum (1996, S.22) erleben Schülerinnen und Schüler „Mathematik ja oft als mechanisches Manipulieren mit bedeutungsleeren Symbolen, mitunter künst lich erschwert durch ebenso bedeutungslose Textaufgaben“ (vgl. auch Kaiser Meßmer,1986).ImbestenFallerwerbensiedabeilediglichDispositionswissen, alsoWissen,dasprimärinderartifiziellenSituationdesMathematikunterrichts zurVerfügungsteht,jedochnurschweraufeinedarüberhinausgehendeSitua tion übertragen werden kann. Blum benennt infolgedessen Anwendungen als „eine Möglichkeit, dem Lehren und Lernen von Mathematik mehr Sinn zu ge ben“(Blum,1996,S.22,HervorhebungenimOriginal).KatrinVorhölter(2009) konnte in ihrer Studie zur Rolle von Modellierungsaufgaben für die Sinn konstruktionzeigen,dassdieThematisierungvonAnwendungsbezügenimMa thematikunterricht ein tragfähiges Sinnangebot für Lernende darstellt. Model lierungsaufgaben enthalten vielfältige Elemente, die Sinnkonstruktionen anre gen. Diese können durch die Bearbeitung dieser Aufgaben realisiert werden. Einen zentralen Stellenwert nimmt dabei, so Vorhölter, die Mathematik als HilfsmittelzumLebenein. Betrachtet man nun verschiedene Ansätze, die sich mit Sinn im Kontext schulischen Mathematiklernens beschäftigen, treten unterschiedliche Ver
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ständnisse des Sinnbegriffs zutage. Diese werden von der jeweiligen Perspek tive, aus der die Mathematik betrachtet wird, geprägt. Ein mathematisches KonzeptXkannbeispielsweiseeinenSinninderWeltdermathematischenKon zepte haben, indem es eine bestimmte Position im Geflecht mathematischer PhänomeneeinnimmtundineinNetzausanderenKonzepteneingebettetist. Dieser Sinn wird etwa von Mathematikern und Mathematikerinnen geschätzt. AufähnlicheWeisehatdiesesKonzeptSinnalsTeildesSchulcurriculums.Eine Lehrkraft kann jenem Konzept eine bestimmte Rolle in Bezug zur Wirklichkeit zusprechenunddarindessenSinnsehen.SchülerinnenundSchülerschließlich könnendiesemKonzepttrotzdemjeglichenSinnabsprechenundesfürunsinnig odergarsinnloserklären(vgl.Kilpatrick,Hoyles&Skovsmose,2005a,2005b).In dieser Aufzählung – ebenso wie in der mathematikdidaktischen Forschung – werden unterschiedliche Verständnisse des Sinnbegriffs, nämlich philosophi scheundnichtphilosophische,vermischt(Kilpatricketal.,2005a,S.2).Entspre chendistauchdieBehandlungvonSinnimKontextschulischenMathematikler nensvonDiversitätgeprägt. JeremyKilpatrick,CeliaHoylesundOleSkovsmose(2005b,S.1215)unter scheidendiefolgendenfünfRollen,alsoSinnarten,einesmathematischenKon zeptsX: 1. 2. 3. 4. 5.
Meaning3ofXascontenttobetaughtandasacontentofreference MeaningofXwithinasphereofpractice MeaningofXinthemathematicsclassroom MeaningofXfromthechild's(youngerperson's)andthestudent'spointof view MeaningofXfromthepointofviewoftheteacher
DererstePunktverdeutlichtzweiverschiedeneAspekte,nämlichaufdereinen Seite den Sinn des mathematischen KonzeptsX als zu unterrichtender Inhalt (contenttobetaught),undaufderanderenSeiteXalsBezugsinhalt(contentof reference). Bezugsinhalt meint dabei den Bezug oder die (persönliche) Bedeu tung, die X für die verschiedenen Personen und Institutionen inne hat, die in den Prozess der Auswahl curricularer Inhalte involviert sind. Der zu unterrich tende Inhalt beschreibt somit das Ergebnis einer didaktischen Aufbereitung einessogegebenenmathematischenInhalts,welchesimMathematikunterricht 3
ImenglischenSprachraumwirddieDiskussionumSinnimKontextschulischenLernensunter demBegriffmeaninggeführt.DieserumfasstdiebeidendeutschenBegriffeSinnundBedeu tung.ZueinerAbgrenzungdieserbeidenBegriffeimRahmendieserArbeitvgl.Abschnitt2.3.3 (S.36).
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behandeltwird.DieserBegriffcharakterisiertalsoeinTeilstückmathematischen Wissens, mathematischen Denkens oder einer mathematischen Fähigkeit (Kil patricketal.,2005b,S.13). Mathematik spielt eine Rolle in unterschiedlichen Bereichen mathemati scherPraxis(spheresofpractice,siehePunkt2),alsoSituationenoderKontex ten,indenenMathematikgebrauchtwird.DiereineMathematikisteinsolcher BereichebensowiederMathematikunterrichtoderdasEinkaufenalseineAn wendungsmöglichkeitmathematischerTätigkeitenimAlltag.DerSinnbzw.die Bedeutung von mathematischen Konzepten ändert sich je nachdem, in wel chem Bereich die Mathematik gebraucht wird, wie im einleitenden Abschnitt bereitsangedeutetwurde(Kilpatricketal.,2005b,S.13). DerSinndesmathematischenKonzeptsXimKlassenzimmer(Punkt3)wird durch komplexe Interaktionen zwischen Lehrperson und Lernenden mit Bezug zu einem mathematischen Inhalt ausgehandelt. Dabei spielen unter anderem auf der einen Seite das (mathematische) Vorwissen und die Intentionen der SchülerinnenundSchülersowieaufderanderenSeitedieverschiedenenKom ponenten des Professionswissens der Lehrperson eine Rolle (Bromme, 1997; Shulman,1986).DasKlassenzimmeristalsoderOrt,andeminderInteraktion dieverschiedenen,manchmalgarkonträrenSinnangeboteundartenderLehr kraftundderLernendenmiteinanderinKontakttreten(Kilpatricketal.,2005b, S.1314). DieviertePerspektivenimmtdieSichtweisederSchülerinnenundSchüler inihrenverschiedenenAltersstufenein.DerSinn,densiedemmathematischen KonzeptXzuschreiben,wirdbeeinflusstvonihremVorwissen,welchessowohl aus schulischen wie auch außerschulischen Kontexten gewonnen wurde. Das Zusammenspiel ihrer Auffassung von den Erwartungen seitens der Lehrperson zusammenmitihrenAnnahmenüberdieZieleunddenZweckvonSchulesowie ihren Alltagserlebnissen mündet oftmals in einer Sinnkonstruktion, die weit entferntistvonderintendiertenSinnkonstruktionderLehrperson.Selbstwenn Schülerinnen und Schüler einen Sinn mit dem mathematischen KonzeptX ver binden,gehtdamitnichtautomatischeinher,dasssiedasKonzeptselbstauch alssinnvollfürsichundihrLebenempfinden(Kilpatricketal.,2005b,S.14). Die letzte von Kilpatrick, Hoyles und Skovsmose genannte Sinnart ist die desmathematischenKonzeptsXausderPerspektivederLehrperson,welchein gewisserWeisedasGegenstückzurPerspektivederLernenden,wieimletzten Punktbeschrieben,darstellt.DiePerspektivederLehrendendarfdabeijedoch nicht reduziert werden auf einen Sinn von Mathematik als zu unterrichtender Inhalt (vgl. Punkt 1). Die erste und zweite Perspektive sollten hingegen mitei
2.1DieThematisierungvonSinninderPädagogik
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nanderverknüpftwerden.DerSinnvonMathematikausderSichtderLehrerin nen und Lehrer geht also über ihr Verstehen von und ihre Kompetenz in Ma thematikhinausundumfasstauchdenPlatzundWertvonMathematikinAb hängigkeit vom sozialen Status sowie vom Verständnis ihrer professionellen Rolle(Kilpatricketal.,2005b,S.14). Die hier beschriebenen Arten von Sinn beschreiben, so Kilpatrick, Hoyles und Skovsmose, verschiedene Bedeutungen oder Verständnisse von Sinn, so dassauchunterschiedlichemethodologischeAnsätzeundtheoretischeRahmen notwendigseien,umsiezuerforschen.VerschiedenetheoretischeAnsätzeund Sinnverständnisse liegen ihnen daher zugrunde: psychologische, soziale, anth ropologische, mathematische, epistemologische und didaktische. Diese unter schiedlichen Herangehensweisen und Verständnisse von Sinn dürfen jedoch nichtisoliertvoneinanderbetrachtetwerden,dageradeihrZusammenspielden CharakterdesSinnseinesmathematischenKonzeptsausmache(Kilpatricketal., 2005b,S.1415): […]allthesedimensionsmustnotbeseenasisolated,onefromtheother.Infact theyconstituteasystemofmeaningswhoseinteractionsshapewhatmaybeseen asthemeaningofamathematicalconcept.(Kilpatricketal.,2005b,S.15)
Kilpatrick,HoylesundSkovsmoseverstehen“themeaning“hieralsSammelbe griff, der alle zuvor genannten Sinnarten umschließt, und nicht notwendiger weisealsdenSinneinesmathematischenKonzepts. Die bisher dargestellten Rollen von Sinn nach Kilpatrick, Hoyles und Skovsmose(2005b,S.1215)beziehensichalleaufdenSinneinesmathemati schenKonzeptsX.Skovsmose(2005b,S.86)beschreibtdieseArtSinn,diesich rein auf den Lerngegenstand (also das mathematische Konzept) bezieht, mit demBegriffconceptism,undumfasstdamitfolgendeFragen: Whatsortofmeaningcanbeassociatedwithcertainmathematicalconcepts?What isthemeaningofaparticularconcepttothestudents?Whatsortofmeaningcan be associated with this concept from a mathematical point of view? What is the meaningfromtheperspectiveoftheteacher?Whatisthesharedmeaningofthis concept[…]?Theprioritiesincorporatedinthesequestionsmakeupaparadigmin the sense that they establish preferences about the object of research in mathe matics education. This paradigm I label conceptism because the meaning of con cepts gets first priority when meaning in mathematics education is discussed. (Skovsmose,2005b,S.86)
Durch die Wahl des Begriffs conceptism wie auch die Bereiche, die damit um schriebenwerden,betontSkovsmose(2005b,S.86),dassderSchwerpunktder
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2SinnundSinnkonstruktionimKontextschulischenLernens
bisherigen Forschung primär auf dem mathematischen Objekt und nicht auf dem Subjekt, also der Schülerin bzw. dem Schüler liegt. Skovsmose selbst un ternimmt in seiner Forschung im Gegensatz zum conceptism jedoch eine Hin wendungaufdasIndividuumunddessenPerspektiveaufdenLernprozessund seineindividuelleAuseinandersetzungmit(mathematischen)Inhalten(vgl.Alrø, Skovsmose & Valero, 2007; Skovsmose, 1994, 2005a, 2005b; vgl. auch Lange, 2007).Folglichistzuuntersuchen,welchenSinnSchülerinnenundSchülernun tatsächlich mit Mathematik bzw. mathematischen Inhalten, mit denen sie im schulischen Unterricht konfrontiert werden, verbinden (vgl. auch Goodchild, 2001). DieVielfalt, die sichallein in dieserPerspektive bietet,beschreibenKil patrick,HoylesundSkovsmose(2005b,S.9)folgendermaßen: Somestudentsfinditpointlesstodotheirmathematicshomework;someliketodo trigonometry, or enjoy discussions about mathematics in their classrooms; some students'familiesthinkthatmathematicsisuselessoutsideschool;otherstudents aretoldthatbecauseoftheirweaknessinmathematicstheycannotjointheaca demicstream.Alltheseraisequestionsofmeaninginmathematicseducation.
Auch hier wird deutlich, wie facettenreich der Sinnbegriff ist, und für welch unterschiedliche Phänomene und Herangehensweisen er gebraucht wird. Kil patrick,HoylesundSkovsmosebeziehensichetwaaufdeneingeschätztenWert vonHausaufgabenoderaufdieEinstellungzufachlichenInhaltenbzw.dasErle benvonsozialenProzessenimUnterricht.AuchwirddieRolledespersönlichen Kontextes (Familie, Rat gebende Personen), in dem sich die Schülerinnen und Schülerbefinden,thematisiert. Offenbar werden auch hier wieder verschiedene Verständnisse von Sinn bzw.meaningmiteinandervermischt.DerfolgendeAbschnittuntersuchtdaher zunächst von einer allgemeineren Perspektive ausgehend, welche verschiede nenVerständnisse von Sinnes in der Alltagssprachegibt, bevordasdieser Ar beitzugrundeliegendeVerständniserarbeitetwird. 2.2 VerschiedeneDimensionenvonSinn WasgenauverstehenwiralsounterdemBegriffSinn,wennwirvonderSuche nachSinnimschulischenKontextbzw.LernenalsSinnsuchesprechen?Etymo logisch betrachtet leitet sich das Nomen Sinn vom germanischen Verb sinban ab, welches, ähnlich wie im Gotischen, gehen bedeutet. Im Althochdeutschen findensprachhistorischdanneinebegrifflicheErweiterungaufreisenundstre ben sowie die Entstehung der metaphorischen Bedeutung einer seelischen Bewegung statt. Es entwickelt sich hieraus die neuhochdeutsche Form sinnen,
2.2VerschiedeneDimensionenvonSinn
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alsoeineSachegedanklichodergeistigverfolgen(vgl.Combe&Gebhard,2007, S.12). Im „Grimmschen Wörterbuch der Deutschen Sprache“ werden schließ lich24NuancendesSinnbegriffsaufgeführt(vgl.Biller,1991,S.2). DieEtymologiedesBegriffsschlägtsichauchentsprechendvielfältigimall tagssprachlichen Gebrauch von Sinn nieder. Unter der Perspektive der Bil dungsgangforschungordnetHansChristophKoller(2008a,S.1517)daherver schiedeneAspektedesSinnbegriffsunterRückgriffaufdenBrockhaus(1998)in vierDimensionen: 1. 2. 3. 4.
FähigkeitzurWahrnehmungbestimmterReizeoderInhalte BedeutungvonWortenundSätzen,EreignissenundZeichen Zweck,EndabsichtoderZielmenschlichenHandelnsbzw.derenObjektiva tionen BedeutungoderGehalteinerSacheoderHandlungfüreinenMenschenin einerbestimmtenSituation
DievierDimensionenvonSinnschließensich,soKoller(2008a,S.15),je weils bestimmten Theorietraditionen an. Die erste Dimension bezieht sich auf die Fähigkeit zur Wahrnehmung bestimmter Reize oder Inhalte und steht in Verbindung mit der Wahrnehmungsphysiologie bzw. psychologie sowie ggf. der Neurobiologie. Diese Dimension vereint auf der einen Seite Sinneswahr nehmungen der äußeren und inneren Sinne, auf der anderen Seite wird eine HinwendungdesSubjektsaufInhalteundderenBewusstwerdungbeschrieben; soz.B.inderWendungSinnfüretwashaben(vgl.Koller,2008a,S.15). BetrachtetmannundenSinnbegriff,umimHinblickaufschulischesLernen Sinnkonstruktionsprozesse zu untersuchen, so scheint diese erste Ebene der Fähigkeit zur Wahrnehmung bestimmter Reize oder Inhalte als Grundlage für denBegriffderSinnkonstruktion,soKoller(2008a,S.15),sofortauszuscheiden. DiereinsinnlicheWahrnehmung(z.B.dasHöreneinerArbeitsanweisungbzw. Sehen einer Skizze an der Tafel) ist sicherlich notwendig, um überhaupt am Schulunterricht teilzunehmen, reicht jedoch keinesfalls aus, um subjektiven SinnvonUnterrichtausderPerspektivederLernendenzubeschreiben.Solltees alsodarumgehen,einenSinnfürdieSchulebzw.einFachzuentwickeln,„wür demanwohlwenigervonSinnkonstruktionsprechen,alsvielmehrdavon,einen solchenSinnzuentwickeln,zuüben,zutrainierenusw.“(Koller,2008a,S.15). DiezweiteDimensiondesSinnbegriffsbeziehesichaufdieBedeutungvon WortenundSätzen,EreignissenundZeichenundhabedieHermeneutikalsklas sischeBezugsdisziplin(Koller,2008a,S.1516;füreineweitereAuseinanderset zung mitdemBegriff Bedeutung vgl. Abschnitt2.3.3,S.30).Ebenso wenig wie
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2SinnundSinnkonstruktionimKontextschulischenLernens
dasVerständnisvonSinnalsFähigkeitzurWahrnehmungbestimmterReizeund Inhalte können nach Koller (2008a, S.16) der Unterricht, dessen Inhalte und FormenmitZeichenirgendeinerFormgleichgesetztwerden.Unterrichtsinhalte und formen enthalten keinen bereits immanenten Sinn, den es lediglich zu findenbzw.zuentnehmengebe,wiediesbeispielsweisederBegriffdes„sinn entnehmendenLesens“(Koller,2008a,S.16)nahelege.Dahergeheesimschu lischenUnterrichtnichtdarum,einensogeoffenbartenSinnzuverstehen. Des Weiteren führt Koller (2008a, S.1516) Zweck, Endabsicht oder Ziel menschlichen Handelns bzw. deren Objektivationen (also Gegenstände oder Einrichtungen,dievonMenschenhervorgebrachtwurden)alsdritteDimension desSinnbegriffsan.Diesewerdevorallemdurchsoziologischebzw.psychologi sche Handlungstheorien abgedeckt. Unter diese dritte Dimension fielen bei spielsweisederSinnvonGegenständenoderderSinngesellschaftlichgeteilter Konventionen wie das Händeschütteln bei der Begrüßung. Diese dritte Ebene wird von Koller (2008a, S.16) als tragfähiger für eine Auseinandersetzung mit dem Sinnbegriff im Kontext schulischen Lernens gesehen. „Der Sinn, den Ler nende dem Unterricht und seinen Inhalten zuschreiben, wäre dann so etwas wiederZweckoderdieAbsicht,diesieselbstmitihremLernenundihremsons tigenTunimKontextvonUnterrichtverfolgen“(Koller,2008a,S.16).Sokönnte der Sinn für den einen Schüler darin liegen, eine gute Zensur in der nächsten Klassenarbeitzuerlangen,füreineandereSchülerinhingegenimInteressefür die jeweiligen Fachinhalte. Bei einem solchen Verständnis stellen sich jedoch zwei Probleme: Zum einen gestaltet sich die Abgrenzung zum bereits in der PädagogischenPsychologieunddarüberhinausetabliertenBegriffderLernmo tivation als schwierig; zum anderen stellt sich die Frage, ob „diese Auffassung von Sinn als Zweck und Ziel nicht viel zu instrumentell, zu technologisch ge dacht“sei(Koller,2008a,S.16).StecktimBegriffSinnnichtnochvielmehrals lediglich eine Hinordnung auf ein Ziel bzw. das Verfolgen eines Zwecks oder einerIntention? SchließlichbeschreibtKoller(2008a,S.1517)BedeutungoderGehalteiner Sache oder Handlung für einen Menschen in einer bestimmten Situation als vierteDimensiondesSinnbegriffs.DiesebeziehesichvorallemaufdiePhiloso phieundvielleichtauchdieTheologie.InhaltlichgeheeshierindieRichtungder Bedeutung von Sinn des Lebens. Richtete sich die Perspektive in der vierten Dimension auf den Sinn des Lebens, so sei eher Sinngebung oder Sinnstiftung alsSinnkonstruktionimFokus,soKoller.DamitjedochwerdedieNähevonphi losophischen Theorien gesucht, „die etwas über die Prozesse sagen, in denen MenschenihremLebenoderbestimmtenEreignissenSinnzuschreiben“(Koller,
2.3DasSinnkonzeptdieserArbeit
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2008a,S.1617).DasAugenmerkentfernesichalsoweitvonschulischenKon texten.KollerlässtdaherUnbehagenanklingen,obdieFragenachdemSinnim schulischen Kontext nicht zu weit aufgebläht werde, bringe man sie mit der FragenachdemSinndesLebensinVerbindung(Koller,2008a,S.1617). AufdenerstenBlickscheintesalso,alstreffekeinedervonKolleraufge führtenvierDimensionenaufdenSinnbegriffzu,derfürdasLerneninderSchu le relevant sei. Nimmt man jede Dimension für sich, mag das auch zutreffend sein. Verknüpft man jedoch die verschiedenen Ebenen miteinander, entsteht ein durchaus tragfähiges Konzept, welches für Schülerinnen und Schüler beim Lernen bedeutsam sein kann. Ein solcher Versuch der Verknüpfung der ver schiedenenEbenensollimfolgendenKapitelentwickeltwerden. 2.3 DasSinnkonzeptdieserArbeit Um der gerade aufgezeigten Vielschichtigkeit des Sinnbegriffs gerecht zu wer den,musseinVerständnisdesBegriffsgefundenwerden,dasdiesenFacetten reichtumabbildet.Koller(2008a)zeigt,dassdieeinzelnenvonihmaufgezeigten Dimensionendes Sinnbegriffs dies nicht vermögen(vgl.Abschnitt2.1.2, S.15). Eine Berücksichtigung von Eigenschaften mehrerer Ebenen hingegen eröffnet einevielversprechendeneuePerspektive. 2.3.1 TheoretischeVorarbeit EineGrundvoraussetzungfürdieSinnkonstruktionimKontextschulischenMa thematiklernens ist die Fähigkeit zur Wahrnehmung bestimmter Inhalte und Reize.DieGegenständedesUnterrichtsmüssenmitdenunterschiedlichenäu ßerenSinnenwahrgenommenwerden.Aufgaben,verstandenals„Aufforderung zumLernHandelnimMathematikunterricht“(Bruder,2008,S.1819),unddie damit in Zusammenhang stehenden Handlungsaufforderungen müssen u.a. gelesen(alsogesehen),AntwortenderMitschülerinnenundMitschülergehört und Modelle von geometrischen Formen angefasst werden können. Weniger Bedeutung kommt im Mathematikunterricht sicherlich dem Schmecken und Riechen zu, jedoch können beide Sinneswahrnehmungen enorm motivierend wirken,wennzumBeispieleinKuchenzurVeranschaulichungderDivisionvon Brüchen von der Lehrperson mitgebracht wurde. Die sinnliche Wahrnehmung von Unterricht durch äußere Sinne ist dennoch keine alleinige Voraussetzung für eine Sinnkonstruktion, sondern lediglich grundlegend für das Stattfinden vonUnterricht.
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2SinnundSinnkonstruktionimKontextschulischenLernens
DerzweiteAspekt,denKollerindererstenDimensionvonSinnbeschreibt, istdieHinordnungdesSubjektsaufInhalte,dieimUnterrichtbehandeltwerden sowie auf deren Bewusstwerdung. Zeigt ein Schüler oder eine Schülerin Inte resse am Fachinhalt, findet eine solche emotionale Zuwendung statt. Der be handelteGegenstandistalsoineinerWeisefürdenbzw.dieLernendepersön lich relevant. Zeigt er bzw. sie kein Interesse, so ist der Gegenstand bzw. die Handlung, die damit einhergeht, für ihn bzw. sie nicht oder wenig persönlich relevant.EinesolchepositiveHinwendungderLernendenzumFachinhaltistaus einer normativen Perspektive aufUnterricht sicherlich wünschenswert, jedoch für eine Sinnkonstruktion im Kontext von Mathematiklernen keine zwingend notwendigeVoraussetzung,wiespätergezeigtwird(vgl.Abschnitt2.3.2,S.28). Eskanngleichwohlvermutetwerden,dassindieserHinoderAbwendungzum Fachbzw.denFachinhaltendieBegründungliegtfüreinepositivbzw.negativ gefärbteSinnkonstruktionderSchülerinnenundSchüler. DiezweitevonKollerbeschriebeneDimensiondesSinnbegriffsbehandelt dieBedeutungvonmenschlichenZeichenderverschiedenstenArt.Auchdiese DimensionspieltimschulischenUnterrichteineähnlichgrundlegendeRollewie diebereitsdiskutiertesinnlicheWahrnehmung,dadieSchülerinnenundSchüler beispielsweisedieBedeutungderZeichenvonArbeitsaufträgeno.ä.verstehen müssen, um erfolgreich am Unterricht teilnehmen zu können. Verstünde man schulischen Unterricht auf diese Art als Zeichen, hieße es, dass der Sinn dem Unterricht einfach entnommen werden könnte, indem die Bedeutung seiner Zeichen verstanden würde. Allerdings zeigt Koller (2008a, S. 1516), dass ein solchesVerständnisvonSinnundUnterrichtzukurzgreift.Unterrichtstelleein hoch komplexes Gefüge dar, welches auf diese Art nicht adäquat beschrieben werden könne. Ebenso wenig sei es ausreichend, den Sinn schulischen Unter richtsalsZweck,EndabsichtoderZielzuverstehen,zumaldieserdannkaumzu trennenseivomKonzeptderLernmotivation(vgl.auchAbschnitt2.2,S.20). KollerbegegnetdiesenUnzulänglichkeitenderzweitenunddrittenDimen sionvonSinn(alsoSinnvonschulischemUnterrichtalsBedeutungvonZeichen bzw. als Zweck, Endabsicht oder Ziel menschlichen Handelns), indem er ver sucht,diesezuverknüpfen.UnterBezugnahmeaufdasKonzeptdeshermeneu tischen Verstehens von Paul Ricœur (1972) verknüpft er die Bedeutung von Zeichenbzw.TextenunddieBedeutungvonschulischemUnterricht,alsoHand lung. Nach Ricœur kann menschliche Handlung, also auch schulischer Un terricht,alsText4aufgefasstwerden.AufdieseArtseidannaucheinewissen schaftlicheUntersuchungvonHandlungmöglich(Ricœur,1972,S.260). 4
Ricœur(1972)beschreibtdieCharakteristikenvonzeitlosemSprachsystem(alsoeinemText)
2.3DasSinnkonzeptdieserArbeit
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Sinnhaft orientiertes Handeln kann für die Wissenschaft nur unter der Bedingung zum Untersuchungsgegenstand werden, daß eine Objektivation der Art vor sich geht, wie sie bei der schriftlichen Niederlegung eines Diskurses erreicht wird. […] ImgleichenSinnewiederGesprächscharakterdurchdieschriftlicheNiederlegung überwundenwird,wirdderCharakterderbloßenInteraktioninvielenSituationen dadurchüberwunden,daßwirdasHandelnwieeinenfixiertenTextbetrachten.
Die einfachste Möglichkeit, schulischen Unterricht als Text zu verstehen und entsprechend zu untersuchen, ist, indem die dort geschehende Handlung schriftlich fixiert wird. Hierzu können beispielsweise Videoaufzeichnungen von Unterricht transkribiert werden (Dittmar, 2004). Auf diese Weise gehe „der Charakter des Sinnhaften“ (Ricœur, 1972, S.260) nicht verloren, da es die „noematischeStruktur5[ist],diefixiertund–vomProzeßderInteraktionlosge löst–GegenstandderInterpretationwerdenkann“(Ricœur,1972,S.262).Auf dieseWeisekönnealsoHandlung,soRicœur,dannaufSinnuntersuchtwerden. Ricœur(1972,S.263264)bringtschließlichdenSinnunddieIntentionei nerHandlungmiteinanderinVerbindung: undgesprochenerSprachedesDiskurses(einerHandlung)alsEigenschafteneinesbestimm ten Zeit, Subjekt, Welt und Adressatenbezuges. Texte liegen durch ihre Verschriftlichung quasi außerhalb der Zeit, da Textproduktion und rezeption zeitlich getrennt voneinander stattfinden.DerZeitbezugderHandlungaufderanderenSeitewerdedadurchgekennzeich net, dass der Diskurs der Handlung „immer in der Zeit und in einer bestimmten Gegenwart realisiert“(Ricœur,1972,S.253)werde.DerSubjektbezugkläredieFragenachdemSubjekt, welchesSprachebenutzt.BeigesprochenerSpracheseiderSprechereindeutigundüberden GebrauchdeiktischerAusdrückewiePersonalpronominaetc.bestimmt.DaszeitloseSprach systemhabehingegenkeinSubjekt.DerAutorseizwarSchöpferdesTextes,durchdieLoslö sungderRezeptioneinesTextesvonseinerProduktionstimmenjedochIntentiondesAutors undBedeutungdesTextesnichtzwangsläufigüberein.Esentstehealsoeine„Dissoziationvon BedeutungundIntention“(1972,S.257)desTextes.HandlungundDiskurshabeneinenein deutigen Weltbezug, da Diskurs in einer Situation stattfinde, die Subjekt und Adressaten umschließe.AuchhierseiendeiktischeAusdrückemöglich,umaufdieWeltzuverweisen.Der Bezug eines Textes auf der anderen Seite „löst sich […] von den Grenzen des ostentativen Bezuges“zurWelt(Ricœur,1972,S.258)underöffnedamitBezügezurWeltdesRezipienten. SchließlichbeschreibederAdressatenbezugdenjenigen,andendiemündlicheoderschriftli cheKommunikationgerichtetsei.BeimTextseiderAdressatnichteindeutigzubestimmen, dageschriebeneSprachelediglichdieMöglichkeitderRezeptionbiete,jedochnicht–wiedie Handlungbzw.derDiskurs–aneineneindeutigenAdressatengerichtetsei(vgl.Ricœur,1972; Koller,2008a). 5 DienoematischeStrukturmeintdieStrukturdersemantischenMerkmalederHandlung,also ihrer Bedeutung(vgl. Abschnitt 2.3.3, S. 30). Ricœr (1972)gehtalso davon aus,dass diese mantischenInhaltederHandlungineinemTextfestgehaltenwerdenkönnen.
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2SinnundSinnkonstruktionimKontextschulischenLernens
In einfachen Handlungen, die keiner vorbereitenden Handlung bedürfen, um aus geführt werden zu können, fällt der Sinn (noema) weitgehend mit der Intention (noesis)zusammenoderüberschneidetsichmitihr.BeikomplexenHandlungenje dochsindeinigeHandlungssegmentesoweitvomursprünglichenAusgangspunkt– von dem man behaupten könnte, daß er die Intention des Akteurs bezeichnet – entfernt, daß die Zuschreibung dieser Handlungen oder Handlungssegmente ein schwierigesProblemaufwirft.
Folglich scheint es nach Ricœur eine einfache Übereinstimmung von Sinn und Intention bei komplexen Handlungen nicht zu geben. Nimmt man also schuli schen Unterricht als ein solch komplexes Handlungsgeflecht an, stimmen Ricœur (1972) und Koller (2008a) darin überein, dass der Sinn von Unterricht nicht lediglichmit der jeweiligen Intentioneines Schülers oder einer Schülerin gleichgesetztwerdenbzw.alsBedeutungverstandenwerdenkann(vgl.Koller, 2008a,S.2021). Ein solch hermeneutisches Verstehen von Unterrichtshandlung als Text ziehtKonsequenzenfürdieUntersuchungvonSinnkonstruktionimschulischen Kontextnachsich.Koller(2008a,S.2023)benenntvierFolgerungenausdiesem Ansatz: 1.
2.
3.
DerSinnvonUnterrichtistvielfältigdeutbar:DerSinnvonUnterrichtgeht über die Absichten der am Unterricht beteiligten Personen, also der Leh rendenundLernenden,hinausundistprinzipielloffenfürvielfältigeDeu tungen.EsmussalsobeiderUntersuchungvonSinnkonstruktionnichtnur danach gefragt werden, was die Lehrperson den Schülerinnen und Schü lernsagenwill,sondernwasderUnterrichtjederundjedemeinzelnenin derjeweiligenSituationsagt. DievielfältigenDeutungensolltendidaktischeBerücksichtigungfinden:Da diepotentiellmöglichenSinnkonstruktionenderSchülerinnenundSchüler imUnterrichtvielfältigsind,habenLehrerinnenundLehrer„mitverschie denen, nicht ineinander übersetzbaren Sinnkonstruktionen durch die Ler nendenzurechnen“(Koller,2008a,S.22).Diesesichpotentiellsogaraus schließendenverschiedenenArtenvonSinnkonstruktionensollenentspre chend in der didaktischen Konzeption von Unterricht berücksichtigt wer den. Sinn verknüpft schulischen Unterricht mitder Lebensweltder Lernenden: DerSinnvonUnterrichtistlosgelöstvonderSituation,indererkonstruiert wird,bzw.gehtüberdieseinsofernhinaus,alsdasseraufmehrverweist alsdieSituationbereithält(vgl.WeltbezugvonTextennachRicœur,1972; Fußnote4,S.24).DerSinnrekurriertalsoaufeineandereWelt,dieweder
2.3DasSinnkonzeptdieserArbeit
4.
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von dem jeweiligen Schüler bzw. der jeweiligen Schülerin noch von der Lehrperson kontrolliert werden kann. Da dieser Bezug zur (Lebens) Welt der Schülerinnen und Schüler aber weder determiniert noch kontrolliert werdenkann,bleibenSinnkonstruktionenoftmalsbrüchig. Sinn hat zwei miteinander verwobene Seiten: Sinnkonstruktion hat im Kontext schulischen Lernens eine objektive und eine subjektive Seite, die ineinander greifen. Auf der objektiven Seite steht der Fachinhalt, der ge lerntwerdensoll.DieserFachinhalthatfürjedeSchülerinundjedenSchü ler eine subjektive Seite, insofern als der Gegenstand für jede und jeden eineandereRolleinderjetztgeradeerlebtenSituationspielt.
Sinnkonstruktion ist also eine Auseinandersetzung mit einem Gegenstand, die überdasbloßeVerfolgeneinesZielesdesIndividuumsoderdieErfüllungeines Zweckshinausgeht. AnderviertenSinndimension(Bedeutung,dieetwasfüreinenMenschen ineinerbestimmtenSituationhat)kritisiertKollerabschließenddasparadigma tischeVerständnisvonSinn,welchesdemderBedeutungvonSinndesLebens nahekommt(vgl.Abschnitt2.2,S.20).DieseNähemussabernichtzwangsläu fighergestelltwerden.ImBrockhaus(1998,S.254),aufdenKollersichbezieht, wirdSinnbenanntals […]dieBedeutungundderGehalt[…],deneineSache,eineHandlung,einErlebnis […] für einen Menschen in einer best. Situation hat. Seit F. Nietzsche bezeichnet derBegriffauchdasSelbstverständnisdesMenschenimEinzelnenundimgrundle gendenSinne(S.desLebens).
In meinem Verständnis verweist lediglich die zweite Hälfte der Beschreibung aufeinensolchgewichtigenSinnbegriff,derinderTatfürdieUntersuchungvon Sinnkonstruktionen im schulischen Kontext zu weit gegriffen wäre. Die erste Beschreibung hingegen kommt einem im schulischen Kontext handhabbaren Sinnbegriffnahe. VerbindetmannundieindiesemAbschnittaufgeführtenAspekte,entsteht einumfangreichesVerständnisdesSinnbegriffs,welchesfürdieUntersuchung vonSinnkonstruktionenimschulischenKontextnutzbarist.InwelcherArtdie ses genau beschrieben werden kann und wie es sich zu anderen dem Sinnbe griffnahestehendenBegriffenverhält,sollindennächstenbeidenAbschnitten dargelegtwerden.
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2SinnundSinnkonstruktionimKontextschulischenLernens
2.3.2 DasdieserArbeitzugrundeliegendeSinnkonzept Die vorliegende Arbeit steht im Kontext der Bildungsgangforschung und stellt daher die Perspektive der Lernenden in den Mittelpunkt (vgl. Kapitel1, S.1). AufgrunddessenbeschränkeichmichaufdieseHerangehensweiseundunter suche den Sinn, den Schülerinnen und Schüler im Kontext schulischen Mathe matiklernens konstruieren. Dass allein diese Sicht facettenreich ist, wurde in denAbschnitten2.1.2und2.2deutlich(S.15bzw.20). WelchesVerständnisdesSinnbegriffsermöglichtnundieBerücksichtigung von allen Aspekten, die in den genannten Abschnitten dargestellt wurden? Es geht hier nicht darum, „[a]llen diesen falschen bzw. unvollständigen Bestim mungengegenüber[…]dierichtigeBestimmungvonSinnzufinden“,wieRein hard Lauth (1953, S. 48) es versucht hat. Stattdessen soll ein Sinnverständnis entworfen werden, mit dessen Hilfe es möglich erscheint, die vorgestellten ForschungsfragenimhierbeschriebenenKontextzubearbeiten.DiesesSinnver ständnis beansprucht keine Art von Vollständigkeit, Ausschließlichkeit oder Richtigkeit.EspräsentiertlediglicheineArtderAnnäherungandenSinnbegriff, wieerfürschulischeLehrLernKontextealsproduktivdenkbarist. UmderobenbeschriebenenVielschichtigkeitvonSinnausderPerspektive der Schülerinnen und Schüler gerecht zu werden, muss ein Sinnverständnis gefunden werden, welches einfach greifbar ist und dennoch diesen Facetten reichtumabbildetunderhält.DaherbietetsichdasKriteriumderpersönlichen Relevanzan(vgl.Vollstedt&Vorhölter,2008,S.30).SiehtalsoeinIndividuum– hier eine Schülerin oder ein Schüler – einen Sinn in einem Gegenstand oder einerHandlung,soistderSinnfürespersönlichrelevant.UnterdemSinneines Gegenstandes oder einer Handlung wird daher die persönliche Relevanz ver standen,diedieserbzw.diesefüreinePersonhat.AufdenMathematikunter richt bezogen folgt daraus, dass ein mathematischer Inhalt dann aus der Per spektive der Lernenden Sinn ergibt bzw. als sinnvoll erlebt wird, wenn er als relevant für den jeweiligen Schüler bzw. die jeweilige Schülerin empfunden wird.EinSchülerkanndenLerninhaltetwaalsrelevantfürseinspäteresLeben ansehen, wohingegen eine bestimmte Schülerin die persönliche Relevanz in ihrer Leidenschaft für die Auseinandersetzung mit Knobelaufgaben sieht. An diesem Beispiel lässt sich auch die Unterscheidung der persönlichen Relevanz bezogenaufeinenGegenstand(dermathematischeLerninhalt)bzw.eineHand lung(dieAuseinandersetzungmitAufgaben)ablesen. DiesesSinnverständnisalspersönlicheRelevanz–obwohlessichklardefi nieren lässt – erhält die beschriebene Vielschichtigkeit des Sinnbegriffs. Dies liegtdarinbegründet,dassdieRelevanzderHandlungoderdesGegenstandes
2.3DasSinnkonzeptdieserArbeit
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füreinePersonjenachSituationundKontextbeispielsweiseindemZweck,dem Wert, dem Nutzen oder der Bedeutung der Handlung bzw. des Gegenstandes respektivedemZiel,welchesdadurchverfolgtwird,liegenkann(vgl.Abschnitt 2.3.3,S.30). Betrachtet man die von Koller (2008a) aufgezeigten Dimensionen des Sinnbegriffs,werdenauchdiesedurchdashiervorgelegteSinnverständnisauf gegriffen und umfasst. Wie oben beschrieben (vgl. Abschnitte2.2 und 2.3.1, S.20 bzw.23), ist die sinnliche Wahrnehmung von Elementen des Unterrichts (ersterAspektdererstenDimension)ebensowiedasVerstehenderBedeutung von Arbeitsaufträgen, Anweisungen etc. (zweite Dimension) Grundvorausset zungfürgelingendenUnterricht.6BeideVerständnisseliegenalsoquasialsVo raussetzungenfürdieKonstruktionvonSinnunterdemSinnverständnis. ImzweitenAspektdererstenDimension,derHinordnungdesSubjektsauf Inhalte, klingt das Kriterium der persönlichen Relevanz bereits an (vgl. Ab schnitte2.2 und 2.3.1, S.20 und23). Im Unterricht behandelte Gegenstände bzw.HandlungenerfahrendanneineemotionaleZuwendungseitensdesSub jekts,wennsiefürdenLernendenbzw.dieLernendepersönlichrelevantsind. DabeikanndieemotionaleZuwendunggraduellunterschiedlichausfallen,was sichwiederumimAusmaßderpersönlichenRelevanzfürdasSubjektwiderspie gelt.EinLerngegenstandbzw.dieAuseinandersetzungmitdiesemkannalsofür einenLernendenbzw.eineLernendesehr,wenigeroderauchgarnichtpersön lich relevant sein. Entsprechend wird dann auch die Sinnkonstruktion unter schiedlichausfallen,diedieserSchülerbzw.dieseSchülerinvornimmt. BezüglichderdrittenDimensionvonSinnlässtsichmitKoller(2008a)und Ricœur (1972) zwar zeigen, dass der Sinn von Unterricht über ein Verständnis von Sinn als Zweck, Endabsicht oder Ziel menschlichen Handelns hinausgeht (vgl. auch Abschnitte2.2 und 2.3.1, S.20 bzw.23), nichtsdestoweniger sind dieseAspekteTeildesSinns,denSchülerinnenundSchülerschulischemUnter richtzuschreiben.DenngenauandemZweck,denMathematikbeispielsweise inderAnwendungimAlltaghabenkann,bzw.derAbsichtoderdemZiel,inder nächstenKlassenarbeiteinemöglichstguteZensurzuerlangenoderdasAbitur zubestehen,wirdoftmalsderSinnfestgemacht,denSchülerinnenundSchüler imKontextschulischenLernensvonMathematiksehen. Die Charakterisierung der vierten Dimension von Sinn als Bedeutung, die etwasfüreinenMenschenineinerbestimmtenSituationhat,kommtdemhier vorgestelltenKonzeptvonSinnsehrnahe.DaderBegriffBedeutungimKontext 6
DasssichdiesesVerständnisschwieriggestaltetunddieSchwierigkeitenzumTeilauchinder FormulierungderAufgabenbegründetliegen,zeigenUweGellertundEvaJablonka(2009).
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2SinnundSinnkonstruktionimKontextschulischenLernens
dieser Arbeit jedoch anders verwendet wird (vgl. Abschnitt2.3.3, S.30), be nutzeichhier,auchumMissverständnissenvorzubeugen,denBegriffderper sönlichen Relevanz. Eine Überhöhung des Sinnbegriffs, welcher für schulische LehrLernProzesserelevantist,durchdieNähezumSinndesLebenskann–wie obengezeigt–ausgeschlossenwerden(vgl.Abschnitt2.3.1,S.23). Die Diskussion der BegriffeundDimensionen zeigt,dassSinn, verstanden alspersönlicheRelevanz,aufdereinenSeitedieVielschichtigkeitderverschie denen Sinnverständnisse erhält und auf der anderen Seite auch als gut hand habbarerBegrifffürdieUntersuchungvonSinnkonstruktionimKontextschuli schen Lernens fungiert. Inwiefern er sich von anderen in diesem Kontext ver wendetenBegriffenabgrenzt,wirdimfolgendenKapiteldiskutiert. 2.3.3 AbgrenzungvonanderenBegriffen Wie gerade diskutiert, ist der Sinnbegriff im Kontext schulischen Lehrens und Lernens vielschichtig und facettenreich. Je nachdem welcher bzw. welche Ler nende also Sinn konstruiert und in welchem Kontext diese Konstruktion statt findet, kann die persönlich empfundene Relevanz eines Gegenstandes oder einerHandlunginverschiedenenNuancenliegen.Sinnkannbeispielsweiseals Bedeutung,Intention,ZieloderZweck,NutzenoderWertwahrgenommenwer den. All diese Begriffe werden oftmals synonym zu Sinn verwendet (vgl. etwa Biller,1991,S.86).Esistdahernotwendig,ihrespezifischenInhaltedeutlichzu machen(vgl.auchVollstedt&Vorhölter,2008,S.3031).DazumüssendieRela tionzwischenWirklichkeit,WeltundObjektaufdereinenSeiteunddemSub jekt auf der anderen Seite sowie die Beziehung dieses Verhältnisses zu Sinn geklärtwerden. SinnalsBedeutung EineBeschreibungbzw.AbgrenzungderBegriffeSinnundBedeutunglegteine Rezeption von Gottlob Freges Abhandlung „Über Sinn und Bedeutung“ (1892) nahe.FregeentwickeltdieBegriffeimZusammenhangmitÜberlegungenüber GleichheitundVerschiedenheitvonGegenständenbzw.imZusammenhangmit der Beziehung zwischenNamen und Zeichen von Gegenständen. Verschieden heitkanninseinerAuffassung„nurdadurchzustandekommen,daßderUnter schied des Zeichens einem Unterschiede in der Art des Gegebenseins des Be zeichnetenentspricht“(Frege,1892,S.26).ErveranschaulichtdieseÜberlegun genamBeispieldesSchnittpunktsderSeitenhalbierendenineinemDreieck:Die Seitenhalbierenden in einem Dreieck seien mit a, b und c bezeichnet. Dann
2.3DasSinnkonzeptdieserArbeit
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schneidensichaundbimPunktPundbundcimPunktQ.NachdemSatzvon CevafallenPundQzusammen.DerSchnittpunktderSeitenhalbierendesDrei ecks kann somit durch verschiedene Zeichen (P und Q) benannt werden, was wiederum auf eine unterschiedliche Art des Gegebenseins hindeutet (Schnitt punkt von a und b im Unterschied zum Schnittpunkt von b und c) (vgl. Frege, 1892,S.26).ObgleichessichalsoumdenselbenPunkthandelt,liegtinderun terschiedlichenBezeichnungeinErkenntnisgewinn. Entsprechendfährt Frege(1892,S.2627)fort und führtdie BegriffeSinn undBedeutungfolgendermaßenein: Esliegtnunnahe,miteinemZeichen(Namen,Wortverbindung,Schriftzeichen)au ßer dem Bezeichneten, was die Bedeutung des Zeichens heißen möge, noch das verbundenzudenken,wasichdenSinndesZeichensnennemöchte,worindieArt des Gegebenseins enthalten ist. Es würde danach in unserem Beispiele zwar die BedeutungderAusdrücke'derSchnittpunktvonaundb'und'derSchnittpunktvon bundc'dieselbesein,abernichtihrSinn.(eigeneHervorhebung,MV)
Frege verwendet also den Begriff Bedeutung für den bezeichneten (oftmals sinnlicherfahrbaren)Gegenstandselbst(derPunktalssolcher),wohingegender SinndesZeichensdieArtdesGegebenseinsbeschreibt,alsodendahinterste hendenGedanken.AufdieSatzebeneübertragen,kommunizierebeispielsweise der Satz 'Der Morgenstern ist ein von der Sonne beleuchteter Körper' einen anderen Sinn als 'Der Abendstern ist ein von der Sonne beleuchteter Körper', obgleichdieBedeutungbeiderSätzediegleichesei:BeideMalewerdedieVe nusalsGegenstandbezeichnet(vgl.Frege,1892,S.32,sieheauchMeyer,1976, S.38).EinmalbeschreibederSatzjedochdenHimmelskörper,welchenmandes Morgensamlängsten(manchmalsogartagsüber)sehenkönne;imzweitenSatz hingegen werde derjenige Himmelskörper beschrieben, welchen man des Abendsalserstenerkennenkönne. WasbezwecktnuneinesolcheUnterscheidungzwischenSinnundBedeu tung?FregeuntersuchtmitdenBegriffenSinnundBedeutungdenWahrheits wert von Sätzen. Der Satz 'Odysseus wurde tief schlafend in Ithaka ans Land gesetzt'habeoffenkundigeinenSinn,oberjedochaucheineBedeutunghabe, sei nicht ohne weiteres zu ergründen. Dies liege daran, dass die Existenz von Odysseus fraglich sei, das Subjekt des Satzes also unter Umständen keine Be deutungverkörpere.Damitverliere,soFrege,derdurchdiesenSatzkommuni zierteGedankeanWert.FolglichstellesichdieFragenachdemWahrheitswert desSatzes.DieserWahrheitswerteinesBedeutungssatzes,alsodasWahrebzw. das Falsche, werde schließlich als seine Bedeutung aufgefasst (Frege, 1892, S.3234).DieUnterscheidungvonSinnundBedeutungermöglichtfolglichden
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2SinnundSinnkonstruktionimKontextschulischenLernens
AufbaueinerTheoriederWahrheitswerte,aufderschließlicheineUrteilstheo rieaufbauenkann.AufdieserGrundlagekannsomitentschiedenwerden,was wahrundfalschist(vgl.auchMeyer,1976,S.39). ImGegensatzzuFregesIntention,denWahrheitswerteinerAussagezuer kennen,stehtderFokusmeinerArbeitaufderUntersuchungdesSinnes,derin der Auseinandersetzung mit fachlichen Inhalten von den Lernenden subjektiv konstruiertwird.Verstehtmanalso–wieindervorliegendenArbeit–Sinnals subjektiveRelevanzeinerHandlungodereinesGegenstandes,liegtessehrfern, sich Freges Verständnis von Sinn und Bedeutung anzuschließen. Der in dieser Arbeit verwendete Begriff der Bedeutung orientiert sich daher an dem hier entwickeltenSinnverständnis.Als(nichtnotwendigerweiseantithetischzudeu tenden)GegenpolzurpersönlichenRelevanzversteheichdemnachBedeutung als kulturell bzw. gesellschaftlich geteilte Relevanz einer Handlung oder eines Gegenstandes(vgl.Vollstedt&Vorhölter,2008,S.30).DieBedeutungvonMa thematikallgemeinbzw.voneinzelnenmathematischenElementenkannsomit in verschiedenen Formen auftreten, etwa als ihre Bedeutung für die Gesell schaft als Kulturgut oder als Grundlage von Naturwissenschaft und Technik (Winter, 1990, S.143) sowie für andere Teilbereiche der Mathematik, die auf grundlegendenKonzeptenaufbauen.WirddiesePositionundRollevonSchüle rinnenundSchülernnachvollzogenundalssubjektivrelevanterkannt,kannaus Bedeutung demzufolge auch Sinn werden. Ob diese Art der Sinnkonstruktion jedochtragfähigist,wirdsichgegebenenfallsimspäterenLebenderLernenden herausstellen (vgl. auch Abschnitt 2.5, S.43). Heinrich Winter (1990, S.143) stellt in diesem Zusammenhang fest, dass die „objektive Bedeutung der Ma thematik“zwardurchausvonSchülerinnenundSchülernerkanntundakzeptiert werde,aufderanderenSeitejedoch„gleichzeitigeineBedeutungfürdasper sönlicheLebenoffenbarnichtempfunden“werde(Winter,1990,S.143).Win terbeschreibtalsodenoftmalsvonSchülerinnenundSchülernerlebtenMangel vonSinnbzw.SinnhaftigkeitbeimLernenvonMathematik(vgl.dazuauchAb schnitte2.1.1und2.1.2,S.13bzw.15).GeradedieBeschränkungaufentweder diesubjektiveoderdiegesellschaftlichbzw.kulturellgeteilteRelevanzistkon stitutivfürdashierentwickelteVerständnisvonSinnundBedeutung.Ausdie sem Grund ist insbesondere eine explizite Differenzierung dieser Begriffe not wendig. NebenderBedeutung,d.h.dergesellschaftlichgeteiltenRelevanz,dieein GegenstandodereineHandlungfüreinenLernendenodereineLernendehaben kann,könnensichauchIntentionen,Ziele,Zwecke,NutzenundWertealsper sönlich relevant erweisen. Diese Aspekte können daher – im Gegensatz zum
2.3DasSinnkonzeptdieserArbeit
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hier eingeführten Verständnis von Sinn und Bedeutung – sowohl subjektiv als auch gesellschaftlich oder kulturell geteilt relevant sein. Im Kontext dieser Ar beitmöchteichmichjedochaufdiesubjektivempfundeneRelevanzderjewei ligenKonzeptebeschränken,dadieseprimärfürdiePerspektivederSchülerin nenundSchülerbedeutsamist(vgl.auchVollstedt&Vorhölter,2008,S.30). SinnalsIntentionoderZiel StelltmandieFragenachdemSinndesLebensoderaber–wieindemKontext dieser Arbeit – nach dem Sinn schulischen (Mathematik) Lernens, wird dabei auchgleichfallsdieFragenachdemZiel,demZweckoderdemWertmenschli chenLebens(Gebhard,2003,S.207208;Combe&Gebhard,2007,S.13)bzw. schulischen Lernens berührt. Die Intention oder das Ziel einer Handlung be schreibt dabei eine mögliche Ausgestaltung von persönlich relevantem Sinn. HiermitwirddieRichtungbeschrieben,aufdiedieHandlungendesIndividuums zielen. Eine solche „konstituierende Hinordnung auf ein von einem Subjekt intendiertes Ziel“ bezeichnet Lauth (1953, S.49) sogar als „das wichtigste be gründende Moment für das Zustandekommen von Sinn“ (Lauth, 1953, S.49). EinGeschehenwerdeüberhaupterstdadurchsinnvoll,dassesaufeinZielge richtetsei(Lauth,1953,S.49).BernhardSchäfers(2000,S.37)legtgenauent gegengesetztdar,dass„[mi]tdemSinnbegriff[…]diebisherigenAussagenüber die Besonderheiten des sozialen Handelns in der Hinsicht zusammengefaßt [werden], daß das Handeln – im Unterschied zum Verhalten – nach Motiven und Zwecken reflektiert und zielorientiert abläuft“ (Hervorhebung im Original, MV). Welcher Perspektive man sich aber auch anschließt, wird doch der enge ZusammenhangvondenIntentionenundZielen,dieeinSchülerodereineSchü lerinverfolgen,unddemSinn,densiekonstruieren,offenbar. LernendekönnenalsoeineHandlungbzw.dieAuseinandersetzungmitei nem (mathematischen) Gegenstand als sinnvoll erachten, wenn diese dazu dient, einem bestimmten Ziel näher zu kommen bzw. dieses zu erreichen. So wirddieBeschäftigungmitMathematik,beispielsweise dasÜbenundWieder holenvonInhaltenvordernächstenKlassenarbeit,voneinerSchülerinalssinn behaftete Tätigkeit erlebt, wenn sie das Ziel hat, eine möglichst gute Note zu erlangen. Ein anderer Schüler empfindet dieselbe Tätigkeit hingegen eher als sinnlos,wennihmdieHinordnungaufeinentsprechendesZielfehlt.Einsover standenerSinnbegriffhatintentionalenCharakter. SkovsmosestellteinenengenZusammenhangzwischenSinnbeimLernen (welcheseralsHandlungauffasst)undIntentionenher(vgl.Alrø,Skovsmose& Valero, 2007; Skovsmose, 1994, 2005a, 2005b). Dabei versteht er den Hinter
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2SinnundSinnkonstruktionimKontextschulischenLernens
grund (background) und Vordergrund (foreground) einer Person als zentrale ElementefürdieEntstehungvonSinn(Alrøetal.,2007,S.8).DerHintergrund einer Person bestehe hierbei aus Erfahrungen und Handlungen, in die diese Personinvolviertwarbzw.diesieausgeübthat.Diesekönnenkulturelle,sozio politische und familiäre Traditionen umschließen (Skovsmose, 2005a, S.6). Ihr Vordergrund bestehe demgegenüber aus den Möglichkeiten, die die soziale, politische und kulturelle Situation dieser Person zur Verfügung stellt (Skovs mose, 2005a, S.6) sowie ihren eigenen Interpretationen dieser Möglichkeiten undGelegenheitenbezogenaufdaseigeneLeben(Alrøetal.,2007,S.7).Hin tergrund und Vordergrund ergeben zusammen die persönlichen Dispositionen (Skovsmose, 2005a, S.7, 2005b, S.89). Skovsmoses Begriffe background und foreground(2005a)gehendemnachineineähnlicheRichtungwiedieindieser Arbeit entwickelten Konzepte der persönlichen Merkmale sowie der Hinter grundmerkmale(vgl.Abschnitte2.6.1und2.6.2,S.51bzw.63). FolgtmanderTerminologieSkovsmoses,sosindZieleundIntentionender Person also Teil ihres Vordergrundes. Dieser Vordergrund ist dann zentrales ElementderErschaffungvonSinnsowiedieBereitschaftzulernen: […]foregroundisalsoacentralelementinthecreationofmeaning.Aconditionfor apersonmakingthedecisionofengagingintheactoflearningisthattheactivity makessense,thatis,thatthepersonfindsandconstructsameaning.(Alrøetal., 2007,S.8,HervorhebungimOriginal,MV)
Der Zusammenhang zwischen Vordergrund und Sinn werde besonders offen sichtlich,wenndieAuswirkungenvonzerstörtemVordergrundbetrachtetwer den.Diesbedeutenicht,dassderVordergrundnichtmehrvorhandensei,son derndasssichkeineattraktivenoderrealistischenMöglichkeitenoderGelegen heiten aufzeigen. Die Intentionen und Ziele seien in einem solchen Falle zer stört, so dass das Lernen (von Mathematik) sinnlos erscheine (Skovsmose, 2005a,S.6).FürdieEntstehungvonSinnistfolglichnichtalleinbereitserlebte Erfahrungrelevant,sondernbesondersauchindieZukunftgerichtetesDenken inFormvonIntentionenoderZielen.OderwieSkovsmose(2005a,S.8)schreibt: we must not only consider the students' background, but we must also consider their hopes and aspirations. We must consider where they want to go. Meaning notonlyrepresentsthepast.Italsorepresentsthepresentandthefuture.Eachstu dent's foreground is a principal resource for meaning production. (Hervorhebung imOriginal,MV)
Sowohl bereits gemachte Erfahrungen als auch zukünftige Perspektiven sindalsorelevantfürdieKonstruktionvonSinn.
2.3DasSinnkonzeptdieserArbeit
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SinnalsZweck SinnalsZweckzubetrachtenistengverknüpftmitderPerspektivevonSinnals Intention oder Ziel (vgl. etwa Gebhard, 2003, S.207208; Koller, 2008a, S.16, 2223).DiesliegtandemdirekteninhaltlichenZusammenhangzwischenZweck und Ziel. Wer ein Ziel verfolgt, dessen Handlungen haben einen Zweck (oder aucheineFunktion),nämlichdiesesZielzuerreichen.Soistesauchnichtver wunderlich, dass Koller (2008a, S.16) neben anderen Beispielen das Streben nacheinergutenNotealseinBeispielfürSinnalsZweckangibt,denLernende schulischemUnterrichtunddessenInhaltenzuschreiben,obgleichebendieses StrebenimvorangehendenKapitelalseinBeispielfürSinnalsIntentionundZiel fungierte. Beides beleuchtet also den gleichen Umstand, jedoch aus unter schiedlichenPerspektiven.Kollerweistdaraufhin,dass–werdeSinnkonstruk tionalleinalsZweckoderAbsichtverstanden–eineAbgrenzungzumKonzept derLernmotivationschwierigsei. Trotz der inhaltlichen Nähe zum Sinn als Intention und Ziel soll hier aus Gründen der Übersichtlichkeit und Klarheit Sinn als Zweck eines Gegenstands odereinerHandlungalseigenerAspektaufgeführtwerden,dasichdieserwei ter untergliedern lässt. Auf der einen Seite beschreibt der Zweck einer Hand lungdengeradefestgestelltenZusammenhangzwischenZweckundZiel.Sosoll der Zweck einer Handlung als das Ziel verstanden werden, welches mit dieser Handlung einhergeht. Die Verfolgung eines Zwecks ist also gleichzusetzen mit Handlungen,dieunternommenwerden,umeinZielzuerreichen.DieseArtvon Sinnhat–analogzumSinnalsIntentionundZiel–intentionalenCharakter. Auf der anderen Seite charakterisiert der Zweck eines Gegenstands den Nutzen,dendieserGegenstandfürdasIndividuumverkörpert,undzeigtdamit funktionalenCharakter(vgl.Vollstedt&Vorhölter,2008,S.31).DerZweckeines Gegenstandes kann – im Gegensatz zum Zweck einer Handlung, welche ohne BezugaufeinenGegenstanddenkbarist–nichtlosgelöstvonHandlunggedacht werden. Dies liegt daran, dass es „unmöglich ist, einem Gegenstand einen Zweckzuzuschreiben,ohneeinHandelnvorauszusetzen,undzwareinzweckge richtetes Handeln“ (Baier, 2000, S.196). Der Zweck des Gegenstandes müsse dabei jedoch nicht mit dem Zweck des Handelnden übereinstimmen (Baier, 2000,S.196).BeispielsweiseistderZweckeinesPultesimKlassenzimmernor malerweisenichtder,alsSitzgelegenheitzudienen,gleichwohlesoftmalsdazu gebrauchtoder–vomGegenstandherbetrachtet–missbrauchtwird.Sinnals Zweck umfasst mithin sowohl Aspekte bzw. ist Teil von Sinn als Intention und ZielsowievonSinnalsNutzen.
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2SinnundSinnkonstruktionimKontextschulischenLernens
Sinn bzw. Sinnkonstruktion als Ergebnis eines Konstruktionsprozesses ist jedoch mehr als lediglich die Verfolgung eines Ziels, einer Absicht oder eines Zwecks (vgl. Koller, 2008a, S.2223; vgl. auch Abschnitt2.2, S.20). Sinn konstruktion vollziehe sich in der „Auseinandersetzung mit einem fremden Gegenstand, der ein Sinnangebot bzw. eine Sinnzumutung enthält, ohne dass diese auf einen Autor und dessen Intention zurückgeführt werden könnte“ (Koller, 2008a, S.23). Diese Auseinandersetzung basiere auf einem Vorver ständnis, welches die Lernenden dem Gegenstand entgegenbringen. Entspre chendnähernsiesichihmanundarbeitetensichanihmab.Dabeiwerdedas Vorwissen, so Koller, schrittweise korrigiert und erweitert. Dieses Verhalten gehtjedochüberdiealleinigeVerfolgungeinesZwecksodereinesZielshinaus. Biller(1991,S.88)stelltdarüberhinausfest,dassZweckundSinnnichtgleich gesetztwerdenkönnen,daZweck„vomBewußtseingesetzt,intentionalundan bestimmte Objekte unlösbar gebunden“ sei. Sinn hingegen ergebe sich erst nachspezifischensubjektivenBemühungenumetwas(vgl.Biller,1991,S.87). SinnalsNutzen ÜberdenNutzenvonMathematikist,mehralsüberdieanderenbishergenann ten Aspekte, geforscht worden. Niss (1994, S.367370) und Heymann (1997, S.4647) stellen fest, dass Mathematik eine immer wichtiger werdende Rolle für die Entwicklung der Gesellschaft spielt, da sowohl verschiedene wissen schaftlicheBereichealsauchElementedesAlltagsaufihraufbauenundsomitin engemZusammenspielmitihrstehen(vgl.auchbereitsHunger,1949,S.711). Niss(1994,S.368370)beschreibtdreiverschiedeneArten,aufdieMathematik von Nutzen für das Individuum bzw. die Fortentwicklung der Gesellschaft sein kann(vgl.auchGellert&Jablonka,2007): 1.
2.
3.
Mathematik sei als angewandte Wissenschaft Grundlage anderer wissen schaftlicherRichtungen,MethodenundtechnischerVerfahren.DieserBe reich erstrecke sich von den Naturwissenschaften über die Wirtschafts undSozialwissenschaftenbishinzurLinguistik.JenachBereichnehmedie AnwendungvonMathematikeinespezifischeForman. Darüber hinaus basieren verschiedenste angewandte Verfahren, die zum Teil Element einer wissenschaftlichen Disziplin seien, auf Mathematik. Hierbei handelt es sich etwa um Beschreibung oder Vorhersage von Phä nomenen aus den Naturwissenschaften oder um Regulation industrieller odersoziotechnischerSysteme. Schließlich komme Mathematik sehr häufig als Element des täglichen Le bensvor;gleichwohlwerdeesdochoftmalsübersehen.Besondersintäg
2.3DasSinnkonzeptdieserArbeit
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lich vorkommenden Handlungen wie Geldgeschäften, dem Abwiegen von GegenständenoderauchderErstellungbzw.derRezeptiongrafischerDar stellungenoderTabellenwerdeMathematikgenutzt. ObwohldieMathematikalsofürdieGesellschafteinezentraleundimmerwei ter wachsende Bedeutung innehat, deutet Niss (1994, S.371) in diesem Zu sammenhangeinRelevanzparadoxonderMathematikan:Trotzderobjektiven sozialen Relevanz der Mathematik werde sie subjektiv jedoch kaum wahrge nommen.Diesliegeallerdingsnichtdaran,dassdieMathematikimallgemeinen Lebennichtvorkomme;sieseilediglichverstecktetwaintechnischenGeräten, ComputernoderÄhnlichem(vgl.z.B.Niss,1994,S.371;Heymann,1997,S.46 47).UmmitNiss(1994,S.372)zusprechen:“Inoneword,mathematicsisin visiblebecauseitishidden,notbecauseitisabsent“(HervorhebungimOriginal, MV). Diese Diskrepanz zwischen der persönlich wahrgenommenen Relevanz bzw. dem Nutzen von Mathematik und ihrer tatsächlichen Bedeutung für die Gesellschaft konnte Maaß (2006) selbst bei Studierenden des Lehramtes der Mathematik zeigen, obgleich diese eigentlich sensibilisiert sein sollten für das Vorkommen und den Nutzen der Mathematik im Leben. Maaß (2006, S.117) schlägtdahervor,imHinblickaufdenMathematikunterricht„zwischeneinem NutzenvonMathematikfürdenEinzelnenundeinemNutzenvonMathematik für die Gesellschaft und ihre Entwicklung zu unterscheiden“, obgleich durch eine solche begriffliche Differenzierung keine scharfe Trennung zwischen den beidenKonzeptenimpliziertwerdensolle. DadiebisherzitierteForschungoffenbareinDefizitdersubjektivenWahr nehmungdesNutzensvonMathematikerkennt,stelltsichdieFrage,inwiefern der schulische Mathematikunterricht einen Beitrag dazu leisten kann, diesen Umstand zu verändern. Für die Thematisierung von Sachkontexten in der Grundschule liefert Schütte (1994, S.8995) verschiedene Gesichtspunkte, un ter denen die Nützlichkeit von Mathematik als Hilfsmittel erfahren werden könne. Ihrer Einschätzung nach vermitteln Mathematisierungen interessante Informationenüberdie‚Welt‘,übermichunddieanderenundsindmathemati scheVerfahrenbeiderPlanungvonAktivitätenofteinunentbehrlichesHilfsmit tel. Darüber hinaus lernen Kinder, mit den Mathematisierungen in ihrer Le bensweltkompetentumzugehen.FürdieSekundarschulevertrittHansWerner Heymann (1997, S.4647)die These, dasssich „[d]ergrößte Teil der üblichen, im Sekundarschulbereich gelehrten mathematischen Inhalte […] nicht über seinenlebenspraktischenNutzenrechtfertigen“lasse.Dassestrotzdemmöglich ist, die (lebenspraktische) Anwendbarkeit von Mathematik im schulischen Un
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2SinnundSinnkonstruktionimKontextschulischenLernens
terrichtzuthematisieren,zeigendieverschiedenstenArtenvonRealitätsbezü gen und besonders auch komplexeren Modellierungen, in denen auch Mathe matik gebraucht wird, dieüber eingrundlegendes Niveau hinausgeht(für Bei spielevgl.etwaKaiser&Schwarz,2006;Vorhölter,2009). AusdemGebrauchoderdemVerständnisvonMathematikbzw.mathema tisch geprägten Handlungen können also Vorteile für den die Mathematik ge brauchenden Menschen entstehen. Für eine Ingenieurin kann beispielsweise dieKenntnisundAnwendungeinesbestimmtenVerfahrensVoraussetzungfür dieErstellungeinestechnischenPlanessein;imAlltagslebenbewahrtdasLesen einesFahrplanesdavor,zuspätzueinemTerminzugelangen.Einsolcherwie auch immer gearteter Vorteil, den eine Person durch die Aneignung bzw. das Verstehen eines mathematischen Gegenstandes oder durch eine Mathematik anwendendeHandlungerlangt,charakterisiertdenNutzen,dendieMathematik für diese Person haben kann (vgl. Vollstedt &Vorhölter, 2008, S.30). Die Ma thematikkannsomitalsHilfsmitteloderWerkzeuggebrauchtwerden,mitdem einePersonleichterdiesichihrstellendenAnforderungenbewältigenkann.Der Nutzen, den die Mathematik in solchen Momenten für die Person hat, liegt dabei demzufolge in der Bewältigung des Alltags bzw. von Anforderungen im späteren beruflichen Leben. Ein auf Nutzen basierter Sinnbegriff hat damit ei nenstarkfunktionalenCharakter(vgl.Vollstedt&Vorhölter,2008,S.30). SinnalsWert SprichteinePersoneinemGegenstandodereinerHandlungWertzu,soistdie ser Gegenstand bzw. diese Handlung für sie erstrebenswert. Es können dabei unterschiedliche Arten von Werten sein, die angestrebt werden: materielle, religiöse oder sittliche (vgl. Vollstedt &Vorhölter, 2008, S.31). Besonders von den letzten beiden Arten von Werten geht eine Forderung aus (Biller, 1991, S.87)indemSinne,dasssieRichtlinienvorgeben,diehandlungsleitendwirken. AuchwennWerteselbstalsokeinenSogausüben,derSinnbzw.Sinnkonstruk tionen beschleunigt oder anregt, bieten sie doch einen leitenden Rahmen, in dem die Konstruktion von Sinn leichter fällt als losgelöst von entsprechenden Wertenbzw.gegensiegerichtet. EinVerständnisvonSinnalsWertimKontextschulischenMathematikler nensgehtengeinhermitderVergegenwärtigungdesNutzensvonMathematik im Alltag. Schülerinnen und Schüler können mathematischen Begriffen und Konzepten, die sie in ihrem Leben wiederfinden können, einen Nutzen und damitaucheinenWertzusprechen.DieMathematikkannsomitalsHilfsmittel zurBewältigungmancherSchwierigkeitendeseigenenLebensgesehenwerden.
2.3DasSinnkonzeptdieserArbeit
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IndiesemWertkannsichdiepersönlicheRelevanz,ergoderSinn,denSchüle rinnenundSchülerderMathematikbzw.demLernenvonMathematikzuspre chen,konstituieren. ZusammenspielderdiskutiertenBegriffemitdemSinnbegriff Wie gerade diskutiert, stehen die Begriffe Bedeutung, Intention, Ziel, Zweck, NutzenundWertimZusammenspielmitdemhierentwickeltenSinnbegriff.Alle Begriffe können Teil des Sinnbegriffs sein, reichen jedoch für sich genommen nichtaus,umsubjektivrelevantenSinnzubeschreiben.Biller(1991,S.89)be schreibt dies, unter Bezugnahme auf die Begriffe Bedeutung, Zweck, Funktion undWert,folgendermaßen: DasaktiveSubjekterlebt‚Sinn‘z.B.dann,wenneseineBedeutungerkannt,einen Zweck erreicht, eine Funktion ausgeübt und einen Wert verwirklicht hat. Bedeu tung, Zweck, Funktion und Wert sind aber trotz der umgangssprachlichen Verlo ckung nicht selbst ‚Sinn‘, weil sie ihre Selbständigkeit aufgeben würden. Sie sind TeilzielederSinnsuche,ZwischenstadienaufdemWegzumSinn.Erstwennsieer reichtsind,bestehtdieMöglichkeiteinesSinnerlebnisses.SiefungierenalsOrien tierungspunkte,diesichdasSubjektsetzt,wennesdieSinnhaftigkeiteinesObjekts, einerHandlung,einerSituation,derWeltunddesLebenszuerfassensucht.
Erst durch das Entdecken, also Konstruieren, der Teilaspekte werde Sinn, so Biller, erlebbar. Das Zusammenspiel aus all diesen Teilen kann daher die not wendigeVielschichtigkeitunddenFacettenreichtumdesSinnbegriffsabbilden. Dabei ist es wichtig zubetrachten,dass jedes der Konzepte nichtganz in Sinn aufgeht,sondernnurEinzelelementedesjeweiligenBegriffszupersönlichemp fundenem Sinn werden können. Die übrigen Sinnangebote bleiben unbe rücksichtigt.DiefolgendeGrafiksolldiesenUmstandverdeutlichen(vgl.Abbil dung2,S.39):
Abbildung2:
Sinn im Zusammenspiel mit Bedeutung, Intention, Ziel, Zweck, NutzenundWert.
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2SinnundSinnkonstruktionimKontextschulischenLernens
Die Überlappung der einzelnen Begriffsfelder von Bedeutung, Intention, Ziel, Zweck,NutzenundWertsowohlindasSinnFeldhineinalsauchdarüberhinaus solldeutlichmachen,dassAspektedesjeweiligenBegriffseinerseitspersönlich relevant und damit zu Sinn werden können. Andererseits sind darüber hinaus aber auch Begriffe vorstellbar, die zwar potentiell persönlich relevant werden können,diesabernichtzwingendmüssen.Sieverbleibensomitbeispielsweise in der Menge aller Ziele des behandelten Begriffs oder der Handlung, ohne jedoch für die jeweilige Person Sinn zu beschreiben. So kann der Sinn einer Beschäftigung mit mathematischen Aufgaben für eine Schülerin darin liegen, ihrem Ziel, die mathematische Theorie genauer zu verstehen, näher zu kom men.EinandererSchülerhingegenwidmetsichdenAufgabenmitdemZiel,die Hausaufgabenmöglichstschnellfertigzustellen,umZeitfürseineFreizeitaktivi täten zu haben. Was für eine Person persönlich relevant ist, muss also nicht gleichfalls auch für eine andere sinnvoll sein. Jedes Individuum konstruiert dementsprechendausdenmöglichenSinnangebotendiefürespersönlichrele vantenSinnkonstruktionen. 2.4 EntstehungvonSinn Nachdemgeklärtwurde,welchesKonzeptindieserArbeitmitdemSinnbegriff beschrieben wird, stellt sich nun die Frage, auf welche Weise Sinn entsteht. Nimmt man die Perspektive der konstruktivistischen Lernphilosophie ein, die momentan im Bereich der Mathematikdidaktik die vorherrschende Sichtweise aufLernprozesseist(Ernest,2006,S.3),geschiehtLernennichtpassiv,sondern das Wissen muss von den Lernenden selbst aufgebaut werden (Ernest, 2006). UnterdemTerminusKonstruktivismuswerdenverschiedene,teilweiseeinander diametral gegenüberstehende (Lern)Theorien zusammengefasst. Paul Ernest (2006)unterscheidetbeispielsweisediefolgendenArten:simpleconstructivism, radical constructivism, enactivism und social constructivism. Es wird daher da vonAbstandgenommen,vondemKonstruktivismuszusprechenbzw.sicheiner bestimmten konstruktivistischen Schule zuzuordnen. Nichtsdestotrotz wird die konstruktivistische Idee des Lernens als tragfähig erachtet und als Prämisse dieserArbeitzugrundegelegt.LernenebensowieVerstehenwirddamitalsein rekursiver Konstruktionsprozess aufgefasst, bei dem aus bereits bestehenden BausteinenneuementaleStrukturenaufgebautwerden,diewiederumBaustei ne für wieder neue Ideen und Konzepte werden können (Ernest, 2006). Eine konstruktivistische Perspektive auf Lernen stellt demgemäß den bzw. die Ler nendeindenFokus,wasmitderPerspektivederBildungsgangforschungüber
2.4EntstehungvonSinn
41
einstimmt. Folgt man nun einer solch konstruktivistischen Lernphilosophie, ist esnaheliegend,dassauchSinninLehrLernKontextennichteinfachvorhanden ist oder übergeben werden kann, sondern vom Individuum selbst auf eine ir gendwie geartete Weise hergestellt werden muss, oder, um mit René Thom (1973, S.204) zu sprechen: “‘meaning’ in mathematics is the fruit of constructive activity, of apprenticeship”. Nach Überlegungen zu den Begriffen der Sinngebung, Sinnstiftung und dem Sinnerleben (vgl. auch Vollstedt & Vor hölter, 2008, S. 3136), kommt auch Biller (1991, S.146) zu einem analogen Schluss: Was bei ‚Sinngebung‘ gegeben, bei ‚Sinnschenkung‘ geschenkt oder bei ‚Sinnstif tung‘gestiftetwurde,warallesandereals‚Sinn‘:eswaren‚Bedeutungen‘,‚Gebor genheit‘und‚Anregungen‘,dieallesamterst‚Sinn‘ergaben,selbstabernicht‚Sinn‘ waren.‚Sinn‘mußmanerarbeiten.
DaherkönnemanSinnalsonichtgeben,schenkenoderstiften,sondernerkön nenur„imVollzugsubjektiverAktivitätenzurExistenzgelangen“(Biller,1991, S.146).VonSinnkonstruktionzusprechenistdaheraufBasiseinerkonstrukti vistischenLernphilosophienichtnurnaheliegend,sondernnotwendig. Dem Begriff der Sinnkonstruktion gegenüber gibt es kritische Stimmen. Heymann(1996,S.293)etwastehtdemBegriffderSinnkonstruktion,wieerihn z. B. bei Hermann Maier (1991) und Heinrich Bauersfeld (1993, S.245) findet, kritisch gegenüber, weist jedoch darauf hin, dass dies – sollte es sich um ein Missverständnishandeln–aneinerverkürztenSprechweiseseitensderbeiden Autorenliegenkönne. DieRedevomsinnkonstruierendenIndividuumverleitetzuderVorstellung,dasIn dividuumkönnewillkürlichSinnfürsichherstellen.DasjedochwidersprichtderAll tagserfahrung–z.B.derlernenderSchüler,diesichvergeblichbemühen,denSinn einermathematischenAussagezuergründen.
Heymann scheint stattdessen „das Erleben von Sinn (oder von Verstehen)“ (Heymann, 1996, S.293) zu bevorzugen, weil dieses nicht direkt beeinflussbar sei.Mirscheint,dassHeymann(1996)undMaier(1991)denSinnbegriffrecht ähnlichfassen,nämlichSinnalsVerstehen.Bauersfeld(1993,S.245255)aufder anderenSeiteverwendetdenBegriffderSinnkonstruktionanscheinendanders, wenn er das Merkmal der Konstruktivität allen Wahrnehmens, Deutens und Verstehensfolgendermaßenbeschreibt: Gemeint ist die prinzipielle Unüberschreitbarkeit der spontanen aktiven Sinn konstruktionen des Individuums. Objektive Wirklichkeit wird nur durch die Filter unserer Sinne spürbar. Wir entwerfen intern Bilder, Vorstellungen, Modelle von
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2SinnundSinnkonstruktionimKontextschulischenLernens
dieser Wirklichkeit (einschließlich unseres Selbst und unserer Körperlichkeit), die wir über die erfahrenen Widerständigkeiten anpassen, d.h. zu lebbaren, ‚viablen‘ Hypothesen(Glasersfeld)formen.
DamitrückterdenBegriffderSinnkonstruktionindieNähederkörperlichsinn lichenErfahrung,diedannkognitivverarbeitetwird.DiesistmeinesErachtens nachweitentferntvomSinnverständnisderanderenbeidenAutoren. Heymanns Kritik am Sinnkonstruktionsbegriff ist nachvollziehbar, verspü rendochvieleSchülerinnenundSchülereinGefühlvonSinnlosigkeitimschuli schen(Mathematik)Unterricht(vgl.auchAbschnitte2.1.1und2.1.2,S.13bzw. 15).HeymannscheintjedocheinanderesVerständnisdesSinnbegriffszugrunde zu legen, als es in dieser Arbeit verwendet wird. Sein Verständnis des Sinns einer mathematischen Aussage bezeichne ich eher als Bedeutung. Heymanns Sinnverständnis als Verstehen greift in der beschriebenen Situation offenbar nichtmehr,sodasserdenSchülerinnenundSchülerneinemissglückteSinnsu chebescheinigt.DasmeinerArbeitzugrundeliegendeSinnverständnishingegen greiftjedochauchineinerwiedervonHeymann(1996,S.293)beschriebenen Situation.DadielernendenSchülerinnenundSchülersichtrotzdem–obwohles sichumeinefürsieschwierige(mathematische)Aussagehandelt–weitermit denInhaltenauseinandersetzen,verfolgensieoffenbareinenanderenSinnals den, die gesellschaftlich geteilte Bedeutung des mathematischen Konzepts zu ergründen.Sicherlichwäreesbefriedigendfürsie,wennsiesichalskompetent erleben könnten, die Aussage zu verstehen bzw. nachvollziehen zu können. Doch auch allein die Beschäftigung mitden Inhalten im Rahmen einerMathe matikstundealsAusführeneinesArbeitsauftrageskannbereitsden(wennauch vielleicht normativ wenig gewünschten funktionalen bzw. intentionalen) Sinn haben,keinenÄrgermitderLehrpersonzubekommen.Denndiesenwürdeeine Arbeitsverweigerung wahrscheinlich nach sich ziehen. Je nachdem, welchen Sinnbegriffmanalsozugrundelegt,kannaucheinesolcheSituationalssinnhaft fürdieSchülerinnenundSchülerinterpretiertwerden. HeymannsKritikamBegriffderSinnkonstruktionisteigentlichverwunder lich,daerselbstdasVerstehenalseinen„konstruktivenAkt“beschreibt,„durch densichdasSubjekteinenSachverhalt,einen‚Gegenstand‘zueigenmacht,der ihm ‚von außen‘ gegenübertritt“ (Heymann, 1996, S.215). Außerdem ist Hey mann(1996,S.212)derAuffassung,dassKonsensdarüberbestehe,dass„Ver stehen mit dem Erleben von Sinn einhergeht“ und der Verstehensprozess „als Streben nach Sinn“ charakterisiert werden könne (Heymann, 1996, S.212). Wäreesdanichtnaheliegend,auchvonSinnkonstruktionzusprechen?
2.5EigenschaftenvonSinnkonstruktion
43
Gebhard (2003, S.211) bringt das auch von Heymann (1996, S.212) the matisierte Streben nach Sinn zusammen mit der konstruktivistischen Auffas sung vom Lernen, welches mit einem „zentralen Sinnbedürfnis der konstruie rendenSubjekte“einhergehe(vgl.auchCombe&Gebhard,2007,S.1213).In seinemVerständnismussSinnimmerwiederneuaktiverzeugt,alsokonstruiert werden,daesSinnnichtalsfertigesvorgegebenesSystemgebe,sonderninden jeweiligen Einzelsituationen neu konstruiert werden müsse (Gebhard, 2003, S.211): „Sinn und Bedeutung gibt es nicht als fertige Sinnangebote; Sinn und Bedeutung werden in Verbindung mit der kulturellen Welt erzeugt“ (Born &Gebhard,2005,S.257). Sinn kann unter einer konstruktivistischen Perspektive dementsprechend nichtgeschenkt,gegeben,gestiftetodererlebtwerden(vgl.Vollstedt&Vorhöl ter,2008,S.3136),sondernmusskonstruiertwerden.Lernsituationeninschu lischen LehrLernKontexten können – und sollten – im Zuge dessen so insze niertwerden,dass„subjektiveInterpretationen,diealssinnhafterlebt7werden bzw.zumAufbauvonSinnbeitragen,möglichsind“(Gebhard,2003,S.211).Die Lehrperson kann etwa Sinnorientierungen (Schütte, 1994, S.125) anbieten, oder Sinn „über die Gestaltung von Sinnmöglichkeiten (Sinnträgern)“ (Biller, 1991,S.157)anregen.DieseSinnangebotekönnendannvondenSchülerinnen und Schülern entweder übernommen, also selbst entsprechend konstruiert werden, oder aber zurückgewiesen werden, um eigene Sinnkonstruktionen zu entwerfen (vgl. Abschnitt2.5, S.43; siehe auch Hennings &Mielke, 2005, S.249). Sinnkonstruktion ist daher subjektiv und individuell, wie im folgenden Abschnittgenauerdargelegtwird. 2.5 EigenschaftenvonSinnkonstruktion NachdemichnunmeinVerständnisvonSinnkonstruktiondargestellthabe,sol len in den folgenden Abschnitten die Eigenschaften von Sinnkonstruktion vor gestelltwerden.DieseEigenschaftensindkennzeichnendfürkonstruiertenSinn undermöglicheneintieferesVerständnisdesSinnkonstruktionskonzepts. Subjektivundindividuell WieinAbschnitt2.3.2(S.28)dargelegtwurde,beschreibtderSinnbegriffdieser ArbeitdieausderPerspektivederLernendensubjektivempfundeneRelevanz, 7 EsbestehteinfundamentalerUnterschiedzwischendemErlebenvonSinnunddemErleben einerSituationalssinnhaft.HierbeiwirddieSituationalssinnhaftwahrgenommen,derSinn selbstwurdealsobereitskonstruiert.
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2SinnundSinnkonstruktionimKontextschulischenLernens
die der oder die Lernende mit einem im Unterricht behandelten Gegenstand, also auch theoretischen Inhalt, bzw. einer damit einhergehenden Handlung verbindet.Sinnkonstruktionistalsoperdefinitionemsubjektiv.Darüberhinaus ist Sinnkonstruktion außerdem individuell, da jeder und jede Lernende einen eigenenSinnmitBezugzueinembestimmtenGegenstandodereinerHandlung konstruierenkann.DieseKonstruktionistinsofernindividuell,alsdassverschie deneSchülerinnenundSchüler,diebeispielsweiseanderselbenMathematikun terrichtsstunde teilnehmen, völlig unterschiedliche Sinnkonstruktionen mit Bezug zu den dort behandelten Gegenständen und Handlungen vornehmen können.SokanneineimUnterrichtgestellteAufgabeetwadieSchülerinAnna dazu veranlassen, die Aufgabe mit Freude zu bearbeiten, da sie sich dabei als kompetentunderfolgreicherlebt.DerwenigerleistungsstarkeMatthiashinge gen möchte sich möglichst gut auf die nächste Klassenarbeit vorbereiten. Er verfolgt also einen klaren Zweck mit der Bearbeitung und verspürt im Gegen satz zu Anna keine positiven Emotionen. Diese beiden potentiell denkbaren Sinnkonstruktionen(KompetenzerlebenundPrüfungen)könnenfolglichneben einander in derselben Situation entstehen. Die Wurzeln dieser unterschiedli chenSinnkonstruktionenliegenprimärinAnnasundMatthias'bisherigenErfah rungen mit Mathematik begründet, die bei den beiden zu verschiedenen per sönlichenEigenschaftengeführthaben(vgl.dazuAbschnitt2.6.1,S.51). DieSubjektivitätundIndividualitätvonSinnkonstruktionkönnendurchdas konstruktivistische Verständnis von Lernen untermauert werden (vgl. Ab schnitt2.4,S.40).DiesePositiongehtdavonaus,dassLehrenzwareinesoziale Tätigkeitist,dasiesichanmehrereLernenderichtet,Lernenjedochauchinso ferneineprivateAktivitätist,alsdassjederSchülerundjedeSchülerinfürsich allein die Inhalte und Handlungen des Unterrichts verstehen muss. Jedes ler nendeIndividuummussdemnachdiebegrifflichenStrukturen,dieimUnterricht vermittelt werden sollen, eigenständig konstruieren und dadurch lernen. Ler nen geschieht daher nicht in Form passiver Aufnahme. Im Gegenteil: Wissen mussvonjedemIndividuumaktivkonstruiertwerden(vgl.Ernest,2006,S.3).In AnalogiedazuistauchSinnkonstruktionkeinkollektiver,sonderneinindividuel lerProzess. Eine solch konstruktivistische Lernphilosophie ist somit ein Argument da für, dass der von verschiedenen Personen mit einem Gegenstand oder einer HandlunginVerbindunggebrachte,alsokonstruierte,Sinnunterschiedlichaus fallenkann.FolgtmandieserEinstellung,liegtesnahe,dassverschiedeneSchü lerinnen und Schüler auch unterschiedliche Sinnkonstruktionen vornehmen – auchwennsiedemselbenUnterrichtbeiwohnen.Ebensoistnichtzuerwarten,
2.5EigenschaftenvonSinnkonstruktion
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dassderSinn,denSchülerinnenundSchülerimMathematikunterrichtkonstru ieren,etwamitdemderLehrerinbzw.desLehrersübereinstimmenmuss.Die Lehrperson kann beispielsweise ein Sinnangebot in Form von Aufgaben mit einemklarausgewiesenenRealitätsbezugmachen.DievonihrintendierteSinn konstruktionseitensderSchülerinnenundSchülerwäredannzumBeispieldie RelevanzvonMathematikfürAnwendungenimAlltagslebenzuerkennen.Die sesSinnangebotistjedochlediglicheinVorschlagundmussnichtvondenLer nenden übernommen werden. Biller (1991, S.1112) beschreibt das folgende BeispieleinerSchülerinaufderSuchenachdemSinndesLernensvonLatein: Nikola[fragteBiller]alssieinderachtenKlassewar,wozusiedenneigentlichLa tein benötige, wo es sich doch um eine ‚tote Sprache‘ handle. Meine Argumente verstandsiezwar,abersieüberzeugtensienicht.AufdieseWeisebliebbeiihrder Eindruckbestehen,LateinlernesieumderNoten,desKlassenzielsoderumande rerGründewillen.AlldieskonntesieabernichtmitihremLebeninZusammenhang bringen.Lateinhattenichtmitihrpersönlichzutun.Eserschienihralsnotwendi gesÜbel.
Solcherlei Situationen lassen sich viele finden. Die Sinnangebote, die die Lehr persondenLernendenmacht,werdenvondiesenoftmalsalsfürihrLebennicht relevantwahrgenommen,sodasslediglicheine–normativweniggewünschte– funktionaleoderintentionaleSinnkonstruktionvorgenommenwird.DieSchüle rinnenundSchülerkonstruierenfolglicheineneigenen,andersgelagertenSinn in der Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand, ob nun Latein oder Ma thematik. Der von der Lehrperson angebotene Sinn kann jedoch auch von den Ler nenden als persönlich relevant erachtet werden. Daher besteht also die Mög lichkeit,denvonderLehrpersonangebotenenSinnfürsichselbstzukonstruie ren,ihnquasizurekonstruieren.DiesoentstandeneSinnkonstruktionkannsich dannalstragfähigodernichttragfähigherausstellen.ImerstenFallverbindeter sich mit der eigenen Biografie, schließt damit an Handlungen und Objekte an, diemitdemLebenderSchülerinbzw.desSchülersinVerbindungstehen(vgl. Vollstedt&Vorhölter,2008,S.35).Demgegenüberkannsicheinsolchassimi lierterSinnauchalsnichttragfähigherausstellen,wenneinesolcheVerbindung zur eigenen Biografie nicht herstellbar ist, das Konzept entsprechend unange bunden neben anderen existiert. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn eine Sinnkonstruktion aus der Hoffnung resultiert, alles habe einen Sinn (vgl. Vollstedt&Vorhölter,2008,S.35).
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2SinnundSinnkonstruktionimKontextschulischenLernens
Kontextgebunden Sinnkonstruktion ist außerdem kontextgebunden. Sinn wird immer in einer bestimmten Situation (vgl. Abschnitt2.5, S.43) konstruiert, die wiederum in einenKontexteingebundenist.DerBegriffKontextwirddabeiaufzweiWeisen verstanden: Zum einen bezeichnet der Begriff den fachlichen Kontext, in den sich die im schulischen Unterricht behandelten Gegenstände und Handlungen einfügen. Der fachliche Kontext besteht damit beispielsweise aus dem behan delten Oberthema, den den Lernenden bereits zur Verfügung stehenden ma thematischenBegriffenundVerfahrenetc.IndiesesNetzausbereitsvondem Schülerbzw.derSchülerinaufgebauten,alsokonstruierten,fachlichenStruktu renwirddasneuzuerwerbendeElementeingewoben.Dadurchwirdesseiner seitsdannzumbereitsbestehendenKontextfürweitere,neuzulernendeInhal teundHandlungen. AufderanderenSeitebezeichnetderBegriffKontextdarüberhinausauch denpersönlichenKontextderLernenden,indendieseeingebettetsind.Dieser besteht aus den persönlichen Eigenschaften der bzw. des Lernenden sowie ihrem bzw. seinem persönlichen Hintergrund. Beide Konzepte werden im fol genden Kapitel ausführlich dargestellt (vgl. Abschnitte2.6.1 und 2.6.2, S.51 bzw.63), so dass an dieser Stelle nicht ausführlicher darauf eingegangen wer densoll. Bewusstseinsfähig,nichtaberpflichtig DieEntstehungvonSinnbzw.dasdamitverbundeneErlebenvonSinnhaftigkeit wird von verschiedenen Autoren als bewusster Prozess beschrieben (vgl. u.a. Heymann, 1996; Hennings &Mielke, 2005). Hennings und Mielke (2005) be schreiben,dassdasErlebenvonSinn–imGegensatzzurKonstruktionvonBe deutung–ehernichtalsunbewussterProzessvorstellbarsei,dadieser„offen kundige Zusammenhänge des Gelernten mit weiteren Zielen“ (Hennings &Mielke, 2005, S.252253) der Person selbst herstelle. Ein Lerninhalt werde folglichalssinnvollerlebt,wennerverstandenwerdeunddieFunktiondieses Verstehens mit persönlichen Zielen des Individuums in Verbindung gebracht werdenkönne(Hennings&Mielke,2005,S.241).HenningsundMielkebringen alsodenSinnbegriff,ähnlichwieHeymann(1996,S.217),inZusammenhangmit dem Verstehen zuvor unbekannter fachlicher Inhalte. Heymann (1996, S.217) formuliertdieseVerbindungfolgendermaßen: AussubjektiverSichtliegtVerstehenvor,wenneinzuvorfremdartigermathemati scher Sachverhalt ‚Sinn macht‘. Das Verstehen bzw. der Sinn, der sich damit ein stellt,gehtmiteinemmehroderminderintensiven‚Aha‘Erlebniseinherundwird
2.5EigenschaftenvonSinnkonstruktion
47
alsBelohnungfürdievorausgegangenegeistigeBemühungerlebt,manchmalauch als Geschenk (Intuition). Verstehen steht also für ein emotional positiv getöntes subjektivesErlebeneineskognitivenProzesses.
HeymannbeschreibthierdasVerstehenunddamitauchdasErlebenvonSinn als emotional positiv gefärbten Prozess und bringt beides darüber hinaus mit einem AhaErlebnis in Verbindung (Heymann, 1996, S.211, 217). Ein Aha Erlebnis ist ein Moment, in dem einem oder einer Lernenden bestimmte Zu sammenhänge zwischen den Inhalten, mit denen er bzw. sie sich gerade be schäftigt,undbeispielsweisebereitsgelerntenInhaltenoderauchdemeigenen Leben offenbar werden. Es wird von positiven Gefühlen begleitet und geht oftmals mit einer Wertschätzung der Inhalte einher, mit denen der bzw. die Lernende sich gerade beschäftigt (BiknerAhsbahs, 2005, S.I, Liljedahl, 2005). Ein solches AhaErlebnis beschreibt entsprechend Momente, in denen Zusam menhänge verschiedener Art offenbar werden, und der Moment des Verste hens aktiv erlebt wird. Sowohl im Falle des Erkennens fachlicher Zusammen hängealsauchimFalleindividuellerVerbindungenzureigenenPersonkannein AhaErlebnisalsBeispieldesbewusstenErlebensvon(inderhiergebrauchten Terminologie:zuvorkonstruiertem)Sinnbetrachtetwerden.Dievorgenomme ne Sinnkonstruktion wird somit in der Situation dominant und tritt in das Be wusstseinein. LegtmandenindieserArbeitverwendetenSinnbegriffalssubjektivemp fundenepersönlicheRelevanzzugrunde,kannSinnkonstruktiondarüberhinaus auchdurcheinenintuitiven,unbewusstenProzessentstehen.Derunbewusste Prozessbestehedabei„inderautomatisiertenAktivierungbzw.Hemmungvon hochgradigmiteinanderassoziiertenbzw.voneinanderdissoziiertenkognitiven Inhalten“ (Graduiertenkolleg Bildungsgangforschung, August 2004, Abschnitt 3.4.2 (2)). Diese Beschreibung kann mit Hilfe des kognitionspsychologischen Bildes von Denken und Wissen als neuronales Netz illustriert werden. Darin wirdWissensymbolisiertalseineVielzahlmiteinanderinAssoziationstehender, alsoverbundenerKnotenpunkte.DieseVerbindungenkönnen,jenachAktivie rung,inderAssoziationsdichteverstärktoderabgeschwächtwerden(Hennings &Mielke, 2005). Unbewusste Sinnkonstruktion könne entsprechend als eine Form von automatisierter Sinngebung verstanden werden, welche besonders ausgeprägte Verbindungen zwischen kognitiven Inhalten verfolge, da diese besonders eng miteinander assoziiert seien. Eine solch automatisierte Sinn gebung müsse dann für nachhaltiges Lernen aufgebrochen werden, um neue Automatisierungenzuermöglichen,dennnursoseiTransferdesGelerntenauf
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2SinnundSinnkonstruktionimKontextschulischenLernens
neue Situationen möglich (Graduiertenkolleg Bildungsgangforschung, August 2004,Abschnitt3.4.2(2)). Da Sinnkonstruktion nach den hier beschriebenen Überlegungen sowohl bewusstalsauchunbewusstgeschehenkann,istSinnkonstruktionalsErgebnis des Konstruktionsprozesses insofern also bewusstseinsfähig, nicht jedoch be wusstseinspflichtig. Wenn Sinn jedoch nicht bewusstseinspflichtig ist, daher implizit konstruiert werden kann und latent bleibt, stellt sich die Frage, auf welche Weise Sinnkonstruktion im schulischen LehrLernKontext untersucht werdenkann.ZumeinenkannSinnkonstruktionerforschtwerden,indemKon zeptedestheoretischenRahmens,diemitdemderSinnkonstruktioninZusam menhang stehen (vgl. Abschnitt 2.6, S. 48), erfragt werden. Da diese – so die Argumentation – in engem Zusammenhang mit Sinnkonstruktion stehen und deren Entstehung beeinflussen, kann durch ihre Untersuchung auf die Sinn konstruktion zurückgeschlossen werden. Zum anderen kann aber auch ein zu nächstunbewusstverlaufenerSinnkonstruktionsprozessnachträglichreflektiert werden und somit der Bewusstheit zugänglichgemachtwerden. Auf diese Art istderProzessderSinnkonstruktionbzw.stärkernochdasErgebnisdiesesPro zesseswissenschaftlicherUntersuchungzugänglich. 2.6 TheoretischerRahmenderSinnkonstruktion DieKonstruktionvonSinnfindetnichtineinemVakuumstatt,sondernistdurch mehrere Faktoren gekennzeichnet, die für die Sinnkonstruktion als beeinflus sendangenommenwerden(vgl.Abbildung3,S.49). DasIndividuum,alsoeinSchülerodereineSchülerin,befindetsichineiner bestimmten Situation, z. B. im schulischen Mathematikunterricht im Klassen verband. In dieser Situation konstruiert er bzw. sie Sinn. Für die Konstruktion vonSinnistdamitzumeinendieSituationalssolchevonBedeutung.Darüber hinaus wird angenommen, dass bestimmte persönliche Merkmale sowie Hin tergrundmerkmale der Person wichtig sind (vgl. Vollstedt, 2007; Vollstedt &Vorhölter,2008,S.3536).PersönlicheMerkmalekennzeichnensichdadurch, dasssieTeilderPersonselbstsindund(ggf.übereinenlängerenZeitraumhin weg)–beispielsweisedurchdieLehrpersonimUnterricht–beeinflussbarsind. Hintergrundmerkmale auf der anderen Seite sind Merkmale der Person, die nichtdirektbeeinflussbarsind. Die Unterscheidung von persönlichen Merkmalen und Hintergrundmerk malen verläuft in Analogie zur Unterscheidung von Selbst und Welt, also die Begriffe, die für Rainer Kokemohrs Fassung des Bildungsbegriffs zentral sind
2.6TheoretischerRahmenderSinnkonstruktion
Abbildung3:
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TheoretischerRahmenderSinnkonstruktion.
(vgl.Kokemohr,2007).Erschlägtvor,„BildungalsProzessaufzufassenundals ProzessderBeoderVerarbeitungsolcherErfahrungenzuuntersuchen,dieder SubsumtionunterFigureneinesgegebenenWeltundSelbstentwurfswiderste hen“ (Kokemohr, 2007, S.21). Bildung findet also insbesondere dann statt, wenn der bzw. die Lernende mit Fremdem oder widerständigen Erfahrungen konfrontiert wird, welche nicht mit den Figuren seines bzw. ihres bisherigen Welt und Selbstverhältnisses bewältigt werden können (vgl. auch Koller, 2005b, S.57). Diese Krisenerfahrungen führen dann zu einer Auseinanderset zungmitdensubsumtionsresistentenErfahrungen,diedannbeundverarbei tet werden (müssen). Durch die Auseinandersetzung mit diesen Erfahrungen verändernsichschließlichdieFigurendesWeltundSelbstentwurfsdesIndivi duums(Kokemohr,2007,S.21).Eshandeltsichfolglichumeinentransformato rischenBildungsbegriff(Koller,2005a,Koller,2005b,Koller,2007).DieseTrans formationderWeltundSelbstverhältnissegrenztdamitdenBegriffderBildung vondemdesLernensab.UnterLernenverstehtKokemohrnachKoller(2005a, S.83) informationstheoretisch gesprochen einen „Prozess der Aufnahme, An eignung und Verarbeitung neuer Informationen [...], bei dem jedoch der Rah
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2SinnundSinnkonstruktionimKontextschulischenLernens
men,innerhalbdessendieInformationsverarbeitungerfolgt,selberunangetas tet bleibt“. Bildungsprozesse hingegen seien „Lernprozesse höherer Ordnung, beidenennichtnurneueInformationenangeeignetwerden,sondernauchder Modus der Informationsverarbeitung sich grundlegend ändert“ (Koller, 2005a, S.8384).Aspekte,diezumSelbstgezähltwerdenkönnen,wieBeliefs,Denkstile und Charaktereigenschaften des Individuums, werden unter dem Begriff der persönlichen Merkmale subsumiert (vgl. Abschnitt2.6.1, S.51). Die Familiensi tuation,einmöglicherMigrationshintergrundsowiederkulturelleHintergrund, den der Schüler bzw. die Schülerin hat, zählen hingegen zur Welt und fallen daher unter die Charakterisierung der Hintergrundmerkmale (vgl. Ab schnitt2.6.2,S.63). Eine schließlich vorgenommene Sinnkonstruktion kann Bewertungen, die sichaufdieSituationrichten,sowiemöglicherweiseresultierendeHandlungen beeinflussen. Die Lernsituation im Mathematikunterricht kann also als mehr oder weniger interessant oder relevant für den Lernenden bzw. die Lernende gewertet werden. Folglich sind auch verschiedene Handlungen denkbar, die durch eine entsprechend ausgefallene Sinnkonstruktion beeinflusst werden. WirdeinepersönlicheRelevanzderinderSituationthematisiertenGegenstän de oder Handlungen von dem Schüler oder der Schülerin erkannt, kann eine Handlunggeneriertwerden,dienormativpositivgewertetwürde(beispielswei se eine weitere Auseinandersetzung mit fachlichen Inhalten). Fällt die Sinn konstruktion(voneinemnormativenStandpunktausgesehen)ehernegativaus, und wird die Situation mit den darin thematisierten Handlungen und Gegen ständen entsprechend negativ gewertet, kann es auch dazukommen, dass Handlungen, die dem Lernen zuträglich wären, abgewiesen werden. So kann eine weitere Beschäftigung mit den Inhalten abgelehnt und stattdessen ein TreffenmitFreundinnenundFreundenvorgezogenwerden. DadasKonzeptderSinnkonstruktionindieserArbeitexplorierenderarbei tetwird,könnenkeinegenauenAussagenüberdenexplizitenZusammenhang der angeführten Aspekte und der Sinnkonstruktion gemacht werden. Ohne einen tatsächlichenEinflussnachzuweisennehme ichdaher lediglich aufgrund theoretischer Überlegungen an, dass die in den folgenden Abschnitten disku tiertenKonzeptederpersönlichenMerkmaleundHintergrundmerkmalezumin destpotentielleineWirkungaufdieindividuellvorgenommenenSinnkonstruk tionenLernenderhabenkönnen.Dasssichmanchealstatsächlichrelevanter weisen, wird in der vorliegenden Studiegezeigt(vgl. Teil C, S. 127);der Nach weisbzw.dieWiderlegungfürdieanderenAspekteverbleibtjedochfürweitere Forschung.
2.6TheoretischerRahmenderSinnkonstruktion
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Die folgendenbeiden Teilkapitel 2.6.1 und 2.6.2(S.51 bzw. 63) sollen ei nenÜberblicküberdiealseinflussreichangenommenenAspektederpersönli chenMerkmaleundderHintergrundmerkmalegeben.Dazuwerdendiejeweili gen Konzepte und theoretischen Ansätze kurz dargestellt und ihre mögliche RelevanzfürdieSinnkonstruktionaufgezeigt. 2.6.1 PersönlicheMerkmale Persönliche Merkmale kennzeichnen sich, wie im vorangehenden Abschnitt beschrieben, dadurch, dass sie Teil des Individuums sind und (ggf. über einen längerenZeitraumhinweg)beeinflussbarsind.UnterdiepersönlichenMerkma le,diefürdieKonstruktionvonSinnrelevantwerdenkönnen,fallenverschiede neKonzeptederPädagogischenPsychologieundderMathematikdidaktik,diein den beiden folgenden Abschnitten dargestellt werden. Daneben können auch persönlicheEigenschaftenwieLerneiferoderFleißunddasVorwissenderLer nendenEinflussaufdieSinnkonstruktionnehmen. Die unterschiedlichen Charaktereigenschaften können zu unterschiedli chen Herangehensweisen und Arbeitsweisen bei der Auseinandersetzung mit mathematischenInhaltenführen.BeispielsweisebearbeiteteinfleißigerSchüler eherdieHausaufgabenundsiehtdarineineguteVorbereitungaufdienächste UnterrichtsstundealsseinewenigerfleißigeMitschülerin.Sieistindernächsten Stundeggf.schlechtervorbereitetundempfindetdasBetreibenvonMathema tik als Pflichterfüllung. Sie erlebt sich selten als kompetent oder autonom im Unterricht (vgl. folgender Abschnitt). Das Erleben von positiven Emotionen im UnterrichtkannalsomitpersönlichenEigenschaftenimZusammenspielmitden psychologischenGrundbedürfnissenzusammenhängenunddamitauchmitder Sinnkonstruktion. Lernende besitzen neben unterschiedlichen persönlichen Eigenschaften aucheineganzunterschiedlicheLernbiografie.Damiteinhergehtaucheinun terschiedlichesVorwissen,dassieimHinblickaufeinbestimmtesThemengebiet odereineAufgabeaktivierenkönnen(vgl.Thom,1973,S.204).Imschulischen LernprozessgreifensieaufdiesesVorwissenebensowieaufdasWissen,dassie außerhalb des Klassenzimmers erworben haben, zurück und konstruieren auf dieser Basis Sinn. Die Lernenden bringen dabei nach Kilpatrick et al. (2005b, S.14) neben ihren Alltagserfahrungen auch ihre Vorstellungen zu den Erwar tungenderLehrpersonandieSchülerinnenundSchülersowiederIntentionder SchulemitinihreSinnkonstruktionenein.DementsprechendkönnendieSinn
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2SinnundSinnkonstruktionimKontextschulischenLernens
konstruktionen der Lernenden stark von den intendierten Sinnkonstruktionen bzw.SinnangebotenderLehrpersonendifferieren. 2.6.1.1
KonzeptederPädagogischenPsychologie
Neben persönlichen Eigenschaften und unterschiedlichem Vorwissen werden auch verschiedene Konzepte der Pädagogischen Psychologie als einflussreich aufdieSinnkonstruktionangenommen.ExemplarischwerdenhierdieEinfluss möglichkeitenderSelbstbestimmungstheoriederMotivationmitdendreipsy chologischen Grundbedürfnissen nach Autonomieerleben, Kompetenzerleben und sozialer Eingebundenheit sowie das Interesse als PersonGegenstand Relation dargelegt. Weitere, hier nicht näher erläuterte Konzepte, die für die Konstruktion von Sinn im Kontext von Mathematiklernen angenommen wer den,sindetwadieZielorientierung(vgl.Ames&Archer,1988)unddasakade mischeSelbstkonzept(vgl.Möller&Köller,2004)derLernenden. SelbstbestimmungstheoriederMotivation InderMotivationsforschungisteineAbgrenzungvonintrinsischerundextrinsi scher Lernmotivation geläufig. Dabei setze sich, folgt man Elke Wild, Manfred Hofer und Reinhard Pekrun(2001, S.221), ein intrinsisch motiviertes Individu um mit einem Lerngegenstand um seiner selbst willen auseinander, wohinge gen bei der extrinsischen Motivation die Intensität der Lernanstrengung vom AusmaßderinAussichtgestelltenAnreizeabhängt.EinesolcheAbgrenzungist nicht unproblematisch, so dass u. a. Falko Rheinberg (1997) vorschlägt, auf diese Begrifft zu verzichten (vgl. auch Wild, Hofer und Pekrun, 2001, S. 221). Edward Deci und Richard Ryan unterscheiden motivierte Handlungen im Rah men der Selbstbestimmungstheorie der Motivation feiner, nämlich nach dem Grad ihrer Selbstbestimmung bzw. nach dem Ausmaß ihrer Kontrolliertheit (oderRegulation)(vgl.Deci&Ryan,1993,Ryan&Deci,2002).Intrinsischmoti vierte Handlungen seien danach per definitionem selbstbestimmt, da sie um ihrer selbst willen ausgeführt werden, also autotelisch seien. Extrinsisch moti vierte Verhaltensweisen stellen keinen Gegenpol zur intrinsischen Motivation dar. Sie können durch Regulationsprozesse der Internalisation und Integration in selbstbestimmte Verhaltensweisen überführt werden (Deci &Ryan, 1993, S.226227).Internalisationbeschreibtdabeieinen„Prozeß,durchdenexterna leWerteindieinternalenRegulationsprozesseeinerPersonübernommenwer den“(Deci&Ryan,1993,S.226227);Integrationcharakterisiertdanndenwei teren „Prozeß, der die internalisierten Werte und Regulationsprinzipien dem
2.6TheoretischerRahmenderSinnkonstruktion
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individuellenSelbsteingliedert“(Deci&Ryan,1993,S.226227).Somitistalso einegraduelleUnterscheidungdesGradesderVerinnerlichungexternalerWer teindasSelbstmöglich. ZwischendenPrototypenderAmotivation,alsodemZustanddesFehlens einer Handlungsintention, und der intrinsischen Motivation, also dem Zustand desHandelnsausInteresseundinnererBefriedigungheraus,ordnenRyanund Deci(2002,S.1420;1993,S.226228)vierBereicheaufeinemKontinuumder extrinsischenMotivationan,diesichimGradihrerAutonomieineherkontrol lierte bzw. eher selbstbestimmte Handlungen unterscheiden. Die externale Regulation kennzeichnet Handlungen, die zwar intentional, jedoch stark von äußerenSteuerungsfaktorenabhängigsind,sodasssiewederalsfreiwillignoch als autonom zu bezeichnen sind. Sie werden ausgeführt, um Belohnungen zu erlangenodereineBestrafungzuvermeiden.IntrojizierteRegulationcharakteri siert Handlungen, die nicht mehr durch äußere Handlungsimpulse angeregt, sonderndurchinnereAnstößeoderinnerenDruckinitiiertwerden.Diezugehö rigenRegulatorensindzwarvonderPersoninternalisiert,jedochnichtalsTeil desSelbstintegriert.DieseHandlungenwerdenbeispielsweiseausgeführt,um ein schlechtes Gewissen zu vermeiden oder das Selbstwertgefühl zu steigern. DieidentifizierteRegulationstellteinestärkerselbstbestimmteFormderextrin sischenMotivationdar,dadiemitihrverbundenenHandlungenalspersönlich wichtig gewertet werden. Die persönliche Relevanz einer Handlung ist in der IdentifikationderPersonmitzugrundeliegendenZielenundWertenbegründet. Bei der integrierten Regulation identifiziert sich das Individuum mit den einer Handlung zugrunde liegenden Zielen, Normen und Handlungsstrategien. Es bringtdieseinEinklangmitseinenBedürfnissenundintegriertsieinseinSelbst konzept. Obgleich diese Handlungen freiwillig vorgenommen werden, werden siealsextrinsischgewertet,dasieaufdasErlangeneinesbestimmtenErgebnis ses zielen und nicht primär ausgeführt werden, um das eigene Interesse zu befriedigenoderFreudezuerleben.SiesindalsoinstrumentellerNaturobgleich dasErgebnisalswertvollfürdasSelbsterachtetwird.IntegrierteRegulationals amstärkstenselbstbestimmteFormderextrinsischenMotivationstelltzusam menmitintrinsischerMotivationdieGrundlageselbstbestimmtenHandelnsdar (Deci&Ryan,1993,S.228). DieseunterschiedlichenArtenderRegulationlassensichauchimKontext schulischenMathematiklernenserkennen.SetztsicheinSchülerodereineSchü lerin etwa aus persönlichem Interesse mit fachlichen Inhalten auseinander, handelt er bzw. sie intrinsisch motiviert. Geschieht diese Auseinandersetzung mitMathematik,daerbzw.sievonsichdasBildhat,einguterSchülerbzw.eine
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2SinnundSinnkonstruktionimKontextschulischenLernens
guteSchülerinzusein,stehtsieinEinklangmitdemSelbstbilddesSchülersbzw. der Schülerin und wird als persönlich wertvoll angesehen. Ihr liegt also inte grierteRegulationzugrunde.WirdmitderBeschäftigungmitMathematikbzw. dem Lernen von Mathematik das Ziel verfolgt, ein möglichst gutes Abitur zu erlangen, um danach das Wunschstudium aufnehmen zu können, wird damit einselbstgestecktesZielverfolgt.EshandeltsichfolglichumidentifizierteRegu lation,eineRegulationsform,dienichtmehrpersealsselbstbestimmtbetrach tetwerdenkann,jedochvomIndividuumalswichtigerachtetwird.Introjiziert istdieRegulation,wennderSchülerbzw.dieSchülerinMathematikbetreibt,da esauchalleanderenMitschülerinnenundschülertununderbzw.siesonstein schlechtes Gewissen hätte.Bei externalerRegulation findet eineAuseinander setzung mit dem Fach lediglich aufgrund äußerenDrucks beispielsweise durch dieElternstattbzw.umangedrohtenStrafenzuentgehen. DassaufgrundderunterschiedlichenzugrundeliegendenMotivationsform auchverschiedeneSinnkonstruktionenvorgenommenwerden,istnaheliegend. Die Auseinandersetzung mit Mathematik bzw. damit einhergehende Handlun genwerdenunterschiedlichstarkalspersönlichrelevantgewertet,sodassdiese in differenten Sinnkonstruktionen münden. Integriert regulierte extrinsische Motivation oder gar intrinsische Motivation könnte beispielsweise in der Ein stellungeinerLernerinmünden,MathematikseiwichtigfürdaseigeneLeben. Geschieht die Auseinandersetzung mit Mathematik lediglich durch external oderintrojiziertregulierteextrinsischeMotivation,könnteeinSchülerdenSinn konstruieren, dass die Auseinandersetzung mit Mathematik allein zum Beste hendernächstenKlassenarbeitwichtigsei. PsychologischeGrundbedürfnissenachAutonomie,Kompetenzundsozialer Eingebundenheit Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation (vgl. Deci &Ryan, 1993, Ryan &Deci,2002)gehtvondreiverschiedenenQuellenmotivationalerEnergienfür menschliches Verhalten aus: physiologische Bedürfnisse (Triebe), Emotionen undpsychologischeBedürfnisse.InempirischenStudienkonntendreipsycholo gische Grundbedürfnisse identifiziert werden, die für die Förderung intrinsi scherMotivation,sozialerEntwicklungunddemeigenenWohlergehenessenti ellsind(Ryan&Deci,2000).DiesebasicneedssinddasBedürfnisnachKompe tenz,AutonomieundsozialerEingebundenheit8(Deci&Ryan,1993,S.229).Sie 8
StattderBegriffeKompetenz,AutonomieundsozialeEingebundenheitwerdenauchdieder Wirksamkeit, Selbstbestimmung und sozialen Zugehörigkeit bzw. im Englischen competence, autonomyund(social)relatednessverwendet(vgl.Deci&Ryan,1993,S.229).
2.6TheoretischerRahmenderSinnkonstruktion
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sind per definitionem universal, d. h. sie bezeichnen angeborene Bedürfnisse, diealskulturellübergreifendundüberalleEntwicklungsstufenpersistentange nommenwerden(Ryan&Deci,2002,S.7).DajedochinverschiedenenKulturen bestimmte Werte und Ziele unterschiedlich stark ausgeprägt sind, kann auch die Ausprägung der Bedürfnisse bzw. die damit einhergehenden Handlungen variieren(Ryan&Deci,2002,S.26). Das Bedürfnis nach Kompetenz zielt darauf, sich selbst als effektiv in den eigenen Interaktionen mit der sozialen Umwelt zu erleben und Gelegenheiten zu suchen, in denen die eigenen Fähigkeiten geübt und ausgedrückt werden können.DiesgeschiehtetwadurchdieSuchenachHerausforderungen,dieden eigenenFähigkeitenangemessensind.Kompetenzistdabeinichtdieerworbene FähigkeitoderFertigkeit,sonderndasGefühlvonSelbstvertrauenundErfolgs wirksamkeit.SozialeEingebundenheitbeziehtsichaufdassozialeVerbindungs geflecht,indemsicheinIndividuumbefindet.WichtigistdabeieinGefühlder sozialen Geborgenheit, also Zugehörigkeit zu einer gewissen Gruppe, die sich dadurch auszeichnet, dass ihre Mitglieder füreinander da sind und jeder eine akzeptierte Position inne hat. Im Unterricht umfasst dies etwa die jeweilige Rolle, die ein Schüler oder eine Schülerin im Klassenverband einnimmt sowie seinbzw.ihrVerhältniszurLehrperson.DasErlebenvonAutonomieschließlich kennzeichnet sich durch selbstbestimmtes Handeln, bei dem das Individuum sichselbstalsQuelledereigenenHandlungwahrnimmt.Dabeigeschehendiese HandlungenaufBasisvonInteresseoderintegriertenWerten.Diesheißtjedoch nicht, dass Autonomieerleben und das Befolgen von Anweisungen Widersprü chesind.AuchwennimUnterrichtbeispielsweiseArbeitsanweisungengegeben werden,könnendiesedurchautonomeHandlungenerfülltwerden,indemetwa eigeneLösungsstrategiengewähltwerden(Ryan&Deci,2002,S.78). Die drei basic needs werden als relevant für die Sinnkonstruktion ange nommen, da sie sich positiv auf die Auseinandersetzung mit mathematischen Inhalten auswirken können. Sich selbst als kompetent zu erleben, etwa nach demeineAufgabekorrektgelöstwurde,beförderteinepositiveEinstellungzum FachundhatdamitAuswirkungenaufdieMotivationunddasInteresse,diemit der Auseinandersetzung einher gehen. Erleben die Schülerinnen und Schüler sich selbst im Unterricht als sozial eingebunden, fühlen sie sich in der Gruppe derLernendensowieinderBeziehungzurLehrpersonaufgehobenundwertge schätzt.SiesindeinTeileinerGemeinschaft,indersieihrensicherenPlatzha ben.Könnensieselbstentscheiden,wiesiesichmitInhaltenauseinandersetzen bzw.welcheInhaltesiebearbeitenwollen,führtdaszumErlebenvonAutono mie(vgl.auchRyan&Deci,2002,S.7).
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Verschiedene Forschungsbefunde haben gezeigt, dass die Unterstützung der drei psychologischen Grundbedürfnisse eine wichtige Bedingung für die GeneseunddasAufrechterhaltenvoneineraufSelbstbestimmungberuhender intrinsischerMotivationbzw.integrierterextrinsischerMotivationist.Aufdiese, ebenso wie auf integrierte Selbstregulation, sei wiederum effektives Lernen angewiesen. Ein Umfeld, welches das Bestreben nach Autonomie, Kompetenz undsozialerEingebundenheitunterstützt,istdementsprechendmaßgeblichfür denLernerfolgunddieEntwicklungdesindividuellenSelbst(Deci&Ryan,1993, S.232236).Gebhard(2003,S.210)fasstdiedreibasicneedsunterdem„Dach einesgrundlegendenSinnbedürfnisses“zusammen: Subjektiv empfundener Sinn ist nur möglich, wenn man damit in Kontakt mit der sozialen Umgebung bleibt bzw. diesen damit herstellt. Kompetenz verstanden als wirksames Verstehen relevanter Umweltausschnitte ist sinnkonstituierend und schließlich ist die Anerkennung des selbstbestimmten Lernens zugleich die Aner kennungvonsubjektivenWegenundInterpretationen.
GebhardstelltalsoeinenexplizitenZusammenhangzwischenderErfüllungder drei psychologischen Grundbedürfnisse und sinnerfülltem Lernen und damit auchderSinnkonstruktionher. Interesse NachWild,HoferundPekrun(2001,S.220)istInteresseeinElementderLern motivation, das sich durch eine positive und wertschätzende Beziehung zu ei nemspezifischenGegenstandauszeichnet.DieAuseinandersetzungmitdiesem Gegenstand werde daher 'als Ziel an sich' angestrebt. Interesse ist auf diese Weisegegenstandsspezifischundgrenztsichdamitvonanderenmotivationalen Theorienab. DieMünchnerInteressentheorie,dievonderForschungsgruppeumUlrich Schiefele und Andreas Krapp entwickelt wurde, charakterisiert Interesse als eine„bedeutungsmäßighervorgehobenePersonGegenstandsRelation“(Krapp, 1992, S.307), die sowohl hinsichtlich aktueller Auseinandersetzungen mit ei nem Gegenstand (situationales Interesse) als auch bezüglich habitueller oder dispositionalerStrukturen(persönlichesInteresse)untersuchtwerdenkann.Bei einer Auseinandersetzung mit dem Interessengegenstand kann situationales InteressegeneriertundpersönlichesInteresseaktualisiertwerden.Untereinem GegenstandverstehtKrappdabeieineSinnoderBedeutungseinheit,d.h.ein subjektivbestimmterAusschnittdersozialen,dinglichenundideellenUmwelt, der strukturiert wahrgenommen und kognitiv repräsentiert wird. Diese Um weltausschnittekönnennebenSachenauchallgemeineZustände,Veränderun
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gen, Ereignisse und Zusammenhänge sein. Sie haben eine unterschiedliche WertigkeitfürdasIndividuumundkönnenvorübergehendoderdauerhaftzum GegenstanddesInteresseswerden(Krapp,1992,S.304309;1999,S.396397). Zur genaueren Beschreibung interessenorientierter Handlungen werden zwei Charakterisierungseigenschaften herangezogen: emotionale Tönung und Wertaspekt.DieemotionaleTönungeinerInteressenhandlungbeziehtsichauf das Erleben überwiegend positiver Gefühle. Krapp (1992, S.310312; 1999, S.398) unterscheidet in Anlehnung an Prenzel (1988) verschiedene Faktoren, die das positive emotionale Erleben generieren können. Positive Emotionen können mit dem Interessengegenstand in Verbindung gebracht werden. Die Auseinandersetzung mit dem Gegenstand wird als angenehm und anregend erfahren. Es kann Freude, angenehme Spannung oder flow, also ein völliges AufgeheninderTätigkeitundderSituation(Csikszentmihalyi,1987,S.59),er lebtwerden.Danebensindauchdiebasicneeds,alsodasErlebenvonKompe tenz, Autonomie und sozialer Eingebundenheit (s. o.), relevant für die Genese oderdieAktualisierungvonInteresse.Werdensieerfüllt,könnenpositiveEmo tionen erlebt werden, die wiederum mit dem Gegenstand und der Auseinan dersetzung mit ihm zugeschrieben werden. Eine positive emotionale Tönung kannalsodurchErfüllungderpsychologischenGrundbedürfnissehervorgerufen werden. Die Interessentheorie wird damit als anschlussfähig an die Selbstbes timmungstheorie nach Deci und Ryan (s.o.) postuliert. Die wertbezogene MerkmalskomponenteverweistnachKrapp(1992,S.310316;1999,S.399)auf die Selbstintentionalität, die die Auseinandersetzung mit dem Gegenstand kennzeichnet. Diese stellt einen eigenständigen Wert dar. Dementsprechend widerfährt dem Gegenstand bei gleichen Ausgangsbedingungen anderen Ge genständen gegenüber eine Präferenz, da er diesen vorgezogen werde. Der WertbezugdesInteresseszeigtaufdieseWeiseeinestarkeIchNäheundbesitzt damit eine herausgehobene subjektive Bedeutung für das Individuum. Hierin kennzeichnet sich die persönliche Relevanz des Interessengegenstandes, die wiederum konstitutiv für die Sinnkonstruktion ist. Neben den beiden Bestim mungsmerkmalen kognitive Prägung und Wertaspekte wird von Krapp (1992, S.310311) auch kognitive Ausprägung genannt. Grundlegend dafür ist, dass eine Handlung aus Interesse auf „relativ differenzierte (komplexe) kognitive Schemata im Bereich des Interessengegenstands zurückgreifen kann und zu gleichzueinerErhöhungderkognitivenKomplexitätführt“.Füreinedefinitori sche Bestimmung sei dieses Merkmal jedoch nicht notwendig, da es genüge, dassdasIndividuumeinVorwissenüberdenGegenstandhabe.
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2SinnundSinnkonstruktionimKontextschulischenLernens
Die Inhalte,die beim Lernen als persönlich sinnvoll erlebt werden, geben Mathew Mitchell (1993, S.427) zufolge den Schülerinnen und Schülern Kraft undversetzensieindieLage,ihrInteresseamUnterrichtunddendarinvermit teltenLerngegenständenzuhalten.MitchellbezeichnetdieseSinnhaftigkeitder Gegenstände (meaningfulness) dementsprechend auch als hold facet, also als eineFacette,dieesschafft,dieAktivitätderLernendenimUnterrichtaufrecht zu erhalten. Dabei charakterisiert er meaningfulness im Kontext schulischen Lernensfolgendermaßen:“Meaningfulnessreferstostudents'perceptionofthe topics under study in their mathematics class as meaningful to them in their presentlives”(Mitchell,1993,S.427).DieseBeschreibungzeigt,dassauchMit chelldiePerspektivederSchülerinnenundSchülereinnimmtunddieRolle,die dieLerngegenständeausdemschulischenUnterrichtfürihrLebenspielen,als konstituierendeEigenschaftfürdieCharakterisierungvonSinnheranzieht. Unter Rückbezug auf Mitchell (1993) beschreibt Angelika BiknerAhsbahs (2005,S.37)dassbeiSchülerinnenundSchülern,dieeinEngagementinAktivi tätenalssinnvolloderpersönlichbedeutungsvollempfinden,eineIdentifikation mit den behandelten Inhalten oder Ideen entstehe. Dies wiederum führe zu selbstbestimmterMotivation.Darüberhinausstelltsiefest,dasssichwährend einer Interessenaktivität die Aspekte wachsender Identifikation, des Involviertseins und der individuellen Sinn und Bedeutungskonstruktionen ge genseitigbedingenundvorantreiben(BiknerAhsbahs,2005,S.50): Engagement und zunehmende individuelle Bedeutungskonstruktion fördern den ProzessderIdentifikationmitdemGegenstand,undzunehmendeIdentifikationmit dem Gegenstand kann zu einem intensiveren Engagement und weiterführender SinnundBedeutungskonstruktionbeitragen.
Versteht man Interesse als PersonGegenstandBeziehung, zeigt sich hier also, dassessowohlalsVoraussetzungalsauchalsAuswirkungfürSinnkonstruktion relevantwerdenkann. 2.6.1.2
KonzeptederMathematikdidaktik
Neben pädagogischpsychologischen Konzepten werden auch Konzepte der Mathematikdidaktik als einflussreiche Faktoren für die Sinnkonstruktion ange nommen.DieswirdexemplarischanmathematischenBeliefsunddemmathe matischenWeltbildsowieandemKonzeptdermathematischenDenkstileauf gezeigt. Weitere relevante Aspekte werden außerdem hinsichtlich verschiede nerGrundvorstellungen(vgl.vomHofe,1995)vermutet,wennstärkerkonkrete fachlicheInhalteimFokusstehen,alsesindervorliegendenStudiederFallwar.
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MathematischeBeliefsundmathematischesWeltbild ObgleichbisherkeineallgemeinakzeptierteBegriffsbestimmungfürmathema tischeBeliefsvorliegt(Törner,2002,S.103),könneneinpaarinderMathema tikdidaktik oftmals geteilte Aspekte beschrieben werden: Der Begriff der ma thematischenBeliefsbezeichnetallgemeinepistemologische(Grund)Überzeu gungendazu,wasMathematikistundwieMathematikverstandenwird(Köller, Baumert&Neubrand,2000;Törner,2002,S.103).NachGünterTörner(2002, S.109) können Beliefs „Aussagen, Auffassungen, Vermutungen, Assoziationen, Überzeugungen, Philosophien, Vorstellungen, Einstellungen oder auch Ideolo gien sein, ja auch mentale Bilder könnenebenfalls als‚Beliefs‘ fungieren“. Be liefs setzen sich zusammen aus relativ überdauerndem subjektivem Wissen über die sie betreffenden Objekte oder Angelegenheiten sowie die damit ein hergehendenEmotionenundHaltungen.DamitzeichnensieeinsubjektivesBild von der Mathematik als Wissenschaft, als Unterrichts oder Studienfach, über LehrenundLernenvonMathematiksowievondemIndividuumselbstundan derenPersonenalsMathematiktreibendePersonen.Beliefskönnendabei–wie auchSinnkonstruktion–bewusstoderunbewusstsein(Grigutsch,Raatz&Tör ner, 1998, S.9; Kaiser & Maaß, 2006; Maaß, 2006, S.119; Schoenfeld, 1985, S.157;Törner,2002,S.119). Das mathematische Weltbild einer Person setzt sich aus diesen verschie denen Beliefs zusammen (Maaß, 2006, S.119). Es beschreibt ein System von Einstellungen gegenüber der Mathematik, dem Lernen von Mathematik, dem LehrenvonMathematiksowiegegenüberderPersonselbstundanderenMen schen als Betreibende vonMathematik. Der Begriff der Einstellungwird dabei gekennzeichnetdurchzweiverschiedeneAspekte:EineEinstellungstellteiner seitseineBereitschaftzurReaktionaufeinebestimmteSituationdar,außerdem wirddurchsieeinegewisseKonsistenzderReaktionengegeben.Einstellungen sind also Persönlichkeitsdispositionen und damit latente Variablen, die nicht direkterforschbarsind.SoisteineBeobachtungüberIndikatorenoderAuswir kungen (Effekte) von Einstellungen notwendig (Grigutsch, Raatz, & Törner, 1998,S.56).DiezuvorgenanntenKategoriendesmathematischenWeltbildes sindfacettenreichundlassensichweiterunterteilen.DasmathematischeWelt bild setzt sichalso aus differenziertenEinstellungen undVorstellungenzu den verschiedenstenBereichenzusammen.SeineAusprägungzeigtsichdabeiinden AusprägungendereinzelnenEinstellungensowieindenBeziehungenzwischen diesen(Grigutschetal.,1998,S.910). Sowohldas mathematischeWeltbild als auch die mathematischen Beliefs einerPersonkennzeichnenalsodassubjektiveBild,welchesdiesevonderMa
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2SinnundSinnkonstruktionimKontextschulischenLernens
thematik und den damit in Zusammenhang stehenden Bereichen hat. Dieses BildentstehtzugroßenTeilenbeiderBeschäftigungmitMathematikimschuli schen Unterricht sowie der Auseinandersetzung mit Mathematik in der realen Welt.BeliefsundWeltbildbeeinflussendasVerhaltenderPersoninmathemati schenSituationendadurch,dasseineGewichtungvonWissenundHandlungen vorgenommen wird, die als möglich, angemessen und relevant für die Lösung desgestelltenProblemserscheint.EntsprechendwerdendannbestimmteIdeen oderkognitiveRessourcengenutzt(Schoenfeld,1985,S.157,184;1998,S.21). Auswirkungen auf die Handlungen der Lernenden sind äußerst stark und haben zum Teil negative Konsequenzen (Schoenfeld, 1992, S.359). Alan Schoenfeld (1988, S.159160) beschreibt, dass Schülerinnen und Schüler in einervonihmdurchgeführtenFragebogenstudiedieEinstellungvertreten,dass sichdieZeit,diesichdieLernendenmiteinemmathematischenProblemausei nandersetzen, bevor sie wissen, dass dies nicht lösbar sei, auf 11,7 Minuten belaufe(n=227).DurchdieseEinstellungbringensiebeispielsweisedenBelief überdasWesenvonMathematikzumAusdruck,dassmathematischeProbleme nacheinerrelativkurzenZeitlösbarseien,oderaber–solltesichbisdahinkei neLösungabzeichnen–sichalsunlösbarherausstellen.DieserBeliefbeeinflusst ihr Verhalten insofern, so Schoenfeld (1992, S.359), dass die Lernenden die BearbeitungeinesmathematischenProblemsnachkurzerZeitabbrechen.Dies gescheheauchdann,wenneinedarüberhinausgehendeBeschäftigungmitden Inhalten vielleicht doch zu einer Lösung geführt hätte. Dieses Erfolgserlebnis bleibtihnendurchdenschnellenAbbruchderBearbeitungjedochverwehrt. An dieser Stelle liegt ein möglicher Zusammenhang zwischen Beliefs und Sinnkonstruktion vor. Schoenfeld beschreibt, dass manche Schülerinnen und Schüler sich zunächst mitder gestelltenAufgabe auseinandersetzen,die Bear beitungdannaberabbrechen.BiszudiesemZeitpunkthattedieAuseinander setzungmitderAufgabealsoeinenSinnfürdieLernenden.Vielleichtfandensie die Aufgabe interessant, wollten für die nächste Klassenarbeit üben oder eine Auseinandersetzung mit der Lehrperson vermeiden. Durch die subjektiv als zu langempfundeneBearbeitungszeitbrechensiedieBearbeitungdannjedochab. AlsGrundistdenkbar,dasssiekeinenSinnmehrdarinerkennenkönnen,sich weiter mit der Aufgabe zu beschäftigen, da diese nicht lösbar zu sein scheint. LangeweileundFrustrationkönnenandereintervenierendeBedingungensein. Der Wunsch nach der Beschäftigung mit dem neuen Computerspiel oder ein Treffen mit dem Freundeskreis gewinnt an persönlicher Relevanz. Die Lernen denhandelndementsprechend:DieMathematikaufgabewirdzurSeitegelegt, undandereAktivitätenwerdenstattdessenaufgenommen.
2.6TheoretischerRahmenderSinnkonstruktion
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EinweitererZusammenhangzwischenmathematischenBeliefs,mathema tischemWeltbildundSinnkonstruktionhängtmitderAusprägungdesBeliefszu Mathematikzusammen,dernachStefanGrigutsch(1996,S.97ff.)infolgende Kategorienunterteiltwerdenkann:Prozessaspekt,Anwendungsaspekt,Forma lismusaspektundSchemaaspekt(vgl.auchGrigutschetal.,1998,S.1112;Kai ser&Maaß,2006;Kölleretal.,2000,S.235;Maaß,2006,S.119;Törner,2002, S.120121).Jenachdemalso,welcherBeliefbeieinemSchülerodereinerSchü lerinamausgeprägtestenist,nimmterbzw.sieauchdieihmbzw.ihrgestellten Aufgabenunterschiedlichwahr.Damiteinhergehendkönnenauchverschiedene Arten von Sinn konstruiert werden, die mit dieser Aufgabe in Zusammenhang stehen. Werden die Lernenden beispielsweise aufgefordert, mehrere kalkülo rientierteAufgabenzurÜbungzurechnen,gehtdiesguteinhermitBeliefs,die dem Schema oder Formalismusaspekt nahe stehen. Dem Anwendungs oder Prozessaspekt hingegen kommt eine solche Aufgabenstellung weniger entge gen.DementsprechendwerdendieausderSinnkonstruktioneinesSchülersmit SchemaoderFormalismusorientierungentstehendenHandlungeneherpositiv ausfallen,wohingegeneineSchülerinmitBeliefs,dieprimärdemAnwendungs oder Prozessaspekt zugeordnet werden können, eher eine nutzenorientierte SinnkonstruktionvornehmenundsichvomGegenstandabwendenwird. MathematischeDenkstile DermathematischeDenkstilbeschreibt„dievoneinemIndividuumbevorzugte ArtundWeise,mathematischeSachverhalteundZusammenhängedurchgewis seinterneVorstellungenund/oderexterneDarstellungenzurepräsentierenund durchgewisseVorgehensweisenzuverarbeiten“(BorromeoFerri,2004,S.168). EssindalsozweiKomponentenzentral:einerseitsdieArtderRepräsentationals interne Vorstellung oder externe Darstellung, andererseits die ganzheitliche bzw.zergliederndeVorgehensweisebeiderAuseinandersetzungmitmathema tischenInhalten. RitaBorromeoFerri(2004,S.170)charakterisiertdreiverschiedeneDenk stile, die sie empirisch basiert rekonstruieren konnte. Lernende mit visuellem DenkstilbevorzugenbildlicheinterneVorstellungenundexterneDarstellungen. MitHilfeanschaulicherDarstellungen,dieoftmalsdurchAssoziationenzuerleb ten Situationen geprägt sind, erfassen sie mathematische Sachverhalte und Zusammenhängeganzheitlich.Lernende,dieanalytischeDenkerinnenundDen ker sind, präferieren interne formale Vorstellungen und externe formale Dar stellungen.IhreVorgehensweiseistzergliedernd,dahingehenddassmathema tische Sachverhalte und Zusammenhänge vorzugsweise durch schrittweises
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2SinnundSinnkonstruktionimKontextschulischenLernens
NachvollziehenanhandbestehendersymbolischeroderverbalerDarstellungen erfasst werden. Integrierte Denkerinnen und Denker schließlich präferieren Elemente aus mehreren mathematischen Denkstilen, hängen also einem ge mischtkombinierenden Denkstil an. Sie sind flexibel bei der Auseinanderset zung mit Aufgaben und springen zwischen internen bildlichen und formalen Vorstellungen und den dazugehörigen Darstellungen und Vorgehensweisen. Theoretisch sind neben diesen auch bildlichzergliedernde und symbolisch ganzheitliche Denkstile vorstellbar, sie konnten in der Studie von Borromeo Ferrijedochnichtempirischnachgewiesenwerden. Da es sich beim mathematischenDenkstil um Präferenzen der Individuen handelt,stehthier,wieauchbeiderSinnkonstruktion,dasIndividuumimVor dergrund.DiemathematischeSozialisationmussdabeiimmermitgedachtwer den,daSchülerinnenundSchülerderSekundarstufebereitsvonverschiedenen Lehrpersonen mit den ihnen eigenen Denkstilen unterrichtet wurden. Diese haben ggf. bestimmte Arten der Auseinandersetzung mit mathematischen In halten präferiert, so dass die Schülerinnen und Schüler diese übernommen haben.DementsprechendkannetwadieAnfertigungvonHilfszeichnungenvon analytisch denkenden Lernenden den sie umgebenden Unterrichtsanforderun gengeschuldet sein, obgleich sie für die eigenepräferierte Herangehensweise wenig förderlich sind. Unterschiedliche Denkstile von Lernenden und Lehrper son können dabei ursächlich sein für Schwierigkeiten der Lernenden. Sie kön nenu.U. dieErklärungen der Lehrpersonnicht vollständig nachvollziehen und auch die Lehrperson kann die Schülerin bzw. den Schüler nicht bis ins letzte verstehen, da ihre unterschiedlichen Vorgehensweisen die Beteiligten im ge genseitigen Verständnis behindern. Sie sprechen sozusagen in unterschiedli chen Sprachen miteinander (Borromeo Ferri, 2004, S.171). Die Probleme, die dadurch ggf. für die Lernenden auftauchen, können für die Schülerinnen und SchülerineinemZweifelandeneigenenmathematischenFähigkeitenmünden. DiesesZusammenspielderDenkstilederLehrpersonundderSchülerinnen undSchülerlieferteinenmöglichenZusammenhangzwischenSinnkonstruktion undDenkstil.HabeneineSchülerinundihreLehrpersondengleichenDenkstil, isteswahrscheinlich,dassderUnterrichtsstildieSchülerininihrerpräferierten Sinnkonstruktion unterstützt. Kommt es hingegen zu Differenzen im Denkstil und damit einhergehend zu Schwierigkeiten der Lernenden, kann es vorkom men, dass die Schülerin ihre präferierte Sinnkonstruktion nicht vornehmen kann.Nehmenwirbeispielsweisean,dassdieSchülerineinevisuelleDenkerin ist, für die es persönlich relevant ist, dass Mathematik im Leben angewendet werdenkann.IhreLehrerinaufderanderenSeiteseieineanalytischeDenkerin.
2.6TheoretischerRahmenderSinnkonstruktion
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Wenn im Unterricht wenig bis keine Anwendungsbezüge thematisiert werden undstattbildlicherVorundDarstellungenehersymbolischeRepräsentationen bevorzugt werden, ist eine erfolgreiche Sinnkonstruktion zur Anwendung im Lebenwenigwahrscheinlich.SiekommtmitihrenBedürfnissenundihrerDenk struktur,fürdieAssoziationenzuerlebtenSituationenrelevantsind,nichtvor. DurchdieSozialisationderUnterrichtsanforderungen,denensichdieSchülerin ausgesetzt sieht, funktionalisiert sie ihre Sinnkonstruktion u.U. dahingehend um, dass das Lernen von Mathematik für sie persönlich relevant wird, um Pflichten,dieansiegestelltwerden,zuerfüllenbzw.Prüfungenzubestehen. 2.6.2 Hintergrundmerkmale Neben den gerade geschilderten persönlichen Merkmalen werden auch ver schiedeneHintergrundmerkmaledesIndividuumsalseinflussreichfürdieSinn konstruktion angenommen.Als Hintergrundmerkmal verstehe ich dabei Merk male, die vom Individuum nicht beeinflussbar sind. Darunter fallen etwa das AlterderPersonsowiederfamiliäreundderkulturelleHintergrund.Diebeiden folgenden Abschnitte geben einen Einblick in die Einflussmöglichkeiten des familiären und kulturellen Hintergrundes auf die Sinnkonstruktionen der Ler nenden. 2.6.2.1
Familie
DerfamiliäreHintergrund,wieerindieserArbeitverstandenwird,umschließt zum einen den sozioökonomischen Hintergrund des Individuums sowie zum anderen seinen familiären Rückhalt. Der Zusammenhang des sozio ökonomischenHintergrundesderFamiliemitdenBildungschancenihrerKinder undinsbesonderederenLeistungeninMathematikwurdeetwadurchdiePISA Studiengezeigt(vgl.Ehmke,Hohensee,Heidemeier&Prenzel,2004,S.235).Ein Bildungsgang, der durch eine positive Perspektive und Bildungserfolg gekenn zeichnet ist, legt ggf. andere Sinnkonstruktionen nahe als einer, der durch Schwierigkeiten und Hindernisse geprägt ist. In letztgenanntem Fall kann eine Auseinandersetzung mit fachlichen Inhalten aus Pflichterfüllung oder zum Be stehenvonPrüfungenggf.ehernaheliegenalsdieArbeitandereigenenPer fektionierung. DerfamiliäreRückhaltderLernendenäußertsichu.a.darin,welchenAn teilFamilienangehörigeandenschulischenLeistungendesKindesnehmenund welche Unterstützungsmöglichkeiten seitens der Familie angeboten werden.
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2SinnundSinnkonstruktionimKontextschulischenLernens
DieLernendenkönnenbeispielsweiseinihremLernprozessdurchregelmäßige Begleitung durch Familienangehörige in Form von Hausaufgabenhilfe oder kontrolle begleitet werden. Eine Unterstützungsmaßnahme bei nicht ausrei chenderfachlicherKompetenzderFamilienangehörigenkanndieErmöglichung von Privatunterricht etwa in Form von Nachhilfe oder dem Besuch von Tuto riumskursensein.DasAusmaßderUnterstützungkanndabeiEinflusshabenauf das Maß der Anerkennung, welches Lernende von ihren Familien bekommen und damit einhergehend das Streben nach positiver Außenwirkung unterstüt zenoderwenigerrelevantwerdenlassen. Esistdabeianzumerken,dasssowohl geringealsauchintensiveAnteilnahmeundUnterstützungderFamiliezueinem starken Streben nach positiver Außenwirkung führen kann, da entweder der intensiven Unterstützung entsprochen werden kann oder gerade die fehlende AnteilnahmezuintensivemStrebennachAnerkennungführt.Werdenvonder Familie bestimmte Sinnkonstruktionen befürwortet bzw. positiv herausgeho ben,kannangenommenwerden,dasssieauchehervondenHeranwachsenden befürwortetwerden. Sowohl der sozioökonomische als auch der familiäre Hintergrund eines SchülersodereinerSchülerinkannalsoAuswirkungenaufdieSinnkonstruktion haben,daesihnbzw.sieetwaimDenkenundinseinenbzw.ihrenEinstellun gen prägt und dementsprechendbestimmte Handlungen und Sinnkonstruktio nen nahe legt.9 Da ein Mensch durch sein soziales Umfeld und insbesondere seineFamiliegeprägtwird,gehtbeidesauchindenkulturellenHintergrundder Personein.DieserwirdimfolgendenAbschnittmitSinnkonstruktioninZusam menhanggebracht. 2.6.2.2
Kultur
DerBegriffKulturistvielschichtigundschwierigzudefinieren,sodasseineViel zahlunterschiedlicherDefinitionenexistiert(Thomas,2005,S.21).Derholländi sche Sozialpsychologe und Anthropologe Geert Hofstedegrenztdie Breite des Begriffsein,indemerzwischenzweiverschiedenenKulturbegriffenunterschei det(2001,S.24):Kultur1oder„KulturimengerenSinne“(Hofstede,2001,S.3) umfasstdieBereichederZivilisationundderVerfeinerungdesGeistes.Hierun terfallenspeziellBildung,KunstundLiteratur.Kultur2verstehterals„kollekti veProgrammierungdesGeistes“(Hofstede,2001,S.4),durchdiesichMitglie dereinerGruppeoderKategorievonMenschenvoneineranderenunterschei 9
Beide Aspekte werden in der vorliegenden Arbeit nicht explizit untersucht, so dass zum tatsächlichenZusammenhangdiesesAspektskeineAussagengemachtwerdenkönnen.
2.6TheoretischerRahmenderSinnkonstruktion
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den. Unter einer Gruppe von Menschen versteht Hofstede (Hofstede, 2001, S.4)eineAnzahlvonMenschen,diezueinanderinKontaktstehen.Menschen, die in eine Kategorie fallen, müssen nicht unbedingt miteinander in Kontakt stehen,obgleichsieeineGemeinsamkeitverbindet.AlsBeispielefüreineKate gorienennteretwaalleweiblichenFührungskräftebzw.allevor1940gebore nenMenschen.DiekollektiveProgrammierungbeziehtsichauferlernteDenk, FühlundHandlungsmuster,diezumGroßteilbereitsinderKindheiterworben wurden. Sie sind geprägt durch das soziale Umfeld, in dem ein Mensch auf wächst und seine Lebenserfahrung sammelt. An dieser Stelle wird der enge Zusammenhang zwischen kulturellem und familiärem Hintergrund der Lernen dendeutlich(vgl.Abschnitt2.6.2.1,S.63).DerBegriffderProgrammierungdarf dabeinichteinschränkendverstandenwerden,dahingehenddassdasVerhalten eines Menschen durch diese Muster fest vorgegeben sei. Sie geben lediglich einenBezugsrahmenan,indembestimmteReaktioneneinesMenschenwahr scheinlichundverständlichsind.DerMenschhatnichtsdestowenigerdieMög lichkeit,vondiesenProgrammenabzuweichenundaufandereWeisezureagie ren(Hofstede,2001,S.3). EinenanderenAnsatzpunktzurBeschreibungvonKulturwähltderbedeu tende Anthropologe Clifford Geertz (1973, S.89). Seine Definition beschreibt einhistorischüberliefertesBedeutungsgeflecht,welchesinSymbolenauftritt: […] the culture concept to which I adhere […] denotes an historically transmitted pattern of meanings embodied in symbols, a system of inherited conceptions ex pressedinsymbolicformsbymeansofwhichmencommunicate,perpetuate,and developtheirknowledgeaboutandattitudestowardlife.
DurchdiesesNetzvonBedeutungenseiesmöglichzukommunizierenundsich selbstweiterzuentwickeln.ObgleichdiebeidenAnsätzeeineunterschiedliche PerspektiveaufKulturwählen,istihnengemein,dassKulturalseineArtOrien tierungssystem für das eigene Leben und die eigene Entwicklung verstanden werdenkann. Unterschiede zwischen Kulturen manifestieren sich, so Hofstede (2001, S.810), insbesondere durch Symbole (Worte, Gesten, Bilder und Objekte), Helden (Verhaltensvorbilder), Rituale (kollektive Tätigkeiten, die eigentlich überflüssig sind aber als sozial notwendig gelten; z.B. Grüßen, religiöse Zere monien) und Werte (Neigung, bestimmte Umstände anderen vorzuziehen). Symbole,HeldenundRitualewerdendurchPraktikensichtbar,wohingegenihre kulturelleBedeutungnichtdirektzuerkennenist.SieliegtinderInterpretation durchZugehörigederKultur(Hofstede,2001,S.9).
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2SinnundSinnkonstruktionimKontextschulischenLernens
Mathematikunterricht zeigt auf verschiedene Weise eine kulturelle Prä gung. Gellert (2007, S.76) entwickelt dazu ein Vierebenenmodell mathemati scher Fachkultur in der Schule. Die erste Ebene beschreibt das akademische Fach Mathematik als einen kulturellen Prozess, in dem Zwischenergebnisse oder Verfahren wissenschaftlicher Mathematik im Handlungsfeld Unterricht rekontextualisiert werden. Die zweite Ebene fokussiert auf die Rahmung ma thematischenWissensdurchindividuelleundsichentwickelndemathematische Beliefs (vgl. auch Abschnitt2.6.1.2, S.58). Die dritte Ebene ist gekennzeichnet durchdieÜbernahmevon(mathematischen)Handlungsmustern,dieimHand lungsfeld Mathematikunterricht als legitim ausgehandelt vorliegen. Die vierte Ebene schließlich nimmt die Feinstruktur des Mathematikunterrichts in den Blick,wobeiinderkonkretenInteraktionzwischenLehrpersonundLernenden der Umgang mit Mathematik und damit auch die mathematische Fachkultur ausgestaltetwerden. DerkulturelleHintergrundderinteragierendenPersonennimmtdurchdie etabliertenkulturellenPraktikenderHandelndenaufallenvierEbenenEinfluss auf das Lehren und Lernen von Mathematik und trägt damit zu einer Ausprä gung verschiedener Fach und Unterrichtskulturen in den Kulturen bei. Diese unterschiedlichen Ausprägungen lassen sich sowohl auf der Makroebene der Unterrichtsstruktur (vgl. TIMSSVideostudie; zur Kritik dazu vgl. Gellert, 2007, S.73) als auch in der Feinstruktur des Unterrichts rekonstruieren (Jablonka, 2004;Knipping,2003).NeilMercer(1993,S.35)stelltdamiteinhergehendfest, dassinjederLernsituationdieArtundWeise,aufdieWissenerworben,geteilt und bewertet werde, stark von kulturellen Faktoren beeinflusst sei und be schreibtschulischesLernenfolgendermaßen(Mercer,1993,S.43): […]activity,andhencelearning,intheclassroomis:(a)culturallysaturatedinboth itscontentandstructure;and(b)accomplishedthroughdialoguewhichisheavily dependentonanimplicitcontextconstructedbyparticipantsfromcurrentandpast sharedexperience.
KulturelleUnterschiedezeigensichalsosowohlinStrukturundInhaltdes UnterrichtsalsauchinderKommunikationzwischendenHandelnden.Dassmit diesen Unterschieden auch unterschiedliche Sinnkonstruktionen einher gehen können,istnaheliegend,daetwadieRollenderSchülerinnenundSchülerbzw. derLehrpersonimUnterrichtunterschiedlichseinkönnen,dieRollemathemati scher Bildung für den weiteren Bildungsgang eine andere sein kann und auch persönliche Eigenschaften und Einstellungen der handelnden Personen ver schiedenseinkönnen(vgl.Abschnitte3.2und3.3,S.69bzw.78).
3 DieAußenperspektiveHongkong ImvorangehendenAbschnittwurdedasKonzeptderSinnkonstruktionverstan den als individuelle Relevanzzuschreibungen von Schülerinnen und Schülern dargelegt, welches zusammen mit Katrin Vorhölter (vgl. Vorhölter, 2009) im Rahmen unserer Dissertationsprojekte erarbeitet wurde. Auf dieser Basis sind nunAnalysenzurSinnkonstruktionunddenihnenzugrundeliegendenProzes senmöglich.ZusätzlichzurAusgestaltunginverschiedeneArtenundTypenvon SinnkonstruktionensiehtderFokusmeinerArbeiteineReflexionderkulturellen BedingtheitvonSinnkonstruktionvor(vgl.ForschungsfragenderArbeitinKapi tel1, S.1). Aus diesem Grund wurde die vorliegende Studie in zwei Ländern bzw. Bildungssystemen unterschiedlicher kultureller Traditionen durchgeführt: AufdereinenSeitestehtDeutschlandalsBeispielfüreinewestlicheKulturund auf der anderen Seite Hongkong als Beispiel für eine konfuzianisch geprägte ostasiatischeKultur.DiefolgendenAbschnittesollendaheraufdereinenSeite einenEinblickindieMöglichkeitengeben,dieStudieninverschiedenenKultu renbzw.Bildungssystemeneröffnen,aufderanderenSeitesollendieGrundzü gederkonfuzianischgeprägtenKulturHongkongsebensowiedasHongkonger Schulsystemdargestelltwerden.DieseInformationendienenalsHintergrundin formation,vordenendieErgebnissederStudiespäterreflektiertundinterpre tiertwerdenkönnen. 3.1 MöglichkeitendurchdieAußenperspektive MitderDurchführungeinerZweiländerstudieeröffnensichverschiedeneMög lichkeiten, die zur besseren Ausschärfung der entwickelten Theorie sowie zur Weiterentwicklung der eigenen Auffassung von Unterricht führen können. Im FolgendenwerdeichdieseverschiedenenVorteiledarstellen. IneinerStudie,dieinzweiKulturendurchgeführtwird,istderForschungs prozess durch Fremdheitserfahrungen geprägt, die sowohl bei der Datenerhe bungalsauchbeiderDatenauswertungauftreten.BeiderAuseinandersetzung mitdemFremdenbestehtdieMöglichkeit,eineAußenperspektiveaufdieeige neKultureinzunehmen,siealsounterReflexionderanderenKulturvonaußen zu betrachten. AufdieseWeise ist es möglich Aspekte, die bisher als gegeben hingenommen wurden, zu hinterfragen (Hiebert, Gallimore, Garnier, Bogard Givvin,Hollingsworth,Jacobsetal.,2003,S.3).Eigenschaftenwerdensichtbar, M. Vollstedt, Sinnkonstruktion und Mathematiklernen in Deutschland und Hongkong, DOI 10.1007/978-3-8348-9915-6_3, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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3DieAußenperspektiveHongkong
die zuvor unsichtbar und für Reflexion nur schwer zugänglich waren. James StiglerundMichellePerry(1988,S.199)beschreibendiesimHinblickaufUnter richtspraktikenfolgendermaßen: Cross cultural comparison […] leads researchers and educators to a more explicit understandingoftheirownimplicittheoriesabouthowchildrenlearnmathemat ics. Without comparison, we tend not to question our own traditional teaching practicesandwemaynotevenbeawareofthechoiceswehavemadeinconstruct ingtheeducationalprocess.
Der Blick in eine andere Kultur ermöglicht also einen tieferen Einblick in die eigene Unterrichtskultur und die sie bestimmenden Aspekte (Jablonka, 2006; Kaiser,Hino&Knipping,2006,S.323).DieAußenperspektiveistalsomethodi sches Hilfsmittel, um Charakteristika beider Kulturen deutlicher zu erkennen. Die Bewusstmachung von Unterschieden liefert damit den ersten Schritt im Hinblick auf eine mögliche Verbesserung der Strukturen in Erziehungs und Unterrichtsprozessen.Dabeiistesjedochzwingendnotwendig,denjeweiligen kulturellen Hintergrund zu berücksichtigen, um nicht Besonderheiten einer Kultur unreflektiert in eine andere Kulturzu übertragen (vgl. auch Leung & Li, 2010).DaessichinmeinerStudiejedochumSinnkonstruktionen,alsoumindi viduelle Relevanzzuschreibungen der Lernenden handelt, ist der Aspekt der UnterrichtsverbesserungzunächstnichtimFokus. DiezweiteMöglichkeit,diesichdurcheineVergleichsstudiebietet,liegtin dergenauerenAusschärfungdesKonzeptsderSinnkonstruktionaufmehreren Ebenen.DazusollendieverschiedenenSinnkonstruktionsartenundtypen,die im Rahmen dieser Arbeit entstehen, unter Berücksichtigung des kulturellen Hintergrunds der Lernenden reflektiert werden. So kann erstens festgestellt werden, inwiefern kulturspezifische Realisationen der Sinnkonstruktionen vor kommen. Es können also Ausprägungen bestimmter Sinnkonstruktionsarten gefundenwerden,dieohnedieDurchführungderStudieineinemzweitenLand nicht hätten rekonstruiert werden können. Nach dem Auffinden kulturspezifi scher Ausprägungen bestimmter Sinnkonstruktionsarten und typen können zweitens diese Ausprägungen mit dem kulturellen Hintergrund der Lernenden in Zusammenhang gebracht werden. Auf diese Weise wird das Konzept der Sinnkonstruktionstärkerausgeschärft,dadurcheineReflexionderempirischen Ergebnisse bestimmte Zusammenhänge zwischen den individuellen Vorausset zungen und der Sinnkonstruktion, hier Merkmale des persönlichen Hinter grunds,genauergeklärtwerdenkönnen.DarüberhinauskanndrittensderZu sammenhang zwischen Voraussetzungen und Sinnkonstruktionen deutlicher werden. Nach der Analyse eines Landes können etwa Zusammenhänge aufge
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3.2KulturellgeprägteBeliefszumLernenundLehrenvonMathematikinder
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fundenwerden,diesichindenErgebnissendeszweitenLandesalsnichtzutref fenderweisen(Stigler&Perry,1988,S.199).AufdieseWeisekönnenunzulässi geVerallgemeinerungenvermiedenwerden. HongkongbietetsichfüreineinterkulturelleStudieinsofernan,alsdasses einerseits Teil der konfuzianisch geprägten ostasiatischen Kultur ist. Durch die Zeit als britische Kronkolonie ist Hongkong andererseits westlich orientiert, sodasseingroßerTeilderBevölkerungEnglischspricht.AnvielenSchulenwird in englischer Sprache unterrichtet, so dass im Zuge dessen die Durchführung meinerStudiegewährleistetwar.TrotzallerwestlichenEinflüssesindaberkon fuzianischeWertenachwievorbestimmendundtiefinderHongkongerBevöl kerungverwurzelt. Der folgende Abschnitt soll nun die Grundzüge der konfuzianisch gepräg ten Kultur Hongkongs darlegen und insbesondere die Auswirkungen dieses kulturellen Hintergrunds auf das Lehren und Lernen von Mathematik aufzei gen.10 Mit diesem Hintergrund ist es möglich, die empirischen Ergebnisse der StudieuntereinerkulturellenPerspektivezureflektieren. 3.2 KulturellgeprägteBeliefszumLernenundLehrenvonMathematikinder konfuzianischgeprägtenKulturHongkongs Hongkong ist Teil der “Confucianheritage' culture“ (CHC), also der konfuzia nischgeprägtenKultur,derauchdieLänderChina,Japan,Korea,Singapurund Taiwan angehören (Biggs, 1996, S.46). In dieser Kultur haben die Lehren von Konfuzius (ca. 551479 v.Chr.) nach wie vor eine zentrale Position und zeigen sich in verschiedenen tief verwurzelten Einstellungen (beliefs), die mit dem Lernen in Verbindung stehen. Dies darf nicht darüber hinweg täuschen, dass auchinnerhalbderkonfuzianischgeprägtenKultureingroßesMaßanHetero genitätvorhandenist(Morrison,2006,S.1617).NgaiYingWong(2004,S.511 512;2008,S.974)diskutiertdaherverschiedeneAspekte,dieeigentlichgegen eine Gruppierung der genannten Länder anhand der konfuzianischen Prägung sprechen: Können alle oben genannten Länder zur konfuzianisch geprägten KulturgezähltwerdenoderistinLändernwieJapanoderSingapurdieRolleder 10
IndenletztenJahrenistvielüberdasLehrenundLernenvonMathematikinwestlichenvs. konfuzianischgeprägtenKulturenveröffentlichtworden.IndieserArbeitkannnureinkleiner Einblickgegebenwerden.WeitereInformationenfindensichetwainfolgendenSammelwer kenbzw.ZDMThemenheften:Cai,Perry,&Wong,2007;Chan&Rao,2009;Fan,Wong,Cai,& Li,2004;Leung,Graf,&LopezReal,2006;Li&Kulm,2009;Li&Shimizu,2009;Lim,White,& Kaur,2008sowieWatkins&Biggs,1996,2001a.
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3DieAußenperspektiveHongkong
konfuzianischen Prägung zu gering bzw. lediglich eine unter vielen? Ist Hong kongzustarkwestlichorientiert,umnochalskonfuzianischgeprägtzugelten? KönnendieEinflüssedesDaoismus,BuddhismusundandererTraditionenver nachlässigtwerden?WiekönnendieverschiedenenIdeologien,dieinverschie denenDynastiendesKonfuzianismusvertretenwurden,einheitlichalsKonfuzi anismusgefasstwerden?Wong(2004,S.512)argumentiertanschließendunter RückbezugaufWeiningChang(2000),dassesindenaufgezähltenLänderneine gemeinsamechinesischebzw.konfuzianischgeprägteIdentitätgibt: Chang(2000)suggestedthatthe'search'for'Chinese'shallnotbetargetedatthe geographicalregionsorkinship.Rather,itshouldbetargetedatthe'vernacularcul turethatcommonpeopleendorse'whichincludes'thebeliefsandvaluesheldby ordinaryfolkswhoidentifythemselvesasChinese.'
Wing On Lee (1996) liefert in dieser Richtung einen ersten Ansatz durch die AnalysevonBeliefszumLernenundzurRollevonBildung,dieindenkonfuzia nischgeprägtenLänderngemeinsamgeteiltwerden. Obgleich Heterogenität innerhalbder konfuzianischgeprägten Kultur vor handenist,tretendieUnterschiedezwischenderwestlichenundderkonfuzia nisch geprägten Kultur in der Gegenüberstellung deutlicher hervor. Frederick Leung(2001)formuliertdaherDichotomienzuverschiedenenAspekten,diemit dem Lernen und Lehren von Mathematik in Zusammenhang stehen. Diese Di chotomien sollen dabei als Endpunkte von Kontinua verstanden werden, auf denen Länder der westlichen Kultur eher auf der einen Seite verortet werden können,währendLänderderkonfuzianischgeprägtenKultureherzuderande renSeitetendieren.Erhältfest: Itshouldbepointedoutthatthedifferentfeaturesarepresentedintheformofdi chotomiesinordertoprovokediscussiononly.ItdoesnotmeanthatallEastAsian societiesareononesideofthedichotomiesandallWesterncountriesareonthe otherside.Veryoften,itisamatteroftherelativepositionsofthetwocultureson a continuum between two extremes rather than two incompatible standpoints. (Leung,2001,S.38)
IndenfolgendenAbschnittensollendieinderLiteraturanalysiertenkulturellen Beliefs der konfuzianisch geprägten Kultur kurz vorgestellt werden. Die ver schiedenenAspektelassensichdabeinurschwervoneinandertrennenundsind oftmals relevant für verschiedene Bereiche. Die beschriebenen Punkte sollten dabeinichtalsPrototypenmissverstandenwerden,sondernlediglichdiekultu rellenPotentiale(Wong,2006,S.113;2008,S.974)derkonfuzianischgeprägten Kulturdeutlichmachen.
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3.2KulturellgeprägteBeliefszumLernenundLehrenvonMathematikinder
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3.2.1 DieRollevonBildung BildunghatinderkonfuzianischgeprägtenKultureinenbesonderenStellenwert sowohlfürdasIndividuumselbstalsauchfürseinePositioninderGesellschaft und damit für deren Wohlergehen. Konfuzius selbst beschreibt sein Leben als LernprozessmitverschiedenenStufenaufdemWegzurWeisheit(AnalectsII.4; Legge,1867,S.122): Atfifteen,Ihadmymindbentonlearning.Atthirty,Istoodfirm.Atforty,Ihadno doubts.Atfifty,Iknewthedecreesofheaven.Atsixty,myearwasanobedientor gan for the reception of truth. At seventy, I could follow what my heart desired, withouttransgressingwhatwasright.(HervorhebungimOriginal,MV)
DasStrebennachWeisheitundmoralischerPerfektionierungistinderkonfuzi anisch geprägten Kultur verwurzelt und schlägt sich auch in den Beliefs der Lernenden nieder: Jin Li (2004) konnte zeigen, dass das Streben nach morali scherPerfektionderwichtigsteLernzweckfürchinesischeLernendedarstellt. Wong(2004,S.509510)zufolgewirdderpersönlicheLebenserfolginLän dernderkonfuzianischgeprägtenKultursowohlanderweltlichenKarriereund demgeleistetenBeitragzumWohlergehenderGesellschaftgemessenalsauch darin, inwiefern die eigenen Errungenschaften von der nächsten Generation weitergeführtwerden.HierinliegeneinerseitsdiehohenErwartungenbegrün det, die Eltern an ihre Kinder haben, als auch andererseits das Bestreben der KinderundJugendlichen,denWünschenderElternzugenügen.Dafürarbeiten dieSchülerinnenundSchülerhart.EinhohesMaßanBildungkommewiederum der Gesellschaft zugute, wenn die gebildeten Personen Regierungspositionen bekleiden,wieesKonfuziusfordert(vgl.Lee,1996,S.27). HoheakademischeLeistungenseieninsbesondereinderheutigenSituati on notwendig, wenn starker Wettstreit bei schwierigen Eingangsprüfungen zu angesehenen Schulen und anderen Bildungsinstitutionen vorherrschen, so Lee (1996,S.27).Wong(2010,S.33)hingegenbeschreibtdiesozialeSelektionder ExaminafürdieletztenJahrzehntealswesentlichgemäßigter: The function of examinations has also changed: it is becoming less a means of screeningstudents.Inaddition,theexpansionoftertiaryeducationmeansthatthe apex of the educational pyramid is broadened considerably. There are now more waysofclimbingthesocialladder.
FürdieseDarstellunggibterjedochkeineempirischenHinweise.
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3DieAußenperspektiveHongkong
3.2.2 GrundsätzlicheBildbarkeitundPerfektionierbarkeitderMenschen Dass Bildung einen besonderen Stellenwert in der konfuzianisch geprägten Kultur einnimmt, liegt neben den gerade angeführten Gründen daran, dass Konfuzius davon ausging, dass grundsätzlich jeder Mensch 'bildbar' sei. Die Menschen können dabei in vier Gruppen eingeteilt werden (Analects XVI.9; Legge,1867,S.235236): Thosewhoarebornwiththepossessionofknowledgearethehighestclassofmen. Thosewholearn,andso,readily,getpossessionofknowledge,arethenext.Those who are dull and stupid, and yet compass the learning, are another class next to these.Astothosewhoaredullandstupidandyetdonotlearn;theyarethelowest ofthepeople.(HervorhebungimOriginal,MV)
Konfuziusbetonthier,dassesnichtwichtigsei,obmanmitWissengeborensei oderaberesdurchdieSchmerzendesLernenserworbenhabe.DieQuelledes WissensseialsonichtvonBedeutung,alleinderBildungswillezähle.Diesersei damitGrundlagefüreinenProzessderindividuellenEntwicklungzurWeisheit, so Lee (1996,S.2830). Aufdieser Einstellung basiertnun dieErwartung, dass SchülerinnenundSchülersichhartanstrengensollen.Inderkonfuzianischge prägtenKulturherrschtdementsprechendderBeliefvor,dassesgrundsätzlich möglichsei,seineZielezuerreichen,wennmansichnurhartgenuganstrenge (Leung, 2008, S.988). Es besteht also die Überzeugung der menschlichen Perfektionierbarkeit unter dem Einsatz hoher Anstrengung und einem starken Bildungswillen(vgl.Lee,1996,S.2839). 3.2.3 LernenfürdieSelbstperfektionierung DasStrebennachmenschlicherPerfektionierung,welchesinderkonfuzianisch geprägtenKulturweitverbreitetist,hatAuswirkungenaufdasVerständnisvon BildungundErziehung.Siesindnurdannsinnerfüllt,wennsiezurSelbstperfek tionierung beitragen. In diesem Streben nach Selbstperfektionierung liegt der KernderindividualistischenOrientierung(vgl.Lee,1996,S.33),diesichinden Ländern der konfuzianisch geprägten Kultur auch neben einer ausgeprägten kollektivistischsozialenOrientierung(Yang,1981)zeigt(vgl.auchLeung,2008, S.987988). Für die individualistische Ausrichtung ist Konfuzius' Verurteilung des zweckgerichteten Lernens, um anzugeben oder anderen zu gefallen, maß gebend (Analects XIV.25; vgl. Lee, 1996, S.33): “The Master said, ‘In ancient times, men learned with a view to their own improvement. Nowadays, men learnwithaviewtotheapprobationofothers.’”(AnalectsXIV.25;Legge,1867,
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3.2KulturellgeprägteBeliefszumLernenundLehrenvonMathematikinder
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S.215).DasLernenfürdieSelbstrealisationbzw.perfektionierungistalsoeine Form der intrinsischen Lernmotivation. Dabei ist es das Bestreben des Men schen,sichselbstaufverschiedeneWeiseweiterzubilden(Lee,1996,S.34): Thepurposeoflearningisthereforetocultivateoneselfasanintelligent,creative, independent,autonomous,andwhatismore,anauthenticbeing,whoisbecoming morefullyhumanintheprocessoflearning.
ZieldesLernensistesalso,selbstauthentischzubleibenundsichdabeiweiter zuentwickeln. 3.2.4 DasZusammenspielvonLernen,Anstrengung,Willensstärkeundmensch licherPerfektionierung In der konfuzianisch geprägten Kultur werden Unterschiede hinsichtlich einer bestimmten Begabung für ein Fachgebiet im Gegensatz zur westlichen Kultur wenigeralsmöglicheGründefürLernerfolgherangezogen(vgl.Li,2004,S.124 125).FürdasLernenzählenstattdessenAnstrengungundWillensstärke.Leung (2001,S.4142)zufolgeseiLernennotwendigerweisevonharterArbeitbeglei tet. Erfüllung und Zufriedenheit resultieren dann als Ergebnis aus großer An strengung.InderwestlichenKulturaufderanderenSeiteherrschedieEinstel lungvor,dassdieSchülerinnenundSchülermöglichstwährenddesLernprozes ses Freude erleben sollen; das Lernen selbst solle Spaß machen. Die Unter schiede zwischen den Kulturen seien daher in einem unterschiedlichen Ver ständnisdesLernprozessesselbstbegründet. KonfuziusformuliertdieRollevonAnstrengungundFleißaufdemWegzur Weisheitfolgendermaßen(TheMean,XX.2021;Legge,1867,S.305): If another man succeeds by one effort, he will use a hundred efforts. If another mansucceedsbytenefforts,hewilluseathousand.Letamanproceedinthisway, andthoughdull,hewillsurelybecomeintelligent;thoughweak,hewillsurelybe comestrong.
EsistKonfuziuszufolgealsonichtwichtig,welcheVoraussetzungeneinMensch mitbringt, solange er sich nur genug anstrenge. Lee (1996, S.31) zieht dabei eineParallelezurGoldgewinnungauseinemGesteinsklumpen:Unabhängigvon der Menge Gold, die in einem Klumpen enthalten sei, werde doch schließlich reinesGoldgewonnen.DieVoraussetzungenseienalsonichtbestimmend,um trotzdem das Potenzial des Menschen zum bestmöglichen Umfang entwickeln zukönnen.
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3DieAußenperspektiveHongkong
Der Zusammenhang zwischen Fleiß und Lernerfolg hat sich auch in dem chinesischenSprichwort“Slowbirdshouldflyearlier“(vgl.Li,2006,S.131)nie dergeschlagen. Es umschreibt, dass Lernende einen größeren Lernfortschritt erreichen können, je mehr sie sich anstrengen. In engem Zusammenhang mit derAnstrengungstehedamitauchdieWillensstärke,dieeinMenschzeigt,da siedietreibendeKraftfürAnstrengungundFleißsei,soLee(1996,S.32). MitFleißundAnstrengunggeht,wieobenbereitsangesprochen,auchhar teArbeiteinher,diesichbeidenSchülerinnenundSchülernderkonfuzianisch geprägtenLänderetwainderBearbeitungvielerÜbungsaufgabenzeigt.Indie semPunktwirdderkulturelleBeliefdes“practicemakesperfect“(vgl.Li,2006) ersichtlich. Das wiederholte Üben bestimmter Tätigkeiten wird dabei oftmals auswestlicherPerspektivealsDrillvonAlgorithmenbzw.alsAuswendiglernen missverstanden(Biggs,1996).FerenceMarton,GloriaDall'AlbaundLaiKunTse (1996,S.82)zeigenjedoch,dassinLändernderkonfuzianischgeprägtenKultur einausdifferenziertesBildvon“memorization“vorhandenist(vgl.auchDahlin &Watkins,2000): […]thetraditionalAsianpracticeofrepetitionormemorizationcanhavedifferent purposes. On the one hand, repetition can be associated with mechanical rote learning;ontheotherhand,memorizationcanbeusedtodeepenanddevelopun derstanding.
Ist die vielfältige Wiederholung also nicht bloß mechanisch, sondern dient sie einemhöherenZiel,kannsieauchTeileinesvertieftenLernprozessessein(Da hlin&Watkins,2000,S.66;Lee,1996,S.3437;Li,2004,S.131;Martonetal., 1996,S.82).HierzeigensichalsounterschiedlicheBilderdesLernensvonMa thematik(Leung,2001,S.3944). Mit dem Belief des practice makes perfect können zwei chinesische Sprichwörter in Zusammenhang gebracht werden, die die Rolle von Fleiß und Anstrengung für das Lernen illustrieren: “diligence could remedy mediocracy“ und “familiarity breeds sophistication“ (Wong, 2002, S.224). Sie zeigen, dass sichimFleißdasPotenzialverbirgt,durchwiederholteAuseinandersetzungeine VertrautheitunddamitauchErfahrenheitimUmgangmitInhaltenzuerreichen undandererseitsdieMöglichkeiteröffnet,dieMittelmäßigkeitzuüberwinden, zur Weisheit zu kommen und sozial aufzusteigen. Diese Möglichkeit und das Strebendanach,dieErwartungenderFamiliezuerfüllen,habedieSchülerinnen und Schüler der konfuzianisch geprägten Ländern zu den am härtesten arbei tendenLernendenderWeltgemacht,soWong(2006,S.111). Die große Last, die auf den Schultern der Heranwachsenden liegt, zeige sich auch, so Shiqi Li (2006, S.131), im chinesischen Schriftzeichen ᢎ⢒ für
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3.2KulturellgeprägteBeliefszumLernenundLehrenvonMathematikinder
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'Bildung' bzw. 'Erziehung'. Es bestehe aus mehreren Elementen, die für sich genommeneineeigeneBedeutungtragen.DaslinkeZeichensetzesichimlin kenTeilzusammenausሶ,was'Kind'bedeute.DieBedeutungdesoberenTeils sei'schwereBürde'.ZusammengenommensteheesdannfürdieschwereBür de,dieaufdenSchulternvonKindernlaste.DaszweiteZeichen⢒,stehedann für 'Entwicklung'. Die beiden Zeichen ᢎ⢒ zusammengenommen vermittelten im Zuge dessen das Bild, dass junge Menschen wachsen und sich entwickeln unterdenUmständen,dasssiejedeAnstrengungunternehmen,umdenihnen gestelltenhartenAnforderungenzubegegnen.DieseInterpretationdesSchrift zeichensfürBildungundErziehunggehteinhermitdemBeginnderAnalekten vonKonfuzius,indenenerschreibt:”TheMastersaid,'Isitnotpleasanttolearn with constant perseverance and application?'“ (Analects I.1; Legge, 1867, S.116;vgl.auchLi,2006,S.131).AuchhierzeigtsichalsowiederderBeliefdes practicemakesperfect. 3.2.5 Leistungsmotivation NebenderintrinsischenLernmotivationzurSelbstperfektionierungistauchdie LeistungsmotivationinderkonfuzianischgeprägtenKulturverbreitet.Diesleitet sichausdemkonfuzianischenIdealvorstellungendesMenschenher,dieKonfu zius im Gespräch mit Tszeloo folgendermaßen beschreibt (Analects XIV.44; Legge,1867,S.220): Tszeloo asked what constituted the superior man. The Master said, ‚The cultiva tionofhimselfinreverentialcarefulness.‘‘Andisthisall?’saidTszeloo.‘Heculti vates himself so as to give rest to others,’ was the reply. ‘And is this all?’ again askedTszeloo.TheMastersaid,‘Hecultivateshimselfsoastogiveresttoallthe people.[…]’
Leung(1998,S.32)interpretiertdieseTextstellederart,dasseinMenschsichals erstenSchrittselbstdisziplinierenmüsse.ErstdannkönneerseineFamilielen ken und später den Staat führen. Konfuzius' Ausspruch lasse sich damit auf mehrere Weisen interpretieren. Einerseits beschreibt er, dass es in kleineren Schritten möglich sei, Großes zu erreichen. Andererseits zeigt er auf, dass das Streben nach hohen Ämtern eine Tugendhaftigkeit voraussetze (Leung, 1998, S.32)bzw.legtereinemgebildetenMenschennahe,sichfürRegierungsämter einzusetzen.AufdieseWeisekommederGesellschaftdieBildungdiesesMen schenzuguteunddessenguterEinflusskönneausgeweitetwerden(Lee,1996, S.37).
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3DieAußenperspektiveHongkong
Das Streben nach öffentlichen Ämtern ist also eng mit dem konfuziani schen Menschenbild verwurzelt. Hohe Regierungsämter wiederum stehen in engemZusammenhangmitstaatlichenPrüfungen,dadieseinChinabereitsseit dem Jahr 587 v.Chr. den Zugang zu staatlichen Stellen regeln (Leung, 2008, S.988).DurchdasBestehensolcherPrüfungenwerdeesselbstBauernmöglich, offizielle Ämter zu bekleiden und sozial aufzusteigen (Zhang, Li & Tang, 2004, S.191).DiePrüfungenwurdendabeialsfaireundvertrauenswürdigeMethode angesehen, die fähigste Person für ein Amt auszuwählen. Auf diese Weise sei Lernen mit dem Ziel, eine Prüfung zu bestehen, in Ländern der konfuzianisch geprägtenKultureinedurchausanerkannteFormderLeistungsmotivation(Le ung,2008,S.989).AuchheutenochnehmenExaminaundPrüfungeninHong kongeinesehrwichtigeRolleein,dasiealsSelektionsinstrumentbeispielsweise für die weitere Schullaufbahn oder einen Studienplatz fungieren. Das Hong KongCertificateofEducationExamination(HKCEE,ähnlichdemGCSEinGroß britannien)seizudemsobeschaffen,dassesamoberenLeistungsspektrumder Schülerinnen und Schüler selektiere, so Catherine Tang und John Biggs (1996, S.169;vgl.auchAbschnitt3.3,S.78).DieLernendenmessengutenLeistungen indenPrüfungendahereinebesondereWichtigkeitzu. Leung (2001, S.4243) zufolge werde in der ostasiatischen Kultur die An sichtvertreten,dassdieLernendeneinenAnstoßbrauchen,dersiezumLernen animiert. Das Maß des damit einhergehenden Drucks müsse jedoch noch da hingehendoptimiertwerden,dasserzwarnichtzustarkausgeübtwerdeaber dochausreichend,umdieEnergiederLernendenaufdieInhaltezulenken.Im WestenaufderanderenSeiteherrschedieEinstellungvor,dassesausreichend sei,dasInteressederLernendenanMathematikzuentfachenundsiedadurch zum Lernen zu animieren. Es liegen also unterschiedliche Verständnisse vom VerhaltenderMenschenundvonLernmotivationvor. Gute Prüfungsergebnisse schließlich eröffnen gute Zukunftsperspektiven. Das Streben nach einflussreichen Positionen bzw. hohen Regierungsämtern bietetdabeiauchäußereAnreizezumLernen,dasiemitweltlichenBelohnun gen vergütet werden. Zwei chinesische Sprichwörter veranschaulichen dies (Lee, 1996, S.37): “There are golden houses in books and there are beautiful girls in books.“ (vgl. auch Leung, 2008, S.983) und “Although studying anony mouslyfortenyears,onceyouaresuccessful,youwillbecomewellknownin theworld.“Beidezeigen,dassnacheinemintensivenStudiumZielewieReich tum,BerühmtheitodereineattraktiveEhefrauleichterzuerreichenseien(Lee, 1996, S.37). Diese Ansicht spiegele sich auch in dem Ausspruch “the root of knowledge is bitter; its fruits are sweet“ wider, den Leung (2001, S.41) auf
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3.2KulturellgeprägteBeliefszumLernenundLehrenvonMathematikinder
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einem Poster in einer Grundschulklasse im Pekinginger Umland entdeckt hat. DiesesBestrebennachextrinsischenBelohnungenkoexistieredabeiinderkon fuzianisch geprägten Kultur mit dem intrinsisch motivierten Streben nach Per fektion, obgleich sie zunächst widersprüchlich wirken können (vgl. Lee, 1996, S.38). 3.2.6 LehrenvonMathematik Neben Unterschieden hinsichtlich der Aspekte, die mit dem Lernen allgemein unddemLerneninsbesonderevonMathematikinZusammenhangstehen,fin den sich auch solche, die das Lehren von Mathematik bzw. das Bild von Ma thematik betreffen. Leung (2001, S.3839) stellt zunächst die Bilder von Ma thematik,dieinLändernderwestlichenundderkonfuzianischgeprägtenKultur vorhandensind,gegenüber.Erbetrachtetdabei,dassMathematikindenkon fuzianischgeprägtenLänderneheralsProdukt,alsoalseinKörpervonWissen mit einer bestimmten Struktur verstandenwerde, wohingegen sie in den Län dern der westlichen Kultur eher als ein Prozess, d.h. eine bestimmte Art der AuseinandersetzungmitAspektenderRealität,beschriebenwerde. DiesesunterschiedlicheBildvonMathematikspiegelesichauchimBildvon derLehrpersonwider,welchesindenverschiedenenKulturenvertretenwerde. Die starke Inhalts oder Produktorientierung in den Ländern der konfuzianisch geprägtenKulturgeheeinhermitdemAnspruch,dassdieLehrpersonenneben pädagogischerExpertiseinsbesondereExpertinnenihresFachesseinsollen.Im Westen liege auf der anderen Seite der Schwerpunkt ihrer Tätigkeiten eher darauf, die Lernenden dazu zu befähigen, das Wissen und die Informationen, diesiesichaufverschiedensteWeiseselbsterreichbarmachenkönnen,zuana lysierenundzuverarbeiten(Leung,2001,S.4546).DieunterschiedlichenRol lenderLehrpersonenlassensichdamiteheralsFachexpertinnenvs.alsUnter stützerinnen,dieihreSchülerinnenundSchülerndabeifördern,dasLernenzu lernen, beschreiben. Auchhier steht also vereinfacht gesprochen eine Inhalts orientierungeinerProzessorientierunggegenüber. BetrachtetmandieLehrLernsituationimUnterricht,spielenLeung(2001, S.44)zufolgeIntegrationundHarmoniealszentraleBegriffederostasiatischen Philosophie eine wichtige Rolle. Sie schlagen sich in der sozialen Orientierung (Yang,1981)nieder,diesichetwainderTendenzderPersonkennzeichne,eher erwartungskonformzuhandelnalsaufeigeneBedürfnisseRücksichtzunehmen sowiealsintegrierterTeileinessozialenNetzwerkszufunktionieren.Solidarität undsozialeBewusstheitseienausschlaggebendereDeterminantenfürdasindi
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3DieAußenperspektiveHongkong
viduelle Verhalten und eineSelbstbehauptung(Yang,1981, S.159160). Leung (2001,S.4445)hältfest,dassmitdersozialenOrientierungauchdasLernenin größeren Gruppen befürwortet werde. Das Individuum müsse sich dabei der sozialenStrukturunterordnen,sodassBildungundErziehungzueinemsozialen Prozess würden. Der Lehrperson komme dabei die Funktion eines Rollenmo dellszu.InwestlichenKulturenwerdeneherUnabhängigkeitundIndividualität betont. Im Klassenzimmer werde entsprechend individualisiertes Unterrichten undLernenalsIdealangesehen.HierzeigesicheinunterschiedlichesVerständ nisderRollederLehrpersonsowiederangestrebtenUnterrichtsform(vgl.auch Zheng,2006,S.385). BeiderAnalysederUrsachenderhieraufgezeigtenUnterschiedezwischen konfuzianisch geprägten Ländern und westlichen Ländern zeige sich, so Leung (2001, S.4647), dass es sich nicht lediglich um Unterschiede in den Unter richtspraktiken handele, die sich über die Zeit etabliert haben, sondern um kulturelleWerte,dievondenverschiedenenLändernderkonfuzianischgepräg tenKulturbzw.LändernderwestlichenKulturgeteiltwerden.Diesseienüber dauernde Überzeugungen, die fundamentale Werte wie etwa das Wesen der Menschen,derMathematikoderdesLehrens,LernensundVerstehensbetref fen.DieverschiedenenkulturellenWertelieferneineplausibleErklärungfürdie Unterschiede zwischen den beiden Kulturen und seien die Grundlage dafür, dass sich unterschiedliche Handlungspraktiken im Mathematikunterricht etab lierenkonnten(Leung,2001,S.4647;fürdiedieserStudiezugrundeliegenden Unterrichtsstundenvgl.Friedrichs,2008). Nachdem nun kulturelle Unterschiede zwischen der konfuzianisch ge prägten Kultur und der westlichen Kultur hinsichtlich der Auffassungen vom Lernen und Lehren von Mathematik aufgezeigt wurden, gibt der nächste Ab schnitteinenEinblickindasSchulsystemHongkongs. 3.3 DasSchulsysteminHongkong DasHongkongerBildungssystemgliedertsichinmehrerePhasen(vgl.Abbildung 4, S. 79). Im Folgenden werde ich mich lediglich auf eine Beschreibung des Hauptstranges des Schulsystems bestehend aus Primar und Sekundarschule beschränken. VordemSchuleintrittbestehtinHongkongdieOption,denKindergartenzu besuchen,derKinderallerAltersstufenaufnimmt.DieSchulpflichtbeginntmit dem Eintritt in die primary school, die die sechs Schuljahre Primary 1 (P1) bis Primary6(P6)umfasst.ZumZeitpunktderEinschulungsinddieKinderzwischen
3.3DasSchulsysteminHongkong
(1) (2)
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79
Including courses run by the Hong Kong Institute of Vocational Education (IVE) and othertraininginstitutions,etc. Project Yi Jin was launched in October 2000 to provide an alternative route and to expand the continuing education opportunities for secondary school leavers and adultlearners.Studentswhocansuccessfullycompletetheprogrammewillbeawarded a full certificatewhich hasbeenassessedbytheHongKong Council for AcademicAc creditationascomparabletofivepassesintheHongKongCertificateofEducationEx amination. Including associate degree, higher diploma, professional diploma and other post secondaryprogrammes.
Abbildung4:
Aufbau des Hongkonger Bildungssystems (nach Education Commission,2006,S.5).
fünfJahrenundachtMonatenundsiebenJahrenalt.Währendderersten4,5 Schuljahre werde noch nicht nach Leistung selektiert, so David Watkins und
80
3DieAußenperspektiveHongkong
JohnBiggs(2001b,S.14).ErstimzweitenHalbjahrderfünftenundindersechs tenKlassemüssenLeistungstestsvondenSchülerinnenundSchülernabsolviert werden. Die darin erzielten Noten werden nach einem Schlüssel gewertet, in denverschiedeneFaktoren,u.a.dasGeschlechtdesKindesunddasAbschnei den der besuchten Primarschule in den letzten Jahren, eingehen. Auf diese WeisewerdendieSchülerinnenundSchülerdreiLeistungsstufenzugeteilt,die zum Besuch einer Schule aus der jeweiligen Leistungsklasse berechtigen. Der ÜbergangvondersechstenindiesiebteJahrgangsstufekennzeichnedamitdie erstehoheSelektionsstufeimHongkongerBildungssystem.11 ImZugederEducationReformumdieJahrtausendwendewurdendiewei terführenden Schulen in Hongkong von ehemals fünf in nunmehr drei Leis tungsstufeneingeteilt:Band1,Band2undBand3,wobeiBand1denhöchsten akademischenStandardaufweist.DieZuteilungderSchulenzudendreiStufen orientiert sich am Abschneiden ihrer Schülerinnen und Schüler an hongkong weiten Abschlussprüfungen. Die Hongkonger Sekundarstufe besteht aus zwei Abschnitten: der Junior Secondary (die Klassenstufen Secondary 1 bis 3 (S1S3 bzw.Form13)umfassend)undderSeniorSecondary(dieKlassenstufenSecon dary 4 und 5 (S45 bzw. Form 45) umfassend). Nach Abschluss der Junior Se condaryendetnach9SchuljahrendiePflichtschulzeit.Etwa90%derSchülerin nenundSchülerbesuchendarüberhinausdieSeniorSecondarySchool,umsich auf das daran schließende Hong Kong Certificate of Education Examination (HKCEE)12 vorzubereiten, so Bob Perry, NgaiYing Wong und Peter Howard 11
BeimAcademicAptituteTest(AAT),derdenZugangzurSekundarstuferegelt,stelltsichdie FragederChancengleichheit,wieWatkinsundBiggs(2001b,S.1415)zeigen.Sobekommen Schülerinnen und Schüler von besseren Primarschulen eine höhere Bewertung für eine be stimmte Leistung im Vergleich mit Schülerinnen und Schülern von schlechteren Schulen. Dabeikönnediesenzugutegehaltenwerden,dasssietrotznachteiligerUmständediegleiche Leistungerbrachthaben.ImGegensatzdazuwerdennachteiligeUmständebeideranteiligen Vergabe der Sekundarschulplätze nach Geschlecht berücksichtigt. Insgesamt werden mehr PlätzefürJungenreserviert,dadiesevonderEntwicklunghinterdenMädchenzurückseien unddaherbeigleicherLeistungbevorzugtwerdenmüssen.EineweitereFragehinsichtlichder Chancengleichheit stellt sich hinsichtlich des Unterrichts in der Sekundarstufe, da an allen Schulen gleich welcher Band, nach dem Curriculum für Band 1 Schulen unterrichtet werde. DiessollezwarauchdenSchülerinnenundSchülernanSchulenderanderenBandsdieChance aufeinHochschulstudiumeröffnen,benachteiligesieaberdahingehend,dasssiekauminder Lageseien,denakademischenAnforderungengerechtzuwerden.IhrVersagenwerdedann jedoch in Zusammenhang mit einer zu geringen Anstrengung gebracht und setze sie unter einenbesondershohenLeistungsdruck,soWatkinsundBiggs(2001b,S.1415). 12 DasHKCEEistinetwamitdemGeneralCertificateofSecondaryEducation(GCSE)desbriti schenSchulsystemsvergleichbar.
3.3DasSchulsysteminHongkong
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(2006,S.437).MathematikseidabeieinesderKernfächer.Etwa25%derSchü lerinnen und Schüler belegen darüber hinaus das Wahlfach Additional Mathe matics,dassichinsbesondereandieJugendlichendesnaturwissenschaftlichen Fachprofils richte. Es werden InhaltederBereicheAlgebra, Trigonometrie, Ko ordinatengeometrie, Analysis, zweidimensionale Vektoren und komplexe Zah lenbehandelt(Wong,2010,S.3435). DieSchülerinnenundSchülerwählenfürdasHKCEEnormalerweisesieben bis acht Prüfungsfächer, unter denen verpflichtend MandarinChinesisch, Eng lischundMathematiksind.JedesFachwirdmitNotenvonA(fünfPunkte)bisF (nullPunkte)bewertet.DiebestensechsPrüfungengehenindieEndnoteein. UmdasHKCEEzubestehensindmindestens14Punktenotwendig,diemaximal erreichbare Anzahl beträgt 30 Punkte. Catherine Tang und John Biggs (1996, S.169)beschreiben,dassdasHKCEEdaraufausgelegtsei,amoberenLeistungs spektrum der Schülerinnen und Schüler zu selektieren, so dass lediglich etwa 50%derJugendlichendasHKCEEbestehen(vgl.Lam,2002,S.204).Tang(1996, S.170) fasst die elitäre Funktion des Hongkonger Bildungssystems folgender maßen zusammen: “[…] the primary function of [the educational system in Hong Kong] appears to be to select the top 5% or so of students for tertiary studyratherthantoeducatethemajority.“ Die Abschlussnote des HKCEE hat großen Einfluss auf den weiteren Bil dungsgang der Schülerinnen und Schüler. Von der Note hängt ab, ob sie die SchuleverlassenmüssenundwelchenAusbildungsplatzsiebekommen,oderob sieindiezehnteKlassenstufe(Secondary6),versetztwerden.Beiausgezeichne ten Leistungen im HKCEE kann der weitere Schulbesuch verkürzt werden und überdasEarlyAdmissionScheme(EAS)eindirekterZugangzurUniversitätge währt werden. Bei weniger herausragenden Leistungen folgt ein weiterer Schulbesuch von ein oder zwei Jahren im Matriculation Course (Secondary 6 und 7). Hier unterteilt sich das mathematische Curriculum in reine vs. ange wandteMathematikmiteinerteilweisenAusrichtungauftechnischeoderinge nieurswissenschaftliche Bereiche (Wong, 2010, S.35). Mit dem Bestehen des Hong Kong Advanced Level Education Test (HKALE)13 wird der Zugang zur Uni versität gewährt. Das HKALE bestehen meist etwa 50% der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler, so Louisa Lam (2002, S.204), wobei etwa 25% zum wiederholten Mal versuchen, das HKALE abzulegen. Lediglich etwa 1820% bekommen dann einen Studienplatz in Hongkong, der als Ausgangspunkt für 13
DasHKALEistinetwamitdenAlevelexaminationsdesbritischenSchulsystemsvergleich bar.
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3DieAußenperspektiveHongkong
eine erfolgreiche Berufslaufbahn angesehen werde. Der Leistungsdruck und WettstreitzwischendenSchülerinnenundSchülernseidementsprechendhoch. Hongkong hat einen sehr großen Anteil an Privatschulen; nur etwa acht Prozent der Schulen sind in staatlicher Hand. Von den Privatschulen genießen ca.77%staatlicheUnterstützung(EducationEncyclopedia,2010).Bis1997wur de in allen Secondary Schools in Hongkong in englischer Sprache unterrichtet. 1998wurdeMandarinChinesischalsUnterrichtssprachevorgeschrieben,wobei Schulen,diebestimmteKriterien14erfüllen,weiterhinaufEnglischunterrichten dürfen.DieseRegelungermöglichtes,dassetwaeinDrittelderSchulenweiter hin Englisch als Unterrichtssprache verwendet (English as Medium of Instruction,EMI).DievonmirbesuchtenHongkongerSchulenwarenallespriva teEMISchulen. NachdemnuneinEinblickindenkulturellenHintergrundinHongkongge geben wurde und eine Verbindung zum Lernen und Lehren von Mathematik aufgezeigtwurde,wirddievorliegendeStudieimnächstenTeilderArbeitme thodologischen verortet. Außerdem werden das Design der Studie und das Vorgehen bei der Datenerhebung, auswertung und Theoriebildung beschrie ben.
14 IndenSchuljahrenzwischen1995und1998mussten85%derSchülerinnenundSchülerals fähigeingeschätztwerden,inenglischerSpracheunterrichtetzuwerden.Außerdemmüssen dieLehrerinnenundLehrerübereinesohoheSprachkompetenzimEnglischenverfügen,dass sieaufEnglischunterrichtenkönnen.DarüberhinausmussfürdieLernendeneinUnterstüt zungsangebotetwainFormspeziellerBrückenkursevorhandensein.
TeilB: MethodologieundmethodischesVorgehen InTeilA(S.9)dieserArbeithabeichdentheoretischenHintergrundderStudie dargelegt und das zugrunde liegende Konzept der Sinnkonstruktion als indivi duelle Relevanzzuschreibungen von Schülerinnen und Schülern expliziert. Au ßerdem wurden die Möglichkeiten, die sich aus der Anlage der Studie in zwei Kulturen ergeben, vorgestellt und ein Einblick in die konfuzianisch geprägte Kulturgegeben.IndenfolgendenKapiteln4,5und6(S.83,99bzw.109)verorte ichdieStudienunmethodologischundlegedenAblaufdesForschungsprozes sessowiedieverwendetenMethodenausführlichdar.AufdieseWeisesolldie Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse, die in Teil C (S.127) vorgestellt werden, ermöglichtwerden.
4 MethodologischeGrundorientierungen Im Forschungsprozess müssen Entscheidungen hinsichtlich der methodologi schenundmethodischenVerortungderStudiegetroffenwerden.Bezüglichder Methodologie muss eine Antwort auf die Frage gefunden werden, unter wel chen Bedingungen wissenschaftliche Erkenntnis möglich ist. DieWahlder Me thodenbefasstsichmitsystematischenVerfahren,diezurEntwicklungwissen schaftlicher Erkenntnis in einer Disziplin eingesetzt werden (Lamnek, 2005, S.728729).Beide,dieWahlderMethodologieundderMethoden,werdenvon der zu untersuchenden Fragestellung determiniert, die wiederum in Zusam menhang mit der generellen Auffassung von der Welt und dem Menschen steht, welche die Forscherin bzw. der Forscher einnimmt (Jungwirth, 2003, S.189). NachThomasWilson(1973)kanninderempirischenSozialforschungzwi schen einem interpretativen und einem normativen Paradigma differenziert werden, die sich in ihrer jeweiligen Weltsicht unterscheiden. Das normative Paradigma basiert nach Siegfried Lamnek (2005, S.3435 unter Rückbezug auf Matthes1976,S.201202)aufeinemnormativenWirklichkeitsverständnis,nach demgesellschaftlicheWirklichkeitverstandenwerdealsobjektiv,sachhaftund äußerlichvorgegebendurchsozialeNormierungen.DasinterpretativeParadig mahingegenverstehesozialeInteraktionalsinterpretativenProzess,derReali
M. Vollstedt, Sinnkonstruktion und Mathematiklernen in Deutschland und Hongkong, DOI 10.1007/978-3-8348-9915-6_4, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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4MethodologischeGrundorientierungen
tät konstruiere. Wirklichkeit entstehe hier also im Handeln der Gesellschafts mitglieder (vgl. auch Flick, von Kardorff & Steinke, 2005, S.2022; Jungwirth, 2003,S.189190). Studien,dieindenjeweiligenParadigmenverortetsind,weiseninderRe gel ein unterschiedliches Vorgehen auf. Bohnsack (2003, S.10) unterscheidet zwischen hypothesenprüfenden und rekonstruktiven Verfahrensweisen, wobei hypothesenprüfende Verfahren üblicherweise mit quantitativen Methoden durchgeführtwerden,wohingegenrekonstruktiveStudiengewöhnlichqualitati veMethodenverwenden. 4.1 ZurrekonstruktivenAnlagederStudie Im Rahmen der vorliegenden Studie sollen Sinnkonstruktionen von Schülerin nenundSchülernimKontextschulischenMathematiklernenserforschtwerden. WieichindenAbschnitten2.3und2.4(S.23bzw.40)dargelegthabe,verstehe ich Sinn dabei als persönliche Relevanzzuschreibung des Individuums und den AktderEntstehungvonSinnalseinenkonstruktiven.Sinnkonstruktionistdabei subjektiv, individuell und kontextgebunden (vgl. Abschnitt2.5, S.43).Da jedes Individuum selbst Sinn konstruiert, nimmt es die Welt u. U. anders wahr als seine Mitmenschen. Die Interpretation der es umgebenden sozialen Wirklich keitistdementsprechendebenfallssubjektiv,individuellundkontextabhängig. NachdiesemVerständnisexistiertkeineWeltansich,sonderndiesozialeWelt wirderstdurchdieInteraktionderIndividuenerzeugt.Diehiersomitvertretene konstruktivistischeAuffassungvonderEntstehungvonSinnlegtfürdieUnter suchung von Sinnkonstruktion eine rekonstruktive Studie mit qualitativen Me thodennahe. InwelcherWeiseSinnimKontextschulischenLernenskonstruiertwirdund welche Konzepte sich als einflussreich für die Sinnkonstruktion erweisen, ist bisher wenig erforscht worden. Für den Mathematikunterricht liegen mittler weile erste empirische Ergebnisse von Katrin Vorhölter vor (vgl. Vorhölter, 2009). Sie konnte einen Einfluss der psychologischen Grundbedürfnisse nach Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit sowie von Motivation (vgl. Deci &Ryan, 1993, Ryan &Deci, 2002), Interesse (vgl. BiknerAhsbahs, 2005; Krapp, 1992) und mathematischen Beliefs (vgl. Grigutsch et al., 1998; Törner,2002)aufdieSinnkonstruktionderinterviewtenSchülerinnenundSchü ler zeigen (vgl. auch die Abschnitte2.6.1.1 und 2.6.1.2, S.52 bzw. 58). Diese Ergebnisse lagen zum Zeitpunkt der Durchführung meiner Studie jedoch noch
4.2GrundlegendeAnnahmenrekonstruktiverForschung
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nicht vor, so dass die genannten Aspekte als sensibilisierende Konzepte in die Arbeiteingingen. Das Anliegen rekonstruktiver Forschung ist zu verstehen, Neues zu gene rierenundempirischbegründeteTheorienzuentwickeln(vgl.Flick,2005,S.18; Jungwirth,2003,S.191).DabeistehthintereinemgroßenTeilqualitativorien tierter Forschung die „Konzentration auf die Sicht des Subjekts und den Sinn, denesmitErfahrungenundEreignissenverbindet“(Flick,2005,S.38).DasZiel meiner Arbeit ist es insbesondere, das Konzept von Sinnkonstruktion genauer auszuarbeiten und verschiedene Sinnkonstruktionsarten aus den Daten zu re konstruieren.AusdiesenArtensolldanneineTypologieentwickeltwerden,so dasseineempirischbasierteTheoriederSinnkonstruktionvorliegt.DieAnlage derStudieinzweiKulturenwirdschließlichdafürgenutzt,HypothesenzurRolle des kulturellen Hintergrundes der Schülerinnen und Schüler zu generieren. DieseHypothesenbildendieGrundlagefürweiterführendeForschung. DemForschungsanliegenderArbeitentsprechendverorteichsieiminter pretativen Paradigma und arbeite im Rahmen der datenbasierten Theorieent wicklung mit qualitativen Methoden. Um den Zusammenhang zwischen kultu rellem Hintergrund der Lernenden und den von ihnen vorgenommenen Sinn konstruktionsarten zu erforschen werden zusätzlich – mit der gebotenen Vor sicht–statistischeMethodenhinzugezogen.AufdieseWeisekönnenkulturspe zifische Hypothesen entwickelt werden, so dass das Ziel dieses Vorgehens ist, Hypothesenzugenerierenundnichtzutesten. 4.2 GrundlegendeAnnahmenrekonstruktiverForschung ObgleichrekonstruktiveForschungdiverseForschungsansätzeumfasstundvon Heterogenität geprägt ist, beschreiben Uwe Flick, Ernst von Kardorff und Ines Steinke (2005, S.2022) vier Grundannahmen rekonstruktiver Forschung, die alledieseAnsätzevereinen.DabeihandeltessichumAspektebzgl.derAuffas sung sozialer Wirklichkeit und damit einhergehende Folgerungen für die For schung.DieersteAnnahmegehtdavonaus,dasssozialeWirklichkeitalsErgeb nis eines sozialen interaktiven Prozesses verstanden werden könne, in dem gemeinsamBedeutungenhergestelltwerdenundZusammenhängeverstanden werden(vgl.auchBerger&Luckmann,2004).DieseBedeutungenundZusam menhänge werden von den Subjekten in konkreten Situationen auf ihre Adä quatheithinüberprüftundstellendieGrundlagefürihreHandlungendar.Me thodologisch folge daraus für die Forschung ein Schwerpunkt auf die Rekon struktionsubjektiverSichtweisenundDeutungendersozialHandelnden.Dieser
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4MethodologischeGrundorientierungen
beständig ablaufende soziale Konstruktionsprozess sei kontinuierlichen Verän derungenunterworfen.SozialeWirklichkeitseidaher,sodiezweiteAnnahme, durch einen Prozesscharakter, Reflexivität und Rekursivität geprägt. Daraus folgemethodologischzunächstdieAnalysevonKommunikationsundInterak tionssequenzen mit anschließender Textanalyse. Die dritte Grundannahme rekonstruktiver Forschung richtet sich auf die Lebensbedingungen der Men schen.MancheAspekteihrerLebenslagenwiebeispielsweiseAlter,Einkommen undBeruflassensich'objektiv'bestimmen.DurchdiesubjektiveDeutungdieser Lebensumstände werden solche Indikatoren interpretierbar hinsichtlich ihrer subjektiven Sinnhaftigkeit. Methodologisch münde dies in einer hermeneuti schenInterpretationsubjektivgemeintenSinns,durchdiedannindividuelleund kollektiveEinstellungenerklärbarwerden.DievierteAnnahmebeziehtsichauf den Stellenwert der Kommunikation für die Konstruktion sozialer Wirklichkeit. DasozialeWirklichkeitalsGeflechtvonBedeutungenundZusammenhängenin einem kommunikativen Prozess individuell konstruiert werde, sollen auch die Strategien der Datenerhebung diesen dialogischen Charakter aufweisen. An satzpunkt fürrekonstruktive Forschung sei daher die Rekonstruktion von Kon struktionensozialerWirklichkeit. Die rekonstruktive Anlage einer Studie kann nach Ralf Bohnsack (2003, S.2030)aufzweifacheWeiseverstandenwerden:DieRekonstruktionderRe konstruktion untergliedere sich in eine methodologische bzw. erkenntnistheo retische Ebene einerseits und eine forschungspraktische Ebene andererseits. Die methodologische bzw. erkenntnistheoretische Ebene beziehe sich auf die Konstruktionen der handelnden Subjekte, die als solche rekonstruiert werden müssen. Es handele sich also um „Konstruktionen zweiten Grades“ (Schütz 1971;zitiertnachBohnsack2003,S.23).AufdieErforschungvonSinnkonstruk tionenübertragenheißtdas,dassdenSchülerinnenundSchülernzunächstdie Möglichkeitgegebenwerdenmuss,„ihreKonstruktionenundihrkommunikati ves Regelsystem zu entfalten“ (Bohnsack, 2003, S.24). Anschließend müssen ihre Konstruktionen dann von den Forschenden in einem interpretativen Pro zessrekonstruiertwerden.DieRekonstruktionderRekonstruktionaufderfor schungspraktischen Ebene bezieht sich auf das eigene Vorgehen im For schungsprozess.Esmussdahingehendrekonstruiertunddokumentiertwerden, dass der Prozess der Rekonstruktion für andere nachvollziehbar, also re konstruierbar ist. Um diesem Aspekt zu erfüllen, wird der Forschungsprozess dieserArbeitindenAbschnitten5und6(S.99bzw.109)ausführlichdargelegt.
4.3CharakteristikarekonstruktiverForschungspraxis
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4.3 CharakteristikarekonstruktiverForschungspraxis Nachdem im vorangehenden Abschnitt die Grundannahmen rekonstruktiver Forschung im Hinblick auf ihre Auffassung von sozialer Wirklichkeit und damit einhergehendenImplikationenfürdieForschungformuliertwurden,stelltdie serAbschnittMerkmaledesrekonstruktivenForschungsprozessesdar(vgl.Flick, 2005, S.1620; Flick et al., 2005, S.2224; Lamnek, 2005, S.2027; Steinke, 1999,S.1542).DabeiwirdinsbesonderekurzaufdieUmsetzungderCharakte ristikaindervorliegendenStudieeingegangen. RekonstruktiveForschungistdurcheineGegenstandsangemessenheitund FlexibilitätderMethodengekennzeichnet,dieinZusammenhangmitdemPro zesscharakter der Forschung steht. Je nach Forschungsfrage und ziel werden die benötigten Methoden aus einem breiten Spektrum ausgewählt, wobei der untersuchte Gegenstand Grundlage für die Wahl der Methoden ist. Der For schungsgegenstandistnichtzwangsläufigalsDinglicheszuverstehen,sondern alsSammelbegrifffürdasimFokusderUntersuchungstehendeThema,Konzept oderObjekt.KanneinForschungsgegenstandmitdenvorhandenenMethoden nichtuntersuchtwerden,könnendieMethodenflexibelaneinesichändernde Situation im Forschungsfeld angepasst werden. Dies ermöglicht und unter streicht den Prozesscharakter der qualitativen Forschung. In der vorliegenden Arbeit wurde die Methode der Grounded Theory dahingehend adaptiert, dass dasKodierparadigmaimHinblickaufdieForschungsfrageangepasstwurde(vgl. Abschnitt6.3,S.112).Außerdem stellte sich im Verlaufdes Forschungsprozes ses heraus, dass das Hinzuziehen statistischer Methoden zu Generierung von kulturspezifischenHypothesennotwendigwurde(vgl.Abschnitt6.5,S.121). GegenstandrekonstruktiverForschungsindschwerpunktmäßigAlltagssitu ationen.DieDatenwerdenimnatürlichenKontexterhobenundimkontextuel len Zusammenhang analysiert. Die aufgefundenen Zusammenhänge werden schließlich im konkreten Kontext beschrieben, also in der jeweiligen Situation reflektiert.ImZugedessenspieltderKontexteinesehrbedeutendeRolle.Die serAspektistinsbesonderefürdieErforschungvonSinnkonstruktionrelevant, daangenommenwird,dassdieKonstruktionvonSinnkontextabhängigist(vgl. Abschnitt2.5,S.43).DiekontextimmanenteAnalyseistinmeinerArbeitdurch das kodierende Vorgehen in Anlehnung an die Grounded Theory gegeben, da dieÄußerungenderinterviewtenSchülerinnenundSchülervorihremsubjekti ven Relevanzsystem interpretiert werden (vgl. Abschnitt6.3, S.112). Oftmals werden imRahmen von rekonstruktiverForschung unterschiedliche Perspekti ven von in das Forschungsfeld involvierten Personen erhoben. Dies war im Rahmen meiner Studie nicht notwendig, da mit dem Verständnis von Sinn als
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4MethodologischeGrundorientierungen
persönlicheRelevanzundderVerortunginderBildungsgangforschungdiePer spektivederSchülerinnenundSchülerimVordergrundsteht. In der rekonstruktiven Forschung macht die Reflexivität der Forscherin über ihr Handeln und ihre Wahrnehmungen einen wesentlichen Teil der For schung aus und wird sowohl bei der Datenerhebung als auch bei der analyse erwartet. Beide Aspekte werden nicht als Störfaktoren wahrgenommen, son dern sind wichtiger Bestandteil des Erkenntnisprozesses. Insbesondere bei ei nemForschungsprojekt,dasinzweiKulturenangesiedeltundvonFremdheits erfahrungengeprägtist,kommtihneneinezentraleRollezu.AusdiesemGrund wurdebeiderDatenerhebungeinForschungstagebuchgeführt.DieReflexivität beiderDatenauswertungschlägtsichinverschiedenenMemosnieder,diewäh renddesAuswertungsprozessesverfasstwurden(vgl.Abschnitt6.3,S.112). Ein weiteres zentrales Merkmal rekonstruktiver Forschung ist das Prinzip derOffenheitnachChristaHoffmannRiem(HoffmannRiem,1994,S.29): Das Prinzip der Offenheit besagt, daß die theoretische Strukturierung des For schungsgegenstandes zurückgestellt wird, bis sich die Strukturierung des For schungsgegenstandesdurchdieForschungssubjekteherausgebildethat.
DasPrinzipderOffenheitbeinhaltetinfolgedesseneinenVerzichtaufvorausge hende Hypothesenbildung. Bei der Generierung von Hypothesen ist theoreti schesWissennotwendigfüreinetheoretischeFundierungderForschungsfrage. „Entscheidendist,dassderForscher[bzw.dieForscherin,MV]klareVorstellun gen über seine Fragestellung entwickelt und dabei aber noch offen bleibt für neue und im besten Fall überraschende Erkenntnisse“ (Flick, 2005, S.77). In meinerArbeitistdasKonzeptderSinnkonstruktioninfolgedesseneingebettetin einen theoretischen Rahmen (vgl. Abschnitt2.6, S.48), dessen Konzepte als sensibilisierendeKonzepteindieEntwicklungderForschungsfrageneingingen. DieOffenheitgegenüberderStrukturierungdesForschungsgegenstandesdurch die Forschungssubjekte zeigt sich u.a. darin, dass der Interviewleitfaden als Referenzrahmen vorlag, die Reihenfolge der Fragen jedoch auf die Antworten der interviewten Schülerinnen und Schüler abgestimmt wurde (vgl. Ab schnitt5.3, S.102). Offenheit gegenüber neuen und überraschenden Erkennt nissen wurde durch eine datenbasierte Entwicklung von Kategorien in Anleh nungandieGroundedTheorygewährleistet(vgl.Abschnitt6.3,S.112). DaszweitegrundlegendePrinziprekonstruktiverForschungistnachHoff mannRiem (1994, S. 35) das Prinzip der Kommunikation (vgl. auch Bohnsack, 2003,S.21):
4.3CharakteristikarekonstruktiverForschungspraxis
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Das Prinzip der Kommunikation besagt, daß der Forscher den Zugang zu bedeu tungsstrukturiertenDatenimallgemeinennurgewinnt,wennereineKommunika tionsbeziehungmitdemForschungssubjekteingehtunddabeidaskommunikative RegelsystemdesForschungssubjektsinGeltungläßt.
Der ersten Grundannahme rekonstruktiver Forschung entsprechend (vgl. Ab schnitt4.2,S.85)kannsozialeWirklichkeitalsErgebniseinesinteraktivensozia len Prozesses verstanden werden. Der Kommunikation kommt damit – so die vierte Grundannahme – eine zentrale Rolle für den Forschungsprozess zu, da die Forschenden in direkter Interaktion mit den Forschungssubjekten stehen. Auf der Basis von Primärtexten (z.B. Aufzeichnungen von Schülerinnen und Schülern)odertranskribiertemAudioundVideomaterialfindetspäterdieAna lyse der erhobenen Daten statt. Ziel der Forschung ist die Rekonstruktion der subjektiven Konstruktionen der Wirklichkeit der Beforschten. Das Prinzip der Kommunikation wird in der vorliegenden Studie durch die Führung von Inter views(vgl.Abschnitt5.3,S.102)unddieanschließendekodierendeAuswertung inAnlehnungandieGroundedTheory(vgl.Abschnitt6.3,S.112)erfüllt. Ein weiteres Merkmal rekonstruktiver Forschung ist der Verlauf des For schungsprozessesvonderAnalyseeinesEinzelfallsbiszumZielderTheorieent wicklung. Oftmals wird mit der Analyse eines Einzelfalles begonnen, bevor durch Fallvergleiche und kontrastierungen Verallgemeinerungen herausgear beitet werden. Im Anschluss daran kann beispielsweise durch eine Typenbil dung eine gegenstandsbegründete Theorie gebildet werden. Die Bildung einer solchengegenstandsbegründetenTheoriestelltdasZielqualitativerForschung dar.IndieserStudiewurdendieeinzelnenInterviewszunächstkodiert.Daeine Typenbildung von Sinnkonstruktionstypen angestrebt wurde, wurden die re konstruierten Sinnkonstruktionsarten zueinander in Beziehung gesetzt. Dies bildetedieBasisfürdieTypenbildungunddamitdieErstellungeinerempirisch basierten Typologie (zum genauen Vorgehen beider Typenbildung vgl.Kapitel 7,S.127). Die letzte Charakteristik rekonstruktiver Forschung bezieht sich auf die intersubjektive Nachvollziehbarkeit des Forschungsprozesses. Besonders durch dieMethodenvielfaltundFlexibilitätdesForschungsprozessesisteineOffenle gung des Vorgehens notwendig. Damit die Nachvollziehbarkeit dieser Arbeit gewährleistetist,dokumentierendieKapitel5,6und7(S.99,109bzw.127)das genaue Vorgehen bei der Anlage der Studie, der Datenauswertung und Theo riebildung sowie der Entwicklung der Typologie. Die Nachvollziehbarkeit ist gleichzeitigeinGütekriteriumrekonstruktiverForschung,aufdasimfolgenden Abschnittgenauereingegangenwird.
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4MethodologischeGrundorientierungen
4.4 GütekriterienrekonstruktiverForschung Das methodische Vorgehen rekonstruktiver Forschung ist nicht standardisier bar, sondern hängt stark vom Gegenstand, der Situation und dem Milieu der jeweiligenUntersuchungab.Deshalbistauchnichtmöglich,universelle,allge mein verbindliche Gütekriterien für rekonstruktive Forschung festzustellen (Steinke1999,205).InsbesonderekönnenObjektivität,ReliabilitätundValidität als Gütekriterien der hypothesentestenden Forschung (vgl. Bortz & Döring, 2006,S.195202)nichtaufinterpretativeForschungübertragenwerden,dasie sich auf das normative Forschungsparadigma beziehen und somit ein anderes Verständnis von Wirklichkeit zugrunde legen (Steinke, 1999, S.204; 2005, S.322). Im Zuge dessen müssen für rekonstruktive Studien Kriterien gefunden werden,die für das jeweilige Projekt angemessen sind. Insbesondere zur Vali dierung der Ergebnisse qualitativer Sozialforschung ist bei der textlichen Prä sentation die Offenlegung des Vorgehens und des Interpretationsprozesses notwendig,umdieNachvollziehbarkeitzugewährleisten.Darüberhinausmuss sichergestellt sein, dass das Datenmaterial beispielsweise in Form von Trans kripten15 zugänglich ist (Matt, 2005, S.585). Steinke schlägt einen Katalog von sieben Kernkriterien für die Sicherung der Qualität qualitativer Forschung vor, die „methoden, gegenstands und fragestellungsbezogen zu füllen, zu modifi zieren und zu ergänzen“ sind (Steinke, 1999, S.205). Im Folgenden werden dieseKriterienunddieUmsetzungindervorliegendenArbeitkurzvorgestellt. Das erste Gütekriterium ist die intersubjektive Nachvollziehbarkeit einer Studie (Steinke, 1999, S.207225; 2005, S.324326). Die Dokumentation des Forschungsprozesses bis hin zu den Ergebnissen der Studie ermögliche eine VerständigungüberdieStudiemitanderenForschendenbzw.ihrenLeserinnen undLesern.DieintersubjektiveNachvollziehbarkeitgehedaherengeinhermit demzweitenGütekriteriumrekonstruktiverForschung,derIndikationdesFor schungsprozesses (Steinke, 1999, S.215221; 2005, S.326328). Die Indikation umfasse eine Beschreibung der Gegenstandsangemessenheit von Erhebungs und Auswertungsmethoden und biete damit die Möglichkeit, den gesamten Forschungsprozess hinsichtlich seiner Angemessenheit zu beurteilen. Dabei werde das qualitative Vorgehen an der Fragestellung gemessen sowie die ge wählten Methoden am Untersuchungsgegenstand. Die Indikation des For schungsprozesses beinhalte die Dokumentation des Vorverständnisses, der Informationsquellen, der Erhebungsmethoden und des Erhebungskontextes, 15
DieindieserArbeitzitiertenTranskriptausschnitteliegenimZusatzmaterialzudiesemBuch vor,dasimInternetüberdieURLhttp://www.viewegteubner.de/zugänglichist.
4.4GütekriterienrekonstruktiverForschung
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derDaten,wieauchderTranskriptionsregelnunddemVorgehenbeiderInter pretation. Darüber hinaus müssen Auswertungsmethoden und die einzelnen Auswertungsschrittedetailliertdargestelltwerden.AußerdemsollenProbleme undEntscheidungenaufgezeigtwerden,diewährenddesForschungsprozesses aufgetreten sind. DieDokumentationdes Vorverständnisses findet sich hier in der Offenlegung der sensibilisierenden Konzepte und des Konzepts der Sinn konstruktion (vgl. Abschnitte2.3und2.6, S.23bzw. 48).Das genauereVorge hen bei der Datenerhebung und Auswertung wird in den Kapiteln5, 6 und 7 (S.99,109bzw.127)offengelegt.DurchdiedetaillierteBeschreibungdesVor gehenswirddieBewertungderStudieermöglicht. DasdritteGütekriteriumbetrifftdieempirischeVerankerungderTheorie bildungundprüfung(Steinke,1999,S.221227;2005,S.328329).DieGroun dedTheorystelleindiesemZusammenhangeinVorgehendar,dassexpliziteine TheorieausdenDatenentwickeleunddamitindenDatenverankere(zumVor gehen in dieser Arbeit vgl. Abschnitt6.3, S.112). Zur Prüfung der Theorie an denDatenmüsseeinehinreichendeMengeanTextbelegenangegebenwerden. Die zitierten Transkriptausschnitte können daher im Zusatzmaterial zu diesem Buch eingesehen werden, das im Internet über die URL http://www.vieweg teubner.de/zugänglichist.DieGrenzendesGeltungsbereichsderentwickelten Theoriemüssenreflektiertwerden,umdemKriteriumderLimitationgerechtzu werden(Steinke,1999,S.227231;2005,S.329330).Diesgescheheinsbeson deredurcheineUntersuchungvonFällenimkontrastierendenVergleich.Dabei werden „Elemente, Ursachen, Bedingungen etc., die gleichartige Fälle mitei nanderteilenunddiefürdastheoretischePhänomenwesentlichsind“(Steinke, 2005,S.329330),herausgearbeitet.IndervorliegendenStudiewurdensolche kontrastierenden Vergleiche auf unterschiedlichen Ebenen durchgeführt. Das Anstellen von Vergleichen ist zentrales Element in der Grounded Theory (vgl. Abschnitte4.5und6.3,S.92bzw.112)undwaraufdieseWeiseTeilderRekon struktionderSinnkonstruktionsarten.ImRahmenderTypenbildungwurdendie verschiedenenSinnkonstruktionsartenmiteinanderverglichenundkontrastiert umeineTypologiederSinnkonstruktionzuerstellen(vgl.Kapitel7,S.127).Die Reichweite der auf diese Weise entwickelten Theorie wird schließlich in Ab schnitt11.1 (S.261) reflektiert. Damit einhergehend stellt sich auch die Frage nach der Relevanz, ein weiteres Gütekriterium rekonstruktiver Forschung (Steinke,1999,S.241248;2005,S.330).NebenderRelevanzderFragestellung, aufdiebereitsinKapitel2(S.9)eingegangenwurde,mussvorallemdieRele vanz der entwickelten Theorie bewertet werden. Dies geschieht in Kapitel11 (S.261).
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4MethodologischeGrundorientierungen
ImZugederDurchführungvonkontrastierendenVergleichenkönnenFra genundWidersprüchezurbisdatoentwickeltenTheorieentstehen.DemKrite riumderKohärenzzufolge(Steinke,1999,S.239241;2005,S.330)müssediese daher auf ihre Kohärenz hin geprüft werden. Können (scheinbare) Widersprü che nicht in die Theorie integriert werden, müssen sie offen gelegt werden. WidersprücheundFragen,dieimForschungsprozessdieserArbeitaufgetreten sind, wurden daher als Feldnotizen im Forschungstagebuch bzw. in Form von Memos im Auswertungsprozess niedergelegt. Sie führten zur Weiterentwick lung von Kodes (Aufspaltung bzw. Zusammenfassung verschiedener Kodes, Entwicklung von Sub bzw. Oberkategorien) bzw. zur Ausschärfung der Sinn konstruktionsartenundderTypologie(vgl.Abschnitte4.5,6.3und7,S.92,112 bzw.127). DasletzteGütekriteriumrekonstruktiverForschungbetrifftdiereflektierte SubjektivitätderForschenden(Steinke,1999,S.231239,Steinke,2005,S.330 331).Sieseinotwendig,dadieForschendenexplizitTeildesForschungsprozes sesunddamit„gleichgültigobbewußtoderunbewußt–einTeilelementempiri scher Forschung“ seien (Steinke, 1999, S.231). Die Forschenden müssen sich insbesonderebewusstsein,dasssieanderTheoriebildungbeteiligtsind–d.h. sie müssen ihre Position und ihre Rolle während des Forschungsprozesses re flektieren und bei der Theoriebildung berücksichtigen. Dies geschehe über SelbstbeobachtungundReflexion,dieineinemForschungstagebuchfestgehal ten werden können. Während der Datenerhebung habe ich ein solches For schungstagebuch geführt. Im Prozess der Auswertung wurden entsprechende Beobachtungen und Reflexionen in Memos fest gehalten (vgl. Abschnitt 6.3, S.112). NachdemnunallgemeindieCharakteristikaundGütekriterienrekonstruk tiverForschungundihreUmsetzunginmeinerArbeitvorgestelltwurden,geht der nächste Abschnitt auf die Bildung einer gegenstandsbegründeten Theorie ein. Ich folge in dieser Arbeit dem Vorgehen der Grounded Theory (vgl.Abschnitt6.3,S.112). 4.5 TheoriebildungmittelsGroundedTheory Der Begriff Grounded Theory wird auf verschiedene Weise verwendet. Er be schreibteinenrekonstruktivenForschungsansatz,alsoeineMethodologie,und rekonstruktiveForschungsmethoden,mitderenHilfeeinegegenstandsbegrün dete Theorie erarbeitet werden kann. Darüber hinaus kennzeichnet er den Forschungsprozess,indemeinesolcheTheorieentdecktwird,ebensowiedas
4.5TheoriebildungmittelsGroundedTheory
93
ErgebnisdiesesProzesses,alsodieentwickelteTheorieselbst(vgl.Böhm,2005, S.475;Glaser&Strauss,2005,S.1116;Strauss&Corbin,1996,S.79;Strübing, 2004, S.13). Die Grundlagen der Grounded Theory wurden von Barney Glaser und Anselm Strauss in den 1960er Jahren gemeinsam entwickelt und 1976 in ihremgrundlegendenBuch“TheDiscoveryofGroundedTheory“veröffentlicht (deutsch1998;Glaser&Strauss,2005).BeideentwickeltenspätereigeneVari anten desVerfahrens. Inder vorliegendenArbeit folge ich dem Vorgehen von Anselm Strauss, welches er zusammen mit Juliet Corbin weiter ausgearbeitet hat(vgl.Strauss,1998;Strauss&Corbin,1996).JörgStrübing(2004,S.89)hält diese Richtung der Grounded Theory für die weiterführendere und schätzt sie als wissenschafts und methodentheoretisch gehaltvoller ein (vgl. auch Strü bing,2004,S.72). Strauss und Corbin (1996, S.8) beschreiben Grounded Theory als „eine qualitative Forschungsmethode bzw. Methodologie, die eine systematische ReihevonVerfahrenbenutzt,umeineinduktivabgeleitete,gegenstandsveran kerte Theorie über ein Phänomen zu entwickeln.“ Ein Phänomen bezeichnet dabei ein Vorkommnis in den Daten, welches im Rahmen der Datenanalyse begrifflich gefasst wird (Strübing, 2004, S.27). Es handelt sich dabei um kom plexesozialePhänomenederuntersuchtenWirklichkeit,diedurchdieKonzep tualisierunginKategorieninihrerStrukturuntersuchtundverstandenwerden sollen(Strauss1998,S.25,31,35).Zentralistdabei,dassdieForschungsergeb nisseeineTheorieüberdieuntersuchteWirklichkeitbilden,sodassdiezugrun deliegendenKonzepteinengerBeziehungzueinanderstehen(Strauss&Corbin, 1996, S.89). Dabei geht die Zielsetzung der Grounded Theory weit über die dichte Beschreibung (vgl. Geertz, 1973, S.330) eines empirisch untersuchten Phänomenshinaus.Eswirdangestrebt„ausdemVerstehenerklären[zu]kön nen, warum ein sozialer Prozess so verlaufen ist, wie er verlaufen ist, warum eine Beziehungskonstellation so beschaffen ist, wie sie beschaffen ist etc.“ (Strübing,2004,S.49). EinVorgehennachderGroundedTheorysolllautStraussundCorbinnicht als rigides Regelwerk verstanden werden, sondern als Leitlinie im Forschungs prozessdienen(Strauss,1998,S.32;Strauss&Corbin,1996,S.41).Diesdürfe jedochnichtals„Freibrieffürein›anythinggoes‹[…]missverstandenwerden“ (Strübing, 2004, S.17). Die gegebenen Leitlinien reichen über eine bloße Auf zählung von Vorschlägen hinaus, da sie bestimmte Operationen als obligato risch kennzeichnen (Strauss, 1998, S.33). Dazu gehören etwa das kodierende Vorgehen und das Schreiben analytischer Memos (s.u. sowie Abschnitt6.3, S.112).
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4MethodologischeGrundorientierungen
AmAnfangeinerUntersuchung,diederGroundedTheoryfolgt,stehtkeine fertige Theorie, sondern ein Untersuchungsbereich, dessen relevante Aspekte sichimLaufedesForschungsprozessesherauskristallisieren.Dementsprechend wirdimEinklangmitdemPrinzipderOffenheit(vgl.HoffmannRiem,1994,S.29 bzw. Abschnitt4.3, S.87) auf eine vorhergehende Hypothesenbildung verzich tet. Im Gegenzug ist eine hohe theoretische Sensibilität der Forschenden not wendig. Erst diese „Fähigkeit, Einsichten zu haben, den Daten Bedeutung zu verleihen, die Fähigkeit zu verstehen und das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen[…]erlaubtes,einegegenstandsverankerte,konzeptuelldichteundgut integrierteTheoriezuentwickeln“(Strauss&Corbin,1996,S.25).EineAnnähe rungandenForschungsgegenstanderforderedaher,soFlick(2005,S.13),sen sibilisierende Konzepte, in die auch theoretisches Vorwissen einfließe. Es sei also mitnichten so, dass die Forschenden als tabula rasa in den Prozess der Forschung eintreten, wie der Ansatzder Grounded Theory oft missverstanden werde(Strübing,2004,S.4950).AlsQuellentheoretischerSensibilitätnennen StraussundCorbin(1996,S.2527)explizitFachliteratur,beruflicheundpersön licheErfahrungsowiedieintensiveAuseinandersetzungmitdenDatenimZuge desanalytischenProzesses.ZusätzlichbeschreibensieverschiedeneTechniken, umdietheoretischeSensibilitätderForschendenzuerhöhen(Strauss&Corbin, 1996,S.5674). Als Ergebnis des Forschungsprozesses wird eine Theorie über diesen Untersuchungsbereich angestrebt. Besonderes Kennzeichen der Grounded Theoryist,dassdieTheorieentwicklungengmitderDatensammlungundAnaly severwobenist(Strauss&Corbin,1996,S.78).Strübing(2004,S.14)bezeich net sie sogar als „funktional abhängig“. Dies zeige sich insbesondere im theoretical sampling, also der Auswahl der Datenquelle, Fälle, Stichprobe etc. „aufBasisvonKonzepten,dieeinebestätigtetheoretischeRelevanzfürdiesich entwickelnde Theorie besitzen“ (Strauss &Corbin, 1996, S.148). Eine solche theoretischeRelevanzweisenKonzeptedannauf,wennsiewiederholtimRah men der Analyse vorkommen (oder offensichtlich fehlen) und den Status von Kategorien erwerben, sich also als zentral für die zu entwickelnde Theorie er weisen.DemsystematischenErhebenundAnalysierenderDatenkommtinfol gedessen eine zentrale Rolle zu, wobei Datensammlung,Analyseund Theorie entwicklungzumTeilzeitlichparallelablaufenkönnen. Strübing(2004,S.14)hältfest,dass„[k]einerdieserProzesse[…]alsjemals vollständig abschließbar aufgefasst“ werde. Flick (2005, S.71) weist indes da rauf hin, dass das „theoretische Sampling […] als Strategie eigentlich nur Sinn [macht],wenndamitdieKonsequenzverbundenist,dassnichtzuerstalleInter
4.5TheoriebildungmittelsGroundedTheory
95
views durchgeführt werden und dann erst mit der Interpretation der Daten begonnen wird. Vielmehr ist die unmittelbare Interpretation erhobener Daten die Basis für Auswahlentscheidungen. Diese sind dann nicht auf die Auswahl vonFällenbegrenzt,sondernbeinhaltenauchdieEntscheidungüberdieArtder Daten, die als nächste einbezogen werden, und damit im Extremfall auch den WechselderMethode.“ZumVorgeheninmeinerStudievgl.Abschnitt6.2(S. 110).DieentwickelteTheoriewerdedementsprechendauchnichtalsEndpunkt des Forschungsprozesses aufgefasst, sondern als eine Version der Welt, die kontinuierlicherRevision,Überprüfung,KonstruktionundRekonstruktionunter liege.SieseidurchRelativitätundVorläufigkeitgekennzeichnet,daeinegegen standsbegründete Theorie durch Hinzunahme neuen Materials weiterentwi ckeltwerdenkönne(vgl.Flick,2005,S.7174;Strübing,2004,S.14). Im Gegensatz zur Sequenzanalyse interaktionistischer Ansätze, die bei spielsweiseinderinterpretativenUnterrichtsforschungdurchgeführtwird16(vgl. Jungwirth, 2003, S.193), ist das zentrale Element der Grounded Theory die kodierende Vorgehensweise. Die Entscheidung für oder gegen die Grounded Theory ist demnach zunächst eine methodologische. Anstatt die natürliche Reihenfolge der Daten beizubehalten, wie dies bei einer sequenzanalytischen turnbyturnAnalysederFallwäre,werdendieDatendurchdasKodieren„auf gebrochen, konzeptualisiert und auf neue Art zusammengesetzt“ (Strauss &Corbin,1996,S.39).DabeibeschreibtdaskodierendeVorgehennachStrauss und Corbin einen „Prozess stetigen Vergleichens mit dem Ziel über beschrei bendeKategorienzuanalytischenKonzeptenzugelangen,dieZusammenhänge explorieren und verdeutlichen“ (Tiefel, 2005, S.75). Die kodierende Herange hensweise unterstützt infolgedessen ein weiteres wichtiges Element der GroundedTheory:diekontinuierlicheKomparation.DabeiwerdendieTextstel lendertranskribiertenDatengrundlagefortlaufendmiteinanderverglichenund bestimmten Kodes zugeordnet – unabhängig davon, wo sie im Datenmaterial vorkommen.DiesentsprichtderUntersuchungvonSinnkonstruktionalsindivi dualpsychologischesPhänomen,welchessichinFormvonCharaktereigenschaf tenundsubjektivenEinstellungenzeigt.EsspieltkeineRolle,anwelcherStelle desInterviewsbestimmteÄußerungengemachtwerden,diezurRekonstruktion herangezogen werden können. Wichtig ist lediglich, dass eine Äußerung als relevanteingeschätztwird. StraussundCorbinunterscheidendreiverschiedeneArtenvonKodierver fahren:BeimoffenenKodieren(Strauss&Corbin,1996,S.4355)werdendurch 16
Einen Überblick über aktuelle mathematikdidaktische Forschung in diesem Bereich geben HelgaJungwirthundGötzKrummheuer(2006,2008).
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4MethodologischeGrundorientierungen
einen analytischen Prozess die grundlegenden Phänomene identifiziert, die im Datenmaterial vorhanden sind. Dazu werden verschieden Textabschnitte, die einfürdieForschungsfragerelevantesPhänomenbeschreiben,durchdasStel lenvonFragenmiteinanderverglichenundKodeszugeordnet.AufdieseWeise werden sie benannt und somit konzeptualisiert und kategorisiert. Ähnliche Phänomene werden dabei gleichen Konzepten zugeordnet. Erweisen sich die bestehendenKonzeptealsnichtausreichend,könnenneueentwickeltwerden. Die entwickelten Konzepte werden kontinuierlich miteinander verglichen, so dassimZugedessenÄhnlichkeitenundUnterschiedezwischendenKonzepten zueinerKonzeptualisierunghöhererOrdnungführen:Kategorienentstehenals abstraktereKonzepte.BeimaxialenKodieren(Strauss&Corbin,1996,S.7593) werden anhand eines Kodierparadigmas Verbindungen zwischen den Katego rien des offenen Kodierens aufgezeigt. Auf diese Weise wird das Geflecht aus Oberkategorien und Subkategorien gestärkt. Strauss und Corbin schlagen vor, dieKategorienimHinblickaufdiefolgendenElemente,diesieimRahmeneines Kodierparadigmaszusammenfassen,zuuntersuchen:ursächlicheBedingungen, Kontext, intervenierende Bedingungen, Handlungs und Interaktionsstrategien sowie Konsequenzen des Phänomens. Dabei sei zu berücksichtigen, dass bei spielsweise Konsequenzen einer Interaktion oder Handlung gleichzeitig als ur sächlicheBedingungfüreinanderesPhänomenfungierenkönnen.Dasselektive Kodieren (Strauss &Corbin, 1996, S.94117) beschreibt eine ähnliche Vorge hensweise wie das axiale Kodieren, unterscheidet sich jedoch dahingehend, dassesaufeinerabstrakterenEbenedurchgeführtwird.DabeiwirdeineKern kategorie entwickelt, die in Beziehung zu anderen Kategorien gesetzt wird. Diese Beziehungen werden validiert und Kategorien, die einer Verfeinerung bedürfen,werdenweiterentwickelt. Die Unterteilung in verschiedene Kodierarten sei artifiziell, so Anselm StraussundJulietCorbin,1996,S.40)undlassesichwährendderAuswertung kaumtransparentmachen.DurchdiezirkuläreAnlagedesForschungsprozesses (vgl.Flick,2005,S.6775)verlaufeauchdieKodierungnichtnotwendigerweise linear. Sie bewege sich zwischen den verschiedenen Formen – insbesondere zwischenoffenemundaxialemKodieren–hinundher(1996,S.40,77).Dem entsprechendwerdeimAuswertungsprozesszwischeninduktivemunddedukti vem Denken gependelt. Dieser kontinuierliche Wechsel zwischen deduktivem Aufstellen von Vermutungen hinsichtlich der Beziehungen zwischen Phänome nen und dem Versuch ihrer Verifikation an den Daten sei grundlegend für die Gegenstandsverankerung der entwickelten Theorie (Strauss &Corbin, 1996, S.89).DieserPendelprozesswirddurchdasAnfertigenanalytischerMemosund
4.5TheoriebildungmittelsGroundedTheory
97
Diagrammeunterstützt,diedenAuswertungsprozessinFormvonschriftlichen Analyseprotokollen bzw. visuellen Darstellungen der Beziehungen zwischen Konzepten widerspiegeln (vgl. Strauss &Corbin, 1996, S.169192). Auf diese WeisewerdenabstrakteGedankenzumkonkretenDatenmaterialfestgehalten undfürdieVerifikationbzw.FalsifikationamMaterialfestgehalten.Nebendem kontinuierlichen Vergleichen von Textstellen und Konzepten bzw. Kategorien beim Kodieren der Daten ist das Erstellen von Memos und Diagrammen also essenziellfürdieEntwicklungeinerdatenbasiertenTheorie.
5 DesignderStudieundMethodender Datenerhebung ImvorangehendenKapitelhabeichmeineArbeitiminterpretativenParadigma verortet und u.a. Gütekriterien für rekonstruktive Forschungsarbeiten darge legt. Zentrale Kriterien sind die intersubjektive Nachvollziehbarkeit sowie die Indikation des Forschungsprozesses, der Theoriebildung und der Ergebnisse. Mit dem Ziel, diese Kriterien zu erfüllen, beschreibe ich in diesem Kapitel das Design der Studie und das Vorgehen bei der Datenerhebung sowie die dazu verwendeten Instrumente. In Kapitel6 (S.109) lege ich anschließend das Vor gehenbeiderDatenauswertungundderTheoriebildungoffen. Die grundlegende Frage meiner Arbeit richtet sich auf den Sinn, den Ler nendedarinsehen,Mathematikzulernenbzw.sichmitMathematikauseinan derzusetzen. Da in diesem Bereich zu Beginn des Forschungsprozesses keine fertigeTheoriebestand,diegeprüftwerdensollte,bestandlediglicheinGegen standsbereich,derdurchdieFragestellungstrukturiertwerde.Zielwares,die sen Gegenstandsbereich durch die Studie zu beschreiben und eine Theorie zu entwickeln,dieihmgerechtwird.AnselmStraussundJulietCorbin(1996,S.89, 2124)stellenheraus,dassdieFragestellungimLaufedesForschungsprozesses ÄnderungenunterworfenistundsichimZugedessenvoneinerzunächstbrei tenEingrenzungdesForschungsfeldesineinespezifischeFormentwickelt. UmdieSinnkonstruktionenderLernendenrekonstruierenzukönnen,wur de ein kommunikatives Herangehen in Form von Interviews gewählt (vgl. Ab schnitt5.3, S.102). Die Schülerinnen und Schüler hatten auf diese Weise die Möglichkeit, ausführlich ihre Gedanken zu schildern, so dass der Studie ein reichhaltigesMaterialzugrundeliegt.DasForschungsfeldwurdedabeiinsofern eingegrenzt,alsdassderLeitfadenfürdasInterview(vgl.Anhang1,S.275)an densensibilisierendenKonzeptendestheoretischenRahmensorientiertist(vgl. Abschnitte2.6und5.3,S.48bzw.102).UmeineAnbindungandenkonkreten Mathematikunterricht zu ermöglichen und ggf. auf bestimmte Situationen der letztenMathematikstundeeingehenzukönnen,wurdederUnterrichtzudemin einemZweiKameraDesignvideografiert(vgl.Abschnitt5.2,S.101).DieVideo Daten waren Grundlage für nachträgliches lautes Denken, das zu Beginn des Interviews zu einer kurzen Unterrichtssequenz durchgeführt wurde (vgl. Ab schnitt5.3, S. 102). Die folgenden Abschnitte sollen nun einen detaillierteren EinblickindiedasDesignunddieMethodenderDatenerhebunggewähren. M. Vollstedt, Sinnkonstruktion und Mathematiklernen in Deutschland und Hongkong, DOI 10.1007/978-3-8348-9915-6_5, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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5.1 AuswahlderSchulensowiederinterviewtenSchülerinnenundSchüler DieDatenfürdieseStudiewurdeninDeutschlandundHongkonginjeweilsdrei Klassen der Sekundarstufe I des leistungsstärksten Schulzweigs erhoben: In DeutschlandwarenesKlassender9.bzw.10.KlassenstufeeinesGymnasiums, inHongkongdreiKlassenderSecondary3bzw.Secondary4vonBand1Schulen (zum Aufbau des Hongkonger Bildungssystems vgl. Abschnitt 3.3, S. 78). Die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler waren zum Durchführungszeitpunkt derStudieca.15bis16Jahrealt. Die Schülerinnen und Schüler haben sich freiwillig an der Teilnahme der Studiebereiterklärt.Eswarensowohlleistungsstarkealsauchleistungsschwa cheJugendlichedarunter;welche,diesichmitihrerLehrpersongutverstanden, und andere, die kein gutes Verhältnis zu ihr hatten. In Hongkong war für die TeilnahmeamInterviewoftmalsdasMotivausschlaggebend,miteinerEuropä erinEnglischsprechenzukönnen.17 DieEntscheidung,SchülerinnenundSchülerdieserAltersstufezuintervie wen,wurdeausmehrerenGründengetroffen.ErstensisteingewissesMaßan SelbstreflexionaufSeitenderInterviewtenfürdasGelingenmeinerStudienot wendig,daichdavonausgehe,dassSinnkonstruktionennichtnotwendigerwei se bewusstseinspflichtig sind (vgl. Abschnitt2.5, S.43). Sie können jedoch ggf. reflektiertwerdenbzw.imNachhineinaussprachlichenÄußerungenrekonstru iert werden. Zweitens fragen Schülerinnen und Schüler dieser Altersstufe oft mals nach dem Sinn von Schule bzw. dem Lernen (Hurrelmann, 1983, S.44). Diesgehtvermutlichauchdamiteinher,dassihrInteresseanSchuleundzum TeilauchihreLeistungensinken(vomHofe,Hafner,Blum&Pekrun,2009;Jahn keKlein, 2001; Köller, Baumert & Schnabel, 2000). Ein dritter Grund für die WahlderSchülerinnenundSchülerderunterenSekundarstufeist,dasssiebe reits eine Vorstellung davon haben können, inwiefern Mathematik in ihrem Leben vorkommt bzw. welchen Beruf sie später ergreifen wollen. Mathematik kannaufdieseWeiseeinebesonderepersönlicheRelevanzfürihrmomentanes oderzukünftigesLebenaufweisen.DervierteGrundfürdieWahldieserAlters stufe liegt in der Durchführung der Studie in Hongkong begründet. Ich habe dort mit Schulen zusammengearbeitet, die in englischer Sprache unterrichten. UmeinegewisseSprachkompetenzinderFremdsprachevoraussetzenzukön 17 Auch wenn die Unterrichtssprache der interviewten Schülerinnen und Schüler aus Hong kongEnglischist,sprechensieselbstimUnterrichtvergleichsweisewenig.ImZugedessenist ihrerezeptiveSprachkompetenzdeutlichausgeprägteralsihreaktive.Allewarendennochin derLage,sichrechtflüssigimEnglischenauszudrücken,sodassdieDurchführungderStudie gewährleistetwar.
5.2UnterrichtsvideografieimZweiKameraDesign
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nen,isteinbestimmtesMindestalterderSchülerinnenundSchülernotwendig. Die teilnehmenden Interviewpartnerinnen und partner wiesen diese Sprach kompetenz eindeutig auf, so dass ein Interview in englischer Sprache nahezu ohne Probleme möglich war. Zum Teil suchten die Interviewten während des Gesprächs nach Worten, doch entweder fanden sie es nach kurzer Zeit oder aber sie umschrieben ihren Gedanken mit anderen Worten. Eine fortlaufende undflüssigeKommunikationwarwährenddesgesamtenGesprächsgegeben. VondeninterviewtenSchülerinnenundSchülernhattenzweieinenMigra tionshintergrund.AylaundVladimirsindbeideinDeutschlandgeborenworden, ihreElternstammenjedochausderTürkeibzw.ausWeißrussland.Dabeidein Deutschlandgutsozialisiertundintegriertsind,undderkulturelleHintergrund derFamilieeherderwestlichenalsderostasiatischenkulturellenTraditionzu gehörigist,werteichdiesenUmstandalsunkritisch.DiemeinerStudiezugrun de liegende Stichprobe lässt ohnehin keine Analysen auf Klassen oder Schul ebenezu,sodasskeinespezifischerenAussagenaufdiesenEbenenangestrebt odergemachtwerden. 5.2 UnterrichtsvideografieimZweiKameraDesign JedeKlasse,dieanderStudieteilnahm,wurdeeineWochelangvonmirbeglei tet. In dieserWoche habe ich jede Mathematikstundemit zwei Videokameras aufgezeichnet. Die Überblickskamera (vgl. Seidel, Dalehefte & Meyer, 2003, S.51)standausderPerspektivederSchülerinnenundSchülergesehenaufei nemStativvornelinksnebenderTafelundwarsoausgerichtet,dasssiefrontal einen möglichst großen Ausschnitt der Klasse filmte. Daraus sollte ein grund sätzlicher Eindruck der Tätigkeiten der Schülerinnen und Schüler gewonnen sowiedieWegederLehrpersondurchdieKlasserekonstruiertwerdenkönnen (vgl.auchClarke,2006).DieEinstellungaufmaximalemWeitwinkelwurdewäh rend der Unterrichtsstunde nicht verändert und die Kamera wurde nicht be wegt. Die Interaktionskamera (vgl.Seidel,2003; Seidel et al.,200318) wurde in dervorderenrechtenEckedesKlassenzimmersderartpositioniert,dasssowohl die Tafel einsehbar war und darüber hinaus mit einem Kameraschwenk eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern der ersten Sitzreihe in Großaufnahme 18
Im technischen Bericht zur VideoStudie „LehrLernProzesse im Physikunterricht“ des LeibnizInstitutsfürdiePädagogikderNaturwissenschaften(IPN)wurdedieseKameraeinstel lungnochalsLehrerkamerabezeichnet(vgl.Seidel,Dalehefte,&Meyer,2003,S.5153).Tina SeidelhingegenverwendetdieinmeinenAugenpassendereBezeichnungInteraktionskamera (vgl.Seidel,2003,S.7576).
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5DesignderStudieundMethodenderDatenerhebung
gefilmtwerdenkonnte.Zielwares,mitdieserKameradievollständigeInterak tionzwischenLehrpersonundLernendenaufzuzeichnensowiedarüberhinaus weitereInteraktionendesUnterrichtssoumfangreichwiemöglicheinzufangen. DazunahmdieInteraktionskameradiePerspektiveeinesaufmerksamenSchü lersbzw.eineraufmerksamenSchülerinein.DieKameraeinstellungschwenkte dementsprechend zwischen Objekten und Personen, die die Aufmerksamkeit derLernendenaufsichziehen,hinundher.DemonstriertedieLehrpersonbei spielsweiseInhalteanderTafel,wurdedieseHandlungfokussiert.InStilloder Partnerarbeitsphasen richtete sich die Perspektive der Kamera stellvertretend aufeinekleineGruppevonLernendenindererstenBankreihe.ImZugedessen wurden sowohl Interaktionen zwischen Personen (z.B. Gespräch zwischen Lehrpersonund Lernendenbzw. unterdenLernenden)als auch zwischen Per sonen und Objekten (Demonstration an der Tafel, Umgang mit dem Taschen rechneru.ä.)gefilmt(vgl.Seideletal.,2003,S.4957).DieEinstellungderKa mera wurde dabei der Situation angepasst, so dass das Klassengespräch etwa im Weitwinkel aufgenommen wurde, wohingegen der Tafelanschrieb bzw. die Partnerarbeit näher heran gezoomt wurden. Die Unterrichtsaufzeichnung der InteraktionskamerabildetedieGrundlagefürdasnachträglichelauteDenkenin denInterviews(vgl.Abschnitt5.3,S.102). Für alle Klassen, die ich in meiner Studie besucht habe, war es außerge wöhnlich,imUnterrichtgefilmtzuwerden.BesondersamAnfangeinerUnter richtsstundewarzumerken,dassdieSchülerinnenundSchülerdurchdiePrä senzderKamerasabgelenktwaren,jedochgerietdieAnwesenheitderKameras baldinVergessenheit.Dieslaginsbesonderedaran,dassbeideKameraszurück gezogenindenEckendesKlassenzimmersstandenunddieInteraktionskamera sehrbehutsamgeführtwurde.SiewarendamitnichtimFokusderSchülerinnen und Schüler. Sybilla LeutnerRamme (LeutnerRamme, 2000b, S.247248) be schreibtineinemähnlichenSettingeineetwasdiszipliniertereKlassensituation, die jedoch „keinen entscheidenden Einfluß auf die Gesprächsführung und die unterrichtlichen Handlungen“ zeigt. Dies bestätigten auch die an der Studie teilnehmendenSchülerinnenundSchülerindenInterviews.Siebetonten,dass sie sich abgesehen von der erwähnten Aufmerksamkeit zu Beginn der Stunde normalverhaltenhätten. 5.3 TeilstandardisierteInterviews EinZielmeinerStudieistes,verschiedeneArtenderSinnkonstruktionvonSchü lerinnenundSchülernimKontextschulischenMathematikunterrichtsherauszu
5.3TeilstandardisierteInterviews
103
arbeiten. Basierend auf dem in Kapitel2 (S.9) entwickelten Verständnis von SinnkonstruktionwerdendementsprechendfolgendeAspektealszentralfürdie RekonstruktionderpersönlichenRelevanzangesehen: 1.
2.
3. 4.
EinstellungenundBewertungenderinterviewtenSchülerinnenundSchüler bezogen auf ihren aktuellen Mathematikunterricht sowie zu Mathematik unterrichtallgemein EinstellungenundBewertungenderinterviewtenSchülerinnenundSchüler bezogen auf Mathematik als Inhaltsbereich, das Lernen von Mathematik unddieaktiveBeschäftigungmitmathematischenInhalten EinstellungenundBewertungenderinterviewtenSchülerinnenundSchüler zueinerVerbindungvonMathematikundihremLeben HintergrundmerkmaleundpersönlicheMerkmalederinterviewtenSchüle rinnenundSchüler,dierelevantsindfürihrLernenundBetreibenvonMa thematik,insbesonderezudensensibilisierendenKonzeptendestheoreti schenRahmens(vgl.Abschnitt2.6,S.48).
Zur Rekonstruktion derpersönlichen Relevanz aus diesen Aspekten istdie Ge nesevonDatennotwendig,diedieErfassungundAnalysedersubjektivenPer spektivederSchülerinnenundSchülerermöglicht.InderqualitativenSozialfor schungwerdeninsolchenFällenhäufigqualitativeInterviewsgeführt(vgl.Hopf, 2005,S.350).Dabeiistzubeachten,dasssowohlderkonkrete,aktuellerlebte Mathematikunterricht thematisiert wird als auch allgemeinere Aspekte zum LernenundzurBeschäftigungmitMathematikangesprochenwerden.Ausdie semGrundhabeichmichentschieden,dieInterviewsinzweiTeilezuunterglie dern. Zu Beginn der Interviews habe ich den Schülerinnen und Schülern eine Videosequenz aus der letzten von ihnen besuchten Mathematikstunde vorge spieltundhabesiedazunachträglichlautdenkenlassen(s.u.).Darananschloss sich ein leitfadengestütztes Interview, das zunächst ebenfalls auf die konkrete Mathematikstunde fokussiert war, sich dann aber sukzessive davon löste und auch allgemeinere Fragen zum Lernen von Mathematik und zur Beschäftigung mitmathematischenInhaltenstellte.ImFolgendenwerdenetwasdetailliertere Einblicke in diese beiden Teile sowie die allgemeine Durchführung der Inter viewsgegeben. AllgemeineszurDurchführung InbeidenLändernwurdenjeweils17Interviewsgeführt,sodassinsgesamt34 teilstandardisierte Interviews die Datengrundlage für meine Studie bilden. Sie wurden mit freiwilligen Schülerinnen und Schülern der besuchten Klassen im
104
5DesignderStudieundMethodenderDatenerhebung
Einzelgesprächdurchgeführtunddauertendurchschnittlichetwa35bis45Mi nuten. Vondieser durchschnittlichen Interviewdauer gab es in Hongkong zwei Ausnahmen: Die erste machte Laura, die mit sehr ausführlichen Angaben in langennarrativenPassagenantwortete,sodassnachAblaufderzurVerfügung stehenden Zeit lediglich die Hälfte des Leitfadens abgehandelt war. Das Inter view wurde daraufhin am nächsten Tag fortgesetzt. Auch hier antwortete sie sehrausführlich.DiebeidenInterviewsdauertenzusammengenommenetwa85 Minuten.DiezweiteAusnahmebildeteWilliam,dersehrausführlicheAntwor tengabundzumTeillängereZeitschwieg,umweitereAntwortdetailszuüber legen.Hierwaresnichtnotwendig,einenzweitenInterviewterminzuvereinba ren, da das Gespräch im Anschluss an die Unterrichtszeit stattfand. Dieses In terview dauerte etwa 105 Minuten. In Deutschland gab es keine derartigen Ausnahmen. InDeutschlandwurdendieInterviewsineinemkleinenBesprechungszim meroderdemErsteHilfeRaumderSchulegeführt.DieSchülerinnenundSchü lerwurdenentwederineinerFreistundeodernachSchulschlussinterviewt.In Hongkong fanden die Interviews in der Mittagspause der Schülerinnen und SchülerodernachSchulschlussstatt.DabeikonnteeinleerstehendesKlassen zimmer,derComputerraum,einkleinesLehrerzimmerfürLehrkräfteimPrakti kum bzw. der Flur eines ungenutzten Gebäudeflügels genutzt werden. In der Regel verliefen die Interviews ohne Störungen. Ausnahmen bildete ein Inter viewinDeutschland,dasdurcheineUnterstufenschülerinunterbrochenwurde, die aus gesundheitlichen Gründen den ErsteHilfeRaum aufsuchen musste. In Ermangelung einer räumlichen Ausweichmöglichkeit wurde das Interview – unter Zustimmung der Interviewten – im Beisein der Schülerin fortgesetzt. In HongkongwurdendieInterviewszumTeilkurzzeitigdurchReinigungspersonal unterbrochen,konntenjedochdirektingewohnterWeisefortgesetztwerden. NachträglicheslautesDenken ImRahmenmeinerStudiegeheichdavonaus,dassSinnkonstruktionsubjektiv undindividuell,kontextgebundensowiebewusstseinsfähig,nichtaberbewusst seinspflichtigist(vgl.Abschnitt2.5,S.43).Dementsprechendliegtesnahe,den interviewten Schülerinnen und Schülern eine konkrete videografierte Unter richtssituationvorzuspielenundsiedazunachträglichlautdenkenzulassen(vgl. Fromm,1987;Gass&Mackey,2000;LeutnerRamme,2000a,2005).Diekogni tivenProzesseundEinschätzungenderUnterrichtssituationsinddann,soLeut nerRamme (2005, S.221222), zum Teil verbalisierbar und können während des nachträglichen lauten Denkens ausgesprochen werden – „allerdings nur,
5.3TeilstandardisierteInterviews
105
wenn die Befragten sie auch mitteilen wollen“. Findet das nachträgliche laute Denken zeitnah zur videografierten Unterrichtsstunde statt – Susan Gass und Alison Mackey (2000, S.17) empfehlen, dass das nachträgliche laute Denken maximal 48 Stunden nach der Aufnahme stattfinden sollte – kann auf diese Weiseweitgehenderfasstwerden,wasdieSchülerinnenundSchülerimUnter richtgedachthabenundwasihrHandelnzumindestteilweisebeeinflusstoder gesteuert hat (LeutnerRamme, 2000a, S.43; 2005, S.222). Auf diese Weise können beispielsweise Voraussetzungen und Auswirkungen mit verschiedenen SinnkonstruktioneninVerbindunggebrachtwerden. AuszeitlichenGründenhabeichfürdasnachträglichelauteDenkenjeweils eineVideosequenzvonfünfbiszehnMinutenausdemFilmmaterialderjeweils letztenMathematikstunde ausgewählt, ander derbzw.die Interviewte teilge nommenhat.AufdieseWeisekonnteichdieInterviewdaueraufca.45Minuten beschränken, so dass ein vollständiges Interview inklusive der Sequenz nach träglichen lauten Denkens in einer Freistunde oder in der Mittagspause der Schülerinnen und Schüler geführt werden konnte. Die Videosequenz umfasste eine Situation, in der neue Unterrichtsinhalte behandelt wurden, in der der bzw. die Interviewte im Zentrum der Aufnahme stand (beispielsweise bei der Ergebnispräsentation vor der Klasse) oder in der eine Szene gezeigt wurde, in diediegesamteKlasseintensivinvolviertwar,etwabeidergemeinschaftlichen Aushandlung von Fachbegriffen. Die Wahl fiel auf solche Ausschnitte, da ich davon ausgehe, dass bei der intensiven Begegnung mit (neuen) mathemati schen Inhalten neue Sinnkonstruktionen vorgenommen werden oder bereits bestehendegefestigtwerdenkönnen.Esistalsowahrscheinlich,dassdieSchü lerinnen und Schüler diese beim nachträglichen lauten Denken verbalisieren können. DieausgewählteSequenzwurdemitHilfeeinesNotebooksvorgespielt,le diglichineinemInterviewmussteaustechnischenProblemenaufdenMonitor derKameraausgewichenwerden.AuchwennderMonitordeutlichkleinerwar, konnte auf diese Weise das nachträgliche laute Denken improvisiert werden. Die interviewten Schülerinnen und Schüler wurden aufgefordert, den Film be liebigoftzustoppen,umdannallesdaszusagen,wassieinderjeweiligenSitu ation gedacht haben bzw. was ihnen im Interview beim Sehen der Sequenz durch den Kopf gehe. Die meisten Schülerinnen und Schüler konnten diese Anweisunggutumsetzen.EinpaarwenigejedochstopptendasInterviewsehr selten oder äußerten sich zu dem Film, während dieser lief. In diesen Fällen habeichdenFilmzumTeilselbstangehalten,umdieGedankenderInterview
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5DesignderStudieundMethodenderDatenerhebung
ten besser dokumentieren zu können. Die Interviewten wurden durch aktives ZuhörenundbestätigendeGestenbzw.LauteinihrenÄußerungenunterstützt. MartinFromm(1987,S.229)kritisiertanderMethodedesnachträglichen lauten Denkens, dass allein die Aufforderung zum lauten Denken keine Äuße rungen evoziere, die differenziert genug seien, „um einem Gegenüber eine verläßliche Grundlage zur Übersetzung und Rekonstruktion des Gemeinten zu bieten.“ Auf diese Weise bliebe ungewiss, warum sich die Schülerinnen und Schüler auf eine gewisse Art verhalten und was genauer bestimmte Erfahrun genfürsiebedeuten.Fromm(1987,S.232)fasstalsFazitzusammen: AlleindieAufforderunganSchüler,anzugeben,wassieineinerbestimmtenSitua tiongedachthaben,liefertunskeineausreichendeBasis,vonderausunseinean nähernd zuverlässige Rekonstruktion der Sicht dieser Schüler möglich wäre. Das NLD stellt vielmehr eine methodische Möglichkeit dar, ein Gespräch mit Schülern einzuleiten.DamitdiesoprovoziertenÄußerungenaberverstehbarwerden,bedarf eszusätzlicherAnstrengungen.(HervorhebungenimOriginal,MV)
Diese Anstrengungen wurden in Form der anschließenden leitfadengestützten Interviewsunternommen. LeitfadengestütztesInterview DemvonFromm(1987,S.232)beschriebenenProblem,dasseskaummöglich sei,dieSichtderSchülerinnenundSchüleralleinaufBasisihrerÄußerungenim nachträglichenlautenDenkenzurekonstruieren,kannbegegnetwerden,indem im Anschluss an das nachträgliche laute Denken ein Interview durchgeführt wird. Das in der vorliegenden Studie durchgeführte Interview19 fokussierte zu nächst auf das nachträgliche laute Denken, indem genauer auf Unklarheiten o.ä. eingegangen wurde, die dabei auftraten. Dementsprechend habe ich ein leitfadengestütztesInterviewandasnachträglichelauteDenkenangeschlossen, inwelchemichzunächstÄußerungenundInhalteaufgriff,dievondembzw.der Interviewten angesprochen wurden. Die Fragen lösten sich sukzessive vom Videomaterial,sodasszunächstnochdiekonkreteMathematikstundeimFokus war, später jedoch allgemein der Mathematikunterricht als solcher bzw. das LernenvonMathematikthematisiertwurde. DerLeitfadenfürdasInterviewistandensensibilisierendenKonzeptendes theoretischenRahmens orientiert und so gestaltet,dass alle im Einleitungsab schnitt (S.1) aufgeführten Bereiche erfragt wurden. Er wurde in deutscher 19
Zur Methode des fokussierten Interviews vgl. Robert Merton und Patricia Kendall (1979). EinenÜberblickgebenauchFlick(2005,S.118126,143145)undHopf(2005).
5.3TeilstandardisierteInterviews
107
Sprache entwickelt und anschließend ins Englische übersetzt. Nach einer Pilo tierunginHongkongimDezember2005wurdederLeitfadennocheinmalleicht überarbeitet, so dass die revidierte Version schließlich bei der Datenerhebung inHongkongundDeutschland(MärzbisMai2005)zumEinsatzkam.Diedeut scheVersiondesLeitfadenskanninAnhang1(S.275)eingesehenwerden. Die Interviews waren teilstandardisiert in dem Sinne, dass sie einerseits zwardurcheinenLeitfadenstandardisiertwaren,dassdieserLeitfadenanderer seitsjedochnichtstriktderReihenachabgehandeltwurde.Stattdessenwurden dieReihenfolgederFragenebensowieergänzende,überdenLeitfadenhinaus gehende Fragen an die Antworten der Schülerinnen und Schüler adaptiert. DurchdieseTeilstandardisierungermöglichteinInterviewleitfaden„vieleSpiel räumeindenFrageformulierungen,NachfragestrategienundinderAbfolgeder Fragen“(Hopf,2005,S.351)underfülltdamitdasKriteriumderOffenheitnach HoffmannRiem (1994, S.29, vgl. auch Abschnitt4.3, S.87). Diese Offenheit ermöglicht es, bestmöglichdie Sicht der Interviewten zur Geltung kommen zu lassen(vgl.Hopf,2005,S.117). Christel Hopf (2005, S.357358) stellt die Anforderung der inhaltlich theoretischen Kompetenz an die Interviewerinnen und Interviewer, indem sie fordert, dass Interviews nur von Personen durchgeführt werden sollen, die verantwortlichimForschungsprozessmitarbeiten.AufdieseWeiseseigewähr leistet, dass sie mit dem theoretischen Ansatz, den Fragestellungen und den VorarbeitenderStudievertrautseien.ImInterviewkönnensiedanneinschät zen,anwelchenStellenintensivernachgefragtwerdensolle,wovomLeitfaden abgewichenwerdensollebzw.wannesggf.sogarnotwendigsei,unspezifische Fragenzustellen,umdenInterviewteneinenbreiterenRaumanAntwortmög lichkeiten einzuräumen. Aus diesen Gründen habe ich alle Interviews selbst durchgeführt, so dass zusätzlich ein größtmögliches Maß an Vergleichbarkeit derInterviewsgewährleistetist(vgl.Flick,2005,S.143145).
6 DatenauswertungundTheoriebildung Nachdem ich in den beidenvorangehenden Kapitelnu.a. meine Studie im re konstruktiven Paradigma verortet habe und das Design der Studie sowie die Methoden der Datenerhebung vorgestellt habe, schließt sich nun die Darstel lung der verschiedenen Schritte der Datenauswertung und der Theoriebildung an. Kennzeichnend für ein Vorgehen nach der Grounded Theory ist dabei die Verschränkung von Datenerhebung (bzw. in meiner Arbeit die Fallauswahl), Datenanalyse und Theoriebildung (vgl. auch Abschnitt6.2, S.110). Im Zuge dessen wurde das in Abschnitt2.3.2(S.28) beschriebene Konzept der Sinn konstruktion parallel zur Kodierung der Daten weiterentwickelt und ausge schärft. Die dabei rekonstruierten Sinnkonstruktionsarten und deren Weiter entwicklungineineTypologiewerdeninTeilC(S.127)beschrieben. 6.1 Transkription Um die Daten, die im Rahmen einer Studie erhoben werden, analysieren zu können, müssen sie für den Analyseprozess aufbereitet werden. Dabei sind verschiedeneSchrittenotwendig,umvondenPrimärdaten(demtatsächlichen Interview)überdieSekundärdaten(dermp3AufnahmedesInterviews)zuden Tertiärdaten(demTranskriptderGesprächsaufnahme)zugelangen(vgl.Kowal & O'Connell, 2005, S.440). Nach Sabine Kowal und Daniel O'Connell (2005, S.438) ist Transkription „die graphische Darstellung ausgewählter Verhaltens aspektevonPersonen,dieaneinemGespräch(z.B.einemInterviewodereiner Alltagsunterhaltung) teilnehmen.“ Diese Verschriftlichung der Handlungen ist notwendig,umsievonder FlüchtigkeitderSituationzulösenundzeitentbun denalsvisuellesProduktfüreineAnalysezugänglichzumachen(vgl.Flick,2005, S.252;Kowal&O'Connell,2005,S.440). Der Übergang von den Primärdaten zu den Sekundärdaten ist gekenn zeichnet durch eine große Datenreduktion. Trotzdem sind jedoch auch Sekun därdatenimVergleichzuTertiärdatenvoneinerwesentlichgrößerenReichhal tigkeitgekennzeichnet.Transkriptiongehtalsogrundsätzlichundnotwendiger weisemiteinerwesentlichenReduktionderDateneinher(Kowal&O'Connell, 2005, S.440). Üblicherweise werden verbale Merkmale, also die geäußerten Wortfolgen,transkribiert.JenachForschungsfragewerdenzudemnochproso discheMerkmale(lautlicheGestaltungderWorte,alsoTonhöheoderLautstär M. Vollstedt, Sinnkonstruktion und Mathematiklernen in Deutschland und Hongkong, DOI 10.1007/978-3-8348-9915-6_6, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
110
6DatenauswertungundTheoriebildung
ke),parasprachlicheMerkmale(etwaGestenoderBlicke)sowieaußersprachli che Merkmale wie Handlungen notiert. Mit der Transkription wird also ver sucht,dasGesprächsverhaltensozubeschreiben,dass„eineÄhnlichkeitsbezie hung zwischen dem Verhalten und seiner Notation auf dem Papier besteht“ (Kowal&O'Connell,2005,S.438). DaesindieserStudienichtumeinephonetischeodersemantischeAnalyse desgesprochenenWortesgeht,sondernderGesprächsinhaltvonInteresseist, wurde grundsätzlich die Standardorthografie verwendet. Zum Teil wurden As similationenundElisioneninliterarischerUmschriftberücksichtigt(vgl.Kowal& O'Connell,2005,S.441).AußerdemwurdendieInterviewsbeiderVerschriftli chunggeglättet.SowurdenimRegelfallStotterer,Füllwörterwieehm,Doppe lungen (z. B. ich ich) sowie die unterstützenden oder bestätigenden Einwürfe des aktiven Zuhörens seitens der Interviewerin (z. B. aha, mhm, ok) bei der Transkription herausgelassen. Sie wurden hingegen verschriftlicht, wenn sich dadurcheinEinflussaufdenInhaltdesInterviewsergab.Dieswarz.B.derFall, wenn der bzw. die Interviewte durch einen Einwurf des aktiven Zuhörens der Interviewerininseinembzw.ihrenGedankenirritiertwurdeunddaraufhinden Gedankengang abbrach und neu ansetzte. In Einzelfällen wurden auch offen sichtlicheVersprecherdurchdaseigentlichgemeinteWortersetzt(z.B.examcle durchexample).DurchdieseInterventionenkanneinedeutlichbessereLesbar keit des Datenmaterials erlangt werden. Die inhaltlichen Gedankengänge der Interviewten bleiben damit erhalten, werden aber einfacher erkennbar. Diese ModifikationenwarenvorallembeidenHongkongerInterviewsnotwendig,da diese als Transkript ohne Modifikation zum Teil kaum verständlich gewesen wären. Die Glättung der Interviewtranskripte eröffnet schließlich die einfachere BearbeitungdesTextmaterialssowieeineleichtereIllustrationundZitationder Gedanken in der vorliegenden Arbeit. Eine genaue Auflistung der Transkripti onsregelnbefindetsichinAnhang2(S.277). 6.2 FallauswahlundSamplingStrategien SchließtmansichdemVorgehenan,welchesStraussundCorbin(1996)mitder Grounded Theory beschreiben (vgl. auch Abschnitt4.5, S.92), ist der For schungsprozess bei der Entwicklung einer in den Daten begründeten Theorie iterativundvonZyklengeprägt(vgl.auchStrübing,2004,S.29).Esistwichtigzu betonen,dassalleindasVorgehenimForschungsprozesszyklischist,nichtaber diedabeientwickelteTheorie.Datenerhebung,AuswertungundTheoriebildung
6.2FallauswahlundSamplingStrategien
111
greifenengineinanderundstehenineinerWechselbeziehungzueinander(vgl. Strauss&Corbin,1996,S.78),sodasseinezeitlicheParallelitätundfunktionale Abhängigkeit dieser Prozesse vorliegt (vgl. Strübing, 2004, S.14). Keiner der Prozesse wird dabei als endgültig aufgefasst. Selbst die Theorie, die am Ende des Forschungsprozesses steht, ist durch den Charakter der Vorläufigkeit ge kennzeichnet, da auch sie in anschließenden Forschungsprojekten weiter ent wickeltwerdenkann(Flick,2005,S.72;Strübing,2004,S.14). DiesesengeineinanderGreifenvonDatenerhebung,AnalyseundTheorie bildungschlägtsichimVorgehenbeiderDatenerhebungundbeiderAuswahl derzuanalysierendenFällenieder.InderGroundedTheorywirddafürdasthe oretische Sampling vorgeschlagen, das nicht zu verwechseln ist mit einem re präsentativenSample,wieesinhypothesentestendenStudienmitgroßerStich probeangestrebtwird.GlaserundStrauss(2005,S.53)charakterisierenesihrer grundlegendenVeröffentlichungzurGroundedTheoryfolgendermaßen: TheoretischesSamplingmeintdenaufdieGenerierungvonTheoriezielendenPro zessderDatenerhebung,währenddessenderForscherseineDatenparallelerhebt, kodiertundanalysiertsowiedarüberentscheidet,welcheDatenalsnächsteerho ben werden sollen und wo sie zu finden sind. Dieser Prozess der Datenerhebung wirddurchdieimEntstehenbegriffene–materialeoderformale–Theoriekontrol liert.(HervorhebungimOriginal,MV)
Theoretisches Sampling untergliedert sich demnach in zwei Aspekte: zeitliche ParallelitätderDatenerhebung,analyseundTheoriebildungaufdereinenSeite und Einflussnahme der entstehenden Theorie auf die Datenerhebung auf der anderenSeite. Die geforderte zeitliche Parallelität der Datenerhebung, Auswertung und TheoriebildungistineinemForschungsprojekt,dasinzweiKulturenangesiedelt ist, praktisch nicht durchführbar. Bezieht man die zeitliche Parallelität jedoch statt auf die Datenerhebung auf die Auswahl der zu analysierenden Fälle aus einemmöglichstweitgreifendenDatenpool,isttheoretischesSamplingdennoch möglich.Ichhabemichdaherentschieden,zunächstinbeidenLändernsoviele Daten wie möglich zu erheben, um anschließend aus dem so entstandenen Datensatz theoretisch zu sampeln. Dabei folge ich Strauss und Corbin (1996), diesichinihremVerständnisvontheoretischemSamplingaufdenletztenvon GlaserundStraussgenanntenAspektbeschränken.Fürsiemeinttheoretisches SamplingdieAuswahlvonDatenquellen,Fälleno.ä.,„aufBasisvonKonzepten, die eine bestätigte theoretische Relevanz für die sich entwickelnde Theorie besitzen“ (Strauss &Corbin, 1996, S.148) (vgl. auch Abschnitt4.5, S.92). Eine solche theoretische Relevanz weisen Konzepte dann auf, wenn sie wiederholt
112
6DatenauswertungundTheoriebildung
imRahmenderAnalysevorkommen(oderoffensichtlichfehlen)unddenStatus vonKategorienerwerben,sichalsoalszentralfürdiezuentwickelndeTheorie erweisen. UmineinemmöglichstweitreichendenDatenpooltheoretischesSampling durchzuführen, habe ich in beiden Ländern alle Schülerinnen und Schüler der besuchten Klassen interviewt, die sich freiwillig bereit erklärt haben, an der Studieteilzunehmen.AufdieseWeiseentstandeineDatengrundlagevonje17 Interviews pro Land. Aus dieser Menge wurden die Interviews dann nach be stimmtenGesichtspunktenfürdieAnalysebestimmt.DasersteInterviewwurde nach den Voraussetzungen des Schülers ausgesucht; die im Anschluss daran analysiertenTranskriptewurdensogewählt,dasssie–bezogenaufbestimmte Konzepte–entwedereinenminimalenodermaximalenKontrastzudenbereits ausgewertetenDatenergaben.SohabeichbeispielsweisemitderAuswertung von William begonnen, einem leistungsstarken Schüler, der im Unterricht ge fordert werden will. Da Vincent ihm in dieser Hinsicht ähnelt, habe ich sein Interview als zweites bei der Datenauswertung analysiert. Hier liegt also ein minimaler Kontrast vor, so dass die bei William entwickelten Konzepte weiter ausgeschärft und neue ergänzt werden konnten. Als drittes Interview wurde dann Alban, ein leistungsschwacher Schüler, der Angst vor dem Versagen und Misserfolgenhat,ausgewertet.DurchdiesenmaximalenKontrastzudenbeiden vorherigen Interviews (bezogen auf die Leistungsstärke der Schüler) konnten die Konzepte erneut vertieft und neue entwickelt werden. Auf diese Weise wurdensukzessivezunächstdieHongkongerundimAnschlussdarandiedeut schenInterviewsausgewertet,bisschließlichderGraddertheoretischenSätti gung erreicht war. Dies ist dann der Fall, wenn durch die Hinzunahme neuer DatenkeineweiterenEigenschaftenderKategorienentwickeltwerdenkönnen (vgl. Glaser &Strauss, 2005, S.69; Strauss &Corbin, 1996, S.159; Strübing, 2004,S.31).InmeinerStudiewardiesbeiderKodierungderletztenzweiver blieben Interviews der Fall. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits alle 17 Sinn konstruktionsartenentwickelt,siewurdenspäterlediglichz.T.andersbenannt alswährenddesAuswertungsprozessesvorgeschlagen. 6.3 DatenanalysedurchtheoretischesKodieren DieEntscheidungfüreinkodierendesVorgehenbeiderDatenanalyseistsowohl eine methodologische als auch eine inhaltliche (vgl. Abschnitt4.5, S.92). Aus methodologischerPerspektiveistdiekodierendeVorgehensweiseeinKernele ment von gegenstandsverankerter Theoriebildung. Das Aufbrechen und der
6.3DatenanalysedurchtheoretischesKodieren
113
kontinuierlicheVergleichderDatensowie derimZugederAuswertungentwi ckeltenKodessindgrundlegendfürdieEntwicklungeinerGroundedTheory.Auf dieseWeisekönnenBeziehungenzwischendeneinzelnenPhänomeneninden Daten entdeckt werden, die darüber hinaus voneinander abgegrenzt und aus geschärftwerdenkönnen.DiesevergleichendeAnalyseverfolgtdabeidasZiel, „über beschreibende Kategorien zu analytischen Konzepten zu gelangen, die Zusammenhängeexplorierenundverdeutlichen“(Tiefel,2005,S.75). Darüber hinaus bietet sich ein kodierendes Vorgehen im Rahmen dieser Studieinhaltlichinsofernan,daSinnkonstruktionalsindividualpsychologisches Konstrukt aufgefasst werden kann. Es offenbart sich durch Charaktereigen schaften und individuelle Einstellungen des Individuums, durch die in einem interpretativen Prozess auf seine Sinnkonstruktion rückgeschlossen werden kann. Dabei spielt es keine Rolle, zu welchem Zeitpunkt im Interview eine be stimmte Äußerung gemacht wurde, solange die angesprochenen Inhalte als relevanterkanntwerden.DieSequenzialitätderInterviewskannalsovernach lässigtwerden,sodassichfürmeineStudiediekodierendeVorgehensweiseim GegensatzzumsequenzanalytischenVorgehengewählthabe. DadieDatendieserStudieerhobenwurden,umeinegegenstandsbegrün deteTheoriezuentwickeln,handeltessichbeidemhierangewendetenAnaly severfahren um theoretisches Kodieren (vgl. Flick, 2005, S.258). Das theoreti sche Kodieren orientiert sich an dem Vorgehen, das von Glaser und Strauss entwickelt wurde, und gliedert sich in drei Kodierschritte. Die folgenden Ab schnittebeschreibendaskonkreteVorgehenimRahmendieserArbeitgenauer. IchfolgedabeiderAusarbeitungderKodieranweisungnachStraussundCorbin (1996,S.43117). GrundsätzlicheszumVorgehenbeiderKodierung AnderKodierungderInterviewswarenmehrerePersonenbeteiligt.Technisch wurde die Auswertung durch die Verwendung der Software MAXQDA unter stützt(zurEinführungindiecomputergestützteAnalyserekonstruktiverDaten vgl. Kuckartz, 2005). Das Programm kann im Internet unter der URL http://www.maxqda.de/ als lizenzpflichtige Version erworben bzw. als Demo versiongetestetwerden.MAXQDAisteinProgramm,daseigensfürdieAuswer tung von qualitativen Daten entwickelt wurde und ein breites Spektrum an Auswertungsmöglichkeiten bietet. Neben einer Hierarchisierung von Kodes ist esmöglich,komplexeAnfragenandaskodierteMaterialzustellenundsoZu sammenhängeoderUnterschiedeherauszuarbeiten(vgl.auchKuckartz,2005). Bei der Kodierung der Interviews wurde ich zum Teil von studentischen Hilfs
114
6DatenauswertungundTheoriebildung
kräften unterstützt, so dass konsensuell oder auch unabhängig voneinander kodiert werden konnte und die Ergebnisse hinterher miteinander diskutiert werdenkonnten. Zu Beginn der Auswertung lag noch kein Kodesystem vor, welches hätte angewendetwerdenkönnen.AusdiesemGrundwurdendieerstenKodeskon sensuell entwickelt. Dazu wurden die Interviews sukzessive im Team durchge gangenundabschnittsweiseintensivdiskutiert.Dabeiwurdesehrkleinschrittig vorgegangen,sodassschnelleinegroßeZahlanKonzeptenvorlag.ImAnschluss daran haben wir unabhängig voneinander dasselbe Interview durchgearbeitet unddieErgebnissederKodierunghinterhermiteinanderdiskutiert.Dabeistellte sich heraus, dass grundsätzlich die gleichen inhaltlichen Kodes für Kategorien vergeben wurden, oftmals wurde jedoch unterschiedlich entschieden, ob es sich bei dem bezeichneten Phänomen um eine Voraussetzung oder eine Sinn konstruktionhandelt,waszueinergenauerenKlärungdieserKategorienführte. Festzuhalten bleibt, dass in allen Interviews die gleichen Kategorien vergeben wurden.AusGründenderEffizienzundRessourcenknappheitwurdederüber wiegende Teil der Interviews schließlich von mir allein kodiert. An Stellen, wo eine Zuordnung von Kodes nicht eindeutig schien, habe ich weiterhin das Ge spräch mit Personen gesucht, die bereits längere Zeit in die Studie involviert waren. OffenesKodieren TheoretischesKodiereninAnlehnungandieGroundedTheorynachStraussund Corbin(1996,S.4355)beginntmitdemoffenenKodierenalserstemvondrei Kodierweisen (vgl. Abschnitt4.5, S.92). Beim offenen Kodieren werden die Daten in ihrer Sequenzialität aufgebrochen und die einzelnen Phänomene un abhängig von ihrem zeitlichen Vorkommen in den Daten mit Kodes benannt. StraussundCorbinbeschreibendasoffeneKodierenähnlichdemBeginneines Puzzlespiels, in dem zunächst die einzelnen Teile geordnet und nach Farben sortiert werden müssen, um sie später Stück für Stück zusammensetzen zu können(vgl.Strauss&Corbin,1996,S.176).BeimtheoretischenKodierenrich tetsichdiesevergleichendeAnalysesowohlandieindenDatenaufgefundenen PhänomenealsauchandieimAnalyseprozessentwickeltenKodes.ImRahmen dieserAnalysewerdendiePhänomeneverschiedenenKodeszugeordnet,wobei ähnliche Phänomene untereinem Kode zusammengefasst werden.Dabei kön nenzueinerTextstelleverschiedeneKodeszugeordnetwerden.DurchdasZu ordneneinesPhänomenszueinemKodewirdeskategorisiertundkonzeptuali siert.DieaufdieseWeiseentstandenenKonzeptewerdenwiederummiteinan
6.3DatenanalysedurchtheoretischesKodieren
115
der verglichen und zu Konzepten höherer Ordnung zusammengefasst. Diese abstrakteren Konzepte nennen Strauss und Corbin Kategorien. Kategorien bil denspäterdiegrundlegendenBausteinederzuentwickelndenTheorie. Das Datenmaterial, das in der vorliegenden Studie analysiert wurde, glie dert sich in zwei Gruppen von Texten: die transkribierten Interviews aus Deutschland bzw. Hongkong. Um den Hongkonger Daten möglichst unvorein genommenundmitgroßertheoretischerSensibilitätzubegegnen,wurdensie als erste ausgewertet. DasKategoriensystem wurde entsprechend anhand der HongkongerInterviewserzeugtundspäteramdeutschenMaterialweiterentwi ckelt. Dieses Vorgehen vermeidet die Übertragung eines Kategoriensystems, dasaucheinerwestlichenPerspektiveanwestlichenDatenentstandenist,auf ostasiatische Daten. Auf diese Weise wurde versucht, den Einfluss der westli chenPerspektiveaufdieDatenzuminimieren. Durch das offene Kodieren entstand ein Kategoriensystem, das sich in mehrere Ebenen gliedert. Abbildung 5 (S. 115) gibt anhand eines Ausschnitts ausdemKategoriensystemeinBeispielfürdieseStrukturausUnterbzw.Ober kategorien. Darin ist Lernen von Mathematik die Oberkategorie dieses Baum ausschnittes,alsodieKategoriehöchsterOrdnung.SiebeschreibtAspekte,die dieInterviewtenalsrelevantfürihrLernenvonMathematikeinschätzen.Neben anderenhiernichtaufgeführtenKategoriensindfolgendeKategorienunterge ordnet:(logisches)Denken,sozialeEingebundenheiterlebensowieVorbereitung auf Examina. Die Kategorie soziale Eingebundenheit erleben lässt sich darüber hinaus unterteilen in die Personengruppen, auf die sich die soziale Eingebun denheitbzw.derWunschdanachbezieht.InsgesamtwurdenfolgendeOberka tegorien entwickelt: Betreiben von Mathematik, Lehrperson, Lernen von Ma thematik, Mathematik, Mathematikunterricht, Forder bzw. Förderunterricht,
LernenvonMathematik (logisches)Denken sozialeEingebundenheiterleben mitderLehrperson mitdenSchülerinnenundSchülern VorbereitungaufExamina
Abbildung5:
AusschnittausdemKategoriensystemnachdemoffenenKodie ren
116
Abbildung6:
6DatenauswertungundTheoriebildung
Interviewausschnitt von Janice beim offenen Kodieren (Aus schnittausMAXQDA).
Gefühle, sensibilisierende Konzepte, lexikalische Kodes. Die sensibilisierenden KonzeptesinddabeidiejenigenKonzepte,diealseinflussreichfürSinnkonstruk tion angenommen werden (vgl. Abschnitt 2.6, S. 48), lexikalische Kodes be schreiben Textstellen, an denen die Interviewten die Worte „Sinn“ oder „Be deutung“bzw.“meaning“oder“sense“verwendethaben. DieNamenvonKodes,KonzeptenundKategorienkönnenaufunterschied liche Weise gewonnen werden. In vivo entwickelte Kodes (Strauss &Corbin, 1996,S.50)werdenderFormulierungnachdirektausdemDatenmaterialent nommenoderabernurwenigverändert(Beispiel:(logisches)Denken).Eshan delt sich um ein Konzept, welches von den Interviewten selbst angesprochen und benannt wird. Hinzu kommen Kodes, die ebenfalls aus den Daten entwi ckeltwerden,umimLaufedesanalytischenProzessesvondenForschendenmit einemselbstentwickeltenNamenbenanntwerden(Beispiel:Vorbereitungauf Examina). Darüber hinaus können Kodes auch theoriegeleitet entwickelt wer den (conceptual codes) (vgl. Kuckartz, 2005, S.7678; Strauss &Corbin, 1996, S.4950). Dabei werden Theoriekonzepte, die sich für die Forschungsfrage als relevant erweisen und dementsprechend Teil des theoretischen Rahmens der Sinnkonstruktionsind(vgl.Abschnitt2.6,S.48)andasDatenmaterialherange tragenundderenNamenübernommen(Beispiel:sozialeEingebundenheiterle ben). Die Benennung der Kodes, Konzepte und Kategorien ist dabei zunächst vorläufigundkannimVerlaufdesweiterenAnalyseundForschungsprozesses geändertwerden(Strauss&Corbin,1996,S.49). Abbildung6(S.116)gibteinenEindruckvomoffenenKodierenunterVer wendungderSoftwareMAXQDA.EszeigensichKodesaufverschiedenenEbe nen: Die Oberkategorie Lernen von Mathematik, Unterkategorien zu dieser
6.3DatenanalysedurchtheoretischesKodieren
117
Oberkategorie(z.B.(logisches)Denken,Zwang/Schulfach)undKodeszusensibi lisierendenKonzepten(z.B.Interesse(persönlich)anMathematik). AxialesKodieren Das axiale Kodieren (vgl. Strauss &Corbin, 1996, S.7593) nimmt die zweite StufedesKodierprozessesein.DiezuvoraufgebrochenenDatenwerdendabei aufneueArtwiederzusammengefügt,indemVerbindungenzwischendenent wickeltenKategorienderverschiedenenOrdnungensowiedenKonzeptenher ausgearbeitet werden. Ziel ist es, Hauptkategorien zu entwickeln, denen eine besonderePositioninderzuentwickelndenTheoriezukommt.DieseHauptka tegorien werden durch das Zusammenwirken verschiedener Kategorien und Konzepte charakterisiert, die Subkategorien der jeweiligen Hauptkategorie genannt werden (Strauss &Corbin, 1996, S.76). In dieser Studie wurden die rekonstruiertenSinnkonstruktionsartenalsHauptkategorienweiterentwickelt. DieAusarbeitungvonHauptkategorienverläuftandersalsbeiderEntwick lungderOberkategorienbeimoffenenKodieren.Gingesdortumeineinhaltli che Gruppierung und Zusammenfassung ähnlicher Phänomene in Kategorien verschiedener Abstraktionsgrade, geht es nun um das Herausstellen von Zu sammenhängen anderer Art. Beim axialen Kodieren werden Beziehungen zwi schendenKategorienundKonzeptengesucht,diedieInterviewtenselbsther stellen.EswerdenalsodieRelationenzwischeneinerKategorie(derHauptkate gorie) und anderen Kategorien und Konzepten (den Subkategorien) herausge arbeitet. Hauptkategorien und Subkategorien liegen also auf einer anderen AnalyseebenealsOberkategorienundUnterkategorien. Ein Hauptelement der Grounded Theory ist das paradigmatische Modell oderKodierparadigma,mitdemdieBeziehungenzwischenHauptundSubka tegorien beim axialen Kodieren herausgearbeitet werden können. Strauss und Corbin (1996, S.7686) schlagen folgende Elemente für das Kodierparadigma vor, die beim Ausfüllen des Paradigmas mit dem in der Hauptkategorie be schriebenenPhänomeninVerbindunggebrachtwerden:ursächlicheBedingun gen,Kontext,intervenierendeBedingungen,HandlungsundInteraktionsstrate giensowieAuswirkungen.InmeinerStudielöseichmichvondiesenElementen, dadasmeinerStudiezugrundeliegendeKonzeptderSinnkonstruktioneinan deresVorgehennahelegt.StraussundCorbinverstehendieVerwendungeines KodierparadigmaszwaralsobligatorischesElementderGroundedTheory,nicht jedoch die darin verwendeten Elemente. Sandra Tiefel (2005) entwickelt bei spielsweiseeinlernundbildungstheoretischmodifiziertesKodierparadigmafür die Analyse von biographischen Lernprozessen. Beide Varianten schienen für
118
Abbildung7:
6DatenauswertungundTheoriebildung
InterviewausschnittvonBarrybeimaxialenKodieren(Ausschnitt ausMAXQDA).
dievorliegendeStudiejedochweniggeeignet,sodassichmichbeiderEntwick lung eines Kodierparadigmas am theoretischen Rahmen der Sinnkonstruktion orientiertehabe.WieinAbschnitt2.6(S.48)beschrieben,geheichdavonaus, dass bestimmte Voraussetzungen (persönliche Merkmale und Hintergrund merkmale der Person) einen Einfluss auf die Sinnkonstruktion der Lernenden haben.DieSinnkonstruktionselbstkannwiederumverschiedeneAuswirkungen auf Handlungen und Bewertungen des Individuums haben. Ich habe daher im SchrittdesaxialenKodierensdiePhänomeneimHinblickaufihreVoraussetzun genundAuswirkungenuntersuchtunddieErgebnisseintheoretischenMemos undDiagrammenfestgehalten(vgl.Abschnitt4.5,S.92).AufdieseWeisekonn ten die verschiedenen Sinnkonstruktionsarten, die in den Hauptkategorien beschriebenwerden,genauergefasstundinhaltlichverdichtetwerden. Abbildung7(S.118)gibteinenEindruckvomaxialenKodierenunterVer wendungderSoftwareMAXQDA.DieentwickeltenHauptkategoriensinddarin inGroßbuchstabengekennzeichnet(z.B.ENTSPANNUNG),außerdemsindHin tergrundmerkmalebzw.persönlicheMerkmalealssolchekodiert. SelektivesKodieren DasselektiveKodieren(vgl.Strauss&Corbin,1996,S.94117)bildetschließlich dendrittenKodiervorgangbeimtheoretischenKodieren.IndiesemSchrittwird eine Kernkategorie ausgewählt, die mit anderen Kategorien in Beziehung ge setzt wird. Das selektive Kodieren ist dem axialen Kodieren dementsprechend ähnlich,unterscheidetsichjedochdahingehend,dassesaufeinerabstrakteren Ebene stattfindet. Die Kernkategorie ist dabei diejenige Kategorie, die das
6.4Theoriebildung
119
„zentralePhänomen[beschreibt],umdasherumalleanderenKategorieninte griertsind“(Strauss&Corbin,1996,S.94).SiekannbereitsimProzessdesaxia len Kodierens entwickelt worden sein oder aber durch das selektive Kodieren neu entstehen. Das darin beschriebene Phänomen besteht möglicherweise schonseitderFormulierungderForschungsfrage(vgl.Böhm,2005,S.482). Obgleich Strauss (1998, S.65) zunächst die Einstellung vertrat, dass in manchen Fällen auch mehrere Kernkategorien entwickelt werden können, le genStraussundCorbin(1996,S.99)Wertdarauf,dassmansichimForschungs prozessaufeineKernkategoriebeschränkensolle.WirkenalsozweiPhänomene gleichsam zentral für die Forschenden, sei es „dringend notwendig, zwischen beideneineWahlzutreffen“.IndieserStudiehabeichmichfürdieKernkatego riePersönlicheRelevanzentschieden,diebereitsinderForschungsfragedurch den hier zugrunde gelegten Sinnbegriff nahe gelegt wurde. Sie erfüllt die von Strauss (1998, S.6768) entworfenen Beurteilungskriterien einer Kernkatego rie.20 Zunächst ist sie zentraler Bestandteil der entworfenen Theorie und lässt sich mit den entwickelten Kategorien leicht in ein enges Verbindungsgeflecht einbinden.Diesliegtdarinbegründet,dassjedederHauptkategoriendesaxia lenKodierenseineandereSinnkonstruktionsartbeschreibtundsoverschiedene AusprägungenderpersönlichenRelevanzkennzeichnet.DieeinzelnenHauptka tegorien (also die Sinnkonstruktionsarten) und ihre Unterkategorien beschrei bengleichsamIndikatorenfürdasKernphänomen,diehäufigindenDatenvor kommen und ein stabiles Muster bilden, das sich insbesondere in der später entwickelten Typologie zeigt (vgl. Kapitel 7, S. 127). Die analytische Ausarbei tung der Kategorien führt schließlich zu einer merklichen Weiterentwicklung der Theorie, die an Explizitheit und Dichte gewinnt. Darüber hinaus ist es mit der Kernkategorie Persönliche Relevanz möglich, die maximale Variation ihrer Ausprägungen in die Theorie zu integrieren. Die Typenbildung über die ver schiedenenSinnkonstruktionsartenmachtdiesesArgumentspäternochexplizit (vgl.Kapitel7,S.127). 6.4 Theoriebildung DieTheorie,dieindieserArbeitgebildetwurde,istzweigeteilt.Zumeinenwur de,wieobenbereitsbeschrieben(vgl.Abschnitt2,S.9),eineTheoriedesSinn konstruktionsbegriffsentwickelt.DerempirischeTeildieserArbeitbeziehtsich 20
StraussnenntdieKernkategoriezudiesemZeitpunktnochSchlüsselkategorie(vgl.Strauss, 1998,S.6568).
120
6DatenauswertungundTheoriebildung
nun auf die Rekonstruktion von Sinnkonstruktionsarten aus den empirischen DatensowieeinerdaraufbasierendenBildungvonSinnkonstruktionstypen. VerallgemeinerbarkeitqualitativerTheorien In der qualitativen Forschung stellt sich zunächst die Frage nach der VerallgemeinerbarkeiteinerTheorie,dieimRahmenrekonstruktiverForschung entwickelt wurde (vgl. Flick, 2005, S.336). Die Verallgemeinerbarkeit liegt da bei,soFlick,„inderschrittweisenÜbertragungvonErkenntnissenausFallstudi en und ihrem Kontext in allgemeinere und abstraktere Zusammenhänge, z. B. eineTypologie“(2005,S.338).BeiderBildungeinerTypologiewirddurchFall vergleich undFallkontrastierung ein Überblick über dasDatenmaterial gewon nen, so dass schließlich ähnliche Fälle in Gruppen zusammengefasst werden könnenunddamitvonmöglichstdifferentenFällengetrenntwerden(vgl.Kelle &Kluge,1999,S.75;zumVorgehenindieserArbeitvgl.Kapitel7,S.127).Durch die Bildung einer Typologie wird also die Ebene des Einzelfalls verlassen und eineTheorieentwickelt,dieeinengewissenGradanVerallgemeinerbarkeitder ErkenntnisseinAnspruchnehmenkann.IchstrebeindieserArbeitdieErarbei tungeinersolchenTypologiean,indemichTypenvonSinnkonstruktionenbilde, dievondenSchülerinnenundSchülerninDeutschlandundHongkongimKon text schulischen Mathematiklernens konstruiert werden. Da der Studie mit 34 interviewten Schülerinnen und Schülern (je 17 in Deutschland und Hongkong) füreinequalitativeUntersuchungeinvergleichsweisegroßesSamplezugrunde liegt(vgl.Kelle&Kluge,1999,S.75),isteinesolcheTypenbildungdurchführbar. TheoretischeGrundlagenempirischbegründeterTypenbildung DiehierverfolgteTypenbildunggehtzurückaufdieBildungvonIdealtypenim Anschluss an Max Weber (1988). Bei Weber geht der Idealtypenbildung die Fallrekonstruktion und Fallkontrastierung voraus. Den Abschluss bildet die Bil dungvonTypen,diedurchdasVerstehenvonZusammenhängenüberdenein zelnen Fall hinausreichen. Eine besondere Rolle bei dieser Idealtypenbildung nachWeberspielenderminimaleundmaximaleVergleichvonmöglichstähnli chenbzw.möglichstunterschiedlichenFällen(vgl.Flick,2005,S.338). UdoKelleundSusannKluge(1999,S.8188)untergliederndenProzessder TypenbildunginvierTeilschritte:dieErarbeitungrelevanterVergleichsdimensi onen,dieGruppierungderFälleundAnalyseempirischerRegelmäßigkeiten,die Analyse inhaltlicher Zusammenhänge sowie die Charakterisierung der gebilde tenTypen.DieeinzelnenStufenbauenlogischaufeinanderaufundkönnenim
6.5AuffindenderländerspezifischenUnterschiedeundGemeinsamkeiten
Abbildung8:
121
Stufenmodell empirisch begründeter Typenbildung (nach Kelle &Kluge,1999,S.82).
Verlauf des Forschungsprozesses mehrfach durchlaufen werden, wenn ein Er kenntnisgewinnzuverzeichnenist(vgl.Abbildung8,S.121). Kapitel7 (S.127) beschreibt, wie die vier Stufen des Prozesses der empi rischbegründetenTypenbildungimRahmendervorliegendenArbeitumgesetzt wurden. Da Typen von Sinnkonstruktionen herausgearbeitet werden sollen, handeltessichbeidenFällendieserStudieumdieausdemempirischenMate rialrekonstruiertenSinnkonstruktionen(vgl.Kapitel7,S.127bzw.ausführlicher diejeweiligenAbschnitteausKapitel8,S.139). 6.5 AuffindenderländerspezifischenUnterschiedeundGemeinsamkeiten NachdererfolgtenRekonstruktionvonSinnkonstruktionsartenundtypenstellt sichdieFrage,inwiefernsichUnterschiedeundGemeinsamkeitenzwischenden länderspezifischen Ergebnissen auffinden lassen und inwieweit Erklärungsan sätze unter Rückbezug auf den kulturellen Hintergrund der Schülerinnen und Schüler gefunden werden können. Aussagen, die bei einer solchen kulturellen ReflexionderErgebnissekulturspezifischgewonnenwerden,könnenalsGrund lage für eine Generierung von Hypothesen dienen. Diese Hypothesen stehen
122
6DatenauswertungundTheoriebildung
anschließend für eine Überprüfung in weiterführenden Studien mit größerer StichprobezurVerfügung(vgl.auchKapitel12,S.271). Bei der Sinnkonstruktion steht die persönliche Relevanz von Handlungen oder Objekten für das Individuum im Vordergrund. Die absolute Anzahl der KodierungeneinerbestimmtenSinnkonstruktionkannvonderLängedesjewei ligen Interviews abhängen. Werden verschiedene Personen bzgl. einer be stimmtenSinnkonstruktionmiteinanderverglichen,sindabsoluteZahlenwenig aussagekräftig,daeinebestimmteAnzahlanKodierungenineinemumfangrei chenInterviewwenigerGewichtzugemessenwerdensollte,alsesfürdieglei che Anzahl in einem kurzen Interview der Fall sein sollte. Naturgemäß ist im zweiten Fall auch die Gesamtzahl der Sinnkonstruktionskodierungen ver gleichsweisegering.AusdiesemGrundwurdedierelativeHäufigkeitderSinn konstruktionskodierungen pro Schülerin bzw. Schüler als Grundlage für die Untersuchung gewählt. Unter relativer Häufigkeit verstehe ich dabei den pro zentualen Anteil, den die Kodierungen einer bestimmten Sinnkonstruktion an allen Sinnkonstruktionskodierungen der jeweiligen Person einnehmen. Die Berücksichtigungder prozentualenAnteile der Kodierungendieser einen Sinn konstruktion an allen Sinnkonstruktionskodierungen gibt die persönliche Ge wichtung der Person insofern wieder, als dass durch die prozentuale Gewich tungeineindividuellePräferenzdeutlichwird.Dabeilässtsichnichtausschlie ßen, dass derselbe Gedanke, der an verschiedenen Stellen der Interviews ge nannt wird, mehrfach kodiert in die Auswertung eingeht und dabei zu einer höheren Anzahl an Kodierungen dieser Sinnkonstruktion führt. Da er jedoch – solässtsichausderNennunganunterschiedlichenStellenimInterviewschlie ßen–derinterviewtenPersonpersönlichwichtigzuseinscheint,istesberech tigt,ihnmehrfachindieZählungaufzunehmen.ImGegensatzzudenabsoluten Anzahlen der Kodierungen spiegelt die relative Häufigkeit also die persönliche PräferenzeinerSchülerinbzw.einesSchülersfürbestimmteSinnkonstruktionen derPersonenwider. UmeinMaßfürdieBeurteilungvonUnterschiedenundGemeinsamkeiten zwischendenErgebnissenausDeutschlandundHongkongheranzuziehen,wur dendierelativenHäufigkeitenmitHilfederSoftwareSPSS(Version19)dahin gehend untersucht, ob die Mittelwerte aus Deutschland und Hongkong statis tisch bedeutsam unterschiedlich sind. Unterscheiden sich die Mittelwerte der Länder mehr als nur zufällig voneinander, ist davon auszugehen, dass Unter schiede zwischen den Ergebnissen aus Deutschland und aus Hongkong vorlie gen. Zur Untersuchung der Mittelwerte wurde zunächst eine einfaktorielle, multivariate Varianzanalyse (MANOVA) mit Messwiederholung durchgeführt,
6.5AuffindenderländerspezifischenUnterschiedeundGemeinsamkeiten
123
um generelle Unterschiede zwischen den deutschen und den Hongkonger Er gebnissenaufzudecken.ZudiesemZweckwurdendieErgebnissederverschie denen Sinnkonstruktionsarten als Resultate derselben Stichprobe zu unter schiedlichenMesszeitpunktenbehandelt.DieStichprobengrößebliebaufdiese Weisezujedem'Messzeitpunkt'unverändert.AlsunabhängigeVariablewurde das Land gewählt, aus welchem die Schülerinnen und Schüler stammten (Stu fe1: Deutschland, Stufe2: Hongkong), die abhängigen Variablen waren die verschiedenenSinnkonstruktionsarten.DiePillaiSpur(PS)wurdealsTeststatis tik herangezogen, da sie für gleiche Stichprobengrößen robust ist (vgl. Field, 2009, S.601602, 609). Zwischen den Ergebnissen aus Deutschland und Hong kong konnten auf diese Weise signifikante Unterschiede gefunden werden (PS=0.81, F(16,17)=4.55, p<0.01). Auf dieser Grundlage wurden anschlie ßend differenziertere Analysen auf Ebene der Sinnkonstruktionstypen und artenmitHilfevontTestsfürunabhängigeStichprobendurchgeführt.TTests entsprechen einfaktoriellen, univariaten Varianzanalysen, also Mittelwertver gleichen,dieeineunabhängigeVariable(Land)undeineabhängigeVariable(die jeweilige Sinnkonstruktionsart) berücksichtigen (vgl. Nachtigall & Wirtz, 2006, S.183).ZusätzlichwurdendieEffektstärkenmittelsCohensdaufBasisderMit telwerte und Standardabweichungen berechnet. Dazu wurde der Rechner auf der Homepage der Universität des Saarlandes ermittelt, der unter der URL http://www.phil.unisb.de/~jakobs/seminar/vpl/bedeutung/bedeut.htm vor liegt. AlsVoraussetzungenfüreineunivariateVarianzanalysemüssennebender UnabhängigkeitderStichprobendieVarianzhomogenitätundNormalverteilung derWertegewährleistetsein(vgl.Nachtigall&Wirtz,2006,S.182).WieinAb schnitt5.1 (S.100) beschrieben, besteht die Stichprobe aus deutschen und HongkongerSchülerinnenundSchülern,diesichfreiwilligzurTeilnahmeander Studiebereiterklärt haben. Sie gliedert sich in zwei unabhängige Teilstichpro benmitjeweilsn=17SchülerinnenundSchülern.DieVarianzhomogenitätder einzelnen Sinnkonstruktionsarten wurde anhand des LeveneTests überprüft. Kann eine Homogenität der Varianzen angenommen werden (p>0.05), wird derpooledvariancetTestdurchgeführt,beieinerangenommenenUngleichheit der Varianzen hingegen der separatevariance tTest21 (vgl. Brosius, 2006, 21
Wenn eine Homogenität der Varianzen angenommen werden kann, wird für die Berech nung des tWertes eine Art Mittelwert der Varianzen beider Fallgruppen herangezogen (pooledvariance tTest). Bei einer Ungleichheit der Varianzen hingegen werden die empiri schenVarianzenzurBerechnungdestWertesgenutzt(separatevariancetTest)(vgl.Brosius,
124
6DatenauswertungundTheoriebildung
S.478484).AußerdemwurdederShapiroWilkTestdurchgeführt,mitdemdie Verteilung der Werte aus kleinen Stichproben auf Normalverteilung überprüft werdenkönnen(vgl.Nachtigall&Wirtz,2006,S.171).DerShapiroWilkTestist grundsätzlich genauer als der für große Stichproben verwendete Kolmogorov SmirnovAnpassungstest, da er exakte Signifikanzwerte berechnet und nicht teilweiseaufNäherungswertezurückgreift(vgl.Field,2009,S.546).Beisignifi kantenAbweichungenvonderNormalverteilungwurdedieVerteilungderWer teinbeidenLändernüberprüft.BeischiefenVerteilungenkanndiesignifikante Abweichung von der Normalverteilung vernachlässigt werden. Darüber hinaus werdenkeinezuprogressivenEntscheidungengetroffen,wenndieWertenicht breitgipflig verteilt sind (vgl. Nachtigall &Wirtz, 2006, S.182). Jürgen Bortz (2005,S.141)stelltunterBezugnahmeaufMonteCarloStudienfest,dassder tTestfürunabhängigeStichprobenrobustaufdieVerletzungseinerVorausset zungen reagiert. Klaus Kubinger, Dieter Rasch und Karl Moder (2009, S.25) empfehlensogaraufdieNormalverteilungsprüfungzuverzichten.Darüberhin ausziehenMarkusBühnerundMatthiasZiegler(2009,S.266)grundsätzlichdie VerwendungparametrischerVerfahrendennonparametrischenVorgehenswei sen vor. Aus diesen Gründen habe ich an der Durchführung der tTests fest gehalten, obgleich nicht alle Ergebnisse der Sinnkonstruktionen normalverteilt waren.InmeinerStudieistdieserAnsatzmeinerEinschätzungnachvertretbar, daichnichtimklassischenSinneHypothesengetestethabe,umdieErgebnisse breitzuverallgemeinern.ImGegenteil:ZieldiesesVorgehenswares,empirisch basierteHypothesenzuentwickeln,dieanschließenddurchReflexionzugrunde liegenderkulturellerMerkmaletheoretischuntermauertwerdensollen.Dieso entwickeltenHypothesenstehenanschließendfüreineÜberprüfungzurVerfü gung. Ich habe in meiner Arbeit tTests mit unspezifischen und ungerichteten Hypothesen durchgeführt. Damit sollte getestet werden, ob grundsätzlich Un terschiede zwischen den Ergebnissen aus Deutschland und Hongkong vorhan den sind. Eine Vorwegnahme von Hypothesen auf Basis der Darstellung der kulturellenUnterschiededesLernensundLehrensvonMathematikinDeutsch land undHongkong(vgl.Abschnitt3.2,S.69) wäre zwarmöglichgewesen, wi dersprichtaberdemAnsatzderrekonstruktivenForschung,diedasZielverfolgt, Hypothesenaufzustellen. ZurAbsicherungderdurchdietTestsgefundenenResultategreifeicher gänzendaufdasnonparametrischeÄquivalentdestTestszurückunduntersu 2006,S.483).DieAusgabedesErgebnissesvonSPSSberücksichtigtjeweilsbeideVerfahren, sodassderentsprechendeFallausgewähltwerdenkann.
6.6KommunikativeValidierungderErgebnisse
125
che die landesspezifischen Ergebnisse ebenfalls mit dem UTest von Mann Whitney(vgl.Field,2009,S.540551).NebenderUntersuchungderSignifikan zen werden außerdem nonparametrische Effektstärken r berechnet, derart, dass der zstandardisierte Wert des MannWhitneyUTests durch die Wurzel der Größe der Gesamtstichprobe geteilt wird (vgl. Field, 2009, S.550 unter RückbezugaufRosenthal,1991). AufGrundlagederErgebnisse,dieaufdiegeradebeschriebeneWeiseer mittelt wurden, berichte ich Unterschiede zwischen Deutschland und Hong kong, wenn sowohl im tTest als auch im MannWhitneyUTest signifikante Resultate aufgefunden werden konnten, bzw. Gemeinsamkeiten, wenn die Werte des Cohens d sowie die rWerte gering sind (|d|<0.2, |r|<0.3). Die Fälle,fürdie|d|<0.2und|r|<0.3ist,wurdenallenichtsignifikant.Solltensie bei einer größeren Stichprobe doch signifikant werden, würden die so aufge fundenen Unterschiede jedoch einen äußerst geringen Effekt aufweisen. Nach derKlassifikationvonJürgenBortzundNicolaDöhring(2006,S.606)liegendie Schwellenwerte für kleine, mittlere und große Effektstärken für Cohens d bei 0.2,0.5bzw.0.8.AndyField(2009,S.550)nennt0.3und0.5alsSchwellenwer te für mittlere bzw. große Effektstärkenr. Legen die Daten statistisch einen UnterschiedoderGemeinsamkeitennahe,sollendieseunterRückbezugaufden kulturellen Hintergrund der Lernenden untersucht und ggf. theoretisch erklärt werden. 6.6 KommunikativeValidierungderErgebnisse NacherfolgterRekonstruktionderSinnkonstruktionsartenstelltsichdieFrage, inwieferndieaufgefundenenErgebnissesowieUnterschiedebzw.Gemeinsam keitenineinerwestlichenPerspektivebegründetsindoderauchdieGegeben heiteninHongkongangemessenabbilden.UmeineeinseitigeInterpretationzu vermeiden, habe ich daher das Gespräch mit Hongkonger Expertinnen und Experten gesucht und meine Ergebnisse mit ihnen diskutiert. Auf diese Weise konntenbisdatonichtberücksichtigteInterpretationsansätzederGemeinsam keitenundUnterschiedeeröffnetwerdensowieAspekte,dieauseinerwestli chenPerspektiveinkonsistentwirkten,erklärtwerden. KonkrethabeichdierekonstruiertenSinnkonstruktionsartensowiedieje weiligen Häufigkeiten der Sinnkonstruktionskodierungen der Hongkonger und der deutschen Schülerinnen und Schülern mit Prof. Dr. Frederick Koon Shing LeungvonderUniversityofHongKongdiskutiert.Gemeinsamentwickeltenwir InterpretationenderErgebnisse,dieu.a.inKapitel9(S.235)weiterausgeführt
126
6DatenauswertungundTheoriebildung
und mit Referenzen auf die relevante Literatur untermauert werden. Darüber hinaushabeichdieAusprägungeneinzelnerSchülerinnenundSchülermitden dreiHongkongerLehrkräftendiskutiert,mitdenenichauchbeiderDatenerhe bungzusammengearbeitethabe.IchhabedabeidiepersönlichenEigenschaften sowie vorgenommenen Sinnkonstruktionen von einzelnen Schülerinnen und Schülern auf Karteikarten notiert und mit entsprechenden Erläuterungen suk zessivevorMrNg,MsChanbzw.MsTingausgebreitet.Siehabenjeweilsihre Einschätzungen zu Lernenden der anderen Klassen abgegeben, so dass auf grund der vorgestellten Personen oder Einstellungen keine Rückschlüsse auf ihreeigenenSchülerinnenundSchülerodersichselbstalsLehrpersonmöglich war. Auf diese Weise konnten insbesondere scheinbare Inkonsistenzen in den Antworten der Schülerinnen und Schüler, die aus westlicher Perspektive nicht nachvollziehbarwaren,offengelegtundauskonfuzianischgeprägterPerspekti veerklärtwerden.
TeilC: ErgebnissederStudie Auf Grundlage der empirischen Daten konnten im Verlauf der Studie 17Sinn konstruktionsarten rekonstruiert werden, die als Basis für die Bildung einer TypologiederSinnkonstruktionfungierten.InKapitel7legeichausführlichdas VorgehenbeiderErarbeitungderTypologiedar,Kapitel8(S.139)istdannder genaueren Beschreibung der sieben entwickelten Sinnkonstruktionstypen ge widmet. Die Typen werden dabei jeweils unter Rückbezug auf die ihnen zu grunde liegenden Sinnkonstruktionen charakterisiert und anhand von Textbe zügenausdemDatenmaterialbeiderLändersowiederDarstellungvonjeeinem PrototypenausDeutschlandundHongkongillustriert.AufdieseWeisewirddie AnbindungderentwickeltenTheorieandieihrzugrundeliegendeEmpiriedeut lich.AbschließendfolgtinKapitel9eineReflexionderErgebnisseauseinerkul turellenPerspektive.
7 EineTypologiederSinnkonstruktion Dieser Abschnitt beschreibt den Prozess der empirisch begründeten Typenbil dung, wie er in dieser Studie durchlaufen wurde. Ich habe mich dabei an den VorschlägenvonUdoKelleundSusannKluge(1999)orientiert,dieunabhängig vonMethodologieundMethodeeinVorgehenzurTypenbildunginrekonstruk tivenStudienanregen.DiesesVorgehenberuhtaufdemPrinzipdesminimalen und maximalen Kontrastes beim Fallvergleich. Im Vordergrund stehtdabei die Erarbeitung relevanter Vergleichsdimensionen, anhand derer die Typologie aufgespanntwirdundmittelsdererdieFälle,hieralsodieSinnkonstruktionen, verortetwerdenkönnen. ErarbeitungrelevanterVergleichsdimensionen DasZielbeiderErarbeitungvonVergleichsdimensionenistes,folgtmanKelle undKluge(1999),Kategorienzufindenundsozudimensionalisieren,dassdie vorhandenen Fälle anhand dieser Kategorien gruppiert werden können. Auf diese Weise wird eine Typologie aufgespannt. Dabei sollen die Fälle, die mög lichst ähnlich bezüglich einer bestimmten Ausprägung einer Kategorie bzw. einer Kombination von KategorieDimensionen sind, in einer Gruppe zusam
M. Vollstedt, Sinnkonstruktion und Mathematiklernen in Deutschland und Hongkong, DOI 10.1007/978-3-8348-9915-6_7, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
128
7EineTypologiederSinnkonstruktion
mengefasst werden. Zwischen den verschiedenen Gruppen sollen dann mög lichst maximale Unterschiede hinsichtlich der Merkmalskombinationen beste hen.OderinanderenWorten:„DieTypologiesollaufderEbenederTypenma ximal ‚intern‘homogen sein, aufder Ebene der Typologie jedoch maximal ‚ex tern‘heterogen“(Kelle&Kluge,1999,S.83). NachAuswertungderInterviewdateninAnlehnungandieGroundedTheo ry(vgl.Strauss&Corbin,1996bzw.Abschnitt6,S.109)konnteninsgesamt17 verschiedeneSinnkonstruktionenausdemDatenmaterialbeiderLänderrekon struiertwerden.SiestellenindieserStudiedieFälledar,überdiedieTypenbil dung vollzogen wird. Die folgende Tabelle gibt eine kurze Übersicht über die rekonstruierten Sinnkonstruktionen und charakterisiert sie jeweils kurz. Für eine ausführliche Charakterisierung der Sinnkonstruktionen vgl. die jeweiligen AbschnitteinKapitel8(S.139). Tabelle1:
RekonstruierteSinnkonstruktionenundihreCharakterisierungen.
Nameder Sinnkonstruktion
AktivesBetreibenvon Mathematik AnwendungimLeben
Ausgeglichenheit
Autonomie erleben
Berufsvoraussetzung
Effizienz
Charakterisierung: DieBeschäftigungmitMathematikbzw.dasLernenvonMa thematikistfürdasIndividuumsinnvoll/persönlichrelevant, wenn… …esdurchdasaktiveBetreibenvonMathematikFreude erlebenkann,dieInhalteleichterverstehtodersichdamitgut aufPrüfungenvorbereitenkann. …eseineAnwendungsmöglichkeitvonMathematikimLeben erkennt,einenAllgemeinbildungsgedankenvonMathematik vertrittoderdaseigeneLernenvonMathematikanhandvon realitätsbezogenenAufgabenerleichtertwird. …esdabeiAusgeglichenheit empfindet,etwadurchPhasen derEntspannungimMathematikunterrichtoderdurchdie freiwilligeBeschäftigungmitmathematischenInhalteninder Freizeit. …esbeimBetreibenvonMathematik,beimLernenvonMa thematikoderimMathematikunterrichtEigenständigkeit erlebenkanninFormvonLernautonomieoderdereigenstän digenErarbeitungvonLösungswegeno.ä. …esmathematischeKompetenzenalsBerufsvoraussetzung ansiehtundsichdurchdieBeschäftigungmitMathematikauf seinenWunschberufvorbereitenkann. …derUnterrichtbzw.dieeigenenHandlungenimUnterricht undbeiderAuseinandersetzungmitmathematischenInhalten vonEffizienzgeprägtsind.
7EineTypologiederSinnkonstruktion Nameder Sinnkonstruktion
Emotionalaffektive BindungandieLehrper son KognitiveHerausforde rung
Kompetenz erleben
Pflichterfüllung PositiveAußenwirkung
Prüfungen
PurismusderMathema tik Selbstperfektionierung
SozialeEingebundenheit erleben
Unterstützungdurchdie Lehrperson Zensuren
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Charakterisierung: DieBeschäftigungmitMathematikbzw.dasLernenvonMa thematikistfürdasIndividuumsinnvoll/persönlichrelevant, wenn… …eineemotionalaffektiveBindungandieLehrpersonim Mathematikunterrichtbesteht,diesichdurcheinefreundliche UnterrichtsatmosphäresowiegegenseitigeAchtungund Wertschätzungausdrückt. …esdieAuseinandersetzungmitmathematischenInhaltenals kognitiveHerausforderungempfindet,durchdieesineinen WettstreitmitsichselbstoderseinenMitschülerinnenund Mitschülernkommt,oderesdiesalsMöglichkeitderLeis tungsverbesserungempfindet. …essichbeiderAuseinandersetzungmitmathematischen Inhaltenbzw.imMathematikunterrichtalskompetentoder erfolgreicherlebt,etwadurchdasLöseneinerAufgabe,durch aktiveTeilnahmeamUnterrichtoderimLeistungsvergleich mitanderenSchülerinnenundSchülern. …esdadurchPflichtenerfüllt,dieesansichgestelltempfindet undggf.damitdemanesgestelltenLeistungsdruckbegegnet. …esdurchdieBeschäftigungmitMathematikbzw.dieim FacherzieltenLeistungeneinepositiveAußenwirkunggegen überanderenalswichtigerachtetePersonenerlangenkann undvondiesenAnerkennungbekommt. …essichaufPrüfungen vorbereitenkannundsichmitdem BestehenvonPrüfungenPerspektivenimweiterenBildungs gangeröffnet. …esdenPurismusderMathematik schätzt,derinihrem FormalismusundlogischenAufbausteckt,undihmdadurch dasVerstehenvonMathematikleichterfällt. …essichdurchdieBeschäftigungmitMathematikselbst perfektionierenkann,alsobestimmteCharakterzügeoder persönlicheEigenschaftenweiterentwickelnoderdieeigene Leistungverbessernkann. …essichindieGruppederLernendensozialeingebundenund integriertfühltundsichdasUmgehenmiteinanderdurcheine freundlicheAtmosphäresowiekooperativeLernformenaus zeichnet. …esinseinemLernprozessUnterstützungdurchdieLehrper sonerfährtundsichbeiFragenansiewendenkann. …ihmdieeigeneLeistunginFormvonZensuren imMathema tikunterrichtreflektiertwirdundsichdasStrebennachLeis tungineinembestimmtenMaßanEhrgeizwiderspiegelt.
130
7EineTypologiederSinnkonstruktion
Durch einen intensiven Vergleich dieser empirisch vorfindlichen Sinn konstruktionen konnten schließlich die Kategorien Intensität der Mathematik bezogenheit der Sinnkonstruktion und Intensität der Individuumsbezogenheit der Sinnkonstruktion entwickelt werden. Wichtig ist dabei die Unterscheidung von Bezogenheit und Bezug. Alle Sinnkonstruktionen weisen per definitionem durch das Kriterium der persönlichen Relevanz einen Bezug zum Individuum auf.SieunterscheidensichhingegeninderIntensitätihrerBezogenheitaufdas Individuum,alsoderFrageinwieferndasIndividuumjeweilsselbstbestimmtim Fokus der Sinnkonstruktion steht oder es bei seinen Handlungen auf äußere Anforderungenreagiert. DiebeidenKategorienbietensichimKontextdieserStudiean,dasiezum einen auf eine fachliche Bezogenheit abheben und sich zum anderen auf eine Perspektive der Bildungsgangforschung konzentrieren. Dies geschieht folgen dermaßen:DurchdenKontextschulischenMathematiklernensstehenkonkrete mathematischeInhaltemehroderwenigerstarkimFokusderSinnkonstruktio nen (vgl. etwa Aktives Betreiben von Mathematik vs. Soziale Eingebundenheit erleben).DieslegteineAbstufunghinsichtlichihrerBezogenheitaufdiefachli chen Inhalte nahe. Auf der anderen Seite steht die Studie im Kontext der Bil dungsgangforschung,dieeinenSchwerpunktaufdiePerspektivederLernenden legt. Sinnkonstruktionen beschreiben zwar durch das Kriterium der persönli chen Relevanz per se Aspekte, die für das Individuum bedeutsam sind, lassen sich jedoch dahingehend unterscheiden, ob sie eher intraindividuelle Aspekte oderdieAuseinandersetzungmitgesellschaftlichgeprägten,äußerenAnforde rungenindenVordergrundrücken(vgl.etwaSelbstperfektionierungvs.Berufs voraussetzung).InsofernisthiereineUntergliederungindieIntensitätderIndi viduumsbezogenheit der Sinnkonstruktion möglich. Anhand dieser Kategorien lassen sich die Fälle ordnen. Beide Kategorien wurden dabei in hohe, mittlere undgeringeIntensitätabgestuft.FürdieKategorieIntensitätderMathematik bezogenheitderSinnkonstruktiongestaltetsichdieAbstufungfolgendermaßen:
Hohe Intensität der Mathematikbezogenheit der Sinnkonstruktion: Die Sinnkonstruktion steht in direktem Zusammenhang mit fachlichen Inhal ten.SierichtetsichalsounmittelbaraufbestimmtemathematischeInhal te,etwainFormvonkonkretenAufgaben. MittlereIntensitätderMathematikbezogenheitderSinnkonstruktion:Die Sinnkonstruktion steht in mittelbarem Zusammenhang mit fachlichen In halten oder dem Unterrichtsfach Mathematik. Die konkrete Auseinander setzung mit diesen steht dabei nicht direkt im Fokus. Mathematik wird
7EineTypologiederSinnkonstruktion
131
eher als Mittel zum Zweck betrachtet oder fungiert als Instrument, be stimmteZielezuerreichen. GeringeIntensitätderMathematikbezogenheitderSinnkonstruktion:Die Sinnkonstruktion steht in keinem direkten Zusammenhang mit fachlichen Inhalten.AndererelevanteAspektedesschulischgeprägtenLernprozesses (wieetwadiesozialeInteraktionderBeteiligten)rückenstattdesseninden Vordergrund.
Für die zweite Kategorie Intensität der Individuumsbezogenheit der Sinn konstruktion,wurdefolgendeAbstufungvorgenommen:
Hohe Intensität der Individuumsbezogenheit der Sinnkonstruktion: Der FokusderSinnkonstruktionistaufdasIndividuumselbstgerichtet.Esste hen primär intraindividuelle Bezüge im Vordergrund. Diese Merkmalsaus prägungbezeichneichalsindividuelleDimension. MittlereIntensitätderIndividuumsbezogenheitderSinnkonstruktion:Die SinnkonstruktionstehtimZusammenhangmitdemschulischenMathema tikunterrichtundistwenigerstarkaufkognitiveoderemotionaleAspekte derPersongerichtetalsbeiSinnkonstruktionenderindividuellenDimensi on. Da sich die hier verorteten Sinnkonstruktionen primär mit Aspekten desMathematikunterrichtsauseinandersetzen,bezeichneichdieseMerk malsausprägungalsschulischeDimension. GeringeIntensitätderIndividuumsbezogenheitderSinnkonstruktion:Die Sinnkonstruktion steht in einem Zusammenhang mit Institutionen (z. B. Gesellschafts oder Schulsystem) oder objektiven, gesellschaftlichen An forderungen.SiekönnenvonanderenPersonen(z.B.ausderFamilie)an das Individuum gestellt werden. Es internalisiert diese Anforderungen zu einem gewissen Grad und richtet seine Sinnkonstruktionen entsprechend nachdiesenaus.DieseMerkmalsausprägungderIndividuumsbezogenheit bezeichneichalsgesellschaftlicheDimension.
MitHilfedieserDimensionalisierunglassensichdieGemeinsamkeitenundUn terschiedezwischendeneinzelnenSinnkonstruktionendifferenziertdarstellen. Die geforderte interne Homogenität und externe Heterogenität der Fälle wird dabei ermöglicht. Für die genaue Verortung der einzelnen Sinnkonstruktionen inRelationzudenentwickeltenMerkmalenvgl.Abbildung10(S.133)bzw.die jeweiligenTeilabschnitteinKapitel8(S.139).
132
7EineTypologiederSinnkonstruktion
GruppierungderFälleundAnalyseempirischerRegelmäßigkeiten KelleundKluge(1999,S.8691)fordernfüreineGruppierungderFälleunddie Analyse empirischer Regelmäßigkeiten grundsätzlich die Bildung eines Merk malsraums. Indiesem werden die Kategorien oder Merkmale üblicherweise in einer gegebenenfalls mehrdimensionalen Kreuztabelle darstellt. Auf diese Art isteinschnellerÜberblicküberallepotentiellenMerkmalskombinationenmög lich. In meiner Studie entstand dabei die in Abbildung 9 (S. 133) abgebildete Mehrfeldertafel. Die Zellennummerierung ermöglicht eine leichtere Bezeich nungdereinzelnenGruppen.SiehatjedochkeineinhaltlicheAussage. Die Mehrfeldertafel zeigt neun möglicheMerkmalskombinationen,die je weils eine Gruppe von Sinnkonstruktionen darstellen. Abbildung 10 (S. 133) veranschaulicht die Verortung der rekonstruierten Sinnkonstruktionen im MerkmalsraumundstelltsodieentwickelteTypologiegrafischdar. BeigenauererBetrachtungderTypologiefallenzweiDingeauf.Aufderei nen Seite weisen mehr als die Hälfte der rekonstruierten Sinnkonstruktionen eine hohe Individuumsbezogenheit auf und liegen dementsprechend in der individuellen Dimension. Da es sich bei der Sinnkonstruktion per definitionem um individuelle Relevanzzuschreibungen handelt, ist es nicht verwunderlich, dass dieser Schwerpunkt sich auch in der Verteilung der Sinnkonstruktionen zeigt.ErliegtquasiimKonzeptbegründet.AufderanderenSeiteistesbemer kenswert, dass die Felder der Gruppe1 (hohe Mathematikbezogenheit und geringe Individuumsbezogenheit) und Gruppe5 (mittlere Mathematikbezogen heitundmittlereIndividuumsbezogenheit)leersind.Entsprechendstelltsichdie Frage, ob dort grundsätzlich – also theoretisch begründbar – keine Sinn konstruktionenverortetwerdenkönnen,oderobdasAusbleibenimSampleder Studie begründet ist. Ich gehe davon aus, dass theoretisch in beiden Feldern Sinnkonstruktionenvorkommenkönnenbzw.ErweiterungenvonSinnkonstruk tionen aus den Feldern der Gruppen4 (mittlere Mathematikbezogenheit und geringe Individuumsbezogenheit) und 8 (geringe Mathematikbezogenheit und mittlereIndividuumsbezogenheit)denkbarsind,wieichimFolgendenkurzaus führenwerde. DassimFeldderGruppe5(mittlereMathematikbezogenheitundmittlere Individuumsbezogenheit) keine Sinnkonstruktion aufgeführt werden kann, ist zunächsttheoretischbegründbar.InderschulischenDimensionstehtprinzipiell derMathematikunterrichtimFokus.DiewichtigendamiteinhergehendenThe mensindfolglichentwederdiebehandeltenInhalte(Feld2,hoheMathematik bezogenheitundmittlereIndividuumsbezogenheit)oderabervondenInhalten losgelöste Handlungen (Feld8, geringe Mathematikbezogenheit und mittlere
133
7EineTypologiederSinnkonstruktion
IntensitätderMathe matikbezogenheitder Sinnkonstruktion
IntensitätderIndividuumsbezogenheitderSinnkonstruktion gering (gesellschaftliche Dimension)
mittel (schulische Dimension)
hoch (individuelle Dimension)
hoch
1
2
3
mittel
4
5
6
gering
7
8
9
Abbildung9:
Intensitätder Mathematik bezogenheit derSinn konstruktion
Mehrfeldertafel des Merkmalsraums der rekonstruierten Sinn konstruktionenmitnummeriertenGruppenfeldern. IntensitätderIndividuumsbezogenheitderSinnkonstruktion gering (gesellschaftliche Dimension)
mittel (schulische Dimension)
hoch (individuelle Dimension)
Purismus derMathematik hoch
AktivesBetreibenvon Mathematik
Kognitive Herausforderung
Autonomieerleben
Selbst perfektionierung
Berufsvoraussetzung
mittel
Prüfungen
Positive Außenwirkung
AnwendungimLeben
Zensuren
Kompetenzerleben
Effizienz
gering
Pflichterfüllung
Unterstützungdurch dieLehrperson
Emotionalaffektive Bindungan dieLehrperson
SozialeEingebunden heiterleben
Ausgeglichenheit
Abbildung10: TypologiederSinnkonstruktion.
134
7EineTypologiederSinnkonstruktion
Individuumsbezogenheit), etwa soziale Interaktionen zwischen den am Unter richt beteiligten Personen. Allerdings wird bei der Sinnkonstruktion Effizienz22 eineNähederFelder8und5deutlich,dadortaucheffizienteHandlungsstrate gienseitensderSchülerinnenundSchülerthematisiertwurden,dieMathematik instrumentalisieren.SokannbeiderStrategie,denLösungswegenderLehrper son zu folgen, im Fokus stehen, mit möglichst wenig eigenem Aufwand mög lichstvielzuerreichen.HiergehtesalsonichtprimärumdieMathematikbzw. die Inhalte, mit denen sich die Lernenden dabei auseinandersetzen, sondern vielmehr um die Reduzierung der eigenen Anstrengung. Dadurch wird eine NähezumFeldderGruppe5deutlich. AnalyseinhaltlicherZusammenhängeundTypenbildung Durch einen inhaltlichen Vergleich der Sinnkonstruktionen innerhalb einer Gruppe und über die verschiedenen Gruppen hinweg sowie durch die Suche nach„inhaltlichenSinnzusammenhängen“23(Kelle&Kluge,1999,S.92)kommt es schließlich zur „Konstruktion 'sinnvoller' und 'verständlicher' soziologischer (Handlungs)Typen“ (Kelle &Kluge, 1999, S.92). Im Verlauf dieses Prozesses wurdenmehrereGruppenzusammengefasst(etwadieGruppen1,4und7)und eine Gruppe weiter ausdifferenziert, da starke Unterschiede innerhalb der Gruppe vorlagen (Gruppe6, vgl. Abbildung 9 bzw. Abbildung 10, S.133 bzw. 133). Durch die damit einhergehende Reduktion des Merkmalsraums entstan den schließlich sieben Sinnkonstruktionstypen. In Tabelle 2 (S. 135) wird eine Übersicht und Charakterisierung der entwickelten Sinnkonstruktionstypen ge geben. Außerdem wird aufgezeigt, welche Sinnkonstruktionsarten jeweils zu grundeliegen. AllenbisaufzweiTypenliegenmehrereSinnkonstruktionenzugrunde.Ak tiveAuseinandersetzungmitMathematikundAnwendungsrelevanzlassensich nicht mit anderen Sinnkonstruktionen zu einem übergreifenden Typus zusam menfassen, da ihre Fokusse deutlich anders gelagert sind als bei den anderen Sinnkonstruktionsarten. So ist die Sinnkonstruktion Aktives Betreiben von Ma thematikexplizitaufdieTätigkeitdesMathematiktreibensausgerichtet,wohin gegen diese bei den anderen Sinnkonstruktionen bzw. Sinnkonstruktionstypen 22
Charakterisierung der Sinnkonstruktion Effizienz: Die Beschäftigung mit Mathematik bzw. das Lernen von Mathematik ist für das Individuum sinnvoll/persönlich relevant, wenn der Unterricht bzw. die eigenen Handlungen im Unterricht und bei der Auseinandersetzung mit mathematischenInhaltenvonEffizienzgeprägtist. 23 DervonKelleundKluge(1999,S.92)verwendeteSinnbegriffbeschreibtimUnterschiedzu dem,derdieserArbeitzugrundeliegt,ehersoziologischinhaltlicheAspekte.
135
7EineTypologiederSinnkonstruktion
eheralsVoraussetzungfungiert,umeineandereArtvonSinnzukonstruieren. Dementsprechend ist die aktive Auseinandersetzung mitMathematik zum Teil anderen Sinnkonstruktionen vorgeschaltet. Bei der Sinnkonstruktion Anwen dungimLebensindimGegensatzzudenanderenSinnkonstruktionsartenkon krete Anwendungsmöglichkeiten von Mathematik im Leben der Schülerinnen undSchüler zentral. Auch sie befindet sichdaher auf einer anderen Ebene als dieübrigenSinnkonstruktionsarten.ImZugedessenwerdendiesebeidenSinn konstruktionenalsGrundlagefüreigeneTypenaufgefasstundnichtmitande renSinnkonstruktionenzueinemTypusvereint. Abbildung 11 (S. 137) veranschaulicht die Verteilung der entwickelten SinnkonstruktionstypenaufdieTypologie.ImAnschlussandieKonstruktionder verschiedenen Sinnkonstruktionstypen verbleibt nun die letzte Stufe des Ty penbildungsprozesses: die Charakterisierung dieser Typen. Dies geschieht aus führlich in Kapitel8 (S.139). Zur einfacheren Veranschaulichung der Typen empfehlen Kelle und Kluge (1999, S.94) dabei die Beschreibung von Prototy pen,alsovonrealenFällen,diedieEigenschafteneinesTypusambestenreprä sentieren. Die Beschreibung von Prototypen sowohl aus Deutschland als auch Hongkong rundet entsprechend die Charakterisierung der entwickelten Typen ab. Tabelle2:
EntwickelteSinnkonstruktionstypen,Charakterisierungund zugrundeliegendeSinnkonstruktionen.
Namedes Sinnkonstruktionstypus
AktiveAuseinanderset zungmitMathematik
Anwendungsrelevanz
Charakterisierung: DieBeschäftigungmitMathematik bzw.dasLernenvonMathematikist fürdasIndividuumsinnvoll/persön lichrelevant,wenn… …esdurchdasaktiveBetreibenvon MathematikFreudeerlebenkann,die Inhalteleichterverstehtodersich damitgutaufPrüfungenvorbereiten kann. …eseineAnwendungsmöglichkeit vonMathematikimLebenerkennt, einenAllgemeinbildungsgedanken vonMathematikvertrittunddas eigeneLernenvonMathematikan handvonrealitätsbezogenenAufga benerleichtertwird.
Zugrundeliegende Sinnkonstruktions arten
AktivesBetreibenvon Mathematik
AnwendungimLeben
136 Namedes Sinnkonstruktionstypus
Effizienteundunter stützendeGestaltung vonUnterrichtsprozes sen Emotionalaffektiv geprägteEntfaltung
Erfüllunggesellschaft lichgeprägterAnforde rungen
KognitiveSelbstent wicklung
Wohlbefindendurch eigeneLeistung
7EineTypologiederSinnkonstruktion Charakterisierung: DieBeschäftigungmitMathematik bzw.dasLernenvonMathematikist fürdasIndividuumsinnvoll/persön lichrelevant,wenn… …esinseinemLernprozessdurchdie Lehrpersonunterstütztwirdundsich dabeieffizientmitmathematischen Inhaltenauseinandersetzenkann. …esdassozialeKlimainderGruppe derLernendensowiedieemotional affektiveBindungzuderLehrperson alspositiverlebtundentspanntam Mathematikunterrichtteilnehmen kann. …esdurchdieimFacherzielten LeistungenAnerkennungerfährtund durchbestandenePrüfungendie formalenVoraussetzungenfürden gewünschtenberuflichenWerdegang erfüllt. …esimLeistungswettbewerbmit seinenMitschülerinnenundMitschü lernseinekognitivenFähigkeiten entwickelnunddabeiseineEigen ständigkeitentfaltenkann.
…esWohlbefindenerlebtdurchdie WiderspiegelungdereigenenLeis tungensowohlinFormvonZensuren alsauchdurchdenLernerfolgselbst.
Zugrundeliegende Sinnkonstruktions arten
Effizienz Unterstützungdurch dieLehrperson Ausgeglichenheit Emotionalaffektive BindungandieLehr person SozialeEingebunden heiterleben Berufsvoraussetzung Pflichterfüllung PositiveAußenwir kung Prüfungen Autonomieerleben KognitiveHerausfor derung PurismusderMathe matik Selbstperfektionie rung Kompetenzerleben Zensuren
137
7EineTypologiederSinnkonstruktion
IntensitätderMathe matikbezogenheitder Sinnkonstruktion
IntensitätderIndividuumsbezogenheitderSinnkonstruktion gering (gesellschaftliche Dimension)
hoch
mittel
gering
Erfüllunggesell schaftlichgeprägter Anforderungen
mittel (schulische Dimension)
hoch (individuelle Dimension)
AktiveAuseinan dersetzungmit Mathematik
Kognitive Selbstentwicklung
Anwendungs relevanz Effizienteund unterstützende Gestaltungvon Unterrichtsprozes sen
Wohlbefinden durcheigene Leistung
Emotional affektivgeprägte Entfaltung
Abbildung11: Typologie der Sinnkonstruktion mit entwickelten Sinnkonstruk tionstypen.
8 Sinnkonstruktionstypen BeiderBildungverschiedenerSinnkonstruktionstypenhandeltessichumeine Verallgemeinerung, bei der verschiedene Sinnkonstruktionen auf einer Meta ebene zu einem Typ zusammengefasst werden. Die Sinnkonstruktionen sind einander dabei inhaltlich bzgl. bestimmter Eigenschaften ähnlich, jedoch nicht gleich. Die Charakterisierung des Gemeinsamen des Typus geschieht anhand der im Prozess der Typenbildung entwickelten Vergleichsdimensionen, Merk malskombinationen und inhaltlichen Zusammenhänge (vgl. Abschnitt7, S.220 bzw.diejeweiligenTeilabschnittediesesKapitels).SiebildetnachUdoKelleund Susann Klug (1999, S.8394) die vierte Stufe des Typenbildungsprozesses und damitseinenAbschluss. Zunächst wird eine inhaltliche Charakterisierung des jeweiligen Typus auf derMetaebenegegeben(EbenederTheorie)undeineAbgrenzungvonanderen ihminderTypologiebenachbarteTypengeliefert(vgl.Abbildung9,S.133).Im AnschlusswirdderTypusmitdenihmzugrundeliegendenSinnkonstruktionen in Verbindung gesetzt, welche ebenfalls zunächst charakterisiert und dabei beispielhaft an das Datenmaterial angeknüpft werden (Ebene der Empirie). Es wirddabeigefragt,inwieferndiebeschriebenenHandlungenoderÜberzeugun gen im Kontext des schulischen Lernens von Mathematik sowie der Beschäfti gungmitihrpersönlichrelevantfürdieinterviewtenSchülerinnenundSchüler sind.DieverschiedenenSinnkonstruktionsartensinddabeinichttrennscharf,da die einzelnen Textstellen der Interviews mit mehreren Kodierungen versehen werden konnten und somit zum Teil auch verschiedenen Sinnkonstruktionsar tenzugeordnetwerdenkönnen.DieAngabevonexemplarischenTranskriptzei len soll eine Anbindung an die ausgewerteten Daten nachvollziehbar machen. DiezugehörigenTextstellenkönnenimZusatzmaterialzudiesemBucheingese hen werden, das im Internet über die URL http://www.viewegteubner.de/ zugänglichist.SoweitmöglichwerdenbeispielhaftTextstellenausDeutschland undHongkongangeführt.EinSchaubildstelltdiewichtigstenVoraussetzungen und Auswirkungen der jeweiligen Sinnkonstruktion dar, die mit dieser in Zu sammenhang stehen. Dadurch werden die einzelnen Sinnkonstruktionen gra fisch zusammengefasst und es wird eine Verbindung zum Schritt des axialen KodierensbeiderDatenauswertunghergestellt(vgl.Abschnitt6.3,S.112). UmdieCharakterisierungderentwickeltenTypenabzurunden,werdenfür jedenSinnkonstruktionstypusPrototypenbeschrieben,alsoPersonenausdem M. Vollstedt, Sinnkonstruktion und Mathematiklernen in Deutschland und Hongkong, DOI 10.1007/978-3-8348-9915-6_8, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
140
8Sinnkonstruktionstypen
DatenmaterialbeiderLänder,diedieEigenschaftendesTypusamtreffendsten aufweisen(EbenedesIndividuums).AlleuntersuchtenSchülerinnenundSchü ler konstruieren Sinn, der verschiedenen Sinnkonstruktionen und auch typen zugeordnet werden kann. Die gewählten Prototypen weisen dabei die jeweils stärksteAusprägunginRichtungeinerbestimmtenSinnkonstruktionauf. 8.1 KognitiveSelbstentwicklung ImfolgendenAbschnittwirdderSinnkonstruktionstypKognitiveSelbstentwick lung zunächst mit den ihm zugrunde liegenden Sinnkonstruktionen in Zusam menhang gebracht. Dabei wird die inhaltliche Ähnlichkeit der Sinnkonstruktio nen durch ihre Verortung in der Typologie dargelegt (vgl.Abbildung 10 und Abbildung 11,S.133 bzw. 137). Abschließend wird der hier vorgestellte Typus von anderen, ihm in der Typologie benachbarten Typen abgegrenzt. Ab schnitt8.1.2 (S.142) beschreibt dann ausführlicher die zugrunde liegenden Sinnkonstruktionen unter Rückgriff auf die empirischen Daten und liefert eine IllustrationanhandvonPrototypen. 8.1.1 CharakterisierungundAbgrenzungdesTypus DerSinnkonstruktionstypKognitiveSelbstentwicklungumfasstSinnkonstruktio nen, die den Schwerpunkt auf die Entwicklung des Individuums legen und die dabeianmathematischenInhaltenorientiertsind:Autonomieerleben,Kogniti veHerausforderung,PurismusderMathematikundSelbstperfektionierung.Die BezogenheitaufdieMathematikistbeidenSinnkonstruktionenunterschiedlich starkausgeprägt. Die SinnkonstruktionAutonomie erleben ist hinsichtlich ihrer Bezogenheit aufdieMathematikvonderAuseinandersetzungmitmathematischenInhalten geprägt.DasErlebenvonAutonomieistfürdieSchülerinnenundSchüleretwa beiderWahleinerStrategiederAufgabenbearbeitungrelevantoderoffenbart sichindemWunsch,selbstentscheidenzukönnen,welcheAufgabenbearbeitet werden sollen. Es besteht also ein direkter Bezug auf mathematische Inhalte. DieAuseinandersetzungmitdiesenThemenfindetüberwiegendimMathema tikunterricht statt, jedoch steht bei der Sinnkonstruktion Autonomie erleben eine persönliche Eigenschaft des Individuums selbst im Vordergrund: das Be dürfnis nach Selbstbestimmtheit der eigenen Handlungen (vgl. dazu auch das psychologische Grundbedürfnis nach Autonomie (Deci & Ryan, 1992; Ryan & Deci,2002)).AlsBezugsrichtungwähleichdaherdieindividuelleDimensionund
8.1KognitiveSelbstentwicklung
141
verortedieSinnkonstruktionimFeldderGruppe3,hoheMathematikbezogen heitundhoheIndividuumsbezogenheit(vgl.Abbildung9,S.133). DieSinnkonstruktionKognitiveHerausforderungstehtineinemengenZu sammenhangmitmathematischenInhalten,dadiezugrundeliegendeHeraus forderungindemBestrebenliegt,schwierigeAufgabenzubewältigen.DasIndi viduumistdabeiprimäraufsichselbstbezogen,daessichherausfordernmöch tebzw.vonanderenherausgefordertwerdenwill.IchordnedieSinnkonstrukti on Kognitive Herausforderung entsprechend im Feld der Gruppe6, hohe Ma thematikbezogenheit und hohe Individuumsbezogenheit, ein (vgl. Abbildung 9, S.133). MathematischeInhaltestehenbeiderSinnkonstruktionPurismusderMa thematikzentralimFokus,dabestimmteEigenschaftderMathematik,mathe matische Teilgebiete oder spezielle Inhalte thematisiert werden. Durch den Ausdruck einer emotionalen Bezogenheit der Lernenden zur Mathematik liegt zudem eine hohe Individuumsbezogenheit vor, so dass die Sinnkonstruktion dem Feld der Gruppe3, hohe Mathematikbezogenheit und hohe Individuums bezogenheit,zugeordnetwird(vgl.Abbildung9,S.133). BeiderSinnkonstruktionSelbstperfektionierungwirddasZielverfolgt,sich selbst durch die Auseinandersetzung mit Mathematik zu perfektionieren. Ma thematikwirddabeialsMittelzumZweckgebraucht,sodasslediglicheinemitt lereBezogenheitaufMathematikvorliegt,obgleichauchhierkonkretemathe matischeTätigkeiten(z.B.logischdenken)benanntwerdenkönnen.Einehohe Individuumsbezogenheit ist offensichtlich, dadurch dass das Individuum durch dieBeschäftigungmitMathematikpersönlicheEigenschaftenverbessernmöch te.EntsprechendwirddieSinnkonstruktionimFeldderGruppe6,mittlereMa thematikbezogenheit und hohe Individuumsbezogenheit, verortet (vgl. Abbil dung9,S.133). DerSinnkonstruktionstypKognitiveSelbstentwicklungerstrecktsichinder Typologie über die Felder der Gruppen3 und 6, wobei das der Gruppe3 voll ständig,dasderGruppe6nurzumTeilabgedecktwird.DerTypvereinigtsomit eine hohe bzw. zum Teil mittlere Ausprägung hinsichtlich des Merkmals der Mathematikbezogenheit sowie eine hohe Ausprägung hinsichtlich des Merk malsderIndividuumsbezogenheit. DerTypKognitiveSelbstentwicklunggrenztsichvondemihminhaltlichna he stehendenTyp AktiveAuseinandersetzung mit Mathematik insofern ab, als beiletzteremprimärdieaktiveBeschäftigungmitmathematischenInhaltenum ihrer selbst Willen im Vordergrund steht, wohingegen sie bei der kognitiven Selbstentwicklung den Zweck verfolgt, das Selbst weiter zu entwickeln und zu
142
8Sinnkonstruktionstypen
perfektionieren.DerTypWohlbefindendurcheigeneLeistungverfolgtentgegen der Kognitiven Selbstentwicklung das Ziel, sich selbst als kompetent aufgrund dereigenenLeistungzuerleben.Esgehthierjedochnichtprimärumeinekog nitive Weiterentwicklung des Selbst. Die Anwendungsrelevanz schließlich ist inhaltlichnochweiterentferntvomhiercharakterisiertenSinnkonstruktionstyp, da die Mathematik instrumentalisiert wird. Dies geschieht insofern, als sie zur Erklärung von Alltagssituationen oder Aspekten aus dem Leben der Schülerin nen und Schüler dient. Dies widerspricht den Schwerpunkten der kognitiven Selbstentwicklung. 8.1.2 ZugrundeliegendeSinnkonstruktionen In den vier folgenden Abschnitten werden die Sinnkonstruktionen Autonomie erleben, Kognitive Herausforderung, Purismus der Mathematik und Selbstper fektionierung, die dem Sinnkonstruktionstyp Kognitive Selbstentwicklung zu grundeliegen,ausführlicherdargestellt.DabeiwirdkonkreteraufdieAusgestal tungderSinnkonstruktioneneingegangen.SiewirdanhandvonVerweisenauf TranskriptausschnitteausDeutschlandundHongkongillustriert,derenzugehö rigeTextstellenimZusatzmaterialzudiesemBucheingesehenwerdenkönnen, dasimInternetüberdieURLhttp://www.viewegteubner.de/zugänglichist.Die Beschreibungen enden jeweils mit einer grafischen Zusammenfassung der für die jeweilige Sinnkonstruktion wichtigen Voraussetzungen und Auswirkungen und stellen damit eine Verbindung zum Schritt des axialen Kodierens bei der Datenauswertungher. 8.1.2.1
Autonomieerleben
FürdieinterviewtenSchülerinnenundSchüleristespersönlichrelevant,wenn sie bei der Beschäftigung mit Mathematik bzw. beim Lernen von Mathematik eigenständig vorgehen können, indem sie etwa eigene Lösungswege für ma thematische Probleme erarbeiten oder ihren Lernprozess selbstbestimmt ge stalten können. Diese Sinnkonstruktion wurde aus denempirischen Daten der Studie rekonstruiert, wobei verschiedene Kategorien in diese Sinnkonstrukti onsart eingehen. Eine besonders einflussreiche ist das Autonomieerleben als eines der drei psychologischen Grundbedürfnisse der Selbstbestimmungstheo rie der Motivation nach Deci und Ryan (vgl. Deci &Ryan, 1993, Ryan &Deci, 2002).EsistTeildestheoretischenRahmensderSinnkonstruktionindieseAr beitundfungiertealssensibilisierendesKonzeptimKodierprozess.Darauskann
8.1KognitiveSelbstentwicklung
143
jedochnichtautomatischgeschlossenwerden,dassesauchzwingendalsSinn konstruktionsart rekonstruiert werden musste.24 Im Gegenteil: Es wurde– wie alle anderen Sinnkonstruktionsarten auch – sukzessive aus den Daten rekon struiert und zunächst auch anders benannt (Eigenständigkeit). Da eine klare Abgrenzung zum Konzept des Autonomieerlebens nach Deci und Ryan jedoch späternichtmöglichwar,bezeichneichdieseSinnkonstruktionsartnunimEin klangmitderSelbstbestimmungstheoriederMotivationmitAutonomieerleben. Die Eigenständigkeit, die die interviewten Schülerinnen und Schüler für ihren Lernprozess beschreiben, bezieht sich jeweils entweder auf dasBetreiben von Mathematik, auf das Lernen von Mathematik oder auf den Mathematikunter richtselbst. Beim Betreiben von Mathematik, also bei der eigenen aktiven Auseinan dersetzung mit Inhalten und Aufgaben, steht die Entwicklung von eigenen Lö sungsstrategien im Fokus. So werden bereits im Unterricht besprochene Bei spiele als Ausgangspunkt für eigene Überlegungen genommen (Lena 156157; Vincent142145)25oderaberselbstständigentwickelteLösungswegeerarbeitet (Sebastian 7681; Marcus 168169, Vincent 118120). Einige der interviewten Schülerinnen und Schüler mögen sich am liebsten mit den Inhalten beschäfti gen,wenndiesauseigenemAntriebgeschieht(Sebastian7681)–diesgiltauch allgemeinfürdasLernenvonMathematik(Vladimir239242;Vincent123126). Verschiedene Schülerinnen und Schüler lernen vorzugsweise mit Büchern zu Hause (Johanna 206208; Janice 107108); für einige ist dies sogar die dem schulischen Unterricht vorgezogene Methode. Darüber hinaus äußern andere, dass sie gern selbst die zu bearbeitenden Aufgaben und Übungen auswählen möchten (Yannick 112116; Barry 186). Vereinzelte Schülerinnen und Schüler gaben an, dass sie sich sogar selbstständig besonders herausfordernde Aufga benzumLösensuchenwürden(Johanna129130;Janice210212). Auf den Mathematikunterricht bezogen ziehen manche Schülerinnen und Schüleresvor,dieeigeneArbeitsgruppeselbstzuwählen(Yannick182187).Sie begrüßen es, wenn sie Verantwortung im Unterricht übertragen bekommen (wiez.B.diePräsentationvonLösungenvordergesamtenLerngruppe)(Mirko 24 Vgl.etwadieanderensensibilisierendenKonzeptedestheoretischenRahmens,dienichtals Sinnkonstruktionsartenrekonstruiertwerdenkonnten(sieheAbschnitt2.6,S.48). 25 Zur Illustration werden soweit möglich sowohl Beispiele aus Deutschland als auch aus Hongkong angegeben. Die Angaben vor dem Semikolon beziehen sich dabei auf Interviews ausDeutschland,diedanachaufInterviewsausHongkong.AlleNamenderPersonen,Schulen und Ortsbezeichnungen (abgesehen von (Nord) Deutschland und Hongkong) sind anonymi siert,damitkeineRückschlüsseaufdiejeweiligenPersonen,SchuleundOrtemöglichsind.
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8Sinnkonstruktionstypen
Abbildung12: KodierparadigmaderSinnkonstruktionAutonomieerleben. 8788),undwenndieseauchinihrenHändenbelassenwird.Außerdemwürde eineSchülerinmitFreudeselbstAufgabenentwickeln(Janice25),mitdenensie dann etwa Klassenkameradinnen oder kameraden herausfordern könnte. Zu dem wird derComputereinsatz26 seitens der Schülerinnenund Schüler im Ma thematikunterricht begrüßt, da er es ermöglicht, sich selbständig und entdeckenddenInhaltenzunähern(Mack7881). Abbildung 12 (S.144) veranschaulicht mögliche Voraussetzungen und AuswirkungenderSinnkonstruktionAutonomieerleben,dieimZugedesaxialen Kodierenserarbeitetwurden(vgl.Abschnitt6.3,S.112). 8.1.2.2
KognitiveHerausforderung
Kognitiv herausgefordert zu werden ist den interviewten Schülerinnen und Schülern persönlich wichtig, wenn sie Mathematik lernen bzw. sich mit ihren 26
HierbeihandeltessichnichtumdenComputeralsPräsentationsmediumderLehrperson, sondern als Medium, welches den Lernenden zugänglich ist und von ihnen genutzt wird. DurchdieeigeneArbeitamComputersindnachEinschätzungderSchülerinnenundSchüler selbständigeZugängezurMathematikundeigenemathematischeEntdeckungenmöglich.
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8.1KognitiveSelbstentwicklung
Herausfordernde Aufgaben
Wunschnachkognitiver Herausforderung
Abbildung13: Kodierparadigma der Sinnkonstruktion Kognitive Herausfor derung. Inhalten beschäftigen.Die zugehörige Sinnkonstruktion bezeichne ichentspre chend als Kognitive Herausforderung. Die Aspekte, die diese Sinnkonstruktion charakterisieren,könnenausPersönlichkeitseigenschaftendesIndividuums,aus derInteraktionmitanderenMenschenoderausPotenzialenderzubearbeiten denAufgabenerwachsen. AlseinerelevantePersönlichkeitseigenschaftkonnteEhrgeizbeidenSchü lerinnenundSchülernrekonstruiertwerden(Lena6271).ManchederLernen denbeschreibensichselbstalsehrgeizigundsehenherausforderndeAufgaben als eine Möglichkeit, ihren Ehrgeiz zu befriedigen. Zudem formulieren einige SchülerinnenundSchülerdenWunschoderdieSuchenachkognitiverHeraus forderung(Sebastian8388;Camryn3135),besondersdann,wenndieimUn terrichtbehandeltenInhalteihnennichtherausforderndgenugerscheinenoder derUnterrichtinihrenAugenzulangsamfortschreitet.Danebenwirdteilweise eine Suche nach kognitiver Herausforderung erkennbar (Johanna 126127; Ar nie 4647). Diese Suche oder der Wunsch nach kognitiven Herausforderungen gehtoftmalseinhermiteinemWettstreitderLernendenuntereinander(Johan na 129130; Janice 25). Sie sehen in den Herausforderungen die Möglichkeit, sichselbstalsleistungsstärkeralsihreMitschülerinnenundschülerzuerleben. BeiderAuseinandersetzungmitherausforderndenAufgabenzeigtsichdas Potenzial der Aufgaben für das Individuum. Sie bieten nach Einschätzung der interviewten Schülerinnen undSchülerdie Möglichkeit,die eigene Leistung zu
146
8Sinnkonstruktionstypen
verbessern(Vivian4851,Yannick93)undweckenbeivielenLernendenInteres se, sich mit den Aufgaben zu beschäftigen (Johanna 136141; Laura 176186). Durch die Beschäftigung mit den Aufgaben können die Lernenden schließlich Freude und Erfolg als Konsequenz eines gelungenen Arbeitsprozesses erleben (Lena6271;Mark7280)(vgl.zumKompetenzerlebenauchAbschnitt8.3.2.1, S.170). Abbildung 13 (S.145) veranschaulicht mögliche Voraussetzungen und AuswirkungenderSinnkonstruktionKognitiveHerausforderung,dieimZugedes axialenKodierenserarbeitetwurden(vgl.Abschnitt6.3,S.112). 8.1.2.3
PurismusderMathematik
BeiderBeschäftigungmitMathematikunddemLernenvonMathematikistden interviewten Schülerinnen und Schülern der Purismus der Mathematik, der in ihremFormalismusundihremlogischenAufbausteckt,persönlichrelevant.Die damit einhergehende Sinnkonstruktion bezeichne ich entsprechend als Puris mus der Mathematik. Es lassen sich drei verschiedene Bezugsrichtungen der Relevanz unterscheiden: Bestimmte mathematische Elemente und Eigenschaf ten der Mathematik können bedeutsam sein, da eine positive Einstellung zu ihnen besteht, oder sie den Verstehensprozess erleichtern. Zudem kann eine emotionaleBezogenheitaufdieMathematikvorliegen. ZudenEigenschaftenderMathematik,diefürdieLernendenpersönlichre levantseinkönnen,gehörenjeweilsindividuellbestimmtemathematischeTeil gebieteoderTätigkeiten(Yannick267272;Emma121122)wieetwaGeomet rieoderdasZeichnenvonGraphen.DiesewerdenmitpositivenBeschreibungen bedacht, da damit einhergehende Erfahrungen von Erfolg und Glücksgefühlen geprägtsind.AnderealspositiveingestufteEigenschaftenderMathematiksind zudemihrstrukturierterAufbau,dieNotwendigkeit,LogikbeimBetreibenvon Mathematik zu verwenden (Katharina 5356) sowie der Formalismus und die mathematischeFachsprache(Sebastian9093).BeideAspektemachendieklare Struktur der Mathematik und ihrer Tätigkeiten offensichtlich. Mathematik übt zudemaufeinigeSchülerinnenundSchülereineFaszinationaus,diesieemoti onal stark an die Mathematik bindet (Yannick 267272; William 118119). Die Emotionalität wird von den Lernenden konkreter benannt, wenn von der SchönheitderMathematiketwaimZusammenhangmitkurzenBeweisenoder Lösungsstrategiengesprochenwird(Inga7678).BestimmteEigenschaftender puristischenMathematiksindalsoGrundlagedafür,dassderbzw.dieLernende einenahezuschwärmerischeBeziehungzuihraufbaut.
8.1KognitiveSelbstentwicklung
147
Abbildung14: Kodierparadigma der Sinnkonstruktion Purismus der Ma thematik. SpezifischeEigenschaftenderMathematikhabendieFähigkeit,dassman chen Lernenden das Verstehen der Inhalte leichter fällt. Hierbei ist zunächst wichtig,dassErklärungenreininnermathematischbleibenundkeineBezügezur AlltagsweltoderanderenkontextuellenAnwendungenherstellen.Diesesindfür den Verstehensprozess dieser Schülerinnen und Schüler nicht notwendig und störensieeher(Sebastian109113;Alban327330).Geradedadurch,dassrein innermathematischagiertwird,fälltdenLernendendasVerstehenleichter(Inga 151164). Viele Schülerinnen und Schüler heben zudem hervor, dass das Ver ständnis von Mathematik insofern leicht sei, als dass nur eine geringe Anzahl von Formeln verstanden werden müsse, und der Schwerpunkt nicht im Aus wendiglernen von Fakten bestehe (Lea 249258; William 143148). Auch die
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8Sinnkonstruktionstypen
Eigenschaft,dassesinderMathematiklediglichrichtigoderfalschgebe,wurde positivhervorgehoben(Vladimir111112).DasBetreibenvonMathematikfalle mitdemsteigendenVerständnisvonInhaltenzunehmendleicht(Lena7780). Abbildung14(S.147)veranschaulichtmöglicheVoraussetzungenundAus wirkungenderSinnkonstruktionPurismusderMathematik,dieimZugedesaxi alenKodierenserarbeitetwurden(vgl.Abschnitt6.3,S.112). 8.1.2.4
Selbstperfektionierung
FürdieinterviewtenSchülerinnenundSchüleristesbeiderBeschäftigungmit Mathematik bzw. beim Lernen von Mathematik persönlich relevant, dass sie sich dabei selbst perfektionieren. Die damit einhergehende Sinnkonstruktion bezeichne ich als Selbstperfektionierung. Die Lernenden vervollkommnen sich, indemsieversuchen,ihreLeistungzuverbessernundihrenCharakterbzw.ihre persönlichenEigenschaftenweiterzuentwickeln.SiestehtinengemZusammen hang mit der Entwicklungsaufgabe Selbst (vgl. Hericks & Spörlein, 2001 bzw. Havighurst,1972undDreher&Dreher,1985).DieSinnkonstruktionbeschreibt dabeidenProzessderPerfektionierungundnichtdessenErgebnis. AufdereinenSeitestrebendieLernendenan,beimLösenvonmathemati schenAufgabenbesseroderschnellerzuwerden(Karsten172175;Toby179 180). Der Wettstreit zwischen den Mitschülerinnen und schülern erleben sie dabei als Ansporn (Yannick 298301; Toby 179180). Auf der anderen Seite ist dasStrebenderSchülerinnenundSchüleraufeineWeiterentwicklungdeseige nen Charakters bzw. ihrer persönlichen Eigenschaften gerichtet. Sie sind der Überzeugung,dassdieBeschäftigungmitMathematikihreFähigkeitlogischzu denkenübe(Karsten235241;Vincent192194).VielÜbungdurchdasBearbei tenzahlreicherAufgabenmachedabeimeisterlichundhelfe,sichdiesemZielzu nähern(Emma142145).DieletztenbeidenPunkteweisenbereitsebenfallsin RichtungLeistungssteigerung. Manche der Lernenden erleben Freude durch die kognitive Aktivität, die mitderBearbeitungvonbesondersherausforderndenoderschwierigenAufga ben einhergeht. Darüber hinaus hilft das Üben bei der Weiterentwicklung des Selbstvertrauens (Christine 218221; Emma 98100), da vormals schwierige Aufgabenalsleichterempfundenwerden.ZudemwirdeintiefesVerstehender Inhalteangestrebt(Mona144146;William177).EinigeSchülerinnenundSchü lergebenweiterhinan,fürdasLebenlernenzuwollen,indemsiedieWichtig keit von Mathematik für das lebenslange Lernen thematisieren (Johanna 276
8.1KognitiveSelbstentwicklung
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Abbildung15: Kodierparadigma der Sinnkonstruktion Selbstperfektionie rung. 281)oderkonkreteBeispielefürdieNotwendigkeitvonMathematikimspäte renLebenangeben(Johanna8391). Abbildung 15 (S.149) veranschaulicht mögliche Voraussetzungen und Auswirkungen der Sinnkonstruktion Selbstperfektionierung, die im Zuge des axialenKodierenserarbeitetwurden(vgl.Abschnitt6.3,S.112). 8.1.3 Prototypen:JohannaundVincent Für den Typus der Kognitiven Selbstentwicklung kamen jeweils zwei Personen proLandindieengereWahl:JohannaundVladimirinDeutschlandundVincent und Camryn in Hongkong. Vladimir weist viele Eigenschaften auf, die ihn für diesenTypusinteressantmachen,lässtjedochauchrelevanteAspektevermis sen(etwadenDrangnachSelbstperfektionierung)bzw.zeigtsienichtsostark
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8Sinnkonstruktionstypen
ausgeprägtwieJohanna.DaherwurdeJohannaausgesucht.VincentundCam rynausHongkongzeigenbeideallerelevantenAspekteundkönntenalsProto typenbeschriebenwerden.CamrynisteineAusnahmeschülerin,dasieMathe matikerinanderUniversitätwerdenmöchte.VincentsEinstellungenundÄuße rungen lassen sich eher auf andere Schülerinnen und Schüler übertragen, so dasserimFolgendendargestelltwird. Johanna Johanna ist Schülerin der 10.Klassenstufe des TheodorStormGymnasiums in Norddeutschland. Sie besucht den Mathematikunterricht von Frau Thomsen. JohannaisteinesehrleistungsstarkeSchülerin(166178),diesichneueInhalte problemlos selbst erschließt (82, 203207) und bereits Gelerntes auf andere Situationen übertragenund dort anwenden kann (35). Sie empfindetden Ma thematikunterricht als nicht sehr anspruchsvoll (127) und fühlt sich leicht im Unterrichtunterfordert.Sielässtihndannübersichergehenundlangweiltsich (179180). Geradeweilsieleistungsstarkist,istesJohannasehrwichtig,imMathema tikunterrichtgefordertzuwerden.Siewünschtsichdaher,selbstentscheidenzu können,welcheAufgabensieauseinerSammlungvonMöglichkeitenbearbei tenmöchte.HättesiedieWahl,würdesiesiesichfürherausforderndeAufga benentscheiden(sieheauch6469,71). […]ichwürdemichzumBeispielfreuen,alsowennwirwirklichauchmalStunden hätten, wo man denn auch selbst was machen kann, also was vielleicht auch ein bisschenanspruchsvollerist.OderdassmaneinfachmalnenZettelkriegt,jenach Interesse,so'dagibtesAufgaben,dakannstdudirwelchebesorgen',oder'daund dagibtesirgendwas,wasmitMathezutunhat'.(130)
Zudem wünscht Johanna sich, dass im Unterricht schneller gearbeitet werde und mehr Inhalte behandelt werden (98). Außerdem beklagt Johanna sich da rüber,dassindenletztenJahrenvermehrtaufleistungsschwacheSchülerinnen und Schüler Rücksicht genommen werde, die Leistungsstarken jedoch nicht entsprechendgefördertwürden. […] ich find's ein bisschen schade, […] wirklich also in den letzten Jahren ist auch immermehrRücksichtaufdiegenommenworden,diehaltnichtsoleistungsstark sind,aberdabeiwirdimmervergessen,dassesauchwelchegibt,diewirklichInte resse an diesem Fach haben. Und eswird immer mehr auf ein Mittelmaß zusam mengestampft[…].(100)
8.1KognitiveSelbstentwicklung
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Die von ihr als rückläufig wahrgenommene Förderung der leistungsstarken Schülerinnen und Schüler zeigt bei ihr starke negative Auswirkungen auf ihre Motivation,sichmitMathematikzubeschäftigen(127).DiemangelndeFörde rung und Unterstützung ihres Interesses sowie das langsame Fortkommen im InhaltmündetbeiJohannaschließlichindemVerlustderFreudebeiderAusei nandersetzungmitMathematikunddamitineinerAbwendungvomFach. Ja doch, also in den letzten Jahren hatten wir auch viele Mathelehrer, die immer gewechseltwordensindundwenn…ja,isthaltnichtsovielbeirumgekommen. Undichfinddaseigentlichziemlichschade,weilMathemireigentlichziemlichviel SpaßimmergemachthatunddasistinzwischeneigentlichnichtmehrsoderFall. (102)
Dieses traurige Fazit zieht eine ehemals interessierte und noch immer sehr leistungsstarke,wennauchunterforderteundgelangweilteSchülerin. Johanna wirkt auf der anderen Seite begeistert, wenn sie von herausfor dernden Situationen und Inhalten spricht. So löst sie gern die Weihnachtsauf gaben(212),alsofreiwilligeKnobelaufgaben,diealsHerausforderungüberdie Weihnachtsferien ausgegeben werden. Sie hat auch bereits an verschiedenen Mathematikwettbewerben teilgenommen, wie demKänguruwettbewerb (130) und der Mathenacht (212224), bei der sie sogar den ersten Platz erlangte (216).Siebeklagtsichjedochdarüber,dasseineTeilnahmeanWettbewerben eigentlichkeinenmehrinteressiereundesauchkaumAnerkennungdafürgebe. I:UndwerschlägtsichschonfreiwilligneganzeNachtmitMatheumdieOhren? (lacht) J:Ja,daskommtdannnochdazu.Zumaleshaltauchnichtirgendwie…esgibtdenn haltnichtnormaljaGlückwunsch,oderso.Esistwirklichso,dass…esweißeigent lichkeinerdavon,dersichalsonichtmitMathebeschäftigt,dassesdieseMathe nacht überhaupt an diesem Wochenende gibt, oder auch, dass sie stattfindet. Es wirdhiereigentlichnichtmehrsopopulärgemacht,wievormeinetwegendreiJah rennoch.Dawurdedaganzgroßwasdrausgemacht.(221222)
Ihr Wunsch nach Anerkennung ihrer mathematischen Leistungen wird also sowohl im Unterricht als auch bei außerunterrichtlichen Wettbewerben nicht (mehr) gewürdigt. Sie ist daher demotiviert und wendet sich enttäuscht vom Fachab. JohannasInteresseanMathematikgründetsichinderkognitivenHeraus forderung, die sie durch schwierige Aufgaben erfährt. Entsprechend mag sie auchKnobelaufgaben,dieineinenscheinbarauthentischenKontexteingebun densind:
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8Sinnkonstruktionstypen
[…]ichfinddasauchschonganzamüsant,wenndennmalsoneAufgabeausdem täglichenLebenwirklichdrinneist.Wennwirklichdajetztsteht,so'kleinerPaulhat dreiEinCentMünzenundlegtdienunalleineinDreieckzusammen.Undwiegroß istdennnundieLücke,dieerdagebauthat?'(247)
Durch den Kontext wird sie animiert, den Problemlöseprozess aufzunehmen und verschiedene Wege auszuprobieren (247). Analog zu dieser Sequenz be schreibt sie herausfordernde Situationen im Mathematikunterricht, die für sie interessantsind: Wennichmichselbsthinsetzenmussundüberlegenmuss,wieichdasjetztschaffe. Erst mal nachdenken, vielleicht irgendwasganzNeues, wovon ich noch nichts ge hört habe. Ja, überlegen kann, wofür brauche ich das vielleicht auch später. Und auchZusammenhängevielleichtauchzurRealitätherstellenkann[…].(137)
Sie beschreibt Momente, in denen sie zum Denken herausgefordert wird und die mathematischen Zusammenhänge bzw. Lösungswege nicht offensichtlich sind,bzw.Situationen,indenenBezügezurRealitäthergestelltwerdenkönnen. Dabeischeintesihreherdarumzugehen,dasseineinteressanteKnobelaufga be entsteht, als dass die Bezüge zu ihrer Lebenswelt authentisch sind. Bezüge zumtäglichenLebensindihrnämlich,wiesieanderfolgendenStellesagt,we nigerwichtigundeherzurVeranschaulichunghilfreich:
I:WiewichtigistdirsoneBeziehungzumtäglichenLebenimUnterricht?
J:Ja,alsoerstmalvielleichtzumVeranschaulichen,dassmandasonenBeispielaus demLebennimmt.Ichmein,beinerPyramide,gutdaskannmansichnunentwe dervorstellenodermanweißnicht,wasdasist.Dass,dassmanvielleichtsicherst malsoeinBildmachenkannunddennzumRechnennachheristmirdaseigentlich nachhererstmalrelativeinerlei,soÜbungsaufgaben.(246247)
Johannas Wunsch nach kognitiver Herausforderung und der Bevorzugung der puristischen Mathematik geht eng einher mit ihren Assoziationen zum Wort Mathematik: Ja,Mathematik,jahalthoheMathematik,schwierigeBerechnungen,interessant,… VielleichtaucheininteressantesStudienfach,aberehereinbisschenzähvielleicht auch.Ja…Mathematiksonst?…Ja,sehrlogisch…undnachvollziehbar.(124)
Als einzig negative Einschränkung beschreibt sie, dass Mathematik auch zäh sein kann. Es bleibt hier jedoch offen, worin sich dies begründet. Abgesehen davonwirdauchandieserStellewiederdeutlich,dassfürJohannageradedie Herausforderung,dieinderMathematiksteckt,fürsieinteressantist.Zusätzlich wertetsieauchdenlogischenAufbauderMathematikunddiedarinbegründe
8.1KognitiveSelbstentwicklung
153
te Nachvollziehbarkeit als positiv. Diese Aspekte nennt sie auch als Gründe, warumihrMathematikSpaßmache: Joa,weil icheinfachSpaßdranhab,irgendwasauszurechnen,weilmanauch hin terhergenauweiß,istesrichtig,istesfalsch,washatmanfalschgemacht.Alsoich findeesistnachvollziehbar,…weilesalleslogischaufgebautist.(105)
DieAssoziationenzurMathematiktrenntsieklarvondenenzumWortMa thematikunterricht: DerUnterricht,dasunterscheidetsichdanndochschon.Isteher…janichtsoan spruchsvoll … natürlich von Themen abhängig. … Und ja … Matheunterricht, ja manchmalziemlichstockend,…indenletztenJahrenauchnichtsopositiv.(127)
Kaum wird also die Mathematik Gegenstand des Unterrichts, verliert Johanna das Interesse daran, da es ihr nicht anspruchsvoll genug ist und zu stockend vorangeht. DaJohannaspäterberuflich„gernwassoIngenieursmäßiges“(84)machen möchte und entsprechend davon ausgeht, dass Mathematik dort für sie eine zentraleRollespielenwird(86),stehtfürsieimFokus,dasssieeinefundierte mathematischeGrundbildungbekommt. I:Gibtesetwas,wasduimMathematikunterrichtbesonderswichtigfindest? J: Ja, dass uns halt viel beigebracht wird, was wir halt auch später brauchen kön nen,könnenmüssen,woraufwirhaltachtenmüssen,dasswirhaltvieldavonbe halten.[…]fürmichwär'sschonwichtig,dassichneguteGrundlagehab.Undwenn diehaltnichtgegebenist,dannmussichmirhalteinanderesStudienfachsuchen unddaswürdeichnatürlichsehrbedauern.(157158)
Sie sieht also ihre mathematische Bildung, eine Form der Selbstperfektionie rung, klar als Grundlage für einen erfolgreichen Berufseinstieg später bzw. als Grundlage für ihr bevorzugtes Studienfach (vgl. auch die Sinnkonstruktion Be rufsvoraussetzung, Abschnitt 8.7.2.1, S. 223 bzw. den Sinnkonstruktionstypus Erfüllung gesellschaftlich geprägter Anforderungen, Abschnitt 8.7, S. 220). Da sie vor kurzer Zeit ein Berufspraktikum bei einem Bauunternehmer gemacht hat, kann sie sogar direkt Situationen beschreiben, in denen sie Inhalte des Mathematikunterrichtsanwendenkonnte. Undjoa,dakonnteichmichdamithaltauchendlichmalauseinandersetzten,also wirklichdieseFormelnauchanwenden,soSinusundKosinusundhaltauchHöhen berechnen…schwierigeKonstellationenhaltvonirgendwelchenGebäuden…und das fand ich eigentlich schon ganz interessant, weil man dadurch auch eigentlich aufdieseirgendwieehereinfachenForm,diemanhaltinderSchulesobehandelt,
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8Sinnkonstruktionstypen
darausdannhalt…immersoTeilezusammensetztenkannund…dasdenn…doch durchausgebrauchenkann.(90)
Interessant an dieser Beschreibung ist, dass sie hier eine Möglichkeit erkennt, wiedieimUnterrichtbehandelteneinfachenInhalteinreellenKontextendann komplexer werden und somit an Interessebei ihr gewinnen können. Dennoch verneintsieeinepersönlicheBedeutungdesUnterrichtsthemas.DieAblehnung scheint hier jedoch daran zu liegen, dass Johanna der Formulierung „persönli che Bedeutung“ sehr großes Gewicht beimisst, es daher nicht so formulieren würdeunddaherdieFragedanachdementsprechendverneint(107112). Nö,isthalteinsvonvielenThemenundistganzinteressant,aber…nepersönliche Bedeutung…nö.Habichauchnochniedrübernachgedacht,wennichehrlichbin. (lacht)(114)
BeiJohannawirdinsgesamtoffenbar,welcheWichtigkeitSinnkonstruktio nen für den schulischen Lernprozess haben können. Für sie ist die kognitive Selbstentwicklung ganz besonders in Form von kognitiver Herausforderung beimUmgangmitMathematikVoraussetzungdafür,dassihrMathematikSpaß machtundsiesichgerndamitauseinandersetzt.WirdderSchulunterrichthin gegensogestaltet,dasssiesichunterfordertfühlt,wendetsiesichvomUnter richtabundverliertihrInteresseundihreMotivation.Hierwirdalsodeutlich, dass die fehlende Realisierbarkeit der gewünschten Sinnkonstruktion zu einer AbwendungvomFachführenkann. Vincent Vincent ist Schüler im Mathematikunterricht von MsTing am Hongkonger St. Joseph's College. Er besucht die leistungsstärkste Klasse des Jahrgangs27 und beschreibt,dassdieInhaltedesMathematikunterrichtszumTeiletwaszuein fach für ihn und seine Klassenkameradinnen und kameraden seien (19). Vin centhateinesehrpositiveEinstellungzuMathematikundzumMathematikun terricht(107110).TrotzdemantworteteraufdieFrage,warumerMathematik lerne, dass er es tue, weil es von ihm erwartet werde. Vincent erfüllt damit Anforderungen,dievonderGesellschaftanihngestelltwerden(vgl.auchden Sinnkonstruktionstyp Erfüllung gesellschaftlich geprägter Anforderungen, Ab schnitt8.7, S. 220, bzw. die Sinnkonstruktionen Pflichterfüllung, Abschnitt 8.7.2.2,S.224undPositiveAußenwirkung,Abschnitt8.7.2.3,S.225): 27 Am St. Joseph's College werden die Parallelklassen eines Jahrgangs nach Leistungsstärke gebildet.VincentbesuchtdieKlasseder40bestenSchülerinnenundSchülerseinerAltersstu fe.
8.1KognitiveSelbstentwicklung
155
Why you learn? Because I am forced to do so. (laughs) … Because in our society, mathematicsconsideredveryimportantelements.Itcantrainpeoplelogic,logical thinkingandsomethinglikethat.(192)
DarüberhinausbeschreibtVincenthiereineEinstellung,dieinHongkongweit verbreitetzuseinscheint:dieAnnahmeeinesengenZusammenhangszwischen MathematikundderFähigkeit,logischdenkenzukönnen.Damiteinhergehend ist es für ihn entsprechend wichtig, gute Leistungen in Mathematik zu erbrin gen.ErfolgeinsprachlichenFächernzeigtenhingegennur,dassmaneineemo tionalePersonsei.LeistungsstärkeinMathematikaufderanderenSeitemache einenzumschnelldenkenden,klugen(194)undanalytischenMenschen: Ifyoucan'tgetagoodgradeinmathematicsthatmeansyouarenotasmartper son.EventhoughyoucangetAinEnglishorChinese,theyarejustlanguage.They justthink'Oh,youhaveaveryemotionpersonbutyouarenotasmartperson,you cannotanalysethingsofvery…inasensitiveway,sensibleway'.(192)
Sehr gute Leistungen im Mathematikunterricht ergeben entsprechend auch einepositiveAußenwirkungunderöffnenZukunftschancen,diesichsonstnicht so leicht ergeben würden (etwa ein leichterer Zugang zum College) (194). Sie sinddaherfürVincentsehrerstrebenswertundlegendieGrundlagefürseinen DrangnachSelbstperfektionierungundkognitiverSelbstentwicklung. AufgrundderengenVerknüpfungzwischenMathematikunddemeigenen Denkvermögen ist Vincents Erklärung, dass Mathematik nicht gelernt werde, um im Leben angewendet zu werden, sonder um das Denken zu trainieren, einfachnachzuvollziehen: […] learning is important, learning mathematics is important but they [students fromHongKong,MV]don’tthinkmathematicscanhelpthemintheirdailylife… theyonlythinkthatmathematicscantrainthemtheirbrainandnothave[…]their dailylife.(25)
Entsprechend ist es Vincent auch nicht wichtig, dass Realitätsbezüge im Ma thematikunterricht thematisiert werden (239240). Sehr viel wichtiger ist es ihm, sein Ziel zu erreichen, ein A im HKCEE28, also die bestmögliche Note zu erlangen. Thenwe'llbeveryhappybecauseeveryoneknow…mathematicsinHongKongis… getahighstandardandifwecangetAthatmeanswearealreadyverygood,very goodinmathematics.(155)
28
HKCEEstehtfürHongKongCertificateofEducationExamination(vgl.Abschnitt3.3,S.80).
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8Sinnkonstruktionstypen
Entsprechend strengt Vincent sich sehr an und arbeitet hart dafür, gute Leis tungenzuerbringen(124). Die Konkurrenz und der Wettstreit unter den Klassenkameradinnen und kameraden sind sehr ausgeprägt. Vincent fasst diesen Zustand treffend und kurz zusammen: “Competition is quite … vigorous29“ (149). Er beschreibt als Illustration zum einen die Situation, dass die Schülerinnen und Schüler sofort, wenn sie Testhefte zurück bekommen, ihre Noten untereinander vergleichen (25).AufderanderenSeitecharakterisierterdurchdenklasseninternenWett streit auch den Druck und Zwang, dass die Lernenden eigene Lösungsansätze entwickelnmüssen,umausderMasseherauszustechen. […]wealldothesamething.Ifyouarenotbetterthantheotherpeopleandthen theotherpeoplewillhavegetahighmark,highermarksthanyouandyoufeellike youarealooserandyou…andtheHongKongstudentsdon'twanttobealooser and they go, they work harder, work harder, work harder. Just like this. It's a pushingforce.(145)
Für Vincent ist dies so wichtig, dass er zwar zunächst die Lösungswege seiner Lehrerin nachvollzieht (143), dann jedoch eigene Wege entwickelt, die sogar besseralsdieseinerLehrerinsind.Dannistermitsichzufrieden: Pleasedwithmyself?WhenI,IwouldsaywhenIgethighmarks.WhenIcansolve the questions … have a perfect solution. Maybe my solution is better than the teacher's.Ya,I'vegenerallysolutionsthat'sbetterthanmyteacher'sandIamvery happy.(139)
EineLösungistfürVincentdannperfekt,wennsiekürzeroderschnelleristals die von der Lehrperson vorgeschlagene (141). Dieser Eifer und Drang nach Selbstperfektionierung scheint eine für Hongkong typische Form einer starken OrientierungaufSchulleistungderLernendenzusein.DerWettstreitunterden SchülerinnenundSchülernlieferteinenGrundbausteindafür. IndieserLeistungsorientierungkannauchmitbegründetsein,dassVincent einfachereAufgaben,d.h.AufgabenvomselbenTyp,diezumEinschleifender Lösungsansätzeerarbeitetwerden,langweiligfindet: Ohifit'stooeasyI'lljustdoitveryfastandjustlikeacopyingmachineisnotfunat allbecauseyou'rejustcopying,copying,copyingthesameequationforthethou sandthtimes,forahundredtimes.(118)
29
Engl. vigorous kann übersetzt werden mit energisch, kraftvoll, lebhaft oder stark. Da Vin cents Aussprache klar ist, kann eine Verwechslung mit dem inhaltlich ebenfalls passenden rigorousausgeschlossenwerden.
8.1KognitiveSelbstentwicklung
157
SchwierigeAufgabenhingegenmachenihmgroßenSpaß,daersichzumDen kenherausgefordertfühlt,darinFreudefindetundsichdieMöglichkeitbietet, mitseinenFreunden,dieebenfallsleistungsstarksind,zusammenzuarbeiten. […]ifit'shard,IcanthinkaboutitandthroughthethinkingprocessIcanfindthe fun,whereisthefun.Thinkingislikefun.Whenweseesomehardquestion,other people,Imean,say,fourorfivepeople,peoplewhoaregoodatmathematicslike meand…VinceandIan,we'llsittogetherandthendiscussaboutthatand…and that is fun because we are thinking a lot of different solutions and we'll see if it workorifnotsowhat,howcanwedealwithit.(114)
VincentmachtdiesbesondersSpaß,dadiekreativeGruppenarbeitundgemein same Diskussionen oftmals mehrere verschiedene Lösungsansätze hervorbrin gen.Besonderswichtigistdies,wenngemeinsamProblemegelöstwerden,die zunächstscheinbarnichtlösbarwaren: Butthenifit'shardyoucanthinkaboutthat,youhavetoobserveitverycarefully. You see whether there is some solution, there is something that you didn't think aboutthat.Andifsomeonegivesyouaclue,say‘Thissideisequaltothisside’,and thenyouthinkaboutthat'Oh,thesetwoanglesareequalthen'.Usesomething,so [where/while]we'rediscussing,wehavesomething,wefindsomethingnew.And 'Wow,MsTingwantedtoprovethatequation'orjustlikePythagoras'theorem,we havetoprovethat,we'llgenerallysomethingandthen,ifitisnotworking,andwe willthinkaboutitagain.Itcanhelpustocommunicatewithourfriendsandmake thefriendshipmoredeeper.(118)
VincentstrebtnichteinealleinigeAuseinandersetzungmitdenInhaltenan,so dasseralleinaufdieLösungenkommt.DiesozialeEinbindungindieGruppeder Schülerinnen und Schüler ist ihm sehr wichtig und er schätzt besonders die Möglichkeit der gemeinsamen Diskussion von Lösungswegen (184, 248; vgl. SinnkonstruktionSozialeEingebundenheiterleben,Abschnitt8.4.2.3,S.187). VincenthatzudemjedochnocheineganzbesondereBeziehungzuheraus forderndenAufgaben.ErbegibtsichmanchmalsointensivindieLösung,dass er die Welt um sich herum vergisst und Flow erlebt (vgl. Csikszentmihalyi, 1987). Whileyouaredoingmathematicsyoujustlike,youare…yourmindisfallingtoit. Youdon'tevennoticethereissomebodyaround,ya,whileyouaredoingmathe matics.(129)
Eine solche Auseinandersetzung mit besonders herausfordernden Aufgaben machtVincentSpaß(128129).
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8Sinnkonstruktionstypen
8.2 Anwendungsrelevanz Im folgenden Abschnitt wird der Sinnkonstruktionstyp Anwendungsrelevanz zunächst mit der ihm zugrunde liegenden Sinnkonstruktion in Zusammenhang gebracht und in der Typologie verortet (vgl.Abbildung 10 und Abbildung 11, S.133 bzw. 137). Anschließend wird der hier vorgestellte Typus von anderen, ihm in der Typologie benachbarten Typen abgegrenzt. Abschnitt8.1.2 (S.142) beschreibt dann ausführlicher die zugrunde liegende Sinnkonstruktion unter Rückgriff auf die empirischen Daten und liefert eine Illustration anhand von Prototypen. 8.2.1 CharakterisierungundAbgrenzungdesTypus Der Sinnkonstruktionstyp Anwendungsrelevanz gründet sich auf die Sinn konstruktionAnwendungimLeben(vgl.Abschnitt8.2.2.1,S.159).Erbeschreibt primärdieAnwendungsmöglichkeitenvonMathematikbzw.imLebenderSchü lerinnen und Schüler oder Situationen, in denen Mathematik als Werkzeug genutztwerdenkann,unddieWeltzuerklären. DieSinnkonstruktionAnwendungimLebenverknüpftdieinnermathemati scheWeltmitderLebensweltderLernenden.DieLernendenbeschreibenSitua tionen, in denen sie Mathematik in ihrem Leben angewendet haben, und die RollederAnwendungvonMathematikinihremLeben.Esgehtihnenalsonicht direktumdieAuseinandersetzungmitderMathematikselbst,sondernumdie VerbindungvonMathematikmitdereigenenLebenswelt.Eszeigtsichalsoeine mittlereMathematikbezogenheitzusammenmiteinerhohenIndividuumsbezo genheit, so dass ich die Sinnkonstruktion Anwendung im Leben im Feld der Gruppe6verorte(vgl.Abbildung9,S.133). ObgleichmehrereSinnkonstruktionenimFeldderGruppe6verortetwur den, ist allein die Anwendung im Leben Grundlage dieses Typus. Dies liegt an der inhaltlichen Differenz der verschiedenen Sinnkonstruktionen. Die Sinn konstruktionen Kompetenz erleben und Zensuren richten sich primär an das positiveGefühl,welchessicheinstellt,wenndieLernendensichselbstalskom petentbzw.erfolgreicherleben,d.h.positiveErgebnisseihrereigenenLeistung erfahren (vgl. Abschnitt8.1, S.140). Bei der Sinnkonstruktion Selbstperfektio nierung steht die kognitive Selbstentwicklung im Vordergrund, so dass sie in dengleichnamigenTypusmiteingeht(vgl.Abschnitt8.1,S.140).DieMathema tik wird also bei den Sinnkonstruktionen im Feld der Gruppe6 auf drei sehr unterschiedlicheWeisenverwendet:zurErklärungundBeschreibungvonSitua tionenausdemLebenderSchülerinnenundSchüler,zumErlebenvonpositiven
8.2Anwendungsrelevanz
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Gefühlen die mit der eigenen Leistung und Kompetenz einher gehen und zur weiterenkognitivenEntwicklung.AufdieseWeisekommteszurbeschriebenen AuffächerungindreiverschiedeneSinnkonstruktionstypen. 8.2.2 ZugrundeliegendeSinnkonstruktion Im folgenden Abschnitt wird die Sinnkonstruktion Anwendung im Leben, die dem Sinnkonstruktionstyp Anwendungsrelevanz zugrunde liegt, ausführlicher dargestellt. Dabei wird konkreter auf die Ausgestaltung der Sinnkonstruktion eingegangen. Sie wird anhand von Verweisen auf Transkriptausschnitte aus DeutschlandundHongkongillustriert,derenzugehörigeTextstellenim Zusatz materialzudiesemBucheingesehenwerdenkönnen,dasimInternetüberdie URLhttp://www.viewegteubner.de/zugänglichist.DieBeschreibungendetmit einer grafischen Zusammenfassung der fürdie Sinnkonstruktion wichtigen Vo raussetzungenundAuswirkungenundstelltdamiteineVerbindungzumSchritt desaxialenKodierensbeiderDatenauswertungher. 8.2.2.1
AnwendungimLeben
Für die interviewten Schülerinnen und Schüler ist eine (potentielle) Anwend barkeit von Mathematik in unterschiedlichen Lebensbereichen, beim Lernen von Mathematik und bei der eigenen Auseinandersetzung mit Mathematik persönlichrelevant.DieSinnkonstruktionAnwendungimLebenstelltalsoeinen Bezug zwischen der Theorie der Mathematik und der außermathematischen Welt her. Die persönliche Relevanz lässt sich dabei auf verschiedenen Ebenen erkennen:inderReflexioneinesAllgemeinbildungsgedankens,ineinerdirekten AnwendungimeigenenLebenderSchülerinnenundSchülersowieinderHer stellungeinerVerknüpfungzuihremLernprozess. Manche Schülerinnen und Schüler messen der Mathematik eine grundle gende Bedeutung für die Gesellschaft bei (Inga 202205; Barry 160162) und vertretendieAuffassung,dassohnedieMathematikeineTeilnahmeamLeben nur eingeschränkt möglich sei. Die Mathematik sei somit für jeden Menschen notwendig(Mirko102103;Marcus201208),undinsbesondereVoraussetzung, um ein mündiger Bürger bzw. eine mündige Bürgerin (Mirko 102103; Marcus 201208)zuseinoderzuwerden. Neben diesem wenig konkreten Allgemeinbildungsgedanken verknüpfen nahezu alle interviewten Schülerinnen und Schüler die Mathematik mit ihrer realen Umwelt (Yannick 146147). Sie können Beispiele aus dem Leben an
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8Sinnkonstruktionstypen
Abbildung16: Kodierparadigma der Sinnkonstruktion Anwendung im Le ben. geben,indenensieMathematikangewendethaben(Mirko7884;William349 352).DabeigehenjedochnurwenigeBeispieleüberdasEinkaufenhinaus(Kars ten137141).VieleSchülerinnenundSchülersindentsprechendauchderÜber zeugung,dasslediglichdie Grundrechenarten und einigeweitere, wenig darü berhinausgehendebasalemathematischeFähigkeiten(z.B.Prozentrechnung) tatsächlichimLebenangewendetwerden(Ayla8186;Vincent227230).Esgibt jedochauchSchülerinnenundSchüler,dieMathematikdarüberhinausauchin anderenLebensbereichen(Lea183186;Barry160162)oderinWissenschaften (Inga 202205; Marcus 201108) erkennen und dies zum Teil mit Beispielen belegen können. Besonders häufig wird eine Beziehung zwischen Mathematik und bestimmten Berufen thematisiert (vgl. dazu auch die Sinnkonstruktion Berufsvoraussetzung, Abschnitt8.7.2.1, S. 223). Auf das Schulleben bezogen spielt die Mathematik für sie eine interdisziplinäre Rolle für andere, meist na turwissenschaftliche Unterrichtsfächer(Lea 7079;Mack6768).EinigeSchüle rinnen und Schüler gaben sogar an, dass Mathematik überall sei (Sandra 215 216;Camryn237238).LosgelöstvondieserPositionwirdzudemeinemögliche
8.2Anwendungsrelevanz
161
Anwendbarkeit von Mathematik im Leben als Legitimationsgrundlage für die Behandlung der entsprechenden Inhalte in der Schule gewertet (Ayla 8186; Janice 4142, Marcus 2226).Die letzte Ebene der persönlichen Relevanz der AnwendungenbeziehtsichaufdenLernprozessderSchülerinnenundSchüler. EineVerknüpfungmitAnwendungsbeispielenmachedasLernenundVerstehen derInhalteleichter(Lea119130;Emma135140)undweckepersönlichesInte resse (Lea 119130; Danny 102104). Dadurch angespornt würden sie sich mit den Inhalten vertieft auseinandersetzen. Die Aufgaben seien darüber hinaus durch einen Anwendungsbezug nicht so künstlich wie Aufgaben ohne einen solchenBezugzumrealenLeben(Tobias232248;Arnie88).MancheLernende gabenweiterhinan,dasssiesichmehranstrengenwürden,wenneineAufgabe einenAnwendungsbezughabe(Christine184187;Toby206210). Abbildung 16 (S.160) veranschaulicht mögliche Voraussetzungen und Auswirkungen der Sinnkonstruktion Anwendung im Leben, die im Zuge des axialenKodierenserarbeitetwurden(vgl.Abschnitt6.3,S.112). 8.2.3 Prototypen:LeaundWilliam William ist derjenige Schüler aus Hongkong, der die meisten und kreativsten AnwendungsmöglichkeitenvonMathematikimLebennenntunddamiteindeu tig als Prototyp für den Sinnkonstruktionstyp Anwendungsrelevanz hervortritt. BeidendeutschenInterviewtenkamenzweiPersoneninfrage,diesehrunter schiedliche Voraussetzungen für die Sinnkonstruktion Anwendung im Leben mitbringen.AufdereinenSeiteistesYannick:einSchüler,derseineLeistungs fähigkeitindenletztenMonatenstarkverbesserthat.ErweistderAnwendung von Mathematik eine zentrale Rolle für die Allgemeinbildung zu, findet ver schiedene Beispiele für Anwendungen von Mathematik in seinem Leben und schreibt der Anwendungsmöglichkeit eine unterstützende Funktion für den Lernprozesszu.DamitweisterallenotwendigenAspekteauf,umalsPrototyp charakterisiertzuwerden(vgl.Abschnitte8.2.1und8.2.2,S.158bzw.159).Da YannickWilliamrechtähnlichist,charakterisiereichjedochLeaanseinerStelle alszweitenPrototypen,weilsieeineandereFacettemiteinbringt.Leaisteine Schülerin, für die Anwendungsmöglichkeiten von Mathematik eine Motivation darstellen,sichweitermitdenInhaltenauseinanderzusetzen.Dabeiistihrder Aufgabenkontextsehrwichtig.DieRealitätsnähevonMathematikistGrundlage für die Genese bzw. die Aktualisierung ihres Interesses an Mathematik und stelltdamitfürsieeinPotenzialfürihreLeistungsbesserungdar.
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8Sinnkonstruktionstypen
Lea LeabesuchtdenMathematikunterrichtvonHerrnSchmidtinder10.Klassedes TheodorStormGymnasiumsinNorddeutschland.SieversuchtzurzeitdesInter views,ihrenNotendurchschnittzuverbessern,dasiedasfolgendeSchuljahrin England verbringen möchte und dafür einen Zensurendurchschnitt von höchs tens2,0anstrebt. GrundsätzlichmagLeaMathematiknichtsehr,sodassauchMathematikun terrichtkeinesihrerLieblingsfächerist.Siesagt:„Ichfindeesnichtsohochinte ressant, finde es bisschen trocken mit den ganzen Zahlen immer“ (266). Ent sprechend mag sie es „überhaupt nicht“ (130), wenn nur mit Formeln umge gangenwird.Siefragtsichstattdessenwiederholt,wozudieimUnterrichtbe handeltenInhaltegebrauchtwerden: Ich meine, [dass man immer fragt], 'wozu braucht man es denn eigentlich'. Man verstehtesnichtunddanndenktmannurso…'achhördochauf,(I.lacht)wassoll ich denn damit?' Das brauche ich sowieso nur für die nächste Arbeit und fertig. (130)
Lea ist auf der Suche nach einem Nutzen von Mathematik und den im Unter richt behandelten Inhalten. Versteht sie die innermathematisch präsentierten Inhaltenicht,wendetsiesichfrustriertvonihrerpräferiertenSinnkonstruktion Anwendung im Leben ab und konstruiert stattdessen einen Hilfssinn mit der SinnkonstruktionPrüfungen(„DasbraucheichsowiesonurfürdienächsteAr beit und fertig.“). Dadurch findet sie zwar keinen Nutzen für ihr außerschuli schesLeben,jedocheinenfürihreRollealsSchülerin:diebessereChance,die kommendeKlassenarbeitzubestehenunddamitdieeigenenZensurenpositiv zubeeinflussen. DieSuchenachdemSinninFormvoneinemNutzenderMathematikdurch AnwendungimLebenistfürLeadominant.IhrInteresseandenAufgabendes UnterrichtshängenengzusammenmitdemKontext,indemsiegestelltsind.Es ist Lea sehr wichtig, dass diese Kontexte authentisch sind und einen tatsächli chenBezugzueinemLebensbereichhaben.Siestelltfest: […]nichtsodieseausderviertenKlasse,dieseTextaufgabenvonwegen'Fritzchen gehteinkaufen'undso…sowasjanichtgerade,abersowaswiegesagtmitdieser Halbwertzeitundso.(290)
Oberflächlich eingekleidete Aufgaben, die offensichtlich konstruiert sind und nichtauseinerrealenSituationentstehen,reizenLeanicht,sichweitermitden Inhalten auseinanderzusetzen. Es genügt ihr jedoch bereits, dass die im Ma thematikunterricht behandelten Inhalte in anderen Unterrichtsfächern, etwa
8.2Anwendungsrelevanz
163
der Physik, wieder thematisiert werden. Dies ist der Fall bei der Halbwertzeit, welche in der letzten von ihr besuchten Mathematikstunde behandelt wurde undetwazeitgleichauchThemaimPhysikunterrichtwar. Geht es um eine direkte Anwendung von Mathematik in Leas Leben, be schränken sich ihre Beispiele lediglich auf den Umgang mit Geld in Form von Berechnungen beim Shoppen, Einkaufen oder für das Taschengeld (148, 186). DabeiwendetsieausschließlichGrundrechenartenan,dennmehrbrauchesie imnormalenLebennicht(150).BeispielefüreineAnwendungvonMathematik inihremLeben,dieüberdiebeschriebenenSituationenhinausgehen,gibtLea nicht. Die Relevanz des Kontextes offenbart sich deutlich in Leas Einstellung zu verschiedenen mathematischen Inhalten, die im Verlauf des Interviews ange sprochenwerden.DieFragenachdemNutzenvonMathematikistdabeijedes Malzentral.LeasBeispielfürmathematischeInhalte,diefürsiekeinerleiBezug zumAlltagslebenaufweisen,istdieSinuskurve(152). WofürmanMathebraucht,alsodieseSinuskurvehabeichauchsehroftgefragtin letzterZeit…währenddesLernens,dashabeichleiderimmernochnichtrausge funden,daskonntemirbisherauchkeinerbeantworten.(186)
Es scheint ihr der authentische Kontext zu fehlen, um ihre gewünschte Sinn konstruktionvorzunehmen. SchließlichsprichtLeamehrfachüberzweiAufgabenzuExponentialfunkti onen:eineAufgabezurBerechnungdesGewichtsvonWassermelonenundeine AufgabezurBerechnungvonHalbwertzeitenverschiedenerradioaktiverStoffe. SiebewertetdiebeidenKontexte,indiedieAufgabeneingebettetsind,unter schiedlich: Und so Exponentialgleichungen halt … ja, man muss bei manchen Sachen schon denWachstumausrechnen,womannichtsogrobschätzen,sondernschonwirklich … wenn es solche Sachen wie Wassermelonen sind, dann kann man es natürlich nichteinordnen,aber…jetztmitderHalbwertszeit…vondiesenradioaktivenStof fenbrauchtmannatürlichaufjedenFall,damussmanauchgenaurechnen.Fürso waskannmanesgutgebrauchen.(186)
DieWassermelonenaufgabebeschreibtsieals„soeinereine…etwaseigentlich sinnloseTextaufgabe“(75).DerKontextscheintihrzukonstruiertzusein:„Ich setzemichnichtzuHausehinundrechnedasaus,wielangemeineWasserme lone noch braucht, um zu wachsen“ (146). Dies würde sie nicht einmal dann interessieren, wenn sie botanisch interessiert wäre (148). Die Berechnung der Halbwertzeit hingegen findet sie insofern interessant, als dass sie diese Fähig
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8Sinnkonstruktionstypen
keitimPhysikunterrichtanwendenkann(7779)unddahereinenNutzendarin erkennt:„UndichfanddieAufgabeirgendwieinteressant,auchhaltweiljetzt der kleine Physikeinfluss. Dann weiß man auch wofür das gut ist“ (122). Auch spricht sie der Halbwertzeitberechnung einen Nutzen zu, da diese Fähigkeit späterberuflichvonAtomphysikerinnenoderphysikerngenutztwerde: […]sowasmitderHalbwertzeit,findeich,brauchtmanspäter,wennmanzumBei spiel Atomphysiker werden will oder so, wenn man sich das dann ausrechnet. So wasistdannwiedersinnvoll.Sowasbrauchtmandannauchnochmal.(126)
EineähnlicheArgumentationführtsiejedochfürBerufeausderPflanzenzucht nicht an. Sie selbst wird – ihrer Einschätzung nach – spezielle Mathematik in ihremBerufslebenspätereherweniggebrauchen(133). DaderKontexteinerMathematikaufgabefürLeaeinewichtigeRollespielt, istesistkaumverwunderlich,dassLeaModellierungsaufgabenwiedieRegen waldaufgabe30(Leiß,Möller&Schukajlow,2006,S.89)„sehrinteressant“(294) findet: Diefindeichechtinteressant,weildavonhatmanirgendwieauchwas…weildas behältmanauchimGedächtnisfindeich.UndWassermelonenbehalteichnichtim Gedächtnis,wievieldieinsechsTagenwachsen.Dasistmirvölligegal.Abersowas interessierteinenjaauch,sowirdesauchinteressanter…undsowasja,machtvie lenSchülern,denkeichmal,auchmehrSpaß.(294)
Modellierungsaufgaben findet Lea interessanter, „als wenn man einfach nur vierZahlenhingeknalltkriegtundinwelchemBezugsiezueinander“(298)ste hen.31 30
Die Regenwaldaufgabe stammt aus dem Projekt DISUM (Didaktische Interventionsformen für einen selbstständigkeitsorientierten aufgabengesteuerten Unterricht am Beispiel Mathe matik; nähere Informationen unter http://www.mathematik.unikassel.de/~disum/home/ home.php).SiewurdevonderInterviewerinalsBeispieleinerAufgabemiteinemlebenswelt lichen Bezug im Interview genannt. Dominik Leiß, Viktoria Möller und Stanislaw Schukajlow (2006,S.89)formulierendieAufgabefolgendermaßen:„Datäglichetwa700Quadratkilome terRegenwaldabgeholztwerdenundjederDeutscheimDurchschnitt130LiterBierimJahr trinkt, hat sich eine Bierbrauerei die im Folgenden beschriebene 'RegenwaldAktion' ausge dacht:‚DieRegenwaldAktionläuftvom01.05.bis31.07.2002.IndiesemZeitraumwirdfür jeden verkauften Kasten Bier unserer Brauerei ein Quadratkilometer Regenwald in Afrika nachhaltig geschützt.‘ Wie ist die Wirkung dieser Aktioin [sic] in Bezug auf die Regenwald Abholzungeinzuschätzen?BegründedeineAntwort.“ 31 ZurRollevonmathematischenModellierungsaufgabenbeiderSinnkonstruktionvonSchüle rinnenundSchülernsiehedieArbeitvonKatrinVorhölter(2009).
8.2Anwendungsrelevanz
165
LeahelfenauthentischeingebetteteAufgabenmiteinemBezugzurReali tätbeimVerstehenderInhalte;beireininnermathematischenInhaltentutsie sichschwerer(127128).AuchstelltsiesichdabeiwiederdieSinnfrage: Also ich finde es schon ziemlich wichtig, dass es einen Bezug zur Realität hat zur richtigen,weil…sonstkommtesmirhaltirgendwieeinbisschensinnlosvor.Und wenndanndairgendwiegesagtwird,'dasistdochbeiderundder,weilesbeian derenmathematischenSachenauchso',dannversteheichdasauchnichtsogut, weilmandasdannnichtmehrsogutimKopfhatvielleicht.UnddieseSachenbe gegnen einem im täglichen Leben, also die normalen und wenn man sich darauf bezieht,dannistesauchverständlicher…aufjedenFall.(155)
Diese „hochlogischen Sachen“ (157) der puristischen Mathematik bereiten ihr Schwierigkeiten.AufgabenmiteinemRealitätsbezugfallenihrleichter(288). Den Mathematikunterricht für Lea interessanter zu machen hieße, geeig nete Anschauungen in der Welt finden. Dies gestaltet sich jedoch nach Leas Auffassungalsschwierig: L:[…]Mathe…kannmanauchirgendwiekeinen…Anschauungsunterrichtdaraus machenimFreienwiebeiandernFächern. I:UnddasgehtmitMathenicht,oder? L:Nee,keineAhnung,Biokannmanrausgehenundsichdie…meinetwegeneinen Flussangucken,wasdasolebt,aberinMathenichtsowirklich,weilesdasjawirk lichnichtinderRealitätrichtiggibt.(286288)
EinendirektenBezugzwischenMathematikundderRealitätverneintLeaalso. LeazeigtinsgesamteinesehrausdifferenzierteEinstellungzumKontextei nerAufgabe.DiesehatstarkenEinflussdarauf,wieleichtoderschwerihreine Aufgabefällt,undobsieeinenNutzenunddamiteinenSinnindieserAufgabe unddemsieumgebendenThemengebietsieht.KannLeaeinensolchenNutzen erkennen,betiteltsiedieAufgabealssinnvoll(125126),anderenfallsalssinnlos (75,124,155). William WilliamistSchülerder9.KlassenstufedesSt.Joseph'sCollegeinHongkong.Er besuchtdenMathematikunterrichtbeiMsTing.WilliammagMathematiksehr gern (15) und empfindet im Mathematikunterricht Freude (187). Er ist sehr wissbegierigundwünschtsich,dassseineLehrerinschnellernachdemKlingel zeichenzumUnterrichtkommtundmöglichstvieleInhalteunterrichtet(187). DasInterviewmitWilliamzeichnetsichdadurchaus,dasserbeimAntwor tenlangeüberlegtunddementsprechendvielfältigeAntwortenaufdieFragen
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8Sinnkonstruktionstypen
liefert.DasInterviewdauerteinsgesamt105Minuten;alleanderenInterviews lagen etwa zwischen 30 und 45 Minuten. Ungewöhnlich knapp antwortet er jedoch auf die Frage, ob es zwischen Mathematik und dem täglichen Leben einen Zusammenhang gebe, allein mit einem “certainly“ (325). Auf Nachfrage lieferterausführlicheErklärungen,indenenMathematikimLebenthematisiert wird.WilliamgibtinsgesamtsehrvieleBeispielefüreinemöglicheVerbindung zwischenMathematikunddemLeben.ErzähltdabeivielederBeispieleledig lichauf,sodasseinewörtlicheWiedergabehiernichtnotwendigscheint,zumal diese einen angemessenen Umfang sprengen würden. Die meisten Angaben werdendaherlediglichperTranskriptionszeilezitiertundkönnenimZusatzma terial zu diesem Buch eingesehen werden, das im Internet über die URL http://www.viewegteubner.de/ zugänglich ist. Besonders prägnante oder zu sammenfassende Stellen zitiere ich hingegen wörtlich. Insgesamt lassen sich seineBeispieleinverschiedeneGruppenunterteilen: UmgangmitGeld:WiealleInterviewtennenntauchWilliamalsBeispielfür eineAnwendungvonMathematikimLebendenUmgangmitGeldbeimEinkau fen(327).ErgehtjedochüberdiebloßeNennunghinaus,indemerdiePreisan zeigenderScannerkassen(125),dasNachkontrollierenderEinkaufsquittungen undKassenzettelsowiedasLöseneinesFahrscheinsimöffentlichenPersonen nahverkehrthematisiert(125127,278,300,327). Zeit: Die Zeit ist für William ein sehr wichtiger Bereich, der im Leben mit Mathematikzutunhat.GenaueZeitbegrenzungenspieleneineRolle,wenner berechnet, wie lange er schlafen kann (129), bei Prüfungen und beim Kochen (321) sowie bei der Erstellung eines Lernplans für die nächste wichtige Ab schlussprüfung(352).HinzukommenTermineundZeitenbzw.dieReisezeitmit demBuszumgewünschtenZiel(327).AufeineranderenEbenebeschreibtWil liam Geschichte als Zeitentwicklung (327). Zusammenfassend stellt er schließ lichfest:“InmymindIthinkIusuallyuseallmathematicsandbecauseoftime. Yeah,soit's…relatedtodailylife,mathematics“(327). Berufsleben: Ein weiterer großer Bereich, den William mit Mathematik in Verbindung bringt, ist die Berufswelt (“business“). Er möchte entweder Ge schäftsmann oder Rechtsanwalt werden (358). Besonders in der Wirtschaft spieleMathematikeinesehrwichtigeRolle(129):“everythingisaboutmathe matics“ (358). Grundsätzlich sind Zahlen aus dem Berufsleben wichtig für das Leben: Everythingaboutmynumbersin…forexampleprice,jobs,isquiteimportantinlife becauseyouneedtoknow…yourbossneedtoknowhowlongdidyouhavework andyouknowthehowmuch…Icanpayyou.Soit'simportant.(321)
8.2Anwendungsrelevanz
167
Außerdem werden dort Produkte und Preise kalkuliert (321), zum Teil seien auchStatistikenundGraphen(321)wichtig.DiegeradeimUnterrichtbehandel ten Inhalte (Mittelwerte) zeigen für ihn eine potentielle Anwendungsmöglich keitimspäterenBeruf,wennUntersuchungenoderForschungsprojektedurch geführtwerden(113). Technik: Von einer Anwendung oder einem Nutzen der Mathematik im technischenBereichsprichtWilliamvergleichsweisewenig.ZweiseinerAssozia tionen zum Wort Mathematik sind Computer und Taschenrechner (129). Au ßerdem beschreibt er die Situation des Hochfahrens seines Computers sowie dieEingabeseinesPasswortesfürseinenEmailAccountalsMomente,indenen erMathematikgebrauchthabe(352). Außerschulisches Leben: In seinem außerschulischen Leben erkennt Wil liamdiverseSituationen,indenenMathematikvorkommt.Wieauchvieleande re Interviewte löst er gerne SudokuRätsel. Für ihn kommt Mathematik darin vor,daesmitZahlenzutunhabeunddaeslogischesDenkensei(129,266).Als weitere mathematikhaltige Alltagssituationen beschreibt er das Nachschlagen vonSeitenzahlenineinemWörterbuch(321),dasAbwiegenvonSüßigkeitenin manchenLäden(352)sowiedieKalkulationseinerTelefonkosten(321).Schließ lich beschreibt William Alltagssituationen, die er mathematisch modelliert: Er berechnet Volumina von Gefäßen (352), insbesondere das der Badewanne (129), und seine Gewinnwahrscheinlichkeit bei einem Kartenspiel, welches er sich zusammen mit seinen Freundinnen und Freunden überlegt hat (352). Die Spiegelungen von anderen Menschen in der Busscheibe beschäftigen ihn be sonders: […] sometimes […] I'm on the bus and I see […] outside. And I can see people in frontofme.Ilookatthewindow.[…]Ithinkthismayprobablymayrelatedtothe materialoftheglassandthe…whatI'veseeintheangle.So[…]soIwilltrythis questions,I'vethinkaboutthisquestion.Iwillmovemyheadandtrytoanswerby thewhichangleIcanseepeopleinfrontofme.(350)
Die gerade aufgezeigten vielfältigen Beispiele für eine Verbindung zwi schenMathematikunddemLebenzeigen,dassWilliamsBildvonMathematik geprägtistvonseinerEinstellung,dassMathematiküberallsei.Dahersiehter esalsnotwendigan,dassjederMenschMathematiklerne: […]everythingwetouchwe…(3sec)…Imeanwe…byusing…it'saboutmathe matics. So maybe I think all the people may know about … the important of ma thematics.(336)
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8Sinnkonstruktionstypen
Diese Einstellung zeigt sich auch im Zusammenhang seiner Überlegungen zur Thematisierung von Anwendungsbeispielen von Mathematik im Unterricht. WilliamistderAuffassung,dassesschwierigersei,diemathematischenInhalte ohneeinenAnwendungsbezugzuverstehen(344).DieskannunterUmständen schwerwiegendeFolgenhaben: Ifthereiswithoutanyapplication…maybefeelboring…(4sec)becausewhenwe feeldifficulttounderstand[…]mathematicswillnotinterestpeople.…Imeannot attract [him], not attractive. So … (5 sec) not attractive, so no one want to know learnedmathematics.Andso…maybe[…]thiswillleadtoagreatproblembecause …ifallpeopleareweakatmathematicsandtheeconomicandeverythingmaygo worse.(344)
Mathematik ohne ersichtlichen Anwendungsbezug sei schwer verständlich, uninteressant und langweilig. Die Folge sei, dass niemand Mathematik lernen wolle:WennalleMenscheninMathematikleistungsschwachseien,würdensich auchdieÖkonomieetc.verschlechtern.WerdenAnwendungsbezügehingegen imMathematikunterrichtthematisiert,istesfürWilliameinfacherzuverstehen, seine Aufmerksamkeit und sein Interesse werden geweckt (346). Dies gehe seinerEinschätzungnachauchanderenMenschenso,dennerargumentiert: Ifmorepeopleinterestedinmathematics,everythingwillgo…great,forexample inthespaceandtheexplorationsonspace.Yeah.And…andmanythingswillgo better,therowisgowillbemoreperfect.(346)
Seien also mehr Menschen an Mathematik interessiert, würde der Fortschritt vorangehen.DerThematisierungvonAnwendungsbezügenimMathematikun terricht kommt nach Williams Argumentation also eine sehr große Bedeutung zu. Sie bildet den Grundstein für eine interessierte Auseinandersetzung mit Mathematik für eine großePersonengruppe und bietetdamit die Möglichkeit, ökonomischenwieauchwissenschaftlichenAufschwungzuerreichen. DenZusammenhangzwischenMathematikundRealitätmöchteWilliamim Unterricht nicht unbedingt von der Lehrperson vorgegeben bekommen, son dernselbstentdecken.DiessteigeredieFähigkeitdeslogischenDenkens(336). Manche sehr schwierige Zusammenhänge dürfen hingegen doch vom Lehrer oder der Lehrerin gezeigt werden (338). Diese Einstellung ist jedoch nicht ty pischfürdenSinnkonstruktionstypAnwendungsrelevanz,sondernliegteher,so scheintmir,begründetinWilliamsstarkemWunschnachkognitiverHerausfor derung (vgl. die entsprechende Sinnkonstruktion Abschnitt0, S.144 bzw. den SinnkonstruktionstypKognitiveSelbstentwicklungAbschnitt8.1,S.140).
8.3WohlbefindendurcheigeneLeistung
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8.3 WohlbefindendurcheigeneLeistung Im folgenden Abschnitt wird der Sinnkonstruktionstyp Wohlbefinden durch eigene Leistung zunächst mit den ihm zugrunde liegenden Sinnkonstruktionen dargestelltundinBeziehunggesetzt.DabeiwirddieinhaltlicheÄhnlichkeitder Sinnkonstruktionen durch ihre Verortung in der Typologie dargelegt (vgl.Abbildung 10 und Abbildung 11, S.133 bzw. 137). Abschließend wird der hiervorgestellteTypusvonanderen,ihminderTypologiebenachbartenTypen abgegrenzt. Abschnitt170 (S.170) beschreibt dann ausführlicher die zugrunde liegenden Sinnkonstruktionen unter Rückgriff auf die empirischen Daten und lieferteineIllustrationanhandvonPrototypen. 8.3.1 CharakterisierungundAbgrenzungdesTypus Der Sinnkonstruktionstyp Wohlbefinden durch eigene Leistung basiert auf den Sinnkonstruktionen Kompetenz erleben und Zensuren. Der Typus richtet die Perspektive auf das individuelle Erleben von eigenen Leistungen, die sich in Zensuren und im Gefühl der Selbstwirksamkeit und des Erfolgs widerspiegeln. Es zeigt sich also eine hohe Performanzorientierung (vgl. Wild et al., 2001, S.220). Damit steht das Individuum im Zentrum. Die Mathematik wird dabei vondenLernendenbenutzt,umWohlbefindenaufgrunderbrachterLeistungen zuerleben. Kompetenz erleben, wie auch Zensuren sind Sinnkonstruktionen, die von denLernendenausgehen.DieMathematikwirdvonihnenfürpositiveSelbster fahrungenundpositiveErfahrungenimVergleichmitanderengenutzt.Gerade bei der Sinnkonstruktion Zensuren geht es um die Reflexion der eigenen Leis tung. Die Lernenden beziehen sich dabei nicht auf gesellschaftlich geprägte Anforderungen (vgl. hierfür die Sinnkonstruktion Prüfungen, Abschnitt8.7.2.4, S.226), sondern setzen die erzielten Leistungen mit sich selbst, dem eigenen Ehrgeiz bzw. den sich dann bietenden beruflichen Perspektiven in Beziehung. AusdiesemGrundverorteichsowohlKompetenzerlebenalsauchZensurenim FeldderGruppe6,diedurchmittlereMathematikbezogenheitundhoheIndivi duumsbezogenheitgekennzeichnetist(vgl.Abbildung9,S.133). DerTypusWohlbefindendurcheigeneLeistunggrenztsichvondenande renamFeldderGruppe6beteiligtenSinnkonstruktionstypendurchdieQuelle desWohlbefindensab.ResultierteshierausdemErlebendereigenenPerson alskompetent,erfolgreichoderleistungsstark,gründetessichbeidenanderen imFeldderGruppe6angesiedeltenSinnkonstruktionstypendurcheineVerbin dungzumLebenderSchülerinnenundSchülerbzw.diepersönlicheWeiterent
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8Sinnkonstruktionstypen
wicklung.DerSinnkonstruktionstypWohlbefindendurcheigeneLeistunggrenzt sich zudem vom Typ Emotionalaffektiv geprägte Entfaltung dahingehend ab, dassessichbeiletzteremprimärumeinemotionalesWohlbefindenimMathe matikunterrichtundindersozialenGruppederMitschülerinnenundMitschüler handelt. 8.3.2 ZugrundeliegendeSinnkonstruktionen IndenzweifolgendenAbschnittenwerdendieSinnkonstruktionenKompetenz erleben und Zensuren, die dem Sinnkonstruktionstyp Erfüllung gesellschaftlich geprägterAnforderungenzugrundeliegen,ausführlicherdargestellt.Dabeiwird konkreteraufdieAusgestaltungderSinnkonstruktioneneingegangen.Siewird anhand von Verweisen auf Transkriptausschnitte aus Deutschland und Hong kongillustriert,derenzugehörigeTextstellenimZusatzmaterialzudiesemBuch eingesehenwerdenkönnen,dasimInternetüberdieURLhttp://www.vieweg teubner.de/ zugänglich ist. Die Beschreibungen enden jeweils mit einer grafi schen Zusammenfassung der für die jeweilige Sinnkonstruktion wichtigen Vo raussetzungen und Auswirkungen und stellen damit eine Verbindung zum SchrittdesaxialenKodierensbeiderDatenauswertungher. 8.3.2.1
Kompetenzerleben
BeimLernenvonMathematikbzw.beiderBeschäftigungmitMathematikistes fürdieinterviewtenSchülerinnenundSchülerpersönlichrelevant,sichalskom petentodererfolgreichzuerleben.DieseSinnkonstruktionwurdeausdenem pirischen Daten der Studie rekonstruiert, wobei verschiedene Kategorien in diese Sinnkonstruktionsart eingehen. Eine besonders einflussreiche ist das Kompetenzerleben als eines der drei psychologischen Grundbedürfnisse der Selbstbestimmungstheorie der Motivation nach Deci und Ryan (vgl. Deci &Ryan, 1993, Ryan &Deci, 2002). Es ist Teil des theoretischen Rahmens der Sinnkonstruktion in dieser Arbeit und fungierte als sensibilisierendes Konzept im Kodierprozess. Daraus kann jedoch nicht automatisch geschlossen werden, dassesauchzwingendalsSinnkonstruktionsartrekonstruiertwerdenmusste.32 ImGegenteil:Eswurde–wiealleanderenSinnkonstruktionsartenauch–suk zessiveausdenDatenrekonstruiertundzunächstauchandersbenannt(Erleben vonKompetenzoderErfolg).DaeineklareAbgrenzungzumKonzeptdesKom 32
Vgl.etwadieanderensensibilisierendenKonzeptedestheoretischenRahmens,dienichtals Sinnkonstruktionsartenrekonstruiertwerdenkonnten(sieheAbschnitt2.6,S.48).
8.3WohlbefindendurcheigeneLeistung
171
petenzerlebens nach Deci und Ryan jedoch nicht möglich war, bezeichne ich diese Sinnkonstruktionsart nun im Einklang mit der Selbstbestimmungstheorie der Motivation mit Kompetenz erleben. Das Erleben von Kompetenz ist dabei eine Konsequenz aus bestimmten Voraussetzungen und geht mit positiven Gefühleneinher,dieentwederauseigenenAktivitätenoderderInteraktionmit anderenSchülerinnenundSchülernresultieren. Eigene Aktivitäten als Quelle des Kompetenzerlebens beziehen sich z. B. aufdasöffentlichePräsentierendereigenenLösunganderTafel(Paul110118; William186187)oderdieaktiveTeilnahmeamUnterrichtsgesprächmiteinem relevanten Beitrag (Christine 224225). Darüber hinaus können Prozesse, die mitdemVerstehenderUnterrichtsinhalte(Johanna161162,Karsten216220; Marcus129132)undderBearbeitungvonAufgaben(Sebastian139144;Mar cus126127)zusammenhängen,UrsachedespositivenErlebenssein.Einpositi vesGefühlstelltsichbeiinterviewtenSchülerinnenundSchülernauchdannein, wenndererlebteErfolgmitdereigenenLeistunginVerbindungsteht(Johanna 209224;Alban107114).DiesistinsbesonderenachSchwierigkeiten(Inga76 78;Arnie162163)oderherausforderndenSituationen(Johanna161162;Harry 5455)derFall,oderwennderErfolgaufharterArbeitbzw.vielemÜbenbasiert (Vivian 129133; Arnie 173176). Andersherum können Kompetenz und Erfolg erlebtwerden,wennderbzw.dieLernendekeineSchwierigkeitenbeiderAus einandersetzung mit den Inhalten erlebt (Lena 126128; Emma 191192). ManchmalklärensichInhalte,wenndieMathematikineinenAnwendungskon text eingebettet oder in anderen – meist naturwissenschaftlichen – Fächern genutztwird(Inga8386).AußerdemstelltsichdaspositiveGefühldesKompe tenzerlebensetwanacheigenständigemLösenvonAufgabenein(Sandra135 136),besonders,wennsichdannherausstellt,dassdieeigeneLösungrichtigist (Inga7678,Lea188191;Toby9295). SchließlichkönnenKompetenzundErfolgaufverschiedeneArtenausder InteraktionmitanderenSchülerinnenundSchülernresultieren.WenndieSchü lerinnen und Schüler anderen helfen können und diese es durch die Hilfestel lungverstehen,erlebensichdieunterstützendenSchülerinnenundSchülerals kompetent(Mirko127128;William215216).AußerdemkanneinWettstreitin Unterrichtssituationen(Lena98101,Mirko3843;Alban199204)bzw.imZu sammenhang mit Prüfungen (Tobias 139146; Danny 175176) oder durch die TeilnahmeanöffentlichenWettbewerben(Johanna209224)zumErlebenvon Kompetenzführen.GuteNotenalsReferenzfürexterneAnerkennungdereige nenLeistungkönnenauchfürsichgenommeneinIndikatorfürdasErlebenvon KompetenzundErfolgsein.DiesistdannderFall,wennsiewiderspiegeln,wel
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8Sinnkonstruktionstypen
Abbildung17: KodierparadigmaderSinnkonstruktionKompetenzerleben. cheLeistungvollbrachtwurde,ohnedieseinBeziehungzudenMitschülerinnen undschülernzusetzen(Lea198201;Danny137138). Abbildung17(S.172)veranschaulichtmöglicheVoraussetzungenundAus wirkungen der Sinnkonstruktion Kompetenz erleben, die im Zuge des axialen Kodierenserarbeitetwurden(vgl.Abschnitt6.3,S.112). 8.3.2.2
Zensuren
BeimLernenvonMathematikbzw.beiderBeschäftigungmitMathematikistes fürdieinterviewtenSchülerinnenundSchülerpersönlichrelevant,guteNoten zuerlangen.DieseSinnkonstruktionwirdmitdemBegriffZensurenbezeichnet. DasErreichenderalssubjektivgutgewertetenNotenimmtbeideninterview tenSchülerinnenundSchülernunterschiedlicheRollenein,sodassverschiede neZieledamitverfolgtwerden. DerwichtigsteAspektist,dassdasErlangenvongutenZensurendurchden eigenen Ehrgeiz angespornt wird bzw. dazu dient, dem selbst gesetzten An
8.3WohlbefindendurcheigeneLeistung
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Abbildung18: KodierparadigmaderSinnkonstruktionZensuren. spruch gerecht zu werden (Tobias 116123). Dabei kann es das Ziel sein, den bisherigenLeistungsstandzuerhalten(Mirko156157)oderzuverbessern(Lea 164169;Camryn234235).EskönnenexterneAnreizelocken,wiedieTeilnah me am Sportwettkampf, den die Eltern nur bei bestimmten Schulleistungen erlauben(Christine156169),oderdiesehrgutenAbschlussleistungenderGe schwister, die es nun ebenfalls zu erreichen gilt (Toby 98102). Ein möglichst positives Notenbild wird dabei allgemein als erstrebenswert angesehen (Lea 213218;Vincent170177). DieNotengebungwirdselteninFragegestelltsondernalsReflexiondesei genenLeistungsstandesakzeptiert(Lea98102)bzw.gewünscht(Inga127128). ZensurenermöglichensomitdenSchülerinnenundSchülerneineAbschätzung, ob die im Unterricht behandelten Inhalte verstanden wurden (Mirko 6163; Harry132133). GuteZensurenwerdenaußerdemalswichtigfürdenweiterenschulischen BildungsgangunddieberuflicheZukunfteingeschätzt(Barry98106,Janice220 222, Toby 98106; vgl. Sinnkonstruktion Prüfungen, Abschnitt8.7.2.4, S.226 und Berufsvoraussetzung, Abschnitt8.7.2.1, S.223). So hängt in Hongkong die
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8Sinnkonstruktionstypen
Wahl der Profilfächer und die Dauer des weiteren Schulbesuchs von den Leis tungenindenAbschlussexaminaab(vgl.Abschnitt3.3,S.78).InbeidenLändern kann die Aufnahme der gewünschten Berufsausbildung (Mona 121127) bzw. des gewünschten Studiums von dem Durchschnitt der Abschlussprüfung bzw. guten Mathematikleistungen abhängen (Inga 109118, Lea 213218, Yannick 226230). Gute Noten haben folglich Einfluss auf die weitere Zukunft (Mack 105106). DadieZensurenoffenbarvonvielenSchülerinnenundSchülernmitderei genenLeistungsfähigkeitinVerbindunggebrachtwerden,bietensieeineMög lichkeit,sichselbstalskompetentzuerleben(vgl.dazuSinnkonstruktionKom petenzerleben,Abschnitt8.3.2.1,S.170).SiehabenalsoInteresseamErreichen vongutenNoten(Katharina3842)undbringendiesemitpositivenGefühlenin Verbindung(Katharina113116,Lea198202,Mirko127128;Barry5657,Jody 271272). Abbildung18(S.173)veranschaulichtmöglicheVoraussetzungenundAus wirkungen der Sinnkonstruktion Zensuren, die im Zuge des axialen Kodierens erarbeitetwurden(vgl.Abschnitt6.3,S.112). 8.3.3 Prototypen:VivianundMarcus ImdeutschenDatenmaterialerscheinenzweiSchülerinnengeeignet,alsProto typenfürdenSinnkonstruktionstypusWohlbefindendurcheigeneLeistungcha rakterisiert zu werden: Katharina und Vivian. Katharina ist, obwohl sie sich im Unterricht kaum anstrengt, eine ziemlich leistungsstarke Schülerin, die eine LeistungsbestätigungausihrengutenNotenzieht.Vivianzeichnetdarüberhin auseinausführlicheresBildvondenSinnkonstruktionenKompetenzerlebenund Zensuren,sodasssiehieralsPrototypdargestelltwird. InHongkongfieldieWahlderPrototypenzwischenDannyundMarcuszu gunsten von Marcus aus. Danny beschreibt einen engen Zusammenhang der beiden Sinnkonstruktionen Kompetenz erleben und Zensuren. Dieser zeigt sich darin, dass sein Wohlbefinden durch die eigene Leistung sich nahezu aus schließlichinderFreudeüberguteZensurengründet.Wichtigistihmindiesem Zusammenhangnoch,dassihmmitdergutenSchulleistungAnerkennungetwa vonseinemLehrerzuteilwird.DamitstehtabernichtmehrprimärdasIndividu umimZentrum,sondernderFokusderSinnkonstruktionenschwenktdamitin Richtung einer Erfüllung gesellschaftlich geprägter Anforderungen (vgl. Ab schnitt8.7,S.220).DiesistbeiMarcusanders.Erzeigteinausdifferenzierteres BildderbeteiligtenSinnkonstruktionenalsdiesbeiDannyderFallist.Außerdem
8.3WohlbefindendurcheigeneLeistung
175
liegt der Fokus bei seinen Sinnkonstruktionen klar auf dem Individuum selbst. DiesebeidenEigenschaftenmachenihnzumgeeigneterenRepräsentantendes SinnkonstruktionstypenWohlbefindendurcheigeneLeistung. Vivian Vivian besucht den Mathematikunterricht von Frau Thomsen in der 10.Klassenstufe des TheodorStormGymnasiums in Norddeutschland. Sie ist eine recht leistungsstarke Schülerin (136139), die normalerweise Spaß am Mathematikunterricht hat und entsprechend positive Gefühle mit ihm in Zu sammenhangbringt. Ja,eigentlichhabeichSpaßamMatheunterricht.…DemnachngutesGefühl.Aber, jaauchmanchmalso'Och,keineLust',weil'slangweiligistundweil'ssolang…träg ist,immersonlangerProzess[...].(95)
NebendenpositivenaffektivenAssoziationenempfindetsiedenUnterrichtalso auch als langweilig. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn zu viel Zeit mit der KontrollevonHausaufgabenverbrachtwird,sodasskaummehrinhaltlichgear beitet werden kann. Vivian beklagt sich dabei besonders über die Rücksicht nahme auf diejenigen Schülerinnen und Schüler, die die Aufgaben nicht ge macht haben (109). In ihrer Beschwerde über die zu ausführliche Hausaufga benkontrolleklingteinfürsiewichtigerPunktan:Siebemängelt,dassimUnter richtzuvielRücksichtaufleistungsschwacheSchülerinnenundSchülergenom men wird und zu wenig Förderung der leistungsstärkerenstattfindet.Dadurch geheesauchinhaltlichzulangsamvoran. [...]eswarhaltwiederso,wieesoftist,dasswirlangeaufeinemThemarumkauen. IchhabmanchmaldasGefühl,wirkommenüberhauptnichtvoran.[...]Weilsoviel Rücksicht auf die Leute genommen wird, die … einfach sagen: 'Nö, ich kann das nicht.' [...] und weil die sich auch keine Mühe geben, so. [...] Die machen nie die Hausaufgaben,aberesgibtjedesMalwiederRücksicht.(44)
Die von Vivian beschriebene Einstellung der Mitschülerinnen und schüler är gertsie(vgl.auch27,46,8687,110113).SiewürdeihnenVerständnisentge genbringen,wennsiesichanstrengenwürden.Faulheithingegensiehtsieihnen nichtnach. Damit sich die leistungsschwächeren Mitschülerinnen und schüler an strengen,befürwortetVivianeinekonsequenteNotengebungseitensderLehr person.AnstellevonpädagogischargumentiertenZensurensollelieber„einmal knallhartneFünfgegeben“werden(98).Vivianversprichtsichdavon,dasssich die Schülerinnen und Schüler dann anstrengen und schließlich auch Erfolge
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8Sinnkonstruktionstypen
sehen würden. „Und Erfolg ist ja auch, wenn man Erfolg hat. Dann bringt das auchSpaßunddann…hatmanauchFreudeamMatheunterricht“(98).Vivian warfrüherselbsteineleistungsschwacheSchülerinundkanndahernachvollzie hen,dassihreMitschülerinnenundschülerkeineFreudeimMathematikunter richt erleben (128). Sie hat es jedoch aus eigenem Antrieb und Ehrgeiz ge schafft,sichzubessern,undstelltdiesenAnspruchnunebenfallsanihreKlas senkameradinnen und kameraden: „[…] ich weiß halt auch selber, dass es … Eigenverantwortungist,weilwürdemansichzuHausedahinsetzten,dannes ist wirklich nicht schwer“ (128). Für Vivian besteht also ein enger Zusammen hangzwischeneigenerAnstrengung,Leistung,Erfolg,undFreude,densieselbst erlebthat: Eswarwirklichso,dassicheinmalgelernthatteundaufeinmal,…dannhabichne Einsgeschrieben.Undvorhernurschlecht.Undeshießaufeinmal,'Was hastdudenngemacht?'Also,ne?Undseitdemhabicheigentlichgemerkt,alsoes kannjaaucheigentlicheintollesGefühlgeben.[…]Und…dashatmireigentlichein MalsodiesErfolgserlebnisgegeben,wasmandanachirgendwieimmerwiederha benwill,so.Womaneigentlichdenkt'Ja,esistdochganzschön.'(130)
SeitderErfahrung,dasssichAnstrengunginguterSchulleistungniederschlägt, strebt Vivian danach, diesen Erfolg erneut zu erleben. Das mit Lernerfolg und guten Noten einhergehende Wohlbefinden ist für sie der Anreiz, sich mit Ma thematik zu beschäftigen (99100). Auf die Frage, ob es noch weitere für sie gebe,antwortetsie: Nein, (lacht) also eigentlich. Also manchmal, wie gesagt, so Hausaufgaben und so mache ich auch gerne, wo ich [danach] zu Hause sitze und Spaß daran hab und dann.…Ja,mirbringtdasauchSpaßmichauchdamitauseinanderzusetzen,aberes ist halt im Endeffekt spielt’s alles auf das Erfolgserlebnis dann in der nächsten Mathestundeab.Jaalso,dassmansichdadraufdannfreut,dassmandadannsitzt und…wennmanhört,manhatdasrichtigeErgebnisbeidenHausaufgabenundso [...].(102)
Sie arbeitet also konsequent auf das Erfolgserlebnis hin, welches sie in der nächsten Mathematikstunde erhofft. Dabei ist es ihr primär wichtig, dass sie selbstweiß,dasssiedieErgebnisserichtighat.Eskommtihrwenigerdaraufan, dieses Bild auch ihrer Lehrerin und ihren Klassenkameradinnen oder kameradenzuvermitteln,auchwennessiestörenwürde,wenndiesekeinso positivesBildvonihrhätten(103104).SieistalsoauchaufdiepositiveAußen wirkung bedacht, die ihre guten Leistungen im Unterricht erreichen können. Nochwichtigeristihrjedochfürsichselbstzuwissen,dasssiedieInhaltever standenhat.DasPositiveamMathematikunterrichtistfürVivian,dasseshier–
8.3WohlbefindendurcheigeneLeistung
177
imGegensatzzudensprachlichenFächern–möglichist,Erfolgesehrdirektzu erleben.DiesseieinerderGründe,warumsieMathematiklerne: […]weilichauchfinde,MatheunterrichtsiehtmansehrstarkErfolg.Auchschnell Erfolg.AndersalsinandernFächern.InDeutschoderEnglischkannmandasnicht. Oder womöglich noch in Latein. Entweder man kann das, oder man kann's nicht. MankannnichtvorderArbeitlernen.UndMathekannmansehrschnellErfolgse henunddannbringtdasauchSpaß.(185)
EsistViviansehrwichtig,ihreWunschzensurzuerreichen(90).Sieergänzt: Obwohl ich's, das ist auch komisch, weil obwohl ich's eigentlich gar nicht brauch später.Aber,…esistschoneinfachdieses,dassichweißdassich'seigentlichkann, unddassesnurvielFaulheitist,weilichdenk,'Joa…ne?SokeineLustso.'…Und… ja,istmirabereigentlichschonsehrwichtig,doch.(90)
Vivian betitelt es als „komisch“, dass es ihr wichtig ist, ihre Wunschzensur zu erreichen, obwohl sie es später ihrer Einschätzung nach gar nicht brauchen werde.SiebekräftigtdiesanandererStelle,indemsiefeststellt,dassMathema tikimStudiumderPflegewissenschaft,ihrergewünschtenBerufsrichtung,nicht so wichtig sei: „Also vielleicht […] ein Grundstock, aber (lacht). [Also] meine MutterhatdasauchgemachtundsieistnunganzschlechtinMathe“(81). EsistVivianwichtig,ihreWunschzensurzuerlangen,dasieweiß,dasssie eigentlich die Fähigkeiten dazu mitbringt. Würde sie keine guten Noten errei chen,seiesihrerFaulheitgeschuldet.AlsweitereGründe,guteNotenerreichen zuwollen,nenntsiefolgende: Also,ganzblödgesagt,weil'seinfachblödaussieht…imZeugnis.Soich[mag/pack] das überhaupt nicht, wenn das irgendwie, überall ist es gut und so und dann ist Mathedairgendwienachher...weißichnicht,wasfürneNote[...]…Undweilman sichauchbesserfühlt.WeilmanauchmitnembesserenGefühleinfachindenMa theunterrichtgeht.(92)
Vivian missfällt es offenbar, schlechte Noten zu bekommen und ihr ist daran gelegen, ein einheitliches Notenbild vorweisen zu können. Hier zeigt sich der Wunsch nach positiver Außenwirkung (vgl. gleichnamige Sinnkonstruktion, Abschnitt8.7.2.3,S.225). Zusätzlichnennt sie einenAspekt intrinsischerMoti vation, indem sie hervorhebt, dass sie mit einem besseren Gefühl in den Ma thematikunterrichtgehe(92).HieristwiederdeutlichdasWohlbefindendurch dieeigeneLeistungimFokus,welchesdurchdenbefriedigtenEhrgeizhervorge rufenwird.
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8Sinnkonstruktionstypen
Wohlbefinden empfindet Vivian außerdem, wenn im Unterricht neue In haltebehandeltwerden,etwadieBerechnungeinerPyramidemitsechseckiger Grundfläche: […]daswarhaltwasNeues,unddasinteressiertmichdannauchunddannhabich auchwiederirgendwo,woichdenSpaßwiederimMatheunterrichtmalimUnter richt finde. Weil ich denk: Jetzt hat man auch wieder was zu tun. Jetzt kann ich auchwiederwasdadranarbeitenundso,ne.(51)
HierinteressiertVivianoffenbardieHerausforderung,dieindenihrunbekann ten Inhalten steckt. Andere Momente, in denen sie sich gut fühlt, also ein WohlbefindenaufgrundihrerLeistungerlebt,sindfolgende: […]wennwasNeuesistoderwennmanhaltauchselberschreimerkt,ja,manver steht das oder auch, wenn man selber Anderen was erklären kann, weil man das besserversteht,dannistes…ja,dannkommtdasschonmalvor.(56)
Eine andere Situation, in der sie ein Wohlbefindendurchdie eigene Leis tungzeigt,ist,wennVivianInhalteversteht.Sieistdannmitsichselbstzufrie den. Zufrieden …. bin ich, wenn ich weiß, wenn ich selber weiß, dass ich's verstanden hab […] also selber davon auch überzeugt bin. Und demnach auch … gute Noten schreiben.(123)
VivianstellthiereinenengenZusammenhangherzwischendemVerstehender InhalteunddemErreichenvongutenZensuren.Esistfürsiedabeiwichtig,die ZensurendurchdieeigeneLeistungzuerreichen. Alsoesistauchnichtsoschlimm,wennichjetztsag,'IchhabmalneViergeschrie ben.', passiert ja auch mal, und ich dann sag, 'Ja, ich weiß, ich hab's verstanden.' Danndenkichhalt,'Jagut,OK.'Ichweißaber,ichhab'sverstanden.Alsoschlimmer wär's,würdeichjetztwissenichhabneZweigeschrieben,hab'sallesvomNachbar abgeschriebenundweißaber,ichhab'süberhauptnichtverstanden,ne?(125)
NotenhabenfürVivianeinewichtigeBedeutung,diefürsieinengemZu sammenhangmitdemMathematikunterrichtsteht: I:Also,beiMathefälltdirsofortMathematikunterrichtein.WasfälltdirzuMathe matikunterrichtein? V:Ja,aufjedenFall…Noten,Zensuren.…Ja,lernen.FürdenUnterrichtaberwie dereigentlichausschließlichunddemnachwiederfürguteNoten.(8586)
8.3WohlbefindendurcheigeneLeistung
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Wenn Vivian gelernt hat, kann sie sich anschließend im Mathematikunterricht entspannen und ihn als ausgeglichene Zeit empfinden, in der sie nicht beson dersgefordertwird. Alsoichsagmal:FürmichistderUnterrichtimmertotalgemütlich,weilichdasGe fühl hab, ich hab eigentlich selten ne Stunde, wo ich mich wirklich anstrengen muss.Woichwirklichsag,'So,jetztwirstdugefordert.Jetztmusstdudichhierir gendwienbisschenanstrengen.'(86)
Einerseits stört es sie, dass sie zu wenig schnell im Unterricht fortkommen (s.o.),andererseitsjedochscheintsiedieseEntspanntheitzugenießen. FürViviansWohlbefindenisteswichtig,dieimUnterrichtbehandeltenIn haltezuverstehen.DieshängtwiederumengzusammenmitgutenNoten,wel che – so ihr Verständnis – von eigentlich allen Schülerinnen und Schülern er langt werden können, wenn sie sich genügend anstrengten. Vivian sieht sich selbstalsBeispieldafür,wiesicheifrigesLernenundAnstrengungingutenLeis tungeninderSchuleniederschlagen. Marcus Marcus besucht den Mathematikunterricht von MrNg in der 10.Klassenstufe desWahYanCollegeinHongkong.ZuMathematikundzumMathematikunter richthatereinegefühlsneutrale,manchmalpositiveEinstellung(5358,6772). ErempfindetsichnichtalssonderlichleistungsstarkundbeschreibtMomente, in denen er dem Unterricht nicht folgen kann. Er bräuchte mehr Zeit, um die Inhalte zu verstehen und die Aufgaben vollständig zu lösen (1519). Marcus befürwortet die Thematisierung von Alltagsbezügen im Mathematikunterricht, daihmnuraufdieseWeisederSinnvonMathematikklarwürde.Dannverstün deerdieInhalteleichterundarbeitetenichtwieeineMaschine(2226).Diessei Grundlagefürihn,Mathematikrichtigzuverstehen(2226,51,243244). MarcusstrebtnachdemGlücksgefühl,welcheserbeimKompetenzerleben aufgrundvoneigenerLeistungverspürt.ErerlebtdiesesWohlgefühlimUnter richt, wenn er die behandelten Inhalte versteht. Er kann sich entspannen und fühltsichausgeglichen(86).AlseineSituationausdemMathematikunterricht, inderereingutesGefühlverspürte,beschreibterfolgende: It's still about the problem whether I understand. If I understand the topic, the questions,Ifeelgoodinthelessons.(130)
Marcus ist auch mit sich zufrieden, wenn er im Unterricht eine Frage richtig beantworten kann oder Aufgaben schnell und ohne Probleme löst. Ihn durch strömtdanneinGlücksgefühl.
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8Sinnkonstruktionstypen
I:Whenareyoupleasedwithyourselfinmathematicslessons? M:WhenIcansuccessfullyanswerthequestion.IfMrNgasksmetheanswer.IfI candothequestionsquickly,withoutanydifficulties,thenIcan:Oh.Justliketoday, I understand it and I can finish the questions quickly and I will feel very pleased. (126127)
AndererseitsistesfürMarcusunangenehm,wennerdieInhalteimUnter richtnichtverstehtundProblememitdenAufgabenhat(129132).Erbeteiligt sichnichtgernmündlichamUnterricht,daerSituationenscheut,indenensei neFehleröffentlichwerdenkönnen. […] we just don't like answer the question [in class, MV]. Maybe a bit a embar rassed,ifweanswerthequestionwronglyormaybewemakeamistakeor…(29)
DasUnwohlseinbeimFehlermacheninderKlassenöffentlichkeitistdabeinicht darinbegründet,dassMrNg,seinMathematiklehrer,einenschlechtenEindruck vonihmbekommenkönnte,sondernehermiteinemSchamgefühldenanderen Mitschülerinnen und schülern gegenüber (3033). Diese Einstellung ist auf gewisse Weise eher in Hongkong als in Deutschland zu finden, da es in Hong kongfürdieLernendenvergleichsweisewenigerwichtigist,derLehrpersonein positives Bild von sich zu vermitteln als in Deutschland (vgl. dazu Ab schnitt8.7.2.3,S.225). Marcus beschreibt insbesondere zwei Aspekte, bei denen er ein Wohlbe findenaufgrundeigenerLeistungerlebenkann:beiderAuseinandersetzungmit herausforderndenAufgabenundimWettstreitmitseinenMitschülerinnenund schülern. Bei schwierigen Aufgaben versucht er eigenständig, eine Lösung zu finden,umzuergründen,oberdierichtigeLösungalleinerarbeitenkann.Auf die Frage nach seiner Bearbeitungsstrategie von schwierigen Aufgaben, die nichtdenenähnelten,diederLehrerzuvorerklärthabe,antwortetMarcus: Ifit'stheextraoneIwillthinkofitandtrytosolveitbymyself.BecauseIwantto,I wanttoknowwhetherIcandealwiththequestions.It’sthechallengingpoint,Ilike challengingquestion.Trytodoit,doit,doitandtrytosuccessfullyfixit.(169)
Gerade die Herausforderung, die in der Aufgabe steckt, weckt in Marcus viel Energie,umzurrichtigenLösungzukommen. MarcusmagherausforderndeAufgaben,wennersielösenkann.Drohter zu scheitern, verstärkt er zunächst seine Anstrengungen und wendet sich bei ausbleibendemErfolgnacheinigerZeitvondenAufgabenab. IfIcansolveit,Ilikeit.IfIcannotsolveit,juststaythere,thinkingthequestions andIstillcannotsolveit,thenIdon'tlikeitanymore.(61)
8.3WohlbefindendurcheigeneLeistung
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SeineEinstellungzuherausforderndenAufgaben ändertsich also in Abhängig keitvonseinemKompetenzerleben. Der Wettstreit der Klassenkameradinnen und kameraden ist für Marcus ein ganz besonderer Anreiz, sich mit Mathematik auseinanderzusetzen. Er be schreibt sich selbst als ein wenig arrogant und möchte das Glücksgefühl des Gewinnenserleben. I:Isthereanythingthatmakesitmoreattractiveforyoutodealwithmathematics? M:…Withsomeonecompeteswithme,havecompetition.BecausemaybeI'mthe onewho[arebeetarrogance]sometimes,thatIwanttowin,tofeelthatfeelingof winning,ofbeingawinner.Thereforeifsomeonecompeteswithme,thenIcanwin himorher,thenI'mthesuccessfulone.ThenIfeelmuchbetter.That'sthemotiva tion.That'sthemotivationformetodomathematics.(191192)
Marcus zieht seine Motivation, sich mit Mathematik zu beschäftigen also aus demWettstreitmitseinenMitschülerinnenundschülern.Kannereinmalnicht gewinnen, ist er frustriert, vergisst seinen Frust jedoch bald wieder und hofft aufeineneueMöglichkeitdesWettstreits(193194). NebendiesenSituationen,indenenMarcussichselbstalskompetentund erfolgreicherlebenkann,beschreibterMomente,indenenermitseinernicht ausreichendenLeistungkonfrontiertwird.ErempfindetdenMathematikunter richtalsschwierig,wennerAufgabennachmehrmaligemProbierennichtlösen kannunddieInhaltenichtversteht. […]maybejustdoingsomequestionsrepeatedlyandifIdonotunderstandagain,I will find it difficult for that mathematics lessons. And I think they arevery boring againandfrustrating.MaybeIhavegotsomestressafterthen.Becausemaybeaf terthetestresultsaredistributedandIthink:Oh,Ihavegotsuchabadresultand ohnotahappyinthelesson.(94)
GuteZensurensindfürMarcuswichtig.BekommtereineschlechteNote,ister unglücklich und ärgert sich über die Zeit, die er für die Vorbereitung auf die Prüfunginvestierthat. When I've just received the results, maybe I feel very unhappy because: Oh, the time I use for mathematics is useless because I didn't deal with the questions I shouldhaveknownandunderstandintheexaminations.So,butaftersometimes, whenIrelievedagain,andIwillfeelmuchbetter.(97)
Die negative Stimmung hält jedoch nicht allzu lange an und Marcus fühlt sich nacheinemkurzenMomentwiederbesser(97).
182
8Sinnkonstruktionstypen
Marcus zeigt auf verschiedene Weisen, inwiefern Zensuren und das Erle benvonKompetenzaufseinerLeistungsfähigkeitbasierenunddamitGrundlage füreinWohlbefindenimMathematikunterrichtsind,welchesihmsehrwichtig ist.BesondersdurchdenWettstreitmitanderenSchülerinnenundSchülernund dem Wunsch nach der Befriedigung seiner Arroganz bzw. seines Ehrgeizes ist Marcusmotiviert,sichmitMathematikzubeschäftigenundAufgabenzulösen. 8.4 EmotionalaffektivgeprägteEntfaltung Im folgenden Abschnitt wird der Sinnkonstruktionstyp Emotionalaffektiv ge prägteEntfaltungzunächstmitdenihmzugrundeliegendenSinnkonstruktionen in Zusammenhang gebracht. Dabei wird die inhaltliche Ähnlichkeit der Sinn konstruktionendurchihreVerortunginderTypologiedargelegt(vgl.Abbildung 10undAbbildung11,S.133bzw.137).Abschließendwirdderhiervorgestellte Typusvonanderen,ihminderTypologiebenachbartenTypenabgegrenzt.Ab schnitt8.4.2 (S.183) beschreibt dann ausführlicher die zugrunde liegenden Sinnkonstruktionen unter Rückgriff auf die empirischen Daten und liefert eine IllustrationanhandvonPrototypen. 8.4.1 CharakterisierungundAbgrenzungdesTypus Der Sinnkonstruktionstyp Emotionalaffektiv geprägte Entfaltung beschreibt Sinnkonstruktionen,diesichprimäraufsozialeProzesseimUnterrichtbeziehen: Ausgeglichenheit, Emotionalaffektive Bindung an die Lehrperson und Soziale Eingebundenheit erleben. Es geht dabei etwa um das Erleben von kognitiven Rückzugsmomenten im Unterricht, eine zwischenmenschliche und nicht fach gebundene Bindung an die Lehrperson und das Gefühl der sozialen Eingebun denheitindieGruppederSchülerinnenundSchüler. DerGradderMathematikbezogenheitistbeiderSinnkonstruktionAusge glichenheitnichteindeutig.AufdereinenSeitewerdenmathematischeInhalte als Mittel gebraucht, um einen Ausgleich zu finden. Dies spräche für eine In strumentalisierung der Mathematik. Auf der anderen Seite werden Aspekte angesprochen,indenendieLernendenselbstausgeglichenwerden.Dabeiwen densiesichnormalerweisevonmathematischenInhaltenabundbeispielsweise privater, nicht fachgebundener Kommunikation zu. Da diese Art der Entspan nungdiehäufigereist,ordneichdieSinnkonstruktionentsprechendindieReihe derer, bei denen eine geringe Mathematikbezogenheit vorliegt. Die Verortung imHinblickaufdieIndividuumsbezogenheitisteinfacher,dahierklardasIndi
8.4EmotionalaffektivgeprägteEntfaltung
183
viduum selbst im Vordergrund steht. Entsprechend ordne ich diese Sinn konstruktionindasFeldderGruppe9,hoheMathematikbezogenheitundhohe Individuumsbezogenheitein(vgl.Abbildung9,S.133). Bei der Sinnkonstruktion Emotionalaffektive Bindung an die Lehrperson steht anstelle der mathematischen Inhalte die emotionalaffektive Bindung zwischen denLernenden und der Lehrperson im Vordergrund.Es liegtalso le diglicheinegeringeMathematikbezogenheitvor.ÄhnlichwiebeiAusgeglichen heitgehtesauchhierumintrapersonaleAffektederLernenden.Esbestehteine hohe Individuumsbezogenheit. Entsprechend weise ich die Sinnkonstruktion Emotionalaffektive Bindung an die Lehrperson ebenfalls dem Feld der Grup pe9, hohe Mathematikbezogenheit und individuelle Dimension(vgl.Abbildung 9,S.133)zu. Wie die Bezeichnung Soziale Eingebundenheit erleben nahe legt, sind bei dieserSinnkonstruktionstattderMathematikeherzwischenmenschlicheInter aktionenimFokus,undzwarinsbesonderedieinderGruppederSchülerinnen und Schüler. Die Sinnkonstruktion Soziale Eingebundenheit erleben steht in engem Zusammenhang mit der Entwicklungsaufgabe Peer, bei der es darum geht, Beziehungen zu Altersgenossen beiderlei Geschlechts aufzubauen (vgl. Hericks &Spörlein, 2001, S.36 bzw. Havighurst, 1972 und Dreher &Dreher, 1985). Es zeigt sich also eine hohe Individuumsbezogenheit. Ich verorte die Sinnkonstruktion Soziale Eingebundenheit erleben infolgedessen auch wie die beiden vorangegangenen im Feld der Gruppe9, geringe Mathematikbezogen heitundindividuelleDimension(vgl.Abbildung9,S.133). Der Sinnkonstruktionstyp Emotionalaffektiv geprägte Entfaltung grenzt sichvondenTypen,dieihminhaltlichinderTypologienaheliegen,insofernab, als dass er sich im Gegensatz zu Effiziente und unterstützende Gestaltung von Unterrichtsprozessen (vgl. Abschnitt8.6, S.204) auf das Individuum fokussiert undnichtallgemeinereUnterrichtsprozesseoderdieLehrpersonindenMittel punkt rückt. Der Unterschied zum Wohlbefinden durch eigene Leistung (vgl. Abschnitt8.3, S.169) gründet sich in der unterschiedlichen Quelle des entste henden Wohlbefindens: Ein emotionales Wohlfühlen im Unterricht oder auf grund von gegebenen Sozialstrukturen steht im Gegensatz zu einem Wohlbe findenaufgrundvonLeistungundErfolgen. 8.4.2 ZugrundeliegendeSinnkonstruktionen In den drei folgenden Abschnitten werden die Sinnkonstruktionen Ausgegli chenheit,EmotionalaffektiveBindungandieLehrpersonundSozialeEingebun
184
8Sinnkonstruktionstypen
denheit erleben, die dem Sinnkonstruktionstyp Emotionalaffektiv geprägte Entfaltungzugrundeliegen,ausführlicherdargestellt.Dabeiwirdkonkreterauf die Ausgestaltung der Sinnkonstruktionen eingegangen. Sie wird anhand von VerweisenaufTranskriptausschnitteausDeutschlandundHongkongillustriert, deren zugehörige Textstellen im Zusatzmaterial zu diesem Buch eingesehen werdenkönnen,dasimInternetüberdieURLhttp://www.viewegteubner.de/ zugänglich ist. Die Beschreibungen enden jeweils mit einer grafischen Zusam menfassung der für die jeweilige Sinnkonstruktion wichtigen Voraussetzungen und Auswirkungen und stellen damit eine Verbindung zum Schritt des axialen KodierensbeiderDatenauswertungher. 8.4.2.1
Ausgeglichenheit
Für die interviewten Schülerinnen und Schüler ist es persönlich relevant, dass siebeimLernenundBetreibenvonMathematikausgeglichensindundsiedabei gewissermaßenentspannenkönnen.IndieserWeiseistesfürsiemöglich,posi tive Gefühle mit mathematischen Tätigkeiten zu verbinden. Die damit einher gehende Sinnkonstruktion bezeichne ich als Ausgeglichenheit. Die Lernenden unterscheiden dabei zwischen dem Ausgleich zu Hause und dem Ausgleich in derSchule. LernendeausbeidenLändernbeschäftigensichinihrerFreizeitzusätzlich zumschulischenPensummitmathematischenThemenundentspannen,indem siesichfreiwilligmitMathematikoderverwandtenThemenauseinandersetzen (Yannick280283;William265270).EinhäufigesBeispielistdieBeschäftigung mit Zahlenrätseln wie Sudoku, aber auch das Lesen von mathematisch oder physikalisch geprägten Fachbüchern gehört dazu. Es spiegelt sich darin das InteressederLernendenfürdieMathematikwider(Sebastian153156;Camryn 214). Die Lernenden, die Mathematik grundsätzlich interessant finden, gehen gerne in den Mathematikunterricht und blicken ihm positiv entgegen. Ihnen fällt die Beschäftigung mit mathematischen Inhalten meist nicht schwer, viel mehrwirktderUmgangmitmathematischenThemenentspannendaufsie. Ausgeglichenheit kann zudem empfunden werden, wenn große Anstren gungundFleißhintereinemSchülerbzw.einerSchülerinliegen,undderAus gleich als Belohnung folgt bzw. als solche empfunden wird (Yannick 226229). Im Mathematikunterricht selbst finden Schülerinnen und Schüler einen Aus gleich, wenn Spiele in den Unterrichtsablauf eingebunden werden (Emma 53 58),dieAuseinandersetzungmitMathematikspielerischaufgefasstwird(Toby 5657), oder wenn sie eine kognitive Pause machen dürfen (Sandra 101104;
8.4EmotionalaffektivgeprägteEntfaltung
185
Abbildung19: KodierparadigmaderSinnkonstruktionAusgeglichenheit. Barry24).Dannwerdenetwaandere,unterrichtsferneThemenbesprochen,die vondenSchülerinnenundSchülernimNebengesprächbehandeltwerden,oder die zum Teil auch selbst von der Lehrperson angeregt werden. Die Lernenden genießeneszudem,wennPhasenimUnterrichtvorkommen,indenensieselbst entscheiden können, welchen Tätigkeiten sie nachgehen wollen (vgl. Sinn konstruktion Autonomie erleben, Abschnitt8.1.2.1, S.142). Dies ist etwa dann derFall,wennsiediePflichtaufgabenfertigbearbeitethaben. Abbildung 19 (S.185) veranschaulicht mögliche Voraussetzungen und Auswirkungen der Sinnkonstruktion Ausgeglichenheit, die im Zuge des axialen Kodierenserarbeitetwurden(vgl.Abschnitt6.3,S.112). 8.4.2.2
EmotionalaffektiveBindungandieLehrperson
BeimLernenvonMathematikundbeiderBeschäftigungmitMathematikkann sich eine emotionalaffektive Bindung andie Lehrperson für Schülerinnen und Schüler als persönlich relevant erweisen. Die Sinnkonstruktion Emotional affektive Bindung an die Lehrperson beschreibt also Aspekte dieser affektiven BindungzwischenderlernendenundderlehrendenPerson.
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8Sinnkonstruktionstypen
Abbildung20: Kodierparadigma der Sinnkonstruktion Emotionalaffektive BindungandieLehrperson. Für manche Schülerinnen und Schüler ist das Lebensalter der Lehrperson ausschlaggebendesKriteriumfüreineemotionalaffektiveBindung.IstdieLehr personnochvergleichsweisejungundjugendlichinihremAuftreten(Christine 192193;Emma127128),wirddieDifferenzzwischenderLebensweltderLer nendenundderderLehrpersonalsgeringempfunden,sodasssichdieLehrper son nachAuffassungder Schülerinnen und Schüler einfacher in deren Lebens umständehineindenkenkönne.EntsprechendwürdenauchimUnterrichteher Themen behandelt werden, die für die Lernenden interessant und relevant seien(Emma127128). DieemotionalaffektiveBindungselbstentstehtprimärdurcheinepositive undfreundlicheAtmosphärezwischenderLehrpersonunddembzw.derjewei ligen Lernenden (Mona 101106; Emma 182186, Vincent 8198). Diese zeigt sichbesondersinderKommunikationundInteraktionzwischendenSchülerin nenundSchülernundderLehrperson(Lea271280;Emma127128).Gestärkt wirddiepositiveAtmosphärebesondersdurchSpäße(Mona101106;Vincent 8198),diedieLehrpersonindasUnterrichtsgescheheneinbindet.
8.4EmotionalaffektivgeprägteEntfaltung
187
SchließlichzeigtsichdieBindungnochindemRespekt,dendieSchülerin nenundSchülerderLehrpersonentgegenbringen(Toby7579),bzw.derWert schätzung,diediesefürdieLernendenhat.MangeltesanWertschätzung,kann es dazu kommen, dass sich der bzw. die Lernende so intensiv darum bemüht, dassderWunschnachWertschätzungbzw.nacheineremotionalenBindungan die Lehrperson zu einem zentralen Punkt seiner bzw. ihrer Aufmerksamkeit wird(Christine46,200205undandere). Abbildung 20 (S.186) veranschaulicht mögliche Voraussetzungen und Auswirkungen der Sinnkonstruktion Emotionalaffektive Bindung an die Lehr person,dieimZugedesaxialenKodierenserarbeitetwurden(vgl.Abschnitt6.3, S.112). 8.4.2.3
SozialeEingebundenheiterleben
BeimLernenvonMathematikundbeiderBeschäftigungmitMathematikistes für die interviewten Schülerinnen und Schüler persönlich relevant, dass sie in dieGruppederMitschülerinnenundMitschülereingebundensind.DieseSinn konstruktionwurdeausdenempirischenDatenderStudierekonstruiert,wobei verschiedene Kategorien in diese Sinnkonstruktionsart eingehen. Eine beson ders einflussreiche ist das Erleben sozialer Eingebundenheit als eines der drei psychologischen Grundbedürfnisse der Selbstbestimmungstheorie der Motiva tionnachDeciundRyan(vgl.Deci&Ryan,1993,Ryan&Deci,2002).Esgehtals Teil des theoretischen Rahmens der Sinnkonstruktion in diese Arbeit ein und fungierte als sensibilisierendes Konzept im Kodierprozess. Daraus kann jedoch nichtautomatischgeschlossenwerden,dassesauchzwingendalsSinnkonstruk tionsartrekonstruiertwerdenmusste.33ImGegenteil:Eswurde–wiealleande renSinnkonstruktionsartenauch–sukzessiveausdenDatenrekonstruiertund zunächst auch anders benannt (Sozialerleben). Da eine klare Abgrenzung zum KonzeptdesAutonomieerlebensnachDeciundRyanjedochnichtmöglichwar, bezeichne ich diese Sinnkonstruktionsart nun im Einklang mit der Selbstbes timmungstheoriederMotivationmitSozialeEingebundenheiterleben.DasErle benderEingebundenheitderSchülerinnenundSchülerbeziehtsichzumeinen aufdiesozialeInteraktionderGleichaltrigengruppe,zumanderenaufSituatio nen,indenendasmiteinanderLernenimVordergrundsteht. DiesozialeInteraktionspiegeltsichinderdirektenKommunikationundIn teraktion der Lernenden (Ayla 190202; Camryn 162168). Die Lernenden nut 33
Vgl.etwadieanderensensibilisierendenKonzeptedestheoretischenRahmens,dienichtals Sinnkonstruktionsartenrekonstruiertwerdenkonnten(sieheAbschnitt2.6,S.48).
188
8Sinnkonstruktionstypen
Abbildung21: Kodierparadigma der Sinnkonstruktion Soziale Eigebunden heiterleben. zenvieleGelegenheiten,indenensiemiteinanderinteragierenkönnen.Oftmals werdendabeiunterrichtsnaheThemenbehandelt,zumTeiljedochauchunter richtsferne Gespräche geführt. Währenddessen ist ihnen grundsätzlich eine positive und angenehme Atmosphäre wichtig (Mirko 3033; Toby 110111). Manche der Interviewten beschreiben Situationen, in denen es ihnen als Au ßenseiter bzw. Außenseiterin wichtig war, während dieser Interaktion aner kannterTeilderGruppezusein(Inga136139). InSituationen,indenendasmiteinanderLernenimVordergrundsteht,ar beiten die Lernenden oftmals und gerne mit Mitschülerinnen und schülern zusammen (Karsten 6061; Janice 241244, Mark 48). Dabei kann sogar die freundschaftlicheBindungvertieftwerden(Yannick66;Vincent118120).Eine oftmals beschrieben Situation ist, dass die Lernenden sich gegenseitig helfen (Mirko12;Emma72).SofragensieSitznachbarinnenodernachbarn,wennsie etwasnichtverstandenhaben,oderhelfen,wennsiedarumgebetenwerden. ZusätzlichwirddergemeinsameGedankenaustauschpositivgewertet(Yannick
8.4EmotionalaffektivgeprägteEntfaltung
189
52; Luke 132133). Dabei geht es nicht darum, anderen Lernenden Inhalte zu erklären, sondern gleichberechtigt Gedanken zu einem Thema auszutauschen. DieskannauchinFormvonVorrechnenanderTafelgeschehen.ZumTeilstel len sich die Lernenden dabei gegenseitig Aufgaben (Janice 2526, 183184). Manche von ihnen sind zudem der Überzeugung, dass alle Schülerinnen und SchülerdieimUnterrichtbehandeltenInhalteverstehensollen(Lena120124). Auch dies zeigt ihre Eingebundenheit in die Gruppe der Mitschülerinnen und schülerbzw.denWunschdanach. Abbildung 21 (S.188) veranschaulicht mögliche Voraussetzungen und Auswirkungen der Sinnkonstruktion Soziale Eingebundenheit erleben, die im ZugedesaxialenKodierenserarbeitetwurden(vgl.Abschnitt6.3,S.112). 8.4.3 Prototypen:YannickundToby Die beiden Prototypen, die für den Sinnkonstruktionstyp Emotionalaffektiv geprägte Entfaltung beschrieben werden, legen unterschiedliche Schwerpunk te.Yannick,einSchülerdesTheodorStormGymnasiumsausNorddeutschland, zeigt eine starke Ausprägung der Sinnkonstruktion Soziale Eingebundenheit erleben.FürihnsindInteraktioneninnerhalbderGleichaltrigengruppewichtig, wohingegen seine emotionalaffektive Bindung an seine Lehrerin, Frau Thom sen, sowie die Ausgeglichenheit im Mathematikunterricht oder durch die Be schäftigung mit Mathematik vergleichsweise wenig thematisiert werden. Im Gegensatz dazu sind für Toby, ein Schüler des Wah Yan College in Hongkong, geradediesebeidenSinnkonstruktionendominierend.ErlegtbesonderenWert aufdieguteBeziehungzuseinemLehrer,MrNg,diesichinsbesondereineiner entspannten und ausgeglichenen Atmosphäre im Klassenzimmer zeigt. Zudem findet Toby Ausgeglichenheit durch die Beschäftigung mit mathematischen InhalteninderForm,dasserdiesesalseineArtSpielbetrachtet.BeideSchwer punkte,alsoderFokusaufdasErlebensozialerEingebundenheitinDeutschland sowiedieFokussierungaufdieemotionalaffektiveBindungandieLehrperson undaufdieAusgeglichenheitinHongkong,findensichbeimehrerenSchülerin nenundSchülern der jeweiligen Länder und können alseine Art kulturspezifi schesMusterinterpretiertwerden.Diesheißtnicht,dassesdieAusprägungen nichtauchinderjeweilsanderenKulturgebenkann,34dochdiehiergenannte AusprägungscheinteinengrößerenSchwerpunktdaraufzulegen. 34
DieSinnkonstruktionEmotionalaffektiveBindungandieLehrpersonistetwabeiChristine, einerdeutschenSchülerin,dominierend.SieistdabeijedochinsoferneinSonderfall,dabeiihr derWunschnachemotionalerBindunganihrenLehrerimVordergrundist.Christinehatein
190
8Sinnkonstruktionstypen
Yannick Yannick ist Schüler der 10.Klassenstufe des TheodorStormGymnasiums im MathematikunterrichtvonFrauThomsen.Eristeinehemalsleistungsschwacher Schüler,derseineLeistungeninderletztenZeitvordemInterviewjedochbes sernkonnte.YannickhatgrundsätzlichInteresseanMathematik(160),worüber erselbstverwundertist.EntsprechendstelltereinenWiderspruchfest: Also, eigentlich interessiert mich Mathe an sich. Das ist eigentlich ein Paradoxon, weilichbinschlechtinMatheundtrotzdemisteseinsmeinerLieblingsfächer.Und vorallenDingenwerdeichdawahrscheinlichauchLeistungskursmachenmüssen, weilichgerneInformatikerwerdenmöchteunddeswegeninteressiereichmichei gentlichallgemeinfürMathe.(109)
SeinInteressefürmathematischeInhaltebegründetsichalsonebenderVorbe reitungaufseinenspäterenWunschberufineinerallgemeinenZuneigungzum Fach.AufdieFrage,warumerMathematiklerne,antworteternachlängerem Zögern: […] mm ja, weil mich das schon immer interessiert hat. Und ja weil meine Eltern dasgesagthaben,dassessehrwichtigist.Diesen,dashabeichmir,habeichdann angenommen diesen Ratschlag, das auch zu lernen. Und seitdem interessiert es michauch.Also,dashatmicheinfachüberzeugt.DeswegenlerneichMathe.(287)
InwelcherArtMathematikkonkretwichtigist,lässterjedochoffen. Wieobenbereitsangedeutet(vgl.EinleitungsabschnittvonAbschnitt8.4.3, S.189),gehtYannickvergleichsweisewenigaufdieemotionalaffektiveBindung zu seiner Lehrerin, Frau Thomsen, ein, oder darauf, inwiefern Mathematik (unterricht) mit seiner Ausgeglichenheit zusammenhängt. Zum ersten Punkt erwähnterlediglich,dassihm„netteLehrer“imUnterrichtwichtigseien(147), wobei diese Eigenschaft sich ausdifferenziert in „also sie müssen Verständnis haben,innovativsein“(147).YannickfordertdieUnterstützungderLehrerinauf seinem Weg der Leistungsbesserung ein (vgl. Sinnkonstruktion Unterstützung durchdieLehrperson,Abschnitt8.6.2.2,S.209).Somöchteaucherherausfor dernde Aufgaben bearbeiten dürfen und sich nicht in eine leistungsschwache Gruppezurückgesetztfühlen(93,112116).Daheristerenttäuscht, sehr schlechtes Verhältnis zu ihrem Mathematiklehrer, der sich oftmals über ihre Familien mitglieder bzw. ihr Leben auf dem Land lustig macht. Christine vermisst die Wertschätzung ihresLehrersundwünschtsich,eingutesVerhältniszuihmaufbauenzukönnen.Eszeigtsich, dass bei Abwesenheit einer Sinnkonstruktion der Wunsch nach dieser dominierend werden kann(vgl.Christine14,40,46,61,69,7176,9497,192193,200205,218221,224225,227 231).
8.4EmotionalaffektivgeprägteEntfaltung
191
[…]dasssie[FrauThomsen,MV]haltnichtallendieChancegibt,zuzeigen,wasin ihnensteckt.OderjadashaltnurdieGutenineineGruppekommenundsowasal les. Das finde ich naja … nicht ungerecht, aber schon ein bisschen, ja wie gesagt. DasVertrauenfehltnocheinbisschen,sodassmandasauchselberdannerschlie ßenkann.(187)
Yannickistwichtig,dassFrauThomsenmerkt,dasserdieAufgabenerfolgreich bearbeitet hat, und freut sich entsprechend über Lob und Anerkennung (218 224;vgl.SinnkonstruktionPositiveAußenwirkung,Abschnitt8.7.2.3,S.225). Die zweite eher wenig thematisierte Sinnkonstruktion, Ausgeglichenheit, sprichtYannickan,wennervondenVorzügenguterLeistungenimMathema tikunterrichtspricht: Man geht viel entspannter zur Schule. Wenn man alles gemacht hat und … kann mansichauchmalnenTagfreinehmeneinfachso.(229)
DerAusgleichdurcheinenarbeitsfreienTagfolgtalsBelohnungaufdievorher gehendeAnstrengung.EinenweiterenAusgleichfindetYannickdarüberhinaus in der Beschäftigung mit Mathematik in seiner Freizeit in Form von eigenen Programmierungen am PC oder dem Lösen von Mathematikaufgaben seiner kleinenSchwester(281283). Die dritte Sinnkonstruktion, Soziale Eingebundenheit erleben, auf der der Sinnkonstruktionstyp Emotionalaffektiv geprägte Entfaltung basiert, ist für Yannick zentral. Sie äußert sich für ihn insbesondere in einer positiven Atmo sphäreinderKlassengemeinschaft.Diesezeigtsichdarin,dassdieSchülerinnen undSchülergutaufpassen(52)undengagiertmitarbeiten(179).Siegehenfair miteinander um und lassen nach einer Gruppenarbeit dasjenige Gruppenmit gliedanderTafelvorrechnen,welchesdieAufgabemaßgeblichgelösthat: Obwohlesnichtsoaussieht[…],kommenallesupermiteinanderaus,unddas,da ist wirklich nicht so, dass hier jemand, wenn er schon abschreibt, denn lässt er trotzdemdennachvornegehen,derdasdannselbergemachthat.…Weilhäufigist dasso,wennmandannabschreibt,willman'sjadannspäterselberverstehenund nichtLobeinheimsenoderso.(187)
Ein ganz besonderer Schwerpunkt nimmt bei Yannick das von ihm so be nannte„Erfolgsprinzip'SchülerhelfenSchüler'“(147)ein.Dabeihelfensichdie Lernenden gegenseitig entweder bei konkreten Problemen in der Kleingruppe (258) oder bei Erklärungsschwierigkeiten während der Präsentationen vor der Klassengemeinschaft(66).DiesesKonzeptseiinletzterZeit„normal“(177)und wirdvonYannickals„ganztoll“bewertet(147).Vorteiledabeisindfürihn,dass die Schülerinnen und Schüler die Erklärungen ihresgleichen leicht verstehen
192
8Sinnkonstruktionstypen
(46), wie etwa Johannas Erläuterungen am Tageslichtprojektor zur Lösung der vonihrerGruppebearbeitetenAufgabe: Ja,sehrschlüssighatsiedaserklärt,findeich.Dashatmanauchgleichverstanden undsowieichdasgehörthab,[…]habenalledasauchganzgutverstandengleich. Dochdasfandicheigentlichziemlichgut.ObwohldashaltvonnerSchülerinerklärt wurde.(56)
Yannicks einschränkende„obwohl“Formulierung im letzten Satz zeigt,dass er dieErklärungenseinerLehrerindochalsverlässlichereinschätzt,alsdieseiner Mitschülerinnenundschüler.InsgesamtüberwiegtjedochseineBefürwortung fürdasKonzept'SchülerhelfenSchüler'. EinweitererpositiverAspektdiesesKonzeptssei,dassdasgegenseitigeEr klärenpositivvondenLehrerinnenundLehrernwahrgenommenwerde: […] dass man dann auch anderen Leuten das erklären kann. Das kommt dann ja auchimmergutrüber.WenndieLehreresdannmerken,dassdergutist.Eswird auchhäufigwasimLehrerzimmererzähltundso.Deswegenistesschonirgendwie wichtig.(301)
In Yannicks Schilderung spiegelt sich das Bedürfnis nach Anerkennung (vgl. Sinnkonstruktion Positive Außenwirkung, Abschnitt 8.7.2.3, S. 225) und einer emotionalenBindunganseineLehrerinnenundLehrer.ObseineBeschreibung desAustauschesderKolleginnenundKollegenimLehrerzimmerdabeiderWirk lichkeitentspricht,bleibtdahingestellt. Als letzten Aspekt nennt Yannick Vorteile der Aufgabenbearbeitung in Kleingruppen. Er hat in der zurückliegenden Mathematikstunde die gestellte AufgabezunächstmiteinemPartner„ziemlichschnellgelöst“(105)undsichim AnschlussdaranmitanderenGruppenmitgliedernausgetauscht.BeiderArbeit in der Kleingruppe werden die Schülerinnen und Schüler kreativ und suchen nacheigenenLösungswegen(179). Zusammenfassend steht für Yannick im Hinblick auf eine emotional affektiv geprägte Entfaltung im Mathematikunterricht besonders im Vorder grund,sichinderGruppederKlassenkameradinnenundkameradenaufgeho benzufühlen.Esistfürihnsehrwichtig,daraufzählenzukönnen,dasssichdie Schülerinnen und Schüler gegenseitig helfen und füreinander da sind. Diese sozialeEingebundenheitindieGruppederLernendenistfürYannickGrundvo raussetzungfürseinWohlbefindenimMathematikunterricht.
8.4EmotionalaffektivgeprägteEntfaltung
193
Toby Toby ist Schüler der 10.Klassenstufe des Wah Yan College in Hongkong und besucht dort den Mathematikunterricht bei MrNg. Toby hat eine positive Be ziehung zum Fach Mathematik, die Teil der Grundlage seines emotionalen Wohlbefindens im Mathematikunterricht ist. Sein Interesse steigt mit dem SchwierigkeitsgradderbehandeltenInhalte. IthinkmostofthequestionsinthetextbookorsomeexercisethatgivenbyMrNg isverychallengingwhenI’mdoingit.So,IlikechallengingthingsandIliketosolve problems.It’sinterestingmealot.(60)
Sein besonderes Interesse am Problemlösen ist begründet in der Möglichkeit, sich selbst als kompetent zu erleben (vgl. auch die Sinnkonstruktion Kompe tenzerleben, Abschnitt 8.3.2.1, S. 170) und den Sinnkonstruktionstyp Wohlbe findendurcheigeneLeistung,Abschnitt8.3,S.169).EmotionalesWohlergehen steht also in enger Verbindung mit der eigenen Leistung. Dabei interessieren ihnAufgabenmiteinemBezugzuseinemLebenmehralsinnermathematische AufgabenohneeinenAnwendungsbezug(207). Das Lösen mathematischer Probleme betrachtet Toby insgesamt als eine ArtSpieldennalsPflichtaufgabe: Ithinkmathematicsisakindofgamesthatissolvingsomeproblems.AndIthink doingexercisesisjustlikesolvingprobleminagame.SoIquiteenjoyit.(57)
Da Tobyoffenbar Spaß am Problemlösen hat, ist es auch nicht verwunderlich, dassergernSudokuslöstundsichjedenTagdasRätselvonseinerMutteraus der Zeitung ausschneiden lässt (188). Mathematische Rätsel haben auf diese WeiseAnteilanseinemWohlbefinden. Neben dem Interesse am Fach Mathematik, das zu einem Wohlbefinden beiderAuseinandersetzungmitseinenInhaltenführt,istTobyeineentspannte Unterrichtsatmosphärewichtig.DasserimUnterrichtkonzentriertmitarbeitet, liegt dabei insbesondere an seiner emotionalen Bindung an seinen Lehrer MrNg,denersehrschätzt(79).BeiderBeschreibungeinerganznormalenUn terrichtsstunde hebt Toby besonders die nette Art von MrNg hervor sowie seineEigenschaft,imUnterrichtSpäßezumachen: T:ExceptMrNgteachingusthemathematics,Ithinkwealwayshavesomelaugh ingandit'shappy.MrNgoftenmakessomejokesorwealsohavesomejokesorI havesomediscussionbetweenourclassmates.Soit'sveryhappy.Andsometimes when you are doing exercise, we hear at the corner: ha ha ha ha ha. And then, yeah,it'sverynormalforustohearlaughingorsomefunnysoundduringtheles sons.It'squitespecial.
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8Sinnkonstruktionstypen
I:So,it’saniceatmosphere? T:Yes.AndalsoallofusrespectMrNgverymuch.Andit'squiteamazingthatmost ofuswon'tdosomethingaboutothersubjectduringthemathematicslessoncom pare with other lessons. Some of us will do some Chinesehomework during the Englishlesson or otherwise. So, it's quite amazing that all of us are very concen trateandpayalotofattentiontoMrNg.(7375)
Toby beschreibt eine sehr positive Unterrichtsatmosphäre, die von Heiterkeit geprägt ist. Zudem ist gegenseitige Wertschätzung der Lernenden und der Lehrperson ein sehr wichtiges Element des Mathematikunterrichts. Die Lehr person drückt ihre Wertschätzung den Schülerinnen und Schülern gegenüber durch die Schaffung einer freundlichen Atmosphäre aus, wohingegen diese ihren Unterricht mit nahezu unabgelenkter Aufmerksamkeit folgen. Zudem respektierensieMrNgfürseinfachlichesWissen,welcheserauchspontanfür ErklärungenjenseitsdesaktuellenCurriculumsheranzieht. Well,infactmostofhisexplanation,hesaid,isthesyllabusinformsix.Whenwe are listening to his explanation, we also feel: ‘Wow, amazing’. Especially some proofoftheformula.Thereisalotofwaysto prooforto calculatesomethingat thatwecan’tthinkofthatandwefeel:‘Wow,amazing,wecan’tthinkofthisway’. (134)
NebenderHeiterkeitunddergegenseitigenWertschätzungsinddieeffizi ente Unterrichtsgestaltung und die hohe Autonomie der Lernenden Gründe dafür,dassTobysichimUnterrichtausgeglichenfühlt. […]duringthelessonIamveryrelaxed.It'sbecauseMrNgcantalkveryfluentand alsohewon'ttalkorteachsomethingtoosloworstoptoolongforsometopic.[…] hedidn'tmindustohavesomediscussionwithourclassmates.SoIthinkmathe maticslessonisaquiterelaxedlesson.(Toby36)
EsistalsogeradedieKombinationausEffizienz(vgl.SinnkonstruktionEffizienz, Abschnitt 8.6.2.1, S. 206) und sozialer Eingebundenheit, die Toby hier als be sondereUnterrichtsatmosphärehervorhebt(vgl.auch111). Für Tobys Ausgeglichenheit im Mathematikunterricht sind insbesondere dieWertschätzungdesLehrerssowiediesozialeEingebundenheitindieGruppe derKlassenkameradinnenundkameradenwichtig: I:Whichpeopleareimportantforyourlearningofmathematics? T:Whichpeople.MrNgandmyclassmates.Bothofthemhavegivemealotofhelp and especially Mr Ng. Every time when we have some problem, we won't feel nervoustoaskhimbecausehe'sveryniceandhereallydonotmindgivingalotof
8.4EmotionalaffektivgeprägteEntfaltung
195
timetoexplainsomethingtoyouagain.Orevenwecanaskhimsomethingoutof the syllabus. Last time we asked him something about the application of mathe maticsandthenheexplainedalotwhenour,afterschooltotellabouttheapplica tioninchemistry,biologyandphysics.So,agroupofushaveteach,listentohim andwegainedalot.(131132)
Sowohl seine Mitschülerinnen und Mitschülern als auch MrNg helfen Toby, wenn er Unterstützung benötigt. Insbesondere weitergehendes Interesse der Schülerinnen und Schüler nimmt MrNg gerne auf und geht durch seine tief gehenden Erklärungen intensiv auf sie ein. Es findet eine intensive Förderung statt. Darüber hinaus ist Toby im Mathematikunterricht ausgeglichen, wenn er einekognitivePauseeinlegenbzw.selbstentscheidenkann,womitersichbe schäftigen möchte. Im Gegensatz zu anderen Schülerinnen und Schülern (vgl. etwadieCharakterisierungvonLaura,Abschnitt8.6.3,S.211)beschäftigtToby sich im Mathematikunterricht nicht mit Hausaufgaben aus anderen Fächern, sondernentspanntsichim(fachlichen)GesprächmitseinenKlassenkameradin nenundkameraden.EntsprechendbeschreibterdenMathematikunterrichtals recess(Schulpause). T:[…]Ithink,mathematicslessonis,Icansayisarecessforme.It’sbecause,asI havesaythat,it'sveryrelaxing.So,Ireallyenjoyit. I:Inhowfarisitrelaxing? T:Comparewiththeotherlessons,Icanhavemorediscussionwithourclassmates. AndalsoIwon'tbeafraidtoaskquestions.BecauseIthinkMrNgisareallygood teacherandhe'salsoveryfriendlytous.So,Ithinkmostofuslikehimverymuch. Soduringthelesson,IcandowhateverIwant,andofcourseitmustbeaboutma thematics. And Mr Ng won't mind if I do some exercise on the other topic. So I thinkit'sveryfreeinthelessons.(6365)
Die empfundene Freiheit resultiert also aus dem Erleben von Autonomie zu sammenmitsozialerEingebundenheitindieGruppederKlassenkameradinnen und kameraden (vgl. die Sinnkonstruktionen Autonomie erleben, Abschnitt 8.1.2.1,S.142)undSozialeEingebundenheiterleben(Abschnitt8.4.2.3,S.187). DieseEingebundenheiterlebtTobybesondersdann,wennermitanderen LernendenaufunterschiedlicheWeisezusammenarbeitet.SeineFreundehelfen ihm, die Inhalte zu verstehen, wenn er eine schlechte Note erlangt hat (117) und er fragt sie, wenn er etwas nicht verstanden hat (95, 126, 194). Zum Teil sindsiesointensivinfachlicheDiskussionenvertieft,dasssieErklärungenihres
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8Sinnkonstruktionstypen
Lehrersüberhören(122).HatdiegesamteKleingruppeSchwierigkeitenmitden Inhalten,wendensiesichgemeinsamanMrNg: […]weaskthem35inagroup,theremaybesomediscussionwithMrNgandthere willbesomestudentmaywritesomenewquestionout.So,wecanlearnquitea lotthatwedonotexpectedbeforeweaskedhim.(129)
Durch das gemeinsame Fragen in der Gruppe können Themen entstehen, die sonstnichtbesprochenwordenwären.AufdieseWeiselernendieSchülerinnen und Schüler mehr, als sie es getan hätten, hätten sie ihren Lehrer einzeln ge fragt. Die Lernenden stellen MrNg in solchen Situationen oftmals Fragen nach einer möglichen Anwendbarkeit der behandelten Inhalte. Sie tun dies, da die Inhaltefürsieinteressantersind,wennsieeineAnwendungimLebenerkennen können: T:Everytimewhenweare[…]havingsomenewtopic,wealwayswanttoask:'Itis reallyusefulinourdailylife?'So,in[…]mydailylife,infactIdonotusethema thematicsquitealot.MaybeonlyuseincalculatethepricewhenI'mbuyingthings orbuyingfood,yeah.So,Ialwaysaskthequestion:'Ismathematicsreallyuseful?' So,Ialwayswanttoask,forexamplethelog[Logarithmus,MV]orsomethingelse: 'Howcanweusethatindailylife?'[…]Ithinkfivetosixclassmateshavethesame idea,sowealwaysaskMrNg:‘Whatistheapplication’. I:Whydoyouwanttoknowthis,theapplication? T:Sometimes,Ithink,whenyouarelearningsomethingthatyoudon'tknowisit usefulornot,youwon'tfeelinterestingtothat[…part].Yeah,ifyoudonotknow the application, you may think that: 'Woh, I learnt this just because I want to do best,dobetterintheexamination.'So,Ithinkwecanhavechangetheattitudenot justforgoodontheexaminationandalsofocusonourdailylifeandtrytoappli catethemathematicsintoourdailylife.(137139)
Die Frage nach konkreten Anwendungen im Leben liegt für die Schülerinnen undSchülernahe,daMrNgdieUnterrichtsinhalteoftmalsmitThemengebieten derPhysikoderChemieinVerbindungbringe(140141). Tobys emotionalaffektiv geprägte Entfaltung im Mathematikunterricht setzt sich also auf der einen Seite zu einem großen Teil aus dem Gefühl der sozialen Eingebundenheit in die Gruppe der Schülerinnen und Schüler zusam 35 GemeintistMrNg,auchwennderSatzgrammatikalischfalschist.DieseInterpretationist eindeutig,dadiehierzitierteÄußerungalsAntwortaufdieFragegegebenwird,obesinder Gruppeeinfachersei,denLehrerzufragen,alsdiesalleinderFallsei.
8.5AktiveAuseinandersetzungmitMathematik
197
men.AufderanderenSeiteistdiebesondereBeziehungzuseinemLehrerfür Toby wichtig,bei der sich die gegenseitige Wertschätzung der beteiligten Per sonen in einem nahezu freundschaftlichen Umgang und intensiver Förderung widerspiegelt. 8.5 AktiveAuseinandersetzungmitMathematik Im folgenden Abschnitt wird der Sinnkonstruktionstyp Aktive Auseinanderset zungmitMathematikzunächstmitderihmzugrundeliegendenSinnkonstrukti oninZusammenhanggebrachtundinderTypologieverortet(vgl.Abbildung10 und Abbildung 11, S.133 bzw. 137). Anschließend wird der hier vorgestellte Typusvonanderen,ihminderTypologiebenachbartenTypenabgegrenzt.Ab schnitt8.5.2(S.198)beschreibtdannausführlicherdiezugrundeliegendeSinn konstruktionunterRückgriffaufdieempirischenDatenundlieferteineIllustra tionanhandvonPrototypen. 8.5.1 CharakterisierungundAbgrenzungdesTypus Der Sinnkonstruktionstyp Aktive Auseinandersetzung mit Mathematik umfasst die Sinnkonstruktion Aktives Betreiben von Mathematik. Bei dieser Sinn konstruktionsteht,wiederNamenahelegt,diedirekteAuseinandersetzungmit mathematischen Inhalten im Vordergrund. Die interviewten Schülerinnen und SchüleräußernsichzurpersönlichenRelevanzdesaktivenBetreibensvonMa thematik.DadurchliegteinestarkeMathematikbezogenheitderSinnkonstruk tionvor. Die Auseinandersetzung der Lernenden mit mathematischen Inhalten fin detprimärimMathematikunterrichtoderimRahmenvonHausaufgabenbzw. beiderPrüfungsvorbereitungstatt.DiegenanntenAspektefallendaherinden BereichderschulischenDimensionundweiseneinemittlereIndividuumsbezo genheit auf. Entsprechend verorte ich die Sinnkonstruktion Aktives Betreiben vonMathematikimFeldderGruppe2,hoheMathematikbezogenheitundmitt lereIndividuumsbezogenheit(vgl.Abbildung9,S.133). Der Typ Aktive Auseinandersetzung mit Mathematik grenzt sich von den anderen,dieihminhaltlichinderTypologienaheliegen,aufverschiedeneWei seab.ImGegensatzzumTypEffizienteundunterstützendeGestaltungvonUn terrichtsprozessen (vgl. Abschnitt8.6, S.204) stehen konkrete mathematische Inhalte im Vordergrund. Bzgl. der effizienten und unterstützenden Gestaltung vonUnterrichtsprozessensindandererseitseherallgemeineUnterrichtsprozes
198
8Sinnkonstruktionstypen
se oder soziale Aspekte wesentlich. Die Erfüllung gesellschaftlich geprägter Anforderungen (vgl. Abschnitt8.7, S.220) orientiert sich stark an Anforderun gen, die von externer Seite an die Lernenden herangetragen werden. Hier ist also die gesellschaftliche Dimension im Gegensatz zur schulischen Dimension das Unterscheidungsmerkmal. Schließlich bleibt die Abgrenzung zum Typus Kognitive Selbstentwicklung (vgl. Abschnitt8.1, S.140). Zwischen diesem und Aktive Auseinandersetzung mit Mathematik ist durchaus eine inhaltliche Nähe gegeben, da die kognitive Selbstentwicklung der Lernenden oftmals über die Auseinandersetzung mit konkreten mathematischen Inhalten geschieht, das aktiveBetreibenvonMathematikalsoalsMitteleingesetztwird,umsichselbst weiter zu entwickeln. Bei genauerer Betrachtung liegt auch genau darin der Unterschied: Beim Typ Aktive Auseinandersetzung mit Mathematik steht der Prozess der aktiven Auseinandersetzung mit Inhalten im Vordergrund, wohin gegen bei den Sinnkonstruktionen des Typs Kognitive Selbstentwicklung die eigene Weiterentwicklung eine übergeordnete Stellung einnimmt. Der Fokus derentsprechenddenunterschiedlichenTypenzugeordnetenSinnkonstruktio nenistfolglichebensoverschieden. 8.5.2 ZugrundeliegendeSinnkonstruktion Im folgenden Abschnitt wird die Sinnkonstruktion Aktives Betreiben von Ma thematik, die dem Sinnkonstruktionstyp Aktive Auseinandersetzung mit Ma thematik zugrunde liegt,beschrieben.Dabei wird konkreter aufdie Ausgestal tung der Sinnkonstruktion eingegangen. Sie wird anhand von Verweisen auf TranskriptausschnitteausDeutschlandundHongkongillustriert,derenzugehö rigeTextstellenimZusatzmaterialzudiesemBucheingesehenwerdenkönnen, dasimInternetüberdieURLhttp://www.viewegteubner.de/zugänglichist.Die Beschreibung endet mit einer grafischen Zusammenfassung der für die Sinn konstruktion wichtigen Voraussetzungen und Auswirkungen und stellt damit eine Verbindung zum Schritt des axialen Kodierens bei der Datenauswertung her. 8.5.2.1
AktivesBetreibenvonMathematik
BeimLernenvonMathematikbzw.beiderBeschäftigungmitMathematikistes für die interviewten Schülerinnen und Schüler persönlich relevant, sich selbst aktivmitdenmathematischenInhaltenauseinanderzusetzen.Diedamiteinher gehendeSinnkonstruktionbezeichneichmitAktivesBetreibenvonMathematik.
8.5AktiveAuseinandersetzungmitMathematik
199
DasaktiveBetreibenvonMathematikkanndabeidenLernprozessfördern,der PrüfungsvorbereitungdienenoderQuellevonFreudesein. DereigeneLernprozesswirdinsofernpositivdurchdieaktiveAuseinander setzungmitMathematikbeeinflusst,alsdassdieSchülerinnenundSchülerda durchdasGefühlgewinnen,diezulernendenInhalteleichterzuverstehen(Ka tharina8892;Harry8586).DieAufgabensolltendabeivorzugsweisezunächst voneinfachemSchwierigkeitsgradseinundsichmitderZeitsteigern(Harry22 27). Die aktive Auseinandersetzung mit mathematischen Inhalten wird zudem als gute Vorbereitung für Prüfungen angesehen (Emma 7176). Besonders die BearbeitungvonvielenAufgabenwirddabeialshilfreicherachtet(Vivian115 120; Emma 224227) und dient der Steigerung des Selbstvertrauens (William 151154)sowiederBeruhigung(Emma98100,194196). Schließlich wird durch das aktive Betreiben von Mathematik auch Freude erlebt (Mirko 7172; William 103105). Der Abwechslungsreichtum der Aufga
Abbildung22: KodierparadigmaderSinnkonstruktionAktivesBetreibenvon Mathematik.
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8Sinnkonstruktionstypen
benbietetdabeieinenAnreizfürdieAuseinandersetzungmitihnen(Vivian147 156). Dies gilt ebenso für enaktive Handlungen oder Spiele, in denen sich die SchülerinnenundSchüleraktivengagierenkönnen(Emma5358).Zufallsexpe rimentespornendarüberhinausan,eineVerbindungzumrealenLebenherzu stellen(Janice4142).GrundsätzlichstehtbeidieserSinnkonstruktiondieeige ne Aktivität im Fokus (Mirko 118124, Vivian 115120; Jody 135140), die im GegensatzzureherpassivenUnterrichtsteilnahmewährendeinesVortragsder Lehrpersono.ä.steht. Abbildung22(S.199)veranschaulichtmöglicheVoraussetzungenundAus wirkungenderSinnkonstruktionAktivesBetreibenvonMathematik,dieimZuge desaxialenKodierenserarbeitetwurden(vgl.Abschnitt6.3,S.112). 8.5.3 Prototypen:MirkoundEmma AktivesBetreibenvonMathematik,dieeinzigeSinnkonstruktion,diedemSinn konstruktionstyp Aktive Auseinandersetzung mit Mathematik zugrunde liegt, wirdinDeutschlandnuringeringerAusprägungvorgenommen.AuchMirko,der hieralsPrototypbeschriebenwird,äußertsichannurzweiStellenimInterview derart, dass der entsprechende Kode vergeben werden konnte. In Hongkong zeigtsicheinanderesBild:DadortdieBearbeitungvonvielenAufgabenähnli chen Typs – anders als in Deutschland – im Zentrum des Unterrichts steht, kommtderSinnkonstruktionAktivesBetreibenvonMathematikeinezentralere Rollezu,dieanhandderCharakterisierungvonEmmaillustriertwird. Mirko Mirko ist Schüler der 10.Klassenstufe des TheodorStormGymnasiums und besuchtdenMathematikunterrichtvonFrauThomsen.FürihnistderUnterricht besonders dann interessant, wenn er eigene Entdeckungen machen kann und dabei herausgefordert wird (vgl. Sinnkonstruktionen Autonomie erleben, Ab schnitt8.1.2.1,S.142undKognitiveHerausforderung,Abschnitt0,S.144).Bei der Herleitung der Formel für die Berechnung der Mantelfläche eines Kegels versuchte er, die Formel über den Winkel an der Kegelspitze zu entwickeln, doch dies stellte sich als „genau der falsche Weg“ (38) heraus. Dieses Misser folgserlebnis regte Mirko an, sich intensiver mit dem Problem auseinanderzu setzen. Da hat mich wirklich, da ich ehrgeizig bin, interessiert, 'Wie geht das denn jetzt?' Also Interesse ist eigentlich bei mir in Mathe hauptsächlich auch mit Ehrgeiz ver bunden,alsowenn'sbesondersinteressiert.(38)
8.5AktiveAuseinandersetzungmitMathematik
201
MirkosInteresseanMathematikistalsoaufseinenEhrgeizzurückzuführen,der als Motor für seine Auseinandersetzung mit mathematischen Inhalten wirkt (68).ErwirddurchWettstreitmitseinenMitschülerinnenundschülernweiter angefacht(40). FürMirkobestehteineengeVerbindungzwischenMathematikundRech nen,welchesihmimMathematikunterrichtbesonderswichtigist(120). Weil ohne das ist das ja kein Mathe. Hauptsache, ja, also eigentlich dass immer ein paar Aufgaben gestellt werden, dass ich halt auch selbst was machen kann.ImmerirgendwelcheAufgaben,dasisteseigentlich.(120)
„Rechnen“istdabeioffenbarMirkosVerständnisvomBetreibenvonMathema tik.Dabeiistesfürihnwichtig,dasserselbstnachdenkenmuss. NichtunbedingtMatheaufgabenhierausdemBuch,eskönnenaucheinfachAuf gabensein,womanselbstüberlegenkann,wiedasseinkönnte,wieesheutezum Beispielwar.(122)
MirkobeziehtsichandieserStelleaufdieMöglichkeit,inderletztenMathema tikstundeaufeinemArbeitsbogenHilfestellungenzurHerleitungdergesuchten Formelzufinden,oderaberdieFormelohnefremdeHilfezuentwickeln.Durch stufenweisesHerausziehendesBlattesauseinemBriefumschlaglagnichtsofort der gesamte Lösungsweg vor, so dass eigenständigesWeiterarbeitenbzw. das Nachkontrollieren eigener Ideen ermöglicht wurde. Dieses Vorgehen kommt Mirko entgegen, da er grundsätzlich Probleme selbständig lösen möchte, manchmal jedoch einen „Anstubs“ (160) von seinen Mitschülerinnen und schülern oder der Lehrperson benötigt, wenn er „mal nicht Bescheid weiß“ (160).BekommterdiesenAnstoß,verstehter,sodieeigeneEinschätzung,die zulernendenInhaltedauerhaft(12).DaheristseineBewertungdieserMethode „DaswarvollkommeneinederbestenIdeen[derLehrerin,MV],sagichmalso“ (51). Die aktive Auseinandersetzung mit Mathematik ist bei Mirko schließlich durch das Erleben von Freude gekennzeichnet. Bei dem Begriff Mathematik denkterentsprechend„alsallererstes[…]anSpaß,weilichimmer,wennetwas zurechnenist,dannhabichhalteinfachLustzurechnenunddakommtdann auchdieserSpaßher“(72).DieaktiveAuseinandersetzungmitMathematikist fürMirkoalsoeinerseitseineMöglichkeit,seinemEhrgeizzubegegnenundsein Interesse an Mathematik zu vertiefen, und zudem andererseits eine Gelegen heit,SpaßundFreudezuerleben.
202
8Sinnkonstruktionstypen
Emma EmmaistSchülerinder9.KlassenstufeamSt.Joseph'sCollegeinHongkong.Sie besuchtdenMathematikunterrichtbeiMsTinginderleistungsstärkstenParal lelklasse ihres Jahrgangs und fühlt sich durch das hohe Leistungsniveau ihrer KlasseunterDruckgesetzt(101103).SielerntMathematikprimär,daesdurch den Lehrplan vorgeschrieben ist, und sieht gleichzeitig eine Anwendungsmög lichkeitinverschiedenenBerufen(147148;vgl.SinnkonstruktionstypErfüllung gesellschaftlichgeprägterAnforderungen,Abschnitt8.7,S.220). Obwohl Emma im Unterricht nahezu alles versteht (213), schätzt sie ihre eigenen mathematischen Kenntnisse und Fähigkeiten als gering ein. Sie hat AngstvorMathematik,dasieSchwierigkeitenmitdemDenkenhabe. I'mafraidofmathematics.Becauseitisdifficultformetothink.Thinkisthemain problem for me. When I saw the mathematics sentence questions, I will feel scared. I think I don't understand whether I understand that question or not, so thatIfeelscared.(99)
Emma begründet ihre Angst vor Textaufgaben nicht mit sprachlichen Proble men (die Aufgaben sind in ihrer Zweitsprache Englisch gestellt), sondern mit ihrerlangsamenDenkgeschwindigkeit(101).EmmasStrategie,ihrenÄngstenzu begegnen,istes,möglichstvieleAufgabenzubearbeiten: WhenIsawthemathematicssentencequestions,Iwillfeelscared.[…]ButafterI domoreexercise,Iwon'tfeelscaredanymoreandIfeelIamsave.(99)
Emma ist grundsätzlich der Ansicht, dass es nicht ausreichend sei, Aufga benausderSchulezubearbeiten: Weshoulddomore,sowefindmorepracticeexercise.(255)
Sie kauft daher Übungsbücher, kopiert Aufgaben aus der Schulbibliothek und nimmt an den Wochenenden Privatunterricht in einem Tutorial Centre (225). Emmas intensives Üben dient der Prüfungsvorbereitung. Einerseits erin nert sie dann einzelne Schritte der Aufgaben (227), andererseits wirken die Prüfungen nicht mehr wie schwierige Prüfungsfragen, sondern ähneln eher Hausaufgaben oder Arbeitsblättern. Die daraus resultierende Entspannung senkt den Druck, der auf ihr lastet (195). Dementsprechend steht Emma auch der Bearbeitung von vielen ähnlichen Aufgaben nicht ablehnend gegenüber, sondern versteht sie als notwendige und hilfreiche Vorbereitung auf wichtige Prüfungen.
8.5AktiveAuseinandersetzungmitMathematik
203
[…] we will do more easy up to one hundred sentence [d. h. zur Faktorisierung, MV]. But this is good for us. After we did the factorisation exercise, we will did moreeasilyinexam.(74)
InÜbereinstimmungmitdieserEinstellunglegtEmmaanderenLernenden,die SchwierigkeitenmiteinemThemengebiethaben,dieBearbeitungvonAufgaben nahe(72).EmmasEinstellungistinHongkongverbreitetundlässtsichmitder darunterliegendenAuffassungbeschreiben,dassdas(Auswendig)Lernenvon ggf. noch nicht vollständig verstandenen Schemata ein notwendiger Teil des Lernprozessesist(vgl.Leung,2001).DieseAuffassunggründetsichaufderkul turell geprägten Überzeugung des practice makes perfect (vgl. Li, 2006; vgl. auchAbschnitt3.2.4,S.73).LernenistdemnacheinProzessderwiederholten Praxis,desErinnernsundVerstehens.36 Neben dem Übungsaspekt zur Prüfungsvorbereitung birgt das eigene Be treibenvonMathematikaußerdemdieMöglichkeit,Freudezuerlebenunddas logischeDenkenzuverbessern(122).JeaktiverdieAuseinandersetzungmitden Inhaltendabeiist,destointeressanteristesfürEmma: Ithinkifwemoreactiveandanswermorequestion,Ithinkmathswouldbequite interesting.(28)
DieEigenaktivitätderSchülerinnenundSchülersolltedabeinichtbeimAufga benlösen stehen bleiben. Emma befürwortet grundsätzlich eine (inter) aktive Unterrichtsgestaltung. IwantthemathematicslessonmoreactivebecauseI'mverysporty.(185)
UmdiesemAnspruchgerechtzuwerden,könnteaufdereinenSeitedieLehr persondasInterneteinsetzen,dadortEmmazufolgevieleInformationenoder mathematischeSpielezufindenseien.MitdiesenkönntendieUnterrichtsinhal tespielerischvondenSchülerinnenundSchülernentdecktwerden(4547). AufderanderenSeitewürdeEmmagernthematischpassendeRollenspiele in den Mathematikunterricht integrieren, etwa als Verkäufer und Kundin bei derBerechnungvonfinanziellenGewinnenbzw.Ersparnissen(5456): […]playinggamescanrelaxandwhenwerelaxwealsocantrainourmathematics. Bothofthemisgood.(69)
36
FüreineausführlichereDarstellungvonEmmasowiederDiskussiondervonihrvorgenom menenSinnkonstruktionenauseinerkulturellenPerspektivevgl.Vollstedt(2009bzw.2010).
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8Sinnkonstruktionstypen
Emma kennt ähnliche Rollenspiele aus dem Englischunterricht und würde sie gernauchinMathematikaufgreifen.EsgehtihrdabeiumdieaktiveTeilnahme unddasAuslebenihrerAktivität. Moreactivelyisgood.Ifwearetoosilence,IthinkitisquitestrangeforusandI thinkit'sveryboringthatlesson.(60)
Zusammenfassend können zwei verschiedene Aspekte der aktiven Ausei nandersetzung mit Mathematik bei Emma festgehalten werden. Zum einen bearbeitetEmmavieleÜbungsaufgaben,umsichmöglichstgutundintensivauf bevorstehende wichtige Prüfungen vorzubereiten (vgl. Sinnkonstruktion Prü fungen,Abschnitt8.7.2.4,S.226),zumanderenmöchtesieimUnterrichtselbst aktivseinundpersönlicheingebundenwerden. 8.6 EffizienteundunterstützendeGestaltungvonUnterrichtsprozessen ImfolgendenAbschnittwirdderSinnkonstruktionstypEffizienteundunterstüt zende Gestaltung von Unterrichtsprozessen zunächst mit den ihm zugrunde liegenden Sinnkonstruktionen in Zusammenhang gebracht. Dabei wird die in haltlicheÄhnlichkeitderbeidenSinnkonstruktionendurchihreVerortunginder Typologie dargelegt (vgl.Abbildung 10 und Abbildung 11, S.133 bzw. 137). AbschließendwirdderhiervorgestellteTypusvonanderen,ihminderTypolo gie benachbarten Typen abgegrenzt. Abschnitt8.6.2 (S.206) beschreibt dann ausführlicherdiezugrundeliegendenSinnkonstruktionenunterRückgriffaufdie empirischenDatenundlieferteineIllustrationanhandvonPrototypen. 8.6.1 CharakterisierungundAbgrenzungdesTypus DieEffizienteundunterstützendeGestaltungvonUnterrichtsprozessenumfasst die beiden Sinnkonstruktionen Effizienz(vgl. Abschnitt8.6.2.1,S.206)undUn terstützungdurchdieLehrperson(vgl.Abschnitt8.6.2.2,S.209).Beidebeziehen sich auf Unterrichtsprozesse, wobei es für die entsprechenden Schülerinnen undSchülerpersönlichrelevantist,dassdieseProzessemöglichsteffizientge staltet werden und sie in ihrem Lernprozess von der Lehrperson unterstützt werden. Es kann dabei zwischen Handlungen unterschieden werden, die von denSchülerinnenundSchülernbzw.vonderLehrpersonausgehen. DieSinnkonstruktionEffizienzbefasstsichaufdereinenSeitemiteffizien tenHandlungsstrategienseitensderSchülerinnenundSchüler.Aufderanderen Seite äußert sich in dieser Sinnkonstruktion auch der Wunsch nach bzw. die Wertschätzung von effizienten Unterrichtsstrukturen (vgl. Abschnitt8.6.2.1,
8.6EffizienteundunterstützendeGestaltungvonUnterrichtsprozessen
205
S.206).EffizienzistdamiteineSinnkonstruktion,diebeiderschulischenDimen sionanzusiedelnistunddamiteinemittlereIndividuumsbezogenheitaufweist. Die Einordnung der Sinnkonstruktion Effizienz im Merkmalsraum bzgl. der In tensitätderMathematikbezogenheitistzunächstnichteindeutig,weilsichdie Effizienz einerseits auf Strategien bei der Bearbeitung von Aufgaben beziehen kann,sieandererseitsaberauchaufnichtmathematikgebundeneUnterrichts strukturengerichtetist.WeilderAnteilderKodes,diesichnichtaufdiedirekte Auseinandersetzung mit mathematischen Inhalten beziehen, eindeutig über wiegt,verorteichEffizienzalseineSinnkonstruktionmitgeringerMathematik bezogenheit. Daessich,wieobenbereitsfestgestellt,beiderTypenbildungum eine Verallgemeinerung handelt, sind solche Schritte zulässig und notwendig. DamitgehörtdieseSinnkonstruktionzumFeldderGruppe8,geringeMathema tikbezogenheitundmittlereIndividuumsbezogenheit(vgl.Abbildung9,S.133). Die Sinnkonstruktion Unterstützung durch die Lehrperson richtet sich auf die verschiedenen Hilfestellungen, die beim Mathematiklernen für die Schüle rinnen und Schüler relevant sind. Es handelt sich dabei primär um zwischen menschliche Unterstützungsmaßnahmen bzw. Interaktionsformen (vgl. Ab schnitt8.6.2.2, S.209), bei denen die Mathematik selbst eine untergeordnete Rolleeinnimmtunddahervernachlässigtwird.DaessichumdieInteraktionmit der Lehrperson und ihre Unterstützung im Mathematikunterricht handelt, be findet sich die Sinnkonstruktion in der schulischen Dimension. Ich verorte sie daherimFeldderGruppe8,geringeMathematikbezogenheitundmittlereIndi viduumsbezogenheit(vgl.Abbildung9,S.133). DerSinnkonstruktionstypEffizienteundunterstützendeGestaltungvonUn terrichtsprozessenerstrecktsichinsgesamtüberdieFelderderGruppen5und8 (vgl.Abbildung9,S.133).DamitdeckterdieMerkmalskombinationenmittlere sowie geringe Mathematikbezogenheit sowie mittlere Individuumsbezogenheit ab.ObgleichdasFeldderGruppe5nachEinordnungderSinnkonstruktionenin denMerkmalsraumleerbleibt,veranlasstemichdieinhaltlicheNähederFelder (vgl.Abschnitt7,S.127),siezueinemTypzusammenzufassen. DerSinnkonstruktionstypEffizienteundunterstützendeGestaltungvonUn terrichtsprozessen grenzt sich vom Typus Erfüllung gesellschaftlich geprägter Anforderungen (vgl. Abschnitt8.7, S.220) durch die Fokussierung auf Unter richtsprozesse im Gegensatz zur Ausrichtung auf gesellschaftlich geprägte An forderungen ab, die wenig Bezug auf den konkreten Mathematikunterricht nehmen. Der Typus Aktive Auseinandersetzung mit Mathematik (vgl. Ab schnitt8.5,S.197)nimmtdagegen–ebensowiederhiercharakterisierteTypus – direkten Bezug auf den Mathematikunterricht, fokussiert jedoch die aktive
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8Sinnkonstruktionstypen
Auseinandersetzung mit Materialien und konkreten Inhalten im Gegensatz zu allgemeineren und sozialen Unterrichtsprozessen. Die größte inhaltliche Nähe besteht schließlich zum Typ Emotionalaffektiv geprägte Entfaltung (vgl. Ab schnitt8.4,S.182),weilbeideTypenSinnkonstruktionenumfassen,dieprimär imMathematikunterrichtangesiedeltsind,wobeisienichtzwangsläufigaufdie schulische Dimension gerichtet sein müssen. Ihr unterschiedlicher Fokus liegt entwederaufstrukturellerEbenebzw.aufderLehrperson,oderaberdieeigene EntfaltungdesIndividuumsimMathematikunterrichtwirdindenVordergrund gerückt. 8.6.2 ZugrundeliegendeSinnkonstruktionen In den folgenden beiden Abschnitten werden die beiden Sinnkonstruktionen EffizienzundUnterstützungdurchdieLehrperson,diedemSinnkonstruktionstyp Effiziente und unterstützende Gestaltung von Unterrichtsprozessen zugrunde liegen,ausführlicherdargestellt.DabeiwirdkonkreteraufdieAusgestaltungder Sinnkonstruktioneneingegangen.SiewirdanhandvonVerweisenaufTranskrip tausschnitteausDeutschlandundHongkongillustriert,derenzugehörigeText stellen im Zusatzmaterial zu diesem Buch eingesehen werden können, das im Internet über die URL http://www.viewegteubner.de/ zugänglich ist. Die Be schreibungenendenjeweilsmiteinergrafischenZusammenfassungderfürdie jeweilige Sinnkonstruktion wichtigen Voraussetzungen und Auswirkungen und stellendamiteineVerbindungzumSchrittdesaxialenKodierensbeiderDaten auswertungher. 8.6.2.1
Effizienz
EffizienteHandlungenimUnterrichtsgeschehensindfürdieinterviewtenSchü lerinnen und Schüler beim Lernen von Mathematik und bei der Beschäftigung mitihrenInhaltenpersönlichrelevant.DieswirdinderSinnkonstruktionEffizi enzgebündelt.DabeilassensichzweiverschiedeneRichtungenunterscheiden: effizienteHandlungsstrategienderSchülerinnenundSchüleraufdereinenSeite und die Wertschätzung von bzw. der Wunsch nach einer effizienten Unter richtsorganisationundstrukturaufderanderenSeite. Sind effiziente Handlungsstrategien im Fokus der Schülerinnen und Schü ler, geht es darum, mit minimalem eigenem Aufwand möglichst viel zu errei chen. Die Effizienz ist dabei auf verschiedene Bereiche fokussiert: den Mathe matikunterricht allgemein, die Interaktion mit der Lehrperson und die eigene
8.6EffizienteundunterstützendeGestaltungvonUnterrichtsprozessen
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Auseinandersetzung mit Inhalten. Richtet sich die Handlungseffizienz auf den Mathematikunterricht, geht es zum Beispiel darum, durch 'Aufpassen' im Un terrichtdieaußerschulischeNachbereitungszeitzuminimieren(Karsten8081). Die Unterrichtszeit kann aus Sicht der Schülerinnen und Schüler bestmöglich genutztwerden,indembeispielsweiselediglichbeiprüfungsrelevantenThemen aktiv mitgearbeitet wird (Mirko 3536; Laura 274281). Die restliche Zeit kann anderen Beschäftigungen nachgegangen werden, die inhaltsfern sein können, jedoch nicht sein müssen. So wiederholen manche Schülerinnen und Schüler etwa bereits behandelte Inhalte, wenn sie inhaltlichen Leerlauf im Unterricht verspüren(Laura29). Bei der eigenen Auseinandersetzung mit konkreten Aufgaben oder Inhal ten besteht die Effizienz nach Einschätzung der Lernenden darin, bekannte Lösungsstrategien anzuwenden (Sandra 207208; Alban 294298) bzw. sich an bereitsbekannteTheorienzuerinnern(Christine137139,Mona183186;Jody 199202).NocheffizienterfürdeneigenenAufwandwirddasAbschreibenvon Lösungenempfunden(Christine126127).DiesbirgtjedochdieGefahr,dassdie Inhaltenichtverstandenwerden. SchließlichkannEffizienzauchdieInteraktionmitderLehrpersonbestim men. Manche Schülerinnen und Schüler versuchen, möglichst erwartungskon form zu handeln. Sie beobachten also ihre Lehrperson und bemühen sich, ihr eigenesHandelnandiederLehrpersonunterstelltenAnsprücheoderErwartun gen anzupassen (Mirko 8; William 167171). Das vorherige Nachschlagen für einemitSicherheitrichtigeAntwort(Karsten11)oderdasundurchdachteAnt wortenindergrundsätzlichenAnnahme,dasseinTeilderAntwortpassenwer de (Paul 2224), stellen zwei weitere Strategien des effizienten Handelns dar. Die Lehrperson soll sich bei der zweiten Variante die wichtigen Informationen selbstheraussuchen. Die zweite große Effizienzart, die rekonstruiert werden konnte, bezieht sichaufUnterrichtsstrukturen,dieentwederalseffizientwertgeschätztwerden oder als effizienter gewünscht werden. Sie zielen schwerpunktmäßig in drei Richtungen: die Steigerung des Unterrichtstempos, die Lehrperson als Autori tätsperson sowie die Arbeitsorganisation im Unterricht. Die Stringenz des Un terrichtsließesichnachEinschätzungderinterviewtenSchülerinnenundSchü ler auf verschiedene Arten steigern. Auf der inhaltlichen Ebene sollten zum einennurdieInhalteunterrichtetwerden,diewirklichnotwendigsind(Tobias 173180; Toby 31), zum anderen sollte weniger geübt und wiederholt und stattdessen sollten mehr neue Inhalte unterrichtet werden (Johanna 98103). DasUnterrichtstemposolltemöglichsthochsein(Sebastian127131).Dafürsei
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8Sinnkonstruktionstypen
Abbildung23: KodierparadigmaderSinnkonstruktionEffizienz. eine guteVorbereitung aller Schülerinnenund Schüler auf den Unterricht hilf reich(Vivian110113).GrundsätzlichsolltealsoZeitverschwendungvermieden werden (Johanna 152156; Laura 18, 7981), etwa durch die Vermeidung wie derholter Redebeiträge (Vivian 3338), oder weniger Rücksichtnahme auf leis tungsschwacheSchülerinnenundSchüler(Sebastian102107). Diese Aspekte gehen bereits über in die Effizienz der Arbeitsorganisation im Unterricht. Das Arbeitenin einer leistungshomogenen Gruppe(Yannick 93; Camryn 145152) und eine konzentrierte Arbeitsatmosphäre (Sandra 143148; Barry166169)seienebensohilfreichwiedieAutoritätderLehrperson(Sandra 4350; Laura 290307). Sie beendet beispielsweise die Stunde und nicht das Klingelzeichen (Yannick 84). Die Klarheit ihrer Unterrichtsorganisation sowie ihrerErklärungenwerdenzudempositivhervorgehoben(Sandra4350;William 38).DieWertschätzungihrerAutoritätdrücktsichauchdarinaus,dassmanche Schülerinnen und Schüler lieber auf Fragen verzichten, um sie nicht in ihrem Unterrichtsflusszustören(Marcus139146).
8.6EffizienteundunterstützendeGestaltungvonUnterrichtsprozessen
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Abbildung 23 (S.208) veranschaulicht mögliche Voraussetzungen und AuswirkungenderSinnkonstruktionEffizienz,dieimZugedesaxialenKodierens erarbeitetwurden(vgl.Abschnitt6.3,S.112). 8.6.2.2
UnterstützungdurchdieLehrperson
BeimLernenvonMathematikundderBeschäftigungmitMathematikistesfür dieinterviewtenSchülerinnenundSchülerpersönlichrelevant,vonihrerLehr personunterstütztzuwerden.DieseSinnkonstruktionbezeichneichmitUnter stützungdurchdieLehrperson.DieUnterstützungistdabeidurchdieFokussie rungaufdieunterschiedlichenhandelndenPersonendifferenzierbar.Unterstüt zung durch die Lehrperson zeigt sich aus der Perspektive der Lernenden etwa darin,dasssieimUnterrichtFragenstellendürfen(Lea231234;Luke118119), Lösungswege der Lehrperson nachahmen können (Alban 111114) oder in die EvaluationvonMitschülerinnenoderschülernetwanachReferatenoderVor trägenanderTafelinvolviertwerden(Yannick89).BezogenaufdieLehrperson selbstzeigtsichdieUnterstützungindreiAspekten:SiegründetsichaufPersön lichkeitseigenschaften der Lehrperson, zeigt sich in der Interaktion zwischen denLernendenundderLehrpersonsowieinderenUnterrichtsgestaltung. DiewichtigsteEigenschafteinerLehrpersonistausSichtderSchülerinnen und Schüler, dass sie gut unterrichtet bzw. gut erklären kann (Christine 131 134; Arnie 128131) und schwierige Inhalte möglichst leicht begreifbar macht (Karsten160161;Barry27).WeiterepositiveEigenschaftensinddarüberhinaus Fairness gegenüber den Lernenden (Johanna 4951, Lea 271280) und Geduld bei Erklärungen (Ayla 5355; Harry 94, Laura 371375), das heißt insgesamt, dasssichdieLehrpersonausreichendZeitfürdieBelangederSchülerinnenund Schülernimmt.Zudemwirdwertgeschätzt,wenndieLehrpersonübereingro ßesfachlichesWissenverfügt(Vincent243244). DieInteraktionzwischenderLehrpersonunddenSchülerinnenundSchü lern untergliedert sich auf der einen Seite in eine Beziehungsebene zwischen derLehrpersonunddenSchülerinnenundSchülernundaufderanderenSeite in eine fachliche Ebene der Interaktion. Auf fachlicher Ebene ermuntert die Lehrperson die Lernenden zur Eigenaktivität (Lena 6271; Mack 7881) oder Eigenständigkeit (Inga 9798) und fördert sie möglichst optimal entsprechend ihrem jeweiligen Leistungsstand (Ayla 216221; William 78). Sie bereitet die SchülerinnenundSchüleraufanstehendePrüfungenvor(Lea7089;William73) undgibtRückmeldung, ob ihr Lösungsansatz richtig oder falsch ist (Lea 1315, Tobias216219;Mark145148).Gehtesandererseitsumdienichtfachgebun
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8Sinnkonstruktionstypen
Abbildung24: KodierparadigmaderSinnkonstruktionUnterstützungdurchdie Lehrperson. deneInteraktionzwischenderLehrpersonunddenLernenden,wirdeinegewis seAutoritätseitensderLehrpersongeschätzt(Karsten204209;Laura290307). AußerdemistdenLernendenwichtig,dassdieLehrpersonanihremVerständnis der Lerninhalte interessiert ist (Yannick 198199; Harry 94) und diese mit den SchülerinnenundSchülerndiskutiert(Lea282283;Mark145148).Fürmanche LernendehatdieLehrpersoneineVorbildfunktion(Tobias216219). DieUnterrichtsgestaltungderLehrpersonwirdaufdreiArtenfürdieSchü lerinnen und Schüler persönlich relevant: inhaltlich, methodisch und interper sonal.AufinhaltlicherEbeneistesdenLernendenwichtig,dassdieLehrperson neue Inhalte vermittelt (Marcus 212213) bzw. bereits bekannte wiederholt (Lena109114;Toby18).DabeihältsiedienotwendigenLernmaterialienbereit
8.6EffizienteundunterstützendeGestaltungvonUnterrichtsprozessen
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(Sebastian 7681; Danny 6467) oder stellt eine Verbindung zu Anwendungs möglichkeitenher(Lea7080;Toby136137).MancheSchülerinnenundSchüler schätzenes,wennInhaltebehandeltwerden,dienichtunmittelbarindenLehr plänenthematisiertwerden,wiebeispielsweisedieGeschichteoderphilosophi sche Ansätze der Mathematik (Lea 5355; Alban 133138). Bei den Methoden wird grundsätzlich eine abwechslungsreiche Unterrichtsgestaltung durch Me thodenreichtumalspositiveingeschätzt(Mona168174;Emma4547).Sosoll ten etwa Anschauungsobjekte oder mathematische Spiele in den Unterricht eingebunden werden. Zudem wird Metakommunikation über die Struktur des UnterrichtsunddessenPlanunggernegesehen(Mirko9293;Harry1719).Im Hinblick auf interpersonale Prozesse fühlen sich die Lernenden im Unterricht wohl,wenndieLehrpersonaufihreBedürfnisseeingeht,z.B.durchSchaffung eineseigenenEntfaltungsfreiraums(Sandra101104)oderdadurch,dassgenug ZeitzumVerstehenderInhaltegelassenwird(Inga142143;Marcus1519).Sie sollte bei der Unterrichtsgestaltung außerdem das Interesse der Lernenden berücksichtigenbzw.wecken(Camryn216217),indemInhalteanihreLebens situation angepasst werden. Außerdem schätzen die Lernenden eine ggf. von der eigentlichen Unterrichtsplanung abweichende Unterrichtsgestaltung, die spontanandieBedürfnissederLernendenangepasstwird(Lena4245). Abbildung 24 (S.210) veranschaulicht mögliche Voraussetzungen und AuswirkungenderSinnkonstruktionUnterstützungdurchdieLehrperson,dieim ZugedesaxialenKodierenserarbeitetwurden(vgl.Abschnitt6.3,S.112). 8.6.3 Prototypen:SandraundLaura VonderHäufigkeitihrerÄußerungen,ausdenendieSinnkonstruktionenEffizi enz oder Unterstützung durch die Lehrperson rekonstruiert werden konnten, kamen Yannick und Sandra in die engere Wahl, als Prototyp für Deutschland dargestelltzuwerden.DaYannicksichjedochsowohlquantitativalsauchquali tativ in seinem Interview deutlich intensiver mit Aspekten der emotional ge prägten Entfaltung auseinandersetzte, wird er für jenen Sinnkonstruktionstyp alsPrototypcharakterisiert.SomitfieldieWahlaufSandraalsdeutscherProto typ.InHongkongwarLauradiejenigePerson,diesichamausgeprägtestenmit der effizienten und unterstützenden Gestaltung von Unterricht auseinander setzt.IhreintensiveAuseinandersetzungmitdiesenAspektenrührtdaher,dass sie neben dem schulischen Unterricht auch privaten an einem Tutoriumszent rumnimmt,indemsieihrerAnsichtnachmehrlerntalsinderSchule.Derarti gerExtraunterrichtkannfürHongkongalstypischangesehenwerden.
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8Sinnkonstruktionstypen
Sandra Sandra ist ca. zwei Monate vor dem Interview aus Brandenburg nach Nord deutschland gezogen und besucht seitdem den Mathematikunterricht von HerrnSchmidtineinerzehntenKlassedesTheodorStormGymnasiums.Durch diese kurze Zeitspanne ist ihr der ehemalige Mathematikunterricht noch gut gegenwärtig, so dass sie die beiden Unterrichtsformen oftmals miteinander vergleicht. Zu Herrn Schmidt hat Sandra ein zwiegespaltenes Verhältnis. Menschlich stehtsieihmpositivgegenüber,dochaufprofessionellerEbenehatsieProble memitseinemUnterrichtsstil,diesichauchaufihreEinstellungzumMathema tikunterricht niederschlagen. Darin zeigt sich Sandras didaktische Kompetenz, da sie klar zwischen Herrn Schmidt als nettem Menschen und seiner Unter richtsqualitätentrennt: […]ichfindeihn[HerrnSchmidt,MV]totalnett,ichmagihnrichtig,aberimUnter richt finde ich ihn katastrophal. Also da komme ich überhaupt nicht mit ihm klar. Weilichnichtfinde,dasserdasguterklärenkannunddann…istesteilweisehalt keinrichtigerUnterricht,sonderndannschweifterso…ab,dannsindwirirgend wie,weißichnicht…beiirgendwelchenanderenThemen.Alsoesistsehrschwer beiihm.(46)
DieBewertungvonHerrnSchmidtsUnterrichtsstil,dervonAbschweifungenzu inhaltsfernenThemengeprägtist,als„keinrichtigerUnterricht“drücktSandras WunschnachmehrUnterrichtseffizienzaus.MitdemWunschnachmehrEffizi enz im Mathematikunterricht eröffnet sich jedoch ein Konflikt für Sandra, da geradedieseAbschweifungenzueinerlockerenUnterrichtsatmosphäreführen und die Möglichkeit einer emotional geprägten Entfaltung bieten (vgl. Sinn konstruktionstyp Emotionalaffektiv geprägte Entfaltung, Abschnitt 8.4, S. 182 bzw.SinnkonstruktionenAusgeglichenheit,Abschnitt8.4.2.1,S.184undEmoti onalaffektive Bindung an die Lehrperson, Abschnitt 8.4.2.2, S. 185). Gerade diese Abwechslung zwischen fachlichen und fachfremden Themen, die im Un terricht besprochen werden, macht den Mathematikunterricht amüsant und damit angenehm (104). Dass Sandras Wunsch nach Effizienz schließlich über wiegt,zeichnetsichinihremVerbesserungsvorschlagfürdenUnterrichtab,in dem sie eine mögliche Verhaltensänderung auf Seiten der Schülerinnen und Schülerwünscht,dieihn„zumBeispieljetztablenkenundimmermitihmunma thematischeDingereden,aber[…]dasistverlockendaufjedenFall“(128).Sie siehtdieVerantwortungfürmehrEffizienzalsonichtalleinbeiHerrnSchmidt, sondernauchaufSeitederLernenden.
8.6EffizienteundunterstützendeGestaltungvonUnterrichtsprozessen
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SandravermisstanihrerneuenSchuledie„Strengheit“(146)ihrerehema ligenLehrerinnenundLehrer,diesichauchineffizienterUnterrichtsgestaltung zeigt. […] hier ist es alles total locker und die Lehrer laufen rum und quatschen und schnacken und das war auf meiner alten Schule gar nicht so. Also da saßest du strengamTischundhastzugehörtundhasthaltaucheineMengegelerntunddas fehltmirhier,dieseStrengheit,also…sicherlichistesschönsozuschnacken,aber ich finde auch … die Strengheit sollte da sein, damit man dem Unterricht folgt. (146)
Wenn ein gewisses Maß an strikter Unterrichtsgestaltung vorhanden ist, fühlt sichSandraimUnterrichtwohlerundkannsichauchlängerandiebereitsbe handeltenInhalteerinnern(147148). Die„Strengheit“,dieSandravermisst,charakterisiertgutdenUnterschied zwischen dem Mathematikunterricht an ihrer ehemaligen Schule im Vergleich zum TheodorStormGymnasium. Im Gegensatz zu ihrem momentanen Unter richt,derihrerAuffassungnach„keinrichtigerUnterricht“ist,beschreibtsie– alsAntwortaufdieFrage,wieesihrdennlieberwäre–ihreehemaligeSchule als „da war es halt wesentlich strenger und da haben wir halt radikal richtig Unterricht gemacht“ (48). Ihr Lehrer dort „war richtig streng, aber total nett“ (48). Sie scheint sich also einerseits nach einer emotionalen Bindung an ihre Lehrperson zu sehnen (vgl. Sinnkonstruktion Emotionalaffektive Bindung an Lehrperson,Abschnitt8.4.2.2,S.185),aufderanderenSeitescheinendieBegrif federStrengeunddes„radikalrichtigenUnterrichts“beiihrnichtnegativbe legt zu sein. Sie beschreiben stattdessen einen Unterrichtsstil, der neben Auf merksamkeitundEffizienzvoneinemInteressederagierendenPersonenanei nandergeprägtist. EinsehrwichtigerPunktinBezugaufdieeffizienteundunterstützendeUn terrichtsgestaltungistfürSandra,dassdieLehrpersonaufdieFragenderSchü lerinnen und Schüler eingeht und die Inhalte geduldig in direkter Interaktion undanhandvonBeispielenerklärt.AufdieseWeiseunterrichtetihrehemaliger Mathematiklehrer: […]erhatganzvielmitBeispielengemacht.Wennmandasnichtverstandenhat, dannhatersichmeinetwegenhingestellt,'alsoguckmal,dasisteineblaueKreide, das ist eine grüne Kreide' und hat so an … alltäglichen Beispielen das erklärt und dannhatmanesauchrichtiggutverstandenund…isthaltaufdieFragenauchein gegangen.(48)
214
8Sinnkonstruktionstypen
HerrSchmidtandererseitsgehenichtaufdieFragenderSchülerinnenundSchü lerein,sondernstellesieals„doof“dar(48).FürSandrastecktbesondersinder Hinwendung der Lehrperson auf die Schülerinnen und Schüler eine Form der WertschätzungundUnterstützung. HierfügtsichauchguteineSequenzausdemnachträglichenlautenDen ken ein. Sandra kommentiert dabei eine Phase aus der letzten Mathematik stunde, in der Herr Schmidtdie Besprechung einer Aufgabe „wegenSinnlosig keit“ abbricht, da die Schülerinnen und Schüler die Potenzgesetze, die zum Lösen der Aufgabe notwendig sind, nicht erinnern. Er weigert sich dabei zu nächst,dieGesetzezuwiederholenundandieTafelzuschreiben. […] das sollte man nicht machen als Lehrer. Da einfach eine Aufgabe abbrechen und dann … verzweifeln, weil die Schüler nicht wissen, 'ja, dann versuche ich es auchnichtzuerklären'oderso.[…]dieKonfrontation,alsodasfandichschonganz schönkrass.Undwirauchalleso…'wiejetzt'alsodahätteerjetztderjenigesein müssen,dersagt,so'okaydannzeigicheuchdasjetzt,dannrechneicheuchdas vorundsowirdesgemacht'.(16)
Sandra sieht die Verantwortlichkeit für die Eskalation der Situation eindeutig auf der Seite des Lehrers, zumal sie auch ihn für das Verständnis bzw. Nicht VerständnisderSchülerinnenundSchülerverantwortlichmacht: Das sind auch so eine Sachen, wenn er sagt … 'man weiß nicht, was es [x Halbe, MV]bedeutet'oderso,dannliegtesglaubichwenigerandenSchülern,sondern eherandemLehrer,weilwirhatten,oderdieandernhattenihnauchschonvorher undermussjaderjenigesein,derunsbeibringt,dasseinHalbx,xHalbeist.Und wennersichdannaufregt,dasswirdasnichtwissen,dannsollteer,glaubeich,erst malüberlegenoderganzimRuhigennochmalmitunsreden,weilesliegtjaanihm eigentlich,dasswiresnichtwissen.(21)
SandraistindergesamtenSequenzdesnachträglichenlautenDenkens(1638) sehr aufgebracht und zeigt ein starkes Bedürfnis, die Inhalte, die sie und ein GroßteilderKlassenichtmehrerinnern,zuwiederholen.Außerdemfordertsie, dassHerrSchmidtaufdieKlassezugehtundohneweitereDiskussiondenStoff erneut erklärt (30). Schließlich lenkt er ein, wiederholt die Potenzgesetze und notiert sie an der Tafel. Dies wird von Sandra jedoch bitter abgetan: „Vorhin habenwir…drei,vierMalgesagt,'könnenwirdiebittehinschreiben',erhates völligabgestrittenundjetztaufeinmal,'wollenwirdienochmalhinschreiben?' So…dasisttypischHerrSchmidt“(38).SiebewertetdieStundeentsprechend insgesamt als „[a]nstrengend, glaube ich. Also sie hat mir nicht so'n Spaß ge macht“(44).SandrawünschtsichvonihremLehreralso,dasserruhigundge duldig bleibt, auch wenn die Schülerinnen und Schüler inhaltliche Defizite ha
8.6EffizienteundunterstützendeGestaltungvonUnterrichtsprozessen
215
ben,unddassernicht–wieobenbeschrieben–dieBesprechungeinerAufgabe abbricht.IhrgewünschtesVorgehenwäre,dassersichdieZeitnehme,dieIn halteausführlichundmitBeispielenzuerklären. EsscheintSandrazudemwichtigzusein,dassihrLehrerindiedirekteIn teraktion mit den einzelnen Lernenden übergeht (5657). Dabei geht es ihr primär um nachvollziehbare Erklärungen, die nicht notwendigerweise einen Alltagsbezugaufweisenmüssen: I:UnddasErklären,dasistdannganzhilfreich,wennesdannmitAlltagirgendwie zutunhatodermitAnwendung? S:Nö,dasmussnichtsein,aberwennman…jetztwasmathematischerklärt,dann mussmanesnachvollziehbarerklären.Mussnichtimmermit…alsoausdemAlltag wassein.(6263)
Als Beispiel für gutes Erklären mit rein mathematischen Erklärungen ohne All tagsbezugführtsiean,dassesgutist,„wennmandasrichtigsozeigtmeinet wegen,'jadiezweimachichjetzt,weildaeinPlusdavorsteht,machichdann Minus, um es auf die andere Seite' – jetzt bei einer Gleichung meinetwegen“ (61). Insgesamt befürwortet Sandra ausführliche Erklärungen mit Zwischen schritten,dieanderTafelfestgehaltenwerden.Dementsprechendkritisiertsie auch die Tafelbilder ihres Mathematiklehrers (48). Eine detailliertere Notation mitErklärungenwäreihrlieber,dasseralso„nichtdawasandieTafelklatscht ohne irgendwelche Zwischenschritte und dann sozusagen sagt, 'na jetzt ver stehtmal'.Also…essollteschoneinfachleichterzuverstehensein“(123).Die se ermöglicht ihr dann auch, dass sie die im Unterricht erlernten Schemata späterbeiderAufgabenbearbeitunganwendenkann(207208). NebenausführlichenErklärungenunddetailliertemTafelanschriebfordert Sandra außerdem, dass die behandelten Aufgaben im Unterricht ausführlich besprochen werden, so dass sie die Inhalte wirklich verstehe. Wenn zu viele Aufgabenzuschnellnacheinanderfolgen,könnesienichtmehrfolgen: […]eswarzuviel,denkeichmal,weil…dawardieeineAufgabe,danndieandere, diewurdenichtrichtigerklärt.Naja,dannkamdienächste,dannbrauchteichdie altenichtmehr sozusagen.Alsoeswardanneinfachzuvielaufeinmalindiesem Momentund…dannstelltmanglaubeichganzautomatischab…würdeichsagen. (35)
WieaufgezeigtsindalsoeinehoheUnterrichtseffizienzinFormvonzielgerichte ter Unterrichtsorganisation sowie die akzeptierte Autorität der Lehrperson wichtigeAspektefürSandrasWohlbefindenimUnterricht.Zudemistesfürsie persönlich relevant, durch klare Erklärungen von ihrem Lehrer in ihrem Lern
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8Sinnkonstruktionstypen
prozess unterstützt zu werden. Dabei ist insbesondere wichtig, dass die Lehr person aufdie Bedürfnisse der Schülerinnen und Schülereingeht und auf ihre Fragenantwortet. Laura Laura ist Schülerin der 9. Klassenstufe des Sun Hoy College in Hongkong und besuchtdenMathematikunterrichtvonMsChan.DaihreLehrerinnachAussage vonLaurazuwenigAutoritätinderKlassehat,wünschtLaurasichmehrDurch setzungskraft und Strenge (39). Außerdem sollte ihre Wunschlehrperson nicht wie die meisten Lehrerinnen und Lehrer ihrer Schule aus den Schulbüchern vorlesen, sondern interessanten Unterricht mit ein paar Späßen machen. Auf dieseWeisewürdendieSchülerinnenundSchülermotiviert,imUnterrichtauf merksam zu sein (303). Laura ist es also auf der einen Seite wichtig, dass der Unterricht effektiv und effizient ist, und dass die Lehrperson auf der anderen Seite den Lernprozess der Schülerinnen und Schüler unterstützt. Wie diese EffizienzundUnterstützungfürsiegenaueraussehenkann,wirdimFolgenden gezeigt. InBezugaufdieEffizienzvonUnterrichtistesLaurasehrwichtig,dasskei neZeitverschwendetwird,undneueInhalteimUnterrichtbehandeltwerden: “[…]sometimeswhenIlearnsomenewthings,Idon'tthinkit'sawasteoftime” (54).WerdenimUnterrichthingegenbereitsbekannteInhaltebehandelt,wen detsiesichvomUnterrichtab. L:[…]whensheistellingustheterms,I’vealreadyknow,soIwilljustdonotwork. Butwhenshetalkssomethingthat’snewtome,Iwilllisten.Yeah,allofus doesthat. I:So,whatdoyoudowhenyoudon’tlistentoher? L:Daydreaming.[…]I’msittingatthebackoftheclass,it’sveryeasyfortheteacher tonoticemeI’mdaydreaming,(laughs)Ilookdaydreaming.Andso,Ihaveto[…] lookthetableandthenreadingthemathematicsbookandallrevisingtheprevious chapter.Yeah,examiscoming.(168170)
Um nicht aufzufallen, nutzt Laura also die Zeit und wiederholt Aufgaben aus bereitsbehandeltenThemengebieten,umsichaufanstehendePrüfungenvor zubereiten. DerWunschnachmöglichsteffizienterUnterrichtsorganisationäußertsich zudem in Lauras Abneigung von zu leichten Unterrichtseinheiten, Gruppenar beit oder handlungsorientierten Methoden, die auf entdeckendes Lernen aus gerichtet sind. Entsprechend widerstrebte ihr die Durchführung von Zufallsex
8.6EffizienteundunterstützendeGestaltungvonUnterrichtsprozessen
217
perimenten(ziehenauseinerUrne,würfelnundMünzewerfen)inderletzten Mathematikstunde: […]thisactivity,MsChanspenttoomuchtimeonit.Maybe10minutesforreport ingandalsodoingtheexperimentisalreadyenough,butshespentonelessonon it.So,maybesheisalwayssayingthatshehasn'tenoughtimetoteachthewhole syllabusofthisyearandIthinkshecandomorethanthis.(18)
Die im Unterricht gestellten Aufgaben waren Laura zu einfach. Sie begründet dies damit, dass sie, ebenso wie die meisten ihrer Klassenkameradinnen und kameraden, Mathematikunterricht in Tutoriumszentren nehme (18, vgl. auch 95106).Dadie Lehrpläne dort nicht aufdie schulischenCurricula abgestimmt seien, seien viele Schülerinnen und Schüler bereits mit den Inhalten vertraut, bevor sie im Unterricht behandelt werden. Auf diese Weise wächst sicherlich dasBedürfnisnachEffizienzimSchulunterricht.Umdiesenfürsieeffizienterzu gestalten, präferiert Laura dort daher die Bearbeitung von Aufgaben: “I think maybeinthelessonsdoingexerciseswouldbebetter.Notdoingexperiment.” (80)DieswürdedenUnterrichtfürsieinteressantermachen(272273). LaurabewertetdasExperimentiereninzweifacherHinsichtalsnichteffizi ent genug.Wie gerade gezeigt bemängeltsie die geringe Inhaltsdichte, da die LernendendieInhaltebereitskennenundinsofernschnellerunterrichtetwer denkönnen(s.o.).AufderanderenSeitewählteMsChanmitderBildungvon Vierergruppen eine Arbeitsform, die Laura auf mehrere Weisen als ineffektiv empfindet. I like working alone more thangroup discussion. Because youcan see thatgroup discussionisawasteoftime.[…]Because[…]shemustmakesurethateverygroup hasfinished,butsometimesonegrouphasfinishedsoearlythattheyneedtowait fortheothergroup.So,whenit'sdoingonyourown,thetimeisnottoolongand after you're finished the teacher will ask you. So, she'll explain more to the stu dentsthatdoesn’tknowthequestion.(59)
Im Gegensatz zur Gruppenarbeit spare Einzelarbeit Zeit und ermögliche eine individuelle Förderung von leistungsschwächeren Lernenden. Außerdem sei in Partnerarbeit die gegenseitige Unterstützung der Schülerinnen und Schüler möglichundeswerdedieGefahrdergegenseitigenAblenkungreduziert: […]twowillbehelpingeachothermorethanfourpeople.Fourpeoplewillbedis cussingthingsthatisnotaboutmathematics.Theywilldiscuss,likeourgroup,we werediscussingabouttheteeth.(61)
218
8Sinnkonstruktionstypen
Nach Abschluss der Aufgaben unterhielten sich die Gruppenteilnehmerinnen ausLaurasGruppeüberdieAnpassungvonZahnspangen,währenddieLehrerin davonausging,siewürdenüberInhaltediskutieren(63). Ein Aspekt der Unterstützung des Lernprozesses durch die Lehrperson wurdebereitsdurchdieMöglichkeitderindividuellenFörderungbeiderEinzel arbeit angesprochen, ein weiterer betrifft die Vermittlung neuer fachlicher Inhalte.Obenistbereitsdeutlichgeworden,dassLauradurchneueInhaltege fordert werden möchte.37 Sie verlangt von einer guten Lehrperson, dass diese dieInhaltefüralleSchülerinnenundSchülerverständlicherklärtundnichtallein einenAufgabenzettelzurBearbeitungausteilt(225).AlsnegativesBeispielbe schreibtLauraihrenLehrerausderFormtwo,alsoderachtenKlassenstufe: […]heneverexplainsthequestionstousandneverteachuswhattodo.Justread thebookandthendoit.'Ifyoucannot,it'syourproblem,it'snotmine'.(236)
LauraistvorallemvonseinerabweisendenHaltungdenLernendengegenüber enttäuscht,diedurchEnttäuschungseinerErwartungenundstarkeStimmungs schwankungengeprägtist: Theteacherisalwaysdemandingustodothings,whichwecannot,wecannotdo it.Andthenhewilljustkindofsay,alwayssaying,heisdisappointedofus.[…]In thatyearwethinkmathematicsisadisaster.Wearejustsufferingfromhis,Imean healwaysscoldusandhistemperisabit,Imeanheismovyandhechangestem perveryoften.(234)
StattcholerischzuseinundüberhöhteAnforderungenzustellen,wünschtLaura sich von ihrer Lehrperson, dass sie sich auf die Lernenden einlässt, geduldig erklärt und an einem tiefer gehenden Verständnis der Lernenden interessiert ist.DiesjedochseienlediglichihreEltern,beschreibtLaura. Myfamilyisthat,whenallthepeople,myneighbour,teacher,tutor,can’texplainit tomeandIcan’tunderstanditandthenIaskthem.Andtheywilldefinitely[…]use their patience, they have patience to teach me. But the others don’t have, you know. They are always rushing. They will just say 'it’s like that. x equal to y, and thenyequalto[…].Youmemorizeitandthenyouwillrememberandyouwillget theanswer.'AndIdon’tknowwhy.So,I’daskmyparents.(374)
Im Gegensatz dazu beschreibt Laura ihre Mathematiklehrerin, MsChan, derart,dassdiesenichtamVerständnisderLernendeninteressiertsei. 37
DieserAspektstehthierjedochnichtimVordergrund,sondernistTeilderSinnkonstruktion Kognitive Herausforderung (vgl. Abschnitt 0, S. 146) und damit des Sinnkonstruktionstyps KognitiveSelbstentwicklung(vgl.Abschnitt8.1,S.142).
8.6EffizienteundunterstützendeGestaltungvonUnterrichtsprozessen
219
[…]everylessonattheendsheasksustodoexercises,butwithoutcheckingorask ingusifwedohavequestionsonit.Andshegoonandafterthatwewillhavea quizaftereachchapter[toit].Andthen,thequizwillbesometimessomekindof easy for me and for the [others/other’s] [things/thinks] it's not so easy and then theywillfailandMsChanshewillnotexplainsomuchmorethen.Andshewillgo onandgoon,sothatthestudentwillbedon'tunderstand,don'tunderstand,don't understand.(75)
Da Verständnisschwierigkeiten der Schülerinnen und Schüler nicht kontrolliert werden, könne MsChan nach Lauras Einschätzung folglich auch nicht ihren Lernstandeinschätzen.VielebliebendaherzurückundhättenkaumeineChan ce, die nicht verstandenen Inhalte aufzuholen. Entsprechend beschwert sich Laura auch darüber, dass MsChan im Unterricht nicht “the formula“, also die Formel, dass die Summe der Wahrscheinlichkeiten aller möglicher Ergebnisse einist,unterrichtethabe(71).LaurareichtdiehandlungsorientierteBeschäfti gung mit Experimenten offenbar nicht aus, um Inhalte einzuführen. Auch die selbständigeErarbeitungderFormelspätermitHilfedes SchulbuchszuHause kritisiertsie(73).StattdessenbefürwortetsiedieUnterstützungderLehrperson inFormvondirekterInstruktionderspäterzuverwendendenFormel. L:[…]sheaskedustogobackhomeanddotheexercise,thethreeexercise.And thenfortheonewhodon'tknowtheformula,oraftertheyreadthebook,maybe theydon'tknow[whatof/alotof].[…] I:[…]whatdoyoumeanbyformulathere? L:Theformulaistheoutcomeofprobability.Yeah,justtheformulaonthebook. Butsometimespeopledon'tunderstandwhenthereisdatainthebook.So,they needexplaining.Buttheteacherdidn'tdothat.Butshejusttellingusaboutsome examplesandthenshethinksthatallofusunderstand.Butsomeofusisstillday dreaming,theystilldonotknow.(7173)
Laura erwartet also, dass die Formel, die zur Bearbeitung der Aufgaben not wendig ist, im Unterricht direkt unterrichtet werde, denn nur so können alle SchülerinnenundSchülerauchspäterdieAufgabenbearbeiten. ZentraleAspektehinsichtlicheinereffizientenundunterstützendenGestal tung von Unterrichtsprozessen sind für Laura, dass im Unterricht keine Zeit verschwendet wird. Es sollten Inhalte unterrichtet werden, die sie noch nicht kenntunddieihrnichtzuleichtfallen.DabeisolldieLehrpersondenSchülerin nen und Schülern diese neuen Inhalte geduldig erklären, und im Zuge dessen diespäterzuverwendendeFormelunterrichten.Siesolltestrengundgleichzei tig freundlich sein. Außerdem wünscht Laura sich klare Instruktionen von der
220
8Sinnkonstruktionstypen
Lehrperson und lehnt selbstentdeckende Lernformen und Gruppenarbeit auf grundvonIneffizienzab.StattdessenziehtsieEinzeloderPartnerarbeitvor. 8.7 ErfüllunggesellschaftlichgeprägterAnforderungen ImfolgendenAbschnittwirdderSinnkonstruktionstypErfüllunggesellschaftlich geprägter Anforderungen zunächst mit den ihm zugrunde liegenden Sinn konstruktioneninZusammenhanggebracht.DabeiwirddieinhaltlicheÄhnlich keit der Sinnkonstruktionen durch ihre Verortung in der Typologie dargelegt (vgl.Abbildung 10 und Abbildung 11, S.133 bzw. 137). Abschließend wird der hiervorgestellteTypusvonanderen,ihminderTypologiebenachbartenTypen abgegrenzt.Abschnitt8.7.2(S.222)beschreibtdannausführlicherdiezugrunde liegenden Sinnkonstruktionen unter Rückgriff auf die empirischen Daten und lieferteineIllustrationanhandvonPrototypen. 8.7.1 CharakterisierungundAbgrenzungdesTypus Der Sinnkonstruktionstyp Erfüllung gesellschaftlich geprägter Anforderungen erstreckt sich über die vier Sinnkonstruktionen Berufsvoraussetzung, Pflichter füllung,positiveAußenwirkungsowiePrüfungen.SieallebeschreibenAspekte, die–mehroderwenigerkonkretanmathematischeInhaltegebunden–aufdie gesellschaftliche Dimension ausgerichtet sind. Es geht um die Erfüllung von Anforderungen,dievonexternerStelleandasIndividuumherangetragenwer denbzw.alssolchevondiesemempfundenwerden.Eshandeltsichdabeizum einenumVorgabeninstitutionellerArt,wiesiedurchdieStrukturdesSchulsys tems, Anforderungen aus Verordnungen von Abschlussprüfungen oder durch dieVoraussetzungvonspezifischenmathematischenKenntnissenundFähigkei tenfürbestimmteBerufegegebensind.ZumanderenkommenAnforderungen hinzu,diedasIndividuumansichgestelltempfindet,diegesellschaftlichgeprägt sind und die zudem eine emotionale Involviertheit des Individuums erzeugen. Dies zeigt sich einerseits im Wunsch nach Anerkennung, andererseits darin, dassdieLernendeneingewissespersönlichesPflichtgefühlverspüren,demsie sichnichtentziehenkönnen.DabeihandeltessichnormalerweiseumdieErfül lungvonErwartungen,diedasIndividuumdurchPersonen,dieihmpersönlich wichtigsind,gestelltsieht,oderumdieAuseinandersetzungmitMathematikals unumgänglichesSchulfach. Bei der Sinnkonstruktion Berufsvoraussetzung steht die Vorbereitung auf den Wunschberuf im Vordergrund. Die Schülerinnen und Schüler lernen Ma
8.7ErfüllunggesellschaftlichgeprägterAnforderungen
221
thematik bzw. beschäftigen sich mit ihr, um gewisse mathematische Fähigkei ten und Fertigkeiten zu erlangen, die sie als notwendige Voraussetzung für ihren Berufswunsch ansehen. Mathematik wird also als Mittel zum Zweck ge lernt, so dass die Sinnkonstruktion Berufsvoraussetzung eine mittlere Mathe matikbezogenheitaufweist.HinsichtlichderIndividuumsbezogenheitfokussiert die Sinnkonstruktion nicht das Individuum selbst, sondern die Anforderungen, dievonexternerSeiteanesgestelltwerden.SostehenetwaAbschlussprüfun gen und Zugangsvoraussetzungen im Vordergrund, die eine starke Dominanz beiderAusgestaltungdieserSinnkonstruktionaufweisen.IchverortedieSinn konstruktion Berufsvoraussetzung daher im Feld der Gruppe4, mittlere Ma thematikbezogenheitundgeringeIndividuumsbezogenheit(vgl.Abbildung9,S. 133). Auch bei der Sinnkonstruktion Pflichterfüllung steht die Erfüllung von äu ßerenAnforderungen,diedieLernendenansichgestelltempfinden,imVorder grund. Die Anforderungen können dabei sowohl von Familienmitgliedern, als auch durch das Schulsystem gestellt sein. Durch diese Ausrichtung auf die ge sellschaftlicheDimensionzeigtsicheinegeringeIndividuumsbezogenheit.Kon kretemathematischeInhaltesinddabeinichtzentral,sodassauchdieIntensi tätderMathematikbezogenheitgeringausfällt.IchverortedieSinnkonstruktion Pflichterfüllung entsprechend im Feld der Gruppe7, geringe Mathematikbezo genheitundgeringeIndividuumsbezogenheit(vgl.Abbildung9,S.133). BeiderSinnkonstruktionPositiveAußenwirkungwirddieBeschäftigungmit Mathematik insofern instrumentalisiert, als dass sie darauf abzielt, Anerken nungvonanderenMenschenzuerlangen.DadurchliegteinemittlereIntensität derMathematikbezogenheitvor.HinsichtlichderIntensitätderIndividuumsbe zogenheitderSinnkonstruktionhandeltessichumdiegesellschaftlicheDimen sion, da bestimmte andere Personen bzw. die Gesellschaft als unspezifische Personenmenge relevant sind. Ich verorte Positive Außenwirkung also im Feld der Gruppe4, mittlere Mathematikbezogenheit und geringe Individuumsbezo genheit(vgl.Abbildung9,S.133). BeiderSinnkonstruktionPrüfungenistesfürdieLernendenpersönlichre levant,zukünftigePrüfungenerfolgreichzuabsolvieren.Esstehenalsonichtdie konkretenmathematischenInhalteimFokus,sonderndieGestaltungdereige nenZukunftinAbhängigkeitvondensichergebendenMöglichkeiten.Auchhier zeigt sich eine mittlere Mathematikbezogenheit der Sinnkonstruktion. Durch das Bestehen von Prüfungen eröffnen sich für die Schülerinnen und Schüler Bildungsgänge, die gesellschaftlich durch das Schulsystem oder in Zugangsvo raussetzungenfürbestimmteStudienfächeroderAusbildungsberufefestgelegt
222
8Sinnkonstruktionstypen
sind. Die Sinnkonstruktion Prüfungen hat entsprechend die gesellschaftliche DimensionalsBezugsrichtung.Ichverortesie,ebensowieBerufsvoraussetzung und Positive Außenwirkung, im Feld der Gruppe4, mittlere Mathematikbezo genheitundgeringeIndividuumsbezogenheit(vgl.Abbildung9,S.133). Wie in Abschnitt7 (S.220) gezeigt wurde, besteht durch eine mögliche Spezifizierung der Sinnkonstruktion Berufsvoraussetzung auf konkrete mathe matischeInhalteeineinhaltlicheNähezwischendenFeldernderGruppen1und 4. Diese erklärt die Hinzunahme des eigentlich leeren Feldes der Gruppe1 zu denFeldernderGruppen4und7,sodasssichderTypErfüllunggesellschaftlich geprägter Anforderungen über die gesamte linke Spalte des Merkmalsraums erstreckt (vgl. Abbildung 9, S. 133).Dieser Typus vereintsomit alle drei Merk malsausprägungenbzgl.derIntensitätderMathematikbezogenheit(alsohohe, mittlereundgeringeMathematikbezogenheit)miteinergeringenIntensitätder Individuumsbezogenheit. Das primäre Unterscheidungsmerkmal des Typs Erfüllung gesellschaftlich geprägter Anforderungen zu allen anderen Typen liegt entsprechend in seiner gesellschaftlich geprägten Ausrichtung, wohingegen sich die anderen Typen entweder auf den Mathematikunterricht oder aber das Individuum selbst be ziehen,alsoeinemittlereoderhoheIndividuumsbezogenheitaufweisen. 8.7.2 ZugrundeliegendeSinnkonstruktionen In den vier folgenden Abschnitten werden die Sinnkonstruktionen Berufsvo raussetzung, Pflichterfüllung, Positive Außenwirkung und Prüfungen, die dem Sinnkonstruktionstyp Erfüllung gesellschaftlich geprägter Anforderungen zu grundeliegen,ausführlicherdargestellt.DabeiwirdkonkreteraufdieAusgestal tungderSinnkonstruktioneneingegangen.SiewirdanhandvonVerweisenauf TranskriptausschnitteausDeutschlandundHongkongillustriert,derenzugehö rigeTextstellenimZusatzmaterialzudiesemBucheingesehenwerdenkönnen, dasimInternetüberdieURLhttp://www.viewegteubner.de/zugänglichist.Die Beschreibungen enden jeweils mit einer grafischen Zusammenfassung der für die jeweilige Sinnkonstruktion wichtigen Voraussetzungen und Auswirkungen und stellen damit eine Verbindung zum Schritt des axialen Kodierens bei der Datenauswertungher.
8.7ErfüllunggesellschaftlichgeprägterAnforderungen
8.7.2.1
223
Berufsvoraussetzung
Es ist für die interviewten Schülerinnen und Schüler persönlich relevant, sich durchdasLernenvonMathematiksowiedieBeschäftigungmitMathematikauf ihren späteren Wunschberuf vorzubereiten, da ihrer Einschätzung nach be stimmtemathematischeFähigkeitenundFertigkeitendafürnotwendigsind.Die damiteinhergehendeSinnkonstruktionbezeichneichmitdemBegriffBerufsvo raussetzung. Die Aspekte, die mit dieser Sinnkonstruktion in Zusammenhang stehen,gliedernsichindieverschiedenenZeitabschnitte,diebiszurErgreifung desBerufsnochzudurchlaufensind. ZunächstbeschäftigensichdieLernendenmitMathematik,weildiesfürih reweitereSchullaufbahn(Lea164169;Alban245258)bzw.dieAbschlussprü fungen wichtig sei (Mack 5760; vgl. auch die Sinnkonstruktionen Prüfungen, Abschnitt8.7.2.4,S.226undZensuren,Abschnitt8.3.2.2,S.172).Mathematik istzudemzumTeilfürdasangestrebteStudiumnotwendig,etwainNaturwis senschaften,InformatikoderPharmazie(Lea213218;Luke95100).Schließlich kannesauchdirektimangestrebtenBerufeinewichtigeRollespielen,etwabei der Leitung der eigenen Firma im Zusammenhang mit Tätigkeiten aus dem Rechnungswesen (Yannick 304313; William 355358). Mathematik ist also für die interviewten Schülerinnen und Schüler in jeder der ihnen noch bevorste henden Phasen ihres weiteren Bildungsganges in gewissem Grade notwendig. MitderSinnkonstruktionBerufsvoraussetzungreagierendieinterviewtenSchü
Abbildung25: KodierparadigmaderSinnkonstruktionBerufsvoraussetzung.
224
8Sinnkonstruktionstypen
lerinnenundSchüleralsoaufAnforderungen,dievonexternerSeiteansiege stellt werden und bearbeiten so die Entwicklungsaufgabe Beruf und Zukunft (vgl. Hericks &Spörlein, 2001 bzw. Havighurst, 1972 und Dreher &Dreher, 1985). Abbildung25(S.223)veranschaulichtmöglicheVoraussetzungenundAus wirkungen der Sinnkonstruktion Berufsvoraussetzung, die im Zuge des axialen Kodierenserarbeitetwurden(vgl.Abschnitt6.3,S.112). 8.7.2.2
Pflichterfüllung
DasLernenvonMathematikunddieBeschäftigungmitmathematischenInhal tensindfürdieinterviewtenSchülerinnenundSchülerpersönlichrelevant,da sie dadurch extern an sie herangetragene Pflichten erfüllen. Diese Sinn konstruktion bezeichne ich als Pflichterfüllung. Die damit einhergehenden As pektelassensichinzweiKategorieneinteilen.ZumeinenwerdendieInstitutio nen oder Personen benannt, die die Anforderungen an die Lernenden stellen, zum anderen beschreiben die Schülerinnen und Schüler, wie sie dem dadurch entstehendenDruckbegegnen. Neben Anforderungen, die nichtgenauer spezifiziert werden(Karsten 80 81), bzw. die allgemeingesellschaftlicher Natur sind (Mona 259260; Vincent 191192), erleben die Lernenden Anforderungen, die aus unterschiedlichen
Abbildung26: KodierparadigmaderSinnkonstruktionPflichterfüllung.
8.7ErfüllunggesellschaftlichgeprägterAnforderungen
225
Richtungenansieherangetragenwerden.SiebeschäftigensichmitMathema tik, da es als Pflichtunterrichtsfach nicht zu umgehen ist (Katharina 156159; Alban245258).ZudemempfindensieErwartungen,dievonFamilienangehöri genansiegestelltwerden(Christine156169;Barry148153),oderdiesiesich selbstauferlegen.SosetzensiesichbeispielsweisedurcheinenWettstreitmit anderenSchülerinnenundSchülernselbstunterDruck(Emma98114). DieSchülerinnenundSchülerbegegnendenAnforderungen,indemsiefür Prüfungenlernenundsichmöglichstgutvorbereiten(Lea132133;Barry187 190). Sie nutzen aber auch Anstöße von anderen Personen oder in Aussicht gestellteBelohnungen,umsichselbstzumotivieren(Mirko159160). Abbildung 26 (S.224) veranschaulicht mögliche Voraussetzungen und Auswirkungen der Sinnkonstruktion Pflichterfüllung, die im Zuge des axialen Kodierenserarbeitetwurden(vgl.Abschnitt6.3,S.112). 8.7.2.3
PositiveAußenwirkung
Für manche der interviewten Schülerinnen und Schüler ist es persönlich rele vant,beimLernenvonMathematikbzw.beiderBeschäftigungmitmathemati schen Inhalten anderen ein positives Bild von sich zu vermitteln. Die damit in ZusammenhangstehendeSinnkonstruktionbezeichneichmitdemBegriffPosi
Abbildung27: Kodierparadigma der Sinnkonstruktion Positive Außenwir kung.
226
8Sinnkonstruktionstypen
tiveAußenwirkung.DieAspekte,diemitdieserSinnkonstruktioneinhergehen, lassensichinzweiPerspektivenunterteilen:dieErzeugungeinespositivenBil desnachaußenundAnerkennungdurchanderePersonen. DenLernendenisteswichtig,andereneinpositivesBildvonsichzuvermit teln,dasiesichdavonpositiveAuswirkungenerhoffen(Sandra229232).Ihrer Einschätzung zufolge werden andere Personen ihnen aufgrund dessen mehr zutrauenundhabeneinehoheMeinungvonihnen,ihrenLeistungenundFähig keiten. Für manche ist es besonders wichtig, bei der Lehrperson ein positives Bildvonsichzuerzeugen,sodassLobundmöglicherweiseguteNotendaraus resultieren (Lea 198201; Toby 113114). Doch nicht nur das Lob der Lehrper son, sondernauch Anerkennung von anderen Personen wie den Eltern (Mona 206211; Toby 9293) oder den Klassenkameradinnen und kameraden (Mirko 127128,Yannick218223)istfürdieLernendenpersönlichrelevant.Außerdem wird die Anerkennung von nicht näher bestimmten Personen (Mona 121126; Danny 187188) und der Gesellschaft (Mona 121126; Vincent 151155) als bedeutsamempfunden. Abbildung 27 (S. 225) veranschaulicht mögliche Voraussetzungen und Auswirkungen der Sinnkonstruktion Positive Außenwirkung, die im Zuge des axialenKodierenserarbeitetwurden(vgl.Abschnitt6.3,S.112). 8.7.2.4
Prüfungen
DasLernenvonMathematikbzw.dieBeschäftigungmit Mathematikwirdvon den interviewten Schülerinnen und Schülern als persönlich relevant wahrge nommen,daunumgehbarePrüfungenaufdieseWeisebestandenwerdenkön nen.DiezugehörigeSinnkonstruktionfasseichmitdemBegriffPrüfungen.Da bei stehen zwei Aspekte im Vordergrund: die Rolle bzw. die Funktion, die die Interviewten den Prüfungen beimessen, sowie die Art der Prüfungsvorberei tung. DieRollederPrüfungenbeziehtsichzumeinenaufdieAuswirkungen,die das Bestehen bzw. Nichtbestehen einer solchen Prüfung für den weiteren Bil dungsgangderInterviewtenmitsichbringen(Barry98106),wiebeispielsweise Auswahlmöglichkeiten der naturwissenschaftlichen Fächer oder in Hongkong dieDauerdesweiterenSchulbesuchs(vgl.Abschnitt3.3,S.78).Zudemverlan genmancheUniversitäteneinenbestimmtenNumerusclaususfüreinigeStudi enfächer. Ein gutes Abschneiden in den Prüfungen ermöglicht insofern den Zugang zum Wunschstudienplatz (Lea 213218; Barry 98106) bzw. kann die ChancenaufeinengutenAusbildungsplatzvergrößern(Mona121126).Prüfun
8.7ErfüllunggesellschaftlichgeprägterAnforderungen
227
Abbildung28: KodierparadigmaderSinnkonstruktionPrüfungen. genkönnendarüberhinauszusätzlichfürdiemomentaneBildungssituationder Jugendlichen relevant sein. Prüfungen und Klassenarbeiten bieten etwa eine Kontrolle, ob die im Unterricht behandelten Inhalte tatsächlich verstanden wurden (Mirko 6163). Außerdem ist ein Leistungsvergleich zwischen den teil nehmendenSchülerinnenundSchülernmöglich(Barry98106). Zum anderen variiert die Art, wie sich die interviewten Schülerinnen und Schüler auf Prüfungen vorbereiten. Manche lernen ausschließlich am letzten Tag vor der Prüfung (Vivian 140145), andere arbeiten regelmäßig etwa mit Büchern zu Hause (Janice 106112). Oftmals wird besonders die Übung von vielen Beispielen bestimmter Aufgabentypen beschrieben, durch die entspre chende Aufgaben in der Prüfung dann schneller und leichter zu lösen seien (Arnie 121126). Zum Teil werden Unterrichtsinhalte primär für Prüfungen ge lernt bzw. direkt mit Prüfungen (Mirko 5859; Danny 102104) und nicht mit weiterenpersönlichenZieleninVerbindunggebracht. Abbildung28(S.227)veranschaulichtmöglicheVoraussetzungenundAus wirkungen der Sinnkonstruktion Prüfungen, die im Zugedes axialen Kodierens erarbeitetwurden(vgl.Abschnitt6.3,S.112). 8.7.3 Prototypen:MirkoundBarry MirkoistdereinzigeSchülerdieserStudie,derfürzweiSinnkonstruktionstypen als Prototyp beschrieben wird, nämlich sowohl für die Aktive Auseinanderset
228
8Sinnkonstruktionstypen
zung mit Mathematik als auch für die Erfüllung gesellschaftlich geprägter An forderungen.Diesunterstreicht,dassPersonennichtnureinebestimmteSinn konstruktion oder verschiedene Sinnkonstruktionen eines Typus vornehmen, sondernbeiderBeschäftigungmitMathematikdurchausSinnunterschiedlicher Art konstruieren. Wie bereits bei der prototypischen Beschreibung von Mirko für die aktive Auseinandersetzung mit Mathematik in Abschnitt 8.5.3 (S.200) deutlich wurde, hängen die beiden genannten Sinnkonstruktionstypen in Mir kosFallengmiteinanderzusammen.FürMirkostehtganzbesondersdiemünd liche Mitarbeit im Unterricht im Vordergrund und damit einhergehend der Wunsch,dassseineLehrerineinpositivesBildvonihmbekommt.DieseEigen schaftistbesondersinDeutschlandanzutreffen(vgl.Abschnitt9.3.1.3,S.246). Analog zur zweifachen Wahl von Mirko als Prototypen wäre es auch für Hongkongmöglichgewesen,hiererneutEmmavorzustellen.Umjedochaufzu zeigen, dass auch eine Trennung der Sinnkonstruktionen möglich ist, habe ich michfürBarryentschieden.Barryzeigtzudem–imGegensatzzuEmma–alle zugrunde liegenden Sinnkonstruktionen und ist daher besser als Prototyp ge eignet.EinbesondererSchwerpunktliegtbeiihmdabeiaufderAuseinanderset zung mit Mathematik, um Prüfungen zu bestehen, sowie zur Berufsvorberei tung.DiesistbesondersinderextremwichtigenPositiondesHongKongCertifi cate of Education Examination (HKCEE) begründet, welches für Hongkonger Schülerinnen und Schüler eine zentrale Stufe in ihrem Bildungsgang bedeutet (vgl.Abschnitt3.3,S.78). Mirko Mirko ist ein leistungsstarker Schüler (62) der 10. Klassenstufe des Theodor StormGymnasiumsinNorddeutschland.ErbesuchtdenMathematikunterricht vonFrauThomsen.MirkomöchtespätergernMathematikstudieren,umLeh rerfürMathematik,PhysikoderSportwerden(84).Erbeschäftigtsichalsomit Mathematik,umsichaufseinenzukünftigenBerufvorzubereiten. Mirkoistsehrehrgeizig(38,68,160),wasgroßenEinflussaufseinVerhal tenimMathematikunterrichtbzw.seineEinstellungzumLernenvonMathema tikhat.SeinEhrgeiztreibtihnan,sichintensivmitMathematikzubeschäftigen undistdieBasisfürseineintrinsischeMotivation(38,160,vgl.auchAbschnitt 8.5.3,S.200).Mirkoistalso–obwohlerhieralsPrototypvorgestelltwird–kein Schüler,derMathematikausPflichterfüllunglerntundteiltdiesehrverbreitete gleichnamigeSinnkonstruktionnicht.Diesbesagtabernur,dassersichindieser HinsichtnichtimInterviewgeäußerthat.Eskanntrotzdemsein,dasserdiese Art von Sinn konstruiert, es jedoch nicht im Interview zur Sprache kam bzw.
8.7ErfüllunggesellschaftlichgeprägterAnforderungen
229
durchandereHinweiserekonstruierbarwurde.BegründetdurchseinenEhrgeiz stehtbeiMirkoganzbesondersdiepositiveAußenwirkungimVordergrund. Es ist Mirko ganz besonders wichtig, dass andere Menschen ein positives Bildvonihmhaben.EntsprechendlässtersichselbstundseineKlassederInter vieweringegenüberineinempositivenLichterscheinen.„Alsojetztohneange ben zu wollen“ (33) beschreibt Mirko seine Klasse als leistungsstark und be müht, sich bei Fragen gegenseitig zu helfen bzw. das Angebot der Lehrkräfte, Fragen stellen zu dürfen, wahrzunehmen. Außerdem stellt er heraus, dass in seiner Klasse mehrere Schülerinnen und Schüler seien, die sich nicht nur des halbmelden,damitsieeinegutemündlicheNotebekommen,sondernweilsie estatsächlichauchwissen(42): […]alsoessindziemlichvieleimVergleichzuanderenKlassen.DassagendieLeh rerauchimmerwieder.DiehabenunsaufdemElternabendsogargelobtgehabt, dasswirdiebesteArbeit,wirwerdensogar,beiLehramtsprobenwerdenwirim mergenommen.[…]Also,dieLehrersindrechtstolzaufunseigentlich,obwohlsie dasinderStundenichtsosehrzeigen.(42)
AuchandieserStellezeigtsich,dassMirkodiepositiveAußenwirkung,dieseine Klasse auf die Lehrerinnen und Lehrer hat, wichtig ist. Er ist der einzige Inter viewte,derdiesenPunktsoexplizitindenVordergrundstellt,dassderEindruck entsteht, dass auch die Interviewerin diese Begeisterung von der Klasse über nehmensolle. Neben der positiven Außenwirkung auf die Interviewerin und die Lehrer schaft allgemein steht für Mirko ganz besonders im Vordergrund, dass seine LehrerinnenundLehrerimUnterrichteingutesBildvonihmhaben.Diesmani festiert sich für ihn vor allem in der Wertschätzung und Wahrnehmung seiner mündlichenMitarbeitimUnterricht.Erachtetdarauf,dassseineLehrerinsieht, dassersichmeldet. […]wenneszumfünftenMalwiederholtwird,[…]dannwirddasauchsolangsam langweilig, man kriegt den Drang ins Faule […]. Dann melde ich mich irgendwann nichtmehr,weilsie[FrauThomsen,MV]weiß,dassichmichfrüherdafürmitge meldethab.AberdasziehtdanndieNotenachherrunter,weilichmündlichmich nichtmehrbeteilige.Allerdings,ichhabmichheutejaauchziemlichhäufiggemel detgehabt,undsiehatmichdrei,viermaldrangenommen,allerdingssiehatmich auchimmergesehen,daachteichnämlichinletzterZeitziemlichdrauf[…]siehat auchimmeretwaslängerangeguckt,damitichwahrscheinlichweiß,ichglaub,sie fühltsowas,dassmandasmöchte[…].(36)
230
8Sinnkonstruktionstypen
Die mündliche Mitarbeit ist für Mirko sehr bedeutsam, da sie in sehr engem Zusammenhang mit seiner Zeugnisnote steht. Dementsprechend entwickelt er Ehrgeiz,imUnterrichtzeigenzuwollen,waserverstandenhat. […]deswegenhabichhaltnurdenEhrgeizentwickeltinderStunde,dassichhalt die Lehrerin halbwegs provoziere, mich auch dranzunehmen, dass ich es auch preisgebenkann.(68)
MirkosZielistes,dassseineLehrerinregistriert,dasseretwasweiß(69).Kann ervonZeitzuZeitseinWissenimUnterrichtnichtanbringen,gehternachder StundezuFrauThomsenundstelltihrFragen: […]einfachnur,umauchmal...Wissenzugeben,wasinderStundenichtsorichtig passte,[…]danngehichhaltzuihr,undmachdasauffragendeWeise,bringeich ihrbei,oderzeigeichihr,dassichdaskann[…].(147)
Mirkos Vorschlag zur Steigerung seines Interesses am Unterricht ist, dass er „immerdrangenommen“werdensolle(100).Eristmitsichzufrieden,wenner sichhäufiggemeldethat,daerdannweiß,dasserdieInhaltekann(128). Schließlich ist für Mirko relevant, dass er seinen Mitschülerinnen und schülerngegenübereinepositiveAußenwirkunghat.Erhilftihnengern,daer aufdieseWeisesehenkann,oberdieInhaltesogutverstandenhat,dassersie erklären kann. Zudem ist ihm wichtig, dass seine Klassenkameradinnen und kameradenihnalsleistungsstärkerenSchülerakzeptieren: […] wenn ich anderen helfen konnte, wenn andere zu mir kommen und um Hilfe fragen,dennweißich,dasssiemichalsetwasbesserenalssieakzeptieren,daweiß ichdennhaltauch'ichkanndas',unddannversuchichdasauchimmer,auchdenn aufmehrereWeisenzuerklären,wennsieesbeimerstenMalnichtverstehen.Also dabinicheigentlichschonmitmirzufrieden.Auchwennsieesnichtverstehen;ich weiß,dasssiemichdannirgendwieumRatgefragthaben,[…].(128)
EineandereSituation,inderseinepositiveAußenwirkungzumTragenkommt, ist, wenn das „LehrerErsatzSystem“ (139, d.h. die Lernenden helfen sich im RahmenvonGruppenarbeitgegenseitig)eingesetztwird.MirkoführtdieGrup peneinteilungdabeiaufdieLeistungsstärkederLernendenzurück.Infolgender Situationfühltersichgut: […]wennich[…]beinernurgutenGruppebin,dassich,ichweiß,dassichdazuge höre,sonstwäreichjanichtdadrin.Oderhaltwennichalleineodermiteineman dereninnerGruppebin,woeswelchesind,dienichtganzsogutsind,woichdann nochmalerklärenkann.(139)
8.7ErfüllunggesellschaftlichgeprägterAnforderungen
231
Neben der positiven Außenwirkung sind Mirko im Mathematikunterricht Prüfungen wichtig. Er betrachtet Klassenarbeiten als Verstehenskontrolle am EndeeinesThemengebiets: Alsoichfind'sinMathezumindestimmerwichtig,dassdamöglichstproThemane Arbeit geschrieben wird, damit ich mich halt damit auseinandergesetzt hab, und weiß,obich'skannodernicht.WennichneschlechtereNotehab,wasbeimiral lerdingsschonabdreizählt,weilichsoeinenochniegeschriebenhab,dannweiß ich,dassichmichdamitunbedingtbefassenmuss,unddannkannichdasThema auchnochspäterirgendwannfürmichselbstabschließen.(62)
JenachdemwelcheNoteeralsoineinerKlassenarbeiterreicht,weißMirko,ob erdasUnterrichtsthemaverstandenhatodernicht,undobernochselbständig Arbeit investieren muss. Der Unterricht vor den Klassenarbeiten bereitet ihn dabeiaufdieLeistungsüberprüfungvor.Erhatesnichtnötig,extrafürdieAr beiten zu lernen, da er im Unterricht genügend versteht (62). Entsprechend bewerteterauchdieletzteMathematikstunde: […]alsoeigentlichhabich,findich,vollkommengelernt,wasman,waswirfürdie Arbeitbrauchenkönnen.(59)
Anhand von Mirkos Beschreibungen wird deutlich, dass für ihn die Erfül lung gesellschaftlich geprägter Anforderungen primär in der Erzeugung einer positiven Außenwirkung zur Erlangung von guten Zensuren begründet ist. Be dingtdurchdengroßenAnteildermündlichenMitarbeitanderZeugnisnoteist esinDeutschlandfürdieSchülerinnenundSchüler–andersalsinHongkong– wichtig,dassihreLehrpersoneinpositivesBildvonihnenhat.DerSinnkonstruk tion Positive Außenwirkung kommt also eine gewichtige Position zu. Daneben spielen die Sinnkonstruktionen Pflichterfüllung, Berufsvoraussetzung und Prü fungenfürMirkoeineeheruntergeordneteRolle. Barry Barry ist Schüler der 10. Klassenstufe des Wah Yan College in Hongkong und besuchtdortden Mathematikunterricht von MrNg. Erbelegt neben dem Ma thematikunterricht für alle Schülerinnen und Schüler (mathematics) auch den zusätzlichenMathematikunterricht (additional mathematics), der als Wahlfach angeboten wird. Barry ist ein leistungsstarker Schüler:Er versteht sehrviel im Unterricht(etwa95%inmathematicsundetwa7580%inadditionalmathema tics,138141)undhatguteNotenimMathematikunterricht(57). Obgleich erdem Unterrichtpositiv gegenüber steht(57,195), lernt Barry Mathematik,daeseinPflichtfachinderPrimarundSekundarstufeistundsein
232
8Sinnkonstruktionstypen
VaterguteNoteninMathematikvonihmerwartet(194195).Barrynenntsei nenVaterdaherauchalseinzigePersonaufdieFrage,werfürseinMathematik lernen wichtig sei. Die Nachfrage, ob darüber hinaus andere Personen wichtig seien, verneint Barry (150152). Dem Vater sei dabei Barrys Mathematiknote sehrwichtigundererwarte,dassseinSohndieBestnote,einA,erreiche(siehe auch195).DieanderenFächerscheinenihmwenigerwichtigzusein.Diesliegt wahrscheinlichdaran,dassderVaterselbstMathematiklehrerderSekundarstu feist(57). BarrybekräftigtaneineranderenStelledesInterviews,dasserfürseinen VaterMathematiklerne: B:Learningfor.Alsomyfather,Ithink. I:Alsoyourfather?Soyoulearnmathematicstopleasehim,inaway…? B:Yes.(158160)
DiepositiveAußenwirkungseinemVatergegenüberistfürBarryalsosehrwich tig. NebenseinemVatermöchteBarryauchMrNgeinpositivesBildvonsich vermitteln. Als wichtiges Element des Unterrichts beschreibt er entsprechend, dass es für ihn wichtig sei, dass er seinem Lehrer im Unterricht die richtigen Antwortengebenkönne. Ithinkthemostimportantthing[inamathematicslesson,MV]isIcananswerthe correctanswertoaquestionandalsoMrNg.(8889)
WichtigernochalsdiepositiveAußenwirkungoderdieErfüllungvonPflich tenistesfürBarry,dassderMathematikunterrichtaufPrüfungenvorbereitet. DasHongKongCertificateofEducationExamination(HKCEE,vgl.Abschnitt3.3, S.78)istunterihnendaswichtigste.ErverstehtdaherdenUnterrichtalsVorbe reitungsoderÜbungszeitaufdasHKCEEundbeschreibteinenormaleMathe matikstundefolgendermaßen: […]thenlistentoMrNgtotalkaboutsomedefinitions.Andhewillgiveme,give usmanyquestionstomakeuseofthisdefinition.…ButIthinkthat’sallis,because hethinkthatmathsisjust,youneedtopracticeinthistimeforHKCEE.(70)
DamiteinhergehtBarrysEinstellung,dassesimUnterrichtschnellerinhaltlich vorangehenkönnte,sodassmehrÜbungfürschwierigeInhaltemöglichwäre. Wecanmovefasterandhavemorepracticeforsomedifficulttopics.(114)
8.7ErfüllunggesellschaftlichgeprägterAnforderungen
233
Es gefällt Barry, dass das HKCEE grundsätzlich von MrNg im Unterricht thematisiertwird.Diesgeschiehtetwadadurch,dassderLehrerimUnterricht AufgabenausvorangegangenenHKCEEPrüfungenthematisiert. IthinkMrNgisgoodashealwaysdosomeclasspapersquestionsforustoprepare fortheexamin,HKCEE.(31)
DieArtderAufgabenimHKCEEistalsogrößtenteilsbekannt,sodassein'tea chingtothetest'stattfindenkann(sieheauch4647).Diesistesauch,wasBar ryaminteressantestenimUnterrichtfindet.Dochobgleicherleistungsstarkist (s.o.),haterAngst,nichtgutgenugimHKCEEabzuschneiden.Ernimmtdaher wöchentlich1,5StundenUnterrichtineinemTutoriumszentrum(191192),um nochbesseraufdasHKCEEvorbereitetzusein.BarryhatAngst,dassimHKCEE möglicherweiseandereFrageartenvorkommen,alszuvorimUnterrichtbehan deltwurden(188190),sodassersichdurchdiezusätzlicheBeschäftigungmit Mathematik im Rahmen des TutoriumUnterrichts besser vorbereitet fühlt. Es geht ihm also gar nicht unbedingt darum, neue Inhalte zu vertiefen, sondern darum,möglichstvieleverschiedenepotentielleFrageartenzuüben. EinweitererÜbungsaspektfürdasHKCEEsindfürBarryTests(quizzes),die imMathematikunterrichtgeschriebenwerden.DasienichtvielfürdieEndjah resnote zählen, sind ihm die Ergebnisse auch nicht so wichtig. Wichtiger ist dahingegenderÜbungsaspekt,dervonihnenausgeht. Forthetestorquizinthelessons,Ithinkisjustsomepracticeforus.It’sbecauseit doesn'tcountmanymuchinthefinalresult.Butfortheexaminationsattheyear end,it’sveryimportant.Itisbecauseit'slikesomecompetitionwithothers.Andall ofuswilltryourbesttoscoreagoodmark.FortheHKCEEit’snotonlytheschools forthecompetitionbutallaroundHongKong.Thecompetitionisintensed.…It's determinedwhichuniversitythatwe’llgoto.(101)
DiegroßeWichtigkeitdesHKCEEErgebnissesliegtdarin,dassesGrundlagefür mehrere Entscheidungen ist, die in den Bereich der Berufsvoraussetzung rei chen:EshängtaufdereinenSeitedavonab,obderSchüleroderdieSchülerin einoderzweiJahrelangdieOberstufebesuchenmuss. After the examination, we score thirty marks and then the student will study in formsixbutnotformseven.Theywillgotouniversitydirectlyandtheycanchoose thesubjectintheuniversityeasily.Fortheotherstudents,justbelowtwentyeight ortwentynine,theyneedtostudyformsevenandpreparefortheAlevelexam, just the higher level. And the syllabus is too much. Two years is not enough for themtostudyallthetopics.Thatmybrotherisjustenteringthisexamination,Ifeel
234
8Sinnkonstruktionstypen
thatheisvery,verytiredfortheexam.AndalwaysencouragemetohavesixA,like justthirtymarkstoentertheuniversityeasyanddirectly.(103)
BeiderBestnote,einer30,diesichaussechsmalderEinzelbestnoteAzusam men setzt, dürfen die Schülerinnen und Schüler die Schulzeit um ein Jahr ver kürzenunddirektnachderForm6andieUniversitätwechseln.LiegendieLer nenden jedoch knapp darunter, müssen sie auch Form 7 besuchen und das Alevelexaminationablegen.IndieserPrüfungwerdensehrvieleInhalteabge fragt,sodasssiealssehrschwergilt. Aufder anderen Seitegehtdie HKCEENote zusammenmit dem Ergebnis der Alevelexams zu einem variierenden Prozentsatz in den Numerus clausus derverschiedenenHochschulenein. IfwehavescoredagoodmarkinHKCEE,the….,letmethink,theuniversityonly lookatourHKCEEresultbutnottheAlevel.IfwehavefinishtheAlevel,different university will have different marking schemes like: Forty percent count for the HKCEEandsixtypercentcountforAlevel.(105)
Bei sehr gutem HKCEEErgebnis vernachlässigten die Universitäten, so Barry, dasErgebnisdesAlevelexams,sonstberechnetesichdieZulassungjedochaus dem HKCEE und dem Alevel exam. Beiden Prüfungen kommt also eine große Gewichtungzu,dasiestarkenEinflussdaraufhaben,wiederBildungsgangder Lernenden weiter geht, bzw. welches Studienfach an welcher Universität sie belegendürfen.BarryselbsthatnochkeinegenauereVorstellungdavon,waser späterberuflichmachenmöchte.Erkönntesichjedochvorstellen,Chemikerzu werden, weil damit seine beiden Lieblingsfächer, Chemie und Mathematik, in derchemischenForschungmiteinanderkombiniertwären. Ilikechemistryandmathematics,bothofthem.IthinkifIamachemist,bothsub jectisusedintheresearches.(216)
Für Barry sind somit verschiedene gesellschaftlich geprägte Anforderungen wichtig,dieergernerfüllenmöchte.ErlerntMathematik,weileseinPflichtfach ist, und weil er die Erwartungen, die sein Vater an ihn stellt, erfüllen möchte. Dazu sind etwa besonders gute Prüfungsleistungen wichtig. Diese spielen zu demnocheinebesondereRolle,dadasHKCEE,welchesBarrynachdemnächs ten Schuljahr ablegen wird, eine sehr wichtige Rolle für seinen weiteren Bil dungsgang spielt. Sowohl die weitere Dauer des Schulbesuchs als auch die Chancen bei der Berufs, Studienfach und Universitätswahl stehen damit in Zusammenhang. Es ist also nicht verwunderlich, dass dem HKCEE von allen interviewtenSchülerinnenundSchülerninHongkongeineganzbesonderszent ralePositionzugewiesenwird,wiesieinDeutschlandnichtzufindenist.
9 KulturellePerspektive UmdieindervorliegendenStudiegebildeteTheorieausSinnkonstruktionsarten undtypenunterBezugaufeinekulturellePerspektivezureflektieren,müssen zunächstUnterschiedeoderGemeinsamkeitenzwischenbeidenLändernermit teltwerden.GrundlagediesesVergleichsistdabeidieVerteilungderrelativen Häufigkeiten der jeweiligen Sinnkonstruktionsart bzw. des typus in beiden Ländern. Unter relativer Häufigkeit verstehe ich hier den prozentualen Anteil, den die Kodierungen einer bestimmten Sinnkonstruktionsart unter allen Sinn konstruktionskodierungen der jeweiligen Person einnehmen. Die relative Häu figkeitgibt–andersalsdieabsolutenZahlen,dievonderLängederInterviews abhängenkönnen–diepersönlicheGewichtungdesAspektsdurchdieSchüle rinnen und Schüler wieder. Diese Daten wurden mit Hilfe der Software SPSS (Version19)statistischausgewertet(vgl.Abschnitt6.5,S.121). Sowohl in qualitativen als auch quantitativ ausgelegten Studien sind Aus sagenimmerabhängigvonderStichprobe.DieseProblematikistinsbesondere beieinervergleichsweisekleinenStichprobevonn=17interviewtenSchülerin nenundSchülernjeLandbedeutsam.AusdiesemGrundbinichmirdereinge schränkten Aussagekraftder Ergebnissebewusst. Sie können lediglich als Ten denzaussagen für das jeweilige Land gewertet werden und erheben keinen Anspruch auf eine uneingeschränkte Verallgemeinerung. Die statistischen Un tersuchungen dienen auch nicht dem Zweck der Hypothesentestung, sondern imGegenteilderGenerierungvonkulturspezifischenHypothesen.DieErgebnis se liefern dementsprechend Hinweise auf Hypothesen, die aus dieser Arbeit abgeleitetwerdenkönnen. 9.1 StatistischeUntersuchungderErgebnisse Wie in Abschnitt6.5 (S.121) beschrieben, wurde zunächst eine einfaktorielle, multivariate Varianzanalyse (MANOVA) durchgeführt, um das Vorhandensein vonUnterschiedenzwischenDeutschlandundHongkongbzgl.derentwickelten Sinnkonstruktionstypen und arten nachzuprüfen (vgl. Bortz, 1999, Kapitel 17; Field,2009,Kapitel16).AufgrunddeshochsignifikantenErgebnisses(PS=0.81, F(16,17)=4.55, p<0.01) können Unterschiede auf der allgemeinen Betrach tungsebenederSinnkonstruktionzwischendenLändernangenommenwerden.
M. Vollstedt, Sinnkonstruktion und Mathematiklernen in Deutschland und Hongkong, DOI 10.1007/978-3-8348-9915-6_9, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
236
9KulturellePerspektive
DamitistdieDurchführungweitererAnalysenaufderEbenederSinnkonstruk tionstypenundartengerechtfertigt. Um diese Unterschiede zwischen den verschiedenen Typen bzw. Sinn konstruktionsartenausfindigzumachen,wurdentTestszudeneinzelnenSinn konstruktionstypen und arten durchgeführt unddurch den UTest von Mann Whitneyabgesichert.Tabellen3und4(S.237bzw.238)gebeneinenÜberblick überdiejeweiligenErgebnissederSinnkonstruktionsartenundtypen(vgl.auch Abschnitt6.5, S.121). Die parametrischen Effektstärken Cohens d wurden auf Basis der Mittelwerte und Standardabweichungen mit Hilfe des Rechners auf http://www.phil.unisb.de/~jakobs/seminar/vpl/bedeutung/bedeut.htm ermit telt.AmVorzeichendesEffektstärkekannabgelesenwerden,inwelchemLand dieSinnkonstruktionfürdieSchülerinnenundSchülerwichtigerist:Einnegati vesVorzeichensprichtfüreinegrößereWichtigkeitinHongkong,einpositives Vorzeichen für eine größere Wichtigkeit des Sinnkonstruktionstyps bzw. der Sinnkonstruktionsart in Deutschland. Effekt werden als sehr gering, gering, mittel bzw. groß bei |d|<0.2, 0.2<|d|<0.5, 0.5<|d|<0.8 bzw. 0.8<|d| bezeichnet(vgl.Bortz&Döhring,2006,S.606).DienonparametrischenEffekt stärkenberechnensichals ݎൌ ,wobeiderZWertTabelle4(S.238)zuent ξே
nehmen ist und N=34 die Gesamtzahl der beobachteten Fälle beschreibt. Ef fektewerdenalskleineingeschätzt,wenn|r|<0.3,mittel,wenn0.3<|r|<0.5 bzw.groß,wenn0.5<|r|(vgl.Field,2009,S.550). Wie den Angaben zu entnehmen ist, finden sich signifikante Unterschiede bei den Sinnkonstruktionstypen Aktive Auseinandersetzung mit Mathematik und Wohlbefinden durch eigene Leistung. Auf Ebene der Sinnkonstruktionsarten tretensignifikanteUnterschiedebeiAktivesBetreibenvonMathematik,Ausge glichenheit,PositiveAußenwirkung,PrüfungenundZensurenauf.Beiallenzei gen sich mittlere bzw. große Effektstärken (0.5<|d| bzw. 0.3<|r|) (vgl. die Klassifikation von Jürgen Bortz und Nicola Döhring, 2006, S.606 bzw. Andy Field, 2009, S.550). Die Sinnkonstruktion Kognitive Herausforderung weist bei derBerechnungdestTestskeinsignifikantesErgebnisauf,imMannWhitney UTesthingegenschon.DadasErgebnisdesnonparametrischenTestslediglich knappsignifikantgewordenist(p=0.044),imtTestjedochdeutlichnicht(p= 0.181),verzichteichjedochdarauf,dieseSinnkonstruktionbeidenUnterschie den zu reflektieren und ziehe es vor, keine Aussage über Unterschiede oder Gemeinsamkeitenzumachen. NebendenUnterschiedenkonntenauchGemeinsamkeitenimDatenmate rialrekonstruiertwerden.DafürwurdendieEffektstärkenCohens d(paramet risch)undr(nonparametrisch)betrachtet(vgl.Abschnitt6.5,S.121).Eswerden
HK 6.52 13.61 20.11 17.34 12.70 18.71 11.01 5.94 12.41 8.88 4.51 5.08 7.14 2.35 8.22
D 1.70 12.50 21.16 16.31 12.91 20.07 15.35 1.53 11.48 3.60 5.30 4.94 8.37 2.73 10.15
Mittelwert
1.59 3.28 2.76 3.53 2.73 4.89 5.70 4.87
9.50 6.14
5.21
7.30
7.78
1.79 3.23
3.87 4.87 6.33 4.21 3.06 4.78 2.63 4.99
6.82 4.57
4.99
7.56
6.96
4.24 4.96
Standardab weichung D HK
4.35 0.66 3.15 0.60 0.14 0.74 0.25 1.14
0.48 2.34
0.12
0.40
0.42
4.32 0.77
T
21.28 32 21.88 32 32 32 32 32
32 32
32
32
32
21.53 32
df
0.000** 0.517 0.005** 0.556 0.891 0.467 0.805 0.263
0.636 0.026*
0.905
0.689
0.681
0.000** 0.446
p
1.49 0.22 1.08 0.20 0.05 0.25 0.09 0.39
0.16 0.80
0.04
0.14
0.14
1.48 0.26
Cohens d
tTestfürdieMittelwertgleichheit
ErgebnissedertTestsfürdierelativenHäufigkeitenderSinnkonstruktionstypenundarten beiderLänder(gerundet).
Sinnkonstruktionstypen AktiveAuseinandersetzungmitMathematik Anwendungsrelevanz EffizienteundunterstützendeGestaltungvon Unterrichtsprozessen EmotionalaffektivgeprägteEntfaltung ErfüllunggesellschaftlichgeprägterAnforderun gen KognitiveSelbstentwicklung WohlbefindendurcheigeneLeistung Sinnkonstruktionsarten AktivesBetreibenvonMathematik AnwendungimLeben Ausgeglichenheit Autonomieerleben Berufsvoraussetzung Effizienz EmotionalaffektiveBindungandieLehrperson Kompetenzerleben
Tabelle3:
9.1StatistischeUntersuchungderErgebnisse
237
D 3.87 4.17 3.57 0.47 5.21 6.52 9.12 13.98 4.99
HK 5.99 4.08 0.78 3.71 3.05 5.99 6.92 12.79 2.13
Mittelwert
Standardab weichung D HK 5.26 3.62 2.33 2.44 2.54 1.80 0.90 3.16 4.98 3.36 5.94 4.90 5.40 3.75 6.88 4.74 2.83 2.30 p 0.181 0.918 0.001** 0.001** 0.148 0.781 0.178 0.562 0.003**
Cohens d 0.47 0.04 1.27 1.39 0.51 0.10 0.47 0.20 1.11
6.52 13.61 20.11 17.34 12.70 18.92 11.01
21.16 19.31 12.91 20.93 15.35
HK
1.70 12.50
D
Median
135.00 142.50 124.50 84.00
128.50
42.50 131.50
U
0.33 0.07 0.69 2.08
0.55
3.55 0.45
Z
0.743 0.945 0.491 0.037*
0.581
0.000** 0.654
p
MannWhitneyUTest
0.06 0.01 0.12 0.36
0.09
0.61 0.08
Effekt stärker
ErgebnissederMannWhitneyUTestsfürdierelativenHäufigkeitenderSinnkonstruktionstypen undartenbeiderLänder(gerundet).
Sinnkonstruktionstypen AktiveAuseinandersetzungmitMathematik Anwendungsrelevanz EffizienteundunterstützendeGestaltungvonUnterrichts prozessen EmotionalaffektivgeprägteEntfaltung ErfüllunggesellschaftlichgeprägterAnforderungen KognitiveSelbstentwicklung WohlbefindendurcheigeneLeistung
Tabelle4:
df 32 32 32 18.60 32 32 32 32 32
tTestfürdieMittelwertgleichheit T 1.37 0.10 3.70 4.06 1.48 0.28 1.38 0.59 3.24
Anmerkung:*/**.DasErgebnisistaufdemNiveauvon0.05/0.01(2seitig)signifikant;N=34.
KognitiveHerausforderung Pflichterfüllung PositiveAußenwirkung Prüfungen PurismusderMathematik Selbstperfektionierung SozialeEingebundenheiterleben UnterstützungdurchdieLehrperson Zensuren
238 9KulturellePerspektive
1.56 10.91 2.56 6.52 4.44 8.57 0 10 2.22 4.35 2.86 0 3.70 4.44 9.09 12.96 4.35
D
HK
5.56 11.43 7.55 3.33 5.71 6.10 2.27 6.67 7.14 4.29 0 2.94 1.89 5.08 6.90 12.86 1.43
Median
43.50 135.00 70.00 120.00 138.00 113.00 121.00 111.5 86.50 139.00 44.50 45.00 110.00 142.00 110.00 140.00 61.00
U
Anmerkung:*/**.DasErgebnisistaufdemNiveauvon0.05/0.01(2seitig)signifikant;N=34.
Zensuren
Pflichterfüllung PositiveAußenwirkung Prüfungen PurismusderMathematik Selbstperfektionierung SozialeEingebundenheiterleben UnterstützungdurchdieLehrperson
EmotionalaffektiveBindungandieLehrperson Kompetenzerleben KognitiveHerausforderung
Sinnkonstruktionsarten AktivesBetreibenvonMathematik AnwendungimLeben Ausgeglichenheit Autonomieerleben Berufsvoraussetzung Effizienz
3.51 0.33 2.57 0.85 0.22 1.09 0.91 1.14 2.02 0.19 3.60 3.66 1.20 0.09 1.19 0.16 2.89
Z 0.000** 0.743 0.010* 0.397 0.823 0.278 0.365 0.256 0.044* 0.850 0.000** 0.000** 0.230 0.931 0.235 0.877 0.004*
p
MannWhitneyUTest
0.60 0.06 0.44 0.15 0.04 0.19 0.16 0.19 0.35 0.03 0.62 0.63 0.21 0.01 0.20 0.03 0.50
Effekt stärker
9.1StatistischeUntersuchungderErgebnisse
239
240
9KulturellePerspektive
die Ergebnisse berichtet, für die d<0.2 und r<0.3 gilt. Alle auf diese Weise ermittelten Sinnkonstruktionsarten und typen sind nicht signifikant verschie den.DurchdiegeringeEffektstärkekanndavonausgegangenwerden,dassder FaktorLandnureinensehrgeringenEinflussaufdieEffektezwischendenLän dern hat. Sollte eine Sinnkonstruktionsart oder ein typ bei einer größeren Stichprobesignifikantwerden,solltealsotrotzdemnureinsehrgeringerEffekt vorliegen,sodassvonGemeinsamkeitenderLändergesprochenwerdenkann. Die Tabellen 3 und 4 (S. 237 bzw. 238) zeigen Gemeinsamkeiten auf der Typenebene für Effiziente und unterstützende Gestaltung von Unterrichtspro zessen, Emotionalaffektiv geprägte Entfaltung, Erfüllung gesellschaftlich ge prägter Anforderungen und Kognitive Selbstentwicklung sowie für die Sinn konstruktionsarten Berufsvoraussetzung, Emotionalaffektive Bindung an die Lehrperson, Pflichterfüllung und Selbstperfektionierung. Insgesamt lassen sich also Unterschiede und Gemeinsamkeiten bei jeweils vier Sinnkonstruktionsty pen und arten feststellen. Bei den restlichen Typen und Arten waren die Er gebnissenichteindeutiginterpretierbar. Die folgenden Abschnitte beleuchten die Unterschiede und Ähnlichkeiten aus einer kulturellen Perspektive zunächst auf Typen und anschließend auf Sinnkonstruktionsebene. Die Ergebnisse, die berichtet werden, beziehen sich dabeiaufdieResultatedestTestssowiedieEffektstärkenCohensd.Weichen die Effektstärken der nonparametrischen Tests von denen der tTests ab, bei spielsweise wenn statt eines großen lediglich ein mittlerer Effekt festgestellt wurde, wird darauf in einer Fußnote hingewiesen (vgl. auch Abschnitt6.5, S.121). 9.2 EbenederSinnkonstruktionstypen DieTypenbildungdieserStudieisteineinhaltlichbegründeteZusammenfassung vonverschiedenenSinnkonstruktionsartenzuIdealtypen,dienichtanintraper sonalen oder kulturellen Sinnkonstruktionsmustern orientiert ist, sondern personenundkulturübergreifenddierekonstruiertenSinnkonstruktionennach MathematikundIndividuumsbezogenheitgruppiert.Infolgedessenistesmög lich, dass landesspezifische Unterschiede oder Gemeinsamkeiten, die bei ein zelnen Sinnkonstruktionen vorhanden sind, auf der Typenebene verwischen oder sich gegenseitig aufheben. Entsprechend lassen sich lediglich beiden Ty penAktiveAuseinandersetzungmitMathematikundWohlbefindendurcheige ne Leistung signifikante Unterschiede zwischen den Ergebnissen aus Deutsch landundHongkongerkennensowieGemeinsamkeitenbeiEffizienteundunter
9.2EbenederSinnkonstruktionstypen
241
stützende Gestaltung von Unterrichtsprozessen, Emotionalaffektiv geprägte Entfaltung,ErfüllunggesellschaftlichgeprägterAnforderungensowieKognitive Selbstentwicklung. Der Typus Aktive Auseinandersetzung mit Mathematik basiert auf einer einzigen Sinnkonstruktionsart, die hoch signifikante Unterschiede zwischen DeutschlandundHongkongaufweist(p<0.01).InwiefernderkulturelleHinter grundderSchülerinnenundSchülereineRollefürdieseSinnkonstruktionspielt, wirddaherinAbschnitt9.3.1.1(S.243)diskutiert. DerzweitesignifikantgewordeneTypus,WohlbefindendurcheigeneLeis tung, umfasst zwei Sinnkonstruktionen, von denen eine hoch signifikant ist (Zensuren,p<0.01).DerEffektscheintsogroßzusein,dassselbstdieGruppie rungmiteinernichtsignifikantgewordenenSinnkonstruktion(Kompetenzerle ben)nocheinenhohenEffektaufTypenebenezeigt(d=0.838).DieseErgebnisse könnenuntereinerkulturellenPerspektiveinsofernbegründetwerden,alsdass in einer westlichen Kultur wie Deutschland das Individuum stärker im Vorder grund steht, wohingegen in konfuzianisch geprägten Regionen wie Hongkong das Kollektiv bzw. die Gruppe von größerer Bedeutung ist (vgl. Leung, 2001, S.44). Die Benennung der eigenen Leistung und ein daraus resultierendes Wohlbefindenscheinen also in beidenKulturen aufzutreten, in der westlichen jedochstärkeralsinderkonfuzianischgeprägten.EinegenauereInterpretation der Ergebnisse ist aufEbeneder konkreten Sinnkonstruktion möglich (vgl. Ab schnitt9.3.1.5,S.249).DadieSinnkonstruktionKompetenzerlebennichtsignifi kantgewordenist,wirdsienichtweiteraufkulturelleUnterschiedehinanaly siert. Andere signifikant gewordene Sinnkonstruktionen eliminieren sichgegen seitigbeimÜbergangaufTypenebene.DiesistfürdieSinnkonstruktionenPosi tive Außenwirkung und Prüfungenbei derZusammenfassung zum Typus Erfül lung gesellschaftlich geprägter Anforderungen der Fall. Die beiden Sinn konstruktionenunterscheidensichsignifikant(pPOS<0.01,dPOS=1.27bzw.pPRÜ < 0.01, dPRÜ = 1.39)und werden daher indenAbschnitten9.3.1.3 und 9.3.1.4 (S.246 bzw. 247) ausführlicher diskutiert. Der Typus hingegen weist Gemein samkeiten bei den Ergebnissen zwischen Deutschland und Hongkong auf (d = 0.04).Diesliegtoffenbardarinbegründet,dassnebendensignifikantverschie denen Sinnkonstruktionsarten auch solche in diesem Typus zusammengefasst werden, die Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und Hongkong zeigen: Berufsvoraussetzung (d = 0.05) und Pflichterfüllung (d = 0.04). Die Ergebnisse der vier Sinnkonstruktionsarten aus beiden Ländern sind also heterogen. Ähn 38
Nonparametrischergibtsichmit0.3<|r|<0.5einmittlererEffekt.
242
9KulturellePerspektive
lichwiebeidenUnterschiedenzeigensichdemnachauchbeidenGemeinsam keitenSchwierigkeitenderInterpretationaufTypenebene. Der Typus Emotionalaffektiv geprägte Entfaltung hat eine Effektstärke d=0.14 und weist somit auf Typenebene kaum Unterschiede zwischen Deutschland und Hongkong auf. Dieses Ergebnis ist ebenfalls wieder überra schend, da die enthaltene Sinnkonstruktion Ausgeglichenheit signifikante Un terschiede zwischen den Ländern mit einer hohen Effektstärke dokumentiert (p<0.01, d=1.0839). Die beiden weiteren Sinnkonstruktionen dieses Typs ha ben jedoch nur eine kleine bzw. sehr geringe Effektstärke (Soziale Eingebun denheit:d=0.47beip=0.18bzw.EmotionalaffektiveBindungandieLehrper son: d=0.09 bei p=0.81). Der signifikante Unterschied der Ausgeglichenheit wirdoffenbardurchdieGemeinsamkeitenderanderenbeidenSinnkonstruktio nenaufgefangen. DerTypusEffizienteundunterstützendeGestaltungvonUnterrichtsprozes sen zeigt kaum Unterschiede zwischen Deutschland und Hongkong bei einer Effektstärke von d = 0.14. Die zugrundeliegenden Sinnkonstruktionen Effizienz und Unterstützung durch die Lehrperson weisen Effektstärken auf, die auch klein, jedoch gerade nicht mehr klein genug sind, um dem Kriterium für Ge meinsamkeitenzugenügen(dEFF=0.25bzw.dUNT=0.2040).Schließlichzeigtder TypusKognitiveSelbstentwicklungGemeinsamkeitenzwischenDeutschlandund Hongkongmitd=0.16,diesichoffenbaraufdieGemeinsamkeitenderzugrun deliegenden Sinnkonstruktion Selbstperfektionierung zurückführen lassen (d = 0.10).DieErgebnissederanderendreiSinnkonstruktionen,dieindiesemTypus zusammengefasst sind, lassen sich nicht weiter interpretieren, da sie weder Gemeinsamkeiten noch signifikante Unterschiede aufweisen. Auch hier verwi schen folglich die Ergebnisse bei der Zusammenfassung der beiden Sinn konstruktionsarten, so dass die Ergebnisse auf Typenebene scheinbar klarer wirkenlassenalssieesaufArtenebenesind. Aus dieser kurzen Übersicht wird deutlich, dass eine Aussage über die Sinnkonstruktionstypen bzgl. Ähnlichkeiten und Unterschiede wenig aussage kräftigist.DieAussagekraftderSinnkonstruktionsergebnisseisteingeschränkt, dasiedurchdieZusammenfassungderSinnkonstruktionsartenbeimÜbergang zumTypusverwischtwird.DieseUnschärfeliegtinderobenbereitserwähnten inhaltlichen statt empirischen Begründung der Typenbildung begründet. Die SinnkonstruktionstypensindauftheoretischerGrundlagegebildetwordenund 39
Nonparametrischergibtsichmit0.3<|r|<0.5einmittlererEffekt. DienonparametrischenEffekstärkenliegenebenfallsmitdEFF=0.19bzw.dUNT=0.03unter derGrenzedesKriteriumsfürGemeinsamkeitvon0.3. 40
9.3EbenederSinnkonstruktionsarten
243
spiegeln daher nicht die empirischen Ergebnisse von Gemeinsamkeiten oder UnterschiedenzwischenDeutschlandundHongkong. DerfolgendeAbschnittgibteinentieferenEinblickindiegefundenenUn terschiedeaufEbenederSinnkonstruktionsartenundstelltsieineinenkulturel lenKontext.DarüberhinauswerdenexemplarischauchGemeinsamkeitenbei derLänderreflektiert. 9.3 EbenederSinnkonstruktionsarten VerlässtmandieEbenederSinnkonstruktionstypenundbetrachtetdieeinzel nenarten,lassensichsowohlkulturelleUnterschiedealsauchGemeinsamkei tenausdenDatenrekonstruieren.DiefolgendenAbschnittesetzendieeinzel nenSinnkonstruktionenineinenwestlichvs.konfuzianischgeprägtenkulturel lenKontext. 9.3.1 Unterschiede WieinTabelle3(S.237)gezeigt,konntenbeiMittelwertvergleichenderrelati venHäufigkeitenanhandvontTestsfürfünfSinnkonstruktionsartensignifikan teUnterschiedezwischenDeutschlandundHongkonggefundenwerden.Diese werdennunimHinblickaufeinemöglichekulturelleBegründungreflektiert. 9.3.1.1
AktivesBetreibenvonMathematik
Bei der Sinnkonstruktion Aktives Betreiben von Mathematik steht die aktive Auseinandersetzung mit mathematischen Aufgaben im Vordergrund. Aspekte, diebeimaktivenBetreibenvomMathematikfürdieLernendenpersönlichrele vantwerden,tragendazubei,beiderAuseinandersetzungmitmathematischen Inhalten Freude zu erleben, die Wichtigkeit der Vorbereitung zum Bestehen relevanterPrüfungenzuthematisieren,unddeneigenenLernprozessderSchü lerinnen und Schüler in den Fokus zu nehmen (vgl. Abschnitt8.5.2.1, S.198). Alle drei Bereiche wurden von den Hongkonger Schülerinnen und Schülern häufigeralsvondendeutschengenannt(19vs.10,20vs.3,bzw.12vs.3Kodie rungen).BetrachtetmandierelativenHäufigkeiten,findetsicheinsignifikanter Unterschied jedoch nur mit Bezug auf die Prüfungsvorbereitung (p<0.01, d=1.05).DieserberuhtalleinaufÄußerungenallgemeinzurBeschäftigungmit MathematikalsPrüfungsvorbereitung(p<0.01,d=0.73),einAspekt,dervon den deutschen Schülerinnen und Schülern gar nicht genannt wurde. Bei den
244
9KulturellePerspektive
ÄußerungenzumBetreibenvonMathematikzurSteigerungdesSelbstvertrau ens,zurBeruhigungundzurVerbesserungdereigenenFähigkeiten,sindkeine signifikanten Unterschiede aufgetreten, obgleich im deutschen Datenmaterial lediglichzumletztenAspektÄußerungenkodiertwerdenkonnten. In diesen Ergebnissen zeigt sich, dass die aktive Auseinandersetzung mit mathematischen Inhalten in Hongkong eine gewichtigere Position als in Deutschlandinnehat(vgl.dazuauchDahlin&Watkins,2000).Untereinerkul turellenPerspektivelässtsichdiesinZusammenhangmitdembeliefdespracti cemakesperfectsetzen(Li,2006,vgl.auchAbschnitt3.2,S.132).Ihmliegtdie zentraleRolledeswiederholtenImitierensundÜbensmathematischerVerfah renfürdieAusbildungvonhohenfachlichenFertigkeitenundeinemvertieften Verständnis zugrunde. NgaiYing Wong beschreibt in diesem Zusammenhang zwei Sprichwörter, die diesen belief beschreiben: “diligence could remedy mediocracy“ (Fleiß kann Mittelmäßigkeit bewältigen) und “familiarity breeds sophistication“(VertrautheiterzeugtErfahrenheit)(Wong,2002,S.224).Beide basierenaufderinderkonfuzianischgeprägtenKulturvertretenenAuffassung, dass für das erfolgreiche Lernen von Mathematik nicht Intelligenz, sondern Ausdauernotwendigsei(Li,2006,S.131).GrundlagealldieserAnsichtenistdie durchdenKonfuzianismusgeprägteAnschauung,dassjederMenschgrundsätz lichbildbarsei(vgl.Abschnitt3.2.2,S.72),unddassAnstrengungzuWissenser werb und damit zu Weisheit führe (vgl. Abschnitt3.2.4, S.73, siehe auch Lee, 1996).WingOnLee(1996,S.31)schreibt: Thefactthattherearedifferencesinabilitydoesnotmatter,whatissignificantis developingpotentialitytothefullestextent,aswhenthegoldispurified,itispuri fied despite the amount of gold in the ore. This echoes what Confucius said: ‘If anothermansucceedsbyoneeffort,hewilluseahundredefforts.Ifanotherman succeedsbytenefforts,hewilluseathousand.Letamanproceedinthisway,and thoughdull,hewillsurelybecomeintelligent;thoughweak,hewillsurelybecome strong(TheMean,XX.2021).’
FolglichistinderkonfuzianischenWeltanschauungBildungundLernenimmer verbunden mit Anstrengung. In schulischen Lernprozessen schlägt sich dies insofern nieder, als dass die Schülerinnen und Schüler viele Übungsaufgaben desselbenTypusbearbeitenmüssen.Emmabeschreibtdiesfolgendermaßen: E: […] when the teacher teach us factorisation, the teacher usually will give us abouthundredfactorisationsentenceforustodo. I:That’salot,isn’tit?
9.3EbenederSinnkonstruktionsarten
245
E:Yes,butitissimilar.Thatonehundredsentencesissimilartogether.Sowewill domoreeasyuptoonehundredsentence.Butthisisgoodforus.Afterwedidthe factorisationexercise,wewilldidmoreeasilyinexam. I:So,youthinkit’snecessarytodolotsofexamplesafteryoulearnedsomething? E:Yes,wewon’tforgetit.(7276)
DieherausragendePositionderaktivenAuseinandersetzungmitmathema tischen Inhalten zur Prüfungsvorbereitung legt einen Zusammenhang mit der SinnkonstruktionPrüfungennahe(vgl.auchAbschnitt9.3.1.4,S.247). 9.3.1.2
Ausgeglichenheit
BeiderSinnkonstruktionAusgeglichenheitistesdeninterviewtenSchülerinnen und Schülern persönlich relevant, Ausgeglichenheit bei der Beschäftigung mit Mathematik bzw. beim Lernen von Mathematik zu empfinden. Dies kann in zwei Kontexten geschehen: im Mathematikunterricht durch Phasen der Ent spannung oder losgelöst in der Freizeit durch die freiwillige Beschäftigung mit mathematischen Inhalten (vgl. Abschnitt9.3.1.2, S.245). Bei letztgenanntem Aspekt zeigen sich signifikante Unterschiede bzgl. der Nennung von einem grundsätzlichen Interesse an mathematischen Themen oder einer positiven Einstellung zu ihnen (p<0.05, d=0.8241), nicht jedoch bei der Beschäftigung mit Mathematik in der Freizeit. Im Mathematikunterricht spielt Ausgeglichen heitinFormeinerkognitivenPause,MöglichkeitenzumRelaxenoderEntspan nen in Hongkong eine signifikant größere Rolle als in Deutschland (p<0.01, d=1.17).Bzgl.einerAusgeglichenheitnachAnstrengungoderdurchSpieleim MathematikunterrichtlassensichkeinesignifikantenUnterschiederekonstruie ren. DierelativeHäufigkeitvonÄußerungenzumallgemeinenInteresseanMa thematikoderzueinerpositivenEinstellungzuihrfälltimHongkongerDaten materialsignifikanthöherausalsimdeutschen.ImGegensatzzuraktivenAus einandersetzung mit mathematischen Inhalten (vgl. vorheriger Abschnitt) lässt sichdiesmalkeinedirekteVerbindungzubeliefsziehen,dieaufdemkulturellen Hintergrund der Lernenden basieren. Das Ergebnis wirft aus einer kulturellen PerspektiveeinerseitsdieFragenachderpositivenErwünschtheitderAntwor tenauf;andererseitskannsichdarineineandereEinstellungzumGegenstand Mathematik widerspiegeln. Präzisere Aussagen zu einer möglichen Erklärung 41
Nonparametrischergibtsichmit0.3<|r|<0.5einmittlererEffekt.
246
9KulturellePerspektive
derUnterschiedeaufgrundkulturellerDifferenzensindandieserStelleentspre chendschwierig. Die relative Häufigkeit der Hongkonger Kodierungen zu Ausgeglichenheit durcheinekognitivePauseo.ä.istsignifikanthöheralsimdeutschenMaterial. Die Hongkonger Schülerinnen und Schüler beschreiben dabei primär Situatio nen,indenensiesichausdemUnterrichtsgeschehenzurückziehenkönnenoder indereineinhaltlichePausedurcheinelustigeSituationentsteht.Sobeschreibt Barry die Gefühle, die er mit einer Mathematikstunde in Verbindung bringt, folgendermaßen: Relax,exitingasIhaveafreedomandsometimesMrNghavesomejokesothatwe arehappy.(114)
SolcheSituationenwerdenvonvielenSchülerinnenundSchülernthematisiert, sie kann daher als prototypisch verstanden werden. Eine Interpretation der starken Thematisierung von Momenten des Rückzugs liegt möglicherweise in den hohen Anforderungen, denen Hongkonger Schülerinnen und Schüler ge genüberstehen(vgl.Abschnitt3.2.5,S.75).DaeinhoherDruckaufihnenlastet, bekommensolcheMomente–ebensowieeinepositiveBeziehungzurLehrper son–eineganzbesondereBedeutung.DerLeistungsdruckfälltinDeutschland geringeraus,sodassdiesaucheinGrunddafürseinkann,dasshierRückzugs momenteimUnterrichtwenigerbedeutsamsind. 9.3.1.3
PositiveAußenwirkung
Bei der Sinnkonstruktion Positive Außenwirkung ist es für die Lernenden per sönlichrelevant,wenndurchdieBeschäftigungmitMathematikbzw.durchdie im Fach erzielten Leistungen eine positive Außenwirkung gegenüber anderen Personen erlangt werden kann und diese den Lernenden Anerkennung erwei sen. Insbesondere steht dabei der Wunsch nach Anerkennung von anderen Personen im Vordergrund (vgl. Abschnitt 8.7.2.3, S.225). Signifikante Unter schiede zwischen Deutschland und Hongkong lassen sich zurückführenauf die unterschiedlicheWichtigkeitdergewünschtenAnerkennungdurchanderePer sonen (p<0.01, d=1.15). Diese steht besonders für die deutschen Schülerin nenundSchülerzentralimFokus. EinsolchesErgebnisistzunächstüberraschend.NachKuoShuYang(1981, S.159160)sinddieWahrungdesGesichts,dasSichFügeninsozialeErwartun genunddieSorgeüberMeinungenandererAspektevonsozialerOrientierung. DiesewiederumsindwichtigeAspektederostasiatischenKultur(Leung,1998). Eshättealsoerwartetwerdenkönnen,dassderWunschnachAnerkennungvon
9.3EbenederSinnkonstruktionsarten
247
anderenPersoneneineAusgestaltungderSinnkonstruktionPositiveAußenwir kung ist, die in Hongkong wichtiger ist als in Deutschland. Die Unterschiede lassen sich jedoch detaillierter verfolgen auf den Wunsch nach Anerkennung durch die Lehrperson (p<0.01,d=1.13).Ein kulturell geprägterErklärungsan satzlässtsicherneutinderunterschiedlichenWichtigkeitvonmündlicherMit arbeit im Unterricht finden. Ist die mündliche Beteiligung im Unterricht in Deutschland von zentraler Bedeutung für die Zeugnisnote, spielt sie in Hong kong eine eher untergeordnete Rolle. Hier basieren die Noten primär auf den ErgebnissenvonExamina,diezubestimmtenZeitpunktenüberdasJahrverteilt geschrieben werden. Im Gegensatz zu Hongkong ist es also für die deutschen Schülerinnen und Schüler von immenser Wichtigkeit, dass ihre Lehrperson durch ihre mündliche Mitarbeit die Überzeugung erlangt, sie seien leistungs stark.DieseEinstellungwirdbeiMirkobesondersdeutlich: […] ich hab mich heute ja auch ziemlich häufig gemeldet gehabt, und sie [Frau Thomsen, MV] hat mich drei, viermal dran genommen, allerdings sie hat mich auchimmergesehen,daachteichnämlichinletzterZeitziemlichdrauf,weilichin anderen Fächern denn mal ne schlechte mündliche Note bekomme, obwohl ich mich häufig melde. […] sie hat auch immer etwas länger angeguckt, damit ich wahrscheinlichweiß,ichglaub,siefühltsowas,dassmandasmöchte,und…dann hat sie immer gewartet, ob nicht andere das noch wissen, was ich auch sehr gut verstehen kann, damit die auch mal […] in die Potte kommen. Ja, damit sie auch halt,wennsieschriftlichnichtsogutsind,esmündlichvielleichtnocheinbisschen verbessern.(36)
Mirko beschreibt hier zusätzlich die Möglichkeit, eine schlechte schriftliche LeistungdurchgutemündlicheMitarbeitauszugleichen.Darinliegtjedochauch dieGefahr,dassmancheSchülerinnenundSchülernursotun,„alswennsie's wüssten, […] nur um die mündliche Note rauszureißen, dass sie halt ne eins kriegen“ (42). Aus diesen Beispielen wird die zentrale Rolle der mündlichen Beteiligung im Unterricht in Deutschland deutlich (vgl. auch Friedrichs, 2008; Kaiser,1999). 9.3.1.4
Prüfungen
Die Sinnkonstruktion Prüfungen betrifft Aspekte, die die Rolle von Prüfungen fürdasIndividuumundseinenweiterenBildungsgangbeschreibenbzw.thema tisieren,inwieferndieVorbereitungaufPrüfungenfürdieinterviewtenSchüle rinnen und Schüler persönlich relevant ist (vgl. Abschnitt9.3.1.4, S.247). Die signifikanten Unterschiede zwischen den Ergebnissen aus Deutschland und
248
9KulturellePerspektive
HongkongaufSinnkonstruktionsebenelassensichaufdiePrüfungsvorbereitung zurückführen,derenrelativeHäufigkeitinHongkongeinengewichtigerenStel lenwerteinnimmtalsinDeutschland(p<0.01,d=1.35). DiePrüfungsvorbereitunginFormvonderAuseinandersetzungmitvielen AufgabenwurdebereitsanandererStellediskutiert(vgl.Abschnitte8.5.2.1und 9.3.1.1,S.198bzw.243).DiehoheRelevanzderVorbereitungbirgtzudemden Hinweis darauf, dass Prüfungen in Hongkong einen besonderen Stellenwert haben.IhrezentraleBedeutsamkeitinderkonfuzianischgeprägtenKulturkann bisindasJahr587n.Chr.zurückverfolgtwerden,alszumerstenMalPrüfungen dazu dienten, Gelehrte auszuwählen, die hohe Offizierspositionen bekleiden sollten(Leung,2008,S.988;vgl.auchAbschnitt3.2.5,S.75).Daheristauchdie Ansicht, dass Prüfungen das Leben einer Person bedingen können, tief in der chinesischenWeltsichtverwurzelt(vgl.Zhangetal.,2004,S.191).Diehieran geführten Überlegungen könnten eine mögliche Erklärung für die gefundenen UnterschiedezwischenDeutschlandundHongkongsein. Auchheute öffnen erfolgreich abgelegte Prüfungen die Möglichkeiten für AusbildungundStudiumunddamitsozialenAufstieg(vgl.Abschnitt3.3,S.78). InHongkonghängtvoneinergutenNoteimHongKongCertificateofEducation Examination (HKCEE) neben dem Zugang zum Ausbildungsplatz oder Studium auch die Dauer des weiteren Schulbesuchs ab. Mit einer Bestnote im HKCEE dürfendieSchülerinnenundSchülernachnureinemweiterenSchuljahrdirekt andieUniversitätwechseln,liegensieknappdarunter,müssensieweiterezwei Jahre zur Schule gehenund den HKALE (Hong KongAdvanced LevelEducation Test, entspricht den Alevelexaminations in Großbritannien) ablegen. Barry beschreibtdieWichtigkeitderErgebnissederJahresabschlussprüfungensowie desHKCEEfolgendermaßen: I:[…]Howimportantaregoodresultsforyou,inexamsforinstance? B:Inexam.YoumeanHKCEEorjustthe# #I:Orclasstestsorassignmentsorwhatever. B:Forthetestorquizinthelessons,Ithinkisjustsomepracticeforus.It’sbecause itdoesn'tcountmanymuchinthefinalresult.Butfortheexaminationsattheyear end,it’sveryimportant.Itisbecauseit'slikesomecompetitionwithothers.Andall ofuswilltryourbesttoscoreagoodmark.FortheHKCEEit’snotonlytheschools forthecompetitionbutallaroundHongKong.Thecompetitionisintensed.…It's determinedwhichuniversitythatwe’llgoto.
9.3EbenederSinnkonstruktionsarten
249
I:Sothatisdecidedinnextyear’sorwiththeHKCEE?42 B:Mhm.Whenwescorethirtymarks,justthefullmarks,youcanhaveonemore year to. After the examination, we score thirty marks and then the student will study in form six but not form seven. They will go to university directly and they canchoosethesubjectintheuniversityeasily.Fortheotherstudents,justbelow twentyeight or twentynine, they need to study form seven and prepare for the Alevelexam,justthehigherlevel.Andthesyllabusistoomuch.Twoyearsisnot enough for them to study all the topics. That my brother is just entering this ex amination,Ifeelthatheisvery,verytiredfortheexam.Andalwaysencourageme to have six A, like just thirty marks to enter the university easy and directly. (98 103)
DasHKCEEistsoangelegt,dassesamoberenLeistungsspektrumselektiert.Nur einsehrgeringerAnteilderSchülerinnenundSchülereinesJahrgangsbestehen daher die Prüfung (Tang &Biggs, 1996, S.169; vgl. auch Abschnitt3.3, S.78). DiesmageinerderGründefürdenhohenDrucksein,denBarryhierbeschreibt. 9.3.1.5
Zensuren
DieSinnkonstruktionZensurenbeschreibtdiepersönlicheRelevanzguterZensu renfürdieSchülerinnenundSchüler,indemihreLeistungimMathematikunter richtinFormvonZensurenreflektiertwirdundsichdasStrebennachLeistung in einem bestimmten Maß an Ehrgeiz widerspiegelt. Die signifikanten Unter schiedezwischenDeutschlandundHongkonglassensichaufdieRolledeseige nen Ehrgeizes (p<0.5, d=0.93), die Rolle der Zensur für das Individuum (p<0.5, d=0.89) sowie die Einstellung, dass Zensuren den eigenen Leistungs stand reflektieren (p<0.5, d=0.98), zurückführen.43 Alle Aspekte sind in DeutschlandwichtigeralsinHongkong. UnterBerücksichtigungderhohenWichtigkeitvonPrüfungeninHongkong (vgl. Abschnitt9.3.1.4, S.247) ist es zunächst verwunderlich, dass die relative Häufigkeit der Sinnkonstruktion Zensuren im deutschen Datenmaterial signifi kantgrößer ist als indem aus Hongkong.Eine möglicheErklärung kannin der stärkeren Individuumsbezogenheit im Gegensatz zu einer eher sozialen Bezo genheitinHongkongliegen(Yang,1981;Leung,2001;vgl.auchAbschnitt3.2.3, S.72),dadieSinnkonstruktionexplizitElementebeschreibt,indenenguteZen 42
BarryistSchülerderSecondary4(Form4),alsoder10.Klassenstufe.DasHKCEEwirdam EndederSecondary5geschrieben,alsoetwaeinJahrnachdemInterview. 43 Nonparametrisch ergibt sich mit 0.3<|r|<0.5 für alle drei Sinnkonstruktionsarten ein mittlererEffekt.
250
9KulturellePerspektive
suren mit persönlichen Eigenschaften bzw. der eigenen Leistungsfähigkeit in Zusammenhang gebracht werden. In Hongkong konnte die Einstellung, dass ZensurendeneigenenLeistungsstandreflektieren(sollten),keinmalrekonstru iertwerden,wohingegendieserKodeimdeutschenMaterialanzehnTextstel len vergeben wurde. Lea beispielsweise empfindet eine gute Zensur in einer KlassenarbeitalsBestätigungdafür,dasssieerfolgreichgelernthat: I: […] Erinnerst du dich an eine Situation im Matheunterricht, wo du dich mal so richtiggutgefühlthast? L:NachgutenArbeiten…wennmaneserstamAnfangwirklichgarnichtverstan denhat,dannrichtignochmalgelernthatunddann,'Hm,hm,hm,hm,hm,ichhab nichtsorichtiggelernt',aberdannsagtmanso,'oh,oh,daskönntedochnochwas Schlechteswerden',aberwennmandann…dochnachherdannwirklicheinegute Notehat,dann…jaErfolggehabtschön,cool. I:AlsohängtErfolgodersoeinGlücksgefühlganzengmitNotenzusammenoder… #nichtso? L:#Ja,weilesdasodieBestätigungdafüreigentlichist.HerrSchmidtlobtnatürlich auchimUnterricht,aber…sorichtigschriftlichhatmanesnatürlicherstdurchdie Noten.(198201)
Lea interpretiert die Zensur also als offizielle Instanz, welche ihren Leistungs standwiderspiegelt.DasErlebenvonGlücksgefühlendurchpersönlichenErfolg hängt bei ihr, wie auch bei vielen anderen deutschen Schülerinnen und Schü lern,engmitgutenZensurenzusammen(vgl.auchSinnkonstruktionKompetenz erleben,Abschnitt8.3.2.1,S.170). EinezweiteErklärungsmöglichkeiteröffnetdieregelmäßigerezensurenba sierteLeistungsüberprüfunginDeutschland,inderdieErgebnissevonKlassen arbeiten sowie die kontinuierliche mündliche Mitarbeit im Unterricht als No tengrundlagedienen(vgl.auchAbschnitt9.3.1.3,S.246).AufdieseWeiseistdie ReflexiondereigenenLeistungdurchZensurendauerhaftpräsent,wohingegen inHongkongprimärdieErgebnissezentralerPrüfungenEinflussaufdieNoten gebung haben. Tests oder andere Arten der Leistungsüberprüfung werden le diglichalsÜbungsmöglichkeitfürwichtigePrüfungenangesehen(vgl.etwadas ZitatvonBarryinAbschnitt9.3.1.4,S.247). 9.3.2 Gemeinsamkeiten WieindenTabellen3und4(S.237bzw.238)gezeigtwird,konntenbeiMittel wertvergleichen der relativen Häufigkeiten anhand von tTests und Mann
9.3EbenederSinnkonstruktionsarten
251
WhitneyUTests fünf Sinnkonstruktionsarten gefunden werden, deren Effekt stärkenCohensd<0.244undr<0.3sind(vgl.Abschnitt6.5,S.121).Eskannalso davonausgegangenwerden,dass–solltenineinergrößerenStichprobesignifi kante Unterschiede aufgefunden werden können – der kulturelle Hintergrund der Lernenden lediglich einen sehr geringen Einfluss auf diese Ergebnisse hat. Für eine kulturbasierte Reflexion der Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und Hongkong steht nun die Frage im Vordergrund, inwiefern sich auch auf EbenederKodesdieseGemeinsamkeitenwiederfinden,oderobtieferimDetail betrachtetdochkulturelleUnterschiedeerkennbarwerden. 9.3.2.1
Berufsvoraussetzung
Bei der Sinnkonstruktion Berufsvoraussetzung ist das Lernen von Mathematik bzw.dieAuseinandersetzungmitmathematischenInhaltenfürdasIndividuum persönlichrelevant,wennesmathematischeKompetenzenalsBerufsvorausset zung ansieht und sich durch die Beschäftigung mit Mathematik auf seinen Wunschberuf vorbereiten kann. Die Gemeinsamkeiten finden sich bei dieser SinnkonstruktionausschließlichaufhöchsterKodeebene(p=0.89,d=0.05).Die darunter liegenden Kodierungen zeigen eine Aufgliederung dahingehend, dass die Interviewten bestimmte mathematische Fähigkeiten und Fertigkeiten so einschätzen,dassdiesefürdieweitereSchullaufbahnunddamiteinhergehende Abschlussexaminabenötigtwerdenbzw.fürdasgewünschteStudienfachoder den späteren Beruf notwendig sind. Hier lassen sich keine aussagekräftigen Ergebnissevorweisen,wederimHinblickaufGemeinsamkeiten,nochaufsigni fikante Unterschiede zwischen den Daten aus Deutschland und Hongkong. In beiden kulturellen Hintergründen, so scheint es nach Analyse der Daten, wer denbestimmtemathematischeKompetenzenvondenSchülerinnenundSchü lernfürdieVorbereitungaufihrenspäterenWunschberufalsrelevanterachtet.
44
Am Vorzeichen der Effektstärke Cohen’s d kann grundsätzlich abgelesen werden, ob die jeweiligeSinnkonstruktionsartinHongkong(negativesVorzeichen)oderDeutschland(positi vesVorzeichen)wichtigerist.DadieUnterschiedezwischendenLändernbeidenberichteten Gemeinsamkeitensehrgeringsind,hatdasVorzeichenhierkeineAussagekraft.Ichwerdees imFolgendenentsprechendweglassenundalleWertealsPositivwertedarstellen,auchwenn essicheigentlichumeinennegativenWerthandelt.
252 9.3.2.2
9KulturellePerspektive
EmotionalaffektiveBindungandieLehrperson
BeiderSinnkonstruktionEmotionalaffektiveBindungandieLehrpersonistdie BeschäftigungmitMathematikbzw.dasLernenvonMathematikfürdasIndivi duumpersönlichrelevant,wenneineemotionalaffektiveBindungandieLehr personimMathematikunterrichtbesteht,diesichdurcheinefreundlicheUnter richtsatmosphäre sowie gegenseitige Achtung und Wertschätzung ausdrückt. DieinterviewtenSchülerinnenundSchülerbeiderLänderschätzendieRelevanz einer emotionalen Bindung an ihre Lehrperson etwa gleich ein (p=0.81, d=0.09).AufEbenederKodeslässtsichjedochnebenÄhnlichkeitenderErgeb nisseauchaneinerStelleeinsignifikanterUnterschiedfinden.DieÄhnlichkeiten liegenbeiderEinschätzungdesRespekts,dendieLernendenihrerLehrperson entgegenbringen (p=0.93, d=0.03), der freundlichen Atmosphäre und Kom munikationzwischenihnen(p=0.99,d=0.00)unddesFaktorsderJugendlich keit der Lehrperson (p=0.97, d=0.01). Letztgenannter Punkt sollte jedoch nicht überbewertet werden, da er in beiden Ländern lediglich einmal genannt wurde. Ein signifikanter Unterschied ergibt sich hinsichtlich der Relevanz von Späßen im Unterricht, der in Hongkong einen größeren Stellenwert einnimmt (p<0.1,d=0.95).EinemöglicheErklärungfürdiesenUnterschiedistderhohe Druck, der durch den hohen Stellenwert der Prüfungen auf den Schülerinnen undSchülerninHongkonglastet(vgl.Abschnitte9.3.1.2und9.3.1.4,S.245bzw. 247).Umihmentgegentretenzukönnen,scheintesfürsiewichtigzusein,dass derUnterrichteinRaumist,indemsiesichemotionalaufgehobenfühlen.Die BindungandieLehrpersonträgtunteranderemmitdazubei. Eine zweite Erklärungsmöglichkeit liegt in der unterschiedlichen Rolle der Lehrkraft in Deutschland und Hongkong. In Deutschland muss sie einen Aus gleichderAmbivalenzfinden,dieausihrenRollenalsUnterstützerinundErklä rendensowiederkontinuierlichBewertendenhervorgeht.InHongkongfungiert dieLehrpersonprimäralsUnterstützerin,diedieLernendenmitdennotwendi genFähigkeitenundFertigkeitenausstattet,welchedazubefähigen,mathema tischeProblemekorrektzulösenundeigenemathematischeEntdeckungenzu tätigen(vgl.Kaiser&Vollstedt,2007,S.347348).DieunterrichtlicheInterakti on zwischen Lehrperson und Lernenden ist dabei, so Irene Ho (2001, S.108 110), geprägt vom professionellem Umgang miteinander. Außerhalb des Lern kontextes sei sie jedoch von Wärme und persönlicher Anteilnahme gelenkt. Dieser persönliche Umgang miteinander, der sich etwa durch Späße der Lehr personzeigt,kamindendieserStudiezugrundeliegendenUnterrichtsstunden nebendemprofessionellenHandelnebenfallsvor.Erwirdvonvielenderinter viewten Schülerinnen und Schülern aus Hongkong besonders wertgeschätzt.
9.3EbenederSinnkonstruktionsarten
253
EineemotionalaffektiveBindungandieLehrpersonkannsomitauchimUnter richtentstehenundgefestigtwerden,wiediefolgendeÄußerungvonVincent zueinerStillarbeitsphaseimUnterrichtillustriert: Likedthelessons.Yes,becauseit'sfunny.Althoughitisjusttenorfifteenminutes but[…]MsTingwillsitinthestudents'area[…]watchusdoinghomework,andif wehaveanyproblemsshewillgoandcometoexplaintousandshewill[…]tell jokesandsomethinglikethis.(62)
Die deutschen Interviewten thematisierten Späße im Unterricht lediglich zweimal(dieHongkongerhingegenzwölfmal).InbeidenSituationenhandeltes sichnichtumkonzentrierteArbeitssituationen,wieVincentsiebeschreibt,son dern um Plaudereien mit der Lehrperson jenseits der fachlichen Inhalte. Der folgendeAbschnittgibtMonasBeschreibungeinerganznormalenMathematik stundewieder: Ja,wirkommenrein,HerrSchmidtsetztsichhin,manchmalmitwaszuessen,was zuTrinkendabei,manchmalfangenwirganzlockeran,dannstelltersichhin,dann redetereinbisschenmituns,dannhatervielleichtübersWochenende,[…]oder imLaufederWocheirgendwasLustigesgehört,dannerzähltermalnenWitzund so,unddannsagter,'Ja,dennholtjetztaberaucheureSachenraus,jetztmüssen wirauchwasmachen',undso.Dasfängtimmerganzlockeran.Unddann,jadann gehenwirhaltinsThemahinein[…].(102)
Interessant ist dabei im Vergleich, dass die Szenen, die in Hongkong mit Scherzenbeschriebenwerden,SituationenausdemUnterrichtbeschreiben,in denenüberwiegendkonzentriertgearbeitetwird.ImdeutschenDatenmaterial hingegen sind dies Phasen, in denen sich nicht mit mathematischen Inhalten auseinandergesetztwird,sonderndieSchülerinnenundSchülerversuchen,die LehrpersonvomeigentlichenUnterrichtsfokusabzubringen. 9.3.2.3
Pflichterfüllung
Die Sinnkonstruktion Pflichterfüllung beschreibt die persönliche Relevanz der BeschäftigungvonMathematikbzw.desLernensvonMathematik,umPflichten oderLeistungsdruckzuerfüllen,welcheesansichgestelltempfindet.Auchbei dieser Sinnkonstruktion wurden keine nennenswerten Unterschiede zwischen denErgebnissenausDeutschlandundHongkonggefunden(p=0.92,d=0.04). Die tiefere Analyse auf Kodeebene zeigt, dass sich dieses Bild auf beiden zu grunde liegenden Oberkategorien, die sich mit der Art der Begegnung des Drucks auseinandersetzen (p=0.66, d=0.15) bzw. die Anforderungen an das
254
9KulturellePerspektive
Individuumklassifizieren(p=0.61,d=0.18),fortsetzt.Inletztgenannterlassen sich die Gemeinsamkeiten wiederum auf die Relevanz für Anforderungen, die von der Gesellschaft an das Individuum gestellt werden (p=0.66, d=0.15), bzw.solche,dieimSchulsystembegründetliegen(p=0.71,d=0.13)zurückver folgen.SignifikanteUnterschiedewurdenbeikeinemderKodesgefunden.Dies sprichtdafür,dassPflichterfüllungeineähnlicheGewichtunginbeidenLändern erfährt. 9.3.2.4
Selbstperfektionierung
DieSinnkonstruktionSelbstperfektionierungbeschreibtEigenschaftendesIndi viduums,durchdieessichselbstperfektioniert,seineFähigkeitenoderLeistung verbessert und an sich arbeitet. Überraschenderweise waren auch hier keine nennenswerten Unterschiede zwischen Deutschland und Hongkong zu finden (p=0.78,d=0.10).Unterschiedehättenerwartetwerdenkönnen,daeinzent rales Element der konfuzianisch geprägten Kultur das Streben nach menschli cher Perfektionierung ist, bei dem gerade die Bildung eine zentrale Position einnimmt (vgl. Lee, 1996; Leung, 1999, S.244; Li, 2004, S.129130; vgl. auch Abschnitt3.2.3, S.72). Doch auch in Deutschland ist die Rolle von Bildung für die persönliche Weiterentwicklung von großer Wichtigkeit und kulturell tief verwurzelt(vgl.Kaiser,1999,S.296319). BeieinemBlickaufdieunterliegendenKodesfindensichGemeinsamkeiten bei allen Kodierungen, die sich auf die Leistung der Schülerinnen und Schüler beziehen (p=0.97, d=0.01). Dabei geht es konkret darum, dass sie leistungs stärker werden (p=0.94, d=0.02). Über die Persönlichkeitseigenschaften der Lernenden, die zweite Oberkategorie der Selbstperfektionierung, lassen sich keine genaueren Aussagen machen. Auf Kodeebene hingegen finden sich Ge meinsamkeitenbezüglichderWeiterentwicklungdesSelbstbzw.desSelbstver trauens(p=0.94,d=0.03)undsignifikanteUnterschiede,wennesdarumgeht, fürdasLebenzulernen(p<0.01,d=1.19).DieserKodewurdeinDeutschland für 29 Textstellen vergeben, in Hongkong jedoch überhaupt nicht. Eine mögli che Erklärung dieses Unterschieds ist erneut die Individuumsbezogenheit der westlichen Kulturen im Vergleich zur sozialen Bezogenheit der konfuzianisch geprägtenKultur(Leung,1998;Yang,1981;vgl.auchAbschnitt9.3.1.3,S.246). InHongkongstehteherimFokuszulernen,umbesserzuwerden;dieAuswir kungenaufdaseigeneLebensinddabeinichtimBlickfeld.DiedeutschenSchü lerinnenundSchülerhingegenbeschreibenoftmalsdieRelevanzvonMathema tikbzw.demLernenvonMathematikfürihrspäteresLeben.Dabeikannessich
9.4Hypothesen
255
um mathematische Kompetenzen, die für den gewünschten späteren Beruf notwendigsind,handeln(Ayla132138)oderauchumeinenpraktischenBezug zumjetzigenAlltagsleben(Christine103104). 9.4 Hypothesen AufGrundlagederstatistischenUntersuchungensowiederkulturellenReflexion derErgebnisselassensichnunkulturspezifische,empirischbasierteHypothesen aufstellen. Sie können in nachfolgenden Studien auf breiterer Datengrundlage getestet werden. Folgende Hypothesen lassen sich auf Basis meiner Studie rechtfertigen: 1.
2.
3.
BeidenSinnkonstruktionsartenAktivesBetreibenvonMathematik,Ausge glichenheit und Prüfungen zeigen sich im Mittel statistisch signifikant hö here Werte der individuellen Präferenzen von Schülerinnen und Schülern ausHongkongalsvonSchülerinnenundSchülernausDeutschland. Bei den Sinnkonstruktionsarten Positive Außenwirkung und Zensuren zei gen sich im Mittel statistisch signifikant höhere Werte der individuellen PräferenzenvonSchülerinnenundSchülernausDeutschlandalsvonSchü lerinnenundSchülernausHongkong. Bei den Sinnkonstruktionsarten Berufsvoraussetzung, Emotionalaffektive BindungandieLehrperson,PflichterfüllungundSelbstperfektionierunglas sen sich Gemeinsamkeiten zwischen den individuellen Präferenzen von Schülerinnen und Schülern aus Hongkong und Schülerinnen und Schülern ausDeutschlandnachweisen.DieWerteunterscheidensichalsonichtsig nifikantundweisengeringeEffektstärkenvond<0.2undr<0.3auf.
TeilD: ZusammenfassungundAusblick IndenvorangehendenTeilendieserArbeithabenichdentheoretischenHinter grundbeschriebenunddashierzugrundeliegendeKonzeptderSinnkonstrukti on vorgestellt (Teil A, S.9). Außerdem habe ich meine Studie methodologisch im rekonstruktiven Paradigma verortet und die qualitativen Methoden der Datenerhebung und auswertung dargestellt (Teil B, S.83). Zuletzt habe ich in TeilC(S.127)dieErgebnissederStudiepräsentiert.Dazuhabeichaufgezeigt, wiediehierdargestellteTypologiederSinnkonstruktionentwickeltwurdeund habedieTypensowiediezugrundeliegendenSinnkonstruktionsartenausführ lich vorgestellt. Den Abschluss bildete die kulturelle Reflexion der Ergebnisse, beiderUnterschiedeundGemeinsamkeitenaufEbenederSinnkonstruktionsar ten zwischendenErgebnissen aus Deutschland undHongkong erarbeitet wur denundaufderenGrundlagekulturspezifischeHypothesenentwickeltwurden. Der sich nun anschließende Teil wird zunächst eine Zusammenfassung der Ar beitgeben(Kapitel10,S.257)undimAnschlussdieentwickelteTheoriekritisch reflektieren(Kapitel11,S.261).DenAbschlussderArbeitbildeteinAusblickauf weitereForschung(Kapitel12,S.271).
10 Zusammenfassung Obgleich Sinn als zentraler Begriff in der Erziehungswissenschaft aufgefasst werdenkann,liegenderzeitwenigeStudienvor,diesichexplizitmitdertheore tischen Fassung dieses Begriffs beschäftigen. Um diesem Manko zu begegnen habeichinZusammenarbeitmitKatrinVorhölter(vgl.auchVorhölter,2009)das dieserArbeitzugrundeliegendeKonzeptderSinnkonstruktionerarbeitet.Hand lungsleitendwardabeidieEinbettungunsererArbeitenindenKontextderBil dungsgangforschung, die durch die Hervorhebung der 'Ganges' durch die Bil dungdiePerspektivederLernendenfokussiert.NimmtmanalsodiePerspektive der Schülerinnen und Schüler ein, stellt sich die Frage, welchen Sinn sie darin sehen,Mathematikzulernenbzw.sichmitMathematikimschulischenKontext auseinanderzusetzen.BeiderBeantwortungerweistsichdieCharakterisierung vonSinnalspersönlicheRelevanzzuschreibungderLernendenalstragfähig,die Vielschichtigkeit des Sinnbegriffs in schulischen LehrLernKontexten abzubil den. Diese Relevanzzuschreibungen können dabei sehr unterschiedlich ausfal M. Vollstedt, Sinnkonstruktion und Mathematiklernen in Deutschland und Hongkong, DOI 10.1007/978-3-8348-9915-6_10, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
258
10Zusammenfassung
len und intentionalen oder funktionalen Charakter haben. Sie können sich auf Inhalte,HandlungenoderPersonenbeziehenundwerdenalskontextabhängig, subjektiv und individuell sowie bewusstseinsfähig, nicht aber bewusstseins pflichtigeingeschätzt. EinIndividuumkonstruiertineinerschulischenLehrLernSituationSinnim KontextdesUnterrichtsbzw.beiderAuseinandersetzungmitInhalten.Esbringt dabei verschiedene Voraussetzungen in diesen Prozess mit ein: persönliche Merkmale,alsoMerkmale,die(ggf.übereinenlängerenZeitraumhinweg)be einflussbar sind, sowie Merkmale des persönlichen Hintergrunds der Person (etwaderkulturelleHintergrund),dienichtbeeinflussbarsind.AufdieserBasis wirdeineSinnkonstruktionvorgenommen,diewiederumEinflussnehmenkann aufdieBewertungderSituationsowieHandlungen,dieausderSinnkonstrukti onresultierenkönnen. Dieses Konzept der Sinnkonstruktion ist im Laufe der Arbeit entwickelt worden.ZuBeginndesForschungsprozesseslagimWesentlicheneinGrundver ständnis vor, welches dann sukzessive präzisiert und ausdifferenziert wurde. Durch theoretisches Kodieren in Anlehnung an die Grounded Theory konnten 17 verschiedene Sinnkonstruktionsarten rekonstruiert werden, die ein breites SpektrumabbildenundvonPflichterfüllungüberkognitiveHerausforderungbis hinzusozialerEingebundenheitreichen.AlleSinnkonstruktionsartenkamenim DatenmaterialderbeidenLändervor.Ausdiesen17verschiedenenArtenkonn tendurcheinenProzessderTypenbildungschließlichsiebenSinnkonstruktions typen gebildet werden. Die ihnen zugrunde liegenden Sinnkonstruktionsarten unterscheiden sich jeweils bezüglich der Intensität ihrer Bezogenheit auf die Mathematik bzw. ihrer Bezogenheit auf das Individuum selbst. Die Dimensio nen, die für die Typenbildung angewendet wurden, spiegeln damit die beiden Perspektiven wieder, in die meine Arbeit eingebettet ist: die fachdidaktische durchdenBezugaufdasUnterrichtsfachMathematikunddessenInhaltesowie die bildungsgangtheoretische durch den Bezug auf das Individuum. Tabelle 5 (S.260)gibteinenkurzenÜberblicküberdieinmeinerArbeitgebildetenTypen sowiedieihnenzugrundeliegendenSinnkonstruktionsarten. NachdemnunSinnkonstruktionsartenundtypenvorliegen,stelltsichdie FragenachUnterschiedenundGemeinsamkeitenzwischendenErgebnissenaus HongkongundDeutschland.DarüberhinausistvonInteresse,inwieferntheore tische Erklärungsansätze durch einen Rückbezug auf den kulturellen Hinter grund der Lernenden gefunden werden können. Zunächst stellte sich heraus, dasseineBetrachtungvonUnterschiedenundGemeinsamkeitenaufEbeneder Sinnkonstruktionstypenwenigaussagekräftigist,dasichUnterschiedeundGe
259
10Zusammenfassung
Tabelle5:
ZusammenschauderSinnkonstruktionstypenundderihnen zugrundeliegendenSinnkonstruktionsarten.
NamedesSinnkonstruktionstyps Anwendungsrelevanz AktiveAuseinandersetzungmitMathematik EffizienteundunterstützendeGestaltung vonUnterrichtsprozessen EmotionalaffektivgeprägteEntfaltung
ErfüllunggesellschaftlichgeprägterAnfor derungen
KognitiveSelbstentwicklung
WohlbefindendurcheigeneLeistung
ZugrundeliegendeSinnkonstruktionsarten AnwendungimLeben AktivesBetreibenvonMathematik Effizienz UnterstützungdurchdieLehrperson Ausgeglichenheit EmotionalaffektiveBindungandieLehr person SozialeEingebundenheiterleben Berufsvoraussetzung Pflichterfüllung PositiveAußenwirkung Prüfungen Autonomieerleben KognitiveHerausforderung PurismusderMathematik Selbstperfektionierung Kompetenzerleben Zensuren
meinsamkeiten, die in den darunter liegenden Sinnkonstruktionsarten vor ka men,u.U.gegenseitigabschwächen.AusdiesemGrundreflektiereichlediglich die aufgedeckten Unterschiede und Gemeinsamkeiten auf Ebene der Sinn konstruktionsarten. Bei folgenden fünf Sinnkonstruktionsarten konnten Unter schiedeentdecktwerden:AktivesBetreibenvonMathematik,Ausgeglichenheit, PositiveAußenwirkung,PrüfungenundZensuren,wobeisichherausstellte,dass dieSinnkonstruktionsartenAktivesBetreibenvonMathematik,Ausgeglichenheit undPrüfungenfürdieinterviewtenHongkongerSchülerinnenundSchülerwich tigersind,wohingegenPositiveAußenwirkungundZensureneinegrößereWich tigkeitfürdiedeutschenInterviewtenaufweisen.InallenFällenkannderkultu relleHintergrundderLernendenalseinemöglicheErklärungfürdieUnterschie deherangezogenwerden.DabeikönnendieVerschiedenheitenimSchulsystem, inderUnterrichtskulturbzw.imkulturellenHintergrundderLernenden,dersich in Charaktereigenschaften offenbart, liegen. Überraschenderweise haben sich keine Unterschiede bei der Sinnkonstruktion Anwendung im Leben ergeben. Stattdessen waren hier, ebenso wie bei den Sinnkonstruktionen Berufsvoraus setzung, Emotionalaffektive Bindung an die Lehrperson, Pflichterfüllung und
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10Zusammenfassung
Selbstperfektionierung, Gemeinsamkeiten zwischen den deutschen und Hong konger Ergebnissen zu finden. Diese Ergebnisse sollten dabei lediglich als Hin weiseaufmöglicherweisevorhandeneDifferenzenundÄhnlichkeiteninterpre tiertwerden.DiedarausresultierendenHypothesenkönnennundurchweitere Forschung,dieaufeinergrößerenDatengrundlagebasiert,überprüftwerden. Zusammenfassend lassen sich also folgende Kernaussagen auf Grundlage meinerStudietreffen: Kernaussage1:SchülerinnenundSchülerkonstruierenSinn,wennsiesichimKon text schulischer LehrLernProzesse mit mathematischen Inhalten auseinanderset zen. Kernaussage2:DievorgenommenenSinnkonstruktionenlassensichhinsichtlichih rer Bezogenheit auf das Individuum sowie ihrer Bezogenheit auf die Mathematik unterscheiden. Kernaussage 3: Alle rekonstruierten Sinnkonstruktionsarten kommen sowohl in DeutschlandalsauchinHongkongvor. Kernaussage 4: Bei Mittelwertvergleichen der individuellen Präferenz von Schüle rinnen und Schülern hinsichtlich bestimmter Sinnkonstruktionsarten lassen sich statistisch signifikante Unterschiede zwischen den Ergebnissen aus Deutschland unddenenausHongkongaufzeigen.DarüberhinausfindensichbeianderenSinn konstruktionsartenGemeinsamkeitenbzgl.derErgebnisseausbeidenLändern.
11 KritischeReflexionderentwickeltenTheorie Die Theorie, die ich in meiner Arbeit entwickelt habe, gründet sich auf Inter viewsmitinsgesamt34SchülerinnenundSchülernausDeutschlandundHong kong. Auf Grundlage der Studie lassen sich Hypothesen formulieren, die auf demZusammenhangzwischendemkulturellenHintergrundderLernendenund den von ihnen vorgenommenen Sinnkonstruktionen beruhen. Die folgenden Abschnitte sollen nun die Grenzen der Studie offen legen und die entwickelte Theoriekritischreflektieren. 11.1 Reichweite NachUweFlick(2005,S.338)liegtdieVerallgemeinerbarkeiteinerTheorie,die imRahmeneinerqualitativenStudieentwickeltwurde,darin,dieErkenntnisse schrittweiseausFallstudienundihremKontextinallgemeinereundabstraktere Zusammenhänge zu übertragen. Dies kann beispielsweise in der Erarbeitung einer Typologie geschehen. Über den Vergleich und die Kontrastierung der rekonstruierten Sinnkonstruktionsarten habe ich die Dimensionen der Mathe matikbezogenheit und Individuumsbezogenheit entwickelt, anhand derer ich dieindieserArbeitentworfeneTypologieaufgespannthabe.Ichverlassedamit dieEbenedesEinzelfallsundentfalteeineempirischbasierteTheorie.Dennoch bleibtdieFragenachderReichweitederTheoriebzw.nachihrenLimitationen. BeiderAuswertungderletztenInterviewskonntenkeineneuenInformati onengefundenwerden,diedieentwickeltenKategorienweitergefüllthätten. DietheoretischeSättigungderKategorienwurdealsoerreicht.Trotzdemkann nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden, dass weitere Sinnkonstruktionsar ten bei der Hinzunahme zusätzlicher Daten hätten rekonstruiert werden kön nen. Es ist also lediglich mit Sicherheit zu sagen,dass die hier rekonstruierten Sinnkonstruktionen von Schülerinnen und Schülern in Deutschland und Hong kong vorgenommen werden, nicht jedoch, ob es darüber hinaus weitere gibt. Diese Frage stellt sich insbesondere, wenn man die Verteilung der einzelnen Sinnkonstruktionsarten im Merkmalsraum betrachtet und feststellt, dass zwei derneunFelderunbesetztsind(vgl.Abbildung10,S.133).Diesliegtdarinbe gründet,dasskeineSinnkonstruktionenrekonstruiertwerdenkonnten,dieeine geringe Intensität der Individuumsbezogenheit zusammen mit einer hohen Intensität der Mathematikbezogenheit bzw. eine jeweils mittlere Ausprägung M. Vollstedt, Sinnkonstruktion und Mathematiklernen in Deutschland und Hongkong, DOI 10.1007/978-3-8348-9915-6_11, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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11KritischeReflexionderentwickeltenTheorie
der Individuums und Mathematikbezogenheit aufweisen. Wie in Kapitel7 (S.127)gezeigtwurde,kannderletzteFallzunächsttheoretischerklärtwerden. Die mittlere Individuumsbezogenheit beschreibt die schulische Dimension und steht im Zusammenhang mit dem schulischen Mathematikunterricht. Die hier verorteten Sinnkonstruktionen fokussieren damit üblicherweise entweder auf konkrete Inhalte (hohe Mathematikbezogenheit) oder soziale Interaktionen (geringeMathematikbezogenheit).HandlungenoderObjekte,dieeinemittlere Mathematikbezogenheit aufweisen, sind daher eher nicht zu erwarten. Dass sich bei einzelnen Sinnkonstruktionen mit geringer Mathematikbezogenheit und mittlerer Individuumsbezogenheit jedoch eine Nähe zu dem Feld mit je weils mittlerer Intensität feststellen lässt, wurde in Kapitel7 (S.133) gezeigt. DasFehlenvonSinnkonstruktionenmiteinergeringenIndividuumsbezogenheit undeinerhohenMathematikbezogenheitisthingegenvermutlichderAltersstu federinterviewtenSchülerinnenundSchülergeschuldet.DasiezumZeitpunkt der Interviews ca. 15 bis 16 Jahre alt waren, hatten die wenigsten von ihnen bereitseineklareVorstellungdavon,welchenBerufsiespätergerneergreifen möchtenundwelchemathematischenKompetenzenoderInhaltesiedazube nötigen.EinesolcheexpliziteBenennungvonInhaltenwürdedieSinnkonstruk tion Berufsvoraussetzung damit auf das bisher leer gebliebene Feld des Merk malsraumsausweiten,daaufdieseWeisegesellschaftlicheAnforderungenund konkretemathematischeInhaltemiteinanderinVerbindunggebrachtwürden. NebendemgeringenAusmaßderStichprobevonjeweils17Schülerinnen und Schülern pro Land ist sie auch dahingehend eingeschränkt, dass sie hoch selektivist.EshandeltsichsowohlinHongkongalsauchinDeutschlandbeiden Interviewten um Schülerinnen und Schüler aus dem leistungsstärksten Schul zweigdesjeweiligenSystems:InDeutschlandbesuchtensieeinGymnasium,in HongkongBand1Schulen.InHongkongistdieSelektivitätbesondersgroß,da ichdortausGründenderDurchführbarkeitderStudiemitSchulenzusammen gearbeitet habe, die Englisch als Unterrichtssprache verwenden. Es stellt sich also die Frage, inwiefern andere Sinnkonstruktionsarten oder Ausgestaltungen der aufgefundenen Arten aufzufinden wären, wenn Schülerinnen und Schüler vonanderenSchulformeninterviewtwürden.DieEinschränkungderSelektivität kann insofern abgeschwächt werden, dass sowohl leistungsstarke wie auch leistungsschwache Schülerinnen und Schüler an der Studie teilnahmen. Auf diese Weise ist also das gesamte Leistungsspektrum des leistungsstärksten SchulzweigesbeiderSystemevorhanden.Ichgehedahernichtdavonaus,dass andere, bei mir nicht vorhandene Sinnkonstruktionsarten hätten rekonstruiert werdenkönnen.Esisthingegenmöglich,dassdieaufgefundenenAusprägungen
11.2Diskussion
263
derSinnkonstruktionenandersausfallenineinemSample,dassichausSchüle rinnenundSchülernderanderenSchulformenzusammensetztoderdiesebein haltet. EineweitereFrage,diegestelltwerdenmuss,ist,inwiefernHongkongty pischfürdiekonfuzianischgeprägteKulturistundimZugedessenalsBeispiel fürsieindieserStudiefungierenkann.DieÜberlegungnachdemAusmaßder konfuzianischen Prägung in Hongkong stellt auch NgaiYing Wong an (2004, S.511512; 2008, S.974). Doch obgleich Hongkong eine starke westliche Prä gungaufweist,sinddieGemeinsamkeitenzudenanderenLändernderkonfuzi anisch geprägten Kultur deutlich und treten insbesondere im Kontrast mit ei nemwestlichenLandwieDeutschlanddeutlichhervor.Andersherumwärendie Gemeinsamkeiten und Unterschiede sicherlich deutlich weniger klar. Aus die semGrundbinichderÜberzeugung,dassHongkongalsBeispielfüreinekonfu zianisch geprägte ostasiatische Kultur in dieser Studie herangezogen werden kann.DerAspekt,dassHongkongnichtalsprototypischfüreinekonfuzianisch geprägteKulturangesehenwerdenkann,lässtsichauchpositivdeuten:Esbe steht die Möglichkeit, dass die Unterschiede, die ich in meiner Studie finden konnte, in anderen, weniger westlich orientierten konfuzianisch geprägten Ländernsogarstärkerhervortreten. Die betrachteten Aspekte weisen darauf hin, dass die Ergebnisse meiner StudienichtohneWeiteresbreitverallgemeinerbarsind.Diehochselektiveund geringeStichprobesprechendagegen.TrotzdemkanndurchdieLoslösungvom Einzelfall und die Entwicklung einer Typologie ein gewisser Grad an Verallgemeinerbarkeit in Anspruch genommen werden. Udo Kelle und Susann Kluge(1999,S.9)sprechenbeiempirischbegründetenTheorienvon„Theorien mittlererReichweite“.DurchdieRekonstruktionderTheorieausEinzelfalldaten gewinnt die Theorie zusätzlich eine spezifische Aussagekraft (Flick, 2005, S.336).DurchdiedarüberhinausgehendestatistischeAnalysederMittelwerte beider Länder ließen sich empirisch basierte Hypothesen bilden, die nun die Möglichkeitbilden,dieErgebnissemeinerArbeitaufbreitererDatengrundlage zutesten.DamitbestehtdieMöglichkeit,dieTheoriederSinnkonstruktion,wie siehiervorgelegtwurde,breiterzuverallgemeinern. 11.2 Diskussion Das im Rahmen der Arbeit entwickelte Konzept der Sinnkonstruktion basiert einerseitsauftheoretischenÜberlegungenundandererseitsaufempirischfun diertenErgebnissen des Prozesses der theoretischen Kodierung. ImFolgenden
264
11KritischeReflexionderentwickeltenTheorie
soll nun exemplarisch an einigen Konzepten reflektiert werden, inwiefern die theoretischen Annahmen des konzeptuellen Rahmens aufgrund der empiri schen Ergebnisse gerechtfertigt werden können. Darüber hinaus wird die hier entwickelte Theorie mit den Ergebnissen der Studie von Katrin Vorhölter (vgl. Vorhölter,2009)kontrastiert.DiemeistenderhierdiskutiertenAspektewerden auchdurchihreStudiebestätigt. 11.2.1 ElementederVoraussetzungenausdemtheoretischenRahmenderSinn konstruktion In den folgenden Abschnitten sollen einige Konzepte der Pädagogischen Psy chologie und der Mathematikdidaktik exemplarisch reflektiert werden, die in Abschnitt2.6.1 (S.51) als einflussreich für die Sinnkonstruktion angenommen wurden.Eswirddabeiaufgezeigt,inwiefernsiesichimRahmenmeinerStudie für die rekonstruierten Sinnkonstruktionen der interviewten Schülerinnen und Schüleralsrelevanterwiesenhaben. PsychologischeGrundbedürfnissenachdemErlebenvonAutonomie,Kompetenz undsozialerEingebundenheit Der theoretische Rahmen der Sinnkonstruktion, der in Abschnitt2.6 (S.96) charakterisiert wurde, umfasst u.a. Konzepte der Pädagogischen Psychologie undderMathematikdidaktik,dieindieVoraussetzungenalsElementederper sönlichen Eigenschaften des Individuums eingehen. Betrachtet man nun die Ergebnisse der Studie dahingehend, welche Elemente sich als tatsächlich rele vanterweisen,steheninsbesonderediedreipsychologischenGrundbedürfnisse nach Autonomie, sozialer Eingebundenheit und Kompetenzerleben (vgl. Ab schnitt2.6.1.1,S.52)imVordergrund.Diesedreibasicneeds(vgl.Deci&Ryan, 1993, S.229) konnten als eigenständige Sinnkonstruktionsarten rekonstruiert werden(vgl.Abschnitte8.1.2.1,8.3.2.1und8.4.2.3,S.142,170bzw.187)und nehmendahereinenbesonderenStellenwertfürdieTheoriederSinnkonstruk tion ein. Zwar gingen sie als sensibilisierende Konzepte in die Kodierung ein, daraus kann jedoch nicht automatisch geschlossen werden, dass sie auch den Stellenwert von Sinnkonstruktionen erlangen.45 Durch ihre Rekonstruierbarkeit als Sinnkonstruktionsart erweisen sich als zentral für die entwickelte Theorie undmachenaufdieseWeisedieTheoriederSinnkonstruktionanschlussfähigan die international anerkannte psychologische Theorie der Selbstbestimmungs 45
Andere Konzepte des theoretischen Rahmens konnten nicht als Sinnkonstruktionsarten rekonstruiertwerden.
11.2Diskussion
265
theoriederMotivation.Dadiedreibasicneedsdarüberhinaussowohlausden deutschenalsauchdenHongkongerDatenrekonstruiertwerdenkonnten,kann dieAnnahmevonRichardRyanundEdwardDeci(Ryan&Deci,2002,S.7)ge stütztwerden,dasssieinallenKulturenevidentseien. Interesse AndereAspektederTheoriekonzepte,diealseinflussreichfürdieSinnkonstruk tion der Lernenden angenommen wurden, konnten zwar nicht in Form von Sinnkonstruktionsarten rekonstruiert werden, waren jedoch eindeutig als Ele mentderVoraussetzungenfürSinnkonstruktionausdenDatenrekonstruierbar. DiesistetwafürdasKonzeptdesInteressesderFall,dasinsbesonderealsper sönliches Merkmal in Form von Einstellungen zu Mathematik, zum Mathema tikunterrichtundbeimaktivenBetreibenvonMathematikeineRollespielt.Das persönlichebzw.situationaleInteressegehtdarüberhinausindieRekonstruk tion von Sinnkonstruktion ein, da es für manche Lernende bei den Sinn konstruktionen Anwendung im Leben, Ausgeglichenheit und Kognitive Heraus forderungpersönlichrelevantwirdunddementsprechenddortalsUnterkatego rie auftritt. Bei der Sinnkonstruktion Anwendung im Leben zeigt sich das Inte resseanMathematikderLernendenprimärinFormeinerAnwendungsmöglich keitimeigenenLeben.Wenneinesolchevorhandenist,wirdihrInteresseaktu alisiert und sie sind motiviert, sich mit den Inhalten auseinanderzusetzen. Die InteresseTextstellen,dieindieSinnkonstruktionenAusgeglichenheiteingehen, beziehen sich auf eine allgemeine positive Einstellung zum Fach Mathematik und seine Inhalte, wie sie entweder in der Schule thematisiert werden oder aberalsFreizeitbeschäftigungdienen.EinallgemeinespersönlichesInteressean Mathematik scheint hier eine notwendige Voraussetzung zu sein, um diese Ausgestaltungen von Sinn zu konstruieren. Bei der Sinnkonstruktion Kognitive Herausforderung ist das Interesse der Schülerinnen und Schüler stark auf die Aufgaben fokussiert, die eine solche Herausforderung für sie beinhalten. Her ausgefordert zu werden weckt bei vielen den Ehrgeiz, sich mit den Inhalten auseinanderzusetzenundeineLösungfürdasProblemzufinden.Gelingtdies, erleben sich die Schülerinnen und Schüler oftmals als erfolgreich und kompe tent, so dass die Sinnkonstruktion Kompetenz erleben eng mit dem Interesse AspektderSinnkonstruktionKognitiveHerausforderungeinhergeht. MathematischeBeliefs NebendemInteressekonntenauchverschiedeneBeliefsderSchülerinnenund Schülerrekonstruiertwerden,diealsVoraussetzungenindieKonstruktionvon
266
11KritischeReflexionderentwickeltenTheorie
Sinneingingen.SoließsichderAnwendungsaspektvonMathematikrekonstru ieren,deroftindieSinnkonstruktionAnwendungimLebeneinfließt.DerForma lismusundSchemaaspektandererseitsgehenindieSinnkonstruktionenEffizi enzbzw.PurismusderMathematikein.DerProzessaspektkonntevereinzeltin ZusammenhangmitderSinnkonstruktionKognitiveHerausforderungaufgefun denwerden.ZusammenhängezwischendenBeliefsderLernendenunddenvon ihnen vorgenommenen Sinnkonstruktionen lassen sich also aufzeigen.Da eine genauereErforschungdiesesZusammenhangsnichtimFokusstand,müssendie AussagenhiervagebleibenundverbleibenfüreinevertiefendeErarbeitungim RahmenmöglicherweitererStudien. MathematischerDenkstil ÄhnlichverhältessichmitdemmathematischenDenkstilderJugendlichen.Bei mehrerenSchülerinnenundSchülernkonntenElementedesanalytischen,visu ellen bzw. integrierten Denkstils rekonstruiert werden. Sie haben sich jedoch nicht als zentral für bestimmte Sinnkonstruktionen erwiesen. Ein genauerer Zusammenhang zwischen den Denkstilen und bestimmten Sinnkonstruktionen wurdedaraufhinnichtweiteruntersucht. AbgesehenvonderSequenzdesnachträglichenlautenDenkenswurdenin den Interviews kaum explizite Inhalte oder Lösungsstrategien von konkreten Aufgaben thematisiert. Darüber hinaus gingen die Interviewten in diesem Teil des Interviews nur wenig auf konkrete Denkvorgänge oder Lösungsstrategien ein. Dementsprechend waren nur wenige Passagen in den Interviews vorhan den,indenensichderDenkstilzeigteunddarausrekonstruiertwerdenkonnte. Auf Basis der vorhandenen Datengrundlage ist es im Zuge dessen schwierig, einengenauerenZusammenhangzwischendenvorgenommenenSinnkonstruk tionunddemmathematischenDenkstilderSchülerinnenundSchülerzuunter suchen.AucherverbleibtfürweitereForschung. 11.2.2 ZusammenschaumitdemModellvonVorhölter(2009) DiehierentwickeltenSinnkonstruktionsartenundtypensindeinVorschlag,wie Sinnkonstruktionen von Schülerinnen und Schülerin im Kontext schulischen Mathematiklernensgefasstwerdenkönnen.EinenweiterenhatKatrinVorhöl ter (2009) unter besonderer Berücksichtigung der Rolle von mathematischen Modellierungsaufgaben vorgelegt. Ihre Studie ist meiner im Aufbau sehr ähn lich.IhreDatengrundlagegliedertsichjedochinInterviewsmitnachträglichem lautem Denken zu zwei Zeitpunkten. Dabei wurden zu beiden Erhebungszeit
11.2Diskussion
267
punktendiegleichenSchülerinnenundSchülerinterviewt.DasersteInterview schlosssichaneineüblicheMathematikstundean.DaszweiteInterviewwurde im Anschluss an eine Stunde durchgeführt, die von Vorhölter induziert wurde undunterderLeitungderüblichenLehrpersonstattfand.IndieserStundewur denModellierungsaufgabeninGruppenarbeitbearbeitet.ZurgenauerenDurch führungderStudievgl.Vorhölter(2009,S.6392). Vorhölter konnte zwölf Sinnkonstruktionsarten rekonstruieren, die sie in fünfBereichenzusammengefassthat: 1.
2.
3.
4.
5.
Der Bereich Hilfsmittel zum Leben umfasst Sinnkonstruktionen, die sich damit auseinandersetzen, welches Wissen für den späteren Wunschberuf und das jetzige Leben der Schülerinnen und Schüler notwendig sind. Sie beschreiben also den NutzenAspekt der Mathematik. Die zugrunde lie genden Sinnkonstruktionen sind Vorbereitung auf das zukünftige Leben undWerkzeug.DieseSinnkonstruktionenfindensichinmeinemModellin den Sinnkonstruktionen Berufsvoraussetzung und Anwendung im Leben wieder. DerzweiteBereichausVorhöltersModellthematisiertdiegesellschaftliche Anerkennung,dievondenLernendenangestrebtwird.Hierunterfallendie Sinnkonstruktionen Allgemeinbildung und Zugangsvoraussetzung. Diese Aspekte werden in meinem Modell unter Selbstperfektionierung, Prüfun genundggf.auchBerufsvoraussetzungabgebildet. DerdritteBereichumfasstSinnkonstruktionen,diederSelbsterfüllungder Schülerinnen und Schüler dienen. Umfasst werden die Sinnkonstruktion sarten Wunsch nach Herausforderung und Freude. Letztgenannte fälltbei mirunterAusgeglichenheit,dieersteentsprichtderkognitivenHerausfor derunginmeinemModell. Der vierte Bereich thematisiert die Auseinandersetzung mit dem Mathe matikunterricht und umfasst die Sinnkonstruktionen Alleiniges Lösen von Aufgaben, Erfüllung externer Erwartungen und Zensuren. Diese Aspekte werden bei mir mit den Sinnkonstruktionen Effizienz, Positive Außenwir kungundPflichterfüllungsowieZensurenabgedeckt. DerletzteBereichausVorhöltersModellliegtquerzudenerstenvierFel dern und beschreibt mathematische Kompetenzen. Mathematisches Wis sen,SchulungkognitiverFähigkeitenundSchulungdeslogischenDenkver mögenssindhierdierekonstruiertenElemente.DieseSinnkonstruktionen werdenbeimirunterEffizienz,PurismusderMathematikundSelbstperfek tionierungzusammengefasst.
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11KritischeReflexionderentwickeltenTheorie
Es zeigt sich also, dass alle von Vorhölter rekonstruierten Sinnkonstruktionen auchinmeinemModellabgebildetwerden.UnsereModelleunterscheidensich dahingehend, dass sie die Sinnkonstruktionsarten inhaltlich gruppiert hat, wo hingegenichversuchthabestrukturelleZusammenhängeaufzudecken,anhand derereineTypenbildungentlangzweierDimensionenmöglichwurde.DieRele vanzderdreipsychologischenGrundbedürfnissenachAutonomie,sozialerEin gebundenheitunddemErlebenvonKompetenzkonntevonunsbeidenrekon struiertwerden(vgl.Vorhölter,2009,S.166169),beiVorhölternehmendiese jedoch – anders als bei mir – nicht den Status von Sinnkonstruktionen ein. In meinem Modell konnten außerdem stärker persönliche Relevanzzuschreibun gender Schülerinnenund Schüler inForm einer emotionalaffektivenBindung an ihre Lehrperson, Unterstützung ihres Lernprozesses durch diese sowie die aktive Auseinandersetzung mit mathematischen Inhalten als Sinnkonstruktio nenrekonstruiertwerden. 11.2.3 Intendiertevs.verwirklichteSinnkonstruktionen NichtalleSinnkonstruktionen,dievondenSchülerinnenundSchülernintendiert werden,könnenauchverwirklichtwerden.DieLernendenbehelfensichdaher zunächst mit der Übernahme eines Sinnangebots, das als sinnvoll oder erstre benswert eingeschätzt wird. Oftmals werden beispielsweise die Sinnkonstruk tionenAnwendungimLebenoderBerufsvoraussetzungangestrebt.Daimbeo bachteten Unterricht jedoch vergleichsweise selten eine wirkliche Anwen dungsmöglichkeit von Mathematik im Leben thematisiert wurde, konnten sie nur selten verwirklicht werden. Manche Jugendliche behelfen sich daher mit einer anderen Sinnkonstruktion, die sie auch verwirklichen können, wie etwa PflichterfüllungoderSozialeEingebundenheiterleben.Leabeispielsweiseinten diertalsSinnkonstruktionAnwendungimLeben.AufdieFrage,obMathematik fürsieeineBeziehungzumtäglichenLebenhabe,antwortetsie: AlsoExponentialgleichungennichtwirklich.IchsetzemichnichtzuHausehinund rechne das aus, wie lange meine Wassermelone noch braucht, um zu wachsen46 (beide lachen). […] Vielleicht würde mich so was interessieren, […] wenn ich Blu menpflanzeoderso.ManbrauchteseigentlichnurzusoganzgrundlegendenSa chen wie einkaufen, Taschengeld ausrechnen, wie viel man noch kriegt, wie viel mannochbrauchtzumShoppen.KeineAhnung,abersonst[…].Alsoichsetzekeine
46
DasWachstumvonWassermelonenmussteimRahmenderletztenHausaufgabeberechnet werden.
11.2Diskussion
269
SinuskurvenimtäglichenLebenein,ichwüssteauchnicht,woichdiedaraufbezie hensollte,dieSinuskurvenoderso.(146152)
DaLeadieSinnkonstruktionAnwendungimLebenimRahmenihresMathema tikunterrichtsnichtverwirklichenkann,begnügtsiesichstattdessenmitPflicht erfüllungbzw.Prüfungen: Ich meine, [dass man immer fragt], 'wozu braucht man es denn eigentlich'. Man verstehtesnichtunddanndenktmannurso...'achhördochauf,(I.lacht)wassoll ich denn damit?' Das brauche ich sowieso nur für die nächste Arbeit und fertig. (130)
Dass Lea mit dieser Hilfssinnkonstruktion nicht zufrieden ist und weiter nach einemfürsiebefriedigenden,subjektivbedeutsamenSinnsucht,wirdandieser Stelledeutlich.DerUnterschiedzwischenintendiertenundverwirklichtenSinn konstruktionen wird ausführlicher in Vorhölter (2009, S.93135, 17417547) diskutiert. 11.2.4 SinnkonstruktionalsdidaktischeLeitlinieimUnterricht DieSinnkonstruktionsarten,dieichinmeinerStudieentwickelthabe,sindbreit gefächertundzeigen,dasssehrunterschiedlicheAspektefürSchülerinnenund SchülerimKontextschulischenMathematiklernenspersönlichrelevantwerden können.Auseinernormativen,didaktischenPerspektiveerscheinenmancheals mehr oder weniger gewünscht für tief gehendes Verständnis von mathemati schen Inhalten oder für ein breites Bild von Mathematik. Die Sinnkonstruktio nenAnwendungimLebenoderKognitiveHerausforderungwerdenimKontext schulischenLernenssicherlichpositivereingeschätztalsPflichterfüllung. IndiesemZusammenhangstelltsichdieFrage,inwiefernUnterrichtgestal tet werden kann, damit eher normativpositive Sinnkonstruktionen von den Lernenden intendiert und vorgenommen werden. Im Folgeantrag des DFG Graduiertenkollegs Bildungsgangforschung (August 2004, S.1011), in dessen KontextmeineStudiesteht,heißtesdementsprechend: Zuuntersuchenistalsonichtnur,wiesichKonstruktionundAushandlung vonSinninschulischenLehrLernProzessenfaktischvollziehen,sondernauch, wie sich die Sinnkonstruktionen von Schülerinnen und Schülern im Unterricht didaktischangemessenberücksichtigenlassen. 47
Vorhölter (2009) verwendet die Bezeichnungen vorgenommene und verwirklichte Sinn konstruktionen.Dadererstejedochmehrdeutigist,präferiereichdieFormulierungderinten diertenSinnkonstruktion.
270
11KritischeReflexionderentwickeltenTheorie
AufdieseFragekannichaufGrundlagemeinerArbeitkeineabschließende Antwortgeben.DieErarbeitungvonverschiedenenSinnkonstruktionsartenund die Typenbildung geben aber einen Hinweis darauf, welche Aspekte für eine didaktisch angemessene Berücksichtigung im Unterricht notwendig bzw. rele vant sein können. Denkbar ist es u.a. Schülerinnen und Schüler im Unterricht zwischenverschiedenenAufgabenformatenwählenzulassen,dieunterschiedli che Sinnangebote bereit halten. Darüber hinaus können auch normativ ge wünschteSinnkonstruktionsartenexplizitimUnterrichtgefördertwerden. Im Zuge dieser Überlegungen zur Normativität von Sinnkonstruktionwird der Begriff der Sinnkonstruktion nun in zwei Kontexten gebraucht, die unter schiedliche Aspekte des Konzepts beschreiben. Auf der einen Seite ist der de skriptive Aspekt. Er beschreibt Sinnkonstruktionen, die tatsächlich von Schüle rinnen und Schülern konstruiert werden und durch empirische Studien rekon struiert werden können. Auf der anderen Seite kann der Begriff der Sinn konstruktionnunauchnormativverwendetwerden.Erbeschreibtdanndidakti sche Leitlinien dahingehend, welche Sinnkonstruktionsarten im Unterricht als erstrebenswerteingeschätztwerdenundsomitgefördertwerdensollten.Darü berhinauskönnendieSinnkonstruktionen,dievondenSchülerinnenundSchü lern im Mathematikunterricht vorgenommen werden, durch diese Leitlinien beurteilt werden bzw. wird es durch die normative Perspektive möglich, die Verwirklichung bestimmter Sinnkonstruktionen als ein Ziel des Unterrichts an zustreben.InderKontrastierungdernormativenundderdeskriptivenPerspek tive findet sich also didaktisches Potenzial, das für den Unterricht nutzbar ge machtwerdenkann.
12 Ausblick Im Rahmen der Studie habe ich 17 Sinnkonstruktionsarten rekonstruiert, die Schülerinnen und Schüler aus Deutschland und Hongkong im Kontext schuli schen Mathematiklernens vorgenommen haben. Diese Sinnkonstruktionsarten lassensichhinsichtlichihrerMathematikbezogenheitundihrerIndividuumsbe zogenheitdifferenzierenundzusiebenTypenzusammenfassen.Sowohlausder Durchführung der Studie als auch aus den durch sie gewonnenen Ergebnissen und Hypothesen lassen sich Implikationen für weitere Forschung formulieren, denen in zukünftigen Studien nachgegangen werden kann. Diese Desiderata sindmethodischer,inhaltlicher,theoretischerunddidaktischerNatur. Unter methodischen Gesichtspunkten stellt sich die Frage, inwiefern die hierentwickeltenErgebnissemitderArtderDatenerhebungzusammenhängen. DadieStudieinzweiLänderndurchgeführtwurdeundzudemSchülerinnenund Schülersowohlder9.alsauchder10.KlassenstufeanderStudieteilnahmen, habeichkaumdirektenBezugaufkonkreteUnterrichtsinhaltegenommen.Die Sinnkonstruktionen, die rekonstruiert werden, zeigen dementsprechend auch kaum eine Beziehung zu direkten Inhalten auf, obgleich sich hinsichtlich ihrer unterschiedlich starken, jedoch allgemeinen Mathematikbezogenheit differen zieren lassen. Diese lediglich allgemeine Datenerhebung mit wenig konkretem InhaltsbezugmachtdementsprechenddieRekonstruktiondesZusammenhangs zwischenSinnkonstruktionundmathematikdidaktischenElementendestheore tischen Rahmens der Sinnkonstruktion – etwa der mathematischen Denkstile oder Grundvorstellungen – schwierig. Es stellt sich daher als erste mögliche FragefürweitereForschung,inwiefernkonkretemathematischeInhalteEinfluss auf bestimmte Sinnkonstruktionsarten nehmen, sie also verstärken oder ab schwächen. Katrin Vorhölter ging in ihrer Studie der Frage nach, welche Rolle mathematische Modellierungsaufgaben für die Sinnkonstruktion haben und konnte verschiedeneSinnangebote aufzeigen,die denSchülerinnen undSchü lern durch die Bearbeitung von Modellierungsaufgaben unterbreitet wurden (vgl.Vorhölter,2009). Eine weitere methodische Implikation für zukünftige Forschung, die zu gleichauchinhaltlicherNaturist,hängtmitderStichprobengrößemeinerStudie zusammen. Ich habe insgesamt 34 Schülerinnen und Schüler interviewt, von denenjeweils17ausDeutschlandundHongkongkamen.Füreinerekonstrukti ve Studie, die mit qualitativen Methoden arbeitet, ist dies bereits eine ver gleichsweise große Stichprobe. Eine breite Verallgemeinerung über die entwi M. Vollstedt, Sinnkonstruktion und Mathematiklernen in Deutschland und Hongkong, DOI 10.1007/978-3-8348-9915-6_12, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
272
12 Ausblick
ckelte Typologie hinaus ist jedoch nicht vertretbar. Darüber hinaus handelt es sich auch um eine hoch selektive Auswahl der interviewten Jugendlichen. Sie besuchen alle den leistungsstärksten Zweig ihres Schulsystems; in Hongkong sindeszudemSchulen,dieinenglischerSpracheunterrichten.AusdieserSitua tionstellensichverschiedeneFragen.Zunächstkanngefragtwerden,inwiefern diehierrekonstruiertenSinnkonstruktionenmitderStichprobezusammenhän gen und inwiefern Lernende anderer Schulzweige oder anderer Altersstufen andereSinnkonstruktionenvornehmen.Darüberhinauskannweiteruntersucht werden, ob noch andere Sinnkonstruktionsarten denkbar sind, die in meiner Studie nicht aufgefunden wurden, obgleich der Punkt der theoretischen Sätti gungerreichtwar.DazueignetsicheineStudie,dieaufeinergrößerenDaten grundlage aufsetzt und eine umfangreichere Stichprobe aus Schülerinnen und SchülernunterschiedlicherSchulartenuntersucht.Diessolltezudeminweiteren Ländern durchgeführt werden, um auch die Frage nach der Aussagekraft von Hongkong und Deutschland als Beispiele für die konfuzianisch geprägte Kultur Ostasiens bzw. die westliche Kultur Europas zu beantworten. Die im Rahmen meiner Studie entwickelten Hypothesen zu den Unterschieden und Gemein samkeitenzwischendenKulturenkönnendabeialsGrundlagedienen. HinsichtlichderTheorieentwicklunglässtsichhinterfragen,inwieferndiein meiner Studie aufgefundenen Sinnkonstruktionen auf schulische Mathematik LehrLernKontexte beschränkt oder auch auf andere Fächer übertragen wer denkann.DieSinnkonstruktionsarten,dieeinegeringeIntensitätderMathema tikbezogenheit aufweisen, sind – so meine Vermutung – auf andere Fachrich tungenübertragbar,dabeiihneneherdiesozialenProzessedesUnterrichtsim Vordergrund stehen. Je größer jedochdieMathematikbezogenheit ausgeprägt ist,destoschwierigerwirdvermutlicheineÜbertragbarkeitaufandereGebiete. HiereröffnetsichfolglicheinspannendesForschungsfeld. DervierteBereich,indemweitereForschungsdesideratagefundenwerden können,istdieImplementationderSinnkonstruktionindenUnterricht.Meinert Meyer (2008, S.123) stellt die Sinnkonstruktion als wichtigstes Gütekriterium für Unterrichtsgestaltung heraus und betont dabei, dass die Sinnkonstruktio nen,diedieLehrendenmitdemUnterrichtundseinenInhaltenverbindennicht mit denen der Lernenden übereinstimmen müssen (vgl. auch Koller, 2008a, S. 22). Interessant sind dementsprechend Forschungsprojekte, die sowohl die SinnkonstruktionenderLernendenalsauchdiederLehrendenuntersuchenund gegenüberstellen. Die Rolle der didaktischen Kompetenz der Lernenden ist dabei zentral für ihre Partizipation an der Unterrichtsgestaltung (vgl. Meyer, 2008,S.122).ImAnschlussandieFormulierungderdeskriptivenunddernor
12Ausblick
273
mativenPerspektivederSinnkonstruktionstelltsichindiesemZusammenhang die Frage, wie Unterricht gestaltet werden kann, damit bestimmte, normativ gewünschte Sinnkonstruktionen von den Schülerinnen und Schülern eher als andere intendiert und bestenfalls auch realisiert werden können. Ulrich Geb hard(2003,S.211)schlägtvor,Lernsituationensozuinszenieren,dasssubjekti ve Interpretationen möglich sind und Lerngegenstände auf diesem Wege per sönlichrelevantwerdenkönnen(vgl.auchMonetha,2009).IndiesemBereich sindInterventionsstudiendenkbar,dieverschiedeneArtenvonInhalteninden Fokus nehmen bzw. durch Binnendifferenzierung unterschiedlichen Schülerin nen und Schülern zugänglich gemacht werden können. Eine andere Frage, die sich in diesem Zusammenhang ergibt, ist die nach der Zeitlichkeit von Sinn konstruktion:InwiefernüberdauernSinnkonstruktionen,wennsieeinmalreali siertwurden? Wie ich in meiner Arbeit gezeigt habe, leistet das Konzept der Sinn konstruktion eine Verbindung von persönlichen, kulturellen, kontextuellen sowie fachdidaktischen Perspektiven und unterstützt eine ganzheitliche Sicht weiseaufmathematischesHandelnundDenkenausderPerspektivederSchüle rinnenundSchüler.DaichdieimRahmenmeinerStudieentwickelteTheorieim SinnederGroundedTheorynichtalsabgeschlossenverstehe,eröffnensichdie obengenanntenBereichefürweiterführendeForschung.AufdieseWeiseergibt sichdieMöglichkeit,dieTheoriederSinnkonstruktionweiterzuentwickelnund damitauchzubereichern. IchhabedieseArbeitindemVerständnisgeschrieben,dassdieBerücksich tigungderPerspektivederLernendenfruchtbarfürdiePlanungundEvaluation von Unterricht berücksichtigt werden kann. Eine Bewusstwerdung über ver schiedene Arten der Sinnkonstruktion sowie deren didaktisch angemessene Berücksichtigung im schulischen Unterricht eröffnet die Möglichkeit, dass Ler nendeihreintendiertenSinnkonstruktionenauchrealisierenkönnenoderSinn angeboteausdem Unterricht aufgreifen. Auf diese Weise finden sie eine Ant wortaufihreSinnfragebzgl.ihresMathematikunterrichtsbzw.derSchule.
Anhang 1 Interviewleitfaden AufdieletzteMathematikstundebezogen(imAnschlussandasnachträgliche lauteDenken)
WiefandestdudieMathematikstunde(heute)?Warum? WashatdichinderStundebesondersinteressiert?Wasnicht? SagemirbitteindeinenWorten,wasduinderStundegelernthast.Kann dirdasfürirgendetwasweiterhelfen? Was interessiert dich am Unterrichtsthema? Warum? Hat das Thema für dichpersönlicheineBedeutung?
AllgemeineFragen
AlsnächstesgehtesumMathematikimUnterschiedzuMathematikunter richt.Anwasdenkstdu,wenndudasWortMathematikhörst?Magstdu Mathematik?Anwasdenkstdu,wenndudasWortMathematikunterricht hörst?MagstduMathematikunterricht? BeschreibebitteeineganznormaleMathematikstunde. Was könnte man verändern, um sie zu einer Stunde zu machen, die dich mehrinteressiertoderdirbessergefällt? Gibtesetwas,dasdirimMathematikunterrichtbesonderswichtigist?
WannbistdumitdirimMathematikunterrichtzufrieden? Wie wichtig ist es für dich, im Mathematikunterricht deine angestrebte Zensurzuerreichen?Warum?
Welche Gefühle bringst du mit Mathematikunterricht in Verbindung? Kannstdubzw.könnenanderePersonenetwasverändern,damitdudich besserfühlst? ErinnerstdudichaneineSituationimMathematikunterricht,inderdudich (besonders)gutgefühlthast? ErinnerstdudichaneineSituationimMathematikunterricht,inderdudich (besonders)schlechtgefühlthast?
M. Vollstedt, Sinnkonstruktion und Mathematiklernen in Deutschland und Hongkong, DOI 10.1007/978-3-8348-9915-6, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
276
Anhang
Wie viel verstehst du im Mathematikunterricht? Was machst du,um den Restzuverstehen? Unter welchen Bedingungen verstehst du Mathematik im Unterricht nor malerweise? Welche Hilfsmittel oder Unterstützungsmaßnahmen helfen dir normaler weise beim Verständnis? (Ggf. Hinweis auf Zeichnungen, ausführliche Er klärungen,Formelsammlungetc.) WiegehstdunormalerweiseaneineAufgabeheran,diedulösenmöchtest bzw.sollst?
WarumlernstduMathematik?GibtesbesondereAnreize? WelchePersonensindfürdeinMathematiklernenwichtig?InwelcherArt? KannstdueineReihenfolgeaufstellen?
BeschäftigstdudichindeinerFreizeitmitMathematik? WofürkannmanMathematikbenutzen? HatMathematikfürdicheineBeziehungzumtäglichenLeben? WiewichtigistdireinesolcheBeziehungzumtäglichenLebenimMathe matikunterricht? Warum? Wie ist es mit innermathematischen Erklärun gen? Gab es Situationen, in denen du das, was du im Mathematikunterricht gelernthast,anwendenkonntest?
Wasmöchtestdumalwerden?Meinstdu,dassdudafürMathematikbe nötigenwirst? SollteMathematikunterrichtDeinerMeinungnachabgeschafftwerden?
2 Transkriptionsregelnundhinweise
Es wird geglättet transkribiert, d.h. die im Folgenden genannten Aspekte werden i.A. ignoriert. Sie werden jedoch transkribiert, wenn sich daraus eine Verschiebung des Inhalts ergibt (z. B. Änderung des Gedankengangs desbzw.derInterviewten). ZustimmendeLauteundWortedesaktivenZuhörens.Bsp.:„Mhm.“ InhaltsloseFüllwörterwie„ähm“,„hmmm“etc. SofortbereinigteVersprecher.Bsp.:“DasistnichtdasZentrummeines Interesses“statt„DasistnichtdasZentrummeiner…sInteresses“. Wortdoppelungen, wenn keine besondere Betonung erwirkt werden soll.Bsp.:„Ichhabdassogemacht“statt„Ichhabdassogemacht“. Zahlenwerdenausgeschrieben.Bsp.:„siebz,nein,achtzehn“. SatzzeichenwerdenvondenTranskribierendeneingefügt. Deutliche Verzögerungen werden mit … gekennzeichnet. Pausen ab 3 Se kundenLängewerdeninrundenKlammernangegeben.Bsp.:„Das…geht so.(3Sek.)Nein,dochnicht.“ KurzeEinwürfe(z.B.kurzeAntwortenaufFragen)werdeninspitzenKlam merneingefügt.Bsp.:I:„SiehstDualles?Gut,danngeht’slos.“ Überschneidungen von Äußerungen verschiedener Sprecher(innen) wer dendurch#markiert.Bsp.:J:„BeiderMathenachthabeichteilgenommen #vonzuHauseaus.“I:#„Wasistdasdenn?Daskenneichgarnicht.“ Wortabbrüche werden mit einem kleinen Minus gekennzeichnet. Bsp. „siebenundzwan“statt„siebenundzwanzig“. StarkbetonteWörterwerdenunterstrichen.Bsp.:„Mathemagichsehr!“ Stimmliche,nichtgesprocheneÄußerungensowienotwendigeErklärungen zur Intonation werden in runde Klammern gesetzt. Bsp.: (I. Lacht), M: Ähäh.(verneinend). TätigkeitenoderGeräusche,diesichausderAufnahmeerschließenlassen, werdeningeschweifteKlammerngesetzt.Bsp.:{I.ziehtdieVorhängezu.}, {lauteGeräuschedurchBewegendesAufnahmegeräts}. Unverständliche Sequenzen werden mit […] markiert. Wort oder Klang vermutungen werden ggf. mit Schrägstrichen getrennt in den Klammern aufgeführt.Bsp.:„Wasmichdaeigentlichnoch[…sp]ammeisteninteres siert,isteigentlichGeometrie.“
3 ListederKodes Sinnkonstruktionen AktivesBetreibenvonMathematik DieBeschäftigungmitMathematikbzw.dasLernenvonMathematikistfürdas Individuum persönlich relevant, wenn es durch das aktive Betreiben von Ma thematikFreudeerlebenkann,dieInhalteleichterverstehtodersichdamitgut aufPrüfungenvorbereitenkann. Freude: Die Schülerinnen und Schüler erleben Freude oder andere positive GefühlebeiderAuseinandersetzungmitmathematischenInhalten. Abwechslungsreichtum der Aufgaben: Das aktive Bearbeiten von Aufga benbereitetFreudedurchabwechslungsreicheAufgaben. Eigenaktivität: Die eigene Aktivität steht im Vordergrund und bereitet Freude. enaktive Handlung/Spiel: Enaktive Handlung (mit Material) aus dem Ma thematikunterrichtbereitetFreude. Experimente(AnwendungimLeben):Durchaktivesexperimentierenwird dieVerbindungzwischenMathematikundihrerAnwendungimLebenklar. Freude durch aktives Betreiben von Mathematik: Die Freude basiert in der aktiven Bearbeitung von Aufgaben bzw. der aktiven Auseinanderset zungmitmathematischenInhalten. Prüfungsvorbereitung:Aspekte,diesichaufdiePrüfungsvorbereitungrichten. Prüfungsvorbereitung: Aktive Beschäftigung mit Mathematik zur Prü fungsvorbereitung. Selbstvertrauen steigern: Übungen werden dazu genutzt, das Selbstver trauenzusteigern. sich selbst beruhigen: Viele Aufgaben rechnen beruhigt Prüfungsangst oder gibt einbesseres Gefühl bei einem geringen mathematischenFähig keitsselbstkonzept. Übungmachtmeisterlich(aktiv):ÜbungwirdalseinWegangesehen,die eigeneLeistungzuverbessernbzw.sichaufPrüfungenvorzubereiten. eigener Lernprozess: Aspekte, die sich auf den Lernprozess der Schülerinnen undSchülerrichten. leichterlernen/verstehen(aktiv):DurchdieeigeneAktivitätwirdleichter gelerntbzw.werdendieInhalteleichterverstanden.
280
Anhang
vonleichtnachschwer:DerLernprozesssollmitleichtenAufgabenbegin nen,aufdiedannspäter(evtl.)schwerereAufgabenfolgenkönnen.
AnwendungimLeben DieBeschäftigungmitMathematikbzw.dasLernenvonMathematikistfürdas Individuum persönlich relevant, wenn es eine Anwendungsmöglichkeit von Mathematik im Leben erkennt, einen Allgemeinbildungsgedanken von Mathe matikvertrittunddaseigeneLernenvonMathematikanhandvonrealitätsbe zogenenAufgabenerleichtertwird. Allgemeinbildungsgedanke: Aspekte, die sich auf einen Allgemeinbildungsge dankenbeziehen. Wichtigkeit für Gesellschaft: Beschreibung, inwiefern Mathematik eine BedeutungfürdieGesellschaftbesitzt. Wichtigkeitfürjedermann/Mündigkeit:EswirdmiteinerWichtigkeitvon MathematikfürjedermannoderfüreinemündigeTeilhabeamLebenar gumentiert. direkte Anwendbarkeit im eigenen Leben: Aspekte, die sich auf eine direkte AnwendbarkeitimeigenenLebenbeziehen. andere Unterrichtsfächer: Verbindung zwischen den mathematischen Inhalten(ausdemUnterricht)undeinemanderenUnterrichtsfach. andere Wissenschaften/Lebensbereiche: Beschreibung der Bedeutung vonMathematikfürandereWissenschaftsbereiche. Basics: Nur grundlegende mathematische Fähigkeiten wie die Grundre chenartenoderderDreisatzwerdenalsrelevantfürdasLebenangesehen. Anwendung ist Legitimationsgrundlage für Mathematik: Durch Anwen dungvonMathematikimLebenwirdderNutzenvonMathematikklar.Die Anwendbarkeitistz.T.AuchderGrundfürdasLernenvonMathematik. Beispiel für Anwendung im täglichen Leben: Beispiel für die Anwendung vonMathematikim(täglichen)Lebenwirdgegeben.DieMathematikwur de in einer Situation wirklich gebraucht bzw. der/die Interviewte meint, MathematikimAlltagineinerbestimmtenSituationzubenötigen. Mathematikistüberall:Beschreibung,inwiefernMathematik(überall)im Lebenist. eigenerLernprozess:Aspekte,diesichaufdeneigenenLernprozessbeziehen. leichter lernen/verstehen (Leben): Mit Beispielen aus dem Leben bzw. einerAnbindunganPhänomeneausderLebensweltlässtsichleichterler nenbzw.lassensichdieInhalteleichterverstehen.
3 Liste der Kodes
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mehranstrengen:Der/dieInterviewtestrengtsichmehran,dieAufgaben zu lösen, wenn diese eine Verbindung zum Leben oder eine Anwendung bereithalten.DieVerbindungzureigenenLebensweltwirktmotivierend. realistischer: Aufgaben, die eine Anwendung im täglichen Leben zeigen, sindrealistischer. weckt/befriedigt Interesse (Leben): Mathematikunterricht weckt bzw. befriedigtInteressederSchülerinnenundSchüler,wennersichaufderen Lebenbezieht.
Ausgeglichenheit DieBeschäftigungmitMathematikbzw.dasLernenvonMathematikistfürdas Individuum persönlich relevant, wenn es dabei Ausgeglichenheit empfindet, etwa durch Phasen der Entspannung im Mathematikunterricht oder durch die freiwilligeBeschäftigungmitmathematischenInhalteninderFreizeit. zuHause:Aspekte,diemitfreiwilligermathematischerAktivitätinZusammen hangstehen. Freizeitmathematik:Beschreibung,inwiefernMathematikeineRolleinder Freizeitgestaltungspielt. Interesse: Beschreibung, inwiefern persönliches oder ggf. situationales Interesse an Mathematik vorliegt. Aus diesem Interesse resultiert Freude anderMathematikundderBeschäftigungmitihr. im Mathematikunterricht: Aspekte des Mathematikunterrichts, die entspan nendoderrelaxendaufdieSchülerinnenundSchülerwirken. nach Anstrengung: Nach überwundener Anstrengung kann man sich ent spannenundFreizeithaben. Spiele im Mathematikunterricht: Spiele im Mathematikunterricht, die didaktischeingebettetsind,ermöglichendasErlebenvonFreudeundSpaß amLernen. kognitive Pause/entspannt/relaxed/autonom: Die Auseinandersetzung bzw.derMathematikunterrichtwirdalsentspanntoderrelaxedbeschrie ben.EinekognitivePauseoderEntspannungwirderlebt. Autonomieerleben DieBeschäftigungmitMathematikbzw.dasLernenvonMathematikistfürdas Individuumpersönlichrelevant,wennesbeimBetreibenvonMathematik,beim Lernen von Mathematik oder im Mathematikunterricht Eigenständigkeit erle
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benkanninFormvonLernautonomieoderdereigenständigenErarbeitungvon Lösungswegeno.ä. BetreibenvonMathematik:Aspekte,diesichaufdasBetreibenvonMathema tikrichten. Beispiel als Ausgangspunkt für eigene Überlegungen: Einem Beispiel aus dem Unterricht bzw. einem Lösungsweg der Lehrperson wird gefolgt, um eineAufgabezulösen.Es/eristAusgangspunktfürweitereÜberlegungen, dieanschließendfolgen. selbst Lösungswege entwickeln: Es wird ein eigener Lösungsweg entwi ckeltbzw.eineigenerWeggefunden,einProblemzulösen.Dabeiwerden bereits bekannte Wege verlassen und selbständig/kreativ nach neuen Möglichkeitengesucht. Lernen von Mathematik: Aspekte, die sich auf das Lernen von Mathematik richten. aus eigenem Antrieb: Beschreibung, dass es wichtig ist, aus eigenem An triebzulernen. eigenständig/mit Büchern lernen: Beschreibung, dass das eigenständige LernenmitBüchernerfolgreichist. selbstherausforderndeAufgabensuchen:EigenständigeSuchenachher ausfordernde Aufgaben (Problemlöseaufgaben) in der Freizeit und Be schäftigungmitdiesen. selbst Übungen wählen: Beschreibung, dass selbst ausgewählt werden kann, welche Übungen bearbeitet werden wollen (z.B. zur Vorbereitung aufPrüfungenbzw.Hausaufgaben,dienichtkontrolliertwerden). Mathematikunterricht:Aspekte,diesichaufdenMathematikunterrichtrichten. Computereinsatz (eigenständig): Eigenständige Arbeit mit dem Compu ter/Internetwirdpositivgewertet. eigene Verantwortlichkeit:Beschreibungeiner Situation, in der eine Ver antwortlichkeit für etwas übertragen wird. Diese Verantwortlichkeit ist wichtig–insbesondere,dasssienichtuntergrabenwird,sondernjedePer sonihrenVerantwortlichkeitsbereichbehält. selbstArbeitsgruppenwahl:Eswirdbevorzugt,selbstdiePartner/innenzu wählen,mitdeneninderGruppenarbeitzusammengearbeitetwerdensoll. DabeikönnenleistungshomogeneoderheterogeneGruppenentstehen. selbst Aufgaben entwickeln: Beschreibung, dass gern eigene Aufgaben entwickeln werden, mit denen z.B. andere Klassenkamerad(inn)en her ausgefordertwerdensollen.
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Berufsvoraussetzung DieBeschäftigungmitMathematikbzw.dasLernenvonMathematikistfürdas Individuum persönlich relevant, wenn es mathematischeKompetenzenals Be rufsvoraussetzungansiehtundsichdurchdieBeschäftigungmitMathematikauf seinenWunschberufvorbereitenkann. weitereSchullaufbahn/Abschlussexamina:Mathematikistwichtigfürdiewei tereSchullaufbahn,z.B.fürdieZulassungzueinerhöherenKlassenstufe. Studienfach:BeschreibungderWichtigkeitvonMathematikfüreinpotentielles Studienfach. Beruf:RelevanzvonMathematikfürdengewünschtenBerufodereinmögliches Gehalt. Effizienz DieBeschäftigungmitMathematikbzw.dasLernenvonMathematikistfürdas Individuumpersönlichrelevant,wennderUnterrichtbzw.dieeigenenHandlun genimUnterrichtundbeiderAuseinandersetzungmitmathematischenInhal tenvonEffizienzgeprägtsind. Handlungsstrategien der Schülerinnen und Schüler: Beschreibung von Hand lungsstrategien der Schülerinnen und Schüler, die für sie selbst effizient sind. DabeiwirdeinmöglichstgeringerAufwandangestrebtundnurgeringeHinder nisse gewählt, um die Anforderungen des Unterrichts zu erfüllen. Es werden bestimmteSituationenodereinegrundsätzlicheEinstellungbeschrieben. Mathematikunterricht: Aspekte, die sich auf Handlungsstrategie im Ma thematikunterricht bezieht, dazu gehören z.B. aufpassen, um Nachbear beitungszeitzuHausezuminimieren. InteraktionmitL:Aspekte,diesichaufdieInteraktionmitderLehrperson beziehen(z.B.Meldungen(möglicherweiseauchohnedieAntwortwirklich zukennen,nurumetwaszusagen)odererwartungskonformesVerhalten). eigeneAuseinandersetzungmitInhalten:Aspekte,diesichaufdieeigene Auseinandersetzung mit mathematischen Inhalten oder Aufgaben richten (z.B. bereits bekannte Lösungsstrategien anwenden, sich an Theorien er innern,vonanderenabschreiben). Unterrichtseffizienz:AspektedereffizientenUnterrichtsgestaltung. ArbeitsorganisationimMathematikunterricht:EffizienteArbeitsorganisa tion im Mathematikunterricht (z.B. konzentrierte Lernatmosphäre, Been
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den der Stunde durch die Lehrperson, möglichst leistungshomogene Ar beitsgruppen,allgemeineguteOrganisation). LehrpersonalsAutoritätsperson:LehrpersonwirdalsAutoritätanerkannt undwertgeschätzt. SteigerungdesUnterrichtstempos:EineSteigerungdesUnterrichtstempos wirdangestrebt.
EmotionalaffektiveBindunganLehrperson DieBeschäftigungmitMathematikbzw.dasLernenvonMathematikistfürdas Individuumpersönlichrelevant,wenneineemotionalaffektiveBindungandie Lehrperson im Mathematikunterricht besteht, die sich durch eine freundliche Unterrichtsatmosphäre sowie gegenseitige Achtung und Wertschätzung aus drückt. gegenseitigeAchtung:Aspekte,diemitdergegenseitigenAchtungderSchüle rinnenundSchülerundLehrpersonzusammenhängen. Respekt:DerLehrpersonwirdRespektentgegengebracht. Wertschätzung: Lehrperson bringt den Schülerinnen und Schülern eine gewisseWertschätzungentgegenbringtundnimmtsieernst. im Unterricht: Aspekte der Beziehung zwischen Lehrperson und Schülerinnen undSchülern,diesichimUnterrichtzeigenbzw.dortentstehen. Späße: Die Lehrperson macht Späße im Unterricht, ist lustig oder erzählt Witze. freundliche Atmosphäre zwischen Schülerinnen und Schüler & Lehrper son (Kommunikation/Interaktion): Beschreibung einer positiven Atmo sphäreimUnterricht,dieausderangenehmenKommunikationundInter aktion zwischen den Schülerinnen und Schüler und der Lehrperson her rührt. Grundvoraussetzung: Aspekte, die als eine Grundvoraussetzung betrachtet werden, dass eine emotionalaffektive Bindung an die Lehrperson entstehen kann. Jugendlichkeit: Die Lehrperson ist noch vergleichsweise jung und daher eherverbundenmitdemLebenderSchülerinnenundSchüler. Kompetenzerleben DieBeschäftigungmitMathematikbzw.dasLernenvonMathematikistfürdas Individuum persönlich relevant, wenn es sich bei der Auseinandersetzung mit mathematischen Inhalten bzw. im Mathematikunterricht als kompetent oder
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erfolgreich erlebt, etwa durch das Lösen einer Aufgabe, durch die aktive Teil nahmeamUnterrichtoderimLeistungsvergleichmitanderenSchülerinnenund Schülern. beim Bearbeitungsprozess: Aspekte, die sich auf das Erleben von Kompetenz währendeinesBearbeitungsprozessesbeziehen. Aufgabeabschließen:Freudewirdempfunden, wenneineAufgabeabge schlossenwird. durch Anwendung in anderen Fächern/Gebieten: Kompetenzerleben durcheineAnwendungvonMathematikinanderenBereichen.Mathema tikerhältdamitzumeinenübergreifendenNutzenoderwirdalsangenehm oderleichtempfunden. durch Verstehen: Das Gefühl, die mathematischen Inhalte verstanden zu haben,bereitetFreude. eigeneLeistung:Der/dieInterviewteiststolzaufdieeigeneLeistung. keineSchwierigkeiten:Freudewirderlebt,wennkeine(odernurgeringe) SchwierigkeitenbeimBearbeitungsprozesserlebtwerden. nachharterArbeit/vielÜben:NachharterArbeitwirdFreudeerlebt,ins besondere,wennpositiveResultatefolgen. nachHerausforderungen/Schwierigkeiten:Freudewirderlebt,wenneine herausforderndeAufgabeerfolgreichgelöstwird. richtigeLösung:DurcheinerichtigeLösungwirdFreudeerlebt. eigeneAktivitätenimUnterrichtsgeschehen:Aspekte,diesichaufeigeneAkti vitätenimUnterrichtbeziehen. aktiveTeilnahmeamUnterricht:KompetenzerlebenbeiaktiverTeilnahme amUnterricht. an der Tafel vorrechnen: Zufriedenheit mit sich selbst undKompetenzer leben,wennanderderTafelvorgerechnetwird. externe Anerkennung: Durch externe Anerkennung – etwa durch gute Noten oder Lob von der Lehrperson – erleben sich die Interviewten als kompetent odererfolgreich. gute Noten: Freude/Kompetenz/Erfolg kommen durch gute Noten zum Ausdruck. Interaktionmitanderen:Aspekte,diesichhinsichtlicherlebterKompetenzauf Interaktionmitanderenbeziehen. anderen helfen: Die Schülerinnen und Schüler erleben Freude, dadurch dasssieanderenbeimathematischenProblemenaktivhelfenkönnen.
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besseralsanderesein(Wettstreit):DieSchülerinnenundSchülererleben einen Wettstreit als positiv. Sie entwickeln Ehrgeiz, besser zu sein als die anderen,underlebenFreude,wennihnendiesgelingt.
KognitiveHerausforderung DieBeschäftigungmitMathematikbzw.dasLernenvonMathematikistfürdas Individuumpersönlichrelevant,wennesdieAuseinandersetzungmitmathema tischenInhaltenalskognitiveHerausforderungempfindet,durchdiesesineinen WettstreitmitsichselbstoderseinenMitschülerinnenundMitschülernkommt, oderdiesesalsMöglichkeitderLeistungsbesserungempfindet. Potenzial der Aufgaben/Interaktion mit Inhalten: Aspekte, die das Potenzial vonmathematischenAufgabenbeschreiben,dasdurchdieAuseinandersetzung mitihnenentwickeltwerdenkann. Möglichkeit der Leistungsbesserung: Bearbeitung von schwierigeren Auf gabenzurLeistungsbesserung. Möglichkeit des Erlebens von Erfolg/Freude: Durch kognitiv herausfor derndeAufgabenoderAnforderungenwirddieMöglichkeitgegeben,sich alskompetentunderfolgreichzuerleben. wecktInteresse(kognitiveHerausforderung):DieHerausforderungansich wecktdasInteressederSchülerinnenundSchüler. Interaktionmitanderen:AspektederInteraktionmitanderenfürdiekognitive HerausforderungbeiderBearbeitungvonmathematischenInhalten. Wettstreit: Die Schülerinnen und Schüler empfinden einen Wettbewerb untereinander,indemsieihreLeistungenmiteinandervergleichen. Persönlichkeitseigenschaft: Schülerinnen und Schüler begründen direkt oder indirektdenWunschnachkognitiverHerausforderungmitihrerPersönlichkeit. Ehrgeiz: Der/die Interviewte ist ehrgeizig und sucht daher die kognitive Herausforderung. Wunsch/Suche nach kognitiver Herausforderung: Der/die Interviewte möchte neue Inhalte lernen und sich mit diesen auseinandersetzen statt bereits Bekanntes zu wiederholen oder zu üben. Die Herausforderung an sichwirdalsattraktivundinteressantwahrgenommen. Pflichterfüllung DieBeschäftigungmitMathematikbzw.dasLernenvonMathematikistfürdas Individuumpersönlichrelevant,wennesdadurchPflichtenerfüllt,dieesansich
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gestellt empfindet und ggf. damit dem an es gestellten Leistungsdruck begeg net. BegegnungdesDrucks:Aspekte,umdemDruckzubegegnen,derdurchandere aufdenLernendenlastet. Anstubser/AnreizdurchanderePersonen:Der/dieInterviewtebeschreibt, dass er/sie einen „Anstubser“ von anderen Personen bekommt bzw. von diesenzumLernenangehaltenwird. LernenfürPrüfungen:Der/dieInterviewtebeschreibt,dasser/siefürPrü fungenlerne. HierarchiederAnforderungen:DieAnforderungenlassensichinverschiedene Stufen gliedern, die sich danach richten, wie stark sie auf einer gesellschaftli chenDimensionodereherpersönlichenDimensionverankertsind. unbestimmte Anforderungen: Ein gewisser Druck im Zusammenhang mit dem Mathematikunterricht bzw. dem Lernen von Mathematik wird ge spürt,dessenQuelleabernichtgenauerspezifiziertwird.Esistfürden/die Interviewtenwichtig,diesemDruckzuentsprechen. Gesellschaft:EsbestehteingesellschaftlichgeprägterDruckfürdasLernen vonMathematik. Schulsystem/Fach: Es wird gelernt, da Mathematik ein unhintergehbares Element im Schulsystem ist. Hierunter fällt auch die hohe Rolle von Ma thematikfürdieZulassungfürPrüfungen,alsSelektionsprinzipfürdiewei tereSchullaufbahnetc. ErwartungenderFamilie:Eswirdgelernt,umdenErwartungenderEltern gerechtzuwerden. DruckdurchWettstreit:WettstreitzwischendenSchülerinnenundSchüler lastetaufder/demInterviewten. PositiveAußenwirkung DieBeschäftigungmitMathematikbzw.dasLernenvonMathematikistfürdas Individuum persönlich relevant, wenn es durch die Beschäftigung mit Mathe matikbzw.dieimFacherzieltenLeistungeneinepositiveAußenwirkunggegen über anderen als wichtig erachteten Personen erlangen kann und von diesen Anerkennungbekommt. positives Bild erzeugen: Es ist dem/der Interviewten wichtig, einen positiven Eindruckbeiseinen/ihrenMitmenschenzuerzeugen. Anerkennung:StrebennachAnerkennungfüreigeneLeistung.
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vonEltern:StrebennachAnerkennungvondenElternfürdieeigeneLeis tung. vonGesellschaft:MathematikfähigkeitenwerdeninderGesellschafthoch angesehenundsinddemnacherstrebenswert. vonL:StrebennachAnerkennungvonderLehrpersonfürdieeigeneLeis tung. vonMitschüler(inne)n:StrebennachAnerkennungvondenMitschülerin nenundschülernfürdieeigeneLeistung. vonunbestimmtenPersonen:StrebennachAnerkennungvonnichtweiter spezifiziertenPersonenfürdieeigeneLeistung.
Prüfungen DieBeschäftigungmitMathematikbzw.dasLernenvonMathematikistfürdas Individuum persönlich relevant, wenn es sich auf Prüfungen vorbereiten kann undsichmitdemBestehenvonPrüfungenPerspektivenimweiterenBildungs gangeröffnet. Rolle von Examina/Prüfungen/Zeugnissen: Die herausragende Rolle von Exa mina(z.B.HKCEE/Abitur/Klassenarbeiten)wirdbeschrieben. Relevanz für momentane Bildungssituation: Beschreibung der Relevanz der Prüfungen die momentane Bildungssituation (z.B. direkter Leistungs vergleich der Lernenden untereinander, Verständniskontrolle für sich selbst). AuswirkungenaufdenBildungsgang:BeschreibungderAuswirkungen,die Prüfungsleistungen auf den eigenen Bildungsgang haben können (schuli scherBildungsgang,BildungsgangimAnschlussanSchule). Vorbereitung auf Prüfungen Examina: Beschreibung der Bedeutung des Ma thematikunterrichtsalsVorbereitungaufkünftigePrüfungen/Examina. Übungmachtmeisterlich:Übunghilft,uminPrüfungenerfolgreichzusein. lastminute:SehrkurzfristigeVorbereitungaufPrüfungen. UnterrichtsinhalteprimärfürPrüfungenlernen:DieimUnterrichtbehan deltenInhaltewerdenprimärfürdaserfolgreicheBestehenvonPrüfungen gelernt. PurismusderMathematik DieBeschäftigungmitMathematikbzw.dasLernenvonMathematikistfürdas Individuumpersönlichrelevant,wennesdenPurismusderMathematikschätzt,
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der in ihrem Formalismus und logischen Aufbau steckt, und ihm dadurch das VerstehenvonMathematikleichterfällt. emotionalerBezugzuM:Aspekte,dieeinenemotionalenBezugzurMathema tikerkennenlassen. FaszinationMathematik:DiepuristischeMathematikwirdalsfaszinierend gewertetundihre„Schönheit“wertgeschätzt. inderKürzeliegtdieSchönheit:InsbesonderekurzeRechnungen/Beweise sindschön. mathematischeElemente/Eigenschaften:BestimmtemathematischeElemente oderEigenschaftenwerdenalspersönlichbedeutsameingeschätzt. Formalismus/Fachsprache:DerFormalismusderMathematikwirdpositiv eingeschätzt.DieArbeitmitVariablenetc.machtSpaß. Logik:DasSchöneanderMathematikistderlogischeAufbau. Teilgebiete/Tätigkeiten: Es werden einzelne Teilgebiete oder Tätigkeiten benannt,diebesondersbeliebtsind. VerstehenvonMathematikerleichtern:AspektederMathematik,diedasVer stehenderInhalteleichtermachen. Anwendungenstören/nichtnotwendig:EineAnwendungsmöglichkeitvon MathematikimLebenwirdalsstörendoderuninteressantempfunden. leichterverstehen(reineMathematik):Mathematikwirdleichterverstan den,wennesreininnermathematisch(alsoohneeinenAnwendungsbezug zumLeben)erklärtwird. nach verstehen – leicht: Werden mathematische Inhalte einmal verstan den,wirdMathematikalseinfachwahrgenommen. nurFormeln:Mathematikisteinfachzumerken,daes'nurFormeln'sind, die man auswendig lernen muss. Faktenwissen wie in anderen Fächern wirdnichtbenötigt. richtig oder falsch: Es ist positiv, dass es lediglich richtige oder falsche AntworteninderMathematikgibt. Selbstperfektionierung DieBeschäftigungmitMathematikbzw.dasLernenvonMathematikistfürdas Individuumpersönlichrelevant,wennessichdurchdieBeschäftigungmitMa thematikselbstperfektionierenkann,alsobestimmteCharakterzügeoderper sönliche Eigenschaften weiter entwickeln oder die eigene Leistung verbessern kann.
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Charakter/Persönlichkeitseigenschaft: Beschreibung von Persönlichkeitseigen schaftenoderCharakterzügen,diefürdieEntwicklungdesSelbstwichtigsind. fürdasLebenlernen:MitMathematiklerntmanfürdasLeben.Lebenslan gesLernenwirdalswichtigeingeschätzt. logisches Denken: Bei der Auseinandersetzung mit Mathematik werden kognitiveFähigkeitengelernt,geübtbzw.gefestigt.DabeimachtdasDen kenoftmalsFreudeundÜbungderkognitivenFähigkeiten„meisterlich“. tiefes Verstehen: Ein tief gehendes Verständnis der Inhalte wird wertge schätzt und angestrebt, das über einer sehr spezifische Situation hinaus geht. Weiterentwicklung des Selbst/Selbstvertrauen: Der/die Interviewte be schreibt,dasser/siesichdurchdasBetreibenvonMathematikpersönlich weiterentwickelt. Leistung:Esistfürder/demInterviewtenrelevant,dieeigeneLeistungzuver bessern. AnsporndurchWettstreit:WettstreitmitanderengibtdenAnsporn,sich anzustrengen. besser/schnellerwerden:Der/dieInterviewtemöchtedieeigeneLeistung verbessern. SozialeEingebundenheiterleben DieBeschäftigungmitMathematikbzw.dasLernenvonMathematikistfürdas Individuumpersönlichrelevant,wennessichindieGruppederLernendensozi al eingebunden und integriert fühlt und sich das Umgehen miteinander durch einefreundlicheAtmosphäresowiekooperativeLernformenauszeichnet. sozialeInteraktion:DiesozialeInteraktionspieltfürdieSchülerinnenundSchü lereinebedeutendeRolle freundlicheAtmosphärezwischenSchülerinnenundSchüler:Einepositive AtmosphärespielteinewesentlicheRollebeimLernen. keineAußenseiterrolle:DieRolledesAußenseiterssollvermiedenwerden. NotfallswirddaseigeneVerhaltenandiesozialenNormenangepasst. Kommunikation/Interaktion:WichtigkeitderKommunikationundInterak tionmitdenMitschülerinnenundschülern.DabeikönnendieGespräche sowohl soziale als auch mathematische Themen beinhalten. Es werden Handlungenbeschrieben,diez.B.alslustigempfundenwerden,diejedoch meistnichtdirektmitfachlichenInhaltenzusammenhängen. miteinanderlernen:WichtigkeitdesgemeinschaftlichenLernprozesses.
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alle sollen verstehen: Wunsch, dass möglichst alle Mitschülerinnen und schülerdieimUnterrichtbehandeltenInhalteverstehensollten. Freundschaft vertiefen: Ein wesentlicher Faktor am Betreiben von Ma thematik ist es, mit anderen zusammen zu arbeiten, sodass Freundschaf tenentstehenodervertieftwerden. Gedankenaustausch:TeilhabeandenLösungen/Ergebnissenandererwird positiveingeschätzt.Dieskannöffentlich(z.B.anderTafel)odernichtöf fentlich(z.B.imGesprächmitSitznachbarn)geschehen. gegenseitigAufgabenstellen:DasgegenseitigeStellenvon(selbsterdach ten)AufgabenwirdpositivgewertetundalsHerausforderungempfunden. Schüler(innen)helfenSchüler(inne)n:DieLernendenhelfensichgegensei tig,wenneiner/eineetwasnichtverstandenhat. Zusammenarbeit: Aufgaben werden gern zusammen mit einer anderen Persongelöst.
UnterstützungdurchdieLehrperson DieBeschäftigungmitMathematikbzw.dasLernenvonMathematikistfürdas Individuumpersönlichrelevant,wennesinseinemLernprozessUnterstützung durchdieLehrpersonerfährtundessichbeiFragenansiewendenkann. Kommunikation/Interaktion: Wichtigkeit der Kommunikation (über mathema tischeundnichtmathematischeInhalte)bzw.InteraktionmitdenMitschülerin nenundschülern. Lehrperson:EigenschaftenderLehrpersonausderPerspektivederLernenden. Allwissend:DieLehrpersonwirdals(fast)allwissendbeschrieben.Diesist fürdieSchülerinnenundSchülerbeeindruckend. Autorität:DieLehrpersonhateingewissesMaßanAutorität/Strenge,das die Schülerinnen und Schüler dazu veranlasst, aufmerksam zu sein und demUnterrichtzufolgen. diskutiert mit Schülerinnen und Schüler: Es ist möglich, mit der Lehrper son über Inhalte zu diskutieren. So können z.B. eigene Lösungswege der SchülerinnenundSchüleroderThemen,dieabseitsdesCurriculumsliegen, besprochenwerden. ermuntertzuEigenaktivitätderSchülerinnenundSchüler:DieLehrperson ermuntertdieSchülerinnenundSchülerzureigenenAktivitätbeimAufga benlösen. ermuntertzurEigenständigkeitderSchülerinnenundSchüler:Lehrperson ermuntertSchülerinnenundSchülerzurEigenständigkeitbeimAufgaben
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lösen. Es werden keine Rezepte oder zu verfolgende Lösungsstrategien vorgegebensondernkreativselbsterarbeitet. fair: Die Lehrperson ist fair und behandelt die Lernenden gleich. Sie wird alsgerechterlebt. geduldig:DieLehrpersonhatGeduldbeim(ggf.wiederholten)Erklären. hältAnwendungenbereit:DieLehrpersonliefertAnwendungsmöglichkei tenvonMathematikimLeben.DadurchwerdendieLernendenmotiviert, sichmitdenInhaltenzubefassen. Wiederholungen alter Inhalte: Lehrperson wiederholt bereits behandelte Stoffgebiete,hältdafürAufgabenundÜbungenbereit. hält Lernmaterialien bereit: Die Lehrperson hält die Aufgaben bereit, die imMathematikunterrichtbearbeitetwerden. interessiertanVerständnisderSchülerinnenundSchüler:DieLehrperson zeigt Interesse am Verständnis des Stoffes durch die Schülerinnen und SchülerundunterstütztsiebeimVerstehensprozess. lässt Freiraum: Die Lehrperson lässt den Schülerinnen und Schülern Frei raum,das zu tun, was sie möchten(z.B. in Situationen,in denen sie sich einzelnen Schülerinnen und Schüler zuwendet, können sich die anderen entspannen). lässtgenugZeitzumVerstehen:DieLehrpersonlässtdenLernendenZeit zumNachvollziehendervermitteltenInhalte. meldet zurück, ob richtig oder falsch: Die Lehrperson gibt Rückmeldung, obdereingeschlageneWegzurLösungdesProblemsrichtigoderfalschist. Metakommunikation: Informationen zu Beginn der Unterrichtsstunde überdenAufbauoderdieInhaltewerdenpositivgewertet. Methodenreichtum:Methodenwechseloderreichtumwirdalslernunter stützendwahrgenommen. nimmt Schülerinnen und Schüler ernst: Der/die Interviewte schätzt es, wenndieLehrpersonsieals(quasi)erwachsenePersonenbehandelt,wert schätztundernstnimmt. optimale Förderung der Schülerinnen und Schüler: Eine individuelle För derungderLernendenwirdpositivgewertet(z.B.durchBinnendifferenzie rungbeimSchwierigkeitsgradderAufgaben).EineoptimaleFörderungbe inhaltetnichtnurdiebesondereFörderungleistungsschwacherSchülerin nen und Schüler, sondern auch die Herausforderung der Leistungsstärke ren. passtUnterrichtsablaufspontanandieBedürfnissederSchülerinnenund Schüleran:DieLehrpersonpasstdenUnterrichtspontanandieBedürfnis
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se der Schülerinnen und Schüler bzw. die Entwicklung des Unterrichtsge schehensanundmachteineflexibleGestaltungdesUnterrichtsmöglich. unterrichtet MGeschichte/Philosophie: Die Thematisierung der Ge schichte der Mathematik oder philosophischmathematische Themen im Unterrichtistpositiv. unterrichtet/erklärt (gut)/hilft: Die Lehrperson erklärt gut und steht bei UnklarheitenbezüglichneuerInhaltegenerellhelfendzurSeite. verleichtertInhalte:Eswirdgeschätzt,wenndieLehrpersondieInhalteso vereinfachtwiemöglichdarlegtundeinesimpleSprachezumErklärenbe nutzt,dieohneübermäßigenGebrauchvonFremdundFachwörternaus kommt. vermittelt neue Inhalte/wiederholt Bekanntes: Die Lehrperson soll neue Inhalte in den Unterricht einbringen bzw. bekannte Inhalte wiederholen, diedenSchülerinnenundSchülernichtmehrgeläufigsind. versetztsichinSchülerinnenundSchülerhinein:DieLehrpersonkannsich indieLernendenhineinversetzen,sodassProblemebzw.dasDenkender Lernendennachvollzogenwerdenkönnen. VorbereitungaufPrüfungen_L:DieLehrpersonbereitetaufPrüfungenund Examinavor. Vorbild:DieLehrpersonwirdalsVorbildgesehen.Sieweißviel,kannein schätzen,obdieLösungrichtigoderfalschist,bringtdieInhaltebei. weckt/bedientInteresse:DieLehrpersonwecktdasInteressederLernen den an Mathematik bzw. bedient es durch angemesse ne/herausfordernde/lebensnaheInhalte. SchülerinnenundSchüler:Aspekte,diedieRollederLernendenimUnterricht betreffen. Fragenstellendürfen:Der/dieInterviewtehatdasGefühl,dieLehrperson beiNichtverstehenfragenzukönnen.SiegibtdanngernAntwortundun terstütztdenLernprozess. LösungswegederLehrpersonnachmachen:Esistwichtig,denLösungsweg der Lehrperson übernehmen zu können, wenn eigene Ideen zur Lösung fehlenoderdervorgegebeneLösungswegalsersterSchrittfungiert,umei geneLösungswegezuentwickeln. Schülerinnen und SchülerEvaluation nach Referat: Die gegenseitige Be wertungderLernendennachReferateno.ä.wirdpositiveingeschätzt.
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Zensuren DieBeschäftigungmitMathematikbzw.dasLernenvonMathematikistfürdas Individuumpersönlichrelevant,wennihmdieeigeneLeistunginFormvonZen surenimMathematikunterrichtreflektiertwirdundsichdasStrebennachLeis tungineinembestimmtenMaßanEhrgeizwiderspiegelt. Ehrgeiz/eigener Druck:Beschreibung, dass Ehrgeiz vorhanden ist,bessere No tenzuerreichen. reflektieren eigenen Leistungsstand: Einstellung, dass Zensuren den eigenen Leistungsstand reflektieren. Eine gute Note wird mit guten Leistungen in Ver bindunggebracht,aufdieder/dieLernendedannzumeiststolzist.Einenichtso guteNotewirdoftmalsinsofernentkräftet,alsdassdieeigeneLeistungalsei gentlichbesserangesehenwird. Rolle von Zensur: Die Rolle von Zensuren für den/die Interviewten wird be schrieben(z.B.alsNadelöhrfürdieZulassungzurUniversitäto.ä.). ÜbungfürguteZensuren:ÜbungisteinMittelfürguteZensuren. Voraussetzungen Hintergrundmerkmal: Merkmale der Person, die die Sinnkonstruktion beein flussen,diejedochselbstnichtdirektbeeinflussbarsind. Persönlichkeitsmerkmal: Merkmale und Eigenschaften der Person, die die Sinnkonstruktionbeeinflussenund(ggf.übereinenlängerenZeitraumhinweg) selbstbeeinflussbarsind. Auswirkungen Bewertung:Bewertungen,dieaufeinerbestimmtenSinnkonstruktionbasieren. Handlung: Handlungen, die sich aus einer bestimmten Sinnkonstruktion erge ben. SonstigeKodes AdditionalMathematics:Stellen,diesichaufÄußerungenzumUnterrichtsfach AdditionalMathematicsinHongkongbeziehen. lexikalischeKodes:Stellen,andenendieinterviewtenSchülerinnenundSchüler einenderfolgendenBegriffeverwendethaben. Bedeutung: Stellen, an denen die Interviewten den Begriff Bedeutung verwendethaben.KeineInterpretationderkodierendenPersonen.
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Meaning:Stellen,andenendieInterviewtendenBegriffmeaningverwen dethaben.KeineInterpretationderkodierendenPersonen. Sense: Stellen, an denen die Interviewten den Begriff sense verwendet haben.KeineInterpretationderkodierendenPersonen. Sinn:Stellen,andenendieInterviewtendenBegriffSinnverwendethaben. KeineInterpretationderkodierendenPersonen. Sinnlos:Stellen,andenendieInterviewtendenBegriffsinnlosverwendet haben.KeineInterpretationderkodierendenPersonen. SuchenachSinn:Stellen,andeneneineSuchenachSinnderInterviewtenof fenbar wird. Diese Suche kann entweder direkt als solche geäußert werden, odersichetwadurchUnzufriedenheitmitbestehendenSinnangebotenäußern.
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Schlagwortverzeichnis A AktiveAuseinandersetzungmitMathe matik134135,137,141,197198, 200,205,228,236238,240241, 259 AktivesBetreibenvonMathematik 128,130,133135,197198,200, 236237,239,243,255,259,279 AnwendungimLeben63,128,133, 135,158159,161162,196,237, 239,259,265269,279,280 Anwendungsrelevanz134135,142, 158159,161,168,237238,259 Ausgeglichenheit128,133,136,182 185,189191,194,212,236237, 239,242,245246,255,259,265, 267,281 Autonomieerleben5357,84,128, 133,136,140,142144,185,194 195,200,237,239,259,264,268, 281
B BasicneedsSieheAutonomieerleben, Kompetenzerleben,SozialeEinge bundenheiterleben Belief50,5861,66,6972,7475,84, 244245,265,307308 Berufsvoraussetzung128,130,133, 136,153,160,173,220,222224, 231,233,237,239241,251,255, 259,262,267268,283
Bildungsgangforschung34,6,9,13 14,21,28,40,47,88,130,257,269
D Denkstil,mathematischer50,58,61 62,266,272
E Effektstärke123,125,236,238240, 242,251,255 EffizienteundunterstützendeGestal tungvonUnterrichtsprozessen136 137,183,197,204206,237238, 240242,259 Effizienz114,128,133134,136,194, 204,206209,211213,216217, 237,239,242,259,266267,283 EmotionalaffektivgeprägteEntfaltung 136137,170,182184,189,191, 206,212,237238,240242,259 EmotionalaffektiveBindungandie Lehrperson129,133,136,182183, 185,187,189,212,237,239240, 242,252,255,259 Empirie,empirisch56,54,61,6869, 71,8385,89,9193,119121,123 124,127,130,132,139140,142, 158,169170,182,187,197,204, 220,242,255,261,263,270 Entwicklungsaufgabe34,148,183, 224 ErfüllunggesellschaftlichgeprägterAn forderungen136137,153154,170,
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Schlagwortverzeichnis
174,198,202,205,220,222,228, 231,237238,240241,259
G GroundedTheory8789,9195,109 111,113114,117,128,258,274 Grundvorstellung58,272,302 Gütekriterien3,8992,99,273,310
H HKALE,HongKongCertificateofEduca tionExamination81,248 HKCEE,HongKongAdvancedLevelEdu cationTest76,8081,155,228, 232234,248249,288 Hypothesen,hypothesentestend42, 85,8788,90,94,111,121,124, 235,255,257,260261,263,272 273
I Individuumsbezogenheit130134,137, 141,158,169,182183,197,205, 221222,240,249,254,261,272 Interview,Interviewte1,84,8789,95, 99107,109110,112115,120,122, 128,139,142146,148,159,162 165,167,170172,184,187,190, 197198,200,206207,209,211 212,223229,232,234235,245, 247,249,252,259,261,264,266, 273,280281,285287,290,292294 Leitfaden99,106107,299 teilstandardisiert103,107
K Kategorie,Kategoriensystem16,59, 61,64,88,9397,112119,127,130 132,142,170,187,224,261 Hauptkategorie117119 Kernkategorie96,118119 Oberkategorie92,96,115117,253 254 Schlüsselkategorie119 Subkategorie96,117 Unterkategorie116117,119,265 Kode,kodieren87,89,9293,9596, 112114,116,200,205,250252, 254,279,294295 axial96,117119,139,142,144, 146,148149,159,161,170,172, 174,184185,187,189,198,200, 206,209,211,222,224227 offen95,114,116117 selektiv96,118 theoretisch112113,258 KognitiveHerausforderung129,133, 136,140142,144146,151,200, 218,236,238239,259,265267, 269,286 KognitiveSelbstentwicklung136137, 140142,168,198,218,237238, 240242,259 Kompetenzerleben19,44,5457,64, 84,107,129,133,136,146,158, 169172,174,182,212,237,239, 241,250,259,264265,268,273, 284285 Konfuzius,konfuzianisch56,9,67,69 78,83,126,241,243244,248,254, 263,273 Konstruktivismus4041,4344,84
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Schlagwortverzeichnis
L LehrLernKontext910,28,41,43,48, 257,273 LeveneTest123
M MannWhitneyUTest125,236,238 239,251 Mathematikbezogenheit130133,137, 141,158,169,182183,197,205, 221222,261,272273 MAXQDA113,116,118 Meaning3,17,1920,34,41,116 Memo88,9293,96,118 Merkmal Hintergrundmerkmal6,34,48,50 51,63,103,118,294 PersönlichesMerkmal48,103,118, 258,265 Methode6,36,76,8385,87,90,95, 99,106,109,127,143,201,211, 216,257,272 Modell5,23,41,117,266268 Modellieren,Modellierungsaufgabe 16,164,266,272 Motivation,Lernmotivation12,22,24, 35,5256,58,73,7576,84,142, 151,154,161,170,177,181,187, 228,265 extrinsisch5254,77 intrinsisch5254,56,73,75,177, 228
N NachträglicheslautesDenken99,102 106,214,266,275
Normativität,normativ24,42,45,50, 83,90,269270,274
O Ostasien,ostasiatisch5,67,69,7677, 101,115,246,263,273
P Paradigma27,83,85,90,99,109,117, 257 Perfektionierung7172,75,77,129 130,136,140142,148149,153, 155156,158,238240,242,254 255,259260,267,289 PersönlicheRelevanz14,24,2830, 3233,3940,45,47,50,5354,57, 60,62,84,88,100,103,119,122, 128,130,134136,139,142,146, 148,159,161,170,172,184185, 187,197198,204,206,209210, 215,221,223226,243,245247, 249,251253,257,265,268269, 274,279281,283284,286291,294 Pflichterfüllung51,63,129,133,136, 154,220222,224225,228,231, 238241,253,255,258259,267 269,286 Phänomen17,20,91,93,9596,114, 117,119,280,302 PositiveAußenwirkung129,133,136, 154155,176,191192,220222, 225226,229232,236,238239, 241,246247,255,259,267,287 Prototyp53,70,127,135,139140, 149150,158,161,169,174,182, 189,197,200,204,211,220,227 228
316
Schlagwortverzeichnis
Prüfungen44,63,76,81,128129, 133,135136,162,166,169,171, 173,199,202,204,209,216,220 223,225228,231234,236,238 239,241,243,245,247250,252, 255,259,267,269,279,282,287 288,293 PsychologischeGrundbedürfnisse SieheAutonomieerleben,Kompe tenzerleben,SozialeEingebunden heiterleben PurismusderMathematik129,133, 136,140142,146,148,238239, 259,266267,288
Q QualitativeSozialforschung,qualitativ 6,12,8485,87,8990,93,103,113, 120,211,235,257,261,272
R ReichweitederTheorie91,261,263 Rekonstruktion,rekonstruktiv6,10, 8492,95,99,103,106,109,120 121,124125,127,257,263,265, 272
S Sampling,theoretischesSampling94, 110112 Selbstperfektionierung72,75,129 130,136,140142,148149,153, 155156,158,238240,242,254 255,259260,267,289 SensibilisierendesKonzept85,88,91, 94,99,103,106,116117,142143, 170,187,264
Signifikant123125,236,238243, 245246,249,251252,254255,260 SinnkonstruktionsartenSieheAktives BetreibenvonMathematik,Anwen dungimLeben,Ausgeglichenheit, Autonomieerleben,Berufsvoraus setzung,Effizienz,Emotionalaffekti veBindungandieLehrperson,Kog nitiveHerausforderung,Kompetenz erleben,Pflichterfüllung,Positive Außenwirkung,Prüfungen,Purismus derMathematik,Selbstperfektionie rung,SozialeEingebundenheiterle ben,UnterstützungdurchdieLehr person,Zensuren SinnkonstruktionstypenSieheAktive AuseinandersetzungmitMathema tik,Anwendungsrelevanz,Effiziente undunterstützendeGestaltungvon Unterrichtsprozessen,Emotionalaf fektivgeprägteEntfaltung,Erfüllung kognitivgeprägterAnforderungen, KognitiveSelbstentwicklung,Wohl befindendurcheigeneLeistung SozialeEingebundenheiterleben52, 5457,84,115116,129130,133, 136,157,182184,187,189,191 192,194196,238239,242,258 259,264,268,290 SPSS122,124,235
T Transkript,Transkription25,91,109 110,112,166,277 TTest123125,236238,240,243, 250
317
Schlagwortverzeichnis
Typenbildung89,91,119121,127 128,134,139,205,240,242,258, 268,270 Typologie6,85,89,9192,109,119 120,127,132133,135,137,139 141,158,169,182183,197,204, 220,257,261,263,273
U UnterstützungdurchdieLehrperson 129,133,136,190,204206,209, 211,238239,242,259,291
V Video25,66,89,99,101,103106 Voraussetzung2,5,11,1415,2324, 29,38,58,68,73,105,112,114, 118,123,135136,139,142,144,
146,148149,154,159,161,170 172,174,184185,187,189,198, 200,206,209,211,220222,224 227,258,264265,294,305
W Westen,westlich5,9,67,6970,73 74,7678,101,115,125126,241, 243,254,263,273 WohlbefindendurcheigeneLeistung 136137,142,169,174175,183, 193,236238,240241,259
Z Zensuren129,133,136,158,162,169 170,172175,178,181182,223, 231,236,238239,241,249250, 255,259,267,294