FICHTE-STUDIEN
Fichte-Studien Beiträge zur Geschichte und Systematik der Transzendentalphilosophie Begründet von Klau...
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FICHTE-STUDIEN
Fichte-Studien Beiträge zur Geschichte und Systematik der Transzendentalphilosophie Begründet von Klaus Hammacher, Richard Schottky (†) und Wolfgang Schrader (†) Band 29 im Auftrage der Internationalen Johann-Gottlieb-Fichte-Gesellschaft herausgegeben von Marco Ivaldo (Neapel) Hartmut Traub (Mülheim an der Ruhr)
in Zusammenarbeit mit Daniel Breazeale (Lexington, Kentucky), Erich Fuchs (München), Helmut Girndt (Duisburg), Karen Gloy (Luzern), Wolfgang Janke (Wuppertal), Reinhard Lauth (München), Oswaldo Market (Madrid/Lissabon), Kunihiko Nagasawa (Kyoto), Faustino Oncina Coves (Valencia), Marek J. Siemek (Warschau), Thérèse Pentzopoulou-Valalas (Thessaloniki) und Xavier Tilliette (Paris)
Günter Zöller / Hans Georg von Manz (Hrsg.)
Praktische Philosophie in Fichtes Spätwerk Beiträge zum Fünften Internationalen Fichte-Kongreß »Johann Gottlieb Fichte. Das Spätwerk (1810–1814) und das Lebenswerk« in München vom 14. bis 21. Oktober 2003 Teil II
Amsterdam - New York, NY 2006
Die Fichte-Studien erscheinen in unregelmäßiger Folge. Publikationssprachen sind Deutsch, Englisch und Französisch. Adressen des Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirats und der Herausgeber Dr. Hartmut Traub Goethestraße 8 D-45468 Mülheim an der Ruhr
Prof. Dr. Günter Zöller Philosophie-Department Ludwig-Maximilians-Universität München Geschwister-Scholl-Platz 1 D-80539 München Dr. Dr. Hans Georg von Manz Bayerische Akademie der Wissenschaften Marstallplatz 8 D-80539 München Für den Rezensionsteil der Fichte-Studien zuständig: PD Dr. Christoph Asmuth Technische Universität Berlin Ernst-Reuter-Platz 7 D-10587 Berlin Manuskripte werden erbeten an die Adresse von Hartmut Traub. Typographie und Satz: Holger Ostwald (Duisburg) ISBN-10: 90-420-2095-4 ISBN-13: 978-90-420-2095-5 ISSN: 0925-0166 Vol. 1- 5 ISBN-10: 90-420-2045-8 ISBN-13: 978-90-420-2045-0
The paper on which this book is printed meets the requirements of »ISO 9706:1994, Information and documentation – Paper for documents – Requirements for permanence«. ©Editions Rodopi B.V., Amsterdam-New York, NY 2006 Printed in the Netherlands
Inhalt Vorwort .................................................................................................................... VII Siglenverzeichnis ....................................................................................................... IX
Jakub Kloc-Konkolowicz (Warschau) »Jeder wird Gott« – Zur Erfüllung des Gesetzes und zum Status des handelnden Ich ............................................................................................ 1 Claus Dierksmeier (Easton, Mass.) Über die Wirtschaftstheorie in Fichtes Rechtslehre von 1812 .................................... 13 Bernhard Jakl (München) Recht und Zwang in Fichtes Rechtslehre von 1812 ................................................... 29 Bärbel Frischmann (Bremen) Fichte über den Rechtsstaat als Sozialstaat ................................................................ 45 Christian Stadler (Wien) Dimensionen und Wandlungen des Fichteschen Rechtsbegriffes im Vergleich Jena – Berlin ......................................................................................... 57 C. Jeffery Kinlaw (Abilene, Texas) Law, Morality and Bildung in the 1812 Rechtslehre .................................................. 67 Claude Piché (Montréal) L’instauration d’un ordre juridique juste d’après Fichte (1812–1813) ....................... 79 Gaetano Rametta (Padua) Das Problem der Souveränität in Fichtes Staatslehre ................................................. 89 Carla De Pascale (Bologna) Fichte und die Verfassung des Vernunftreichs ......................................................... 101 Roberta Picardi (Neapel) »Sittliche Natur« und Geschichte beim frühen und späten Fichte ............................ 111
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Inhalt
Takao Sugita (Tokio) Das Nationale in Fichtes Spätwerk ........................................................................... 121 Makoto Takada (Sapporo) Zur Umwandlung der Staatslehre des späten Fichte ................................................. 129 Nele Schneidereit (Berlin) Der Diskurs der Moderne in J. G. Fichtes Staatslehre .............................................. 139 Virginia López-Domínguez (Madrid) Die Staatslehre von 1813 oder der Kampf der Aufklärung gegen den politischen Irrationalismus der Romantiker zur Verteidigung einer christlich-revolutionären Sozialutopie ............................................................. 149 Giovanni Cogliandro (Rom) »Der Begriff sey Grund der Welt« – Die Sittenlehre 1812 und die letzten Darstellungen der Wissenschaftslehre ......... 165 Max Marcuzzi (Aix-en-Provence) La ligne morale ......................................................................................................... 177 Björn Pecina (Falkensee) Die affektive Vermittlung. Deutungs- und affekttheoretische Dimensionen der späten Religionsphilosophie Fichtes .................................................................................... 187 Wolfdietrich Schmied-Kowarzik (Kassel) Religion der Vernunft aus den Quellen des Christentums. Zur Religionsphilosophie im Spätwerk Fichtes ........................................................ 199 Wilhelm G. Jacobs (München) Der Gottesbegriff in den »Thatsachen des Bewußtseyns« von 1810/11 als Übergang zur Wissenschaftslehre in specie ........................................................ 211
Vorwort
»Johann Gottlieb Fichte. Das Spätwerk (1810–1814) und das Lebenswerk« – zu diesem Thema fand vom 14. bis 18. Oktober 2003 im Hauptgebäude der Ludwig-Maximilians-Universität München am GeschwisterScholl-Platz der Fünfte Internationale Fichte-Kongreß statt. Veranstalter des Kongresses war die Internationale Johann-Gottlieb-Fichte-Gesellschaft in Verbindung mit dem Istituto Italiano per gli Studi Filosofici, Neapel, und der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Weitere Unterstützung gewährten die Deutsche Forschungsgemeinschaft, das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst, das Außenministerium der Republik Frankreich, das Philosophie-Department sowie die Universitätsgesellschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München, die Carl Friedrich von Siemens Stiftung, das Kulturreferat der Landeshauptstadt München und die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Die Planung, Vorbereitung und Durchführung des Kongresses wurde geleitet vom damaligen Präsidenten der Internationalen JohannGottlieb-Fichte-Gesellschaft, Günter Zöller (München), in Zusammenarbeit mit Hans Georg von Manz (München) und einem internationalen Organisationskomitee, dem Daniel Breazeale (Lexington), Jean-Christophe Goddard (Poitiers), Marco Ivaldo (Neapel), Kunihiko Nagasawa (Kyoto), Jacinto Rivera de Rosales (Madrid) und Hartmut Traub (Mülheim/R.) angehörten.
VIII
Vorwort
Im Mittelpunkt des Kongresses stand das umfangreiche Spätwerk Fichtes aus seiner Lehrtätigkeit an der neugegründeten Universität Berlin. Zusätzlich wurde das Gesamtwerk Fichtes, bevorzugt aus der Perspektive des Spätwerks, in den Blick genommen. Das Programm umfaßte vier Plenarvorträge und 120 Sektionsbeiträge von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus 19 Ländern und vier Kontinenten. Die Kongreßsprachen waren Deutsch, Englisch und Französisch. Sämtliche Plenarvorträge und der Großteil der Sektionsbeiträge des Kongresses kommen in fünf konsekutiven Bänden der Fichte-Studien (Band 28 bis 32) zur Veröffentlichung. Die einzelnen Bände sind thematisch anlegt und wie folgt betitelt: »Fichtes letzte Darstellungen der Wissenschaftslehre«, »Praktische Philosophie im Spätwerk Fichtes«, »Fichtes Spätwerk im Vergleich«, »Grund- und Methodenfragen in Fichtes Spätwerk« sowie »Grundbegriffe in Fichtes Spätwerk«. Die Dokumentation der Kongreßeröffnung und die Wiedergabe der Plenarvorträge erfolgt zu Beginn des ersten Bandes der Beiträge des Münchener Fichte-Kongresses. Bei der Herausgabe der Beiträge des Münchener Fichte-Kongresses wurden die Herausgeber unterstützt von Bernhard Jakl und Michael Weiß. Die Herausgeber
Siglenverzeichnis
GA (z. B. GA I/2, 340) SW (z. B. SW X, 254) StA-1/SWV-1
StA-2/SWV-2
AzsL BdG WdG
J. G. Fichte-Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (Reihe, Band, Seite) J. G. Fichte sämmtliche/nachgelassene Werke Hrsg. von I. H. Fichte, Bonn/Berlin (I–XI) Fichte, Johann Gottlieb: Die späten wissenschaftlichen Vorlesungen I, 1809–1811. Hrsg. von Hans Georg von Manz, Erich Fuchs, Reinhard Lauth und Ives Radrizzani. StuttgartBad Cannstatt: Frommann-Holzboog, 2000 Fichte, Johann Gottlieb: Die späten wissenschaftlichen Vorlesungen II. Wissenschaftslehre 1811. Über das Wesen der Philosophie 1811. Von den Thatsachen des Bewußtseyns 1811. Hrsg. von Hans Georg von Manz, Erich Fuchs, Reinhard Lauth und Ives Radrizzani. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog, 2003 Anweisung zum seeligen Leben 1806 Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten 1794 Über das Wesen des Gelehrten, und seine Erscheinungen im Gebiete der Freiheit 1805
X
Siglenverzeichnis
BdG-1811 BdM Beitrag
Über die Bestimmung des Gelehrten 1811 Die Bestimmung des Menschen 1800 Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums usw.1793/94 Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre 1794 Diarium ab März 1813 Diarium August/September 1813 Diarium Oktober 1813/Januar 1814 Über Geist und Buchstab in der Philosophie Grundlage des Naturrechts 1796 Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters 1806 Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre 1794/95 Der geschlossene Handelsstaat 1800 Transzendentale Logik April bis August 1812 Transzendentale Logik Oktober bis Dezember 1812 Die Principien der Gottes-, Sitten- und Rechtslehre 1805 Rechtslehre 1812 Reden an die deutsche Nation 1808 Sittenlehre 1812 Das System der Sittenlehre 1798 Die Staatslehre, oder über das Verhältnis des Urstaates zum Vernunftreiche 1820 Die Thatsachen des Bewußtseins Ultima Inquirenda. J. G. Fichtes letzte Bearbeitungen der Wissenschaftslehre Ende 1813 / Anfang 1814, hrsg. von Reinhard Lauth. Stuttgart-Bad Cannstatt, 2001 Ueber Macchiavell 1807 Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre (1798) Wissenschaftslehre Wissenschaftslehre 1801/02 Wissenschaftslehre von 1804, Erste, zweite, dritte Vorlesungsreihe Wissenschaftslehre nova methodo 1796–1799
BWL Diarium-I Diarium-II Diarium-III GB GNR GdgZ GWL GHS TL I TL II Principien RL-1812 Reden SL-1812 SL StL TdB UI
UM VnD WL WL-1801/02 WL-1804-I/II/III WLnm
Siglenverzeichnis
WLnm-K ZdDf ZV ErE ZwE FG AA
KdU KpV KrV
XI
Wissenschaftslehre nova methodo 1798/1799, Nachschrift K. C. F. Krause Zurückforderung der Denkfreiheit 1793 Züricher Vorlesungen über den Begriff der Wissenschaftslehre Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre 1797 Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre 1797 Fichte im Gespräch. Hrsg. v. E. Fuchs Immanuel Kant’s gesammelte Schriften, herausgegeben von der Königlich Preußischen Akademie und ihren Nachfolgern, Berlin 1900ff; Nachdruck der Druckschriften (Bde 1– 9), Berlin 1968. Kant: Kritik der Urteilskraft Kant: Kritik der praktischen Vernunft Kant: Kritik der reinen Vernunft
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»Jeder wird Gott« – Zur Erfüllung des Gesetzes und zum Status des handelnden Ich
Jakub Kloc-Konkolowicz (Warschau)
Die Spannweite dieses Referates liegt zwischen zwei bedeutenden Werken Fichtes: Das System der Sittenlehre nach den Prinzipien der Wissenschaftslehre (1798) und Anweisung zum seligen Leben (1806). Das handelnde Ich wird in diesen beiden Werken als Erscheinung einer überindividuellen Instanz dargestellt. Wobei das frühere Werk noch bei einem kantischem Ansatz zu beginnen scheint, ist das spätere eine entschiedene Kritik, sowohl an dem kantischen, als auch an dem früheren Fichteschen Konzept. Den wichtigsten Bezugspunkt des Handelns in den besprochenen Werken Fichtes bildet das moralische Handeln. Meines Erachtens spielt in beiden Texten das moralische Handeln die grundlegende Rolle – und das handelnde Ich ist nur als Vehikel dieses moralischen Handelns aufgefaßt. Der Gedanke, das Ich sei nur Erscheinung des Absoluten und solle zu diesem Absoluten – beziehungsweise zu Gott – wieder zurückfinden, oder sogar werden, ist gar nicht eine Entdeckung des späten Fichte. Das schon angeführte Zitat »Jeder wird Gott« entstammt nicht der Anweisung, sondern der Sittenlehre. Selbstverständlich, neben dieser Kontinuität gibt es auch wichtige Begriffsverschiebungen und Änderungen. Die auf dem Begriff der Reflexion gestützte Struktur der Sittenlehre wird in der Anweisung durch den höheren Begriff der Liebe nicht nur ergänzt, sondern grundsätzlich umgestaltet. Der gemeinsame Gehalt beider Konzeptionen
Jakub Kloc-Konkolowicz
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lautet: das empirische Ich ist nur Vehikel des moralischen Handelns. Die Verschiedenheit beider Konzeptionen bezieht sich darauf, was in dieser Erscheinung (im empirischen Ich) erscheint und wie es erscheint. Schon der frühe Fichte versucht die kantische Ethik mit einer naturalistischen Ethik im Sinne Spinozas – vor allem durch das Postulat: Handle moralisch = handle den Endzwecken der Dinge gemäß – zu verbinden. Die Anweisung kann man sogar als eine radikale Umdeutung des kantischen Ethikkonzeptes in die Termini Spinozas lesen. Der Religiöse soll sich dem Weltlauf anpassen, indem er die Notwendigkeit der Form des Seins einsieht. Seine Freiheit besteht vor allem darin, die richtige Ansicht der Welt aus der ewigen Fünffachheit der Weltansichten auszuwählen. Wichtig ist dabei hervorzuheben, daß Fichte zwei Hauptprobleme der Metaphysik Spinozas zu vermeiden weiß: 1) wie sich die Erscheinung zum Sein verhält (Dasein Gottes als das Wissen); 2) wie die Möglichkeit der individuellen Freiheit, wenn auch nur bei der Wahl der richtigen Weltauffassung, mit der strengen Notwendigkeit der Weltentwicklung zu vereinigen ist. Auf jeden Fall geht es schon bei dem frühen Fichte darum, die Bedingungen der Möglichkeit des kategorischen Imperatives selbst zu entdecken, um ihn nicht einfach als eine Gegebenheit zu betrachten. Der frühe Fichte versucht die kantische Position dadurch zu überbieten, daß er nicht mehr nur das Postulat der Übereinstimmung zwischen dem empirischen Willen und dem Sittengesetz aufstellt (das also, was bei Kant als kategorischer Imperativ fungiert), sondern zeigt, daß das Sittengesetz den wahren Kern unseres sinnlichen Ich bildet. Anstatt einer Parteinahme für die Vernunft tritt hier die völlige Identifizierung mit der Vernunft ein. Das Gesetz steht uns nicht mehr gegenüber, sondern es erweist sich, daß wir in der Tat das Gesetz sind; nur daß ursprünglich das Gesetz noch nicht als Gesetz, sondern als absolute Selbständigkeit und absolute Tätigkeit gegeben ist. Lediglich zufolge der notwendigen Begrenzung und Versinnlichung nimmt diese ursprüngliche absolute Tätigkeit die Form des Gesetzes an: »Freiheit ist die sinnliche Vorstellung der Selbsttätigkeit und dieselbe entsteht durch den Gegensatz mit der Gebundenheit des Objekts und unserer selbst als Intelligenz, inwiefern wir dasselbe auf uns beziehen«.1 Dabei wird Freiheit als »Kausalität durch den Begriff« definiert, was eine Spezifizierung der innerhalb des Bewußtseins erfolgenden Trennung in das Objektive und das Subjektive ist. Die ganze Fichtesche Sittenlehre beginnt mit der Trennung zwischen Theorie als der Setzung der Einwirkung des Objektiven auf das Subjektive und der Praxis als der 1
SL, SW IV, 9.
Zur Erfüllung des Gesetzes und zum Status des handelnden Ich
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Setzung der Einwirkung des Subjektiven auf das Objektive. Aus dieser Trennung erfolgt notwendig, per definitionem, daß die freie Tätigkeit nur durch den selbstständigen, d. h. nicht wiederum durch das Objekt bestimmten, Begriff gesteuert werden kann. Die »Kausalität durch den Begriff« (noch ganz in kantischer Sprache formuliert) ist eigentlich die einzig mögliche sinnliche Darstellung der ursprünglichen Aktivität. »Absolute Tätigkeit ist das eine schlechthin und unmittelbar mir zukommende Prädikat; Kausalität durch den Begriff ist die durch die Gesetze des Bewußtseins notwendig gemachte, und einzig mögliche Darstellung desselben. In dieser letzten Gestalt nennt man die absolute Tätigkeit auch Freiheit. Freiheit ist die sinnliche Vorstellung der Selbsttätigkeit« (SL, SW IV, 9). Oder, wie es Fichte auch zu sagen pflegt, die Tendenz zur absoluten Tätigkeit wird »unter die Botmäßigkeit des Begriffs« genommen. »Jene Absolutheit des reellen Handelns wird sonach hierdurch Wesen einer Intelligenz, und kommt unter die Botmäßigkeit des Begriffs; und dadurch erst wird sie eigentliche Freiheit«. (SL, SW IV, 32) Es ist meines Erachtens eines der wichtigsten Ziele Fichtes – sowohl in der Sittenlehre, als auch in der Anweisung – zu beweisen, daß das moralische Handeln auf keinen Fall schwierig zu leisten ist. Bei Kant ist zwar die moralische Forderung immer klar – die Stimme des Gewissens ist laut – bei der Ausführung dieses Gebots kann es aber zum Konflikt mit sinnlichen Antrieben und somit zum Konflikt mit einer subjektiven Maxime kommen, die nicht mit dem moralischen Gesetz zu vereinigen ist. Diesen kantischen Dualismus, der sich in der Ethik als unausweichliche Spannung zwischen dem der Vernunft entstammenden moralischen Gesetz und den der Sinnlichkeit entstammenden Trieben zeigt, versucht Fichte los zu werden. Zunächst dadurch, daß er das ganze System der Triebe als eine sinnliche Ansicht des vernünftigen Wollens deutet. Die Vernunft – schreibt Fichte – ist immer aktiv; sie kann aber entweder »tätig oder freitätig« sein (SL, SW IV, 58). Aktivität wird zum Prinzip und zur Quelle nicht nur des moralischen Gesetztes, sondern auch zum Prinzip der Setzung der Sphäre der Objekte. »Die Freiheit ist ein theoretisches Prinzip« (SL, SW IV, 75). Wenn aber Objekte nur innerhalb des Bewußtseins und aus der Perspektive des Handelns gesetzt werden, dann ist die moralische Freitätigkeit eigentlich eine Fortsetzung der objektiven Tätigkeit. »(…) so würde das Gesetz der Freiheit, als praktisches Gesetz an das Bewußtsein gerichtet, nur fortsetzen, was dasselbe, als theoretisches Prinzip, ohne Bewußtsein der Intelligenz selbst angefangen hätte« (SL, SW IV, 69). Daraus folgt, daß das Behandeln der Dinge gemäß ihren natürlichen Zwecken gleichbedeutend mit der Erfüllung des apriorischen Moralgesetzes ist, das
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Jakub Kloc-Konkolowicz
sich im Bewußtsein ankündigt. Auf diese Weise wird eine traditionelle, naturalistische Ethik mit dem kantischen Modell verbunden. Diese Verbindung kann nur deswegen erfolgen, weil selbst die Natur als etwas Gesetztes verstanden wird, also als nichts Heteronomes, eine dem Ich fremde Prinzipbildung. Fichte zeigt eine Reihe der Setzungen, die immer eine objektive und eine subjektive Seite (Ansicht, Perspektive) haben. »Alles, was in dieser Erscheinung enthalten ist, von dem mir absolut durch mich selbst gesetzten Zwecke an, an dem einen Ende, bis zum rohen Stoffe der Welt, an dem anderen, sind vermittelnde Glieder der Erscheinung, sonach selbst auch nur Erscheinungen. Das einige rein Wahre ist meine Selbständigkeit.« (SL, SW IV, 12) So auch Natur: sie wird subjektiv als durch mein Handeln modifizierbar und objektiv als unwandelbare Materie gesetzt. Das moralische Handeln ist also insofern unproblematisch, das es nicht mehr Handeln gegen unseren Trieb sein muß, ja sogar nicht sein kann. »(…) der Grund des Zusammenhangs der Erscheinungen mit unserem Wollen ist der Zusammenhang unseres Wollens mit unserer Natur. Wir können dasjenige, wozu unsere Natur uns treibt, und können nicht, wozu sie uns nicht treibt, sondern wozu wir uns mit regelloser Freiheit der Einbildungskraft entschließen.« (SL, SW IV, 74) Der Trieb liefert also das Material des Handelns, was nicht bedeutet, daß alles, was durch den Trieb geliefert wird, mit dem moralischen Gesetz übereinstimmt. Innerhalb der komplexen Struktur der Triebe muß der Urtrieb – die Tendenz zur absoluten Selbstständigkeit – wiederhergestellt werden. Letztendlich ist aber bei Fichte nicht nur das Verstehen des moralischen Gebotes, sondern auch das moralische Handeln schlechthin und ohne Schwierigkeiten möglich. Die Selbstständigkeit – wie Fichte sagt: das einzige Prädikat, das dem Ich wirklich zukommt – muß durch das gesetzte sinnliche Medium der Triebe hindurch erscheinen, sich wiederherstellen und bestätigen. Diese Auffassung findet in der Anweisung eine modifizierte Fortsetzung. Diesmal aber soll in dem Handeln die Selbstständigkeit des lebendigen Seins, des Gottes, erscheinen. Dieses Handeln – wie wir gesehen haben – erfolgt auch von selbst, entfließt der Liebe. Diesmal bedarf es sogar keines Prinzips. Indem das Ich vernichtet wird, handelt der Gott selbst. Die sinnliche Ansicht des empirischen Ich wird zwar behalten, der Affekt – die Liebe – geht aber nicht mehr auf diese Form. Mit dem ganz verschiedenen Vokabular wird also auch hier dieselbe reine Tätigkeit aus den Fesseln des empirischen Ich befreit. »Das einige rein Wahre ist meine Selbstständigkeit« sagt Fichte in der Sittenlehre (SL, SW IV, 12). In der Anweisung verschwindet aus dieser Behauptung das Wort »meine«. Das einige rein wahre ist die Selbstständigkeit. »Ich soll ein selbständiges Ich sein;
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dies ist mein Endzweck; und alles das, wodurch die Dinge diese Selbständigkeit befördern, dazu soll ich sie benutzen, das ist ihr Endzweck.« (SL, SW IV, 212) In der Anweisung soll dank meiner Handlungsweise die Selbstständigkeit Gottes erscheinen. Es bleibt jedoch die Frage, wie diese Befreiung der reinen Tätigkeit, wie diese Vernichtung des Ich zu verstehen ist. Wir werden zu diesem Thema noch zurückkehren. Fichte schreibt in der Sittenlehre, der Charakter des Ich bestehe in der Selbstständigkeit, verstanden als Tätigkeit um der Tätigkeit willen. Das Ich unterscheidet sich wesentlich von den Dingen und von den Tieren dadurch, daß es nicht in seinen Trieben völlig aufgeht. Das Wesen des Ich ist nicht etwas objektives, also auch nicht Trieb; sein Wesen ist die, auch Objektivität setzende, Aktivität. Triebe des Ich sind nicht Ich, sondern objektive Ansichten der verschiedenen Tendenzen des Ich. Nicht auf Sinnlichkeit bezogen, ganz von der Sinnlichkeit abstrahiert, ist Ich nur als reine Aktivität, Aktivität um Aktivität willen, zu denken (SL, SW IV, 29). Wenn aber auf eine (wohlgemerkt: nicht vorgefundene, sondern innerhalb des Bewußtseins, ihren Gesetzen gemäß gesetzten) Sinnlichkeit bezogen, dann wird das Ich als ein System der Triebe angesehen, wobei die Unterscheidung der Triebe für das Ich nur dank der Kraft der Reflexion erfolgt. Ich habe früher angedeutet, daß die ursprüngliche absolute Tätigkeit sich durch das komplexe Medium der gesetzten sinnlichen Triebe wiederherstellen soll. Nehmen wir diese Struktur der Triebe kurz auf. Zunächst wird die reine Tätigkeit objektiv, als Wesen des Ich angesehen. Wie Elastizität das Wesen der Stahlfeder bildet, so bildet das Wesen des Ich der so genannte Urtrieb, Trieb zur Selbstständigkeit. Er zeigt sich aber in der Wirklichkeit als Naturtrieb. Dieser Naturtrieb, auch als Trieb zur Selbsterhaltung und natürlichen Bildung beschrieben, kann mit dem conatus bei Spinoza verglichen werden. Es ist ein Überlebens- und Lebenssteigerungstrieb. Diesem Naturtriebe, nun im Unterschied zur früher genannten Stahlfeder, folgt bei dem Menschen immer die Reflexion. Das bewußte Ich wird laut Fichte nie einfach getrieben; es akzeptiert seinen Trieb und folgt ihm bewußt. (SL, SW IV, 108) Diese den Naturtrieb immer begleitende Reflexion bildet die Grundlage für die Moral: sie ist die erste Stufe auf dem Weg, die absolute Selbstständigkeit wiederherzustellen. Den zweiten Schritt auf diesem Weg deutet Fichte als das Moment des »Losreißens« der Reflexion von dem Naturtriebe. Zunächst nimmt diese losgerissene Reflexion eine sehr abstrakte Form des »auch-nicht-folgen-könnens« an. Diese Form kann man auf »transzendentale Freiheit« bei Kant beziehen, die zwar eine Grundlage
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Jakub Kloc-Konkolowicz
für die praktische (moralische) Freiheit bildet, aber als solche nur rein negativ zu verstehen ist. Objektiv angesehen, ist diese losgerissene Reflexion als »reiner Trieb« zu verstehen. Obzwar der reine Trieb zu seiner Setzung die Kraft der Reflexion benötigt, die ihn vom Naturtriebe absondern soll, ist er dem Ich mehr wesentlich (weniger zufällig) als der Naturtrieb (SL, SW IV, 140f.). Diese These leuchtet insofern ein, als daß der reine Trieb eine höhere Stufe auf dem Weg zur Wiederherstellung des Urtriebes (der Tendenz zur absoluten Tätigkeit) bedeutet. Im moralischen Handeln erscheint jedoch nicht der reine Trieb als solcher – da er, wie gesagt, ganz abstrakt, als Negativität im Bezug auf Naturtrieb zu denken ist – sondern in einer Mischung mit dem Naturtriebe. Würde der reine Trieb als solcher erscheinen, müßte er sich lediglich gegen den Naturtrieb richten; daraus würde immer nur »Unterlassung«, aber kein positives Handeln entstehen. Wenn Fichte in Sittenlehre vom »gemischten«, sittlichen Trieb spricht, geht es eigentlich um die bewußte Wahl zwischen verschiedenen alternativen Handlungen, welche der Naturtrieb uns liefert. Der Naturtrieb liefert das materiale, der reine Trieb – also: die objektiv gesehene freie Reflexion – die Form der Handlung, genauer gesagt: das Prinzip der Wahl zwischen den durch den Naturtrieb gelieferten Handlungsmöglichkeiten. Die Mischung, oder die Synthesis, der beiden Trieben, bildet den positiven, sittlichen Trieb. Im Gegensatz zu Kant, sind es aber keine heterogenen Instanzen. Man muß immer in Betracht ziehen, daß der Naturtrieb und der reine Trieb, mitsamt allen anderen Trieben, nur Ausdifferenzierungen und verschiedene Ansichten desselben Urtriebes sind. »(…) beides ist vom transzendentalen Gesichtspunkte aus ein und ebenderselbe Urtrieb, der mein Wesen konstituiert: nur wird er angesehen von zwei verschiedenen Seiten«. (SL, SW IV, 130) Damit sind die Triebe also Ausdifferenzierungen der absoluten Tendenz zur Tätigkeit um der Tätigkeit willlen. Die höchste »Stufe« aus der Sittenlehre ist aber lediglich die zweite Stufe der fünffachen Struktur der Weltauffassung in der Anweisung, wo sie als »Stufe der Moral« genannt wird. Dieser Standpunkt – die »Stufe der Moral« – wird in der Anweisung oft mit dem Worte Stoizismus bezeichnet. Fichte schreibt: »in der philosophischen Literatur ist Kant, wenn man seine philosophische Laufbahn nicht weiter, als bis zur Kritik der praktischen Vernunft verfolgt, das getroffenste, und konsequenteste Beispiel dieser Ansicht (…). Auch wir für unsere Person haben diese Weltansicht, niemals zwar als die höchste, aber als den, eine Rechtslehre, und eine Sittenlehre, begründenden, Standpunkt in unserer
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Bearbeitung dieser beiden Disziplinen, angegeben, durchgeführt.«2 Auf dieser Stufe wird das Gesetz als das einzig wahre und existierende anerkannt. »Des Menschen Interesse für sich selbst ist im Affekte des Gesetzes aufgegangen; dieser Affekt aber vernichtet alle Neigung, alle Liebe, und alles Bedürfnis.« (AzSL, 114f.) Im Gegensatz zur ersten Stufe, wo noch die Zerstreutheit über das Mannigfaltige herrscht, bedeutet die zweite Stufe einen wesentlichen Fortschritt im Prozeß der Unterscheidung zwischen dem absoluten Sein und seinem Dasein (dem Wissen) innerhalb dieses Daseins (des Wissens, des Bewußtseins). Auf der Stufe der Moral wird nur das Gesetz als wahr existierendes aufgefaßt. Alles andere wird zur bloßen Sphäre für das moralische Handeln herabgestuft. Diese Degradation der Sinnlichkeit ist auch eine Leistung der Moral; diese Leistung wird laut Fichte auf allen höheren Stufen aufbewahrt. Interessanterweise reicht die frühere Position der Sittenlehre auch nicht aus, um höhere Moral genannt zu werden. Auf dem Standpunkt der höheren Moral gilt »das Gesetz (…) ist nicht, so wie das des zweiten, lediglich ein, das Vorhandene ordnendes, sondern vielmehr ein das Neue, und schlechthin nicht Vorhandene, innerhalb des Vorhandenen, erschaffendes Gesetz« (AzSL, 80). Es ist also die Sphäre des erschaffenden Gesetzes. Dies verdeutlicht sich an dem Begriff des Talentes. Der begabte Mensch dieser Stufe muß sich zum Handeln nicht zwingen; das Handeln erfolgt ungezwungen aus seinem tätigen Talent. Diese Sphäre wird intellektuell von Fichte auf Plato und Jacobi bezogen; wir können es auch als Hinweis auf Kants dritte Kritik verstehen. Mit Blick auf die höhere Stufe der Religion und höchste – des Wissens, könnte man hier – ein wenig vereinfachend – folgende Reihe feststellen: Sinnlichkeit – Moral – Kunst (höhere Moral) – Religion – Wissen Gewissermaßen ist damit schon das Hegelsche Modell angedeutet. Die Anweisung liefert also gewissermaßen eine Fichtesche Kant- und Fichtekritik. Man könnte sie leicht als die gut bekannte, übliche Kritik an der »Abstraktheit« und »Weltentfremdung« einer deontologischen Ethik mißverstehen. Sehr irreführend sind hier die Äußerungen Fichtes über die »Kälte« des Gesetzes und der ihr entgegengesetzten »Liebe« etc. Wenn üblicherweise der Kantianismus als weltentfremdeter »Formalismus« angegriffen wird, so wird er hier vielleicht nicht als allzu sehr auf Sinnlichkeit bezogen, aber gewiß als allzu wenig auf das Übersinnliche konzen2
AzSl, Hamburg 2001, 78f. (Im weiteren zitiert nach dieser Ausgabe.)
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Jakub Kloc-Konkolowicz
triert kritisiert. Die Stufe der Moral – die höchste Stufe der Sittenlehre – bleibt noch bei dem Gegensatz des »ewigen Willens« und des »individuellen Willens«. Der Religiöse dagegen weiß, daß das Individuelle nur eine Negation des göttlichen Seins ist. Sich einen individuellen Willen zu bilden, der über die Möglichkeit verfügt, dem Gesetz nicht zu gehorchen, heißt: sich absondern und eventuell gegen die Notwendigkeit des göttlichen Lebens zu rebellieren. Der individuelle Wille soll vielmehr vernichtet werden: nicht ich soll handeln, sondern das Absolute selbst soll durch mein Handeln erscheinen. Für unser Thema – dem Status des handelnden Ich – ist es wichtig zu begreifen, daß in der späten Philosophie Fichtes der Primat des Handelns weiterhin die wichtigste Rolle spielt. Es geht immer noch um die reine Tätigkeit. Wenn Kant und der frühe Fichte gezeigt haben, daß das Prinzip des Handelns Vorrang vor den Folgen des Handelns hat, so beginnt der späte Fichte auch die subjektive Seite des Handelns zu dekonstruieren. Eigentlich hat er damit schon in der Sittenlehre begonnen. Sogar in der Beschreibung der Selbstfindung des Ich sagt Fichte: »Nur als wollend finde ich mich. Zuvörderst, ich nehme nicht etwa die Substanz unmittelbar wahr. Das Substantielle ist überhaupt kein Gegenstand der Wahrnehmung, sondern es wird zu einem Wahrgenommenen nur hinzugedacht.« (SL, SW IV, 20). In der Anweisung wird nicht mehr von der reinen Tätigkeit, sondern eher von der sich als Handeln zeigenden »Liebe« Gottes zu sich selbst ausgegangen. Die Dekonstruktion des handelnden, empirischen Ich wird jedoch weiter getrieben. Dekonstruiert wird nur das Ich, das Handeln soll aufrechterhalten bleiben. Es bildet immer noch den wichtigsten Bezugspunkt. Dies beweisen die vielen Äußerungen Fichtes, der ausdrücklich die Religion nicht als ein »abgesondertes Geschäft« sehen will. Fichte sagt ausdrücklich, daß der Religiöse die ganze Welt nicht als einen gegebenen Gegenstand irgendwelcher Genüsse, sondern als »Tun« betrachtet. »Dieses Tun will er nunwiederum nicht darum, damit sein Erfolg wirklich werde; wie ihn denn in der Tat der Erfolg oder Nichterfolg durchaus nicht kümmert, sondern er nur im Tun, rein als Tun, lebt (...).« (AzSL, 86) Immer wenn Fichte vom »Heraustreten« des Gottes spricht, bezieht er sich vor allem auf das Handeln des religiösen Menschen. Am deutlichsten zeigt sich diese Einstellung in der folgenden Gleichung: Gott ist, »was der ihm Ergebene, und von ihm Begeisterte tut.« (AzSL, 83) Irgendein konkreter Mensch ist also nicht zu Gott geworden: äußerlich, in der Erscheinung, hat sich nichts geändert. Die einzige Weise, auf welche sich die religiösen Menschen von den anderen unterscheiden, ist die Weise ihres Handelns (und ihre Weltauffassung, der dieses Handeln entfließt). Gott zeigt sich
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nicht in den konkreten Menschengestalten, sondern durch die guten Taten, die von verschieden Menschen geleistet werden. Hoch interessant sind in diesem Kontext die Ansichten des späten Fichte, die den Status der Freiheit betreffen. Einerseits behauptet Fichte, Freiheit sei zwar vielleicht nicht »unmittelbar real«, trotzdem aber »gewiß da«. Man sollte sogar sagen: als das einzige Nicht-wirkliche in der ganzen Welt, bildet sie gleichzeitig den wahren Kern der ganzen Welt. (AzSL, SW IV, 125) Das Dasein des Seins, Dasein Gottes, soll, wie gesagt, in sich selbst die Differenz zwischen Sein und Dasein entdecken, anerkennen und sich als bloßes Bild vernichten. Freiheit ist das Medium, durch welches dies geschehen kann. Deswegen unterstreicht Fichte, Freiheit sei kein Schein. Ihr Ziel ist jedoch das Aufgeben der Freiheit, freie Selbstvernichtung der Freiheit. Freiheit des Daseins ist nur dazu da, daß sich das Dasein lediglich als Bild des Seins versteht und sich bewußt (frei) zurückzieht, so daß das Absolute erscheinen kann. Daraus könnte man folgern, Fichte hätte sich, trotz aller Kritik, nicht so weit von der kantischen Auffassung entfernt. Freiheit ist bei Kant auch gewissermaßen dazu da, um »aufgegeben« zu werden. Ich kann entweder autonom, oder heteronom handeln: das erste bedeutet aber, sich den Forderungen des Gesetzes zu stellen. Es kann über keine Freiheit außerhalb des Gesetzes, oder über Freiheit, die das Gesetz modifizieren könnte, gesprochen werden. Eine solche Lesart, die hier nur eine Fortsetzung der kantischen Lehre sieht, würde jedoch vieles zu stark vereinfachen. Es ist nämlich unbestreitbar, daß Fichte zwar viel von dem Handeln spricht, den einzigen Platz der Freiheit jedoch ausdrücklich nicht im Handeln, sondern in der Weltauffassung sieht. Wie bei Kant die Freiheit mit der Gehorsamkeit dem Gesetz gegenüber erschöpft wird, so wird sie hier mit dem Erreichen der wahrhaftigen Weltauffassung erschöpft. »(…) so daher jemand die Auffassung, nach diesem Schema vollendet, so hat er damit die Möglichkeit vollendet, und sie zur Wirklichkeit erhoben; er hat sein Vermögen erschöpft, und das Maß seiner Freiheit verbraucht, es ist ihm in der Wurzel seines Daseins keine Freiheit mehr übrig.« (AzSL, 126) Zwischen dieser wahren Weltauffassung und dem Handeln besteht eine keiner Willkür unterliegende, notwendige Verknüpfung. Die Frage also, inwiefern der Primat des Handelns in der Anweisung aufrechterhalten bleibt und inwiefern er sich in den Primat der theoretischen Weltauffassung verwandelt, ist also nicht so leicht zu beantworten. Nun dürfen wir versuchen den Titelsatz zu erläutern. Was bedeutet »Jeder wird Gott«? Selbstverständlich geht es nicht darum, daß je-
Jakub Kloc-Konkolowicz
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des Individuum sich einbildet, es sei zu Gott geworden. Abgesehen von der Absurdität dieses Gedankens, würde bei solchem absoluten Egoismus ein unaufhörlicher Streit aller gegen alle entfacht werden. Fichte geht es aber um ein Einheits-, nicht um Spaltungsprinzip. Es muß also um die Vernichtung der individuellen Iche gehen, so daß wir alle feststellen: Wir sind das eine Absolute. Wir sind hier nicht weit von der Idee Spinozas entfernt. Wenn wir alle dasselbe göttliche Dasein sind, kann es in der ethischreligiösen Einstellung auf keinen Fall um Gottesbezug, sondern um Menschenbezug gehen. Spinoza schreibt in seiner Ethik: »Der Mensch ist dem Menschen Gott«3. Denselben Gedanken finden wir bei Fichte. Paradoxerwiese glaubt der Religiöse nicht an Gott. Da er Gott ist, oder eher: da Gott in ihm das einzige wahre ist, glaubt er eher an Menschen. Genauer gesagt: an ihre Kraft, die richtige Weltansicht auszuwählen. Wenn bei Kant die Würde des Menschen darin besteht, daß sich in seinem Bewußtsein das moralische Gesetz ankündigt, so besteht hier diese Würde darin, daß sich durch Medium des reinen Denkens Gott liebend auf sich bezieht. Wir Menschen sind lebendiger Gottesbezug. In unserem reinen Denken – wohlgemerkt nicht in unserer Sinnlichkeit – erfolgt die Bewegung der göttlichen Liebe zu sich selbst. Wenn wir aber notwendiges Medium der göttlichen Liebe sind, kann die »Ich-Vernichtung« keineswegs eine reale Vernichtung der Individuen bedeuten (also kein selbstzerstörendes Handeln). »Jeder wird Gott, so weit er es sein darf, d. h. mit Schonung der Freiheit aller Individuen. Jeder wird gerade dadurch, daß seine ganze Individualität verschwindet, und vernichtet wird, reine Darstellung des Sittengesetzes in der Sinnenwelt; eigentliches reines Ich, durch freie Wahl, und Selbstbestimmung.« (SL, SW IV, 256).
Welchen Status hat also das handelnde Ich? Nach meiner Lesart handelt der Religiöse der Anweisung mit dem Ziel, alle Menschen zur wahren Weltauffassung zu bringen. Das zeigt sich deutlich im folgenden Zitat: »Den religiösen Menschen kümmert nicht (...) die sinnliche Glückseligkeit des Menschengeschlechts (...). (...) daß jeder, bis zur Vernichtung seiner selbst, und der Einkehrung in Gott, immerfort geplagt und genagt sei; so will es auch der Gott ergebene Mensch.« (AzSL, 159) Der Religiöse handelt unaufhörlich und findet in dem eventuellen Mißlingen seiner Bestrebungen keinen Anlaß, sich beleidigt zu fühlen oder gar aufzuhören. Er
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Baruch de Spinoza, Etyka, Warszawa 1954, 277.
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kann sich nicht beleidigt fühlen, da er kein sich mehr besitzt. Er soll sich vielmehr in dem Handeln vergessen. Auch in der Sittenlehre ging es letztendlich nicht darum, daß sich das einzelne Individuum bestätigt und aufbewahrt; es ist keine Philosophie des individuellen Heroismus. Es ging vielmehr darum, daß sich die Selbständigkeit, die absolute Aktivität durchsetzt. Fichte schreibt in der Sittenlehre: »Die Selbständigkeit aller Vernunft, als solcher, ist unser letztes Ziel: mithin nicht die Selbständigkeit Einer Vernunft, inwiefern sie individuelle Vernunft ist.« (SL, SW IV, 231) »Das Sittengesetz in mir, als Individuum, hat nicht mich allein, sondern es hat die ganze Vernunft zum Objekte. Mich hat es zum Objekte lediglich, inwiefern ich Eins der Werkzeuge seiner Realisation in der Sinnenwelt bin.« (SL, SW IV, 236)
Damit korrespondiert die Aufgabe des seligen Menschen, wie sie in der Anweisung beschrieben wird. Im Gegensatz zum absoluten Egoist, der will, »daß ihm, und allen seinen Mitmenschen, von allen Seiten, und in allen Richtungen, ewig fort, nur das Bild seiner eigenen Nichtswürdigkeit entgegenstrahle«, will der religiöse Mensch, daß »daß ihm, und allen seinen Brüdern, von allen Seiten und in allen Richtungen, ewig fort nur Gott entgegenstrahle« (AzSL, 160). Wie früher die Vernunft in die Verschiedenheit der handelnden vernünftigen Wesen zersplittert war, so zeigt sich jetzt das Gesicht Gottes aus unendlich vielen individuellen Perspektiven bestehend, die jedoch nicht aufeinander reduzierbar sind. Ich bin überzeugt, daß das »sich im Handeln vergessen« eine sehr zutreffende Metapher dafür ist, was Fichte mit der Ich-Vernichtung, sowohl in der Sittenlehre als auch in der Anweisung, meint. In beiden Entwürfen soll in der Gestalt des Handelns das Absolute erscheinen: die ganze, überindividuelle Vernunft oder der ganze, überindividuelle Gott. Um es zustande zu bringen, muß der Handelnde sich selbst vernichten: nicht indem er sein Handeln gegen sich selbst richtet, sondern indem er sich völlig auf das Handeln konzentriert, indem er also völlig in dem Handeln aufgeht. So kann er sich mindestens der reinen Tätigkeit nähern, oder – in der Sprache der Anweisung – so kann in ihm der Gott, das Absolute zum Handeln kommen.
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Über die Wirtschaftstheorie in Fichtes Rechtslehre von 1812
Claus Dierksmeier (Easton, Mass.)
I. Einleitung Bekanntlich hat sich Johann Gottlieb Fichte in seiner im Jahre 1800 verfaßten Schrift über den ›geschlossenen Handelsstaat‹ Fragen der wirtschaftlichen Ordnung zugewandt. Allerdings fand jene Thematisierung des Wirtschaftslebens gänzlich im Lichte rechtsphilosophischer Kategorien statt, namentlich derer von Eigentum und Arbeit. Zwölf Jahre später, reagierend auf zeitgenössische Kritik und aufbauend auf mittlerweile unternommene Studien nationalökonomischer Literatur,1 nimmt Fichte das Sujet in seinen 1812 in Berlin gehaltenen Vorlesungen zur Rechtsphilosophie wieder auf; diesmal aber mit dem Anspruch, die Region des Wirtschaftlichen nicht nur äußerlich mit juristischen Strukturen zu überziehen, sondern sie von innen her, d. h. durch eine spekulative Durchdringung des Wirtschaftslebens aufzuarbeiten. Fichte glaubt, die zentralen Bestimmungen der Ökonomik aus seinem System ableiten zu können und versucht zu demonstrieren, wie in einer realmöglichen Ökonomie seine sozialrechtlichen Ideale von 1800 zu verwirklichen wären. Die dazu vorgestellte Wirtschaftstheorie ist bisher nur ideographisch referiert, nicht aber begriffslo1 Vgl. etwa Fichtes Kommentar zum »Handbuch der Staatswissenschaft« von Theodor Schmalz (1808), GA II/13, 9ff.
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gisch rekonstruiert worden. Der vorliegende Aufsatz versucht eine solche Rekonstruktion mit dem Ziel, die Wahrheitsfähigkeit der von Fichte 1812 verfaßten Wirtschaftstheorie zu überprüfen. Zu diesem Zweck kann man entweder, dem Darstellungsduktus Fichtes folgend, sich vom freiheits- und rechtsphilosophischen Theorierahmen deduktiv zu den wirtschaftstheoretischen Konkretionen vorarbeiten oder aber umgekehrt versuchen, von den zentralen wirtschaftsphilosophischen Grundüberzeugungen Fichtes aus die sie einbettenden Theoreme auszuleuchten. Um nicht bereits Bekanntes nochmals zu referieren, aber auch um schneller zum Ziel zu kommen, folge ich der zweiten, der induktiven Methode – und beginne mit einem Passus aus jenen Vorlesungen, in welchem Fichte seine wirtschaftsphilosophischen Grundüberzeugungen pointiert zusammenfaßt: »In Summa: Alles beruht darauf, daß der Staat 1) einen Begriff vom menschlichen Wohlstande habe, und von den Mitteln denselben zu erhöhen, und von den wichtigen Folgen dieser Mittel. 2) Daß er in jedem Zeitpunkte den eigentlichen und wahren Zustand seiner Nation, und ihren Standpunkt in jeder Rücksicht genau kenne. Das Erste, als ein Apriorisches, ist ihm ohne Zweifel anzumuthen. Das Zweite ergiebt sich aus der Verfassung, indem er den Zustand des Ackerbaues und der Gewerbe, und des Resultates derselben, der Handlung, die er selbst treibt, immerfort übersieht, und von Zeit zu Zeit genöthigt ist, sich genaue Rechenschaft darüber abzulegen, indem er die Preise der Waren machen muß. An Gewalt, der National-Industrie die Richtung zu geben, fehlt es ihm gar nicht, indem ohne seinen Willen keine Hand im Staate zu diesem Zwecke sich regt, und er stets eine Summe von Kräften zur freien Verfügung hat, die er auch beliebig vermehren oder vermindern kann. Vor dem Heere der Officianten, und der Arbeit und Schreiberei derselben, die dies herbeiführen würde, fürchte man sich nicht.« (SW X, 587)
Fichte fügt dem noch einige wenige Bemerkungen zum zwischen den Nationen stattfindenden Handelsverkehr bei und beschließt sodann mit einigen besitztheoretischen Überlegungen die Wirtschaftsthematik. Zuvor hat er auf rund 60 Seiten entfaltet, wie seinem philosophischem Staats- und Rechtsbegriff zufolge die nationale Wirtschaft eines Musterstaates der Vernunft einzurichten sei. Die dabei vorgestellte Wirtschaftstheorie ist erstaunlich heterodox; sie vereinigt in sich einige moderne Überlegungen
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zum Staat als venture-capital-Agentur mit glasklar sozialistischen2 Doktrinen, beinhartem Zunftdenken und vormodernem Physiokratismus sowie merkantilistischen Tüfteleien.3 Ein dieses Sammelsurium systematisierender nationalökonomischer Generalnenner ist nicht aufzufinden. Dennoch begreift Fichte selbst seine Wirtschaftstheorie natürlich nicht als wilden Eklektizismus, sondern präsentiert sie als vollkommen konsistente Selbstentfaltung der spekulativen Vernunft in Sachen Ökonomik. Es scheint darum angezeigt, weniger nach einem wirtschaftstheoretischen, sondern vielmehr nach dem philosophischen Generalnenner zu suchen, der diese Selbsteinschätzung begründet und durch den jene Theoreme überhaupt erst zu einer nachvollziehbaren Ordnung gebracht werden können. Die meine Überlegungen im folgenden leitenden Thesen sind: Fichtes Theorie eines apriori bestimmbaren Warenwerts beruht auf einer uneinlösbaren Prämisse. Dies ermöglicht es ihm scheinbar, elegante Lösungen schwieriger verteilungstheoretischer Aufgabenstellungen zu präsentieren, welche andernfalls (d. h. mit den ihm begrifflich tatsächlich zu Gebote stehenden Mitteln) hätten unbewältigt bleiben müssen. Das somit bewirkte Ausbleiben wirtschaftstheoretischer Aporien bzw. deren Überdeckung durch Scheinlösungen, läßt Fichte nicht auf die jenen Aporien zugrundeliegenden Ungereimtheiten in seiner freiheitstheoretischen Problemstellung aufmerksam werden, welche aber ihrerseits hätten behoben werden müssen, um tatsächlich den von Fichte aufgestellten Anspruch einzulösen, eine kohärente Wirtschaftsphilosophie der Freiheit vorzustellen.
2 Zum illustrierenden Vergleich werden der Fichteschen Entfaltung der Privatrechtsbegriffe im folgenden jeweils die entsprechenden Paragraphen des Zivilgesetzbuches der DDR (zitiert: § xy, Absatz xy, ZGB) zugeordnet, in denen der sozialistische Charakter eines inhaltsgleichen Rechtsdenkens explizit gemacht ist. 3 Zum zeitgenössischen Diskussionsstand der Nationalökonomie vgl. den Artikel ›Political Economy‹ in der vierten Auflage der Encyclopaedia Britannica, A Dictionary of Arts, Sciences, And Miscellaneous Literature, Edinburgh 1810, Bd. 17, 106–123; sowie den ebenfalls sehr instruktiven, gleichnamigen Artikel in: Abraham Rees (et al.): The Cyclopaedia, Universal dictionary of arts, sciences, and literature, Philadelphia / New York, 1810ff. (o. Sz.). Zur Einordnung von Fichtes Theorie in den zeitgenössischen Kontext deutscher philosophischer Theorien der Wirtschaft vgl. Harada Tetsushi, Politische Ökonomie des Idealismus und der Romantik: Korporatismus von Fichte, Müller und Hegel, Berlin 1989.
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II. Die Theorie des Warenwerts Fichte hält es für möglich, allen Waren einen festen, sogenannten inneren Wert beizumessen, der allen Schwankungen des sogenannten äußeren Wertes, des Markt- und Tauschwertes, gegenüber stabil bleibt. Diesen »Grundmaaßstab des Werthes aller Dinge« (SW X, 558, i.O. herv.) müsse man fernab ihres Preises suchen, um nicht in »Befangenheit vom Gelde, das alle gesunde Einsicht in dieser Materie stört« (ebd.) zu geraten. Im Einklang mit der Malthusischen Arbeitskostentheorie vertritt Fichte, – dabei indes nicht auf Malthus sondern unrichtig auf Kant verweisend (SW X, 559), – den Bezug auf die Selbsterhaltung des Arbeiters als Konstituens des Produktwertes.4 Es sei keine Wertproduktion durch Arbeit möglich, sofern sich nicht der Arbeiter aus dem Lohn für seine Beschäftigung selbst erhalten könne. Mithin sei keine Bestimmung des Warenwertes unterhalb der Reproduktionskosten desselben denkbar.5 Fichte addiert zu den bloßen Selbsterhaltungskosten noch einen gleichförmigen Anspruch eines jeden Arbeitenden hinzu, der auf die makroökonomisch über das Maß der Subsistenz aller hinaus erzielten Güter abzielt, welche ihren Besitzern jeweils »Muße« verschaffen sollen (SW X, 544). Muße definiert Fichte näherhin als eine Spanne des »Lebenkönnen[s] ohne Arbeiten« (SW X, 560) und erklärt, daß dergleichen jedem Subjekt zusteht, damit dieses seiner Bestimmung, ein sich selbst frei Zwecke setzendes Wesen zu sein, entsprechen kann. Dabei ist es Fichte nicht nur um freie Zeit allein, sondern auch um eine durch hinreichende materielle Versorgung zu erreichende »Lossprechung von allen sinnlichen Zwecken« (SW X, 539) zu tun, damit nämlich die freie Zeit zur sittlichen Selbststeigerung genutzt werden könne und nicht etwa in weiterem Erwerbsstreben vertan werde. Erst eine solcherart besitztheoretisch angereichtere Muße ermöglicht Fichte zufolge wahrhaft den Aufschwung zur Sittlichkeit. Und da das Recht insgesamt seine Rechtfertigung bei ihm teleologisch erfährt6 – einmal als Mittel zum Zweck der Moral (aus der 4 Kant spricht zwar über den erforderlichen Arbeitsfleiß, der in die Beschaffung derjenigen Ware eingeht, die gesellschaftlich die Geldfunktion übernimmt, definiert aber den Preis einer Sache dennoch wie folgt: »Preis (pretium) ist das öffentliche Urtheil über den Werth (valor) einer Sache in Verhältnis auf die proportionirte Menge desjenigen, was das allgemeine stellvertretende Mittel der gegenseitigen Vertauschung des Fleißes (des Umlaufs) ist.« (AA 6, 289) 5 Kritisch zu derartigen Preisbildungstheorien bereits der o.g. Artikel zur Political Economy, a.a.O., 111f. 6 Zur Kritik dieser Form einer uneigentlichen Rechtsbegründung durch den Fichteschüler Krause vgl. Claus Dierksmeier: Fichtes kritischer Schüler – Zur Fichte-Kritik K. C. F.
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Perspektive des gegenständlichen Bewußtseins betrachtet) und einmal als Mittel zum Zweck der Ausdifferenzierung des absoluten Bewußtseins in individualisierte Sphären der Ichwerdung (in transzendentalphilosophischer Perspektive) – so gewinnt in seinen Augen das Recht auf Freizeit plus Güterversorgung den Rang eines vorpositiven Urrechtes. Für gewöhnlich verschafft zwar einem Individuum seine Arbeit Tauschwerte, welche noch über die zur Reproduktion seiner Arbeitsleistung erforderliche Kostendeckung hinausreichen; es gewinnt also aus eigener Kraft eine Zeit der Muße. Doch dies ist nicht immer und nicht notwendig der Fall; und schon gar nicht ist sichergestellt, daß jedes Individuum selbständig in der Lage ist, sich stets all diejenigen Mittel zu verschaffen, die für eine dem sittlichen Freiheitsgebrauch zugewandte Lebensführung wünschenswert wären. Dergleichen muß daher nach Fichte eigens durch die Rechtsgesellschaft gewährleistet werden – durch eine künstliche Korrektur der natürlichen Auszahlungsmatrix des Erwerbslebens. Die philosophischen Grundlagen dieser Norm liefern Fichtes Eigentumstheorie und sein Rechtsbegriff. Fichtes Rechtsbegriff legitimiert genau dann rechtliche Ansprüche wenn ihnen korrespondierende rechtliche Leistungen übernommen werden (SW X, 520f.). Im vorliegenden Fall: Einem jeden, der Zeit aufwendet, um für den gesellschaftlichen Wohlstand zu arbeiten, steht aus dem gesellschaftlichen Gesamtvermögen ein Anspruch auf Entgeltung in materiell abgesicherter Zeit für Muße zu.7 Investiert ein Arbeiter seine Zeit, bringt er also individuelle Muße ein, um gesellschaftliche Subsistenz und Muße zu stiften, so ist ihm dies zu vergüten in eben jener – für alle gleichen – Ratio, die der gesamtgesellschaftlichen Proportion von aufgewendeten Subsistenzmitteln zu erwirtschafteten Überschußgütern entspricht (SW X, 561). Der Einzelne multipliziere also seine aufgewendeten Stunden mit jenem Faktor und errechne so den Teil an gesellschaftlichen Dienstleistungen und Gütern, der ihm von Staats wegen zuzuteilen ist (SW X, 561). Fichtes Eigentumsbegriff gestaltet diesen Anspruch näher aus. Fichte macht nämlich nicht das Eigentumsinstitut in seiner Abstraktheit, Krauses (1781–1832), in: »Fichte und seine Zeit«, Beiträge zum vierten Kongreß der der Internationalen Fichte-Gesellschaft in Berlin (2000), ed. Hartmut Traub, Amsterdam / New York, 2003, 151–162. 7 Zur Ausrichtung der Privatrechts- und Wirtschaftsordnung am Ziel der moralischen (respektive sozialistischen) Persönlichkeitsentwicklung vgl.§ 1 I, § 5 I i.V. m. § 17 II ZGB DDR; zum subjektiv-rechtlichen Anspruch auf Anteil am gesellschaftilchen Gesamtvermögen vgl. § 3 i.V.m. § 22 I.
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sondern die Konkretheit der jeweiligen persönlichen Vermögenzustände zum Gegenstand staatlichen Handelns.8 Da er – entgegen der kantischen Konzeption provisorischer Besitzrechte – vorstaatliches Eigentum nicht für den Staatszustand als titelstiftend anerkennt, muß er postulieren, daß jedwede Eigentumsposition letztursprünglich auf staatliche Distribution zurückgehe.9 Eine solche Zuteilung von Staats wegen könne nur im Lichte eines gleichen Eigentumsrechts aller erfolgen; sie wird darum allen alles gleichmäßig zuteilen, mit dem Ziel, daß von da an, d. h. durch allen danach stattfindenden Tausch der Güter und Dienste hindurch »[j]eder den Werth seines Eigentums behalte.« (SW X, 524) Das ist nur über eine staatliche Kontrolle der Ware-Preis-Relationen möglich, deren Ziel die Fixierung allen relativen Vermögens ist: »Ins Unendliche fortgetauscht, werden Alle dadurch nicht reicher, noch ärmer.« (ebd.) Die zentrale wirtschaftstheoretische Voraussetzung jener universell gleichen Vergütung aus den Händen des Staates bildet die Annahme einer tatsächlichen Kommensurabilität aller Waren, Güter und Dienstleistungen. Die damit postulierte objektive Wertdimension, von der Fichtes Geldtheorie, seine Theorie des Handels und der wirtschaftspolitischen Staatsaufgaben insgesamt abhängen, steht und fällt mit der Annahme, es lasse sich ein objektiver Maßstab finden, durch welchen den wirtschaftlichen Gütern ein marktunabhängiger Wert zugewiesen werden kann. Die schiere Arbeitszeit bietet sich als dieser Maßstab nicht an, da bekanntlich gleiche Arbeitszeit durchaus nicht Gleiches stiftet, weder gleichen Gebrauchswert noch gleichen Tauschwert. In jeder Konkurrenzwirtschaft geht es ja einigen Produktionszweigen besser als anderen und haben noch innerhalb ein und derselben Profession findig-innovative Produzenten größeren Zulauf als andere. Spontan wird sich also niemals ein Markt etablieren, in welchem jedermann mit jedermann einfach Güter zum Preis der in ihnen jeweils enthaltenen Arbeitsvolumina tauscht. Also muß, da zufolge der persönlich-individuellen Nutzenschätzungen die getauschten Güter stets inkommensurabel bleiben, die zur staatlich angestrebten Egalisierung des Tausches notwendige vereinheitli8 »Das Dasein der Freiheit des Einzelnen [...] geht so bei Fichte wieder völlig verloren, indem das empirische Individuum über die Eigentumsgarantie dem totalen Zugriff des verwaltenden Gemeinwesens ausgesetzt wird.« Bernhard Willms: Die totale Freiheit. Fichtes politische Philosophie, Köln 1967, 121f. Siehe auch die entsprechende Fichtekritik Krauses; vgl. C. Dierksmeier: Der absolute Grund des Rechts. Karl Christian Friedrich Krause (1781–1832) in Auseinandersetzung mit Fichte und Schelling. Stuttgart-Bad Cannstatt 2003, 121ff., 190f. 9 Carl Trautwein: Über Ferdinand Lassalle und sein Verhältnis zur Fichteschen Sozialphilosophie, Jena 1913 (Fischer), 120.
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chende Wertrelation künstlich festgesetzt werden. Jene Festlegung ihrerseits darf nun keine einmalige statische Zuschreibung sein, weil andernfalls jener der Gesellschaft von Fichte vorgeschriebene Produktionszuwachs (SW X, 544) sich nicht in ihr abbilden könnte. Folglich würde unter einem statischen Wertprinzip jegliche Steigerung einzelner Produktivkräfte dazu führen, daß Belastungen zwischen den einzelnen Produktionszweigen ungleich verteilt würden, was dem gleichen Recht aller auf Erhalt eines ihnen »gebührende[n] Eigentum[s]« (SW X, 530) zuwiderliefe. Darum sucht Fichte nach einem dynamischen Medium, das seines Erachtens die gesellschaftliche Progression in Produktivkräften adäquat in sich abspiegelt: »Es ist irgend ein Arbeitsprodukt als bleibender Maaßstab alles Werthes festzusetzen, und der Wert aller übrigen Arbeitsprodukte darauf zurückzuführen. Daß jenes Arbeitsprodukt ein Lebensmittel, und zwar das allergemeinste und gebräuchlichste Lebensmittel sein müsse, z. B. ein Quantum Korn (ein Scheffel), ergibt sich von selbst; denn die Lebensmöglichkeit ist ja der ideelle Maaßstab alles Werthes der Arbeit.« (SW X, 563)
Indes jene Fichtesche Setzung, fernerhin jedwede wirtschaftliche Produktion in Kornscheffeln und Kornmäßchen zu quantifizieren (SW X, 565), versteht sich nicht von selbst. Die in wahrscheinlich unbewußter Anlehnung an Quesnais und Smith erfolgende Quantifizierung ökonomischer Güter in Korn fällt bei Fichte nämlich, ganz anders als in der klassischen Ökonomie oder etwa bei Fichtes britischem Zeitgenossen David Ricardo, nicht grenznutzentheoretisch, sondern physiokratisch aus. Das will besagen, daß Ricardo etwa die Kornrechnung aufstellt, um zu zeigen, daß unbezüglich auf die jeweilige Geldwertsituation sich inhaltlich gültige Aussagen über marginale Wertrelationen machen lassen – konkret: über das Verhältnis von Bodenfertilität zu Landrente.10 D. h., Ricardo macht einen regulativen Gebrauch von der Rechnung in Korn, nimmt aber gerade nicht an, Korn sei der verborgene objektive Maßstab allen Wertes.11 Fichte hin10 David Ricardo: Essay, On the Influence of the Price of Corn on the Profits of Stock (1815), ausführlicher in: ders.: On the Principles of Political Economy, London 31821 (11817), 93, 277. Sinn und Zweck der Rechnung in Korn bei Ricardo ist, zu zeigen, wie sich die Profitrate eines Wirtschaftszweiges nach dem schwächsten Grenzprofit innerhalb desselben ausrichtet; im Falle der Landwirtschaft: wie die Ertragsrate des profitärmsten Bodens das Maß auch für die Erträge fruchtbarer Böden hergibt, insofern als die Produktivitätsüberschüsse jener Böden zwangsläufig durch proportional ansteigende Pachtkosten (Bodenrente) abgeschöpft werden. 11 Vgl. Walter Eltis: David Ricardo, in: Joachim Starbatty (Hg.) Klassiker des ökonomischen Denkens, München 1989, 188–207.
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gegen faßt das Kornbeispiel konstitutiv auf und versteht es wörtlich in dem Sinne, daß jeglicher Fortschritt der Produktivkräfte sich am Kornpreis zeige, welcher – sofern selber nicht in Geld gerechnet – stabil bleibe und somit als verläßliche Konstante jene Entwicklung entsprechend relational wiederspiegele, d. h. das Korn verteuert sich (ceteris paribus) proportional zur gesellschaftlichen Verbilligung der sonstigen Güterproduktion (SW X, 566). Deshalb sei der Kornpreis das gesuchte dynamische Dritte, über welches die Wertrelationen aller weiteren im Austausche stehenden Güter ausgedrückt werden könnten. Zufolge dieses Wertmaßstabs wird dann die gesamte Volkswirtschaft ausgerichtet: »Der Staat wird die Preise aller auf seiner Oberfläche erzeugten, und in den Handel kommenden Arbeitsprodukte aufsuchen, und declarieren; und um diesen Preis wird Jeder jeden Augenblick gegen das in seinen Händen befindliche Äquivalent in jeder Art die begehrte Ware haben können.12 Wie soll nun der Staat dies sichern? Es bleibt kein Mittel übrig, als daß er den Handel selbst übernehme, daß er den [...] dritten Stand, den Handelsstand, selbst mache. [...], d. h. die Kaufleute müssen Staatsbeamte sein, die auf Rechnung des Staates Alles ohne Ausnahme, was ihnen angeboten wird, kaufen zu dem festgesetzten Preise, und so verkaufen, auf Rechnung des Staates [...].« (SW X, 568f.)
Wirtschaftstheoretisch entscheidend ist, daß der alledem zugrundeliegende Kornmaßstab nicht funktioniert; einmal deswegen nicht, weil die Kornproduktion nicht als intertemporal stabil angesetzt werden kann; zudem deshalb nicht, weil die Kornproduktion, wie Ricardos Marginalnutzenanalyse gezeigt hat, nicht nur intertemporal, sondern auch schon gleichzeitig mit je von Ort zu Ort unterschiedlichem Produktionsaufwand betrieben werden muß,13 was (selbst wenn man den Zeitfaktor im Gedankenexperiment vernachlässigt) jegliche Angabe einer eindeutigen Relation von aufgewendeter Zeit zu erwirtschaftetem Korn verhindert. Dadurch wird Fichtes Anliegen unmöglich gemacht, sein Ideal einer staatlich zu stiftenden Gleichheit des Basiseigentums durch eine einheitliche Besteuerung allen Landbesitzes zu realisieren. Eine derartige Steuer würde zu einer unfairen Gleichbelastung von ungleich produktiven Landgütern führen und damit das gerade Gegenteil von Fichtes egalitaristischen Absichten erreichen.
12 Vgl. § 62 I i.V.m. § 69 II ZGB DDR. 13 Vgl. ›Political Economy‹, 121.
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Ferner spricht philosophisch gegen die Kornrechung, daß die über Korn zu etablierenden Austauschrelationen mit anderen Werten, wenn überhaupt, dann nur für eine streng subsistenzorientierte Minimalwirtschaft vorstellbar sind. Keinesfalls aber erlaubt es eine solche Rechnung, sinnvolle Wertrelationen zu den unzähligen nicht-materiellen Gütern in der modernen Dienstleistungs- und Kommunikationsgesellschaft aufzubauen, weil in die Kornrechnung allein das (ohnedies nur im Gedankenexperiment quantifizierbare) objektive Überlebensinteresse aller eingeht, nicht aber das subjektive Interesse der Individuen an ihrem ganz spezifischen Wohlleben bzw. an ihren Gutsvorstellungen. Je ausdifferenzierter indes eine Wirtschaftsordnung ist, desto mehr werden in ihr Güter produziert, die vorrangig oder allein eben jene subjektivierten Interessen bedienen. Da private Präferenzen per se durch zentrale Wirtschaftsrechnung nicht erfaßt werden können, wird eine auf zentraler Kalkulation ruhende Wirtschaftsplanung daher nicht nur akzidentell, sondern systematisch an einem Großteil jener Interessen vorbeigehen und viele subjektive Bedürnisse unbefriedigt lassen. III. Die Theorie des Handels Fichte sieht im Profitmotiv des Händlers einen Grund dafür, daß Waren überteuert an den Konsumenten gelangen und er versteht deshalb jeglichen Handelsgewinn als Raub am gesellschaftlichen Gesamtvermögen. So beschließt Fichte, der Staat müsse den Handel ganz in eigene Hände nehmen. Dann ließe sich jegliche Preisvarianz aus dem Markt nehmen, indem der Staat feste Waren-Preisrelationen vorschreibt (SW X, 569f.). Die ausbleibende spontane Allokationsleistung des Handels soll durch eine staatlich gelenkte Güterverteilungsbehörde ersetzt werden, den für diese Behörde tätigen staatlichen Beamten sei ein Arbeitszeitlohn zu zahlen. Ist der innerstaatliche Handel dann erst einmal effektiv wertmetrisch gleichgeschaltet, muß, so Fichte, nur noch sichergestellt werden, daß die künstlich etablierten Preisrelationen nicht von außen unterlaufen werden, d. h. man muß den Auslandshandel kleinhalten und kontrollieren. Konkret geht es ihm darum, nur strikt zweiseitige und strikt ausbalancierte Handelsgeschäfte mit dem Ausland zuzulassen. Die einzelnen Überlegungen Fichtes, wie man das Inland gegenüber dem Ausland wirtschaftlich so abschotten kann, daß jene nationalstaatlich gesetzten Preisrelationen nicht unterlaufen werden (SW X, 587ff.), sind weitestgehend Modifikationen zum alten Thema des Ge-
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schlossenen Handelsstaates,14 die (trotz einiger Varianz im Detail) in der Substanz noch immer das Dogma von 1800 teilen: daß die Nationalwirtschaft eine stets gefährdete statische Ordnung darstelle, welche allzuleicht durch nicht von planerischer Seite kontrollierte (innere wie äußere) Handelsregungen aus dem mühsam konstruierten Gleichgewicht gebracht werden kann, weshalb dem Staat unbeschränkte wirtschaftslenkende Zwangsbefugnisse zugestanden werden müssen.15 In all diesen Überlegungen fällt Fichte weit hinter den Erkenntnisstand der Nationalökonomie seiner Tage zurück, welcher längst bekannt war, daß auch und gerade ungleichgewichtige Handelsbilanzen im »roundabout trade« einer internationalen Verkehrswirtschaft zur allgemeinen Wohlstandsmehrung aller beteiligten Parteien führen.16 Überhaupt: Dadurch, daß Fichte auf allen Ebenen der Privatwirtschaft das Wirken der gewöhnlichen Erwerbsmotive beschneidet, welche gemäß der klassischen Ökonomie ganz intentionslos zur Entwicklung neuerer und besserer Produktionsmethoden, zur bedarfsgerechten Güterallokation und zur dezentral-optimierten Informationsnutzung führen, handelt sich Fichte das Problem ein, der Gesellschaft diese überlebensnotwendigen Leistungen allesamt normativ vorschreiben zu müssen. Er muß also staatlicherseits den Betrieben befehlen, die Produktionsweisen zu verbessern, Ressourcen sparsam und Informationen sinnvoll zu nutzen etc. – um der von ihm zu vertretenden Pflicht zu entsprechen, die Möglichkeitsbedingungen zur allseitig sittlichen Lebensführung zu optimieren.17 So verkennt Fichte inbesondere die wichtige, aus der profitinduzierten Neigung der Händler, kontrazyklische Warenkäufe zu tätigen, resultierende Balance- und Allokationsleistung, welche der Handel für die Gesellschaft erbringt. Aus dem flexiblen dynamischen Anpassen des Handels an Preisschwankungen resultiert langfristig eine diachronal optimierte Güterallokation (und damit auch ein gesteigertes gesellschaftliches Ge14 Vgl. dazu Fichtes Entwurf ‚Über Pfandbriefe’, entstanden wahrscheinlich um 1809/10, insbesondere seine dortigen Ausführungen zur ‚Dauerhaftigkeit des Werts’, (GA II/13, 11): »Die Dauerhaftigkeit desselben kann versichern nur der Staat (wir stehen wieder beim geschlossenen Handelsstaate).« 15 Vgl. Carl Trautwein: Über Ferdinand Lassalle und sein Verhältnis zur Fichteschen Sozialphilosophie, Jena 1913 (Fischer), 116 16 Vgl. ›Political Economy‹, 116. 17 Kommentar zum »Handbuch der Staatswissenschaft« von Theodor Schmalz (1808), GA II/13, 9. Wohlstand »ist nicht bloßes Mittel für einen anderen Zwek, sondern selbst Zwek des Ganzen, so zahlreich, cultiviert, und wohlhabend zu seyn als es kann. – Es ist dem Einzelnen nicht erlaubt zu sagen: ich will mir gefallen laßen, arm zu seyn. Du sollst und mußt so reich seyn, als du kannst.« Vgl. Dazu den § 12 I ZGB DDR.
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samtvermögen). Der dadurch erzielte Profit der Händler stellt also – worin die deutsche Nationalökonomie des frühen 19. Jahrhunderts vollauf mit der klassischen Ökonomie Englands übereingeht – eine Abschöpfung von einem andernfalls gar nicht vorhandenen Surplus dar; also keinen Raub am Gesellschaftsvermögen. Fichte sieht dies natürlich anders und verficht vehement die begriffliche Überlegenheit seiner Planwirtschaft gegenüber jedweden unreguliert sich einstellenden Ordnungsgleichgewichten. Er hält etwa den seinerzeit von der englischen Ökonomik vorgeführten Rekurs auf spontane Handelsgleichgewichte für Ausflüchte einer faulen Vernunft, die sich der Anstrengung der planerischen Konstruktion verweigert (SW X, 554). Statt dessen glaubt Fichte, man habe bis auf ihn nur noch nicht unternommen, die Begriffe von Eigentum, Verkehr und Tausch in aller Schärfe zu durchdenken – und sei deshalb der Möglichkeiten, das Wirtschaftsleben aus reiner Vernunft zu leiten, noch nicht gewahr geworden. Er übersieht dabei, daß die englische Ökonomik ihre Theorie spontaner dynamischer, d. h. Ungleichgewichte benötigender und produktiv verarbeitender, Ordnungen just als Reaktion auf dem seinen vergleichbare Ansätze entwickelte, nämlich als Antwort auf das Scheitern des in Frankreich probierten zentralistischen Physiokratismus und Merkantilismus. Die von Fichte gescholtenen nationalökonomischen Theorien zur Selbstbescheidung planerisch-administrativer Vernunft verstanden sich selbst ja als vollauf bewußte, da von schlechter Erfahrung gesättigte Absage an Modelle geschlossener Wirtschaftskreisläufe und statischer Handelsgleichgewichte. Dennoch: Trotz all seines planerischen Optimismus ahnt Fichte irgendwie, die Bürger würden, wo sie nur könnten, versuchen, aus jenem von ihm fixierten Austauschschema auszubrechen; darum sieht er in seiner Theorie des Handels eine Fülle von dem entgegenwirken sollenden Kontroll- und Aufsichtsmaßnahmen vor. Warum aber, so muß er sich fragen lassen, würden die Bürger überhaupt seinem System entfliehen wollen, wenn ihnen doch, wie Fichte verspricht, durch jenes System ihr »vom Staat absolut garantirtes Eigenthum« (SW X, 561) ganz gewiß und überdies ohne jedes Marktrisiko zukommt? Warum wollen sie nicht einfach folgsam abwarten, bis ihnen aus staatlicher Hand das Ihre zugeteilt wird? Indirekt stellt sich Fichte diese Frage indirekt selbst, als er nämlich untersucht, warum die Menschen in den stets schwankenden Währungen von Gold und Silber handeln (SW X, 575). Der Handel in Gold und Silber ist bezüglich der in ihm kommunizierten Werte unsicher, da niemand wissen kann, welche Mengen an Gold und Silber einerseits und welche Mengen an durch Gold und Silber zu erwerbenden Gütern an-
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dererseits auf dem weiten Erdenrund verteilt sind (SW X, 575). (Anders dagegen die vom Vernunftstaat kontrollierte Korngeldmenge: diese hat nämlich eins zu eins die vorhandene Kornmenge zu repräsentieren und erhält damit ein stabiles Wertrelat (SW X, 571f.)). Es erscheint Fichte daher höchst unvernünftig, daß sich die Weltbürger allenthalben auf einen Handel in nicht fixierten und nicht fixierbaren, da ihrerseits gehandelten Währungen einlassen (SW X, 575); das Ziel eines ausgeglichenen Handelsgeschäfts werde so doch allemal gefährdet und es bestehe die Gefahr, das zuvor gehaltene Eigentumsniveau durch unvorteilhaften Tausch zu mindern. Fichte kann sich den gleichwohl auf dem ungeregelten Weltmarkt tatsächlich stattfindenden Handel in unstablien Währungen daher nicht anders erklären, denn »durch die Noth« der Handelspartner (SW X, 576). Müßten sie nicht unter Ungewißheit verkaufen, so täten sie es gewiß nicht; tun sie es dennoch, so sicherlich gezwungen; er folgert darum: »Hier ist Gewalt, durchaus nicht Recht.« (ebd.) »Wer gewinnt dabei [...]? Wer die Noth Anderer wohl zu berechnen versteht. Alle kaufmännischen Spekulationen, was sind sie anders, als Voraussetzungen solcher Noth [...]« (ebd.). Das Amüsante an diesem Räsonnement ist, daß sich ja die Menschen von dieser Notlage eines auf ihrer ganz persönlichen Nutzenschätzung beruhenden Güter- oder Devisentauschverkehrs ganz und gar nicht abringen lassen wollen. Man sollte doch meinen, sie erwarteten die Erlösung von jenem Joch der Ungewißheit, wie sie die Fichtesche Wirtschaftslehre verspricht, schon seit jeher. Doch es verhält sich anders: Man muß die Menschen regelrecht zu ihrem Glück zwingen; ein Rechtssystem aufbauen, das mit ›mechanischer Notwendigkeit‹ eine allen ihr Eigentum und ihre Sicherheit garantierende Ordnung gegen das Gutdünken der Individuen durchsetzt, diese gegen das Ausland abschirmt, und überhaupt alles Wirtschaftsleben unter staatlichen Zwang und staatliche Aufsicht stellt, um der sittlichen Freiheit der Bürger zum Durchbruch zu verhelfen.18 Und das alles bloß, weil die Subjekte nicht davon ablassen, ihrer eigenen Situationsbeurteilung die Präferenz gegenüber wohlwollender staatlicher Planung zu erteilen.
18 Allein das Geld bleibt im Staate Fichtes verfügungsoffenes Privateigentum, aber auch das nur nominell, denn es wird durch die vermögenspolitischen Eingriffe des Staates sowie durch die Ausschließung allen Weltgeldes faktisch entwertet – und damit in seiner individuell freisetzenden Wirkung vernichtet. Vgl. B. Willms, a.a.O., 123, Anm. 560
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IV. Ausblick Hätte nun Fichte sich nicht im Besitze eines unfehlbaren Wertmaßstabes geglaubt – so wurde eingangs angedeutet –, wäre seine Wirtschaftstheorie wohl anders ausgefallen. Er hätte dann vor seiner Forderung einer staatlich zu garantierenden Gleichverteilung der Eigentumswerte gestanden – und mangels eines objektiven Wertkriteriums nicht darauf vertrauen können, dies durch staatliches Planen und Handeln kurzerhand herbeiführen zu können. Wie aber hätte er dann das für seine Sozialphilosophie insgesamt zentrale Postulat realisiert, daß den Individuen zu ihrer Freiheit eine Wirksphäre zu verschaffen sei, in welcher jene sich als frei zwecksetzende Wesen verwirklichen können? Zu welcher Wirtschaftsform hätte Fichte bei Verzicht auf die Annahme staatlicher Allwissenheit in Wirtschaftsfragen und das damit einhergehende omnipotente Planungsvermögen geraten?19 Ich meine, es hätte dann sicherlich der Gedanke nahegelegen, rekursiv vorzugehen und statt den Zwang als Mittel zum Zweck der Freiheit einzusetzen, die Freiheit der Individuen selbst in Betracht zu ziehen. Sieht man nämlich die tatsächlich am Markt stattfindenden Tauschakte einmal nicht als Ausdruck eines negativen wirtschaftlichen Naturzustandes an, der erst noch durch staatlichen Eingriff zur Vernunft gebracht werden muß (SW X, 578), sondern als unter der Ägide persönlicher Nutzenschätzungen, d. h. gemäß der freien Beurteilung eines jeden, was einem etwas, nämlich sein Geld, wert ist, stattfindende Wertdiskurse, so müssen die sich am Markt etablierenden Preise zunächst einmal als sittlich achtenswerte Auskünfte über intersubjektive Wertvermeinungen angesehen werden. Und wenn nun eben nicht staatlich-zentral auszumachen ist, was Dinge ›eigentlich‹, d. h. jenseits aller subjektivierten Vermeinungen wert sind, dann liegt es nahe, die für wirtschaftspolitische Maßnahmen gleichwohl zu wünschende Überprivatheit der Wertzumessung dadurch sicherzustellen, daß man jene Messung intersubjektiv vornimmt bzw. daran orientiert, was bereits zwischen den Subjekten – auf dem Markt – über bestimmte Wertrelationen ausgemacht wurde. Da Dinge in ihrem Tauschwert und Gebrauchswert notwendig differieren und sich jener auch nicht aus diesem herleiten läßt, macht es 19 In seinem Kommentar zum »Handbuch der Staatswissenschaft« von Theodor Schmalz (1808), (GA II/13, 10), macht Fichte unmißverständlich klar, daß er nicht etwa bloß die Utopie eines freiwilligen Sozialismus verkünde, sondern meint, weil der Staat allein Gewalt als Mittel aufwenden darf, es auch darum »Sache des Staats« sei, die »Bedingungen ohne welche ein regelmäßiger Fortgang« zum »Fortschritt der Menschheit« unmöglich ist, zur Not gewaltätig herzustellen.
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ferner Sinn, davon auszugehen, daß nicht etwa dann eine Optimalallokation der Güter vorliegt, wenn die Distribution anhand eines Verteilungsplans erfolgt, der nach ›objektiv‹ festgesetzen Gebrauchswerten von zentraler Stelle ausgearbeitet wurde. Vielmehr resultiert idealiter die für die Individuen als Einzelne und in ihrer Gesamtheit optimale Güterallokation aus den spontan und subsidiär erfolgenden Güterumverteilungen, welche die Subjekte in ihrer freien Kommunikation der Tauschwerte, d. h. anhand der je ganz unterschiedlichen subjektiven Wertvermeinungen (ausgedrückt in ebenfalls unterschiedlichen individuellen Zahlungsbereitschaften) vornehmen. So nämlich wird nicht nur, wie in einem Nullsummenspiel, eine bestimmte, je schon vorhandene Menge Nutzen neu verteilt, sondern es wird durch den Tausch allererst ein subjektiver Mehrwert gestiftet, der anders gar nicht nachzufragen, darum von zentraler Planung nicht zu erkennen und mithin auch durch zentrale Zuteilung nicht zu verschaffen ist. Es kann also orientiert am Maß der frei kommunizierten Nutzenvermeinungen nicht nur generellen, sondern auch ganz speziellen Interessen gedient, nicht nur allseits bekannten, sondern überdies noch unbekannten Bedürfnissen entsprochen werden, weil es so für die Unternehmer lukrativ wird, auf die Zukunft zu spekulieren und Angebote für eine mögliche zukünftige Nachfrage (d. h. für zukünftig frei zu bestimmende Zwecke) der Kunden zu entwickeln. Der von Fichte stets normative verordnete Fortschritt in der Entwicklung der Produktivkräfte macht sich dabei ganz von selbst. Die in einem solchen Prozeß waltenden Vollzüge entziehen sich dem planenden Verstand, sind darum aber nicht unvernünftig. Die subsidiär über den Markt entstehenden Allokationen sind, sofern der Markt nicht extern verzerrt wird – was wir hier im Gedankenexperiment ausblenden dürfen –, eher über-vernünftig in dem Sinne, daß sie eine noch produktivere Ressourcennutzung ermöglichen, als sie selbst seitens einer perfekt organisierten zentral planenden Vernunft möglich wäre. Der staatlich geregelte – gebrauchswertorientierte – Tausch kann es bestenfalls dazu bringen, daß es keine Tauschverlierer gibt. Der freie – tauschwertorientierte – Warenverkehr hingegen kann beide Tauschpartner zu Gewinnern machen und darüber hinaus die Allgemeinheit am Tauschgewinn teilhaben lassen, da die durch ihn erfolgende Allokationsoptimierung aufwandsärmer zustande kommt als durch staatliche Distribution. Das führt im Ergebnis zu einem höheren gesellschaftlichen Produktivvermögen und stellt der Gesellschaft damit auch langfristig mehr finanzielle Mittel zur Verfügung, für die ökonomische Selbständigkeit aller zu wirken. Sofern dieses Surplus in Maßen und durch ihrerseits am Freiheitsgedanken ausgerichtete
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Steuerregelungen genutzt wird, kann der Staat den Zweck, gesellschaftsvermittelt die Möglichkeitsbedingungen individueller Freiheit, Freizeit und Muße zu fördern, durch freiheitsverträgliche anstatt zwangsmäßige Mittel zu realisieren.20 Mit anderen Worten: Eine freiheitskonforme Verwirklichung der sozialpolitischen Anliegen Fichtes wäre eher in einem die Marktfreiheit affirmierenden und normativ ausgerichteten Steuerrecht zu suchen als in die Marktfreiheit abschaffenden Preiskontrollmechanismen. Nehmen wir also die eingangs zitierte Passage nochmals in den Blick, so zeigt sich, daß Fichte in den zwei wesentlichen, von ihm für unbezweifelbar gewiß erachteten Grundannahmen, auf die er die Ausführung seiner Wirtschaftstheorie stützt, irrte. Es ist nicht richtig, daß der Staat einen apriorischen Begriff vom menschlichen Wohlstande und vom Wert der Dinge habe oder auch nur haben könne; jener Begriff geht den individuellen Wirtschaftsakten nicht voraus, sondern resultiert aus ihnen; und es ist, selbst unter Bedingungen zentraler Planwirtschaft, nicht herstellbar, daß der Staat besser oder auch nur genauso gut wie die den Informationsverkehr dezentral (d. h. durch Preise) organisierenden Individuen über den Stand der Wirtschaft und der in ihr zu befriedigenden Interessen informiert sein könnte. Dies herauszustellen ist von mehr als nur philosophiehistorischer oder ökonomietheoretischer Bedeutung. Denn das Fichtesche Anliegen, eine Wirtschaftsphilosophie der Freiheit zu schreiben, welche die normativen Erwartungen eines gleichen Rechts aller auf Subsistenz und auf eine persönliche Wirksphäre realisiert, ist und bleibt höchst bedeutsam, auch wenn der Fichtesche Einlösungsversuch dazu als gescheitert zurückgewiesen werden muß.21
20 Vgl. C. Dierksmeier, Kant on ›Selbständigkeit‹, in: Nederlandse Tijdschrift voor Rechtsfilosofie & Rechtstheorie / Journal for Legal Philosophy and Jurisprudence, 2002/1, 49–63 21 Noch eine philosophiehistorische Anmerkung: In seiner Dissertation: Soziales Recht. Eine Untersuchung zur Rechts- und Sozialphilosophie J. G. Fichtes und P.J. Proudhons, München 1966, 2, zitiert Dietrich Goedhart eine Vermutung Georges Gurvitchs (vgl. ders. L’idée du droit sociale, Paris 1932, 336), daß die auffällige Nähe sozialrechtlicher Vorstellung Fichtes und Proudhons, da letzterer ersteren nicht direkt rezipiert hat, wahrscheinlich auf die KrauseAhrenssche Rechtsphilosophie zurückgingen. Das ist wenig wahrscheinlich, da der Fichteschüler Krause zwar intensiv des Lehrers Rechts- und Sozialphilosophie rezipiert, ihr aber ganz und gar nicht folgen mochte. Die von ihm (und seinem Schüler Ahrens, der wiederum in den 40er/50er Jahren des 19. Jahrhunderts in Paris intensiv gelesen wurde) demgegenüber vertretene Wirtschaftsphilosophie hat einen weitaus liberaleren und weit weniger etatistischen Zug als die Lehre Fichtes; vgl. dazu C. Dierksmeier, Die Wirtschaftsphilosophie des Krausismo, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 4/2003, 571–581.
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Recht und Zwang in Fichtes Rechtslehre von 1812
Bernhard Jakl (München)
Das freiheitlich-demokratische Lebensgefühl eines europäischen Bürgers der Gegenwart wird unabdingbar durch allgemeine Handlungsfreiheit, Berufsfreiheit, Eigentum, freien Personenverkehr und Warenverkehrsfreiheit geprägt. Diese Freiheiten sind als Grundrechte bzw. Grundfreiheiten in dem geltenden Recht normiert, etwa im deutschen Grundgesetz und den Verträgen der Europäischen Union. Fichtes Rechtslehre sieht dagegen die Einordnung der Bürger durch den Staat in verschiedene Stände vor. Sie will den einzelnen Bürgern in diesem Rahmen eine staatliche Arbeitspflicht auferlegen.1 Grundeigentum soll es staatlich kontrolliert nur als Gebrauchseigentum geben und nicht als absolutes Eigentum am Grund selbst.2 Für Handelsfragen wird eine staatliche Begrenzung des Handels durch eine Begrenzung der Rohstoffverarbeitung auf das gefordert, was der Ackerbau tragen und bezahlen könne.3 Vor dem Hintergrund seines freiheitlich-demokratischen Lebensgefühls ist ein europäischer Bürger der Gegenwart durch die Fichteschen Vorstellungen eines Rechts aus Freiheit zumindest irritiert; wahrscheinlicher ist sogar, daß ihm die Realisierungsvorstellungen der Fichteschen Rechtslehre als überholte Relikte einer vergangenen Zeit erscheinen. 1 2 3
Siehe RL-1812, SW X, 553f. Etwa RL-1812, SW X, 549f. So RL-1812, SW X, 552.
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Diese Irritation setzt sich auch in der Rezeptionsdiskussion der Fichteschen Rechtslehre fort. So dienen die gerade genannten Überlegungen Fichtes zum Recht, die sich mit gleicher Stoßrichtung in dem »Geschlossenen Handelsstaat« von 1800 und in der »Grundlage des Naturrechts« von 1796 finden4, als Beleg dafür, daß Fichtes Rechts- und Staatslehre in einen despotischen Zwangsstaat mit anachronistischen Zügen führe.5 Diese durchgängige Tendenz der Bewertung führt in der Literatur zu unterschiedlichen Strategien im Umgang mit der Fichteschen Rechtslehre. So wird von der am Maßstab der gegenwärtigen Rechtssituation als despotisch beurteilten Anwendung der Fichteschen Rechtsvorstellungen auf die Unzulänglichkeit seiner Theorie im Ganzen geschlossen.6 Andere Ansätze beschränken ihre Darstellungen und Interpretationen zu Fichtes Rechtslehre vor allem auf die allgemeineren Abschnitte der Texte, in denen die Bedeutung der Freiheit für das Recht ohne Anwendungsüberlegungen isoliert betrachtet wird und in denen sich daher die oben genannten konkreten und gegenwärtig irritierenden Überlegungen Fichtes nicht finden.7 Weiterhin gibt es, gleichsam als vermittelnde Meinungen, Forschungsarbeiten, die die allgemein-theoretische Leistung Fichtes zur Rechtsphilosophie würdigen, aber angesichts der als despotisch beurteilten Anwendung dann der Frage nachgehen, wo die totalitären, despotischen Tendenzen in der Fichteschen Rechts- und Staatstheorie anheben.8 Die Verknüpfung der Ent-
4 Siehe in GNR, SW III 112 und im GHS, SW III 440–447, besonders 442. 5 Etwa Ulrich Thiele: Distributive Gerechtigkeit und demokratischer Staat: Fichtes Rechtslehre von 1796 zwischen vorkantischem und kantischem Naturrecht. Berlin 2002 (Thiele), 7, bezüglich des »Geschlossenen Handelsstaats« mit weiteren Nachweisen. 6 Etwa Georg Geismann: Fichtes Aufhebung des Rechtsstaates. In: FS 3 (1991) 86– 117, (Geismann), 117 und Andreas Verzar: Das autonome Subjekt und der Vernunftstaat. Eine systematisch-historische Untersuchung zu Fichtes »Geschlossenem Handelsstaat« von 1800. Bonn 1979 (Verzar), 177. 7 Zum Beispiel Claus Dierksheimer in seiner vergleichenden Studie »Der absolute Grund des Rechts. Karl Christian Friedrich Krause in Auseinandersetzung mit Fichte und Schelling«, Stuttgart u. a. 2003. Auch Hansjürgen Verweyen: Recht und Sittlichkeit in J. G. Fichtes Gesellschaftslehre. Freiburg u. a. 1975 (Verweyen), der bezüglich der Anwendung von idealistisch-totalitären Tendenzen spricht. Diese Wertung aufnehmend diagnostiziert Erich Fuchs: Spuren Fichteschen Denkens in der deutschen Nationalbewegung (1819–1871). In: Burger, Rudolf / Klein, Hans-Dieter / Schrader, Wolfgang H. [Hg.]: Gesellschaft, Staat, Nation. Wien 1996, 201– 235, 234, bezüglich der Anwendungsüberlegungen ein ständiges Schwanken Fichtes und zeigt, wie dieses in unterschiedlicher politischer Weise (liberal, demokratisch, sozialistisch und nationalistisch) in der Rezeption verabsolutiert wurde. 8 Etwa Karl Hahn: Fichtes Politikbegriff. In: Karl Hammacher [Hg.]: Der transzendentale Gedanke. Die gegenwärtige Darstellung der Philosophie Fichtes. Hamburg 1981, 204– 212, (Hahn), 204, der als Ausweg aus diesem Widerspruch eine Lösung des Umsetzungsproblems des Rechts auf Basis der interpersonalen Gesellschaftstheorie Fichtes ohne Zwang verlangt, 210.
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wicklung eines allgemeinen Rechtsbegriffs und seiner als despotisch beurteilten Anwendung in dieser Interpretationsrichtung führt zu der systematischen Frage, ob Fichtes Anspruch, ein Recht aus Freiheit zu entwickeln, sich durch seine Ausformungen und Anwendungsüberlegungen, in sein Gegenteil, in Unrecht, verkehrt oder gar verkehren muß. Da diese Umsetzung nach Fichte durch Zwang erfolgen soll,9 konkretisiert sich die Frage dahingehend, ob Fichtes Rechtsvorstellungen durch den Zwang der Umsetzung nicht in Despotie umschlagen. Der Frage, ob sich Recht und Zwang in der Rechtslehre von 1812 in einem solchermaßen selbstzerstörerischen Verhältnis befinden, wird im Folgenden nachgegangen. Es geht so um das Problem, ob und wie Fichte den Zwang des Rechts begründet, aber auch um das Problem, wie die Konsequenzen des eigentlich durch eine Rechtsphilosophie begründeten Zwangs auf diese zurückwirken. Dazu wird nach einer Darstellung der Bedeutung von »Recht« bzw. der Rechtsidee in der Rechtslehre von 1812 zweitens das Zwangserfordernis des Rechts und drittens der Umgang mit den Konsequenzen dieser Zwangsbegründung für die Rechtsphilosophie Fichtes thematisiert. Im vierten Abschnitt wird im Ausgang von der Einordnung des Verhältnisses von Recht und Zwang als eines Realisierungsproblems im Rahmen der Fichteschen Rechtslehre auf deren (selbst-) kritische und insoweit gegenwartsrelevante Dimension geschlossen. I. Die Bedeutung des Rechts Die Bedeutung des Rechts wird von Fichte im Spannungsfeld der Unterscheidung von Natur und Freiheit bestimmt. Beiden Gebieten gemeinsam ist, daß sie ihre Bedeutung jeweils durch Gesetzlichkeit erlangen: durch ein Naturgesetz oder ein Freiheitsgesetz. Unter »Naturgesetz« versteht die Rechtslehre dabei einen Prinzipienmodus, der von Phänomenen ausgeht und zu diesen die gesetzliche Notwendigkeit hinzusetzt. Im Rahmen eines Naturgesetzes geht es damit um das Erkennen eines bereits Vorgegebenen und insoweit um eine deskriptive, rezeptive Tätigkeit. Unter »Freiheitsgesetz« wird dagegen ein Prinzipienmodus verstanden, der von der Erkenntnis eines Gesetzes ausgeht und von da her zu einer diesem Gesetz ge-
Bernhard Willms: Die totale Freiheit. Fichtes politische Philosophie. Köln u. a. 1967 (Willms) diagnostiziert ebenfalls diesen Widerspruch, 161f. 9 Etwa RL-1812, SW X, 511f. und 517f.
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mäßen Hervorbringung eines Phänomens schreitet.10 Insoweit handelt es sich um eine normative, konstruktive Tätigkeit. Naheliegend wäre es, die Rechtslehre als klaren Fall des einen oder anderen Prinzipienmodus anzusehen. Darauf scheint auch der Text hinzudeuten, demzufolge »[...] die Rechtslehre [..] eine, Analyse des Rechtsbegriffs a priori, als eines Soll [...]« ist.«11 Da es in der Rechtslehre um ein Sollen geht, so könnte weiter geschlossen werden, daß die Rechtslehre, ebenso wie die Sittenlehre, als Freiheitsgesetz anzusehen sei. Durch die Unterscheidung von Sitten- und Rechtslehre wird die Bedeutung des Rechts aber weiter bestimmt. Während das Sittengesetz als ein immer individuelles Gebot für Einzelne an ebensolche zu deren Willensbestimmung gerichtet ist, richtet sich das Rechtsgesetz an mehrere einzelne, bereits bestimmte Willensstellen (die dann im Fortgang zu rechtsfähigen Personen werden) in ihrem Zusammenhang.12 Dieser Zusammenhang ist aber ein faktischer, das heißt einer der, eigentlich als Fall des Naturgesetzes anzusehen wäre. Das Recht würde damit zwischen Freiheits- und Naturgesetz stehen. Aber eine solche Zwischenstellung würde seinem Normierungsanspruch nicht gerecht werden. Sitten- und Rechtslehre sind nach Fichte daher zwar als Fälle des Freiheitsgesetzes anzusehen, aber hinsicht-
10 RL-1812, SW X, 495ff. Diese Unterscheidung von Natur und Freiheit ließe sich abstrakt parallelisieren mit der Unterscheidung Begriff und Anschauung sowie Idealität und Realität, WL-1812, SW X, 384 auch, Selbsterscheinung und Erscheinung, WL-1812, SW X, 342, relativ zu dem Nachweis einer ursprünglichen Duplizität des Sicherscheinens, WL-1812, SW X, 414. Zum speziellen Verhältnis von Idealität und Realität in der SL-1812 siehe Günter Zöller: Denken und Wollen beim späten Fichte. FS 17 (2000), 283–298, 294–298. 11 RL-1812, SW X, 499. 12 So Fichte in RL-1812, SW X, 498: »Die Rechtslehre ist kein Theil der Naturlehre, [....]. Sie ist aber auch ferner kein Theil der Sittenlehre, kein praktisches Gesetz.« Interessant wäre es, hier dem Fichteschen Originalitätsanspruch bezüglich dieser Unterscheidung nachzugehen, vor allem gegenüber der Kantischen Theorie. Meiner Ansicht trennt auch Kant in der Metaphysik der Sitten Recht und Ethik so, daß jede Disziplin einen eigenen Gegenstandsbereich aufweist, der dann jeweils an den anderen anschließt. Verweyen, 261ff. diagnostiziert bezüglich der Abgrenzung von Recht- und Sittenlehre eine Unklarheit, die sich in einem Durcheinander der Unterscheidungskriterien »unbedingt – bedingt« und »Gesetz an die Freiheit – kein Gesetz an die Freiheit«, äußere und auf einen systematischen Fehler Fichtes zurückzuführen sei, der in einer Verwirrung des Begriffs des Rechtserwerbs mit dem seiner Verwirklichung liege, 263f. Vielmehr seien nach Verweyen zwei Komponenten des Rechtsbegriffs anzusetzen: zum ersten der Sollenscharakter des Rechts, und zum zweiten seine Notwendigkeit, die durch den Eintritt möglicher Störung erforderlich wird, 264. Zustimmen würde ich hinsichtlich der Begriffsverwirrung, die dem Wortlaut nach besteht, und der ersten Komponente. Die zweite Komponente erscheint mir aber zu speziell und an dieser Stelle vorgegriffen. Daher habe ich das Störungsbeseitigungserfordernis durch die Realisierungsproblematik, in deren Rahmen dann Störungen stattfinden können, die notwendig durch das Recht gelöst werden müssen, ersetzt.
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lich ihres Regelungsgegenstandes und Adressatenkreises zu unterscheiden.13 Recht bedeutet demnach für Fichte »[...] die Denknothwendigkeit Aller als frei in der synthetischen Einheit des Begriffes Aller« zu denken.14 Die Bestimmung des Rechts, der Rechtsidee besteht in der Reziprozität von verschiedenen Rechtssphären bzw. der Vereinigung von Personen mit einem bereits bestimmten Willen trotz ihrer Vereinzelung, d. h. deren Ordnung durch einen Willen aller.15 Die Freiheit der Rechtslehre ist damit als äußere Realisierungsfreiheit aller zu verstehen, durch die der Einzelne seine Realisierungsfreiheit erst erhält. Sie unterscheidet sich von dem Freiheitssinn der Wissenschaftslehre, in der Freiheit »Besinnungsvermögen« bedeutet16, und dem der Sittenlehre, in der Freiheit als Übergangspunkt einer rein bildlichen Form in eine objektive Form verstanden wird, kantisch gesprochen als Möglichkeitsgrund der Realisierung einer Vorstellung.17 Relativ zu einer Willensstelle bzw. Person und deren Realisierungsfreiheit muß daher nach Fichte als erstes persönliches Recht ein sogenanntes Urrecht angesetzt werden, demzufolge jede Person real wirksam handeln können soll.18 Damit stellt sich für die Rechtslehre aus der Bedeutung der Rechtsidee als Einheitsbildung einer gegebenen Vielfalt von faktischen Handlungen heraus unabweisbar die Forderung der Umsetzung der formal gewonnenen Rechtsidee: »Der Rechtsbegriff soll aber kein leerer Gedanke bleiben, sondern verlangt seine Realisation. Wie könnte nun der Rechtsbegriff realisiert werden?«19
13 So wäre etwa die Unterscheidung von Dietmar von der Pfordten: Rechtsethische Rechtsfertigung – material oder prozedural? In: PE Preprints. Annual 2000 No. 4. Unter: http://www.rechtsphilosophie.uni-goettingen.de/texte.html, 4, 29–31, zu werten, zwischen normativem Individualismus und normativem Kollektivismus als alternativen Strategien der Normbegründung aus Fichteanischer Sicht bezüglich der Rechtfertigung und Setzung von Normen ohne Begründungswert zu differenzieren, da kein »versus«, sondern ein »und« Verhältnis relativ zu dem Gegenstandsbereich zwischen beiden Arten der Normativitätsbegründung, der der Sittlichkeit und der des Rechts, bestünde. 14 RL-1812, SW X, 502. 15 Siehe RL-1812, SW X, 503: »Alle sollen frei sein [..]«; RL-1812, SW X, 504: »Wenn der Rechtsbegriff Gesetz des Willens aller würde«; Ebenda: »[...] was der Eine darf, darf durchaus kein Anderer.« 16 Siehe WL-1812, SW X, 380. 17 Siehe SL-1812, SW X, 27. 18 RL-1812, SW X, 529. Dieses Urrecht entspricht dem, was Willensstelle genannt wurde. 19 RL-1812, SW X, 504.
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Erst mit der mitgedachten raum-zeitlichen Umsetzung erlangt, so Fichte, die Rechtsidee ihre volle Bedeutung. Die Frage, wie Recht in Raum und Zeit umgesetzt werden kann, heißt dann, den Zusammenhang der spezifisch rechtlichen Ausprägung des Freiheitsgesetzes mit der vorgefundenen Situation zu betrachten, die aus bereits bestimmten Willensstellen besteht, d. h. einer dem Naturgesetz gemäß geordneten Sphäre. II. Die Realisierung des Rechts Real vorgefunden wird dem Rechtsbegriff zufolge eine Mannigfaltigkeit von bestimmten Willensstellen.20 Diese wollen qua ungerichtetem Wollen isoliert betrachtet ihre eigenen Handlungssphären im Namen der Selbsterhaltung behaupten und erweitern, was zu einer ständigen Störung der jeweiligen Handlungssphären führt.21 Dieser Zustand ist der aus Sicht des Rechts vorgefundene Naturzustand. Für Fichte ist der Naturzustand demzufolge kein paradiesischer Zustand im Sinne des Ovid, sondern besteht in einem Krieg Aller gegen Alle zwischen den verschiedenen Willenssubjekten. An diesem Hobbesianischen Naturzustand setzt nun die Realisierung der Rechtsidee an. Realisierung oder Versinnlichung der Rechtsidee bedeutet dann, diese Situation des Naturzustands verfügbar zu machen, durchbrechen zu können, um so rechtliche Freiheit, den Willen aller, realisieren zu können. Aber was sind die Realisierungsmittel des Rechts? Es müssen Realisierungsmittel sein, die an der gewaltsamen Selbsterhaltung des Naturzustands ansetzen. Zur Bahnbrechung der Freiheit im Naturzustand muß daher auf Gewalt zurückgegriffen werden, da diese von der geäußerten Selbsterhaltung der Willen des Naturzustandes verstanden wird, die erst aus der Perspektive der Freiheit Personen, Handelnde sind: »Wer darum das Recht will [...], der will diese physische Gewalt.«22 Körperliche Gewalt ist damit ein unabdingbarer Ausgangspunkt der Rechtsrealisierung und damit erste Form des Rechtszwangs, da sonst nicht in den vorgefundenen Naturzustand eingegriffen werden kann. Ausgehend von dieser physischen Gewalt verschiebt Fichte den Gewaltbegriff ins Geistige. Nicht mehr nur körperliche Gewalt ist Realisierungsmittel
20 Auf den Interpersonalitätsnachweis durch Fichte kann hier nicht weiter eingegangen werden. 21 So spricht RL-1812, SW X, 507 von einem ursprünglichen Streit der Freiheit. 22 RL-1812, SW X, 517.
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des Rechts, sondern Macht, die als Herrschaft über die Realisierungsfreiheit zu verstehen ist: »Das Recht herrscht nur durch [...] Macht.«23 Physische Gewalt und Macht bilden damit die Realisierungsmittel des Rechts; sie sind die mit dem Recht verbundenen Zwangsmittel. »Zwang« ist damit in der Fichteschen Rechtslehre in einem umfassenden Sinne zu verstehen: Zwang herrscht, wenn Recht staatlich realisiert wird. Zur Plausibilisierung dieser möglicherweise zunächst kontraintuitiven Aussagen lassen sich mühelos Beispiele im gegenwärtigen Recht finden, die alltäglich selbstverständlich in Anspruch genommen werden: auf dem Gebiet des Strafrechts durch unmittelbare physische Gewalt gegen einen anderen Körper, dem Einsperren, auf dem Gebiet des Zivilrechts, etwa die Pfändung durch den Gerichtsvollzieher und auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts, etwa durch Geldstrafen bei Ordnungswidrigkeiten. Wird dieser unabdingbare Zusammenhang von Recht und Zwang zugestanden, so stellt sich erst in der Binnenperspektive des Rechts die Frage nach der Unterscheidung von legitimen und illegitimen Zwang. Von dem Gelingen dieser Unterscheidung hängt dann auch ab, ob Recht und Zwang in einem für das Recht selbstzerstörerischen Zusammenhang stehen. Ein erstes Kriterium dieser Unterscheidung ist für Fichte, wer den Zwang ausübt. Da die Rechtsidee auf eine Vereinigung verschiedener Personen und ihrer bestimmten Willen abzielt, kann der Rechtszwang nicht von einer Person allein ausgeübt werden, sondern muß von einer Instanz ausgeübt werden, die nicht immer schon Partei des Naturzustandes ist. Ein solches Allgemeinheitserfordernis macht zur Realisierung des Rechts eine Instanz jenseits der Einzelwillen erforderlich. Diese belegt Fichte mit dem Titel »Staat«.24 Der Staat ist so das künstliche, »erfundene« Gebilde, das als reale Instanz Rechtszwang ausüben kann und so den Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt, d. h. den Naturzustand durchbrechen kann.25 Die Frage nach legitimen Zwang verwandelt sich so zunächst in die Frage, ob staatlicher Zwang vorliegt oder nicht. Legitimes Realisierungsmittel des Rechts ist der Staatszwang; Recht ist damit durch Staatszwang bedingt. 23 RL-1812, SW X 512. 24 Siehe RL-1812, SW X 499. 25 Dazu RL-1812, SW X 512ff.: »Jetzt also hat sich uns aus durchgeführter Genesis der Satz ergeben: die Freiheit muß allen gesichert sein, als ein Recht, nach einem Gesetze: nach welchem Gesetze? Einem physischen. Wer darum das Recht will vor der Sittlichkeit, der will diese physische Gewalt, und nur dadurch, daß er sie tätig will, d. i. daß er zu ihrer Errichtung beiträgt, bestätigt er seinen erklärten Willen, daß er das Recht will. Aber nur wer selbst das Recht will hat Rechte. Nur dadurch darum bestätigt er sich als ein Rechtssubjekt.« Auch RL-1812, SW X, 517f.
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Fichte setzt damit in der RL 1812 ebenso wie in der »Grundlage des Naturrechts« eine Bedingtheit bzw. Hypothetizität des Rechts dem einzelnen gegenüber an.26 »Bedingtheit« des Rechts bedeutet, daß das Recht jedes Einzelnen dadurch bedingt ist, daß er die Rechte aller übrigen anerkennt. In aller Schärfe schließt Fichte: »[...] ausser dieser Bedingung hat Niemand ein Recht.«27 Diese Anerkennung bedeutet für den Einzelnen aber auch, sich den unverzichtbaren Realisierungsmitteln der Rechtsidee, Staat und Zwang, zu unterwerfen. So kann Fichte weiter schließen: »Alles Recht ist Staatsrecht.«28 Schon diese Bedingtheit des Rechts, so wird von Interpreten geschlossen, mache Fichte zu einem Vertreter eines voluntaristischen und nicht prozeduralen oder idealen Kontraktualismus in einer Linie mit Hobbes, da der Übergang vom Naturzustand in einen Vernunftrechtszustand sich einem freiwilligen Beitrittsbeschluß verdanke.29 Dadurch würde aber das Urrecht oder Naturrecht im Sinne von unveräußerlichen Menschenrechten abgeschafft.30 Diese Abschaffung von solchen unveräußerlichen Rechten führe im weiteren zu dem Umschlag Fichtes ins Totalitäre und Despotische, indem dadurch die bedingungslose Unterwerfung der Person unter ein beliebiges historisches Staatsrecht gefordert werde.31 Um zu sehen, ob dies zutrifft, wird der Unterwerfungsakt näher betrachtet, d. h. der Übergang vom Naturzustand in den Vernunftrechtszustand in der Rechtslehre von 1812, an dem die Bedingtheit des Rechts anknüpft. Den Unterwerfungsakt selbst diskutiert Fichte unter der Perspektive der Rechtsrealisierung. Diese Umsetzung hebt von dem Staatsbürgervertrage an, der ein Persönlichkeitsrecht, das Urrecht, begründet, das im weiteren zu einem Eigentumsvertrage führt.32 Um jeweils einen Austritt aus einem Naturzustand zu ermöglichen, ist, wie oben gesehen, jeweils eine Zwangsinstanz erforderlich, die nicht immer schon reale Partei ist. 26 So RL-1812, SW X, 506. 27 RL-1812, SW X, 506. 28 RL-1812, SW X, 499. 29 So Wolfgang Kersting: Die Unabhängigkeit des Rechts von der Moral. (Einleitung). In: Merle, Jean-Christophe [Hg.]: Johann Gottlieb Fichte. Grundlage des Naturrechts. Berlin 2001, 21–37, 35. 30 So Otto Braun: Freiheit, Gleichheit, Eigentum. Zu Fichtes Rechtsphilosophie, 1991 (Braun), 52 i. V. m 54. 31 Etwa Geismann, 90f. Siehe dazu auch die zutreffende Replik von Richard Schottky: Rechtsstaat und Kulturstaat bei Fichte. Eine Erwiderung. FS 3 (1991), 118–153, 121f. 32 Diese Verträge, so Hans Georg von Manz: Fairneß und Vernunftrecht. Rawls’ Versuch der prozeduralen Begründung einer gerechten Gesellschaftsordnung im Gegensatz zu ihrer Vernunftbestimmung bei Fichte. Hildesheim 1992 (von Manz) zur GNR, sind Schematisierungen der Rechtsidee, 206.
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Unter Rücksicht auf diese »Durchbrechungsfunktion« des Staates setzt der Übergang vom Naturzustand zum Rechtszustand in idealer Hinsicht eine allgemeine, unveräußerliche Rechtsfähigkeit voraus, schließt aber ebenso in faktischer Hinsicht an einen real verstandenen Kontraktualismus, wie er etwa Hobbes zugeschrieben wird, an.33 Die Pointe der »Bedingtheit« des Rechts besteht so in ihrer Verknüpfungsleistung von Rechtsidee und Rechtsrealisierung. Ohne Realisierungsmittel, eben dem Zwang und einem realen Beitrag der Rechtssubjekte dazu, dem Staat, ist aber keine Rechtsrealisierung möglich.34 Damit ist die Bedingtheit des Rechts zunächst nicht als die eines spezifischen historisch wirksamen Rechts zu verstehen, sondern als »Bedingtheit« der Rechtsidee überhaupt. Die »Bedingtheit des Rechts« zielt allein darauf ab, die Unumgänglichkeit des Staatszwangs als Realisierungsmittel des Rechts überhaupt zu zeigen. Die Ansicht, daß Fichtes Rechtslehre infolge der »Bedingtheit« zu einem despotischen Zwangsstaat führe, indem er bedingungslose Unterwerfung unter ein beliebiges, historisches Staatsrecht fordere oder zulasse, ist daher nicht überzeugend. Auch überzeugt die Ansicht, daß allein die Rolle des Zwangs als Realisierungsmittel des Rechts Fichtes Rechtsphilosophie despotisch oder totalitär werden lasse, nicht,35 da eine solche Kritik suggeriert, jenseits rechtlicher Überlegungen zwischen legitimem und illegitimem Zwang unterscheiden zu können. Damit geht eine solche Kritik zum einen ebenfalls latent davon aus, daß Recht und Zwang untrennbar verknüpft sind. Zum anderen trägt sie die Begründungslast, ein Kriterium zur Unterscheidung eines legitimen von einem illegitimen Zwangs angeben zu müssen. Dieses dürfte, um die Fichtesche Leistung nicht zu unterschreiten, weder unreflektiert das Recht oder das Lebensgefühl der Gegenwart zum Maßstab nehmen, noch einfach externe Maßstäbe religiöser, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Art in Anschlag bringen, sondern müßte ebenfalls aus der Perspektive einer Rechtsautonomie in begründender Hinsicht erfolgen. Doch auch wenn die Verbindung von Recht und Zwang zugestanden wird, bleibt die Zwangsbegründung Fichtes an dieser Stelle prekär. Insbesondere stellt sich die Frage, ob diese nicht in vitiöser Weise zirkulär wird: Staatszwang soll sein, damit Recht herrscht und Recht herrscht, so33 So wird die RL durch Fichtes Grundunterscheidung aus der WL-1812 zwischen Idealität und Realität als ursprünglicher Duplizität durchzogen, etwa WL-1812, SW X, 383f., die relativ zu dem jeweils geleisteten Reflexions- und Projektionsniveau in unterschiedlicher Weise vermittelt (konkreszent) ist; auch WL-1812, SW X, 378f. . 34 Etwa RL-1812, SW X, 506 und 542. 35 Etwa Hahn, 204f.
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fern Staatszwang gegeben ist. Wäre es innerhalb der Rechtslehre nicht anhand weiterer Kriterien möglich, zwischen legitimen und illegitimen Zwang zu unterscheiden, würde das Fichtesche Recht durch seine in ihm angelegte Realisierung mittels Zwangs zerstört werden, da der Zwang des Naturzustandes und der des Rechtsstaats ununterscheidbar wären. III. Die Konsequenzen des Zwangsstaates Die Konsequenzen des Zwangsstaates zeigen sich für Fichte erst in einzelnen Realisierungen des Rechts. Daher werden sie hier anhand eines Beispiels, dem der geforderten Arbeitspflicht, dargestellt: Da das Recht als Freiheitsgesetz Ideales versinnlichen soll, bedarf es der Rechtsidee gemäß realer Lebensressourcen. Diese zu ordnen ist Aufgabe des Eigentumsrechts, das damit auch auf deren Mobilisierung bezogen ist. Diese Mobilisierung, das Produzieren der realen Lebensressourcen, ist Aufgabe der Arbeit, die darum Rechtsverbindlichkeit wird.36 Dadurch wird aber genau nicht die Rechtsfreiheit sichtbar, sondern es würde nur ein Zwang, der der Selbsterhaltung des Naturzustandes, durch einen anderen ersetzt werden, nämlich den der Arbeitspflicht des Vernunftrechts, der ebenso der Selbsterhaltung dient. Bliebe es bei dieser Ununterscheidbarkeit der Zwänge, würde jede Freiheitsrealisierung mißlingen und zur Freiheitsvernichtung des Naturzustandes wie des angestrebten Rechtszustandes führen. So Fichte: »Nun wird der ganze Eigentumsvertrag geschlossen, und der Rechtszustand eingegangen, lediglich um der Freiheit willen. Aber durch die Vorkehrungen, die wir treffen, die Freiheit zu schützen, sehen wir gerade das Gegenteil erfolgen, ihre Vernichtung.«37
Mit den »Vorkehrungen« sind hier die Arbeitspflicht und ihre Kontrolle gemeint. Wäre nun die Rechtsfreiheit in dem Moment ihrer Realisierung, hier der Durchsetzung der Arbeitspflicht, nicht mehr erkennbar, würde durch die unabweisbar mit der Rechtsidee verbundene Realisierung der eigentliche Zweck des Eigentumsvertrages, das Vernunftrecht mittels Arbeit zu realisieren, vereitelt werden. Die Rechtsrealisierung würde zu einem vitiösen Zwangszirkel führen und einer dem Naturzustand entspre36 Siehe dazu RL-1812, SW X, 532: »Arbeit (iSv Freiheit: Gebrauch der Freiheit für Lebensbedürfnisse, oder Subsistenz) wird Rechtsverbindlichkeit;« So auch RL-1812, SW X, 545. 37 RL-1812, SW X, 535.
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chenden Spirale von Gewalt und Gegengewalt. Der reale Zwangszirkel des Naturgesetzes müßte also durch die Rechtsrealisierung so durchbrochen werden, daß die Rechtsrealisierung als solche erkennbar ist. Diese Erkennbarkeit ist für Fichte bezüglich der Arbeitspflicht möglich. Jedem soll, nach der Befriedigung seiner Grundgüter, der »eigenen Notdurft«, und »Erfüllung seiner Bürgerpflichten«, noch Freiheit übrig bleiben für frei zu entwerfende Zwecke, die jenseits der Arbeit liegen, d. h. die nicht auf die Erhaltung der Lebensressourcen gerichtet sind. Fichtes Beispiel dafür ist die Einführung der sechs Tage Woche durch den christlichen Gott. Diese verschafft mit einem freien Tag in der Woche den Einzelnen Freiheit und Entlastung von der Gier des Naturzustandes nach immer mehr Lebensressourcen und durchbricht so den einfachen Naturzustandszirkel einer sieben Tage Woche erkennbar.38 Die Konsequenzen des tatsächlichen Entstehens der Zwangsstaatsmacht, nämlich ihre Ununterscheidbarkeit dem Zwang des Naturzustandes gegenüber sowie der ständig drohenden Verselbständigung der Anschlußzwänge der Staatsmacht für ihre Perfektionierung (Arbeit ist verpflichtend, das muß kontrolliert werden, dies wiederum kontrolliert, usw.), werden bezüglich der Arbeitspflicht gelöst, indem diese Rechtspflicht relativ zu ihrer Realisierungsfunktion, der Erhaltung der Lebensressourcen, beschränkt wird. Damit läßt sich aus dem Zusammenhang von Rechtsidee und Rechtsrealisierung mit Fichte ein Argument zur Begrenzung der Rechtspflichten bzw.- Rechtsansprüche bilden: Recht als Freiheit soll realisiert werden. Ein bestimmtes Recht, hier die Arbeitspflicht, dient der Realisierung des Rechts durch Produktion der Lebensressourcen. Das bestimmte Recht, die Arbeitspflicht, darf der Rechtsidee nicht widersprechen, indem sie über ihre Realisierungsfunktion hinaus geht. Mit dieser rechtsimmanenten Grenze als Maßstab läßt sich ein Staat, der seine Bürger jeden Tag zur Arbeit zwingt, dann als despotisch kritisieren oder eine Diskussion beginnen, ob nicht auch eine Arbeitswoche mit sechs, fünf, vier, drei, zwei Tagen oder auch nur einem einzigen Tag genügt.39 38 RL-1812, SW X, 531–545; insbesondere 537 und 543f. Anders dagegen Braun, der durch die entsprechenden Stellen nur die Unterscheidung zwischen der Freiheit von existenzieller Not und der Freiheit der individuellen Selbstbestimmung getroffen sieht, die dann durch Fichte aber zugunsten der Zwangsmacht des Staates wieder aufgehoben werde, was sich für Braun, 54, daran zeigt, daß Fichte Eigentum nicht als »Freiheit vom Staat« verstehe. Dies belegt für Braun, 54, den Totalitarismusvorwurf an die Fichtesche Rechtslehre. 39 Anders dagegen Willms, 121, der aus Stellen aus dem »Offenen Handelsstaat« schließt, daß für Fichte das empirische Ich als Ganzes im Eigentum gefaßt sei, was dann für Willms Beleg eines allumfassenden Staatsdirigismus´ wird, da Eigentum bei Fichte Staatsangelegenheit ist.
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Aber wie verhält es sich mit dem Fichteschen Staat als rechtssetzender Instanz selbst? Ist dieser nicht jenseits der Beschränkung einzelner Rechte bzw. Pflichten schrankenlos mächtig und insofern despotisch, als daß er das Recht beansprucht, sich jegliches Handeln zu unterwerfen? Diese Frage zu stellen bedeutet bereits, Recht von einem nichtrechtlichen Standpunkt her zu betrachten. Gegen einen solchermaßen übermächtigen Staat läßt sich mit Fichte dann ein Argument aus der Trennung von Rechts- und Sittenlehre hinsichtlich ihres Adressaten- und Wirkungskreises bilden. Das Recht regelt das Verhältnis der Realisierungsfreiheit verschiedener Personen, die Sittlichkeit deren Willensbestimmung. Der Staatszwang ist ein Realisierungsmittel des Rechts. Der Staatszwang ist damit auf die Realisierungsfreiheit beschränkt. Die Legitimität des Rechts ist damit relativ zu Sittenlehre rechtsextern begrenzt. Denn während das Recht das Verhältnis der Realisierungsfreiheit verschiedener Personen bestimmt, wird durch die Sittenlehre die Willensbestimmung aus teilnehmender, personaler Sicht betrachtet. Ein allmächtiger, jede Willlensregung umfassender Staat würde aber diese Grenze mißachten. Für Fichte ist zwar »Der Staat [...] das Recht selbst [...] geworden«40 Gleichzeitig ist das Recht aber begrenzt : »Dieses Recht hat er aber nur unter der Bedingung einer Verpflichtung, die höhere Freiheit Aller, die Unabhängigkeit Aller vor ihm zu sichern. Ist dieses nicht in ihm eingeleitet, so kann er nicht von Recht reden; [...] er ist bloßer Zwang und Unterjochung.« 41
Die »höhere Freiheit«, die das Recht vor sich zu sichern hat, bezeichnet hier die der Sittenlehre. Mit Hilfe der Unterscheidung von Rechts- und Sittenlehre ist darum ebenfalls ein Maßstab gefunden, um einen despotischen von einem legitimen Staatszwang zu unterscheiden. Despotisch wäre dann zum Beispiel ein Staat, der die Willensbestimmung, die Gesinnung seiner Bürger erzwingen will oder beansprucht alles Handeln, jede Willensregung zu kontrollieren.42 40 RL-1812, SW X, 539. 41 Ebenda. 42 Bezogen auf die Diskussion um das Verhältnis von Recht und Ethik wäre Fichte kein Vertreter einer absoluten Trennungsthese, derzufolge Recht und Ethik voneinander getrennte, sich nicht beeinflussende Bereiche darstellen. Aber er wäre auch nicht Vertreter einer begründenden Anschlußthese zwischen Ethik und Recht, derzufolge die Normativität des Rechts allein auf eine ethische, individuelle Normierung zurückgeht. Fichte würde sowohl ihre Eigenständigkeit als auch ihre Anschließbarkeit relativ zu dem verhandelten Problem vertreten: Getrennt sind Recht und Ethik bzw. Sittenlehre durch einen unterschiedlichen Aufgaben- und Adressatenkreis.
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IV. Die kritische und selbstkritische Dimension der Rechtslehre von 1812 Aus der Bestimmung der Rechtsidee als Verhältnisbestimmung der Realisierungsfreiheit verschiedener Personen, deren Willen bereits bestimmt ist, ergibt sich mit Fichte als erste These der notwendige Zusammenhang von Recht und Zwang. Recht muß, um seine Bedeutung zu erlangen, real wirksam werden. Relativ zu der Naturzustandskonzeption als Krieg Aller gegen Alle ist dazu das Realisierungsmittel des Zwangs unverzichtbar. Dadurch entsteht die Gefahr einer Selbstzerstörung des Rechts im Moment seiner Realisierung, wenn der Rechtszwang unterschiedslos in eins mit dem Zwang des Naturzustandes fällt oder auf alle Lebensbereiche ausgedehnt wird. Durch einen Rückbezug des Zwangs auf den Rechtsbegriff ergibt sich aber, so die zweite These des Vortrags, eine rechtsimmanente, selbstkritische sowie eine rechtsexterne, kritische Begrenzung des Zwangs innerhalb der Rechtslehre von 1812. Die Überlegungen in der Rechtslehre von 1812, in denen von einer Begrenzung des Zwangs, etwa der Arbeitspflicht, die Rede ist, sind dann nicht mehr als äußere Anzeichen einer zu späten und ungenügenden Einsicht Fichtes in die Despotie seines Staatesund Rechtsentwurfs zu deuten, 43 sondern als systematischer Versuch, eine Limitation des Rechtszwangs durch das Recht zu formulieren.44 Die Entwicklung des Verhältnisses von Recht und Zwang in dieser Rechtslehre verdankt sich dann einer Konzeption von Rechtsidee und ihrer Realisierung, die es einerseits ermöglicht, vor dem Recht, vor dem Gesetz zu stehen, es (auch körperlich) zu erfahren: nämlich in realer Hinsicht durch Zwang. Andererseits ist es in idealer Hinsicht auch möglich, das Gesetz, den Rechtsbegriff, zu kennen und so die Realität des Rechts zu kritisieren und zu verändern, ohne gleich auf rechtsfremde Argumentationen zurückgreifen zu müssen, wie etwa solche religiöser, wirtschaftlicher oder sozialer Art.45 Die in der Rechtslehre 1812 mitgedachten Grenzen des Rechts ermöglichen so zum einen eine dauerhafte Unterscheidung des Rechtszwangs von dem des Naturzustandes, wie auch eine Unterscheidung eines Anschließbar, verbunden sind sie durch eine Bedeutungsverschiebung des Freiheitsbegriffs und die faktische Inanspruchnahme durch Handelnde. 43 Etwa Hahn, 206, und Braun, 54. 44 Dazu entsprechende Stellen aus RL-1812, SW X, 535, 538, 539, 542, 543 45 Das bedeutet nicht, daß es keine Zusammenhänge des Rechts mit Theologie, Ökonomie und Soziologie gibt, sondern nur, daß deren Beiträge für das Recht unter einer spezifisch rechtlichen Perspektive zu würdigen sind, um deren Begründung es Fichte geht. In diese Richtung argumentiert auch die vergleichende Studie von von Manz, die als Stärke der Fichteschen Rechtsphilosophie vor allem ihre Einbettung in einen allgemeinen philosophischen Hintergrund betont, der Anwendung und Grundprinzipen in ihrem Verhältnis zueinander entwickelt, 242.
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realisierten Rechts von einem realisierten Despotismus. Zum anderen ist die Perspektive für eine Fortentwicklung des Rechts eröffnet, indem das jeweils vorgefundene reale historische positive Recht oder auch die gedankliche Anwendungen Fichtes aus idealer Perspektive des Rechtsbegriffs kritisiert werden können.46 Wird vor diesem Hintergrund die Ansicht eines großen Teils der Fichterezeption, derzufolge die Rechts- und Staatsvorstellungen Fichtes in einem despotischen Zwangsstaat münden, nochmals betrachtet, so ergibt sich ein anderes Bild. Wird sie mit der Rolle des Zwangs als Realisierungsmittel innerhalb des Rechts begründet, so besteht ihr Defizit darin, die (selbst-) kritische Dimension der Rechtslehre 1812, mit der erst Despotismus erkannt werden kann, außer Acht zu lassen. Damit ist deren Bewertung als despotisch oder totalitär unzureichend. Denn die Überlegungen der Rechtslehre können an den durch sie begründeten Begrenzungen des Zwangs gemessen werden und dabei auch als despotisch beurteilt werden. Begründet werden müßte eine solche Ansicht daher wiederum durch einen anderen Maßstab für die Unterscheidung eines legitimen bzw. einer dem Rechtsbegriff mehr entsprechenden Rechtsrealisierung und eines nichtlegitimen bzw. einer dem Rechtsbegriff weniger entsprechenden Rechtsrealisierung, der wie der Fichtesche über den Rückgriff auf eine bestehende Rechtsordnung hinausgeht, ohne aber den Themenkreis einer handlungsbasierten, autonomen Rechtsbegründung zu verlassen. Wird das Urteil der Despotiegefahr sowie der Eindruck der historischen Überholtheit der Fichteschen Rechtslehre mit den Anwendungsüberlegungen begründet, trifft die Ansicht zwar zu, daß es sich wesentlich um frühneuzeitliche und insoweit anachronistische Vorstellungen handle. So findet sich das Beispiel der Ständeeinteilung im Rahmen der Rechtsentwicklung für eine Ackerbaugesellschaft.47 Aber sie erscheint unter der Perspektive der Anwendung, unter der Fichte sie entwickelt, auch unzutreffend, da sie die Zeitgebundenheit und damit das Problem der Realisierung, eben den Beispielscharakter, der im Text thematisiert wird, außer Acht läßt. Erst hier, auf der Anwendungsebene, setzen die frühneuzeitlichen Gesellschaftsvorstellungen Fichtes, etwa zur Ackerbaugesellschaft, an.48 Da es aber Anwendungsüberlegungen sind, sind sie relativ zur jewei46 Als insoweit kritisierenswert erscheinen etwa die einschlägigen Stellen aus den Reden an die deutsche Nation, der Zuchthauseindruck, den der »Geschlossene Handelsstaat« vermittelt, sowie Ausprägungen der Arbeitspflicht in der RL-1812. 47 Dazu RL-1812 SW X, 542ff. unter der Überschrift »Anwendung des Gesagten auf das Besondere«. 48 Siehe etwa RL-1812, SW X, 545f.
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ligen historischen Situation durch ebensolche zur Industrie-, Dienstleistungs- oder Informationsgesellschaft ersetzbar. Damit bleibt auch hier das Defizit der Begründung dieser Ansicht, daß ebenfalls das (selbst-) kritische Potential der Rechtslehre übergangen wird. Dieses (selbst-) kritische Potential der Rechtslehre zeigt sich an einem kleinen Beispiel auch für einen deutschen Bürger, der mit dem Wissen um die freiheitlich geprägte Grundordnung des deutschen Rechts an die Fichtesche Rechtslehre herantritt und diese zunächst auf Grund ihrer realisierten Gestalt ablehnt: Der überwiegend immer noch als Ausgangspunkt der Grundrechtsinterpretation angesetzten liberalen Grundrechtstheorie zufolge sind die Grundrechte, vor allem die Freiheitsrechte des Grundgesetzes, wesentlich als Abwehrrechte des Bürgers dem Staat gegenüber zu verstehen.49 Diese Interpretationsansicht nimmt eine unbeschränkte Handlungsfreiheit des Einzelnen als natürlichen Ausgangspunkt, den das Recht sowenig wie möglich beeinträchtigen soll. Entsprechend sind die Grundrechte im Verhältnis von Privatpersonen zueinander lediglich mittelbar anwendbar, um die Einheit der Rechtsordnung zu sichern.50 Für Fichte dagegen besteht die Freiheit des Rechts im Unterschied zu der des Naturzustandes nicht in der unbeschränkten Handlungsfreiheit des Einzelnen, sondern in der verbindlichen Vereinigung der Realisierungsfreiheit aller. Damit wären Grundrechte zwar Rechte, die den Staat begrenzen, und insofern Abwehrrechte, als der Staat die einzelne Person nie ganz vereinnahmen darf. Aber sie müßten ebenso als Rechte begriffen werden, die erst durch den Staat realisiert sind und so den rechtlichen Naturzustand überwinden. Dementsprechend sind sie auch im Verhältnis Privater anders als für die liberale Grundrechtstheorie nicht grundsätzlich rechtsstörend, sondern auch rechtsbefördernd. Aus der Fichteschen Auffassung von Freiheit würde damit anders als aus der der liberalen Auffassung eine stärkere Einbindung des Privatrechts in die Grundrechte der Wertung nach als wünschenswert erscheinen, um dort, etwa im Sinne des Gleichheitssatzes, Asymmetrien zwischen Handelnden verstärkt zu vermeiden.
49 Siehe dazu Bodo Pieroth/Bernhard Schlink: Grundrechte Staatsrecht II. Heidelberg 1999, Rn. 58 und 87 (Pieroth/Schlink) sowie für eine kritische Bestandsaufnahme ErnstWolfgang Böckenförde: Staat, Verfassung, Demokratie. Studien zur Verfassungstheorie und zum Verfassungsrecht. FfM1991, 119–124. 50 Etwa Pieroth/Schlink, Rn. 175 i. V. m. 181.
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Fichte über den Rechtsstaat als Sozialstaat*
Bärbel Frischmann (Bremen)
In diesem Beitrag werde ich mich mit Fichtes Einbeziehung des Sozialstaatsgedankens in sein kontraktualistisches Rechts- und Staatskonzept beschäftigen und dabei vor allem den Begründungsgang untersuchen, mit dem Fichte die sozialpolitische Verantwortung des Staates herauszustellen sucht. Dabei liegt meiner Darstellung entsprechend der Fokussierung des Kongresses auf Fichtes Spätwerk die Rechtslehre von 1812 zugrunde. Sie stimmt allerdings in den hier zu behandelnden theoretischen Aussagen mit der Grundlage des Naturrechts von 1796/97 im wesentlichen überein. I. Herleitung und Status des Rechtsbegriffs Während Fichte in der GNR die gesamte Deduktion des Rechtsbegriffs »nach Prinzipien der Wissenschaftslehre« aus den Implikationen des vernünftigen Selbstbewußtseins entwickelt, werden in der RL-1812 die in dieser Deduktion gewonnenen Elemente: freie Zwecksetzung, Handeln in der Außenwelt, Leiblichkeit und Personalität vorausgesetzt. Die RL-1812 setzt ein mit der Bestimmung ihres Theoriestatus und der Qualifizierung des Rechtsbegriffs. Fichte konzipiert seine Rechtslehre als eine transzendentale Wissenschaft. Sie fragt nach den Bedingungen der Möglichkeit, das freie Handeln aller, die miteinander in einer Gemeinschaft stehen, glei*
Georg Mohr möchte ich für kritische Hinweise zu diesem Text herzlich danken.
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chermaßen zu sichern. Diese Frage, die eine zentrale Rolle in den neuzeitlichen Staats- und Rechtsphilosophien spielt, beantwortet Fichte in Anknüpfung an Hobbes, Locke und Rousseau durch die kontraktualistische Konzeption einer Rechtsgemeinschaft. Fichtes Rechtslehre ist eine Vernunftrechtskonzeption, und zwar in zweifacher Hinsicht: Begründungslogisch zielt sie auf die Bedingungen der Möglichkeit von Recht aus reiner Vernunft und entwickelt sie einen Rechtsbegriff a priori (GA II/13, 200; SW X, 499). Inhaltlich formuliert die Rechtslehre das Ideal einer Rechtsgemeinschaft, die ihr Handeln nach Vernunftprinzipien gestaltet. Eine Rechtsgemeinschaft ist eine Gemeinschaft von Personen. Fichte bestimmt Personen als endliche, d. h. leiblich verfaßte, und sozial organisierte Vernunftwesen.1 Jede Person, als Vernunftwesen, hat ein Urrecht zu freier und selbstbestimmter Wirksamkeit in der Welt. (GA II/13 219; SW X, 524) Dieses Urrecht ist selbst noch kein Recht, sondern formuliert die notwendige Bedingung der Möglichkeit von Recht überhaupt, die durch keinen rechtmäßigen Vertrag eliminierbar ist. Das ›Urrecht‹ ist eine Abstraktion (GA I/3, 403; SW III, 112), die die Implikationen von Personalität bündelt. Wenn nun mehrere Personen in einer Gemeinschaft leben und wirken (GA II/13 201; SW X, 501), besteht die »absolute Möglichkeit der Störung« (GA II/13 202; SW X, 502), d. h. die Möglichkeit der Verletzung der Freiheitssphären anderer. Nur diese Möglichkeit der Störung der Freiheit ist Gegenstand des Rechts. (GA II/13, 201; SW X, 501) Der apriorische Rechtsbegriff soll also Auskunft geben, wie alle Personen gleichermaßen ihre Handlungsfreiheit sichern können. Aus Vernunftgründen kann nach Meinung Fichtes das Recht nur darin bestehen, daß die betroffenen Personen sich wechselseitig Anerkennung und Schutz ihrer jewieligen Handlungsräume garantieren. Sie tun dies dadurch, daß sie diesbezüglich eine Übereinkunft treffen, d. h. sie schließen einen Vertrag. Dieser Vertragsschluß konstituiert ein Rechtsverhältnis. Durch diesen Vertragsschluß werden Personen Rechtssubjekte. (GA II/13, 212; SW X, 514) Recht besteht demnach in der freien und vertraglich abgesicherten Übereinkunft von Personen aus Vernunftgründen auf der Basis des Prinzips
1 Eine ausführliche Darstellung des Fichteschen Personbegriffs findet sich bei Bärbel Frischmann/Georg Mohr: Leib und Person bei Descartes und Fichte. In: Volker Schürmann (Hg.): Menschliche Körper in Bewegung. Philosophische Modelle und Konzepte der Sportwissenschaft. Frankfurt a. M./ New York 2001, 154–177.
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wechselseitiger Anerkennung als vernünftiger Wesen: »Man hat Rechte, so weit man Rechte zugesteht.« (GA II/13, 207; SW X, 507) Geltungsgrundlage des Rechts ist die Allgemeinverbindlichkeit. Nur wenn alle sich dem Rechtsbegriff unterwerfen, »ist ein Rechtszustand: denn dieser ist ein Zustand nicht der einzelnen, sondern aller«. (GA II/13, 205; SW X, 505). Wer die Freiheit der anderen nicht anerkennt, hat kein Recht darauf, daß seine Freiheit durch diese anerkannt wird. Er begibt sich durch seinen Rechtsverstoß selbst in einen rechtlosen Zustand. »Das Recht jedes einzelnen ist dadurch bedingt, daß er die Rechte aller übrigen anerkennt: u. außer dieser Bedingung hat niemand ein Recht« (GA II/13, 206; SW X, 506). In einer Gemeinschaft, die sich ein Rechtsgesetz gegeben hat, kann sich also niemand diesem entziehen, jeder muß das Recht anerkennen oder er gehört nicht zu dieser Gemeinschaft. Die allgemeine Vertragsbasis des Rechts wird in Fichtes Konzeption durch die Kombination zweier fundamentaler Verträge konstituiert: Eigentumsvertrag und Staatsbürgervertrag. II. Eigentumsvertrag und Staatsbürgervertrag Nach Fichte kann der Mensch die frei gesetzten Zwecke seines Wollens nur realisieren vermittels eines materiellen Körpers (Leib), der den Willen in die Welt verlängert. Die Freiheitssphäre einer Person ist also zunächst primär der Raum dieses Leibes, der deshalb für die anderen unantastbar ist: »Keiner soll dem andern an seinen Leib kommen, ihn hindern, oder schaden.« (GA II/13, 203; SW X, 503) Die Sphäre des Leibes umfaßt den Aktionsraum zur Realisierung des Wollens. Diese Sphäre nennt Fichte Eigentum. Dieser Eigentumsbegriff zielt auf die Sicherung der freien Handlung, nicht auf materiellen Besitz. Das Eigentumsrecht ist »das ausschliessende Recht auf/ Handlungen, keineswegs auf Sachen« (GA I/17, 54f.; SW III, 401). Die urrechtliche Freiheit, d. h. die freie Zwecksetzung, und die Handlung zur Realisierung dieses Zweckes, liegen dem Recht auf das Objekt logisch voraus. (GA II/13, 221; SW X, 529) Um die urrechtliche Freiheit zu sichern, schließen Personen den Eigentumsvertrag. Er besagt, daß jede Person ihre Freiheit, d. h. ihr Eigentum, dadurch sichert, daß sie die Freiheit anderer anerkennt und deshalb ihre Aktivitäten in der Welt freiwillig begrenzt, weil alle anderen zusichern, dies auch zu tun. Welche Kriterien muß dieser Vertrag laut Fichte erfüllen?
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1. Der Eigentumsvertrag muß auf Übereinkunft aller Betroffenen beruhen und die Realisierung der »Freiheit aller« (GA II/13, 207; SW X, 508) zum Ziel haben. 2. Der Eigentumsvertrag muß die gleiche Möglichkeit der Freiheitsausübung aller beinhalten, d. h. auf der Idee gleichen Eigentums basieren. Das Gleichheitspostulat resultiert daraus, daß alle Personen Vernunftwesen gleicher Dignität sind. Verträge, die diese Kriterien nicht erfüllen, sind keine Rechtsverträge und deshalb nichtig. (GA II/13, 216; SW X, 520) In diesem Zusammenhang verwendet Fichte den Begriff des gerechten Vertrages (GA II/13, 221; SW X, 530), dessen Gerechtigkeitsimplikation darin besteht, daß der Vertragsschluß die gleiche Eigentumsverteilung vorsieht.2 Nun ist aber die ursprüngliche Eigentumsverteilung vielleicht gerecht für diese konkrete Situation, nicht aber für immer. Deshalb unterscheidet Fichte den Eigentumsvertrag als absolutes und unwandelbares Recht vom Eigentumsvertrag als angewandtem Recht. Der Eigentumsvertrag als absolutes Recht enthält zunächst nur formal »das Grundgesez, die Sphären zu bestimmen« und »das gegenseitige Eigenthum immerfort zu ordnen, u. zu erhalten« (GA II/13, 221; SW X, 530). Der Eigentumsvertrag als angewandtes Recht regelt das konkrete Wie der Eigentumsverteilung oder notwendiger »Repartition« (GA I/4, 22; SW III, 213) unter den jeweiligen historischkulturellen Bedingungen. (GA II/13, 222; SW X, 530) Von hier aus ist Fichtes Sicht auf die entsprechenden Theorien seit Hobbes (eine Ausnahme bildet hier Rousseau) aufschlußreich. Nach Fichte gehen sie alle davon aus, daß jeder, der den Eigentumsvertrag schließt, schon einen materiellen Besitz mitbringt (z. B.. aufgrund ursprünglicher Aneignung), und dieser Zustand durch den Vertrag lediglich abgesichert wird. Der Inhalt des so verstandenen Eigentumsvertrages würde heißen: »jeder soll behalten, als Recht, was er jezt hat: wer viel, viel, u. wer nichts hat, soll auch in alle Ewigkeit nichts bekommen« (GA II/13, 208; SW X, 509). Mit dieser Reduzierung des Eigentumsvertrags auf bloße Besitzstandswahrung bricht Fichte konsequent, und er bescheinigt den entsprechenden Theorien, daß sie die Gegebenheiten beschönigen und den Rechtstitel dafür erschleichen. (GA II/13, 208; SW X, 509) Ein Eigen-
2 Ein ausführlicher Vergleich der Gerechtigkeitskonzeptionen von Fichte und Rawls findet sich in der von Hans Georg von Manz vorgelegten Studie Fairneß und Vernunftrecht. Rawls’ Versuch der prozeduralen Begründung einer gerechten Gesellschaftsordnung im Gegensatz zu ihrer Vernunftbestimmung bei Fichte. Hildesheim/ Zürich/ New York 1992.
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tumsvertrag, der erst dort ansetzt, wo schon eine Eigentumsverteilung erfolgt ist, ohne diese selbst zu regeln (und damit faktisch ungleichen Besitz von vornherein rechtfertigt), ist für Fichte, wie auch schon für Rousseau, nicht rechtmäßig. Rousseau erklärt diese ursprüngliche, vorrechtliche Inbesitznahme zum Betrug, einen diese Inbesitznahme rechtfertigenden Vertrag zum Betrugsvertrag der Reichen an den Armen. Fichte fordert, die inhaltliche Ausgestaltung des Eigentumsvertrags unter die Frage zu stellen, was der einzelne mit Recht besitze, und daraufhin über eine Neuverteilung des Besitzes nachzudenken. (Ebd.) Mit Recht besitze niemand etwas, das er ohne einen Vertrag, nur aufgrund von Stärke oder List oder weil er zuerst da war (Recht der prima occupatio), erworben habe. Also: »Macht [...] giebt durchaus kein Recht.« (GA II/13, 233; SW X, 547) Umgekehrt ist aber Recht durch Macht abzusichern. Es ist, so Fichte, eine überindividuelle Art von Macht erforderlich, die den gesetzwidrigen Willen an der Ausübung hindert, den rechtmäßigen Willen aber gewähren läßt, und dies so mechanisch wie ein Naturgesetz. (GA II/13, 210; SW X, 511) Diese Macht ist die Staatsgewalt (GA II/13, 211; SW X, 513), sie ist »die Bedingung des Rechts« (GA II/13, 212; SW X, 514). Recht gibt es Fichte zufolge nur im Staat und mit Hilfe des Staates, nicht gegen ihn, insofern er ein rechtmäßiger Staat ist. »Recht = Staatsrecht.« (GA II/13, 200; SW X, 499) Um das Recht zu sichern, ist also neben dem Eigentumsvertrag die Konstitution des Staates3 notwendig, die durch den Staatsbürgervertrag besiegelt wird. Der Vertragsschluß kann dabei nur durch alle Mitglieder dieser Gemeinschaft als den gleichberechtigten Rechtssubjekten selbst erfolgen, da die staatliche Macht die für alle Mitglieder einer Gemeinschaft verbindliche Rechtsinstanz sein soll. (GA II/13, 211; SW X, 512f.) In welchem Verhältnis stehen nach dem bisherigen Eigentumsvertrag und Staatsvertrag zueinander? Der Eigentumsvertrag ist nur eine bloße Deklaration des Willens zum Recht, sichert aber das Recht nicht. (GA II/13, 212; SW X, 514) Eine verbindliche Garantie erfolgt erst durch den Staatsbürgervertrag. Ohne Staatsbürgervertrag wäre der Eigentumsvertrag wirkungslos. Der Eigentumsvertrag ist ein »Vertrag blosser Unterlassung«, der Staatsbürgervertrag hingegen ist »ein positiver Leistungsvertrag« (GA II/13, 212; SW X, 515).4 Denn nun muß jeder Bürger tatsäch3 Auf Fichtes Überlegungen zur »Konstitution« des Staates kann hier nicht näher eingegangen werden. 4 In den Staatsbürgervertrag gehen verschiedene Vertragsbestandteile ein, die Fichte in der GNR einzeln herleitet: Schutzvertrag, Vereinigungsvertrag, Unterwerfungsvertrag, in der RL-1812 aber nicht explizit deduziert. In der GNR gilt der Eigentumsvertrag als Teil des Staats-
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lich unter Beweis stellen, daß er an der Errichtung und Erhaltung des Staates aktiv mitwirkt. (GA II/13, 223; SW X, 532) Sein Beitrag besteht in den im Staatsbürgervertrag verbindlich fixierten Staatsbürgerpflichten (Steuern, Abgaben, Wehrdienst etc.). »Die Leistung dieses Beitrags allein ist die Rechtszueignung. Ohne ihn ist, auf dem blossen Gebiete der Rechtslehre jedweder rechtslos.« (GA II/13, 212; SW X, 515) Nun hat Fichte als Zweck dieser Abgaben an den Staat nicht nur die Erhaltung der Staatsinstitutionen im Auge, sondern er nimmt explizit sozialstaatliche Maßnahmen in den Katalog der staatserhaltenden Leistungen auf. III. Fichtes Sozialstaatskonzept Hinter der Forderung nach sozialstaatlichen Leistungen steht die Idee, daß ein Rechtssubjekt nicht nur Freiheitsrechte und politische Rechte hat, sondern auch soziale Rechte. Die Begründung sozialer Rechte schließt unmittelbar an das Urrechtsargument des Eigentumsvertrages an. Das Urrecht zielt auf freie Handlungsmöglichkeit und damit implizit die Erhaltung des Leibes als des Organs der Handlung. Lebenssicherung, Befriedigung der Bedürfnisse des Leibes, »ist der Geist des Eigentumsvertrags.« (GA I/4, 22; SW III, 212) Diese primäre Lebenssicherung ist nur möglich durch Arbeit, durch Herstellung lebensnotwendiger Güter. Fichte definiert Arbeit als »Gebrauch der Freiheit für Lebensbedürfnisse« (GA II/13, 223; SW X, 534). Der Eigentumsvertrag, der jedem das Urrecht, d. h. eine Sphäre seiner freien Tätigkeit sichern soll, impliziert damit die grundsätzliche Forderung, daß diese Sphäre so zu bemessen ist, daß jeder von seiner eigenen Arbeit seine Grundbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung, Wohnung, sichern kann. Da also jeder ein Urrecht auf eine eigene Freiheitssphäre und Existenzsicherung hat, diese aber nur durch Tätigkeit gewährleisten kann, hat jeder ein Grundrecht (Urrecht) auf Arbeit. Dieses urrechtlich fundierte Recht auf Arbeit ist ein formales Recht, das noch nicht positivierten Charakter hat und als solches einklagbar wäre. Vielmehr fungiert das Urrecht auf Arbeit aufgrund der aufgezeigten Relevanz für die Erhaltung der freien Wirksamkeit der Person zunächst lediglich als normative Leitidee: »Es ist Grundsaz jeder vernünftigen Staatsverfassung: Jedermann soll von bürgervertrags (GA I/4, 9; SW III, 196), in der RL-1812 bilden beide Verträge eher ein Korrelationsverhältnis.
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seiner Arbeit leben können.« (GA I/4, 22; SW III, 212) Und im Staatsbürgervertrag verpflichten sich die Bürger dann wechselseitig zur Gewährung des Rechts auf Arbeit als eines durch den Staat zu garantierenden positiven Grundrechts. Fichte spricht aber nicht nur jedem das Recht zur Arbeit zu, sondern auch die Pflicht zur Arbeit, und zwar zu eigener Arbeit. Die Herausstellung der Pflicht zur Arbeit tangiert den Staatsbürgervertrag, denn in ihm ist die Pflicht zur Leistung von Abgaben zur Erhaltung der Staatsmacht verankert. Auch dieser Pflicht kann der Einzelne nur nachkommen durch eigene Arbeit. Und diejenigen, die ihre Abgaben entrichten, haben ein Recht darauf, daß der Staat kontrolliert, ob alle dieser Pflicht nachkommen. Oder wie Fichte formuliert: »Arbeit wird Rechtsverbindlichkeit« (GA II/13, 223; SW X, 532). Fichte vertritt hier einen normativen Egalitarismus, der davon ausgeht, daß alle Bürger einen gleichberechtigten Anspruch auf gleiches Eigentum, das gleiche Recht auf Arbeit und die gleiche Pflicht zur Arbeit haben. Dieser Egalitarismus stützt sich auf folgende Argumente: • •
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Jeder Staatsbürger hat den gleichen rechtlich-politischen Status und deshalb die gleichen Rechte und Pflichten. Wem das Recht auf Arbeit von anderen oder aufgrund von gesellschaftlichen Strukturen verwehrt wird, für den ist jeder Rechtskontrakt nichtig. Er ist nicht an die Selbstbegrenzung der Freiheit gebunden, da ihm die anderen keine Freiheit einräumen, und ist dazu berechtigt, in den Freiheitsraum, d. h. das Eigentum anderer, einzugreifen. Genau um die eigene Sphäre zu sichern, wird ja allen anderen ihre Sphäre zugestanden. Um also zu verhindern, daß die staatliche Ordnung gefährdet wird, ist allen soviel Eigentum zu gewähren, wie sie zum Leben benötigen. (Vgl. GA I/4, 22; SW III, 213) Der Pflicht zur Arbeit darf sich niemand entziehen oder sie delegieren, denn für Fichte ist Arbeit nicht nur Existenzsicherung, sondern sie ist das entscheidende Mittel, das gesellschaftlich-kulturelle Leben zu erhalten und weiterzuentwickeln. Wer selbst nicht arbeitet, selbst wenn er von Ersparnissen, Erbe oder dergleichen leben könnte, verweigert der Gemeinschaft seine menschliche Kraft. Er würde von der Arbeit anderer leben und dies ist für Fichte »schlechthin keines Menschen Recht, und eine unverschämte Foderung« (GA II/13, 236; SW X, 553).
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Zudem ist die Pflicht zur eigenen Arbeit als deutliche Kritik an gesellschaftlichen und ökonomischen Strukturen zu lesen, die es den einen ermöglichen, andere für sich arbeiten zu lassen (Feudaladel) und Gewinne ohne eigene Arbeit abzuschöpfen (Kapitaleigner, Rentiers). Eine große Besitzakkumulation verbietet sich auch aufgrund des normativen Ziels, das Fichte überhaupt einer Gesellschaft zuspricht. Dieses Ziel besteht nicht in der Anhäufung materiellen Wohlstands, sondern in der Gewinnung von freier Lebenszeit zur Selbstkultivierung und Selbstveredlung, die der für die Existenzsicherung notwendigen Arbeitszeit abgerungen werden kann. Der Staat hat dafür Sorge zu tragen, daß bei entsprechendem Nationaleinkommen die verbindliche Arbeitszeit gesenkt wird, um jedem Bürger mehr Freizeit zu geben, »in welcher nach Befriedigung seiner Nothdurft, u. seiner Bürgerpflicht, ihm noch Freiheit Kraft u. Zeit, und Raum, Recht, für frei sich aufzugebende Zweke übrig bleibe. Wem dies nicht geworden, dem ist gar kein Recht geworden, und er ist andern nicht zu Recht verbindlich. Die Verfassung in der er steht, ist auch keine Rechtsverfassung, sondern eine blosse Zwangsanstalt.« (GA II/13, 224; SW X, 536)5
Fichtes Rechtslehre läßt dabei durchaus zu, daß jeder privaten Besitz in gewissem Maße akkumulieren und dann auch vererben darf. Zur Sicherung dieses absoluten Eigentums hat jeder eine Privatsphäre (Haus, Wohnung), in die auch der Staat nicht eindringen darf.6 (GA I/4, 46; SW III, 243) Die möglichen Besitz-Ungleichheiten sind dann gerechtfertigt, wenn sie a) auf persönlicher Leistung beruhen, b) die Abgaben an den Staat geleistet wurden, die die Gesellschaft für notwendig erachtet, um ihr Staatswesen stabil zu halten, c) diese Ungleichheiten nicht so groß werden, daß sie den sozialen Frieden gefährden. Einkommensunterschiede, wie wir sie heute faktisch vorfinden, sind mit Fichtes Modell also unmöglich. Denn Fichte geht aus von der 5 Richard Schottky: Untersuchungen zur Geschichte der staatsphilosophischen Vertragstheorie im 17. und 18. Jahrhundert (Hobbes – Locke – Rousseau – Fichte). München 1962, 174 meint, nichts hindere den von Fichte konzipierten Staat daran, ein riesiges »Zwangsarbeitslager« zu errichten und jedem Bürger höchste wirtschaftliche Produktivität abzuverlangen, wenn nur Sattheit und Gesundheit gewährleistet seien. Er übersieht dabei zum einen Fichtes übergeordneten Zweck: Muße, Bildung, sittliche Veredelung und zum anderen, daß der wohlverstandene rechtsförmige Staat keine Ausbeutungsinstanz ist, sondern Ausdruck des Gemeinwillens der Bürger. 6 Johann Braun: Freiheit, Gleichheit, Eigentum. Grundfragen des Rechts im Lichte der Philosophie J. G. Fichtes. Tübingen 1991, 53 irrt also mit seiner Feststellung, Fichte kenne kein absolutes Sacheigentum.
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normativen Idee, »daß alle und jeder so angenehm leben können, als es möglich ist«, und dies soll heißen, »daß alle ohngefähr gleich angenehm leben können« (GA I/7, 55; SW III, 402). Die Akkumulation von Privatbesitz darf sich nur in einem Durchschnittseinkommensfeld bewegen, ansonsten muß der Staat regulierend eingreifen. Gesellschaftliche Gegebenheiten, in denen Besitzgefälle so weit führen, daß einzelne Not leiden, sind rechtlich nicht legitimierbar: »Von dem Augenblik an, da jemand Noth leidet, gehört keinem derjenige Theil seines Eigenthums mehr an, der als Beitrag erfordert wird, um einen aus der Noth zu reissen, sondern er gehört rechtlich dem Nothleidenden an. Es müßten für eine solche Repartition gleich im Bürgervertrage Anstalten getroffen werden« (GA I/4, 22; SW III, 213). Um diese Vorstellungen umzusetzen, entwickelt Fichte ein Staatsmodell, das um das staatlich zu garantierende Recht auf Arbeit zentriert ist und das von einer starken Planungs- und Regulierungsfunktion des Staates gegenüber der Wirtschaft ausgeht (Der geschlossene Handelsstaat, 1800). Diesem Entwurf liegt wohl die Auffassung zugrunde, daß ein sich selbst überlassener Markt als rechtloser Zustand anzusehen ist, in dem keine soziale Absicherung gewährleistet wird. Also muß der Staat hier lenkende und ordnende Funktionen übernehmen. In der konkreten empirischen Konzipierung eines solchen Staates versucht Fichte die Faktoren, die der sozialstaatlichen Sicherung entgegenwirken, zu reduzieren oder ganz zu eliminieren. Dabei wird m.E. jedoch die Funktion des Staates normativ und funktional überlastet, z. B.. wenn Fichte vor allem als Schutz vor unkontrollierbaren Wirkungen ökonomischer Internationalisierung eine Abschottung des Staates gegenüber äußeren Einflüssen vorschlägt, weiterhin eine nichtkonvertierbare eigene Währung, ein Monopol allein des Staates auf Handel, auf die Zuweisung von Berufen, die Festlegung einer Staatsreligion, etc. Diese rigiden Ideen sind als der Versuch zu werten, empirischkonkrete und als solche historisch bedingte Vorschläge für die Umsetzung des transzendentalen Rechtskonzepts zu unterbreiten. Die argumentative Leistung des transzendentalen Konzepts bleibt jedoch von der Unzulänglichkeit des fiktiven empirischen Modells unberührt.7 Nicht nur Fichtes nichtmateriale Eigentumstheorie und sein Rechtsbegriff als wechselseitige Freiheitsanerkennung sind bahnbrechend, 7 Fichte selbst unterscheidet zwischen der apriorischen Begründung der Rechtslehre und der Frage nach der »Realisation des Rechtsbegriffs in der Sinnenwelt« in einem »durch zufällige Merkmale (empirisch) bestimmten Staate« (SW III, 286).
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sondern auch seine Begründungsanstrengung für ein Sozialstaatsmodell. Fichte zeigt auf, daß das Urrecht auf Arbeit die Rechtsverfassung des Staates entscheidend mit konstituiert und trägt und deshalb dort als staatlich verbrieftes Recht zu verankern ist. Im Staatsbürgervertrag ist nicht nur die Eigentumsverteilung zu regeln, sondern auch die Art der Kompensationsleistungen für diejenigen, die aus eigener Arbeit ihren Unterhalt z. B.. wegen Krankheit o.ä. nicht bestreiten können. So wie jeder im Staatsbürgervertrag zusichern muß, alles ihm mögliche zu tun, um seinen Verpflichtungen im Staat (eigene Subsistenz, Unterhalt der Staatsdiener) nachzukommen, so verspricht die Gemeinschaft im Vertrag, alle diejenigen zu unterstützen, die selbst nicht genug erwirtschaften, um davon leben zu können. (GA I/4, 24; SW III, 215) Es gilt demnach: »der Arme, es versteht sich, derjenige der den Bürgervertrag mit geschlossen hat, hat ein absolutes Zwangsrecht auf Unterstützung« (GA I/4, 23; SW III, 213).Wir erleben hier die Geburtsstunde des Sozialhilfeprinzips als eines staatlich garantierten Rechtsanspruchs. IV. Fazit Fichte bietet mit seinem Kontraktualismus ein hypothetisches Gesellschaftsmodell, ein Denkexperiment, das erörtert, wie ein rechtlicher Gesellschaftszustand zu denken ist. Sein philosophisches Anliegen ist nicht die Legitimation der Errichtung eines bestimmten Staatswesens, sondern zielt auf die Begründung vernünftiger Prinzipien rechtlicher Gemeinschaften. Demnach versteht Fichte unter Recht nur dasjenige, worauf sich vernünftige Wesen aus Vernunftgründen in entsprechenden rationalen Verfahren einigen. Dabei ist Fichte der erste Theoretiker, der darauf insistiert, daß ein rechtliches Staatswesen nicht nur darin besteht, Freiheitssphären zu schützen, sondern daß es auch einen positiven Leistungsvertrag, einen Sozialkontrakt braucht, der nicht nur eine mögliche Zusatzleistung ist, sondern grundsätzliche staatstragende Funktion besitzt. Dieser Sozialkontrakt ist nicht zu verstehen als eine Armenfürsorge aus moralischen Motiven (Mitleid), sondern ist notwendiger Bestandteil der Rechtsstaatlichkeit und zwar aus zwei Gründen: a) Inhaltlich gesehen sichert eine Eigentumsverteilung entsprechend der Gleichheitsregel eine relativ hohe Wahrscheinlichkeit für eine stabile Gemeinschaft. Durch ungleiche Eigentumsverteilung Benachteiligte haben immer eine gewisse Legitimation, aufgrund ihrer Benachteili-
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gung den Rechtsvertrag aufzukündigen, und die bestehende staatliche Ordnung zu stürzen. b) Formal gesehen sichert der rechtlich verbindliche Unterstützungsanspruch, daß die Bedürftigen durch die Unterstützungsleistung als Rechtssubjekte behandelt werden, denen diese Leistung aufgrund eines Vertrags zusteht, den alle Bürger geschlossen haben. Fichte versucht mit diesem rechtsphilosophischen Konzept, die Einseitigkeiten einerseits des Liberalismus, der der Freiheit der Individuen auf Kosten staatlicher Eingriffsmöglichkeit den Vorrang gibt, andererseits eines Sozialismus, der für die Idee von Planwirtschaft und sozialer Sicherung die persönliche Freiheit der Bürger stark restringiert, in einer Synthese beider Modelle zu überwinden. Dieses Syntheseprogramm zeigt sich auf verschiedenen Ebenen: • • • •
im Freiheitsbegriff als Verbindung von absoluter individueller Freiheit als Urrecht mit der Freiheit als soziale und politische Freiheit im Rahmen einer interagierenden Gemeinschaft, in der Korrelation des formal ausgerichteten Eigentumsvertrags und des inhaltlich-material ausgerichteten Staatsbürgervertrags, in der Komplementarität zwischen dem Recht auf Arbeit und der Pflicht zur Arbeit, in der Gleichstellung freiheitsbezogener, politischer und sozialer Gundrechte.
Ergebnis dieser Synthese ist Fichtes Konzept des Rechtsstaats als Sozialstaat.8 Sozialstaatlichkeit ist mit Fichte nicht parteipolitischem Kalkül zu überantworten, noch ein Geschenk der Reichen an die Armen, sondern notwendiges Prinzip vernünftiger rechtsstaatlicher Politik.
8 Vgl. auch die Bewertung durch Braun, Freiheit, Gleichheit, Eigentum, 28f: »Es gibt in der Tradition ver/mutlich keinen anderen Denker, bei dem die Forderung nach einer staatssozialistischen Ordnung mit einer solchen Stringenz und Bündigkeit begründet wird«.
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Dimensionen und Wandlungen des Fichteschen Rechtsbegriffes im Vergleich Jena – Berlin
Christian Stadler (Wien)
Vorbemerkung Die nun folgenden Überlegungen gründen sich nicht primär auf Quellenforschungen zum späten Fichte (i. S. etwa der Auswertung von Vorstudien, Mitschriften oder Briefen), sondern stellen den etwas »gewagten« Versuch dar, eine systematische Interpretation Fichtes, wie sie für die Wissenschaftslehre 1794 und die Naturrechtslehre 1796 vom Autor vorgeschlagen wurde1, auch analog auf die Fichtesche Spätlehre anzuwenden. Dieser Text, der thesenartig beim Münchner Fichtekongreß 2003 vorgetragen wurde, soll es unternehmen, die Plausibilität dieses Interpretationsansatzes zu erweisen. Es wird dabei im wesentlichen von der Hypothese auszugehen sein, daß das Fichtesche System von Anfang an einen »ganzheitlichen« Anspruch verfolgt hat, damit in bester Tradition zu den spätkanntischen Systemvorarbeiten2 stehend und diese fortführend.3
1 Vgl. Stadler (1996) und Stadler (2000). 2 Vgl. dazu Wundt (1927), 127 ff, wenn er davon spricht, daß ja schon Kant versucht habe, in der Kritik der Urteilskraft jene Zweiteilung in Theorie und Praxis zu überwinden, welche bekanntlich ja die erste systemische Herausforderung Fichtes sein würde.
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Die Grundstruktur der Wissenschaftslehre 1794 Ausgangspunkt für Fichtes Systemdenken ist bekanntlich die Metaphysik, die Frage nach dem Sein und seiner permanenten Verwirklichung im Gewirke des Seienden. Von diesem Ausgangspunkt aus »deduziert« Fichte in kraftvollen Denkschritten den Übergang vom eigentlichen Sein in das Nicht-Sein, als dessen immanenter Ermöglichungsbedingung. Der entscheidende Schritt in die Dialektik besteht sodann in der Überwindung des bloß äußerlichen Diskurses hin zur Synthesis a priori, dem im Kern nach wie vor kantischen Projekt. So geschieht es im Übergang von der Theoretischen zur Praktischen Wissenschaftslehre, im Übergang vom Schweben des Theoretischen hin zur Wechselwirkung des Praktischen. Doch auch hier vermag der Anstoß nicht endgültig zu seinem Begriff zu kommen, so daß – nach der Deduktion von Raum und Zeit im »Eigenthümlichen der Wissenschaftslehre« – ein massiver weiterer Schritt aus dem Schatten der Kritik der reinen (theoretischen) Vernunft hinaus notwendig wird. Das Recht als metaphysisches Phänomen Dieser Schritt sollte in der Hinwendung zum Recht bestehen, womit sich Fichte erstmals grundlegend von Kant emanzipiert hat. Dieser Schritt wird sogleich noch gründlich zu bedenken sein, was an dieser Stelle – im Lichte des Überblicks – festgehalten werden soll, ist, daß als zentrales Charakteristikum des Fichteschen Systems – wie es dann von Hegel strukturell übernommen werden soll – die »metaphysische« Bedeutung des Rechts anzusehen ist4. Aber nicht nur das, Fichte ist auch der erste Denker des Deutschen Idealismus, dessen Deduktionen des Rechts der in der Wissenschaftslehre (also seiner Metaphysik) entwickelten dialektischen Methode folgen. D. h. das Recht, der Staat und die Wirtschaft sind bei Fichte notwendige Momente des metaphysischen Prozesses5. 3 In diesem Sinne findet sich bei Zahn (1979), XV ein Hinweis auf das Fichte – und – seinem Lehrstuhlvorgänger in Jena – Reinhold gemeinsame Anliegen der notwendigen »systematischen Überhöhung oder – wenn man will – Vertiefung Kants«. 4 Vgl. dazu Wundt (1927), 159 der davon spricht, daß das Recht als »Bedingung des Selbstbewußtseins« abgeleitet und damit als Vernunftbegriff aufgewiesen werden solle. 5 Vgl. dazu Heimsoeth (1923), 171: »Die Rechtsordnungen haben ihre unersetzliche Funktion im Wesen und in der Selbstgestaltung der Vernunft; ohne Rechtswillen kommt es eben nicht zum ersten, noch vor aller sittlichen Einwirkung liegenden Ich-Du-Verhältnis, und damit nicht zum einzelnen vernünftigen Wesen selbst.«
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Die Grundstruktur der Wissenschaftslehren 1810 Doch wie steht es nun in dieser Relation von Seinskönnen und Rechtsverhältnis hinsichtlich der Wissenschaftslehre von 1810?6 Bekanntlich gliedert sich dort die metaphysische Struktur in »Sein«, »Wissen« und »Dasein« auf. Das Sein erschließt – so wie in der Wissenschaftslehre 1794/95 – Gott in seiner Absolutheit – unwandelbar, unbewegt, wirkungslos, aber erscheinend, gleichsam als »Äußerung«7. Es ist dies – und damit bleibt Fichte 1810 – im Vergleich zu 1794 doch überraschend – wieder hinter dem späten Platon und Plotin eindeutig zurück, wieder einen statischen Begriff des Seins fassend. Aber vielleicht war das der Preis für die Aufgabe des missverständlichen Begriffs des »Ich« der alten WL. Dies mag angesichts der Kantischen Tradition der (letztlich ja auch aristotelisch inspirierten) Formen der Anschauung nicht leicht denkbar sein – bewegende Bewegung als Bedingung für Raum und Zeit. Doch bereits das »alte« Nicht-Ich wandelt sich zum konkret in Erscheinung tretenden Wissen, womit man klar den Plotinisch-Augustinischen8 Einfluß auf Fichte spüren kann, der damit in die Denkstrukturen des mittelalterlichen Idealismus zurückgekehrt ist. Dieses Wissen weiß allerdings nicht um sein bloßes »Gewußtwerden«, sondern vielmehr weiß es alles anscheinend in authentischer Unmittelbarkeit, in Wahrheit jedoch handelt das Wissen nur von Bildern vom Sein9 – dem Sein Gottes10 – Platons Höhlengleichnis vermag dem Verständnis des Wissenskonzepts von Fichte an dieser Stelle als Bezugsrahmen hilfreich sein.11 Das wesentliche am Bild vom Bild ist dabei, daß es sich nicht als »bildend gebildet« begreift12, sondern in »scheinbarer« Unmittelbarkeit der Gegenständlichkeit verharrt, einer Unmittelbarkeit, die den Humus der Individualität13 in ihrer Vereinzelung darstellt.
6 Vgl. zu den folgenden Ausführungen zur WL von 1810 auch Wundt (1927), 140– 145 und Fischer (1914), 676–680. 7 Fischer (1914), 676. 8 Zur Bedeutung des Neuplatonismus für Fichte vgl. auch Wundt (1929), 249. 9 Wundt (1927), 143 f merkt zum Denken dabei erhellend an: »In dem Denken wird das Wissen eingesehen als das Schema des göttlichen Lebens, aber es wird als solches auch nur erst gewußt, d. h. in diesem Schema erfaßt.« 10 Fischer (1914), 676. 11 Vgl. dazu Wundt (1927), 138 f, wenn es darum geht, durch den Eintritt des Lebens in die Form des Wissens den »Übergang vom absoluten in das besondere Leben« zu vollziehen. 12 Fischer (1914), 677. 13 Über den Zusammenhang von Wissen und Individualität vgl. Fischer (1914), 678.
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Das Dasein14 ist dann in gleichsam materieller Mannigfaltigkeit als der »Fleisch gewordene Begriff« zu fassen. Hier kommt dann die Reflexion selbst ins Spiel, die dem Wissen eröffnet, daß es kein unmittelbares, sondern nur bildhaftes Gewußtsein ist. Damit tritt das Sein in der Weise des Gewußtseins bzw. des Gewußtwerdens (Fichte gibt ja den aktualen Idealismus 1810 nicht auf) ins Bewußtsein als ein mannigfaltiges Dasein, als Körperwelt. Wissenschaftslehre 1794 und 1810 im Vergleich Für unsere Zwecke entscheidend ist die Einsicht in den wesentlichen systemischen Unterschied zwischen der WL 1794 und der WL 1810: 1810 verdankt sich die mannigfaltige Körperwelt dem Wissen, welches »EinBildung« des Seins ist. Dieses Bildung-Sein wiederum ist lebendig in dem Sinne, daß es sich mit transzendentaler Notwendigkeit seinem jeweiligen Gewußtwerden verdankt. Dieses bildende Wissen seinerseits wiederum ist als Vermögen wesentlich frei. Da der Freiheit jedoch immanent das Sollen innewohnt, die Pflicht, so ist auch dem so gefaßten freien Wissen ein Sollen inhärent.15 Das Wissen ist als strukturelles »für sich Sein« eine dialektische Defizienzform, die somit ihre Überwindung wesentlich bereits in sich trägt, über sich hinausweist – was Vernunftphänomene so an sich haben und sie von bloß pragmatischen Verstandesphänomenen durchaus unterscheidbar macht. Worin besteht also das über das bloße Wissen hinauswiesende immanente Sollen16? Im Verwirklichen des Seins ins Dasein – das Sein als ein vorerst nur Gewußtwerden – muß wirklich werden, in die selbst gesetzte Körperwelt eintreten als deren an-sich-seiende Wahrheit. D. h. der daseienden Körperwelt in ihrer Mannigfaltigkeit17 ist die Einheit des Seins keine äußerliche oder fremde, sondern eine immanente, immer schon gewirkt habende Kraft.18
14 Vgl. zur Bezüglichkeit des Daseins zum Sein: Heimsoeth (1923), 213. 15 Vgl. zum Zusammenhang von Wissen und Sollen: Heimsoeth (1923), 206. Zu dieser Frage äußerst sich auch Verweyen (1975), 250 einschlägig. 16 Vgl. zur Relation von Sein und Sollen auch Fischer (1914), 679: »Mein Sein ist mein Sollen«. 17 Vgl. zur »Welt des Vielen und Toten«, auch Wundt (1929), 250 18 Damit gelingt Fichte letztlich die Lösung der zentralen transzendentalphilosophischen Aufgabenstellung seit Kant, nämlich »den Zusammenhang von erscheinender und intelligibler Welt« aufzuzeigen (Wundt (1927), 128).
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Zur systemischen Stellung der Naturrechtslehre von 1796 Vor diesem systemischen Hintergrund sollte man die Naturrechtslehre von 1796 als die »Theoretische Dimension des Praktischen« bezeichnen – in bewußter Abgrenzung zur Sittenlehre, die dann die »Praktische Dimension des Praktischen darstellt«. Der entscheidende Umstand ist, daß es ohne die Setzung von (Mit)Welt (als praktisches Momentum) keine Setzung von Umwelt (als theoretisches Momentum) geben kann. D. h. in den Worten der (alten) Wissenschaftslehre, daß sowohl Grenze (Theorie) als auch Anstoß (Praxis) wirklich – d. h. körperlich werden müssen. Ansonsten verbleibt das Sein in bloßem Schweben, im bloßen Ansich. Wenn nun aber die Setzung von Mitwelt dem selbstständigen Prinzip des Ich (der WL) entspricht, dann führt das letztlich wiederum – gleichsam strukturanalog – zum Schweben in wechselseitiger Aufforderungs- und Anerkennungsdimension19, aber somit zu einem Handeln20. Damit setzt bei Fichte – im systemischen Anschluß an Kants Kategorischen Imperativ und seinen Rechtsbegriff – die Lehre von der auffordernden Anerkennung ein, die im wesentlichen darin besteht, daß »erziehende Einwirkung« nichts anderes als »Aufforderung zu bestimmten Tätigsein« bedeutet21. Die Überwindung des bloßen Schwebens, also die »Gewinnung« der Realität22, kann nur geleistet, d. h. wirklich werden im Rechtsverhältnis – also dem Verhältnis sich zunächst nur äußerlich begrenzender Freiheitssphären, die sich gleichsam transzendental-genetisch23 einander wechselseitig verdanken.24 Es ist sehr erhellend, daß Fichte hier das wesentliche Moment der Rechtlichkeit, die strikte Reziprozität, ableitet. Oder – um es mit Heimsoeth zu formulieren: »Alles Erwarten, jeder Befehl, jede Bitte ist Ansinnen an die Freiheit«25 – und damit aber 19 Vgl. zum Rechtsverhältnis im Lichte der wechselseitigen Anerkennung ausführlich auch Wundt (1927), 161. 20 Vgl. dazu näher Wundt (1927), 134 f. 21 Heimsoeth (1923), 143. 22 Vgl. dazu ausführlich Wundt (1927), 131 ff. 23 Vgl. zur Bedeutung des »Genetischen« in diesem Zusammenhang: Wundt (1927), 139. Vgl. dazu auch Heimsoeth (1923), 203 ff. 24 Vgl. dazu Zahn (1979), XVII – es kann nicht nur um die Feststellung der äußerlichen Grenzverläufe gehen, sondern um die Einsicht in die Selbstbegrenzung, die zur dann empirisch »wahrnehmbaren« Begrenztheit führt, die es dann allerdings angemessen zu deuten, zu begreifen bzw. zu setzen gilt. 25 Heimsoeth (1923), 143.
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auch eine transzendentale Deduktion von Freiheit schlechthin. Ja, Heimsoeth geht mit Fichte noch einen radikalen Schritt weiter, in die endgültige Überwindung des Kantischen Hiatus zwischen Theorie und Praxis: »Das Erfassen des fremden Ich ist also kein rein theoretisches Vorstellen, sondern zugleich ein praktisches Sich-Beziehen: jedes Erkennen ist hier selbst schon ein Anerkennen«26! Jedes Erkennen als Anerkennen zu fassen, damit ist die Einheit von Theorie und Praxis wohl vollendet! Jedenfalls lässt sich aus systemischer Betrachtungsweise heraus fraglos feststellen, daß dem Recht eine eminent transzendentale Bedeutung zukommt, es aber auch seinerseits eine essentielle transzendentale Bedingtheit aufweist27 – eine Konstellation, die aus systemischer Sichtwiese nicht wirklich überraschen kann. Die zentrale Aussage der Betrachtungen zur Jenser Systemik ergibt, daß ohne das Recht das Ich als konkrete Individualität nicht möglich ist28 – ein Ergebnis, das vor der gegenwärtigen Debatte in der Rechts- und Sozialphilosophie eine nicht geringe Befremdung auslösen dürfte. Zur Systemischen Stellung der Rechtslehre von 1812 Während oben hinsichtlich der Individualität des Ich die WL von 1810 strukturell als »Johanneisch«29 angesprochen werden konnte, ist die WL von 1794 noch »Pelagianisch« konzipiert im Sinne einer gleichsam selbsterlösenden Funktion des Rechts – das Recht als selbstreferenzielles System der »Verkörperung« des Ich, der Selbsterlösung aus der reinen Abstraktion der verständigen Folgerichtigkeit. In der Rechtslehre von 1812 hingegen ist eine systemisch völlig andere Situation gegeben: die Wissenschaftslehre von 1810 hat das Ich bereits in die körperliche Mannigfaltigkeit eingewoben über das Bewußtsein des Gewußtwerdens des Gewußten30. In der Rechtslehre von 1812 hingegen fällt daher das Erfordernis der Deduktion des Körperlich-Individuellen weg, es findet eine Verschiebung des rechtlichen Ableitungszusam26 Heimsoeth (1923), 144. 27 Janke (1999), 202 weist darauf hin, daß für Fichte seit 1800 verstärkt die transzendentale Methode der Deduktion zu verfolgen gewesen sei. 28 Vgl. dazu nochmals Zahn (1979), XI. 29 Zur Logoslehre des Johannes und ihrem Zusammenhang mit Fichte vgl. Wundt (1927), 140. 30 Fischer (1914), 685 erinnert allerdings daran, daß diese Individualität nicht der »Träger des Wissens« sei, sondern eine bloße »Erscheinungsform desselben«, womit sich wiederum das aufgeklärte Individualitätskonzept erneut bei Fichte kritisiert findet.
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menhanges auf: Das Recht wird nunmehr – fast klassisch möchte man sagen – aufgefaßt als Vernunftrecht (und nicht mehr als »Naturrecht«31), d. h. es gibt kein Recht mehr außerhalb des Staates und keinen Staat mehr ohne Recht. Damit überwindet Fichte die letzten Fermente der klassischen rechtsphilosophischen Aufklärung (vgl. etwa John Locke), die noch unkritisch von der Fiktion eines vorstaatlichen »Gesellschaftsvertrags« ausgeht, der schon allein deshalb denkunmöglich ist, weil er – wie sämtliche liberale Staatsansätze – genau das bereits voraussetzt, was er erst schaffen soll: in diesem Fall eine rechtsstaatliche Rechtsordnung, denn sonst macht die Rede vom »Vertrag« nicht wirklich Sinn. Und daß das Konzept der »Vertraglichkeit« in irgendeiner Weise Gleichheit gewährleisten soll, ist eine frühneuzeitlich-humanistische Vorstellung, die sich noch an formalrechtlichen Standesunterschieden des Mittelalters reibt. In der Neuzeit wird die formale Rechtsgleichheit hingegen zum Problem der entsprechend fehlenden materialen Gleichheit in den faktischen Lebensbedingungen. Daher ist für Fichte die Vorstellung von vertraglicher Unterwerfung nur denkbar im Sinne einer Unterwerfung unter die – der Einsicht prinzipiell zugängliche – Vernunft, die sich hier als »Logos-Rechtlichkeit« darstellt.32 Im nächsten Schritt geht Fichte dann folgerichtig davon aus, daß die vollendete Sittlichkeit den Staat und das Recht überflüssig machen würden33 – denn, so seine fast mittelalterlich-romantisch anmutende Konzeption, das Logos-Recht, ebenfalls von Vernunft beseelt, würde nur der menschlichen Sittlichkeit in ihrer lebensweltlichen Konkretisierung einen freiheitsermöglichenden Rahmen eröffnen (was wiederum durchaus ein Kanntischer Gedanke ist) – Heimsoeth wird das sehr zutreffend das »Herauswachsen« der Sittlichkeit aus dem staatlichen Kontrollmechanismus nennen.34 Darin ist aber eine wesentliche Unterscheidung der Rechtslehren von 1796 und 1812 auszumachen: In Jena hat Fichte – gleichsam noch spätaufklärerisch – eine Rechtskonzeption diskutiert, die letztlich – von 31 Vgl. dazu die erläuternde Anmerkung von Zahn (1979), XIX zur Namensgebung der Rechtslehren von 1794 und 1812! 32 Vgl. dazu auch Fischer (1914), 690, der dazu betont, daß »die Freiheit (...) (nur) in einer Welt (Gemeine) bewußter Individuen« erscheine, »deren gemeinschaftliche Sphäre der Wirksamkeit die Sinnenwelt« sei. Diese Welt von Vernunftwesen, diese Gemeine, Gemeinschaft – das ist es, was Vernunft generiert. 33 Man beachte: Er spricht nicht von der Vergesellschaftung der Produktionsmittel! 34 Zur äußerst komplexen Relation von Recht und Sittlichkeit bei Fichte vgl. Heimsoeth (1923), 166 f.
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einer nur abstrakt-formalen Freiheit und Gleichheit ausgehend35 – dann diametral in das Gegenteil des eigenen Ausgangspunkts umschlagen muß (worin man Fichtes große Kritik am abstrakten Rechtsdenken der formalen Aufklärung sehen kann), womit man – um sich von dieser abstrakten Rechtlichkeit zu retten, in die Sittlichkeit eintreten muß (im Sinne der Kantischen Lösung der rigorosen Pflicht). 1812 hingegen entwickelt Fichte einen substantiellen Rechtsbegriff, überwindet damit den Formalismus der Jenenser Zeit36 und kann daher auch zur Sittlichkeit kein rein chronologisches, sondern ein dialektisches Verhältnis aufbauen. Die rein formale Gerechtigkeit der Jenenser Zeit weicht einem Konzept struktureller Gerechtigkeit, die als Dimension der Sittlichkeit des Menschen sich u. a. in der Befähigung zur Muße ausdrücken muß. Eine Wirtschaftsordnung – und mag sie auch noch so produktiv sein – ist nicht gerecht, wenn sie dem Menschen keine Muße ermöglicht, sei es, weil er zu bedürftig ist, sei es, weil er zu sehr im Räderwerk der Produktivität (frei nach Sartre) eingespannt und daher nicht mehr sein eigener Herr ist. Für den späten Fichte ist also die Muße ein zentrales soziales Ziel, das es zu erreichen gilt.37 Aber worum willen bedarf es der Muße? Um des Müßigganges wegen, um sich dafür der Unterhaltungsindustrie auszuliefern? Nein! Für Fichte dient die »Erwirtschaftung von Muße« einem einzigen Zweck – der Ermöglichung von Bildung!38 Denn für Fichte – ganz im Sinne des Platon der Nomoi39 – kann es keinen staatlich-rechtlichen Zwang geben ohne Aufklärung, Information, Argumentation und damit notwendig als Vorbedingung – ohne Erziehung und Bildung.40
35 Vgl. dazu sehr zutreffend: Wundt (1927), 163, ebenso 166. 36 Etwa auch den Versuch, »vorsittlich« mit Hilfe des in der Tat frühsozialistisch anmutenden formalen »Gerechtigkeits«- Dirigismus wirklich dem konkret daseienden Menschen gerecht werden zu können. 37 Vgl. zur Bedeutung der Muße für Fichte auch Heimsoeth (1923), 173, f, der den Staatszweck Bildung und Muße in den Mittelpunkt stellt, womit der Übergang vom Rechts- und Wirtschaftsstaat hin zum Kulturstaat bewerkstelligt wird. 38 Dies betont auch Verweyen (1975), 265. 39 Vgl. zum Platonbezug Fichtes auch Janke (1999), 201 ff. In diesem Sinne mit sehr treffenden Beispielen auch Wundt (1927), 171. Ebenso sieht Wundt (1929), 353 ausdrücklich eine unmittelbare Nähe von Fichtes Staatsdenken zu den »Gesetzen« von Platon als gegeben an. 40 Damit wäre die von Wundt (1927), 158 angesprochene Aufgabenstellung Fichtes, im Sinne Kants die Frage nach dem Begriff des Staats, die uns im Platonischen Denken aufgegeben ist, gelöst.
Dimensionen und Wandlungen des Fichteschen Rechtsbegriffes
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Anstelle einer Schlußbemerkung: Paideia als Fichtes Vermächtnis Und darin erkennt man letztlich den platonischen Idealisten41 Fichte ganz deutlich: es ist die alte Paideia-Idee, die in ihm lichterloh brennt. Fichte deduziert daher die Bildung gleichsam als die transzendentale Staatszielbestimmung schlechthin: der Vernunftstaat hat jene Bildung zu ermöglichen, von deren Vorliegen sich seine Existenz und sein Funktionieren ableiten. Und da Bildung – im Gegensatz zu sonst fast jedem anderen Gut auf Erden – nicht dem wirtschaftlichen Grundprinzip der Knappheit unterliegt42, vermag dies auch ohne Ausbeutung der einen zugunsten der anderen bewerkstelligt zu werden. Fichte sieht folglich auch »Kultur«43 als zentrales Ziel des Staates an.44 Solcherart ist der späte Fichte von 1812 nicht mehr rückwärtsgewandt wie 1796 darum bemüht, die Paradoxien des liberal-aufklärerischen Staatsdenkens – Freiheit durch Zwang – aufzuweisen, sondern geradezu im Gegenteil. Gleichsam im Sinne der Platonischen Politeia und der Nomoi in idealer Zusammenschau ist abschließend zu formulieren: Kein Zwang ohne Bildung, »die Zwangsanstalt ist nur dann eine Rechtsanstalt, wenn sie zugleich Erziehungsanstalt ist«45 – welch’ ein zutiefst europäisch-abendländischer Gedanke – das Konzept des Kulturstaates – ein Gedanke, der dem europäischen Integrationsprozeß unserer Tage vielleicht einen »Anstoss« in bzw. aus Richtung dessen, was man als europäische Identität verstehen soll, zu geben vermag! Literatur Fischer (1914): Fischer, Kuno: Fichtes Leben, Werke und Lehre. – Heidelberg 1914 (4. Auflage) Heimsoeth (1923): Heimsoeth, Heinz: Fichte.- München 1923 Janke (1999): Janke, Wolfgang: Johann Gottlieb Fichtes ›Wissenschaftslehre 1805‹. – Darmstadt: 1999 41 Wundt (1929), 345–368 widmet einen ganzen Abschnitt seiner Studie »Fichte als Platoniker«. 42 Es ist nun einmal so, daß Bildung das einzige »Soziale Gut« ist, das durch Teilung nicht weniger, sondern im Gegenteil mehr wird. 43 Vgl. dazu auch Lasson (1863), 168, wenn er schreibt: »Dem Staate wird eine sittliche Aufgabe gegeben, nämlich die Beförderung der Cultur, d. h. der Unabhangigkeit von allem, was nicht unser reines Selbst ist.«! 44 Vgl. Verweyen (1975), 268. 45 Fischer (1914), 691.
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Lasson (1863): Lasson, Adolf: Johann Gottlieb Fichte im Verhältnis zu Kirche und Staat. – Berlin 1863 (Nachdruck: Aalen 1968) Stadler (1996): Stadler, Christian: J. G. Fichtes Grundlegung des ethischen Idealismus oder: Transzendentale Deduktion zwischen Wissen und Wollen. – Cuxhaven 1996 Stadler (2000): Stadler, Christian: Freiheit in Gemeinschaft. Zum transzendentalphilosophischen Rechtsbegriff Johann Gottlieb Fichtes. – Cuxhaven 2000 Verweyen (1975): Verweyen, Hansjürgen: Recht und Sittlichkeit in J. G. Fichtes Gesellschaftslehre. – Freiburg/München 1975 Wundt (1927): Wundt, Max: Johann Gottlieb Fichte. – Stuttgart 1927 (Nachdruck: Stuttgart-Bad Cannstadt 1976) Wundt (1929): Wundt, Max: Fichte-Forschungen. Stuttgart 1929 (Nachdruck: Stuttgart-Bad Cannstatt 1976) Zahn (1979): Zahn, Manfred: Einleitung zu: J. G. Fichte: Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre. – Hamburg 1979
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It is well-known that Fichte argues that the sciences of Recht and Sittlichkeit are constructed properly on mutually independent foundations. Some commentators view this separation as the salient weakness in Fichte’s account of natural right,1 while for others this criticism is suggested by their overall objection to Fichte’s theory.2 On the other hand, although the inter-subjective relations that underwrite Recht are basic to the development of one’s self-conception as an individual, the prominent role Fichte’s assigns to Recht in the moral self-formation (Bildung) of rational agents has received considerably less attention. This oversight is understandable, given the absence of any sustained discussion of moral self-formation, much less its connection with Recht, in the Jena Naturrecht. And yet, in the 1812 Rechtslehre Fichte contends that the ultimate aim of the State is 1 See Hansjürgen Verweyen, Recht und Sittlichkeit in J. G. Fichtes Gesellschaftslehre (Freiberg: Karl Alber, 1975), especially 112–113. 2 See Ludwig Siep, Prinzip der Praktischen Philosophie; Untersuchungen zu Hegels Jenaer Philosophie des Geistes (Freiberg: Karl Alber, 1979), 26–36 and Praktische Philosophie im Deutschen Idealismus (Frankfurt: Suhrkampf, 1992), 33–60; Robert Williams, Recognition: Fichte and Hegel on the Other (SUNY Press, 1992), 27–70 and »The Displacement of Recognition by Coercion in Fichte’s Grundlage des Naturrechts,« in New Essays on Fichte’s Later Jena Wissenschaftslehre, eds. Daniel Breazeale and Tom Rockmore (Northwestern University Press, 2002), 47–64; Klaus Brinkmann, »The Deduction of Intersubjectivity in Fichte’s Grundlage des Naturrechts,« in Breazeale and Rockmore, 5–17.
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to prepare (vorbereiten) for the transition from Recht to Sittlichkeit, that is, from civil society to an ethical community of autonomous agents. For Fichte, this transition is perpetually unfinished and thus an infinite task for finite beings. Nonetheless, the role of Recht in one’s self-conception as a rational individual and the State in the integration of rationally selfinterested agents into the institutions of Recht is ultimately to serve a higher end. For Fichte, the final goal of human striving is the achievement of full self-determination, and participation in the institutions of the State is a necessary condition for the possibility of moral formation. Subjecting one’s aims to the demands of reason presupposes a refined self-conception, which, though present as a power intrinsic to the self, must be achieved through rational self-development – hence the centrality of Bildung. In the essay, I outline and assess the function of Bildung in Fichte’s 1812 Rechtslehre. I will argue that the task of Bildung Fichte assigns to Recht highlights two central themes already present in the Jena Naturrecht: (1) a deflationary view of Recht emphasizing the fragility of the concept of natural right, that is, in contrast to some standard interpretations, and (2) a more nuanced view of the independence of right and morality. Defending (1) requires defending Fichte against a common yet prominent objection to his theory of right – in one of its incarnations: how can Recht, which is ultimately underwritten and sustained in Fichte’s theory by the law of coercion, and executed with sheer mechanical necessity, be consistent with the free self-limitation of recognition? And, by extension to my concern: how can an authoritarian State be a necessary condition for the emergence of a moral community of autonomous, rational beings? This paper will proceed as follows. In a brief first section, I will present the strong textual evidence from the 1812 Rechtslehre indicating that the ultimate purpose of the State is to promote a higher end. The second section attempts to accomplish three tasks: (a) an overview of Fichte’s theory of Recht which will show why Fichte maintains that recognition of the other as a free rational being can be fulfilled within the institution of Recht only by participating in the formation of the State; (b) an assessment of criticisms of Fichte’s view, particularly those that diagnose inconsistencies in his theory or disingenuousness in his presentation; (c) a partial defense of a deflationary reading of Recht. The final section is devoted briefly to showing the way in which the State is an instrument of Bildung.
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I. Fichte states unequivocally that the only legitimate final purpose of the State is Sittlichkeit and that, accordingly, the political rectitude of any given State should be judged by the degree to which it meets this criterion.3 This means that the State’s penultimate end – the preservation of the institutions of Recht – prepares ultimately for the ideal dissolution of those institutions: »Die erste Entwickung der Freiheit ist die, daß der Staat, als willenbewegendes Prinzip, wegfällt. Er geht darum darauf aus, sich aufzuheben, denn sein letztes Ziel ist die Sittlichkeit, diese aber hebt ihn auf.«4 Fichte’s point is this: the true pinnacle of human aspiration is moral freedom, absolute rational self-determination. Although we have the capacity to develop that freedom, doing so involves the exercise of a sophisticated and exacting form of practical rationality, requiring extreme discipline and »moral« education. But since the average citizen enters the State without any clear concept of moral freedom,5 civil institutions must facilitate the development of that freedom. Given that everyone ought to be morally free and that the State’s purpose is to make possible the transition to Sittlichkeit, that transition ought to be accomplished. Fichte writes: »Bildungsanstalten zur Freiheit, zum Vermögen, einen Willen als erstes und anfangendes zu haben, über den Staat hinaus, sich selbst Zweckbegriffe zu setzen, und übersinnliche, seien die Verpflichtung des rechtmäßigen Staates, sagte ich.«6 The effective power of projecting non-sensuous goals, which involves a form of practical rationality higher than prudence, is moral freedom. Before one graduates to the practice of moral freedom, one already must possess a level of practical rationality that enables one (1) to project and accomplish individual goals leading to a basic self-conception and (2) to subject one’s personal desires and goals to a universal end distinct from, though necessary for, the accomplishment of those goals. By demanding the development of (1) and (2), the State facilitates the realization of its ultimate purpose: assisting the citizen in rising above her sensuous or pathological inclinations and aspiring to pure freedom and rational self-determination. From the perspective of the moral law, the law of right thus compensates for the fact that the demands of the moral law have yet to be instantiated in public life and provides necessary preparation for the transition to Sittlichkeit. Fichte writes: »Der Rechtsgesetz findet darum eine 3 4 5 6
Das System der Rechtslehre (1812), SW X, 539f. SW X, 542. SW X, 540. SW X, 541.
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Einwendung nur, inwiefern das Sittengesetz noch nicht allgemein herrscht, und als Vorbereitung auf die Herrschaft desselben.«7 In sum, the State employs external and sensible means to ensure (and demand!) that every citizen attains the freedom to project and accomplish moral aims. And moral freedom will remain elusive to the agent whose self-conception is tied solely to the fulfillment of rational self-interest.8 The provenance of Fichte’s vision is Rousseau’s view that rational self-interest is a necessary stage in the development of higher moral freedom attainable only within the liberal state. Defending this claim with appropriate thoroughness exceeds the scope of this essay. But Fichte’s general indebtedness to Rousseau seems evident enough, and my argument in section two could be read as a prima facie case that Rousseau, and not Hobbes, provides the proper background for understanding Fichte’s theory of right. II. Recht when viewed as a legal concept or institution presupposes dispute. As Fichte writes early in the 1812 Rechtslehre, »Giebt es keinen Möglichkeit der Störung, so giebt es keinen Rechtsbegriff.«9 How so, recalling that recognition, from which Recht is derived, does not entail dispute? For Fichte, Recht is a legal concept and thereby supervises primarily legal relations between individuals. Lest this claim appear unnecessarily contentious, consider the degree of rational self-conception possessed by individuals in a rightful relation. When I recognize another person as a free, rational being, I attribute to her a certain self-conception as a person; that is, I assume that she has at least a minimal self-understanding, which is continually enriched as she sets goals for herself and seeks to accomplish them. In sum, I assume that she can exercise some degree of prudence by freely pursuing ends that maximize her well-being. But my recognition of her does not entail that I think of her as more than a rationally self-interested agent. When I grant to her the legitimacy of her free efficacy in the world, I assume that she will pursue prudential interests. This is why Fichte makes the commonplace observation that the nature of contracts presupposes that contracting parties seek an agreement in order to fulfill their own individual interests. And, of course, contracts presuppose at least the pos7 8 9
SW X, 502. Emphasis mine. SW X, 539. SW X, 501.
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sibility of dispute, namely, two parties seeking to appropriate the same means for their respective ends.10 But the potential for conflicting ends exists from the beginning within the initial inter-subjective relation of recognition. The law of right, thus Fichte contends, presupposes (1) a plurality of rational beings, (2) a loosely associated community of spheres of interest with the possibility of one party intruding upon another’s sphere, and (3) the inability to prevent intrusion by a higher law.11 Recognizing another as a free, rational being means that I respect her as a free efficacious agent. And since being free requires that she can determine her future, my recognition of her extends to her future. Recht, as Fichte avers, has an »Ewigkeit Integrität.« Although I am obligated (conditionally) to maintain my recognition of another consistently, my recognition of her at time t1 obviously does not entail that I will continue to treat her rightfully at t3. The expectation that her freedom will be respected in the future thereby is a mere postulate or ought.12 Accordingly, a promise or declaration of my intent to respect someone’s freedom consistently and perpetually is insufficient to assure her that I in fact will do so. Promises do not entail a rightful relation, thus the necessity of civil enforcement. Only within the State is one’s freedom secure, and this is why Fichte declares that »Alles Recht ist Staatsrecht.«13 For the State to preserve a rightful community it must have the power to preserve Recht with mechanical necessity. Fichte’s vision of the State is a community which projects Recht as its sole aim and whose very willing of Recht establishes its enforcement power. A genuine rightful community exists only where everyone wills Recht solely for the sake of Recht, and this is precisely why the State alone can embody the requisite will. In short, a rightful community requires the willing of Recht as the single purpose of those within the community. And this criterion simply cannot be met by the rational self-interested agent whose rational justification for participating in the State is purely prudential. If I will Recht and the existence of a civil community to fulfill my own rational aims, then my commitment to the rightful community remains conditional (as long as my rational interests continue to be maximized), and the imperative to sustain my commitment is hypothetical. This is precisely why Fichte insists that entering the unification or citizen contract is a necessary and sufficient condition for becoming a genuinely 10 11 12 13
SW X, 519. SW X, 503. SW X, 503. SW X, 499.
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rechtliches Subjekt.14 Fichte’s crucial point is this: outside the institutions of civil society – and thus apart from any refined sense of moral freedom and duty – individuals pursue rational self-interest, precisely because their own practical self-conception has not advanced to the point where they can will universal ends. Although they enter the state for prudential reasons, by subjecting their aims to the coercive power of the State, whose sole end is the preservation of Recht, they thereby subject their interests to the universal aim of the rightful community. In this way, they prove the sincerity of their recognition of the other in the only way they can, namely, by their willingness (even though for prudential reasons) to submit to State oversight. The aim of the State – Recht for the sake of Recht – compensates for the prudential aims of those entering the State. One important ingredient in my deflationary reading of Recht and Anerkennung has already begun to emerge, that is, my claim that the rational self-conception of individuals unformed by the institutions of the State does not enable them to transcend rational self-interest. Such individuals are akin to the Rousseauean savage who has developed a strong enough capacity for self-reflection to project and pursue with rational selfawareness ends promoting her well-being. I reject the view, however, that Fichte’s theory of Recht is based, even unwittingly, on the unacknowledged assumption of rational egoism, at least not in its Hobbesian variety. Nor do I accept the criticism that Fichte’s theory is undermined by any egoist thesis, though both accusations are prominent in the secondary literature. For Fichte Recht presupposes dispute, precisely because, according to a salient theme in the literature, Fichtean agents are Hobbesian egoists. As a result, (1) Fichte cannot navigate a transition from a plurality of atomistic egoists to the organic unity of a volunté générale, and (2) his commitment to a »universal egoism«15 undermines the theory of recognition on which Fichte’s theory of Recht is supposedly based. Hans Verweyen advances (1). In his view, the transition from an aggregate of purely private interests to a genuinely positive communal will is an irresolvable non-sequitur. Fichte thus hopelessly attempts to reconcile an inchoate collection of exclusively self-interested wills with an investment in mutually acknowledged and shared rights and duties. Predictably, no authentic community emerges: »Dieser »Gemeinwille« ist aber immer noch kein qualitatives oder gar organisches Ganzes – aus 14 »Diese Leistung des Beitrages allein ist die Rechtszueignung.« SW X, 515. 15 This description is employed by Andreas Wildt. See his Autonomie und Anerkennung: Hegels Moralitätskritik in Lichte seiner Fichte-Rezeption (Stuttgart: Klett-Cotta, 1982), 277.
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Quantität wird nie Qualität.«16 The weakness in Fichte’s account, as Verweyen sees it, is the strict separation between Recht and Sittlichkeit. Without moral transformation the Fichtean egoist remains an egoist even after being integrated into the State, thus the charge that the State cannot embody a communal will. I think that we should resist Verweyen’s criticism. Even if agents enter the unification or citizen contract from prudential motives, it does not follow that their individual decisions will not produce an organic bond among them. As Fichte stresses in the Jena Naturrecht, the unification contract is a unique form of protection contract within which each party remains ignorant of whom she is to protect. By being obligated to no specifically identifiable individual, she is bonded to all. Equally important, this indeterminacy of the party she is to protect forms an image of an interconnected, organic protectorate providing a compelling prudential reason for her to enter the State.17 Ludwig Siep and Robert Williams offer strong defenses of (2). The core of their objection is this: the inherent respect for the other intrinsic to recognition – that I offer tangible affirmation of her right to appropriate a determinate sphere within which to exercise her free efficacy – and the mutuality emerging from such respect is undermined by Fichtean egoists against whose potential violation of recognition the coercive power of the State must be enlisted. Thus, Fichte shifts from rightful relations based on recognition to coercion. Recognition becomes extraneous, thereby proving that Recht is an external and contrived inter-subjective relation. This is a serious objection, but one I think cannot be sustained by Siep’s and Williams’ arguments. The problem, as I shall argue, is not an inconsistency in Fichte’s theory or (worse) the ultimate irrelevance of recognition, but rather the fragility of the concept of Recht. Siep and Williams attempt to harvest more from recognition than that concept can yield, partly because, especially in Williams’ case, they read ethical categories into recognition as a rechtlich relation. But until rational agents are properly educated, they are not capable of genuine ethical recognition of one another. The primary weakness in Fichte’s theory, according to Siep, is that recognition is a presumed fact of life in the State but is never the intention of one’s actions. Since everyone’s intentions are egoistic, selfpreservation, not recognition, becomes the basis for the institutions of 16 Verweyen, 112. 17 I have defended this point at length elsewhere. See »Political Obligation and the Imagination in Fichte’s Naturrecht,« (in: Rights, Bodies, and Recognition. New Essays on Fichte's »Foundations of Natural Right«, hrsg. v. Daniel E. Breazeale und Tom Rockmore (Aldershot, England und Burlington, Vt.: Ashgate, 2006), 166–183).
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Recht. Thus the shift in Fichte’s presentation from recognition to the law of coercion is the natural result of a shift from free mutual recognition to a pre-occupation with the certainty of one’s own security.18 Yet the shift is precipitous unless one admits that rational egoism, and not recognition, is the linchpin. And if egoism is central to the theory, coercive preservation of rightful relations seems to enforce recognition against the will of selfinterested agents. State coercion cannot be consistent with an agent’s freely limiting her self for the sake of the other.19 Siep’s objection is this: if an agent’s recognition of another turns out to be motivated by rational self-interest, then recognition remains at best her penultimate intent which could be trumped in the future by conflicting self-interest. Making recognition subservient to self-interest undermines recognition and thereby necessitates the enlistment of State coercion. We can sustain this objection, however, only if we expect agents who mutually recognize each other to be capable of subjecting their will to non-prudential ends – that is, to submit themselves to ends irrespective of their desires and inclinations. But this expectation is unreasonable unless we assume that mutually recognized agents possess the necessary rational refinement to exercise moral freedom. Until rational agents have been integrated into the institutions of Bildung, they have yet to develop this higher expression of practical rationality. The key error in the Siep-Williams objection that I have been developing is their assumption that the Aufforderung and Anerkennung are addressed and extended respectively to the other on the basis non-self-regarding motives. This is why Williams writes: »In this way the suspicion, mistrust, and violence of the state of nature are supposed to be overcome.«20 Ostensibly, one recognizes the other for the sake of the other. I contend, however, that specific motive cannot be read back into the concept of recognition. Here Fichte follows Kant’s formulation: a rechtlich relation allows for various motives. Fichte argues, for instance, that for Cinnamon and Joe to possess the self-understanding requisite for being free efficacious beings, they must recognize one another mutually as free beings. That is, Cinnamon’s self-conception as an efficaciously free being requires that her self-conception be acknowledged by Joe. And acting effectively on her self-conception presupposes that Joe continues to respect her freedom. Yet no specific motive for Joe’s recognition is intrinsic 18 Siep, Prinzip der Praktischen Philosophie: Untersuchungen zu Hegels Jenaer Philosophie des Geistes, 35. 19 Siep, Praktische Philosophie im Deutschen Idealismus, 57. 20 Williams, »The Displacement of Recognition by Coercion in Fichte’s Grundlage des Naturrecht,« in New Essays on Fichte’s Later Jena Wissenschaftslehre, 51.
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to his act of recognition. If recognition is a necessary condition for Cinnamon or Joe to develop a practical self-conception, reference to motive seems clearly misplaced within the initial act of recognition. As Cinnamon begins to construct some self-conception by her free and efficacious actions in the sensible world, the initial stage in the development of that selfconception will be shaped by enlightened self-interest, as Rousseau had argued. Recht is thus a fragile concept once its implementation begins, precisely because of the rational immaturity of the initial agents who enter rightful relations. Siep’s argument implies that recognition involves non-prudential motivation. Williams, however, is more to the point. In addition, he interprets recognition as liberation from the strife of a state of nature, which assumes that recognition is a transformation from a prior state of affairs. Both claims, I contend, are incorrect. Williams maintains that Fichte has two distinct views of community in his theory of right: (1) a community based upon recognition, »which effects a transition from a state of nature to a civilized condition grounding social contract and rights in inter-subjective freedom,«21 and (2) a coercive community to alleviate concerns for security. The unsurprising result is an antinomy: on the one hand, Fichte argues that mutual recognition alleviates the insecurity and mistrust of the state of nature; the telos of recognition is liberation. On the other hand, recognition is violated, and legal relations are sustained solely by muscle.22 To resolve the antinomy Fichte opts for the second model and abandons recognition as a foundation for Recht. I find no justification, however, for the claim that a Hobbesian state of nature lies behind the initial state of recognition. Hobbesian egoists are rational egoists presumed to possess a self-conception sufficient to pursue interests which are believed rationally to advance their self-preservation. Fichte argues, by contrast, that recognition is a necessary condition for someone to have any genuine self-conception. If no state of nature, therefore, lies behind recognition, the latter cannot effect a transformation from the former. Williams continues: »…Fichte does not indicate any changes or transformations that recognition effects in the recognizing selves, no breaking down of barriers, no breaking through of limits, no ethical transformation. Yet it was precisely such inter-subjective mediation and transformation of freedom and self-identity that mutual recognition was supposed to provide and thereby take care, at least in principle, of such issues
21 Ibid. 54. 22 Ibid. 56f.
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as trust and confidence.«23 Recognition for Fichte, of course, is a legal and ethical concept, though legal recognition and ethical recognition are distinct concepts. Recognition of someone from the perspective of moral obligation requires that I respect her solely from duty. But I cannot graduate to acting exclusively from duty until I learn to project universal aims even if the motivation is prudential. Again, I must be initiated into the institutions of Bildung. For this reason, it is illegitimate to invest the recognition underlying natural right with ethical categories. The primary deficiency in the literature cited is the failure to appreciate the centrality of Bildung in the self-formation individuals, namely, in their sense of who they are as rational agents. Although Fichte does not develop this theme in the Jena Naturrecht, I think one can argue persuasively that one of its core components is intrinsic to his early theory – that to act from moral, as opposed to prudential motivation or intention, requires a level of rational sophistication that exceeds the capability of agent conceived as abstracted from civil institutions. Accordingly, I discern no shift in Fichte’s basic theory (on this point at least) from the Jena Naturrecht to the 1812 Rechtslehre. Bildung in Fichte’s overall theory projects three stages in one’s self-formation with the ultimate end being fully developed rational selfdetermination. An agent must first be able to project and achieve goals based upon some self-conception, which can be formed only by projecting and attaining her goals. Mutual recognition is a necessary condition for her self-conception, precisely because recognition is a necessary requirement for understanding herself as an agent who can freely project and reach goals. Second, she must learn to subject her prudential aims to a higher universal aim, even though initially her motive and/or intention remain self-regarding. The initial step in this direction is taken when she subjects her private aims to the oversight of the State. Integration into civil institutions teaches her to will the universal. And willing what is universal provides the setting within which she can graduate to moral freedom: willing universal, non-sensuous goals for the sake of duty itself. Bildung is thus the gradual liberation from pathological desires and inclinations, which also liberates reason from subservience to pathology as prudential reason to true autonomy. Once our agent’s sense of practical rationality allows her to exercise moral freedom, she can begin to act consciously on the twofold demand of the categorical imperative: subject everything in
23 Ibid. 57f.
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the sensible world to my own morally rational aims, and do not subject others to my aims, but leave them be.24 III. Fichte maintains that the State’s ultimate purpose is the Bildung of its citizens, that is, to facilitate their self-formation to the pursuit of ends beyond the perpetuation of the State. Civil institutions maintain rightful relations among citizens but more importantly influence their self-conception by introducing them to a higher form of practical rationality whereby they begin to liberate themselves from desires and inclinations. By compelling citizens to act for the good of all, civil institutions enable citizens to realize that true freedom – and genuine autonomy – is not the false autonomy of prudential reason. When individuals freely choose to obligate themselves to the State as citizens, they do so initially for self-interest, hence Fichte’s description of this decision as a lawless choice: »Ihnen heißt Freiheit, gesetzlose Willkühr.«25 Upon entering civil society individuals are not yet capable of transcending their desires and personal interests when projecting their goals. The first task, Fichte observes, is to instill a sense of loyalty to the pursuit of less pedestrian goals and thus give birth to a commitment to ends other than self-preservation. Fichte writes: »Der gewöhnliche Gang der Menschen aber ist, daß sie erst durch Loyalität zur Sittlichkeit kommen, die Wildheit erst gezähmt, die Zügellosigkeit gebrochen werden muß. Also ihr Wille muß erst durch das Gesezt gezähmt werden: dies ist die Vorbereitung.«26 This sense of loyalty and investment in the civil society is formed by civil institutions. Work is the primary institution by which one is initiated and integrated into civil society. In pursuing her vocation the citizen contributes to the well-being of the community and learns to advance goals that transcend mere self-interest. To preserve and enhance the educational value of commitment to community Fichte restricts property rights to the amount of land a citizen actually can manage. In short, absentee ownership is forbidden because property rights are indexed to the necessities for advancing one’s substantive freedom. »Die Spitze und der Endpunkt«27 of all 24 System der Sittenlehre nach den Principien der Wissenschaftslehre, 1798, SW IV, 230. 25 SW X, 540. 26 SW X, 607. 27 SW X, 541.
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remaining property is to provide the opportunity and arena within which citizens can become moral beings and fulfill their power to be an image of God. One final observation: the State’s educational influence upon its citizens, as Fichte acknowledges, is inherently limited because it can never ensure the inner, thus moral, transformation of its citizens. Since State institutions employ »sensible« and »external« means to demand that citizens understand what it means to attain moral freedom and to recognize their obligation to strive for that freedom, institutional influence remains political – that is, citizens may become more rechtlich but not thereby necessarily morally free. As Fichte stresses, civil education is not akin to training a horse; the State does not mold its citizens to be subservient to an alien will, but rather ostensibly to assume the responsibility for true selfdetermination in working out the demands of autonomy. The ideal is moral genius for whom the State has become obsolete. Only with these limitations in mind can Fichte’s vision of the State be consistent with this striking claim made early in the 1812 Rechtslehre: »Wie der Staat, der neben seiner Rechtlichkeit zugleich sittlich ist, die beiderseitigen Anspüche zu vereinigen habe, werden wir sehen.«28 I find this claim dubious, unsubstantiated in the text, and inconsistent, if taken as a strong thesis, with the overall theory Fichte defends.
28 SW X, 506.
L’instauration d’un ordre juridique juste d’après Fichte (1812–1813)1
Claude Piché (Montréal)
«Nous avons enrichi la Rechtslehre d’un concept clair en lui-même et très important: la théorie de l’instauration du règne [Reich], qui a été presque universellement méconnue jusqu’ici.«
Cette phrase, tirée de la Staatslehre de 1813 (StL, SW IV, 438), souligne ce que Fichte considère comme un apport significatif de sa théorie du droit, à savoir l’élaboration d’une solution au problème de l’instauration concrète d’un ordre juridique juste. Il s’agit là d’une question d’application de la théorie juridique qui cadre très bien avec les préoccupations de Staatslehre puisque, d’après leur titre initial, ces leçons portent sur des questions de »philosophie appliquée». D’ailleurs les leçons d’où est tiré l’extrait ci-dessus traitent précisément de »l’instauration d’un règne rationnel». Tel est donc le passage de la Staatslehre qui va retenir notre attention ici. Or, on l’aura noté, l’extrait fait également allusion à la Rechtslehre, à laquelle Fichte avait consacré une série de leçons l’année précédente. Et c’est un fait que la question de l’édification d’un ordre juridique juste y est aussi abordée, notamment dans une section portant sur la constitution intitulée »Fondation absolue du droit dans la réalité« (RL-1812, 1 Staatslehre.
J’aimerais ici remercier Grégoire Lacaze pour ses judicieuses remarques sur la
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SW X, 627). Comme nous allons le voir, ces deux passages, celui de 1812 et celui de 1813, se recoupent en ce qu’ils partagent un même ordre de préoccupations, du moins quant à leur propos général. Si l'on examine toutefois la solution proposée au problème de l’implantation d’un régime juridique juste, les scénarios envisagés dans chacun de ces textes diffèrent considérablement, ce qui étonne quand on pense qu’une année à peine sépare les deux versions. Dans ce qui suit, nous allons procéder à une comparaison des principaux éléments de réponse introduits de part et d’autre. Nous serons alors à même de réaliser que ces réponses divergent en raison d’un certain déplacement dans la manière de poser le problème qui s’est opéré entre la Rechtslehre et la Staatslehre. En reformulant la question dans ses leçons de 1813, Fichte est en mesure non seulement de surmonter l’échec rencontré dans la Rechtslehre, mais il parvient de surcroît à mettre en valeur un aspect du problème qui avait été négligé en 1812: la nécessité de rendre compte auprès des citoyens du bien-fondé de la contrainte légale. Cet aspect du problème, qui est en vérité absent de la solution que propose la Rechtslehre, n’est pas qu’un complément apporté à la question de l’application de la contrainte légale. Au contraire, il attire l’attention sur la légalité même de cette contrainte, voire sur sa légitimité. Or cette dimension n’est pas traitée dans la Rechtslehre, où la solution du problème de l’implantation d’un régime juridique juste porte sur la recherche de la personne (le souverain) qui présente la »volonté la plus juste». Nous allons voir qu’en revanche la recherche dans la Staatslehre du dirigeant doué de l’ »entendement le plus élevé« permet de prendre en compte la question de la légitimité du pouvoir de contrainte et de fournir un mode de nomination du dirigeant souverain qui, du moins en principe, surmonte l’échec rencontré par la Rechtslehre. 1. Rechtslehre (1812) – La volonté la plus juste Dans la section de la Rechtslehre consacrée à l’implantation du droit »dans la réalité», Fichte entame la discussion en s’interrogeant sur ce que signifie »avoir des droits « ou encore vivre dans un cadre juridique. Il affirme qu’un tel cadre implique que les droits de chacun sont protégés et qu’en vertu de la contrainte mécanique (mechanische Gewalt) dont la loi est assortie, ces droits ne peuvent être impunément violés. Mais à cela s’ajoute une condition: il faut que les lois soient justes (gerecht). Le problème à résoudre consiste donc à veiller à ce que les lois soient édictées
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selon les principes de la justice. Or, pour ce, il est besoin d’un dirigeant dont la volonté est juste. »Ceci se produit par une volonté qui de manière générale (dans la législation) tout autant que dans chaque cas particulier (dans l’application de la loi) est juste…« (RL-1812, SW X, 627). On le voit, le problème de l’instauration d’un régime juridique juste est posé dans des termes qui ne sont pas sans rappeler ceux de Kant dans son Idée d’une histoire universelle au point de vue cosmopolitique. Comme Kant, Fichte est à la recherche du dirigeant juste, c’est-à-dire de personnes qui soient prêtes à faire abstraction de leurs intérêts particuliers dans l’exercice du pouvoir et dont la volonté soit en mesure de s’élever à l’ »universel« sans jamais y déroger. »La tâche consiste dès lors à trouver une volonté pour laquelle il est absolument impossible de ne pas être la volonté commune, et à la mettre en place« (RL-1812, SW X, 628). Devant un problème d’une telle ampleur, Kant, on le sait, désespère de trouver une solution concrète. Comment en effet établir la formule qui puisse garantir que le souverain ne s’écartera pas de la volonté commune (gemeinsame)? Fichte ne parviendra pas dans la Rechtslehre à fixer une procédure juridique qui le satisfasse pleinement, mais il n’est sans doute pas inutile d’examiner les raisons qui dans chacune des formules proposées expliquent l’échec rencontré. Les procédures à mettre en place pour parvenir à un ordre juridique parfait sont de deux ordres, que la Rechtslehre présente en deux propositions succinctes (RL-1812, SW X, 629): 1 – le dirigeant doit être le meilleur, 2 – le meilleur doit diriger. On remarquera que dans les deux cas il est fait référence au »meilleur». Or, il faut se garder ici de prêter d’emblée à ce terme une coloration morale. À l’évidence, une volonté juste du point de vue juridique risque fort d’être au même moment une volonté moralement bonne. Et l’inverse est encore plus vrai, comme nous allons le voir. On sait du reste que la Rechtslehre indique explicitement que le droit constitue la condition de possibilité de la réalisation d’une communauté morale.2 Mais du même coup, l’introduction insiste sur la séparation nette qui doit prévaloir entre le droit et la morale. Dans ces conditions, il convient d’être attentif à la terminologie employée par Fichte. Ainsi, le mot »meilleur« dans les propositions ci-dessus ne désigne rien de plus que la »volonté personnelle du 2 Sur ces questions, voir. A. Renaut, »Fichte: le droit sans la morale?«, Archives de Philosophie, 55, 1992, 221–242.
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droit« ou encore la »volonté personnelle juste« (rechtlich, RL-1812, SW X, 629). Le problème à résoudre est donc juridique et les procédures envisagées conservent aussi en elles-mêmes un statut purement juridique. Cela n’exclut évidemment pas que, tout comme Kant, qui estime que la recherche d’un dirigeant juste doit se porter du côté d’un être doué d’une »volonté bonne»3, Fichte fasse à son tour intervenir dans les solutions envisagées des éléments relevant de la morale. Mais il ne confond pas les niveaux et cherche encore moins à déplacer les questions juridiques sur le terrain de la morale. Dans la première voie explorée, il s’agit non pas tant de porter au pouvoir un dirigeant juste en lui-même que de faire en sorte que l’autorité en place évite de commettre des faux pas et maintienne le cap sur l’idéal de justice. Fichte examine en l’occurrence la pertinence d’introduire dans la constitution des instances susceptibles de contrôler le dirigeant souverain dans son action politique. C’est pourquoi le texte précise: »le dirigeant doit (soll) être le meilleur», c’est-à-dire le meilleur possible en tant qu’il est placé sous surveillance. Or, cette solution est fort problématique quand on envisage, par exemple, de scinder le pouvoir étatique pour faire en sorte que chacun des organes du gouvernement puisse assurer un contrôle sur les autres organes. Cela conduit aussi Fichte à réitérer son refus d’une structure du pouvoir subdivisée en exécutif, législatif et judiciaire. Comment en effet concevoir que chacun des organes ne cherchera pas à assurer sa suprématie sur les autres et à les réduire à un rôle subalterne? Aussi le pouvoir étatique est-il à ses yeux insécable. On peut en dire autant des tentatives de placer au dessus du gouvernement une instance de contrôle ultime, puisqu’une telle instance porte d’emblée atteinte à la souveraineté du pouvoir. De deux choses l’une: ou bien le dirigeant est investi de tous les pouvoirs, ou bien on maintient au-dessus de sa tête une instance qui, par son droit de regard, le prive de la jouissance exclusive de l’autorité politique. Par là, Fichte radicalise les réticences qu’il avait déjà formulées à Iéna à propos de sa propre théorie de l’Éphorat. Si les Éphores détiennent à tout moment le privilège de contester l’autorité politique du dirigeant et de convoquer le peuple, voire de l’amener à se soulever, c’est dire que le dirigeant ne possède pas vraiment les pleins pouvoirs et qu’il ne les a jamais possédés. Ceux-ci sont dans les faits détenus par les Éphores. Il faudrait alors songer 3 AA VII, 23.
Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, 6. Satz,
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à une autre instance de contrôle, veillant cette fois sur les agissements de l’Éphorat. Qui peut donc exercer un contrôle sur cette instance? L’Éphorat lui-même? Cela est évidemment exclu.4 Le gouvernement? Celui-ci s’empresserait évidemment de neutraliser un tel pouvoir de nuisance. Quant au recours à cette instance qu’est le »jugement du peuple», Fichte reconnaît que si celui-ci est formellement toujours juste, l’exercice concret (materialiter) de ce jugement ne lui inspire guère confiance. Ce qui devient d’ailleurs évident lorsque l’on examine la seconde solution envisagée par Fichte pour résoudre le problème de l’instauration d’un régime juste. La seconde solution mise d’emblée sur un dirigeant qui soit juste en lui-même. Un tel être ne peut en effet vouloir qu’un ordre juridique parfait. La formule fichtéenne qui résume cette alternative est donc la suivante: »le meilleur doit gouverner». Comment dès lors doit-on procéder pour porter au pouvoir, à l’aide de mesures juridiques, la volonté la plus juste? Fichte explore deux pistes de solution – qui s’avèrent à terme également impraticables – pour résoudre le problème de l’accession au pouvoir d’un être bon et, par voie de conséquence, juste: l’abdication et l’élection. Dans le premier cas, il n’est aucunement à prévoir qu’un prince ou un roi en poste se résoudra de lui-même à céder sa place à un être bon. Et ce, à plus forte raison, si ce prince ou ce roi est mauvais (schlecht). Mais même si le dirigeant peut être qualifié de bon, il n’y a pas lieu de croire qu’il acceptera de renoncer à son poste au profit de quelqu’un qui est réputé lui être moralement supérieur. En effet, cette qualité morale relevant de la »conscience immédiate», il est malaisé de l’évaluer chez autrui à partir de l’expérience (RL-1812, SW X, 634–635). La conviction morale et la disposition personnelle à la justice se dérobent en fait au monde sensible. Pourquoi alors prendre le risque de concéder le pouvoir à un homme dont on ignore les motifs profonds? On préférera dans ce cas le statu quo, si bien qu’il y a peu d’espoirs à entretenir du côté des dirigeants en poste. Quant à l’accession au pouvoir du meilleur à la faveur d’une élection, les perspectives ne sont guère plus encourageantes. Si l’on songe, par exemple, au suffrage universel, il faut s’attendre à ce que le peuple appelé aux urnes soit incapable de distinguer parmi les candidats en lice l’être normalement bon. Il faudrait, nous dit Fichte, que les individus se connaissent d’abord eux-mêmes, afin de pouvoir apprécier autrui. Ce qui n’est pas le cas. Dans ces conditions, il n’y a pas lieu de s’étonner de voir Fichte stigmatiser dans ces pages, à titre d’exemple, le déroulement concret de la 4 Cf. Guiseppe Duso, »La philosophie politique de Fichte: de la forme juridique à la pensée pratique«, Études Philosophiques, 2001, 58f., 65.
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Révolution française. Il n’y a rien à attendre de la voix de la majorité. Toutefois, l’autre cas de figure envisagé par Fichte en rapport avec l’élection d’un sage ne manque pas d’intérêt pour nous, notamment en regard de la solution que proposera, au cours de l’année suivante, la Staatslehre. Il s’agit de la solution qui consiste à confier à l’ensemble des sages de la nation l’élection du dirigeant juste. Cette hypothèse apparaît au départ intéressante, mais Fichte s’empresse de l’écarter, pour des raisons analogues à celles qui faisaient que le bon roi ne prend pas le risque de céder son trône à un être prétendument meilleur. L’impossibilité de scruter la conviction intime d’autrui fait qu’un être bon hésitera, par amour pour le bien, à confier les affaires de l’État à un autre qu’à lui-même. Or les sages appelés à élire le dirigeant souverain réagiront précisément de cette manière. Chacun s’abstiendra de se prononcer, si bien que la procédure est vouée à l’échec. Prenant acte de ce double échec, le chapitre de la Rechtslehre auquel nous nous référons ici se clôt sur l’invocation d’une instance suprasensible: le »gouvernement divin du monde« (RL-1812, SW X, 635, 649). L’échec des solutions envisagées entraîne donc un recours pour ainsi dire à la grâce de Dieu. Et en ceci le dernier mot de Fichte dans ce texte n’est pas sans rappeler l’impasse à laquelle Kant faisait face dans son Idée d’une histoire universelle. Ce qui nous amène à la deuxième tentative de résolution du problème juridique élaborée par Fichte. 2. La Staatslehre (1813) – l’entendement le plus élevé Si la Rechtslehre visait à établir la procédure adéquate pour porter au pouvoir le »meilleur», c’est-à-dire la personne dont la volonté personnelle soit juste, la Staatslehre pose la question de manière différente, car Fichte entend y résoudre un autre problème relatif à l’instauration d’un régime politique juste. Et il opère ce déplacement de manière explicite. C’est du moins ce que laisse entrevoir le discrédit dans lequel tombe le »meilleur« dans l’extrait qui suit. Fichte passe de la sorte à un autre aspect de la théorie du droit et de son application: »La question ›qui doit être le Zwingherr?’ ne peut plus désormais avoir simplement pour réponse: le premier, le meilleur qui peut le faire. – La question est ici: qui dans les circonstances peut être le Zwingherr, le prince selon le droit?« (StL, SW IV, 442). On voit ici le questionnement se préciser: ce n’est pas tout de faire en sorte que le prince exerçant la contrainte soit juste. Bien sûr, le »meilleur« peut fort bien remplir cet office. Mais la question est alors la
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suivante: saura-t-il gouverner en fonction des »circonstances»? Interviendra-t-il de manière pertinente dans un contexte précis, même si au départ tous les gestes qu’il pose sont conformes aux principes immuables de la justice? C’est la dimension cognitive, éclairée, de l’intervention du dirigeant politique qui est ici en cause. Dans la Rechtslehre, deux réquisits étaient imposés au choix du dirigeant souverain: la connaissance du droit et la volonté ferme et indéfectible du droit. Or le droit est une connaissance rationnelle qui pour cette raison est »absolue« (RL-1812, SW X, 628–629); il s’agit d’un »concept commun [gemeinsam] qui est absolument déterminé« (StL, SW IV, 436). Ainsi, du point de vue de la connaissance requise, la Rechtslehre n’en exige pas plus du »meilleur« qui est appelé à gouverner. Mais voilà que Fichte, dans le Staatslehre, fait intervenir le problème spécifique de l’application judicieuse du droit, qui comporte toujours une dimension contextuelle. Le dirigeant doit dès lors avoir une connaissance de son peuple et de l’époque précise dans laquelle il intervient, car les actes juridiques qu’il est conduit à poser ne sont toujours que des »mesures« (Maassregeln), les plus appropriées en regard de la situation. Ces mesures procèdent d’un acte de jugement qui doit être suffisamment informé. L’importance de la dimension cognitive dans l’exercice du pouvoir amène aussi Fichte à confier celui-ci à l’entendement »le plus grand», »le plus élevé« (StL, SW IV, 444). Ce qui représente un revirement complet de situation par rapport à la Rechtslehre: ce n’est plus d’abord la volonté la plus juste qui est mobilisée par l’exercice du pouvoir, mais l’entendement le plus développé. Fichte tire de ce déplacement du problème un avantage considérable en regard de la question de l’élection du dirigeant politique. En effet, si le degré de la conviction morale et de l’esprit de justice d’une personne est pratiquement impossible à évaluer avec certitude, il en est tout autrement de l’appréciation des connaissances et de l’intelligence du dirigeant. La connaissance se communique et elle peut être appréciée par les autres savants. Fichte parle d’ailleurs ici non pas de savants, mais de professeurs (Lehrer) afin d’indiquer à quel point la communication du savoir est partie intégrante de la démarche de l’entendement le plus élevé. C’est dire que le dirigeant souverain sera recruté parmi les professeurs. Il sera même choisi par eux, puisqu’ils sont les mieux à même d’apprécier le niveau de son entendement. Nous ne voulons pas ici nous arrêter sur la validité de ce processus de nomination du souverain. Il convient plutôt de mener jusqu’à son terme l’argumentation fichtéenne. L’éducation, quand elle a pour objet le droit, ne détient pas qu’une fonction accessoire par rapport à celui-ci. Il ne s’agit pas simple-
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ment ici de veiller à la diffusion des connaissances juridiques. L’éducation a un rôle essentiel à jouer vis-à-vis du droit lui-même en ce que c’est elle qui garantit la »conformité au droit« (Rechtmäßigkeit) de la loi. Puisque la loi juridique est assortie d’un pouvoir de contrainte, seule l’éducation à l’Einsicht, à la compréhension de la nécessité de cette force de coercition peut en assurer le bien-fondé. Fichte précise ici le sens du mot Rechtmäßigkeit à l’aide de verbes tels que »rechtfertigen« et »Rechenschaft ablegen« (StL, SW IV, 442, 440). Cela signifie qu’il n’est pas uniquement question ici de la justesse de la loi juridique d’un point de vue technique. Il s’agit bien plutôt de »justifier« et de »rendre compte« de la contrainte juridique aux yeux des citoyens. Dans ce cas, Rechtmäßigkeit ne désigne pas tant la légalité du droit que sa légitimité. En 1812, ce problème n’était pas traité de manière systématique par Fichte. Les décisions du dirigeant étaient considérées conformes au droit s’il était animé par l’esprit de justice et s’il connaissait le concept pur du droit. Mais la question de la légitimité de son pouvoir et de ses actes comme souverain ne se posait pas. À la lumière des développements de la Staatslehre, Fichte est désormais en mesure de dire qu’un pouvoir ainsi conçu n’est pas légitime, du moins aussi longtemps que la classe des enseignants ne conduit pas le peuple à l’Einsicht, à la compréhension de la contrainte légale. Ainsi, même si le dirigeant selon la conception de 1812 édicte des lois qui sont justes materialiter, son pouvoir n’est pas pour autant légitime. »Ceci est la justification de la légitimité de sa domination, qu’il ne doit pas seulement présenter à Dieu, mais aussi à l’humanité. Sans elle, le Zwingherr serait du point de vue de la forme un tyran et un usurpateur, même si du point de vue du contenu il contraint au droit« (StL, SW IV, 438). Ce jugement rétrospectif est d’ailleurs confirmé par le fait que Fichte revient, plus loin dans le passage consacré à l’«instauration du règne rationnel«, sur le »meilleur« (StL, SW IV, 450–451). Il prétend qu’en l’absence de toute éducation populaire, le »Nothherrscher«, désigné ici comme le »meilleur«, n’obtient sa légitimité que par défaut, c’est-àdire en raison de l’inexistence d’une classe d’éducateurs. En revanche, lorsque cette éducation du peuple devient possible, elle doit à tout prix être mise en œuvre, sans quoi le droit perd toute légitimité: »La contrainte juridique n’est légitime [rechtmäßig] que lorsque l’on procure au peuple contraint une éducation à la compréhension et à la volonté bonne«5. Nous avons retracé chez Fichte le passage d’une théorie du régime juridique juste fondée sur la volonté à une théorie fondée sur l’enten5
StL, SW IV, 438; cf. Excurse zur Staatslehre, SW VII, 575, 578.
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dement. La solution se déplace donc du domaine pratique au domaine théorique. L’éducateur-dirigeant de la Staatslehre n’est-il pas doué de l’ »entendement scientifique commun»? Parce qu’il est commun (gemeingültig), cet entendement est accessible à tous, à commencer par la communauté des éducateurs (Lehrergemeine, StL, SW IV, 590) et parce qu’il s’agit d’un entendement scientifique, la connaissance objective qu’il produit peut à terme être reconnue par tous, ce qui n’était pas le cas de la conviction du dirigeant juste, laquelle demeure à jamais insondable. À l’évidence, la conception fichtéenne de la souveraineté dans le Staatslehre soulève de nombreux problèmes. D’un point de vue juridique et politique, on a certes raison d’éprouver des réticences à confier l’élection du dirigeant souverain à la seule classe des éducateurs6. Mais d’autres questions surgissent également, ayant trait celles-là à la transition non problématique entre la science et l’action humaine. En effet, Fichte voit en toute science une »tendance pratique« et la doctrine de la science, qui régit tout le processus d’éducation chez Fichte, comporte un volet théorique et un volet pratique qui se complètent harmonieusement. Mais la thèse centrale qui soutient l’ensemble de la solution du problème politique développée dans la Staatslehre consiste à dire qu’il est impossible qu’une personne, une fois saisie par l’esprit (divin) de la connaissance, puisse être »mauvaise« (schlecht). Or nous ne pouvons ici discuter cette thèse qui nous entraînerait sur un tout autre terrain, celui de la conception fichtéenne du mal.7
6 Voir à ce sujet Hansjürgen Verweyen, Recht und Sittlichkeit in J. G. Fichtes Gesellschaftslehre, Munich, Alber, 1975, p. 284; Richard Schottky, »Rechtsstaat und Kulturstaat bei Fichte. Eine Erwiderung», Fichte-Studien, 3, 1991, 150, note 57. 7 Cf. Claude Piché, »Le mal radical chez Fichte», dans Fichte. Le moi et la liberté, J.-C. Goddard (dir.), Paris, PUF, 2000, 101–134.
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Das Problem der Souveränität in Fichtes Staatslehre
Gaetano Rametta (Padua)
In diesem Beitrag werde ich die grundsätzliche These zu verteidigen suchen, daß mit Fichtes Staatslehre die dem abendländischen Denken zugrunde gelegte Parabel der politischen Theologie, zumindest in philosophischer Hinsicht, an ihr Ende gelangt. Zugleich impliziert das Ende der politischen Theologie auch den Niedergang des damit verbundenen und davon gestützten, grundlegenden Begriffs der Souveränität. In Zusammenhang mit diesen zwei Aspekten wird schließlich zu zeigen sein, wie Fichte in diesem Text nicht nur der Tradition der Vertrags- und Naturrechtslehre gegenüber exzentrisch vorgeht, sondern auch die Unterscheidung der verschiedenen Disziplinen, aus denen sich die systematische Struktur der WL zusammensetzt, in ein spannungsreiches Verhältnis setzt. Die absolute Tatsache, von der Fichtes Argumentation in der StL ausgeht, ist Christus. Dieser erscheint als die unableitbare Voraussetzung, von der aus ein Verständnis der Geschichte in ihrer Gesamtheit angestrebt werden kann. Vor Christus finden wir eine Welt ohne Freiheit vor. Die politischen Gemeinschaften beruhen, um das kontroverse Vokabular Carl Schmitts wiederaufzugreifen, auf dem Prinzip der politischen Theologie, mit dem Schmitt die theologischen Grundmauern der politischen Theorie des Abendlandes herausstellt. Der Begriff der Souveränität sei der säkularisierte Ausdruck der Idee der göttlichen Allmacht, der von Gott gesegnete Kaiser wird zu dessen Bild auf Erden, seine Entscheidungen sind die welt-
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liche Fassung des göttlichen Schöpfungsakts und der Fähigkeit, in den geordneten Lauf der Schöpfung durch Wunder einzugreifen. Selbst in den modernen Vertrags- und Naturrechtslehren, in der vorgeblichen Wissenschaftlichkeit ihrer philosophischen Konstrukte, welche die politische Macht auf Grund von Berechnungen und rein rationalen Verfahren legitimieren sollen, muß ein Spalt offen bleiben, der auf die überweltliche Dimension der Transzendenz verweist. Dies drückt Schmitt in der berühmten Metapher des ›Kristalls‹ von Hobbes aus, auf die wir am Ende noch einmal zu sprechen kommen werden. Schmitts Begriff scheint mir besonders geeignet, um Fichtes Lesart der antiken politischen Gemeinschaften zu erklären. Laut Fichte beruhten diese Gemeinschaften wesentlich auf der Offenbarung Gottes durch Wunder. Die politischen Anführer waren Männer, die von der Menge für auserwählte und bevorzugte Mittel der göttlichen Offenbarung gehalten werden. Sie sprachen in Gottes Namen und ihre Autorität nährte sich aus ihrer Fähigkeit, Wunder zu vollziehen, das heißt Taten zu vollbringen, die vom üblichen Lauf der Natur abzuweichen schienen. Die soziale und politische Ordnung beruhte nicht auf der freien und unabhängigen Einsicht des Einzelnen, sondern auf dem Glauben an vorgebliche Ausnahmetaten, die wiederum von bestimmten Unterschieden von Kräften und Fähigkeiten der Menschen abhängig waren. Noch konnten die Menschen nicht ihr Denkvermögen einsetzen, um Gott durch die Klarheit ihrer Einsicht zu verstehen. Diese Möglichkeit wurde nun den Menschen eben gerade durch die Ankunft Christi auf Erden eröffnet. Von diesem unwiederholbaren und unwiderruflichen Ereignis an hat jeder Mensch das Recht und die Freiheit, seinem eigenen Verstand und seiner eigenen Einsicht zu gehorchen.1 Eben daher hat die Ankunft Christi endgültig den Lauf der Geschichte verändert. So erklärt sich, daß Fichte das Wort Zwingherr verwendet, um den Machtinhaber in antiken Kulturen zu bezeichnen. Dieser erscheint als Monarch tyrannischen Typs, da seine Investitur, in der kanonischen politischen Form der Moderne, keine Legitimierung vorweisen kann, die sich, zumindest dem Prinzip nach, auf einen Volkswillen gründet. Aber in der Tat: Wer kann überprüfen, daß der Souverän ein authentischer Gesandter Gottes ist? Wie kann er das Recht auf Verwendung seiner Gewalt rechtfertigen? 1
So StL, SW IV, 437.
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Selbstverständlich kann eine solche Frage nur von einem Standpunkt aus gestellt werden, der nicht mehr der Antike angehört und vielmehr den Übergang zu einem neuen und anderen Zeitalter reflektiert. Es handelt sich um die moderne Frage nach der Legitimität in der Gewaltanwendung, die in Hobbes’ Leviathan seine epochale Formulierung findet. Aufgrund der Übertragung der Macht der Verbündeten auf ein anerkanntes Subjekt, das von den Vertragsunterzeichnern als Repräsentant und Verteidiger ihrer gemeinsamen Kräfte beauftragt wird, wird dieses zum Akteur von Handlungen, die ihren Autor in der Gesamtheit aller haben, die vertragsmäßig einen gemeinsamen Körper (Commonwealth) bilden und daher jedes Recht verloren haben, sich den künftigen Entscheidungen des Souveräns zu widersetzen. Ihre Forderung auf Widerstand, so argumentiert Hobbes, käme der Anmaßung eines Verrückten gleich, der sich nicht als Urheber seiner eigenen Taten anerkennen lassen will. Wie man sieht, bedeutet das moderne Konzept von Legitimität, welches das Volk befähigt, einen Repräsentant für die politische Herrshaftsausübung zu ernennen, im selben Augenblick aber seitens der Gemeinschaft die Ausleerung der politischen Handlungsfähigkeit, da von nun an deren Handlungen auf der politischen Bühne vom Akteur verkörpert werden, den die Gemeinschaft selbst ausgewählt hat und gegen dessen Handlungen sie sich nicht auflehnen kann, da es eben jene Handlungen sind, deren Urheberschaft sie, im Hobbes’schen Sinne, nicht von sich weisen kann. Es geht hier nicht darum, die logische Stimmigkeit der Hobbes’schen Argumentation zu untersuchen, sondern vielmehr darum, herauszustellen, wie exzentrisch sich Fichtes Argumentation in der StL Hobbes’ Modell, aber auch allgemein der modernen Vertragslehre gegenüber verhält. In der Tat findet sich in der StL kein Bezug zur Theorie des »sozialen Vertrags«, den Fichte selbst in der GNR verwendet hatte, und die er in der RL-1812 wieder aufgreift. Diese Tatsache scheint uns außerordentlich bezeichnend, nicht nur, um Fichtes spätes philosophisch-politisches Denken angemessen in der Tradition des modernen politischen Denkens einzuordnen, sondern auch, um innerhalb der systematischen Gesamtstruktur der WL das problematische Verhältnis zwischen Recht und Geschichts- und Politikphilosophie aufzuweisen. Tatsächlich genügt es nicht, die gegenseitige Bedingtheit und den unterschiedlichen Erkenntnisstatus zu unterstreichen, der diesen Disziplinen in der systematischen Gliederung der WL zukommt. Daß jeder Bezug zu einer Vertragslehre fehlt, liegt zweifellos auch am eigentümlichen Cha-
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rakter dieser Vorlesung. Man darf nicht vergessen, daß der Titel Staatslehre von den Herausgebern der ersten Ausgabe (1820) gewählt wurde, während Fichte diese als Vorlesung über verschiedene Fragen zur angewandten Philosophie angekündigt hatte. Während einerseits deren Bedeutung in der Abgrenzung liegt, die Fichte zwischen Rechtsphilosophie als transzendentale Disziplin und Geschichts- und Politikphilosophie als Aspekte der »angewandten Philosophie« vornimmt, ist andererseits die Auffassung der Souveränität als Problem, das den Bereich der formal-juristischen Beweisführung übersteigt, höchst originell und philosophisch bedeutsam. Obwohl die politische Philosophie als »Anwendung« der transzendentalen Rechtsphilosophie letzterer unter systematischem Gesichtspunkt untergeordnet ist, scheint sie indessen auf geschichtlicher Ebene für das Verständnis des politischen Problems an einen tieferen und konkreteren Begriff zu rühren als jene selbst. Und wenn der Ursprung der Rechtsdimension auf der Ebene der politischen Dimension und der damit verbundenen Theorien selbst gesucht werden muß, so wird man vielleicht zu behaupten wagen, daß auch unter einem wissenschaftlichen Gesichtspunkt die StL ein Beitrag zum Verständnis von Ursprung und Bedeutung des Rechts darstellt, mehr noch als es eine für sich genommene transzendentale Rechtstheorie leisten könnte. In Hinblick auf unser Thema eröffnet die Beschäftigung mit einer »angewandten Philosophie« für Fichte die Möglichkeit, den theologisch-politischen Kern im juristischen Begriff der Souveränität zu offenbaren. Doch Fichtes Unternehmen geht sogar noch einen Schritt weiter. Indem er den politischen (und theologischen) Kern des Souveränitätsbegriffs durchleuchtet, unterstreicht er zugleich die Tatsache, daß auch dies nicht die letzte Schicht des Begriffs ist. Tatsächlich macht Fichte im Zentrum des Souveränitätskonzepts einen notwendigen Bezug zur Idee der Wahrheit aus, der den eigentlich philosophischen Kern des Begriffs darstellt, welche die WL als ausdrücklichen Reflexionsgegenstand offen zu legen hat. Im folgenden soll sich unsere Analyse der Fichteschen Position auf die Verbindung zwischen Gewaltanwendung seitens des Zwingherrn und philosophisch-wahrheitlicher Schicht des Souveränitätsgedanken konzentrieren. Dergestalt werden auch die Spannungen offensichtlich, die zwischen der historisch-politischen Perspektive der angewandten Philosophie und der transzendentalen der Rechtstheorie bestehen.
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Wie wir gesehen haben, wurde in den antiken Gesellschaften der Machtinhaber von Gott geschickt, um das Recht auf Erden zu verwirklichen, doch ihm fehlt jegliche formale Autorisierung. So kann die Gewaltanwendung des Herrschers nur als gerechtfertigt gelten, wenn der Souverän das richtige Rechtsverständnis hat, oder anders gesagt, wenn die Einsicht des Zwingherrn die wahre ist. Doch eben hierin liegt das Problem: Wer kann die Wahrheit der Sichtweise des Souveräns verbürgen? Wer kann uns versichern, daß sein Rechtsverständnis wahr ist? Da es keine dem machtinnehabenden Subjekt äußere Instanz gibt, wird das intime Gewissen des Souveräns selbst zum einzigen Wahrheitskriterium für dessen Handeln. Der Verweis auf das Gewissen verschiebt zwar, löst aber dieses Problem nicht. In der Tat muß sich nun die Überzeugung, daß der Souverän sein Handeln nach seinem Gewissen zu leiten habe an der Wahrheitsfrage messen: Wer kann deren objektive Wahrheit überprüfen, wenn die Gemeinschaft über das, was wahr und falsch ist, gemäß der Einsicht des Souveräns selbst urteilen muß? Es wäre eine zweite Institution nötig, die jedem die Rechtmäßigkeit des Zwangs verständlich und diesen somit völlig entbehrlich machen würde.2 Wie jedoch noch zu sehen sein wird, kann eine solche Institution erst von der Ankunft Christi aus und in der anschließenden Vervollkommnung der christlichen Botschaft (nach der Version des Johannesevangeliums) in Fichtes WL verwirklicht werden. In dem von uns nachgezeichneten Gedankengang scheint Fichte zumindest teilweise seine Position aus der RL-1812 zu revidieren, wo er sein Jenaer GNR eben in Bezug auf das Thema der Souveränität kritisiert hatte. Fichte verweist auf den Vorschlag, ein Ephorat als Garantie- und Kontrollorgan über den Herrschaftsvollzug einzurichten. Laut RL-1812 geht der Gedanke des Ephorats davon aus, daß das Volk einen eventuellen Streit zwischen Regierung und Ephorat angemessen zu schlichten wisse. 1812 interpretiert Fichte diese Schwierigkeit als Beweis, daß der Rückgriff auf formale Garantieinstitutionen nicht als befriedigende Lösung angesehen werden kann und spitzt seine Behauptung auf die Formel zu, daß der Beste regieren müsse.3 1813 scheint die StL eben diese letzte Formulierung in Frage zu stellen. Die Behauptung, nur der Erste, nur der Beste könne regieren, kann
2 3
StL, SW IV, 437. RL-1812, SW X, 149.
Gaetano Rametta
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nun für Fichte nicht mehr ohne weiteres aufgestellt werden.4 Die Lösung des Problems kann in der Tat nicht auf rein faktische Überlegungen verkürzt werden. Gerade an dieser Stelle, wo die Frage nach der Herrschaftslegitimität aufgeworfen wird, würde der Leser von Fichte erwarten, daß dieser auf die Argumentationsstrategie der modernen Vertragslehre zurückgreift. Im Gegenteil sucht er die Lösung eines Rechtsproblems vom Standpunkt der politischen Philosophie als angewandter Philosophie her zu lösen, als wenn die formal-juristische Beweisführung, selbst auf der Ebene einer transzendentalen Rechtslehre, das Problem der Souveränität nicht lösen könnte. Neu ist an dem Blickpunkt der StL als angewandter Philosophie, daß dadurch das Problem der Herrschaft zwar formal-juristisch gestellt werden kann, man aber auch die geschichtlich-politische Konkretheit der Frage nach der Herrschaft selbst darstellen kann. Dadurch verläßt Fichte das Paradigma der Vertragslehre und dessen logisch-formale Konstrukte um eine neue Untersuchung zu eröffnen, die eine andere Argumentation einleitet. Letztere ist daran interessiert, vorläufige Lösungen zu formulieren, deren intrinsische Widersprüchlichkeit ins Licht gestellt wird. Gleichzeitig stellen sich jene Lösungen faktisch als politische Rhetorik dar, das heißt als Überredungsstrategien, durch die der Zwingherr sein Verhältnis zu den Beherrschten zu rechtfertigen sucht, sowie in Bezug auf sich selbst seine eigene Zwangsanwendung gegen Widerständige. So könnte der Souverän behaupten, daß seine Macht auch mangels einer formalen Autorisierung legitim ist, da sie zu einem Fortschritt in der zivilen Entwicklung der Menschheit führt. Doch was tun, fragt sich Fichte, wenn selbst der Fortgang der Geschichte die Überzeugungen des Souveräns widerlegt?5 Offensichtlich scheint mir, daß Fichte in dem Augenblick, wo er das Problem der Souveränität in geschichtlich-politischer Perspektive zu lösen trachtet, zugleich auch die Politik von dem Verständnis lösen will, sie sei schlichtweg ein Mittel für die Eroberung, Beibehaltung und Erweiterung der Macht. Vom Aufsatz über Machiavelli an läßt sich ein Verständnis von Politik ablesen, das diese davon befreien will, schlechterdings Berechnung der angemessensten Mittel zum Erreichen der eigenen Ziele zu sein (für Fichte bloße Klugheit). Bei diesem Politikverständnis ist der florentinische Adlige stehen geblieben, doch aufgrund der Umstände seines Schreibens und aufgrund einer fehlenden entwickelten Transzen4 5
StL, SW IV, 442. StL, SW IV, 442.
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dentalphilosophie sei dies gerechtfertigt. Es darf nicht vergessen werden, daß Machiavelli, trotz all seiner Grenzen, für Fichte einen entscheidenden Schritt zum konkreten Verständnis des politischen Handelns hin bedeutet, da dieser letzteres in dessen Bedeutsamkeitshorizont innerhalb der Wirklichkeit eingebettet hat. Wirklichkeit ist für Fichte indessen zunächst der Offenbarungsraum des absoluten Lebens in der raumzeitlichen Erscheinungswelt. Für die menschliche Existenz heißt dies im Horizont der Geschichte. Auf dieser Ebene, an der Kreuzung zwischen göttlichen Leben und zeitlicher Erscheinung zeichnet sich die entscheidende Rolle der Politik ab. Ihr weist Fichte die Aufgabe zu, die Konfiguration des Absoluten in der Geschichte zu vermitteln, das heißt die Bedingungen zu schaffen, damit der Einzelne und dessen Gemeinschaft frei und schöpferisch handeln können. Aus eben diesem Grund wird das Problem der Herrschaft und der Souveränität in Fichtes Gesamtkonzept richtungsweisend. In diesem Zusammenhang muß an die bereits im 25. Vortrag der zweiten Vorlesung von 1804 getroffene Unterscheidung zwischen Klugheit und Weisheit erinnert werden. Das Handeln gemäß der Weisheit ist das Handeln des Menschen, dessen Einsicht ein für alle Mal durch die Transzendentalphilosophie durchdrungen worden ist. Dieser wird das Absolute nicht mehr als totes und statisches Sein auffassen, sondern als göttliches Leben und schöpferische Kraft. Für diesen Menschen ist die Vollendung der eigenen Aufgaben auf Erde von der »Freude an sich selbst« nicht trennbar, die vom Bewußtsein herrührt, daß sein eigenes Bewußtsein somit an der Offenbarung des Göttlichen teilnimmt und teilhat. Klugheit hingegen kommt über den Blickpunkt des Einzelinteresses, dessen empirischen und kontingenten Vorteil nicht hinaus. Das an Vorteilsregeln orientierte Handeln trennt demnach das Individuum vom Absoluten und enthält diesem den Genuß des göttlichen Lebens vor, den es bereits hier auf Erden durch die Wiedervereinigung von philosophischem Wissen und wirklichem Leben finden könnte. Das bezeichnet Fichte sodann auch als Weisheit. Wenn nun die Politik das grundlegende Medium ist, durch das sich das Absolute in der Geschichte verkörpern kann, kann diese selbstverständlich nicht rein auf Interessenskalküle zwischen Machthabern, Individuen und Staaten zurückgeführt werden. Umso weniger wird man Politik schlechterdings als Gewaltausübung auffassen können. Ohne die Ebene der konkreten »Wirklichkeit« und der darin vorherrschenden Machtverhältnisse zu verlassen, muß vielmehr Machiavellis große Lehre innerhalb des umfassenderen Rahmen der WL als Transzen-
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dentalphilosophie und Vernunftwissenschaft eingebettet werden. Die Politik wird dementsprechend zwar zweifellos die Dimension der Klugheit umfassen müssen, doch wenn sie ihren Spielraum nicht auf die hinterlistigen Berechnungen zeitweiliger und daher vergänglicher Vorteile (wie etwa während Preußens Niederlage gegen Napoleon) beschränken will, wird sie ihre Sichtweise erweitern müssen, so daß der enge Blickpunkt des berechnenden Verstandes in einen weiteren Horizont eingefaßt wird, der durch die Gesichtspunkte der Vernunft und deren Weisheit bestimmt ist. Der Begriff des Politischen muß daher, ebenso wie schon der Begriff der Souveränität, an die Idee der Wahrheit geknüpft werden. In der StL indessen scheinen sich, auf der Ebene des Wahrheitsgedankens, die Wege von Politik- und Souveränitätsbegriff ein letztes Mal zu kreuzen, um sich dann endgültig zu trennen. Insofern die WL die Erbschaft der christlichen Botschaft aufgreift und sie zur höchsten Transparenz des philosophischen Selbstbewußtsein führt, verwirklicht sich das Christentum und macht sich im selben Zuge überflüssig. Dessen Botschaft ist nun vollends im transzendentalen Wissen aufgehoben und einverleibt, welches als im Entstehen seines Begriffs gewonnene Wissen für sich selbst nichtübersteigbar und absolut wird. Vom Stand der Gelehrten und Philosophen muß nun dieses Wissen, in unterschiedlichen Bewußtseinsstufen je nach Individuen und Gruppen, in die gesamte Gesellschaft zurückfließen. Die Weisheit würde das Handelns der Einzelnen und des Gemeinwesens durchdringen, und es würde die Möglichkeit entstehen, das schöpferische Vermögen der Menschen und der gesamten Gattung prinzipiell ins Unendliche zu entfalten. Diese Vollendung der politisch-theologischen Parabel würde zugleich mit der höchsten Anwendung der Philosophie in Geschichte und Leben der menschlichen Gattung zusammenfallen. In der Tat können Fichtes Vorträge, denen die Herausgeber den Titel »Staatslehre« zuwiesen, nur im übertragenen und sekundären Sinne als »angewandte Philosophie« bezeichnet werden. In diesem übertragenen und sekundären Sinne kann die WL als praktische Lebensanleitung verstanden werden, die dann dieselbe Funktion der traditionellen »praktischen Philosophie« einnehmen würde.6 In einem ersten und ursprünglichen Sinne muß unter »Anwendung der Philosophie« hingegen Weisheit als Verwirklichung der Philosophie im Leben aufgefaßt werden: Diese verwandelt sich aus einer von der konkreten Existenz der Menschen noch getrennte transzendentale Vernunftwis6
StL, SW IV, 390.
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senschaft in das schöpferische Prinzip des Lebens selbst, in »Trieb und Schöpfungskraft«, die im sittlichen Leben ihre höchste Vollendung finden.7 Hat die Philosophie einmal ihre konkrete Anwendung gefunden und ist innerstes Prinzip der Anschauung und des Handelns der Menschen geworden, wird die Autorität des rein und schlicht Gegebenen ein für alle Mal verdrängt und die Bedeutung Christi selbst als absolutes geschichtliches Faktum in all dessen Reichweite ermessen und somit aufgelöst. Eine absolute Bedeutung hat Christus insofern, als er die faktische Voraussetzung ist, von der aus sich die transzendentale Perspektive der WL geschichtlich vollenden konnte. Eben als faktische Voraussetzung aber ist nicht Christus das vernünftige Rechtfertigungsprinzip der WL, sondern umgekehrt kann die Bedeutung Christi nur auf der Grundlage der WL selbst verstanden werden. Ist diese Einsicht einmal vollzogen, so wird Christus als bestimmtes Individuum überflüssig und die christliche Prophezeiung findet in der WL als transzendentale, entfaltete und angewandte Philosophie ihre Vollendung. So wie sich die Philosophie aus einer rein spekulativen Lehre in ein konkretes Lebensprinzip verwandelt, so wird aus dem Christentum statt einer Heilslehre, welche das Himmelsreich ankündigt, ein konkretes Organisationsprinzip einer politischen Gemeinschaft, nämlich eine Verfassung. Als Lehre des Himmelsreiches behauptet das Christentum die Gleichheit aller Menschen als Söhne Gottes und die Freiheit jedes einzelnen Menschen als Mitglied der Gemeinschaft der Heiligen. Diese Lehre, die schon an sich die Auflösung des antiken Zwingherrs und dessen Herrschaftsapparats impliziert, wird indessen erst von der Behauptung der WL aus als vollendete Transzendentalphilosophie realisiert: denn nur dort wird das christliche Prinzip der freien Anschauung im Sinne klarer Vernunfteinsicht verwirklicht und zugleich dem Verstand der gesamten Menschheit zugänglich. Das Christentum verwandelt sich demnach von einer abstrakten Lehre in ein soziales und verfassungsmäßiges Organisationsprinzip. In der StL entwirft Fichte ein Verfassungsmodell, das sich nicht nur von dem in der Antike vorherrschenden grundlegend unterscheidet, sondern auch von dem, das sich in den Grundlagen der modernen politischen Philosophie verkörpert hat. Das Himmelsreich, das mit der WL den langsamen Gang seiner irdischen Verwirklichung beginnt, ist keine Auflösung der für ein geordnetes soziales Leben notwendigen Strukturen, es ist 7
StL, SW IV, 389.
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weder ein »Schlaraffenland« noch ein Wohlstandsreich, das auf Erwerb und Konsum materieller Güter begründet wäre. Fichte denkt dieses vielmehr als Reich des verwirklichten Verstandes, in dem die Vernunft der einzig mögliche Souverän wäre. Die Ankunft des Himmelsreichs bedeutet demnach einen Verfassungsgedanken, der sich von dem in der Moderne vorherrschenden unterscheidet. Nicht ein Vertrag, eine Machtübertragung oder eine legitimierende Autorisierung ist Grundstein der politischen Verfaßtheit der Gemeinschaft, sondern ein Zirkulieren der transzendentalen Anschauung durch die gesamte politische Gemeinschaft und deren einzelne Glieder. Wie erwähnt bedeutet dies nicht die Auflösung der institutionellen Strukturen und Ständeaufteilungen, sondern ein neues Artikulationsprinzip, das statt auf Privatisierung auf Teilnahme beruht, statt auf Entfremdung und Übertragung von Anschauung und Willen auf deren Potenzierung und zunehmende Erweiterung im Bewußtsein jedes Einzelnen. So wie die WL an die Stelle des christlichen Glaubens tritt, so ersetzt der Stand der durch transzendentale Anschauung erzogenen Gebildeten Christus als faktische Grundlage der neuen Gesellschaft. Wir stehen nicht mehr vor einer Wissenschaftslehre, sondern tatsächlich vor einer Verfassungslehre. In der StL läßt sich dementsprechend eines der Momente ausmachen, in denen sich der Lauf der abendländischen politischen Theologie vollendet und auflöst, zusammen mit dem letzten Ausdruck, den sie in der modernen Souveränitätstheorie erhielt. In seinem berühmten Aufsatz über den Begriff des Politischen sprach Carl Schmitt von »Hobbes’ Kristall«, welcher verlangt, daß Jesus zu Christus erklärt wird.8 Laut Schmitt ist dies die letzte und grundlegende Voraussetzung für die Einrichtung des Commonwealth. Dadurch soll die Tatsache unterstrichen werden, daß die moderne Staatstheorie die theologische Tradition des politischen Denkens säkularisiert hat, aber die Trennung zwischen Politikwissenschaft und Theologie nicht bis ins letzte vollziehen konnte. Es geht selbstredend nicht darum, die Authentizität des Glaubens im Bewußtsein der Menschen zu überprüfen, aber unabdingbar bleibt Anerkennung von Jesus als Christus. Eben jenes Glaubensbekenntnis, das nicht in Frage gestellt werden kann, beweist auch, wie in Hobbes’ Leviathan (und damit laut Schmitt im Herzen jedes noch so modernen und aufgeklärten politischen Systems) unbedingt eine unmittelbare Beziehung zur Transzendenz hergestellt werden 8
Vgl. C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, Berlin 1963, 121–123.
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muß, also zu einem überweltlichen und nicht weiter säkularisierbaren Prinzip. Nun scheint selbst diese Beziehung in der politischen Philosophie des späten Fichte aufgelöst worden sein. Die Ankunft des Heiligen Geistes bedeutet die Vollendung auf Erden einer auf Freiheit des Verstandes und Gleichheit vor dem Recht beruhenden Gemeinschaft. Die Regierung sieht ihren Auftrag in der Entfaltung der Erziehung und in der Verbreitung des Wissens innerhalb der ganzen Gesellschaft. Mit dem Bezug zur Transzendenz löst sich auch das repräsentative Prinzip, samt dem ihr zugrundeliegenden Verfahren der Legitimierung und Autorisierung, auf. Hierin könnte man den Widerspruch der StL sehen: Sie ist eine politische Christologie, welche zugleich behauptet, von nun an sei Christus selbst überflüssig geworden. Für Fichte stimmt aber dies mit Jesu Lehre überein – hatte er doch selbst seine Überflüssigkeit prophezeit, als er die Niederkunft des Heiligen Geistes auf Erden ankündigte. Nun ist diese Zukunft Gegenwart geworden: Mit der als Weisheit angewandten WL kann der von Jesus prophezeite Heilige Geist endlich Verfassungsprinzip werden, so daß, samt der abendländischen politisch-theologischen Tradition, auch die Strategie der Herrschaftslegitimierung seitens der modernen Vertrags- und Naturrechtslehren aufgelöst wird. »Hobbes’ Kristall« verschwindet und somit endet sowohl das vertragsrechtliche Verfahren als auch der tausendjährige politisch-theologische Souveränitätsbegriff.
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Fichte und die Verfassung des Vernunftreichs
Carla De Pascale (Bologna)
Im Zentrum dieses Beitrags soll die von Fichte in seinen letzten Lebensjahren, insbesondere in der Staatslehre und im Diarium von 1813 entwickelte Verfassungskonzeption stehen. Fichte unterscheidet bekanntlich schon früher, in der Rechtslehre von 1812 jedoch besonders nachdrücklich zwischen einem vollkommen hergestellten »Rechtszustand« einerseits und einer »Rechtsverfassung« als »Nothverfassung«, in welcher das Recht zwar herrscht, aber noch seiner vollständigen Verwirklichung harrt, andererseits. Ein Unterschied, der sich als die unvermeidliche und ewige Kluft zwischen Utopie und Wirklichkeit interpretieren ließe – und tatsächlich beschreibt Fichte ihn auch als den Unterschied zwischen Idealem und Realem. Verfehlt wäre es aber meines Erachtens, bei dieser banalen Feststellung stehenzubleiben. Und dies nicht allein deswegen, weil das System eine fortschreitende Verwirklichung des Idealen verlangt, sondern vielmehr darum, weil dieser Unterscheidung nun allem Anschein nach eine viel bedeutendere hermeneutische Funktion zukommt. Sie soll nun offenbar die Methoden erschließen, mit deren Hilfe sich die Kluft zwischen Realität und Idealität wenn auch nur partiell, so doch merklich verringern läßt und konkret auf die Errichtung einer vollständig rechtmäßigen Verfassung in einer Gemeinschaft hingewirkt werden kann. Verschiedenste Komponenten sind an der Ausformung dieser Verfassungskonzeption beteiligt: angefangen bei Vorstellungen, die Fichtes später politischer Theorie eigentümlich sind – wie der fundamentalen
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Carla De Pascale
Unterscheidung zwischen »Staat« und »Reich« –, bis hin zu allgemeinen theoretischen Grundlagen wie der Definition der Freiheit als »Principseyn« (SW IV, 384).1 Diese Freiheit ist wesentliche Bestimmung des Ich als Quelle des keinerlei Naturgesetz unterworfenen Willens: der Wille ist hier »absolut schöpferisches Princip« (385), »absoluter Anfänger des Seyns« (388) – und als solcher ein nicht aufgrund irgendeines äußeren Antriebs, sondern ausschließlich aufgrund des sittlichen Gesetzes handelnder Wille (vgl. auch 430). Hier liegen Ursprung und Grund einer weiteren Komponente jenes Verfassungsbegriffs, nämlich der Notwendigkeit, nicht bei der bloß theoretischen Setzung des Rechtsgesetzes stehenzubleiben, sondern stattdessen zu seiner praktischen Betrachtung fortzuschreiten. Diese Notwendigkeit ergibt sich aus dem System der Philosophie und insbesondere aus Fichtes spezifischer Konzeption von Freiheit: »Die Freiheit ... muß durch Freiheit selbst errungen werden«; nur so kann der Mensch in seinem Leben Freiheit erlangen. Das einzige wahrhaft freie Leben aber ist jenes, das sich selbst zum »Mittel des Sittlichen« zu machen vermag (410). Damit wird nicht nur erneut die Inkonsistenz, ja Unhaltbarkeit einer Unterscheidung zwischen theoretischer und praktischer Philosophie bestätigt und nicht nur das Resultat von Fichtes Gesamtkonzeption bekräftigt, die sich auf die Aussage gründet, daß die Philosophie ihrem Wesen nach praktisch ist. Vielmehr scheint in dieser Wiederaufnahme und weiteren Vertiefung der Analyse auch eine neue Position gegenüber dem Problem der Beziehungen zwischen Theoretischem und Praktischem erreicht. Denn zuvor gehörte für Fichte das Recht schon von sich aus zusammen mit der Moral dem Bereich des Praktischen an, und die Behandlung der »besonderen Wissenschaft« der Rechtslehre gliederte sich seit der GNR in einen theoretischen Teil – in dessen Zentrum die Untersuchung des Rechtsbegriffs stand – und einen Teil mit der »Anwendung« dieses Begriffs (vgl. Diarium-I, 30. April und auch 20. April). Nun, in der StL, geht Fichte von einer unbestrittenen Voraussetzung aus, die scheinbar in Übereinstimmung mit dem seit jeher von ihm Behaupteten steht (daß nämlich die »Anwendung der Philosophie ... ein sittliches Leben [ist]«, 389), um dann plötzlich zu erklären, er wolle zu einer »praktischen« Betrachtung fortschreiten. Mir scheint, daß dies Indiz für ein Problem ist, dessen sich Fichte vielleicht erst in der letzten Phase seines Wirkens bewußt wird. Er hatte immer darauf insistiert, daß die Phi1 Alle folgenden Seitenangaben beziehen sich auf die StL, SW IV, soweit sie nicht anders gekennzeichnet sind.
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losophie überhaupt schon von sich aus praktisch sei, doch die zentrale Rolle des Sollens wird erst im reiferen Stadium seiner Philosophie scharf herausgearbeitet. Freilich war diese Rolle innerhalb der praktischen Philosophie von Anfang an evident gewesen – und muße es sein –: und zwar in jenem besonderen Teil der praktischen Philosophie, der mit der Moral zusammenfiel. Hatte man jedoch erst einmal das Gebiet des Rechts betreten und war sich seiner konstitutiven Differenz gegenüber der Moral bewußt geworden, dann schien es innerhalb dieses Bereichs nicht mehr möglich, irgendeinen Raum für das Sollen zurückzugewinnen: das Feld der Verpflichtung war vollständig von der Rechtspflicht besetzt. Jetzt, in der reifen Phase von Fichtes Philosophie, in der sich die zentrale Rolle des Sollens endgültig bestätigt hat, erscheint ein neues Kriterium für die Unterscheidung von Theoretischem und Praktischem: Das Theoretische bezeichnet jetzt nämlich die »Mittel« zur Verwirklichung des verfolgten Ziels, während das Praktische »unmittelbar« auf die Erlangung des Ziels ausgerichtet ist (394). So wird aus der Kluft zwischen Theorie und Praxis bezeichnenderweise die Relation zwischen demjenigen, das noch nicht so ist, wie es sein sollte, und demjenigen, das sein soll2. In der Staatslehre werden wir also Zeugen von Fichtes Versuch, auch auf dem Feld des Rechts die sittliche Pflicht einzuführen. Offenkundig handelt es sich dabei um keine einfache Operation. An einer Stelle der Schrift gelingt Fichte jedoch eine methodologische Erläuterung seiner vielleicht noch nebulösen theoretischen Intentionen. Er erklärt dort mit exemplarischer Deutlichkeit sein Vorhaben, nämlich »die äußeren, in der gegebenen Welt liegenden Bedingungen der sittlichen Freiheit darzustellen« (390). Gewiß fügt dieses Vorhaben sich in den allgemeinen Horizont seiner Philosophie ein, die von Anfang an die Möglichkeit der Errichtung vernunftgemäßer Beziehungen zwischen den Menschen erweisen wollte. Doch wenn von Anfang an feststand, daß die Moral auf die Innerlichkeit des Menschen zu schauen habe, daß sich die Unterscheidung zwischen Recht und Moral eben aus der Unterscheidung zwischen einer Betrachtung der »äußeren« Beziehungen der Menschen und einer Betrachtung der innersten Antriebe ihres Verhaltens ergibt, so wagt Fichte sich nun in ein neues und unerforschtes Gebiet: Er untersucht die »sittlichen« Freiheit auf ihre Möglichkeit hin, in den äußeren Beziehungen der Menschen untereinander wirksam zu werden.
2 Darin besteht Fichtes Lösung für das Problem des ›Gemeinspruchs‹, an dem schon Kant sich abgemüht hatte (395).
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Auch das von einer Rechtslehre untersuchte Rechtsgesetz ist in gewissem Sinn ein Freiheitsgesetz oder gewährleistet zumindest Freiheit, insofern es vom Gesetz geregelte Beziehungen zwischen den Menschen garantiert. Doch wenn Fichte, an einem bestimmten Punkt seiner Reflexion angekommen, eine Wiederaufnahme der Untersuchung für erforderlich hält, und wenn er dabei eben jenen von einer vernünftigen Rechtslehre erreichten Zustand zum neuen Ausgangspunkt macht, dann offenkundig deswegen, weil er diesen rechtlichen Zustand als unzureichend betrachtet. Dieser ist noch kein »vollständig« rechtlicher Zustand, ist noch nicht das Reich einer gänzlich entfalteten Freiheit, und aus diesem Grund wird es notwendig, Weg und Methode zur Erreichung eines vollkommeneren Zustandes aufzuzeigen. Die Theorie hat ihre Akmé erreicht, aber sie offenbart gleichzeitig auch all ihre Schwäche, wenn sie unter den Menschen wirksam werden soll, wenn sie in einer Welt menschlicher – und damit endlicher und nicht bloß vernünftiger Wesen angewendet werden soll. Zu diesem Ergebnis gelangt Fichte hier nicht zum ersten Mal. Wiederholt hatte er in den vorausgehenden Werken und schließlich – mit noch größerem Nachdruck – in der RL-1812 vor den Mängeln bloßer Gesetzlichkeit gewarnt. Man könnte also zu dem Schluß kommen, seine Grundposition sei nichts als eine Wiederholung der kantischen Position. Denn beide Denker setzen Legalität und Moralität in ein hierarchisches Verhältnis zueinander. Doch mir scheint auch durch neuere Untersuchungen bestätigt, daß in Fichtes Denken zu diesem Zeitpunkt ein weiteres Problem auftaucht: Wenn die Moral unstreitig auf höherer Ebene als das Recht angesiedelt ist und das Recht gleichzeitig unabdingbare Voraussetzung der Moral bildet, dann ergibt sich die Schwierigkeit innerhalb des Rechtsbegriffs. Im Rechtsbegriff selbst liegt eine Aporie, die sein eigentümliches Merkmal darstellt und darum auf rein rechtlicher Ebene nicht aufgelöst werden kann. Und in direktem Zusammenhang mit ihr steht die in gleicher Weise beim Freiheitsbegriff auftretende Aporie. Was den Rechtsbegriff betrifft: Fichte war sich von der GNR an des inneren Widerspruchs bewußt, der mit der Vorstellung einer »Gemeine von freien Wesen« als Endzweck des Rechts verbunden war. Nicht allein, daß das Recht, das doch zum Schutz der Freiheit entstanden war, nur mittels des Zwangs wirksam werden konnte (vgl. auch 432ff.). Sondern dieses Recht mußte auch unausweichlich mit einem Begriff von Freiheit als »Principseyn« in Konflikt geraten. Denn der Schutz der Freiheit mehrerer – insofern Schutz einer wechselseitig beschränkten Freiheit – war nun nicht mehr dasselbe wie der Schutz der Freiheit eines Einzelnen. Andererseits stellt sich das Problem der Freiheit eines Einzelnen in Wahrheit
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gar nicht, da Fichte in seiner Theorie nie eine solipsistische Position eingenommen hat (all dies wird explizit in der StL bekräftigt, 391f). Doch die Grundaussage von Fichtes Rechtslehre, die widersprüchliche Koexistenz von Freiheit und Zwang nämlich, wirkt sich auch auf begrenztere, obwohl ihrerseits durchaus gewichtige Fragestellungen aus. Da ist zunächst das Problem der durch keine mögliche Zwangsandrohung kontrollierten Freiheit des »Gewalthabers« – die Frage also, wie sein Handeln überwacht und die beständige Einhaltung des Gesetzes durch eine Oberherrschaft sichergestellt werden kann. Weil es sich um die höchste Gewalt handelt, und weil inzwischen mit dem Institut des Ephorats zugleich auch die Annahme einer Art von Repräsentanten des kollektiven Gewissens weggefallen ist, bleibt einzig das Vertrauen auf das gute Gewissen des Gewalthabers. Dies ist zweifellos ein Moment, das über die für eine Rechtstheorie relevanten technisch-juristischen Aspekte hinausgeht. Auch in diesem Fall zeigt sich klar, wie unzureichend die rein rechtliche Betrachtungsweise ist. Was den Freiheitsbegriff betrifft: Er tritt, wie bereits erwähnt, in der StL als Bestimmungselement der Verfassung erneut in den Vordergrund. Im Licht einer eingehenderen Analyse zeigt sich seine potentielle Doppeldeutigkeit (434f). Sie ergibt sich aus der unterschiedlichen Perspektive, unter der die Freiheit untersucht wird: ob man ausschließlich von der »sittlichen Welt« aus oder ob man von der »natürlichen Welt« her auf sie blickt (im Grunde also: Ob man zwischen den beiden Welten Kants eine unüberbrückbare Zäsur annimmt oder zwischen ihnen irgendeine Form von Verbindung erkennt). Die Freiheit in der Welt der Sittlichkeit oder der noumena, im Reich der Geister, ist Freiheit des vernünftigen Menschen, der nie anders als rechtskonform handeln würde und der jedes rechtswidrige Handeln Wesen zuschreibt, die vollkommen von ihm verschieden sind und einer anderen Ordnung der Dinge angehören, der »Natur« nämlich. Solche Freiheit fürchtet den Zwang nicht, nimmt ihn nicht als solchen wahr. Bezeichnenderweise nennt Fichte den Vertreter einer derartigen philosophischen Position einen »reine[n] Idealist[en] und hebt hervor, daß für diesen kein Mensch Wert besitzt, der nicht in toto der sittlichen Welt angehört. Doch es ist auch eine andere Bedeutung von Freiheit möglich: Das ist jene Freiheit, aufgrund derer der Mensch sich – wenn auch unter großen Anstrengungen – zum Mitglied der »sittlichen Gemeine« zu erheben vermag. Notwendig sind diese Anstrengungen, weil der Mensch sich noch nicht vollständig von der Herrschaft der Natürlichkeit emanzipiert hat, obwohl er Inhaber der »formalen« Freiheit ist, sich von der Natur zur sittlichen Welt zu erheben. Dies setzt die Existenz einer
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Verbindung zwischen den beiden Welten voraus und erfordert insbesondere, daß die Freiheit in dem Moment wirksam ist, in dem der Mensch den Übergang von der einen zur anderen vollzieht. Unumstößliches Fundament einer solchen Position ist die ›Körperlichkeit‹ des Menschen, die Tatsache, daß er nicht in der sittlichen, sondern in der natürlichen Welt geboren wird, daß er ein nicht nur vernünftiges, sondern auch endliches Wesen ist. Doch trotz seiner ursprünglichen Bedingtheit ist er sich selbst Prinzip. Für die Errichtung einer vollkommen rechtmäßigen Verfassung sind neben einer vernünftigen Organisation der einzelnen einander verflechtenden Institutionen zwei weitere Elemente konstitutiv: Erstens die Einsicht jedes Einzelnen in die Aufgabe, in Übereinstimmung mit dem Recht zu handeln und an dessen Erhaltung mitzuwirken, zweitens die aktive Beteiligung eines jeden an der Beförderung des erkannten Ziels. Beide Elemente kennzeichnen das »Reich« und unterscheiden es vom »Staat«. Aus Einsicht erwachsendes Handeln wäre Frucht des »sittlichen Gebots«, das jeder sich selbst geben würde. Dies wäre der Ausgangspunkt für eine Überwindung der gegenwärtigen »Nothverfassungen« (mit ihrem entsprechenden »Nothherrscher«: 451); während der Zielpunkt in einer Situation bestehen würde, in der »alle« Bürger als solche »gleich« wären (411; vgl. auch 508) – was wiederum eine radikale Transformation der Figur des Gewalthabers implizieren würde. Was an der von Fichte zu dieser Zeit vollzogenen Revision am meisten Aufmerksamkeit verdient, ist sozusagen die Historisierung des sittlichen Gebots. Dieses ist nicht einfach ein Gebot, das sich abstrakt, außerhalb von Raum und Zeit, an ein allgemeines menschliches Wesen richten würde, um es zu rechtmäßigen Handlungen und Verhaltensweisen zu veranlassen, sondern ein Gebot, das in einer bestimmten geschichtlichen Zeit und durch diese möglich geworden ist. Erst das die Neuzeit begründende »Evangelium der Freiheit und Gleichheit«3, das durch die Wissenschaftslehre theoretisch erfaßt und genetisch abgeleitet wird (581ff.), ermöglicht es diesem Gebot, wirksam zu werden und zu bezeugen, daß die geschichtliche Entwicklung tatsächlich auf ein Reich des Rechts als Reich der Freiheit zuschreitet. Worin diese Gleichheit besteht, erläutert Fichte an verschiedenen Stellen seiner ungleichmäßig ausgeführten und inhomogenen Schrift. Was 3 Verbreitet wird dieses Evangelium vom Christentum (523) – einem Christentum, das in der Geschichte »zuvörderst« als »Lehre« erschienen ist und sich zunächst »die Aufgabe [setzte,] zu bilden den Verstand des Menschen« (525), um anschließend geradezu als »Verfassung« beziehungsweise »Bestimmung des wirklichen Seyns des Menschengeschlechtes« aufzutreten (527, 529ff. u. 579ff.).
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diesen Begriff kennzeichnet, sind jeweils mannigfaltige und unterschiedliche Aspekte, so daß es nicht leicht ist, zu verstehen, wie sie miteinander in Einklang stehen und ob Fichte überhaupt die Absicht hatte, sie miteinander in Einklang zu bringen. In einem der bekanntesten Kapitel der StL, dem zweiten, das dem Begriff des »wahren Krieges« gewidmet ist, verstärkt sich das schon im vorhergehenden Kapitel deutlich vernehmbare Echo Rousseaus. Dort wird die Gleichheit unter den Bürgern als eine auf das Eigentum bezügliche Gleichheit beschrieben, die eine Aufhebung des Unterschieds zwischen Eigentümern und Nicht-Eigentümern verlangt (vgl. auch Diarium-I, 4. April). Doch dieser Unterschied wird nun nicht so sehr auf seine ökonomisch-sozialen Auswirkungen hin als vielmehr um seiner institutionellen Bedeutung willen untersucht, denn die Gleichheit ist eines der Unterscheidungsmerkmale des Reichs (des Reichs der Freiheit): Das Reich als Endpunkt einer miteinander geteilten Geschichte, die jene Gemeinschaft von Freien und Gleichen erlebt, die als einzige den Namen eines Volkes verdient und in der die Aufhebung jeglicher Stellvertretung möglich wird (412). Umgekehrt war der Staat bis zu diesem Moment nur »eine Anstalt der Eigenthümer«, d. h. eine Institution zum Schutz des Eigentums. Zuvor hatte ich daran erinnert, daß für die Errichtung des Reichs und einer vollkommen rechtmäßigen Verfassung die »Einsicht« in die einem jedem zukommende Aufgabe des rechtmäßigen Handelns wesentlich ist. Die Gleichheit hat deswegen noch eine andere Bedeutung, welche vom ersten Kapitel der Schrift an erläutert wird. Ihre Realisierung wird der »Belehrung«, der »Erziehung«, der »Bildung« anvertraut. Die Voraussetzung dafür ist auch hier wieder eine Unterscheidung – diesmal die Unterscheidung zwischen dem Stand der Gelehrten und dem Stand derjenigen, die noch einer angemessenen Erziehung zum Bürger bedürfen. Eine solche Erziehung trachtet nach der Überwindung dieses hergebrachten Unterschieds und sucht »die höhere Einsicht« »zur gemeinschaftlichen Einsicht aller« zu machen (439). Die enge Verknüpfung dieser durch Erziehung erreichten Einsicht mit dem Freiheitsbegriff ist evident. Nun erweist sich die zuvor von Fichte unternommene Analyse der problematischen Beziehung zwischen dem Begriff von Freiheit als »Principseyn« und dem Rechtsbegriff als nützlich; und das Resultat, daß die Freiheit eine zweifache Bedeutung hat, kann nun ebenso fruchtbar gemacht werden wie der Zusammenhang dieser doppelten Bedeutung von Freiheit sowohl mit der Konzeption der beiden Welten als auch der Frage der Möglichkeit oder Unmöglichkeit eines Übergangs von der einen zur anderen. Die Spannung zwischen Freiheit und Notwendigkeit findet hier
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Ausdruck im Widerspruch zweier Prinzipien (435): Das erste verkündet, daß jeder frei sein soll (bzw. seiner eigenen Einsicht folgen soll), während das zweite die Wesensgleichheit von Zwang und Gewalt mit dem Rechtsbegriff behauptet (432ff.). Während dieses zweite Prinzip ausschließlich die Tat betrachtet, weil in dieser der gegen das Recht gerichtete Wille zum Vorschein kommt und der Zwang wirksam wird – offenkundig von außen, da er keinerlei Gewalt über den innerlich bösen Willen des Menschen hat –, betrachtet das erste Prinzip nicht die Tat, sondern den Willen. Dennoch besitzen beide ein gemeinsames Element: das der Unterlassung einer rechtswidrigen Handlung. Das eine Prinzip verlangt, daß das Rechtswidrige aufgrund des Eingreifens des eigenen Urteils unterlassen wird. Dem anderen Prinzip genügt es, daß dies aufgrund des Zwangs geschieht. Die Synthese beider Prinzipien, die zugleich die Auflösung des erwähnten Widerspruchs bedeutet, besteht in der Erzwingung des äußeren Rechts und in der Umformung der Freiheit in innere Einsicht – was nur mittels der »Belehrung« möglich ist (436; vgl. auch Diarium-I, 30. Mai). Anders gesagt: Was zunächst allein aufgrund des Zwangs getan wird, wird in einer zweiten Phase einfach nur getan – und schließlich, dank der Erziehung, »aus [der] den Willen bewegende[n] Einsicht« heraus getan (435). Hier sind die Ergebnisse des gesamten ethischen Denkens Fichtes gebündelt: Von der Entwicklung einer bloß formalen Freiheit zur materialen Freiheit, wie sie die SL beschreibt (und an die hier z. B.. auf 441 erinnert wird) bis zu der in der SL-1812 dargelegten »Erscheinungslehre«, von der mit dieser Lehre verbundenen Individualitätskonzeption bis hin zur Vorstellung des »Gewissens« (als Ort, von dem aus Gewißheit von der Richtigkeit eines Begriffs erlangt wird, in diesem Fall vom Begriff der rechtlichen Verfassung; eine Vorstellung, die Fichtes gesamte Philosophie von der vorkantischen Periode bis zu den letzten Eintragungen im Diarium durchzieht). Die Umformung einer (noch Zwang enthaltenden) Freiheit in Freiheit als innere Einsicht ist Werk der Erziehung und damit des Lehrerstandes. Sie ist ein geschichtlicher Vorgang, Teil der Entwicklung des Menschengeschlechts. Vehikel dieser Umformung ist eine besondere »Anstalt«, von der staatlichen »Zwangsanstalt« unterschieden und neben dieser wirksam, mit der Aufgabe, jene Einsicht »gemeinschaftlich« zu machen. Wenn die Anwesenheit dieser neuen Anstalt jedoch die einzige Möglichkeit ist, das äußere Recht als Zwangsrecht nicht mit dem »inneren« Recht in Konfikt geraten zu lassen (die Erziehung zur Einsicht ist »die formale Bedingung der Rechtmäßigkeit alles Rechtszwanges«, 445),
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und wenn zudem ihr Zweck darin besteht, die staatliche Zwangsanstalt überflüssig zu machen, dann stehen wir vor einer unübersehbaren Kluft zwischen Resultat und Intention. Denn es ist zweifellos richtig, daß der späte Fichte dem Staat immer substanziellere Aufgaben zuweist und ihn sogar selbst zum Organisator von Erziehungsanstalten werden läßt. Doch ebenso evident scheint mir, daß sich hinter dieser Forderung die Absicht verbirgt, den Staat seine Natur verwandeln und ihn sogar an seiner eigenen Überwindung arbeiten zu lassen. Zudem behauptet Fichte in eben diesem Zusammenhang, er habe der von ihm zuvor entwickelten Rechtslehre eine Konzeption von höchster Wichtigkeit hinzugefügt: eben die Lehre von der Errichtung des Reichs (348), eine Lehre, die nur dann geschichtlich realisiert werden kann, wenn die Ruhe im Inneren eben durch die Rechtslehre erreicht wurde. Weder in einem solchen Reich noch in der Verfassung als Ergebnis eines Erziehungsprozesses läßt sich die Frage nach dem obersten Inhaber der Gewalt umgehen. Es war bereits die Rede vom Appell an das gute Gewissen des Oberherrn als Gegenmittel gegen die Ungerechtigkeit, und andererseits hatte bereits die RL-1812, aus der das Institut des Ephorats verschwunden war, auf die Forderung zurückgegriffen, sich »dem besten« der Menschen anzuvertrauen. Nun aber, nach einer höchst komplexen Konstruktion, in welcher der Geschichte neben zahlreichen anderen Aufgaben auch die Funktion zukommt, wissenschaftliche Disziplinen, die sonst miteinander in Konflikt geraten würden, koexistieren und interagieren zu lassen, unternimmt Fichte den Versuch, den höchsten Entscheidungsträger mit klareren Zügen zu zeichnen. Der Beste, der Fürst, der Zwingherr kann nur aus dem Stand der Lehrer auserwählt werden; er kann nur derjenige sein, der über den höchsten Verstand seiner Zeit und seines Volkes verfügt; derjenige, der in der gegebenen Lage besser als die anderen zu ermessen vermag, was »jedesmal« die Bestimmung des Menschengeschlechts ist. Er ist der Sieger in jenem Wettstreit der Geister, der schon im Zentrum der Erörterung in den BdG stand; er ist aus einer allgemeinen, keinerlei angeborene Privilegien kennenden Volkserziehung allein durch seine besonderen Qualitäten als Bester hervorgegangen; er wurde gewählt, weil er diese seine Qualitäten »durch die Tat« bezeugt und sich als zu effizientem Handeln fähig erwiesen hat. So wird der »wahre Oberherr«4 mit seiner bloßen Existenz beweisen, daß es tatsächlich eine Bedingung der Möglichkeit für den Übergang 4 Republikanisch verstanden – die Entscheidung, ob es sich bei ihm um eine natürliche Person oder um einen Senat handeln wird, ist Aufgabe der Politik.
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von der natürlichen zur sittlichen Welt gibt – auch wenn dies impliziert, daß wir »auf der Erde und in der gegenwärtigen Welt« der Natur und damit dem Zwang niemals entkommen können.
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Roberta Picardi (Neapel)
Wie K. Hammacher bereits vor vierzig Jahren in einem noch grundlegenden Aufsatz bemerkte, schreibt Fichte 1813 in der StL dem Begriff »sittliche Natur« eine wesentliche Rolle innerhalb seiner Geschichtsphilosophie zu, insofern die Ableitung desselben es ihm gestattet, die Antinomie zwischen Vorsehung und Freiheit zu bewältigen.1 Der Terminus stellt aber eigentlich kein neues Element der späten Fichteschen Philosophie dar, sondern kommt – übrigens bereits im Zusammenhang mit einer embryonalen geschichtsphilosophischen Perspektive – auch in den frühen Schriften vor. Der vorliegende Beitrag hat zum Ziel, eine knappe gesamte Übersicht dieser Fragestellung – d. h. des Problems des Verhältnisses von sittlicher Natur und geschichtlichem Fortschritt – bei Fichte zu geben. Auf Grund einer solchen Übersicht vermag man, zuerst die fortdauernden Motive gegenüber den Verschiebungen innerhalb der Fichteschen Geschichtsauffassung abzuheben und zweitens Fichtes Stellungnahme innerhalb der Denkbewegung zu erfassen, die von der lebendigen, die originäre und künstliche Natur des Menschen betreffenden Aufklärungsdebatte bis zur hegelschen Konzeption der Sittlichkeit als »zweiter Natur« führt. 1 K. Hammacher, Comment Fichte accède a l’histoire, Archives de l’histoire de la philosophie, T. XXV, 1962, 412 und f.
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I. Bei den in den ersten Schriften verstreuten Fichteschen Ausführungen über die sittliche Natur verschränken sich zwei Fragen: die Auffassung des Naturzustandes der Menschen und die Durchdringung des menschlichen Wesens. Der soeben erwähnte begriffliche Zusammenhang tritt deutlich zuerst im Beitrag hervor. Obwohl Fichte hier den Terminus selbst noch nicht verwendet, kommt er ihm dennoch sehr nahe an der Stelle, an der er das Sittengesetz als das Gesetz der menschlichen Natur auffaßt (SW VI, 82). Aus dieser kantischen Voraussetzung zieht Fichte eine eigentümliche Schlußfolgerung, d. h. die Vorstellung des Naturzustandes des Menschen als eines bloß idealen Zustandes, in dem das gesellschaftliche Zusammenleben lediglich auf dem als Naturrecht sich äußernden Sittengesetz beruht. Damit geht Fichte darauf aus, nicht nur die Hobbes’sche Vorstellung vom Naturzustand als Krieg aller gegen alle abzulehnen (SW VI, 129), sondern auch eine kritische Stellungnahme gegenüber Rousseaus Staatstheorie sowie seiner pessimistischen Kritik der Zivilisation einzunehmen.2 Einerseits entspricht nämlich die im Beitrag enthaltene sittliche Kennzeichnung des Naturzustandes eben Fichtes Absicht, die Funktion des bürgerlichen Vertrages in Bezug auf die moralische Entwicklung der Menschen – anders als Rousseau im Contrat social3 – so weit wie möglich abzuwerten.4 Andererseits zielt Fichtes Ablehnung der These »einer ursprünglichen Bösartigkeit der Menschen« eben darauf ab (SW VI, 130), die Grundlage derjenigen Vervollkommnung ins Unendliche sowie die Zivilisation zu garantieren (SW VI, 103), die im zweiten Discours Rousseau als unvermeidlichen Abstieg von der Unschuld des Naturzustandes pessimistisch beschrieben hatte. Behält man diese ursprüngliche Forderung im Blick, so erscheint die in BdG-1811 zwischen sittlicher Natur und Naturzustand festgestellte 2 Dazu ist mindestens der klassische Aufsatz von M. Gueroult, »Nature humaine et etat de nature chez Rousseau, Kant et Fichte« zu erwähnen, in: ders., Etudes de philosophie allemande, Hildesheim-New York 1977, 71–86. 3 J. J. Rousseau, Du Contrat social, in Ders., Oeuvres complètes, Band III, hrsg. von B. Gagnebin und M. Raymond, Paris 1964, S. 365. Die entscheidenden Gegensätze – die Fichte und Rousseau schon 1793 auf der vertragstheoretischen Ebene trennen – sind deutlich von R. Schottky hervorgehoben worden (ders., Untersuchungen zur Geschichte der Staatsphilosophischen Vertragstheorie im 17. und 18 Jahrhundert², Amsterdam-Atlanta 1995, 156–75). 4 Diese kritische Haltung tritt sehr deutlich hervor an der Stelle, wo Fichte Rehbergs an Rousseau gerichteten Vorwurf in Betrachtung nimmt, die volonté generale mit der »moralischen Natur« des Menschen verwechselt zu haben (SW VI, 83).
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Spaltung keineswegs überraschend. Anders als im Beitrag faßt Fichte hier letzteren – indem er »Rousseaus Naturstand« auslegt (SW VI, 343) – als einen Zustand tierisch befriedigter Ruhe auf. Den notwendigen Ausgang aus einem solchen Zustand leitet Fichte eben von der sittlichen Natur ab, indem er hier mit diesem Terminus das in der GWL als praktisches Vermögen des Ichs abgeleitete unendliche Streben zur absoluten Selbsttätigkeit bezeichnet, das die Modifikation der äußeren Dinge gemäß unseren notwendigen praktischen Begriffen von ihnen erfordert (SW VI, 299). Der Hinweis auf die so begriffene sittliche Natur gestattet es Fichte, erstens – wegen des unaufhebbaren Nexus zwischen Streben und objektiver Grenze – die Identifizierung der unendlichen Vervollkommnung der Kultur als »Bestimmung der Menschheit« (SW VI, 336) erneut zu behaupten. Auf Grund der in der GWL durchgeführten transzendentalen Deduktion der sinnlichen Triebe als Äußerungsstufen des Vernunftstrebens vermag Fichte zweitens, die Bedürfnisdynamik positiv zu bewerten, die den Ausgang des Menschen vom Naturzustand kennzeichnet. In der SL – deren Hauptaufgabe nach dem transzendentalen Ansatz der WL eben in der genetischen Ableitung des Bewußtseins der sittlichen Natur besteht (SW IV, 13–15)5 – taucht letztere wieder als Grund der menschlichen Perfektibilität auf (SW IV, 240). Die inzwischen von Fichte gewonnene Durchdringung der Intersubjektivität als Bedingung des Selbstbewußtseins verleiht aber dieser schon früher vertretenen These eine veränderte Bedeutung. Es ist nicht von ungefähr, daß die in der SL enthaltene Verteidigung des Perfektibilitätsglaubens eben denjenigen Stellen folgt, an denen Fichte den Eintritt in den Staat und die unbedingte Unterwerfung unter seine Gesetze als »absolute Gewissenspflicht« jedes Individuums ableitet (SW IV, 238), indem er damit seine eigene im Beitrag vertretene Auffassung des Verhältnisses von staatlichem Leben und menschlichem Fortschritt umkehrt. Von der Voraussetzung ausgehend, daß der Mensch »nicht von Natur moralisch ist«, hatte Fichte bereits in der GNR die unentbehrliche Verwirklichungsbedingung des dort moralunabhängig deduzierten Rechtsbegriffes in der Errichtung des Staates als zweiten Naturzustandes aufgezeigt (SW III, 148f.): Eine Annahme, welche Schellings und Hegels Verwendung des Ausdrucks »zweite Natur« vorbereitet, um die Rechtsverfassung bzw. die der höchsten Stufe des objektiven Geistes entsprechende 5 In der SL benennet Fichte sittliche Natur die Beschaffenheit des Menschen, wegen derer in ihm »eine Zunöthigung« sich notwendig und unmittelbar äußern soll, »einiges ganz unabhängig von äusseren Zwecken« zu tun oder zu unterlassen (SW IV, 13).
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Sittlichkeit zu bezeichnen.6 Während aber aus der Perspektive der Rechtslehre weder der Rechtsbegriff noch seine staatliche Realisierung eine kategorische Verbindlichkeit besitzen, bekommen beide unter der Perspektive des Sittengesetzes »eine neue Sanktion für das Gewissen«, da hier die eingesehenen notwendigen Ichheitsbedingungen zugleich als Pflichten anerkannt werden. Von dieser komplexen Gliederung von Recht und Sittlichkeit her kommt Fichte in der SL sehr nahe an Kants weltbürgerliche Geschichtsauffassung, deren Grundsatz er wieder aufnimmt: die Feststellung nämlich, daß die allmähliche Vervollkommnung der Staatsverfassung die Hauptbahn der unendlichen Verbesserung des Menschengeschlechtes ausmacht, mindestens solange dieses sich nicht zur durchgängigen Moralität erhoben hat (SW IV, 253). Auf Grund dieser Einsicht bezieht sich Fichte bei der Verteidigung des Perfektibilitätsglaubens in der SL besonders auf diejenigen Denker, die – wie vor allem Mendelssohn7 und Herder8 – das kantische juridische Modell der Geschichtsphilosophie in Frage gestellt hatten. Insofern Fichte hier auf die Kritiker des Glaubens an eine »ungemessene Perfektibilität der Menschheit« hinweist (SW IV, 240), scheint seine Polemik vor allem und besonders an Herder gerichtet, welcher der Gleichsetzung von Bestimmung des Menschen und Wachstum der menschlichen Kräfte »ins Unermessliche« die These entgegenstellt hatte, daß das »Maaß« die einzige der menschlichen Bestimmung angemessene »Kunst« ausmacht.9 Dem übrigens unbegründeten Anspruch, aus den natürlichen Anlagen des Menschen das Gesetz abzuleiten, demzufolge »sie notwendig zurück kommen müßten«, beantwortet Fichte nun eben mit dem Hinweis auf die Forderung unserer sittlichen Natur, »die Menschen zu behandeln, als ob sie immerfort der Vervollkommnung fähig wären«: Einer solchen Forderung kann man »nicht gehorchen (...), ohne an die Perfektibilität derselben zu glauben« (SW IV, 240), und zugleich ohne den allmählichen Übergang vom Notstaat zum Vernunftstaat zu befördern. Ein 6 F. W. J. Schelling, System des transcendentalen Idealismus, in ders., Sämmtliche Werke, hrsg. von K. F. A. Schelling, Stuttgart und Augsburg, 1856–61, III, 583, und G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechtes, in ders., Werke, hrsg. von E. Moldenhauer und K. M. Michel, Frankfurt a. M. 1986, Bd. VII, 46. Zur Fichtes Stellungnahme in der Geschichte des Begriffs »zweite Natur«, vgl. L. Fonnesu, »Fichte e la seconda natura«, in R. Bonito Oliva-G. Cantillo, Natura e cultura, Napoli 2000, 105–121. 7 Von seiner schon in Jerusalem vertretenen zyklischen Geschichtsauffassung her lehnt Mendelssohn den kantischen Ansatz in dem für die »Mittwochgesellschaft« erfaßten Votum Über die beste Staatsverfassung ab (s. M. Mendelssohn, Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe, hrsg. von A. Altmann, VI 1, Stuttgart-Bad Cannstatt 1981, 143–148). 8 J. G. Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, in Ders., Sämmtliche Werke, hrsg. von B. Suphan, 13. Band, Berlin 1887, 339f.. 9 Ebenda.
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argumentatives Verfahren und ein Schluß – die sehr ähnlich denjenigen in Kants geschichtsphilosophischen Schriften sind10 – werden also hier in einem begrifflichem Zusammenhang begründet, der eigentlich darauf abzielt, eben den Formalismus der kantischen Moral durch die Inklusion der Gesellschaftstlehre in die Theorie der Sittlichkeit zu überwinden. Zum Schluß ist ein weiterer für die vorliegende Thematik wichtiger Punkt anzudeuten: Der in der sinnlichen Welt durch die rechtlichen Institutionen gewährleisteten menschlichen Wechselwirkung liegt die Erteilung der sittlichen Aufgaben auf der übersinnlichen Ebene des »Reich(s) der Geister« zu Grunde, das Fichte bereits 1798 – in der SL und in der Nova Methodo – als ontologische Grundlage und Telos des sittlichen Handelns des Einzelnen auffaßt. Damit wird zum ersten Mal der Zusammenhang zwischen Individualität und intelligibiler Welt entwickelt11, der innerhalb der Geschichtsphilosophie und eben bei der Thematisierung der sittlichen Natur beim späten Fichte entscheidend wirkt. II. Bei dem systematischen geschichtsphilosophischen Entwurfe, den Fichte erst in der zweiten Periode seiner Spekulation ausarbeitet, kommt der Begriff der sittlichen Natur 1813 wieder im engen Zusammenhang mit einer unveränderten Forderung vor: mit der Forderung nämlich, die unendliche und ewige Verbesserungsfähigkeit des menschlichen Geschlechtes gegenüber jedweder Auffassung der Geschichte als eines Kreistanzes philosophisch zu begründen. In Bezug auf diese Forderung ändert sich aber im neuen systematischen Rahmen – der die transzendentale Besinnung auf die Möglichkeitsbedingungen der Erscheinung des Absoluten zum Kernpunkt hat – sowohl die Rolle als auch teilweise die Bedeutung, die der sittlichen Natur zugeschrieben wird. Was die Rolle betrifft, so hört die sittliche Natur auf, den Grund des praktischen Glaubens an die Perfektibilität des Menschengeschlechtes zu bilden, weil letztere innerhalb der späten WL vom bloßen Postulat der praktischen Vernunft zur »absolute(n) Seynsform« von Gottes Erscheinen erhoben wird: Das göttliche Erscheinen ist »kein Probiren und Versu-
10 Vgl. vor allem Kants Schrift Über den Gemeinspruch (Akad.-Ausg. VIII, 307– 313). 11 Vgl. dazu u. a. W. Schrader, Nation, Weltbürgertum und Synthesis der Geisterwelt, Fichte-Studien 2, 1990, 27–36.
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chen«, sondern »ist schlechthin«; da das Absolute fortfließendes Leben ist, ist durch das Sein seiner Erscheinung die ewige Entwicklung des Menschengeschlechtes gesetzt (StL, SW IV. 471). Von diesem der bloß moralischen Perspektive übergeordneten metaphysisch-religiösen Standpunkt aus behält die sittliche Natur ihrerseits noch eine wesentliche Funktion, insofern sie unter den notwendigen Bedingungen der ewigen Fortentwicklung der Menschheit umfaßt wird. Mit diesem Terminus bezeichnet Fichte 1813 überhaupt eine angeborene sittliche Bestimmtheit, die »unmittelbar aus Gott und aus seinem Erscheinen ohne Freiheit im Menschen ist« (SW IV, S. 485). Eigentlich handelt es sich um einen komplexen Begriff, in welchem Fichte zwei verschiedenartige Momente seiner vorhergehenden Überlegung zusammendrängt: erstens, die schon der Teilung des Weltplanes in den GdgZ zugrunde liegende Annahme eines ursprünglichen Vernünftigseins als einem notwendigen Vorbild des Vernünftigwerdens durch Freiheit, das den Endzweck der Menschheitsgeschichte ausmacht; zweitens, die Überlegung über das Grundverhältnis von intelligibler Welt und Individualität, die Fichte bereits am Ende der Jenaer Zeit übernommen hatte. Diese zwei verschiedenen Denkmomente spiegeln sich sehr deutlich in der doppelten Form ab, die Fichte selbst in der StL innerhalb des zuerst einheitlich vorgelegten Begriffs von sittlicher Natur unterscheidet: Sie ist »eine doppelte: teils partiell: des ersten die Menschheit anhebenden Menschengeschlechtes (..) teils allgemein« (SW IV, 472), d. h. die ursprüngliche, allen Individuen gegebene sittliche Willensbeschaffenheit. Fichtes Weg, diese zwei heterogenen Denkmomente auf einen einzigen Nenner zu bringen, hängt davon ab, daß es sich in beiden Fällen um eine überzeitliche Gegebenheit handelt, die weder von der bloßen sinnlichen Natur aus noch von der Handlung der Menschen aus erklärbar ist, sondern übersinnlichen Ursprunges ist, und die nichts Anderes als das Vorbild des Hervorbringens durch selbstbewußte Freiheit ist (ebenda, 469).12 Strukturell besitzen also der dem ersten Urgeschlecht gegebene Zustand der Freiheitswelt und die ursprüngliche sittliche Willensbeschaffenheit jedes Individuums gemeinsame Grundzüge. Inhalt und Funktion der in ihnen verkörperten Vorbilder des Sittlichen unterscheiden sich aber 12 Die Ableitung einer solchen urgegebenen sittlichen Natur fügt sich in die Besinnung auf die Bedingungsmöglichkeiten des Sichtbarwerdens der Freiheit – dessen Grundgesetz das Spaltungsgesetz ist – ein, und zwar ist sie in »der absoluten Bildlosigkeit des Sittlichen und der Bildlichkeit, die es in der Wirklichkeit annehmen soll« (SW IV, 465) begründet. Die Deduktionsmomente werden ausführlicher in M. Ivaldos Aufsatz »Politik, Geschichte und Religion in der Staatslehre von 1813« behandelt, Fichte-Studien 11, 1997, 209–227 (bes. 217–220).
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sehr tief, wie im Folgenden aufzuzeigen ist, um ihre gegenseitige Beziehung auf eine angemessene Weise zu verstehen. Zu diesem Zweck ist zuerst die dem ersten Urgeschlechte gegebene Sittlichkeit näher zu betrachten. Bei dieser Verwendung des Ausdrucks gerät die sittliche Natur wieder in sehr engen Zusammenhang mit der Frage des ursprünglichen Zustandes der Menschheit, obwohl hier ein solcher Zustand – der übersinnlichen Ursprunges ist – keineswegs als ein Naturzustand begriffen wird. Bedenkt man diesen Grundunterschied, so lassen sich allerdings bei Fichtes Auffassung von dem Leben des ersten Urgeschlechts in der StL verschiedene schon früher vorkommende Motive erkennen. Einerseits leugnet Fichte erneut die ursprüngliche Bösartigkeit und »egoistische Denkart« unter den Menschen (SW IV, 516), wobei diese nie verlassene Position jetzt wieder sehr eng mit der Ablehnung der Hobbes’schen These eines bellum omnium contra omnes als notwendige Voraussetzung des rechtlichen Zustandes auftaucht (RL-1812, GA II/12, 200). Andererseits hält aber Fichte zugleich fest, daß die Menschen nicht von Natur aus moralisch sind: Selbst die sittliche Natur des ersten Urgeschlechtes wird nämlich in der StL als ein Zustand aufgefaßt, in dem alle Menschen nur »von Natur rechtlich« sind (SW IV, 483). Diese rechtliche Kennzeichnung stellt das entscheidend Neue gegenüber den GdgZ dar, in der das Normalvolk als ein jede rechtlich-staatliche Institution entbehrender und lediglich auf die Religion begründeter Zustand begriffen wurde (SW VII, 134f). In der StL wird dagegen der Hinweis auf die Urgegebenheit der Religion durch die Behauptung der Urgegebenheit des Rechtes »als Sitte« (Excursus zur StL, SW VII, 588) – d. h. als unbewußtes Prinzip der Wechselwirkung der Menschen (GdgZ, SW VII, 215) – ersetzt. Den Ausgangspunkt eines solchen Schlusses bildet die eigentlich bereits in den GdgZ durchgeführte Erhebung des gesellschaftlichen Lebens von bloß moralisch verpflichtenden Bedingungsmöglichkeit des Selbstbewußtseins zur Bedingungsmöglichkeit des Erscheinens des Absoluten. Während aber in den GdgZ als einzige »Bedingung des gesellschaftlichen Zusammenlebens des Menschen« die Sprache angezeigt wurde (SW VII, 133), faßt Fichte 1813 unter die vornehmsten Bedingungen des Daseins der Gesellschaft auch einige Ordnung und Bildung gewährleistende Institutionen und kommt dadurch – anders als früher – zu dem Schluß, die aller menschlichen Kunst vorausgehende Urgegebenheit eines aus Familien-Stämmen gebildeten Staates als Grundzug des Lebens des ersten Geschlechtes zu behaupten. Dabei ist zu bemerken, daß Fichte in der StL einige schon in der GNR über die naturhafte Sittlichkeit der Familie formulierten Thesen (SW
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III, 354) in einen ganz anderen argumentativen Zusammenhang überträgt: In der GNR wurde nämlich die Familie als natürlich-moralische Gesellschaft beschrieben, um sie von dem Staat als juridischer Gesellschaft zu unterscheiden (ebenda, 305); hier behauptet Fichte dagegen eben die Urgegebenheit des Staates als Rechtsvereinigung von Familien, um die These eines ursprünglichen und also notwendigen Zusammenhanges zwischen Selbstliebe und rechtlichem Zustand abzulehnen. Die seit den Reden gewonnene Einsicht in die Unzulänglichkeit des bloß äußeren, an die egoistische Denkart gerichteten Zwanges als Band eines Gemeinwesens treibt also Fichte in der StL dazu, die Selbstliebe als Grundlage des Urstaates durch die Familienliebe zu ersetzen. Diese geschichtsphilosophische These zielt aber bei Fichte – anders als bei Herder oder bei anderen Zeitgenossen – keineswegs darauf ab, die Familienbande als die höchste und auf immer zu bewahrende gesellschaftliche Lebensform zu bewerten. Die Familienliebe bildet nämlich nach Fichte lediglich ein zwingendes Band, das den Menschen in unmittelbarer Weise gegeben ist, damit das erste Urgeschlecht bestehen konnte (Excursus zur StL, SW VII, 586). Bei der fortgehenden Entwicklung des Menschengeschlechtes geht es aber nicht nur darum, den auf ein solches Band begründeten rechtlichen Zustand auch unter dem zweiten Urgeschlecht zu verbreiten, sondern auch allmählich ihn von seiner naturhaften Basis loszureißen: Die Familienliebe soll zur reinen, jede Stammesunterscheidung aufhebenden Menschheitsliebe erhoben werden, damit das Reich von Freiheit und Recht entstehen könne. Für sich genommen ist aber die sittlich-rechtliche Natur des ersten Urvolkes keineswegs fähig – wie überhaupt keine bloß rechtliche Ordnung – das Entstehen der Liebe zum Guten als solchem und zu allen Menschen aus sich hervorzubringen: Ihr vorbildhafter Wert wird also in der StL nicht ganz aufgehoben – wie einige wichtigen Intepreten vertreten haben13 – sondern auf die zeitlich begrenzte und negative Funktion beschränkt, die Gefahr des Unterganges des Menschengeschlechtes abzuwehren, dessen Annahme dem ewigen Sein des göttlichen Erscheinens widersprechen würde. Die positive Funktion, das ununterbrochene Fortschreiten der Menschheit zu sichern, schreibt Fichte dagegen in der StL lediglich der zweiten Gestalt der sittlichen Natur – d. h. der überzeitlichen sittlichen Bestimmung jedes individuellen Willens – zu.
13 S. K. Hahn, Staat, Erziehung und Wissenschaft bei J. G. Fichte, München 1968, 89, und H. J. Verweyen, Recht und Sittlichkeit in J. G. Fichtes Gesellschaftslehre, München 1975, 297.
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Erstens bildet nämlich letztere überhaupt eben wegen ihrer zwischen Natur und Freiheit fallenden Ursprünglichkeit das einzig mögliche Medium, welchem ein schlechthin neues Glied des Fortschrittes im Geschichtszusammenhang entspringen kann (Excursus zur StL, SW VII, 595)14; und zwar beruft sich Fichte in der StL auf »das gemeinsame Gesetz aller freien Individuen«, demzufolge diese nicht aus der unendlich fortgehenden Perfektibilität fallen können (SW IV, 594). Nach diesem in den TdB deutlich formulierten Gesetz geht notwendig die Schöpfung neuer sittlicher Individuen – welche das stets sich entwickelnde göttliche Leben zur Erscheinung bringt – ins Unendliche fort, wobei das Auftauchen jedes neuen Individuums »eine Offenbarung des sittlichen Endzweckes von einer neuen, bis jetzt durchaus unsichtbaren Seite« darstellt (TdB, SW II, 666f). Eben die besondere Seite des sittlichen Endzweckes, die jedem einzelnen Individuum – und ausschließlich diesem – uranfänglich und unmittelbar durch sein bloßes Dasein als Aufgabe vorgegeben ist, entspricht demjenigen, was Fichte in der StL als zweite Gestalt der sittlichen Natur vorstellt. Letztere macht also auch die eigentliche Grundlage der Moralität bei jedem Individuum aus. Beim späten Fichte besteht nämlich die höhere Moralität lediglich darin, die jedem zugeschriebene und unveränderliche sittliche Aufgabe als den an sich selbst gerichteten Gotteswillen bewußt einzusehen und durch »die Erschaffung eines ewigen und heiligen Willens« sein eigenes individuelles Leben in »die höhere und übersinnliche« Natur umzuwandeln (TdB, SW II, 685): Eben darauf bezieht sich Fichte, indem er als Heil sowohl der Einzelnen als auch des Menschengeschlechtes das Hingeben aller menschlichen Freiheit an Gott angibt (StL, SW IV, 541). Von dieser allgemeinen Voraussetzung ausgehend, wird zweitens die entscheidende Rolle verständlich, die Fichte in der StL der sittlichen Natur eines einzigen Individuums – d. h. Jesus – zuschreibt. Eben weil die sittliche Natur des ersten Urgeschlechtes lediglich die Urgegebenheit des Rechtes als Sitte und keineswegs ein Bild der wahrhaften Moralität und Religiosität umfaßt, wird nämlich Jesus hier als die »eigentliche Hauptperson« in der Geschichte aufgefaßt: In ihm lag »unmittelbar durch sein Dasein ohne ihm bewußte Freiheit« – d. h. durch seine sittliche Natur – das 14 Eigentlich verwendet Fichte an dieser Stelle den Terminus »geistige Natur«, der aber hier anders als in den Reden nicht auf das Leben einer geschichtlichen Gemeinschaft (SW VII), sondern lediglich auf die höhere sittliche Bestimmung der individuellen Willen bezogen wird. Zur Rolle der »geistige(n) Natur« für die geschichtswirksame Tat, vgl. R. Lauth, »Die Handlung in der Geschichte nach der Wissenschaftslehre«, in ders., Transzendentale Entwicklungslinien von Descartes bis zu Marx und Dostojewski, Hamburg , 397–410, bes. 399.
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in der alten Welt noch nie dagewesene Bild der wahrhaften Beziehung zwischen Gott und den Menschen. Die Entwicklungslinie der neuen Welt ist also durch das Vorbild Christi erschlossen und angezeigt: Es geht darum, den Gehalt des christlichen Evangeliums in die Form des Verstandes aufzunehmen, was für Fichte nur durch die WL möglich ist. Durch Christus und durch die WL wird also das Heil des Menschengeschlechtes und das Heil des Individuums – die in Fichtes Augen nie in Widerspruch zueinander standen – untrennbar verbunden.
Das Nationale in Fichtes Spätwerk
Takao Sugita (Tokio)
I. Fichte und Nationalismus – eine solche Themenstellung legt die Auffassung nahe, Fichte selbst sei ein Nationalist gewesen. Diese Auffassung geht auf die Nationalstaatshistoriker des 19. und 20. Jahrhundert zurück, für die Fichte der Begründer des Nationalismus war. Eine solche Interpretation ist heute anachronistisch. Liest und interpretiert man Fichte im Kontext seiner Zeitgeschichte, dann war Fichte kein solcher Nationalist, sondern Patriot. Zuviel moderne Relevanz in Fichtes Texten zu finden ist gefährlich, es führt zu Mißverständnissen. Das Nationale in Fichtes Werk muß noch im Zusammenhang mit dem Patriotismus der Aufklärung des späten 18. Jahrhunderts betrachtet werden. Fichtes politische Schriften waren Auseinandersetzungen mit den Krisen- und Veränderungszeiten in dem Deutschland der Jahre 1789 bis 1814. 1803 liegt der Reichsdeputationshauptschluß. 1806 wurde der Rheinbund unter dem Protektorat Napoleons gegründet. Damit war das überkommene Heilige römische Reich Deutscher Nation aufgelöst. Im Oktober 1806 bricht Preußen militärisch und moralisch zusammen und Napoleon zog kampflos in Berlin ein. Ab 1807 begann die innere Umgestaltung Deutschlands, mit dem Edikt zur Bauernbefreiung von 1807, der Ständeordnung von 1808, den Verwaltungsreformen unter Stein und Hardenberg. Weiter lagen in diesem Zeitraum die Heeresreformen zur Ent-
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wicklung eines patriotischen Volksheeres durch Scharnhorst, Gneisenau und Clausewitz. Zudem begannen die Bildungsreformen durch Wilhelm von Humboldt. Wir können Fichtes politische und zeitkritische Schriften in diesem geschichtlichen Kontext lesen, wir sollten es sogar. Denn das geschichtlich gebundene Denken muß geschichtlich-kontextuell interpretiert werden. II. J. G. Fichte begann seine Tätigkeit als politischer Denker mit einer Auseinandersetzung über die Bewertung der Französischen Revolution. Seine Ideen über die Revolution sind vor allem in den drei Aufätzen »Zurückforderung der Denkfreiheit von den Fürsten Europens, die sie bisher unterdrückten (1793)«, »Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die Französische Revolution (1793)« und »Über die Bestimmung des Gelehrten (1794)« enthalten. Dabei begreift Fichte die »Gesellschaft« als Wechselseitigkeit von selbstständigen Freiheits- und Gleichheitssubjekten, und den »Staat« als Maschine oder als Anstalt, die »eine nur unter gewissen Bedingungen stattfindendes Mittel zur Gründung einer vollkommen Gesellschaft« bedeutet und »auf seine eigene Vernichtung« ausgeht. Dieser Unterschied rechtfertigte für Fichte die Französische Revolution als Staatsverfassungsveränderung zur Ausübung der Rechte der »Gesellschaft«. Wir finden die moderne Dichotomie von Gesellschaft und Staat zum erstenmal bei Fichte und damit früher als bei Hegel. Fichtes Denken stand unter dem Einfluß der Französischen Revolution und der Philosophie Kants. Seine Wissenschaftslehre war ein System der Freiheit, seine Naturrechtslehre war aus der Wissenschaftslehre als System des Freiheit deduziert. Das heißt, seine systematischen Bemühungen waren praktisch-philosophisch: eine Rechtfertigung der Französischen Revolution. In seinem Denken bildet die Freiheit und Subjektivität des Individuums die Grundlage. Fichtes Gesellschaft ist Wechselseitigkeit von Freiheitssubjekten, ein Verhältnis gegenseitiger Rechte und Pflichten. Gesellschaftsverhältnisse waren Verhältnisse zwischen Freiheit und außermoralischen Zwängen.1 1 Takao Sugita: »Der Deutsche Idealismus als politischer Gedanke. Freiheit und Zwang in Fichte«, Tokyo Metropolitan University Journal of Law and Politics, Vol. XXV No. II. (1984), .97–138. »Die Französische Revolution in J. G. Fichte. Begründung von ›Gesellschaft‹
Das Nationale in Fichtes Spätwerk
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Das ist eine Seite von Fichtes politischem Denken, die durch die Französischen Revolution bedingt wurde. So waren am Anfang die Ideen von 1789. Diese wirkten noch in dem späten politischen Denken Fichtes. Aber wir kennen auch eine andere Seite von Fichtes politischem Denken, der auch durch die Französische Revolution bestimmt ist. Das ist besonders im Spätwerk zu sehen. Das ist die Idee des Nationalen, die durch den Zusammenbruch des Reichs (1806) und aus dem Widerstand gegen Napoleons Eingriff in Deutschland geboren wurde. So steht auf dieser Seite am Anfang Napoleon.2 Aber Fichtes Idee des Nationalen ist nicht nur aus der Genese des modernen deutschen Nationalismus zu verstehen, sondern auch noch sehr stark bestimmt durch den Patriotismus des 18. Jahrhunderts. III. Wir finden zwei Arten von Patriotismus im Deutschland der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nach dem siebenjährigen Krieg: Den Reichspatriotismus des Friedrich Carl von Moser und den Staatspatriotismus des Thomas Abt. Der Reichspatriotismus setzte den »Nationalgeist« für die Erneuerung des Reichs ein, der Staatspatriotismus verband sich mit dem Kosmopolitismus der Aufklärung mittels des Ideals der Menschen Vollkommenheit. Nach Drost von Mueller ist der Staat nur ein Mittel zur Erreichung der menschlichen Vollkommenheit. Der Staatspatriotismus suchte nach einer auf den Ideen der Aufklärung beruhenden Staatsreform. In diesen zwei Arten von Patriotismus spiegeln sich einerseits das alte dualistische deutsche Verfassungsgefüge, andererseits die Vernunft und der Reformgeist der Aufklärung. Der Patriotismus des 18.Jahrhunderts ist inhaltlich vom Nationalismus abzugrenzen, der besonders im 19. Jahrhundert beherrschendes Thema werden sollte. Der aufklärerische Patriotismus sah in den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts die Realisierbarkeit seiner Ideale durch die Französische Revolution bestätigt. Der Reichspatriotismus verlor die Stütze und Basis mit dem Zusammenbruch des Reiches in 1806. Die neue politische Situation war für den Patriotismus in Deutschland eine Herausforderung.3 und ›Staat‹ aus den Ideen von 1789«, Tokyo Metropolitan University Journal of Law and Politics, Vol.XXIX No. 1 (1988), 187–222. 2 Vgl. Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800–1866 , München 1983, 11. 3 Takao Sugita: »Deutsche Aufklärung und Patriotismus«, in: Tokyo Metropolitan University Journal of Law and Politics,Vol.XXXVIII No.1, (1997), 345–371 und »Fichtes Stel-
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Takao Sugita
Fichtes Schriften »Der Patriotismus und sein Gegenteil (1807)« und »Reden an die deutsche Nation (1808)« erschienen als Antwort auf die Niederlage des Reiches. Vielfach wird Fichte für den Begründer des modernen deutschen Nationalismus gehalten. Aber seine Auffassung des Patriotismus und der Nation gehört jedoch viel eher in den Kontext des 18. Jahrhunderts und als in den des modernen Nationalismus. Fichte schreibt in Fichtes »Der Patriotismus und seine Gegenteil (1807)«, »daß es gar keinen Kosmopolitismus überhaupt wirklich geben könne, sondern daß in der Wirklichkeit der Kosmopolitismus notwendig Patriotismus werden müsse.« (SW XI, 229)
Der Patriot will, daß der Zweck des Menschengeschlechtes zuerst in derjenigen Nation erreicht werde, deren Mitglied er selber ist. In unserer Zeit kann jener Zweck nur von der Wissenschaft aus befördert werden. Sonach ist die Wissenschaft und ihre möglichst größte Verbreitung in unserer Zeit selber der allernächste Zweck des Menschengeschlechtes, und das selbe kann und darf sich gar keinen andern Zweck setzen, als diesen. (SW XI, 233–234) Insbesondere der deutsche Patriot will diesen Zweck zuerst unter den Deutschen erreichen, sowie daß von diesen aus der Erfolg sich über die übrige Menschheit verbreitet. (SW XI, 234) Sein Patriotismus ist stark bestimmt durch den Kosmopolitsmus und durch das Ideal der Vollkommenheit des Menschen; seine »Nation« war vor allem ein sprachlicher und kultureller Begriff, verbunden mit der neuen Humanität, deren Paradigma das idealisierte antike Griechentum war. Das ist ein wichtiger Punkt. So schrieb Fichte in den Reden an die deutsche Nation: »Wie nur noch bei den Griechen in der alten Zeit war bei ihnen der Staat und die Nation sogar von einander gesondert, und jedes für sich gestellt, der ersten in den besonderen deutschen Reichen und Fürstenthümern, die letzte sichtbar im Reichsverbande, unsichtbar, nicht zufolge eines niedergeschriebenen, aber eines in aller Gemüther lebenden Rechtes geltend, und in ihren Folgen allenthalben in das Auge springend in einer Menge von Gewohnheiten und Einrichtungen. So weit die deutsche Zunge reichte, konnte jeder, dem im Bezirke derselben das Licht anbrach, sich doppelt betrachten als lung zum Patriotismus«, Fichte-Studien, (Japanische Fichte-Gesellschaft) Band 8 (2000), 116– 131.
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Bürger, theils seines Geburtsstaates, dessen Fürsorge er zunächst empfohlen war, theils des ganzen gemeinsamen Vaterlandes deutscher Nation.« (SW VII, 392)
Wir kennen die Analogie zwischen Staaten und Reich in Deutschland und Polis und Hellas im alten Griechenland. Wir finden hier, wie Irmtraut Sahmland in »Christoph Martin Wieland und die deutsche Nation« (Niemeyer 1990), mit dem Paradigma eines idealsierten antiken Griechentums ein Identifikationsangebot, das geeignet erscheint, die Situation breiter bürgerlicher Schichten positiv aufzuwerten. Wir können in Fichtes Text eine politischen Absicht nicht finden, die eine Nation mit einem Staat als in einem moderne Sinne nationalstaatlich zusammenführt. Fichte schreibt auch, ebenso wie Goethe in seinen Gesprächen mit Eckermann: »Eine Wahrheit, die an einem Orte nicht laut werden durfte, durfte es an einem anderen, an welchem vielleicht im Gegentheile diejenigen verboten waren, die dort erlaubt wurden; und so fand denn, bei manchen Einseitigkeiten und Engherzigkeiten der besonderen Staaten, dennoch in Deutschland, dieses als ein Ganzes genommen, die höchste Freiheit der Erforschung und der Mittheilung statt, die jemals ein Volk besessen; und die höhere Bildung kam denn in dieser Gestalt auch allmählig herab zum größeren Volke, das somit immer fortfuhr, sich selber durch sich selbst im Grossen und Ganze zu erziehen.« (SW VII, 393)
Die alte traditionale republikanische und föderale Verfassung wird von Fichte anerkannt, und seine Nation war in der Grenze des kulturellen und sprachlichen Raumes geblieben. Er war noch nicht im Sinne des späten 19. Jahrhunderts Nationalist. Es ist klar, wenn uns nur der gemachte Unterschied zwischen Staat und Nation gegenwärtig bleibt, daß auch schon früher die Angelegenheiten dieser beiden niemals in Widerstreit geraten konnten. Die höhere Vaterlandsliebe für das gemeinsame Volk der deutschen Nation mußte und sollte ja ohnedies die oberste Leitung in jedem besonderen deutschen Staat führen. (SW VII, 396) Höchstens hätte ein besonderer deutscher Staat darauf ausgehen können, die ganze deutsche Nation unter seiner Regierung zur vereinigen, und statt der hergebrachten Völkerrepublik eine Alleinherrschaft einzuführen.
Takao Sugita
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Wenn es wahr ist, wie ich es z. B.. dafür halte, daß gerade diese republikanische Verfassung bisher die vorzüglichste Quelle deutscher Bildung und das erste Sicherungsmittel ihrer Eigentümlichkeit gewesen ist, so wäre, falls die vorausgesetzte Einheit der Regierung nicht etwa selbst die republikanische, sondern die monarchische Form getragen hätte, in der es dem Gewalthaber doch möglich gewesen wäre, irgendeinen Sproß ursprünglicher Bildung über den ganzen deutschen Boden hinweg für seine Lebenszeit zu zerdrücken, wenn dieses wahr ist, sage ich, so wäre in diesem Falle es allerdings ein großes Mißgeschick für die Angelegenheit deutscher Vaterlandsliebe gewesen. (SW VII, 397) IV. Wir sehen das Nationale von Fichte in dem Text »Aus dem Entwurfe zu einer politischen Schrift im Frühlinge 1813« (SW VII). Am 10. März 1813 stiftete der preußische König den neuen Orden des Eisernen Kreuzes, am 16. erklärte er den Krieg und am 17. erging der berühmte Aufruf »an meine Volk«. Fichte schreibt den Text in dieser Situation. Er beobachtete scharf die Entwicklungen in jener Zeit mit den Analysebegriff des wahren Krieges, d. h. des Volkskrieges im Unterschied zum Kriege der Landesherren.4 Der Krieg hatte einen eigentümlichen Doppelcharakter. Erstens: Für die Patrioten war es ein Krieg der Völker und Nationen, ein Kreuzzug gegen die Tyrannei, es ging um Befreiung und Freiheit. Zweitens: Aber zugleich war der Krieg ein Krieg der Monarchen und Regierungen, der Staaten und Mächte, ein Krieg, in dem es um dynastische Rechte und Ansprüche ging. So schreibt Fichte: »im eigentlichen Volkskriege kämpft für sein eigenes Ermessen des Zwecks das Volk, nicht für das Interesse oder die Einbildung eines solchen, der abgesondert von ihnen geboren wird und stirbt, durchaus, dem man sich nur annähern kann. Das ist Sache einer Constitution, die sich mitentwickelt: Republik, nicht Willkür, in keinerlei Hinsicht« (SW VII, 553).
Fichte verstand klar den Doppelcharakter des Krieges und er stand auf der ersten Seite. Aber er versuchte noch nicht eine Nation mit einem Staat und negierte auch die monarchischen Regierungen noch nicht. 4
SW VII, 551.
Das Nationale in Fichtes Spätwerk
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Aber das Nationale Fichtes wird religiös geweiht, und letztlich heilig, ja durch die Politisierung und den Zeitgeist nach 1815. Im soziopolitischen Prozeß des 19. Jahrhunderts wird mehr und mehr das Religiöse in Nationales säkularisiert und das Säkulare wird in Nationales sakralisiert.5
5
So Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte, 1800–1866, 84.
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Zur Umwandlung der Staatslehre des späten Fichte
Makoto Takada (Sapporo)
I. Vorwort Man könnte den Übergang von der politischen Philosophie des frühen Fichte zu der des späten grob als Umwandlung von der individualistischen, kontrakutalistischen Auffassung in die kollektivistische charakterisieren. Dabei geht es darum, wie Volkssouveränität behandelt wird. Genauer gesehen findet sich zwischen seiner frühen und seiner späten politischen Philosophie sowohl Kontinuität auch als Diskontinuität. Während in der politisch-philosophischen Sphäre das Hauptwerk des frühen Fichtes die Grundlage des Naturrechts von 1796 ist, ist als sein spätes repräsentatives Werk die Staatslehre von 1813 wohlbekannt. Aber in dieser aus Vorträgen Fichtes stammenden Schrift wird die Konstituierung und die Struktur des Staats nicht eingehend erörtert.1 Daher interessieren uns Das System der Rechtslehre von 1812. Dieses Werk ist besonders bemerkenswert darin, daß es sich der GNR thematisch anschließt und den theoretischen Rahmen dieses frühen Werks aufrechterhält. In der RL1812 werden frühe Hauptkonzepte übernommen; die Errichtung des Staats 1 Eigentlich macht diese Schrift die Staatslehre nicht zum Hauptthema. Die ersten Herausgeber wählten den Titel, »Staatslehre« für Vorträge Fichtes, obwohl Fichte selbst in der Ankündigung sie nur als »Vorträge verschiedenen Inhalts aus der angewandten Philosophie« bezeichnet hatte (SW IV, XXV).
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durch den Bürgervertrag, die Übertragung der Gewalt an den Verwalter, die Aufsicht der Verwalter durch das Ephorat und die Möglichkeit der Revolution. Es mag komisch scheinen, daß in der RL-1812 Fichte die frühen Begriffe noch benutzte, obwohl er schon in der Mittelphase seines Gedankengangs auf die Elemente des Bürgervertrags und der Volkssouveränität verzichtet haben müsste. Der späte Fichte bewahrt die frühen Paradigmen, aber ihr Inhalt verändert sich. Hier zeigt sich die komplizierte Entwicklung der politischen Philosophie Fichtes.
2. Der politische Gedanke des frühesten Fichte In Bezug auf die politische Philosophie des frühen Fichte muß man darauf achten, daß schon dort die Volkssouveränität in einem beschränkten Sinne zu vestehen ist. In seiner ersten politischen Schrift, der Zurückforderung der Denkfreiheit von den Fürsten Europens von 1793 [ZdDf] behauptet Fichte, daß der Staat oder die bürgerliche Gesellschaft sich aufgrund des »sozialen Vertrags« zwischen Individuen einrichtet. »Die bürgerliche Gesellschaft gründet sich auf einen solchen Vertrag aller Mitglieder mit einem, oder eines mit allen« (SW VI, 13). Fichte weist zugleich darauf hin, daß die bürgerliche Gesellschaft die exekutive Gewalt dem Fürst übertragen muß. »Diese ausübende Gewalt kann ohne Nachteil nicht von der ganzen Gesellschaft ausgeübt werden; sie wird daher meherern oder einem Mitgliede übertragen. Der eine, dem sie übertragen wird, heißt Fürst.« (ibid.) Während Fichte das Recht des Volks auf Revolution verteidigt, unterscheidet er den Kurs der »gewaltesamen Revolution« von dem des »allmählichen Fortschreitens« »zur Verbesserung der Staatsverfassung«, und versteht letzteren als wünschenwert, um »das Elend« des Mißlingens der Revolution zu vermeiden (5). Auch in dem Beitrag zur Berichtung der Urtheile des Publikums über die Französische Revolution von 1793 behauptet Fichte, daß die bürgerliche Gesellschaft sich durch »den Vertrag zwischen ihren Mitgliedern« gründet (SW VI, 81), daß »die Verfassung solle nicht ohne den gemeinsamen Willen [»volonté générale«]…abgeändert werden« (SW VI, 109). Fichte erkennt das Recht des Volks, seine Staatsverfassung zu verändern, als »unverlierbares Menschenrecht« an (SW VI, 105). Fichte neigt aber auch zu der Ansicht, daß, um die Befreiung des Menschen »ohne Un-
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ordnung« zu vollziehen, die Verbesserung »von oben« besser ist als die Revolution »von unten« (SW VI, 44).
3. Die Staatslehre in der »Grundlage des Naturrechts« Auch in dem frühen politisch-philosophischen Hauptwerk, der GNR, bestätigt Fichte wieder, daß der Staat sich aufgrund »des gemeinsamen Willens« (SW III,153), durch den »ursprünglichen Vertrag« (SW III, 184) eingerichtet wird. Wenn der Wille des Einzelnen mit dem gemeinsamen Willen übereinstimmt, unterwirft sich der Einzelne dem gemeinsamen Willen und zugleich seinem Willen. »Obgleich ich unterworfen bin, bleibe ich immerfort nur meinem Willen unterworfen« (SW III, 104). »Auf diese Weise, durch Verträge der Einzelnen mit den Einzelnen, ist das Ganze entstanden, und dadurch, daß alle Einzelne mit allen Einzelnen, als einem Ganzen contrahiren, wird es vollendet.« (204) Diese Auffassung nähert sich der Auffassung Rousseaus an. Rousseau schreibt:»›Eine Form der Vereinigung (association) zu finden […], durch welche jeder sich mit dem Ganzen verbindet, aber zugleich nur seiner selbst gehorcht und auch frei bleibt, wie vorher.‹« (Rousseau, Sozialer Vertrag, Buch I. Kap.6).2 In Bezug auf den Vertrag zur Einrichtung des Staats nun unterscheidet Fichte von dem horizontalen Vertrag zwischen den Einzelnen den vertikalen Vertrag, wodurch das Volk (das gemeine Wesen) den Verwaltern (den Regenten) die Staatsgewalt (die exekutive Gewalt) überträgt und sich ihr unterwirft (SW III, 161). Durch diesen »Übertragungscontrakt« (SW III, 165) oder den »Unterwerfungsvertrag« (SW III, 206) errichtet sich der Staat im engeren Sinne. Diese Ansicht ist aber nun von der Rousseaus verschieden. Rousseau lehnt den vertikalen »Unterwerfungsvertrag (Regierungsvertrag)« zwischen dem Oberhaupt und dem Einzelnen streng ab. Er erkennt nur den horizontalen »Vertrag der Vereinigung« zwischen den Einzelnen (Sozialer Vertrag, Buch III. Kap.16). Fichte kritisiert scharf die direkte Demokratie im Rousseauschen Sinne als »allerunsicherst«, als »rechtswidrig«, in welcher die »Gemeine, über ihre Verwaltung des Rechts überhaupt, zugleich Richter und Partei 2 Rousseau behauptet auch: »Sofern die Untertanen sich nur diesem Übereinkommen unterwerfen, gehorchen sie niemandem, sondern nur ihrem eigenen Willen« (»Gesellschaftsvertrag« Buch II. Kap.4) : »die Akt der Vereinigung enthält ein gegenseitiges Versprechen des Öffentlichen mit den Einzelnen: jeder macht sozusagen mit sich selbst ein Versprechen im Doppelverhältnis sowohl als Glied des Souveräns gegenüber dem Einzelnen, als auch als Glied des Staats gegenüber dem Souverän.« (Buch II. Kap.7)
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ist« (SW III, 159), oder die exekutive Gewalt im umfassenden Sinne ergreift, die die ausübende Gewalt im engeren Sinne und die richterliche Gewalt enthält (SW III, 160). Die Originalität der Auffassung Fichtes besteht in der Einführung des »Ephorats«. In der Übertragung der exekutiven Gewalt an den Verwalter entsteht das Problem, ob die Ausübung dieser Gewalt durch die Verwalter dem »gemeinsamen Willen« entspricht. Indem es nicht umsetzbar ist, daß die Gemeine (das Volk) in der Volksversammlung darüber urteilt, so muß sie den von ihr ernannten Ephoren die Aufsicht der Verwaltung anvertrauen. Das Ephorat hat das Recht auf »Suspension« der exekutiven Gewalt, auf »Staatsinterdict«. Wenn die Verwalter den Befehl des »Staatsinterdicts« verweigern, bedeutet es »Widerstand gegen den, durch die Ephoren erklärten gemeinsamen Willen, mithin Rebelle« (SW III, 172). Wenn das Volk zusammenberufen wird und in der Versammlung urteilt, daß die Verwalter unrechtmäßig handelten, müssen sie entlassen werden. Dann entsteht eine Revolution. In diesem indirekten, beschränkten Sinne behält das Volk das Recht auf Revolution. Nach der Ansicht Fichtes ist die rechtmäßige Staatsverfassung diejenige, welche ein Ephorat enthält, das von der exekutiven Gewalt im wieteren Sinne getrennt ist (SW III, 160). Dagegen sind der Despotismus und die Demokratie rechtswidrig. Fichte unterscheidet die »Staatsverfassung« von der »Regierungsverfassung«, zu welcher die Monarchie, die Republik und die Aristokratie gehört (SW III, 163).3 Fichte schätzt die Republik nicht unbedingt hoch ein, sondern zielt vielmehr auf einen Weg zur Monarchie. Auch in dem Geschlossenen Handelsstaat von 1800, welcher die Prinzipien der GNR als Politik konkretisiert, wird die Vertragslehre aufrecht erhalten. Es heißt, daß der Staat einerseits durch den horizontalen Vertrag zwischen den Individuen, den »Beitrag aller mit allen«, andererseits durch den vertikalen Vertrag zwischen dem Staat und den Inidviduen errichtet wird (SW III, 402). Aber in dem GHS tritt eine andere Tendenz zu dem Primat des Staats auf. Fichte betont, daß der Staat, um das wirkliche Leben der Individuen zu sichern, die Wirtschaft planmäßig streng kontrollieren muß.
3 Rousseau nennt die auf der »volonté générale« begründete Verfassung »Republik«. Er unterscheidet sie von den Formen der Regierung. Neben der Demokratie erkennt Rousseau die Aristokratie, die Monarchie und die vermischte Regierung als Formen der Regierung an, welche nach den Umständen der Nation verschieden sein können.
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4. Die politische Philosophie in der Mittelphase In der Mittelphase der Entwicklung Fichtes wandelt sich die Wissenschaftslehre vom Standpunkt des Primats des Ichs zu dem des Primats des Absoluten um. Wie verändert sich seine politische Philosophie relativ zu dieser Umwandelung? In dieser Phase hat Fichte keine systematische politische Philosophie. Aber man kann zumindest erkennen, daß Fichte in dieser Phase auf die atomistische Staatsauffassung verzichtet. Das bedeutet dann tatsächlich den Verzicht auf die kontraktualistische Auffassung. In der Bestimmung des Menschen von 1800 behauptet Fichte, daß »ein unendlicher Wille«, ein göttlicher Wille alle Individuen in »der geistigen Welt« verbindet (SW II, 299, 301). Aber es erklärt sich nicht, wie der unendliche Wille in »dem wahren Staat« (SW II, 273f.) erscheint. In den Grundzügen des gegenwärtigen Zeitalters von 1804–05 heißt es, daß der Staat weder auf Individuen beruht, noch aus ihnen »zusammengesetzt« ist (SW VII, 146). Somit ist die Vertragslehre tatsächlich aufgegeben. In den GdgZ teilt Fichte den Staat unter einer weltgeschichtlichen Perspektive in drei Stufen. Im Staat erster Stufe entsteht die »absolute Ungleichheit« zwischen der herrschenden und der beherrschten Klasse (SW VII, 150). Die Herrscher unterwerfen die Beherrschten ihrem eigenen egoistischen Zweck. Im Staat zweiter Stufe bringt sich die formelle Gleichheit, »Gleichheit des Rechts aller als Recht« ein, indem »jedem […] ein Zweck zugesichert sey, in dessen Erreichung keiner […] ihn stören dürfe« (SW VII, 151). Auch in diesem Staat bleibt der Egoisimus insofern noch, als alle Individuen ihre privaten Zwecke verfolgen dürfen. Der Staat dritter Stufe, »der absolute Staat« ermöglicht eine materielle Gleichheit aller, »Gleichheit der Rechte und des Vermögens« aller (ibid.). Er sichert nicht nur das juristische Recht aller Individuen, sondern auch ihre wirklichen Rechte im sozialen, ökonomischen Leben. Erst hier wird der Egoismus überwunden, indem alle Mitglieder ihre Kräfte auf den Gesamtzweck des Staats wenden und sich für diesen Zweck »positiv«, spontan aufopfern. Die Integration der Individuen zum Ganzen verbindet sich eng mit der Sicherung der materiellen Gleichheit der Mitglieder. Hier übernimmt Fichte den in dem »Geschlossenen Handelstaat« gemachten Entwurf des Wohlfahrtsstaats, demzufolge der Staat nicht nur die formelle, sondern auch die materielle Gleichheit aller Menschen garantiert.
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5. Die Revision der frühen Staatslehre in der späten Phase In der RL-1812 überprüft Fichte die frühen Hauptbegriffe des Staats. Einerseits als Folge seines frühen Modells erkennt er wiederum an: »Die Staatsgewalt entsteht […] durch einen Vertrag aller«, durch den »Staatsbürgervertrag« (SW X, 515). Andererseits behauptet er, daß die Regierung an eine Person oder an mehrere Personen übertragen werden muß. Er kritisiert die direkte Demokratie. »Die Regierung muss übertragen werden an Personale aus der Gemeine; eine reine Demokratie ist keine Rechtsverfassung« (SW X, 628). Auch in Bezug auf die in der GNR geäußerte Ansicht, daß die Ephoren die Ausübung der Staatsgewalt unterbrechen, die Volksversammlung einberufen und das Urteil des Volks fordern, wenn die regierenden Personen und die Ephoren sich gegenüberstehen, heißt es: »Die RechtsPrinzipien, die dabei zu Grunde liegen, sind ganz richtig« (SW X, 632): »Daß das Urteil des Volks formaliter recht sei […], ist bewiesen. Aber wie materialiter?« (SW X, 633) Wenn das Volk sich durch die Einberufung der Ephoren versammelt und das regierende Personal entläßt, geschieht eine Revolution. Dieser Weg der Revolution aber birgt eine große Gefahr (SW, X 634). Fichte lenkt daher seine Aufmerksamkeit darauf, daß das Ephorat nicht funktionieren kann, bis das Volk gebildet ist: »Die Realisation eines Ephorats […] ist [un]ausführbar4, weil die Menschen im Ganzen viel zu schlecht sind; bis sie aber im Ganzen besser werden, wird sich wohl eine Verfassung ergehen haben müssen, die keines aufgestellten Ephorats bedarf« (SW X, 633). Fichte sieht es als wünschenwert an, daß das Ephorat »still« wirkt, indem die regierenden Personen dazu ausgebildet werden, auf Warnungen des Ephorats zu hören. Aber auch bezüglich dieses zweiten Wegs ist Fichte pessimistisch. Er findet dennoch andere Wege, den am besten ausgebildeten Personen die Staatsgewalt zu übertragen, oder die schon regierende Personen zum rechtlichen Willen zu machen. »Es sind zwei Lösungen dieser Fragen möglich: entweder a) dem persönlichen Willen des Rechts, oder falls dieses nicht möglich sein sollte, dem, der sich ihm am meisten annähert, die Oberschaft zu verleihen: der Beste soll herrschen: oder b) umgekehrt: den persönlichen Willen, der da faktisch herrscht, zum rechtlichen, oder am Meisten sich ihm annähernden Willen zu machen. Der Herrscher soll der Beste sein« (SW X, 629).
4
In der Ausgabe von H. Schulz (1920) wird »ausführbar« zu »unausführbar«.
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Dieses Problem erklärt Fichte aber auch anders: »Es ist sonach die Aufgabe, einen Willen zu finden, von dem es schlechthin unmöglich ist, daß er anderes sei, als der gemeinsame und einen solchen Willen zu errichten« (SW X, 628). Und weiter: »Ein wirklicher Wille ist nur in Personen; unsre Aufgabe heißt also: den Willen gewisser Personen zu diesem Willen zu machen« (ibid.): »Irgend einmal wird und muß einer kommen, der als der Gerechteste seines Volkes der Herrscher desselben ist«: »Nur in dieser historischen Rücksicht ist der Ursprung der Oberschaft unerforschlich; und wir müssen uns unterwerfen« (SW X, 635).5 Nach dieser Ansicht würde der ursprüngliche Vertrag sich aushöhlen.6 Zuletzt kommt Fichte zu dem Schluß, daß der rechtmäßige Staat infolge »der göttlichen Weltregierung« durch rechtlich ausgebildete Personen beherrscht werden muß. »Also, die Aufgabe das Recht zu constituieren […], den Gerechtesten seiner Zeit und Nation zum Herrscher derselben zu machen, ist durch menschliche Freiheit nicht zu lösen. Es ist darum eine Aufgabe an die göttliche Weltregierung« (SW X, 635). In der StL auf dem christlichen Standpunk der »Theokratie« versteht Fichte den Vernunftsstaat als »Reich des Himmels auf der Erde« (SW IV, 528, 582). Für Fichte begründet sich in der Weltgeschichte das Verhältnis Gottes zu den Menschen auf das des Menschen zu den Menschen. Indem in der alten Welt Gott mit absoluter Willkür die Menschen beherrschte, geschah die Ungleichheit auch in der Gesellschaft (SW IV, 521, 529). Nach dem Christentum aber erschien ein neues Prinzip. Gott garantiert die Freiheit und die Gleichheit aller Menschen in der Gesellschaft; »das Christenthum [ist] darum das Evangelium der Freiheit und Gleichheit: […]: [hier entstehen] Aufhebung aller Oberherrschaft und bürgerlichen Ungleichheit« (SW IV, 523).
5 Eine ähnliche Tendenz findet sich auch in der Auffassung des späten Kant. In der Metaphysik der Sitten von 1797, welche ein Jahre nach der GNR Fichtes publiziert wurde, heißt es, »Der Ursprung der obersten Gewalt ist für das Volk, das unter derselben steht, in praktischer Absicht unerforschlich«: »Ob ursprünglich ein wirklicher Vertrag der Unterwerfung unter derselben […] als ein Factum vorher gegangen, oder ob die Gewalt vorherging, und das Gesetz nur hintennach gekommen sei […] : das sind […] ganz zweckleere und dem Staat mit Gefahr bedrohende Vernunfteleien« (AA VI, 318): Das Volk muß »der jetzt bestehenden gesetzgebenden Gewalt gehorchen«, »ihr Ursprung mag sein, welcher er wolle« (319). 6 R. Schottky kommentiert die Auffassung Fichtes kritisch: »Davon, daß, als Träger des Gemeinwillens, die Volksgesamtheit souverän sei und bleibe, ist keine Rede mehr. Zwar setzt die Formulierung, ›die Regierung muß übertragen werden‹ […] so etwas wie ›ursprüngliche‹, die als ähnlich fiktiv gelten muß wie der sie konstituierende Vertragsschluß. Die eigentliche Souveränität, die Souveränität im Staats, spricht Fichte nun dem oder den Regenten zu« (Neuausgabe der RL-1812, Einleitung. XXX-XXXI).
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6. Zwang und Bildung des Volks im Staat Richard Schottky findet in diesem Werk die Entfernung »von demokratischen Tendenzen« des frühen Fichtes und die »Wendung zu einem Aristokratismus des Geistes« (Neuausgabe der RL-1812, Einleitung, XXXIII). Diese Charakterisierung scheint mir aber grob. Wie bisher erwähnt, versteht Fichte einerseits schon in der GNR die Volkssouveränität im beschränkten Sinne, bejaht sie aber andererseits auch in der RL-1812 mindestens »formaliter«. Der Übergang in seiner Bewertung der Volkssouveränität ist ziemlich kompliziert. Inwieweit die Volkssouveränität realisierbar ist, hängt davon ab, wieweit das Volk sich politisch und sittlich ausbildet. Seit seiner Jugendzeit lenkt Fichte seinen Blick auf die Verbindung der Errichtung des Vernunftstaats mit der Bildung des Volks. In dem Beitrag von 1793 ist Fichte der Meinung; »der einzige Endzweck der Staatsverfassung« liege in der »Cultur zur Freiheit«; der Staat würde unnötig, wenn dieser Endzweck völlig erreicht werden könnte (SW VI, 102). Eine gute Verfassung ist »eine Kerze, die sich durch sich selbst verzehrt« (SW VI, 103). Auch in der Bestimmung der Gelehrten von 1794 heißt es, daß der Staat sich »überflüssig« macht und auf »seine eigene Vernichtung« ausgeht, indem er sich vollendet (SW VI, 306). Aber in der GNR rückt die Lehre der Selbstaufhebung des Staats in den Hintergrund. Der Staat wird von der Sittlichkeit scharf getrennt und als Zwangsanstalt charakterisiert, in dem Individuen zur gegenseitigen Sicherung ihres Rechts ihre äußerliche Freiheit gegeneinander beschränken. Während Fichte behauptet, daß der Staat sich durch den Vertrag zwischen den Bürgern errichtet, ist er nicht optimistisch bezüglich der Möglichkeiten der Ausbildung des Volks als tätiger Träger des Staats. Der Staat muß sich daher die Aufgabe stellen, das Volk auszubilden. In den Werken in der Mittelphase, in den Reden an die deutsche Nation von 1808 behauptet Fichte, daß der Grundzweck des Staats nicht in dem bloßen Regiment, sondern in der Ausbildung der Nation liegt. »Aus allem geht hervor, daß der Staat, als blosses Regiment des im gewöhnlichen friedlichen Gange fortschreitenden menschlichen Lebens, nichts Erstes und für sich selbst Seyendes [ist], sondern daß er bloss das Mittel ist für den höheren Zweck der ewig gleichmässig fortgehenden Ausbildung des rein Menschlichen in dieser Nation« (SW VII, 392). Hier wird die Trennung zwischen dem Staat und der Sittlichkeit beseitigt. In der RL-1812 wird ebenfalls die Bildungsfunktion des Staats betont. Es heißt, daß der letzte Zweck des Staats »die sittliche Freiheit« ist, daß die Staaten nicht nur Zwangsanstalten, sondern auch »Anstalten für
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die Bildung aller zur Freiheit« sind (SW X, 540). Fichte bestätigt seine frühe Auffassung der Selbstaufhebung des Staats. Wenn der Staat alle Menschen politisch und sittlich ausbildet, hebt er sich selbst auf. »Er geht […] darauf aus, sich aufzuheben, denn sein letztes Ziel [ist] die Sittlichkeit« (SW X, 542). In der StL wird es noch klarer gemacht, daß sich die »Zwangsanstalt« und die Bildungsanstalt im Staat verbinden. »Kein Zwang [ist], außer in Verbindung mit der Erziehung zur Einsicht in das Recht« (SW IV, 437). Fichte kommt zu der Folgerung, daß der Staat nur als Mittel für die Errichtung des Vernunftsreichs (des sittlichen und religiösen Reichs) gilt (SW IV, 496), daß aller Zwang wegfällt, wenn dieses Reich sich realisiert (SW IV, 591). 7. Zwangsstaat, Bildungsstaat und Wohlfahrtsstaat Der von Fichte entworfene Staat hat einen dreifachen Grundcharakter: den des Zwangsstaats, den des Bildungs-Kulturstaats und den des Wohlfahrtsstaats.7 Durch den Zwang bildet der Staat seine Mitglieder zur Freiheit und garantiert ihnen die materiellen Rechte, den Wohlstand. In seinem Gedankengang macht Fichte klar, daß der Staat der unerlässliche Boden der Rechte und des Wohlstands der Einzelnen ist, indem er den Zwangscharakter des Staats betont. Nach der Ansicht Fichtes stellt sich nie der Zwang des Staats den Rechten und dem Wohlstand der Mitglieder gegenüber. Der Entwurf des Wohlfahrtsstaats findet sich schon in der GNR. In diesem frühen Werk heißt es, daß jedermann das Recht auf Leben hat. Das Recht auf Leben verbindet sich mit dem Recht auf Arbeit. Der Staat muß jedem eine Arbeitsstelle geben, damit er leben kann. Wenn jemand von seiner Arbeit nicht leben kann und Not leidet, muß der Staat ihn stützen. Nun hat jeder nicht nur das Recht auf Leben und Arbeit, sondern auch die Pflicht der Arbeit: »Wie nach dem obigen Satze kein Armer, so soll nach dem gegenwärtigen auch kein Müßiggänger in einem vernunftmässigen Staate seyn«. (SW III, 214) Dieser Gedanke konkretisiert sich in dem »geschlossenen Handelsstaat« von 1800, welcher »als Anhang zur Rechtslehre«, nämlich zur 7 Zu dem Verhältnis von Rechtsstaat, Wohlfahrtsstaat und Bildungsstaat bei Fichte siehe: Georg Geismann Fichtes »Aufhebung« des Rechtsstaats‹ in Fichte-Studien, Bd.3, 1991 und Richard Schottky: Rechtsstaat und Kulturstaat bei Fichte, A.a.O..
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GNR geschrieben wurde. Fichte kritisiert die in der Neuzeit herrschende liberalistische Staatsauffassung als »zu eng«, daß die Hauptrolle des Staats lediglich darin bestehe, »nur jeden bei seinen persönlichen Rechten und seinem Eigenthume zu erhalten und zu schützen.« (SW III, 399) Nach der Ansicht Fichtes hat jedermann den Rechtsanspruch, »menschlich auf der Erde zu leben«, möglichst »angenehm zu leben« (SW III, 402, 422). Um diesen Wohlfahrtsstaat zu realisieren, macht Fichte einen Vorschlag der strikten Planwirtschaft. Dazu bedarf es der starken Kontrolle des Staats. Er betont den Zwangscharakter des Staats, während er auch in dem GHS gemäß des kontraktualistischen Modells behauptet, daß der Staat sich durch den »Beitrag aller mit allen« errichtet (SW III, 401f.). Auch in der GdgZ in der Mittelphase heißt es, daß der absolute Staat nicht nur das formelle, juristische Recht, sondern auch das materielle Recht sichern muß (SW VII, 151). In der RL-1812, welche nicht nur den juristischen Rahmen der GNR, sondern auch die soziale und ökonomische Politik aus dem GHS übernimmt, behauptet Fichte: »Der Zweck aller dieser Arbeiten ist der, leben zu können. Alle […], sind jedem Bürge dafür, daß seine Arbeit diesen Zweck erreichen wird« (SW X, 533). Zugleich betont Fichte, daß der Staat der Boden des Rechts und Wohlseins des Bürgers ist, sowie daß, um die Garantie seines Rechts und des Wohlseins zu bekommen, der Bürger zum Staat beitragen muß. »Jeder hat überhaupt Rechte nur dadurch, daß er seinen Beitrag zur Errichtung und ewigen Erhaltung des Staats leistet« (ibid.).
Der Diskurs der Moderne in J. G. Fichtes Staatslehre
Nele Schneidereit (Berlin)
»So empfiehlt es sich, noch einmal an den Ort der vernunftkritischen Entlarvung der Humanwissenschaften zurückzukehren, aber diesmal im Bewußtsein einer Tatsache, welche die Nachfolger Nietzsches hartnäckig ignorieren. Sie sehen nicht, daß bereits jener philosophische Gegendiskurs, der dem mit Kant anhebenden philosophischen Diskurs der Moderne von Anbeginn innewohnt, der Subjektivität als dem Prinzip der Moderne die Gegenrechnung aufmacht. Die grundbegrifflichen Aporien der Bewußtseinsphilosophie [...] sind ja von Schiller, Fichte, Schelling und Hegel schon einmal [...] analysiert worden. [...] es empfiehlt sich, den Weg des philosophischen Diskurses der Moderne bis zum Ausgangspunkt zurückzugehen – um an den Wegkreuzungen die damals eingeschlagene Richtung noch einmal zu überprüfen.«1
Jürgen Habermas bezeichnet in Der philosophische Diskurs der Moderne das Projekt der Moderne als unvollendet. Zwischen Modernität und Rationalität bestehe ein interner Zusammenhang, der sowohl Quintessenz als auch Kernproblem der Moderne und deshalb Objekt der Auseinandersetzung ihrer mit sich selbst ist. Für Habermas ist Hegel der erste, der diesen Problemzusammenhang thematisiert hat. Daher läßt Habermas den Diskurs über die Moderne bei Hegel beginnen, während der der Moderne bei Kant einsetze. Moderne bezeichnet dabei für Habermas keinen klar um1 Jürgen Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne. Frankfurt/M. 1988, 344f. Im Folgenden im Text mit der Sigle Hab zitiert.
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reißbaren zeitlichen Abschnitt: sie scheint irgendwo in Europa, irgendwann nach der Aufklärung einzusetzen. Habermas’ Text ist der Versuch, die Rationalität als gültiges Prinzip gegen die rationalitäts- und subjektivitätskritische Postmoderne zu verteidigen. Damit befindet er sich selbst im Diskussionsfeld der vernunftaffirmativen und -kritischen Positionen. Laut Hegel bringe der Ausdruck ›Subjektivität‹ vor allem vier Konnotationen mit sich: a) Individualismus, b) Recht der Kritik, c) Autonomie des Handelns und d) die idealistische Philosophie selbst, in der sich die Philosophie als wissende Idee erfaßt (cf. Hab, 27). Dies kann als der unproblematische Teil bezeichnet werden, der in den Punkten Individualismus, Recht der Kritik und Autonomie erhalten bleiben soll. Der problematische Teil des Diskurses liegt aber wiederum in diesen Begriffen: »Die Moderne kann und will ihre orientierenden Maßstäbe nicht mehr Vorbildern einer anderen Epoche entlehnen, sie muß ihre Normativität aus sich selber schöpfen (Hab, 16)« und zugleich kritikfähig bleiben. Hegels Philosophie sei als eine Antwort auf diese Frage nach möglicher Orientierung zu verstehen insofern sie durchdrungen ist von der Bestrebung, die Vernunft als Macht der Vereinigung zu erweisen. Laut Habermas formuliert Hegel damit einen Einspruch vor allem gegen die Systeme Kants und Fichtes. In diesen spreche sich das Selbstverständnis der Moderne in der »entfesselnden Kraft der Reflexion« aus, die die Spaltung von Glauben und Wissen nicht überwinden könne und deshalb in eine »unterjochende Subjektivität« münde (cf. Hab, 45). Ich kann es hier weder leisten, darauf einzugehen, wie adäquat die Wiedergabe des Hegelschen Programms durch Habermas ist, noch ob dieser Vorwurf gegen Kant so zutrifft. Ich werde aber versuchen aufzuzeigen, daß er Fichte nicht trifft; – und das auf zwei Ebenen: Erstens trifft er ihn rein faktisch nicht, denn die Problematik der Entzweiung, mangelnder Normativität und der Trennung von Glauben und Wissen als Erfahrungen mit der begonnenen Moderne sind durchaus Thema bei Fichte gewesen. Und zweitens spricht sich bei Fichte ein von Habermas wenig beachteter, aber für die Zeit um 1800 durchaus charakteristischer anderer Gegendiskurs zur vernunftaffirmativen Moderne aus. Fichte hat nicht wie Friedrich Schlegel ein ästhetisches oder wie Schiller ein die Antike verherrlichendes Modell vor Augen, sondern für ihn liegt die wesentliche Frage in der Verbindung von Philosophie, Politik und Religion. Darin hat Fichte prominente Mitstreiter in Novalis, Joseph von Görres und Adam von Müller. Trotz der gravierenden Unterschiede und sogar einer verhaltenen Kritik
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von Seiten Novalis’2 und Görres’ am Fichteschen Gedanken, findet sich bei den genannten Denkern ein ebenso religiöses Motiv, das die in ihrer Zeit erlebten Spannungen aufheben können sollte. Ein Motiv, das durch den Staat vermittelt werden muß und auf Verdiesseitigung religiöser Vorstellungen abzielt. Ich möchte Fichtes Staatslehre von 1813 als exemplarisch für diesen religiös-politisch motivierten Gegendiskurs lesen3 und in diesem Sinne Habermas’ Aufforderung folgen, an die damals eingeschlagene Wegkreuzung zurückzukehren. I. Fichte bestimmt es als geschichtliche Aufgabe zu verstehen, wie die Situation ist. Im folgenden wird Fichtes Geschichtsbegriff, wie er ihn in der Staatslehre entwickelt, eine Art Brücke zur Thematisierung der Moderne4 als mit sich zerfallener Zeit bilden, denn die Frage ist eine genetische: wie und warum kam es dazu und wo muß zur Änderung eingewirkt werden? Bereits in der Schrift Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters [1804] hat Fichte die Epoche der Post-Aufklärung, als die der »vollendeten Sündhaftigkeit (GA I/8, 207),« bezeichnet, in der das Subjekt glaube, sich allein aus sich heraus setzen und vollkommen unabhängig, einzeln und gleichgültig gegenüber allem anderen sein zu können. Fichte charakterisiert die eigene Zeit als »Zerflossen und der Realität beraubt in der Wurzel: ermangelnd der Anschauung, wie sie die alte Welt hatte, des lebendigen Begriffes, wie die geschilderte [i. e. die Neue Welt, das Vernunftreich, NSch] sie haben wird, leben wir nur in einem problematischen und probirenden Begreifen, so daß es uns sogar schwer wird, einen solchen besseren Zustand uns zu bilden (SW IV, 588).« Diese Beschreibung der eigenen Zeit ist typisch für die Selbstproblematisierung der Moderne um 1800. 2 Cf. Novalis’ Kritik an Fichte und Schelling als »Mystifikationsversuche« (Novalis, Die Christenheit oder Europa, Schriften, III, Stuttgart u. a. 1983, 521). Andersherum hat auch Fichte wiederholt Kritik an der Romantik geübt und diese seinerseits des »Mysticismus« und der »Schwärmerei« bezichtigt (cf. GdgZ, GA I/8, 288). 3 Ein ähnliches Vorhaben liegt Giovanni Morettos Artikel Das Christentum und die Gleichheit der Menschen zugrunde (In: Der transzendentalphilosophische Zugang zur Wirklichkeit: Beiträge aus der aktuellen Fichte-Forschung. Hg. v. Erich Fuchs u. a., Stuttgart 2001, 507– 529). Moretto meint aber, Fichte sei in der neuplatonischen Tradition zu verorten (cf. Moretto, 515) – eine Haltung, die quer zum Textbefund steht. 4 Fichte verwendet die Begriffe ›modern‹ und ›Moderne‹ an nur zwei Stellen der Staatslehre. Er belegt das, was bei Schiller, Friedrich Schlegel und Hegel bereits zuvor als ›Moderne‹ bezeichnet worden war, mit den religiös aufgeladenen Begriffen der ›Neuen Welt,‹ der ›Neuen Zeit‹ und des ›neuen Menschen.‹
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In der Deduction der Geschichte des Menschengeschlechtes leitet Fichte aus dem Idealzustand des Vernunftreiches die notwendigen Bedingungen des Erreichens desselben her. Er rekonstruiert rein aus dem Ideal des zukünftigen Vernunftreiches den Gang der Geschichte als ein »historisches Factum a priori (SW IV, 528).« Geschichte ist keine Übersicht über das Faktische, sondern die Darstellung der sittlich motivierten Handlungen und deren Beförderung in ihrer normativen Vorbildfunktion. Es soll die »Erzählung seyn von der göttlichen Vorsehung, seiner Weltregierung (in den freien Willen nemlich, denn die Natur giebt einer solchen Regierung nach Zwecken der Freiheit keinen Platz): eines göttlichen Weltplanes zur sittlichen Bildung des Menschengeschlechtes (SW IV, 466),« zu einem einigen, freien und sittlichen Menschenvolk in fünf Epochen. Den Ausdruck dieses Weltplans gilt es, in der Vergangenheit zu erkennen, um zu verstehen, wo man selbst innerhalb dieses Planes steht. Nicht minder wichtig ist aber zu wissen, was das Ziel der Entwicklung sein soll – das Vernunftreich nämlich. Der Fortgang der Geschichte besteht bei Fichte nun eben darin, daß der Verstand den Glauben als dogmatisches Prinzip überwindet und dessen Inhalt in die Form der Einsicht überführt. Wo die eigene Zeit steht, läßt sich daraus ersehen, wie weit diese Vereinigung fortgeschritten ist. Das heißt, inwieweit eine Gemeinschaft noch durch Glauben oder durch Verstand in ihrer Verfassung bestimmt ist und an welchen Stellen beide Prinzipien miteinander im Streit liegen. So wird nicht nur die Entzweiung überwunden, sondern es wird auch deutlich, wie der autonome Verstand zu seinen sittlichen Normen kommen soll: Er muß den Inhalt des Glaubens in sich aufgenommen haben. Bei Fichte ist der reflektierende Verstand sowohl verantwortlich für die Entzweiung als auch Bedingung der Möglichkeit der Überwindung derselben. Unter Beibehaltung des Vernunftprimats ist Fichte bemüht, Glaube und Wissen einander durchdringen zu lassen und so das vernünftige Subjekt als gar nicht wirklich der Gemeinschaft enthoben und mit sich selbst entzweit zu erweisen. Er greift dabei auf eine idealisierte Vergangenheit – den sittlichen Urstaat – zurück und faßt diese verstandesmäßig durchdrungen als das Ideal der Zukunft – das sittliche Vernunftreich – auf. Auf diese Weise erhält das Subjekt der Moderne Anhalt an einer vergangenen Normativität, kann diese aber auch aus sich heraus begründen, da sie ein ›historisches Factum a priori‹ ist. Indem es das tut, begreift das Subjekt sein Vermögen dazu als den Ausdruck des alle Individuen einenden: der Vernunft. Aber als Naturanlage allein ist der Verstand nur Bedin-
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gung der Möglichkeit. Zu einer Gemeinschaft im sittlichen Handeln kommt es erst nach Aufnahme der christlichen Glaubensinhalte. In der Staatslehre wird die Vereinigung von Glaube und Verstand in sehr verdichteter Form als Aufgabe eines zu erbauenden Staates beschrieben. Der Staat ist dabei eine menschliche und künstliche Einrichtung und insofern »Notverfassung (SW IV, 528).« Dies aber unter den Grundgesetzen des Christentums. Als solcher erfüllt er seinen Zweck in Aufbau und Erhalt einer Erziehungsanstalt. Als Bildungsanstalt muß der Staat wegen der Sorge um den Fortbestand und die Fortentwicklung aller auch Zwangsanstalt sein. Zwar legitimiert sich staatliche Macht allein im Bewußtsein, daß sie bloß Mittel ist, und Fichte hat durchaus das Problem gesehen, das in der Vereinbarung prinzipieller menschlicher Freiheit und dem zeitgebundenen Zwang zu dieser Freiheit liegt. Er löst dieses Problem damit, daß er die individuelle Freiheit zur apriorischen Bedingung dafür macht, daß es ein Vernunftreich geben könne und daß sich daraus aber die zeitlich gebundene Anweisung zum Zwang ergebe. Es kann als ein durchaus liberaler Gedanke gewertet werden, daß Fichte den äußeren Zwang durch innere Einsicht ersetzen möchte, wie es bereits das humanistische Bildungsideal seit Lessing, Humboldt, Herder und Pestalozzi gewesen ist. Dennoch wirkt sein Entwurf zur Durchsetzung des rechtlichen Zustandes seltsam rigide: »Das Recht muß schlechthin Bahn bekommen; geht er [der Feind des menschlichen Geschlechts, NSch] ihm durchaus aus dem Wege, so muß dieser Weg eben über ihn hinweggehen (SW IV, 389).« Dieses Problem verschärft sich noch dahingehend, daß die Bildung Aller keineswegs zur Gleichheit Aller führen soll, sondern zu einer Art harmonischen Miteinanders von Lehrenden und Versorgern, die unter Anleitung der Lehrenden arbeiten. Fichtes Prämisse ist dabei die folgende: »Die durch Vernunft a priori eingesehene Voraussetzung ist nemlich die, daß jedem unter den freien Individuen im göttlichen Weltplane angewiesen sey seine bestimmte Stelle, die nicht sey die Stelle irgend eines anderen zu derselben Zeit in demselben Ganzen Lebenden (SW IV, 584).« Das Ziel einer friedlichen Zukunft rechtfertigt gewaltsames Vorgehen in der Gegenwart. Das ist allein dann möglich, wenn ich das Handeln unter die Sicherheit des Fortschrittes stelle. Die Orientierung an einem göttlichen Weltplan scheint es vorzugeben, daß alles sich prinzipiell auf dem Wege der Besserung befinde. Aus dem Vertrauen in eine göttliche Ordnung folgt die Unumgänglichkeit der eigenen Handlung. Mehr noch: da nur das als geschichtlich gefaßt wird, was unter das sittliche Gesetz fällt, kommt den Brüchen im Gange der Menschheit keine Wirklich-
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keit zu, denn nur das ist, was unter das sittliche Gesetz fällt. Damit geht einher, daß weder eine gegenwärtige oder vergangene Krise als Warnung an den Menschen hier und jetzt verstanden werden – so auch Walter Benjamins Kritik an traditioneller Geschichtsschreibung – noch die Zukunft Quelle von Beunruhigung sein kann. II. Daß das Problem des Zwanges aber überhaupt auftreten kann, darin liegt die Lösung des teleologisch anmutenden Charakters der Staatslehre als Oberflächenproblem. Andernfalls hätte Fichte keinen Schritt über Lessings Erziehung des Menschengeschlechts hinaus getan.5 Der wesentliche Unterschied ist aber gerade die Entsicherung des Fortganges der Menschengeschichte ins problematische Sollen bei Fichte aus dem apodiktischen Müssen bei Lessing heraus. Das Himmelreich ist kein mit Sicherheit kommendes, sondern ein zu errichtendes. Der Vorstellung eines solchen Reiches kommt dabei der Charakter der Bedingung der Möglichkeit sittlichen Handelns zu. Dieser Gedanke ist konsistent mit Fichtes Fassung des sittlichen Gesetzes, das nur insofern ist als es durch den sittlich handelnden Menschen fortwährend realisiert wird. Weder dem sittlichen Gesetz noch der göttlichen Weltordnung kommt mithin ontologischer, sondern transzendentaler Status unter dem Primat des Praktischen zu: »Ein sittliches Leben: nicht bloss ein nicht unsittliches, ungerechtes, lasterhaftes, – diese Neutralität wird noch von den Meisten mit der Sittlichkeit verwechselt, – sondern ein wahrhaft positiv sittliches, die sittliche Welt, d. h. dasjenige, was in der Erkenntnis liegt, als schlechthin seynsollend, erschaffend und auftragend auf die gegebene Welt, die nur dazu da ist (SW IV, 389).« Es gibt keine bildende Weltseele, die in das menschliche Bewußtsein emaniert und sich so durch den Menschen verwirklicht. Als seiend und unmittelbar findet sich allein das Bewußtsein Aller vor. Als solches ist es selbständiger und handelnder Grund von Bestimmungen des Seins.
5 V. López-Dominguez sieht hier abweichend keinerlei wesentliche Differenz zwischen den Positionen Fichtes und Lessings – was über den denkgeschichtlichen Einschnitt durch Kant und das Scheitern der Französischen hinweg geht. Vgl. in diesem Band, S. 149–164: Virginia López-Dominguez, Die Staatslehre von 1813 oder der Kampf der Aufklärung gegen den politischen Irrationalismus der Romantiker zur Verteidigung einer christlich-revolutionären Sozialutopie.
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Die Rede von der Verdiesseitigung des Himmelreiches hat mithin anleitenden Wert insofern als sie Motiv meiner Handlungen sein soll (als Einübung, bis ich die Philosophie nicht mehr anwende, sondern lebe). Die Teleologie ist ins Utopische verschoben und als Anweisung zu verstehen – und Fichte versteht dies als ein wesentliches Element des Problems, daß wir uns keinen besseren Zustand bilden können. Jede Sicherheit von außen aber ist der Fall ins Nichts. Allein wenn ich mich an das sittliche Gesetz in mir halte, dem aber kein substanzieller, sondern zu realisierender Status zukommt, strebe ich weiter nach Wahrheit und Wirklichkeit. Damit ist die Gemeinschaft aber der Sicherheit eines autoritativen Systems enthoben. Der Möglichkeit des Missbrauchs dieser Entsicherung war Fichte sich durchaus als Risiko bewußt: »›Nun ja: es ist aber doch nicht die absolute Unmöglichkeit bewiesen, daß einer von jenen Misbräuchen nicht eintrete; was ohne Dein Lehren nicht geschehen seyn würde.‹ Nein, gewiss nicht! Weißt Du nur andere Mittel, außer den angegebenen, die ich gebrauchen soll, so teile sie mir mit. die Du gebrauchen kannst, so gebrauche sie. – Nein, sagt jener; Du sollt eben gar nicht lehren, so unterbleibt es sicher: das ist ja das wahre Mittel! – Verzeihung! Und dies ist das einzige, was nicht gebraucht werden kann. – Das kommt eben auf das Vorige hinaus: die Menschenfeindschaft, und über diese haben wir schon gesprochen. Um des Misbrauchs willen den Gebrauch aufheben, heißt eben die Menschheit dazu verurtheilen, daß mit ihr Alles beim Alten bleibe. – Alles ist gemisbraucht worden, Alles kann es, und wird es sicher; daran geschieht nichts Neues (SW IV, 399).«
Im Bewußtsein dieses Risikos geht Fichte über Habermas hinaus, der in seinem Modell der »höherstufigen Intersubjektivität der ungezwungenen Willensbildung in einer unter Kooperationszwängen stehenden Kommunikationsgemeinschaft (Hab, 54),« die den gleichen Ausschnitt einer Lebenswelt teilt, wesentlich bedenkenloser als Fichte teleologische Momente einfließen läßt. Wenngleich Fichte in seinen Vorstellungen über den Weg zur Errichtung des Himmelreiches heute nicht mehr zeitgemäß ist und seine christliche Terminologie dem Empfinden Vieler widerstreben wird; sein Entwurf ist durchaus bedenkenswert. Wenn nämlich die Moderne ihre Prämissen aus sich selbst schöpfen muß, Sittlichkeit bei Fichte aber allein in Handlungen realisiert werden kann, dann muß sich die Normativität immer selbst fortschreiben in eine eben unsichere und über Handlungen zu sichernde Zukunft hinein. Auf dem Wege zu einer besseren Zukunft ist es
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unerläßlich, daß ich um die Möglichkeit und die Notwendigkeit derselben weiß, denn weil diese Zukunft noch nicht realisiert ist, muß ich sie in meinen Handlungen realisieren wollen. Nicht nur muß also das Wissen die Inhalte des Glaubens in sich aufnehmen; ihm muß auch Geltung zukommen. In den immer stärker rationalisierten Bezugssystemen der Moderne gibt es bei der Orientierung an allgemeingültigen Werten und Normen ein Begründungsproblem, das eine Restunsicherheit verursacht, die ich nicht wiederum mit Rationalität ausräumen kann. Hier scheint eine Entscheidung, das Wissen gelten zu lassen, unabdingbar. Dies aber ist Fichtes Bestimmung des ›rechten‹ Glaubens, der kein irrationales Meinen, sondern die Einsicht des Verstandes in die Glaubensinhalte ist. Er spricht vom »Glaubensbekenntnis der Philosophie (SW IV, 378).« Es muß mithin ein guter Zustand als Motiv gewissermaßen gesetzt werden.6 In Fichtes Idealismus ist dieser Schritt noch a priori zu rechtfertigen. Das ist seit der Tendenz zu Historisierung und Diskursivierung der Vernunft in der Nachfolge Nietzsches und Diltheys immer schwieriger und zugleich notwendiger geworden. Dennoch ist die Setzung als Denkmöglichkeit aktuell. Denn wenn das Himmelreich nicht mehr a priori einsehbar ist, sondern ihm selbst historischer Status zukommt, muß das nicht zu dessen Relativierung führen, sondern kann bewußt als eben das unsichere, aber notwendige utopische Moment betrachtet werden, das jeder Gemeinschaft als gemeinsames Ziel zeitgebunden zugrunde liegen muß.7 Auf diese Weise würden sowohl der Einzelne als auch staatliche Macht sich hier und jetzt rechtfertigen und verantworten müssen für die Motive, die sie ihren Handlungen zugrunde legen. So könnte eher gewährt werden, daß nicht das Recht des Stärkeren oder wirtschaftliche Interessen die Normativität vorgeben, sondern ein gemeinschaftlich gesetzter zu erreichender Wert, der durchaus nicht frei erfunden ist, sondern realisiert als Ideal in die Zukunft vor- und nichtrealisiert als Warnung in die Geschichte zurückverweist, in der er fußt. In diesem Zusammenhang läßt sich die Kritik an Fichtes Modell von Geschichtsschreibung unter dem Primat des Fortschritts – ohne sie vollkommen glätten zu wollen –, dahingehend wenden, daß die Brüche und Katastrophen zwar Negativfolie niemals aber Anhalt für einen positiven Entwurf sein können. Es wäre eine Form der Rationalisierung, die den 6 Cf. dazu auch Klaus Stein, Fichte, Schlegel, Nietzsche und die Moderne. In: Fichte Studien 13, Hg. v. Klaus Hammacher u. a., Amsterdam, Atlanta: Rodopi 1997, 1–18. 7 D. Losurdo verweist darauf, daß es in Fichtes politischer Philosophie hinsichtlich ihrer Ideale im späteren Werk eine Verschiebung von Programm zu Utopie gibt, die ihren Grund in den Entwicklungen nach der Französischen Revolution hat. Vgl. Manfred Buhr u. Domenico Losurdo, Fichte, die Französische Revolution und das Ideal vom ewigen Frieden, Berlin 1991.
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nichtsittlichen Geschehnissen alle Brisanz nähme, stellte man sie unter das gleiche sittliche Gesetz, wie die Momente, die man in Zukunft befördern will. Doch gerade wenn kein a priori Sittliches mehr denkbar sein sollte, ist es notwendig, aus dem Vergangenen zu lernen – als Negativfolie und als positiver Entwurf im Bewußtsein, daß der ideale Zustand noch erst erreicht werden muß und ich mich frei dazu entscheiden und ihn wollen muß. In einem solchen Sinne versteht der Neukantianismus Fichtes Entwurf mit Recht als ethischen Idealismus.8 Und als solcher verdient ein Text wie die Staatslehre einen zweiten Blick hinsichtlich seiner Diskussion über die und mit der Moderne, in der eine Verquickung von Rationalität und Moralität aufscheint, die der Fragilität des modernen Menschen bis heute Rechnung trägt.
8 Cf. Heinz Heimsoeth, Fichte [1923] und auch – weniger direkt auf Fichte bezogen – Hermann Cohen, Das Verhältnis der Religion zu Ethik und Politik [1896].
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Die Staatslehre von 1813 oder der Kampf der Aufklärung gegen den politischen Irrationalismus der Romantiker zur Verteidigung einer christlich-revolutionären Sozialutopie
Virginia López-Domínguez (Madrid)
Die Vorlesungen, die wir heute unter dem Titel Staatslehre kennen, hielt Fichte wenige Monate vor seinem Tod in der letzten Kriegsphase Preußens gegen die napoleonischen Truppen im Sommer 1813. Sie wurden 18201 postum veröffentlicht. Man könnte sie deshalb als politisches Vermächtnis des Philosophen ansehen, und da sie praktisch am Ende seiner philosophischen Arbeit steht, dient sie besonders gut als Ausgangspunkt für die Interpretation des Gesamtwerks in seiner Entwicklung. Dies ist im Falle Fichtes besonders wichtig, weil er ja ganz besonders und sogar von seiner eigenen Zeit mißverstanden wurde und weil man ihm mehrere Umschwünge sowohl in seiner theoretischen als auch seiner politischen Philosophie vorwarf. Gegenüber diesen Beschuldigungen verteidigte sich Fichte selbst öfters und beteuerte die Einheit seiner Philosophie und ihre Kohärenz über Jahre hinweg. Am Beispiel der Vorrede zur Anweisung zum seligen Leben (1806) könnte die Bedeutung der Gedankenbrüche aufgezeigt
1 Die Vorlesungen wurden von Fichte nur als »Vorträge verschiedenen Inhalts aus der angewandten Philosophie« angekündigt. Der erste Verleger, G. Reimer, nannte sie Rechtslehre oder über das Verhältnis des Urstaates zum Vernunftreiche SW IV, XXV.
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werden.2 Gegen Ende seines Lebens, dem Zeitpunkt, der uns hier beschäftigt, hatte sich unser Autor nach der Meinung seiner Zeitgenossen mehr denn je von seinem anfänglichen Programm entfernt, weil er sich nicht nur zu der religiösen Ansicht, die zu einer politischen Theologie führte, entschlossen hatte, sondern auch weil man ihn als zügellosen Nationalisten ansah, als Aufhetzer gegen den napoleonischen Expansionsdrang und als Verteidiger des Unabhängigkeitskriegs. Die Staatslehre vereitelt diese Auslegung völlig und zeigt klar und deutlich die Konsistenz im Fichteschen Denken, da er die romantische Position zurückweist und seine konzeptuelle Verbindung zur Aufklärung und besonders zu Lessing3 herausstellt, dessen Denken ihm schon seit seiner Jugend vertraut war. Er las ihn bereits mit großem Interesse in der Schulpforta und wurde von ihm insbesondere in den frühen Schriften beeinflußt, z. B. in den Aphorismen über Religion und Deismus. Die Idee, daß die Staatslehre im gleichen Zusammenhang wie die religiösen Schriften zu verstehen sind, wurde schon öfter formuliert4 und ist zu einem großen Teil auf die Meinung des Herausgeber der sämtlichen Werke Fichtes zurückzuführen, seinem Sohn Immanuel Hermann, der im Vorwort zu diesem Band behauptet, das Werk hätte sowohl in die Religions- als auch in die Geschichtsphilosophie aufgenommen werden können.5 Auch Fichte selber gibt zu dieser Interpretation Anlaß, denn nach ihm ist ja die erste Voraussetzung für die Begründung des Reiches der Vernunft die Existenz Gottes,6 womit er das Ende der neuen Welt postuliert und den Beginn einer sich erst noch einzustellenden historischen Zeit, die er als »Reich der Himmel« bezeichnet und in eindeutig religiösen Begriffen definiert, wenn er bemerkt, daß es sich um eine Theokratie handeln müsse.7 Trotz der zahlreichen religiösen Referenzen, die sich hauptsäch2 »(...) sie sind insgesamt das Resultat meiner, seit sechs bis sieben Jahren, mit mehr Muße und im reiferen Mannesalter unablässig fortgesetzten Selbstbildung an derjenigen philosophischen Ansicht, die mir schon vor dreizehn Jahren zu Theil wurde, und welche, obwohl sie, wie ich hoffe, manches an mir geändert haben dürfte, dennoch sich selbst seit dieser Zeit in keinem Stücke geändert hat«. SW V, 399. 3 Vgl. dazu X. Léon: Fichte et son temps (Paris, A. Colin, 1954) vol. I, 38–51 und mein Buch: Fichte: acción y libertad (Madrid, Ediciones Pedagógicas, 1995), 29–34, 38–40. 4 Z. B.. G. Moretto: »Gleichzeitig bieten sie uns aber einen hermeneutischen Hinweis darauf, Fichtes Staatslehre 1813 als eine Art Ermahnungsrede zu lesen und sie auf dieselbe Linie der Anweisungen zum seligen Leben zu setzen«, in: Der transzendental-philosophische Zugang zur Wirklichkeit. Beiträge aus der aktuellen Fichte-Forschung (Hg. E. Fuchs, M. Ivaldo und G. Moretto), Stuttgart/Bad-Cannstatt, Fromann-Holzboog, 510. 5 SW IV, »Zur Rechts- und Sittenlehre II«, VI. 6 SW IV, 430. 7 SW IV, 582.
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lich auf die Beschreibung der zweiten und dritten Phase der Geschichte beschränken, entspricht der Charakter des Werkes eher einer häufig bemühten wissenschaftlichen Haltung. Die ist übrigens auch schon in dem Vortrag ersichtlich, den Fichte aus Anlaß der Annullierung seiner Vorlesungen über die Wissenschaftslehre am 19. Februar 1813 hält: »Ich weiß sehr gut, und bin durchdrungen von der Ueberzeugung, daß dem Reiche des alten Erbfeindes der Menschheit, dem Bösen überhaupt, welcher Feind in verschiedenen Zeitaltern in den verschiedensten Gestaltungen erscheint, durch nichts so sicherer und grösserer Abbruch geschieht, als durch die Ausbildung der Wissenschaft im Menschengeschlechte«.8
Besagte Haltung wird auch im letzten Abschnitt der Staatslehre offensichtlich, und zwar besonders im Zusammenhang mit den politischen Ereignissen, die zur Schließung der Universität führten: der Krieg Preußens gegen die napoleonischen Truppen nämlich: »Ueber die Weltereignisse können wir ruhig seyn, sogar unsere Ruhe verstehen, und über den Grund derselben Rechenschaft ablegen. Sie sich rein den Wissenschaften widmen, haben das beste Theil erwählt: ein Ewiges, Unberührtes von dem verworrenen, und zuletzt doch in nichts endenden Treiben der Welt«.9
Und in der Tat entstehen die Vorlesungen kurz nach der Eroberung Moskaus durch die Franzosen. Fichtes Ruf als Gegner der napoleonischen Eroberungen geht so weit, daß ihm zum damaligen Zeitpunkt ein Freund rät, dem französischen Heer nach Rußland vorauszureisen, um mit seinen Reden die Russen zum Aufstand gegen die französische Herrschaft anzustiften. Fichte beschränkt sich jedoch darauf, dem Freund für seine Empfehlungen zu danken und beschließt in Berlin zu bleiben, wo er seinen Pflichten als Professor und Staatsbürger nachkommt und erklärt, daß sein Leben nicht ihm selber, sondern der Wissenschaft und der Nation gehöre und daß er bereit sei, es dafür aufzuopfern.10 Im Gegensatz zu der patriotischen Begeisterung des Volkes, das nach dem Rückzug der französischen 8 SW IV, 604. 9 SW IV, 600. 10 Fichte´s Leben I, Bd. III, 438 f. und X. Léon, Fichte et son temps II, 2ª, 242. Fichte vertrat immer eine engagierte Auffassung von Philosophie. In seiner Jugend verbindet er seine Beschäftigung mit ihr oft mit dem Priestertum: »Ich bin ein Priester der Wahrheit; ich bin in ihrem Solde; ich habe mich verbindlich gemacht, alles für sie zu thun und zu wagen und zu leiden«. SW VI, 333f.
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Truppen ihre Ankunft in Deutschland fürchtet, und auch im Gegensatz zu der kampflustigen Reaktion Steffens’ und Schleiermachers, die Ansprachen an die Studentenschaft der Berliner Universität halten, in denen sie sich auf den königlichen Erlaß über die allgemeine Wehrpflicht beziehen und zur Organisation von Bürgermilizen noch vor der offiziellen Kriegserklärung aufrufen, läßt sich Fichte nicht von dieser Erregung mitreißen.11 Er scheint eher davon überzeugt, daß die Tage des dezimierten französischen Heeres, das mit nur noch 1000 Mann, 60 Pferden und 9 Kanonen die preußische Grenze erreichte, gezählt waren, und damit auch die des napoleonischen Despotismus. Der einzige legitime Kriegsgrund ist für ihn zu diesem Zeitpunkt der Kampf für die Freiheit, und demnach nicht nur der Kampf für die Unabhängigkeit, sondern auch der Krieg zur Verteidigung von Recht und Vernunft innerhalb und außerhalb des Staates: »So ist unser Gegner. Er ist begeistert und hat einen absoluten Willen: was bisher gegen ihn aufgetreten, konnte nur rechnen, und hatte einen bedingten Willen. Er ist zu besiegen auch nur durch Begeisterung eines absoluten Willens, und zwar durch die stärkere, nicht für eine Grille, sondern für die Freiheit. Ob diese in uns lebt, und mit derselben Klarheit und Festigkeit von uns ergriffen wird, mit welcher er ergriffen hat seine Grille, und durch Täuschung oder Schrecken Alle für sie in Thätigkeit zu setzen weiß, davon wird der Ausgang des begonnenen Kampfes abhängen«.12
Durch diese gelassene Haltung entblößt Fichte den demagogischen Opportunismus bezüglich eines Krieges, der praktisch schon gewonnen ist und stellt das eigentliche Ziel heraus, das sich ein Politiker in diesem Moment vornehmen sollte: den rechtlich-politischen Aufbau einer ethischen Ordnung. Kurz nach seinem Tod wird sich sein Mißtrauen bestätigen, und zwar als Friedrich Wilhelm III. nach dem Wiener Kongreß seine konservative Haltung zum Ausdruck bringt und im Versuch, den Absolutismus zu restaurieren, die Freiheitsrechte verfolgt, die innerstaatlichen Reformen rückgängig macht und die Abschaffung der Leibeigenschaft in Übereinkunft mit den Grundsätzen der Heiligen Allianz verschiebt. In der Tat bekämpft die Allgemeine Einleitung der Staatslehre im Namen der Wissenschaft sehr energisch den Irrationalismus der Romantiker, insbesondere Schellings, gegen den Fichte seit der Veröffentlichung des Systems des transzendentalen Idealismus öffentlich polemisiert. Denn 11 Zur Beteiligung Steffens’ und Schleiermachers siehe X. Léon, Fichte et son temps II, 2ª, 242–245. 12 SW IV, 428 f.
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die Konsequenzen dieses Irrationalismus führten auf politischer Ebene zu einer Schwärmerei und zu einer Verblendung, die in Verbindung mit der Religion den Despotismus begünstigte. Um dies zu verdeutlichen erklärt Fichte, worin der Unterschiede zwischen Naturphilosophie und Wissenschaftslehre bestehe. In dem Maße wie die Naturphilosophie den direkten Zugang zum Sein postuliert, verhält sie sich wie ein Dogmatismus und demnach wie ein deterministischer Materialismus, denn sie gründet auf einer mystischen Anschauung, die am Rande der Vernunft ihren Ausgangspunkt in der unmittelbaren Vereinigung mit dem Göttlichen postuliert. Das Individuelle wird dabei vom Absoluten absorbiert und die Möglichkeit des Begreifens völlig ausgeschaltet. Wegen der Negation des Denkens meint Fichte, daß diese Haltung nicht philosophisch, sondern rein religiös sei und setzt sie demnach mit der Unphilosophie gleich.13 Auf der anderen Seite lehnt die Wissenschaftslehre den direkten Zugang zum Sein ab und behauptet, daß dieses sich immer als Form, als Bild offenbare, im Bereich des Wissens also, des Verständlichen. Die Welt ist Offenbarung Gottes, der sich nicht direkt als etwas Gegebenes zeigt, sondern erst durch die Vermittlung des Verstands, »durch das Verstehen der Erkenntnis selbst«.14 Und deshalb bewegt sich Fichtes Philosophie innerhalb der kritischen Grenzen, bleibt – wie in diesem Text immer wieder betont– transzendentaler Idealismus,15 der die Grundlage der Welt des Menschen sucht, einer Welt, die hauptsächlich ein semantisches Ganzes ist, ein geistiges Ganzes also, das einen Sinn birgt, den der Mensch begreifen kann.16 Und diese Grundlage bleibt eine absolute, auch wenn sie sich im Bereich des Ich offenbart, denn die Verständlichkeit der Bilder liegt in einem Gesetz, in einem Prinzip der universalen Vernunft, das gerade das Bestimmende des Seins ist,17 und das die Grundlage sichtbar werden läßt und das Sehen als solches gemäß seiner eigenen inneren Notwendigkeit hervortreten läßt. Gesetz und Freiheit stimmen demnach überein. Und daraus folgt, daß das Wissen in der vierfachen Bedeutung des griechischen Begriffs Logos ist: Wissen als Wort, d. h. als Ausdruck oder Äußerung, die sich auf das Sein bezieht oder es bezeichnet, Wissen als Vernunft und Wissen als Gesetz. Außerdem ist das Wissen auch Logos im Sinn des Evangeliums als Verbum, als schöpfe13 SW IV, 374 f. 14 SW IV, 382. 15 SW IV, 374. 16 »das Ich ist davon das Muster«, SW IV, 381. 17 SW IV, 377 f. Gerade der Zugang zu diesem Gesetz erlaubt es nämlich, sich zu einer geistigen Sicht der Welt zu erheben.
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rischer Wille, als Handlung, die sich frei erzeugt und eine Welt schafft, indem sie sich als Tat ausdrückt. Das Gesetz ist demnach ein Prinzip des sittlichen Charakters. Daraus folgt wiederum, daß für die Wissenschaftslehre die Natur nur die Materie ist, in der sich die Freiheit realisiert, der Bereich der Pflichtübung. Ihre wirkliche Bedeutung kommt von der intelligiblen Welt: »keine Natur über den Willen, er ihr einzig möglicher Schöpfer«.18 Das Recht ist die äußere Bedingung der Verwirklichung der Freiheit. Da aber alle Philosophie praktisch ist, ein positiver Wegweiser für das Handeln und das sittliche Leben, »nicht bloß ein nicht unsittliches, ungerechtes, lasterhaftes«19, ist es aus dieser Perspektive möglich, die Freiheit als Ziel zu postulieren und das Rechtgesetz als ein sittliches Gebot zu verstehen. Somit sind Fichtes Vorlesungen eine Anweisung an das sittliche Leben. Der menschliche Wille ist moralisch, verlangt nach einem universellen Gesetz und verwandelt sich, wenn er sich daran angleicht, in Ausdruck Gottes. Angestrebt wird das Reich der Zwecke, die Errichtung des Vernunftreiches, einer moralischen Ordnung des Universums als vollkommene Verkörperung Gottes. In solch stürmischen Zeiten wie den damaligen ginge es doch darum, so Fichte, daß die Weisen, die der Wissenschaft verschworenen Menschen, das Ziel nicht aus den Augen verlören und sich weiter darum bemühten, das moralische Ideal sichtbar zu machen, indem sie es dem Volk durch die Erziehung vermittelten. Die Vorlesungen fügen sich somit in ein politisches System ein und ihr Ziel ist ein pädagogisches, denn sie wollen letztendlich das Volk erziehen, und zwar nicht nur indem sie es über die Kenntnis der Ziele, sondern auch über den Weg, um zu ihnen zu gelangen, aufklären.20 Aus der Notwendigkeit heraus, die Mittel zu bestimmen, tritt die Relevanz einer Studie hervor, die das Gegebene berücksichtigt, einer Studie der Entwicklung des Staates aus einer moralischen Sicht auf die Geschichte. Dieser Gesichtspunkt interpretiert den Verlauf der Geschichte in Anlehnung an Kant teleologisch, und zwar von
18 SW IV, 384 ff. 19 SW IV, 389, 390, 384, 392. 20 SW IV, 394–400. Schon in Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten hatte Fichte behauptet, daß es die Aufgabe des Weisen sei, den Fortschritt der Menschheit zu überwachen und zu befördern. Deshalb schlug er vor, ihre Ausbildung auf drei Wissensbereiche zu konzentrieren: 1) auf den vernunftsphilosophischen Bereich bezüglich der Fähigkeiten und Bedürfnisse des Menschen, 2) auf den geschichtsphilosophischen Bereich bezüglich der Mittel, um diese Bedürfnisse zu befriedigen und 3) auf den rein historischen Bereich. Somit würde der Weise erkennen, auf welcher Entwicklungsstufe die Menschheit sich in jedem einzelnen Fall befinde und wäre in der Lage, ihren möglichen Fortschritt zu berechnen (SW VI, 327-329).
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dem anzustrebenden Ziel her, und erlaubt es, das Zukünftige, wenn auch nicht vorauszusagen, so doch darzulegen was werden solle: »Eine ursprüngliche Menschheit, die qualitativ ist; die durch ihr blosses Seyn mit sich bringt, was in der fortgehenden Erscheinung mit Freiheit entwickelt wird. Dabei hebt die Geschichte an«.21
Die Staatslehre erreicht somit ihren Höhepunkt in einer Geschichtsphilosophie, in der sich die Zukunft der Menschheit in Form eines progressiven Verlaufs präsentiert, der weder einem blinden, natürlichen Determinismus gehorcht, noch einer Vorsehung, sondern ein Werk der Vernunft und der Freiheit ist, die als Inkarnation Gottes die moralische Ordnung des Universum aufbaut. Um das zu beweisen bezieht sich Fichte auf die Querelle zwischen Anciens und Modernes, die auf ästhetischem Gebiet sehr große Früchte getragen hatte und teilt die Geschichte in zwei Etappen ein: in die alte und die neue Welt. Er überträgt dann die Ästhetik auf die Ethik, auf den Bereich der Verwirklichung der Freiheit und macht ihn konkret in der Religion, im Rechtswesen und in der Politik fest. Durch die Erweiterung der Inhalte des Streitgesprächs auf andere Bereiche wird die Unterscheidung zwischen Altem und Modernem zu mehr als einem bloßen Werkzeug der Kunstphilosophie: sie verwandelt sich in eine echte Geschichtsphilosophie. Diese Erweiterung des Streitgesprächs auf nicht zur Ästhetik gehörende Bereiche wurde schon von Schelling in den zwischen 1802 und 1803 in Jena und dann von 1804 bis 1805 in Würzburg gehaltenen Vorlesungen über die Philosophie der Kunst vorgenommen. Schelling übernahm dabei zwei von Schiller stammende Ideen und entwickelte sie aus seiner eigenen Perspektive weiter: In der Idee, daß die Kunst Ausdruck des Unendlichen im Endlichen sei und somit der Dichter wie der Philosoph als Priester, der das Absolute enthülle, einen göttlichen Dienst ausübe22 und in der Idee, daß die Kunst sittliche und politische Konsequenzen habe. Dies veranlaßt Schelling am Ende seines Werkes dazu, als Lösung der Konflikte seiner Zeit die Hoffnung auf eine sittlich-religiöse und mythologische Gemeinschaft nach dem Modell der katholischen Kirche zu formulieren, und Calderón de la Barca, den wichtigsten spanischen Autor der Gegenreformation, als Vorbild im Bereich der Tragödienliteratur anzusehen, die wiederum als höchste Form der Dichtung und der Kunst all21 SW IV, 470. 22 Schelling: System des transzendentalen Idealismus. VI, SW III, 617, 628 und Bruno, SW IV, 231ff.
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gemein betrachtet wurde.23 Es ist mit Überraschung hervorzuheben, daß die Hauptzüge, die den historischen Charakter der Fichteschen Staatslehre bestimmen, nicht nur dem gerade erwähnten Schema folgen, sondern außerdem in offenem Widerspruch stehen sowohl zu dem Interpretationsschlüssel, den Schelling in seiner Kunstphilosophie anwendet, als auch zu den verschiedenen Einzelheiten. Das muß aber andererseits aus dem Gegensatzpaar heraus, das Fichte in der Einleitung seines Werkes zwischen Wissenschaftslehre und Naturphilosophie aufstellt, als durchaus kohärent erscheinen. Und in der Tat, während sich Schelling in seiner Auslegung des Geschichtsverlaufs auf die Beziehung Mensch-Natur konzentriert, und von da aus die Natur der heidnischen und der christlichen Religion skizziert, indem er erstere als direkten und offenen Ausdruck des Unendlichen im Endlichen und letztere als nie völlig gestilltes Sehnen des sich losgerissenen Endlichen nach dem Unendlichen ansieht,24 präsentiert Fichte die historische Entwicklung nur aus der kulturellen Perspektive, ohne die Natur in irgendeiner Weise zu berücksichtigen, und er unternimmt dies wie ein Aufklärer, indem er die Geschichte als einen fortschreitenden Säkularisierungsprozeß begreift, der vom Glauben zur Vernunft und von der autoritären Herrschaft zur Erlangung der Freiheit übergeht.25 Die antike Welt gründet auf dem blinden Glauben an die Autorität des Staates und deshalb findet Fichte ihren Ursprung im Orient26 im Aufkommen der theokratischen Monarchien, die die politische Macht in der Hand eines einzigen Individuums heiligen. Zu den Varianten dieser Monarchien gehören auch die Aristokratien, in denen die Regierungsfunktionen ebenfalls als göttlicher Auftrag angesehen wurden und in denen sich der Staat in ein Glaubensobjekt verwandelte, in einen natürlichen Glauben für die Regierenden und in einen von der Autorität aufgezwungenen Glauben für die Untertanen.27 Als Folge daraus wird der Staat zu einem notwendigen Vermittler der Beziehungen zwischen Mensch und Gott und die Religion zu einer bürgerlichen Institution, denn der Mensch existiert nicht als Individuum, sondern als Mitglied eines Staates.28 Die Kriege zwischen 23 Schelling, SW V, 429, 726–731 und 736. 24 Schelling, SW V, 429 f. 25 SW IV, 495. 26 Wie dies schon Voltaire im Essai sur les coûtumes et l´esprit des nations unternommen hatte. Herder hingegen ließ die Geschichte in Auch eine Philosophie der Geschichte mit dem Auftreten des jüdischen Volkes beginnen. Im Zusammenhang mit der Polemik zwischen Anciens und Modernes wird unter der Antike ausschließlich das griechische Altertum verstanden. 27 SW IV, 500. 28 SW IV, 501.
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Staaten werden als heilige Kriege angesehen, in denen das Volk lediglich als Instrument der Offenbarung der göttlichen Allmacht und der Eroberung seines universellen Reiches eine Rolle spielt.29 Im theokratischen Charakter des antiken Staates liegt die Grundlage für den Ursprung der Ungleichheit der Menschen, denn der Mensch ist nichts für sich selbst sondern hauptsächlich ein politisches Lebewesen, ein Bürger. Mit diesem Argument, daß die Rechte aus der Bürgerschaft herrührten, werden Sklaverei, das Bestehen von Kasten, Ausländerfeindlichkeit und die unterlegene Stellung der Frau gerechtfertigt.30 Der Niedergang des Altertums ist für Fichte ein langer Prozeß, ist der Verlust des göttlichen Respekts gegenüber dem Staat, der schon bei Sokrates einsetzt. Sokrates verweist schon auf die moderne Welt, indem er das Prinzip des Verstandes und der Verständlichkeit der Dinge ausdrückt und auf die moralische und religiöse Wahrheit anwendet.31 Wenn Fichte die Bedeutung der Philosophie in diesem Säkularisierungsprozeß, der zur Moderne führt, unterstreicht, weicht er mit dieser Bewertung völlig von Schelling ab. Für diesen war die Philosophie in Griechenland eine Art exotische Pflanze, eine idealistische Spur aus dem Orient, die in einem überaus künstlerischen und mythologischen und deshalb auch realistischen Kontext wachsen konnte. Er führte ihren Ursprung auf geheimnisvolle Sekten zurück und setzte sie in Beziehung zum indischen Mystizismus. Wenn sich später die Philosophie mit dem Christentum verbinden konnte, dann nur deshalb, weil sie in ihrem Wesen reine Religion und eben nicht Mythologie war.32 Im Gegensatz dazu geht Fichte davon aus, daß sich die Verbindungen zwischen Philosophie und Christentum einstellte, weil die christliche Religion im Unterschied zur heidnischen eine Religion der Vernunft war: »Das Christenthum ist darum durchaus eine Sache des Verstandes, der klaren Einsicht; und zwar des individuellen Verstandes eines jedes Christen, keinesweges etwa eines stellvertretenden«.33
Damit bezieht sich der Säkularisierungsprozeß, der nach Fichte die Geschichte der Menschheit bestimmte, hauptsächlich auf den Staat, was aber keine Zurückweisung der Religion bedeutet, wie dies in der französischen 29 30 31 32 33
SW IV, 503 f. SW IV, 504–509 und 519–520. SW IV, 505. Schelling, SW V, 426. SW IV, 524 f.
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Aufklärung der Fall war, sondern eine Hinführung zu einer rationalen und humanistischen oder gar, sagen wir, humanisierten Position. Von einer Religion, die sich wie der Dogmatismus auf das Materielle konzentriert, auf die Natur und konkret auf die Macht und deshalb auf den Staat, gelangt man zu einer geistigen Religion, die mit einer autonomen Moral, einer Religion der Freiheit und der Sozialität in Verbindung gebracht wird, und die die Idee der Pflicht durch die Idee der Liebe verinnerlicht. Der Gott, der am Beginn der Moderne steht, ist kein Wille, der auf das Sein abzielt, auf eine schon gegebene Welt, wie dies im Altertum der Fall war, in der nicht die Idee des Schöpferischen, sondern nur die des Entstehens existierte. Der göttliche Wille bezieht sich auf das, was sein soll und ist deshalb ein vollkommen freier Wille. Somit wird Gott als sittlicher Gesetzgeber verstanden, und der Mensch als imago Dei wird dem Göttlichen nicht durch das Sein gleichgestellt, das durch seine Vollkommenheit und Ewigkeit mit dem endlichen Sein nicht zu vergleichen ist, sondern durch sein Tun. Auf dieser Grundlage erkennt Fichte im Christentum in erster Linie eine Lebensdoktrin, eine Aufgabe, deren Ziel zunächst das Streben aller Menschen zu Gott und zuletzt die vollkommene Moralisierung der Welt ist.34 In diesem Punkt weicht Fichte radikal von Schellings Verständnis Jesus Christi ab. Für diesen repräsentiert Christus die Trennung vom individuellen Prinzip der absoluten Einheit und ihr Eintreten in die Geschichte. Aber da dieses Prinzip in niedrigster Gestalt auf die Welt kam, und sogar die Form des Dienens annahm, um zu leiden und zuletzt sogar vernichtet zu werden, bedeutet dies in Wahrheit die Vernichtung des Endlichen und die Verhöhnung des Individuellen und des Fleisches, der Natur und der Materie im Menschen, damit rein und ausschließlich das Unendliche glänze, der Geist also. Dies kann eindeutig in der christlichen Auffassung der Sünde festgemacht werden.35 Fichte gesteht ein, daß Christus in die Geschichte das Prinzip des Individuellen eingeführt hat, ein wirklich notwendiges Element, damit sich Freiheit und Verantwortung im Menschen einstellen, da diese die einzigen Grundlagen bilden, auf denen die ethische Welt aufgebaut werden kann. Als Konsequenz verlangt das Christentum von seinen Anhängern keinen blinden Glauben, sondern fordert die sofortige Offenbarung Gottes in der Selbstanschauung eines jeden
34 SW IV, 521 ff. Zur Erläuterung dieser Gedanken beziehe ich mich auf Ausdrücke von Paulus und Augustinus (wie etwa imago Dei). Vgl. z. B. Augustinus, Conf. XI 13, 16. 35 Schelling, SW V, 431 ff.
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einzelnen, und setzt als letztes Ziel den Bau des Himmelreiches, Reich des Intelligiblen und der Freiheit.36 Christi Aufgabe war es, die Erbauung dieses Reiches einzuleiten, das nur durch die Individualität möglich ist, deren erster Vertreter37 er ist. Deshalb ist für Fichte die Rechtfertigung der Erbsünde vollkommen, und er geht sogar soweit zu sagen, daß es keine Sünde gibt.38 Wenn man so will, bedeutet die Sünde für den Christen die Unsittlichkeit, aber nur diejenige, die aus dem eigenen Willen entsteht, die sich völlig von Gott losgerißen hat, von der Idee des Reiches und deshalb von der Gemeinschaft mit den anderen. Es handelt sich also nicht um ein Problem, das aus der Individualität oder dem Fleisch entsteht, sondern aus der Beziehung zu der geistigen Welt. Die Sünde ist zuletzt der Egoismus.39 Aus dem Blickwinkel der politischen Philosophie ist das Prinzip, das das Christentum zur Entstehung der modernen Welt beisteuerte, eben die Universalität des Bürgertums, die Gleichheit aller Individuen vor Gott. Die Menschen gewinnen damit ungeachtet ihrer Verbindung zu einem bestimmten Staat ihren Wert durch sich selbst, und zwar allein, weil sie Mitglieder der Menschheit sind. Ein Mittler zwischen dem Menschen und dem Göttlichen ist nicht mehr nötig, denn das Göttliche wird nicht mehr als willkürlicher Wille verstanden, der blinde Unterwerfung fordert, wie dies in der antiken Welt der Fall war. Das göttliche Gesetz kann durch die Intelligenz verstanden werden und kann vom Willen frei angenommen werden, denn es fällt ja mit dem moralischen Gesetz zusammen. Die durch dieses Gesetz geschaffene Ordnung basiert auf internen Verknüpfungen, die auf eine teleologische Gemeinschaft verweisen: das Reich der Himmel, eine geistige Welt, die klar mit dem Reich der Zwecke Kants gleichgesetzt wird.40 Als Konsequenz daraus verliert der Staat seinen absoluten und göttlichen Charakter. Er verweltlicht sich, wird laizistisch und menschlich, legitimiert sich nur die Referenz auf die Vernunft. Somit wird klar gezeigt, daß der von der modernen Zeit neu eingeschlagene Weg weder in einem Despotismus noch in einem universellen Kaisertum enden kann, wie dies Johannes von Müller oder die Romantiker annahmen, denn beide Staaten wären auf Egoismus gegründet, sondern nur in einem demokratischen System, das auf die Prinzipien von Freiheit, Gleichheit und 36 SW IV, 531. 37 SW IV, 535–542. 38 SW IV, 557. 39 SW IV, 561–566. 40 SW IV, 521–529. Vgl. auch die Nähe dieser Auffassungen zur Idee der civitas Dei beim Heiligen Agustinus.
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Brüderlichkeit gründet. Sie wurden von der Französischen Revolution eingeführt, die jedoch nicht in der Lage war, sie in einer dauernden juristisch-politischen Ordnung zu konsolidieren. Die Abschnitte über die Geniokratie sind als eine leidenschaftliche Verteidigung des Demokratismus zu lesen und gleichzeitig als Kritik gegen Napoleon zu verstehen. Das gleiche gilt für den letzten Teil des Kapitels über die Auffassung des wahren Krieges, wo Fichte außerdem die Gründe für das Scheitern der Französischen Revolution darlegt.41 Den ersten Schritt in diesem Prozeß, der als eine echte Ingangsetzung der Aufklärung begriffen werden muß, bildet die faktische Trennung von Kirche und Staat. Der Staat behält die politische, verzichtet aber auf die geistige Macht, was ihn befähigt, in einem unendlichen Prozeß zur Erreichung der Ziele fortzuschreiten, hin zu den rein vernünftigen Idealen, die von der Kirche vorgezeichnet waren.42 Diese Aufgabe der Rationalisierung berührt auch die wirkliche, historische Kirche, die sich gezwungen sieht, das Christentum von falschen Elementen zu reinigen, und zwar von den Relikten, die noch von der Magie herrühren, vom Judentum und vom Heidentum, und die im Laufe der Jahrhunderte die ursprüngliche Botschaft der Evangelisten untergraben hatten.43 Im Gegensatz zu Schelling, der davon ausgeht, daß Wunder typisch für die moderne Welt seien und im Altertum nicht existierten, weil sie als übernatürliche Eingriffe in eine phänomenale Welt nicht in einer Kultur auftreten können, die sich auf die Einheit von Natur und Geist gründet, verteidigt Fichte den Standpunkt, daß Wunder eine Besonderheit der alten Welt seien und behauptet sogar, Christus habe keine Wunder getan.44 Der Wunderglaube steht für ihn im Widerspruch zum Wesen des Christentums und zur göttlichen Forderung, eine geistige Welt zu schaffen. Auch wenn er einsieht, daß die Figur Christi in diesem Zusammenhang zweideutig ist, bewertet er die angeblichen Wunder in einer Gesellschaft, die sich gegen die Veränderung wehrt, als Überbleibsel des Altertums. Der Glaube an Wunder kann nur Sinn haben, wenn diese von einem weltlichen Fürsten realisiert werden, der seine Autorität auf eine Verbindung mit dem Göttlichen stützt, wovon dann die Untertanen einen Beweis einfordern. Für Fichte ist dies mit der Magie und den Orakeln vergleichbar, in denen ja Zeichen gesetzt werden, die auf das Unendliche abzielen.
41 42 43 44
SW IV, 517–520 und 421–430. SW IV, 593f. SW IV, 549–566. SW IV, 548.
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Für den, der die Eingebung des Göttlichen in sich selber spürt, sind sie nicht mehr nötig.45 In dieser Frage betont Fichte im Unterschied zu Schelling, der die katholische Welt eindeutig bewundert,46 den unschätzbaren Wert der Reformation, erkennt gleichzeitig aber auch an, daß dies nur partiell geschah und nicht zum eigentlichen Erfolg geführt hatte. Auch der Protestantismus habe sich in einen Widerspruch verwickelt, denn indem er die Unfehlbarkeit der Heiligen Schrift anerkannte, führte er aufs Neue das autoritäre Prinzip ein, das die antike Welt kennzeichnete.47 Die deswegen unvollendete Aufgabe müsse die Philosophie wieder aufnehmen, die seit den dank des Kritizismus errungenen Entdeckungen den Versuch unternommen hat, die christliche Religion aus der Perspektive der Vernunft und der Freiheit zu interpretieren.48 Darin liegt in diesem Kontext die Bedeutung der Wissenschaftslehre, ein System, das aus einem formalen Blickwinkel den doktrinalen Inhalt des Christentums ausdrückt und vollkommen mit ihm übereinstimmt.49 Als Folge dieses Auftrags muß sich eine Gruppe von Weisen bilden, die in der Lage sein werden, dieses Ideal, das zur notwendigen und ständigen Erziehung der Menschheit beisteuert, weiterzuvermitteln.50 In diesem Punkt bleibt Fichte der Tradition der Aufklärung treu, die der Erziehung sowohl auf individuellem als auch auf kollektivem Niveau einen unschätzbaren Wert einräumt und sie damit als eine wahrhafte politische Waffe identifiziert. Das Thema, das er schon in seinen frühen Werken in verschiedenen Schriften über die soziale Funktion des Weisen erörtert hatte, verweist zuletzt auf die platonische Tradition. Aber außerdem 45 SW IV, 547f. und 554. 46 In seiner Philosophie der Kunst meint Schelling, daß der Katholizismus wenn auch nicht das einzige, so doch eines der wichtigsten Elemente zur Überwindung der Moderne darstellte, weil er der in Entzweiung verstrickten Welt eine Möglichkeit der Versöhnung gab. Dies geschah, als die Antike und die Moderne ihre höchste Synthese eingingen, als auf dem Gebiet der Tragödie zum Beispiel ein Sophokles aus der differenzierten Welt kam, um eine Versöhnung der sündigen Kunst herbeizuführen. Das Kuriose dieser Prophezeiung, die die definitive Versöhnung der Tragödie als Mission der zukünftigen Kunst ausmachte, liegt in der Tatsache, daß sie für Schelling schon in Calderón de la Barca wahr wurde. Im Gegensatz zu Shakespeare, dem großen Tragiker der Moderne, der die Individualität der Leidenschaften und daher auch die unglückliche Konsequenz in der gespaltenen Welt reflektiert, konnten allein die Katholiken der Tragödie eine wirkliche Richtung verleihen und damit ihren Gehalt zurückgewinnen, denn in der Mischung von Heiligem und Weltlichem verstanden sie die Sünde als notwendiges Element, damit Gott durch die Kirche seine Barmherzigkeit zeigen und die Macht der Gnade offenbaren konnte (SW V, 726). 47 SW IV, 595. 48 SW IV, 530, 589, etc. 49 SW IV, 530, 589, etc. 50 SW IV, 587–590.
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muß man auch Rousseau als Quelle anführen, dem Fichte die letzte der Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten von 1794 gewidmet hatte, sowie auch Robespierre und die Jakobiner, die die Idee des weisen Mannes, der tugendhaft handelt, mit der des Mannes der Tat verbanden. Diese Synthese bedeutet für sie das Ideal des Revolutionärs, eine Figur, die die Religion übrigens nicht ablehnt, sondern sie an den Ort zurückführt, wo sie wirklich nützlich und einträglich für die ganze Gesellschaft ist.51 So wie schon Schelling prophezeite auch Fichte die Ankunft einer dritten, definitiven Phase der Geschichte, die eine Synthese der beiden vorhergehenden sein wird, aber im Unterschied zu Schelling räumte er ein, daß diese Phase keine Rückkehr zu den Idealen der Antike bedeuten könne, da diese definitiv überwunden seien, sondern eine Weiterentwicklung, Vertiefung und Festigung der von der Moderne eingerichteten Prinzipien sein müsse. Diese dritte Phase wird die Verwirklichung des himmlischen Reiches auf Erden sein, zu dem man natürlich durch eine Synthese der beiden vorhergehenden Momente gelangen werde: durch den absoluten Glauben an die Vernunft. Das erste Kennzeichen wird die Auflösung des Staates in der Kirche sein, und zwar, wie schon gesagt, im Sinne einer teleologischen Gemeinschaft als moralische Ordnung des Universums und deshalb als Anarchie, als Auflösung der zwingenden Institutionen.52 Als Folge daraus wird der Nationalismus überflüssig und geht in eine kosmopolitische Ordnung ewigen Friedens über: in den christlichen Völkerverein.53 Fichte erklärt diese Phase in religiösen Begriffen, und zwar im Zusammenhang mit der Geschichtswerdung der Dreieinigkeit,
51 Zu dieser Frage bei Rousseau sei nicht nur auf sein Werk Émile, sondern auch auf den Discurso sobre las artes y las ciencias, pp. 16 s. verwiesen. Zu Robespierre vgl. La rivoluzione giacobina (scritt e discorsi a cura di U. Cerroni, Roma, 1975). Siehe ebenso R. Bodei, Geometria delle passioni. Paura, speranza, felicità: filosofia e uso politico (Milano, Feltrinelli, 1991, 493 ss.). Fichte erwähnt Rousseau in der Staatslehre, aber um seine These, die Kultur würde die Menschen verderben und seine Ungleichheit hervorrufen, zu kritisieren. SW IV, 508. 52 »Sodann, die Zeitgeschichte, die mit einem absoluten Staate begann, sollte in einer absoluten Kirche enden; es bedürfte darum des Mittelzustandes eines Staates, der die Kirche anerkannte, und ihr in der Rücksicht, welche einst im Reiche zur höchsten sich entwickeln sollte, das Primat anerkennen«. SW IV, 593. Vgl. ebenso 592, 596–598. Siehe auch andere Texte, z. B.., Das System der Sittenlehre, SW IV, 253, Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters, SW VII, 114, Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten, SW VI, 306 f. und Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die Französische Revolution, SW VI, 106. Zu dieser Frage cfr. V. López-Domínguez, »Fichte o la revolución por la filosofía« in Revista de Filosofía, 3ª época, VI (1993), 139–150. 53 SW IV, 598–600. Die Verbindung zwischen Nationalismus und Kosmopolitismus ist auch nicht neu bei Fichte. Vgl. z. B.. Der Patriotismus und sein Gegenteil, SW XI, 228.
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wie dies Joachim von Fiore in seinem Ewigen Evangelium unternahm,54 eine Interpretation, die in die Zeit, die uns hier beschäftigt, über die Rezeption der Joachimschen Doktrinen in Lessings Die Erziehung des Menschengeschlechts gelangte: »Hier die Erklärung der Dreiheit: der Vater, das Natürliche, Absolute in der Erscheinung, das Allgemeinvorausgegebene; der Sohn, die factische Steigerung dieses zum Bilde der übersinnlichen Welt; der Geist, die Anerkennung und Auffindung dieser Welt durch das natürliche Licht des Verstandes«.55
Joachim von Fiore kann, wie dies übrigens auch später Ernst Bloch im Prinzip Hoffnung unternimmt, als der Schöpfer der christlich-revolutionären Sozialutopie angesehen werden, denn so lehrte er sie selber und durch sie beeinflußte er das Denken der späteren Geschichte. In der Tat dachte Joachim an einen Zeitpunkt für die Ankunft des Gottesreiches, im Kommunismus nämlich und hoffte auf seine Verwirklichung. Er verlagerte die Theologie des Vater in eine Epoche der Furcht und löste Christus in einer Gemeinschaft auf.56 Diese Auslegung der historischen Funktion des Christentums wurde durch die Rezeption der Joachimschen Doktrinen bei Lessing in der Erziehung des Menschengeschlechts in die für uns relevante Epoche übertragen, wo der Glaube in einem gewissen Sinn von der progressiven Offenbarung untergraben wird, die das prophetische Denken Joachims auszeichnet, und, wie das auch bei Fichte der Fall ist, durch die Erziehung ersetzt wird.57 Somit wird die aufklärerische Absicht, die hinter der Staatslehre verborgen liegt, offensichtlich. Wie bei Lessing ist der Bauplan der Geschichte, die Unterteilung in drei Phasen, die progressiv ineinander übergehen, das Ergebnis der Rationalisierung einer offenbarten Wahrheit. Die Zukunft der Geschichte, die Fichte als Übergang vom Glauben zur Vernunft definiert, besteht darin, daß sich die Menschheit ihrer Beziehung zum Göttlichen bewußt wird. Die Geschichte ist daher die Offenbarung 54 Evangelium Aeternum lautet der Titel, unter dem Fiores berühmtes Werk Tractatus super quator Evangelia bekannt war. 55 SW IV, 569. Die Historisierung der Dreieinigkeit entsteht dadurch, daß Fichte zwei Dogmen miteinander verbindet, die Dreieinigkeit mit der die Idee des Himmlischen Reiches und seiner Zugänglichkeit auf Erden, Dogmen, denen Fichte eine breiten Raum in seinem Werk einräumt, da er glaubt, sie bestimmten die Wesenheit des Christentums. 56 Op. cit., 75 f. 57 Man darf auch die Verbindung beider Autoren mit den Freimaurern nicht vergessen.
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eines in der Welt stehenden Gottes als geistiges Leben und konkreter als sittliche Ordnung. Deshalb ist die Geschichte der Prozeß der moralischen Bildung und der wirklichen Religion, der Sittlichkeit.58 Im Ergebnis sind die politischen Konsequenzen dieser Gottesauffassung bei beiden Autoren ähnlich: Verteidigung eines Demokratentums, humanistischer Kosmopolitismus, klare Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft, wobei dieser eine vom Staat unabhängige Ordnungsfähigkeit verliehen wird, und Kritik des Despotismus und des Autoritarismus,59 alles Folgen, die sich bei Fichte im Unterschied zu Lessing durch die Forderung der Anarchie als letztes Ideal ergänzen.
58 Vgl. zu diesem Punkt den hervorragenden Artikel von Faustino Oncina Coves über Lessing: »El arcano: entre la postrevolución y la contrarrevolución«, in El individuo y la historia. Antinomias de la razón moderna, 215–249. In diesem Text behauptet Oncina, Lessing stehe für den Übergang von einer kosmologischen zu einer geistigen Auffassung des Pantheismus und öffne damit den Weg zu einer idealistischen Sicht auf den in der Welt stehenden Gott. 59 »De esa categoría del Hen kai Pan espiritual se siguen tanto un genuino democratismo, como una potencia superadora de las diferencias políticas, económicas y sociales«, art. cit., 218. Zur Interpretation der Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft in Lessings Gespräche für Freimaurer, vgl. art. cit. 228–234. Trotz der Kritik akzeptiert Lessing die Notwendigkeit des Staates für die Entwicklung der Menschheit und sieht die Möglichkeit seines Untergangs nicht vor.
»Der Begriff sey Grund der Welt« – Die Sittenlehre 1812 und die letzten Darstellungen der Wissenschaftslehre
Giovanni Cogliandro (Rom)
»Faktum der Sittenlehre: der Begriff sey Grund der Welt: mit dem absoluten Bewußtseyn, daß er es sey. (mit dem Reflex dieses Verhältnisses.) Mit der Analyse dieser Behauptung haben wir es zu thun!« (GA II/13, 307)
Fichtes Berliner Vorlesungen (1810–1814) stellen in ihrer Gesamtheit die Vollendung der Wissenschaftslehre in ihrer systematischen Form dar. Die Wissenschaftslehre wird, betrachtet in Hinblick auf ihre Beziehung zu den einzelnen Wissenschaften, die aus ihr hervorgehen, die ursprüngliche Fünffachheit, das System der Wissenschaft der transzendentalen Philosophie, das transzendentale System, das es ermöglicht, die Beziehung zwischen den in ihr enthaltenen einzelnen Wissenschaften zu bestimmen: Naturlehre, Rechtslehre, Sittenlehre und Religionslehre. Die erste unter den abgeleiteten Wissenschaften, ist die Sittenlehre, die aus diesem Grund viele charakteristische Elemente der Wissenschaftslehre in sich einschließt.
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Die Sittenlehre stellt in ihrer Darstellung von 1812 in vieler Hinsicht einen Meilenstein innerhalb der Entwicklung der transzendentalen Wissenschaft dar. Die Sittenlehre 1812 wird als die höhere bezeichnet, da sie nicht lediglich eine Ausarbeitung bereits in der Wissenschaftslehre niedergelegter Prinzipien darstellt, sondern vielmehr eine Phänomenologie des Willens des Absoluten, das darin besteht, alle Geister zur Sittlichkeit zu erheben. In diesem Text wird nicht nur ein Sollen, ein System unbedingter oder bedingter, universaler oder besonderer Pflichten entwickelt, wie in der Jenaer System der Sittenlehre, sondern eine vollständige Lehre der Erscheinungen des Willens, der sich als aus der ursprünglichen SelbstSetzung des Begriffs hervorgehend darstellt. Die höhere Sittenlehre beginnt in der Tat nicht mit einem an den Einzelnen gerichteten Imperativ, sondern mit einer thetischen Setzung: Der Begriff ist das, worauf die Welt sich gründet. Der als Grund verstandene Begriff übernimmt die Rolle des Zweckbegriffs der Wissenschaftslehre nova methodo von 1796/99, wo es heißt: Der Zweck leitet den Willen, wenn der Zweck begrifflich gefaßt ist. In dem von uns analysierten Text hat der Begriff dagegen die Rolle des Fundamentes und Grundes, verbunden mit dem Bewußtsein es zu sein. Das absolute Bewußtsein dieser Grund zu sein wird als Reflex dieses Verhältnisses bestimmt: Das Bewußtsein ist nicht ursprünglich im Sinne der älteren Wissenschaftslehre, sondern nur insofern es der Reflex der Beziehung zwischen dem Prinzip und dem Prinzipiierten ist. Die späte Wissenschaftslehre ist ein System der Erscheinungen, von denen die erste Erscheinung jene ist, die sich als das Bild des Absoluten weiß: dies ist eine Vorstellung, die sich bereits in der Wissenschaftslehre und ihrem Schematismus findet. In der Wissenschaftslehre kennzeichnet das Schema den Grad der Ursprünglichkeit der Erscheinungen des Absoluten: Das Schema 1 ist die Erscheinung des Absoluten; entsprechend bedeutet das Schema 2 die Erscheinung dieser Erscheinung und das Schema 3 – bei dem die Wissenschaftslehre stehen bleibt – die Erscheinung der Erscheinung der Erscheinung1. Die Klarheit in der Abfolge der Schemata in der Sittenlehre ergibt sich aus der genetischen Evidenz2, die den gesamten ersten Teil des Textes charakterisiert, insofern die Ableitung von der ersten Tatsache ausgeht, die sich dem mit der Untersuchung bezüglich der Sittenlehre befaßten Bewußtsein darbietet, d. h. der Tatsache, 1 Eine Ausnahme von dieser Struktur stellt die Wissenschaftslehre von 1811 dar, in der es 5 Schemata gibt: die letzen beiden sind das Schema der Reflexivität als solcher und das Schema Gottes. 2 Vgl. Urs Richli, Genetische Evidenz – was ist das eigentlich? In: Fichte-Studien 20, 161–66.
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daß der Begriff der Grund der Welt ist. Das Schema 1 der Wissenschaftslehre tendiert dagegen im Aufeinanderfolgen der Darstellungen dazu, immer weiter zurückzugehen: In der Wissenschaftslehre von 1814 war die Absicht des Philosophen, vom Selbstverständnis der Wissenschaftslehre als solcher auszugehen, die sich als Wissenschaftslehre weiß und als Subjekt, insofern sie sich als absolut begreift: in diesem ursprünglichen schematischen Vorgehen weiß sich die Wissenschaftslehre nicht als Tatsache, sondern als Akt, als eine thetische Setzung, die nicht länger die Setzung des Subjekts, sondern der Wissenschaftslehre selbst ist. Die Neuheit der Sittenlehre 1812 gegenüber der SchematismusLehre erscheint synthetisch in der folgenden Ableitung: »1. Das einzige wahrhaft selbstständige innerhalb der Erscheinung ist die Erscheinung selbst, wie sie ist an sich, als Bild Gottes. Dies ist nun in ihrer Einheit als Gemeine der Individuen. 2. Dieses ihr Seyn stellt sich dar als eine Aufgabe, denn sie erscheint in der Form eines absoluten Prinzips. Also der Begriff richtet sich nothwendig an das Ganze, u. spricht vom Ganzen. Es giebt im eigentlichen Sinne keine Pflicht des Einzelnen, sondern nur eine der ganzen Gemeine.«3
Die Erscheinung ist selbständig und fällt daher in den Bereich der Wissenschaftslehre, d. h. sie gehört in die Analyse des Absoluten, weil die Erscheinung als solche erkannt wird, insofern sie als Bild Gottes verstanden wird. Sie ist das Bild Gottes weil selbständig, und eben deshalb kann sie die Grundlage einer wahrhaften Gemeinschaft von Individuen bilden. Vom Standpunkt des Wissens aus gesehen befindet sich die Erscheinung daher in einer paradoxen Situation: Sie ist eine einzelne Erscheinung insofern sie Bild des Absoluten ist, aber diese Einheit konkretisiert sich in einer Gemeinschaft, der ganzen Gemeinschaft von Individuen. Es kann eine bestimmte Pflicht für den Einzelnen geben, aber aus philosophischer Sicht besteht die ursprüngliche Pflicht nur für die Gemeinschaft. Dies deshalb, weil das, was im eigentlichen Sinne selbständig in der Erscheinung ist, das ist, daß sie Bild Gottes ist. (Es handelt sich hier um die erste Einfügung eines Elements der Wissenschaftslehre in die Sittenlehre, die sich, wie bereits erwähnt, daraus erklärt, daß die Sittenlehre höher steht als die anderen Wissenschaften und daher ihre Inhalte direkt aus den Schemata der Wissenschaftslehre empfängt.) Imago Dei kann die Erscheinung nur sein, wenn sie die Einzelerscheinungen des Lebens vereinigt, die dem Be3
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griff seinen Inhalt liefern, d. h. die Individuen. Man kann geradezu sagen, daß das Individuum nur durch die Selbstverständigung in der Gemeinschaft ein Ich wird. Nicht zufällig verwendet Fichte in diesem Zusammenhang den Ausdruck »großes allgemeines Ich«: »Die Voraussetzung konnte diese seyn, daß das große allgemeine Ich, das gesamte Menschengeschlecht[,] sich zur Sittlichkeit eben seiner, des ganzen, durch eine besonnene Kunst erheben sollte: u. drum gefodert werden solle eine solche Kunst, die da zu nennen seyn möchte Erziehungslehre des Menschengeschlechts, Pädagogik im höchsten u. allgemeinsten Sinne.«4
Die Wissenschaft des Praktischen führt in folgendes scheinbare Paradox: Der Begriff (des Zwecks) richtet sich immer an das Ganze und bezeichnet in moralischer Hinsicht das Ganze. Ein solches Ganzes kann nicht anders als gesellschaftlich sein, da sich nur in einer Gemeinschaft die individuelle Sittlichkeit bilden kann. Es kann keinen Begriff eines moralischen Gesetzes geben, außer in einem Individuum, das sich als Individuum unter anderen Individuen weiß. Umgekehrt gilt auch, daß die Gemeinschaft und die Idee der Menschheit selbst nur in ihrer Organisation und Artikulation auf den moralischen Zweck hin konzipiert werden können. Diese Idee erfährt in der Sittenlehre eine Radikalisierung: »Die ganze Menschheit ist ihm umfaßt, u. ist an sein liebendes Herz gelegt, als Werkzeug der Sittlichkeit, durchaus in keiner andern Rücksicht. Alle andere Liebe, u. Zuneigung[,] die pathologische5 [,] ist nicht sittlich, s[ondern]. etwa natürlich, d. i. gegründet auf unbegreifliche Gründe, sie weicht drum immer, u. ordnet sich unter der höhern sittlichen Liebe, ohnerachtet sie in der ›dunklen Tiefe› der Natur bleiben kann.«6
4 GA II/13, 337. Diese Ich-Gemeinschaft ist das Bild Gottes, die einzige selbständige Wirklichkeit innerhalb der Erscheinung, das, was artikuliert ist, für das es Pflicht, aber keine Verpflichtung gibt, der Punkt des Übergangs, der Kant unbekannt bleiben mußtte. Wir erinnern uns, daß bei Kant die Gemeinschaft im Zusammenhang mit der Behandlung der Kirche auftaucht, und an diesem Punkt werden die Unzulänglichkeiten seines ausschließlich am Individuum orientierten Systems deutlich. Der Vergleich mit Kants Religionsschrift ermöglicht die Klärung vieler der im letzen Teil der Sittlichkeitslehre enthaltenen Punkte. 5 Zum Thema des Pathologischen in der Transzendentalphilosophie verweise ich auf die Studie von Jean-Christophe Goddard, La philosophie fichtéenne de la vie. Le transcendental et le pathologique. Paris 1999. Des weiteren möchte ich auf die bizarre Studie von Walter Gartler, Feindesliebe. Szientismus und Paranoia in Fichtes Wissenschaftslehre. Wien 1992, verweisen. 6 GA II/13, 374.
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Die gesamte Menschheit, die Gemeinschaft, die weiter ist als jede besondere Gemeinschaft, ist lediglich das Werkzeug der Sittlichkeit und existiert nur um ihretwillen. Man könnte Fichtes Formulierung umkehren und sagen: das Werkzeug der höheren Sittlichkeit zu sein, ist für die Menschheit in ihrer Gesamtheit so etwas wie ein kantischer Selbstzweck. Die letzte Bestimmung des Einzelnen wie der Gemeinschaft ist: auf die Aufforderung des Absoluten zu antworten, dessen Zweck einer ist, und das Absolute, indem es in dieser Weise seinen eigenen Zweck bestimmt, ist das Einzige, das einen einzigen Zweck hat, und der ist die Erhebung aller Individuen zur Sittlichkeit. Das Werkzeug des Zwecks des Absoluten zu sein, bedeutet also für den sittlichen Willen genauso viel wie ein Selbstzweck zu sein, insofern das grundlegende Postulat der Fichteschen Ethik die Perfektibilität der Sittlichkeit ist, d. h. eines ewigen Lebens, das nicht vom Tod unterbrochen wird. In dieser Perspektive ist der Mensch ein Selbstzweck, insofern er auf die göttliche Aufforderung antwortet und sich zum Werkzeug des Willens des Absoluten macht. Der Begriff erweist sich also als das Fundament der erkennbaren Welt und, zur gleichen Zeit, als das Vermögen, die Menschheit konsequent als Werkzeug zu denken, d. h. als Werkzeug der Sittlichkeit. Der Einzelne kann sich also nur begrifflich bestimmen, wenn er sittlich handelt: dieses Prinzip ist bereits in der ersten Wissenschaftslehre klar dargelegt, so weit es das einzelne Subjekt betrifft, und zeigt sich jetzt auch auf der Ebene der Gemeinschaft – Gegenstand der Philosophie, die sich nunmehr vollendet praktisch-theoretisch weiß, mithin der höheren Wissenschaftslehre. Um die Wissenschaftslehre zu charakterisieren bedarf es in der Tat der Verbindung der beiden Adjektive praktisch und theoretisch7, die traditionell die zwei Hauptzweige der transzendentalen Philosophie seit Kant bezeichnen. Diese Wortverbindung soll zum Ausdruck bringen, daß die beiden Bestandteile untrennbar sind, das sie zwei philosophische Sichtweisen auf die gleiche Tätigkeit darstellen: Seit der Wissenschaftslehre nova Methodo wird diese Tätigkeit in der in sich selbst zurückkehrenden intellektuellen Anschauung gesehen. Diese ist noch nicht unterschieden in das Vermögen, moralisch zurechenbar zu handeln und die Vernunft, die die Wirklichkeit durch die theoretische Bestimmung ihrer Strukturen bildet. Nach dem Übergang zur höheren Sichtweise der Unter7 Die beiden Termini werden in dieser Verbindung von R. Lauth in seiner Studie L’idea globale di filosofia in J. G. Fichte. In Lauth, La filosofia trascendentale di J. G. Fichte. Napoli 1986, 23–68, verwendet. In dieser Schrift wird Fichtes Lehre als »theoretisch-praktisch« charakterisiert. Die Umkehrung der Reihenfolge der Begriffe soll hier den Primat des Praktischen in der Konstitution des Wirklichen unterstreichen.
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suchung der Erscheinungen des Absoluten bezieht sich der Ausdruck »praktisch-theoretisch« vor allem auf die Wissenschaftslehre, die sich als solche weiß, vor allem in der letzten Darstellung von 1814, wo Fichte mit der Behandlung des höchsten Schemas, d. h. des Selbstverständnisses der Wissenschaftslehre als solcher, beginnt. Dieses Motiv ist eine Konstante in der Spätphilosophie Fichtes; als Beispiel möchte ich die letzte handschriftliche Eintragung seines Diarium III zitieren: »In der sittlichen Anschauung bildet das Leben die Form der Verständlichkeit u. das ‹Leben› der unendl[ichen]. möglichen Formen, so grade, auf die Eine Art: weil es eben ist Bild Gottes: auf eine andere Weise muß ich das Bild Gottes nicht eintreten lassen: –. Also die reale Kraft ists.«8
Das Leben lebt im Vorstellen der unendlichen Formen der Intelligenz in der moralischen Anschauung9, und nur auf diese Weise kann das Leben eine der unendlichen Möglichkeiten realisieren, die ihr erscheinen. Das Thema der Verständlichkeit durchzieht das Diarium Fichtes; es entspricht dem Problem der modalen Kategorie der Möglichkeit, dem auch in der höheren Sittenlehre breiter Raum gewidmet ist. Fichte bleibt seinem Vorsatz treu, in das Auge der Urania zu blicken, d. h. in das absolute Wissen. Das Leben selbst denkt in der moralischen Anschauung die Formen des Wissens in ihrer unendlichen Mannigfaltigkeit: das Gewebe des Raums und der Zeit, die Kategorien, treten nur durch die moralische Anschauung in das Wissen ein. Moralische Anschauung ist die Bezeichnung für die intellektuelle Anschauung, nachdem ihr Antwort-Charakter geklärt ist. Die intellektuelle Anschauung ist nach der Wissenschaftslehre die Antwort des Ichs auf die Aufforderung des Absoluten. Einzig auf diese Weise kann das Leben sich vorstellen, wie Fichte in poetischer Form in seinem Sonette an die Urania zum Ausdruck bringt: »Seitdem ruht dieses Aug’ mir in der Tiefe / und ist in meinem Seyn, – das ewig Eine, / Lebt mir in Leben, sieht in meinem Sehen.«10 Das Auge ist das absolute Wissen11, das das Leben 8 R. Lauth [Hg.], Ultima Inquirenda. J. G. Fichtes letzte Bearbeitungen der Wissenschaftslehre. Ende 1813 / Anfang 1814. Frommann-Holzboog 2001, 365. 9 Dieser Satz hat programmatischen Charakter, es handelt sich um eine Art philosophisches Testament und den Hinweis auf eine Aufgabe für den, der die von Fichte begonnene Arbeit fortsetzen möchte. 10 SW VIII, 461f. 11 Auf diese Themen hat sich G. Schulte in seiner Forschung konzentriert. Ich verweise auf zwei Werke: G. Schulte, Das Auge der Urania. Bilder und Gedanke zur Einführung in Erkenntnistheorie. Frankfurt a. M. 1975; Ibid., Die Wissenschaftslehre des späten Fichte. Frankfurt a. M. 1971. Der erste Band stellt ein bemerkenswertes Beispiel für die Darstellung philoso-
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begreift, sich selbst erkennt und als Geschenk versteht, weil es das Abbild Gottes ist. Nur so erkennt man das Bild Gottes in der endlichen Welt, und dieses Bild kann vom Philosophen nicht eindeutig erfaßt werden wie ein bloßes Objekt der Betrachtung: vielmehr treibt es zum Handeln, es ist die Erscheinung der Aufforderung des Absoluten in der höheren Wissenschaftslehre, die so den Raum für eine höhere Sittenlehre schafft. Der Wille gestaltet den Charakter des Ich als Antwort auf die Aufforderung der Pflicht, als Reflex der Pflicht. Der Reflex der Pflicht ersetzt in der Sittenlehre das absolute Wissen – ein Begriff, der in dieser Wissenschaft kein einziges Mal auftaucht. Der Wille bringt überdies keine zeitliche, endliche Existenz des Ich hervor, sondern ein unendliches Verweilen in der Zeit: Der Charakter ist die Unsterblichkeit des sittlichen Ich12. Der Reflex der Pflicht zeigt dem Ich seine eigene Unsterblichkeit. Die Aufforderung erweist sich als ewig, insofern sie, der Konstitution der Zeit selbst vorausgehend, aus dem Absoluten hervorgeht. Durch das Sich-vorstellen wird die Persönlichkeit konstituiert als Antwort auf die Aufforderung des Absoluten: Die Pflicht der Pflicht erlaubt dem Ich, sich als Erscheinung der Erscheinung des Absoluten selbst vorzustellen und zu wissen. In dieser Perspektive, die dem Standpunkt des Absoluten am nächsten kommt, ist das Ich ewig. Seine Persönlichkeit, sein sittlicher Charakter hat das Leben des Begriffs und weiß darum. Das Leben des Begriffs wir daher der Charakter und die konkrete Persönlichkeit des Ich. Eben dies ist die konkrete Erscheinung dessen, was Fichte am Schluß seines Sonettes Nr. 3 poetisch formuliert: »Durchschaue, was dies Streben überlebet, so wird die Hülle dir als Hülle sichtbar, und unverschleiert siehst du göttlich’ Leben!«13
Das göttliche Leben erscheint im Ich, das sich als Verkörperung des Begriffs weiß. Der Begriff zeigt sich nur im Ich, nur im Individuum kann der phischer Themen mit Hilfe von Bildern dar, der zweite ist ein in seiner Form konventionellerer Kommentar zu den letzten Darstellungen der Wissenschaftslehre. 12 In der Sittenlehre von 1812 wird versucht, die bildhafte Möglichkeit als unbestimmte Tätigkeit des Ich zu bewahren: Das Innovative im Vergleich zu den anderen Werken der Spätphase der Wissenschaftslehre ist, daß das Problem des Inhalts des Zwecks gestellt wird, dem konkreten Material des Wollens, das gerade aus dem Reflex der Pflicht hervorgeht, der sowohl in den Tatsachen des Bewußtseins von 1811 und 1813 als auch in der Transzendentalen Logik 1812 unbekannt ist. Darin besteht der wesentliche Unterschied in den beiden Darstellungen der Ewigkeit des sittlichen Ich in den unterschiedlichen Werken der Berliner Periode. 13 SW VIII, 462.
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Begriff als Erscheinung erkannt werden, als Erscheinung des einen »Dings an sich«, das in der Wissenschaftslehre sein Bestehen hat, d. h. des Absoluten. Das Absolute spielt in der späten Wissenschaftslehre und im Diarium III die Rolle des Noumenon der Kritik der reinen Vernunft. Die Gliederung des Schematismus in der Wissenschaftslehre erhebt den Anspruch, die Vollendung der kantischen transzendentalen Wende zu sein. Der Begriff ist unsichtbar in der Welt der Erscheinung, weil er sich in der Welt der Erscheinung als bereits im Ich verkörpert zeigt und daher nicht vom Ich selbst abgelöst sichtbar werden kann. Aus diesem Grund ist die Verkörperung des Begriffs ausschließlicher Gegenstand des ersten Teils der Sittenlehre von 1812 (in der die genetische Deduktion, die von der Einheit des Begriffs ausgeht und zur Vielheit der Erscheinungen des sittlichen Willens gelangt, beschrieben wird). In der Wissenschaftslehre ist vom Begriff und seiner schöpferischen Tätigkeit nicht die Rede, sondern nur vom Ich oder dem absoluten Wissen. Der Begriff ist für das Ich sichtbar als es selbst, es wird als das Ich gesehen, als das Ich, mit den Worten der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre von 1794, daß sich selbst setzt. Die Scheinlehre führt zu der Auffassung, das Ich könne beliebig dies oder jenes wollen und unabhängig entscheiden: dies gilt sicherlich in Hinblick auf die empirischen Bedingungen, nicht aber in Hinblick auf den Begriff. Dieser Gedanke findet in der Sittenlehre seinen Ausdruck in der Definition des Ich als Bild des Begriffs: »Der Grundsatz der Sittenlehre läßt sich auch so fassen: das Ich muß sich erscheinen, nur als Erscheinung; denn es soll ja nicht sein Leben seyn, sondern Leben eines fremden u. andern, des Begriffs.«14
Das Bild des wahren Lebens wird durch seinen Inhalt entzweit und empfängt seine Form vom Inhalt selbst im Ich, das sich bei diesem Vorgang vorstellt als Bild des Bildes des Begriffs. Darin zeigt sich der Begriff als das göttliche Leben, das sich Ich mitteilt: bei dieser lebendigen Mitteilung ist das Ich eine leere Form, reine Potentialität, die darauf wartet, seinen Inhalt zu empfangen, der jenes göttliche Leben selbst ist. Der Mensch bedarf der Aufforderung des Absoluten, um sittlich zu werden, mittels des Begriffs, der sich zunächst im Bild zeigt und somit im Vorgang des Vorstellens des Ich: Der Begriff bricht in das Ich herein als etwas ganz und gar Fremdes, etwas, das nicht vom Ich hervorgebracht ist und daß dem Ich die 14 GA II/13, 339.
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Notwendigkeit eines Inhalts für sein Vorstellen zeigt. Dieser Inhalt ist das »Material der Pflicht« 15, die Wirklichkeit des sittlichen Handelns. Das Ich ist das Leben des Begriffs, der Begriff ist der Inhalt des Vorstellens des Subjekts: Dies ist, auf eine kurze Formel gebracht, der Gehalt der Phänomenologie der Sittlichkeit, wie sie in der Sittenlehre 1812 beschrieben wird. Der Begriff ist der Grund der Welt, aber in Fichtes Analyse geht die konkrete Erfahrung der Gemeinschaft der Erkenntnis des Begriffs selbst voraus. Der Text der Sittenlehre von 1812 läßt sich in zwei Teile unterteilen: einen synthetisch-absteigenden und einen analytisch-aufsteigenden. Der erste Teil geht bis zur 17. Vorlesung und schließt mit der Behandlung der Gemeinschaft16. Von der Gemeinschaft steigt die Erörterung in einer analytischen Bewegung bis zur vollständigen Darstellung der Pflicht der Gemeinschaft selbst auf, der Gemeinschaft, die durch das Mittel des Symbols charakterisiert wird. In dem absteigend-genetischen Vorgehen des ersten Teils war die Vielheit als von dem einen Anfangspunkt des Begriffs, der der Grund der Welt ist, ausgehend identifiziert worden. In der aufsteigenden Analyse des zweiten Teils wird die Vielheit ursprünglich als Summe von Subjekten bestimmt. Diese Summe von Subjekten ist die Gemeinschaft als der neue Ausgangspunkt der Erörterung. Tatsächlich gibt es in der empirischen Wirklichkeit kein einzelnes, isoliertes, aus aller Beziehung losgelöstes Subjekt, sondern es findet sich immer schon zusammen mit anderen, in einer Gemeinschaft. Dies ist eine der Grundlagen der sittlichen Epistemologie Fichtes: Die Gemeinschaft ermöglicht die Situierung des Subjekts in der empirischen Welt und somit in der Bildlichkeit selbst, wenn man die Bildlichkeit als die Form versteht, die das Ich der empirischen Wirklichkeit verleiht.17 Das synthetisch-analytische Vorgehen der höheren Sittenlehre folgt dem der Wissenschaftslehre von 1804-II, verändert jedoch dabei die 15 Der Ausdruck ist dem Titel der Studie von Hans Freyer, Das Material der Pflicht. Eine Studie über Fichtes spätere Sittenlehre. In Kant Studien 1920 (25), 113–155, entnommen. 16 Diese Vorlesung beginnt folgendermaßen: »Gehen wir weiter in unsrer Begleitung des sittlichen Willens durch das System der Bildlichkeit herab« GA II/13, 351. 17 Die transzendentale Beschreibung der Gemeinschaft beginnt mit den folgenden Worten: »Empirie Darstellung der Bildlichkeit, der Sehform überhaupt rein an einem Objekte überhaupt, aus einem Subjekte überhaupt. Damit geendet. Dazu bedarf es nun nur Eines Subjekts. Wie findet sich denn das in der Empirie? Es findet sich eine Summe von Subjekten, Ichen, eine Gemeinde derselben; eben empirisch, schlechthin faktisch im faktischen Sehen, das ohne alles Zuthun der Freiheit jedem wird, u. keiner ändern kann! Hierin überschreitet drum das Faktum der Empirie ihren Begriff: u. es zeigt sich, daß sie nicht nur sichtbar mache das Sehen, was sie nach ihrem Begriffe sollte, sondern auch ein schlechthin sichtbares, das da ist u. schlechthin ist in der Form des Sehens: eine Gemeinde von Ichen.« GA II/13, 352f..
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Anordnung der Teile: die Reihenfolge von analytischem Moment und genetischem Moment wird in der Tat umgekehrt, insofern sie mit der genetischen Darstellung der Entwicklung der Kausalität des Begriffs, also der Gemeinschaft beginnt, um dann analytisch zu dem einen Prinzip der Sittenlehre aufzusteigen. Die Sittenlehre von 1812 ist das einzige Spätwerk Fichtes, in dem sowohl das analytische als auch das synthetische Moment noch vorhanden sind, während in den letzten Darstellungen der Wissenschaftslehre das analytisch-aufsteigende Moment schlicht vorausgesetzt wird. Die Gemeinschaft ist zu Beginn des zweiten Teils der Sittenlehre das absolut Sichtbare, insofern es des Begriffs nicht bedarf, sondern vielmehr, wie bereits erwähnt, dem Subjekt die Erkenntnis des Begriffs überhaupt erst ermöglicht. Die Vorgängigkeit des Empirischen vor dem Begriff ist somit offensichtlich, oder, wie es im Diarium III heißt: die Vorgängigkeit der Verständlichkeit, als einem vorbegrifflichen Vermögen, das in der Erscheinung im allgemeinen seinen Ort hat, gegenüber dem tatsächlichen und begrifflichen Verstehen. Der Begriff ist der Grund der Aktualität der vorhandenen Welt seiner Form nach, und diese Form ist entsprechend den Prioritäten des Ich gebildet, das nunmehr weiß, ein sittliches Ich zu sein. Die Sichtbarkeit ist die Möglichkeit, unendlich in seinen zahllosen Wandlungen, bevor eine sittliche Wahl getroffen wird. Die Gemeinschaft ist überhaupt die einzige Möglichkeit, die die Wirklichkeit des Subjekts gewährleisten kann und ist somit eine bedeutsame und in der Tat die einzige Ausnahme von dem soeben Gesagten: Der Ursprung des organisierenden Prinzips der Wirklichkeit kann nicht von der gleichen Art sein wie die anderen möglichen philosophischen Einteilungen der Wirklichkeit: Das Ich zeigt sich für sich selbst nicht als Eines, sondern als ursprüngliche Vielheit, und von hier aus beginnt sein Weg der Individuation, notwendig vermittelt durch seine sittlichen Entscheidungen. Diese Vermittlung ist eine notwendige Wirklichkeit, jedoch ist nicht festgelegt, welche Möglichkeit das Subjekt wählt, das frei entscheidet, sittlich zu sein oder nicht. Wenn das Ich sich von Anfang an vorfände, hieße dies, daß es bereits den Begriff besäße, d. h es hätte bereits den Weg der Individuation beschritten und somit den Prozeß der Verkörperung des Begriffs vollendet. Vor dem Begriff gibt es tatsächlich kein Ich, es gibt nur eine Vielheit im Sinne einer Summe, d. h. eines empirisch untrennbaren Ergebnisses, ein formloses Konglomerat, das nur die Bestimmung durch den Begriff, also: die sittliche Bestimmung in eine vollendete Individuation transformieren kann. Im Naturrecht (1796) ist der eigentlichen Erörterung eine Deduktion der Körperlichkeit vorangestellt, die das Ziel hat, den Übergang von der Ebene der Prinzipien zur Konstitution der Interaktion in der
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konkreten Welt zu zeigen. Dieser Deduktion der Körperlichkeit des einzelnen Ich in der frühen Wissenschaftslehre entspricht in der höheren Sittenlehre die genetische Deduktion der Gemeinschaft. Man kann sagen, daß vom Standpunkt der reinen Sittlichkeit die Gemeinschaft der ursprüngliche Leib des Subjekts ist als Adressat und Quelle der Pflichten. Die Gemeinschaft ist die Hauptfigur im zweiten Teil der höheren Sittenlehre, in dem das Hauptproblem die Interaktion unter den Individuen ist: hierzu ist es notwendig auf den Inhalt des ersten Prinzips zurückzugehen, und dieser Inhalt impliziert den Übergang von einer statischen Analyse zu einer Betrachtung der Dynamik der Beziehungen zwischen den Subjekten, die sich gleichermaßen zur Erfüllung ihrer Pflicht bestimmt fühlen. Das Ziel dieses zweiten Teils der Abhandlung ist es, erneut die Einheit des Lebens zu zeigen, das sich von Anfang an als in der Individuenwelt fragmentiert zeigt. Der Wille, der sich im System der Bildlichkeit vom Begriff zur empirischen gemeinschaftlichen Körperlichkeit entwickelt, steigt wieder herauf bis zur Erreichung des einen sittlichen Prinzips, das ihn zum Handeln bewegt. Man kann feststellen, daß sich mit dem analytischen Wiederaufstieg zu dem einen Prinzip eine Phase der Dynamik ergibt, und nur in dieser analytischen Phase kann sich das praktisch-sittliche Handeln entfalten. Die beiden Reihen, die nach dieser Interpretation die höhere Sittenlehre konstituieren, lassen sich wie folgt zusammenfassend darstellen: Die absteigend-synthetische Bewegung: Wissen und Deduktion. − Aus dem Begriff werden die Bestandteile des Systems der Bildlichkeit abgeleitet. − Das Ich erkennt sich als endliches Wissen, das auf die Aufforderung des Absoluten im Begriff antwortet. − Das Ich entdeckt sich als das Prinzip der Welt und als Verkörperung des Begriffs, welcher der Grund der Welt ist. − Das Ich erkennt sich als Prinzip der Zeit. Die aufsteigend-analytische Bewegung: Wissenschaft des Praktischen. − Die Gemeinschaft erkennt sich als die einzige Wirklichkeit, die nicht unter den Begriff fällt. − Die Gemeinschaft erweist sich als vorgängig gegenüber dem Individuum. − Die Gemeinschaft wird sich der Notwendigkeit bewußt, ihre eigenen Zwecke zu kennen.
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Die Gemeinschaft erhält die Aufforderung des Absoluten durch die Wirklichkeit der Offenbarung und die Möglichkeit der Revolution, die beide jeweils eine Entscheidung notwendig machen. Die Gemeinschaft handelt in Übereinstimmung mit dem Grad des Wissens, das es vom Begriff als dem Bild des Absoluten hat. Die Begründung der Sittlichkeit in jedem Individuum erweist sich als der Endzweck der Gemeinschaft; dies ist der Inhalt der höheren Sittlichkeit.
Es läßt sich feststellen, daß die analytische Perspektive zu einem Prinzip aufsteigt, das sich für sich selbst immer deutlicher als der Zweck der Begründung der Sittlichkeit in jedem Mitglied der Gemeinschaft darstellt. Ausgangspunkt ist der Begriff, und die Phänomenologie der Ursächlichkeit des Begriffs in der Welt wird daher ausgehend vom Individuum, in dem sich dieser Begriff verkörpert, beschrieben. Die Gemeinschaft erkennt sich so als vorgängig gegenüber jedem Individuum, von hier nimmt ein analytischer Aufstieg seinen Ausgang, der den konkreten Zweck der Sittlichkeit begleitet; und dieser Zweck erreicht am Ende des Weges die Erkenntnis seiner selbst als vollendet in der konkreten und freien Begründung der Sittlichkeit in jedem Individuum. Sie will nicht mehr nur in Übereinstimmung mit dem Begriff sein, denn die beiden Elemente sind in der aufsteigenden Phase nicht länger getrennt: Die Gemeinschaft kennt ihren Zweck, und dieser transzendiert die Perspektive des Einzelnen, in Hinblick auf welchen jene genetische (nicht zeitliche) Unterteilung in das Moment der Verkörperung des Begriffs und dem darauffolgenden Wollen ihre Bedeutung hatte. Die Gemeinschaft bildet sich vor dem Begriff und erkennt gleichzeitig seinen Willen und den Begriff bei der Suche nach dem einen Zweck. Es kann sich ihm kein anderer Zweck ergeben als der der Sittlichkeit Aller, und daher erscheint ihm in aller Klarheit der Zweck der Verkörperung des Begriffs in jedem Mitglied der Gemeinschaft selbst.
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Max Marcuzzi (Aix-en-Provence)
Dans son Éthique de 1812, Fichte annonce qu’il faut lui accorder un présupposé, présenté comme un fait (Faktum), qui délimite son champ d’investigation. Mais, tandis que la plupart des faits sont contingents et contestables, celui-ci doit être posé comme un absolu. Ce fait, sur lequel repose toute l’analyse de l’Éthique, est que »le concept est fondement du monde avec la conscience absolue qu’il soit fondement«. Dès lors, on pourrait penser que ce fait et cette conscience sont toujours attestés. Et pourtant Fichte précise plus loin que la manière dont le fait s’impose à une conscience a, paradoxalement, une histoire. Autrement dit, cette conscience absolue doit advenir historiquement, ce qui pose trois questions. 1° Est-ce qu’une conscience absolue peut être historiquement déterminée, et quelles sont alors les conditions historiques de manifestation du concept à une conscience? 2° Quel est exactement le statut du concept pour pouvoir se manifester à une conscience, et s’imposer en y déterminant un devoir? d’où lui vient cette puissance de contrainte? 3° Comment le concept ménage-t-il la possibilité de l’indifférence du sujet à son égard, et donc quel est le fondement de l’immoralité? 1° L’idée d’un conditionnement historique d’une conscience absolue est en elle-même paradoxale et semble absurde. En effet, si la conscience est absolue, elle n’est relative au aucun temps et ne peut être déterminée his-
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toriquement. Donc nous devrions toujours, comme chez Kant,1 avoir conscience de notre devoir, même si nous nous y dérobons. Le concept, ou la raison, devrait s’imposer, et la conscience de la loi devrait être un fait toujours attesté. Et lorsque Fichte dit que »le concept est le fondement du monde, avec la conscience absolue qu’il soit fondement (mit dem absoluten Bewußtsein, daß er es sei )«2, il semble que si le monde est fondé dans et par le concept, la conscience doive toujours avoir conscience de ce concept en tant que fondateur. D’un autre côté, »Le concept fait irruption dans la conscience quelque part dans le monde«, avec la tâche d’être communiqué et répandu aussi loin que possible.3 C’est donc qu’il n’avait pas fait irruption avant. Comment concilier cette apparition historiquement localisée avec l’absolu de la conscience? En distinguant une nécessité de droit et une contingence de fait. A la question de savoir comment se produit la conscience morale, Fichte répond que c’est d’une manière »incompréhensible, qui ne peut être rattachée à aucun maillon qui existerait déjà au préalable«4. Le concept se manifeste donc »génialement, par révélation«, quoique de manière d’abord obscure et implicite, sous la forme d’un symbole qui ne contient et ne manifeste qu’un premier élément de vérité à partir d’où pourra, mais seulement plus tard, progresser une compréhension plus complète. Le concept, ou la raison, est d’abord manifeste sans être pris en considération. C’est pourquoi l’événement inouï d’une Révélation, qui se réalise au travers des »génies éthiques«5 tels que le Christ, est requis pour amorcer le travail qui donnera au concept sa pleine visibilité, d’abord avec l’acceptation et la compréhension d’un symbole et puis dans la compréhension philosophique.6 Pourquoi, alors, malgré son apparente contingence, la manifestation du concept, ou la Révélation, doit-elle se produire? D’où et quand vient l’appel, cela est totalement contingent. Pourtant, l’événement doit avoir lieu, même si on ne sait où ni comment. C’est que, par l’événement que constituent l’enseignement et l’exemple du Christ,7 se réalise l’irrup1 On se souvient que, chez Kant, cette conscience est un Faktum der Vernunft, cf . § 7 de la Critique de la raison pratique. 2 SW XI, 3. Sur la traduction, précise et nuancée, de »sei», voir l’article de Marco Ivaldo. 3 SW XI, 105. 4 Ibid. 5 SW XI, 113. 6 SW XI, 115. 7 Cf. Le système de l’éthique(1798), traduction par Paul Naulin, PUF, 1986, 217.
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tion de l’éternel dans le temps, irruption qui est moins le moment où Dieu se révèle à partir d’une obscurité initiale que celui où Dieu déjà manifeste devient enfin visible. En ce sens la Révélation est le moment historique d’une conversion du regard dont on essaie simplement ici de comprendre le sens dans les termes de la vie du concept. Si l’événement doit se produire, c’est parce qu’il ne dépend qu’en partie de l’ordre des phénomènes, et que sa nécessité est inscrite au niveau de l’être, dans le concept lui-même, donc suivant une nécessité pour laquelle le temps n’est pas essentiel.8 Ceci ne peut, à son tour, se comprendre que si la conscience est elle-même impliquée par l’être du concept et si le concept, ou la raison, appelle fondamentalement la conscience à le découvrir: la conscience doit fondamentalement être, d’une manière ou d’une autre, conscience du concept, ou de la raison. 2° Il faut alors comprendre pourquoi le concept, ou la raison, doit se manifester à une conscience. Si cette manifestation peut avoir lieu, c’est que le concept est toujours visible, bien qu’il puisse ne pas être vu, ou qu’il puisse être vu sans aucune conséquence pour la détermination et la conduite du moi. Deux moments sont à considérer et à comprendre : d’une part, si le concept est fondamentalement visible, pourquoi et comment peut-il y avoir conscience de ce concept? d’autre part, si le concept doit être pris en compte pour l’autodétermination du sujet, pourquoi et comment la conscience de ce concept peut-elle avoir la forme du devoir? Pour le sens commun, un concept n’est qu’une »pensée morte«, tandis que l’homme empirique est le sujet réel, vivant. Lorsqu’il y a conscience du concept, c’est qu’un moi, un je, produit activement ce concept par sa pensée, et c’est grâce au moi et par le moi que le concept peut être posé comme fondement, ce qui revient à dire que c’est le moi, et non le concept, qui est fondement. Or Fichte précise bien qu’il faut entendre à la lettre et contre les habitudes du sens commun que le concept est fondement, et rien d’autre.9 Si la formule de Fichte doit s’entendre littéralement, il faut que la conscience engendre le moi après avoir été elle-même générée par le concept : renversement total du sens commun. Certes, le sujet dispose de concepts empiriques correspondant à des expériences faites dans le monde spatio-temporel des phénomènes. Mais s’il ne disposait que de tels concepts, il ne serait que le reflet du monde, et sa spontanéité se ré8
»Le concept est éternellement égal à lui-même, car il n’est en aucun temps», SW
9
SW XI, 11.
XI, 53.
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sumerait à comprendre le monde sans pouvoir le modifier. Si en revanche il doit y avoir un sujet moral, c’est-à-dire un sujet vraiment actif, alors il faut un principe non empirique de détermination, qui ne peut être qu’un concept de fin. Nous remontons ainsi à la nécessité d’un concept inconditionné. Dans Le Système de l’éthique de 1798, Fichte partait de l’activité libre du moi pour déduire le concept sans lequel cette activité est impossible, et il semblait alors que le moi était premier, selon une approche provisoirement conforme au sens commun. Mais la question de l’origine du concept de fin restait en suspens. Comment le moi pouvait-il, sauf à devenir une sorte d’intellect archétype, le produire? L’Éthique de 1812 répond à cette question en partant du concept, c’est-à-dire en remontant du concept objet jusqu’au concept sujet. La liberté du moi se comprend donc à partir du concept : le concept au fondement du monde précède toute représentation de concept de fin parce qu’il la rend possible. Mais le comprendre ainsi est encore insuffisant car on en resterait à l’idée qu’il est le visible qui précède toute visibilité, l’infini sur lequel se détache tout fini, ce qui certes permet de rendre compte de l’émergence du concept en tant que représentation possible, mais pas de sa saisie nécessaire par un sujet. Comprendre l’activité du sujet correspondant à la manifestation du concept, c’est comprendre l’activité et la manifestation comme deux aspects d’un même processus: le concept, dans son extériorisation, a la forme d’une conscience et d’un moi. C’est donc aussi le concept qui est conscient de soi dans sa causalité et qui, comme tel, intuitionne l’autodétermination absolue à sa causalité: le concept est le vivant fondamental, mais il ne peut l’être que s’il se saisit comme tel en se réfléchissant et s’intuitionnant lui-même. Il produit la forme de la conscience, comme conscience de soi, et ce n’est qu’alors qu’il est vraiment, puisque, selon le principe constamment répété de Fichte, il n’y a pas d’être sans réflexion sur l’être.10 Si la conscience est toujours rapportée au concept, c’est donc que la conscience est la projection du concept qui se réfléchit lui-même. La conscience est la vie du concept, en ce sens que le concept se manifeste dans la conscience, et que la conscience est le mouvement manifeste où le concept survient à partir de sa pure possibilité pour apparaître comme cause, c’est-à-dire comme fondement du monde. L’énigme est que ce rapport réflexif du concept à lui-même laisse ouverte la possibilité de ne pas se saisir dans la conscience comme étant le 10 SW XI, 8.
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fondement qu’il est pourtant essentiellement. Si le concept est fondement du monde, comment est-il possible, d’une part, de ne pas se soumettre au devoir, et, d’autre part, que le monde ne soit pas entièrement déterminé par le concept? Et si le moi est la vie du concept, comment peut-il se faire que le moi ne soit pas entièrement déterminé par le concept? 3° La réponse semble être une tautologie : le moi est la vie du concept parce qu’il n’est pas un moi s’il n’est pas vie du concept. Fichte note que le moi est libre de vouloir, et que, dans le cas où il ne veut pas, il n’est qu’idéalement un moi,11 comme forme vide: quand le moi est réellement ce que le concept est idéalement, c’est qu’il rend effectif et pose objectivement ce qui n’est qu’idéalement comme concept, car le moi ne provient que de la déposition (Absetzung) du concept12 qui lui donne son contenu qualitatif. Et, puisque le moi ne réalise l’idéalité du concept que lorsqu’il veut, puisque »l’essence du moi est ce devoir«13, le moi est réel lorsqu’il veut ce qu’il doit. L’énigme est donc maintenant, au moins pour le sens commun, que le moi n’est pas vraiment lorsqu’il ne veut pas correctement. Comment un moi irréel est-il possible et en quoi se distingue-t-il du moi réel? Comment et à partir d’où leur statut ontologique diverge-t-il? L’irréalité du moi consiste à ne pas être l’image du concept vivant (de la raison), mais image de l’image du concept, autrement dit, d’être l’image du concept seulement idéal et formel.14 Cela veut dire, tout d’abord, que le moi sait, en tant qu’image de l’image, ce qu’il doit faire. Ce savoir est formellement inclus dans son être en tant que réflexion du concept sur lui-même. Mais le moi en reste à ce savoir et ne le met pas en œuvre. La liberté insoumise du moi consiste donc à interrompre le processus de l’extériorisation de la vie du concept pour réduire ce processus à n’être que production d’images sans prolongement dans le réel. Il n’est alors, dit Fichte, qu’un moi vide auquel on peut tout au plus reconnaître une »force de résistance»15 par laquelle il s’arrache au concept et se pose dans sa particularité, comme un être autosuffisant.16 Mais, si telle est bien formellement l’explication de l’irréalité du moi, de son immoralité et de la rupture de continuité qu’il instaure dans l’extériorisation du concept, comment peut-il se faire qu’un moi ne soit 11 12 13 14 15 16
SW XI, 22. SW XI, 23. SW XI, 28. SW XI, 45. Ibid. Ibid.
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pas l’image du concept, mais, en quelque sorte, son image morte, et vive sur le mode déchu d’un moi simplement apparent? D’où vient au moi sa puissance de résister au concept? La question est suffisamment centrale pour que Fichte la pose expressément: La vie du concept, dit-il, est = moi. On pourrait donc aussi prétendre inversement : tout moi est = vie du concept. Cela aussi est vrai, et donc où pourrait ici trouver lieu un moi immoral, puisque le moi est déterminé comme étant la vie du concept?17 L’articulation génétique du concept et du moi ne semble laisser de place pour aucun écart. Et pourtant il y a, par hypothèse, écart, et il faut montrer que cet écart est une possibilité essentielle du moi. Cela implique aussi que c’est là une possibilité de la vie du concept dès lors que celui-ci s’extériorise, c’est-à-dire se réfléchit. Il faut donc comprendre où, dans cette réflexion, se produit la déperdition qui porte le moi devant le risque de dissoudre sa réalité. Fichte donne alors la présentation suivante de la déperdition du moi: »le concept prend ›dans le moi‹ la forme de l’image par-delà le phénomène effectif«18. Phrase qui dit que le concept n’est pas entièrement incarné dans l’être effectif, mais qu’il se dépose au-delà, jenseits, peut-être dans l’imagination, où il flotte comme une image, un simulacre. Mais comment alors la production de simulacres est-elle possible à ce niveau de radicalité, juste au point où l’être se manifeste? Comment le concept peut-il se dévoyer en se déposant par-delà le phénomène effectif dans une image irréelle? D’où viennent les images médiates qui ne sont pas l’incarnation immédiate de la manifestation du concept? Fichte a dit qu’il y avait interruption dans le processus qui conduit du concept à l’autodétermination du moi: l’image du concept, saisie par intuition, n’est pas ramenée par le moi sur lui-même afin de se déterminer en fonction d’elle. Mais pourquoi l’image peut-elle rester une pure image au lieu de s’incarner? Je suggère, pour répondre à cette question, de considérer l’être même du simulacre tel que le caractérise alors Fichte. L’image médiate est, dit-il, la vie »schon concrescirt«, déjà condensée, déposée, fixée avec et dans la forme du phénomène.19 Pour comprendre cela, il faut clarifier la concrétion avec la forme du phénomène, ce qui implique qu’on sache ce qu’est cette forme. L’adverbe »schon« donne une indication utile. En effet, ce qui importe et à par17 SW XI, 47. 18 Ibid. 19 Ibid.
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tir de quoi une partie de la difficulté pourrait être résolue, c’est que l’image à laquelle on a affaire ait le caractère d’être dépassée. L’image médiate est une image déposée, objectivée et figée. Dès lors on comprend ce que peut vouloir dire que la vie du concept s’est emmêlée dans la forme du phénomène: elle s’est enfermée dans sa temporalité. Les images médiates ne viennent pas d’«ailleurs«, ils viennent d’«avant«. Le »jenseits« problématique où se fixe l’image qui manque sa propre manifestation effective, c’est le »schon« du passé. Ou, pour le dire plus exactement, l’image impose dans le présent quelque chose de dépassé, de mort. L’au-delà est ce qui a déjà eu lieu. La répétition est la possibilité de dévoiement de l’être luimême. En ce sens, la question de la temporalité n’a pas à être importée d’ailleurs dans le texte de l’Ethique, malgré ce que dit Fichte,20 mais elle est impliquée comme ce qui ouvre la possibilité du dévoiement du concept. La duplicité du concept, qui peut s’incarner dans la forme effective ou rester dans une forme désincarnée, n’est que sa propre capacité à se répéter, c’est-à-dire à proposer à l’incarnation une forme de lui-même périmée du seul fait que c’est une forme qui a déjà pris la forme des phénomènes: l’au-delà mort est simplement cela qui revient depuis sa propre effectuation. Ce n’est donc effectivement pas à la vie que nous avons affaire, mais au retour des images de la vie, ou, plus exactement, à ce qui, dans ces images, est la forme du passé et une forme passée. Le passage du concept dans les formes phénoménales, peut donc se fraire de deux manières. La bonne est un passage immédiat qui produit dans la conscience la forme du concept, ce qui se traduit par le fait que, sans aucun intermédiaire, j’endosse la forme du concept et agis moralement: c’est une conscience qui se détermine selon la loi morale. La mauvaise est un passage médiat qui produit une image que la conscience va imiter, image qui ellemême doit forcément prendre une forme quelconque, et tout d’abord la forme du temps pur, c’est-à-dire un délai, un laps de temps vide.21 Le moi qui incarne ce temps vide est le moi paresseux, qui est à l’image de la pure image du temps. Mais le moi peut aussi importer dans cette image toutes sortes d’images empiriques, des imitations du passé qui inscriront encore davantage le moi dans sa propre sclérose,22 faisant de lui non pas l’image du concept, mais l’image passive et ressassée de la nature, c’est-à-dire,
20 SW XI, 50. 21 Ibid. 22 SW XI, 61: »in seinem alten Gleise».
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pour Fichte, de la mort. Là est le mal radical.23 Et ce temps de l’immoralité, voué à la répétition, est aussi, bien évidemment, le temps du conservatisme et de la réaction. Inversement, la vie du concept, immédiatement endossée, impose l’idée de progrès infini, dans tous les domaines, sans tolérer ni détour ni délai. La duplicité de l’être tient donc au fait qu’il peut se réfléchir soit en sa vitalité, c’est-à-dire en sa forme éternellement présente, soit en sa propre mort, comme réflexion sur son être passé, c’est-à-dire comme pure mémoire de ce qui a déjà eu lieu. Bien sûr, cette duplicité est incompréhensible au niveau de l’être. Elle surgit avec la réflexion, c’est-à-dire avec la conscience, lorsque l’être passe dans le phénomène et, de ce fait même, dans le temps. Le sujet moral, dans sa possible déviation vers le pur paraître, ne fait donc qu’emprunter une possibilité de l’être lui-même. L’être envoie des images qui n’ont pas toutes le même sens temporel, et c’est au moi de discerner celles qui ont le sens opportun, c’est-à-dire qui se manifestent avec le sens du devoir. C’est à faire comprendre à l’homme son aptitude à un tel discernement que concourt la Révélation au sens christique. Ici est donc clairement en jeu le problème de la coïncidence du temps avec la présentation d’une nouveauté absolue, qui n’est autre que la nouveauté de la présentation infinie du concept en sa spontanéité et son immédiateté absolues. Rien d’autre n’est requis pour rendre possible la production du mal que le concept vivant et sa propre apparence, le double qu’il a produit par sa vie même, parce que sa vie produit non pas seulement la réflexion, mais aussi le temps. Ainsi la force de résistance du moi n’est-elle pas un principe extérieur au concept, une anti-vie ou une autre vie, mais la vie qui se reprend elle-même au lieu de se réinventer. Le moi particularisé que nous avions évoqué tout à l’heure n’est donc pas, lui non plus, extérieur au concept, et son autosuffisance n’est que le ressassement de soi dans la complaisance pour sa propre finitude, sa vaine obstination (eitler Trotz). Il est alors néant en effet, au sens où il est ce qui a été, et, donc, ce qui n’est déjà plus. C’est pourquoi on ne peut pas dresser un programme d’actions vertueuses : toute anticipation ne serait que la projection de représentations subjectives puisées dans le vécu contingent du sujet. D’où il s’ensuit pour Fichte que »ce qu’est à chaque fois le devoir de chacun, c’est à chacun de le découvrir dans sa propre conscience«24, ici et maintenant. D’aut23 SW XI, 60. 24 SW XI, 40.
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re part, et pour la même raison, il est immoral de se mettre en quête de devoirs et de les traquer comme un aventurier,25 car, note Fichte, de tels aventuriers de la morale ne savent pas ce qu’est le devoir ni où il se trouve. Les devoirs ne sont pas, en effet, inventés librement pour ensuite essayer de les trouver dans la nature, mais ils sont à assumer tels qu’ils se présentent: il faut »attendre que l’image divine jaillisse« car, par lui seul, l’homme ne peut rien faire. Il faut être passif devant le concept pour être actif dans le monde. La manifestation du concept ne doit donc pas être cherchée ailleurs qu’ici et maintenant, dans le vécu immédiat du sujet, avec pour seul souci d’être à la hauteur de ce qu’exige la situation, sans recours à des solutions importées. Ainsi le concept doit-il (soll) apparaître comme principe de tout temps dans le moi.26 Car, puisque le moi s’apparaît dans le temps, il faut que la série des déterminations du moi soit toute entière déterminée et liée immédiatement par le concept. De ce fait, le rapport au principe précède toute volition particulière. Le moi veut son devoir, quel que soit ce dernier, et avant même de savoir en quoi il consiste, au point que la volition particulière doit disparaître en tant que telle, et se résorber dans la volonté d’un tout. En effet, la volition particulière impliquerait de reprendre à chaque fois conscience du devoir, comme s’il y avait, suscités par des contenus particuliers, des moments discrets dans le développement de la vie du concept, ce qui signifierait qu’à certains moments le concept cesse d’être directement déterminant. L’existence morale, en revanche, développe le concept comme un »flux ininterrompu»27: une seule volition détermine l’ensemble de la série des déterminations du moi. Cette essentielle unité du vouloir apparaissait dans le Système de l’éthique de 1798 lorsque Fichte notait que la sensation qui accompagne l’action morale constitue un flux ininterrompu, tandis que toute réflexion sur l’agir isole arbitrairement et abstraitement des unités discrètes sans réalité: »La réflexion, disait Fichte, procède en quelque sorte par saccades, ›tandis que‹ la sensation est continu«28. A partir de là, Fichte proposait de comprendre »le moi réel, agissant et sentant« comme agissant selon une ligne continue (stätige Linie) qui ne comporte ni interruption ni rien de tel, une ligne suivant la-
25 26 27 28
SW XI, 100. SW XI, 53. SW XI, 62. Le système de l’éthique, op. cit., 97.
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quelle on s’avance insensiblement vers l’opposé sans qu’un changement apparaisse au point suivant, mais bien quelques points au-delà.29 La volition selon le concept constitue donc un tout unitaire auquel correspond la totalité d’une sensation d’agir, de sorte que cette sensation fluide pourrait servir d’indice à la moralité, la ligne ininterrompue de la sensation de l’agir moral correspondant à l’unité absolue du vouloir et incluant toutes les actions qui doivent être approuvées par notre conscience. Ces actions y sont incluses comme autant de points30 constituant, dans leur unité organique, ce qu’on pourrait appeler la ligne morale ou la ligne droite de l’agir moral. De ce point de vue, la morale n’est rien d’autre que la production d’un sentiment parfaitement linéaire du temps, c’est pourquoi le caractère de la moralité est toujours la simplicité31 qui tend à regrouper dans l’unité d’un tout organique ce qui pourrait apparaître extérieurement comme multiple. C’est ce tout qui donne la véritable image du concept.
29 Ibid. 30 Le système de l’éthique, op. cit., 201. 31 SW XI, 99.
Die affektive Vermittlung. Deutungs- und affekttheoretische Dimensionen der späten Religionsphilosophie Fichtes
Björn Pecina (Falkensee)
1. Das Absolute zwischen Bestimmtheit, Deutung und Erleben Den Menschen sind Rätsel bis auf den Tag aufgegeben. Weltenrätsel, Menschheitsrätsel, das Rätsel des Anderen. Das Absolute ist das Rätselhafte schlechthin, da dessen Rätsel nicht löst, der es entschlüsselt. Den Menschen sind viele Zauber geschenkt. Zauber der Liebe, Zauber der Schönheit, Zauber der Lust. Das Absolute ist das Zauberhafte schlechthin, da dessen Zauber nicht entzaubert, der sich von ihm verzaubern läßt. Und endlich ist das Absolute das Denkbare schlechthin, weil es dem Denken noch zu denken gibt, wenn Denken es als undenkbar dachte. Ich spiele hier auf die bleibende Einsicht des Kantischen Kritizismus an, daß die epistemische Instanz, die das Absolute denkt, diesem Denken nicht den Abschied geben kann, indem sie denkend das Denken von sich wegdenkt. Als Konsequenz eines solchen Kritizismus scheint dann das Absolute dem Denken zu sterben. Einmal in den Bann von Denken und Sprache, einmal unter den Verdacht geraten, nur gedachtes und nur gesagtes Absolutes zu sein, ist das Absolute verloren.
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Björn Pecina
Des Absoluten Rätsels Lösung gibt es nicht, und so bietet dann auch die Epoche des ausgehenden 18. und anhebenden 19. Jahrhunderts ein Syndrom absolutheitstheoretischer Spekulation. Ich möchte nur an Schleiermachers Integration des Absoluten in die subjektivitätstheoretische Dimension von Endlichkeits- und Transzendenzreflexion, Jacobis wissenstheoretischen Theismus, Hölderlins differenzresistentes Sein, Hegels Entäußerung dieses Seins bis an die Ränder all seiner Vermittlungen und Schellings These vom bestimmender Negation entzogenen Unvordenklichen erinnern. Einig sind sich diese Versuche darin, die Kantische Ethikotheologie insofern zu verabschieden, als diese ein Theorieangebot postkritischer Gotteswissenschaft darstellte. Damit möchte ich mich nun Fichte zuwenden, dessen Überschreitung der Ethikotheologie hin auf eine Deutungs- und Affektenlehre man als genuines Thema seiner Religionsphilosophie wird ansehen können. Es ist ja ein berühmtes Diktum Fichtes, sich nach der Lektüre von Kants KpV gleichsam in einer neuen Welt wiederzufinden.1 Aber in dieser neuen Welt bestimmt nun nicht allein Kant das spekulative Ambiente, sondern Fichte geht schon in seinen Anfängen entscheidend über Kant hinaus. Auch in seiner frühen Religionsphilosophie hat Fichte nämlich herausgestellt, daß Religion und die philosophische Reflexion auf das religiöse Erleben nicht in einer bloßen Vertiefung der kantischen These vom Primat der praktischen Vernunft aufgehen. In seiner ersten bedeutenden religionsphilosophischen Schrift, dem Versuch einer Kritik aller Offenbarung von 1792, befindet sich Fichte noch in großer Nähe zur Postulatenlehre Kants.2 Gleichzeitig aber geht er auch über Kant hinaus, wenn er die These aufstellt, daß sich die Sittlichkeitsdimension auch auf den Bereich der Neigungsbetroffenheit endlicher Wesen erstreckt und in genau diesem Bereich Geltung hat. Die Abhängigkeit der sinnlichen Natur von einem göttlichen Wesen ist nur eine Explikation der »Abhängigkeit vom Moralgesetz«, wodurch dann das göttliche Wesen als »gänzlich durch das Moralgesetz bestimmt« gedacht werden muß.3 Ist solchermaßen das endliche Wesen im Bereich der Neigungsbetroffenheit als der Dimension der Fremdbestimmtheit zur Selbst1 Vgl. den Brief vom August/September 1790 an Weißhuhn, GA III/1, 167. 2 Zur Offenbarungsschrift vgl. F. Wittekind: Theologie und Religion in J. G. Fichtes Offenbarungsschrift, in: Neue Zeitschrift für systematische Theologie und Religionsphilosophie, Bd. 39 (1997), 87–105 u. B. Pecina: Liebe des Seins. Wandlungen in Fichtes Religionsphilosophie bis zur »Anweisung zum seligen Leben«, Theol. Diss. Halle a. d. S. 2003, 42–60. 3 J. G. Fichte: Versuch einer Kritik aller Offenbarung (1792), hg. v. H.-J. Verweyen, Hamburg 1993, 10.
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bestimmung bestimmt, so ist dieser bestimmungslogisch paradoxe Sachverhalt zu kennzeichnen als eine Deutung: Das endliche Subjekt deutet sich als bestimmt zur Selbstbestimmung, wobei Gott reines Symbol dieser Bestimmtheit ist. Die vollendete Fassung dieser Deutungstheorie ist allerdings erst auf der Ebene von Fichtes religionsphilosophischem Hauptwerk, der Anweisung zum seligen Leben von 1806, erreicht. Bekanntlich vollzieht Fichte um 1800 jenen Umbruch in seiner Philosophie, der auf eine vertiefte Absolutheitstheorie führt. Die Stationen, die dann zu jener Verbindung von Affektenlehre und Deutungstheorie in Fichtes später Religionsphilosophie führen werden, sollen hinsichtlich ihrer absolutheitstheoretischen Valenz kurz nachgezeichnet werden. In der WL-1801/02 erreicht die Absolutheitstheorie ihre allererste bestimmtheitstheoretische Gipfelhöhe in der These, daß nur im Verschweben von Sein und Freiheit sich Freiheit als unsetzbar setzt und darin zugleich immer sich fort-setzt. Der Modus dieser Fort-Setzung von Unsetzbarkeit ist das absolute Wissen. »Der eigentliche Fokus, und Mittelpunkt des absoluten Wissens ist hiermit gefunden. Er liegt nicht im fassen als Wissen … auch nicht im sich vernichten an dem absoluten Seyn, sondern schlechthin zwischen beiden … Es kann sich nicht fassen als das absolute … ohne sich als nothwendig anzusehn, also in der Nothwendigkeit sich zu vergessen; und es kann die Nothwendigkeit nicht fassen, ohne eben zu fassen, also sich für sich zu erschaffen«.4
Das nur in der intellektuellen Anschauung zugängliche absolute Wissen ist von jener zweisinnigen Logik, sich zwar als Wissen – wissend – zu erfassen, aber in der Position der Absolutheit als absolutes Wissen immer zugleich auch nach seiner Dimension, Wissen zu sein, zu vergessen und somit zu vernichten. In dieser Selbstvernichtung, in der sich das Wissen als Wissen in der Position der Absolutheit selbst vergißt, erzeugt sich jedoch das Wissen als absolutes Wissen. Diese Logik absoluten Wissens findet in der Metapher des ›Schwebens‹ ihren sinnbildlichen Ausdruck. Lozierte die WL-1801/02 das Absolute als Grund und Grenze des Wissens im absoluten Wissen, so bringt sie den Dualismus von Sein und Freiheit zur Anwendung. Dieser Prinzipiendualismus wird in der WL-1804-II ver-
4 WL-1801/02, 63; zit. nach J. G. Fichte: Darstellung der Wissenschaftslehre. Aus den Jahren 1801/02, hg. v. R. Lauth, Hamburg 1977.
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lassen. Am Ende der sogenannten Wahrheitslehre übersteigt Fichte diesen Dualismus auf seine berühmte Einheitsthese hin: »Es ist daher … ein esse in mero actu, so daß beides Sein und Leben, und Leben und Sein durchaus sich durchdringen, ineinander aufgehen, und dasselbe sind, und dieses dasselbe Innere das Eine und alleinige Sein«.5
Dieses reine Sein tritt heraus als ein Jenseits aller reflexiven Vermittlungsleistungen. Fichte bedient sich dabei der Methode transzendentaler Subtraktion, indem er in progredierender Komplexität das Absolute vorbegrifflich fixiert, um dann vom Absoluten zu scheiden das, was vom Wissen herkam. Dem Denken kommt damit in letzter Konsequenz die Aufgabe zu, vom Absoluten, das zu denken es genötigt ist, nun alles fernzuhalten, was es von ihm dachte. So denkt dann Denken das Absolute weg von sich. Wenn aber das Absolute nicht einmünden soll in vorkritische Substanzontologie, die das Absolute als undenkbar denkt, jedoch zu bedenken vergißt, es solchermaßen gedacht zu haben, kann diese Einheitsthese allein solchermaßen rekonstruiert werden, daß sich in ihr das Sein nach seinem unsetzbaren Moment zeigt. Ist in dem Sachverhalt schlechthinniger Unsetzbarkeit des Seins die Gipfelthese der Wahrheitslehre beschrieben, so bleibt die Frage einer angemessenen Rückbindung dieses Seins an das Denken offen. Dieser Frage wendet sich Fichte in der Erscheinungslehre der WL-1804-II zu, deren These damit auf den Punkt gebracht zu sein scheint, daß in der Gewißheit sich der kognitive Repräsentant unsetzbaren Seins findet, da die Gewißheit aller differenztheoretischen Kognition vorausliegen muß. »[D]as sich selber als Sehen durchdringende Sehen giebt nothwendig sich selbst, als ein selbstständiges, auf, und setzt ein absolutes Sein … welches eine Beschreibung der Gewißheit, als einer Geschlossenheit in sich selber ergab«.6 Die Seinsthese der WL-1804-II ist eingegangen in die Religionsschrift Fichtes von 1806.7 Das Bewußtsein wird in der Anweisungsschrift dahin bestimmt, Darstellung des Absoluten zu sein. Diese Bestimmung des Bewußtseins zieht die Konsequenz aus der dem Bewußtsein immanen5 WL-1804-II, 151 (zit. nach J. G. Fichte: Die Wissenschaftslehre. Zweiter Vortrag im Jahre 1804, hg. v. R. Lauth u. J. Widmann, Hamburg 1986). 6 WL-1804-II, 266. 7 Zur Anweisungsschrift vgl. H. Traub: Johann Gottlieb Fichtes Populärphilosophie 1804–1806, Stuttgart-Bad Cannstadt 1992, 167-287, C. Asmuth: Das Begreifen des Unbegreiflichen. Philosophie und Religion bei Johann Gottlieb Fichte 1800–1806, Stuttgart-Bad Cannstatt 1999, 67-121 u. 123–152 u. B. Pecina: Liebe des Seins, 242–373.
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ten Struktur, zu vergegenständlichen. So kann das Absolute dem Bewußtsein immer nur unbewußt bleiben. Aber auch wenn das Bewußtsein bestimmt wird als Bild oder Darstellung des Absoluten, affirmiert sich die absolutheitstheoretische Aporie, daß dem als relationsresistent zu beschreibenden Absoluten qua Bild- oder Darstellungsdimension eine Relation eingeschrieben wird. Das Absolute denkend verfehlt das Bewußtsein das Absolute. Damit ist das Bewußtsein selbst als das Absolute anzusprechen, doch kann sich dies nicht mehr auf das Bewußtsein in seiner Bestimmtheit beziehen, sondern muß das Bewußtsein hinsichtlich seiner Vollzugslogik betreffen. »[W]o ist denn jenes unmittelbare göttliche Leben, welches in seiner Unmittelbarkeit das Bewußtsein ja sein soll ... ? Wir antworten: es ist nicht verschwunden, sondern es ist und bleibt da, wo es allein sein kann; im verborgenen, und dem Begriffe unzugänglichen – Sein des Bewußtseins: in dem, was allein das Bewußtsein trägt, und es im Dasein erhält, und es im Dasein möglich macht«.8
So ist also das Bewußtsein das Absolute, doch trifft dies nur zu, wenn dieser Sachverhalt dem Bewußtsein nicht bewußt wird. Denken denkt Gedanken, doch sind die Gedanken des Denkens nicht das Denken selbst, auch dann nicht, wenn Denken das Denken denkt, da es solchermaßen nur auf einen Gedanken kommt. Nur ungedacht ist Denken das Absolute. Als Gedanken denkendes Denken erdenkt es aber zugleich immer auch das Absolute und gibt ihm damit den Abschied. Der lebendige unlösbare Zusammenhang zwischen dem göttlichen Leben und dem Bewußtsein, dem Sein des Absoluten und dem Denken, ist durch keine differenzbetroffene IstSetzung zu repräsentieren. »Dieß war eben die Schwierigkeit aller Philosophie, die nicht Dualismus sein wollte, sondern mit dem Suchen der Einheit Ernst machte, daß entweder wir zu Grunde gehen mußten, oder Gott. Wir wollten nicht, Gott sollte nicht«.9
Soll also die Bleibe des Absoluten das Denken nicht gedankenlos und das Denken das Absolute nicht verschwinden machen, so muß ein Theoriean8 AzsL, 68/457 (zit. nach: J. G. Fichte: Die Anweisung zum seligen Leben oder auch die Religionslehre, hg. v. H.-J. Verweyen, Hamburg 1994. Die im Folgenden in den Text gesetzten Seitenzahlen der AzsL beziehen sich auf diese Ausgabe. Hinter dem Schrägstrich gebe ich die Paginierung der SW V an. 9 WL-1804-II, 76.
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satz gefunden werden, der diese vexatorische Alternative zu umgreifen verspräche. Fichte wird diesen Theorieansatz in seiner Deutungs- und Affektenlehre finden. Die Lehre von den 5 Standpunkten schlägt genau an dieser Systemstelle durch. Denkend erfaßt sich das Unerfaßbare, und so tritt das Denken dann mit sich selbst auseinander. Das Sein des Absoluten, das Absolute also nach seinem unsetzbaren Moment, vermag im Denken nicht repräsentiert zu werden. In eine multiple Dimensionalität zerspringt dem Denken das Absolute10, doch gleichwohl ist es des Denkens Unsetzbarkeit, die das Denken zu denken trachtet, und so ist das Absolute des Denkens Ausgang. Diesen Ausgang als Ausgang des Denkens setzt das Denken, nicht jedoch setzt es darin zugleich das Sein des Ausgangs, den Ausgang also nach seiner Unsetzbarkeit. Kann somit Denken als ein Bestimmen den Ausgang nicht zur Darstellung bringen, so ist nur über eine intensionale Dimension das Absolute repräsentierbar. Die Anweisungsschrift stellt darum auf eine Deutungstheorie um. »Aber dasselbe Licht vermag auch, durch sich selbst … sich als Eines zu begreifen … sich deutend, als nichts Reales für sich, sondern nur als Dasein, und Sichdarstellung Gottes« (73/462, Hhg. v. Vf.).
Die dem Gedanken denkenden Denken geschuldete Entfremdung vom Absoluten wird damit nicht aufgehoben, sondern sie wird gedeutet unter der Perspektive des Absoluten. In der Erscheinungslehre der WL-1804-II repräsentierte die Gewißheit des Absoluten unsetzbares Sein. Die Weltdeutungen sind somit auch als Gewißheitsmodi zu beschreiben, die nach der internen Selbstdifferenzierung der Vernunft sich aufbauen. So können die sinnliche und legalistische Realitätsdeutung die Sphäre des ihnen Anderen nicht in den Deutungsvollzug einbeziehen, da sie im Modus des natürlichen Bewußtseins verfahren. Die höhere Moral übersteigt jene Dimension der legalistischen Weltdeutung, die in der immer gültigen Form subjektiven Handelns nach dem Sittengesetz gefunden war, indem die höhere Moral als Vorform der eigentlichen Religion schon die Handlungsinhalte in den Blick nimmt. Die Deutung vollzieht sich hier nicht mehr nur nach der Vernunft als dem Ver-
10 AzsL, 72f./461f: »Das göttliche Dasein … ist … Licht ... Dieses Licht … zerstreut und zerspaltet sich in mannigfaltige … Strahlen, und wird auf diese Weise … sich selber, und seinem Urquelle, entfremdet«.
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mögen des Unbedingten, sondern nach den Setzungsakten der zu sich selbst kommenden Vernunft.11 Erst die eigentliche Religion holt die zu sich selbst kommende Vernunft ein, jedoch nicht über eine Differenz-Setzung, da sich das religiöse Subjekt solchermaßen immer verfehlen würde. Das führt auf die Erlebnisdimension religiöser Selbst- und Weltdeutung. »[E]rhebe dich nur in den Standpunkt der Religion, und alle Hüllen schwinden; die Welt vergehet dir mit ihrem toten Prinzip, und die Gottheit selbst tritt wieder in dich ein … als Leben, als dein eigenes Leben, das du leben sollst und leben wirst« (82/471).
Die Religion ist damit die »klare Erkenntnis«, daß die Setzungsakte der sich vollziehenden Vernunft (höhere Moralität) »die Erscheinung des inneren Wesens Gottes« sind (81/470). ›Erkenntnis‹ ist aber Lichtung von Gottinnigkeit am Orte religiöser Subjektivität und nicht als ein kognitiver Akt mißzuverstehen. Dieser Sachverhalt ist noch einmal aufzuhellen über die Darstellungsrelation. Die höhere Moral als Inhaltssetzung göttlichen Lebens war ja schon als Darstellung des Absoluten anzusprechen. Doch konnte die höhere Moral in ihren Vernunftsetzungen nicht mehr darstellen, Darstellung des Absoluten zu sein. Genau die Darstellung aber dessen, Darstellung des Absoluten zu sein, wird der Religion zugeschrieben, doch stellt die Religion die Darstellungsrelation nicht in einem Relationsschritt zweiter Ordnung dar, sondern sie deutet die Darstellung des Absoluten im Modus der höheren Moral eben als Darstellung des Absoluten und vollzieht somit das Denken des Undenkbaren am Orte lebenden Erlebens. 2. Das Absolute in Liebe Die eigentliche Leistung der Anweisungsschrift, mit der sie weit über die Ableitung der Fünffachheit im 28. Vortrag der WL-1804-II hinausgeht, besteht darin, den fünf Realitätsdeutungen je eigene Affektlagen beigeordnet zu haben. Deutungs- und Affekttheorie sind dabei unmittelbar miteinander verzahnt.
11 AzsL, 80/469: »[E]s [scil. das Gesetz der höheren Moral] will die Menschheit … zu dem machen, was sie, ihrer Bestimmung nach, ist, – zum getroffenen Abbilde, Abdrucke, und zur Offenbarung – des innern göttlichen Wesens«.
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Björn Pecina »Offenbare mir, was du wahrhaftig liebst, was du mit deinem ganzen Sehnen suchest … und du hast mir dadurch dein Leben gedeutet« (13/403).
Fichte transformiert das Theorem des Strebens und Sehnens aus seiner Frühphilosophie in Modi sich vertiefender Affektivität. »Die Möglichkeit alles – Genusses, Freude, Seligkeit … gründet sich auf Liebe, Streben, Trieb« (16/407). Hatte die GWL im Sehnen jenes subjektivitätstheoretisch basale Grundgefühl gefunden, das die Voraussetzung für das egologische Streben danach, sich als durch sich selbst gesetzt zu setzen, ist, indem das Ich die Totalität des ihm Anderen als Selbstkennzeichnung sich zuschrieb, so interpretiert die Anweisungsschrift das Streben als affektives Aussein auf Selbstübereinstimmung. Auf dem Standpunkt der Religion ist diese Selbstübereinstimmung des Subjektes im Affekt der Liebe erreicht. Die Liebe vermittelt somit nicht nur das religiöse Subjekt mit sich selbst, sondern sie vermittelt auch die Setzung des Absoluten mit seinem unsetzbaren Moment. Nur in seiner Darstellung als der bestimmenden Negation des Absoluten ist das Absolute. Ist aber diese Darstellung Darstellung des Absoluten, so kann genau dieser Sachverhalt als ein Moment der Darstellung des Absoluten nicht mehr angesprochen werden. Wenn Darstellung als Darstellung des Absoluten ist, so kann Darstellung diese Darstellungsrelation nicht noch einmal darstellen.12 Der Sachverhalt also, daß nicht darstellbare Darstellung des Absoluten ist, weist auf das Sein des Absoluten nach seinem unsetzbaren Moment zurück. Die Relation zwischen dem Absoluten und seiner Darstellung, die nicht wieder als Relation aussagbar ist, fordert einen Modus, der nicht in Differenz-Setzungen sich vollzieht, und dieser Modus ist die Liebe. Als umgreifende Kategorie für die Darstellungsrelation führte Fichte ja seit der WL-1804-II die Erscheinung ein. Jenseits der Dichotomie von Sein und Erscheinung ist nur das Niemandsland des Nichtigen. Die Liebe aber unterläuft diese Dichotomie noch einmal und darf in systemtheoretischer Hinsicht als Gegenbegriff zur Erscheinungsrelation angesehen werden. »Diese, nicht die seinige, noch die unsrige, sondern diese, erst uns beide zu zweien scheidende, so wie zu Einem bindende, Wechsel-
12 »In dem Dasein … oder in der Reflexion, wandelt … das Sein seine … unerfaßbare … als reines Leben … zu beschreibende Form … in eine stehende Bestimmtheit« (152/539).
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liebe ist nun zuvörderst die Schöpferin unsers oft erwähnten leeren Begriffs eines reinen Seins, oder eines Gottes« (153/540).
Die zitierte Passage beugt dem Mißverständnis vor, daß die Liebe das Vereinigungsprinzip von Sein und Erscheinung ist. Als Vereinigungsprinzip von Sein und Erscheinung wäre dann aber die Liebe dem Absoluten äußerlich und würde mithin durch die Darstellungsrelation rückbedingt werden. Erscheinung wäre dann dem Absoluten unmittelbarer als die Liebe. Die Liebe setzt hingegen allererst die Darstellungsrelation von Sein und Erscheinung, ohne selbst in dieser oder durch diese Relation gesetzt zu sein. Das religiöse Subjekt deutet sich als Vollzug des Absoluten und damit erlebt es sich in Einheit unangefochten dadurch, sich nur in Differenz erfassen zu können. Doch Deutung vermag nicht jenseits der Relation von Sein und Erscheinung zu deuten, denn wenn auch Deutung Gedeutetes als Ausdruck von der Bestimmtheit Anderem deutet, so nimmt doch Deutung immer auch Bestimmtheit in Anspruch. Deutung ist somit angewiesen auf den umgreifenden Bewandtniszusammenhang des Absoluten selbst. Nur vom Absoluten umgriffen deutet Deutung das Absolute nach den sich differenztheoretisch aufbauenden Momenten zu sich selbst kommender Vernunft. Insofern ist die Liebe als Selbstvollzug des Absoluten, ein Selbstverhältnis, das vom Absoluten nach seinem unsetzbaren Sein keinesfalls ausgesagt werden könnte, Grund auch noch der Deutung des Absoluten im Modus der vier Realitätskonzeptionen. Fichte sucht damit Anschluß an den spinozanischen Amor Dei intellectualis. Es wird vielleicht nicht zuviel gesagt, wenn man die Vermutung äußert, daß Fichte hier die Ontologie Spinozas transzendentalphilosophisch so transformiert hat, daß sie sich noch als Grund der Transzendentalphilosophie selbst erweist. Freilich gilt dies nur insofern, als Fichte die Substanzontologie Spinozas übersteigt, hin auf die Seinsthese seiner Spätphilosophie. Der Amor Dei intellectualis kompensiert in Spinozas System den Sachverhalt, daß die absolute Kausalität als Kausalität des endlichen Subjektes immer noch das endlicher Subjektivität Andere ist. Diese Liebe ist intellektual insofern, als in der scientia intuitiva das endliche Subjekt sich als Ausdrucksmoment der absoluten Kausalität erkennt. Die Liebe steht für die Dimension des endlichen Subjektes, von seiner Endlichkeit absehen zu können. So schattet sich die Liebe Gottes zu sich selbst ab in der Liebe, in der das endliche Subjekt sein Gottesverhältnis aufbaut. Wenn
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das Endlichkeitsmoment auch nicht eingeht in den Gedanken des Amor Dei intellectualis, so bleibt dieser Amor doch gleichwohl ein Gedanke.13 Auch Fichtes Theorem der Wechselliebe beschreitet eine Dimension, in der das religiöse Subjekt aufgeht im Erleben jenes reinen Vollzuges, der als Liebe Gottes zu sich selbst zu beschreiben ist. Doch ist die Liebe nun nicht mehr Gedanke, sondern allererst die Ermöglichung Gedanken setzenden Denkens. So entäußert die Liebe das in dieser Entäußerung nach seinem unsetzbaren Sein nicht repräsentierbare Absolute. Die Repräsentation des Absoluten in seiner Erscheinung kann nur statthaben, weil die Liebe das Erzeugen der Erscheinung ist. Es muß sich nämlich ein Topos angeben lassen, der dafür einsteht, daß in der Erscheinung des Absoluten wirklich das Absolute erscheint. Dieser Topos ist in der Liebe gefunden.14 Es haltend in seiner Unsetzbarkeit setzt die Liebe das Sein in seine Erscheinung, um hier es ganz erscheinen zu lassen. So ist der Standpunkt der Wissenschaftslehre noch immer rückbedingt durch den religiösen Standpunkt, der in genau dem affektiven Einheitserleben, das sich als »absolutes Faktum« (83/472) nicht mehr vor sich selbst bringen kann, die Genetisierung durch die Wissenschaftslehre ermöglicht, weil die Wissenschaftslehre sich nach ihrer Vollzugsdimension aus der Quelle der Liebe speist.15 Konnte schon die WL-1804-II die differenzlose Erschlossenheit des Absoluten in der Liebe als das »wahre Element des vernünftigen Geistes« bezeichnen,16 so ergänzt die Anweisungsschrift, daß Liebe damit auch »die Wurzel der Realität, und die einzige Schöpferin des Lebens, und der Zeit« sei (154f./541f.). Und hätte die Wissenschaftslehre der Liebe nicht, so wäre sie von der weiland vorgetragenen Einrede des Völkerapostels Paulus (1Kor 13) gegen eine Glossolalie, in der sich die Suisuffizienz anthropogener Prinzipienreflexion zur epikle13 »Die intellektuelle Liebe des Geistes zu Gott (erga Deum) ist eben die Liebe Gottes, wodurch Gott sich selbst liebt (quo Deus se ipsum amat), nicht insofern er unendlich ist, sondern insofern er durch das Wesen des menschlichen Geistes (quatenus per essentiam humanae mentis), unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit betrachtet, ausgedrückt werden kann (explicari potest)«. Eth V, Prop. 36, Hhgn. i. O. (zit. nach Baruch de Spinoza: Die Ethik. Lateinisch und Deutsch. Revidierte Übersetzung v. J. Stern, Stuttgart 1977). 14 In der Anweisungsschrift macht Fichte immer wieder auf die Arche-Spekulation im Prolog des Johannes-Evangeliums aufmerksam, die er für den Sachverhalt reklamiert, daß »im Anfange, und schlechthin bei dem Sein, das Dasein [war]« (155/542). 15 AzsL, 155/542: »[D]ie Liebe, ist, so wie überhaupt Quelle der Wahrheit und Gewißheit, ebenso, auch die Quelle der vollendeten Wahrheit, in dem wirklichen Menschen und seinem Leben«. 16 WL-1804-II, 49. Die Reflexion hingegen bezeichnet Fichte dann in der AzsL als das »Element … der Wissenschaft« (155/542).
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tischen Ekstatik herzschwingenden Engelgesangs emporsteigert, betroffen. Dann aber würde auch der geneigteste Zuhörer in den Genetisierungen der Wissenschaftslehre nur die Melodie tönenden Erzes und klingender Schellen vernehmen können.
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Religion der Vernunft aus den Quellen des Christentums. Zur Religionsphilosophie im Spätwerk Fichtes
Wolfdietrich Schmied-Kowarzik (Kassel)
Vorbemerkung 100 Jahre nach Fichtes Berliner Vorlesung Die Staatslehre oder über das Verhältnis des Urstaates zum Vernunftreich von 18131, in deren Kern es um das Christentum und das Problem der Geschichte geht, kam Hermann Cohen, der große Kantianer, nach seiner Emeritierung in Marburg nach Berlin und hielt in der Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums Vorlesungen zur Religion, die in seinem posthum veröffentlichten Spätwerk Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums (1919)2 gipfelten. Cohen bezieht sich mit seiner Religion der Vernunft implizit auf Kants Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1793), die ihm zum einen viel zu wenig ins Grundsätzliche geht und zum anderen viel zu sehr in unaufgeklärten christlichen Bezügen steckt. Wie weit Cohen auch Fichte meint, den er nicht erwähnt, wie weit er Fichtes späte 1 Johann Gottlieb Fichte, Die Staatslehre oder über das Verhältnis des Urstaates zum Vernunftreiche (1813), Ausgewählte Werke in sechs Bänden, hrsg. v. Fritz Medicus, Nachdruck Darmstadt 1962 (AW, VI). 2 Hermann Cohen, Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums (1919), 2. Aufl., hrsg. v. Bruno Strauß, Berlin 1929, Nachdruck Darmstadt 1966 (RdV).
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Staatslehre überhaupt kennt, vermag ich nicht zu sagen, und spielt auch für unseren Zusammenhang kaum eine Rolle. Auch ohne direkte Bezüge, ja gerade weil diese nicht aufgewiesen werden, sind die grundsätzlichen Parallelen zwischen Cohen und Fichte nicht nur in ihren idealistischen Grundkonzeptionen, sondern auch in ihrem Anliegen der Begründung einer Religion der Vernunft frappierend und faszinierend – sie sind wohl nur aus ihrer gemeinsamen Abkunft von Kant verstehbar. Wo es dann aber um die letzten Quellen für eine Religion der Vernunft geht, bricht diese – wie nicht anders zu erwarten – unüberbrückbar in eine christliche und eine jüdische auseinander. 1. Die gemeinsame Grundposition Skizzieren wir zunächst die grundsätzlichen Gemeinsamkeiten. Wobei wir auf diesem Fichte-Kongreß die Grundkonzeption Fichtes als bekannt voraussetzen können und nur noch thesenhaft die Parallelen bei Cohen anzumerken haben. a. Fichtes Wissenschaftslehre (1794) und Cohens Logik der reinen Erkenntnis (1902)3 stehen sich in der Radikalität ihres Idealismus kaum nach. So schreibt Cohen in der Logik der reinen Erkenntnis gleich eingangs: »Wir fangen mit dem Denken an. Das Denken darf keinen Ursprung haben außerhalb seiner selbst [...]. Das reine Denken in sich selbst und ausschließlich muß ausschließlich die reinen Erkenntnisse zur Erzeugung bringen [...]. Das Sein ist Sein des Denkens. Daher ist das Denken, als Denken des Seins, Denken der Erkenntnis.« (LrE, 13) Alle Wissenschaften erzeugen – wie Cohen betont – gemäß der ihnen allen gemeinsamen Infinitesimalmethode, aber mit je spezifischen Kategorien und Verfahren aus dem Nichts des Wissens die Bestimmtheit des Etwas ihrer Gegenstandsfelder. »So wird das [...] Nichts zum Operationsmittel, um das jedesmalige Etwas, das in Frage steht, in seinem Ursprung, und dadurch erst eigentlich zur Erzeugung und zur Bestimmung zu bringen.« (LrE, 89) b. Für Fichte steht Das System der Sittenlehre (1798) ebenso gegenüber der theoretischen Erkenntnis im Primat wie für Cohen die Ethik des reinen Willens (1904)4 – so schreibt Cohen: »Die Ethik, als die Lehre 3 Hermann Cohen, Logik der reinen Erkenntnis, 2. Aufl. Berlin 1914, zit. nach: Werke, Bd. 6, hrsg. von Helmut Holzhey, Hildesheim 1977 (LrE). 4 Hermann Cohen, Ethik des reinen Willens (1904), 2. Aufl. Berlin 1907, zit. nach: Werke, Bd. 7, hrsg. von Helmut Holzhey. Introduction by Steven S. Schwarzschild, Hildesheim 1981 (ErW).
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vom Menschen, wird das Zentrum der Philosophie. Und erst in diesem Zentrum gewinnt die Philosophie Selbständigkeit und Eigenart und alsbald auch Einheit.« (ErW, 1) Für beide ist obendrein die »Idee Gottes« unlösbar mit dem Problem der geschichtlichen Verwirklichung von Sittlichkeit in der Geschichte verbunden. Nahezu wortgleich zu Fichtes Ausführungen in Über das Wesen des Gelehrten von 1806 (SW VI, 361ff.) schreibt Cohen: »Wir zweifeln nicht daran, daß es der Ewigkeit des sittlichen Fortschritts nicht an einem Menschengeschlecht fehlen könne, durch welches dieser Fortschritt zu bewirken ist. Sonst müßte die Sittlichkeit aufhören. [...] Diese Wahrheit nennen wir Gott ... Die Ewigkeit des Ideals ist nunmehr gesichert durch die Vorsehung Gottes in der Natur für die Sittlichkeit.« (ErW, 445, 450) c. Als sie jeweils – 113 Jahren von einander getrennt – nach Berlin übersiedeln, entdecken sie beide von unterschiedlichen Motiven ausgehend, daß diese enge Verknüpfung von Sittenlehre und Religion noch nicht das letzte Wort sein kann – sie ist nicht falsch, aber bedarf genauerer Klärungen. Fichte hat dies ausdrücklich in seiner Vorlesung Anweisung zum seligen Leben oder auch die Religionslehre (1806) angesprochen (GA I/9, 108) und ebenso thematisiert es Cohen in seiner ersten Berliner Schrift Der Begriff der Religion im System der Philosophie (1915)5: »Ich habe die methodische Konsequenz nicht gescheut, daß die Religion in Ethik sich auflösen müsse. Der Religion war damit nur ein scheinbarer Schaden zugefügt, vielmehr ein Ruhmestitel zugesprochen. [...] Indessen blieben« – so fährt Cohen fort – »mancherlei Punkte in Unklarheit« (BdR, 42), da dadurch insbesondere dem Begriff der Religion ein möglicher Ort im System der Philosophie entzogen wird. Beide – Fichte und Cohen – beginnen also in ihrer Berliner Zeit sich verstärkt mit dem Problem der Religion auseinanderzusetzen, wobei es für beide, was aus ihren philosophischen Ansätzen her selbstverständlich ist, allein um eine »Religion der Vernunft« gehen kann, denn alle andere Formen von Religion sind Mythologie bzw. Aberglaube des Volkes. Im folgenden möchte ich zunächst in wenigen Strichen Hermann Cohens Position der Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums darstellen, um dann auf Fichtes 100 Jahre vorausliegende Religion der Vernunft aus den Quellen des Christentums einzugehen, sowie schließlich
5 Hermann Cohen, Der Begriff der Religion im System der Philosophie (1915), zit. nach: Werke, Bd. 10, hrsg. von Helmut Holzhey, Einleitung von Andrea Poma, Hildesheim 1996 (BdR).
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in einem Ausblick einige Fragen aufzuwerfen, die sich für uns aus der Existenz dieser beiden Religionen aus der einen Vernunft ergeben. 2. Cohens Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums Cohens Ausgangspunkt ist die Frage nach dem Ort der Religion im System der Philosophie. Zwar kommt der Religion – so führt er aus – keine selbständige Unabhängigkeit im System der Philosophie zu, denn das System ist durch die Logik der reinen Erkenntnis, Ethik des reinen Willens, Ästhetik des reinen Gefühls sowie die durch eine deren Einheit in ihren Objektivationen bedenkende »Psychologie des Kulturbewußtseins« zur Gänze ausgeschöpft, aber doch stellt die Religion eine eigenständige Eigenart menschlichen Denkens, Wollens und Fühlens dar, die gleichsam quer zum Systemgedanken steht, ohne die aber das System der Philosophie sich nicht vollständig erfüllen kann, da die Religion in ihrer Eigenart in alle Systemteile hineinspielt. Die Eigenart der Religion besteht in der »Korrelation« des je individuellen Menschen zu Gott in der Einzigkeit seines Seins sowie Gottes in seiner Einzigkeit zum je einzelnen Individuum. Alle Systemteile der Philosophie können immer nur das Allgemeine bestimmen, das Allgemeine der Naturerkenntnis in ihrer Gesetzmäßigkeit, das Allgemeine des Sittengesetzes für die Menschheit und das Allgemeine ästhetischen Fühlens, aber sie erreichen dabei niemals uns in unserer je einmaligen Korrelation zur Einzigkeit des Seins, die wir Gott nennen. Von dieser Korrelation von Gott und Mensch, ihrer Einzigartigkeit des Vertrauens in unser Gehaltensein im Sein und in die Sinnbestimmtheit unseres geschichtlichen Handelns spricht die Religion und in dieser Eigenart ist sie in allen Systemteilen anwesend. Es findet also in der Religion eine Umwendung der Problemstellung statt von der Bestimmung durch die Vernunft hin zur Erfahrung des Bestimmtseins aus der Vernunft Gottes. Das Zentrum des Bezuges der Religion zum System der Philosophie liegt auch jetzt in der Ethik, aber während Cohen vorher in der Ethik des reinen Willens – gerade auch unter Hinweis auf die Propheten – die Versittlichung der Menschheitsgeschichte herausarbeitete, so ist es nun – mit stärker Betonung der Psalme – die Selbsterkenntnis des Individuums in »seinen Schwächen«, in seiner je eigenen »Sündhaftigkeit«, aber auch die je persönliche Zuwendung zum »Nächsten«, die als »Geburtstätten der Religion« (BdR, 54) hervorgehoben werden. »Wir stehen hier am begrifflichen Ursprung der Religion [...]. Wir wissen, die Eigenart der Religion
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soll nicht ihre Unabhängigkeit von der Ethik bedeuten [...]. Die Einzigkeit aber fällt ganz aus dem Rahmen der Ethik heraus.« (BdR, 58f, 61) Die ganze Ethik wird durch die Religion in eine andere Sphäre je individueller unmittelbarer Bezüge getaucht. Aber die Religion reicht auch bis in die Logik der reinen Erkenntnis hinein. Die Religion versetzt uns mitten in der wissenschaftlichen Erkenntnis der Welt in ein völlig anderes Verhältnis zum Sein, das wir als die Einzigkeit Gottes erfassen, der wir in unser je individuellen Einmaligkeit gegenüberstehen. Es geht dabei nicht mehr um das Sein der Gegenstandserkenntnisse, sondern um die »Korrelation« unserer je individuellen Existenz zur Existenz schlechthin, in der wir der Einzigkeit und Ewigkeit Gottes begegnen. »Für die Religion gehört es sicherlich zu den einleuchtendsten Wegweisern ihres Rationalismus, daß die mosaische Urkunde, und zwar in der ersten Offenbarung an Mose, Gott als den Seienden offenbart [...]: ›Ich bin, der ich bin‹ [...] Der Text macht es unbestreitbar, daß das Wesen des Einzigen Gottes in diesen Begriff des Seins gelegt wird [...]. Bleiben wir indessen noch bei dem Verhältnis zur Logik stehen, [...] die Bedeutung des Monotheismus [...] liegt im Sein, und zwar in der Einzigkeit des Seins, welches das Sein Gottes ausmacht.« (BdR, 20, 22f) Soweit war Cohen in seiner ersten Berliner Schrift Der Begriff der Religion im System der Philosophie (1915) vorgedrungen. Das in den folgenden Jahren ausgearbeitete Werk Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums (geschr. 1917/18) versucht, wie der Titel schon sagt, die Religion der Vernunft »aus den Quellen des Judentums« darzulegen, wodurch Vernunft, Offenbarung und Judentum in eins zusammengezogen werden. Nicht, daß Cohen die Religion aus der historischen Gestalt des Judentums herleiten bzw. jüdische Exegese betreiben wollte. Er betont im Gegenteil, daß die Thematisierung der »Religion der Vernunft [...] die Religion zu einer allgemeinen Funktion des menschlichen Bewußtseins« macht (RdV, 8), die sich niemals in der Partikularität der Religion eines Volkes zu »erschöpfen« vermag. Und doch ist es legitim und sinnvoll die Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums zu erläutern, da die menschliche Vernunft im jüdischen Volk seit Moses, seit den Propheten und seit den Psalmisten die Grundlagen eines reinen Monotheismus herausgearbeitet hat. Und der reine Monotheismus ist nach Cohen das Fundament der Religion der Vernunft. Insofern ist das Judentum der Urquell des ersten Hervortretens der Religion der Vernunft in der Geschichte, aus der alle späteren Quellen gespeist werden. Aber mehr noch, das Judentum ist durch seine Treue und sein Festhalten an dem Gedanken der Einzigkeit Gottes – trotz Druck und
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Bedrohung weltmissionarischer Nachfolgereligionen – Zeuge und Garant des reinen Monotheismus der Religion der Vernunft geblieben und steht so für das messianische Versprechen ein, daß alle Völker sich einst in die Religion der Vernunft einfinden, die dann der ganzen Menschheit und somit allen Menschen gehört. (RdV, 39) Für Cohen ist die Einheit von Vernunft und Offenbarung von entscheidender Wichtigkeit, wobei Einheit hier nicht Einerleiheit, sondern Zusammengehörigkeit bedeutet. Dies kommt im Doppelsinn des bekannten, oft zitierten Satzes sehr gut zum Ausdruck: »Die Offenbarung ist die Schöpfung der Vernunft« (RdV, 84), denn damit spricht Cohen sowohl aus, daß die Offenbarung die Vernunft als auch, daß die Vernunft die Offenbarung hervorbringt. »Die Einzigkeit Gottes bedingt sein Verhältnis zur Vernunft des Menschen. Und die Vernunft des Menschen, als Schöpfung Gottes, bedingt sein Vernunftverhältnis zu Gott, daher aber auch den Vollzug dieses Vernunftverhältnisses in der Offenbarung, welche mitsamt der Schöpfung die Korrelation von Mensch und Gott begründet.« (RdV, 95) Gerade diese Einheit von Vernunft und Offenbarung wird – so Cohen – vom Christentum verlassen, denn die Verschmelzung von Gott und Mensch in Christus und die Trinität hat noch niemand aus der Vernunft ableiten können. Das Christentum fällt – wie Cohen sehr zurückhalten andeutet – aus der Religion der Vernunft in einen Mythos, den Glauben an eine Erzählung, zurück: »Es ist eine Tragik des Monotheismus, daß [...] an dem Begriff des Menschensohns sowohl der Begriff Gottes, wie der des Menschen zur Gefährdung des reinen Monotheismus geworden ist.« (RdV, 246) Im Judentum ist dem menschlichen Geist die Religion der Vernunft offenbar geworden, ist ihm die Einzigkeit Gottes als die Ewigkeit des Seins aufgegangen, der gegenüber die Menschheit in einen sittlichmessianischen Auftrag gestellt ist, in der jedes einzelne Individuum sich je für sich korrelativ auf Gott bezogen erfaßt. An diesem Kern der Religion der Vernunft hält das Judentum bis heute fest, nicht als ausschließlichen Besitz für sich, sondern damit dereinst alle Menschen und alle Völker zur Reinheit des Monotheismus, zur Religion der Vernunft einzukehren vermögen. Dies besagt nach Cohen ausdrücklich nicht, daß in der Zukunft alle Menschen Juden werden, sondern nur, daß die Religion der Vernunft, die das Judentum in ihrem Kern bisher in reinster Gestalt bewahrt hat, zum Kernbestand aller Religionen in einer Welt der Liebe werden wird, oder genauer: daß alle Menschen dereinst aus der Religion der Vernunft zur Verwirklichung eines religiösen Sozialismus finden werden. So ver-
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schmelzen Vernunft, Offenbarung und Judentum für Hermann Cohen notwendig zu einer Einheit. (RdV, 86f.) 3. Fichtes Religion der Vernunft aus den Quellen des Christentums Immer schon ist es Fichte um die »Religion der Vernunft« gegangen, aber in der Anweisung zum seligen Leben macht er dies ausdrücklich nochmals deutlich: »Nicht darin besteht die Religion, worin die gemeine Denkart sie setzt, daß man glaube [...]. Sondern, darin besteht die Religion, daß man, in seiner eigenen Person, und nicht in einer fremden, mit seinem eigenen geistigen Auge, und nicht durch ein fremdes, Gott unmittelbar anschaue, habe, und besitze. [...] Das reine Denken ist selbst das göttliche Daseyn; und umgekehrt, das göttliche Daseyn in seiner Unmittelbarkeit, ist nichts anderes, denn das reine Denken.« (GA I/9, 69) Für Fichte ist seit 1805 die Religionslehre nicht nur ein Teil der Wissenschaftslehre, sondern diese gipfelt geradezu in der Religionslehre, insofern sich in ihr die gesamte Argumentation der Wissenschaftslehre sich nochmals in ihren Ursprung zurückwendet, nun nicht mehr nach der Erkenntnis der Welt und den Zwecksetzungen in der Welt fragend, sondern nach dem unmittelbaren Bezug des einzelnen zum Absoluten. In der Religionslehre gelangt das Bewußtsein zur Einsicht, daß Gott das absolute Sein ist, wobei Sein für Fichte – ähnlich wie später für Cohen – immer »geistiges Sein« meint. Dieses allein ist »schlechthin Durch sich selbst, Von sich und Aus sich selbst« (GA I/ 9, 85) und außer ihm ist Nichts. Gott aber ist nicht nur, sondern er ist auch da, d. h. er offenbart sich im menschlichen Bewußtsein, ja in seinem wahren Dasein ist das Bewußtsein selbst nichts anderes als »göttliches Dasein«, »Offenbarung«, »geistiges Licht«. »Es ist, außer Gott, gar nichts wahrhaftig, und in der eigentlichen Bedeutung des Wortes, da, denn – als Wissen: und dieses Wissen ist das göttliche Daseyn selber, schlechthin und unmittelbar, und inwiefern Wir das Wissen sind, sind wir selber in unserer tiefsten Wurzel das göttliche Daseyn.« (GA I/9, 93) Nun ist das Dasein und Bewußtsein – das wir selbst sind – nur im Hinblick auf das absolut geistige Sein Gottes mit diesem eins, je für sich ist es eines unter vielen Bewußtseinen in einer Welt der Erscheinungen, an der es sich – sie erkennend und sie gestaltend – abzuarbeiten hat. Aber diese Welt ist nicht eigentlich da, sondern sie steht unserem göttlichen Dasein als ein bloßer Begriff gegenüber, ein an sich Totes, Abzusterbendes und zu Überwindendes. »Jenes stehende Vorhandenseyn ist der Charakter
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desjenigen, was wir die Welt nennen; der Begriff daher ist der eigentliche Weltschöpfer [...], und nur für den Begriff, und im Begriffe ist eine Welt, als die nothwendige Erscheinung des Lebens im Begriffe; jenseit des Begriffes aber, d. h. wahrhaftig und an sich, ist nichts, und wird in alle Ewigkeit nichts, denn der lebendige Gott in seiner Lebendigkeit.« (GA I/9, 97) Aus dieser Doppeltbestimmtheit unseres Daseins und Soseins, zum einen in Bezug auf das Absolute und zum andern zur Welt, ergibt sich die Forderung und der Auftrag an uns, an der geschichtlichen Durchsetzung einer »wahren und höheren Sittlichkeit« zu arbeiten. Ihr geht es um »ein das neue, und schlechthin nicht vorhandene, innerhalb des vorhandenen, erschaffendes Gesetz [...]: es will die Menschheit, in dem, von ihm Ergriffenen, und, durch ihn, in andern, in der Wirklichkeit zu dem machen, was sie, ihrer Bestimmung nach, ist, – zum getroffenen Abbilde, Abdrucke und zur Offenbarung – des innern göttlichen Wesens.« (GA I/9, 109) Dazu soll sich der Mensch aus der Fesselung an die Welt, dem Getriebensein von der Welt befreien und ganz aus der geistigen Einheit mit Gott leben und wirken. »Wirkliche und wahre Religiosität ist nicht lediglich betrachtend, und beschauend, nicht bloß brütend über andächtigen Gedanken, sondern sie ist nothwendig tätig. Sie besteht [...] in dem innigen Bewußtseyn, daß Gott in uns wirklich lebe, und thätig sey, und sein Werk vollziehe.« (GA I/9, 113) Diese Einsicht stimmt – wie Fichte in der sechsten Vorlesung Der Anweisung zum seligen Leben ausführt – ganz mit der christlichen Lehre überein, wie sie das Johannesevangelium von Jesus von Nazareth überliefert hat. Jesus von Nazareth hat »die Einsicht, in die absolute Einheit des menschlichen Daseyns mit dem göttlichen, [...] schlechthin von und durch sich, durch sein bloßes Daseyn [...] offenbar gehabt« und es daher offenbar gemacht. (GA I/9, 121) In diesem Sinne spricht Jesus in Johannes 5, 30: »Ich und der Vater sind Eins.« Aber er spricht dies nicht allein auf sich bezogen aus, sondern als Anmutung für alle Menschen. Darin liegt der Auftrag der Nachfolge, den Jesus lehrt (Johannes 11, 25): »Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubet, der wird leben, ob er gleich stürbe. Und wer da lebet und glaubet an mich, der wird nimmermehr sterben.« (GA I/9, 125) Selbstverständlich ist damit – so führt Fichte aus – nicht der physische Tod gemeint und es wird auch nicht von einem Reich nach dem physischen Tode gesprochen, sondern vom Absterben des Getriebenseins der uns alltäglich beherrschenden Welt. Das Reich Gottes, das da kommen soll, und sich durch unsere Umkehr hier und jetzt bereits ereignet, wird errichtet aus der freien Ausgerichtetheit unseres Denkens und Handelns auf
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die gelebte Verwirklichung eines göttlichen Reichs der Liebe auf Erden. »Die Liebe daher ist höher, denn alle Vernunft, und sie ist selbst die Quelle der Vernunft, und die Wurzel der Realität, und die einzige Schöpferin des Lebens und der Zeit«. (GA I/9, 167) Ungefähr bis hierher – so können wir sehr grob zusammenfassend sagen – gelangt Fichte in Der Anweisung zum seligen Leben von 1806. In der Vorlesung zur Staatslehre (1813) geht er noch darüber hinaus, indem er nicht mehr nur die Übereinstimmung von Wissenschaftslehre und Christentum herausstellt, sondern nun auch durch geschichtsphilosophische Argumentationen aufzuzeigen versucht, daß die Wissenschaftslehre das Christentum voraussetzen muß, gleichzeitig aber auch die notwendige Begründung des Christentums zu leisten hat, so daß somit beide gemeinsam sich als Religion der Vernunft und der Freiheit erweisen. Um dieses Problem lösen zu können, müssten wir uns mit Fichte auf eine »Deduktion des Gegenstandes der Menschheitsgeschichte« (AW VI, 506f.) einlassen, die über das hinausgeht, was Fichte vorher in den Grundzügen des gegenwärtigen Zeitalters (1806) entworfen hatte – was wir aber hier nicht tun können. Das Problem, das Fichte über seine bisherige Geschichtsphilosophie hinaus nun stellt, ist die Frage wie die Gewißheit in die Geschichte kommt, daß jeder von uns in seiner Person in der Einheit mit Gott leben kann und leben soll und daß daraus uns allen der Auftrag erwächst, mit allen anderen Menschen zusammen an der Verwirklichung des Reichs Gottes auf Erden zu arbeiten. »Das Menschengeschlecht soll mit eigener Freiheit, ausgehend von einem entgegengesetzten Zustande und diesen vernichtend, sich erbauen zu einem Reiche Gottes, zu einer Welt, in der Gott allein Prinzip sei aller Tätigkeit, und nichts außer ihm, indem alle menschliche Freiheit aufgegangen ist, und hingegeben an ihn.« (AW VI, 579) Alle Versuche – so führt Fichte aus – diese geschichtliche Gewißheit aus der Vernunft deduzieren zu wollen, enden in einem Zirkel der Begründung, denn hier wird eine Gewißheit der Einheit des Menschen mit Gott als Ursprung und Ziel zugleich gefordert, wie sie weder dem Menschsein uranfänglich zugrunde liegt, noch aus der Vernunft für sich ableitbar ist. Diese Einsicht in die Einheit von Mensch und Gott und in die Freiheit, aus ihr wirken zu sollen, muß also einmal in die Geschichte eingetreten sein, um danach als notwendig begriffen und ergriffen werden zu können. »Also die Freiheit setzt voraus das Bild, und das Bild setzt voraus die Freiheit. Dieser Zirkel löst sich nur so, daß das Bild einmal Sache, Realität sei, schlechthin ursprünglich und grundanfangend in einer Person sich verwirkliche. Dies nun bei Jesus.« (AW VI, 580)
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Jesus von Nazareth lebte ganz aus sich selbst heraus die Einheit mit Gott. Er hatte dies nicht von anderen aus der Tradition gelernt, denn von dieser göttlichen Einheit gab es vorher kein Wissen, und er hat es auch nicht spekulativ aus der Vernunft, denn er spricht und vollzieht die Einheit seines Daseins aus dem Sein Gottes ganz unmittelbar. Daß es ein solches erstes Mal des In-Erscheinung-Tretens der Einheit von Mensch und Gott in der Geschichte geben mußte, läßt sich nach Fichte geschichtsnotwendig begründen. Und es konnte sich dies auch nur ein einziges Mal ereignen, denn alle weiteren Berufungen auf diese Einheit von menschlichem und göttlichen Geist und dem daraus erfolgenden Auftrag der Nachfolge und der Errichtung eines Reich Gottes auf Erden setzen bereits dieses geschichtliche Hervortreten unabdingbar voraus. Fassen wir dies alles mit Fichte zusammen: »Er [Jesus] war berufen durch Gott. [...] Daß alle Menschen Bürger werden könnten und sollten, war nur dadurch wahr, daß Gott es durch Jesus versprechen ließ [...]. Jesus [ist] darum der erste Bürger des Reiches [...]. Dieses [...] ist nun eine ewig gültige historische Wahrheit für jeden, bis an das Ende der Tage, der jene Erscheinung als Faktum erfassen [...] wird. Er wird auf einen einst vorhanden gewesenen Christus stoßen, auf einen eingeborenen Sohn Gottes, einen Menschen, den Gott unmittelbar zu seinem Werkzeuge gemacht, um durch ihn alle einzuladen, sich selbst mit Freiheit, durch freie Hingebung, dazu zu machen. Wahr darum ist, daß es notwendig einen Sohn Gottes gibt. [...] Alle nachfolgende Entwicklung der Freiheit hat sich gegründet und ist bedingt gewesen durch das Vorhandensein jenes Evangelii«. (AW VI, 580f.)
Auch die Wissenschaftslehre – so betont Fichte nun – muß »einen Jesus in der Zeit voraussetz[en]« (AW VI, 577), um die »höhere Sittlichkeit« der Liebe als geschichtliche Möglichkeit und geschichtlichen Auftrag der Menschheitsgeschichte, in die wir alle gestellt sind, begreiflich zu machen. Jesus ist der »terminus a quo« der Freiheitsgeschichte der Menschheit, die mit dem Christentum anhebt, aber den vollen Sinn dieser Freiheitsgeschichte vermag erst die Wissenschaftslehre verstehbar zu machen, sie ist daher der »terminus ad quem« des Bewußtwerdens des Wegs zur Erfüllung des Reich Gottes auf Erden. »Zuvörderst muß die Anerkennung des Himmelreichs unabhängig gemacht werden vom historischen Glauben und der besonderen Gemütsverwandtschaft einzelner dazu, und die Form annehmen eines von jedermann, der nur menschlichen Verstand hat, zu Er-
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zwingenden. Diese Bedingung ist wirklich erfüllt durch die Erscheinung der Wissenschaftslehre, die freilich noch ringt, und vielleicht noch Jahrhunderte ringen wird um ihr Verständnis und ihre Anerkenntnis unter den Gelehrten. Untergehen können ihre in der Welt begonnenen Anfänge nicht, denn sie ist eine absolute Forderung des Geschlechts durch Gott und aus Gott; sie muß aber die Beziehung nehmen auf das Reich Gottes, und ausdrücklich dies als ihren Grundpunkt aussprechen, denn nur so nimmt sie in sich auf eine lebendige Kraft, und erhebt sich über die Leerheit an praktischer Wirksamkeit, die der bloßen Spekulation beiwohnt.« (AW VI, 615)
4. Offene Fragen Ohne Zweifel ein großartiger Versuch die Religion der Vernunft aus den Quellen des Christentums zu begründen. Der mir persönlich – erlauben Sie mir dieses Bekenntnis an dieser Stelle – in seinem arianischen und jesuanischen Verständnis des Christentums durchaus sympathisch ist, denn hier wird Jesus ganz als Mensch begriffen und das Himmelreich als etwas verstanden, was wir selber zu erkämpfen haben, so daß daraus der Entwurf eines sozialistischen Christentums oder christlichen Sozialismus aufleuchtet.6 Aber leistet Fichte wirklich das, was er leisten will? Er will einerseits aufzeigen, daß die Philosophie das Christentum braucht, denn anders als in einer geschichtlichen Person konnte der Gedanke von der Einheit von Gott und Mensch nicht in die Welt kommen, andererseits braucht jedoch das Christentum die Philosophie, nicht nur um das Einssein des Menschen mit Gott auch wirklich zu begreifen, sondern um auch den daraus erwachsenden weltgeschichtlichen Auftrag der Errichtung des Himmelreichs auf Erden allererst verwirklichen zu können. Setzt Fichte aber nicht letztlich in einem ganz anderem Sinne, als er es wollte, das Christentum als Faktum voraus, um es dann durch die Wissenschaftslehre zu bekräftigen? Gelingt es ihm wirklich, philosophisch abzuleiten, daß die Einheit von Gott und Mensch und der Auftrag der Errichtung des Himmelreichs auf keine andere Weise in die Geschichte getreten sein könne, als durch eine Person, die unmittelbar die Einheit mit Gott einsah und lebte?
6 Siehe dagegen die christologische Lesart Fichtes von Dirk Schmid, Religion und Christentum in Fichtes Spätphilosophie 1810–1813, Berlin 1995.
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Ist nicht das Offenbarwerden Gottes in uns und durch uns ein durch die ganze Menschheitsgeschichte hindurchgehender Prozeß? Oder anders gefragt: Ist es nicht viel überzeugender, Jesus von Nazareth nur als eine von vielen religiösen Gestalten zu verstehen, durch die uns die messianische Aufgabe der Verwirklichung eines Himmelreichs auf Erden bewußter wird – eines wahren Sozialismus, der sich als Erfüllung eines göttlichen Auftrags versteht? Auch Hermann Cohen hat in seiner Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums die unmittelbare Korrelation von Gott und Mensch und das Ziel eines religiösen Sozialismus ausgesprochen. Das Judentum braucht dazu Jesus als Christus nicht. Gibt es also zwei Religion unterschiedlichen Wegs aus einer und derselben Vernunft? Doch noch etwas fällt auf: Cohen wird in der gebildeten jüdischen Welt – auch wenn viele von ihnen ganz anderer Auffassung als er sind – als philosophischer Interpret des Judentums und gläubiger jüdischer Gelehrter verehrt und diskutiert. Fichte dagegen wird in der gebildeten christlichen Welt nicht als philosophischer Interpret des Christentums wahrgenommen, weil das Christentum sich eine Interpretation aus der Vernunft verbietet. Es läßt nur eine exegetische Philosophie zu. Zeigt sich darin nicht eine Sperrigkeit des Christentums gegenüber einer Religion der Vernunft? Und fragen wir weiter: Gegen wen spricht diese Sperrigkeit, gegen die Philosophie oder gegen das Christentum? Dies sind Fragen, denen wir uns als Philosophen aus der Nachfolge Fichtes und Cohens zu stellen haben.
Der Gottesbegriff in den »Thatsachen des Bewußtseyns« von 1810/11 als Übergang zur Wissenschaftslehre in specie
Wilhelm G. Jacobs (München)
Fichte begann seine Lehrtätigkeit an der Berliner Universität mit einer Vorlesung über das Studium der Philosophie überhaupt, die er von Montag, dem 22., bis Freitag, den 26. Oktober 1810 hielt. Diese Vorlesung ist nicht erhalten. Es folgten vom 29. Oktober an die »Thatsachen des Bewußtseyns« von 1810/11, wie die Ankündigung meldete, »als Vorbereitung auf die Wissenschaftslehre«1, nämlich die in specie, welche Fichte nach Abschluß der »Thatsachen« am 30. Januar 1811 zu lesen begann. Sowohl die Vorlesung über die Wissenschaftslehre von 1811 wie auch die von 1812 setzen unmittelbar mit der Behauptung des Seins, bzw. des Absoluten oder Gottes und zugleich mit einem Verweis auf Spinozas »Ethica« ein. Dieser abrupte Anfang ist nur dadurch zu erklären, daß Fichte seine Hörer mit der Vorlesung über die »Thatsachen« hinreichend auf diesen Anfang der Wissenschaftslehre vorbereitet hatte. In der Tat enden die »Thatsachen« mit einem Kapitel: »Die Anschauung Gottes als Princip des Sittengesetzes, oder des Endzwecks, und dieses als Aeußerung
1 Vorwort zu TdB 11. GA II/12, 12. S. auch: FG 5, 359. Im Text steht für TdB stets »Thatsachen«.
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der ersten«2, also mit einem Kapitel, welches das Sittengesetz und den Endzweck als Äußerung der Anschauung Gottes behandelt, folglich mit demjenigen Begriff, mit dem die Wissenschaftslehren beginnen. Die Vorlesungen über die »Thatsachen« haben eine andere Funktion als diejenigen über die Wissenschaftslehre, wodurch die hier wie dort auftretenden Begriffe – so auch der Gottes – jeweils eine eigene Stellung erhalten. Die Aufgabe der »Thatsachen« ist die Beobachtung des Wissens. Diese Vorlesungen haben es »mit dem Phänomene zu thun: dieses wollen wir«, wie Fichte sagt, »systematisch beobachten«3. Gegen Ende der ganzen Vorlesung behauptet Fichte entsprechend, er sei zu deren Resultaten gekommen »durch die reine wissenschaftliche Maxime, das Bewußtseyn als ein für sich bestehendes Phänomen anzusehen, und es aus sich selbst zu erklären.«4 Das Phänomen – Fichte spricht im Singular – sind nicht die einzelnen Inhalte des Wissens, sondern es ist das Wissen selbst als Wissen in seinen Vollzügen. Diese systematisch zu beobachten, heißt, sie in ihrer Ordnung wahrzunehmen. Wenn das Wissen sich beobachtet, so ist es einmal beobachtetes Objekt und zum anderen beobachtendes Subjekt. Aus der Beobachtungshaltung folgert Fichte gleich zu Anfang der »Thatsachen«, daß er das Wissen »nicht in seinem unmittelbaren lebendigen Seyn, sondern nur in dem Bilde dieses Seyns«5 hinstelle. In der Vorlesung der »Thatsachen« von 1813 erklärt Fichte, es sei für den Eintritt in die Wissenschaftslehre gut, wenn das beobachtende, das subjektive Wissen »wenigstens [...] bemerkt und anerkannt sei.«6 Die Hinführung zur Wissenschaftslehre durch die Thatsachen ist pädagogisch wertvoll, jedoch, wie Fichte 1813 erklärt, »nicht nothwendig«7. Der pädagogische Wert besteht darin, »daß das Wissen in einer gewissen Vollendung und mit der gehörigen Aufmerksamkeit schon beschrieben«8 wird. Was 1813 galt, darf man auch für die frühere Vorlesung gelten lassen. Demzufolge ist der Hörer der Wissenschaftslehre, der die »Thatsachen« gehört hat, mit einer hinreichenden Beschreibung des Wissens versehen und dadurch in der Lage, in der Vorlesung über die Wissenschaftslehre das dort Vorgetragene zureichend zu verstehen. 2 TdB 11. GA II/12, 128. Hier zitiert nach den Fußnoten in GA, die den besseren Textzeugen SW wiedergeben. 3 TdB 11. GA II/12, 21. 4 TdB 11. GA II/12, 110. 5 TdB 11. GA II/12, 21. 6 TdB 13. SW IX, 403. 7 TdB 13. SW IX, 403. 8 TdB 13. SW IX, 403.
Der Gottesbegriff in den »Thatsachen des Bewußtseyns«
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Die Wissenschaftslehre – hier und im folgenden ist stets von der in specie die Rede – bezieht den soeben genannten Unterschied von lebendigem Wissen und Bild des Wissens ausdrücklich in die Reflexion ein, d. h. sie reflektiert konstant ihre eigene Denktätigkeit mit. Ferner erörtert sie den genetischen Zusammenhang des Wissens bzw. der Erscheinung des Absoluten. Sie fügt weder den materialen Disziplinen, der Natur-, Rechts-, Sitten- und Religionslehre, noch den »Thatsachen« neue Inhalte hinzu. Sie leistet die Konstruktion des Zusammenhanges des Wissens, welche Konstruktion, vor allem insofern diese die gerade vollziehende Tätigkeit selbst ist, die »Thatsachen« aussparen. Da die Verteilung der Aufgaben zwischen den beiden Vorlesungsreihen klar ist, so liegt es, was die Verwendung des Wortes »Gott« betrifft, nahe, in den »Thatsachen« dasjenige Phänomen des Wissens zu beobachten, das Fichte mit dem Wort »Gott« bezeichnet. Von dort her wäre dann der Anfang der Wissenschaftslehren zu verstehen. Ich werde also A) den Schluß der »Thatsachen« in vier Abschnitten interpretieren und B) einige erheblich kürzere Bemerkungen zu den Wissenschaftslehren machen. A) Das Wort »Gott« in den »Thatsachen« 1. Der Endzweck In den »Thatsachen« beobachtet und ordnet Fichte die Vollzüge des Wissens. Dazu gehört das Wissen einer Welt von Individuen und das Wissen von deren Einheit im Sittengesetz. Das mit seiner Überschrift vorhin zitierte letzte Kapitel dieser Vorlesungsreihe geht dann über zur Anschauung Gottes und eröffnet damit die Möglichkeit, die Vorlesungen über die Wissenschaftslehre mit dem Gottesbegriff und der Auseinandersetzung mit demjenigen Spinozas zu beginnen. Fichte begreift das Wissen als Tätigkeit. Sein Ausdruck für diese Tätigkeit ist in den »Thatsachen« Leben. Das Wissen lebt, d. h. es agiert. In diesem und durch dieses Leben wird gewußt, was eben gewußt wird. Fichte beschreibt systematisch das Wissen in seinen verschiedenen Stufen, von der Wahrnehmung der Natur bis zum Bewußtsein von Gott. Für unseren Zweck genügt es, mit der Stufe der Welt von Individuen zu beginnen. Bis zu dieser Stufe der Überlegungen hat sich das Leben des Wissens als das Prinzip des Wissens, von dem aus und auf das hin die Überlegungen ausgingen, gezeigt. Das Individuum wird verstanden als frei von
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sich aus in der sinnlich wahrnehmbaren Welt handeln zu können. Die hier genannte Freiheit sagt nur, daß das Subjekt nicht der Naturnotwendigkeit unterworfen ist, insofern es handeln kann. Fichte beschreibt das bisher beschriebene Bewußtsein so: »Ein Schauspiel ist es von freier Thätigkeit und Kraftäußerung, bloß und lediglich, damit Kraft erscheine, und Freiheit als Freiheit sichtbar werde«.9 Diesem Schauspiel fehlt die Sinngebung. »Wie aber,« fragt Fichte weiter, »wenn [...] der absoluten Freiheit durch ein neues Gesetz ein bestimmtes Ziel gegeben würde, so wäre nun dieses Gesetz das höhere; und die Freiheit [...] wäre da als Mittel [...] dieses höhern Gesetzes, des Sittengesetzes [...], das ja durch Freiheit in der Sphäre der äußern Anschauung realisirt, also selbst angeschaut werden soll.«10 In diesem zitierten Satz denkt Fichte dem bisher als Prinzip fungierenden Leben, hier schon als Freiheit begriffen, das Sittengesetz voraus und dieses als ein Ziel gebietend, welches Ziel Fichte alsbald Endzweck nennen wird. Dieser Endzweck soll in der sinnlich wahrnehmbaren Welt realisiert und damit sichtbar werden. Da nun der Endzweck als Prinzip gedacht wird, ist das Soll ein unbedingtes. Der Begriff des Endzweckes dürfte durch einen Hinweis auf § 84 von Kants »Critik der Urtheilskraft« an Kontur gewinnen. Kant definiert dort den Endzweck als denjenigen »Zweck, der keines andern als Bedingung seiner Möglichkeit bedarf«11, mit anderen Worten, der Endzweck ist für Kant unbedingt. Vom Menschen als vernünftigem und moralischem Wesen kann Kant sagen: »Sein Dasein hat den höchsten Zweck selbst in sich, dem, so viel er vermag, er die ganze Natur unterwerfen kann, wenigstens welchem zuwider er sich keinem Einflusse der Natur unterworfen halten darf.«12 Die Unterwerfung der Natur ist also nicht das Ziel des Handelns, sondern das moralische, anders das freie Handeln des Menschen, das nicht durch die Natur bestimmt ist, sondern umgekehrt diese bestimmt, indem es sich in der Natur realisiert. Insofern also folgt Fichte in seiner Bestimmung des Endzwecks Kant. Den Endzweck begründet Fichte durch den Hinweis darauf, daß das Leben des Wissens sich zwar selbst immer voraussetzt, aber doch nur als ein Faktum. Insofern muß es sich einen Endzweck, der diese Faktizität aufhebt, als »relativ absolut seyend voraussetzen«13. Das Verhältnis von Leben und Endzweck ist derart, daß der Endzweck zu seiner Realisierung
9 10 11 12 13
TdB 11. GA II/12, 110. TdB 11. GA II/12, 110. KdU 396. AA V, 434. KdU 398. AA V, 435. TdB 11. GA II/12, 112.
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des Lebens »bedarf«14. Das Bedürfen erklärt, daß Fichte den Endzweck als relativ absolut bestimmt. Demgemäß ist das Sittengesetz eine zwar unbedingte Forderung an die Freiheit des Individuums, der es aber nachkommen kann oder auch nicht, und wenn es dies nicht könnte, wäre es nicht frei und das Sittengesetz ein Natur-, aber kein Freiheitsgesetz. Die Unbedingtheit des Sittengesetzes ist nur eine Forderung; an der Willkür der Individuen findet sie ihre Grenze. Damit ist ihre Unbedingtheit eine bedingte, bzw. relative Unbedingtheit. 2. Der Endzweck als Äußerung des Seins Zu Beginn des letzten Kapitels deutet Fichte denn auch an, daß der Endzweck »selbst nur Anschaubarkeit eines [...] höhern«15 sei. Diese Formulierung scheint ein Abweichen von Kant zu signalisieren. Es ist jedoch zu beachten, daß das Wort »höheren« nicht als Adjektiv zu Endzweck – das wäre unsinnig –, sondern als Substantiv zu lesen ist. Dann aber ist zu berücksichtigen, daß nach Kant der Mensch »als Endzweck einer verständigen Ursache«16 – sprich Gott – existieren soll. Kant denkt den Endzweck als den Endzweck Gottes. Aus dieser Sicht möchte Fichtes »Höheres« verstanden sein. Die Darlegung seines Gedankens leitet Fichte mit einer Definition von Sein bzw. Seiendem ein. »Seyend nenne ich dasjenige, was durchaus nicht wird, und nie geworden ist, und von dem man eben schlechtweg nichts anderes sagen kann, denn, es ist.«17 Auch hier könnte ein Blick auf Kant für das Verständnis hilfreich sein. In der »Critik der reinen Vernunft« behauptet Kant: »Sein ist offenbar kein reales Prädicat, d. i. ein Begriff von irgend etwas, was zu dem Begriffe eines Dinges hinzukommen könne. Es ist bloß die Position eines Dinges oder gewisser Bestimmungen an sich selbst.«18 Sein drückt demnach nichts inhaltlich Fixierbares aus und ist somit völlig leer. Es bezeichnet nach Kant eben nur das Gesetztsein, die Position an sich. Das bedeutet, daß im Begriff Sein keine Beschränkung, wie sie bei Inhalten notwendig zu denken ist, gedacht werden kann. Genau dieses denkt Fichte in seiner Definition. Er gebraucht die 14 TdB 11. GA II,12,112. 15 TdB 11. GA II/12, 128. Daß »höhern« klein geschrieben ist, ist seinerzeit nicht ungewöhnlich. 16 KdU 397. AA V, 435. 17 TdB 11. GA II/12, 129. 18 KrV A 598; B 626. AA III, 401.
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Worte »seiend« und »Sein« in unserem Zusammenhang synonym. Vom Sein hält er, da in ihm keine Begrenzung zu denken ist, jede Veränderung ab; er versteht es als reine, inhaltslose Einheit. An dieser Stelle redet Fichte vom »Seyn des Lebens, d. i. eines absoluten Werdens«19. Den in dieser Formulierung liegenden Widerspruch löst er auf. Das Werden war dasjenige des Lebens, bzw. des Wissens. Nun ist hier von demjenigen Sein die Rede, das im Wissen das Sein ist, anders »das Eine und durchaus Einsbleibende im Wandel.«20 Dies ist nach dem bisherigen Stand der Überlegungen das Sittengesetz, welches die Realisierung des Endzwecks fordert. Dieses ist das Unveränderliche in allem Veränderlichen, welche Unveränderlichkeit sich nur vom Wandel her denken läßt. Es fordert nicht durch alle Zeiten dieselben Handlungen, – wie sich die Lebensverhältnisse ändern, so auch das Handeln – wohl aber denselben Willen zum Guten, der sich in den jeweils angemessenen Handlungen realisiert. Indem es ohne jede Veränderung diesen Willen von jedermann fordert, ist und bleibt es ein unbestimmtes, inhaltsloses Eines. Fichte formuliert dies so: »Dieses Seyn ist drum das eigentlich Seyende, der Gehalt im Werden, oder im Handeln das Gehandelte.«21 Nicht die sichtbare Handlung ist das Gute, in ihr erscheint das Gute als der Gehalt der Handlung, wobei Gehalt nicht als bestimmter Inhalt, sondern als das unbestimmbare Unbedingte, das der Handlung überhaupt erst Halt gibt, zu verstehen ist. Das eine Gute erscheint nur in den veränderlichen Handlungen, oder anders: Das Sein ist nur in der Synthesis mit dem Werden. In dieser Synthesis wird es zum Endzweck, der durch das Werden hindurch erreicht werden soll. Denkt man diese Synthesis nicht, so ist das Sein das »Seyn schlechtweg«22. Umgekehrt heißt es: »Der Endzweck ist also die Aeußerung des Seyns im Werden, um dieses Seyn sichtbar zu machen«.23 Wenn auch Sein nur im Werden, der Tätigkeit des Wissens sichtbar wird, so wird es durch das Werden nicht verändert. Es erscheint als Endzweck, ist also nicht Endzweck. Es muß dann gedacht werden als dasjenige, das ist und den Endzweck bedingt. Dieses kann aber, wenn es abstrahiert von der Synthesis mit dem Werden gedacht wird, selbst nichts sein, das noch als Forderung auftritt. Die Forderung impliziert ja ein Gegenüber der Forderung und damit Handeln und Werden. Wenn das Sein 19 20 21 22 23
TdB 11. GA II/12, 129. TdB 11. GA II/12, 129. TdB 11. GA II/12, 130. TdB 11. GA II/12, 130. TdB 11. GA II/12, 130.
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aber als Endzweck, der sein soll, erscheint, so kann es nur gedacht werden als dasjenige, was im Endzweck zur Erscheinung kommen soll. Dieses ist nichts anderes als Sittlichkeit, und zwar pure. Es ist somit zu denken als Sittlichkeit, die nicht mehr den Charakter der Forderung an sich hat, sondern die als solche ist. Sittlichkeit, die ist, ist in einen Willen aufgenommen. Hier hilft ein Blick auf Kants »Critik der praktischen Vernunft«. Dort heißt es: »Die völlige Angemessenheit des Willens aber zum moralischen Gesetze ist Heiligkeit, eine Vollkommenheit, deren kein vernünftiges Wesen der Sinnenwelt in keinem Zeitpunkte seines Daseins fähig ist.«24 Heiligkeit wird also für diese Wesen nur in einem unendlichen Progreß gedacht. Denjenigen Willen, welcher der Heiligkeit fähig ist und daher »der allein Heilige«25 genannt werden kann, nennt Kant Gott. 3. Das erscheinende Sein Fichte spricht nicht von Heiligkeit. Wenn ich es richtig beobachtet habe, redet er nur einmal vom heiligen Willen, und zwar wenn er vom »Akt der Erschaffung eines ewigen und heiligen Willens in sich« ausführt, er sei »der Akt der Sicherschaffung des Individuums zur unmittelbaren Sichtbarkeit des Endzwecks, und so der sein eigenthümliches inneres Leben durchaus beschließende Akt.«26 Fichte postuliert hier einen Akt, der das Individuum vollends und endgültig bestimmt, den Endzweck zu wollen und in seinem Leben sichtbar zu machen. Diese Einheit erläutert er im nächstfolgenden Satz mit einer deutlichen Anspielung auf Galater 2,20: »Von nun an lebet es selbst nicht mehr, sondern in ihm lebet, wie es eben seyn sollte, der Endzweck. Der Endzweck, habe ich gesagt, nicht das Gebot.«27 Die angespielte Stelle des Galaterbriefs steht im Zusammenhang der Polemik gegen das mosaische Gesetz. Das Gesetz mit allen seinen Vorschriften läßt gemäß Paulus den Menschen als unfähig des Guten verzweifeln. Paulus schreibt, er sei durch das Gesetz dem Gesetz gestorben, auf daß er Gott lebe; er sei mit Christus gekreuzigt und gestorben. Dann heißt es: »Ich lebe, aber doch nicht ich, sondern Christus lebt in mir.« Paulus behauptet jetzt zu leben, und zwar, wie man den Text verstehen muß, in Wahrheit und erst jetzt voll und ganz. Sein Leben ist aber das Leben des
24 25 26 27
KpV 220. AA V, 122. KpV 236. AA V, 131. TdB 11. GA II/12, 124. TdB 11. GA II/12, 124. Die Anspielung ist in GA nicht nachgewiesen.
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Christus in ihm. Paulus fährt im Brief fort: »Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich in dem Glauben des Sohnes Gottes«. Sein derzeitiges irdisches Leben (im Fleische) lebt Paulus im Vertrauen – man kann jetzt sagen – auf den Christus oder auch des Christus als Subjekt des Vertrauens. Paulus behauptet an dieser Stelle eine Identifikation des eigenen Lebens mit dem des Christus. Das Ich Paulus ist der Wille des Christus. Fichte, der Paulus nicht besonders geschätzt hat, dafür Johannes um so mehr,28 hat in der »Anweisung zum seligen Leben« Worte Jesu aus dem Johannesevangelium zitiert: »Der Sohn kann nichts von ihm selber thun, denn, was er siehet, den Vater thun; denn was derselbige thut, das thut gleich auch der Sohn.« Ferner, gewissermaßen als Quintessenz, zitiert Fichte: »Ich und der Vater sind Eins.«29 Fichte konnte Paulus in unserem Zusammenhang mit Hilfe Johannis unterstellen, daß er zum Ausdruck bringe, in ihm lebe der Christus, insofern dieser der ist, in dem Gott selbst lebt. Fichtes Anspielung bringt, gerade als Anspielung, welche die in Bibelkenntnis aufgewachsenen Hörer Fichtes verstanden haben dürften, zum Ausdruck, daß Sittlichkeit sich darin vollende, einen heiligen Willen zu creieren und daß damit Sittlichkeit in Religiosität übergehe. Fichte spricht vom heiligen Willen im Individuum. Dieser ist nicht mehr Gebot, weil ein Gebot nur dort denkbar ist, wo ein Widerwille gegen das Gebot ist, der natürliche Trieb. Hat sich aber das Individuum zur Sittlichkeit endgültig entschlossen, so ist der Trieb zwar noch vorhanden, aber aus der Willensbestimmung radikal ausgeschlossen. In diesem Willen lebt nur das Sittengesetz. Fichte geht so weit zu sagen, daß die Willkür dann keine Freiheit mehr habe, nämlich keine Freiheit der Wahl.30 Insofern kann er auch behaupten, die Erschaffung des heiligen Willen beschließe das innere Leben. Fichte sagt nicht, sie beende, vielmehr sie beschließe das Leben, sie sei, könnte man sagen, der nicht zu überbietende Abschluß. Das Bild des Schlußsteins, der das Gewölbe schließt und damit hält, liegt nahe. Dieser Abschluß ist, da es um den ewigen und heiligen Willen geht, nicht in der Zeit zu denken und ihr unterworfen. Der von Fichte hier angeführte Wille lebt nicht aus sich, auch nicht aus dem Sittengesetz, sondern aus dem Endzweck und, da dieser Erscheinung des Seins ist, aus dem Sein.
28 Vgl. AzsL GA I/9, 116. 29 AzsL GA I/9, 123. Zitiert sind Ev. Joh. 5,19 und 10,30. 30 Vgl. TdB 11. GA II/12, 122.
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4. Das Sollen des Seins Fichte schreibt an der herangezogenen Stelle diesen heiligen Willen dem Menschen als gesollt und möglich zu. Kant redet strictissime von Gott als dem allein Heiligen, Fichte dagegen spricht nicht von Gott als dem Heiligen, schon gar nicht als dem allein Heiligen. Daß er diese Rede meidet, dürfte von seinem Seins-Verständnis her zu begreifen sein. Er will eben jede inhaltliche Differenz von Gott bzw. dem Sein, abhalten; Heiligkeit aber wäre ein solcher Inhalt, zumindest die Bezeichnung für die negierte Differenz von Sollen und Sein. Damit stellt sich die Frage nach dem Bewußtsein von Gott. Bisher ist soviel gesagt, daß der Endzweck Erscheinung des Seins sei. Das Sein ist eines im Leben, das sich äußert. Die Weise des Bewußtseins dessen, was in den Äußerungen es selbst bleibt, nennt Fichte Anschauung; denn eine Anschauung wird nicht, sondern ist.31 Was hier angeschaut wird, ist ja ohne Differenz und Veränderung; deshalb kann es nicht begriffen werden. Es bleibt also nur Anschauung. Im Wort Anschauung scheint aber noch Tätigkeit gemeint zu sein; das wäre hier aber unangebracht. Fichte ändert daher seine Redeweise und sagt: »das Seyn des Lebens sey ein stehendes festes Bild, oder Erscheinung: ein in sich geschlossenes Seyn, das eben drum nicht etwa wieder unmittelbar angeschaut wird.«32 Indem Fichte das Wort Anschauung durch stehendes festes Bild und Erscheinung ersetzt, hebt er einerseits auf die Unveränderlichkeit des Bildes ab und andererseits darauf, daß nicht das Subjekt ein Objekt, wenn auch eines in sich selbst, anschaut, sondern daß das Sein sich selbst zur Erscheinung bringt oder, um diesen Ausdruck der Veränderung von dem geschlossenen Sein abzuhalten, das seine Erscheinung ist. Das Leben ist dann, weil in der Erscheinung das Unbedingte erscheint, das durch diese Erscheinung Bedingte. Da die Erscheinung im Leben und nicht anders erscheint, ist dieses die Form des Erscheinens. Damit ändert sich die Betrachtungsweise des Lebens: »Das bis jezt als Leben betrachtete ist daher seinem absoluten Seyn nach Anschauung, Bild, Erscheinung.«33 Dann aber tritt doch das Problem der Subjekt-Objektivität auf: »Anschauung ist Freiheit von einem Seyn; – bezieht sich auf ein Seyn, das in der Anschauung angeschaut [...] wird, in der Erscheinung erscheint.«34 Dieses Sein ist nicht das des Lebens, welches jetzt ja als Bild zu verstehen
31 32 33 34
Vgl. TdB 11. GA II/12, 130 f. TdB 11. GA II/12, 131. TdB 11. GA II/12, 131. TdB 11. GA II/12, 131.
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ist. Nun ist das Bild Bild des Seins in seiner Geschlossenheit, deshalb als Bild auch geschlossen. Daher wird die Erscheinung, bzw. Anschauung nicht, sondern sie ist schlechtweg. Dennoch ist sie »nicht von sich, aus sich, durch sich, sondern sie ist durch jenes Seyn, sie ist drum absolut nur als Faktum, Faktum jenes Seyns nemlich.«35 Die Erscheinung kann nicht erklärt werden, sie ist Faktum. Unter der Bedingung, daß sie ist, kann sie sich nicht leugnen, vielmehr muß sie sich immer sich voraussetzen, aber ihren Grund kann sie nicht in sich finden. Daher genügt das Faktum nicht. Faktum heißt wörtlich gemacht. Dies kann hier nicht im groben Sinne verstanden werden, vielleicht aber doch als Hinweis auf eine Bedingtheit, diejenige nämlich durch das Sein, von dem Fichte lehrt: »Jenes Sein aber, das zu der absoluten Anschauung das Seyn ist, ist schlechtweg aus sich, von sich, durch sich.« Fichte fügt hinzu: »Es ist Gott.«36 Von der hier genannten Anschauung will Fichte alle subjektive Lebendigkeit abgehalten wissen. Er hat den Begriff Gottes formuliert, wie sich am Gebrauch der Reflexionsausdrücke »aus sich«, »von sich« und »durch sich« ablesen läßt. Mehr läßt sich von Gott in »seinem bloßen Begriffe«37 nicht aussagen. Wenn Fichte dann fortfährt: »Dies aber ist die bloße Form seines Seyns, und zwar bloß im Gegensatze mit dem Seyn der Erscheinung«38, dann denkt er von der Erscheinung her den Begriff Gottes, er redet ja von Gott und durchschaut, daß er nicht anders als in Begriffen reden kann. An ihm selbst ist Gott in striktem Sinne »unbegreiflich«39. Ein Bewußtsein von Gott kann also nur in der Anschauung statthaben: »Was Gott wirklich an und in sich ist, erscheint in der Anschauung; diese drückt ihn ganz aus, und er ist in derselben, wie er innerlich ist in ihm selbst«40. Die Anschauung, anders das Bild oder die Erscheinung, bringt das Sein zur Erscheinung. Wenn die Erscheinung sich also als Erscheinung erfaßt, so erfaßt sie nicht eine Differenz zum Sein, sondern die Erscheinung des Seins selbst; wenn nämlich hier von einer Differenz die Rede wäre, wüßte das Wissen nicht, was es ist, das erscheint. Da es das Sein selbst ist, das in der Erscheinung des Sein erscheint, so ist die Unterscheidung von Transzendenz und Immanenz in diesem Denken gegenstandslos. Den Status der Anschauung, von der Fichte hier redet, bestimmt er näher so: Diese »Anschauung wird nicht wieder angeschaut, sondern sie äußert 35 36 37 38 39 40
TdB 11. GA II/12, 131. TdB 11. GA II/12, 131. TdB 11. GA II/12, 131. TdB 11. GA II/12, 131. TdB 11. GA II/12, 132. TdB 11. GA II/12, 131.
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sich nur durch die mit ihr verknüpfte Freiheit.«41 Die Anschauung oder Erscheinung bleibt somit jenseits des aktuellen Bewußtseins; eine unmittelbare Gottesschau behauptet Fichte nicht. Er erläutert: Gottes »Wesen, so wie es in ihm selbst ist, äußert sich [...] zunächst und unmittelbar in der Anschauung des ewigen Endzwecks.«42 Der Endzweck ist mit der Freiheit verknüpft, er soll ja realisiert werden. Er ist aber nicht realisiert durch das Wissen, also für dieses nur ein Gewußtes. Jeweils aktuell wird im Wissen das Gebot des Sittengesetzes und zwar nicht als kategorischer Imperativ, sondern als konkretes Gebot. Wer allerdings einem Gebot folgt, kann dies als freie Selbstbestimmung nur tun, wenn er davon überzeugt ist, der eigenen Vernunft zu folgen und zum Guten in dieser Welt beizutragen. Die sittliche Tätigkeit nennt Fichte »formales Leben«43. Dieses versteht er als unendliches Streben, den unbedingten Endzweck zu realisieren. Die sittliche Tat versteht er dann als »die in diesem Zeit=Momente mögliche nächste Bedingung des Werdens«44 des Endzwecks. Die sittliche Tat wird damit nicht als abgeschlossen betrachtet, sondern als weiterführend. Dieses nicht ausdrückliche, aber beiherlaufende Bewußtsein möchte wohl als Anschauung des Endzwecks verstanden werden dürfen. Der Endzweck ist unendliche Aufgabe; daher wurde er oben als Gewußtes, nicht als Realisiertes verstanden. Es ist jedoch zu fragen, wie man handeln könne, wenn man nicht überzeugt sei, in diesem Handeln wirklich zum Endzweck beizutragen, oder anders: wenn man nicht überzeugt sei von dessen Realisierbarkeit. Falls im Gebot nicht mehr aufscheint als ein Sollen, dann kann die Befolgung des Gebotes heroisch sein, aber auch verzweifelt. Eine solche Verzweiflung ist nur dann abzuhalten, wenn der Endzweck gesichert erscheint. Das Gebot gebietet die Realisierung des Endzwecks. In diesem aber erscheint das Sein, das Absolute oder Gott. Dieses Erscheinen versteht Fichte als Anschauen, nicht als Begreifen. Daher tritt das Bewußtsein des Endzwecks nicht explizit, sondern beiherspielend auf. Es ist kein explizites Wissen; in der »Bestimmung des Menschen« nennt Fichte dieses Bewußtsein Glaube. Die Alltagssprache nennt es Gottvertrauen. »Die Pflicht selbst«, formuliert im Jahr 1800 ein anderer Denker diesen Sachverhalt, »kann mir nicht gebieten, in Ansehung der Folgen meiner Handlungen ganz ruhig zu seyn, sobald sie entschieden hat, wenn nicht mein Handeln zwar von mir, d. h. von meiner
41 42 43 44
TdB 11. GA II/12, 131. TdB 11. GA II/12, 131. TdB 11. GA II/12, 132. TdB 11. GA II/12, 132.
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Freiheit, die Folgen meiner Handlungen aber, oder das, was sich aus ihnen [...] entwickeln wird, gar nicht von meiner Freiheit, sondern von etwas ganz anderem und Höherem abhängig sind.«45 Dieses die sittliche Willlensbestimmung begleitende Vertrauen ist das Phänomen des menschlichen Gottesbewußtseins. In Fichtes Sprache: Das formale Leben des tätigen Individuums weist über sich hinaus auf das Sein. »Das Leben [...]« nota bene! »in seinem eigentlichen Seyn ist Bild Gottes, so wie er ist schlechthin in sich selbst.«46 Erst durch dieses eigentliche Sein des Bildes ist der Schritt über die Faktizität des Wissens hinaus möglich. Das Wissen, so wurde gesagt, setzt sich selbst sich selbst voraus. Dieses Selbstbewußtsein bleibt ein unhintergehbares Faktum, aber zugleich ohne Grund und Sinn. Indem es verstanden wird als Erscheinung des Seins oder des Absoluten, ist es um des Absoluten willen. Fichte denkt dieses um willen nicht als Fremdbestimmung, er identifiziert es ja mit dem Leben. Es muß aber noch ein Gedanke vollzogen werden, damit man vollends sieht, warum das Wissen oder Leben dadurch, daß es Erscheinung des Absoluten ist, nicht fremd- sondern vielmehr selbstbestimmt ist. Das, was in der Erscheinung auseinandertritt als Gebot und Erfüllung, kann im Sein nicht getrennt gedacht werden, wie sollte sonst bei der Brechung des Lichtes des Seins im Prisma des Wissens ein Soll sichtbar werden? Fichtes ganzer Gedankengang geht von der Erörterung der Sittlichkeit zum Gottesverständnis. Im Absoluten hebt er jede Differenz auf. Er kann demnach nicht von Gebot und Erfüllung, Soll und Willen sprechen. Aber er denkt im Absoluten die Einheit von Sollen und Sein, die in der Erscheinung auseinandergetreten sind. In dieser Einheit ist das Sollen nicht verstanden als Gebot, sondern als identisch mit dem Sein, welches man, wenn es denn mit einem Sollen identisch ist, – unzureichend, wie man nur vom Absoluten sprechen kann – Wille nennen dürfte. Denjenigen Willen aber, der mit dem Sollen so eines ist, daß von einem Gebot nicht die Rede sein kann, hatte Kant Heiligkeit genannt. In genau diesem Sinne spricht Fichte von Gott. Dadurch gelingt es ihm, das Wissen, bzw. Leben aus der puren Faktizität herauszulösen. Das Leben versteht sich als Bild eines schlechthin das Sollen Wollen. Nur dadurch, daß das Absolute an sich selbst den Charakter hat, daß es schlechterdings sein soll, nicht gebo-
45 Schelling, System des transscendentalen Idealismus. Tübingen 1800. In: Sämmtliche Werke. Hrsg. v. K. F. A. Schelling. Bd. III Stuttgart und Augsburg 1858, 595. 46 TdB 11. GA II/12, 131f.
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ten ist, sondern sich als solches will – menschlich gesprochen – nur dadurch entrinnt das Wissen für Fichte der puren Faktizität. B) Bemerkungen zum Gottesverständnis der Wissenschaftslehren Sollten die vorgelegten Überlegungen Überzeugungskraft haben, so erhellen sie den Anfang der beiden Wissenschaftslehren von 1811 und 1812. Beide gehen in Übereinstimmung mit Spinoza davon aus, daß das Sein »schlechthin Eins, von sich, durch sich, aus sich selbst«47 ist oder auch »absolute Negation des Werdens.«48 Damit beginnen die Wissenschaftslehren mit dem, was in den »Thatsachen« der Begriff Gottes genannt wurde. Dieser Begriff ist leer. Die Reflexionen Fichtes sind jetzt darauf ausgerichtet, bewußt zu machen, wie dieser Begriff gedacht wird.49 Was Fichte auch sonst noch in den »Thatsachen« dargelegt hatte, wird beim Eingang in die Wissenschaftslehre in specie nicht berücksichtigt. Gott war als unbegreiflich behauptet worden. Daher sagt Fichte: »Die Theorie des begreiflichen kann daher, da Gott unbegreiflich ist, durchaus nur seyn die Theorie des Wissens oder die Wissenschaftslehre, indem es außer Gott nichts giebt, denn das Wissen.«50 Die Wissenschaftslehre in specie ist Lehre des begreiflichen Wissens. Dieses führt sie durch und sichert so das Wissen gegen jede Skepsis. Die Frage, mit der Fichte sich von Spinozas Philosophie absetzt, ist demnach die, wie Gott in der gerade zitierten Weise behauptet werden könne. Diese Behauptung sei ja unleugbar ein Wissen, also nicht Gott selbst. Fichte reflektiert also in der Wissenschaftslehre sofort das Wissen des Behaupteten, bezieht also die Subjektivität des Wissenden – in der Sprache der »Thatsachen« das Leben bzw. Wissen – sogleich mit in seine Überlegungen ein. Diese beziehen sich auf das Begreifliche, und es wird noch begriffen, daß das Unbegreifliche unbegreiflich ist. Die Wissensstruktur wird in der Wissenschaftslehre explizit dargelegt. An den Inhalten als solchen ändert sich nichts. Wenn am Ende der beiden letzten vollendeten Wissenschaftslehren Fichtes die Reflexion wieder zu dem Absoluten zu47 TdB 11. GA II/12, 163. 48 TdB 11. GA II/13, 51. 49 Hierzu vgl. z. B. Gaetano Rametta: Die Gedankenentwicklung in der Wissenschaftslehre 1811. In: Der transzendentalphilosophische Zugang zur Wirklichkeit. Beiträge aus der aktuellen Fichte-Forschung. Hg. v. Erich Fuchs, Marco Ivaldo und Giovanni Moretto. Stuttgart-Bad Cannstatt 2001. [Im Folgenden: Zugang] 245–268; bes.: 251–258. 50 TdB 11. GA II/12, 132.
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rückführt, so parallel zu den »Thatsachen« über die Interpersonalität und Sittlichkeit. In dieser Hinsicht ändert sich der Gottesbegriff in den Wissenschaftslehren nicht gegenüber den »Thatsachen«. Das kann hier aber nur noch mit einer Formulierung von Marco Ivaldo angedeutet werden: »‹Was erscheinen soll‹ ist das, was Fichte in der Wissenschaftslehre 1811 das faktische Urbild Gottes‘ nennt, die ›Sittlichkeit‹ im höheren Sinne, nämlich die sittlich-religiöse Interpersonalität«.51 Der Blick in die »Thatsachen« zeigt aber vielleicht deutlicher als der in die Wissenschaftslehren, daß Fichte das Absolute von der Sittlichkeit aus denkt. Die von ihm gewählten Worte Sein und Absolutes markieren die Abgehobenheit des mit dem Wort Gott zu Verbindenden von allem Begrifflichen und Relationalen. Das ist verständlich. Allerdings bleibt für Fichtes Gottesverständnis entscheidend, daß er es als das versteht, was wir mit Kant Heiligkeit genannt haben. Nur wenn man das Sollen, und zwar dasjenige unbedingte Sollen, das nicht Forderung ist, weil es keinen Aufgeforderten gibt, mit zu Fichtes Sein denkt, ist dieses Sein keine Faktizität. Nur auf diese Weise gelangt man über eine Interpretation Fichtes als Denker faktischen Selbstbewußtseins hinaus zu einer Interpretation Fichtes als Denker von Freiheit.
51 Marco Ivaldo: Die konstitutive Funktion des Sollens in der Wissenschaftslehre. In: Zugang,126.
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