Klaus Holzkamp Schriften V Kontinuität und Bruch Aufsätze 1970 - 1 972
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Klaus Holzkamp Schriften V Kontinuität und Bruch Aufsätze 1970 - 1 972
Schriften V Im Auftrag des InstitutS für Kritische Theorie- InkriT Herausgegeben von Frigga Haug, WolfgangMaiers und Ute Osterkamp
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der DeutSchen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. 1. Auflage © Institut für Kritische Theorie, InkriT 2009 ©für diese Ausgabe Argument Verlag 2009 Glashünenstraße 28, 20357 Harnburg Telefon 040 I 4018000 -Fax 040 I 40180020 www.argumem.de Umschlaggestaltung und Buchsatz:Martin Grundmann www.herstellungsbuero-hamburg.de Druck: Fuldaer Verlagsanstalt Gedruckt auf säure- und chlorfreiem Papier ISBN 978-3-88619-406-3
Klaus Holzkamp
Kontinuität und Bruch Aufsätze 1970-1972
Argument
INHALTSVERZEICHNIS
Vorbemerkungen zu Band V der Schriften Klaus Holzkamps ... ... .. 9 Zum Problem der Relevanz psychologischer Forschung für die Praxis (1 970) . . .... . ...... ...... ... . . ... . .. . ..... . . ... ... .. . 15 .
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Verborgene anthropologische Voraussetzungen der allgemeinen Psychologie (1 972)............................................ . . 41 Wissenschaftstheoretische Voraussetzungen kritischemanzipatorischer Psychologie (1 970) ... .. ...... . ...... .. . ... .... . 83 .
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1 Einleitung 83 2 Der Rückzug der modernen Wissenschaftslehre. . .. ... ........ . .. . 88 2.1 Naiver Empirismus. . .... . .. .... . .. .. .. ........ .. ....... ...... 88 2.2 Logischer Empirismus........... ......... . .............. . 89 2.3 Falsifikationtheorie (Popper) ..... .......................... 93 2.4 Konstruktivismus (Holzkamp). . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . .. . . . ... . . . . 97 3 Die Kritisch-emanzipatorische Wendung des Konstruktivismus . . . 106 3 . 1 Vorbemerkung........ .................................... 106 3.2 Die Verkehrung von Konkretheit und Abstraktheit menschlicher Verhältnisse in der bürgerlichen Psychologie .... 108 3.3 »Tägliches Leben« und >>objektive« Gesellschaftsform: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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die Bezugsrahmen für die Relevanzbestimmung
psychologischer Forschung. ...... . ... .... . . ......... . .. . .... 1 1 7 3.4 Das »kritisch-historische« und das >>kritisch-empirische« Verfahren ........ . .. . .. . .. . .............. . .............. 128 3.5 Kritisch-emanzipatorische Forschung in der Psychologie als »kontrolliert-exemplarische Praxis<< ... . . .. .... . .... . ..... ... 136 .
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Konventionalismus und Konstruktivismus (1 971 ) . .... .. . ... .. . ... 153 .
1 Der Gegenstand der Wissenschaftslogik und der kritischen Wissenschaftstheorie . . . . . .... . . . . . .. . . . 155 2 Der Rekurs auf »störende Bedingungen« (Exhaustionsprinzip) als essentielles Prinzip experimentell-psychologischer Forschung ..... 159 3 Die Explikation der wissenschaftslogischen Grundlagen .
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experimentell-psychologischer Methodik durch das konstruk-
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tivistische Belastetheitskonzept und Bedingungsmodell .. . .... .... 1 66 Schlussbemerkung . . . .. .... . . . . . ..... . . .. ..... . . . ....... . ... ..... 176
Inhalt
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>>Kritischer Rationalismus« als b linder Kritizismus ( 1 97 1 ) . ... . 1 79 .
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1 Vorbemerkung .. . .. . .. . . .. .. . .. . .. .. . .. 1 80 2 Universell-formaler Kritizismus vs. kritische Explikation . .. 1 8 1 gesellschaftlicher Realbedingungen . . . . ...... ........... 3 Die »kritisch rationalistische« Verfehlung des explikativen kritisch-emanzipatorischen Ansatzes . .. . ... . .. . 1 85 4 Annäherung an die Wahrheit durch >>kritisch rationalistische« Methodologie? (Kritik des »Kritischen Realismus«) ... . . . .. 1 90 5 Gesellschaftliche Praxis und Geschichte . ... .. . ... ..... ... 1 96 6 Schlussbemerkung ............... .... . .......................... 209 .
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Die B eziehung zwischen gesellschaftlicher Relevanz und wissenschaftlichem Erkenntnisgehalt psychologischer Forschung ( 1 972) .......... .............................. 2 1 1 .
1 Geschichte des Instituts bis 1 965... .... .. ... ............ ... ....... 2 1 2 2 Erste Auswirkungen der Studentenrevolte auf die Arbeit am Psychologischen Institut (bis 1 968) ............................... 213 >>Liberales<< Psychologieverständnis und ••kritisch-theoretische<< Psychologiekritik: frühe Kontroversen am Institut..... ..... 2 1 7 4 »Zerschlagt die Psychologie« ... . . . .. . . . . . . 222 5 Kritik des Textes »Der Rückzug der modernen Wissenschaftslehre« (entstanden Sommer 1 968) ................... 228 6 Kritik des Textes »Zum Problem der Relevanz psychologischer 3
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Forschung für die Praxis« (entstanden Herbst 1968)........ .. 232 7 Entwicklung des Instituts bis zur Erarbeitung und Annahme der ersten Satzung (Anfang 1 969) ................................. 236 8 Kritik des Textes »Verborgene anthropologische Voraussetzungen der allgemeinen Psychologie<< (entstanden Frühjahr 1 969)............................ .. 240 9 Die »Rote-Zellen-B ewegung<<; verschärfte Antagonismen und Manifestwerden der Krise am Psychologischen Institut (1969/70)................................................. 241 10 Kritik des Textes »Die kritisch-emanzipatorische Wendung des Konstruktivismus<< (»wissenschaftstheoretische Voraussetzungen kritisch-emanzipatorischer Psychologie II«; entstanden Frühjahr 1 970).. . ...... . .. . ....................... 254 1 1 Der Kampf um das »sozialistische Studium<< an der Freien Universität ( 1 9 70/71) .................................. 265 12 Lösung der Krise am Psychologischen Institut durch Neugründung eines zweiten Instituts (Herbst 1 970) ............... 268 13 Der Beginn planvoller Entwicklungsarbeit am Psychologischen Institut 271 14 »Konventionalismus und Konstruktivismus« (entstanden Herbst 1970) und »>Kritischer Rationalismus< als blinder Kritizismus<< (entstanden Frühjahr 1 971 ) ; Schlussfolgerungen .. . 277 . . . . . . . . . .
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Inhalt
Soziale Kognition (1972) ... .. .. ..... .. ...... ... .... ...... .. .. .. 293 .
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Einleirung. 293 1 . 1 Zur Erläuterung des Begriffs >>Kognition« .. . ..... .. ... . .. 293 1 .2 So ziale Bedingungen des Kognizierens . . . . 304 2 Nichtverbaler sozialer Einfluss ..... ...... ....... ... ...... ..... . 306 . . . . .
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........... . ............. 306 2 . 1 Vorbemerkung ......... 2.2 Nichtfunktionalistische Imitationsansätze .: ....... ..... . ...... 307 2.3 Imitation als instrumentell gelernte Verhaltensweise . . ....... 309 2.3.1 Der Ansatz vonMiller und Dollard.................... .. 310 . . .... 312 2.3.2 Modifikationen dieses Ansatzes. ....... 2.3.3 Diskussion der Ergebnisse und Kritik ........................ 3 1 9 2.4 Beobachtendes Lernen . . . 322 2.4.1 Autismus-Theorie (Mowrer) . ... .. . . . ..... .. .. . ... .. ... 322 2.4.2 Die Konzeption der stellvertretenden Verstärkung .. . . . 323 2.4.3 Die Theorie des »beobachtenden Lernens« (Bandura) . .. .. ... . 325 .
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Zur Integration kognitiver Wahrnehmungstheorien und der Theorie des beobachtenden Lernens . . ... .. ... . .. .. 328 3 Verbaler sozialer Einfluss .. .. . . ... . . . . . 332 3.1 Vorbemerkung ......................... .......... 332 3 .2 Ein Schema zur Analyse des verbalen sozialen Einflusses . .. 333 3.2.1 Beeinflussungsbedingungen in der Stimulussituation .. . . 338 3.2.1.1 Widerständigkeitsgrad der Stimulussituation ... . .. . ... 340 3.2.1.2 Metrische Beschaffenheit der Stimulussituation . . . . 341 3.2.1.3 Zur Umgebungsrepräsentanz der Stimulussituation .. . .. 344 3.2.2 Beeinflussungsbedingungen in derModellsituation.. . .. 345 3.2.2.1 Kompetenz desModells..... . . ... . . .... . . ..... .. 346 3.2.2.2 Social po'l'{er desModells (coercion p., reward p.) ........... 347 3.2.2.3 Anzahl derModelle... ... . .... . . . .. .... ... .. ...... 348 3.2.2.4 VerschiedeneModelle mit verschiedenen Urteilen . 350 3.2.3 Beeinflussungsbedingungen beim Beobachter.. . . . .. ... .. . 351 3.2.3.1 Persönlichkeitsvariablen beim Beobachter . . . 352 3.2.3.1.1 Persönlichkeitsmomente, die bei der Gewichtung der unabhängigen Stimulussituation eine Rolle spielen .... 353 3.2.3.1.1.1 Modifikation der Stimulusvalenz . ... .... ... .. ...... 354 3.2.3.1.1.2 Modifikation der Klarheit der Auffassung der in der Situation mitgegebenen gedanklichen Strukturen .. .. 354 3.2.3.1.2 Persönlichkeitsmomente, die bei der Gewichtung der Modellsituation eine Rolle spielen.. .. .. . ... ... ... .. 355 3.2.4 Der Gewichtungsprozess und die Responsegewinnung .. 358 3.2.4.1 Angleichung des Beobachterurteils an das Modellurteil . . ... 360 3.2.4.1.1 Reduzierung der Dissonanz zwischen Response auf unabhängige Stimulussituation undModellsituation.. .. 362 3.2.4.1.1.1 Auflösung der Informationsdiskrepanz . .. ... 363 3.2.4.1.1.2 Dominative Gewichtung .. .... .... ... . ... ... 364 3.2.4.1.1.3 Relative Gewichtung . .. . . . . .. . . . 3 65 2.4.4
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Inhalt
8 3.2.4.1.2
Abweichung zwischen Äußerungsresponse und verborgener Response .. . Konsistenz der durchModellinformation modifizienen Responses . . . .
3.2.4.1.3
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.. 367 .
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370
Komplementarität zwischen Beobachter- und Modellresponse .. ............................ ...... ..... 371 Exkurs über soziales »operant conditioning« von verbalem Verhalten . . 373
3.2.4.2
3.2.5
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Anhang Literaturverzeichnis Quellenangaben
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Namenverzeichnis
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Sachverzeichnis . . Ü bersicht über die Klaus-Holzkamp-Werkausgabe .
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384 400 401
. 405 .
410
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VORBEMERKUNGEN ZU BAND V DER SCHRIFTEN KLAUS HOLZKAMPS
Dies er B and umfasst zum einen Texte, die als >>Kritische Psychologie. Vorb ereitende Arb eiten« (1 972) in der von Klaus Holzkamp mit her ausgegeb enen Fischer-Reihe >>Texte zur politischen Theorie und Pra xis« (wied er-)veröffentlicht wurden, zum anderen enthält er den Artikel >>Soziale Kognition« aus dem Band >>Sozialpsychologie« des >>Hand buchs d er Psychologie«. Da dies er Text b ereits 1 967 verfasst wurde, das Handbuch aber erst 1972 zeitgleich mit dem Sammelband »Kri tische Psychologie« erschien, in dem die wissenschafts theoretischen Grundlagen, auf denen der Handbuchartikel basierte, fundamental in Frage gestellt wu rden, fügte Holzkamp ihm folgende Fußnote b ei: >>Dieser Artikel, da 1 967 geschrieben, ist vor der wissenschaftstheore tischen Umorientierung s eines Verfass ers (vgl. 1972a) entstanden. Eine Üb erarbeitung des Artikels unter den veränderten G esichtspunkten hätte Stückwerk bleiben müssen. Die Abfassung eines völlig neuen Ar tikels über soziale Kognition war mir nicht mögli ch (vgl. etwa »Wahr nehmung<< , 1972b ). So erscheint der Artikel- da er im Rahmen dieses Handbuchs eine, wenn auch b egrenzte, Funktio n erfüllen dürfte - in ' der ursp rünglichen Form.* Wir hab en uns aus folgenden Gründen entschieden, den Handbuchar tikel in die Schriften aufzunehmen: - Er kann als Brücke zwischen d en b eiden Monographien zur kon struktivistischen Wissenschaftstheorie, >>Theorie und Experiment<< und >>Wissenschaft als Handlung<< (Schriften Il, 2005 , und III, 2006a), und den explizit kritisch-psychologis chen Arbeiten gelesen werden. Die B edeutung, die Holzkamp dem Artikel für seine wissenschaft liche Neuo rientierung beimisst, zeichnet sich u. a. darin ab , dass er in >>Kritis che Psycholo gie<< zur Kennzeichnung seines wissenschafts theoretischen Hintergrunds neben >>Theorie und Experiment« und >>Wissenschaft als Handlung<< nur diesen Text namentlich erwähnt. �-
Die Literaturverweise 1972 a und b beziehen sich auf >>Kritische Psycholo gie<< und auf die-tatsächlich erst 1973 -veröffentlichte Monographie »Sinn liche Erkenntnis« (Schriften IV, 2005).
10
Vorbemerkung
D er Handbuchart ikel vermittelt emen umfass enden Üb erblick über die unterschiedlichen Ansätze zur Analyse der sozialen Di mension menschlicher Wahrnehmung, der Werkzeug- und Vor bildcharakter zugleich hat: Alle Standpunkte, auch wenn sie den eigenen Auffassungen widersprechen, werden sorgfältig referiert. Sie werden einer kritischen Üb erprüfung unterzogen, d eren Prä missen angegeb en werden und die daher s elbst auf ihre G egen standsangemessenheit hin überprüfbar ist. Die Kritik hat niemals p ersönlich h erabsetzenden Charakter. Die Akribie, mit der die ein z elnen Gedanken z erl egt und geprüft werden, verweist vielmehr konstruktiv auf die offen gebli eb enen Fragen, die im Interesse eines umfass enderen Problemverständniss es noch zu b eantworten sind. Nach Fehlendem statt nach b ereits E rkanntem, >>F estgestelltem«, zu fragen, zeigt eine Grundhaltung wissenschaftlichen Arb eitens auf, die Holzkamp generell auszeichnet und die auch in dies em Handbuchartikel neue P erpektiven eröffnet. Im Verfolg der vor liegenden Forschungsansätze wird zugleich deutlich, dass das Wis s en darum, dass Wahrnehmen und D enken nicht als zwei distinkte Praxen gedacht werden können, s ondern üb er ihren Zusammen hang geforscht werden muss, schon lange vor den mit lautem Ver kündungsgestus auftretenden p ostmodernen Theoremen über die Konstruiertheit von traditionell als wes enhaft gedachten Einheiten in d er bürgerlichen Psychol ogie vorhanden war. - Indem Holzkamp vom konstruktivistischen Standpunkt aus die disparaten Ansätze zu einem verallgemeinerten Wissen zusammen zufügen sucht, zeichnet sich zugleich ihre gemeinsame B eschränkt heit ab: die Negierung des Subj ektstandpunkts. So werde die s oziale D imension individu eller Wahrnehmung und Urteilsbildung etwa nur unter dem Asp ekt der Konformität, als dep ersonalisierender, das Urteil verfälschender Faktor, nicht ab er als Informationsquelle für verb esserte Umweltorientierung und Das einsbewältigung ge s ehen. Damit könne sich auch nicht die Frage nach den Gründen stellen, die die Individuen haben, sich an den j eweiligen Wahrneh mungs- und Urteilsvorgaben zu orientieren (vgl. S. 371). - Man kann an der Darstellung der vorhandenen Arb eiten zur so zialen Dimension individueller Wahrnehmung verfolgen, wie Fra gen und Kriterien ihrer B eantwortung herausgebildet werden, die in Holzkamps >> Grundlegung der Psychologie« systematisiert und zu einer Wiss enschaftssprache vom Standpunkt des Sub jekts ver allgemeinert werden, die in der weiteren Forschung zu �ealisieren und weiterzuentwickeln ist. Mit der Frage nach der Funktionalität der verschiedenen Ansätze und nach den in ihnen gedachten und nicht gedachten Zusammenhängen wird zugleich die Frage nach
Vorbemerkung
11
der subjektiven Widerständigkeit angesprochen: » Wo aber real Zusammenhängendes in Gedanken zerrissen wird, da können ge sellschaftliche Widersprüche ... sich in wissenschaftlicher Erkenntnis nicht niederschlagen« (S. 289). Gegen den Abdruck dieses Textes schien zunächst zu sprechen, dass größere Teile in das zwei Jahrzehnte. später veröffentlichte Buch »Lernen« (1993) aufgenommen wurden. Auf der anderen Seite schien uns gerade dieser Rückgriff durch Klaus Holzkamp selbst für die Aufnahme in den aktuellen Band zu sprechen, weil er den Bruch als Kontinuität zeigt. Das ist nicht nur biographisch interessant, sondern auch für unser Denken über epistemologische Brüche in den Wissenschaften. Die Fragen - hier über die soziale Dimension individueller Wahrnehmung - bleiben. Ebenso bleiben die von vielen Seiten gewonnenen Erkenntnisse; ihr Gebrauchswert liegt darin, dass sie in das neue Gebäude aufgenommen werden und dort zur Erneuerung psychologischen Denkens beitragen können. Der Subjektstandpunkt, der sich in »Soziale Kognition« erst an deutet, stellt im Lernbuch die programmatischerwissenschaftstheo retische Grundlage kritischer Analysen dar. Die in »Kritische Psychologie« versammelten Texte dokumentieren »dieUnterbrechung einer kontinuierlichen Entwicklung wissenschaft licher Arbeit, hinführend zu einer neuen Kontinuität auf veränderter Basis« (S. 211). »Oberflächlicher« Anlass der Herausgabe dieses Sam melbandes sei gewesen, wie es in der Vorbemerkung heißt, die über unterschiedliche und teilweise sehr teure Publikationsorgane verstreut veröffentlichten Texte einem breiteren Leserkreis zugänglich zu ma chen. Sie sei jedoch aus einem noch sehr viel triftigeren Gmnde ge boten gewesen: »Diese Abhandlungen sind Niederschlag einer krisen haften wissenschaftlichen Neuorientierung ihres Verfassers, die erst in dem letzten Artikel ihren Abschluss fand. Jeder, der ahnungslos auf ei nen der früheren Artikel stößt, ohne den historischen und individual biographischen Hintergrund seiner Entstehung zu kennen, könnte- ob in Kritik oder Zustimmung - möglicherweise zu gravierenden Fehl einschätzungen kommen. Andererseits: Die Rezeption der einzelnen Positionen im richtigen Kontext mag vielleicht bei manchem auch zur Erhellung der Geschichte des eigenen Denkens und damit zur Klärung der Eigenart gegenwärtiger Konzeptionen beitragen. Als Konsequenz aus solchen Erwägungen musste ich eine ausführliche, denUmfang der einzelnen Artikel weit überschreitende abschließende Arbeit schrei ben, in welcher die fünf Artikel auf dem Hintergrund der Entwicklung der Studentenbewegung an der Freien Universität Berlin im Psycholo gischen Institut selbstkritisch analysiert und eingeordnet werden. Die
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Vorbemerkung
Schlussabhandlung ist das Wichtigste an diesem Buch: Ohne sie sollte keiner der fünf Artikel zur Kenntnis genommen werden. Allerdings ist auch die abschließende Arbeit ohne Kenntnis der fünf Artikel zu großen Teilen kaum verständlich. - Mit dem Zwang zur historischen Aufarbeimng nahm ich zugleich bewusst die Gelegenheit wahr, einen - wenn auch regional begrenzten - Ausschnitt deutscher Hochschulge schichte nach dem Zweiten Weltkrieg zu dokumentieren.« (1972. S. 7) Während die »Vorarbeiten« noch weitgehend durch die Auffassung bestimmt waren, dass sich die Frage der Smdentenbewegung nach der gesellschaftlichen Relevanz psychologischer Forschung mit der Frage des Konstruktivismus nach der Repräsentativität experimenteller Da ten für die ihnen zugrundeliegenden Theorien gegenseitig ergänzten, schätzte Holzkamp in seiner abschließenden B ewertung diese Vorstel lung als wesentliche Erkenntnisbeschränkung ein: Sie bleibe dem po sitivistischen Wissenschaftsverständnis und dessen Reduzierung von Wissenschaftstheorie auf Methodologie verhaftet, dem zufolge Wis senschaft nur ihren eigenen (methodischen) Normen und Prinzipien verpflichtet sei, die Verwertung ihrer Ergebnisse j edoch außerhalb des eigentlichen Erkenntnisprozesses und wissenschaftlicher Verant wortung liege. Für eine kritisch-emanzipatorisch Psychologie sei es hingegen notwendig, einen Begriff von wissenschaftlicher Erkenntnis zu erarbeiten, der es ermögliche, die gesellschaftliche Relevanz psy chologischer Forschung und ihren wissenschaftlichen Wahrheits- und Erkenntnisanspruch als Einheit zu sehen. Kriterium und Bezugspunkt für die gesellschaftliche Relevanz psychologischer Forschung könne in dieser Perspektive nur das »alltägliche Leben« der Menschen sein. Die Aufgab� kritisch-emanzipatorischer Psychologie liege somit weniger d arin, permanent >>gesellschaftskritische<< Erkenntnisse zu produzie ren, als über die gedankliche Explikation gesellschaftlicher Zusammen hänge Gewusstes zu Bewusstem, Bekanntes zu Erkanntem zu machen, von der Vorstellung einer Sache zu ihrem B egriff aufzusteigen (vgl. S. 278 u. 288f.). In diesem Kontext spezifiziere sich zugleich der wis senschaftstheoretische Stellenwert des Konstruktivismus: als Methode, >>die durch Verabsolutierung des nomothetischen Selbstverständnisses der Psychologie bedingte Verfehlung ihres Themas, des konkreten ge sellschaftlichen Menschen<< (S. 282f.) zu explizieren. Den Artikel, der bereits mit seinem Titel »Die kritisch-psycholo gische Wendung des Konstruktivismus<< suggeriert, die neue Ebene des Problemzugangs erreicht zu haben, um diese Aufgabe bewälti gen zu können, schätzt Holzkamp in der Retrospektive als den pro blematischsten ein: »In ihm vereinen sich erste Ansätze zu wirklicher marxistischer Betrachmngsweise der Psychologie mit verbalradikal deklamatorischen Passagen, prinzipienlos-widersprüchlichen Ausfüh-
Vorbemerkung
13
rungen und zutiefst verfehlten gesellschafts- und wissenschaftstheore tischen Konzeptionen<< (S. 254). Einen wesentlichen Mangel sieht er in der Vernachlässigung der » Möglichkeitsbedingungen für Erkenntnis«, d. h. der unzureichenden wissenschaftlichen Klärung der Vorausset zungen, um erkannten Handlungsnotwendigkeiten entsprechen zu können. Eine ••Möglichkeitsbedingung«, um die.se Aufgabe in Angriff nehmen zu können, war die Entwicklung Kritischer Psychologie zu ei ner Psychologie vom Subjektstandpunkt aus, bei der im Gegensatz zur üblichen Ausrichtung auf die Beeinflussung/Bearbeitung anderer die subjektive Notwendigkeit im Mittelpunkt der Analyse steht, sich zur Vielfalt von Einwirkungen, denen man im alltäglichen Leben ausgesetzt ist, zu verhalten, sie auf subjektive Bedeutung und Verantwortbarkeit hin zu überprüfen. Für die Entwicklung einer Wissenschaftssprache, welche die damit verbundenen Probleme begrifflich zu erfassen im stande ist, hatte Klaus Holzkamp die nächsten zehn Jahre angesetzt. Da Holzkamp die vorliegenden Texte in ihrer Entstehungsgeschichte selbst analysiert hat, verzichten wir hier auf ihre zusätzliche Kommen tierung. Wir haben zunächst überlegt, ob wir seine kritische Rück schau den Texten voranstellen sollten, um die Gefahr ihrer »Fehlein schätzung« möglichst von vornherein zu vermeiden, uns aber letztlich entschieden, die in »Kritische Psychologie« vorgegebene Anordnung beizubehalten. Dies auch deswegen, weil es in den Texten vor allem darum geht, ''Begrenztheiten und Sichtverzerrungen früher vertretener Konzeptionen samt ihrer schrittweisen Überwindung ... in ihren exem plarischen Zügen« ( 1972, S. 1) zu verdeutlichen. Die Anordnung der Texte nach dem Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung ist im Allgemeinen mit der Reihenfolge ihrer Kommentierung identisch, die sich nach der
Zeitabfolge richtet, in der die Artikel geschrieben wurden. Eine Aus nahme bildet »Wissenschaftstheoretische Voraussetzungen kritisch emanzipatorischer Psychologie«. Während Holzkamps retrospektive Analyse mit diesem Beitrag beginnt, steht er in der Textsammlung erst an dritter Stelle. Dies erklärt sich daraus, dass er bereits im Sommer 1 968 als erster Teil des übergreifenden Artikels »Wissenschaftstheore tische Voraussetzungen kritisch-emanzipatorischer Psychologie« ge schrieben wurde, dessen zweiter Teil - »Die kritisch-psychologische Wendung des Konstruktivismus« - aber erst im Frühjahr 1 970, kurz vor der Veröffentlichung des Gesamttextes. Bei einigen Texten bestehen Differenzen zwischen ihrer Originalfas sung und der Neuauflage von 1 972. Zum einen stellte Holzkamp den Erwiderungen auf die in der Zeitschrift für Sozialpsychologie veröffentli chte Kritik an seinem ebenfalls dort erschienenen Artikel»Wissenschafts theoretische Voraussetzungen kritisch-emanzipatorischer Psychologie«
14
Vorbemerkung
eine Zusammenfassung dieser Kritik voran. Zum anderen differieren die beiden Versionen, in denen »Verborgene anthropologische Vor aussetzungen allgemeiner Psychologie<< kursiert: Passagen, die in einer Fassung enthalten sind, fehlen in der jeweils anderen. Dies erklärt sich daraus, dass dieser Text bereits im Herbst 1968 für die Reihe »Neue Anthropologie<< geschrieben wurde, dann aber, weil sich seine dortige Veröffentlichung durch den Tod des Mitherausgebers dieser Reihe, Paul Vogler, bis 1973 verzögerte, als Vorabdruck in >>Kritische Psychologie<< zuerst erschien. Da sich im Nachhinein nicht mehr eindeutig feststellen lässt, was Originalfassung und was nachträgliche Erweiterungen und/ oder Kürzungen sind, haben wir uns entschlossen, die jeweils längere Fassung zu bringen und die Diff erenzen zwischen den Texten durch eckige Klammem zu markieren. Entsprechend der Entscheidung, die Texte in der Reihenfolge ihres Erscheinungsjahrs zu bringen, steht »Soziale Kognition<< am Ende der Aufsatzsammlung. Im Übrigen gelten die editorischen Grundsätze wie in den Bänden II, III und IV: 1 . Die Anmerkungen Holzkamps und die Herausgeberanmerkungen befinden sich jeweils auf der unteren Seite; Erstere sind fortlaufend nummeriert, während Letztere durch Sternchen gekennzeichnet sind. 2. Formale Fehler, wie etwa gelegentliche Wortauslassungen, sind durch sinngemäße Einfügungen korrigiert worden, die durch eckige Klammen kenntlich gemacht sind. Nachträgliche handschriftliche Korrekturen und Ergänzungen im B elegexemplar des Autors he ben wir als solche hervor. 3. Die Zeichen- und Rechtschreibung ist den heute geltenden Regeln angepasst. 4. Ebenso wird die Bibliographie nach den heute geltenden Standards vereinheitlicht. Frigga Haug, Wolfgang Maiers, Ute Osterkamp
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ZUM PROBLEM DER RELEVANZ PSYCHOLOGISCHER FORSCHUNG FÜR DIE PRAXIS (1970)
Niemand wird leugnen können, dass psychologische Forschung und psychologische Berufspraxis sich gegenwärtig in vielen Bereichen weit gehend entfremdet gegenüberstehen. Die möglichen Gründe für diese Entfremdetheit sind sicherlich sehr vielfältiger Art. Man könnte dabei an Unterschiedlichkeiten des Selbstverständnisses des Forschers und des Praktikers denken, an wechselseitige Gruppenstereotypen, von de nen aus etwa der Praktiker den Forscher als >>bloßen« Theoretiker be trachten mag, der im Laboratorium oder an dem oft berufenen >>grünen Tisch« lebensfremd und autistisch die reine Wahrheit sucht; umgekehrt mag der Forscher den Praktiker als blinden Pragmatiker ansehen, der, von dauernd wechselnden Tagesbedürfnissen getrieben, kaum berührt ist von den Forderungen, die der psychologische Grundlagenforscher inzwischen hinsichtlich der Strenge und Klarheit wissenschaftlichen Denkens und wissenschaftlicher Methodik zu erheben gewohnt ist. Es wäre sicher lohnend, derartige mögliche Stereotypen zu erforschen, auf ihre Bedingungen hin zu analysieren und eventuell abzubauen. Nun spricht aber vieles dafür, dass sich die Entfremdung zwischen psychologischer Forschung und Praxis nicht restlos auf die genannten soziologisch und sozialpsychologisch angehbaren Phänomene redu zieren lässt. Vielmehr scheint die psychologische Forschung, so wie wir sie gegenwärtig vorfinden, selbst bestimmte wesentliche Eigenarten zu haben, durch welche die Forschungsbefunde häufig für den Praktiker notwendigerweise irrelevant sein müssen. Das müsste bedeuten, dass der Praktiker auch bei bestem Willen und höchster Kompetenz unter den Resultaten der psychologischen Forschung nur relativ wenig fin den würde, das er tatsächlich gebrauchen kann. Allerdings mag auch die Praxis, so wie sie uns heute als historisches Faktum gegeben ist, teilweise ihrer Struktur nach wenig dazu geeignet sein, psychologische Forschungsresultate mit Nutzen verwenden zu können. - Wir wen den uns zur Explikation und Begründung dieser Thesen zunächst der psychologischen Forschung zu und werden später auch die psycholo gische Praxis in unsere Reflexionen einbeziehen. Wenn man die Entwicklung der psychologischen Forschung in den letzten fünfzig Jahren betrachtet, so kann man dabei- falls man
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geeignete Gesichtspunkte verwendet - einen immensen Fortschritt konstatieren. Es wäre sicher kaum übertrieben, wenn man feststellen wollte, dass die Psychologie in dieser Zeit auf entscheidende Weise ihr Profil als Einzelwissenschaft gewonnen hat. Als >>Marksteine« dieser Entwicklung könnte man etwa die Durchsetzung des Operationismus als methodologischem Grundansatz, die Verfeinerung und Präzisie rung der Konzepte des experimentellen Designs und der statistischen Inferenz und die- besonders vom Minnesota-Kreis geleistete - Aus arbeitung des hypothetico-deduktiven Verfahrens als eines formalen Kanons der T heorienbildung und Hypothesenherleitung herausheben. Man könnte dabei durchaus mit berechtigtem Stolz darauf hinweisen, dass die Psychologie in methodologischer Hinsicht eine führende Rolle innerhalb der Sozial- und Lebenswissenschaften innehat und in mehr als einem Bereich Pionierarbeit geleistet hat.- Wenn man die genannte Entwicklung global charakterisieren wollte, so wäre etwa festzustellen, dass die Psychologie in immer ausgeprägterem Maße zu einer analy tisch-experimentellen Einzelwissenschaft im Sinne des logischen Em pirismus geworden ist. Mit diesen Ausführungen, so berechtigt sie sind, hätte man aller dings nur einen Aspekt der Veränderung der Psychologie in den letz ten Jahrzehnten berücksichtigt. Von anderen Gesichtspunkten aus lässt sich durchaus auch ein ganz anderes, sehr viel weniger freundlich ein gefärbtes Bild von der Geschichte der modernen Psychologie zeich nen. Man könnte etwa sagen, dass die Psychologie sich von einer Wis senschaft, deren Bedeutsamkeit im Zusammenhang philosophischer, anthropologischer und geistesgeschichtlicher Fragen durchaus von einheitlichen Gesichtspunkten her zu begreifen war, immer mehr zu einem Aggregat aus einer Unzahl von kleinen und kleinsten Einzel untersuchungen verändert hat, wobei allmählich kein Mensch mehr imstande ist, dieses Aggregat zu überschauen, zu ordnen und einen einheitlichen Sinn darin zu entdecken. Man könnte darlegen, dass die experimentelle Forschung in immer wachsendem Maße mit exakten Methoden Belanglosigkeiten und Trivialitäten zutage fördert, so dass viele Forschungsresultate eigentlich nur noch deswegen von einschlä gig spezialisierten Forschern beachtet werden, weil diese Befunde bei solchen Forschern offenbar eine durch Kompetenzerlebnisse bedingte sekundäre Valenz gewonnen haben und im Übrigen weil jene Forscher durch leicht abgewandelte Perpetuierung bestimmter Tendenzen in nerhalb des Chaos psychologischer Einzelbefunde das Publikations Soll im Interesse ihrer akademischen Karriere zu erfüllen hoffen. Die Auffassung, dass weite Bereiche der psychologischen Forschung durch fortschreitende Desintegration und Banalisierung gekennzeich net sind, ist zwar bis heute keineswegs Bestandteil der >>offiziellen«
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Selbstinterpretation experimentell-psychologischer Arbeit, wird aber dennoch hier und da recht deutlich zum Ausdruck gebracht. Beson ders bedeutsam ist in diesem Zusammenhang vielleicht das Votum der Herausgeber des Journal of Abnormal and Social Psychology, M. B. Smith und E.J. $hoben, die, nachdem sie mehrere tausend Manuskripte durchgesehen hatten, ihren Gesamteindruck hinsichtlich der Eigenart der ihnen zugegangenen Arbeiten auf folgende Weise zusammenfassten: >>lt seems .. . that a remarkably high proportion of the research reported is clean, stringently conceived, and effectively executed, reflective of ri gorous and painstaking thought and experimentation, and remarkably trivial! There are occasions when I have the unpleasant fantasy that psychology has become so enarmored of method that techniques be come our independent variables and our substantive problems only the dependent ones« (Smith 1961, S. 462; vgl. dazu auch Sargent 1 965). Falls man der Auffassung zustimmen wollte, dass das Gesamtgebiet der psychologischen Forschung gegenwärtig in weiten Bereichen als eine unüberschaubare Anhäufung bedeutungsloser Einzelbefunde ge kennzeichnet ist, so könnte man es schon verständlich finden, dass der Praktiker nur schwer Zugang zu den Resultaten der psychologischen Grundlagenforschung zu gewinnen vermag und dass er Mühe haben muss, dabei für ihn Brauchbares zu finden. Wir wollen uns allerdings mit unserer ersten, globalen und sicher in mancher Hinsicht übergene ralisierenden Schilderung der gegenwärtigen Lage der psychologischen Forschung nicht zufrieden geben, sondern versuchen, die Gründe für die genannte Entwicklung der Psychologie etwas genauer aufzuweisen. Dabei soll auch möglichst klar gezeigt werden, welche Eigenarten der modernen psychologischen Forschung es sind, durch die viele der ge wonnenen Forschungsresultate so wenig Wert für die Praxis besitzen. Wir gehen bei den folgenden Überlegungen von der These aus, dass die beiden genannten Veränderungszüge in der Psychologie, die Prä zisierung und Verfeinerung einer bestimmten Art von Methodik und die geschilderte Tendenz zur Desintegration und Trivialisierung im theoretischen Bereich, nicht nur zufällige historische Kovariationen darstellen, sondern eng miteinander zusammenhängen. Wenn man die Kriterien für den Wert wissenschaftlicher Forschungs bemühungen grob klassifizieren wollte, so könnte man dabei etwa zu den folgenden vier Punkten kommen: 1. Bestätigungsgrad empirischer Hypothesen. Das Verfahren, einer seits den nach Lage eines Problems jeweils höchsten Bestätigungsgrad zu gewinnen und andererseits möglichst genaue Gesichtspunkte dafür zu schaffen, wie hoch der Bestätigungsgrad einer Hypothese angesetzt werden kann, ist die Methodik der experimentellen Bedingungsanalyse, also das experimentelle Design und die Inferenzstatistik.
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2. Integrationsgrad der übergeordneten Theorien. Der Integrations grad bemisst sich nach der Manni gfaltigkeit der in einer Theorie ange sprochenen realen Gegebenheiten. Integrationsgrad ist also der Grad der Zusammenhang stiftenden Funktion einer Theorie (vgl. Holzkamp 1968, S. 18Sff. [2006a, S. 206ff.]).
3. Der Grad der inneren Relevanz. Mit innerer Relevanz ist die Aus sagekraft der jeweiligen empirischen Befunde für die übergeordneten theoretischen Ansätze gemeint. Dieser Terminus deckt sich mit dem Terminus der »Repräsentanz« i. w. S., wie er etwa bei Holzkamp (1964 [2005]) benutzt wurde. 4. Der Grad der äußeren Relevanz. Mit >>äußerer Relevanz« ist die Bedeutsamkeit, die Wichtigkeit der theoretischen Ansätze selbst ge meint. Er ist unabhängig von der inneren Relevanz, da ja empirische Befunde für eine Theorie maximal aussagekräftig sein können, die selbst völlig bedeutungslos ist. Während die Kriterien 1 bis 3 im Prin zip mit Mitteln der formalen Wissenschaftslogik expliziert und prä zisiert werden können, ist die äußere Relevanz nur nach inhaltlichen Gesichtspunkten, mit Bezug auf Forschungsinteressen, zu bestimmen. Wir kommen darauf zurück. Wenn man nun die Geschichte der neueren Psychologie betrachtet, so wird man feststellen müssen, dass hier das Kriterium des Bestäti gungsgrades von Hypothesen allmählich immer mehr in den Vorder grund gekommen ist und heute den entscheidenden Gesichtspunkt sowohl für die Steuerung der Forschungsaktivität wie auch für die Be wertung der Fo:r:schungsergebnisse darstellt. Dagegen hat das Kriterium des Integrationsgrades im Ganzen ge sehen an Gewicht verloren, was sich in der schrittweisen Demontage der großen theoretischen Systeme, wie etwa dem von Hull, von Lewin oder von Tolman und einem immer wachsenden Hang zum theore tischen Eklektizismus zeigt. Das Kriterium der inneren Relevanz ist ebenfalls ziemlich bedeutungslos, besonders durch die weitverbreitete Adaptation des reduktiv-operationistischen Ansatzes, dem zufolge psychologische Theorien möglichst nichts weiter enthalten sollen als begriffliche Fixierungen der jeweiligen experimentellen Handlungen. Das Kriterium der äußeren Relevanz ist heute in den offiziellen wis senschaftslogischen Konzeptionen überhaupt nirgends enthalten und findet sich höchstens in manchen mehr privaten Überlegungen einzel ner Forscher angewendet. Der generelle Trend der modernen psychologischen Forschung liegt also in der Bemühung um den Ausbau und die Vedeinerung der De sign- und Messtechniken und der Inferenzstatistik unter weitgehender Vernachlässigung der übrigen Kriterien für den Wert wissenschaftlicher Forschung, besonders des Kriteriums der äußeren Relevanz.
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Nun wird zwar sicherlich kein psychologisch Forschender, wenn man ihn ausdrucklieh danach fragt, leugnen können, dass psycholo gische Forschungsresultate äußere Relevanz besitzen müssen, wobei auch ein hinreichender Integrationsgrad als Voraussetzung für diese Relevanz als erstrebenswert betrachtet werden dürfte. Nur hat man offenbar die Hoffnung, dass die Relevanz up.d Integration der psy chologischen Forschungsresultate sich allmählich schon von selber einstellen werden, wenn man nur auf dem Wege der immer größeren Präzisierung der Design-Techniken und der Mess- und Profmethodik konsequent fortfährt. Dabei wird man in dieser Hoffnung möglicherweise durch einen Seitenblick auf die traditionellen Naturwissenschaften, besonders die Physik, bestärkt. Gerade in der Physik scheint durch die Verbesserung der experimentellen Techniken sich sozusagen von selbst ein geschlos sener theoretischer Bau ergeben zu haben, über dessen Relevanz ohne große Reflexionen über dieses Kriterium kaum wesentliche Zweifel bestehen. Wir werden nun zu zeigen versuchen, dass die genannte Hoffnung ungerechtfertigt ist und dass bei wachsender Ausschließlichkeit der Anwendung der geschilderten methodelogischen Kriterien unter be stimmten Bedingungen sogar eher eine weitere Desintegration und Be deutungsentleerung der psychologischen Forschung zu erwarten sind. Dabei wollen wir zunächst kurz darauf hinweisen, dass die erwähnte Analogisierung der Entwicklung der Physik mit der Entwicklung der Psychologie nichts zum Verständnis der psychologischen Forschung beiträgt, sondern in die Irre führen muss. Der hohe Integrationsgrad der physikalischen Theorie als Voraus setzung für die äußere Relevanz wurde u. E. im Wesentlichen durch eine Art von einheitstiftender Funktion des Gegenstandes der Physik erreichbar. Die natürliche Dingwelt, an der die Physik anzusetzen hat, ist hochgradig passiv, ahistorisch und mit konsistenten Ergebnissen manipulierbar. Deswegen konnte die Physik allmählich Handlungs anweisungen entwickeln, durch welche mit technisch-handwerklichen Mitteln aus der natürlichen Dingwelt eine künstliche, physikalische Weltform hergestellt werden und beliebig reproduziert werden kann, die das Realisationsprodukt umfassender mathematischer Konzep tionen ist. Die Realisation der mathematischen Konzeptionen muss dabei umso vollkommener gelingen, je präziser die technisch-hand werklichen Realisationsmittel werden. Die Physik kann also mit der weiteren Verbesserung ihrer Methodik immer genauer bestimmte Ausgangsbedingungen definieren und realisieren, die zu präzise be stimmbaren experimentellen Effekten führen müssen. (Auch der sto chastische Charakter moderner physikalischer Theorien ändert nichts
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an diesem Umstand, was wir hier aber nicht im Einzelnen diskutieren können.) Der Umstand nun, dass die Physik, aufbauend auf dem erreichten Integrationsgrad ihrer Theorien ohne explizite Berücksichtigung von Relevanzkriterien in ihrer wissenschaftslogischen Grundkonzeption, sozusagen mühelos die Anerkennung der Bedeutsamkeit ihrer For schungsarbeit erreicht, ist u. E. daraus erklärlich, dass die Kontrolle über ein künstliches Derivat der Dingwelt, die die Physik erreicht hat, bestimmten utilitaristisch-pragmatischen Kontrollbedürfnissen des täglichen Lebens weitgehend entgegenkommt. Auch die alltägliche Dingwelt kann nämlich nach grundsätzlich den gleichen Verfahrens weisen wie denen der Physik, nur mit anderer Interessenausrichtung, so umgestaltet werden, dass bestimmte Ausgangsbedingungen auf genau vorhersagbare Weise zu bestimmten Effekten führen. Diese Wenn-dann-Beziehungen können nun für aggressive, zivilisatorische oder sonstige Zwecke dienstbar gemacht werden. Die dingliche All tagsrealität, sofern sie vom Menschen verändert ist, hat also in weiten Bereichen wesentliche Strukturähnlichkeiten mit der geschilderten Re alitätsform der Physik; sie ist in beiden Fällen nach ähnlichen mathe matischen Prinzipien und mit den analogen technisch-handwerklichen Mitteln entstanden, nur dass die auf diese Weise ermöglichte Kontrolle über Effekte in einem Falle, sagen wir, wissenschaftlichen, im anderen Falle aggressiven, zivilisatorischen etc. Interessen dient. Aus diesem Umstand ist ziemlich leicht verständlich zu machen, dass der Physik vom »täglichen Leben<< her die Bedeutsamkeit ihrer Befunde kaum streitig gemacht worden ist. Wenn wir nun aufzeigen wollen, dass die geschilderte Eigenart der Physik keineswegs unbefragt als Muster für eine Erhöhung der In tegration und Relevanz der psychologischen Forschung genommen"· werden kann, so müssen wir zunächst auf den entscheidenden Unter schied zwischen dem Gegenstand der Physik und dem Gegenstand der Psychologie hinweisen. Während die Subjekt-Obj ekt-Beziehung in der Physik den Charakter einer ontisch gegründeten, notwendigen und irreversiblen Zuordnung hat, sind in der Psychologie sowohl der Forscher wie auch sein potentieller Forschungsgegenstand mensch liche Subjekte, d. h. Individuen, die sich selbst gegeben sind und de nen Welt gegeben ist und die zu sich selbst und der Welt aktiv und reflektiert Stellung nehmen können. Die Beziehung zwischen dem Forscher und der Versuchsperson als seinem Forschungsgegenstand ist nirgendwo ontisch gegründet, sondern hat lediglich den qharakter •· Anm. d. Hg.: In der Fischer-Ausgabe (1972) irrtümlich »gewonnen«; durch KH handschriftlich als Erratum angemerkt.
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einer durch Verabredung entstandenen passageren Rollenkonstellation, die jederzeit aufhebbar, ja sogar reversibel ist. Das bedeutet, dass die Versuchspersonen, auch wenn sie die Rolle des Forschungsobjektes der Psychologie übernommen haben, Sub jekte bleib en, deren Handlungen von ihrer historisch gewordenen und gesellschaftsbedingten Selbst und Weltsicht abhängen - so sehr dieser Umstand auch von manchen behavioristisch -operationistisch eingestellten Psychologen verdrängt worden sein mag. Daraus folgt, dass die Ausgangsbedingungen, die zu bestimm ten vorhersagbaren Effekten führen sollen, in der Physik und in der Psychologie grundsätzlich verschieden sind. Während die Ausgangs bedingungen in der Physik direkte, durch handwerklich-technische Realisationsakte entstandene Beschaffenbeiren des Gegenstandes selbst darstellen, haben die entsprechenden Ausgangsbedingungen in der Psychologie prinzipiell indirekten Charakter. Diese Bedingungen sind entweder verbale oder nichtverbale Handlungsanreize oder Hand lungsanweisungen für die Versuchssubjekte oder der objektivierte Niederschlag von Einstellungen, Sichtweisen etc. dieser Sub jekte. Die Reaktionen der Versuchssubjekte selbst sind mithin nicht etwa die di rekte Folge der Ausgangsbedingungen, sondern sollen lediglich die j eweils spezielle Selbst- und Weltsicht der Versuchssubj ekte den Ab sichten des E xperimentators gemäß modifizieren. Die Reaktionen als solche sind unmittelbar bedingt nur durch diese Selbst- und Weitsicht, wobei derartige Sichtweisen dem E xperimentator notwendigerweise niemals direkt gegeben sein können. Daraus geht hervor, dass die in der Psychologie vom E xperimenta tor hergestellten Ausgangsbedingungen, anders als in der Physik, kaum geeignet sind, als einheitstiftendes Moment für die psychologische Theorie zu dienen, weil sie gar nicht die eigentlichen Bedingungen für das Zustandekommen der Reaktionen der Versuchspersonen als expe rimenteller Effekte sind. Diese Bedingungen liegen vielmehr in verbor genen Sichtweisen und Stellungnahmen der Versuchsp ersonen selbst. Von da aus lässt sich u. E. in gewissem Maß e verständlich machen, warum in der Ps ychologie nicht allein durch die Verfeinerung der frü her beschriebenen Art von Methodik ei.p.e Integration der theoreti schen Ansätze erreicht werden kann, sondern eher eine gegenläufige Tendenz erwartet werden muss: Der Psychologe stößt mit den von ihm hergestellten objektiven Ausgangsbedingungen sozusagen blind in das ihm grundsätzlich nicht zugängliche komplexe Bedingungsgefüge der Stellungnahmen und Sichtweisen des Versuchssubj ektes. In den Reaktionen der Versuchsperson �om.mt also immer und no twendiger weise mehr und anderes zu m Ausdruck, als der E xperimentator bei der Schaffung seiner Ausgangsbedingungen intendierte. Das bedeutet,
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dass die Kontrollierbarkeit der Effekte stets unbefriedigt lässt. Um die Kontroll ierbarkeit wenigstens bis zu einem gewissen Grade zu erhö hen, muss der E xp erimentator versuchen, durch ein Netz von immer Sp ezifizierteren Ausgangsb edingungen die Versuchsperson in immer höherem Maße festzulegen. Das b edeutet, dass er bei der Verfolgung seiner methodelogischen Interessen die Anzahl der unabhängigen Va riablen immer mehr vergrößert. Da diese Variablen nun aber nicht, wie in der Physik, sozusagen durch den Fo rschungsgegenstand s elbst zu sammengehalten werden, sondern, sofern man ausschließl ich auf die genannte methodische Verfeinerung gerichtet ist, mehr oder weniger unverbunden neb eneinander stehen, darf es einen nicht verwundern, dass man auf diese Weise immer mehr zu einer desintegrierten und un üb erschaubaren Anhäufung von Untersuchungsbefunden kommt, an die Relevanzkriterien schon wegen des mangelnden Integrationsgrades kaum sinnvoll anzulegen sind. Wenn man auf die gegenwärtige psychologische Forschungspraxis blickt, so mag man durchaus einige B elege für dies e S ichtweise finden. Der wissenschaftliche Fortschritt b esteht hier häufig in einer b estimmt gearteten experimentellen Kritik an jeweils früher durchgeführten E x p erimenten. Man weist nämlich nach, dass ein gewisser experimentel ler Effekt gar nicht durch die von dem anderen E xp erimentator ge mäß seiner Theorie eingeführten B edingungen hervo rgerufen worden ist, sondern dass dieser Effekt auf einen anderen Fakto r zurückgeht, der mit den eingeführten B edingungen unbemerkt mitvarii ert wurde. Das Ergebnis einer solchen fortlaufenden Kritik ist die immer weitere Aufsp litterung der e inzuführenden Variablen, so dass b ei laufend ver b esserter Präzision der exp erimentellen Technik die anfangs vielleicht noch halbwegs integrierte Theorie immer mehr zu einem Aggregat unverbundener Einzelansätze wird, in dem bald niemand mehr einen einheitlichen Sinn zu entdecken vermag. Die Frage, wie die Psychologie aus d em geschilderten Weg in die Desintegration und Parzeliierung heraus fi nden mag, kann von uns hier nicht ausführlicher diskutiert werden, da wir, b edingt durch un s ere Themenst ellung, das Integrationsp roblem lediglich zur Klärung b estimmter Vorauss etzungen für die Relevanz mehr am Rande b e handeln. Wir weisen nur darauf hin, dass u. E. der Zusammenhang des psychologischen Theoretisierens nur dann wird herstellbar sein, wenn man die Integration nicht mehr von einem immer rigoroseren, ver dinglichenden methodischen Zugriff erhofft, sondern wenn man den Umstand, dass der psychologische G egenstand sich durch passagere Rollenübernahmen von menschlichen S ubjekten konstituiert, offiziell in der psychologischen Wissenschaftstheorie zur Kenntnis nimmt. Vielleicht muss man dann allmählich zu der Einsicht kommen, dass
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der Zusammenhang des psychologischen Theoretisierens nur dann er reichbar ist, wenn man die historischen, sozialen und gesellschaftlichen Bedingungen, die das Selbst- und Weltverständnis der Individuen prä gen und unter denen es sich wandelt, zum legitimen Gegenstand psy chologischen Nachdenkens erklärt. Dabei mag sich dann zeigen, dass >>Sinn« und »Zusammenhang« nur so weit in psychologischen Theorien gefunden werden können, wie es möglich ist, die Rückbeziehung der Theorien auf das alltagssprachliche Vorverständnis menschlicher An gelegenheiten herzustellen und die Relation zwischen den reduzierten theoretischen und den unreduzierten alltagssprachlichen Sinneinheiten durch hermeneutische Abklärungen präsent zu halten (vgl. dazu etwa Averill 1968). Unter dieser Blickweise wird dann auch der positivis tisch eingeengte Methodenbegriff der Psychologie eine Revision erfah ren müssen, wobei vielleicht die Methode des Verstehens, die in der Psychologie früherer Tage recht wenig glücklich angewendet und dann ausgeschaltet worden ist, in neuer Version wieder zur Geltung gelan gen wird. Dies alles wird natürlich nicht bedeuten können, dass die experimentelle Methodik aus der Psychologie zu verschwinden hätte. Nur mag angesichts der Fehlentwicklungen der modernen Psychologie das Experiment einer neuen Funktions- und Sinnbesti mmung bedür fen, wobei auch der Begriff der methodischen Exaktheit einer neuen Bestimmung bedürftig sein mag. Die Psychologie darf offenbar das Spannungsfeld z wischen dem Vorverständnis der Welt- und Selbstsicht von Menschen in je konkreter Lage und dem reduktiven Konzipieren falsifizierbarer theoretischer Ansätze weder nach der einen noch nach der anderen Seite hin verlassen, wenn sie sich weder in die Unver bindlichkeit bloßen Geredes noch in die Blindheit bloßen empirischen Herumprobierens verlieren will. Wie der Weg der Psychologie zur Ge winnung des Zusammenhanges ihres Denkens im Einzelnen beschaf fen sein müsste, wird indessen nur durch schrittweise Neuorientierung allmählich sichtbar werden können. Nach diesen Zwischenüberlegungen wenden wir uns nun der für uns zentralen Relevanzproblematik zu, wobei wir auch den Begriff der äußeren Relevanz, den wir bisher nur mehr beiläufig benutzten, in um fassendere Zusammenhänge stellen und genauer bestimmen müssen. Unter äußerer Relevanz wird, wie schon kurz erwähnt, die Bedeut samkeit wissenschaftlicher Theorien als solcher verstanden, wobei diese Bedeutsamkeit nicht mit Mitteln der formalen Wissenschaftslo gik, sondern nur durch Berücksichtigung von Forschungsinhalten und Forschungsinteressen als übergreifenden Bezugsrahmen auszumachen sein kann. Die Beziehung des Kriteriums der äußeren Relevanz zu den übrigen genannten Kriterien für den Wert wissenschaftlicher For schung bedürfte noch genauer Exp likation. Nur soviel sei hier gesagt,
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dass die äußere Relevanz ein zentrales, wenn nicht das zentrale Krite rium darstellt, da weder die Integriertheit von Theorien noch die Aus sagekraft von empirischen B efunden für die Theorien, noch auch die Gesichertheit der empirischen Befunde selbst ohne vorgeordnete Re levanz der Theorien als Wertgesichtspunkte für die wissenschaftliche Forschung sinnvoll sind. Wenn man nun das Kriterium der äußeren Relevanz näher bestim men und praktikabel machen will, so muss man die übergeordneten Forschungsinteressen angeben, von denen aus die Relevanz bestimm b ar sein soll. Wir sind nach dem Versuch einer Ordnung solcher For schungsinteressen zur vorläufigen und noch keineswegs zwingenden Unterscheidung von vier Arten der äußeren Relevanz möglicher psy chologischer Forschungsaktivitäten gekommen, und zwar der kosmo logischen Relevanz, der anthropologischen Relevanz, der technischen Relevanz und der emanzip atorischen Relevanz. D ie kosmologische und die anthropologische Relevanz sind hier nur genannt worden, um den Gesamtzusammenhang anzudeuten. Diese beiden Relevanzarten bedürften noch eingehender Analysen auf ihre rationale Begründbar keit hin, sind hier für uns aber nicht von Interesse, weil sie nicht un mittelbar mit psychologischer Praxis, sondern zuvörderst mit grund wissenschaftlich gemeinten psychologischen Erkenntnisbemühungen in Beziehung stehen. Für uns bedeutsam sind lediglich die technische Relevanz und die emanzipatorische Relevanz, mit denen wir uns nun eingehend zu beschäftigen haben. Bei der B estimmung der technischen Relevanz schließen wir uns weitgehend an die von Habermas geleistete Herausarbeitung des Kon zeptes des technischen Erkenntnisinteresses an. Habermas geht dabei von der Feststellung aus, dass die empirisch-analytischen Wissen schaften als Aktivitäten verstanden werden können, in denen durch Herstellung bestimmter Ausgangsbedingungen auf möglichst genau determinierbare Weise bestimmte Effekte erzeugt werden sollen. Die damit angestrebte Kontrollmöglichkeit kann im Zusammenhang des allgemeineren Interesses an Kontrolle über ökonomische, soziale, gesellschaftliche Prozesse überhaupt gesehen werden. Dies wäre das technische Erkenntnisinteresse im Sinne von H abermas, nämlich » . . . das Erkenntnisinteresse an der technischen Verfügung über vergegen ständlichte Prozesse<< (Habermas 1965, S. 1 146 ) . Demgemäß betrachten wir das Kriterium der technischen Relevanz in dem M aß e als erfüllt, in dem wissenschaftliche Forschung durch die Angabe von Ausgangsbe dingungen für das Auftreten bestimmter Effekte »erfolgskontrolliertes Handeln« (Habermas) in ökonomischen, sozialen oder gesellschaft lichen Bereichen ermöglicht. Wie leicht ersichtlich ist, kann die früher geschilderte Re levanz der
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physikalischen Forschung nunmehr im Sinne der technischen Re levanz in der eben angegebenen Bedeutung spezifiziert werden. Wir werden jetzt das Problem zu diskutieren haben, wieweit der modernen psychologischen Forschung derartige technische Relevanz zukommt, wobei wir unsere These von der gegenläufigen Beziehung zwischen der ausschließlichen Verfeinerung der Design- und Messmethoden und der Verbesserung der Inferenzstatistik einerseits und der - jetzt als tech nisch spezifizierten - Relevanz der Forschungsbefunde andererseits wieder aufgreifen werden. Man wird bei einem Blick auf die gegenwärtige Situation der psy chologischen Praxis recht eindeutig feststellen können, dass die Arbeit, die heute der praktische Psychologe leistet, weitgehend unter dem Gesichtspunkt der technischen Relevanz beurteilt wird. Der Psycho loge soll menschliches Handeln besser kontrollierbar machen, sei es nun in der Eignungsdiagnostik, sei es in der Werbepsychologie, der Erziehungsberatung, der forensischen Psychologie usw. Wir wollen die Frage noch beiseite lassen, in welchem Maße die Unterwerfung der praktisch-psychologischen Arbeit unter das technische Kontrollinter esse zu rechtfertigen ist, und uns zunächst dem Problem zuwenden, wieweit die moderne psychologische Forschung mit der beschriebenen ziemlich ausschließlichen Tendenz zur Verbesserung einer bestimm ten Art von Methodik die technische Verwertbarkeit besitzt, die der Praktiker für wünschenswert halten muss, sofern er sich den entspre chenden Relevanzforderungen an seine Arbeit unterwirft. Wie wir schon am Beispiel der Physik aufgewiesen haben, ist der Grad der technischen Relevanz abhängig von der Strukturähnlichkeit zwischen der jeweiligen experimentellen Realität und der alltäglichen Realität, auf die sich das technische Interesse richtet. Wir wollten zei gen, dass die dingliche Alltagsrealität nach den grundsätzlich gleichen Prinzipien handwerklich-technisch bearbeitet werden kann, nach de nen die experimentelle Realität der Physik hergestellt wird, so dass die Befunde der Physik häufig unmittelbar dem alltäglichen Kontrollinter esse zu aggressiven, zivilisatorischen etc. Zwecken unterstellt werden können. Auch die technische Relevanz der Befunde der psychologischen Grundlagenforschung muss von der Strukturähnlichkeit zwischen der im psychologischen Experiment hergestellten Realitätsform und der - diesmal sozialen - Realität abhängen, in der der Praktiker die tech nischen Kontrollforderungen zu erfüllen sucht. Versuchen wir - selbst auf die Gefahr von Übergeneralisierungen zunächst, einige wesentliche strukturelle Züge der experimentellen Re alitätsform, wie sie in der modernen psychologischen Forschung her gestellt wird, aufzuweisen.
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Gemäß dem früher erwähnten Primat der experimentellen Design und Messmethodik sowie der Prüfstatistik in der gegenwärtigen psy chologischen Forschung bes teht heute die Tendenz, die experimentelle Realität so zu konstruieren, dass die eingeführten Ausgangsbedin gungen als unabhängige Variablen zu möglichst präziser Determina tion der Effekte als abhängigen Variablen führen. Dazu muss die expe rimentelle Realität die folgenden drei Voraussetzungen erfüllen: Die eingeführten experimentellen Ausgangsbedingungen müssen so weit zerlegt und isoliert werden, dass jeweils nur die in der überge ordneten Hypothese definierte Variable, nicht aber andere, mit dieser Variablen zusammenhängende Momente den möglichen experimentel len Effekt bedingen. Bei dem Versuch, dieses Ziel zu erreichen, kom mt der Experimentator zu der schon früher geschilderten immer fortlau fenden Zerlegung von zunächst als einheitlich betrachteten Variablen. Man könnte hier also von einer methodengeforderten, immer weiter zu treibenden Parzeliierung der Ausgangsbedingungen sprechen. Weiter muss der Experimentator im Interesse seiner methodolo gischen Standards bemüht sein, den Effekt vor Störbedingungen, die seinen B efund außer den eingeführten experimentellen Bedingungen beeinflussen könnten, möglichs t weitgehend auszuschalten oder zum mindesten zu neutralisieren. Das bedeutet, dass in der experimentellen Realität das komplexe B edingungsgefüge, das normalerweise die Selbst und Weltsicht der Versuchsperson und damit ihre Reaktionen beein flusst, so weit wie möglich zu reduzieren ist. Als zweite angestreb te Ei genart der experimentell-psychologischen Realität könnte man mithin von einer immer weitergehenden Reduktion des Gesamtbedingungs gefüges, das au ßer der experimentellen Variablen die Reaktionen der Versuchsperson beeinflussen könnte, herausheben. Wenn man sich nun vergegenwärtigt, dass - gemäß dem früher er wähnten Subj ektcharakter des Gegens tandes der psychologischen Forschung - der angestrebte experimentelle Effekt häufig selbst dann nicht erreichbar sein wird, wenn man die genannte Parzellierung und Reduktion so weit wie möglich vorangetrieben hat, weil trotzdem im mer noch durch die objektiven B edingungen nicht kontrollierbare, in der Selbst- und Weltsicht des Forschungssubjektes liegende, Faktoren die B efunde beeinflussen, so wird verständlich, dass der psychologisch Forschende häufig noch einen anderen methodischen Kunstgriff an wendet. Gemeint ist die Labilisierung der Reizsituation, in die die Ver suchsperson gestellt ist. Das soll heißen, dass der Versuchsperson oft möglichst weitgehend alle Informationen, die ihr Wahrnehmungsfeld stabilisieren könnten, vorenthalten werden. Sofern das gelirigt, reagiert die Versuchsperson ohne Einführung der experimentellen Variablen auf die Reizsituation rein zufällig. Wenn nun die experimentelle B e-
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dingung als einzige stabilisierende Information hinzukommt, so muss die Versuchsperson nach dieser Information sozusagen wie nach einem Strohhalm greifen, damit sie aus dem durch die Labilisierung bedingten Zustand der Unsicherheit herausfindet, damit sie sich also einigermaßen sicher entscheiden kann, was sie eigentlich machen soll. Unter diesen Umständen muss natürlich auch der schwächste Effekt der experimen tellen Bedingung zu »biases« in den Reaktionen der Versuchsperson führen. Durch den Trick der Labilisierung kann der Experimentator mithin selbst bei minimaler Wirksamkeit seiner in der H ypothese for mulierten Variablen noch zu dem so ersehnten signifikanten Ergebnis kommen und mithin seine H ypothese als bestätigt ausgeben. Wir haben also - zugegebenermaßen etwas globalisierend - festge stellt, dass die experimentelle Realität mit zunehmender Verfeinerung der Methodik in dem geschilderten Sinne immer hochgradiger parzel liert, reduziert und labilisiert wird. Nach unseren früheren Darlegungen ist klar, dass demgemäß die Befunde der psychologischen Forschung für den Praktiker nur in dem Maße technisch relevant sein können, als Strukturähnlichkeiten zwi schen der praktischen und der experimentellen Realität bestehen, also auch die Realität, auf die der Praktiker gerichtet ist, die Merkmale der Parzellierung, Reduziertheit und Labilität trägt. Nun wird man zugeben müssen, dass in manchen, wenn auch sel tenen Fällen die genannten Strukturmerkmale der experimentellen Realität in der Realität des Praktikers wenigstens teilweise gegeben sind. Dies wird immer dann der Fall sein können, wenn die Herstel lung von künstlichen, kontrollierten Situationen auch den alltäglichen technischen Interessen entgegenkommt. Zu denken wäre dabei etwa an die Arbeitsplatzgestaltung im B etrieb, an die Situation des Flugzeug führers oder Autofahrers, an Situationen, in denen das Individuum mit Werbemitteln konfrontiert ist, an die Konstellationen des program mierten Lemens, etc. Hier wäre mithin u. U. auch die technische Re levanz einschlägiger experimenteller Befunde für die Praxis gegeben. Dabei müssten die genannten Lebenssituationen natürlich noch viel ge nauer daraufhin analysiert werden, wieweit die Strukturähnlichkeiten zwischen der Alltagsrealität und der entsprechenden experimentellen Realität jeweils tatsächlich gehen. Sofern man von den genannten und noch einigen anderen Sonderfäl len absieht, wird man indessen feststellen müssen, dass sehr häufig die zu fordernden Strukturähnlichkeiten zwischen experimenteller und praktischer Realität keineswegs in zureichendem Maße bestehen. Bei dem Versuch der Erfüllung so wesentlicher Aufgaben wie der Erzie hungs- und Eheberatung, der Persönlichkeitsdiagnostik, der pädago gisch-psychologischen Tätigkeit etc. besteht die Realität des Praktikers
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vielmehr aus einem komplexen, unanalysierten und unanalysierbaren Bedingungsgefüge. Angesichts dieses B edingungsgefüges kann der Praktiker weder eindeutig ausmachen, ob der Effekt einer Variablen tatsächlich auf die von ihm angenommenen oder andere kovariierende Bedingungen zurückgeht, noch kann er mögliche Störfaktoren hin reichend kontrollieren. Ebenso ist die Umwelt seines Klienten oder Probanden häufig keineswegs labil, sondern ein stabiles, durch die vielfältigen B ezugssysteme der alltäglichen Wahrnehmung gestütztes kognitives Feld. Wenn der Praktiker sich nun psychologischen Forschungsresultaten gegenübersieht, die er für seine Arbeit nutzbar machen will, so hätte er zu entscheiden, wieweit die in der experimentellen Realität mit den genannten Strukturmerkmalen gewonnenen Befunde auf die genannte komplexe praktische Realität übertragbar sind. Diese Entscheidung ist indessen in den allermeisten Fällen völlig unmöglich. Zunächst kann der Praktiker nicht feststellen, ob die durch mannig fa,che Unterscheidungen und Differenzierungen entstandenen experi mentellen Bedingungen, die in die Versuchsanordnungen eingeführt worden sind, mit den unanalysierten B edingungen etwas zu tun haben, an denen er gerade interessiert ist, und dies natürlich selbst dann nicht, wenn beide Variablen den gleichen Namen tragen sollten. Er weiß demnach auch nicht, ob er innerhalb seiner Realitätsform den gleichen Effekt erwarten kann, der im Experiment aufgetreten ist. Weiter sind in der Realität des Praktikers eine große Zahl von Stör faktoren gegeben, die er nicht ausschalten kann, ja, die er nicht ein mal ausschalten darf, weil er ja gerade Aussagen über Verhalten in der unreduzierten Alltagsrealität, in der seine Probanden oder Klienten stehen, machen will. D er Praktiker kann mithin nichts darüber wis sen, ob die experimentellen Bedingungen, die unter den reduzierten Verhältnissen der experimentellen Realität etwa zu bestimmten Effek ten geführt haben, nicht viel schwächer sind als die Störfaktoren, mit denen er rechnen muss, so dass der gewonnene Forschungsbefund für ihn völlig unbrauchbar wäre. Schließlich muss der Praktiker es für äußerst z weifelhaft halten, ob bestimmte Forschungsbefunde, sofern sie unter den erwähnten labili sierenden Bedingungen gewonnen wurden, innerhalb der stabilen All tagssituation seiner Klienten oder Probanden überhaupt in irgendeiner Weise »durchschlagen« werden. Um die beiden letzten Momente noch einmal zusammenfassend darzustellen: Ein signifikanter experimenteller B efund ist unter B e dingungen zustande gekommen, die durch Kontrolle der Störfaktoren und möglicherweise Labilisierung der Reizsituation optimale Vor aussetzungen für das Auftreten des erwarteten Effektes bieten. In der
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Realität des Praktikers nun liegen solche optimalen Voraussetzungen nicht vor. Der Praktiker muss es also für äußerst unwahrscheinlich halten, dass der Effekt, der im Experiment befriedigend aufgewiesen wurde, von einer Größenordnung ist, die diesen Effekt als in der un reduzierten, stabilen Realität, mit der seine Probanden oder Klienten konfrontiert sind, berücksichtigenswert erscheinen lässt. Selbst wenn mehrere Variablen, die in der B edingungskonstellation, vor der der Praktiker steht, wirksam sein können, in verschiedenen Ex perimenten untersucht worden sind, so wird die Verwertbarkeit der entsprechenden Befunde für den Praktiker kaum größer. Er kann näm lich nichts darüber ausmachen, in welcher Hierarchie der Effektivi tätsstärke diese verschiedenen Bedingungen innerhalb der alltäglichen Bedingungskonstellation stehen, welche Effekte er also zu berücksich tigen und welche er zu vernachlässigen hätte. Wir wollen das Gesagte wenigstens an einem B eispiel verdeutlichen. Die psychologische Lernforschung ist eines der Reno mmierstücke der experimentellen Psychologie. Ihre Befunde sind häufig mit besonders exakten Methoden gewonnen worden, wobei teilweise ein imponie rendes Netz wechselseitiger Bestätigungen von Resultaten vorliegt. Andererseits aber wird niemand leugnen können, dass die Resultate der psychologischen Lernforschung etwa z ur Verbesserung der Unter richtsmethodik in der Schule, in der es schließlich auch um >> Lernen« geht, kaum etwas Wesentliches beigetragen haben. Ein Grund für diesen Umstand liegt darin, dass der B egriff des »Lernens<< in der Psychologie durch methodische Notwendigkeiten allmählich so stark operational reduziert wurde, dass er mit dem all tagsnahen Konzept des »Lernens<<, wie es etwa der Lehrer benutzen muss, kaum mehr etwas gemein hat, so dass mithin auch die B efunde der Lernforschung kaum auf die Schulsituation übertragbar sind. Ein weiterer Grund besteht darin, dass die lernpsychologischen B efunde im Allgemeinen nur dann überzeugend sind, wenn das »Lernen<< an iso lierten, möglichst gleichgewichtigen Einzelelementen geschieht. Solche Elemente liegen in der Schulsituation indessen selbst dann nicht vor, wenn es etwa um das mechanische Aus wendiglernen von Gedichten geht. Schließlich führen die in der Lernforschung hergestellten expe rimentellen Bedingungen häufi g nur dann zu befriedigenden Effekten, wenn die Stimulussituation, etwa durch kurzzeitige Darbietung, durch Herstellung von Zufallsreihen, durch Entscheidungserschwerungen etc., entsprechend labilisiert worden ist. Solche labilen Stimulussitua tionen finden sich indessen in der Unterrichtspraxis nicht wieder. (Vgl. auch Hilgard & Russell 1 950.) Wenn nun also der Lehrer oder der pädagogisch-psychologische Praktiker z. B . die vielen e xperimentellen Untersuchungen durchsieht,
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die Underwood über zwanzig Jahre zum Problem des verteilten und massierten Lernens durchgeführt hat, so ist er danach vermutlich ge nauso schlau wie vorher. Die isolierten, reduzierten und labilis ierten Bedingungen, unter denen Underwood gearbeitet hat, liegen in der Unterrichtssituation kaum vor, so dass nicht entschieden werden kann, ob die im Experiment aufgewiesenen Effekte in der Schulpraxis eine berii cksichtigenswerte Größenordnung besitzen. Außerdem sind beim schulischen Lernen meistens nicht einmal die Möglichkeiten gegeben, den Lernstoff in der angegebenen Weise zu verteilen oder zu massieren, weil die zu vermittelnden übergreifenden Sinneinheiten dies nicht er lauben. Dem Praktiker wird mithin kaum etwas anderes übrig beiben, als angesichts der so vielfältigen und methodisch so sorgfältig gewon nenen Befunde Underwoods zur Tagesordnung überzugehen. Ähnliche Ausführungen ließen sich nicht nur über weite Teile der übrigen Lernforschung, sondern auch über breite Gebiete der experi mentell-psychologischen Forschung überhaupt machen. Aus dem Gesagten dürfte deutlich geworden sein, dass die gegen wärtige technische Irrelevanz vieler psychologischer Forschungsbe funde mit der ausschließ lichen Verbesserung der Design-, Mess- und Priifmethodik in der modernen Ps ychologie zusammenhängt. Wir sehen jetzt auch, warum die technische Relevanz der Physik, die sich sozusagen von selber ergab, keine eindeutige Entsprechung in der Psy chologie hat: Die genannte künstliche dingliche Weltform des Alltags hat notwendigerweise Strukturähnlichkeiten mit der Weltform der ex perimentellen Physik, weil sie nach den gleichen Prinzipien hergestellt wurde, so dass mithin die physikalischen Befunde zwangsläufig weitge hende Relevanz für aggressive oder zivilisatorische Kontrollinteressen haben. D ie so ziale Weltform, in welcher der psychologische Praktiker arbeitet, ist gegenwärtig in weiten Bereichen nicht nach den Prinzipien der experimentellen Psychologie hergestellt, sondern bedingt durch ihre historische und gesellschaftliche Entstehung. Deswegen haben psychologische Befunde, sofern sie an einer nach den genannten me thodologischen Regeln hergestellten Realitätsform gewonnen wurden, häufi g keine zureichende technische Relevanz für die Praxis, wobei sich diese Relevanz mit wachsender Rigoros ität der Anwendung der methodologischen Regeln unter sonst gleichen Umständen immer mehr verringern muss. Nun wäre zu fragen, wie man die technische Relevanz der psycho logischen Forschungsarbeit verbessern könnte. Dabei b ieten sich zwei Möglichkeiten an: Einmal könnte man die Struktur der experimentel len Realität in höherem Maße der Struktur der Alltagsrealität, in der der Praktiker arbeitet, angleichen, und zum anderen könnte man die Struktur der Alltagsrealität in höherem Maße der Struktur der expe-
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rimentellen Realität angleichen. Wir wenden uns zunächst der ersten Möglichkeit zu. Sofern man eine Angleichung der Struktur der experimentellen Realität an die Struktur b estimmter Situationen, mit denen der Prak tiker konfrontiert ist, erreichen will, wäre zunächst einmal die Um gewichtung des Kriteriums des B estätigungsgrades gegenüber d em Kriterium der äuß eren, hier technischen Relevan z nötig. Das heißt die Erfüllung der genannten methodologischen Forderungen dürfte nicht mehr ob erstes Prinzip der Steuerung der experimentellen Arb eit s ein. Vielmehr müsste zunächst die technische Relevanz b estimmter Vari ablen gesichert sein. Sodann müsste das methodische Rüstzeug dazu eingesetzt werden, um b ei der Untersuchung des rel evanten Problems die größte hier mögliche Kontrollierbarkeit zu erreichen, ohne dass die methodologische Präzision j eweils nur so weit getrieben werden könnte, wie es die Struktur des relevanten Problems erlaubt, dass man also auf weitere Präzisierung stets dann verzichten müsste, wenn die Relevanz durch diese Präzisierung reduziert werden würde. Dies e Unterordnung des Kriteriums des B estätigungsgrades unter das Kriterium der äuß eren Relevanz würde auch eine Neukonzeption des B egriffes der methodischen Exaktheit nötig machen. Die Exakt heit könnte dann nicht mehr an irgendwelchen Idealkonstellationen gemessen werden, in d enen die B estätigung von Hypothes en auf op timal kontrollierte Weis e möglich ist, sondern der Exaktheitsmaßstab müsste in Relation zu der Struktur des j eweiligen relevanten Problems gesetzt werden, das gerade zu untersuchen ist. Höchste relative Ex aktheit in diesem Sinne wäre also der jeweils höchste E xaktheitsgrad, den die Struktur eines besonderen relevanten Problems zulässt. Dieses Konzept der relativen E xaktheit müsste natürlich noch viel genau er expliziert werden, wob ei wohl ziemlich weitgehende Konsequenzen hinsichtlich der psychologischen Methodologie zu ziehen wären. Eine solche E xplikation können wir indessen hier nicht vornehmen. Vorauss etzung für die geschilderte Angleichung d er exp erimentellen an die praktische Realität ist eine genaue Erfassung der Struktur j e weils typischer Realitätsformen, mit denen der Praktiker konfrontiert ist. Da man das Problem offenbar bisher üb ers ehen hat, stehen für eine solche Strukturanalys e praktischer Situationen kaum Kategorien und Verfahrens weisen zur Verfügung. Wir können dies e Lücke natürlich hier nicht schließ en; dies würde langandauernde intensive Forschungsarbeit erfordern. Stattdessen wol len wir an einem b egrenzten B eispiel nur kurz aufzuweisen versuchen, auf welche Weise man derartige Arbeiten ans etzen könnte. B ei der Konstruktion von Leistungs- und Persönlichkeitstests geht man heute gemeinhin so vor, dass man zunächst die Tests so konstruiert,
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dass sie den formalen Kriterien der Item-Trennschärfe, der Homoge nität, der Reliabilität etc. optimal genügen. Sodann sucht man einige wenige Außenkriterien, die mit den Testdimensionen etwas zu tun zu haben scheinen. Ein wesentlicher, wenn auch vielleicht nicht imm er eingestandener Auswahlgesichtspunkt für diese Außenkriterien ist der Wunsch, halbwegs befriedigende Validitätskoeffizienten zu erreichen. Dieser Wunsch ist ja bekanntlich meist ziemlich schwer erfüllbar. Falls man auf diese Weise nun zu einem Validitätskoeffizienten von, sagen wir, 6 gelangt, gibt man den Test erleichtert als valide aus. Wenn der Praktiker nun einen solchen Test benutzen will, so hätte er zunächst zu prüfen, ob die Situationen, an denen der Test validiert worden ist, tatsächlich hinreichende Strukturähnlichkeiten mit den praktischen Situationen hat, über die er mit Hilfe des Tests Aussagen machen will, da nur so die Relevanz j edes möglichen Testbefundes ge sichert wäre. Da die Struktur der Kriteriumssituationen indessen meist schon nach dem bloßen Augenschein von der Struktur der jeweiligen besonderen praktischen Situationen abweicht und da dem Praktiker kaum Denkmittel zur Verfügung stehen, um diese Strukturähnlich keiten genauer zu bestimmen, geht der Praktiker indessen keineswegs so vor. Er tut vielmehr so, als wenn »Validität« ein generelles Charak teristikum des Tests wäre, und betrachtet die Testbefunde unbefragt als »irgendwie« aussagekräftig für die Situation, mit der er konfrontiert ist. Auf diese Weise ist die Annahme einer Relevanz der Testergebnisse weitgehend illusionär. Um hier Abhilfe zu schaffen, hätte man nicht mehr, wie bisher, die formal-methodologischen Kriterien des Tests dem Relevanzgesichts punkt überzuordnen, sondern man hätte den umgekehrten Ansatz zu wählen. Man müsste dabei zunächst die wesentlichen Variablen der Struktur typischer Alltagssituationen, in denen Leistungen oder sonstige Verhaltensweisen von Probanden diagnostiziert werden sol len, erfassen. Nachdem eine solche Situationstypologie erstellt worden ist, wäre nun an den Testkonstrukteur die Forderung zu erheben, Tests herzustellen, die aussagekräftig für die relevanten Kriteriumssituati onen sind. Auf diese Weise würde allmählich ein System von Tests entstehen, das - sicherlich in teilweiser Überschneidung - für das Gesamtsys tem von Kriteriumssituationen valide Tests bereitstellt. Der Praktiker hätte dann, mit Hilfe von Verfahren, die erst zu entwickeln wären, den Strukturtyp der Alltagssituation, über die er Aussagen machen will, zu erfassen und danach einen oder mehrere Tests auszuwählen, die für diesen Situationstyp valide sind. Es ist leicht zu sehen, dass diese Forderungen bei der gegenwärtigen Forschungstendenz innerhalb der Testtheorie noch weitgehend uto-
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pisch sind. Es sollte ja aber nur an einem Beispiel aufgewiesen werden, auf welche Art man durch Angleichung der Struktur [der experimen tellen Situation]* an die Struktur der Alltagsrealität die technische Re levanz von psychologischen Befunden erhöhen könnte.1 Nachdem wir nun den einen der genannten Wege zur Relevanzer höhung der psychologischen Forschung, die Annäherung der Struktur der experimentellen Situationen an die Struktur d er Alltagssituationen, andeutungsweise vorgezeichnet haben, wenden wir uns der zweiten der genannten Möglichkeiten zu, der Angleichung der Alltagsrealität an die experimentell-psychologische Realität. Man mag vielleicht zunächst meinen, dass die Verwirklichung die ser Möglichkeiten kaum ausdenkbar sei, da die Alltagsrealität dem psychologischen Praktiker doch vorgegeben ist und von ihm nicht geändert werden kann . Wenn man etwas umfassendere, kritische Ge sichtspunkte anzuwenden bereit ist, so mag einem diese Möglichkeit indessen gar nicht mehr so undiskutabel erscheinen. Vergegenwärtigen wir uns zunächst die marxsche These, dass die sozial-gesellschaftliche Realität, in der ja auch der praktische Psy chologe arbeitet, nicht naturhaft geworden, sondern im Laufe des Geschichtsprozesses von Menschen gemacht ist, wenn sie sich des sen auch nicht bewusst zu sein brauchen. Demgemäß kann die sozial gesellschaftliche Realität auch von Menschen verändert werden, wobei die Richtung dieser Veränderung von ihren Interessen abhängt. Nehmen wir nun an, ein Herrschaftssystem oder eine herrschende Klasse hätte ein Interesse daran, die Kontrolle über Menschen immer mehr zu verstärken, also die Menschen in ihrem Machtbereich in immer höherem Grade manipulierbar zu machen, was einschließt, dass ihnen das B ewusstsein ihres möglichen Einflusses auf den Geschichtsprozess immer mehr zu nehmen wäre. Die Verwirklichung eines solchen Kon trollsystems könnte die sozial-gesellschaftliche Realität tatsächlich in ihrer Struktur immer mehr der Struktur der psychologisch-experimen tellen Realität, wie sie heute nach ausschließlich methodologischen Kontrollbedürfnissen konzipiert ist, angleichen. Wenn man diese These konkretisieren wollte, so könnte man etwa darauf hinweisen, dass eines der Mittel der Manipulation der öffent lichen Meinung in der Parzellierung von Nachrichten liegt. Wenn man die Information immer mehr so zerlegt und zerstückelt, dass dem Empfänger der geschichtliche Zusammenhang, aus dem heraus die Information allein verständlich und kritisch zu reflektieren wäre, '' Anrn. d. Hg.: Handschriftliche Ergänzung durch K.H. 1 Die Testsituationen wurden dabei zu experimentellen Situationen in Analo gie gesetzt, was aber sicher in gewissem Maße berechtigt ist
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zunehmend verloren geht, so werden die isolierten Informationsbruch stücke auf immer besser vorhersagbare Weise zu den intendierten M ei nungs- und Verhaltensänderungen der Empfänger führen. Dass etwa von der Springer-Presse diese Parzellierungstechnik erfolgreich ange wendet wird, scheint recht offensichtlich zu sein. Man sollte in die sem Zusammenhang aber auch die Analyse von Michael Schneider und Eckhard Siepmann ( 1 968) zur Kenntnis nehmen. Sofern nun das Angebot parzellierter Information immer mehr zu einem Strukturmerkmal einer bestimmten gesellschaftlich-sozia len Wirklichkeit würde, wäre damit eine Angleichung an das früher gekennzeichnete Strukturmerkmal der gegenwärtigen psychologisch experimentellen Realität, nämlich das Merkmal der Zerlegung und Par zeliierung der einzuführenden experimentellen Bedingungen, erfolgt. Ähnliches lässt sich hinsichtlich der beiden anderen aufgewiesenen Strukturmerkmale der gegenwärtigen psychologisch-experimentellen Realität, der Reduktion und der Labilisierung sagen. In totalitären Staatsformen, und nicht nur in diesen, lässt s ich die Tendenz aufzeigen, die B eherrschten auf streng kontrollierte Weise nur solchen Einflüssen auszusetzen, die den manipulativen Interessen der Herrschenden nicht zuwiderlaufen. Es erscheint uns kaum sehr weit hergeholt, wenn man annimmt, dass darin eine Angleichung der Struk tur der gesellschaftlichen Realität an das Merkmal der reduzierenden Kontrolle von Störvariablen, wie es für die Struktur der gegenwärtigen experimentell-psychologischen Realität charakteristisch ist, zu sehen sein könnte. Auch die Technik des weitgehenden Informationsentzuges lässt sich in manchen Herrschaftssystemen als Manipulationsmittel aufweisen. Durch einen solchen Informationsentzug sind die Individuen, wenn s ie sich in ihrer Umwelt zurechtfinden wollen, weitgehend auf die Ori entierungshilfen angewiesen, die ihnen von den Herrschenden sparsam und gelenkt zur Verfügung gestellt werden, so dass eine Maximierung des angestrebten Effektes dieser Orientierungshilfen zu erwarten ist. Die Parallele zwischen dem damit gekennzeichneten Strukturmerkmal der sozial-gesellschaftlichen Realität und dem aufgewiesenen Struk turmerkmal der experimentellen Realität, nämlich der Labilisierung der Reizsituation durch weitgehenden Informationsentzug, ist wohl ziemlich offensichtlich. Auch die Labilisierung der Stimuluskonstella tion in der experimentellen Versuchsanordnung hat ja den Zweck, den E influss gelenkt eingeführter Information, in diesem Falle der experi mentellen Variablen, zu maximieren. Wir sehen also: Der Gedanke, die Struktur von sozial-gesellschaft licher Wrrklichkeit könne sich durch immer wachsende manipulative Kontrolle der Beherrschten durch die Herrschenden immer mehr der
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geschilderten durch Prävalenz bestimmter methodologischer Kriterien hergestellten Struktur der gegenwärtigen experimentell-psychologischen Realität angleichen, ist nicht so abwegig, wie es anfangs erschienen sein mag. Wrr konnten immerhin auf einige historisch belegbare Tendenzen in dieser Richtung hinweisen. Auf diese Art gewänne also die moderne psychologische Forschung, auch wenn sie sich nicht im Geringsten än dert, sondern auf dem beschriebenen Wege fortfährt, immer wachsende technische Relevanz für die Alltagsrealität. Maximale technische Relevanz, die dann durchaus der technischen Relevanz der Physik vergleichbar sein könnte, -würde die psycholo gische Forschung in ihrer gegenwärtigen Struktur gewinnen, wenn sich Zukunftsvisionen erfüllen -würden, wie sie etwa Orwell in » 1 984<< ( 1 949) oder Marcuse in >>The onedimensional man<< (1 964) entwoden haben. Die sozial-gesellschaftliche Realität wäre dann in ihrer Struktur weitgehend identisch mit der Realitätsstruktur, wie sie heute in moder nen psychologischen Laboratorien hergestellt wird. Wrr wollen in unseren Überlegungen noch einen Schritt weiter gehen. Die erwähnten Tendenzen zur Angleichung der Struktur der sozial-ge sellschaftlichen Realität an die Struktur der gegenwärtigen experimentell psychologischen Realität mögen durchaus zum Teil als relativ unabhän gig von der Entwicklung der experimentellen Psychologie entstanden sein. Eine wachsende Konkordanz zwischen beiden Strukturen mag man dann daraus erklärlich finden, dass es sich schließlich in beiden Fällen um Kontrollbestrebungen handelt, in einem Falle um das Streben nach Kon trolle des experimentellen Bedingungsgefüges, im anderen Falle um das Streben nach manipulativer Kontrolle über sozial-gesellschaftliche Ver hältnisse. Nun spricht aber durchaus Einiges für die Annahme, dass die jeweiligen herrschenden Instanzen immer mehr die Chancen erkennen könnten, die für sie darin liegen, die methodelogischen Errungenschaften der modernen Psychologie direkt für ihre Kontrollzwecke auszunutzen. Dabei wird man sicher zunächst an die Werbepsychologie denken, die den Unternehmern auf immer pedektere Weise dazu verhilft, den Ver braucher immer stärker zu manipulieren und ihm denUmstand, dass er manipuliert wird, in immer geringerem Maße bewusst werden zu lassen. Die Tendenz, die methodischen Möglichkeiten der Psychologie auch für Beeinflussungszwecke durch politische Werbung einzusetzen, ist zum Teil deutlich merkbar und ist möglicherweise zum Teil nur noch durch das mangelnde psychologische Problembewusstsein der herrschenden Instanzen etwas blockiert. Man mag sich aber auch vergegenwärtigen, welche beträchtlichen Summen allmählich z.B. die amerikanische Regie rung für Forschungsprojekte zur psychologischen Kriegsführung und für psychologische Forschungsvorhaben im Dienste der Stärkung der Kampfkraft und der Moral der Truppe anzulegen bereit ist.
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Wenn man es nun für möglich halten will, dass die herrschenden Instanzen sich über die Chancen, die für sie in der Ausnutzung der modernen psychologischen Forschung für ihre Kontrollzwecke liegen, in immer höherem Maße klar werden könnten, so mag einem die Idee, dass die psychologische Forschung dazu gebraucht werden könnte, unsere sozial-gesellschaftliche Realität den erwähnten Visionen von Orwell und Marcuse immer mehr anzunähern, nicht mehr gar zu fremd erscheinen. Durch diesen Ausblick, der natürlich nur Entwicklungsmöglich keiten aufzeigen, nicht aber verbindliche Prophezeiungen formulieren wollte, dürfte deutlich geworden sein, dass man die Beziehung zwi schen psychologischer Forschung und Praxis noch in anderen Zusam menhängen sehen kann als den bisher aufgewiesenen. Man wird sich zu fragen haben, ob die moderne psychologische Forschung unbe eindruckt einen Weg weitergehen sollte, der sie u. U. zu einem immer wirksameren Instrument für die manipulativen Kontrollinteressen der Herrschenden machen könnte. Man wird auch fragen müssen, ob die psychologische Praxis sich in ihren Bemühungen weiterhin unreflek tiert einer Gesellschaft anpassen sollte, die die Arbeit des Psychologen weitgehend in den Dienst technischer Kontrollinteressen stellt. Wenn man so fragt, so steht man an der Schwelle einer Revision so wohl des traditionellen Konzeptes von psychologischer Wissenschaft wie des bisherigen Selbstverständnisses von psychologischer Praxis. Sofern die psychologische Forschung der Gefahr entgegenwirken will, dass ihre Methoden und Befunde in den Dienst von Kräften ge nommen werden, die auf eine Depersonalisierung und Entmündigung des Menschen hinwirken, darf sie sich nicht mehr länger lediglich als formal-methodisches Instrument verstehen, mit dessen Hilfe ahisto rische »Naturgesetze« über den Menschen formuliert und bestätigt werden können. Die Psychologie muss vielmehr die historischen Zu s amm enhänge mitreflektieren, von denen sie abhängig ist und in die sie hineinwirkt. Vielleicht würde sich dabei zeigen, dass die empirisch operationistische Entwicklung der modernen Psychologie, in welcher der Mensch aus methodischen Gründen im Experiment vorübergehend seiner Geschichte beraubt werden soll, gar nicht so unabhängig von solchen Tendenzen ist, durch die den Menschen das Bewusstsein vor enthalten wird, Subjekt der Geschichte zu sein, damit sie in Abhängig keit von den Herrschenden und deren partiellen Interessen verharren. Sofern die psychologische Praxis nicht mehr länger unbefragt die Aufgabe übernehmen will, den Menschen zu besserem Funktionie ren innerhalb der bestehenden Ordnung zu bringen, ihn mit den ge gebenen Verhältnissen auszusöhnen, Betriebsstörungen innerhalb des sozialen Gefüges zu beheben und damit konservativ als stabilisierender
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Faktor fü r die Gesellschaft z u wirken, muss sie ihren Begriff von »Pra xis« revidieren. Psychologische Praxis wäre dann nicht mehr lediglich als die Erfüllung von Forderungen zu verstehen, die irgendein mit ökonomischer, administrativer oder politischer Macht ausgestatteter Auftraggeber an den Psychologen stellt. Psychologische Praxis wäre vielmehr als bewusstes gesellschaftsbezogenes Handeln zu betrachten, wobei mitzureflektieren wäre, welche gesellschafdich-historischen Tendenzen man mit diesem Handeln unterstützt, und ob man die Unterstützung der jeweiligen Tendenzen begründen und verantwor ten kann. Sofern der praktische Psychologe dabei zu der Auffassung kommt, dass er nicht mehr länger gesellschaftsstabilisierend, sondern gesellschaftsverändernd wirken will, wird er sich nicht mehr damit zu frieden geben können, dass ihm die Gesellschaft seine jeweilige Berufs rolle vorschreibt, sondern er wird sich aktiv selbst die Positionen in der Gesellschaft schaffen müssen, von denen aus er seine verändernde Aktivität ansetzen kann. Falls man der These zustimmen kann, dass eine sich lediglich als ahistorisch-nomothetisch verstehende psychologische Forschung und eine unreflektiert der Stabilisierung der bestehenden Ordnung dienende psychologische Praxis in der Gefahr sind, immer mehr in den Dienst der Entmündigung und Manipulation des Menschen gestellt zu wer den, so wird man auch sehen, dass der Gesichtspunkt der technischen Relevanz nicht das einzige Kriterium sein darf, das die psychologische Praxis an die psychologische Forschung anzulegen hat. Sofern psycho logische Praxis auch das Ziel verfolgt, den Menschen zur Selbstrefle xion seiner politischen und sozialen Abhängigkeiten zu führen, bei ihm das Bewusstsein zu fördern, dass er nicht Objekt, sondern Subjekt der Geschichte ist, und ihn so dazu zu bringen, sich nicht lediglich mit dem Bestehenden abzufinden, sondern als mündiges Individuum an der Ver besserung der sozial-gesellschaftlichen Realität mitzuarbeiten, so muss die Praxis noch eine andere Relevanzforderung an die psychologische Forschung stellen. Damit kommen wir zu einem weiteren Relevanzkri terium, das wir in Anlehnung an das habermassche Konzept des eman zipatorischen Erkenntnisinteresses (etwa 1 965) >>emanzipatorische Re levanz« nennen wollen. Emanzipatorisch relevant wäre psychologische Forschung, sofern sie zur Selbstaufklärung des Menschen über seine gesellschaftlichen und sozialen Abhängigkeiten beiträgt und so die Voraussetzungen dafür schaffen hilft, dass der Mensch durch Lösung von diesen Abhängigkeiten seine Lage verbessern kann. Durch das Kriterium der emanzipatorischen Relevanz wird das Kri terium der technischen Relevanz keineswegs völlig aufgehoben; andern falls hätten wir uns unsere Überlegungen zur Verbesserung der tech nischen Relevanz durch Angleichung der Struktur der experimentellen
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an die der praktischen Realitätsform ja sparen können. Das technische Kontrollinteresse muss nämlich im human-sozialen Bereich keinesfalls notwendigerweise mit dem emanzipatorischen Interesse kollidieren. Auch in einer aufgeklärten Gesellschaft der Zukunft wird man die Psy chologie dazu in Anspruch nehmen wollen, z. B. die Wahrnehmungsbe dingungen eines Flugzeugführers so zu gestalten, dass Fehlhandlungen und damit Unfälle möglichst unwahrscheinlich werden, die Lernbedin gungen in der Schule (wie immer sie dann beschaffen sein mögen) in Richtung auf möglichst große Effektivität des Lernens im Sinne des an gestrebten Zieles zu verändern, Arbeitsplätze so zu konstruieren, dass bei gegebenem Aufwand die größtmögliche Leistung erzielt werden kann, etc. Emanzipatorisches und technisches Interesse kommen viel mehr nur dann in Kollision, wenn das technische auch ein manipula torisches Interesse ist. Technisches Kontrollinteresse wäre stets in dem Maße auch ein Interesse an der Manipulation von Menschen, als die Kontrolle nicht im Prinzip von jenen, die kontrolliert werden, selbst auf rationalem Wege als innerhalb einer konkreten Lage in ihrem Interesse liegend anerkannt wird, was auch bedeutet, dass die Kontrolle von den Betroffenen selbst kontinuierlich >>kontrolliert« und gegebenenfalls als nicht mehr interessenkonkordant beseitigt werden kann, sondern wenn die Kontrolle lediglich den partikularen Interessen einer in irgendeinem Sinne mächtigen Gruppe oder Klasse von Kontrollierenden dient, wobei den Kontrollierten das Bewusstsein, dass sie gegen ihre Interessen oder unabhängig von ihren Interessen kontrolliert werden, vorenthalten ist. - Dabei darf man sich die manipulatorischen Interessen wohl kaum als eine diskrete Untermenge der technischen Interessen denken; vielmehr scheint es uns realistischer zu sein, den Anteil der manipulatorischen Komponente am technischen Interesse als eine Art Ordnungsreihe zu betrachten, so dass sich verschiedene einschlägige soziale Konstellatio nen durch ein Mehr oder Weniger an manipulatorischer Akzentuierung des technischen Interesses voneinander unterscheiden ließen. Damit stünde derjenige, der die emanzipatorische Relevanz der technischen überordnet, vor der Aufgabe zu entscheiden, von welchem Grad der manipulatorischen Akzentuierung an er technisches Interesse als nicht mehr mit emanzipatorischem Interesse vereinbar betrachten will . Der Umstand, dass solche Entscheidungen schwierig sein müssen, würde ei nen natürlich nicht der Nötigung entheben, die Entscheidungen rational zu begründen. Wie müsste nun eine psychologische Forschung beschaffen sein, die dem Kriterium der emanzipatorischen Relevanz genügt? Bei der Klä rung dieser Frage kann man nicht mehr mit dem Gesichtspunkt der Strukturähnlichkeit zwischen experimenteller Realität und der sozia len Realität des Praktikers operieren, denn emanzipatorische Aktivi-
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täten sind ja gerade darauf gerichtet, sozial-gesellschaftliche Strukturen zu verändern. Wir sehen in Umrissen eine kritische Psychologie als die Lehre von den sekundären Abhängigkeiten des Menschen. Während unter »primären Abhängigkeiten« solche zu verstehen wären, denen der Mensch obj ektiv unterliegt, etwa Abhängigkeiten von faktischen his torisch-ökonomischen B edingungen, verstehen yvir unter »sekundären Abhängigkeiten« solche, die der Mensch zur Vereinfachung seines ko gnitiven Feldes im Interesse der Angstvermeidung, der Reduzierung von Spannungen zwischen der objektiven Lage und der subjektiven Befindlichkeit selbst geschaffen hat. Diese sekundären Abhängigkeiten können dadurch ents tehen und persistieren, dass der Mensch das Be wusstsein dieser Abhängigkeiten verliert, dass ihm die Abhängigkeiten nicht mehr als von ihm selbst geschaffen erscheinen, sondern durch Attribuierungs- bzw. Obj ektionsprozesse als naturgegeben, schicksals oder gottgewollt und deswegen unveränderlich quasi »von außen« ent gegentreten. Wenn man den Bereich der gegenwärtigen experimentell psychologischen Forschung danach durchsieht, wieweit Befunde über solche sekundären Abhängigkeiten vorliegen, so wird man- besonders in der Angst-Forschung, der klinisch ausgerichteten experimentellen Forschung, der Lehre von der Personwahrnehmung und sogar in der »reinen« Wahrnehmungslehre - Einiges finden, allerdings, ohne dass dabei der gesellschaftliche Charakter und die gesellschaftliche Funk tion dieser Abhängigkeiten mitreflektiert wären. Die sekundären Abhängigkeiten, da sie der Verminderung von Span nungen zwischen den objektiven Lebensbedingungen und der sub jektiven Befindlichkeit dienen, da in ihnen als naturgegeben erscheint, was im Prinzip veränderbar ist, wirken im Sinne einer Aussöhnung des Individuums mit den bestehenden Verhältnissen. Kritisch orientierte Psychologie hätte diese Abhängigkeiten nicht, wie die unter technisch manipulatorischem Interesse stehende Psychologie - mit dem Ziel der Kontrolle über Menschen - zu verstärken, sondern so weit wie mög lich bewusst zu machen und aufzulösen, damit der Weg für Verbesse rungen der obj ektiven Lage des Menschen frei wird. Emanzipatorisch relevante psychologische Forschung würde demnach Gesetzesaussagen über die genannten Abhängigkeiten nicht deswegen formulieren und experimentell prüfen, um ihre Anwendbarkeit auch auf die außerex perimentelle sozial-gesellschaftliche Realität zu erreichen, sondern im Gegenteil, um an der Schaffung einer Gesellschaft mitzuwirken, auf die diese Gesetze nicht mehr anwendbar sind. Die Möglichkeit, dass durch menschliche Aktivität die sozial-gesellschaftliche Realität so ver ändert werden kann, dass Gesetzesaussagen der Psychologie, um mit Habermas zu sprechen (vgl. Habermas 1 965, S. 1 1 47), zwar nicht außer Geltung, aber außer Anwendung gesetzt werden können, verdeutlicht
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noch einmal den fundamentalen Unterschied, der zwischen Wissen schaften besteht, die - wie die Physik - eine ahistorische, lediglich vor gefundene Dingwelt zum Ansatz ihrer Forschung haben, und solchen Wissenschaften - wie der Psychologie -, die sich auf Menschen bezie hen, die die Bedingungen, unter denen sie leben und handeln, zu einem beträchtlichen Teil selber gemacht haben und selber verändern können. Unsere Hinweise auf die Möglichkeit einer kritischen, emanzipa torisch relevanten psychologischen Forschung sind mehr als vage und haben nicht den Charakter einer schon ausgeführten Konzeption, son dern bestenfalls den Charakter eines Programms. Ich bin allerdings sicher, dass manche von uns die nächsten Jahre dazu nutzen werden, dieses Programm schrittweise zu realisieren.
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VERBORGENE ANTHROPOLOGISCHE VORAUSSETZUNGEN DER ALLGEMEINEN PSYCHOLOGIE
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»Allgemeine Psychologie«, traditionell verstanden, ist die Lehre von den »Funktionen« des Menschen, wie der Wahrnehmung, dem Den ken, dem Gedächtnis, dem Lernen. Auch sozialpsychologische An sätze werden häufig der allgemeinen Psychologie zugeordnet, sofern dabei soziale Einflüsse auf die genannten Funktionen thematisiert wer den. Abgehoben wird die allgemeine Psychologie etwa von der »Diffe rentiellen Psychologie«, die nicht die Funktionen des Menschen über haupt, sondern Unterschiede zwischen Menschen zum Gegenstand hat, wobei »Charakterologie«, »Persönlichkeitspsychologie« usw. als Teilgebiete der differentiellen Psychologie bestimmt sind. Auch »Ent wicklungspsychologie« wird meist von der allgemeinen Psychologie abgesondert: Allgemeine Psychologie sei auf den erwachsenen, den »fertigen« Menschen gerichtet, während Entwicklungspsychologie das Werden des Menschen von der Geburt bis an das Erwachsenenal ter heran zu erforschen habe. Weiter unterscheidet man die allgemeine Psychologie als Grundlagendisziplin von der »angewandten Psycho logie«, in welcher psychologische Denkweisen und Befunde in außer wissenschaftlichen Bereichen, wie der Erziehung, der Personalauslese, der Arbeitsplatzgestaltung, der Werbung, dem Strafvollzug usw., nutz bar gemacht werden sollen. Damit sind einige der gebräuchlichsten Abgrenzungen genannt. Es ist offensichtlich und wird auch weitgehend zugestanden, dass die genannten Einteilungsgesichtspunkte keine sich ausschließenden Ka tegorien darstellen, dass mannigfache Überschneidungen vorkommen, dass hier nicht von »Trennungen«, sondern nur von Akzentsetzungen die Rede sein kann. Deswegen kam es zur Kombination differentiell psychologischer Ansätze mit solchen der allgemeinen Psychologie, wie z. B. in den Typenlehren, im Konzept der »Moderatorvariablen« usw. Auch entwicklungspsychologische Sichtweisen wurden in die all gemeine Psychologie integriert (oder umgekehrt), so in der Konzep tion, dass Theorien der Wahrnehmung oder des D enkens im Wesent lichen Theorien der Entwicklung der Wahrnehmung oder des Denkens zu sein hätten. Diese und andere Kombinationsversuche änderten aber kaum etwas daran, dass die allgemeine Psychologie in der geschilderten
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Verborgene anthropologische Voraussetzungen
Ausgrenzung weiterhin als Sonderbereich und - wie viele meinen - als Kernbereich der psychologischen Forschung anerkannt blieb. In dieser Abhandlung sollen »anthropologische« Voraussetzungen der allgemeinen Psychologie aufgewiesen werden. Wenn hier von »an thropologisch« oder »Anthropologie« gesprochen wird, so ist dabei nicht an medizinische Anthropologie, ethnographische Anthropolo gie oder Ähnliches gedacht; gemeint ist vielmehr eine generalisierende, die Einzelwissenschaften transzendierende Frageweise, in der man zu Aussagen über die Eigenart, die >>Natur<<, das >>Wesen<< usw. >>des<< Menschen* als Menschen gelangt. >>Anthropologisches<< Fragen in diesem Sinne kann - mindestens - auf zweierlei Weise erfolgen: in >>positiver<< und in >>kritischer<< Ab sicht. Liegt der Akzent auf >>positivem« anthropologischem Fragen, so ist man - wie etwa in der >>philosophischen Anthropologie<< als etab lierter Teildisziplin der Philosophie - bemüht, affirmative Lehrmei nungen über Eigenart, Natur, Wesen >>des<< Menschen als Menschen zu entwickeln und zu begründen, wobei vorausgesetzt wird, dass solche generalisierenden Aussagen über >>den<< Menschen möglich sind. Bei >>kritisch« akzentuiertem anthropologischem Fragen soll nicht zuvör derst eine eigene anthropologische Konzeption aufgebaut werden. Es geht hier vielmehr darum, Wissensbereiche und Denkansätze, in denen vordergründig keinerlei anthropologische Aussagen enthalten zu sein scheinen, daraufhin zu analysieren, wieweit sie dennoch unbefragt auf bestimmten Annahmen über die Eigenart, das Wesen, die Natur des Menschen basieren, also eingeengte, partialisierende Sichtweisen an thropologisch totalisieren. Der nächste Schritt innerhalb einer so ver standenen >>kritischen« Denkbewegung wäre die Reflexion über den Charakter der bisher versteckten anthropologischen Voraussetzungen selbst, wobei wiederum nach möglichen Eingeengtheiten und Partia lisierungen gefragt und so eine die aufgewiesenen anthropologischen Voraussetzungen transzendierende Totalität menschlicher Verhältnisse in den Blick genommen wird; dabei werden zwar auch >>positive<< Aus sagen über den Menschen formuliert werden müssen, da Verkürzungen und Verarmungen von Konzeptionen über den Menschen natürlich nur auf dem Hintergrund einer weniger verkürzten und weniger ver armten Sicht möglich sein können; solche positiven Aussagen setzen indessen, wie sich zeigen wird, keineswegs voraus, dass man sich auf eine Bestimmung des Wesens usw. des Menschen überhaupt einlassen müsste, womit der >>Mensch<< (und auch der Autor) als der Geschicht lichkeit entzogen zu betrachten wäre, noch müssen die au� Negationen ". Anm. d. Hg.: Anführungszeichen für die spätere Veröffentlichung in Gada mer & Vogler ( 1 973) durch KH
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von Einengungen und Partialisierungen gewonnenen quasi-anthropo logischen Konzepte zu einem geschlossenen >>Menschenbild« zusam mengefügt werden. Schließlich wären - in einem letzten Schritt der kritischen Denkbewegung - die Ergebnisse der vorgängigen Analysen auf das Wissensgebiet oder den Denkansatz, von dem der Ausgang genommen wurde, zurückzubeziehen, und es wäre zu zeigen, welche Veränderungen des Wissensgebietes oder Denkansatzes aufgrund der kritisch-anthropologischen Reflexionen in theoretischer und prak tischer Hinsicht angezeigt sind; ob und auf welche Weise der j eweils nächste Schritt innerhalb der kritischen Analyse erreicht werden kann, das hängt davon ab, wieweit die im vorgängigen Denkschritt vollzo genen >>Unterstellungen« sich als begründet erwiesen haben und von welcher Art die jeweiligen Blickverkürzungen und Partialisierungen gewesen sind. In der vorliegenden Untersuchung wird nach anthropologischen Voraussetzungen der allgemeinen Psychologie nicht in >>positiver«, sondern in >>kritischer« Absicht gefragt. Dabei wird zunächst die An nahme als begründet vorausgesetzt, dass in der allgemeinen Psycholo gie, wie man sie jetzt antrifft, explizit keine Aussagen über die Eigenart, das Wesen, die Natur »des« Menschen als Menschen gemacht werden (wobei, was später noch deutlich werden wird, Konzeptionen über die >>Person<<, die »Persönlichkeit«, >>Persönlichkeitsvariablen« usw., durch welche in manchen Bereichen der modernen Psychologie allgemein psychologische mit differentiellpsychologischen Fragestellungen in Beziehung gebracht werden, ebenfalls nicht explizit anthropologischen Charakter haben). Es wird weiter unterstellt, dass das Selbstverständ nis der allgemeinen Psychologie als einer empirisch-wissenschaftlichen Einzeldisziplin ohne Voraussetzungen über Eigenart, Wesen, Natur >>des« Menschen als Menschen das Ergebnis einer Blickeinengong und Partialisierung ist, so dass in kritischem Denkansatz >>verborgene« an thropologische Voraussetzungen der allgemeinen Psychologie aufge wiesen werden können. Darüber hinaus wird angenommen, dass die der allgemeinen Psychologie zugrunde liegende >>verborgene Anthro pologie« selbst wieder - im Blick auf die Totalität menschlicher Le bensverhältnisse - als eingeengt und partialisiert ausweisbar und daher >>aufzuheben« ist. Schließlich unterstelle ich, dass in Hinsicht auf die allgemeine Psychologie auch der letzte Schritt der geschilderten kri tischen Denkbewegung vollzogen werden kann, dass also das Ergebnis der kritisch-anthropologischen Reflexion zu grundsätzlichen Ände rungen der gegenwärtigen allgemeinpsychologischen Denk- und For schungsweise führen muss. Wieweit die so formulierten Voraussetzungen und Unterstellungen begründet sind, hat sich in den folgenden Ausführungen zu erweisen.
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1 Forschungsgegenstand der Humanpsychologie - und um diese allein kann es hier gehen - sind konkrete einzelne Menschen in ihrer je be sonderen empirischen B eschaffenheit. Menschen, sofern sie in den Blick der Psychologie geraten, heißen in den angewandt-psycholo gischen Disziplinen >>Probanden«, »Klienten« usw., in den grundwis senschaftlich-psychologischen Disziplinen, also auch der allgemeinen Psychologie, »Versuchspersonen«. Versuchspersonen in der allgemein psychologischen Forschung sind solche Menschen, die vom Forscher auf geplante Weise in bestimmte Lebensumstände gebracht werden, wobei die unter solchen Umständen produzierten - verbalen oder nichtverbalen - Äußerungen dieser Menschen als »Daten« dienen, mit deren Hilfe bestimmte theoretische Ansätze geprüft oder zum mindes ten veranschaulicht werden. Da die genannten Lebensumstände in der allgemeinen Psychologie gegenwärtig fast durchgehend experimentel ler oder quasiexperimenteller Art sind, kann der allgemeinpsycholo gisch Forschende im Folgenden »Experimentator« genannt werden. Um einer Aufklärung der anthropologischen Voraussetzungen all gemeinpsychologischer Forschung näher zu kommen, soll zunächst deutlich gemacht werden, in welcher besonderen Beziehung der Ex perimentator als Forschungssubj ekt und die Versuchsperson als For schungsobjekt innerhalb der experimentellen Psychologie stehen. In den traditionellen Naturwissenschaften wie Physik oder Chemie ist die Zuordnung von Gegebenheiten zur Kategorie »Forschungssub j ekt« und zur Kategorie »Forschungsobjekt« eindeutig ontisch begründ bar: Mögliche Forschungssubjekte [sind auf j eden Fall »Menschen«, mögliche Forschungsobjekter sind »dingliche« Gegebenheiten bzw. >>Stoffe« in irgendeiner Spezifikation. Die Subjekt-Objekt-Beziehung ist hier nicht reversibel: Zwar mag der Chemiker mit Schwefel experi mentieren, aber man wird kaum für möglich halten wollen, dass der Schwefel mit dem Chemiker Experimente durchführt. Dies gilt auch, wenn - wie etwa in der Physiologie - chemisch-physikalische Vorgänge an menschlichen Organismen zum Forschungsgegenstand gemacht werden. Auch hier sind »Menschen« die Forschungssubjekte und stoff liche Prozesse, wie etwa die Nierenfunktion, Forschungsobjekte. Sofern in der Psychologie »Tiere« als Forschungsgegenstand gewählt werden, bleibt die Feststellung, dass die Konstellation »Forschungssub jekt«-»Forschungsobjekt« den Charakter einer irreversiblen, ontisch gegründeten Zuordnung hat, wenn auch mit etwas gering�rer Stringenz, *
Anm. d. Hg.: Dieser für das Verständnis des Zusammenhangs wesentliche Teil
fehlt in der Version, die in »Neue Anthropologie<< (1 973) veröffentlicht wurde.
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ebenfalls im Prinzip berechtigt. Dariiber, was »Tiere« und was »Men schen« sind, wird sich wohl durchgehend ein Konsensus herstellen las sen. Selbst wo man - aus klassifikatorischen Griinden oder auch von biologischen Konzeptionen aus - den Menschen als >>Tier« bezeichnen möchte, kann man nicht umhin, aufgrund in irgendeiner Weise ontisch fixierbarer Unterscheidungskriterien den >>Menschen« als eine beson dere Art >>Tier<< von allen anderen Tieren abzuheben, einerlei, ob man dabei den Menschen als das >>nicht festgestellte Tier«, als >>Tier mit Ge schichte«, als >>werkzeugschaffendes Tier«, als >>sich selbst gegebenes Tier« oder wie auch immer charakterisiert. Weiter wäre ein Zweifel daran, dass Tiere ausschließlich mögliche Forschungsobjekte sind, nicht aber die Stelle des Forschungssubjektes' einnehmen können - jedenfalls, sofern man >>Forschung« als >>wissenschaftliche Forschung<< versteht -, zum mindesten ziemlich abstrus. (Zwar diskutiert z. B. Skinner 1961, S. 98f., die Möglichkeit, dass nicht nur Menschen Ratten, sondern auch Ratten Menschen konditionieren können, und zitiert in diesem Zusam menhang den Text eines Cartoons, das zwei Ratten in einer Skinner-Box zeigt; eine Ratte sagt zur anderen: >>Boy, have I got this guy conditioned! Every time I press the bar down he drops a piece of food.« Solche Aus führungen, sofern ernst gemeint, sind aber wohl kaum mehr als irratio nale Koketterien mit der eigenen wissenschaftlichen >>Objektivität<<.) In der Humanpsychologie nun ist die Beziehung zwischen For schungssubjekt und Forschungsobjekt wesentlich anderer Art . Hier sind sowohl Forschungssubjekte wie Forschungsobjekte >>Men schen«, und es gibt schlechterdings keine ontischen Kategorien oder dinglichen Merkmale, die es einem ermöglichen könnten, die Men schen von vornherein in mögliche >>Experimentatoren« und mögliche >>Versuchspersonen« einzuteilen. Es kann im Prinzip jeder Mensch >>Experimentator<< oder auch »Versuchsperson<< sein, sofern er eine bestimmte Ausbildung durchgemacht hat, Lust dazu hat usw. Auch ist hier die Beziehung >>Forschungssubjekt«->>Forschungsobjekt« der Möglichkeit nach völlig reversibel. Wer eben noch >>Experimentator<< war, kann im nächsten Moment »Versuchsperson<< werden und umge kehrt. - Die Konstellation >>Forschungssubjekt«->>Forschungsobjekt« ist inn erhalb der Humanpsychologie niemals in einer irgendwie gear teten naturhaften Realität verankert, sondern ist das Ergebnis einer so zialen Rollenzuweisung oder Rollenübernahme, nämlich der Rolle des Experimentators und der Komplementärrolle der Versuchsperson. Diese Konstituierung der Subjekt-Objekt-Beziehung als Rollenspe zifikation ist - abgesehen von der Soziologie - in sonst keiner empirisch wissenschaftlichen Disziplin zu finden und weist der experimentellen •· Anm. d.
Hg.: In »Neue Anthropologie« steht irrigerweise »Forschungsobjektes«.
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Psychologie, mithin auch der allgemeinen Psychologie, im System der experimentellen Wissenschaften eine - wie man will - Sonderstellung oder Außenseiterstellung zu. Die wissenschaftstheoretischen, metho dologischen und forschungspraktischen Konsequenzen, die sich daraus etwa für die allgemeine Psychologie ergeben müssten, können in ihrer Bedeutung kaum überschätzt werden: Nur wird in der modernen Psy chologie die Besonderheit der experimentell-psychologischen Subj ekt Objekt-Konstituierung - soweit ich sehe - kaum irgendwo deutlich erkannt, womit auch die entsprechenden Konsequenzen nicht gezo gen werden können. In diesem Umstand liegt - wie sich noch zeigen wird - auch der Grund dafür, dass die noch aufzuweisenden anthropo logischen Voraussetzungen der allgemeinen Psychologie bisher in der einschlägigen theoretischen und experimentellen Forschungsaktivität nicht offenbar gemacht und mitreflektiert wurden. 2
Die entfaltete Form sozialer Kommunikation ist der uneingeschränkte, freie symmetrische Dialog zwischen Menschen, die in diesem Dia log gegenseitige Verständigung und Selbstverständigung über ihre je konkrete Lage, ihre Interessen und über den Sinn und die Ziele ih rer Handlungen vollziehen. Der Inhalt dieses Dialogs ist als bedingt zu denken durch die jeweilige besondere historisch-gesellschaftliche Situation der dialogisierenden Menschen. Der Modus des Dialogs ist das vernünftige Argumentieren, wobei hier »Vernunft« nicht lediglich als formale Zweck-Mittel-Rationalität, sondern als »objektive« Ver nunft im horkheimerschen Sinne2, die auf die rationale Beurteilung der Handlungen und Lebensweisen des Menschen gerichtet ist, verstanden werden soll. [Der freie Dialog zwischen autonomen Individuen ist die Voraussetzung dafür, dass Menschen zu Subj ekten ihrer Biographie und ihrer Geschichte werden und dass durch bewusste menschliche Akti vität eine Gesellschaft unabhängiger, mündiger Individuen geschaffen werden kann, eine Gesellschaft also, in der das vernünftige Argument schließlich in vernünftige gesellschaftliche Praxis übergeführt wird.]* Der so charakterisierte »Dialog« ist kein vorfindbares empirisches Faktum, sondern eine Alternative zu den bestehenden Verhältnissen; die Konzeption eines solchen Dialogs ist gewonnen aus der Negation faktischer Restriktionen und der faktischen Asymmetrie menschlicher 2
Vgl. dazu Max Horkheimer: Zur Kritik der instrumentellen Vernunft ( 1967).
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Anm. d. Hg.: Texterweiterung für die spätere Veröffentlichung in Gadamer & Vogler durch KH.
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Kommunikation durch obj ektive, auf ökonomischen und sozialen Herrschaftsstrukturen gegründete Abhängigkeiten sowie durch »se kundäre<< Abhängigkeiten, mit denen der Mensch unter Realitätsver lust sich über das Faktum seiner Unfreiheit und die Wirklichkeit der Unterdrückung seiner Interessen und Bedürfnisse hinwegtäuscht. Die Konzeption des freien Dialogs ist eine Art von .Maßstab, an dem man in vielen besonderen menschlichen Lebenslagen die Art und den Grad des »Noch-nicht« der Verwirklichung des Dialogs ablesen kann.3 In der früher geschilderten experimentell-psychologischen Rol lenkonstellation »Experimentator«->>Versuchsperson« ist - wie man schon vor genaueren Analysen sehen kann - der freie Dialog auf spezi fische Weise eingeschränkt. Asymmetrien der Kommunikationsweise entstehen hier dadurch, dass der Experimentator die Versuchsperson in bestimmte festgelegte Lebenslagen bringt, nicht aber umgekehrt, weiter dadurch, dass die Kommunikationswege vom Experimenta tor zur Versuchsperson von ihm selbst gewählt werden, während der Versuchsperson ihre Kommunikationsweise mit dem Experimentator von diesem >>vorgeschrieben« ist. Solche Asymmetrien werden in be stimmter Hinsicht in dem Maße noch verstärkt, wie der Experimen tator die Gesamtsituation und die Ziele der experimentellen Aktivität voll durchschaut, während der Versuchsperson Informationen darüber entzogen sind. Man wird allerdings nicht behaupten können, dass die Restriktio nen des freien Dialogs in der experimentellen Situation so ohne wei teres den Restriktionen gleichzusetzen sind, die im täglichen Leben aufgrund von ökonomischen und sozialen Herrschaftsstrukturen ent stehen. Wenn man von den forschungspraktisch in der allgemeinen Psychologie nicht sehr bedeutsamen und von mir im Folgenden ver nachlässigten vollbiotischen Untersuchungssituationen absieht, kann man vielmehr feststellen, dass die Restriktionen des Dialogs in der experimentell psychologischen Konstellation auf Grund von Verabre dungen zwischen Experimentator und Versuchsperson zustande kom men, wobei diese Restriktionen mehr oder weniger passagerer Art sind und sich aus der Teilnahme am Experiment für die Versuchspersonen als Individuen kaum Konsequenzen hinsichtlich ihrer Lage im nach experimentellen Alltagsleben ergeben (Holzkamp 1 964, S. S l ff. [2005, S. 1 04ff.]). Der Hinweis, dass nicht nur in der gesellschaftlichen All tagsrealität, sondern auch in der experimentell-psychologischen Reali tät Restriktionen des freien Dialogs vorliegen, hat also zunächst mehr 3
Zum Konzept des Dialogs und seiner Unterdrückung vgl. erwa Habermas 1967, S. 3 18, und Machovec, Dialog als Menschlichkeit, in: Neues Forum 1960/161, 1 967, und die folgenden Hefte.
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analogischen Charakter, wobei - wie sich zeigen soll - die Möglichkeit einer solchen Analogisierung allerdings keineswegs bedeutungslos ist. Wenn also festgestellt werden konnte, dass die Rolle der Versuchsper son in der experimentell-psychologischen Konstellation im Wesentlichen durch Verabredung mit dem Experimentator übernommen wird, so stellt sich die Frage, was hier eigentlich verabredet wird. Man kann zunächst allgemein aussagen, dass diese Verabredung darin besteht, dass auf Er suchen des Experimentators die Versuchsperson im Experiment nur be stimmte Ä ußerungen tun, andere aber unterlassen soll. Was dies im Ein zelnen bedeutet, soll nun ausgeführt werden, wobei zunächst ein kurzer historischer Rückblick auf die Wandlungen der Rolle der »Versuchsper son« in der Psychologie angezeigt erscheint. 3
In der ersten Phase der experimentellen Psychologie - die man durch die »Elementenpsychologie« Wundts und das amerikanische Pendant dazu, den »Strukturalismus« Titcheners, kennzeichnen kann4 - war es das erklärte Ziel der Forschung, die Grundeinheiten und die Prinzipien des »Aufbaus des Bewusstseins« zu erstellen. Die dazu entwickelte Methode war die >>Introspektion«. »Introspektion« hieß hier nicht einfach: schlichte Beobachtung der eigenen Erlebnistatbestände, sondern: Zergliederung des Bewusstseins, um zu möglichst »reinen« Erlebnisradikalen zu kommen und Analyse der Art und Weise, wie diese Radikale zusammengesetzt sind. Demge mäß wurde für die Introspektion eine besondere Schulung als Vorausset zung betrachtet. Man musste gelernt haben, »Objektentgleisungen« zu vermeiden, d. h. Gewusstes mit unmittelbar Erlebtem zu vermengen; man musste zur Reduktion komplexer Erlebnisgegebenheiten auf die in ihnen enthaltenen Radikale fähig sein; man musste in der Lage sein, Einflüsse des Beobachtungsvorganges selbst auf die beobachteten Bewusstseinstat bestände möglichst weitgehend auszuschalten usw. Alldem lag die Vor stellung zugrunde, dass es >>den« Aufbau des Bewusstseins gibt und dass individuelle Unterschiede notwendigerweise auf Mängel bei der Anwen dung der lntrospektionsmethode zurückgehen müssen (Titchener 1 898). >>Versuchsperson« konnte nach dieser Konzeption nicht »irgend wer« sein, sondern nur der auf spezifische Weise geschulte Psychologe. Demgemäß dienten hier Psychologen, meist Professoren, sich gegensei tig als Versuchspersonen. Dabei war ihre Anzahl im Prinzip unerheb4 Im Folgenden wird »Strukturalismus« als die treffende Bezeichnung stets auf den gesamten hier gemeinten psychologischen Grundansatz bezogen.
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lieh. Genau genommen hätte eine Versuchsperson zur Erforschung des gesamten Bewusstseinsaufbaus genügen müssen. Ganz wenige weitere Versuchspersonen wurden lediglich zur Kontrolle der Angemessenheit der benutzten Methode herangezogen. Da die individuelle Geschult heit und Beobachtungsgabe der Versuchspersonen als wesentlicher Ausweis für die Brauchbarkeit der Forschungsergebnisse betrachtet wurde, erschienen die Versuchspersonen in ' den Untersuchungsbe richten stets mit vollem Namen, wohl, weil der Leser aus ihrem Status innerhalb der Wissenschaftlerhierarchie und aus ihren sonstigen wis senschaftlichen Leistungen auf ihre Qualifikation bei Anwendung der Introspektionsmethode schließen sollte. Wenn man nun - innerhalb dieses äußerst groben Überblicks - die weitere Entwicklung der spezifisch kontinentalen allgemeinpsycholo gischen Forschung betrachtet, so zeigt sich, dass die Rolle der Versuchs person - mit einigen Modifikationen und Abschwächungen - hier zu nächst auf die gleiche Weise bestimmt war, was damit zusammenhängt, dass man, wenn auch unter andersgearteten theoretischen Konzeptio nen, im Wesentlichen den methodologischen Idealen und generell ge sehen sogar in gewissem Maße den Forschungszielen des Strukturalis mus verpflichtet blieb. In der Würzburger Schule der Denkpsychologie etwa, die sich selbst als Gegenbewegung gegen die Elementenpsychologie Wundts verstand, ging es gleichwohl weiter um den Aufbau des Bewusstseins, nur dass man der wundtschen These von der Anschaulichkeit der Bewusstseinselemente widersprach und das Gegebensein von unanschaulichen Bewusstseinse lementen - etwa von Kar! Bühler »Gedanken« genannt - experimentell aufweisen wollte. Die dabei benutzte neue Methode der »experimentel len Selbstbeobachtung<< führte zwar zu heftigen Kontroversen zwischen Bühler ( 1 908) und Wundt ( 1 907), auf die hier nicht eingegangen zu wer den braucht: Die Definition der Versuchspersonenrolle blieb aber letztlich die gleiche. Auch hier wurden an die Geschultheit der Versuchspersonen spezifische, wenn auch etwas anders geartete, Anforderungen gestellt; auch hier wurde die Ausgewiesenheit als psychologischer Forscher als selbstverständliche Voraussetzung für die Qualifikation zur Versuchs person betrachtet, was sich etwa darin manifestierte, dass Angehörige der Würzburger Schule, etwa Bühler, Külpe und Dürr, sich gegenseitig als Versuchspersonen dienten; auch hier blieb man bei der Auffassung, dass die Reinheit der Erlebnisschilderungen bei der Selbstbeobachtung und nicht die Zahl der Versuchspersonen Kriterium für die Brauchbarkeit der Befunde sei, so dass die Untersuchungsberichte äußerst ausführliche Er lebnisprotokolle von nur ganz wenigen Versuchspersonen enthalten. Die klassische Berliner Schule der Gestaltpsychologie, wie sie von Köhler, Wertheimer und Koffka vertreten wurde, war in ihrem
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Selbstverständnis eine radikale Revolution der älteren Elementenpsy chologie: Nicht mehr nach dem Aufbau des Bewusstseins aus letzten Radikalen sollte gefragt werden, sondern die gestalthafte Organisation der unmittelbaren Erlebniswelt wurde als letzter, nicht weiter reduzier barer Tatbestand vorausgesetzt. Demgemäß war das Ziel theoretischer und empirischer Aktivitäten nicht mehr die Aufstellung von Assozia tionsgesetzen usw., sondern die Formulierung von »Gestaltprinzipien« (Wertheimer 1 922/23). Gleichwohl blieb die Gestaltpsychologie insofern dem Strukturalismus verpflichtet, als es auch hier um die Erforschung der Struktur der Erlebniswelt ging, nur nicht, wie in der Elementenpsycholo gie, durch Synthese »von unten her«, sondern durch Analyse »von oben her«. Demgemäß hatte auch die Definition der Versuchspersonenrolle in der Gestaltpsychologie trotz einer Reihe wichtiger Verschiedenheiten im Prinzip weiterhin große Ähnlichkeiten mit der strukturalistischen Definition. Den Versuchspersonen wurden bestimmte Stimuluskonfi gurationen exponiert, und sie hatten Auskunft über die Gliederung des Erlebnisfeldes zu geben, wobei angenommen wurde, dass diese Gliede ning gemäß den Gestaltprinzipien erfolgen werde. Man ging davon aus, dass die >>natürliche« Gliederung des Erlebnisfeldes bei jedem Indivi duum notwendigerweise in der gleichen Art erfolge, so dass auch hier grundsätzlich eine Versuchsperson zum Aufweis der Angemessenheit der Gestaltprinzipien hätte ausreichen müssen. Die Möglichkeit der Verfäl schung der Erlebnisberichte durch >>Objektentgleisungen« usw. wurde indessen von den Gestaltpsychologen wie von den eigentlichen Struktu ralisten in Rechnung gestellt. Mithin bevorzugte man auch hier psycho logisch geschulte Versuchspersonen, wobei die Schulung allerdings nicht mehr so spezifisch definiert war; die Heranziehung mehrerer Versuchs personen diente im Wesentlichen der Korrektur von Fehlern bei der Er lebnisschilderung; die stets sehr wenigen Versuchspersonen waren meist in ihrer persönlichen Identität, aus der Qualifikationskriterien abgeleitet werden konnten, ausgewiesen; bevorzugte Versuchspersonen waren wei terhin ausgebildete Psychologen, häufig die jeweils anderen Angehörigen der Berliner Schule der Gestaltpsychologie. Ähnliche Tendenzen lassen sich übrigens in den immer mehr schrumpfenden modernen Enklaven gestaltpsychologisch beeinflusster Forschung aufweisen (Rausch 1 949). Damit sollen die mehr exemplarisch gemeinten Hinweise auf (im weiten Sinn) strukturalistische Definitionen der Versuchspersonen rolle in der Geschichte der allgemeinpsychologischen Forschung ab geschlossen sein; nun soll die entscheidende Revolutioniereng psy chologischer Grundanschauungen, die den Weg für die >>moderne« Psychologie frei machte, dargestellt werden, die von amerikanischen Psychologen vollzogene Revolution des Funktionalismus gegen den Strukturalismus, wobei der Funktionalismus später im B ehaviorismus
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eine spezifische Ausprägung und Einengung erfuhr. Vorläufer bzw. Parallelentwicklungen des Funktionalismus sind etwa in der Gedächt nispsychologie von Ebbinghaus, Müller, Pilzecker u. a., der freudschen Psychoanalyse, der Feldtheorie Lewins usw. zu sehen, worauf ich hier aber nicht näher eingehen will. Der Funktionalismus wandte sich programmatisch gegen die Grund these des von Titchener vertretenen Strukturalismus, dass der Aufbau des Bewusstseins zentraler Gegenstand der Psychologie zu sein habe. Gemäß der etwa von Darwin und der pragmatistischen Philosophie von James, Dewey u. a. beeinflussten funktionalistischen Auffassung hat viel mehr der zielgerichtet handelnde Mensch des täglichen Lebens im Mit telpi.mkt psychologischen Forschungsinteresses zu stehen, wobei Kon zepte wie »Kampf ums Dasein«, »Anpassung« usw. Schlüsselbegriffe bildeten. »Handlung« wurde vom Funktionalismus mehr oder weniger deutlich als »Leistung« verstanden, wobei die Gütemaßstäbe für Leis tung aus der gegebenen gesellschaftlichen Umwelt entnommen sind. Im Funktionalismus ist die Psychologie sozusagen aus dem kontemplativen Bereich der Studierstube des Gelehrten herausgetreten und hat die vom Wettstreitgedanken geprägte moderne Industriegesellschaft eingeholt. Eine Art von dramatischem Auftakt des Funktionalismus war das funktionalistische Manifest von AngeH (1 907). Die ersten Expo nenten der funktionalistischen Psychologie waren Karr, Woodworth, McGeoch u. a. Durch die behavioristische Wendung der amerikanischen Psychologie, wie sie von Watson unter dem Einfluss der russischen Psychologie etwa Pawlows und Bechterews eingeleitet wurde und wie sie sich im Aufbau der großen lerntheoretischen Systeme niederschlägt, wurde die Entwicklung des Funktionalismus nicht - wie man von be havioristischer Seite meinte - abgelöst, sondern tatsächlich fortgesetzt. Die wesentlichen Grundthesen des Funktionalismus blieben erhalten, nur dass der B ehaviorismus gewisse rigorose methodologische Ver fahrensvorschritten einführte, gemäß denen nur noch Verhaltensdaten, nicht aber Erlebnisdaten legitim in der wissenschaftlichen Psycholo gie Verwendung finden können. Funktionalistische Grunddenkweisen haben inzwischen - ob nun ausgesprochen oder nicht - so weit in der Psychologie Eingang gefunden, dass man heute nicht nur die amerika nische Psychologie, sondern die Psychologie überhaupt in ihren we sentlichen Bereichen als »funktionalistisch« bezeichnen kann. Unter dem Einfluss des Funktionalismus hat sich die Definition der Rolle der Versuchsperson weitgehend gewandelt. Da das Inter esse der Forschung nicht mehr auf eine irgendwie als einheitlich ge dachte Bewusstseins- oder Erlebniswelt gerichtet war, sondern auf die vielen Menschen, wie sie im Alltag ihr Dasein bewältigen müssen, hatte die Versuchsperson nicht mehr die Rolle eines Mediums inne,
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durch welches Zugang zu Bewusstseins- oder Erlebnistatbeständen zu erlangen ist, sondern sie wurde sozusagen als Exemplar der Gattung Mensch Forschungsgegenstand. Von da aus wird verständlich, dass der psychologisch geschulte Experte, der in strukturalistischer Sicht einzig als Versuchsperson tauglich war, unter funktionalistischem Aspekt als gänzlich ungeeignet für diese Rolle angesehen werden musste, da ihm in keiner Weise Repräsentanz für die Gattung Mensch zugeschrieben wer den konnte; die bevorzugte »Versuchsperson« der funktionalistischen Psychologie wurde demgemäß der psychologisch ungeschulte Alltags mensch. Weiterhin konnte sich die psychologische Forschung nun nicht mehr mit einer geringen Vermehrung der Versuchspersonenanzahl zum Zwecke der Relativierung von Beobachtungsfehlern bei der Erlebnis beschreibung begnügen, sondern sie musste unter Berücksichtigung der Variabilität des Verhaltens der Alltagsmenschen viele Versuchsper sonen heranziehen. Schließlich war - mit dem Wegfall der Forderung bestimmter psychologischer Qualifikationen - auch der Ausweis der personalen Identität einer Versuchsperson nicht mehr angezeigt: Die Versuchspersonen wurden nunmehr anonym; j ede erhielt lediglich den Charakter eines Elements in einer statistischen Verteilung. Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich mit dem Übergang von der strukturalistischen zur funktionalistischen Sichtweise die Asym metrie der Rollenkonstellation »Experimentator«-»Versuchsperson« auf radikale Weise vergrößerte. Während für den strukturalistisch ein gestellten Forscher die Versuchsperson eine Art Hilfsexperimentator ist, der unter Einsicht in die j eweiligen wissenschaftlichen Notwendig keiten sich zur Unterstützung und Korrektur der introspektiven Akti vität des Forschers bestimmten Bedingungen unterwirft, muss die Ver suchsperson in der funktionalistischen Forschung dem Experimentator programmatisch in gewisser Hinsicht auf entscheidende Weise unter legen sein: Während der Forscher hier volle Einsicht in den Zweck der von ihm autonom geplanten Versuchsanordnung hat, ist die Versuchs person als psychologisch ungeschulter Alltagsmensch der experimen tellen Situation mehr oder weniger unwissend ausgeliefert; sie kann mit dem Experimentator über das experimentelle Geschehen nicht frei kommunizieren, sondern muss letztlich einfach hinn ehmen, dass j e weils gerade dies und nichts anderes von ihr verlangt wird. Damit ist der Abstand zwischen dem früher geschilderten freien Dialog und der Kommunikation in der Rollenkonstellation »Experimentator«-»Ver suchsperson« in der modernen funktionalistischen Forschung ungleich größer als unter dem strukturalistischen Ansatz. - Die Ko�sequenzen aus diesem Umstand werden später entwickelt werden. Ich komme nun - unter Berufung auf das, was früher über den >>Verabredungs«-Charakter der Konstituierung der Versuchsperso-
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neorolle als Gegenstand experimentell-psychologischer Forschung gesagt wurde - auf die Frage zurück, was eigentlich zwischen Expe rimentator und Versuchsperson verabredet wird. Für die strukturalis tische Forschung kann diese Frage schon jetzt eindeutig beantwortet werden: Es wird hier verabredet, dass die Versuchsperson bestimmte von ihr gelernte Verhaltensregeln in Anwendung bringen soll, durch welche eine reine und unverzerrte B eobachtung der intendierten Be wusstseins- bzw. Erlebnistatbestände möglich sein soll, wobei diese Regeln im Prinzip die gleichen sind, die auch der Forscher bei seinen introspektiven B emühungen beachtet. Die Versuchsperson soll mithin hier verabredungsgemäß nur Äußerungen über unmittelbare Erleb nisgegebenheiten produzieren und all solche Äußerungen unterlassen, in denen eine Verfälschung dieser unmittelbaren Gegebenheiten zum Ausdruck kommen könnte. - Was aber wird in der modernen funktio nalistischen Forschung zwischen Experimentator und Versuchsperson verabredet ? Ehe darauf eine hinreichende Antwort gefunden werden kann, sind einige methodologische Zwischenüberlegungen nötig. 4
Ich gehe davon aus, dass >>Wissenschaft« stets auf irgendeine Weise die Geordnetheit und Einheitlichkeit ihrer Aussagen anstreben muss, wenn wissenschaftliche Befunde kommunizierbar und verständlich sein sollen - wobei dies zwar nicht die einzige, nicht einmal die wich tigste, wohl aber eine unerlässliche Voraussetzung für sinnvolles wis senschaftliches Handeln ist. Dem Strukturalismus verpflichtete psychologische Forschung geschieht mehr oder weniger deutlich aus der Haltung der »Autopsychologie<<5, der >>Psychologie von je mir« heraus. Sie ist da mit im Grundansatz phänomenologienahe: »Je mein« Bewusstsein bzw. Erleben soll möglichst adäquat beschrieben werden. Der Gefahr solip sistischer Vereinzelung wird dadurch zu begegnen versucht, dass die Konstruktion eines »Bewusstseins überhaupt<< oder >>Erlebens über haupt« als Hintergrund strukturalistischer Forschung dient (wobei die philosophische Fragwürdigkeit dieser Konstruktion hier nicht zur Diskussion gestellt werden soll). Das >>Bewusstsein überhaupt<< bzw. »Erleben überhaupt<< ist das ordnungs- und einheitstiftende Moment in der strukturalistischen Forschung: Sofern die Deskription nur auf >>reine« und unverzerrte Weise erfolgt, ist jedem letztlich das gleiche, 5
Zur Unterscheidung zwischen Autopsychologie und Allepsychologie vgl. Dingler 1 9 1 3 .
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eben >>das« Bewusstsein oder >>das« Erleben als Beschreibungsgegen stand gegeben. Die funktionalistische Forschung geschieht dagegen vom Standort der »All opsychologie<<, der >>Psychologie von den anderen« aus. Da mit wird die naiv-realistische Haltung eingenommen, die der psycho logische Funktionalismus mit allen traditionellen empirischen Wissen schaften teilt. Die funktionalistische Psychologie sieht sich mithin zunächst der unübersehbaren Vielzahl und Manni gfaltigkeit der Menschen dort draußen in der Welt gegenüber. Sie muss sich mit der Trivialität ein lassen, dass die Menschen vor allem anderen erst einmal >>verschieden<< sind. Wie kann auf diese Weise die nötige Geordnetheit und Einheit lichkeit wissenschaftlicher Aussagen angestrebt werden? Die funktionalistische allgemeinpsychologische Forschung ging da bei den gleichen Weg, den die traditionellen Naturwissenschaften, etwa Physik oder Chemie, auch gegangen waren: Sie verpflichtete sich - und v:erpflichtet sich gegenwärtig in immer noch stärkerem Maße - den no
mothetischen Idealen der analytisch-empirischen Wissenschaft. Nomothetische Wissenschaft will Systeme von Gesetzesaussagen formulieren, wobei diesen Gesetzesaussagen Realgeltung von unbe schränkter Allgemeinheit zukommen soll. Diese Realgeltung kann nicht im Blick auf die von wissenschaftlichem Handeln unberührte Wirklichkeit erreicht werden, sondern nur durch bestimmt gerichteten verändernden Eingriff in die Realität. Die Art dieses Eingriffs ergibt sich aus der Weise, in der die Ge setzesaussagen formuliert werden: In den Gesetzesaussagen werden Zusammenhänge zwischen vom Forscher hergestellten Ausgangsbe dingungen und bestimmten Effekten behauptet, wobei die Ausgangs bedingungen >>unabhängige Variable<< oder in der Psychologie auch >>Prädiktoren<<, die Effekte »abhängige Variablen<< bzw. »Kriterien<< genannt werden. Nomothetische Wissenschaft trifft also nicht Feststel
lungen über einfach Gegebenes, sondern Feststellungen über Verknüp fungen zwischen eingeführten Bedingungen und dadurch bewirkten Effekten. Wenn nun die Chance bestehen soll, diese als allgemeingültig ge dachten Zusammenhangsbehauptungen tatsächlich in der Realität durchzusetzen, so können die Behauptungen nicht absolut formuliert werden, da ja nie ausgeschlossen werden kann, dass unkontrollierte auf einen experimentellen Effekt einwirkende Faktoren den Gültigkeits anspruch der Gesetzesaussagen zunichte machen. Die Zusammen hangsbehauptungen sind vielmehr auf folgende Weise >>konditional<< zu formulieren: Bestimmte Ausgangsbedingungen führen zu bestimm ten Effekten, sofern keine störenden Bedingungen vorliegen. »Störende
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Bedingungen«, das sind solche, die außer den gemäß seiner Theorie vom Forscher eingeführten experimentellen Bedingungen sonst noch den empirischen Effekt beeinflussen. Die empirische Methodik der nomothetischen Forschung ist, wie aus dem Gesagten hervorgeht, notwendigerweise Bedingungsanalyse: Es muss durch bedingungsanalytische Aktivität.en gelingen, die Störbe dingungen, die außer den in der Theorie formulierten Ausgangsbedin gungen den Effekt beeinflussen könnten, auszuschalten oder mindestens zu kontrollieren; nur unter diesen Voraussetzungen ist der Allgemein geltungsanspruch der Gesetzesaussagen der Möglichkeit nach einzu lösen. - Die Verfahren der Bedingungsanalyse sind verschiedene Weisen des Gegeneinandervariierens von experimentellen Bedingungen und Störbedingungen, wobei die logische Form solcher Bedingungsvariation letztlich auf J. St. Mills »Zusammenhangsmethode« und >>Unterschieds methode« zurückgeht.6 Was hier allgemein über den theoretisch-methodologischen Grund ansatz nomothetisch-empirischer Wissenschaft gesagt wurde, gilt ein schränkungslos für die moderne allgemeinpsychologische Forschung funktionalistischer Prägung. Auch hier wird der Anspruch allgemeiner Realgeltung der wissenschaftlichen Aussagen erhoben (wobei es üb rigens keinen Unterschied macht, ob diese Aussagen deterministisch oder stochastisch formuliert sind). Auch hier haben die Allgemeinaus sagen die Form von Behauptungen über Zusammenhänge zwischen eingeführten experimentellen Bedingungen, in diesem Falle künst lich vom Experimentator geschaffene Lebenslagen, »Stimulussituati onen«, in die die Versuchsperson gestellt wird, und experimentellen Effekten, in diesem Falle bestimmten, in der Theorie angenommenen Verhaltensweisen oder Äußerungen der Versuchsperson. Auch in der funktionalistischen allgemeinpsychologischen Forschung können die Zusammenhangsbehauptungen nur unter der konditionalen Vorausset zung, >>wenn keine störenden Bedingungen vorliegen<<, mögliche All gemeingültigkeit beanspruchen. Demgemäß ist die gesamte empirische Methodologie der experimentellen Psychologie bis in die komplizier testen Verfahren des experimentellen Designs und der Inferenzstatistik hinein »Bedingungsanalyse«; es soll die Annahme gerechtfertigt wer den können, dass die Behauptung des Zusammenhangs zwischen den eingeführten experimentellen Bedingungen (Prädiktoren) und den an genommenen experimentellen Effekten (Kriterien) trotz der Wirksam keit von Störbedingungen aufrechterhalten werden darf (vgl. Holz kamp 1 968, bes. S. 323ff. und S. 342ff. [2006a., S. 357ff. und S.3 78ff.]). 6
Zu der hier angedeuteten Konzeption über die Verfahrensweisen nomotheti scher Wissenschaft vgl. Holzkamp 1968/2005.
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Nunmehr kann Auskunft darüber gegeben werden, auf welche Weise die funktionalistische allgemeinpsychologische Forschung die Ordnung, Einheitlichkeit und zeitliche Konsistenz ihrer theoretischen Systeme trotz der unübersehbaren Mannigfaltigkeit der Menschen dort draußen in der Welt anstreben kann: Sie edorscht die Menschen nicht unter den verschiedenartigen und uneinheitlichen Bedingungen, unter denen sie tatsächlich im Alltag leben, sondern sie schafft im Ex periment künstlich einheitliche Bedingungen, in die die Menschen als »Versuchspersonen« gestellt sind. Damit die Chance besteht, den Zusammenhang zwischen den in der Theorie formulierten Ausgangsbedingungen und den als dadurch bewirkt angenommenen Verhaltensweisen oder Äußerungen der Ver suchspersonen tatsächlich als allgemeingültig in der Realität durchzu setzen, sollen die trotz der einheitlichen Ausgangsbedingungen beste henden unthematischen Verhaltensvariabilitäten der Versuchsperson durch bedingungsanalytische Aktivitäten experimenteller oder statisti scher Art als auf Störbedingungen zurückgehend interpretiert werden können.
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Nach diesen Zwischenüberlegungen kann j etzt die bisher offen gelas sene Frage beantwortet werden, was eigentlich in der funktionalisti schen allgemeinpsychologischen Forschung zwischen Experimentator und Versuchsperson >>verabredet« wird. Die erste Stufe dieser >>Verabredung« ist die Herbeiführung des Ein verständnisses der >>Versuchsperson«, sich der Lebenslage auszusetzen, die der Experimentator als >>Versuchsanordnung« für sie hergestellt hat, und den Anweisungen des Experimentators zu folgen. Dieses Einverständnis wird dem Experimentator normalerweise von der Ver suchsperson mehr oder weniger freiwillig gegeben, wenn man nicht fi nanzielle oder andere Belohnungen für die Teilnahme am Experiment, vom Experimentator ausgehenden sozialen Druck usw. als gravierende Einschränkungen der Freiwilligkeit betrachten will. Nachdem nun die Versuchsperson sich [vom Experimentator]* in die gemäß seinen theoretischen Konzeptionen hergestellte Versuchsanordnung hat brin gen lassen, erhält sie von ihm eine »Instruktion«. In der Instruktion wird der Versuchsperson zunächst einmal vor geschrieben, welche Art von »verborgenen« Aktivitäten sie innerhalb der Versuchsanordnung zu vollziehen habe, etwa »zwei Strecken hin* Anm.
d. Hg.: Handschriftliche Ergänzung durch KH.
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sichtlich ihrer Länge vergleichen«, »eine Reihe von sinnlosen Silben nacheinander beachten«, »eine auf einem Fragebogen vorgegebene Feststellung daraufhin prüfen, wieweit ihr zugestimmt werden kann« usw. Durch diesen Teil der Instruktion sollen bestimmte »objektive« B eschaffenheiten der Versuchsanordnung für die Versuchsperson zu »Stimuli« werden, die die in der Theorie form�ierten Ausgangsbedin gungen für den angenommenen Effekt darstellen. In einem weiteren Teil der Instruktion werden der Versuchsperson vom Experimentator Anweisungen darüber gegeben, welche Reakti onen sie aufgrund der genannten verborgenen Aktivitäten vollziehen soll, etwa: »die linke Taste drücken, wenn die linke Strecke als größer erscheint, die rechte Taste drücken, wenn die rechte Strecke als größer erscheint«, »möglichst viele der vorher dargebotenen sinnlosen Silben laut ansagen«, »bei Zustimmung zu der im Fragebogen vorgegebenen Feststellung in das mit >ja< gekennzeichnete Kästchen ein Kreuz ma chen, andernfalls das Kreuz in das mit >nein< bezeichnete Kästchen set zen« usw. Derartige Reaktionen der Versuchsperson sind die Daten, die »abhängigen Variablen«, an denen feststellbar sein soll, ob tatsäch lich die in der Theorie als mit den Ausgangsbedingungen in Zusam menhang stehend behaupteten Effekte auftreten. Damit nun die in der Theorie formulierten Zusammenhangsbe hauptungen der Möglichkeit nach allgemeingültig sein können, muss die konditionale Bestimmung »unter Abwesenheit störender Bedin gungen« empirisch eingelöst sein. Die Ausschaltung der Störbedingungen ist in dem Maße gelungen, als die Versuchsperson sich »verabredungsgemäß« benommen, d. h. sich an die Instruktion gehalten hat. Sie darf also keine anderen verbor genen Aktivitäten vollzogen haben als die vorgeschriebenen: Sie darf nicht etwa während des Streckenvergleichs durch privaten Kummer so absorbiert gewesen sein, dass das Tastendrücken mehr oder weniger beliebig erfolgt; sie darf nicht bei der Darbietung der sinnlosen Silben statt einer schlichten Beachtung - etwa zu ihrer eigenen Unterhaltung sinnvolle Worte zu den Silben assoziiert haben; sie darf nicht nach dem Lesen der Feststellung auf dem Fragebogen darüber nachgedacht haben, ob der Experimentator dieser Feststellung wohl zustimmen würde, um danach ihr Kreuz zu setzen usw. - Da, wie man einräumen musste, die Ausschaltung derartiger Störbedingungen nicht völlig gelingen kann, werden im experimentellen Ablauf eine Reihe von Vorkehrungen ge troffen, um die Störbedingungen wenigstens von den experimentellen Bedingungen isolierbar zu machen, damit die Effekte der experimen tellen Variablen identifiziert werden können. Solche Vorkehrungen sind die verschiedenen Verfahren der Stimulusrotation, Stimulusper mutation, der »Randomisierung«, des »matching« usw., sofern eine
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experimentelle Kontrolle der Störbedingungen angestrebt wird; weiter gibt es noch eine Reihe von statistischen Verfahren der Isolation von Störbedingungen, etwa die partielle Korrelation, die Kovarianzanalyse u. a. Ich brauche darüber hier nichts Genaueres zu sagen. Vorausgesetzt ist bei alldem, dass die Versuchsperson sich bei ihren Reaktionen, unabhängig davon, wie sie im Einzelnen reagiert, strikt an die Reaktionsdimensionen hält, die ihr vom Experimentator vor geschrieben sind. Die Reaktionen einer Versuchsperson können z. B. - wegen »instruktionswidrigen Verhaltens« - vom Experimentator gar nicht bei der Prüfung seiner j eweiligen theoretischen Annahmen berücksichtigt werden, wenn die Versuchsperson z. B . keine der bei den erwähnten Tasten drückt, sondern stattdessen etwa feststellt, dass sie momentan über wichtigere Dinge nachzudenken habe als darüber, welche Strecke wohl die längere sei; oder wenn die Versuchsperson statt des Versuchs der Reproduktion der sinnlosen Silben die Meinung äußert, der Experimentator wolle sie mit seiner Anordnung wohl ir gendwie »hereinlegen«; oder wenn die Versuchsperson sagt, sie könne die Feststellung im Fragebogen weder bejahen noch verneinen, weil die Feststellung als solche schon »schief« formuliert sei usw. - Solche nicht verabredeten Äußerungen kommen für den Experimentator einer Sabotage seines Experimentes gleich. Aus all dem kann man ableiten, dass funktionalistische experimen tell-psychologische Forschung - wenn auch mehr oder weniger un reflektiert - von der Idee einer Art von »Norm-Versuchsperson« aus geht. Die Norm-Versuchsperson ist eine gedachte Person, die sich im Experiment absolut »verabredungsgemäß« verhält, die also sowohl in ihren verborgenen Aktivitäten wie in ihren sichtbaren Äußerungen das und nur das tut, was der Experimentator durch die Instruktion >>in sie hineingelegt« hat. Der Zweck der experimentellen Planung und der Datenauswertung ist hier in dem Maße als erfüllt zu betrachten, als man all das, was eine jeweils reale Versuchsperson von der gedachten, idealen Norm- Versuchsperson unterscheidet, ausgeschaltet oder bedin gungsanalytisch isoliert hat. Nur soweit man die j eweiligen Bestim mungen der Norm-Versuchsperson im Experiment realisiert hat, kann man den nomothetischen Anspruch auf Allgemeingültigkeit der in der Theorie formulierten Zusammenhangsbehauptungen der Möglichkeit nach rechtfertigen.
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Die Definitionen der Norm-Versuchsperson sind bei verschiedenar tigen Planungsansätzen unterschiedlich. Dennoch lassen sich an den verschiedenen Konzepten der Norm-Versuchsperson bestimmte wichtige gemeinsame Züge herausheben. . Die Norm-Versuchsperson ist ein gedachtes Individuum, das Um weltbedingungen ausgesetzt ist, die es nicht selbst geschaffen hat, de ren Eigenart und Zustandekommen es nicht oder nicht voll - durch schauen kann und die es als unveränderbar vorgegeben hinnimmt. Bei der gedachten Norm-Versuchsperson sind ferner die Reaktionen durch die als Stimuli übernommenen Ausgangsbedingungen der Ver suchsanordnung vollständig determiniert/ Dabei verschlägt es nicht, ob, wie bei den strengen S-R-Theoretikern, diese Determiniertheit als unmittelbar angesetzt wird, oder ob man bestimmte Zwischenvariab len einführt, durch welche die Reaktionen zusätzlich zum Stimulusin put modifiziert werden können. Auch hier wird letztlich die genannte vollständige Determiniertheit angenommen, nur dass die Kenntnis der Wirkungsweise der Zwischenvariablen vorausgesetzt wird, um die spe zifische Beschaffenheit der stimulus-bedingten Reaktionen festlegen zu können. Mit anderen Worten: Im allgemeinpsychologischen Kon zept der Norm-Versuchsperson ist festgesetzt, dass ein Individuum, sei es nun unter Modifikation durch Zwischenvariablen oder nicht, bei -
gleichen Ausgangsbedingungen notwendigerweise zu den gleichen Re aktionen kommt; diese Annahme entspricht dem früher geschilderten nornethetischen Postulat. Weiter ist - und dies steht mit dein eben Gesagten in engem Zu sammenhang - die Variabilität möglicher Reaktionsdimensionen im Konzept der Norm-Versuchsperson auf radikale Weise eingeschränkt. Die Norm-Versuchsperson zeigt aufgrund bestimmter Stimulusbedin gungen immer nur bestimmte und keine anderen Reaktionen, nämlich die Reaktionen, die auf den in der übergeordneten theoretischen An nahme vorgesehenen Dimensionen liegen. Von da aus versteht sich, wie die Abweichungen, die die realen Versuchspersonen vom »idealen« Verhalten der gedachten Norm Versuchsperson zeigen, behandelt werden: Sofern die realen Ver suchspersonen - trotz gleichartiger Stimulusbedingungen und trotz angenommener gleichartiger Wirkungsweise von Zwischenvariablen dennoch, abweichend vom nomothetischen Postulat, unterschiedliche 7
Auch in stochastisch formulierten Theorien ist diese Detenniniertheitsan nahme enthalten, nur dass sie sich hier nicht auf Einzelreaktionen, sondern auf Verteilungen von Reaktionen bezieht.
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Reaktionsweisen zeigen, so werden diese Unterschiede als »Fehlervari anz« exhauriert. Diese Fehlervarianz als der Inbegriff von >>zufälligen« individuellen Schwankungen der Reaktionen der Versuchsperson in nerhalb der vorgeschriebenen Dimensionen ist experimentell oder statistisch zu kontrollieren, damit der Allgemeingültigkeitsanspruch der Zusammenhangsbehauptungen aufrechterhalten werden kann. - Sofern die realen Versuchspersonen - wider die Instruktion - Äuße rungen auf anderen Dimensionen produzieren als den in der jeweiligen Theorie vorgesehenen, so werden sie bei der Datenauswertung nicht berücksichtigt oder - falls zu viele solches deviantes Verhalten zeigen werden die Versuchsanordnung und die Instruktion so geändert, dass derartige »Entgleisungen« unwahrscheinlicher werden. Wenn man nun dem gedachten Konzept der Norm-Versuchsper son die - im gegenwärtigen Zustand unserer Gesellschaft ebenfalls ge dachte - Alternative des mündigen, autonomen, in freiem Dialog sich entfaltenden, reflektiert als Subj ekt seine Umwelt gestaltenden Men schen in je konkreter historisch-gesellschaftlicher Lage entgegenstellt, so lassen sich in einer solchen Entgegenstellung die Charakteristika der Norm-Versuchsperson noch genereller verdeutlichen. Die Norm-Versuchsperson steht nicht in einer Umwelt, die sie im gesellschaftlichen Prozess ihren Interessen und Bedürfnissen nach re flektiert selbst geschaffen hat und die ihr demgemäß zugehörig ist, der Norm-Versuchsperson ist die vom Experimentator geschaffene Ver suchsanordnung vielmehr »äußerlich«, sie hat mit ihr nichts zu tun; die experimentelle Anordnung ist für die Norm-Versuchsperson sozu sagen >>schicksalhaft« vorgegebene, undurchschaubare, fremde » Quasi
Natur«. Die gedachte Norm-Versuchsperson - und soweit das Konzept Norm-Versuchsperson im Experiment realisiert werden konnte, auch die Person inn erhalb der experimentellen Anordnung - ist nicht ein Mensch in jeweils besonderer, gesellschaftlich-historischer Lage, des sen Selbst- und Weltsicht durch diese Lage bedingt ist, sondern ein ahistorisches Individuum, dessen Verhalten nur von den als Ausgangs bedingungen vorgegebenen Stimulusmomenten und Zwischenvari ablen abhängt die historisch-gesellschaftliche Bedingtheit des Men -
schen in je konkreter Lage soll gemäß dem nomothetischen Konzept der Norm-Versuchsperson ja gerade als »Fehlervarianz« ausgeschaltet bzw. neutralisiert werden. Die Norm-Versuchsperson ist schließlich nicht ein Individuum, das seine Interessen auf vernünftige Weise in freiem, symmetrischem Dia log zum Ausdruck bringen kann; die Norm-Versuchsperson reagiert vielmehr auf bestimmte Auslösereize in begrenzten, festgelegten Di mensionen; reale Versuchspersonen, die stattdessen andere Reaktions-
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dimensionen wählen, werden - wie gesagt - gemäß dem Konzept der Norm-Versuchsperson bei der Datenbearbeitung nicht berücksichtigt. Wenn man nun Lebewesen, die eine Geschichte haben, die - der Möglichkeit nach - auf reflektierte Weise Subj ekte dieser Geschichte sein können, die - ebenfalls der Möglichkeit nach - sich bewusst eine ihren Bedürfnissen gemäße, nicht entfremdete Welt schaffen können und die schließlich in freiem, symmetrischem Dialog vernünftig ihre Interessen vertreten können, als >>Menschen« bezeichnet, wenn man andererseits Lebewesen, die in einer fremden, naturhaften Umgebung stehen, die keine »Geschichte« haben, die auf bestimmte Stimuli ledig lich mit festgelegten begrenzten Verhaltensweisen reagieren können, >> Organismen« nennen will, so kann man feststellen, dass im Konzept
der Norm-Versuchsperson restriktive Bestimmungen enthalten sind, durch welche Individuen, die in der außerexperimentellen Realität sich - der Möglichkeit nach - wie »Menschen« verhalten können, im Expe riment dazu gebracht werden sollen, sich wie » Organismen« zu verhal ten. Mit der Feststellung, dass das Konzept der Norm-Versuchsperson quasi-organismischen Charakter hat, sind die Vorbereitungen abge schlossen, um die verborgenen anthropologischen Voraussetzungen der allgemeinen Psychologie offen zu legen.
7 In der modernen (immer: funktionalistischen) experimentell-psycho logischen Forschung wird das Konzept der Norm-Versuchsperson - obgleich es faktisch die Grundlage für die experimentelle Planung bildet - nicht reflektierend erfasst. Deswegen wird - sowohl in theore tischen wie in methodelogischen Ansätzen - der Umstand abgedrängt und unterschlagen, dass die Angleichung der realen Versuchspersonen an die jeweilige gedachte Norm-Versuchsperson und damit das or ganismusartige Verhalten der realen Versuchsperson im Experiment das Ergebnis einer Verabredung ist. Es wird nicht gesehen, dass die Versuchsperson im Experiment wie ein >>Organismus« unter quasi-na turhaften Bedingungen Reaktionen zeigt, die durch Allgemeinaussa gen als von diesen Bedingungen abhängig vorherzusagen sind und in festgelegten Dimensionen erfolgen, weil - bzw. sofern - sie sich ver
abredungsgemäß dazu entschlossen hat, alle anderen Aktivitäten und Sichtweisen zu unterlassen, d. h. von den vollen Möglichkeiten mensch lichen Handeins und Reflektierens im Experiment keinen Gebrauch zu machen. Durch die Abdrängung und Unterschlagung der Verabredungs bedingtheit des »organismischen« Verhaltens der Versuchsperson im
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Experiment erfolgt eine Gleichsetzung von »Mensch« und » Organis
mus<<; das Konzept der »Norm- Versuchsperson« gewinnt damit anthro pologische Dignität. Das bedeutet auch, dass die früher dargestellte Sonderstellung der wissenschaftlichen Subjekt-Objekt-Beziehung in der Psychologie, die dadurch gekennzeichnet ist, dass sie den Charakter einer passageren, reversiblen Rollenkonstellation hat, nicht anerkannt wird. Vielmehr betrachtet man - ohne sich das bewusst zu machen - die Beziehung zwischen dem Experimentator als Versuchssubjekt und der Versuchs person qua Organismus als Versuchsobjekt als ebenso ontisch ge gründet und irreversibel wie die entsprechenden Beziehungen in den stoffbezogenen Naturwissenschaften Physik und Chemie, in der Phy siologie, in der Tierpsychologie etc. Nun kann auch der früher geschilderte Wechsel in der Definition der Versuchspersonenrolle vom Strukturalismus zum modernen Funk tionalismus (S. 48) noch einmal von umfassenderen Zusamm enhängen her verständlich gemacht werden: Die Feststellung, die funktionalisti sch � Forschung bevorzuge anders als die strukturalistische Forschung ungeschulte Versuchspersonen, lässt sich jetzt so zuspitzen, dass bei funktionalistischem Experimentieren gemäß den hier als zugrunde liegend aufgewiesenen anthropologischen Voraussetzungen die »Ver suchsperson« nicht nur als »ungeschult«, sondern als »Organismus« im beschriebenen Sinne definiert werden muss. Damit ist die genannte im Vergleich zum Strukturalismus verstärkte Asymmetrie der Bezie hung zwischen Experimentator und Versuchsperson nicht allein durch das Ungleichgewicht des Verhältnisses zwischen dem »wissenden« Experimentator und der ungeschulten Versuchsperson gekennzeich net; die Asymmetrie ist vielmehr durch die verborgene Annahme eines ontisch gegründeten Verhältnisses zwischen dem Experimentator als »Menschen« und der Versuchsperson als »Organismus« verschärft und zementiert. - Auch der erwähnte Umstand, dass vom Strukturalismus zum Funktionalismus die »Versuchspersonen<< vom Inbegriff weni ger, als Personen identifizierter Hilfsexperimentatoren zum Inbegriff großer Mengen anonymer Individuen wurden, lässt sich nun noch präziser begreiflich machen: Der geschichtslose, mit Zwangsläufigkeit auf eine naturhafte Umwelt reagierende »Organismus« ist - anders als der »Mensch« - notwendigerweise anonym; die Versuchspersonen im funktionalistischen Experiment sind demgemäß gänzlich austausch bar; es ist hier völlig gleichgültig, »wer<< Versuchsperson ist, sofern nur die in der Norm-Versuchsperson festgelegten Erlebens- und Ver haltensvorschriften erfüllt werden, wobei die Anzahl der benötigten Versuchspersonen - global gesprochen - in dem Grade wächst, als Ab weichungen zwischen Norm-Versuchspersonen und realen Versuchs-
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personen, also »Fehlervarianzen« durch experimentelle und statistische Praktiken neutralisiert und isoliert werden müssen. Die >>organismischen« anthropologischen Voraussetzungen der mo dernen allgemeinpsychologischen Forschung lassen sich nun im prak tischen Wissenschaftsbetrieb in den verschiedensten Bezügen deutlich aufweisen. Die augenfälligste Manifestation der hinter der funktionalistischen Psychologie stehenden geheimen organismischen Anthropologie ist die weitgehende Verwischung der Grenzen zwischen Tierpsychologie und Humanpsychologie in zentralen Bereichen der Forschung. So sind die empirischen Daten zur Prüfung eines der bedeutendsten theoreti schen Systeme der Psychologie, nämlich des lerntheoretischen Systems von Hull, fast ausschließlich an Experimenten mit Ratten gewonnen worden, wobei Hull den Geltungsbereich seiner Aussagen aber kei neswegs auf >>Ratten« oder Tiere beschränkt: Seine Theorie erhebt den Anspruch, das Verhalten von »Organismen« überhaupt, also auch von Menschen, zu erklären. Das Gleiche gilt mit nur wenigen Einschrän kungen für die in Absetzung von Hull konzipierte >>kognitive« Lern theorie von Tolman. Auch hier sind die entscheidenden Experimente, wie die über >>latentes Lernen« oder die über die Möglichkeit von >>Sign sign-Verknüpfungen« und die Entstehung von »cognitive maps« mit Ratten durchgeführt worden, was auch Tolman nicht daran hindert, seine Theorie als auf Menschen beziehbar zu betrachten. - Damit sind nur zwei herausragende von vielen möglichen Beispielen erwähnt. Die dagegen von den bisherigen Überlegungen aus zu erhebenden Einwände haben nichts mit der trivialen Kritik zu tun, die sich global gegen Rattenexperimente innerhalb der humanpsychologischen For schung richtet; nicht einmal gegen die Übertragung von mit Ratten gewonnenen experimentellen Befunden auf menschliches Verhalten ist für sich genommen etwas einzuwenden; die entscheidende Frag würdigkeit von Konzeptionen wie den geschilderten liegt vielmehr in dem Mangel an Reflexion darüber, dass etwa Ratten Organismen
»sind<<, während sich Menschen im Experiment nur verabredungsge mäß wie Organismen verhalten. Deswegen kann auch nicht gesehen werden, dass die Bewährung von an Ratten geprüften Annahmen in Experimenten mit Menschen nur deswegen zustande kommen kann, weil die Menschen in der experimentellen Anordnung auf Wunsch des Experimentators ihr Handlungsrepertoire auf das Verhaltensrepertoire von Organismen reduziert haben. Der Umstand, dass Menschen un ter solchen reduzierten Bedingungen im Experiment häufig ähnliches Verhalten zeigen wie echte Organismen, bleibt natürlich gleichwohl ei ner Erklärung bedürftig. Vielleicht könnte man dabei von der Überle gung ausgehen, dass die möglichen Lebensäußerungen von Menschen
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die Verhaltensmöglichkeiten von Organismen auf irgendeine Weise einschließen mögen und dass deswegen Menschen, sofern sie sich auf organismische Reaktionsweisen haben festlegen lassen, unter gewissen Voraussetzungen die gleichen Verhaltensdaten produzieren wie »echte<< Organismen. Solche Üb erlegungen schlüssig zu machen und zu recht fertigen, wäre Aufgabe zukünftiger psychologischer Grundlagenbe smnung. Auch in den Fällen, in denen man sich entschließen musste, die in Tierversuchen bestätigten theoretischen Ansätze zur Erklärung menschlichen Verhaltens zu erweitern und zu modifizieren, hat das zu keiner grundsätzlichen Umorientierung geführt. Der Mensch wird auch hier durchgehend als Organismus betrachtet, nur eben als ein komplizierterer Organismus, der auch kompliziertere Theorien nötig macht. Darüber hina�s finden sich organismische anthropologische Vor aussetzungen in der allgemeinen Psychologie nicht nur dort, wo von Tierexperimenten als prototypisch für menschliches Verhalten ausge gangen wird. Auch in Bereichen, in denen Tierexperimente kaum eine Rolle spielen, wie in der Sozialpsychologie, sofern sie unter allgemein psychologischem Aspekt betrieben wird, ist die Norm-Versuchsper son faktisch mehr oder weniger eindeutig als »Organismus« definiert. Das Gleiche gilt für die Wahrnehmungslehre, sofern sie - was hier bis in die neueste Zeit gelegentlich geschieht - nicht unter phänomenal strukturalistischem Vorzeichen betrieben wird, sondern voll in dem generellen funktionalistischen Trend aufgegangen ist. Prinzipiell kann man feststellen, dass - da sich das organismische Konzept der Norm Versuchsperson, wie wir zeigten, mit Notwendigkeit aus dem nomo thetischen Grundansatz der funktionalistischen Psychologie herleitet
- eine andere als organismische Bestimmung der Norm- Versuchsperson gar nicht möglich ist, solange man den nomothetischen Ansatz unre flektiert verabsolutiert. - Ich komme darauf zurück. Es wäre nun zu zeigen, wie in einzelnen Forschungsansätzen und in einzelnen Experimenten die organismisch-anthropologischen Vor aussetzungen der allgemeinen Psychologie zu immer anderen cha rakteristischen Verkürzungen und Einengungen der zugeordneten Theorienbildung führten. Solche Einzelanalysen würden jedoch dem grundsätzlich gerichteten Charakter dieser Abhandlung zuwiderlau fen und müssen später nachgeholt werden. Hier soll die Kritik an der heimlichen »Anthropologie« innerhalb der allgemeinpsychologischen Forschung zunächst unter prinzipiellen Gesichtspunkten expliziert werden.
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Das Bild vom »organismischen Menschen<<, wie es - vermittelt durch das K�nzept der Norm-Versuchsperson - der funktionalistisch-expe rimentellen Psychologie zugrunde liegt, ist ein nach nomothetisch-me thodologischen Gesichtspunkten »gereinigtes« Gedankengebilde, wo bei dieser »Reinigung<< der wirkliche, sinnliche, geschichtliche Mensch, der Produkt seiner gesellschaftlichen Arbeit ist, zum Opfer fällt. Die »Umwelt« des Menschen ist hier nicht im Geschichtsprozess gewordene und der Möglichkeit nach vernünftig gestaltete Welt, sondern die Um welt wird als naturhaft vorgegeben, vom Subjekt unveränderbar und vernünftiger Beeinflussung nicht zugänglich betrachtet, ist also als
»zweite Natur« im Sinne von Marx, als dem Menschen entfremdete, ihm wie die Natur »äußerliche« gesellschaftliche Wirklichkeit zu ver stehen. Weiter ist im organismischen Menschenbild der funktionalistisch experimentellen Psychologie die Möglichkeit der Aufhebung der Ent fremdung, der bewussten Veränderung menschlicher Verhältnisse in Richtung auf größere obj ektive Vernünftigkeit, des Abbaus von Herr schaftsstrukturen zur Entfaltung des freien, symmetrischen Dialogs von vorneherein ausgeklammert: Der >>Mensch<< der modernen expe rimentellen Psychologie muss sich - sofern nur die nomothetischen Verfahrensregeln angemessen realisiert sind - in Abhängigkeit von den eingeführten Ausgangsbedingungen in jeder Art von historisch-ge sellschaftlicher Wirklichkeit immer •• gleich<< verhalten, von der Un begrenztheit - oder jedenfalls in ihrer Begrenztheit bisher nie ausge loteten Plastizität und Veränderbarkeit der Lebensäußerungen des -
Menschen im historischen Prozess wird abgesehen. Da, wie gezeigt werden sollte, der Verabredungscharakter des >>or ganismischen<< Verhaltens der Versuchsperson hier nicht reflektiert wird, womit auch die Gleichsetzung von >>Mensch<< und »Organismus << nicht problematisiert werden kann und so die durch spezifische Sicht einengungen entstandene Konzeption vom organismischen Menschen für den ganzen, konkreten Menschen steht, kann die ••verborgene An thropologie<< der funktionalistischen Psychologie als ein verselbstän digtes »statisches<< Gedankengebilde angesehen werden, das sich vom konkreten, geschichtlicher Wandlung unterworfenen gesellschaftlichen Lebensprozess losgelöst hat, ohne diese Loslösung reflektierend zu er fassen. Sofern man den marxschen Ideologiebegriff in etwas ausgewei teter Bedeutung gebraucht, kann man mithin die anthropologischen Voraussetzungen der funktionalistisch-nomothetischen Psychologie als ideologisch im Sinne eines partialisierten, »falschen Bewusstseins« charakterisieren.
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Es wäre nun eine wichtige Aufgabe, die anthropologische »Orga nismus<<-Ideologie der funktionalistischen allgemeinpsychologischen Forschung in umfassendere anthropologische und des Weiteren gesell schaftstheoretische Zusammenhänge zu stellen - [eine Aufgabe, für die mir indessen gegenwärtig noch die gesellschaftstheoretische Kompe tenz abgeht.]* Dabei könnte man etwa auf frappierende Ähnlichkeiten hinweisen, die trotz aller Unterschiede in der Grunddenkweise zwi schen der genannten organismischen Anthropologie und bestimmten Zügen der modernen philosophischen Anthropologie phänomenolo gischer oder existentialistischer Ausprägung bestehen. Wenn man etwa - wie Scheler - meint, alle spezifischen Lebensäußerungen konkreter Menschen müssten sich letztlich aus einer einheitlichen Bestimmung des Wesens >>des<< Menschen herleiten lassen, wenn man wie Husserl durch phänomenologische Reduktion gewonnene Aussagen über den Menschen als in seiner Letztgegründetheit unverlierbaren, unverän derlichen Erkenntnisbesitz der Menschheit betrachtet, wenn man mit existentialistischen Denkern wie Heidegger oder Marcel hinter den Lebensäußerungen des konkreten geschichtlichen Menschen nach der Echtheit und Eigentlichkeit seinsgegründeten menschlichen Daseins sucht, so ist man zwar von den nomothetischen bedingungsanaly tischen »Reinigungs<<-Akten der funktionalistischen Psychologie in mancher Hinsicht weit entfernt; trotzdem scheinen mir hier gewisse bedeutsame Parallelen vorzuliegen: Auch in den genannten Ansätzen der philosophischen Anthropologie erscheint der Mensch quasi in »ge reinigter<< Gestalt, wobei der Reinigung hier ebenfalls die je konkrete historisch-gesellschaftliche Geprägtheit des Menschen zum Opfer fällt. Ob die >>Reinigung<< dabei etwa durch phänomenologische Reduk tion oder durch nomothetisch-bedingungsanalytische Reduktion er folgt, macht unter diesem Aspekt keinen so großen Unterschied: In
beiden Fällen wird der »Mensch« nicht als Inbegriff des wirklichen Menschen im historischen Lebensvollzug gesehen, sondern ist ein der Geschichtlichkeit und der gesellschaftlichen Bedingtheit entzogenes als »absolut« gesehenes Gedankengebilde. [Damit könnte man den ge schilderten Konzeptionen der philosophischen Anthropologie mit den gleichen Argumenten ideologischen Charakter zusprechen wie der >>or ganismischen<< Anthropologie der funktionalistischen Psychologie.]*" Ich sehe natürlich, dass zur vollen Rechtfertigung derartiger Paralleli sierungen erheblich eingehendere Analysen nötig wären. r.·
r.·a
Anm. d. Hg.: In der späteren Veröffentlichung in Gadamer & Vogler entfal len. Anm. d. Hg.: Texterweiterung für die spätere Veröffentlichung in Gadamer & Vogler durch KH.
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[Weiter hätte man - über wissenschafts- bzw. philosophieimma nente Reflexionen hinaus - die Entwicklung der funktionalistischen Psychologie im Zusammenhang mit der ökonomischmisch-gesell schaftlichen Gesamtentwicklung zu betrachten. Wie schon gesagt, spricht vieles dafür, die funktionalistische Wendung der Psychologie als eine Angleichung an die moderne industrielle Leistungsgesell . schaft zu interpretieren. Es wäre demgemäß zu fragen, wieweit man die ideologische Organismusanthropologie der funktionalistischen Psychologie als ein Derivat umfassenderer Ideologeme der gegenwär tigen Gesellschaft auffassen kann. Das organismische Menschenbild des psychologischen Funktionalismus mag etwa als eine Spezifizie rung des spätbürgerlich-technokratischen Menschenbildes angesehen werden, in dem der Mensch als Anpassungswesen erscheint, das die Gesellschaft, in der es lebt, als gegeben hinnimmt und seine Vernunft nicht zur Verbesserung gesellschaftlicher Umstände, sondern ledig lich zum möglichst perfekten Sich-Zurechtfinden innerhalb der be stehenden Verhältnisse benutzt. Die im organismischen Konzept der Norm-Versuchsperson enthaltene Forderung, dass das Verhalten realer Versuchspersonen möglichst eindeutig von den vom Experimentator geschaffenen Ausgangsbedingungen her festgelegt sein soll, könnte als von der technokratischen Konzeption des im industriellen Pro duktionsprozess möglichst reibungslos funktionierenden, »ausrechen baren« Leistungsmenschen beeinflusst betrachtet werden. Man könnte sogar soweit gehen zu behaupten, dass die Organismusanthropologie der modernen Psychologie faschistoiden Auffassungen vom Menschen als eines Wesens, das einem naturhaften Schicksal ausgeliefert ist, dem es sich zu unterwerfen hat und dessen Vernunft gegenüber den >>grö ßeren<< naturgegebenen Lebenszusammenhängen ohnmächtig ist, zum mindesten nicht widerspricht, womit die Psychologie auch gegenüber der Vernunftverketzerung und der Verachtung der Freiheit und der Rechte des Menschen durch den Faschismus zum Schweigen verurteilt wäre. In j edem Falle würden mit der organismischen Anthropologie der allgemeinen Psychologie - so unpolitisch sie sich selbst immer verstehen mag - faktisch konservativ-reaktionäre politische Kräfte un terstützt. - Ich muss allerdings zugeben, dass mir gegenwärtig noch die gesellschaftstheoretische Kompetenz abgeht, um die angedeuteten möglichen Zusammenhänge im Einzelnen wirklich zwingend aufwei sen zu können.r
"·
Anm. d. Hg.: Texterweiterung für die spätere Veröffentlichung in Gadamer & Vogler durch KH.
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In dem Maße, als man meine bisherige Argumentation für überzeu gend halten kann, wird man auch zu der Konsequenz bereit sein müs sen, dass die moderne funktionalistische allgemeinpsychologische Forschung nicht so bleiben kann, wie sie ist, sondern in wesentlichen Momenten geändert werden muss. Vor der Diskussion der Richtung einer solchen Veränderung will ich zunächst - in einem Exkurs - ein mögliches Missverständnis auszuräumen versuchen, nämlich das Miss verständnis, dass die aufgewiesene Problematik durch eine allmähliche Überführung des allgemeinpsychologischen Ansatzes in differentiell psychologische, insbesondere persönlichkeitspsychologische Konzep tionen notwendigerweise überwunden oder zum mindesten gemildert werden kann. Es wurde festgestellt, dass durch die unreflektierte theoretische Umfälschung der nomothetischen Methodologie in der allgemeinen Psychologie der Mensch in konkreter, historisch-gesellschaftlich ver mittelter Lage zugunsten der Auffassung vom Menschen als eines durch vorgegebene Ausgangsbedingungen in seinem Verhalten festge legten ahistorischen Organismus ausgeklammert wird. Es mag nun so scheinen, als wenn man dem konkreten, einzelnen Menschen auf ir gendeine Weise näher kommt, wenn man nicht - wie in der allgemeinen Psychologie - die theoretischen Annahmen auf Menschen überhaupt bezieht, sondern wenn - wie in der Persönlichkeitspsychologie - >>Per sönlichkeitsvariablen« in die theoretischen Konzeptionen einbezogen und damit zwischenmenschliche Unterschiede berücksichtigt werden. In der Tat finden sich - wie schon erwähnt - gegenwärtig in der Psy chologie Tendenzen, im strikten Sinne allgemeinpsychologische Frage stellungen dadurch zu relativieren, dass man Menschen in bestimmte Gruppen einteilt bzw. auf bestimmten Ordnungsdimensionen ortet, um dann die formulierten theoretischen Annahmen mit dem Index zu versehen, dass sie nur für die jeweilige Gruppe von Menschen bzw. in Abhängigkeit von der Ortung auf der jeweiligen Ordnungsdimension Geltung haben sollen. Nach welchem Modus sind nun derartige Persönlichkeitsvariab len definiert? Ich bringe nun einige charakteristische Beispiele: Man unterscheidet etwa zwischen >>levelers«, Individuen mit der Tendenz, Unterschiede im Reizfeld zu nivellieren, und »sharpeners«, Individuen mit der Tendenz, solche Unterschiede zu betonen (G. S. Klein), zwi schen »Feldabhängigen«, Individuen mit labilen Bezugssystemen bei der Reizbeurteilung, und >>Feldunabhängigen<<, Individuen mit sta bilen B ezugssystemen (Witkin), zwischen »hohen Interferenzlern<<, Individuen, die durch unthematische Reize leicht störbar sind, und
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>>niedrigen Interlerenzlem«, Individuen, die solchen Störungen nicht unterliegen (Stroop) usw., wobei derartige Unterscheidungen manch mal mehr als diskrete Klassen, manchmal mehr als die Pole von Ord nungsdimensionen aufgefasst werden. Derartige Persönlichkeitsvariablen sind als »Zwischenvariablen<< anzusehen, d. h. als Variablen zwischen der Reizkonstellation und der Reaktion des Individuums, die die Reaktion modifizieren. Die Kon zeption solcher Zwischenvariablen wird, wie erwähnt, auch in der allgemeinen Psychologie benutzt; in der allgemeinpsychologischen Forschung haben solche Zwischenvariablen die Funktion von >>Über setzungsregeln<<, mit deren Hilfe bei Kenntnis der Reizsituation bes sere generelle Vorhersagen über menschliche Reaktionen möglich sein sollen; in der Persönlichkeitspsychologie sind die genannten Zwischenvariablen Inbegriff der Unterschiedlichkeit von Reaktionen verschiedener Individuen auf die jeweils gleiche Reizsituation; im Zu sammenhang mit solchen Unterschieden werden auch unterschied liche Reaktionen in anderen Dimensionen erwartet; es wird hier zur Vorhersage bestimmter Verhaltensweisen als abhängiger Variabler die Kenntnis zweier Arten von unabhängigen Variablen als nötig betrach tet, einmal die Kenntnis der für jedes Individuum konstanten Reizsitu ation und zum anderen die Kenntnis der bei jedem Individuum (oder bestimmten Gruppen von Individuen) unterschiedlichen Persönlich keitsvariablen. Aus diesen Darlegungen geht hervor, dass in persönlichkeitspsy chologischer Forschung der genannten Art die nomothetische Grund konzeption der allgemeinen Psychologie nicht im Geringsten einge schränkt ist. Durch die Einführung von Persönlichkeitsvariablen muss die Auffassung des Menschen als eines durch vorgegebene Ausgangs bedingungen in seinen Reaktionen festgelegten Organismus keines wegs relativiert werden. Die Bestimmung dieser Festgelegtheit ist hier nur etwas komplizierter, weil man zur Vorhersage bestimmter Verhal tensweisen zusätzlich Daten über den Ort einer Versuchsperson auf bestimmten, interindividuell variierenden Ordnungsdimensionen be nötigt. Formal ähnliche Ansätze sind in den traditionellen Naturwis senschaften etwas Gewöhnliches; wenn z. B . zur Vorhersage der Aus dehnungsgeschwindigkeit verschiedener Gase die Berücksichtigung der Temperaturvariablen vorausgesetzt wird, so hat diese Variable hier eine ähnliche Funktion wie die genannten Persönlichkeitsvariablen. Persönlichkeitspsychologische Konzeptionen der erwähnten Art füh ren also keineswegs zu einer Annäherung psychologischen Theoretisie rens an den konkreten Menschen im historisch-gesellschaftlichen Pro zess. Der Anspruch, dass theoretische Zusammenhangsannahmen immer und überall gelten sollen, wobei diesmal nur die Reizkonstellation und
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der Ort auf bestimmten Persönlichkeitsdimensionen als Ausgangsbe dingungen definiert sind, wird ohne Einschränkung beibehalten. Auch das methodologische Vorgehen der so gearteten Persönlichkeitspsy chologie unterscheidet sich demgemäß grundsätzlich nicht von dem der experimentellen allgemeinpsychologischen Forschung: Was früher z. B. über die Ausschaltung oder Neutralisierung der historisch-gesellschaft lich vermittelten Lebensäußerungen des konkreten Menschen als »stö rende Bedingungen« gesagt wurde, gilt in vollem Umfang auch hier. Die früheren Feststellungen über die verborgene organismische Anthropolo gie der funktionalistisch-allgemeinpsychologischen Forschung können also ohne Einschränkung auf die funktionalistisch-persönlichkeitspsy chologische Forschung angewendet werden.
10 Voraussetzung für die Aufhebung der ideologisch geprägten organis mischen Anthropologie in der funktionalistisch-experimentellen Psy chologie sind die Reflexion auf den Tatbestand und den spezifischen Inhalt der »Verabredung« zwischen Experimentator und Versuchs person und die Einbeziehung des normativen Konzeptes, das hier als Norm-Versuchsperson bezeichnet wurde, in die offizielle wissen schaftliche Diskussion. Als Konsequenz daraus wären die theoreti schen Annahmen in der Psychologie nicht mehr auf Menschen, wie sie draußen in der Welt leben, zu beziehen, sondern auf Menschen, sofern sie sich verabredungsgemäß an das Konzept der Norm-Ver suchsperson angleichen, d. h. sich bestimmten Bedingungen aussetzen und sich bestimmte, festgelegte Verhaltensweisen vorschreiben und andere untersagen lassen, und sofern die je besonderen historisch gesellschaftlich vermittelten B edingtheiten ihrer Lebensäußerungen als Störbedingungen eliminiert oder experimentell bzw. statistisch kontrolliert sind. Man muss sich bewusst machen und immer bewusst halten, dass man nur dann organismusartige Daten über Menschen erhält, wenn man Vorkehrungen trifft, durch welche andere als >>or ganismische« Lebensäußerungen des Menschen nicht auftreten kön nen oder nicht berücksichtigt werden. Sofern man nun tatsächlich derartige organismische Verhaltensdaten gewinnt, darf mithin nicht gefolgert werden, dass der Mensch ein Organismus »sei«: Aussagen über den Organismuscharakter der Verhaltensweisen der Versuchs personen sind vielmehr in gewisser Weise tautologisch: Wenn man
andere als organismusartige Verhaltensweisen nicht zulässt bzw. be rücksichtigt, muss man notwendigerweise auch organismische Verhal tensdaten gewinnen.
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Die theoretischen Annahmen in der funktionalistisch-experimen tellen Psychologie wären demnach mit zusätzlichen konditionalen Bestimmungen zu versehen: Man dad die Geltung der Theorien nur unter Thematisierung der jeweiligen Verhaltens- und Bedingungsres triktionen behaupten, womit die theoretische Bedeutsamkeit der zu nächst nur methodelogisch gemeinten nornethetischen Vedahrenswei sen offengelegt wäre: Die und die Zusammenhangsbehauptung lässt sich empirisch bestätigen, sofern bestimmte, jeweils zu spezifizierende Möglichkeiten menschlicher Lebensäußerungen nicht zugelassen bzw. berücksichtigt sind (vgl. dazu Keiler 1 970, S. 129 ff.). Damit die zur Durchsetzung des Geltungsanspruchs von theoreti schen Annahmen vollzogenen Einschränkungen und Neutralisierungen menschlicher Möglichkeiten vollständig und redlich ausformuliert wer den können, benötigt man als Alternative, an der die Einschränkungen und Neutralisierungen sichtbar zu machen sind, eine Konzeption vom Menschen in seinen nicht experimentell eingeschränkten Lebensäuße rungen: Dem Bild der experimentell zu realisierenden organismischen
Norm-Versuchsperson wäre also das Gegenbild des geschichtlichen Men schen in je konkreter gesellschaftlich-ökonomischer Lage zu konfrontie ren, um die generellen und jeweils spezifischen Begrenztheiten psycholo gischer Aussagen über den Menschen deutlich werden zu lassen. Sofern man in der psychologischen Forschung explizit reflektiert, dass und auf welche jeweils besondere Weise man den nornethetischen Geltungsanspruch der theoretischen Annahmen um den Preis der Ein schränkung bestimmter Lebensäußerungen des Menschen und der Eliminierung seiner Geschichdichkeit aufrechterhalten kann, ist die ideologische Gleichsetzung von »Mensch« und >>Organismus << auf gehoben und methodelogische Konzeptionen sind nicht mehr in eine fragwürdige »Anthropologie<< umgefälscht. Falls man dennoch den nornethetischen Geltungsanspruch psychologischer Annahmen voll aufrechterhalten wollte, müsste dies zum Eingeständnis führen, dass
die Bedeutsamkeit der auf diese Weise erlangten Forschungsbefunde für das Verständnis der Befindlichkeiten und Lebensäußerungen von Men schen in je konkreter gesellschaftlich-historischer Lage mehr oder weni ger gering sein muss. Es bliebe einem dann kaum etwas anderes übrig, als den Sinn der psychologischen Forschung anderswo zu suchen als in der Förderung des Verständnisses von Menschen in konkreter Lage - wobei ich nicht recht sehe, wie eine solche Sinnbestimmung anders als durch Rückgriff auf fragwürdige Ideale der »reinen<<, interesselosen Erkenntnis o. Ä. edolgen könnte. Ein anderer und vernünftigerer Ausweg wäre die kritische Besinnung
darüber, wieweit absolut gesetzte nomothetische Forschungskonzeptionen bei auf Menschen gerichteter psychologischer Forschung überhaupt als
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sinnvoll betrachtet werden können. Die nornethetische Denk- und Ver fahrensweise ist in Wissenschaften entwickelt worden, die die geschichts und bewusstlose >>Natur« zum Gegenstand haben; eine solche Natur ist im Prinzip tatsächlich »überall gleich«. Sofern man den Menschen aus schließlich unter nornethetischen Konzeptionen erforscht, muss man ihn - wie gezeigt wurde - im Experiment seiner autonomen Verhaltensmög lichkeiten und seiner Geschichtlichkeit entheben, damit auch hier gemäß dem nornethetischen Anspruch der Mensch »überall gleich<< ist, genauer gesagt, damit nach Kenntnis der Ausgangsbedingungen allgemeingültige Vorhersagen über bestimmte Verhaltensweisen getroffen werden können. Ich halte es nun für sehr zweifelhaft, ob man die so erlangte Allgemein gültigkeit von theoretischen Annahmen tatsächlich uneingeschränkt als Wert betrachten soll, da das, was uns als Menschen unmittelbar angeht, nämlich das Verständnis unserer gegenwärtigen gesellschaftlichen Lage mit dem Ziele der Verbesserung dieser Lage, der Allgemeingültigkeit zum Opfer gebracht wird. Es scheint mir, als wenn - sofern es das Verständnis konkreter menschlicher Verhältnisse anbelangt - das überall gleich Gül tige letztlich das Gleichgültige sein könnte.
11 Wenn von da aus eine Änderung der Psychologie angezeigt erscheint, so kann das nicht bedeuten, dass man den Funktionalismus ausklammem und wieder bei der strukturalistischen Psychologie ansetzen solle: Der Strukturalismus basiert - wie gesagt - auf der fragwürdigen philoso phischen Konstruktion eines »Bewusstseins überhaupt<<; hier liegen zwar keine organismischen anthropologischen Ansätze vor, die durch Intros pektion gewonnenen Daten sind aber genauso wenig - oder noch weni ger - auf den Menschen in konkreter historisch-gesellschaftlicher Lage beziehbar wie die Daten der funktionalistischen Forschung: Die struk turalistischen Reduktionsakte auf das »reine<<, unmittelbare Erleben sind zwar nicht nomothetisch-bedingungsanalytischer Art, sie haben aber deutliche Ähnlichkeiten mit den früher geschilderten Akten des Zurück gehens auf das Wesen des Menschen, die Echtheit und Eigentlichkeit des Daseins usw. innerhalb bestimmter Ausprägungsformen der philoso phischen Anthropologie, wobei - wie angedeutet wurde - eine ähnliche Ausklammerung des wirklichen historischen Menschen erfolgt wie in der organismischen Reduktion des Funktionalismus. Genauere Anführungen darüber kann ich mir der geringen Bedeutung strukturalistischer Ansätze für die gegenwärtige psychologische Forschung wegen ersparen. Genauso wenig kann man mit vernünftigen Gründen anstreben, den nomothetisch-bedingungsanalytischen Ansatz völlig aus der Psycho-
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logie zu eliminieren und etwa in die Unverbindlichkeiten der heute mit Recht überwundenen »geisteswissenschaftlichen«, verstehenden Psychologie zurückzukehren. Das Verfahren des »Verstehens«, so wie es in der geisteswissenschaftlichen Psychologie konzipiert war, hat sich niemals als eine in ihrer Eigenart präzise bestimmbare genuin-psycho logische Methode ausweisen lassen (vgl. dazu Hampel 1 953 ). Es wäre ein unhistarisches und damit unvernünftiges Vorgehen, wenn man angesichts der aufgewiesenen und anderer Mängel der mo dernen psychologischen Forschung die nomothetisch-funktionalisti sche Psychologie einfach wegwerfen und etwas »ganz Neues« machen wollte. Man hat vielmehr bei allen Änderungsbemühungen den »ge genwärtigen Stand« der Psychologie in theoretischer und methodolo gischer Hinsicht voll zu berücksichtigen, um zu verhindern, dass das, was an der bisherigen Psychologie wertvoll und vernünftig ist, in der neuen Psychologie verloren geht. Änderung der Psychologie, das kann nur heißen: Konfrontation der bisherigen psychologischen Forschung mit ihren Alternativen, Veränderung und Ausweitung der psycholo gischen Denkweisen sowie Forschungsverfahren und -inhalte im Blick auf die Totalität menschlicher Lebensverhältnisse unter Bewahrung des rationalen Kerns der bestehenden Psychologie. Die Revolution des Funktionalismus gegen den Strukturalismus, also die Abwendung von der Konzeption des Bewusstseins überhaupt und die Hinwendung auf das zielgerichtete Handeln des Menschen im Dienste seiner Daseinsbewältigung, das war der Möglichkeit nach ein Fortschritt in Richtung auf das Verständnis von Menschen in ihrer konkreten gesell schaftlich-historischen Lage zum Zwecke der Verbesserung dieser Lage: Nur wurde diese Möglichkeit - der Verabsolutierung des nomothetischen Ansatzes und der dadurch bedingten >>organismischen« Einengung der Sicht auf den Menschen wegen - bisher letztlich nicht genutzt. Die empirischen Wissenschaften vom Menschen stehen im Span nungsfeld zweier methodologischer Ansätze: des nomothetisch-genera lisierenden Ansatzes, in dem aus dem j eweils Besonderen das Allgemeine, »Typische<< abstrahiert wird, und des historisch-konkretisierenden An satzes, in dem das Besondere unter Absehung vom Allgemeinen aus den jeweils gegebenen einmaligen faktischen Bedingungskonstellationen heraus verstanden wird. Sowohl der nomothetisch-generalisierende wie der historisch-konkretisierende Ansatz führen in der Verabsolutierung zur »Statischen<<* Einfrierung der wissenschaftlichen Denkbewegung: Im verabsolutierten nomothetischen Ansatz sind die theoretischen Konzeptionen von den geschichtlichen Veränderungen menschlicher �·
Anm. d. Hg.: In Kritische Psychologie. Vorbereitende Arbeiten (1 972): >>statis tischen«; durch KH als Erratum angemerkt.
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Lebensverhältnisse, die Menschen bewusst und vernünftig gestalten könnten, weitgehend unabhängig; »Zukunft« erscheint hier nicht als Möglichkeit, etwas >>Neues«, Besseres zu machen, sondern, da Zukünf tiges stets als aufgrund von bekannten Ausgangsbedingungen >>Vorher sagbares<< betrachtet wird, lediglich als eine berechenbare Extrapolation aus der >>Vergangenheit<< (vgl. Sartre 1 969, S. 24f.). Im verabsolutierten historisch-konkretisierenden Ansatz gelangt man über eine Registrie rung von einzelnen Vorfindlichkeiten nicht hinaus; man verstellt sich durch die historizistisch-relativistische Fixierung auf das >>Dies-war-da mals-so-und-so« die Möglichkeit, >>Typisches« im Besonderen aufzu weisen, Perspektiven zu gewinnen, mit denen sowohl aus der Geschichte »gelernt<< wie auch Entwürfe für eine bessere Zukunft des Menschen ge lingen können. Sowohl der nomothetische Determinismus des >>reinen Falles« wie der historizistische Determinismus des »konkreten Falles<< sind nur durch eine dialektische Denkbewegung zu überwinden, in der sowohl das >>Besondere« im »All gemeinen« wie das >>Allgemeine<< im >>Besonderen« sichtbar wird, wobei, wenn diese Denkbewegung nicht wiederum zu einem pseudo-dialektischen Mechanismus erstarren soll, das erkenntnisleitende Interesse auf >>Praxis« im Sinne der gesellschaft lichen Lebenstätigkeit des Menschen bezogen sein muss. Mit dieser Art von Praxisbezug wird empirische Einzelwissenschaft im traditionellen Sinne notwendigerweise überschritten: >>Theorien« erscheinen nicht mehr als nach immanent-wissenschaftslogischen Prinzipien in ihrer Ei genart vollständig aufklärbar; >>Fakten« werden nicht mehr als naturhaft endgültige, undurchdringliche Letztheiten betrachtet: »Theorien<< wie >>Fakten« sollen als Momente konkreter gesellschaftlicher Verhältnisse an einem bestimmten Ort des Geschichtsprozesses begriffen und im Blick auf die Totalität dieser gesellschaftlichen Verhältnisse verständlich und durchschaubar gemacht werden. [Der nomothetische Ansatz verleiht der Psychologie der Möglich keit nach ihre Aufgabe im Spannungsfeld der Wissenschaften vom Menschen: Sie hätte den generalisierenden Aspekt gegenüber dem his torisch-konkretisierenden Aspekt etwa der Soziologie (in manchen Erscheinungsformen) oder der Geschichtswissenschaft zur Geltung bringen und damit das >>Allgemeine<< im >>Besonderen<< herausarbei ten können. Diese Möglichkeit wurde jedoch bisher vertan, weil der Psychologie durch Verabsolutierung des nornethetischen Ansatzes das >>Besondere« weitgehend verloren ging, indem sie den Menschen nach bedingungsanalytischer >>Reinigung« von aller Geschichtlichkeit nur mehr als >> Organismus« sehen konnte.]* '' Arun. d. Hg.: Texterweiterung für die Veröffentlichung bei Gadamer & Vog ler durch KH.
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Damit kann jetzt genauer gesagt werden, worin eine Veränderung der Psychologie zu bestehen hätte: in der Realisierung der genannten,
in der geschichtlichen Entwicklung der Psychologie angelegten, aber bisher weitgehend ungenutzten Möglichkeiten. Die funktionalistische Hinwendung der Psychologie auf den Alltagsmenschen in seinem Be mühen um Daseinsbewältigung wäre zu bewa�ren, die Pervertierung dieses Ansatzes durch verabsolutierend-nomothetische Eliminierung der konkreten historischen Lage des Menschen wäre zu überwinden. Parallel dazu wäre die Umfälschung des an seinem Ort sinnvollen be dingungsanalytischen Methodenkonzeptes in eine »anthropologische« Ideologie des Menschen als eines durch die Kenntnis von Ausgangs bedingungen in seinen Reaktionen berechenbaren >>Organismus<< zu reflektieren und rückgängig zu machen, womit die Manipulierbarkeit des Menschen nicht mehr als generelle Determiniertheit durch natur haft vorgegebene >>Bedingungsgefüge<<, sondern als Symptom .einer be sonderen gesellschaftlichen Lage, die durch »Praxis<< modifiziert wer den kann und verändert werden muss, verstanden wäre. Voraussetzung einer solchen Veränderung der Psychologie wäre die Ausweitung des psychologischen Problernhorizontes auf den kon
kreten Menschen als Produkt seiner gesellschaftlichen Arbeit an einem bestimmten Ort des Geschichtsprozesses. Die grundwissenschaftlich experimentelle Psychologie hätte den Anspruch aufzugeben, dass ihre Zusammenhangsbehauptungen wie die entsprechenden B ehauptungen in den stoffbezogenen Naturwissenschaften streng »immer und über all<< gelten sollen, da mit der Realisierung eines solchen Anspruches, wie früher dargelegt wurde, die Sinnentleerung der psychologischen Forschung verbunden sein muss. Der Geltungsanspruch wäre vielmehr auf Gruppen von Menschen in jeweils bestimmter historisch-gesell schaftlicher Lage einzuschränken. Die psychologischen Forschungs befunde beziehen sich dann nicht mehr auf ein sinnleeres >>Immer-und Überall<<, sondern tragen in begrenzt generalisierenden Aussagen zu unserem Verständnis der gegenwärtigen Situation von Menschen bei, damit wir wissen können, was zur Verbesserung dieser Situation ver nünftigerweise zu tun sei. Hinsichtlich der in der Psychologie als unabhängige Variablen (Prädiktoren) definierten Dimensionen hätte dies zunächst zu bedeu ten, dass man »Stimulus<<-Dimensionen nicht mehr als Momente einer naturhaft-verdinglichten Umwelt verstehen darf, die dem Menschen »vorgegeben« ist und auf die er lediglich reagieren kann. Vielmehr wäre zu bedenken und in der Forschung zu realisieren, dass auch »Sti muli<< Ergebnisse der gesellschaftlichen Arbeit sind, in der der Mensch sich seine Welt schafft und damit auch sich selbst als Mensch immer neu konstituiert. Welcher Gewinn aus solchen Vorgehensweisen zu
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ziehen sein könnte, darüber erhält man aus der - in der Psychologie bisher nicht beachteten - von Horkheimer (o. ]., S. 254ff.) unternom menen Analyse der >>Wahrnehmung« in der bürgerlichen Gesellschaft einen Eindruck. Horkheimer weist dort auf, dass sowohl der konkrete Ablauf des Wahrnehmungsaktes wie der wahrgenommene Gegenstand, der auf die Wahrnehmungsweise zurückwirkt, als bedingt durch die Produktionsweise der bürgerlichen Gesellschaft verstanden werden kann, wobei gezeigt wird, dass durch den Umstand, dass weite Aus schnitte der »Realität«, wie wir sie jetzt vorfinden, Ergebnisse einer bestimmt gearteten Produktionsweise sind, auch die Wahrnehmung der >>unbearbeiteten« Natur modifiziert werden muss. Mit Hilfe sol cher Denkansätze könnte man den Schein, dass Stimuluskonfigurati onen nach psychologie-immanenten Gesichtspunkten vom Forscher als Ausgangsbedingungen für die Reaktionen der Versuchspersonen ins Experiment eingeführt werden, auflösen und deutlich machen, dass die faktisch eingeführten Stimuli in ihrer besonderen Eigenart als Derivate des gegenwärtigen gesellschaftlichen >>Standes« der menschlichen Pro duktion von menschlicher Umwelt verstanden werden können, womit die organismische Konzeption des auf äußerliche Reize reagierenden Individuums an dieser Stelle einer Überwindung nähergebracht wäre. Die früher geschilderte Tendenz in der Psychologie, Stimulusvariab len durch Persönlichkeitsdimensionen als zusätzliche Prädiktoren zu berücksichtigen, kann nur dann bei der Transformation zu einer neuen Psychologie in ihrem rationalen Kern bewahrt bleiben, wenn man immer mehr davon abkommt, diese Persönlichkeitsvariablen in irgendeinem Sinne als >>letzte Tatbestände« aufzufassen. Der Versuch, die zwischen menschlichen Unterschiede hinsichtlich der Persönlichkeitsvariablen nicht mehr als naturgegeben, sondern als Ergebnis unterschiedlicher Lernprozesse aufzufassen, ist ein erster Schritt in diese Richtung. Ein nächster Schritt ist die Realisierung der Forschungsfrage, von welchen historisch-gesellschaftlichen Bedingungen denn die Unter schiedlichkeit solcher Lernprozesse abhängig ist. Dabei kommt man zwangsläufig auf schicht- bzw. klassenspezifische Unterschiede der Sozialisierungsvorgänge, innerhalb derer die Lernprozesse vorfind lieh sind. Der Rekurs auf >>Schichtspezifität« hat zwar in die grund wissenschaftliche Psychologie bisher kaum Eingang gefunden, ist aber innerhalb bestimmter Bereiche der Soziologie und der soziologienahen sozialpsychologischen und pädagogisch-psychologischen Forschung heute schon recht verbreitet (Koch 1 969, Roeder 1 968, Grauer 1 968, Holzkamp 1 969 ) . Bei der Berücksichtigung schichtspezifischer Sozialisien.mgscharak teristika darf man nun keinesfalls dabei stehen bleiben, die verschie denen Merkmale der Schicht- oder Klassenzugehörigkeit lediglich als
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eine neue Art von >>unabhängigen Variablen« (etwa im Messungsniveau der Nominalskala) zu betrachten, womit das alte nornethetische For schungsschema hintenherum wieder eingeführt wäre. Es muss vielmehr - in den gedanklichen Konzeptionen der Psychologie wie in der kon kreten Forschungsarbeit - der Zusammenhang zwischen schichtspezi fischer Sozialisation und den jeweiligen »obj ektiven<< Lebens- und Ar beitsbedingungen einer »Schicht« oder »Klasse« aufgedeckt/hergestellt werden, wobei diese Lebens- und Arbeitsbedingungen wiederum im Kontext des gesellschaftlichen Gesamtprozesses in seinen jeweils kon kreten historischen Ausprägungen gesehen werden muss. Der mög liche Einwand, dass man etwa »die Ökonomie doch den Ökonomen überlassen sollte«, trägt hier nicht weit, da die Berücksichtigung von ökonomischen Bedingungen ja nicht ein Zusätzliches, der bisherigen Psychologie bloß Hinzugefügtes ist, sondern sich zwingend aus dem - von »Organismus« -Ideologien befreiten - stufenweisen Hinterfragen der Bedingungen menschlichen Verhaltens und Erlebens ergibt, wobei die Ergebnisse dieser Akte des Weiterfragens die psychologische For schung als Ganzes modifizieren müssen [und damit die Psychologie aus ihrem einzelwissenschaftlichen Sonderdasein hinaustreiben; weiter kann die Herausarbeitung der tatsächlich verhaltens- und erlebensbe stimmenden Momente an der »objektiven« ökonomisch-sozialen Struk tur der Gesellschaft und auch der Aufweis der möglichen Rückwirkung von Verhaltens- und Erlebensmomenten auf diese Struktur nur von der Psychologie geleistet werden, was natürlich Einsicht in »objektive<< ge sellschaftliche Struktureigenarten voraussetzt. Von da aus verbietet sich eine strenge Arbeitsteilung etwa zwischen »Psychologie<< einerseits und Soziologie, Ökonomie, Gesellschaftstheorie andererseits.]* In diesem Zusammenhang ist noch auf ein weiteres Problem hinzu weisen: Die Berücksichtigung schicht- oder klassenspezifischer Soziali sationseigenarten impliziert notwendigerweise Wertungen, die in For mulierungen wie »Unterprivilegiertheit<<, »disadvantagement<< usw. der »unteren<< Klassen zum Ausdruck kommen. Diese Wertungen sollen nicht etwa aus der »wissenschaftlichen« Psychologie eliminiert werden (was ohnehin nicht zu einer wissenschaftlichen Wertneutralität, son dern nur zu einer Verschleierung faktischer Wertungen führen könnte), sondern müssen auf ihre rationale Grundlage hin durchdacht werden. Dabei erweist sich, dass der Forschende hier in Gefahr ist, die Werte und Normen einer bestimmten Klasse im Zweifelsfalle die Werte und Normen der »Mittelklasse«, der der Forscher selbst angehört zum Bezugssystem für Aussagen z. B. über die sozialisationsbedingte -
".·
Anm. d. Hg.: Texterweiterung für die spätere Veröffentlichung in Gadamer und Vogler durch KH.
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»Zurückgebliebenheit« der Arbeiterklasse zu machen. Von da aus mag es dann so scheinen, als ob sozusagen »alles gewonnen« wäre, wenn es gelingt, etwa durch »kompensatorische Erziehung« oder Ähnliches, die Angehörigen der Arbeiterklasse zum >>Aufholen« der sozialisati onsbedingten >>Rückstände« zu bringen. Der - begrenzte - Sinn solcher kompensatorischen Aktivitäten bei der Bemühung um den Ausgleich bestehender Ungerechtigkeiten soll nicht angezweifelt werden. Dabei darf man j edoch nicht übersehen, dass die Unterdrückung mensch licher Möglichkeiten zwar in der Arbeiterklasse am sinnfälligsten und brutalsten in Erscheinung tritt, aber dennoch nicht nur Charakteris tikum der Unterschicht-Sozialisation, sondern - wenn auch aufgrund andersartiger Sozialisierungstechniken - Charakteristikum von Sozia lisierungsprozessen auch in den anderen Schichten ist [wobei es eine Frage des Bezugssystems ist, in welcher Schicht man die Unterdrü ckung als tatsächlich am stärksten betrachten will.r
Die »Zurückgebliebenheit<< des Menschen hinter seinen Möglich keiten ist nicht das Ergebnis von bestimmten Sozialisierungsprozessen in dieser oder jener Schicht, sondern ist das Ergebnis der Klassenstruktur der gegenwärtigen spätbürgerlichen Gesellschaft überhaupt. Demnach können differenzierende Bewertungen von Sozialisierungsprozessen inn erhalb verschiedener Schichten immer nur vorläufigen Charakter haben. In umfassenderer Sicht und unter weiter erstreckter zeitlicher Perspektive ist die gegenwärtige Klassengesellschaft generell als »zu
rückgeblieben« zu bewerten, wobei aus dieser Bewertung Folgerungen für die zukünftige gesellschaftliche Praxis abzuleiten sind. In den bisherigen Andeutungen über die Richtung einer Transfor mation der bestehenden Psychologie wurde der Akzent auf die »unab hängigen Variablen«, die >>Prädiktoren« gelegt. Ähnliche Analysen sind nun auch auf die »abhängigen Variablen«, die Kriterien, zu beziehen. Man muss sich deutlich machen, dass auch die >>Daten<<, die man als abhängige Variable im Experiment von den Versuchspersonen gewinnt, nicht einfach als >>naturgegeben<< betrachtet werden dürfen. Es hängt von der Begrifflichkeit ab, die der Experimentator in Anwendung bringt, welche Kategorien und Dimensionen er an das Verhalten der Versuchsperson anlegt, was aus dem Strom menschlicher Verhaltens und Erleheusweisen also zum >>Datum« gerinnt und zur »Auswertung« gelangt. Wenn mithin im Experiment Daten über >>Unterscheiden«, »Identifizieren<<, » Klassifizieren«, »Problernlösen<< gewonnen worden sind, wenn >>Reaktionszeiten<<, >>Entscheidungszeiten«, >>Erkennungs zeiten«, Redundanzgrade von hergestellten >>Zufallsfolgen<� ausgewer•·
d. Hg.: Texterweiterung für dieVeröffentlichung in Gadamer durch KH.
Arun.
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Vogler
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tet werden, so hat man es hier nicht mit schlichten empirischen >>Beob achtungen« zu tun, in denen sich eine irgendwie definierte »Realität« direkt niederschlägt; der Umstand, dass gerade diese und keine anderen begrifflichen Dimensionen auf menschliches Verhalten bezogen wer den, spiegelt zunächst einen bestimmten Stand sprachlicher Konventi onen innerhalb der Geschichte der Psychologie:;, wobei die Geschichte der Psychologie wiederum nicht unabhängig von dem geschichtlichen Status der Gesamtgesellschaft gesehen werden kann. [Ich habe ja schon exemplarisch auf den möglichen Zusammenhang zwischen der funk tionalistischen Revolution in der Psychologie und bestimmten Um brüchen innerhalb der modernen Industriegesellschaft hingewiesen.]" Eine umfassende gesellschaftskritische Analyse der Geschichte der Psychologie steht noch aus. [Die gesellschaftliche Vermitteltheit der Begrifflichkeit zur Erfas sung menschlichen Verhaltens im Experiment wird besonders deut lich, wenn man auf die unbefragten Wertungen, die in die vermeintlich »wertfreien« experimentellen Daten eingehen, reflektiert. Schnell rea gieren ist »besser« als langsam reagieren; sich »schnell« zu entscheiden ist besser, als sich »langsam« zu entscheiden; die »richtige« Lösung eines Problems ist »besser« als die »falsche« . Auch die Reaktionen innerhalb bestimmter »Persönlichkeitsdimensionen« unterliegen solchen unbe fragten Wertungen: »Sharpening« ist »besser« als »leveling«, »feldunab hängiges« Verhalten ist »besser« als »feldabhängiges«, »articulizing<< ist »besser<< als »globalizing<<, »niedrige Interferenzneigung<< ist >>besser<< als »hohe Interferenzneigung<<. Das allgemeine Bezugssystem solcher - in den jeweiligen Texten unschwer nachweisbaren - Wertungen ist of fensichtlich höhere oder geringere »Leistung<<. Die Gütemaßstäbe für solche Leistungsbewertungen sind dabei keineswegs aus der Psycho logie, nicht einmal aus der Wissenschaft zu gewinnen, sondern sind ein Niederschlag der Anforderungen, die in der modernen wettbewerbso rientierten Industriegesellschaft an das Individuum gestellt werden. Die einzelnen Stufen der Bewusstseinseinengung, die zur Verschleierung des genannten Zusammenhanges und schließlich zu einer ideologisch verzerrten Konzeption von der »Wertfreiheit<< psychologischer Verhal tensdimensionen führen, wären noch im Einzelnen aufzudecken. Neben dem gesellschaftlichen Leistungskonzept, das zu unreflek tierten Bewertungen des Verhaltens von Versuchspersonen führt, ist offensichtlich noch ein anderer externer gesellschaftlicher Gütemaß stab Basis für das unreflektierte Bewerten des Verhaltens von Versuchs personen und Probanden, und zwar der Maßstab der »Angepasstheit<<. •·
d. Hg.: Textel"\Veiterung für die Veröffentlichung in Gadamer & Vogler durch KH.
Anm .
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Die Auffassung, der Mensch sei ein »Faktor« innerhalb des Systems der gesellschaftlichen Arbeit und darüber hinaus inn erhalb des gesell schaftlichen Gesamtsystems, wobei er dazu gebracht werden muss, das reibungslose Funktionieren des Systems nicht zu stören, schlägt sich etwa in der arbeitspsychologischen >>Systemtheorie« nieder; hier wird von »Mensch-Maschine-Systemen« gesprochen, wobei der Mensch mehr oder weniger deutlich als der »schwächere« Teil dieses Systems erscheint; der Psychologie kommt dabei die Aufgabe zu, den mensch lichen Störfaktor durch Erzeugung von Arbeitszufriedenheit o. Ä. möglichst weitgehend zu reduzieren (Mccormick 1 964 ). Auch in der klinisch orientierten Psychologie werden U nangepasstheiten an die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse häufig als » Verhaltensstö rungen« betrachtet, die im Interesse des Funktionierens des Individu ums innerhalb des Systems beseitigt werden müssen. Auch Neurosen erscheinen hier als »Betriebsstörungen«. Die Psychologie hat in diesen Bereichen eine Art von Entstörungsfunktion übernommen. Überall, wo durch die Schwäche des menschlichen Faktors »Sand im Getriebe« ist, muss der Psychologe helfen, damit das System sich »wie geschmiert« reproduzieren kann. Die Konsequenz dieser Entwicklung ist die all mähliche Ersetzung des menschlichen Faktors durch die Maschine, womit man schließlich nur noch »Maschine-Maschine-Systeme« hätte. Der Mensch wäre damit vollends aus seiner Geschichte hinausgedrängt, er stünde gänzlich »außerhalb« einer industriellen Maschinerie, die zwar seine - von dieser Maschinerie weitgehend definierten - »Bedürf nisse« befriedigt, der er aber machtlos und fremd wie einem naturhaften Schicksal gegenübersteht. Die Frage, was dann mit dem Menschen »zu tun« sei, mag wiederum an den Psychologen gestellt werden. - Die da mit berührten Probleme überschreiten den Bereich der grundwissen schaftlich-allgemeinen Psychologie, auf den ich durch das Thema dieser Abhandlung eingeschränkt bin, und können deshalb hier nicht ausführ licher behandelt werden (Holzkamp 1 970a [hier S. 1 5 -40]).yMeine Andeutungen über die Grundlinien einer möglichen Trans formation der bestehenden in eine neue Psychologie sind aus der Ne gation der verborgenen organismischen Anthropologie und der damit verbundenen Absolutsetzung des nornethetischen Ansatzes innerhalb der gegenwärtigen psychologischen Forschung gewonnen. Das ideo logisch eingeengte Konzept der Norm-Versuchsperson als eines ge dachten Individuums, das auf ihm äußerliche Ausgangsbedingungen auf eine vorhersagbare Weise reagiert, sollte im Blick auf den Men schen als autonomesl ndividuum, das der Möglichkeit nach vernünfd. Hg.: Texterweiterung für die Veröffentlichung in Gadamer und Vog ler (1 973) durch KH.
t.· Anm.
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tiges Subjekt seiner Biographie und Geschichte ist und die Verhältnisse, unter denen es leben will, seinen Interessen gemäß selber machen kann, ausgeweitet werden. Der verabsolutierend-nomothetische Ansatz, in dem zur Verwirklichung des Anspruches der Allgemeingültigkeit wissenschaftlicher Aussagen die Geschichtlichkeit des Menschen als Störvarianz eliminiert oder kontrolliert wird, sollte im Blick auf den konkreten historischen Menschen als Subjekt u nd Produkt der gesell schaftlichen Arbeit relativiert werden. Sofern die Psychologie die angedeutete Transformation vollziehen wird - was nur geschehen kann, wenn die Psychologen eine solche Transformation wollen -, so muss das zunächst Folgen für den inner disziplinären Aufbau der Psychologie haben: Wie sich gezeigt hat, sind die traditionellen psychologischen Teildisziplinen, wie allgemeine Psy chologie, Persönlichkeitspsychologie, Entwicklungspsychologie, Sozi alpsychologie, durch die Ausweitung der psychologischen Frageweise auf Sozialisierungsvorgänge, objektive Lebens- und Arbeitsbedin gungen, gesamtgesellschaftliche Strukturmomente fragwürdig gewor den: >>Allgemeine Psychologie<< erscheint hier als eine leere Abstraktion von der individuellen »Persönlichkeit« des Menschen; >>Persönlich keitspsychologie<< im üblichen Sinne wiederum erscheint - mindestens zum Teil - als Inbegriff von >>Naturalisierungen« der durch die ge sellschaftliche Arbeit geprägten Züge des Menschen; »Entwicklungs psychologie« erscheint als eine verkürzte, wiederum naturalisierende Sichtweise auf die Sozialisation des Menschen; >>Sozialpsychologie« erscheint als das Ergebnis unangemessener Arbeitsteilung angesichts der sozial-gesellschaftlichen Bedingtheiten menschlichen Erlebens und Verhaltens überhaupt usw. Vielleicht wird man den traditionellen intradisziplinären Aufbau der Psychologie zum Zwecke von Schwer punktsetzungen innerhalb der psychologischen Forschung noch eine Zeitlang b eibehalten müssen. Allm ählich aber werden andere, immer mehr an den inhaltlichen Problemen der psychologischen Forschung orientierte, intradisziplinäre Strukturierungsmomente der Psychologie herauszuarbeiten sein. Eine der fragwürdigsten Arbeitsteiligkeiten innerhalb der beste henden Psychologie liegt in der Unterscheidung zwischen grundwis senschaftlicher und angewandter Psychologie. Die Berufung auf die >>reine<< Forschung, in der schließlich ein geschlossener Bau >>wahrer« wissenschaftlicher Aussagen errichtet werden kann, hat sich inzwischen ja sogar durch immanent-wissenschaftstheoretische Überlegungen als bloße Fiktion entlarven lassen; die Berufung auf die reine Forschung ist nichts weiter als eine Art von wissenschaftlichem Ästhetizismus des >>Klaren«, >>Geordneten«, >>Geschlossenen«, in welchem die fak tische Interessengebundenheit der Forschung verschleiert wird. Man
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wird demnach zugespitzt sagen können: Die bisher als >>grundwissen schaftlich« ausgegebene psychologische Forschung ist entweder über flüssig oder - mindestens langfristig - praxisbezogen. Der Unterschied zwischen grundwissenschaftlicher und angewandter Psychologie lässt sich also auf die Unterscheidung zwischen langfristig planender und mehr auf aktuelle Probleme bezogener praktisch-psychologischer For schung reduzieren. Wenn demnach Psychologie immer in irgendeinem Sinne >>prak tische« Psychologie sein muss, so stellt sich die Frage, was hier »Praxis« bedeuten soll. Ich habe das Problem psychologischer Praxis an anderer Stelle diskutiert (Holzkamp 1 970a [hier S. 1 5-40]). Nur soviel sei hier gesagt: Sofern man den wirklichen Menschen in konkreter historisch gesellschaftlicher Lage als Gegenstand der Psychologie betrachtet und sofern man diese konkrete Lage in den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen an der Alternative des unterdrückungsfreien vernünftigen Dialogs zwischen autonomen Individuen beurteilt (S. 46f.), so kann man psychologische Praxis nur als kritische Praxis verstehen. Psychologische Praxis wäre demnach nur insoweit zu rechtfertigen, als sie zur Verände rung menschlicher Verhältnisse in Richtung auf die Selbstbefreiung des Menschen aus seinen selbstverschuldeten Abhängigkeiten beiträgt. Bei der Reflexion über eine mögliche Transformation der bestehen den in eine neue Psychologie wird man historisch-kritische Sichtwei sen nicht nur innerhalb der Psychologie anzuwenden, sondern auch auf die Psychologie als Ganzes zu beziehen haben: Die Psychologie ist keine historische Konstante, sondern sie hat sich als Einzeldisziplin am Ende des vorigen Jahrhunderts etabliert. Warum inn erhalb des historisch-gesellschaftlichen Gesamtprozesses gerade zu dieser Zeit >>Psychologie« abgesondert wurde und was daraus über die Funktion der Psychologie in der Gesellschaft abgeleitet werden könnte, darü ber haben sich Psychologen bisher kaum Gedanken gemacht. - Da es >>Psychologie« als Einzeldisziplin nicht immer gegeben hat, drängt sich die Frage auf: Wie lange wird es >>Psychologie« in Zukunft geben oder - schärfer formuliert - wie lange muss es Psychologie in Zukunft ge ben ? Im Zusammenhang mit den Bemühungen um die Entwicklung einer kritisch-emanzipatorischen Psychologie wird sich die Psycholo gie selbst immer mit aufs Spiel setzen müssen. Nicht die Perpetuierung von >>Psychologie« um ihrer selbst willen kann unsere Aufgabe sein, sondern allein psychologische Arbeit im Dienste gesellschaftlicher Pra xis zur Schaffung humanerer, gerechterer und vernünftigerer Lebens verhältnisse. Ob dabei Psychologie als arbeitsteilige Sonderdisziplin erhalten bleibt oder letztlich in anderen Konstellationen der Theorie Praxis-Vermittlung aufgehen wird, ist jetzt noch nicht abzusehen und im Übrigen ziemlich gleichgültig.
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WISSENSCH AFTSTHEORETISCHE VORAUSSETZUNGEN KRIT ISCH-EMANZIPATORISCHER PSYCHOLOGIE
( 1 970)
1 Einleitung Die Psychologie, wie wir sie heute vorfinden, versteht sich in ihren Kernbereichen weitgehend als experimentelle Naturwissenschaft, die einen Teilbereich der »Natur«, nämlich das Verhalten von Organis men, insbesondere Menschen, mit prinzipiell den gleichen Methoden erforscht wie die anderen Naturwissenschaften und die dabei - zum mindesten der Möglichkeit nach - genauso >>erfolgreich« ist. Ein ober flächlicher Blick auf den historischen Zustand der gegenwärtigen Psy chologie mag diese Sichtweise bestätigen. Es scheint, als habe die expe rimentell-psychologische Forschung in den letzten Jahrzehnten einen »gewaltigen Aufschwung« genommen: Schon jetzt werden j ährlich weit über 10 000 psychologische Experimente mit immer verfeinerten Methoden des Designs, der elektronischen Datengewinnung und -aus wertung, der inferenzstatistischen Urteilsfindung usw. durchgeführt, wobei diese Tendenz sich offensichtlich noch fortsetzen wird. Man mag dies alles als >>Fortschritt« werten, woraus dann verständlich wäre, dass heute viele deutsche Psychologen, sofern sie in der Forschung tätig sind, ihre Aufgabe darin sehen, den >>internationalen Standard« der vorgefundenen experimentellen Psychologie zu erreichen und zu halten. Wie ich schon an anderer Stelle ( 1 970b [S. 1 5 -40 in diesem Buch]) ausführlicher aufzuweisen versuchte, ist aber noch eine andere Sicht weise auf die moderne Psychologie möglich. Wenn man den Blick nicht auf die psychologischen Methoden, sondern auf die Forschungsin halte der experimentellen Psychologie richtet, so mag die Psychologie in weiten Bereichen als eine ungeheure Anhäufung von partialisier ten Einzelbefunden, kurzlebigen, historisch zufälligen >>modischen« Trends (etwa vormals >>social perception«, dann >>detection theory<<, »probability learning<<, gegenwärtig >>short term memory« etc.) erschei nen, wobei die Fragestellungen unter umfassenderen Gesichtspunkten als mehr oder weniger belanglos und trivial betrachtet werden könnten. Das Streben der deutschen Psychologen, die internationalen Standards
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der experimentellen Psychologie zu erfüllen, erschiene unter diesem Aspekt mehr als das Bemühen, den internationalen Stand der psycholo gischen Trivialitätenproduktion zu erreichen. Auch die Berechtigung dieser zweiten Sichtweise mag zurückge wiesen werden, etwa mit dem Argument, es sei zunächst näher zu bestimmen, was denn wissenschaftliche »Belanglosigkeiten<< und >>Tri vialitäten<< seien, ehe entschieden werden könne, ob eine Charakteri sierung experimentell-psychologischer Fragestellungen als »belanglos« oder »trivial<< zutreffend ist oder nicht. Diese Argumentation wäre jedoch sehr kennzeichnend für das Selbstverständnis der modernen psychologischen Forschung: Man hält es innerhalb der experimen tell-psychologischen Forschung gegenwärtig kaum für nötig, fundiert und selbstkritisch den positiven Nachweis der inhaltlichen Relevanz der Fragestellung jeweils eigener Experimente zu versuchen, man sieht nicht, dass die »Beweislast<< beim Experimentator liegen muss (nicht bei einem eventuellen Kritiker) und dass der Hinweis auf rational nicht in ihrer Relevanz ausgewiesene »Einfälle<<, mögen sie diesem oder je nem auch als noch so »interessant<< erscheinen, oder gar das traditio nalistische >>Anknüpfen<< an vorgängige Experimente hier keineswegs genügen können. - Ich halte es für weniger wesentlich, in welchem Maße der Vorwurf der Trivialität gegenwärtiger experimentell-psy chologischer Forschung im Einzelnen stets begründet sein mag oder nicht: Entscheidend und unbezweifelbar ist meiner Auffassung nach der Umstand, dass der Nachweis der inhaltlichen Relevanz psycho logischer Fragestellungen heute kaum zu den Normen gehört, die die Einschätzung des Wertes psychologischer Experimente (und damit etwa auch der Berechtigung ihrer Publikation) in wesentlichem Maße bestimmen. Dementsprechend sind in der modernen Psychologie bis her kaum Denkmittel erarbeitet worden, mit denen man auf begrün dete und sinnvolle Weise das Problem der inhaltlichen Relevanz psy chologischer Forschung behandeln könnte. Die mangelnde Reflexion über Kriterien für die Relevanz psycholo gischer Forschungsinhalte und damit auch über die Interessen, denen psychologische Forschung dienen mag, bedeutet nun keineswegs, dass die Auswahl der inhaltlichen Forschungsziele der Psychologie auch >>objektiv<< mehr oder weniger zufällig erfolgen müsste. Der Verdacht liegt vielmehr nahe, dass die Psychologie, die ja tatsächlich quantita tiv sich immer mehr ausweitet und mindestens für Teilbereiche der Gesellschaft zunehmend an Bedeutung gewinnt, in ihren inhaltlichen Forschungsintentionen faktisch mehr oder weniger eindeutig den In teressen bestimmter Gruppen in der Gesellschaft dient, obwohl, oder vielleicht gerade, weil sie sich offiziell darüber keine Rechenschaft gibt. So muss man denn auch damit rechnen, dass psychologische Forschung
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objektiv die Interessen solcher Kräfte in der Gesellschaft unterstützt, die der Schaffung gerechterer, humanerer und vernünftigerer mensch licher Lebensverhältnisse entgegenwirken. - Die Identifizierung von Wissenschaftlichkeit mit einer bestimmten Art Methodologie und die Ausklammerung der Frage nach Forschungsinhalten und Forschungs interessen aus der ,,Wissenschaft« ist mithin inn�rhalb der Psychologie nicht nur Ausdruck reduzierter Rationalität wissenschaftlicher For schung, sondern macht - gerade wegen der vorgeblichen Politik-Abs tinenz der »Wissenschaft<< - die Psychologie wehrlos gegen den poli tischen Missbrauch ihrer Denkansätze und Forschungsresultate. Sofern man diesen Überlegungen folgt, wird man auch die Dring lichkeit der Frage anerkennen müssen, warum es in der modernen Psy chologie zu einer so schwerwiegenden Vernachlässigung wissenschaft lich-rationaler Diskussion der Relevanz von Forschungsinhalten und der Vertretbarkeit von Forschungsinteressen gekommen ist. Weiter wäre zu fragen, wie diese Situation zu ändern sein könnte. B ei dem Versuch einer Klärung dieser Fragen kann man sicherlich sehr verschiedene Charakteristika der bestehenden Psychologie the matisieren und auch innerhalb sehr unterschiedlicher Allgemeinheits stufen ansetzen. Man muss sich allerdings in jedem Falle darüber klar sein, dass es mit einer undialektischen Negation der herrschenden Psy chologie dabei niemals getan sein kann. Möge man noch so sehr die - vielleicht sogar begründete - Absicht haben, die bestehende Psycho logie »abzuschaffen«, zu >>zerschlagen« : Die Psychologie (da sie z. B . keine Kaffeekanne ist) wird natürlich trotzdem als historisches Fak tum fortbestehen und u. U. in immer höherem Grade effektiv werden im Dienste solcher politischen Kräfte, die menschliche Emanzipations bestrebungen behindern. Genauso wenig sinnvoll ist, der bestehen den Psychologie unter Ausklammerung ihres konkreten historischen Zustands einfach irgendwelche Gegenprogramme einer politischen, emanzipatorischen, kritischen, sozialistischen etc. Psychologie entge genzustellen: Bei auf diese Weise unhistarisch konzipierten Gegen programmen kommt man zwangsläufig über deklamatorische Appelle, Leerformeln und irrationale Dogmatismen kaum hinaus; derartige Programme haben nämlich nichts in der historischen Realität, auf das sie sich eindeutig beziehen ließen, und können kaum schlüssig machen, warum sie gerade so und nicht anders beschaffen sind. - Wenn die Transformation der bestehenden Psychologie in eine kritisch-emanzi patorische Psychologie der Möglichkeit nach erreichbar sein soll, so muss die herrschende Psychologie als historisches Faktum voll reali siert und in dialektischer Negation »aufgehoben«, d. h. sowohl kritisch unterlaufen als in ihrem rationalen Kern bewahrt werden, wobei der Akt der Aneignung des historischen Faktums Psychologie und der Akt
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des kritischen Unterlaufens dieses vermeintlich »undurchdringlichen Faktums<< miteinander identisch sein müssten. (Als Paradigma für ein solches Vorgehen kann immer noch die Aneignung und das durch die Weise der Aneignung notwendig mitvollzogene kritische Unterlaufen der damaligen Nationalökonomie durch die marxsche Kritik der Poli tischen Ökonomie genommen werden, wenn man sich dabei auch der Gefahr voreiliger Übertragungen bewusst sein muss; vgl. dazu etwa die besonders komprimierte marxsche Einleitung zur Kritik der Po litischen Ökonomie (Marx 1 969 [MEW 1 3]). Nur auf einem solchen Wege können progressive Psychologen zum Subjekt der Geschichte ihres Faches werden und - potentiell - die Geschichte der Psychologie (j enseits des blinden Vor-sich-hin-Laufens und naturwüchsigen Aus wucherns des bestehenden psychologischen Forschungsbetriebes) im Dienste der humaneren und vernünftigeren Gestaltung menschlicher Lebensverhältnisse »selber machen«. In dieser Abhandlung soll die These expliziert und stringent ge macht werden, dass einer der wesentlichen Gründe - wenn auch nicht der »letzte« Grund - für die Vernachlässigung, um nicht zu sagen, pro grammatische Ausklammerung der Reflexion über die Relevanz von Forschungsinhalten und die Eigenart von Forschungsinteressen in der modernen grundwissenschaftlichen Psychologie in bestimmten wis senschaftstheoretischen Sichtweisen der psychologisch Forschenden auf ihr eigenes Tun liegt. Ich gehe dabei davon aus, dass »Wissen schaftstheorie<< der konkreten wissenschaftlichen Forschung nicht vorhergeht, sondern nachfolgt, dass Wissenschaftstheorie - sei sie nun als autonomes Fach obj ektiviert oder diene sie nur der Selbstverständi gung des einzelnen Forschers - die Funktion hat, faktisch vollzogene wissenschaftliche Forschung unter prinzipielleren Gesichtspunkten in ihrer Eigenart zu erhellen und zu rechtfertigen. Dies schließt natürlich nicht aus, dass Wissenschaftstheorie neben dieser >>Ex-post<<-Funktion auch eine prospektive, für zukünftige wissenschaftliche Arbeit weg weisende Funktion haben kann. Wissenschaftstheoretische Interpretationen können nun natür lich ihren Gegenstand, faktisches wissenschaftliches Tun in einer be stimmten historischen Ausprägungsform, in verschiedenem Maße in seiner Eigenart durchsichtig machen oder verschleiern. Auch der wis senschaftlich Forschende selbst kann sich in der wissenschaftstheore tischen Interpretation in mehr oder weniger hohem Grade über die Eigenart seines eigenen wissenschaftlichen Tuns täuschen, wobei der »Erfolg<< in der einzelwissenschaftlichen Arbeit keinesfalls eine Garan tie dafür darstellt, dass solche Täuschungen nicht vorliegen. Ich bin nun der Auffassung, dass die Vernachlässigung der Refle xion über Forschungsinhalte und Forschungsinteressen in der Psycho·
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logie u. a. durch eine wissenschaftstheoretische Fehlinterpretation der Eigenart psychologischer Forschung bedingt ist: Die Forschenden in der modernen Psychologie haben m. E. eine illusionäre, verschleiernde Sichtweise auf den Charakter, die Möglichkeiten und den Sinn der ei genen Forschungsarbeit, sie missdeuten - zum mindesten partiell - ihr eigenes Tun, wobei aufgrund dieser Missdeutung die kritische Frage nach der Relevanz von Forschungsinhalten und der Vertretbarkeit von Interessen, denen die Forschung dient - wo sie überhaupt ins Bewusst sein tritt - als überflüssig erscheinen muss. Im Folgenden soll diese wissenschaftstheoretische Fehlinterpreta tion - durch die die Notwendigkeit der Thematisierung von Relevanz und Interessenfragen verschleiert wird - in historisch-kritischem Ver fahren schrittweise aufgehoben werden. Es ist der Nachweis zu führen, dass, je unverzerrter und unverschleierter die Eigenart der psycho logischen Forschung - wie naturwissenschaftlicher Forschung über haupt - wissenschaftstheoretisch reflektiert wird, umso stringenter die Absurdität einer empirischen Wissenschaft zutage tritt, die den Nach weis der Relevanz ihrer Forschungsinhalte und der Vertretbarkeit ih rer faktischen Forschungsinteressen nicht zu ihren eigenen Aufgaben zählt. Damit soll auch gezeigt werden, dass eine lediglich formal-me thodologisch orientierte Wissenschaftslogik sich um so mehr selbst ad absurdum führt, je angemessener und präziser sie ihren Gegenstand, die gegenwärtige naturwissenschaftliche - in unserem Falle psycholo gische - Forschung reflektiert. In der nun anzusetzenden kritischen Analyse sollen folgende wis senschaftstheoretische Konzeptionen behandelt werden: naiver Em pirismus, logischer Empirismus, Falsifikationtheorie (Popper), Kons truktivismus (Holzkamp ). All diese verschiedenen Konzeptionen stellen unterschiedliche Interpretationen des gleichen historischen Faktums, des gegenwärtigen naturwissenschaftlichen Wissenschafts betriebes und damit auch der »naturwissenschaftlichen« Psychologie dar. Die Stufenfolge repräsentiert - cum grano salis - auch eine his torische Abfolge, wobei dieser Gesichtspunkt hier allerdings weniger wesentlich ist. Das Ziel der folgenden Überlegungen ist dann erreicht, wenn gezeigt werden konnte, dass die vier verschiedenen Konzepti onen die Eigenart des modernen Wissenschaftsbetriebes zunehmend präziser und unverschleierter charakterisieren, gerade deswegen aber die Unsinni gkeit einer von Forschungsinhalten und Forschungsin teressen absehenden, ausschließlich formal-methodologischen Wis senschaftsauffassung immer deutlicher zutage treten lassen, also quasi zunehmend sich selbst aufheben, indem sie ihren eigenen Widerspruch aus sich heraustreiben: eine dialektisch-kritische Wissenschaftsauffas sung, die Wissenschaft als Moment einer jeweils konkreten Verfassung
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historisch-gesellschaftlicher Verhältnisse begreift, die Frage nach dem >>Wozu« wissenschaftlicher Forschung aus dem Kontext dieser gesell schaftlichen Verhältnisse reflektiert und so offenbar macht, dass Wis senschaft immer - ob sie sich das nun eingesteht oder nicht - im Dienst politischer Kräfte steht und sich zu entscheiden hat, welchen Kräften sie dienen und welchen sie sich verweigern will. 2 Der Rückzug der modernen Wissenschaftslehre
2 . 1 Naiver Empirismus
Das, was hier >>naiver Empirismus« genannt werden soll, hat seine historischen Wurzeln etwa im englischen Sensualismus, bei J ohn St. Mill und bei manchen frühen Positivisten. Der naive Empirismus ist als Inbegriff des wissenschaftstheoretischen Selbstverständnisses der modernen Naturwissenschaft, also auch der modernen Psychologie, gemeint, sofern dabei der Stand der Reflexion in der modernen fach philosophischen Wissenschaftstheorie nicht oder nur wenig Berück sichtigung fand. Meiner Auffassung nach ist der naive Empirismus für die wissenschaftstheoretische Sichtweise der allermeisten experimen tell arbeitenden Psychologen kennzeichnend. Die Sicht des naiven Empirismus auf empirisch-wissenschaftliches Forschen lässt sich global etwa folgendermaßen kennzeichnen: Em pirische Wissenschaft ist eine Institution zur Gewinnung von wahren Erkenntnissen über die Natur. Basis für diesen Erkenntnisgewinn sind Beobachtung und Experiment. Der Prozess wissenschaftlichen For schens beginnt mit dem Sammeln von Daten aus Beobachtung und Experiment. Von solchen Daten aus kommt man dann auf induktivem Wege per Generalisierung, Abstraktion, Idealisierung o. Ä. im günsti gen Falle zur Entdeckung von Naturgesetzen, wobei Naturgesetze als etwas in der Natur Gegebenes angesehen werden, das der Forscher nur zu finden hat. Der wissenschaftlich Forschende ist mithin bei seiner Arbeit weitgehend von der Erfahrung geleitet, er ist selbst nur passiver Registrator. In diesem Zusammenhang finden sich dann oft bildliehe Wendungen wie: der Forscher tue einen Blick in die Werkstatt der Na tur, er lausche der Natur ihre Geheimnisse ab etc. Es ist wohl unmittelbar einsichtig, dass in dieser Konzeption des naiven Empirismus für eine Reflexion über die Relevanz von For schungsinhalten kein Platz ist. Die »Natur<< in ihren vers�hiedenen Teilbereichen wird ja hier als ein ontisch gegebener, geordneter Kos mos von » Gesetzen<< verstanden, wobei der Forscher die Aufgabe hat, diesen Kosmos an irgendeiner Stelle aufzudecken und in fonschrei-
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tender wissenschaftlicher Arbeit einen immer umfassenderen Blick auf die Struktur der Naturgesetze zu ermöglichen, wobei die Natur ihre Gesetze nur preisgibt, wenn man die methodelogischen Regeln exakter experimenteller Forschung möglichst streng einhält. So gesehen kann es - bei Beachtung der methodologischen Regeln - gar keine inhaltlich irrelevanten wissenschaftlichen Fragestellungen ,geben. Jedes beliebige Teilproblem, und sei es noch so unscheinbar, ist ein Mosaiksteinchen, das unser Wissen über die Gesetzlichkeit der Natur bereichert und das seinen Stellenwert bei der allmählichen Ergrundung des gesetzmäßigen Aufbaus der Natur hat. Auch die Frage nach den Interessen, denen Forschung dienen kann, beantwortet sich in der Sicht des naiven Empirismus quasi von selbst: Das einzig legitime Interesse wissenschaftlicher Forschung ist der Gewinn von Erkenntnissen über die Natur. Der Forscher hat seinem Gegenstand, der Natur, gegenüber eine Haltung »objektiver Neugier« einzunehmen. Sofern er wissenschaftliche Forschung aus anderen als >>wissenschaftlichen« Interessen, etwa gar politischer Motivation, her aus betreibt, ist er kein >>echter« Wissenschaftler; seine Resultate sind durch außerwissenschaftliche Einflüsse verfälscht und verdienen es nicht, von seriösen Wissenschaftlern beachtet zu werden. 2.2 Logischer Empirismus
So sehr der damit charakterisierte naive Empirismus m. E. das wissen schaftliche Selbstverständnis der meisten modernen empirischen For scher, auch der experimentell arbeitenden Psychologen, prägt: Diese Konzeption wird heute in der fachphilosophischen Wissenschaftstheo rie von niemandem mehr vertreten. Schwerwiegende Einwände gegen diese Konzeption wurden bereits von vielen in der kritizistischen Tra dition stehenden Wissenschaftstheoretikern erhoben, etwa von Natorp, Cassirer, Max Hartmann. Der entscheidende Bruch mit der naiv-empi ristischen Auffassung wurde indessen von den Wissenschaftstheoreti kern vollzogen, deren Lehren man mit dem Sammelnamen »logischer Empirismus« kennzeichnen kann, so von den Angehörigen des Wiener Kreises, etwa Schlick, Carnap, Neurath, von Reichenbach, von den Angehörigen des Minneseta-Kreises wie Feigl, Brodbeck u. a. Im logischen Empirismus wird die Lehre vom genetischen Primat der Erfahrung aufgegeben und damit auch das millsche Konzept der Induktion als eines Prinzips der Erkenntnisgenese verlassen. Man kam zu der Einsicht, dass Wissenschaft niemals mit der Erfahrung begin nen kann, da man immer schon Selektionsprinzipien, d. h. theoretische Konzeptionen, haben muss, ehe man wissen kann, was unter allem grundsätzlich Beobachtbaren man tatsächlich beobachten will. Die
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Natur könne einem nicht sagen, was man an ihr beobachten soll, son dern der Forscher selbst müsse vorgängig wissen, was er beobachten will. Deswegen müsse auch der Prozess des induktiven Verallgemei nerns von der Erfahrung aus als logisch unmöglich angesehen werden. - Naturgesetze können nach Auffassung des logischen Empirismus nichts in der Natur Vorfindliebes sein, da Natur stets in raumzeitlicher Besonderung vorliegt, also nur in singulären Urteilen, Jetzt-und-hier Aussagen, beschreibbar ist, während Naturgesetze per de:finitionem Allgemeingültigkeit beanspruchen. Naturgesetze stammen demnach vom Forscher, sie sind Annahmen über die Natur, aber keine Natur gegebenheiten. Wissenschaft ist in der Sicht des logischen Empirismus ein System von Sätzen, die im Verhältnis von Begriffspyramiden oder axioma tischen Systemen zueinander stehen und nach dem Prinzip der Wider spruchsfreiheit aufgebaut sein müssen. Die Sphäre des Sprachlichen im weitesten Sinne wurde dabei häufig - im Anschluss an Wirtgensteins ( 1 960) logisch-philosophischen Traktat - als prinzipiell nicht transzen dierbar betrachtet: Wissenschaft besteht aus Sätzen und nur aus Sätzen. Aus dieser Festlegung entstanden dem logischen Empirismus beträcht liche Schwierigkeiten bei der Klärung der Frage, auf welche Weise die wissenschaftlichen Sprachsysteme denn in der Realität verankert sein könnten. In der berühmten Protokollsatz-Diskussion des Wiener Kreises, an der unter anderem Carnap (1 932a, b), Neurath (1 932), Zil sel (1 932) teilnahmen, versuchte man, diese Schwierigkeiten zu bewäl tigen. Protokollsätze sollen solche Sätze sein, die sich unmittelbar auf Beobachtungsdaten beziehen. Auf welche Weise Protokollsätze von beliebigen anderen Sätzen unterschieden werden können, darüber kam man allerdings kaum zu befriedigenden Feststellungen. Im Zusammenhang mit der Protokollsatz-Lehre wurde dann das bekannte rigorose Sinnkriterium des logischen Empirismus entwickelt: Sinnvoll sind demnach nur solche Sätze, die entweder selbst Protokoll sätze sind oder aus denen sich Protokollsätze eindeutig herleiten lassen. Alle wissenschaftlichen Probleme, aus denen sich keine Protokollsätze ableiten lassen, sind in Wirklichkeit Scheinprobleme. Dieses empiris tische Sinnkriterium wurde in der Folgezeit in verschiedener Weise modifiziert und abgemildert. Eine für die psychologische Forschung besonders relevante Version eines solchen Sinnkriteriums :findet sich im Operationismus, wie er von Bridgman (z. B. 1 927, 1 936, 1 959) in auguriert wurde. Der Prozess der wissenschaftlichen Forschung - und damit im Zu sammenhang die Kriterien für die Geltung wissenschaftlicher Sätze stellt sich für den logischen Empirismus wesentlich anders dar als für den naiven Empirismus: Wissenschaft hat notwendigerweise stets die
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Form von Satzsystemen, wobei diese Satzsysteme Präzisierungen und Modifikationen von alltagssprachlichen Systemen darstellen. Durch logische Umformung werden aus diesen Satzsystemen empirische Hypothesen hergeleitet. Die empirischen Hypothesen sind Allgemein aussagen geringsten Generalisierungsgrades innerhalb eines Sprach systems. Diese Hypothesen müssen die Bedingung erfüllen, dass aus ihnen Protokollsätze o. Ä. hergeleitet werden können oder - in der genannten neueren Version - dass sie operationalisierbar sind. Die Hy pothesen müssen nun verifiziert werden. Ob bzw. in welchem Maße eine solche Verifikation vorliegt, hängt davon ab, wieweit die aus den Hypothesen hergeleiteten Vorhersagen eintreffen, wieweit also die ge wonnenen Beobachtungsdaten mit den Bestimmungen der Hypothe sen in Einklang stehen. Zur Präzisierung und Formalisierung des Verfahrens der Verifika tion von Hypothesen wurde nun auch im logischen Empirismus das Prinzip der Induktion herangezogen. Allerdings wurde dieses Prinzip jetzt wesentlich anders charakterisiert. Induktion bedeutet hier nicht mehr ein genetisches Verfahren zur generalisierenden Gewinnung von Naturgesetzen aus der Erfahrung, Induktion ist ausschließlich ein Prinzip der Geltungsbegründung von Allgemeinaussagen. Induktion bedeutet in diesem Zusammenhang die Begründung des Geltungsan spruchs von hypothetischen Vorhersagen aufgrund früher gewonnener Beobachtungsdaten: je mehr eine Hypothese sich in der Vergangen heit empirisch bestätigt hat, umso größer ist dieser Konzeption nach ihr Vorhersagewert (vgl. dazu etwa Kraft 1 95 0 und Ayer 1 956 ). Dabei wurde festgestellt, dass man mit diesem induktiven Verfahren nicht zu absolut zwingenden Vorhersagen, sondern nur zu Wahrscheinlich keitsaussagen kommen kann. Die Konsequenz war, dass man das In duktionsverfahren mit Hilfe wahrscheinlichkeitstheoretischer Ansätze zu formalisieren trachtete. Besonders bekannt geworden ist der Ver such von Reichenbach ( 1 938), das auf Ereignisfolgen bezogene Kon zept der mathematischen Wahrscheinlichkeit auf wissenschaftssprach liche Satzfolgen anzuwenden, und der Versuch von Carnap ( 1 945, 1 950), den mathematischen Wahrscheinlichkeitsbegriff durch einen lo gischen Wahrscheinlichkeitsbegriff zu ersetzen und den Bestätigungs grad, den >>degree of confirmation«, einer Hypothese nach dem Grad der logischen Nähe zwischen Hypothese und Beobachtungsdatum zu bestimmen. Mit dem logischen Empirismus, der hier natürlich nur äußerst grob charakterisiert werden konnte, ist der Anspruch an die Möglichkeiten und die Dignität wissenschaftlicher Erkenntnis im Vergleich zum naiven Empirismus entscheidend herabgesetzt. Man hat eingesehen, dass man die Behauptung kaum begründen könnte, dass der Wissenschaftler der
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Natur ihre Gesetze ablauschen kann und damit Wahrheiten gefunden hat. Der Wissenschaftler erscheint in der Sicht des logischen Empiris mus - bildlich gesprochen - in einem Käfig von Satzsystemen gefangen, wobei es ihm nur schwer gelingt, aus diesem Käfig heraus Kontakt mit der Realität zu gewinnen. Das Ergebnis dieser Sichtweise war, dass man den Versuch, die Realgeltung von Aussagen zu begründen, in neuerer Zeit immer mehr vernachlässigte und sich stattdessen damit begnügte, möglichst präzise Umformungsregeln für die tautologische Transfor mation von Sätzen in andere Sätze zu entwickeln. Daraus erklärt sich auch der Hang des modernen logischen Empirismus zur Logistik. Die Problematik einer Wissenschaftstheorie, die sich darauf be schränkt, methodologische Reflexionen anzustellen und auf die Refle xion von Forschungsinhalten und Forschungsinteressen verzichtet, tritt am logischen Empirismus schon erheblich deutlicher zutage als am. na iven Empirismus mit seiner unbegründbaren Auffassung, Wissenschaft wachse unmittelbar aus der Erfahrung hervor und ermögliche das Fin den von ontisch verankerten Wahrheiten über die Natur. Wie aus der Lehre des logischen Empirismus sich eindeutig ableiten lässt, sind in der Wissenschaft im Prinzip beliebig viele in sich widerspruchsfreie Satzsysteme konstruierbar und empirisch überprüfbar. Die im naiven Empirismus gemachte Annahme vom »Zwang der Empirie«, der den Forscher zur Aufstellung ganz bestimmter Satzsysteme bringt, musste hier aufgegeben werden. Regeln dafür, welche unter allen möglichen, widerspruchsfrei nach den Prinzipien der Logik konzipierten Satzsys temen vor anderen zu bevorzugen seien, lassen sich aus der Konzeption des logischen Empirismus kaum eindeutig herleiten. Demnach bliebe dem Forscher hier ein breiter Spielraum der Willkür im Formulieren von Satzsystemen, und die wissenschaftlichen Aktivitäten wären dem nach, wenn man nur die angebotenen Verfahrensvorschriften berück sichtigt, in wesentlichen Bereichen der rationalen Kontrolle entzogen. Die genannte Problematik, die dazu führen müsste, die Unsinnig keit einer bloß formalen, methodenbezogenen Wissenschaftslehre of fen zu legen, wird im logischen Empirismus allerdings noch durch die Konzeption der »Verifikation von Hypothesen« in gewissem Maße zugedeckt. Insoweit sich ein wissenschaftliches Satzsystem auf verifi zierte Hypothesen stützen könnte, wäre es somit in irgendeinem Sinne »wahr«, d. h. ontisch verankert. Damit hätte man hier - wenn auch in eingeschränktem Maße - noch die Möglichkeit, Erkenntnis- oder Wahrheitsgewinn als das genuine Interesse wissenschaftlichen Han deins hinzustellen, und die Behauptung von der Willkür der Auswahl der Forschungsinhalte könnte unter Berufung auf die »wissenschaft liche Wahrheit«, die die Willkür eindämme, zum mindesten einge klammert werden.
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2.3 Falsifikationtheorie (Popper) Nun ist es aber gerade das im logischen Empirismus vertretene Ver fahren der »Verifikation von Hypothesen«, das sich im Folgenden als logisch unhaltbar erwies. Es war besonders Popper (1 966), der das Ve rifikationskonzept in bis heute nicht widerlegter Weise kritisierte und diesem Konzept einen anderen Ansatz gegenüberstellte. Wie schon gesagt, basiert die Konzeption der Verifikation von Hy pothesen auf dem Induktionsprinzip, das im logischen Empirismus nicht mehr - wie im naiven Empirismus - als genetisches Prinzip, sondern als Prinzip der Geltungsbegründung von Allgemeinaussa gen verstanden wird. Es kann nun nachgewiesen werden - und die ser Nachweis wurde, jeweils in anderen Zusammenhängen, nicht nur von Popper, sondern etwa auch von Dingler (193 1 ), von May (etwa 1 949), von Holzkamp ( 1 968) u. a. geführt -, dass das Induktionsprinzip auch in seiner Geltungsversion logisch nicht haltbar ist. Es lassen sich schlechterdings keine Gründe dafür angeben, warum sich der Vorher sagewert einer Hypothese in dem Maße erhöhen soll, in dem sich die Hypothese in der Vergangenheit empirisch bestätigt hat. Alle Versuche, solche Gründe zu finden, können als Zirkel-Argumentationen entlarvt werden, in denen das zu Begründende, nämlich das Induktionsprinzip, verschleiert schon vorausgesetzt werden muss. Auch das Bemühen, das Induktionsprinzip durch irgendwie geartete »Wahrscheinlichkeits« Überlegungen zu retten, erweisen sich als erfolglos, wie Popper und andere gezeigt haben. Ich kann die Argumente gegen das Induktions prinzip in seiner Geltungsversion hier nicht im Einzelnen ausführen (vgl. dazu etwa Holzkamp 1 968, S. 71ff. [2006a, S. 84ff]). Aufgrund der Kritik am Induktionsprinzip in seiner Geltungsver sion, das dem Verfahren der >>Verifikation von Hypothesen« zugrunde liegt, kommt Popper zu einer radikalen Zurückweisung des Anspruchs von Wissenschaft, »Erkenntnisse« oder Wahrheiten liefern zu kön nen. Seine Auffassung kulminiert in dem Satz: »Unsere Wissenschaft ist kein Wissen . . . : weder Wahrheit noch Wahrscheinlichkeit kann sie erreichen« (Popper 1 966, S. 228). Sofern man diese Auffassung akzep tiert - und man wird sie akzeptieren müssen - ist dem wissenschaftlich Forschenden jede Möglichkeit genommen, sein Forschungsinteresse als genuines wissenschaftliches Erkenntnis- oder Wahrheitsinteresse zu bestimmen und die Frage nach den Forschungsinhalten unter Beru fung auf >>wissenschaftliche Wahrheit« abzuschneiden. Popper setzt nun dem von ihm zurückgewiesenen Konzept der »Ve rifikation von Hypothesen« ein anderes Konzept entgegen, das man »Falsifikationskonzept« nennen könnte. Auch dieses Konzept soll hier kurz dargestellt werden (vgl. Popper 1966, S. 14ff.).
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Popper argumentiert im Wesentlichen mit den Mitteln der klas sischen Logik. Wissenschaft ist für ihn, und in diesem Punkt steht er in Einklang mit den Ansätzen des logischen Empirismus, ein System von Sätzen verschiedenen Allgemeinheitsgrades, wobei die Beziehung zu einer - irgendwie definierten - Realität durch die singulären Sätze, die sich allein direkt auf reale Verhältnisse beziehen können, hergestellt ist. Diese singulären Sätze innerhalb eines wissenschaftlichen Systems nennt er »Basissätze«. Wenn man festsetzt, ein Basissatz sei »wahr«: Kann daraus der lo gisch begründete Schluss gezogen werden, dass auch das übergeordnete Satzsystem, sofern der Basissatz logisch aus ihm folgt, auf irgendeine Weise verifiziert sei? Dieser Schluss ist unzulässig, da aufgrund der Wahrheit von besonderen Sätzen niemals etwas über die Wahrheit von allgemeinen Sätzen, aus denen der besondere Satz hergeleitet ist, aus gesagt werden kann. Um ein Beispiel aus der Klassenlogik zu bringen: Aus dem besonderen Satz »Dieser Schwan ist weiß<< können niemals Sätze wie: »Alle Schwäne sind weiß<< oder >>Einige Schwäne sind weiß« oder - in Wahrscheinlichkeitskonzepten ausgedrückt - die abhängige Wahrscheinlichkeit, dass weitere Schwäne weiß sind, ist größer als die Marginalwahrscheinlichkeit, logisch zwingend hergeleitet werden. Das bedeutet, dass mit der Verifikation von singulären Urteilen schlech terdings nichts über den Verifiziertheitsgrad von allgemeinen Sätzen gesagt ist, wobei die Formulierung dieser allgemeinen Sätze als Wahr scheinlichkeitsaussagen nichts an diesem Umstand ändert. Anders ist die Problemlage, wenn es nicht um die Verifizierung, son dern um die Falsifizierung der Allgemeinaussagen geht. Allgemeinaus sagen können zwar nicht aus besonderen Sätzen hergeleitet werden, können aber mit besonderen Sätzen in Widerspruch stehen. Durch rein logische Schlüsse (mit Hilfe des so genannten >>modus tollens« der klassischen Logik) kann man mithin von besonderen Sätzen, sofern sie >>wahr<< sind, auf die Falschheit von allgemeinen Sätzen schließen. Voraus gesetzt ist dabei, dass die allgemeinen Sätze als unbeschränkte All-Aus sagen formuliert sind, d. h. dass sie hinsichtlich ihres Geltungsanspruchs keine >>Ausnahmen« zulassen. Nehmen wir an, eine Allgemeinaussage lautet: Alle Schwäne sind weiß. Sofern der Basissatz: >>Dieser Schwan ist schwarz« als >>wahr« betrachtet werden kann, ist damit zwingend die übergeordnete Allgemeinaussage als »falsifiziert<< anzusehen. Von dieser Annahme einer »Asymmetrie zwischen Verifikation und Falsifikation<< kommt Popper nun zu genaueren Angaben darüber, wie empirisch-wissenschaftliche Theorien formuliert sein müssen, damit sie möglichst weitgehend falsifiziert werden können, und entwickelt eine Wertrangordnung von theoretischen Annahmen nach ihrem Fal sifizierbarkeitsgrad.
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Poppers Falsifikationskonzeption gründet sich auf die Möglichkeit, Kriterien für die Wahrheit von Basissätzen anzugeben. Nur unter der Voraussetzung, dass man Basissätze, die mit den übergeordneten Allge meinaussagen in Widerspruch stehen, als >>wahr« betrachten kann, ist die Annahme der Falsifikation der Allgemeinaussage begründet. Pop per ( 1 966, bes. S. 60ff.) diskutiert deshalb eingehend das Problem der Geltung von Basissätzen, die bei ihm die Stelle der >>Protokollsätze<< der Wiener Schule einnehmen. Seiner Auffassung nach kann man über die Geltung von Basissätzen keine endgültigen, sondern immer nur vorläufige Aussagen machen. Das Verfahren, zu vorläufigen Festset zungen darüber, dass ein Basissatz gelten soll, zu kommen, ist - im Groben - folgendermaßen zu kennzeichnen: Ein Basissatz gilt dann als - vorläufig - akzeptiert, wenn, bei Beachtung der methodologischen Spielregeln einer Wissenschaft, über die »Anerkennung oder Verwer fung unter den verschiedenen Prüfern Einigung erzielt werden kann« (Popper 1 966, S. 70). Diese Einigung ist bei manchen Basissätzen leichter, bei anderen schwerer zu erreichen. Sofern über die Geltung eines Basissatzes keine Einigung erreichbar ist, sind weitere Basissätze zu formulieren, die ebenfalls mit der zu prüfenden Theorie in Wider spruch stehen, also die Theorie falsifizieren können, solange, bis ein Basissatz gefunden ist, über dessen Geltung nach den Spielregeln der Methodologie Einigung erzielt werden kann. Sofern ein solcher leicht überprüfbarer Basissatz gefunden ist, wird das als eine Erhöhung der Falsifiziertheit der Theorie, mit der dieser Basissatz in Widerspruch steht, interpretiert. In dem Maße, in dem eine Einigung über die Zu rückweisung von Basissätzen, die der Theorie widersprechen, erzielt werden kann, ist die Theorie als - vorläufig - empirisch bewährt zu betrachten. Poppers Falsifikationskonzeption stellt - wie man sich leicht deut lich machen kann - einen weiteren Rückzug der Wissenschaftslehre von den Ansprüchen der Wissenschaft, >>Wahrheiten<< oder >>Erkennt nisse« zu liefern, dar. Ein wissenschaftliches Satzsystem, das bisher nicht falsifiziert worden ist, kann damit nach Popper in keiner Weise als irgendwie »realitätsverankert<< angesehen werden. Es sind vielmehr beliebig viele andere Satzsysteme möglich, die ebenfalls dieses Kri terium erfüllen und dabei mit dem ersten Satzsystem durchaus mehr oder weniger unvereinbar sein können. Die - in den Basissätzen re präsentierten - »Tatsachen« sind keine von der jeweiligen Theorie unabhängige Instanz, sondern stellen notwendigerweise stets schon Interpretationen der Realität im Lichte der vorgängigen Theorie dar. Das Falsifikationskriterium schränkt zwar die Beliebigkeit des Beibe haltens von einmal aufgestellten wissenschaftlichen Satzsystemen ein, aber auch aus diesem Kriterium sind keine Gesichtspunkte dafür zu
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gewinnen, welche Satzsysteme überhaupt erst einmal formuliert und der Prüfung unterzogen werden sollen. Die Frage, welche von allen möglichen Theorien über reale Verhältnisse formuliert werden sol len, nach welcher Werthierarchie das Untersuchenswürdige aus allem grundsätzlich Untersuchbaren ausgewählt werden muss, ist von Pop pers Theorie her nicht diskursiv zu diskutieren, sondern bleibt im Be reich des Irrationalen. Popper hat diese Problematik durchaus gesehen. Er kommt in die sem Zusammenhang allerdings nicht zu dem Schluss, dass seine Wis senschaftslehre ein Torso sei, der durch eine wissenschaftstheoretische Reflexion über Forschungsinhalte und Forschungsinteressen ergänzt und modifiziert werden müsse, damit Wissenschaft im Ganzen als ver nunftgeleitete menschliche Aktivität betrieben werden kann und nicht in entscheidenden Hinsichten der Irrationalität überantwortet bleiben muss. Stattdessen wählt er eine Art von »Flucht in die Psychologie«: >> . . . das Aufstellen von Theorien scheint uns einer logischen Analyse weder fähig noch bedürftig zu sein: An der Frage, wie es vor sich geht, dass je mandem etwas N eues einfällt - sei es nun ein musikalisches Thema, ein dramatischer Konflikt oder eine wissenschaftliche Theorie -, hat wohl die empirische Psychologie Interesse, nicht aber die Erkenntnislogik.« (Popper 1 966, S. 6) Indem Popper hier methodologische Wissenschafts logik und Wissenschaftstheorie gleichsetzt und den Prozess der Ge winnung von wissenschaftlichen Theorien aus der Wissenschaftstheo rie ausklammert, verleiht er dem Umstand, dass von seiner Konzeption aus weite Bereiche des wissenschaftlichen Handeins als irrational be trachtet werden müssen, die Dignität eines allgemeinen Prinzips. Man könnte nun bereits anhand der popperschen Konzeption in eine kritische Auseinandersetzung mit einer lediglich formalen, me thodenbezogenen Wissenschaftsauffassung eintreten. Dies ist ja durch Adorno und Habermas in Auseinandersetzung mit Popper und Albert geschehen (vgl. dazu Adorno et al. 1 969). Meiner Auffassung nach ist jedoch auch mit Poppers Ansatz die Eigenart des modernen empirisch wissenschaftlichen Forschungsbetriebes immer noch nicht so klar und unverschleiert gekennzeichnet, dass eine kritische Negation dieses Ansatzes die moderne empirische Wissenschaft - auch experimentelle Psychologie - als historisches Faktum voll treffen und die Bewahrung des rationalen Kerns der bestehenden psychologischen Forschung bei ihrer Transformation in eine kritisch-emanzipatorische Psycholo gie hinreichend möglich machen würde. Es muss zunächst noch ein weiterer Ansatz dargestellt werden, wobei sich zeigen wird, dass der Rückzug der modernen Wissenschaftslehre von dem Anspruch, Wis senschaft könne Wahrheiten und Erkenntnis erbringen, auch mit Pop pers Konzeption noch nicht abgeschlossen ist.
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2.4 Konstruktivismus (Holzkamp) Der wissenschaftstheoretische Konstruktivismus hat seine Vertre ter etwa in Duhem ( 1 906), Dingler (z. B. 1 928, 1 93 1 , 1 955) und May (z. B. 1 943, 1 949, 1 950). Die vorläufig letzte Version dieser Auffassung liegt in meinem Buch »Wissenschaft als Handlung<< (Holzkamp 1 968 [Schriften III, 2006a]) vor. Ich beziehe mich bei den folgenden Überle gungen im Wesentlichen auf dieses Buch. Von konstruktivistischer Position aus ist man sich mit Popper hinsicht lich der Ablehnung des Induktionsprinzips als Mittel zur Geltungsbe gründung von Allgemeinaussagen einig, wobei auch die wahrscheinlich keitstheoretischen Fassungen des Induktionsprinzips als unbegründbar zurückgewiesen werden. Damit ist das Verfahren der Verifikation von Hypothesen auch für den Konstruktivismus nicht akzeptabel. Auch die von Popper angebotene Alternative, die Falsifikationskon zeption, muss allerdings in der von Popper vorgelegten Form vom kons truktivistischen Standort aus als sehr fragwürdig angesehen werden. In immanenter Kritik des pappersehen Ansatzes wird man fest stellen müssen, dass die Annahme, eine wissenschaftliche Theorie sei durch einen anerkannten Basissatz, der der Theorie widerspricht, fal sifiziert, nicht zwingend ist. Es besteht vielmehr die Möglichkeit, eine Theorie trotz widersprechender empirischer Befunde beizubehalten, indem man die Theorie gegenüber diesen B efunden » exhauriert<<, d. h. die theoriedivergenten Daten auf »störende Umstände<< zurückführt. Diese Möglichkeit wird zwar von Popper gelegentlich global erwähnt, aber in seiner Konzeption nicht weiter ernst genommen. Wir halten dagegen das Exhaustionsverfahren, dessen Kennzeichnung auf Ding ler zurückgeht, für ein wichtiges Moment des wissenschaftlichen For schungsprozesses. Das Exhaustionsverfahren geht von der Vorausset zung aus, dass man zwei Arten von Bedingungen zu unterscheiden habe, die die Beschaffenheit konkreter, in Jetzt-und-hier-Aussagen erfasster Daten beeinflussen können: einmal die Bedingungen, die der Forscher selbst gemäß seiner Theorie in der Realität aufgesucht oder in der Realität hergestellt hat und von denen er behauptet, dass sie mit bestimmten, in der Theorie angenommenen Effekten in Zusam menhang stehen. Diese Bedingungen kann man >>konstituierende Be dingungen<< nennen. Sie decken sich weitgehend mit dem, was man in der experimentellen Forschung »unabhängige Variablen« nennt. Zum anderen können aber auch Bedingungen die empirischen Daten (die >>abhängigen Variablen<<) beeinflusst haben, die gegen den Willen des Forschers in der konkreten Situation, in der die Daten erhoben wor den sind, wirksam geworden sind. Dies sind die »störenden Bedin gungen<<. Die Beibehaltung einer Theorie trotz abweichender Daten
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unter Rückgriff auf »störende Bedingungen« ist das Exhaustionsver fahren. - Bei einem Blick auf die Praxis empirischer Forschung muss man feststellen, dass die Exhaustion nicht etwa einen Sonderlall dar stellt, sondern zu den gängigen Argumentationsweisen bei der Inter pretation empirischer Befunde gehört. Man kann sogar so weit gehen zu behaupten, dass keine einzige Theorie ohne Exhaustion beibehalten werden kann, da empirische Daten, die den Annahmen einer Theorie ohne Einschränkung entsprechen, schlechterdings nicht zu gewinnen sind (vgl. dazu Holzkamp 1 968, S. l O l ff., S. 292ff. [2006a, S. l l Sff., S. 323ff.J). Da man mithin das Exhaurieren nicht einfach aus dem Wissen schaftsprozess ausschließen kann, sondern als ein Charakteristikum je der Art von empirischer Forschung betrachten muss, ist die Bedeutung des Falsifikationskonzepts als Kriterium für die Brauchbarkeit wissen schaftlicher Theorien wesentlich eingeschränkt. Bei einer das poppersehe System überschreitenden Kritik des Fal sifikationskonzepts kann man darüber hinaus feststellen, dass der Falsifikationsansatz der Realität gegenwärtigen wissenschaftlichen Forschens in entscheidenden Punkten nicht gerecht wird. Das Ziel der wissenschaftlichen Methode ist es normalerweise nicht, Daten zu finden, die einer Theorie widersprechen, sondern Daten zu finden, die mit einer Theorie vereinbar sind. Das Einbringen von Befunden, die ei ner Theorie zuwidergehen, wird zwar auch praktiziert, nämlich immer dann, wenn eine gegnerische Theorie widerlegt werden soll, kann aber keinesfalls als das charakteristische, geschweige denn als das einzige Vedahren empirisch-wissenschaftlicher Forschung betrachtet werden. Der entscheidende Forschungsantrieb des Wissenschaftlers ist darauf gerichtet, eine Übereinstimmungsbeziehung zwischen Theorien und empirischen Daten herzustellen. Popper könnte nun diese außerlogische, auf das historische Faktum Wissenschaft bezogene Argumentation mit der Begründung zurück weisen, dass zwar tatsächlich der Wissenschaftler häufig auf die Ge winnung von Daten, die mit seiner Theorie konsistent sind, gerichtet ist, dass er aber eigentlich die Gewinnung von Daten, die seiner Theo rie widersprechen, betreiben sollte, weil allein das Falsifikationsvedah ren, nicht aber das Vedahren der Verifikation von Hypothesen, wis senschaftslogisch begründbar sei. Diese Überlegungen wären indessen nur dann zwingend, wenn das - von Popper mit Recht zurückgewie sene - Vedahren der Verifikation von Hypothesen auf induktionisti scher Grundlage die einzige Alternative zu seinem Falsifikationskon zept darstellen würde. Im Konstruktivismus wird jedoch der Prozess des wissenschaftlichen Forschens auf eine Weise beschrieben, in der die Mängel induktionistischer Ansätze vermieden sind und trotzdem der Realität wissenschaftlichen Forschens besser entsprochen werden soll,
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als das im p opperschen Falsifikationskonzept geschieht. Ich komme darauf zurück. Ein weiterer gravierender Einwand richtet sich gegen Poppers Kon zeption der >>Basissätze«. Die Übereinstimmung verschiedener Forscher
kann zwar das Ergebnis der Geltung von Basissätzen sein, es ist aber kaum vertretbar, den Konsensus zwischen Forschern zum Kriterium für die Geltung von Basissätzen zu machen. Das Zustandekommen von Urteils Übereinstimmungen verschiedener Art ist, wie man aus der sozialpsycho logischen Konformitätsforschung weiß, selbst ein Vorgang, der wissen schaftlicher Bedingungsanalyse bedarf, wobei die mögliche Wrrksamkeit sachfremder, etwa sozial vermittelter, Beeinflussungen in Rechnung gestellt werden muss. Man kann derartige Konformisierungsprozesse deshalb - wenn man einen pragmatischen Zirkel vermeiden will - nicht so ohne weiteres selbst als Kriterium für die Geltung von Basisaussagen heranziehen. - Dieser Schwierigkeit wäre nur zu entgehen, wenn man ge naue Gesichtspunkte dafür entwickelte, unter welchen Umständen man einen Konsensus zwischen Forschern als wissenschaftsrelevant ansehen muss und unter welchen Umständen der Konsensus als >>sachfremd<< ein zustufen ist. Damit würde der Konsensus selbst aber sekundär, er müsste als das Ergebnis der Beachtung der erwähnten Gesichtspunkte angesehen werden und wäre so als zentrales Kriterium für die Anerkennung bzw. Nichtanerkennung von Basissätzen außer Kraft gesetzt. Es soll nun - in aller Kürze - die Logik des empirisch-wissenschaft lichen Forschungsprozesses in konstruktivistischer Sicht dargestellt werden. Popper wies mit Recht darauf hin, dass - sofern man den Weg >>von unten nach oben<<, von den Daten zu den Theorien, einschlagen will eine induktive Verallgemeinerung von B eobachtetem auf Nichtbeob achtetes nicht begründbar ist, sondern dass das in diesem Zusammen hang allein zwingende Verfahren der >>modus tollens << ist, von dem aus, mit Hilfe empirischer Daten, auf die Falsifikation einer als unbegrenz ter Allsatz formulierten Theorie, die mit den D aten in Widerspruch steht, geschlossen wird. Die hier angebotene Alternative ist aber nur so lange zwingend, als man den Weg >>von unten nach oben« in irgendei ner Weise zur Charakterisierung des wissenschaftlichen Forschens benutzt. Man kann sich hingegen sofort dieser Alternative entziehen,
wenn man wissenschaftliches Forschen formal nicht als von Daten zu Theorien aufsteigend betrachtet, sondern wenn man die Theorien kon sequent und radikal als den empirischen Daten logisch vorgeordnet
ansieht. Dieses Postulat vom »logischen Primat des Theoretischen« ist der Grundansatz der konstruktivistischen Konzeption. Das zentrale Motiv wissenschaftlicher Methodik ist nach konstruk tivistischer Auffassung der » Wille zur Eindeutigkeit<< (Dingler). Der
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wissenschaftliche Forschungsprozess muss, sofern man ihn methodo logisch betrachtet, als eine konsequente Explikation dieses Willens zur Eindeutigkeit angesehen werden. Dabei ist zwischen dem Streben nach »systemimmanenter<< und dem Streben nach »systemtranszendenter Eindeutigkeit« zu unterscheiden. Das Streben nach systemimmanenter Eindeutigkeit ist in dem Maße verwirklicht, als ein wissenschaftliches Sprachsystem logisch wider spruchsfrei so aufgebaut ist, dass in einer Hierarchie von Sätzen sich die spezielleren Sätze zwingend aus den allgemeineren Sätzen herleiten las sen. Im Idealfall würden sich hier also alle besonderen Sätze aus einem einzigen obersten Verknüpfungsprinzip herleiten lassen, wobei die spe zielleren Sätze ihrerseits Verknüpfungsprinzipien darstellen, die einmal stringent aus den allgemeineren Verknüpfungsprinzipien ableitbar sind, zum anderen aber selbst wieder Verknüpfungsprinzipien zur Herlei tung noch speziellerer Sätze darstellen. Der sozusagen >>untere Rand« dieser Pyramide wären die Jetzt-und-hier-Aussagen, in denen unmit telbar besondere reale Verhältnisse angesprochen sind. Nach dem Prin zip vom »Primat des Theoretischen« wäre also der logisch erste Schritt wissenschaftlichen Forschens das Aufstellen solcher Satzsysteme (wo bei faktisch das damit charakterisierte Streben nach systemimmanenter Eindeutigkeit durch das Streben nach systemtranszendenter Eindeutig keit eingeschränkt wird; wir kommen darauf zurück). Da ein Verknüpfungsprinzip dem Streben nach systemimmanenter Eindeutigkeit in umso höherem Maße genügt, je mehr verschiedenar tige speziellere Sätze zwingend aus ihm herleitbar sind, kann man die Mannigfaltigkeit der aus einer Theorie deduzierbaren, direkt auf Reali tät gerichteten Jetzt-und-hier-Aussagen zum Kriterium dafür machen, wieweit eine Theorie der Forderung nach systemimmanenter Eindeu tigkeit entspricht (die Einführung jedes neuen Verknüpfungsprinzips stellt ja logisch gesehen einen Willkürakt dar und läuft demgemäß der Eindeutigkeitsforderung zuwider). Aufgrund dieser Überlegung ist - auf der Basis des im Konstruktivismus, etwa von Dingler und May, stark akzentuierten »Einfachheits«-Kriteriums - der Integrationsgrad einer Theorie (vgl. dazu Keiler 1 970, S. 1 1 7f.) zum Kriterium dafür ge nommen worden, in welchem Maße die Theorie der Forderung nach systemimmanenter Eindeutigkeit genügt: Der Integrationsgrad einer Theorie ist umso höher, je größer die Mannigfaltigkeit von besonderen Sätzen ist, die sich aus einem Verknüpfungsprinzip (über Zwischenstu fen nachgeordneter Verknüpfungsprinzipien) herleiten lassen; bzw. je geringer bei einer vorgegebenen Mannigfaltigkeit von besonderen Sät zen die Anzahl der Verknüpfungsprinzipien ist, aus denen· diese Sätze als hergeleitet betrachtet werden können (vgl. dazu Holzkamp 1 968, S. 1 1 4f., S. 1 8Sff. [2006a, S. 130f., 206ff.]).
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D a inn erhalb der empirischen Forschung nicht nur Sprachsysteme überhaupt, sondern Sprachsysteme, die sich auf reale Verhältnisse beziehen, aufgebaut werden sollen, muss das Prinzip der systemim manenten Eindeutigkeit durch das Prinzip der systemtranszendenten Eindeutigkeit ergänzt werden. Eine Theorie ist in dem Maße system transzendent eindeutig, als - in besonderen S�tzen erfasste - reale Verhältnisse ausgewählt oder hergestellt werden können, die mit der Theorie in Einklang stehen. Die Grundoperation des In-Beziehung-Setzens von Theorie und Empirie ist mithin das Auswählen oder Herstellen von realen Verhält nissen, deren Vorliegen in der übergeordneten Theorie behauptet wird. Dieses Auswahl- bzw. Herstellungsverfahren wird - mit Dingler - Re alisation genannt (vgl. Holzkamp 1 968, z. B. S. 92ff. [2006a, S. 1 06ff.]). Mit dem Prinzip der Realisation ist die passivistische Position des Sen sualismus endgültig verlassen: Der Forscher bildet dieser Konzeption nach nicht die Realität in seinen Theorien ab, sondern er versucht um gekehrt in aktivem Handeln reale Verhältnisse auszuwählen (»Beob achtung«) oder herauszustellen (»Experiment«), die seinen Theorien entsprechen. Das Realisationsprinzip ist, wie ersichtlich, eine Konse quenz aus dem Prinzip vom Primat des Theoretischen. Das Realisati onsprinzip ist das eigentliche >>Gegen-Prinzip«, das vom Konstrukti vismus dem empiristischen Prinzip der Induktion konfrontiert wird. Der Realisationsversuch besteht darin, die konstituierenden Bedin gungen (>>unabhängige Variablen«), die gemäß den empirischen Annah men mit bestimmten empirischen Effekten (»abhängige Variablen«) in Beziehung stehen sollen, in der Realität aufzusuchen oder herzustellen. Da - wie früher festgestellt - angenommen werden muss, dass in der Realität nicht nur konstituierende, sondern auch störende Bedingungen wirksam werden, sind theoretische Annahmen nicht, wie das im induk tionistischen Ansatz geschieht, als absolute Zukunftsaussagen (Vorher sagen) zu formulieren. Theoretischen Annahmen ist vielmehr die Form von Konditionalsätzen zu geben: Sofern bestimmte in der theoretischen Annahme formulierte, konstituierende Bedingungen realisiert sind und sofern keine störenden Bedingungen vorliegen, treten bestimmte, näm lich die in der theoretischen Annahme behaupteten, empirischen Effekte auf In dieser formalen Fassung von theoretischen Annahmen ist die Exhaustionsmöglichkeit von vornherein logisch verankert. Sofern nun der Realisationsversuch durchgeführt worden ist, lie gen in Jetzt-und-hier-Aussagen erfasste empirische Daten vor, die den theoretischen Annahmen über die Effekte der konstituierenden Be dingungen in höherem oder in geringerem Grade entsprechen können. Sofern die Daten von den Theorien abweichen, besteht hier prinzipiell die Möglichkeit, die theoretischen Annahmen dennoch beizubehalten,
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indem man die Abweichungen exhaurierend auf störende Bedingungen zurückführt. Sofern man dem Exhaustionsprinzip unbeschränkte An wendbarkeit konzedieren wollte, könnte somit jede beliebige Theorie trotz aller Abweichungen der empirischen Daten unbegrenzt aufrecht erhalten werden. Die unbegrenzte Exhaustionsmöglichkeit widerspricht jedoch dem Prinzip der systemtranszendenten Eindeutigkeit. Sofern ohnehin j ede Theorie durch Exhaustion unbegrenzt aufrechterhalten werden kann, erübrigt sich jeder Realisationsversuch, da sich durch die Realisations ergebnisse an der Theorie niemals etwas ändern könnte. Die Theorien wären auf diese Weise gänzlich von der Empirie abgelöst; die Forde rung nach systemtranszendenter Eindeutigkeit wäre nicht erfüllt. Es ist deshalb nötig, methodelogische Verfahrensregeln aufzustellen und zu begründen, von denen aus die Exhaustionsmöglichkeit einge schränkt ist, Verfahrensregeln, durch welche zwischen erlaubten und unerlaubten Exhaustionen unterschieden werden kann . Durch diese Verfahrensregeln wäre der Wille zu systemimmanenter Eindeutigkeit eingeschränkt; die mögliche »Widerständigkeit der Realität« wäre ge genüber dem Willen des Forschers, Theorien höchsten Integrations grades aufzustellen und beizubehalten, zur Geltung gebracht. Aus dem Bemühen, derartige Verfahrensregeln herzuleiten, resul tierte das Konzept des >>Belastetheitsgrades« von Theorien (vgl. Holz kamp 1 968, S. 135ff. [2006a, S. 1 53ff.]). Dieses Belastetheitskonzept ist zu kompliziert, als dass es hier hinreichend dargestellt werden könnte. Nur soviel sei gesagt: Gemäß dem Belastetheitskonzept sollen Ex haustionen nur insoweit zulässig sein, als die Behauptung, bestimmte Abweichungen zwischen Theorien und Daten gehen auf störende Be dingungen zurück, selber wieder begründbar ist. Sofern der - logisch immer mögliche - Rückgriff auf störende Bedingungen zur Interpreta tion von Abweichungen nicht begründet werden kann, wird der Um stand, dass eine theoretische Annahme nur durch Exhaustion aufrecht erhalten werden konnte, der Theorie als >>Belastetheit<< zugerechnet. Je höher der Belastetheitsgrad einer Theorie ist, umso mehr verringert sich ihr »empirischer Wert<< bzw. ihr »Realisationsgrad<<. Theorien mit geringerem Realisationsgrad sind unter sonst gleichen Umständen in geringerem Maße wissenschaftlich vertretbar als Theorien mit hö herem Realisationsgrad, was durch Rückgriff auf das Prinzip der sys temtranszendenten Eindeutigkeit begründbar ist. Gemäß dem Konzept der Belastetheit besteht die auf Empirie ge richtete wissenschaftliche Methodologie in der Isolierung der Effekte der vom Forscher eingeführten konstituierenden BedingUngen von den störenden Bedingungen. In dem Maße, als eine solche Isolierung gelungen ist, ist die Behauptung, dass Abweichungen zwischen Theo-
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rie und Empirie auf störende Bedingungen zurückgehen, der Prüfung zugänglich. Das Verfahren der Bedingungsanalyse, mit welchem kons tituierende von störenden Bedingungen in ihrem Effekt auf die ab hängigen Variablen unterscheidbar gemacht werden sollen, ist anband eines Bedingungsmodells ausführlich dargestellt worden (Holzkamp 1 968, s. 323 ff. [2006a, s. 359 ff.]). Der wissenschaftliche Gesamtwert einer Theorie ist durch lobezie hungsetzen des Integrationsgrades mit dem Realitätsgrad zu bestim men, wobei diese beiden Momente nicht additiv, sondern eher multipli kativ in Relation zueinander zu bringen sind. Genauere Darlegungen darüber verbieten sich hier. In der Sicht des hier dargestellten konstruktivistischen Ansatzes er scheint nun auch das von Popper diskutierte Basisproblem in neuem Lichte. Wenn verschiedene Forscher über den gleichen intendierten Sachverhalt zu miteinander unvereinbaren Jetzt-und-hier-Aussagen - in der popperseben Terminologie »Basissätzen« - kommen, so wären nach Popper aus der zugehörigen Theorie andere Basissätze abzuleiten, deren Anerkennung eine Falsifikation der Theorie bedeuten würde, so lange, bis ein Basissatz gefunden ist, der von allen Forschern anerkannt wird. Von konstruktivistischer Position aus wird auch das Basisproblem mit dem Exhaustionsansatz angegangen: Die logische Unvereinbarkeit zwischen zwei Basissätzen ist dann aufgehoben, wenn nachgewiesen wird, dass sich die beiden Sätze nicht auf die gleichen, sondern auf verschiedene Sachverhalte beziehen. Dieser Nachweis wird dadurch eingeleitet, dass man exhaurierend annimmt, die Unvereinbarkeit der beiden Sätze sei durch verschiedenartige störende Bedingungen, die bei der Formulierung des einen bzw. des anderen Satzes wirksam gewesen sind, zustande gekommen. Sodann werden Hypothesen über die Ei genart dieser störenden Bedingungen formuliert, und es wird der Ver such gemacht, die störenden von den konstituierenden Bedingungen zu isolieren. Im günstigen Falle ist es dadurch möglich zu zeigen, dass bei Abwesenheit der verschiedenartigen störenden Bedingungen die beiden Basissätze nicht mehr unvereinbar sind. Falls dies nicht zu erreichen ist, müssen neue Hypothesen über andersgeartete Störbedingungen formu liert werden, und die gleiche Operation ist zu wiederholen. Sofern es bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht gelungen ist, auf diese Weise die Unvereinbarkeit zwischen den Basissätzen aufzuheben, wird der Wi derspruch durch Exhaustion aufgehoben; der Umstand, dass die Iden tifikation der störenden Bedingungen nicht möglich war, wird indes sen der übergeordneten Theorie als >>Belastetheit« zugerechnet. Diese >>Belastetheits«-Festsetzung ist j edoch nicht endgültig, da es ja u. U. zu einem späteren Zeitpunkt gelingen kann, die Unvereinbarkeit durch empirische Identifikation der störenden Bedingungen aufzuheben. Das
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Basisproblem löst sich hier also - ohne Heranziehung des anfechtbaren Konsensuskriteriums -, durch die Alternative: entweder differenzie rende empirische Spezifikation der Verschiedenartigkeit der Störbedin gungen, unter denen der eine und der andere Satz formuliert worden ist, wodurch der Widerspruch aufgehoben ist, da nachgewiesen werden konnte, dass sich beide Sätze nicht auf die gleichen Sachverhalte bezo gen haben; oder Aufhebung des Widerspruchs lediglich unter Rück griff auf die logische Exhaustionsmöglichkeit, wobei die empirische Unidentifizierbarkeit der Störbedingungen als Belastetheit der Theorie interpretiert wird, aus der der Basissatz hergeleitet wurde. Damit ist die kurze Darstellung des konstruktivistischen Ansatzes beendet, wobei wenigstens andeutungsweise gezeigt werden sollte, dass mit diesem Ansatz die lo gi schen Schwierigkeiten sowohl des lo gisch-empiristischen Verfahrens der >>Verifikation von Hypothesen<< wie auch des popperseben Falsifikations- und Basissatz-Konzeptes vermieden sind und dass hier die historische Faktizität gegenwärtigen wissenschaftlichen Forschens auf angemessenere Weise wissenschafts logisch repräsentiert ist als in Poppers Konzeption. Der >>Rückzug der modernen Wissenschaftslehre<<, der durch die damit abgeschlossenen Analysen aufgewiesen werden sollte, lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Im naiven Empirismus, der auf die Sensualisten und frühen Positivisten zurückgeht und heute die unbe fragte Grundlage des Wissenschaftsverständnisses des unreflektiert empirisch Forschenden darstellt, wird Wissenschaft als eine Institution zur Gewinnung von wahren Erkenntnissen über die Natur betrachtet, wobei man den Wissenschaftsprozess als eindeutig durch die Empirie geleitet und auf die Erforschung eines vorgegebenen Kosmos von Na turgesetzüchkeiten gerichtet ansieht. Im logischen Empirismus wird die Annahme von der eindeutigen Empiriegeleitetheit der wissenschaft lichen Forschung aufgegeben, Wissenschaft wird als ein System von vom Forscher nach bestimmten Regeln aufgestellten Sätzen angesehen; der Anspruch der Wissenschaft, zu wahren Erkenntnissen zu gelangen, wird hier indessen - unter Bezug auf das induktionistische Verfahren der Verifikation von Hypothesen -, wenn auch in relativierter Form, aufrechterhalten. In der popperseben Falsifikationskonzeption wird der positive Erkenntnisanspruch der Wissenschaft radikal zurückge wiesen: Die Aufstellung von wissenschaftlichen Theorie erscheint als »Privatsache<< des Forschers, und die in Basissätzen vorliegenden em pirischen Daten werden nicht mehr als von der Theorie unabhängige Prüfinstanzen, sondern als von der Theorie abhängig gesehen; empi rische Realität erscheint so nicht mehr als selbständige G e gebenheit, über die »Erkenntnisse<< gewonnen werden könnten, sondern als Em pirie >>im Lichte<< der jeweiligen Theorie. Im Falsifikationskonzept
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wird dann allerdings - u. E. auf inkonsequente Weise - der Empirie doch wieder der Status der Theorieunabhängigkeit verliehen, und der Erkenntnisanspruch der Wissenschaft bleibt, wenn auch auf eine Art von »negativem Erkenntnisanspruch« reduziert, in irgendeiner Weise aufrechterhalten. Im Konstruktivismus ist der erwähnte Rückzug nun noch fortge setzt; »Empirie« wird hier nicht nur als »im Lichte« der jeweiligen Theorie stehend eingestuft, sondern es wird aufgewiesen, dass vom Forscher - im Realisationsverfahren - die >>Realität«, auf die sich dann seine Theorien beziehen, auswählend oder herstellend in aktivem Tun »konstruiert« wird. Die etwa durch Realisation erreichte Übereinstim mung zwischen den Festlegungen einer Theorie und den in Jetzt-und hier-Aussagen erfassten empirischen Daten kann deswegen niemals in irgendeinem Sinne als >>Erkenntnis« interpretiert werden, weil theore tische Annahmen stets nur in dem Maße gelten, als der Forscher die in den theoretischen Annahmen formulierte Realität sozusagen selber geschaffe n hat. Die empirischen Daten werden hier also auf noch ra dikalere Weise als in Poppers Konzeption als von der übergeordneten Theorie abhängig betrachtet. Die Daten sind nicht nur von der Theo rie aus interpretiert, sondern sie sind gemäß der Theorie konstruiert; sie geben Zeugnis von einer Art >>künstlicher Realität«, die allein nach dem Gesichtspunkt der möglichst weitgehenden Übereinstimmung mit der übergeordneten Theorie - auswählend oder herstellend - geschaf fen worden ist. Ein Blick auf die Faktizität experimentellen Forschens zeigt, dass die theoretischen Annahmen sich hier keineswegs auf die unverkürzte Wirklichkeit unserer alltäglichen Umwelt beziehen, son dern eben auf » Versuchsanordnungen«, die nach den Kriterien der Re alisierbarkeit der zu prüfenden Theorie und der Identifizierbarkeit von Störbedingungen konstruiert worden sind. Sofern die in den Versuchs anordnungen gewonnenen Daten in Konsistenz mit der Theorie ste hen, so gewinnt man damit keineswegs Kunde von einer unabhängigen empirischen Instanz, also »Erkenntnis<< in irgendeinem Sinne, sondern man gewinnt lediglich Kunde von dem Erfolg der einschlägigen Akti vitäten des Wissenschaftlers. Sofern nun - gemäß dem konstruktivistischen Ansatz - eine Theo rie nur durch die logische Exhaustionsmöglichkeit - ohne empirische Identifikation der störenden Bedingungen - aufrechterhalten werden konnte, also als »belastet« zu interpretieren ist, so bedeutet das kei neswegs, dass damit die Theorie im eigentlichen Sinne »falsifiziert« worden wäre, so dass man wenigstens einen »negativen Erkenntnis anspruch« der Wissenschaft rechtfertigen könnte. Die in der Belastet heit repräsentierte »Widerständigkeit der Realität« enthält keinerlei Information über die »wirkliche Beschaffenheit« realer Verhältnisse,
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sondern ist sozusagen nichts als ein blindes, qualitätenloses Faktum. Der Forscher weiß lediglich, dass hier >>irgendetwas« vorgelegen ha ben muss, das ihn bei seiner Realisationsbemühung gestört hat; er kann aber per definitionem nichts darüber aussagen, ob seine Theorie tat sächlich nicht realisierbar ist, oder ob er nur nicht in der Lage war, die Störbedingungen, die ihn bei seinem Realisationsversuch behinderten, zu identifizieren. Da - im Falle der Belastetheit einer Theorie - zwi schen der Alternative »Nichtrealisierbarkeit der Theorie« oder »nicht identifizierte Störbedingungen<< prinzipiell nicht entschieden werden kann, ist auch der >>Falschheits-Anspruch<< einer Theorie grundsätzlich nicht begründbar. Als Richtlinie für wissenschaftliches Handeln bleibt demnach ge mäß dem konstruktivistischen Ansatz weder das Streben nach Wahr heit noch das Streben nach Falschheit, sondern lediglich das Streben nach - systemimmanenter und systemtranszendenter - Eindeutigkeit. Damit ist der vorläufige Endpunkt des genannten Rückzuges der Wissenschaftslehre charakterisiert. -
3 Die Kritisch-emanzipatorische Wendung
des Konstruktivismus
3.1 Vorbemerkung Der Konstruktivismus - da er den Anspruch, Wissenschaft könne »Wahrheit<<, »Erkenntnis<< erbringen, den reduzierten Anspruch, wissenschaftliche Theorien könnten durch Prüfung der aus ihnen hergeleiteten Hypothesen »verifiziert« werden, und sogar den mini malen Anspruch, wissenschaftliche Systeme seien falsifizierbar, wo mit Wissenschaft immerhin noch im ausschließenden Verfahren auf irgendeine >>Wahrheitslinie<< gebracht werden könnte, als unbegrün det zurückweisen musste, kann den Sinn, das »Wozu«, wissenschaft lichen Handeins in keiner Weise mehr deutlich werden lassen. Der Grundsatz vom >>Primat des Theoretischen« ist ein lediglich formales Postulat, aus dem keineswegs abgeleitet werden kann, nach welchen Kriterien unter allen möglichen Theorien gerade j ene auszuwählen sind, deren wissenschaftliche Bearbeitung auf irgendeine Weise einen >>Wert<< darstellt. Das Eindeutigkeitsprinzip muss demgemäß genauso sinnleer bleiben, da >>Eindeutigkeit<< eine »Sekundärtugend« ist: Sys temimmanente und systemtranszendente Eindeutigkeit stellt nur in dem Maße einen Wert dar, als die Theorie, der diese Eindeutigkeit zukommt, erst einmal für sich genommen als inhaltlich sinnvoll und
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vernünftig betrachtet werden kann. Da die Operationen der Erhö hung des Integrationsgrades, der Realisation, der Exhaustion, der be dingungsanalytischen Bestimmung des Belastetheitsgrades usw. aus dem Eindeutigkeitsprinzip abgeleitet sind, muss für sie das Gleiche gelten. Falls die im Abschnitt über den Rückzug der modernen Wissen schaftslehre entwickelte Auffassung, dass im konstruktivistischen An satz der gegenwärtige Betrieb der empirischen Wissenschaft vergleichs weise am präzisesten und am wenigsten verschleiert repräsentiert ist, als begründet akzeptiert wird, so muss man zu der Konsequenz kom men, dass wissenschaftliches Handeln - wie sehr auch der Forschende sich subjektiv als Erkenntnissuchenden etc. erleben mag - in der ge genwärtigen historischen Situation faktisch in rational ausweisbarer Form lediglich nach dem Eindeutigkeitsprinzip betrieben wird und also den inhaltlichen Sinn, das »Wozu« wissenschaftlicher Arbeit mit ihren eigenen Denkmitteln nicht ausweisen kann. Dem ist nun die triviale Tatsache gegenüberzustellen, dass Wissen schaft der Möglichkeit nach von größter gesellschaftlicher Bedeutung ist und dass tatsächlich wissenschaftliches Denken und wissenschaft liche Resultate den Gang der Geschichte und damit menschliches Be wusstsein entscheidend beeinflusst haben. Indessen ist gerade der Wi derspruch zwischen dem gesellschaftlichen Faktum »Wissenschaft« in seiner Totalität und der Begrenztheit der Sichtweise der Wissenschaft auf sich selbst und die dadurch bedingte Unfähigkeit, die gesellschaft liche Funktion der Wissenschaft und die Gründe für die Erfüllung oder Verfehlung dieser Funktion mit wissenschaftseigenen Mitteln zu reflektieren, besonders charakteristisch für die Situation der Wissen schaft in der bürgerlichen Gesellschaft und damit für Teilaspekte der Verfassung der bürgerlichen Gesellschaft selbst. Im Folgenden soll - wenn auch nur skizzenhaft - aufgewiesen wer den, wie die formalistische Verkürzung des Selbstverständnisses der empirischen Wissenschaft und die Unmöglichkeit der Reflexion des >>Wozu« wissenschaftlicher Forschung kritisch-historisch zu verstehen und damit zu überwinden sein könnte, wobei ich mich - aus Raum gründen und auch kompetenzhalber - auf das Exempel der modernen Psychologie beschränke. Dabei soll sich zeigen, dass der Konstruktivismus seinen Wert nicht nur dadurch behaupten kann, dass er illusionäre Verkennungen der Ei genart wissenschaftlich-psychologischen Handeins entlarvt und damit den Weg zu neuen Ansätzen freimacht, sondern auch dadurch, dass er optimale Möglichkeiten bietet, den rationalen Kern der bürgerlichen Psychologie bei ihrer kritisch-emanzipatorischen Transformation zu bewahren.
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Die Verkehrung von Konkretheit und Abstraktheit menschlicher Verhältnisse in der bürgerlichen Psychologie
Es ist charakteristisch für die bestehende Psychologie, dass sie das Einzelindividuum unbefragt als das »Konkrete« bestimmt und dem gegenüber Konzeptionen wie »Gesellschaft« als Resultat der genera lisierenden Abstraktion ansieht, die an den Verhaltensweisen »kon kreter« Einzelindividuen ansetzt, so dass >>Gesellschaft« als etwas bloß Gedachtes erscheint, das im Verhalten von Einzelindividuen seine einzige empirische Grundlage hat. Es wird nicht gesehen, dass diese Auffassung von >>konkret« und »abstrakt« in Bezug auf den Menschen Ergebnis einer Blickverkürzung ist, die aus der bürgerlichen Ideologie des »Individuums« und der »Persönlichkeit« resultiert. Aus der totalisierenden Sicht marxscher Denkweisen wird deutlich, dass das Einzelindividuum keineswegs eine schlichte, »konkrete« Vor findlichkeit darstellt, sondern dass das Konzept des Einzelindividuums vielmehr außerordentlich abstrakt, nämlich Ergebnis der Abstraktion von der konkreten historisch-gesellschaftlichen Lage des Menschen ist. Man findet nicht zunächst »Individuen als solche<< vor und konstru iert sodann aus Verhalten Allgemeinbegriffe wie »Gesellschaft<<. Jeder einzelne Mensch ist vielmehr stets ein Mensch in besonderen gesell schaftlichen Verhältnissen, wobei diese Verhältnisse wiederum nicht »allgemeine<< Verhältnisse sind, sondern Teil einer ganz bestimmten historischen Gesellschaftsformation. Die Einsicht, dass das isolierte menschliche Individuum ein »abstrakt-isoliert menschliches Indivi duum« ist, bei dem »von dem geschichtlichen Verlauf<< abstrahiert und nicht gesehen wird, >>dass das abstrakte Individuum . . . einer bestimm ten Gesellschaftsform angehört<< (Marx, 6. und 7. Feuerbach-These, 1 969 [MEW] 3, S. 6f.), ist die entscheidende Voraussetzung für die Kon zeption einer kritisch-emanzipatorischen Psychologie. Zurückzuweisen ist dabei das Missverständnis, als wenn hier Gesellschaft in ihrer je weils historischen Ausprägungsstufe ihrerseits als eine vom Menschen unabhängige Wesenheit verstanden wird, der der Mensch als Natur wesen unabhängig gegenübersteht, so als ob Natur und Geschichte »zwei voneinander getrennte >Dinge< seien, der Mensch nicht immer eine geschichtliche Natur und eine natürliche Geschichte vor sich habe<< (Marx-Engels, Deutsche Ideologie, 1 969 [MEW] 3, S. 43). Die gesellschaftlichen Verhältnisse sind vielmehr die Form, in der sich not wendigerweise menschliches Leben realisiert, wobei konkrete, leben dige Menschen immer in einer besonderen historischen Form solcher Verhältnisse stehen und das Absehen von dieser besond'eren histo rischen Form eben zum abstrakt-isolierten menschlichen Individuum als bloßem Gedankending führen muss.
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Die Verkennung der Abstraktheit des einzelnen Individuums und das Versäumnis, von diesem >>Abstrakten« zum >>Konkreten« der be sonderen gesellschaftlich-historischen Formation menschlicher Le bensverhältnisse >>aufzusteigen«8, lassen sich innerhalb der bürger lichen Psychologie in Bezug auf zwei Instanzen näher ausweisen, und zwar einmal in Bezug auf den »Forscher« und ;zum anderen in Bezug auf den Menschen, sofern er zum Gegenstand psychologischer For schung gemacht wird. Innerhalb der konstruktivistischen Konzeption wird das Aufstellen von wissenschaftlichen Theorien als biographischer Tatbestand aufge fasst, der dem »individuellen Forscher« zugehört und wissenschafts theoretisch nicht reflektiert werden kann (vgl. Holzkamp 1 968, S. 52, S. 209 und S. 366 [2006a, S. 64, S. 232 und S. 404]). Eine ähnliche Auffas sung vertritt bereits Popper, wenn er etwa feststellt, dass das Aufstel len von Theorien nicht möglicher Gegenstand der Wissenschaftslogik, sondern eher ein Thema der empirischen Psychologie sei (Popper 1 966, S. 6 ) Das Entstehen von Theorien wird als ein nicht weiter ausweis barer spontaner Akt, als >>Einfall<< eingeordnet und im Übrigen nicht weiter beachtet. - Der darin zum Ausdruck kommende poppersehe Dezisionismus ist eines der wesentlichen Probleme des >>Positivismus Streits« zwischen Adorno und Habermas einerseits und Popper und Albert andererseits ( 1 969, bes. Habermas, >>Gegen einen positivistisch halbierten Rationalismus«, S. 235 ff.). Im konstruktivistischen Ansatz edährt dieser Dezisionismus eher noch eine Zuspitzung, da hier nicht nur die Theorie, sondern - auf dem Wege über die Realisation der Theorie - in gewisser Hinsicht sogar die empirischen Daten als Pro dukt des individuellen Einfalls, der persönlichen Entscheidung des >>in dividuellen Forschers« erscheinen. - Damit wird hier an die Stelle der Reflexion über Forschungsinhalte und -interessen die Berufung auf die irrationale Produktivität der Forscherpersönlichkeit gesetzt. Der damit charakterisierte wissenschaftstheoretische Dezisionismus - der meiner Auffassung nach die Bewusstseinsvedassung des For schenden in der modernen Psychologie präzis repräsentiert - ist Resul tat eben jener Verkehrung von Konkretheit und Abstraktheit mensch licher Verhältnisse, die gerade diskutiert wurde. Der »individuelle Forscher<< erscheint hier als ein in seiner Konkretheit undurchdring liches Letztes. Die Kriterien zur Beurteilung von Forschungsinhalten und Forschungsinteressen werden >>in<< den Forscher hineinverlegt und damit rationaler Kontrolle entzogen. Dieser Akt der »Hineinver legung<< soll - obgleich der Terminus schon zweifach, durch Avenarius .
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Über das »Aufsteigen vom Abstrakten zum Konkreten« vgl. Marx 1 969b [MEW 13], S. 631ff.; dazu auch Iljenkow 1 969.
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und durch die Psychoanalyse, belegt ist - dennoch, wegen der Ange messenheit dieses Terminus für das hier Gemeinte, Introjektion hei ßen. Die so verstandene Introjektion als biographisch-personalisie rende >>Naturalisierung« ist ein Sonderfall des konstruktivistischen Konzeptes der »Umdeutung von Geschaffenem in Vorfindbares« (vgl. Holzkamp 1 964, S. 1 79ff. [2005, S. 2 1 1 ff.]; 1 968, S. 242 [2006a, S. 267]), wie bald noch deutlicher werden wird. Die auf den Forscher bezogene Introjektion der Entscheidung über Forschungsinteressen und Forschungsinhalte muss - in dem Maße, als man, illusionäre >>Wahrheits«- und »Falschheits<<-Ansprüche hinter sich lassend, zur konstruktivistischen Reflexion vorgestoßen ist - dazu führen, dass die Geschichte der Psychologie als Inbegriff des Aufstel lens und Verändems von Theorien als zufälliges Nacheinander ver schiedener theoretischer Ansätze erscheint. Da die Annahme einer >>Geleitetheit<< der Forschungsentwicklung durch die Empirie hier nicht mehr als vertretbar angesehen werden kann, weil den »Fakten<< als Realisationsprodukten jede Selbständigkeit gegenüber den Theo rien genommen ist, und da auch die >>Belastetheit<< einer Theorie ledig lich als Ausdruck der »blinden<< Widerständigkeit der Realität, nicht aber als Leitfaden für den historischen Fortgang der Wissenschaft zu betrachten ist, können geschichtliche Verfassungen und Veränderungen der Psychologie lediglich als Ergebnis von »spontanen Einfällen<< in dividueller Forscher und - da diese Einfälle per definitionem wissen schaftstheoretischem Zugriff entzogen sein sollen - eben als >>zufällig« verstanden werden. - Dabei sind die einmal aufgestellten Theorien zwar bei ihrer empirischen Prüfung einem intersubjektiven, formal methodologischen Kanon unterworfen, das Akzeptieren der Theorien in ihrer inhaltlichen Eigenart durch andere Forscher ist indessen Sa che eines individuellen >>Angesprochenseins<< oder >>Interessantheits<< Erlebnisses, das ebenfalls Introjektionsergebnis ist und deswegen ge nauso wenig rational ausgewiesen werden muss wie der ursprüngliche wissenschaftliche Einfall. Demnach entzöge sich auch das Problem der Gründe für das Aufnehmen und Ausbauen von Forschungsansätzen durch andere Forscher der rationalen Diskussion. Ein Ausweg aus derartigen Schwierigkeiten, die in der konstrukti vistischen Zuspitzung des Problems besonders deutlich geworden sein mögen, ist nur dann zu finden, wenn man sich klarmacht, dass der >>in dividuelle Forscher<< kein undurchdringliches Konkretum, sondern ein abstraktes Gedankending ist, das nur unter Absehung von den kon kreten historisch-gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen wissen schaftliche Theorien konzipiert werden, entstehen kann. Auf diese Weise ist die Introjektion rückgängig zu machen, indem die »in« den Forscher verlegten und damit dem argumentativen Zugriff entzogenen Kriterien
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für die Vertretbarkeit von Forschungsinhalten und Forschungsinteres sen auf historisch-gesellschaftliche Bedingungsgefüge bezogen und da mit rational ausweisbar gemacht werden. - Ich komme darauf zurück. Die Verkehrung von Konkretheit und Abstraktheit menschlicher Verhältnisse in der bestehenden Psychologie, wie sie in Bezug auf den Forscher aufgewiesen werden sollte, lässt sich pun auch in Bezug auf Menschen als Gegenstand, oder besser: Thema der Psychologie deut lich machen. Eine solche Verkehrung besteht einmal hinsichtlich der theoretischen Aussagen über den Menschen als Thema der Psycholo gie und zum anderen hinsichtlich der experimentell-psychologischen Methodik, wobei beide Momente miteinander verschränkt sind. Es ist kennzeichnend für die bestehende bürgerliche Psychologie, dass hier der >>Mensch«, auf den sich die theoretischen Aussagen be ziehen, zwar als konkreter Gegenstand der empirisch-psychologischen Forschung >>erscheint«, tatsächlich aber nicht als lebendiger Mensch in je konkreter gesellschaftlich-historischer Lage, sondern eben als jenes >>abstrakt-isolierte« Individuum, das keinesfalls etwas »empirisch« Ge gebenes, sondern eben bloßes Gedankending ist, behandelt wird. Die Menschen, über die die Psychologie Aussagen macht, sind natürlich tatsächlich konkrete, historische Individuen, nur wird, sofern sie zum Gegenstand der Psychologie werden, weitgehend von dem abgesehen, was ihre Eigenart als Menschen in einer bestimmten gesellschaftlich historischen Situation ausmacht. Dies gilt nicht nur für die allgemeine Psychologie, die »den<< Menschen überhaupt zum Gegenstand zu ha ben vorgibt, sondern auch für die differentielle Psychologie bzw. Per sönlichkeitspsychologie, die keineswegs den umfassenden Bezug zur konkreten historisch-gesellschaftlichen Lage des lebendigen Menschen herstellt, sondern nur das abstrakt-isolierte Individuum in Gruppen einteilt bzw. auf Ordnungsdimensionen ortet, was ich an anderer Stelle ausführlicher dargestellt habe (>>Verborgene anthropologische Voraus setzungen der allgemeinen Psychologie<< [S. 4 1 -82]). Auch die beste hende Sozialpsychologie, von der man es doch am ehesten erwarten sollte, verharrt weitgehend in der Vorstellung von abstrakt-isolierten Individuen als ihrem Gegenstand und setzt diese Individuen quasi nachträglich wieder zu Dyaden, aktuellen Gruppen, Großgruppen etc. zusammen; selbst der neuerdings in manchen Bereichen der Psycho logie moderne Rekurs auf die >>Schichtspezifität<< menschlicher Eigen arten und Verhaltensweisen vollzieht kaum den Schritt vom abstrakten isolierten Individuum zum wirklichen, lebendigen Menschen in kon kreter gesellschaftlicher Lage. Dies alles soll in den weiteren Ausfüh rungen noch deutlicher ausgewiesen werden. Sofern in der Psychologie der Mensch als abstrakt-isoliertes Indivi duum erscheint, aber als empirisches Konkretum umgefälscht wird,
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müssen alle theoretischen Aussagen über den Menschen Introjektionser gebnisse im früher dargestellten Sinne sein. So werden denn auch in der bürgerlichen Psychologie Merkmale menschlicher Tätigkeit und Mittel menschlicher Kommunikation, die das Resultat der »Selbsterzeugung« des Menschen durch gesellschaftliche Arbeit auf einer bestimmten Stufe der Gesellschaftsentwicklung sind, durch Introjektion den individu ellen Menschen als konkrete empirische Letztheiten zugeschrieben, wo bei dieses vermeintliche Konkretum der individuellen Beschaffenheit menschlicher Verhaltens- und Erlebnisweisen tatsächlich ein Abstrak tum ist, in dem Dimensionen, die durch die gesellschaftliche Arbeit in einer bestimmten historischen Entfaltungsstufe des Gattungswesens »Mensch« bedingt sind, dem einzelnen, isoliert gesehenen Menschen zugeordnet und so jedem konkreten gesellschaftlichen Bezug entho ben sind. Auch die Beschreibung, Gruppierung, Unterscheidung von Menschen nach diesen Dimensionen, das In-Beziehung-Setzen ver schiedener Dimensionen zueinander usw. muss unter diesen Voraus setzungen im geschilderten Sinne »abstrakt« bleiben. - Die sechste Feuerbach-These, die Marx der Religionsauffassung des bürgerlichen Philosophen Feuerbach entgegensetzte, lässt sich sinngemäß auch auf die moderne bürgerliche Psychologie anwenden: >>Feuerbach löst das religiöse Wesen in das menschliche Wesen auf. Aber das menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum innewohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das ensemble der gesellschaftlichen Ver hältnisse<< ( 1 969 [MEW] 3, S. 6 ) . 9 Die Introjektion als Voraussetzung für die Theorienbildung in der bürgerlichen Psychologie ist am augenfälligsten an der Begriffsbildung innerhalb der Persönlichkeitspsychologie zu demonstrieren. Konzepte wie »Intelligenz« oder >>Begabung«, aber auch spezifischer gefasste Persönlichkeitsvariablen wie >>manifeste Angst<<, >>Interferenzneigung«, >>Feldabhängigkeit-Feldunabhängigkeit<< werden vermeintlich auf die konkrete Person, in Wirklichkeit aber auf das abstrakte isolierte Indi viduum als Gedankending bezogen. Die Introjektion ist besonders massiv, sofern man Persönlichkeitsva riablen als dem Individuum tatsächlich auf irgendeine Weise innewoh nende Entitäten betrachtet, wie das in weiten Bereichen der Psychologie heute geschieht. Hier hat man es mit einer schon logisch nicht vertret baren zirkelverdächtigen Denkbewegung zu tun: >>Intelligentes« Verhal ten erscheint hier als bedingt durch die auf irgendeine Weise vom Verhal ten unterscheidbare >>Intelligenz<< des Menschen, bestimmte Arten von 9
Man beachte, dass Marx hier nicht den individuellen Menschen, sondern das menschliche Wesen als Ensemble gesellschaftlicher Verhältnisse auffasst (vgl. dazu erwa Fleischer 1 969, S. 27ff.).
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Ablenkbarkeit in besonderen Wahrnehmungssituationen als Ausfluss einer davon unabhängigen »Interferenzneigung« etc. Das theoretische Operieren mit derartigen Verdoppelungen ist nicht allzu verschieden von der Feststellung, dass die Armut oben von der Powerteh herkomme. Aber selbst, wenn man - wie das etwa aus dem konstruktivistischen Ansatz folgt (vgl. Holzkamp 1 964, S. 1 79ff [2005, S. 2 12ff.]) - die Per sönlichkeitsvariabien nicht als der Person innewohnende Entitäten, sondern als beim Forscher anzusiedelnde Annahmen über das Kova riieren von bestimmten Verhaltensdimensionen auffasst, ist bestenfalls ein halber Schritt zur Auflösung der Introj ektion getan. Auch solche Annahmen beziehen sich ja nach wie vor auf das isoliert-abstrakte In dividuum. So wird in keiner Weise verständlich, wo man Begriffe wie »Intelligenz<<, »Begabung«, >>manifeste Angst«, >>lnterferenzneigung« eigentlich her hat, warum sie gerade zu einer bestimmten Zeit der his torischen Entwicklung der Psychologie in bestimmten Definitionen auftauchen, warum also den Forschern gerade diese und keine anderen Konzeptionen eingefallen sind bzw. warum andere Forscher gerade diese und keine anderen Konzeptionen als »interessant<< und des Auf greifens wert erlebten. Die mehr oder weniger eindeutig introjektive Begriffsbildung in nerhalb der bestehenden Psychologie findet sich indessen nicht nur in der Persönlichkeitspsychologie. Wenn etwa in der allgemeinen Psy chologie von >>Lernen<< oder von >>Wahrnehmung<< in jeweils ganz be stimmten Definitionen gesprochen wird, so betrachtet man derartige Momente ebenfalls mehr oder weniger eindeutig als empirische Letzt heiten, die >>an<< bestimmten Individuen zu beobachten sind. Man sieht nicht, dass >>Lernen<< oder >>Wahrnehmung<< keine unveränderlichen Gegebenheiten sind, die >>dem<< Menschen als Abstraktum einfach und ein für allemal zukommen. >>Lernen<< und >>Wahrnehmung<<, wie sie jetzt definiert sind, stellen vielmehr Weisen der Abstimmung und Interpretation der menschlichen Lebenstätigkeit auf einer konkreten Entwicklungsstufe der Gesellschaft dar, wobei der Forscher zwar in gewissen Grenzen Präzisierungen und Variationen solcher Konzepte vornehmen mag, aber seine wissenschaftssprachlichen Bestimmungen keinesfalls losgelöst von seinem Ort in der Geschichte, sozusagen im »luftleeren Raum« in unbegrenzter Freizügigkeit formulieren kann: Er gehört konkreten gesellschaftlichen Verhältnissen, aus denen gerade diese und keine anderen Mittel der Verständigung und Selbstverständi gung von Menschen erwachsen, schließlich selbst zu. Auch das phänographische bzw. phänomenanalytische Vorgehen in der bestehenden Psychologie, das sich scheinbar auf die intimen, ichein geschlossenen-privaten Erlebnisweisen des einzelnen Individuums be zieht, unterliegt in seiner Grundkonzeption der Introjektion. Gefühle,
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Befindlichkeiten, Anmutungsqualitäten o. Ä. sind keinesfalls lediglich »ursprüngliche<< phänomenale Gegebenheiten, die im Erlebnisfeld des isolierten, einzelnen Menschen aus irgendeinem »endothymen Grund« (Lersch) hervorwachsen, sie sind vielmehr vermittelt durch die jewei lige gesellschaftliche Stufe des Menschen in seiner »Selbsterzeugung« als Gattungswesen. Marx hat die Dialektik zwischen gesellschaftlicher Produktion (i. w. S.) und individuellem Erleben - in Bezug auf das künstlerische Erlebnis - folgendermaßen charakterisiert: » . . . erst die Musik« erweckt »den musikalischen Sinn des Menschen« ( 1 968, [MEW] Ergbd. 1 , S . 54 1 ) . >>Der Kunstgegenstand - ebenso jedes andere Produkt - schafft ein kunstsinniges und schönheitsgenussfähiges Publikum. Die Pro duktion produziert daher nicht nur einen Gegenstand für das Sub jekt, sondern auch ein Subjekt für den Gegenstand« (1 969, MEW 13, S. 624). Erst vermittels solcher Dialektik »produziert die gewordne Gesellschaft den Menschen in diesem ganzen Reichtum seines Wesens, den reichen all- und tiefsinnigen Menschen als ihre stete Wirklichkeit« ( 1 968, [MEW] Ergbd. 1 , S. 542) . 10 Diese marxsche Konzeption taugt zur Charakterisierung des Ver hältnisses zwischen dem konkreten Zustand der gesellschaftlichen Selbsterzeugung des menschlichen Gattungswesens auf einer be stimmten Stufe und den individuellen >>phänomenalen Gegebenheiten« überhaupt. Zwar sind menschliche >>Gefühle«, Befindlichkeiten etc. subjektiv >>unmittelbar« vorgefunden, aber ebenso sehr sind sie »ob jektiv« vermittelt durch den historischen Stand der gesellschaftlichen Produktion, und zwar nicht nur vermittelt in ihrer sprachlichen Be nennung, sondern auch vermittelt in ihrer phänomenalen · Eigenart selbst, wobei man - was im Begriff der >>Vermitteltheit« zum Ausdruck kommt - hier nicht an eine einseitige >>Determination« der phänome nalen Gegebenheiten durch gesellschaftliche Bedingungen, sondern an eine dialektische Beziehung zwischen beiden denken soll. Die modernen kognitionstheoretischen Konzeptionen, in denen die Abhängigkeit der Qualität emotional-affektiver Erlebnisse von den kognitiven Strukturen, in die sie eingebettet sind, theoretisch ange nommen und empirisch geprüft wurde (vgl. dazu etwa Schachter 1 966 und Zimbardo 1 9 69), stellen, wie mir scheint, einen wesentlichen Fort schritt in Richtung auf eine Aufhebung der Introjektion dar, da hier die Erlebnisse nicht mehr als einem naturhaften >>endothymen Grund« zugehörig, sondern als durch spezifische, kommunizierbare Kogni10
Marx setzt an dieser Stelle seiner Frühschriften ein »gesamtgesellschaftliches Subjekt« implizit voraus und antizipiert damit eine zukünftige Gesellschaft, in der die Klassenantagonismen der bestehenden üb erwunden sind.
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tionsweisen nicht nur sprachlich benannt, sondern auch mitgeprägt erscheinen. Der letzte Schritt - nämlich die kritisch-historische Frage nach den konkreten gesellschaftlichen Bedingungen der Annahme ganz bestimmter kognitiver Akte wie der Möglichkeit und Verständlichkeit des Konzeptes »Kognition« in seinen gegenwärtigen Bestimmungen überhaupt - wird hier allerdings noch nicht vol).zogen. Es mag aus diesen Hinweisen deutlich geworden sein, dass die Psychologie, sofern sie das abstrakte Gedankending, »isoliertes Indi viduum überhaupt«, mit dem lebendigen, konkreten Menschen, dem ihr Interesse zu gelten hat, verwechselt, nicht nur ihren Gegenstand verfehlen muss, sondern auch den gedanklichen Zusammenhang und die Relevanz psychologischer Theorien niemals rational ausweisen kann. - Nach der konstruktivistischen Kritik ist m. E. die Annahme als völlig unbegründbar zu betrachten, dass durch Erfahrungsgelei tetheit, vom Gegenstand her, sich Ordnung, Sinn und Bedeutsamkeit wissenschaftlichen Theoretisierens sozusagen von selbst herstellt. An dererseits muss jeder Versuch, quasi »von unten her«, im Blick auf das als konkret missverstandene abstrakt-isolierte Einzelindividuum, Ge ordnetheit und Relevanz in psychologische Theorien zu bringen, not wendigerweise scheitern. Auf diesem Wege kann man niemals zu etwas anderem gelangen als zu Bruchstücken, Zufälligkeiten, ständig wech selnden kurzatmigen modischen Trends, wobei niemand einem etwas eindringlicher Fragenden erklären kann, was das Ganze eigentlich soll. Der Zusammenhang innerhalb psychologischer Theorien kann sich nur herstellen, und die Relevanz solcher Theorien ist nur zu beur teilen, wenn man »vom Abstrakten zum Konkreten aufsteigend« das Gattungswesen »Mensch« als Produkt seiner gesellschaftlichen Arbeit auf einer bestimmten historischen Entwicklungsstufe innerhalb des einzelwissenschaftlichen Theoretisierens mitreflektiert und von da aus die Kategorien gewinnt, mit denen das Verhalten und Erleben des in
unserer Zeit in dieser Gesellschaft vorfindliehen lebendigen Menschen verständlich wird und gesellschaftsverändernde Praxis gefördert wer den kann. - In den folgenden Abschnitten wird dies noch viel genauer auszuführen sein. Nun könnte man die bisherigen Überlegungen mit dem Argument zurückweisen wollen, die kritisierten theoretischen Konzeptionen hätten sich doch - trotz der vorgeblichen Verkehrung von Abstrakt heit und Konkretheit menschlicher Verhältnisse - empirisch bewährt: Weite Bereiche der so genannten bürgerlichen Psychologie hätten der
experimentellen Prüfung unter strengsten methodologischen Kriterien standgehalten. An dieser Stelle ist auf die zentrale konstruktivisti sche Konzeption hinzuweisen, dass die einer Theorie entsprechenden empirischen Daten durch den Realisationsakt teilweise - nämlich
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vorbehaltlich der >>blinden« Widerständigkeit der Realität, die sich im Belastetheitsgrad niederschlägt im Forschungsprozess produziert werden. Die Abhängigkeit der Daten von den Theorien ergibt sich dabei aus der besonderen Behandlung des Exhaustionverfahrens, wie es im Konstruktivismus beschrieben worden ist, wobei meiner Auf fassung nach auch an dieser Stelle der konstruktivistische Ansatz die Forschungspraxis der bürgerlichen Psychologie in am wenigsten ver schleierter und also in am ehesten angreifbarer und transformierbarer Form repräsentiert. Wenn in den Theorien der bürgerlichen Psychologie der Mensch als ein abstrakt-isoliertes, seiner gesellschaftlich-historischen Konkretheit entkleidetes Individuum erscheint, so muss - im Interesse der empi rischen »Bewährung« solcher Theorien - die Methodik zur Prüfung derartiger Theorien so beschaffen sein, dass auch bei der experimentel len Prüfung der theoretischen Konzeptionen die Bedingungen, die die konkrete gesellschaftlich-historische Lage eines Menschen bestimmen, außer Acht gelassen werden. Dies geschieht so: In den theoretischen Sätzen, die empirisch zu prüfen sind, wird der Anspruch erhoben, dass diese Sätze - nach Art der nomothetischen WISsenschaftskonzeption - streng »immer und überall« gelten sollen.1 1 Allein dieser Anspruch ist - da er aus den Naturwissenschaften herstammt, die mit Gegenständen befasst sind, die keinen geschichtlichen Prozessen unterliegen - essentiell Ausdruck einer ahistorischen Wissenschaftsvorstellung. Dami.t ist die Konzep tion des isoliert-abstrakten, von konkreten historisch-gesellschaft lichen Bedingungen unabhängigen Individuums im methodologischen Ansatz der bürgerlichen Experimentalpsychologie fest verarikert. Zur Durchsetzung dieses Anspruchs der »Empirie« gegenüber wird nun das Prinzip der Exhaustion in der schon angedeuteten spezifischen Weise gehandhabt: Alle Faktoren, die den nomothetischen Allgemein gültigkeitsanspruch gefährden könnten, werden per definitionem als »störende Bedingungen« betrachtet und fallen somit der Exhaustion anheim: das bedeutet, dass jene Momente, die die konkrete historisch gesellschaftliche Bedingtheit des lebendigen Menschen ausmachen, als »Fehlervarianz« eliminiert werden. Auch die mögliche Widerständig keit der Realität, die nach konstruktivistischer Denkweise der jewei ligen Theorie als »Belastetheit« zugerechnet werden muss und ihren empirischen Wert verringert, ändert im Prinzip nichts am Grundansatz der bürgerlichen Experimentalpsychologie, da auch konkurrierende -
1 1 Stochastische Einschränkungen dieses Anspruchs ändern, wie an anderer Stelle (Holzkamp 1 968, S. 96; 2006a, S. 1 1 0) näher begründet wurde, nichts an dieser Problemlage.
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Theorien lediglich Aussagen über ein isoliert-abstraktes Individuum enthalten und da die methodelogischen Ansätze zur empirischen Prü fung der jeweiligen Konkurrenztheorien ebenfalls per Exhaustion die konkreten gesellschaftlich-historischen Bedingtheiten des lebendigen Menschen eliminieren. Der konkrete geschichtliche Mensch wird hier also - auf Grund des absolut genommenen nornethetischen Anspruchs - in den theore tischen Konzeptionen zu einer ahistorischen »Naturtatsache«, einem »Organismus«, verkürzt, und die empirische Prüfung der Theorien ist so angelegt, dass der organismische Ansatz durch empirische Daten nie mals in Frage gestellt werden kann: Zunächst werden im Realisations akt - per expliziter und impliziter Instruktion - durch die Festlegung des Verhaltens der Versuchspersonen auf bestimmte Dimensionen und somit die Reduzierung der Verhaltensvariabilität der Versuchsperson auf nur wenige generalisiert-nornethetische Variablen etc. die organis mischen Konzeptionen so weit wie möglich in der Realität durchzu setzen versucht. Was dann noch an situationsbedingter Verhaltensva riabilität als Lebensäußerung des jeweils konkreten geschichtlichen Menschen übrigbleibt, wird entweder experimentell oder statistisch als Störvarianz isoliert. Auf diese Weise ist das organismische System der
bürgerlichen Psychologie, in dem der konkrete historische Mensch zum abstrakt-isolierten Individuum umgefälscht ist, immanent völlig unan greifbar, da es sozusagen per definitionem gar keine empirischen Daten geben kann, die diesem System widersprechen. - Ich habe die »orga nismische« Ideologie der bestehenden Psychologie an anderer Stelle ausführlich behandelt (vgl. »Verborgene anthropologische Vorausset zungen der allgemeinen Psychologie« [S. 41 -82]) und beschränke mich deswegen hier auf diese wenigen Andeutungen.
3.3 »Tägliches Leben« und »objektive« Gesellschaftsform: die Bezugsrahmen für die Relevanzbestimmung psychologischer Forschung Aus den bisherigen Überlegungen ist zunächst die globale Konse quenz zu ziehen: In einer kritisch-emanzipatorischen Psychologie ist die Verkehrung zwischen Konkretheit und Abstraktheit menschlicher Verhältnisse aufzuheben. Nicht das als konkret verfälschte abstrakt-iso
lierte Individuum, sondern der wirkliche, lebendige, historische Mensch ist legitimes Thema der Psychologie: Nur durch eine damit vollzogene entscheidende Modifikation des wissenschaftstheoretischen Grundan satzes ist der Psychologie die Möglichkeit gegeben, zu zusammenhän genden und sinnvollen Konzeptionen und Resultaten zu gelangen, die potentiell Relevanz besitzen können.
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Im Blick auf das zentrale Thema der Relevanz der psychologischen Forschung soll zunächst rekapitulierend herausgehoben werden, dass gemäß der radikal-entschleiernden konstruktivistischen Deutung der bürgerlichen Psychologie die inhaltliche Relevanz psychologischer Forschung durch Rekurs auf ein wie auch immer geartetes - positives oder negatives - >>Erkenntnis«- oder »Wahrheits«-Prinzip als unge rechtfertigt zurückgewiesen werden muss. Als rational zu rechtferti gende universelle Zielsetzung bleibt der bürgerlichen Psychologie le diglich die systemimmanente und systemtranszendente Eindeutigkeit als formales Prinzip. Die inhaltlichen Interessen, die tatsächlich die psychologische Forschung leiten, sind im Rahmen des Bewusstseins standes bürgerlich-psychologischen Denkens nicht rational ausweisbar und kritisierbar. Wir können jetzt hinzufügen, derartige inhaltliche Interessen können auch gar nicht rational ausweisbar sein, solange sowohl der Forscher als Subjekt der Psychologie wie der Mensch als Thema der Psychologie ideologisch zu abstrakt-isolierten Individuen veifälscht werden. Auf diese Weise kann nämlich der Forscher weder seine eigene historisch-gesellschaftliche Situation und Standortgebun denheit wissenschaftlich reflektieren, noch kann er die Versuchsper sonen als konkrete, lebendige, historische Menschen wissenschaftlich zur Kenntnis nehmen (was »privat«, sozusagen »außer Dienst«, also ohne den Zwang zu Anwendung der bürgerlich-psychologischen Wis senschaftsideologie, mit Selbstverständlichkeit geschieht). Nur durch die Überwindung der dezisionistisch-organismischen Konzeptionen des eingeengten bürgerlich-psychologischen Bewusstseins und die totalisie rende Einbeziehung des menschlichen » Gattungswesens<< als Produkt seiner Selbsterzeugung auf einer bestimmten Stufe gesellschaftlicher Arbeit ist die Sicht auf den Forscher wie die Versuchspersonen als kon krete, lebendige Menschen frei und kann so die Frage nach der inhalt lichen Relevanz psychologischer Forschung für eben diese Menschen überhaupt diskutiert werden. Es sollte nun deutlich geworden sein, dass der Rahmen für die Re levanzbestimmung psychologischer Forschung notwendigerweise die konkrete gesellschaftlich-historische Situation des Menschen sein muss. Was die »konkrete gesellschaftlich-historische Situation des Men schen<< sei, ist nun aber keinesfalls von vornherein ausgemacht, sondern muss noch eingehender geklärt werden. Der historisch-gesellschaftliche Bezugsrahmen, auf den man bei der Bemühung um die Relevanzbestimmung psychologischer Forschung vermutlich stets zuerst stößt, weil er besonders »naheliegt«, ist das >>tägliche Leben«, die Alltagswelt, in der wir uns phänomenäl gemein sam vorfinden, unser Leben fristen, arbeiten, essen, schlafen, Befrie digungen und Versagungen erleben, etc. Sofern man den »Menschen
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in konkreter gesellschaftlich-historischer Lage« mit dem »Menschen im Alltag« gleichsetzt, müsste das Problem der inhaltlichen Relevanz psychologischer Forschung im Blick auf den Bezugsrahmen »tägliches Leben« diskutiert werden. Ein solcher Bezug auf das tägliche Leben zum Aufweis des Sinnes psychologischer Forschung findet sich nun in verschiedenen Versi onen innerhalb der Geschichte der Psychologie. So kann man etwa die Zurückweisung des >>Elementen«-Ansatzes der wundtschen Psycholo gie und die Hinwendung zur >>natürlichen« Weltsicht des Menschen in der Gestalt- und Ganzheitspsychologie als einen solchen Bezug auf >>tägliches Leben« auffassen, wobei sich in der Folge durch die >>an thropologische Wendung<< der deutschen Psychologie während der Herrschaft des Nationalsozialismus diese Tendenz in gewisser Weise fortsetzte und nach dem zweiten Weltkrieg durch die allmähliche As similation der internationalen, besonders amerikanischen Psychologie abgelöst wurde. Die gegen die amerikanische Version der Elementenpsychologie, den >>Strukturalismus« Titcheners, gerichtete Bewegung des Funktio nalismus ist im Wesentlichen als die Zurückweisung der Konzeption eines wie auch immer verstandenen >>Bewusstseins überhaupt<<, dessen Aufbau die Psychologie zu erforschen habe, und die Hinwendung zum Menschen, wie er im täglichen Leben sein Dasein bewältigen muss, zu verstehen. Durch diese funktionalistische Umorientierung wurde auch der Weg frei für die Entwicklung der modernen statistischen Pla nungs- und Prüfmethoden in der psychologischen Forschung. Wäh rend der methodologische Impuls des Funktionalismus innerhalb der Geschichte der Psychologie zu voller Wirksamkeit kam, sind die inhaltlichen Konzeptionen der funktionalistischen Psychologie, das Interesse am Alltagsmenschen in seinem Bemühen, handelnd sein Le ben zu bewältigen und zu gestalten, durch den Behaviorismus und die damit zusammenhängende Operationistische Wissenschaftsauffassung zum mindesten innerhalb der grundwissenschaftlichen Psychologie weitgehend wieder verloren gegangen. Eine wenn auch in ihrer Effektivität schwache Gegenbewegung gegen die formal-methodologisch orientierte moderne Psychologie ist die 1 962 gegründete >>American Association of Humanistic Psy chology<<, deren Hauptvertreter A. H. Maslow ist. In der »humanis tischen Psychologie« soll die menschliche Erfahrung im täglichen Le ben in den Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses gestellt und die inhaltliche Relevanz der Forschung im Blick auf diese Erfahrung dem Gesichtspunkt der formalen methodologischen Strenge über geordnet werden. Sutich, einer der Mitbegründer der American As sociation of Humanistic Psychology, nennt als zentrale Themen der
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humanistischen Psychologie: » schöpferische Produktivität, Liebe, Selbst, Wachstum, Organismus, grundlegende Bedürfnisbefriedigung, Selbstverwirklichung, Wertvorstellungen, Sein und Werden, Spontane ität, Spiel, Neigungen, Humor, Natürlichkeit, Wärme, Transzendenz des eigenen Ichs, Objektivität, Autonomie, Verantwortlichkeit, Sinn gehalt, Anständigkeit, transzendentale Erfahrung, psychische Gesund heit« (zit. nach Sargem 1 965, S. 237). Weiter könnte auf Ansätze von Heider ( 1 958), Kelly (1 955) und an deren hingewiesen werden, in denen die Sprache des täglichen Lebens und der »common sense«, der sich darin ausdrückt, sozialpsychologisch untersucht werden. Derartige Ansätze stehen allerdings nur bedingt im Zusammenhang mit dem Relevanzproblem, weil man hier die Sprache des täglichen Lebens ja nicht als Bezugsrahmen für die Relevanzbe stimmung nimmt, sondern lediglich zum Gegenstand der Forschung macht. Immerhin ist die Wahl gerade der Alltagssprache und des com mon sense als Forschungsthema wohl ein Indiz dafür, dass diese Mo mente des täglichen Lebens als in irgendeinem Sinne wichtig und be deutsam angesehen werden. Im Ganzen muss man feststellen, dass den Versuchen, das tägliche Leben des Menschen als Kriterium für die Relevanz psychologischer Forschung zu nehmen, durchgehend etwas sehr Vages und Unbefrie digendes anhaftet. Es ist nicht recht auszumachen, was das tägliche Leben »des« Menschen eigentlich sei, wie man von den vielen einzel nen »täglichen Leben« der Menschen zu einem »generellen« täglichen Leben als Bezugsrahmen für die Relevanz der psychologischen For schung kommen kann. (Auch in dem genannten, etwa von Heider und Kelly vertretenen Ansatz bleibt offen, »wessen« Alltagssprache denn nun zum Gegenstand der sozialpsychologischen Forschung gemacht wird.) Auch die Frage, wie eine psychologische Wissenschaftssprache beschaffen sein müsse, in der der Bezug auf das >>tägliche Leben« her stellbar sein kann, bleibt offen. Faktisch kommt es in den einschlägigen Versuchen meist zu kaum mehr als zu gewissen Popularisierungen der psychologischen Fachsprache. Besonders wesentlich ist dabei, dass eine Sinnbestimmung der psychologischen Forschung im Blick auf die inhaltliche Relevanz der Forschungsansätze und -resultate durch Rückbezug auf das »tägliche Leben« - entgegen naheliegenden Erwartungen - nicht so recht ge lingen will. Das >>tägliche Leben« taugt nicht als einheitstiftendes Moment, durch das die psychologischen Forschungsinhalte in ei nen übergreifenden Zusammenhang zu stellen wären: alles bleibt nach wie vor Stückwerk. Die zitierte, von Sutich vorgelegte Aufzäh lung der möglichen Themen einer humanistischen Psychologie lässt sich zur Illustration dieses Umstandes heranziehen: Es ist beinahe . . •
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rührend, wie hier Begriffe, die auf irgendeine Weise »menschliche Werte« im Sinne des bürgerlichen Bewusstseins verkörpern, bunt und zusammenhanglos aneinandergereiht sind. Ein Protest von po sitivistischer Seite gegen eine derartige Schwammigkeit und Verwa sebenheit wissenschaftlich gemeinter Formulierungen wäre durchaus zu unterstützen. Die Aufhebung der ideologischen Konzeption eines abstrakt-iso lierten Individuums und die Hinwendung auf den lebendigen Men schen in konkreter gesellschaftlich-historischer Lage ist offensicht lich durch eine Ausweitung der wissenschaftlich-psychologischen Sichtweise auf das >>tägliche Leben« nicht zu leisten, so dass auch eine Relevanzbestimmung der psychologischen Forschung vom mensch lichen Alltag her nicht gelingen kann. Zwar scheint es zunächst so, als wenn der »Forscher« und die »Versuchsperson« im täglichen Leben sozusagen einen gemeinsamen Ort haben, in dem sie sich verständi gen und »einander näher kommen« können, so dass die Interessen des Forschers mit den Interessen der Menschen, die Gegenstand psycholo gischer Aktivitäten sind, in Einklang zu bringen wären. Bei gerrauerer Betrachtung erweist sich jedoch, dass sich weder der Forscher noch die Versuchsperson im >>täglichen Leben« als konkrete historische Men schen deutlich ausmachen lassen. Das tägliche Leben weicht vor je dem bestimmteren Zugriff zurück, es ist, obwohl es doch zunächst so »konkret« zu sein scheint, ein Abstraktum, durch das die Verfälschung des lebendigen geschichtlichen Menschen zum abstrakt-isolierten Indi viduum keinesfalls aufgehoben werden kann. Zur gedanklichen Erarbeitung des historisch-gesellschaftlichen Be zugsrahmens für die Bestimmung der Relevanz psychologischer For schung für den konkreten Menschen in einer bestimmten historisch gesellschaftlichen Lage muss man das »tägliche Leben« transzendieren und zur »objektiven<< Gesellschaftsform in ihrer gegenwärtigen Ent wicklungsstufe vordringen. Die Unterscheidung zwischen täglichem Leben und objektiver Gesellschaftsform ist eine Variante der histo risch-materialistischen Unterscheidung zwischen »Erscheinungsform« und » Wesen« menschlicher Verhältnisse in einer bestimmten geschicht lichen Konkretion. Marx schreibt im dritten Band des >>Kapitals«: >> . . . alle Wissenschaft wäre überflüssig, wenn die Erscheinungsform und das Wesen der Dinge unmittelbar zusammenfielen . . . « (1 968, [MEW] 25, S. 825). Die Unterscheidung zwischen Erscheinungsform und Wesen ist eines der zentralen Momente, die die dialektische von der positivisti schen Wissenschaftsauffassung abhebt. In der modernen bürgerlichen Psychologie z . B. würde diese Unterscheidung als pure Spekulation, »Metaphysik<< etc. zurückgewiesen. Hier akzeptiert man keineswegs
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die Auffassung, dass es verschiedene Grade der Verschleiertheit bzw. Entschleiertheit der Sicht auf menschliche Verhältnisse geben könne und dass eine - relativ - entschleierte Sicht einen höheren Grad von »Bewusstseinsstand« hinsichtlich der historisch-gesellschaftlichen Faktoren menschlichen Daseins zur Voraussetzung habe: Ein Datum ist genauso gut wie das andere. Die Fakten werden als jene undurch dringlichen >>Letztheiten« angesehen, deren schadsinnige kritische Analyse Adornos Einleitung zum »Positivismusstreit« zu verdanken ist (1 969, S. 7ff.). Deswegen müssen Aussagen wie: ein Mensch kenne seine wahren Bedüdnisse nicht, seine wirklichen Interessen seien für ihn verschleiert o. Ä., für die bürgerlich-positivistische Psychologie als völlig absurd erscheinen. Woher, so würde man hier fragen, sind denn die Maßstäbe zu beziehen, an denen man ablesen kann, was das »wahre« Bedürfnis und das >>wirkliche<< Interesse eines Menschen, un abhängig von seiner eigenen Einschätzung, sei: Die Ausprägung eines bestimmten »Bedürfnisses<< oder »Interesses<< wird als identisch gesetzt mit einem bestimmten Wert auf der einschlägigen Skala zur Messung des Bedürfnisses bzw. Interesses. Die Möglichkeit und praktische Notwendigkeit kritisch-emanzipatorischer Psychologie ist nur dann stringent zu machen, wenn die Unterscheidung zwischen »Erschei nungsform« und >> Wesen<< menschlicher Verhältnisse (hier als Unter scheidung zwischen täglichem Leben und objektiver Gesellschaftsform spezifiziert) als wissenschaftstheoretische Voraussetzung für die Bestim mung der inhaltlichen Relevanz psychologischer Forschung gegenüber dem positivistischen Standpunkt zwingend auszuweisen ist. Ich kann das damit umschriebene Problem, dessen Bearbeitung per manent ein »Schwimmen gegen den Strom<< des eigenen bürgerlichen Bewusstseins erfordert, keineswegs jetzt schon angemessen lösen - hier liegt eine der wesentlichen gemeinsamen Aufgaben kritischer Psycho logen für die Zukunft -, sondern zunächst nur einige Hinweise geben. Wenn hier von »objektiver<< Gesellschaftsform die Rede ist, so hat das nichts mit einem höheren Wahrheitsanspruch eines >>Objektiven« gegenüber dem bloß >>Subjektiven<< o. Ä. zu tun. Es wird hier vielmehr von der historisch-materialistischen Auffassung ausgegangen, dass die Form, in der der Mensch in gesellschaftlicher Arbeit sein Gattungsleben erhält, in entscheidender Weise die Art seiner sozialen Kommunikation, seiner Selbst- und Weitsicht, seines wissenschaftlichen und künstleri schen Produzierens bestimmt (wobei hier natürlich nicht an ein einsin nig-kausales, sondern an ein dialektisches Verhältnis gedacht ist). Die jeweilige historische Gesellschaftsform ist - wie schol! mehrfach gesagt - nicht lediglich die Resultante verschiedener individueller In teressen, subjektiver Sichtweisen etc. und mithin kein aus den Erlebens und Verhaltensweisen einzelner Menschen konstruiertes und nur als -
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Denkergebnis einzelner Menschen vorliegendes Abstraktum, sondern eben die übergeordnete Weise der Regelung menschlicher Lebensver hältnisse im Ganzen, durch die die Entfaltungsform des Menschen als Gattungswesen und damit die Variationsbreite der Handelns- und Er lebensmöglichkeiten des individuellen Menschen bestimmt sind. Die Gesellschaftsform geht mithin, obgleich stets subjektiv vermittelt, und deshalb immer nur in dialektischer Angehensweise >>durch<< das Subjekt »hindurch<< erfahrbar, nicht im Subjektiven auf und wird in diesem Sinne »objektiv<< genannt. Die objektive Gesellschaftsform, in der bürgerliche Psychologie be trieben wird und aus der auch die Ansätze zu einer kritisch-emanzipa torischen Psychologie hervorgehen, ist die kapitalistische Gesellschaft, in der die Herrschaftsverhältnisse durch die ökonomische Klassen struktur bedingt sind. Die genaue Bestimmung dieser Klassenstruktur ist heute außerordentlich schwierig. Mit der einfachen Unterschei dung zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten ist sicher nicht mehr viel ausgerichtet (vgl. Pannekoek, o. J.); die gegenwärtig innerhalb der sozialistischen Bewegung so dringend geforderte Klassenanalyse ist erst ansatzweise geleistet. Entscheidend ist jedoch, dass - an welcher Schnittstelle auch immer - die kapitalistische Gesellschaft durch im manent unaufhebbare Klassengegensätze gekennzeichnet ist, was man sich - wenn auch vergröbernd, so doch im Prinzip angemessen - im Blick auf die »extremen« Klassenantagonismen zwischen dem Kapital, das im Besitz der Produktionsmittel ist, und dem >>Arbeiter«, der, weil er keine Produktionsmittel besitzt, seine Arbeitskraft als Ware verkau fen muss und so die Bildung von Mehrwert und Profit für das Kapi tal ermöglicht, verdeutlichen kann . Im Bezugsrahmen der objektiven Gesellschaftsform des Kapitalismus gibt es mithin kein »gesamtgesell schaftliches Subjekt«, sondern immer nur Menschen in einer bestimm ten Klassenlage. Die herrschenden Klassen müssen, um ihre Macht nicht gefährdet zu sehen, daran interessiert sein, die antagonistische Klassenstruk tur der kapitalistischen Gesellschaft zu verschleiern und den Unter drückten und Ausgebeuteten den Umstand ihrer Unterdrücktheit und Ausgebeutetheit zu verhehlen. Dies geschieht dadurch, dass die Herrschenden ihr den Interessen anderer Klassen gegenüber antago nistisches eigenes Klasseninteresse als gesamtgesellschaftliches Interesse im Bewusstsein aller Individuen der Gesellschaft etablieren. >>Die Ge danken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken« (Marx-Engels 1 969, S. 46 [MEW 3]). So sind in einer ,,funktionierenden<< kapitalistischen Gesellschaftsordnung die Klas senantagonismen verschleiert hinter einer mehr oder weniger allge mein akzeptierten »gesamtgesellschaftlichen<< Ideologie des >>Wir zie-
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hen alle an einem Strang«, »sitzen alle im gleichen Boot«, >>können nur in gemeinsamer Anstrengung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern den Wohlstand und die Zukunft unseres Volkes sichern<<, >>müssen alle manchmal zurückstecken, um das Ganze nicht zu gefährden<< etc. Huffschmid ( 1 969, bes. S. 1 32ff.) schildert sehr eindringlich die Ver schleierung des Profitinteresses hinter einem vorgeschobenen >>Allge meininteresse<< durch die herrschenden politischen Kräfte in der BRD. Die Verschleierung der Klassenantagonismen und die Identifizie rung des Interesses der herrschenden Klassen mit dem Allgemeinin teresse ist nun nicht zuvörderst als das >>Werk« von im Dienste der Kapitalisten stehenden manipulierenden Drahtziehern zu verstehen, sondern ergibt sich aus der institutionellen Struktur des kapitalisti schen Systems sozusagen weitgehend von selbst, angefangen bei der ökonomischen Abhängigkeit von Massenmedien, über die Herrschafts eingebundenheit der entscheidenden Bildungsinstitutionen bis etwa zur bürgerlichen Familie, die als »Keimzelle des Staates<< unter dem »besonderen Schutz<< dieses kapitalistischen Staates steht, weil sie eine entscheidende Instanz für die Reproduktion des Systems darstellt (vgl. dazu neuerdings Roloff & Bigott 1 9 70). Über die damit angespro chenen Probleme ist ja gegenwärtig eine umfassende Diskussion im Gange, so dass ich mir hier genauere einschlägige Ausführungen spa ren kann. Nach Erörterung des Konzeptes der »objektiven Gesellschaftsform« kann nun über die Eigenart des »täglichen Lebens<< Genaueres gesagt werden: » Tägliches Leben<< und »gesunder Menschenverstand<< in der gegenwärtigen Gesellschaft sind Inbegriff der vordergründig-harmo nisierenden, herrschaftsverschleiernden Ideologien des » Gemeinwohls« und des »Allgemeininteresses«. Die Zusammenhanglosigkeit und Abs traktheit des >>täglichen Lebens<< und seine geringe Brauchbarkeit zur Relevanzbestimmung psychologischer Forschung rühren daher, dass hier von der (in der kapitalistischen Gesellschaftsform) abstrakten Fiktion eines gesamtgesellschaftlichen Individuums ausgegangen wird, womit der konkrete lebendige Mensch, wie er sich in unserer Gesell schaft vorfindet, verfehlt werden muss: Der konkrete geschichtliche Mensch, auf den sich die gegenwärtige Psychologie allein beziehen kann, ist notwendigerweise der Mensch in einer bestimmten, denen an derer Klassen antagonistischen Klassenlage. Von da aus ergeben sich Unterscheidungen, wie die zwischen >>falschen« und >>wahren« Bedürfnissen, manipulierten und eigent lichen Interessen etc., zwingend nicht lediglich als willkürliche >>Defi nitionen«, sondern als Niederschlag von >>objektiven« Antagonismen in der Gesellschaft: Die »falschen<<, »unechten«, manipulierten Bedürf nisse und Interessen sind stets die Interessen der Herrschenden, die das
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in der Klassengesellschaft unterdrückte, sich selbst entfremdete Indivi duum so internalisiert hat, dass es sie für seine eigenen hält; die »wah ren«, »echten«, »spontanen« Bedürfnisse sind solche, die in einer un terdrückungsfreien Gesellschaftsstruktur, welche »den reichen all- und tiefsinnigen Menschen als ihre stete Wirklichkeit« (Marx 1 968, [MEW] Ergbd. 1, S. 542) geschaffen hat, als die »alltäglichen« Erlebensformen erscheinen würden und die in unserer Gesellschaft in der Negation der Unterdrückung und Verschleierung von Bedürfnissen und Interessen lediglich erahnt werden können. - Dabei ist darauf hinzuweisen, dass in der kapitalistischen Gesellschaft die Unterdrückung der Spontanei tät menschlicher Bedürfnisbefriedigung und Interessenverwirklichung nicht auf die Arbeiterklasse beschränkt bleibt, wenn sie hier auch ihren sinnfälligsten und brutalsten Ausdruck findet. Die Interessen des »Ka pitals « als abstrakter, verselbständigter Herrschaftsgröße sind keines falls identisch mit den Interessen des einzelnen »Kapitalisten«, da er im kapitalistischen System als sich selbst entfremdete »Charaktermaske« nicht seinen spontanen menschlichen Interessen, sondern den Inter essen der Klasse, der er naturwüchsig zugehört, dient. Nicht nur die
Aufhebung des Erleidens von Unterdrückung, sondern auch die Auf hebung der entfremdeten, dem individuellen Impuls entzogenen Ausü bung von Unterdrückung gehört zur Selbstbefreiung des Menschen als Gattungswesen. Kritisch-emanzipatorische Psychologie nimmt den Widerspruch zwi schen dem harmonistisch-verschleiernden » Weltbild« des »täglichen Lebens« und der antagonistischen Klassenstruktur der gegenwärtigen Gesellschaftsform zum Ansatz für ihre Forschungsaktivität. In Realisierung ihrer kritischen Funktion hat die Psychologie die harmonisierend-verschleiernden Ideologeme im Dienste der Erhal tung bürgerlicher Gesellschaft auf die objektive Klassenstruktur dieser Gesellschaft hin zu transzendieren. - Dies bedeutet einmal, dass - in immer wieder vollzogener Denkbewegung - vom »dezisionistisch« verstandenen »individuellen Forscher« über den harmonistischen Standort des »täglichen Lebens« bis zum Aufweis der klassengebunde nen Interessenverhaftetheit der wissenschaftlichen Forschung vorzu dringen ist. Dabei muss man sich deutlich machen, dass es gegenwärtig für die Forschung unmöglich ist, gemäß einem idealistisch-humani tären Weltverständnis »dem« Menschen oder »der« Menschheit zu die nen. Durch das »Noch-Nicht« eines gesamtgesellschaftlichen Subjekts
ist Wissenschaft heute notwendigerweise und unentrinnbar Klassenin teressen verhaftet, ob dies der einzelne Forscher nun sehen will oder nicht. Das heißt allerdings nicht, dass wissenschaftliche Forschung, wie sie heute betrieben wird, nicht potentiell einer zukünftigen unter drückungsfreien Gesellschaft dienlich sein könnte. Ich komme darauf
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zurück. - Dies bedeutet zum anderen, dass der Gegenstand der kri tischen Psychologie niemals »der<< Mensch sein kann, sei es der no mothetisch gereinigte >>Mensch« der strengen empirisch-analytischen Forschung, sei es der >>Alltagsmensch« etwa der >>humanistischen Psy chologie«, sondern - wie schon gesagt - immer der Mensch in einer bestimmten Klassenlage, wobei die ökonomischen Primärmomente und die psychologischen Sekundärmomente der verschiedenartigs ten Konkretionen dieser Klassenlage sehr genau zu bestimmen wären. Kritische Psychologie ist mithin immer »differentielle Psychologie« in einem bestimmten Sinne, nämlich Psychologie, differenziert nach der Klassenlage der Individuen, die sie zum Thema ihrer Forschung macht. Der Unterschied zwischen einer klassenbezogenen kritischen Psycho logie und der heute schon in gewissem Maße durchgesetzten Forde rung nach >>Schichtspezifität« von Forschungsansätzen besteht darin, dass im >>Schicht«-Konzept lediglich eine Klassifikation verschiedener Individuen nach dem sozioökonomischen Status erfolgt, während im Klassenkonzept der immanent unaufhebbare Interessenantagonismus der verschiedenen Klassen in der kapitalistischen Gesellschaft mitge dacht ist. - Der Bezugsrahmen für die kritische Relevanz psycholo gischer Forschung ist das Maß der Erfüllung der kritischen Punktion der Psychologie, wie sie eben geschildert wurde. Die emanzipatorische Funktion der Psychologie leitet sich aus der kritischen her: Psychologie wirkt insoweit emanzipatorisch, als sie ihre kritisch gewonnenen Einsichten aufklärerisch anderen zugänglich ma chen kann. - Die aufklärerische Aktivität muss dabei einmal Inbegriff der gemeinsamen Anstrengung der psychologisch Forschenden sein, durch Kritik und Selbstkritik alle Ideologeme der »reinen« Forschung und der allgemeinen humanitären Funktion der Psychologie immer wieder zu entlarven und die Eingebundenheit der Forschung in Klasseninteressen sichtbar zu machen. Diese Anstrengung kann niemals als abgeschlossen betrachtet werden, weil sie bei jedem neuen Problem sozusagen gegen den >>Widerstand« des bürgerlichen Bewusstseins der Forscher erfol gen muss. - Zum anderen hat sich die aufklärerische Aktivität auch an die Menschen dieser Gesellschaft, die nicht Subjekte psychologischer Forschung sind, zu richten und diesen Menschen dabei zu helfen, in jeweils sehr unterschiedlichen konkreten Fällen zum Bewusstsein ihrer Klassenlage zu kommen. Obwohl faktisch alle Menschen dieser Gesell schaft durch die Klassenstruktur des Spätkapitalismus sich selbst ent fremdet und ihrer wahrhaft menschlichen Möglichkeiten noch beraubt sind, wird sich die Aufklärung weitgehend an die unterdrückten Klas sen wenden müssen, weil der Impuls zur Selbstbefreiung hier an das Bewusstsein der Klassenlage gebunden ist, während in den nicht ein deutig unterdrückten oder gar den unterdrückenden Klassen lediglich
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einzelne Individuen sozusagen >>aussteigen« und zu gesellschaftsverän dernder Aktivität finden können, während die >>Klasse<< als solche am Fortbestehen der herrschenden Verhältnisse interessiert sein muss. Wenn man die Psychologie als >>emanzipatorisch<< im geschilderten Sinne versteht, so ist dabei der Schein einer »neutralen<< Wissenschaft notwendigerweise und radikal aufgegeben. Die Aufklärung von Menschen dieser Gesellschaft über ihre Klassenlage macht für diese Menschen nämlich zwangsläufig die Interessenantagonismen der Klas -
sengesellschaft deutlich, die im Dienste der Perpetuierung der beste henden Herrschaftsverhältnisse gerade verschleiert werden müssten. - Jede an verschiedenartigsten Tatbeständen des >>täglichen Lebens<< ansetzende und dieses transzendierende - etwa durch psychologische Praxis vermittelte - Einsicht, dass vorgeschobene Allgemeininteres sen verschleierte Herrschaftsinteressen sind, dient - wenn auch sicher häufig mit minimalem Effekt - tendenziell der Vorbereitung auf eine Überwindung der Klassengesellschaft. Der Bezugsrahmen für die emanzipatorische Relevanz psycholo gischer Forschung ist der Grad der Verwirklichung der geschilderten zweifachen aufklärerischen Intention. - Dabei ist das mögliche Miss
verständnis zurückzuweisen, dass die emanzipatorische Relevanz sich nur durch verbal-aufklärerische Aktivitäten, und dabei womöglich nur im Sozialisationsbereich, herstellen lässt. >>Aufklärung<< kann sich in den verschiedensten Formen und unter Anwendung unterschiedlichs ter Strategien verwirklichen, wobei bloß verbale Aufklärung für sich genommen meist ziemlich hilflos bleiben wird, sondern nur im Zu
sammenhang mit konkreter gesellschaftlicher Praxis, in der durch aktiv veränderndes Tun - etwa in solidarischem Handeln - bestehende or ganisatorische Strukturen problematisiert, Herrschaftsverhältnisse, und sei es auch zunächst nur mehr exemplarisch, aufgebrochen werden, etc., ihren Sinn und ihre Effektivität erhalten kann. - Über die zentrale Be deutung von >>Praxis<< für die kritisch-emanzipatorische Psychologie wird im Übrigen später noch zu diskutieren sein. Kritische und emanzipatorische Relevanz der psychologischen For schung bedingen sich gegenseitig, da allein die kritische Relevanz ohne emanzipatorische Relevanz gänzlich unpolitisch und >>akademisch<< bleiben müsste und da andererseits die kritische Relevanz der eman zipatorischen Relevanz pragmatisch vorgeordnet ist. Sofern ich die kritische und die emanzipatorische Relevanz nicht voneinander abhe ben will und sofern ich beide nicht gegen andere Arten von Relevanz absetzen möchte, spreche ich nur von Relevanz, wobei stets >>äußere<< Relevanz (vgl. Holzkamp 1 970a, S. 3ff [hier S. 1 5ff.]) gemeint ist.
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3 .4 Das »kritisch-historische« und das
»kritisch -empirische« Verfahren Wie aus den letzten Ausführungen deutlich werden sollte, muss die Psychologie ihren kritisch-emanzipatorischen Anspruch stets in Bezug auf zwei Instanzen einlösen, in Bezug auf den Forscher und in Bezug auf die Versuchsperson. Daraus folgt, dass psychologische Forschung auf zwei verschiedene Arten von »Empirie<< gerichtet sein muss. Da der Forscher, wie früher begründet, nicht als abstrakt-isoliertes Individuum, als »individueller Forscher«, der dezisionistisch >>Theo rien« produziert, deren Entstehungsbedingungen objektiv unhinter fragbar sind, verstanden werden darf, sondern als Mensch in einer kon kreten gesellschaftlich-historischen Situation, d. h. vordergründig als >>Mensch im Alltag« und kritisch gesehen als Mensch in einer bestimm ten - jeweils spezifisch konkretisierten - Klassenlage, sind die Gründe für die inhaltliche Eigenart von Theorien nicht mehr per Introjektion >>in« den Forscher verlegt und damit der intersubjektiven Diskussion entzogen, sondern liegen für eine kritisch-historische Analyse offen. Dies bedeutet keineswegs, dass die kritisch-historische Analyse der Theorien aus der >>Subjektivität« des einzelnen Forschers ihre Bestä tigung erhalten muss. Ebenso wenig bedeutet dies, dass man hier eine vollständige Genese des Zustandekoromens einer Theorie beim einzel nen Forscher anzustreben hätte: Die biographische Genese einer Theo rie ist in der Tat nicht nur für die formalistisch-positivistische, sondern auch für eine kritisch-emanzipatorische Wissenschaftstheorie weitge hend uninteressant. Die Ergebnisse der geschichtlichen Bedingungs analyse und -bewertung von Theorien sind an - für die Psychologie großenteils noch zu erarbeitenden - objektiven methodischen Kriterien der kritisch-historischen Verfahrensweise auf ihre Angemessenheit hin zu beurteilen, unabhängig davon, ob der Inaugurator einer bestimm ten Theorie im Blick auf die ihm als Lebensraumtatbestände gegebenen subjektiven Entstehungsbedingungen seiner Theorie zu dem gleichen Ergebnis kommt oder nicht, und auch unabhängig davon, wieweit ein individual-biographisches, quasi »anamnestisches<< Zurückverfolgen des Zustandekommens der Theorie versucht wird und erfolgreich ist. Damit ist eine Art von >>Empirie« der kritisch-emanzipatorischen Psychologie bestimmt, nämlich die in historischer Faktizität vorlie gende Psychologie als »Empirie<< der kritisch-historischen Methode. (In ähnlichem Sinne war die bürgerliche Nationalökonomie seinerzeit die »Empirie« für die historisch-materialistischen Analysen von Marx, wobei hier weitergehende Parallelisierungen allerdings in die Irre füh ren könnten.) - Die kritisch-historische Methode ist dabei nicht nur auf die bestehende Psychologie zu beziehen, sondern muss auch auf
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die jeweiligen Forschungsansätze kritisch-emanzipatorischer Psycho logie angewendet werden. Auch kritisch-emanzipatorisch gemeinte Psychologie ist permanent auf ihre Entstehungsbedingungen innerhalb der bürgerlichen Klassengesellschaft und damit auf ihre spezifische Ver haftetheit in Klasseninteressen hin zu reflektieren: Kritisch-emanzi patorische Psychologie bleibt nämlich, wenn auch in einem weiteren Sinne, »bürgerliche Psychologie«, nämlich Psychologie in der bürger lichen Gesellschaft, und es ist naiv anzunehmen, dass unter diesen Bedingungen der kritisch-emanzipatorische Impuls >>ein für allemal« und unverzerrt durchgehalten werden kann. Kritisch-emanzipatorische Psychologie hat sich vielmehr - in der Anwendung der ihr eigenen kri tisch-historischen Methode auf sich selbst - permanent in ihrer Authen tizität in Frage zu stellen. Die bestehende Psychologie unterscheidet sich von dem zu entwi ckelnden kritisch-emanzipatorischen Ansatz u. a. dadurch, dass sie die hier dargestellte Art, >>sich selbst« auf bestimmte Weise zum Gegen stand der eigenen Forschung zu machen, nicht kennt. Das, was bisher als »Geschichte der Psychologie« betrieben wurde, hatte notwendiger weise mehr oder weniger den Charakter der systematischen Anord nung verschiedener >>Schulen« oder >>Grundauffassungen« von Psy chologie auf der Zeitachse; das »Auseinanderhervorgehen« der jeweils späteren aus der jeweils früheren Grundauffassung wurde meist so dargestellt, als ob der immanente >>Fortschritt<< der Forschung solche Veränderungen erzwungen habe, wobei diese Konzeption, wie wohl am deutlichsten aus dem konstruktivistischen Ansatz hervorgeht, in keiner Weise wissenschaftstheoretisch begründbar ist. Erst durch die Ausar beitung des kritisch-historischen Vedahrens, in dem die Psychologie selbst zur »Empirie« wird, die - in einem - als Faktum zur Kenntnis zu nehmen und - mit Bezug auf den phänomenal-vordergründigen Rele vanzrahmen >>tägliches Leben« und den >>objektiven« Relevanzrahmen >>kapitalistische Gesellschaftsform« - kritisch zu unterlaufen ist, wird das Betreiben von historisierend-verstaubter, bestenfalls mehr oder weniger anekdotenhafter »Psychologiegeschichte«, für die sich eigent lich kein Mensch interessiert, in Richtung auf eine rationale Methodik zur Abklärung der inhaltlichen Relevanz psychologischer Forschung allmählich überwindbar sein. Neben der eben geschilderten >>Empirie erster Art«, der Psychologie als historischem Faktum, kennt der kritisch-emanzipatorische Ansatz natürlich auch die Empirie als Inbegriff von empirischen Daten, die im psychologischen Experiment, in der Feldforschung o. Ä . gewonnen wer den. Die so verstandene Empirie soll »Empirie zweiter Art<< heißen. Diese Art von »Empirie« wäre innerhalb der bestehenden Psycho logie mit dem traditionellen Empiriebegriff der Sozialwissenschaften
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identisch, erscheint jedoch in kritisch-em anzipat oris cher Sicht in we sentlich anderem Zusammenhang. Um dies zunächst ansatzweise zu verdeutlichen, ist die Auffassung zurückzuweisen, dass die auf »Em pirie erster Art<< gerichtete kritisch-historische Methode so von der auf »Empirie zweiter Art« gerichteten Methodik getrennt werden könne, dass der eine sich eben für die kritisch-historisch gerichtete psycholo gische Forschung interessieren mag, während es dem anderen unbe nommen bleibt, davon unberührt psychologische Forschung im tra ditionellen Sinne zu betreiben. Die kritisch-historische Metho d e ist vielmehr der traditionellen empiris ch en Methodik in der Weise prag matisch vorgeordnet, dass erst durch das kritisch-historische Verfahren - der Möglichkeit nach - die »Daten« der auf »Empirie zweiter Art« gerichteten Forschung ihrer » Undurchdringlichkeit« entkleidet und in ihrem Sinn und ihrer Relevanz du rchsi chtig gemacht werden können. Dies bedeutet auch, dass die traditionelle empirische Methodologie in der Psychologie keinesfalls durch den kritisch-emanzipatorischen An satz untangiert bleibt. Das kritisch-historische Verfahren ist vielmehr die umfassendere Art von Methodik, die die auf »Empirie zweiter Art<< gerichtete Methodik in sich einschließt, und zwar derart, dass sie von dem umfassenderen kritisch-historischen Standort aus auf ihre Ver nünfti gkeit hin zu beurteilen und gegebenenfalls zu modifizieren ist.
- All jene, die kritisch - emanzipato rische Psychologie bestenfalls als
eine »neue Richtung« in der Psychologie betrachten wollen, der andere etwa die j eweils gewohnte eigene, gleichberechtigt oder auch in Konkurrenz gegenüberstehen, sollten wenigstens zur Kenntnis nehmen und in ihre Reflexionen einbeziehen, dass kriti s ch - emanzi pa torische Psychologie ihre m Anspruch nach gegenüber der herkömm
Richtungen,
lichen
Psychologie den umfassenderen Ansatz darstellt, der die bishe rigen Ansätze der Psychologie kritisch in sich einbegreift: Sofern dieser
Anspruch nicht in rationaler Argumentation zurückgewiesen werden kann, sollte man damit aufhören, Ansätze, die im Verhältnis des Um fassenderen zum weniger Umfassenden stehen, im Dienste der Unge störtheit des eigenen »wissenschaftlichen<< Weiterbasteins pluralistisch als >>gleichberechtigt« oder »konkurrierend<< hinzustellen. Die auf » E mp iri e zweiter Art« gerichtete Methodik, sofern sie in den umfassenderen Zusammenhang kritisch-emanzipatorischer Me thodik gestellt ist, soll - den damit entstehenden terminologischen SchwerfäHigkeiten zum Trotz - »kritisch-empirische M ethodik« heißen und damit von der »traditionell-empirischen Methodik«, die diesen Zusammenhang nicht herstellt, abgehoben sein. Dabei ist nachdrücklich darauf hinzuweisen, dass, werin hier von »Empirie« die Rede ist, die jeweilig übergeordneten » Theorien«, die Empirie zuallererst möglich machen, stets mitgemeint sind: Hin-
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sichtlich der >>Empirie erster Art« ist >>Theorie<< Inbegriff der poli tisch-ökonomischen, gesellschaftskritischen etc. Ansätze, die die kri tisch-historische Analyse des geschichtlichen Faktums >>Psychologie<< ermöglichen; hinsichdich der >>Empirie zweiter Art<< ist >>Theorie<< Inbegriff der einzelwissenschaftlichen theoretischen Konzeptionen in der Psychologie, aus denen Hypothesen abgelei�et werden, die sodann empirischer Prüfung zu unterziehen sind. Das Postulat vom »Primat des Theoretischen<<, der erste Einsatz punkt des Konstruktivismus, wird in der kritisch-emanzipatorischen Auffassung, dass das kritisch-historische gegenüber dem kritisch-em pirischen Verfahren das umfassendere sei, in eins überwunden und in seinem rationalen Kern bewahrt. Das den empirischen Daten prag matisch vorgeordnete und per Realisation die Produktion von Daten teildeterminierende >>Theoretische« erscheint jetzt nicht mehr als auf nicht näher ausweisbare Art dem »Kopf« des Forschers entsprungen bzw. »vom Himmel gefallen«, was auf das Gleiche hinausläuft, sondern soll durch den mit kritisch-historischen Methoden zu leistenden Auf weis seiner j eweils ganz spezifischen geschichtlich-gesellschaftlichen Bedingtheiten innerhalb des kapitalistischen Klassensystems rational durchschaubar und damit auf seine Relevanz hin bewertbar gemacht werden. Das Theoretische wird damit - durch die Aufhebung der In trojektion - seiner lediglich formalen Allgemeinheit entkleidet und als menschliches Produkt ausgewiesen, das im Prozess der gesellschaft lichen »Selbsterzeugung« des Menschen als Gattungswesen durch die Kategorien, die im Blick auf den »objektiven« Stand dieses Prozesses inn erhalb der spätkapitalistischen Gesellschaft zu gewinnen sind, ra tional durchschaubar gemacht werden kann . Diese kritisch-historische Analyse des » Theoretischen<< ist ein unausweichlicher Anspruch an psy chologisch-wissenschaftliches Arbeiten, das sich angesichts der Frage nach der inhaltlichen Relevanz seiner theoretischen Ansätze nicht in die Irrationalität flüchten will - einerlei, wieweit dieser Anspruch jetzt schon stets eingelöst werden kann oder nicht. Damit ist das »Theoretische« sozusagen in seinem »Außenver hältnis« unter kritisch-emanzipatorischem Aspekt neu bestimmt: Im »lnnenverhältnis«, in Beziehung auf die in kritisch-empirischem Verfahren zu gewinn enden Daten, ist mit der Konzeption vom kri tisch-historischen Verfahren als dem »umfassenderen« Prinzip die lediglich formal-pragmatische Überordnung des Theoretischen über das Empirische in Richtung auf ein mehr inhaltlich-dynamisches Gan zes-Teil-Verhältnis erweitert. Dadurch ist die Möglichkeit geschaffen, »Theorie<< und »Empirie<< in einem flexibleren, weniger als einseitiges Determinationsverhältnis bestimmten denn als dialektisch zu verste henden Zusammenhang zu sehen und damit der »realen<< inhaltlichen -
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Durchdringung von Theorie und Empirie im faktischen Wissenschafts prozess eher gerecht zu werden. Die Neubestimmung des >>Außen«- und des »Innenverhältnisses« des Theoretischen nötigt nun aber keineswegs zu einer Zurücknahme oder auch nur Relativierung des konstruktivistischen Postulats vom »Primat des Theoretischen«. Auch die Argumentation, die zur Aufstel lung dieses Postulats geführt hat (vgl. Holzkamp 1 968, S. 92ff. [2006a, S. 1 06ff.]), ist in ihrer möglichen Stringenz davon unberührt. Der Satz vom Primat des Theoretischen erwies sich lediglich als zu »eng« und gewann unter »umfassenderen« Sichtweisen einen neuen Stellenwert. Dies bedeutet, dass der ursprüngliche konstruktivistische Ansatz, demgemäß das » Theoretische<< dem »Empirischen« nicht nur insofern vorgeordnet ist, als die empirischen Daten »im Lichte« der Theorie erscheinen, sondern auch, als die empirischen Daten gemäß der Theo rie >>produziert« werden sollen, in der umgreifenderen kritisch-eman zipatorischen Sichtweise voll erhalten bleibt. Dieser Ansatz ist weder durch eine inhaltliche, kritisch-historische Analyse der geschichtlich gesellschaftlichen Bedingtheiten des jeweils »Theoretischen« in der Klassengesellschaft noch durch eine dialektische Rückbeziehung des Inhaltlich-Empirischen auf das Inhaltlich-Theoretische außer Kraft ge setzt, sondern lediglich als eingeengt-formalistisches Prinzip kritisch »aufgehoben«. Auch der konstruktivistische Gesetzesbegriff ist unter kritisch emanzipatorischem Aspekt neu zu durchdenken. - Wissenschaftliche Gesetze sind nach konstruktivistischer Auffassung Konditionalsätze von der Form: >>Sofern bestimmte in der theoretischen Annahme for mulierte, konstituierende Bedingungen realisiert sind und sofern keine störenden Bedingungen vorliegen, treten bestimmte, nämlich die in der theoretischen Annahme behaupteten, empirischen Effekte auf« (vgl. S. 1 0 1 ). In dieser Bestimmung des wissenschaftlichen Gesetzes ist die schon im logischen Empirismus und in der Falsifikationtheorie getrof fene Festlegung, Gesetze seien nichts >>in« der Natur Vorfindliches, sondern auf der >>Subjektseite« der wissenschaftlichen Subjekt-Objekt Beziehung anzusiedeln, insofern auf die Spitze getrieben, als hier ange nommen wird, Gesetze >>gelten<< nur soweit in der Natur, als sie durch aktives wissenschaftliches Handeln, per auswählender oder herstel lender Realisation, kognitiv oder materiell verändernd in die Natur hineingetragen werden. Da die Realität dieser Konzeption zufolge - als uns notwendigerweise raumzeitlich gesondert gegeben - niemals etwas »Allgemeines« enthalten kann, muss die empirische Bestätigung von Allgemeinaussagen als Ergebnis der selektiven bzw. zusätzlich verän dernden aktiven Angleichung von in Jetzt-und-hier-Aussagen erfasster Realität an die Allgemeinaussagen angesehen werden. -
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Die Auffassung, dass die >>Realität<< als solche niemals allgemeine Gesetze enthalten kann, sondern dass derartige Gesetze nonvendiger weise in irgendeinem Sinne von Menschen stammen müssen, erscheint mir nach wie vor als unanfechtbar. Damit ist aber nicht gesagt, dass einzig im Wissenschaftsprozess per Realisation die >>Allgemeinheit« von theoretischen Sätzen in der Realität durchgesetzt. werden kann. - Wenn - wie in den klassischen Naturwissenschaften - die ungeschichtliche »Natur« Gegenstand wissenschaftlicher Forschung ist, gilt m. E. die konstruktivistische Auffassung über Gesetzesaussagen uneinge schränkt. Wenn jedoch - wie in der Psychologie - >>Menschen<< zum Thema wissenschaftlicher Bemühungen gemacht werden, ist der kon struktivistische Gesetzesbegriff von umfassenderen Gesichtspunkten her kritisch zu relativieren. Der Konstruktivismus, sofern er sich als wissenschaftstheoretische Grundlegung psychologischer Forschung versteht, hat an dieser Stelle die unreflektiert-naturalisierende, >>organismische<< Anthropologie adaptiert, wie sie charakteristisch für die moderne bürgerliche Psy chologie ist (vgl. Holzkamp, >>Verborgene anthropologische Voraus setzungen der allgemeinen Psychologie<< [S. 4 1 -82]). Auf diese Weise kam es zu einer gegenüber dem Unterschied zwischen >>Mensch<< und >>Natur« neutralen Gesetzeskonzeption, mit welcher die früher be schriebene Eliminierung der Geschichtlichkeit des Menschen aus der Psychologie >>wissenschaftstheoretisch<< zementiert wurde. Sofern man indessen den Menschen nicht als bloße Naturtatsache, sondern durch Aufhebung der Introjektion in seinem Wesen als Pro dukt der historisch gewordenen gesellschaftlichen Arbeit auf der Ent wicklungsstufe des Kapitalismus betrachtet, muss einem deutlich wer den, dass hier >>Gesetze« nicht nur vom Forscher aufgestellt werden, sondern auch >>in« den menschlichen Lebensumständen liegen, auf die sich psychologische Forschung richtet. Auch solche >>Gesetze<< sind von Menschen gemacht, stammen allerdings nicht von einzelnen Men schen, sondern sind Ergebnis der historisch gewordenen allgemeinen Struktur der Regelung menschlicher Lebensumstände, konkret formu liert, Ergebnis der Produktionsverhältnisse im Spätkapitalismus, von denen die einzelnen Menschen unvermerkt bis in ihre scheinbar priva testen Verhaltens- und Erlebensweisen geprägt sind. Derartige »Gesetze« sind - obgleich doch menschliches Produkt - in der kapitalistischen Gesellschaft nicht vom menschlichen Subjekt frei zum Zwecke einer vernünftigen Regelung des Zusammenlebens aufge stellt: Der Mensch ist hier vielmehr solchen Gesetzen »unterworfen<<, er sieht sich ihnen als verdinglichten Strukturen gegenüber, an welchen er bei der Bemühung um die volle Verwirklichung seiner menschlichen Möglichkeiten blinden >>Widerstand« erfährt.
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Der Umstand, dass der quasi »naturgesetzliche« Charakter der Regelungen menschlichen Zusammenlebens kein letzter Tatbestand, sondern Charakteristikum der kapitalistischen Klassengesellschaft ist, wird u. a. durch den introjektiven bürgerlichen Individualismus ver schleiert. Hier wird in ideologischer Sichtverkürzung menschliches Handeln und Erleben allein aus der je >>einmaligen«, >>unverwechsel baren<< Persönlichkeit entsprungen betrachtet: Der Umstand, dass die Erlebens- und Verhaltensweisen der Menschen durch die verdinglich ten »Naturgesetze<< der kapitalistischen Gesellschaftsordnung eine je weils klassenspezifische Gleichförmigkeit aufweisen, der gegenüber individuelle Variationen tatsächlich fast in der Größenordnung zu ver nachlässigen sind, kann so nicht wahrgenommen werden, so dass hier aus kritischer Sichtweise das groteske Bild sich millionenfach wiederho lender »Einmaligkeiten« und » Unverwechselbarkeiten« entsteht. Sozialwissenschaften wie die Psychologie können sich also gegen wärtig mit relativ gutem Erfolg als >>Naturwissenschaften« gebärden, nicht deswegen, weil der Mensch durchgängig als »Naturtatsache« zu behandeln wäre, sondern deswegen, weil in der kapitalistischen Gesell schaftsordnung die Regelungen menschlichen Zusammenlebens nicht den Charakter vernünftiger Übereinkünfte, sondern den Charakter vom Menschen losgelöster unbeeinflussbar-verdinglichter »Naturge setze<< haben. Die Überwindung der kapitalistischen Klassengesellschaft ist mithin gleichzeitig die weitgehende Beseitigung der Möglichkeitsbe dingungen für Psychologie als »Naturwissenschaft«. In der Psychologie gibt es also gegenwärtig - entgegen der konstruk tivistischen Auffassung - nicht nur »Gesetze«, die der Forscher auf stellt und sodann per Realisation in der Realität durchzusetzen bemüht ist, sondern es gibt auch »objektive«, verdinglichte, allgemeine Gesetze auf der Gegenstandsseite der Forschung, die immanent unaufhebbare, naturalisierte Abhängigkeiten des Menschen von Herrschaftsinteres sen innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft ausdrücken. Dabei ist einschränkend zu bemerken, dass - da der Mensch ja nicht nur » Gesellschaftswesen«, sondern auch »Naturwesen« ist - nicht notwendigerweise alle Momente des menschlichen Verhaltens und Erlebens auf die beschriebene Weise gesellschaftsbedingt sein müs sen, sondern manche Momente auch »echte« naturhafte Letztheiten, »Gegebenheitszufälle« im dingiersehen Sinne, darstellen können. Al lerdings sind die gesellschaftlichen und die naturhaften Bedingtheiten des menschlichen Verhaltens und Erlebens so miteinander verschränkt, dass weder eine scharfe Grenze zwischen beiden zu ziehen ist noch dass man angeben kann, wo ungefähr diese Grenze eigentli �h liegt. Auf jeden Fall - das hat die neuere psychologische Forschung immer deut licher gezeigt - lässt sich immer mehr von dem, was man bisher als
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naturhaft betrachten wollte, auf gesellschaftliche Bedingungen zurück führen, wobei das »Ende« dieses Prozesses nicht wissenschaftsimma nent bestimmt werden kann, sondern nur in gesellschaftsverändernder Praxis sich irgendwann einmal - quasi asymptotisch - abzeichnen wird. Die empirische Bestätigung von psychologischen Gesetzesaussagen im engeren Sinn, d. h. von Behauptungen über Zusammenhänge zwi schen bestimmten Verhaltens- und/oder Erlebensvariablen, kann mit hin einmal - wenn auch möglicherweise verzerrt, partialisiert, lediglich in einem bestimmten »Schnitt« - Ausdruck von Gesetzmäßigkeiten kapitalistischer Produktionsverhältnisse und damit einer besonderen Art >>objektivierter<< menschlicher Unterdrückung sein; zum anderen kann sich in der empirischen Bestätigung lediglich der naturhafte >>Ge gebenheitszufall« niederschlagen, dass per Realisation die Zusammen hangsbehauptung in einem bestimmten, den Normen psychologischer Methodologie genügenden Maße durchgesetzt werden konnte. - Wel che von beiden Möglichkeiten vorliegt, ist - wie gesagt - wissenschafts immanent und zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zu entscheiden. Die traditionelle bürgerliche Psychologie nimmt unter diesen Um ständen die Bestätigung der Zusammenhangsbehauptungen als Be kräftigung ihres >>naturwissenschaftlichen<< Charakters, wobei impli zit der Mensch in toto als >>naturhafter<< Organismus aufgefasst wird. Bürgerliche Psychologie kommt also mit >>Bestätigung« ihrer Theorien in einem zur Selbstbestätigung und zur Bestätigung der bestehenden Gesellschaftsform. Kritisch-emanzipatorische Psychologie dagegen muss das Postulat, dass Gleichförmigkeiten menschlichen Erlebens und Verhaltens, die die Bestätigung von Zusammenhangsbehauptungen ermöglichen, Nie derschlag von »objektiven« Gesetzen der kapitalistischen Produktions verhältnisse sind, zum durchgängigen regulativen Prinzip ihres For schens erheben. Sie hat davon auszugehen, dass überall da, wo bisher eine Beziehung zwischen Verhaltens- und Erlebensgleichförmigkeiten und den »Gesetzen« der übergreifenden objektiven Gesellschaftsform nicht aufgewiesen werden konnte, die Gründe dafür nicht zunächst in der »Sache«, sondern sozusagen »bis zum Letzten<< in Mängeln der kritisch-historischen und/oder kritisch-empirischen � Methodik der psychologischen Forschung gesucht werden müssen. Dabei ist es selbstverständlich, dass der Beliebigkeit des Interpretierens hier durch strengste methodische Vorkehrungen sowohl innerhalb des kritisch historischen wie innerhalb des kritisch-empirischen Verfahrens gesteu ert werden muss. Indessen sollte man sich an den naturhaften Gren zen der gesellschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten des menschlichen Wesens schmerzhaft stoßen müssen - und nicht diese Grenzen auf
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reaktionäre oder resignative Weise sozusagen freiwillig »vorverlegen<<. - Kritisch-emanzipatorische Psychologie findet in der empirischen Bestätigung von Zusammenhangsaussagen nicht die Bestätigung ihrer selbst: Sie stellt sich - in Konsequenz der für sie bestimmenden kritisch historischen und kritisch-empirischen Verfahrensweise - vielmehr in den Dienst der Schaffung einer Gesellschaftsform, in der durch »objek tive<< verdinglichte » Gesetze« bedingte Verhaltensgleichförmigkeiten ein Minimum erreichen sollen, bis zum Grenzwert lediglich »naturge gebener« Verhaltensbedingungen.
3.5 Kritisch-emanzipatorische Forschung in der Psychologie als »kontrolliert-exemplarische Praxis« Nachdem nun das konstruktivistische Postulat vom >>Primat des Theoretischen« und der konstruktivistische Gesetzesbegriff in um fassenderer kritisch-emanzipatorischer Sicht neu durchdacht worden sind, muss jetzt das Kernstück des konstruktivistischen Ansatzes, die Prinzipien der Realisation und Exhaustion und - damit zusammenhän gend - das Belastetheitskonzept, in die Reflexion einbezogen werden. In diesem Zusammenhang wird auch das Prinzip der - systemimma nenten und systemtranszendenten - Eindeutigkeit kritisch zu hinter fragen sein. Die Realisation, durch welche selegierend oder eingreifend reale Verhältnisse so weit wie möglich in eine Übereinstimmungsbeziehung mit der jeweils übergeordneten Theorie zu bringen sind, ist näher be stimmt als Inbegriff von durch die Handlungen bedingten Ereignissen, Effekten auf der anderen Seite, wobei die Handlungen möglichst weit gehend die in der Theorie behaupteten Effekte hervorbringen sollen. Das »Handlungs-« und das »Ereignisglied« des der Realisation unmit telbar übergeordneten »experimentellen Satzes« (vgl. dazu Holzkamp 1 968, S. 266ff. [2006a, S. 293ff.)] ist in etwa den »unabhängigen« und >>abhängigen Variablen« bzw. den »Prädiktoren« und den >>Kriterien« in der Terminologie des psychologischen Designs bzw. der Testtheorie zu parallelisieren, wobei allerdings der >>aktive« Charakter des ersten Realisationsmomentes hier nicht deutlich zum Ausdruck kommt. Wenn man die Realisation unter umfassenderen Gesichtspunkten betrachtet, so wird deutlich, dass die Handlungs-Effekt-Relation nicht nur für die Realisation als Prinzip wissenschaftlicher Forschung, son dern für jede Art von Arbeit oder Praxis im allgemeinsten Sinne cha rakteristisch ist: Ich schlage einen Nagel in das Brett (Handhmg), damit das Brett festsitzt (Effekt); ich dünge den Rasen (Handlung), damit er nachher besser wächst (Effekt); ich schreibe an das Finanzamt (Hand lung), um eine Stundung der Steuer zu erreichen (Effekt). Die Tatsache,
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dass jede Art von >>Arbeit« oder >>Praxis« eine Handlungs-Effekt-Re lation enthält, ist aus dem trivialen Umstand erklärlich, dass man mit Arbeit oder Praxis irgend etwas >>erreichen« will und demgemäß hier einmal seine Handlungen gemäß dem Zu-Erreichenden einrichtet und zum anderen den Erfolg seiner Handlungen nach dem Erreichten be misst. Dies gilt nicht nur für die >>private« Praxis, aus der die genannten Beispiele entnommen sind, sondern für jede Art von technischer, so zialer, politischer etc. Praxis überhaupt. Die Realisation in der empirischen Wissenschaft ist demgemäß als ein Sonderfall von menschlicher »Arbeit« oder »Praxis<< überhaupt zu betrachten. Diese, wie sich zeigen soll, für das Verständnis des Sinnes wissenschaftlicher Forschung zentrale These ist Resultat umfassenderer Sicht auf das >>aktivistische« Realisationsprinzip des Konstruktivismus und hätte sich aus den passivistisch-sensualistischen Konzeptionen etwa des logischen Empirismus oder der popperscheu Falsifikations theorie keinesfalls rational ableiten lassen. Hier wäre einmal mehr auf zuweisen, dass die konstruktivistische Zuspitzung des Positivismus gleichzeitig Voraussetzung für seine Aufhebung und die Bewahrung seines rationalen Kerns in kritisch-emanzipatorischer Wissenschaft ist. Wenn wissenschaftliches Handeln also nicht zuvörderst Inbegriff von Akten des >>Wahrheiten«-Findens, des >>Erkennens« etc., sondern >>Arbeit«, >>Praxis<< ist, wenn mithin Wissenschaft als >>Produktivkraft« i. w. S. verstanden werden muss, so stellt sich die Frage, durch welche Spezifika denn wissenschaftliche Praxis als »Sonderfall« von Praxis überhaupt zu kennzeichnen ist. Um der Klärung dieser Frage näher zu kommen, muss man sich zu nächst deutlich machen, dass empirisch-wissenschaftliche Forschung - sofern sie nicht auf bloß extensive Erweiterung unseres Wissens gerichtet ist - den Charakter des »Probierens« hat. In der Forschung wird zunächst »ausprobiert«, welche Effekte bestimmte Handlungen hervorbringen, ehe man diese Handlungen in >>Ernstsituationen« voll zieht. Ansätze zu solcher >>Forschung« finden sich schon im täglichen Leben: Man probiert zunächst an einer >>verdeckten Stelle«, ob ein Stoff farbecht ist, ehe man ihn auf eine bestimmte Weise wäscht. Der Zusammenhang zwischen solchen Aktivitäten und dem >>Erproben« eines Medikaments im Labor, etwa an Versuchstieren, ehe man es für den Handel freigibt, ist wohl evident. Meiner Auffassung nach lässt sich jedoch im Blick auf die gesamte empirische Forschung, sofern man sie ohne irgendwelche » Wahrheits«- oder »Erkenntnis«-ldeologien be trachtet, aufweisen, dass sie ihrem Wesen nach als »Probieren<< für die außerwissenschaftliche Praxis gekennzeichnet werden kann. Allerdings ist diese Art von >>Probieren« nicht schon hinreichend durch die Feststellung charakterisiert, dass hier das Gleiche getan
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werde wie in der außerwissenschaftlichen Praxis, nur in einer weni ger folgenreichen Konstellation. Hinzu kommt die geplante Bedin gungskontrolle innerhalb der wissenschaftlichen Praxis. Während in der allgemeinen, außerwissenschaftlichen Praxis der Zusammenhang zwischen den »Handlungen<< und den »Effekten<< häufig nur global, häufig überhaupt kaum stringent aufgewiesen werden kann, hat die wissenschaftliche Forschung zum Ziel, auf möglichst eindeutige und detaillierte Weise den Nachweis zu führen, dass bestimmte Effekte nur auf bestimmte, klar zu isolierende Faktoren, z. B. die vom Forscher innerhalb seiner Versuchsanordnung intentional hergestellten Bedin gungen, zurückgehen, und den Fall möglichst auszuschließen, dass die Effekte durch nichtintendierte Störfaktoren bedingt sind. Dies Ziel wird - auf Grund der Unterscheidung zwischen >>konstituierenden<< und >>störenden Bedingungen« - mit Hilfe eines >>Bedingungsmodells<< angestrebt, wie es im Konstruktivismus explizit gemacht worden ist (vgl. etwa Holzkamp 1 968, S. 323 ff. [2006a, S. 357ff.]). Da >>Probieren<< immer Probieren im Hinblick auf »Etwas<< ist, also die Probiersituation exemplarisch für die Situation, auf die hin etwas probiert wird, sein muss, könnte man wissenschaftliche Forschung - im Gegensatz zur außerwissenschaftlichen Praxis, in der die durch Handlungen zu erreichenden Effekte direkt angezielt sind und nicht für etwas anderes stehen sollen und in der eine systematische Bedin gungskontrolle nur in Grenzen möglich ist - als bedingungskontrol liert-exemplarische Praxis charakterisieren. - Damit ist empirische Wissenschaft als eine Art von »vorbereitendes« Teilmoment ganz und gar in den übergreifenden Zusammenhang von Praxis gestellt: Wis senschaft kann nur in dem Maße sinnvoll und vernünftig sein, als die umgreifende »direkte« Praxis, der sie dient, sinnvoll und vernünftig ist, und weiter in dem Maße, als sie mit ihrer bedingungskontrolliert exemplarischen Praxis solche direkte Ernstfallpraxis tatsächlich zu un terstützen, wirkungsvoller zu machen imstande ist, also für derartige Praxis Relevanz besitzt. In diesem Zusammenhang ist auch das Prinzip der Exhaustion neu einzuschätzen. Auf Grund des Exhaustionsprinzips werden in jedem konkreten Fall die konstituierenden Bedingungen, die gerade >>inter essieren<<, von den störenden Bedingungen, die >>nicht dazu gehören<<, unterschieden. Abweichungen der faktischen Effekte des Realisati onsversuchs von den in der Theorie behaupteten Effekten werden zunächst exhauriert, d. h. als auf störende Bedingungen zurückgehend interpretiert, wobei sodann durch entsprechende bedingungsanaly tische Aktivitäten ausgewiesen werden muss, wieweit tatsächlich bei In-Rechnung-Stellen der störenden Bedingungen der behauptete Ef fekt als vorliegend angesehen werden darf und wieweit die Notwen-
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digkeit der Exhaustion der Theorie als >>Belastetheit« zugerechnet werden muss. - Wir gehen zunächst davon aus, dass in der außerwis senschaftlichen >>direkten« Praxis der exhaurierende Rekurs auf stö rende Bedingungen normalerweise unangemessen ist, dass hier viel mehr alle Bedingungen, die zu einem bestimmten Effekt geführt haben, als quasi »konstituierend« angesehen werden müssen. Wenn die Brücke eingestürzt ist und dabei 50 Menschen ums Leben gekommen sind, so hat es für sich genommen kaum Sinn, auf störende Bedingungen zu rekurrieren, die außer den in der Brückenkonstruktion angesetzten konstituierenden Bedingungen hier noch wirksam gewesen sein müs sen und den Einsturz der Brücke herbeigeführt haben: Die 50 Men schen sind tot. (In dem Moment, wo man aus dem Brückeneinsturz für spätere Brückenkonstruktionen >>etwas lernen« will, hat man es nicht mehr mit reiner direkter Ernstfallpraxis, sondern schon wieder in Teilen mit bedingungskontrolliert-exemplarischer Forschungspra xis zu tun - wie überhaupt die Übergänge zwischen beiden Arten von Praxis fließend sind.) Dies würde bedeuten, dass die Forschungspraxis in dem Maße weniger exemplarisch und damit relevant für den Be reich der direkten Praxis, dem sie dienen will, ist, als der Anteil der als >>störend« definierten Bedingungen im Vergleich zu den als konstitu ierend definierten Bedingungen zunimmt. Unter diesem Aspekt wäre die Relevanz der Forschung für die direkte Praxis maximal, wenn die Bedingungsstruktur, die in der Ernstsituation wirksam wird, und die Bedingungsstruktur, die in der Forschungssituation als konstituierend berücksichtigt wird, sich decken, und nähme in dem Grade ab, als die beiden Bedingungsstrukturen, durch »Aussonderung<< störender Be dingungen in der Forschungssituation, einander unähnlicher würden. - Der Grad dieses Aspektes der Relevanz wäre daran zu bemessen, was an Bedingungen in einer Theorie alles nicht berücksichtigt ist, also als Störbedingung definiert werden muss; die Notwendigkeit, im Inter esse einer angemessenen Relevanzbestimmung nicht nur die konstitu ierenden, sondern auch die als >>störend« ausgesonderten Bedingungen inhaltlich auf den Begriff zu bringen, ist - in Revision des ursprüng lichen konstruktivistischen Ansatzes - besonders von Keiler ( 1 970, S. 129ff.) hervorgehoben worden. Andererseits aber muss natürlich gesehen werden, dass bei völliger Deckungsgleichheit der Bedingungsstruktur der Ernstsituation mit der Bedingungsstruktur der Forschungssituation das bedingungsa nalytische Moment der Forschung völlig eliminiert wäre. In diesem Falle wäre darüber, wieweit bestimmte Effekte tatsächlich auf be stimmte handelnd ausgewählte oder hergestellte Bedingungen zurück gehen, in der Forschungssituation nichts Genaueres auszumachen als in der Emstsituation. Auch darin läge indessen eine entscheidende
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Reduzierung der Relevanz der Forschungspraxis für die direkte Pra xis. Wie sollen denn die Befunde der Forschungspraxis für die direkte Ernstfallpraxis exemplarisch sein können, wenn nicht klar ausgewie sen werden kann, wieweit die Effekte, die in der Forschungssituation auf Grund bestimmter Handlungen erzielt werden konnten, in der Ernstfallsituation wieder auftreten werden. - Dies bedeutet, dass das Moment der Ä hnlichkeit der Bedingungsstruktur der Ernstsituation mit der der konstituierenden Bedingungen in der Forschungssituation einerseits und das Moment der bedingungsanalytischen Absicherung der jeweils interessierenden Handlungs-Effekt-Relationen andererseits im Blick auf die Relevanz der Forschungspraxis für die direkte Praxis quasi umgekehrt proportional zueinander stehen. Faktisch wird man also in der Forschung den jeweils optimalen Kompromiss zwischen beiden Momenten anstreben müssen. Auf Grund dieser Überlegungen sind auch dem konstruktivistischen Belastetheitskonzept neue Aspekte abzugewinnen. Die Belastetheit ist - zugespitzt formuliert Inbegriff des jeweils bedingungsanalytisch ni�ht aufklärbaren »Restes« an Faktoren, die zu einer Abweichung des behaupteten von dem faktisch eingetretenen Effekt des Realisations versuches geführt haben. Je höher mithin die (echte) Belastetheit einer Theorie ist, in umso geringerem Maße ist unter sonst gleichen Umstän den auszumachen, wieweit ein in der Forschungssituation auf Grund bestimmter Handlungen erbrachter Effekt in der zugeordneten Ernst situation ebenfalls auftreten wird. Dies bedeutet, dass mit steigender Belastetheit einer Theorie die Relevanz der Ergebnisse forschungsprak tischer Aktivitäten für die zugeordnete direkte Praxis abnehmen muss, sofern die Ä hnlichkeit der Bedingungsstrukturen der Forschungs- und Ernstfallsituation als konstant gesetzt sind. Im Konzept des >>Exemplarischen« ist mitgedacht, dass eine Situa tion, abgesehen von allen anderen Momenten, in umso höherem Grade exemplarischen Charakter hat, je unterschiedlicher und mannigfaltiger die Situationen sind, auf die eine Generalisierung oder Übertragung möglich ist. Dieses Moment ist weder in der Dimension der Ähnlich keit zwischen der Bedingungsstruktur der Forschungssituation und der der Ernstfallsituation noch in der Dimension des Grades der Bedin gungskontrolle bzw. Belastetheit hinreichend erfasst. Nun wird man annehmen dürfen, dass eine Übertragbarkeit von einer bestimmten Forschungssituation auf verschiedenartige und mannigfaltige Ernst situationen unter sonst gleichen Umständen in umso höherem Maße möglich sein wird, je verschiedenartiger und mannigfaltiger die Reali tät ist, die in der Theorie, die dem Realisationsversuch unterworfen wurde, einheitsstiftend angesprochen ist. Der Grad der so bestimmten einheitsstiftenden Funktion ist jedoch gleichbedeutend mit dem »In-
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tegrationswert« bzw. >>Integrationsgrad« einer Theorie i n konstrukti vistischer Bestimmung (vgl. dazu Holzkamp 1 968, S. 1 85ff. [2006a, S. 206ff.], Keiler 1970, S. 1 1 7f.). Nunmehr kann auch der Stellenwert des Prinzips der systemimma nenten und systemtranszendenten Eindeutigkeit innerhalb der gegen wärtigen Diskussion näher bestimmt werden. Die systemimmanente Eindeutigkeit, wie sie bisher im Konstruktivismus definiert wurde, ist wenn man die Vermeidung logischer Widersprüche als selbstverständli che Forderung voraussetzt - gleichbedeutend mit dem eben genannten Integrationsgrad einer Theorie. Die systemtranszendente Eindeutigkeit dagegen ist umgekehrt proportional dem (echten) Belastetheitsgrad ei ner Theorie. Beide Eindeutigkeitsmomente sind mithin im Zusammen hang mit der Relevanzbestimmung der Forschung und Praxis für die Ernstfallpraxis zu sehen. - Auch der Grad der Ä hnlichkeit der Bedin gungsstrukturen der Ernstsituation mit denen der Forschungssituation ist bestimmbar als der Grad systemimmanenter Eindeutigkeit der Zu ordnung zwischen beiden Strukturen, wenn auch hier der Begriff der systemimmanenten Eindeutigkeit in etwas anderem Sinne gebraucht wird als bisher. Alle Kriterien der Relevanz der bedingungskontrol liert-exemplarisch gemeinten Forschungspraxis für die direkte Praxis lassen sich also auf das Eindeutigkeitsprinzip zurückführen. Ich fasse zusammen: Der Sinn empirisch-wissenschaftlicher For schung ist die Funktion einer bedingungskontrolliert-exemplarischen Praxis im Dienst umfassenderer »direkter«, außerwissenschaftlicher Praxis. Die Berechtigung, beide Momente als »Praxis« zu bezeich nen, leitet sich daraus her, dass sowohl in der direkten Praxis wie in der Realisationshandlung innerhalb der empirisch-wissenschaftlichen Forschung bestimmte Handlungen zu bestimmten Effekten führen sollen, nur dass die wissenschaftliche Praxis eben jenen probierenden, vorbereitenden Charakter hat, der mit der Bezeichnung »bedingungs kontrolliert-exemplarisch« gemeint ist. - Da die direkte Ernstfallpra xis der Forschungspraxis unbedingt pragmatisch übergeordnet ist, ist der Sinn der Forschungspraxis in allen ihren Teilmomenten ganz und gar abhängig von dem Sinn der direkten Praxis, in deren Dienst die Forschungspraxis steht. In welchem Maße die Forschungspraxis ihre exemplarische Funktion erfüllen kann, also für direkte Praxis relevant ist, das hängt einmal davon ab, wie groß der Integrationsgrad der dem Realisationsversuch unterworfenen Theorie ist (systemimmanente Eindeutigkeit), weiter davon, wie groß die Ähnlichkeit zwischen der Bedingungsstruktur des angezielten Bereichs der direkten Ernstfallpra xis und der der zugehörigen forschungspraktischen Situation ist (sys temimmanente Eindeutigkeit), und schließlich, wieweit die Beziehung zwischen Handlung und intendiertem Effekt bedingungsanalytisch -
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ausgewiesen werden konnte, wieweit also bloß logisch begründete Ex haustionen, die der Theorie als »Belastetheit« zuzuschlagen sind, ver mieden werden konnten ( systemtranszendente Eindeutigkeit). Mit der kritischen Ausweitung des konstruktivistischen Realisati onskonzeptes, in deren Konsequenz Wissenschaft nicht mehr ledig lich als >>Handlung«, sondern als besondere Art von Praxis, nämlich exemplarische Praxis als vorbereitendes Moment innerhalb umfas senderer direkter Praxis, bestimmt ist, ist die Unterscheidung zwischen »reiner« und »angewandter<< Forschung radikal aufgehoben: »Wissen schaft« kann dieser Auffassung nach nicht nur auf »Praxis« bezogen werden, wobei dies auch unterbleiben mag; empirische Wissenschaft findet vielmehr in bedingungskontrolliert-exemplarischer Praxis als Vorbereitung für direkte Praxis ihre einzige rational ausweisbare und begründbare Funktion. Wenn innerhalb der bestehenden Wissen schaft ein Unterschied zwischen »reiner« Forschung, die lediglich auf Erkenntnisgewinn aus ist, und angewandter Forschung gemacht wird, so kann dies dreierlei bedeuten: Entweder die vorgeblich »reine« For schung hat überhaupt keinen irgendwie aufweisbaren Effekt oder Sinn (was in manchen Bereichen der bestehenden Psychologie zuzutreffen scheint); oder die vorgeblich »reine« Forschung dient »objektiv« der kontrolliert-exemplarischen Vorbereitung für direkte Praxis, nur dass dieser Zusammenhang für den Forscher selbst nicht einsichtig, hin ter der ideologischen Verkennung seines eigenen wissenschaftlichen Tuns als »reine« Erkenntnissuche versteckt, und damit natürlich auch seiner rationalen Kontrolle entzogen ist; oder auch - und dies ist der günstigste Fall - der Terminus »reine« Forschung oder »Grundlagen forschung« ist nur eine wenig präzise Bezeichnung für jene Art von bedingungskontrolliert-exemplarischer Forschungspraxis, deren Ziele relativ langfristig konzipiert sind, deren Nutzbarmachung im Dienste von auf irgendeine Weise effektiverer oder vernünftigerer direkter Pra xis, also in weiter erstreckter Zeitperspektive zu sehen ist. Mit der Gegenüberstellung und dem Aufeinanderbeziehen von zwei Arten Praxis, der vorbereitenden exemplarisch-wissenschaftlichen und der umgreifenderen direkten Praxis, ist auch das Verhältnis zwischen » Theorie<< und »Praxis« neu definiert. »Theorie« ist j etzt nicht mehr Inbegriff von wissenschaftlicher Betätigung in irgendeinem Sinn e und »Praxis<< Inbegriff von irgendwelchen außerwissenschaftlichen Berei chen: Es wird hier vielmehr von der Einsicht ausgegangen, dass jede Art von »Praxis« immer »Theorie« i. w. S. voraussetzt und enthält, da Praxis andernfalls gar nicht »manifest« werden, in die Wirklichkeit treten könnte; Praxis ist nämlich immer diese bestimmte, besondere Praxis und nicht irgendeine andere, wobei die praxisermöglichenden Selektionsprinzipien natürlich im Bereich der »Theorie<< anzusiedeln -
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sind. Wenn hier also von zwei Arten der >>Praxis« die Rede ist, so be deutet dies genau genommen, dass wir zwei Arten des Theorie-Praxis Verhältnisses unterscheiden. Das »engere« Theorie-Praxis-Verhältnis ist das zwischen einzelwissenschaftlicher Theorie und Empirie (zwei ter Art) innerhalb der kontrolliert-exemplarischen wissenschaftlichen Forschung; das »umgreifendere<< Theorie-Praxis-Verhältnis ist das der Konzeptionen, Pläne, Perspektiven, Programm e für direkte Praxis und der direkten Praxis selbst. Dabei braucht wohl nicht mehr betont zu werden, dass das »engere« Theorie-Praxis-Verhältnis der Wissenschaft in seinem möglichen Sinn und seiner potentiellen Vernünftigkeit gänz lich von dem umgreifenderen Theorie-Praxis-Verhältnis abhängig ist. - Die Diskussion, die bisher über die Beziehung zwischen »Theorie« und »Praxis« geführt worden ist, hätte sich also sinnvollerweise auf die Beziehung des »engeren« und des »umgreifenderen« Theorie-Praxis Verhältnisses, wie sie eben gekennzeichnet worden sind, zu richten. Da die Charakterisierung von empirischer Wissenschaft - sofern sie nicht lediglich extensive Wissenserweiterung betreibt - als kontrol liert-exemplarischer Praxis, soweit ich sehe, in der gegenwärtigen his torischen Situation, aus der heraus wir Wissenschaftstheorie betreiben, die einzige begründbare und nicht ideologisch verzerrte Antwort auf die Frage ist, was »Wissenschaft« denn eigentlich soll, wozu »Wissen schaft« gut ist, muss diese Konzeption auch einen bedeutenden Stel lenwert bei der weiteren Bemühung um die wissenschaftstheoretische Grundlegung einer kritisch-emanzipatorischen Psychologie einnehmen. - In der Tat können von da aus im Blick auf die bisherigen einschlä gigen Überlegungen in dieser Abhandlung neue Perspektiven aufge wiesen und Präzisierungen vorgenommen werden. So lassen sich frühere Darlegungen über die auf den Forscher bezo gene Verkehrung von Konkretheit und Abstraktheit menschlicher Ver hältnisse in der bürgerlichen Psychologie nunmehr vom grundlegenden Konzept der »Praxis« her noch in höherem Grade abklären und präzi sieren. - Während, solange lediglich »gedacht« wird, man bis zu einem gewissen Grade in frei schaltender Verfügbarkeit über seine Gedanken das Jetzt-und-Hier überschreiten und sich im »Immer-und-Überall« ansiedeln kann, ist Praxis - wie gesagt immer diese bestimmte Pra xis, d. h. Praxis, die am Jetzt-und-Hier einer konkreten historischen Konstellation angreifen muss: Ich kann mich wohl »denkend<< in an dere raum-zeitliche Bereiche »versetzen<< als die, denen ich jetzt und hier verhaftet bin, nicht aber im praktischen Handeln. Dabei ist das »Jetzt-und-Hier«, an dem Praxis allein ansetzen kann, nicht punktuell zu verstehen, sondern hat eine gewisse Erstreckung, die jedoch einge schränkt ist durch die Horizonte des im Dienste des praktischen Han deins räumlich Verfügbaren und zeitlich Antizipierbaren. -
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Wenn nun die Vorbereitung direkter Praxis durch kontrolliert exemplarische Praxis als der einzige der Möglichkeit nach vertretbare Sinn von Wissenschaft, also auch Psychologie, erscheint, bedeutet dies, dass die raumzeitliche Generalisierung von psychologischen For schungsbefunden stets da ihre Grenzen finden muss, wo die Grenzen der räumlichen Verfügbarkeit und zeitlichen Antizipierbarkeit von Realität im Zusammenhang der »direkten« Praxis, in deren Dienst die Forschung steht, angesetzt werden müssen. Es ist nun charakteristisch für die >>naturwissenschaftlich<< gemeinte, verabsolutiert-nomothetische bürgerliche Psychologie, dass sie unter Ausklaromerung des Bezuges auf direkte Praxis als einzigem Recht fertigungsgrund für psychologische Forschung zu unbegrenzt genera lisierenden Aussagen über den Menschen kommen will. Das Ergeb nis ist das für konkret genommene Ideologem des abstrakt-isolierten »Menschen überhaupt« als Gegenstand psychologischer Forschung. Auf diese Weise muss sich der rational ausweisbare Praxisbezug der Forschung weitgehend »verdünnen<< und »verflüchtigen<<. Sofern psy chologischen Forschungsbefunden dennoch »objektiv<< exemplarischer Charakter für direkte Praxis zukommt, so muss das entweder als eine Art von »Zufall<< oder - was naheliegender ist - als Ausdruck von praxisbezogenen Forschungsinteressen, die in der offiziellen psycho logischen Wissenschaftssprache nicht repräsentierbar sind, betrachtet werden. Kritisch-emanzipatorische Psychologie muss allmählich ein Konzept der begrenzten Generalisierung von Forschungsbefunden entwickeln und in all seinen methodischen Konsequenzen durchdenken, die an dem raumzeitlichen Bereich, in dem die jeweils angezielte direkte Pra xis der Möglichkeit nach wirksam und antizipierbar ist, ihre Schranken findet. Sofern man in Verkehrung der Konkretheit und Abstraktheit menschlicher Verhältnisse dezisionistisch-introjektiv den »individu ellen Forscher<< als Schöpfer von zwar »nachträglich<< prüfbaren, aber in ihren Entstehungsbedingungen nicht weiter hinterfragbaren »Theo rien« betrachtet, scheint dem sozusagen »frei flottierenden<< Erfinden von theoretischen Konzeptionen beliebigen Allgemeinheitsgrades keine Grenze gesetzt zu sein. Nach Aufhebung der Introjektion und dem Aufweis, dass empirische Psychologie allein in ihrer vorbereitend exemplarischen Funktion für direkte Praxis ihre mögliche Rechtfer tigung finden kann, wird nun deutlich, dass psychologisches Theore tisieren, wenn es sich nicht von konkreter, historisch-gesellschaftlicher Realität lösen und zu bloßem, müßigem Gedankenspiel mit empirischer Scheinfundierung (vgl. dazu S. l l Sff.) verflüchtigen soll, von der di rekten Praxis her, in deren Dienst es sich stellt, sich einschränken und disziplinieren lassen muss.
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Weiterhin lässt sich nun auch das früher charakterisierte kritisch historische Verfahren kritisch-emanzipatorischer Psychologie mit Hilfe des jetzt zur Verfügung stehenden Praxiskonzeptes in mancher Hinsicht näher bestimmen. Wie festgestellt wurde, soll sich das kri tisch-historische Verfahren auf »Empirie erster Art«, nämlich die Psy chologie als historisches Faktum beziehen und die geschichtlich-ge sellschaftlichen Bedingungen der Eigenart und d er Veränderungen der Psychologie analysierend herausarbeiten. Nunmehr kann spezifizie rend hinzugefügt werden, dass im kritisch-historischen Verfahren die direkte gesellschaftliche Praxis, der die kontrolliert-exemplarische psy chologische Forschungspraxis dient bzw. dienen sollte, auf ihre Perspek tiven, Ziele und in ihr verwirklichten Interessen hin kritisch zu analy sieren ist. Da - wie aufgewiesen wurde - die potentielle Vertretbarkeit und Vernünftigkeit der Forschungspraxis von der Vertretbarkeit und Vernünftigkeit der umgreifenden direkten Praxis, der die vorbereitend exemplarische Forschungspraxis dient, abhängt, hat das so verstandene kritisch-historische Verfahren die zentrale Aufgabe, im je konkreten Fall über Vertretbarkeit und Vernünftigkeit psychologischer Forschung überhaupt zu befinden. - Dass bisher diese Aufgabe kaum gesehen, ge schweige denn mit rationalen Methoden in Angriff genommen wurde, ist symptomatisch für die gegenwärtige Verfassung der Psychologie. - Das kritisch-historische Verfahren hätte ferner die - pragmatisch nachgeordnete - Aufgabe, den Stellenwert der kontrolliert-exempla rischen Forschungspraxis der Psychologie innerhalb der übergreifen den direkten Praxis zu reflektieren, also die Frage der Relevanz der exemplarischen wissenschaftlichen Praxis für die direkte Praxis - unter Heranziehung der früher (S. 137ff.) genannten Gesichtspunkte - für jedes Forschungsproblem immer neu abzuklären. Bei der kritisch-historischen Analyse von direkter Praxis, in deren Dienst sich Psychologie der Möglichkeit nach stellen könnte, wird - wie das vom kritisch-emanzipatorischen Ansatz her evident ist - die Dimension der gesellschaftsbestätigenden bzw. gesellschaftskritischen Funktion solcher Praxis von besonderer Bedeutung sein. Während Psy chologie im Dienste gesellschaftsbestätigender Praxis sich am mehr vordergründigen Relevanzrahmen des täglichen Lebens (vgl. S. 1 1 7ff. ) orientiert, also von der Fiktion eines >>gesamtgesellschaftlichen Sub jekts« und demgemäß der Ideologie des >>Gemeinwohls«, des >>Allge meininteresses« etc. ausgehen muss (gleichviel ob dabei diese Illusion als solche durchschaut wird oder nicht), bezieht sich Psychologie im Dienste gesellschaftskritischer Praxis auf den Relevanzrahmen der »objektiven Gesellschaftsform« (vgl. S. 1 2 1 ff.), also der kapitalistischen Gesellschaft mit ihren immanent unaufhebbaren K.lassenantagonis men. - Es mag nun so scheinen, als wenn kritisch-emanzipatorische
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Psychologie von ihrem Selbstverständnis aus sich radikal in den Dienst gesellschaftskritischer Praxis zu stellen hätte und die Übernahme jeder vorbereitend-exemplarischen Funktion für gesellschaftsbestätigende Praxis mit aller Entschiedenheit zurückweisen müsste. Bei etwas ge nauerem Hinsehen erweist sich die Problemlage jedoch als erheblich komplexer, als man zunächst meinen möchte. Die einschlägige Diskus sion muss, besonders im Zusammenhang mit der Frage nach den Be rufsperspektiven des Psychologen im Spätkapitalismus, in der nächsten Zeit mit all er Gründlichkeit geführt werden. Ich kann an dieser Stelle keinen eingehenderen Beitrag dazu leisten und will lediglich einige Hinweise geben. Angenommen, es ließe sich in kritisch-historischem Verfahren strin gent machen, dass die klassischen Phasenlehren der Entwicklungspsy chologie, also etwa die von Ch. Bühler, Kroh, Werner, Piaget etc., biolo gistisch-pseudonaturalisierende Konzeptionen sind, die - unbeschadet der subjektiven Intentionen ihrer Vertreter - objektiv im Dienst gesell schaftsbestätigend-reaktionärer Praxis stehen, durch welche bestehende Herrschaftsinteressen dem Wandel entzogen und als schicksalshaft-na turgegeben zementiert werden sollen: in diesem Falle bliebe, so mag es scheinen, für die kritisch-emanzipatorische Psychologie die einzige Konsequenz, diesen Zusammenhang zu entlarven und in ihrer eman zipatorisch-aufklärerischen Funktion die Anwendung von Phasenkon zeptionen der genannten Art in allen Bereichen der schulischen und außerschulischen Erziehung mit rationalen Argumenten zu bekämpfen. - Bei etwas eingehenderer Betrachtung erweist sich jedoch, dass man dem Kapitalismus damit unter Umständen einen »großen Dienst« er weisen würde. Die biologisierenden Phasenkonzeptionen, wie sie heute in weiten Kreisen der Erzieherschaft und der informierteren Elternschaft verbreitet sind, müssen nämlich in der Sicht eines >>progressiven<<, sozu sagen blankgeputzten Kapitalismus auch immanent als >>rückschrittlich« erscheinen: Wenn Kinder unter Phasengesichtspunkten als »ihrem We sen« nach von Erwachsenen verschieden, als eben »kindlich<< und damit mit Erwachsenenmaßstäben noch nicht zu messen, erscheinen, so sind sie nämlich damit dem totalen Verfügungsanspruch der kapitalistischen Gesellschaft über Menschen im Dienste der Profitmaximierung temporär entzogen. Falls etwa auf Grund einschlägiger aufklärerischer Tätigkeit der dem Phasendenken entspringende Widerstand der Erzieher gegen die totale Einvernahme der Kinder durch die Leistungsgesellschaft all mählich nachlassen würde, so wären damit möglicherweise Schonräume aufgegeben, in denen jetzt noch aufklärerische pädagogische Intentionen relativ unbetroffen von der Kontrolle der an Erhöhung de"r technolo gischen Leistungsfähigkeit und damit Profitmaximierung interessierten Herrschaftsinstanzen realisiert werden können.
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Vm noch ein weiteres Beispiel anzuführen: Angenommen, man käme aufgrund von kritisch-historischen Analysen zu dem Ergebnis, das für die behavioristische Psychologie zentrale Konzept des » Ler nens« sei entscheidend von einer verschleiernden Ideologie der »Chan cengleichheit« in der bestehenden Gesellschaft geprägt und stehe da mit - ob gewollt oder ungewollt - im Dienst einer direkten Praxis, in welcher auf gesellschaftsbestätigende Weise die Klassenantagonismen im Spätkapitalismus verdeckt sind, indem die möglichst effektive Ab richtung von Individuen im Interesse der Herrschenden als im eigenen Interesse der Betroffenen bzw. im Allgemeininteresse liegend ausge geben wird. - Man könnte daraus einmal die Konsequenz ziehen, be havioristische Lernpsychologie entweder zu bekämpfen oder auch einfach »beiseite zu lassen«. Andererseits aber wäre es in bestimmten Hinsichten mit kritisch-emanzipatorischen Intentionen vereinbar, aus der bestehenden Lernpsychologie eine bessere und technisch rele vantere Psychologie des Lernens zu entwickeln. Der Kapitalismus ist ja nicht im Rückwärtsgehen, also dadurch dass man ihn aufzuhalten versucht, sondern einzig im Vorwärtsgehen, indem er in seine eigene » Vollendung« und damit immer mehr in seine immanent unaufheb baren Widersprüche hineingetrieben wird, zu überwinden. Demnach wäre die heute innerhalb mancher Bereiche der »linken« Bewegung antreffbare Technologiefeindlichkeit nicht notwendigerweise als »revo lutionär« oder auch nur »progressiv« zu bewerten; man mag darin auch eine romantisierende Rückwärtswendung, eine Art von »Zurück-zur Natur« sehen, wobei das eigene Unbehagen oder die eigene Unfähig keit in Bezug auf Technologie »politisch« rationalisien wird und das kapitalistische System dadurch bekämpft werden soll, dass man selbst sich seinen Anforderungen entzieht, sozusagen »aussteigt« und damit alles »laufen« lässt. Im Zusammenhang mit solchen Überlegungen könnte man eine Verbesserung der Methoden des Lehrens und Lernens, wenn damit auch kurzfristig dem Kapitalismus gedient ist, längerfristig als im Dienste der Überwindung des Kapitalismus stehend interpretieren: Effizientere pädagogische Methoden, sofern sie - wie das im gegen wärtig modischen Konzept der kompensatorischen Erziehung an gestrebt wird - allen Klassen zugute kommen sollen, werden nämlich, auch wenn sie zunächst noch dem Ideologem der »Chancengleichheit« unterliegen, dennoch letztlich bei den Beherrschten das Bewusstsein ihrer Klassenlage ändern müssen, da sich Nachdenken, wenn es einmal eingesetzt hat, nicht so ohne Weiteres beliebig gemäß den Interessen der Herrschenden »stoppen« lässt. Dabei ist allerdings vorausgesetzt, dass hier nicht nur »dressiert«, sondern tatsächlich »Nachdenken« gefördert wird. Wie sich in der Entwicklung der in Amerika staatlich
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intensiv unterstützten Kreativitätsforschung gezeigt hat (vgl. dazu etwa Ulmann 1 968), ist indessen auch das kapitalistische System, wenn es mit der technologischen Entwicklung Schritt halten will, auf die Er ziehung zu selbständigem, schöpferischem Denken angewiesen, wobei die Einschränkung der Kreativität auf mit Herrschaftsinteressen ver einbare Problembereiche dann kaum mehr möglich ist. Es ist wohl in diesem Zusammenhang nicht uncharakteristisch, dass die in den USA errichteten Zentren der Kreativitätsförderung teilweise unvermerkt zu »Hochburgen<< der Systemkritik am Kapitalismus geworden sind. Ich bin mir der Problematik derartiger Auffassungen, besonders wenn sie - wie das hier geschehen ist - mehr beiläufig und ohne aus führlichere Begründung dargeboten werden, durchaus bewusst, wo bei ich auch den Widerspruch zwischen den Schlussfolgerungen dieses und des vorigen Abschnittes durchaus sehe. Es geht mir indessen hier zunächst lediglich darum, mögliche Widersprüche dieser Art aufzu weisen und nicht schon auszudiskutieren. Ein besonders markantes Beispiel für solche Widersprüchlichkeiten bieten psychologische Forschungsaktivitäten, sofern sie sich in den Dienst von in irgendeinem Sinne sozialpflegerischer, helfender; karita tiver Praxis stellen, wie dies etwa bei der wissenschaftlichen Begrün dung von Erziehungsberatung, Eheberatung, Berufsberatung etc. ge schieht. Vorbereitend-exemplarische psychologische Forschungspraxis dieser Art sieht sich von mancher Seite dem Vorwurf ausgesetzt, dass sie nur die Anpassung des Menschen an das System befördere, dass sie überall da einspringe, wo durch den >>menschlichen Faktor« sozusagen >>Sand im Getriebe<< gewisser Momente der bestehenden Gesellschafts ordnung ist, um dafür zu sorgen, dass alles wieder >>wie geschmiert<< läuft. Andererseits wird man nicht angesichts dieses Vorwurfs trotz dem den elementaren Umstand übersehen dürfen, dass Menschen, wie sie gegenwärtig in dieser Gesellschaft leben, hilfsbedürftig sein können und dass es einen Wert darstellt, solchen Hilfsbedürftigen zu helfen. - Der zentrale, immanent unaufhebbare Widerspruch liegt hier darin, dass, sofern man Menschen oder Gruppen von Menschen in dieser Ge sellschaft erfolgreiche Hilfe zukommen lässt, damit ziemlich zwangs läufig auch den Herrschenden »geholfen« ist. Wer wieder >>glücklich<<, wieder >>gesund<<, wieder >>leistungsfähig<<, wieder >>beliebt<< ist, der ist - jedenfalls potentiell - eher dazu geeignet, seine >>Aufgaben<< in die ser Gesellschaft zu erfüllen und damit, falls er z. B. Arbeiter ist, auch ein effektiverer Produzent von Mehrwert und Profit im Interesse des Kapitals. - Es unterliegt natürlich keinem Zweifel, dass helfende Psy chologie unter kritisch-emanzipatorischem Aspekt keineswegs unhin terfragt sich zum willfährigen Anpassungsinstrument im Dienste der Erhaltung bestehender Gesellschaftsformen machen lassen darf. Ande-
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rerseits aber wäre eine radikale Weigerung kontrolliert-exemplarischer psychologischer Forschungspraxis, sich in den Dienst der Hilfeleis tung gegenüber jetzt, in dieser Gesellschaft, lebenden Menschen zu stellen, ungefähr so vernünftig und human, als wenn die medizinische
Forschung die Entwicklung wirkungsvoller Heilverfahren und Medi kamente verweigern wollte, mit dem Argument, dass z. B. wachsende Gesundheit unter Arbeitern in dieser Gesellschaft dem Klassenfeind zugute käme. Es ist wohl selbstverständlich, dass ich mirdiesen kurzen und globa len Analysen keinesfalls die mögliche Berechtigung einer Fortführung der bestehenden Psychologie >>im alten Stil« auch nur ins Auge fasse und damit traditionell-unpolitisch gesonnenen Psychologen ein Alibi für ungestörtes >>Weiterbasteln« verschaffen wollte. Es war lediglich meine Absicht, darauf hinzuweisen, in welche Widersprüchlichkeiten man bei kritisch-historischer Analyse von potentiell für Psychologie bedeutsamer direkter Praxis auf der Dimension >>gesellschaftsbestäti gend<< - »gesellschaftskritisch<< geraten kann, um die Komplexität des Niveaus anzudeuten, auf dem einschlägige Diskussionen in Zukunft geführt werden müssen. - Es sollte niemals vergessen werden, dass
auch kritisch-emanzipatorische Psychologie Psychologie in der spätka pitalistischen Gesellschaft ist und dass es illusionär wäre anzunehmen, dass sie den Widersprüchen dieser Gesellschaft untangiert entkommen könnte. Nicht nur das auf das historische Faktum >>Psychologie« als >>Empi rie erster Art<< gerichtete kritisch-historische Verfahren, sondern auch das auf Daten von >>Versuchspersonen«, >>Probanden« etc. als >>Em pirie zweiter Art<< gerichtete kritisch-empirische Verfahren (vgl. dazu S. 129ff.) ist unter Einbeziehung des Konzeptes von Wissenschaft als kontrolliert-exemplarischer Praxis näher zu bestimmen und weiter zu entwickeln. Den >>Rahmen<< für die Entfaltung kritisch-empirischer Methodik bildet das Prinzip der »begrenzten Generalisierung«, wie es früher (S. 144f.) dargestellt wurde. Dabei ist nicht nur die geschilderte Ex tremposition der bürgerlichen Psychologie, in der Immer-und-Über all-Aussagen über »den<< Menschen als abstraktem Gedankengebilde gemacht werden sollen, zu vermeiden, weil hier konkrete historisch gesellschaftliche Lebensbereiche direkter menschlicher Praxis, für die die Forschungspraxis exemplarisch sein könnte, nicht aufzuweisen sind, also die Ähnlichkeit der Bedingungsstruktur der direkten Pra xis mit der der kontrolliert-exemplarischen Praxis wissenschaftlicher Forschung nicht einmal mehr bestimmbar ist (vgl. dazu S. 139f.): Auch die andere Extremposition, das gänzliche »Aufgehen<< der Forschungs praxis in der direkten Praxis, wie es etwa für bestimmte Formen der
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Kasuistik im Bereich der psychologischen Beratung und Psychothe rapie üblich ist, muss von dem hier entwickelten Ansatz aus als ver fehlt betrachtet werden. Hier nämlich ist wiederum eine andere der früher genannten Voraussetzungen »exemplarischer« und damit für direkte Praxis relevanter Forschungspraxis nicht hinreichend erfüllt: die bedingungsanalytische Abklärung der in der Theorie behaupteten, im Realisationsversuch herzustellenden oder aufzuweisenden Hand lungs-Effekt-Relation. »Reine« Kasuistiken, wie sie in manchen ein schlägigen Publikationen extensiv wiedergegeben werden, sind nichts weiter als - im günstigen Falle - >>nette« Geschichten, die für nichts stehen als für sich selbst, die genau genommen keine Forschungspraxis, sondern höchstens protokollierte direkte Praxis darstellen und deshalb keinerlei exemplarischen Wert besitzen. In der Methodologie kritisch-emanzipatorischer Psychologie wird eine - wenn man so will, dialektische - Spannung zwischen dem einen statischen Extrem der >>leeren<< Übergeneralisierung und dem anderen statischen Extrem der »blinden<< Überkonkretisierung durchzuhalten sein. Ansätze hierzu finden sich etwa in manchen Kommunen (vgl. den Bericht der »Kommune 2<<, Bookhagen 1 969), in manchen sozialisti schen Kinderläden und etwa auch im Projekt »Schülerladen<< des Psy chologischen Instituts der Freien Universität, über das 1 97 1 ein Bericht erschienen ist (Autorenkollektiv 1 97 1 ) . Hier wird eine Art von Inte gration zwischen direkter und exemplarischer Praxis versucht, indem - abwechselnd und einander durchdringend - man sich den jeweiligen Lebenssituationen in direkter Praxis aussetzt und in relativer Distan zierung exemplarische Züge dieser Lebenssituationen herauszuarbei ten versucht, also Forschungspraxis treibt. Die immensen konkreten Schwierigkeiten derartiger Versuche rühren - mindestens zu einem Teil - daher, dass die direkte und die exemplarische Praxis häufig sehr verschiedene Bewältigungstechniken erfordern; demgemäß besteht permanent die Gefahr des Scheiterns der direkten Praxis zugunsten der Forschungspraxis oder umgekehrt - wobei natürlich in jedem der beiden Fälle das gesamte Projekt gescheitert wäre. - Ausführlichere Analysen zur Methode des integriert-alternierenden Sich-einer-Situ ation-Aussetzens und Sich-von-einer-Situation-Distanzierens finden sich übrigens - hier speziell im Hinblick auf die psychotherapeutisch psychiatrische Praxis, bei Laing ( 1 969). - Im Übrigen ist in derartigen Ansätzen nur eine, aber nicht die einzige Möglichkeit einer Erfüllung des Prinzips der »begrenzten Generalisation« zu sehen. Hier sind noch weitere wesentliche Abklärungen nötig. Auch das Verhältnis zwischen Experimentator und Versuchsperson bzw. »Psychologe<< und Proband o. Ä. innerhalb der kritisch-empi rischen Vorgehensweise muss nun neu bestimmt werden: Sofern die
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Introjektion aufgehoben ist, und s o weder der Forscher noch die Ver suchsperson im Wissenschaftsprozess als abstrakt-isolierte Individuen erscheinen, sondern beide als lebendige Menschen in konkreten Lagen innerhalb der bestehenden Klassengesellschaft gesehen werden können, ist hier die Möglichkeit gegeben, dass Experimentator und Proband sich als solidarisch im Blick auf die Verfolgung gemeinsamer Interessen in gesellschaftlicher Praxis erkennen können. U mgekehrt besteht da durch aber auch die Möglichkeit, die in der bürgerlichen Psychologie übliche verdinglichte Beziehung des Experimentators zur Versuchsper son als Ausdruck von klassenbedingten Interessengegensätzen zwischen beiden, wobei diese Antagonismen durch die geschilderte introjektive Ideologie des isoliert-abstrakten Individuums verschleiert werden, kri tisch zu entlarven. Die methodologischen Konsequenzen einer offen gelegten Solidarität zwischen Experimentator und Versuchsperson in den verschiedensten Bereichen der Psychologie, besonders auch der klinischen Psychologie und psychologischen Diagnostik, sind äußerst weitreichend, was hier aber nicht mehr in den Einzelheiten dargelegt werden kann. Die kritisch-empirische Methodik hat, eingeschränkt durch das Prinzip der >>begrenzten Generalisierung«, den bedingungsanalytischen Beitrag zur Erreichung einer angemessenen Relevanz der kontrolliert exemplarischen Forschungspraxis für die direkte Praxis (vgl. S. 1 39ff.) zu leisten. Die Eigenart dieses Beitrags ist mit dem konstruktivisti schen Bedingungsmodell (vgl. etwa Holzkamp 1 968, S. 323ff., S. 341ff. [2006a, S. 357ff., S. 3 77ff.]), wie mir scheinen will, optimal transparent zu machen. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die mit Hilfe kritisch empirischer Methodik beigebrachten Daten nicht wie die Daten der traditionell-empirischen Methodik als undurchdringliche Letztheiten erscheinen, sondern durch die Befunde des übergreifenden kritisch historischen Verfahrens ihren Sinn und ihre Durchsichtigkeit erhalten (vgl. S. 128f.). Wie dargelegt, sind - gemäß konstruktivistischer Sicht - die Daten nicht unabhängig von der übergeordneten Theorie zu sehen, sie erscheinen auch nicht nur >>im Lichte« der Theorie, sondern sie sind, sofern die Theorie sich empirisch bewährt, gemäß der Theorie per Realisation produziert. Lediglich in der Belastetheit von Theorien kommt so etwas wie der blinde, undurchdringliche >>Widerstand der Realität« zum Ausdruck. Damit ist jedoch zwar u. U. das Aufgeben ei ner bestimmten Theorie nahegelegt, nicht aber das Aufgeben der Kon zipierung eines bestimmten Theorientyps. Es wurde ja früher (S. 1 1 5ff.) der Versuch gemacht zu verdeutlichen, mit welchen Immunisierungs strategien der >>organismische« anthropologische Ansatz der bürger lichen Psychologie immanent absolut unangreifbar gemacht wurde. Das Problem, welche Art von Theorien jeweils sinnvolle kontrolliert-
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exemplarische Forschungspraxis ermöglicht, kann nur in kritisch-histo rischem Verfahren im Blick auf den Sinn und die Vernünftigkeit der übergeordneten direkten Praxis und auf die Relevanz der psycholo gischen Forschung für diese direkte Praxis rational abgeklärt werden. Da kritisch empirische Methodik den bedingungsanalytischen Bei trag für sinnvolle kontrolliert ex emp larische Forschungspraxis leisten muss, hat sie sich dabei - nach kritischer Sichtung - der bisher ent wickelten Methoden zu bedienen, die eine experimentelle oder statisti sche Isolierung der konstituierenden Bedingungen von den störenden Bedingungen ermöglichen. Jede Art von Methodenfeindlichkeit inner halb kritisch emanzipato risch gemeinter Psychologie ist daher lang fristig gesehen rückschrittlich und kann höchstens als verständliche Reaktion auf den Methodenfetischismus der bestehenden Psychologie v o rü bergehend hingenommen werden. Die Entwicklung präziser und differenzierter Verfahren des experimentellen Designs, der Inferenz statistik und der multidimensionalen Analyse stellt die große Leistung der modernen bürgerlichen Psychologie dar. Bei der Transformation der bestehenden Psychologie in kritisch-emanzipatorische Psychologie darf nichts von dieser Leistung verloren gehen: Erst im übergreifenden kritisch-emanzipatorischen Zusammenhang der zu schaffenden neuen Psychologie wird der bisher ideologisch entstellte und verschleierte ra tionale Kern der bestehenden Psychologie sich innerhalb einer vernünf tigeren psychologischen Forschung im Dienste einer vernünftigeren Ordnung menschlichen Zusammenlebens voll entfalten können. -
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KONVENTI ONAL ISMUS UND KONSTRUKTIVISMUS ( 1 9 7 1 )
Der folgende Artikel ist die Antwort auf eine Arbeit von Richard Münch und Michael Schmid: »Konventionalismus und empirische Forschungs praxis« (1970), die sich kritisch mit dem von mir entwickelten konstruk tionistischen Ansatz auseinandersetzt (vgl dazu bes. S. 97ff. und S. 1 59ff. dieses Buches). Die Kritik richtet sich dabei vor allem auf das konstruk tionistische Exhaustions-prinzip, in welchem die logische Möglichkeit zum Ausdruck gebracht ist, Abweichungen zwischen theoretischen Annahmen und empiris chen Befunden auf die Wirksamkeit »Störender Bedingungen<< zurückzuführen, womit empirisch-wissenschaftliche Hypothesen die Form von Konditionalsätzen hätten und Geltung nur mit der Einschränkung »in Abwesenheit störender Bedingungen<< beanspruchen könnten. Münch und Schmid führen Beispiele aus der sozialwissenschaftliehen Forschung an, in denen der Geltungsanspruch von Theorien trotz negativer empirischer Befunde durch Rückgriff auf >>Störende Bedingungen<< beibe halten wurde, und stellen im Anschluss daran fest, ich hätte dieses konventi onalistische »Verfahren der Rettung von Theorien gegenüber falsifizierender Erfahrung . . . unter anderem mit Hinweis auf den gängigen Forschungspro zess als legitim<< betrachtet und wissenschaftslogisch zu rechtfertigen ver sucht (S. 300). Münch und Schmid deuten die Exhaustion als laufende Veränderung des »Wenn«-Teils einer empirisch-wissenschaftlichen Wenn-dann-Aussage und kommen zu der Feststellung, dass durch die fortgesetzte Aufnahme von neuen Faktoren in den Wenn-Teil der empirische Gehalt von Theorien sukzessiv entleert werden muss (S. 302). Bei Anwendung der Exhaustion ließen sich »beliebige Theorien konstruieren, die niemals an der Realität scheitern können, weil sie mit jeder denkbaren Beschaffenheit der Realität übereinstimmen<< (S. 3 03). Demgegenüber sei hervorzuheben, dass, gemäß der popperschen Erkenntnistheorie, zwei Kriterien zur Verfügung stehen, wenn es darum geht zu entscheiden, welche Theorie einer anderen vorzu ziehen ist: der Grad des empirischen Gehaltes, d. h. der Falsifikationsgrad einer Theorie, und der Grad des überschüssigen Gehalts einer Theorie im Vergleich zu einer anderen, wobei die vorzuziehende Theorie sich im Bereich ihres überschüssigen Gehaltes empirisch bewährt haben muss (S. 304). »ln soweit nun das Exhaustionsprinzip darauf angelegt ist, widerlegte Theorien durch Gehaltsverminderung zu konservieren, scheidet es . . . als alternative Forschungsstrategie aus<< (S. 304). Mein Versuch, die Art und Weise, wie eine Theorie an der Realität schei tern kann, durch das Kriterium der Belastetheit von Theorien zu verdeut lichen, wobei der Grad der »echten<< Belastetheit durch die Menge der zur .
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Konventionalismus und Konstruktivismus
B eibehaltung einer Theorie notwendig gewordenen, empirisch unausgewie senen Exhaustionen definiert ist, wird von Münch und Schmid als misslun gen betrachtet. Bei genauerer Analyse führten alle meine Argumentationen zu Tautologien, zu einem unendlichen Regress oder zu einer petitio principii (was ausführlich dargelegt wird). Die Transformation des Konstruktivismus in eine kritisch-emanzipato rische Psychologie kann nach Münch und Schmid das Dilemma des Kons truktivismus keineswegs überwinden. Die metasprachliche konstruktionisti sche Wissenschaftslogik sei als solche umfassender als die obj ektsprachliche marxistische G esellschaftstheorie: »Der Konstruktivismus impliziert somit
eine Forschungsstrategie, mit der auch die marxistische Gesellschaftstheorie vor jeglicher Kritik geschützt und vor möglichem Scheitern bewahrt werden könnte« (S. 3 07). Manche der Einzelargumente von Münch und Schmid werden anlässlich ihrer Diskussion im folgenden Artikel genauer angeführt. Im Übrigen weise ich darauf hin, dass - wie aus der Schlussabhandlung »Die B eziehung zwi schen gesellschaftlicher Relevanz und wissenschaftlichem Erkenntnisgehalt psychologischer Forschung« (bes. S. 277ff.) hervorgeht - im Zusammenhang dieses Buches die Frage, wieweit die Kritik von Münch und Schmid berech tigt ist oder von mir schlüssig zurückgewiesen werden konnte, weniger Be deutung hat als die veränderten wissenschaftstheoretischen Positionen, die sich in meiner Replik manifestieren.*
Münch & Schmid (1 970) versuchen den Nachweis zu führen, dass der von mir in einer Reihe von Publikationen ( 1 964, 1 968, 1 970b [S. 83- 1 52 in diesem Buch]) entwickelte konstruktivistische Ansatz der Wissenschaftslehre als verfehlte »konventionalistische« For schungsstrategie zurückzuweisen ist, wobei sich ihre Kritik beson ders auf das Prinzip der Exhaustion richtet, und sie weiter aufzuzei gen bemüht sind, dass das Konzept der >>Belastetheit« von Theorien seinem Anspruch, die konventionalistische Beliebigkeit des Theore tisierens einzuschränken, nicht gerecht werden kann. Darüber hinaus wollen Münch und Schmid, in mehr anhangsweisen Ausführungen, die mit ihrer übrigen Argumentation nur wenig zu tun haben (S. 306ff.), unseren Ansatz einer »kritisch-emanzipatorischen Psycholo gie« (etwa Holzkamp 1 970b) widerlegen. Die letztgenannten Darlegungen von Münch und Schmid sollen erst in meiner Replik zu Alberts Aufsatz » Konstruktivismus oder Realismus<< (S. 1 79-2 1 0) behandelt werden, da Albert dort in erheb lich ausführlicheren Gedankenentwicklungen zu Einschätzungen gelangt, die denen von Münch & Schmid so weit entsprechen, dass ". Anm. d. Hg.: Die oben s t ehende Einleitung wurde wie auch die des folgen ,
den Textes >>>Kritische Rationalismus< als blinder Kritizismus«, speziell für
deren Wiederveröffentlichung in Holzkamp, Kritische Psychologie 1 972 ge schrieben.
Konventionalismus und Konstruktivismus
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deren Kritik zweckmäßigerweise i n diesem Zusammenhang z u dis kutieren ist. In dem hier vorgelegten Artikel beziehe ich mich ausschließlich auf den Hauptteil der Arbeit von Münch und Schmid, in dem vom Stand ort der popper-albertschen Falsifikationstheorie gegen den Konstruk tivismus der Konventionalismusvorwurf erhoben wird. Ich will ver suchen, diesen Vorwurf zu entkräften, wobei - als Vorbereitung für weiterführende Überlegungen - auch gewisse allgemeine Klärungen über das Verhältnis zwischen Wissenschaftstheorie und Wissenschaft und über das Verhältnis zwischen Konstruktivismus und der popper sehen Falsifikationstheorie angestrebt werden. 1 Der Gegenstand der Wissenschaftslogik und
der kritischen Wissenschaftstheorie
Das >> . . Aufstellen der Theorien . . . scheint uns einer logischen Ana lyse weder fähig noch bedürftig zu sein: An der Frage, wie es vor sich geht, dass jemandem etwas Neues einfällt - sei es nun ein musika lisches Thema, ein dramatischer Konflikt oder eine wissenschaftliche Theorie -, hat wohl die empirische Psychologie Interesse, nicht aber die Erkenntnislogik. Diese interessiert sich nicht für Tatsachenfragen (>quid factis<), sondern nur für Geltungsfragen (>quid juris<)«; so Pop per ( 1 966, S. 6). Ganz in diesem Sinne führen Münch und Schmid gegen mich ins Feld: »Wenn nun Holzkamp . . . Poppers Falsifikationstheorie ablehnt, weil sie nach seiner Meinung die Möglichkeit der Exhaustion zu wenig berücksichtigt und weil diese ein unter Forschern durchaus übliches Verfahren sei, . . . so scheint dies die Intentionen von Popper nahezu mustergültig zu verfehlen. Wenn eine Forschungsstrategie all gemein verbreitet ist, dann ist das natürlich noch lange kein Kriterium ihrer Akzeptabilität « (S. 304). Daran ist soviel richtig, dass der individual-biographische Vorgang des Erfindens von Theorien tatsächlich kein sinnvolles Thema jeder Art von Wissenschaftstheorie ist, und auch, dass es kaum als legitim betrachtet werden kann, wenn man bestimmten schlechten Angewohnheiten von Forschern, nur weil sie >>Faktum« sind, schon eine Art von wissenschafts theoretischer Weihe verleihen wollte. Allein: Die poppersehe These, dass die Erkenntnislogik sich nur für Geltungsfragen und nicht auch für Tat sachenfragen zu interessieren habe, ist dennoch in dieser Allgemeinheit falsch. Das »quid facti« muss sich nämlich keinesfalls lediglich auf Indi vidual-Biographisches oder auch auf zufällig-faktische Verhaltensweisen von Forschern beziehen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach dem Gegenstand der Wissenschaftstheorie. .
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Konventionalismus und Konstruktivismus
>>Wissenschaftstheorie« ist keineswegs etwas Selbstgenügsames und unabhängig In-sich-Beschlossenes, sondern ihrem Wesen nach intentio nal: Wissenschaftstheorie ist » Theorie der Wissenschaft« und somit ge richtet auf etwas, das außerhalb ihrer selbst liegt, nämlich die Wissen schaft, deren » Theorie<< sie ist. Diese >>Wissenschaft« ist aber nun nicht Wissenschaft als solche, die Idee der Wissenschaft oder Ähnliches, denn so etwas gibt es natürlich nicht, sondern Wissenschaft in ihrer Identität als jeweils dieses und kein anderes historisches Faktum. Hier liegt das »quid facti<< der Wissenschaftstheorie. Wissenschaftstheorie in einer ersten Stufe ihrer Entfaltung hat die Prinzipien herauszuarbeiten, auf den Begriff zu bringen und in ih rem Zusammenhang zu entwickeln, die wissenschaftlicher Forschung in einer gewissen historischen Ausprägungsweise faktisch, wenn auch bisher begriffslos und unexpliziert, zugrunde liegen. So wären Vor aussetzungen geschaffen, um begreiflich zu machen, nicht nur, was der Forscher tut oder zu tun vermeint, sondern was Wissenschaft, wie sie jeweils vorfindlieh ist, als Ganzes soll, wie sie >>funktioniert« und auf was sie hinausläuft. - In diesem Ansatz liegt nun aber bereits ein zweites Charakteristikum der Wissenschaftstheorie beschlossen, ihre immanent-normative Funktion. Indem Wissenschaftstheorie die Prinzipien der (stets als historisch besondere gemeinten) wissen schaftlichen Forschung im Zusammenhang herausarbeitet, bezieht sie die so gewissermaßen in Reinheit aufgewiesene logisch-funktionale Struktur auf das unmittelbare Faktum der wissenschaftlichen For schung in ihren vielfachen empirischen Formen zurück und gelangt so zu einer immanent-kritischen Position gegenüber der Forschungs praxis, indem sie aufweist, wo und auf welche Weise wissenschaftliche Forschung von den ihr eigenen Zielsetzungen abweicht, wo sie - ge messen an ihren nun sichtbaren Prinzipien - Inkonsequenzen, Brüche, Widersprüchlichkeiten enthält. Wissenschaftliches Tun wird hier also sozusagen mit seinen eigenen wohlverstandenen Ansprüchen kon frontiert. Wenn Wissenschaftstheorie ihrer Aufgabe der explizierend-normati ven Prinzipienklärung wissenschaftlichen Tuns gerecht werden will, so müssen die Prinzipien tatsächlich aus der Wissenschaft, deren Theorie Wissenschaftstheorie sein will, entwickelt, sie müssen für diese Wissen schaft essentiell sein und düden nicht lediglich irgendwie erfunden und dann äußerlich auf die Wissenschaft »angewendet<< werden; andernfalls ist gar nicht von dem die Rede, um das es hier gehen soll, nämlich Wis senschaft in einer bestimmten historischen Ausprägungsform. - Dabei verfehlt Wissenschaftstheorie nicht nur dann ihre Aufgabe, "w enn nicht aus der Wissenschaft entwickelte, also nichtessentielle Prinzipien als es sentielle missdeutet werden, sondern auch, wenn essentielle Prinzipien
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a ls nichtessentielle verkannt und demnach als Normen wissenschaft lichen Handelns ausgeschlossen werden. Wissenschaftstheorie, soweit sie bisher hier abgehandelt wurde, ist bestimmt als formale Wissenschaftstheorie, als Wissenschaftslogik. So wohl die poppersehe Falsifikationstheorie wie der Konstruktivismus sind derartige formale wissenschaftslogische Ko.I_lzeptionen und treten zunächst lediglich in diesem Bereich in Konkurrenz. Die Frage danach, · warum Wissenschaft in der jeweils gemeinten Ausprägungsart gerade bestimmte und keine anderen Prinzipien enthält, warum sich aus ihr gerade diese und keine anderen Normen für die Forschung explizieren und extrapolieren lassen, welchen historischen Entwicklungstendenzen also jene Wissenschaft ihrerseits zugehörig und dienlich ist, wird vom bloß wissenschaftslogischen Standort überhaupt nicht sichtbar, kann also weder vom Konstruktivismus noch von der Falsifikationstheorie mit den ihnen eigenen Denkmitteln gestellt werden. Hier liegt der Ansatzpunkt für kritische Wissenschaftstheorie. Wenn man - vergröbernd - davon ausgeht, dass die formale Wissenschaftslo gik eine Art von Metatheorie jeweils bestehender Wissenschaft ist, so kann man die kritische Wissenschaftstheorie wiederum als Metatheorie von beidem, der jeweiligen Wissenschaft und der zugeordneten Wissen schaftslogik als Ausdruck ihrer Prinzipien- und Normenstruktur be trachten. Kritische Wissenschaftstheorie verlagert beides, Wissenschaft und zugeordnete Wissenschaftslogik, sozusagen auf die Gegenstands seite der Betrachtung: Die historisch-kritische Analyse einer Wissen schaft ist zugleich und wesentlich die Analyse ihrer Prinzipien- und Normenstruktur; oder, zugespitzter formuliert, die kritisch-historische Analyse kann genau genommen überhaupt nicht an der » Wissenschaft« selber, sondern sie muss an der Wissenschaftslogik der Wissenschaft ansetzen, weil allein in der Wissenschaftslogik - günstigenfalls - die Prinzipien und Normen einer Wissenschaft so expliziert, in ihren Zu sammenhängen entwickelt und auf den Begriff gebracht sind, dass sie nun ihrerseits der Kritik unterworfen werden können. - Während in der Wissenschaftslogik die Wissenschaft, auf die sie bezogen ist, not wendigerweise als »Wissenschaft überhaupt«, als unveränderlich und ewig, und als »eben so, wie sie ist«, erscheinen muss, weil Wissen schaftslogik mit ihren eigenen Denkmitteln die Prinzipien und Nor men der Wissenschaft nicht transzendieren kann, wird in der kritischen Wissenschaftstheorie die Wissenschaft, wie sie in der ihr angemessenen Wissenschaftslogik ihrer Prinzipien- und Normenstruktur nach reprä sentiert ist, als Teilmoment einer bestimmten gesellschaftlichen Ent wicklungsstufe, als mit dieser Entwicklungsstufe historisch geworden und durch den Menschen als potentielles historisches Subjekt in gesell schaftlicher Aktivität seinen Interessen gemäß veränderbar aufgefasst.
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Man vergegenwärtige sich in diesem Zusammenhang, dass Marx in seiner besonders im »Kapital« geleisteten Kritik der politischen Öko nomie nicht die bürgerliche Produktionsweise direkt kritisierte, son dern die bürgerliche Produktionsweise, wie sie in ihren Prinzipien und Normen in der bürgerlichen Ökonomie expliziert und auf den Begriff gebracht worden war. Von da aus wird verständlich, dass ein großer Teil der marxschen Ausführungen einer immanenten Kritik der Ökonomie seiner Zeit gewidmet waren, wobei er immer wieder die Überlegenheit bestimmter Positionen, etwa der Ricardos, gegen über anderen, etwa der der Vulgärökonomen, hervorhob. Seine eigene, historisch-dialektische Kritik war sinnvoll nur an den sozusagen »bes ten<< Konzeptionen der bürgerlichen Ökonomie, nämlich denen, die die Prinzipien der bürgerlichen Produktionsweise am angemessensten erfasst hatten, anzusetzen: Nur so konnte er entscheidende Grundpo sitionen der bürgerlichen Ökonomie übernehmen und damit in ihrem rationalen Kern bewahren und gleichzeitig den Nachweis führen, dass die ökonomischen Prinzipien, die die bürgerlichen Ökonomen als der menschlichen Produktionsweise überhaupt naturwüchsig zukommend betrachteten, tatsächlich lediglich die Apologie und >>Verewigung<< einer bestimmten, historisch gewordenen und der Möglichkeit nach historisch überwindbaren Produktionsweise, der der auf dem Aus beutungszusammenhang des Kapitalverhältnisses beruhenden bürger lichen Klassengesellschaft, darstellen. Wir haben unsere kritisch-historischen Analysen auf den konstruk tivistischen Ansatz als unserer Auffassung nach angemessenste wissen schaftslogische Explikation der Prinzipien- und Normenstruktur der bürgerlichen Experimentalpsychologie angesetzt. Sofern eingeräumt werden müsste, dass der Konstruktivismus diesen Anspruch ganz oder teilweise nicht erfüllt, wäre damit auch die historische Metakritik der bürgerlichen Psychologie ganz oder teilweise verfehlt. Deswegen muss von uns jeder wissenschaftslogische Angriff auf den Konstruktivismus eingehend auf seine Berechtigung hin geprüft und entweder zurück gewiesen oder, wo dies nicht möglich ist, berücksichtigt werden, was gleichzeitig zu einem Neudurchdenken der betroffenen Positionen kritisch-emanzipatorischer Psychologie zu führen hätte. Aus diesem Grunde müssen wir uns eingehend mit der Kritik von Münch und Schmid auseinandersetzen.
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2 Der Rekurs auf »störende Bedingungen«
(Exhaustionsprinzip) als ess entielles Prinzip exp erimentell-psychologischer Forschung
Fundamentale Prinzipien nomothetisch gemeinter empirischer For schung sind gemäß der konstruktivistischen Konzeption die Prinzipien der Realisation und der Exhaustion, die im Folgenden nur in Hinsicht auf die experimentell-psychologische Forschung diskutiert werden. Empirische Hypothesen in der experimentell-psychologischen For schung haben stets die Form von Zusammenhangsbehauptungen, nämlich Behauptungen über Zusamm enhänge zwischen gewissen vom Forscher im »Wenn-Teil« einzuführenden experimentellen Bedingungen (>>unab hängigen Variablen«, >>Prädiktoren«, o. Ä.) und gewissen experimentellen Effekten (>>abhängige Variablen«, >>Kriterien«, o. Ä.) im »Dann-Teil« der Hypothese. - Von den im Dann-Teil der Hypothese formulierten expe rimentellen Bedingungen wird eine andere Art von Bedingungen abge hoben, die störenden Bedingungen. >>Störende Bedingungen« sind solche, die neben den vom Forscher gemäß den Bestimmungen der Hypothese hergestellten Bedingungen - sozusagen ungebeten - der Möglichkeit nach ebenfalls die empirischen Daten beeinflusst haben können. Die Realisationshandlung ist Inbegriff des Versuchs, die Zusam menhangsbehauptung in der Realität in aktiv eingreifendem Handeln »Zur Geltung zu bringen«, indem die im Wenn-Teil der Hypothese formulierten experimentellen Bedingungen hergestellt werden und der mögliche Einfluss von störenden Bedingungen auf die empirischen Daten ausgeschaltet und kontrolliert werden. Nach dem Realisations versuch werden dann die dabei gewonnenen empirischen Daten mit den im Dann-Teil der Hypothese formulierten treignisbehauptungen in Beziehung gesetzt, um die Art und den Grad der »Abweichungen« zwischen Effektbehauptungen und nach dem Realisationsversuch vor liegenden empirischen Daten zu registrieren. Derartige Abweichungen erlauben gemäß den hier geschilderten Vorstellungen grundsätzlich zwei Interpretationen: Entweder der in der Hypothese behauptete Zusammenhang zwischen experimentellen Bedingungen und experimentellen Effekten kann prinzipiell nicht re alisiert werden; oder die Zusammenhangsbehauptung kann realisiert werden und die >>Abweichungen<< zwischen Effektbestimmungen und empirischen Daten gehen auf überdeckende >>störende Bedingungen« zurück. - Die Beibehaltung einer empirischen Hypothese trotz nach dem Realisationsversuch aufgetretener Abweichungen zwischen Effektbe hauptungen und Daten durch die Annahme, diese Abweichungen seien auf störende Bedingungen zurückzuführen, der behauptungsgemäße
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experimentelle Effekt sei durch die störenden Bedingungen lediglich überdeckt, heißt »Exhaustion«, »Ausschöpfung« einer Hypothese im Hinblick auf abweichende Befunde. Sofern man die Exhaustionsmöglichkeit wissenschaftslogisch auf den Begriff bringen will, muss man empirische Hypothesen von vorn herein als - ob nun expressis verbis oder nicht - mit einer konditi onalen Bestimmung versehen betrachten: Die Behauptung über den Zusammenhang zwischen experimentellen Bedingungen und Effekten gilt nicht absolut, sondern nur unter Annahme der Abwesenheit stö render Bedingungen. Genauere Kennzeichnungen der Prinzipien der Realisation und Exhaustion finden sich bei Holzkamp (1964, 1 968, 1 970b [S. 8 3 - 1 52 in diesem Buch]). Es ist offensichtlich, dass das Exhaustionsprinzip gravierende wis senschaftslogische Probleme aufgibt: Die Frage wäre zu klären, unter welchen Umständen die exhaurierende Beibehaltung einer Zusammen hangsbehauptung als berechtigt anzusehen ist und mit welchen Ver fahrensregeln der Rückgriff auf »störende Bedingungen« zur (schein baren) empirischen Durchsetzung jeder beliebigen experimentellen Hypothese in der Realität verhindert werden kann. Solche Probleme müssen indessen zunächst noch zurückgestellt werden: Gemäß der pappersehen Falsifikationtheorie, wie Münch und Schmid sie verstehen, ist nämlich die Exhaustion durch Rückgriff auf störende Bedingungen unter keinen Umständen ein legitimes wissenschaftliches Verfahren, womit die genannte Frage von vornherein falsch gestellt wäre. Münch und Schmid betrachten das Beibehalten von theoretischen Hypothesen mit Hinweis auf störende Bedingungen in jedem Falle als Charakteristikum fragwürdiger »konventionalistischer« Forschungsstra tegien, als eine von mir unterstützte Unsitte oder Zuchtlosigkeit, die sich in der sozialwissenschaftliehen Forschung immer mehr eingebürgert hat. »Im Rückgriff auf ältere Epistemologen wie Hugo Dingler und Ernst May<< (wieso eigentlich »ältere<< Epistemologen; außerdem nicht »Ernst<<, sondern Eduard May, K.H.) »hat vor kurzem Klaus Holzkamp . die ser Forschungsstrategie zu erkenntnistheoretischer Dignität verholfen<< (Münch & Schmid, S. 300f.; Hervorhebung K.H.). Das Exhaurieren wird deswegen von ihnen schlichtweg und ohne jede Einschränkung verboten: »Sind die angegebenen Bedingungen des Wenn- Teils einer Hypothese realisiert, und der im Dann-Teil behauptete Sachverhalt ist nicht zu beobachten, so ist der logisch notwendige Rückschluss auf etwa vorhandene Störfaktoren unzulässig<< (ebd., S. 301). Dabei kassieren sie konsequenterweise gleich den Begriff der »störenden Bedingungen<< als wissenschaftslogisches Konzept: Wenn ein behaupteter Bedingungszu sammenhang sich nicht hat empirisch einlösen lassen, >>muss es gleich gültig sein, ob noch irgendwelche anderen Faktoren vorliegen. Sind sie -
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tatsächlich von kausaler Relevanz für das Auftreten eines bestimmten Sachverhalts, dann müssen diese Faktoren namentlich in die Theorie aufgenommen werden; sind sie indessen ohne Einfluss auf den im Dann Teil meiner Theorie behaupteten Sachverhalt, so ist die Tatsache, ob sie vorhanden sind oder nicht, ohne jede Bedeutung für das Ergebnis mei ner Überprüfung« (ebd., S. 302; Hervorhebung K.H.). Wenn man tatsächlich das Konzept der >>störenden Bedingungen<< eliminieren und das Exhaurieren verbieten könnte, und experimentell psychologische Forschung bliebe dennoch als möglich verständlich, so wäre damit tatsächlich der konstruktivistischen Wissenschaftslogik die Basis entzogen. Wir werden also zu zeigen haben, dass es sich dabei um Prinzipien handelt, in denen essentielle Momente experimentell-psy chologischen Tuns auf den Begriff gebracht wurden. Münch und Schmid gehen bei ihren Überlegungen von der gänzlich unhaltbaren Voraussetzung aus, es sei von vornherein und notwendi gerweise mit Sicherheit auszumachen, ob eine Hypothese sich empi risch bestätigt hat oder nicht; diese falsche Dichotomisierung kommt in Formulierungen zum Ausdruck wie: »Sind die angegebenen Bedin gungen des Wenn- Teils einer Hypothese realisiert, und der im Dann Teil behauptete Sachverhalt ist nicht zu beobachten« (S. 301), oder »ich habe . . . einen Bedingungszusammenhang zwischen p und q behauptet, und nur diesen, der nun offensichtlich empirisch aber nicht einlösbar ist« (S. 302; Hervorhebungen K.H.). Hier wird nicht gesehen, dass einfache alternative Aussagen über die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung zwischen dem Dann Teil einer Hypothese und den nach dem Realisationsversuch vorlie genden Daten überhaupt nur möglich sind, wenn die Hypothese nach Art einer Nominalskala einfache klassifizierende Ja-Nein-Feststellungen enthält, und auch hier lediglich für den seltenen Fall, dass alle Ja-Fälle in die eine Klasse und alle Nein-Fälle in die andere Klasse fallen oder umge kehrt. Sofern in der entwickelten experimentell-psychologischen Theo rienbildung Beziehungen zwischen dem Wenn- und dem Dann-Teil der Hypothesen auf dem Niveau der Ordinalskala bzw. Intervallskala for muliert sind, wird eine volle Übereinstimmung zwischen den behaup teten und den tatsächlich eingetretenen Effekten nur in ganz wenigen Ausnahmefällen bzw. - wegen der unendlichen Teilbarkeit numerischer Werte - gar nicht konstatierbar sein; sofern mithin Münch und Schmid ihre Absicht, alle Hypothesen zurückzuweisen, bei denen »der behaup tete Sachverhalt nicht zu beobachten<< ist, die »nicht empirisch einlösbar<< sind, radikal verwirklichen wollten, müssten sie fortan sehr viele der auf dem Nominalskalen-Niveau, die allermeisten der auf dem Ordinalska len-Niveau und alle der auf dem Intervallskalen-Niveau gewonnenen Befunde der experimentell-psychologischen Forschung zurückweisen und
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die übergeordneten Hypothesen als »falsifiziert<< betrachten, wobei sie den verbleibenden belanglosen Rest ruhig »hinterherwerfen« könnten und damit die gesamte experimentelle Psychologie abgeschafft hätten. - Münch und Schmid würden diese Konsequenz natürlich als absurd zurückweisen. Allein, sie hätten dann zu zeigen, wie sie angesichts des >>Normalfalles« der Beibehaltung von Theorien trotz abweichender Be funde in der experimentellen Psychologie einerseits das »Verbot« quasi der gesamten experimentellen Psychologie vermeiden, andererseits aber
ohne Rückgriff auf das Konzept der »störenden Bedingungen<< und das Exhaustionsprinzip zu angemessenen Kriterien darüber kommen wollen, in welchen Fällen eine Hypothese trotz der genannten Abweichungen beibehalten werden darf und in welchen Fällen nicht. Man mag die Auffassung vertreten, dies könne gelingen, wenn man die Zusammenhangsbehauptungen nicht deterministisch, sondern in Termini der mathematischen Wahrscheinlichkeitstheorie formuliert. Allein, auch solche Behauptungen enthalten »Strenge<< Effektbestim mungen, hier in Form von theoretischen Verteilungen, von denen die
als Daten vorliegenden empirischen Verteilungen stets in irgendeinem Grade »abweichen«, womit man wieder vor der gleichen Schwierigkeit steht. - Falls man den Ausweg wählen wollte, die Zusammenhangs behauptungen zwar nicht wahrscheinlichkeitsmathematisch, aber als nicht streng geltende »Regelhaftigkeiten« zu formulieren, wäre hier tatsächlich der »konventionalistischen<< Willkür nichts mehr entgegen zusetzen, weil keinerlei wissenschaftslogische Kriterien dafür beizu bringen sind, wie »lax« man eine Hypothese eigentlich formulieren dürfe, welche Diskordanzen zwischen Zusammenhangsbehauptungen und empirischen Daten also noch als mit der Hypothese vereinbar und welche als Falsifiziertheitskriterium zu betrachten sein sollen (Ge naueres dazu vgl. Holzkamp 1 96 8 , S. 171 ff. [2006a, S. 1 91ff]). Man könnte nun versuchen, die Argumentation in diesem Zusam menhang anders zu wenden, indem man zwar von der Formulierung der Effektbehauptungen als bloßer Regelhaftigkeiten absieht, aber
bestimmte Kriterien festsetzt, durch die entscheidbar ist, in welchem Grade und auf welche Weise die empirischen Daten von den Dann Bestimmungen abweichen dürfen, ohne dass damit die Hypothese als falsifiziert zu gelten hätte. Dabei würde man dann vermutlich darauf hinweisen, dass die experimentell-psychologische Forschung schließ lich über das wohlbegründete und differenzierte methodische Instru mentarium der Inferenzstatistik verfüge, in dem Modelle für derartige Entscheidungen entwickelt worden sind. Gegen solche Argumente wäre für sich genommen nicht allzu viel ein zuwenden. Man muss nur sehen, dass damit das Konzept der »störenden
Bedingungen<< und das Exhaustionsprinzip de facto anerkannt worden
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sind. Wie will man denn das Auftreten von Abweichungen zwischen den Effektbehauptungen und den empirischen Daten anders erklären als durch den Rekurs auf störende Bedingungen; und wie will man die Beibe haltung von Hypothesen trotz solcher Abweichungen wissenschaftslogisch explizieren und gleichzeitig leugnen, dass diese Beibehaltung eben genau dies ist, was im Konstruktivismus als »Exhaustion« bezeichnet wird.
Dies bedeutet, dass die Prinzipien der Exhaus tion und das Konzept der >>störenden B edingungen« Explikationen essentieller Momente der Inferenzstatistik sind. Der Rekurs auf >>störende B edingungen« als not wendiges Moment statistischer Argumentation kommt schon in der immanenten Terminologie der Statistik zum Ausdruck, wenn hier etwa von >>Fehlervarianz«, von >>Messfehler«, >>Schätzfehler«, >>Fehler erster und zweiter Art<< etc. die Rede ist. - Die Zurückweisung einer Null hypothese z. B . heißt in konstruktivistischer Sprache nichts anderes, als dass hier, bei Ansetzung eines bestimmten Signifikanzniveaus, die
Gegenhypothese trotz abweichender empirischer Befunde unter exhau rierendem Rekurs auf störende Bedingungen beibehalten werden darf Ich komme auf das Problem der Prüfstatistik in konstruktivistischer Sicht im nächsten Abschnitt noch zurück. Hier sei nur soviel gesagt: Bei der von Münch und Schmid vorgeschlagenen Eliminierung des Ex haustionsprinzips und des Konzeptes der >>störenden Bedingungen« müssen die statistischen Planungs- und Entscheidungsaktivitäten als
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zentrale Momente der bürgerlich-experimentalpsychologischen Metho dik - und weiter B ereiche sozial- und biowissenschaftlicher Methodik überhaupt wissenschaftslogisch ganz und gar unausgewiesen und un verstanden bleiben. Man kann gleichsam >>kein Wort dazu sagen«. -
Nun wäre noch die schon erwähnte Forderung von Münch und Schmid zu erörtern, das Konzept der >>störenden Bedingungen« und damit das Exhaustionsprinzip aus der Wissenschaftslogik zu eliminie ren, indem man nur folgende Alternative zulässt: Entweder die Störbe dingungen »sind . . . tatsächlich von kausaler Relevanz für das Auftreten
eines bestimmten Sachverhalts, dann müssen diese Faktoren namentlich in die Theorie aufgenommen werden; sind sie indessen ohne Einfluss auf den im Dann-Teil meiner Theorie behaupteten Sachverhalt, so ist die Tatsache, ob sie vorhanden sind oder nicht, ohne j ede Bedeutung
für das Ergebnis meiner Überprüfung« (S. 302).
Die Forderung, allen Bedingungen, die außer den bisherigen experi mentellen B edingungen die empirischen Daten beeinflusst haben, da durch als »störende B edingungen« zu eliminieren, dass man sie in den Wenn-Teil der Theorie aufnimmt und damit als weitere »experimen telle Bedingungen« umdefiniert, muss natürlich zunächst überall da als
unsinnig erscheinen, wo die »störenden Bedingungen« nicht namentlich bekannt sind. Der mögliche Einwand, das Operieren mit derartigen
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unbekannten Störbedingungen sei nun aber der Gipfel konventiona listischer Verirrungen, kann leicht mit dem Hinweis als naiv entlarvt werden, dass das Konzept der »unbekannten störenden Bedingungen«
eine stringente Explikation entscheidender Momente der Funktion von experimentellem Design und Inferenzstatistik ist. Dies gilt z. B. für das zentrale Verfahren experimenteller Bedingungskontrolle in der Psy chologie, die Randomisierung, welches - wie schon sein Begründer, R. A. Fisher, hervorhob (etwa 1 953, S. 1 7ff.) - den Vorteil hat, dass, so fern die Verteilungselemente die gleiche Chance hatten, den verschie denen Versuchsbedingungen ausgesetzt zu werden, Störbedingungen innerhalb bestimmter, genauer anzugebender Grenzen als neutralisiert betrachtet werden dürfen, ohne dass man sie kennen muss. Dies gilt auch für die Verfahren der Bedingungskontrolle besonders auf der Reizseite, wie die Rotation oder Permutation von Stimuluselementen, etwa nach dem lateinischen oder lateinisch-griechischen Quadrat, die ebenfalls die Neutralisierung unbekannter Störbedingungen ermögli chen. - Genereller ist festzustellen, dass die Störbedingungen, die zu -
Streuungen, Dispersionen, Varianzen führen, stets als unbekannte Stör bedingungen definiert sind. Derartige Störbedingungen kann man -
nicht in die Theorie aufnehmen, weil sie eben unbekannt sind, man muss sie vielmehr, wenn man die experimentell-psychologische Me thodik nicht wissenschaftslogisch verfehlen will, zulassen und für die sen Fall auch das Exhaustionsprinzip anerkennen, womit nur noch die bekannten Störbedingungen in der Diskussion bleiben. Auch die Vorschrift, alle bekannten Faktoren von »kausaler Re
levanz« für das Zustandekommen der experimentellen Daten sollten »namentlich in die Theorie aufgenommen werden«, führt indessen zu unhaltbaren Konsequenzen. Sinnvolle wissenschaftliche Theorien als logisch stringente Relationsgeflechte, in denen eine Integration von Hypothesen unter übergeordneten Gesichtspunkten (Verknüpfungsre geln, Konstrukten o. Ä .) erfolgt, wobei die j eweils spezielleren Aussa gen nach eindeutigen Regeln aus den allgemeineren hergeleitet werden können, sind der » Wirklichkeit«, auf die sie bezogen werden sollen, ge genüber notwendigerweise selektiv. Derartige Theorien lassen sich mit hin nur dann der Möglichkeit nach in der Realität durchsetzen, wenn das Verfahren wissenschaftslogisch »zugelassen<< ist, real vorliegende systematische Faktoren danach zu klassifizieren, ob sie für die jeweilige
Theorie thematisch sind oder nicht, und Faktoren, die begründeterma ßen als nichtthematisch zu beurteilen sind, in der Theorie unberücksich tigt zu lassen (was natürlich nicht bedeutet, dass man solche Faktoren unter methodischen Gesichtspunkten unberücksichtigt la.Ssen dürfte). - Man stelle sich etwa vor, der Umstand, dass Reibungswiderstand ein systematischer Faktor bei der Realisierung der Fallgesetze ist, würde
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nicht zu der Forderung führen, diesen Faktor als >>Störbedingung« zu kontrollieren, sondern zur Anwendung der Vorschrift, diesen gänz lich unthematischen Faktor als weitere experimentelle Bedingung in die mathematische Formulierung der Fallgesetze aufzunehmen; oder: nachdem Howes und Solomon ( 1 95 1 ) den Einfluss der Worthäufigkeit auf die Rekognitionszeit von Worten nachgewiesen hatten, bliebe Mc Ginnies ( 1 949) nun nicht mehr die Möglichkeit, die empirische Bewäh rung seiner Theorie des »perceptual defense« durch Kontrolle dieses Faktors als systematischer Störbedingung zu erweisen, sondern er müsste stattdessen den Faktor >>Worthäufigkeit« in seine theoretische Konzeption aufnehmen und sie so um eine gänzlich unthematische, nichtintegrierbare Variable erweitern. Man bedenke weiter, dass die experimentelle Psychologie im Laufe ihrer historischen Entwicklung eine Reihe von Verfahren entwickelt hat, die das methodische Ziel ha ben, bekannte systematische Faktoren als Störbedingungen zu neutra lisieren und damit die Exhaustionsberechtigung beurteilbar zu machen, so etwa die partielle Korrelation, die Kovarianzanalyse, in gewisser Weise auch die duster- und faktorenanalytischen Verfahren, u. Ä. m. Aus all dem dürfte wohl auch ohne eingehendere Analysen deutlich werden, dass die Etablierung eines Zwanges, jeden bekannten Störfak tor in die übergeordnete Theorie aufzunehmen, wissenschaftslogisch unsinnig ist. Aus der damit abgeschlossenen Argumentation folgt, dass es gänz lich unbegründet ist, wissenschaftslogische Ansätze, wie Münch und Schmid dies tun, schon deswegen als »konventionalistisch<< abzuwerten, weil in ihnen das Konzept der »störenden Bedingungen<< und das Ex haustionsprinzip enthalten ist. Hier sind nämlich, wie nachgewiesen werden sollte, essentielle Momente der experimentell-psychologischen Forschung expliziert, die Voraussetzungen für eine angemessene Be handlung des Problems der Abweichungen zwischen Hypothesen und Daten, für das Verständnis der Möglichkeit und Funktion des expe rimentellen Designs und der Inferenzstatistik sowie der konsistenten, integrierten Theorienbildung innerhalb der psychologischen Forschung sind, und die deshalb keineswegs als bloße »Geschmacksache« einfach weggelassen werden können. Es geht vielmehr darum, zu einer Expli kation der immanenten Prinzipien und Normen experimentell-wissen schaftlichen Handeins (in der Psychologie und anderswo) zu kommen, in der der Rekurs auf störende Bedingungen und das Exhaustionsprin zip anerkannt sind, und die trotzdem die systemtranszendente Ver bindlichkeit der Experimentalforschung und damit die Möglichkeit des Scheiteros ihrer Hypothesen an der Widerständigkeit der Realität<< verständlich macht und als immanent-wissenschaftslogische Forderung begründbar erscheinen lässt. »
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3 Die Explikation der wissenschaftslogischen Grundlagen
experimentell-psychologischer Methodik durch das konstruktivistische Belastetheitskonzept und B edingungsmodell
Wenn nun auch die Abqualifizierung wissenschaftslogischer Ansätze durch den Konventionalismusvorwurf, nur deswegen, weil sie das Konzept der »störenden Bedingungen« und das Exhaustionsprinzip enthalten, zurückgewiesen werden musste, so mag doch der weitere Ausbau solcher Ansätze unter Umständen mit Recht als konventio nalistisch problematisierbar sein. Das könnte etwa in Hinsicht auf die Lehre von Dingler und von May überprüft werden, was jedoch hier unterbleiben soll, weil der Konstruktivismus, auch wenn in ihm
bestimmte wesentliche Grundbegriffe und Gesichtspunkte aus den Konzeptionen von Ding/er und May übernommen wurden, an zentra len Punkten von der dingiersehen Lehre und in wichtigen Momenten von den mayschen Auffassungen abweicht. Eine kritische Analyse der Lehren von Ding/er und May sagt mithin für sich genommen über den Konstruktivismus nichts aus. Es geht hier nur darum festzustellen, wie weit der Konventionalismusvorwurf gegenüber dem Konstruktivismus berechtigt ist. Ein solcher Vorwurf hätte in der Tat viel für sich, wenn im Kons truktivismus das Konzept der »störenden Bedingungen« und das Ex haustionsprinzip nicht als notwendige Grundlage für die Klärung des Problems der Realgeltung von experimentell-psychologischen Theo rien eingeführt wäre, sondern wenn die Exhaustion durch Rekurs auf
mögliche störende Bedingungen für sich schon als die Geltungsbegrün dung einer empirischen Hypothese selber angesehen würde. Alles, was Münch und Schmid über die Fragwürdigkeit einer Beibe haltung von Hypothesen allein mit Hinweis auf möglicherweise wirk same Störbedingungen gesagt haben, ihre Kritik an derartigen Vorge hensweisen im Zusammenhang mit der empirischen Überprüfung der Hypothese der selektiven Informationsaufnahme (S. 299f.) etc., ist so berechtigt wie selbstverständlich. Allein: Mir zu unterstellen, ich hätte dieser Art von Forschungsstrategien zu »erkenntnistheoretischer Dig nität« verholfen, ist - mild gesagt - absurd. Wenn Münch und Schmid nicht so sehr an die falsche Fährte ihres Kampfes gegen das Exhaustionsprinzip fixiert gewesen wären, hätten sie vielleicht bemerkt, dass z. B. ,,Wissenschaft als Handlung<< ein der Grundabsicht nach radikal antikonventionalistisches Buch ist, und dass man den Konstruktivismus überhaupt u. a. als den Versuch bezeichnen muss, konventionalistische Strategien als mit den immanenten Normen
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der experimentellen Forschung unvereinbar zu erweisen, ohne dabei die Notwendigkeit, das Operieren mit störenden B edingungen und das Exhaurieren zuzulassen, zu verdrängen oder zu dissoziieren. Ich will im Folgenden versuchen, anknüpfend an die Kritik von Münch und Schmid die einschlägige konstruktivistische Argumentationsweise zu verdeutlichen, was natürlich nur kurz geschehen kann. Empirische Hypothesen haben - wie schon festgestellt - gemäß der konstruktivistischen Konzeption die Form von Konditionalsätzen folgender Art : Eine B ehauptung über den und den Zusammenhang zwischen experimentellen Bedingungen und experimentellen Effekten gilt unter der Voraussetzung der Abwesenheit störender Bedingungen. Die so gefasste konditionale Bestimmung ist nicht das Gleiche wie der
Wenn- Teil der Hypothese und auch keine Erweiterung des Wenn-Teils. Die konditionale Bestimmung bezieht sich vielmehr auf den behaup teten Zusammenhang als Ganzen, sie steht sozusagen >>vor der Klam mer« (vgl. Holzkamp 1 968, S. 263ff. [2006a, S. 289ff.]). Demgemäß ist die konditionale Einschränkung auch kein thematischer Bestandteil der Theorie, sondern sozusagen ein methodologischer Vorbehalt. Sofern etwa ein bisher als systematische Störbedingung betrachteter Faktor als weitere experimentelle Bedingung in die Theorie aufgenommen wor den ist, steht dieser Faktor j etzt sozusagen ebenfalls >>in der Klammer«.
Die athematische konditionale Einschränkung »vor der Klammer<< bleibt aber davon unberührt, weil sie sich ja nicht auf eine bestimmte Störbedingung, sondern auf Störbedingungen überhaupt bezieht. - Die kritischen Erörterungen von Münch und Schmid im Zusammenhang mit der Behauptung, durch die Exhaustion werde eine theoretische Annahme gehaltsärmer (S. 302), gehen von der falschen Voraussetzung aus, der konditionale Rekurs auf >>störende Bedingungen« erweitere den Wenn-Teil einer Hypothese, und können deshalb hier undiskutiert bleiben. Die konstruktivistische Auffassung, empirische Hypothesen seien Zusammenhangsbehauptungen mit der konditionalen Einschränkung >>in Abwesenheit störender Bedingungen>>, ist nicht der Inbegriff eines wissenschaftslogischen Programms, etwa - wie bei Dingler - zur Erlan gung von wissenschaftlichen Aussagen mit absoluter Gewissheit, son dern erhebt den Anspruch, eine korrekte Explikation der Form zu sein,
die empirische Hypothesen innerhalb der experimentellen Forschung allein haben können. Es wird also ausgesagt, dass j ede empirische Hy pothese immer implizit als in der erwähnten Weise konditional einge schränkt gemeint sein muss, einerlei, ob dies nun ausformuliert wird oder nicht. Die Begründung hierfür liegt, wie ja ausführlich gezeigt, darin, dass das Konzept der »störenden Bedingungen« und das Ex
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wissenschaftlichen Forschungspraxis sind. Die Forderung, empirische Hypothesen seien als unbedingte Zusammenhangsbehauptungen zu formulieren, wäre der Eigenart des konkreten Forschungsprozesses völlig unangemessen. In dieser Forderung bliebe das aus der Begrenzt heit menschlicher Bedingungseinsicht heraus entwickelte methodo logische Instrumentarium zur Bedingungsanalyse und Bedingungs kontrolle völlig unberücksichtigt und unverstanden und der Forscher würde stattdessen zu einer Art von Prophet abgestempelt, der absolute Zukunftsaussagen machen kann. Unbedingte Zusammenhangsbehaup tungen wären die richtige Aussageform für ein >>höheres Wesen», das sämtliche Faktoren des Weltgeschehens kennt und sich gleichzeitig in ihrem Zusammenhang vergegenwärtigen kann, für dessen >>Weltthe orie« also alle Faktoren gleichermaßen thematisch wären, womit das Konzept der »störenden Bedingungen« und das Exhaustionsprinzip überflüssig würden und die Welttheorie auch mit keiner konditionalen Einschränkung zu formulieren wäre. Empirische Hypothesen als Konditionalsätze, wie sie im Konstruk tivismus expliziert wurden, sind formale Tautologien, wie das Münch und Schmid (S. 303) dankenswerter- oder auch überflüssigerweise durch aussagenlogische Herleitung bekräftigt haben (vgl. Holzkamp, etwa 1 968, S. 1 36 [2006a, S. 1 54]). Daraus mit Münch und Schmid zu folgern: Solche »Theorien empirischen Tests überhaupt zu unterwer fen, ist sinnlos, da sie von keinem Experiment zurückgewiesen werden können« (S. 303), ist jedoch ziemlich voreilig. Empirische Wissenschaft ist nämlich nicht nur eine formallogische Angelegenheit, sondern auch eine Angelegenheit bestimmt gearteten sinnlich-praktischen Handelns, das - wie früher in diesem Artikel schon dargelegt - im Konstruktivismus als Realisationshandlung be zeichnet wird. Da die Hypothesen als Konditionalsätze formallogische Tautologien sind, kann, sofern keine weiteren Gesichtspunkte hinzukommen, die Hypothese nach dem Realisationsversuch unabhängig von dem Grad der Abweichungen zwischen Hypothese und Daten beibehalten wer den. Allein: Zwar ist unter diesem Aspekt das Beibehalten einer Hy pothese unter beliebigen empirischen Umständen möglich, es ist aber nicht möglich, eine Hypothese gegen abweichende empirische Befunde beizubehalten, ohne den exhaurierenden Rückgriff auf störende Bedin gungen. Das Exhaurieren selbst ist also durch die »Empirie« erzwun gen und mithin die einzige Operation im Forschungsprozess, in der die » Widerständigkeit der Realität« sich niederschlagen kann: per Exhaus tionszwang bietet die Möglichkeit, Kriterien zu entwickeln, an denen deutlich wird, dass verschiedene Hypothesen bzw. Theorien, wenn sie auch, für sich genommen, formal-logisch gegenüber jeder möglichen
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Realität beibehalten werden könnten, dennoch unter Berücksichtigung der nach dem Realisationsversuch bei Abweichungen zum Zwecke der Beibehaltung der Hypothesen durch die Empirie erzwungenen Exhaustion hinsichtlich ihres empirischen Wertes unterschieden wer den müssen, woraus unter bestimmten Umständen das Aufgeben einer Theorie zu resultieren hätte (vgl. dazu Holzkamp, bes. 1 968, S. 1 35ff. [2006a, S. 153ff]). Der Versuch, unter Anerkennung des Konzeptes der »störenden Bedingungen« und des Exhaustionsprinzips das Instrumentarium zur empirischen Bewertung von Hypothesen wissenschaftslogisch her auszuarbeiten, ist die Konzeption der »Belastetheit« von Hypothesen und übergeordneten Theorien, das im Bedingungsmodell der experi mentell-psychologischen Methodologie konkretisiert ist. - Die Kritik von Münch und Schmid am Belastetheitskonzept lässt sich, wenn man von einigen wenigen wichtigen Missverständnissen und Fehlinterpre tationen absieht, auf den Vorwurf reduzieren, die angegebenen Krite rien für die B estimmung der Belastetheit seien völlig unzureichend, die Vermeidung von infiniten Regressen sei dabei nur durch eine petitio principii erkauft, deswegen sei >>der Versuch gescheitert>>, mit der >>vor geschlagenen Belastetheitstheorie eine Alternative zum popperseben Falsifikationsprinzip zu entwickeln« (S. 306). Ich kann hier natürlich die sehr komplexen Darlegungen über >>Belastetheit« (1 968, S. 1 35ft. [2006a, S. 1 53ff.]) und das Bedingungsmodell (1 968, S. 323ff. [2006a, S. 357ff.]) nicht wiedergeben, muss aber wenigstens schematisch zu ei nigen zusammenhängenden Feststellungen kommen, damit mein Ver such, die einschlägige Kritik von Münch und Schmid zurückzuweisen, überzeugen kann. In der Belastetheitskonzeption wird davon ausgegangen, dass eine Hypothese, in dem Maße, als sie nur durch Exhaustion aufrechter halten werden konnte, dem Verdacht unterliegt, sich von den in ihr gemeinten realen Verhältnissen so losgelöst zu haben, dass sie empi risch wertlos ist (vgl. Holzkamp, etwa 1 968, S. 1 40 [2006a, S. 1 5 8]). Der durch empirische Abweichungen erzwungene Exhaustionsanteil bei der Geltungsrechtfertigung einer Hypothese wird als, der Möglich keit nach den empirischen Wert der Hypothese mindernder, Belastet heitsgrad der Hypothese bezeichnet. Die Behauptung, eine Hypothese sei in dem Maße, als sie exhauriert werden musste, empirisch wertlos, lässt sich nicht durch den Rekurs auf die mögliche Wirksamkeit über deckender störender Bedingungen entkräften. Die Annahme, dass in Abwesenheit störender Bedingungen die in der Hypothese formulierte Zusammenhangsbehauptung sich hätte realisieren lassen, muss viel mehr selbst dem Realisationsversuch unterworfen, durch empirische Prüfung als berechtigt ausgewiesen werden, wobei in diesem Falle die
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zu realisierenden Sätze allerdings nicht theoretischer, sondern metho dologischer Art sind. In dem Maße, als dies gelungen ist, ist die Behaup tung, die durch den Exhaustionsanteil bedingte Belastetheit der Hypo these stelle eine Minderung des empirischen Wertes dieser Hypothese dar, zurückgewiesen; in diesem Falle wird die Belastetheit als »unecht« interpretiert. Falls dies nicht gelingen konnte, muss die Belastetheit der Hypothese, als >>echte Belastetheit«, die den empirischen Wert der Theorie mindert und deswegen ein Argument für das Fallenlassen der Theorie darstellt, betrachtet werden. Bei der Konkretisierung und Präzisierung dieses Ansatzes ergab sich mit logischer Stringenz noch eine Erweiterung: Es gibt keinen Grund dafür, die mögliche Wirksamkeit von störenden Bedingungen nur für den Fall zu berücksichtigen, dass Abweichungen zwischen den Effektbehauptungen der Hypothese und den empirischen Daten auf getreten sind. Auch für den Fall, dass die empirischen Daten mit den theoretischen Effektbehauptungen übereinstimmen, muss diese Über einstimmung gleichwohl nicht durch die im Wenn-Teil der Hypothese formulierten experimentellen Bedingungen zustande gekommen sein, sondern sie kann ebenfalls auf andere, störende Bedingungen zurück gehen. Dieser, gerade für die psychologische Forschung besonders wichtige, mögliche Fall wird >>Scheinrealisation« genannt. Auch die Scheinrealisation einer Hypothese ist der Möglichkeit nach als »echte Belastetheit<< zu interpretieren, also auch hier wäre der Versuch zu machen, auf empirischem Wege die »Echtheitsbehauptung« zurückzu weisen. Die allgemeine Aufgabe jeder Art von experimentell-psycholo gischer Methodik - und der Methodik von Experimenten mit >>natür lichen Einheiten<< überhaupt (Holzkamp 1 968, S. 323ff. [2006a, S. 357]) - ist die Erarbeitung von Verfahrensregeln, mit deren Hilfe entschieden werden kann, wieweit bei Berücksichtigung der realen Wirksamkeit von störenden Bedingungen etwas dagegen spricht, eine Zusammen hangsbehauptung als realisiert und damit die Echtheitsbehauptung als zurückgewiesen zu betrachten. - Diese »negative« Fassung ist deswe gen nötig, weil - wie wir spätestens seit Hume wissen - bei »Natur vorgängen« der positive Nachweis des Vorliegens eines Bedingungszu sammenhangs notwendig niemals erbracht werden kann. Man kann die Realgeltung einer Zusammenhangsbehauptung also nur und so lange in Anspruch nehmen, als keine begründeten Argumente dagegen be stehen. Sofern sich bei der empirischen Prüfung ergibt, dass die experi mentellen Befunde hinreichend durch die ausschließliche Wirksamkeit störender Bedingungen zu erklären sind, wird im Konstatieren »echter Belastetheit<< der Hypothese angenommen, dass die » Gegenstandsbe-
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schaffenheit<< eine Bestätigung der Zusammenhangsbehauptung nicht zugelassen habe. Im Begriff der Gegenstandsbeschaffenheit wird über die Realität nichts weiter ausgesagt, als dass sie sich dem Versuch, eine bestimmte Zusammenhangsbehauptung zu realisieren, gegenüber wi derständig zeigt. Die Annahme der echten Belastetheit einer Hypo these durch Rekurs auf die Gegenstandsbeschaffenheit kann niemals beanspruchen, endgültig zu sein, weil nicht auszuschließen ist, dass nach Identifizierung und lnrechnungstellung bisher nicht berücksich tigter Störbedingungen nunmehr die Argumente gegen die empirische Bestätigung der Zusammenhangsbehauptung entfallen. Eins kann al lerdings mit Sicherheit gesagt werden: Falls - was empirisch nicht endgültig entscheidbar ist tatsächlich die Gegenstandsbeschaffen heit die Realisierung einer Zusammenhangsbehauptung nicht zulässt, kann eine solche Zurückweisung der Echtheitsbehauptung nie gelin gen. Oder, vergröbernd ausgedrückt, bestimmte Hypothesen können endgültig falsch sein, wir können nur niemals endgültig wissen, ob sie falsch sind oder nicht. Die experimentell-psychologische Methodik erscheint unter diesem Aspekt als ein Unternehmen zum Zwecke der differentiellen Identifi -
zierung der möglichen Wirksamkeit von störenden Bedingungen ge genüber der möglichen Wirksamkeit der experimentellen Bedingungen beim Zustandekommen empirischer Daten. In dem Maße, als eine sol che differentielle Identifizierung gelungen ist, kann über den Grad der echten Belastetheit und damit den empirischen Wert einer Hypothese entschieden werden. Als Grundlage für eine derartige Entscheidung dient ein methodologisches Modell, in dem die verschiedenen Arten, Richtungen und Stärkegrade der möglichen Wirksamkeit störender Be dingungen formalisiert enthalten sind. Damit dieses Bedingungsmodell die genannte Entscheidung ermöglichen kann, muss es selbst dem Re alisationsversuch unterworfen werden. Die Realisationshandlung be steht, wie wir in Präzisierung früherer Bestimmungen sagen können, also aus zwei Teilen, einmal aus dem Versuch der Herstellung der im Wenn-Teil der Hypothese formulierten experimentellen Bedingungen und zum anderen im Versuch der Herstellung der Anwendungsvoraus
setzungen für das methodologische Bedingungsmodell zur Identifizie rung der Wirksamkeit störender Bedingungen. Das Bedingungsmodell ist also zwar keine theoretische, aber sozu sagen eine methodologische Hypothese oder besser ein Geflecht von solchen Hypothesen. Auch die methodologischen Hypothesen des Bedingungsmodells haben einen Wenn- und einen Dann-Teil, sind Konditionalsätze, können Scheinrealisationen darstellen, mehr oder weniger von empirischen Daten abweichen etc. Die Entscheidung über die Bestätigung derartiger methodologischer Hypothesen würde also
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eine Bedingungsanalyse höherer Ordnung nötig machen, wobei wieder die Echtheitsbehauptung zur Diskussion stehen müsste usw. Dass hier der Möglichkeit nach der Anfang für einen unendlichen Regress liegt, ist klar. Auch der durch das Konzept des Bedingungsmo dells möglich gewordene Aufweis einer solchen Regressgefahr ist indes sen die korrekte Explikation einer Problematik essentieller Momente experimentell-psychologischer Methodologie (und experimentell-psy chologischer Methodik überhaupt). Im Folgenden soll die konstruk tivistische Behandlung dieser Regressusproblematik wenigstens kurz und schematisch dargestellt und dabei die Arbeitsweise des Bedin gungsmodells andeutend veranschaulicht werden. Ich gehe zunächst von dem Fall aus, dass die nach dem Realisations versuch vorliegenden empirischen Daten als mit den im Dann-Teil der Hypothese formulienen Effektbehauptungen übereinstimmend beur teilt werden dürfen. Um hier die Annahme einer Bestätigung der Hypothese zu wi derlegen, wäre der Nachweis des Vorliegens einer Scheinrealisation zu. führen. Dies ist gleichbedeutend mit der empirischen Bestätigung der aus dem Bedingungsmodell abgeleiteten methodologischen Hy pothese, dass die Übereinstimmungsbeziehung zwischen Effektbe hauptungen und Daten auf die Wirksamkeit »gleichgerichteter« (1 968, S. 328f. [2006a, S. 363f.]) »gekoppelter« (S. 329ff. [2006a, S. 364ff.]) Störbedingungen, also - grob gesprochen - systematischer, in gleicher Richtung wie die experimentellen Bedingungen wirkender Störbedin gungen zurückgeht. Diese methodologische Hypothese wäre etwa als bestätigt und damit die theoretische Hypothese als zurückgewiesen zu betrachten, wenn gezeigt werden kann, dass die Übereinstim mungsbeziehung nach Ausschaltung der gleichgerichteten gekoppel ten Störbedingung nicht mehr auftritt (erste Planungsstufe, vgl. Holz kamp 1 968, S. 332ff. [2006a, S. 367ff.], Bekanntheit der Störbedingung vorausgesetzt) oder dass die Übereinstimmungsbeziehung durch die Variation der experimentellen Bedingung nicht veränden wird (zweite Planungsstufe, 1 968, S. 341ff. [2006a, S. 377ff.]), Bekanntheit der Störbedingung nicht vorausgesetzt); die dritte Planungsstufe (sta tistisches Schließen, 1 968, S. 361ff. [2006a, S. 398ff.]) kann hier, wie stets, wenn es um systematische, gekoppelte Störbedingungen geht, nicht realisien werden. Vorausgesetzt, die Bestätigung der genann ten methodologischen Hypothese sei gelungen: Der Ansatz für einen Regressus könnte dann darin gesehen werden, dass die vermeintliche empirische Wirkung der Störbedingung ihrerseits wieder die Schein realisation einer anderen, gekoppelt-gleichgerichteten Störb edingung zweiter Ordnung darstellen kann. Diese Möglichkeit ist aber im vor liegenden Zusammenhang uninteressant, da in der methodologischen
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Hypothese nur ausgesagt ist, eine nicht-thematische Störbedingung habe die Übereinstimmungsbeziehung hervorgebracht. Ob die em pirische Wirkung, die auf diese Störbedingung zurückgeführt wurde, dabei wiederum als eine Scheinrealisation auf Grund einer anderen Störbedingung aufgefasst werden muss oder nicht, ändert an der em pirischen Bestätigung bzw. Nichtbestätigung der methodologischen Hypothese, und damit an der Bestätigung bzw. Nichtbestätigung der theoretischen Hypothese, nicht das Geringste, womit das Regressus problem hier neutralisiert wäre. Gehen wir jetzt von dem Fall aus, dass keine Übereinstimmungsbe ziehung zwischen Effektbehauptungen und empirischen Daten kons tatiert werden kann. Hier würde die empirische Hypothese zunächst trotz der »Abweichungen« exhaurierend beibehalten. Der Nachweis der Berechtigung der Exhaustion und damit die Zurückweisung der »Echtheitsbehauptung<< muss dabei - wie vergröbernd festgestellt sei - durch Bestätigung zweier Arten von dem Bedingungsmodell ent stammenden methodologischen Hypothesen geführt werden. Die erste Art von methodologischen Hypothesen enthält die An nahme, die Abweichungen seien auf eine gegengerichtete gekoppelte Störbedingung, also eine systematische Störbedingung, die dem Ef fekt der experimentellen Bedingung überdeckend entgegenwirkt, zu rückzuführen. Hier liegt dann eine empirische Bestätigung der me thodologischen Hypothese vor, wenn gezeigt werden kann, dass bei Ausschaltung der gekoppelten gegengerichteten Störbedingung die erwartete Übereinstimmungsbeziehung auftritt (erste Planungsstufe), oder etwa, wenn beim Gegeneinandervariieren der experimentellen und der Störbedingung die empirischen Daten mit der experimen tellen Bedingung in Richtung auf eine Übereinstimmungsbeziehung kovariieren (zweite Planungsstufe). Die dritte Planungsstufe entfällt auch hier. Sofern die methodologische Hypothese auf eine derartige Weise als bestätigt betrachtet werden kann, ist auch die Echtheitsbe hauptung zurückgewiesen und die theoretische Hypothese bestätigt (hier besteht naturgemäß, anders als im Falle einer möglichen Schein realisation, eine Konkordanz zwischen der Bestätigung der methodo logischen und der Bestätigung der theoretischen Hypothese). Wenn wir den Fall einer möglichen Scheinrealisation der diesmal gegenge richteten gekoppelten Störbedingung als schon behandelt ausschlie ßen, stellt sich die Regressusproblematik hier so dar, dass im Falle der Nichtbestätigung der methodologischen Hypothese diese wiederum exhaurierend beibehalten werden kann, indem die Abweichungen auf eine gekoppelte gegengerichtete Störbedingung zweiten Grades zurückgeführt werden (diese Möglichkeit besteht natürlich auch im Falle der Nichtbestätigung von methodologischen Hypothesen über
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gegengerichtete gekoppelte Störbedingungen; ich habe hier nicht den Raum, um alle Kombinationen durchzuspielen). Die Berechtigung dieser Exhaustion und damit der Zurückweisung der Echtheitsbe hauptung müsste hier wieder auf die gleiche Weise, diesmal durch empirische Prüfung einer methodelogischen Hypothese zweiter Ordnung, erwiesen werden. In diesem Falle ist der Regressus nicht abzuschneiden. Er ist m. E. eine sachgerechte wissenschaftslogische Explikation der Tatsache, dass die Annahme einer Bestätigung der theoretischen Hypothese immer nur vorläufigen Charakter -haben kann, also die Echtheitsbehauptung niemals als endgültig zurückge wiesen betrachtet werden darf (s. o.). Die zweite Art von methodelogischen Hypothesen zum Nachweis der Exhaustionsberechtigung enthält die Annahme, die Abweichungen seien auf die Wirksamkeit ungekoppelter Störbedingungen ( 1 968, S. 329ff. [2006a, S. 364ff.]), d. h. Störbedingungen, die der Zufallsvaria bilität unterliegen, unabhängig voneinander sind (Popper spricht h.ier von n-Nachwirkungsfreiheit, 1 966, S. 1 1 7ff.), zurückzuführen. Die Zufallsvariabilität der Störbedingungen ist die allgemeine Anwen dungsvoraussetzung für prüfstatistische Entscheidungsmodelle jeder Art. Hier ist also die dritte Planungsstufe zu realisieren. Die Nullhy pothese des >>klassischen« statistischen Entscheidungsprozesses erscheint dabei als ein Spezialfall einer aus dem Bedingungsmodell herfeitbaren methodologischen Hypothese; die Nullhypothese besagt in der Spra che der Prüfstatistik: verschiedene Kennwerte gehören, bei Ansetzung eines bestimmten Signifikanzniveaus, der gleichen Grundgesamtheit an, und in der Sprache des Bedingungsmodells: die nach der Realisa tionshandlung vorliegenden empirischen Daten können ausschließlich mit der Wirksamkeit ungekoppelter Störbedingungen erklärt werden, die theoretische Zusammenhangsbehauptung ist als nicht realisiert zu betrachten. Die Zurückweisung der Nullhypothese ist demnach ein Sonderfall der Zurückweisung der »Echtheitsbehauptung«. Das Si gnifikanzniveau ist eine statistische Festsetzung darüber, welche Ab weichungen zwischen empirischen Daten und Effektbehauptungen toleriert werden sollen, also ein Indiz für die >>Minimalbelastetheit« ei ner Hypothese, bei der die Exhaustionsberechtigung nicht mehr nach gewiesen werden muss ( 1 968, S. 147ff. [2006a, S. 1 66ff.]). Der »kon ventionalistische« Charakter der Minimalbelastetheit ist hier korrekter Ausdruck des »konventionalistischen« Charakters der Festsetzung des Signifikanzniveaus. Auch allgemeiner gesehen enthält das Konzept der Minimalbelastetheit als Inbegriff von Abweichungen, die ohne empi rischen Beleg exhauriert werden dürfen, ein Moment der Konvention als korrekte Explikation z. B. der >>Vernachlässigung« von Messun genauigkeiten unterhalb einer bestimmten Größenordnung. Münch -
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und Schmid haben dieses Konzept völlig falsch verstanden, wenn sie sagen, Minimalbelastetheit ist solche, bei der die Echtheitsbehauptung zurückgewiesen werden konnte (S. 306). Minimalbelastetheit ist be stimmt durch die Festsetzung der Größenordnung von Abweichungen, bei deren Unterschreitung die Echtheitsbehauptung nicht zurückge wiesen zu werden braucht; die zugehörige Argumentation von Münch und Schrnid, die zum Vorwurf der petitio principii führt, ist schon des wegen hinfällig. Die Regressusproblematik ist hier dadurch gegeben, dass die Be rechtigung statistischer Entscheidungen davon abhängt, wieweit die Anwendungsvoraussetzungen der jeweiligen statistischen Tests, als Inbegriff bestimmt gearteter methodologischer Hypothesen, empi risch realisiert werden können. Die Prüfung dieser methodelogischen Hypothesen kann nun aber wiederum eine statistische Urteilsbildung nötig machen, wobei die bedingungsanalytische Bewertung dieser methodelogischen Hypothese im Prinzip nach den gleichen Krite rien zu erfolgen hat wie bei der Entscheidung über den empirischen Wert der theoretischen Hypothese. Die Beurteilung des empirischen Wertes einer theoretischen Hypothese ist mithin hier nur in dem Maße möglich, als der empirische Wert der methodologischen Hypothese über die Erfüllung der Anwendungsvoraussetzungen des benutzten statistischen Tests gesichert ist, wobei hier wiederum statistische Tests benutzt werden müssten, hinsichtlich deren Anwendungsvorausset zungen das Gleiche gilt, usw. Um ein Beispiel zu bringen: Angenom men, für die Anwendung eines statistischen Tests ist eine Normalver teilung Voraussetzung; diese Voraussetzung ist wiederum statistisch zu prüfen, was weiterhin eine statistische Prüfung der Erfülltheit der Anwendungsvoraussetzungen für den Test zur Prüfung auf Nor malverteilung erforderlich machen könnte usw. Es dürfte in diesem Zusammenhang vielleicht besonders deutlich geworden sein, dass die damit angedeutete Regressusproblematik nicht ein Problem des Konstruktivismus und des Belastetheitskonzepts ist, sondern ein Pro blem der experimentell-psychologischen Methodik, hier der Prüfsta tistik, deren wissenschaftslogische Explikation der Konstruktivismus sein will. Der Regressus wird hier meist dadurch abgeschnitten, dass man bestimmte Anwendungsvoraussetzungen statistischer Tests nicht einer empirischen Überprüfung für bedürftig erklärt, also auf Minimalbelastetheit erkennt. Solche Verfahrensweisen enthalten die gleichen konventionalistischen Merkmale, die dem Konzept der Mi nimalbelastetheit generell zukommen. Eine praktische Rechtfertigung erhält diese Vergehensweise manchmal dadurch, dass man - etwa durch Computersimulationen - über bestimmte Erfahrungswerte darüber verfügt, wieweit bestimmte nicht - oder nicht voll - erfüllte
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Anwendungsvoraussetzungen sich auf die Prüfergebnisse eines be stimmten statistischen Tests auswirken. Mit der Demonstration der Arbeitsweise des Bedingungsmodells und der Diskussion der Regressusproblematik sind - wie ich glaube nun auch die Einwände von Münch und Schmid gegen das Belastet heitskonzept zurückgewiesen, wobei dieses Konzept nur äußerst grob und unvollständig dargestellt wurde und so zentrale Differenzierungen wie der Begriff der nichtempirischen Sätze, der Repräsentanz und der Grundbelastetheit weggelassen wurden. 4 Schlussbemerkung
Münch und Schmid vertreten die Auffassung, die konstruktivistische Konzeption der >>störenden Bedingungen« und des Exhaustionsprin zips, die im Belastetheitskonzept und Bedingungsmodell durchgeführt ist, erhebe den Anspruch, eine »Alternative zum pappersehen Falsifika tionsprinzip« zu sein (S. 306; Hervorhebung K.H.). Diese Einschätzung trifft den Sachverhalt nur sehr ungenau. Das Kernstück der popper sehen Lehre ist das auf dem Begriff der Falsifizierbarkeit aufgebaute Konzept der Prüfbarkeit und des empirischen Gehaltes von Theorien (vgl. etwa 1 966, S. 77ff. ), auf das auch Münch und Schmid (S. 304) kurz zu sprechen kommen. Die poppersehe Wissenschaftslogik ist hinsicht lich dieses zentralen Momentes nicht mit dem Belastetheitskonzept und den vorbereitenden und zugehörigen Begriffen zu parallelisieren, sondern mit den im Konstruktivismus angestellten Überlegungen über den relativen Wert von Theorien und die Kriterien, nach denen be stimmte Theorien vor anderen zu bevorzugen sind ( 1 968, S. 1 85-21 1 [2006a, S. 206-235]). Die popperseben und die konstruktivistischen Vorstellungen scheinen mir hier durchaus Ähnlichkeit miteinander zu haben, wobei dies und die Frage, welcher Ansatz in dieser Hinsicht der bessere ist, nicht diskutiert werden sollen. Zum Problembereich um das Belastetheitskonzept dagegen findet sich in der popperseben Lehre genau genommen überhaupt keine Ent sprechung. Das Kerngebiet des Konstruktivismus mit den Begriffen »Realisation<<, »störende Bedingungen«, »Exhaustion« und schließlich, als wichtigsten Momenten, den verschiedenen Varianten des Belastet heitskriteriums bezieht sich auf den konkreten, materiellen Prozess des wissenschaftlichen Handeins selbst, nicht lediglich auf die Frage der Konstruktion möglichst sinnvoller wissenschaftlicher Theorien; in dieser Hinsicht hat die poppersehe Lehre sozusagen einen >>blinden Fleck<<; der konkrete Forschungsprozess in seinen essentiellen Momenten ist in der wissenschaftslogischen Konzeption Poppers überhaupt nicht re-
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Konventionalismus und Konstruktivismus
präsentiert. Daher erklärt sich auch, dass die Falsifikationstheorie zum experimentellen Design und der Prüfstatistik wissenschaftslogisch nichts zu sagen hat. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die Behandlung der Basisproblematik durch Popper (1 966, S. 60ff.), bei der er durch ein etwas differenziertes Konsensuskriterium nun tatsächlich lediglich zu mehr oder weniger »konventionalistischen« Vorstellun gen kommt und die Erarbeitung von Kriterien für die Geltung von Basissätzen im Übrigen an die Einzelwissenschaften zurückverweist, sich also hinsichtlich einer zentralen Aufgabe der Wissenschaftslogik für unzuständig erklärt (eine Kurzfassung der Behandlung des Ba sisproblems durch den Konstruktivismus findet sich in 1 970b, S. 19 [S. 1 03f. in diesem Buch]). Die behauptete Überlegenheit des Konstruktivismus gegenüber der Falsifikationskonzeption besteht also im Wesentlichen darin, dass die Prinzipien- und Normenstruktur der konkreten Forschungshandlungen im Konstruktivismus expliziert und in größere Zusammenhänge ge stellt, in der Falsifikationstheorie dagegen »verschluckt« ist. Insbeson dere deswegen erscheint die konstruktivistische Wissenschaftslogik als angemessener Ansatzpunkt für das kritisch-historische Unterlaufen des Konstruktivismus und der in ihm vereindeutigten und in ihrer Eigenart auf den Begriff gebrachten Experimentalforschung innerhalb der bür gerlichen Psychologie. Die kritisch-emanzipatorische Psychologie setzt in ihren Hauptkonzepten gerade an jenen Momenten des Konstruk tivismus an, in denen wissenschaftliche Forschung als aktives, sinnlich materielles Handeln angesprochen ist; so konnte sie nur durch kritische Aufhebung des Realisationskonzeptes zu ihrem besonderen Begriff von empirischer Forschung als kontrolliert-exemplarischer Praxis kommen, u. Ä. m. Die Bedeutung der konstruktivistischen Grundbegriffe für die Entwicklung kritisch-emanzipatorischer Psychologie ist an anderer Stelle ( 1 970b, etwa S. 129ff. [S. 1 06ff. in diesem Buch]) ausführlich dar gelegt worden. Meine Antwort auf die von Münch und Schmid vorgetragene Kritik am Konstruktivismus war Teil einer im Wesentlichen immanent-wis senschaftslogischen Kontroverse, in der jedoch insofern bereits ein weiterführendes Moment enthalten war, als die Fehlargumentation von Münch und Schmid im Grundsätzlichen darauf zurückgeführt wurde, dass sie das Verhältnis zwischen Wissenschaftstheorie und Wissen schaft als deren >>quid facti<< nicht angemessen bestimmt haben. An diese Überlegungen anschließend werde ich mich, wie erwähnt, unter Einbeziehung der in diesem Artikel nicht behandelten Argumente von Münch und Schmid, im nächsten Heft'. mit Alberts massivem Angriff -
•· Anm. d. Hg.: Zeitschrift für Sozialpsychologie
1 97 1 , Bd. 2, 248-270.
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auf die kritisch-emanzipatorische Psychologie auseinandersetzen, wo bei viel grundlegendere wissenschafts- und gesellschaftstheoretische Klärungen über das Verhältnis zwischen Konstruktivismus, kritisch emanzipatorischer Psychologie und der popper-albenschen Falsifika tionstheorie, besonders in ihrer Spezifizierung als »kritischer Rationa lismus>>, angestrebt werden sollen.
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» KRITISCHER RATIO NALISMUS « ALS BLINDER KRITIZISMUS ( 1 9 7 1 )
Der folgende Aufsatz ist eine Erwiderung auf den Artikel von Hans Al bert: »Konstruktivismus oder Realismus? Bemerkungen zu Holzkamps di alektischer Überwindung der modernen Wissenschaftslehre« (1 971 ); Albert kommt darin zu einer radikalen Kritik meiner Arbeit: » Wissenschaftstheo retische Voraussetzungen kritisch-emanzipatorischer Psychologie« ( 1 970, S. 7Sff. [S. 83 in diesem Buch]). Eine genaue Darstellung des Inhalts der albertsehen Kritik scheint mir zum Verständnis der anschließend abgedruckten Arbeit aus folgenden Grün den nicht erforderlich zu sein: 1 . Mein Aufsatz bezieht sich zum größten Teil nicht unmittelbar auf den Text der albertsehen Kritik, sondern ist eine generelle Auseinandersetzung mit dem »Kritischen Rationalismus«, der von Popper inauguriert wurde und dessen führender Vertreter in Deutschland Albert ist. In meiner Gegenkritik auf der Basis des explikativ-reproduktiven Denkansatzes marxistischer Er kenntnistheorie sind die Position en des »Kritischen Rationalismus« indessen ausführlich dargestellt. 2. Der Artikel »Wissenschaftstheoretische Voraussetzungen kritisch-eman zipatorischer Psychologie« ist in der Schlussabhandlung dieses Buches von mir selbst ausführlich kritisch analysiert worden (vgl. S. 228ff. und 25Sff.). Diese Kritik, in der aus anderen gedanklichen Zusammenhängen heraus man che der albertsehen Einwände geteilt werden, scheint mir im Ganzen eine bessere Basis für die richtige Beurteilung der Schwächen wie der weiterfüh renden Ansätze in meinem älteren Artikel zu sein als Alberts Polemik. 3 . Das Problem, wieweit Albert meine älteren Arbeiten zu Recht kriti siert hat und somit meine Verteidigung dieser Arbeit als gelungen betrachtet werden kann, ist demgemäß im gegenwärtigen Zusammenhang nicht mehr sonderlich wichtig. Das Wesentliche in dem folgenden Artikel liegt in der klärenden und verdeutlichenden Absetzung der hier vertretenen Konzeption von analytisch-wissenschaftstheoretischen Positionen wie dem »Kritischen Rationalismus« und in den Perspektiven, die sich darin sowohl für die kri tische Beurteilung der früheren in diesem Band abgedruckten Artikel wie für die zukünftige Entwicklung kritisch-psychologischer Forschung ergeben (vgl. besonders den letzten Abschnitt der Schlussabhandlung dieses Buches, s.
277ff.).
Ich danke Hans Peter Dencker und Peter Potthoff für ihre Kritik und für viele wichtige Anregungen und Hinweise.* *
d. Hg.: Diese Danksagung findet sich nur in Holzkamp, Kritische Psy chologie.
Anm.
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»Kritischer Rationalismus« als blinder Kritizismus
EinenMenschen aber, der die Wissen schaft einem nicht aus ihr selbst (wie irrtümlich sie immer sein mag), sondern von außen, ihr fremde n, äußerlichen
Interessen entlehnten Standpunkt zu akkomodieren sucht, nenne ich »gemein « .
(M arx, Theorien über denMehrwert, Zweiter Teil, 1967, S. 1 1 2
1 Vorb emerkung
Die wissenschaftliche Kontroverse mag ihrer Idee nach als Inbegriff freier rationaler Diskussion, als besonders reine Form kritischen Ver nunftgebrauchs erscheinen. Tatsächliche Kontroversen sind oft nicht viel mehr als reziprokes Rechtbehaltenwollen in argumentativem Auf putz. Aber selbst wenn man von derart Persönlichem absehen könnte, bliebe der Kontroverse schon durch ihre Form ihre spezifische Pro blematik. Wo es zu Kontroversen kommt, ist der Bereich, in dem es um wechselseitige Kritik zur Klärung eines gemeinsamen Problems geht, verlassen: Es werden verschiedene Standpunkte gegeneinander gehalten. - Im Aufeinanderbezogensein der Kontrahenten in der Kon troverse geht dabei leicht der wirkliche Zusammenhang verloren, in dem die unterschiedlichen Positionen entstanden sind: So etwa, dass der kritisch-emanzipatorische Ansatz aus inhaltlicher Kritik nicht am kritischen Rationalismus, sondern an der bestehenden Psychologie sich entwickelt hat, oder, dass der kritische Rationalismus nicht aus der Kritik am kritisch-emanzipatorischen Ansatz, sondern z. B. aus der Überwindung bestimmter neopositivistischer Auffassungen sich artikulierte. Damit würden Denk- und Vorgehensweisen nicht mehr in ihrer Anwendung mitvollzogen, sondern es würde lediglich über diese Denk- und Vorgehensweisen geredet, so, als ob sie aus sich heraus etwas darstellten. Ein abstrakter Standpunkt tritt dann dem anderen gegenüber, und die Kontroverse kann gar nichts anderes ergeben, als dass jeder »von seinem Standpunkt aus« ja so Recht hat: »ein trockenes Versichern gilt aber gerade soviel als ein anderes « (Hegel 1 970, S. 71). D e r albertsehe Angriff ist dadurch charakterisiert, dass er die gegne rische Position, die er zu kritisieren meint, in wesentlichen Momenten falsch rezipiert. Damit ist die Dimension der Kritik weitgehend sus pendiert, wie polemisch man sich auch immer gebärden mag; der ver meintliche Dialog wird zum Monolog, bei dem man einem fingierten Gegner die Auffassungen, die man kritisieren will, selbst in den Mund
»Kritischer Rationalismus« als blinder Kritizismus
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legt. - Diese Fehlrezeption ist exemplarisch nicht nur für die entschei denden Missverständnisse im >>Positivismusstreit« (Adorno et al. 1 969), sondern für die Rezeptionsunfähigkeit des »kritischen Rationalismus«
gegenüber Konzeptionen, die von marxschen Denkweisen geprägt sind, überhaupt. In meiner Antwort auf Alberts Artikel sollen das Faktum und die Gründe der Fehlrezeption aufgewiesen werden. Dies bedeutet aber, den »kritischen Rationalismus« selbst als eine Position zu kritisieren, die marxistische Ansätze im Aneignungsversuch verfälschen muss - wobei diese Kritik am begrenzten >>Material« des albertsehen und des eigenen Aufsatzes entwickelt und damit selbst begrenzt bleiben muss. Durch die Frontstellung in der Kontroverse kann ich dabei den progressiven Aspekten der historischen Funktion des »kritischen Rationalismus<< hier nicht gerecht werden. Wenn in der Zurückweisung der albertsehen Kritik die von mir ver tretene Position ihrer wirklichen Gestalt nach rekonstruiert werden muss, so bedeutet dies nicht, dass ich den alten Artikel, der Schwächen und Fehler hat, hier dem Wortlaut nach verteidigen will. Gegenkritik innerhalb einer Kontroverse vedällt nur dann nicht ganz ins »trockene Versichern«, wenn in der verdeutlichenden Abhebung der Standorte voneinander die eigene Position nicht nur formal präzisiert, sondern inhaltlich weiterentwickelt wird.12
2 Universell-formaler Kritizismus vs. kritische
Explikation gesellschaftlicher Realbedingungen
Der >>kritische Rationalismus«, wie er von Popper, Albert und anderen vertreten wird, versteht sich als eine fundamentale methodologische Haltung, in der die kritische Diskussion mit Hilfe der formalen Logik als dem Organon der Kritik das zentrale Prinzip ist. Jede Art von »Be gründungsdenken« wird dabei abgelehnt; allein die unbegrenzte Kri tik, die jede Art von Immunisierung durchbricht, führe durch Versuch und Irrtum und beharrliches Lernen aus Fehlern der Möglichkeit nach 12
"·
Der kritisch-emanzipatorische Ansatz wird im vorliegenden Artikel nur als auf Psychologie bezogene wissenschaftstheoretische Konzeption diskutiert. Die Probleme einer einzelwissenschaftlichen Psychologie unter kritisch emanzipatorischem Aspekt sollen - da Albert sich nicht auf sie bezogen hat - hier nicht weiter erörtert werden (vgl. dazu Holzkamp 1973a)"·. Anm. d. Hg.: Das Buch, das unter dem Titel »Psychologie und Gesellschaft<< in » Kritische Psychologie. Vorbereitende Arbeiten« bereits angekündigt wurde, ist nicht geschrieben worden.
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»Kritischer Rationalismus« als blinder Kritizismus
in der Wissenschaft zu einer Annäherung an die Wahrheit (>>kritischer Realismus«) und darüber hinaus zu vernunftgeleitetem Fortschritt überhaupt. Die Ü bernahme des kritischen Rationalismus sei Ergebnis einer ge rade auch >>moralischen Entscheidung« (Popper 1 970, S. 285); >>Wer ihn übernimmt, entscheidet sich dabei nicht für ein abstraktes Prinzip ohne existentielle Bedeutung, sondern für eine Lebensweise« (Albert 1 969, s. 79). Der kritische Rationalist sieht sich nach seiner Entscheidung sozusa gen auf einem »Standort außerhalb« von Gesellschaft und Geschichte, von dem aus alles, was je getan und gedacht wurde und werden wird, quasi simultan der kritischen Methodologie ausgesetzt, dem Verdacht auf zirkuläre Immunisierung, Dogmatisierung usw. unterworfen ist. Die kritisch-rationalistische Methodologie wird mithin in ihrer An wendung keinesfalls auf Wissenschaft beschränkt. Politisches Handeln, gesellschaftliche Praxis, Geschichte, Philosophie und Wissenschaft sol len gleichermaßen allein in kritisch-rationalistischen Verfahren durch Elimination des Falschen zur Vernunft zu bringen sein. >>Solange wir . im Bereich des Wissens bleiben, gibt es wirklich nur eine Methode, nämlich die Methode der Erfindung und rastlosen Überprüfung in teressanter und wagemutiger Hypothesen« (Feyerabend 1 965, S. 336). Der kritische Rationalismus ist also eine Methodologie mit universalem Anspruch, er betrachtet seinen Anwendungsbereich als unbegrenzt, al les andere in sich einschließend. Daraus würde folgen, dass zwar der . .
kritische Rationalismus auf Gesellschaftstheorie angewendet werden kann, nicht aber Gesellschaftstheorie auf den kritischen Rationalismus, zwar kritischer Rationalismus auf Philosophie, nicht aber Philosophie auf kritischen Rationalismus usw. Erkenntnistheorie, Wissenschafts theorie, soweit nicht mit der kritisch-rationalistischen Methodologie identisch, kommen nur immer als Gegenstand für sie in Frage. Da für kritischen Rationalismus die formale Logik das Organon der Kritik darstellt, ist kritisch-rationalistische Wissenschaftstheorie notwendig das Gleiche wie Wissenschaftslogik. In der popperseben Forschungslogik (1 935, 2. Aufl. 1 966) ist die These vom Lernen durch Irrtum als Falsifikationstheorie am frühesten und am schärfsten her ausgearbeitet worden. Die fallibilistische Wissenschaftslogik ist das
Modell für den kritisch-rationalistischen Fallibilismus als universalen Kanon für angemessenen Vernunftgebrauch überhaupt, wenn auch die Regeln für Kritik außerhalb der Wissenschaft teilweise weniger streng gefasst und modifi ziert wurden (vgl. etwa Popper 1 964b ) Gemäß dem marxschen gesellschaftstheoretischen Denken ist die Annahme eines Standortes außerhalb von Gesellschaft und Geschichte, von dem aus man seine universale Kritik auf diese richten könnte, als .
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eine Fiktion zu betrachten. >>Aber der Mensch, das ist kein abstraktes, außer der Welt hockendes Wesen. Der Mensch, das ist die Welt des Men schen . . << (Marx 1 970 [MEW 1], S. 378 ). Habermas versuchte Albert gegenüber mit Recht, wenn auch ohne Wirkung, >>den Gesichtspunkt<< zu >>rechtfertigen, dass der von Subjekten veranstaltete Forschungspro zess dem objektiven Zusammenhang, der erkannt werden soll, durch die Akte des Erkennens hindurch selber zugehört<< (1 969, S. 260). Da die menschliche Gesellschaft und der gesellschaftliche Mensch, auch wenn er als Erkennender auf Gesellschaft bezogen ist, durch die gleiche gegenständliche gesellschaftliche Praxis in einer konkreten his torischen Entwicklungsstufe bestimmt sind, kann Gesellschaftstheorie niemals >>von außen<< auf die von ihr getrennte » Gesellschaft<< bezogen sein, über sie sich Hypothesen ausdenken und zu widerlegen suchen: Gesellschaftstheorie kann nur die materiellen gesellschaftlichen Le .
benszusammenhänge, in denen sie selber steht, durch Explikation aus dem Zustand der Begriffslosigkeit heraus und auf den Begriff bringen. Die gesellschaftstheoretische Methode ist »die Methode der geistigen und gedanklichen Reproduktion der Wirklichkeit, die Methode der Entwicklung oder Explikation der gesellschaftlichen Erscheinungen aus der praktischen gegenständlichen Aktivität des historischen Men schen« (Kosik 1 967, S. 34; vgl. dazu Marx 1 969b [MEW 13], S. 632ff., und 1 968b [MEW 23], S. 89). Demgemäß kann der Erkennende nicht durch eine individuelle Ent scheidung sich von der Gesellschaft abtrennen und ihr in der Erkennt nis gegenüberstellen; dies wäre eine subjektivistische »Introjektion<< (Holzkamp 1 970b, S. 1 1 1f. [S. 1 1 0 in diesem Buch]) von gesellschaft lichen Verhältnissen in das nur individualbiographisch hinterfragbare »eigene Innere<< . Die Distanz, in der sich das erkennende Subj ekt sei nen Gegenstand setzt, ist gleichwohl immer eine Distanz von etwas Bestimmendem, der gesellschaftlichen Realstruktur auf einer bestimm ten historischen Stufe. Auch in der Distanz der Erkenntnis entkommt man nicht den materiellen Zusammenhängen, denen man im Akt des Erkennens selbst zugehört, man kann ihrer nur - je nach der Angemes senheit des explikatorischen Verfahrens - auf begrenztere oder umfas sendere, verzerrte oder »richtigere<< Weise ansichtig werden. Auch die »Kritik<< wird mithin nicht abstrakt negierend auf Gesell schaft angewendet. Die Explikation gesellschaftlicher Realzusammen hänge ist ein Moment der gesellschaftlichen Praxis, in welchem zum Bewusstsein gebracht wird, was da eigentlich geschieht. Indem Pra xis als etwas Strukturiertes gedanklich expliziert wird, verändert sich Praxis selbst auf etwas anderes hin, sie nimmt als bewusste Praxis ei nen anderen Gang. Explikation, soweit sie konkrete gesellschaftliche Zusammenhänge als Gedankenkonkretum umfassend und unverzerrt
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reproduziert, macht Praxis, deren Teilmoment sie ist, zur kritischen Praxis. »Es genügt nicht, dass der Gedanke zur Verwirklichung drängt, die Wirklichkeit muss sich selbst zum Gedanken drängen« (Marx 1 970 [MEW 1 ] , S. 3 86), In dem Maße, als so gesellschaftliches Sein »be wusstes Sein<< geworden ist, können in gesellschaftlichem Handeln die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass von Menschen ge machte Geschichte nicht mehr den Charakter eines »Naturgesetzes<< hat, >>das auf der Bewusstlosigkeit der B eteiligten beruht« (Engels 1 970 [MEW 1], S. 5 1 5 ) . Da Wissenschaft ein Bereich der gesellschaftlichen Praxis ist (vgl. auch Albert 1 969, S. 62), muss alles, was über Gesellschaftstheorie gesagt worden ist, auch für Wissenschaftstheorie und Wissenschafts logik als Bereiche der Gesellschaftstheorie gelten. - Kritische Wis senschaftstheorie, wie der kritisch-emanzipatorische Ansatz, hat den gesellschaftlichen Realzusammenhang, in dem Wissenschaft in einer bestimmten historischen Ausprägungsform steht, zu explizieren und so wissenschaftliche Praxis bewusst und damit kritisch zu machen. Wissenschaftslogik als Methodologie, also etwa die Falsifikationstheo rie oder der Konstruktivismus, ist lediglich auf die Explikation der methodischen Prinzipien- und Normenstruktur der empirischen Wis senschaft gerichtet, um so bewusste und kontrollierte wissenschaftliche Methodik zu ermöglichen. Die Beziehungen zwischen Gesellschafts theorie, Wissenschaftstheorie und Wissenschaftslogik sind mithin hier nicht, wie im kritischen Rationalismus, als gedankliche Einschlie ßungsverhältnisse gefasst, so dass etwa die Frage entstehen könnte, ob der kritisch-emanzipatorische Ansatz den konstruktivistischen einschließe, oder vielleicht umgekehrt: ihr Verhältnis bestimmt sich vielmehr danach, wie umfassend gesellschaftliche Realbedingungen expliziert wurden. So gesehen ist die Wissenschaftslogik nicht der um fassendere, sondern der engere Ansatz, weil hier lediglich methodische Strukturen der Wissenschaft explizit gemacht sind, aber nicht nach dem strukturellen Ursprung der jeweils bestimmten Methodik selbst und der inhaltlichen Eigenart wissenschaftlicher Forschung, viel weni ger nach den Produktions- und Reproduktionsbedingungen des kon kreten gesellschaftlichen Lebenszusammenhanges überhaupt gefragt wird. - Logik erscheint also hier als alles andere denn als Organon der Kritik. Zwar ist Logik für Gesellschaftstheorie insofern bedeutsam, als die logischen Grundprinzipien (Satz vom Widerspruch usw.) Voraus setzungen für die Kommunizierbarkeit auch von Gesellschaftstheorie sind: Nur in diesem trivialen Sinn richtet sich die logische Kritik auf Gesellschaftstheorie; bei der wirklichen Problementfaltung dagegen richtet sich die gesellschaftstheoretische Kritik auf Logik, auch Wissen schaftslogik, indem sie die realstrukturellen Ursprünge nicht nur ihrer
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jeweiligen inhaltlichen Verwendung, sondern auch ihrer scheinhaften Loslösung vom konkreten gesellschaftlichen Lebenszusammenhang zu explizieren und so auch hier bewusstere Praxis zu ermöglichen sucht. Dabei ist nachdrücklich hervorzuheben, dass in kritischer Wissen schaftstheorie nicht etwa Strukturmomente, die der Wissenschaft äu ßerlich sind, expliziert werden sollen. Kritische. Wissenschaftstheorie richtet sich auf gesellschaftliche Realstrukturen ausschließlich aus der Perspektive der Wissenschaft. Es sollen hier in immer umfassenderer, daher konkreterer Weise die realen gesellschaftlichen Ursprünge wis senschaftlicher Forschung auf den Begriff gebracht werden. Das Ver hältnis von Wissenschaftslogik und kritischer Wissenschaftstheorie ist demnach nicht ein Verhältnis zwischen wissenschaftlichen und außer wissenschaftlichen Gesichtspunkten, sondern die Konfrontation eines begrenzteren mit einem umfassenderen Verständnis von Wissenschaft. 3 Die }}kritisch rationalistische« Verfehlung des
explikativen kritisch-emanzipatorischen Ansatzes
Der kritisch-emanzipatorische Ansatz ist in dem Artikel, auf den Al bert sich bezieht, durchgehend - wenn auch nicht expressis verbis - als explikative Konzeption entwickelt. Der Konstruktivismus erhebt den Anspruch, eine angemessene Explikation der immanenten Prinzipien und Normenstruktur der experimentellen Methodik bestehender Psy chologie zu sein (vgl. dazu auch Holzkamp 1 97 1 [S. 1 53 - 1 78 in diesem Buch])13; im kritisch-emanzipatorischen Ansatz, in dem der Kons truktivismus aufgehoben ist, sollen umfassendere gesellschaftliche Re albedingungen der psychologischen Methodik und der dadurch vorge prägten inhaltlichen Forschung expliziert werden, damit psychologische Forschungspraxis in höherem Grade bewusste, kritische Praxis wird. Eine Kritik am kritisch-emanzipatorischen Ansatz kann deshalb le gitim nur auf zweierlei Weise erfolgen: als Kritik am explikativen An satz überhaupt und als Kritik an bestimmten Explikationsbemühungen. Sofern der explikative Ansatz akzeptiert und die Angemessenheit eines Explikationsversuchs zugestanden wird, richtet sich weitere Kritik notwendigerweise nicht mehr auf den kritisch-emanzipatorischen An satz bzw. die konstruktivistische Wissenschaftslogik, sondern auf die in ihnen explizierten Charakteristika der Psychologie in ihrer spezi fischen historischen Ausprägungsform. 13 In den beiden älteren konstruktivistischen Arbeiten (Holzkamp 1 964 [2005]; 1 968 [2006a]) ist der explikative Charakter wissenschaftslogischer Konzeptio nen noch nicht erkannt und dargelegt worden.
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Albert zitiert zwar einige Passagen, aus denen der explikative Cha rakter des kritisch-emanzipatorischen Verfahrens deutlich wird (1 971 , S. 6), für die faktische Durchführung seiner Kritik hat das aber keine Konsequenz und kann für einen kritischen Rationalisten auch keine Konsequenz haben. Im kritischen Rationalismus erscheint formale Me thodologie vom »Standort außerhalb« nicht nur als das angemessenste, sondern unbefragt als das einzig mögliche Verfahren wissenschaftsthe oretischer Analyse. Deshalb muss der kritisch-emanzipatorische An satz hier ebenfalls als eine solche Theorie vom >>Standort außerhalb«, und damit in der gleichen Dimension konkurrierend, betrachtet wer den. Da kritisch-rationalistische Kritik sich als universal versteht, muss Albert ferner davon ausgehen, dass auch der kritisch-emanzipatorische Ansatz unter seine >>Kriterien« fällt. - Bereits die bloße Kenntnisnahme davon, dass es einen explikativen Ansatz gibt, von dem aus der »Stand ort außerhalb« als fiktiv betrachtet und der Universalitätsanspruch der kritisch-rationalistischen Methodologie zurückgewiesen werden muss, ist für den kritischen Rationalismus nicht möglich: Fundamentale Kri tik, die sich gegen ihn selbst richtet, bleibt ihm notwendig verborgen. Weil Albert Explikationsversuche, die im Hinblick auf ihren Gegen stand kritisch zu prüfen wären, mithin nicht einmal als solche identi fizieren kann, muss er in dem von ihm behandelten Artikel die um fangreichen anhand von konstruktivistischen Explikationsergebnissen geführten Diskussionen über die Eigenart der bestehenden Experimen talpsychologie ignorieren. Stattdessen missdeutet er den Konstrukti vismus als ein abstraktes wissenschaftstheoretisches Programm, das er einerseits als eine »Verwässerung der dingiersehen Konzeption ansieht, wobei er andererseits diese » Verwässerung« auch wieder begrüßt, >>denn die dingiersehe Version ist in ihrer Radikalität kaum akzeptabel« (S. 7). Er misst den Konstruktivismus an der dingiersehen Idee der absoluten Gewissheit, die er ihrerseits wieder der allumfassenden >>kritisch-ratio nalistischen« Kritik aussetzt. - Alberts lange Ausführungen im Zusam menhang mit Dinglers Lehre (S. 7-1 0) sind für die gegenwärtige Kontro verse unthematisch und können deshalb außer Acht gelassen werden. Da Albert nicht sieht, dass er den Explikationsansatz und/oder das jeweilige Explikationsergebois kritisieren, andernfalls aber - etwa konstruktivistische - Explikationsergebnisse auf den Gegenstand der Explikation, hier die bestehende Psychologie, beziehen muss, redet er stets vom Konstruktivismus als etwas lediglich von meinem Willen Abhängigem, wo er von Eigenarten der Psychologie, die im Konstruk tivismus expliziert werden sollten, reden müsste. So heißt es etwa: »Holzkamp« will »die mögliche >Widerständigkeit der Realität< durch Einschränkung der Exhaustionsmöglichkeit zur Geltung bringen« (S. 1 5 ) statt »im Konstruktivismus soll expliziert werden, wie in der
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experimentellen Psychologie die Widerständigkeit der Realität durch Ein schränkung der Exhaustionsmöglichkeit zur Geltung gebracht wird«; Holz kamp hat den »fragwürdigen dingiersehen Instrumentalismus beibehalten« (S. 1 4) statt »nach konstruktivistischer Auffassung kann die psychologische Forschung bei wissenschaftslogischer Explikation nur als instrumentalistisch verstanden werden<<; »angesichts der holzkampschen radikalen Destruktion der Wahrheitsidee<< (S. 20) statt »angesichts der Auffassung, dass der Wahr heitsanspruch von Theorien in wissenschaftslogischer Explikation nicht be gründbar ist«. Derartige Beispiele ließen sich beliebig vermehren. - Durch die jeweiligen Gegenformulierungen ist lediglich darauf hingewiesen, dass Alberts Feststellungen hätten so oder ähnlich lauten müssen, um überhaupt thematisch zu sein. Über die Berechtigung auch der reformulierten Aussagen ist damit nichts gesagt.
Auch wenn Albert versucht, das Verhältnis zwischen Konstruktivismus und dem kritisch-emanzipatorischen Ansatz zu diskutieren, kommt er zu Fehlargumentationen, weil er Denkweisen des kritischen Rationa lismus der gegnerischen Position unterschiebt, mithin dieses Verhält nis als gedankliches Einschließungsverhältnis missdeutet, und weiter in den Konstruktivismus als vermeintlich konkurrierendes Unternehmen
den gleichen Universalitätsanspruch projiziert, den die kritisch-ratio nalistische Methodologie erhebt. - So hält er es denn für eine Kritik, wenn er etwa feststellt, dass bei Darlegung des von der marxschen Gesellschaftstheorie geprägten kritisch-emanzipatorischen Ansatzes » . . der konstruktivistische Gesichtspunkt völlig aufgegeben wird<< (S. 1 6), dass von diesem Ansatz ein Erkenntnisanspruch erhoben werde, >>im Zusammenhang einer Anschauung, die Erkenntnisse dieser Art gar nicht zulassen darf<< (S. 1 6). .
Ein ähnlicher Fehler findet sich bei Münch und Schmid (1 970). Ihrer Auf fassung nach macht der Konstruktivismus »metasprachliche Aussagen«, die marxsche Gesellschaftstheorie dagegen »objektsprachliche Aussagen über den Bedingungszusammenhang zwischen dem Charakter der Produktionsver hältnisse innerhalb einer Gesellschaft und den in dieser Gesellschaft vorherr schenden Gesetzmäßigkeiten menschlichen Verhaltens<< (S. 307). Daraus wird gefolgert: »Insofern als sich die Aussagen des Konstruktivismus auf Theo rien insgesamt beziehen, ist die marxsche Gesellschaftstheorie lediglich eine Teilklasse der unter dem Verdikt des Konstruktivismus stehenden Theorien, also wäre der Konstruktivismus unter diesem Gesichtspunkt umfassender als die marxsche Gesellschaftstheorie<< (S. 308). Münch und Schmid dokumen tieren hier eine besondere Art von vulgärmarxistischer Marx-Rezeption, in der die marxsche Lehre als eine einzelwissenschaftlich-soziologische Theorie mit »Produktionsverhältnissen<< als abhängiger und »menschlichem Verhal ten<< als unabhängiger Variable angesehen wird. (Diese Auffassung scheint für gewisse neo-positivistische Sichtweisen charakteristisch zu sein. Neurath, 1 93 1, etwa betrachtet den Marxismus als eine besonders erfolgreiche Sozio logie, die er kurzerhand für den Physikalismus reklamiert.) - Weiter wird der Konstruktivismus von Münch und Schmid nicht als explikativer Ansatz -
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erkannt, sondern als Methodologie vorn »Standort außerhalb<< missdeutet. - So ist es denn verständlich, dass sie meinen, ich müsse die rnarxsche Gesell schaftstheorie dem »Verdikt des Konstruktivismus<< aussetzen.
Es ist ja dargelegt worden (S. 1 84f.), dass gemäß dem explikativen An satz wissenschaftslogische Konzeptionen wie der Konstruktivismus gegenüber kritischer Wissenschaftstheorie und Gesellschaftstheorie am » engsten<< sind, so dass zwar kritische Wissenschaftstheorie, wie der kritisch-emanzipatorische Ansatz, den Konstruktivismus »umfasst<<, nicht aber umgekehrt; wobei, wenn hier von >>eng« oder >>umfassen« die Rede ist, dies nicht als gedankliches Einschließungsverhältnis zu verstehen ist, sondern in dem Sinne, dass engere oder umfassendere Be reiche gesellschaftlicher Realstrukturen expliziert werden. Albert sagt über den kritisch-emanzipatorischen Ansatz >> . einer der fragwürdigsten Züge dieser Konzeption<< sei >>der darin enthaltene Historismus<< (S. 1 6). Die Ausführungen, zu denen er in diesem Zu sammenhang kommt, sind auch hier mit dem zu kritisierenden Text kaum vermittelt. Mindestens zum Teil scheint Albert dem kritisch emanzipatorischen Ansatz deswegen >>Historismus<< anzulasten, weil er nicht sehen kann, dass hier die historisch-gesellschaftlichen Realzusam menhänge, in denen Psychologie steht, expliziert werden sollten. .
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So habe ich z. B . nach Einführung des Konzeptes der »Introjektion« zu zei gen versucht, wie die bestehende Psychologie sowohl im Blick auf den For scher wie im Blick auf die Versuchsperson gesellschaftliche Realbedingungen menschlichen Erlebens und Handeins ausklammert, indem sie die Erlebens und Handlungsweisen als lediglich aus dem Subj ekt entsprungen betrachtet und so das >>isoliert-abstrakte Individuum<< als notwendigen Schein der ka pitalistischen Gesellschaft blind reproduziert, statt in seiner Scheinhaftig keit zu erkennen und wissenschaftlich zu untersuchen. Dabei sollte deutlich werden, dass die spezifische experimentelle Methodik der Psychologie, wie sie im Konstruktivismus expliziert wurde, zusammen mit der besonderen Art der Theorienbildung eine lückenlose Immunisierungsstrategie darstellt, durch welche psychologische Aussagen hinsichtlich möglicher Antagonis men historisch-gesellschaftlicher Realstrukturen prinzipiell nicht diskrimi nieren können, also notwendig zu einer Apologie des Bestehenden werden (S. l S l f.). In diesem Kontext muss auch der Versuch gesehen werden, aus der Eigenart vorfindlieber experimentell-psychologischer Forschung deutlich zu machen, dass Unterschiede zwischen der Erscheinungsform menschlicher Lebensverhältnisse und ihren >>wesentlichen« real-strukturellen Bezügen sich in solchen psychologischen Daten niemals niederschlagen können (S. 1 2 1 f.). - All solche - sicher noch sehr vorläufigen - Bemühungen werden von Albert entweder nicht zur Kenntnis genommen, oder er >>kritisiert<< an ihnen vorbei (etwa S. 1 8f.), weil er nicht sehen kann, dass hier Explikationen vpn Eigen arten der wirklichen, historischen Psychologie versucht wurden, deren Kritik nicht durch allgerneine Betrachtungen, sondern nur am Gegenstand, der be stehenden Psychologie in ihrer konkreten Beschaffenheit, möglich ist.
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Die Frage, wieweit der kritisch-emanzipatorische Ansatz nicht nur auf die Explikation von historisch-gesellschaftlichen Realbeziehungen, in denen die Psychologie steht, gerichtet ist, sondern darüber hinaus selbst als »historisch« oder »historizistisch« bezeichnet werden kann, wird später behandelt (s. u., S. 26Sff.). Die aus der Verkennung des explikativen Charakters der kritisch emanzipatorischen Konzeption resultierenden ·albertschen Fehldeu tungen gewinnen etwas Spektakuläres, wo er die kritisch-emanzipa torische Auffassung über die Beziehung zwischen Psychologie und Praxis zu rezipieren und zu kritisieren glaubt. Zunächst identifiziert er Praxis, wie ich sie verstanden haben soll, kurzerhand mit >>Politik«, und zwar offensichtlich institutionalisiert-aktueller Tagespolitik; er un terschlägt, dass in dem kritisierten Artikel nicht von >>Politik«, sondern von gesellschaftlicher Praxis die Rede ist, wobei keines der diskutierten Beispiele irgend etwas mit >>Politik« in einem engeren Sinne zu tun hat. Sodann behauptet er, ich strebe eine >>Politisierung der Wissenschaft« an (S. 2 1 ), wolle eine >>ideologische Steuerung<< (S. 22) oder >>politische Steuerung<< (S. 22) der Wissenschaft einführen; nachdem ich die Wahr heitsidee radikal destruiert hätte, bliebe mir nur der Marxismus, das >>Opium für Intellektuelle<<, >>als Heilmittel für die selbstgeschaffene Krankheit<< (S. 2 1 ). Diese >>Politisierung der Wissenschaft ist, wie das schon immer der Fall war, auch hier eine Kapitulation des Erkennt nisstrebens vor einer dogmatisch inspirierten Praxis<< (S. 22). Alben reproduziert hier - ob nun tatsächlich irrtümlich oder in bewusst dif famierender Absicht, mag dahingestellt bleiben - in Bezug auf den kritisch emanzipatorischen Ansatz ein reaktionäres Vorurteil, das in weiten Kreisen unkorrigierbar zu sein scheint und in welchem marxistische Wissenschafts lehre mit dem Programm identifiziert wird, die Wissenschaft außerwissen schaftlichen Machtinteressen zu unterwerfen, indem ihr von politischen Ins tanzen nicht nur ihre Fragestellungen und Methoden, sondern womöglich auch noch ihre Ergebnisse vorgeschrieben werden, wobei denn auf faschis tische Übergriffe gegen die Wissenschaft, besonders gern aber auf Lysenko, dessen fehlerhafte oder gefälschte lamarckistische Genetik vom Kongress der Lenin-Akademie 1 948 zur offiziellen Parteibiologie erhoben wurde, ver wiesen wird. Dabei geht man in Verdrehung der Tatsachen davon aus, dass derartige Erscheinungen nicht eine Verletzung, sondern eine Erfüllung der marxistischen Gesellschaftslehre darstellen und dass die marxistischen Wis senschaftstheoretiker natürlich genau dies anstreben.
Gemäß dem kritisch-emanzipatorischen Ansatz soll, ausgehend von der Divergenz zwischen der faktischen gesellschaftlichen Bedeutung der Wissenschaft und >>der Begrenztheit der Sichtweise der Wissen schaft auf sich selbst und der dadurch bedingten Unfähigkeit, die ge sellschaftliche Funktion der Wissenschaft . . . mit wissenschaftseigenen
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Mitteln zu reflektieren<< (Holzkamp 1 970 b, S. 1 1 0 [S. 1 07 in diesem Buch]), der gesellschaftliche Realzusammenhang, in dem Wissenschaft notwendigerweise steht, expliziert werden. Umfassende gesellschaft liche Praxis ist nicht etwas, dem die Wissenschaft unterstellt werden soll, sondern in deren Zusammenhang sie notwendigerweise steht: >>Wissenschaft kann dieser Auffassung nach nicht nur auf >Praxis< be zogen werden, wobei dies auch unterbleiben mag; empirische Wissen schaft findet vielmehr in bedingungskontrolliert-exemplarischer Pra xis als Vorbereitung für direkte Praxis ihre einzige rational ausweisbare und begründbare Funktion<< (S. 1 33 [S. 1 42 in diesem Buch]). Die Wissenschaft soll nicht >>politisch gesteuert« werden - hier ist die Verdrehung auf die Spitze getrieben: Durch die gedankliche Reproduk tion und Explikation gesellschaftlicher Realzusammenhänge soll gesell schaftliche Praxis zur bewussten Praxis werden, in welcher der Mensch anstreben kann, zum Subjekt seiner Geschichte zu werden und seine eigenen Lebensverhältnisse vernünftig zu planen. Der kritisch-eman zipatorische Ansatz geht, eingeschränkt auf die Psychologie, von ei ner analogen Konzeption aus: Durch die kritisch-historische Methode sollen >>Psychologen zum Subj ekt der Geschichte ihres Faches werden und - potentiell - die Geschichte der Psychologie (jenseits des blin den Vor-sich-hin-Laufens und naturwüchsigen Auswucherns des be stehenden psychologischen Forschungsbetriebes) . . . >selber machen<« (Holzkamp 1 970b, S. 7 [S. 86 in diesem Buch]). Die Explikation der gesellschaftlichen Realzusammenhänge, in denen die psychologische Forschung steht, soll also gerade Abhängigkeiten »hinter dem Rücken«
der Wissenschaft, auch »politische Steuerung«, sichtbar machen und da mit eine der Voraussetzungen für ihre Aufhebung schaffen helfen. 4 Annäherung an die Wahrheit durch
»kritisch rationalistische« Methodologie ? (Kritik des » Kritischen Realismus«)
Der zentrale Einwand Alberts gegen den kritisch-emanzipatorischen Ansatz ist die B ehauptung, die Auffassung von empirischer Wissen schaft als Moment umfassenderer gesellschaftlicher Praxis habe nur deshalb einen Schein der B erechtigung erlangen können, weil hier >>ohne Not Wahrheitssuche und Erkenntnisstreben preisgegeben<< (S. 1 6), »in relativ kurzschlüssiger Weise das Interesse an Erkenntnis und Wahrheit desavouiert« (S. 22) worden sei. - Demgegenüber könne man sich gemäß dem >>kritischen Realismus«, der im Ralimen des kritischen Rationalismus vertreten wird, begründet »die Aufgabe zu eigen . . . machen, immer tiefer in die strukturellen Eigenschaften der
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Realität, in den gesetzmäßigen Aufbau der Natur hineinzuleuchten« (S. 1 1; Hervorhebung K.H.). Wissenschaftliche Forschung müsse >>Unter der Zielsetzung des Erkenntnisfortschritts und der Annäherung an die Wahrheit betrieben werden« (S. 22; Hervorhebung K.H.). Nun ist in meinem Artikel keineswegs >>das Interesse an Erkenntnis und Wahrheit desavouiert<< worden. So war von Wahrheit in einem er kenntnistheoretischen Sinn e dort nirgends die Rede. Allerdings wurde als Ergebnis konstruktivistischer Explikation die Auffassung vertreten, dass mit wissenschaftslogischen Argumenten der Anspruch, empirische Wissenschaft könne sich der Wahrheit annähern, nicht begründet wer den kann. Albert behauptet dagegen wie Popper, mit Hilfe kritisch-ra tionalistischer Methodologie sei die Möglichkeit einer Annäherung der empirischen Wissenschaft an die Wahrheit ausweisbar. Die Prüfung der Berechtigung dieser Behauptung ist relevant nicht nur für die Be urteilung von Alberts Kritik am kritisch-emanzipatorischen Ansatz, sondern, was viel wichtiger ist, auch für die angemessene Einschätzung des kritischen Rationalismus selbst. -
Die H altbark eit eines » kritisch-realistischen<< Wahrheitskonzeptes im Rah men des kritischen Rationalismus wird von Albert nirgends argumentativ begründet, sondern lediglich behauptet. Er verweist dabei auf Arbeiten von Popper, in denen der Leser mithin eine solche Begründung v ermuten muss, und tut, als ob damit sozusagen »alles klar<< sei. Auffällig ist, dass Albert das Buch von Wellmer (1 967), in dem die poppersehe Auffassung über »Annähe rung an die Wahrheit« und »Fortschritt der Wissenschaft« ausführlich und scharf kritisiert worden ist (bes. S. 203ff.), mit keinem Wort erwähnt. - In der wellmerschen Kritik ist vieles Wichtige klar gesagt worden. Ich beschränke mich deshalb hier darauf, die Unhaltbarkeit des » kritischen Realismus« nur kurz und thesenartig aufzuweisen.
1 . Eine von Popper geleistete wichtige Explikation von Normen wis senschaftlicher Theorienbildung ist das Konzept des Falsifizierbar keitsgrades von Theorien, an dem sich der mögliche empirische Gehalt, die Erklärungskraft dieser Theorien bemisst (vgl. Popper, etwa 1 966, S. 77ff.). Das Prinzip der »unabhängigen Prüfbarkeit<< zur Vermeidung zirkelförmiger Scheinbestätigungen von Theorien (Popper, etwa 1 964a, 1 963c) stellt noch eine wesentliche Verbesserung dieser Konzeption dar. Der >>empirische Gehalt« und die >>unabhängige Prüfbarkeit« sind jedoch ausschließlich Charakteristika des systemimmanent-wissen schaftssprachlichen Aufbaus von Theorien, keineswegs aber Kenn zeichen für den Grad der Annäherung der Theorien an die Realität außerhalb der Theorie. Überall da, wo Popper oder Albert sich durch
Vermengung mit dem Gehalts- oder Prüfbarkeitskriterium einen Vor teil für ihr Konzept der Wahrheitsannäherung zu verschaffen suchen, ist dies zu durchschauen und zurückzuweisen.
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2. Popper nimmt im Zusammenhang mit der Darlegung seiner Kon zeption der Wahrheitsannäherung Tarskis Diskussion des Wahrheitsbe griffes im Rahmen der von ihm entwickelten reinen Semantik in An spruch. Tarski geht aus von dem Problem der >>Wahrheitsantinomie« (dem >>Alle-Kreter-sind-Lügner«-Paradoxon in präzisierter Form), die darin besteht, dass hier in einer Sprache, die die Prädikate >>wahr<< und »falsch« enthält, sowohl ein Satz wie dessen Kontradiktion auf logisch einwandfreie Weise beweisbar zu sein scheinen. Eine solche Sprache würde die Forderung der Widerspruchsfreiheit nicht erfüllen und des halb als Sprache der Philosophie und Wissenschaft nicht in Frage kom men. Er löst dieses Problem durch Einführung der Unterscheidung zwischen Obj ekt- und Metasprache und Angabe von semantischen Regeln für den metasprachlichen Gebrauch des Wortes >>wahr« in Hin sicht auf obj ektsprachliche Sätze (vgl. dazu Stegmüller 1 957). Indessen: >>The semantic definition of truth implies nothing regarding the condi tions under which a sentence like (1) >Snow is white< can be asserted. lt implies only that, whenever we assert or reject this sentence, we must be ready to assert or rej ect the correlated sentence (2): >the sentence< >snow is white< >is true«< (Tarski 1 944, S. 3 6 1 ) . - Tarskis Ansatz ist mithin schon durch seine Fragestellung ungeeignet, zu dem speziellen popper-albertschen Problem, wie die Behauptung, empirische Wissen
schaft könne sich im Forschungsprozess der Wahrheit annähern, wis senschaftslogisch begründet werden kann, etwas beizutragen. Popper scheint das gelegentlich auch zu sehen ( 1 963c, S. 226); doch häufig wählt er seine Worte so, dass der Eindruck entsteht, Tarski habe nicht das innersprachliche Problem der Beziehung des meta sprachlichen Prädikates »wahr« zu obj ektsprachlichen Sätzen gelöst, sondern tatsächlich das Problem der Wahrheit von Sätzen als Über einstimmung mit außersprachlichen Fakten (vgl. dazu Wellmer 1 9 67, S. 228ff.). Gelegentlich steigert sich dies zu purer Täuschung, etwa wenn Popper nach Hinweis auf die >>Rehabilitierung des Wahrheits begriffes durch den Logiker und Mathematiker Alfred Tarski als das wichtigste Ergebnis der modernen mathematischen Logik« feststellt: »Ich kann dieses Ergebnis hier nicht diskutieren; ich kann nur ganz dogmatisch feststellen, dass es Tarski gelungen ist, in der denkbar einfachsten und überzeugendsten Weise zu erklären, worin die Über einstimmung eines Satzes mit den Tatsachen besteht<< ( 1 969, S. 1 1 7; Hervorhebung K.H.). 3 . Popper will die Idee der Wahrheit als regulatives Prinzip .etwa im Sinne Kants betrachtet wissen (1 963c, S. 226) und gebraucht dabei das Bild eines Bergsteigers im Nebel, der den Gipfel eines Berges zu errei chen sucht: Er mag den Gipfel erreicht haben oder nicht, auf j eden Fall kann er nicht wissen, ob er den Hauptgipfel oder irgendeinen Seitenhü-
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gel angetroffen hat. Entsprechend sei es mit der Wahrheitssuche: >>We search for truth, but we may not know when we have found it« (ebd.). Die Bezeichnung »regulatives Prinzip « ist in diesem Zusammenhang fehl am Platze, da für den Forschungsprozess aus der so gefassten Idee der Wahrheit nichts folgt. (Kant etwa betrachtete die finale Sichtweise bei der Erforschung von Organismen als regulatives Prinzip, weil es, obzwar nicht transzendental verankert, doch den Rahmen und die Richtung für die Kausalforschung abgeben könne.) 4. Popper kommt denn auch zu der Spezifizierung, wenn durch das >>regulative Prinzip« der Wahrheitsidee auch keine Kriterien für das Erkennen der Wahrheit gegeben seien, so liefere es doch »criteria of progress towards the truth« (1 963c, S. 226). Gemäß diesem Prinzip sei eine kritische Diskussion zu führen, >>in search of mistakes with the serious purpese of eliminating as many of these mistakes as we can, in order to get nearer to the truth« (ebd., S. 2 2 9). Die Vorstellung der Wahrheitsannäherung durch Elimination des Falschen, ein zentraler Gedanke innerhalb des »kritischen Rationa lismus«, ist dennoch mit dessen Methodologie nicht vereinbar. Dieser Vorstellung scheint die Idee zugrunde zu liegen, dass die Wahrschein lichkeit, auf >>Wahres« zu stoßen, mit der Aussortierung von Falschem wachsen müsse. Dabei wäre aber die unbegründbare Voraussetzung ge macht, dass das >>Wahre<< und >>Falsche<< insgesamt eine finite Menge darstellt; nur so könnte man nämlich davon ausgehen, dass das Ver hältnis zwischen >>Wahrem<< und >>Falschem<< bei Eliminierung von »Falschem<< sich zugunsren des »Wahren<< verändert. Abgesehen davon ist hier vorausgesetzt, nicht nur dass es >>wahre<< Theorien gibt, sondern dass man sie auch identifizieren könne, was vom fallibilistischen Stand ort des >>kritischen Rationalismus<< aus aber gerade geleugnet wird. Demnach hätte man keinerlei Kriterien dafür, ob der Prozess der lau fenden Eliminierung des Falschen sich auf die Wahrheit zubewegt oder auf gar nichts. - Auch in diesem Zusammenhang erscheint die Verwen dung des Terminus >>regulatives Prinzip<< lediglich als die Vorspiegelung einer näheren Bestimmung des Konzeptes der Wahrheitsannäherung. Das Konzept der Annäherung an die Wahrheit durch Eliminierung des Falschen wird auch dadurch nicht besser begründbar, dass man es quasi >>mit verteilten Rollen<< benutzen will, etwa wie Popper (z. B. 1 969, S. 1 1 2ff.) annimmt, dass die »Obj ektivität<< der Erkenntnis aus dem >>Wettbewerb << [sich] wechselseitig korrigierender »Kritik<< der Forscher untereinander erwachsen könnte und dass dabei solche >>Klei nigkeiten wie zum Beispiel der soziale und ideologische Standort des Forschers . . . sich auf diese Weise mit der Zeit von selber<< ausschalten (S. 1 1 3). Woher kann man wissen, dass es unter den konkurrierenden Auf fassungen überhaupt ein Gefälle hinsichtlich ihres Erkenntnisgehaltes
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gibt? Wäre es nicht denkbar, dass die »Konkurrenz« hier lediglich zwi schen verschieden nuancierten Irrtümern ausgetragen wird ?14 5 . Popper (1 963c, S. 234) gibt eine Definition der »verisimilitude«, der » Wahrheitsähnlichkeit« von Theorien: Vs (a) CtT (a) - CtF (a), d. h. die »verisimilitude« (Vs) der Theorie a ist gleich der Menge der »wahren« Konsequenzen aus der Theorie a (»truth content«, CtT) abzüglich der Menge der »falschen« Konsequenzen aus der Theorie a (»falsity content«, Ctf). Was immer man von dieser Definition, die von Popper präzisiert und näher ausgeführt wird, halten mag: Sie be zieht sich nur auf den systemimmanent-wissenschaftssprachlichen Auf bau von Theorien und gibt demnach lediglich Antwort auf die Frage: »>What do you intend to say if you say that the theory t2 has a higher degree of verisimilitude than the theory t1 ?<« (Popper 1 963c, S. 243). Was aber leistet die Definition der »verisimilitude« für die Beant wortung der Frage: »>How do you know that the theory t2 has a higher degree of verisimilitude than the theory t1 ?<« (1 963c, S. 243) Popper hätte hier antworten müssen: Nichts. Stattdessen kommt er zu For mulierungen wie: »I do not know. I only guess. But I can examine my guess critically, and if it withstands severe criticism, than this fact may be taken as a good reason in favour of it« (S. 234); » . . . a false theory is certainly worse than one which, for all we know, may be true« (S. 235). In diesen Formulierungen ist mehr gesagt, als gesagt werden durfte; sie erwecken den Eindruck, als wenn ein erhöhter Grad von »verisimili tude« doch immerhin zu der Vermutung berechtige, die Theorie habe sich tatsächlich der Wahrheit angenähert. Demgegenüber muss darauf insistiert werden, dass das Konzept der »verisimilitude« lediglich der Vorschlag für einen modus dicendi ist. Wenn Popper feststellt, »we can still speak of better and worse appro ximations to the truth« (S. 235), so kann hier nicht von der Annäherung =
einer Theorie an die Wahrheit die Rede sein, sondern lediglich von ihrer Annäherung an eine poppersehe Definition. 6. Popper hat offenbar schließlich selbst gesehen, dass man weder durch bloße Wahrheitsdefinitionen noch lediglich durch das Konzept einer Elimination des Irrtums Wahrheit zur regulativen Idee für die Forschung machen kann: » . . . science would stagnate and lose its empi rical character, if we should fail to obtain verifications of new predictions (1 963c, S. 244; Hervorhebung K.H.). »Successful predictions though they are not, of course, sufficient conditions for the truth of a theory -
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Es liegt nahe, die Auffassung von der »Obj ektivität« als Ergeb�s des freien Wettbewerbs der Forscher mit der frühkapitalistischen Ideologie, dass im Gegeneinander der Privatinteressen das Allgem eininteresse sich zwangsläu fig durchsetzen muss, zu analogisieren.
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- are therefore at least necessary conditions for the truth of an indepen dently testable theory. In this sense, and only in this sense - our . . . re quirement may even be said to be >necessary< if we seriously accept truth as a regulative idea<< (S. 246; Hervorhebung K.H.). Popper ist hier - was einigermaßen überraschen mag - zur Stützung seiner Konzeption der Wahrheitsannäherung sogar bereit, innerhalb der fallibilistischen kritisch-rationalistischen Methodologie einen ve rifikationistischen Einschlag - er spricht von einem >>whiff of verifica tionism« ( 1 963c, S. 248) - zuzulassen. - Dass Popper mit seiner Kon zeption der Wahrheitsannäherung große Schwierigkeiten haben muss, ist einzusehen. Nur kann der Ausweg, den er hier vorschlägt, nicht ak zeptiert werden. Vielmehr ist Poppers fallibilistische Wissenschaftslogik gegen ihn selbst in Schutz zu nehmen: Es gibt schlechterdings keine Möglichkeit, das Verfahren der Verifikation von Theorien methodo logisch zu explizieren, ohne dabei auf unhaltbare empiristische Argu mente zurückzugreifen (vgl. dazu Wellmer 1 967, S. 241 ff.). Es zeigt sich also: Der >>kritische Realismus«, den Albert mit so viel Selbstverständlichkeit dem kritisch-emanzipatorischen Ansatz ent gegengehalten hatte, berechtigt empirische Wissenschaft keineswegs dazu, sich >>die Aufgabe zu eigen zu machen, immer tiefer in die struk turellen Eigenschaften der Realität, in den gesetzmäßigen Aufbau der Natur hineinzuleuchten<< (Albert 1 97 1 , S. 1 1 ), sich der »Zielsetzung des Erkenntnisfortschritts und der Annäherung an die Wahrheit<< zu un terstellen (S. 22). Vielmehr ist deutlich geworden, dass die Behauptung,
mit der kritisch-rationalistischen Methodologie sei die Möglichkeit ei ner Annäherung der Wissenschaft an die Wahrheit ausweisbar, unbe gründet ist. Es sind hier lediglich einige Vorschläge gemacht worden, wie man in der Wissenschaftssprache über Wahrheit reden solle. Die Bezeichnung »Realismus<< ist in diesem Zusammenhang eine Irrefüh rung. - Damit endäl!t das Hauptargument, auf das Albert seine Kritik am kritisch-emanzipatorischen Ansatz aufgebaut hatte. Hier ist zu fragen, welche Funktion das Konzept der Wahrheitsan näherung im kritischen Rationalismus hat, warum also Popper so viel - wenn auch vergebliche - Mühe darauf verwandte, es zu begründen, und warum Albert so sehr daran interessiert war, seine Begründetheit vorzutäuschen.lS 15
>>Fühlt einer sich keineswegs gedrängt, von seinem Standpunkt abzulassen, auch nachdem ein von ihm vorgebrachter Beweis widerlegt wurde, so ist das ein sicheres Zeichen dafür, dass sein Standpunkt nie echt von diesem Beweis abhing, sondern immer schon ohne ihn eingenommen wurde. Der Mann be nutzt den B eweis wohl nur als Mittel, um andere zu bekehren oder eigene Zweife] auszutreiben.« (Bartley 1 962, S. 97f.)
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Nur durch die Idee der Wahrheitsannäherung ist die Vorstellung aufrechtzuerhalten, der Forscher könne sich allein seinem Gewissen und seiner Methode verpflichtet auf den Weg zur Wahrheit machen. Es gilt, ihm auf diesem Wege » . . . etwas intuitive Ermutigung, etwas Hoffnung . . . « zuteil werden zu lassen (Popper 1964a, S. 85). - Die Idee der Wahrheitsannäherung erlaubt es, die Unterscheidung zwischen »reiner« und angewandter Forschung methodologisch zu rechtfertigen » . . . if we wish to elucidate the diff erence between pure and applied science, then we cannot do without it« (Popper 1963c, S. 226). Nur so ist es möglich, » some form of instrumentalism, that takes theories to be mere instruments of exploration« (ebd., S. 248), zurückzuweisen. Die Idee der Wahrheitsannäherung hat aber noch umfassendere Funktionen: Nur wenn ausweisbar ist, dass die kritisch-rationalistische Methodologie aus sich heraus alle Zweifel daran, dass die Wissenschaft . . •
sich der Wahrheit annähern könne, entkräften kann, ist der Universali tätsanspruch der kritisch-rationalistischen Kritik aufrechtzuerhalten. Ebenso muss eine universelle Methodologie mit eigenen Mitteln dar legen können, wie wissenschaftlicher Fortschritt möglich ist. Dies kann aber niemals mit einer ausschließlich fallibilistischen Wissenschaftslo gik geleistet werden. In einem bloßen » Von-etwas-weg« ist eben noch keine Richtung mitgedacht. (Die Veränderungen wären hier sozusagen von einem Punkt zentrifugal, in einem Umkreis von 360 ° möglich.) Die Gerichtetheit wissenschaftlicher Forschung kann im Rahmen des »kritischen Rationalismus« nur unter Hinzunahme des Konzeptes der Wahrheitsannäherung verständlich gemacht werden. Damit wird deutlich, dass eine Kritik an der kritisch-realistischen
Idee der Wahrheitsannäherung zu einer umfassenderen Kritik am »kri tischen Rationalismus« führen muss. 5 Gesellschaftliche Praxis und Geschichte
Es wäre falsch zu behaupten, »kritischer Rationalismus« hätte sich um gesellschaftliche Praxis nicht gekümmert. Nicht nur werden die sozia len Aspekte wissenschaftlicher Forschung von Popper (vgl. etwa 1970, S. 260ff.) wie von Albert (vgl. etwa 1969, S. 62ff.) immer wieder ausführlich diskutiert. In den neueren Arbeiten Poppers und in Alberts Gesamtwerk finden sich darüber hinaus extensive Erörterungen allgemeinerer poli tischer, gesellschaftlicher, historischer Probleme. Sogar die Abhängigkeit der eigenen Methodologie, des kritischen Rationalismus selbst, von gesell schaftlichen Bedingungen wird auf bestimmte Weise in Rechnung gestellt: »Natürlich ist der Geist der kritischen Diskussion keine sozial freischwe bende und völlig ungebundene Erscheinung, sondern ein Tatbestand, der
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eine entsprechende soziale Konstellation voraussetzt, die, historisch gese hen, nicht eben häufig realisiert gewesen ist« (Albert 1 964, S. 1 9). B ei genauerem Hinsehen stellt man indessen fest, dass in derartigen Ausführungen, sofern sie nicht lediglich persönliche Meinungsäuße rungen der Autoren außerhalb der Methodologie darstellen, die »kri tisch-rationalistische« Kritik quasi immer nur sich selbst meint: Wenn diese Kritik sich auf gesellschaftliche Machrverhältnisse, soziale Kons tellationen richtet, dann geht es ihr stets nur um die
Abwehr von Ein schränkungen ihrer selbst, um die Verbesserung der Bedingungen ihrer eigenen Möglichkeit.
Gemäß ihrer autistisch-formalistischen Rückbezogenheit auf sich selbst bleiben der »Kritik« die Inhalte, auf die sie sich richtet, zufäl
lig und äußerlich. Die Kritik ist aus Eigenem nicht fähig anzugeben,
was, woraufhin, mit welchen Mitteln durch sie verändert werden soll. Ebenso wenig kann sie sagen, für wen die Methodologie eigendich Or
ganon der Kritik sein soll (für Popper? für Albert ? und für wen sonst noch ?). - Es bleibt demnach uneinsichtig, wie der »kritische Rationalis
mus« begründen will, dass das Interesse, das er an sich selbst und seinem eigenen Fortbestand hat, von irgend jemandem geteilt werden soll.
Kritischer Rationalismus hat mit der falsifikationstheoretischen Wis senschaftslogik, die er einschließt, zwar deren fallibilistische Eigenart ge mein, nicht aber ihren explikativen Wert. Kritisch-rationalistische Kritik, sofern nicht auf Wissenschaft bezogen, beschränkt sich auf den Appell, nichts für sicher zu halten, alles der Möglichkeit des Scheiterns auszuset zen und aus Irrtümern zu lernen. Daraus erklärt sich die Richtungslo sigkeit der >>Kritik<< oder, genauer, die Unfähigkeit, ihren Ursprung und ihre Richtung zu erkennen. In der falisifikationstheoretischen Wissen schaftslogik wurde der Versuch gemacht, die Möglichkeit wissenschaft lichen Fortschritts methodologisch durch das Konzept der Wahrheitsan näherung verständlich zu machen. Dieser Versuch musste scheitern. Im außerwissenschaftlichen Bereich gesellschaftlicher Praxis kann nun nicht einmal mehr versucht werden, die Orientierungslosigkeit des »kritischen Rationalismus« durch den Schein eines methodengeleiteten Fortschritts zu verdecken. Die lediglich abstrakt-negierende Kritik von Gewissheits ansprüchen impliziert als bloß fallibilistisches »Von-etwas-weg« keine bestimmte Differenz zu etwas anderem16 (nicht einmal formal wie in der 16
»Der eigenen Überzeugung folgen ist allerdings mehr, als sich der Autorität ergeben; aber durch die Verkehrung des Dafürhaltens aus Autorität in Da fürhalten aus eigener Überzeugung ist nicht notwendig der Inhalt desselben geändert und an die Stelle des Irrtums Wahrheit getreten. Auf die Autori tät anderer oder aus eigener Überzeugung im Systeme des Meinens und des Vorurteils zu stecken, unterscheidet sich voneinander allein durch die Eitel keit, welche der letzteren Weise beiwohnt.« (Hegel 1 970, S. 73)
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falsifikationstheoretischen Wissenschaftslogik, die das Kriterium des em pirischen Gehalts entwickeln konnte): Wie Irrtümer auch in Bezug auf
gesellschaftliche Praxis zu >>Lernen<< führen können, bleibt unausgewiesen. Ursprung und Richtung kritisch-rationalistischer Kritik sind nicht etwa abwesend, sie sind lediglich mit kritisch-rationalistischen Mitteln nicht zu explizieren, auf den Begriff zu bringen. Deswegen ist der »kri tische Rationalismus« blinder Kritizismus. Im >>kritischen Rationalismus« wird zwischen Geschichte als bloßem Naturprozess und menschlicher Geschichte nicht unterschieden. »Auch die Gegenstände der Naturwissenschaften unterliegen geschichtlichen Prozessen - wobei man nicht nur an Biologie, Meteorologie, Geologie und Astronomie zu denken hat, wo das ziemlich offenkundig ist<< (Al bert 1 97 1 , S. 1 7). Demgemäß ist >>kritischer Rationalismus« auch nicht in
der Lage, das wesentliche Moment des Unterschiedes zwischen mensch lichem Denken, sofern es auf Natur und sofern es auf Gesellschaft sich bezieht, zu erkennen. (Popper 1 965, S. 1 02ff., diskutiert lediglich einige relativ unwichtige Auffassungen über Unterschiede zwischen Natur wissenschaften und Gesellschaftswissenschaften und hat Recht, wenn er angesichts dieser Auffassungen auf der »Einheit der Methode« beharrt.) Menschliche Geschichte ist nicht bloß prozesshafte Veränderung in der Zeit, sondern gegenständliche gesellschaftliche Praxis des M en
schen. Der gesellschaftliche Mensch ist dabei sowohl Subjekt der ge schichtlichen Entwicklung wie ihr Resultat.
Zwar ist auch außermenschliche Natur nur soweit für den Men schen erkennbar, als sie in gegenständlicher menschlicher Arbeit von ihm angeeignet ist, wobei die Formen und Kategorien der Aneignung historisch geworden sind und sich verändern. Das Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt der Erkenntnis jedoch hat dabei unverrückbar on tische Qualität. Der Chemiker analysiert ein Reagenz, nicht j edoch das Reagenz einen Chemiker. - Richtet sich Erkenntnis auf menschliche
Gesellschaft, so ist jedoch - gesamtgesellschaftlich gesehen - das Subjekt und das Objekt der Erkenntnis identisch: der gesellschaftliche Mensch. In der Erkenntnisanstrengung des einzelnen Forschers, in der er sich als Subjekt der Erkenntnis setzt, kommt demnach der gesell schaftliche Mensch, gebrochen durch die je besondere Perspektive und Methode, sich zum Bewusstsein. Erkenntnis bleibt notwendig ein Teil gesellschaftlicher Praxis, die sie im Erkennen gleichzeitig verändert. Gesellschaftliche Praxis ist hier also die erkenntnistheoretische Grund
kategorie der Vermittlung zwischen Subjekt und Objekt im Erkennt nisprozess (vgl. dazu etwa Markovic 1 969, S. 1 7ff.). Erkenntnisbemühungen, die sich auf gesellschaftliche Gegeben heiten richten, auch Wissenschaftstheorie und Wissenschaftslogik, sind also notwendig explikative Veifahren, wie sie früher dargestellt wurden ·
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(s. o., S. 1 82ff.); sie können gar nichts anderes sein, gleichviel, ob sie ein Bewusstsein davon haben oder - wie der >>kritische Rationalismus<< - von der Fiktion ausgehen, sie könnten sich universal-formalkritizis tisch Tatbestände eines von ihr getrennt ablaufenden historisch-gesell schaftlichen Prozesses zum Thema wählen. - Der explikative Charakter von Gesellschaftstheorie ist - als erkenntnistheoretisch fundiert - unab hängig davon, wie anfechtbar gesellschaftstheoretische Verfahren und die dabei erreichten Resultate im Einzelnen auch immer sein mögen. »Kritischer Rationalismus« ist, samt seinem falschen Universalis tischen Bewusstsein von sich selbst, eine besondere Art explikativer Konzeption, einer Konzeption, in der gewisse historisch spezifische Wei
sen formalen Vernunftgebrauchs theoretisch auf den Begriff gebracht worden sind. Dieser begrenzte methodologische Ansatz wäre dabei selbst wieder in seinen umfassenderen gesellschaftlichen Realzusam menhängen zu explizieren. Nur so könnte der besondere Ursprung der >>kritisch-rationalistischen« Methodologie und damit die Spezifität und
spezifische Begrenztheit des hier explizierten subjektivistisch-formalen Vernunftgebrauchs selbst wieder kritisch-historisch sichtbar gemacht werden (vgl. dazu Horkheimer 1 967). In der von Popper veranstalteten »kritischen Diskussion« manifestiert sich die Vorstellung, als ob Platon und Mannheirn, Bacon und Reichenbach mit Popper zusammen in einem Zimm er sitzen und diskutieren, wobei Platon und Mann heim den Vorwurf des »Historizismus«, Bacon und Reichenbach den des »In duktionismus« sich von Popper gefallen lassen müssen. Dabei haben doch Pla ton, Mannheirn, Bacon und Reichenbach nicht mit Popper, sondern mit ganz anderen Kontrahenten diskutiert. Statt etwa Bacon den »myth that all science Starts from observation« anzulasten und demgegenüber einige Vorsokratiker zu loben, die diesem Mythos nicht unterlegen gewesen seien (Popper 1 963b, S. 1 3 7f.), sollte man sich vergegenwärtigen, dass Bacon die Kategorien seines Induktionismus und seiner Lehre von den Idolen in Auseinandersetzung mit scholastischem Denken gewonnen, in ihnen bestimmt negierend die analytische Nüchternheit der wissenschaftlichen Beobachtung gegenüber dogmatisch-the ologischer Spekulation zur Geltung gebracht hat und mithin ein aufklärerischer Philosoph innerhalb eines spezifischen historischen Zusammenhangs war. - Auch Popper hat seine >>kritischen« Kategorien nicht in Auseinandersetzung mit Platon oder Bacon, sondern durch den Versuch explikativer Distanzierung von historisch-gesellschaftlichen Realzusammenhängen, denen er zugehört, ge wonnen, wobei die Weise, in der Popper diese Kategorien als abqualifizierende Kennmarken universalistisch auf die Geschichte projiziert, zum von ihm unre flektierten Resultat seiner Explikationsbemühung gehört.
Auch das von Albert aufgewiesene >>Münchhausen-Trilemma« j eden Begründungsdenkens zwischen infinitem Regress, zirkulärer Schein begründung und dogmatischem Abbruch des B egründungsverfahrens (1 969, S. 13ff.), aus dem die »kritische Diskussion«, wie sie vom >>kri tischen Rationalismus« verstanden wird, der einzige Ausweg sein soll,
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ist nicht, wie Albert meint, ein universaler Ansatz der Kritik, mit des sen Hilfe alles, was je gedacht wurde und je gedacht werden wird, abge sehen vom »kritisch-rationalistischen« Ausweg, disqualifiziert werden kann. Es ist vielmehr die präzise Explikation der Problematik subjek tivistisch-introjektiven Vernunftgebrauchs ohne die umfassendere Ex plikation, aus welchen gesellschaftlichen Realzusammenhängen diese Art von Vernunftgebrauch entspringt. Marxsche Gesellschaftstheorie, sofern nicht subjektivistisch ver fälscht, fällt keineswegs unter das »Münchhausen-Trilemma << und ließe sich von da aus etwa als >>dogmatisch << etikettieren. Kritische Gesell schaftstheorie ist auch nicht lediglich >>Kritik<< in dem Sinne, dass sie als solche wie die >>kritisch-rationalistische<< Kritik dem Trilemma entkäme. Vielmehr ist bei der Exp likat i on des gesellschaftlichen Real zusammenhanges nicht nur das Trilemma, sondern auch der »kritisch rationalistische« Ausweg aus dem Trilemma gesellschaftstheoretisch kritisierbar, wobei sich erweisen mag, dass Trilemma und >>kritisch-ra tionalistischer<< Kritizismus sich zwar immanent methodologisch wi derstreiten, im Blick auf den konkreten gesellschaftlichen Zusammen hang ihres Entstehens jedoch zusammengehören . Alberts Kritik am Begründungsdenken greift zu kurz, indem er des sen fiktiv-subjektivistischem Anspruch, das Erkenntnissubjekt könne aus sich heraus zu >>letzter<< oder >>erster<< Gewissheit vordringen, ein fiktiv-subjektivistisches Konzept der ,, Kritik« gegenüberstellt, das dem Erkenntnissubjekt die Entscheidung auferlegt, auf Gewissheit zu verzichten. Es gilt, den subjektivistischen Schein realkategorial zu ex p lizieren, dass »Begründung<< wie »Kritik<< aus dem abstrakt-isolierten Subjekt entspringen. Kritik - marxistisch verstanden - ist niemals dog matisch, weil sie als Teil des praktischen Vollzuges das Kritisierte wie sich selbst notwendig permanent verändert; sie begreift den Schein 'des subjektiven Ursprungs der Kritik selbst noch als vermittelt durch den konkreten gesellschaftlichen Realzusammenhang, dem sie zugehört
(vgl. dazu Adornos ausführliche Kritik an ursprungsphilosophischem Gewissheitsstreben, 1 956, bes. Einleitung, S. 12-49). Albert macht dem kritisch- emanz ipatorischen Ansatz mit aller Schäife den Vorwuif des Dogmatismus: Er präsentiere » . . . höchst pro blematische und grobkörnige Behauptungen von großer Allgemeinheit im Stile der Verkündu ng letzter Wahrheiten<< (S. 1 9), stelle die >>Ka pi tulati o n des Erkenntnisstrebens vor einer do gmati s ch inspirierten Praxis« (S. 22) dar u. Ä. Sofern der kritisch-emanzipatorische Ansatz tatsächlich dogmatische Züge trägt, wären diese als Abweichu.ngen von den Prinz ip ien kritischer Gesellschaftstheorie, wie sie hier umrissen wurden, anzusehen. Solange Albert derartige Ab weichungen nicht ar gumentativ aufgewiesen hat, betrachte ich den Dogmatismusvorwurf
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als Subsumption des kritisch-emanzipatorischen Ansatzes unter eine der abqualifizierenden Etikettierungen, wie sie gemäß dessen univer salistischem Fehlanspruch im »kritischen Rationalismus« gebräuchlich sind. Da kritischer Rationalismus von seinem Grundansatz aus zwischen praktisch-menschlicher Geschichte und organisch naturhaftem Pro zess nicht unterscheidet, hat er auch einen unangemessenen Begriff von historisch-gesellschaftlicher Gesetzmäßigkeit. Popper behandelt die Frage gesellschaftlicher Gesetzmäßigkeiten stets so, als wenn sich diese, wie »Naturgesetze«, auf einen Prozess bezögen, dem sich der Erkennende von außen gegenübersieht, der lediglich »abläuft«. So ergibt sich sein Vorwurf des »Historizismus« gegenüber marxscher Gesellschaftstheorie (1965, 1963d) als »kritisch-rationalistischem« Denken inhärente Missinter pretation. Er unterstellt dem marxschen Ansatz die Auffassung, historischer Wandel schließe die Allgemeingültigkeit von Gesetzen, sofern sie sich auf be stimmte historische Entwicklungsstufen beziehen, aus, interpretiert ihn also als einen epochalen Gesetzesrelativismus; weiter wird von Popper der mane schen Theorie unterstellt, sie fasse Gesetze über die Aufeinande rfolge von historischen Epochen als strenge Kausalgesetze, die dazu noch, anders als die eigentlichen Naturgesetze, unbedingte Geltung beanspruchen: Daraus ergibt sich die Interpretation der marxschen Lehre als eines Gesetzesabsolutismus, und - sofern zukunftsbezogen Geschichtsprophetismus der historischen Entwicklung, damit einer wissenschaftlich getarnten Utopistischen Heilslehre. Popper stellt dem vermeintlichen marxschen Konzept der »utopischen Technik« (1965, S. Slff.) und der »unbedingten Prophezeiungen« (S. 101) sein eigenes Konzept der »Stückwerktechnik« (S. 51) und der »bedingten Progno sen« (S. 101), in denen auf Grund der Analyse von Randbedingungen be grenzte Vorhersagen gemacht werden, gegenüber. Alberts gegen den kritisch-emanzipatorischen Ansatz gerichteter Vorwurf des »Historismus«17 (1971, S. 16 ff.) bezieht sich auf das erste Moment der popperseben »Historizismus«-Konzeption, den marxscher Gesellschaftstheo rie unterstellten, epochalen Gesetzesrelativismus, den Albert in Bezug auf den kritisch-emanzipatorischen Ansatz zur Unterstellung einer Art von totalem Gesetzesnegativismus steigert, wenn er in seiner Diskussion davon ausgeht, ich hätte im Hinblick auf gesellschaftliche Gegebenheiten die »These« vertre ten, »dass es keine derartigen Gesetze gibt ... « (S. 17), »in dem angeführten Bereich keine Gesetzmäßigkeiten gäbe« (S. 1 7) usw. Von den vier Punkten, die Albert gegen meinen vorgeblichen »Historismus« anführt ( 1 97 1 , S. 17), dokumentiert der erste die mangelnde Unterscheidung zwischen naturhaftem Prozess und praktisch-menschlicher Geschichte. In den drei übrigen Punkten -
-
17 Warum Albert von »Historismus« und nicht von »Historizismus« spricht, ist nicht einsichtig. Popper selbst hat sein Konzept des »Historizismus« von einem »Historismus«, in dem verschiedene soziologische Schulen mit »den Vorlieben und Interessen, die in einer bestimmten geschichtlichen Epoche vorherrschen«, in Zusammenhang gebracht werden, und den Albert hier kaum meinen kann, scharf geschieden (1965, S. 14 ) .
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wird auf verschiedene Weise gegen meine vermeintliche Leugnung von histo risch-gesellschaftlichen Gesetzmäßigkeiten polemisiert. Albens »Kritik« ist hier wiederum mit dem gemeinten Text kaum vermittelt, in dem das Gesetzesproblem ausführlich diskutiert (Holzkamp 1970b, S. l27ff. [S. 132 in diesem Buch]) und dabei u.a. festgestellt wird, in Bezug auf gesell schaftliche Tatbestände müsse deutlich werden, >>. . . dass hier >Gesetze< nicht nur vom Forscher aufgestellt werden, sondern auch >in< den menschlichen Le bensumständen liegen, auf die sich psychologische Forschung richtet. Auch sol che >Gesetze< sind von Menschen gemacht, allerdings nicht von einzelnen Men schen, sondern sind Ergebnis der historisch gewordenen allgemeinen Struktur menschlicher Lebensumstände« (S. 127f. [S. 133 in diesem Buch]).- Das zweite Moment der popperseben »Historizismus«-Konzeption, der Vorwurf eines auf die gesellschaftliche Entwicklung bezogenen Geschichtsprophetismus und -Utopismus, kommt bei Albert gegenüber dem kritisch-emanzipatorischen An satz mehr indirekt, wenn auch deutlich zum Ausdruck, so wenn er meint, dass die marxsche Gesellschaftstheorie >>offenbar als eine Ausnahmewissenschaft zu akzeptieren ist, für die alle Einschränkungen nicht gelten, die vorher in Bezug auf die normale Wissenschaft gemacht wurden« (S. 20), dass sie »an die Stelle des Katholizismus treten kann« (S. 21), oder behauptet: Der Marxismus »hat den Vorteil, dass er- wenigstens für den Zustand im späteren Reich der Freiheit -alle guten Dinge als miteinander vereinbar erscheinen lässt. Dass es eine herr schaftsfreie Gesellschaft geben kann, steht für ihn fest . . . « (S. 21). Wie Albert aus dem Text des inkriminierten Artikels, geschweige denn aus Marx-Texten, solche Auffassungen herauslesen kann, wird nur daraus verständlich, dass er als »kritischer Rationalist« hier wie stets genau weiß, was ein Autor gemeint hat, und sich demnach um das, was er gesagt hat, nicht weiter kümmern muss (zum Problem des >>Sagens« und >>Meinens« im »kritischen Rationalismus<< vgL Cornforth 1968, S. 17f.). -Albert missversteht-darauf wurde hingewiesen (s.o., S. 198) - Geschichte wie Popper als bloßen Prozess und basiert seinen Historis musvorwurf deswegen gleich diesem auf der Identifikation von Gesetzmäßig keit überhaupt und Gesetzmäßigkeit »gemäß der aus den Naturwissenschaften entstammenden nomologischen Wissenschaftsauffassung« (1971, S. 17).
Wenn Geschichte Inbegriff der Struktur und Strukturveränderung ge genständlicher gesellschaftlicher Praxis ist, so sind gesellschaftstheo retische »Gesetzmäßigkeiten« Explikationen derartiger Strukturmo mente im Praxisvollzug. Solche Gesetzmäßigkeiten sind in dem Maße objektiv, als sie gesellschaftliche Realstrukturen unverzerrt und umfas send auf den Begriff bringen. Die Frage nach ihrer Allgemeingültig keit ist dadurch aufgehoben, dass gesellschaftliche Realstrukturen sich durch die gesellschaftliche Praxis verändern, deren Teilmoment die Explikation ihrer Gesetzmäßigkeiten ist. Die Vorstellung von >> Geset zen«, die man von außen an einen als Naturgeschehen ablaufenden Ge schichtsprozess herantragen oder diesem abgewinnen könnte, ist fiktiv, da in ihr die Eingebundenheit gesellschaftstheoretischer Erk�nntnis in den gesellschaftlich-historischen Praxisvollzug, den sie erkennen will, nicht reflektiert ist.
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Marx nennt im Vorwort zum »Kapital<< das »ökonomische [Bewegungs]Gesetz
der modernen Gesellschaft« ein »Naturgesetz« (1968b [MEW 23], S. 15) und zitiert im Nachwort zur 2. Auflage beifällig einen Rezensenten, der meint, Marx betrachte »die gesellschaftliche Bewegung als einen naturgeschicht lichen Prozess« (S. 26 ). Nur wer wie Popper (etwa 1965) ein Interesse daran hat, Marx als Propheten und Utopisten hinzustellen, kann solche für sich missverständlichen, vereinzelten Passagen so ausschöpfen und überstrapa zieren, dass der Leser den Eindruck gewinnen mag, Marx hätte nichts wei ter geschrieben, und dabei verschweigen, dass Marx und Engels in ihren inhaltlichen Entwicklungen, wenn sie Worte wie »Naturgesetz« und >>natur wüchsig« in Bezug auf Gesellschaft gebrauchen, dies in analogischem Sinne meinen und kritisch auf die Struktureigentümlichkeit der kapitalistischen Gesellschaft beziehen, welche es zu überwinden gilt. So spricht Marx etwa davon, dass die Warenform »den Menschen die ge sellschaftlichen Charaktere ihrer eignen Arbeit ... als gesellschaftliche Natur eigenschaften dieser Dinge zurückspiegelt« (Kapital I, 1968b [MEW 23], S. 86), und in anderem Kontext, dass sich >>in den zufälligen und stets schwan kenden Austauschverhältnissen« von Produkten der Privatarbeiten >>die zu deren Produktion gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit als regelndes Na turgesetz gewaltsam durchsetzt . . . «, wobei er Engels zitiert: >>Was soll man von einem Gesetze denken, das sich nur durch periodische Revolutionen durchsetzen kann? Es ist eben ein Naturgesetz, das auf der Bewusstlosig keit der Beteiligten beruht« (1968b [MEW 23], S. 89). - Im Zusammenhang mit solchen- beliebig vermehrbaren- innerhalb des Gesamtgedankenganges zwingenden Äußerungen hätte Popper die genannten Bemerkungen aus Vor und Nachworten diskutieren müssen, falls er mit dem »Elend des Historizis mus« (1965) nicht ein politisch tendenziöses, sondern ein wissenschaftliches Buch hätte schreiben wollen (vgl. dazu etwa Fleischer 1969, bes. S. 1 06ff., und 1970, bes. S. 157ff., und Tomberg 1 969, bes. S. 12ff.).
Gesellschaftstheoretische Gesetze über die Aufeinanderfolge verschie dener Gesellschaftsformationen haben nicht den Charakter der Her ausarbeitung eines kausal determinierten Hervergehens der jeweils späteren aus der jeweils früheren Stufe der gesellschaftlichen Entwick lung - ein solcher Ansatz, da ihm ja der jeweilige Endzustand schon bekannt ist, wäre als >> rückschauende Prophetie« fiktiv -, sondern sind explikative Rekonstruktionen des Geschichtsverlaufs, notwendig mit den Kategorien der Gesellschaftsform, der der Erkennende zugehört (vgl. Marx 1 969b [MEW 1 3], S. 636ff.). Da Geschichte kein »Prozess« ist, dem wir zusehen, sondern ge sellschaftliche Praxis, »in« der wir stehen, sind »Prophezeiungen« über den weiteren Verlauf der Geschichte ein Unding: »Es gibt im Marxis mus einfach keinen Platz für eine derartige Metaphysik des Geschichts verlaufs; denn die Geschichte verläuft nicht, sondern die Menschen machen sie; nicht die Geschichte hat ein Ziel, sondern Menschen ha ben geschichtliche Ziele« (Fleischer 1 969, S. 1 07). - Dies bedeutet na türlich nicht, dass gesellschaftliche Praxis subjektivistisch als lediglich
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von je individuellem menschlichem Dafürhalten abhängig betrachtet werden dürfte; sie ist vielmehr in ihrem bewussten Vollzug zugleich auf die jeweiligen materiellen Strukturbedingungen ihrer Möglichkeit verwiesen; ''··· dadurch, dass in jeder ökonomischen Kategorie eine bestimmte Beziehung zwischen den Menschen auf einer bestimmten Stufe ihrer gesellschaftlichen Entwicklung zum Vorschein kommt, be wusst gemacht und auf ihren Begriff gebracht wird, kann erst die Be wegung der menschlichen Gesellschaft selbst in ihrer inneren Gesetz lichk eit, zugleich als Produkt der Menschen selbst und von Kräften, die aus ihren Beziehungen entstanden, sich ihrer Kontrolle entwu nden haben, begriffen werden« (Lukacs 1 923, S. 28). Von marxscher Theorie geleitete emanzipatorische Praxis kann trotz ihrer wissenschaftlich begründeten Perspektive und Strategie niemals gewiss sein, eine Verfassung der Gesellschaft zu erreichen, in der »der menschliche Fonschritt nicht mehr jenem scheußlichen heidnischen Götzen gleichen« wird, »der den Nektar nur aus den Schädeln Erschla gener trinken wollte« (Marx 1 960 [MEW 9], S. 226), geschweige denn, dass sie einen schlagartig zu gewinnenden nachrevolutionären Zustand menschlichen Glücks und menschlicher Selbstentfaltung garantierte. Zwingend ist für eine solche Praxis lediglich das Ziel: » . . alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist« (Marx 1970 [MEW 1], S. 385). Emanz ipat orische Praxis ist weit entfernt von Sozialtechniken etwa im Stile der popperseben »Stückwerktechnik«, die in ihrer subjektivis tischen Blindheit die Aufteilung der Gesellschaft in solche, die Technik ausüben, und solche, die davon betroffen sind, voraussetzen und befes tigen und sich in ihren Zielen automatisch auf die Seite derer schlagen, in deren Dienst ihre Techniken allein effektiv werden können. Nur in der Entwicklung und Vertiefung gesellschaftlichen Bewusstseins der Massen wird menschliche Praxis zur emanzipatorischen. Kleinste Schritte gesellschaftlicher Veränderungen durch konkrete Negation bestehender Verhältnisse bei permanenter Kritik gesellschaftstheore tischer Positionen gemäß dem steten Wandel gesellschaftlicher Real strukturen sind jedoch dabei nicht eine Relativierung, sondern eine strenge Erfüllung der marxschen Konzeption. »Nicht in der Formali sierung, sondern in der Konkretisierung gewinnt marxistische Theorie gesellschaftlicher Veränderung ihre Evidenz. Sie ist damit unerbittlich auf Empirie zurückverwiesen« (Fleischer 1 969, S. 70). Die »Empirie erster Art<< (vgl. Holzkamp 1 970b, S. 124ff. [S. 128ff. in diesem Buch]), auf die der kritisch-emanzipatorische Ansatz sich verwiesen sieht, ist die bürgerliche Psychologie in ihrer konkreten historischen Eigenart. - Wenn hier von »bürgerlicher<< Psychologie gesprochen wird, so ist dies nicht in einem global abqualifizierenden, .
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abstrakt negierenden Sinne gemeint: Als >>bürgerlich« wird Sozialwis senschaft dann bezeichnet, wenn sie die kapitalistische Gesellschaft nicht als qualitativ spezifisch, aus einer strukturell anderen Gesell schaftsform historisch entstanden und in bestimmten prinzipiellen Antagonismen und Begrenztheiten nur durch Transformation in eine strukturell andere Gesellschaftsform aufhebbar begreift, sondern die bürgerliche Gesellschaft insofern mit >>Gesellschaft überhaupt« iden tifiziert, als sie ihre Übel als quasi naturgegeben hinnimmt bzw. die Möglichkeit ihrer optimalen Entwicklung ohne qualitativ-strukturelle Veränderungen voraussetzt. - Abgesehen von der - selbst wieder als strukturell historisch entsprungen zu verstehenden - Befangenheit von Sozialwissenschaft als >>bürgerliche<<, kann solche Wissenschaft be deutsame und tiefe Erkenntnisse erbringen, die von großer Wichtigkeit auch für marxistische Analyse und Praxis sind (so hat Marx den hohen wissenschaftlichen Wert von Konzeptionen >>bürgerlicher<< Ökonomen, besonders Ricardos, immer wieder hervorgehoben). Je bedeutsamer und tiefer die Erkenntnisse bürgerlicher Sozialwis senschaft sind, umso wesentlichere Einsichten kann man durch ihre kritisch-historische Analyse in zentrale Struktureigentümlichkeiten der bürgerlichen Gesellschaft in ihrer jeweiligen konkreten Ausprägungs form erlangen. Marx hat deswegen, wie in seinen >>Theorien über den Mehrwert<< niedergelegt, außerordentliche Mühe darauf verwendet, die wirklich wissenschaftlichen, wertvollen Beiträge der bürgerlichen Öko nomie von den unwissenschaftlichen, bloß apologetischen, abzuheben. - Die kritisch-emanzipatorische Analyse hat, in einem ersten Schritt, innerhalb der bürgerlichen Psychologie die besten, wissenschaftlich am meisten gesicherten Ansätze mit dem höchsten Erklärungswert heraus zuarbeiten. Nur soweit dies gelingt, sind weitergehende Analysen der Möglichkeit nach sinnvoll. - Deswegen ist eine angemessene wissen schaftslogische Explikation der immanenten Normen und Prinzipien bürgerlicher Experimentalpsychologie für den kritisch-emanzipato rischen Ansatz von so großer Wichtigkeit. Die mit den Denkmitteln des Konstruktivismus geübte Kritik an der bestehenden Psychologie kritisiert bestimmte Eigenarten psychologischer Forschung nicht als bürgerliche, sondern als schlechte bürgerliche Wissenschaft. Die sodann an den wissenschaftlich wertvollsten Theorien und Befunden bestehender psychologischer Forschung anzusetzende Kri tik der bürgerlichen Psychologie als >>bürgerliche« hat in historisch materialistischer Analyse die Realzusammenhänge psychologischer Denk- und Verfahrensweisen mit spezifischen Eigenarten der Produk tions- und Reproduktionsbedingungen der Gesellschaft und den dar aus resultierenden Kapitalbewegungen explizierend auf den Begriff zu bringen und so die Funktion und die Interessenbestimmtheit der Psy-
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chologie in ihren verschiedenen Formen erkennbar zu machen. Wenn man dabei über unverbindliches Analogisieren hinausgelangen will, so müssen die mannigfachen Vermittlungen zwischen den Bewegungen des materiellen Lebenszusammenhanges der Gesellschaft und den Ent wicklungen einer Wissenschaft wie der Psychologie durch sorgfältigste historische Forschung aufgedeckt werden. Die Eigenart nomologisch gemeinter empirischer Sozialforschung, etwa in der Psychologie, ist in ihrem Doppelcharakter zu erkennen: Ei nerseits sind die Befunde solcher Forschung, sofern immanent-metho disch auf angemessene Weise zustande gekommen, als »Empirie zwei ter Art« (Holzkamp 1970b, S. 1 24ff. [S. 129ff. in diesem Buch]), ohne die keine kritisch-gesellschaftstheoretische Analyse auskommen kann, zu akzeptieren und zu verwerten. Andererseits aber darf man nicht, wie der »kritische Rationalismus« dem »bürgerlichen« Vorurteil verfallen, dass nomologische Sozialwissenschaft ein universelles Mittel zur Erfor schung gesellschaftlicher Wirklichkeit überhaupt sei; der nomologische Ansatz ist vielmehr selbst auf seine historisch-materiellen Ursprünge zurückzubeziehen und als ein Spezialfall hochselektiver, verkürzter Explikation auszuweisen, durch welche gesellschaftlich-menschliche Verhältnisse so »angeschnitten« sind, dass sie als naturhafter Prozess erscheinen, auf den man nomologische Theorien beziehen kann und an dem sich isoliert-verfestigte >>Daten« gewinnen lassen. Analytisch sozialwissenschaftliche Forschung hat nur dann der Möglichkeit nach Erkenntniswert für gesellschaftstheoretische Analysen, wenn man den Schein durchschaut, empirisch bewährte sozialwissenschaftliche Theo rien seien von außen und unvermittelt auf gesellschaftliche Realität be ziehbar, wie eine meteorologische Theorie auf das Wetter, und wenn die Empirie hier von vornherein auf dem Hintergrund der Explikation des spezifischen gesellschaftlich-materiellen Ursprungs nomologischer Konzeptionen empirischer Sozialforschung und der jeweiligen beson deren Art der Theorienbildung und Datengewinnung angeeignet wird. - Empirische Sozialforschung erbringt nur dann der Möglichkeit nach begrenzte, weil stationäre Erkenntnis, wenn sie im Zusammenhang umgreifeoder kritisch-historischer Erkenntnis gesehen wird, durch welche in der Erkenntnisdistanz Gesellschaft - gebrochen durch die spezielle Sicht von Vorgehensweise des erkennenden Subjekts - sich selbst zum Bewusstsein kommt. >>Das erkennende Subjekt ist die Ge sellschaft unter einem bestimmten Aspekt gesehen: unter dem Aspekt ihrer Erkenntnistätigkeit« (Lektorski 1 968, S. 132). Der dritte Schritt des kritisch-emanzipatorischen Ansatzes nach der methodologisch-selektiven Analyse bürgerlich-psychologischer Kon zeptionen und der historisch-materialistischen Explikation der gesell schaftlichen Realzusammenhänge, in denen sie stehen, wäre dann der
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Übergang von der Kritik der bürgerlichen Psychologie zur kritischen Psychologie, der Transformation der besten Ansätze bestehender Psy
chologie in eine >>positive« psychologische Forschung als Moment emanzipatorischer Praxis. Die Methodologie der analytisch-empirischen Sozialwissenschaft ist ein wichtiges Instrument gesellschaftskritischer Analyse, und zwar nicht nur deswegen, weil ausschließlich empirisch-wissenschaftliche Konzep tionen und Daten, die strengsten begriffs- und prüfmethodischen Kri terien genügen, sinnvoller Gegenstand kritisch-historischer Aneignung sind, sondern auch, weil die Erarbeitung einer positiven kritischen So zialwissenschaft bei der Entwicklung neuer methodischer Verfahren an der Methodik bürgerlicher Sozialwissenschaft ansetzen muss. Ich habe dementsprechend keineswegs, wie Albert unterstellt, versucht, »die Unbrauchbarkeit der« in der bestehenden Psychologie »praktizierten Methodologie . . . nachzuweisen« (Albert 1 971, S. 5), sondern vielmehr die Auffassung vertreten: >>Die Entwicklung präziser und differenzier ter Verfahren des experimentellen Designs, der lnferenzstatistik und der multidimensionalen Analyse stellt die große Leistung der bürgerlichen Psychologie dar. Bei der Transformation der bestehenden Psychologie in kritisch-emanzipatorische Psychologie darf nichts von dieser Leis tung verloren gehen« (Holzkamp 1 970, S. 140 [hier S. 1 52]). Auch die übergeordnete kritisch-historische Analyse selbst ist - so fern sie wissenschaftliche Erkenntnis erbringen will - auf strengste Me thodik verpflichtet. Den allgemeinsten Rahmenansatz für eine solche Methodik kann man mit Sohn-Rethel (1 970, S. 200ff.) so charakterisie ren: »Das gesellschaftliche Sein, in dem wir leben, existiert in der Weise, dass es Täuschungen ausschwitzt, und niemand, auch nicht ein Marxist, kann sich diesen Täuschungen und ihrem Einfluss entziehen. Die kapi talistischen Produktionsverhältnisse bilden für die Menschen einen Ver blendungszusammenhang, in dem jedes Ding dem anderen hilft, normal auszusehen. Das ist eine methodologische Grundannahme, die im Mar xismus die Stelle des >de omnibus est dubitandum< des Descartes ein nimmt. Der historische Materialismus ist eine methodische Zurüstung, um diese Täuschungen zu erkennen und richtiges Bewusstsein an ihre Stelle zu setzen. Der Weg, der zum richtigen Bewusstsein führt, ist die gesellschaftliche Seinserklärung der Täuschungen«. Die spezifische me thodische Vorgehensweise etwa bei der kritisch-historischen Analyse der Psychologie in Kategorien der marxistischen Gesellschaftstheorie kann nicht einfach aus der marxschen Kritik der politischen Ökono mie übertragen, sie kann überhaupt nicht gegenstandsunabhängig als formaler Kanon hingestellt werden, sondern muss gemäß dem marxis tischen Prinzip der historischen Spezifität und Konkretheit im Zuge der inhaltlichen Analyse herausgebildet und in ständiger Korrektur der
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Analyse selbst laufend korrigiert werden. Erst nachträglich, nach Vor liegen der Resultate, wird sich - und auch nur für diesen Fall - Allge meineres über die dabei entwickelte Methodik sagen lassen. Kritisch-historische Analysen unterliegen zwar nicht den Kriterien der Methodologie nornelogisch verstandener Sozialwissenschaften, diese gehören vielmehr zu ihren Themen, sie sind als wissenschaftlich aber dennoch radikaler Kritik und dem Risiko des Scheiterns aus zusetzen - allerdings unter Gesichtspunkten, die ihrer Eigenart und Zielsetzung angemessen sind. Popper, Albert u. a. sollten den Umstand, dass die marxistische Gesellschaftstheorie ihre eigenen Wissenschafts vorstellungen überschreitet, nicht immer wieder zum Anlass nehmen, dem Marxismus zu unterstellen, er beanspruche ein gegen konkurrie rende Auffassungen immunisiertes, höheres A-priori-Wissen für sich, sondern lieber für möglich halten, dass es auch für sie hier noch einiges zu lernen und zu verstehen geben könnte. Die Überlegungen zu Problemen gesellschaftswissenschaftliehen Erkenntnisgewinns wären in einer umfassenderen Diskussion des Pro blems der wissenschaftlichen Wahrheit aufzuheben. Hier ist indessen nicht der Ort, die außerordentlich differenzierten Beiträge marxisti scher Denker zur Wahrheitsfrage darzustellen und anderen Auffas sungen zu konfrontieren. Es soll lediglich darauf hingewiesen werden, dass die Invektive »Instrumentalismus«, die Albert dem kritisch-eman zipatorischen Ansatz beilegt und die zu den im »kritischen Rationalis mus« gebräuchlichen abqualifizierenden Etikettierungen gehört, sich wiederum nicht auf einen tatsächlich vertretenen, sondern auf einen le diglich unterstellten Standort bezieht. Poppers Kampf gegen den »Instrumentalismus« gleicht generell weitgehend einem Scheingefecht: Er kritisien kaum eine wirkliche gegnerische Position, sondern im Wesentlichen die Denotationen des Wones »Instrument<<, wenn er erwa feststellt, Instrumente können zwar zerbrechen, sind aber nicht falsi fizierbar, deswegen sei der »Instrumentalismus« abzulehnen (1963a, S. 1 1 1 ff.; vgl. dazu Wellmer 1967, S. 222ff.). Eine gründliche Auseinandersetzung mit dem Instrumentalismus, wie er von John Dewey inaugurien wurde, und mit dem don vertretenen pragmatischen Wahrheitskonzept, findet sich, soweit mir bekannt, bei Popper nirgends. Das Konzept der Wahrheitsannäherung, das zur Abwehr des »Instrumentalismus<< eingesetzt wird, ist innerhalb der kritisch-ra tionalistischen Methodologie ein fremdes Bestandstück. Es spricht vieles dafür, dass die pragmatische Wahrheitskonzeption mit dem kritischen Rationalismus nicht in Widerstreit steht, sondern ihm - zwar nicht dem Selbstverständnis seiner Venreter, aber seiner systematischen Eigenan nach - eher affin ist.
Eine ähnliche Frontstellung ist im albertsehen Artikel (1971) konstru iert, wenn dort das >> Wahrheits- und Erkenntnisstreben<< des »kritischen Realismus« dem vorgeblich >>instrumentalistischen« kritisch-emanzi-
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patorischen Ansatz, einer >>Kombination zwischen ideologischer Steu erung und technologischer Reduktion« (S. 22), gegenübergestellt wird. Die Konzeption des >>Erkenntnisfortschritts<< und der »Wahrheitsannä herung<< erscheint auch hier nicht als wissenschaftslogisch zwingender Bestandteil des >>kritischen Rationalismus<<, sondern als Kampfmittel gegen abweichende Positionen, die eben zum Z:weck ihrer besseren Be kämpfbarkeit als >>instrumentalistisch<< etikettiert werden. An anderen Stellen, außerhalb unmittelbar polemischer Bezüge, finden sich denn auch bei Albert Feststellungen wie: >>Es geht ja nicht in erster Linie um Wahrheit, sondern um eine befriedigende Lösung praktischer Pro bleme<< (1 969, S. 1 80f.); eine Auffassung, die instrumentalistisch-prag matistischen Konzeptionen nicht zufällig nahekommt. Weder in falsifikationstheoretischer noch in konstruktivistischer Explikation von Normen und Prinzipien empirisch-wissenschaftlicher Forschung ist ein Beitrag zum Problem der wissenschaftlichen Wahr heit zu leisten, weil der Wahrheitsanspruch von Wissenschaft allein im Blick auf ihre Methodologie generell nicht zu begründen ist. Die Wahrheitsfrage kann nur im erkenntnistheoretischen Zusammenhang angemessen gestellt werden18, wobei gegenständliche gesellschaftliche Praxis des Menschen die zentrale Kategorie der Vermittlung zwischen dem Subjekt und dem Objekt des Erkennens ist. Die Unterschiede zwischen >>kritisch-rationalistischen<< und instrumentalistisch-pragma tistischen Wahrheitskonzepten mögen dabei gegenüber dem Umstand, dass in beiden Fällen eine logisch-methodologische Verkürzung des Wahrheitsproblems vorliegt, ziemlich vernachlässigenswert sein. 6 Schlussbemerkung
Kontroversen wie diese bringen die Beteiligten dazu, über Verfahren zu reden, statt Verfahren anzuwenden. Es ist nun an der Zeit, den kri tisch-emanzipatorischen Ansatz nicht mehr in Gegenüberstellung zu anderen Ansätzen rechtfertigen zu wollen, sondern - dies ist ihm allein völlig gemäß - nur noch inhaltliche Ergebnisse seines Bemühens der Diskussion und Kritik auszusetzen, psychologische Forschung in ih ren je besonderen gesellschafdich-materiellen Zusammenhängen zu ex plizieren und damit psychologische Forschungspraxis als Teilmoment bewusster, somit gesellschaftskritischer Praxis zu verdeutlichen und zu ts
Die Reduktion philosophisch-erkenntnistheoretischer und wissenschafts theoretischer auf wissenschaftslogische Fragen und die dadurch bedingte Verfehlung des Erkenntnisproblems durch Popper und Albert ist von Hahn (1968, S. 29ff.) klar aufgewiesen worden.
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realisieren: >>Da, wo die Spekulation aufhört, beim wirklichen Leben, beginnt also die wirkliche, positive Wissenschaft, die Darstellung der praktischen Betätigung, des praktischen Entwicklungsprozesses der Menschen. Die Phrasen vom Bewusstsein hören auf, wirkliches Wis sen muss an ihre Stelle treten« (Marx-Engels, Deutsche Ideologie, 1 962 [MEW 3), S. 27). Soweit es gesellschaftsbezogener Forschung gelingt, gesellschaftliche Realstrukturen umfassend und unverzerrt auf den Begriff zu bringen, soweit sie also echte wissenschaftliche Erkenntnis erbringt, müssen sich in ihren theoretischen Aussagen die zentralen gesellschaftlichen Anta gonismen wiederfinden. Gesellschaftsbezogene Forschung in der bür gerlichen Gesellschaft ist umso wissenschaftlicher, je deutlicher in ihren Theorien, aus welcher Perspektive und in welchem Kontext auch immer, der alle menschlichen Verhältnisse brutalisierende Widerspruch zwi schen Lohnarbeit und Kapital samt seinen gesellschaftlich notwendigen Mystifikationen repräsentiert ist: In dem Grade, als solche Forschung Erkenntniswert besitzt, verändert sie die gesellschaftliche Praxis, deren Moment sie ist, zu emanzipatorischer Praxis.
Gesellschaftsbezogene Wissenschaft, die ihrem genuinen Erkennt nisinteresse folgt, ist angreifbar, nicht mehr nur im wissenschaftlichen Dialog, sondern durch die herrschenden gesellschaftlichen Kräfte. Nicht von wissenschaftlichem Interesse, sondern vom herrschenden Interesse bestimmte Wissenschaft immunisiert sich in der Art ihrer Theorienbil dung und Methodik so gegen gesellschaftliche Widersprüche, dass jeder ihrer Befunde zur Apologie des Bestehenden wird. Die wissenschafts fremde politische Steuerung, der ein Sozialwissenschaftler unterlegen ist, manifestiert sich >>in der rücksichtsvollen, nicht rücksichtslosen Konsequenz, die er aus wissenschaftlichen Vordersätzen zieht« (Marx, Theorien über den Mehrwert, 2. Teil, 1 967 [MEW 26,2], S. 1 1 0).
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DIE BEZIEHUNG ZWISCHEN GESELLSCHAFTLICHER RELEVANZ UND WISSENSCHAFTLICHEM ERKENNTNISGEHALT PSYCHOLOGISCHER FORSCHUNG
(1972)
Kritisch-historische Analyse der nachfolgenden Aufsätze Die fünf Artikel, die in diesem Buch* abgedruckt sind, dürfen nicht so ge nommen werden, wie sie dastehen. Sie sind programmatischer Ausdruck eines krisenhaften Umbruchs psychologischer Grundanschauungen ihres Autors, Unterbrechung einer kontinuierlichen Entwicklung wissenschaftlicher Arbeit, hinführend zu einer neuen Kontinuität auf veränderter Basis. Unausgewogen heiten, Widersprüchlichkeiten, Irrtümer von in diesen Artikeln entwickelten Positionen sollten nicht für sich betrachtet werden, sondern sind nur auf dem Hintergrund der Entwicklung der Studentenbewegung - gebrochen durch die spezifischen Bedingungen an der Freien Universität und am Psycholo gischen Institut, natürlich auch durch die Eigenheiten der wissenschaftlichen Persönlichkeit ihres Verfassers - richtig einzuschätzen. Die einzelnen Schritte des Versuchs, Befangenheit und Verblendung des eigenen Denkens zu über winden, mögen - auch wo sie in die Irre gingen - so weit exemplarisch sein, dass es lohnt, sie nachzuvollziehen; besonders für jene, die ebenfalls bemüht sind, die geschichtliche Progression gesellschaftstheoretisch-sozialwissen schaftliehen Denkens mit ihrem eigenen Bewusstsein einzuholen. - Diese abschließende Arbeit soll durch eine selbstkritische Analyse der fünf Arti kel aus den genannten biographisch-geschichtlichen Zusammenhängen einen solchen Nachvollzug erleichtern und damit auch einer - sei es in Zustimmung oder Ablehnung - falschen Rezeption der Artikel entgegenwirken. Bei der kritischen Aufarbeitung wird die zentrale Problematik der früheren Artikel - und durch sie hindurch auch der studentischen Wissenschaftskritik - mit al ler Deutlichkeit sichtbar: das Verhältnis zwischen der Forderung nach gesell schaftlicher Relevanz psychologischer Forschung und ihrem Wahrheits- und Erkenntnisanspruch als Wissenschaft angemessen zu bestimmen. Am Schluss dieser Abhandlung wird der Versuch gemacht, die Lehren aus den Fehlern in den früheren Artikeln zu ziehen und zu zeigen, wie der Begriff von »wissen schaftlicher Erkenntnis« in den Sozialwissenschaften so zu entwickeln ist, dass er den Gesichtspunkt der gesellschaftlichen Relevanz in sich einschließt.
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Anm. d. Hg.: Kritische Psychologie. Vorbereitende Arbeiten (1972).
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1 Geschichte des Instituts bis 1965
Das Psychologische Institut der Freien Universität, gegründet im Win tersemester 1 948, dem ersten Semester der FU, war in der Anfangs phase seiner Geschichte geprägt durch eine von der Leipziger Schule und klassischen Entwicklungs- und Allgemeinpsychologie beeinflusste genetisch-ganzheitspsychologische Stufenlehre, wie sie vom Grün der des Instituts, Oswald Kroh, vertreten wurde. Nach Krohs Tod im Jahre 1 955 waren, unter der Leitung von Kripal Singh Sodhi, Konzep tionen, die vorher schon von Sodhi und Bergius zur Geltung gebracht worden sind und in denen die Methoden und Befunde der amerika nischen Experimentalpsychologie, besonders der experimentellen So zialpsychologie, auf dem Hintergrund gestalttheoretischen Denkens, insbesondere der Feldtheorie Lewins, rezipiert und verarbeitet wur den, für Lehre und Forschung am Institut bestimmend. Nachdem auch Sodhi gestorben und Bergius nach München gegangen war, legten ab 1962 der neue Institutsdirektor Hans Hörmann und seine Mitarbei ter das Schwergewicht der Arbeit am Institut auf die Integration der experimentellen Persönlichkeitsforschung amerikanischer Prägung mit allgemeinpsychologischen Ansätzen. Ich selbst - seit dem Sommersemester 1 949 am Institut - arbeitete zunächst mit Hans Martin, Achim Eistel und Joachim Franke zu sammen an theoretischen und experimentellen Untersuchungen zum Ausdrucksproblem. Von 1 955 bis 1 95 7 führte ich in Kooperation mit Sodhi und Bergius im Rahmen eines Forschungsauftrages Erhebungen über nationale Vorurteile durch. In der Folgezeit konzentrierten sich meine Forschungsinteressen auf den Bereich der sozialen Kognition; so entstanden z. B. in Zusammenarbeit mit Horst Perlwitz, Peter Keiler und Thilo Naatz eine Reihe von experimentellen Untersuchungen zur Frage der Akzentuierung bei der sozialen Wahrnehmung. - Nachdem ich seit 1 957 Lehrveranstaltungen über Tiefenpsychologie, Ausdrucks psychologie, psychologische Methodenlehre abgehalten hatte, über nahm ich später - bald als Mitordinarius Hörmanns - in der Nachfolge Sodhis die offizielle Vertretung des Faches >>Sozialpsychologie<< und sodann, in der Nachfolge Aeblis, »Pädagogische Psychologie<<. Besonders wichtig wurde für mich die Beschäftigung mit wissen schaftstheoretischen Grundlagenproblemen der Psychologie. 1 959 be gann ich mit der Arbeit an dem Manuskript zu dem Buch » Wissenschaft als Handlung<< und 1 962 zu ,, Theorie und Experiment in der Psycho logie<<. Während >>Theorie und Experiment« bereits 1 964, g!eich nach der Fertigstellung, publiziert wurde, konnte »Wissenschaft als Hand lung«, obwohl früher entstanden, erst 1 968 veröffentlicht werden. Der hier entwickelte wissenschaftstheoretische Ansatz (Kurzdarstellun-
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gen i n diesem Buch, bes. S . 97ff. und S . 159ff.) - später von anderen »Konstruktivismus« genannt - entstand »aus der Unzufriedenheit mit gewissen Vagheiten bei eigenem Experimentieren und dem Unvermö gen, diese Vagheiten fremder experimenteller Bemühungen bei eige nem Experimentieren mit Hilfe der überkommenen wissenschaftsthe oretischen Anschauungen zu vermeiden«' (1964, S. V [2005, S.1 3]), und weitete sich zu einer umfassenden, gegen empiristisch-induktio nistische Vorstellungen gerichteten, wissenschaftslogischen Konzep tion aus, wobei die erarbeiteten Kriterien für den »wissenschaftlichen Wert« empirischer Forschung, der >>lntegrationswert« und der dem >>Belastetheitsgrad« gegenläufige >>empirische Wert«, dann wieder kri tisch auf die experimentell-psychologische Forschung zurückbezogen wurden. Dabei wurde, in »Theorie und Experiment«, ein Moment des »Belastetheitsgrades« in den Mittelpunkt der Untersuchung gestellt, die »Grundbelastetheit«, näher bestimmt als der Grad der »Repräsen tanz«, >>Aussagekraft« experimenteller Befunde für die zu prüfenden übergeordneten Theorien. Die Kritik an der bestehenden Experimen talpsychologie kulminierte in der Feststellung, dass häufig »eine be stimmte experimentelle Anordnung mit den vom Experimentator auf diese Anordnung bezogenen theoretischen Konzeptionen eigentlich kaum >etwas zu tun hat«< (1 964, S. 1 [2005, S.1 5]); ein vieldimensionaler Kanon von Kriterien wurde entwickelt, um die >>Repräsentanz<< von experimentellen Anordnungen für theoretische Annahmen beurteilbar zu machen und um die Planung aussagekräftiger psychologischer Ex perimente zu ermöglichen. 2 Erste Auswirkungen der Studentenrevolte auf die Arbeit am Psychologischen Institut (bis 1968)
Die Rebellion der Studenten an der Freien Universität deutete sich zu erst an im Zusammenhang mit dem Verbot eines Vortrags von Erich Kuby durch das Rektorat im Jahre 1 965, gewann ihre Massenbasis 1 966 mit der versuchten Unterdrückung der studentischen Protestaktionen gegen den Vietnam-Krieg durch Universität, Senat und Polizei, führte zu immer heftigeren Konflikten an der Universität und in der Stadt und erreichte am 2. Juni 1 967, als bei der Anti-Schah-Demonstration
"" Anm.
d. Hg.: In Theorie und Experiment (1964) heißt es: aus der Unzu friedenheit mit gewissen Vagheiten fremder experimenteller Bemühungen und dem Unvermögen, diese Vagheiten bei eigenem Experimentieren mit Hilfe der überkommenen wissenschaftsmethodischen Anschauungen zu vermeiden.<< ». • .
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der Student Benno Ohnesorg durch den Polizisten Heinz Kurras er schossen wurde, einen Höhepunkt an Breite der Solidarisierung. Hatte sich die Studentenrevolte bisher nur gegen die autoritäre Struktur der Universität, gegen faschistische Tendenzen in der Bun desrepublik und gegen den weltweiten Imperialismus gerichtet, so ar tikulierte sich nach dem zweiten Juni auch die praktische Kritik der Studenten an der bürgerlichen Wissenschaft. Dozenten wurden zu Diskussionen über Fragen der Politisierung der Wissenschaft gezwun gen, Lehrveranstaltungen umfunktioniert, der überkommene Studi enbetrieb und die traditionellen Lehrinhalte in Flugblättern, Vollver sammlungen und teach-ins kritisch in Frage gestellt. - Im WS 1967/68 wurde von den Studenten die »Kritische Universität« mit über dreißig Arbeitskreisen gegründet. Die Hauptaufgaben der KU wurden von ihren Gründem so charakterisiert: » 1. Permanente Hochschulkritik und praktische Studienreform. 2. Verbreiterung und Intensivierung politischer Praxis, sei es in spontanen Aktionszentren, politischen Hochschulgruppen oder in der Studentenvertretung, mit Hilfe wis senschaftlicher Analyse und Kritik. 3. Vorbereitung der Studenten auf die Praxis der Wissenschafts- und Gesellschaftspolitik in ihren künf tigen Berufen und Unterstützung der kritischen Intelligenz in diesen Berufsbereichen.<< Weitere wichtige Stufen der Entwicklung der Stu dentenbewegung bis Ende 1 968 waren die Anti-Springer-Kampagne in den Ostertagen, die Kampagne gegen die Notstandsgesetze im Mai und Juni, Institutsbesetzungen und die Erarbeitung und Annahme der Satzung des Otto-Suhr-lnstituts [OSI], in der zum ersten Male mit Zustimmung aller Gruppen den Studenten in einem drittelparitätisch besetzten Institutsrat volle Mitbestimmung eingeräumt wurde, im Sommersemester 1 968. (Dieser radikale Reformversuch am OSI wurde dann vom Berliner Senat durch das >>Vorschaltgesetz<< zum Universi tätsgesetz im Herbst 1 968 nachträglich, wenn auch nur vorübergehend, legalisiert, womit anderen Instituten die rechtliche Möglichkeit zu ähnlichen Reformversuchen gegeben war.) Die theoretischen Grundlagen der damaligen Studentenrevolte19 waren uneinheitlich: Die Studentenbewegung »hat, um sich der Ideo logie der parlamentarischen Demokratie entledigen zu können, sich 19 Die Entwicklung der Studentenbewegung
kann hier nur relativ oberfläch lich, zentriert auf die Ereignisse an der FU und besonders am Psychologi schen Institut, dargestellt werden. Eine ausführliche Aufarbeitung der ein zelnen Stufen studentischer Wissenschaftskritik findet sich in Klüver und Wolf (Hg.) (1971). Für unseren Zusammenhang besonders wichtig darin sind Klüver und Wolf 1971 und Wtihelmer 1971. Zur Einbeziehung internationa ler Aspekte der Studentenrevolte vgl. Kleemann 1971.
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nacheinander als einsamen Verbündeten der kämpfenden Völker der Dritten Welt, als Stellvertreter für ein nicht mehr kämpfendes Prole tariat und als klassenlose Avantgarde im Kampf gegen den autoritären Staat verstanden. Ohne diese Illusionen hätte sie nicht die Stoßkraft entwickeln können, die die herrschende Ideologie erschüttert und breite Schichten des Kleinbürgertums und Ran!ischichten des Proleta riats in ihre B ewegung hineingezogen hat« (Susanne Kleemann, inter nes Arbeitspapier). Die Wissenschaftskritik, wo sie inhaltlich argumentierte, wurde weitgehend von bestimmten Positionen der »Frankfurter Schule« aus geführt. Daneben und damit vermischt gab es verschieden nuancierte theoriefeindlich-aktionistische Ansätze unter der Parole »Zerschlagt die bürgerliche Wissenschaft«, in denen zumal Sozialwissenschaften ausschließlich als Mittel der Unterdrückung des Menschen, »Instru ment der Herrschenden«, Inbegriff von »Herrschaftswissen« o. Ä. be trachtet wurden, Universitätsreform wie detaillierte Wissenschaftskri tik als sinnlos, ja schädlich angesehen und allein der direkten Aktion im Kampf gegen den Staatsapparat politischer Stellenwert eingeräumt wurde. Am Psychologischen Institut wurde vor 1 967, wie damals und heute an so gut wie allen anderen Psychologischen Instituten, auf dem Hintergrund eines weitgehend positivistischen Wissenschaftsbe griffs geforscht und gelehrt, hatte doch die Psychologie Identität und Selbstbewusstsein in ihrer Eigenart als empirisch-analytische Einzel wissenschaft mit nomothetischem Anspruch gefunden. Die Beziehung zwischen Psychologie und Gesellschaft wurde, wo überhaupt reflek tiert, von einem liberalen Wissenschafts- und Gesellschaftsverständnis aus gedeutet, das noch näher zu charakterisieren sein wird. Einzelne Studenten, die Themen der damaligen studentischen Sexpol-Bewegung (einer Erneuerung des Sexpol-Konzeptes von Wilhelm Reich aus den zwanziger Jahren) in das Institut trugen, wurden in ihren politischen Vorstellungen »liberal« geduldet, in ihren wissenschaftlichen Bemü hungen dem beschränkten Methodenkanon der bestehenden Experi mentalpsychologie unterworfen und blieben im Übrigen Außenseiter. Der Entwurf einer Vordiplomarbeit von Rainer Langhans, der damals an unserem Institut studierte, über die Beziehung zwischen sexuellem Verhalten und autoritärer Persönlichkeitsstruktur wurde 1 963 oder 1 964 von mir im Einvernehmen mit Hörmann mit der Begründung, sie habe sprachliche und methodische Mängel, zur Umarbeitung zurück gegeben. Langhans deutete die Zurückweisung - wieweit mit Recht oder Unrecht, ist j etzt schwer auszumachen - politisch und verließ die Universität. - Andere Studenten, die mit den von Adomo und Haber mas erarbeiteten Konzeptionen der Positivismuskritik psychologische
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Ansätze gesellschaftskritisch analysieren wollten, stießen dabei ihrer »unwissenschaftlichen« Spekulationen und »unexakten« Methodik wegen auf A blehnu ng, erreichten bestenfalls durch ihre gedankliche Intensität verständnislose Achtung. (Der >>Positivismusstreit in der deutschen Soziologie « zwischen Adorno und Habermas einerseits sowie Popper und Albert andererseits wurde zu der Zeit, da er statt fand, von 1 96 1 bis 1 965 - offenb ar als nicht einschlägig -, nicht nur am P sychologischen Institut der FU, sondern von der gesamten deutschen Ps yc h ologie ignoriert.) Die antiautoritäre Studentenrevolte drang erst spät und zunächst schwächlich in das Psychologische Institut ein. Als Hörmann auf einer Gedenkfeier für Benno Ohnesorg im Juni 1 967 seine Vorstellungen über die Beziehung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft entwickelte, kam es über die Frage der Politisierung der Universität zu einer ersten Kontroverse mit einigen Studenten, die zu zwei weiteren Diskussions veranstaltungen führte und keine merklichen Nachwirkungen hatte. Erst anlässlich der Kampagne gegen die N otstan dsgese tze im Frühjahr 1 968 fand sich eine große Mehrheit von Studenten und Mitarbeitern des Instituts zu ges chlossener politischer Aktion zus ammen : 14 Tage lang wurde in den meisten Lehrveranstaltungen über Notstandsgesetze dis kutiert; ein straffes Programm mit durch Experten vermittelter lnforma ti onsaufnahme, Informati o nsweitergabe und politischer Aktion wurde konsequent verwirklicht. Von da an gewann die Arbeit am Institut eine neue Qualität: Diskussionen um eine demokratische Reform des Insti tuts kamen in Gang und rissen, vorangetrieben durch die neu gegrün d et e »ad ho c - Gruppe « progressiver Studenten, nicht mehr ab, wobei, anders als an den meisten anderen Instituten, von vornherein neben Studenten auch Mitarbeiter des Instituts zu den Initiatoren und Trägern der Reformarbeit gehörten; in den Sommerferien 1 968 wurde von zehn K o mmi s s io nen das Institut unter verschiedenen Aspekten, von ,, for s chungsplanung« über »Zulas sung<< bis >>Etat<<, kritisch durchleuchtet und das Ergebnis in einem ausführlichen Bericht niedergelegt. (Dieser Bericht war die Basis für die Erarbeitung einer Satzung des Instituts auf der Grundlage des erwähnten »Vorschaltgesetzes<<, die nach langen zähen Verhandlungen schließ lich im Februar 1 969 von allen Gruppen akzeptiert wurde und zum Sommersemester 1 969 in Kraft trat.) - Auch die Kritik an der bürgerlichen Psychologie gemäß der Konzeption der »Kritischen Universität<< fand nach der Kampagne gegen die Notstands gesetze Eingang in - wenn auch vorerst nur wenige und vom übrigen traditionellen Lehrbetrieb weitgehend isolierte - Lehrveranstaltungen. Es kam zu den ersten intensiv geführten öffentli chen Kontroversen zwischen »liberalen<< und >>linken<< Institutsmitgliedern über gesell schafts- und wissenschaftstheoretische Fragen.
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3 »Liberales« Psychologieverständnis und
»kritisch -theoretische« Psychologiekritik: frühe Kontroversen am Institut Die »liberale« Position über die Beziehung zwischen Psychologie und Gesellschaft hat Hörmann auf einem Abendvortrag zu den B erliner Universitätstagen im Wintersemester 1 962/63 mit dem Thema »Psycho logie und Gesellschaft« p rägnant zum Ausdruck gebracht in Formulie rungen, die bis heute das Gesellschafts- und Wissenschaftsverständnis der allermeisten Psychologen in der BRD präzise treffen dürften:
»Wenn die Psychologie . . . keine Ziele setzen kann - was kann sie dann tun? Was kann sie für die Gesellschaft leisten? Sie kann Wege aufzeigen, Wege zu Zielen, die sie nicht selbst setzt, sondern die heteronom gesetzt werden. Wenn irgendeine Religion, eine Moral, eine Ideologie z. B. hohe Leistung als gut und damit erstrebenswert erklärt, dann kann die Psychologie Auskunft geben über die Zusammenhänge dieses Leistungsstrebens mit dem Gefüge der übrigen Persönlichkeitseigenschaften, über den Einfluss von Erfolg und Misserfolg auf diese Motivationsstruktur, über den Einfluss bestimmter früh kindlicher Erfahrungen auf die Enrwicklung dieses Strebens. Das heißt, aus den Erkenntnissen der Psychologie kann - bestenfalls - abgeleitet werden, was man tun muss, um in einem Menschen ein hohes Leistungsstreben zu erzeugen. Aber die Psychologie sagt niemals, ob man in einem Menschen ein hohes Leistungsstreben erzeugen soll. << (1 963, S. 1 6 8f.) >>Und doch befällt uns ein eigentümliches Unbehagen, wenn wir in dieser Weise ganz klar und ganz scharf die Grenze der Wissenschaft Psychologie ziehen, wenn wir immer wieder betonen, dass die Psychologie bestenfalls Handanweisungen für ein glückliches Leben liefern kann, aber selbst nicht sagt, was denn nun Glück sei. B richt die Psychologie nicht zu früh ab ? Oder anders gefragt: Was richtet die praktisch-technische Anweisung auf das Ziel aus ? Was stellt die Klammer
dar zwischen der Psychologie und der Gesellschaft mit dem für sie konstitu tiven Wertsystem ? Welches ist das Gelenk, in dem Psychologie und Gesell schaft ineinandergreifen ?« »Es ist der Psychologe. In ihm artikuliert sich die wichtigste Beziehung zwischen Psychologie und Gesellschaft.« >>Mit dieser
Ortsbestimmung des Psychologen bürden wir diesem freilich eine schwere Last auf. Wir verweigern ihm den Elfenbeinturm der reinen Wissenschaft, wir verweigern ihm aber auch das frag- und sorglose Dasein eines bloßen Hand lungsgehilfen der Gesellschaft<< (1 969, Hervorh. K.H.). »So ist der Psycho loge verpflichtet, wachsam zu sein - gegenüber seinem Dienstherrn, sei dies nun eine Werbeagentur, ein Konzern, ein Ministerium oder eine karitative B eratungsstelle; wachsam aber auch gegenüber sich selbst. Wir sehen den Psychologen nicht als den Vertreter einer Wissenschaft, sondern als den Ver treter einer Gesellschaft, unserer Gesellschaft, weil das Wissen der Psycholo gie auf Gesellschaft sich bezieht und in die Gesellschaft wirkt. Der Psycho loge ist Vertreter der Gesellschaft, weil das Ethos, aus dem heraus er handelt, stets gesellschaftsbezogen ist. Welchem Ethos er sich verpflichtet fühlen soll,
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das kann ihm die Psychologie nicht sagen. Diese Entscheidung hat er frei und allein zu fällen. Ja, er wird dabei vielleicht einsamer sein als seine Brüder in der Gesellschaft, denn gerade der Psychologe durchschaut ja das verfüh rerische Gefühl der Erleichterung, mit welchem man sich aus dem anstren genden Bewusstsein des So-aber-auch-anders-Könnens in die beruhigende Uberzeugtheit einer Ideologie fallen lässt. Gerade weil der Psychologe das Verhalten und Erleben der Glieder der Gesellschaft zum Objekt seiner Wis senschaft macht, verlangt die Gesellschaft von ihm so vieL Sie stellt hohe An forderungen an ihn: zu wissen, wie Überzeugungen entstehen, und dennoch von etwas überzeugt zu sein; zu wissen, wie Ansichten gemacht werden, und dennoch eine Ansicht zu haben; zu wissen, wie leicht zu lenken der Mensch ist, und dennoch der Freiheit zu dienen.<< (Hörmann 1 963, S. 1 7 1 )
Diese von Hörmann dargelegte Anschauung, die i n verschiedenen Va rianten stets dann von den >>Liberalen<< artikuliert wurde, wenn es galt, die bestehende Psychologie gegen gesellschaftskritische Angriffe zu verteidigen, war natürlich geradezu darauf zugeschnitten, die kritischen Argumente, wie sie im >>Methodenstreit« von Adorno und Habermas gegen die >>Positivisten« vorgebracht worden waren, auf sich zu ziehen. In der Tat wurde die wissenschaftstheoretische Auseinandersetzung bis Ende 1 968 von den linken Studenten am Psychologischen Insti tut vorwiegend auf der Grundlage von Positionen der >>Frankfurter Schule« aus geführt. Die Argumentation der Linken am Institut sei beispielhaft gekenn zeichnet durch Auszüge aus einem unveröffentlichten Papier von Irmingard Staeuble, damals eine der führenden Exponenten der Kri tischen Studenten (heute Assistemin und als Mitglied der Sektion >> Ge schichte der Psychologie« dem Psychologischen Institut zugehörig). Hörmann hatte auf der erwähnten Gedenkfeier für Benno Oh nesorg im Einklang mit der oben dargelegten Grundhaltung seine Auf fassungen über die studentische Forderung nach Politisierung der Wis senschaft entwickelt: Die Erfahrungen im Dritten Reich hätten gezeigt, wohin eine politisierte Wissenschaft führen könne. Jetzt wolle man wiederum >>links« oder >>rechts« zum Credo des akademischen Bürgers machen. Wissenschaft sei aber mit der Erkenntnis von Sachen, nicht mit der Entscheidung über Werte befasst. Wohl habe der Wissenschaftler >>radikal« und >>maßlos« zu sein, aber nur in der radikalen Klarheit und >>maßlosen Nüchternheit« seines wissenschaftlichen Erkenntnisstre bens . Die Ergebnisse der Wissenschaft seien für sich genommen ge genüber ihrer Verwendung für gesellschaftliche Zwecke neutraL Allein der einzelne Wissenschaftler mit seiner staatsbürgerlichen Verantwor tung und seinem Gewissen sei Instanz für die Entscheidun_g, wieweit wissenschaftliche Ansätze und Resultate dem Wohl der Gesellschaft dienen. Die Studentin Irmingard Staeuble (Manuskript vom 20.6.1 967) hielt dem in einem öffentlichen Streitgespräch entgegen:
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»Die Rede von der >Politisierung< der Universität weckt, s o kann man beob achten, böse Visionen: von brauner Universität, von nationalsozialistischer Wissenschaft. Solche Visionen indes bezeugen historische Kurzsichtigkeit und, als Reaktion auf die augenblickliche Situation, deren totale Verkennung. Verkennung, weil die Bildung von Widerstand gegen herrschende Gewalt auf eine Ebene gebracht wird mit der Gleichschaltung an die herrschende Gewalt. Was sich 1 933 an der Universität vollzogen hat, muss eher als eklatanter Er weis ihres unpolitischen Wesens gelten, das sich nun selbst als Politikum ent larvte. Wenn die negativen Assoziationen so prompt sich auf die Diagnose •Politisierung< einstellen, nicht aber auf das sehr viel fragwürdigere Selbstver ständnis als •unpolitisch<, zeigt dies, dass aus der geschichtlichen Erfahrung nichts gelernt wurde. Die unzureichenden Analysen bei der Auseinanderset zung der Universität mit ihrer Rolle im Dritten Reich führten zu dem absur den therapeutischen Vorschlag, nach den schlechten politischen Erfahrungen - die doch erst ermöglicht wurden durch den unpolitischen Charakter der Universität - wieder zur unpolitischen Universität zurückzukehren.<< >> Stattdessen wäre als Erfahrung endlich festzuhalten, dass die Weigerung, po litisch zu denken, umschlägt in die politische Unterstützung der herrschenden Machtverhältnisse .<< - »Zwei Möglichkeiten einer Politisierung der Universi tät sind nun denkbar. Die erste - und meines Erachtens nach zu kurze - wäre die Einbeziehung politischer Diskussionen ins Terrain der Universität nach j enem zweigleisigen Modell, das Wissenschaft qua Wissenschaft neutral lässt, den Wissenschaftlern als Staatsbürgern aber die Verpflichtung auferlegt, auch politische Themen zu erörtern. Die Beteiligung am politischen Leben ist nach diesem Modell nicht identifizierbar mit den geistigen Grundlagen des Wis senschaftlers, sie erlaubt partielle Kritik am herrschenden System, aber ohne verbindlichen Geltungsanspruch.<< - »Das zweite Modell fordert die Politi sierung der Wissenschaft qua Wissenschaft. Es zieht die Konsequenz aus der Erfahrung, dass Wiss enschaft auch im Dritten Reich nichts anderes war als vorher und nachher: nämlich neutral. Es versucht, gegen die selbstverständ lich gewordene Instrumentalisierung der Wissenschaft - die durch moralische Verantwortung des Einzelnen nur völlig unzureichend kontrolliert wird - den Aufklärungsanspruch der Wissenschaft wiederzubeleben, den zur Zweckrati onalität degradierten Vernunftbegriff wieder mit den Inhalten zu füllen, die ihn einst auszeichneten: mit dem kritischen Engagement für Freiheit und Humanität, auch und gerade, wenn solche Engagements gegen die herr schenden Verhältnisse in toto sich richten müssen.« - ••Auf das von Professor Hörmann zum Ausdruck gebrachte Missverständnis ist zu antworten: Ich will mitnichten >rechts< oder >links< zum Credo des akademischen Bürgers machen. Ich kann freilich eb enso wenig das Credo •klar< als rettende Alterna tive ansehen. Was •Klarheit< sei, bedarf nämlich selbst einer Klärung. Der Be griff hat im positivistischen Wissenschaftskonzept einen sehr anderen Sinn als in der kritischen Theorie.« - »Wissenschaft, wurde gesagt, habe mit der Erkenntnis von Sachen, nicht mit der Entscheidung für Werte zu tun . . . Die Trennung unterstellt, . . . Wert sei ein der Sache Äußeres, bloße subj ektive und damit irrationale Zutat. Demgegenüber hat dialektische Theorie einen Begriff von Sache, der das Urteil über sie von ihr selbst sich vorzeichnen lässt, derart, dass ihr faktisch aufweisbarer Charakter sich zu bemessen hat am Umfang der ihr immanenten Möglichkeiten.« - »Die wissenschaftliche Trennung von Erkennen und Werten führt zu der methodologischen Forderung, erfahrungs-
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wissenschaftliche Analysen zu beschränken auf die empirischen Gleichför migkeiten in natürlichen und gesellschaftlichen Prozessen. Zwecksetzungen dagegen sind nach ihr rational nicht kontrollierbar . . . , indem sie die verding lichten Strukturen isoliert, statt sie als gewordene zu begreifen, erweist die sich als radikal verstehende positivistische Aufklärung sich als halbe. Ihre Nüchternheit ist die des Desinteresses an der Lebenspraxis, die der unreflek tierten und damit sanktionierten bestehenden Wirklichkeit überantwortet wird.<< - »Gegen solche Kapitulation der Ratio vor den bestehenden Verhält nissen in toto wendet sich Aufklärung, die mit Hege! an der Einsicht festhält, >dass der von Subj ekten veranstaltete Forschungsprozess dem obj ektiven Zu sammenhang, der erkannt werden soll, durch die Akte des Erkennens hin durch selbst zugehört< (Habermas).« - »Es wurde gesagt, (psychologische) Wissenschaft habe keine Ziele, aus den Erkenntnissen ergeben sich keine Handlungsanweisungen. Solche Suspendierungen der Praxis aus dem Selbst verständnis von Theorie ist Folge eines veränderten Begriffs von Vernunft. Der positivistische Vernunftbegriff ist von allen Momenten, die der Aufklä rung einmal als Wollen anhafteten - Mut zur Mündigkeit, Wille zur Emanzi pation -, gereinigt. Diese Momente haben sich verselbständigt und treten nun unter dem Namen EntScheidung auf.<< - »Da es einen Dispens vom Handeln nicht gibt, andererseits Fragen der Praxis aus der rationalen Erörterung elimi niert sind, ist dem Rückzug in Mythologie die Tür gerade von der als radikal sich verstehenden positivistischen Aufklärung geöffnet. « - »Demgegenüber beansprucht dialektische Theorie, wirkliche Erkenntnis dessen, was ist, zu leisten. Theorie hat sich der Sache anzumessen. Da die Sache, auch die parti ellste, aber nicht neutral, sondern durch die gesellschaftliche Totalität struk turiert ist, kommt Theorie ohne einen realen Begriff von Gesellschaft nicht aus.<< - »Die Kritik, die dialektische Theorie hier meint, ist keine willkürliche und keine ideologische. Ideologisch wäre sie, wenn die hermeneutische Ex plikation von Sinn dem subjektiven Selbstverständnis der Verhältnisse folgen würde. Stattdessen misst sie das subjektive Selbstverständnis am realen Sein . . . Die Kritik trifft eine Wirklichkeit, die hinter ihren Möglichkeiten zurück bleibt, die ihren wahren Begriff noch nicht erreicht hat.<< - »Kritik, wie der Positivismus sie versteht, knüpft dagegen an die vorhegelsche Aufklärung an. Ihre Funktion ist die Verbreitung von Wissen über soziale Tatbestände, der Versuch, Ideologie und falsches Bewusstsein durch Nachweis von Irrtümern aufzulösen. Solche Kritik muss zur Kenntnis nehmen, dass ihr Vertrauen dar auf, dass Wissen schon falsches BewusstSein beseitigen könne, naiv ist. Naiv, weil Tatsachen und B ewusstsein durch den gesellschaftlich-geschichtlichen Zusammenhang vermittelt sind und daher durch partielle Korrektur nicht aufgeklärt werden können.<< - »Aufgabe der Wissenschaftler, wurde gesagt, sei es, ihre besten Fähigkeiten zum Wohle der Gesellschaft einzusetzen. Bon! Es fragt sich nur, nach welchen Kriterien der Wissenschaftler, dem sein Wis senschaftsbegriff die Reflexion auf das Ganze der Gesellschaft verbietet - weil sie ideologisch sei -, das Wohl dieser Gesellschaft einschätzen soll. Ich fürchte, er kann da nur dem Selbstverständnis der Gesellschaft folgen, das heißt aber im krudesten Sinn: seine Wissenschaft in den Dienst von Ideologien stellen. In der Tat haben gerade Soziologie und Psychologie . . . vornehmlich die Funktion der Manipulation von Einzelinteressen und Verhalten, ihrer Unter ordnung unters allgemeine Ziel >den Einzelnen mit der Lebensform auszu söhnen, die ihm von der Gesellschaft aufgezwungen wird< (Marcuse).<< - »Ich
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habe ein Konzept von Wissenschaft skizziert, das sich aus der Tradition der ganzen Aufklärung vom >sapere aude< Kants bis Hege! und Marx versteht; ein Konzept, das die rigorose Trennung von Philosophie und Einzelwissenschaft nicht mitmacht, weil es im restringierten Begriff von Vernunft die Kapitula tion der Vernunft sehen muss. Ich meine, das Problem geht die Wissenschaft auf j eden Fall an. Ob der etablierte Wissenschafts betrieb durch das Alterna tivkonzept zu retten ist, ist eine andere Frage. Die Bemühung darum, ob es auf Psychologie applizierbar sei und >how it works<, ' kann nur Programm auf längere Sicht sein. «
Irmingard Staeuble, die bereits 1 965 unter den Aspekten der »kritischen Theorie« der Frankfurter Schule als Vordiplomarbeit eine theoretische und empirische Untersuchung mit dem Thema: »Faschistoide und kri tisch-autonome Haltung; Versuch über die Rolle des Konzeptes •Ein stellung zur kritischen Vernunft< in der Vorurteilsforschung« durch führte, die 1 968 gekürzt veröffentlicht wurde, hat ihre Kritik an der bürgerlichen Psychologie in einem Vortrag, gehalten auf einem VDS Serninar im Herbst 1 968 in Berlin, zugespitzt artikuliert. »Überblickt man die B ereiche, in denen Psychologen vorwiegend tätig sind, muss man feststellen: (a) Sie arbeiten unmittelbar im Dienst des Imperialis mus (Kriegsforschung, •Psychologische Verteidigung<). (b) Sie arbeiten im D ienst der kapitalistischen Wirtschaft (Marktforschung, Werbung). (c) Sie wirken indirekt an der Stabilisierung der bürgerlichen Ideolo gie (Meinungs- und Kommunikationsforschung). (d) Sie betreiben die effektive Leistungseinordnung des Einzelnen ins System dieser Gesell schaft (alle Arten Auslese; Betriebspsychologie, Berufsberatung). (e) Sie wirken in Richtung sozialer Anpassung (EB; sonstige Beratung). « Unter den »Ansätzen fü r eine kritische Psychologie« wird sodann als »avanciertester<< angeführt die >>Diskussion . . . «, die in den 20er Jahren zwischen Marxisten und Psychoanalytikern geführt wurde (S. 135)*, wobei die Entwicklung einer solchen »kritischen Psychologie« auch hier als Aufgabe für die Zukunft formuliert wird. Mit der Gegenüberstellung der hörmannseben Anschauungen und der antagonistischen Position Irmingard Staeubles ist das Spannungs feld charakterisiert, in dem die Diskussionen und Auseinanderset zungen zwischen Liberalen und Linken am Institut lange Zeit standen.
•·
Anm. der Hg.: Die Stellenangabe bezieht sich nach Auskunft der Autorin auf den VDS-Text, der aber ihres Wissens nicht veröffentlicht worden ist. Zur damaligen Zeit sind viele Texte, die die Diskussion voranzubringen verspra chen, auch ohne Wissen der Autorinnen in einer der vielen Broschüren, die innerhalb kritischer Studentenschaft kursierten, veröffentlicht worden.
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Gesellschaftliche Relevanz und wissenschaftlicher Erkenntnisgehalt 4 »Zerschlagt die Psychologie«
Aktionistisch-theoriefeindliche Auffassungen, in denen die Anstren gung um eine Transformation der bestehenden in eine kritische Psy chologie als nutzlos betrachtet und die >>Zerschlagung der Psychologie<< samt ihrer universitären Einrichtungen gefordert wurde, waren am Ins titut zwar immer wieder einmal zu vernehmen, bestimmten aber niemals die politische Arbeit der Studenten. Weil indessen solche Auffassungen dennoch zum Kontext der Diskussionen am Psychologischen Institut gehörten, und auch aus Gründen der Vollständigkeit der Dokumenta tion, soll diese Zerschlagungsbewegung dennoch kurz charakterisiert werden - zumal ihr Zentrum sich >>vor den Toren<< unseres Instituts, im Psychologischen Institut der Technischen Universität B erlin, befand. Nachdem Psychologiestudenten der Bundesrepublik zum ersten Mal auf der Fachverbandstagung am 23.6.1 968 zur >> Gesellschaftlichen Funktion des Psychologen<< Stellung genommen hatten, kam es auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie im Septem ber 1968 zu einer spektakulären Aktion: Während eines von Graumann geleiteten Symposiums zum Thema >>Psychologie und politisches Ver halten<<, an dem Bayer-Katte, Feger, Irle, Mitscherlich, Thomae und Wildemann teilnahmen, besetzten rund zwanzig Studenten, Angehö rige des Psychologischen Instituts der Technischen Universität Berlin, das Podium. Ein Sprecher erklärte: >>Wir haben jetzt genügend Thesen gehört und haben uns genügend lange frustrieren lassen von diesen Thesen. Wir werden j etzt unsere eigenen Thesen vortragen.<< Danach wurden unter dem Protest von Symposiumsteilnehmern und Zuhörern folgende 27 >>Thesen zur Psychologie« verlesen: » 1 . Psychologie gehört zum Corpus derer, die über die schlechten Verhält nisse räsonnieren, sie nicht abschaffen. Psychologie entwickelt sich zum Machtinstrument über Hilflose und Kinder. 2. Im Interesse der gesellschaft lichen Machthaber ist es der Psychologie gestattet, sich auf die Verhältnisse zu fixieren, nicht ihr Verhalten zu diesen zu reflektieren. 3. Veränderung der Psychologie impliziert eine Analyse ihrer Funktion, nicht nur die einer bestehenden, sondern auch derer, die sie innehaben müsste. Ihre Funktion ist und ist nur gesellschaftlich. 4. Diese neue Sollfunktion ist keine spezielle der Psychologie; jede Wissenschaft partizipiert ihrem Gegenstand gemäß an dieser Funktion. 5. Jede der heutigen Wissenschaften perpetuiert irrationale Herrschaftsformen. Die Abschaffung von Herrschaft muss ab sofort Thema der Psychologie sein. Zur Herstellung von optimalen Bedingungen dazu gehört als erstes die Verlängerung des Psychologiesrudiums. 6. Die Verlän gerung des Studiums kommt der Beschäftigung mit Theorie zugute. Psy chologische Theorien werden daraufhin überprüft, ob sie nicht. nur ratten tauglich, sondern gesellschaftlich relevant sind. 7. Damit wird erstmals ein Kriterium für die Auswahl der Forschungsobjekte hergestellt. Bis jetzt tritt
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jeder Forscher hinter seinen Vordermann. Ein rationales Kriterium erübrigt sich für ihn. Die Irrationalität tritt in Widmungen wie »Meinem verehrten Lehrer« zutage. Wen wundert's, dass Ami-Psychologie und phänomenolo gistisch-introspektionistische den Wall von Widmungen überleben. 8. Denn sie dienen dazu, Theorien bzw. aus ihnen abgezogene Hypothesen lediglich auf statistische Signifikanz zu überprüfen. Die Möglichkeit, Theorien ana chronistisch beizubehalten, verschanzt sich hinter dem Werrfreiheitsschild. In ihren relevanten Teilen werden Theorien in Relation zum gesellschaftlich technischen Fortschritt allzu langsam ventiliert. 9. So ist die ältere Einteilung der deutschen Psychologie in Denken, Wollen, Fühlen hilflos. 1 0 . Denn dies sind nicht ihre Gegenstände - oder Erleben oder Verhalten, wie es moderner heißt -, sondern ihr Gegenstand ist die Manipulation des Menschen durch den Menschen, ihr Gegenstand ist die Perperuierung von Ideologie. 1 1 . Nach Marx lässt Ideologie das Bewusstsein, ausgebeutet zu werden, entfremdet zu arbeiten, nicht aufkommen. 12. Heutige Hauptfunktion von Ideologie ist es, rigides Verhalten als modern auszuschreien. 1 3 . Es wurde nachgewiesen, dass maximal zeitgemäßes Verhalten bei ca. 25-Jährigen vorliegt. Sogar deren op timales Gegenwartsverständnis ist um 10 Jahre verzögert. 1 4. Menschen wer den deshalb so sehr in ihrem Verhalten von der Vergangenheit geleitet, weil sie anders ihr Identitätsbewusstsein nicht aufrecht zu erhalten gelernt haben. Es nicht gelernt zu haben, ist keinem Individuum anzulasten, sondern den re alen Verhältnissen, aus denen es stammt. 1 5. Lerntheorie ignoriert ex defini tione den gesellschaftlichen Möglichkeitsbereich, etwas zu lernen. Sie trium phiert vorschnell, wenn einige sinnlose Silben wiederholt werden können. 1 6. Versteinerte Verhältnisse bedingen Identitätsformen, die falsches Bewusstsein immer wieder decken. Zum Nutzen der Herrschenden und ihrer Bürokratie, die das partiell erfasste Ich zu einem Verhalten zwingen, als sei es ganz erfasst. 1 7. Der Bürokratie arbeitet elterliche Abriehrung in die Hand, später psycho logische. Das so teuer erworbene Über-Ich ist dann auf keinem Markt mehr loszuwerden. 1 8 . Und der Beitrag zum Fortschritt, den Psychologen leisten, ist die ablehnende Verspottung der Psychoanalyse, nicht der in ihren Model len beschriebenen Mechanismen. Denn mit diesen lässt sich ja gut arbeiten. 1 9 . Das neueste der Wissenschaftstheorie ist die Herstellung eines Kastens, in der die Psychoanalyse neben Rutengängerei und Astrologie versteckt wird. Dort klappert sie seitdem. 20. Mit Erreichen eines Ordinarienpostens scheint auch die Verbindung zur Kastenindustrie hergestellt. 2 1 . Jede Aktion, die eher zur Abschaffung der Psychologie führt als zu ihrer Restauration, ist his torisch wahr. 22. Kriterium für historische Wahrheit wäre das Ausbleiben des Bedarfs der Gesellschaft, Psychologen verfügbar zu haben, wenn diese sich einige Zeit der Gesellschaft verweigert hätten. 23. Das System hätte sich auch ohne sie perfektioniert. 24. Statt der nutzlosen Verweigerung bleibt nur der aktive Widerstand in der Praxis. 25. Diagnostiker aller Länder, vereinigt euch! 26. Diese Vereinigung dient der Herstellung einer antiautoritären Solidari tät, die der Loyalität auf Kongressen entgegenzusetzen ist. 27. >>Die Herren, während der längsten Zeit ihres Lebens stille, scheue und kurzsichtige Mäuse, traten da alle paar Jahre einmal ganz aus sich heraus. Sie begrüßten einander, steckten die unpassendsten Köpfe zusammen, ruschelten, ohne etwas zu sa gen, und stießen bei den Banketten linkisch an . . . fort und fort gelobten sie in all en Sprachen dasselbe. Auch ohne (auf) sie einzugehen, hätten sie ihre Gelübde gehalten (Canetti, Die Blendung). « (vgl. Graumann 1 969, S. 1 1 6f.)
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Während der Verlesung und auch bei der Diskussion der vorgetragenen Thesen, die schließlich für den Nachmittag des Kongresstages angesetzt wurde, kam es zu tumultuarischen Szenen. In dieser Diskussion ging es im Wesentlichen um die Frage des politischen Missbrauchs der Wissenschaft: Psychologische Forschung soll für die Gesellschaft wichtig sein, aber: wer entscheidet darüber, was wichtig ist? Ist eine Einschränkung der For schungsfreiheit durch gesellschaftliche Kontrolle vertretbar, und wie derum: Wer kontrolliert? Ist der Wissenschaftler für einen Missbrauch seiner Forschungsergebnisse verantwortlich, und wie kann er, da er doch ohne gesellschaftliche Macht ist, einen solchen Missbrauch verhindern? (vgl. Graumann 1 969). - Noch war der gedankliche Ansatz nicht gefun den, von dem aus man solche Fragen sinnvoll hätte behandeln können. Die Tübinger »Thesen zur Psychologie« fanden - vermutlich be sonders in ihren antiautoritär-anarchistischen Passagen - Resonanz bei vielen linken Psychologiestudenten in der Bundesrepublik. Derartige Tendenzen kamen auf dem von Studenten abgehaltenen » Kongress kritischer und oppositioneller Psychologie« im Mai 1 969 in Hannover am prägnantesten zum Ausdruck - und überschritten damit zugleich ihren Höhepunkt. Von der Mehrheit der Kongressteilnehmer wurde am 1 6.5. 1 969 folgende, wiederum von Studenten der Technischen Uni versität B erlin vorbereitete und vertretene Resolution angenommen: >>Der Kongress >Kritische und Oppositionelle Psychologie< hat in den ersten zwei Tagen nur eines geleistet: den Beweis seiner eigenen Funktionslosigkeit. Eine Mehrheit wollte sich lediglich mit >kritischer Theorie< aufmöbeln und in >kollektiver< psychoanalytischer Selbstbefriedigung das Bewusstsein der ei genen Isolation verdrängen. Dagegen hofften die angereisten >Genossen<, zur Lösung ihrer eigenen Perspektiv- und Konzeptionslosigkeit in ihrer konkreten Praxis hier wenigstens Ansätze zu finden für eine Strategie der Umfunktionie rung der Psychologie als Instrument für den Klassenkampf. Es spricht für den Irrationalismus beider Positionen, dass vom ersten Tage an, unbeleckt von jeder Reflexion der eigenen Praxis, die >Ürganisationsfrage< gestellt wurde. Trotz an geblicher Ungleichzeitigkeit lassen sich alle vorhandenen praktischen Ansätze an den verschiedenen Instituten in drei generelle Tendenzen zusammenfassen:
1 . Kritische Aufklärung
2. Kleinbürgerlicher Terror
3 . Reformerische Handwerkelei ad 1) Kritische Aufklärung: Den alten Hut, dass zu jeder politischen Praxis die >kritische Aufklärung< gehört, mag wiederholen wer will. Aufklärungsarbeit jedoch, die nicht schon Bestandteil einer konkreten Strategie ist, wird zum Alibi (Zitat: >Wir sind noch nicht so weit<) eines real unpolitischen Liberalismus. Diese Form der kritischen Aufklärung wirkt sogar systemstabilisierend: Gewiss kann sie die Einsicht in Bedürfnisstrukturen vertiefen; aber diese Einsicht gibt dem System die Chance, durch neue Formen repressiver Entsublimierung die Manipula-
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tion zu verfeinern. Ferner führt die Beschränkung auf >kritische Aufklärung< zur Reintegration eines bereits vorhandenen kritischen Potentials. Denn, po litische Praxis heißt: Initüerung konkreter Ansätze langfristiger Widerstands praxis im Kampf gegen das bestehende System. Politische Praxis ist nur das, was vom bestehenden kapitalistischen System nicht integriert werden kann, also nur das, was das System bekämpft. ad 2) Kleinbürgerlicher Terror: Die Gruppen, die es tatsächlich schaffen, über ihre liberalen Aufklärungs kampagnen hinauszukommen, ergehen sich orgiastisch in kleinbürgerlichen Terroraktionen gegen ihre professoralen Vaterfiguren. Diese Art von Praxis ist isolierbar: Solange sie nicht in langfristige Strategie eingeordnet wird, hat sie die Funktion eines Ventils zum Abreagieren von Frustrationen, die sich ergeben einerseits aus dem Scheißstudium und andererseits aus dem Fehlen einer politisch befriedigenden, alternativen Praxis. Der (berechtigte) Lustge winn wird zum Selbstzweck, die terroristischen Aktionen werden zum po litischen Alibi, die Selbstbefreiung wird zur ideologischen Phrase, nicht zur kollektiv erfahrbaren Praxis. ad 3) Reformerische Handwerkelei: Die langfristig geplanten Projekte wie z. B. psychotherapeutische Beratungs stelle, Kinderladen etc. sind entstanden als Form der Selbsthilfe und haben in dieser Funktion ihren Sinn. Die Ansätze zur Befriedigung privatistisch-poli tischer Interessen wurden jedoch mangels realer Alternativen zur politischen Strategie hochfetischisiert; mit Konsequenzen bis zur rein psychoanalytischen >Revolutionierung< Strafgefangener, zur >Erziehung der Kinder zu Genossen< und dahin, dass kein linker Kongress mehr ohne narzisstisch pervertierte Apo Kinder möglich ist. Begriffe wie >Solidarität< und >Emanzipation< sollen dieses Ausweichen auf einen Praxisersatz rationalisieren. Die marxistisch belesenen Fachidioten kommen über den folgerichtigen Wunsch einer korruptionsfreien Berufspraxis, die sie als >revolutionär< ausgeben, nicht hinaus. Fazit: Alle psychologischen Ansätze erweisen sich als unpolitisches Gewurstel. Wo Psychologen politische Praxis betreiben (z. B. in Betriebsbasisgruppen, in der Schüler- und Lehrlingsagitation), agitierten sie nicht als Psychologen: Denn die Psychologie ist traditionell und perspektivisch eine Wissenschaft, die systembedingte Konflikte zu eliminieren oder zu integrieren versucht (das gilt auch für die Psychologie der DDR). Die Psychologie war und ist immer ein Instrument der Herrschenden. Sie ist folglich nur als Wissen über das Herrschaftssystem brauchbar. Die konkrete Alternative zum Traum von der Umfunktionierung der Psychologie zum Instrument des Klassenkampfes ist ihre Zerschlagung. Unsere praktischen Ansätze müssen nun sein: 1. Das vorhandene psychologische Wissen als Wissen über das System in den Kampf gegen das System einführen! (z. B. Analysierung und Vervielfälti gung von Intelligenztests und deren Aufhebung als Machtinstrument). 2 . Die Zersetzung der Psychologie (z. B . in den Instituten). 3. Entwicklung einer Offensivstrategie an allen Punkten, wo die Psycholo gie im Verwertungsprozess relevant wird! Es gibt keine >kritische< und >oppositionelle< Psychologie! D.h. es gibt keine revolutionäre Psychologie! ZERSCHLAGT DIE PSYCHOLOGIE ! <<
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Einen Tag später wurde von einer Minderheitengruppe, zu der auch Studenten des Psychologischen Instituts der Freien Universität ge hörten, eine » Gegenresolution<< verabschiedet: >>Dieses Paper ist das Ergebnis einer Arbeitsgruppe, die sich gegen bestimmte Behauptungen der gestern/tags zuvor verabschiedeten Resolution richtet:
Behauptung der Funktionslosigkeit des Kongresses Einer Mehrheit der Kongressteilnehmer wird vorgeworfen, sich nur mit kri tischer Theorie aufzumöbeln und kollektive Selbstbefriedigung zu treiben. Diejenigen Teilnehmer des Kongresses, die versuchen wollten, eine kritische Psychologie aufzubauen, sind jedoch grundsätzlich mit der gleichen poli tischen Intention nach Hannover gekommen wie etwa die Berliner Genossen (von der Technischen Universität), nämlich einen politischen Kongress zu machen, der die Rolle der Psychologie innerhalb einer revolutionären Um wandlung der Gesellschaft wenigstens ansatzweise festzustellen versucht. Ein solcher Ansatz konnte aber nicht durchdringen; es ist symptomatisch, dass die Gruppe, die dem Kongress Funktionslosigkeit vorwirft, in den ersten bei den Tagen des Kongresses diese Funktionslosigkeit provoziert hat und sich selbst aus der Analyse jetzt ausklammert. 1.
Nicht-Integrierbarkeit der Psychologie Zu der Behauptung, politische Praxis sei nur das, was vom bestehenden kapi talistischen System nicht integriert werden kann, fehlen die Imegrationskri terien. Damit reduziert sich die mögliche politische Praxis nahezu auf Null, weil erst nachgewiesen werden müsste, ob es überhaupt etwas gibt, was theo retisch nicht vom Kapitalismus integrierbar wäre. Besonders missverständ lich muss diese Behauptung sein im Zusammenhang mit der in der Resolu� tion erhobenen Forderung nach einer langfristigen Strategie. 2.
Existenzberechtigung der kritischen Psychologie Zitat: >Die Psychologie war und ist immer ein Instrument der Herrschenden. Sie ist folglich nur als Wissen über das Herrschaftssystem brauchbar. Die konkrete Alternative zum Traum von der Umfunktionierung der Psycholo gie zum Instrument des Klassenkampfes ist ihre Zerschlagung.< Damit wird behauptet, dass kritische Psychologie nicht möglich sei. Das ist genauso unbeweisbar wie unsere Überzeugung, dass eine kritische Psy chologie in Zukunft möglich und notwendig ist, gerade für die revolutionäre Umwandlung der Gesellschaft, die neben dem ökonomisch-objektiven Ge sichtspunkt den psychologisch-subjektiven nicht außer Acht lassen darf. Die Zerschlagung der Psychologie als konkrete Alternative hinzustellen, ist eine revolutionäre Phrase par excellence. Wir sind nicht der Ansicht, dass es mit der herrschenden Psychologie möglich ist - eben weil sie eine Psychologie der Herrschenden ist -, eine Analyse des gegenwärtigen gesellschaftlichen Zustandes zu erstellen. Dazu müssen Fragen gestellt werden, die die bürgerliche Psychologie nicht gestellt hat. Diese Fragen resultieren direkt aus der Notwendigkeit einer revolutio nären Veränderung der Gesellschaft. Erst Antworten auf diese Fragen ma chen eine adäquate Analyse des gegenwärtigen Systems möglich, ohne dabei 3.
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in den Fehler der bürgerlichen Psychologie zu verfallen, eine Änderung der Zustände mit psychologischen Mitteln herbeiführen zu wollen. Wir sind der Ansicht, dass der kritischen Psychologie (= Psychologie im Bereich der kritischen Theorie) im Rahmen einer revolutionären Strategie nicht allein Instrumental-, sondern auch Erkenntnischarakter zukommt; und zwar in der Vorstellung einer konkreten Utopie von befreitem Dasein und in der Aufhellung der psychologischen Vermittlungspr�zesse zum Beispiel von Herrschaft. Selbst die bürgerliche Psychologie erschöpft sich nicht - wie be hauptet wurde - in der Beschreibung. Sie versucht eine Bedingungsanalyse, die ihre Grenzen allerdings an der bürgerlichen Ideologie findet (Beispiel: Sexualität) und unter der Behauptung ihrer Wertneutralität blind Herrschaft stützt. Der gängige Wissenschaftsbetrieb lässt sich wie folgt kennzeichnen: 1 . als Beschreibung vermittelter Kategorien, die als unvermittelt begriffen werden (nativistische Auffassung der Aggression). Diese Form von Beschrei bung bedeutet die Verdoppelung des Faktischen im Sinn e der Hypostasie rung und Ontologisierung des Status quo. 2. Als Bedingungsanalyse beschränkt sie sich - unter Disqualifikation sys temfremder (d. h. hier: nicht psychologischer) Kategorien - auf die partikulare Analyse psychologischer Zus amm enhänge und fügt sich damit der Entpoliti sierung im arbeitsteiligen Prozess ein. (>Wlf haben ja nicht den Überblick.<) 3. Als Prognose im technischen Verwertungszusammenhang. Die durch die Bedingungsanalyse ermöglichte Prognose zielt in der bürgerlichen Psy chologie auf die Verfügung über Menschen; d. h. die Selbstbestimmung von Menschen wird suspendiert zugunsten der Fremdbestimmung. 4. Abstinenz von Werturteilen. Im Verzicht auf die Wertung der eigenen Befunde (rationalisiert als behauptete Wertneutralität) und in der Ignoranz ge genüber gesellschaftlicher W1rk!ichkeit (Elfenbeinturm) akkumuliert die Psy chologie Belanglosigkeiten und verdrängt das, was sie dem Menschen antut. Aufgrund dieser Analyse des gängigen Wissenschaftsbegriffs soll eine Be stimmung kritischer Psychologie versucht werden: Wir sehen in kritischer Psychologie nicht einen bloßen Reflex auf die herr schende, am logischen Empirismus ausgerichtete Psychologie, sondern einen Teil der Sozialwissenschaften, der seine Rechtfertigung aus dem emanzipato rischen Anspruch der kritischen Theorie erhält und der schlechten Wirklich keit die Möglichkeit eines befreiten Daseins entgegenhält und dieses vorbe reitet. Die Brauchbarkeit dieser der Praxis vorgeordneten Analyse soll an einem Beispiel gezeigt werden: Die unreflektierte Anwendung geeignet erscheinender psychologischer Techniken (Verhaltenstherapie bei den Berliner Genossen) für die Erhaltung der Funktionsfähigkeit von Genossen impliziert die Übernahme ihrer inhu manen Grundlagen: die Genossen werden zu behandelbaren Objekten degra diert, indem - ohne die Eigenreflexion in Gang zu setzen - partielle Ausfälle kompensiert werden sollen. Durch eine solche (Therapie-)Praxis wird die in dividuelle Emanzipation unmöglich gemacht. Die Ausschlachtungstheorie übernimmt - im Verzicht auf Analyse - mit den Innereien der Psychologie ihr Gekröse.«
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Gesellschaftliche Relevanz und wissenschaftlicher Erkenntnisgehalt
Manche der Initiatoren der Tübinger Aktion und der »Zerschlagungs<< Resolution in Hannover sind heute Mitglieder des Psychologischen Instituts der Freien Universität und arbeiten an sorgfältigen Einzelana lysen zur Entwicklung einer kritischen Psychologie.
5 Kritik des Textes »Der Rückzug der modernen Wissenschaftslehre« (entstanden Sommer 1968) Mein erster Kontakt mit den kritischen Studenten bestand in 1 964 und 1 965 geführten harten Kontroversen mit lrmingard Staeuble bei der Betreuung ihrer schon erwähnten Vordiplomarbeit. Ich argumen tierte zunächst aus der Position der vermeintlichen Ü berlegenheit des positivistischen Wissenschaftsbegriffs heraus, bis ich allmählich merkte, dass es da Einiges für mich zu verstehen gab, das mir bisher unzugänglich gewesen war - wenn ich auch noch nicht genau wusste, was. Im Wintersemester 1 967/68 und Sommersemester 1 968 nahm ich an einem von Irmingard Staeuble veranstalteten Colloquium über Faschismustheorien teil, in dem - erstmals in autonomen Arbeits gruppen - nicht nur die Inhalte der wichtigsten Faschismustheo rien, sondern auch Denkmittel zu ihrer kritischen B eurteilung, die Konzeptionen der Frankfurter Schule, besonders Habermas-Texte, Schriften zum Problem des Ideologiebegriffs, darunter die »Deut sche Ideologie« von Marx-Engels, u. a. erarbeitet wurden. Ich befand mich dabei ausschließlich in der Position des Lernenden. Allmählich sah ich immer deutlicher, zu welcher Verdummung die ausdrücklich oder implizit antikommunistische Erziehung in Schule und Universi tät, verbunden mit den atmosphärischen Einflüssen der »Frontstadt« Berlin, bei mir geführt hatte, wobei ich die Möglichkeit eines neuen Gesellschafts- und Wissenschaftsverständnisses vorerst nur in seinen Umrissen erahnen konnte. Ab Sommersemester 1 968 veranstaltete ich zusammen mit lrmingard Staeuble, Hans-Peter Dencker, Burk hardt Folwaczny und anderen gesellschaftstheoretisch kompetenten und politisch bewussten Studierenden ein Colloquium über » Gesell schaftstheoretische Grundfragen der Psychologie«. Ich sah meine Aufgabe darin, zu versuchen, meine bisherige Kritik an der beste henden Experimentalpsychologie, von deren immanenter Begrün detheit ich nach wie vor überzeugt war, mit den Gesichtspunkten der >>kritischen Theorie<< in Zusammenhang zu bringen und meine psychologiegeschichtlichen Kenntnisse zur Konkretisierung der stu dentischen Kritik an der bürgerlichen Psychologie zur Verfügung zu stellen. Mein erster schriftlich fixierter Beitrag stand in einem Paper mit dem Titel »Das Konzept einer kritischen Wissenschaft« zur Dis-
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kussion im Colloquium Sommersemester 1 968. Der weitaus größte Teil dieses Papers ist später ( 1 970) unter der Überschrift >>Der Rück zug der modernen Wissenschaftslehre« als erster Hauptteil in den Artikel »Wissenschaftstheoretische Voraussetzungen kritisch-eman zipatorischer Psychologie« aufgenommen worden (in diesem Buch s. 8 8 - 1 06). Hier wurde, in Absetzung von meinen früh eren »konstruktivis tischen« Arbeiten, der Konstruktivismus nicht als »positive<< wis senschaftstheoretische Konzeption, sondern als Mittel zur Analyse des Selbstverständnisses der bürgerlichen Psychologie betrachtet. In dem versuchten Aufweis, dass in der immer klareren und radikaleren Deutung empirischer Forschung von »naivem Empirismus<< über »logischen Empirismus« und »Falsifikationstheorie« zum »Kons truktivismus« auch immer deutlicher werde, dass Wissenschaft we der Erkenntnis noch Wahrheit, noch auch Falschheit ihrer Aussa gen beanspruchen dürfe, war hier ein ausgeprägt agnostizistischer Standort bezogen: Als wissenschaftstheoretisch ausweisbar wurde lediglich das im Konstruktivismus hergeleitete »Streben nach syste mimmanenter und systemtranszendenter Eindeutigkeit« angesehen. Das Konzept der Eindeutigkeit wurde sodann in seinem begrifflichen Gehalt zur Basis für die Herleitung der Forderung nach Reflexion der Forschungsinteressen und -inhalte genommen. Im letzten Teil des Papers von 1 968, der nicht im Aufsatz >>Wissenschaftstheoretische Voraussetzungen . . . « erscheint, sondern dort durch einen anderen zweiten Teil (»Die kritisch-emanzipatorische Wendung . . . «, S. 1 06ff. dieses Buches) ersetzt ist, stellt sich dieser Begründungszusammen hang so dar: »>Eindeutigkeit< ist für sich genommen ein gänzlich leeres Konzept. Im Ein deutigkeitsbegriff ist analytisch mitgesetzt, dass immer nur Eindeutigkeit von etwas Bestimmtem angestrebt werden kann. Ich kann das Streben nach Eindeutigkeit prinzipiell nicht verwirklichen, wenn ich vorher nicht weiß, was ich eigentlich eindeutig machen will. Die Angabe der Inhalte, die dem wissenschaftlichen Eindeutigkeitsstreben unterworfen werden sollen, bzw. der inhaltlichen Interessen, die in die auf Eindeutigkeit gerichtete wissenschaft liche Aktivität eingehen, sind also dem methodologischen Eindeutigkeitsstre ben zwingend logisch vorgeordnet. Das bedeutet, dass die von kritischen Po sitionen aus erhobene Forderung nach Reflexion der Forschungsinhalte und Forschungsinteressen nicht als etwas >Fremdes< von außen an die Wissenschaft herangetragen wird, sondern dass die vorgängige Entschiedenheit über For schungsinhalte und Forschungsinteressen logisch zwingend aus der Eigenart des auf Eindeutigkeit gerichteten methodischen Vorgehens abzuleiten ist. «. Auf Grund dieser Herleitung kam ich dann zu folgender Aufstellung der Forderungen an eine kritische Wissenschaftslehre:
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» 1 . Kritische Wissenschaftslehre hat die impliziten Wertungen und Ideolo geme, die dem Akzeptieren bestimmter methodologischer Prinzipien der Wissenschaft, etwa des Eindeutigkeitsprinzips, zugrundeliegen, explizit zu machen und rationaler Diskussion zu überantworten. Dabei wird - im Zuge der immer weitergehenden Bedingungsreduktion - eine Einbeziehung histo rischer, soziologischer und politologischer Gesichtspunkte unabweisbar sein. 2 Kritische Wissenschaftslehre hat die >Funktion< der methodelogischen Prinzipien im übergreifenden Lebenszusammenhang, den >Wert< der Ein haltung dieser Prinzipien unter Rückgriff auf die jeweilige historisch-gesell schaftliche Konstellation zu reflektieren. 3. Kritische Wissenschaftslehre hat die Faktizität, die Begründungszusammenhänge und die Strategien bisheriger Entscheidungen über Forschungsinhalte und Forschungsinteressen in his torisch-soziologischer Analyse aufzuklären, wobei von der Voraussetzung auszugehen ist, dass solche Entscheidungen, wenn auch bisher weitgehend außerhalb der wissenschaftlichen Diskussion selbst, notwendigerweise stets Stangefunden haben müssen, wo immer wissenschaftliche Methodologie in Gang gekommen ist. 4. Kritische Wissenschaftslehre hat die Denkminel bereitzustellen, mit denen die faktischen historisch-gesellschaftlichen Be dingtheiten der bisher - in verkürzter Sicht weitgehend als >Privatsache< des Forschers betrachteten - Entscheidungen über Forschungsinhalte und -in teressen rational aufgeklärt werden können. 5. Kritische Wissenschaftslehre hat Denkmittel bereitzustellen, mit denen der Zusammenhang zwischen Ent scheidungen über Wissenschaftsinhalte und -interessen und der möglichen gesellschaftlichen Funktion der gewonnenen wissenschaftlichen Resultate sichtbar gemacht wird, wobei die illusionäre Einschränkung der wissen schaftstheoretischen Sichtweise auf genuine Erkenntnisinteressen und die Selbstzwecklichkeit der Wissenschaft zu hinterfragen ist. 6. Kritische Wis senschaftslehre hat den Zusammenhang zwischen den primären Wertungen bei der Entscheidung über Forschungsinhalte und -interessen und den se kundären Wenungen bei der Entscheidung über bestimmte eindeutigkeits gerichtete methodelogische Vergehensweisen aufzudecken und von da aus den Stellenwert der Norm der wissenschaftlichen Exaktheit und Methoden strenge neu zu durchdenken.« Ich halte die Auffassung nach wie vor für korrekt, dass in der kons truktivistischen Wissenschaftsdeutung die Aspirationen des »logischen Empirismus« bzw. der »Falsifikationstheorie«, auf irgendeine Weise den »Wahrheits«- oder »Falschheits«-Anspruch von empirisch-wis senschaftlichen Aussagen wissenschaftslogisch begründen zu können, zutreffend abgewiesen sind. Auch die sechs Forderungen an eine kri tische Wissenschaftslehre wird man sicherlich größerenteils unter schreiben können. Dennoch ist die im Paper von 1 968 angebotene Ge samtkonzeption nicht haltbar. Der konstruktivistische Ansatz und die »kritisch-theoretische« Programmatik stehen hier gänzlich unverbun den nebeneinander. Aus der Darlegung des »Rückzugs der modernen Wissenschaftslehre« folgt nichts für den Charakter der Forderungen an eine kritische Wissenschaftslehre: Es handelt sich hier lediglich um
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eine bestimmte Variante von Vorstellungen, wie sie damals unter dem Einfluss der Frankfurter Schule generell von kritischen Studenten ver treten wurden. Die Argumentation, dass Eindeutigkeit immer »Ein deutigkeit von etwas« sei, das dem methodologischen Eindeutigkeits streben logisch vorzuordnen ist, berechtigt nur zu der Konsequenz, dass das Eindeutigkeitsprinzip zur Charaktex:isierung wissenschaft lichen Handeins nicht ausreicht, macht aber keineswegs zwingend, dass gerade über Forschungsinhalte und Forschungsinteressen reflek tiert werden soll, viel weniger, warum die erhobenen Forderungen ge rade diesen und keinen anderen Inhalt haben. Die »Fremdheit« und » Äußerlichkeit«, mit denen sich hier das Eindeutigkeitsprinzip und die kritisch-theoretischen Postulate gegenüberstehen, wird durch all sol che Herleitungsversuche keineswegs aufgehoben. Der tiefere Grund für die Unangemessenheit der Gedankenent wicklung besteht in der agnostizistischen Wissenschaftsauffassung: Wissenschaft als Wissenschaft ist aus der Analyse ausgespart. Was soll denn eine »Wissenschaft«, die keine Erkenntnis, kein »Wissen« er bringen kann, und wozu soll »Eindeutigkeit« als solche eigentlich gut sein? Die - richtige - konstruktivistische Kritik an den Wahrheits- und Falschheitsvorstellungen von logischem Empirismus und Falsifikations theorie schien keinen anderen Ausweg zu lassen, als den Erkenntnisan spruch von Wissenschaft generell als illusionär zu entlarven. Es wurde nicht gesehen, dass allen drei Konzeptionen, dem »logischen Empiris mus«, der »Falsifikationstheorie« und dem »Konstruktivismus« ein verengtes Verständnis von Wissenschaftstheorie gemeinsam ist, indem sie Wissenschaftslogik als Methodologie der empirischen Forschung mit Wissenschaftstheorie gleichsetzen, zu einer umfassenderen er kenntnistheoretischen Analyse der Wissenschaft nicht gelangen. Die
Kritik an der positivistischen Wissenschaftsauffassung, die im Paper von 1 968 geleistet werden sollte, stand also selbst auf dem Boden der positivistischen Reduktion von Erkenntnistheorie auf Methodologie. Wenn man, wie dies damals in der Wissenschaftskritik der unter dem Einfluss der »Frankfurter Schule« stehenden universitären Linken ver breitet war, empirische Sozialwissenschaft auf agnostizistisch-instru mentalistische Weise als ihrem Wesen nach durch die Verfügung über Zweck-Mittel-Relationen gekennzeichnet versteht, so muss die Frage nach den Forschungsinteressen notwendig als der Wissenschaft äu ßerlich erscheinen. - Dem liberalen Argument, Wissenschaft für sich sei, weil nach Erkenntnis strebend, neutral, und die Klärung der Frage nach den Forschungsinteressen und ihrer Vertretbarkeit sei Sache des Wissenschaftlers, nicht aber der Wissenschaft, ist so nichts Begründetes entgegenzusetzen (was am Schluss dieser Abhandlung klargeworden sein soll).
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6 Kritik des Textes »Zum Problem der Relevanz psychologischer Forschung für die Praxis« (entstanden Herbst 1 968) Mein zweiter Beitrag zur kritischen Neuorientierung der Psychologie nach dem »Wissenschaftstheorie-Paper« ist der Artikel >>Zum Problem der Relevanz psychologischer Forschung für die Praxis« (S. 1 5 -40 dieses Buches). Es handelt sich dabei um das Manuskript eines Vor trages, den ich am 1 1 . 1 0. 1 968 auf einer Tagung der Landesgruppe Ber lin des >>Berufsverbandes Deutscher Psychologen« gehalten habe. Das Manuskript, in dem Anregungen aus den Diskussionen am Institut im Sommersemester 1 968 verarbeitet sind, wurde, nachdem es zunächst für den Vortrag gekürzt werden musste, in der ursprünglichen Form im Oktober vervielfältigt, weil es im Wintersemester mit den Stu denten diskutiert werden sollte. Der Text kursierte bald als >>Relevanz Paper« unter den Psychologiestudenten in der Bundesrepublik und kam - lange vor seiner Publikation im Jahre 1 970 - zu beträchtlicher Popularität, die bis heute in gewisser Weise angehalten hat. Er scheint mithin exemplarisch für eine bestimmte Art von B ewusstseinsverfas sung, die sich als gesellschaftskritisch versteht, und muss deshalb sorg fältig kritisiert werden. Der Artikel ist seinem gedanklichen Ansatz nach ein neuerlicher Versuch, die >>kritische« Wendung der Psychologie aus Gesichtspunk ten des Konstruktivismus zu legitimieren - wobei der Aspekt aus dem >>Wissenschaftstheorie-Paper«, den Konstruktivismus als Deutung des psychologischen Forschungsprozesses zu interpretieren, wieder fal lengelassen ist und vom konstruktivistischen Kriterienkanon als »po sitivem« wissenschaftstheoretischen Programm ausgegangen wird. Die drei Kriterien »Bestätigungsgrad empirischer Hypothesen<<, »Integra tionsgrad der übergeordneten Theorien<< und >>Grad der inneren Re levanz (>Repräsentanz<) << sind, in etwas abgewandelter Definition, die Kriterien zur Beurteilung des >>wissenschaftlichen Wertes<< von Theo rien aus »Wissenschaft als Handlung<< (1 968 [2006a)) und >>Theorie und Experiment<< ( 1 964 [2005)). Dem wird ein weiteres Kriterium hin zugefügt, der Grad der »äußeren Relevanz<<. Mit »>äußerer Relevanz< ist die B edeutsamkeit, die Wichtigkeit der theoretischen Ansätze selbst gemeint<< (S. 1 8). Nun füllt das Kriterium der >>äußeren Relevanz<< tatsächlich eine Lücke im bisherigen Kriterienkanon. Wenn etwa im Kriterium der »Repräsentanz<<, jetzt >>inneren Relevanz<<, nach der Auss � gekraft der j eweiligen empirischen Befunde für die übergeordneten Theorien ge fragt wird, so müsste sich die Frage nach der »Aussagekraft<< der Theo-
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rien selber eigentlich mit einiger Stringenz von selbst ergeben. Ich habe mich damals sehr gewundert, warum ich nicht schon eher darauf gekommen war. Auch die angegebene Hierarchie der Kriterien selber ist im Kriteriensystem konsequent: Was nützt die Aussagekraft empi rischer Befunde für übergeordnete Theorien, wenn die Theorien selbst keine Relevanz besitzen? Schon die Diskussion des Relevanzproblems mag angesichts des modalen wissenschaftstheoretischen Bewusstseinsstandes der Psy chologen eine Art Verdienst gewesen sein. Allein: Die Art und Weise,
wie das Relevanzproblem gestellt worden ist, nimmt dem Relevanz kriterium von vomherein jede gesellschaftskritische Funktion. Mit dem Kriterium der »äußeren Relevanz« ist das System der konstruktivisti schen Kriterien lediglich ergänzt, keineswegs aber als Ganzes in Frage gestellt. Das Problem der Bedeutsamkeit, Wichtigkeit theoretischer Ansätze bleibt dem Wissenschaftsprozess als Ganzem äußerlich. Der Relevanz-Artikel verlässt nirgends wirklich den Boden des positivisti
schen Wissenschaftsverständnisses. Charakteristisch ist in diesem Zusammenhang die Auseinander reißung der Kriterien nach »formal« und »inhaltlich«: >>Während die Kriterien 1 bis 3 im Prinzip mit den Mitteln der formalen Wis senschaftslogik expliziert und präzisiert werden können, ist die äu ßere Relevanz nur nach inhaltlichen Gesichtspunkten, mit Bezug auf Forschungsinteressen, zu bestimmen<< (S. 1 8). Es ist unangemessen, die Wissenschaft einmal unter ahistorisch formalen Gesichtspunkten zu betrachten und sie dann noch zusätzlich nach den historisch be dingten, interessenverhafteten >>Forschungsinhalten« zu befragen. Im Denken explizierte Formen sind stets »inhaltliche Formen<<, >>Inhalte<< sind stets >>formierte Inhalte<< als Momente eines einzigen gesellschaft lich-historischen Lebenszusammenhanges (vgl. dazu Zeleny 1 968, S. 1 54ff.). Der Grad des Erkenntnisgehaltes sozialwissenschaftlicher Forschung bemisst sich- nach der Methodik wissenschaftlichen Vorge hens. Hat man den methodischen Gang der Wissenschaft erst einmal in Gedanken von allen Inhalten entleert, dann ist es scheinbar zwin gend, dass der Erkenntniswert der Wissenschaft lediglich nach for mal-wissenschaftslogischen Kriterien bestimmt werden kann. Danach erscheint das Kriterium der gesellschaftlichen Relevanz der Forschung zwangsläufig als etwas vom Kriterium ihres Erkenntnisgehaltes Ver schiedenes. - Hier stehen wir wieder vor der zentralen Problematik dieser Schlussabhandlung. Die Unterscheidung von vier Arten der Relevanz, der kosmolo gischen, anthropologischen, technischen und emanzipatorischen (S. 24 ), ist ein Beispiel für die Neigung bürgerlicher Psychologen zur rastlosen Erfindung immer neuer beliebiger Einteilungen und Abgrenzungen -
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- eine Variante der von Marx so genannten »professoral[deutsch]en B egriffsanknüpfungs-Methode<<*. - Die Charakterisierung der expe rimentellen Situation in der Psychologie als parzelliert, reduziert und labilisiert (S. 26ff.) ist treffend und könnte bei einer materialistischen Analyse des gesellschaftlichen Ursprungs der experimentellen Psy chologie nützlich sein. Indessen: Die Ü berlegungen zur Angleichung der experimentellen Realität an die praktische Realität durch Erhö hung der strukturellen Ähnlichkeit zwischen beiden (S. 3 1 -33) zum Zwecke der Erhöhung der »technischen Relevanz<< ist nichts als eine Ausweitung der »Repräsentanz<<-Analysen aus »Theorie und Expe riment«; es geht hier lediglich um eine Erhöhung der Relevanz der bürgerlichen Psychologie, gemessen an ihren eigenen Normen und Prinzipien. - Dabei wurden in der Argumentation die Realzusam menhänge auf den Kopf gestellt: Die Parzellierung, Labilisierung und Reduktion der experimentellen Situation wurden nicht aus realstruk turellen Ursprüngen der Psychologie in der bürgerlichen Gesellschaft zu verstehen versucht, die isoliert gesehene experimentelle Situation sollte vielmehr quasi nachträglich der Struktur der bürgerlichen Ge sellschaft angeglichen werden, um die >>technische Relevanz« zu er höhen. Die Psychologie wurde nicht als ein B estandteil der bürger lichen Gesellschaft, und damit in ihrer genuinen Gesellschaftlichkeit, begriffen: Die psychologische Wissenschaft stellte sich vielmehr auf einen fiktiven >>Standort außerhalb«, der charakteristisch ist für j ede Spielart bürgerlichen Wissenschaftsverständnisses. So kam es zu dem mystifizierenden Dreiecksverhältnis der äußerlichen Gegenüberstel lung zwischen experimenteller Situation, theoretischer Konzeption und praktischer Situation. - Die praktische Situation wurde dabei als Inbegriff bestimmter Bereiche des täglichen Lebens, in die hinein psychologische Praxis wirksam werden soll, verstanden. Menschliche Alltagswelt wurde unbefragt als der Ort hingenommen, an dem Men schen in gemeinsamer Lebenslage einander begegnen, in der also auch »Experimentator<< und >>Versuchsperson<< bzw. >>Proband<< sich über die >>technische Relevanz<< psychologischer Forschung verständigen können. In dem gesellschaftskritisch gemeinten Teil des Artikels (von S. 33 bis Schluss) wurde von einer antiautoritären Gesellschaftsauffassung aus gegangen, wie sie damals in der Studentenbewegung verbreitet war. Die theoretischen Grundlagen für diese Auffassung waren - wie erwähnt in bestimmten Positionen der >>kritischen Theorie<< - so Horkheimers Lehre vom >>autoritären Staat<< (1 968) und Marcuses Vorstellungen über die universelle Manipulation des Menschen in der Industri egesellschaft "-·
Anm .
d. Hg.: MEW 19, 371 .
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(z. B. 1 967)20 zu suchen. Das Betroffensein und die Hilflosigkeit angesichts der Ermordung von Benno Ohnesorg, des Mordversuchs an Rudi Dutschke, der Verabschiedung der Notstandsgesetze und die Reaktionen von Polizei und Staatsapparat auf die studentischen Pro testdemonstrationen aktualisierten und emotionalisierten die Deutung der Gesellschaft in der Bundesrepublik als autoritär und faschistoid. Die Beziehung zwischen »Herrschenden« und >>Beherrschten<< wurde als die einer direkten Unterdrückung und bewussten Manipulation in terpretiert. Auch wo die Kritik als antikapitalistisch auftrat, wurde der Kapitalismus mehr oder weniger als das Verhältnis einer unmittelbaren Unterdrückung der Arbeiterklasse durch die Kapitalisten aufgefasst, eine Spielart des autoritären Staates. - Die Ergebnisse wissenschaftlich marxistischer Analyse der kapitalistischen Gesellschaft mit der Auf deckung des Zusammenhanges zwischen ihren strukturellen Wider sprüchen und der gesellschaftlich notwendigen Mystifizierung dieser Widersprüche konnte in der damaligen historischen Situation von der Masse der Linken noch nicht rezipiert und in kritische Praxis umge setzt werden. So mussten auch faschistoide Tendenzen ahistorisch als Terror interpretiert, konnten noch nicht als Moment geschichtlicher Entwicklungen des Kapitalismus verstanden werden. Der politische Protest war bei aller äußerlichen Vehemenz letztlich hilflos, weil er auf einer unzureichenden Erkenntnis der Gesellschaft fußte. Die geschilderte unkritisch-antiautoritäre Gesellschaftsvorstellung, verbunden mit der aufgewiesenen positivistisch-äußerlichen Gegenü berstellung von Gesellschaft und Wissenschaft als etwas von ihr Ver schiedenem, führte im Relevanz-Artikel zu folgenden unzulänglichen Argumentationsschritten: Die angedeutete, als möglich betrachtete allmähliche Angleichung der Gesellschaft an die parzellierte, reduzierte und labilisierte experi mentell-psychologische Situation, also die Vorstellung eines zukünf tigen Staates als eines großen psychologischen Laboratoriums zur to talen Kontrolle und Manipulation des Menschen (S. 33ff.) impliziert eine wissenschaftlich unbegründete negative Utopie des absolut auto ritär-totalitären Staates. Die Beispiele für Ä hnlichkeiten zwischen der experimentellen Situation und manchen schon vorfindliehen gesell schaftlichen Konstellationen mögen teilweise treffend sein, haben aber, da sie nicht im Zusammenhang gesamtgesellschaftlicher Entwicklun gen gesehen werden, wenig Erkenntniswert. Bei der Annahme einer möglichen wachsenden Ähnlichkeit zwischen Gesellschaftsstruktur und Struktur der experimentell-psychologischen -
20 Vgl. dazu Holz 1 968; kritische Analysen der gesellschaftstheoretischen Vor stellungen Marcuses finden sich auch in Habermas 1968.
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Realität wird die Gesellschaftsentwicklung der Wissenschaft äußerlich gegenübergestellt. Die »mögliche wachsende Konkordanz zwischen beiden Strukturen« wird lediglich damit erklärt, >>dass es sich schließ lich in beiden Fällen um Kontrollbestrebungen handelt, in einem Falle um das Streben nach Kontrolle des experimentellen Bedingungsgefüges, im anderen Falle um das Streben nach manipulativer Kontrolle über sozialgesellschaftliche Verhältnisse« (S. 35). Es wird nirgends auch nur in Erwägung gezogen, dass man wissenschaftliche Entwicklungen als Teilmomente gesellschaftlicher Entwicklungen betrachten und in ihrer Eigenart aus dem umfassenderen gesellschaftlichen Realzusammen hang verständlich machen könnte. Der mögliche gesellschaftliche Missbrauch der Psychologie wird darin gesehen, dass sie von den Herrschenden immer mehr bewusst für ihre manipulativen Zwecke eingesetzt werden mag, >>dass die herr schenden Instanzen sich über die Chancen, die für sie in Ausnutzung der modernen psychologischen Forschung für ihre Kontrollzwecke liegen, in immer höherem Maße klar werden könnten« (S. 36). Die da mit angesetzte naiv-personalisierende Drahtziehertheorie verstellte die Einsicht in die Notwendigkeit wissenschaftlicher, kritisch-historischer Analysen zur Explikation der Funktion der Psychologie als Moment der kapitalistischen Gesellschaft. Demgemäß ist auch die Forderung, Psychologie solle sich ih rer Funktion als >>Manipulationswissenschaft« im Dienst der Herr schenden, als Mittel zur Anpassung des Menschen an die bestehenden Verhältnisse, entziehen, unhistorisch-voluntaristisch formuliert (S. 3 6ff.), so, als ob es lediglich des guten Willens oder eines Entschlusses der Psychologen bedürfe, und schon wirke die Psychologie »nicht mehr gesellschaftsstabilisierend, sondern gesellschaftsverändernd« (S. 3 7).
7 Entwicklung des Instituts bis zur Erarbeitung und
Annahme der ersten Satzung (Anfang 1 969) Die Bemühungen um eine Demokratisierung des Psychologischen Instituts waren, wie schon gesagt, nach der zweiwöchigen Kampagne des Instituts gegen die Notstandsgesetze im Juni 1 968 nicht mehr ab gerissen: Nach der genannten Analyse der Institutsstruktur in den Sommersemesterferien und der Vorlage eines Berichts der beteiligten zehn Kommissionen zu Beginn des Wintersemesters 1 968 wurden von den einzelnen Gruppen, Hochschullehrern, wissenschaftlichen Mit arbeitern und Studenten, Entwürfe für eine Satzung des i nstituts ge mäß >>Yorschaltgesetz« erarbeitet und diskutiert. Ziel der Debatten und Auseinandersetzungen musste es sein, zu einem einzigen Satzungstext
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zu kommen, da nur für diesen Fall die Chance bestand, dass er bei der Abstimmung die nötigen Mehrheiten erhielt. Wenige Tage vor dem 3 1 . 1 . 1 969, laut Gesetz dem letzten Termin, an dem die Satzung aushän gen musste, wenn sie noch zum Sommersemester in Kraft treten sollte, gab es immer noch drei Entwürfe. Die drei Gruppen verhandelten pau senlos. Die Entwürfe der Hochschullehrer und .wissenschaftlichen Mit arbeiter wurden fusioniert. Am 30. 1 . waren die Divergenzen mit den studentischen Auffassungen immer noch nicht ausgeräumt. Schließlich, in der Nacht zum 3 1 . 1 . nach intensiven Vermittlungsbemühungen ei niger wissenschaftlicher Mitarbeiter, zogen die Studenten ihren Ent wurf zurück, nachdem wesentliche ihrer Forderungen in den anderen Entwurf aufgenommen worden waren. Am 3 1 . 1 . kurz vor Mitternacht hing die Satzung im Institut. Sie erhielt später bei der Abstimmung in al len drei Gruppen die erforderlichen Mehrheiten. Gemäß dieser Satzung war die oberste Entscheidungsinstanz des Instituts nun nicht mehr ein Ordinarius als Institutsdirektor, sondern der »Institutsrat<<, der viertel paritätisch besetzt war, aus drei Hochschullehrern (Adolf Otto Jäger hatte inzwischen einen Ruf ans Psychologische Institut angenommen) und je drei gewählten Vertretern des >>Mittelbaus<<, der Studenten und der übrigen hauptamtlichen Mitarbeiter am Institut (Sekretärinnen, Bi bliotheksangestellte, Werkmeister, Pförtner usw.) bestand. Die letzte Gruppe sollte nur dann mit Stimmrecht hinzugezogen werden, wenn Fragen, welche sie direkt betrifft, im Institutsrat behandelt wurden. - (Später einigte man sich auf den Modus, dass diese Gruppe durch gehend abstimmungsberechtigt sein und durch Stimmenthaltung selbst darüber entscheiden solle, für welche Fragen sie sich nicht interessiert oder für inkompetent hält.) Der wichtigste Passus in der Satzung über die Aufgaben des Institutsrats lautete: >>Der IR (Institutsrat) berät und entscheidet, wenn er es für nötig hält, über alle das Institut betreffenden Fragen, die er selbst für bedeutsam hält oder die von einzelnen Insti tutsmitgliedern oder -gruppen an ihn herangetragen werden, im Sinne der Bestimmungen dieser Satzung. << »Die Institutsleitung verpflichtet sich, . . . die Entscheidungen des IR zu verwirklichen.<< Die Satzung war im Bewusstsein vieler Institutsmitglieder der Be ginn einer neuen Epoche demokratischer Entscheidungsbildung und repressionsfreier, gleichberechtigter Kooperation aller Gruppen am Institut, wobei Konflikte in freier, rationaler Diskussion ausgetragen und bewältigt werden würden. Auch die früheren Gegner der Satzung im Mittelbau und unter den Hochschullehrern erklärten sich bereit, nachdem die Satzung angenommen war, im Institutsrat und den ande ren Gremien des Instituts mitzuarbeiten. Die Hoffnungen der meisten hinsichtlich der weiteren Entwicklung der Institutsarbeit kamen in der Präambel der Satzung zum Ausdruck:
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»Durch diese Satzung soll am Psychologischen Institut der Freien Univer sität eine neue Grundlage für die Zusammenarbeit der Institutsmitglieder in Lehre und Forschung geschaffen werden. Ein Kooperationsstil soll gefördert werden, durch den fachliche oder personale Überlegenheit nicht als durch for male Positionen oder irrationales Prestige fixiert erscheint, sondern der sich in der täglichen Arbeit immer neu ausweisen muss und durch den niemand gezwungen ist, Arbeit zu leisten, deren Sinn er nicht einsehen kann. Weder Gruppen noch Personen sollen auf andere Institutsangehörige Druck ausüben können; Konflikte sollen durch rationale Diskussion ausgetragen werden. Die vorliegende Satzung soll weiter die Möglichkeiten zu einer Umgestal tung des Psychologiestudiums erweitern. Durch diese Umgestaltung soll in immer höherem Maße eine Integration der Aktivitäten von Lernenden und Lehrenden gelingen; die Studierenden sollen - gegründet auf fachliche Kom petenz - auch dazu kommen, die Anforderungen und die gesellschaftliche Funktion ihrer späteren Berufsrollen in einen sinnvollen Zusammenhang mit ihrer Ausbildung zu bringen und die Interessen, denen psychologische Praxis dienen kann, kritisch zu reflektieren. Darüber hinaus sollen - mit Hilfe dieser Satzung - die Studierenden im mer mehr an der Forschungsarbeit des Instituts beteiligt werden, wobei die Lehrfunktion forschenscher Tätigkeit immer stärker auszunutzen ist. In der Forschung am Institut sollen - ohne Minderung des Anspruchs an metho dische Exaktheit und begriffliche Klarheit - mehr als bisher solche Entwick lungen in der Psychologie gefördert werden, in denen auch Fragen wie die nach den außerwissenschaftlichen Interessen, denen Forschung dienen kann, und nach der Relevanz der Forschung für aufklärerische und emanzipato rische Bestrebungen als wichtige Themen wissenschaftlich-psychologischen Handeins betrachtet werden. Bei der Konzeption des Satzungstextes sollte die Gefahr vermieden wer den, dass durch zu weitgehende Kodifizierungen und Reglementierungen der formaldemokratische Apparat zu einer Art Selbstzweck wird und damit die sachgerichtete, inhaltliche Kooperation der Institutsmitglieder in Lehre und Forschung eher behindert als fördert. Die durch all e Gruppen am Institut kontrollierbare rationale Diskussion von Problemen wurde für wichtiger ge halten als der bloße Einsatz von Abstimmungsmechanismen, ohne Offenle gung der Gründe für die jeweiligen Voten und ohne Berücksichtigung der Eigenart und Bedeutsamkeit der zu treffenden Entscheidungen. Die Satzung soll jedem Mitglied des Instituts die Möglichkeit geben, vor Willkür geschützt und auf den Rat und die Hilfe der anderen gestützt, die ihm gemäße Form der wissenschaftlichen Arbeit zu finden, wobei sowohl für je den Einzelnen freie Entfaltung ermöglicht sein soll, wie auch die Entstehung neuer Formen der kollektiven Arbeit zu begünstigen ist.<< Der euphorische Tenor dieser Präambel (deren Text von mir stammt) zeugt von mangelndem Realismus und politischer Naivität. In einer Art von illusionärer Schönrederei wird hier die Möglichkeit eines Frei raums vorgetäuscht, in dem allein auf Grund allseitigen guten Willens jeder mit jedem ungeachtet seiner besonderen Position, Fu �tion, Bio graphie, politischen Einstellung repressionslos in einer Atmosphäre ra dikaler Freiwilligkeit kooperieren kann. Die objektive Funktion eines
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Universitätsinstituts in der kapitalistischen Gesellschaft und seine not wendige Geprägtheit durch deren antagonistische Struktur wurden subjektivistisch-psychologisierend überspielt. Die Tatsache, dass der Präambeltext die kritiklose Zustimmung der linken Studenten fand, ist lediglich als Symptom für einen viel gene relleren Einfluss bestimmter Ausprägungsformen der damaligen Stu dentenbewegung auf das Selbstverständnis und die Zielvorstellungen der Linken am Institut zu betrachten. - Die, wie schon erwähnt (etwa S. 234f.), von der Studentenbewegung übernommenen Auffassungen der »kritischen Theorie<< über den autoritären Staat, die Manipulations gesellschaft und die »Große Verweigerung« wurden von einem Teil der universitären Linken zu einer Konzeption des Kampfes um »Freiräume« entwickelt, innerhalb derer eine Emanzipation des Einzelnen schon in der bürgerlichen Gesellschaft möglich sein sollte. Auch die Sexpolbe wegung und allgemeiner die politische Deutung der Psychoanalyse als Mittel zur Befreiung des (einzelnen) Menschen müssen in diesem Zu sammenhang gesehen werden. So wurde in der Kommune-Bewegung versucht, eine Einheit zwischen persönlicher Lebensform und poli tischer Tätigkeit herzustellen, dabei den Zwängen der »Leistungsge sellschaft<< und den sexuellen Repressionen des bürgerlichen Lebens zu entkommen (vgl. dazu Bookhagen 1 969). In der Universität manifes tierte die >>Freiraum«-Konzeption sich darin, dass die Studenten gegen »Leistungsdruck<< und »Anpassungszwang« kämpften, Prüfungen ab schaffen und Leistungsnachweise von Studenten selber unterschreiben lassen wollten, im Bis-Mittag-Schlafen, Zu-spät-Kommen, Hinterlas sen-von-verdreckten-Hörsälen ein Politikum sahen. - Die Sensibilität für die Leiden, die dem Menschen durch diese Gesellschaft zugefügt werden, hatte sich so erhöht, dass ein Kampf gegen diese Leiden unab weisbar wurde. Aber man hatte noch nicht begriffen, dass es von die sen Leiden als gesellschaftlichen Leiden keinen individuellen Dispens geben kann, dass die Idee der repressionslosen »Freiräume« innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft selbst eine bürgerlich-idealistische Vor stellung ist. - Dennoch wäre es falsch, den Kampf um persönliche und politische Freiräume unhistarisch einfach abzuqualifizieren. Die nicht lediglich intellektuelle Einsicht, sondern schmerzhafte Erfahrung, dass >>Freiheit« in dieser Gesellschaft nicht die individuelle Befreiung vom gesellschaftlichen Leiden und von gesellschaftlichen Anforderungen heißen kann, war ein wichtiger Schritt der Entwicklung des politischen Bewusstseins der universitären Linken: Damit war die Möglichkeit für die Erkenntnis geschaffen, dass für die Sozialisten an der Universität die Befreiung des Einzelnen nur seine Befreiung zur Einsicht in die Notwendigkeit langfristiger, entbehrungsreicher, disziplinierter Arbeit unter den Zielen des wissenschaftlichen Sozialismus bedeuten darf.
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8 Kritik des Textes »Verborgene anthropologische Voraussetzungen der allgemeinen Psychologie« (entstanden Frühjahr 1 969) Ich selbst ging nach der Verabschiedung der Satzung, aus einem Gefühl des >>Es-ist-Geschafft« heraus, mit der Perspektive nunmehr kontinu ierlicher progressiver wissenschaftlicher Arbeit in Kooperation mit al len anderen Institutsmitgliedern in den Frühjahrssemesterferien 1 969 für vier Wochen in ein Münchner Studentenheim in Klausur. Ich wollte einen ausgeruhten, nicht unter dem Druck aktueller Anlässe entstande nen, meinem wissenschaftlichen Anspruchsniveau gemäßen Beitrag zur Weiterentwicklung des neuen kritisch-psychologischen Ansatzes zu leisten versuchen. Das Ergebnis war der Artikel >>Verborgene anthro pologische Voraussetzungen der allgemeinen Psychologie« (S. 4 1 -82 in diesem Buch), der für den von Gadamer und Vogler herausgegebenen Band >>Neue Anthropologie« bestimmt war. Das Erscheinen dieses Bandes hat sich durch Voglers Tod so weit verzögert, dass die Arbeit zum ersten Male in dem hier vorgelegten Buch'. veröffentlicht ist. Der Artikel ist weniger programmatisch als die anderen. In seinem größeren Teil, bis etwa S. 70, wird zum ersten Mal vom neuen Standort aus eine wirkliche kritische Analyse bestehender Psychologie versucht. Diese Analyse ist zwar noch keineswegs historisch-materialistischer Art, ihr liegt aber eine erheblich differenziertere Rezeption und Ver arbeitung der >>kritischen Theorie« zugrunde als in den früheren Ar beiten. In konsequent ideologiekritischer Argumentation wird durch Aufweis historischer Entwicklungen im Blick auf umfassendere Zu sammenhänge falsches, weil partialisiertes Bewusstsein der bestehen den Psychologie sichtbar gemacht. Die stufenweise Herausarbeitung der ideologischen »organismischen« Anthropologie der modernen Ex perimentalpsychologie aus dem historischen Kontext im Zusammen hang mit der Ausgeprägtheit >>nomothetischer<< Methodologie scheint mir ein gültiges Ergebnis zu sein, das für die weitere Arbeit bedeutsam sein wird. Herauszuheben ist die Funktion, die konstruktivistische Konzepti onen im Gedankengang dieser Arbeit erhalten haben. Der Konstruk tivismus wird hier nicht als Inbegriff eines positiven wissenschafts logischen Programms aufgefasst, auch nicht lediglich zum Aufweis unangemessener Wahrheits- bzw. Falschheitsansprüche anderer wis senschaftslogischer Ansätze benutzt. Die konstruktivistischen Begriffe
erscheinen als Ergebnis der Explikation des methodischen Vo'rgehens der ,,. Anm. d. Hg.: Kritische Psychologie. Vorbereitende Arbeiten ( 1972).
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bürgerlichen Experimentalpsychologie in ihrer konkreten historischen Eigenart und damit als Ansatzpunkte für deren Kritik. Das Ergebnis der hier vorgelegten kritischen Analyse wäre nicht denkbar ohne die konstruktivistische Explikation der experimentell-psychologischen Ver fahrensweise (wobei ich mir über den explikativen Charakter meines Vorgehens noch keineswegs klar war). Die Einführung des Konzeptes »Freier Dialog« als Leitvorstellung zur kontrastierenden Kennzeichnung der Verhaltensrestriktionen von Versuchspersonen im psychologischen Experiment (etwa: S. 46) ist ohne genauere historische Herleitung des Begriffe s und seiner ge sellschaftskritischen Funktion problematisch. Es besteht so die Gefahr, dass dieses bestimmten Positionen der Frankfurter Schule entlehnte Konzept mehr oder weniger als idealistische Konstruktion verstanden wird, in der das »bessere Leben«, wie es der bürgerliche Intellektu elle sich vorstellt, in die Geschichte projiziert und als Notwendigkeit der historischen Entwicklung ausgegeben wird. - Eine ausführlichere Diskussion erübrigt sich hier jedoch, da der Rückgriff auf den >>Freien Dialog« für die Gedankenführung des Artikels keinesfalls unerlässlich ist und genauso gut hätte unterbleiben können. Der letzte Teil des Ar tikels über die Transformation der bestehenden Psychologie in eine kritische Psychologie (S. 72ff.) ist wieder weniger Ergebnis einer Ana lyse als programmatischer Art. Dennoch scheinen mir hier die Über legungen erheblich differenzierter und besser begründet zu sein als im >>Relevanz«-Artikel.
9 Die »Rote-Zellen-Bewegung«; verschärfte Antagonismen und Manifestwerden der Krise am Psychologischen Institut ( 1 969/70) Auf der ersten Sitzung des Institutsrats im Sommersemester 1 969 wurde von den studentischen Vertretern der Antrag auf Genehmigung eines Projektes >>Schülerladen« als autonomer >>studentischer Sektor« gestellt. - Den Hintergrund für diesen Antrag bildeten einmal die in der Stu dentenbewegung entwickelten Vorstellungen von der studentischen Ba sisarbeit in der Stadt, Erlemung des Berufs im Klassenkampf zur Vor bereitung >>revolutionärer Berufspraxis<<, zum anderen die zuerst am Otto-Suhr-Institut entwickelte Konzeption >>autonomer studentischer Sektoren«, in denen Studenten völlig selbständig mit eigenem Etat ihre Perspektiven politisch-wissenschaftlicher Arbeit verwirklichen wollten. - Die spezifischen Bedingungen am Psychologischen Institut für das recht überstürzte Zustandekommen des wenig sorgfältig ausgearbeiteten
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Projektantrages waren sehr komplexer Natur. Dadurch, dass die Stu denten die Satzung, in der ihnen volle demokratische Mitbestimmung gewährt wurde, akzeptiert hatten, war ihnen ein wesentliches Ziel ihrer bisherigen politischen Arbeit, eben die Erkämpfung einer solchen Mit bestimmung, genommen. Statt in Opposition zu stehen, hatten sie sich jetzt auf Kooperation eingelassen. Die Studenten kamen danach recht bald zu der richtigen Einschätzung, dass angesichts der realen Verteilung der wissenschaftlich-politischen Positionen unter den Mitarbeitern des Instituts eine totale Kooperation notwendig zur Verwässerung, wenn nicht zur Aufgabe der politischen Inhalte der studentischen Bewegung führen müsste. Im Projektvorschlag »Schülerladen« ist u. a. der Versuch der Studenten zu sehen, ihre politische Identität zurückzugewinnen. Einmal wurde in diesem Konzept der Anschluss zur Studentenbewe gung in ihrem damaligen Entwicklungsstand gesucht. Zum anderen war der Antrag in seinen für damalige Verhältnisse provokanten For mulierungen und dem weitgehenden Verzicht auf eine wissenschaftliche B egründung geradezu darauf angelegt, den Widerstand der >>liberalen« Institutsratsmitglieder hervorzurufen. Vielleicht wurde der Projektvor schlag »Schülerladen« in gewisser Weise als Testfall dafür verstanden, wie ernst es die Hochschullehrer und wissenschaftlichen Mitarbeiter am Institut denn nun mit ihren demokratischen Zugeständnissen an die Stu denten meinten, wobei eine Ablehnung des Antrages antizipiert wurde, ja durch die Art der Antragstellung so gut wie vorweggenommen war - womit die Studenten sich wieder auf ihre Position als radikale Opposi tion am Institut hätten zurückziehen können. Es kam denn auch zu der erwarteten Reserve und Skepsis - beson ders des starken liberalen Flügels der Institutsratsmitglieder - gegen über dem Projektvorschlag. Die Zustimmung wurde schließlich davon abhängig gemacht, dass eine >>gemäßigtere« und besser begründete Vorlage formuliert wurde (was in Ansätzen geschah) und dass ich in dem Projekt mitarbeitete und die Verantwortung als Hochschulleh rer übernahm. Ich war (und bin) der Auffassung, dass eine Ableh nung des Projektantrages, so schlecht vorbereitet er auch immer war, in der damaligen Entwicklungsphase des Instituts, in der zum ersten Mal Mitverantwortung der Studenten institutionell ermöglicht wurde, verhängnisvoll gewesen wäre: Die Studenten hätten dann am Institut antiautoritäre abstrakt-personalisierende Resistenz aufbauen können,
ohne den Zwang, in der wirklichen, praktischen Arbeit gemäß ihren eigenen Vorstellungen Erfahrungen zu machen und am Widerstand der realen Verhältnisse ihre Konzeptionen in Kritik und Selbstkritik korri gieren und differenzieren zu müssen; auf der anderen Seit'e hätten die Liberalen am Institut durch die sich radikalisierende institutsinterne Opposition der Studenten einen Vorwand gehabt, sich ihren gerade erst
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übernommenen demokratischen Verpflichtungen wieder zu entziehen; eine Isolierung der Studenten war aber unbedingt zu vermeiden, da eine Entfaltung progressiver Lehre und Forschung am Institut nur durch eine allmähliche Umgestaltung des ganzen Instituts zu erreichen sein konnte. So übernahm ich, um das studentische Projekt >>Schülerla den« zu ermöglichen und nach außen abzusichern, die Verantwortung für das Projekt vor dem Institutsrat, später, als es um die Anmietung für die Räume des Schülerladens ging, auch vor der Philosophischen Fakultät und wurde Mitglied des Schülerladen-Kollektivs.21 Im weiteren Verlauf des Sommersemesters 1 969 beriet und entschied der Institutsrat in wöchentlichen Sitzungen über alle wichtigen Fragen des Instituts, wobei zunächst eine relativ harmonische Zusammenar beit möglich war und feste Fraktionsbildungen noch nicht auftraten. - Hörmann, der die Demokratisierungsbestrebungen am Institut zwar immer unterstützt hatte, aber eine so weitgehende Entlastung von sei ner Verantwortung als Hochschullehrer, besonders aber das allmäh liche Vordringen sozialistischer Konzeptionen am Institut mit seiner früher geschilderten liberalen Wissenschafts- und Gesellschaftsauffas sung nicht vereinen konnte, verließ das Institut und ging nach Bochum. - Am Ende des Sommersemesters wurden vom Institutsrat acht Stel len für wissenschaftliche Mitarbeiter besetzt. Dabei kam es bereits zu langen und intensiven Kontroversen zwischen Linken und Liberalen im Institutsrat, die aber, zum mindesten dem Schein nach, noch über wunden werden konnten. Die besondere Brisanz von Personalfragen für die universitären Entscheidungsgremien wurde indessen hier schon sehr deutlich. Am 1 . August 1 969 trat das neue B erliner Universitäts gesetz in Kraft. Für die Entscheidungsstruktur des Instituts hatte das zunächst keine Auswirkungen, da laut Gesetz Reformmo delle nach dem >>Vorschaltgesetz«, sofern sich die erforderlichen Mehrheiten für ihre Verlängerung fanden, fortgesetzt werden durften. Da die Satzung vom WS 1 969/70 von allen Gruppen bestätigt wurde, blieb der Insti tutsrat das oberste Entscheidungsgremium des Instituts. Die Vorbereitungen für die Bildung der Fachbereiche, die die bishe rigen Fakultäten ersetzen sollten, begannen. Der Institutsrat kam nach Abschluss der Beratungen zu einem einmütigen Votum für die Ein21
Eine ausführliche Darstellung und selbstkritische Analyse des Schülerladen Projektes im Zusammenhang mit der Entwicklung der Studentenbewegung findet sich in: Autorenkollektiv am Psychologischen Institut der Freien Universität 1971. Dort wird auch deutlich, auf welche Weise die früher (etwa S. 238f.) geschilderten Konzeptionen der »Freiräume<< und der individuellen Emanzipation sich auf die wissenschaftlich-politische Arbeit am Institut auswirkten und wie sie überwunden wurden.
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gliederung des Psychologischen Instituts in einen Fachbereich »Phi losophie und Sozialwissenschaften« (Philosophie, Soziologie, Psy chologie, Publizistik, >>Religion und Gesellschaft<< und einige kleinere Fächer). - Eine Gruppe von liberalen Mitarbeitern (etwa die Hälfte des »Mittelbaus«) und A. 0. Jäger votierten für eine Aufnahme des Faches >>Erziehungswissenschaften<< in den Fachbereich >>Philosophie und Sozialwissenschaften<<. Dieser Vorschlag fand nicht die Unterstüt zung der anderen Institute; auch der Institutsrat des Psychologischen Instituts sprach sich mehrheitlich dagegen aus. Man war im Grün dungsausschuss des Fachbereichs zu der Auffassung gelangt, dass die gesellschaftstheoretische Gesamtkonzeption, die im Fachbereich ver wirklicht werden sollte, vom Erziehungswissenschaftlichen Institut in seiner damaligen Zusammensetzung nicht akzeptiert werden würde. Auch die Erziehungswissenschaftler selbst waren gegen einen solchen Anschluss. Sie planten - besonders auch im Hinblick auf eine mögliche spätere Integration mit der Pädagogischen Hochschule Berlin - einen eigenen Fachbereich. So beschloss im Februar 1 970 der Akademische Senat einstimmig die Bildung eines Fachbereichs >>Philosophie und So zialwissenschaften« unter Beteiligung des Psychologischen Instituts, ohne das Fach Erziehungswissenschaften. Durch das neue Universitätsgesetz war der >>All gemeine Studen tenausschuss« (ASTA) als zentrales Organ der Studentenschaft abge schafft worden. Die Antwort der Studenten war die Gründung der >>Roten Zellen<<, zentral organisiert in einem »Rote-Zellen-Rat<<. Die Roten Zellen verstanden sich teilweise als studentische Organisationen, von denen aus in verbindlicher Arbeit die sozialistische Umgestaltung des Studiums voranzutreiben war, teilweise mehr als organisatorische Verbindungsglieder zwischen dem Proletariat und der Universität, wobei die der >>revolutionären Intelligenz<< zuzuweisenden Aufgaben im proletarischen Klassenkampf bestimmt und in Angriff genom men werden sollten. Die theoretische Grundlage der Studentenrevolte wandelte sich dabei immer mehr von Konzeptionen der >>Herrschaft<<, >>Unterdrückung<< und des »autoritären Staates<< zu Ansätzen klas sisch-marxistischer Kapitalismuskritik - Die wechselvolle und wider sprüchliche Geschichte der >>Rote-Zellen-Bewegung<< kann hier nicht im Einzelnen nachgezeichnet werden. Die >>Rote Zelle Psychologie<< wurde am 3 . 1 1 . 1 969 gegründet. Im Gründungspapier der ROTZEPS werden die Aufgaben der Organi sation wie folgt bestimmt: >>Die eingeleitete sozialistische Praxis in verschiedenen Projekten des Sozialisationsbereichs und die mit ihnen verbundenen theoretischen Arbeitsgruppen bedürfen einer politischen Organisation, die zielgerichtet langfristige Perspektiven verbindlich festlegt.« - >>Die Agitation stellt den Vermittlungsversuch politischer
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Einsicht in den Zusammenhang gesellschaftlicher Herrschaft dar, wel che den Charakter elitärer Wissensakkumulation zugunsten einer Ini tiierung breiter Solidarität zu durchbrechen sucht. Optimale Agitation bedarf theoretischer Erkenntnis aus der Schulung, die die Entwicklung politischen Bewusstseins, das sich als Teil gesamtrevolutionärer Strate gie begreift, vorantreiben muss. Sozialistische Praxis hat zur Bedingung ein politisches Bewusstsein der an ihr Beteiligten, welches die Not wendigkeiten und konkreten Möglichkeiten revolutionärer Verände rung im Spätkapitalismus erkennt. Sie versteht sich als Einleitung des Revolutionierungsprozesses der Iohnabhängigen Massen, durch deren Bewusstseinsentwicklung allein die tatsächliche Umkehrung aller ge sellschaftlichen Verhältnisse erreicht werden kann.« - »Die Arbeit der Organisation vollzieht sich in den drei Bereichen Schulung, Agitation, Praxis. Sie sind konstituierende Momente desselben Prozesses und dürfen deshalb auch personell nicht auseinanderfallen.« - >>Diese Ein heit bleibt nicht ohne Rückwirkung auf die beteiligten Individuen. Sie muss als Erziehungsfunktion der Organisation verstanden werden, die über die formale Erlüllung der notwendigen Verbindlichkeitskriterien hinaus eine politisch produktive Arbeit ermöglicht.« Darüber, was sozialistische »Schulung« sei, wurden erst allmählich genauere Konzeptionen entwickelt. >>Die unterschiedlichen Vorstel lungen von Schulung ließen noch keine konkrete Bestimmung ihres Inhaltes zu. Es kam lediglich zu einer Sammlung von Gesichtspunkten, die Bestandteile von Schulung sein könnten. a) Projektgruppen sichten relevante Literatur zur historischen Einordnung. b) Zusammenfassung der Literatur in Kooperativen. c) Analyse von Lehrveranstaltungen in Bezug auf ihre Relevanz. d) Aufarbeitung der historischen Situation der Hochschulrevolte im übergreifenden Zusammenhang (Uni und Gesellschaft). e) Methodenstreit. f) Dialektik. g) Kritik der Psychoana lyse« (ROTZEPS-Protokoll vom 4.1 1 . 1 969). Die Prinzipienlosigkeit und der Eklektizismus des Schulungskonzeptes wurden schließlich ansatzweise dadurch überwunden, dass die Bedeutung der >>Schulung« in der kommunistischen deutschen Arbeiterbewegung nach dem ers ten Weltkrieg von einer Kommission aufgearbeitet wurde: Es war nun klar, dass Schulung nichts anderes heißen konnte als Bildung sozia listischen Bewusstseins für den politischen Kampf und dass für eine solche Bewusstseinsbildung das intensive Studium marxistischer Texte unerlässlich ist. (Zu dem gleichen Schulungskonzept kam man in den anderen Roten Zellen.) Aus den ersten Literaturzusammenstellungen für die Schulungsprogramme geht jedoch hervor, dass man gründliche theoretisch-marxistische Arbeit zunächst noch scheute, sich lediglich einer Art von marxistischer >>Schnellbleiche<< unterziehen wollte. So wurden von Marx bevorzugt die beiden kleinen Schriften >>Lohn, Preis
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und Profit<< und >>Lohnarbeit und Kapital« angegeben; gelegentlich ging man sogar von der Vorstellung aus, dass man einzelne Kapitel aus dem »Kapital<< für sich rezipieren k ö nn e, etwa das 8. Kapitel über den Arbeitstag; es dauerte noch lange, ehe man begriff, dass bei der Verw-irklichung eines Schulungsprogramms z. B. nichts an all en drei Bänden des »Kapital<< vorbeiführt. - Am Psychol ogis ch en Institut hielt im WS 1 969 Harald Kerber eine Veranstaltun g über die »E inleitung zur Kritik der Poli tis ch en Ökonomie<< von Marx, später eine über den ersten Band des »Kapital « ab, in denen Analysen auf hohem Niveau angeboten wurden. Kerbers Verans taltun gen wurden als Teil des Schu lung spro gram ms der ROTZEPS anerkannt, aber auch heftig wegen ihrer ve rmei ntlichen »Praxisferne« kritisiert. Unklarheit über Bestimmung und Stellenwert von »Praxis<< war die zentrale Problematik der dam alig en wissens chaftlich-p olitis ch en Arbeit der sozialistischen Studenten und Mitarbeiter. Die rigorosen Ford erun g en nach »Praxis« als unerlässlichem Verbind lichkeitskri t e rium für die Mitarbeiter in der ROTZEPS ging e n von M it glied e rn des S chülerladens- Ko ll e ktivs aus, die mit Selbstverständlichkeit - und ih rer Auto rität wegen auch ziemlich unbefragt - die Vorstellung in die Diskussion trugen, >>Praxis« sei eben das, was sie im Schülerladen taten. Eine Gegenposition wurde von ROTZEPS-Anwärtern vertreten, die nicht dem Schülerladen-Kollektiv angehörten: »Langfristige theoreti sche Arbeit ist aus zwei Gründen notwendi g: ( 1 ) Sie muss den >Hin tergrund< für jegliche s o zialistis ch e Praxis bil d en. Marxistische Theo rie bedeutet zweierlei: einmal die umfassende ges amtges ells ch aftliche Analyse, aus der s ich praktische Aktivitäten ergeben, zum anderen kritische Reflexion dieser Praxis. Von der umfassenden Analyse kann nicht ständi g konkret praktis ch er B ezu g verlangt werden. (2) Auch am Institut muss langfristig sozialistisch gearbeitet werden. Durch diese Arbeit soll eine kritische Theorie der Psychologie geschaffen wer den. << Als Konsequenz aus dieser Kritik wurden zwei Ford eru n g en gestellt: >>( 1 ) > Lan gfristi g e Arbeit an marxistischen Kriterien< solle als Verb indlichkeitskrit eriu m für die Vollmitgli ed schaft in den O rganisa tionsentwurf aufgenommen werden. (2) Eine Arbeitsteilung zwischen Theorie und Praxis so l le ermö glicht werden« (ROTZEPS-Protokoll vom 3 . 1 1 . 1 969). Die >>Seminarmarxisten« (wie damals die »Praktiker<< ihre >>theoretis ch en« Kontrahenten zu nennen pflegten) setzten sich zwar zunächst mit ihren Forderungen nicht durch und nahm en an den ROTZEPS-Sitzungen nur als » Gäste« ohne Stimmrecht teil; später wurden sie jedoch stillschweigend als Vollmitglieder akzep �iert und bei wi chtig en »theoretischen« Fragen zu Rate gezogen. Der damalige Standort der »Seminarmarxisten« bewies zweifel los mehr Weitblick und Einsicht in die Mö glichkeiten und Aufgaben
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von Sozialisten an der Universität als der der »Praktiker«. Dennoch blieb im Ganzen unklar, was politische >>Praxis« hier eigentlich hei ßen solle. >>Praxis« war nicht >>Theorie«, demnach konnte etwa das Schreiben eines Buches nicht >>Praxis« sein. Indessen: War nicht Len ins philosophisches Hauptwerk >>Materialismus und Empiriokritizis mus<<, obgleich vordergründig >>Theorie«, dennoch aus dem damaligen historischen Zusammenhang heraus gesehen revolutionäre politische Praxis ? Praxis hat mit Handeln zu tun. Allein: Ist deswegen jedes po litisch gemeinte Handeln schon sozialistische Praxis - und woran er kennt man bloße >>Handwerkelei« ? Die Forderung nach der >>Einheit« von Theorie und Praxis wurde immer wieder erhoben, dabei blieb es aber im Wesentlichen bei der Beschwörung oder Selbstbescheinigung der Theorie-Praxis-Einheit, der Vorstellung, dass die >>Theorie« auf irgendeine Weise - niemand konnte sagen wie - aus der >>Praxis« er wachsen sollte (vgl. dazu die gründliche selbstkritische Analyse >>Zum Theorie-Praxis-Verhältnis im Projektstudium«, >>Schülerladen Rote Freiheit« 1 971, S. 1 1ff.). Mit der Gründung der >>Roten Zelle Psychologie« und dem sich klärenden Selbstverständnis der Linken am Institut als Sozialisten verschärften sich die Antagonismen zu den Liberalen. Die Vorstel lungen der Liberalen über das Verhältnis der beiden >>Fraktionen« im Institutsrat waren gekennzeichnet durch eine Art von Proporz-Den ken. Einheitliche wissenschaftlich-politische Vorstellungen waren bei den Liberalen nicht vorhanden, wirklich zwingende Kriterien für be stimmte Entscheidungen deshalb nicht gegeben. So orientierte man sich nach dem oberflächlichen Gesichtspunkt des Gleichgewichts ge genseitiger >>Zugeständnisse«, und es kam zunächst zu keiner mani festen Frontstellung. Die Situation änderte sich in dem Maße, als die >>Linken« - trotz aller Kontroversen - einheitliche wissenschaftlich politische Gesamtperspektiven gewannen. Aus diesen Perspektiven ließ sich in den meisten Fällen zwingend ableiten, welche Entschei dungen im Sinne der progressiven Entwicklung am Institut als ver nünftig und verantwortbar zu betrachten waren und welche nicht. Es erwies sich zunehmend als unmöglich, den Liberalen bloß aus >>Pro porz«-Gründen Zugeständnisse zu machen und dabei seine Stimme zugunsten von Entscheidungen abzugeben, die man für falsch halten musste. Die Linken nutzten also bald ihre zunächst knappe Mehrheit zur Verwirklichung ihrer Ziele konsequent aus; dies war natürlich ge mäß den gesetzlichen Bestimmungen und demokratischer Tradition ihr gutes Recht. - Die Liberalen interpretierten, was angesichts der standortlosen Zugeständnisbereitschaft, die sie selber zeigten, subjek tiv verständlich war, diesen Gebrauch der Mehrheit durch die Linken personalisierend als unfair und repressiv. Dies führte dazu, dass sie
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- quasi reaktiv - allmählich eine Art von Gruppenbewusstsein und So lidarität entwickelten, deren Inhalt weitgehend negativ bestimmt war: die Ziele der Linken am Institut nicht zu unterstützen. So verhärteten sich die Fronten zwischen den »Fraktionen« immer mehr. Die Libe ralen wurden in allen strittigen Fragen überstimmt und sahen auch nicht die Möglichkeit, sich eine Mehrheit auf demokratische Weise zu erkämpfen. So gerieten sie in eine immer verstärkte Drucksitua tion - dies war sicherlich einer der wesentlichen Gründe dafür, dass sie schließlich keine andere Möglichkeit mehr sahen, als den Staat und die außeruniversitäre Öffentlichkeit für ihre Zwecke zu mobilisieren (ich komme darauf zurück). Zu einer erheblichen weiteren Verschärfung der Antagonismen am Institut kam es anlässlich der Konflikte um die Berufung von Klaus Ey ferth als Nachfolger Hans Hörmanns. - Die von der Philosophischen Fakultät eingesetzte Berufungskommission, der A. 0. Jäger und ich angehörten, hatte den Berufungsvorschlag, gemäß der damals üblichen engen Auslegung des Begriffs der »Vertraulichkeit« von Personalan gelegenheiten, ohne vorherige öffentliche Diskussion am Institut und ohne Veranstaltung von Hearings mit den Bewerbern erarbeitet. Jä ger und ich machten dem Institutsrat lediglich Mitteilung über die Namen der Bewerber auf der Berufungsliste, was zunächst keinerlei Widerspruch hervorrief. Der Studentenvertreter der Philosophischen Fakultät in der Berufungskommission, der nach der Fakultätsordnung die Möglichkeit gehabt hätte, die Studenten des Psychologischen Ins tituts vor seiner Entscheidung zu konsultieren, machte von diesem Recht keinen Gebrauch; er schloss sich dem einstimmigen Votum der anderen Kommissionsmitglieder widerspruchslos an. - Erst nachdem gemäß dem Vorschlag der Philosophischen Fakultät vom Senator für Wissenschaft und Kunst der Ruf an Klaus Eyferth erteilt worden war, begannen am Institut die einschlägigen Diskussionen. Der »Mittelbau<< des Instituts bildete eine Kommission, die ein 1 9 Seiten langes Papier mit einer kritischen Analyse von Eyferths bisheriger Arbeit vorlegte. Dieses Papier war Grundlage für die weitere Urteilsbildung. Da die Positionen kontrovers waren, wurde Eyferth für März 1 970 in das Psy chologische Institut eingeladen. Die Studenten veranstalteten ein Hea ring, in dem Eyferth mehrere Stunden lang über seine wissenschaft lichen und politischen Konzeptionen befragt wurde. Das Hearing war durch die damalige Vollversammlungsatmosphäre, mit sachlicher Dis kussion, durchsetzt von Verbalradikalismen, abwechselnd konzent riertem Zuhören und gezielter Unruhe im Auditorium, charakterisiert (wurde dennoch von Eyferth anschließend als »fair<< bezeichnet). Nach seinem Besuch am Institut erhielt Eyferth drei - in der Schärfe ihrer Diktion gestaffelte - Erklärungen von der linken Fraktion der wissen-
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schaftliehen Mitarbeiter, den studentischen Vertretern im Institutsrat und der Roten Zelle, in denen er aufgefordert wurde, den Ruf abzu lehnen. Dadurch war eine Situation entstanden, aus der es bei unveränderten Positionen objektiv keinen vernünftigen Ausweg gab: Der Umstand, dass sich die Mitarbeiter und Studenten des Psychologischen Instituts in ihrer Mehrheit ein Urteil über Klaus Eyferth gebildet hatten, das von dem Urteil der Fakultät abwich, war natürlich für sich genommen völlig legitim und zudem für eine Entscheidung über die Mitarbeit Eyferths am Psychologischen Institut sehr bedeutsam. Auch Klaus Eyferth vertrat in einem (am 8. Mai 1 970 in der >>PU-Information«, mit Zustimmung Eyferths, veröffentlichten) Brief mit Datum vom 22. April 1 970 an den B erliner Senator für Wissenschaft und Kunst diese Auffassung: >>Die Mehrheit der Fachschaft Psychologie und der wissenschaftlichen Mitarbeiter des Psychologischen Instituts der FU forderten mich am 1 1 .2. auf, den Ruf abzulehnen . . . Es widerspricht meinen Überzeugungen von der Notwendigkeit akademischer Koope ration ohne Herrschaftsanspruch, gegen die erklärte Absicht der Stu denten und Mitarbeiter eines Instituts dort die Funktion eines Ordi narius zu übernehmen«. Andererseits aber war es mit den Ansprüchen an faire und vernünftige akademische Kommunikation gänzlich un vereinbar, dass die ablehnenden Voten der Studenten und Mitarbeiter erst ergingen, nachdem Eyferth den Ruf an das Psychologische Institut erhalten hatte. So gesehen lag es im Interesse der Freien Universität und des Psychologischen Instituts, dass Eyferth·- auch auf Bitten des Präsidenten hin - den Ruf zunächst nicht ablehnte, um den Feinden der Universitätsreform nicht das Argument zu liefern, der ordnungsge mäße Verlauf von Berufungsverhandlungen sei durch massiven Druck der Linken behindert worden. Die Ablehnung des Rufes erfolgte erst nach mehreren Monaten, wobei Klaus Eyferth sehr bemüht darum war, durch die Art der Begründung seiner Absage weiteren Schaden vom Psychologischen Institut und der Freien Universität abzuwenden. Die Vorgänge um die Berufung Eyferths sind ein Exempel für den Zusammenhang zwischen Universitätsstruktur und linken >>Über griffen« an der Universität. Die Studenten und Mitarbeiter des Insti tuts hatten während des gesamten Verfahrens keine Gelegenheit, ihre Auffassungen auf legale Weise zur Geltung zu bringen, so dass ihnen schließlich gar keine andere Wahl blieb, als ihre Interessen außerhalb der legitimen Formen akademischer Kommunikation zu artikulieren. Jetzt, nachdem die Fachbereiche gebildet sind, gehören Hearings, in denen Bewerber für Hochschullehrerstellen mit Studenten diskutieren, zum normalen Vorgang der Erarbeitung von Berufungsvorschlägen; die Vertreter der Studentenschaft arbeiten in erheblich erhöhter Parität
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im Fachbereich und in der Berufungskommission mit; der Begriff der >>Vertraulichkeit« von Personalfragen wurde dahingehend modifi ziert, dass zwar Diskussionen über persönliche Angelegenheiten der Bewerber in nichtöffentlichen Sitzungen zu behandeln sind, deren wissenschaftliche Qualifikation aber selbstverständlich Gegenstand öffentlicher Verhandlung sein muss. Ablehnende Stellungnahmen von Studenten und Mitarbeitern gegenüber einem Bewerber gehen in den Prozess der Erarbeitung von Berufungsvorschlägen als voll durch sehaubare Momente ein. Wenn dennoch ein Ruf erteilt oder angenom men wird, so liegen die Voraussetzungen und Konsequenzen dieser Tatsache für jedermann offen. Die Ereignisse um die Berufung Klaus Eyferths waren auslösend für das Manifestwerden einer schweren Krise des Psychologischen Insti tuts. - Das Eyferth-Hearing sowie die ablehnenden Voten der linken Mitarbeiter und der Studentenschaft waren Anlass, nicht Ursache, einer lange geplanten, wohlvorbereiteten und sorgfältig organisierten Aktion der liberalen Fraktion der Mitarbeiter des Instituts, die als >>Initiativ gruppe >zweites Psychologisches Institut«< auftrat und, mit dem zen tralen Argument, die Situation sei für sie durch den politischen Druck der »Roten Zelle Psychologie<< am Institut unerträglich geworden, die Gründung eines weiteren Psychologischen Instituts im Fachbereich »Erziehungswissenschaften<< forderte, wobei sie mit dieser Forderung, ohne vorherige Diskussionen am Institut, sofort in eine große Öffent lichkeit trat. Adolf Otto Jäger, der von der geplanten Aktion der »In itiativgruppe<< [IG] nichts gewusst hatte, war schließlich genötigt, sich dieser Gruppe, der seine engsten Mitarbeiter zugehörten, anzuschlie ßen Gäger hatte, worauf hingewiesen wurde, bereits früher zusammen mit Mitarbeitern, die jetzt zum größten Teil die »IG<< ausmachten, für eine Aufnahme der Erziehungswissenschaften in den Fachbereich »Philosophie und Sozialwissenschaften« votiert, ohne damals die Ein heit des Instituts in Frage zu stellen). Die linke Mehrheitsfraktion des Instituts war der Auffassung, dass unterschiedliche wissenschaftlich politische Positionen in rationaler Diskussion auszutragen sind, nicht aber durch administrative Trennung der Kontrahenten der Kritik und Gegenkritik entzogen werden dürfen, suchte in Debatten und öffent lichen Erklärungen die Argumente der »Initiativgruppe<< zu entkräften und die politische Unsinnigkeit und fachliche Unbegründetheit der Teilungsabsicht deutlich zu machen. - Ungefähr zur gleichen Zeit be gann, mit der Veröffentlichung eines Pamphlets der »Notgemeinschaft für eine Freie Universität<< vom 6.3 . 1 970, unter der Überschrift »Freie Universität unter Hammer und Sichel<<, die 1. öffentliche Kampagne gegen das Projekt »Schülerladen« des Psychologischen Instituts, die sich zu einer - gemessen an der Geringfügigkeit des Anlasses - in der
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Geschichte der Bundesrepublik wohl ziemlich beispiellosen Intensität öffentlicher Hetze und Verleumdung ausweiten sollte (vgl. dazu Wolf gang Fritz Haug: »Der sexuell-politische Skandal als Instrument anti demokratischer Kampagnen«, in: >>Schülerladen Rote Freiheit« 1 971, s. 389ff ) Die Lage der linken Studenten und Mitarbeiter des Psychologischen Instituts gewann zu dieser Zeit dadurch eine andere Qualität, dass die progressiven, sozialistisch gemeinten Aktivitäten am Institut, zunächst aus Anlass der Vorgänge um den Ruf an Eyferth und die Teilungspläne der »Initiativgruppe«, zum Ziel permanenter Angriffe durch die Mas senmedien wurde. Den Anfang machten mehrspaltige Berichte über das erwähnte Pamphlet >>Freie Universität unter Hammer und Sichel« der »Notgemeinschaft«: >> Am weitesten fortgeschritten sieht die Not gemeinschaft die (kommunistische) Unterwanderung am Psycholo gischen Institut, wo der Lehrbetrieb bereits weitgehend unter marxis tischen Vorzeichen stehen dürfte. Genaues sei schwer zu erfahren, da sich die Aktivisten tarnten und Andersdenkende einschüchterten. Zur Zeit laufe dort eine Kampagne, die einen politisch missliebigen aus wärtigen Wissenschaftler von der Annahme eines Rufes abhalten solle« (Tagesspiegel, 1 1 .3 . 1 970). Ein ähnlicher Bericht findet sich in der Welt vom 1 1 .3. 1 970. - Die Kampagne der >>Initiativgruppe« zur Gründung eines zweiten Psychologischen Instituts wurde zuerst am 1 8. März von der Presse in groß aufgemachten Artikeln dargestellt, wobei der »Ta gesspiegel<< zunächst noch, wenn auch in geringem Umfang und re lativierender Form, die Argumente der Gegner einer Institutsteilung, der Mehrheitsfraktion des Instituts und des Universitätspräsidenten, wiedergab, während die Welt sofort die von der »Notgemeinschaft<< diagnostizierte >>kommunistische Unterwanderung« des Instituts, den »Terror« gegen Eyferth und die Aktivitäten der »Initiativgruppe« in einem Atem zu Angriffen auf das Institut, den Präsidenten und den Se nator für Wissenschaft und Kunst benutzte. Die Presse berichtete von da an regelmäßig über die Vorgänge an unserem Institut und unter stützte nachhaltig die »Initiativgruppe«, wobei diese Presseveröffent lichungen bald in die umfassendere, langandauernde Kampagne gegen den >>Schülerladen<< einmündeten. Die Denunziation des Schülerla dens und die Förderung der Teilungsbestrebungen der Initiativgruppe stützten sich von da an in den Massenmedien gegenseitig. Meine persönliche Lebenslage wurde mit der Entwicklung der Krise des Instituts zunehmend kompliziert und belastend. - Ich hatte, als die Gegensätze zwischen Linken und Liberalen am Insti tut sich zu verschärfen begannen, mit großer Intensität versucht, das Psychologische Institut unter der Konzeption »zusammenzuhalten«, dass Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen wissenschaftlich.
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politischen Positionen am Institut als eine Form der Zusammenar beit zu verstehen seien, und dabei psychologisierend den objektiven Charakter der wachsenden Antagonismen zwischen den Fraktionen verkannt. - Mein Selbstverständnis als Sozialist hatte sich - besonders auch durch die Mitarbeit im Schülerladenkollektiv - verdeutlicht und die Solidarität mit den sozialistischen Studenten und Mitarbeitern am Institut wuchs durch die gemeinsame Arbeit. Dies führte quasi »auto matisch<< zu Ablehnung und Misstrauen bei den liberalen Institutsan gehörigen, auch bei solchen, mit denen ich durch jahrelange Koope ration am Institut freundschaftlich verbunden gewesen war. Weitere Probleme ergaben sich dadurch, dass ich die Implikationen meines Anspruchs, als Hochschullehrer Sozialist zu sein, noch nicht deutlich erfasst hatte. Ich war mit den sozialistischen Studenten am Institut zwar durch die gleichen oder ähnliche Ziele verbunden, konnte die Kampfformen der Studenten aber natürlich nicht übernehmen. Es gelang uns nicht, eine klare und theoretisch begründete Auffassung von der Art, den Möglichkeiten und den Grenzen meiner Beiträge zur gemeinsamen wissenschaftlich-politischen Arbeit zu entwickeln, weil wir im Ganzen unsere Aktivitäten noch viel zu wenig auf eine marxistische Analyse realer Verhältnisse gründeten, in abstrakt-illu sionären Vorstellungen befangen waren. - Die Konsequenzen wur den uns präsentiert mit der öffentlichen Kampagne gegen das Institut, die uns theoretisch und >>menschlich<< völlig unvorbereitet traf und für mich die schwerwiegendsten Probleme nach sich zog. Die öffent lichen Angriffe, auch die der CDU im Abgeordnetenhaus, wurden von vornherein personalisiert geführt, an meiner Person festgemacht. Als B eispiel diene eine Synopsis der Welt vom 1 8.3 . 1970, bei der mit dem Schlag gegen mich gleichzeitig auf den Präsidenten gezielt wurde: >>Weitgehend unter Federführung des Psychologieprofessors Klaus Holzkamp, der in einer Fernsehsendung der CDU-Wahlpro paganda für die Bundestagswahl 1 969 faschistoide Tendenzen vorge worfen hatte, wurden in der letzten Zeit allein sechs von sieben freien Planstellen für wissenschaftliche Mitarbeiter durch Mitglieder oder Sympathisanten der linksradikalen >Roten Zelle Psychologie< besetzt. Auch Professor Holzkamp hat in der Roten Zelle aktiv mitgearbei tet. Er galt lange als Kreibichs Favorit für das Amt des FU-Vizeprä sidenten.<< Auch bei den Attacken gegen den Schülerladen bezogen sich die Vorwürfe häufig auf meine Person. Nicht nur, dass damit mein Ansehen als Wissenschaftler bedroht war und meine persönliche Integrität ins Zwielicht geraten musste, was mir natürlich nicht gleichgültig sein konnte: Ich hatte - und das war für mich subjektiv am meisten belastend - nicht die Möglichkeit, den An griffen auf angemessene Weise öffentlich entgegenzutreten. Hätte ich
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etwa wahrheitsgemäß darauf hingewiesen, dass die Attacken sich zu Unrecht auf meine Person konzentrieren, da die Entscheidungen in der Mehrheitsfraktion des Instituts und auch in der Projektgruppe >>Schü lerladen« kollektiv gefällt werden, so hätte unbedingt der Eindruck entstehen müssen, als ob ich mich hinter den Studenten und Mitarbei tern verschanzen, mich meinen Verantwortlichkeiten als Hochschul lehrer entziehen wollte - die ich ja als »wissenschaftliche« Verantwor tung gemäß meiner Erklärung vor der Fakultät und als »menschliche<< Verantwortung in den Augen der Öffentlichkeit, die den »Professor<< immer noch als eine Art von väterlichem Vormund »seiner<< Studenten betrachtet, auch innehatte. Ich konnte mich nicht voll »hinter<< das Projekt stellen, da an der Arbeit im Schülerladen, die sich erst im An fangsstadium befand, vieles problematisch war; ich konnte mich aber auch nicht von dem Projekt und den Studenten »distanzieren«, weil ich mit den Zielen der Arbeit übereinstimmte, ihre objektive Schwierigkeit beurteilen konnte und die menschliche Integrität und fachliche Qua lifikation der Mitglieder der Projektgruppe kannte. - Mir blieb nichts übrig als der Versuch, die ziemlich komplizierten Zusammenhänge um die Entstehung, den Verlauf und die Ziele des Projektes, die Situation des Ladens in Kreuzberg sowie das Zustandekommen und die Funk tion der Protokolle zu erklären, was ich auch mehrmals tat - allerdings ohne Erfolg, weil (wie aus der genannten Analyse von W F. Haug her vorgeht) die Senatsstellen und Massenmedien (abgesehen von wenigen Ausnahmen) durch ganz andere Interessen geleitet waren als die, sich zu informieren und sachlich zu berichten; der »Skandal« war sozusa gen schon beschlossene Sache. Wir brauchten noch lange, bis uns ganz deutlich wurde, dass die Be zeichnungen »Hetze<<, »Lügen<<, »Verleumdungen<< auf die öffentliche Kampagne gegen uns zwar zutrafen, dass diese Termini jedoch nicht moralisch wenend gebraucht werden durften, sondern nur zur Kenn zeichnung funktioneller Merkmale der Kampagne, die wir selbst durch unseren Mangel an gesellschaftstheoretischen Voraussetzungen für dis zipliniertes und maßvolles politisches Verhalten erst möglich gemacht hatten. Ich selbst hatte zu lernen, öffentliche Angriffe auf meine Person nicht »persönlich<< zu nehmen. Entweder solche Angriffe sind - wie in diesem Falle - unabsichtlich provoziert worden; dann muss dies An lass sein, die Mechanismen der Entstehung solcher öffentlichen Reak tionen in dieser Gesellschaft besser kennenzulemen. Oder man gelangt zu der Einsicht, dass sich das Angegriffenwerden durch die Öffentlich keit in manchen Konstellationen der bewussten wissenschaftlich-poli tischen Tätigkeit nicht vermeiden lässt; dann sind die Angriffe als Teil der alltäglichen Arbeit hinzunehmen.
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1 0 Kritik des Textes »Die kritisch-emanzipatorische Wendung des Konstruktivismus« (»wissenschaftstheoretische Voraussetzungen kritisch emanzipatorischer Psychologie Il«; entstanden Frühjahr 1 970) Der erste Teil des Artikels » Wissenschaftstheoretische Voraussetzungen kritisch-emanzipatorischer Psychologie« (S. 83- 1 06 dieses Buches) ist identisch mit dem Kapitel >>Der Rückzug der modernen Wissen schaftslehre« aus dem »Wissenschaftstheorie-Paper« vom Sommerse mester 1 968, das bereits kritisch diskutiert wurde (S. 228ff. ), ergänzt durch eine programmatische Einleitung, die gegenüber den früheren Arbeiten inhaltlich nichts Neues brachte. Das so zusammengestellte Manuskript wurde im Herbst 1969 bei der »Zeitschrift für Sozialpsy chologie« eingereicht, deren Mitherausgeber ich bin; es sollte schon in den ersten Heften den kritischen Ansatz des Berliner Psychologischen Instituts zur Geltung bringen; die Fortsetzung des Manuskripts für das zweite Heft war als eine gründliche Umgestaltung und Erweite rung des zweiten Teils des »Wissenschaftstheorie-Papers« gedacht. Die Niederschrift dieser Fortsetzung, »Die kritisch-emanzipatorische Wendung des Konstruktivismus« (S. 1 06- 1 52 dieses Buches) wurde im März 1 970 unerlässlich, da am 3 1 .3 . Redaktionsschluss für das zweite Heft war, und fiel so in die Zeit der Vorgänge um die Eyferth-Beru fung, des Beginns der Aktivitäten der »Initiativgruppe« und des An rollens der Schülerladen-Kampagne und so - wie dargestellt - in eine Periode persönlicher Verunsicherung und Desintegration. Dieser Text ist trotz - oder gerade wegen - der bei oberflächlicher Betrachtung im ponierenden scheinbaren Stringenz seiner Argumentation, seiner of fensichtlichen Überredungskraft für manche linken Psychologen wohl der problematischste aller Artikel, die in diesem Buch abgedruckt sind: In ihm vereinen sich erste Ansätze zu wirklicher marxistischer Be trachtungsweise der Psychologie mit verbalradikal-deklamatorischen Passagen, prinzipienlos-widersprüchlichen Ausführungen und zutiefst verfehlten gesellschafts- und wissenschaftstheoretischen Konzeptionen. Eine kritische Analyse dieses vielfältigen Gedankengeflechts kann hier nur in groben Zügen erfolgen. Der erste Abschnitt »Die Verkehrung von Konkretheit und Abs traktheit menschlicher Verhältnisse in der bürgerlichen Psychologie« (S. 1 08ff. dieses Buches) stellt meines Erachtens einen wesentlichen und richtigen Ansatz zur Kritik der bürgerlichen Psychologie und Entwicklung einer kritischen Psychologie dar, zumal die »Verkehrung von Konkretheit und Abstraktheit« hier nicht nur behauptet, sondern
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durch Analysen wirklicher Konzeptionen und Denkweisen der beste henden Psychologie exemplifiziert wird. Die in diesem Zusammen hang erfolgte Explikation des falschen Verfahrens der »Introjektion«, der Hineinverlegung von Realkategorien der Gesellschafdichkeit des Menschen »in« den Menschen als abstrakte »Eigenschaften«, »Funk tionen«, »Phänomene« o. Ä. und die Forderung nach Aufhebung der »Introjektion« in kritisch-psychologischem Denken eröffnen we sentliche Perspektiven. - Beispiele für die tatsächliche Erarbeitung nicht-introjektiver psychologischer Konzeptionen finden sich in der sowjetischen Psychologie, besonders der Schule A. N. Leontjews; hier versuchte man, theoretische Konzeptionen über menschliches Verhal ten nicht mehr im Blick auf den jeweils einzelnen, isoliert gesehenen Menschen aufzustellen, sondern aus den realkategorialen Beschaffen heiten der Ergebnisse gegenständlicher gesellschaftlicher Tätigkeit des Menschen zu entwickeln. »Nicht geheimnisvolle psychische Prozesse, sondern die sinnvolle gegenständliche Tätigkeit wurde zum unmittel baren Gegenstand der Psychologie<<, so Galperin (1 967), der selbst eine hervorragende, empirisch wohlbegründete Analyse der individuellen Entwicklung »psychischer« Funktionen als schrittweise modifizierte Formen der konkreten, gegenständlichen Tätigkeit des Subjekts vorge legt hat, wobei die gegenständliche Tätigkeit selbst wieder als geprägt durch die Vergegenständlichungen gesellschaftlicher Arbeit auf einer bestimmten Stufe des historischen Prozesses aufgefasst ist. Der Text des Abschnittes »Die Verkehrung . . . « enthält allerdings eine Reihe von Unklarheiten, auf die Klaus-Jürgen Bruder (1 971 ) hin wies und die bei ihm zu gewissen Missverständnissen über die Ab sichten der Argumentation führten. Ich will versuchen, diese Unklar heiten zu beseitigen. Das Konzept der »Verkehrung von Konkretheit und Abstraktheit menschlicher Verhältnisse« ist nicht als eine Explikation des »Men schen« als abstrakt-isoliertes Individuum in der bürgerlichen Ge sellschaft zu verstehen, sondern als eine Explikation einer verfehlten Denkweise der bestehenden Psychologie. Das »abstrakt-isolierte In dividuum« wird als »bloßes Gedankending« der Psychologie charak terisiert, während der »konkrete historische Mensch« zwar auch eine gedankliche Konzeption ist, aber eine, in der die konkrete Gesellschaft lichkeit des Menschen unter je spezifischen Aspekten angemessen re produziert ist: »Die gesellschaftlichen Verhältnisse sind . . . die Form, in der sich notwendigerweise menschliches Leben realisiert, wobei konkrete, lebendige Menschen immer in einer besonderen historischen Form solcher Verhältnisse stehen und das Absehen von dieser beson deren historischen Form eben zum abstrakt-isolierten menschlichen Individuum als bloßem Gedankending führen muss« (S. 108). - Die
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Überlegungen basieren hier, wie ausdrücklich angegeben, auf Ansät zen der marxschen Feuerbach-Thesen und der Deutschen Ideologie von Marx-Engels. Marx sagt in der sechsten Feuerbach-These: »Feu erbach löst das religiöse Wesen in das menschliche Wesen auf. Aber das menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum irrwohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das ensemble der gesellschaft lichen Verhältnisse. Feuerbach, der auf die Kritik dieses wirklichen Wesens nicht eingeht, ist daher gezwungen: 1 . von dem geschichtlichen Verlauf zu abstrahieren und das religiöse Gemüt für sich zu fixieren, und ein abstrakt - isoliert - menschliches Individuum vorauszusetzen. 2. Das Wesen kann daher nur als >Gattung<, als innere, stumme, die vie len Individuen natürlich verbindende Allgemeinheit gefasst werden<< (Marx 1 962 [MEW 3], S. 6). Marx expliziert hier nicht Eigenarten einer bestimmten Gesellschaftsform, sondern weist auf fehlerhafte Denk und Vorgehensweisen Feuerbachs hin. Ebenso werden im Abschnitt über »Die Verkehrung . . . « das »Gedankending« des »abstrakt-isolier ten menschlichen Individuums« und die >>Introjektion« anhand von inhaltlichen Analysen als falsche Denk- und Vorgehensweisen der be stehenden Psychologie herausgearbeitet. Dies bedeutet mithin keines wegs, wie Bruder für möglich halten will, dass meiner Auffassung nach »die Wahl des Gegenstandes selbst schon die Psychologie zur bürger lichen macht«, dass ich »also >die gesellschaftlichen Formationen< als Gegenstand der Psychologie« fordere, sondern in der Tat, dass »das Individuum der legitime Gegenstand der Psychologie bleiben soll und vielmehr das methodische Versäumnis, vom abstrakten zum konkreten Individuum aufzusteigen, die Abstraktheit der bürgerlichen Psycholo gie ausmacht« (Bruder 1 971, S. 77). Wenn hier vom »abstrakt-isolierten Individuum« gesprochen wird, so ist damit also keineswegs das Ergebnis der marxschen Analyse der Warenform als Zelle der bürgerlichen Gesellschaft gemeint, in wel cher expliziert wird, wie die Warenform » . . . den Menschen die ge sellschaftlichen Charaktere ihrer eignen Arbeit als gegenständliche . . . Natureigenschaften dieser Dinge zurückspiegelt, daher auch das ge sellschaftliche Verhältnis der Produzenten zur Gesamtarbeit als ein außer ihnen existierendes Verhältnis von Gegenständen« (Kapital 1 , 1 968 [MEW 23], S . 8 6) , s o dass sich die Individuen hier als abstrakt isoliert gegenübertreten, ihr eigenes gesellschaftliches Verhältnis ihnen notwendig als Verhältnis zwischen Sachen erscheint. Diese Analyse wurde vielmehr erst dadurch möglich, dass Marx, nachdem er in den »Pariser Manuskripten« eine durchaus noch abstraktere Weise der Bestimmung des »menschlichen Wesens« vorgenommen hatte, in der Deutschen Ideologie und den Feuerbach-Thesen eine solche Wesens bestimmung durch die Erkenntnis der genuinen Gesellschaftlichkeit
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der menschlichen Natur überwunden hatte. Bruder irrt sich, wenn er meint: »Abstrakt wird aber nur dann im von Marx herausgearbeiteten Sinn verwendet, wenn damit die Abstraktheit des Gegenstandes selbst erfasst ist« (S. 77). In der genannten 6. Feuerbach-These geht es durch aus nicht um die reale Abstraktheit des gesellschaftlichen Menschen selbst, sondern um die denkmethodische Kritik, Feuerbach sei bei sei ner Vorgehensweise gezwungen, >>Von dem ges �hichtlichen Verlauf zu abstrahieren und . . . ein abstrakt - isoliert - menschliches Individuum vorauszusetzen«. Mit dem Aufweis der unreflektierten Grundkonzeption des >>abs trakt-isolierten Individuums« und der »Introjektion« in der bürger lichen Psychologie ist, darauf weist Bruder mit Recht hin (S. 78 f ) , eine materialistisch-gesellschaftliche Seinserklärung der >>abstrakten« und >>introjektiven« Eigenart dieser Psychologie noch keineswegs geleistet. Bei einer solchen Erklärung wird man die Ansätze der bürgerlichen Psychologie notwendig als eine - wie auch immer begriffslose und ver kürzte - Explikation von Strukturmomenten der bürgerlichen Gesell schaft zu betrachten haben. Mit der von Bruder vorgeschlagenen Erwä gung, >>ob nicht die abstrakte bürgerliche Psychologie den abstrakten Verhältnissen des Kapitalismus adäquat ist«, scheint mir allerdings kaum etwas gewonnen zu sein. Durch die einfache Analogisierung zwischen >>abstrakter« Psychologie und >>abstrakten« Verhältnissen der bürger lichen Gesellschaft wird auf Ökonomistische Weise das Ergebnis einer materialistischen Analyse vorgetäuscht, die an einem umfangreichen historischen Material unter präziser Herausarbeitung der vielfältigen Vermittlungen zwischen der Bewegung der Kapitale und der Entstehung und Entwicklung der bürgerlichen Psychologie erst zu leisten wäre - ohne von vornherein feststehendes Resultat. Im Interesse einer Klärung der Funktion des Konstruktivismus innerhalb kritischer Psychologie sei noch auf die konstruktivistische Explikation des Umstandes hingewiesen, dass die gedankliche Verkehrung von Abstraktheit und Konkretheit in der bestehenden Psychologie durch noch so weitgehende experimentelle »Bewährung« von Theorien nicht aufzuheben ist, weil im methodischen Ansatz der experimentellen Forschung von vornherein die Geschicht lichkeit des konkret-gesellschaftlichen Menschen eliminiert ist (S. 1 1 6f.) - womit eine Beziehung zwischen der introjektiven Eigenart der bür gerlichen Psychologie und ihren im >>Anthropologie-Artikel« herausge arbeiteten methodenbedingten >>organismischen« Konzeptionen aufge wiesen werden sollte: »Auf diese Weise ist das organismische System der bürgerlichen Psychologie, in dem der konkrete historische Mensch zum abstrakt-isolierten Individuum umgefälscht ist, immanent völlig unan greifbar, da es sozusagen per definitionem gar keine empirischen Daten geben kann, die diesem System widersprechen<< (S. 1 1 7). .
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Im nächsten Abschnitt »> Tägliches Leben< und >objektive< Gesell schaftsform: Die Bezugsrahmen für die Relevanzbestimmung psycholo gischer Forschung<< (S. 1 1 7-127) findet sich eine an Ausprägungsformen der bestehenden Psychologie angesetzte kritische Analyse von Versu chen, den Rückbezug auf das >>tägliche Leben<< zur Sinnbestimmung psychologischer Forschung zu benutzen, wobei der Oberflächencha rakter, die Begriffslosigkeit, Zusammenhanglosigkeit des menschlichen Alltagsverständnisses herausgehoben werden (S. 1 1 8- 1 2 1 ). Dies ist ein Fortschritt gegenüber der Behandlung des »täglichen Lebens<< in den alten programmatisch-konstruktivistischen Büchern (bes. 1 968) und auch den früheren hier abgedruckten Artikeln, in denen die mensch liche Alltagswelt als der Ort bestimmt war, in dem sich der >>Forscher« und die »Versuchsperson<< zur gemeinsamen Abklärung der Relevanz psychologischer Forschung quasi begegnen können (vgl. etwa: S. 22f.). Sonst sind die meisten Fehler aus den früheren Artikeln in diesem Abschnin versammelt: Die agnostizistische Herleitung der »Relevanz<< Frage nach dem Vorgang des >>Rückzugs der modernen Wissenschafts lehre<<, das äußerliche Herantragen des »Relevanz«-Kriteriums an eine weitgehend instrumentell verstandene Wissenschaft, der unwissen schaftlich-utopische Bezug auf eine zukünftige >>unterdrückungsfreie Gesellschaftsstruktur<<, das Verständnis gegenwärtiger >>Unterdrü ckung<< als alleiniges Ergebnis der >>Manipulation<< durch die »Herr schenden<< u. v. a. m. (Bruder hat manche Schwächen dieses Abschnittes zutreffend herausgehoben, 1 97 1 , S. 79ff.). - Ich will frühere einschlä gige selbstkritische Analysen hier nicht wiederholen und nur noch die Problematik der versuchten Bestimmung des Verhältnisses zwischen >>Erscheinung<< und >>Wesen<< sowie des verwendeten »ldeologie<<-Be griffes kurz darlegen. Die Unterscheidung zwischen >>Erscheinungsform<< und >>Wesen<< ist in der Tat eine Voraussetzung für jeden Ansatz marxistischer Ana lyse. Die Stringenz dieser Unterscheidung muss allerdings völlig dun kel bleiben, wenn man wie hier >>Erscheinung<< und >>Wesen« zunächst als zwei Begriffe gegenüberstellt (was so gesehen genauso willkürlich erscheinen muss wie die diversen >>Einteilungen« bürgerlicher Wissen schaftler) und dann nachträglich, von außen, diese Unterscheidung auf die >>kapitalistische Gesellschaft<< anwendet, dabei das »tägliche Le ben<< als >>Erscheinung<< und die >>objektive Gesellschaftsform<< als We sen interpretiert (S. 121f.). Es wurde noch nicht verstanden, dass Marx zu Aussagen über >>Erscheinungsformen<< in ihrer Beziehung zum >>Wesen<< durch die gedankliche Reproduktion der bürgerlichen Ge sellschaftsformation kam, wobei man die >>Erscheinungs<<- und >>We sens<<-Bestimmungen nur im Nachvollzug der einzelnen Schrine dieser Analyse in ihrem Zusammenhang zueinander als zwingend, und nicht
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beliebig, erkennen kann: nur so kann auch deutlich werden, dass es sich mit >>Erscheinung<< und »Wesen<< nicht um verschiedene, metaphysisch gegenübergestellte Seinsformen handelt, sondern um Gegebenheiten der gleichen Seinsweise. >>Erscheinung<< verdeutlicht sich dabei als ver kürzter, isolierter Bestandteil des »Wesens«, das »Wesen« offenbart sich in der Reproduktion des realen Zusammenhangs der »Erscheinungen<<, wobei die Erscheinung indessen nicht mit der Aufdeckung des We senszusammenhangs verschwindet, sondern sich als gesellschaftlich notwendiger Schein, als zum Wesen der kapitalistischen Gesellschaft gehörig, nach Hegels Wort »dem Wesen wesentlich<<, erweist. All dies lässt sich nicht als >>allgemeine Theorie« entwickeln und von außen auf Gesellschaft anwenden (und muss deshalb positivistischem Verständ nis für immer unzugänglich bleiben), sondern eben nur in der kon kreten, vielschichtigen, empiriegesättigten Analyse der bürgerlichen Gesellschaft in den verschiedensten Facetten immer wieder erkennen (vgl. dazu »Die Welt der Pseudokonkretheit und ihre Destruktion<<, Kosik 1967, S. 7ff.). - Die weiteren Ausführungen im Zusammenhang mit der Unterscheidung von »Erscheinung« und »Wesen<<, etwa die Differenzierung zwischen >>wahren<< und >>falschen<< Bedürfnissen etc., leiden unter der Verfehltheit des Ausgangsansatzes. Hier helfen nicht Begriffsdichotomisierungen verbunden mit allgemeinen Betrachtungen weiter, sondern nur wirkliche Analysen. Die Darlegungen über die »Ideologie<< der bürgerlichen Gesellschaft (S. 122ff.) sind, das hat Klaus-Jürgen Bruder ( 1 97 1 , S. 79ff.) treffend hervorgehoben, durchgehend deswegen unzulänglich, weil ich damals über einen Begriff von >>gesellschaftlich notwendigem Schein« noch nicht klar genug verfügte und deswegen die Durchsetzung der herr schenden als gesamtgesellschaftliche Interessen mehr oder weniger als die einzige Form der Mystifikation gesellschaftlicher Zusammenhänge verstand. Man sollte hier wohl mindestens drei verschiedene Momente her ausheben: einmal den gesellschaftlich notwendigen Schein als dialek tisch dem »Wesen« der bürgerlichen Gesellschaft zugehörig und nur mit dieser aufheb bar, etwa der >> Fetischcharakter der Ware<<; weiter das Bewusstsein der Scheinhaftigkeit dieses Scheins und damit das Erken nen der in den notwendigen Mystifikationen verborgenen unaufheb baren Widersprüche der bürgerlichen Gesellschaft, etwa die Einsicht in den Doppelcharakter der Ware als >>Zelle« der gesellschaftlichen Widersprüche im Kapitalismus (vgl. dazu etwa den von Tomberg 1 969, S. 206 ff., explizierten Unterschied zwischen >>entfremdetem Be wusstsein<< und dem >>Bewusstsein der Entfremdung<<); der Grad des Bewusstseins des Scheins und damit der Einsicht in die gesellschaft lichen Widersprüche ist in dieser Gesellschaft variabel, abhängig von
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der Klassenlage und einer Vielzahl weiterer, bisher kaum erforschter Bedingungen; schließlich mehr oder weniger gezielte Manipulation, in dem die Kapitalistenklasse und ihre Verbündeten ihr Klasseninteresse als Allgemeininteresse darstellen, und das zugehörige Komplement der Manipulierbarkeit. (Der Umstand, dass lange Zeit das Konzept der >>Manipulation« als >>Herrschaftsmittel« untheoretisch überstrapaziert wurde, sollte einen nicht dazu führen, dieses Moment j etzt ganz zu vernachlässigen; sonst verstellt man sich den Blick auf viele wichtige Aufgaben in dieser Gesellschaft, z. B. die triviale Notwendigkeit des Kampfes gegen mehr oder weniger gezielte Verdummung durch die Massenmedien und die institutionalisierte Erziehung.) Wichtig ist da bei, dass man die drei genannten Momente nicht voneinander isoliert betrachtet, sondern möglichst genau in ihrem Verhältnis zueinander entwickelt. So wäre herauszuarbeiten, wieweit die Möglichkeit und »Notwendigkeit« manipulativen Verhaltens auf der einen Seite, und die umgekehrt reziproke Manipulierbarkeit auf der anderen Seite selbst von der Entwicklung der Gesellschaftsform, dem >>Reifegrad« des Ka pitalismus abhängt, um so ausgeprägter ist, je weniger der >>Skandal des Kapitalismus« noch hinter den Fassaden der >> gebrochenen Freiheit« liberaler Demokratie sich verbergen kann. - Von größter Bedeutung ist bei all dem, dass man den Ansatz des >>gesellschaftlich notwendigen Scheins « auf keinen Fall über das durch die konkreten marxistischen Analysen tatsächlich Ausgewiesene hinaus überdehnen sollte, sonst wird die sicherlich naive personalisierende >>Drahtzieher«-Theorie der antiautoritären Studentenrevolte abgelöst durch einen ökonomistisch ästhetisierenden Passivismus, in dem überhaupt kein konkreter Gegner mehr fassbar bleibt, alles hinter der undurchdringlichen Wand ver meintlicher gesellschaftlicher Notwendigkeiten verschwindet (dabei in >>demütiger«, kontemplativer Haltung auf den angeblich zwangsläu fig von der gesellschaftlichen Entwicklung hervorgetriebenen Kampf des mythischen Subjekts »Proletariat« zu warten, ist ein zwingender Bestandteil eines solchen pseudomarxistischen Ästhetizismus). - Ein Beispiel für die Überdehnung des Konzeptes >>gesellschaftlich notwen diger Schein<< ist m. E. der Versuch von Bruder, die Unternehmerparole des >>lm-gleichen-Boot-Sitzens << auf den gesellschaftlich notwendigen Schein der Gleichheit der Mitglieder dieser Gesellschaft im Waren tausch zurückzuführen - Ergebnis einer durch Sohn-Rethel ( 1 970) beeinflussten isolierten, vom Produktionsbereich absehenden Betrach tung des Tauschverhältnisses als gesellschaftlicher Synthesis im Kapi talismus.22 22
Vgl. dazu die kritische Analyse des Sohn-Rethelschen Ansatzes von Frigga Haug 1971.
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Den auf den ersten Seiten des nächsten Abschnittes »Das >kritisch historische< und das >kritisch-empirische< Verfahren<< (S. 128-1 36) un ternommene Versuch, zwei Arten von Empirie, die konkret-vorfind liehe historische Psychologie als »Empirie erster Art« und die von der Psychologie gewonnenen empirischen Daten als »Empirie zweiter Art«, zu explizieren und in ihrem Verhältnis zueinander zu bestimmen, scheint mir im Ansatz richtig zu sein (ähnliche, wenn auch schon er heblich weiter ausgearbeitete Konzeptionen finden sich bei Hahn 1 968, in Bezug auf die Soziologie). Wichtig ist dabei, dass hier das bishe rige empirische Forschungsverfahren nicht etwa lediglich durch das auf »Empirie erster Art« bezogene >>kritisch-historische Verfahren« ergänzt werden soll, sondern dass dieser Konzeption nach ein wis senschaftliches Verständnis der Eigenart empirischer Forschung über haupt erst durch die Ergebnisse der >>kritisch-historischen« Forschung zu gewinnen ist. Daraus ergibt sich nicht nur Kritik an den bisherigen Verfahren, sondern auch die Erarbeitung neuer Verfahren für kritisch-empirische Untersuchungen. - All dies muss natürlich so lange programmatisch und unüberprüfbar bleiben, bis tatsächlich Analysen solcher Art vor gelegt werden - was bald geschehen soll. Die Diskussion des wissenschafdich-psychologischen Gesetzes begriffs (S. 1 3 2- 1 3 6) ist sehr problematisch, weil dabei von der frü her schon kritisch dargelegten positivistischen Gleichsetzung von Methodologie und Erkenntnistheorie ausgegangen wird. Da hier das transzendentale Problem der Möglichkeitsbedingungen für Erkennt nis nicht gesehen wird, kommt es zu einer gedanklichen Auseinan derreiBung und äußerlichen Gegenüberstellung von >> Gesetz« auf der einen Seite und »Realität« auf der anderen Seite, die dann letzdich nur noch subjektivistisch-agnostizistische Konsequenzen zulässt. Was hier im Zusammenhang mit dem vermeintlichen Fortschritt der Wissen schaftslehre erscheint, ist in Wirklichkeit eine Regression des philo sophischen Denkens, ein Rückfall hinter Kam, wobei die kritische Verarbeitung und Überwindung der transzendentalphilosophischen Erkenntnistheorie durch den Marxismus ignoriert wird. - Der Hin weis darauf, dass es in gesellschaftsbezogener Wissenschaft wie der Psychologie nicht nur Gesetze gibt, die vom Forscher aufgestellt sind, sondern auch solche, die >>in<< den menschlichen Lebensumständen liegen, auf die sich psychologische Forschung richtet (S. 1 3 3 ), ist zu nächst dadurch unzulänglich, dass die erste Art von Gesetzen, die - in Missachtung des früher in diesem Artikel dargelegten kritischen Prin zips der >>Introjektion<< subjektivistisch als dem Kopf des Forschers entsprungen verstanden werden - den >>in<< der Gesellschaft liegenden Gesetzen dichotornisch gegenübergestellt sind, der Unterschied nicht
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auf der Grundlage der gesellschaftlichen Vermitteltheit beider Ge setzesarten expliziert wird. Die gesellschaftlichen Gesetze in der bürgerlichen Gesellschaft werden dann im Sinne von Marx und Engels als >>blinde<< Quasi-Na turgesetze, in denen sich die Tendenzen der kapitalistischen Pro duktion »hinter dem Rücken<< der Produzenten durchsetzen, zwar angemessen gekennzeichnet: Die Annahme, dass in diesen kapitalis tischen >>Naturgesetzen<< die einzige Voraussetzung für gesetzesbe zogene Sozialwissenschaft liegt, scheint mir indessen einseitig und voreilig. In der Alternative: entweder » Gesetzmäßigkeiten kapitalisti scher Produktionsverhältnisse<< als Ausdruck »einer besonderen Art menschlicher Unterdrückung<< oder Gesetzesbestätigungen als »na turhafter Gegebenheitszufall« wird der Mensch als Gesellschaftswe sen vom Menschen als Naturwesen getrennt, die Gesellschaftlichkeit der menschlichen Natur nicht voll begriffen; außerdem wird hier die Entwicklung der empirischen Sozialwissenschaften und der Psycho . logie in den sozialistischen Ländern, besonders in der Sowjetunion und der DDR, nicht in die Diskussion um den Gesetzesbegriff ein bezogen. Im letzten Abschnitt des Artikels »Kritisch-emanzipatorische For schung in der Psychologie als >kontrolliert-exemplarische Praxis<« (S. 1 3 6ff.) wird der anspruchsvolle Versuch unternommen, im Zu sammenhang mit der Diskussion um das Theorie-Praxis-Verhältnis am Institut und auch sonst innerhalb der Linken einen Beitrag zur Klärung der Beziehung zwischen Praxis und wissenschaftlicher Psy chologie zu liefern und damit alle bisher in dem Artikel entwickelten Ansätze zu einem Gesamtkonzept zu integrieren. Dabei sollten die Grundkonzepte des Konstruktivismus, der in den früheren Artikeln vorwiegend als Mittel kritischer Explikation der Eigenart bürgerlich psychologischer Methodik gebraucht worden war, nunmehr »positiv<< gewendet, in ihrem rationalen Kern bewahrt und gleichzeitig gesell schaftskritisch überwunden werden. Der Versuch, so wie er vorliegt, ist als misslungen zu betrachten. Es war mir - wie ich erst jetzt mit aller Deutlichkeit sehe - nicht möglich, die Begrenztheiten des konstruktivistischen Denkens in einem umfas senderen Ansatz zu überwinden. Die instrumentalistisch-agnostizisti sche Wissenschaftsauffassung des »reinen« Konstruktivismus, der seine Beschränktheit als Methodologie noch nicht erkannt hatte, blieb viel mehr in den Darlegungen über Psychologie als »kontrolliert-exempla rische Praxis« letztlich voll erhalten und verhinderte die Entwicklung einer wirklichen kritisch-marxistischen Analyse. Die Kennzeichnung von »Praxis« als Handlungs-Effekt-Relation, also als Zweck-Mittel-Beziehung, und die Charakterisierung der Re·
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alisationshandlung in der empirischen Psychologie als »Sonderfall von menschlicher >Arbeit< oder >Praxis< überhaupt« (S. 137f.) hat mit einem Begriff von Praxis im marxistischen oder selbst im kritisch theoretischen Sinne nicht das Geringste zu tun. Wie sich aus der Formel von der Psychologie als >>kontrolliert-exemplarischer Praxis« ergibt, ist hier vielmehr der instrumentalistisch-agnostizistische An satz des reinen Konstruktivismus lediglich in die letzte Konsequenz getrieben. >>Meiner Auffassung nach lässt sich . . . im Blick auf die gesamte empirische Forschung, sofern man sie ohne irgendwelche >Wahrheits<- oder >Erkenntnis<-ldeologien betrachtet, aufweisen, dass sie ihrem Wesen nach als >Probieren< für die außerwissenschaft liche Praxis gekennzeichnet werden kann« (S. 1 3 7). In der Tat hat die Kennzeichnung der empirischen Psychologie als >>kontrolliert exemplarische Praxis« den Vorteil, dass jetzt die Bestimmung der >>äußeren Relevanz« der psychologischen Forschung als Analyse der B eziehung zwischen >>kontrolliert-exemplarischer« und >>direkter« oder >>Ernstfallpraxis« präzisiert werden kann. Es wird damit deut lich, dass es in beiden Fällen um Handlungsstrukturen geht; die Re levanzkriterien lassen sich so erheblich genauer bestimmen. Indes sen: Was hier tatsächlich geschieht, ist nichts weiter als eine klarere und differenziertere Explikation methodologischer Aufgaben der bürgerlichen Psychologie, eine verbesserte Auflage der einschlägigen Darlegungen aus dem Relevanz-Paper von 1 968, deren positivistische Voraussetzungen ja schon früher in dieser Abhandlung (S. 232ff.) her vorgehoben wurden. Diese neu aufgelegte Relevanzdiskussion geht bis S. 1 43 - man mag sich selbst im Einzelnen davon überzeugen. - Der Verfasser war hier, da er diese Ausführungen offenbar für >>kri tisch« hielt, wohl in der Vorstellung aus den frühesten Tagen der stu dentischen Wissenschaftskritik befangen, dass allein die Frage nach dem >>Wozu« von Wissenschaft schon >>kritisch-theoretisch« oder gar >>marxistisch« sei. Erst nach vielen vollgeschriebenen Seiten ist mir offenbar eingefal len, dass hier ja von kritisch-emanzipatorischer Psychologie die Rede sein sollte. Die Einführung dieses Konzeptes ist aufgesetzt, an die bisherige Argumentation äußerlich angestückelt. Dabei werden, in dem intensiven Bemühen um eine kritische Transformation der kons truktivistischen Konzeptionen, die wirklich kritisch-marxistischen Ansätze in früheren Gedankenentwicklungen unvermerkt beiseite gelassen. - So ist etwa die unter Verwendung des neuen Praxiskon zeptes scheinbar aus der Explikation der gedanklichen Verkehrung von Konkretheit und Abstraktheit des Menschen in der bürger lichen Psychologie hergeleitete Forderung nach einem Konzept der begrenzten Generalisierung von Forschungsbefunden (S. 144)
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keinesfalls >>kritisch<<, sondern nichts weiter als eine konstruktivis tische Variante des bürgerlich-sozialwissenschaftliehen Begriffs der »middle range theory<<. - In den Darlegungen darüber, dass im kri tisch-historischen Verfahren die » Vertretbarkeit und Vernünftigkeit« der wissenschaftlichen Forschungspraxis im Blick auf die » Vertret barkeit und Vernünftigkeit<< der übergreifenden direkten Praxis ab zuklären sei ($. 1 45), wird mit den Begriffen »Vertretbarkeit<< und »Vernünftigkeit<< gänzlich unkritisch-voluntaristisch umgesprungen. Der für sich genommen durchaus sinnvolle Ansatz des >>kritisch-his torischen<< Verfahrens wird durch diese vermeintliche Aufgabenstel lung diskreditiert, da natürlich niemand sagen kann, wie denn in diesem Kontext Kriterien für »Vertretbarkeit« und »Vernünftigkeit«, und dazu noch mit »rationalen Methoden«, zu entwickeln sein sol len. Hier hat den Verfasser sein aus »positivistischer« Schulung er langter Sinn für die Stringenz von B egründungszusammenhängen verlassen, ohne dass er dabei sich einem in irgendeinem Sinne >>kri tischen« Standort auch nur angenähert hätte. - Die Unterscheidung zwischen Psychologie im Dienste >>gesellschaftsbestätigender« und »gesellschaftsverändernder« Praxis (S. 1 45) ist, obgleich im Einklang mit damals noch gängigen Redeweisen, von großer Flachheit: So, als läge es im Belieben des Wissenschaftlers als Wissenschaftler, sich >>in den Dienst« der einen oder anderen Art von »Praxis« zu stellen. - Die weiteren Ausführungen in diesem Artikel, seien sie nun frag würdig, trivial oder erwägenswert, sind auf keinen Fall Bestandteil einer übergreifenden Konzeption, sondern eklektizistisch zusam mengestellte Meinungsäußerungen - und brauchen deswegen nicht eingehender diskutiert zu werden. Es war mir damals nie in den Sinn gekommen, die psychologische Wissenschaft in den Dienst politischer Tagesaktivitäten stellen zu wol len. Dennoch konnte ich faktisch - und das wird mir erst jetzt, am Abend des 1 5 . September 1 971, völlig klar - dem Vorwurf, ich hätte gefordert, die Psychologie außerwissenschaftlich-praktischen Zielset zungen zu unterwerfen, nichts entgegensetzen. Ich hatte - in radikaler Ausschöpfung des konstruktivistischen Ansatzes und damit konfron tiert mit den agnostizistischen Konsequenzen jeder isoliert-methodo logischen Konzeption - noch nicht verstehen können, dass die Lösung des Problems der Relevanz sozialwissenschaftlicher Forschung allein in einer richtigen Bestimmung des Wesens sozialwissenschaftlicher Er kenntnis liegen kann (s. u., S. 286ff ) .
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1 1 Der Kampf um das »sozialistische Studium« an der Freien Universität ( 1 970/7 1 ) Die Sirnation der srudentischen Linken i m Jahre 1 970 war gekenn zeichnet durch einen Differenzierungsprozess: Viele Srudenten assozi ierten sich kommunistischen Parteien oder schl.o ssen sich Partei-Auf bauorganisationen an, die den Schwerpunkt ihrer Arbeit außerhalb der Universität hatten. Die meisten Roten Zellen verbanden sich unter schiedlichen Fraktionen dieser Organisationen, womit die Rote-Zellen Bewegung, bei Fortbestehen der Roten Zellen, praktisch aufgehoben war, zumal auch andere politische Gruppierungen an der Universität entstanden und aktiv wurden. - Die sozialistischen Srudenten und Mitarbeiter, deren Interesse vorwiegend auf wissenschaftliche Arbeit im universitären Bereich gerichtet war, betrieben nun mit immer wach sender Intensität den Aufbau des Srudiums in Lehre und Forschung nach den Prinzipien des historischen Materialismus. Dabei war lang fristig nicht mehr an eine >> Gegenuniversität<< gedacht: Inzwischen wa ren so viele linke Studenten zu wissenschaftlichen Mitarbeitern oder Dozenten geworden, dass die Entwicklung der sozialistischen Wis senschaft zum mindesten in manchen Fächern innerhalb des regulären Srudiums in Angriff genommen werden konnte. Die Personalpolitik der Linken musste darauf gerichtet sein, hervorragende marxistische Wissenschaftler an die Freie Universität zu ziehen. Am 13. Oktober 1 970 gab der Senator für Wissenschaft und Kunst einen Bericht über die Situation an den Berliner Hochschulen heraus. Darin wird festgestellt, dass die Zielsetzung der Roten Zellen im Ganzen verfassungswidrig sei und dass Rote Zellen, die im Sinne ihrer Ziele aktiv würden, als verfassungsfeindliche Vereinigungen im Sinn e des Art. 9 Abs. 2 des Grundgesetzes betrachtet werden müssten. Von einem Verbot der Roten Zellen werde jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt abgesehen. Als Gründe dafür wurden u. a. Probleme der Verhältnismäßigkeit der Mittel, Opportunitätsgründe, Schwierigkeiten bei der Kontrolle des Verbots angegeben. - Damit waren die Roten Zellen für die uninformierte Öf fentlichkeit und den rückschrittlichen Teil der Universitätsangehörigen grundgesetzwidrig und ill egal. In obrigkeitsstaatlicher Halrung wurde hier nicht gesehen, dass die Auffassung des Senators zunächst nicht mehr wert war als jede beliebige einschlägige Meinungsäußerung eines Bür gers, da eine gerichtliche Überprüfung des Gutachtens nicht vorlag und eine Klage zunächst nicht möglich war, weil aus der Einschätzung des Senators ja keine konkreten Maßnahmen abgeleitet wurden. Der Zweck der Aktion, die Hervorkehrung einer >>starken Hand<< gegenüber den Srudenten vor der Öffentlichkeit angesichts der bevorstehenden Wahlen zum Abgeordnetenhaus im März 1 971, war jedenfalls erreicht.
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Im Rahmen des >>Sozialistischen Studiums der Roten Zelle Germa nistik« wurden für das Wintersemester 1 970/71 drei Proseminare von Lefevre, Dr. Domdey und Dr. Rothe angekündigt, die folgende endgül tige Titel erhielten: »Literatur zur Restauration des Kapitals in West deutschland« (Lefevre); »Dokumente des Kampfes der KPD für die Entmachtung der Monopolherren und Einigung der Arbeiterklasse in den Westzonen« (Domdey); »Literatur der antifaschistischen Ordnung und des Beginns des sozialistischen Aufbaus in der DDR<< (Rothe). Der Senator für Wissenschaft und Kunst forderte den Präsidenten der Freien Universität mehrmals auf, in Ausübung seiner Kompetenzen diese Lehrveranstaltungen als verfassungswidrig zu verbieten. Als der Präsident, unter ausführlicher Begründung seiner Entscheidung, sich weigerte, diesen Aufforderungen nachzukommen, wurde der Senator selbst als Staatsaufsichtsorgan aktiv. Durch Bescheid vom 29. Dezember 1 970 wies der Senator den Präsidenten unter Anordnung der sofortigen Vollziehung an: 1 . die drei genannten Veranstaltungen aus dem Vorle sungsverzeichnis der Freien Universität Berlin für das Wintersemester 1 970/71 zu streichen. 2. dafür zu sorgen, dass eine Ausgabe von Seminar bzw. Übungsscheinen oder sonstigen Nachweisen über die Teilnahme an diesen Veranstaltungen unterbleibt, und 3. bis zum 8. Januar 1 971 die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, dass eine weitere Durchführung dieser Veranstaltungen im Bereich der Freien Universität unterbleibt. Dieser in der bisherigen Geschichte der Freien Universität einma lige Eingriff der Staatsaufsicht in die Autonomie der Universität un ter Missachtung der grundgesetzlich garantierten Freiheit der Lehre führte zu einer breiten Solidarisierung aller demokratischen und sozia listischen Kräfte an der Universität. Das Wintersemester 1 970/71 stand im Zeichen des Kampfes für das »Sozialistische Studium<<. Langandau ernde aktive Streiks wurden organisiert, in Lehrveranstaltungen wurde über den Sinn des sozialistischen Studiums und Maßnahmen zur Verei telung der Illegalisierungsversuche der Staatsaufsicht diskutiert. - Am 8. Januar 1 971 erhob die Freie Universität, vertreten durch den Präsi denten, beim Verwaltungsgericht Klage gegen den Senator für Wissen schaft und Kunst. Auf Antrag der Universität wurde am 12. Januar die aufschiebende Wirkung der Klage effektiv: Die Lehrveranstaltungen des »Sozialistischen Studiums« konnten stattfinden. Am 1 5 . März 1 971 fällte die zweite Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin ihr Urteil, in dem das Verbot der drei Lehrveranstaltungen durch den Senator für Wissenschaft und Kunst für rechtswidrig erklärt wurde. Das Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts ist nicht nur wegen der darin gefällten Entscheidung, sondern vor allem auch wegen der Ur teilsbegründung von größter grundsätzlicher Bedeutung für die den rechtsstaatliehen Prinzipien der Bundesrepublik angemessene Bestim-
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mung des Verhältnisses zwischen Universität und Gesellschaft; es macht einmal mehr deutlich, dass aus der antiautoritären Phase der Studen tenbewegung s tammende pauschalisierende Urteile, etwa auch die ge nerelle Rede von der »Klassenjustiz«, differenzierteren Beurteilungen der Eigenart und der progressiven Möglichkeiten dieser Gesellschaft auf Grund wirklicher Analysen weichen müssen, un� ist in gewisser Weise geeignet, auch die marxistischen Wissenschaftler über die Möglichkeiten und Grenzen ihrer Arbeit an der Universität in dieser Gesellschaft zu belehren: »Die Selbständigkeit der Universität dient dazu, der Wissen schaft in Forschung und Lehre den Raum freier Selbstbestimmung zu sichern, dessen sie bedarf, um unvoreingenommene Erkenntnisse zu ge winnen und damit dem Staat auch kritisch gegenübertreten zu können.« >>Eine Verpflichtung auf die jeweils herrschende politische Meinung oder auf das Gedankengut, das allen Parteien gemeinsam ist, enthält die Ver pflichtung zur Verfassungstreue nicht . . . Auch daraus, dass die Univer sität als Ausbildungsstätte im Dienst der Gesellschaft steht und ihr ver antwortlich ist, folgt nicht, dass sie sich dieser Gesellschaft spannungslos einfügen sollte und die jeweils herrschenden Normen unkritisch über nehmen müsste Kritik am Grundgesetz ist zulässig . . . , sie kann den Zielen des Grundgesetzes auch förderlich sein . . . Anders ist es nur dann, wenn damit zum Handeln aufgefordert und unter dem Vorwand der Wissenschaft Politik betrieben wird . . . « - >>Unzulässig ist die politische Agitation in akademischen Lehrveranstaltungen, insbesondere die Um setzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in die politische WJik!ichkeit, das politische Handeln, die gezielte Mitwirkung bei der politischen Meinungs- und Willensbildung; damit wäre der Bereich wissenschaft licher Betätigung verlassen.« - Die Abgrenzung zwischen der Vermitt lung sozialwissenschaftlicher Erkenntnis und der geziehen Mitwirkung bei der politischen Meinungs- und Willensbildung muss natürlich an jedem konkreten Fall erneut problematisiert werden. Wichtig ist jedoch, dass das Gericht bei den drei Lehrveranstaltungen des »Sozialistischen Studiums« am Germanischen Seminar ein Verlassen des Bereichs wis senschaftlicher Betätigung nicht feststellte. Damit erwies sich das Verbot des Senators als politisch motivierter Kampf gegen gesellschaftskritische wissenschaftliche Betätigung und so als grundgesetzwidrig. Die Tendenz des Senators, die Funktion der Staatsaufsicht aus der einzig legitimen Rechtsaufsicht immer mehr in eine Fachaufsicht um zufälschen und damit dem Staat den Eingriff in die inhaltlich-wissen schaftliche Arbeit der Universität zu ermöglichen, zeigte sich auch in der Weigerung, dem Vorschlag des Fachbereichs >>Philosophie und So zialwissenschaften<< zu folgen und den Marxisten Hans-Heinz Holz zu berufen - ein weiterer Gegenstand von Auseinandersetzungen im Sommersemester 1 97 1 . Der Kampf gegen den Versuch des Staates, . . .
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Universität und Wissenschaft »gleichzuschalten«, wird im Zusammen hang mit der Diskussion des Hochschulrahmengesetzes und rück schrittlicher Tendenzen zur Novellierung des Berliner Hochschulge setzes in allgemeinerem Zusammenhang fortgeführt werden müssen. 12 Lösung der Krise am Psychologischen Institut durch Neugründung eines zweiten Instituts (Herbst 1 9 70)
Für das Psychologische Institut war der Verlauf des Jahres 1 970 ge kennzeichnet durch den Fortgang der öffentlichen Kampagne gegen den Schülerladen, die von W. F. Haug ( 1 971) ja ausführlich dargestellt und kritisch analysiert wurde, und die Auseinandersetzungen zwi schen der »Initiativgruppe« und der »Mehrheitsfraktion« um die Tei lung des Psychologischen Instituts. Eine gründliche und umfassende Dokumentation und Analyse der Kämpfe um die Institutsteilung mit genauer Herausarbeitung der Widersprüche zwischen den auf die Uni versität gerichteten und den auf die nächste Wahl bezogenen Interessen des Stadtsenats und der SPD in Berlin, des Zustandekommens der Ent scheidungen des Akademischen Senats und des Kuratoriums zuguns ten einer Teilung, der Politik des Fachbereichsrats und des Präsidenten zum Zwecke der Verhinderung der Teilung, der Funktion der Presse innerhalb der Gesamtauseinandersetzung etc. könnte wichtige, exemp larische Aufschlüsse über die Stellung der Universität in dieser Gesell schaft vermitteln. - Eine solche Analyse soll jedoch hier unterbleiben, einmal weil damit die sich jetzt gerade anbahnende Zusammenarbeit zwischen dem alten »Psychologischen Institut« I und dem neuen »Ins titut für Psychologie« II zurückgewoden werden könnte, und zum an deren deswegen, weil der historische Abstand zu den genannten Ereig nissen vielleicht noch nicht groß genug ist, um eine Darstellung ohne Fehleinschätzungen von Tendenzen und Perspektiven zu ermöglichen. - So sei nur auf wenige äußere Stationen hingewiesen: Die Kuratoriumskommission befasste sich zum ersten Mal am 7.4., das Gesamtkuratorium am 1 0.4.1 970 mit dem Problem der Teilung des Psychologischen Instituts. Die Frage wurde zunächst an den Akade mischen Senat verwiesen. Dieser setzte eine dreiköpfige Kommission ein, die die Lage am Institut prüfen sollte. Zwei der Kommissions mitglieder sprachen sich für eine Teilung, eines gegen die Teilung aus. Am 1 3 .5. fasste der Akademische Senat in einer turbulenten Sitzung folgenden Beschluss: » 1 . Der Akademische Senat empfiehlt dem Ku ratOrium, im Zuge der Fachbereichseinteilung zwei lnsntute für Psy chologie zu bilden und sie den Fachbereichen Soziologie/Philosophie und Erziehungswissenschaften zuzuordnen. 2. Der Akademische
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Senat empfiehlt, neben den Hochschullehrern und Studenten aus Gleichheitsgründen auch die >Wissenschaftlichen Mitarbeiter< und die >anderen Dienstkräfte< über ihre persönliche Zugehörigkeit selbst ent scheiden zu lassen . . . « Die Studenten des Psychologischen Instituts, die ihre Aktionen unter die Parole »Spaltung heißt Kampf« gestel)t hatten, sperrten den Akademischen Senat, nachdem er diesen Beschluss gefasst hatte, zur Bekräftigung ihrer Kampfbereitschaft ca. 30 Minuten ein und besetz ten am Abend des gleichen Tages das von Mitgliedern der »Initiativ gruppe«, auch A. 0. Jäger, bewohnte Haus II des Instituts; der Ini tiativgruppe wurde der Zutritt zum Haus II verwehrt; später wurde gemeinschaftlich mit der »Roten Zelle Erziehungswissenschaften« auch das Erziehungswissenschaftliche Institut besetzt. Das Kuratorium, das für diese Sitzung auf Anordnung des Senators für Wissenschaft und Kunst aus dem Universitätsgelände in das Haus des Senators für Bau- und Wohnungswesen ausgewichen war, weil, so Senator Stein, »in der letzten Zeit in der Universität verschiedene Dinge überwiegend emotional behandelt worden seien«, befasste sich am 20.5. 1 970 mit dem Beschluss des Akademischen Senats, in dem die Institutsteilung befürwortet wurde. Der Präsident hatte zu dieser Sitzung als Alternative zur Teilung den Entwurf einer Arbeitsgarantie eingebracht, die alle Minderheiten, auch linke Minderheiten an ande ren Instituten, schützen sollte. Nach längerer Beratung fasste das Ku ratorium, in Abweichung vom Vorschlag des Akademischen Senats, folgenden Beschluss: » 1 . Das Kuratorium erkennt die vom Universi tätspräsidenten vorgelegte Arbeitsgarantie als Diskussionsgrundlage an. 2. Das Kuratorium fordert den Akademischen Senat auf, diese Arbeitsgarantie zu erörtern und ein Modell für die künftigen Fach bereichsordnungen zu entwickeln . . 3. Das Kuratorium fordert den Universitätspräsidenten und den Akademischen Senat auf, spätestens nach 3 Monaten darüber zu berichten, ob eine wirksame Arbeitsga rantie durch Satzung geschaffen und praktiziert worden ist. 4. Das Kuratorium ist der Auffassung, dass im Fachbereich Erziehungswis senschaften die Errichtung einer auf die spezifischen Aufgaben dieses Fachbereiches ausgerichteten psychologischen wissenschaftlichen Ein richtung innerhalb eines halben Jahres vom Universitätspräsidenten unter Beteiligung der gesetzlichen Gremien geprüft, vorbereitet und dem Kuratorium zur Entscheidung vorgelegt werden soll.« Als dieser Beschluss bekannt wurde, der als Teilerfolg des Präsi denten und der Mehrheitsfraktion, die die Spaltung verhindem woll ten, gewertet werden musste, hoben die Studenten der Roten Zelle Psychologie die Institutsbesetzung auf; das Haus II wurde auf Wunsch der Studenten von Angehörigen des Präsidialamtes inspiziert und, .
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nachdem keine nennenswerten Schäden oder Verluste festgestellt wor den waren, an die Initiativgruppe zurückgegeben. Am 15. Juni 1 970 hatte der Rat des Fachbereichs »Philosophie und Sozialwissenschaften<< seine Arbeit aufgenommen. Damit war das In terregnum, in dem die alte Fakultät noch nominell die Geschäfte führte, aber faktisch nicht mehr arbeitete, beendet. Für das Psychologische Ins titut hatte dieses Ereignis insofern spezielle Bedeutung, als der Fachbe reichsrat mehrheitlich progressiv war, den Zielsetzungen und Aktivi täten der »Mehrheitsfraktion<< mit kritischer Solidarität gegenüberstand und so deren Isolation verhinderte. - Die öffentliche Arbeit der Mehr heitsfraktion im Zusammenhang mit der Frage der Institutsteilung wurde von nun an zu großen Teilen vom Fachbereichsrat mitgetragen. Nach dem Kuratoriumsbeschluss vom 20. Mai vollzog sich im Prä sidialamt, im Fachbereichsrat und schließlich auch innerhalb der Mehr heitsfraktion des Instituts ein allmählicher Wandel der Zielsetzungen. Auf Grund der Einschätzung der Situation kam man zu der Ansicht, �ass sich die Errichtung eines zweiten Instituts im Fachbereich Erzie hungswissenschaften kaum mehr verhindern lassen würde. Als realis tisch angesehen wurde aber der Versuch, die Auffassung zur Geltung zu bringen, dass es sich dabei auf keinen Fall um eine Institutsteilung handeln dürfe, sondern nur eine Neugründung, bei der dem alten Ins titut alle Stellen und Sachmittel erhalten bleiben, in Frage käme. Diese Version, in der sich die Möglichkeit eines Kompromisses zwischen dem Präsidenten und dem Senator andeutete, wurde das erste Mal auf der Kuratoriumssitzung am 20. Mai vom Vizepräsidenten in die Dis kussion gebracht. Die Neugründungskonzeption fand, wenn auch zu nächst uneingestanden, bei den bisherigen Gegnern der Teilung immer mehr Resonanz. Schließlich sah sich die Mehrheitsfraktion des Insti tuts in der Situation, dass selbst der Fachbereichsrat den Kampf gegen die Errichtung eines zweiten Instituts nicht mehr unterstützen wollte, und konnte sich dem Argument, dass die N eugründung - bei aller poli tischen und wissenschaftstheoretischen Fragwürdigkeit - doch für das alte Institut auch erhebliche Vorteile hätte, natürlich nicht ganz ver schließen. So stellte die Mehrheitsfraktion nach außen ihre Aktivitäten ein und beteiligte sich an offiziösen Bemühungen, die Neugründungs konzeption gegenüber der Teilungskonzeption durchzusetzen. Nachdem die 12 Mitglieder der Initiativgruppe Optionsanträge für den Fachbereich »Erziehungswissenschaften« gestellt hatten, die am 2 1 .10. vom Akademischen Senat unterstützt worden waren, gab das Kuratorium am 27.1 1 . 1 970 den Optionsanträgen statt, stellte fest, dass die Mitglieder der Initiativgruppe im Fachbereich »Erziehungswissen schaften« bis zur Bildung der Wissenschaftlichen Einrichtungen eine >>organisatorische Einheit mit den Befugnissen eines Instituts herkömm-
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licher Art« bilden sollten. >>Im Rahmen einer noch näher zu entwickeln den Konzeption, die von der spezifischen erziehungswissenschaftliehen Relevanz aller im Fachbereich Erziehungswissenschaften vertretenen Fächer ausgeht«, seien >>die Psychologen im Fachbereich Erziehungswis senschaften ebenso wie die im Fachbereich Philosophie und Sozialwis senschaften berechtigt, das Fach Psychologie in Forschung und Lehre zu vertreten und damit eine volle Diplomausbildung im Fach Psycholo gie anzubieten.« Weiter hieß es in einem für uns entscheidenden Passus: >>Vorbehaltlich von Veränderungen durch spätere Beschlüsse über allge meine Entwicklungspläne geht das Kuratorium davon aus, dass durch die B eschlussfassung über Stellenzuordnungen auf Grund der vorlie genden Optionsanträge die Stellenzahl des Fachbereichs 1 1 Philoso phie und Sozialwissenschaften - nicht vermindert wird.« -
1 3 Der Beginn planvoller Entwicklungsarbeit am
Psychologischen Institut Nachdem sich die Einsicht durchgesetzt hatte, dass ein weiterer Kampf gegen die Errichtung eines zweiten Psychologischen Instituts nicht mehr als sinnvoll angesehen werden konnte, verbreitete sich in der Mehrheitsfraktion eine Art von Ernüchterung; man begann dem eige nen früheren Engagement gegenüber resignative Distanz zu gewinnen, auch zu erkennen, dass die direkten Aktionen der Studenten, wenn auch aus der konkreten historischen Situation des Instituts erklärbar, dennoch so etwas wie ein Nachhutgefecht der Studentenbewegung an der Freien Universität dargestellt hatten - der veränderten Lage der Universität und den veränderten politischen Konzeptionen der stu dentischen Linken generell gesehen nicht mehr angemessen waren (gleichviel, wieweit sie »edolgreich« gewesen sein mögen). Sehr bald begann uns klar zu werden, dass wir - entlassen aus den permanenten Querelen mit der »Initiativgruppe« - jetzt die Mög lichkeit hatten, unsere inhaltliche Arbeit ungestört zu intensivieren, von einer einheitlichen Konzeption her solidarisch unsere Ziele zu verwirklichen. Uns wurde deutlich, dass jetzt unserem Institut eine Phase der »Bewährung« bevorstand, in der wir den Sinn und die Re alisierbarkeit unserer wissenschaftlich-politischen Perspektiven zu dokumentieren hatten - uns nicht mehr hinter dem Alibi der Aus einandersetzungen mit den Liberalen, später mit der Initiativgruppe verschanzen konnten -, dazu die Beiträge, die die Vertreter der bür gerlichen Psychologie ja immerhin bisher zur Ausbildung am Institut geleistet hatten, jetzt zusätzlich selber erbringen mussten. Weiterhin begannen wir die Expansionsmöglichkeiten wahrzunehmen, die nach
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dem Kuratoriumsbeschluss für das Institut gegeben waren: So hatten wir plötzlich - zusammen mit neu bewilligten Stellen - 12 Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter, 5 Stellen für Assistenzprofessoren und 4 Stellen für Hochschullehrer neu zu besetzen. - Der Wiederaufbau des InstitutS begann, oder, richtiger gesagt, der Aufbau, denn nun wurde - zum ersten Mal in der Institutsgeschichte - eine gemeinsame, durch dachte und intensive Planung des Ausbildungsganges und der For schungsarbeit am ganzen Institut in Angriff genommen, das Institut in Richtung auf eine differenzierte und integrierte Struktur kollektiven Arbeitens in Lehre, Forschung und Verwaltung unter Beteiligung aller Institutsangehörigen entwickelt. Voraussetzung für diese Aufbauarbeit war eine Neubestimmung des Stellenwertes der Universität innerhalb gesellschaftskritischer Praxis, Ergebnis der Entwicklung der Konzeptionen der Sozialisten an der Universität, intensiver Schulung und Selbstschulung der Angehörigen des Instituts und der selbstkritischen Analyse des Schülerladenpro jektes, die im Schülerladen-Buch vorliegt. Es wurde nun eingesehen, dass - auch wissenschaftlich reflektierte - politische Arbeit in der Stadt nicht Sache der Universität als Universität sein konnte, sondern dass eine solche Arbeit nur von einer Partei mit ihren Verbänden konti nuierlich, perspektivisch sinnvoll und damit verantwortbar zu leisten wäre. Weiter wurde auch den Studenten deutlich, dass die Agitation der Studenten und Schulungsarbeit i. e. S., die auf den politischen Kampf vorbereitet, keinesfalls in die Veranstaltungen der Universität gehört, sondern nur Sache der studentischen Organisationen sein kann. Die gesellschaftliche Praxis der Marxisten als Angehörigen der Universität besteht in der intensiven Bemühung um die Entwicklung sozialistischer Wissenschaft. In dieser Zielsetzung werden der Wissenschaft nicht ihr fremde Aufgaben von außen gestellt, sondern sie dient ihrem genuinen Interesse an wissenschaftlicher Erkenntnis - wobei allerdings alles dar auf ankommt, die Eigenart dieser Erkenntnis richtig zu verstehen. - Mit der Bestimmung der Funktion marxistischer Wissenschaft an der Uni versität sollen die verschiedenen Glieder der sozialistischen Bewegung natürlich nicht auseinandergerissen werden. Die Einheit dieser Glieder hat aber nichts mit der organisatorischen Vermengung zwischen i. e. S. politischer und wissenschaftlicher Arbeit zu tun. Sie ist in dem Maße eine innere Einheit, als die politische Praxis der Sozialisten bewusste, wissenschaftlich reflektierte Praxis ist und sozialistische Wissenschaft zu materialistischen Analysen konkreter Verhältnisse vordringt und so ein Moment der Bewusstheit politischer Praxis, der Bildung politischer Strategie auf wissenschaftlicher Basis werden kann. Weitere für unser Institut spezifische Aspekte ergaben sich aus der theoretischen und empirischen Arbeit an einem Projekt über die Be·
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rufsperspektiven des Psychologen. Es wurde nun von allen Gruppen am Institut anerkannt, dass wir, auch und gerade im Zusammenhang mit der Entwicklung einer »kritischen Psychologie«, Psychologen für ihre Funktion in dieser Gesellschaft auszubilden - und zwar hervorra gend auszubilden - hatten. Dies konnte natürlich nicht bedeuten, dass
wir eine >>kritische« theoretische Ausbildung von einer »bürgerlichen« berufsbezogenen Ausbildung trennen durften � Wir stehen vielmehr vor der Aufgabe, die berufliche Kompetenz des Psychologen, die ihn zu gesellschaftlich nützlicher Arbeit befähigt, für solche Funktionen und Bereiche bevorzugt zu entwickeln, in denen ihn die bei uns er worbenen gesellschaftstheoretischen und gesellschaftspolitischen Kenntnisse besonders qualifizieren - wobei er indessen auch über das theoretische Wissen und praktische Können, das generell von einem Psychologen verlangt werden muss, in ausgezeichnetem Maße zu ver fügen hat. - Wir müssen dem Vorurteil mit allem Nachdruck entge gentreten, dass eine Psycholo gie, in der gesellschaftskritisch-marxisti sche Konzeptionen verarbeitet sind, sich notwendig ausschließlich und direkt auf die Transformation der bürgerlichen Gesellschaft richtet. Die reformerische und die auf strukturelle Gesellschaftsveränderung gerichtete wissenschaftlich-praktische Arbeit haben einen langen ge meinsamen Weg. - Mehr noch: wirkliche, weittragende und sinnvolle Reformen sind nur auf Grund von Analysen der jeweils relevanten ge sellschaftlichen Realzusammenhänge mit den Mitteln des historischen Materialismus zu erreichen. Es ist für uns sozusagen eine Lebensfrage,
durch die Qualität unserer wissenschaftlichen Leistungen und unserer Ausbildung allmählich die Einsicht zu vermitteln, dass an unserem Ins titut weder Radikale noch Utopisten gezüchtet werden, dass die Ab
solventen eines gesellschaftstheoretisch fundierten Psychologiestudiums zur Verwirklichung fortschrittlicher Ziele in Erziehung, Sozialarbeit, Prävention und Therapie von psychischen Störungen, modernem Straf vollzug etc. jetzt und hier gebraucht werden.
Um über den Stand der Aufbauarbeit am Institut im SS 1 971 kurz zu berichten23: Das Institut - mit 520 Hauptfachstudierenden und,
23
Eine ausführliche Darstellung findet sich in der Broschüre: Psychologisches Institut der Freien Universität Berlin 1971, 1 1 8 S., Selbstverlag des Instituts. Dieses kleine Buch, das vornehmlich der Information von Studienbewerbern, aber auch dem Erfahrungsaustausch mit anderen Instituten und der Unter richtung relevanter Instanzen der Öffentlichkeit dienen soll und das jedes Jahr auf den neuesten Stand gebracht wird, wurde an alle deutschsprachigen Institute verschickt und ist, soweit ein berechtigtes Interesse glaubhaft ge macht werden kann, von uns direkt zu erhalten (Freie Universität Berlin, Psychologisches Institut im Fachbereich »Philosophie und Sozialwissen schaften«, 1 Berlin 4 1 , Grunewaldstraße 35, Ressort »Dokumentation«).
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die noch nicht besetzten Stellen eingerechnet, 78 Mitarbeitern, davon 6 Hochschullehrern, 5 Assistenzprofessoren, 25 »Wissenschaftlichen Mitarbeitern«, 32 Wissenschaftlichen Tutoren und 1 5 sogenannten
>>Anderen Dienstkräften« (Sekretärinn en, Sachbearbeiterinnen, Dru cker, Werkmeister etc.) ist in acht »Sektionen<< als selbständige organi satorische Einheiten gegliedert (Sektion: »Wissenschafts- und Erkennt nistheorie und allgemeine Methodenlehre«, Sektion: »Produktion<<, Sektion: »Geschichte und Funktion der Psychologie<<, Sektion: >>Funk tionsanalyse psychologischer Berufspraxis«, Sektion: »Sozialisation«, Sektion: »Prävention und Therapie«, Sektion: »Umweltgestaltung<< und Sektion: »Physiologisch-biologische Grundlagen der Psychologie«). Die Struktur der Kooperation ist durch eine am 7.6. 1 971 vom Ins titut verabschiedete Satzung geregelt, die Grundlage für die spätere »Ordnung« der »Wissenschaftlichen Einrichtung Psychologie« lt. Universitätsgesetz sein soll (die »Wissenschaftlichen Einrichtungen« sind bisher noch nicht offiziell gebildet). Hier sind die verschiedenen Gremien des Instituts, das Vordirektorium, der Sektionsrat, der aus ge wählten Vertretern der Sektionen besteht, und das Geschäftsführungs kollektiv in ihren Kompetenzen und Beziehungen zueinander genau festgelegt (Genaueres, auch über Wahlmodi, Paritäten etc. findet sich in der genannten Broschüre). Das Geschäftsführungskollektiv, das die Administration des Instituts innehat, gliedert sich in folgende Ressorts: (A) Studentenbetreuung und Zulassung, (B) Lehre, (C) Prüfung, (D) Personal, (E) Etat, (F) Information [gegliedert in: a) Präsidialamt, Aka demischer Senat, Kuratorium und außeruniversitäre Institutionen, b) Fachbereich, c) Kommissionen, d) Hausinformationen, Pförtnertätig keit, Post], (G) Dokumentation und Vervielfältigung, (H) Bibliothek und (I) Werkstatt. Die »Anderen Dienstkräfte« sind nach einem Stel lenverteilungsplan auf die Sektionen und die Ressorts aufgeteilt, außer dem wird für jedes Ressort vom Sektionsrat ein Hochschullehrer oder Wissenschaftlicher Mitarbeiter und ein Student hinzugewählt. - Die durch die Satzung geregelte Institutsorganisation erlaubt eine effektive und sinnvolle Arbeit. So konnte im Sektionsrat Einigung über die Ver teilung von 22 neu zu besetzenden Stellen auf die Sektionen und die Definition dieser Stellen erreicht werden; die Einstellungsvorschläge wurden nach intensiven Hearings von einer Kommission des Sektions rates erarbeitet, ein Teil der Stellen ist bereits besetzt; ein spezifizierter Perspektivplan für das Institut bis 1 975 wurde erstellt; Pläne für den Studienaufbau wurden von der »Ausbildungskommission« des Sekti onsrates entwickelt und zum Teil verwirklicht, usw. Der Studiengang am Institut ist nicht in Semester, sondern nach »Studienjahren« aufgeteilt. Das Grundstudium hat nach den bisher er arbeiteten Konzeptionen folgende Struktur:
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Gesellschaftliche Relevanz und wissenschaftlicher Erkenntnisgehalt 1. und 2. Semester:
» Sozialwissenschaftliches Grundstudium<< Sektion »Wissenschafts- und Erkenntnistheorie und allgemeine Methodenlehre« Sektion »Produktion<< - Einführung in die sozioöko nomischen Grundlagen der Sozialwissenschaften
3. bis 6. Semester:
>>Fachspezifisches Grundstudium«
3. und 4. Semester:
Sektion »Geschichte der Psychologie<< Sektion >>Berufspraxis<< Sektion »Wissenschafts- und Erkenntnistheorie<< F achbezogene ,. Methodenlehre
-
4.24 und 5. Semester: Sektion »Sozialisation«
Sektion »Physiologisch-biologische Grundlagen der Psychologie«
5. und 6. Semester:
Sektion >>Prävention und Therapie« Sektion »Umweltgestaltung«
Die Verantwortung für die Lehrveranstaltungen wird nicht von Einzel personen, sondern von den Sektionen getragen, die detaillierte inhalt liche Konzeptionen der Veranstaltungen erarbeiten und im Sektions rat zwecks Abstimmung mit den anderen Sektionen und allmählicher Integration zu einer Gesamtkonzeption zur Diskussion stellen. (Die Lehrveranstaltungen werden in einem ausführlichen »kommentierten Vorlesungsverzeichnis«, das vom Fachbereichsrat für den gesamten Fachbereich herausgegeben wird, angekündigt und gekennzeichnet.) U m Kleingruppenarbeit zu ermöglichen, werden die Veranstaltungen, je nach Bedarf, in Parallelkursen mit jeweils gleichem Inhalt durchge führt. Das Ziel der Planung ist, die Relevanz der Lehrinhalte sowie das Aufeinanderbezogensein und die zeitliche Aufeinanderfolge der Veran staltungen so stringent zu machen, dass das Studium im Wesentlichen von obligatorischen Veranstaltungen getragen wird. Die Möglichkeit freier Wahl als Prinzip des Studienaufbaus scheint uns Ausdruck noch unvollkommener inhaltlicher Planung des Studiums zu sein. Jedes Ins titutsmitglied, gleichgültig welcher Gruppenzugehörigkeit, muss an der Verbesserung und Umgestaltung des Studiums mitarbeiten. Die von den Gremien daraufhin getroffenen Entscheidungen sind indessen für all e verbindlich. - Im Zusammenhang mit der Umgestaltung des Studien ganges müssten auch die Prüfungsmodi verändert, statt massierter Prü fungen ein >>studienbegleitender Arbeitsbogen«, in dem die Leistungen -
,.
d. Hg.: Im Original steht an dieser Stelle »fachhexogen«; unserer An sicht nach handelt es sich dabei um einen Druckfehler.
Arun.
24 Die Abschnitte überlappen sich hier, weil Studenten nach dem 4. Semester
eine erhöhte Zahl von Wochenstunden zugemutet wird.
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Gesellschaftliche Relevanz und wissenschaftlicher Erkenntnisgehalt
des Studierenden jeweils inhaltlich charakterisiert sind, eingeführt wer den, wonach die Abschlussprüfung lediglich aus der Diplomarbeit und einer Disputation bestehen würde. Die Verwirklichung dieser Vorstel lungen hängt von der Genehmigung der Rahmendiplomordnung des Fachbereichsrates ab - und davon, wieweit entsprechende Entwicklun gen von der Deutschen Universitätspsychologie akzeptiert werden. Unsere Vorstellungen über den Aufbau des Hauptstudiums (nach dem Vordiplom), 6. bis 1 0. Semester, sind noch weniger spezifiziert, da wir mit der Neuordnung des Studiums sozusagen >>unten ange fangen« haben. Hier ist an eine Art Baukastensystem gedacht, nach welchem sich die Studierenden den Studienverlauf gemäß ihren spe ziellen Interessen und Berufsvorstellungen in gewissem Maße selbst zusammenstellen können. Wir denken daran, die Arbeit der Sektionen innerhalb des Hauptstudiums, in dem akzentuiert berufspraktische Fähigkeiten und Erfahrungen vermittelt werden sollen, in mehrere »Ebenen<< aufzuteilen, wobei zwar alle Ebenen durchlaufen werden müssen, aber die verschiedenen Ausbildungszüge frei kombiniert werden können. Folgende Ebenen, die »quer<< zu den Ausbildungszü gen der Sektionen stehen und so mit diesen zusammen die einzelnen >>Bausteine<< des Hauptstudiums ausmachen sollen, sind bisher in Aus sicht genommen (teilweise schon realisiert): erste Ebene: >>Spezifische Methodologie<< des jeweiligen Praxisfeldes; zweite Ebene: >>spezifische historische Aspekte« des Praxisfeldes; dritte Ebene: »Organisation-In teraktion-Kommunikation«, Vermittlung von Kenntnissen über spezi fische Organisationsformen des jeweiligen Praxisfeldes; vierte Ebene: »Forschung«, Initiierung und Durchführung von praxisbezogenen Forschungsvorhaben; fünfte Ebene: »Praxis in Außenstellen des Ins tituts<< außerhalb der Universität, etwa in unserer Tempelhofer Be ratungs- und Therapiestelle für schreibleseschwache Kinder; sechste Ebene: »Praxis in der außeruniversitären Realität<<, etwa im Heimpro jekt, Projekt »Kindergärtnerinnen-Ausbildung<<. - In welchem Maße wir die Wahl bestimmter Ausbildungszüge beim >>Durchlaufen<< der Ebenen offen lassen können oder mehrere feste Kombinationen zur Wahl stellen müssen, wird sich noch zeigen - wie überhaupt ein durch gehend nach Ebenen gegliedertes Hauptstudium erst in einer späteren Ausbauphase des Instituts möglich sein wird. Von den gegenwärtigen Forschungsprojekten des Instituts seien nur einige dem Namen nach genannt: »Funktionsanalyse der Psychologie, Berufsperspektiven des Psychologen<<; »Strukturelle Bedingungen sozialer Angst<<; »Infor melle Lernprozesse im Strafvollzug; Zur Problematik der Resoziali sierung«; »Erarbeitung eines neuen Verfahrens zur Verinittlung von Lese- und Rechtschreibefertigkeit am Schulanfang<<; »Schichtspezi fische Bedingtheiten des Verhaltens von Versuchspersonen im psycho-
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logischen Experiment«; »Kindergärtnerinnen-Weiterbildung«; »Die Frau im Produktionsprozess«; »Vergleichende Organisationsanalyse von psychiatrischen Kliniken in verschiedenen europäischen Ländern«. ( Genaueres auch über die Forschungsprojekte ist in unserer Broschüre über das Institut zu erfahren.)
14 »Konventionalismus und Konstruktivismus« (entstanden Herbst 1 970) und »>Kritischer Rationalismus< als blinder Kritizismus« (entstanden Frühjahr 1 97 1 ); Schlussfolgerungen
Die beiden letzten in diesem Buch* abgedruckten Artikel »Konven tionalismus und Konstruktivismus« und »>Kritischer Rationalismus< als blinder Kritizismus« - entstanden in der Konsolidierungs- und Aufbauphase des Instituts nach der Teilung - sind Dokumente der geschilderten Intensivierung des Aspektes der Wissenschaftlichkeit der Arbeit von Sozialisten an der Universität; in ihnen deutet sich gleichzeitig das inzwischen erreichte Neue auf den historischen und dialektischen Materialismus gegründete Verständnis der Eigenart wis senschaftlicher Erkenntnis an. - Die beiden Artikel unterscheiden sich
dadurch von den übrigen, dass sie eine direkte Antwort auf Kritik darstellen. Dies hat den Vorteil, dass sich ihre Argumentationen am »Stoff« des gegnerischen Textes konkretisieren und artikulieren kön nen, aber auch den Nachteil, dass die eigenen Überlegungen sich nach Art eines einem anderen gegenübergestellten Standpunktes darbieten, durch den gegnerischen Standpunkt fixiert und selegiert sind. Dieser Nachteil wird besonders im zweiten, wichtigeren der beiden Artikel deutlich: Die dort vertretenen Grundpositionen entsprechen zwar - mit Einschränkungen - meinem gegenwärtigen Einsichtsstand, die Art ihrer Präsentation ist aber ihrem Charakter unangemessen, indem sie einfach »hingestellt«, kaum aus einer wirklichen Analyse entwickelt sind und deswegen dem mit der Materie nicht Vertrauten als bloße »Auffassungssache« erscheinen müssen. - Ich kann dies hier nicht än dern und will die Hauptmomente der nun vertretenen Konzeption so zusammenfassend darstellen, dass dadurch eine verdeutlichende Her aushebung wesentlicher Punkte der bisherigen Selbstkritik und weiter führender Aspekte möglich wird. Auszugehen ist von der marxschen Auffassung vom »Bewusstsein« des Menschen als »bewusste(s) Sein« und dem Sein des Menschen als *
Anm. d. Hg.: Kritische Psychologie. Vorbereitende Arbeiten ( 1 972).
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Gesellschaftliche Relevanz und wissenschaftlicher Erkenntnisgehalt
sein >>wirklicher Lebensprozess<< (Marx & Engels 1 962 [MEW 3], S. 26), d. h. der Struktur der materiellen Produktion und Reproduktion des gesellschaftlichen Menschen auf einer bestimmten historischen Stufe.
Wenn Bewusstsein >>bewusstes Sein<< ist und Erkenntnis eine Weise menschlichen Bewusstseins, so kann in gesellschaftswissenschaftlicher Erkenntnis der Mensch sich aus dem gesellschaftlichen Prozess nicht herauslösen und sich nicht, wie die analytische Wissenschaftslehre ver meint, ihm von einem >>Standpunkt außerhalb<< gegenüberstellen; Er kenntnis bleibt vielmehr auch als solche dem gesellschaftlichen Sein, auf das sie sich richtet, zugehörig; Erkenntnis kann nur, quasi in der >>Innensicht<<, >>Gewusstes<< zu >>Bewusstem<<, >>Bekanntes<< zu >>Er kanntem« machen, von der >>Vorstellung<< einer Sache zu ihrem »Be griff« aufsteigen. Der Vorgang des gesellschaftsbezogenen Erkennens wird deshalb als gedankliche Reproduktion, Explikation gesellschaft licher Realzusammenhänge gekennzeichnet.
Die menschlichen Erkenntnismöglichkeiten sind somit Teil der gesellschaftlichen Entwicklung, und zwar nicht nur durch die gesell schaftliche Akkumulation von Wissen, durch die sich wandelnden kategorialen Voraussetzungen des Denkens in der Entwicklung der Vergegenständlichungen menschlicher Arbeit und der Struktur der Sprache. Der Zus ammenhang ist noch viel enger: Im Erkenntnispro zess werden mit dem zu erkennenden Inhalt gleichzeitig die möglichen Formen und Kategorien der Erkenntnis als Bestandteile des materi ellen gesellschaftlichen Lebensprozesses in seiner jeweils bestimmten historischen Ausprägungsweise gedanklich reproduziert, expliziert.
Der reale individuelle Erkenntnisakt ist deshalb nichts weiter als ein - wie immer partielles und durch das erkennende Individuum >>gebro chenes<< - Ergebnis der Aneignung der jeweils historisch spezifischen gesellschaftlichen Möglichkeitsbedingungen von Erkenntnis. - Das Kantsche »transzendentale Subjekt« als Inbegriff der Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis wird also seinem Status als bloßer Denk notwendigkeit enthoben und erweist sich als Moment des materiellen historisch-gesellschaftlichen Lebensprozesses. So kann Lektorski fest stellen, »dass das gnoseologische Subjekt im strengen Sinne des Wortes nicht das Individuum, sondern die Gesellschaft ist« ( 1 968, S. 130; Her vorh. K.H.). Die (i. w. S.) positivistische analytische Wissenschaftslehre muss von ihrem fiktiven »Standort außerhalb« der Gesellschaft diesen Ansatz verfehlen. Da für sie das einzelne Individuum Ursprung wissenschaft licher Aussagen ist, verkürzt sich die wissenschaftstheoretische Kon zeption notwendig unter Ausklammerung der erkenntnisth eoretischen Sicht zu bloßer Methodologie, die sich auf das bezieht, was einzelne Wissenschaftler tun oder tun sollen. Es wird nicht gesehen, dass die
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wissenschaftliche Aktivität zwar durch das einzelne Individuum voll zogen wird, dass die Möglichkeit wissenschaftlicher Erkenntnis aber nicht aus dem einzelnen Individuum entspringt. Durch das Fehlen der erkenntnistheoretischen Kategorie gegenständlicher gesellschaft licher Praxis als Realgrund der Vermittlung zwischen Subjekt und Ob jekt stehen sich hier das Individuum als vermeintlicher Ursprung der Wissenschaft und das Objekt scheinbar völlig isoliert gegenüber. Das Subjekt erscheint entweder als monadisch in sich abgeschlossen oder verschwindet in der gegenständlichen Welt. Niemals kann verständlich werden, wie das Subjekt als erkennendes überhaupt an den Gegenstand herankommt. Da empiristisch-sensualistische Lösungsversuche mit Recht von der modernen analytischen Wissenschaftstheorie zurückge wiesen werden, bleibt als einzig zwingende Konsequenz der Reduzie rung von Erkenntnistheorie auf Methodologie der Agnostizismus, die Leugnung jeglicher Möglichkeit von Erkenntnis überhaupt.
In gesellschaftsbezogener Erkenntnis sind das quasi transzenden tale Subjekt und der Gegenstand der Erkenntnis identisch: der gesell schaftliche Mensch. Im Erkenntnisakt bringt sich der gesellschaftliche Mensch, gebrochen durch den individuellen Erkenntnisakt, seine Gesellschaftlichkeit in ihrer je konkreten Entwicklungsstufe zum Bewusstsein. - Dies bedeutet, dass gesellschaftsbezogene Erkenntnis immer Erkenntnis der bestimmten, je gegenwärtigen gesellschaftlichen Verfassung des Menschen ist. Auch Erkenntnis von geschichtlichen Prozessen ist also lediglich Erkenntnis des Aufgehobenseins früherer historischer Strukturen in der Gesellschaftsformation, der der Erken nende jetzt zugehört. Auf Zukünftiges gerichtetes Denken ist entweder die Erkenntnis gegenwärtiger, weitertreibender Widersprüche in der Gesellschaft oder Utopistische Extrapolation gegenwärtiger Zukunfts gedanken in eine als real phantasierte Zukunft. - Dies bedeutet weiter, dass gesellschaftsbezogene Erkenntnis in Momenten ihres Gegenstan des, der Gesellschaft, auch immer Momente des erkennenden Indivi duums in seiner Gesellschaftlichkeit auf den Begriff bringt. Der Erken nende sieht sich also hier von seiner Erkenntnis rückbetroffen sofern -
er sich nicht auf einem fiktiven »Standort außerhalb«, ideologisch, »in Gedanken<<, von der Gesellschaft isoliert. Auch wenn Wissenschaft sich auf >>Natur<< bezieht, ist Erkennt nis abhängig von der Aneignung der Natur in gegenständlicher gesell schaftlicher Arbeit. Auch hier ist also die Gesellschaft gnoseologisches Subjekt der Erkenntnis. Allerdings kann man in diesem Falle nicht im gleichen Sinne wie bei gesellschaftsbezogener Wissenschaft von der Identität des gnoseologischen Subjekts und des Gegenstandes der Er kenntnis sprechen, da >>Natur« als solche nicht bewusstseinsfähig ist. Das hieße, dass hier der explikative Ansatz, gemäß welchem in der
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Erkenntnis Gewusstes zum Bewusstsein gebracht, die Vorstellung zum Begriff erhoben wird, nicht so ohne Weiteres anwendbar ist. - Der artige Überlegungen gewinnen aber dadurch etwas Problematisches, dass hier >> Gesellschaft<< und »Natur<< dichotomisch gegenübergestellt werden. In der Konfrontation der »Geschichte<< als gegenständliche menschliche Praxis mit dem bloß naturhaften Prozess liegt eine Schwä che des Artikels >>>Kritischer Rationalismus< als blinder Kritizismus<< (vgl. S. 198f.). Die Fragwürdigkeit einer solchen Dichotomisierung wird besonders deutlich, wenn man sich das Verhältnis von mensch licher Geschichte und menschlicher Naturgeschichte vergegenwärtigt; hier wird nicht nur klar, dass Gesellschaftlichkeit des Menschen Ge sellschaftlichkeit der menschlichen Natur bedeutet, sondern auch, dass das menschliche Selbstbewusstsein sowohl als Voraussetzung wie als Resultat von Geschichte und Naturgeschichte des Menschen betrach tet werden muss.25 Nun soll zunächst der Konstruktivismus, der in jedem der hier ab gedruckten fünf Artikel auf die eine oder andere Weise bedeutsam wird, anhand der eben zusammenfassend dargestellten Gesichtspunkte abschließend kritisch gekennzeichnet werden. Sofern der Konstrukti vismus, wie in den alten Büchern (1 964; 1 968), als umfassendes wis senschaftstheoretisches Programm verstanden wird, ist er grundsätzlich den analytisch-wissenschaftstheoretischen Ansätzen gleichzuordnen, in denen auf Wissenschaft von einem fiktiven >>Standort außerhalb<< ge blickt wird und in denen die Wissenschaftstheorie unter Ausklamme rung erkenntnistheoretischer Fragen mit Methodologie gleichgesetzt ist. Er ist nur konsequenter als andere Konzeptionen der analytischen Wissenschaftstheorie, weil er die agnostizistischen Folgerungen, die aus dem vedehlten Grundansatz sich mit Notwendigkeit ergeben, auch radikal entwickelt und nicht versucht, doch noch auf irgendeine Weise den Wahrheitsanspruch von Wissenschaft zu begründen. Die Kritik an solchen Versuchen innerhalb des »kritischen Rationalismus<<, im Kapitel >>Annäherung an die Wahrheit durch kritisch-rationalisti sche Methodologie? (Kritik des >kritischen Realismus<)« des letzten Artikels (S. 1 90ff.), ist also berechtigt. Durch das >>Wahrheitsannähe rungs<<-Konzept von Popper und Albert wird die Unfähigkeit von me thodologischen Ansätzen mit universalem Anspruch, die Möglichkeit wissenschaftlicher Erkenntnis zu begreifen, lediglich verschleiert. Die Kennzeichnung des Konstruktivismus als explikativen Ansatzes ist zwar Voraussetzung für sein angemessenes Verständnis, greift aber 25
Das Problem der Beziehung zwischen Geschichte und Naturgeschichte des Menschen wird auf dem Hintergrund des Ansatzes der Naturdialektik ge genwärtig am Psycholo gischen Institut diskutiert; vgl. dazu Schurig 1 972.
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so lange zu kurz, als sein Charakter als begrenzt methodologische Ex plikation der konkreten Forschungsweise der Wissenschaft, ohne um fassendere erkenntnistheoretische Explikation der Gesellschaftlichkeit des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses, nicht deutlich wird. Der im Text »Der Rückzug der modernen Wissenschaftslehre« unternom mene Versuch aufzuweisen, dass in konstruktivistischer Explikation der Wahrheits- und Erkenntnisanspruch der empirischen Wissenschaft radikaler und klarer zurückgewiesen werden kann als im »logischen Empirismus<< und in der pappersehen Falsifikationstheorie, wäre ange messen gewesen, wenn dabei auf die methodologische Beschränktheit aller drei Ansätze hingewiesen worden wäre. Tatsächlich aber wurde hier die konstruktivistische Explikation mit einer umfassenden wissen schaftstheoretischen Explikation der Eigenart des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses überhaupt gleichgesetzt. Das Ergebnis war die agnostizistische Konsequenz, der Wahrheits- und Erkenntnisanspruch von Wissenschaft sei generell unausweisbar und illusionär, und im An schluss daran die Forderung, der Wissenschaft müsse im Blick auf die Inhalte, die sie erforscht, und die Interessen, denen sie dient, ein Sinn verliehen werden, den sie aus ihrem Charakter als Wissenschaft nicht herleiten kann. - Dieser verfehlte Ansatz ist auch im zweiten Teil des Artikels >>Erkenntnistheoretische Voraussetzungen kritisch-eman zipatorischer Psychologie« zu finden. Albert hatte also Recht, wenn er der kritisch-emanzipatorischen Konzeption >>Instrumentalismus« und Verzicht auf jedes Wahrheits- und Erkenntnisstreben vorwarf. In meinem im Artikel >>>Kritischer Rationalismus< als blinder Kriti zismus« unternommenen Versuch, mich gegen diese albertsehen An würfe zu verteidigen (vgl. etwa S. 1 90f. und S. 208f.), habe ich zwar für sich genommen richtig argumentiert, ich war aber im Irrtum mit der Auffassung, dass diese richtige Position bereits in dem älteren, von Albert kritisierten Artikel gefunden war. Es mangelte mir wohl noch an der nötigen Distanz zu der eigenen früheren Arbeit; mir war in dem Bemühen, den wissenschaftstheoretischen Standort, von dem aus die albertsehe Kritik geführt wurde, als unangemessen zu verdeutlichen, entgangen, dass auch von einem verfehlten Standort aus u. U. treffende Kritik (wenn auch mit falschen Alternativen) möglich ist. Die Heranziehung konstruktivistischer Denkansätze in den früheren Artikeln war stets dann sinnvoll und weiterführend, wenn damit be stimmte Eigenarten der Vorgehensweise bestehender Experimentalpsy chologie kritisch auf den Begriff gebracht wurden, so in der Herleitung
der methodenbedingten >>organismischen<< Anthropologie der Allge meinen Psychologie im »Anthropologie<<-Artikel (S. 41ff.) oder im Aufweis der Immunisierungsfunktion experimentell-psychologischer Methodik gegen Daten über den Menschen in konkreter historisch-
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gesellschaftlicher Lage ($. 1 1 5ff.). Hier wurde der Konstruktivismus de facto als begrenzt-methodologischer Explikationsansatz benutzt, wenn dies auch noch nicht reflexiv erfasst wurde (und deswegen eine fehler hafte Verwendung des Konstruktivismus in anderen Zusammenhängen nicht als solche identifiziert werden konnte). Eine ausdrückliche B estimmung des Konstruktivismus als begrenzt methodologische Explikation des immanenten Prinzipien- und Nor mengefüges empirisch-psychologischer Forschung, in Abhebung von einer umfassenderen gesellschaftstheoretischen Explikation des Wis senschaftsprozesses, war mir erst in dem Artikel >> Konventionalismus und Konstruktivsimus « (S. 1 53ff.) möglich. Damit konnte auch deut lich gemacht werden, dass die anderen wissenschaftslogischen Ansätze, wie die poppersehe Falsifikationstheorie, legitim ebenfalls lediglich als begrenzt methodologische Explikationsversuche der Verfahren empi risch-wissenschaftlicher Forschung betrachtet und beurteilt werden dürfen - einerlei, welchen Anspruch sie selber erheben. Die Verteidi gung des so verstandenen Konstruktivismus gegen den Konventiona lismusvorwurf und auch der Aufweis, dass im Konstruktivismus, im Gegensatz zur Falsifikationstheorie, die sich lediglich mit der Frage des Aufbaus wissenschaftlicher Theorien befasst, der >>materielle Pro zess des wissenschaftlichen Handeins selbst« (S. 1 76) in seinen ver schiedenen Momenten differenziert auf den B egriff gebracht wurde, ist in diesem Kontext berechtigt. Allgemeiner gesehen muss der Konstruktivismus als eine Metho dologie nomothetischer empirischer Forschung (nicht nur in der Psy chologie) betrachtet werden, in der der Handlungscharakter des wis senschaftlichen Vorgehens im Zusammenhang mit dem methodischen Prozess und der empirischen Prüfung von Ann ahmen expliziert wurde.
Alle Passagen innerhalb konstruktivistischer Überlegungen, in denen Probleme der Beziehung zwischen Theorie und Realität überhaupt, der wissenschaftlichen » Wahrheit<<, des Wesens wissenschaftlicher For schung abgehandelt werden, sind mithin als »erkenntnistheoretisch« gemeinte Überschreitungen eines legitim ausschließlich methodolo gischen Ansatzes irreführend und schädlich. Sie gewinnen notwendig positivistisch-idealistischen Charakter. Für sich genommen ist die konstruktivistische Methodologie mithin
nicht notwendig ein kritischer Ansatz. Auch auf Psychologie bezogen kann er lediglich zur Verdeutlichung und Abklärung der experimentell psychologischen Vergehensweisen in ihrer immanenten Prinzipien und Normenstruktur benutzt werden. Die auf Psychologie bezogene
konstruktivistische Explikation erhält jedoch dann eine ideologiekriti sche Funktion, wenn die durch Verabsolutierung des nomothetischen Selbstverständnisses der Psychologie bedingte Verfehlung ihres Themas,
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des konkreten gesellschaftlichen Menschen, mit konstruktivistischen Denkmitteln auf den Begriff gebracht wird (wie im Anthropologie-Pa per und den anderen genannten Analyseversuchen). Sowohl in seiner Funktion der Abklärung des Verständnisses empirisch-psychologischer Methodik wie in seiner auf die bürgerliche Psychologie gerichteten ideo logiekritischen Funktion wird der Konstruktivismus für die Entwick lung einer »kritischen Psychologie<< bedeutsam bleiben. Ist der Anspruch berechtigt, dass der Konstruktivismus nicht nur verdeutlichend oder kritisch die Verfahrensweisen empirisch-psycho logischer Forschung zu explizieren vermag, sondern darüber hinaus
»optimale Möglichkeiten bietet, den rationalen Kern der bürgerlichen Psychologie bei ihrer kritisch-emanzipatorischen Transformation zu be wahren« (>>Wissenschaftstheoretische Voraussetzungen kritisch-eman zipatorischer Psychologie Il«, S. 1 07) ? Dieser Anspruch wird noch in »Konventionaüsmus und Konstruktivismus« ausdrucklieh erhoben (S. 1 77) und erst im letzten Artikel stillschweigend aufgegeben. - Man muss wohl einräumen, dass der Konstruktivismus in seinem Reaüsa tionskonzept, in dem Wissenschaft als gegenständliche menschliche Tätigkeit aufgefasst wird, ein im Vergleich zu anderen wissenschaftslo gischen Ansätzen progressives Moment zu enthalten scheint. Anderer seits aber ist hervorzuheben, dass der bisher unternommene Versuch, die
konstruktivistischen Grundkonzepte in einem umfassenderen Konzept von wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Praxis aufzuheben (wie ge zeigt, S. 262ff.), radikal gescheitert ist. Der Grund für diesen Fehlschlag ist darin zu sehen, dass in dem Abschnitt >> Kritisch-emanzipatorische Forschung als >kontrolliert-exemplarische Praxis«< (S. 136ff.) das friiher schon gelegenilich erreichte expükative Verständnis des Konstrukti vismus wieder ganz und gar verloren gegangen war und hier von dem :fiktiven >>Standort außerhalb« argumentiert wurde, der allen positivis tischen Ansätzen gemeinsam ist. Was hier vorgelegt wurde, war demge mäß nicht Ergebnis einer gedanklichen Reproduktion und Explikation
bestimmter, wirklicher gesellschaftlicher Verhältnisse mit Einschluss der psychologischen Forschung, sondern lediglich ein ausgedachter, willkür licher >>Standpunkt«. (Die im letzten Artikel aufgestellte Behauptung, in >>Kritisch-emanzipatorische Voraussetzungen . . . «, der kritisch-eman zipatorische Ansatz sei >>in dem Artikel, auf den Albert sich bezieht, durchgehend - wenn auch nicht expressis verbis - als explikative Kon zeption entwickelt« (S. 1 85), ist also falsch und die albertsehe Kritik, sofern sie sich auf den >>Praxis« -Teil des Artikels bezieht, angemessen. Auch an dieser Stelle habe ich den älteren Artikel, indem ich spätere Positionen in ihn projizierte, zu Unrecht verteidigt.) Um zu einer prinzipiellen Klärung dariiber zu gelangen, ob der ge nannte Fehlschlag lediglich akzidenteller Natur ist oder notwendig mit
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der Eigenart des Konstruktivismus zusammenhängt, wieweit also der Konstruktivismus über seine Funktion der explikativen Verdeutlichung der Eigenart experimentell-psychologischer Methodik hinaus Per spektiven für zukünftige kritisch-psychologische Forschung enthält, wäre eine erhebliche Erweiterung der bisherigen Betrachtensweise und eine Analyse der historischen Entstehung und gesellschaftlichen Rolle des konstruktivistischen Denkens überhaupt nötig. - Alle konventio nalistischen und konstruktivistischen Ansätze (also die von Poincare, Duhem, Dingler, May etc.) sind dadurch gekennzeichnet, dass sie ge genüber den empiristisch-induktionistischen Auffassungen von der durchgehenden Erfahrungsgeleitetheit der Wissenschaft den großen Anteil menschlicher Aktivität und Produktivität an der wissenschaft lichen Forschung zur Geltung brachten. Mit der Kritik am Empirismus wurde jedoch in abstrakter Negation die Möglichkeit wissenschaft licher Erkenntnis der Realität überhaupt geleugnet. Die Ablehnung des Scientismus bedeutete zugleich Skepsis gegenüber wissenschaftlichem Fortschritt und damit auch einer möglichen aufklärerischen Funktion der Wissenschaft. Die Geschichte der Wissenschaft erschien nur noch als eine Bewegung von Ideen, die durch wissenschaftliches Handeln materialisiert werden. Die Realität wurde bestenfalls als Inbegriff des möglichen blinden Widerstandes gegen die Durchsetzung der Ideen in der Wirklichkeit aufgefasst. Als Ziel der Wissenschaft betrachtete man nicht die Gewinnung von Wissen, sondern kam zu quasi-ästhetischen Kriterien, wie Einfachheit oder Eindeutigkeit, oder interpretierte Wissenschaft als direkte Mani festation schöpferischen menschlichen Tuns nach Analogie der Kunst, wenn man nicht gar, wie Pierre Duhem, die Entwicklung der Wissen schaft unter metaphysisch-neuthomistischen Vorstellungen sah. - Der wichtigste Grund dafür, dass man in der richtigen Kritik an der pas sivistisch-kontemplativen Wissenschaftsauffassung des Empirismus selbst zu so fragwürdigen Konzeptionen kam, liegt darin, dass der Konstruktivismus die Aktivität und Produktivität wissenschaftlicher Forschung lediglich als Aktivität und Produktivität des je einzelnen, einsamen Forschers auffasste. Dadurch erschien nicht nur wissen schaftliche Theorie als spontan dem Kopf des Forschers entsprungen und damit als etwas letztlich Willkürliches: Auch die praktisch-gegen ständliche Tätigkeit als wesentliches Moment der empirischen Wissen schaft wurde in einem hervorgehoben und verfehlt, da man sie ledig lich als Tätigkeit des je einzelnen Wissenschaftlers betrachtete. Das gilt auch für das von Dingler entwickelte und in meinen älteren Arbeiten modifiziert übernommene Prinzip der Realisation. Die aus dem Rea lisationsprinzip hergeleitete Konzeption empirischer Wissenschaft als >>kontrolliert-exemplarische Praxis« war schon deswegen von vornher-
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ein verfehlt. - Bei einer gründlichen, über die hier angebotenen allge meinen Einschätzungen hinausgehenden Analyse konstruktivistischen und konventionalistischen Denkens müssten - neben der Berliner Va riante - auch die Lehren der Erlanger Schule um Lorenzen, ebenso aber der poppersehe »Kritische Rationalismus« (der durchaus in gewissem Sinne hierher gehört) differenzierend auf ihren gesellschaftlichen Ur sprung und ihre gesellschaftliche Funktion hin expliziert werden. Von der gewonnenen Konzeption über die Eigenart gesellschaftsbe zogener wissenschaftlicher Erkenntnis ist nun auch das Problem der gesellschaftlichen Relevanz psychologischer Forschung angemessen zu klären, was hier verdeutlicht werden muss, weil in den letzten beiden
Artikeln nicht explizit zur Relevanzfrage Stellung genommen wurde. Wie gesagt, wurde der Tenor des >>liberalen« Standortes in der Re levanzauseinandersetzung schon 1 963 von Hans Hörmann prägnant dargelegt (vgl. S. 21 7f.). Theo Herrmann argumentiert in einer Aus einandersetzung mit meinem Artikel »Wissenschaftstheoretische Vor aussetzungen kritisch-emanzipatorischer Psychologie<< 1971 immer noch von dem gleichen Standort aus: »Wir bestreiten, dass die nomo thetische Arbeitsweise als solche ein bestimmtes Forschungsinteresse präjudiziert.« - »Weder die Übernahme noch die Ablehnung nomo thetischer Psychologie macht einen Psychologen davon frei, für seine Denk- und Handlungsweise und für seine Unterlassungen einzustehen. Auch kommt er dafür auf, was für ihn >gesellschaftlich relevant und was für ihn vertretbare gesellschaftliche Praxis< ist . . . die Verantwort lichkeit kommt - der herrschenden Auffassung entsprechend - ab gestuft u. a. nach Kompetenz und Verfügungsumfang den Menschen zu, ob sie nun als Wissenschaftler arbeiten oder etwa Autofahrer sind. Wissenschaftliche Tätigkeit unterliegt dann so sehr dem >respice finem< wie alle menschliche Tätigkeit . . . Das ist zwar für die Mehrheit der Wissenschaftler trivial, es muss aber . . . « usw. (Herrmann 1971, S. 146). - Die damit vertretene, in der Tat »triviale« Auffassung ist in diesem Buch an verschiedenen Stellen kritisiert worden. Die These von der Interessenneutralität der nomothetisch-psychologischen Forschung sollte u. a. schon durch die Argumentation zurückgewiesen sein, dass aus dem nomothetischen Verfahren sich die »organismische« Anthro pologie und die Gesellschaftsblindheit der bestehenden Psychologie mit Notwendigkeit herleiten. Allein: Die in meinen früheren Artikeln unternommenen Versuche, die Beziehung zwischen der gesellschaft lichen Relevanz und Interessenbezogenheit der Psychologie einerseits und ihrem wissenschaftlichen Erkenntnisgehalt andererseits nun selbst positiv zu bestimmen, mussten, wie gezeigt, wegen der Unzulänglich keit des eigenen, unkritisch-konstruktivistischen wissenschaftstheore tischen Ansatzes mehr oder weniger fehlschlagen.
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Ausgangspunkt für die weiteren Ü berlegungen ist die Einsicht, dass man die gesellschaftliche Funktion der Sozialwissenschaft verfehlt,
wenn man sie außerwissenschaftlichen Interessen und Relevanzkrite rien unterwerfen will. Ich erinnere an das schon zitierte Marx-Wort: >>Einen Menschen aber, der die Wissenschaft einem nicht aus ihr selbst (wie irrtümlich sie immer sein mag), sondern von außen, ihr fremden, äußerlichen Interessen entlehnten Standpunkt zu akkommodieren sucht, nenne ich >gemein<« (Marx 1 967 [MEW 26,2), S. 1 12; vgl. S. 1 80). - Dies kann natürlich nicht heißen, dass man zu der liberalen Vorstel lung von der Wissenschaft als Veranstaltung zur interessenneutralen, den gesellschaftlichen Kräften enthobenen Erkenntnissuche zurück kehren soll. Nur wurden die Alternativen dazu bisher oberflächlich, daher falsch bestimmt. Ich gehe aus von der wohl allgemein akzeptierten Tatsache, dass wissenschaftliche Wahrheit in manchen historischen Konstellationen ganz offensichtlich als solche nicht neutral war, dass es gesellschaft liche Kräfte gab, die ein Interesse daran hatten, die Wahrheit zu unter drücken, so dass Menschen wie Giordano Bruno und Galileo Galilei getötet oder mit dem Tode bedroht wurden, nur weil sie die wissen schaftliche Wahrheit verkündeten. - Konkreter: Hier soll andeutend aufgewiesen werden, dass und wie in der bürgerlichen Gesellschaft der
Erkenntnisgehalt der Sozialwissenschaft mit dem Grad und der Art ihrer gesellschaftlichen Relevanz - wenn auch auf komplexe Weise quasi innerlich zusammenhängt. Blicken wir kurz auf das Verhältnis zwischen der von Marx kriti sierten bürgerlichen Ö konomie etwa von Ricardo oder Adam Smith und Marx' eigener Analyse des Kapitalismus: Marx hat sich mindes tens seit den Pariser Manuskripten in seiner Forschungsbemühung ein deutig auf den Standpunkt des Proletariats gestellt. Dies taten jedoch auch manche seiner Zeitgenossen, von Moses Heß bis Proudhon. Die
Parteinahme für das Proletariat war keineswegs hinreichender Grund dafür, dass Marx ' wissenschaftliche Arbeit den Interessen des Proleta riats diente. Umgekehrt. Die marxsche Analyse des Kapitalismus diente deswegen dem Interesse des Proletariats, weil sie gegenüber den Kon zeptionen der bürgerlichen Ö konomie einen spezifischen Erkenntnis zuwachs erbrachte. - Die bürgerlichen Ö konomen konnten den Ka pitalismus, dessen >>Ungerechtigkeiten« sie teilweise sehr wohl sahen, auf Grund der Begrenztheit ihrer wissenschaftlichen Vergehensweise lediglich als Form der gesellschaftlichen Produktion des Menschen im Industriezeitalter überhaupt verstehen, als eine Form, die sich zwar im manent wandelt und ausgestaltet, aber keiner qualitativen strukturellen Veränderung fähig ist. Durch diese wissenschaftlich unzulängliche Auffassung dienten sie dem Interesse der Bourgeoisie, die als Klasse
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an der Erhaltung der bürgerlichen Gesellschaft interessiert sein muss
- ob die bürgerlichen Ö konomen als Menschen das nun wollten oder nicht (von den Apologeten des Kapitalismus sehe ich hier einmal ab).
- Marx konnte, durch den Ansatz seiner Analyse an der Warenform als >>Zelle« der bürgerlichen Gesellschaft, durch seine besondere, aus der Sache entwickelte Methodik der gedanklichen Reproduktion des Kapi talismus in seiner Gewordenheit, durch den Materialreichrum, die Un bestechlichkeit und die gedankliche Spannweite seines Forschens den wissenschaftlichen Nachweis führen, dass der Kapitalismus eine quali tativ spezifische historische Gesellschaftsform ist, die in dem ihr imma nenten zentralen Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung die objektiven gesellschaftlich-ökonomischen Möglichkeiten zu ihrer qualitativen Umwälzung in eine klassenlose Gesellschaft durch ihre eigene Entwicklung hervorbringt und steigert, so dass unter bestimmten Bedingungen die Transformation des Kapita lismus in eine sozialistische Gesellschaft ohne Klassenschranken durch die politische Tat des Proletariats erfolgen kann. Mit der so erreichten umfassenderen und tieferen Erkenntnis der bürgerlichen Gesellschaft ist objektiv dem Interesse des Proletariats, das hier die theoretische Grund lage für den Kampf gegen seine Ausbeutung und menschliche Entwür digung findet, gedient. - Die Richtigkeit der damit von mir vertretenen
Auffassung kann natürlich nur durch den gründlichen und detaillierten Nachvollzug der marxschen Kapitalismusanalyse überprüft werden. Hier wollte ich lediglich deutlich machen, was gemeint ist. Marx kam im Verfahren der gedanklichen Reproduktion, Explika tion bestimmter gesellschaftlicher Verhältnisse vom bloßen Vorwissen, von der quasi moralischen Stellungnahme für das Proletariat zum wis senschaftlichen >>Begriff<< der bürgerlichen Gesellschaft. Die von ihm gewonnene Erkenntnis konnte als Erkenntnis nicht neutral sein, weil der Kapitalismus als das Bestimmte und die Erkenntnis Bestimmende, das er wissenschaftlich erforschte, selbst nicht neutral ist. >>Kritik«,
wenn sie wissenschaftlich ist, besteht nicht lediglich in einer >>Haltung<< des Forschenden, sondern offenbart sich sozusagen als ein Moment der >>Sache selbst<<, sofern sie zum Bewusstsein gekommen, auf den Be griff gebracht worden ist. - Parteilichkeit ist also hier keine vorgängige Forderung an den Wissenschaftler: Die wissenschaftliche Erkenntnis ist als Erkenntnis selber Parteinahme, weil sie den Interessen des Kapitals widerstreitet und dem Proletariat dient; nur das Proletariat und seine Verbündeten können an dem Finden und der Verbreitung der Wahrheit über diese Gesellschaft interessiert sein. Der Forscher ist also in die -
sem Zusammenhang keineswegs gehalten, über die angemessene gesell schaftliche Verwendung einer für sich >>neutralen<< Wissenschaft sein >>Gewissen«, seine >>Staatsbürgerliche Verantwortung« oder Ähnliches
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zu befragen. Seine persönliche Parteinahme ist hier identisch mit seiner wissenschaftlichen Wahrhaftigkeit.
Es wäre natürlich unangemessen, den Modus des Erkenntnisgewinns der marxschen Kapitalismusanalyse und die hier bestehende zwin gende innere Beziehung zwischen >>parteinehmender<< gesellschaft licher Relevanz und wissenschaftlicher Erkenntnis einfach als Modell etwa für die psychologische Forschung einzusetzen. Die Psychologie, indem sie nicht direkt auf die Struktur und Bewegung der materiellen gesellschaftlichen Lebensverhältnisse, sondern auf vielfältig abgeleitete und gebrochene »Überbau<<-Phänomene gerichtet ist, wird kaum je mals auf einen so eindeutigen Zusammenhang zwischen Erkenntnis gewinn und gesellschaftlicher Relevanz stoßen. Dennoch enthält die marxsche Kapitalismuskritik den Schlüssel auch für eine richtige Be stimmung der Beziehung zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und gesellschaftlicher Relevanz in der Psychologie. Die Themenwahl gesellschaftsbezogener kritisch-psychologischer Forschung wird naturgemäß durch das Vorwissen über Lebensbe reiche, in denen gesellschaftliche Widersprüche im Kapitalismus sich besonders eindeutig manifestieren mögen, bestimmt sein. Allein durch die »parteinehmende<< Themenwahl ist aber über die »kritische« Re levanz der Theorien und Befunde psychologischer Forschung noch gar nichts ausgesagt. Es könnte sich etwa nach Vorliegen der Analyse her
ausstellen, dass z. B. eine Untersuchung über die Situation der Frau am Arbeitsplatz weniger kritische gesellschaftliche Relevanz besitzt als etwa eine Analyse, die am Phänomen der Größenkonstanz bei der Tiefenwahrnehmung ansetzt. - Die »kritische Relevanz<< auch psycho logischer Forschung bestimmt sich allein nach der besonderen Weise
und dem besonderen Grad des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns, der in ihr erreicht werden konnte. Eine solche kritische gesellschafts
theoretische Relevanz liegt dann vor, wenn die gewonnene Erkenntnis eine Erkenntnis im Interesse der progressiven und gegen das Interesse der regredierenden Kräfte in dieser Gesellschaft ist. - Es sollte auch für die Psychologie deutlich geworden sein, dass die persönliche »Welt anschauung« o. Ä. des Wissenschaftlers zwar eine Voraussetzung für seine individuelle Motivation zu progressiv gemeinter wissenschaft licher Forschung und einer entsprechenden Themenwahl ist: Die tat
sächlich erreichte gesellschaftskritische Relevanz der Forschung ist aber ein Moment ihrer Wissenschaftlichkeit, ein Implikat der in ihr gewon nenen Erkenntnis, unabhängig von dem »Willen« oder der »Einstel
lung« des individuellen Forschers und nicht eindeutig determiniert durch die vorgängige Themenwahl. Kritisch-psychologische Forschung kann natürlich nicht zum Programm erheben, von ihren jeweiligen Gegenstandsbereichen aus ·
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permanent Erkenntnisse zu produzieren, die als Erkenntnisse gesell schaftskritisch sind. Gemäß dem explikativen Ansatz ist die gesell schaftliche Widersprüchlichkeit bestimmter realer Verhältnisse in der wissenschaftlichen Analyse aus dem Gegenstand zu entwickeln. Da der Kapitalismus kein hermetisches System, sondern in sich selbst voller widerstreitender Tendenzen ist, steht keinesfalls von vornherein fest, ob und in welcher Weise Lebens- und Verha!t �nsbereiche des gesell schaftlichen Menschen, die in psychologischer Forschung explizie rend begriffen werden sollen, gesellschaftliche Widersprüchlichkeiten enthalten, die die Erkenntnis als solche »progressiv« machen. Es ist vielmehr der umgekehrte Weg zu gehen: Nach dem Vorliegen kritisch psychologischer Analysen muss sich an dem dabei j eweils realisierten methodischen Gesamtansatz ausmachen lassen, dass hier gesellschaft
liche Widersprüche, sofern sie in dem untersuchten Gegenstandsbereich gegeben sind, auch in wissenschaftlicher Erkenntnis erfasst wurden. In der bestehenden Psychologie ist diese Voraussetzung innerhalb weiter B ereiche nicht erfüllt: Hier sind die Parameter menschlichen Verhaltens und Erlebens subj ektivistisch-introjektiv aus dem wirk lichen gesellschaftlich-materiellen Lebenszusammenhang herausge löst. Es wird isolierend der Mensch zunächst für sich betrachtet und hinterher vielleicht >>in Gedanken« und dann im Experiment wieder zu » Gruppen« etc. zusammengesetzt. Der Blick auf die Gesellschaft
lichkeit des Menschen als individuellen Menschen ist verstellt. Wo aber real Zusammenhängendes in Gedanken zerrissen wird, da können gesellschaftliche Widersprüche, auch wenn sie Kennzeichen der zu er forschenden Realität sind, sich in wissenschaftlicher Erkenntnis nicht niederschlagen (dies ist in den vorstehenden Artikeln ja mehrfach in haltlich verdeutlicht worden). - Der bürgerlichen Psychologie ist mit hin nicht einfach vorzuwerfen, dass sie sich bewusst dem Kapitalinter esse unterstellt (obwohl es das natürlich auch gibt). Umgekehrt: Weil sie auf Grund ihres gedanklichen und methodischen Gesamtansatzes unfähig ist, so eindringende und umfassende Erkenntnisse über die Si tuation des Menschen in dieser Gesellschaft zu erbringen, dass damit der Möglichkeit nach den rückschrittlichen Kräften widerstritten und den vorantreibenden Kräften gedient ist, fördert sie zwangsläufig das Interesse des Kapitals an der Erhaltung der bestehenden Verhältnisse. Die mangelnde kritische Relevanz bürgerlich-psychologischer For
schung ist also unselbständiger Teil der Zusammenhangs- und damit Widerspruchsblindheit, und also des minderen Ranges der wissenschaft lichen Erkenntnis, die sie zu gewinnen vermag. Damit sollte auf der Basis des in den letzten Artikeln dargelegten Ansatzes über die Eigenart wissenschaftlicher Erkenntnis andeu tend gezeigt werden, wie das Konzept gesellschaftlicher Relevanz
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psychologischer Forschung richtig zu bestimmen ist. Die »liberale« Auffassung, dass über die Relevanz der Forschung allein auf Grund von außerwissenschaftlich-weltanschaulichen Wertungen der Wissen schaftler oder anderer Menschen befunden werden kann, ist falsch. Ebenso falsch ist aber die in den älteren Artikeln vertretene »pro gressiv« gemeinte Konzeption, wissenschaftlich-psychologische For schung gewinne schon dadurch gesellschaftskritische Relevanz, dass sie sich in den Dienst der fortschrittlichen Kräfte der Gesellschaft stellt. Beiden Positionen ist gemeinsam, dass bei ihnen die Relevanzbestim mung der Forschung, als der Wissenschaft äußerlich, wissenschaftlich gesehen willkürlich erscheint. Der Grund liegt in einer Neigung zu Instrumentalismus und Agnostizismus, auf j eden Fall einer restrin gierten und entleerten Vorstellung über die gesellschaftliche Funktion wissenschaftlicher Erkenntnis. - Demgegenüber sollte hier angedeutet werden, von welchem Begriff wissenschaftlicher Erkenntnis man aus zugehen hat, damit aufweisbar wird, dass und auf welche Weise die Re levanz sozialwissenschafdicher, also auch psychologischer Forschung, sich allein aus ihrem wissenschaftlichen Erkenntnisgehalt ableitet. Es ist nun vielleicht klar geworden, dass sozialistische Sozialwis senschaft nicht Sozialwissenschaft im Dienst einer außerwissenschaft lichen Weltanschauung, wie etwa »christliche Wissenschaft«, ist, son dern Sozialwissenschaft, in welcher auf der Grundlage des historischen und dialektischen Materialismus Ansatzstellen und methodische Ver gehensweisen entwickelt werden, um vorantreibende Widersprüch lichkeiten in Lebensverhältnissen der bürgerlichen Gesellschaft, wo sie gegeben sind, in der wissenschaftlichen Erkenntnis tatsächlich ge danklich reproduzierbar zu machen und damit Voraussetzungen für bewusste gesellschaftliche Praxis des wissenschaftlichen Sozialismus schaffen zu helfen. Über den Charakter, die Gegenstandsbereiche und die metho dischen Vergehensweisen einer »kritischen Psychologie«, die der Möglichkeit nach in ihren Erkenntnissen selbst den progressiven ge sellschaftlichen Kräften dient, lässt sich aus früheren Darlegungen in diesem Buch" manches entnehmen. Ansätze zu wirklichen Analysen bezogen sich dabei bisher vorwiegend kritisch auf die bestehende Psy chologie (so die Darlegungen über die verborgenen anthropologischen Voraussetzungen Allgemeiner Psychologie, die Immunisierungsfunk tion experimentell-psychologischer Methodik, die Verkehrung von »Konkretheit« und »Abstraktheit« und die »Introj ektion« als verfehlte Grunddenkweisen bürgerlicher Psychologie etc.). Ausführungen über eine mögliche Wendung von der Kritik der bürgerlichen Psycholo•·
Anm. d. Hg.: Kritische Psychologie. Vorbereitende Arbeiten ( 1 972).
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gie zur kritischen Psychologie blieben demgegenüber weitgehend programmatisch. - Ich will derartige programmatische Darlegungen nicht fortsetzen. Aus der Kennzeichnung der erkenntnis- und wissen schaftstheoretischen Grundlagen kritischer Psychologie sollte deutlich werden, dass hier vorgängige >>Methodik« lediglich in einem funda mentalen Denk- und Verfahrensansatz besteht, J;llit welchem in der in haltlichen, kritisch-historischen Analyse des Gegenstandes aus diesem selbst auch die angemessenen Vergehensweisen zu seiner gedanklichen Reproduktion in wissenschaftlicher Erkenntnis entwickelt werden müssen. Von der Sache abgezogene Programmatik muss hier deswe gen weitgehend unverbindlich bleiben. Eine weitere Diskussion ist erst nach dem Vorliegen tatsächlich durchgeführter Analysen, in denen die Wendung von der Kritik der bürgerlichen Psychologie zur kritischen Psychologie vollzogen sein soll, als sinnvoll zu betrachten (einige sol cher Analysen sind bald abgeschlossen).
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S O ZIALE KOGNITI ON26
( 1 9 72 )
1 Einleitung
1 . 1 Zur Erläuterung des Begriffs »Kognition« In alltäglicher Sicht erscheinen Wahrgenommenes und Gedachtes als klar getrennte Tatbestände: Im Wahrnehmen erhält man Kunde von dem, was >>draußen« in der Welt ist, das >>Denken« vollzieht sich >>in« mir. Das Wahrgenommene hat dabei unmittelbaren Vorfindlichkeits charakter und das Wahrnehmen sozusagen >>dokumentarischen« Wert (»was ich gesehen habe, habe ich gesehen«; >>ich habe es mit eigenen Augen gesehen« u. Ä. m.). Das >>Denken« wird demgegenüber eher als bloß >>subjektives<<, unverbindliches Phänomen betrachtet (>>Denken ist Glücksache«; >>man soll das Denken den Pferden überlassen, die ha ben größere Köpfe«) usw. Diese beiden Momente der alltäglichen Sicht, Dichotomie zwi schen Wahrnehmen und Denken und unmittelbarer Vorfindlichkeits charakter des Wahrgenommenen, wurden in der >>klassischen« Phase der experimentellen Psychologie im Prinzip nicht angezweifelt. Man erinnere sich nur an Wundts radikale Trennung der Wahrnehmungs psychologie von der Denkpsychologie, die darin zum Ausdruck kam, dass er das Wahrnehmen als bevorzugtes Gebiet experimenteller For schung ansah, während er das Denken den nichtexperimentellen Me thoden der von ihm konzipierten >>Völkerpsychologie« überantwortet wissen wollte; diese Trennung verteidigte er bis an sein Lebensende mit Heftigkeit gegen andersgeartete Ansätze (vgl. dazu die Kontroverse zwischen Wundt 1 907, 1 908, und K. Bühler 1 907, 1 908). Dabei wurde 26 Dieser Artikel, da 1967 geschrieben, ist vor der wissenschaftstheoretischen Umorientierung seines Verfassers (vgl. 1972a) entstanden. Eine Überarbei tung des Artikels unter den veränderten Gesichtspunkten hätte Stückwerk bleiben müssen. Die Abfassung eines völlig neuen Artikels über soziale Ko gnition war mir nicht möglich (vgl. dazu etwa >>Wahrnehmung«; 1972b"·). So erscheint der Artikel - da er im Rahmen dieses Handbuchs eine, wenn auch begrenzte, Funktion erfüllen dürfte - in der ursprünglichen Form. ".
Anm. d. Hg . : Dieser Text erschien als »Sinnliche Erkenntnis« 1973; wieder veröffentlicht als B and IV der Werkausgabe 2005.
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von Wundt nie in Frage gestellt, dass das Wahrnehmen unmittelbarer Gegenstand der Forschung werden kann, während er die Indirektheit und Vermitteltheit des Zugangs zum »Denken«, etwa in seinen iro nischen Kommentaren zu den Würzburger >>Ausfrage-Experimenten«, betonte. Beide Sichtweisen finden sich auch heute noch: die scharfe Abhebung des Denkens von anderen Funktionen wird besonders da vollzogen, wo man nicht aus Kerngebieten der Psychologie, sondern vom Randbereich physiologischer Betrachtung sich der Wahrnehmung nähert und demgemäß sein Interesse weitgehend auf das Sinnesorgan und die sensorische Vermittlung beschränkt; die unmittelbare Vorfind lichkeit des Wahrgenommenen und die direkte Untersuchbarkeit des Wahrnehmens wird stets dann ohne weiteres vorausgesetzt, wenn man Wahrnehmungsforschung ausschließlich in der intentio recta des naiven Empirikers, ohne eingehendere methodenkritische Reflexion betreibt. Durch neuere Entwicklungen in Kernbereichen der grundwissen schaftlichen Psychologie allerdings sind inzwischen sowohl die Ange messenheit der Dichotomisierung zwischen Wahrnehmung und Den ken angezweifelt wie der unmittelbare Vorfindlichkeitscharakter des Wahrgenommenen in Frage gestellt worden. Wir wollen beide Ent wicklungszüge kurz schildern. Die scharfe Trennung des Wahrnehmens vom »Denken« im weites ten Sinne wurde schon von frühen gestaltpsychologischen Positionen aus abgeschwächt, indem man versuchte, Wahrnehmen wie Denken mit den gleichen Erklärungsprinzipien, den »Gestaltgesetzen«, zu er fassen (vgl. etwa Wertheimer 1 945, und Duncker 1 935). - Piaget (vgl. z. B. 1 96 1 ) betrachtet das Wahrnehmen als eine Aktivität des Individu ums, die in den Zusammenhang des Gesamts der kognitiven Aktivität gestellt werden muss; man vergegenwärtige sich seine Formulierung vom Wahrnehmen als »Denken am Objekt«. - Für die »transaktiona listische« Wahrnehmungstheorie, die ihr Zentrum in Princeton hat, ist das, was >>wahrgenommen« wird, entscheidend abhängig von den Er gebnissen der handelnden Exploration der Umwelt; Wahrnehmen wird hier als ein unselbständiges Moment der kognitiv-motivationalen Da seinsbewältigung des Individuums angesehen (vgl. etwa lttelson 1962). Von der Harvard-Gruppe um J. S. Bruner wird immer wieder her vorgehoben, dass es »reine« Wahrnehmung nicht geben kann, sondern dass in jedem Wahrnehmungsakt schon immer eine Kategorisierung und damit kognitive Einordnung und Verarbeitung des Wahrgenom menen vollzogen ist (vgl. etwa Bruner 1 957). - Unter den Forschern, die in differenziell-psychologischer Sicht die Personabhängigkeit der Wahrnehmung in den Mittelpunkt des Interesses stellen, ist es beson ders Klein mit seinen Mitarbeitern, der, indem er das Wahrnehmen als geprägt durch den je individuellen »kognitiven Stil« einer Person -
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charakterisiert, das Eingebettetsein des Wahrnehmens in das kognitive Gesamtverhalten des Individuums herausstellt (vgl. etwa Klein 1 95 1 ). -'- Wir könnten diese Aufzählung noch lange fortsetzen. Es gibt heute kaum mehr Wahrnehmungstheoretiker, die einer stren gen Abtrennung des Wahrnehmens vom kognitiven Gesamtverhalten des Individuums zustimmen würden. Das gilt bezeichnenderweise auch für einen Forscher wie Gibson (vgl. z. B. 1 959), der in Reaktion auf die ,,funktionalistischen« Ansätze der Wahrnehmungslehre die Sti mulusdeterminiertheit der Wahrnehmung betont; in Gibsons Hervor hebung der Bedeutung des Wahrnehmungsiemens bei der Kodierung der Stimuluscharakteristika im Dienste einer angemessenen Umwelt orientierung liegt eine Anerkennung der Wichtigkeit kognitiver Mo mente für die Wahrnehmung. Auch das zweite der erwähnten, unkritisch aus der Alltagssicht in die »klassische« experimentelle Psychologie übernommene Moment, die Überzeugung vom Vorfindlichkeitscharakter des Wahrgenom menen und der direkten Untersuchbarkeit der Wahrnehmung, ist in der neueren Psychologie, wenn auch nicht so durchgehend wie das erste Moment, in Zweifel gezogen worden. Hier gingen die entschei denden Impulse von lerntheoretisch orientierten Forschern aus. Im Zuge der behavioristischen Methodenreflexion kam man zu der Fest stellung, dass an einem sich verhaltenden Organismus als Forschungs objekt nur die Stimuli und die offenbaren Responses >>overt« direkt beobachtet werden können: die »Wahrnehmung« sei aber weder ein Stimulus noch ein offenbarer Response, sondern nur jedem einzelnen Individuum selbst für die Beobachtung von außen verborgen, »covert<<, gegebener Tatbestand. Von frühen radikalen Positionen aus wurde daraus die Konsequenz gezogen, die »Wahrnehmung<< als »privaten<<, nicht intersubjektiv vorliegenden Sachverhalt überhaupt aus der Psy chologie auszuschließen und durch Konzepte wie »discrimination re sponse<< zu ersetzen. Diese radikalen Positionen haben sich inzwischen als wahrnehmungstheoretisch unzweckmäßig erwiesen. Geblieben ist bei vielen Forschern die Einsicht, dass in empirischen Untersuchungen niemals »Wahrnehmungen« selbst, sondern notwendigerweise ledig lich metrisch-physikalische Stimuli und Wahrnehmungsresponses als Daten vorliegen. Es lag nahe, die Wahrnehmungsresponses im Prinzip wie andere Responses zu behandeln und den Versuch zu unternehmen, die Erklärungsansätze der Lerntheorie auch in der Wahrnehmungs lehre anzuwenden (vgl. Woodworth 1947). Bei eingehenderen Analysen stellte sich heraus, dass allein durch die Berücksichtigung der verbalen oder - nach entsprechender Verabredung - nichtverbalen intersubjektiv, - »overt<< - zugänglichen Responses, in denen von Versuchs-Subjekten Wahrnehmungsgegebenheiten gekennzeichnet werden, in vielen Fällen
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keine zureichende Erklärung experimenteller Ergebnisse möglich war. Es ließen sich nämlich Effekte des Wahrnehmungslernens, etwa >>ha bits«, Generalisierungs- und Differenzierungseffekte usw., auch da auf weisen, wo die Versuchs-Subjekte gar keine »overt<< Responses abgege ben, sondern sozusagen nur »hingesehen<< hatten. Von da aus kamen z. B. Schoenfeld und Cumrning (1 963) in ihrer hervorragenden Analyse dazu, zwei Arten von Wahrnehmungsresponses, die »reporting responses<< R2 und die eigentlichen, verborgenen »covert perception responses<< Rt zu unterscheiden und die Stimulus-Response-Beziehung beim »Wahr nehmen<< so zu charakterisieren: S-Rl .R2. - Der Umstand, dass als empirische Daten ausschließlich Stimuli und Wahrnehmungsresponses vorliegen und dass die >>Wahrnehmung<< selbst ein intervenierender, le diglich »erschlossener<< Vorgang ist, wurde bei der experimentellen Prüfung der Konzepte »perceptual defense<< und »subliminal percep tion<< besonders deutlich, weil hier die Frage zentrales Interesse bean spruchte, ob man die zunächst angenommenen Prozesse der »Wahr nehmungsabwehr<< bzw. »unterschwelligen Wahrnehmung<< tatsächlich als Wahrnehmungsphänomene im engeren Sinne betrachten darf oder nur als »response biases<<, Responseverzerrungen, interpretieren muss. Man entwickelte sehr scharfsinnige Verfahren, um aus der Eigenart der »overt<< Responses möglichst eindeutige Aussagen darüber zu ermög lichen, ob sich die zugeordneten »covert<< Responses auf Wahrneh mungserlebnisse beziehen oder nicht; genannt sei hier die psychophy sische Analyse der Wahrnehmungsindikatoren von Goidiamond ( 1 958) und das Verfahren der »converging operations<< von Gamer, Hake und Eriksen ( 1 956); man vergleiche hierzu auch die Übersichtsreferate von Smock und Kanfer (1961) und von Minard (1 965). Man hat sich also deutlich zu machen, dass das >>Wahrnehmen« vor dem »Denken<< hinsichtlich seiner empirischen Vorfindbarkeit gar nicht so viel voraus hat, wie das etwa Wundt meinte. Beide Vorgänge, das Wahrnehmen und das Denken, liegen nicht selbst für die wissen schaftliche Beobachtung vor, sondern müssen aus direkt beobacht baren Daten erschlossen werden. Bei der näheren Kennzeichnung des Begriffes »Kognition« müssen wir die beiden geschilderten Gesichtspunkte berücksichtigen: Wir ha ben das Wahrnehmen als einen kognitiven Vorgang zu betrachten und damit jede Dichotomisierung des Wahrnehmens und »Denkens<< i. w. S. zurückzuweisen, und wir haben uns klar zu machen, dass das Wahr nehmen wie das »Denken<< zu den verborgenen, »covert<< Vorgängen gehört und demnach in seiner Eigenart aus »overt<< Sti!)luli und Re sponses erschlossen werden muss. Kognitive Akte bzw. Prozesse sind für uns solche Momente am Han delns-Erlebens-Gesamt eines Individuums, die der Orientierung dieses
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Individuums dienen können. Kognitionen sind zu unterscheiden von emotionalen Gegebenheiten, d. h. Gegebenheiten der Befindlichkeit eines Individuums in seiner j eweiligen Lebenssituation, und motivati onal-konativen Gegebenheiten, d. h. Gegebenheiten der Gerichtetheit des Individuums auf für die Zukunft angestrebte Ziele. Es versteht sich von selbst, dass diese drei Gegebenheitsaften nicl)t eigentlich voneinan der »getrennt<< werden können; mit der Anwendung eines der Begriffe »kognitiv<<, »emotional<< und »motivational-konativ<< werden lediglich verschiedene Momente am einheitlichen Handelns-Erlebens-Gesamt des Individuums herausgehoben. - In dieser Einteilung, die sich auf mögliche Gegenstände der psychologischen Forschung bezieht, sind Konstrukte jeder Art, wie die Konzepte »Lernen<<, >>Persönlichkeit<< etc., nicht enthalten. Die kognitiven Gegebenheiten, die hier im Mittelpunkt unseres Interesses stehen müssen, werden - ausgehend von der alltäglichen Unterscheidung zwischen »Wahrnehmen<< und »Denken<< - zunächst grob eingeteilt in solche, die sich auf Präsentes beziehen, und solche, die auf lediglich Vergegenwärtigtes bezogen sind. Auf Präsentes bezogene Kognitionen sind Wahrnehmungsvorgänge bzw. -akte im weiteren Sinn e. Mit der Bestimmu ng »auf Präsentes bezo gen<< ist gemeint, dass wir nur dann von Wahrnehmungen reden wollen, wenn der intendierte Gegenstand phänomenal außenweltliehen Gegen wärtigkeitscharakter hat, wenn das zu Kognizierende als jetzt und hier in der Realität vorliegend erlebt wird. Zur »Realität« in diesem Sinne ge hört dabei auch der jeweils eigene Körper eines Individuums, soweit er Gegenstand der Wahrnehmung dieses Individuums ist, also etwa »meine Hand« und »mein Fuß<<, wie ich ihn optisch wahrnehme, »mein Körper<<, wie ich ihn in Modalitäten der Spannung, Lage etc. wahrnehme u. Ä. m. Der »Gegenstand<< der Wahrnehmung, wie er in alltäglich-unreflek tiertem Erleben gegeben ist, soll - in Übereinstimmung mit einem ver breiteten Sprachgebrauch (vgl. etwa Allp ort 1 955) - das Perzept (kp)27 heißen. Ein Perzept ist etwa >>dieser Hund dort<< . Vom Perzept aus kann man nun den Wahrnehmungsvorgang bzw. -akt sowohl nach der Responseseite wie nach der Stimulusseite hin näher charakterisieren. Nach der Responseseite hin ordnen wir - in Anlehnung an Garner, Hake und Eriksen (1 956) - dem Perzept zunächst einen für sich vollzo genen, »covert<<, Wahrnehmungsresponse (r) zu. Diese Wahrnehmungs response ist ein auf das Perzept bezogener Identifizierungs-Response, 27 >>kp<<, das soll heißen, dass hier das zu Erkennende, das Kogitandum, ein Per zept ist. Wir benutzen - wie das mancherorts schon üblich ist - zur Symboli sierung von »covert« Gegebenheiten kleine Buchstaben und zur Symbolisie rung von »overt« Gegebenheiten große Buchstaben.
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eine Art von »Kenntnisnahme« des Perzeptes, wobei implizite Verba lisierungen, wie >>da Hund<< mitgegeben sein können. Diesem für sich vollzogenen Wahrnehmungsresponse wiederum ist ein >>overt<< Wahr nehmungsresponse (R) als »reporting response« zuzuordnen. Dieser Response kann verbaler Art sein, etwa als Äußerung »da ist ein Hund<<, aber auch nichtverbaler Art, etwa als Tastendruck, wenn über die Wahr nehmung eines >>Hundes<< berichtet werden soll, wobei hier nichtver bale Responses aber stets eine vorgängige verbale »Verabredung<<, etwa durch die Instruktion, voraussetzen. Allein der >>reporting response<< R ist nach der Responseseite hin als empirisches Datum intersubjektiv ge geben. Wenn wir nun den Wahrnehmungsvorgang vom Perzept aus nach der Stimulusseite hin analysieren wollen, so haben v.-ir hier zunächst eine Diskrepanz zwischen der naiv-phänomenalen und der diskursiv funktionalen Sicht auf das Perzept zu konstatieren. In der Alltagssicht ist es selbstverständlich, dass man einen »Hund« tatsächlich »wahr nehmen<< kann, während sich bei funktionaler Analyse ergibt, dass »Hund« ein Wort der Umgangssprache ist, dass also die phänomenal gesehen >>bloße« Wahrnehmung zum mindesten eine Kategorisierung gemäß diesem Wort enthält. Wir beziehen uns hier auf die geschilderte Einsicht der neueren Wahrnehmungslehre, dass jede Wahrnehmung immer schon ein kognitiver Einordnungs- und Verarbeitungsvorgang ist. Dieses begrifflich-kategoriale Moment, das jedem Perzept inhä rent ist, lässt sich notwendigerweise durch keinerlei Reduktionsbe mühungen ausschalten. Selbst wenn man z. B. vom Wort »Hund« über >>Tier«, »Lebewesen« usw. bis zum bloßen >>Etwas«, das da wahrge nommen wird, zurückgeht, entrinnt man der Sphäre des Kognitiven nicht, da ja auch die Identifizierung des Perzeptes als ein »Etwas« eine Kategorisierung darstellt. Dabei muss man sich deutlich machen, dass diese Kategorisierung nicht erst durch den verborgenen Wahrnehmungsresponse (r) erfolgt: Wir »sehen« tatsächlich einen »Hund«, und wir antworten nicht etwa auf ein >>bloßes« Wahrnehmungsgebilde mit dem Response »Hund«. Man hat demgemäß zwei Arten kognitiver Determinanten zu unter scheiden: Einmal die kognitiven Determinanten, die uns phänomenal als am Perzept, in der Realität gegeben erscheinen, und zum anderen die kognitiven Determinanten, die uns auch phänomenal als »Schlüsse«, » Urteile«, »Einordnungen« etc. gegeben sind. Zur Illustrierung dieser
Einteilung vergegenwärtige man sich etwa den Unterschied zwischen >>echter« Größenkonstanz, bei der die Berücksichtigung der Entfer nung tatsächlich zu einer Veränderung der wahrgenommenen Größe des Objektes führt, und der Entfernungsberücksichtigung bei großen Distanzen, bei der das Perzept von der phänomenalen Entfernung un-
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beeinflusst bleibt und die Entfernung bei der Größenschätzung ledig lich »in Rechnung gestellt« wird (vgl. dazu Piaget 1 960). Wir sehen also, dass mit dem Hinweis auf den phänomenalen Wahrnehmungs charakter eines Perzeptes keinesfalls etwas über Art und Grad der ko gnitiven Determiniertheit des Perzeptes vorentschieden ist. Kognitive Verarbeitungsprozesse können uns direkt gegeben sein, sie können aber auch lediglich in Modifikationen der anschaulichen Beschaffenheiten des Perzeptes ihren Niederschlag finden, womit die Alternativfrage, ob etwas >>tatsächlich wahrgenommen« oder nur »erschlossen« etc. sei, ihren Sinn verliert; es kann durchaus beides der Fall sein. Die uns direkt gegebenen kognitiven Determinanten wiederum kön nen einmal den verborgenen Wahrnehmungsresponse r modifizieren, wie das etwa im genannten In-Rechnung-Stellen der Distanz bei der Größeneinschätzung weit entfernter Objekte der Fall ist, sie können aber auch die Überführung des verborgenen Wahrnehmungsresponse r in den »reporting response« R modifizieren, was dann der Fall ist, wenn ich - etwa durch sozialen Druck - in meiner Äußerung von dem, was ich >>für mich« über das Perzept meine, abweiche. Auch das Un terlassen einer Äußerung, obgleich das Perzept ausgemacht worden ist, also eine »response suppression«, ist als eine kognitive Modifikation der Überführung von r in R aufzufassen. Man hat also in Ansehung des uns allein als empirisches Datum in tersubjektiv vorliegenden »reporting response« R mit drei »Ansatz stellen« kognitiver Beeinflussung zu rechnen: R ist notwendigerweise durch die kognitive Kategorisierung des Perzeptes kp mitdeterminiert, kann aber weiterhin durch kognitive Einflüsse auf r und/oder kogni tive Einflüsse auf die Überführung von r in R modifiziert worden sein. Es stellt, wie schon erwähnt (S. 295f.), ein schwieriges methodisches Problem dar, wie man - auf notwendigerweise indirekte Art - den je weiligen Ansatzpunkt eines kognitiven Einflusses identifizieren kann. Wenn wir nun in unserer Analyse des Perzepts nach der Stimulus seite hin fortfahren, so müssen wir unsere bisherigen Feststellungen in einer wesentlichen Hinsicht ergänzen. Wir sagten, dass jedes Perzept notwendigerweise schon als solches kognitiv mitdeterminiert ist. Das bedeutet nun aber nicht, dass das Perzept ausschließlich eine kogni tive Kategorisierung darstellt. Wir nehmen ja nicht den »Begriff« eines Hundes wahr, sondern tatsächlich einen Hund, als gegenwärtiges, re ales Etwas. Dieser Präsenzcharakter, der, wie wir feststellten, gerade die Eigenart des Wahrgenommenen in Abhebung von anders geartet Kogniziertem ausmacht, lässt sich keinesfalls mit dem Hinweis auf ko gnitive Verarbeitungs- und Einordnungsprozesse verstehen. Obgleich jedes Perzept auch das Ergebnis kognitiver Verarbeitung ist, liegt dar über hinaus in jedem Perzept etwas, das seinen Gegenwärtigkeits- und
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Tatsächlichkeitscharakter ausmacht und sich j eder bloß >>kognitiven« Charakterisierung entzieht. Wir nennen dieses »Etwas« den phänome nalen Stimulus (s). Wenn man sich nun darum bemüht, auszumachen, wie man durch den >>reporting response« (R) etwas über die B eschaffenheit des phäno menalen Stimulus (s) erfahren kann, so gerät man bald in unauflösbare Schwierigkeiten. Man kann zwar zu bestimmten phänographischen Umschreibungen gelangen, etwa der Aussage, dass der phänomenale Stimulus als Inbegriff des Präsenzcharakters des Perzeptes irgendwie >>in<< dem Perzept beschlossen liegt etc., man kommt aber auf diesem Wege keinesfalls zu präzisen B estimmungen über Eigenarten des phä nomenalen Stimulus, wie man sie für empirische Untersuchungen be nötigt. Es ist auch unmöglich, auf dem Wege über R jemals zu solchen Bestimmungen zu gelangen, da der >>reporting response<< als direkt oder indirekt verbaler Akt nichts weiter liefern kann, also kognitive Kategorisierungen, aber nicht >>die Sache selbst<<, das Perzept in seiner erlebten Präsenz, vorweisen kann. Bei einem Versuch der Charakterisierung des phänomenalen Stimu lus (s) muss man vielmehr sozusagen von >>der anderen Seite<< kommen. Der phänomenale Stimulus ist allein charakterisierbar durch Heranzie hung der B eschaffenheit des intersubj ektiv gegebenen metrisch-physi kalischen Stimulus (S). Dies geschieht, indem man Konstruktionen über sensorische Abhängigkeiten zwischen s und S entwickelt. Solche Kons truktionen geometrischer Art sind etwa der »Sehwinkel«, der »Ho ropter« usw., Konstruktionen physiologischer Art liegen etwa in der Annahme von >> Sättigungsvorgängen <<, >> Equilibrations<<-Tendenzen, >>dynamischer Selbststeuerung<< etc. im Zentralnervensystem u. Ä. m. Wichtig ist dabei der Umstand, dass man sich den phänomenalen Sti mulus (s) nicht etwa als irgendwie durch den metrisch-physikalischen Stimulus (S) >>verursacht« zu denken hat. Es handelt sich hier lediglich um Versuche, aufgrund von mir in der Außensicht auf den fremden Organismus direkt zugänglichen, metrisch erfassbaren Eigenarten der Umgebung dieses Organismus, Annahmen über Art und Umfang des Zusammenhanges des mir nicht direkt zugänglichen Wahrnehmungs bildes, Perzepts, des Organismus mit diesen metrischen Umgebungs eigenarten zu formulieren. Bei diesen Annahmen kann man von »pro ximalen« oder >>distalen« Konstruktionen ausgehen (vgl. dazu Heider 1 939), man kann physiologische Vorgänge berücksichtigen oder bei seite lassen (vgl. Gibson 1 950, und Linseboten 1 956). Die B erechtigung derartiger Annahmen ist von nirgendwoher >> ontisch<< zu begründen, sondern allein von der empirischen B ewährung abhängig. Die Frage, ob eine solche Bewährung vorliegt, ist dabei nicht direkt im Blick auf das Perzept zu beantworten, da uns der phänomenale Stimulusanteil
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dieses Perzepts j a nie direkt zugänglich ist. Eine Stimuluskonstruktion, wie wir sie geschildert haben, bewährt sich vielmehr lediglich in dem Maße, als mit ihrer Hilfe bestimmte Wahrnehmungsresponses (R) - bei angenommener Gleichheit oder Kontrolliertheit der kognitiven Wahr nehmungsdeterminanten - befriedigend vorhergesagt werden können. Wir sehen also, obwohl wir die Wahrnehmung den kognitiven Vor gängen zugeordnet haben, mussten wir an einer wesentlichen Stelle die bloß kognitive Betrachtung überschreiten, nämlich an der Stelle, wo es darum ging, den Präsenz- oder Gegenwärtigkeitscharakter des Per zeptes angemessen zu erfassen. Der phänomenale »Realitäts<<-Anteil der Wahrnehmung ist nur auf dem Wege über den metrisch-physika lischen Stimulus sinnvoll zu erforschen. Der als mit dem metrisch-phy sikalischen Stimulus S auf eindeutig konstruierbare Weise zusammen hängend gedachte phänomenale Stimulus ist sozusagen Inbegriff der Widerständigkeit der Realität gegen alle möglichen kognitiven Modifi kationen des Wahrnehmungsresponses S. Das Perzept kp insbesondere kann immer nur so weit kognitiv modifiziert werden, wie das sein phä nomenaler Stimulusanteil s zulässt; umgekehrt werden die kognitiven Kategorisierungsvorgänge durch die Eigenart von kp ausgelöst. - Durch die Hereinnahme der Beziehung S - s in unsere Konzeption sollte eine unangemessen einseitige funktionalistische Deutung des Wahrneh mungsgeschehens vermieden werden. Außerdem sollte deutlich wer den, dass die >>kognitive<< und die metrisch-physikalisch-physiologische Sicht auf die Wahrnehmung nicht etwa konkurrierende Ansätze sind, sondern sich notwendig gegenseitig bedingen, wenn man zu befriedi genden Vorhersagen von Wahrnehmungsresponses kommen will. Wir wollen das Ergebnis unserer Analyse des Wahrnehmens als ei ner Weise des Kognizierens abschließend in einem Schema zusammen fassen. S· · · · · · · · ·
S s kp r R
=
=
=
=
=
�
r --� R
der intersubjektiv zugängliche metrisch-physikalische Stimulus der aus S zu konstruierende phänomenale Stimulus das Perzept, in das s als Moment des Präsenzcharakters von kp eingebettet ist der verborgene, »covert<<, Wahrnehmungsresponse der intersubjektiv zugängliche »reporting response<<
Abb. 1: Auf Präsentes bezogenes Kogni:z:ieren (Wahrnehmen)
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Wir kommen nun zu der zweiten Art von Kognitionen, dem auf Vergegenwärtigtes bezogenen Kognizieren. Gegenstand dieser Art von Kognitionen sind nicht Perzepte als Inbegriff von Gegebenem mit phänomenalem Realitätscharakter, sondern bloß vergegenwärtigte Gegebenheiten, die nicht zu der für mich jetzt und hier vorliegenden Außenwelt gehören. Wir haben diese Art von Kognitionen bisher mit dem Alltagsbegriff >>Denken« umschrieben. Nun stellen wir spezifizierend fest, dass ver gegenwärtigende Kognitionen sich nicht nur auf » Gedanken<< bezie hen können, sondern auch auf >>Probleme<<, »Vorstellungen<<, »Erinne rungen<< usw., wobei in der alltäglichen B ezeichnung »Denken<< mehr oder weniger deutlich all diese Momente mitgemeint sind (vgl. dazu die Analyse des alltäglichen Begriffes »Denken« von Graumann 1 965). Wir symbolisieren die Gegenstände vergegenwärtigenden Kognizie rens mit (= Kogitandum, ohne den Zusatz von p Perzept). Nach der Responseseite hin können wir hier analoge B estimmungen treffen wie bei der Analyse der Wahrnehmungsvorgänge: Dem zu Ko gnizierenden k ist zunächst ein auf k bezogener verborgener Response r zuzuordnen. Es kann sich bei r um eine »für sich<< vollzogene Pro blemlösung, identifizierende Konstatierung einer »Vorstellung<< oder »Erinnerung<<, ein implizites »Urteil<<, eine »Meinung<<, eine erlebte »Einstellung<< u. a. m. handeln. Dem verborgenen Response r muss auch hier wiederum ein »reporting response« R zugeordnet werden. Die Unterscheidung zwischen dem Gegenstand der Kognition (k) und dem verborgenen Response (r) ist erheblich problematischer als die analoge Unterscheidung bei den Wahrnehmungsvorgängen. So ist es z. B. erst phänomenologischer Reflexion möglich, sich klar zu machen, dass der » Gedanke<<, den ich denke, etwas anderes ist als das »Denken<< dieses Gedankens durch mich (vgl. etwa Husserls »Logische Untersuchungen<<, Bd. I, 1 9 1 3 ) . Wir können uns mit derartigen Fragen an dieser Stelle nicht befassen. - Die Unterscheidung zwischen ver borgenem Response r und »reporting response<< R ist dagegen auch in diesem Zusammenhang als leicht vollziehbar und methodisch not wendig zu betrachten, wobei auch in diesem Zusammenhang gilt, dass lediglich R als empirisches Datum intersubjektiv gegeben ist. Bei der Analyse der vergegenwärtigenden Kognition nach der Sti mulusseite hin erweist sich, dass hier die Annahme eines phänome nalen Stimulus als dem Kognitionsgegenstand k inhärent gegeben un terbleiben muss. Der phänomenale Stimulus ist ja bei Kennzeichnung des Wahrnehmens gerade als Inbegriff für die Präsenz, den phänome nalen Realitätscharakter, die erlebte Unabhängigkeit von rriir etc. ein geführt worden. Bei vergegenwärtigendem Kognizieren entfallen aber per definitionem alle diese Momente. Durch die Entbundenheit von =
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der phänomenalen Realität ist das vergegenwärtigende Kognizieren erheblich >>beweglicher«, plastischer, in höherem Grade reversibel als das perzeptbezogene Kognizieren. Die phänomenale Realität setzt hier sozusagen der kognitiven Aktivität keinen direkten Widerstand ent gegen. Dennoch ist natürlich der mögliche Einfluss. von in Perzepte einge betteten phänomenalen Stimuli und damit von mit diesen Stimuli per Konstruktion in Zusammenhang gebrachten metrisch-physikalischen Stimuli auch bei vergegenwärtigendem Kognizieren zu berücksichti gen. Nur ist dieser Einfluss nicht direkter Art, der phänomenale Stimu lus gehört hier nicht unmittelbar zum Kognitionsgegenstand, er >>ragt<< nicht als >>Realität« in das zu Kognizierende hinein, sondern er modifi ziert auf indirekte Weise den Kognitionsvorgang, sei es als >>Reizwort« zur Auslösung einer Assoziationskette, als wahrgenommene Zahlen folge oder geometrische Konstellation zur Auslösung eines »problem solving«-Prozesses, als verbale Instruktion, die irgendwelche verge genwärtigenden Kognitionsabläufe in Gang bringt u. Ä. m. Abgesehen von dem indirekten Charakter des möglichen Reizein flusses darf man bei der vergegenwärtigenden Kognition, anders als bei der Wahrnehmung, auch den Fall der gänzlichen Reizunabhängigkeit des Kognizierens nicht als unmöglich beiseite lassen. Beim spontanen Einfall, bei manchen schöpferischen Denkakten etwa lassen sich keine eindeutigen Reizabhängigkeiten nachweisen. Wir stellen auch das Ergebnis der Analyse des vergegenwärtigenden Kognizierens wieder in einem Schema dar:
�- · · · · · 8) ��r�R s
s kp k r R
=
=
=
= = =
der intersubjektiv zugängliche metrisch-physikalische Stimulus der aus S zu konstruierende phänomenale Stimulus das Perzept, in das s als Moment des Präsenzcharakters von kp eingebettet ist das Vergegenwärtigte zu Kognizierende der verborgene, >>covert<< Response der intersubj ektiv zugängliche »reporting response«
Abb. 2 Auf Vergegenwärtigtes bezogenes Kognizieren
304 Di< Bozi
S· · ·
· · · · · ·
8
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Indirektheit und die Entbehrlichkeit des >>Wahrnehmungsanteils<< des Prozesses der vergegenwärtigenden Kognition zu kennzeichnen. 1 .2 Soziale Bedingungen des Kognizierens
Nachdem wir zunächst den Begriff »Kognition<< überhaupt etwas näher bestimmt haben, wollen wir nun Angaben darüber machen, was in die ser Abhandlung unter >>sozialer Kognition<< verstanden werden soll. Wir definieren den Begriff »sozial<< auf allgemeine Weise als >>mit an deren Menschen zusammenhängend<< . Das Kognizieren kann demnach in zwei verschiedenen Hinsichten >>sozial<< genannt werden, einmal als »auf Soziales bezogenes Kognizieren<< und zum anderen als >>sozial be dingtes Kognizieren<< . Bei »auf Soziales bezogenem Kognizieren<< ist e s der Gegenstand, der das »Soziale« des Kognizierens ausmacht: Es geht hier um das Problem, nach welchen theoretischen Konzeptionen man sich das Kognizieren anderer Menschen, in Abhebung vom Kognizieren nichtpersonaler Ge gebenheiten, verständlich machen kann, und wie man diese Konzepti onen empirisch zu prüfen hat. Das damit angesprochene Forschungsge biet wird heute verbreitet mit der Bezeichnung >>Personwahrnehmung«, »person perception<<, charakterisiert. Wir halten diese Bezeichnung für zweckmäßig und schlagen vor, wenn die Wahrnehmung bzw. Kognition anderer Menschen gemeint ist, nicht von >>sozialer Wahrnehmung« und auch nicht von »sozialer Kognition«, sondern eben von Personwahr nehmung zu sprechen. - Das Forschungsgebiet um die Personwahr nehmung gehört gemäß der eben vollzogenen Ausgrenzung nicht zur »sozialen Kognition« in unserem Sinne und wird deswegen auch nicht gesondert in diesem Artikel behandelt. Die Probleme der Personwahr nehmung gehören aber systematisch zur Sozialpsychologie. Faktisch werden Untersuchungen zur Personwahrnehmung zum Teil heute noch der experimentellen Ausdrucksforschung zugerechnet, die ihrerseits nicht voll in der Sozialpsychologie aufgeht. Die Personwahrnehmung ist von uns im Band 5 dieses Handbuches", >>Ausdruckspsychologie«, dargestellt und diskutiert worden (vgl. Holzkamp 1 965a, bes. S. 84 ff.). Gegenstand dieser Abhandlung ist die sozial bedingte Kognition, also das Kognizieren unter sozialem Einfluss. Probleme der Person wahrnehmung werden dabei nicht selbständig behandelt, sondern sind ". Anrn . d. Hg.: Gerneint ist Robert Kirchhoff (Hg.). Handbuch der Psycholo gie Bd. 5. Görtingen: Hogrefe, S. 39- 1 1 3 .
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in unserem Zusammenhang nur soweit bedeutsam, wie Variablen der Wahrnehmung von anderen Personen als Bedingungen des Beeinflus sungsprozesses betrachtet werden müssen. Der Begriff >>soziale Kognition« ist noch etwas ungebräuchlich. Viel geläufiger ist dagegen der Begriff der >>sozialen Wahrnehmung« (»social perception«). Die Einführung eines neuen Begriffes ist hier indessen unbedingt erforderlich, weil mit der B ezeichnung »soziale Wahrnehmung« traditionellerweise ein Forschungsbereich gemeint ist, der - wie sich inzwischen herausgestellt hat - streng genommen nicht in das Gebiet der Sozialpsychologie gehört, nämlich der von Bruner, Postman u. a. inaugurierte funktionalistische Wahrnehmungsansatz. Innerhalb dieses Ansatzes wird der Einfluss der Valenz von Wahr nehmungsgegebenheiten auf die Wahrnehmungsresponses untersucht. Zwar waren es in den frühen Untersuchungen dieser An, in denen etwa die Akzentuierung, die Veränderung der Erkennungsschwelle etc. in ihrer Valenzabhängigkeit untersucht wurden, tatsächlich sozial vermittelte Valenzen, die als unabhängige Variable in die Versuchsan ordnung eingeführt wurden (vgl. etwa Bruner & Goodman 1 947; Mc Ginnies 1 949, u. v. a.). B esonders nach den bedeutenden Arbeiten von Lamben und seinen Mitarbeitern (vgl. Lamben, Solomon & Watson 1 949, sowie Lamben & Lamben 1 953) ist indessen immer deutlicher geworden, dass darin im Wesentlichen eine historische Zufälligkeit zu sehen ist. Die Valenzen können auch unabhängig von irgendwel chen sozialen Bedingungen, etwa in individuellen Lernexperimenten, erzeugt werden. Es hat sich sogar als methodisch erheblich sinnvoller erwiesen, Valenzen im Experiment herzustellen und nicht aus der au ßerexperimentellen sozialen Wirklichkeit zu übernehmen. Die Be ziehungen zwischen dieser An von Forschungsansätzen und der So zialpsychologie sind nicht enger als etwa die Beziehungen zwischen Sozialpsychologie und etwa Denkpsychologie, Motivationsforschung, Entwicklungspsychologie. Demgemäß gehört die traditionelle >>social perception«-Forschung auch nicht in einen Handbuchband über So zialpsychologie und wird demgemäß von uns hier nicht abgehandelt. Der On von Problemen der Valenzabhängigkeit der Wahrnehmung wie der Abhängigkeit der Wahrnehmung von Persönlichkeitsvariablen etc. ist vielmehr die allgemeine Wahrnehmungspsychologie. Folgerich tig wurden diese Probleme innerhalb dieser Handbuch-Reihe im Band I, 1 . »Wahrnehmung und Bewusstsein« dargestellt, und zwar in dem ausgezeichneten Artikel von Graumann über >>nicht-sinnliche Bedin gungen des Wahrnehmens<< (1966). Wenn wir im Folgenden von >>sozialer Kognition<< sprechen, so meinen wir dabei ausschließlich Kognitionsprozesse, sofern sie durch dem Kognizierenden gegebene von anderen Menschen ausgehende
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Einflüsse modifiziert werden. Damit, dass wir hier individuelle, sozial modifizierte Kognitionsvorgänge diskutieren wollen, ist auch gesagt, dass wir nicht an Gruppenprozessen als solchen interessiert sind. Der artige Gruppenprozesse werden in anderen Artikeln dieses Hand buches* (Kap. 30 bis 34) erörtert. Wir befassen uns ausschließlich mit sozialen Momenten in ihrem Einfluss auf den je individuellen Men schen in seinem kognitiven Verhalten. Wir nehmen hier also nicht ei nen »gruppenzentrierten<<, sondern ausschließlich einen »individuum zentrierten<< Standort ein (vgl. dazu Holzkamp 1 965b).
2 Nichtverbaler sozialer Einfluss 2.1 Vorbemerkung Der soziale Einfluss ist in der Geschichte der Sozialpsychologie mit den verschiedensten Konzepten gekennzeichnet worden, so mit den Begriffen »Suggestion«, >>Prestige«, »Imitation<<, >>Konformität<<, »com pliance<<, »observational learning<<, »attitude change<< usw. Diese Kon zepte sind nicht nur auf dem Hintergrund ganz verschiedener theo retischer Ansätze entwickelt worden, sie meinen auch teilweise ganz unterschiedliche Arten der B eeinflussung und des beeinflussten Ver haltens. Um hier zu einem ersten Ordnungsgesichtspunkt zu kommen, he ben wir zunächst den nichtverbalen sozialen Einfluss vom verbalen so zialen Einfluss ab. Wie sich noch zeigen wird, ist diese Abhebung von großer Bedeutung, da die Problemlage in wesentlicher Hinsicht anders ist, je nachdem, ob man den nichtverbalen Einfluss oder den Einfluss durch sprachliche Äußerungen von einem Individuum auf das andere untersuchen will. Da die genannte Unterscheidung nicht nur auf das beeinflussende Verhalten, sondern auch auf das beeinflusste Verhalten anwendbar ist, käme man hier zu folgenden Kombinationsmöglichkeiten: Nichtver baler Einfluss von Individuum B, nichtverbale Verhaltensänderung bei Individuum A; verbaler Einfluss von Individuum B, verbale Verhal tensänderung bei Individuum A; verbaler Einfluss von Individuum B, nichtverbale Verhaltensänderung bei Individuum A; nicht-verbaler Einfluss von Individuum B, verbale Verhaltensänderung bei Indivi duum A. Meist hat man sich jedoch für die in dieser Hinsicht kon gruenten Beeinflussungsbeziehungen interessiert (nichtverbaler Ein'-·
Anm. d. Hg.: Gemeint ist Carl F. Graumann (Hg.) ( 1 972), Handbuch der Psychologie. Bd.7, 2. Halbband: Forschungsbereiche. Göttingen: Hogrefe.
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fluss, nichtverbale Verhaltensänderung sowie verbaler Einfluss und verbale Verhaltensänderung); die hinsichtlich der Klassifikation »ver bal - nichtverbal« inkongruenten Beeinflussungsbeziehungen sind nur selten beachtet worden. Deswegen stellen auch wir die kongruenten B eeinflussungsbeziehungen in den Mittelpunkt unserer jeweils ein schlägigen Ausführungen. Wir haben einzuräumen, dass die Unterscheidung zwischen nicht verbalem und verbalem sozialen Einfluss nicht immer präzise getrof fen werden kann: Man muss z. B. damit rechnen, dass das nichtverbale Verhalten eines Individuums unter Umständen im Sinne einer verbor genen (>>covert«) verbalen Stellungnahme interpretiert wird, ebenso, dass nichtverbale Charakteristika des Sprachverhaltens mit einem be stimmten Gewicht in den Beeinflussungsprozess mit eingehen. Den noch ist - wie sich noch zeigen soll - die genannte Unterscheidung für eine angemessene Problembearbeitung unerlässlich. Sofern man den nichtverbalen sozialen Einfluss untersuchen will, ist man naturgemäß nicht darauf angewiesen, seine theoretischen Ansätze und empirischen Untersuchungen auf Individuen mit der Möglichkeit zu sprachlicher Äußerung einzuschränken. Wir werden es demnach im Folgenden vorwiegend mit solchen Konzeptionen zu tun haben, von denen aus sozialer Einfluss unter Tieren und unter Kindern im vor sprachlichen Stadium und sozialer Einfluss unter Personen mit sprach licher Äußerungsmöglichkeit unter einheitlichen Gesichtspunkten zu erklären unternommen wird. Wir vergegenwärtigen uns, dass wir - ge mäß unserem Thema »soziale Kognition« - unsere B eachtung haupt sächlich auf soziale Beeinflussungen des Orientierungsverhaltens von Organismen zu richten haben werden, wenn sich auch die Erwähnung der sozialen Beeinflussung von nichtkognitivem Verhalten nicht im mer ganz vermeiden lassen wird.
2.2 Nichtfunktionalistische Imitationsansätze Der B egriff >>Imitation« bzw. >>Nachahmung« wird von uns ausschließ lich im Zusammenhang mit der Kennzeichnung bestimmt gearteter nichtverbaler sozialer Einflüsse auf nichtverbales Verhalten benutzt. Wir stehen dabei nicht voll im Einklang mit dem wissenschaftlichen Sprachgebrauch, in dem gelegentlich auch verbale soziale Beeinflus sungen als »Imitation« bezeichnet werden. Unsere eingrenzende Bestimmung des Imitationsbegriffes ist indessen - wie sich zeigen wird - sowohl zweckmäßig als auch durchführbar. Außerhalb der einzelwissenschaftlichen Sozialpsychologie ist die Konzeption der »Imitation« in verschiedenen Zusammenhängen als Er klärungsprinzip für das Zustandekommen von Angleichungsvorgängen
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in der Gesellschaft benutzt worden. Besonders häufig erwähnt wird die Imitationstheorie von Tarde (vgl. etwa 1 8 90), der die Imitation mit dem Einfluss eines Hypnotiseurs vergleicht und die Verhaltensähnlichkeiten in der Gesellschaft auf eine Art von wechselseitiger Hypnose zurück führen will. Aber auch bei den »Massenpsychologen<< Sighele (1 898) und Le B on (1 895) wird die >>Imitation<<, wenn auch weniger program matisch, als letztes Erklärungsprinzip für bestimmte gesellschaftliche Gegebenheiten eingeführt. Innerhalb derartiger früher soziologischer Konzeptionen wird der Nachahmungsbegriff recht unscharf bestimmt und mit Begriffen wie >>Suggestion<< oder »Prestige<< abwechselnd ge braucht (vgl. dazu auch Ross 1 9 1 3). Auch William James, einer der großen Vorläufer der modernen ein zelwissenschaftlichen Psychologie, verwendet, abweichend von dem prinzipiell funktionalistischen Ansatz seiner Lehre, den Imitationsbe griff als letztes Erklärungsprinzip. Imitation ist seiner Auffassung nach als ein »Instinkt<< zu betrachten, der das Kind schon im vorverbalen Stadium dazu führt, etwa die gleichen Gesten zu machen wie seine Eltern (vgl. 1 890, II, $. 408f.). Auch die - in das sprachliche Stadium hinüberführende - Nachformung von Lautbildungen wird auf den Imitationsinstinkt zurückgeführt. Im Laufe der Entwicklung soll der Imitationsinstinkt dann überdeckt werden durch den Instinkt der Ri valität und weitere »Instinkte<< . Eine etwas andere Konzeption von Imitation, die mit den bisher ge schilderten dennoch im Grundsätzlichen große Ähnlichkeit hat, nimmt ihren Ausgang von dem so genannten »ideomotorischen GesetZ<< von Carpenter ( 1 875). Gemäß diesem »GesetZ<< soll bei der Wahrnehmung einer fremden B ewegung die Tendenz zur Nachahmung dieser B ewe gung bestehen, wobei die durch die Wahrnehmung hervorgerufene »Bewegungsvorstellung<< als die wesentliche Bedingung für die Mit bewegung angesehen wird. Diese Art der Nachahmungstendenz wird nun von Lipps (etwa 1 907), von K.lages ( 1 950), von Rohracher in sei ner »Rudimententheorie« (1 963) u. a. bei dem Versuch einer Erklärung des Ausdrucksverstehens benutzt. Auch hier wird die Imitation als ein »letzter Tatbestand« einfach hingenommen. Charakteristisch für alle bisher genannten Imitationskonzeptionen ist, dass hier »Imitation« nicht als B eschreibungsbegriff für bestimmte Verhaltensähnlichkeiten von Individuen benutzt wird und dass dem entsprechend Imitation nicht als ein empirischer B efund betrachtet wird, der auf die B edingungen seines Zustandekommens hin analysiert werden müsste: »Nachahmung« erscheint vielmehr als ein theoreti sches Prinzip zur Erklärung von ähnlichem Verhalten verschiedener Individuen. Diese Art von theoretischen Ansätzen ist als eine Form von verbalistischer Deckerklärung aufzufassen, wie sie in den Vorsta-
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dien und frühen Phasen der einzelwissenschaftlichen Soziologie und Psychologie häufiger anzutreffen waren. B ei derartigen »Erklärungen<< wird in einer Zirkelargumentation das Zu-Erklärende, hier die Imita tion, als Erklärungsprinzip hypostasiert: Die Imitation erklärt sich aus der I mitationstendenz bzw. dem Imitationsinstinkt oder - zugespitzt formuliert - die Imitation erklärt sich aus der Imitation. Die hypostasierenden Einführungen des Imitationskonzeptes als Erklärungsprinzip ist von verschiedenen Seiten zurückgewiesen wor den, so in dem scharfen Angriff von Durkheim (1 907) gegen Tarde, von Karl Groos (1 939), der die Imitationskonzeption von James kritisch analysiert, von Piaget (1 935), der sich mit seinem Imitationsansatz ge gen Le D antee absetzt, und von Richter (1 957), der die von Carpenter beeinflusste Annahme einer zwangsläufigen Tendenz zur Verhaltens nachahmung einer scharfsinnigen theoretischen und experimentellen Kritik unterzieht (vgl. auch Koffka 1 920, S. 230 ff., mit seiner kri tischen Diskussion der » Instinkt<< -Theorien der Nachahmung in der Entwicklungspsychologie und den Überblick über die Geschichte der Imitationstheorien bei Miller & Dollard 1 941, S. 289 ff.) . In der mo dernen Psychologie haben theoretische Ansätze, in denen Imitation als Erklärungsprinzip benutzt wird, keine große B edeutung mehr.
2.3
Imitation als instrumentell gelernte Verhaltensweise
Wrr kennzeichneten die bisher geschilderten Imitationsansätze als >>nicht
funktionalistisch<<. Die von nun an zu besprechenden lmitationskon zeptionen, wie Konzeptionen der nichtverbalen sozialen Beeinflussung überhaupt, werden demgegenüber als "funktionalistisch<< charakterisiert. Wenn wir in diesem Zusammenhang von >>Funktionalismus<< sprechen, so meinen wir nicht den historischen Funktionalismus etwa eines Angell, Carr, Woodworth oder McGeoch. Wrr meinen mit »Funktionalismus<< in einer heute nicht ungebräuchlichen weiteren Fassung des Begriffes eine theoretische Grundhaltung in der Psychologie, von der aus das Verhal ten und Erleben von Organismen im Zusammenhang mit zielgerichtetem Handeln im Dienste der Daseinsbewältigung gesehen wird. »Funktiona listisch<< in diesem Sinne ist nicht nur der historische wie der moderne Behaviorismus; ein derartiger »Funktionalismus<< ist vielmehr als eines der Hauptcharakteristika der modernen Psychologie überhaupt zu be trachten. - Wenn wir mithin die bisher genannten Imitationsansätze als »nichtfunktionalistisch<< bezeichneten, so wollten wir damit sagen, dass hier die Imitation nicht als erklärungsbedürftig durch Einordnung in den Funktionszusammenhang des zielgerichteten Handeins der Individuen angesehen wurde. Die im Folgenden zu diskutierenden Ansätze sind da gegen als "funktionalistisch<< im erwähnten weiteren Sinne einzuordnen.
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Soziale Kognition 2.3 . 1
Der Ansatz von Miller und Dollard
Pionierarbeit bei der Bemühung um Herauslösung des Imitationskon zeptes aus seiner durch die genannte hypostasierende Theorienbildung entstandene Abgetrenntheit vom Fortschreiten der Psychologie leisteten Miller und Dollard in ihrem Buch »Social learning and imitation« ( 1 941). Miller und Dollard entwickeln ihren Imitationsansatz aus ihrer Version der Theorie des instrumentellen Lemens von Hull. Sie unterscheiden drei Arten von Imitation: »Same behavior<<, »copying« und »matched dependent beha vior<<. »Same behavior<< ist die Gleichartigkeit des Verhaltens von Individuen durch gleiche Reaktion auf identische Reize, ohne dass eine direkte Beziehung zwischen den Individuen besteht, also eine Art von »scheinbarer<< Imitation. Beim »Copying<< hat der imitierende Beobachter Kriterien dafür, wieweit sein Verhalten von dem zu imitierenden Modell-Subjekt abweicht; die Verhaltensan gleichung des Beobachters an das Modell-Subjekt geschieht hier durch Beloh nung von Verhaltensweisen des Beobachters, die den Verhaltensweisen des Mo dells ähnlich sind, bzw. Bestrafung von Verhaltensweisen des Beobachters, die den Verhaltensweisen des Modells unähnlich sind. Die Konzeption des >>mat ched dependent behavior<< ist der wichtigste Beitrag von Miller und Dollard zum Imitationsproblem und muss deshalb ausführlicher behandelt werden. Die hier gemeinte Abhängigkeitsbeziehung soll dann entstehen, wenn das Modell-Subjekt über bestimmte relevante Reizinformationen verfügt, die dem Beobachter nicht gegeben sind, wenn also hinsichtlich der Mög lichkeit, durch Reaktion auf gewisse Reize Belohnungen zu erhalten, eine Überlegenheit des Modells gegenüber dem Beobachter besteht. Im »matched dependent hehavior<< erreicht nach Miller und Dollard das Modell seine Be lohnung durch unabhängige Reaktion auf den Reiz, während der Beobachter die Belohnung nicht durch Reaktion auf den - ihm ja per definitionem nicht gegebenen - Reiz, sondern durch Imitation des Modellverhaltens beim Be lohnungsgewinn erhält. Die erste imitierende Reaktion des Beobachters muss dieser Konzeption nach als »zufällig<< erfolgend angesehen werden; dadurch, dass diese erste Imitationsreaktion des Beobachters belohnt wird, ist das Auftreten der nächsten entsprechenden Imitationsreaktion wahrscheinlicher; durch fortgesetzte Belohnung werden die Imitationsreaktionen in der Folge immer häufiger. Um ein von Mill er und Dollard angeführtes Beispiel wieder zugeben: Das Modell-Subjekt sei ein kleiner Junge, der sich daran gewöhnt hat, beim Wahrnehmen der Schritte des heimkehrenden Vaters auf der Treppe zur Tür zu laufen und dabei jedes Mal vom Vater Süßigkeiten erhält. Der Beobachter sei der jüngere Bruder des Jungen, der noch nicht in der Lage ist, das Geräusch der Schritte des Vaters auf der Treppe richtig zu identifizieren, aber einmal zufällig dem älteren Bruder nachlief, als dieser dem Vater entge gen rannte, und dabei ebenfalls Süßigkeiten erhielt. Bei dem jüngeren Bruder wurde mithin nicht die Reaktion auf den unabhängigen Reiz »Schritte des Vaters«, sondern die imitierende Reaktion auf den Reiz »zur Tür laufender Bruder« belohnt. Sofern nun der jüngere Bruder, wenn er in der geschilderten Situation dem älteren Bruder nachläuft, wiederholt zu seiner Belohnung kommt, so entsteht »matched dependent behavior«, d. h. beim kleineren Bru der bildet sich die Gewohnheit, zu dem genannten Anlass dem älteren Bruder
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nachzulaufen. Die »Abhängigkeit<< des Beobachters vom Modell besteht da bei darin, dass dem Modell der zur Belohnung führende Umweltreiz gegeben ist, während der Beobachter lediglich sozusagen »blind<< auf das Rennen des Modells reagiert. Miller und Dollard prüften ihren Ansatz durch eine Serie von Expe rimenten mit Ratten. Als Grundsituation der Lernversuche diente ein ein faches !-Labyrinth. Eine Gruppe von Ratten, die als Modelle vorgesehen wa ren, lernte z. B. durch entsprechende Futterbelohnungen auf diejenige Seite des !-Labyrinthes zu laufen, an deren Ende eine weiße bzw. schwarze Karte als relevanter Reiz angebracht war. Eine zweite Gruppe von Ratten war nicht auf die Unterscheidung der schwarzen und weißen Karten als relevanten Rei zen trainiert worden. Diese Gruppe von Ratten, die hier als >>Beobachter« fungierten, zeigte keinerlei Tendenz zur Imitation der Modellratten, sofern keine Belohnungen ausgegeben wurden, was nach Miller und Dollard gegen die Ann ahme einer instinktiven Nachahmungsneigung spricht. Wenn aber entsprechende Belohnungen dargeboten wurden - wobei man durch die Versuchsanordnung dafür sorgte, dass die Beobachterratten sich nicht wie die Modellratten an den Reizkarten orientieren konnten - so gelang es, die Beobachterratten dazu zu bringen, imitatives Verhalten (Wahl des gleichen Arms des !-Labyrinthes wie die Modellratten) bzw. nichtimitatives Verhalten (Wahl des entgegengesetzten Armes des !-Labyrinthes wie die Modellratten) zu zeigen. - Durch Variationen der experimentellen Anordnung prüften Mil ler und Dollard die Annahme, dass das von den Ratten gelernte »matched dependent behavior<< sowohl auf anders aussehende Modelle (weiße Modell ratten wurden durch schwarze ersetzt), wie auf anders geartete Belohnungen (statt Futter wurde Wasser als Verstärkung benutzt), wie auch auf anders ge artete Situationen (Verwendung anders geformter Labyrinthe) generalisierbar ist. Lediglich die Prüfung der Annahme einer Generalisation auf andere Situ ationen erbrachte keine statistisch bedeutsamen Befunde. In der Grundanordnung ähnliche Experimente wurden von Miller und Dollard auch mit Kindern (der ersten Grundschulklasse) durchgeführt. Die Aufgabe bestand hier darin, zwischen zweien oder mehreren in einem Zim mer aufgestellten Kästen zu wählen, um die in jeweils einem Kasten befind lichen als Belohnung dienenden Süßigkeiten zu finden. Auch hier konnte »matched dependent behavior<< erzeugt werden. Die Generalisation auf neue Situationen ließ sich mit den Kindern eindeutig aufweisen. Als bedeutsam er wies sich auch das »Prestige<< des Modells, das als vorhergehender Erfolg des Modells beim Süßigkeitenfinden operationalisiert war: Modelle mit hohem »Prestige« wurden häufiger imitiert als Modelle mit geringem »Prestige<<. WII können die experimentelle Prüfung weiterer differenzierterer Fragestel lungen, die von Mille r und Dollard aus der Theorie des instrumentellen Ler nens in Anwendung auf das Imitationsproblem deduziert wurden, hier nicht im Einzelnen darstellen. Es sei nur noch auf die Üb erlegungen und Befunde hingewiesen, die sich bei Miller und Dollard zum Problem des imitierenden Lernens in seinem Einfluss auf nachfolgendes unabhängiges (also direkt auf den relevanten Reiz bezogenes) Lernen finden: Sie kommen zu der Annahme, dass durch vorgängiges imitierendes Lernen u. U. der Erfolg beim späteren unabhängigen Lernen vermindert werden kann, nämlich dann, wenn der Be obachter durch ausschließliches Gerichtetsein auf das Verhalten des Modells die Gewohnheit entwickelt hat, die Reizsituation nicht genauer zu beachten.
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Miller und Dollard wenden ihre Konzeption weiter zur Erklärung be stimmter Eigenarten des außerexperimentellen Vorganges der Sozialisie rung wie auch des »Massen<<-Verhaltens in größeren Gruppen an, wobei das »Massen« -Verhalten als eine Art von wechselseitiger Aufschaukelung der Verhaltensintensität auf dem Wege über das »matched dependent behavior« interpretiert wird. Wir können auf diese Erklärungsversuche hier nicht näher eingehen. 2.3. 2
Modifikationen dieses Ansatzes
Durch das Buch von Miller und Dollard ist eine Vielzahl weiterer Ar beiten angeregt worden, wobei in manchen Experimenten lediglich bestimmte Aspekte der miller-dollardschen Konzeptionen näher un tersucht werden, während in anderen Experimenten der ursprüngliche Ansatz modifiziert und erweitert wird. Wir besprechen zunächst einige Untersuchungen, die sich eng an die Theorie und Versuchstechnik von Miller und Dollard anlehnen. In einer Reihe von Experimenten wird das Problem der Generalisier barkeit des »matched dependent behavior« gerrauer analysiert. - So stel len sich Solomon und Coles (1 954) die Frage, wieweit die Annahme von Dollard und Mill er über die Generalisierbarkeit des imitativen Verhaltens auf neue Belohnungsarten zu verallgemeinem ist. Während Dollard und Miller lediglich die Generalisierung von Hungerbefriedigung auf Durst befriedigung - also zwei Situationen mit Annäherungsmotivation - un tersuchten, prüften Solomon und Coles die Annahme, dass die Imitation der Modellratten durch die Beobachterratten von einer Hungerbefrie digungssituation auch auf eine Situation, in der ein elektrischer Schock vermieden werden soll, generalisiert. Sie kamen dabei zu negativen Be funden und folgerten aus ihren Resultaten, dass Generalisierungen imi tativen Verhaltens offenbar nur in Ähnlichkeitsdimensionen innerhalb der gleichen Motivationsart, also entweder Annäherungsmotivation oder Vermeidensmotivation, möglich sind. - Schein (1 954) prüfte die miller dollardsche Generalisationsannahme an erwachsenen Versuchspersonen nach, wobei er Interviews hinsichtlich der subjektiven Gründe für die Imitation bzw. Nichtimitation durchführte. Er kam im Ganzen zu einer Bestätigung der Ergebnisse von Miller und Dollard. Es zeigte sich jedoch, dass die Generalisierungsrate nicht mit einer vom Experimentator festge legten >>objektiven<< Ähnlichkeit der Situationen kovariiert, sondern mit der von den Vpn erlebten Ähnlichkeit. Imitation bzw. Nichtimitation wird von Schein als das Resultat eines sehr komplexen kognitiven Pro zesses charakterisiert, in dem auch der Grad, in welchem die Beobachter das Verhalten des Modells als sinnvoll auffassen, bedeutsam ist: In anderen Untersuchungen wird das Problem der Übertragbar keit von durch Vermittlung des Modells gelernten Verhaltenswei-
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sen auf Situationen, in denen das Modell abwesend ist, behandelt. So findet Wilson (1 958) mit Kindern als Vpn empirische Belege für die Annahme, dass Situationsmomente, die in Anwesenheit des Modells den Charakter von inzidentellen Stimuli haben, als >>cues« für die spä tere Verhaltenssteuerung des Beobachters in Abwesenheit des Modells wirken können. Norman Miller ( 1 961) bearbeitet die Frage, wieweit in den späteren Situationen ohne Anwesenheit des Modells stets das gleiche Verhalten wie das des Modells produziert wird, und ob nicht Anordnungen geschaffen werden können, in denen das Verhalten in den Situationen ohne Modell in gewissem Sinne das >>Gegenteil« des vorher beobachteten Modellverhaltens darstellt. Es gelang ihm, in sei nem Experiment Ratten dazu zu bringen, in der späteren Situation in Abwesenheit des Modells solche Versuchsboxen zu vermeiden, die im ersten Versuchsstadium mit Schmerzensschreien der Modellratten in Kontiguität dargeboten worden waren. McDavid legte - nachdem er zunächst eine relativ untheoretische Untersuchung veröffentlicht hatte, in der die Imitationsneigung mit bestimmten anderen Variablen, etwa Intelligenz, bestimmten Pflege haltungen der Mutter etc. in Beziehung gesetzt wurde (1 959) - eine experimentelle Studie vor (1 962), aus der Hinweise auf die Funktion der Beachtungszentrierung des Beobachters durch das Modellverhal ten beim Lernen des lmitierens entnommen werden können. Die Beobachter, Kinder im Alter von vier Jahren, hatten die Möglichkeit, durch das Drucken des »richtigen<< von drei Knöpfen jeweils eine Murmel zu gewinnen, wobei die Murmeln später gegen Spielzeug eingetauscht werden konnten. Die Versuchsserie bestand aus 24 Wahlen. Das Modell, ein junger Erwachsener, hatte ebenfalls drei Knöpfe zur Verfügung. Außerdem wurde bei j eder Wahl des Modells ein farbiger Reiz dargeboten. Dieser farbige Reiz war auf verschiedene Weise mit den erfolgreichen Wahlen des Modells ge koppelt. In einer Versuchsgruppe erschien in 1 00% der richtigen Wahlen ein Reiz von immer gleicher Farbe. In einer zweiten Versuchsgruppe fiel ein Reiz von einer bestimmten Farbe in 67% der Fälle mit den erfolgreichen Wahlen des Modells zusammen, während sonst zwei verschiedene andersfarbige Reize dargeboten wurden. In einer dritten Versuchsgruppe wurden die drei verschiedenen Reize zufällig mit den erfolgreichen Wahlen zusammen dar geboten, wobei sich eine Darbietungsquote von 3 3 % für jeden Reiz ergab. Der B eobachter hatte seine Wahl jedes Mal sofort nach der Wahl des Modells durchzuführen. Belohnt wurden ausschließlich Wahlen des Beobachters, die mit den Wahlen des Modells übereinstimmten. Man hat es hier demnach mit einer Art Konfliktsituation zwischen einem relevanten sozialen Reiz - dem Wahlverhalten des Modells - und nichtsozialen Reizen verschiedengradiger Relevanz - den verschiedenfarbigen Stimuli - zu tun. Der Beobachter muss sich entscheiden, ob er sein Verhalten nach dem sozialen Reiz oder den nichtsozialen Reizen einrichten will. Gemäß der Hypothese des Autors war das Imitationsverhalten des Modells am ausgeprägtesten, wenn der soziale
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und der nichtsoziale Reiz in 1 00% der Fälle gekoppelt waren. Eine mäßige Imitationsrate wurde festgestellt, wenn der soziale Reiz und die nichtsozialen Reize nach dem Zufall zugeordnet waren. Der geringste Imitationsbetrag zeigte sich bei der genannten Zuordnungsquote von 67% . McDavid inter pretiert seine Befunde durch die Annahme von »mediativen«, verborgenen Wahrnehmungsresponses, die nach Art einer selektiven Beachtungslenkung das kognitive Verhalten des Individuums bei der Beobachtung des Modells steuern. Von dem Grade der Gekoppeltheit zwischen den erfolgreichen Mo dellreaktionen und irgendwelchen in Kontiguität zu dem Modellverhalten gegebenen nichtsozialen Reizen müsste es auch abhängen, wieweit das durch Imitation gelernte Verhalten positiv auf entsprechende Lernsituationen ohne Anwesenheit des Modells übertragen werden kann (vgl. dazu die genannten Überlegungen von Miller & Dollard, S. 3 1 1 unserer Ausführungen, und die ebenfalls erwähnte Arbeit von "Wilson 1 958). In den bisher geschilderten Untersuchungen zum Imitationsproblem wurde - wie erwähnt - der theoretische Ansatz von Miller und Dollard als Grundlage für die Herleitung der Hypothesen genommen, wobei die Abwandlungen und Ergänzungen im Prinzip ihren Platz in der miller-dollardschen Konzeption haben. Die nun darzustellenden Ar beiten sind zwar ebenfalls von Miller und Dollard angeregt, entfernen sich aber weiter von deren ursprünglichem, theoretischem Entwurf. Eine Reihe von Experimenten wurde von Lanzetta und Kanareff durchgeführt und von Rosenbaum und verschiedenen Mitarbeitern hinsichtlich gewisser Fragestellungen fortgeführt. In allen diesen Experimenten hatten die Beobachter, erwachsene Vpn, durch Tastendruck eine einfache Alternativwahl auszuführen. Innerhalb der früheren Versuche (Kanareff & Lanzetta 1 958; Lanzetta & Kanareff 1 959) handelte es sich dabei um die Aufgabe, zwei objektiv identische Töne auf ihre » Tonhöhe« hin zu unterscheiden. Später benutzten die Autoren eine andersgeartete An ordnung, in der nach Art des Wahrscheinlichkeitslernens vorherzusagen war, ob in einer Sequenz von Aufgaben in der jeweils nächsten Aufgabe das grüne oder das rote von zwei Lichtern aufleuchten werde (Kanareff & Lanzetta 1 960a; 1 960b; 1 9 6 1 ; Lanzetta & Kanareff 1 96 1 ). Von Rosenbaum u. a. wurde diese Anordnung etwas abgewandelt. Die Beobachter hatten vorherzusagen, ob in verbal eingeführten, fingierten Pferderennen ihr Fferd »gewinnen« oder »verlieren<< würde, wobei auch hier keinerlei sachimmanente Kriterien für die Wahl zur Verfügung standen. »Richtige« bzw. »falsche« Wahlen wurden den Vpn durch das optische Signal >>win« bzw. »lose« angezeigt (de Charms & Rosenbaum 1 960; Rosenbaum & Tucker 1 962; Rosenbaum, Chalmers & Horne 1962; Rosenbaum, Horne & Chalmers 1 962; Chalmers, Horne & Ro senbaum 1 963). Das Modell war in allen Versuchen fingiert, wobei dem Beob achter lediglich Signale über die vom vermeintlichen Modell vorgenommenen »Wahlen« gegeben wurden. Die Experimentatoren hatten so die Möglichkeit, das Wahlverhalten des fingierten Modells nach Belieben zu manipulieren. Die abhängige Variable war in allen Versuchen der Grad der »Imitation<< bzw. »Nichtimitation« der Wahlen des »Modells« durch den Beobachter, ope-
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rationalisien durch den Grad der Übereinstimmung bzw. Nichtübereinstim mung der Beobachterwahlen und der >>Modell«-Wahlen. Zwei unabhängige Variable, die ebenfalls in alle experimentellen Anordnungen eingefühn wor den sind, waren die Aufgabenverstärkung (»task reinforcement«), d. h. dem Beobachter gegebene Signale, ob eine bestimmte Wahl >>richtig« oder >>falsch<< war, und die Imitationsverstärkung (>>reinforcement of imitation«), d. h. die Information an den Beobachter, wieweit eine >>richtige<< Wahl mit der fingier ten Wahl des >>Modells<< übereinstimmt, wobei die Beobachter ihre Wahlen stets unmittelbar nach der Information über die vermeintliche Wahl des >>Mo dells<< abzugeben hatten. Die Übereinstimmungsrate der Beobachter-Wahlen und der >>Modell<<-Wahlen wurde variien; in manchen Versuchen erhielten drei verschiedene Versuchsgruppen in jeweils 80% bzw. 50% bzw. 20% der Aufgaben die Information, dass ihre Wahlen mit den »Modell«-Wahlen über einstimmen; in anderen Versuchen wurden nur zwei Gruppen mit 80% und 50% Übereinstimmungsinformation an den Beobachter gebildet usw. Kanareff und Lanzetta befassten sich in mehreren Experimenten mit dem Problem, wieweit die Einstellung des Beobachters hinsichtlich der sozialen Erwünschtheit bzw. sozialen Unerwünschtheit des imitierenden Verhaltens als zusätzliche unabhängige Variable einen Einfluss auf die Imitationsrate ha ben kann. Im ersten Versuch dieser An (Kanareff & Lanzetta 1 958) wurde diese Va riable durch eine einfache verbale Instruktion eingeführt, wobei sich heraus stellte, dass die Imitationsrate durch die Instruktion, dass Imitation ein so zial unerwünschtes Verhalten darstelle, also in der Gesellschaft mit negativen Sanktionen belegt werde, zur Verminderung der Imitationsrate führen kann. In einem weiteren Experiment (Lanzetta & Kanareff 1 959) wurde das Imitie ren bzw. Nichtimitieren zusätzlich mit Geldsummen verschiedener Höhe be lohnt; dabei zeigt sich, dass mit gradweiser Erhöhung der damit verändenen »Utilität« des lmitierens der Effekt der Instruktion hinsichtlich der sozialen Erwünschtheit der Imitation aufgehoben wurde. Weiter bemühten sich Kana reff un Lanzetta (1 960a) darum, den genannten Sanktionseffekt auf dem Um weg über eine verschiedene den Beobachtern gegebene Definition der An der Aufgaben zu erreichen. Einer Gruppe von Vpn wurden die Aufgaben als ein Ratespiel, einer anderen Gruppe als Problemlösungsanforderung interpretien. Die Autoren machten die Annahme, dass - sofern die Aufgaben als »Problem lösen<< angesehen werden - das Imitieren eher als sozial unerwünscht gedeutet werden würde als bei der Definition der Aufgaben als RatespieL Diese An nahme ließ sich nicht bestätigen. Unter manchen Versuchsumständen wurde unter der Problemlösungsbedingung sogar bedeutend häufiger imitien als un ter der Ratespielbedingung. - In einem andersgeaneten Ansatz (Kanareff & Lanzetta 1 961) sollte die Bedingung der sozialen Erwünschtheit der Imitation nach An des sozialen Konditionierens von »operant behavior« (vgl. unsere Ausführungen auf S. 373ff.) durch verbale Äußerungen des Experimentators (>>Okay<< als neutrale Stellungnahme und »good<< als positive Stellungnahme) variien werden. Nachdem mit dieser Anordnung der erwanete Befund nicht beizubringen war, kamen die Autoren zu einer verändenen Versuchskonstel lation (Lanzetta & Kanareff 1 961). Den Beobachtern wurde jeweils gleichzei tig mit ihren Wahlen der vermeintliche - in Wrrklichkeit manipuliene - Aus schlag eines Gerätes zur Messung der galvanischen Hautreaktion dargeboten, der als Index für negative emotionale Reaktionen des tingienen Modells auf
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die Wahl des Beobachters aufgefasst werden sollte. In zwei verschiedenen Versuchsgruppen wurde dieser Index einmal in >>Kongruenz« mit den Wahlen des V1 dargeboten (»falsche<< Wahlen des Beobachters - »negative emotionale Reaktion des »Modells<<), im anderen Falle in »Inkongruenz<<. Es stellte sich heraus, dass in diesem Experiment die als »Utilität<< definierte »Richtigkeit« der Wahl einen stärkeren Effekt auf die Imitationsrate hane als der genannte soziale Reiz. Dabei ist zu beachten, dass hier nicht wie in den vorher ge schilderten (per Instruktion eingeführten) Experimenten der Grad der Sank tion des Imitierens durch die Gesellschaft, sondern die negative emotionale Reaktion eines einzelnen Individuums, nämlich des »Modells<< (bzw. im davor erwähnten Experiment des Versuchsleiters) als sozialer Verstärker diente. Kanareff und Lanzena (1 960b) behandelten weiter das Problem, wieweit die in den anderen Experimenten nicht kontrollierte verschiedengradige Sicherheit der Vpn bei der Bearbeitung der Aufgaben (unabhängig von der Verstärkung durch das Modell) für Teile der Varianz der Imitationsraten ver antwortlich zu machen sei. Die Autoren verminelten in einem vorgeschalteten Versuchsabschnin ohne Darbietung der Reaktionen des »Modells« durch entsprechende »Be lohnung<< bzw. »Bestrafung<< zwei Gruppen von Vpn verschiedengradige Er folgs- bzw. Misserfolgserlebnisse bei der Durchführung der Wahlen. Dabei zeigte sich, dass in den folgenden Versuchsabschninen mit Darbietung der Modellreaktionen die Gruppe, die vorher Misserfol_ge bei der Aufgabenlö sung erlebt hane - allerdings nur bei bestimmten Ubereinstimmungsraten zwischen »Modell«- und »Beobachterreaktionen<< - einen höheren Imitati onsbetrag aufwies als die Gruppe, die vorher Erfolge erlebt hane. Rosenbaum und Tucker (1 962) führten eine weitere unabhängige Variable ein, und zwar die - durch fingierte Informationen an die Beobachter vermine!te - verschiedengradige Kompetenz des Modells bei der Lösung der Aufgaben. Es konnte u. a. unter bestimmten Versuchsbedingungen ein Anwachsen der Imitationsraten mit steigender von den Beobachtern angenommener Kompetenz des Modells aufgewiesen werden. In einem weiteren Experiment (Rosenbaum, Chalmers & Horne 1 962) wurden mit Hilfe eines faktoriellen Planungsansatzes die Variable der Modellkompetenz mit der erwähnten, von Kanareff und Lanzena (1 960b) eingeführten Erfolgs-Misserfolgs-Variablen kombiniert. Wieder ergab sich eine höhere Imitationsrate bei größerer Mo dellkompetenz; eine Interaktion zwischen der Kompetenz- und der Erfolgs Misserfolgs-Variablen konnte nicht aufgewiesen werden. De Charms und Rosenbaum (1 960) konnten zeigen, dass das mit einer Skala gemessene Selbstwerterleben (»self esteem<<) der Beobachter in Bezie hung zur Imitationsrate stehen kann: Vpn mit niedrigem Selbstwerterleben zeigten häufiger imitatives Verhalten. In dem Versuch von Rosenbaum, Horne und Chalmers (1 962) wurde dieser Befund noch spezifiziert. Der Unterschied in der Imitationsrate bei Vpn mit hoher und mit geringer Selbstwertschätzung trat nur dann auf, wenn den Vpn Informationen über die »Richtigkeit« ihrer Wahlen gegeben wurden. Als letztes Experiment dieser Serie erwähnen wir eine Untersuchung (Chalmers, Horne & Rosenbaum 1 963), in der die Zustimmung des »Mo dells« zu den Wahlen des Beobachters in einer ersten Versuchsphase, in der noch keine Daten über die Wahlen des Modells dargeboten wurden, mit der früher erwähnten Kompetenzvariablen faktoriell kombiniert wurden.
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Dabei ergab sich eine Interaktion zwischen der Zustimmungs- und der Kompetenzvariablen: Nichtzustimmung führte z. B . bei »Modellen« mit star ker Kompetenz zu den höchsten Imitationsraten bei den Beobachtern.
Zum Abschluss unseres - auswahlweisen - Überblicks über Arbeiten zum Imitationsproblem, die von der miller-dollardschen Konzeption beeinflusst sind, wollen wir drei Experimente von Luchins und Lu chins ( 1 96 1 a; 1 96 1 b; 1 96 1 c) darstellen und besprechen. In dem ersten der genannten Experimente (1961a) unterscheiden Luchins und Luchins zwei Arten von Imitation, und zwar mechanische Imitation (»imita tion by rote<< und Imitation durch Einsicht (••imitation by understanding«). Es geht den Autoren darum aufzuweisen, dass man Imitation als >>overt« vorliegende Verhaltensähnlichkeit zwischen Modell und Beobachter und Imitation als phänomenal beim Beobachter vorliegender Prozess voneinan der abzuheben habe, und dass - sofern man Imitation als »Prozess« betrach tet - sich herausstellt, dass der gleiche, »overt« vorliegende Imitationsbefund durch ganz verschiedenartige Prozesse, die sich generell nach mechanischen und einsichtigen Prozessen differenzieren lassen, zustande gekommen sein kann. Luchins und Luchins benutzten, wie das in den meisten der bisher ge schilderten Untersuchungen üblich war, eine Versuchsanordnung, in der die Beobachter zwischen zwei alternativen Verhaltensmöglichkeiten zu wählen hatten, und zwar handelte es sich hier um eine Abbildung mit zwei >>We gen« zu einem Haus, einem kurzen geraden und einem längeren gewundenen »Weg«. Den Vpn wurde gesagt, dass der Experimentator bei jeder Wahl in Gedanken einen der beiden Wege blockieren würde und dass jeweils anzu geben sei, welchen der Wege der Experimentator blockiert habe. Das Mo dell - das ohne Wissen der Vpn vom Experimentator vorinstruiert worden war - gab seine Wahl jeweils vor der von den Vpn zu vollziehenden Wahl ab. Die Wahlen der Vpn wurden vom Experimentator durch »richtig« ver stärkt. Die Verstärkung erfolgte in verschiedenen Versuchsgruppen nach unterschiedlichen Prinzipien. In einer Gruppe (>>imitation problem«) wurde jede Wahl, die der Wahl des Modells entsprach, durch >>richtig« verstärkt. In einer anderen Gruppe (>>short problem«) wurde durchgehend die Wahl des kürzeren Weges als »richtig« bezeichnet. In einer weiteren Gruppe wurden abwechselnd der kürzere und der längere Weg als der »richtige« bezeichnet (»alternation problem«), wobei in den beiden letztgenannten Gruppen die Wahlen des Modells zufällig auf die Aufgabensequenz verteilt waren. In ei ner vierten Gruppe (>>short-imitation problem«) wurde die Wahl des kürze ren Weges durch »richtig« belohnt, wobei auch das Modell stets den kürze ren Weg wählte. In der letzten Gruppe (»alternation-imitation problem«) wurde abwechselnd die Wahl des kürzeren und des längeren Weges durch »richtig« verstärkt, wobei auch hier das Modell jeweils den gleichen Weg gewählt hatte. Die Autoren konzipierten im Ganzen drei unterschiedliche Versuchsteile, in denen stets die genannten Variationen der Anordnung re alisiert waren. Im ersten Versuchsteil waren die Vpn Kinder im Alter von 1 1 bis 1 3 Jahren. Die Vpn hatten dem Experimentator nach jeder Aufgabe leise das Prinzip anzusagen, nach dem der Experimentator gemäß der Meinung der Vp die Blockierungen vorgenommen hatte. Nach 1 0 in dieser Hinsicht
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erfolglosen Wahlen wurde abgebrochen. Im zweiten Versuchsteil wurden jüngere erwachsene Vpn herangezogen; der Versuch wurde hier abgebro chen, nachdem in 60 Wahlen das Prinzip nicht gefunden werden konnte. Im dritten Versuchsabschnitt wurde ebenfaJls mit jüngeren erwachsenen Vpn gearbeitet, der Versuch wurde aber solange fortgesetzt, bis die Vpn das Prinzip gefunden hatten. Mit allen Vpn wurde im Anschluss an den Versuch ein Interview durchgeführt. - Die Ergebnisse von Luchins und Luchins ha ben - obgleich bei der Auswertung statistische Prüfverfahren angewendet wurden - in ihren wesentlichen Zügen den Charakter von Resultaten aus ,, Veranschaulichungsexperimenten« (vgl. Holzkamp 1 964, S. 73ff [2005, S. 94ff.]). Es stellte sich z. B. heraus, dass das einfache Imitationsproblem von den Vpn am schwersten zu bewältigen war, augenscheinlich deswegen, weil der Umstand, dass das Modell immer die »richtigen« Wahlen vollzogen ha ben sollte, in den Beobachtern Konflikte und Spannungen hervorrief. Für ihr irnitatives Verhalten gegenüber dem Modell wurden von den Beobachtern folgende verschiedene Gründe angegeben: a) Sie wollten richtige Wahlen voll ziehen, b) sie hofften, durch Imitation des Modells das Verstärkungsprinzip zu entdecken, c) sie hatten das Verstärkungsprinzip entdeckt. In den Anord nungen mit den kombinierten Problemen (»short-irnitation problem« und »alternation-imitation problem«) imitierten die Beobachter das Modell a), weil sie unabhängig vom Modell dem gleichen Prinzip folgten, und b), weil sie sich allmählich daran gewöhnten, die gleichen Wahlen wie das Modell zu vollziehen. Die Autoren stellten die Frage, ob es angemessen sei, all diese Prozesse ohne genauere Bestimmungen als >>Imitation<< zu bezeichnen, und sahen in ihren Befunden einen Beleg für die Fruchtbarkeit ihrer Unterschei dung zwischen Imitationsprozess und Imitationsergebnis einerseits und ihrer Unterscheidung zwischen mechanischen und einsichtsvollen Imitationspro zessen andererseits. In dem zweiten der genannten Experimente ( 1 961 b) untersuchten Luchins und Luchins den unterschiedlichen Einfluss von vorinstruierten (»intenti onal«) und naiven (»ucintentional«) Modellen auf den Irnitationsprozess, wobei sie im Prinzip die gleiche Anordnung gebrauchten wie im vorher ge schilderten Versuch. Die hier gewonnenen Befunde sind indessen schwer in terpretierbar, weil die Autoren keine eindeutigen Angaben darüber machten, wodurch sich denn intentionale und nichtintentionale Modelle in ihrem Ver halten unterscheiden sollen. Von größerer Bedeutung ist demgegenüber das dritte der erwähnten Experimente ( 1 96 1 c). Luchins und Luchins knüpften hier formal an ihre bekannten Versuche zum Rigiditätsproblem (1 959) an. Sie kamen mit einer ähnlichen Anordnung wie im ersten Experiment zu dem Be fund, dass - sofern in einem vorhergehenden Versuchsstadium die Imitation des Modells durch den Beobachter durchgehend belohnt worden war - da durch eine »Einstellung<< entstand, die in einem folgenden Versuchsstadium, in dem zur angemessenen Problernlösung andere als irnitative Verhaltenswei sen gefordert waren, zu problerninadäquaten Lösungsversuchen führte, weil die Umstellung vom imitativen auf das nichtimitative Verhalten nicht gelang. In dieser Untersuchung ist ein weiterer Beitrag zu der Frage des Einflusses von Imitation auf nachfolgendes unabhängiges Verhalten zu sehen, wie sie etwa auch in den früher geschilderten Experimenten von Wtlson ( 1 958) und Norman Miiier (1961) vorliegen.
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Soziale Kognition 2.3.3
Diskussion der Ergebnisse und Kritik
Wir kommen nun zu einer zusammenfassenden Diskussion der bisher geschilderten funktionalistischen Ansätze und Untersuchungen zum Problem der nicht-verbalen sozialen B eeinflussung des kognitiven Verhaltens. Die dargestellten Arbeiten sind als ein bedeutsamer Beitrag zur Einbeziehung des Imitationskonzeptes in eine allgemeinere Theo rie des sozialen Verhaltens anzusehen. Dennoch haften allen genann ten Experimenten gewisse recht gravierende Begrenztbeiren an, die mit der von Miller und Dollard als Basis für die Herleitung ihrer em pirischen Annahmen benutzten, von Hull beeinflussten Theorie des instrumentellen Lernens zusammenhängen. Durch diese Begrenzt heiten haben die hier hergestellten Versuchsanordnungen in wichtigen Momenten den Charakter des Artifiziellen: Die Verhaltensmöglich keiten und Verhaltensdeterminanten in der experimentellen Situation sind so festgelegt, dass jeder mögliche empirische Befund in mancher Hinsicht nur wenig Aussagekraft, »Repräsentanz« (vgl. Holzkamp 1 964 [2005]) für die außerexperimentellen sozialen B eeinflussungsvor gänge hat, über die hier doch eigentlich fundierte Annahmen möglich sein sollen. Ein Grund für diese mangelnde Repräsentanz liegt in dem in sämt lichen der genannten Experimente realisierten »Versuch-und-Irrtum<< Charakter der in den Anordnungen ermöglichten Verhaltensweisen. Das bedeutet, dass die Reaktionen des B eobachters vor der ersten Ver stärkung in ihrer Beschaffenheit nicht durch die Theorie vorhergesagt werden können, sondern als »zufällig<<, d. h. hier unerklärbar betrach tet werden müssen. Man kann keinerlei Angaben darüber machen, wie der Beobachter das erste Mal, also vor jeder Verstärkung, zur Imita tion des Modells kommen soll. Die damit aufgewiesene Schwierigkeit wird in allen geschilderten Versuchsanordnungen dadurch verschleiert, dass die Vpn von vornherein in eine Wahlsituation gestellt werden, die meist nur zwei, selten drei oder vier Reaktionsmöglichkeiten zulässt. Hier ist die Wahrscheinlichkeit natürlich sehr groß, dass die Vpn nach einer geringen Zahl von Wahlen zu einer Reaktion kommen, die der Reaktion des Modells entsprechen und demgemäß verstärkt werden können. Derartige Wahlsituationen mit einer begrenzten Anzahl von Verhaltensmöglichkeiten dürfen aber wohl kaum als exemplarisch für die Situationen angesehen werden, in denen innerhalb der außerexpe rimentellen Realität soziale Beeinflussungen erfolgen. Die Berechti gung des damit formulierten Einwandes lässt sich u. E. sehr gut durch eine nähere Betrachtung des von uns früher geschilderten, von Miller und Dollard zur Veranschaulichung ihres Konzeptes des >>matched dependent behavior<< gebrachten Beispiels (vgl. unsere Ausführungen
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auf S. 3 1 1 ) demonstrieren. Aus diesem Beispiel ist zwar verständlich, warum der jüngere Bruder dem älteren Bruder nachläuft, nachdem er ebenfalls durch Süßigkeiten belohnt worden ist. Wie der jüngere Bru der aber dazu kommt, den Bruder das erste Mal zu imitieren, bleibt unerklärt. Die Feststellung, dass diese erste Imitation »zufällig<< er folge, ist sehr unbefriedigend; wie kommt der kleine Bruder dazu, unter der unbegrenzten Vielzahl möglicher Verhaltensweisen gerade diese zu zeigen. Darüber lassen sich aus der Theorie des instrumentel len Lernens keinerlei begründete Annahmen herleiten. Man muss hier entweder auf andersgeartete theoretische Ansätze zurückgreifen oder sich mit dem Formulieren von aus dem alltäglichen Verständnis dieser Situation hergeleiteten Vermutungen begnügen. Eine weitere zu dem genannten Repräsentanzmangel führende Be grenztheit aller genannten Untersuchungen liegt in der Eigenart der hier benutzten Verstärkungskonzeption. Als Verstärkung, die die Häufigkeit des imitierenden Verhaltens steigern soll, werden ledig lich heteronome, also von >>außen<< an die Versuchssubjekte herange tragene, intersubjektiv zugängliche Stimuli benutzt, die entweder zu konsumatorischen Reaktionen, die primäre Bedürfnisse wie Hunger oder Durst befriedigen, führen sollen, oder - in den meisten späteren Experimenten - gemäß dem älteren thorndikeschen Verstärkungs schema - als Informationen über die »Richtigkeit« oder »Falschheit« der Reaktionen der Versuchspersonen als >>Belohnung<< oder >>Bestra fung<< wirken sollen. Auch in diesem Zusammenhang muss man sich deutlich machen, dass Situationen, in denen einem imitativen Akt prompt eine intersubj ektiv gegebene, von außen an das Individuum herangetragene Verstärkung folgt, im Wesentlichen artifizielle Bedin gungen der Versuchsanordnung, in der der Experimentator nach sei nem Willen die Verstärkungen vollzieht, darstellen, aber wohl kaum beanspruchen dürfen, für außerexperimentelle Situationen des sozia len Lernens Repräsentanz zu besitzen. Wann wird schon jemand dafür, dass er einen anderen Menschen imitiert, prompt mit Nahrung oder Wasser bzw. mit der Äußerung >>richtig« o. Ä. verstärkt? - In weiten Bereichen der modernen Motivationslehre ist man längst davon abge kommen, von außen dem Individuum dargebotene bedürfnisreduzie rende Stimuli bzw. >>Belohnungen<< als die einzigen oder auch nur als die wichtigsten Verstärkungsbedingungen menschlichen Verhaltens anzusehen und ist zu der Auffassung gekommen, dass die Erreichung von Handlungszielen schon für das Individuum verborgen, >>covert«, gegebenen Verstärkungswert haben kann. Man denke etwa nur an das Konzept des Neugierverhaltens von Berlyne ( 1 960), an den Begriff des Kompetenzstrebens bei White ( 1 959) und an die Konzeption der »self rewarding sequences« bei Bruner ( 1 966, bes. S. 22ff.).
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Wir kommen nun noch zu einer weiteren und vielleicht der wich tigsten, die Repräsentanz der möglichen Untersuchungsbefunde min dernden B egrenztheit der geschilderten Versuchsanordnungen. Aus der Art der hier verwendeten instrumentellen Verstärkungskonzeption ergibt sich zwingend, dass der Einfluss des Modells auf den Beobach ter nur dann theoretisch einzuordnen war, wenn sich dieser Einfluss . ausschließlich in Form von dem Verhalten des Modells ähnlichen in tersubjektiv zugänglichen (>>overt«) Reaktionen äußerte, da die Ver stärkung nach der Theorie an solchen Reaktionen angesetzt werden musste. Das bedeutet, dass hier alle Responses der Vpn, die nicht in tersubj ektiv zugänglich waren, also jede Art von >>covert« Responses (»kp<< oder »k«, vgl. unsere Ausführungen auf S. 302) nicht als selb ständiges Beeinflussungsergebnis betrachtet werden konnten, sondern . - in manchen der später durchgeführten Experimente - lediglich als B egleiterscheinungen des Imitationsvorganges registriert wurden. Da die Veränderung des Verhaltens in Richtung auf eine Imitation des Modells nur als Ergebnis entsprechender Verstärkung der manifesten offenbaren Reaktionen des Beobachters einzuordnen waren, blieb das Problem ungeklärt, wie man die Veränderung von verborgenen Verhal tensweisen der Vpn durch die Beobachtung des Modells theoretisch zu interpretieren habe. - Auch hier muss wieder festgestellt werden, dass das offensichtliche und prompte >>Nachmachen<< des Verhaltens ande rer sicherlich nicht die einzige und u. E. keinesfalls die wichtigste Art der B eeinflussung des B eobachterverhaltens durch ein Modell darstellt. Auch in dieser Hinsicht muss den genannten Versuchsanordnungen deswegen die Repräsentanz für weite Bereiche der zwischenmensch lichen sozialen Beeinflussung abgesprochen werden. Angesichts der damit aufgewiesenen Schwächen, die - wie wir mei nen - allen früher dargestellten Imitationsexperimenten gemeinsam sind, darf man indessen die Fortschritte nicht vernachlässigen, die in manchen der geschilderten späteren Untersuchungen über die Konzeption von Dollard und Miller hinaus erreicht worden sind. Diese Fortschritte lie gen einmal in der Berücksichtigung weiterer Variablen, deren möglicher Einfluss auf das Imitationsausmaß von Miller und Dollard nicht in Rech nung gestellt worden war. Besonders wesentlich erscheint uns jedoch der Umstand, dass in manchen der im Anschluss an Mill er und Dollard durchgeführten Untersuchungen nicht mehr eine direkte und unvermit telte Wrrkung der Verstärkung auf das Imitationsverhalten angenom men, sondern der Grad der Imitation als das Ergebnis eines komplexen kognitiven Prozesses analysiert wurde (vgl. besonders die geschilderten Experimente von Schein 1 954, McDavid 1 962, und Luchins & Luchins 1 9 6 1 a, b, c). Bei all er Bedeutsamkeit der auf diese Weise gewonnenen Befunde ist j edoch festzustellen, dass die erreichten Resultate mehr zur
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Relativierung der ursprünglichen S-R-theoretischen Imitationsansätze geeignet sind, als dass sie von einer selbständigen theoretischen Konzep tion her integriert und zwingend gemacht worden wären. Die Basis für eine umfassendere Theorie der sozialen Beeinflussung des Beobachters durch das Modellverhalten wurde in Untersuchungen erarbeitet, die im Laufe des nächsten Abschnittes geschildert werden. 2.4 Beobachtendes Lernen Die Entwicklung einer neuen, umfassenderen und brauchbareren Theorie der (nichtverbalen) sozialen Beeinflussung des Verhaltens lässt sich in mehrere Stufen anordnen, wobei diese Stufen nicht eindeutig als historische Schritte zu betrachten sind, aber in gewisser Weise logisch aufeinander aufbauen. 2. 4. 1
Autismus- Theorie (Mowrer)
Eine Vorstufe der Konzeption der im Folgenden zu schildernden theo retischen Ansätze ist die Autismus-Theorie von Mowrer (1 960, S. 70ff.) in ihrer teilweise modifizierten Anwendung auf das Imitationsproblem. Mowrer argumentiert hier nicht wie Miller und Dollard auf der Basis der Theorie des instrumentellen Lernens, sondern leitet seine Annahmen aus dem Modell der klassischen Kontiguitätsverstärkung her. Der exempla rische Fall, auf den sich Mowrer bezieht, ist die Situation, in der ein be stimmtes Verhalten des Modells in Kontiguität mit gewissen Aktivitäten, die eine Belohnung des Beobachters darstellen, gegeben ist. Man denke etwa an die Verhaltensweisen einer Mutter, die sie stets mit der Ernährung des Kindes - oder anderen positiv verstärkenden Aktivitäten - zusam men zeigt. Auf diese Weise gewinnen die Verhaltensweisen des Modells nach Mowrer eine positive Valenz in dem Sinne, dass beim Auftreten des Verhaltens eine Erwartung hinsichtlich der belohnenden Aktivitäten entsteht. Auf dem Wege über die Reizgeneralisierung sollen nun Verhal tensweisen des Beobachters, sofern sie nur einen genügenden Grad von Ähnlichkeit mit den beobachteten Verhaltensweisen des Modells haben, sekundär-verstärkende Qualität erlangen: Allein der Ausführung der dem Modellverhalten ähnlichen Verhaltensweisen kommt nach Mowrer auf diese Weise sekundärer Belohnungswert zu; der Beobachter verbin det auf >>autistische<< Weise, also ohne Bezug auf einen anderen Men schen, die dem Modellverhalten ähnliche eigene Verhaltensweise mit der Belohnungserwartung. Der instrumentelle Wert der imitativ installierten Verhaltensweisen, der sich darin zeigt, dass das auf die genahnte Art er langte Verhalten durch Personen der Umwelt belohnt wird, hat nichts mit dem Erwerb dieser Verhaltensweisen zu tun, sondern dient lediglich
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der Konsistenz ihres weiteren Auftretens. - Experimentelle Prüfungen der damit geschilderten mowrerschen Konzeption liegen etwa von Ban dura und Huston (1961) und von Mussen und Parker (1 965) vor. Der geschilderte theoretische Ansatz von Mowrer hat in vieler Hin sicht analoge Repräsentanzmängel wie die früher dargestellte Theorie von Miller und Dollard (vgl. unsere Ausführungen auf S. 319 ff. ). Insbeson dere muss auch gemäß der Auffassung von Mowi-er der Beobachter das dem Modellverhalten ähnliche Verhalten zunächst nach Art des Versuch und-Irrtum-Lemens »zufällig« produziert haben, ehe die erste primäre Verstärkung und sodann die Installi erung des sekundären Selbstverstär kungseffektes erfolgen können; ebenso ist auch hier eine prompte, mit dem zu imitierenden Verhalten zusammen gegebene Verstärkung voraus gesetzt, womit nur eine sehr spezifische und wenig typische Situation der sozialen Beeinflussung getroffen ist. Das wesentliche und - wie wir noch sehen werden - weiterführende Moment in der Theorie von Mowrer liegt jedoch in der Heranziehung des Kontiguitätsprinzips in Konzeptionen über den nichtverbalen sozialen Einfluss. Damit ist die enge instrumen taliscisehe Auffassung, wie sie von Miller und Dollard inauguriert wurde, aufgegeben und der Weg für umfassendere Ansätze freigemacht. 2. 4. 2
Die Konzeption der stellvertretenden Verstärkung
Eine wesentliche weitere Stufe zu einer angemesseneren Theorienbil dung im gegenwärtig diskutierten Problembereich ist die Einbezie hung des Begriffes der >>stellvertretenden Verstärkung« (>>vicarious reinforcement«) in Konzeptionen zur Erklärung der nichtverbalen so zialen Beeinflussung. »Stellvertretende Verstärkung« soll dann vorlie gen, wenn der Verstärkungseffekt bei einem Beobachter allein dadurch auftritt, dass er wahrnimmt, wie ein Modellsubjekt verstärkt wird. Eine eindrucksvolle Demonstration des stellvertretenden Verstärkungs effektes stammt von Berger (1 962). Die bergersehe Versuchsanordnung war - mit einer Reihe sehr sorgfältiger methodischer Sicherungen, die hier nicht geschildert werden können - folgendermaßen beschaffen: Der jewei lige Beobachter sah mit an, wie das Modell - eine andere vermeintliche Vp, die in Wirklichkeit vom Experimentator instruiert worden war - (wie aus ihrem Verhalten angenommen werden musste) elektrische Schocks erhielt. Die Beobachter zeigten beim Anblick des scheinbar geschockten »Modells« durch stellvertretende Verstärkung mit GSR feststellbare emotionale Reak tionen. Das »Schock«-Verhalten des »Modells« wurde als US und die emo tionale Reaktion des Beobachters als UEB aufgefasst. Dem Schockverhalten (US) wurde nach dem Kontiguitätsprinzip das Abdunkeln eines Lichtreizes als konditionierter Reiz (CS) beigegeben. Berger formulierte die Hypo these, dass die stellvertretend instigierte emotionale Reaktion der Beobach ter (UER) schließlich auch allein bei Darbietung der Lichtreizabdunkelung
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Soziale Kognition
(CS) als konditionierte emotionale Reaktion (CER) mit GSR nachweisbar sei. Diese Hypothese bestätigte sich an den empirischen Befunden auf überzeu gende Weise (vgl. dazu auch Holzkamp 1 964, S. 8 1 ff. [2005, S. 1 04ff.]).
Wenn man nun die Konzeption der stellvertretenden Verstärkung bei der Bildung von Theorien über (nichtverbalen) sozialen Einfluss be rücksichtigt (vgl. dazu die eingehende Analyse der vorliegenden An sätze und Untersuchungen durch Bandura 1 965a), so lässt sich die Annahme rechtfertigen, dass die Voraussetzungen für die Übernahme des Modellverhaltens durch den Beobachter schon allein dann gegeben sein können, wenn der Beobachter wahrnimmt, wie das Modell für ein bestimmtes Verhalten positiv verstärkt wird, ohne dass der B eobachter selbst für sein imitatives Verhalten eine Verstärkung erhält. Mit einer solchen Annahme ist ein wesentlicher theoretischer Fort schritt erzielt. Alle Repräsentanzmängel, die in den früher geschilderten Ansätzen dadurch gegeben waren, dass man die prompte Belohnung des Beobachters für sein imitatives Verhalten als Voraussetzung für die Verhaltensübernahme ansehen musste, sind hier vermieden. Sofern man annimmt, dass die Verstärkung des Beobachters für sein imitatives Ver halten auf »stellvertretendem« Wege erfolgen kann, muss lediglich vor ausgesetzt werden, dass das beobachtete Modell für das von ihm gezeigte Verhalten auf eine Weise verstärkt wird, die zu stellvertretenden Verstär kungseffekten beim Beobachter führt. - Auch diesem Ansatz haften in dessen noch gewisse Mängel an. Einmal ist der Zwang zu der Auffassung, dass das imitative Verhalten des Beobachters vor der ersten (hier stellver tretenden) Verstärkung auf dem Wege über Versuch-und-Imum-Lernen zustande kommt, hier noch nicht überwunden. Weiter muss man damit rechnen, dass nur eine sehr begrenzte Gruppe von beobachteten Modell reaktionen zur stellvertretenden Verstärkung beim Beobachter führt. So weit wir sehen, ist bisher lediglich der Nachweis gelungen, dass massiv angst- bzw. stresserregende Modellreaktionen tatsächlich einen unabhän gig - etwa mit GSR - registrierbaren stellvertretenden Verstärkungseffekt hervorrufen. Damit wäre hier die Verhaltensübernahme wiederum nur für bestimmte, begrenzte Reaktionsweisen erklärt, und ein weiter Bereich sozialer Beeinflussung bliebe von der Theorie unerfasst. Schließlich hätte man keine Möglichkeit, die soziale Übernahme von Verhaltensweisen in all jenen Fällen zu erklären, in denen eine Verhaltensangleichung erfolgt, obwohl weder das Modell noch der Beobachter unmittelbar irgendwel chen Verstärkungsbedingungen ausgesetzt sind - wir kommen darauf zu rück. (Eine eingehende Diskussion der miller-dollardschen Konzeption unter dem Gesichtspunkt der »vicariousness« findet sich bei Berger 1 967. Berger weist nach, dass die von Miller-Dollard als für das soziale Lernen relevant betrachteten Beobachterdimensionen weitgehend durch »stell vertretende« Modelldimensionen substituierbar sind.)
Soziale Kognition 2. 4.3
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Die Theorie des »beobachtenden Lernens« (Bandura)
Die Voraussetzungen zur Vermeidung der genannten immer noch beste henden Schwierigkeiten wird von Bandura (vgl. Bandura 1 962; Bandura & Walters 1 963; Bandura 1 965a) auf Grund seiner eingehenden Analy sen der bisher geleisteten einschlägigen Arbeit in einer weiteren Stufe der Theorienbildung vollzogen. Bandura kommt zu der Auffassung, dass der stellvertretende Verstärkungswert der vom Beobachter wahr genommenen Konsequenzen des Modellverhaltens zwar eine mögliche, aber keine notwendige Bedingung für die Verhaltensübertragung ist. Es sei vielmehr die Kontiguität zwischen den verschiedenen Elementen des angenommenen Modellverhaltens, die zum Erwerb der Bereitschaft zur Verhaltensangleichung hinreichen soll. Bandura ist hier durch die früher geschilderte mowrersche Kontiguitätstheorie beeinflusst, ohne dass er dabei dessen Konzeption der sekundären Verstärkung übernimmt. Von dieser Position aus erreicht Bandura die vorläufig letzte und ent scheidende Stufe zu einer angemesseneren Theorienbildung über den nichtverbalen sozialen Einfluss: Er unterscheidet zwischen dem Pro zess des Erwerbs der Bereitschaft zur sozialen Verhaltensangleichung einerseits und dem Prozess der Aktualisierung dieser Bereitschaft in manifestem Verhalten andererseits. Beide Prozesse können zeitlich mehr oder weniger weit auseinanderliegen und sind in ihrer Eigenart von verschiedenartigen Bedingungen abhängig. - Der Prozess des Er werbs der Bereitschaft zur sozialen Verhaltensangleichung ist als eine Folge von verborgenen, »covert«, Wahrnehmungsresponses (r) zu ver stehen, deren Wirkung auf die Installierung der Verhaltensbereitschaft mit dem Kontiguitätsprinzip erklärt wird. Da die Bereitschaft zur so zialen Verhaltensangleichung mithin ohne irgendwelche sichtbaren Reaktionen des Beobachters allein durch Exploration des Modellver haltens erfolgen soll, ist hier der Schritt von einer Theorie der »Imita tion« zu einer Theorie des »beobachtenden Lernens« (>>observational learning«) vollzogen. - Der Prozess der Aktualisierung der genannten Verhaltensbereitschaft zu manifestem Verhalten (R) ist von den jeweils besonderen Verstärkungsbedingungen, unter denen der Beobachter steht, etwa auch von dem instrumentellen Wert der auf dem Wege über das beobachtende Lernen ermöglichten Verhaltensweisen abhängig. Bandura hat zur Stützung seiner Theorie eine Reihe von Experimenten durchgefühn, die in den genannten Arbeiten (1 962; 1 965a; mit Walters 1 963) dargestellt sind. Wir wollen hier nur eine - die zweifellos wichtigste - dieser Untersuchungen ausführlicher schildern. Diese Untersuchung ist - wie die meisten Experimente von Bandura und seinen Mitarbeitern - streng genom men für uns nicht einschlägig, weil hier nicht kognitives, orientierungsuchen des Verhalten, sondern aggressives Verhalten, das als emotional-motivational
326
Soziale Kognition
zu charakterisieren ist, als abhängige Variable in die Anordnungen eingeführt ist. Das folgende Experiment ist aber auch zur Erklärung der sozialen Beein flussung kognitiven Verhaltens so aussagekräftig und hat so grundsätzliche Bedeutung, dass wir es trotzdem darstellen werden. Bandura (1 965b) führte drei Versuchsgruppen ein. In der ersten Gruppe sahen die Beobachter - Kinder im Alter zwischen drei und fünf Jahren - einen Fernsehfilm, in welchem ein erwachsenes Modell zunächst aggressives Ver halten produzierte und später für dieses Verhalten großzügig belohnt wurde. In der zweiten Gruppe wurde ein Film dargeboten, der mit dem ersten Film identisch war, nur dass hier das Modell im Anschluss an das aggressive Ver halten bestraft wurde. In der dritten Gruppe - der Kontrollgruppe - wurde den Kindern nur der erste Teil des Films gezeigt. Es erfolgte also weder eine Belohnung noch eine Bestrafung des Modells. Vpn waren im Ganzen 66 Kin der im Alter zwischen drei und fünf Jahren. Das dargebotene aggressive Verhalten bestand in einer recht komplizierten Folge von Insultationen, Schlägen, Beschimpfungen etc., die das Modell einer großen Puppe zufügte, die ihm >>im Wege stand«. In dem Film mit der Be lohnungsbedingung wurde dem Modell von einem weiteren Erwachsenen im Anschluss an das aggressive Verhalten eine große Menge von für Kinder attraktiven Getränken, Süßigkeiten etc. überreicht, wobei das Modell - wäh rend es die Nahrung eifrig konsumierte - als »Streng champion«, der es der Puppe aber richtig gegeben habe, gefeiert wurde. In dem Film mit der Be strafungsbedingung wurde das Modell von dem zweiten Erwachsenen wegen seiner Aggression gegenüber der Puppe heftig gescholten, bis sich das Modell ängstlich zurückzog. Im zweiten Versuchsabschnitt wurden alle Kinder - jeweils einzeln - in einen >>Überraschungsspielraum« geführt, in welchem sich - neben einer großen Menge anderen Spielzeuges - auch die Puppe aus den Filmen sowie die Gegenstände, mit denen die Puppe vom Modell traktiert worden war, be fanden. Das Verhalten der Kinder wurde von zwei B eurteilern hinter einer Einwegscheibe nach einem vorgegebenen Beobachtungsschema registriert. Dieses Schema ermöglichte eine quantitative Abstufung des Auftretens von Verhaltensweisen der Kinder, in denen das Modellverhalten imitiert wurde. Die lnter-Urteiler-Übereinstimmung zwischen den beiden Beurteilern war fast perfekt (99% ). Im dritten Versuchsabschnitt wurden den Kindern - ohne dass ihnen die Filme noch einmal dargeboten worden waren - attraktive Getränke und Sü ßigkeiten dafür in Aussicht gestellt, dass sie möglichst viele Einzelheiten des vorher in den Filmen beobachteten Modellverhaltens in ihrem eigenen Ver halten reproduzieren. Jedes Mal, nachdem eine richtige Reaktion erfolgt war, erhielt jedes Kind einen Teil der Süßigkeiten bzw. Getränke. Bandura kam zunächst zu dem Befund, dass sich die Kinder in den drei Versuchsgruppen in der erwarteten Weise hinsichtlich ihrer Imitationsraten unterschieden. Kinder, die den Film mit der Belohnungsbedingung gesehen hatten, zeigten gegenüber der Kontrollgruppe höhere Imitationsraten (die Nullhypothesen konnten mindestens auf dem 5 %-Niveau zurückgewiesen werden). Nachdem die Kinder im dritten Versuchsabschnitt für 4ie möglichst vollständige Reproduktion des Modellverhaltens belohnt worden waren, traten indessen keine Unterschiede mehr zwischen den Gruppen auf. Die Verschiedenheiten der reproduzierten ltems des Modellverhaltens nach der
Soziale Kognition
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Darbietung der unterschiedlichen Film-Versionen waren statistisch nicht be deutsam. Dabei zeigte es sich, dass die Kinder im Ganzen nur relativ wenige ltems reproduzieren konnten. Bandura sieht in den eingebrachten Resultaten eine Stützung seiner Kon tiguitätskonzeption und eine Rechtfertigung seiner Unterscheidung zwischen dem sozialen Erwerb von Verhaltensmöglichkeiten und der faktischen Aus führung der entsprechenden Responses. Aus dem Umstand, dass die Unter schiede in der lmitationsrate, die im Zusammenhang mit den verschiedenen filmvermittelten Verstärkungsbedingungen des Modells aufgetreten waren, ohne dass eine erneute Darbietung des Modells erfolgte, durch Belohnung der Beobachter zum Verschwinden gebracht werden- konnten, ist nach Bandura zu schließen, dass die wahrgenommenen Verstärkungskonsequenzen des Mo dellverhaltens nicht den Erwerb der entsprechenden Verhaltensweisen modifi ziert haben, sondern lediglich die Responses der Beobachter in der ersten, un belohnten Imitationssituation beeinflussten. Der Effekt der stellvertretenden Verstärkung ist also - in unserer Terminologie - in seiner Wirkung nicht auf den verborgenen Wahrnehmungsresponse (r) anzusetzen, sondern beeinflusst lediglich die Ü berführung des verborgenen Wahrnehmungsresponses in den intersubjektiv gegebenen imitativen Response (R). Die lernende Ü bernahme der Verhaltensweisen des Modells ist demnach als ein verborgener, »media tiver« Prozess zu betrachten, der unabhängig von der stellvertretenden Ver stärkung ist. Die entsprechenden Verhaltensmöglichkeiten müssen in allen drei Versuchsgruppen sozusagen »bereitgelegen« haben, da es ja möglich war, sie durch Belohnung der Beobachter zu aktualisieren. - Bandura macht aller dings die Einschränkung, dass das Prinzip der Kontiguität zur Erklärung des Erwerbs der genannten Verhaltensbereitschaften möglicherweise nicht ausrei che, da der Gesamtbetrag der reproduzierbaren Elemente des Modellverhal tens sonst hätte größer sein müssen. Wir kommen darauf zurück.
In der Theorie von Bandura sind die Repräsentanzmängel der früher geschilderten theoretischen Konzeptionen zur nichtverbalen sozialen Verhaltensübertragung behoben. Der Zwang zum Rückgriff auf das Prinzip des Versuch-und-lrrtum-Lernens zur Erklärung des Auftretens der imitativen Responses vor der ersten Verstärkung ist nunmehr be seitigt, da ja der Erwerb der modellgemäßen Verhaltensweisen mit der Annahme von verborgenen Responses ohne notwendigerweise gekop pelte manifeste Reaktionen erklärt wird, so dass man es hier mit einer Art von »no trial learning« (vgl. Bandura 1 965a) zu tun hat. Ebenso sind in Banduras Theorie die Repräsentanzrestriktionen vermieden, die in den früher diskutierten Theorien daraus entstanden, dass eine prompte Verstärkung des B eobachters für sein modellgemäßes Verhalten ange nommen werden musste. - Der theoretische Ansatz von Bandura hat Erklärungswert für eine große Mannigfaltigkeit von Formen der nicht verbalen sozialen Beeinflussung. Besonders wesentlich ist dabei der Umstand, dass hier nicht nur das durch Modellbeobachtung bedingte häufigere Auftreten von Verhaltensweisen verständlich gemacht wer den kann, die schon zum Repertoire der Verhaltensmöglichkeiten des
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Soziale Kognition
Individuums gehörten, sondern dass die Erklärung des Auftretens neuer Verhaltensmuster auf dem Wege über das beobachtende Lernen gelingt. In der banduraseben Theorie sind - durch ihren erhöhten Integrati onswert - ohne weiteres die Voraussetzungen gegeben, die früher ge schilderten Imitationstheorien widerspruchsfrei und folgerichtig in die theoretische Konzeption einzubeziehen. Die »Imitation« im engeren Sinne erscheint dabei als ein Spezialfall des beobachtenden Lernens, und zwar als Beobachtungslernen mit nichtverzögertem manifestem Response. Das bedeutet, dass alle empirischen Befunde, die im Zusam menhang mit den diskutierten älteren Imitationstheorien gewonnen wurden, auch innerhalb Banduras Theorie ihre Bedeutung behalten, nur dass die Vorhersagemöglichkeiten dieser Theorie weit über die der früheren Ansätze hinausgehen. Im Ganzen gesehen scheint uns mit der theoretischen Konzeption von Bandura das Fundament der S-R-Theorie verlassen und eine Annäherung an kognitive Lerntheorien etwa im Sinne von Tolman erfolgt zu sein. Der Zusammenhang zwischen Banduras Theorie and bestimmten Grundpo sitionen von Tolman ist u. E. offensichtlich - wobei übrigens bei Bandura selbst, soweit wir sehen, jeder Hinweis auf einen solchen Zusammenhang fehlt. Tolman hat in seinen berühmten Experimenten zum inzidentellen Lernen aufgewiesen, dass der Erwerb von Orientierungsmöglichkeiten des Organismus gänzlich ohne die sonst üblicherweise angenommenen primären Verstärkungsbedingungen erfolgen kann. Von da aus kam Tol man zur Unterscheidung zwischen dem Erwerb von Verhaltensmög lichkeiten, der als Zeichen-Lernen nach dem Kontiguitätsprinzip erfolgt, und der tatsächlichen Ausführung (»performance«) der gelernten Ver haltensweisen, bei der allein motivationale Momente bedeutsam sind. 2. 4. 4
Zur Integration kognitiver Wahrnehmungstheorien und der Theorie des beobachtenden Lernens
Wenn man erst einmal bis zu diesem Punkt weiter gedacht hat, macht es keine große Mühe mehr, das - wie wir erwähnten, auch von Bandura nicht als hinreichend betrachtete - Kontiguitätsprinzip zu erweitern und zu modifizieren und damit Anschluss an die moderne allgemein psychologische Wahrnehmungslehre zu finden. Wahrnehmung wird - wie wir früher darlegten (vgl. unsere Ausführungen auf S. 294) - von modernen funktionalistischen Ansätzen aus nicht als ein Vorgang des passiven Aufnehmens von Reizen verstanden, bei dem die vorfindliehe Gliederung der Reizgegebenheiten, etwa hinsichtlich ihrer Kontigui tät, als hinreichende Bedingung für das Zustandekommen. der media tiven verborgenen Wahrnehmungsresponses betrachtet werden dürfte; Wahrnehmung ist vielmehr als ein Prozess aktiver Umweltgestaltung
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Soziale Kognition
zu betrachten. - Bandura hat bei der Analyse seiner Untersuchungsbe funde mehrfach darauf hingewiesen, dass man zur Erklärung des Er werbs von modellbedingten Verhaltensbereitschaften über den bloßen Einsatz des Kontiguitätsprinzips hinaus wohl zweckmäßigerweise die Annahme von verborgenen Aktivitäten des B eobachters bei der Aneig nung dieser Verhaltensbereitschaften machen müsse. Eine empirische Stützung für diese Annahme findet sich bei Maccoby
(1 959).
Wenn man nun versuchen wollte, unter allgemeinen wahrnehmungs theoretischen Gesichtspunkten - wobei die »autochthonen<< Organisa tionsprinzipien der Wahrnehmung hier einmal beiseite gelassen werden sollen - zu einer übergreifenden Sicht auf das direkte Wahrnehmungs lernen und das modellvermittelte beobachtende Lernen zu kommen, so könnte man dabei zu etwa folgenden Feststellungen kommen: Jede verborgene Wahrnehmungsresponse ist das Ergebnis einer akti ven Verarbeitung der vorhandenen Reizinformation. Diese Verarbeitung besteht einmal in der Aktivierung von Bezugssystemen räumlicher, zeit licher und konzeptueller Art zur Informationsauswertung. Die Bezugs systeme haben dabei zweierlei verschiedene Funktionen: Bezugssysteme haben eine generelle Regulationsfunktion zur relativen Stabilisierung der Wahrnehmungsbefunde; die Stabilisierung erfolgt durch >>ln-Rechnung Stellen« oder >>Absehen« von Verschiedenheiten der jeweils besonderen Wahrnehmungsbefunde bei der Beurteilung der Objektbeschaffenheit, etwa nach
Art
der >>Konstanzerscheinungen«, Größenkonstanz, Hel
ligkeitskonstanz, Dingkonstanz usw. Weiter kann man Bezugssystemen aber auch unter differenziellem Gesichtspunkt die Funktion einer je weils organismusgerechten Selektion und Strukrurierung der individu ellen Wahrnehmungswelt zuschreiben; die Bezugssysteme haben dabei eine Vermittlerrolle zwischen dem motivational-emotionalen Status der Person zu einer gegebenen Zeit und den verborgenen Wahrnehmungs responses (vgl. dazu Holzkamp & Keiler
1 967);
in diesem Zusammen
hang wären funktionalistische Wahrnehmungskonzepte wie >>Akzentu ierung«, >>Sensitisierung« etc. einzuordnen. Das zweite wesentliche Charakteristikum der Verarbeitung der Reizinformation neben der Aktivierung von B ezugssystemen ist die Komplettierung der stets unvollständigen Informationseinheiten zu re lativ einheitlichen >>Dingen« mit eindeutigen Umgangsqualitäten, also das >>going beyond the information given« (Bruner 1 957); auf diese Weise werden nicht sensoriell repräsentierte Rückseiten der Dinge, Informationsmängel aus Überdeckungen, aus reduzierter sensorieller Informationsvermittlung etc. ausgeglichen. Als weitere Stufen der Wahrnehmungsverarbeitung, die eng mit einander zusammenhängen, könnte man das Herantragen von quasi theoretischen Konzeptionen über Wirkungszusammenhänge an die
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Soziale Kognition
Gegebenheiten der Wahrnehmungswelt und die konzepruelle Iden tifikation (»Apperzeption«) der Wahrnehmungsdinge nennen. - Wir müssen uns hier genauere Ausführungen darüber sparen. Alle damit auswahlweise genannten Prinzipien der Wahrnehmungs verarbeitung sind ausnahmslos auch dann anwendbar, wenn die Wahr nehmungsresponses nicht auf >> Dinge«, sondern auf andere Organismen bezogen sind (vgl. dazu Holzkamp 1 964, S. 84ff. [2005, S. 1 08f.]). Dar über hinaus sind für den zweiten Fall aber noch gewisse nähere Bestim mungen möglich, die die genannten Prinzipien zwar keineswegs durch brechen, aber in bestimmter Hinsicht ergänzen und spezifizieren. Sofern es sich bei den Wahrnehmungsgegebenheiten um andere Personen, etwa in der Funktion von »Modellen<<, handelt, wird in der Wahrnehmungsverarbeitung eine besondere Weise von Komplettierung angesetzt, die bei der bloßen Dingwahrnehmung nur in Sondersituati onen erfolgt: Es wird nämlich die gegebene Information über Verhal tensweisen der Personen in Richtung auf die »Attribution<< von »Ab sichten<<, >>Motiven<<, »Eigenschaften<<, »Fähigkeiten« etc. komplettiert, wobei die alltagstheoretische Annahme zugrundeliegt, dass die andere Person ein Wesen mit - für den Beobachter nicht direkt zugänglicher - spontaner, zielgerichteter Eigenaktivität und - ebenfalls nicht direkt für den Beobachter gegebener - eigener Information über Weltbeschaf fenheiten ist. Die Komplettierung erfolgt hier also auf der Basis der zu gänglichen Verhaltensinformation über sensoriell repräsentierte Daten hinaus in den »Lebensraum<< der anderen Person. Auf diesem Wege kann der Beobachter die durch die genannte Komplettierung erschlos senen »Erfahrungen<< des Modells bei seiner kognitiven Aktivität für die eigene Orientierung verwerten, ohne die entsprechenden Erfah rungen selber machen zu müssen. Wir haben es hier also mit einem er weiterten Konzept der »Stellvertretung« (»vicariousness<<) zu tun (vgl. dazu den Begriff der >>vicarious exploration<< bei Campbell 1 963 ). Aus unseren Ausführungen über die Wahrnehmungsverarbeitung können wir nun bestimmte Konsequenzen für das Problem des beob achtenden Lemens ableiten: Zunächst muss man sich deutlich machen, dass es sinnl os ist, den Versuch zu unternehmen, bei der Erklärung der Verhaltensübertragung auf Grund der Modellwahrnehmung mit dem Kontiguitätsprinzip auszukommen angesichts des Umstandes, dass in der allgemeinen Wahrnehmungslehre längst viel umfassendere Prinzipien der Wahrnehmungsverarbeitung entwickelt und empirisch geprüft sind. So wird man etwa den genannten Bezugssystemeffekt, z. B. in der Funktion einer organismusgerechten Strukturierung der Wahrneh mungswelt, auch in diesem Zusammenhang annehmen dürfen. Die Bedeutsamkeit des Modellverhaltens beim Zustandekommen der mo dellvermittelten Verhaltensbereitschaften muss demnach u. a. als davon
Soziale Kognition
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abhängig betrachtet werden, wieweit das Modell - oder bestimmte Verhaltenszüge des Modells - durch >>Akzentuierung«, >>Sensitivie rung« etc. für den Beobachter >>herausgehoben<< sind (vgl. dazu die früher geschilderten Untersuchungen von Rosenbaum & Tucker 1 962, sowie Rosenbaum, Chalmers & Horne 1 962). Besonders wesendich ist jedoch der Tatbestand, dass bei Berücksich tigung des bei der Personwahrnehmung angenommenen spezifischen Komplettierungsvorganges die Weise der Auffassung des Modells beim beobachtenden Lernen noch näher bestimmt werden kann: Sofern die andere Person, wie das bei kognitiven Akten der Fall ist, unter der Ein stellung, dem »set<<, der Orientierung wahrgenommen wird, bieten sich bei der modellvermittelten Beobachtung Möglichkeiten, die bei der di rekten Umweltbeobachtung nicht gegeben sind: Man kann auf Grund des genannten Komplettierungsvorganges Alltagshypothesen über die personalen, situationeilen und informationalen Bedingungen der Orientierungssuche des Modells bilden und im Zusammenhang damit Vorhersagen über den Erfolg der Orientierungsbemühungen des Mo dells treffen sowie an den Konsequenzen des Modellverhaltens prüfen. Damit verfügt man hier in der Wahrnehmungsverarbeitung über ein Verfahren zur >>Verwertung<< der angesetzten >>Erfahrungen<< anderer, durch welches ein Orientierungslernen von viel größerer Manni gfal tigkeit und Effektivität gelingen kann, als das bei bloßer unvermittelter Umweltbeobachtung möglich wäre. Unsere letzten Ausführungen haben natürlich vorerst nur den Wert einer Skizze. Zweierlei sollte indessen deutlich werden: Eine Integra tion der Theorie des beobachtenden Lernens in die allgemeine kogni tive Theorie des Wahrnehmungsiemens überhaupt ist als möglich zu betrachten, wobei auch wesentliche Prinzipien der S-R-Theorien des Lernens - zur Erklärung des Zustandekoromens der intersubjektiv zu gänglichen modellvermittelten Responses - ihren Platz finden. Darüber hinaus darf man wohl feststellen, dass jede Lerntheorie, die nur direktes umweltbezogenes Lernen berücksichtigt und das modellvermittelte Lernen außer Acht lässt, als in ihrer Brauchbarkeit stark eingeschränkt angesehen werden muss. Gerade die kumulierte Auswertung der >>Er fahrungen<< anderer ist nämlich ein entscheidendes Charakteristikum des individuellen menschlichen Sozialisationsprozesses wie auch des Entstehens und der Modifikation von >> Kulturen<< in ihrer Geschicht lichkeit. Dabei müsste man allerdings über die von uns vorwiegend berücksichtigte aktuelle soziale Vermittlung hinaus auch nichtaktuelle Vertnittlungsprozesse, etwa >>symbolischer<< Art, einbeziehen. Ansätze zu einer solchen Einbeziehung sind bereits gegeben (vgl. Bandura, Ross & Ross 1 963; vgl. auch Bandura & Walters 1 963, S. 4 9 ff.).
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Soziale Kognition 3 Verbaler sozialer Einfluss
3.1 Vorbemerkung Die Untersuchung der Bedingungen verbaler Stellungnahmen von Individuen macht einen großen Teil der Sozialpsychologie aus. Wir müssen deshalb Ausgrenzungen vornehmen und lassen dabei zunächst alles, was mit dem Problem der sozialen Haltungen (>>attitudes«) zu sammenhängt, in unserer Darstellung beiseite. Dieses Problem ist das Thema eines Artikels innerhalb dieses Bandes (Eyferth & Kreppner*•; vgl. dazu auch den ausgezeichneten Bericht von Irle 1 967). Weiter vernachlässigen wir in unseren Ausführungen alle Ansätze und Un tersuchungen, die sich mit >>Stereotypen« und >>Vorurteilen« im tra ditionellen Sinne beschäftigen. Dazu liegt in diesem Band ein Artikel von Bergler und Six•b vor. Unsere Ausgrenzungen rechtfertigen sich zusätzlich dadurch, dass theoretische Integrationen zwischen den ge nannten Gebieten und den Problemen, die im Mittelpunkt unserer Darlegungen stehen müssen, bisher nur ansatzweise versucht wurden und auch von uns in diesem Zusammenhang nicht geleistet werden können. Wir beschäftigen uns im Folgenden vorwiegend mit Fragen, die üb licherweise den Kennworten >>Konformität<< und »Gruppenproblem lösen<< subsumiert werden. Diese Fragen werden ebenfalls in anderen Artikeln innerhalb dieses Bandes behandelt (Feger*c, Scharmann*d und Brandt & Köhler••). Da sie indessen wichtige Probleme der sozialen Kognition darstellen, müssen sie auch in dieser Abhandlung diskutiert werden. Wir können uns jedoch hier eine extensive Darstellung von Einzelansätzen und Einzeluntersuchungen ersparen. Abgesehen davon "·•
Anrn. d. Hg.: Gemeint ist hier: Eyferth, K & Kreppner, K. (1 972). Entstehung, Konstanz und Wandel von Einstellungen. In C. F. Graumann (Hg.), Handbuch der Psychologie. Bd. 7: Sozialpsychologie (S. 1 342-1 3 70). Göttingen: Hogrefe.
R. & Six, B. (1972). Stereotype und Vorurteile. In C. F. Graumann (Hg.), Handbuch der Psychologie. Bd. 7: Sozialpsychologie (S. 1 3 7 1 - 1 432). Göningen: Hogrefe.
"·b Anrn. d. Hg.: Gemeint ist hier: Bergler,
•·c
Anrn. d. Hg.: Gemeint ist hier: Feger, H. (1 972). Gruppensolidarität und Konflikt. In C. F. Graumann (Hg.), Handbuch der Psychologie. Bd. 7: Sozialpsychologie (S. 1 594- 1 709). Göningen: Hogrefe.
•·d Anm. d. Hg.: Gemeint ist hier: Scharmann, T. (1 972). Leistungsorientierte Gruppen. In C. F. Graumann (Hg.), Handbuch der Psychologie. Bd. 7:
Sozialpsychologie (S. 1 790-1 864). Göningen: Hogrefe.
"·e
Anm. d. Hg.: Gemeint ist hier: Brandt, U. & Köhler, B. (1 972). Norm und Konformität. In C. F. Graumann (Hg.), Handbuch der Psychologie. Bd. 7: Sozialpsychologie (S. 1 710-1789). Göttingen: Hogrefe.
Soziale Kognition
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ist die Erstellung eines Sammelreferates zum mindesten über Konfor mität auch deswegen entbehrlich, weil in dem von Berg und Bass (1961) herausgegebenen Buch an leicht zugänglicher Stelle eine kompetente und gründliche Übersicht über die Konformitätsforschung gegeben wird (vgl. dazu auch Brandt & Köhler'·, Kap. 33 dieses Bandes, sowie die mehr historisch gerichtete Darstellung von $odhi 1963). Auch zum Gruppenproblemlösen liegt ein umfassendes Sammelreferat vor (Kelley & Thibaut 1954; 1 969), das auch für die heutige Forschung noch Rele vanz hat. - Aus den genannten Gründen können wir hier darauf ver zichten, eine ausgedehntere Stoffvermittlung anzustreben. Stattdessen werden wir uns bemühen, allgemeinere, für das Problem der sozialen Kognition wichtige theoretische Gesichtspunkte herauszuarbeiten. Dar über hinaus wollen wir versuchen, theoretische Positionen aufzuweisen, von denen aus eine Zusammenschau der früher geschilderten Probleme der Imitation und des Beobachtungsiemens auf der einen Seite und dem, was unter den Bezeichnungen >>Konformität« und >>Gruppenproblem lösen« erforscht wurde auf der anderen Seite, möglich werden könnte. Die beiden genannten Problemgebiete sind bisher - trotz ihrer großen sachlichen Verwandtschaft - vorwiegend in getrennten Entwicklungsli nien bearbeitet worden. Integrationsversuche liegen nur vereinzelt vor, etwa in der hervorragenden Abhandlung von Campbell (1961), der wir in den folgenden Ausführungen auch dann häufiger verpflichtet sind, wenn kein ausdrücklicher Bezug auf sie genommen wird. Aus den geschilderten Integrationsabsichten ist herleitbar, dass wir auch terminologisch eine Vereinheitlichung zwischen den beiden Pro blemhereichen direkten sozialen Einflusses anstreben. Wir werden also im Folgenden so weit wie möglich die Termini aus den vorigen Abschnit ten übernehmen, und zwar auch dann, wenn eine derartige Redeweise in den nun zu behandelnden Forschungsgebieten weniger gebräuchlich ist. Die neu heranzuziehenden Termini sollen sich dabei möglichst eindeutig in die bisher gebrauchte Terminologie einordnen lassen. 3.2 Ein Schema zur Analyse des verbalen sozialen Einflusses Wir haben in unseren bisherigen Überlegungen an verschiedenen Stel len die Wichtigkeit der Unterscheidung zwischen unabhängiger, un mittelbar gegenstandsgerichteter Kognition und modellvermittelter Kognition hervorgehoben und dabei die Bedeutung der modellvermit telten Kognition und den damit zusammenhängenden Lernvorgängen ,,_
Arun. d. H g. : Gemeint ist hier: Brandt, U. & Köhler, B. (1 972). Norm und Konformität. In C. F. Graumann (Hg.), Handbuch der Psychologie. Bd. 7: Sozialpsychologie (S. 1 7 1 0-1 789). Göttingen: Hogrefe.
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Soziale Kognition
betont. Wenn man diese beiden Arten des Kognizierens in Beziehung miteinander setzt, so kommt man - im Bereich der Probleme des nicht verbalen sozialen Einflusses - vorwiegend zu Feststellungen über Mo difikationen der einen Kognitionsart durch die andere in der Zeitfolge. Wie wir gesehen haben, ließ sich die Annahme bestätigen, dass vor angehende unabhängige Kognitionsprozesse die folgende modellver mittelte Kognition verändern können und - dieser Fall ist besonders wichtig - dass die Befunde aus modellvermitteltem Kognizieren einen Effekt auf folgende unabhängige Kognitionsprozesse haben können. Mit diesen sukzessiven Modifikationen der jeweils einen Kognitions art durch die andere muss man auch im Bereich der Probleme des ver balen sozialen Einflusses rechnen - wir kommen darauf zurück. Dar über hinaus ergibt sich hier aber noch eine andere Konstellation, die uns so charakteristisch zu sein scheint, dass wir sie in den Mittelpunkt unserer folgenden Überlegungen stellen wollen. Wenn man den Begriff >>Urteil« - wie das recht gebräuchlich gewor den ist - in einem sehr weiten Sinne fasst und unter »Urteil« jede ver bale Äußerung zu einem real anwesenden oder auch auf andere Weise gegebenen Stimulusobjekt versteht, so kann man den Tatbestand des verbalen sozialen Einflusses auch so umschreiben, dass dabei der Beob achter in seinen Responses durch Urteile des Modells beeinflusst wird. Eine solche Beeinflussung ist naturgemäß nur dann möglich, wenn das Urteil des Modells nicht nur in verborgener Weise vollzogen, sondern ausgesprochen wird. In diesem Falle liegt die Aussage des Modells über das Stimulusobjekt in sprachlich-symbolischer Form intersubjek tiv, also auch für den Beobachter zugänglich, vor. Die Responses des Beobachters, die durch die Urteile des Modells beeinflussbar sind, können sehr verschiedener Art sein. Es mag sich dabei etwa um emotionale Reaktionen, Werthaltungen, sozial vermit telte Meinungen etc. handeln. Im Zusammenhang mit unserem Thema »soziale Kognition« sind wir indessen zuvörderst an dem explorativen Verhalten des Beobachters zur Orientierung in seiner Welt interessiert. Das bedeutet aber, dass die unabhängigen Kognitionen des Beobachters in ihrer Beeinflusstheit durch die Urteile des Modells unsere Hauptbe achtung beanspruchen müssen. Die Situation des durch verbale Momente sozial beeinflussten Kogni zierenden - wie wir sie bisher eingegrenzt haben - lässt sich demnach wie folgt beschreiben: Dem Kognizierenden stehen einmal Umweltdaten zur Verfügung, die er aus seiner unmittelbar auf die Stimulusobjekte ge richteten explorativen Aktivität gewonnen hat; zum anderen sind dem Kognizierenden Daten in Form von Urteilen des Modells über Um welttatbestände gegeben. Damit eine Beeinflussung der unabhängigen Kognition möglich ist, müssen die unmittelbar gegebenen Daten und
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die modellvermittelten Urteile sich auf den jeweils gleichen oder zum mindesten auf einen ähnlichen Umwelttatbestand beziehen; diese letzte Einschränkung ist nötig, um einen Ort für mögliche Generalisierungsef fekte o. Ä. offen zu lassen. Nur, wenn eine solche Gleichheit oder Ähn lichkeit vorliegt, ist die Information aus den Urteilen des Modells der Möglichkeit nach für den unabhängigen Kognitionsprozess relevant. Der Umstand, dass in der geschilderten charakteristischen Weise dem Kognizierenden über das gleiche oder ein ähnliches Stimulusobjekt streng gleichzeitig unabhängige und modellvermittelte Informationen zur Verfügung stehen, macht die Besonderheit des verbalen sozialen Einflusses von der Art aus, wie wir ihn diskutieren wollen. Diese strenge Gleichzeitigkeit ist hier dadurch ermöglicht, dass das jeweils gleiche Stimulusobjekt in zwei verschiedenen Gegebenheitsmodi vorliegt: Ein mal als Befund unvermittelter Weltbegegnung und einmal in sprachlich symbolischer Repräsentiertheit. Eine entsprechende Konstellation ist im Falle des nichtverbalen sozialen Einflusses nicht denkbar, da hier im Modellverhalten ja keine symbolische Repräsentanz von auch unabhän giger Beobachtung zugänglichen Reiztatbeständen gegeben ist. Damit haben wir uns die Voraussetzungen geschaffen, um die Grundsituation der verbal beeinflussten sozial bedingten Kognition in mehr schematischer Form darzustellen. In so gut wie allen einschlägigen Untersuchungen ist die abhängige Variable der direkt auf das Stimulusobjekt bezogene Response der Ver suchsperson. Die Vp hat Aussagen über Eigenarten eines Umwelttat bestandes zu formulieren, der ihr in irgendeiner Form innerhalb der experimentellen Anordnungen als Zu-Kognizierendes dargeboten wird. Operational gesehen ist es dabei notwendigerweise stets der intersub jektiv zugängliche »reporting response« (R), der als experimentelles Datum vorliegt. In vielen, den experimentellen Untersuchungen über geordneten theoretischen Ansätzen erscheint allerdings der verborgene, von der Vp für sich vollzogene Response, der sich auf das Stimulusob jekt bezieht, als die eigentlich relevante abhängige Variable. In solchen Fällen steht man also vor dem methodischen Problem, wie man aus dem allein vorliegenden Äußerungsresponse (R) begründete Aussagen über die Beschaffenheit des verborgenen Response (r) machen kann. Als unabhängige Variable, die vom Experimentator in der experi mentellen Anordnung manipuliert werden, sind in allen uns hier inter essierenden Experimenten mindestens zwei weitere Momente einge führt, und zwar einmal die Beschaffenheit der den Vpn dargebotenen objektiven Stimulussituation (S) und zum anderen die Beschaffenheit des ebenfalls intersubjektiv zugänglich gegebenen Response (R) des Modells, der sich - jedenfalls im Lebensraum der Vp - auf das gleiche Stimulusobjekt bezieht.
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Soziale Kognition
Eine gewisse Sonderstellung nimmt eine weitere Variable ein, und zwar der verborgene Response der Vp auf den ihr ja als Stimulus ge gebenen Response des Modells. Diese Variable wird in vielen Ver suchen entweder nicht explizit herausgehoben oder als eine Art von >>Zwischenvariable« betrachtet, die nur der Erklärung der Eigenart des intersubjektiv zugänglichen Response des Beobachters dient, aber nicht selbständig empirisch erfasst wird. Gerade in manchen neueren Experimenten versucht man jedoch, auch über diesen Response der Vp empirische Daten zu gewinnen, so dass also hier eine weitere ab hängige Variable neben dem direkten Response der Vp hinsichtlich der Stimulussituation vorliegt. Solche Daten sind methodisch natürlich nur dadurch zu erlangen, dass man zusätzlich intersubjektiv zugängliche Äußerungsresponses der Vpn über die Eigenart der sprachlichen Mo dellreaktion provoziert. Wir können nunmehr unsere letzten Überlegungen in einem Schema veranschaulichen:
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R (8) Abb. 3 : Schema zur Analyse des verbalen sozialen Einflusses
Su ist in diesem Schema die unabhängige Stimulussiruation. SR(M) ist die sprachliche Modellreaktion, die der Vp ebenfalls als Stimulus gegeben ist. Der unterbrochene Pfeil soll kenntlich machen, dass die Modell reaktion sich für die Vp auf das gleiche Stimulusobjekt bezieht, das auch unabhängig für sie vorliegt. r1 (B) ist der verborgene Response des Beobachters auf das unabhängige Stimulusobjekt. r2 (B) ist der ver borgene Response des Beobachters auf die ihm als Stimulus gegebene verbale Modellreaktion. Die eckigen Klammem sollen anzeigen, dass dieser Response in vielen Untersuchungen nicht selbständig empirisch
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aufgewiesen wird, sondern nur eine Zwischenvariable darstellt. R(B) ist der auf das unabhängige Stimulusobjekt bezogene Äußerungs response des Beobachters. Der von r2 (B) ausgehende und auf r1 (B) gerichtete gepunktete Pfeil soll die Annahme symbolisieren, dass der verborgene Response des Beobachters auf das ihm als Stimulus gege bene Modellverhalten den direkt auf das Stimulusobjekt bezogenen verborgenen Response des Beobachters beeinflusst. Wie weit dadurch auch der Aussageresponse R modifiziert wird, hängt von den besonde ren Bedingungen ab, unter denen die Äußerung erfolgt. Die Eigenart und die Bedingungen dieses Einflusses sind ja das zentrale Thema un serer gegenwärtigen Überlegungen. Beim Vergleich mit unserem frü her dargestellten allgemeineren Schema (vgl. S. 301) wird deutlich, dass wir hier einige Differenzierungen, insbesondere die Zwischeninstanzen zwischen objektivem Stimulus und verborgenem Response, weggelas sen haben. Das geschah, um die schematische Veranschaulichung nicht zu kompliziert werden zu lassen. Wir werden - wo es nötig ist - bei den folgenden Ausführungen die an dieser Stelle ausgesparten Diffe renzierungen dennoch berücksichtigen. Die verbale soziale Beeinflussung von Kognitionsvorgängen, wie wir sie hier verstehen wollen, wird von uns im Anschluss an Camp bell (1961 ) als ein Prozess der Gewichtung der Information aus der di rekten Exploration der Reizsituation und der Information aus verba len Äußerungen des Modells über die gleiche Reizsituation durch den Beobachter verstanden. Der auf die Stimulussituation bezogene ver borgene Response r1 (B) bzw. der Äußerungsresponse R(B) des Beob achters ist gemäß diesem Ansatz das Ergebnis verschiedenartiger Ge wichtungen, die der direkten und modellvermittelten Information im Kognitionsvorgang vom Beobachter beigemessen werden. Aufgabe der experimentellen Analyse der verbalen sozialen Beeinflussung der Ko gnition wäre es demnach, theoretische Konzeptionen und empirische Befunde über die Bedingungen zu gewinnen, von denen es abhängt, welches Gewicht der direkten und der modellvermittelten Information vom Beobachter im Kognitionsprozess gegeben wird. Aus unseren bisherigen Überlegungen lässt sich ableiten, dass es drei Arten von Bedingungen sind, die dabei berücksichtigt werden müssen, und zwar Bedingungen in der unabhängigen Stimulussituation, Bedin gungen in der Modellsituation und Bedingungen, unter denen der Be obachter steht. Die Bedingungen in der unabhängigen Stimulussituation und die Bedingungen in der Modellsituation führen - je nach ihrem Ge wicht - >>von außen«, von der Weltseite des Kognitionsprozesses, her zu Veränderungen der Beobachterresponses. Die Bedingungen, unter denen der Beobachter steht, führen sozusagen von der anderen Seite her, von der Person des Beobachters aus, zu Responseveränderungen. Die
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Umweltsituation, wie sie für den Beobachter vorliegt (kp bzw. p; vgl. S. 301) ist, wie wir darlegten, ja nicht nur von der Beschaffenheit der objektiven Reizbedingungen, sondern auch von »subjektiven« Faktoren beim Kognizierenden abhängig. Wenn man sich wieder einmal deutlich macht, dass die objektive Reizsituation nicht direkt das Verhalten des Kognizierenden beeinflusst, sondern nur über die Zwischenstufe des Zu Kognizierenden (kp bzw. p), dann wird einem klar, dass die personalen Bedingungen, unter denen der Beobachter steht, bei jeder Analyse des verbalen sozialen Einflusses (wie auch bei der Analyse anderer Arten des sozialen Einflusses) unbedingt in Rechnung gestellt werden müssen. Das Kognizieren ist - wie wir schon an anderer Stelle ausführten (vgl. S. 294f.) - kein passiver Vorgang, in dem das Individuum irgendwelchen Bedingungen einfach nur ausgesetzt wäre und in dem der kognitive Response als bloße Resultante dieser Bedingungen aufgefasst werden könnte. Kognizieren ist vielmehr ein Vorgang aktiver Informationsver arbeitung, bei dem das Individuum sozusagen »frei« zu den gegebenen Informationsdaten Stellung nehmen und selbsttätig in den Prozess der Responseentstehung eingreifen kann. Das bedeutet, dass man sich nicht mit der Analyse der genannten, den Kognitionsvorgang beeinflussen den Bedingungsgruppen zufrieden geben darf, sondern den aktiven An teil des Beobachters beim Zustandekommen des Response in unabhän gigem Einsatz theoretisch erfassen und empirisch erforschen muss. Damit sind uns für unsere anschließenden Darlegungen folgende Themen gestellt: Beeinflussungsbedingungen in der Stimulussituation; Beeinflussungsbedingungen in der Modellsituation; Beeinflussungs bedingungen beim Beobachter; der Gewichtungsprozess und die Re sponsegewinnung. Im letzten Abschnitt werden dabei die Gesichts punkte aus den früheren Abschnitten integriert werden. 3. 2. 1
Beeinflussungsbedingungen in der Stimulussituation
Wenn wir uns jetzt mit der Frage beschäftigen, wonach man die Be deutsamkeit der Stimulussituation Su auf den genannten Gewichtungs prozess zu bemessen habe, so behandeln wir dabei nur eine bestimmte Gruppe von Bedingungen, von denen die Eigenart des verborgenen Wahrnehmungsresponse r1 (B) des Beobachters abhängen kann, nämlich solche Bedingungen, die direkt mit den durch den Experimentator in der Versuchsanordnung hergestellten objektiven Reizkonstellationen kovarii eren. Da der verborgene Wahrnehmungsresponse r1 (B) - wie wir feststellten - (abgesehen von dem hier noch nicht zur Diskussion stehenden Einfluss der Modellsituation) auch von >>subjektiven« Be dingungen bei der Person des Beobachters abhängt, vollziehen wir also eine Art von Abstraktion aus dem Gesamtbedingungengefüge, das auf
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r1 (B) einwirkt, was von uns mit dem Hinweis auf darstellungstech nische Zweckmäßigkeiten begründet wird. Die in die Versuchsanordnungen der verschiedenen einschlägigen Experimente eingeführten unabhängigen Reizkonstellationen sind von buntester Vielfältigkeit. In der Pionieruntersuchung von Sherif ( 1 935) hatten die Beobachter das Ausmaß der scheinparen Bewegung eines Lichtpunktes (des sog. autokinetischen Effektes) anzugeben. Asch (1 956) ließ in seinen bedeutenden Experimenten die Beobachter Stre cken hinsichtlich ihrer Länge vergleichen. In wieder anderen Experi menten war die Anzahl von Punkten in einem Punkthaufen zu schätzen (Sodhi 1 953), vorgegebene verbale Feststellungen, in denen bestimmte soziale Haltungen zum Ausdruck kamen, waren zu beurteilen (Blake, Helson & Mouton 1 956), die Länge eines Rechtecks war zu schätzen (Bovard 1951 ), der kürzeste, in einem Labyrinth zum Ziel führende Weg war herauszufinden Qackson & Saltzstein 1956; 1 95 8), die persönliche Bereitschaft, dem Gruppendruck bzw. dem Druck einer Autoritätsper son nachzugeben, war zu bekunden (Back & Davis 1965 ), u. v. a. m. Wir können zunächst all jene Anordnungen bei unseren weiteren Überlegungen beiseite lassen, in denen die Vpn kein kognitives Ver halten zu zeigen, sondern Meinungen zu äußern, subjektive Bevorzu gungen auszusprechen hatten, u. Ä. Untersuchungen mit derartigen Anordnungen machen schätzungsweise . die Hälfte der vorliegenden Experimente aus. Es soll im Folgenden versucht werden, ohne dabei in die Einzelheiten zu gehen, die für den von uns zu diskutierenden Gewichtungsprozess relevanten Dimensionen an den »kognitiven« Stimulussituationen herauszuarbeiten. Da es in j edem Kognitionsakt uni Orientierung i. w. S. geht, stellt das Zu-Kognizierende vom Individuum aus gesehen immer irgendeine Weise von subjektunabhängiger »Realität« dar; nur in einem »realen«, dem Meinen und Dafürhalten des Subjekts in gewissem Maße entzo genen Orientierungsfeld gibt es etwas zu explorieren, zu entdecken, zu erkennen etc. Dieses Orientierungsfeld kann dabei einmal mehr als die raumzeitlich vorfindliehe Umweltrealität gegeben sein, es kann aber auch mehr aus gedanklichen Strukturen, aus Problemen bestehen, die für das Individuum, j edenfalls zu Beginn des kognitiven Aktes, nicht voll durchschaubar sind. Diese beiden Arten von Orientierungsfeldern stehen sich dabei nicht voneinander abgegrenzt gegenüber, sondern sind eher als auf einem Kontinuum angeordnet zu denken. Der eine Pol des Kontinuums besteht aus Problemen, in denen B eziehungen zwischen gesetzten Symbolen aufzudecken sind, die keinerlei Zeichen funktion für Reales haben. Der andere Pol des Kontinuums ist nicht genau zu fixieren, weil - wie wir früher feststellten (vgl. S. 298ff.) - auch in j edem auf die Außenwelt gerichteten Wahrnehmungsakt gedankliche
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Strukturen mit zu erfassen sind, da es Weltgegebenheiten, die nicht ko gnitiv »vorverstanden« sind, prinzipiell niemals geben kann; hier lassen sich mithin nur Feststellungen über den Grad treffen, in dem im Wahr nehmungsakt kognitive Momente mit aufgefasst werden müssen. 3.2. 1. 1
Widerständigkeitsgrad der Stimulussituation
Die Frage, wovon es abhängt, welches Gewicht der Stimulussituation in dem genannten Gewichtungsprozess zukommt, ist nach diesen letzten Ausführungen nicht mehr allzu schwer zu beantworten. Das allgemeinste Charakteristikum von »Realität« i. w. S. ist ihre mög liche Widerständigkeit gegen die Aktivität des Individuums, bestehe diese Aktivität nun in faktischer Lokomotion in der Welt, oder sei die Aktivität lediglich gedanklicher Natur (vgl. dazu Holzkamp 1 968, S. 67ff. [2006a, S. 79ff.]). Das Gewicht der Stimulussituation innerhalb der verschiedenen Gewichtsanteile, die den Äußerungsresponse R(B) beeinflussen, wird mithin um so größer sein, je höher der so gefasste Grad der Widerständigkeit des realen Orientierungsfeldes ist. Dieser Widerständigkeitsgrad ist verschieden näher zu umschreiben, je nachdem, ob man auf das Moment der vorfindliehen Umweltreali tät oder das Moment der gedanklichen Strukturen an einem Orientie rungsfeld abhebt. Der Grad der Widerständigkeit der Umweltrealität ist umso größer, je eindeutiger der jeweils erlebte Umweltaufschluss ist. Diese Eindeu tigkeit hängt einmal davon ab, wieweit das im Response zu erfassende Umweltmoment klar abgehoben ist, wieweit dieses Moment also als »Figur« auf einem anders gearteten >> Grund<< erscheint. Weiter ist die Eindeutigkeit dadurch bestimmt, wie fest das gemeinte Umweltmo ment in das Gefüge des Gesamtwahrnehmungsfeldes eingeordnet ist; je fester dieses Gefüge ist, in um so höherem Maße sind Bezugssysteme vorhanden, von denen aus der j eweilige Wahrnehmungsgegenstand in seiner Beschaffenheit fixierbar und damit stabilisiert ist. Schließlich hängt die Eindeutigkeit des Umweltaufschlusses davon ab, wie »ver schieden<< das zu erfassende Umweltmoment von anderen gleichzeitig im Orientierungsfeld gegebenen Umweltmomenten ist, wieweit sich also eine hierarchische Ordnung der Umweltmomente hinsichtlich der im Wahrnehmungsurteil relevanten Dimension vorfindet. Der Grad der Widerständigkeit einer gedanklichen Struktur ist umso größer, je eindeutiger das Relationsgefüge des zu beurteilenden Gedankengebildes für das Individuum gegeben ist. Diese Eindeutig keit hängt davon ab, wie klar die Relate des RelationsgefUges in ihrer Eigenart identifiziert werden können und wie klar die Verknüpfungs prinzipien der Relate vom Subj ekt aufgefasst werden können.
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Der damit spezifizierte Widerständigkeitsgrad des Orientierungsfeldes, der als direkt proportional dem Gewicht, das der Stimulussituation im genannten Gewichtungsprozess zukommt, betrachtet wird, ist - soweit wir sehen - die einzige relevante direkte Stimulusvariable, die in einer Theorie des (verbalen) sozialen Einflusses berücksichtigt werden muss. Alle anderen Stimulusvariablen, die in diesem Zusammenhang als rele vant angesehen worden sind (vgl. etwa Blake & Mouton 1961), scheinen uns >>Oberflächenvariablen« zu sein, die auf die Widerständigkeitsdimen sionen in ihren verschiedenen Spezifikationen reduziert werden können. Bei >>verschwommenen«, schlecht beleuchteten, kurzzeitig dargebote nen Stimulussituationen ist - das kann man schon vor allen genaueren Bestimmungen sagen - der Widerständigkeitsgrad des Stimulusfeldes deswegen gering, weil hier eine klare Abhebung des gemeinten Stimu lusmomentes vom »Grund« nicht möglich ist. Beim »autokinetischen Phänomen« ist der Widerständigkeitsgrad ebenfalls als gering zu betrach ten, weil hier die Stabilisierung des Stimulusmomentes vom Gefüge des Gesamtwahrnehmungsfeldes her gering ist. Wenn in einem Wahrneh mungsurteil Vergleiche vorgenommen werden sollen, etwa zwei Recht ecke hinsichtlich der Länge einer Seite zu vergleichen sind, so ist hier die Figur-Grund-Differenzierung ausgeprägt und auch eine feste Einbettung des Stimulusmomentes in das Gefüge des Wahrnehmungsfeldes gegeben. Dennoch kann auch hier der Widerständigkeitsgrad gering sein, nämlich dann, wenn eine hierarchische Ordnung des zu beurteilenden und des Vergleichsstimulus hinsichtlich der urteilsrelevanten Dimension nicht auf eindeutige Weise gegeben ist, d. h. hier, wenn die beiden Rechtecke sich hinsichtlich der zu beurteilenden Seitenlänge sehr »ähnlich« sind. - Die bei Problemlösungsaufgaben als Stimuli häufig genannten Variablen des Komplexitätsgrades der Aufgabe, der »Schwierigkeit« der Aufgabe etc. lassen sich auch auf die Variable des Widerständigkeitsgrades zurückfüh ren: Je »komplexer<<, »schwieriger<< etc. ein Problem ist, um so schwerer lässt sich die Eigenart der Relate des Relationsgefüges erfassen bzw. um so schwerer sind die Verknüpfungsprinzipien des Relationsgefüges anzu geben, d. h. um so geringer ist hier der Widerständigkeitsgrad und mithin das >>Gewicht« der Stimulussituation im Gewichtungsprozess (vgl. dazu London & Lim 1 964, sowie Sistrunk & McDavid 1 965). 3.2. 1 . 2
Metrische Beschaffenheit der Stimulussituation
Der vom Beobachter erlebte Widerständigkeitsgrad der Stimulussi tuation ist streng zu unterscheiden von der »objektiven<<, metrischen B eschaffenheit des Stimulus. Wir haben zwar - nach unserer Isolierung der Reizbeschaffenheit als B edingung des Gewichtungsprozesses - das Recht anzunehmen, dass eine eindeutige B eziehung zwischen dem
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metrisch-physikalischen Stimulus (S) und dem phänomenalen Stimulus (s) besteht (vgl. unsere Ausführungen auf S. 299f.); man darf aber - was mindestens seit den Befunden der gestaltpsychologischen Forschung klar sein sollte - deswegen nicht etwa eine einfache Punkt-für-Punkt Zuordnung zwischen metrisch-physikalischem und phänomenalem Stimulus annehmen; es sind vielmehr komplexere »Übersetzungs regeln<< zur Erklärung der B eziehung zwischen metrisch-physika lischem und phänomenalem Stimulus anzusetzen und empirisch zu prüfen. Eine solche empirische Prüfung kann - da der phänomenale Stimulus, wie wir feststellten, niemals direkt gegeben ist - nur dadurch geschehen, dass man sich bemüht, alle übrigen Determinanten des Äußerungsresponse zu kontrollieren und dann die Veränderung des Äußerungsresponse bei bestimmten Veränderungen der objektiv-me trischen Stimuluskonstellation zu beobachten. Das bedeutet aber, dass phänomenale Stimulusvariablen wie der Widerständigkeitsgrad nicht lediglich durch einfache B erücksichtigung der objektiv-metrischen Sti mulusbeschaffenheit bestimmt werden können, sondern dass in unab hangigem Ansatz auf bedingungsanalytischem Wege Annahmen über die Eigenart des zugeordneten phänomenalen Stimulus empirisch ge prüft werden müssen. Wenn man diese Überlegungen berücksichtigt, verliert eine Polemik, wie sie Sodhi ( 1 953) gegen die Pionierexperimente von Sherif ( 1 935) geführt hat, viel von ihrer B edeutung. Sodhi machte Sherif den Vor wurf, dass - da er als Stimulussituation den autokinetischen Effekt, also eine >>Scheinbewegung« bei objektiv ruhendem Stimulus benutzt habe - über die Sachgerechtheit der Beobachterurteile hier keine Aus sagen gemacht werden können, womit eine künstliche, lebensfremde Situation geschaffen sei. (Eine ähnliche Argumentation findet sich auch schon bei Luchin 1 945, der bestimmte Hinweise Max Wertheimers auf greift.) Sodhi dagegen ließ seine Vpn Punktmengen schätzen und be nutzte die objektive Punktanzahl als Maßstab für die Sachgerechtheit der Urteile. Der von uns dargestellten Auffassung nach hätte Sodhi als B ezugsgröße für die von ihm erhobenen Urteile nicht die objektive Punktmenge nehmen dürfen, da ja kein einfaches Abbildungsverhältnis zwischen objektiv-metrischem und phänomenalem Stimulus anzuneh men ist. Er hätte vielmehr die geschätzte Punktanzahl unter >>autoch thonen«, also allein stimulusabhängigen Wahrnehmungsverhältnis sen bestimmen und als B ezugsgröße benutzen müssen. Eine analoge B estimmung wäre indessen auch bei Sherif möglich gewesen, indem er das Ausmaß der scheinbaren Punktbewegung unter autochthonen Wahrnehmungsbedingungen eruiert hätte (vgl. dazu Roh.i-er, Barron, Hoffmann & Swander 1 954 ) . Das ist bei Sherif nicht geschehen; aber auch Sodhi hat die entsprechenden Erhebungen unterlassen. Sodhis
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objektive Punktmengen können hier bestenfalls als ein Näherungswert zur Bestimmung der »Sachgerechtheit« der Urteile betrachtet werden. - Die Variable der »Sachgerechtheit«, also Veridikalität von Wahrneh mungsurteilen, ist zwar im Zusammenhang einer allgemeinen Wahr nehrnungstheorie relevant, hat aber unserer Konzeption nach für die Frage nach den Bedingungen des Gewichtung�prozesses bei verbaler sozialer Beeinflussung direkt keine Bedeutung. Die Annäherung eines Wahrnehmungsurteils an die objektiv-metrische Stimulussituation hat - wie wir meinen - ebenfalls den Charakter einer »Oberflächenvari ablen«. Der Grad der Annäherung des Urteils an den objektiven Sti mulus mag zwar auf irgendeine Weise mit dem Widerständigkeitsgrad der Stimulussituation zusammenhängen; präzise Vorhersagen über die Stimulusanteile beim Gewichtungsprozess lassen sich aber u. E. nur durch den Versuch einer Messung eben des Widerständigkeitsgrades selbst treffen. Alle uns bekannten einschlägigen Untersuchungen haben den Nach teil, dass die dabei verwendeten Stimulussituationen weitgehend ge mäß bestimmten Vorlieben oder auch »Einfällen« des Experimentators konzipiert wurden, ohne dass präzise empirische Angaben über den Widerständigkeitsgrad - oder eine äquivalente Variable - der Stimu luskonstellationen getroffen worden sind. Demnach mussten auch die Vorhersagen über den Grad des sozialen Einflusses unpräzise bleiben, da ja eine relevante Dimension des Gewichtungsprozesses nicht genau erfasst wurde. - Eine wesentliche Aufgabe der zukünftigen Forschung muss hier darin bestehen, zu eindeutigen Operationalisierungen und möglichst genauen Messungen des Widerständigkeitsgrades der Sti mulussituation in ihren verschiedenen Spezifikationen zu kommen. Zu denken wäre dabei an - stets unter Kontrolle der übrigen Urteils determinanten vorzunehmende - Messungen von Erkennungszeiten, stereoskopische Messungen der Resistenz gegen Gestaltzerfall, aktu algenetische Analysen, Messungen der Resistenz gegen eingeführte Wahrnehrnungssets, Messungen der Verwechslungshäufigkeit von Wahrnehmungsitems; bei gedanklichen Problemen als Stimulussitua tionen könnte man etwa auch an Bestimmungen des Schwierigkeits grades, wie sie in der diagnostischen ltemanalyse üblich sind, denken. Man wird beträchtlich Mühe aufwenden müssen, ehe man hier zur Entwicklung von brauchbaren Messverfahren kommt. Solange man indessen über solche Messverfahren nicht verfügt und es weiterhin un terlässt, den Widerständigkeitsgrad der Stimulussituation angemessen zu erfassen, wird man kaum hoffen dürfen, zu empirisch begründbaren Annahmen über das Ausmaß des sozialen Einflusses und halbwegs konsistenten experimentellen Befunden zu kommen.
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344 3. 2. 1 . 3
Zur Umgebungsrepräsentanz der Stimulussituation
Abschließend wollen wir noch einige Bemerkungen über das Problem der >>Umgebungsrepräsentanz<< (vgl. Holzkamp 1 9 64, S. 1 1 9ff. [2005, S. 1 46ff.]) der Stimulussituationen in den hier zu erörternden Unter suchungen machen. Sofern unsere Auffassung angemessen ist, dass der Widerständigkeitsgrad der Stimulussituation in den von uns diskutier ten Konstellationen des sozialen Einflusses die allein relevante Stimu lusvariable ist, hängt die Repräsentanz der in die Anordnungen einge führten experimentellen Umgebung für in den theoretischen Ansätzen gemeinte außerexperimentelle Umgebungsausschnitte allein davon ab, wie groß der >>Abstand<< zwischen experimenteller und außerex perimenteller >>Umgebung« auf der Dimension des Widerständig keitsgrades ist. Wenn man mithin hinsichtlich der Stimulussituation theoretisch möglichst aussagekräftige experimentelle Anordnungen schaffen will, so muss man zunächst Angaben über den Widerstän digkeitsgrad des Orientierungsfeldes in den in der Theorie gemeinten >>typischen<< Situationen der sozialen B eeinflussung formulieren und dann im Experiment einen möglichst ähnlichen Widerständigkeitsgrad der Stimulussituation herzustellen bemüht sein. Dazu ist natürlich er forderlich, dass man in der Lage ist, den Widerständigkeitsgrad von Stimulussituationen zu messen. Solange das nicht geschieht oder nicht geschehen kann, sind über die theoretische Umgebungsrepräsentanz der einschlägigen Experimente keine zuverlässigen Angaben möglich. - Immerhin wird man jetzt schon feststellen dürfen, dass - von Aus nahmen abgesehen (so etwa Asch 1 956) - der Widerständigkeitsgrad der eingeführten Stimulussituationen meist als sehr gering zu beurtei len ist. Das bedeutet zwar, dass man hier ziemlich leicht zu »positiven<< empirischen B efunden über das Vorliegen von sozialem Einfluss kommt, da Stimulussituationen von geringem Widerständigkeitsgrad ja auch ein geringes Gewicht in dem genannt en Gewichtungsprozess zukommt, so dass schon ein relativ geringes Gewicht der Modellsi tuation zu Urteilsänderungen führen muss. Dafür muss man aber in Kauf nehmen, dass die gewonnenen Resultate, wie »positiv<< sie auch immer sein mögen, nur für ganz bestimmte Orientierungsfelder mit geringer Widerständigkeit, die für weite Bereiche des sozialen Ein flusses nicht typisch sind, Aussagekraft haben. - B ei fortschreitender Entwicklung der Theorienbildung wird man allmählich zu Annahmen kommen müssen, die sich nicht nur auf einen begrenzten, mehr oder weniger geringen bzw. hohen Widerständigkeitsgrad von Orientie rungsfeldern beziehen, sondern in denen Annahmen über das Kova riieren der Dimension des Widerständigkeitsgrades mit dem Einfluss der Modellsituation auf den Äußerungsresponse (unter sonst gleichen
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Bedingungen) formuliert und empirisch geprüft werden. Ob man da bei eine einfache lineare (gegensinnige) Mirveränderung ansetzen darf oder ob man andere Formen des Kovariierens annehmen muss, wird sich zu erweisen haben. 3.2. 2
Beeinflussungsbedingungen in der Modellsituation
Nachdem wir das Problem erörtert haben, von welchen Dimensionen an der unabhängigen Stimulussituation S. das Gewicht abhängt, das der Stimulussituation bei dem Gewichtungsprozess zukommt, be sprechen wir j etzt die zweite für den Gewichtungsprozess relevante Umwelrvariable: Wir diskutieren die Frage, wovon es abhängt, welches Gewicht der Modellsituation, genauer, den auf den gleichen Stimulus bezogenen verbalen Responses von Modellen, wie sie dem B eobach ter gegeben sind SR(M) bei dem Gewichtungsprozess beigemessen wird (vergleiche dazu unser Schema auf S. 332). Wir haben zu der Frage, wie man die Funktion des wahrgenom menen Modells im sozialen B eeinflussungsprozess näher zu bestim men habe, bereits in unseren früheren Ausführungen über nichtverba len sozialen Einfluss eingehendere Überlegungen angestellt. Die dort getroffenen Feststellungen lassen sich auch auf den Fall der verbalen sozialen Beeinflussung anwenden, mit dem Unterschied, dass jetzt die verbalen Äußerungen des Modells als Beeinflussungsbedingungen zu berücksichtigen sind. Wir befinden uns auch hier im Gebiet der »Per sonwahrnehmung«, und wir werden auch hier generell annehmen kön nen, dass das Gewicht der Modellsituation im Gewichtungsprozess von Attributionsvorgängen auf Grund wahrgenommenen Modellver haltens und wahrgenommener Modelleigenart abhängt. Im Ganzen wird uns dabei die Isolation der autochthonen Wahrnehmungsdeter minanten von personalen, subj ektiven Wahrnehmungsbedingungen weniger leicht gelingen als im vorigen Abschnitt über das Gewicht der unabhängigen Stimulussituation. Wir werden vielmehr einige Ge sichtspunkte vorwegnehmen müssen, die erst im nächsten Abschnitt über die beim Subjekt liegenden Bedingungen des Gewichtungspro zesses im Mittelpunkt der Betrachtung stehen sollen. Da wir in diesem Teil unserer Abhandlung - aus früher dargelegten Gründen - auf die Darstellung von Einzelheiten der vorliegenden For schungsbefunde verzichten können, wollen wir auch hier versuchen, aus der Vielzahl der vorliegenden Ansätze und Befunde (vgl. dazu Blake & Mouton 1 96 1 ; Bass 1 961; Campbell 1 96 1 ) die für den Gewich tungsprozess wesentlichen Dimensionen zu abstrahieren. Wenn man - etwa in Anlehnung an Jackson und Saltzstein ( 1 956; 1 958) - davon ausgeht, dass das Modell für den B eobachter im sozialen
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Beeinflussungsprozess zweierlei Funktion haben kann, nämlich die kognitive Funktion der Orientierungshilfe und die s oziale Funktion der Förderung des Akzeptiertwerdens durch die Gruppe, der Förde rung des B eobachterbeitrages zur Erreichung eines Gruppenziels etc., so lassen sich daraus theoretisch zwei für den Gewichtungsprozess re levante Dimensionen der Modellsituation herleiten, und zwar die Di mension des attribuierten Kompetenzgrades des Modells und die Di mension des attribuierten Grades der sozialen Machtfunktion (>>social p ower«) des Modells. Wir sind der Auffassung, dass sich alle Variablen der Modellsituation, die in den vorliegenden Untersuchungen als rele vant für den Beeinflussungsprozess angegeben worden sind, auf diese beiden Dimensionen zurückführen lassen. 3.2. 2. 1
Kompetenz des Modells
Wie wir früher feststellten, kann man die Berücksichtigung von Mo dellresponses durch den B eobachter b ei dessen Orientierungsbemühen als den Versuch einer Verwertung der >>Erfahrungen«, >>Leistungen« etc. des Modells zur Verbesserung der eigenen Orientierungsleistung des B eobachters interpretieren. Das Gewicht, das der Beobachter bei seiner Orientierungsbemühung der modellvermittelten Information beimisst, wird nun davon abhängen, wieweit der B eobachter dem Mo dell die >>Fähigkeit«, angemessene einschlägige Orientierungsleistungen zu vollziehen, » Zutraut«. Dieser Grad des Vertrauens des Beobachters in die (auf die unabhängige Stimulussituation bezogenen) kognitiven Leistungsmöglichkeiten des Modells wird von uns als attribuierter Kompetenzgrad des Modells bezeichnet (vgl. dazu White 1 959). Unter den Verhaltensvariablen des Modells, von denen die Attribu tion eines mehr oder weniger hohen Kompetenzgrades abhängt, ist der Grad des vom B eobachter wahrgenommenen >>Erfolges« des Modells hinsichdich der jeweils zur Frage stehenden kognitiven Leistung beson ders bedeutsam (vgl. dazu Rosenbaum & Tucker 1 960, und Chalmers, Horne & Rosenbaum 1 963). Der Beobachter wird dem Modell einen umso höheren Grad an Kompetenz attribuieren, je größer in der Sicht des Beobachters die Leistung des Modells in der auch vom B eobachter zu vollziehenden Orientierungsaufgabe bei früheren Versuchen war (vgl. Hollancier 1 960, und Smith 1961). - Aber auch, wenn dem Beobachter direkte Informationen über die einschlägigen kognitiven Leistungen des Modells nicht zur Verfügung stehen, ist - auf Grund von anderen Verhaltensmerkmalen - eine Kompetenzattribution möglich. So kann der Grad der vom B eobachter wahrgenommenen Urteilssicherheit des Modells u. U. bei der Attribution des Kompetenzgrades bedeutsam sein (vgl. Sodhi 1 953 ) Auch Spezifikationen von generalisierten Annahmen .
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des Beobachters über die allgemeine >>Intelligenz«, >>Begabung«, »Tüch tigkeit« etc. des Modells mögen den Grad der attribuierten Kompetenz des Modells für die jeweils geforderte kognitive Aufgabe modifizieren. 3. 2. 2.2
Social power des Modells (coercion p., reward p.)
Der Grad der Machtfunktion des Modells als die zweite von uns beim hier diskutierten Gewichtungsprozess als relevant betrachtete Dimen sion kann in eine Reihe von Unterdimensionen aufgegliedert werden (vgl. French & Raven 1 959). Wenn die Machtfunktion z. B. den Cha rakter der Druckfunktion (>>coercion power«) hat, so können etwa wahrgenommene Statusdifferenzen zwischen Beobachter und Modell, Führerfunktionen des Modells etc. die Basis für eine Attribution der entsprechenden Machtfunktion sein, wodurch das Gewicht der Mo dellsituation beim Zustandekommen des Äußerungsresponse mo difiziert wird (vgl. etwa Cole 1 955; Mausner & Bloch 1 957; Burdick, Ekartsberg & Ono 1 959, sowie French, Morrison & Levinger 1 960). Sofern die Machtfunktion mehr die Form einer Belohnungsfunktion (>>reward power«) hat, kann mit erhöhtem Grad der vom Beobach ter wahrgenommenen Attraktivität des Modells sich die attribuierte Machtfunktion des Modells erhöhen (vgl. Gerard 1 954) Eine Vielzahl von B efunden, etwa über die Bedeutung von Geschlechtsunterschie den, Altersunterschieden, Unterschieden der Rollenfunktion etc., für das Ausmaß des sozialen Einflusses lassen sich mit der Dimension der sozialen Machtfunktion in Beziehung bringen (vgl. dazu die Zusam menstellungen von Blake & Mouton 1 9 6 1 , und von Bass 1 96 1 ). Da der Grad der attribuierten Kompetenz bzw. Machtfunktion nicht mit Eindeutigkeit aus den zugrundeliegenden Verhaltensvariablen des Modells zu bestimmen ist, reicht es nicht hin, wenn man lediglich diese Verhaltensvariablen zur Gewinnung empirischer Daten über das Ge wicht der Modellsituation heranzieht. Man muss vielmehr den Grad der jeweils dem Modell attribuierten Kompetenz bzw. Machtfunktion direkt messen, damit dieses Moment des Gewichtungsprozesses auf befriedigende Weise berücksichtigt werden kann. Eine solche Messung macht, bei Konstruktion entsprechender Skalen, keine größeren Schwie rigkeiten. Auch hier muss man sich darum bemühen, die Verwechslung zwischen bestimmten Oberflächenvariablen, die mit den relevanten Va riablen mehr oder weniger eng zusammenhängen, mit diesen relevanten Variablen selbst zu vermeiden, damit eine zureichende Präzision bei der Bedingungsanalyse des Beeinflussungsprozesses erreicht werden kann. Bei der empirischen Bestimmung des Gewichtes der Modellsitua tion - einerlei, ob hinsichdich der Kompetenz- oder hinsichdich der Machtdimension - ist der >>Realitätsgrad«, in dem die Modellsituation .
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dem Beobachter gegeben ist, zu berücksichtigen. Bei Anwendung der sogenannten »Asch-Technik« (vgl. Asch, etwa 1 956) z. B. wer den den Beobachtern reale Personen als Modelle dargeboten, die nach bestimmten Vorinstruktionen ihre Urteile abgeben, wobei der Beob achter glaubt, es mit >>echten<< Mitversuchspersonen zu tun zu haben. Bei Benutzung der sog. >>Crutchfield-Technik<< (vgl. Crutchfield, etwa 1 954) sitzen die Beobachter in Isolier-Boxen, und die vermeintlichen Informationen über die Modellreaktionen erscheinen als bestimmte, in Wirklichkeit vom Versuchsleiter manipulierte Signale. Die Crutchfield Technik hat den Vorzug besserer Kontrollierbarkeit der Versuchsbe dingungen für sich. Die Asch-Technik dagegen hat den Vorzug des hö heren >>Realitätsgrades<< der Modellsituation. Es hat sich gezeigt, dass das Gewicht der Modellsituation bei Verwendung der Asch-Technik im Allgemeinen größer ist als bei Verwendung der Crutchfield-Technik (vgl. Deutsch &. Gerard 1 955, sowie Levy 1 960). Der Realitätsgrad der dargebotenen Modellsituation muss also offenbar bei der Gewichtsbe stimmung als eine Art von Konstante in Rechnung gestellt werden. Wir sind bei unseren bisherigen Überlegungen stets davon ausge gangen, dass die Modellsituation, die mit einem bestimmten Gewicht in den Gewichtungsprozess eingeht, lediglich aus einem einzigen Mo dell besteht. Dabei handelte es sich um eine Vereinfachung aus darstel lungstechnischen Gründen. - Eine Reduzierung der Betrachtung auf je ein Modell ist schon aus Repräsentanzrücksichten unzweckmäßig: In den außerexperimentellen Situationen der sozialen Beeinflussung, auf die sich die theoretischen Feststellungen beziehen, muss das Gegeben sein von mehreren Modellen als Momenten des Gewichtungsprozesses als ein relevanter »typischer<< Fall angesehen werden. In der Tat wer den in vielen der hier einschlägigen Experimente mehrere Personen als Modell in die Versuchsanordnung eingeführt. 3. 2.2.3
Anzahl der Modelle
Nun sind alle Konzeptionen, in denen von einer Reziprozität der Beob achter-Modell-Beziehungen in kleinen Gruppen ausgegangen wird und in denen demgemäß Dimensionen, die sich auf die Gruppe als Ganzes beziehen, in ihrer Bedeutsamkeit für Gruppenprozesse untersucht wur den, von unserer Themenstellung her von uns zu vernachlässigen. Solche Dimensionen sind etwa »Gruppenkohäsion<< (vgl. z. B. Kelley & Shapiro 1 954; Thibaut & Strickland 1 956; Berkowitz 1 957; Jackson & Saltzstein 1 958, u. v. a.), auch der »Gruppendruck<< in Richtung auf Konformität aller Mitglieder (vgl. Blake, Mouton & Olmstead 1 956; Jones, Wells & Torrey 195 8, u. a.) etc. Auf Grund der durch das Thema dieser Abhand lung gebotenen »individuumzentrierten<< Betrachtungsweise (vgl. S. 306)
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haben wir lediglich danach zu fragen, wie man sich die Modifikation des Gewichtungsprozesses durch die Anwesenheit mehrerer Modelle bei einem je individuellen Beobachter vorzustellen habe. Eine naheliegende Annahme besteht darin, dass die Gewichte, die den einzelnen Modellen im sozialen Beeinflussungsprozess zukommen, sich mit wachsender Modellanzahl auf irgendeine Weise kumulieren. Es hat sich jedoch erwiesen, dass man diese Kumulation keinesfalls als einen ein fachen Summationsvorgang auffassen darf. In vielen zu diesem Problem beigebrachten experimentellen Befunden zeigte sich, dass eine Verstär kung des Gewichtes der Modellsituation durch Vermehrung der Model lanzahl nur bis zu einer Zahl von drei in die experimentelle Anordnung eingeführten Modellen zu konstatieren war, wobei selbst dieser Effekt gelegentlich ausblieb (vgl. dazu Asch 1951; Sehroder & Hunt 1 958; Ziller & Bebringer 1 95 8, u. v. a. ). Nur vereinzelt konnte man ein Maximum des sozialen Einflusses bei Anwesenheit von fünf oder sechs Modellen fest stellen (Frye & Stritch 1 961). Eine Erhöhung der Modellanzahl darüber hinaus erwies sich aber durchgehend als völlig ineffektiv. Wir haben auch in diesem Zusammenhang Veranlassung, die Modell anzahl als Merkmal der »objektiven« Stimulussituation als Oberflä chenvariable zu betrachten. Mit dem bloßen Auszählen von Modellen dürfte man kaum die tatsächlich für den Gewichtungsprozess rele vanten Momente zureichend erfassen können. Man muss vielmehr die kognitive Aktivität des Individuums bei der Gewichtung des Einflusses der verschiedenen Modelle in Rechnung stellen. Dabei wird man auch hier von der Annahme ausgehen können, dass die Dimensionen der attribuierten Modellkompetenz und der attribuierten Machtfunktion der Modelle die relevanten Variablen sind. Es erscheint uns zweckmäßig, die beiden genannten Dimensionen getrennt zu betrachten, was in den einschlägigen Untersuchungen nicht geschehen ist. - Sofern die Modellsituation als Orientierungshilfe be nutzt werden soll, also die Kompetenzdimension in den Gewichrungs prozess eingeht, halten wir die Annahme für berechtigt, dass - wenn der Beobachter keine besonderen Auswahlprinzipien bei der Einfüh rung der Modelle vermuten muss - die vom Beobachter angesetzte subjektive Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Modelle >>sich irren«, >>unfähig sind« etc., von einem Modell zu zwei oder drei Modellen radikal abnimmt: Dass ein anderer Mensch bei der Beurteilung eines Sachverhaltes oder der Lösung einer Aufgabe versagt, ist unter inter pretierendem Rückgriff auf die Unfähigkeit dieses einen Menschen hinsichtlich der jeweils geforderten Leistung zum mindesten als mög lich anzusehen. Dass aber zwei oder drei Menschen bei der gestellten Aufgabe gleichermaßen versagen, wird vermutlich als erheblich un wahrscheinlicher angesehen werden, da die Interpretation, dass hier ein
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>>zufälliges« Zusammentreffen gleichermaßen Unfähiger vorliegt, von der Sicht des Beobachters aus normalerweise als recht wenig glaubwür dig erscheinen mag. Dadurch würde es sich verstehen, dass eine wei tere Vermehrung der Modellanzahl in diesem Zusammenhang keinen zusätzlichen Effekt hat, und zwar deswegen, weil die vom Beobachter angenommene subjektive Wahrscheinlichkeit des »Irrtums« oder >>Ver sagens« der Modelle schon bei Darbietung von zwei oder drei Model len ein Minimum erreicht haben dürfte. - Anders mag die Problemlage sein, wenn man nicht auf die attribuierte Kompetenz, sondern auf die attribuierte soziale Machtfunktion der Modelle gerichtet ist. Da der Be obachter in seinem Streben, sozial akzeptiert zu werden, um so stärker beeinträchtigt sein dürfte, je mehr andere Menschen ihn, den Beobach ter, als >>Versager« o. Ä. bei der Bewältigung einer Aufgabe betrachten, könnte man hier die Annahme formulieren, dass - unter sonst gleichen Bedingungen - ein Kumulieren der Gewichte der Modelle bis zu einer größeren, über zwei oder drei hinausgehenden, Modellanzahl auftritt. Auch hier dürfte allerdings irgendwo ein Maximum des Gewichtes der Modellsituation erreicht sein, und zwar schon deswegen, weil nur eine begrenzte Anzahl von anderen Individuen in ihrem Einfluss simultan für den Beobachter effektiv werden kann (vgl. dazu Holzkamp 1 963). Der hier angesprochene Kumulationsprozess dürfte - all gemein gese hen - kaum linearer Natur sein. Es wären noch genauere Vorstellungen über den Charakter dieses Prozesses zu konzipieren. - Die damit ent wickelten Überlegungen müssten natürlich durch entsprechende empi rische Untersuchungen auf ihre Brauchbarkeit hin geprüft werden. 3.2.2.4
Verschiedene Modelle mit verschiedenen Urteilen
Bisher sind wir davon ausgegangen, dass die vom Beobachter wahrge nommenen Responses der verschiedenen Modelle in der Modellsitua tion unter sich übereinstimmen und dass lediglich der Beobachter einen von den Urteilen der Modelle abweichenden verborgenen Re sponse r1 (B) vollzieht. Komplizierter ist die Problemlage dann, wenn die verschiedenen Modelle in sich uneinheitliche Responses abgeben. In einer Reihe von Untersuchungen hat sich herausgestellt, dass die (manipulierte) Uneinigkeit der Modelle das Gewicht der Modellsitu ation im Gewichtungsprozess radikal reduziert, wobei auch der Be fund eingebracht wurde, dass, sofern nur ein einziges Modell gegeben ist, dessen Response sich in Übereinstimmung mit dem unabhängigen, direkt stimulusbezogenen Response des Beobachters befindet, den ab weichenden Urteilen der übrigen Modelle kein Gewicht ader doch nur ein geringes Gewicht zukommt (vgl. etwa Asch 1 956; Mouton, Blake & Olmstead 1 956; Hardy 1 957). Auch hier ist eine genaue Analyse der
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Aktivität des Individuums bei der Berücksichtigung der (in diesem Falle einander widerstreitenden) Modellurteile nötig. Im Ganzen wird man mindestens zwei Stadien des Prozesses der Ge wichtung der vervielfältigten Modellsituation unterscheiden müssen: Im ersten Stadium wird jedes Modell gemäß den genannten relevanten Di mensionen für sich gewichtet. Im zweiten Stadium kommt durch Kom bination dieser Gewichtungen ein Gesamtgewicht der Modellsituation zustande, wobei der Beobachter sich bemüht, durch interpretative ko gnitive Akte die Diskrepanzen zwischen den Modellurteilen subjektiv zu reduzieren oder zu »verstehen<<. - Wir kommen noch darauf zurück. Auch im Blick auf die Modellsituation ist die Frage nach der Reprä sentanz der experimentell gegebenen Gewichtungen für die entspre chenden Gewichtungen innerhalb der in der Theorie gemeinten außer experimentellen sozialen Beeinflussungssituationen zu stellen. Auch hier bemisst sich die Repräsentanz und damit theoretische Aussagekraft der experimentellen Befunde nach dem >>Abstand<<, der auf den relevanten Dimensionen zwischen den im Experiment erhaltenen Gewichtungen und den in den außerexperimentellen Situationen angesetzten Gewich tungen besteht. Wir wollen in diesem Zusammenhang auf Einzelerörte rungen verzichten und lediglich feststellen, dass, sofern man Aussagen über massive und existentiell bedeutsame Beeinflussungsprozesse in der Alltagsrealität anstrebt, die >>optimale Repräsentanz<< jedes möglichen Befundes (vgl. Holzkamp 1 964, S. 1 39ff. [2005, S. 1 67ff.]) oft recht ge ring sein dürfte, weil die in langerstreckten, lebensbedeutsamen sozialen Konstellationen anzusetzenden hohen Kompetenzgrade bzw. Grade der Machtfunktion der Modelle in den mehr passageren und aus dem realen Lebensbezug ausgeklammerten experimentellen Konstellationen häufig kaum erreichbar sein werden. Es erscheint nach unseren früheren Darlegungen fraglich, ob es berechtigt ist, in solchen Fällen von der ex perimentellen Konstellation auf die theoretisch gemeinte soziale Kon stellation einfach sozusagen >>linear<< zu generalisieren. 3.2.3
Beeinflussungsbedingungen beim Beobachter
Wir haben bei unseren bisherigen Überlegungen das Gewicht der un abhängigen Stimulussituation Su und das Gewicht der Modellsituation SR(M) für den Gewichtungsprozess, der zu dem Äußerungsresponse R (B) führt, berücksichtigt. Das Ergebnis des Gewichtungsprozesses ist aber nicht nur von den Gewichtungen abhängig, die im Zusammenhang mit bestimmten Stimulusdimensionen der beiden Umweltsituationen stehen. Wie wir schon feststellten, handelt es sich bei der isolierten B erücksichtigung der Stimulussituation um eine aus darstellungstech nischen Gründen erfolgte Abstraktion von den weiteren Bedingungen,
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die den Gewichtungsprozess modifizieren können. Bei den vorange gangenen Ausführungen war also stets die Einschränkung >>sofern alle übrigen Bedingungen gleich sind« mitzudenken. Die Bedingungen des Gewichtungsprozesses, die wir nun abzuhan deln haben werden, beziehen sich nicht auf Momente an den Stimu lussituationen, sondern auf Momente beim Beobachter. Dabei soll in diesem Abschnitt zunächst der mögliche Einfluss von Persönlichkeits variablen i. w. S., also von >>Dispositionen<<, durch die zeitlich relativ konsistente, für das je besondere Individuum charakteristische Verhal tens- und/oder Erlebenseigenarten des Beobachters bedingt sein sollen, auf den Gewichtungsprozess diskutiert werden (wobei die Begriffe >>Persönlichkeitsvariable<< und >>Disposition« als vom Forscher einge führte theoretische Konstrukte zur Erklärung der erwähnten Verhal tens- bzw. Erlebenseigenarten zu verstehen sind). Der Gewichtungs prozess wird von uns mithin jetzt unter differenziellpsychologischen Gesichtspunkten betrachtet. 3. 2.3. 1
Persönlichkeitsvariablen beim Beobachter
In den vorliegenden Untersuchungen zur Konformitätsforschung wurde eine Vielzahl von Persönlichkeitsmomenten genannt, die als un abhängige Variable mit der Konformitätsneigung des Individuums in Zusammenhang stehen sollen. Wir geben - absichtlich in bunter Reihen folge - eine Übersicht über die entsprechenden empirischen Befunde. Individuen z. B. mit folgenden Persönlichkeitsmerkmalen sollen ge mäß diesen Befunden eine vergleichsweise höhere Konformitätsneigung haben: Individuen, die von ihren Eltern streng, dominant, zurückwei send etc. erzogen worden sind; Individuen, die einen geringen Status haben bzw. sich einen geringen Status beimessen; Individuen, die ein geringes Selbstwertgefühl haben; Individuen mit geringem Leistungs streben; Individuen, die hohe Scores in Autoritarismus- und Ethno zentrismus-Skalen haben; Individuen, die wenig intelligent, originell, flüssig in ihren Denkabläufen sind; Frauen im Vergleich zu Männern; Normale im Vergleich zu Neurotischen; vom Wahrnehmungsfeld Ab hängige im Vergleich zu in dieser Hinsicht Unabhängigen; Individuen, die beim früheren Umgang mit der Aufgabe vergleichsweise weniger erfolgreich waren; Individuen mit vergleichsweise geringer Aufgaben orientiertheit und höherer Personorientiertheit; Individuen, die früher für ihre Konformität belohnt worden sind; Individuen, die vergleichs weise weniger Schlaf hatten; Individuen, die vorher für unrichtige Responses belohnt worden sind; Individuen mit Neigung zur >>social acquiescence<<, d. h. der Neigung, generalisierten Feststellungen über menschliche Eigenarten, etwa in Sprichwörtern, zuzustimmen; kon-
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ventionelle Individuen und solche, die extreme religiöse Haltungen haben, u. v. a. m. (vgl. dazu Blake & Mouton 1961, Bass 1961, Campbell 1 961, und Sundby 1 963). Wie ersichtlich, stammen die damit auszugsweise genannten Per sönlichkeitsvariabien aus den verschiedensten theoretischen Konzep tionen, haben einen sehr unterschiedlichen Allgemeinheitsgrad und differieren auch in ihrer Nähe zu unanalysierien Alltagstermini zur Charakterisierung von Personen. Die Bemühung, durch eingehende theoretische Analysen die relevanten Momente an den verschiedenen Variablen herauszuarbeiten, zu einer präzisen Systematisierung der Variablen zu kommen und schließlich eine integrierte übergreifende Konzeption zu entwickeln, wäre so aufwendig, dass sie hier von uns unmöglich geleistet werden kann. Uns bleibt nichts anderes übrig, als an dieser Stelle wenigstens gewisse vorläufige Reduktionen und Syste matisierungen anzustreben. Erhöhte Konformitätsneigung, d. h. eine relativ höhere Gewichtung der Modellsituation im Vergleich zur unabhängigen Stimulussituation (vgl. dazu unsere genaueren Ausführungen auf S. 345ff.) kann - un ter angenommenen gleichen >>autochthonen<< Gewichten der beiden Situationen - einmal dadurch zustande kommen, dass, im Zusam menhang mit bestimmten Persönlichkeitsvariablen, der unabhängigen Stimulussituation ein geringeres Gewicht beigemessen wird, und zum anderen dadurch, dass der Modellsituation bei angesetzter konstanter Gewichtung der unabhängigen Stimulussituation ein höheres Gewicht beigemessen wird. Man hätte also - was bisher weitgehend unterlassen wurde - danach zu fragen, welchen Persönlichkeitsvariablen man den Effekt einer Modifikation des Gewichtes der unabhängigen Stimulus situation und welchen Persönlichkeitsvariablen man den Effekt einer Modifikation des Gewichtes der Modellsituation beimessen will. Dar aus ergibt sich eine erste Ordnungsmöglichkeit. Persönlichkeitsmomente, die bei der Gewichtung der unabhängigen Stimulussituation eine Rolle spielen
3. 2.3. 1 . 1
Persönlichkeitsfaktoren, die - bei gleicher angesetzter Stimulusbeschaf fenheit - ein höheres bzw. geringeres Gewicht der unabhängigen Stimu lussituation bedingen, müssen gemäß unseren früheren Darlegungen (vgl. S. 345ff.) dazu führen, dass die erlebte Widerständigkeit der Stimu lussituation durch subjektive Momente erhöht bzw. verringert wird. Vielleicht könnte man in diesem Zusammenhang zwei Grunddimen sionen ansetzen, und zwar die Dimension der von subjektiven Fak toren abhängigen Modifikation der Stimulusvalenz und die Dimension der von subjektiven Faktoren abhängigen Modifikation der Klarheit
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der Auffassung der in der Stimulussituation mitgegebenen gedank lichen Strukturen, wobei sich die erste Dimension mehr auf den von der Eindeutigkeit des Umweltaufschlusses abhängigen Widerständig keitsgrad und die zweite Dimension mehr auf den von der Eindeu tigkeit der Erfassung der gedanklichen Relationen abhängigen Wider ständigkeitsgrad beziehen würde. 3. 2.3. 1. 1. 1
Modifikation der Stimulusvalenz
Erhöhte Stimulusvalenz bedeutet verstärkte Akzentuierung der Stimu lussituation und damit erhöhten Widerständigkeitsgrad (vgl. dazu un sere Ausführungen auf S. 340ff.). Valenzerhöhungen dieser Art können etwa durch vorangehenden Erfolg bei Bearbeitung der gleichen Auf gabe (vgl. Blake, Helson & Mouton 1 956; Harvey & Rutherford 1958; Sehroder & Hunt 1 958, u. a.) bedingt sein. Ebenso mag erhöhte Aufga benorientiertheit zur Valenzerhöhung der Stimulussituation führen (vgl. etwa Thibaut & Strickland 1 956, und McDavid 1 959), wobei sich der Umstand, dass Frauen relativ stärker durch die Modellsituation zu be einflussen sind, auf die Variable der Aufgabenorientiertheit reduzieren lassen mag (vgl. dazu Bass 1 961, S. 43f.). Auch erhöhtes Leistungsstreben mag die Stimulusvalenz erhöhen (vgl. Samelson 1 957, und Krebs 1 958). Umgekehrt mag etwa vor Einführung der Modellsituation experimen tell erzeugte Angst (vgl. Sherif & Harvey 1 952) die Stimulusvalenz und damit den Widerständigkeitsgrad der Stimulussituation reduzieren. Die Annahme, dass sich die genannten und noch andere Variablen auf die Stimulusvalenz als relevante Dimensionen reduzieren lassen, müsste na türlich empirisch geprüft werden, erscheint uns aber theoretisch durch aus sinnvoll. Falls eine derartige empirische Prüfung positive Resultate erbringt, hätte man hier eine Dimension isoliert, die tatsächlich einen direkten Einfluss auf den Gewichtungsprozess haben kann, während es keinesfalls klar ist, wie man sich den Einfluss der anderen Variablen, die dann als Oberflächenvariablen zu betrachten wären, vorzustellen hat.
Modifikation der Klarheit der Auffassung der in der Situation mitgegebenen gedanklichen Strukturen
3. 2.3. 1 . 1 . 2
Die zweite der von uns als mögliche Determinante des Widerstän digkeitsgrades der Stimulussituation eingeführten Dimensionen, der subj ektabhängige Eindeutigkeitsgrad der im Stimulus gegebenen ge danklichen Strukturen, könnte als das für den Gewichtungsprozess relevante Moment an einer Reihe von anderen der genannten Variablen betrachtet werden. Bei den Variablen der Intelligenz (vgl. Nakamura 1 958), der Originalität (vgl. Barron 1 955), auch der niedrigen Werte
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in einer Simplizitäts-Komplexitäts-Skala (vgl. Barron 1 952) ist dieser mögliche Zusammenhang wohl recht einleuchtend. Aber auch Mo mente wie Müdigkeit (vgl. Fisher & Rubinstein 1 956), Feldabhängig keit (vgl. Weiner, Carpenter & Carpenter 1 956, und Jacubczak & Wal ters 1 958) usw. mögen in diesem Zusammenhang bedeutsam sein. Falls sich unsere Konzeption empirisch bewährt, bestünde auch hier die Möglichkeit, eine Reihe zunächst als verschied enartig erscheinender Variablen auf eine relevante Dimension zurückzuführen. 3. 2.3. 1 . 2
Persönlichkeitsmomente, die bei der Gewichtung der Modellsituation eine Rolle spielen
Damit haben wir mögliche personale Faktoren der Gewichtsänderung der unabhängigen Stimulussituation besprochen. Jetzt ist zu diskutie ren, welche Persönlichkeitsvariablen man mit subjektiv bedingten Ge wichtsänderungen der Modellsituation innerhalb des vom Beobachter vollzogenen Gewichtungsprozesses in Zusammenhang zu bringen hat. Wir bemühen uns auch an dieser Stelle, die Vielzahl der hier benann ten Variablen auf wenige relevante Dimensionen zurückzuführen und beziehen uns dabei ebenfalls auf die früher eingeführten autochtho nen Dimensionen der Stimulussituation, hier der Modellsituation, und zwar die attribuierte Kompetenz und die attribuierte soziale Macht funktion des Modells. Unter Umständen kommt man auch in diesem Zusammenhang mit dem Ansetzen von zwei personabhängigen re levanten Dimensionen aus, und zwar dem vom Beobachter erlebten Kompetenzgefälle zwischen Modellsituation und Beobachter und dem vom Beobachter erlebten >>Macht«-Gefälle zwischen Modellsituation und Beobachter. Das Gewicht der Modellsituation im Gewichtungsprozess wird - bei angenommener gleicher stimulusbedingter Kompetenz der Mo dellsituation - als um so höher angesetzt werden dürfen, je geringer der Beobachter seine eigene Kompetenz hinsichtlich der zu bewältigenden Aufgabe einschätzt, je größer also das erlebte Kompetenzgefälle zwi schen Modellsituation und Beobachter ist. Der Grad der erlebten ei genen Kompetenz des Beobachters wird - wie der früher diskutierte Widerständigkeitsgrad der unabhängigen Stimulussituation - mit »Fä higkeiten« des Beobachters in Beziehung gebracht werden dürfen, im gegenwärtigen Fall jedoch nicht mit »objektiv« messbaren Fähigkeiten, wie sie etwa mit bestimmten Messverfahren eruiert werden können, sondern mit bestimmten Tendenzen des Beobachters zur geringeren oder höheren Selbsteinschätzung der eigenen einschlägigen »Fähig keiten<<. Man darf also hier nicht einfach irgendwelche Werte aus Leis tungsprüfungen etc. als unabhängige Variable einsetzen, sondern muss
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das Selbstbild des Beobachters hinsichtlich der jeweils verlangten Leis tungen zu erfassen versuchen. Untersuchungen, in denen eine streng aufgabenspezifische Erfassung der Leistungseinschätzung des Beob achters unternommen wurde, sind uns nicht bekannt. Befunde über die Beziehung zwischen sozialer Beeinflussbarkeit und generalisierten >>Fähigkeits«-Einschätzungen der Beobachter können dagegen von uns angeführt werden. So kamen Bray ( 1 950) und Kelman (1950) zu dem Resultat, dass Individuen mit niedrigem Selbstvertrauen in stärkerem Maße sozialen Einflüssen unterliegen. Zu den gleichen Ergebnissen - mit teilweise etwas anders definierten unabhängigen Variablen - ka men z. B. Hochbaum (1954), Wiener (1 956 ) , Kelley und Lamb (1 957), League und Jackson (1 964) sowie MacBride und Tuddenham (1 965). Mit einiger Vorsicht darf man hier vielleicht auch die früher erwähnten Untersuchungen, in denen objektive Leistungsmessungen vorgenom men wurden, heranziehen, sofern man die Annahme für berechtigt hält, dass die objektiven Fähigkeiten sich hinreichend in den entsprechenden Selbsteinschätzungen niederschlagen. Resultate aus derartigen Unter suchungen sind aber bestenfalls als vorläufige Hinweise zu betrachten, solange, bis Experimente, in denen direkt erfasste >>Fähigkeits«-Ein schätzungen der Individuen vorliegen, zur Verfügung stehen. Weiter wird man feststellen dürfen, dass das der Modellsituation vom Beobachter beigemessene Gewicht - unabhängig von den jewei ligen Stimulusgegebenheiten - mit dem erlebten Gefälle zwischen der wahrgenommenen sozialen Macht des Modells bzw. der Modelle und der wahrgenommenen eigenen sozialen Macht kovariiert. Man hätte also hier zu fragen, welche der in den vorliegenden Untersuchungen erfassten Persönlichkeitsvariablen sich auf dieses Moment der Tendenz zur Erhöhung oder Verringerung des erlebten Machtgefälles reduzie ren lassen. Dabei erscheint es zweckmäßig, die früher geschilderte Dif ferenzierung der Machtfunktion auch in diesem Zusammenhang her anzuziehen. Sofern man die Machtfunktion als Druckfunktion (>>coercion power<<) spezifiziert, lassen sich etwa folgende der untersuchten Per sönlichkeitsvariabien mehr oder weniger eindeutig auf die erwähnte Tendenz zur Erhöhung des erlebten Machtgefälles zwischen Modell situation und Beobachter zurückführen: Neigung zu unterwürfigem (>>submissive<<) Verhalten (vgl. etwa Berenda 1 950, und Beloff 1 958), die Neigung, in der Autoritarismus-Skala (vgl. Crutchfield 1 955; Hardy 1 957; Millon & Simkins 1 957; Weiner & McGinni es 1961, und Steiner & Johnson 1 963) und in der Ethnozentrismus-Skala (vgl. Nad ler 1 959) höhere Werte zu erbringen, die Neigung zu extremen religiös autoritativen Vorstellungen (vgl. Canning & Baker 1 959), die Neigung zu politischer Konventionalität (vgl. Beloff 1 958) u. Ä. m.
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Sofern man die Machtfunktion als Belohnungsfunktion (»reward power«) spezifiziert, können wieder andere der in den vorliegenden Untersuchungen eruierten Persönlichkeitsvariablen auf die erwähnte Tendenz zur Erhöhung des Machtgefälles zwischen Modellsituation und Beobachter reduziert werden: z. B. das Bedürfnis nach sozialem Fortkommen (>>social approval«; vgl. Moeller & Applezweig 1 957), er höhte Soziabilität (vgl. Tuddenham 1 958), die erlebte Attraktivität der Modelle und damit das Bedürfnis, einen positiven Beitrag zur Errei chung eines Gruppenziels zu geben (vgl. French 1 941; N ewcomb 1 943, und Jackson & Saltzstein 1 958) u. v. a. m. - Während also die Erhöhung des früher erwähnten Druckgefälles mit der Bereitschaft des Beobach ters zusammenhängt, die mögliche bestrafende Funktion des Modells oder der Modelle subjektiv zu verstärken, bedeutet die Erhöhung des Gefälles der Belohnungsfunktion eine Verstärkung der »Zugkraft« der Modellsituation, weil das Individuum danach strebt, durch Anglei chung an das Modellverhalten Belohnungen zu erreichen, die es mit lediglich vom unabhängigen Stimulus her bedingten Verhalten nicht erreichen kann. Auch die schon erwähnten Untersuchungen über die Beziehungen zwischen bestimmten Charakteristika des Erziehungsverhaltens der Eltern und Neigung zu sozialer Beeinflussbarkeit (vgl. dazu etwa Krebs 1 958; Mussen & Kagan 1 958; Champney 1 94 1 ) lassen sich in den gegenwärtigen Zusammenhang einordnen. Es hat sich bei vielen Untersuchungen innerhalb der Autoritarismusforschung gezeigt, dass dominierendes, bestrafendes, restriktives Elternverhalten zu verstärk ter autoritativer Haltung bei den Kindem führt, so dass u. U. die ent sprechenden Befunde mit der Modifikation des Druckgefälles zwi schen Beobachter und Modellsituation in Beziehung gebracht werden könnten. Es ist aber auch als möglich zu betrachten, dass die Annahme eines Zusammenhanges zwischen dem erwähnten Elternverhalten und dem Bedürfnis, sozial akzeptiert zu werden, besteht, so dass mögli cherweise in manchen Fällen auch eine Beziehung zur Erhöhung des »Belohnungs«-Gefälles zwischen Beobachter und Modellsituation herstellbar sein dürfte. Damit sind wir am Ende unseres Versuchs, die in den vorliegenden Untersuchungen genannten Persönlichkeitsvariablen, mit denen das »Konformitäts«-Verhalten des Individuums in Zusammenhang stehen soll, auf wenige relevante Dimensionen zu reduzieren. Falls man den Versuch machen wollte, solche der bisher eingeführten Persönlich keitsvariablen, die wir nicht erwähnten, ebenfalls auf unsere Grund dimensionen zurückzuführen, so würde man feststellen, dass das in manchen Fällen ohne weiteres gelingt, dass jedoch in anderen Fällen mehr oder weniger große Schwierigkeiten auftreten. Wenn man zu voll
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befriedigenden Ergebnissen kommen will, sind die von uns benannten Dimensionen sicher in mancher Hinsicht umzudefinieren, vielleicht auch durch andere zu ergänzen. Das Ziel unserer Analysen war, wie wir schon erwähnten, nicht, an dieser Stelle schon gültige Reduktions resultate vorzulegen, sondern mehr exemplarisch auf die Notwendig keit einer Reduktion der Variablen in dem zur Frage stehenden Gebiet überhaupt hinzuweisen, damit das bunte Durcheinander der bisher an gebotenen zum großen Teil inkommensurablen Persönlichkeitseigen arten, die den sozialen Einfluss modifizieren sollen, im Interesse einer geschlossenen und konsequenten Theorienbildung aufgearbeitet wer den kann. Das Prinzip einer solchen Aufarbeitung muss dabei - wie in allen analogen Fällen - der folgende Gesichtspunkt sein: Als Grunddi mensionen sind solche Variablen einzuführen, deren Einfluss auf die unabhängige Variable nicht als über mehrere empirisch nicht erfasste Zwischeninstanzen wirkend zu denken ist; solche »Überflächenvari ablen« haben notwendigerweise nur geringen Erklärungswert; man sollte vielmehr die Variablen als Grunddimensionen betrachten, deren Beziehung zur unabhängigen Variablen als möglichst direkt betrachtet werden kann, d. h. die tatsächlich als im Lebensraum des Individuums mit der unabhängigen Variablen interagierend anzusehen sind. 3.2. 4
Der Gewichtungsprozess und die Responsegewinnung
Wir haben bisher den Gewichtungsprozess, der zum Äußerungs response des Beobachters führen soll, in Hinsicht auf drei seiner De terminanten diskutiert: Das autochthone Gewicht der unabhängigen Stimulussituation, das autochthone Gewicht der Modellsituation und Persönlichkeitsvariablen, durch welche die Gewichtungen der unab hängigen Stimulussituation in der Modellsituation auf Grund sub jektiver Momente modifiziert werden können. Jetzt wollen wir den Gewichtungsprozess selbst in den Mittelpunkt unserer Betrachtung stellen, indem wir die Akte, die in ihn eingehen und die schließlich zum Äußerungsresponse führen, näher analysieren. In den Vor- und Frühphasen der einzelwissenschaftlichen Sozialfor schung wurde allgemein die Auffassung vertreten, dass das Individuum sozialem Einfluss auf sein Erleben und Verhalten passiv ausgeliefert ist, dass es diesem Einfluss automatisch und sozusagen »wehrlos« unterliegt. Charakteristisch sind in diesem Zusammenhang etwa die Konzeptionen der »Massenpsychologen<< Sighele ( 1 898) und Le Bon (1 895), von denen angenommen wurde, dass der Mensch unter dem Einfluss anderer Menschen seine individuelle Weise des Verhaltens und Erlebens einbüßt und in einer kollektiven >>Massenseele<< aufgeht. Sol che Thesen, und die damit verbundene >>kulturkritische« Attitüde, sind
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auch heute noch außerhalb der strengen sozialwissenschaftliehen For schung verbreitet, z. B. da, wo in publizistischen und populärwissen schaftlichen Verlautbarungen der depersonalisierende Effekt der Wer bung der Massenkommunikationsmittel, besonders des Fernsehens etc. herausgestellt wird. Innerhalb der einzelwissenschaftlichen Sozialpsy chologie sind derartige Ansichten jedoch inz�schen als theoretisch fehlerhaft und empirisch schlecht fundiert zurückgewiesen worden (vgl. dazu etwa Sodhi 1 958, und Holzkamp 1 963). Die genannten vorwissenschaftliehen Auffassungen sind auch in den frühen experimentellen Untersuchungen zum Problem des so zialen Einflusses noch deutlich merkbar. Besonders da, wo Konzepte wie >>Prestige« und >>Suggestion« den theoretischen Hintergrund für die Experimente bilden, ging man von der Konzeption einer automa tischen, zwangsläufigen Beeinflussung des Individuums durch soziale Momente aus. Aber auch in den schon mehrfach erwähnten Pionier untersuchungen zum Konformitätsproblem, die von Sherif (1935) durchgeführt wurden, wird - mindestens implizit - die Annahme einer mechanischen, zwangsläufigen Angleichung des individuellen Urteils an das Gruppenurteil gemacht. Den entscheidenden Anstoß zum Aufweis der Fragwürdigkeit und wissenschaftlichen Unfruchtbarkeit derartiger Annahmen lieferte der bedeutende Sozialpsychologe Solomon Asch. Asch (z. B. 1 948) zeigte in eingehenden Analysen von Untersuchungen, in denen mit Vorstel lungen eines mechanischen sozialen Einflusses operiert wurde, dass hier die scheinbar >>positiven« Befunde durch rigorose Restriktionen der Verhaltensmöglichkeiten der Vpn, denen gar keine andere Wahl gelassen wurde, als sich >>theoriegemäß« zu verhalten, und durch die Vernachlässigung wesentlicher Daten über den Prozess der Urteils gewinnung zustande gekommen sind. Asch vertritt die begründete Auffassung, dass die Modellinformationen nicht automatisch den un abhängigen Response modifizieren, sondern dass durch die Modell information sich das kognitive Gesamtfeld der Vp ändert, wobei die Beobachterresponse unter den gegebenen restriktiven experimentellen Konstellationen eine sinnvolle, aktive Verarbeitung der dargebotenen Information darstellt. Asch wies im Zusammenhang damit die Ansicht zurück, dass soziale Informationen lediglich einen >>verfälschenden« Einfluss auf die individuellen Urteile haben, und machte den Weg für die moderne Konzeption frei, gemäß der modellvermittelte Informa tion ein wesentliches Moment beim Lernen funktional zweckmäßiger Verhaltensweisen ist. - In eigenen Untersuchungen (z. B. 1 956) analy sierte Asch den individuellen Prozess der sozial beeinflussten Urteils bildung, wobei sich zeigte, dass die Individuen keinesfalls >>mecha nisch« diesem Einfluss unterliegen, sondern ihre Urteile das Ergebnis
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eines Verarbeitungsprozesses sind, bei dem die relative Bedeutsamkeit der unabhängigen und der modellvermittelten Informationen und der mögliche soziale Effekt der eigenen Äußerungen gegeneinander abge wogen werden. - Wir kommen darauf zurück. Wir dürfen demgemäß den Äußerungsresponse des Beobachters nicht einfach als eine zwangsläufige Resultante aus den - autochthon und personal bedingten - Gewichten der unabhängigen Stimulussitu ation ansehen, sondern müssen die verarbeitende kognitive Aktivität des Individuums beim Zustandekommen des Äußerungsresponse be rücksichtigen. In den allermeisten der einschlägigen Untersuchungen wurde das Urteil des Beobachters lediglich hinsichtlich seiner mehr oder weniger großen Ähnlichkeit bzw. Unähnlichkeit zum Modellurteil in Beziehung gebracht, wobei dieser Ähnlichkeitsgrad als Grad der »Konformität<< des Modells definiert war. Asch weist in einer neueren Abhandlung ( 1 96 1 ) darauf hin, dass damit eine unangemessene Einengung der Sicht auf die mögliche Beeinflussung des Beobachters durch das Modell voll zogen wurde: »The center of interest is with the kind of social control that results in uniformity of belief and action. The obvious importance of conformity accounts for this emphasis, but the assumption of repre sentativeness is unfortunate. The far more fundamental pattem of so cial interaction is that of complementarity. As a rule, A acts and B helps, or hinders, advises, criticizes, praises. The relationship is typically more that of question to answer than of reduplication<< ( 1 96 1 , S. 1 50). Wir übernehmen die damit von Asch nahegelegte Differenzierung und unterscheiden Beobachterresponses, sofern der Grad der Anglei chung an den Modellresponse eruiert werden soll, von Beobachterres ponses, die in einem Verhältnis der Komplementarität zum Modell response stehen. 3. 2.4. 1
Angleichung des Beobachterurteils an das Modellurteil
Wir diskutieren zunächst die Dimension der Angleichung des Beob achterurteils an das ModellurteiL - Bei der von uns besprochenen Art von sozialem Einfluss stehen, wie wir schon früher ausführten und in einem Schema veranschaulichten (vgl. S. 336), dem Individuum über den gleichen Stimulus zwei Informationsquellen zur Verfügung, und zwar einmal die Information aus der unabhängigen Stimulussituation und zum anderen die Information über den Response des Modells auf die gleiche Stimulussituation. Die beiden entsprechenden verborgenen Wahrnehmungsresponses des Beobachters, r1 (B) und r2 (B ) , stehen also in einem Verhältnis der kognitiven Dissonanz zueinander, und zwar in dem Grade, in welchem die Information aus der unbeeinflussten
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Stimulussituation und der Modellsituation voneinander abweichen. Der Begriff der kognitiven Dissonanz ist dabei im Sinne von Festinger ( 1 957) zu verstehen, wobei wir diesen Begriff allerdings in etwas wei terem und weniger spezifischem Sinn gebrauchen. Um das Auftreten der Dissonanz als Erlebnistatbestand zu erklären, brauchen wir hier nicht, wie das bei anderen Anwendungen des Dis sonanzkonzeptes teilweise nötig ist, auf irgendwelche »dynamischen« Momente, etwa das Bedüdnis des Individuums, Spannung zu ver meiden, ein konsistentes Weltbild zu haben etc. zu rekurrieren. Wir können hier vielmehr sozusagen >>logisch« argumentieren: Das unab hängige Urteil des Beobachters und das wahrgenommene Urteil des Modells beziehen sich ja per definitionem auf den gleichen Sachverhalt. Sofern die voneinander abweichenden Urteile beide >>wahr« wären, würde hier in gewisser Hinsicht gegen den Satz vom Widerspruch ver stoßen, demzufolge das Gleiche dem Gleichen in der gleichen Hinsicht nicht sowohl zukommen als auch nicht zukommen kann. Wenn man nun davon ausgeht, dass >>Logik« nicht eine völlig neue Erfindung der Philosophen ist, sondern eine Präzisierung, Erweiterung, Formalisie rung von Denktechniken darstellt, die bereits im Alltag zum Zwecke · der Daseinsbewältigung angewendet werden, so wird man ein Prinzip, das eine Vodorm des logischen Prinzips der Widerspruchsvermeidung darstellt, bereits in »Alltagstheorien« des Individuums, mit denen es kognitive Elemente durchordnet und zum Zwecke der Handlungser möglichung verarbeitet, ansetzen düden. Dabei ist es in diesem Zu sammenhang nicht wesentlich, wieweit dieses alltägliche, funktional zu deutende Prinzip der Widerspruchsvermeidung immer fehledrei im Sinne der Logik eingesetzt wird oder nicht. Die kognitive Dissonanz, die dadurch entsteht, dass unabhängige und modellvermittelte Infor mationen über den gleichen Sachverhalt voneinander abweichen, wäre also deshalb vom Beobachter zu reduzieren, weil die Dissonanz dem alltagslogischen Prinzip der Widerspruchsvermeidung entgegensteht. Man kann sich die Berechtigung der Annahme, dass in der von uns zu diskutierenden Konstellation ein Zwang zur Dissonanzreduktion und damit Eliminierung der genannten Widersprüchlichkeiten besteht, noch durch folgende weitere Überlegung einsichtig machen: Die Vp hat in der genannten Konstellation ja nur eine Art von Urteil abzuge ben, nämlich ein Urteil R (B) über die direkt kognizierte Eigenart der Stimulussituation; dieses Urteil ist in alle einschlägigen Experimente als abhängige Variable eingeführt. Ein solcher Äußerungsresponse kann aber vom Beobachter so lange nicht abgegeben werden, wie der unabhängige verborgene Response r1 (B) und der modellbezogene verborgene Response r2 (B) über den gleichen Sachverhalt in Disso nanz, d. h. hier erlebter Widersprüchlichkeit, zueinander stehen. Der
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Beobachter muss vielmehr zunächst im kognitiven Prozess zu einem einzigen verborgenen Wahmehmungsresponse, nämlich dem unab hängigen Response rr (B) kommen, der dann die Voraussetzung für den Äußerungsresponse R (B) darstellt. Damit ein solcher unabhän giger verborgener Response überhaupt zustande kommen kann, muss also zunächst die Dissonanz zwischen r1 (B) und r2 (B) reduziert wor den sein. Die Dissonanzreduktion erscheint hier also als unbedingte Voraussetzung für die Ermöglichung des unabhängig auf den Stimulus bezogenen Äußerungsresponse R (B). - Anders wäre die Problemlage, wenn man vom Beobachter nicht einen unabhängigen stimulusbezo genen Response, sondern einen modellbezogenen Response als Äuße rungsresponse verlangen würde; in diesem Fall wäre die Dissonanz zu reduzieren, damit ein einziger verborgener modellbezogener Response r2 (B) zustande kommt, von dem aus dann der Äußerungsresponse vollzogen werden könnte. Wieder anders wäre die Problemlage, wenn man dem Beobachter nicht einen Äußerungsresponse, sondern zwei Äußerungsresponses abfordern würde; einen Äußerungsresponse über die unabhängige Stimulussituation und einen Äußerungsresponse über das ModellurteiL In diesem Falle würde durch die Versuchsanordnung kein Zwang zur Dissonanzreduktion auf den Beobachter ausgeübt. Die Einführung des unvermittelt auf die Stimulussituation bezogenen Äu ßerungsresponse als abhängige Variable ist indessen - wie gesagt - cha rakteristisch für die für uns einschlägigen Experimente, weil ja hier der soziale Einfluss auf das unabhängige, unvermittelt stimulusbezogene Urteil untersucht werden soll. Reduzierung der Dissonanz zwischen Response auf unabhängige Stimulussituation und Modellsituation
3.2. 4. 1 . 1
Nach diesen letzten Ausführungen können wir nun etwas genauere Angaben über die Eigenart des hier von uns zu diskutierenden Ge wichtungsprozesses machen: Die - autochthon und subjektiv-personal bedingte - Gewichtung der unabhängigen Stimulussituation und der Modellsituation ist nur als eine formal erste Stufe des Gewichtungs prozesses zu betrachten. Im Prozess der weiteren kognitiven Verarbei tung ist darüber hinaus das Verhältnis zwischen den beiden Gewich tungen und den beiden verborgenen Responses so zu gestalten, dass eine Reduzierung der Dissonanz zwischen den diskrepanten Informa tionen erreicht und damit der Äußerungsresponse R (B) ermöglicht wird. - Wir unterscheiden - im Anschluss an Campbell (1 �6 1 S. 1 09ff.) - drei Weisen der so gearteten Dissonanzreduktion, und zwar die Auf lösung der Informationsdiskrepanz, die dominative Gewichtung und die relative Gewichtung.
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Auflösung der Informationsdiskrepanz
Wir erörtern zunächst die Auflösung der Informationsdiskrepanz. Hier wird die kognitive Dissonanz auf Grund widersprüchlicher unabhän giger und modellvermittelter Information dadurch reduziert, dass die Annahme des gemeinsamen Bezuges der beiden. Informationsarten auf einen identischen Stimulus aufgegeben wird. Sofern der Beobachter nach entsprechenden Interpretationen nicht mehr annimmt, dass sein Urteil und das Modellurteil sich auf den gleichen Sachverhalt beziehen, ist hier der Satz vom Widerspruch, auch in seinen alltäglichen Vorfor men, nicht mehr anwendbar: Zwei Urteile, die sich auf Verschiedenes beziehen, können sich nicht widersprechen. Demnach kann hier jede der beiden Informationsquellen sozusagen mit 1 00% gewichtet wer den, und dennoch besteht keinerlei Dissonanz -mehr. Die Möglichkeit einer solchen Auflösung der Informationsdis krepanz hängt natürlich weitgehend von der Stimulussituation und der Art der geforderten Urteile ab. Bei Urteilen, die sich auf figura tive Stimuluseigenarten beziehen, wird eine solche Auflösung nur in Sonderfällen gelingen, etwa dann, wenn der Reiz hinsichtlich des verlangten Responses vom Beobachter als doppeldeutig erlebt wird (was z. B. bei Kippfiguren der Fall sein kann), wenn die abweichenden Urteile auf den verschiedenen Standort von Beobachter und Modell zurückgeführt werden können, wenn man sich selbst oder dem Mo dell bestimmte Wahrnehmungsanomalien zuschreiben kann, wie Far benblindheit usw. Bedeutsamer ist das Konzept der Auflösung der Informationsdiskrepanz zur Dissonanzreduktion indessen, wenn der Beobachter nicht auf figurale Stimuluseigenarten bezogene Urteile, sondern Urteile, in denen anderen Personen Befindlichkeiten, »Eigen schaften« etc. attribuiert werden, abzugeben hat. Hier ist die genannte Auflösung der Informationsdiskrepanz etwa dadurch möglich, dass der Beobachter zu der Interpretation kommt, die bei der Attribu tion verwendeten Bezeichnungen würden von ihm und dem Modell in verschiedener Bedeutung gebraucht. In einem frühen Experiment von Asch {1 940) z. B. wurden den Beobachtern fingierte Modellurteile vorgelegt, gemäß denen eine Mehrheit von Collegestudenten Politiker am oberen bzw. am unteren Ende der Intelligenzskala geortet hatten. Im ersten Falle nahmen die Beobachter an, dass der Begriff »Politiker« von den Modellen im Sinne von »Staatsmann« verstanden wurde, im zweiten Falle nahmen die Beobachter an, dass die Modelle mit dem Begriff »Politiker« einen demagogischen Stimmungsmacher (»ward heeler«) gemeint haben (vgl. dazu auch Campbell 1 96 1 , S. 1 1 0). Hier ist also die Dissonanz zwischen dem eigenen Urteil und dem wahrge nommenen Modellurteil hinsichdich der Intelligenz von »Politikern«
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durch Auflösung der Informationsdiskrepanz reduziert worden, in dem von den Beobachtern angenommen wurde, dass die Modelle eine andere Art von >>Politiker<< gemeint hätten. 3.2. 4. 1 . 1 . 2
Dominative Gewichtung
Bei der dominativen Gewichtung, die wir nun zu erörtern haben, kommt der Beobachter dadurch zu einer Dissonanzreduktion, dass er einer der beiden Informationsquellen, der unabhängigen Stimulussituation oder der Modellsituation, das Gewicht >>0% << beilegt und der jeweils anderen Situation das Gewicht >> 100%<< zuschreibt. Hier wird also sozusagen die Information aus der einen Quelle zugunsten der Information aus der anderen Quelle beim Gewichrungsprozess völlig unterdrückt. Das Auftreten dieser Art von Dissonanzreduktion ist besonders dann anzu nehmen, wenn die Diskrepanz zwischen der Information aus der un abhängigen Stimulussituation und der Information aus der Modellsitu ation so extrem groß ist, dass eine andersgeartete Dissonanzreduktion, etwa eine relative Gewichtung (s. u.) für den Beobachter nicht möglich ist. Je nachdem, welcher Informationsquelle das Gewicht >>0% « und welcher Informationsquelle das Gewicht >> 1 00% << beigelegt wird, lassen sich zwei Arten von dominanter Gewichtung unterscheiden. - Sofern die Information aus der unabhängigen Stimulussituation zugunsren der Information aus der Modellsituation total unterdrückt wird, klammert das Individuum sozusagen die >>Widerständigkeit der Realität« aus dem Gewichtungsprozess aus. Es überlässt sich völlig dem sozialen Ein fluss, indem es seine Urteile gänzlich nach den Urteilen des Modells ausrichtet. Man kann diese Art der Dissonanzreduktion mit bestimm ten psychoanalytischen Konzeptionen über neurotische Fehlhaltungen in Verbindung bringen, bei denen die Verminderung von >>Spannung<<, >>Angst<< o. Ä. nur durch Ausklammerung der Realität (>>Realitätsver lust<< nach Freud) erkaufbar sein soll. - Im anderen Falle lässt der Beob achter die Information aus der direkten Wahrnehmung der Stimulussi ruation. Auch bei solchen in der jeweiligen Konstellation sozial gänzlich unbeeinflussten Individuen ist das Ergebnis des Gewichtungsprozesses häufig als funktional unzweckmäßig zu betrachten; der Beobachter ist auch hier außerstande, die Informationsdiskrepanzen zu verarbeiten und >>weiß sich nicht anders zu helfen«, als die Modellinformation aus zuklammern, wobei die kognitiven Eigenarten einer solchen domina tiven Gewichtung im Einzelnen noch recht verschieden sein können. - Beispiele für beide Arten der dominativen Gewichtung :fi.nden sich in dem bedeutenden Experiment von Asch ( 1 956 ), in welchem auch diffe renzierte Angaben über den verschiedenen kognitiven Hintergrund der dominativen Gewichtungen gemacht werden.
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Soziale Kognition 3. 2. 4. 1 . 1.3
Relative Gewichtung
Die Konzeption der relativen Gewichtung, die wir nun noch bespre chen müssen, steht in den allermeisten, den Konformitätsexperimenten übergeordneten theoretischen Annahmen an zentraler Stelle. Bei die ser Art der Gewichtung wird die Informationsdiskrepanz nicht aufge löst, es wird auch nicht eine Informationsquelle zugunsten der ande ren unterdrückt, sondern die Dissonanz wird hier dadurch reduziert, dass beim Zustandekommen des verborgenen unabhängigen Response r1 (B) sozusagen ein >>Kompromiss« zwischen den Gewichtungen der unabhängigen Stimulussituation und der Modellsituation herbeige führt wird. In diesem begrenzten Anwendungsbereich könnte man die abschließende Gewichtung als eine Resultante aus den Gewichten der beiden Situationen auffassen, wobei das Ausmaß der Informationsdis krepanz noch zu berücksichtigen wäre. Von einer solchen Vorstellung geht man in der Tat in vielen einschlägigen Untersuchungen aus, ohne dass man dabei immer zu ganz präzisen Formulierungen über die Ei genart der relativen Gewichtung kommt. - Vorhersagen über die Be schaffenheit des Äußerungsresponses, sofern man ihn nur mit dem Prozess der relativen Gewichtung in Verbindung bringt, können auf folgende Weise formuliert werden: Das Ausmaß der erlebten Diskre panz zwischen der unabhängigen und der modellvermittelten Informa tion ist empirisch zu bestimmen, wobei man diese Diskrepanz auf einer Ordnungsreihe gemäß der Ähnlichkeit bzw. Unähnlichkeit der beiden Informationen zu orten hat. Sodann ist - stets unter Berücksichtigung autochthoner wie personal-subjektiver Momente - das erlebte Gewicht sowohl der unabhängigen Stimulussituation wie der Modellsituation zu eruieren. (Über die dabei auftretenden methodischen Probleme haben wir früher an verschiedenen Stellen gesprochen.) Weiter ist der Quo tient aus diesen beiden Gewichten zu bestimmen. Schließlich ist das so gewonnene Verhältnis auf die genannte Diskrepanzskala zu übertra gen. (Wenn etwa das Gewicht der unabhängigen Stimulussituation und der Modellsituation im Verhältnis 2:3 zueinander stehen, so ist auf der Diskrepanzskala der Punkt aufzusuchen, der die Ähnlichkeitsreihe der Gesamtdiskrepanz im Verhältnis 2:3 aufteilt, wobei dieser Punkt hier näher am >>Modell«-Pol liegen muss, da der Modellsituation ja das hö here Gewicht zukommt.) Dem so gewonnenen Punkt auf der Diskre panzskala müsste dann der Äußerungsresponse des Beobachters ent sprechen, sofern dieser Response allein auf Grund der mechanischen relativen Berücksichtigung der Gewichtsanteile der unabhängigen Sti mulussituation und der Modellsituation zustande gekommen ist. - Die damit explizierte Modellvorstellung, die in den meisten theoretischen Konzeptionen der Konformitätsforschung mehr oder weniger klar
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ausformuliert enthalten ist, hat sicher für unseren Problembereich sehr große Bedeutung. Wir halten es allerdings für sehr zweifelhaft, ob man - selbst wenn alle hier bestehenden messtheoretischen Fragen bewältigt wären - allein bei Verwendung dieser Modellvorstellung zu sehr be friedigenden Vorhersagen kommen würde. Man müsste vielmehr ver mutlich noch eine Reihe weiterer Variabler in dieses Modell einführen, in denen die kognitive und soziale Gesamtsituation des Individuums, der besondere »Stil« seiner Umweltstrukturierung etc., berücksichtigt wäre, wobei besonders auch das Problem der Bedingungen der Abwei chungen zwischen verborgenem Response und Äußerungsresponse, auf das wir noch zurückkommen, in die Betrachtung zu ziehen ist. Der ohnehin begrenzte Anwendungsbereich des geschilderten mechanischen Modells der relativen Gewichtung wird noch dadurch weiter eingeengt, dass nur Beobachterresponses, die auf der Ähnlich keitsreihe zwischen unabhängiger Information und Modellinforma tion liegen, mit ihm erklärt werden können. Nun geht die Skala des Angleichungsgrades des Beobachterurteils an die modellvermittelte Information ja aber nicht nur bis »null« (soziale Unbeeinflusstheit des Beobachters), sondern kann über den Nullpunkt hinaus sozusagen in den >>negativen« Bereich hin fongesetzt werden. Eine solche >>nega tive« Angleichung bedeutet, dass der Beobachter Urteile abgibt, in de nen der unabhängige Response in Richtung auf eine Abhebung vom Modellurteil hin modifiziert ist. Auch in einer solchen Abhebung ist natürlich eine An von sozialer Beeinflussung zu sehen. - Dieses Mo ment ist bisher relativ wenig beachtet worden. Crutch:field (etwa 1 96 1 ) hat diesem Gesichtspunkt i n seinem Konzept der »counterformity« Rechnung getragen, wobei - soweit wir sehen - aber bisher keine ex perimentellen Untersuchungen, sondern nur allgemeine Überlegungen zu diesem Gesichtspunkt beigesteuert worden sind. Crutchfield (1961, S. 468ff.) schildert im Zusammenhang mit seinen Überlegungen zum Kreativitätsproblem den >>counterformist« als ein Individuum, das sich in Verteidigung seiner personalen Identität von anderen abheben will, wobei es feindselige Impulse gegenüber anderen zum Ausdruck bringt. Dabei vertritt Crutchfield die Auffassung, dass sich auch in dieser Hal tung eine - obzwar >>negative<< - Abhängigkeit von der Gruppe mani festiert, durch welche die Entstehung echter kreativer Produkte be hindert wird. - Man könnte versuchen, das geschilderte mechanische Modell der relativen Gewichtung so zu modifizieren, dass damit auch die über die Unbeeinflusstheit hinausgehende Abhebung des Beob achterurteils vom M o dellurteil erklärt werden kann, was . etwa durch Einführung des Konzeptes der »negativen Gewichtung« der Modellsi tuation erreichbar wäre (vgl. dazu etwa Willis 1 965). Vermutlich würde man mit solchen Ansätzen aber kaum auskommen und - wie das ja
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bereits von Crutchfield versucht worden ist - allgemeinere persönlich keitstheoretische Überlegungen zur Erklärung der »counterformity« heranziehen müssen. Wir haben in unseren bisherigen Überlegungen den Gewichtungs prozess lediglich bis zur Konstituierung des unabhängigen verbor genen Response r1 (B) verfolgt. Dabei wurde vorausgesetzt, dass der Äußerungsresponse R (B), der die abhängige Variable in den diskutier ten Experimenten darstellt, tatsächlich dem verborgenen Response r1 (B) entspricht. Diese Voraussetzung, obzwar sie tatsächlich in vielen Untersuchungen unreflektiert akzeptiert wird, ist aber wiederum nur eine Vereinfachung aus darstellungstechnischen Gründen gewesen. Die Frage, in welchem Grade der Äußerungsresponse eines Beobach ters seinem verborgen vollzogenen Response entspricht, stellt vielmehr ein Problem dar, das selbständige Behandlung erfordert. Mit diesem Problem wollen wir uns nunmehr befassen. 3.2. 4. 1 . 2
Abweichung zwischen Äußerungsresponse und verborgener Response
Eine Abweichung des geäußerten Urteils vom verborgen vollzogenen Urteil ist grundsätzlich in zwei Richtungen denkbar. Einmal kann das geäußerte Urteil in geringerem Grade dem Modellurteil entsprechen als das verborgene Urteil; zum anderen kann das geäußerte Urteil in hö herem Grade dem Modellurteil entsprechen als das verborgene Urteil. Eine Abweichung zwischen verborgenem und geäußertem Beobach terurteil wird - allgemein gesehen - stets dann zu erwarten sein, wenn der Äußerungsresponse unter bestimmten Bedingungen steht, die für den verborgenen Response nicht gegeben sind. Dabei ist zuvörderst an bestimmte soziale »Belohnungen« oder »Bestrafungen« zu denken, die der Beobachter als Konsequenz des geäußerten Urteils antizipiert. Die Modifikation des Äußerungsurteils gegenüber dem verborgenen Urteil würde also hier erfolgen, um diese sozialen Belohnungen zu erlangen bzw. den sozialen Bestrafungen auszuweichen. Grundsätzlich kann man sich sowohl soziale Situationen denken, in denen unabhängige bzw. dem Modellurteil konträre Urteile belohnt bzw. an das Modellurteil angeglichene Urteile bestraft werden, wie auch soziale Situationen, in denen an das Modellurteil angeglichene Urteile belohnt bzw. unabhängige oder dem Modellurteil konträre Urteile be straft werden. Der zweite Fall dürfte allerdings erheblich größere Re präsentanz für außerexperimentelle soziale Beeinflussungssituationen besitzen und soll deshalb von uns hier allein behandelt werden. Der angenommene Tatbestand, dass der Äußerungsresponse des Be obachters auf Grund von ihm antizipierter Belohnungen für konformes
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bzw. Bestrafungen für nichtkonformes Verhalten in höherem Grade an das Modellurteil angeglichen ist als das verborgene Urteil, wird als >>expedient conformity« oder auch »compliance« bezeichnet (vgl. etwa Jahoda 1 956, und Kelman 1 958). Eine solche lediglich geäußerte, vom verborgenen Urteil abweichende Zustimmung wird in dem Grade auftreten können, als bei Wahrnehmung der Modellsituation die Di mension der attribuierten sozialen Macht gegenüber der Dimension der anribuierten Kompetenz (vgl. unsere Ausführungen auf S. 346f.) stark überwertig ist. Dem Modell anribuierte erhöhte Kompetenz muss nämlich - sozusagen per definitionem - zu einer Veränderung des verborgenen kognitiven Responses in Richtung auf das Modell urteil führen, während - wenn bei geringer attribuierter Kompetenz eine hohe attribuierte soziale Macht vorliegt - der Beobachter in die Lage kommen kann, dass er sein verborgenes Urteil im Wesentlichen nach der unabhängigen Stimulussituation ausrichtet, während er - zur Erlangung der Belohnung durch das Modell bzw. zur Vermeidung der Bestrafung durch das Modell - sein geäußertes Urteil dem des Modells angleicht. Die antizipierte Belohnung bzw. Bestrafung muss dabei nicht notwendigerweise als vom Modell oder von den Modellen ausgehend betrachtet werden, sondern kann auch auf andere soziale Instanzen be zogen werden. - Man wird allerdings nicht in jedem Falle ann ehmen dürfen, dass durch die anribuierte Machtfunktion des Modells oder der Modelle (oder auch anderer sozialer Instanzen) lediglich das geäußerte Urteil beeinflusst wird. Unter bestimmten Bedingungen dürfte bei at tribuierter hoher sozialer Macht des Modells auch der verborgene Re sponse des Beobachters modifiziert werden, besonders dann, wenn der unabhängigen Stimulussituation innerhalb des Gewichtungsprozesses ein nur geringes Gewicht beigemessen wird. Im Übrigen sind über die Bedingungen der lediglich geäußerten Zustimmung des Beobachters bisher noch wenig empirische Daten verfügbar (vgl. etwa Menzel 1 957, und Zimbardo et al. 1 965). Das Auseinandertreten zwischen verborgenem Urteil und geäu ßertem Urteil über den gleichen Sachverhalt kann als ein neuerlicher An wendungsfall des festingerschen Konzeptes der kognitiven Dissonanz angesehen werden. Dem Individuum sind ja hier sowohl sein eigenes verborgenes Urteil wie sein eigenes geäußertes Urteil über den jeweils gleichen Stimulus gegeben, wodurch hier entsprechende Unvereinbar keitserlebnisse zu erwarten sind und die Annahme eines Prozesses der Dissonanzreduktion. Festinger (1 957, S. 84ff.) hat dieser Konstellation in seinem Konzept der »forced compliance«, erzwungenen Zustim mung, Rechnung getragen, wobei hier allerdings der Äußerungs response als unabhängige Variable per Instruktion für die Vpn eindeutig festgelegt war, so dass die Dissonanzreduktion nur durch Modifikation
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des entsprechenden verborgenen Response, der hier als abhängige Va riable diente, erfolgen konnte. Die im Anschluss an diese Konzeption durchgeführten Untersuchungen, in denen die Vpn gezwungen wur den, Äußerungsresponses zu produzieren, die stark von ihren vorher eruierten privaten Meinungen abwichen, sind allerdings für uns nur be dingt einschlägig, weil hier in die Anordnungen keine Modelle, die den gleichen Stimulus wie die Beobachter zu beurteilen haben, eingeführt wurden. Immerhin sind aus Untersuchungen wie denen von Festinger und Carlsmith (1 959), Cohen (vgl. Brehm & Cohen 1 962, S. 73ff.), Elms und Janis (1965), Janis und Gilmore (1 965), Nuttin (1 966), in denen u. a. der Einfluss der Höhe der Belohnung für die Abgabe des Äußerungs response auf die private Meinungsänderung untersucht wurde, Anre gungen für die empirische Behandlung des >>compliance«-Problems in den für uns wichtigen Versuchskonstellationen zu entnehmen. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Befund, dass unter ge wissen Bedingungen die erzwungene Zustimmung, nicht zu einer An gleichung des privaten Urteils an das geäußerte Urteil führt, sondern dass im Gegenteil eine Extremisierung des eigenen Standpunktes auf tritt. Dieser Befund wird als >>Bumerangeffekt« bezeichnet (vgl. Cohen 1 962). Zur Erklärung dieses Bumerangeffektes sind von der Mann beimer Forschergruppe (vgl. Cranach 1 965a; Cranach 1 965b, sowie Cranach, Irle & Vetter 1 965) bedeutsame theoretische und empirische Beiträge geliefert worden. Es konnte aufgewiesen und dissonanztheo retisch erklärt werden, dass das Auftreten des Bumerangeffektes mit der Verankerung der privaten Meinungen der Vpn in übergreifenden, konsistenten Wertsystemen zusammenhängt. Auch die hier beige brachten Gesichtspunkte sind für die Erforschung der Bedingungen der Reduktion der Dissonanz zwischen privater und geäußerter Mei nung in den für uns einschlägigen Konstellationen mit Modellanwe senheit bedeutsam. Da - wie wir früher ausführlich darlegten (vgl. S. 298ff.) - als ex perimentelles Datum immer nur ein Äußerungsresponse der Vpn zur Verfügung steht, einerlei, ob man an diesem Äußerungsresponse selbst oder an dem zugeordneten verborgenen Response der Vp interessiert ist, ergeben sich bei der empirischen Bestimmung der Abweichung zwi schen Äußerungsresponse und verborgenem Response recht schwierige methodische Probleme. In den genannten Experimenten zum Konzept der >>forced compliance« benutzte man meist ein einfaches »before-af ter«-Design: Zunächst wurde die - als privat betrachtete - Meinung der Vpn gemessen; dann wurden die Vpn gezwungen, eine von ihrer >>Pri vatmeinung« abweichende Meinung zu äußern; schließlich wurde wie der die »Privatmeinung« der Vpn gemessen. Veränderungen zwischen der ersten und der zweiten Meinungsmessung wurden sodann auf den
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Effekt der erzwungenen Äußerung zurückgeführt. Dabei wird voraus gesetzt, dass im Pretest und im Posttest die geäußerte Meinung tatsäch lich mit der verborgenen Meinung der Vpn übereinstimmt, weiter, dass die verborgene Meinung während der kritischen Phase der erzwun genen Äußerung bei der Vp konsistent geblieben ist, wobei diese Vor aussetzungen ungeprüft hingenommen werden müssen. Im Ganzen gesehen wird man in derartigen Untersuchungen, da ja das verborgene Urteil der Vp per definitionem niemals direkt als empirisches Datum vorliegt, nur sozusagen >>negativ« vorgehen können: Man hat möglichst alle Faktoren zu eliminieren, durch welche eine Abweichung zwischen verborgenem und geäußertem Urteil entstehen könnte. Wieweit einem das gelungen ist, kann aber natürlich nie streng empirisch überprüft werden. Wahrscheinlich ist es unter diesen Umständen am zweckmä ßigsten, in die übergeordnete theoretische Konzeption als empirisch zu realisierende Variable nur Äußerungsresponses unter verschiedenen Bedingungen einzuführen und den verborgenen Response lediglich als >>Zwischenvariable« zur Erklärung der Befunde zu betrachten. 3.2. 4. 1.3
Konsistenz der durch Modellinformation modifizierten Responses
Nachdem wir die Frage der Abweichungen zwischen verborgenem Response und Äußerungsresponse diskutiert haben, bleibt uns in die sem Zusammenhang noch ein weiteres Problem zu erörtern, und zwar das Problem, von welchen Bedingungen es abhängig gemacht werden muss, wieweit die durch Berücksichtigung der Modellinformation ent standene Modifikation der Responses in späteren Situationen, in denen das Modell abwesend ist, erhalten bleibt. (Wir haben dieses Problem auch schon bei unseren Darlegungen über nichtverbalen sozialen Ein fluss besprochen.) - Schon in den Pionieruntersuchungen von Sherif ( 1 935) hatte sich ergeben, dass die sozial bedingten Veränderungen des Verhaltens in späteren Situationen ohne Anwesenheit des Modells in gewissem Maße konsistent bleiben. Diese Befunde konnten mehrfach wieder eingebracht werden (vgl. etwa Bovard 1 948; Schachter & Hall 1 952, und Rohrer, Barron, Hoffmann & Swander 1 954). Auch über die Bedingungen, von denen der spätere Konsistenzgrad der Urteile abhängt, liegen einige Befunde vor. So zeigte sich, dass länger erstreck ter sozialer Einfluss (Schonbar 1 945), geringere Sicherheit des ersten Urteils vor der sozialen Beeinflussung (Marinho 1 942; Gerard 1 954), geringere >>conformity needs« (Hoffman 1 956) etc. zu er4öhter Kon sistenz führen können. Alle diese Befunde stehen ziemlich unverbunden nebeneinander. Eine integrierte theoretische Konzeption über die Bedingungen der
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Nachwirkung des sozialen Einflusses auf spätere Urteile liegt bisher nicht vor. Dabei ist besonders ein Moment unberücksichtigt geblieben, das wir für sehr wesentlich halten, das aber wohl deswegen bisher kaum beachtet wurde, weil man den sozialen Einfluss zu sehr als einen de personalisierenden, das Urteil verfälschenden Faktor und zu wenig als wichtige Informationsquelle bei der OrientieruJ;J.g des Individuums be trachtete. Die Konsistenz der Urteile nach dem sozialen Einfluss dürfte u. E. entscheidend davon abhängen, wie weit die modellvermittelte In formation funktional zweckmäßig war, d. h. wie weit durch die sozial bedingte Urteilsmodifikation tatsächlich eine bessere Orientierungs leistung ermöglicht wurde, als das allein auf Grund der unabhängigen Information der Fall gewesen wäre. Urteile, die eine angemessenere Umweltorientierung und damit Daseinsbewältigung möglich machen, müssen sich nämlich auch in folgenden Situationen der Weltbegegnung ohne Modellanwesenheit besser >>bewähren«, d. h. durch entsprechende >>Erfolge« bei der kognitiven Orientierung häufiger verstärkt werden, was natürlich eine erhöhte Urteilskonsistenz bedeutet. Funktional un zweckmäßige, sozial bedingte Urteilsmodifikationen werden dagegen durch Extinktion der negativen Verstärkungen bald wieder rückgängig gemacht werden. Die damit eingeführten Gesichtspunkte müssten noch genauer durchdacht und empirischen Prüfungen unterzogen werden. 3.2. 4. 2
Komplementarität zwischen Beobachter- und Modellresponse
Damit haben wir unsere Ausführungen über die Bedingungen des Zu standekommens von Beobachterresponses, die sich auf der Dimen sion der mehr oder weniger großen Ähnlichkeit bzw. Verschiedenheit des unabhängigen Urteils vom Modellurteil anordnen lassen, also der »Konformitäts«-Dimension, abgeschlossen. Nun hätten wir noch die zweite große Gruppe von möglichen Beobachterresponses zu bespre chen, die - wie wir erwähnten - von Asch (1961, S. 150) unter dem Kennwort der >>Komplementarität« zusammengefasst worden sind. Eine Diskussion von Ansätzen und Befunden hinsichtlich dieser Re sponseart kann indessen von uns nicht geliefert werden, da - jedenfalls unter dem von uns eingeführten individuumzentrierten Aspekt - theo retische Überlegungen und empirische Untersuchungen über komple mentäre Responses praktisch nicht vorliegen. In diesem Umstand ist - damit schließen wir uns Aschs Auffassung an - ein schweres Ver säumnis der bisherigen einschlägigen Forschung zu sehen. Durch die so gut wie ausschließliche Berücksichtigung der Konformitätsdimension wird die Repräsentanz der Befunde für außerexperimentelle soziale Be einflussungssituationen gravierend herabgesetzt. Wenn ein Individuum im alltäglichen sozialen Kommunikationsprozess mit dem Tatbestand
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konfrontiert ist, dass ein Modell in seinen Urteilen vom eigenen Urteil über den gleichen Sachverhalt abweicht, so wird dabei vom Beobachter in vielen Fällen nicht einfach mit einer mehr oder weniger starken An gleichung an das bzw. Abhebung von dem Modellurteil reagiert wer den. Der Beobachter wird vielmehr häufig in Verteidigung des eigenen Standpunktes dem Modell antworten, vom Modell weitere Information erbitten, dem Modell Deutungen für Verschiedenheit der beiden Ur teile anbieten oder auch einfach nur widersprechen, abwerten u. Ä. m. All diese möglichen komplementären Reaktionsweisen des Beobach ters sind in den üblichen Konformitätsexperimenten nur deshalb nicht relevant geworden, weil diese Reaktionsweisen dem Beobachter in der experimentellen Konstellation einfach nicht erlaubt wurden. - Ehe man hier über allgemeine, mehr alltagssprachliche Betrachtungen hinausge langen und zu klaren theoretischen Konzeptionen und empirisch ein deutig prüfbaren Annahmen kommen wird, ist noch eine beträchtliche Forschungsarbeit zu leisten. Anregungen für die sinnvolle Erfüllung einer solchen Forschungs aufgabe sind aus den - in gruppenzentrierter Betrachtung angesetz ten - vorliegenden Arbeiten über Gruppenkooperation und Grup penproblemlösen zu gewinnen. So mag man z. B. Gesichtspunkte für die Klassifikation verschiedener Arten komplementärer Responses aus Arbeiten entnehmen, in denen eine Differenzierung der Rollen verschiedener Gruppenmitglieder beim Problemlösungsprozesss ver sucht wurde. Benne und Sheats (1 948) unterscheiden z. B. die Rolle des >>energizer«, der die Gruppe zur Aktivität antreibt, des »informa tion giver«, des »information seeker«, des »initiator-contributor«, der neue Ideen einführt, des »evaluator-critic« usw. Auch Arbeiten über die Bedingungen des Kooperationsedolges bei »common goal«-Auf gaben ( vgl. etwa Zand & Costello 1 963, und Shaw 1 964) lassen sich in mehrerer Hinsicht für die von uns aufgewiesenen Probleme fruchtbar machen. Allgemein muss die genannte Forschungsaufgabe auch darin bestehen, das theoretische Vakuum, das gegenwärtig noch weitgehend zwischen der Konformitätsforschung und der Behandlung der Fragen der Kooperation und des Gruppenproblemlösens (vgl. dazu etwa Kel ley & Thibaut 1 954; 1 969; Lorge, Fox, Davitz & Brenner 1 958, und Nakamura 1 958) besteht, auffüllen zu helfen. Wenn man nun den Versuch machen wollte, die Probleme der Koo peration und des Gruppenproblemlösens in unsere bisherige Konzep tion einzuordnen, so könnte man dabei etwa Folgendes feststellen: Wir haben den sozial mitbedingten Gewichtungsprozess nur . bis zum je weils individuellen Äußerungsresponse des einzelnen Beobachters ver folgt. Beim Gruppenproblemlösen sind die Äußerungsresponses der einzelnen Gruppenmitglieder aber nur als ein Zwischenstadium zu be-
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trachten. Das Ziel des Gruppenprozesses ist hier die Gewinnung eines einzigen Response, der die Auffassung der Gruppe als Ganzer reprä sentiert. Die Erlangung eines solchen Gruppenresponses setzt weitere Gewichtungsprozesse voraus, bei denen die Gruppenmitglieder wech selseitig die Funktion von Beobachtern und Modellen haben. Über die Eigenart dieser zusätzlichen Gewichtungsprozesse liegen bereits viel fältige theoretische Ansätze und empirische Befunde vor. Wir brau chen uns indessen mit den damit zusammenhängenden Problemen hier nicht zu befassen, weil wir damit die individuumzentrierte Sichtweise dieses Artikels überschreiten würden. Außerdem ist zu den Fragen der Gruppenkooperation in diesem Handbuchband in einem gesonderten Artikel ein Beitrag geleistet worden (Kap. 3 1 ' ) . 3.2. 5
Exkurs über soziales »operant conditioning<< von verbalem Verhalten
Wir haben nun noch einen Ansatz zu diskutieren, der sich in die Or ganisation der Probleme der sozialen Beeinflussung, die wir hier ange boten haben, nicht einzufügen scheint. Es wird unsere Aufgabe sein, nachzuweisen, dass sich nach genauer Analyse dennoch eine Möglich keit ergibt, diesen Ansatz als einen Sonderfall der modellvermittelten Beeinflussung von verbalem Verhalten in die hier angebotene Gesamt konzeption einzuordnen. Gemeint ist der Ansatz der sozialen Verstärkung von verbalen >>operants«, also nicht eindeutig reizabhängigen, »spontanen« Verhal tensweisen (vgl. z. B. Skinner 1 953; 1 957). Im Zusammenhang mit die ser Konzeption ist eine Vielzahl von experimentellen Untersuchungen durchgeführt worden. Einen erschöpfenden Überblick über die bis 1 957 durchgeführten Experimente dieser Art gibt Krasner ( 1 958). Die bei solchen Experimenten hergestellte Grundkonstellation der Versuchsanordnung ist die folgende: Die Vpn werden dazu gebracht, möglichst spontan bestimmte verbale Äußerungen zu produzieren, etwa eine Geschichte zu erzählen, Rorschach- oder TAT-Tafeln zu deuten, Worte zu nennen, wie sie ihnen gerade einfallen etc. Der Experimentator wählt nun eine bestimmte Klasse der verbalen Responses, z. B. »Tiere«, das Wort »Mutter«, feindselige Verben, Bewegungsantworten, Plural formen, die Worte >>Ich<< oder »wir<<, Meinungsäußerungen etc. für die Verstärkung aus: Jedes Mal wenn die Vp ein Wort der vom Experimen tator ausgewählten Responseklasse äußert, zeigt der Experimentator "· Anm. d. Hg.: Gemeint ist hier: Feger, H. (1 972). Gruppensolidarität und
Konflikt. In C. F. Graumann (Hg.), Handbuch der Psychologie. Bd. 7: Sozial psychologie (S. 1594-1709). Göttingen: Hogrefe .
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ein bestimmtes Verhalten, das als verstärkender Reiz für die Vp dienen soll. Als derartige positiv verstärkende Stimuli dienten etwa folgende Äußerungen des Experimentators: »mmm-hmmm<<, »good<<, Kopfni cken, Lächeln, >>right<<, >>fine<<, >>that's accurate<< etc. Die Verstärkung wurde stets unmittelbar nach den Vpn-Äußerungen der jeweiligen Responseklasse gegeben. Als negative soziale Verstärker wurden >>huh uh<<, Kopfschütteln, >>give another one, please<< etc. in die Anordnungen eingeführt (vgl. dazu die Tabelle bei Krasner 1 958, S. 1 60). Die - in vielen Untersuchungen bestätigte - Hypothese lautete, dass verbale Äußerungen der Vpn, die zu der verstärkten Responseklasse gehören, sofern die Verstärkung positiv ist, allmählich immer häufiger auftreten, bzw. bei negativer Verstärkung immer seltener werden. Der Einfluss weiterer unabhängiger Variablen, etwa der Länge der experimentellen Sitzung, Persönlichkeitseigenarten der Vpn, dem Experimentator at tribuierte Eigenschaften oder >>Absichten<< etc. auf die genannte Häu figkeitsrate der verstärkten Responseklasse als abhängiger Variablen wurde untersucht. Die in unserem Zusammenhang entscheidende Frage lautet, wie man sich hier den Prozess der Beeinflussung der Vp durch den Experimen tator genauer vorzustellen habe. Gemäß der streng antimentalistischen, >>deskriptiv-behavioristischen<< skinnerschen Auffassung ist die Ver stärkungswirkung als ein automatischer, quasi mechanischer Prozess zu betrachten. Skinner macht im Prinzip keinen Unterschied zwischen dem >>operant conditioning« etwa von Tauben in der Skinner-Box und dem sozialen Konditionieren von verbalem Verhalten. Aus den frühen Untersuchungen der geschilderten Art schien auch tatsächlich hervor zugehen, dass der verstärkende Einfluss des Experimentators für die Vp unbewusst, direkt und automatisch erfolgt. Bei anschließenden Be fragungen hatte sich gezeigt, dass jeweils nur eine Minderheit von Vpn angeben konnte, welche Responseklasse vom Experimentator verstärkt worden war (vgl. dazu etwa Greenspoon 1 955). Inzwischen hat sich die Problemsituation um die Frage, wieweit die Einsicht der Vpn in den Zusammenhang zwischen Verstärkung und Responseklasse, also die >>awareness« eine Voraussetzung für die Erhö hung der jeweiligen Responsehäufigkeiten ist, gründlich geändert. So kamen Kanfer und McBrearty ( 1 9 6 1 ), Levin (1961) und DeNike und Spielberger ( 1 963) mit verbesserter Methodik zur Erfassung der »awa reness« der Vpn zu dem Befund, dass der behauptete Effekt der Erhö hung der Häufigkeit von Äußerungen der jeweils angesetzten Respon seklasse durch soziale Verstärkung überhaupt nur auftra_t, wenn die Vpn den Zusammenhang zwischen Verstärkung und Responseklasse erkannt hatten. Besonders eindrucksvoll sind in diesem Zusammen hang die Befunde von DeNike ( 1 968), der von seinen Vpn während des
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Versuchsablaufs mehrfach Äußerungen darüber forderte, >>was sie von dem Versuch dächten«, und so relativ genau den Zeitpunkt bestimmen konnte, von dem an die Vpn innerhalb der Responseserie Einsicht in den Zusammenhang zwischen Responseklasse und Verstärkung hat ten. Es stellte sich heraus, dass die Nennungshäufigkeit der Responses der verstärkten Klasse überhaupt erst in bedetJtsamer Weise anstieg, nachdem die Vpn über die »awareness<< des genannten Zusammen hangs berichtet hatten. (Eine eingehende und scharfsinnige Diskussion des Problems der »awareness<< in Experimenten zum sozialen >>ope rant conditioning<< stammt von Spielherger 1 965, der auch auf Grund der Befunde eigener Untersuchungen die Auffassung vertritt, dass das Erkennen des Zusammenhanges zwischen Responseklasse und Ver stärkung eine entscheidende Bedingung für das Auftreten der entspre chenden Responsemodifikationen ist.) Krasner und Ullmann (1 963) führten eine gründliche methodolo gische Analyse der vorliegenden Untersuchungen hinsichtlich des »awareness<<-Gesichtspunktes durch und kamen dabei zu der Fest stellung, dass in den Experimenten, bei denen scheinbar ein automa tischer Verstärkungseffekt ohne »awareness« der Vpn aufgewiesen werden konnte, eine unangemessene Operationalisierung des »awa reness<<-Konzeptes vorgenommen worden war. »Awareness<< wurde hier nämlich unreflektiert als die offenbare, intersubjektiv zugängliche Äußerung der Vpn, ob sie einen Zusammenhang zwischen Verstär kung und Responseklasse bemerkt hätten, operationalisiert. Krasner und Ullmann weisen darauf hin, dass die Situation, in der die Vpn sich hinsichtlich ihrer »awareness<< äußern sollen, selbst sozialen Einflüssen unterliegt. Es ist also denkbar, dass die Äußerungen der Vpn hier wie der von sozialem Reinforcement durch den Experimentator modifi ziert sind. Die Vpn mögen bestimmte Meinungen darüber haben, wel che Äußerungen der Experimentator von ihnen erwartet und vielleicht unabsichtlich - z. B. um den Versuch nicht zu stören - ihre Antworten entsprechend einrichten. In unserer Terminologie heißt das, dass der verborgene Response r und der Äußerungsresponse R auseinander tre ten können, sofern der Äußerungsresponse unter Bedingungen steht, die für den verborgenen Response nicht gegeben sind. - Ein besonders schwieriges Problem ist die Frage nach der »Äußerungsschwelle<< der Vpn, d. h. hier dem Grad der Deutlichkeit des erfassten Zusammen hanges, von dem an die Vpn tatsächlich über diesen Zusammenhang berichten. Man wird annehmen dürfen, dass diese Äußerungsschwelle auf jeden Fall über »null« liegt, dass also die Vpn schon einen Zusam menhang zwischen Responseklasse und Verstärkung - wenn auch noch so undeutlich - erfasst haben werden, ehe sie zu einer Äußerung darüber kommen. Auch ein undeutlich erfasster Zusammenhang dieser
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Art, der die » Äußerungsschwelle« noch nicht überschritten hat, kann aber natürlich die Responses der Vpn beeinflusst haben. Gerade aus den Experimenten, die zur empirischen Prüfung von Ansätzen der »detection theory« durchgeführt wurden, ist ja hervorgegangen, dass man »Schwellen« jeder Art nicht als feste Größen betrachten darf, son dern dass sich die Schwellen durch entsprechende Bedingungsvariati onen, etwa die Einführung von »Belohnungen« etc., modifizieren las sen. - Unter diesem Umstand kommt den Experimenten, in denen der Befund eines Ausbleibens des Verstärkungseffektes bei »awareness« gewonnen werden konnte, erhöhte Bedeutung zu: Man kann diese Be funde nämlich nicht mit dem Hinweis darauf exhaurieren, dass in Ver suchen mit in dieser Hinsicht negativen Befunden die Bedingungen für die Äußerung des erkannten Zusammenhanges ungünstiger gewesen sein müssen. Das Problem der »awareness« ist - wie alle verwandten Probleme letztlich keiner strengen empirischen Klärung fähig, weil ja immer nur Äußerungsresponses der Vpn vorliegen und die realen verborgenen Responses der Vpn nicht direkt erfasst werden können (vgl. unsere Ausführungen auf S. 299ff.). Immerhin wird man nach den vorlie genden Überlegungen und Befunden die Behauptung, dass der soziale Verstärkungseffekt auf das spontane verbale Verhalten automatisch und unbewusst auftritt, als unbegründet zurückweisen müssen. Diese Feststellung lässt sich noch durch einen anderen Gesichts punkt stützen. Es ist aus einer Analyse der kognitiven Situation der Vpn in den einschlägigen Experimenten geradezu zu deduzieren, dass hier ein irgendwie gearteter Verstärkungseffekt nur auftreten kann, wenn die Vpn die verschiedenen Responses, auf die hin die Verstär kung erfolgt ist, zu einer einheitlichen Klasse zus amm engefasst haben. Sofern die Vpn nicht durch entsprechende Konzeptualisierung die Tier Antworten, Menschen-Antworten, Pluralformen etc. als einheitliche Klasse aus den anderen Responses herausgehoben haben, ist ein Effekt der entsprechenden Verstärkungen schlechterdings undenkbar. - Man mag sich das an einem Gedankenexperiment verdeutlichen: Sofern die konzeptualisierende Zusammenordnung der jeweiligen Respon seklasse so schwierig ist, dass sie von den Vpn nicht geleistet werden kann, sind mit Sicherheit keine entsprechenden Verstärkungseffekte zu erwarten, so etwa, wenn der Experimentator alle von der Vp geäu ßerten Worte, in denen an dritter Stelle der Buchstabe »e« vorkommt, verstärken würde. Die Annahme einer automatischen Verstärkungs wirkung konnte nur unter rigoroser S-R-theoretischer Ei�engung des Blicks und bei völliger Vernachlässigung der kognitiven Aspekte des Problems zustande kommen.
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erwähnen in diesem Zusammenhang ein Experiment von Holzkamp und Meder (unveröffentlicht)", in dem zwar nicht »operants<< im eigentlichen Sinn e als Responses benutzt wurden, das aber trotzdem für das vorliegende Problem bedeutsam sein könnte. In diesem Experiment wurde ein Zusam menhang zwischen Ansätzen der Konzeptbildung und Ansätzen der sozialen Verstärkung von Verhaltensweisen hergestellt. Als Stimulusmaterial wurden in diesem Versuch Karten mit Figuren benutzt, die nach verschiedenen - im Ganzen sechs - Gesichtspunkten in zwei Gruppen eingeteilt werden konnten, und zwar nach der Form (rund - eckig), nach der Strichdicke (schmal - breit), nach der Farbe (rot - schwarz), nach den Konturen (offen - geschlossen) usw. In einem Vorversuch, bei dem die Vpn die Karten nach den verschiedenen Gesichtspunkten zu ordnen hatten, wurde die Schwierigkeit der einzelnen Klassifikationskriterien eruiert, wobei sich eine Rangfolge der Klassifika tionsschwierigkeit ergab. Am leichtesten war die Klassifikation nach dem Gesichtspunkt >>rund - eckig<<, am schwierigsten war die Klassifikation nach dem Gesichtspunkt »schmal - breit<< . Im Hauptversuch hatten die Vpn je weils zwei Karten hinsichtlich ihres Flächeninhaltes zu vergleichen, wobei nur solche Kartenpaare in den Versuch aufgenommen worden waren, bei denen etwa gleich häufig die eine wie die andere Karte als flächengrößer eingeschätzt worden war. Als sozialer Verstärker wurde die durch den Ex perimentator abgegebene Äußerung »mmm-hmmm<< benutzt. Es wurden im Ganzen sechs Versuchsgruppen hergestellt, denen die Vpn randomisiert zugeteilt worden sind. In den verschiedenen Gruppen wurden innerhalb der Darbietungsserie die Figuren jeweils nach den verschiedenen Klassifikations gesichtspunkten verstärkt. Einmal wurde also z. B. jeweils die >>runde<< Figur durch »mmm-hmmm<< verstärkt, in einer anderen Gruppe die Figur mit sch maler Strichdicke, in einer weiteren Gruppe die rote Figur usw. Es wurde die Hypothese geprüft, dass, sofern sich die Verstärkung auf »leichtere<< Klassifikationsgesichtspunkte bezog, ein größerer Effekt der Verstärkung auf die Nennungshäufigkeiten feststellbar ist, als wenn sich die Verstärkung auf >>schwerere<< Klassifikationsgesichtspunkte bezieht. Die gewonnenen Be funde sind im Sinne einer Bestätigung dieser Hypothese zu interpretieren. - Die Resultate sprechen für die Annahme, dass die Wirkung der sozialen Verstärkung auf die Urteilshäufigkeit davon abhängt, wieweit die Vpn in der Lage sind, die Klassifikationsgesichtspunkte, die der Experimentator selbst bei der Einführung der Verstärkung benutzt hat, auch zu erkennen, wieweit es ihnen also möglich ist, die verstärkten Responses durch Konzeptbildung in einen Zusammenhang zu bringen. Wrr
Aus uns eren Darlegungen geht hervor, dass der skinnersche Ansatz des »operant condicioning« in seiner strengen Form zur Erklärung der hier von uns diskutierten Experimente nicht voll geeignet ist. Annahmen über die kognitive Strukturierung der Responseserien als Vorausset zung für die Verhaltensänd erung haben in der Konzeption von Skinner keinen Platz, ebenso wenig wie Annahmen über die Einsicht in Zusam menhänge zwischen Responseklasse und Vers tärkung Wrr können uns .
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Anm. d. Hg.: Die Arbeit ist auch später nicht veröffentlicht worden.
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demgemäß auch nicht bereit finden, die Responses der Experimenta toren hier einfach als »Verstärkung« anzusehen, wobei es grundsätz lich gleichgültig wäre, ob diese Verstärkung nun in einem apparativ ge spendeten Futterreiz, wie bei den skinnerschen Tauben, oder in einem »mmm-hrnmm « des Experimentators besteht - womit die hier vorge legte Auffassung ohnehin sozialpsychologisch nicht sonderlich rele vant wäre. Wrr wollen vielmehr versuchen, auch die zum Zwecke der Prüfung von Hypothesen über soziale Verstärkung von spontanem ver balem Verhalten hergestellten experimentellen Anordnungen von den früher dargelegten Gesichtspunkten her zu analysieren, wobei wir die Vpn als »Beobachter« und den Experimentator als »Modell« ansehen. Die Grundkonstellation der an dieser Stelle zu diskutierenden Ex perimente über soziales »operant conditioning« unterscheidet sich von den b isher besprochenen Untersuchungen zum sozialen Einfluss auf verbales Verhalten zunächst dadurch, dass vom B eobachter hier an dersgeartete Responses auf die unabhängige Stimulussituation verlangt werden. D er B eobachter hat hier nicht im Wesentlichen durch die Anordnung festgelegte Responsemöglichkeiten in einer bestimmten Stimulusdimension oder zum Zwecke der Lösung einer bestimmten Aufgabe, sondern er hat auf unklar definierte Reizsituationen hin - die häufig nicht einmal im Experiment präsent sind - spontan eine wenig begrenzte Vielfalt von verbalen Äußerungen zu produzieren. Ein wei terer wesentlicher Unterschied liegt darin, dass auch das Modell hier andersgeartete Responses zeigt. Es werden vom Modell nicht Urteile über den gleichen Sachverhalt, den auch der Beobachter zu beurtei len hat, abgegeben; das Modell produziert vielmehr im Anschluss an manche der B eobachterresponses mehr oder weniger deutlich zustim mende bzw. ablehnende Reaktionen. Das bedeutet, dass dem B eobachter in diesem Falle nicht - wie in den üblichen Konformitätsexperimenten - der Zusammenhang zwi schen seinen eigenen Urteilen und den Urteilen des B eobachters von vornherein gegeben ist. Der B eobachter muss vielmehr durch probe weises Ansetzen verschiedener Konzeptualisierungsmöglichkeiten, also durch Annehmen und Verwerfen von Hypothesen über die Prin zipien der Zuordnung zwischen eigenen Urteilen und Modellreaktio nen, diesen Zusammenhang erst schaffen. D emnach ist hier von vorn herein nicht mit einem prompten Einsetzen des sozialen Einflusses zu rechnen, sondern es müssen die für die Befunde aus den einschlägigen Experimenten charakteristischen Verläufe des allmählichen oder auch stufenweisen Anwachsens der Modifikation des verbalen Verhaltens unter B eobachtereinfluss entstehen. Welche Funktion hat nun das Modell bei dieser An von sozialem Einfluss ? Wie wir schon sagten, halten wir die Feststellung für unzu·
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reichend, dass die Modellreaktionen hier notwendigerweise einfach als »Verstärkungen« auf den Beobachter wirken. Bei der kognitiven Durchgliederung der Aufgabensituation dürfte der Beobachter u. a. vor der Frage stehen, welche Gründe das Modell für die Abgabe seiner Zustimmungs- bzw. Ablehnungsäußerungen haben mag. Diese Frage ist nicht schon damit beantwortet, dass der Beobachter das Zuord nungsprinzip erkannt hat. Auch nach dem Erkennen dieses Prinzips muss es für den Beobachter weiter fraglich bleiben, warum das Mo dell z. B. immer Zustimmungsäußerungen produziert, wenn der Be obachter »Tier«-Antworten gibt oder Pluralformen nennt. Da in den üblichen Experimenten dieser Art die Zuordnung zwischen Respon seklasse und Beobachterreaktionen vom Experimentator tatsächlich willkürlich festgelegt wurde, dürften die Hypothesen des Beobachters über die >>Gründe« des Modells für seine Reaktionen im Allgemeinen ziemlich vage bleiben. Solche Hypothesen könnten etwa von der fol genden Art sein: >>Er möchte, dass ich immer Tier-Antworten gebe; er hat sich das aus irgendwelchen Gründen so ausgedacht« etc. Da die Zustimmungs- bzw. Ablehnungsäußerungen des Modells häufig für den Beobachter mehr oder weniger deutlich den Eindruck hervorrufen könnten, dass es unter den Äußerungen des Modells solche gibt, die >>richtiger« oder »besser« sind als die anderen Äußerungen, mag die folgende Beobachterhypothese besonders bedeutsam sein: Das Modell verfügt bei der Beurteilung der Beobachterresponses über irgendwel che >>Richtigkeits«- bzw. >>Güte«-Kriterien, die dem Beobachter selbst aus irgendwelchen Gründen nicht zur Verfügung stehen. Sofern die Beobachter von dieser letzten - u. E. besonders nahe liegenden - Hypothese ausgehen, mögen hier von ihnen die Zustim mungs- bzw. Ablehnungsäußerungen des Modells so interpretiert wer den: Der Experimentator, der mehr weiß, würde sich genauso verhalten, d. h. er würde in der gleichen Situation auch Tier-Deutungen etc. abge ben. In diesem Falle wäre hier die Modellfunktion aber gar nicht mehr grundsätzlich verschieden von der Modellfunktion in den Konformi tätsexperimenten. Die allmähliche Modifikation der Beobachterurteile könnten als allmähliche Angleichung der Beobachterresponses an die vermuteten potentiellen Modellresponses verstanden werden. Da von der Sicht des Beobachters aus dem Modell Information oder Ein sichten zur Verfügung stehen, die dem Beobachter nicht gegeben sind, könnte man hier u. U. von einer besonderen Art >>matched dependent behavior« sprechen. Mit dieser Deutung der Experimente zum sozia len >>operant conditioning« wäre eine Annäherung an die früher darge legten Konzeptionen der sozialen Beeinflussung vollzogen. Unsere hier vorgelegten Deutungsversuche sind natürlich äußerst vage. Die Schuld dafür liegt indessen nicht bei uns. Durch die mehr
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oder weniger schematische Übertragung des >>operant conditioning« Modells auf bestimmte Situationen des sozialen Einflusses sind bisher entscheidende Dimensionen der kognitiven Strukturierung der Auf gabensituation durch den Beobachter einfach nicht beachtet worden. Man hätte sich zunächst zu überlegen, welche Interpretationen des Modellverhaltens durch den Beobachter man hier überhaupt für rele vant halten will, und sodann alle übrigen Interpretationsmöglichkeiten des Beobachters als Störfaktoren zu eliminieren oder zu kontrollieren. Falls man unsere Deutung akzeptieren wollte, so könnte man auch hier die Bedingungen der Verhaltensmodifikation des Beobachters nach den gleichen Gesichtspunkten zu analysieren versuchen, die wir früher dargestellt haben. Auch in diesem Falle wäre der Grad der sozialen Verhaltensmodifikation als das Ergebnis eines Gewichtungsprozesses anzusehen, in dem etwa der Widerständigkeitsgrad der unabhängigen Stimulussituation, die dem Modell attribuierte Kompetenz bzw. so ziale Macht, bestimmte Persönlichkeitsvariablen beim Beobachter usw. als Gewichtungsmomente bedeutsam wären. Auch hier hätte man so dann nach dem Zustandekommen des Äußerungsresponses durch die verarbeitende kognitive Aktivität des Beobachters zu fragen. Dabei wäre stets die besondere, in den einschlägigen Experimenten ange setzte Grundkonstellation zu beachten. Wir können darüber keine ins Einzelne gehenden Überlegungen anstellen. Die Künstlichkeit der durch die dogmatische Anwendung des Mo dells des >>operant conditioning<< entstandenen Untersuchungssituati onen zur Erforschung des sozialen Einflusses ist mehrfach hervorgeho ben worden. B esonders eindrucksvoll sind in diesem Zusammenhang die ironischen Kommentare von Bandura (1 962, S. 212ff;). Man wird wohl nicht daran zweifeln können, dass die hier eingebrachten Befunde für viele charakteristische Konstellationen der außerexperimentellen sozialen Beeinflussung nur wenig Repräsentanz besitzen. Dennoch scheint uns der vorliegende Ansatz, sofern man ihn in eine allgemeine Theorie des sozialen Einflusses integriert, zur theoretischen Erfas sung spezifischer und in mancher Hinsicht recht wesentlicher sozialer Konstellationen geeignet zu sein. Die typischen sozialen Situationen, auf die der hier besprochene An satz bezogen werden kann, sind etwa folgendermaßen beschaffen: Es handelt sich dabei um bestimmte kriterienarme Situationen, in denen der Beobachter versuchsweise verschiedene verbale Äußerungen pro duziert, z.B. um Kommunikationsvorgänge, in denen eine gemeinsame Meinung über andere Menschen zustande kommen soll, in denen die Partner die Art ihrer gegenseitigen Beziehungen zueinander definieren wollen u. Ä. m. Diese Situationen sollen weiter dadurch charakterisiert sein, dass direkt stimulusbezogene Urteile des Modells hier nicht so
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ohne weiteres möglich sind, weil sich solche Äußerungen durch so ziale Normen, >>Tabus« etc. verbieten. >>Man redet nicht schlecht über andere Menschen«, >>man sagt einem Menschen seine Meinung über ihn nicht direkt ins Gesicht« o. Ä. Auch die Tendenz des Modells, sich nicht durch zu direkte Äußerungen festzulegen, sich eine Rückzugs möglichkeit offen zu lassen und damit befürchteten sozialen Bestra fungen zu entgehen, mag in diesem Zusammenhang bedeutsam sein. - Man wird vielleicht zugeben, dass derartige Situationen nicht fest gelegten sprachlichen Sich-Äußerns und unspezifischen Reagierens in gewissen Bereichen der sozialen Kommunikation von beträchtlicher B edeutung sind. In solchen Situationen können nun wechselseitige Verhaltensände rungen, etwa Verhaltensangleichungen der Kommunikationspartner durch reziproke Steuerungsvorgänge bedingt sein, die ähnlich ablaufen wie die Beeinflussungsvorgänge in den Experimenten, die ursprünglich zur Realisierung des Konzeptes des sozialen >>operant conditioning« durchgeführt wurden. Bestimmte zunächst versuchsweise produzierte verbale Äußerungen des Beobachters mögen durch die unspezifischen Zustimmungs- oder Ablehnungsäußerungen des Modells immer häufiger bzw. seltener auftreten, wodurch sich - auf dem Wege reziproker Beob achter-Modell-Beeinflussungen - all mählich eine Übereinstimmung hin sichtlich der Redeweise über Menschen - oder auch über andere Gege benheiten - herausbilden könnte, die die Grundlage für eine gemeinsame Orientierung in der sozialen oder nichtsozialen Umwelt bildet. Sofern man den Ansatz der Beeinflussung unfestgelegter verbaler Äußerungen durch unspezifische Modellreaktionen - wobei es eine Definitionssache ist, ob man diese Reaktionen als >>Verstärkung« be zeichnen will - als einen Sonderfall innerhalb einer allgemeinen Theo rie der modellvermittelten sozialen Beeinflussung betrachtet, ist dieser Ansatz unter verschiedenen Gesichtspunkten neu zu durchdenken. Dabei wird man etwa auch zu fragen haben, welche Formen der Mo dellreaktionen man im Hinblick auf die hier zu erforschende besondere soziale Konstellation als theoretisch relevant zu betrachten habe, wo mit die bisherige Beliebigkeit der Einführung sozialer >>Verstärkungen« überwunden wäre. Eine in diesem Zusammenhang besonders wichtige Variable des Modellverhaltens scheint uns der vom Modell mit dem Beobachter hergestellte Blickkontakt zu sein. Der Blickkontakt dürfte ein elemen tares Agens des Kommunikationsverlaufs und der Verhaltenssteuerung in aktuellen Partnersituationen sein. Zudem ist das Anblicken durch seine inhaltliche Unbestimmtheit und geringe Objektivierbarkeit be sonders dazu geeignet, in der Partnerkonstallation Stellungnahmen zu vermitteln, die auf Grund der die verbalen Verhaltensmöglichkeiten
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einschränkenden, in der jeweils besonderen sozialen Situation gege benen sozialen Normen, >>Tabus« etc. auf andere Weise nicht kam munizierbar sind. Im Blickkontakt kann die verbale Kommunikation sozusagen »unterlaufen<< werden. Über den Blickkontakt als Moment der sozialen Beeinflussung sind am Psy chologischen Institut der Freien Universität Berlin eine Reihe von Expe rimenten durchgeführt worden, von denen eines, das Holzkamp und Nell (1 969)' anstellten, hier kurz geschildert werden soll. Wir gingen in diesem Experiment von der Annahme aus, dass die soziale Valenz des Blickkontaktes für sich genommen mehrdeutig ist, dass Blickkomakt aber je nach dem vom Beobachter wahrgenommenen Gesamtausdruck des Modells als >>positive« oder »negative« Stellungnahme zum B eobachterverhalten wirken kann. Die in unser Experiment eingeführte unabhängige Variable war also der B lickkon takt des Modells zum Beobachter im Kontext verschiedengradiger »Freund lichkeit« bzw. »Unfreundlichkeit« des Gesamtausdrucks des Modells. Als Modell fungierte die Versuchsleiterin, Verena Nell, die sich bemühte, in der experimentellen Situation verschiedene Grade der »Freundlichkeit« darzu stellen. Um zu kontrollieren, ob dabei tatsächlich die Eindrucksurteile des B eobachters entsprechend modifiziert worden sind, wurde folgendes Mess verfahren entwickelt: Vom Modell wurde eine große Zahl von Fotographien möglichst verschiedengradiger Freundlichkeit hergestellt. Aus diesen Foto graphien wurde dann eine Art von Thurstone-Skala konstruiert: B eurteiler hatten die Bilder auf einer Sieben-Punkte-Skala nach der Freundlichkeit einzustufen. Für j edes Bild wurde der Median und das Interquartil-Maß der Freundlichkeitseinsrufungen berechnet. Die endgültige Skala bestand aus Bil dern mit möglichst geringer Urteilsstreuung, die sich in äquidistanten Schrit ten auf einer Sieben-Punkte-Dimension anordnen ließen. Die so geschaffene Skala wurde den Vpn jeweils im Anschluss an die experimentelle Sitzung vor gelegt, mit der Aufforderung, das Bild herauszusuchen, in dem das reale Mo dell am besten getroffen sei. Auf diese Weise hatten wir die Möglichkeit, die von den B eobachtern wahrgenommene Freundlichkeit-Unfreundlichkeit des Modells zu messen. - Das Stimulusmaterial bestand aus Karten mit »runden« und » eckigen<< Figuren, die nach dem Flächeninhalt zu vergleichen waren. Es wurden j eweils die >>rund«-Wahlen der Vpn durch vom Modell hergestell ten Blickkontakt »verstärkt«. - Um die »Freundlichkeits«-Variable von der »Blickkomakt« -Variablen experimentell zu isolieren, wurden vier Versuchs gruppen eingeführt, auf die die Vpn randomisiert verteilt waren: Freundliches Modell mit Blickkontakt, unfreundliches Modell mit Blickkomakt sowie, als Komrollgruppen, freundliches M odell ohne Blickkontakt und unfreund liches Modell ohne Blickkontakt. Die Hypothese des Experimentes lautete, dass unter der »Freundlichkeits<<-Bedingung mit Blickkontakt die »rund<< Wahlen der Beobachter zunehmen, unter der » U nfreundlichkeits«-Bedingung mit Blickkontakt die »rund<<-Wahlen der Beobachter abnehmen, während in den beiden Kontrollgruppen ein solcher Effekt nicht auftritt. - Als Resultat "-·
Anm. d. Hg.: Dieser Text erschien unter: Holzkamp, K. ( 1 969). Reinforce ment durch Blickkomakt: Eine experimentelle Studie. Zeitschrift für Experi mentelle und Angewandte Psychologie, 1 6, 538-560.
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ergab sich zunächst, dass dem Modell die Herstellung des Freundlichkeits bzw. Unfreundlichkeits-Eindrucks optimal gelungen war: Die Verteilungen der mit der geschilderten Skala gewonnenen Messdaten für die »Freund lichkeits<<- und für die »Unfreundlichkeits<<-Bedin�ngen traten so stark in der erwarteten Richrung auseinander, dass kaum Ub erlappungen vorlagen. Weiter konnten die meisten der entsprechenden Nullhypothesen - teilweise auf dem 5 % -Niveau, teilweise weit unter dem 1 % -Niveau - zurückgewiesen werden, so dass aus unseren Befunden eine empirische Bewährung der ge nannten experimentellen Hypothese zu entnehmen ist. Wrr sind also zu der Annahme berechtigt, dass in unserem Experiment das Wahlverhalten der Be obachter durch den vom Modell hergestellten Blickkontakt im Zusammen hang mit positiver bzw. negativer Valenz des Gesamteindrucks modifiziert werden konnte. Bei eingehenden Schlussinterviews ergab sich, dass keine der Vpn darüber berichtete, die Herstellung eines gezielten Blickkontaktes durch das Modell bemerkt zu haben. Wir dürfen aus diesem Umstand - wie aus un seren früheren Überlegungen hervorgeht - natürlich nicht etwa den Schluss ziehen, dass hier »learning without awareness« vorgelegen hat. Immerhin ist aber vielleicht die Annahme erlaubt, dass die Verhaltenssteuerung durch Blickkontakt so sehr in den Gesamtprozess der Kommunikation zwischen Modell und Beobachter integriert war, dass die Reflexionssrufe, die Voraus setzung für einen entsprechenden Äußerungsresponse ist, hier nicht erreicht werden konnte. Mit verfeinerten Erhebungsmethoden und der Herstellung günstigerer Bedingungen für den Äußerungsresponse dürfte allerdings der Nachweis der irgendwie gearteten » Vertretenheit<< des Zusammenhangs zwi schen Blickkontakt und Modellresponses im kognitiven Feld des Beobachters vermutlich gelingen. Entsprechende Untersuchungen sind in Vorbereirung. Aus den Darlegungen dieses letzten Abschnittes unserer Ausführungen sollte hervorgehen, dass eine Einbeziehung der im Zusammenhang mit dem Konzept des sozialen >>operant conditioning« von verbalem Verhal ten entwickelten Ansätze und eingebrachten Befunde in eine übergrei fende Theorie des modellvermittelten sozialen Einflusses zum mindes ten als möglich betrachtet werden muss. Damit wäre ein weiterer Beitrag zu dem in dieser Abhandlung angestrebten, aber noch nirgends voll verwirklichten Ziel geleistet, eine umfassende Theorie der Beeinflussung des - nichtverbalen wie verbalen - kognitiven Verhaltens durch B erück sichtigung von Modellresponses zu entwickeln. Bei weiteren Bemü hungen in dieser Richtung wird - wenn wir uns nicht irren - eine Ten denz sich immer stärker ausprägen, die im bisherigen Fortschreiten der einschlägigen Theorienbildung schon deutlich merkbar war: Die stets weitergehende, vorsichtige und kritische Einbeziehung von kognitions theoretischen und generell allgemeinpsychologischen Gesichtspunkten in die ursprünglich S-R-theoretischen Konzeptionen des modellver mittelten sozialen Einflusses ohne Aufgabe der vom S-R-theoretischen Ansatz her erreichten fruchtbaren und empirisch gesicherten Positionen (vgl. dazu auch Spielberger 1 965, S. 1 6 1 ff. und 1 73ff.).
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Back, K. W. 339 Bacon, F. 1 99 Baker, J. M. 356 Bandura, A. 323 ff., 3 3 1 , 380
Barron, F. 342, 354f., 370 Banley, W. W. 1 95 Bass, B. M. 333, 345, 347, 353 f.
Bayer-Karte, W. v. 222 Bechterew, V. M. 5 1 Behringer, R. 349 Beloff, H. 356 Benne, K. D. 372 Berenda, R. W. 356 Berg, I. A. 333 Berger, S. M. 323 f. Bergius, R. 2 1 2 Bergler, R. 332 Berkowitz, L. 348 Berlyne, D. E. 320 Bigott, B. 124 Blake, R. R. 339, 341, 345, 347 f., 350, 353 f.
Bloch, B. L. 347 Bookhagen, C. 1 50, 239 Bovard, E . W. 339, 370 Brandt, U. 3 3 2 f. Bray, D. W. 356 Br ehrn, J . W. 369 Brenner, M. 372 Bridgman, P. W. 90 Brodbeck, H. 89 Bruder, K.-J. 255 ff. Bruner, J. S. 294, 305, 320, 329 Bruno, G. 286 Bühler, K. 49, 1 46, 293 Burdick, H. A. 347
Dencker, H. P. 1 79, 228 DeNike, L. D. 374 . Descanes, R. 207 Deutsch, M. 348
Dewey, J. 5 1 , 208 Dingler, H. 53, 93, 97, 99 ff., 1 34, 1 60, 1 66 f., 1 86 f., 284 Dollard, J. 309 ff., 3 1 4, 3 1 7, 3 1 9, 321 ff. Domdey, H. 266 Dürr, E. 49 Duhem, P. 97, 284 Duncker, K. 294 Durkheim, E. 309 Dutschke, R. 235
Camp bell, D. T. 330, 333, 337, 345, 353, 362 f. Canerti, E. 223 Canning, R. R. 356 Carlsmith, J. 369 Carnap, R. 89 ff. Carpenter, B. 355 Carpenter, J . T. 355 Carpenter, W. B. 308 f. Carr, H. 309 Cassirer, E. 89 Chalmers, D. K. 3 14, 3 1 6, 3 3 1 , 346 Champney, H. 357 Cohen, A . R . 369 Cole, D. L. 347 Coles, M. R. 312 Cornforth, M. 202 Costello, T. W. 372 Cranach, M. 369 Crutchfield, R. S. 348, 356, 366 f. Cumming, W. W. 296
Darwin, C. 5 1 Davis, K. E. 339 DavitZ, J. 3 72 De Charms, R. 3 1 4, 3 1 6
Ebbinghaus, H. 5 1
Eiste!, A. 2 1 2 Ekartsberg, R. v. 347 Elms, A. 369 Engels, F. 1 08, 123, 1 84, 203, 2 1 0, 228, 256, 262, 278 Eriksen, C. W. 296 f. Eyferth, K. 248 ff., 254, 332 Feger, H. 222, 332, 373
Feig!, H. 89 Festinger, L. 361, 368 f. Feuerbach, L. 1 08, 1 12, 256 f.
Feyerabend, P. K. 1 82 Firestone, I. 368 Fisher, R. A. 1 64, 355 Fleischer, H. 1 12, 203 f. Folwaczny, B. 228 Fox, D. 372 Franke, ]. 212 French, J. R. P. 347, 357 Freud, S . 5 1 , 364 Frye, R. L. 349
402 Gadamer, H.-G. 240 Galilei, G. 286 Galperin, F. 255 Garner, W. R. 296 f. Gerard, H. 347 f., 370 Gibson, J. J. 295, 300 Gilmore, J. B. 369 Goldiamond, I. 296 Goodman, C. C. 305 Graumann, C. F. 222 ff., 3 02, 305 Greenspoon, J. 374 Groos, K. 309
Habermas, J. 2 4 , 3 7 , 39, 47, 96, 1 09, 1 83, 2 1 5 f., 2 1 8, 220, 228, 235 Hahn, E. 209, 261 Hake, H. W 296 f. HaJI, R. 370 Hampel, H.-J. 73 H ardy, K. R. 350, 356 Harvey, 0. J. 354 Hartmann, M. 89 Haug, F. 260 H au g, W. F. 2 5 1 , 253, 268 Hege!, G. W. F. 1 80, 1 97, 220 f., 259 Heidegger, M. 66 Heider, F. 1 20, 300 Helson, H. 339, 354 Herrmann, T. 285 Heß, M. 286 H ilgard, E. R . 2 9 Hochbaum, G. M. 356 Hoffman, M. L. 342, 370 Hollander, E. P. 346 Holz, H.-H. 235, 267 Holzkamp, K. 1 8, 47, 55, 76, 80, 82, 87, 93, 97 f., 1 00 ff., 1 09 f., 1 1 3, 1 1 6, 127, 1 32 f., 1 36, 138, 1 4 1 , 1 5 1, 1 5 4 f., 1 60, 1 62, 1 6 7 ff., 1 72, 1 79, 1 8 1 , 1 83, 1 85 ff., 1 90, 202, 204, 206 f., 252, 3 04, 306, 3 1 8 f., 324, 329 f., 340, 344, 350f., 359, 377, 382
Namenverzeichnis Hörmann, H. 2 1 2, 2 1 5 ff., 22 1 , 243, 248, 285 Horkheimer, M. 46, 76, 1 99, 234 Horne, W. C. 3 1 4, 3 1 6, 3 3 1 , 346 Howes, D. 1 65 Huffschmidt, J. 1 24 Hull, C. L. 1 8, 63, 3 1 0, 319 Hume, D. 1 70 Hunt, D. E. 349, 354 Husserl, E. 66, 302 Husten, A. C. 323
Iljenkow, E. W. 1 09 Irle, M. 222, 332, 369 Jackson, D. N. 356 Jackson, J. M. 339, 345, 348, 357
Jäger, A. 0. 237, 244, 248, 250, 269
Jacubczak, L. 355 Jahoda, M. 368 James, W. 5 1 , 308 f. Janis, I. L. 369 Johnson, H. H. 356 J ones, E. E. 348 Kagan, J. 357 Kanareff, V. T. 3 1 4 ff. Kanfer, F. H. 296, 374 Kant, I. 1 92 f., 221 , 261, 278
Karr, A. 5 1 Keiler, P. 71 , 1 00, 1 39, 141, 212, 329
Kelley, H. H. 333, 348, 356, 372
Kelly, G. H. 1 20 Kelman, H. C. 356, 368 Kerber, H. 246 Klages, L. 308 Kleemann, S. 2 1 4 f. Klein, G. S. 68, 295 Klüver, ]. 214 Koffka, K. 49, 309
Köhler, B. 332 f. Köhler, W 49 Kommune 2 150 Kosik, K. 1 83, 259 Kraft, V. 91
Krasner, L. 373 ff. Krebs, A. M. 354, 357 Kreppner, K. 332 Kroh , 0. 1 46, 2 1 2 Kuby, E. 2 1 3 Külpe, 0 . 49 Kurras, H. 21 4 Laing, R. D. 1 5 0 Lamb, T. W. 356 Lambert, E. C. 305 Lambert, W. W. 305 Langhans, R. 2 1 5 Lanzetta, J. T. 3 1 4 ff. Le B on, G. 308, 358 Le Dantec, F. 309 League, B. J. 356 Lefevre, M. 266 L ektors k.i, W. A. 206, 278 Lenin, W. I. 247 Leomjew, A. N. 255 Lersch, P. 1 1 4 Levin, S. 374 Levinger, G. 347 Levy, B. 328 Levy, L. 348 Lewin, K. 1 8, 5 1 , 2 1 2 Linschoten, J. 300 Lim, H. 341 Lipps, T. 308 London, P. 341 Lorge, I. 3 72 Lorenzen, P. 285 Luchins, A. S. 3 1 7 f., 321 Luchins, E. H. 3 1 7 f., 321 Lukacs, G. 204 Lysenko, T. D. 1 89
MacBride, P. D. 356 Maccoby, E .. E. 329 Mannheim, K. 1 99 Marcel, G. 66 Machovec, D. 47
403
Namenverzeichnis Marcuse, H. 35 f., 220, 234 f. Marinho, H. 370 MarkoviC, M. 1 98 Marrin, H. 212 Marx, K. 33, 65, 86, 1 08 f., 1 1 2, 1 1 4, 1 2 1 , 1 23, 1 25, 128, 1 54, 158, 1 79 ff., 1 8 7 ff., 200 ff., 207 f., 2 1 0, 221 , 223, 225, 228, 234 f., 244 ff., 25 1 f., 254, 256 ff., 260 ff., 265, 267, 272 f., 277 f., 286 ff. Maslow, A. H. 1 1 9 Mausner, B. 347 May, E. 93, 97, 1 00, 1 60, 1 66, 284 McBrearty, J. F. 374 McConnick, E. J. 80 McDavid, J. W. 3 1 3 f., 321, 341, 354 McGeoch, C. 5 1 , 309 McGinnie s, E. 356 Menzel, H. 368 Mill, J . S. 55, 8 8 f. Miller, N. E. 309 ff., 3 1 7 ff., 321 ff. Millon, T. 356 Minard, J. G. 296 Mitscherlich, A. 222 Moeller, G. 357 Morrison, W. 347 Mouton, J. S . 339, 341, 345, 347 f., 350, 353 f. Mowrer, 0. H. 322 f., 325 Müller, G. E. 51 Münch, R. 153 ff., 158, 1 60 ff., 1 65 ff., 1 74 ff., 1 87 Mussen, P. H. 323, 357 Naatz, T. 212 Nadler, E. B. 356 Nakamura, C. Y. 354, 372 Natorp, P. 89
Nell, V. 382 Neurath, 0. 8 9 f., 1 87 Newcomb, T. M. 357 N orgemeinschaft für eine Freie Universität 250 f. Nuttin, J . M. 369 Ohnesorg, B. 2 1 4, 2 1 6, 21 8, 235 Olrnstead, J. A. 348, 350 Ono, H. 347 Orwell, G. 35 f. Pannekoek, A. 123 Parker, A. L. 323 Pawlow, I. P. 5 1 Perlwitz, H. 2 1 2 Piaget, J. 1 46, 294, 299, 309 Pilzecker, A. 51 Platon 1 99 Poincare, H. 284 Popper, K. R. 87, 93 ff., 1 03 ff., 1 09, 1 37, 1 53, 1 55, 1 5 7, 1 60, 1 69, 1 74, 1 76 ff., 181 f., 1 9 1 ff., 201 ff., 208 f., 2 1 6, 280 ff., 285 Postman, L. 305 Potthoff, P. 1 79 Proudhon, P. J. 286 Psychologisches Institut FU 273 Rausch, E. 50 Raven, B. 347 Reich, W. 2 1 5 Reichenbach, H. 89, 9 1 , 1 99 Ricardo, D. 1 5 8, 205, 286 Richter, H. 309 Reeder, P. M. 76 Ro hrac her, H. 308 Rohrer, J. H. 342, 370 Roloff, E.-A. 124 Rosenbaum, M. E. 3 1 4, 3 1 6, 3 3 1 , 346
·
Ross, D. 331 Ross, E. A. 308 Ross, S. A. 3 3 1 Rote Zelle Psychologie (ROTZEPS) 244 Rothe, F. 266 Rubinstein, I. 355 Russell, D. H. 29 Rutherford, J. 354 Saltzstein, H. D. 339, 345, 348, 357 Samelson, F. 354 Sargent, S. S. 1 7, 1 20 Sartre, J.-P. 74 Schachrer, S. 1 1 4, 370 Scharmann, T. 332 Schein, E. H. 3 1 2, 321 Scheler, M. 66 Schlick, M. 89 Schmid, M. 153 ff., 1 58, 1 6 0 ff., 165 ff., .1 75 ff., 187 Schneider, M. 34 Schoenfeld, W. N. 296 Schonbar, R. A. 370 Schroder, H. M. 349, 354 Schurig, V. 280 Shapiro, M. M. 348 Shaw, M. W. 372 Sheats, P. 372 Sherif, M. 339, 342, 354, 359, 370 Shoben, E. J. 1 7 Siepmann , E. 34 Sighele, S. 308, 358 S imkins , L. C. 356 Sisrrunk, F. 341 Six, B. 332 Skinner, B. F. 45, 373 f., 377f. Smirh, A. 286 Smirh, K. H. 346 Smith, M. B. 1 7 Smock, C. D. 296 Sodhi, K. S. 212, 333, 339, 342, 346, 359 Sohn-Rethel, A. 207, 260
404
Namenverzeichnis
Solomon, R. 3 1 2, 359
L. 1 65, 305,
Wtldemann,
H. 222
Wilhelmer, B. 2 1 4
Spielberger, C. D. 374 f., 3 83
Willis, R.
H. 366
Staeuble, I. 2 1 8, 221 , 22 8
Wilson, W. C. 3 1 3 f., 3 1 8 Witkin, A . 6 8
Stegmüller, W. 1 92
Wittgenstein, L . 90
Steiner, I. D. 356
Wolf, F. O. 2 1 4
Strickland, L.
Woodworth, R . S. 5 1 ,
H. 348,
295, 309
354 Stritch, T. M. 349 Stroop, ]. R. 69 Sundby, E. A. 353
Wundt,
W. 48 f., 1 1 9,
293 f., 296
Sutich, A. 1 1 9 f.
Zand, C. E. 372
Tarde, G. 308 f. Tarski, A. 1 92
Ziller, R. C. 349 Zilsel, E. 90
Thibaut, J. W. 333, 348,
Zimbardo,
Zeleny, J. 233
354, 3 72 Thomae,
H. 222
Thorndike, E. 320 Titchener, E. B. 48, 5 1 , 1 19
Tolman, E. C. 1 8, 63, 328 Tomberg, F. 203, 259 Torrey, R. 348 Tucker, I. F. 3 1 4, 3 1 6, 33 1 , 346 Tuddenham, R. D. 356 f. Ulmann, G. 148
Ullmann, L. P. 375 U nderwood, B. 30 Vetter,
H. 369
Vogler, P. 240
Walters, R. H. 325, 3 3 1 , 355 Watson, P. D. 5 1 , 305 Weiner, H. 355 f. Weisenberg, M. 368 Wellmer, A. 191 f., 1 95, 208 Wells, H. H. 348 Wemer, H. 1 46 Wertheimer, M. 49f., 294, 342 White, R. W. 320, 346 Wiener, M. 356
P. G. 1 1 4, 368
405
Sachverzeichnis
Abhängigkeit primäre/sekundäre 39, 47 selbstverschuldete 82 abstrakt-isoliertes Individuum 60, 108, 1 1 1 , 1 1 3, 1 1 5 ff., 1 2 1 , 128, 144, 1 5 1 , 1 88, 200, 255 ff., 279 Agnostizismus 229, 262, 279, 290 Allopsychologie 53 f. Alltag s.a. tägliches Leben Alltagsmensch 51 f., 56, 75, 1 1 8 f., 1 26, 128 Alltagsrealität als Relevanzkriterium 35, 5 1 , 1 1 8, 121 dingliche 20, 25, 30
97f., 1 0 1 ff., 1 1 6, 1 3 8 ff., 1 52, 1 5 9 ff., 1 76 B egriffsbildung implizite Wertungen 77f., 79, 230 introjektive 1 1 2 f, 289 B egriffsdichotomisierung 259, 280, 293 f., 296 Belastetheit 1 02 ff., 1 1 0, 1 1 6, 1 36, 1 3 9 ff., 1 5 1 , 1 53 f., 1 6 9 ff., 1 74 ff, 2 1 3 B eobachtung(s) introspektive 48 f. -lernen 328 ff., 333 Berufspraxis, psychologische 1 5 , 25, 36 f., 225, 241 , 274 f.
Strukturähnlichkeit mit experimen
Bestätigungsgrad empirischer Hypo thesen 1 7 f. , 3 1 , 9 1 , 135, 1 6 1 , 232
teller Realität 27 ff., 33, 47, 3 5 1
Bewusstsein(s)
Alltagssituation, rypischer Strukturtyp 32 Alltagssicht 295, 298
Aufbau des 48 ff., 53 f. »Bewusstsein überhaupt« 72 f., 1 1 9 entfremdetes/ enteignetes 3 6 f., 39,
Alltagssprache 120
65,125 f.. 223, 259
Alltagstheorie 302, 330 f., 353, 3 6 1
falsches/partialisiertes 65, 240
Alltagsverständnis, Zusammenhangslosigkeit 258
der Endremdung 39, 1 26, 1 47, 206 f., 2 1 0, 259, 277 f.
Anthropologie organismische 62 ff., 70, 75, 1 33, 240
Dialektik von Besonderem und Allge
philosophische 42, 66, 72
Dialog, freier 46 f., 52, 60 f., 65, 82, 241
meinem 73 f.
Attribuierung subjektive Funktion 39, 330, 3 3 1 von Kompetenz und sozialer Macht 346 f., 349 f., 355, 368, 380 Aufklärung 126 f., 220 f., 224 f., 245
Eindeutigkeit(s) 229, 23 1, 340, 347 -prinzip 1 00, 1 0 6 f., 141, 229 ff., 340, 354
Selbstaufklärung 37
systemimmanente und system transzendente 1 00 ff., 1 06, 1 1 8, 13 6,
Aufklärungsanspruch der Wissen
1 4 1 ff., 229
schaft 1 27, 1 46, 2 1 9, 238, 284
Wille zur Eindeutigkeit
Autopsychologie 53 Basissatz 94 f., 97, 1 03 f., 1 77 Bedingungskonttolle, experimentelle 26, 28, 34, 55, 5 7 f., 60, 70, 8 1 , 1 64, 236 Bedingungsmodell (konstruktivisti sches) 103, 1 3 8 , 1 5 1 , 1 69, 1 71 ff., 1 76 konstituierende und störende Be dingungen 26, 28, 34, 54 ff., 70, 8 1 ,
(Dingler) 99 f. Empirie, kritisch-psychologische 128 ff. erster Art und zweiter Art 129ff., 1 43, 145, 1 49, 204, 206, 261 Empirismus logischer 1 6, 89 ff., 1 04, 1 32, 137, 227, 229 ff., 281 naiver 8 8 ff., 104, 229 Entfremdung 65, 125 f., 204, 259
406 Erkenntnisinteresse 24, 37, 2 1 0, 230 Erkenntnismöglichkeit s. Möglichkeits bedingung für Erkenntnis Erkenntnissubjekt 1 98, 200, 206, 209,
Sachverzeichnis Privatisierung der 20, 97, 1 0 9 ff., 128, 1 3 1 , 1 44, 1 83, 1 8 8, 220, 284
mangelnde Reflexion der 83 ff., 85 ff., 92 f., 1 09, 1 44
220, 278 f.
Erkenntnistheorie Einheit von Erkenntnisgehalt und Relevanz 1 54, 2 8 7 ff. Reduzierung auf Methodologie 85, 209, 23 1 , 233, 261 , 278 f., 288
Exhaustion 60, 97 f., 101 ff., 1 07, 1 1 6 f., 1 36, 1 3 8 f., 142, 1 5 3 ff., 159 f., 1 62 ff., 1 73 f., 1 76 f., 1 86, 376
Experiment, psychologisches Bedingungsanalyse 1 6, 55, 99, 1 03, 1 68, 1 72, 227, 347
Bedingungskontrolle 1 38, 1 40, 1 64, 1 68
Labilisierung der Reizsituation . 26 ff., 34, 234
ExperimentatorNersuchsperson-Be ziehung 20, 44 ff., 52, 6 1 f ., 70, 1 2 1 , 1 32, 1 5 0 f., 258
Fallibismus 1 82, 1 95 ff. Falsifikation 93 ff., 97 ff., 1 03 ff., 1 32, 1 37, 155, 1 57, 1 60, 1 69, 1 7 6 f., 1 82, 1 84, 1 9 1 , 1 97 f., 229 ff., 281 f.
Forscher als abstrakt isoliertes Indivi duum 1 1 8, 1 2 1 , 125 f., 128, 1 44 Forschung als kontrolliert-exemplarische Pra xis 1 3 8 f., 1 4 1 ff., 145, 1 49, 1 52, 1 77,
Geltungsbegründung 9 1 , 93, 97, 1 66, 1 69
Generalisierung, begrenzte 144, 1 49, 1 5 1 , 263
Geschichtlichkeit des Menschen 42, 45, 62, 65, 72, 75, 8 1 , 85, 1 33, 202 f., 257, 280
Gesetzesbegriff, konstruktivistischer 1 3 2 f., 1 3 6
Ideologie des abstrakt-isolierten Individuums 60, 1 08, 1 1 1 , 1 1 3, 1 1 5 ff., 1 2 1 , 128, 1 44, 1 5 1 , 1 88, 200, 255 ff.
des Allgemeininteresses 123 f., 127, 1 45 , 1 47, 1 94, 260
der neutralen Wissenschaft 77, 127, 2 1 8 f., 227, 23 1 , 285 ff.
organismische 67, 70 f., 75, 77, 1 1 7 Induktionsprinzip als Erkenntnisgenese 89 als Geltungsbegründung 9 1 , 93, 97 Induktionismus 1 99 Information(s) -diskrepanz 3 62 ff. -gewichtung 3 3 7 ff., 343, 345 ff., 358, 362, 364 ff., 372 f., 380
1 90, 262 f., 283 f.
-komplettierung 329 ff. Integrationsgrad 1 8 ff., 1 00 ff., 1 07,
als Teil gesellschaftlicher Praxis 1 83 ff., 1 90, 1 98, 202 ff., 209 f.,
Introjektion 1 0 9 f., 1 1 2 ff., 128, 1 3 1 , 133,
263, 272, 290
Forschung, experimentelle 1 7, 26, 47f., 53, 58, 61, 83 f.,
Desintegration!Parzellierungffri vialisierung 1 6 f., 1 9, 22, 26 ff,. 34, 83 f., 234
Abstraktion von der Geschichtlich keit des Menschen 66, 71 f., 74, 8 1 , 1 1 6 f., 133, 257
Restriktion der Verhaltensmöglich keiten 63, 3 1 9, 378 Forschungsinhalte und -interessen 1 8, 23 f., 5 1 , 96, 1 09, 120, 229 ff., 233
141 f., 1 64 1 44, 1 5 1 , 1 83, 1 88, 255 ff., 2 6 1 , 290
Introspektion 48 f., 72 Instrumentalismusvorwurf 1 87, 1 96, 208 f., 281
Jetzt-und-Hier-Aussagen 90, 97, 1 0 0 f., 1 03, 1 32
Kognition auf Präsentes bezogene. (Wahrnehmung) 296 ff. auf Vergegenwärtigtes bezogene (Denken) 302 ff.
407
Sachverzeichnis gegenstandsvermittelte 3 3 1 , 333 ff., 360 f., 363 ff.
modellvermittelte 329, 33 1 , 333 ff., 337, 346, 359 ff., 363 ff., 371, 373, 3 8 1 , 383 kognitive Dissonanz 360 ff., 368 f. Konditionalsätze 54 f., 57, 1 0 1 , 132, 1 53, 1 60, 1 6 7 f. Konformität s. Verhaltensanpassung Konformitätsforschung 99, 333, 352 f., 357, 359, 365 f., 372, 379
Konsensuskriterium 99, 1 04, 1 77 Konstruktivismus agnostizistischer Standort 1 06, 229, 230 f., 262 f., 280 f.
als (begrenzt) explikativer Ansatz 1 05, 1 07, 1 5 7 f., 1 66 ff., 1 75 ff., 1 84 ff, 205, 229, 232, 241 f., 257, 280 ff., 282 Transformation 1 3 1 ff., 136 ff., 141 f., 1 54 f., 283 f. Kontiguitätsprinzip 323, 325, 327 ff.
Kontrolle über experimentelle Bedingungen 22, 28, 34, 35, 58
über Menschen 20, 30, 33 ff., 38 f., 70, 8 1 , 1 46, 235, 236
über Verhältnisse 20, 35, 60, 86 Kontrollinteresse alltägliches 25 manipulatorisches 36, 236 techrllsches 25, 36, 38 Konventionalismusvorwurf 1 55, 1 66, 282 Kritisch-historische Analyse des Theo retischen 1 3 1 f., 15 7 Lernen beobachtendes 325, 328 ff., 333 imitierendes 3 1 1 , 3 1 3 instrumentelles 3 1 0 f., 3 1 9, 322 Orientierungslernen 331 soziales 324 Versuchs- und Irrtumslernen 323 f., 327
Manipulation experimentelle 26, 33 ff., 47, 220, 223 ff., 236, 3 1 4 ff., 320, 335, 348, 350 gesellschaftliche 33 ff., 220, 223, 234 ff., 239, 260 Manipulationstheorie 1 24, 258 Manipulierbarkeit 1 75, 260
Mensch als abstrakt-isoliertes Individuum s. abstrakt isoliertes Individuum als ahistorischer Organismus 61 ff., 68 ff., 83, 1 17, 1 26, 135, 257, 295, 300, 307, 309, 328, 330 als Subjekt der Geschichte 36 f., 46, 6 1 , 8 1 , 86, 1 5 7, 1 90, 1 98 konkret-historischer 60, 66, 71 ff., 75, 82, 1 08, 1 1 1 , 1 1 6 ff., 1 2 1 , 1 23 f., 126, 128, 1 5 1 , 255, 281 f.
Methode der wissenschaftslogischen Expli kation 1 58, 1 63 ff., 1 67, 1 72, 1 74 f., 1 84 f., 1 8 7 f., 1 9 1 , 205 f., 209, 236, 240 f., 255, 257, 262 f., 281 f.
der gedanklichen Explikation/Re produktion der Wrrklichkeit 1 83, 1 89, 1 90, 200, 202, 206, 258, 278, 283, 287, 291 der Introspektion 48 f.
Methodik/Methodologie experimentell-psychologische 1 1 1 , 1 1 6, 1 59, 1 69, 1 70 ff., 1 75, 2 1 3 kritisch-empirische 1 3 0 f., 1 3 5 f., 1 49 ff., 261 kritisch-historische 87, 1 1 5, 1 2 8 ff., 13S f., 1 45 ff., 1 49, 1 52, 1 5 7 f., 1 90, 205 ff., 236, 261, 264, 291 nomothetische 54 f., 58 ff., 64 ff., 68 f., 71 ff., 77, 8 0 f. , 1 1 6 f., 240, 282, 285 Methodische Exaktheit 23, 3 1 , 207, 230, 238
Möglichkeitsbedingung für Erkenntnis 134, 223, 261 , 278
Wahrnehmungslernen 295 f., 329, 331
Wahrscheinlichkeitslernen 314 Lernforschung 2 9 ff., 1 47 Logischer Empirismus s. Empirismus, logischer
Norm-Versuchsperson 58 ff., 67, 70 f., 80
Operationismus 1 6, 1 8, 36, 90, 1 1 9
408
Sachverzeichnis äußere/inhaltliche 1 8 f., 23 f., 3 1 , 84, 1 1 8 ff., 1 22, 1 29, 1 3 1 , 1 3 8 ff., 232 f., 263, 288 f. emanzipatorische/krirische 24, 37 f., 126 f., 288 ff. innere 1 8, 232 praktische 13 8 ff., 1 45, 1 5 1 f. technische 24 f., 27, 30 f., 33, 35, 37, 234 Relevanzkriterium 1 8 f., 24, 3 1 , 3 7 f., 233 Repräsentanz 1 8, 344, 3 5 1, 371 -mängel 3 1 9 ff., 323 f., 327, 371, 380
Praxis als Vermittlung zwischen Erkennt nissubjekt!-objekt 1 98, 202 f., 209 f., 279 emanzipatorische 204, 207, 209 f., 235 gesellschafts bestätigende/verän dernde 1 1 5, 127, 1 35, 1 46, 1 49, 1 84, 264, 272 komrolliert-exemplarische 138 f., 1 4 1 ff., 148 ff., 1 77, 1 90, 262 f., 283 f. politische 2 1 4, 225 f., 244 ff., 272 Primat des Theoretischen 99 ff ., 1 06, 1 3 1 f., 136 Protokollsatzlehre 90 Psychologie, kritisch-emanzipato rische 1 08, 1 1 7, 122 f., 125, 127ff., 135 ff., 1 43 ff. , 1 52 Psychologie, nomothetische kritisch-emanzipatorische Trans formation 76, 78, so ff., 85, 96, 1 07, 1 52, 1 54, 205, 207, 222, 24 1 , 263, 273, 283 Psychologie als Empirie (erster Art) 128 ff., 1 82, 1 84 f. als historisches Faktum 85, 96, 1 29, 1 3 1 , 1 45, 1 49 als komrolliert-exemplarische Praxis 1 3 8 ff., 1 49, 1 5 1 f., 1 77, 1 90, 262 f. als Lehre von den sekundären Ab hängigkeiten 39 als Manipulationswissenschaft 34 ff., 220, 223 ff., 236 Psychologische Theorie/Methodik Immunisierungsfunktion 1 5 1 , 1 8 1 f., 1 88, 2 1 0, 2 8 1 , 290 Widerspruch zwischen metho discher "Exaktheit" und Trivialität der Ergebnisse 16 ff., 22, 25 ff., 30 Zusammenhangslosigkeit!Wider spruchsblindheit 22, 1 56, 1 84, 258, 289
Tägliches Leben - als Relevanzkriterium 1 1 8 ff., 124, 129, 1 45, 258 Theorie-Praxis-Verhältnis 15, 27, 29 f., 3 6 f., 74, 82, 1 3 7 ff., 1 42 ff, 147ff., 1 85, 1 90, 247, 262 ff., 283 Theorienbildung als »Privatsache<< 96, 1 04, 1 0 9 ff., 1 12, 1 3 1 , 133 f., 1 55, 202, 230, 262, 284
Realisation 101 ff., 1 05 ff., 1 09, 1 1 5, 1 3 1 ff., 1 3 6 ff., 1 4 0 ff., 1 5 0 f., 1 5 9 ff., 168 f., 1 72 ff., 1 76 f., 262 f., 283 Regressusproblematik 1 72 ff. Relevanz 84 ff., 1 1 5, 1 1 8 f., 233, 238
Urteilsbildung 3 1 1 , 334, 366, 369 f., 372, 374 f., 377 f., 382 Diskrepanz zwischen geäußerter und verborgener Response 366 ff, 375 f.
Scheinrealisation 1 70 ff. Schülerladen 1 50, 241 ff., 246 f., 250 ff., 268, 272 Standort außerhalb 1 82, 1 86, 1 88, 234, 278 ff., 283 Störende Bedingungen 26, 28, 34, 54 ff., 70, 8 1 , 97f., 1 0 1 ff., 1 1 6, 1 32, 1 3 8 f., 1 52, 1 5 9 ff., 1 76, 380 Strukturähnlichkeit von Forschungs und Ernstsituation 25, 27f., 30, 32, 39, 56, 1 3 9 ff., 1 49, 235 f. Angleichung der Struktur der ex perimentellen Realität an die der Alltagsrealität 3 0 ff., 37, 234, 320 Angleichung der Struktur der All tagsrealität an die der experimentel len Realität 30, 3 1 , 33 ff., 235 Subjekt-Objekt-Beziehung 20, 44 ff., 62, 132
Sachverzeichnis Verhaltensangleichung 3 1 0, 324 f., 357, 359 f., 366, 369, 372, 379, 3 8 1 Veridikalität 343 Verifikation 91 ff., 97 f., 1 04, 1 06, 1 94 f. Verkehrung von Konkretheit und Abstraktheit 1 09, 1 1 1 , 1 1 5, 1 1 7, 1 2 1 , 1 43, 254 ff., 263, 290 Verschleierung gesellschaftlicher Macht verhältnisse 77, 79, 8 1 , 86 f., 122 ff., 127, 147, 1 8 8 Versuchsperson geschulte (Strukturalismus) 48 ff. organismische Reduktion 63, 72 ff., 76, 83, 295 Verabredungsbedingtheit des »organismischen« Verhaltens der Vp 2 1 , 47 f., 52 f., 56ff., 61, 63, 65, 70, 295, 298 ungeschulte (Funktionalismus) 52, 62 Vertretbarkeit psychologischer For schung u. Praxis 37, 82, 85, 87, 1 1 1 , 1 45, 2 1 8 f., 224, 23 1, 242, 264, 267, 285 Wahrheit(s) -annäherung 1 8 1 , 1 91 ff., 208 f., 280 -konzept, pragmatisches 208 f. Wahrnehmungsforschung 280, 294 ff. Widerspruchsfreiheit, Prinzip der 90, 92, 1 00, 1 84, 1 92 Widerständigkeit der Realität 1 02, 1 05, 1 1 0, 1 1 6, 1 5 1 , 1 65, 1 68, 1 8 6 f� 3 0 1 , 340 ff., 353 ff., 364, 380 Wissenschaftstheorie agnostizistisch!instrumentalis tische 2 1 9, 229, 23 1 , 258, 261 ff., 279 ff., 290 als explizierend-normative Prinzip i enklärung 156 ff., 1 77, 1 85, 205, 209, 230, 282 als historisches Faktum (quid facti) 96, 98, 107, 156 »Ex-post«-Funktion 86 kritische 1 57, 1 85, 1 8 8 Operationistische 1 6, 1 8, 2 1 , 36, 90, 119 Reduzierung auf Methodologie 96, 1 5 7, 1 82, 209, 23 1 , 233, 280
409 Wissenschaftslogik als Ansatzpunkt kritischer Analyse 1 5 7, 1 77, 1 84 f. formal-methodologische 23, 87, 157, 1 84, 233 fallibilistische 1 82, 1 95 f. falsifikationstheorische 1 84, 1 97 f. Gleichsetzung mit Wissenschafts theorie 92, 96, 1 57, 1 82, 1 84, 23 1 , 233
ÜBERS I CHT ÜBER DIE KLAUS -H O LZKAMP-WERKAUSGAB E Herausgegeben von Frigga Haug, Wolfgang Maiers & Ute Osterkamp
Band 1
Normierung, Ausgrenzung, Widerstand ( 1 997) Vorwort Die Entwicklung Kritischer Psychologie zur Subjektwissenschaft. (1 988) Persönlichkeit. Zur Funktionskritik eines Begriffs. ( 1 985) »Hochbegabung« - Wissenschaftlich verantwortbares Konzept oder Alltagsvorstellung? (1 992) Kolonisierung der Kindheit. Psychologische und psychoanalytische Entwicklungserklärungen. (1995) Was heißt »normale<< Entwicklung der kindlichen Persönlichkeit? (1 980) Jugend ohne Orientierung? (1 980) >>We don't need no education . . . (1 983) Was kann man von Kar! Marx über Erziehung lernen? Oder: Über die Widersprüchlichkeit fortschrittlicher Erziehung in der bürgerlichen Gesellschaft. ( 1 983) Lernen und Lernwiderstand. Skizzen zu einer subjektwissenschaftlichen Lerntheorie. (1 987) Lehren als Lernbehinderung? ( 1991) Die Fiktion administrativer Planbarkeit schulischer Lernprozesse. (1 992) Musikalische Lernpraxis und schulisches Musiklernen. (1993) Lernen: Subjektwissenschaftliche Grundlegung. Einführung in das Hauptanliegen des Buches. (1 996) Antirassistische Erziehung als Änderung rassistischer >>Einstellungen« ? Funktionskritik und subjektwissenschaftliche Alternative. (1 994) Rassismus und das Unbewusste in psychoanalytischem und kritischpsychologischem Verständnis. (1 995) Theorie und Praxis im Psychologiesrudium. ( 1 983) Praxis - Funktionskritik eines Begriffs ( 1 988) Gesellschaftliche Widersprüche und individuelle Handlungsfähigkeit - am Beispiel der Sozialarbeit. (1 984) «
ÜBERSICHT ÜBER DIE KLAUS -HOLZKAMP-WERKAUSGABE Herausgegeben von Frigga Haug, Wolfgang Maiers & Ute Osterkamp
Band 2 Theorie und Experiment Eine grundlagenkritische Untersuchung (2005) Erstveröffentlichung 1 9 64 bei Walter d e Gruyter & C o , Berlin
Einleitung A. Wissenschaftstheoretische Grundlegung I. Das Problem der Geltungsbegründung II. Das Experiment III. Das >>Repräsentanz<<-problem B. Exkurs über den dreifachen Gegenstand der Psychologie Vorbetrachtung I. »Erlebnisse als solche« (»Phänomene<<) als Gegenstandsart der Psychologie. II. Die >>anschauliche Welt« als Gegenstandsart der Psychologie in Abhebung von der »metrischen Weltform« III. >>Andere Menschen<< als konkretem, in unserer Alltagswelt vorfindbare Individuen als Gegenstandsart der Psychologie IV. Übergreifende Betrachtung der drei psychologischen Gegenstandsarten V. Das Experiment innerhalb der drei psychologischen Gegenstandsarten. C. Das >>Repräsentanz<<-Problem bei psychologischem Experimentieren I. Vorbereitende Überlegungen II. Die >>Subjekt-Repräsentanz« III. Die »Umgebungsrepräsentanz<< IV. Die »Handlungs- und Erlebensrepräsentanz<<
Ü B E R S I C H T Ü B E R D I E KLAU S - H O L Z KAMP -WERKAUS GABE
Herausgegeben von Frigga Haug, Wolfgang Maiers & Ure Osterkamp
Band 3 Wissenschaft als Handlung. Versuch einer neuen Grundlegung der Wissenschaftslehre (2006) Erstveröffentlichung 1 968 bei Walter de Gruyter & Co, Berlin
Erster Teil: Wissenschaftliche Frage- und Forschungsweise, abgehoben vom Standort des täglichen Lebens 1 . Vorbetrachtung 2. Die Weltsicht des täglichen Lebens
3.
Die Sprache des täglichen Lebens
4. Allgemeine Kennzeichnung der Wissenschaft als Weise menschlichen Handelns
5. 6.
Die »Richtung<< wissenschaftlichen Strebens Die Beziehung zwischen wissenschaftlicher Frageweise und Gegenstandsgewinnung
Zweiter Teil: Das Problem der Geltungsbegründung von empirisch wissenschaftlichen Allgemeinaussagen 1. Über die »Wahrheit« von Jetzt-und-Hier-Aussagen als Bedingung der möglichen Geltung von Allgemeinaussagen
2.
Kritik des Versuchs, die Geltung von Allgemeinaussagen durch das
3. 4.
Prinzip der Induktion zu begründen Die Prinzipien der » Vorbetrachtung »Realisation<< und »Exhaustion« (Dingler) als B asis der Begründbarkeit der Geltung von Allgemeinaussagen
5. 6.
Kriterien für die Beibehaltung oder Änderung von Theorien: »Einfachheit<< als »konservatives« Kriterium. Kriterien zur Beurteilung des wissenschaftlichen Wertes von Theorien:
7.
>>Belastetheit<< als »propulsives<< Kriterium Kriterium zur Beurteilung des wissenschaftlichen Wertes von Theorien: Zusammenschau
8.
Über die Wahrheit von Allgemeinaussagen
ÜBERS I C HT ÜBER DIE KLAUS-HOLZKAMP-WERKAUS GABE Herausgegeben von Frigga Haug, Wolfgang Maiers & Ute Osterkamp
Driner Teil: Das Experiment 1. Vorbetrachtung 2. All gemeine Kennzeichnung des Experimentierens als Bemühung um »herstellende Realisation« 3. Die erste Formalstufe des Experimentierens: die Ableitung von »experimentellen Sätzen« (Behauptungen über Handlungs-Ereignis Relationen) aus »theoretischen Sätzen« 4. Die zweite Formalstufe des Experimentierens: Die Entwicklung von Planungsmodellen zur Realisation der >>experimentellen Sätze« nach eindeutigen Handlungsanweisungen 5. Die drine Formalstufe des Experimentierens: Die Analyse des »experimentellen Lebensraumes« 6. Die vierte Formalstufe des Experimentierens: Die Bewertung der experimentellen Befunde
ÜBERSICHT ÜBER D I E KLAU S - H O LZKAMP-WERKAU S G A B E Herausgegeben von Frigga Haug, Wolfgang Maiers & Ute Osterkamp
Band 4
Sinnliche Erkenntnis. Historischer Ursprung und gesellschaftliche Funktion der Wahrnehmung (2006) Erstveröffentlichung 1 973 im Athenäum-Verlag, Frankfun a.M.; erste bis fünfte Wiederauflage bei Fischer-Athenäum, Frankfurt a.M.
1 . Einleitung 2. Zur Phänographie der Wahrnehmung als sinnlicher Erkenntnis 3. Zur Methode der historischen Analyse 4. Naturgeschichtliche Gewordenheit biologisch-organismischer Grundcharakteristika der Wahrnehmung 5. Gesellschaftlich-historischer Ursprung allgemeinster spezifisch menschlicher Charakteristika der Wahrnehmung 6. Gnoseologische Implikationen der historischen Rekonstruktion biologisch-organismischer und allgemeinster spezifisch menschlicher Wahrnehmungs-Charakteristika 7. Die historische Bestimmtheit der Wahrnehmungstätigkeit des Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft 8. Gnoseologische Implikationen der Konkretisierung der historischen Rekonstruktion auf Funktionseigentümlichkeiten der Wahrnehmung in ihrer Bestimmtheit durch die bürgerliche Gesellschaft
SONDERH EFT DER ZEITSCHRJFT »THEORY & PSYCHOLO GY« ZU EHREN VON KLAUS HOLZKAMP
German Critical Psychology: Interventions in honor of Klaus Holzkamp
Guest Editors: Paincer, Desmond & Marvakis, Arhanasios & Mos, Leenden
(2009)
Website: Theory & Psychology www. psych.ucalgary. ca/rhpsyc
Beiträge: Charles Tolman: Holzkarnp's Critical Psychology as a Science from the Standpoint of rhe Human Subject Dimitris Papadopoulos: Klaus Holzkarnp's critical social science Ute Osterkarnp: Knowledge and Practice in Critical Psychology Oie Dreier: Persens in Structures of Social Practice Jens Brockmeier: Reaching for Meaning: Human Agency and rhe Narrative Imagination Erich Wulff: Madness, Sense, and Meaning: How does rhe Subject get outside of Society and Hisrory? Frigga Haug: Teaching how to learn and learning how to teach Erik Axel: What makes
us
talk about wing nurs? Critical Psychology and
subjects at work Ernst Schraube: Technology as Materialized Action and its Ambivalences