Der Begriff des Gefühls in der Philosophie Johann Gottlieb Fichtes
Fichte-Studien-Supplementa im Auftrage der Interna...
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Der Begriff des Gefühls in der Philosophie Johann Gottlieb Fichtes
Fichte-Studien-Supplementa im Auftrage der Internationalen Johann-Gottlieb-Fichte-Gesellschaft herausgegeben von Helmut Girndt, Wolfgang Janke, Wolfgang H. Schrader (†) und Hartmut Traub
Band 18
Petra Lohmann
Der Begriff des Gefühls in der Philosophie Johann Gottlieb Fichtes
Amsterdam - New York, NY 2004
Fichte-Studien-Supplementa Die Supplementa zu den Fichte-Studien präsentieren Forschungen zur Geschichte und Systematik der Transzendentalphilosophie. Es werden in diesem Rahmen umfangreichere Untersuchungen veröffentlicht, z.B. Monographien, Dissertationen und Habilitationsschriften, die dem Verständnis der Transzendentalphilosophie dienen oder ihre Erneuerung und Weiterentwicklung voranbringen können.
Skulptur: Johann Gottlieb Fichte Ton-Rundbild, 1814, von Gottfried Schadow (1764-1850). Berlin, Alte Nationalgalerie. Foto: akg-images Excerpt of the Valediktionsrede of Johann Gottlieb Fichte. Archiv und Bibliothek der landesschule Pforta Typographie und Satz: Holger Ostwald (Duisburg) The paper on which this book is printed meets the requirements of “ISO 9706:1994, Information and documentation - Paper for documents Requirements for permanence”. ISBN: 90-420-0858-X ©Editions Rodopi B.V., Amsterdam-New York, NY 2004 Printed in The Netherlands
Meinem verehrten Lehrer und Mentor Professor Wolfgang H. Schrader
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Inhalt Vorwort ....................................................................................................................... 1 Einleitung .................................................................................................................... 3
Kapitel I Der Stellenwert des Gefühls in den pädagogischen und religiösen Jugendschriften Fichtes (1780-1786) ......................................................................................9 I.1 I.1.1 I.2 I.2.1
Die Bedeutung des Gefühls im Kontext von Pädagogik und Didaktik ............9 Das Lernmodell Fichtes und seine anthropologischen Voraussetzungen........16 Das moralisch-religiöse Gefühl als konstitutives Element der christlichen Religion .........................................................................................................18 Das Gewissen und sein geistesgeschichtlicher Hintergrund ..........................23
Kapitel II Das religiöse Gefühl im Spannungsfeld zwischen christlicher Denkungsart und Spekulation (1790-1792) ............................................................................................27 II.1 II.2
Der deterministisch bestimmte Deismus und seine Folgen für die Bestimmung des Gewissens ...........................................................................28 Fichtes Rezeption des Kantischen Freiheitsbegriffs in der Kritik der praktischen Vernunft ......................................................................................34
Kapitel III Die Grundlegung der moralischen und erkenntnistheoretischen Funktion des Gefühls durch das »Prinzip aller Philosophie« (1793/4) ............................................39 III.1
Die Bedeutung des moralischen Gefühls der Achtung in Fichtes Willenslehre (1793) .......................................................................................42 III.1.1 Die Deduktion des ursprünglichen Begehrungsvermögens als das »Prinzip aller Philosophie« ............................................................................43
VIII
Inhalt
III.1.2 Die Lehre vom Gefühl als »Medium« ........................................................... 47 III.1.3 Zur Kritik der Fichteschen Lehre .................................................................. 50 III.2 Die Gebhardsche Bestimmung des Verhältnisses zwischen praktischer Vernunft und moralischem Gefühl aus der Sicht Fichtes .............................. 52 III.3 Die Bedeutung des Gewissens in dem Beitrag der Urtheile des Publicums über die französische Revolution (1793) .............................................. 54 III.4 Die erkenntnistheoretische Funktion des Gefühls in der Schrift Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre (1794) ......................................... 57
Kapitel IV Die Bestimmung der erkenntnistheoretischen Funktion des Gefühls als Grund des Realitätsbewußtseins (Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre 1794) ........ 63 IV.1 IV.2 IV.2.1 IV.2.2 IV.2.3 IV.2.4 IV.3 IV.3.1 IV.3.2
Die Genese des Gefühls überhaupt (§5) ........................................................ 66 Die Funktion des Gefühls in der Explikation des »Prinzips des Lebens und des Bewußtseins« (§ 7 ff.) ......................................................... 71 Die Bestimmung des Kraftgefühls als »Princip alles Lebens« (§7) .............. 72 Die Bestimmung des Selbstgefühls als Spezifikum des Menschen (§8) ....... 75 Die Bedeutung des Gefühls des Sehnens für die Konkretisierung des Objektbewußtseins (§ 10) ....................................................................... 79 Das Selbstverständnis des Subjekts als Prinzip des Wissens im Gefühl der Vollendung (§ 11) ....................................................................... 91 Fichtes Auseinandersetzung mit Jacobis realistisch-intuitiver Konzeption der Erkenntnis .................................................................................. 93 Jacobis Kritik an Fichtes transzendentaler Deduktion des Realitätsbewußtseins ................................................................................................... 95 Jacobis Bestimmung der »Progreßion des Bewußtseins« im Verhältnis zu Fichtes Erörterung der Fürsichwerdung des Subjekts ................... 98
Kapitel V Die Funktion des Gewissens als Kriterium der Richtigkeit der Überzeugung von einer bestimmten Pflicht (System der Sittenlehre 1798) ................................... 109 V.1 V.2 V.3
Das Verhältnis zwischen kategorischem Imperativ und Gefühl in der Grundlage und in der Sittenlehre ...................................................... 110 Fichtes Kritik an Kants Moralphilosophie und die Reaktionen der zeitgenössischen Rezensenten auf diese Kritik ........................................... 118 Die Deduktion des kategorischen Imperativs (Einleitung, §§ 1-3) .............. 127
Inhalt V.4 V.5
IX
Die Funktion des Gewissens als Manifestation des Sittengesetzes (§§ 7-15) ......................................................................................................129 Die Rolle des Gewissens im Unterricht des Universitätslehrers und des Volkslehrers (§§ 17,29) ..................................................................137
Kapitel VI Die veränderte Konzeption der Wissenschaftslehre nova methodo (1796-99) und ihre Bedeutung für die Entwicklung der Lehre vom Gefühl .............................141 VI.1 Das Selbstgefühl als »Grundzustand« des Subjekts (§6) .............................147 VI.1.1 Das »System der Sensibilität« als Einheit der fühlbaren »Grundeigenschaften« der Objekte (§5) ..................................................................150 VI.1.2 Die Verbindung von idealem und realem Objekt im »Grundzustand« des Selbstgefühls (§6) .......................................................................155 VI.2 Der Übergang vom Selbstgefühl zur Selbstanschauung (§§ 6-8) .................157 VI.3 Die Bedeutung des Gefühls für die Deduktion des Bewußtseins von Raum und Zeit (§§ 10-12) ...........................................................................159 VI.4 Das Gefühl des »Sollens und Nicht-dürfens« als Schnittpunkt zwischen dem intelligiblen Geisterreich und dem empirischen Subjekt (§§ 12-15) ................................................................................................... 167
Kapitel VII Das Gewissen als das Bewußtsein, in und durch Gott zu existieren (1798-1801) ............................................................................................................. 175 VII.1 Die Bestimmung Gottes als die ordo ordinans ............................................ 179 VII.2 Die Rolle des moralischen Gefühls im Atheismusstreit .............................. 181 VII.3 Der Glaube an Gott als Konstituens des Bewußtseins (WL 1801, §§ 16-23, PopulärAnhang §1 ff., 4-8) ......................................................... 187
Zusammenfassung ................................................................................................... 197
Abkürzungen ........................................................................................................... 201
X
Inhalt
Literaturverzeichnis ................................................................................................ 1. Primärliteratur ................................................................................................. 1.1 Schriften und Briefe Fichtes ............................................................................ 1.2 Schriften und Briefe anderer Autoren ............................................................. 2. Sekundärliteratur ............................................................................................. 2.1 Lexika / Nachschlagewerke ............................................................................ 2.2 Monographien / Aufsätze ................................................................................
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Vorwort
Die vorliegende Arbeit wurde unter dem Titel Der Begriff des Gefühls in der Philosophie Johann Gottlieb Fichtes vom Fachbereich 1 der Universität-Siegen 2001 als Dissertation angenommen. Für den Druck wurde der Text des Manuskripts überarbeitet. An erster Stelle gebührt mein besonderer Dank meinem verehrten Lehrer und Mentor, Herrn Professor Schrader. Er hat mich im Studium beständig begleitet und wohlwollend unterstützt. Aus seinen Fichte-Seminaren habe ich die Anregung für das Thema meiner Arbeit gewonnen. Leider konnte er durch seinen frühen Tod die Arbeit nicht bis zu ihrer Fertigstellung betreuen. Frau Professorin Heinz danke ich dafür, dass sie nach dem Tod von Herrn Professor Schrader meine Promotion durchgeführt hat. Herrn Dr. Lampenscherf und Herrn Christian Kauferstein möchte ich für ihre freundschaftliche Unterstützung und besonders Frau Lucia Heumann für ihre Hilfe bei der Korrektur danken. Danken möchte ich auch der Internationalen-Johann-Gottlieb-Fichte-Gesellschaft für die Aufnahme dieser Arbeit in die Supplementa-Reihe der Fichte-Studien. Der Universität-Siegen danke ich für die Gewährung eines großzügigen Druckkostenzuschusses.
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Einleitung
»Das Leben zu erkennen« (11,5,112) bestimmt Fichte als Gegenstand der Wissenschaftslehre (1794 ff.). Die Aufgabe der Philosophie besteht für ihn nicht darin, »durch die Kraft [der] Syllogismen neue Objekte des natürlichen Denkens« (11,5,112) zu erschaffen. Er gewichtet seine Philosophie dergestalt, daß sie »das Leben, das System der Gefühle und das Begehren zum Höchsten [macht] und [...] der Erkenntnis überall nur das Zusehen [läßt]« (11,5,137). Obwohl Fichte diese Charakterisierung seiner Philosophie erst während des Atheismusstreites (um 1798) formuliert, ist sie in ihrer Geltung keineswegs beschränkt auf die spätere Phase seiner Philosophie. Das zeigt gerade der Blick auf den Begriff des Gefühls: Von den Jugendschriften (1780/6) bis zur späteren Philosophie (1801) ist sein Denken durch die kontinuierliche Besinnung auf die Bedeutung des Gefühls für die Wissenschaftslehre geprägt. Denn im Gefühl manifestiert sich für das Subjekt das durch keine Reflexion, d.h. durch keinen erst noch zu vollziehenden Denkakt verstellte unmittelbare Leben in einer ursprünglichen Selbstbeziehung. Seine Wissenschaftslehre versteht Fichte als Rekonstruktion der für die Genese des Wissens relevanten Handlungen des menschlichen Geistes. Das Wissen gliedert Fichte in verschiedene Bereiche: das Bewußtsein der Sachhaltigkeit, d.h. der Realität der Objekte, das Pflichtbewußtsein, das Bewußtsein des Mitmenschen und das Bewußtsein Gottes. In der Rekonstruktion dieser verschiedenen Bewußtseinsformen kommt dem Gefühl nicht mehr und nicht weniger Bedeutung als anderen notwendigen Vermögen des menschlichen Geistes zu. Die herausragende Stellung des Gefühls besteht darin, daß es einerseits als begrifflich explizierbarer Teilaspekt der
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Einleitung
Reflexionen über die Grundbedingungen der oben genannten Bewußtseins- bzw. Lebensformen selbst Bestandteil der Wissenschaftslehre ist und daß es andererseits zugleich als die ausgezeichnete Weise der Selbstmanifestation dieser Lebensformen selbst zu bestimmen ist, deren Genese in der Wissenschaftslehre rekonstruiert wird. Fichte entwickelt dafür eine weitreichende und komplex strukturierte Theorie des Gefühls, die er in den verschiedenen Formen der Wissenschaftslehre und ihren materialen Teildisziplinen jeweils in einer Darstellung der Selbstobjektivierung des Subjekts ausführt. Das Theorem der Selbstobjektivierung umfaßt die Bereiche des theoretischen und praktischen, sinnlichen, intellektuellen und intelligiblen Lebens. Diesen verschiedenen Arten des Lebens entsprechen verschiedene Arten des Gefühls. Im Gefühl manifestiert sich das Leben auf eine bestimmte Weise. Den Ausgangspunkt, von dem aus Fichte in der Wissenschaftslehre das Bewußtsein der verschiedenen Formen des Lebens spekulativ entwickelt, versteht er als »radikalen Neuansatz der Philosophie« (H.H. S. 1). Er beginnt mit der Philosophie des absoluten Ich. »Das neuzeitliche Ethos der selbstgewissen und autonomen Persönlichkeit« (H.H. S. 1) ist in dem Ansatz der Fichteschen Philosophie »mit dem Weg fundierender Reflexion des Wissens und Bewußtseins auf den eigenen inneren Quellpunkt« (H.H. S. 1) verbunden. Im Ursprung der Selbstdeutung des Subjekts steht das selbstbestimmte, freie Leben. In diesem Sinne bezeichnet Fichte die Wissenschaftslehre, deren Objekt das menschliche Leben ist, in einem Brief an Reinhold als das »erste System der Freiheit« (III,2,298). Das Gefühl versteht Fichte als Indikator der Freiheit. Nach Fichtes Theorie äußert sich für das Subjekt seine Unbedingtheit unmittelbar im Gefühl, weil seine ursprüngliche Selbstbeziehung von der Art des Gefühls ist. Indem bei Fichte das Gefühl Lehre und Leben vereinigt und sich in ihm zudem die Autonomie des Lebens zur Geltung bringt, eignet sich die Untersuchung seines Gefühlsbegriffs besonders gut dazu, das Charakteristische seiner Philosophie herauszustellen. Die Explikation der zentralen Rolle des Gefühls in Fichtes Philosophie erfordert die Untersuchung zum Teil sehr heterogener Schriften Fichtes. Neben den klassischen ›großen‹ Werken wurden ebenfalls die Valediktionsrede, Fragmente, Predigten, Gelegenheitsarbeiten, Populärschriften, Kollegnachschriften, Tagebücher und Briefe in die Untersuchung einbezogen. Die Zielsetzungen dieser Arbeit bestehen erstens darin, in einem systematisch angelegten Untersuchungsstrang Genese, Stellenwert und
Einleitung
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Funktion des Gefühls für die in der Wissenschaftslehre und ihren Teildisziplinen (1796/8) vollzogenen Rekonstruktion des Systems des menschlichen Geistes zu erörtern, um damit die Doppelrolle, die der Gefühlsbegriff bei Fichte für Lehre und Leben hat, hervorzuheben. Hier zeigt sich Fichtes Lehre vom Gefühl als Grundlage, um die seiner Auffassung nach unhaltbaren Dualismen der Philosophie Kants zugunsten der Rekonstruktion der Einheit des Bewußtseins zu überwinden.1 Zweitens soll aus historischer Perspektive Fichtes Lehre vom Gefühl im Kontext der zeitgenössischen Diskussion erörtert werden. Die systematische und die historische Zielsetzung werden nicht nacheinander, sondern parallel aus einer entwicklungsgeschichtlichen Perspektive entwickelt. Fichtes Philosophie wird von den ersten Anfängen seiner Jugendschriften über die verschiedenen Vorstufen und Fassungen der Wissenschaftslehre, ihrer Teildisziplinen und populären Begleitschriften bis zur Wissenschaftslehre 1801 untersucht, um die ersten Ansatzpunkte der Fichteschen Lehre vom Gefühl sowie ihre durch die Weiterentwicklung der Wissenschaftslehre bedingten Veränderungen zu verfolgen. Der entwicklungsgeschichtlichen Perspektive entsprechend gliedert sich diese Arbeit in sieben Kapitel, in denen Fichtes Theorie des Gefühls chronologisch entwickelt wird: Schon in seinen Jugendschriften (1780-1786) bezieht sich Fichte auf den Begriff des Gefühls, den er in Auseinandersetzung mit Gellert, Rousseau und Spalding in einem pädagogischen und religiösen Kontext im Hinblick auf seine Funktionen für das selbstständige Erlernen eines Sachverhalts und als subjektive moralisch-religiöse Instanz thematisiert (vgl. Kapitel 1). Entsprechend dem Charakter der Jugendschriften hat Fichte diese beiden Funktionen des Gefühlsbegriffs zunächst nicht begründet. Solange er noch keine eigene Begründung formuliert, ist er vom Hommelschen Determinismus beeindruckt. Wie im zweiten Kapitel zu zeigen sein wird, geht das aus seiner Korrespondenz aus den Jahren 17841790 und aus den Aphorismen über Religion und Deismus (1790)2 hervor, die er unter dem Einfluß der Hommelschen Philosophie verfaßt hat. Erst 1. Günter Zöller zufolge »zielt die Transzendentalphilosophie bei Fichte [...] in einer radikalen Erweiterung von Kants Absichten und Errungenschaften [...] auf eine systematisch integrierte Darstellung der prinzipiellen Bedingungen des menschlichen Bewußtseins sowie seiner Gegenstände. Die beabsichtigte Vereinheitlichung umfaßt sowohl die Bedingungsstruktur des Bewußtseins als auch die diesem jeweils korrelierten Welten (Sinnenwelt und Geisterwelt) und resultiert somit in komplementären Theorien von Subjektivität und Objektivität«. In: Die Einheit von Intelligenz und Wille in der Wissenschaftslehre nova methodo, in: Fichte-Studien, Bd. 16, Amsterdam-Atlanta 1999, S. 91. 2. Im folgenden als Aphorismen abgekürzt.
Einleitung
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auf der Grundlage seiner 1790 erfolgenden kritischen Rezeption der praktischen Philosophie Kants, entwickelt Fichte eine eigene philosophische Position, in der er, wie aus seinen Predigten von 1792 hervorgeht, in bezug auf die Bestimmung des moralischen Gefühls eine von Kant stark abweichende Position einnimmt. Die Entwicklungsschritte, die Fichte in der Herausbildung seiner eigenen philosophischen Position zur Fundierung seiner Überzeugung vom moralischen Gefühl dienen, werden im 3. Kapitel ausgeführt. Der Rekurs auf die Schriften, die Fichte in der Entstehungssphäre der Wissenschaftslehre verfaßt hat, zeigt, daß für ihn der Begriff des moralischen Gefühls einerseits ein Mittel darstellt, mit dem sich die Kritik, die er an der praktischen Philosophie Kants übt, beheben läßt, und daß andererseits die Grundlegung seiner Bestimmung des moralischen Gefühls ein Motiv der Entstehung seines philosophischen Systems ist. So bindet Fichte in der Theorie des Willens als Vorbereitung einer Deduktion der Religion überhaupt (1793)3, in der Gebhard-Rezension (1793) und in dem Beitrag zur Berichtigung der Urtheile des Publikums über die französische Revolution (1793/4)4 die Bestimmung des moralischen Gefühls in die von Reinhold ausgelöste Diskussion um das Fundament der Kantischen Philosophie ein. Ferner stellt er in der erstgenannten Schrift die Bedeutungen des moralischen Gefühls für die Einheit des sittlichen Bewußtseins und die Anwendbarkeit des Sittengesetzes heraus. Beides sei bei Kant nicht gewährleistet. In diesen frühen Schriften kann Fichte seine Kritik an Kant nicht hinreichend begründen. Seine Kant-Kritik ist ein Thema, das im Kontext der Bestimmung des moralischen Gefühls im System der Sittenlehre (1798)5 und in der Wissenschaftslehre nova methodo (1796-99)6 erneut einen zentralen Stellenwert einnimmt. Aus der Schrift Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre (1794)7, die Fichte als Einleitungsschrift in sein System der Wissenschaftslehre dient, geht hervor, daß zunächst die Bedingungen für das Zustandekommen von Wissen überhaupt geklärt werden müssen, bevor die Manifestation des spezifisch sittlichen Wissens im moralischen Gefühl erörtert werden kann. Die in der Einleitungsschrift in die Wissenschaftslehre nur angedeutete erkenntnistheoretische Funktion des Gefühls entwickelt Fichte in 3. 4. 5. 6. 7.
Im folgenden als Theorie des Willens abgekürzt. Im folgenden als Beitrag abgekürzt. Im folgenden als Sittenlehre abgekürzt. Im folgenden als nova methodo abgekürzt. Im folgenden als Begriffsschrift abgekürzt.
Einleitung
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der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre (1794)8 in Auseinandersetzung mit Jacobis Gefühlsphilosophie. Die Explikation seiner These, daß das Gefühl in seiner erkenntnistheoretischen Ausprägung Grund des Realitätsbewußtseins ist, ist Thema des 4. Kapitels. Die Reflexionen auf die Bedingungen der Möglichkeit von Wissen schlechthin dienen Fichte für seine Untersuchungen über den Begriff des moralischen Gefühls in der Sittenlehre als Grundlage. (Vgl. 5. Kapitel) Dort weist er dem Begriff des moralischen Gefühls seinen Stellenwert im System des menschlichen Geistes an. Ferner dehnt er die Funktion des moralischen Gefühls für die sittliche Vernunfteinheit im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit der Kantischen Moralphilosophie auf die Fragen nach der Genese des Selbstbewußtseins und der Einheit von sittlichen Urteilen und sittlichen Objekten aus. In der nova methodo bestimmt er die sich im moralischen Gefühl manifestierende Einheit der sittlichen Vernunft als höchsten Punkt der Selbstobjektivierung des Subjekts. Diese Vernunfteinheit ist nunmehr nicht nur auf die praktische, sondern auch auf die theoretische Vernunft bezogen. Aus der Bestimmung der Einheit der theoretischen und praktischen Vernunft resultiert eine erweiterte Konzeption der Theorie des Gefühls, die im 6. Kapitel dargestellt wird: Im Bereich der praktischen Vernunft geht Fichte auf die interpersonale Verfaßtheit des moralischen Gefühls ein, die er im Hinblick auf die Anwendbarkeit des Sittengesetzes im Rahmen einer transzendentalen Theorie der Mitsubjekte ausführt. Hierbei handelt es sich um einen weiteren Aspekt, der seiner Auffassung nach von Kant nicht hinreichend begründet ist. Seine Kant-Kritik bezieht Fichte in der neuen Konzeption der Theorie des Gefühls von 1796-99 auch auf die theoretische Philosophie Kants. Hier zielt seine Entwicklung der erkenntnistheoretischen Funktion des Gefühlsbegriffs auf den Nachweis, daß die Objekterkenntnis nicht nur wie bei Kant ein Kompositum aus den a priori gegebenen Anschauungsformen und den empirisch gegebenen Objekten ist, sondern daß das Bewußtsein der Realität der Objekte sowie das Bewußtsein ihres Daseins in Raum und Zeit Produkte des Subjekts sind, die ihrerseits wesentlich gefühlsfundiert sind. Ab 1798 deutet Fichte in den Populärschriften zum Atheismusstreit an, daß die Bedeutung des moralischen Gefühls als sittliche Instanz nicht hinreicht, um den höchsten Grad der Selbstobjektivierung des Subjekts zu bezeichnen. Vielmehr greift Fichte auf den religiösen Aspekt des moralischen Gefühls zurück, den er in seinen Predigten (1786, 1792) bereits 8.
Im folgenden als Grundlage abgekürzt.
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Einleitung
angeführt hat, der aber im Bemühen um die Grundlegung des moralischen Gefühls in den Schriften zur Entstehungssphäre der Wissenschaftslehre und in der Sittenlehre zunächst in den Hintergrund getreten ist. In der Wissenschaftslehre 1801 vertritt er die These, daß sich die Entwicklung des Subjekts im Glauben an Gott vollendet. Mit der im 7. Kapitel erfolgenden Bestimmung der religiösen Dimension des moralischen Gefühls schließt diese Arbeit über den Begriff des Gefühls in der Philosophie J. G. Fichtes. Der Blick auf den Stand der Fichte-Forschung zeigt, daß bisher einige der hier aufgeführten Teilaspekte des Fichteschen Gefühlsbegriffs untersucht worden sind. Hier sind zunächst die beiden Monographien von Preul (1969) und Pong (2001) zu nennen. Preul untersucht das Verhältnis von Reflexion und Gefühl in Fichtes Theologie seiner vorkantischen Zeit und widmet sich damit den Jugendschriften (1780/6) und den Anfängen des Fichteschen Philosophierens bis 1792. Pong unternimmt eine ausführliche Untersuchung von Fichtes Begriff des Gewissens in der Sittenlehre. Dieser Gefühlsbegriff hat in der Fichte-Forschung bisher die größte Beachtung gefunden. Das zeigen die Aufsätze von Schrader (1987, 1998), Janke (1991), Buchheim (1997), Metz (1997), Rohs (1991) und Jergius (1982), die sich aus unterschiedlichen Perspektiven auf den moralischen Gefühlsbegriff beziehen. Ferner liegen im Band zehn und elf der Fichte-Studien eigenen kleine Abteilungen vor, in denen Schrader (1997), Wulff (1997), Schick (1997), Emrich (1997), Hammacher (1997), Lopez-Dominguez (1997), Traub (1997) und Look (1997) auf die Bedeutung, die das Gefühl bei Fichte für die Genese des Realitätsbewußtseins, für die Bestimmung der gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen untereinander, für das Pflichtbewußtsein und für die Populärphilosophie hat, eingehen. Ferner wird der Gefühlsbegriff in einigen dieser Aufsätze in Untersuchungen zum Verhältnis zwischen Konstruktion und Unmittelbarkeit (Schrader) und zu pathologischen Zuständen (Wulff) eingebunden. Diese Einzelstudien können als Einzelstudien nur bestimmte Teilbereiche der Fichteschen Lehre vom Gefühl abhandeln. Diese Arbeit möchte die Einzelstudien ergänzen, indem sie abgesehen von den zuletzt genannten Aspekten, die Schrader und Wulff erörtert haben, nicht nur die oben genannten, sondern auch neue Aspekte des Fichteschen Gefühlsbegriffs in ihrer je eigenen Entwicklung und in ihrer Bezogenheit aufeinander im Konzept der Fichteschen Philosophie von 1780 bis 1801 untersucht.
Kapitel I Der Stellenwert des Gefühls in den pädagogischen und religiösen Jugendschriften Fichtes (1780-1786)
Die Bedeutung der Jugendschriften besteht darin, dass hier bereits Grundthemen der Fichteschen Philosophie vorformuliert sind: Die Autonomie der Erkenntnis und die Autonomie des sittlich-religiösen Bewußtseins sind wesentliche Bestimmungsstücke seines späteren philosophischen Systems (1794 ff.).9 I.1
Die Bedeutung des Gefühls im Kontext von Pädagogik und Didaktik
In der Valediktionsrede De recto praeceptorum et rhetorices usu10 wendet sich Fichte gegen rationalistische Lerntheorien seiner Zeit, z.B. gegen die von Gellert publizierten. Gellert zufolge ist der Verstand das entscheiden9. Vgl. zum ersten und zweiten Kapitel dieser Arbeit Reiner Preul: Reflexion und Gefühl. Die Theologie Fichtes in seiner vorkantischen Zeit, Berlin 1969 und Armin G. Wildfeuer: Praktische Vernunft und System. Entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zur ursprünglichen Kant-Rezeption Johann Gottlieb Fichtes, Stuttgart-Bad Cannstatt 1999. 10. Im folgenden als Valediktionsrede abgekürzt. Fichte hat die Valediktionsrede in lateinischer Sprache verfaßt. Zur Übersetzung der Valediktionsrede ins Deutsche vgl. Maximilian Runze: Neue Fichte-Funde aus der Heimat und Schweiz, Gotha 1919, S. 31 ff.. Da diese Übersetzung mangelhaft ist, wird die Valediktionsrede in dieser Arbeit in lateinischer Sprache zitiert. Dem Zitatnachweis ist immer der Hinweis auf die Übersetzung von Maximilian Runze beigefügt. Im folgenden als M.R. abgekürzt. Eine Zusammenfassung des Gedankengangs der Valediktionsrede findet sich bei Xavier Leon: Fichte et son temps, Paris 1922, Bd. I, S. 48 ff..
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Kapitel I
de Vermögen des Schülers im Prozeß des Lernens. Für Fichte ist diese Auffassung unakzeptabel. Er denkt das verstandesorientierte Lernen als passiven rezeptiven Aufnahmeprozeß. Dem stellt er ein aus eigenen Antrieben resultierenden aktiven Prozeß der Aneignung und Auseinandersetzung mit dem dargebotenen Stoff gegenüber. In einem solchen Prozeß aktiven Lernens ist Fichte zufolge das Gefühl unmittelbarer Ausdruck dafür, daß sich der Schüler selbstständig einen Begriff von dem zu erlernenden Sachverhalt gebildet hat. Damit liefert das Gefühl zugleich die Motivationsbasis, den Lernstoff praktisch anzuwenden. In der Valediktionsrede bezeichnet Fichte die Äußerungen des Gefühls als Rührungen des Gemüts im Sinne eines inneren Bewegtseins (»comovere«) (II,1,61). Diese Bedeutungen des Gefühls für die Unterweisung des Schülers stellt Fichte in einem »religionspädagogischen Exkurs« (R.P. S.11) dar, den er im Kontext der Erörterung der richtigen Anwendung (vgl. II,1,6 / S. 33) von Regeln der Rede- und Dichtkunst hält. Seine Gedanken über die richtige Anwendung (vgl. II,1,6 / S. 33) dieser Regeln formuliert er in Auseinandersetzung mit Gellerts Schriften Von den Ursachen des Vorzugs der Alten vor den Neuern in den schönen Wissenschaften, besonders in der Poesie und Beredsamkeit (1769)11 und Wie weit sich der Nutzen der Regeln in der Beredsamkeit und Poesie erstrecke (1769)12. Im Unterschied zu Gellert ist es Fichte zufolge für die richtige Anwendung (vgl. II,1,6 / S. 33) der Regeln der Ästhetik nicht hinreichend, dem Schüler gute und schlechte Beispiele aufzuzeigen und im Übrigen von ihm Gelehrsamkeit (vgl. S. 197), Übung (vgl. S. 198) und Einsicht (vgl. S. 197) zu erwarten. Zwar nimmt Fichte diese Gedanken Gellerts ebenfalls in seine Rede auf (vgl. II,1,11,16,19,23 / S. 43, 52, 58, 65); aber darüber hinaus geht er »dem Grund des richtigen oder falschen Umgangs mit den Regeln« (R.P. S. 16) nach. Er vertritt die These, daß die richtige Anwendung (vgl. II,1,6 / S. 33) der ästhetischen Regeln davon abhängt, wie sie erlernt wurden. Fichte bezieht diese These nicht nur auf die Vermittlung der ästhetischen Regeln, sondern auf jeden Sachverhalt über-
11. In: Gesammelte Schriften Bd. V, hg. v. Bernd Witte, Berlin und New York 1994, S. 213 ff.. 12. Bernd Witte a.a.O. S. 197 ff.. Die Anregung zu dem Thema der Valediktionsrede Fichtes stammt von Gellerts Rede Wie weit sich der Nutzen der Regeln in der Beredsamkeit und Poesie erstrecke. In Fragen zur Ästhetik setzt sich Fichte in seiner Valediktionsrede unmittelbar mit Gellert auseinander. Fichte legt Wert auf seine Eigenständigkeit gegenüber Gellert (vgl. I,1,28 / 76).
Der Stellenwert des Gefühls in den Jugendschriften
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haupt: »[...] cum ad omnes fere scientias, quae traduntur juventuti, adhiberi queat haec methodus« (II,1,21).13 In seinem »religionspädagogischen Exkurs« grenzt Fichte zwei unterschiedliche Lehrmethoden voneinander ab: »Omnes res, quas, ignotas antea nobis, percipimus et comprehendimus animo, duobus praesertim modis addisci posse mihi videntur. Possunt enim nobis tradi ita, ut extrinsecus, ut ita dicam, in animum nostrum illatae videantur, id est, ut ab alio rem statim omnem, ut est, percipiamus: vel [...] eo modo, ut rem nostra ipsi ratione perspexisse et invenisse videamur, doctore id tantum spectante, ut nos in vias inducat, quibus id invenire possimus« (II,1,19f.).14
Diese einander entgegengesetzten Lehrmethoden gehen Fichte zufolge auf zwei unterschiedliche Lernprozesse zurück, die er an folgendem Beispiel demonstriert: Das Kind soll einsehen, daß »summum aliquod numen huic mundo inesse, quod nos omnes perfectione, et virtute longe antecellat, et quod haec omnia produxerit« (II,1,20 / S. 59).15, 16 Es soll sich einen Begriff (vgl. II,1,20 / S. 59) von Gott bilden und die Gefühle der Liebe (vgl. II,1,20 / S. 59) und der Ehrfurcht (vgl. II,1,20 / S. 59) für ihn empfinden. Nach Fichte kann dieses Bildungsziel nur dadurch erreicht werden, daß der Lehrer das Kind dazu anleitet, sich selbstständig einen Begriff von Gott zu bilden.
13. M.R.: »[...] da auf fast alle Wissenschaften, die der Jugend übereignet werden, diese Methode angewandt werden kann« (S. 61). 14. M.R.: »Alle Dinge, die, bisher uns unbekannt, wir aufnehmen und mit dem Intellekt erfassen, scheinen mir vornehmlich auf zweierlei Weisen angeeignet werden zu können. Sie können uns nämlich übermittelt werden auf die Weise, daß sie von außerhalb her [...] in unsre Seele hineingetragen zu sein scheinen, das heißt, daß wir von anderweit sogleich die ganze Sache, wie sie ist, perzipieren, oder [...] daß wir die Sache mit unserer eigenen Vernunft selbst durchschaut und aufgefunden zu haben meinen, indem nur der Meister-Gelehrte dies schaut, damit er uns in die Wege leite, daß auch wir dies finden können« (S. 58/59). 15. M.R.: »[...] irgend ein höchstes Wesen dieser Welt innewohnt, daß uns alle an Vollkommenheit und Tugend bei weitem übertrifft, und welches dies alles hervorgebracht hat« (S. 59). 16. Dem Religionsunterricht lag in Schulpforta Leonhard Hutters Compendium Locorum theologicorum (1610) (hg. v. Wolfgang Trillhaas, Berlin 1961) zu Grunde. Der Philosophieunterricht erfolgte nach Johann August Ernestis Initia doctrinae solidioris (1776). Vgl. dazu auch in Cap. IV, § 6 Ernestis Ausführungen zur Erneuerte[n] Schulordnung für die Chursächischen drey Fürsten- und Landesschulen, Meißen, Grimma und Pforta (1773), hg. v. Reinhold Vormbaum, Bd. 3, Gütersloh 1864.
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Kapitel I »Potero [...] animum ejus ita dirigere, ut ipse intelligat, esse aliquem, qui haec omnia produxerit, et ipse, sua sponte, num Deus sit, ex me quaerat« II,1,20).17
Hierbei greift der Lehrer auf Anschauung und Beispiel zurück (vgl. II,1,20 /S.59f.), und so werde das Kind, das einem Gärtner bei der Arbeit zuschaut, von selbst den Analogieschluß auf Gott als den Weltenschöpfer vollziehen. Dagegen ist nach Fichtes Auffassung die der gängigen katechetischen Praxis entsprechende entgegengesetzte Lernmethode, nach der der Schüler bloß mit der Definition Gottes konfrontiert wird, ohne seine intellektuelle Spontaneität zu berücksichtigen, zum Scheitern verurteilt. Aufgrund der ausgebliebenen Forderung der intellektuellen Selbsttätigkeit des Schülers ist dessen Rolle im Unterricht passiv darauf beschränkt, den vom Lehrer dargebotenen Lernstoff bloß rezeptiv zu übernehmen, was zur Folge hat, daß der Schüler nicht wirklich vom Unterrichtsstoff überzeugt sein kann. Erfolgt die Zustimmung des Kindes zum Unterrichtsstoff aber dennoch, so geschieht dies nach Auffassung Fichtes nur aus »Mangel an Gegenbeweisen« (R.P. S. 16). Seine eigene Lehrmethode dagegen versteht Fichte als indirekte Anleitung des Schülers durch den Lehrer zu einer selbsttätigen Rekonstruktion von Sachverhalten, so daß vom Schüler die Gründe des Lernstoffs eingesehen und erkannt werden können. Die zwei unterschiedlichen Arten des Lernens kontrastiert Fichte einerseits als bloßes Übernehmen eines von anderen Gelehrten bereits erarbeiteten Sachverhaltes (»ab alio rem statim omnem, ut est, percipiamus«, vgl. II,1,20)18 und andererseits als selbsttätiges Erkennen des Unterrichtsstoffes (»rem nostra ipsi ratione perspexisse et invenisse«, vgl. II,1,20)19. Dieser »religionspädagogische Exkurs« zeigt, daß für Fichte die Gewißheit einer Erkenntnis ausschließlich von der Selbsttätigkeit des Schülers abhängt. Es geht ihm um die »propria deliberatio[...]« (II,2,21 / 61)20 und es kommt ihm auf das »ipse per me rem [...] intellexi« (II,1,21 / S. 61)21 an. Wenn das Moment der »propria deliberatio[...] (II,1,21 / S. 61) 17. M.R.: »Ich werde [...] seinen Geist so lenken, daß es von selber einsieht, es sei irgend einer, welcher dies alles hervorgebracht hat, und nun selbst, aus eigenem Antriebe, von mir zu erfahren sucht, ob ein Gott sei« (S. 60). 18. M.R.: »[...] von anderweit sogleich die ganze Sache, wie sie ist, perzipieren« (S. 58). 19. M.R.: »[...] die Sache mit unserer eigenen Vernunft selbst durchschaut und aufgefunden zu haben« (S. 59). 20. M.R.: »eigener Überlegung« (S. 61). 21. M.R.: »[...] habe ich die selbsteigen durch mich die Sache viel besser erkannt« (S. 61).
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außer acht bleibt, wird der Schüler den Unterrichtsstoff entweder gar nicht oder nur mechanisch und ohne innere Beteiligung anwenden. Das macht Fichte mit der Bestimmung des Verhältnisses zwischen Selbsttätigkeit und Gefühl deutlich. Dabei greift er auf ein Beispiel aus seiner eigenen Schulzeit zurück:22 »Saepe enim mihi hoc accidet, ut, cum novae adhuc et inexpertae rei acutissimam et ad philosophicas rationes exatissimam demonstrationem audivissem aut legissem, veritatis viribus coactus illi assentirer, id est, quid illi opponerem, non haberem [...] Cum vero ad ejusdem rei considerationem ab alio, aliud agente inductus fui, ipse per me rem multo cearius intellexi, quam ante. Verumtamen vidi, eam necdum satis alte in animum descendisse, ut tam certe mihi de ea persuasum foret, quam e. g. de axiomatibus Mathematicis mihi persuasum est, neque me ea commoveri, voluntatemque meam dirigi sinsi« (II,1,20 f. / 60).23
In kritischer Reflexion seines eigenen Schulunterrichts moniert Fichte, daß ihn der Lernstoff im Unterricht nicht bewegt (commovere vgl. II,1,21) habe. Der zu erlernende Sachverhalt hat für ihn nur dann einen Einfluß auf das Gefühl des Schülers, wenn dieser den Sachverhalt am Ende des Unterrichts als Produkt seiner eigenen Erkenntnistätigkeit erfährt. Nach Fichte vollendet sich die Erkenntnis eines Unterrichtsstoffs in seiner Verinnerlichung, die sich dann einstellt, wenn sich der Schüler von dem Unterrichtsstoff selbstständig überzeugt hat. Das Gefühl in seiner Eigenschaft als Rührung des Gemüts setzt die auf der intellektuellen Selbsttätigkeit des Schülers beruhende Gewißheit voraus.24 Dem Gefühl kommen die Funkti22. Zur Schilderung des Lebens und Lernens in Schulpforta vgl. Friedrich August Weißhuhn: Über die Schulpforte. Nebst einigen vorläufigen Betrachtungen über die Schulerziehung überhaupt, Berlin 1786 sowie Friedrich Heyer: Aus der Geschichte der Landesschule zu Pforte, Darmstadt und Leipzig o.J. und Hans Wenke: Johann Gottlieb Fichte 1762-1814 (al. Port. 1774-1780 v.), in: Hans Gehrig: Schulpforte und das deutsche Geistesleben.Lebensbilder alter Pförtner. Almae Mater Portae zum 21. Mai 1943 gewidmet, Darmstadt 1943, S. 38 ff. 23. M.R. »Oft nämlich begnet es mir, daß wenn ich eine sehr scharfsinnige und, nach philosophischen Gründen bemessen, gewisseste Beweisführung über einen neuen und bis dahin unbekannten Gegenstand gehört und gelesen hatte, ich, durch die Gewalt der Wahrheit gezwungen, beistimmte, d.h. nicht wußte, was ich jenem einwenden sollte [...] Während ich aber zur Erwägung ebenderselben Sache von einem andern, der es anders behandelte, hinters Licht geführt gewesen bin, so habe ich selbsteigen durch mich die Sache viel besser erkannt, als vordem. Demohnerachtet habe ich gesehen, dass er noch nicht genügend tief in die Geistesanlagen hinabgestiegen ist, daß ich also hiervon überzeugt wäre, wie ich über die Axiome der Mathematik überzuegt bin, noch auch habe ich empfunden, daß ich dadurch erregt oder mein Wille geleitet würde« (S. 60 / 61). 24. Zum Begriff der Selbsttätigkeit bei Fichte vgl. Reinhold Funke: Selbsttätigkeit Zur theoretischen Begründung eines bis heute vernachlässigten Begriffs durch Fichte und seine Schü-
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Kapitel I
onen der Verinnerlichung des rational erfaßten Sachverhalts und der Motivation, den sich selbstständig angeeigneten Sachverhalt praktisch anzuwenden, zu. »Erkenntnis [kann] [...] streng genomen nicht vermittelt werden, sie ist immer ein spontaner Akt« (R.P. S 17) der sich »aus intellektuelle[r] [...] Klarheit und Ergriffensein im Gefühl« (R.P. S.14) zusammensetzt. Im Rekurs auf seinen »religionspädagogischen Exkurs« vertritt Fichte die Auffassung, daß die Gefühle der Liebe (II,1,20 / S. 59) zu Gott und der Ehrfurcht vor ihm (vgl. II,1,20 / S. 59) sich nur dann einstellen, wenn der Schüler von der von ihm selbst aufgestellten Bestimmung Gottes ganz, d.h. rational und emotional, durchdrungen ist, so daß die Erkenntnis in ihm lebendig wirken kann.25 ler, in: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Pädagogik, Bd. 59, Bochum 1983, S. 62 ff. Reinhold Funke weist in diesem Aufsatz darauf hin, dass Montessori und Kerschensteiner den Begriff der Selbsttätigkeit auf Pestalozzi zurückführen (S. 63). Fichte bezieht sich zwar in seinen sozialkritischen Studien in den Zufälligen Gedanken einer schlaflosen Nacht (1792) und in seinen späteren Reden an die deutsche Nation (1810) auf Pestalozzi. Auf der Grundlage des bisher veröffentlichten Materials aus Fichtes Jugendzeit läßt sich aber nicht feststellen, ob Fichte in seiner Forderung nach Selbsttätigkeit des Schülers in der Valediktionsrede durch Pestalozzi angeregt wurde. 25. Die pädagogische Bestimmung des Verhältnisses zwischen Begriff, Gefühl und Wille demonstriert Fichte an einem weiteren Beispiel, dem Gellerts Betrachtungen über die Religion (1769) zugrunde liegen. Fichte zufolge zeigen sich zwischen dem christlichen Glauben und dem Verhalten der Menschen oft genug Widersprüche, die sich seiner Meinung nach einer falschen Erziehung verdanken: »Si enim propria deliberatione rationem suam cognitione nostrae religionis imbuerint; quovis pignore contendam, eos digne etiam ea religione, quam profitentur, esse victuros« (II,1,21 / 61). Gellert spricht in den Betrachtungen über die Religion ebenfalls die Diskrepanz zwischen Glauben und Leben an: »Es giebt Leute, die der Religion alle äußerliche Ehre erzeigen, die sie mit ihren Lippen und Geberden ehren und vertheidigen, die man kaum durch Martern der Henker dahin bringen würde, zu behaupten, daß sie nicht von Gott wäre, und die sie dennoch in ihrem Herzen und mit ihrem Wandel mitten unter ihrem Eifer schänden« (B.W. S. 264 f.). Dieses widersprüchliche Verhalten vieler, die sich für Christen halten, nimmt auch Gellert in seine Kritik auf. »Es giebt viele, welche die Religion verachten und sie nicht kennen; aber es giebt deren noch weit mehr, die sie hochschätzen, und sie doch nicht kennen« (B.W. S. 261). In Auseinandersetzung mit Gellert bezweifelt Fichte, daß sich bei Gellert dieser Widerspruch zwischen Ratio, Gefühl und Wille beheben läßt, denn an der schulmäßigen Katechese, die die Selbsttätigkeit des Schülers nicht berücksichtigt, übe Gellert keine Kritik. Er führe die Diskrepanz zwischen Ratio, Gefühl und Wille lediglich auf mangelnde Mühe und fehlende Übung des Schülers im Umgang mit dem Lernstoff zurück (vgl. B.W. S. 265 / 6): »Wer hat aber jemals die leichteste Wissenschaft ohne Fleiß und anhaltende Mühe in seinen Verstand gebracht?« (B.W. S. 265). Zwar bleibt Gellert, wie an seinem Rekurs auf den Begriff des Herzens deutlich wird, nicht bei der rein verstandesmäßigen Beschäftigung mit der Religion stehen, aber er mißt dem Verstand eine wesentlich größere Bedeutung als dem Gefühl bei: »Die Wissenschaft der Seligkeit hat das mit allen menschlichen Künsten und Wissenschaften gemein, daß sie zuerst mit dem Verstande gefaßt werden muß, ehe sie durch Anwendung unser wahres Eigenthum« (B.W. S. 265) wird. Das Moment der »propria deliberatio [...]« (II,1,20 / B.W. S. 61 ) bleibt von Gellert in seinem Bezug auf die Verstandestätigkeit des Menschen unberücksichtigt. Fichte hält dagegen, daß, sofern die intellektuelle Tätigkeit nicht in Zusammenhang mit der Selbsttätigkeit
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Die Tagebuchaufzeichnungen während seiner Hauslehrerzeit (1788) und die Aphorismen über Erziehung (1804) machen deutlich, wie sehr Fichte auch noch später von der Richtigkeit seines in der Valediktionsrede entworfenenen Lernmodells überzeugt ist.26 gebracht wird, kein Gefühl im Menschen entstehen und folglich das Erlernte auch keinen Einfluß auf dessen sittlich-christliche Lebensführung gewinnen kann. – Die nach dem Modell der Bildung der Gewißheit einer christlich-religiösen Überzeugung fragmentarisch entwickelte Lehrmethode gilt innerhalb Fichtes kritischer Auseinandersetung mit Gellerts Auffassung vom Geschmack auch für die Erlernung und Anwendung der ästhetischen Regeln. Unter »Geschmack« versteht Gellert in seiner Schrift Wie weit sich der Nutzen der Regeln in der Beredsamkeit und Poesie erstrecke (1769) »eine richtige, geschwinde Empfindung« (S. 206), die »vom Verstande gebildet« und »durch Uebung gestärkt« (B.W. S. 206) wird. Wenn das Moment der »propria deliberatio[...]« (II,1,21 / B.W. S. 61 ) außer Acht bleibt, ist nach Fichte fraglich, ob sich im Schüler die Empfindung, die nach Gellert der Geschmack darstellt, überhaupt bilden kann. Fichte ist der Auffassung, daß der Schüler nach Gellerts Lernmodell die ästhetischen Regeln entweder gar nicht oder nur mechanisch und ohne innere Beteiligung und Überzeugung anwenden wird. – Das vierte Kapitel zeigt, daß die in der Valediktionsrede entwickelte Rolle des Gefühls auch Bedeutung für Fichtes Lehre von der Genese der Objekterkenntnis hat. Dort zeigt er, daß das Gefühl nicht mehr nur das Erlernen eines Sachverhalts begleitet, sondern hier vertritt er die These, daß das Gefühl die Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis überhaupt ist, und daß sich mit der Rekonstruktion dieses Bedingungsverhältnisses zeigen läßt, daß alle Objekterkenntnis in der Autonomie des Subjekts gründet, d.h., daß alles Wissen ausschließlich Produkt des Subjekt ist. 26. Die Bedeutung der erzieherischen Funktion des Gefühls aus der Valediktionsrede beschreibt er an einem Beispiel aus seiner Hauslehrerzeit (vgl. II,1,174): Die Eltern Ott hatten ihren Kindern nur die zeremonielle Abbitte beibringen lassen. Das bloß zeremonielle Erfassen der Abbitte, nach der lediglich der Begriff an das Kind herangetragen wird, entspricht nach Fichte dem von ihm in der Valediktionsrede kritisierten Gellertschen Lernmodell. Fichtes Theorie zufolge können die Kinder den Sinn der Abbitte nur dann begreifen und erfahren, wenn im Lernprozeß »Nachdenken und Gefühl« (II,1,174) gleichermaßen gefördert werden. In der Erziehung der Kinder Ott kommt es Fichte daher auf die Gleichzeitigkeit von »Nachdenken und Gefühl« (II,1, 174) an. Dazu vermerkt er in seinem Tagebuch: Die Kinder »fangen doch jezo an, bei den Lehren der Religion etwas zu fühlen [...] da ich herkam, fand sich davon auch nicht die Spur« (II,1,179). Um den Eltern Ott eine Vorstellung von der Art seines Religionsunterrichtes zu ermöglichen, empfiehlt Fichte ihnen die Lektüre der Vorrede zu Christian Gotthilf Salzmanns Moralische[m] Elementarbuch (2 Theile Leipzig 1782/3). Salzmann war einer der bedeutendsten Vertreter der Philanthropisten. In dem Verzicht auf Autorität und in dem Bemühen um Anschaulichkeit stimmt Fichte mit den Philanthropisten überein. Zu Fichtes Hauslehrerzeit vgl. Frank Aschoff: Zwischen äußerem Zwang und innerer Freiheit Fichtes Hauslehrer-Erfahrungen und die Grundlegung seiner Philosophie, in: Fichte-Studien Bd. 10, Amsterdam-Atlanta 1997, S. 27 ff. und Hans Schulz: Johann Gottlieb Fichte als Hauslehrer, in: Pädagogisches Magazin, Heft 709, Langensalza 1919. – In seinen Aphorismen über Erziehung geht Fichte ebenfalls davon aus, daß zu Beginn des Unterrichts im Schüler ein Bedürfnis (vgl. Aph. 6) nach Wissen erregt werden muß, das der Lehrer mit Blick auf einen bestimmten Sachverhalt erweckt und mit Hilfe eines auf »Anschauung gegründeten Unterricht[s]« (Aph. 7), der die Phantasie (vgl. Aph. 7), die Einbildungskraft und die Kreativität des Schülers in der Erfassung des zu erlernenden Sachverhaltes fördert. Das Lernen »durch unmittelbare Erfahrung und Dialog« (Aph. 4) zwischen Lehrer und Schüler zieht Fichte dem Unterricht durch »todtes Studium und Ueberlieferung« (Aph. 4) vor, denn »ein lebendiger, durch seine tägliche Arbeit an Verknüpfung und Ordnung gewöhnter Knabe [wird] nicht ermangeln, von dem, was er erblickt, aufzusteigen zu dem, was er nicht erblickt, und darnach, wenn
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Kapitel I
I.1.1 Das Lernmodell Fichtes und seine anthropologischen Voraussetzungen In der Valediktionsrede äußert Fichte, sein Lernmodell selbstständig und zwar auf Grund von Selbstbeobachtung (»si [...] observare volet« II,1,20 / 60) entwickelt zu haben (vgl. II,1,20 / 61). Sein Modell solle auf alle Menschen und auf alle Wissenschaften zutreffen. Diesen Anspruch untermauert Fichte so: »ut rem verbis philosophorum explicem, in omnium hominum animis eorundem affectuum semina inclusa jacent, sed non apud omnes eodem modo evolvuntur« (II,1,7 / 34)27 und »omnis scientiae et sapientae semina in mentibus hominum insita esse atque innata, nec quoquam nisi excitatione eorum opus esse« (II,1,20 / 58)28 .
diejenigen, die ihn umgeben, theils selbst die Sache wissen, theils so zu anworten verstehen, daß keine todte, nur wiederholende Phrase, sondern eine lebendige Anschauung im Zögling entstehe« (Aph. 4). Er solle nie mechanisch (vgl. Aph. 5) lernen, sondern sich immer »alles durch eigene Geisteskraft erwerben« (Aph. 5). – Wolfgang Janke bezeichnet Fichtes Begriff der Erziehung als »geradezu exemplarisch« für die Wirkungsgeschichte des Fichteschen Werkes. Er verweist auf »unmittelbare[...] Jenaer Impulse[...] auf Pädagogen und Erzieher wie Johann Friedrich Herbart, August Ludwig Hülsen, Johann Rudolf Fischer, Johann Smidt, Casimir Ulrich Böhlendorf« u.a. in: Fichte-Artikel in der Theologischen Realenzyklopädie, Berlin und New York 1983, Bd. XI, S. 170. Fichtes Begriff der Erziehung hat sich auch auf seine Schüler ausgewirkt. Vgl. dazu Dietrich Benner: Ansätze zu einer Erziehungsphilosophie bei den frühen Fichteanern, in: Prolegomena zur Grundlegung der Pädagogik (T. II), hg. v. Wolf Schmied-Korwarzik u. Dietrich Benner, Wuppertal, Ratingen u. Düsseldorf 1969, S. 11 ff.. Fichtes Einfluss auf die Pädagogik haben vor allem Rudolf Lassahn: Studien zur Wirkungsgeschichte Fichtes als Pädagoge (Heidelberg 1970) und Johannes Schurr: Entwürfe zu einer transzendentalen Theorie der Bildung, in: Erneuerung der Transzendentalphilosophie im Anschluß an Kant und Fichte, Reinhard Lauth zum 60. Geburtstag, hg. v. Klaus Hammacher u. Albert Mues, Stuttgart-Bad Cannstatt 1979, S. 373-394, untersucht. – Ferner hat die in der Valediktionsrede nur fragmentarisch entwickelte Beziehung zwischen Gefühl, Wille und Begriff Auswirkungen auf das spätere methodische Vorgehen in seinen populärphilosophischen Schriften (1794 ff.), in denen er Resultate seiner Grundlage allgemeinverständlich einem philosophisch nicht vorgebildeten Publikum vermitteln möchte (vgl. Kapitel 5, Pkt. 5). Die Rührung des Gefühls wird hier durch rethorische Mittel zusätzlich unterstützt. Zur Rhetorik Fichtes vgl. Peter L. Oesterreich: Politische Philosophie oder Demagogie? Zur rhetorischen Metakritik von Fichtes Reden an die deutsche Nation, in: Fichte-Studien Bd. 2, Amsterdam-Atlanta 1991, 74 ff.. 27. M.R: »In aller Menschen Gemütern liegen – um es in der Sprache der Philosophen zum Ausdruck zu bringen – die Keime ebenderselben Affekte beschlossen; aber nicht bei allen brechen sie auf die gleiche Weise hervor« (S. 34). 28. M.R.: »[...] die Keime jeder Wissenschaft und Weisheit den Geistesanlagen der Menschen eingepflanzt und eingeboren sind, und nichts anderes denn nur die Erweckung derselben erforderlich sei« (S. 58/59).
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In anthropologischer Hinsicht vertritt Fichte die Auffassung, daß alle Menschen eine einheitliche Gemütsstruktur besitzen. Mit seiner Rede von den semina affektuum (vgl. II,1,7 / 34) geht er von der Annahme aus, dass es ein »System von ursprünglichen Gefühlen, Motionen, Antrieben [und] Bestrebungen« (R.P. S.26) gibt. Die Bestimmung der semina affectuum (vgl. II,1,7 / 34) zeigt Fichtes Orientierung an Rousseau, der die Annahme ursprünglicher, angeborener Gefühle im Glaubensbekenntnis des savoyischen Vikars29 ausspricht.30 Weitere Gemeinsamkeiten zwischen Fichtes Lernmodell und Rousseaus Schrift Emile oder über die Erziehung (1762) zeigen, daß Fichte in seiner Darstellung der Tätigkeit des Lehrers als ein ›inducere‹ (vgl. II,1,20 / S. 60) auf Rousseaus Ausführungen über die indirekte Erziehung zurückgreift. Das Charakteristische der indirekten Erziehung besteht für Rousseau in der absoluten Enthaltsamkeit des Erziehers in seinem Verhältnis zu dem Schüler, der in der indirekten Auswahl der Reize und Umweltsituationen, die auf das Kind einwirken, dessen Bedürfnis nach Erkenntnis motiviert und dessen intellektuelle Spontaneität impulsiert und steuert. Bei Fichte heißt es dazu: »Potero exemplis, a rebus, quae eo ipso tempore, dum cum illo loquor, oculis ejus subjectae sunt [...] ut ipse quo consilio hunc sermonem instituerim non videat, animum ejus ita dirigere, ut ipse intelligat« (II,1,20 / 60).31
29. In: Emile oder über die Erziehung, hg. v. Martin Rang, Stuttgart 1998, S. 545 ff.. 30. Reiner Preul ist der Auffassung, daß sich »Fichtes anthropologischer Grundgedanke [...] wie eine formelhafte Verkürzung« (S. 29) folgender Passagen aus Rousseau‘s Glaubensbekenntnis des savoyischen Vikars liest: »Quelle que soit la cause de notre etre, elle a pourvu à notre conservation en nous donnant des sentiments convenables à notre nature; et l‘on ne sauroit nier qu‘au moins ceux-là ne soient innés« (a.a.O. S. 261); »La source de nos passions [...] est l‘amour de soi: passion primitive, innée, antérieure à toute autre, et dont toutes les autres ne sont, en un sens, que des modifications. En ce sens, toutes, si l‘on veut, sont naturelles. Mais la plupart de ces modifications ont des causes étrangères sans lesquelles elles n‘auroient jamais lieu« (zitiert nach: J. J. Rousseau OEuvres complètes, Édition Hachette, Paris 1909 ff., S. 182). Vgl. dazu auch Armin G. Wildfeuer, der die Auffassung vertritt, daß »Rousseau der Hauptzeuge seiner [Fichtes] Anthropologie zu sein« scheint, in: Praktische Vernunft und System Entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zur ursprünglichen Kant-Rezeption Johann Gottlieb Fichtes, Stuttgart-Bad Cannstatt 1999, S. 131. 31. M.R.: »Ich werde durch Beispiele von Dingen, welche genau zu dieser Zeit, während ich mit ihm rede, seinen sehenden Augen ausgesetzt sind, von denen es selber sieht, daß sie von irgend einem Menschen hergerichtet sind [...] seinen Geist so lenken, daß es aus eigenem Antriebe, von mir zu erfahren sucht, ob ein Gott sei« (S. 60).
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Kapitel I
Der Schüler soll sich frei von jedem Zwang durch den Lehrer fühlen.32 I.2
Das moralisch-religiöse Gefühl als konstitutives Element der christlichen Religion
Fichtes Bestimmungen des Verhältnisses zwischen Selbsttätigkeit, Gefühl und Begriff in dem »religionspädagogischen Exkurs« der Valediktionsrede führen in den Predigten Ueber die Absichten des Todes Jesu (1786) und An Mariä Verkündigung (1786)33 zu einer Fortentwicklung der funktiona32. Vgl. dazu Wilhelm Kabitz: Studien zur Entwicklungsgeschichte der Fichteschen Wissenschaftslehre aus der Kantischen Philosophie« Berlin 1902, S. 8, Anm. 2 u. 3 sowie Maximilian Runze, der der Auffassung ist, daß Fichtes »Erstlingsschriften durchzogen sind von Gedanken, die ihren Ursprung den Anregungen Rousseaus verdanken« (a.a.O.vgl. S. 8). Zwar bezieht sich Fichte in seiner Valediktionsrede nicht auf Rousseau‘s Emile oder über die Erziehung, sondern auf Johann Georg Feders Der neue Emil oder von der Erziehung nach bewährten Grundsätzen (Erlangen 1768). Dennoch ist es unwahrscheinlich, daß Fichte, der in der Valediktionsrede betont, sich in der zeitgenössischen Erziehungsliteratur gut auszukennen, gerade Rousseaus Emile, den Goethe auch als das »Naturevangelium der Erziehung« bezeichnet, nicht zur Kenntnis genommen haben soll. In einem Brief an Frau von Koppenfels vom 11.6.1790 zählt Fichte Rousseau zu den Lieblingsautoren seiner Jugendzeit (vgl. III,1,134). Reiner Preul ist jedoch der Auffassung, daß man bei Fichte in seiner Valediktionsrede »kaum ein intensives Studium des Emile voraussetzen« (a.a.O. S. 19, Anm. 49) dürfe, denn Rousseau halte die Religion aus der Welt des Kindes heraus und konfrontiere erst den Jugendlichen mit der Religion. Armin G. Wildfeuer hält dagegen, daß, indem sich Fichtes Lernmethode geradezu vorzüglich dazu eignet, dem Kind die Religion näher zu bringen, »es sich folglich auch um den bewußten Versuch einer Transformation und Neuapplikation der Rousseauischen Gedanken handeln kann« (a.a.O. 1999, S. 131). Darüber hinaus macht Reiner Preul darauf aufmerksam, daß es sich bei der Verborgenheit der Absicht des Erziehers, die man in Rousseaus Erziehungsmodell findet und die Fichte in seinem »religionspädagogischem Exkurs« aufgreift, um keinen unablöslichen Bestandteil des Fichteschen Lernmodells handelt (a.a.O. vgl. S. 20). Weder das Erlernen der ästhetischen Regeln noch die Unterweisung in den Lehren der christlichen Religion erfordern das Moment der Verborgenheit der Absicht. Vielmehr läßt sich Reiner Preul zufolge Fichtes Lernmodell »in einen weiteren geistesgeschichtlichen Rahmen stellen« (a.a.O. S. 21). »Die Betonung der Notwendigkeit der selbständigen Erkenntnis hat ja ihren festen Ort in der Polemik der theologischen Aufklärung gegen Autorität und blindes Fürwahrhalten« (a.a.O. S. 21). In diesem Zusammenhang zitiert Reiner Preul eine Textpassage aus K.arl Friedrich Bahrdts Briefe über die Bibel, im Volkston. Eine Wochenschrift von einem Prediger auf dem Lande (Bd. I, Halle1782, S. 7 und 9), in dem deutlich der aus Fichtes Valediktionsrede bekannte Dreischritt von Begriff, Gefühl und Wille vorkommt. Diesen Dreischritt hat Bahrdt außerdem in seiner Schrift Über Aufklärung und die Beförderungsmittel derselben von einer Gesellschaft (1789) entfaltet. Aus dem Tagebuch Zürich (1789) geht hervor, daß Fichte diese Schrift sehr geschätzt hat (vgl. II,1,211). Es läßt sich aber kein Zusammenhang zwischen Fichte und Bahrdt zum Zeitpunkt der Abfassung der Valediktionsrede herstellen, weil Bahrdts Schriften erst 1782 bzw. 1789 erschienen sind. 33. Nach Beendigung seiner Schulausbildung beginnt Fichte ein Theologiestudium in Jena. »Die Gründe für die Wahl liegen im Dunkeln; es ist unklar, ob äußere Umstände [wie die Hoffnung auf ein Stipendium] oder Neigungen den Ausschlag gaben. Auch über den weiteren Verlauf des Studiums – er besuchte noch die Universitäten in Leipzig und Wittenberg – ist wenig bekannt. Jedenfalls hat er sein Studium um 1784 abgebrochen, ohne ein Examen abzulegen« (Pe-
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len Bedeutung des Gefühls. Deutlich wird dies hauptsächlich in der ersten Predigt, in der er im Rahmen der Bestimmung des Wesens und der Möglichkeit der religiösen Gewißheit die »Natur der christlichen Ueberzeugung« (II,1,90) im Rahmen der Gegenüberstellung der »Religion des Herzens« und der othodoxen Verstandesreligion erörtert. Die Abgrenzung der christlichen Religion von der Verstandesreligion unternimmt er im Kontext der zeitgenössischen Kritik der theologischen Aufklärung an der kirchlichen Orthodoxie, an religiösem Indifferentismus und am Gewohnheitschristentum. Im Gegensatz zu der in der Valediktionsrede formulierten relativ unbestimmten Auffassung vom Gefühl als Rührung des Gemüts, die in der Bestimmung der christlichen Religion indirekt mitgedacht wird, bezieht sich Fichte hier ausdrücklich auf das besondere Gefühl des Gewissens, das für ihn ein konstitutives Moment der »Religion des Herzens« darstellt und dem er darüber hinaus die Funktion eines sittlich-religiösen Wegweisers der Erkenntnis zuschreibt. In der Predigt Ueber die Absichten des Todes Jesu erörtert Fichte die Bedeutung der Auferstehung Jesu für die christliche Religion. Fichte zufolge hat Christus sich nach seiner Auferstehung vom Tod nicht der Öffentlichkeit, sondern nur seinen Jüngern gezeigt (II,1,90). Denn eine öffentliche Erscheinung des Auferstandenen hätte nach Fichte die Errichtung der christlichen Religion nicht ermöglicht (vgl. II,1,76, 80, 90, 91). Gerade die Unbeweisbarkeit der Auferstehung Jesu’ wird von Fichte als Bestimmungsmerkmal des »Wesen[s] der christl. Religion« (I,1,79) gedeutet, die für ihn »in [der] Ueberzeugung des Verstandes, aber in einer warmen fruchtbaren Ueberzeugung, die ihren Ursprung aus dem Herzen hat, u[nd] in Güte und Wohlwollen des Herzens« (II,1,79) besteht. Fichte bezeichnet daher auch die christliche Religion als »Religion des Herzens« (II,1,75, 87,88). Der Unterschied zwischen christlicher Religion und »bloßer VerstandesReligion« sieht Fichte darin begründet, daß die Anhänger der »bloße[n] VerstandesReligion« (II,1,79) die nur wenigen Zeugen zugängliche Auferstehung Jesus’ lediglich in Form einer öffentlichen Auferstehung akezptieren.34 Die öffentliche Auferstehung hätte aber nach Fichte zu folter Rohs: Johann Gottlieb Fichte, München 1991, S. 9 f..) Weitere theologische Arbeiten Fichtes nach 1786 bis zur Grundlage sind die Aphorismen, die Predigten über Ueber die Wahrheitsliebe und Am zweiten Osterfeiertage d. 9. April 1792« und der Versuch einer Kritik aller Offenbarung (1792). 34. Reiner Preul vertritt die Auffassung, daß sich Fichte in der Bestimmung der Religion des Verstandes implizit mit Reimarus auseinandersetzt (a.a.O. vgl. S. 32 ff.).
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Kapitel I
gender Konsequenz geführt: Wäre der Glaube an die Göttlichkeit Jesus auf »unwiderstehliche sinnliche, oder VerstandesBeweiße« (II,1,88) gegründet, so hätte sich eine Sekte »fantastischer ungebeßerter Menschen« (II,1,89) oder »eine Mahometanische Religion« (II,1,89) gebildet. Die christliche Religion würde dann nicht mehr um ihrer selbst, sondern um der Person Jesu willen anerkannt, woraus folglich ein Personenkult bzw. eine Monarchie (vgl. II,1,89) entstanden wäre. Da die Verstandesreligion eine öffentliche Auferstehung fordert, stellt sie für Fichte eine bloß »äußerliche Religion« (II,1,79) dar, denn die Verstandesreligion basiert nur auf äußerlich nachvollziehbaren Geschehnissen und entspricht somit dem Wesen des Naturalismus (vgl. II,1,83). In Anlehnung an den »religionspädagogischen Exkurs« (R.P. S. 11) der Valediktionsrede führt Fichte in der Predigt Ueber die Absichten des Todes Jesu den Grundsatz an: »Aehnliche Ursachen erzeugen ähnliche Würckungen« (II,1,89). In Entsprechung zu diesem Grundsatz formuliert Fichte den Gedanken, daß Religion für den Menschen immer etwas bloß Äußerliches darstellt, wenn sein Inneres, d.h. sein Gefühl, bei dem Akt ihrer Annahme nicht beteiligt (commovere) ist. Im Unterschied zur Verstandesreligion erleuchtet die christliche Religion (vgl. II,1,87) Fichte zufolge »den Verstand [...] nicht durch scharfe, tief gedachte Betrachtungen, u[nd] strenge Beweise; dieses würde sie nur zur Religion einiger wenigen guten Köpfe, dieses würde sie zu einer bloßen Wißenschaft machen, dieses würde ihre Anhänger mehr stark, als richtig denken lehren, dieses würde, weil es weniger Einfluß auf das praktische haben würde, auch weniger zur Beglückseeligung ihrer einzelnen Glieder, u[nd] des Ganzen beytragen: sie erleuchtet [den Menschen], indem sie ihn durch das Herz erwärmt« (II,1,87).35 35. In der Bestimmung der Religion des Herzens stimmt Fichte mit Lessings und Wielands Religionsbegriff überein, die für ihn in seiner Jugendzeit auch zu seinen Lieblingsautoren zählen (vgl. III,1,134). In Lessings und Wielands Religionsbegriff findet man ebenfalls die von Fichte geforderte Einheit von Ratio und Gefühl. In Lessings Kollektaneen zur Christlichen Religion (Datierung ungewiss) heißt es: »Wider die vielen Werke, welche neuerer Zeit für Wahrheit derselben herauskommen; daß sie nicht allein sehr schlecht beweisen, was sie beweisen sollen, sondern auch dem Geiste des Xstentums ganz entgegen sind, dessen Wahrheit mehr empfunden sein will, als erkannt, mehr gefühlt, als eingesehen« (Werke Bd. VIII, hg. v. Werner Göpfert, München 1979, S. 402). In diesem Sinne entwirft Wieland in seinen Gedanken von der Freiheit über Gegenstände des Glaubens zu philosophieren aus dem Jahr 1788 einen Religionsbegriff, der nicht so sehr an »der spekulativen Vernunft, als [an dem] vernünftigen Glauben[...]« (S. 497) orientiert ist und in der das allen Menschen eigene »dunkle Gottesgefühl« (S. 531) zur Klarheit einer »wahre[n] Theosophie« (S. 532) erhoben wird. Wieland vertritt die Auffassung, daß »Religion oder Glauben an Gott eine Angelegenheit des Herzens, nicht des Kopfes ist; daß sie nicht
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Die von Fichte aus der Kritik an der Verstandesreligion gezogene Konsequenz (vgl. II,1,94) zeigt deutlich Affinitäten zu der von ihm in der Valediktionsrede geübten Kritik an jener Lehrmethode, die allein an den Verstand des Schülers und nicht auch an sein Gefühl appelliert. In Auseinandersetzung mit Gellerts Betrachtungen über die Religion (1769) vertritt Fichte bereits in der Valediktionsrede die These, daß die Anhänger der Verstandesreligion die Religion nicht verinnerlichen und ihren positiven Einfluß auf den Lebenswandel nicht realisieren.36 Schon in der Valediktionsrede macht Fichte geltend, daß es gerade auf die Art und Weise der Genese einer Erkenntnis ankommt, wenn über ihre praktische Effektivität geurteilt werden soll. Die Beschränkung auf die Verstandestätigkeit ist für Fichte also nicht hinreichend, um den Grund religiöser Gewißheit zu bestimmen, denn die Verstandesreligion versteht Fichte lediglich als wissenschaftliche Demonstration (vgl. II,1,90) anschaulicher Begebenheiten. Daraus folgt, daß das, was auf eine solche allgemein und für Fichte oberflächliche Weise einmal anerkannt wurde, sich zu einer Art Tradition entwickelt. Die Annahme eines bloß tradierten Wissens birgt die Gefahr, daß man »andere für sich denken laßen« (II,1,90) kann. Entsprechend der Valediktionsrede verhindert der rein verstandesorientierte Bezug auf die Religion die selbsttätige Auseinandersetzung mit der christlichen Lehre. Die Religion des Verstandes stellt für Fichte daher nicht mehr als eine bloße »Gedächtniß, u[nd] MundReligion« (II,1,89) dar. Die christliche Gesinnung wird Fichte zufolge nur dann erreicht, wenn Verstand und Gefühl gleichermaßen gefordert werden (vgl. II,1,88). Dazu muß die »Verbeßerung dieser beyden Eigenschaften des Menschen mit gleichen Schritten fortgehen, u[nd] keine soll der andern zuvorkommen, sondern sie sollen einander freundschaftlich die Hand reichen. Die Wahrheiten dieser [christlichen] Religion sind von der Art, daß sie das Herz mit allen Empfindungen der Güte, u[nd] des Wohlwollen erfüllen müßten, u[nd] diese Empfindungen mußen wieder unsrer Erkenntniß u[nd] unsrer Ueberzeugung von diesen Wahrheiten neue Stärke geben. Es ist eine Religion guter Herzen« (II,1,88).
darin besteht, daß wir über das göttliche Wesen grübeln und disputieren, sondern daß wir uns bestreben, den Willen Gottes zu tun« (S. 544), in: Christoph Martin Wieland Werke, Bd. 3, hg. v. Fritz Martini und Hans Werner Seiffert, München 1967. Zu den unterschiedlichen Bestimmungen der Religion vgl. Karl Aner: Die Theologie der Lessingzeit, Hildesheim 1964. 36. Vgl. Fussnote 23.
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Kapitel I
Die Einheit vom Überzeugtsein von der christlichen Lehre und der Realisierung der christlichen Lebensführung ist Fichte zufolge nicht Resultat eines singulären Aktes, sondern etwas permanent in lebendiger Auseinandersetzung mit sich selbst zu Erringendes. Die Voraussetzung der christlichen Gesinnung ist das Eingehülltsein der Auferstehung Jesu, auf die sich die christliche Religion gründet, in ein »gewißes Helldunkel« (II,1,76).37 Zwangsläufig führt die Verborgenheit der Auferstehung Jesu’ dazu, daß die christliche Religion nicht vollkommen mit dem Verstand durchdrungen werden kann, so »daß dem Herzen etwas zu thun übrig bleibt« (II,1,79, vgl. 88). Den Beweis für die Richtigkeit seiner Annahme sieht Fichte in der Tatsache, daß die »Beweise [der christlichen Religion] unwiderstehlich, gegründet, u[nd] befriedigend [sind] aber sie drangen sich nicht auf. Man konnte sie nicht sehen u[nd] hören, man konnte nicht durch Verstandesgründe gezwungen werden, u[nd] also andere für sich denken laßen, man mußte selbst denken, selbst forschen u[nd] suchen, und dieses Forschen muste durch Geschmack fürs Wahre und Gute geleitet werden« (II,1,90).
Hier wird deutlich, daß Fichte entsprechend der Rede von den semina affektuum (vgl. II,1,7 / 34) seine Gefühlsphilosophie schon von Anfang an so entwirft, daß sie die theoretische und die praktische Sphäre des Menschen, und somit sein gesamtes Dasein durchdringt. Für Fichte kommt dem Gefühl nicht mehr nur die Funktion der Verinnerlichung des rational Erfaßten und die Motivation zu dessen praktischer Umsetzung zu (vgl. II,1,81 u. R.P. S. 48), das also, was er in der Valediktionsrede unter dem Begriff »commovere« versteht, sondern für ihn besitzt das Gefühl darüber hinaus die Funktion des moralischen-religiösen Wegweisers der Erkenntnis. Die subjektive Gewißheit der Überzeugung von der Wahrheit der christlichen Religion kann sich zwar nach Fichte nur durch »eignes Nachdenken [und] ernstliches Forschen« (II,1,80) bilden, aber die intellektuelle Tätigkeit bedarf der Leitung durch das »Gefühl[...] des Wahren u[nd] 37. Wilhelm Wundt (Fichte und Klopstocks Beiträge zur Philosophie des Deutschen Idealismus, Bd. II, 1921, 22, H. 1, S. 41) und Reiner Preul (a.a.O. S. 66 ff.) vermuten einen Einfluß der Empfindsamkeit, näherhin Klopstocks auf Fichtes Bestimmung des Herzens. Sie beziehen sich auf Klopstocks Aufsatz Von der heiligen Poesie (1756). Klopstock zufolge soll der religiöse Dichter die Wahrheiten der christlichen Lehre »so sagen, daß sie das Herz ebensosehr als den Verstand beschäftigen« (in: Ausgewählte Werke, hg. v. Karl August Schleiden, München 1962, S. 1009). Vom Leser erwartet Klopstock »eine unverdorbene natürliche Empfindung, und ein gutes Herz« (S. 1000). Diese Prädikate der »heiligen Poesie« Klopstocks finden sich nach Wundt und Preul auch in Fichtes Bestimmung der Religion des Herzens.
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Guten« (II,1,88), um nicht dem Fehler der Verstandesreligion zu verfallen. In der Predigt An Mariä Verkündigung bezeichnet er das »Gefühl[...] des Wahren u[nd] Guten« (II,1,88) als Gewissen (vgl. II,1,58). Als angeborene moralische Instanz38 manifestiert sich in ihm die »Stimme Gottes« (II,1,58), die sich je nach der sittlichen Qualität der Handlungen des Menschen zustimmend oder ablehnend äußert. Der Anhänger der christlichen Religion soll sich in seinem Urteil über Gut und Böse nicht einem fremden Willen, d.h. äußerlichen Gesetzen unterwerfen, sondern seinem Herzen folgen, woraus sich von selbst ein christlicher Lebenswandel (vgl. II,1,81) ergibt. Zur Hervorbringung christlicher Gesinnung und entsprechender Lebensführung bedarf es zugleich der Kultivierung der Verstandestätigkeit und der Gewissensbildung (vgl. II,1,87). I.2.1 Das Gewissen und sein geistesgeschichtlicher Hintergrund Mit seiner Rede vom moralisch-religiösen Gefühl und vom Geschmack für das Wahre und Gute bezieht sich Fichte auf »ein überaus beliebtes Motiv [der] verschiedenen der Aufklärung angehörigen literarischen, philosophischen und theologischen Richtungen« (R.P. S.5). In seiner Auffassung vom moralisch-religiösen Gefühl des Gewissens als die das Denken und Handeln zugleich begleitende moralische Instanz, in der sich Gott manifestiert, lehnt er sich insbesondere an Rousseau und Gellert an, mit denen er sich schon in seiner Valediktionsrede auseinandersetzt sowie an Spalding, von dem er in seiner Appellation an das Publicum (1799)39 verkündet, daß dieser den »ersten Keim der höhern Speculation« (I,5,447) in ihm erweckt habe. Vor allem bei Rousseau finden sich alle drei Bestimmungen des Gewissens, die Fichte in seinen Predigten (1786) anführt: Das Gewissen als moralisch-religiöse Instanz, das Gewissen als Motor der Realisierung des Guten und die Bedeutung der Gewissensbildung für die Ethisierung des Menschen.40
38. Im dritten Kapitel dieser Arbeit wird deutlich, daß diese Auffassung vom moralisch-religiösen Gefühl zur Entstehung der Wissenschaftslehre beiträgt und die Kapitel fünf bis sieben zeigen, daß sie zudem ein wesentliches Bestimmungsstück seiner Sittenlehre seiner Schriften zum Atheimusstreit und der Wissenschaftslehre 1801 ausmacht. 39. Im folgenden als Appellation abgekürzt. 40. Zu den »Ideengeschichtlichen Beziehungen«, die Fichtes Bestimmung des Gewissens zu Grunde liegen, vgl. Reiner Preul a.a.O. S. 62 ff..
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Kapitel I
Im Glaubensbekenntnis des savoyischen Vikars41 behauptet Rousseau, daß das Gewissen dem Menschen angeboren ist (vgl. S. 593). Das Gewissen versteht er als göttlichen Instinkt (vgl. S. 593), der »der wahre Führer des Menschen« (S. 585) ist. Rousseau vertritt die Auffassung, daß das Gewissen die Sprache spricht, die der Mensch im Laufe »der gesellschaftlichen Entartung« und Befriedigung seiner Leidenschaften (vgl. S. 570) verlernt hat. Die »gesellschaftliche Entartung« und die Befriedigung der Begierden (vgl. S. 653) »korrumpieren das sittliche Urteil und treiben den Menschen in Widerspruch zu sich selbst« (vgl. S. 585). Das Gewissen ist für Rousseau »der seelische Ort«, wo »der Mensch den Verlust an Identität erfährt«, wo »zugleich [jedoch] die Quell[e] ... einer Wahrheit [ist], die [seine] Lebensführung festigt« und wo er die Einheit von Vernunft und Sinnlichkeit (vgl. S. 640 u. 570), d.h. die Übereinstimmung mit sich selbst wiederherstellen kann (vgl. S. 599). Daher stellt für Rousseau die Gewissensbildung das wichtigste Erziehungsziel des Emile dar. Rousseau zufolge ist das Gewissen nicht nur moralischer Indikator, sondern dieses Gefühl versteht er auch als Kraft, das Gute mit positiven Affekten zu besetzen. Das Gewissen versteht Rousseau als die »angeborene Liebe zum Guten«, bzw. als »unwillkührlichen Hang«, der den Menschen zur Beherrschung seiner Leidenschaften und damit »zum Guten treib[t]« (vgl. S. 598). »Das Gute zu erkennen heißt nicht, es lieben: diese Erkenntnis ist dem Menschen nicht angeboren, aber sobald seine Vernunft ihn das Gute erkennen läßt, treibt ihn sein Gewissen, es zu lieben« (S. 593).
Für Rousseau »steht und ordnet sich das Gute in Beziehung zum Ganzen, zur Ordnung des Universums, zum gemeinsamen Zentrum Gott« (vgl. S. 596).42 Gellerts Betrachtungen über die Religion (B.W. S. 261 ff.) zufolge äußert sich im »Gefühl des Gewissens« (S. 261) eine göttliche Stimme (vgl. S. 262), »die mir sagt; dieses sey gut, und jenes böse« (S. 262). Spalding bezeichnet das Gewissen in seiner Schrift Die Bestimmung des Menschen (1749)43 als einen »ehrwürdigen Lehrer und Gesetzgeber« (S. 41. In: Jean-Jacques Rousseau: Emile oder über die Erziehung, hg. v. Martin Rang, Stuttgart 1998, S. 545 ff.. 42. Die Zitate stammen aus dem Artikel Gewissen von Jürgen-Gerhard Blühdorn in: »Theologische Realenzyklopädie«, Bd.8, Berlin und New York 1984, S. 204. 43. Johann Joachim Spalding: Die Bestimmung des Menschen (1749), neu hg. v. Wolfgang Erich Müller, Waltrop 1997. Diese Schrift war zu Fichtes Zeit sehr populär. Sie erschien in dreizehn Auflagen. In dieser Schrift versucht Spalding die Frage zu beantworten, »warum ich da
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16). Auch er formuliert den Gedanken der Manifestation einer »göttliche[n] Stimme« (S. 16) im Gewissen, die die »unveränderlichen Vorschriften des Wahren und Guten« (S. 17) ausspricht. Für Spalding dient das Gewissen der Vervollkommnung des Menschen, indem es ihn auf der Suche nach seiner Bestimmung antreibt und begleitet (vgl. S. 111 ff.).
bin, und was ich vernünftiger Weise seyn soll« (S. 3). Im Jahr 1800 veröffentlicht Fichte eine Schrift mit demselben Titel und mit derselben Zielsetzung. Als Neologe ist für Spalding die Religion nicht primär eine Sache der verstandesmäßgen Gotteserkenntnis, sondern ebenso sehr eine Angelegenheit der Empfindung bzw. des Gewissens. Eine Religion, die auf »den Ueberzeugungen unseres Gewissens«, auf »Rechtschaffenheit und Beruhigung des Herzens« gründet, ist »Ziel und Zweck aller Religionen«, in: Religion, eine Angelegenheit des Menschen, Leipzig, 1799, S. 21. Vgl. dazu auch Spaldings Schrift: Gedanken über den Werth der Gefühle im Christentum, Leipzig 1761.
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Kapitel II Das religiöse Gefühl im Spannungsfeld zwischen christlicher Denkungsart und Spekulation (1790-1792)
Ein Brief Karl Gottlob Fiedlers vom 28.1.1785 an Fichte, sowie Fichtes Diskussionen mit Hartmann Rahn und Nikolaus Achelis (vgl. III,1,167, 171, 193) und seine Aphorismen belegen, daß Fichte von 1784 in philosophisch-spekulativer Hinsicht eine deterministische Weltanschauung vertritt, die in Konkurrenz zu seinem religiösen Denken in den Predigten (1786) steht. Vom wissenschaftlichen Standpunkt ist Notwendigkeit zu dieser Zeit sein Götze (vgl. III,1,9). Aus den Aphorismen geht hervor, daß der in der Bestimmung des Deismus’ (vgl. Aph. 15) zum Ausdruck kommende deterministische Standpunkt Fichtes auf Karl Ferdinand Hommels Schrift Ueber Belohnung und Strafe nach türkischen Gesetzen44 (1772) zurückgeht. 44. Karl Ferdinand Hommel: Ueber Belohnung und Strafe nach türkischen Gesetzen, Bayreuth und Leipzig 1772, neu hg. und mit einer Einleitung versehen v. Heinz Holzhauer, Berlin 1970. Hermann Nohl vertritt in seinen Miscellen zu Fichtes Entwicklungsgeschichte und Biographie erstmals die Auffassung, daß Fichtes deterministischer Deismusbegriff auf Hommels Schrift zurückzuführen ist. Er beurteilt diese Schrift folgendermaßen: »das Buch ist nicht geistlos, man möchte sagen, im Feuilletonstil des 18. Jahrhunderts geschrieben und muß damals sehr gewirkt haben. Goethe hat die 2. Auflage in den Frankfurter Gelehrten Anzeigen graziös besprochen und seine Freiheitslehre dagegen entwickelt«, in: Kant-Studien Bd. 16, Berlin 1911, S. 374. Armin G. Wildfeuer ist ebenfalls der Meinung, daß man Fichtes Charakterisierung des deterministischen Deismus' in Aphorismus 15 in den Aphorismen »durchaus als gelungene, auf die wichtigste Begründungsstruktur reduzierte und präzise Zusammenfassung der im ›Alexander von Joch‹ [Pseudonym für Karl Ferdinand Hommel] [...] vorgetragenen Argumente« betrachten darf. In: Vernunft als Epiphänomen der Naturkausalität. Zur Herkunft und Bedeutung des ursprünglichen Determinismus J. G. Fichtes, in: Fichte-Studien Bd. 9, Amsterdam-Atlanta 1997, S. 68.
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Kapitel II
In den Aphorismen thematisiert Fichte das Gefühl des Gewissens im Kontext des Streites der unterschiedlichen Gottesvorstellungen der christlichen Religion und des deterministischen Deismus bzw. der Spekulation. In dieser Schrift stellt Fichte die christliche Religion und mit ihr das moralisch-religiöse Gefühl, das er dort Gefühl für »Freiheit, Imputation, Schuld und Strafe« (Aph. 13) nennt, in Opposition zu einem deterministisch bestimmten Deismus, demzufolge dieses Gefühl in seiner Funktion als autonome moralische Instanz für die selbstständige Bildung der sittlich-christlichen Gesinnung negiert wird. Im Rekurs auf den Kantischen Freiheitsbegriff in der Kritik der praktischen Vernunft (1788) überwindet Fichte zwar den deterministisch bestimmten Deismus. In den im Anschluß an seine kritische Kant-Rezeption verfaßten Predigten Ueber die Wahrheitsliebe (1792) und vom Zweiten Osterfeiertage, d. 9. Aprill, 1792, in denen er das moralisch-religiöse Gefühl in Übereinstimmung mit seinen früheren Predigten (1786) wieder als Gewissen bezeichnet, ist aber bereits die für die Entwicklung der Wissenschaftslehre so wichtige eigenständige Position in der Bestimmung des Gewissens gegenüber Kant angelegt. II.1
Der deterministisch bestimmte Deismus und seine Folgen für die Bestimmung des Gewissens
Dem deterministischen Deismus zufolge sind alle Gefühlsregungen und Beweggründe des Handelns sowie alle Geschehnisse in der Sinnenwelt durch eine zureichende Ursache bewirkt (vgl. Aph. 15). Für jedes sittliche Fehlverhalten kann der deterministisch orientierte Deist zureichende Ursachen in Form von sozialen oder biologischen Determinanten angeben. Zwar leugnet der deterministisch orientierte Deist das Gewissen nicht, da aber seiner Auffassung nach sowohl die Äußerungen des Gewissens als auch die Handlungen, auf die sich die Äußerungen dieses Gefühls beziehen, notwendig geschehen, mißt er diesem für ihn sinnlosen Gefühl keine weitere Bedeutung bei. Die Evidenz dieses Gedankens leitet er aus dem Tatbestand ab, daß die nicht vorhandene Wahlmöglichkeit des Menschen, sich sittlich oder unsittlich zu verhalten, den Indikator für seine sittlichchristliche Gesinnung überflüssig werden läßt. Der deterministische Deismus macht die für den Anhänger der christlichen Religion in dem Glauben an sein Gewissen enthaltene Einsicht in seine Schuld, sein Bemühen um
Das religiöse Gefühl zwischen Religion und Deismus
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mühen um Besserung, seine Bitte um Vergebung und seinen Versuch der Aussöhnung mit Gott zunichte (vgl. Aph. 18).45 Auf Fichte muß die deterministische Weltanschauung einen starken Eindruck gemacht haben, denn sie deutet sich bereits in seiner Erörterung der Gnadenbemühungen Gottes an den Menschen in der Predigt An Mariä Verkündigung indirekt an (vgl. II,1,55 ff.). Die Gnadenbemühungen versteht Fichte als Prädetermination der Lebensumstände durch Gott: »Denkt euch einen Unglücklichen [...] der einen schlechten Verstand mit einem unfühlenden Herzen vereinigte, den seine Erziehung zu falschen Grundsätzen, u[nd] zu Lastern einweihete, u[nd] der sündigen lernte, ehe er wuste was Sünde war, den böse Gesellschaft noch mehr verderbte, u[nd] den das Glück, u[nd] die Freude der Lust, in der Lust zu den Lastern bestärkte: denkt euch die Größe seines Verderbens ... Denkt euch einen Glückl[ichen] der einen guten Verstand mit einem biegsamen Herzens vereinigt, den die vortreflichste Erziehung, u[nd] der Umgang der tugendhaftesten Menschen bildete, dem jedes seiner irrdischen Schicksaale eine Regel der Klugheit, der Vorsicht, u[nd] der Aufmerksamkeit auf die ihn leitende Vorsehung wurde! wieviel leichter wird dem, durch alles gestärkt, der Kampf werden, wieviel schwächer wird sein Verderben sein, wieviel höher wird er in der Tugend steigen [...]« (II,1,60 / 61).
Für Fichte stellt sich in dieser Predigt das Problem, wie die göttlichen Gnadenbemühungen mit der Selbstbestimmung des Menschen zu vereinbaren sind. Hier versucht er dieses Problem dadurch zu entschärfen, daß er die Vorsehung Gottes nicht als blindes, kontingentes Verhängnis und nicht als absolute, sondern nur als relative Determination des Menschen in soteriologischer Absicht denkt. Fichte zufolge richtet Gott den einzelnen Menschen danach, ob er die im Rahmen seiner Möglichkeiten gegebenen Anläße zu sittlich-christlichem Verhalten auch genutzt hat. Durch die Vorsehung ist die soziale Situation des Menschen tendenziell festgelegt und dadurch wird, so Fichte, die Ausprägung des Gewissens in eine gewisse Abhängigkeit von den sozialen Verhältnissen gestellt, in denen der Mensch aufwächst. Der Mensch ist in den einzelnen Handlungen, die ihm im Rahmen des vorgegebenen sozialen Umfeldes möglich sind, frei, den 45. Rückblickend schreibt Fichte nach seiner Überwindung des deterministisch bestimmten Deismus durch Kants Kritik der praktischen Vernunft in einem Brief an Nikolaus Achelis vom 29. November 1790: »Es ist mir sehr einleuchtend, daß aus dem angenommenen Saze der Nothwendigkeit aller menschl[ichen] Handlungen sehr schädl[iche] Folgen für die Gesellschaft fließen, daß das große Sittenverderben der sogenannten beßeren Stände größtentheils aus dieser Quelle entsteht« (III,1,193 f.).
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Kapitel II
Regungen seines angeborenen Gewissens Folge zu leisten. Mit diesem Verständnis von Vorsehung läßt sich für Fichte die Bestimmug des Gewissens als moralisch-religiöse Instanz vereinbaren. In der Predigt An Mariä Verkündigung vermeidet es Fichte allerdings, von Freiheit zu sprechen.46 In den Aphorismen formuliert er dagegen ausdrücklich den Gedanken, daß die in der christlichen Religion gedachte sittlich-christliche Vervollkommnung des Menschen mittels des Gewissens Freiheit voraussetzt. Im Kontext von Freiheit und Gewissensbildung besteht Fichte auf einer notwendigen Wechselbestimmung von Gewissensbildung und Freiheit und bezeichnet das Gewissen als Gefühl für »Freiheit, Imputation, Schuld und Strafe« (Aph. 13). Der deterministische Deismus, der die Freiheit des Menschen und damit den Sinn des Gewissens negiert, läßt Fichtes Verständnis von der christlichen Religion erheblich ins Wanken geraten. So stehen sich in den Aphorismen die christliche Religion und der deterministische Deismus, d.h. die Spekulation, unversöhnlich gegenüber. Die einander entgegengesetzten Gottesvorstellungen von Religion und Deismus führen bei Fichte unmittelbar zum Gegensatz von Gefühl und Denken. Vorbereitet wird diese strikte Trennung von Gefühl und Denken in den Bestimmungen der christlichen Religion bzw. der »Religion des Herzens« und der Verstandesreligion in den Predigten von 1786. In den Aphorismen charakterisiert Fichte die christliche Religion nicht mehr wie noch in seinen Predigten von 1786 durch das typische Zusammenspiel von Gefühl und Denken, sondern er reduziert nun die christliche Religion ganz auf das Gefühl (vgl. Aph. 12). Den Part des Denkens überläßt er nun vollständig dem Deismus. So vertritt Fichte in den Aphorismen die Auffassung, daß »die Grundsätze der Religion [...] mehr auf Empfindungen, als auf Ueberzeugungen« (Aph. 12) beruhen und sie daher »ohne die geringste Zumischung von philosophischem Raisonement« (Aph. 2) zustande kommen. 46. Die Tatsache, daß Fichte in der Predigt An Mariä Verkündigung nicht von der Freiheit spricht, wertet Reiner Preul als Indiz dafür, daß er die Begriffe Freiheit und Vorsehung für einander auschließende Begriffe angesehen hat (a.a.O. vgl. S. 102). Reiner Preul bezeichnet die Vorsehung als »synthetisches Mittelglied« (S. 107) zwischen Religion und Deismus. Zu Fichtes Bestimmung der Vorsehung vgl. bei Reiner Preul a.a.O. S. 96 ff.. Zu Fichtes Bestimmung des sozialen Umfeldes des Menschen vgl. auch die sozialkritische Studie Zufällige Gedanken in einer schlaflosen Nacht (1788), in denen Fichte sich auf Christian Gotthilf Salzmanns Roman Carl von Carlsberg oder über das menschliche Elend (Carlsruhe 1784-88) und auf Christian Sintenis‘ Roman Hallo‘s glücklicher Abend (Leipzig 1783) sowie auf Johann Heinrich Pestalozzis Roman Lienhard und Gertrud. Ein Buch für das Volk (1.T. Berlin und Leipzig 1781, 2. T. Frankfurt u. Leipzig 1783) bezieht.
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Für die Religion gelte der Empfindungssatz (vgl. Aph. 10), »daß Sünde sey, und daß der Sünder nicht anders, als nach gewissen Aussöhnungen, sich Gott nähern könne« (Aph. 9). Dieser Satz gründet nach Fichte in der »allgemeinen Empfindung der nicht speculirenden Menschheit« (Aph. 9). Gegenstände der Empfindung sind für Fichte anthropomorphe Vorstellungen von Gott (vgl. Aph. 5), der Mitleiden und Freundschaft fühlt (vgl. Aph. 4). Der christlichen Religion schreibt er das Gefühl für »Freiheit, Imputation, Schuld und Strafe« (Aph. 13) zu. Das spekulative Vorgehen des Deisten nimmt dagegen auf die für die christliche Denkungsart so wichtigen Regungen des Gefühls keinen Bezug, sondern gründet sich allein auf logisch und emprisch nachvollziehbare Schlüsse. Der oberste Grundsatz des rein deistischen Systems (vgl. Aph. 15) entspricht nach Fichte dem Satz des zureichenden Grundes, demzufolge sowohl das physikalische Geschehen in der Sinnenwelt als auch das moralische Handeln des Menschen durchgängig kausal erklärbar sind, vom Gott des Deismus geht jede kausale Bestimmtheit aus. Einen solchen Gott versteht Fichte als »unveränderliches, keiner Leidenschaft fähiges Wesen« (Aph. 4), das »gar keinen Berührungspunkt« (Aph. 4) mit dem Menschen hat. Den Gott des deterministisch orientierten Deisten charakterisiert Fichte genauer folgendermaßen: »a) es ist ein ewiges Wesen, dessen Existenz, und dessen Art zu existiren nothwendig ist b) nach und durch den ewigen und nothwendigen Gedanken dieses Wesens entstand die Welt c) jede Veränderung in dieser Welt wird durch eine zureichende Ursache nothwendig so bestimmt, wie sie ist [...] d) Auch jedes denkende und empfindende Wesen also muß nothwendig so existieren, wie es existiert. – Weder sein Handeln, noch sein Leiden kann ohne Widerspruch anders seyn, als es ist e) Was die gemeine Menschen=Empfindung Sünde nennt, entsteht aus der nothwendigen, größern oder kleinern Einschränkung endlicher Wesen« (Aph. 15).47
Fichte formuliert die Gottesvorstellung des deterministisch orientierten Deisten auf der Grundlage der Hommelschen Schrift Ueber Belohnung und Strafe nach türkischen Gesetzen. Im Unterschied zu Fichte spricht Hommel aber nicht von einem Gefühl für »Freiheit, Imputation, Schuld und Strafe« (Aph. 13), sondern nur von einem »Gefühl der Freyheit« (§ 47. In den Aphorismen sind die Begriffe Gefühl und Empfindung für Fichte identisch. Erst in der Grundlage differenziert er zwischen diesen beiden Begriffen. Dort vertritt er die Auffassung, daß es sich bei der Empfindung um ein reflektiertes Gefühl handelt.
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Kapitel II
23), welches für Hommel eine physikalisch erklärbare Täuschung (vgl. §§ 7, 135) darstellt. Ein sittlich-christliches Gefühl im Sinne einer moralischen Instanz ist für Hommel undenkbar, da er von vornherein jede sittliche Selbstbestimmung negiert. Ihm geht es grundsätzlich darum, die Unfreiheit des Menschen nachzuweisen. Im Gegensatz zu Fichte nimmt Hommel an der Determination der Äusserungen des Gefühls keinen Anstoß, weil für Hommel das Gefühl keine konstitutive Rolle innerhalb seines Religionskonzeptes einnimmt. Für Hommel stellen die christliche Denkungsart des natürlich-menschlichen Bewußtseins und die Spekulation des Deisten keinen unüberwindbaren Widerspruch dar, sondern sie können in der Person des Philosophen vereinigt werden. Diese Ambivalenz ist für Hommel innerhalb derselben Person möglich, weil er den Philosophen als Amphibion (vgl. § 137), d.h. als einen Bürger zweier Welten (vgl. §§ 117,137, 139, 141, 186b) versteht. Der Philosoph sei sowohl Mensch als auch Gelehrter. Auf der Ebene der philosophischen Spekulation sei der Philosoph in der Lage, das »Gefühl der Freyheit« (§ 23) als eine Täuschung der Natur anzuerkennen, während er auf der Ebene des natürlichen, nicht spekulativen Bewußtseins zugleich aus dieser Täuschung Nutzen ziehen könne. Hommel zufolge reflektiert der Philosoph auf dem Standpunkt des natürlichen Bewußtseins nicht darauf, daß das »Gefühl der Freyheit« (§ 23) eine Täuschung ist. Hier glaube der Philosoph ebenso wie der Töpfer (vgl. § 43), er sei frei und für seine Taten verantwortlich. Das »Gefühl der Freyheit« (§ 23) ist für Hommel eine »unerkannte Gnade« (§ 130) Gottes, die er dem in der Spekulation ungeübten Menschen zu Teil werden läßt. Infolge dieser Illusion verzweifele der Mensch nicht an dem kausalen Zwang der biologischen und sozialen Determinanten, sondern glaube an seine Entscheidungsfreiheit, an die Zurechenbarkeit seiner Handlungen und an die Wirkungen von Belohnung und Strafe (vgl. § 110) zur Bildung seiner zukünftigen sittlichen Gesinnung (vgl. § 135). Auf der Ebene des spekulativen Bewußtseins nimmt der Philosoph keinen Anstoß an dem kausalen Zwang, denn der Philosoph halte sogar die Autonomie des Willens für gefährlich (§ 189). Sie sei »der gerade Weg zur Hölle« (§ 189). Hommel vertritt die Auffassung, daß die Autonomie des Willens den »Saz vom zureichenden Grunde aufhebt, welches doch [für den Philosophen] der einzige Weg [sei], der [...] stufenweise zur Schöpfung, folglich zu Got führet« (§ 189). Fichte setzt in seiner Darstellung des deterministischen Deismus‘ Gott nicht als gnädiges Wesen, das dem Menschen in heilsvoller Absicht
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den Glauben an die Wahrheit des »Gefühl[s] der Freyheit« (§ 23) schenkt, damit dieser sein Dasein in der Welt bewältigen kann. Außerdem ist die Vorstellung des Philosophen als Amphibion (vgl. § 137) für Fichte undenkbar. In seiner Darstellung des deterministisch orientierten Deismus entzieht er vielmehr alles Moralische dem kausalen Zusammenhang und trennt scharf zwischen der christlichen Denkungsart des nicht spekulierenden Bewußtseins und der philosophisch-spekulativen Denkweise des deterministisch orientierten Deisten. Das aber zu gleichen Teilen ein widerspruchsloses Verhältnis von Gefühl und Rationalität in einem Menschen existiert, wie Hommel dies in seiner doppelten Betrachtung des Philosophen in seiner Eigenschaft als ein Bürger zweier Welten annimmt, vermag Fichte nicht nachzuvollziehen.48 Seine Aphorismen enden daher in einer Aporie. Denn wird der deterministisch orientierte Deist das Gefühl für »Freiheit, Imputation, Schuld und Strafe« (Aph. 13) als Wirkung einer »zureichende[n] Ursache« (Aph. 15) deuten, so negiert er zugleich dieses Gefühl in seinen Funktionen als konstitutives Moment der christlichen Religion und als moralische Instanz. Jedoch durchlebt der deterministisch orientierte Deist auch solche Zustände, in denen sich »das Herz [...] an der Speculation rächt; wo es sich zu dem als unerbittlich anerkannten Gotte mit heißer Sehnsucht wendet, [...] wo die Empfindung einer sichtbaren Hülfe, einer fast unwidersprechlichen Gebets=Erhöhrung das ganze System zerrüttet« (Aph.17).
Dies ist der Augenblick, in dem sich der deterministisch orientierte Deist in einer ausweglosen Situation erlebt. Er kann den Regungen seines Gefühls für »Freiheit, Imputation, Schuld und Strafe« (Aph. 13) auf Grund seiner eigenen philosophischen Theorie nicht vertrauen. Da die eigene philosophische Position für den deterministisch orientierten Deisten »objective Gültigkeit« (Aph. 10) besitzt, ist es »ihm unmöglich, zu glauben« (Aph. 18). »Das einzige Rettungsmittel« aus dieser Aporie sei, so Fichte, »sich jene Speculationen über die Gränzlinie hinaus abzuschneiden« (Aph. 18). Daraus folgt aber die Konsequenz, daß die christliche Religion 48. Karl Gottlob Fiedler Fiedler weist Fichte in seinem Brief vom 28. Januar 1785 auf Christian August Crusius' Ausführliche Abhandlung vom zureichenden oder besser determinierenden Grunde (Leipzi 1766) hin. Crusius' Argumentationen haben Fichte nicht überzeugt. Sie stellen für ihn keine Alternative zu Hommels Deismus dar. Fichte wirft Crusius vor, Religion und Deismus nicht klar genug zu differenzieren. Crusius' Lehre bezeichnet Fichte im Aphorismus 14 als »religiöse Phanatasie«.
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zur Volksreligion (vgl. Aph. 16) der nicht spekulierenden Menschheit absinkt, so daß dem deterministischen Deisten zufolge für den aufgeklärten Menschen die christliche Religion lediglich »eine Religion guter und simpler Seelen« (Aph. 12) darstellt. II.2
Fichtes Rezeption des Kantischen Freiheitsbegriffs in der Kritik der praktischen Vernunft
Fichtes Bestimmung des moralischen Gefühls in den Aphorismen macht deutlich, daß für ihn Rousseaus, Gellerts und Spaldings Bestimmungen des moralischen Gefühls, die ihm in den Predigten von 1786 zum Vorbild dienten, der philosophisch-spekulativen Bestimmung dieses Gefühls durch den Deterministen alleine nicht standhalten können. Daher schreibt Fichte in dieser Schrift dem Gefühl für »Freiheit, Imputation, Schuld und Strafe« (Aph. 13) nur subjektive Gültigkeit ( vgl. Aph. 9 u. 10) zu. Erst die Rezeption des Kantischen Freiheitsbegriffs in der Kritik der praktischen Vernunft erlöst Fichte aus der Aporie zwischen Religion und Spekulation.49 50 49. Obwohl Fichte in seinen Aphorismen in einer Anmerkung zu Aphorismus 15 Kants Verteidigung der Freiheit in der Kritik der reinen Vernunft für die scharfsinnigste (vgl. Aph. 15) hält, die je unternommen wurde, kann sie ihn nicht von der »Unhaltbarkeit des Hommelschen Determinismus« überzeugen. Der Begriff der Freiheit kommt bei Kant in der Kritik der reinen Vernunft nur als denkmögliche Alternative zur Kausalnotwendigkeit vor. In der dritten Antinomie äußert Kant, dass er nicht die Wirklichkeit (vgl. B 586) von Freiheit habe beweisen wollen (vgl. B 586). Der Begriff der Freiheit wird von ihm dort nur als »transzendentale Idee behandelt« (B 586). Indem Kant die Freiheit als noumenales Vermögen des Subjekts von dessen kausaler Determination in der Natur trennt (vgl. B 572), will er in der Kritik der reinen Vernunft nachweisen, daß es widerspruchsfrei möglich ist, den Willen des Subjekts einerseits, sofern er Erscheinung ist, als kausal determiniert und andererseits, sofern er als Ding an sich selbst verstanden wird, als frei zu denken. Kant beansprucht damit, in der Kritik der reinen Vernunft zu zeigen, »daß Natur der Kausalität aus Freiheit wenigstens nicht widerstreite« (B 586). (Vgl. zu dieser Problematik bei Kant: Wolfgang Janke: Historische Dialektik Destruktion dialektischer Grundformen von Kant bis Marx, Berlin, New York 1977, S. ff.) Aus Fichtes Anmerkung zu Aphorismus 15 geht hervor, daß Fichte Kants Differenz zwischen der intelligiblen Welt, in der die Freiheit als »transzendentale Idee« (B 586) gedacht wird und der Welt der Erscheinungen (vgl. B 586), in der die Naturnotwendigkeit herrscht, nicht folgen will. Da Fichte zur Zeit der Abfassung der Aphorismen »das Kausalprinzip verabsolutiert« und die »Freiheit apodiktisch« verneint, ist er der Auffassung, daß Kant in der Kritik der reinen Vernunft nur nur durch eine »Inkonsequenz« seiner Erörterungen die Möglichkeit der Freiheit behauptren konnte (vgl. dazu Armin G. Wildfeuer a.a.O. 1997, S. 76). Kant hat Fichte zufolge »in der fortgehenden Reihe [seiner] Schlüsse zuweilen inne [ge]halten, um mit neuen Principien, die [er] sich irgendwoher [hat] geben lassen, eine neue Reihe an[ge]fangen. So ist [...] [Fichte zufolge Kant] der Begriff der Freiheit überhaupt irgendwo anders her [von der Empfindung, ohne Zweifel] gegeben, und er thut in seinem Beweise nichts, als ihn rechtfertigen und erklären: da er im Gegentheil in ungestört fortlaufenden Schlüssen aus den ersten Grundsätzen der menschlichen Erkenntniß nie auf einen Begriff von der
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In seiner zweiten Kritik versucht Kant die Freiheit als reale Bedingung des von ihm als Faktum der Vernunft behaupteten Sittengesetzes nachzuweisen. Durch Kants Theorem von Freiheit und Sittengesetz wird für Fichte die philosophische Theorie des deterministisch orientierten Deisten widerlegt. Die Auseinandersetzung mit dem Kantischen Freiheitsbegriff in der Kritik der praktischen Vernunft führt zu einer Revolution (vgl. III,1,193) seiner gesamten Denkungsart, denn die Kantische Auffassung von dem unzertrennlichen Zusammenhang des Moralprinzips mit der Freiheit erlöst Fichte von seinen »falsche[n]Grundsätze[n]« (III,1,195) durch die er die ganze Moral ableugnen (vgl. III,1,194) mußte.51 Da Freiheit für Fichte Art würde gekommen seyn« (Anm. zu Aph. 15). In diesem Zusammenhang vertritt Armin G. Wildfeuer die These, daß Fichte »Kants Begriff der Empfindung zur Reinterpretation der Hommelschen Erklärung des Freiheitsgefühls« (a.a.O. 1999, S. 378) als Täuschung benutzt. Zum Zeitpunkt der Abfassung der Aphorismen erklärt Hommel nach Fichte überzeugend, daß die Empfindung für die Freiheit einen Betrug der Sinne und eine Fiction (vgl. § 135) ist. In der Kritik der reinen Vernunft wird Empfindung als die Materie der Anschauung, die auf Affektion der Sinnlichkeit durch die Dinge an sich beruht, definiert. Die Empfindung ist die »Wirkung eines Gegenstandes auf die Vorstellungsfähigkeit, sofern wir von demselben affiziert werden« (B 34). »Ganz im Sinne einer deterministischen Vernunftkonzeption Hommels mußte Fichte daher auch die KrV als Theorie der Unterwerfung des endlichen Vernunftwesens unter eine kausal-deterministische Naturordnung gelesen haben« (a.a.O. S. 378 f.). 50. Der äußere Anlaß zu Fichtes Studium der Kantischen Philosophie besteht darin, daß ihn während seines Aufenthaltes in Leipzig im Jahr 1790 ein Student bittet, ihn in der Philosophie Kants zu unterrichten. Da Fichte zu diesem Zeitpunkt in finanziellen Schwierigkeiten ist, nimmt er dieses Angebot an und macht sich innerhalb weniger Wochen mit den Kritiken Kants vertraut. Vgl. dazu den Briefentwurf Fichtes an Dietrich von Miltitz in Dresden von Anfang August 1790 (III,1,165). Aus seiner Beschäftigung mit der Kantischen Philosophie gehen Der Transcendentalen Elementarlehre. Zweiter Theil (1790) und der Versuch eines erklärenden Auszugs aus Kants Kritik der Urtheilskraft (1790/1) hervor. Vgl. dazu auch Konrad Lindner: Vom Begriff der Freiheit – Fichtes Leipziger Kant-Studien (1790), in: Fichte-Studien Bd. 9 Amsterdam-Atlanta 1997, S. 19 ff.. – Fichte setzt sich auch nach der Überwindung des philosophischen Systems des Deismus‘ durch Kants Kritik der praktischen Vernunft mit Hommels strengem Determinismus auseinander. So bezieht er sich in dem im Anschluß an seine Kant-Rezeption entstandenen Versuch[es] einer Kritik aller Offenbarung beigefügten Theorie des Willens auf Hommels deterministische Weltsicht (vgl. I,1,139). Die philosophische Position Hommels stellt dort eine Gegenposition zu Fichtes eigener, nun idealistischer Philosophie dar. Mit der Theorie des Willens kann er Hommel zum ersten Mal auf philosophisch-spekulative Weise entgegentreten. In seinem Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre (1797) und in der nova methodo grenzt Fichte seine Wissenschaftslehre als das »System der Freiheit« gegen das »System der Notwendigkeit«, unter dem der den Determinismus Hommels versteht, ab. Diese Abgrenzung expliziert Fichte in diesen Formen der Wissenschaftslehre im Rahmen der Gegenüberstellung von Idealismus und Dogmatismus. Anklänge an Hommels Lehre finden sich bei Fichte auch im ersten Buch der Bestimmung des Menschen (1800). 51. In einem Brief 7. September 1790 an Friedrich August Weißhuhn schreibt Fichte: »Ich lebe in einer neuen Welt, seitdem ich die Kritik der praktischen Vernunft gelesen habe. Sätze, [...] von denen ich glaubte, sie könnten mir nie bewiesen werden, z.B. der Begriff einer absoluten Freiheit, der Pflicht u.s.w. sind mir bewiesen, und ich fühle mich darum nur um so froher«
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Kapitel II
durch Kant wieder gewiß ist, bezeichnet er in Übereinstimmung mit den Predigten von 1786 das moralische Gefühl in den Predigten zum Zweiten Osterfeiertage, d. 9. Aprill 1792 und Ueber die Wahrheitsliebe wieder als Gewissen und nicht mehr als Gefühl für »Freiheit, Imputation, Schuld und Strafe« (Aph. 13). Wenn Freiheit möglich ist, sind die Gefühlsregungen und die Beweggründe zu Handlungen nicht mehr länger notwendige Wirkungen zureichender Ursachen (vgl. Aph. 15). Die ehemals im Kontext christlicher Religion vollzogene Bestimmung des Gefühls als moralische Instanz und die damit einhergehende sittlich-christliche Selbstbestimmung werden nun für Fichte wieder mit Sinn erfüllt. Der Rezeption der Kantischen Kritik der praktischen Vernunft verdankt Fichte die Kontinuität in seinem Denken zu den Jugendschriften. Die Predigten von 1792, die unmittelbar im Anschluß an seine Kant-Rezeption entstehen, machen dies deutlich. Sie zeigen aber auch, daß Fichte ignoriert, daß bei Kant das Gewissen kein Gefühl, sondern die »sich selbst richtende moralische Urtheilskraft« (RGV, S. 219) ist. Sittlichkeit läßt sich für Kant nicht durch ein moralisches Gefühl begründen (vgl. KpV, S. 89). Kant bezeichnet zwar in der Kritik der praktischen Vernunft das Gewissen als Ankläger des Unrechts (vgl. KpV, S. 176), das der Mensch »im Gebrauche seiner Freiheit« (KpV, S. 176) verübt. An diese Formulierung lehnt sich Fichte in der Predigt Ueber die Wahrheitsliebe auch an, indem er dort die Stimme (vgl. II,2,156) des Gewissens »als den einzigen Richter über das, was recht oder unrecht ist« (II,2,156) bezeichnet.52 Im Unterschied zu Kant ist für Fichte jedoch das Gewissen eine fühlbare moralische Instanz, die das »einzige höchste Gesetz [...]« (III,1,167). Fichte bittet daher seine zukünftige Frau, Marie Johanna Rahn: »Sage Deinem theuren Vater [Hartmann Rahn] [...] wir hätten uns bei unsern Untersuchungen über die Nothwendigkeit aller menschlichen Handlungen, so richtig wir auch geschlossen hätten, doch geirrt, weil wir aus einem falschen Principe disputirt hätten« (III,1,167). Fichte sagt von sich selbst und Hartmann Rahn, daß sie sich durch die »scheinbare Konsequenz« (III,1,171) des Determinismus haben täuschen lassen. An Friedrich August Weißhuhn schreibt Fichte weiterhin: »Ehrliche Leute habe ich genug gefunden, die anders, nicht dachten, – das konnten sie überhaupt nicht, – sondern fühlten« (III,1,167). Auf Grund von Kants Freiheitsbegriff glaubt Fichte wieder an die Verbindlichkeit des moralischen Gefühls. Er fordert daher Marie Johanna Rahn auf: »Glaube nur hinfort an Dein Gefühl« (III,1,171). Henrich Nikolaus Achelis gesteht Fichte in einem Brief vom 29. November 1790 ein: »Sie leitete ihr unverdorbnes sittl[iches] Gefühl beßer, als mich mein Räsonement« (III,1,193). 52. In der Predigt Ueber die Wahrheitsliebe interpretiert Fichte den von Jesus verheissenen »Geist der Wahrheit« (II,2,152) als Ausspruch des Gewissens (vgl. II,2,156), den er als »Beifall [des] eigenen Herzens« (II,2,153) bezeichnet. Das Gewissen versteht er dort als »das in uns allen eingepflantzte Gefühl« (II,2,153), das nie täuschen kann, sofern das Herz nur von reiner Wahrheitsliebe (vgl. II,2,153) erfüllt ist.
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(II,2,155) darstellt, nach dem der Mensch seine Handlungen zu prüfen habe. In diesem Sinne bezeichnet er in der Predigt vom Zweiten Osterfeiertage, d. 9. Aprill 1792 das Gewissen als das »Gefühl des Rechts u[nd] Unrechts« (II,2,139), das in »jedem Menschen« (II,2,139) »unaustilgbar eingeprägt« ist (II,2,139). Daran wird deutlich, daß sich Fichtes Bestimmung des Gewissens in den Predigten von 1792 sowohl aus vorkantischen als auch aus kantischen Denkmotivem zusammensetzt. Vorkantische Bezugspunkte sind Rousseaus, Gellerts und Spaldings Interpretationen des Gewissens als fühlbarer Indikator der Sittlichkeit und Religion. Von Kant übernimmt er die Gewißheit der Freiheit, der das Gewissen als das einzige, höchste und damit auch von allen anderen Einflüßen unabhängige Gesetz (vgl. II,2,155) notwendig bedarf. Die enge Verbindung von Moral und Religion im Begriff des Gewissens bricht bei Fichte 1793/4 in den Schriften aus der Entstehungssphäre der Wissenschaftslehre auf. Im System der Wissenschaftslehre erörtert er zunächst den moralischen Gehalt dieses Gefühls. Erst in den Schriften zum Atheismusstreit (1798) greift er auf die in den Predigten thematisierte Verbindung von Moral und Religion zurück und weist im Rahmen seines Systems nach, daß Moral und Religion nicht voneinander zu trennen sind.
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Kapitel III Die Grundlegung der moralischen und erkenntnistheoretischen Funktion des Gefühls durch das »Prinzip aller Philosophie« (1793/4)
Die Schriften, die Fichte im Anschluß an seine Kantrezeption verfaßt hat, fallen in die Entstehungssphäre der Grundlage. In ihnen spiegeln sich seine Reflexionen über die Aufstellung eines gegenüber Kant eigenständigen philosophischen Standpunktes wider. Hier geht es ihm darum, ein transzendentales Prinzip der Philosophie zu entwickeln, worunter er das obere Begehrungsvermögen, bzw. den reinen Willen versteht. Dieses Prinzip ist für die Weiterentwicklung des moralischen Gefühls insofern von großer Bedeutung, als daß Fichte mit dem Vorhaben, das moralische Gefühl von diesem Prinzip abzuleiten, ein Fundament für die Gewißheit der sittlichen Selbstbestimmung, die sich im moralischen Gefühl manifestiert, schaffen will, um damit zugleich das moralische Gefühl als Indikator der sittlichen Qualität von Handlungen zu bestätigen. Die Erörterung des moralischen Gefühls ist bei Fichte ein entscheidendes Moment für die Entstehung der in Auseinandersetzung mit Reinholds Kant-Kritik entwickelten Systemphilosophie. Einerseits initiiert die Frage nach einem evidenzsichernden Grund dieses Gefühls die Entwicklung der Systemphilosophie, in der dieser Grund aufgestellt wird. Andererseits ist es innerhalb der Systemphilosophie in formaler Hinsicht von Bedeutung, weil es zwischen dem transzendentalen Prinzip, d.h. dem reinen Willen und dem empirischen Willen des Subjekts als Medium (vgl. I,1,34), d.i. als Vermittler, fungiert und so innerhalb der philosophischen Theorie selbst, die transzendentale mit der empirischen Untersuchungsebene verbindet. Für das empirische Ich ist das
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moralische Gefühl sowohl qua übersinnlichem Grund Anzeiger der intelligiblen Welt als auch zugleich Ausdruck seiner je bestimmten Befindlichkeit, weil dieses als empirisches Ich immer in einer konkreten Situation in der Sinnenwelt handelt. Da der Untersuchungsgegenstand der Systemphilosophie der menschliche Geist ist, decken sich im moralischen Gefühl die theorieimmanente und die das unmittelbare Leben des Subjekts betreffende Vermittlung von transzendentaler und empirischer Ebene. Diese Vermittlungsleistung des Gefühls erörtert Fichte in kritischer Auseinandersetzung mit der Kantischen Bestimmung des Verhältnisses zwischen dem Sittengesetz und dem moralischen Gefühl der Achtung. Die Opposition zu Kant zeigt sich nicht nur in der Übertragung der aus den Predigten bereits bekannten Bestimmung des moralischen Gefühls als Indikator der Sittlichkeit auf das Gefühl der Achtung, sondern vor allem in der Deduktion dieses Gefühls von einem Prinzip der Philosophie, mit der Fichte die Kantische »Zwei-Welten-Lehre«, d.i. die Trennung von intelligibler und empirischer Welt, in der Einheit des Bewußtseins überwinden will. Auf die Bestimmung des moralischen Gefühls der Achtung bezieht sich Fichte nur in der Theorie des Willens und in der Gebhard-Rezension. In der Sittenlehre spricht er von einem Trieb des Subjekts zur Sittlichkeit, so daß er das moralische Gefühl in seiner Eigenschaft als »Triebfeder jeder rein moralischen Handlung« (I,1,34) nicht mehr benötigt. Fichtes Rekurs auf das moralische Gefühl als Triebfeder ist daher nur von marginaler Bedeutung und Folge seiner Auseinandersetzung mit Kant und Gebhard, der sich seinerseits an Kant orientiert. Zwar ist es Fichte in der Theorie des Willens nicht gelungen, das moralische Gefühl als Vermittler von übersinnlicher und empirischer Welt zu sichern, dennoch tritt hier bereits eine grundlegende Funktion des moralischen Gefühls zutage, die in seiner Lehre vom inteligiblen Gefühl in der nova methodo konstitutive Bedeutung für die Konstruktion dieser Fassung der Wissenschaftslehre gewinnt. Ungeachtet der Schwierigkeiten, in die Fichte in der Theorie des Willens mit der Ausführung seiner Idee, das moralische Gefühl als Medium der Einheit von transzendentalem und empirischem Willen anzusetzen gerät, verschafft ihm diese Idee die Möglichkeit, ein von Kant unabhängiges Gegenmodell zu Hommels deterministisch geprägter Bestimmung dieses Gefühls aufzubauen. So präzisiert Fichte in der Gebhard-Rezension erneut die Einheit von moralischem Gefühl und dem »Princip aller Philosophie« (I,1,140), das er dort »Fundament alles philosophischen Wissens« (I,1,28) nennt. In dieser Rezension beschränkt er sich auf den Aufweis der
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Gebhardschen Argumentationsfehler und zeigt daran, wie das Verhältnis zwischen moralischem Gefühl und Prinzip nicht zu denken ist. Diese negative Bestimmung ist jedoch insofern von Bedeutung, als daß sich hier Fichtes Annahme, das moralische Gefühl sei unmittelbarer Ausdruck des Prinzips, auf dem ›richtigen Weg zu sein‹ deutlich hervortritt. Diese Sicherheit drückt sich ebenfalls im Beitrag in der Nachdrücklichkeit aus, mit der er die praktische Relevanz der durch die Einheit von Prinzip bzw. der in ihm gedachten »reinen, ursprünglichen Form« (I,1,219) des Selbst und moralischem Gefühl gewährleisteten Gewißheit der sittlichen Selbstbestimmung auch auf den politischen Bereich ausdehnt. Den lückenlosen Nachweis der Einheit von Prinzip und moralischem Gefühl kann er jedoch erst ab der Sittenlehre führen. Der Weg dorthin verläuft nicht mehr über detaillierte Einzeluntersuchungen des moralischen Gefühls im Hinblick auf Religion, Sittlichkeit und Politik, sondern vielmehr über die Frage nach den Entstehungsbedingungen von Wissen schlechthin. Zunächst soll die Autonomie des Wissens überhaupt geklärt werden, bevor das spezifisch sittliche Wissen erörtert wird. Es wird auf den Grund des Wissens überhaupt zurückgegangen. Diese Tendenz zeichnet sich in der Begriffsschrift ab, bei der es sich um eine Einleitungsschrift in die Grundlage handelt, die Fichte als Rekonstruktion des Systems des menschlichen Geistes versteht. Hier wird das moralische Gefühl mit einem Gefühl ganz anderer Art konfrontiert, das unvermittelt in die Untersuchung eingeführt wird und dort auch noch keinen Namen trägt. In dieser Einleitungsschrift wird deutlich, daß das Objektbewußtsein ursprünglich an ein Gefühl gebunden ist. Einer Einleitungsschrift entsprechend ist die Funktion des Gefühls für die Vorstellung nur fragmentarisch bestimmt. Dennoch wird deutlich, daß es sich nicht um das moralische Gefühl handelt. Das moralische Gefühl bezeichnet er dort ausdrücklich als Wahrheitsgefühl. Das Wahrheitsgefühl behandelt er in einem ganz anderen Kontext, indem er es auf die »Gemüthstimmung [des Philosophen] in der Speculation« (I,2,160) bezieht und es in die »Beschreibung des Gesichtspunctes, aus welchem der transscendentale Philosoph alles Willen erblickt« (I,2,160) einbindet. Die praktische Funktion nimmt im Verhältnis zur theoretischen Funktion des Gefühls eine Metaebene ein. In dieser Schrift weist er dem Gefühl zwar generell seinen Ort im System des menschlichen Geistes an, aber er zeigt hier nicht die Verbindungen zwischen der theoretischen und der praktischen Funktion des Gefühls in der Einheit des Subjekts auf. Denoch deutet sich im Blick auf spätere Schriften hier bereits ein Fundament bzw. ein gemeinsamer Grund beider Gefühle an.
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III.1 Die Bedeutung des moralischen Gefühls der Achtung in Fichtes Willenslehre (1793) Die Fragestellung der Theorie des Willens ergibt sich aus der ersten Auflage der Schrift Versuch einer Kritik aller Offenbarung (1792)53, in der sich Fichte auf die in den Aphorismen aufgestellte Differenz zwischen christlicher Religion und Spekulation, bzw. zwischen religiöser Praxis und Theologie bezieht. Nach seiner Kant-Rezeption geht es ihm in seinem Bemühen um einen eigenen philosophischen Standpunkt nicht mehr nur um die Überwindung des Determinismus schlechthin, sondern vielmehr auch um die Lösung des Problems, wie die in den Aphorismen mit dem Determinismus verknüpfte Spekulation mit der Religion, d.h. mit der sittlich-christlichen Selbstbestimmung im Subjekt vereinigt werden kann und wie das Subjekt die Einheit von Praxis und Ratio erlebt.54 Fichte zufolge wird in der Theologie die transzendentale Einheit von theoretischer und praktischer Vernunft gedacht, indem diese Einheit unter den Begriff des Sittengesetzes gebracht wird. Da aber die Theologie nur den theoretischen Gedanken der sittlichen Selbstbestimmung enthält, ist sie selbst »ohne praktischen Einfluß« (I,1,23), und kann daher die von Fichte bestimmte Funktion der Religion, den Menschen zu einem sittlichen Handeln zu motivieren, nicht erfüllen. Für Fichte manifestiert sich in der Religion die Einheit von Denken und Wollen im empirischen Subjekt, das dem Sittengesetz entsprechend in der Sinnenwelt handelt. Vorbild für 53. In der »Ausdruckweise und Gedankenführung« (I,1,10) in der unmittelbar im Anschluß an seine Rezeption der Kritik der praktischen Vernunft anonym erschienenen 1. Auflage der Offenbarungsschrift stimmt Fichte noch ganz mit Kant überein. Das führte zu dem Trugschluß (vgl. (I,1,11), der Versuch einer Kritik aller Offenbarung stamme von Kant selbst. Im Intelligenzblatt Nr. 102 der Allgemeinen Literatur-Zeitung vom 22. August 1792 berichtigte Kant diesen Irrtum. Er nennt dort Fichte als den richtigen Verfasser dieser Schrift und bezeichnet sie als die Arbeit eines »geschickten Mannes, dem dafür Ehre gebührt«. Hufeland schreibt in seiner Erklärung vom November 1792 im Intelligenzblatt Nr. 133 der Allgemeinen Literatur-Zeitung: »Alle hiesigen Liebhaber der Kant[ischen] Philosophie [...] waren einstimmig der Meynung: es sey eine solche Übereinstimmung nicht bloß des Stils, sondern des ganzen Gedankenganges der gedachten Schrift mit den übrigen Kantischen da, daß es kaum denkbar sey, wie ein anderer als Kant Verfasser derselben seyn könne« (Col. 1995). Auch Reinhold, als ein außergewöhnlich guter Kenner der Philosophie Kants, schreibt am 22. Juni 1792 an Jens Baggesen: »Die Idee, der Plan und der größte Teil der wirklichen Ausführung ist sicher von ihm, dem großen Einzigen« (I,1,11). In einem anderen Brief an Baggesen schreibt Reinhold: »Seit den Evangelien hat die Religion keine solche Stütze, wie durch dieses Werk erhalten«, in: Reinhard Lauth: Transzendentale Entwicklungslinien von Descartes bis Dostojewski, Hamburg 1989, S. 108. 54. Vgl. dazu Folkart Wittekind: Von der Religionsphilosophie zur Wissenschaftslehre. Die Religionsbegründung im Paragraphen 2 der zweiten Auflage von Fichtes Versuch einer Kritik aller Offenbarung, in: Fichte-Studien, Bd. 9, Amsterdam-Atlanta 1997, S. 101 ff..
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das Handeln ist Gott, der symbolisch die vollständige Vereinigung der theoretischen und der praktischen Vernunft idealiter präsentiert. Fichte vertritt die These, daß mittels der Explikation des Gefühls der Achtung sich nachweisen läßt, wie die im Begriff des Sittengesetzes gedachte transzendental-sittliche Selbstbestimmung auf die individuelle Gesinnung des empirischen Subjekts einwirken kann. III.1.1 Die Deduktion des ursprünglichen Begehrungsvermögens als das »Princip aller Philosophie« »Wie entsteht nun aus Theologie Religion?« (I,1,23) Diese Frage beantwortet Fichte im Ausgang vom Primat der praktischen Vernunft, die seiner Auffassung nach »allerdings eine Machtgewalt« (I,1,28) über die theoretische Vernunft besitzt. Die Realisierung der Einheit der theoretischen und der praktischen Vernunft bzw. die Einheit des Selbst könne nur von der praktischen Vernunft geleistet (vgl. I,1,32) werden. Deutlich wird dies in der Theorie des Willens, in der Fichte beansprucht, mit der Deduktion des »ursprüngliche[n] Begehrungsvermögen[s]« (I,1,140), d.h. eines praktischen Vermögens, die Gewißheit des in seiner Bestimmung des Begriffs der Theologie aus der 1. Auflage der Offenbarungsschrift (1792) bloß vorausgesetzten Gedankens (vgl. I,1,28) der Einheit von theoretischer und praktischer Vernunft nachzuweisen. Unter dem »ursprüngliche[n] Begehrungsvermögen« (I,1,140) versteht Fichte den von allen sinnlichen Einflüßen unabhängigen reinen, intelligiblen Willen. Dieser Wille ist für Fichte das »Princip aller Philosophie« (I,1,140). Die Vorstellung der Autonomie dieses Willens ist die Form des Sittengesetzes. Der Gehalt des Sittengesetzes ist ein Handeln, das sich nach der »Idee des schlechthin rechten« (I,1,141) bestimmt. Sofern sich das der Form und dem Gehalt nach der »Idee des schlechthin rechten« (I,1,141) entsprechende Handeln im Gefühl der Achtung manifestiert, ermöglicht dieses moralische Gefühl die Transformation von Theologie in Religion. In seiner Rede vom »Princip aller Philosophie« (I,1,140) nimmt Fichte kritischen Bezug auf Karl Leonhard Reinholds Gedanken zur Grundlegung und Fortbildung des Kantischen Kritizismus in dessen Schrift Versuch einer Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens (1789). Für die Annahme des Reinholdschen Gedankens, die noch bei Kant getrennt erörterte theoretische und praktische Philosophie auf ein letztes allgemein geltendes Prinzip zurückzuführen, begründet er aber
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Kapitel III
anders als Reinhold, der mit dem »Satz der Vorstellung«55, d.i. mit einem theoretischen Prinzip, die Philosophie Kants in systematischer Form neu zu fundieren versucht, das Prinzip der Philosophie allein auf der Basis seiner praktischen Natur. Nach Fichte ist die Vorstellung dem praktischen Vermögen des Subjekts subordiniert, denn die »Vorstellung soll nicht bestimmen [...], sondern wir sollen uns durch die Vorstellung bestimmen« (I,1,135). Fichte formuliert seine Kritik an Reinholds Prinzip der Philosophie in seiner Aenesidemus-Rezension (1794)56, denn es stellen sich ihm erhebliche Zweifel an der Tragfähigkeit des Reinholdischen Grundsatzes als eines zureichenden Fundamentes alles philosophischen Wissens. Nach Fichte enthält der »Satz der Vorstellung« und damit die theoretische Tätigkeit des Subjekts, niemals den Grad an Unabhängigkeit, die, so Fichte, ein »Princip aller Philosophie« (I,1,140), d.i. der theoretischen und der praktischen Philosophie, haben muß. Der Grund dieses Zweifels liegt für Fichte darin, daß die »Handlung des Vorstellens« sich immer in Form einer »Synthesis, da dabey unterschieden und bezogen wird« (I,2,45) darstellt. Dabei drängt sich für Fichte die »sehr natürliche Frage [auf]: »wie ist es doch möglich, alle Handlungen des Gemüths auf ein Zusammensetzen zurück zu führen?«, wo doch »Synthesis [...] ohne vorausgesetzte Thesis und Antithesis« (I,2,45) nicht gedacht werden kann. Aus Fichtes Perspektive erscheint es daher nicht nur »drollig, wenn Reinhold die Vorstellung zum Generischen desjenigen machen will, was in der menschlichen Seele vorgeht« (IIII,2,28). Fichte zufolge kann Reinhold gar »nichts von Freiheit, vom praktischen Imperativ wissen«, und wenn er »consequent« wäre, müßte er »empirischer Fatalist werden« (III,2,28) und das bedeutet für Fichte in letzter Konsequenz, sich zu einem Anhänger der Hommelschen Lehre zu entwickeln.57 55. Der »Satz der Vorstellung« lautet: »Im Bewußtseyn wird die Vorstellung durch das Subjekt vom Subjekt und Objekt unterschieden und auf beide bezogen« (S. 200). 56. Vgl. dazu Gottlob Ernst Schulze: Aenesidemus oder über die Fundamente der von dem Herrn Professor Reinhold in Jena gelieferten Elementarphilosophie, hg. v. und mit einer Einleitung versehen von Manfred Frank, Hamburg 1996. 57. Vgl. hierzu Wolfgang H. Schrader, der die wichtigsten Einwände Ernst Gottlob Schulzes (Aenesidemus) gegen Reinholds Formulierung des ersten Grundsatzes der Philosophie erörtert, die Fichte zu Reflexionen über den Gehalt des »Princips aller Philosophie« (I,1,140) angeregt haben, in: Empirisches und absolutes Ich Zur Geschichte des Begriffs Leben in der Philosophie J. G. Fichtes, Stuttgart-Bad Cannstatt 1972, S. 20 ff. und S. 185, Anm. 12. Wolfgang H. Schrader macht darauf aufmerksam, dass Fichte in seiner Darstellung des »Princips aller Philosophie« (I,1,140) in der Theorie des Willens zwar den Fehler Reinholds vermeidet, den Begriff der Vorstellung in die Formulierung seines Prinzips der Philosophie aufzunehmen, daß aber auch
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In der Deduktion des »ursprüngliche[n] Begehrungsvermögen[s]« (I,1,140) als dem »Prinzip aller Philosophie« (I,1,140) nimmt Fichte zwar Ausgang von der von den Dingen der Sinnenwelt beeinflußten empirischen Willensbestimmung des Subjekts, begrenzt diese aber nicht an diesem Punkt seiner Deduktion. Angespornt durch den festen Willen zur Widerlegung des Hommelschen Nachweises (vgl. I,4,199 u. II,2,63 f.), daß das aus der Erfahrung bekannte Bewußtsein der Freiheit, d.i. das »Nichtbewußtseyn [...] der bestimmenden Ursache« (I,1,139) nichts als Schein sein kann, erweitert Fichte seine Deduktionen mit der Frage, welche Voraussetzungen der empirischen Willensäußerung zu Grunde liegen müssen, damit diese als Ausdruck der Verendlichung des »ursprünglichen Begehrungsvermögen[s]« (I,1,140) in der Sinnenwelt begriffen werden kann. Im Ausgang von der Tatsache, daß dem Subjekt im Zustand des empirischen Willens sein realer Bezug auf die Sinnenwelt und damit auch sein realer Bezug auf die Inhalte seines Wollens als gegeben erscheinen, richtet sich Fichte zufolge der empirische Wille auf das bestimmte Materielle, durch das das Subjekt in der Empfindung (vgl. I,1,139) affiziert wurde. Das, was das Subjekt in der Empfindung affiziert, nennt Fichte das Angenehme (vgl. I,1,136). Der empirische Wille ist aber nicht nur durch das Angenehme (vgl.I,1,139) bestimmbar, sondern er ist ebenfalls bestimmbar durch die Gesetze der Urtheilskraft (vgl. I,1,137). Die Urteilskraft ordnet das dem empirischen Willen gegebne Mannigfaltige gemäß den Gesetzen des Verstandes (vgl. I,1,137). Somit geschieht die Anwendung der Gesetze der Urteilskraft (vgl. I,1,137) nur »nach gegebnen Gesetzen« (I,1,136) und nicht »unmittelbar durch absolute Spontaneität« (I,1,136). Nach Fichte kommt so aber nicht mehr als eine reine »Rechenkunst des Sinnengenusses« (I,1,138) zustande, die zur Erklärung der Motivation einer Willensbestimmung aus Freiheit nicht ausreicht. Fichtes Bestimmung des höchsten Prinzips noch nicht hinreichend ist, das »Princip aller Philosophie« (I,1,140), d.h. der theoretischen und der praktischen Philosophie zu sein (vgl. S. 17 f.). In der Theorie des Willens »verfügt Fichte noch nicht über die theoretischen Mittel, die es ihm erlaubt hätten, aus jenem in der praktischen Philosophie entwickelten Prinzip auch die Bestimmungen der theoretischen Philosophie herzuleiten« (S. 18). Fichte geht hier nicht über die bloße Behauptung hinaus, dass »aus einem practischen Gebote, das schlechthin a priori ist, und sich auf keine theoretischen Sätze, als seine Prämissen, gründet, theoretische Sätze abgeleitet werden [können], weil der practischen Vernunft allerdings eine Machtgewalt über die theoretische, doch gemäß den eignen Gesetzen derselben zuzuschreiben ist« (I,1,28). Zum historischen Kontext der Auseinandersetzung von Fichte, G. E. Schulze und J. A. Eberhard mit Reinholds ›Satz der Vorstellung‹ vgl. Martin Bondeli: Zu Fichtes Kritik an Reinholds ›empirischem‹ Satz des Bewußtseins und ihrer Vorgeschichte, in: Fichte-Studien Bd. 9, Amsterdam-Atlanta 1997, S. 199 ff..
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Diese unzureichende Erklärung führt Fichte zu der Formulierung des Gedankens, daß die Freiheit des Willens vielmehr darin bestehen müsse, die »durch die Empfindung« (I,1,136) und deren Gehalt verursachte Bestimmtheit des empirischen Willens »wenigstens aufzuhalten« (I,1, 139). Ohne die Möglichkeit dieses Aufhaltens sei »eine Vergleichung und Unterordnung des verschiedenen Angenehmen unter Verstandesgesetze, zum Behuf einer Bestimmung des Willens nach den Resultaten dieser Vergleichung, gar nicht möglich« (I,1,139). Dieses von Fichte geforderte Aufhalten läßt sich nur durch unmittelbare Spontaneität des reinen Willens vollziehen, nicht aber durch Verstandesgesetze des Subjekts. Diese Forderung formuliert er apodiktisch, denn andernfalls »müßten Verstandesgesetze auch practisch seyn können« (I,1,139). Den Beweis für die Richtigkeit seiner Hypothese sieht Fichte in dem Tatbestand gegeben, daß diese Annahme der Natur (vgl. I,1,139) dieser Gesetze völlig widerspräche. Fichte gelangt daher zu der Forderung einer Form der Bestimmung des empirischen Willens, die durch »absolute Spontaneität« (I,1,140) vom Subjekt hervorgebracht wird und die nicht wie die Gesetze der Urteilskraft (vgl. I,1,137) mit Nothwendigkeit (vgl. I,1,139), sondern mit dem Bewußtsein der Freiheit angewendet wird. Die von Fichte postulierte Vorstellung dieser Bestimmung »müßte demnach eine Vorstellung von so etwas seyn, das an sich Form, und nur als Object einer Vorstellung von ihr, relativ [in Beziehung auf diese Vorstellung] Stoff wäre« (I,1,140). Um auszuschließen, daß sich jene Form der Bestimmung dem Bewußtsein »mit Zwang und nicht mit Freiheit« (I,1,140) ankündigt, gelangt Fichte zu der weiteren Forderung des unmittelbaren Bezuges »auf ein durch absolute Spontaneität bestimmbares Object« (I,1,140). Das Einzige, auf das diese Voraussetzungen insgesamt zutreffen, ist das »ursprüngliche [...] Begehrungsvermögen« (I,1,140). Aus diesen systematischen Überlegungen resultiert nun für Fichte zwangsläufig der Schluß, daß jene gesuchte Form der Bestimmung »objectiv betrachtet« (I,1,140) Form des »ursprüngliche[n] Begehrungsvermögen[s]« (I,1,140) sein müsse. Wird diese Form »Stoff eine[r] Vorstellung, so ist dieser Vorstellung Stoff durch absolute Spontaneität hervorgebracht« (I,1,140). Dies führt demnach zu »eine[r] Vorstellung, wie wir sie suchten [...] Daß nun wirklich eine solche ursprüngliche Form des Begehrungsvermögens [...] selbst vermittels dieser Form sich in unserm Gemüthe dem Bewußtseyn ankündige, ist Thatsache dieses Bewußtseyns; und über dieses letzte, einzig
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allgemeingeltende Princip aller Philosophie hinaus findet keine Philosophie mehr statt« (I,1,140).
Dieses »Princip aller Philosophie« (I,1,140) manifestiert sich als »Thatsache [des] Bewußtseyns« (I,1,140) im Zustand des Gefühls der Achtung. III.1.2 Die Lehre vom Gefühl als »Medium« Die Bestimmung des Verhältnisses zwischen dem »Princip aller Philosophie« (I,1,140) und dem moralischen Gefühl der Achtung präzisiert Fichte in Auseinandersetzung mit den »Dunkelheiten in der critischen Philosophie« (I,1,147), die er in Kants Kritik der praktischen Vernunft erkennt und die die »von keinem Gegner der critischen Philosophie [...] bemerkte [...] Schwierigkeit [betreffen] [...] wie es nemlich möglich sey, das Sittengesetz, welches an sich nur auf die Willensform moralischer Wesen [d.s. intelligible Wesen], als solches anwendbar ist, auf Erscheinungen in der Sinnenwelt zu beziehen« (I,1,152).
Kant zufolge ist das vom ihm in der Kritik der praktischen Vernunft entwickelte Sittengesetz dem Menschen ursprünglich gegeben (vgl. KpV, S. 37). Es stellt »das einzige Faktum der reinen Vernunft« (KpV, S. 37) dar, »dessen wir uns a priori bewußt sind« (KpV, S. 56). Nach Kant ist sich der Mensch, der dem Sittengesetz entsprechend handelt, »als Wesen an sich selbst, seines in einer intelligiblen Ordnung des bestimmbaren Daseins bewußt« (KpV, S. 50). Die dem Sittengesetz entsprechende Handlung gründet in einem reinen Willen, der unabhängig von allen sinnlichen Neigungen ist und der der reinen Vernunft, sofern sie a priori praktisch ist, entspringt. Den reinen Willen bezeichnet Kant als ›causa noumenon‹ (vgl. KpV, S. 65). Derselbe Mensch erkennt sich zugleich (vgl. KpV, S. 50) als »nothwendig den Gesetzen der Kausalität unterworfen« (KpV, S. 50), was ihn dazu veranlaßt, diesen Willen als pathologisch (vgl. KpV, S. 94) affiziert, d.i. durch sinnlich bedingte Neigungen und Begierden beeinflußt, zu bezeichnen. Der Mensch bestimmt sich sowohl »als Subjekt der Freiheit [zum] noumen, [als auch] zugleich [...] in Absicht auf die Natur [zum] Phänomen« (KpV, S. 7). Ferner geht aus der Kritik der praktischen Vernunft hervor, daß die sittliche Selbstbestimmung »nicht nur die intellektuelle Einsicht in das
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vom Sittengesetz Gebotene« voraussetzt, sondern daß die sittliche Selbstbestimmung zur Realisierung des vom Gesetz Gebotenen einer Triebfeder bedarf (vgl. KpV, S. 84 ff.), unter der Kant das moralische Gefühl der Achtung versteht, in dem die praktische Vernunft selbst zur Triebfeder des Handelns wird. Das Gefühl der Achtung ist kein bloßes Faktum, sondern es ist »selbstgewirkt«, da es erst auf die »aktive« Stellungsnahme des Subjekts zu einem bestimmten sittlich relevanten Sachverhalt folgt. Allerdings kommt diesem Gefühl auch nur die Rolle der Triebfeder und nicht die des Kriteriums zu. »Es dient nicht zur Beurtheilung der Handlungen« (KpV 89). Das Gefühl der Achtung ist bei Kant Ausdruck der »gefühlte[n] Notwendigkeit«, das Sittengesetz zu befolgen, wobei die »objektive Notwendigkeit« eines dem Gesetz entsprechenden Handelns bereits erkannt wurde. Das Gefühl der Achtung ist Manifestation eines moralischen Zustandes, in dem sich das Subjekt »auf den Stand des Selbstgesetzgebers« stellt und sich in die intelligible Welt versetzt und sich somit über die empirische Welt erhebt. Achtung ist Kant zufolge ein »legitimes Motiv des Handelns«, weil sie ein vom »objektiven Gesetz« geprägtes Gefühl ist, in dem sich das Interesse an der Realisierung solcher Maximen äußert, die gemäß dem kategorischen Imperativ Pflichten sind. Das moralische Gefühl ist Bürge der moralischen Überzeugung, denn es stellt sich nur ein, wenn das Subjekt aus Achtung und nicht aus Neigung handelt. Es ist »nicht empirischen Ursprungs« (KpV 86). Da es aus der Grundhandlung des Übergangs vom Stand der Sinnlichkeit zu demjenigen der praktischen Vernunft hervorgeht, »erweist [es] sich als die verbindende Kraft zwischen Vernunft- und Sinnenwelt«58. Allerdings ist die bei Kant im Gefühl der Achtung gedachte Verbindung der beiden Welten nur von hypothetischer Gültigkeit. »Denn wie ein Gesetz für sich unmittelbarer Bestimmungsgrund des Willens sein könne […] das [sei] ein für die menschliche Vernunft unauflösliches Problem und mit dem einerlei: wie ein freier Wille möglich sei. Also werden wir nicht den Grund, woher das moralische Gesetz in sich eine Triebfeder abgebe […] a priori anzuzeigen haben« (KpV, S. 85).
Kants Kritik der reinen Vernunft zufolge verwickelt sich die Vernunft bei dem Versuch einer solchen Beweisführung in Antinomien. Die Vernunft könne weder beweisen, daß es einen freien Willen gibt, noch könne sie 58. Die Zitate sind entnommen aus: Friedrich Kaulbach: Immanuel Kant ›Grundlegung zur Metaphysik der Sitten‹, Darmstadt, 1988, S. 25-31, 112 f., 176 ff., 180 ff. und 184 f..
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beweisen, daß es keinen freien Willen gibt. Die sich im Gefühl der Achtung manifestierende Notwendigkeit der sittlichen Selbstbestimmung ist daher bloß ein Postulat der praktischen Vernunft, in welchem das Unbedingte gedacht aber nicht erkannt wird. Das Postulat hat also nur regulative Bedeutung. Fichte hingegen will den Nachweis führen, wie durch eine Deduktion intelligible und empirische Welt miteinander zu synthetisieren sind, d.h. »vernünftige und sinnliche Natur des Menschen innig zusammenfließen« (I,1,142), so daß sich die »Einheit […] [im] ganzen, rein- und empirisch bestimmbaren Menschen« (I,1,149) nicht bloß postulieren, sondern beweisen läßt. Die Deduktion des Gefühls der Achtung soll gewährleisten, daß sich der reine, am Sittengesetz ausgerichtete Wille auch tatsächlich in der Sinnenwelt realisiert. Ferner soll durch diese Deduktion das sich im Gefühl der Achtung in seiner Eigenschaft als »Triebfeder jeder rein moralischen Handlung« (I,1,34) manifestierende Interesse, sich »im Wollen durch Selbsttätigkeit« (I,1,143) zu bestimmen, Gewissheit erhalten. Fichte radikalisiert die bei Kant bloß für möglich angenommene Vereinigung der übersinnlichen und sinnlichen Welt, indem er sich über dessen These hinwegsetzt, der Philosoph verwickle sich mit dem Versuch, die Verbindung zwischen den beiden Welten zu beweisen, in dialektische Fehlschlüsse (vgl. KrV B 396 ff.). In der kategorialen Bestimmung des Gefühls der Achtung konkretisiert er die Vereinigung der beiden Welten und grenzt sich in weiteren Einzelheiten von Kant ab. Der Kategorie der Limitation nach vereinigt das Gefühl der Achtung die Wahlfreiheit des empirischen Willens mit der Gesetzlichkeit des reinen Willens. Dieses Gefühl sei keine Folge der »Affektion der Receptivität [des empirischen Willens] durch gegebne Materie« (I,1,142). Es sei vielmehr Ausdruck einer Niederdrückung und Einschränkung »der willensbestimmenden Anmaaßung« (I,1,142) des durch die Dinge außer ihm beeinflussten empirischen Willens mittels übersinnlicher »absolute[r] Spontaneität« des »ursprüngliche[n] Begehrungsvermögen[s]« (I,1,140). Diese Spontaneität realisiert sich in der empirischen Willensbestimmung des Subjekts als Maßstab eines Handelns nach der »Idee des schlechthin rechten« (I,1,141). Deutlich zeigt sich hier die von Kant abgelehnte Auffassung vom moralischen Gefühl der Achtung als Indikator der Sittlichkeit. In Absetzung von seinen Predigten erhält hier das Gefühl in seiner Eigenschaft als sittliche Instanz nicht seine Gewißheit durch Gott, sondern durch eine Ableitung vom Prinzip und d.h. hier, vom reinen Willen des Ich. Hier deutet sich eine Entchristlichung des morali-
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schen Gefühls an, die Fichte aber um 1798, beginnend mit seinen Schriften zum Atheismusstreit, wieder zurücknimmt. Das Gefühl der Achtung, daß der Quantität (vgl. I,1,142) nach unterschiedlicher »Grade der Intension und Extension fähig« (I,1,142) ist, äußert sich für das Subjekt als »Selbstzufriedenheit [oder] Scham vor sich selbst« (I,1,143) und in Bezug auf seine Mitmenschen als Achtung bzw. Mißachtung der »Würde der Menschheit« (I,1,143) schlechthin. Fichtes Rekurs auf Kants Formulierung des kategorischen Imperativs, nach der die Maxime des Willens jederzeit als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten können muß, führt ihn zwar zu der Überzeugung, daß es »weit edler und erhabner« (I,1,143) ist, sein Handeln an der »Würde der Menschheit« (I,1,143) schlechthin auszurichten, als sich durch den Gedanken der Selbstzufriedenheit (vgl. I,1,141) leiten zu lassen. Da aber das, was das Gefühl der Achtung zubilligt, Fichtes Ansicht nach den Charakter der überindividuellen, intelligiblen Allgemeingültigkeit hat (vgl. I,1,143), weil es sich der Relation (vgl. I,1,143) nach »auf das Ich als Substanz« bezieht, bewertet er die »Maxime der Sittlichkeit [...]: respectire dich selbst« als »völlig richtig[...]« (I,1,143). Das für den einzelnen Menschen sittlich Gebotene ist auch für die Menschheit im Ganzen richtig. In dieser Formulierung ist bereits implizit Fichtes Betonung des sittlichen Charakters je einzelner, individueller Handlungen angelegt, die er in der Sittenlehre im Unterschied zu Kants Rede von der Notwendigkeit der Verallgemeinerung subjektiver Maximen der Sittlichkeit (vgl. KpV, S. 21 ff.) zum Nachweis bringen wird. III.1.3 Zur Kritik der Fichteschen Lehre Fichte führt die Deduktion des Gefühls der Achtung in der Theorie des Willens nicht vollständig aus. Indem er konstatiert, daß das Gefühl der Achtung in seiner Eigenschaft als Triebfeder (vgl. I,1,34) zu sittlichem Handeln »noch nicht nothwendig« (I,1,146) ein von allen sinnlichen Einflüssen unabhängiges, selbstbestimmtes Wollen im Sinne des Sittengesetzes bewirkt, sondern daß dazu »in unserm Bewußtseyn noch eine Handlung der Spontaneität« (I,1,146) erforderlich ist, »wodurch das Wollen, als wirkliche Handlung unsers Gemüthes, erst vollendet wird« (I,1,146), entsteht der Eindruck, daß Fichte sich auf den Punkt in seiner Argumentation zurückzieht, an dem er mit der Ableitung des ursprünglichen Begehrungsvermögens (vgl. I,1,140) nachweisen will, »daß der Mensch einen [freien]
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Willen habe« (I,1,140) und sich frei nach dem Sittengesetz in seinen Handlungen bestimmen kann. So bleibt die Frage, wenn das Gefühl der Achtung in seiner Eigenschaft als Triebfeder (vgl. I,1,34) nicht ein selbstbestimmtes Wollen im Sinne des Sittengesetzes bewirkt, wie denn sonst der Übergang zwischen reinem und empirischem Willen dargestellt werden kann, in der Theorie des Willens, letztlich ungeklärt. Fichte schwankt zwischen der Annahme, daß der empirische Wille aus dem Gefühl der Achtung hervorgeht und der Auffassung, daß sich der empirische Wille selbst gemäß dem Sittengesetz bestimmt, hin und her. Sofern der empirische Wille aus dem Gefühl der Achtung hervorgeht, gibt es »zwischen der Handlung der absoluten Spontaneität, die das Sittengesetz aufstellt, und der sittlichen Gesinnung in der Welt der Erscheinungen eine lückenlose Kausalität der Bestimmung« (A.L. S. 189 / 190). Dies aber hat zur Folge, daß die Äußerung des sittlich bestimmten empirischen Willens von der absoluten Spontaneität des reinen Willens nicht mehr zu unterscheiden wäre. »Man hätte es mit einer einzigen Handlung zu tun.« (A.L. S. 190) Dies hätte zwei entscheidende Konsequenzen: Die Wahlfreiheit des empirischen Willens wäre aufgehoben. Wenn sich der empirische Wille notwendig und ausschließlich dem Sittengesetz entsprechend bestimmen muß, würde dem Menschen etwas zugeschrieben, was ihm von seinem Charakter her gar nicht zukommen kann. Nur in Gott ist für Fichte die reine Sittlichkeit. Der Mensch aber bestimmt sich in der Wahl seiner Handlungen sowohl sittlich als auch unsittlich. In der Annahme, daß der empirische Wille sich selbst zu einer sittlichen Handlung bestimmt, wird genau das vorausgesetzt, was es zu erweisen gilt. »Man würde eine wirkliche Selbstbestimmung im Wollen als letzten Schritt in einem Argument gebrauchen, welches gerade zeigen will, daß es eine transzendentale Grundlage gibt, aus der sich die Wirklichkeit einer Selbstbestimmung im Wollen ergibt« (A.L. S. 190).
Auf Grund dieser Unsicherheit in der Bestimmung des Gefühls der Achtung in der Theorie des Willens gelingt es Fichte nicht, seine Kritik an der mangelnden Gewißheit der Anwendbarkeit des Kantischen Sittengesetzes und seine Kritik an der mangelnden Gewißheit seiner Bestimmung des Gefühls der Achtung als Triebfeder sittlichen Handelns überzeugend darzulegen. Gleichwohl ist diese frühe Kant-Kritik insbesondere hinsichtlich der Anwendbarkeit des Sittengesetzes für Fichtes weitere Bestimmung des moralischen Gefühls in seinen späteren Schriften wegweisend.
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Aus dem Umstand, daß es Fichte nicht gelingt, den endgültigen Nachweis der Manifestation der Autonomie des reinen Willens im Gefühl der Achtung zu führen, folgt auch, daß er die Gewißheit des moralischen Gefühls in seiner Eigenschaft als moralische Instanz gegenüber Hommels deterministischer Weltanschauung nicht behaupten kann. Allerdings verfolgt Fichte die hier erstmals formulierte, aber noch nicht adäquat realisierte These in den auf die zweite Auflage der Offenbarungsschrift folgenden Arbeiten weiter: Das moralische Gefühl ist in seiner Funktion als Indikator der sittlichen Qualität von Handlungen nur dann gewiß, wenn es von dem reinem Willen, als dem »Princip aller Philosophie« (I,1,140) abgeleitet ist. III.2 Die Gebhardsche Bestimmung des Verhältnisses zwischen praktischer Vernunft und moralischem Gefühl aus der Sicht Fichtes Ungeachtet der Schwierigkeiten in der Theorie des Willens hält Fichte in seiner Rezension der Gebhardschen Schrift Ueber die sittliche Güte aus uninteressirtem Wohlwollen59 (1792) an seiner These fest, daß das als »Thatsache gegebne« (I,2,28) moralische Gefühl nur dann als Indikator und Triebfeder der Sittlichkeit gewiß ist, wenn es »mit Sicherheit [...] als Wirkung [...] der schlechthin unbedingte[n] [...] praktischen Vernunft angenommen werden« (I,2,28) kann.60 Denn nur die Wirkungen der praktischen Vernunft stehen »unter keiner andern Bedingung [...] als unter der Bedingung ihres eignen Wesens« (I,2,27). Genau dies, so Fichte, sei bei Gebhard aber nicht der Fall, denn er habe nicht die Beziehung zwischen praktischer Vernunft und »sittliche[m] Gefühl« (I,2,27) dargestellt, sondern nur jene zwischen theoretischer Vernunft und »sittliche[m] Gefühl« (I,2,27). Deswegen könne das »sittliche Gefühl« (I,2,27) gar nicht die Anforderungen erfüllen, die Gebhard in der genannten Schrift an es stellt, nämlich »Triebfeder des schlechthin Rechten« (I,2,27) und »Billigung, oder Misbilligung einer Wirkung der prakti59. Friedrich Heinrich Gebhard: Ueber die sittliche Güte aus uninteressirtem Wohwollen, Gotha 1792. 60. Anders als in der Theorie des Willens führt Fichte in der Gebhard – Rezension keine Deduktion des Fundamentes (vgl. I,2,28) der Philosophie vor und er zeigt auch nicht, wie das moralische Gefühl von diesem Fundament (vgl. I,2,28) abgeleitet werden kann. In seiner Rezension der Schrift Skeptische Betrachtungen über die Freiheit des Willens (Gießen 1793) von Andreas Leonhard Creuzer, versteht Fichte die Unbedingtheit der praktischen Vernunft als »Bestimmen der absoluten Selbstthätigkeit durch sich selbst« (I,2,10).
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schen Vernunft« (I,2,21) zu sein. Vor dem Hintergrund seiner Auffassung von der theoretischen Vernunft in der Theorie des Willens, der zufolge die Äußerungen der theoretischen Vernunft notwendig geschehen (vgl. I,1,139), sowie seiner Auseinandersetzung mit dem deterministisch bestimmten Deismus Karl Ferdinand Hommels, ist das moralische Gefühl als Triebfeder zu sittlichem Handeln und als sittliche Instanz im Kontext notwendiger Handlungen des Subjekts nutzlos. Fichte hält Gebhard daher entgegen, daß die Objektivität der Funktionen des »sittlichen Gefühls« (I,2,27) als Triebfeder zu sittlichem Handeln und als Indikator für die sittliche Qualität dieser Handlungen die Freiheit der Selbstbestimmung der praktischen Vernunft voraussetzt. In seiner kritischen Auseinandersetzung mit Gebhards Schrift Ueber die sittliche Güte aus uninteressirtem Wohlwollen61 nimmt Fichte Anstoß an folgender Formulierung: »Das moralische Gefühl besteht in einer Billigung oder Mißbilligung einer Wirkung der practischen Vernunft. Diese Wirkung der practischen Vernunft geht also vor der Billigung oder Mißbilligung vorher, die letztere wird durch die erste bewirkt; Denn sonst wäre ja nichts da, was gebilligt oder gemißbilligt würde. Also ist es kein sittliches Gefühl, was mich zur uninteressirten Thätigkeit antreibt, sondern jenes wird erst von dieser und von dem Bewußtsein derselben erzeugt«62.
Fichte insistiert darauf, daß das »sittliche Gefühl« (I,2,27) eine unmittelbare »Wirkung [...] der praktischen Vernunft« (I,2,28) ist. Nach Gebhard 61. Gebhard bezeichnet in seiner Antikritik in den Gothaischen gelehrten Zeitungen vom Dezember 1793 Fichtes Rezension seiner Schrift Ueber die sittliche Güte aus uninteressirtem Wohlwollen als einen »durchgängige[n], höchst unphilosophische[n] Mißgriff« und beklagt sich dort über die »Bitterkeit eines angeblichen Philosophen und noch mehr Moralphilosophen« (I,2,17). Vgl. dazu Fichtes Gegenerklärung über des Hn. Prof. Schmid Erklärung (1794). Dort heißt es: »ist in meiner Recension der Gebhardschen Schrift wirklich ein Ausdruck des Unwillens, so ist er kein andrer als der unwillkührliche Ausdruck meines natürlichen Widerwillens gegen alle Weitschweifigkeit, Unbestimmtheit, und Seichtigkeit« (I,2,77). Auch hält Fichte es für unmöglich, daß Gebhard in seiner Antikritik »erwiesen haben könne: sein Buch sey ein nützliches und gründliches Buch« (I,2,77). – Zu Fichtes Kritik an Gebhards Schrift Ueber die sittliche Güte aus uninteressirtem Wohlwollen vgl. Wolfgang H. Schrader: Ethik und Anthropologie im britischen Empirismus und im deutschen Idealismus (Hume und Fichte), in: Ethische Norm und empirische Hypothese, hg. v. Lutz H. Eckensberger und Ulrich Gähde, Frankfurt a. M. 1993, S. 45 ff.. Wolfgang H. Schrader zeigt, daß Gebhard in seiner Verwendungsweise des moralischen Gefühlsbegriffs von anthropologischen Voraussetzungen ausgeht, die er der englischen »Moral-SensePhilosophie« entnimmt und die denen Humes ähnlich sind. In seinem Aufsatz macht er auf die negativen Konsequenzen dieser Voraussetzungen für die motivierende und verpflichtende Funktion des »sittliche[n] Gefühls« (I,2,21) aufmerksam. 62. Friedrich Heinrich Gebhard a.a.O. S. 82. Vgl. auch I,2,21.
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unterscheidet sich aber das »sittliche Gefühl« (I,2,27) von einer »Wirkung der praktischen Vernunft« (I,2,28). Der subtil scheinende funktionale Bedeutungsunterschied beider Formulierungen wird deutlich, wenn man den Gedanken Gebhards einer genaueren Betrachtung unterzieht. Gebhard denkt zwischen dem »sittliche[n] Gefühl« und der »praktischen Vernunft« die »Wirkungen der praktischen Vernunft«, die, anders als bei Fichte, nicht mit dem »sittliche[n] Gefühl« gleichzusetzen sind. Die »Wirkung[en] [...] der praktischen Vernunft« versteht Gebhard als Beweggründe, die das Subjekt veranlassen, aus »uninteressirte[r] Thätigkeit« und nicht aus Neigung zu handeln. Bei Gebhard gehen die »Wirkung[en] der praktischen Vernunft« dem »sittliche[n] Gefühl« voraus, die es dann billigt oder mißbilligt. Das »sittliche[...] Gefühl« sei, so Gebhard, lediglich eine Reaktion auf gegebene Beweggründe zu möglichen Handlungen und motiviere das Subjekt nicht von sich aus zu einer sittlichen Handlung. In diesem Fall setzt das »sittliche[...] Gefühl« das Wissen und damit den reflexiven Bezug auf die Beweggründe zu einem Handeln aus »uninteressierte[r] Thätigkeit« voraus. Fichte hält das »sittliche[...] Gefühl« bei Gebhard daher bloß für eine Wirkung der theoretischen Vernunft. Auf diese Weise sei das »sittliche Gefühl [...] durch den Mechanismus unsers Geistes« bewirkt und werde »auf alle Fälle, worauf es anwendbar [ist], mit Nothwendigkeit angewendet«. Das »sittliche Gefühl« als Folge der theoretischen Vernunft wirke immer da »unwiderstehlich, wo kein Hinderniß seiner Wirkung vorhanden ist«. Vor diesem Hintergrund sei bei Gebhard das »sittliche Gefühl« in seiner Eigenschaft als Triebfeder zu sittlichem Handeln und als moralische Instanz nicht mehr als eine bloße »Veranstaltung der Natur«. In diesem Fall negiere die Notwendigkeit der theoretischen Vernunft sowohl die Motivation des Subjekts, sich selbst zu sittlichem Verhalten zu bestimmen als auch die Unbedingtheit und Unabhängigkeit des Subjekts von den Einflüssen der Sinnlichkeit, die das »sittliche Gefühl« in seiner Funktion als moralische Instanz voraussetzt. (I,2,21-28) III.3 Die Bedeutung des Gewissens in dem Beitrag zur Berichtigung der Urtheile des Publicums über die französische Revolution Die in der Gebhard-Rezension formulierten grundsätzlichen Überlegungen über das Verhältnis von praktischer Vernunft und Gewissen bindet Fichte in seiner Revolutionsschrift in die Formulierung seiner Gedanken zu einer
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radikal-liberalen Staats- und Rechtstheorie ein, die ihren Ausgang von der dem Sittengesetz entsprechenden Autonomie des Subjekts nimmt.63 In letzter Konsequenz gehört für Fichte die die »Frage vom Sollen und Dürfen, oder was [...] das nemliche ist, die Frage vom Rechte [...] gar nicht vor den Richterstuhl der Geschichte«; sie sei nur auf der Grundlage eines Gesetzes zu entscheiden, »das von keinen Thatsachen entlehnt, und in keinen enthalten seyn kann«. Ein von den Tatsachen unabhängiges Gesetz könne aber nur in der »reinen, ursprünglichen Form« unseres Selbst liegen. Diese Form des Selbst bezeichnet Fichte als »ursprüngliche Form der Vernunft an sich« und aus dieser ursprünglichen Form leite sich die Erscheinung des Gesetzes »in der Thatsache, als Wirkung von seiner Ursache ab«. Das Erscheinen des Sittengesetzes als Tatsache manifestiere sich im Gefühl des Gewissens. In Übereinstimmung mit den Predigten von 1792 bezeichnet er dort das Gewissen als inneren Richter. Was das Gewissen »gebietet, heißt im allgemeinen recht, eine Pflicht; was es uns verbietet unrecht, pflichtwidrig. Das erstere sollen wir, das letztere sollen wir nicht. – Stehen wir als vernünftige Wesen schlechterdings und ohne alle Ausnahme unter diesem Gesetze, so können wir, als solche, unter keinem andern stehen: wo demnach dieses Gesez schweigt, sind wir unter keinem Gesetze: wir dürfen. Alles, was das Gesez nicht verbietet, dürfen wir thun. Was wir thun dürfen, dazu haben wir, weil dieses Dürfen gesetzlich ist, ein Recht«.
Da das Sittengesetz, das sich im Gewissen manifestiert, dem Subjekt qua Menschsein zukommt, ist dasjenige, was das Gewissen billigt, ein unveräußerliches Menschenrecht, an dessen Ausübung niemand gehindert werden darf. (I,1,218-220) Fichte versteht das Gewissen als die höchste Instanz (vgl. I,1,278), der »alle übrigen Beziehungen« (I,1,278), die der Mensch auf den Gebieten des Naturrechts, der Verträge überhaupt und des bürgerlichen Vertrages (vgl. I,1,279 f.) eingeht, untergeordnet sind. Jedem Individuum steht es frei, dem Staatsverband per Vertrag beizutreten, in dem seine veräußerlichten Rechte mit denen seiner Mitmenschen in eine Ordnung gebracht werden. Aber selbst wenn sich ein Mensch dem Staatsverband angeschlossen hat, unterliegen seine veräußerlichen Rechte keinerlei Beschränkungen, die nicht mit dem Sittengesetz übereinstimmen und die 63. Vgl. dazu Manfred Buhr und Domenico Losurdo: Fichte – die Französische Revolution und das Ideal vom ewigen Frieden, Berlin 1991.
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nicht von seinem Gewissen gebilligt werden. Diejenige Beschränkung im Staat, die vom Gewissen gebilligt wird, stimmt mit der reinen, ursprünglichen Form des Selbst (vgl. I,1,219) überein. Das Subjekt steht auf diese Weise auch als Staatsbürger so nur unter seiner eigenen Selbstgesetzgebung. Unterwirft sich der Mensch durch einen fremden Willen einem Gesetz, das sein Gewissen nicht billigt, »so thut er auf seine Menschheit Verzicht, und macht sich zum Tiere; und das darf er nicht« (I,1,237). Vor diesem Hintergrund fordert Fichte die Leser seiner Revolutionschrift auf: »Man urtheile jetzt, mit welchem Befugniß der Staat, dessen Gebiet doch auf den engsten Raum eingeschlossen ist, über seine Gränze hinausgreift« (I,1,279), wenn er das Gebiet des Gewissens zu erobern sucht (vgl. I,1,279). In der Revolutionsschrift stellt Fichte eine enge Verbindung zwischen Gewissen, Pflicht und Recht her, die sich im System der Wissenschaftslehre nicht mehr aufrechterhalten läßt.64 In den materialen Teildisziplinen der Wissenschaftslehre erörtert er die Pflicht in der Sittenlehre und das Recht in der Grundlage des Naturrechts (1796)65. Damit geht eine Trennung der inneren und äußeren Sphäre des Menschen einher. Im Inneren, d.h. im Gefühl des Gewissens manifestieren sich von allen äußeren Einflüssen unabhängig die Gebote der Pflicht. Das Recht hingegen ist durch ein anderes alter ego äußerlich erzwingbar und sanktionierbar. Eine Rechtsordnung sei, so Fichte, zwar nicht nötig, sofern sich jeder durchgehend nach seinen Gewissensäußerungen richte. Da aber das Gewissen nicht bei jedem Menschen gleichermaßen gut kultiviert sei, und weil seine Gebote nicht einklagbar seien, – sie äußern sich qua Gefühl rein Subjektimmanent und lassen sich so juristisch nicht fassen -, könne man auf die allgemein verbindliche Rechtsordnung nicht verzichten, mittels der die Rechte des Einzelnen erzwingbar sind. Pflicht und Recht stimmen im System der Wissenschaftslehre darin überein, daß sie beide notwendige Bedingungen des Selbstbewußtseins sind (vgl. I,5,138 u. I,3,358). Während in der Revolutionsschrift sich schon die enge Beziehung zwischen Selbstbewußtsein und Pflicht bzw. Gewissen abzeichnet, geht Fichte in dieser Schrift noch im Hinblick auf das Recht davon aus, daß es dem Menschen frei steht, einem juristisch geregelten Staatsverband beizutreten. Mit der minderen Beachtung des Rechts deutet sich hier bereits die Vorrangstellung des Gewissens und der Pflicht vor dem Recht an, die 64. Vgl. dazu Corollaria zu § 4 (I,3,358 ff.) der Grundlage des Naturrechts (1796). 65. Im folgenden als Naturrecht abgekürzt.
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unabhängig davon, daß das Recht genauso wie die Pflicht Bedingung des Selbstbewußtseins ist, im System der Wissenschaftslehre zur Ausführung kommt. Die sittliche Vervollkommnung ist für Fichte das Höchste. III.4 Die erkenntnistheoretische Funktion des Gefühls in der Schrift Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre (1794) In der Begriffsschrift bezieht Fichte das praktische »Prinzip aller Philosophie« (I,1,140) auf die theoretische Vernunft. Für Fichte ist diese Schrift die »einzige Schrift, in welcher über das Philosophiren in der Wissenschaftslehre – selbst philosophirt wird, und die daher zu einer Einleitung in dieses System dient« (I,2,159). Nach Fichte unterscheidet sich die Wissenschaftslehre von den übrigen Wissenschaften durch ihren besonderen Gegenstand, denn die Wissenschaftslehre ist für Fichte eine Lehre vom Wissen. In dieser Lehre werden die Prinzipien des Wissens im Rahmen einer systematischen Explikation der »gesamten Handlungsarten des menschlichen Geistes« (I,2,149) erörtert. Dazu zählen aber nur diejenigen Handlungsarten (vgl. I,2,149), die der menschliche Geist notwendig vollziehen muß, damit Wissen entsteht. Die Gegenstände der übrigen Wissenschaften sind die freien Handlungen des menschlichen Geistes, welche auf die bestimmte, konkrete Erkenntnis einer wissenschaftlichen Einzeldisziplin wie z.B. die Jurisprudenz oder die Medizin, gerichtet sind. Solche Einzelwissenschaften sind nach Fichte der Wissenschaftslehre subordiniert, denn die Wissenschaftslehre befaßt sich ausschließlich mit den Bedingungen, die für die Erkenntnis schlechthin notwendig sind. Die Begriffsschrift hat als Prolog in die Grundlage lediglich hypothetische Gültigkeit (vgl. I,2,110). Für die Bestimmung der erkenntnistheoretischen und moralischen Funktion des Gefühls hat dies die Folge, daß Fichte in dieser Schrift weder die funktionalen Bestimmungsmerkmale des Gefühls für die Genese der Vorstellung noch die Stellung des moralischen Gefühls im Kontext der Reflexion über die Bedingung der Möglichkeit von Wissen systematisch expliziert und auch nicht auf das Verhältnis der unterschiedlichen Funktionen des Gefühls eingeht. Vielmehr werden beide Aspekte des Gefühls nur im Hinblick auf die ausgeführte Darstellung der Grundlage hinreichend verständlich. In der Begriffsschrift nimmt Fichte in einer Anmerkung zur Vorrede (vgl. I,2,109) und in der »hypothetischen Eintheilung der Wissenschaftslehre« (vgl. I,2,150) expliziten Bezug auf die erkenntnistheoreti-
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sche Funktion des Gefühls. Diese Stellen lassen sich nur im Rekurs auf die Grundlage, die nova methodo und die Einleitungsvorlesungen in die Wissenschaftslehre (1797) hinreichend verstehen. In der Anmerkung zu der Vorrede kündigt er an, mit seiner Grundlage den Streit (vgl. I,2,109) zwischen dem »dogmatische[n] und dem kritische[n] System« (I,2,109) »über den Zusammenhang unsrer Erkenntniß mit einem Dinge an sich« (I,2,109) beizulegen. Der Bezug auf die oben genannten Schriften macht deutlich, daß es sich bei dem Ding an sich nicht um das Kantische Ding an sich, sondern um das Ding an sich im Sinne Hommels (vgl. I,4,199 u. IV,2,20) handelt. Während Kant zwar eine Affektion durch das Ding an sich der Vorstellung des Subjektes zugrundelegt, besagt seine Kopernikanische Revolution (vgl. KrV XI) in der Erkenntnistheorie aber auch, daß die Gegenstände der objektiven Erkenntnis nicht von selbst erscheinen, sondern vom Subjekt zur Erscheinung gebracht werden. »Unsere Erfahrungserkenntniß […] [ist] ein Zusammengesetztes aus dem, […] was wir durch Eindrücke empfangen, und dem, was unser eignes Erkenntnißvermögen [durch sinnliche Eindrücke bloß veranlasst] aus sich selbst hergiebt« (KrV B 1): die reinen Anschauungsformen Raum und Zeit, die reinen Verstandesbegriffe und die transzendentalen Schemata. Für den Dogmatiker Hommel hingegen ist die Vorstellung durchgängig ein Produkt der Dinge an sich. Fichte radikalisiert die Kantische Bestimmung der Vorstellung, indem er sie im Ganzen als Produkt des Subjekts versteht und dementsprechend nicht mehr von einer Affektion durch die Dinge, sondern von einer Selbstaffektion spricht. Dieser Streit (vgl. I,2,109) zwischen zwei so radikalen Positionen, wie sie Fichtes und Hommels darstellen, deren eine die praktische Tätigkeit des Subjekts und deren andere das Ding an sich der Genese der Vorstellung zugrunde legt, dürfte, so Fichte, »durch eine künftige Wissenschaftslehre wohl dahin entschieden werden, daß unsre Erkenntniß zwar nicht unmittelbar durch die Vorstellung, aber wohl mittelbar durch das Gefühl mit dem Dinge an sich zusammenhange; daß aber die Dinge allerdings bloß als Erscheinungen vorgestellt, daß sie aber als Dinge an sich gefühlt werden; daß ohne Gefühl gar keine Vorstellung möglich seyn würde; daß aber die Dinge an sich nur subjektiv, d.i. nur inwiefern sie auf unser Gefühl wirken, erkannt werden« (I,2,109).
In der Begriffsschrift bestimmt Fichte im § 8 das Gefühl als Moment des praktischen Wissens. Das heißt auf die oben zitierte Passage aus der Anmerkung zur Vorrede (vgl. I,2,109) bezogen, daß, da die Beziehung zwi-
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schen Subjekt und Ding durch das Gefühl ursprünglich vermittelt ist, diese vom Subjekt selbst erhandelt wurde. Wenn Fichte schreibt, die Dinge an sich könnten nur subjektiv. d.h. nur inwiefern sie auf unser Gefühl wirken, erkannt werden, dann versteht er den Vorstellungsprozeß als subjektimmanenten Prozeß. Fichtes Aenesidemus-Rezension zufolge besteht »das Geschäft der kritischen Philosophie [darin] zu zeigen, [...] daß alles, was in unserm Gemüthe vorkommt, aus ihm selbst vollständig zu erklären und zu begreifen ist« (I,2,55) und daß alles vorgestellte »Nicht-Ich nur fürs Ich sey, daß es alle Bestimmungen dieses Seyns a priori nur durch seine Beziehung auf ein Ich bekomme« (I,2,62).66 Wie die Dinge an sich sind, kann das Subjekt nicht wissen. Aber »wenn die Wissenschaftslehre gefragt werden sollte: Wie sind denn nun die Dinge an sich beschaffen? So könnte sie nicht anders antworten als: So, wie wir sie machen sollen« (I,2,416). In der Grundlage wird sich zeigen, daß für die sachhaltige, d.h. qualitative Bestimmung des Objekts durch das Subjekt das Gefühl unabdingbar ist. Dies veranlaßt Fichte zu der These, daß das Gefühl Grund des Bewußtseins der Sachhaltigkeit bzw. der Realität der Objekte ist. Das Ding an sich reduziert sich in Fichtes Grundlage auf den in qualitativer Hinsicht völlig unbestimmten Anstoß, unter dem er das 66. In einem Brief an Reinhard vom 15. Januar 1794 schreibt Fichte, es sei »einer der ersten Zwecke der Philosophie, die Nichtigkeit eines solchen Gedankens [des Dinges an sich] recht handgreiflich darzuthun« (III,2,39). In seiner Aenesidemus-Rezension bezeichnet Fichte die Aufnahme des Begriffs des Dinges an sich in die Erklärung der Genese des Realitätsbewußtseins als »alten Unfug«, der seiner Meinung nach sogar »bis auf Kant [...] getrieben worden ist« (I,2,61). Anders als Kant, nach dessen »copernikanische[r] Wende« (B XVI) sich zwar zeigen läßt, daß sich Erkenntnis nicht nach den Gegenständen, sondern die Gegenstände nach der Erkenntnis richten, in dessen Begriff der Vorstellung aber trotzdem noch eine Affektion des Subjekts durch ein Ding an sich angenommen wird, schließt Fichte in der Grundlage in seiner Lehre vom Anstoß und in seiner Untersuchung der Rezeptivität des Bewußtseins des Subjekts eine solche Affektion durch die Dinge an sich zugunsten einer Selbstaffektion des Subjekts aus. Vgl. dazu Ingeborg Schüßler: Die Auseinandersetzung von Idealismus und Dogmatismus in Fichtes Wissenschaftslehre, Frankfurt a.M. 1972 und Johannes Brachtendorf: Fichtes Lehre vom Sein, Paderborn 1995. – Die Kritik an Kants Ding an sich wurde vornehmlich durch Jacobis Schrift David Hume über den Glauben oder Idealismus und Realismus (1787) angeregt. In der dieser Schrift zugefügten Beilage Ueber den Transzendentalen Idealismus »wirft J[acobi] der Kantischen Philosophie unüberwindbare Widersprüche, insbesondere in Bezug auf die Lehre vom Ding an sich vor. Ohne diese Lehre kann man J[acobi] zufolge nicht in das Kantische System hineinkommen, denn dieses bedarf der Annahme von Dingen an sich als intelligible Ursachen der Erscheinungen, »blos damit wir etwas haben, was der Sinnlichkeit als einer Receptivität correspondiere«. Aber mit dieser Voraussetzung in dem Kantischen System zu bleiben, ist »platterdings unmöglich«, sofern nämlich nach J[acobi] »sowohl die Gegenstände als ihre Verhältnisse, blos subjective Wesen, bloße Bestimmungen unseres eigenen Selbstes, und ganz und gar nicht ausser uns vorhanden sind«. (Marion Heinz: Artikel zu Friedrich Heinrich Jacobis Schrift David Hume über den Glauben oder Idealismus und Realismus, in: Großes Werklexikon der Philosophie, Bd. 1, hg. v. Franco Volpi, Stuttgart 1999, S. 744.)
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»Nicht-Ich an und für sich« (I,2,389) versteht und der als bloße Grenze der praktischen Tätigkeit des Subjekts die Produktion der Vorstellung lediglich initiiert. Der Anstoß setzt die praktische Tätigkeit des Subjekts voraus. Das Ding an sich, das »unabhängig von irgend einem Vorstellungsvermögen, Existenz, und gewisse Beschaffenheiten haben soll«, ist für Fichte »eine Grille, ein Traum, ein Nicht-Gedanke« (I,2,55). In diesem Sinn bezeichnet Fichte die Wissenschaftslehre als »das erste System der Freiheit«, das den Menschen »von den Fesseln der Dinge an sich, des äußern Einflusses« losreißt und ihn »in seinem erstern Grundsatze als selbständiges Wesen« (III,2,298) hinstellt. Auf die Bestimmung der Gemüthsstimmung (I,2,160) des Philosophen, in der er indirekt sein eigenes Philosophieren reflektiert, nimmt Fichte erst gegen Ende der Begriffsschrift Bezug. Dabei rekurriert er implizit auf das moralische Gefühl in seiner Funktion als moralische Instanz. In diesem Kontext bezeichnet er das moralische Gefühl als »dunkle[s] Gefühl[...] des Richtigen« (I,2,143) bzw. als »natürlichen Wahrheitssinn[...]« (I,2,151). Das moralische Gefühl übernimmt eine Schutzfunktion. Es warnt den Gelehrten davor, eine falsche Philosophie zu entwickeln, worunter Fichte eine solche Lehre versteht, die der sittlichen Selbstbestimmung nicht entspricht. Das Paradebeispiel einer falschen Lehre ist die Philosophie Hommels. Der Philosoph macht sich das »System des menschlichen Geistes« (I,2,140) zum Objekt seines Philosophierens, indem er es nachkonstruiert. Er erörtert in der Wissenschaftslehre diejenigen Handlungen des menschlichen Geistes, die er alle gezwungen und notwendig vollzieht (vgl. I,2,142). Die Wissenschaftslehre selbst ist allerdings nicht die Folge dieses notwendigen Handelns, sondern etwas, das erst durch »die Freiheit [...] [des] nach einer bestimmten Richtung hin wirkenden Geistes [des Philosophen] hervorgebracht werden soll« (I,2,119). Die reflektierende Abstraktion (vgl. I,2,142), mit deren Hilfe der Philosoph die für das System des menschlichen Wissen notwendigen Handlungen (I,2,142) aufnimmt und zur Darstellung bringt, ist eine Tätigkeit aus Freiheit (vgl. I,2,142). Indem die Wissenschaftslehre in einem freien Akt gründet, hat sie in sichselbst die Regeln, (vgl. I,2,145) nach denen die Rechnung (vgl. I,2,145) gemacht wird. Der Philosoph unternimmt in der Rekonstruktion des Systems des menschlichen Geistes zunächst »mancherlei Versuche« (I,2,143). Da die spekulative Tätigkeit des Philosophen frei ist, besteht für Fichte die Gefahr, daß ihm »unwillkührliche[...] Sophistikationen [unterlaufen], denen kein Forscher mehr ausgesetzt ist, als der Erforscher des menschli-
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chen Geistes« (I,2,145). Diese Gefahr wäre für ihn nicht zu bannen, wenn nicht das »dunkle[...] Gefühl[...] des Richtigen« (I,2,143) bzw. der »natürliche[...] Wahrheitssinn« (I,2,151) »durch Verursachung einer neuen Verirrung von der geraden Bahn des Räsonnements die alten Verirrungen berichtigte, und ihn wieder dahin zurückleitete, wohin er durch richtige Folgerung nie wieder zurückgekommen wäre« (I,2,147).67 Die Gewißheit der Gemüthsstimmung (I,2,160) des Philosophen »in der Speculation« (I,2,160) wird von Fichte in der Begriffsschrift nicht eigens begründet, sondern als intuitiv plausibel dargestellt. Fichte kündigt nur im § 8 der Begriffsschrift an, daß er im praktischen Teil der Grundlage den »natürlichen Wahrheitssinn[...]« (I,2,151) philosophisch-spekulativ erörtern wird. Die Beziehung zwischen theoretischer und praktischer Bedeutung des Gefühls stellt sich in der Einleitungsschrift nur aus der äußeren Perspektive dar, von der Fichte die Einstellung des Philosophen zu seinem Untersuchungsgegenstand, d.i. das Subjekt, beleuchtet. Der Philosoph, bzw. der Wissenschaftslehrer wird durch die Regungen seines moralischen Gefühls angehalten, die Bedingungen der Möglichkeit von Wissen so zu bestimmen, daß die Selbstbestimmung des Subjekts in der Genese der Vorstellung gewährleistet ist.68 Genau dies leistet, wie im nächsten Kapitel zu zeigen sein wird, Fichtes Grundlage zufolge, die erkenntnistheoretische Funktion des Gefühls. In der Einleitungsschrift fehlt die Reflexion darauf, wie sich theoretische und moralische Funktion des Gefühls im Subjekt, d.h. im Untersuchungsgegenstand selbst zu einander verhalten. Im § 8 der Einleitungsschrift in die Grundlage deutet sich zwar an, daß Fichte die erkenntnistheoretische Bedeutung des Gefühls und das »dunkle[...] Gefühl[...] des Richtigen« (I,2,143) gleichermaßen vom »Prinzip aller Philosophie« (I,1,140) ableiten will. Allerdings wird erst gegen Ende der Grundlage klar, daß das Objekt der Vorstellung, dessen Bewußtsein das Subjekt der erkenntnistheoretischen Leistung des Gefühls verdankt, Gegenstand der Zwecksetzung des Subjekts wird, wobei sich für das Subjekt die sittliche Qualität der Zwecksetzung im Gefühl des Richti67. Vgl. Wolfgang H. Schrader: Theorie des Gewissens, in: Oikeiosis Festschrift für Robert Spaemann, hg. v. R. Löw, Weinheim 1987, S. 273 ff.. 68. Klaus Hammacher vertritt in seinem Aufsatz Die Vollendung der Wissenschaftslehre in einer Affektenlehre (in: Fichte-Studien Bd. 11, Amsterdam-Atlanta 1997) die These, daß »in Fichtes System der Wissenschaftslehre zum ersten Mal in der Philosophiegeschichte ein Denken durch[bricht], das ganze System des Wissens aus der anthropologischen Erfahrung des Selbst, also eingebettet in die psychischen Regungen wie Streben, Trieb, Gefühl zu verstehen. Das führt jedoch nicht zu einer Psychologisierung der begrifflichen Erkenntnis, wie im späten 19. Jahrhundert, sondern umgekehrt, es werden diese affektiven Regungen als rationale Funktionen aus einer rationalen Ordnung, d.h. aus der logischen Gesetzlichkeit begriffen« (S. 380).
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gen (vgl. I,2,143), das er dort Gefühl der Zufriedenheit und der Vollendung (vgl. I,2,450) nennt, manifestiert. Aus dem Wechselbezug zwischen der erkenntnistheoretischen und der praktisch-moralischen Funktion des Gefühls geht für das Subjekt das Bewußtsein hervor, im Erkennen und Handeln frei zu sein.
Kapitel IV Die Bestimmung der erkenntnistheoretischen Funktion des Gefühls als Grund des Realitätsbewußtseins (Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre 1794)
Wie sich im § 8 der Begriffsschrift andeutet, will Fichte die Möglichkeit des Wissens von der sittlichen Selbstbestimmung, d.h. von einem praktischen Standpunkt her begründen. Das läßt sich für ihn anhand der Bestimmung der erkenntnistheoretischen Bedeutung des Gefühls exemplarisch darlegen. Das Gefühl in seiner erkenntnistheoretischen Bedeutung wirkt zwar auf die theoretische Vernunft, aber weil das Gefühl ein Aspekt des praktischen Wissens ist, ist auch diese erkenntnistheoretische Funktion des Gefühls insgesamt praktisch fundiert. Um Ort, Funktion und Problemstellung der erkenntnistheoretischen Funktion des Gefühls für die in der Grundlage ausgeführte Rekonstruktion des Zustandekommens von Wissen anzugeben, soll zunächst ein kurzer Überblick über den Aufbau der Wissenschaftslehre von 1794 folgen, der auch im Hinblick auf spätere Änderungen der Konzeption der Wissenschaftslehre von Interesse ist. Wie bereits gezeigt, ist der praktische Teil der Grundlage der Ort des Gefühls. Diesem Teil gehen ein theoretischer Teil und ein dreigliedriger Grundsatzteil voraus, in dem Fichte das praktische Prinzip der Philosophie entwickelt. Da Fichte die Grundlage als Explikation des Systems des menschlichen Geistes versteht, bezeichnet er das Prinzip der Philosophie als Prinzip des Bewußtseins, das er als »Thathandlung des absoluten Ich« (§1, vgl. I,2,255 ff.) bestimmt. Unter der Thathandlung versteht Fichte die Selbstsetzung des absoluten Ich. Die Gewißheit des Gedankens: »Ich bin Ich« (I,2,259) »gründet nicht« in der Selbstbeobachtung, »son-
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dern in der Selbstvergewisserung des Subjekts. Ich, der ich denke« und der sich selbst denkt, bin, so Fichte, nur »auf Grund dieses Denkens«. Diese Selbstverifikation »betrifft« das absolute und nicht das individuelle Ich. Das Wesen des absoluten Ich erschöpft sich im Sich-selbst-setzen. Die Tathandlung ist Ausdruck eines schöpferischen Aktes eines absolut freien Geistes. Sie stellt für Fichte das Prinzip der Philosophie und den ersten Grundsatz seiner Grundlage dar. Mit dem zweiten Grundsatz der Grundlage (§2, vgl. I,2,264 ff.) wird in einem formal unabhängigen Akt dem absoluten Ich ein Nicht-Ich entgegengesetzt. Das Nicht-Ich soll dabei vom absoluten Ich als der »Quelle aller Realität« gesetzt sein. Das ist nur möglich, wenn Ich und Nicht-Ich in einem dritten Grundsatz (§3, vgl. I,2,267 ff.) im absoluten Ich limitativ vereinigt werden: Im absoluten Ich setzt sich das teilbare Ich ein teilbares Nicht-Ich entgegen. Das absolute Ich ist, so Fichte, der höchste Vereinigungspunkt der Disjunktion von teilbarem Ich und teilbarem Nicht-Ich (vgl. I,2,270).69 Auf der Grundlage der Trias der Grundsätze entwickelt Fichte die theoretische und die praktische Philosophie. Dem dritten Grundsatz gibt er dabei eine Doppelbestimmung: Den Satz der theoretischen Philosophie: das Ich setzt sich als beschränkt durch das Nicht-Ich (§4, vgl. I,2,283 ff.) und den Satz der praktischen Philosophie (§5, vgl. I,2,385 ff.): das Ich setzt das Nicht-Ich als beschränkt durch das Ich. Im theoretischen Teil erörtert Fichte die Wechselwirkung von Ich und Nicht-Ich: Sofern »sich das Ich als bestimmt erfährt, schreibt es dem Nicht-Ich Realität zu. Das Nicht-Ich ist für das Ich real, insofern das Ich rezeptiv ist« und sich »als« durch das Nicht-Ich »gebunden« und »beschränkt erfährt«. Da Fichte jedoch das absolute Ich als die Quelle aller Realität denkt, in der das teilbare Nicht-Ich aufgehoben ist, »muß die Beschränkung als Selbstbeschränkung gedacht werden«. Vor diesem Hintergrund steht das Ich mit sich selbst in einer »Wechselbestimmung«. Damit diese »Wechselbestimmung« überhaupt gedacht werden kann, muß auf die »ins Unendliche« gehende Tathandlung des absoluten Ich ein theoret(isch) nicht weiter ableitbare(r) Anstoß (§4, vgl. I,2,385) angenommen werden, »durch den sie sich reflektiert und dadurch zu einer Vorstellung mit qualitativ gegebenem Inhalt wird.«70 69. Vgl. dazu den Artikel zu Fichtes Grundlage von Jens Peter Mittmann im Große[n] Werklexikon der Philosophie, hg. v. Franco Volpi, Stuttgart 1999, S. 487 f.. 70. Walter Schweidler: Artikel zu Fichtes Grundlage, in: Lexikon der philosophischen Werke, hg. v. Franco Volpi u. Julian Nida-Rümelin, Stuttgart 1988, S. 315 f..
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Die Konstitution des Bewußtseins besteht demnach in einem Widerspruch zwischen unendlicher Thathandlung und Begrenzung durch den Anstoß. Die Aufhebung dieses Widerspruchs wird im praktischen Teil der Grundlage dadurch ermöglicht, daß die praktische Tätigkeit des Ich als ein Streben (§5; vgl. I,2,397 ff.) bestimmt wird. Das Ich »strebt danach, unendlich«, d.i. ein absolutes Ich »zu sein. Indem das strebende Ich die absolute Kausalität« auf den Anstoß, d.i. dessen absolute Übereinstimmung mit dem Ich »fordert, setzt es gerade (...) das Objekt«, von dem der zweite und der dritte Grundsatz handeln.71 Die Setzung des Objekts durch das strebende Ich geht mit der Selbstsetzung des Subjekts einher. Beide Setzungen realisieren sich in mehreren graduell sich steigernden Objektivationsstufen. Da die Korrelation von Fürsichwerdung und Objektbewußtsein, in dem Gefühl, das für die Entstehung von Wissens überhaupt grundlegend ist, schrittweise zum Ausdruck kommt, differenziert Fichte dieses Gefühl in eine Gefühlssequenz (§5 ff.). In dieser Gefühlssequenz, die Fichte zufolge in der Bestimmung des Subjekts als Prinzip des Lebens und Bewußtseins (vgl. I,2,406) gründet, manifestiert sich für das Subjekt der Prozeß seiner Fürsichwerdung so, daß es mit dem Bewußtsein der Konstitution der Realität, d.i. die Sachhaltigkeit und Beschaffenheit der Objekte der Sinnenwelt, zugleich das Bewußtsein der Qualität des Umgangs mit den Objekten entwickelt: Zunächst zeigt er, wie das Gefühl überhaupt im Subjekt ursprünglich zustandekommt. Im Anschluß daran entwickelt er aus diesem Gefühl die sinnlichen Gefühle des Zwanges und der Kraft, mittels derer sich das Subjekt ursprünglich und vorbewußt auf sich selbst und auf die Dinge außer sich bezieht. Danach geht er, beginnend mit der Deduktion des Selbstgefühls, auf die intellektuellen Gefühle ein. Im Selbstgefühl manifestiert sich die Selbstbezüglichkeit des Subjekts, über die der Mensch im Unterschied zum Tier verfügt und die für sein Menschsein konstitutiv ist. Im Gefühl des Sehnens nimmt das Subjekt seine Motivation wahr, sich von sich aus auf die Dinge außer ihm beziehen zu wollen. Die Gefühle des Beifalls und des Mißfallens zeigen dem Subjekt an, inwieweit es die Realität, d.i. die Sachhaltigkeit der Dinge der Sinnenwelt, erkennt oder nicht. Im Gefühl der Vollendung, so schließt Fichte seine systematische Prüfung ab, erfährt sich das Subjekt als Prinzip des Lebens und Bewußtseins, d.i. als Quelle aller Realität. Im Hinblick auf die Bestimmung der erkenntnistheoretischen Funktion des Gefühls werden in der Darstellung der Fichteschen Rekonstrukti71. Walter Schweidler a.a.O. vgl. S. 315.
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on der Genese des Realitätsbewußtseins in diesem Kapitel folgende Punkte akzentuiert: Im ersten Abschnitt dieses Kapitels soll der Ausgangspunkt deutlich werden, den Fichte für die Rekonstruktion der Genese des Realitätsbewußtseins wählt. In diesem Kontext wird auf die Deduktion des Strebens und der Reflexion eingegangen, die Fichte zufolge der Entstehung und Bewußtwerdung eines jeden Gefühls zu Grunde liegen. Im zweiten Abschnitt soll im Kontext der Explikation der oben genannten Gefühlssequenz ein Aufweis der Möglichkeitsbedingungen gegeben werden, wie im Rahmen der Darstellung der Fürsichwerdung des Subjekts das Subjekt zunächst als Prinzip des Lebens und dann als Prinzip des Realitätsbewußtseins gedacht werden kann. Da sich für das Subjekt der gesamte Prozeß der Fürsichwerdung in einer Sequenz von Gefühlen manifestiert, bestimmt Fichte das Realitätsbewußtsein sowie das Selbstbewußtsein insgesamt als Glauben (vgl. I,2,429). Im dritten Abschnitt soll gezeigt werden, daß sich Fichte hierbei an Jacobis Glaubens-und Gefühlsphilosophie in dessen Schrift David Hume über den Glauben oder Idealismus und Realismus (1787)72 orientiert, in der Jacobi die Beziehung des Subjekts auf sich selbst und auf das Objekt der Erkenntnis ebenfalls als Glauben bestimmt.73 IV.1 Die Genese des Gefühls überhaupt (§5) Fichte bindet die Genese des Gefühls überhaupt in folgende Problemstellung ein: Im theoretischen Teil der Grundlage beansprucht er, eine philosophische Nachkonstruktion des Zustandekommens der Vorstellung zu leisten. Er stellt dort die These auf, daß als Bedingung der Vorstellung ein Anstoß (vgl. I,2,355) auf die ins Unendliche gehende Tätigkeit des absoluten Ich gedacht werden muß. Unter dem Anstoß versteht Fichte das Ding an sich bzw. das »Nicht-Ich an und für sich« (I,2,389). Der Anstoß ist dasjenige, was »übrig bleibt, wenn man von allen erweisbaren Formen der Vorstellung abstrahirt« (I,2,389). Dem Ich ist der Anstoß schlechthin entgegengesetzt. Da er der praktischen Tätigkeit des Ich Widerstand leistet, kann er nicht im Ich selbst, sondern nur von außerhalb auf das Ich einwirken. Der Anstoß ist aus dem Begriff des Ich nicht abzuleiten, da bewußt72. Im folgenden als David Hume abgekürzt. 73. Den folgenden Ausführungen liegen der Aufsatz von Reinhard Look Gefühl und Rationalität. Fichtes Auseinandersetzung mit Jacobi in der Grundlage der Wissenschaft des Praktischen, in: Fichte-Studien, Bd. 10, Amsterdam-Atlanta 1997, S. 219 ff. sowie Wolfgang Jankes Interpretation des praktischen Teils der Grundlage (a.a.O. 1970, S. 162 ff.) zugrunde.
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seinsunabhängig, erst durch ihn die Reflexion und damit das Bewußtsein von etwas möglich wird. Mehr läßt sich nach Fichte über die Natur des Anstoßes nicht sagen. Weiter bestimmbar ist er nicht, weil alles Bestimmte erst Resultat des durch ihn eingeleiteten Vorstellungsprozeßes ist. »Die Art und Weise des Vorstellens überhaupt ist allerdings durch das Ich, daß aber überhaupt das Ich vorstellend sey, ist nicht durch das Ich, sondern durch etwas außer dem Ich bestimmt« (I,2,386).
Die notwendige Bedingung der Aktualisierung der Vorstellung im Subjekt ist nach Fichte allein durch den Anstoß gegeben (vgl. I,2,355). Aber die Frage, »wie, und wodurch der für die Erklärung der Vorstellung anzunehmende Anstoß auf das Ich geschehe« (I,2,361), läßt sich im theoretischen Teil der Grundlage nicht hinreichend aufklären. Die Beantwortung dieser Frage »liegt ausserhalb der Grenze des theoretischen Teils« (I,2,361) und leitet in den praktischen Teil der Wissenschaftslehre über. Hier nun widmet er sich der Explikation, wie aus dem Gedanken der Einheit der praktischen Vernunft als dem synthetischen Prinzip des theoretischen und praktischen Wissens des Subjekts, die von ihm in diesem Prinzip postulierte Autonomie des Ich auch in Bezug auf die Vorstellung gedacht werden kann, so daß das Subjekt nicht von Vorstellungen bestimmt ist, deren Ursprung und Gehalt fremdbestimmt sind. Im praktischen Teil stellt Fichte daher folgende Bedingung auf: Um die Abhängigkeit des intelligenten Ich vom Anstoß aufzuheben, soll das Ich den Anstoß, durch den es zur Intelligenz wird, durch sich selbst bestimmen. »Das absolute Ich soll demnach Ursache vom Nicht-Ich seyn, insofern dasselbe der lezte Grund aller Vorstellung ist, und dieses insofern sein bewirktes« (I,2,388).
Wenn das absolute Ich das Nicht-Ich bestimmt, von dem das intelligente Ich abhängig ist, dann bestimmt dadurch das absolute Ich sich selbst, die Differenz zwischen absolutem und intelligentem Ich ist damit aufgehoben. Die Darstellung der Kausalität des absoluten Ich auf das Nicht-Ich des Anstoßes führt Fichte zunächst zu der Formulierung der Bedingungen, die den Aufweis einer solchen Kausalität erst ermöglichen. Mit der Untersuchung der inneren Struktur des absoluten Ich macht Fichte einsichtig, wie das vom absoluten Ich zu bestimmende Nicht-Ich des Anstoßes in die
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Sphäre des Ich gelangen kann, ohne die Absolutheit des Ich durch den Einfluß des Nicht-Ich zu gefährden. »Soll das Nicht-Ich überhaupt etwas im Ich setzen können, so muß die Bedingung der Möglichkeit eines solchen fremden Einflußes im Ich selbst, im absoluten Ich, vor aller wirklichen fremden Einwirkung vorher gegründet seyn; das Ich muß ursprünglich, und schlechthin in sich die Möglichkeit setzen, daß etwas auf dasselbe einwirke; es muß sich, unbeschadet seines absoluten Setzens durch sich selbst, für ein anderes Setzen gleichsam offen erhalten. Demnach müßte schon ursprünglich im Ich eine Verschiedenheit seyn, wenn jemals eine darein kommen sollte; und zwar müßte diese Verschiedenheit im absoluten Ich, als solchem, gegründet seyn« (I,2,405).
Da das »heterogene[...], fremdartige[...] [...] im Ich angetroffen werden« soll, muß es ihm in »gewisser Rüksicht [...] auch gleichartig seyn«, denn sonst kann es ihm, so Fichte, nicht »zugeschrieben werden« (I,2,405). Das, was dem absoluten Ich zukommt, ist lediglich seine unendliche Tätigkeit. In der unendlichen Tätigkeit allein ist noch kein Unterschied zu entdecken. Dieser wird erst offenbar, wenn man die Richtung der Tätigkeit beachtet. Entsprechend dem theoretischen Teil der Grundlage wird, so Fichte, die unendliche Tätigkeit des absoluten Ich »in einem gewissen Punkte [...] angestoßen« (I,2,405). Durch diesen Anstoß wird die unendliche Tätigkeit »nicht vernichtet«, sondern nur geteilt und zum Teil »in sich selbst zurükgetrieben« (I,2,405). Die Tätigkeit als Tätigkeit bleibt dabei erhalten. »Fremdartig, und zuwider« (I,2,406) ist dem Ich dabei nur, daß seine unendliche Tätigkeit zum Teil in das Ich zurückgeht. Die Richtung dieser Tätigkeit bezeichnet Fichte als zentripetal (vgl. I,2,406). Die zentripetale Tätigkeit ist für Fichte identisch mit der Reflexion (vgl. I,2,407). Die Tätigkeit der Reflexion nennt Fichte im Laufe der Grundlage auch ideale Tätigkeit. Insofern die Tätigkeit des Ich in sich selbst zurückgeht und das Ich auf sich selbst reflektiert, setzt sich das Ich selbst schlechthin (vgl. I,2,406). Der andere Teil der unendlichen Tätigkeit wirkt in eine zentrifugale (vgl. I,2,406) Richtung. Zentrifugal ist für Fichte derjenige Teil der unendlichen Tätigkeit ausgerichtet, der über den Anstoß in das Unendliche hinausgeht. Die zentrifugale Tätigkeit, mit der das Ich in die Unendlichkeit hinausgeht, ist zwar auf eine Kausalität auf das Nicht-Ich aus, aber wie schon zuvor der Anstoß, so stellt auch jedes weitere Nicht-Ich eine Grenze der zentrifugalen Tätigkeit dar. Anstatt über die erneute Begrenzung hinauszugehen, setzt infolge der Begrenzung der unendlichen Tätigkeit die
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Reflexion des Ich auf sich selbst ein. Auf Grund der in der Reflexion enthaltenen Rückwendung des Ich auf sich selbst hindert sich das Ich selbst daran, die Kausalität nach Bestimmung des Nicht-Ich auszuführen. Die zentrifugale Tätigkeit ist daher nur ein Streben (vgl. I,2,408) nach Kausalität.74 Das Streben ist die Tätigkeit der praktischen Vernunft. Für Fichte ist das »Streben [...] kein Gedanke, u[nd] kann mithin nicht positiv definirt, d.i. deducirt werden, sondern nur negativ, u[nd] zwar durch ein Widersprechendes. Streben ist das Verhältnis des Subjekts zum Objekte, wie Ursache zur Wirkung, das doch nicht als Ursache, u[nd] Wirkung erkannt werde« (II,3,183).
Die aus der »Practischen Philosophie« (1794) entnommene Bestimmung des Strebens faßt er in der Begriffsschrift zusammen: der Begriff des Strebens sei mit dem »Begriff einer Kausalität, die nicht Kausalität ist« (I,2,151) gleichzusetzen. Die praktische Vernunft intendiert mittels des Strebens die Aufhebung der durch das theoretische Ich bedingten Abhängigkeit vom Nicht-Ich. Da das Streben laut obiger Definition kein Gedanke ist, kann es nur im Gefühl bewußt werden. In diesem Gefühl äußert sich für das Ich ursprünglich seine Bestimmung des Nicht-Ich. Da das Subjekt nicht wieder auf die Begrenzung seiner zentrifugalen Tätigkeit bzw. seines Strebens reflektiert, weil es sich unmittelbar nach dieser Begrenzung erneut strebend auf das nächste Nicht-Ich bezieht, weiß es nicht, daß es sich diese Begrenzung selbst zugefügt hat. Das Subjekt leitet daher die zentripetale Tätigkeit »als etwas fremdartiges [...] aus einem dem Princip des Ich entgegengesezten Princip« (I,2,408), dem Nicht-Ich ab. Nach Fichte ist durch diese ursprüngliche Reflexivität der Grund der Möglichkeit eines fremden Einflußes auf das Ich im Ich selbst 74. Vgl. dazu auch Fichtes Practische Philosophie (1794). In dieser Vorarbeit zur Wissenschaftslehre bestimmt er den Begriff des Strebens folgendermaßen: »Streben ist kein Gedanke, u[nd] kann mithin nicht positiv definirt, d.i. deducirt werden, sondern nur negativ, u[nd] zwar durch ein Widersprechendes. Streben ist das Verhältniß des Subjekts zum Objekte, wie Ursache zur Wirkung, das doch nicht als Ursache, u[nd] Wirkung erkannt werde« (II,3,183). Hans Georg von Manz hat den Begriff des Strebens in seinem Aufsatz Die Funktion praktischer Momente für Grundelemente der theoretischen Vernunft in Fichtes Manuskripten Eigene Meditationen über Elementarphilosophie und Practische Philosophie (1793 / 94) untersucht, in: Fichte-Studien Bd. 9, Amsterdam-Atlanta 1997, S. 83 ff.. Erstmals erarbeitet hat Wolfgang Janke die »Deduktion des Strebens« in der Grundlage in: Fichte Sein und Reflexion – Grundlagen der kritischen Vernunft, Berlin 1970, S. 162 ff.. Zu der Funktion dieses Begriffs in der Grundlage und seiner Vorgeschichte, vgl. Wolfgang H. Schrader a.a.O. 1972, S. 35 ff..
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aufgefunden worden (vgl. I,2,408 / 9). »Alles Setzen des Ich« geht sonach »von einer in sich selbst nothwendigen Synthesis eines Entgegengesezten im bloßen Subjekte« (I,2,401) aus. Der sich in der Reflexion vollziehende Wechselprozeß (vgl. I,2,401) von zentrifugaler und zentripetaler Tätigkeit äußert sich für das Subjekt als Gefühl. Im »subjektiven Zustand[...]« (I,2,401) des Gefühls sind Hemmung und Tätigkeit im Ich vereint. Im Gefühl entsteht für das Subjekt der Eindruck der Begrenzung seiner zentrifugalen Tätigkeit. Da diese Begrenzung eine Selbstbegrenzung ist, versteht Fichte sie als Selbstaffektion (vgl. I,2,379) des Subjekts. Diese Selbstaffektion liegt allem Bewußtsein, das das Subjekt von sich und der Sinnenwelt hat, zu Grunde.75 In der Selbstaffektion sind das Streben, die Grenze, d.i. das Objekt, die Reflexion und das Gefühl vereinigt. Da sich das Subjekt das Gefühl mittels der Reflexion zu Bewußtsein bringt, das Bewußtsein für das Subjekt aber erst mit dem Gefühl ansetzt, geschieht diese Reflexion selbst vorbewußt. Demnach ist sich das Subjekt dessen nicht bewußt, das Gefühl mittels seiner eigenen Reflexion selbst produziert zu haben. Fichte verweist in diesem Kontext auf die Doppelbestimmung des Gefühls: Einerseits manifestiert sich für das Subjekt erst im Gefühl der ursprüngliche Bezug auf sich selbst und auf die Dinge der Sinnenwelt. Andererseits schreibt das Subjekt die im Gefühl wahrgenommene Hemmung den Dingen zu, weil es nicht weiß, daß es den Bezug auf die Dinge selbst produziert. Im Verständnis des philosophischen Beobachters hingegen ist sowohl das Zustandekommen des Gefühls im Subjekt als auch sein Gehalt, d.i. die Verbindung des Subjekts mit der Sinnenwelt, vom Subjekt selbst gewirkt und nicht Folge der Einwirkung der Dinge außer ihm. Allerdings ist gemäß der von Fichte entwickelten Systemelemente seines kritischen Idealismus anzunehmen, daß jener Anstoß, der die Wechselwirkung von zentrifugaler und zentripetaler Tätigkeit, aus der das Gefühl hervorgeht, nicht ohne Zutun (vgl. I,2,356) des Subjekts geschieht. Das Gefühl ist kein Produkt des Anstoßes. Der Anstoß trägt keine fertige, fremde Bestimmung in das Ich hinein, sondern lößt in ihm durch Hemmung seiner Tätigkeit erst die möglichen theoretischen und praktischen Handlungen aus, durch 75. Hier zeigt sich die Grundstruktur des Gefühls, die, so läßt sich vorblickend festhalten, für die theoretische und die moralische Funktion des Gefühls gleichermaßen gilt. Infolge der Wechselwirkung von Streben und Reflexion begrenzt sich das Subjekt in Bezug auf ein bestimmtes Objekt, sei es Objekt der Vorstellung oder Objekt der Pflicht. Diese Selbstbeziehung äußert sich immer im Gefühl und zwar einerseits als Realität des Objekts und andererseits als Kriterium der Pflicht.
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die das Ich die besonderen Bestimmtheiten von Ich und Nicht-Ich mittels der Reflexion auf sein Gefühl setzt. Der Anstoß liegt aller idealen Tätigkeit zu Grunde.76 Gemäß dem Standpunkt des kritischen Idealismus ist der Anstoß nur dann ein hinreichender Erklärungsgrund (vgl. I,2,356) der Genese des Bewußtseins des Subjekts, wenn ihm die unendliche Tätigkeit des absoluten Ich vorausgeht, die er anstoßen kann. So formuliert Fichte: »Keine Thätigkeit des Ich, kein Anstoß« (I,2,356). Vor diesem Hintergrund vollzieht er die Bestimmung des Subjekts als »Princip des Lebens, und Bewußtseyns« (I,2,406). IV.2 Die Funktion des Gefühls in der Explikation des »Princips des Lebens und des Bewußtseyns« (§ 7 ff.) Aus dem Grundmuster des Gefühls überhaupt entwickelt Fichte eine Fülle von Bestimmungen, durch die es dem Subjekt möglich wird, sich selbst am Ende des Prozeßes der Selbstobjektivierung als »Princip des Lebens, und des Bewußtseyns« (I,2,406) zu erfahren. Dieser Prozeß beginnt mit der durch den Einfluß des Nicht-Ich auf das Ich bedingten Uneinigkeit des Ich und endet mit seiner völligen Übereinstimmung mit sich selbst. Die Selbstobjektivierung des Subjekts unterscheidet sich in zwei große Bereiche. Zunächst zeigt Fichte, wie sich das Subjekt als »Princip alles Lebens« (I,2,425) und dann als »Princip des Lebens, und Bewußtseyns« (I,2,406) erfährt. Das Bewußtsein des Subjekts von sich als »Princip alles Lebens« (I,2,425) erreicht Fichte dadurch, daß er aus dem Gefühl überhaupt das Gefühl der Kraft enwickelt. Diese Entwicklungsstufe des Subjekts zeichnet nur das Lebendige überhaupt, nicht aber schon das geistige Leben aus. Dementsprechend handelt es sich bei dem Gefühl der Kraft um ein sinnliches Gefühl, in dem sich das Subjekt unbewußt auf die Dinge der Sinnenwelt und auf sich selbst bezieht. Das Kraftgefühl eignet sich als »Prin76. Die dem Ich »entgegensezte Kraft« des Anstoßes wird daher nach Fichte auch »blos gefühlt« (I,2,410) und nicht erkannt. Genau genommen wird aber noch nicht einmal der Anstoß gefühlt, sondern der Anstoß ist die Ursache für die Selbstbegrenzung des Ich und diese ist für das Subjekt im Gefühl. Es wird also nicht die dem Ich entgegengesetzte Kraft gefühlt, sondern die Hemmung der unendlichen Tätigkeit, die durch den Anstoß ausgelöst wird. Die Meinung, daß Fichte hier ungenau formuliert, hat auch Alois K. Soller. Vgl. dazu dessen Aufsatz Fichtes Lehre vom Anstoß, Nicht-Ich und Ding an sich in der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre. Eine kritische Erörterung, in: Fichte-Studien Bd. 10, Amsterdam-Atlanta 1997, S. 183, Fußnote 11. Zum Begriff des Anstoßes vgl. außerdem Heinz Eidam: Fichtes Anstoß. Anmerkungen zu einem Begriff der Wissenschaftslehre von 1794, in: Fichte-Studien Bd. 10, Amsterdam-Atlanta 1997, S. 191 ff..
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cip alles Lebens« (I,2,425) weil das Subjekt in dem Zustand dieses Gefühls seine Lebendigkeit unmittelbar erfährt. Für das sich seiner selbst noch nicht bewußte Subjekt, ist das Kraftgefühl das Erste. Für es hat dieses Gefühl, wenn auch noch vorbewußt, den Chrakter eines Prinzips. Das Kraftgefühl wird dadurch präzisiert, daß es mit dem ebenfalls sinnlichen Zwangsgefühl ein Gegensatzpaar bildet und so durch Abgrenzung vom Zwangsgefühl bestimmt werden kann. Die Synthesis von Zwangs- und Kraftgefühl setzt Fichte nicht einfach voraus, sondern er entwickelt sukzessiv zunächst das Zwangsgefühl und dann das Kraftgefühl aus dem Gefühl überhaupt. In der Sukzession der Gefühle folgt das höherwertige auf das minderwertige. Ein Gefühl ist um so höherwertiger, je näher es an die völlige Übereinstimmung des Subjekts mit sich selbst herankommt. Das Verhältnis zwischen höherwertigen und niederwertigen Gefühlen ist so zu denken, daß die niederwertigen Gefühle in den höherwertigen Gefühlen aufgehoben sind. So setzt das Kraftgefühl das Zwangsgefühl voraus. Das Subjekt fühlt nur dann seine Kraft, wenn es zuvor einen Zwang gefühlt hat, gegen den es seine Kraft richten kann um ihn zu überwinden. Auf diese Weise initiieren die niederen Gefühle die höheren Gefühle. Das Gefühl des Zwanges bewirkt im Subjekt die Motivation, sich aus eigener Kraft über den Zwang zu erheben. Methodisch gesehen, geht Fichte sowohl in der Explikation der Synthesis von Zwangs- und Kraftgefühl als auch in der Bestimmung der daraus abzuleitenden weiteren Gefühlen so vor, daß er einerseits vom Standpunkt des Wissenschaftslehrers aus das Zustandekommen der einzelnen Entwicklungsstufen, die sich in Gefühlen manifestieren sowie die Bewußtwerdung dieser Gefühle selbst systmatisch rekonstruiert und andererseits nach der Befindlichkeit des Subjekts fragt, indem er darauf reflektiert, wie sich der jeweils erreichte Deduktionsschritt, dem jeweils ein bestimmter Entwicklungssgrad des Subjekts entspricht, für das Subjekt äußert. IV.2.1 Die Bestimmung des Kraftgefühls als »Princip alles Lebens« (§7) Da für den Philosophen die einzelnen Gefühle immer aus der Korrelation von Streben und Reflexion hervorgehen, muß in der Rekonstruktion des Kraftgefühls darauf gesehen werden, in welcher Weise sich Streben und Reflexion nach dem Anstoß auf das absolute Ich gegenseitig bestimmen. Das Streben läßt sich nur denken, wenn dem handelnden Subjekt, das in Folge des Anstoßes strebt, das Nicht-Ich zu bestimmen, ein Gegen-
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streben (vgl. I,2,416) eines ihm äußeren Objekts entgegensetzt wird. Ohne die Annahme eines solchen Gegenstrebens (vgl. I,2,416), sei das Streben kein Streben, sondern unendliche Tätigkeit, die Kausalität auf das NichtIch hätte. Die Konsequenz daraus sei, daß das Nicht-Ich mit dem Ich übereinstimme. Auf Grund dieser Übereinstimmung, so Fichte, sei das Bewußtsein des Subjekts aber aufgehoben. Weil das Bewußtsein des Subjekts immer Bewußtsein von etwas Konkretem ist, muß es sich gegen etwas anderes Bestimmtes abgrenzen lassen. Für das Gegenstreben (vgl. I,2,416) stellt Fichte die Bedingung auf, daß dieses ebenfalls keine Kausalität auf das Subjekt haben darf. Andernfalls sei das Subjekt, wie im Dogmatismus, durch die Dinge außer ihm determiniert, wodurch das Bewußtsein des Subjekts ausschließlich eine Wirkung der Sinnenwelt sei. Streben und Gegenstreben stehen daher nach Fichte im Gleichgewicht (vgl. I,2,417). Das Streben wird vom Subjekt mit Hilfe der Reflexion ins Bewußtsein gebracht. Als Reflektiertes ist das Streben fixiert und festgesetzt. Das reflektierte, festgesetzte und fixierte Streben bezeichnet Fichte als Trieb (vgl. I,2,418). Fichte fragt nun, was im Gleichgewicht von Trieb und Gegenstreben »im Ich, und durch das Ich gesezt werde« (I,2,418). Im Zustand des Gleichgewichts ist nach Fichte die Selbstaffektion (vgl. I,2,379) enthalten, in der der Trieb des Subjekts auf Kausalität auf das Nicht-Ich aus ist, um die Unendlichkeit auszufüllen. Daran wird das Subjekt aber durch das Gegenstreben des Objekts gehindert. In Folge der Begrenzung des Triebs nach Unendlichkeit wendet sich die Tätigkeit des Subjekts zentripetal auf sich selbst zurück, d.h. das Subjekt reflektiert. »Das Ich begrenzt dann sich selbst, und wird mit sich selbst in Wechselwirkung gesezt; durch den Trieb wird es weiter hinausgetrieben, durch die Reflexion wird es angehalten, und hält sich selbst an« (I,2,419). Für das Ich ist dieser Zustand der Selbstbegrenzung im Gefühl des Zwanges präsent (vgl. I,2,419). In diesem Gefühl sind »innigst vereinigt Thätigkeit – ich fühle, bin das fühlende, und diese Thätigkeit ist die der Reflexion – Beschränkung – ich fühle, bin leidend, und nicht thätig; es ist ein Zwang vorhanden« (I,2,419).
Das Gefühl des Zwanges ist ein Produkt der Selbstbegrenzung des Subjekts und kein Produkt der Begrenzung des Subjekts durch die Dinge außer ihm. Fichte zufolge bedarf man zwar »zur Erklärung« (I,2,419) des Zustandekommens des Gefühls im Subjekt »eines begrenzenden; nicht aber zur Deduktion desselben, inwiefern es im Ich vorkommen soll, der
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Vorstellung, des Setzens eines solchen [des Begrenzenden] im Ich« (I,2,419). Die Selbstbegrenzung manifestiert sich für das Subjekt aber nicht nur als Gefühl des Zwanges (vgl. I,2,419), sondern auch als Gefühl der Kraft (vgl. I,2,424). Für das Subjekt ist im Kraftgefühl jene Kraft der Tätigkeit, die es im Zwangsgefühl als begrenzt erlebt. Fichte leitet die Bestimmung des Kraftgefühls als »Princip alles Lebens« (I,2,425) mit einer Erörterung der Reflexion des Subjekts im Zustand der Selbstbegrenzung ein. Im Ich ist sowohl ein Trieb das NichtIch zu bestimmen und die Unendlichkeit auszufüllen, als auch das Gesetz (vgl. I,2,421) über sich zu reflektieren, ob es die Unendlichkeit auch wirklich ausfüllt. Die Reflexion setzt die Begrenzung des Triebs nach Unendlichkeit voraus. Die Befriedigung (vgl. I,2,421) der Reflexion ist demnach bedingt (vgl. I,2,421). Sie hängt vom Gegenstreben des Objekts ab. Die Befriedigung und Nichtbefriedigung der Reflexion äußert sich für das Subjekt im Gefühl. Das Ich hat in der Selbstbegrenzung über sich reflektiert. Der »Form der Handlung« (I,2,421) nach ist es daher befriedigt (vgl. I,2,421). Dem »Inhalte der Handlung« (I,2,421) nach ist das Ich allerdings nicht befriedigt (vgl. I,2,421). Es sollte die Unendlichkeit ausfüllen. Tatsächlich ist es aber durch das Gegenstreben des Objekts begrenzt. Im Gefühl macht sich ebenfalls diese Nichtbefriedigung bemerkbar. Das Gefühl der Nichtbefriedigung entsteht im Ich, wenn es über die durch das Gegenstreben des Objekts bewirkte Grenze seiner unendlichen Tätigkeit hinausgeht. Auch diese Sphäre gehört zur Unendlichkeit des Ich, jedoch ist sie durch das Ich nicht bestimmt. Dieser Bestimmungsmangel bekundet sich dem Ich im Gefühl der Nichtbefriedigung, denn das Subjekt kann die Unendlichkeit nicht ausfüllen, die es doch ganz bestimmen sollte. Durch die Begrenzung der ursprünglichen Kraft der ins Unendliche gehenden Tätigkeit in der Selbstreflexion wird, so Fichte, nur »die Richtung [dieser Kraft] nach aussen [...] nicht aber die nach innen [...] aufgehoben« (I,2,423). Im Gefühl des Zwanges ist der Trieb als innere sich selbst zur Kausalität bestimmenden Kraft (vgl. I,2,425) begrenzt, so daß er nicht außer dem Ich wirken kann. Er richtet sich deshalb an das, was im Inneren des Ich liegt, und das ist die Kraft des begrenzten Triebs nach Unendlichkeit. Die Begrenzung des Triebs liegt für das Ich im Gefühl, denn mit der Begrenzung geht die Reflexion auf die Begrenzung bzw. auf das Gefühl einher. Infolge der Reflexion bestimmt das Subjekt das Gefühl als Kraftgefühl (vgl. I,2,425). Mit dem Kraftgefühl läßt sicheine Grenze (vgl. I,2,424) angeben,
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»wo das Ich als lebendiges sich unterscheidet vom leblosen Körper [...] Es ist etwas da, für welches etwas da seyn könne, ohnerachtet es für sich selbst noch nicht da ist. Aber für dasselbe ist nothwendig da eine innere treibende Kraft, welche aber, da gar kein Bewußtseyn des Ich, mithin auch keine Beziehung darauf möglich ist, bloß gefühlt wird« (I,2,424).
Fichte bestimmt das Kraftgefühl als das Charakteristische eines jeden Lebewesens. In diesem Gefühlszustand nimmt das Subjekt seine Lebenskraft unmittelbar wahr. Im Kraftgefühl manifestiert sich für das Subjekt vorbewußt die Dynamik seines Willens. Fichte zufolge lebt das Subjekt nur, wenn es fühlt. Mit der Deduktion des Kraftgefühls läßt sich für Fichte in der Darstellung der Fürsichwerdung der »Uebergang vom Tode zum Leben« (I,2,425) begreifen. Das Kraftgefühl ist das »Princip alles Lebens« (I,2,425). Kraft- und das Zwangsgefühl stehen in einem wechselseitigen Bedingungsverhältnis. Einerseits kann das Subjekt seine Kraft, die auf »irgend etwas unbekanntes« (I,2,425) gerichtet ist, nur fühlen, wenn sie begrenzt ist, andererseits ist der Zwang nur für es, wenn es eine Kraft fühlt, die begrenzt wird. Erst wenn dieser Zusammenhang von Kraft und Zwang gedacht wird, ist die »Aeusserung des Gefühls« (I,2,426), die sich für das Subjekt in dem Zustand der Selbstaffektion bekundet, »vollständig deducirt« (I,2,426). Mit der Absonderung des Ich »von der todten Materie« (I,2,425) durch das Kraftgefühl ist das Subjekt »noch höchst unvollständig« (I,2,425) bestimmt. Denn Leben bedeutet für das Ich auch, daß es ein Bewußtsein seiner selbst hat. Das Kraftgefühl und das mit diesem Gefühl einhergehende Gefühl des Zwanges sind zwar für das Ich, aber das Ich ist noch nicht für sich selbst ein Ich. Erst mit der Deduktion des Selbstgefühls (vgl. I,2,428) ist nach Fichte eine Stufe der Fürsichwerdung erreicht, auf der sich das Subjekt als Intelligenz (vgl. I,2,427) vom bloßen Leben (vgl. I,2,427) der Tiere zu unterscheiden vermag. IV.2.2 Die Bestimmung des Selbstgefühls als Spezifikum des Menschen (§8) Für Fichte ist das Selbstgefühl Manifestation eines Entwicklungsgrades des Subjekts, mit dem in der Bewußtseinsform des Glaubens (vgl. I,2,429) ein vom Subjekt bewußt wahrgenommener Bezug auf sich selbst und zugleich auf die Dinge der Sinnenwelt eingeleitet wird. Das Selbstgefühl
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ist das Spezifikum des Menschen. Es gibt keinen Menschen ohne Selbstgefühl, weil die Selbstbezüglichkeit in diesem Gefühl Manifestation des Handelns eines vernünftigen Lebewesens ist. Mit der Bestimmung des Menschen als vernünftigem Lebewesen verläuft »die Grenze zwischen bloßem Leben, und zwischen Intelligenz, wie oben [im Kraftgefühl] zwischen Tod, und Leben« (I,2,427). Das Selbstgefühl ist das erste intellektuelle Gefühl der Gefühlssequenz, das als solches der Bestimmung des Subjekts als »Princip des Lebens, und Bewußtseyns« (I,406) zugrunde liegt. In der nova methodo, in der Fichte die Gefühlssequenz von einem veränderten Standpunkt aus neu thematisiert, bestimmt er das Selbstgefühl als einen Grundzustand (vgl. IV,2,79) des Subjekts, von dem aus dessen Selbstobjektivierung zu entwickeln ist und aus dem umgekehrt zur Grundlage die Gefühle des Zwanges und der Kraft entwickelt werden. Die veränderte Konstruktion der Gefühlssequenz in der nova methodo sieht von der Entwicklungsstufe des bloß Lebendigen ab. In der Grundlage leitet er die Deduktion des Selbstgefühls (I,2,426 ff.) mit dem Rekurs auf die vom Ich gefühlte Begrenzung des Triebs nach Unendlichkeit ein. Die Begrenzung des Triebs »widerstreitet dem Charakter des Ich. Es muß demnach so gewiß es ein Ich ist, dieselbe, und zwar für sich wiederherstellen« (I,2,426). Das Wiederherstellen dieses Triebs geschieht nach Fichte »durch absolute Spontaneität« (I,2,427). Darin äußert sich das spezifisch Menschliche. Die aus absoluter Spontaneität erfolgende Handlung ist eine solche Handlung, »die das Bewußtseyn [des Ich] wenigstens möglich mache« (I,2,427). Diese Handlung bestimmt Fichte näherhin als »eine Reflexion auf das reflektirende« (I,2,427). Die Objekte dieser Reflexion sind die durch die vorhergehenden Reflexionen bewußt gewordenen Gefühle des Zwanges und der Kraft. Infolge der Reflexion auf diese Gefühle entsteht nach Fichte das Selbstgefühl. Auch hier zeigt sich, daß die niederen Gefühle in den höheren Gefühlen aufgehoben sind. »Thätigkeit geht auf Thätigkeit; das in jener Reflexion reflektirende, oder das fühlende wird demnach gesezt als Ich; die Ichheit des in der gegenwärtigen Funktion reflektirenden, das als solches gar nicht zum Bewußtseyn kommt, wird darauf übertragen« (I,2,427).
Im Selbstgefühl identifiziert das Ich sich selbst als sich selbst, indem es die Gefühle des Zwanges und der Kraft nicht nur fühlt, sondern sich selbst als den Fühlenden dieser Gefühle wahrnimmt. Indem der Fühlende das Gefühlt-Werdende, d.i. das Fühlende, als das Selbst setzt, läßt sich das Selbstgefühl, so Fichte, als eine reine Selbstbeziehung begreifen. Diesen
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Charakter der reinen Selbstbeziehung erklärt er damit, daß das Ich durch die mit absoluter Spontaneität erfolgende Handlung sich selbst als Ich bestimmt. Demnach kann das Fühlende nur als Ich gesetzt werden, »inwiefern es [...] durch sich selbst zum Fühlen bestimmt ist, d.i. lediglich inwiefern es sich selbst, und seine eigne Kraft in sich selbst fühlt [...] Dadurch wird also das gefühlte in der gegenwärtigen Reflexion [...] [ein] Ich, weil das fühlende nur insofern ein Ich ist, inwiefern es durch sich selbst bestimmt ist, d.i. sich selbst fühlt« (I,2,428). Das Ich kann nur dann als Ich gesetzt werden, wenn »es das fühlende und das gefühlte zugleich ist, und demnach mit sich selbst in Wechselwirkung steht« (I,2,428).
Das, was Ich bedeutet, bekundet sich für das Subjekt ursprünglich im Gefühl und nicht im Verstand, weil die Selbstbezüglichkeit, mit der es sein Selbstbewußtsein konstituiert, ursprünglich im Gefühl ist und weil die Reflexion, die dieses Gefühl in das Bewußtsein erhebt, vorbewußt geschieht. Im unmittelbaren Erleben reflektiert das Subjekt seine Handlung aus absoluter Spontaneität nicht. Für das Subjekt ist sein Selbstbewußtsein ein Gefühl. Das Selbstgefühl stellt zwar die reine Beziehung des Ich auf sich selbst dar, aber das Ich weiß sich noch nicht als diese reine Selbstbeziehung, denn das Selbstgefühl ist nur ein emotionaler Zustand und noch kein Wissen. Die im Selbstgefühl ausgedrückte Beziehung des Ich auf sich selbst soll erst das Bewußtsein des Subjekts von sich selbst und der Sinnenwelt möglich machen. In diesem Sinne definiert Fichte das Selbstgefühl als Prinzip des Bewußtseins. Hier zeigt sich deutlich, daß für das Subjekt immer das Gefühl das Erste ist. Während der Philosph das sich im Gefühl unmittelbar offenbarende Bewußtsein, das das Subjekt von den Dingen und sich selbst hat, auf seine Entstehungsbedingungen hin hinterfragt, indem er aus der im Selbstgefühl liegenden Bestimmtheit des Subjekts als das Fühlende und Gefühlte den Glauben des Subjekts an sich selbst und an die Dinge der Sinnenwelt deduziert (vgl. I,2,428 f.): In der Beziehung auf das Gefühlte ist das Fühlende tätig. Das Fühlende ist das Reflektierende. Das Fühlende ist aber auch zugleich leidend. Leidend ist das Fühlende in Bezug auf seinen Trieb nach Unendlichkeit, von dem es getrieben wird, über die Begrenzung des Gegenstrebens des Objekts hinauszugehen und ein Nicht-Ich durch ideale Tätigkeit zu produzieren. Da das Subjekt auf diese produzierende Tätigkeit nicht wieder reflektiert, ist die Produktion des Nicht-Ich durch die ideale Tätigkeit nur dem philosophischen Beobachter und nicht dem fühlenden Ich als eine Handlung des Ich einsichtig. Das Subjekt reflektiert nur auf die Begren-
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zung des Triebs nach außen. »Für sich selbst [...] handelt [das Fühlende] gezwungen [...] Daher der gefühlte Zwang etwas als wirklich vorhanden zu setzen« (I,2,428). Das Gefühlte ist tätig, weil sich in ihm die treibende Kraft des Triebs nach außen manifestiert. In derselben Hinsicht ist es aber »auch leidend, denn es ist Objekt der Reflexion« (I,2,429). Auf diese Beziehung des Ich mit sich selbst »aber wird nicht reflektirt, weil das Ich gesezt ist, als Eins, und eben dasselbe, als sich fühlend, und auf die Reflexion, als solche, nicht wieder reflektirt wird« (I,2,429). Leidend ist das Ich in einer anderen Beziehung. Es leidet, insofern es sich als begrenzt empfindet und das begrenzende als ein Nicht-Ich setzt (vgl. I,2,429). Da das Ich im Zustand des Selbstgefühls nicht wieder auf die Selbstreflexion reflektiert, fühlt es seine Begrenzung nicht als Selbstbegrenzung, sondern nimmt als Ursache der Begrenzung ein ihm scheinbar äußeres Nicht-Ich an. Der philosopische Beobachter hingegen leitet die Begrenzung aus der Reflexion des Subjekts ab. Auf diese Weise wird Fichte zufolge »Ein und ebendasselbe Ich« einerseits »betrachtet, als thätig in Beziehung auf das Nicht-Ich«, indem es »durch ideale Thätigkeit [...] ein Nicht-Ich« (I,2,429) produzirt; andererseits ist es in der gleichen Beziehung auch leidend (vgl. I,2,429), denn es wird durch das Nicht-Ich begrenzt (vgl. I,2,429). Unabhängig von der Erkenntnis des philosophischen Beobachters ist das Ich »für sich selbst in Beziehung auf das Nicht-Ich immer leidend« (I,2,429). Seiner Selbstbegrenzung und seiner produzierenden Tätigkeit ist es sich nicht bewußt. »Daher scheint die Realität des Dinges gefühlt zu werden, da doch nur das Ich gefühlt wird« (I,2,429). In diesem Vorgang erkennt Fichte den »Grund aller Realität. Lediglich durch die Beziehung des Gefühls auf das Ich, die wir jetzt nachgewiesen haben, wird Realität für das Ich möglich, sowohl die des Ich, als die des Nicht-Ich. – Etwas, das lediglich durch die Beziehung eines Gefühls möglich wird, ohne daß das Ich seiner Anschauung desselben sich bewußt wird, noch bewußt werden kann, und das daher gefühlt zu seyn scheint, wird geglaubt. An Realität überhaupt, sowohl die des Ich, als die des Nicht-Ich findet lediglich ein Glaube statt« (I,2,429). Der Glaube an die Realität von Ich und Nicht-Ich entsteht im Ich als simultaner Akt, denn die Selbstsetzung des Ich geht mit der Produktion eines Objekts durch ideale Tätigkeit einher. Das Ich fühlt sich nur, indem es zugleich in Beziehung auf ein Nicht-Ich leidet.
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IV.2.3 Die Bedeutung des Gefühls des Sehnens für die Konkretisierung des Objektbewußtseins (§10) Unter dem Glauben versteht Fichte zunächst ganz allgemein die Bewußtseinsart der Selbstbeziehung des Subjekts und dessen Beziehung zu einem Objekt überhaupt. Im Folgenden erörtert Fichte die Fragen, wie die Dinge der Sinnenwelt ihrer Realität, d.h. ihrer Beschaffenheit nach vom Subjekt konkretisiert werden und worin die jeweils unterschiedliche Qualität der Selbstbeziehung des Subjekts im Umgang mit den Dingen besteht. In dem in diesem Abschnitt zu erörternden ersten Untersuchungsschritt zeigt er zunächst mit dem Gefühl des Sehnens, das aus der Weiterentwicklung der im Selbstgefühl liegenden wechselseitigen Bestimmung von Zwangs- und Kraftgefühl hervorgeht, die Motivation des Subjekts auf, das Nicht-Ich konkretisieren zu wollen. Das Ziel der sich im Gefühl des Sehnens äußernden Motivation bestimmt er durch Abgrenzung dieses Gefühls vom Gefühl des Zwanges. Im Gefühl des Sehnens ist das Subjekt intentional auf etwas anderes gerichtet. Dieses Gefühl ist für Fichte teleologisch bestimmt. Es ist zweckgerichtet und hat damit einen Angfangsund einen Endpunkt. Im Zustand des Sehnens bemüht sich das Subjekt zunächst um die Aufhebung des Zwanges, der durch das Nicht-Ich verursacht ist. Die Aufhebung des Zwanges beginnt für Fichte mit der Bestimmung der Realität der Objekte durch das Subjekt und endet mit der Erreichung des Bewußtseins, in dem sich das Subjekt als von jeder Fremdbestimmung befreit und d.h. als durch sich selbst gesetzt erfährt. Diesen Zustand erreicht das Subjekt im Gefühl der Vollendung. Das Gefühl des Sehnes eröffnet dem praktischen Subjekt seinen Wirkungskreis, denn es zielt auf den Zustand, den das Subjekt im Gefühl der Vollendung erlebt. Dafür muß das Sehnen folgende Voraussetzungen erfüllen: Zunächst muß das Subjekt, um den Zwang, den es auf der Entwicklungsstufe des Selbstgefühls erfährt, als einen äußeren Zwang durch die Dinge bestimmen zu können, zwischen Innen- und Außenwelt unterscheiden können. Dies vermag es, weil in dieser Hinsicht Selbstgefühl und Sehnen einander entgegengesetzt sind. Während für das Selbstgefühl die Selbstbezüglichkeit, d.h. die Rückwendung des Ich auf sich selbst, konstitutiv ist, wird das Subjekt im Sehnen umgekehrt von sich weg auf die Dinge außer ihm getrieben. Dann soll die Objektivität der Dinge gewahrt bleiben, d.h. die Nicht-Iche sollen für das Ich als von ihm unabhängige, selbständige Objekte erscheinen. Hierfür liefert das Selbstgefühl den Maßstab. Das sich in diesem Gefühl manifestierende Durch-sich-selbst-bestimmt-sein überträgt
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das Ich auf die Objekte. Ferner muß Fichte einen Mangel des Gefühls ausgleichen: Das Gefühl ist zwar für ihn der »Grund aller Realität« (I,2,429) und er weist auch nach, wie das Sehnen für das Subjekt das Wissen um die Sachhaltigkeit der Objekte ermöglicht, aber die Konkretion der Objekte leistet es nicht alleine, sondern es ist hierbei auf die Anschauung angewiesen. Der Vorzug des Gefühls besteht darin, den unmittelbaren Bezug zu den zu bestimmenden Objekten herzustellen. Seine Grenze zeigt sich jedoch darin, daß es die Beschaffenheit der Objekte, auf die es stößt, nicht nachbilden kann. In der Repräsentation des Gefühlsgehalts besteht die Aufgabe der Anschauung. Die Bestimmung der Sachhaltigkeit eines Objekts setzt sich sowohl aus Aspekten des praktischen Wissens (Gefühl) als auch aus Aspekten des theoretischen Wissens (Anschauung) zusammen, wobei aber der Prozeß des für die Bestimmung der Realität eines Objekts notwendigen Wechsels zwischen Gefühl und Anschauung selbst durch ein praktisches Prinzip grundgelegt ist. Schließlich muß Fichte aufzeigen, worin sich für das Subjekt das Gelingen oder Misslingen der vom Sehnen initiierten Konkretion der Objekte äußert. Die Richtigkeit oder Falschheit der qualitativen Bestimmng eines Objekts äußert sich für das Subjekt in den Gefühlen des Beifalls und Mißfallens. Das Gefühl des Beifalls leitet den letzten Entwicklungsschritt der Selbstobjektivierung des Subjekts ein. Es motiviert das Subjekt sich über den bloßen Eindruck der richtigen Bestimmung eines Objekts zu erheben, um sich als das schlechthin Bestimmende zu setzen, von dem alle Realität ausgeht. Hier ist das Ziel des Sehnens erreicht. Die Deduktion des Sehnens setzt bei Fichte mit der Reflexion auf den nach außen gehenden Trieb ein, der zwar auf ein Objekt ausgeht, dasselbe aber »nicht realisieren kann, als Ding, noch auch darstellen [kann], durch ideale Thätigkeit. Es ist demnach eine Thätigkeit, die gar kein Objekt hat, aber dennoch unwiderstehlich getrieben auf eins ausgeht, und die blos gefühlt wird« (I,2,431). Die nach außen gehende Tätigkeit kann das Objekt nicht als Ding realisieren, weil sie keine Tätigkeit ist, die Materie erschafft. Sie ist nur auf die Erkenntnis der qualitativen Beschaffenheiten des Objekts aus. Diese qualitativen Beschaffenheiten kann sie aber auch noch nicht angeben, weil man nur dann etwas konkret bestimmen kann, wenn man dieses etwas gegen etwas anderes Konkretes abgrenzen kann. Da das Subjekt ein Bewußtsein der Realität nur durch sein Gefühl entwickelt, müßte schon gezeigt worden sein, wie eine Pluralität von Gefühlen, in der sich die qualitativen Beschaffenheiten der Objekte für das Subjekt manifestieren, möglich ist. Dieser Nachweis ist aber noch
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nicht erbracht. Das Objekt, auf das der nach außen gehende Trieb gerichtet ist, ist daher vollkommen unbekannt. Da der nach außen gehende Trieb des Subjekts sein Objekt erst noch entwickeln muß, nennt Fichte ihn »ein Sehnen; einen Trieb nach etwas völlig unbekannten, das sich bloß durch ein Bedürfniß, durch ein Mißbehagen, durch eine Leere, die Ausfüllung sucht, und nicht andeutet, woher? – offenbart« (I,2,431).
Der nach außen gehende Trieb ist in seiner Begrenzung für das Ich im Gefühl des Sehnens. Daß das Ich in sich ein Sehnen fühlt, bedeutet: »es fühlt sich bedürftig« (I,2,431). Indem sich das Subjekt im Gefühl des Sehnens auf die Dinge außer ihm bezieht, entsteht für das Subjekt das Bewußtsein des Unterschiedes zwischen der eigenen inneren Sphäre und der ihm äußeren Sphäre der Dinge der Sinnenwelt. Die Differenz zwischen ›Innen‹ und ›Außen‹ erklärt der philosophische Beobachter in der Darstellung der Fürsichwerdung des Subjekts mit Hilfe der Bestimmung der Beziehung zwischen dem Selbstgefühl und dem Gefühl des Sehnens (vgl. I,2,432). Das Gefühl des Sehnens ist dem Selbstgefühl nachgeordnet, weil das Ich »sich für sich selbst gültig [...] nicht nach außen richten [kann], ohne sich selbst erst begrenzt zu haben« (I,2,433). Bis zu dem Punkt der Begrenzung »giebt es weder ein Innen, noch ein Aussen« (I,2,433) für das Ich. Die bewußte Wahrnehmung der Begrenzung seiner selbst ist für das Ich im Selbstgefühl. Mit dem Selbstgefühl ist die innere Sphäre des Ich gegeben, in der es sich als das Fühlende und Gefühlte und damit als Ich bestimmt. Um sich nach außen zu richten, muß sich dem Subjekt »die Aussen-Welt [...] in ihm selbst auf irgend eine Art offenbart« (I,2,433) haben. Das geschieht für das Ich durch die Setzung eines ihm vermeintlich äußeren Nicht-Ich. Die Setzung des Nicht-Ich löst im Subjekt das Gefühl der NichtBefriedigung aus, weil es auf Grund der Begrenzung die Unendlichkeit nicht ausfüllen kann. In Folge des Gefühls des Sehnens geht das Ich aus sich selbst heraus und versucht diesen Mangel zu beheben. Dabei fühlt es sich in seiner Bedürftigkeit unabhängig von einer äußeren Determination durch die Dinge »in sich selbst – ausser sich getrieben« (I,2,431). Um das Gefühl des Sehnens, durch das der Trieb nach außen sich äußert, näher zu bestimmen, grenzt Fichte dieses Gefühl gegen das Gefühl des Zwanges ab. Nach Fichte bedingen sich beide Gefühle wechselseitig und setzen sich gegenseitig voraus. Wenn das Ich im Selbstgefühl keinen Zwang verspüren würde, dann könnte es sich auch nicht als sehnend fühlen. Umgekehrt kann das Ich aber nur dann einen Zwang fühlen, wenn es
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einen Drang verspürt, über den Zwang hinauszugehen. Beide Gefühle sind ohne das jeweils andere nicht möglich. Sie sind einander aber auch »vollkommen entgegengesezt« (I,2,431). Im Gefühl des Zwanges fühlt sich das Ich nur leidend (vgl. I,2,431), denn es reflektiert nicht darauf, daß sein Trieb nach außen in Folge der durch das Gegenstreben des Objekts ausgelösten Selbstaffektion bloß begrenzt und nicht vernichtet wurde. Für es selbst ist seine Tätigkeit aufgehoben (vgl. I,2,426). Im Gefühl des Sehnens wird das Ich »als thätig gefühlt« (I,2,431), weil es durch die nach außen gehende Kraft des Triebs in sich selbst einen Drang verspürt, über die scheinbare Begrenzung seiner Tätigkeit durch das Gegenstreben des Objekts hinauszugehen. Mit der Entgegensetzung der Gefühle des Zwanges und des Sehnens geht die Entgegensetzung der Objekte einher, die durch die Beziehung der Gefühle auf das Ich von ihm gesetzt werden. Die Objekte der entgegengesetzten Gefühle läßt Fichte bis zu diesem Punkt der Untersuchung noch relativ unbestimmt (vgl. I,2,434). Dennoch kann man seiner Deduktion schon allein aus der Entgegensetzung folgende Informationen über diese Objekte entnehmen: das Objekt des Gefühls des Zwanges ist ein bis jetzt noch nicht näher bestimmtes Nicht-Ich, dem das Subjekt die Begrenzung seiner Kraft zuschreibt. Als Entgegengesetztes muß das Objekt des Gefühls des Sehnens ein solches sein, durch das das Subjekt seine Kraft nicht mehr als begrenzt, sondern als durch sich selbst bestimmt erlebt. Die Selbstbestimmung ist für das Subjekt im Gefühl der Vollendung (vgl. I,2,450). Der Zustand der Selbstbestimmung und sein entsprechendes Gefühl ist das Objekt des Sehnens. Die Objekte der Gefühle des Sehnens und des Zwanges unterscheiden sich weiterhin darin, daß »das Objekt des Gefühls der Begrenzung [...] etwas Reelles« ist, während »das des Sehnens [...] keine Realität [hat], aber [...] sie zufolge des Sehnens haben [soll], denn dasselbe geht aus auf Realität« (I,2,434). Der Zustand der Selbstbestimmung des Ich im Gefühl der Vollendung ist dem Ich nicht gegeben. Er ist nicht etwas wirklich Vorhandenes, sondern er muß vom Subjekt erst noch hervorgebracht werden. Die Methode, mit der das Ich das Objekt des Sehnens und das dazugehörige Gefühl der Vollendung hervorbringt, ist die der Gegensetzung. Das Ich soll aus dem Gefühl des Zwanges auf das Objekt des Sehnens schließen, d.h. das Objekt des Sehnens soll vom Ich durch Anleitung (vgl. I,2,433) des Gefühls des Zwanges durch den nach außen gehenden Trieb hervorgebracht werden. Bei der Tätigkeit des Hervorbringens bzw. Produzierens handelt es sich, so Fichte, nicht um eine erneute Setzung eines
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Nicht-Ich, sondern es geht darum, das schon gesetzte Nicht-Ich näher zu bestimmen. Nach Fichte übernimmt der nach außen gehende Trieb die Aufgabe der Bestimmung der qualitativen Beschaffenheiten der Objekte. Um das Wesen und die Funktion des Triebs nach außen einer systematischen Prüfung zu unterziehen, nimmt Fichte nun Ausgang vom Zustand des Ich im Selbstgefühl. Da sich die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt für das Subjekt im Glauben bekundet, richtet sich der nach außen gehende Trieb nach Bestimmung des Nicht-Ich an diejenige Tätigkeit, die verantwortlich für die Entstehung des Glaubens ist. Diese Tätigkeit ist für Fichte ein Bestimmen. Mittels der bestimmenden Tätigkeit hat sich das Ich im Selbstgefühl »gesezt als Ich, nach dem Grundsatze: das sich selbst setzende, das, was bestimmend, und bestimmt zugleich ist, ist das Ich« (I,2,434). Im Selbstgefühl hat sich das Ich »selbst bestimmt, völlig umschrieben, und begrenzt. Es ist [hier] [...] absolut bestimmend« (I,2,434). Der nach außen gehende Trieb richtet sich auf diese Handlung, durch die sich das Ich absolut selbst bestimmt hat, und »wird daher in dieser Rücksicht« zu einer Tätigkeit des Bestimmens der »durch das Gefühl überhaupt schon gegebnen Realität« (I,2,434). Das Ich soll das Nicht-Ich zwar bestimmen aber nur so, daß das Nicht-Ich nicht aufgehoben wird. Aus denselben Gründen wie das Streben darf die bestimmende Tätigkeit keine Kausalität (vgl. I,2,435) haben. Denn das Dasein (vgl. I,2,434) des Nicht-Ich ist die Bedingung des Lebens (vgl. I,2,434). Daher muß das Gleichgewicht (vgl. I,2,434) zwischen bestimmendem Trieb und dem zu bestimmenden Nicht-Ich gewahrt bleiben. Das ist nur dann möglich, wenn das Nicht-Ich völlig unabhängig vom Ich durch sich selbst bestimmt ist. Dieses Merkmal (vgl. I,2,437), das Fichte auch »das subjektive Gesez der Bestimmung« (I,2,437) nennt, »wird durch den Bestimmungstrieb aus dem Ich heraus übertragen auf die Dinge« (I,2,437). Das zu bestimmende Nicht-Ich soll für das Ich als durch sich selbst bestimmt erscheinen. Da das Nicht-Ich die Bedingung des Lebens ist, geht die bestimmende Tätigkeit nicht auf »Stoff überhaupt, sondern auf eine gewiße Bestimmung des Stoffes« (I,2,434). Diese Bestimmung durch den nach außen gehenden Trieb wird vom Subjekt als ein Sehnen gefühlt. Das Sehnen geht gar nicht auf Hervorbringung (vgl.I,2,434) des Stoffs, sondern auf dessen Modifikation (vgl. I,2,434). Modifikation bedeutet hier, daß die bestimmende Tätigkeit darauf aus ist, die einzelnen Qualitäten und damit die Beschaffenheit, d.h. die einzelnen modi des Stoffes, zu bestimmen. Bestimmen meint hier, angeben zu können, was etwas ist. Bei der Be-
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stimmung bzw. Modifikation handelt es sich um keine reale Tätigkeit (vgl. I,2,438), die auf Verändern und Erschaffen der Beschaffenheiten des Stoffes aus ist, sondern um ein Nachbilden (vgl. I,2,436) und Anschauen der Beschaffenheiten durch ideale Tätigkeit. Nachdem Fichte den Aufweis erbracht hat, um was für eine Tätigkeit es sich beim Bestimmen handelt, geht er zunächst auf die Begrenzung und dann auf die Befriedigung der Tätigkeit des Bestimmens ein. Die Befriedigung dieser Tätigkeit erörtert er im Zusammenhang mit der Darstellung des Zustandekommens der Mannigfaltigkeit der qualitativen Beschaffenheiten der Objekte. Die Folge der Begrenzung des Bestimmungstriebs des Ich ist ein Gefühl. Weiterführend stellt sich für Fichte die Frage, »was das für ein Gefühl seyn möge«, durch das die Tätigkeit des Bestimmens als »begrenzt gefühlt wird« (I,2,434). Da die Tätigkeit des Bestimmens nicht auf Stoff überhaupt, sondern auf die Beschaffenheiten des Stoffs geht, wird Fichte zufolge die Tätigkeit des Bestimmens durch die Beschaffenheiten des Stoffs begrenzt. Die qualitative Beschaffenheit des zu bestimmenden Objekts ist daher Grund des Gefühls der Begrenzung. Dabei wird die bestimmende Tätigkeit nicht durch die Beschaffenheit des Stoffs als solche, sondern durch eine gewiße (vgl. I,2,434), d.h. besondere Beschaffenheit begrenzt. Alles, was Gegenstand der bestimmenden Tätigkeit ist, muß »[realiter] bestimmt und bestimmend zugleich seyn« (I,2,437). Das Bestimmen durch ideale Tätigkeit geht darauf aus, das zu bestimmende Nicht-Ich als durch sich selbst bestimmt zu finden und ist nur unter dieser Bedingung zu befriedigen. Nur inwiefern etwas mit sich in Wechselwirkung steht, ist es, so Fichte, eins und ebendasselbe. Diesen Maßstab (vgl. I,2,436) der Bestimmung, den das Ich »in sich selbst« (I,2,436) hat, überträgt es aus sich selbst heraus auf die Beschaffenheiten der Dinge. Die besonderen Beschaffenheiten der Dinge müssen realiter durch sich selbst bestimmt sein und auch vom Ich in idealer Hinsicht als solche gefunden werden können. Damit die bestimmende Tätigkeit nicht an der Vielheit der Beschaffenheiten des Stoffs scheitert, besteht die erste Voraussetzung der Befriedigung dieser Tätigkeit darin, daß sie nur dann etwas klar und deutlich bestimmen kann, wenn sie das zu Bestimmende als etwas Einfaches und durch sich selbst Bestimmtes vorfindet. Die weitere Voraussetzung der Befriedigung dieser Tätigkeit besteht darin, daß von ihr erst von jenem Zeitpunkt an eine gewiße Beschaffenheit des Stoffs eindeutig bestimmbar ist, ab dem sie diese gewiße Beschaffenheit gegen eine andere durch sich
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selbst bestimmte Beschaffenheit abgrenzen kann. Die Begrenzung der bestimmenden Tätigkeit durch die neue Beschaffenheit zeigt sich wie die erste Begrenzung dieser Tätigkeit im Gefühl. Der nun erfolgenden Untersuchung des Wechsels der Gefühle stellt Fichte die Erörterung der Art des Gefühls voran, das aus der Beschränkung der bestimmenden Tätigkeit durch die besondere Beschaffenheit des Stoffs hervorgeht. Fichte nennt das bestimmte Gefühl, das aus der Beschränkung der bestimmenden Tätigkeit hervorgeht, Empfindung und gibt für das Zustandekommen einer Empfindung folgende Erklärung: die besondere Beschaffenheit des Stoffs bewirkt durch die Begrenzung des Bestimmungstriebs im Ich ein Gefühl. Den Punkt der Begrenzung, der sich im Gefühl äußert, nennt Fichte C. Die Begrenzung in Punkt C ist keine Grenze im Raum (vgl. I,2,441), sondern eine Grenze der Intention (vgl. I,2,441). Diese Grenze gibt an, »was das süsse vom sauren, u[nd] dergl. scheidet« (I,2,441). Auf dieses Gefühl in Punkt C reflektiert das Ich. Durch die Reflexion wird das Gefühl ein bestimmtes Gefühl. Dies bestimmte Gefühl ist, so Fichte, die Empfindung. Woher kommt nun der Gehalt der Empfindung? Im Selbstgefühl setzt sich das Ich als das Bestimmte und das Bestimmende. Das Bestimmte und Bestimmende ist es aber »nur in idealer Rücksicht«, denn »sein Streben nach realer Thätigkeit [...] ist begrenzt« (I,2,438). Die begrenzte reale Tätigkeit bezeichnet Fichte »als innere, eingeschloßne, sich selbst bestimmende Kraft [...] oder, da sie ohne Aeußerung ist, [als] intensive[n] Stoff« (I,2,438). Auf diesen intensiven Stoff (vgl. I,2,438) reflektiert das Ich. In Folge der Reflexion auf seine Begrenzung durch die Beschaffenheiten des Objekts überträgt der Bestimmungstrieb aus dem Ich den intensiven Stoff (vgl. I,2,438) auf die Dinge außer ihm. Der ursprünglich subjektive intensive Stoff (vgl. I,2,438) wird durch Gegensetzung nach außen »in ein objektives verwandelt« (I,2,438). Der intensive Stoff (vgl. I,2,438), von dem Fichte hier spricht, ist nichts Dinghaftes, Materielles, sondern er ist dasjenige, das den Gehalt der Beschaffenheit der Dinge ausmacht, der sich in der Empfindung ausdrückt, wie z. B. rot, süß etc.. Die scheinbar objektive Beschaffenheit des Dinges ist daher »ursprünglich ein subjektives« (I,2,439), d.h. die Beschaffenheiten sind nichts an sich Seiendes, sondern sie sind nur für das Ich, wenn das Ich sie für sich im Gefühl, bzw. in der Empfindung setzt. Die Empfindungen des Süßen und des Sauren kommen dadurch zustande, daß das Ich in Punkt C auf das Gefühl der Begrenzung reflektiert. Das Süße und das
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Saure sind jeweils intensiver Stoff (vgl. I,2,438), den das Ich in Folge der Begrenzung und Reflexion auf das Gefühl der Begrenzung überträgt. Zwar führt die Reflexion zum Bewußtsein der Realität, sie selbst ist aber vorbewußt. Die Folge ist, daß das Subjekt nicht weiß, daß es die reale Beschaffenheit des Objekts selbst produziert. In seiner Beziehung zu dem Objekt entsteht für das Subjekt der Eindruck eines unabhängig von ihm vorhandenen, qualitativ bestimmten und für sich bestehenden Objekts. Fichte zufolge weist der Philosoph indessen nach, daß das Subjekt niemals mit dem Objekt an sich, sondern immer nur mit seinen Beschaffenheiten, die es selbst setzt, in Berührung kommt. Auf diese Weise vermag Fichte einsichtig zu machen, daß das Subjekt niemals ganz aus sich selbst herausgeht, sondern immer nur bis zu der Grenze des gegenstrebenden Objekts gelangt, die es selbst im Zustand des Gefühls setzt. In diesem Kontext stellt Fichte die These auf, daß von den »lediglich subjektiven Beziehungen auf das Gefühl [...] alle unsre Erkenntniß« ausgeht und daß dementsprechend »ohne Gefühl [...] gar keine Vorstellung eines Dinges ausser uns möglich« (I,2,440) sei. Hier hat Fichte den in der Anmerkung zur Vorrede der Begriffsschrift nur fragmentarisch formulierten Sachverhalt, »daß die Dinge an sich nur subjektiv, d.i. nur inwiefern sie auf unser Gefühl wirken, erkannt werden« (I,2,109) vollständig expliziert.77 Dieses Untersuchungsergebnis bezeichnet Fichte allerdings bis zu diesem Punkt als nur vorläufiges. So stellt er ein weiteres Bedingungsverhältnis in einem folgenden Deduktionsschritt auf: Damit das gewiße Gefühl in der Empfindung etwas Besonderes sein kann, muß das Ich seiner Empfindung eine andere Empfindung entgegensetzen. Denn »ohne Gegensetzung ist das ganze Nicht-Ich Etwas, aber es ist kein bestimmtes, besonderes Etwas, und die Frage: Was ist dies oder jenes, hat gar keinen Sinn, denn sie wird lediglich durch Gegensetzung beantwortet« (I,2,444). Man muß, so Fichte, wenn man einer Empfindung einen bestimmten Gehalt zuschreiben will, diese Empfindung gegen eine andere Empfindung abgrenzen können. Gefühle werden erst durch Entgegensetzung und Reflexion auf sie zu einer bestimmten Empfindung. Die Bestimmung einer Empfindung setzt, so Fichte, immer zwei Gefühle voraus. Damit das Subjekt die Abgrenzung der beiden Empfindungen von einander vornehmen kann, muß die bestimmende Tätigkeit auf ein zweites Objekt stoßen, das 77. Es mag ja nach Fichte angehen, daß alle möglichen Bestimmungen des Objekts aus dem Ich ableitbar sind, aber der einzelne konkrete Gefühlsgehalt kann von Fichte nicht als notwendig zu Setzendes aus den notwendigen Handlungen des menschlichen Geistes abgeleitet werden. Hier besteht ein Hiat. Es ist bei Fichte letztlich kontingent, warum die Subjekte etwas als ›rot‹ und nicht als ›grün‹ vorstellen.
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das zweite Gefühl und durch Reflexion auf es die zweite Empfindung im Ich auslöst. Fichte fragt nun danach, wie die Differenz der Empfindungen »in den Wirkungskreis des idealen Ich« (I,2,442) gelangt oder »populär ausgedrükt: warum ist süß etwas anderes, als sauer, demselben entgegensetzes? Ueberhaupt etwas bestimmtes ist beides. Aber ausser diesem allgemeinen Charakter, welches ist ihr Unterscheidungsgrund?« (I,2,442) Die Möglichkeit des Wechsels und der Entgegensetzung der Empfindungen gründet, so Fichte, in der synthetischen Vereinigung von Gefühl und Anschauung. Die Darstellung der synthetischen Vereinigung von Gefühl und Anschauung wird von Fichte durch ein Hilfsmittel vollzogen, das darin besteht, daß das Ich über seine Bestimmung des Nicht-Ich reflektieren und sich in der Reflexion als das Bestimmende setzen soll. Mittels der Reflexion auf sich selbst wird die Handlung, durch die das Ich die Beschaffenheit des Gegenstandes bestimmt, abgebrochen und dadurch begrenzt. Das Abbrechen und Begrenzen der Handlung äußert sich für das Ich im Gefühl. Dieses Gefühl ist dasjenige, was Fichte als Punkt C gesetzt hatte. Den Charakter der Handlung des Bestimmens versteht Fichte als ein Nachbilden und Anschauen. Das Produkt der Handlung des Bestimmens ist demnach »eine Anschauung von X. ein Bild desselben« (I,2,442). Der Punkt, in dem das Ich sein Bestimmen abgebrochen hat und in dem das X begrenzt und bestimmt ist, ist der Punkt C. Dieser Punkt C repräsentiert aber keine Begrenzung der Intension. Sofern sich das Ich als das Nicht-Ich Bestimmende setzt, gibt es sich selbst die Grenze seiner Anschauung des X (des Bildes). Es bestimmt sich selbst dazu, »den Punkt C. als Grenzpunkt zu setzen, und X. würde demnach durch absolute Spontaneität des Ich bestimmt« (I,2,443). In der so entstandenen Konkurrenz zwischen Gefühl und Anschauung, muss X dem subjektiven Gesetz der Bestimmung entsprechend durch sich selbst bestimmt sein. Hier formuliert Fichte zwei entscheidende Verhältnisbestimmungen: Setzt sich das Ich in der Anschauung selbst seine Grenze, ist das X nicht durch sich selbst bestimmt. Sofern die Begrenzung in Punkt C dem X von sich her zukommen soll, ist sie für das Ich nur im Gefühl und nicht in der Anschauung. Sofern die Begrenzung des X durch das Ich gesetzt wird, ist sie nur angeschaut und nicht gefühlt. Fichte beschreibt die Konkurrenz zwischen Anschauung und Gefühl und ihre Angewiesenheit aufeinander wie eine
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symbiotische Beziehung: »Anschauung und Gefühl haben keinen Zusammenhang. Die Anschauung sieht, aber sie ist leer; das Gefühl bezieht sich auf Realität, aber es ist blind« (I,2,443). Die Anschauung bildet die zu bestimmende Beschaffenheit des Nicht-Ich nach. Indem sie aber nur auf das Bild der Beschaffenheit des Nicht-Ich geht, sagt sie nichts über den Sachgehalt der Beschaffenheit aus. Das Gefühl hingegen bezieht sich nicht auf das Bild, sondern auf den Sachgehalt des Nicht-Ich. Für sich genommen können daher weder Anschauung noch Gefühl allein den Gegenstand bestimmen. Die notwendige Konsequenz stellt daher für Fichte »eine Vereinigung, ein synthetische[r] Zusammenhang des Gefühls, und der Anschauung« (I,2,443) dar.78 Fichte vollzieht die Auflösung der Konkurrenz zwischen freier und gezwungener Begrenzung und der damit einhergehenden synthetischen Vereinigung von Anschauung und Gefühl in Punkt C der Begrenzung des X folgendermaßen: Das anschauende Ich kann das X nur so bestimmen, daß das X durch sich selbst bestimmt erscheint, wenn es über den beliebigen Grenzpunkt C hinaus ein anderes Nicht-Ich durch ideale Tätigkeit setzt. Das andere Nicht-Ich nennt Fichte Y. Wie auf X, so muß das subjektive Gesetz der Bestimmung auch auf Y zutreffen. Darüber hinaus sind X und Y vollkommen entgegengesetzt und begrenzen sich daher gegenseitig in Punkt C. »Sie sind beide Etwas; aber jedes ist etwas anderes« (I,2,444). Das Setzen des Y durch ideale Tätigkeit ist eine Wirkung des Bestimmungstriebs. Da sich X und Y wechselseitig (vgl. I,2,444) durch Außchließen bestimmen, wird die Tätigkeit des Bestimmens als Tätigkeit nach dem Prinzip der Wechselbestimmung (vgl. I,2,444) weiterbestimmt. Nach der Deduktion der Funktion der Anschauung wendet Fichte sich der Deduktion der Funktion des Gefühls in der Wechselbestimmung zwischen X und Y zu. Da die Begrenzung der bestimmenden Tätigkeit durch die Beschaffenheit des Objekts X in Punkt C ihren Ausdruck im Gefühl hat, kann auch die Beschaffenheit des Objekts Y, »inwiefern es gerade in C. angehen soll« (I,2,444), dem Ich nur durch eine »Beziehung auf das Gefühl« (I,2,444) gegeben sein. Es ist das Gefühl, welches die Beschaffenheiten beider Objekte »in der Grenze vereinigt« (I,2,444). Der Trieb nach Wechselbestimmung, der sich durch das Sehnen äußert, geht demnach nicht nur auf ein Gefühl überhaupt aus, sondern er zielt auf einen »Wechsel der Gefühle« (I,2,445). Das Objekt des Sehnens ist deshalb ein anderes, dem vorhandenen Gefühl entgegengesetztes Gefühl. 78. Vgl. dazu die Kritik der reinen Vernunft: »Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind« (B75).
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Der Grenzpunkt C ist der Vereinigungspunkt der Beschränkung der Tätigkeit des Bestimmens durch die Beschaffenheit des Objekts X, und der Beschränkung durch die Beschaffenheit des Objekts Y. Beide Beschränkungen kommen jeweils in der Empfindung X und Y zu ihrem Ausdruck. Nun aber kann das Ich nicht in ein und demselben Grenzpunkt C »zweierlei zugleich fühlen« (I,2,445), womit er die Gefühle bzw. Empfindungen X und Y meint. Der aus dem Wechsel der Gefühle bzw. der Empfindungen resultierende veränderte Zustand des Ich kann daher als veränderter (vgl. I,2,445) nicht gefühlt werden, sondern das Andere kann lediglich »durch ideale Thätigkeit angeschaut werden« (I,2,445). Da die ideale Tätigkeit die Stelle (vgl. I,2,445) des Gefühls nicht vertreten (vgl. I,2,445) kann, denn Gefühle lassen sich nicht begrifflich erfassen, bestimmt sie den ersehnten anderen Zustand des Ich bloß negativ (vgl. I,2,445), d.h. als etwas, das nicht das »gegenwärtige[...] Gefühl« (I,2,445) X ist. Durch die bloß negative Bestimmung werden aber weder das ersehnte Andere noch das Gefühl X und dadurch das Objekt X hinreichend bestimmt. Das Ich vermag das Objekt nur dadurch zu bestimmen, indem es seine Merkmale angibt, die das Ich seiner Empfindung entnimmt, denn die Merkmale eines Objekts sind für das Ich in der Empfindung. Da die Empfindung ein bestimmtes Gefühl ist, muß, um ein Gefühl als ein bestimmtes Gefühl und damit als Empfindung qualifizieren zu können, das Ich die Gefühle untereinander abgrenzen und vergleichen können. Bei der bloß negativen Bestimmung sei das aber nicht der Fall. Da die bestimmende Tätigkeit dadurch charakterisiert ist, daß Handlungen dabei abgegrenzt und verglichen werden, muß der Wechsel der Gefühle und die damit einhergehende Änderung des Zustandes des Fühlenden auf die bestimmende Tätigkeit Einfluß haben können. Aus diesem Bedingungsverhältnis resultieren für Fichte zwei Fragen: – wie die bestimmende Tätigkeit die Gefühle X und Y entgegensetzt und – wie die bestimmende Tätigkeit erfährt, daß der Zustand des Fühlenden sich tatsächlich verändert hat. Fichtes Überlegungen zu diesen Fragen zeigen, daß das Ich bestimmte Gefühle nur dann einander entgegensetzen kann, wenn es sie vorher in der Reflexion »synthetisch vereinigt« (I,2,447) hat. Da das Ich das Gefühl X nur durch Abgrenzung vom Gefühl Y bestimmen kann, kann es nicht getrennt, d.h. weder auf das eine noch auf das andere Gefühl reflektieren, wenn es nicht »auf beide reflektirt« (I,2,447). In jedem Gefühl muß dazu
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»etwas seyn, das auf das andre« (I,2,448) hinweist. Zwischen den beiden Gefühlen besteht die Beziehung (vgl. I,2,447) in ihrem Gegensatz, der sich auf die ›Intension‹ bezieht, wie das z.B. bei den Geschmacksrichtungen süß und sauer der Fall ist. Das Ich kann für sich allein genommen das Gefühl X nicht bestimmen. Erst durch das zweite ersehnte Gefühl kann es vom ersten Gefühl aussagen, was es ist. Dieser Erfolg der Bestimmung ist für das Ich im »Gefühl[...] der Befriedigung« (I,2,448). Im Abgleich des ersten Gefühls ist das zweite ersehnte Gefühl von einem Gefühl der Befriedigung und des Beifalls begleitet. Im Gefühl der Befriedigung und des Beifalls manifestiert sich für das Ich die Übereinstimmung zwischen seinem Bestimmungstrieb und dessen Objekt. Für das Ich wird damit deutlich, daß der Wechsel der Gefühle eingetreten ist und seine Handlung des Bestimmens mit Erfolg vollzogen worden ist. Fichte nimmt nun an, daß das Gefühl der Befriedigung vom Subjekt nur gesetzt werden kann, wenn es dieses Gefühl gegen das Gefühl der Nichtbefriedigung bzw. des Mißfallens (vgl. I,2,448) abgrenzen kann. Dies sei dann der Fall, wenn sich für das Subjekt der Eindruck manifestiert, das Objekt X nicht bestimmen zu können. Tritt dies in Kraft, so fühlt das Ich sich von etwas Fremdem begrenzt, von dem es nicht angeben kann, was es ist. Der philosophische Beobachter erklärt das Gefühl des Mißfallens damit, daß die Bestimmung des Objekts X nicht gelingen konnte, weil es noch nicht dem Objekt Y entgegengesetzt wurde, so daß hier eine Differenz zwischen dem Bestimmungstrieb und seinem Objekt vorliegt. Aus dem Wechsel der Gefühle von Beifall und Mißfallen folgt für Fichte der Rückschluß auf den Vollzug einer Änderung im Zustand des Fühlenden. Denn abgesehen von den Bestimmungen, die das Subjekt am Objekt X aufgrund seiner Merkmale vollzieht, sind die Gefühle des Beifalls und Mißfallens urteilend, d.h. sie gehen über die qualitative Beschaffenheit der Objekte, daß sie z.B. rot oder süß sind, hinaus. Dem Subjekt geben sie damit den Wert seiner Handlung des Bestimmens an, ob sie geglückt ist oder nicht. Da das Ich das Ergebnis der Handlung des Bestimmens auf die Objekte selbst bezieht, sind die Beschaffenheiten der Objekte X und Y ab »jezt nicht mehr bloß durch Gegensaz, sondern auch durch die Prädikate, misfallend, und gefallend bestimmt« (I,2,448). Aufgrund der urteilenden Gefühle bestimmt das Ich die Objekte nach »Grade[n] des Misfallenden oder Gefallenden« (I,2,448). Die Gefühle des Beifalls und des Mißfallens stellen für das Ich einen Maßstab dafür dar, ob es
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sich mittelbar durch etwas begrenzt fühlt, was es selbst erfolgreich bestimmt hat oder nicht. Durch seine wertenden Gefühle erlebt sich das empirische Ich nicht mehr bloß als abhängig vom Nicht-Ich. Hinzukommt, daß das Bestimmen nach Graden des Gefallenden und Mißfallenden ermöglicht, den durch das theoretische Ich verursachten Widerspruch im Ich aufzulösen. Die Auflösung dieses Widerspruchs geschieht, indem sich das Ich durch das praktische Bestimmen des Nicht-Ich mittelbar selbst bestimmt und dafür mittels der wertenden Gefühle des Beifalls und des Mißfallens über einen Maßstab des Gelingens der jeweiligen Bestimmung verfügt. IV.2.4 Das Selbstverständnis des Subjekts als Prinzip des Wissens im Gefühl der Vollendung (§11) Im Kontext seiner Deduktion des Gefühls macht Fichte nun klar, daß schon die unterschiedlichen Grade des Beifalls und des Mißfallens darauf verweisen, daß das Ich sich noch nicht als das schlechthin Bestimmende in seiner Beziehung zum Nicht-Ich setzt. Diese Gefühle initiieren somit die Vollendung der Selbstobjektivierung des Subjekts. Zwar ist das Gefühl des Beifalls Manifestation eines Zustandes, in dem das Ich dem subjektiven Gesetz der Bestimmung entspricht, aber diese Entsprechung liegt nur insofern vor, als das Ich durch den Trieb nach Wechselbestimmung zur Bestimmung des Nicht-Ich getrieben wurde, ohne sich selbst als das schlechthin Bestimmende zu setzen. Um zu zeigen, daß das Ich nicht nur das Nicht-Ich, sondern auch durch die Bestimmung des Nicht-Ich sich selbst in seiner Beziehung zu dem Objekt bestimmt, geht Fichte noch auf eine letzte Reflexion des Ich ein, in der das Ich diese unmittelbare Selbstbeziehung setzt, die für es im Gefühl der Vollendung ist. Die Deduktion des Zustandekommens des Gefühls der Vollendung führt Fichte nun unter Absehung vom äußeren Nicht-Ich zu der alleinigen Untersuchung des Ich. Da im Ich nur Trieb und Handlung sind, realisiert sich das Gefühl der Vollendung im Ich dann, wenn sich der Trieb nach Wechselbestimmung, der sich nun zum »Trieb nach absoluter Einheit, und Vollendung des Ich in sich selbst« (I,2,449) weiterentwickelt und dieser »absolute[...] Trieb«, der »auf einem gewissen Reflexionspunkte« auch als »absolutes Gesez« oder als »kategorische[r] Imperativ« (I,2,450) ausgedrückt werden kann und ein Handeln »mit absoluter Selbstbestimmung und Freiheit« (I,2,450) sich wechselseitig bestimmen.
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Führt diese Wechselbestimmung zum Gefühl der Harmonie, so enthält sie folgende Bedingungselemente: Sofern die Handlung den Trieb bestimmt, ist der Trieb durch die Handlung abgebrochen. Dieser Abbruch äußert sich für das Ich im Gefühl. In Folge der Reflexion auf das Gefühl bestimmt das Subjekt das Gefühl als Harmonie, weil die freie Handlung den Trieb, d.h. das Gesetz, das sich in ihm äußert, nachbildet. Ist umgekehrt das freie Handeln durch den Trieb hervorgebracht, dann ist das Objekt der Handlung dem Trieb bzw. dem Gesetz angemessen. Auch auf diese Weise entsteht im Ich das Gefühl der Harmonie. Das Ich folgt dem sich selbst gegebenen Gesetz. Der Ausdruck der Übereinstimmung von Trieb und Gesetz manifestiert sich für das Ich im »Gefühl der Zufriedenheit [...] der Ausfüllung [und] völligen Vollendung« (I,2,450). Eben weil das Handeln frei ist, kann es auch gedacht werden, als »nicht durch den Trieb bestimmt« (I,2,451). Im Gegenbeweis zeigt Fichte, daß im Falle der Nicht-Bestimmung des Handelns durch den Trieb dasselbe auch für das Objekt der Handlung gilt. Weichen Trieb und Handlung voneinander ab, dann entsteht im Ich ein Gefühl »der Unzufriedenheit [und] der Entzweiung des Subjekts mit sich selbst« (I,2,451). Das Gefühl der Vollendung ist das Objekt des Sehnens. Der Zustand der Entzweiung, der für das Ich im Gefühl der Leere ist und der am Anfang der Deduktion des Sehnens stand, ist im Gefühl der Vollendung überwunden. Das Ich ist in diesem Gefühl rein durch sich selbst bestimmt und von nichts anderem mehr abhängig. Der Prozeß der Fürsichwerdung des Subjekts ist im Gefühl der Vollendung an sein Ziel gekommen, weil sich das Ich nicht mehr bloß im Bestimmen der Dinge realisiert, sondern sich als das Bestimmende, d.h. als Prinzip des Wissens erfährt. Im Sehnen äußert sich der Trieb nach Veränderung, denn er ist auf einen Wechsel des Zustandes des Ich aus. Dies ist der Grund, warum das Gefühl der Vollendung nur einen Moment dauert (vgl. I,2,451). In diesem Augenblick erfährt das Ich zwar ein völliges Beisichsein und begreift die Realität der Dinge der Sinnenwelt als Spiegel seiner Freiheit, aber das reicht Fichte noch nicht aus. Daß er die Rede vom kategorischem Imperativ mit dem Gefühl der Vollendung in Zusammenhang bringt, besagt, daß die Vollendung der Selbstojektiverung nicht nur darin liegen kann, sich selbst als Prinzip des Wissens zu begreifen, sondern Vollendung bedeutet vielmehr diesen höchsten Zustand der Selbstobjektivierung als einen Zustand der sittlichen Vollkommenheit zu erfahren. Gerade die hier nur in Andeutungen vorkommende moralische Implikation des Gefühls der Vollendung
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macht Fichte in seiner Bestimmung des Gewissens im Sittenlehre zu einem eigenen Thema und in der nova methodo zeigt er, wie sich das Subjekt im moralischen Gefühl des Sollens und Nicht-Dürfens zugleich dem theoretischen und dem praktischen Wissen nach als autonomes Wesen erfährt. IV.3 Fichtes Auseinandersetzung mit Jacobis realistisch-intuitiver Konzeption der Erkenntnis Die übereinstimmende Verwendung des Gefühlsbegriffs in Fichtes und Jacobis Konzeption des Verhältnisses von Bewußtsein und Realität zeigt sich in mehreren Bereichen: Indem Fichte im § 8 der Grundlage konstatiert, daß »an Realität überhaupt, sowohl die des Ich als des Nicht-Ich [...] lediglich ein Glaube« (I,2,429) stattfindet, nimmt er direkten Bezug auf die Jacobische These von der vom Subjekt unmittelbar geglaubten Realität. Jacobi hatte die These, daß die Beziehung des Bewußtseins auf den Gegenstand der Wahrnehmung ein Glaube ist, in seinem erkenntnistheoretischen Hauptwerk, David Hume79 aufgestellt. Die Übereinstimmung von Fichte und Jacobi in der Bestimmung des Verhältnisses von Bewußtsein und Realität besteht aber nicht nur in Bezug auf das Gefühl des Glaubens, in dem die Gewißheit des Subjekts gründet, daß die Vorstellung eines Objekts dem Objekt, so wie es durch das Subjekt vorgestellt wird, auch tatsächlich entspricht, sondern beide Philosophen denken in ihrer Darstellung des Realitätsbewußtseins auch ein sich erweiterndes Selbstbewußtsein des Subjekts. Fichte spricht im praktischen Teil der Grundlage von einer Fürsichwerdung des Subjekts (vgl. I,2,417 ff.) und Jacobi in seinem David Hume vom succesiven Dasein (vgl. D.H. S. 95 ff.) und der Progreßion (vgl. D.H. S. 201) des endlichen Bewußtseins. Die Übereinstimmung zwischen Fichte und Jacobi besteht allerdings nur dem Resultat nach, nicht jedoch in methodischer Hinsicht. Die methodische Differenz resultiert aus ihren unterschiedlichen philosophischen Standpunkten, denn Fichte entwickelt eine transzendentalphilosophische und Jacobi eine realistische Konzeption des Realitätsbewußtseins.80 79. David Hume über den Glauben oder Idealismus und Realismus, hg. v. Lewis White Beck, New York & London 1983. 80. Außerdem muß darauf aufmerksam gemacht werden, daß sich zwar der Sache nach in Fichtes Bestimmung des Verhältnisses von Bewußtsein und Realität eine Aufnahme und Explikation der Gedanken und Motive findet, die Jacobi in seinem David Hume aufgestellt hat; nicht
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Fichtes transzendentalem Idealismus zufolge ist objektive Wahrheit, d.h. die Gewißheit der Übereinstimmung der Vorstellung mit ihrem Gegenstand, nur in der Wissenschaft des Wissens möglich. In Jacobis Realismus gibt es objektive Wahrheit nur vor bzw. außer dem Wissen. Jacobi rechtfertigt seinen philosophischen Standpunkt im Rekurs auf Humes Lehre vom ›belief‹. In seinem David Hume zitiert er dazu längere Passagen aus Humes Enquiry concerning Human Understanding (1748). Das Wissen um die Realität der Gegenstände ist Jacobi zufolge ein unmittelbares Wissen, das er in Anlehnung an Hume als Glaube bezeichnet. Es kann nicht auf rationaler Beweisführung gründen, sondern geht vielmehr umgekehrt allem Wissen aus Beweisen voraus. Seinen philosophischen Standpunkt begründet Jacobi damit, daß nur ein unmittelbares Wissen um die Realität, welches sich in einem ebenso unmittelbaren und unableitbaren Gefühl des Glaubens manifestiert, die Gefahr des Dogmatismus und des Nihilismus (vgl. D.H. Vorrede d. 2. Aufl. S. 108) vermeidet. Letztere Gefahr sieht er in Fichtes transzendentalphilosophischer Bestimmung des Realitätsbewußtseins. Die Prüfung der Jacobischen Kritik an Fichte soll nun in zwei Schritten erfolgen: Im ersten Schritt wird die hier nur angedeutete Kritik Jacobis an Fichtes transzendentalphilosophischer Konzeption des Realitätsbewußtseins untersucht. Im Ausgang von dieser Kritik werden im zweiten Schritt die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Fichte und Jacobi hervorgehoben, so daß deutlich wird, welche Jacobischen Motive von Fichte in seine Konzeption des Realitätsbewußtseins integriert werden. IV.3.1 Jacobis Kritik an Fichtes transzendentaler Deduktion des Realitätsbewußtseins Fichte schreibt am 29.9.1794 einen Brief an Wilhelm von Humboldt, dem er eine Nachricht an Jacobi beifügt. In dieser Nachricht teilt er Jacobi aber läßt sich diese Bezugnahme Fichtes auf Jacobi an Hand von historischen Daten belegen. In ihrem Briefwechsel ist nur die gegenseitige Zusicherung von der Ähnlichkeit ihrer Auffassungen dokumentiert. Reinhard Lauth äußert sich zu Fichtes Jacobi-Kenntnissen folgendermaßen: »Erkennt man den ganzen Umfang der Meditation und Durchdringung spezifisch philosophischer Erkenntnisse Jacobis durch Fichte und die Verwendung derselben im Aufbau des Systems wie ihre Überholung in der durchgeführten Transzendentalphilosophie, so muß eine eingehende Bekanntschaft Fichtes mit dem Spinoza und dem Hume-Buch Jacobis bei der Konzeption der Wissenschaftslehre von Herbst 1793 bis Frühjahr 1795 vorausgesetzt werden«, in: Transzendentale Entwicklungslinien von Descartes bis zu Marx und Dostojewski, Hamburg 1989, S. 266 f..
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seinen Eindruck mit, mit ihm in seinen »besondern Ueberzeugungen übereinzustimmen« (III,2,202). Am 30.8.1795, etwa ein Jahr später, übersendet er Jacobi den praktischen Teil der Grundlage. In der Bestimmung des Verhältnisses von Bewußtsein und Realität, das er in dieser Schrift vornimmt, erkennt Fichte dem Resultat nach eine große Ähnlichkeit mit Jacobis Formulierung dieser Verhältnisbestimmung. Daher schreibt er in seinem Brief an Jacobi auch von der »auffallenden Gleichförmigkeit« ihrer »philosophischen Überzeugungen« (III,2,391). Jacobi scheint Fichtes Auffassung diesbezüglich zu teilen. In seinem Antwortbrief vom 24.12. 1795 an Fichte spricht auch er von einem »Gefühl unserer Harmonie« (III,2,436). Gleichwohl teilt Fichte in diesem Zusammenhang seine Zweifel mit, denn »das Publikum [wird] [...] an diese Gleichförmigkeit kaum glauben«, da Jacobi »bekanntermaßen Realist« und er »ja wohl transzendentaler Idealist« (III,2,391) sei. Während Jacobi das Verhältnis von Subjekt und Realität auf der Ebene der Tatsachen des Bewußtseins bestimmt, auf der er, so Fichte, den »Geist als Geist, so sehr die menschliche Sprache es erlaubt, zu Tage« [...] fördert, unternimmt Fichte als transzendentaler Idealist die Deduktion des Bezugs des Subjekts auf sich selbst und die Dinge außer ihm im Rahmen der Bestimmung der Strukturen des menschlichen Geistes, indem er den Geist in der »Form des Systems« (III,3,18) faßt. Jacobi greift die Verschiedenheit der Reflexionsstandpunkte zwischen ihm und Fichte kritisch in seinem Sendschreiben vom März 1799 an Fichte auf.81 Bezogen auf Fichtes idealistische Verhältnissbestimmung von Bewußtsein und Realität sagt Jacobi, daß dieser es unternehme, »die dem natürlichen Menschen gleiche Gewißheit dieser zwey Sätze: Ich bin, und es sind Dinge außer mir, ungleich zu machen« (III,3,226). Fichte wolle, so Jacobi, mit seiner Transzendentalphilosophie »den Einen dieser Sätze dem andern [...] unterwerfen; [um] jenen aus diesem [...] herzuleiten« (III,3,226). Im Vorgehen Fichtes, der auf der Grundlage seiner Explikation des Gefühls erklärt, daß die Realität der Dinge Produkt der gehemmten Tätigkeit des Subjekts ist, erkennt Jacobi in Bezug auf die Objekte der Sinnenwelt die Gefahr, daß die Dinge zu bloßen Modifikationen des Subjekts werden, so daß das erkennende Subjekt selbst zur Auster 81. Zu Friedrich Heinrich Jacobis Sendschreiben an Fichte vgl. Klaus Hammacher: Jacobis Brief ›An Fichte‹ (1799), in: Walter Jaeschke (Hg.), Transzendentalphilosophie und Spekulation, Hamburg 1993, S. 70 ff.. Allgemeinere Äußerungen zu dem Verhältnis zwischen Idealismus und Realismus findet man in Jacobis Beylage Ueber den Transcendentalen Idealismus zum David Hume. In dieser Beylage setzt sich Jacobi allerdings nur mit dem Kantischen Idealismus auseinander, da Fichtes Grundlage erst 1795 erscheint.
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(vgl. D.H. S. 121) wird, ohne jemals wirklich eine Realität außerhalb seiner selbst anerkennen zu können. In seinem Brief vom 13.12.1797 an Konrad Wilhelm von Dahm veranschaulicht Jacobi seine Auffassung über das Verhältnis von Bewußtsein und Realität in der Transzendentalphilosophie Fichtes ironisierend an seinem Beispiel vom Strickstrumpf. »Du weißt, ein solcher Strumpf entsteht durch und besteht in einem einzigen Faden, der sich nur hin und her bewegt, und im Fortgange seiner Handlung seine Bewegungen durch Bewegung selbst fixiert, ohne sich dazu eines Knotens oder dergleichen zu bedienen. Dieser Faden ist nun das reine Ich, und strebt ins Unendliche hinaus. Da er nun als Ich sich unmöglich selbst setzen könnte, wenn er sich nicht von etwas unterschiede, d.i. sich ein Nicht-Ich entgegensetzte, so imaginiert der selbstthätige Faden die Strickdrähte, an welchen er sich aufhält, und im Moment des Aufhaltens ein Nicht-Ich setzt; dann zurückgehend, ein Ich; und da beydes in demselben Augenblick geschieht: ein zusammengesetzes Wesen. So entsteht durch Thesis, Antithesis und Synthesis, die in der Abstraction als drey verschiedene Handlungen betrachtet werden, aber in der That nur Eine seyn können – der Strumpf. In dem Strumpf sind nun Streifen, Blumen, Sterne, was Du willst, zu sehen und wirklich in ihm; aber Du wirst doch gewiß nicht so albern seyn und glauben, das alles wäre aus den Drähten in den Strumpf geflossen? Offenbar sind alle diese Dinge [...] bloße Handlungen des Fadens; es ist nichts da, gar nichts, als der Faden«.82 Für Jacobi bedeutet also der Idealismus Fichtes, daß die Realität als eine bloße Erscheinung im Subjekt zu betrachten ist, der nichts Objektives außerhalb des Subjekts entspricht. Süffisant fügt er den in seinem Sendschreiben vom 30. März 1799 an Fichte gerichteten Worten hinzu, daß die Realität in Fichtes Philosophie nichts anderes sei, als ein »reales Nichts« bzw. »ein Nichts der Realität« [III,3,238). Polemisch wirft er Fichte vor, seine Philosophie sei nicht mehr als ein spekulatives Spiel (vgl. III,3, 238).83 In der Tat muß Jacobi durch Fichte in seiner Religiösität verletzt 82. Aus Jacobi‘s Nachlaß. Ungedruckte Briefe von und an Jacobi und Andere. Nebst ungedruckten Gedichten von Goethe und Lenz. Hg. v. Rudolf Zoeppritz. 1. Bd. Leipzig 1869, S. 200f.. Vgl. auch dazu auch das Sendschreiben Jacobis vom März 1799 an Fichte (III,3,236). 83. Ähnlich urteilt auch Julius Ebbinghaus. Er folgert aus Fichtes Versuch, das Realitätsbewußtsein als Produkt des Ich zu erweisen, daß Fichte den Gedanken von Gegenständen gleichsetzt mit den Bestimmungen der Gegenstände und daß es sich deshalb bei Fichtes Lehre um einen Rückfall in »dogmatische Metaphysik« (S. 338) handelt. Fichtes Theoreme »von der Bedingtheit aller möglichen Realität durch das denkende Subjekt« (S. 343 f.) und vom absoluten Ich als Quelle der »Beschaffenheit des Seienden« führen Ebbinghaus zufolge dazu, daß sich bei Fichte das Realitätsbewußtsein auf die subjektiven Setzungen des Ich reduziert und die Objekte zur
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worden sein, denn nach Fichtes transzendentalphilosophischer Konzeption erschafft das Subjekt die Welt. Für Jacobi, der fest im Glauben an einen christlichen Schöpfergott verwurzelt ist, bedeutet die Annahme Fichtes, daß Subjekt produziere die Realität, eine dem Subjekt nicht zu übertragende Zumutung, denn in Bezug auf das Realitätsbewußtsein falle bei Fichte die Differenz zwischen Subjekt und Schöpfergott weg. Dieser Differenz mißt Jacobi für seine Konzeption des Realitätsbewußtseins zentrale Bedeutung bei. Die Prüfung der Kritik Jacobis an Fichte zeigt, daß Jacobi in seiner kritischen Auseinandersetzung mit Fichte nicht den real-idealistischen Charakter der Fichteschen Konzeption des Realitätsbewußtseins berücksichtigt. Fichte will mit seiner Bestimmung des Realitätsbewußtseins als Produkt des Subjekts die Freiheit des Subjekts in seinem Bezug auf die Realität sichern, um die Determination des Subjekts durch die Objekte auszuschließen. Jacobi sieht nicht, daß gerade dadurch, daß sich im Fichteschen Konzept die Produktion des Realitätsbewußtseins nach notwendigen Gesetzen vollzieht, jede Willkür des Subjekts bezüglich der Setzung der Objekte ausgeschlossen werden soll. Der realistische Charakter dieser Konzeption, die sich für das Ich vornehmlich in den Gefühlen des Zwanges und den Misfallens äußert. soll gerade dazu dienen, den Eindruck des Subjekts zu sichern, die Objekte seien unabhängig von ihm da. Diese Gefühle machen deutlich, daß gerade durch das Misfallen über ein nicht zu bestimmendes Objekt, durch das das Subjekt sich gezwungen fühlt, sich das Subjekt nicht als Produzent des Realitätsbewußtseins weiß. Bei ausschließlich willkürlicher Objektsetzung müßte das Subjekt jederzeit die Sachhaltigkeit der Objekte angeben können und durchgehend ein Gefühl der Befriedigung empfinden. Ein weiteres Gegenargument stellt die Bestimmung des Sehnens dar, das darauf aus ist, die Objekte als durch sich selbst vorzufinden. Auf diese Intentionen Fichtes geht Jacobi jedoch nicht ein. Er stellt dem von ihm kritisierten wissensimmanenten Realitätsbegriff Fichtes seinen eigenen Realitätsbegriff gegenüber, der seinen Ursprung bloßen Grenze dieser Setzungen degradiert werden, ohne daß ihnen ein vom Ich unabhängiges Pendant außerhalb der Sphäre des Ich entspricht. Daher ist für Ebbinghaus bei Fichte das »Mannigfaltige der Erscheinungen [...] nichts anderes als eine Scheinwelt« . Fichtes These von der Produktion des Realitätsbewußtseins verleitet Ebbinghaus zu der Auffassung, daß bei Fichte »die Erkenntnis der Abhängigkeit aller unserer Gedanken [der Form des Denkens nach] von der Einheit des Bewußtseins unserer selbst eine Erkenntnis des ersten Grundes alles Möglichen überhaupt sei, so [daß] jeder, der die Möglichkeit von irgendetwas behauptet, das [wie das Ding an sich] nicht den Charakter des durch ihn Erdachten hat, seines Verstandes beraubt erscheinen« (S. 342) muss. In: Julius Ebbinghaus: Interpretation und Kritik. Schriften zur Theoretischen Philosophie und zur Philosophiegeschichte 1924-1972, hg. v. Hariolf Oberer u. Georg Geismann, Bonn 1990.
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wesentlich in einem ›wissenden Nichtwissen‹ (vgl. III,3, 225, 296, 308), d.i. in einem unmittelbaren, nicht spekulativ begründeten Glauben hat. Der Rekurs auf Jacobis Darstellung der Progression des Bewußtseins im letzten Abschnitt dieses Kapitels wird zeigen, daß auch dieser von der Freiheit des Subjekts in seinem Verhältnis zur Realität spricht. Im Unterschied zu Fichte ist für Jacobi die Freiheit jedoch kein Produkt des Subjekts. Jacobi zufolge verdankt das Subjekt seine Freiheit in Bezug auf die Objekte der Sinnenwelt einzig und allein Gott als dem Schöpfer endlichen Lebens (vgl. D.H. S. 189).84 IV.3.2 Jacobis Bestimmung der »Progreßion des Bewußtseins« im Verhältnis zu Fichtes Erörterung der Fürsichwerdung des Subjekts Das Objekt wird, so Jacobi, vom Subjekt entweder gefunden oder es offenbart sich dem Subjekt. Das Auffinden und Offenbaren des Objekts im Subjekt äußert sich im Gefühl des Glaubens. Das, was ist, zeigt sich für Jacobi im Glauben. Daher wird sein Realismus auch als »Realismus des Findens«85 bezeichnet. Für Jacobi, der nicht zwischen Ding an sich und Erscheinung differenziert, ist das reale Sein unhintergehbar objektiv. So wie die Dinge sind, offenbaren und enthüllen sie sich dem Subjekt im Glauben. Der Glaube selbst ist für ihn ein intuitives Fürwahrhalten von etwas, das nicht demonstriert werden kann. Jacobi ist als gläubiger Mensch davon überzeugt, daß der Glaube, in dem sich das Realitätsbewußtsein manifestiert, dem Subjekt von Gott gegeben ist. Da sich seiner Auffassung nach die Beziehung des Subjekts zu dem übersinnlichen Gott auf Grund der menschlich-endlichen Erkenntnis nicht durch Begriffe bestimmen läßt, ist für ihn auch das Gegebensein des Glaubens durch Gott nicht deduzierbar. Der Glaube kann vom Subjekt »auf keine andre Weise [...] angenommen werden, als [er ihm] gegeben ist; nämlich, als Tatsache« (S.B., S. 289). So wie der Glaube, so sind für Jacobi auch das wahrnehmende Subjekt und sein Gegenstand der Wahrnehmung gleichermaßen real und ursprünglich. Für Jacobi sind daher »auch bey der allerersten und einfachsten Wahrnehmung, das Ich und das Du, inneres Bewußtseyn und äusserlicher Gegenstand [...] in [...] demselben untheilbaren Augenblicke, 84. Vgl. zu Jacobis Gottesbegriff auch dessen Schrift: Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn, auf der Grundlage der Ausg. v. Klaus Hammacher u. Irmgard-Maria Piske bearb. v. Marion Lauschke, Hamburg 2000, S. 289. 85. Birgit Sandkaulen: Zur Vernunft des Gefühls bei Jacobi, in: Fichte-Studien Bd. 11, Amsterdam-Atlanta 1997, S. 356.
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ohne vor und nach, ohne irgend eine Operation des Verstandes« (D.H., S. 65), zugleich vorhanden. Im Gegensatz zu Fichte ist für Jacobi die Bildung der Erkenntnis eines Objekts kein einseitiger Vorgang, der im Prozeß der Fürsichwerdung des Subjekts in Folge des Wechselverhältnisses von dessen zentrifugaler und zentripetaler Tätigkeit entsteht, sondern Resultat einer unmittelbaren Begegnung von Subjekt und Objekt, das sich als etwas, das immer schon da ist, im Glauben des Subjekts offenbart. Demgegenüber fragt Fichte vom Standpunkt des Subjekts aus nach den Bedingungen für gegenständliches Bewußtsein und unternimmt die systematische Deduktion der Objekterkenntnis. An diesem Punkt jedoch liegt bei Jacobi eine gleich ursprüngliche Dualität (D.H., S. 111) von Subjekt und Objekt vor. Während das Objekt nämlich für Fichte erst in Folge der Beziehung des Subjekts auf es durch dasselbe, als ein von ihm Gewußtes, hervorgebracht wird, hat im Jacobischen Dualismus die Bezugnahme des Subjekts auf das Objekt den Charakter der Offenbarung eines immer schon unabhängig vom Subjekt Vorhandenem. Nach Fichte hingegen kann es für das Subjekt gar keine unabhängig von ihm vorhandene Objekte geben, denn die Dinge sind nur für das Subjekt, so Fichte, insofern sie von ihm gewußt werden. Fichte vertritt die Auffassung, daß mit der Erkenntnis der Objekte zugleich auch die Erkenntnisart der Objekte, d.h. der Glaube an sie, aus den Handlungen des menschlichen Geistes abzuleiten ist. Indem Fichte so den Glauben als Element der Erkenntnis deduziert, leitet er nicht nur die Gegenstände des Wissens mitsamt dem Bewußtsein ihrer realen Beschaffenheiten ab, sondern er liefert darüber hinaus den Nachweis der Bedingungen der Möglichkeit für das Wissen der Realität der Dinge und für das Selbstbewußtsein des Subjekts. Jacobis philosophische Position des Realismus zeichnet sich dagegen dadurch aus, daß der Glaube, die mit bestimmten Eigenschaften ausgestatteten Dinge des Wissens sowie die reale Befindlichkeit des erkennenden Subjekts, nicht zu deduzieren sind. Sie gehören für ihn zu den Tatsachen des Bewußtseins. In der Grundlage beansprucht Fichte, Jacobis realistische Konzeption des Realitätsbewußtseins in seiner transzendentalen Deduktion des Realitätsbewußtseins mitzudenken. Zu dieser Auffassung gelangt er in seinem versöhnlichen Brief vom 30. August 1795 an Jacobi, worin er feststellt, daß er in seiner Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre (1794) »durch kühnes Vorschreiten bis zum höchsten Punkte [gelangt], von welchem aus der spekulative und der praktische [d.h. der realistische Standpunkt] vereinigt erscheinen« (III,2,392) und die Widersprüche zwi-
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schen seiner und Jacobis Konzeption des Glaubens damit ausgeräumt seien. Die Versöhnung soll mit dem Hinweis auf seine ideal-realistische Erörterung der Fürsichwerdung des Subjekts herbeigeführt werden, in der dem Subjekt der Glaube an die Realität der von ihm unabhängigen Dinge als unmittelbares Faktum des Bewußtseins erscheint. Dies steht zu Jacobi in keinem Widerspruch mehr, denn das unmittelbare Erleben des nicht spekulativen Bewußtseins entspricht Jacobis realistischem Standpunkt. Im Unterschied zu Jacobi gelingt es Fichte, die Unmittelbarkeit des Glaubens sowie den Eindruck, daß die Dinge unabhängig vom Subjekt da sind, als vorbewußte Produkte des Subjekts transzendentalphilosophisch zu deduzieren. Mit seiner Darstellung des Glaubens als einerseits deduzierbares und andererseits unmittelbar erlebtes Faktum des Bewußtseins will Fichte seinen transzendentalphilosophischen Standpunkt mit dem realistischen Standpunkt Jacobis innerhalb der Spekulation vereinen. Denn »wozu ist nun der speculative Gesichtspunkt, und mit ihm die ganze Philosophie, wenn sie nicht für's Leben ist?« (III,2,392). Jacobi stellt nun in seiner Schrift David Hume die These auf, der Glaube an die Realität der Sinnenwelt und an die des Subjekts sei dem Menschen angeboren. Er nimmt an, daß die Menschen durch einen »angebornen Trieb« (D.H., S. 34) genötigt werden, »ihren Sinnen zu glauben« (D.H., S. 34). Ist der Glaube etwas Angeborenes, so offenbart er sich Jacobi zufolge als ein Gefühl, das nicht durch die Willkühr des Subjekts beliebig hervorgerufen werden kann. Vielmehr sei es die dem Subjekt angeborene Natur (vgl. D.H., S. 41), die den Glauben »gleich allen andern Gefühlen« (D.H., S. 41) im Subjekt erregt. So wenig der Glaube durch Willkühr hervorgebracht werden könne, so falsch sei auch die Annahme, daß der Glaube durch das Wirken der Einbildungskraft (vgl. D.H., S. 46) hervorgebracht werden könne. Er sei nämlich nicht Folge einer besonderen »Ordnung der Vorstellungen« (D.H., S. 47), sondern unmittelbarer Ausdruck der »Art ihrer Wahrnehmnung« (D.H., S. 47). Alles, was über den Glauben gesagt werden könne, sei, daß durch das Gefühl des Glaubens die Übereinstimmung der Vorstellung mit dem vorzustellenden Gegenstand der Wirklichkeit für das Subjekt ausgedrückt und dieses Gefühl eine unableitbare Tatsache des Bewußtseins sei. So gesteht Jacobi in seiner Schrift David Hume, »daß es [ihm] unmöglich ist, dies Gefühl, oder diese Art der Wahrnehmung vollkommen klar zu machen« (D.H., S. 47). Der Versuch, von dem Gefühl des Glaubens eine Erklärung zu geben sei so, »als wenn wir einem, der nie Kälte oder Zorn empfunden hätte, jenes [...] Gefühl begreiflich machen wollten« (D.H., S. 44). Zwar läßt sich für
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Jacobi das Gefühl des Glaubens hinsichtlich seines Charakters nicht rational bestimmen, sein Zustandekommen im Subjekt bleibe daher unerklärt, aber Zweifel über das Vorhandensein und die Bedeutung dieses Gefühls seien unnötig. Denn der Glaube ist für Jacobi »ein Ausdruck, den jedermann im gemeinen Leben versteht« (D.H., S. 47) und »jeder Mensch [ist sich] in jedem Augenblick der durch dieses Wort bezeichneten Empfindung [...] bewußt« (D.H.,S. 44). In seiner Grundlage vertritt auch Fichte die Auffassung, daß sich ein Gefühl »durch keine Beschreibung dem andern mittheilen« (I,2,439) läßt. Er geht allerdings insofern über Jacobi hinaus, als er den philosophischen Nachweis für das Zustandekommen dieses Gefühls des Glaubens im Subjekt erbringt. Trotz der Differenz ihrer philosophischen Standpunkte stimmen Jacobi und Fichte in der Bestimmung der Funktion des Gefühls des Glaubens der Sache nach überein. Beide vertreten in Bezug auf das Gefühl des Glaubens die These, daß der Glaube den unmittelbaren Bezug des Subjekts auf die Realität stiftet. Auch sehen beide das Gefühl des Glaubens in der unmittelbaren Manifestation einer ursprünglichen Gewißheit, die allen anderen beweisfähigen Gewißheiten, d.i. Überzeugungen aus Gründen, zu Grunde liegt (vgl. D.H., S. 4 Vorrede d. 2. Aufl.). Die anderen Gewißheiten sind für Jacobi »Gewißheiten aus zweiter Hand« (S.B., S. 113) die »auf Vergleichung« (S.B., S. 113) beruhen und daher nie vollkommene Sicherheit für die Richtigkeit der vom Subjekt gebildeten Überzeugung bieten. Aus dieser Bestimmung des Gefühl des Glaubens folgt für Jacobi, daß »jeder Erweis [...] etwas schon Erwiesenes« voraussetzt, dessen »Principium Offenbarung« ist (S.B., S. 123). Die Rede vom Gefühl als Grundlage allen Wissens findet sich auch bei Fichte. In der Grundlage zeigt er als Ergebnis systematischer Deduktion, dass ohne das Gefühl gar keine Vorstellung für das Subjekt möglich ist und die Realität der Dinge der Sinnenwelt erst erörtert werden kann, nachdem sie sich für das Subjekt ursprünglich im Gefühl entäußert hat. In fast wörtlicher Übereinstimmung mit Jacobi erklärt Fichte in Ueber den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung (1798)86: »das Element aller Gewißheit ist Glaube« (I,5,351 / D.H. S. 49). Bezogen auf die Annahme einer »Progreßion des Bewußtseins« (D.H., S. 201) stimmen Fichte und Jacob weiterhin in der Explikation der Verhältnissbestimmung von Subjekt und Realität überein. In der folgenden Rekonstruktion der Jacobischen Erörterung dieser Progression (vgl. 86. Im folgenden als Ueber den Grund unseres Glaubens abgekürzt.
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D.H., S. 201) wird sich zeigen, daß die Ähnlichkeit des Gedankens der Progression (vgl. D.H., S. 201) des Bewußtseins bei Jacobi und Fichte nicht nur hinsichtlich des Glaubens als Manifestation des Bezuges des Subjekts auf die Realität besteht, sondern daß in der Explikation ihrer Auffassung vom Glauben für beide Philosophen die Begriffe des Kraftgefühls, des Selbstgefühls, des Triebs nach Übereinstimmung des Subjekts mit sich selbst sowie der Begriff Gottes von zentraler Bedeutung sind.87 Jacobi bezeichnet das Bewußtsein, das das Subjekt von sich selbst hat, als ein Gefühl. In Entsprechung zu seinem Glauben an die Realität der Dinge außer ihm, hat das Subjekt auch von seinem eigenem Dasein nur ein Gefühl. Wir fühlen (vgl. D.H., S. 112) »das mannigfaltige unseres Wesens in einer reinen Einheit verknüpft, die wir unser Ich nennen« (D.H., S. 112). Zu dem Bewußtsein von sich selbst kann das Subjekt aber nur dann kommen, wenn es sich selbst von den Dingen außer ihm, die ihm im Gefühl zugänglich sind, als different erlebt (vgl. D.H., S. 111). Jacobi konstatiert, daß die Eigenschaften der Dinge und die Verhältnisse, in denen sie zueinander stehen, selbst dem »schwächsten Bewußtseyn« (D.H., S. 175) gegeben sind. Die Beziehung zwischen dem Subjekt und den gegebenen, äußeren Dingen deutet Jacobi so, daß der Grund der Wahrnehmung des Dinges in dem freien Willen, der Spontaneität und der Kraft des Subjekts liegt. Die Wahrnehmung ist für Jacobi nicht allein bloßes Empfangen, sondern vor allem beruht sie auf dem Entschluß des tätigen Subjekts. Sie ist, so Jacobi, »nicht aus der Peripherie in das Centrum, sondern aus dem Centro in die Peripherie« (D.H., S. 173) gerichtet. Das Moment der Kraft, das wesentlich in jedem Akt der Wahrnehmung eines Dinges durch die Tätigkeit des Subjekts enthalten ist, manifestiert sich für das Subjekt im Gefühl. Das Kraftgefühl ist eine unableitbare »lebendige Erfahrung«, deren sich das Subjekt ständig »in einem fort bewußt« (D.H., S. 103) ist. Demnach läßt sich für Jacobi weder das Bewußtsein des Objekts aus den Handlungen des Subjekts deduzieren, noch ist das Subjekt in der Wahrnehmung des Objekts dessen Kausalität unterworfen. Für Jacobi sind vielmehr Subjekt und Objekt gleichermaßen real. Den weiteren Ausführungen Jacobis zufolge ist das Gefühl, in dem sich das Selbstbewußtsein des Subjekts manifestiert, graduell bestimmbar. Je mehr sich das Subjekt von den Dingen außer ihm »intensiv und extensiv« (D.H., S. 202) unterscheidet, um so stärker fühlt es sich selbst. Die 87. Vgl. dazu Reinhard Look: a.a.O. 1997, S. 219 ff. und: Wolfgang H. Schrader: Konstruktion versus Unmittelbarkeit. Zum Verhältnis von Philosophie und Leben bei J. G. Fichte, in: Fichte-Studien, Bd. 11, Amsterdam-Atlanta 1997, S. 367 ff..
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Qualität der Unterscheidung des Subjekts von den Dingen außer ihm ist also bestimmend für den Grad seiner Personalität. Die Fähigkeit der Unterscheidung des Subjekts von den äußeren Dingen, ist für Jacobi diejenige Eigenschaft des Menschen, mittels der sich der Mensch vom Tier »specifisch unterscheidet« (D.H., Vorrede d. 2. Aufl., S. 61), denn dieses Vermögen sei »mit der Vernunft Eines und Dasselbe« (D.H., Vorrede d. 2. Aufl., S. 64). Im Kontext der Erörterung der Unterscheidung des Subjekts von den Dingen außer ihm, kommt Jacobi auf den Trieb des Subjekts zu sprechen, welchen er näherhin als »Trieb zum Leben« (S.B., S. 238) bezeichnet. Da der Grad des Selbstbewußtseins des Subjekts von der Fähigkeit seiner Unterscheidung von den bewußtlosen Dingen außer ihm abhängt, geht sein Trieb auf ein Leben, das »in sich selbst gerichtet ist« (S.B., S. 239). Dieser Trieb, der auf die »Erhöhung des Grades der Personalität« (S.B., S. 266) des Subjekts aus ist, fordert Unabhängigkeit, Selbstständigkeit und Freiheit (vgl. D.H., S. 195 ff.), er drängt das Subjekt, sich alles das zu unterwerfen, was seine Identität (vgl. D.H., S. 258) verletzen könnte. Die Differenz in der Vernunft der Begierde äußert sich nach Jacobi darin, daß die Befriedigung der unvernünftigen Begierde zur Aufhebung der Übereinstimmung des Subjekts mit sich selbst und damit zur Verminderung der Qualität seines Daseins führt. Für die vernünftige Begierde gilt dagegen das Umgekehrte (D.H., S. 267). Die Fähigkeit des Subjekts, sich von den Dingen außer ihm als different wahrzunehmen, geht nach Jacobi mit der Ahnung des Subjekts, die es von Gott hat, einher (vgl. D.H., S. 202). Die im Selbstgefühl des Subjekts enthaltene Gottesahnung ist eine nicht weiter hinterfragbare Tatsache des Bewußtseins. Der Unterschied zwischen Mensch und Gott besteht für Jacobi darin, daß das Dasein des Subjekts ein sich ständiges graduelles Entwickeln ist, während Gott ein Wesen von höchster Personalität und Vollkommenheit ist (vgl. D.H., S. 202). Gott ist für ihn der »Herr[...] und König des Lebens« (D.H., S. 188). Er ist »der Schöpfer«, der die Natur des »endliche[n] Leben[s]« gestiftet (D.H., S. 189) hat. Durch die »Abschottung des göttlichen Wissens und Wollens in den endlichen Geiste des Menschen« (D.H., Vorrede d. 2. Aufl., S. 55) ist der Glaube an die Realität der Dinge und an das sich im Selbstgefühl offenbarende Bewußtsein des Subjekts von sich selbst entstanden. Aus diesen Bekenntnissen ergibt sich für Jacobi die Vorstellung eines personalen Gottes. So wie der Mensch sich selbst wahrnimmt, so stellt er sich, nur mächtiger, die Gottheit vor (S.B., S. 290). Mit der Explikation des Gottesbegriffs endet Jaco-
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bis Darstellung der Progression des Selbstbewußtsein des Subjekts im Wechselbezug zwischen Bewußtsein und Realität. Die Gemeinsamkeiten zwischen Fichte und Jacobi in der Verhältnisbestimmung von Bewußtsein und Realität bestehen darin, daß beide die Entwicklung des Selbstbewußtseins des Subjekts als einen lebendigen Prozeß auffassen, in dem die Wahrnehmung der Realität als vom Subjekt ausgehend gedacht werden muß und die Unterscheidung des Subjekts von der wahrgenommenen Realität zu der Erhöhung des Grades seines Bewußtseins führt, die in der Identität Gottes gipfelt. Fichte und Jacobi geben zwar eine sehr ähnliche Beschreibung der Wechselbestimmung von Bewußtsein und Realität. Zwischen beiden Philosophen zeigt sich aber dennoch eine klare Differenz:88 Für Jacobi sind das Subjekt und das Objekt sowie der Glaube des Subjekts an das Objekt ebenso Tatsachen des Bewußtseins wie das Kraftgefühl, das Selbstgefühl, der Trieb nach Identität und die Beziehung des Subjekts zu Gott. Fichte dagegen deduziert im Rekurs auf die Wechselwirkung der zentrifugalen und zentripetalen Tätigkeit des Subjekts das Zustandekommen von Trieb und Gefühlen, durch die sich dessen Realitätsbewußtsein konstitiuert, nicht aber die Beziehung des Subjekts zu Gott. Wie für Kant so ist auch für Fichte Gott 1794 eine Idee, in der sich das Ziel des Strebens nach absoluter Identität manifestiert, die jedoch nur bei Gott selbst vorhanden ist. Während Jacobi davon ausgeht, daß das Kraftgefühl de facto von allen Menschen zugegeben (vgl. D.H., S. 107) wird, ist sich Fichte in seiner Grundlage noch mit ihm darüber einig, daß man nicht erklären könne, was das Kraftgefühl ist, weil Gefühle begrifflich nicht zu bestimmen sind. Über Jacobi hinausgehend stellt er aber die Möglichkeit in Aussicht, das Vorhandensein dieses Gefühls zu deduzieren (vgl. I,2,424). Anders als Jacobi, der nur zwischen vernünftigen und unvernünftigen Wesen unterscheidet und für den schon das Vermögen der Gefühle überhaupt das spezifisch Menschliche ausmacht (vgl. D.H., S. 61, Vorrede d. 2. Aufl.), differenziert Fichte zunächst mittels des Kraftgefühls zwischen Tod und Leben und erst dann mittels des ebenfalls zu deduzierenden Selbstgefühls zwischen Mensch und Tier. Im Unterschied zur philosophischen Position des Dogmatismus stimmt Fichte zwar mit Jacobi darin überein, daß im Kraftgefühl für das Subjekt der Eindruck entsteht, die Beziehung zwischen Subjekt und Ob88. Zur »Fichte-Jacobi Kontoverse« (S. 88) vgl. Hartmut Traub: Über die Grenzen der Vernunft Das Problem der Irrationalität bei Jacobi und Fichte, in: Fichte-Studien Bd. 14, Amsterdam-Atlanta 1998, S. 87 ff..
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jekt gehe von ihm selbst und nicht von den Dingen aus. In methodischer Differenz zu Jacobi vollzieht Fichte die Deduktion des Zustandekommens des Kraftgefühls im Subjekt, um dem Dogmatismus Hommelscher Prägung philosophisch-spekulativ in Form eines systemphilosophischen Aufweises entgegensetzen zu können, daß das Subjekt nicht durch die Objekte determiniert ist, sondern sich aus eigener Kraft auf die Dinge außer ihm bezieht. Das von Fichte in diesem Kontext ebenfalls deduzierte Zwangsgefühl läßt Jacobi völlig unerwähnt. Denn innerhalb seiner Konzeption des Realitätsbewußtseins ist das Fichtesche Problem, inwiefern sich das Subjekt in seinen Vorstellungen durch die Dinge außer ihm gezwungen fühlt und sich dieses Gefühl auf die Selbstbegrenzung des Subjekts zurückführen läßt, irrelevant, da er von einer gleich-ursprünglichen Dualität (vgl. D.H., S. 111) von Subjekt und Objekt ausgeht. Grundsätzlich sind sich Jacobi und Fichte darüber einig, daß das unmittelbare Selbstbewußtsein des Subjekts ein Gefühl ist. Dies wird jedoch von beiden Philosophen unterschiedlich begründet. Die sich im Gefühl manifestierende unmittelbare Selbstbezüglichkeit des nichtspekulativen Bewußtseins, die in Jacobis Konzept jeder weiteren Reflexion des Subjekts auf sich und auf die Dinge außer ihm zu Grunde liegt, ist in Fichtes Transzendentalphilosophie ein Produkt absoluter Spontaneität der Reflexion des Subjekts. In Fichtes Konzept ist die Explikation der Intensivierung des Selbstgefühls mittels der Unterscheidung des Subjekts seiner selbst von den Dingen deutlich differenzierter ausgeführt als bei Jacobi. So erbringt Fichte zunächst den Aufweis der von Jacobi implizit vorausgesetzten Motivation des Subjekts, sich überhaupt auf die Dinge zu beziehen. Sodann zeigt er auf, wie das Subjekt die im Konzept Jacobis ebenfalls vorausgesetzte Sachhaltigkeit der Dinge produziert und wie das Subjekt den Erfolg oder Mißerfolg dieser Produktion in den Gefühlen des Beifalls und des Mißfallens erlebt. Solche Gefühle bleiben im Konzept Jacobis unerwähnt, denn seiner Auffassung nach ist die Realität nicht Produkt des Subjekts, sondern es findet sie zugleich ursprünglich mit sich selbst vor. Im Unterschied zu Jacobi vermag Fichte in seinem Konzept den Aufweis dafür zu erbringen, daß das Subjekt das Vermögen hat, sich mit den Gefühlen der Vollendung und Entzweiung auch noch partiell von sich selbst, d.h. von seinem Bestimmen der Dinge zu unterscheiden und seinen Umgang mit den Dingen zu reflektieren. Jacobi hingegen geht in seiner Darstellung der Progression (vgl. D.H., S. 201) des Bewußtseins unmittelbar zu der Darstellung der Annäherung des Subjekts an seine Übereinstimmung mit sich
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selbst (vgl. D.H., Vorrede d. 2. Aufl., S. 45) über. Anders als Fichte, der die Gefühle der Vollendung und der Entzweiung als Indikatoren für die Annäherung an die Übereinstimmung des Subjekts mit sich selbst versteht und für den das Subjekt im Gefühl der Vollendung für einen Moment (vgl. I,2,450) lang seine Identität, d.h. nach Fichte, sich als Grund des Realitätsbewußtseins erfährt, kennt Jacobi weder einen Indikator der Annäherung des Subjekts an die Übereinstimmung mit sich selbst (vgl. D.H. Vorrede d. 2. Aufl., S. 45), noch kann für Jacobi die Progression (vgl. D.H., S. 201) des Subjekts jemals ihr Ziel erreichen. Diesen letzten Explikationsschritt muß Jacobi, entsprechend seiner in dem Strickstrumpfgleichnis an Fichtes Konzeption des Realitätsbewußtseins geäußerten Polemik, auslassen, weil seiner Auffassung nach von dem Bewußtsein, das das Fichtesche Subjekt im Gefühl der Vollendung von sich selbst entwickelt, »am Ende doch nur [...] leeres Blendwerk« (D.H., S. 121) produziert wird. Im Gegensatz zu Fichte ist das Subjekt für Jacobi nicht Schöpfer der Realität, denn das würde bedeuten, daß sich das Subjekt Gott gleichstellt, was seiner religiösen Überzeugung nach Blasphemie wäre. Auch im Hinblick auf die sittlich-praktische Dimension des Realitätsbewußtseins kann Jacobi zufolge das Subjekt die Progression (vgl. D.H., S. 201) seiner Entwicklung bezüglich der Befriedigung seiner Begierden (vgl. D.H., S. 190) niemals dauerhaft abschließen, weil die ewige sittliche Identität (vgl. S. 195 f, 202, Vorrede d. 2. Aufl., S. 10) allein Gott zukommt. Wie für Jacobi, so realisiert sich auch für Fichte die absolute Identität der Vernunft in Gott. Diese Identität ist für Fichte die Idee (vgl. I,2,392), die das Ideal des Strebens des endlichen Subjekts darstellt und mit der das Subjekt im Gefühl der Vollendung für einen Moment (vgl. I,2,451) lang übereinstimmt. In diesem Moment (vgl. I,2,451) erfährt sich das Subjekt in Übereinstimmung mit Gott. Im Unterschied zu Jacobi ist für Fichte ein persönlicher Gott kein Gegenstand wissenschaftlichphilosophischen Denkens. Auf einen persönlichen Gott nimmt Fichte nur im Rahmen der christlichen Denkungsart in seinen Predigten und populären Schriften Bezug. Er unterscheidet sich 1794 auch darin von Jacobi, daß in seiner Konzeption des Realitätsbewußtseins die sittliche Dimension der Beziehung des Subjekts zu Gott nur von marginaler Bedeutung ist und Gott noch kein notwendiges Konstituens des Realitätsbewußtseins ist. Das ändert sich erst ab 1798. In seinen Arbeiten ab 1798 vertritt Fichte zwar nicht die Jacobische Auffassung von einem christlichen Schöpfergott. Gleichwohl unternimmt er eine Deduktion, um Gott als Ursprung der Produktion des Realitätsbewußtseins durch das Subjekt
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nachzuweisen. Fichte stellt in diesen Schriften heraus, daß die Objekte der Sinnenwelt Objekte der Pflicht sind und die Beziehung des Subjekts auf die Objekte daher eine moralisch-religiöse Beziehung ist. Im Unterschied zu Jacobi ist das Bewußtsein, das das Subjekt von seiner Beziehung zu Gott hat, keine Tatsache, sondern Resultat einer Deduktion. In diesen späteren Arbeiten bestimmt Fichte Gott als die moralische Odnung der intelligiblen Geisterwelt, aus der das einzelne Subjekt auf Grund seiner sozialen Kontakte mit seinen Mitmenschen heraustritt. Hier vertritt er die These, daß diese Ordnung die notwendige Voraussetzung für das Subjekt ist, überhaupt zu seinem Bewußtsein von sich und den Dingen außer ihm zu gelangen. Die Beziehung zwischen dem Subjekt und der moralischen Ordnung der Geisterwelt avanciert zum Prinzip des Bewußtseins. Sie manifestiert sich für das Subjekt in seinem Gefühl der Gebundenheit an diese Ordnung. Vor dem Hintergrund unterscheidet Fichte nicht mehr wie Jacobi zwischen einem Glauben des Subjekts an sich und an die Dinge sowie einem Glauben an Gott, sondern anders als bei Jacobi ist bei ihm ist der Glaube des Subjekts an die Realität und der Glaube an Gott ein und derselbe Glaube, so daß dem Realitätsbewußtsein der Stellenwert eines Konzentrationspunktes (vgl. II,6,282) des Glaubens an Gott zukommt.89
89. Auf die Differenz zwischen seinem und Jacobis Gottesbegriff geht Fichte in seiner Beantwortung des Jacobischen Schreibens von 99 (1807) ein. Vgl. zu den unterschiedlichen Gottesvorstellungen Fichtes und Jacobis auch Günter Zöller: Das Element aller Gewißheit’ Jacobi, Kant und Fichte über den Glauben, in: Fichte-Studien, Amsterdam-Atlanta 1998, Bd. 14, S. 21 ff..
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Kapitel V Die Funktion des Gewissens als Kriterium der Richtigkeit einer Überzeugung von einer bestimmten Pflicht (System der Sittenlehre 1798)
In der Sittenlehre unternimmt Fichte ausführlich die Explikation der sittlichen Dimension des Realitätsbewußtseins des Subjekts, die im sittlich richtigen Umgang mit den Objekten der Erkenntnis besteht. In der Grundlage hatte er dies nur gegen Ende seiner Untersuchung ansatzweise thematisiert. In der ersten Schrift bestimmt Fichte das Gefühl des Gewissens als Kriterium der Richtigkeit der Überzeugung von einer bestimmten Pflicht (vgl. I,5,153). Fichte versteht die Sittenlehre als eine materiale Teildisziplin der Grundlage, in der er nach Prinzipien der Wissenschaftslehre den kategorischen Imperativ aus dem Begriff des absoluten Ich deduziert, und in der er die Bedingungen der Anwendbarkeit des kategorischen Imperativs in der Sinnenwelt untersucht. In der Sittenlehre stellt Fichte die These auf, daß sich für das Subjekt in den Äußerungen des Gewissens das sittliche Bewußtsein der Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung seiner Handlungen mit dem kategorischen Imperativ manifestiert. Im ersten Abschnitt dieses Kapitels wird darauf eingegangen, wie die Deduktion des kategorischen Imperativs den praktischen Teil der Grundlage mit der Sittenlehre verbindet und wie Fichte in der Sittenlehre das in der Grundlage im Hinblick auf die Autonomie des Realitätsbewußtseins entwickelte Verhältnis zwischen kategorischem Imperativ und Gefühl für die Explikation der Autonomie des Pflichtbewußtseins fruchtbar macht. Im zweiten Abschnitt kommt die zeitgenössische Kritik an Fichtes Bestimmungen des kategorischen Imperativs und des Gewissens zur Dar-
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stellung. Fichtes Weiterentwicklung der Kantischen Auffassung von der Beziehung zwischen Sittengesetz und Gewissen, die sich zum Teil schon in den Predigten von 1792 und in der Theorie des Willens andeutet, wird dabei besonders in den Blick genommen. Das zeitgenössische Interesse an Fichtes Bestimmung des Gewissens ist gegenüber der Deduktion des Sittengesetzes nicht nur verschwindend gering; sondern das Urteil über dieses Theorem fällt teilweise auch äußerst ungünstig aus. Im letzten Abschnitt dieses Kapitels wird im Rekurs auf die Fichtesche Darstellung der Genese des Bewußtseins des Gewissens gezeigt, inwiefern sich Fichte zufolge die Richtigkeit der Überzeugung von einer bestimmten Pflicht im Gefühl des Gewissens manifestiert und wie Fichte diese Bestimmung des Gewissens philosophisch-spekulativ rechtfertigt. Ein kurzer Exkurs zur Bedeutung des Gewissens für Fichtes Populärphilosophie bildet den Ausblick dieses Kapitels. V.1
Das Verhältnis zwischen kategorischem Imperativ und Gefühl in der Grundlage und in der Sittenlehre
Fichte konstatiert in der Begriffsschrift, daß die Sittenlehre im praktischen Teil der Wissenschaftslehre zu entwickeln sei (vgl. I,2,151). In der Grundlage setzt er dieses Vorhaben aber noch nicht in die Tat um. In ihrem praktischen Teil führt Fichte lediglich eine Deduktion des Realitätsbewußtseins durch. Hier entwickelt er keine Sittenlehre. Zwingend stellt sich daher die Frage, wie sich Fichte die Anbindung der Sittenlehre an die Wissenschaftslehre überhaupt zu vollziehen gedenkt. Gemäß Fichtes Begriffsschrift soll der Argumentationsgang der Grundlage einen Kreis (vgl. I,2,130) beschreiben und an seinem Ende mit seinem Anfang übereinstimmen. Die ausgeführte Grundlage endet aber nicht mit dem a priorischen, absoluten Ich, mit dem sie in ihrem Paragraphen 1 begonnen hat. Auf Grund des »nothwendig zurükkehrende[n] Sehnen[s]« (I,2,451), das Fichte im Paragraphen 11 der Grundlage im Anschluß an die Deduktion des kategorischen Imperativs (vgl. I,2,450) anführt, dauert die dem kategorischen Imperativ entsprechende Vereinigung von empirischen und absoluten Ich, die sich für das Ich im Gefühl der »völligen Vollendung« (I,2,450) manifestiert, »nur einen Moment« (I,2, 451) lang. Das Subjekt ist sich nur für einen kurzen Augenblick seiner Absolutheit bewußt. Daher läßt sich die Differenz zwischen dem empirischen und dem absoluten Ich im Zustand des Gefühls der Vollendung
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nicht wirklich dauerhaft aufheben.90 Diese Aufhebung ist zwar für das empirische Subjekt auf Grund seiner Endlichkeit nicht durchgehend zu leisten, aber zumindest dem Gedanken nach muß diese Aufhebung für Fichte verbindlich zu rekonstruieren sein, weil der kreisförmige Argumentationsgang der Grundlage nur durch diese Aufhebung zu schließen ist und Fichte mit der Geschloßenheit der Kreisform das Kriterium der Wissenschaftlichkeit seiner Philosophie erfüllen will (vgl. I,2,129 ff.). Im Bewußtsein dieser mangelhaften systematischen Darstellung der Grundlage legt Fichte im Paragraphen 1 der Sittenlehre eine Deduktion zu Grunde, in der er umgekehrt aus dem Begriff des absoluten Ich den kategorischem Imperativ entwickelt. Daher verbindet die Deduktion des kategorischen Imperativs die Grundlage mit dem der Sittenlehre.91 In der Grundlage ist der kategorische Imperativ ein abgeleiteter Satz. In der Sittenlehre ist er jedoch ein Grundsatz.92 Damit verortet Fichte das Prinzip der Sittenlehre in der Grundlage. Die Verhältnisbestimmung des kategorischen Imperativs zum Begriff des Gefühls ist in der Grundlage eine andere als in der Sittenlehre. Dort zeigt Fichte im Paragraphen 11 dieser Schrift, daß der dort von ihm deduzierte absolute Trieb (vgl. I,2,450) des Subjekts zur Selbstbestimmung »auf einem gewissen Reflexionspunkte« (I,2,450) als kategorischer Imperativ begriffen werden muß. Im Anschluß an die Ableitung des kategorischen Imperativs deduziert Fichte in der Grundlage den Begriff des Gefühls. Je nachdem, ob die Handlung des Subjekts durch diesen absoluten Trieb, d.h. gemäß dem kategorischen Imperativ bestimmt ist oder nicht, äußert sich im Subjekt »ein Gefühl der Zufriedenheit [...] der Aus90. In seiner Differenz des Fichte‘schen und Schelling‘schen Systems der Philosophie (1801) (in: G.W. Hegel Werke in 20 Bdn., Redaktion v. Eva Moldenhauer u. Karl Markus Michel, Frankfurt a. M. 1971, Bd. II, S. 9 ff..) macht Hegel Fichte den Vorwurf, dass die Kreisform in der Grundlage nicht erfüllt ist. Sie beginnt mit der Explikation des absoluten Ich im 1. Grundsatz der Wissenschaftslehre, d.h. dem logischen Satz der Identität. Die Schrift endet mit dem Gefühl der Vollendung, in dem sich das Bewußtsein des empirischen Subjekts mit der transzendentalen Identität des absoluten Ich des 1. Grundsatzes übereinzustimmen, manifestiert. Der Gedanke der Identität findet bei Fichte einerseits in einem logischen Satz und andererseits in einem Gefühl seinen Ausdruck. Auf Grund der unterschiedlichen Formen der Identität macht Hegel in seiner Differenzschrift Fichte den Vorwurf, die Kreisform nicht erfült zu haben. 91. Als Verbindungspunkt zwischen der Sittenlehre und dem praktischen Teil der Grundlage hat Wen-Berng Pong den kategorischen Imperativ herausgearbeitet (Das Verhältnis des kategorischen Imperativs und des Gewissens bei Fichte, Frankf. a. M., 2002, S.32 f.). 92. »Alle Sätze demnach, die in irgend einer besonderen Wissenschaft Grundsätze sind, sind zugleich auch einheimische Sätze der Wissenschaftslehre; ein und ebenderselbe Satz ist aus zwei Gesichtspunckten zu betrachten« (I,2,128): als ein in der Wissenschaftslehre enthaltener Satz, und als ein an der Spitze einer besonderen Wissenschaft stehender Grundsatz.
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füllung, [und] völligen Vollendung« (I,2,451) oder es entsteht in ihm »ein Gefühl der Unzufriedenheit [und] der Entzweiung [...] mit sich selbst« (I,2,451). Während die Deduktion des kategorischen Imperativs in der Grundlage im Rahmen der Erörterung des empirischen Ichs erfolgt und den Übergang zum absoluten Ich einleitet, deduziert Fichte in der Sittenlehre den kategorischen Imperativ aus dem absoluten Ich. Erst im Anschluß daran geht er in der Erörterung der Bedingungen der Applikation des Sittengesetzes auf die Handlungen des Subjekts in der Sinnenwelt zum empirischen Ich und damit zur Bestimmung des Gefühls über. Das Moment der Deduktion des kategorischen Imperativs ist daher in beiden Schriften gegenläufig.93 Entsprechend der Grundlage läßt Fichte aber auch in der Sittenlehre den Begriff des Gefühls auf die Deduktion des kategorischen Imperativs folgen. Die Gegenläufigkeit zwischen dem praktischen Teil der Grundlage und der Sittenlehre bezieht sich nur auf den Ort der Deduktion des kategorischen Imperativs und nicht auf die Stellung des Gefühls der Vollendung bzw. des Gewissens zum kategorischen Imperativ. Der kategorische Imperativ liegt diesen beiden Gefühlen als Prinzip zu Grunde. Der Maßstab für die Autonomie des Realitätsbewußtseins und der Beurteilung des selbstbestimmten sittlichen Handelns ist der kategorische Imperativ; er ist das formale Prinzip des Realitäts- und des Pflichtbewußtseins. Anders als in der Grundlage folgt in der Sittenlehre die Deduktion des Gefühls nicht unmittelbar auf den zuvor deduzierten kategorischen Imperativ. Das Gewissen als unmittelbares Kriterium der Überzeugung der Richtigkeit von einer bestimmten Pflicht erörtert Fichte erst im dritten Hauptstück (§ 15) der Sittenlehre, in dem es um die Anwendbarkeit des kategorischen Imperativs durch das empirische Ich geht. Den kategorischen Imperativ als Prinzip der Sittlichkeit leitet er hingegen in den Paragraphen 1-3 des ersten Hauptstücks der Sittenlehre aus dem absoluten Ich ab. Auf Grund der Differenz der Paragraphen 1-3 und der Paragraphen 15 ff. wird in der Sittenlehre das Gewissen als Kriterium (vgl. I,5,153) der Anwendbarkeit des Sittengesetzes nicht unmittelbar auf die Deduktion dieses Gesetzes bezogen. Die Deduktion des kategorischen Imperativs als eines Gedankens (vgl. I,5,65) und das Kriterium seiner Anwendbarkeit im Gefühl des Gewissens, bilden in der Sittenlehre vielmehr zwei selbständige Untersuchungsabschnitte, die im Unterschied zur Beziehung zwischen dem Gefühl der Vollendung und dem kategorischen Imperativ in der 93. Vgl. Wen-Berng Pong a.a.O. S. 32 ff..
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Grundlage nicht unmittelbar aufeinander folgen, sondern die durch die Erörterung der Bedingungen der Realisation des sittlichen Prinzips voneinander getrennt sind. Zu diesen Bedingungen gehört die Freiheit des Subjekts, eine Sinnenwelt, in der es seine Autonomie ausüben kann und die Angabe dessen, was überhaupt vom Gewissen in seiner Funktion als Kriterium der Überzeugung von einer bestimmten Pflicht gebilligt werde. In der Grundlage geht Fichte umgekehrt vor. Hier zeigt er im Rekurs auf seine Erörterung des Gefühls zuerst, wie eine Sinnenwelt für das Ich sein kann. Danach erklärt er anhand der Gefühle des Beifalls und des Mißfallens, sowie der Vollendung und Entzweiung, wie die Bestimmung der Dinge durch das Subjekt in eine Selbstbestimmung übergeht, wie diese auf einem gewissen Grad der Reflexion im kategorischen Imperativ gipfelt und wie sich das Subjekt in einem Handeln, das dem kategorischem Imperativ entspricht, im Gefühl der Vollendung als Grund des Realitätsbewußtseins begreift. Während das Gefühl in der Deduktion des kategorischen Imperativs in der Sittenlehre nur eine marginale Rolle spielt, entwickelt Fichte in der Grundlage den kategorischen Imperativ gerade im Rahmen der Darstellung einer Gefühlssequenz, die im Gefühl der Vollendung zum Abschluß kommt. Obwohl Fichte das Gefühl der Vollendung und das Gefühl des Gewissens vollkommen unterschiedlichen Gegenstandsbereichen zuordnet, lassen ihre Funktionen doch gewisse Ähnlichkeiten erkennen: Im praktischen Teil der Grundlage hat Fichte mit der Explikation von Trieb und Gefühl die praktischen Vermögen des Subjekts entfaltet, die in Folge der Modifikation des Objekts zur Konstitution des Gegenstandes durch das handelnde Subjekt führen, so daß sich das Subjekt im Laufe seiner Fürsichwerdung im Gefühl der Vollendung in seinem Realitätsbewußtsein frei von Zwängen durch die Dinge außer ihm und als völlig selbstbestimmt erfährt. Das Gefühl des Zwanges, das dem Realitätsbewußtsein des Subjekts zu Grunde liegt, wird vom Subjekt im Gefühl der Vollendung als ein selbstproduziertes Gefühl begriffen. Im Gefühl der Vollendung erlebt sich das Subjekt als durch sich selbst gesetzt. Die sittliche Implikation des Gedankens der Übereinstimmung des Subjekts mit sich selbst, bzw. mit dem kategorischen Imperativ, die in dem Zustand des Durch-sich-selbstgesetzt-Seins liegt, wird von Fichte gegen Ende der Grundlage nicht mehr entwickelt. Unter Berücksichtigung dieser sittlichen Implikation der Übereinstimmung des Subjekts mit sich selbst bindet Fichte das Gewissen in der Sittenlehre in Analogie zur Grundlage auch in die Erörterung der Befrei-
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ung des Subjekts von Zwang und Abhängigkeit ein. Diese Befreiung wird von ihm in dieser Schrift allerdings nicht nur im Hinblick auf das Objekt der Erkenntnis, sondern vor allem in Hinsicht der Berücksichtigung der Bestimmtheit des Begehrens durch nichtsittliche Zwecke gefordert. In sittlicher Hinsicht besteht die Unabhängigkeit des Subjekts darin, frei nach dem kategorischen Imperativ handeln zu können. Ein Handeln, das dem kategorischen Imperativ entspricht, ist nach Fichte eine Tätigkeit, die ihren Beweggrund in der Selbstgesetzgebung der reinen Vernunft des Subjekts und nicht in seinen Begierden oder in den damit verbundenen äußeren Einflüssen der Sinnenwelt auf es hat. Das Überwinden und Kontrollieren der Begierde begreift Fichte in der Sittenlehre als Fortgehen (vgl. I,5,97) vom Gefühl der Begrenzung zum Gefühl der Freiheit. Ein solches Fortgehen (vgl. I,5,97) zwischen zwei entgegengesetzten Gefühlen thematisiert Fichte auch in der Grundlage und zwar im Hinblick auf die Abhängigkeit des vorstellenden Subjekts vom äußeren Nicht-Ich. Dagegen entwickelt Fichte in der Sittenlehre das Verhältnis zwischen den beiden Gefühlen in Bezug auf die Abhängigkeit des Subjekts von seiner Begierde als Teil seiner eigenen Natur. Im Gefühl der Freiheit manifestiert sich für das Subjekt das Bewußtsein, daß seine Zwecksetzung nicht durch sein sinnlich-triebhaftes, d.i. vernunftwidriges, Begehren zustande gekommen ist. Obwohl für Fichte in der Sittenlehre die Selbstständigkeit des vorstellenden Subjekts in der Konstitution des Gegenstandes nur von marginaler Bedeutung ist, hier geht es ihm primär um die Beantwortung der Fragen wie sittliches Handeln möglich ist, und woran das Subjekt erkennt, ob es sittlich gehandelt hat oder nicht, – bezieht er sich in der Sittenlehre in seiner Erörterung der Beziehung zwischen dem Gefühl des Zwanges und dem Gefühl der Freiheit aus folgendem Grund auf die in der Grundlage explizierte Funktion des Gefühls für die Entstehung des Realitätsbewußtseins: Das Realitätsbewußtsein ist dem sittlichen Bewußtsein subordiniert. Die sittliche Selbstbestimmung des Subjekts ist für Fichte eine Idee (vgl. I,5,74). Sie ist nichts Vorhandenes, sondern etwas, das sein soll. Als solche setzt sie nach Fichte eine Sinnenwelt voraus, auf deren Grundlage das Subjekt die Idee (vgl. I,5,74) erst realisieren kann. Die Sinnenwelt ist Mittel der sittlichen Selbstbestimmung, da sie sowohl die Sphäre als auch das Material dafür bereitstellt. Wie in der Grundlage so ist auch in der Sittenlehre die Sinnenwelt für das Ich unmittelbar im Gefühl (vgl. I,5,78). In der im zweiten Hauptstück der Sittenlehre vollzogenen Deduktion des Bewußtseins der Sin-
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nenwelt heißt es: »Denn dies wird in einer Sittenlehre aus der Grundlage aller Philosophie als bekannt vorausgesetzt« (I,5,77), daß »die Wahrnehmung des wirklich [...] existirenden Objects [...] von einem Gefühle [ausgeht], zufolge dessen erst durch die productive Einbildungskraft etwas gesezt wird« (I,5,91). Das Materiale als Grundlage der Realisation des selbstgewirkten Zweckbegriffs des Subjekts ist daher nichts für sich Bestehendes, sondern es ist auf Grund der Empfindung des Subjekts diesem immanent. Im Unterschied zur Grundlage ist in der Sittenlehre das Gefühl in zweifacher Hinsicht Grund der Realitätsgewissheit des Subjekts. Mittels des Gefühls ist dem Subjekt sowohl das noch unbehandelte Materiale seiner Tätigkeit gegeben als auch derselbe Stoff, nachdem dieser durch die freie Tätigkeit des Subjekts von ihm modifiziert worden ist. Anders als in der Grundlage versteht Fichte in der Sittenlehre die modifizierende Tätigkeit nicht als ein Nachbilden (vgl. I,2,436) des Objekts durch Anschauung, sondern als ein freies, d.h. dem kategorischen Imperativ entsprechendes zweckgerichtetes Einwirken auf das Objekt. Die Beziehung zwischen dem unbehandelten und dem modifizierten Stoff der Sinnenwelt, der sich jeweils im Gefühl manifestiert, entwickelt Fichte in der Sittenlehre folgendermaßen: Das ursprüngliche, unbehandelte Objekt, das vom Subjekt in Folge seiner freien Zwecksetzung modifiziert wurde, soll ein wirkliches Objekt sein. Wirklichkeit bedeutet nach Fichte Empfindbarkeit (vgl. I,5,86). Sofern das Subjekt das ihm mittels eines Gefühls gegebene Objekt nach seinen Zweckbegriffen modifiziert, wird ihm »das Vermögen zugeschrieben, Empfindbarkeit hervorzubringen« (I,5,86), denn das modifizierte Objekt wird ihm ebenfalls im Gefühl zugänglich. Das Hervorbringen der Empfindbarkeit versteht Fichte als Übergang (vgl. I,5,80) zwischen dem Gefühl des Zwanges, als Manifestation eines Objekts »wie es ohne unser Zuthun seyn sollte« und dem Gefühl der Freiheit, als Manifestation desselben Objekts, »wie es durch unsre Wirksamkeit modificiert seyn soll« (I,5,80). Sofern dieses neue Gefühl eintritt, ist das Subjekt Ursache geworden (vgl. I,5,97). Ursache zu sein, bedeutet für Fichte nicht, daß unmittelbar auf das Gefühl des Zwanges das Gefühl der Freiheit folgt und daß die Modifikation des Objekts durch das Subjekt in einem Schritt abgeschlossen werden kann. Vielmehr stellt diese Modifikation einen Prozeß dar, dessen einzelne Teile jeweils ihren Ausdruck in Mittelgefühlen (vgl. I,5,97) haben, die nichts anderes als die Regungen des guten oder schlechten Gewissens sind. Sofern das Subjekt Ursache seiner Zwecksetzung ist, ist es durch sich selbst, d.h durch seine reine Vernunft bzw. sein reines Selbst be-
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stimmt und nicht von seinen durch die Dinge außer ihm beeinflußten Begierden abhängig. Die Selbstgesetzgebung gemäß dem kategorischen Imperativ äußert sich für das Subjekt in dem im guten Gewissen enthaltenen Gefühl der Freiheit. Diese freie Tätigkeit der Modifikation muß für das Subjekt sein können. In der Sittenlehre vollzieht Fichte seine Begründung dafür, wie die Tätigkeit für das Subjekt sein kann, in Analogie zur Argumentation in seiner Grundlage. Das Wahrnehmen (vgl. I,5,93) seines »reellen Wirkens in der Sinnenwelt« (I,5,93) ist für das Ich in der Begrenzung seiner Tätigkeit, die ihm über das Gefühl des Zwanges bewußt wird. Nur insofern das Ich Widerstand fühlt, schreibt es sich eine Tätigkeit zu, die von etwas scheinbar Äußerem begrenzt ist. Das Gefühl ist somit der Vereinigungspunkt der Tätigkeit des Subjekts mit der begrenzenden Einwirkung des Objekts auf es. Die durch die Empfindung zunächst wahrgenommene Tätigkeit des Subjekts bestimmt Fichte in der Sittenlehre als Naturtrieb. Die Begrenzung des Naturtriebs äußert sich als Gefühl des Sehnens. In diesem Gefühl manifestiert sich für das Subjekt der Anfangspunkt (vgl. I,5,99) seiner Kausalität in der Sinnenwelt. »Am ersten in der Zeit wird [das Subjekt] sich des Naturantriebs bewußt« (I,5,165). Im Ausgang von der Bestimmung des Naturtriebs entwickelt Fichte in der Sittenlehre eine Gradation der Selbstobjektivierung des Subjekts. In seinem ursprünglichen Bestimmtsein durch den Naturtrieb habe das Subjekt noch kein Bewußtsein von seiner Selbständigkeit. Zu Beginn seiner Selbstobjektivierung sei das Subjekt unabhängig von seiner Vernunft und Freiheit bloß ein »verständiges Thier« (I,5,167). Von dem Naturtrieb grenzt Fichte den reinen Trieb des Subjekts ab, mit dem sich das Subjekt »über die Natur erhebt« (I,5,134). Unter dem Erheben über die Natur versteht Fichte die Modifikation der Sinnenwelt durch die freie intelligente Tätigkeit des Subjekts, so daß seine bloße Verbundenheit mit der Sinnenwelt durch den Naturtrieb, der lediglich auf die Befriedigung der vitalen Begierden des Subjekts aus ist, reflektiert und damit das alleinige Wirken des Naturtriebs unterbrochen wird, wodurch das Subjekt sicherstellt, daß der Beweggrund zu einer Handlung auf ein bestimmtes Objekt in seinem freien Willen und nicht in seiner Begierde liegt. Die Erörterung der Selbstobjektivierung des Subjekts in der Sittenlehre stimmt mit der Darstellung der Fürsichwerdung des Subjekts in der Grundlage darin überein, daß ihr Anfangspunkt (vgl. I,5,99) die Natur, d.h. das Bewußtlose und ihr Zielpunkt Freiheit und Vernunft sind.
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Hinsichtlich der Ordnung, der Setzung und der Bestimmung der einzelnen Gefühle innerhalb der von Fichte 1794 und 1798 entwickelten Gradation der Selbstobjektivierung des Subjekts bestehen jedoch Unterschiede. In der früheren Schrift hat Fichte mit den Gefühlen des Zwanges, der Kraft, des Selbstgefühls, des Sehnens, des Beifalls und Mißfallens und schließlich mit den Gefühlen der Vollendung und Entzweiung ein logisches System des Gefühls entwickelt. Vergleichbares fehlt in der Sittenlehre. Hier findet sich eine differentiertere Darstellung der Triebnatur des Subjekts als 1794: Fichte unterscheidet zwischen dem niederen Naturtrieb, dem höheren reinen Trieb und dem aus den beiden vorhergehenden Trieben zusammengesetzten sittlichen Trieb sowie den dazugehörigen Gefühlen, die er entsprechend den Trieben in niedere und höhere Gefühle einteilt. Als niedere Gefühle bezeichnet Fichte die Gefühle der Lust und der Unlust. Die Gefühle der Freiheit, der Selbstachtung und das Gewissen zählt er zu den höheren Gefühlen. Die Zuordnung der einzelnen Gefühle zu den Trieben ist über das Interesse vermittelt. Das Interesse wird vom Subjekt als Handlungsimpuls empfunden. Die Verwirklichung des Interesses ist je nach Art des Triebs auf materielle Bedürfnisse oder auf die Autonomie des Subjekts gerichtet. Ein weiterer Unterschied zwischen der Grundlage und der Sittenlehre besteht in Fichtes Bestimmung des Gefühls des Sehnens. Analog sind beide Schriften in der Auffassung vom Gefühl des Sehnens als Grund dafür, daß sich im Subjekt eine Außenwelt offenbart und in der Aussage, daß das Sehnen die Empfindung eines unbestimmten Bedürfnisses ist. Different sind sie jedoch in der Charakterisierung dieses unbestimmten Bedürfnisses. Der ersten Schrift zufolge manifestiert sich im Sehnen das Bedürfnis, das im Realitätsbewußtsein enthaltene Gefühl des Zwanges zu Gunsten des Gefühls der Freiheit aufzuheben (vgl. I,2,433 / 4). In der zweiten Schrift dagegen setzt Fichte das Sehnen so, daß es auf der Ebene des Naturtriebs und damit auf der niedrigsten Stufe der Selbstobjektivierung des Subjekts verbleibt. Fichte verbindet hier mit dem Sehnen nur Naturbedürfnisse (vgl. I,5,119). In der Sittenlehre ist das Sehnen bloß Manifestation des Instinktverhaltens des Naturtriebs, der auf die Befriedigung der biologischen Bedürnisse des Körpers für die Lebenserhaltung und den Sinnengenuß aus ist. Der Gedanke der Kultivierung des Realitätsbewußtseins des Subjekts, den Fichte 1794 mit dem Gefühl des Sehnens als Manifestation des Triebs nach Wechselbestimmung in Verbindung gebracht hatte, kommt in der Sittenlehre nicht vor. Nur auf den ersten Teil der Bestimmung dieses
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Gefühls geht Fichte hier an der Stelle ein, an der er die Beziehung des Subjekts zur Außenwelt erörtert, die die materiale Grundlage für die Realisation der Kultivierung des sittlichen Bewußtseins darstellt. In der Sittenlehre forciert für Fichte der sittliche Trieb die Kultivierung des sittlichen Bewußtseins. Dagegen unterbleibt in der Grundlage die in der Sittenlehre mit dem Gefühl des Sehnens verbundene Reflexion auf die Begierde und den Sinnengenuß, denn diese Reflexionen sind für die Entstehung der Objekterkenntnis irrelevant. Für die Bestimmung der sittlichen Qualität der Zwecksetzung des Subjekts in der bereits erfaßten Realität der Sinnenwelt sind sie hingegen konstitutiv. V.2
Fichtes Kritik an Kants Moralphilosophie und die Reaktionen der zeitgenössischen Rezensenten auf diese Kritik
Christian Ernst Gabler, in dessen Verlag Fichte seine Sittenlehre veröffentlicht, kündigt über das Erscheinen dieser Schrift am 22. Januar 1798 im Stück X der Oberdeutschen allgemeinen Literaturzeitung an, es sei Fichtes Auffassung, daß der Grund (vgl. I,5,6) der »Wissenschaft des Sittlichen noch nicht tief genug gelegt« ist und »daher einige Hauptbegriffe, [wie] z.B. der Begriff der Freyheit, [und] der des kategorischen Imperativs [...] noch mit vielen Schwierigkeiten umgeben sind« (I,5,6). Zudem sei »die Anwendung der sittlichen Grundsätze der reinen Vernunft auf das wirkliche Leben wissenschaftlich noch so gut als gar nicht vermittelt« (I,5,6). Die hier angesprochene Unzufriedenheit Fichtes mit der kantischen Moralphilosophie stimmt mit seinen kritischen Äußerungen zu Kant in der Theorie des Willens überein. Kant zufolge weisen »Freiheit und unbedingtes praktisches Gesetz [...] wechselweise aufeinander zurück« (KpV S. 34). Fichte erhebt jedoch in seiner Kant-Kritik den Einwand, daß in dessen Moralphilosophie die Wechselbeziehung zwischen Freiheit und Sittengesetz, bzw. die Einheit des sittlichen Bewußtseins nicht gewährleistet sei, weil Kant nicht zeige, wie die zur intelligiblen Sphäre des Subjekts gehörende Freiheit, die Bedingung der Realisierung des Sittengesetzes ist, auf den empirischen Charakter des Subjekts und auf die Sinnenwelt bezogen werden kann. Zwar spreche Kant von einer Kausalität aus Freiheit (KpV vgl. S. 54), aber seine Bestimmung der Freiheit als ein »Vermögen, einen Zustand [...] absolut anzufangen« (I,5,52) stellt für Fichte nicht mehr als eine »vortrefliche Nominal-Erklärung« (I,5,52) dar, weil Kant
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nicht zeige, »wie sich denn das absolute Anfangen eines Zustandes denken lasse« (I,5,52). Fichte beansprucht dagegen, die Einheit des sittlichen Bewußtseins nachzuweisen, indem er die von Kant bloß als »Faktum der Vernunft« (KpV S. 36) postulierte Wechselbeziehung zwischen Freiheit und Sittengesetz aus dem Begriff des absoluten Ich deduziert. Mit dieser Deduktion nimmt sich Fichte vor zu demonstrieren, wie sich »das absolute Anfangen eines Zustandes« (I,5,52) in der Sinnenwelt nach dem Maßstab des Sittengesetzes denken läßt. Fichtes transzendentale Entfaltung des Prinzips der Sittlichkeit wurde von den zeitgenössischen Rezensenten sehr unterschiedlich beurteilt.94 Das gibt die Äußerung eines Kritikers der Tübinger Gelehrten Anzeigen wieder: »man hat dieses kühne Unternehmen«, das Prinzip der Sittlichkeit aus dem absoluten Ich abzuleiten, »bisher sehr verschieden beurteilt, und es zum Theil als metaphysischen Aberwiz, als ein leeres Gedankenspiel verlacht, zum Theil aber auch als hohe Weisheit, als ein Meisterstück des philosophischen Tiefsinns bewundert«.95
Trotz dieser unterschiedlichen Bewertungen der Qualität der Fichteschen Deduktion des Sittengesetzes stimmen die Aussagen der Rezensenten darin überein, daß sie weder der für Fichte so wichtigen Bestimmung des Gewissens im dritten Hauptstück noch seinen anderen Bestimmungen der übrigen Gefühle im ersten und zweiten Hauptstück der Sittenlehre große Beachtung beimessen. Sofern sie in ihren Rezensionen überhaupt den 94. Die zeitgenössischen Reaktionen auf Fichtes Sittenlehre waren im Unterschied zu seinen vorhergehenden Veröffentlichungen relativ gering (vgl. E. Fuchs (Hg.) J.G. Fichte Berichte der Zeitgenossen, Stuttgart-Bad Cannstatt 1978 ff. u. ders. (Hg.) Fichte in zeitgenössischen Rezensionen, Stuttgart-Bad Cannstatt 1995 ff). Als Grund dafür nehmen die Herausgeber der FichteAkademieausgabe den um 1798 ausbrechenden Atheismusstreit an. Sie sind auch der Auffassung, dass die Rezensionen der Sittenlehre keine »im Kontext einer unter Fachkennern der Materie gemeinsam geführten Erörterung« (I,5,11) darstellen, sondern daß es sich bei diesen Rezensionen um »isolierte Stellungnahmen« (I,5,18) handelt. Die Sittenlehre wurde hauptsächlich von Theologen beachtet (vgl. I,5,11). So stammt eine der »bedeutendsten Rezensionen« (I,5,12) dieser Schrift von dem Prediger Schleiermacher für die Oberdeutsche Allgemeine Literaturzeitung vom 16., 18. u. 21. Januar 1799, Coll. 97-112, 113-126 und 129-132. 95. Vgl. Gelehrte Anzeigen. St. 91-93. Tübingen 12. / 15. / 19. Nov. 1798, S. 721-728; 731-736; 740-744. Stellvertretend für die zustimmenden Äußerungen zu Fichtes Vorgehen in seinem ersten Hauptstück der Sittenlehre kann man Wilhelm von Humboldt zitieren. Er hält in seinem Tagebuch fest, daß sich Kant in der Kritik der praktischen Vernunft zwar mit der Pflichtlehre (vgl. I,5,13) auseinandersetzt, er aber nicht sagt, »wie das Sittengesetz ensteht«. Humboldt bezeichnet Kants Verfahren in der Kritik der praktischen Vernunft daher als hypothetisch und als nicht wissenschaftlich. Kant fägt seiner Auffassung nach »bei den Resultaten an nicht bei der Kraft« (I,5,13) selbst, wie Fichte das seiner Auffassung nach getan hat.
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Begriff des Gefühls zitieren, erfolgt dies nur in paraphrasierender und nicht in Form einer kritischen Erörterung. So erweist der Mitarbeiter der Göttingischen Bibliothek der neuesten theologischen Literatur96 Fichte zwar seine Anerkennung: »Man sieht [nach Fichtes Sittenlehre] ein, warum Kant die Freiheit durch das Bewußtseyn des Sittengesetzes erweisen konnte, und wie er wieder die Verbindlichkeit des Sittengesezes auf die Freiheit gründen konnte. Es wird klar, wie die Vernunft praktisch seyn, d.h. ihre Thätigkeit durch sich selbst bestimmen könne, und aus welchem Grunde dieses ihr Vermögen Autonomie heißt. Insofern ist diese Deduktion weit befriedigender, als alles, was bisher über diese Theorie gesagt worden ist, und dient dazu, sie zugleich tiefer zu begründen und verständlicher zu machen« (S. 643).
Nach Auffassung dieses Rezensenten hat sich Fichte außerdem mit der Aufstellung der Pflichtenlehre im dritten Hauptstück »ein großes Verdienst [dadurch] erworben [...], daß er durch Rücksicht auf das Materiale der Sittlichkeit dem leeren Formalwesen der Kantianer ein Ende gemacht hat« (S. 676). Einwände erhebt er aber gegen Fichtes Bestimmung des Gewissens als Kriterium der Überzeugung der Richtigkeit einer Pflicht: »Hier dürfte wohl einer der schwächsten und unbestimmtesten Theile des ganzen Systems des Verf. seyn. Ein Gefühl hat nie diejenige Evidenz, daß es zum Kriterium des Wahren und Guten gemacht werden könnte. Gleichwohl will der Verf[asser] diesem Gefühl Untrüglichkeit zuschreiben.« (S. 658 / 9).
In der Erlanger Beylage zu den Gemeinnützigen Betrachtungen der neuesten Schriften welche Religion, Sitten und Besserung des menschlichen Geschlechts betreffen (1798)97 ist der Rezensent zwar der Auffassung, daß Fichtes der Sittenlehre einen »überaus schätzbare[n] Beytrag zur Entwicklung moralischer Begriffe und Wahrheiten« (S. 391) leiste, jedoch er wendet kritisch ein, Fichte nehme das Gewissen »blos für ein moralisches Gefühlsvermögen« (S. 376), da er es nicht wie Kant »von der Urtheilskraft trennt« (S. 376). Das hat seiner Ansicht nach entscheidende Konsequenzen für die gebräuchliche Wortwahl, denn dies führe unweigerlich zu Mißverständnissen (vgl. S. 376).
96. 4. Bd., 5. St. 1799, hg. v. Karl Friedrich Stäudlin. 97. Erstes Stück., XV. Beylage, Nr. XXXII, -IV, -V u. VI.
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Kant bestimmt das Gewissen weder als Kriterium der Richtigkeit der Überzeugung von einer berstimmen Pflicht, noch ist es für ihn auf den objektiven Gehalt der Pflicht bezogen (vgl. MdS, S. 243).98 Das Bewußtsein einer bestimmten Materie, die Pflicht ist und die Zuordnung der Maxime zu dem Sittengesetz erschließt sich das Subjekt nach Kant im reflexiven Bezug auf den kategorischen Imperativ und nicht, wie für Fichte in einem unmittelbaren Gefühl. Selbst der gemeinste Verstand könne ohne Unterweisung unterscheiden, welche Maxime sich zur allgemeinen Gesetzgebung eignet; jedermann könne den Univerisalisierungstest durchführen. »Ob eine Handlung überhaupt recht oder unrecht sei, darüber urteilt der Verstand, nicht das Gewissen« (RGV, S. 209). Kant definiert das Gewissen als die »sich selbst richtende moralische Urtheilskraft« (RGV, S. 210). Die Urteilskraft prüft, ob eine Handlungsmaxime recht oder unrecht ist und dem Sittengesetz subsumiert werden kann oder nicht, d.i. ob sie als allgemeines Gesetz taugt. Das Gewissen als die »sich selbst richtende moralische Urtheilskraft« (RGV, S. 210) richtet »nicht die Handlungen, die unter dem Gesetz stehen« (RGV, S. 210), sondern es prüft, ob jene Beurtheilung der Handlungen mit aller Behutdamkeit [ob sie recht oder unrecht]« (RGV, S. 210) erfolgt ist. Hierin liegt der Grund, warum Kant besonders auf das schlechte Gewissen eingeht. Sofern die Urteilskraft richtig geurteilt hat, erhebt das Gewissen keine Anklage. Im Unterschied zu Fichte sind die positiven Äußerungen des Gewissens für Kant nur von marginaler Bedeutung. Ein irrendes Gewissen muß nach Kant ausgeschlossen werden, da Fehler nur der Urteilskraft unterlaufen. »Denn in dem objektiven Urteil, ob etwas Pflicht sei oder nicht, kann man wohl irren; aber im subjektiven, ob ich es mit meiner praktischen Vernunft zum Behuf jenes Urteils verglichen habe, kann ich nicht irren, weil ich alsdann praktisch gar nicht geurtheilt haben würde; in welchem Fall weder Irrtum noch Wahrheit statthat« (MdS, S. 243). Die Äußerungen der Rezensenten über die Fichtesche Bestimmung des Gewissens lassen darauf schließen, daß sie aus der Kantischen Perspektive das Gewissen nicht für ein Kritierium des Pflichtbewußtseins halten, sondern die Gewißheit von Recht und Unrecht einer Handlung als Ergebnis der Leistungen eines rationalen Schlußverfahrens erachten. Die Bestimmung des Gewissens als Indikator der Sittlichkeit, die Fichte schon in den Predigten von 1786 und 1792 und in Bezug auf das moralische Gefühl der Achtung in der Theorie des Willens in Abweichung
98. Vgl. Wen-Berng Pong a.a.O., S. 149 ff..
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von Kant vertreten hatte, entwickelt er in der Sittenlehre auf der Grundlage folgender drei Thesen weiter:99 Erstens geht er davon aus, daß es ein absolutes Kriterium der Pflicht geben müße und daß dieses Kriterium von der Art des Gefühls sein muß. Zweitens wird das Objekt, das Pflicht sein könnte, zwar durch einen Denkakt (vgl. I,5,161) gefunden, aber das Bewußtsein, daß dieses Objekt wirklich Objekt der Pflicht ist, sei ein Gefühl. Drittens sei für jeden Menschen in einer je besonderen Situation immer etwas Bestimmtes Pflicht. Im Hinblick auf seine erste These macht Fichte gegenüber Kant geltend, daß die Urteilskraft auf Grund des unendlichen Regresses einer rationalen Letztbegründung der Pflicht nicht die endgültige Entscheidung darüber treffen könne, was sittlich geboten oder verboten ist. Das »theoretische Erkenntnißvermögen kann sich nicht selbst kritisieren und bestätigen«, weil die nach dem Maßstab des kategorischen Imperativs rational gebildete Überzeugung von der Richtigkeit einer Pflicht »wieder eines neuen Beweises« bedarf und dieser Beweis wieder eines neuen Beweises und so ins Unendliche (I,5,158) fort. Dieser Regress läßt sich nur durch den Rekurs auf das Gefühl des Gewissens vermeiden. Als Gefühl ist das Gewissen ein unmittelbares Bewußtsein, das nicht mehr auf weitere Begriffe zurückgeführt werden kann. Fichte leugnet nicht, daß über den Gehalt der Pflicht diskutiert werden kann. Aber die Bildung eines Urteils über dasjenige, was in einer bestimmten Situation Pflicht ist, verlangt eine defintive Entscheidung. Das objektiv moralische Urteil (vgl. I,5,155) der Kantischen Bestimmung der Urteilskraft, das von Fichte theoretisches Urteil (vgl. I,5,155) über das, was recht oder unrecht ist, genannt wird, erhält erst durch das Gewissen seine Bestätigung. So findet für Fichte der Reflexionsprozeß über den Gehalt des Pflichtmäßigen sein Ende in der Gewißheit des moralischen Gefühls. »Das Kritierium der Richtigkeit unsrer Ueberzeugung von Pflicht ist [...] ein inneres. Ein äußeres, objectivers, giebt es nicht, noch kann es ein solches geben« (I,5,158). Damit ist das Gewissen für Fichte in Anlehnung an seine Predigten von 1792 »selbst Richter aller Ueberzeugung«, das »keinen höhern Richter über sich anerkennt« (I,5,161). In den Ausführungen zu seiner zweiten These setzt er sich mit Kants Bestimmung des Gewissens in dessen Schrift Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1793) auseinander. Dort formuliert 99. Vgl. dazu Wolfgang H. Schrader: a.a.O. 1987, S. 273 ff..
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Kant: »Das Gewissen ist ein Bewußtsein, das für sich selbst Pflicht ist« (RGV, S. 209 / I,5,161). Fichte interpretiert die Kantische Bestimmung des Gewissens folgendermaßen: »Ein richtiger und erhabener Ausspruch. Es liegt in ihm zweierlei: zuvörderst, es ist schlechthin Pflicht, sich jenes Bewußtseyn zu erwerben [...] Dann – das Bewußtseyn in diesem Zustande ist gar nichts weiter als ein Bewußtseyn der Pflicht« (I,5,161).
Fichte verbindet mit dem Prozeß der Sensibilisierung des Pflichtbewußtseins den Gedanken der Kultivierung des Gewissens. In diesem Punkt stimmt er mit Kant überein (vgl. MdS, S. 243). Mit der Bestimmung des Gewissens als ein Bewußtsein der Pflicht (I,5,161) unterscheidet sich Fichte von Kant. Für Fichte vereinigt das Gewissen das Bewußtsein der Pflicht mit dem bestimmten Objekt der Pflicht. Somit fallen das subjektive Kritierium der Richtigkeit der Überzeugung von einer Pflicht und das objektive Material der Pflicht unmittelbar zusammen. Fichte legt diesen Ausführungen seine 1794 entwickelte Theorie des Gefühls zugrunde, derzufolge das Gefühl Grund des Realitätsbewußtseins ist. Da das Gewissen ein Gefühl ist, offenbart sich in ihm die Materie der Pflicht. Indem Fichte die These vertritt, daß sich das Gewissen auch auf das Objekt der Pflicht bezieht, unterscheidet er, anders als Kant, nicht mehr zwischen dem kategorischen Imperativ, der sich auf das Objekt der Pflicht bezieht und dem Gewissen bzw. der sich selbst reflektierenden Urteilskraft, die sich nur auf das Subjekt bezieht und bloß darüber reflektiert, ob das Subjekt geprüft hat, ob eine Handlung allgemeines Gesetz werden kann. Für Fichte ist das Gewissen ein intellektuelles Gefühl. Es folgt auf ein Urteil bzw. in ihm manifestiert sich die Gewißheit des Urteils der intellektuellen Tätigkeit, die nach dem Maßtab des kategorischen Imperativs prüft, zu welchen Handlungen für das Subjekt absolute Pflicht besteht. Anders als für Kant sind für Fichte das Urteil darüber, ob etwas Bestimmtes Pflicht ist und die Materie der Pflicht im Pflichtbewußtsein, d.h. im Gewissen, unmittelbar aufeinander bezogen. In seiner Kritik an Kant nimmt Fichte in gewisser Weise Hegels Kritik an Kant vorweg. In den Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse (1821) kritisiert Hegel, daß, indem sich bei Kant das Gewissen nur auf das Subjekt und nicht auch auf das Objekt bezieht, das Prüfen der »Behutsamkeit« über den Inhalt der Pflicht nichts aussagt. Ohne »objektiven Inhalt« ist daher für Hegel der Kantische Begriff des Gewissens lediglich Ausdruck der
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»unendlich[n] formelle[n] Gewißheit seiner selbst« und kann in letzter Konsequenz dazu führen, »böse zu sein«, da für ihn die bloß formelle subjektive Gewißheit die Gefahr in sich birgt, »die Willkühr, die eigene Besonderheit über das Allgemeine zum Prinzip zu machen«.100 Insofern das Gewissen schlechthin vom Objekt getrennt wird, sind die Äußerungen des Gewissen nach Hegel nicht mehr als leere Behauptungen des Subjekts. Das Gewissen steht so den Objekten gleichgültig gegenüber. In der Entwicklung der dritten These betont Fichte die mit der Subjektivität des Gewissens als Gefühl verbundene Autonomie. In Anlehnung an seinen Beitrag gewährleistet das Gewissen in seiner Eigenschaft als Selbstgefühl die Unabhängigkeit des Subjekts von politischen und kulturellen Einflüßen in seinen Entscheidungen über das, was Pflicht ist. Das Kriterium der Entscheidung ist dem Subjekt qua Gefühl immanent. Die im Gewissen enthaltene subjektive Vergewisserung der Pflicht schließt zwar nicht aus, daß es Erziehung oder Beratung in Pflichtfragen gibt, aber in letzter Konsequenz ist doch jeder nur sich selbst verantwortlich und muß seine Entscheidung aus selbstgebildeter Einsicht heraus vertreten. Es gibt, so Fichte, keine Gewißheit und Überzeugung von fremden Urteilen. »Was nicht aus dem Glauben, aus Bestätigung an unserm eigenen Gewissen hervorgeht«, bezeichnet er als Sünde, die nichts anderes als die Trägheit sei, keine eigenen Urteile darüber bilden zu wollen, welche Handlung in einer jeweiligen Sitatuion pflichtmäßig ist. Diese Indifferenz in der Haltung des Menschen ist für Fichte unmoralisch, gewissenlos und heuchlerisch (I,5,164). Das Subjekt kann sich eine Überzeugung von fremden Urteilen nur dann bilden, wenn es »die Zustimmung seines Selbst zu der vorgetragenen Wahrheit innerlich fühlt« (I,5,278) und daß setzt voraus, daß es über die fremden Urteile selbst wieder geurteilt hat. Die Richtigkeit des Urteils manifestiert sich im Gefühl. Das selbständig gebildete Urteil ist ein Bestimmungsmerkmal des Gewissens. Anders als Kant konzipiert Fichte seine Pflichtlehre im Ausgang eines individuellen Subjekts, das in einer speziellen Situation nur eine ganz bestimmte Pflicht ausführen soll. Ansätze dieser Lehre finden sich schon in der kategorialen Bestimmung des moralischen Gefühls der Achtung in der Theorie des Willens. Den Unterschied zu Kant erläutert Fichte in einem Brief an Reinhold:
100. Georg Friedrich Wilhelm Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse (1821), in: G.W.F. Hegel Werke in 20 Bdn., Redaktion von Eva Moldenhauer u. Karl Markus Michel, Frankf. a.M. 1975, Bd. VII, §§ 137 und 139.
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»Einer gewissen Maxime = A widerspricht das Prädikat der Allgemeingültigkeit für vernünftige Wesen = B.: sagt, und erweist‘ Kant. Ich antworte ihm: Das kann wohl sein, geht aber mich nicht an, denn was soll mich denn vermögen, überhaupt A auf B zu beziehen? Ich will eben jene Maxime für mich allein behalten; wenn sie gemeingültig wird, dann ist mir freilich das Spiel verdorben, das weiß ich; aber warum soll ich denn Maximen aus einer gewißen Sphäre nur unter der Bedingung zu der meinigen machen, daß sie als gemeingültig gedacht werden können? Hierauf antwortet Kant nichts« (III,2,385).
Im Prozeß der Universalisierung der Maximen geht bei Kant der Bezug auf ein einzelnes Subjekt für immer verloren. Wie sich die mit dem kategorischen Imperativ in Übereinstimmung gebrachten Maximen wieder auf ein bestimmtes Subjekt zurückbeziehen lassen, könne Kant nicht erklären.101 Dieser Rückbezug stellt aber in Fichtes philosophischem Konzept eine absolute Notwendigkeit dar, denn anders als Kant, setzt Fichte seine praktische Philosophie beim Selbstbewußtsein an. In diesem Konzept garantiert nur sittliches Handeln das Selbstbewußtsein. Um das Selbstbewußtsein zu sichern, d.h. seiner selbst gewiß zu sein, muß dem Subjekt jeden Augenblick bewußt sein, ob es dem kategorischen Imperativ, d.i. seinem ursprünglichen, transzendentalen Selbst entsprechend handelt oder nicht. In deutlicher Abgrenzung zu Kant legt Fichte gerade Wert darauf zu zeigen, daß sich die Sittlichkeit in Gestalt individueller Pflichten realisiert und daß es für das vernünftige Wesen ein jederzeit verfügbares, Subjektimmanentes und von äußeren Autoritäten völlig unabhängiges Kriterium der Wahrheit der Gewißheit der Überzeugung von einer bestimmten Pflicht gibt. In seiner Deduktion bestimmt Fichte das Gewissen »als ursprünglich und wesenhaft zur menschlichen Natur gehörend«. Es ist kein Produkt von Sitte, Vorurteil oder gar Nötigung,102 sondern ein Grundphänomen des Bewußtseins, das Selbstbewußtsein und Selbstgewißheit garantiert. Die Verbindlichkeit der Gewissensäußerungen ist in der Beziehung zwischen dem transzendentalen, ursprünglichen Selbst und dem Gewissen begründet.103 Dies führt ihn zu der These, daß das Gewissen, als das »Bewußtseyn unserer höhern Natur und absoluten Freiheit« »gleichsam das unmittelbare Bewußtseyn dessen [ist], ohne welches überhaupt kein Bewußtseyn« (I,5,138) möglich ist. Das Selbstbewußtsein besteht in dem 101. Vgl. dazu W.-B. Pong a.a.O., S. 17 und P. Rohs a.a.O. 1991, S. 171. 102. Vgl. dazu Wolfgang Janke: Intellektuelle Anschauung und Gewissen, in: FichteStudien, Amstderdam-Atlanta 1991, Bd. 5, S. 21 ff.. 103. Vgl. auch I,1,122.
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Bewußtsein der absoluten Freiheit (vgl. I,5,161) der sittlichen Selbstgesetzgebung. Sofern sich im Gewissen das Bewußtsein der absoluten Freiheit manifestiert, ist das Gewissen Vergewisserung des Selbstbewußtseins. »Das Gewissen irrt nie, und kann nicht irren [...] denn es ist das unmittelbare Bewußtseyn unsers reinen, ursprünglichen Ich, über welches kein anderes Bewußtseyn hinausgeht« (I,5,161). Die Äußerungen des Gewissens haben für Fichte den Charakter der Unerschütterlichkeit einer festen Überzeugung, die er an Kants Beispiel vom statuarischen Glauben eines Ketzerrichters demonstriert, »der einen des Unglaubens verklagten [...] Ketzer [...] zum Tode verurtheilt« (I,5,157, Anm. 3). Nach Fichte kann sich der Ketzerrichter »nie ganz gewiß seyn, daß er daran nicht vielleicht unrecht thue. Wenn er etwa sich selbst fragte: getraust du dich wohl in Gegenwart des Herzenskündigers mit Verzichtthuung auf alles, was dir werth und heilig ist, dieser Sätze Wahrheit zu betheuren; so werde hiebei wohl der kühnste Glaubenslehrer zittern« (I,5,157). Nur wer seiner Sache ganz gewiß ist, kann »auf diese Gewißheit [...] die ewige Verdamniß wagen, und wenn er dies nicht [vermag, verrät] er dadurch seine Ungewißheit«. »Ewig verdammt [zu] seyn« bedeutet nach Fichte, »seine Besserung auf alle Ewigkeit auf[zu]geben« und sich aufgrund der Äußerungen des schlechten Gewissens permanenter Selbstvorwürfe auszusetzen. Ein solches Übel kann kein Mensch im Ernste wollen. Der Mensch muß sich daher notwendigerweise die Frage stellen, ob seine Überzeugung, in einem bestimmten Augenblick das Richtige zu tun, »auf immer bestätigt werde«. Dies führt Fichte zu der Frage, wie kann das empirische Subjekt, das im Laufe seines Lebens den unterschiedlichen politischen, kulturellen u.a. Einflüßen ausgesetzt ist, der Richtigkeit seiner Überzeugung gewiß sein und diese Überzeugung für alle Zeit (vgl. I,5,157 f.) beanspruchen? Fichte zufolge manifestiert sich die Richtigkeit der Überzeugung für das empirische Subjekt in der zustimmenden Äußerung des Gewissens, in der sich zugleich seine Harmonie mit dem absoluten Ich manifestiert. Da das absolute Ich »über alle Zeit und alle Veränderung in der Zeit erhaben [ist]; [...] erhebt sich in dieser Vereinigung das empirische Ich gleichfalls über allen Zeitwechsel, und setzt sich als absolut unveränderlich. Daher die Unerschütterlichkeit einer festen Ueberzeugung« (I,5,158).
Das Gewissen als Kriterium der Pflicht
V.3
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Die Deduktion des kategorischen Imperativs (Einleitung, §§ 1-3)
In der Sittenlehre erhebt Fichte den Anspruch, das von Kant in der Kritik der praktischen Vernunft als Faktum behauptete Sittengesetz als Produkt des Subjekts deduzieren zu können, indem er mit der Untersuchung der Struktur des absoluten Ich den Nachweis führt, daß die im Begriff des absoluten Ich zu denkende Beziehung zwischen Denken und Wollen als Selbstgesetzgebung in Entsprechung zum kategorischem Imperativ verstanden werden muß. Da Fichte anders als Kant das Sittengesetz aus dem absoluten Ich deduziert, wird das Gefühl in dieser Deduktion nur negativ bestimmt, weil das Gefühl für ihn immer mit dem empirischen Ich zusammenhängt. Für Fichte stellt das Sittengesetz einen reinen Gedanken dar, dem nicht das Geringste von Gefühl beigemischt sein kann (vgl. I,5,57 ff.). Obwohl die Bestimmung des Gefühls in der Deduktion des Sittengesetzes negativ erfolgt, kommt dieser Deduktion hinsichtlich der Gewißheit der Bestimmung des Gewissens als Kriterium der Richtigkeit der Überzeugung von einer bestimmten Pflicht eine besondere Bedeutung zu. Denn Fichte liefert mit der genetischen Erörterung des Sittengesetzes den Nachweis der Gültigkeit dieses Gesetzes, die sich seiner Auffassung nach im Gewissen manifestiert. Da Fichte die Sittenlehre nach den Prinzipien der Grundlage entwickelt, braucht er den Begriff des absoluten Ich, den er als Deduktionsgrund des kategorischen Imperativs fixiert, selbst nicht mehr eigens abzuleiten, sondern er kann im Rekurs auf den Paragraphen 1 der Grundlage in der Sittenlehre sofort mit der Untersuchung der inneren Struktur des absoluten Ich beginnen.104 Im absoluten Ich ist a priori die »absolute Identität des Subjekts, und Objekts« (I,5,21) enthalten. In objektiver Hinsicht besteht die Absolutheit des Ich im reinen unbestimmten Wollen. Dieses Wollen formuliert Fichte als »reelles Selbstbestimmen seiner selbst durch sich selbst« (I,5,40). Vor dem Hintergrund des Gedankens der Einheit der subjektiven und objektiven Bestimmtheit des Ich im absoluten Ich, muß das Wollen »ohne alle Beziehung auf etwas ausser ihm« (I,5,45) gedacht werden. Das objektive, wollende Ich bestimmt er daher als »absolute Tendenz zum Absoluten« sowie als »absolute Unbestimmbarkeit durch irgend etwas ausser ihm« (I,5,45). Daraus resultiert für Fichte, daß die ursprüngliche Handlung des subjektiv bestimmten absoluten Ich als die Reflexion (I,5,55) auf die ob104. Zu den Ausführungen der Punkte V.3 und V.4 vgl. Wolfgang Janke a.a.O. 1993, S. 461 ff.; W. Metz a.a.O., S. 147 ff. und W.-B. Pong a.a.O., S. 91 ff..
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jektive Bestimmtheit und damit auf sein Wollen zu bestimmen ist. Die in der Reflexion vollzogene Selbstbezüglichkeit des subjektiven Ich auf das objektive Ich im absoluten Ich geschieht aus absoluter Spontaneität. In Folge der Reflexion bringt das Ich die Absolutheit des reellen Selbstbestimmens (I,5,40) unter die »Botmäßigkeit des Begriffs; und dadurch erst wird sie eigentliche Freiheit« (I,5,48). Die Vereinigung (vgl. I,5,64) von subjektiver und objektiver Bestimmtheit im absoluten Ich versteht Fichte als wechselseitiges Aufeinanderwirken. Das objektive durch das subjektive Ich bestimmt, ergibt den Begriff der Freiheit (vgl. I,5,64). Aus der Bestimmung des subjektiven Ich durch das objektive Ich geht nach Fichte aber kein Gefühl hervor, sondern der »Gedanke[...] der Nothwendigkeit mich durch meine Freiheit nur nach dem Begriffe der Selbständigkeit zu bestimmen« (I,5,64). Zwar versteht Fichte das Gefühl in der Grundlage als Manifestation eines Zustandes, in dem sich das Subjekt durch ein ihm scheinbar äußeres Objektives begrenzt fühlt. Jedoch geht in der Sittenlehre aus der Bestimmung des Subjektiven durch das Objektive kein Gefühl, sondern der Gedanke hervor, sich entsprechend dem kategorischem Imperativ zu bestimmen. Das Gefühl gehört, wie in der Erörterung der Gefühlssequenz (1794) gezeigt, zum Wesen des wirklichen empirischen Ich, das die Begrenzung seiner Freiheit im Zusammenhang mit einem gegenstrebenden Nicht-Ich der Sinnenwelt erfährt. Diese objektive Bestimmung des Ich durch ein ihm äußeres Nicht-Ich wird von Fichte im Kontext der Deduktion des Sittengesetzes gar nicht gedacht. Indem die subjektive und objektive Bestimmtheit des Ich im absoluten Ich als Eins (vgl. I,5,58) gesetzt werden und als solches das absolute Ich Prinzip des Bewußtseins ist, geht das absolute Ich dem empirischen Ich vorher. Da nicht das absolute Ich, sondern nur das empirische Ich mit der Sinnenwelt zusammenhängt, geht Fichte in der Erörterung der Struktur des absoluten Ich auf ein »materielles Bestehen [des Ich] vermöge eines Gefühls« (I,5,60) gar nicht ein. Fichte charakterisiert die Beziehung zwischen dem subjektiv und objektiv bestimmten Ich im absoluten Ich vielmehr als eine Ich-immanente Wechselwirkung (vgl. I,5,64) zwischen Gesetz und Freiheit: »Wenn du dich frei denkst, bist du genöthigt, deine Freiheit unter ein Gesetz zu denken; und wenn du dieses Gesetz denkst, bist du genöthigt, dich frei zu denken; denn es wird deine Freiheit vorausgesetzt, und dasselbe kündigt sich an, als ein Gesetz für die Freiheit« (I,5,64). Dem Begriff bzw. dem Gesetz, unter das die Freiheit in dieser Wechselwirkung (vgl. I,5,64) gebracht worden ist, bestimmt Fichte als kategorischen Imperativ (vgl. I,5,
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65). Das Sittengesetz, das er aus der Struktur des absoluten Ich deduziert, ist für Fichte ein Gedanke (vgl. I,5,64). Der Vollzug dieses Gesetzes stellt sich für ihn als ein »absolutes categorisches Sollen« (I,5,66) dar. Das selbständige Subjekt soll seine Freiheit gemäß dem Sittengesetz ausüben. V.4
Die Funktion des Gewissens als Manifestation des Sittengesetzes (§§ 7-15)
In der Sittenlehre entwickelt Fichte die Bestimmung des Gewissens als Kriterium der Richtigkeit der Überzeugung von einer bestimmten Pflicht im Rekurs auf das System der Triebe (vgl. I,5,108) und auf die mit diesen Trieben einhergehenden unterschiedlichen Gefühle des Subjekts. Der Wechselbezug zwischen Trieb und Gefühl konstituiert sowohl die sinnliche Wahrnehmung, in der sich das Material der Pflicht manifestiert, als auch das Bewußtsein der sittlichen Selbstbestimmung im Umgang mit diesem Material der Pflicht. Die Explikation des Wechselbezuges zwischen Trieb und Gefühl vollzieht Fichte im Rahmen seiner Deduktion der Selbstobjektivierung des Subjekts. Hier zeigt sich, daß sich das ganze System der geistigen und sinnlichen Kräfte hinsichtlich ihrer Motionen, Antriebe und Interessen für das Subjekt in diversen Gefühlen äußert. Das Ich kann sich seiner Kausalität nur mit Hilfe eines »synthetische8n] Gliede[s]« (I,5,106) bewusst werden, unter dem Fichte das »ursprüngliche Gefühl des Triebs« (I,5,106) versteht. In diesem Gefühl ist die »Thätigkeit selbst unmittelbar dargestellt« (I,5,106). Unter dieser Tätigkeit versteht Fichte den Naturtrieb, der sich für das Subjekt im Gefühl des Sehnens äußert. Den Naturtrieb und das Gefühl des Sehnens schreibt Fichte dem vorbewußten Zustand des Subjekts zu: »Nicht Ich selbst setze mich, sondern sowohl objectiv, als getrieben, und subjectiv, als fühlend, diesen Trieb, bin ich gesezt« (I,5,107). Da, laut Paragraph 6 der Grundlage, im Trieb die Begrenzung durch das Gegenstreben des Objekts enthalten ist, manifestiert sich im Sehnen für das Subjekt ein vorbewußter Bezug auf seine Natur, d.h. auf seinen artikulierten Leib, mit dem ein vorbewußter Bezug des Subjekts auf die Sinnenwelt einhergeht, was aber Fichte zufolge insgesamt nichts anderes ist als »unsere Natur« (I,5,108) denn, das Objekt ist Produkt des Subjekts.105
105. Vgl. zum Begriff der Natur in diesem Kontext Peter Rohs: Johann Gottlieb Fichte, München 1991, S. 103 ff..
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Zwar ist die Begrenzung des Naturtriebs durch die Objekte der Sinnenwelt eine Bestimmtheit der Intelligenz, aber das Subjekt handelt zu Beginn seiner Selbstobjektivierung noch ohne das Bewußtsein seiner Freiheit und Selbstthätigkeit (vgl. I,5,105). Die Beziehung des Naturtriebs auf die Sinnenwelt geschieht »ohne [...] Erkenntniß, Überlegung [und] Berechnung« (I,5,119). Das Sehnen als Manifestation der Begrenzung des Naturtriebs ist daher auch nur eine unbestimmte Empfindung des Subjekts im Sinne irgend eines vitalen Bedürfnisses und stellt eine nicht näher spezifizierbare innere Bewegtheit des Subjekts dar. Das Gefühl des Sehnens ist der vorbewußte Vereinigungspunkt des mechanischens Charakters der Natur und der intellektuellen Tätigkeit des Ich. In der Darstellung der Selbstobjektivation des Subjekts denkt Fichte eine erste spontan erfolgende Reflexion auf das Gefühl des Sehnens. In der Reflexion des Subjekts auf sein Sehnen äußert sich »die Tendenz der Vernunft, sich schlechthin durch sich selbst, als Subject des Bewußtseyns [...] zu bestimmen« (I,5,125). Durch diese Reflexion wird der Mensch nach Fichte zu einem Ich. In dieser Reflexion äußert sich der reine geistige Trieb (vgl. I,5,125). Infolge der Reflexion wird das Gefühl des Sehnens in das Bewußtsein erhoben und durch weitere Reflexionen zum Begehren (I,5,122) fortbestimmt. Die Objekte des Begehrens sind, so Fichte, die Naturdinge (vgl. I,5,122). Das Ich kann sich zwar das Gefühl des Begehrens bewußt machen, aber über das Vorhandensein des Begehrens hat es »nicht die geringste Gewalt« (I,5,107). Als das Begehren fühlend »bin ich gesezt« (I,5,107). Damit das Subjekt das sittliche Prinzip in der Sinnenwelt realisieren kann, muß die Kausalität des Begehrens auf die Selbstbestimmung des Subjekts ausgeschlossen werden. Die Selbstbestimmung des Subekts ist Fichte zufolge dadurch gewährleistet, daß der Naturtrieb nur das Mittelglied zwischen dem Subjekt und der äußeren Natur darstellt, und das sich die auf den Trieb folgende intellektuelle Reaktion des Subjekts von den Wirkungen der Natur unterscheidet. Zwar liege es innerhalb dieser Reflexion auf das Begehren nicht in der Gewalt des Subjekts, das bestimmte Begehren zu empfinden oder nicht, aber vermöge seiner Freiheit kann es sich entscheiden, ob es sein Begehren befriedigt oder nicht. Die Möglichkeit des Subjekts, zu wählen, ist die »bestimmte scharfe Gränze zwischen Nothwendigkeit und Freiheit« (I,5,121). Innerhalb der Selbstbezüglichkeit dieser Reflexion ist sowohl mit dem Naturtrieb die reelle Kraft als auch mit dem reinen Trieb das Bewußt-
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sein der Intelligenz »eins und ebendasselbe« (I,5,128). Das intelligente Subjekt vermag sich mit der Reflexion des reinen geistigen Triebs auf das Begehren des Naturtriebs von den Regungen seines Naturtriebs zu distanzieren. Sofern das Subjekt auf sein Begehren des Naturtriebs reflektiert, werden dessen Äußerungen unter einen Begriff gebracht. Geschieht dies, so wird die Reihe der Begierden des Naturtriebs, in der jedes Glied notwendig auf ein anderes folgt und in der »das reale, thätige und fühlende Ich« (I,5,100) eine stetige Linie in seinem Handeln beschreibt, unterbrochen. Mit der Reflexion faßt das Subjekt beliebige Teile (I,5,100) der Naturreihe auf. Da dieses Auffassen zufällig und spontan geschieht, läßt sich nicht vorherbestimmen, auf welches dieser Teile der Naturreihe das Subjekt reflektieren wird. In der Reihe der freien Reflexion läßt sich, so Fichte, keines ihrer Glieder aus einem Sein erklären, »denn jedes ist ein erstes und absolutes« (I,5,129). Das Wirken des Subjekts in der freien Reihe geschieht zwar mit der reellen Kraft des Naturtriebs, aber die Richtung dieser Kraft ist nicht mehr durch bloßes Begehren allein bestimmt, sondern die reelle Kraft ist durch die Reflexion zu einer wissentlich gelenkten Kraft geworden, weil sie »unter die Botmäßigkeit [...] des Begriffs gefallen ist« (I,5,129). Nachdem Fichte im Rekurs auf die Gefühle des Sehnens und des Begehrens gezeigt hat, wie der Naturtrieb für das Ich sein kann, wird er dieselbe Untersuchung auch für den reinen Trieb durchführen. Da Fichte bis zu diesem Punkt der Untersuchung nur nachweisen konnte, daß das Subjekt für eine Intelligenz außer ihm frei ist, sich aber selbst nicht als frei setzt, geht er nun auf die Bedingungen ein, auf Grund derer sich das Ich als frei setzt. Dabei wird er zeigen, daß der reine geistige Trieb, in dem sich die Vernunft und die Freiheit des Subjekts äußern, zwar Gegenstand der Anschauung ist, seine Äußerungen für das Ich aber im Gefühl sind. Der reine Trieb ist für das Ich unmittelbar im Gefühl. Mit der Darstellung seiner Bestimmungen der höheren Gefühle, die aus der Realisation des Interesses des reinen geistigen Triebs hervorgehen, bereitet Fichte die Einführung des Gewissens als das obere Gefühlsvermögen und als »Bewußtseyn unserer höheren Natur und absoluten Freiheit« (I,5,138) in seine Untersuchung vor. In der Erörterung des Problems, wie der reine Trieb dem Ich bewußt werden kann, geht er zunächst auf das Interesse des Subjekts ein. Es sei »eine Tatsache, daß einige Begebenheiten uns ganz gleichgültig sind, andere uns interessiren« (I,5,135). Im Interesse kommt eine unmittelbare Beziehung des Subjekts auf seinen Trieb zum Ausdruck. Da die Beweg-
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gründe des Subjekts zu seinem Handeln aus seinen Trieben hervorgehen, ist alles, an dem das Subjekt Anteil nimmt, bzw. Interesse hat, Gegenstand eines seiner Triebe. Das Interesse wird in Folge der Begrenzung des jeweiligen Triebs »selbst unmittelbar empfunden« (I,5,135). Bezogen auf den Naturtrieb verspürt das Subjekt das Interesse, die Bedürfnisse seines Leibes zu befriedigen. Der Naturtrieb bezieht sich auf ein »materielles Verhältniß der Außenwelt« (I,5,136) zum Körper des Ich. Fichte bezeichnet diesen Trieb daher als Selbsterhaltungstrieb (vgl. I,5,118). Die Befriedigung oder Nichtbefriedigung des Interesses des Naturtriebs vollzieht sich für das Ich im Gefühl der Lust und der Unlust. Das Erlebnis von Lust und Unlust bezieht sich nur auf die vitalen Bedürfnisse und leiblichen Genüsse des Ich. Da der Ursprung des Interesses des Naturtriebs nicht von der vernünftigen Freiheit des handelnden Subjekts abhängt, sind die Gefühle der Lust und der Unlust unfreiwillige Gefühle (vgl. I,5,138), die das Subjekt von sich selbst wegreißen, die es mit sich selbst entfremden und in denen es schließlich seine wesentliche Bestimmung, die Selbsttätigkeit, vergißt. Aus der Perspektive des reinen Triebs geht das Interesse des Subjekts auf seine Unabhängigkeit von den Zwängen, die mit den Begierden seines Naturtriebs einhergehen. In intellektueller Hinsicht ist das Subjekt nicht auf puren Lustgewinn aus, sondern es strebt nach Entwicklung und Behauptung seiner Selbstständigkeit in der Sinnenwelt gemäß dem kategorischen Imperativ. Durch den reinen Trieb wird das Subjekt nicht getrieben, »sondern es treibt sich selbst« (I,5,136). Der reine Trieb wird daher nicht gefühlt, sondern er wird angeschaut. Es entsteht aus ihm kein Sehnen und Begehren, sondern ein Fordern (I,5,137). Der Naturtrieb hat nichts zu fordern, weil er von der Gunst der Natur abhängt. Der reine Trieb dagegen kann fordern, weil die formelle Freiheit des Subjekts, auf die er gerichtet ist, sich über die Begierden des Naturtriebs erheben kann. Naturtrieb und reiner Trieb gleichen sich darin, daß die Übereinstimmung oder Differenz der Triebe mit ihrem Interesse vom Subjekt gefühlt wird. Entspricht die Handlung des Subjekts dem Interesse des reinen Triebs, dann entsteht im Ich ein Gefühl der Billigung, der Achtung und der Harmonie. Da die Beziehung zwischen Interesse und Trieb beim reinen Trieb anders als beim Naturtrieb von der bewußten Freiheit des handelnden Subjekts abhängt, entsteht im Subjekt bei Nichtentsprechung des reinen Triebs mit seinem Interesse ein Gefühl des Unbehagens; der innerliche Vorwurf (I,5,138)
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bewirkt in dem Subjekt den Eindruck, daß es in seiner Freiheit auch anders hätte handeln können. Die durch den reinen Trieb bewirkten Gefühle sind von denen des Naturtriebs in mehrfacher Hinsicht zu unterscheiden. Wenngleich die Verwirklichung des Interesses beider Triebe Gefühle der Zustimmung und Mißbilligung erzeugen, hat doch das Gefühl der Achtung, das den reinen Trieb begleitet, nichts mit der sinnlichen Lust gemein, die aus dem Naturtrieb hervorgeht. Das Gefühl der Achtung ist von jener Art der »Zufriedenheit; dergleichen zur Sinnenlust sich nie gesellt: weniger rauschend, aber inniger; zugleich ertheilt sie [die Achtung] neuen Muth und neue Stärke« (I,5,138). Anders als die Gefühle, die aus der Korrespondenz des Naturtriebs mit seinem Interesse hervorgehen, führt das Gefühl der Achtung das Subjekt nicht aus sich selbst heraus, sondern lenkt seinen Blick auf sich selbst. Entsprechende Geltung formuliert Fichte auch für die negativen Gefühlsäußerungen, die aus den Forderungen des reinen Triebs hervorgehen. Die Gefühle des Unbehagens und des inneren Vorwurfs betreffen das Subjekt weitaus intensiver als das Gefühl der Unlust. Während die Gefühle der Lust und Unlust zufällige, unfreiwillige Gefühle des Subjekts sind, die nichts anderes aussagen, als daß ein sinnlich, naturhaftes Begehren des Subjekts erfüllt worden ist oder nicht, manifestiert sich im Vernehmen des innerlichen Vorwurfs der Selbstverachtung (I,5,138) für das Subjekt das Bewußtsein, unsittlich, d.i. im Widerspruch zu seinem vernünftigen Selbst gehandelt zu haben. Unabhängig von diesen Unterschieden zwischen den Gefühlen gilt aber für alle, daß sie dem Subjekt nicht gleichgültig sein können, denn sie sind mit dem Interesse seiner Triebe verbunden. So formuliert Fichte vom Gefühl der Achtung den Gedanken: »diese Schätzung, unserer selbst ist nicht eine kalte ruhige Billigung [...] sondern sie ist [...] Freude über uns selbst, daß wir so gut sind« (I,5,174). Der besondere Trieb, mit dem das Gefühl des Gewissens in Fichtes Sittenlehre zusammenhängt, bestimmt Fichte als den sittlichen Trieb. Die Realisierung der sittlichen Selbstbestimmung in der Sinnenwelt setzt voraus, daß im sittlichen Trieb der reine Trieb und der Naturtrieb vereinigt sind. Es ist zwar das Subjekt, das will und nicht die Natur, aber »der Materie nach« (I,5,140) kann das Subjekt »nichts anderes wollen, als etwas, das dieselbe auch wollen würde, wenn sie wollen könnte« (I,5,140). Einerseits stellt der Naturtrieb erstens die Beziehung des Subjekts zur Außenwelt her und sichert so die physische Lebenserhaltung des sittlichen Subjekts und zweitens liefert er zugleich das Material, an dem der reine
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Trieb seinen Zweckbegriff ausbildet, damit sich das Selbstbewußtsein des Subjekts entwickeln kann. Andererseits ergeben sich gerade durch die Beziehung des Naturtriebs auf die Sinnenwelt Gefahren für die Kausalität des reinen Triebs nach Selbstständigkeit, denn die Naturdinge (vgl. I,5,122) sind auch immer Objekte des Begehrens und stimmen nicht notwendig mit der sittlichen Selbstbestimmung des Subjekts überein. Die Kausalität des reinen Triebs darf aber nicht aufgehoben werden, denn nur auf Grund dieser Kausalität setzt sich das Subjekt als selbstständig und damit als Ich. Die Materie der Handlung als auch die Kausalität des Handelnden sind »Bedingung[en] des Selbstbewußtseyns«. Daher muß die Materie der Handlung in einem und eben demselben Handeln beiden Trieben zugleich angemessen sein (I,5,140). Von Angemessenheit der Materie kann, so Fichte, dann gesprochen werden, wenn der reine Trieb die Reinheit seiner Tätigkeit, die in der völligen »Nicht-Bestimmtheit durch ein Object« liegt, aufgibt und der Naturtrieb nicht mehr den reinen Genuß zu seinem Zweck macht. Aus der synthetischen Vereinigung der in ihren Ansprüchen reduzierten Triebe geht der sittliche Trieb hervor, den Fichte als eine »objektive Thätigkeit, deren Endzweck absolute Freiheit, absolute Unabhängigkeit von aller Natur« (I,5,126) ist, bestimmt. Im sittlichen Trieb wird die durch den reinen Trieb geforderte Verwirklichung des Endzwecks des Subjekts, d.i. seine absolute Autonomie, mit Hilfe des Naturtriebs realisiert, da sich der Naturtrieb auf die Materie der Sinnenwelt als das Material der Pflicht bezieht und es immer eine Übereinstimmung einiger seiner Objekte mit dem Endzweck des Subjekts gibt. Stößt der Naturtrieb auf das zum reinen Trieb passende Material, fordert der reine Trieb, dieses bestimmte Etwas zu verwirklichen. Alles andere Material, auf das der Naturtrieb auch trifft, das aber nur die Gefühle der reinen Lust und des Genusses im Ich hervoruft, soll unverwirklicht bleiben. Der Naturtrieb gibt dem sittlichen Trieb nur die Materie, nicht aber den Zweck der Handlung. So gesehen treffen »in jeder möglichen Bestimmung [...] beide Triebe zum Theil zusammen«. Durch dieses Zusammentreffen der beiden Triebe, ist für Fichte »Sittlichkeit in der wirklichen Ausübung möglich« (I,5,142). Der sittliche Trieb ist allein auf solche Handlungen aus, die die von dem reinen Trieb geforderte Unabhängigkeit des Subjekts von der Natur seiner Begierden bewirken. Der sittliche Trieb fordert daher »Freiheit – um der Freiheit willen« (I,5,143). Aus dieser Forderung des sittlichen Triebs entsteht, so Fichte, im Ich ein kategorischer Imperativ (vgl. I,5,145). Der sittliche Trieb treibt das Subjekt dazu,
Das Gewissen als Kriterium der Pflicht
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sich einen Begriff von dem zu bilden, was schlechthin geschehen soll und was Pflicht ist. Der sittliche Trieb ist auf die Erkenntnis (vgl. I,5,155) der bestimmten Pflicht aus. Die Pflicht besteht darin, die Begierden des Naturtriebs nach sinnlichem Genuß als alleinigen Beweggrund des Handelns auszuschließen. Die Beherrschung des Naturtriebs manifestiert sich die Höhe der geistigen Kultur des Subjekts. Dem sittlichen Trieb kann es nicht darum gehen, alle Zwecke, für die man ein Ding gebrauchen kann, zu verwirklichen. Vielmehr ist er darauf aus die Dinge nur so zu behandeln, daß sie die Selbständigkeit des Subjekts befördern. Darin liegt der Endzweck der Dinge.106 Die Einsicht in den Endzweck der Dinge und in den eigenen Endzweck wird vom moralischen Betragen (vgl. I,5,159) des Subjekts geleitet. Da sich Freiheit im unmittelbaren Handeln in der Sinnenwelt realisiert und das Handeln aus Freiheit Selbstbewußtsein garantiert, muß das Subjekt ein unmittelbares Bewußtsein der absoluten Gewißheit der Richtigkeit seiner Pflichterfüllung haben, das ihm in jedem Augenblick seines Lebens ohne langwierige Überlegungen direkt zugänglich ist. Das Bewusstsein des Kriteriums der Pflicht kann daher für Fichte nicht in der theoretischen, sondern nur in der praktischen Vernunft gründen. Von der theoretischen Vernunft bzw. der durch den sittlichen Trieb bestimmten reflektierenden Urteilskraft (vgl. I,5,155) wird lediglich das Material der Pflicht gesucht. Die Urteilskraft sondert aus dem Materialen etwas Bestimmtes, das schlechthin zu geschehen und damit Pflicht zu sein hat, aus. Das von der Urteilskraft gefundene bestimmte Materiale wird durch das Kriterium (vgl. I,5,155) der praktischen Vernunft, d.h. durch das unmittelbare moralische Gefühl autorisiert. Das Gefühl, in dem sich das Pflichtbewußtsein manifestiert, entsteht dadurch, dass das Ziel des sittlichen Triebs mit dem durch die Urteilskraft gefundenen bestimmten Material der Pflicht zusammenfällt. Der sittliche Trieb wird durch das Produkt der Urteilskraft begrenzt. Aus der Begrenzung des Triebs »entsteht wie immer [...] ein Gefühl« (I,5,155). Dieses Gefühl ist nach Fichte das Gewissen. 106. Peter Rohs äußert sich zur »teleologische[n] Verfaßtheit [...] der sinnlichen Welt« (S. 103) folgendermaßen: »Schon Kant hatte in der Kritik der Urteilkraft dargelegt, dass der Begriff einer Zweckmäßigkeit der Natur der Begriff sei, der zwischen den Naturbegriffen und dem Freiheitsbegriff vermittele und den Übergang von jenen zu diesem möglich mache (AA V, 196). Daran knüpft Fichte an. [...] Eine Freiheitsethik Kantischen Typus, in der – trotz der Einsichten Kants aus der Einleitung in die Kritik der Urteilskraft – Natur im Wesentlichen in Opposition zu Freiheit steht, kann solchen Forderungen nicht genügen. Fichtes Analysen der Naturseite von Freiheit selbst sind hier [...] ein gewaltiger Fortschritt« (S. 103 / 104), weil sich »das sittliche Handeln [...] an vorgegebene Naturzwecke an[schließt), die aber selbst Funktion der Sittlichkeit sind« (a.a.O. 1991, S. 103).
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Kapitel V
Das Gewissen liefert dem handelnden Subjekt das Kriterium für die Prüfung, ob das durch die Urteilskraft Gefundene Pflicht ist oder nicht. Findet die Urteilskraft dasjenige, was im jeweiligen besonderen Falle Pflicht ist und wodurch sich das Subjekt seinem Endzweck annähert, dann befinden sich der sittliche Trieb und die Handlung des Ich in Übereinstimmung. Diese Übereinstimmung äußert sich für das Ich im Gewissen. »In Handlungen nennt man das so gebilligte recht, in Erkenntnissen wahr«. Das Gewissen ist demnach »ein Gefühl der Wahrheit und Gewißheit« (I,5,156). Daraus ergibt sich für die Abgrenzung des Gefühls des Gewissens gegen die niederen Gefühle der Lust und der Unlust: Die Befriedigung des sittlichen Triebs nach Erkenntnis der Pflicht ruft im Ich kein Gefühl der Lust oder Unlust hervor. Als Kriterium der Pflicht ist das Gewissen ein urteilendes, und damit ein intellektuelles Gefühl. Anders als die sinnlichen Gefühle der Lust und der Unlust setzt das Gefühl des Gewissens voraus, daß das Subjekt sich nach dem Maßstab des kategorischen Imperativs ein Urteil über seine Pflicht gebildet hat. Die Zustimmung des Subjekts zu einer bestimmten Pflicht äußert sich daher auch als kalte Billigung. Da das Gefühl des Gewissens, wie die anderen Gefühle auch, mit Interesse verbunden ist, äußert es sich eben nicht nur als kalte Billigung oder Ablehnung des Produktes der Urteilkraft, sondern auch als Harmonie oder Disharmonie (vgl. I,5,156 ff.). Es ist wie die anderen Gefühle auch, mit einer Regung des Gemüts verbunden, nur mit dem Unterschied, daß sich das Subjekt nicht in dieser Regung verliert, weil dieses Gefühl immer auch von einer rationalen Reaktion begleitet ist. Das Gewissen gleicht allen übrigen Gefühlen darin, daß in ihm Grenze und Zwang vorhanden sind. Während das Subjekt in seinen Gefühlen der Lust und der Unlust von seiner eigenen Begierde ungewollt begrenzt wird, äußert sich der Zwang im Gewissen als Manifestation der reflektierten Selbstbegrenzung, d.h. als Selbstbestimmung des Subjekts zu einer konkreten sittlichen Handlung. Das Subjekt beschränkt ganz bewusst seine Freiheit zugunsten einer bestimmten Pflicht.107 Es gibt sich selbst das Gesetz, nur dasjenige zu tun, was dem kategorischen Imperativ entspricht und seine Autonomie befördert. Im Gewissen manifestiert sich für das Subjekt die unmittelbare Gewißheit (vgl. I,5,156) der Richtigkeit seiner Überzeugung von einer bestimmten Pflicht, die seine Entscheidungen 107. Zum Moment der Begrenzung im Gefühl des Gewissens vgl. Thomas Buchheim: Das Gefühl der Freiheit als ein widersprüchliches Pfand ihrer Realität, in: Fichte-Studien Bd. 11, Amsterdam-Atlanta 1997, S. 217 ff. insbesondere S. 324.
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mit »Ruhe und Befriedigung« (I,5,156) begleitet. So lange die Urteilskraft, die auf die Erkenntnis einer Pflicht aus ist, dieselbe aber noch nicht gefunden hat, fühlt das Ich den Zweifel. V.5
Die Rolle des Gewissens im Unterricht des Universitätslehrers und des Volkslehrers (§§ 17, 29)
Gegen Ende des dritten Hauptstücks der Sittenlehre stellt Fichte eine Übersicht verschiedener Pflichten auf, die sich auf das Verhältnis des Menschen zu seinen Mitmenschen in der Gesellschaft beziehen. In diesem Kontext kommt er auch auf die Pflichten des Gelehrten und des Volkslehrers im Umgang mit ihren Schülern zu sprechen. Während der Gelehrte als Universitätslehrer den Verstand (vgl. I,5,301) seiner Schüler ausbildet, stellt der moralische Volkserzieher für Fichte ein Diener der Kirche (vgl. I,5,300) dar. Der moralische Volkserzieher bildet mehr den sittlichen Willen und weniger den Verstand seiner Schüler aus (vgl. I,5,301). Daher ist sein Unterricht nicht wissenschaftlicher, sondern praktischer Natur, denn der Unterricht des moralischen Volkslehrers zielt auf die unmittelbare Kultivierung des Pflichtbewußtseins, d.i. die Gewissensbildung. Einen solchen Untericht bezeichnet Fichte als populären (vgl.I,5,191), d.i. ohne wissenschaftliche Vorkenntnisse nachvollziehbaren Unterricht, der »auf dem Standpunkt des gemeinen Bewußtseyns« (I,5,191) verbleibt, auf dem sich alltägliche und allgemeinverständliche Denkoperationen vollziehen. Der moralische Volkserzieher verzichtet in seinem Unterricht auf die Deduktion des sittlichen Prinzips aus dem absoluten Ich, d.i. aus Prinzipien a priori ebenso wie auf die Erörterung der sich im Gewissen manifestierenden Beziehung zwischen transzendentalem und empirischem Selbst (vgl. I,5,190). Der Aufgabe des populären Unterrichts kommt daher weder die Untersuchung der Genese des Gewissens noch die spekulative Hinterfragung des Vorhandenseins und der Verbindlichkeit des Gewissens zu. Da der Volkslehrer das Gewissen als eine Tatsache des Bewußtseins betrachtet, bleibt ein populärer Unterricht (I,5,190) bei dem unmittelbaren Bewußtsein dieses Gefühls stehen und widmet sich der Kultivierung des Gewissens. Denn für die sittliche Lebensführung ist es völlig ausreichend, ein gut entwickeltes Bewußtsein des Gewissens zu haben. Da sich die Äußerungen des Gewissens auch ohne philosophische Reflexion über sie einstellen ist die Theoretisierung der Gewissensentscheidung für den Volkslehrer nur von untergeordnetem Interesse. Denn der Automatismus,
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Kapitel V
d.i. die Unmittelbarkeit der Wirkung des Gewissens, ist weder auf die philosophisch-spekulative Explikation dieses Gefühls noch auf die Deduktion des Sittengesetzes angewiesen. Nur der Universitätslehrer, der die Verbindlichkeit des Gewissens als Kriterium der Richtigkeit der Überzeugung der Pflicht behauptet, muß den Nachweis liefern, wie sich das Gewissen auf ein in der Vernunft gegründetes Gesetz (vgl. I,5,190) zurückführen läßt.108 Während die Erörterung des Gewissens von der wissenschaftlichen Philosophie im Rekurs auf begriffsvermittelte Erkenntnisse vollzogen wird, zielt der populärphilosophische Unterricht auf die praktische Nutzbarmachung der wissenschaftlichen Bestimmung des Gewissens für die Realisierung einer sittlichen Lebensführung. Aus der Tatsache des Gewissens resultieren für den Unterricht des moralischen Volkslehrers zwei entscheidende Konsequenzen: einerseits zielt sein Unterricht auf Gewissensbildung, und andererseits ist das Gewissen in seiner Funktion als Kriterium der Richtigkeit der Überzeugung von einer bestimmten Pflicht selbst ein wesentliches Bestimmungsstück seiner populärphilosophischen Unterrichtsmethode. Obwohl der moralische Volkslehrer seinen Unterrichtsstoff nicht wissenschaftlich entwickelt, muß der Schüler die vom ihm vermittelten Sachverhalte nicht einfach blind glauben, sondern er kann ihre Verbindlichkeit an seinen eigenen Gewissensäußerungen überprüfen. Die Zustimmung des Schülers zu den Aussagen des moralischen Volkserziehers charakterisiert Fichte in Anlehnung an seine Predigten als »Affekt des Herzens« (I,5,278). Dem Charakter der Populärphilosophie entsprechend muß die Verbindlichkeit ihres Stoffs unmittelbar einsichtig sein. In methodischer Hinsicht ist die Bestimmung des Gewissens für die Populärphilosophie in seiner Jenaer Zeit in dem Kolleg de officiis eruditorum (1794) von großer Bedeutung. In diesem populärphilosophischen Kolleg trägt Fichte Resultate aus der Grundlage, dem Naturrecht und der Sittenlehre vor, die für die sittlich-soziale Bildung des Menschen von Bedeutung sind. Hier thematisert er das Streben nach Übereinstimmung mit 108. Peter Rohs spricht diesbezüglich in seinem Aufsatz Der materiale Gehalt des Sittengesetzes nach Fichtes Sittenlehre von einem »Zweistufenmodell von intuitiver Gewißheit und reflexiver Klärung« (S. 182) des Gewissens. Rohs vertritt die Aufassung, dass beide Sichtweisen des Gewissens stärker miteinander zu verbinden sind als das Fichte getan hat, weil »auch die Intuition des Gewissens aus dem Nachdenken über das zugrundeliegende Vernunftgesetz Gewinn ziehen kann – und zwar auch für das Leben«, da es »nicht in der von Fichte angenommenen einfachen Weise offen zutage liegt, was unsere Pflicht ist« (S. 181), in: Fichte-Studien Bd. 3, Amsterdam-Atlanta 1991.
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sich selbst und seinen Mitmenschen und die freiwillige Integration in eine Rechtsgemeinschaft, in der jedes Mitglied gleiche Rechte und gleiche Pflichten hat. In den populärphilosophischen Vorlesungen verzichtet Fichte auf die in der wissenschaftlichen Philosophie transzendentalphilosophisch vollzogenen Deduktionen des Pflicht- und des Rechtsbewußtseins und macht dort seinem Publikum die Quintessenz dieser Deduktionen mittels des Wahrheitsgefühls unmittelbar zugänglich. Entprechend seinem pädagogischen Standpunkt, den er schon in der Valediktionsrede vertreten hatte, sucht Fichte in seinen populären Vorlesungen den lebendigen Dialog mit seinen Zuhörern. Diese sollen den Unterrichtsstoff, d.i. die Quintessenz der wissenschaftlichen Philosophie, selbsttätig nachvollziehen, sich im Interesse an ihrer Lebensperspektive ein eigenes Urteil über diesen Stoff bilden und die Überzeugung der Richtigkeit ihres Urteils selbst an den Äußerungen ihres Gewissens prüfen. Im populären Unterricht ist für Fichte das Gewissen ein Kriterium, an dem sich die Verbindlichkeit des Unterrichtsstoffs ohne komplizierte Spekulationen unmittelbar ›beweisen‹ läßt. Auf diese Weise kann auch der philosophisch ungebildete Mensch die Richtigkeit der Resultate der wissenschaftlichen Philosophie nicht nur im alltäglichen Leben anwenden, sondern er kann sich auch eine eigene Meinung dazu bilden, wobei das Richtmaß der Anwendung und der Meinungsbildung das moralische Gefühl ist. Wie aus der Bestimmung des Wahrheitsgefühls in der Begriffsschrift hervorgeht, kommt auch der Philosoph nicht anders zu der Gewißheit der Richtigkeit seines Philosophierens. Zwar ist die Popularphilosophie wertvoll für die Transponierung philosophischer Grundfragenstellungen auf die alltägliche Lebenspraxis des Menschen, ohne die wissenschaftliche Philosophie kann sie aber nicht bestehen. Weil die Populärphilosophie keinen Nachweis der Gewißheit des moralischen Gefühls als Instanz des Urteilens führt, d.h. keinen Nachweis der Richtigkeit der mit diesem intellektuellen Gefühl einhergehenden Reflexion erbringt, kann sie für sich genommen einer wissenschaftlichen Kritik an ihrem Stoff und an ihrem Kriterium nicht standhalten.109 109. Zur Differenz zwischen wissenschaftlicher und populärer Philosophie in dem Kolleg de officiis eruditorum (1794) vgl. Nicanor Ursua: Historisch-philosophische Untersuchung über die Bestimmung des Gelehrten nach J.G. Fichte (Diss. München 1979). Zu den späteren religiösen Populärschriften Fichtes vgl. H. Traub: Johann Gottlieb Fichtes Populärphilosophie 18041806, Stuttgart-Bad Cannstatt 1992 und ders. Wege zur Wahrheit. Zur Bedeutung von Fichtes wissenschaftlich- und populär-philosophischer Methode, in: Fichte-Studien Bd. 10 AmsterdamAtlanta 1997, S. 81 ff.. Vgl. ferner Helmut Girndt: Lehren und Lernen der Philosophie als philosophisches Problem, in: Sophia Bd. 1 hg. v. H. Girndt u. L. Siep, Essen 1987, S. 55 ff..
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KAPITEL VI Die veränderte Konzeption der Wissenschaftslehre nova methodo (179699) und ihre Bedeutung für die Entwicklung der Lehre vom Gefühl
In der Korrespondenz, die Fichte im Anschluß an die Veröffentlichung der Grundlage führt, wird deutlich, daß er mit der unter großem Zeitdruck veröffentlichten Fassung dieser Schrift bald nicht mehr zufrieden war.110 In seinem Brief vom Januar 1801 an Johannsen schreibt Fichte: »Meine gedruckte Wißenschaftslehre trägt zu viele Spuren des Zeitraums, in dem sie geschrieben, und der Manier zu philosophieren, der sie der Zeit nach folgte. Sie wird dadurch undeutlicher, als eine Darstellung des transzendentalen Idealismus zu sein bedarf« (III,5,9).
In seinen Briefen an Reinhold aus den Jahren 1795 – 97 bezeichnet er die erste Form seiner Wissenschaftslehre als »äußerst unvollkommen« (III,3, 57) und nennt sie eine »sehr unreife Darstellung« (III,5,69). Der Titel der zweiten Form der Wissenschaftslehre, nova methodo, läßt erkennen, das Fichte die selbstkritische Betrachtung seiner Grundlage weniger auf inhaltliche, sondern mehr auf methodische Aspekte richtet. Die gegenüber der Grundlage veränderte Konzeption der nova methodo führt zu einer Neubestimmung des Verhältnisses zwischen theo110. Vgl. dazu das Vorwort der Herausgeber der Fichte-Akademieausgabe zur Grundlage in Band I,2,177 ff.. Im Unterschied zur Grundlage wurde die nova methodo nicht veröffentlicht. Diese Form der Wissenschaftslehre liegt lediglich in zwei Handschriften vor: der sogenannten Halleschen Nachschrift, die dieser Arbeit zu Grunde liegt und der Nachschrift von Karl Christian Friedrich Krause (ed. v. Erich Fuchs, Hamburg 1982).
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Kapitel VI
retischer und praktischer Vernunft.111 In der Grundlage hatte er zunächst das theoretische und dann das praktische Wissen des Subjekts erörtert. Das macht zwar Sinn, wenn man wie Fichte im §5 schreibt, mit der Bestimmung des theoretischen Wissens die Objekte der Sinnenwelt ins Bewußtsein bringt, die es dann mittels der praktischen Vernunft gemäß ihrem Endzweck zu modifizieren gilt. Aber dieses Vorgehen entspricht nicht dem natürlichen Bewußtsein des Subjekts, in dem sich Denken und Wollen nicht nacheinander entwickeln, sondern immer zugleich aufeinander bezogen sind. In diesem Sinne schreibt Fichte an Schmidt: »Worin liegt das Unbefriedigende, daß sie in meiner bisherigen Darstellung der W. L. finden? Doch nicht in den Prinzipien? Liegt es aber in der Ableitung, und Sie reden von der gedruckten Grundlage, so haben Sie sehr recht, vieles unbefriedigend zu finden« (III,3,213).
Zum Problem der Ableitung äußert sich Fichte zu Beginn der nova methodo folgendermaßen: »Die neue WL ist Wissenschaftslehre [...] nach einem ganz entgegen gesetzten Gange seines Kompendiums von 1794. Wo er vom theoretischen, ie von dem was erklärt werden soll, – zum praktischen Teil der Philosophie ie woraus erklärt werden soll, – übergeht. In seinen [neuen] Vorlesungen findet aber die gewöhnliche Abteilung der Philosophie in theoretische und praktische nicht statt, sondern er trägt Philosophie überhaupt vor – theoretische und praktische vereinigt; er fängt nach einem weit natürlicherm Gange vom praktischen an, oder zieht da, wo es zur Deutlichkeit etwas beiträgt, das praktische ins theoretische hinüber, um aus jenem dieses zu erklären. – Eine Freiheit, die der Verfasser sich damals, als er seine Wissenschaftslehre in Druck gab, – sich nicht herauszunehmen getraute« (IV,2,17).
Die Neubestimmung der theoretischen und praktischen Vernunft bindet Fichte in der zweiten Form der Wissenschaftslehre in die Rekonstruktion des Wissens von der Realität der Objekte, von der Pflicht und vom alter ego ein. Da diese Arten des Wissens für das Selbstbewußtsein konstitutiv sind, beansprucht Fichte aufgrund ihrer zusammenfassenden Erörterung in einer Form der Wissenschaftslehre, seiner Philosophie »eine tiefere Stütze untergeschoben zu haben« (IV,2,162). Die gegenüber der Grundlage ver111. Zur strukturellen Differenz zwischen der Grundlage und der nova methodo vgl. Helmut Girndt: Die Nova Methodo zwischen der Grundlage von 1794 und der Wissenschaftslehre 1804, in: Fichte-Studien, Bd. 18, Amsterdam-Atlanta 1999, S. 57 ff..
Die Lehre vom Gefühl in der nova methodo
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änderte Methode findet in einer neuen Form der Wissenschaftslehre ihren Ausdruck, der das Konstruktionsmodell des fünffachen synthetischen Periodus zugrundeliegt. In der Darstellung des fünfachen synthetischen Periodus wird an Hand der dort »systematisch integrierte[n] Darstellung der prinzipiellen Bedingungen des menschlichen Bewußtseins sowie seiner Gegenstände«112 deutlich, daß Fichte den Ursprung der Genese des Bewußtseins nicht wie vorher in seiner Einfachheit, sondern nun in seiner Komplexheit denkt. Die »ursprüngliche Duplizität von Denken und Wollen«113 in der Einheit des reinen Willens des absoluten Ich, aus der Fichte im Paragraphen 1 der Sittenlehre den kategorischen Imperativ abgeleitet hatte, steht nun im Zentrum der Einheit eines »funktionalen Ganzen«114, dessen Bestandteile sich in einem fünffachen synthetischen Periodus zueinander komplementär verhalten115 (IV,2,200). Ausgehend vom reinen Willen des absoluten Ich, den Fichte als den Mittelpunkt des fünffachen synthetischen Periodus darstellt, führt er Deduktionsschritte der unterschiedlichen Realisierungen des reinen Willens in zwei Reihen aus, die ihrerseits wiederum aus zwei Elementen bestehen. Diese neue Disposition der nova methodo stellt Fichte folgendermaßen dar: »Es sey der synthetische Periodus = A, das ihm zunächst liegende reale Glied = B [.] Das an sich wieder anschließende äußere Glied was auch real ist = G [...] Das [dem reinen Willen] zunächst liegende ideale Glied sey = b [,] das an dieses sich anschliesende äußere ideale = y« (IV,2,200).
Als A bezeichnet Fichte den reinen Willen des absoluten Ich, als B das Realitätsbewußtsein des Subjekts von einem bestimmten Objekt, als G das Reich der Sinnenwelt insgesamt, als b den bestimmten sittlichen Zweckbegriff des individuellen Subjekts und als y das überindividuelle Reich der Geister. Das bestimmte Objekt der Sinnenwelt und das bestimmte Individuum verhalten sich zur Sinnenwelt und zum Reich der Geister wie das Bestimmte zu dem Bestimmbaren (vgl. IV,2,247). Die Individualität des Subjekts fange, so Fichte, von einem, auf Grund einer Aufforderung durch 112. Günter Zöller: Die Einheit von Intelligenz und Wille in der Wissenschaftslehre nova methodo, in: Fichte-Studien Bd. 16, Amsterdam-Atlanta 1999 S. 91 (1). 113. Günter Zöller 1999 (1), a.a.O. S.91. 114. Günter Zöller 1999 (1), a.a.O. S. 91. 115. Vgl. Günter Zöller: Bestimmung zur Selbstbestimmung: Fichtes Theorie des Willens, in: Fichte-Studien Bd. 7 Amsterdam Atlanta 1995, S. 101.
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ein alter ego vollzogenen Herausgreifen (vgl. IV,2,177) seiner selbst aus dem Reich der Geister an. Daher sei die Individuation des bestimmten Subjekts ohne reflexive Abgrenzung vom bestimmbaren Reich der Geister nicht möglich. Dasselbe gelte für das konkrete Objekt in der Sinnenwelt. Konkret werde ein Objekt nur durch die Abgrenzung von der Masse des Objektiven. Hieraus resultiert für Fichte der Schluß: Ein Bestimmtes ist nur im Gegensatz zum Bestimmbaren ein Bestimmtes. Diese fünfteilige Struktur des Bewußtseins bildet nach Fichte einen geschlossenen Umlauf dadurch, daß das Subjekt die äußersten Enden der beiden entgegengesetzten Reihen, d.i. die Natur- und die Geisterwelt, miteinander verbindet (vgl. IV,2,246); indem es »diese Welten denkt und sich in diesen Welten denkt«.116 Fichte bezeichnet das Grundgesetz des Denkens als Reflexionsgesetz des Entgegensetzens (vgl. IV,2,38). In Folge des Reflexionsgesetzes, das, so Fichte, alles endliche Denken ausmacht, besteht das Denken im Übergang von Unbestimmtheit, d.h. Bestimmbarkeit zu dessen Gegenteil, der Bestimmtheit. Die Erörterung der Beziehung zwischen Geisterwelt und Sinnenwelt führt Fichte zu der Bestimmung des Verhältnisses von Noumenalität und Phänomenalität im Subjekt. Das reine Wollen des absoluten Ich, das allem empirischen Wollen vorausgeht, bestimmt er ebenso als Noumen, wie er die Absolutheit des Reichs der Geister zur intelligiblen Welt zählt, da dieses Reich aus der Summe der reinen Willen der einzelnen Subjekte besteht. Einerseits prinzipiiert die Sphäre des intelligiblen Geisterreichs das Selbstbewußtsein des Subjekts; andererseits ist diese Sphäre, d.i. die Übereinstimmung aller reinen Willen untereinander, das zwar anzustrebende, aber auf Grund der menschlich-endlichen Natur unerreichbare Ziel der sittlichen Vervollkommnung des empirischen Subjekts. So ist die Sinnenwelt jene Sphäre, in der sich die sittliche Vervollkommnung des Subjekts vollzieht. In der Entwicklung des fünffachen synthetischen Periodus beschreibt Fichte eine aufsteigende und eine absteigende Darstellung der Vervollkommnung des Subjekts. In der Darstellung der aufsteigenden Bewegung vom Endlichen zum Intelligiblen nimmt Fichte Bezug auf die empirischen Bestimmungen des endlichen, individuellen Bewußtseins, auf deren Grund in einem intelligiblen Charakter des Subjekts und schließlich 116. Günter Zöller: Geist oder Gespenst? Fichtes Noumenalismus in der Wissenschaftslehre nova methodo in: Fichte-Studien Bd. 12, Amsterdam-Atlanta 1997, S. 305. Zum fünffachen synthetischen Periodus in Fichtes nova methodo vgl. von Günter Zöller weiterhin Denken und Wollen beim späten Fichte, in: Fichte-Studien Bd. 17, Amsterdam-Atlanta 2000, S. 283 ff..
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auf dessen Ursprung in einem präindividuellen, intelligiblen Geisterreich. Das Absteigen beschreibt Fichte als den umgekehrten Weg des Aufsteigens. Das Absteigen denkt er als einen Prozeß, der von der Absolutheit des Geisterreichs zum reinen Willen als Teil dieser Absolutheit bis zur Realisierung, d.i. zur Versinnlichung des reinen Willens in der Sinnenwelt verläuft. Der erste Teil der nova methodo ist deduktiv; der zweite Teil (ab Paragraph 17) ist konstruktiv, d.h., Fichte entwickelt diesen letzten Teil auf der Grundlage der im ersten Teil gesicherten Deduktionen. Da Fichte die weiterführende Bestimmung des Gefühls gegenüber der Grundlage im deduktiven Teil vornimmt, soll in dieser Arbeit nur auf die ersten 17 Paragraphen der nova methodo eingegangen werden.117 Die Grundlage ist das Fundament, auf dem Fichte die nova methodo erörtert. So ist auch in ihr die in der Grundlage entwickelte Theorie des Gefühls integriert. Darüber hinaus führt der Neuansatz der nova methodo zu Erweiterungen und Umstellungen in der Theorie des Gefühls, die wesentlich im Dienst der Überwindung des Kantischen Dualismus zwischen intelligibler und empirischer Welt auf den Gebieten der praktischen und nunmehr auch der theoretischen Vernunft steht. Fichte spricht hier erstmals von den intelligiblen Gefühlen der Kraft und des »Sollens und NichtDürfens«, in denen sich die Selbstbestimmung des reinen Willens hinsichtlich der Objekte der Erkenntnis und der Pflicht partikularisiert und die zwischen übersinnlicher und sinnlicher Welt vermitteln. In beiden Formen der Wissenschaftslehre ist die Theorie des Gefühls in eine Rekonstruktion der Genese der Selbstobjektivierung des Subjekts eingebunden. Im ersten Abschnitt dieses Kapitels wird gezeigt, daß Fichte im Unterschied zur Grundlage in der nova methodo die Rekonstruktion der Genese der Selbstobjektivierung mit dem Blick auf das Selbstgefühl beginnt, was zu einer Verschiebung der Gefühlssequenz und zu einer Erweiterung der 1794 im Umfeld des Selbstgefühls angeordneten Gefühle des Zwanges und der Kraft führt. In der nova methodo bestimmt Fichte das Selbstgefühl als einen Grundzustand (vgl. IV,2,79) des Subjekts, aus dem sich sämtliche Gefühle, in denen sich die Selbstobjektivierung des Subjekts manifestiert, entwickeln lassen. So geht Fichte hier davon aus, daß die Gefühle des Zwanges und der Kraft nicht dem Selbstgefühl vorhergehen, sondern im Selbstgefühl aufgehoben sind.
117. Siegfried Berger hat in seinem Buch Über eine unveröffentlichte Wissenschaftslehre J. G. Fichtes (Marbug 1918) u.a. die Paragraphen 1- 19 der nova methodo erörtert.
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Die Ableitung der Gefühle des Zwanges und der Kraft aus dem Selbstgefühl bindet Fichte in der nova methodo in folgende Fragestellungen ein: 1) Er will im Rekurs auf das System der Sensibilität, unter dem er den Leib versteht, das für ihn von Kant nicht gelöste Problem erörtern, wie sich die mannigfaltigen wechselseitigen Beziehungen zwischen den Gefühlen des Zwanges und der Kraft und die mit dem Wechsel dieser Gefühle einhergehenden differenten Zustände des Subjektes in der Einheit des Bewußtseins vereinigen lassen. 2) Im zweiten Abschnitt soll deutlich werden, daß mit Hilfe der Darstellung der Reflexion des Subjekts auf seinen fühlenden Leib die Bestimmung des Verhältnisses zwischen Gefühl und Anschauung aus der Grundlage so erweitert wird, daß es nicht mehr nur um das Nachbilden realer Beschaffenheiten des Objekts durch das Subjekt geht, sondern, daß nun im Hinblick auf diese beiden Aspekte des Bewußtseins die wichtige (vgl. IV,2,73) und »noch nie, selbst nicht von Kant aufgeworfen[e]« (IV,2,73) Frage beantwortet wird, wie das Subjekt dazu kommt, sich eine Anschauung des Objekts als seine Anschauung zuzuschreiben. 3) Ferner soll deutlich werden, daß Fichte Kants Bestimmung der Anschauungsformen von Raum und Zeit als apriorische Elemente einer jeden Erkenntnis (vgl. B XI) radikalisiert, indem er sie als Produkte des Subjekts nachweist. Hier zeigt sich, daß die Gefühle des Denkzwanges und der Kraft nicht nur Grund des Realitätsbewußtseins sind, sondern auch Grund des Bewußtseins von Raum und Zeit. Im Unterschied zu Kant, für den der Wille auf dem Gebiet des theoretischen Bewußtseins keine Relevanz hat, ist für Fichte nicht nur das Bewußtsein von Raum und Zeit, sondern das Realitätsbewußtsein insgesamt durch den reinen, intelligiblen Willen prinzipiiert. 4) Aus dem dritten Abschnitt geht hervor, daß Fichte in seiner Bestimmung der Bedeutung des reinen Willens für das Gebiet der praktischen Vernunft Kritikpunkte an Kant aufnimmt, die er zum Teil schon in der Theorie des Willens und in der Sittenlehre erörtert hatte. In der nova methodo macht er erneut gegenüber Kant geltend, daß die Anwendbarkeit des Sittengesetzes die Synthetisierung von intelligibler und sinnlicher Welt, bzw. von reinem und empirischem Willen verlangt. Darüber hinaus verlangt die Anwendbarkeit des Sittengesetzes eine transzendentale Theorie der Mitsubjekte, denn der kategorische Imperativ impliziert ein Verhältnis des Subjekts zu einem Mitmenschen, demgegenüber es sich sittlich oder unsittlich verhalten kann. Die Beziehung des Subjekts zu seinem
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Mitmenschen habe Kant nur postuliert. Diese zwei Problempunkte der Kantischen Philosophie will Fichte mit der Deduktion des intelligiblen moralischen Gefühls des Sollens und Nicht-Dürfens lösen. 5) In diesem Gefühl manifestiert sich das Zentrum des fünffachen synthetischen Periodus. Es ist für das Ich der Schnittpunkt von Sinnenwelt und intelligibler Welt, von Realitäts- und Pflichtbewußtsein, sowie vom Bewustsein seiner selbst und seinem Mitmenschen. In der nova methodo, in der Fichte erstmals moralisch-praktische Aspekte mit erkenntnistheoretischen Aspekten des Gefühls in einer Form der Wissenschaftslehre verbindet, zeigt er, daß die oben genannten Bewußtseinsformen in der Einheit eines praktischen Prinzips zusammengefaßt sind. Das bedeutet, daß diese Bewußtseinsformen zugleich als sittliche bestimmt sind, was sich für das Subjekt darin äußert, daß sein Bezug auf die Objekte, auf sich selbst und seinen Mitmenschen immer auch vom Gefühl des Sollens und NichtDürfens begleitet ist. In Entsprechung zum §11 der Grundlage geht Fichte auch hier davon aus, daß das Subjekt im Zustand des moralischen Gefühls als unmittelbarer Ausdruck der sittlichen Selbstbestimmung, das Ziel seiner Fürsichwerdung erreicht hat. VI.1 Das Selbstgefühl als »Grundzustand« des Subjekts (§6) Das Selbstgefühl hat in der nova methodo einen anderen Stellenwert als in der Grundlage. Dort war das Selbstgefühl Ausdruck einer Entwicklungsstufe des Subjekts, die den Übergang vom bloß Lebendigen zum Leben der Intelligenz bildete und die in die Bestimmung des Subjekts als »Prinzip des Lebens, und Bewußtseyns« (I,2,406) einleitete. In der nova methodo ist das Selbstgefühl zwar immer noch das Charakterisitikum des menschlichen Lebens, aber es leitet nicht mehr länger in die Bestimung des Menschen als »Prinzip des Lebens, und Bewußtseyns« (I,2,406) ein, weil, wie die Skizze des fünffachen synthetischen Periodus zeigt, Fichte das Prinzip des Bewußtseins nunmehr komplexer denkt und die Entwicklung des Selbstbewußtseins des Subjekts davon abhängig macht, daß sich das Subjekt infolge einer Aufforderung (vgl. IV,2,177) eines vernünftigen alter egos durch reflexive Abgrenzung vom präindividuellen Reich der Geister als ein bestimmtes Individuum realisiert. Die in der Grundlage dem Selbstgefühl vorhergehende Entwicklungsstufe des bloß Lebendigen thematisert Fichte in der nova methodo nicht mehr. Das bedeutet für die Gefühle des Zwanges und der Kraft, die in der Grundlage für die Manifes-
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tation des bloß Lebendigen standen, daß sie in der neuen Konzeption der Wissenschaftslehre die von vornherein mit der Erörterung des Selbstgefühls ansetzt, zunächst übersprungen werden, um sie dann aus dem Selbstgefühl abzuleiten. Dadurch erfahren die Gefühle des Zwanges und der Kraft eine Aufwertung. Das Gefühl des Zwanges nennt Fichte in der nova methodo Gefühl des Denkzwanges, weil in ihm nicht nur ein bloß Lebendiges sich durch ein Objekt begrenzt fühlt, sondern es ist das intelligente Subjekt, daß sich in dem Denken des Objekts durch dieses gezwungen fühlt. Ebenso ist die Kraft auch nicht nur Kraft eines bloß Lebendigen, sondern es ist die Kraft der Intelligenz, für die sich im Kraftgefühl die intellektuelle Kraft des reinen Willens manifestiert. Das Kraftgefühl, vormals »Prinzip alles Lebendigen« (I,2,425) avanciert in der nova methodo zu einem intelligiblen Gefühl. In der Bestimmung des Selbstgefühls als eines Grundzustandes (vgl. IV,2,79) kommt die Funktion dieses Gefühls für die Bestimmung des Menschen als intelligentes Lebewesen noch deutlicher als in der Grundlage zum Ausdruck, weil Fichte unter dem Grundzustand (vgl. IV,2,79) einen solchen Zustand versteht, in dem bereits alle Konstitutiva des Bewußtseins im Keim enthalten sind. Dazu gehören das Bewußtsein von Sinnlichkeit und Intelligenz, Leiden und Tätigkeit, theoretische und praktische Vernunft, Realitäts- und Pflichtbewußtsein, Selbstbewußtsein und Interpersonalitätsbewußtsein. Diese notwendigen Bedingungen des Bewußtseins sind zwar alle zugleich im Selbstgefühl enthalten, werden aber in der Rekonstruktion des Bewußtseins diskursiv entwickelt. Der erste Schritt dieser Rekonstruktion bezieht sich, so Fichte, auf die Synthetisierung von Tätigkeit und Leiden bzw. von Ich und Nicht-Ich im Entstehen des Realitätsbewußtseins. In Übereinstimmung mit der Grundlage leitet Fichte auch in der nova methodo das Bewußtsein des Subjekts vom Nicht-Ich aus dem im Selbstgefühl enthaltenen Gefühl des Leidens bzw. Zwanges ab, in dem sich die Begrenzung der Tätigkeit des Subjekts manifestiert. Auch in der späteren Wissenschaftslehre bringt Fichte eine knappe Darstellung des Gefühls als Grund des Realitätsbewußtseins. In beiden Wissenschaftslehren vertritt er die These, daß »die Materie [des Realitätsbewusstseins] nicht aus einer andern, u[nd] diese aus einer 3tenpp her [kommt]« (IV,2,83), sondern daß jenes Bewußtsein, das das Subjekt von sich und dem Objekt im Zustand des Selbstgefühls hat, Produkt seiner Selbstbegrenzung ist. Auf diese Weise ist für Fichte das Subjekt »beziehbar auf ein Nicht-Ich, das aber im Ich gefunden wird« (IV,2,83).
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Anders als in der frühen Grundlage nimmt Fichte in der nova methodo in der anfänglichen Erörterung der Beziehung des Subjekts auf das Nicht-Ich nicht Bezug auf das Kraftgefühl, das er in der ersten Form der Wissenschaftslehre der Deduktion des Selbstgefühls vorangestellt hatte. Das Kraftgefühl stellt Fichte zwar auch hier als im Selbstgefühl enthalten dar, da es in der durch ein Objekt begrenzten Tätigkeit des Subjekts, die ja Kraft ist, enthalten ist. Aber es wird von Fichte erst gegen Ende der Explikation der Selbstobjektivierung des Subjekts begrifflich eingeführt. Die neue Verhältnisbestimmung zwischen Kraftgefühl und Selbstgefühl ist durch die veränderte Konzeption der Wissenschaftslehre bedingt, nach der das Selbstgefühl einen Grundzustand (Vgl. IV,2,79) darstellt, auf dem alle Gefühle, die für die Entstehung des Realitätsbewußtseins und des sittlichen Bewußtseins konstitutiv sind, von Fichte systematisch deduziert werden. Wie in den folgenden Abschnitten dieses Kapitels deutlich werden wird, tritt Fichte im Hinausgang über die Synthetisierung von Tätigkeit und Leiden, Ich und Nicht-Ich mit der Entwicklung der Beziehung zwischen theoretischer und praktischer Tätigkeit im Selbstgefühl den Nachweis an, wie im Begriff des Selbstgefühls vermittels der Synthesis von Anschauung und Gefühl des Zwanges eine Vereinigung von Wirklichkeit, d.i. das Subjekt in seinem Bezug auf die Realität der Objekte der Sinnenwelt, und Ideal, d.i. die Übereinstimmung seiner theoretischen und praktischen Handlungen in der Sinnenwelt mit dem kategorischem Imperativ, gedacht werden kann. Hier zeigt sich, daß Fichte in der Bestimmung des Selbstgefühls als eines Grundzustandes Sachverhalte zusammenfügt, die er in der Grundlage weit auseinandergezogen in den §§ 5 und 11 vor bzw. nach dem Rekurs auf die Entwicklungsstufe des Selbstgefühls erörtert hatte. Das Selbstgefühl bildet die Basis aller Bewußtseinsformen des Realitätsbewußtseins wie des sittlichen Bewußtseins. An dieses Gefühl wird alles andere angehängt (vgl. IV,2,79). Das Selbstgefühl stellt somit einerseits die Basis aller höherwertigen Grade dieser Bewußtseinsformen dar; andererseits endet die Gradation der Selbstobjektvierung mit dem aus dem Selbstgefühl zu deduzierenden Gefühl des Sollens und Nicht-Dürfens, in dem die durch das Selbstgefühl initiierte gradweise Reflexion des Subjekts auf sich zu höchster Gewißheit gelangt. Das Gefühl leitet in den Wissensprozeß ein (Genese des Realitätsbewußtseins), es begleitet und vollendet ihn in seinen verschiedenen Ausprägungen (Zustand der überzeitlichen Harmonie mit sich selbst). Es steht somit für Fichte am Anfang und am Ende allen Wissens.
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VI.1.1 Das »System der Sensibilität« als Einheit der fühlbaren »Grundeigenschaften« der Objekte (§5) Die hier gegenüber der Grundlage erfolgende Präzisierung der Bedeutung des Gefühls des Denkzwanges für die Entstehung des Realitätsbewußtseins erfolgt im Hinblick auf die Bestimmung von Gefühlen als Grundeigenschaften der Dinge und deren Vereinigung im System der Sensibilität. Das Realitätsbewußtsein, das das Subjekt von den Objekten der Sinnenwelt hat, setzt sich Fichte zufolge aus dem Bewußtsein mannigfaltiger, bestimmter Grundeigenschaften (vgl. IV,2,64) zusammen. Grundeigenschaften (vgl. IV,2,64) sind die qualitativen Beschaffenheiten der Dinge, die dem Subjekt in der Empfindung zugänglich sind. Anders als in der Grundlage verwendet Fichte den Begriff der Empfindung nur einmal, und ohne das Zustandekommen der Empfindung im Subjekt zu erklären. Dort hatte Fichte konstatiert, daß ein bestimmtes Zwangsgefühl ein reflektiertes Zwangsgefühl und ein reflektiertes Zwangsgefühl eine Empfindung sei. Diese Bestimmung der Empfindung greift er hier, 1796-99, nicht wieder auf, weil der in dem Begriff der Empfindung gedachte reflexive Selbstbezug des Subjekts schon im Ansatz der Deduktion des Realitätsbewußtseins im Selbstgefühl als eines Grundzustandes (vgl. IV,2,79), in dem theoretische und praktische Tätigkeit vereinigt sind, gegeben ist. Zu Beginn des Paragraphen 5 der nova methodo behauptet Fichte, daß »in den Gefühlen des Geschmecks« sowie »bey allen Farben, [und] Tönen« das Verhältnis zwischen bestimmten Gefühlen des Denkzwanges kein fließendes Ineinanderübergehen, sondern eine »Entgegensetzung schlechthin vermittelst Empfindung« (IV,2,59) ist. In der Ausführung dieses Sachverhalts rekurriert Fichte auf die Grundeigenschaften (vgl. IV,2,64) der Objekte. Die Grundeigenschaft eines Nicht-Ich manifestiert sich für das Subjekt in einem bestimmten Gefühl. Grundeigenschaften sind z.B. Farben, Töne oder Gerüche u.a.m.. Nach Fichte stellen die gefühlten Grundeigenschaften eine Grenze (vgl. IV,2,64) des Ich in doppelter Hinsicht dar. Einerseits füllt ein bestimmtes Gefühl das Ich ganz aus, denn das Ich kann nicht zugleich süß und rot empfinden, sondern nur in Aufeinanderfolge. Andererseits vermag das Subjekt das Bewußtsein eines bestimmten Gefühls weder zu beeinflussen und schon gar nicht zu erschaffen (vgl. IV,2, 64). Der Gehalt der Empfindung stammt Fichte zufolge zwar aus dem Subjekt. Es unterliegt aber nicht dem Willen des Subjekts, welchen realen Stoff es auf das jeweilige Gefühl des Zwanges überträgt. Die Realität der
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roten Farbe oder des süßen Geschmacks ist zwar ein subjektiver Gehalt des Bewußtseins, aber daß das Subjekt auf ein bestimmtes Gefühl des Denkzwanges die Realität der roten Farbe und auf ein anderes Gefühl des Denkzwanges den süßen Geschmack überträgt, hängt nicht vom Einfluß des Subjekts ab. Die Empfindung, d.i. das reflektierte Gefühl, ist nach Fichte »schlechthin was es ist u[nd] weil es ist« (IV,2,64). Das bestimmte Gefühl ist für das Subjekt demnach eine ursprüngliche Grenze (vgl. IV,2, 64). In diesem Kontext wendet sich Fichte der Lösung des Problems zu, wie die Identität des Realitätsbewußtseins im Wechsel der gefühlten Grundeigenschaften gewahrt werden kann, denn nicht nur manifestiert sich ein besonderer Zustand des Subjekts in jedem Gefühl des Denkzwanges, sondern verschiedende Gefühle des Denkzwanges gehen mit einander entgegengesetzten Zuständen des Subjekts einher. Für Fichte stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, wie die Vereinbarkeit der unterschiedlichen Zustände »in einem und eben demselben Bewußtseyn möglich« (IV,2,65) ist. In der Lösung dieses Problems nimmt Fichte kritischen Bezug auf Kants Auffassung von Lust und Unlust in dessen Schriften Die Metaphysik der Sitten (1797) und Die Kritik der Urteilskraft (1790). Fichte zufolge will Kant eine gemeinschaftliche Basis der Gefühle schaffen, indem er »alle Gefühle auf Lust u[nd] Unlust bezieht« (IV,2,65). Für Fichte lassen sich dadurch aber »nicht alle positive[n] – bestimmte[n] Gefühle erklären« (IV,2,65). Einerseits gibt es, so Fichte, bestimmte Gefühle, wie z.B. rot oder süß, die mit Lust und Unlust (vgl. IV,2,65) in keinerlei Zusammenhang stehen. Andererseits müssen Gefühle der Lust und Unlust (vgl. IV,2,65) selbst wieder in eine Einheit gebracht werden. Fichte vermißt bei Kant »etwas Mittleres zwischen Lust u[nd] Unlust« (IV,2,65). Im Unterschied zu Kant versteht Fichte unter der Empfindung ein reflektiertes Gefühl. In seiner Kritik an Kant berücksichtigt Fichte nicht die Kantische Unterscheidung in der Metaphysik der Sitten und in der Kritik der Urteilskraft zwischen Empfindungen und den Gefühlen der Lust und der Unlust. Die Gefühle der Lust und der Unlust sind für Kant rein subjektiv (vgl. KdU XLII ff.). Sie beziehen sich nicht auf das Objekt, sondern nur auf die Art der Beziehung des Subjekts zum Objekt. Nach Kant manifestiert sich in diesen Gefühlen nur, wie »das Subjekt [...] durch die Vorstellung [des Objekts] affiziert wird, [und] sich selbst [dabei] fühlt« (KdU S. 40). Das Gefühl der Lust bestimmt Kant als »das Bewußtsein der Kausalität einer Vorstellung in Absicht auf den Zustand des Subjekts, es in demselben zu erhalten« (KdU S. 58). Das Gefühl der Unlust
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bestimmt er als »diejenige Vorstellung [...] die, den Zustand der Vorstellungen zu ihrem eigenen Gegenteile zu bestimmen [sie abzuhalten oder wegzuschaffen], den Grund enthält« (KdU S. 59). Für Kant sind die Gefühle der Lust und der Unlust dasjenige an einer Vorstellung, »was gar kein Erkenntnisstück werden kann« (KdU XLII). Mittels der Gefühle der Lust und der Unlust, so Kant, erkenne das Subjekt »nichts an dem Gegenstande der Vorstellung« (KdU XLIII). Die Gefühle der Lust und der Unlust unterscheidet Kant von der Empfindung, in der sich das Materiale (vgl. KdU, S. 26) der Vorstellungen manifestiert. Für Kant ist die Empfindung das, wodurch dem Subjekt »etwas Existierendes gegeben wird« (KdU S. 26, vgl. MdS, S.1). Kant differenziert im 1. Buch der Anthropologie in pragmatischer Hinsicht abgefaßt (1798) zwischen verschiedenen Körpersinnen wie z.B. dem »Gesichts- oder Tastsinn« und er erklärt in der Kritik der reinen Vernunft, daß der Gegenstand (vgl. B 33) der Anschauung (vgl. B 33) dem Subjekt dadurch gegeben (vgl. B 33) ist, daß er das Gemüt (vgl. B 33) des Subjekts »auf eine gewisse Weise affizier[t]« (B 33), wobei die Empfindung die Wirkung der Affektion ist. Der Kritik der reinen Vernunft zufolge ist die bestimmte Qualität eines Objekts (vgl. B 27), die sich in der Empfindung manifestiert, immer bloß empirisch (vgl. B 34, 74) und damit dem Subjekt gegeben. Abgesehen davon, daß Fichte die Kantische Unterscheidung zwischen Empfindungen und Gefühlen der Lust und Unlust unterschlägt und abgesehen davon, daß er 1794 noch die Kantische Rede von der Empfindung als Wirkung der Affektion kritisierte und die Empfindungen über Kant hinausgehend als Produkt der Selbstaffektion des Subjektes nachweisen wollte, richtet er nun seine Kritik auf die seiner Auffassung nach bei Kant nicht gewährleistete Einheit des Realitätsbewußtseins. Kant weist für Fichte nicht nach, wie die sich in der Mannigfaltigkeit der Empfindungen manifestierenden Sinnesdaten und die Befindlichkeit des Subjekts im Umgang mit den Objekten auf eine gemeinsame Quelle zurückzuführen sind. Die Gefühle der Lust und der Unlust sind nach Fichtes Sittenlehre nur negativ zu besetzen (vgl. I,5,156). Er verbindet sie hier mit dem Streben des Naturtriebs nach vernunftwidrigem sinnlichen Genuß. Die Beziehung des Subjekts zum Gegenstand der Vorstellung hat Fichte in der Grundlage im Rekurs auf die Gefühle des Beifalls und Mißfallens bestimmt. Dort hat er die Einheit dieser beiden Gefühle mit den Empfindungen implizit in der Entfaltung seiner These von der Produktion des Realitätsbewußtseins mitthematisert. Die in der Grundlage zwar mitgedachte
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aber nicht exponierte Einheit des Realitätsbewußtseins macht er in der nova methodo zu einem eigenen Thema, ohne jedoch erneut auf die Gefühle des Beifalls und Mißfallens einzugehen. Hier vertritt er die Auffassung, daß diese Einheit der Empfindungen das System der Sensibilität (vgl. IV,2,65) garantiert. Unter dem System der Sensibilität (vgl. IV,2,65) versteht Fichte den Leib und seine »sinnliche Kraft« (IV,2,160). Der Leib ist das physische Wahrnehmungsorgan (sensus, System der Sinne) im Sinne eines fühlenden »äußere[n] Organ[s]« (IV,2,160), das er näherhin als Nervensystem (vgl. II,4,82) des Subjekts bestimmt.118 Als solcher ist er das intrabewußte Vermittlungsorgan zwischen dem Subjekt und der Außenwelt. Fichte zufolge gibt es kein Totalgefühl (vgl. IV,2,158) des Körpers. Der Körper wird vom Subjekt nicht als Körper gefühlt, sondern der Körper selbst ist das fühlende Organ. Entsprechend dem Reflexionsgesetz des Entgegensetzens ist für Fichte jedes besondere Gefühl nur insofern ein bestimmtes Gefühl bzw. eine bestimmte Empfindung, als es dem System der Sensibilität (vgl. IV,2,65) als dem Bestimmbaren entgegengesetzt wird. Der Körper ist das fühlende Organ, auf dessen Grundlage ein Wechsel der bestimmten Gefühle für das Subjekt möglich ist. Da sich das empirische Subjekt mit seinem Körper in einer unauflöslichen leiblich-geistigen Einheit119 verbunden weiß und der Körper immer ein und derselbe ist, mit dem das Subjekt in der Sinnenwelt wirkt, kann das Subjekt unendlich viele bestimmte Gefühle in Aufeinanderfolge haben, sie einander entgegensetzen und untereinander vergleichen, ohne daß die Einheit seines Bewußtseins durch den Wechsel der Gefühle gefährdet ist. Damit das Subjekt die einzelnen Gefühle in ihrer Veränderung und Besonderheit erfassen kann, muß es einen Begriff von ihnen haben können. Ein Gefühl kann begrifflich erfaßt werden, wenn es Objekt einer Anschauung wird, d.i. wenn das fühlende Ich Objekt des anschauenden Ich 118. Zum Begriff des Leibes in der Philosophie Fichtes vgl. Reinhard Kottman: Leiblichkeit und Wille in Fichtes ›Wissenschaftslehre nova methodo‹, Münster 1998, Harald Schöndorf: Der Leib im Denken Schopenhauers und Fichtes, München 1982, Ludwig Siep: Leiblichkeit bei Fichte, in: Kategorien der Existenz. Festschrift für Wolfgang Janke, hg v. Klaus Held und Jochem Hennigfeld, Würzburg 1993, S. 107 ff. und Reinhard Lauth: Die transzendentale Naturlehre Fichtes nach den Prinzipien der Wissenschaftslehre, Hamburg 1984 sowie Virginia Lopez-Dominguez: Die Idee des Leibes im Jenaer System, in: Fichte-Studien Bd. 16, Amsterdam-Atlanta 1999, S. 273 ff.. 119. »Ich und mein Leib, ich und mein Geist heißt dasselbe. Ich bin mein Leib, inwiefern ich mich anschaue, ich bin mein Geist, inwiefern ich mich denke. Eins aber kann ohne das andere nicht sein, und dies ist die Vereinigung des Geistes mit dem Leibe« (IV,2,160). Das Ich ist die Einheit von innerem Organ (Wille, Seele) und äusserem Organ (Körper) (vgl. §15 der nova methodo).
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wird. Um den Begriff der Sachhaltigkeit eines Objekts bilden zu können, müssen Anschauung und Gefühl, vermeintlich Äußeres und Inneres vereinigt werden. Entsprechend Fichtes Bestimmung des Realitätsbewußtseins fühlt das Subjekt nicht die äußeren Dinge, sondern es fühlt sich selbst. Für das Subjekt soll aber der Eindruck entstehen, das Objekt sei etwas von ihm Unabhängiges. Diese Perspektive des Subjekts auf das Objekt unterstützt Fichte durch eine Fortbildung des Verhältnisses zwischen Gefühl und Anschauung, die über das in der Grundlage thematisierte bloße Nachbilden der realen Beschaffenheit des Objekts hinausgeht. Die Anschauung läßt sich in den, der anschaut und das, was angeschaut wird, zergliedern. Das Angeschaute erscheint dem Ich als ein ihm Äußeres, entgegengesetztes Objekt. Im Gegensatz zur Anschauung fallen im Gefühl Fühlendes und Gefühltes unmittelbar zusammen. Obwohl das Gefühl nicht in die dem Ich äußere Sphäre fällt, in der das Objekt der Anschauung für das Ich erscheint, soll es Objekt der anschauenden Tätigkeit werden. Nach Fichtes Überlegung zur Realisierung dieser Vereinigung kann das »Ich [...] kein Gefühl außer [sich] anschauen, sondern nur in [sich], und zwar so, daß das Fühlen selbst zur vollendeten Realität od: zum Objekte wird« (IV,2,66). In der Anschauung ist das Ich auf seinen fühlenden Leib gerichtet. Die durch die Sensiblität des Leibes ermöglichten bestimmten Gefühle erscheinen dem Ich auf dem Standpunkt des unmittelbaren Bewußtseins als objektive ihm äußerliche und von ihm unabhängige Beschaffenheiten der Dinge. Das Subjekt fühlt sich in seinem Realitätsbewußtsein im Gefühl des Zwanges als durch die Dinge außer ihm gezwungen. Daraus resultiert für Fichte, daß nicht das NichtIch, sondern die eigene sich im Gefühl des Zwanges manifestierende selbst zugefügte Beschränktheit des Ich Objekt der Anschauung ist. Da sich das Ich in der Anschauung im Objekt verliert, erkennt es sich in der Anschauung des Objekts nicht als Ursache des Objektbewußtseins, sondern es versteht das Objekt als ein von ihm unabhängiges, äußeres Sein, das in ihm die Vorstellung bewirkt. Der Philosoph hingegen erkennt, daß das Gefühl des Zwanges im Realitätsbewußtsein vom Subjekt selbst gewirkt ist und daß das Subjekt in seiner Anschauung des Objekts die eigene Sphäre gar nicht verläßt. Das Subjekt bleibt in der Erkenntnis des Objekts bei sich selbst, so daß sein Bezug auf die ihm äußere Sphäre gar nicht notwendig ist. Während Fichte in der Grundlage in der Erörterung der Differenz zwischen ›Innen‹ und ›Außen‹ das Gefühl des Sehnens als Manifestation des scheinbaren ›Aus-sich-heraus-getrieben-werdens‹ des Subjekts auf die Außenwelt thematisiert, hat er diese Differenz in der
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nova methodo mit der Lösung des Problems, wie das Gefühl Objekt einer Anschauung werden kann, aufgehoben. Das Gefühl des Sehnens bleibt in der nova methodo daher unerwähnt. VI.1.2 Die Verbindung von idealem und realem Objekt im »Grundzustand« des Selbstgefühls (§6) Entsprechend der Argumentation der §§ 5 und 11 der Grundlage erscheint Fichte zufolge im unmittelbaren Bewußtsein das reale Objekt der Sinnenwelt für das Subjekt als etwas, das in ihm das Gefühl des Denkzwanges hervorruft, denn durch die Setzung des realen Objekts kann etwas anderes nicht gesetzt werden, da das Ich nicht zweierlei zugleich setzen kann. Das, was nicht gesetzt werden kann, sofern das reale Objekt schon gesetzt ist, bezeichnet Fichte als das mögliche, ideale Objekt. Vom wirklichen, realen Objekt unterscheidet sich das mögliche, ideale Objekt durch Gegensatz. Es ist etwas Ideelles, da das Streben des Subjekts auf es gerichtet ist. Nicht das Gefühl der Begrenzung geht vom idealen Objekt aus, sondern ein Gefühl der Freiheit, denn die ideale Tätigkeit, d.i. die anschauende, reflektierende und vorstellende Tätigkeit ist im Entwerfen und Produzieren des idealen Objekts frei. Da die Bestimmtheit eines Gefühls immer die Abgrenzung von einem anderen Gefühl voraussetzt, ist das Gefühl des Denkzwanges nur durch Unterscheidung vom Gefühl des Strebens nach Freiheit möglich. »Sonach ist das Gefühl meiner Beschränktheit bedingt durch das Gefühl des Strebens – eines innern Dranges; u[nd] dieses Gefühl des Strebens [nach Freiheit] ist hingegen wieder nichts ohne Begränztheit – also keines [ist] ohne das andere« (IV,2,76).
Erst die Vereinigung beider Gefühle im Selbstgefühl läßt das Selbstgefühl zu einem wahren Gefühl (vgl. IV,2,76) werden. In der Grundlage formuliert Fichte dazu: »bey dem idealen Objekte aber hängt die Handlung des Bestimmens sowohl als die Grenze, lediglich vom Ich ab; dasselbe steht unter keiner andern Bedingung, als unter der, daß es überhaupt Grenzen setzen muß, die es in die Unendlichkeit erweitern kann, weil diese Erweiterung lediglich von ihm abhängt« (I,2,403).
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In Übereinstimmung mit der Grundlage bestimmt Fichte in der nova methodo die freie, anschauende Tätigkeit als ein Fortschreiten und ein Suchen, sowie als Aufgabe (vgl. IV,2,77), etwas anderes zu sein, als diejenige Anschauung, die sich infolge der Reflexion auf das Gefühl des Zwanges auf das wirkliche Objekt richtet und dadurch gebunden ist. Die Differenz zwischen den Gefühlen, in denen sich die idealen und realen Objekte manifestieren zeigt sich darin, daß bei dem idealen Objekt »kein Inhalt des Gefühls gegeben ist, es wird nur ein Gefühl gesucht« (IV,2,77). Diese Aussage zum Gefühl erinnert an Fichtes Bestimmung des Gefühls des Sehnens im §11 der Grundlage. Das gesuchte Gefühl soll etwas anderes sein als das bestimmte, vorhandene Gefühl des Denkzwanges. Das gesuchte Gefühl ist das Gefühl der Freiheit.120 Entsprechend der Sittenlehre besteht die Autonomie des Subjekts darin, die Dinge, die ihm mittels des Gefühls des Denkzwanges gegeben sind, ihren Endzwecken entsprechend zu gebrauchen und d.h. für Fichte, sie als Material für die Realisierung des Sittengesetzes zu bestimmen. Anders als das Gefühl, das mit dem idealen Objekt des Strebens zusammenhängt, kann das bestimmte Gefühl des Denkzwanges, als Manifestation einer Grundeigenschaft (vgl. IV,2,64) eines Objekts, nicht differenziert werden. Rot ist rot. Die Qualität des bestimmten Gefühls der Beschaffenheit eines Objekts ist daher fixiert. Das Gefühl, das mit dem Objekt des Strebens einhergeht, läßt sich dagegen, so Fichte, mehrfach differenzieren, denn das Ich kann sich entsprechend dem Grad seiner sittlichen Kultivierung mehr oder weniger selbstbestimmt verhalten. Aufgrund der Vereinigung von realem und idealem Objekt im Selbstgefühl fühlt sich das Subjekt in praktischer Hinsicht zugleich strebend und beschränkt. Dies bedeutet, daß das Ich einerseits an das reale Objekt gebunden ist, andererseits aber in seinem Suchen nach dem idealen Objekt über das reale Objekt hinausgeht. Das Subjekt fühlt sich im Selbstgefühl ganz (vgl. IV,2,79), wozu gehört, daß nicht nur die reale, sondern auch die ideale Tätigkeit des Ich beschränkt ist. Fühlt das Ich eine Beschränkung seiner realen Tätigkeit, fühlt es sich in idealer Hinsicht als anschauend. »Inwiefern die Anschauung auf die Begränztheit [der realen Tätigkeit] geht [...] wird die Anschauung gefühlt als gebunden in der Dar120. Das Gefühl der Freiheit besteht aber nicht nur in der Modifikation der Dinge der Sinnenwelt nach dem Zweckbegriff des Subjekts. Dieses kann sich nämlich auch ein Objekt, sofern es von ihm schon einmal vorgestellt worden ist, in seiner Phantasie auch anders denken, z.B. der Form, der Farbe, dem Raum oder der Zeit nach etc.. Auf die Entwicklung solcher Phantasiegebilde ist die Freiheit des Subjekts aber nur marginal bezogen. Ihr ureigentümlicher Zweck besteht vielmer in der sittlichen Autonomie des Subjekts.
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stellung des Objekts« (IV,2,79). Da das Gefühl der Gebundenheit für das Subjekt nur durch Abgrenzung vom Gefühl der Freiheit gegeben ist, wird »die Anschauung [...] sonach in anderer Hinsicht auch als frey gefühlt« (IV,2,80). Das ist dann der Fall wenn sich das Subjekt vom Gefühl des Denkzwanges losreißt und sich infolge dieses Losreißens zur Anschauung des Ideals selbst bestimmt. In der Selbstbestimmung wird vom Subjekt nicht die Anschauung gefühlt, sondern das Losreißen (vgl. IV,2,73). VI.2 Der Übergang vom Selbstgefühl zur Selbstanschauung (§§6-8) Indem das Subjekt den Grundzustand des Selbstgefühls zur Selbstanschauung erhebt, entwickelt sich das Gefühl für die Anschauung zum Bewußtsein der Anschauung: die Anschauung wird ›meine Anschauung‹ (vgl. IV,2,73). Mit der Explikation dieser Entwicklung reagiert Fichte auf das seiner Ansicht nach von Kant nicht berücksichtigte Problem (vgl. IV,2,73), wie das Subjekt von sich behaupten könne, daß es das Anschauende sei (vgl. IV,2,85) bzw. wie es von einer Anschauung als ›seiner‹ Anschauung sprechen kann. Fichte bezieht sich hier unausgesprochen auf Kants Bestimmung des »inneren Sinnes« (B 37). Der »innere Sinn« (B 37) ist für Kant die Fähigkeit, »vermittelst dessen das Gemüt sich selbst oder seinen inneren Zustand anschaut« (B 37). Er betrifft ein »empirisch identifizierbares kognitives Subjekt, dem in einer bestimmten Phase seiner mentalen Biographie das »Mannigfaltige der Anschauung … empirisch gegeben wird« (B 139).121 Kant thematisiert in seinen Ausführungen zum inneren Sinn die Selbsterkenntnis eines Subjekts von »seinen eigenen Anschauungen und mentalen Zuständen«122. Die Selbstanschauung der eigenen Vorstellungen impliziert zwar deren Selbstzuschreibung, aber Kant problematisiert diese nicht, sondern ihm geht es darum, daß sich das Subjekt in der inneren Anschauung immer nur als Erscheinung und niemals an sich selbst erkennen kann. Die Perspektive der Problemsetzung ist bei Kant eine andere als bei Fichte. In der Lösung dieses Problems der Selbstzuschreibung der Anschauung nimmt Fichte erneut Bezug auf das Verhältnis zwischen Gefühl und Anschauung. Anders als in der vorhergehenden Erörterung des Realitätsbewußtseins, in der das Verhältnis von Gefühl und Anschauung nur im 121. Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft, hg. v. Georg Mohr u. Marcus Willaschek, Berlin 1998, S. 198. 122. Georg Mohr u. Marcus Willaschek, a.a.O. S. 198.
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Rekurs auf die Beziehung des Subjekts auf das Objekt behandelt wurde, geht Fichte jetzt in der Bestimmung der Selbstanschauung auf die Verhältnisbestimmung von Gefühl und Anschauung allein im Hinblick auf das Subjekt ein. Die Selbstanschauung des Subjekts läßt sich nach Fichte folgendermaßen rekonstruieren: In der Rede von ›meiner Anschauung‹ (vgl. IV,2,73) liegt, daß die ideale Tätigkeit sich im Gefühl des Denkzwanges von der begrenzten realen Tätigkeit und der damit einhergehenden Anschauung des realen Objekts losreißt, und daß das Losreißen sich für das Ich im Gefühl manifestiert. Die Anschauung, die auf das ideale Objekt gerichtet ist, wird in ihrer Suche nach dem idealen Objekt immer wieder durch die realen Objekte der Sinnenwelt begrenzt. Diese Begrenzungen äußern sich für das Subjekt in den Gefühlen des Denkzwanges. Somit ist der Wechsel der Gefühle des Denkzwanges die notwendige Bedingung der Selbstanschauung. Diese Gefühle motivieren das Subjekt, sich vom Zwang wegzureißen und auf sich selbst zu beziehen. Auf ein Gefühl folgt immer eine Anschauung bzw. eine Reflexion. Die Anschauung, die sich auf die in ihrem Suchen nach dem idealen Objekt durch die Objekte der Sinnenwelt begrenzte ideale Tätigkeit richtet, ist die Selbstanschauung. Diese Anschauung hat sich das Subjekt im Selbstgefühl vorbewußt als seine Anschauung zugeschrieben (vgl. IV,2,73). Die Selbstanschauung richtet sich auf die dem Subjekt im Selbstgefühl schon zugehörige begrenzte Anschauung. In der Selbstanschauung schaut sich das Subjekt an als einerseits anschauend ein bestimmtes reales Objekt, andererseits zugleich als sich losreißend von dem realen Objekt und suchend das ideale Objekt. In der Selbstanschauung sind synthetisch vereinigt das Gefühl des Denkzwanges und das Gefühl der Freiheit, die Anschauung des realen Objekts und die Anschauung des idealen Objekts. Das Subjekt setzt sich zwar infolge der Selbstanschauung als anschauend und als fühlend, wodurch erst die bewußte Beziehung des Subjekts auf sich selbst und auf die realen und idealen Objekte seiner Handlungen möglich wird. Aber initiiert ist die Selbstanschauung für Fichte durch die Kausalität des Gefühls des Denkzwanges auf die Anschauung (vgl. IV,2,98), weil dem Primat der Praxis entsprechend, immer die theoretische Anschauung auf das Gefühl als praktisches Moment des Wissens folgt. Dies führt Fichte zu der These, daß das Gefühl in Eins dem Realitätsbewußtsein (reales Objekt), dem sittlichen Bewußtsein (ideales Objekt) und dem Selbstbewußtsein zugrundeliegt.
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VI.3 Die Bedeutung des Gefühls für die Deduktion des Bewußtseins von Raum und Zeit (§§10-12) In der Selbstanschauung findet sich das Subjekt als etwas Bestimmtes, d.i. ein Objekt, anschauend. Die Realität eines bestimmten Objekts wird nach Fichte nicht nur durch dessen spezielle Qualitäten bestimmt, wie z.B. Farbe, Form oder Geschmack, sondern auch durch sein Vorhandensein in Raum und Zeit. Fichte deduziert die Anschauungsformen des Raumes und der Zeit in kritischer Auseinandersetzung mit Kant und Beck.123 Fichte vertritt die These, daß in Kants Erörterung der transzendentalen Bedingungen von Erfahrung das Zustandekommen der Anschauungsformen des Raumes und der Zeit ungeklärt sei. Diese Kritik äußert er auch im Grundriß des Eigenthümlichen der Wissenschaftslehre (1797): Kant gehe »in der Kritik d. r. Vft. von dem Reflexionspunkte aus, auf welchem Zeit, Raum und ein Mannigfaltiges der Anschauung gegeben, in dem Ich, und Nicht-Ich für das Ich schon vorhanden sind« (I,3,308). Er habe nämlich »das Ich nur von einer Seite [angesehen], es bloß als vereinigend ein Mannigfaltiges […] [und es] nicht auch als producierend betrachtet« (IV,2,113). Im Unterschied zu Kant will Fichte den Nachweis erbringen, wie das Subjekt die Anschauungsformen des Raumes und der Zeit zugleich mit dem Realitätsbewußtsein der Objekte produziert. Er will die Idealität der Zeit und des Raumes aus der erwiesenen Idealität der Objekte entwickeln. Hier zeigt sich, daß für das Subjekt das Gefühl des Denkzwanges nicht nur Grund des Realitätsbewußtseins, sondern ebenso Grund des Bewußtseins von Raum und Zeit ist. Die Aussage »der Raum ist a priori« (IV,2,102) bedeutet nach Fichte, einerseits, daß »der Raum lediglich durch das Vernunftgesetz« hervorgebracht ist, andererseits, daß »der Raum [...] ein vor aller Anschauung Gegebenes [ist] [...] das vor aller Erfahrung vorhergeht«. Diese letztere Bedeutung schreibt Fichte Kant zu.124 Kant konstatiert, daß »der Raum die 123. Vgl. zu der Anschauungsform des Raumes bei Kant folgende Aufsätze von Manfred Baum: Ding an sich und Raum bei Kant, in: Gerhard Funke (Hg.) Akten des 7. internationalen Kant-Kongresses 1990, Bonn 1991, S. 64 ff.; Metaphysik und Kritik in Kants theoretischer Philosophie, in: Kategorien der Existenz Festschrift für Wolfgang Janke hg. v. Klaus Held u. Jochem Hennigfeld, Würzburg 1993, S. 13 ff. und Kants Raumergumente und die Begründung des transzendentalen Idealismus, in: Kant Analyse-Probleme-Kritik (Bd. II), hg. v. Hariolf Oberer, Würzburg1996, S 41 ff.. 124. »Raum und Zeit sind [...]Vorstellungen a priori, welche uns als Formen unserer sinnlichen Anschauung beywohnen, ehe noch ein wirklicher Gegenstand unseren Sinn durch Empfindung bestimt hat, um ihn unter ienen sinnlichen Verhältnissen vorzustellen« (B). Vgl. ferner: »Wäre also nicht der Raum [und so auch die Zeit] eine bloße Form eurer Anschauung, wel-
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Bedingung der Erfahrung« ist und, daß der Raum als Bedingung aller Erfahrung vor aller Erfahrung »in uns« (IV,2,102), nicht aber an den Dingen ist. Die erste Aussage, daß »der Raum von der Intelligenz durch ihre Vernunftgeseze hervorgebracht« (IV,2,102) ist, trifft für Fichte auf Jakob Sigismund Beck zu.125 Fichte selbst sagt dazu, daß seine Bestimmung der Anschauungsformen des Raumes und der Zeit in der Wissenschaftslehre eine mittlere Position zwischen Beck und Kant einnehme. Er begründet dies damit, daß einerseits die Anschauungsformen von Raum und Zeit vom Subjekt produziert sind, und daher keine Eigenschaften der Dinge darstellen, sondern dem Subjekt inhärieren. Andererseits erscheinen Raum und Zeit dem Subjekt als etwas Gegebenes, da sich das Subjekt dieser Produktion nicht bewußt ist. In Übereinstimmung mit Kant geht Fichte davon aus, daß die Anschauungsformen von Raum und Zeit Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung sind, die das Subjekt a priori vor aller Erfahrung in sich hat. Im Gegensatz zu Kant unterscheidet Fichte zwischen »a priori im weitern Sinne« (IV,2,127) und »a priori im engern Sinne« (IV,2,127). Unter Ersterem versteht Fichte »das gesammte System uns[eres] Bewußtseyns, inwiefern es von dem Philosophen von den Gesetzen des Denkens abgeleitet wird. – als vor aller Erfahrung vorhanden« (IV,2,127). Unter Letzterem versteht er, »was zu folge des denkens in das Mannigfaltige der sinnlichen Anschauung aus der intelligiblen Welt [produktiv] hineingetragen wird, um das Mannigfaltige zu vereinigen« (IV,2,127). Entsprechend diesem letzteren Sinne von »a priori« zeigt sich, daß Fichte Kants Aussage vom a priorischen Gegebensein der Anschauungsformen im Hinblick auf ihre Produktion zuspitzt. Während für Kant die Anschauungsformen lediglich a priori gegeben sind, besitzen sie für Fichte a priorischen Charakter, weil sie Produkte des Subjekts sind, die es von sich aus in die Sinnenwelt hineinbringt. Nach Ansicht Fichtes schließt Kant bloß indirekt (vgl. IV,2,104) auf das a priorische Gegebensein der Anschauungsformen des Raumes und der Zeit. Kant rechtfertigt die Richtigkeit seiner Auffassung von den che Bedingungen a priori enthält, unter denen allein Dinge vor euch äussere Gegenstände seyn können, die ohne diese subiective Bedingungen an sich nichts sind, so könntet ihr a priori ganz und gar nichts über äussere Obiecte synthetisch ausmachen. Es ist also ungezweifelt gewiß, und nicht blos möglich, oder auch wahrscheinlich, dass Raum und Zeit, als die nothwendige Bedingungen aller [äussern und innern] Erfahrung, blos subiective Bedingungen aller unsrer Anschauung sind« (zitiert nach Critik der reinen Vernunft, 1. Aufl., S. 373, in: IV,2,102 Anm.1.). 125. Vgl. Jakob Sigismund Becks Schrift Einzig möglicher Standpunct, aus welchem die kritische Philosophie beurteilt werden muß, in: Erläuternder Auszug aus den critischen Schriften des Herrn Prof. Kant auf Anrathen desselben, Riga 1796, 3. Bd..
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Anschauungsformen als a priorische strukturale Vorgaben der Erfahrung nur durch den Nachweis der Unrichtigkeit des Gegenteils. Innerhalb der ersten beiden Raum- und Zeitargumente Kants sind Raum und Zeit keine empirischen Eigenschaften der Objekte, weil sie Voraussetzung für deren Wahrnehmung sind. Ferner werden Raum und Zeit von Kant als notwendige und allgemeine Grundlagen für das Dasein der Dinge vorgestellt. Dies begründet Kant damit, daß Raum und Zeit zwar unabhängig von den Dingen vorgestellt werden können, die Dinge in ihrem Dasein aber nicht unabhängig von Raum und Zeit. Daraus zieht Kant den Schluß, daß die Vorstellungen von Raum und Zeit a priorische Vorstellungen sind. In weiteren Argumenten zeigt Kant, daß diese Vorstellungen auch keine Begriffe sein können, sondern nur Anschauungen, so daß die Raum-Zeit Vorstellungen a priorische Anschauungen sein müssen. Daraus schließt Kant, daß Raum und Zeit nichts Objektives, sondern etwas Subjektives und zwar Formen der Anschauungen sind. Für Fichte haben Kants Begründungen der Apriorität der Anschauungsformen des Raumes und der Zeit bloß induktiven Charakter (vgl. IV,2,104). Kant schließe, so Fichte, aus der »Apriorität unseres intuitiven Wissens vom Raum [und der Zeit] und aus unserem Wissen von [ihrer] Gültigkeit a priori für alles in [ihnen] Anschaubare [...] auf die transzendentale Idealität«126 der Anschauungsformen des Raumes und der Zeit. Im Unterschied zu Kant erbringt Fichte den Nachweis der transzendentalen Idealität der Anschauungsformen des Raumes und der Zeit dadurch, daß er sie im Rahmen der Erörterung der Selbstanschauung als Produkte des Subjekts deduziert, um damit zu zeigen, wie das Subjekt infolge der Entwicklung des Selbstbewußtseins die Anschauungsformen des Raumes und der Zeit aus der Sphäre der Apriorität in die Sphäre der Sinnenwelt hineinträgt: »Der Raum ist die Form der äußern Anschauung a priori«; er ist als »das Bestimmbare in jeder Anschauung« (IV,2,102) dasjenige »wodurch alle äußere Anschauung subjective bedingt ist« (IV,2,102). Daraus resultiert für Fichte, daß das Subjekt den Raum füllen kann, es kann etwas in ihn hinein setzen und ihn damit mit dem Objekt vereinigen, denn in Entsprechung zum Reflexionsgesetz des Entgegensetzens setzt das Bestimmte (das Objekt) das Bestimmbare (den Raum) voraus und umgekehrt (vgl. IV,2,103). »Es ist nicht möglich auf das Objekt zu reflektiren ohne auch auf den Raum, denn der Raum ist die subjektive Bedingung des Objekts und v.v. ist die Reflexion auf den Raum bedingt durch die Reflexion auf das Objekt« (IV,2,103). Raum und Objekt sind 126. Manfred Baum, a.a.O.1991, S. 64 ff..
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somit für Fichte unzertrennlich. In dieser Vereinigung bestimmt Fichte sie daher als erfüllten Raum oder als Materie (vgl. IV,2,103). Im unmittelbaren Erleben erscheinen der Raum und die Materie dem Subjekt als gegeben (vgl. IV,2,104). In der genetischen Rekonstruktion dieses Gegebenseins geht Fichte von der Überlegung aus, daß Raum und Objekt nur dann als gegeben erscheinen, »wenn ich mich als frey setze« (IV,2,104), denn die Freiheit des Subjekts besteht darin, ein bestimmtes Objekt an eine bestimmte Stelle im Raum setzen zu können (vgl. IV,2,105). Dies führt Fichte zu der Frage: »Welches ist nun aber der bestimmte Ort eines Objekts und wodurch wird er bestimmt?« (IV,2,105) Zunächst ist der Ort eines Objekts nur durch dasjenige zu bestimmen, an das es angrenzt und von dem es sich abstößt (vgl. IV,2,105): »Tisch zur Wand, von der Wand zur Straße, von der Straße an den Graben – zum Fürstengraben – p.« (IV,2,105). Da Ortsbestimmung aber nur relativ (vgl. IV,2,108) ist, vollzieht Fichte weitere Deduktionsschritte: Gesucht wird eine absolut erste Ortsbestimmung A, die allein vom Subjekt ausgeht (vgl. IV,2,108). »A ist da, wo ich es hingesezt habe. Es ist durch sich selbst und durch mein absolutes Handeln bestimmt« (IV,2,108). Dies führt Fichte zu dem Zwischenergebnis, daß das Ich die Dinge im Raum nach sich selbst ordnet. Im Rekurs auf die folgende Deduktion der Selbstanschauung des Subjekts wird er den systematischen Aufweis seiner Grundannahme führen, »daß der Grund allen objektiven Denkens [...] unser eigener [gefühlter] Zustand« (IV,2,109) ist. Sofern alle Ortsbestimmung vom Subjekt ausgehen soll, muß das Subjekt »selbst vor aller Vorstellung im Raume seyn« und es muß sich »selbst im Raume gegeben seyn« (IV,2,110). Das unmittelbare Bewußtsein des Subjekts von sich selbst ist ein Gefühl. Demnach »müßte aus dem Gefühle meiner selbst im Orte meine Ortsbestimmung des Objekts im Raume folgen« (IV,2,110). Damit scheint A gesichert. Aber »der Raum wird nicht gefühlt, sondern blos angeschaut« (IV,2,110). Die Lösung dieses Problems unternimmt Fichte im Rekurs auf das System der Sensiblität (vgl. IV,2,65). Im System der Sensibilität hatte er ein Mittelglied zwischen dem Gefühl des Denkzwanges und der Anschauung bestimmt, dessen duplizitärer Ausdruck sich als das System der Begrenztheit und des Strebens (vgl. IV,2,110) bestimmen läßt: »Das System meiner Begränzbarkeit und meines Strebens wird mir in der Anschauung zu meinem [articulirten] Leib« (IV,2,111). Das Subjekt wird zum einen infolge seiner Leiblichkeit sich selbst materiell und räumlich, zum anderen erschließt das Subjekt auf Grund der Artikulation seines Leibes von sich aus den Raum, so daß alle
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weitere Raumbestimmung der Objekte von ihm ausgeht. Zwar ist die Artikulation des Leibes Mittel (vgl. IV,2,111) der Raumerschließung. Da aber Begrenzung und Streben des Leibes für das Subjekt nur im Gefühl des Denkzwanges sind, ist es das Gefühl selbst, das der Anschauungsform des Raumes ursprünglich zu Grunde liegt. Fichte bringt diesen Gedanken zum Ausdruck: »Ich fühle mich [...] nicht im Raume«, aber »ich schaue mich an als das Fühlende, u[nd] zwar mich fühlend im Raume und dadurch die Objekte in demselben [...] u[nd] so geht alle Raumbestimmung aus von der Bestimmung meiner selbst im Raume [...] Ich schaue zuerst das Objekt an, aber in dieser Anschauung muß ich mir vorkommen als das anschauende; ich schaue mich aber blos an als das Fühlende und falle mir dadurch selbst in den Raum« (IV,2,112).
In der durch die Kausalität des Gefühls des Denkzwanges initiierten Selbstanschauung schaut sich das Subjekt als artikulierter und fühlender Leib an. Es erfaßt sich hier selbst als etwas Körperhaftes und Ausgedehntes, das qua Gefühl des Denkzwanges mit den ihm äußeren Objekten in Beziehung steht. Im unmittelbaren Erleben des Zwangsgefühls weiß das Subjekt nicht, daß es dieses Gefühl selbst produziert. Es schreibt die Verursachung des Denkzwanges den ihm äußeren Dingen zu. In der Selbstanschauung entsteht somit für das Subjekt das Bewußtsein von seinem eigenen materialen, ausgedehnten Körper und von äußeren Objekten sowie die räumliche Differenz zwischen ›Innen‹ (Sphäre des Subjekts) und ›Außen‹ (Sphäre des Objekts). In der Selbstanschauung schaut das Subjekt seinen Körper an, der in seinen diversen Artikulationen den Umraum erschließt. Das Bewußtsein vom Raum entsteht für das Subjekt zuleich mit der Selbstanschauung. Daher ist der Raum keine Beschaffenheit der Dinge, die dem Subjekt im Gefühls des Denkzwanges bewußt wird. Das Bewußtsein des Raumes ist vielmehr eine Anschauung, die durch das Gefühl des Denkzwanges bewirkt ist und auf dieses Gefühl folgt. Das Subjekt hat diese Anschauung nicht schon immer, sondern sie entsteht für es erst, sofern es auf sich selbst und damit in Eins auf die Dinge außer ihm handelt. In der Selbstanschauung überträgt das Subjekt im Handeln von sich aus das Bewußtsein vom Raum auf sein Selbstverhältnis und auf sein Verhältnis zu den Objekten. Daher, so Fichte, entsteht die Anschauungsform des Raumes erst mit der Selbstanschauung.
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Kapitel VI »Es ist nicht möglich, etwas in (den) Raum zu setzen – ohne sich selbst darinn zu finden; aber es ist nicht möglich sich selbst darinn zu finden, außer indem man ein Objekt darein sezt« (IV,2,113).
Wie noch zu zeigen sein wird, gilt nach Fichte dasselbe auch für das Bewußtsein der Zeit, denn das Subjekt ist Produzent der Anschauungsformen von Raum und Zeit. Diese Produktionen gründen jeweils im Gefühl des Denkzwanges. Ohne dieses Gefühl würde es kein Bewußtsein von Raum und Zeit geben. Die Anschauungsformen gehen also nicht der Erfahrung vorher, sondern entstehen zugleich mit der Erfahrung. Kant begründet in der Kritik der reinen Vernunft in seinem 3. und 4. Raum- und Zeitargument anders als Fichte, warum die Vorstellungen von Raum und Zeit Formen der Anschauung sind (vgl. B 38 ff. u. B 46 ff.). Alle möglichen Teilräume und Teilzeiten, so Kant, sind nur Teile eines und desselben Raumes und derselben Zeit. Diese unendlich vielen Teile gehen nicht dem Ganzen, d.i. dem Raum und der Zeit vorher. Das Ganze ist keine Zusammensetzung der Teile. Vielmehr, so Kant, geht das Ganze den Teilen voraus. Raum und Zeit sind jeweils ein Ganzes, das notwendigerweise alle seine Teile enthält, weil es nicht aus ihnen zusammengesetzt ist, sondern sie alle als Teile überhaupt erst ermöglicht. Wegen ihres gemeinsamen Ursprungs sind diese Teile des Raumes und der Zeit auch untereinander gleichartig. Ferner werden Raum und Zeit als unendlich viele Räume und Zeiten enthaltend vorgestellt. Daraus folgt für Kant, daß Raum und Zeit keine Begriffe sein können. Denn weil kein bestimmter Raum und keine bestimmte Zeit außerhalb des Ganzen möglich ist und daher alle Räume und Zeiten gleichartig sein müssen, kann es nur einen einzigen Raum bzw. eine einzige Zeit geben. Begriffe hingegen sind Vorstellungen, die einen Umfang haben, d.h. sie sind als Begriffe prinzipiell auf eine unendliche Menge von Gegenständen bezogen, die unter sie fallen. Die Raum- und die Zeitvorstellung hat aber durch die notwendige Einzigkeit keinen Umfang. Als Vorstellungen von etwas notwendig Einzelnem sind die Vorstellungen von Raum und Zeit also keine Begriffe, sondern Anschauungen (vgl. § 1: Anschauung bezieht sich auf etwas Einzelnes). Ferner haben Raum und Zeit unendlich viele Teile. Begriffe hingegen können keinen unendlichen Inhalt haben, sondern müssen endlich viele Teile enthalten, weil sie sonst keine bestimmten Vorstellungen sind und weil sie sonst nichts bestimmen können. Da Raum und Zeit als einen unendlichen Inhalt habend vorgestellt werden, sind sie also keine Begriffe, sondern Anschauungen.
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Fichte beginnt die Deduktion der Anschauungsform der Zeit mit dem Blick auf den Kraftaufwand, den das Subjekt aufwenden muß, um bei dem Objekt im Raum anzukommen. Der Begriff der Kraft läßt sich, so Fichte, nur vom Bewußtsein der Kausalität des reinen Willens ableiten (vgl. IV,2,113). Hatte Fichte zuvor im Kontext seiner Deduktion der Anschauungsform des Raumes das Subjekt in seiner Eigenschaft als körperliches und materielles Wesen untersucht, so nimmt die nun folgende Deduktion der Anschauungsform der Zeit ihren Ausgang von der Erörterung der Kraft der Intelligenz. Der reine Wille ist für Fichte ein Noumen (vgl. IV,2,116). Zwar ist der reine Wille etwas, »das blos durchs Denken hervorgebracht wird« und nicht durch ein Gefühl oder durch eine Anschauung (vgl. IV,2,116) aber mittels des intelligiblen Gefühls der Kraft (vgl. IV,2,118) hat er Bezug auf das empirische Subjekt. In der Darstellung der Beziehbarkeit des reinen Willens auf das empirische Subjekt setzt sich Fichte entschieden von Kant ab und formuliert: »dergleichen Begrife wie z.b. Wille, Kraft p. sind Noumene,127 sie sind nun einmahl da. Aber für wen? Es giebt doch nicht 2 Ich. Die Noumene und Phaenomene sind doch für ein ungetheiltes Ich da [...] Wie weiß ichs denn daß sie da sind? Die Antwort ist gewöhnlich durch unmittelbares Bewußtseyn« (IV,2,116).
Das unmittelbare Bewußtsein hatte Fichte aber als Gefühl bestimmt. Im Gefühl ist die intelligible mit der empirischen Sphäre des Subjekts zu vereinigen. »Kants noumen[a] schweben« dagegen, so Fichte, »ganz abgesondert« (IV,2,115) vom empirischem Subjekt. Kant sage lediglich: »ihr müßt so etwas [noumene] aller Erfahrung unterlegen; dies ist aber nicht streng philosophirt, wenn er nicht das Wie und warum deducirt wird. Bey Kant sind diese Noumene qualitates occultae – er behauptet es gebe keine Brücke zwischen der intelligiblen Welt und der Welt der Erscheinungen. Dies kam daher, weil er das Ich nur von einer Seite ansah, es bloß als vereinigend ein Mannigfaltiges – nicht auch als producirend es betrachtete« (IV,2,115).
127. Fichte unterstellt Kant, daß für diesen die Kraft ein noumen ist. Tatsächlich ist das für Kant aber nicht der Fall. In den folgenden Abschnitten dieser Arbeit wird deutlich, daß für Fichtes Rekonstruktion der Bedingungen des Selbstbewußtseins die Kraft notwendig ein noumen sein muß.
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Kapitel VI
Die Explikation der Anschauungsform der Zeit führt Fichte nun zu dem Aufweis, wie mit der Produktion dieser Anschauungsform eine Partikularisierung und Verendlichung des reinen Willens im intelligiblen Kraftgefühl des empirischen Subjekts möglich ist. Das Kraftgefühl bestimmt Fichte als ein intelligibles Gefühl (vgl. IV,2,118), weil es unmittelbar mit dem reinen Willen zusammenhängt. Dieses Gefühl ist Manifestation der durch die Kraft des reinen Willens beschränkten Einbildungskraft des Subjekts. Das Zustandekommen des Kraftgefühls erklärt Fichte mit dem »nöthigen der Einbildungskraft« (IV,2,118). Als »nöthige[n] der Einbildungskraft« bestimmt er die durch den Willen bedingte Selbstbegrenzung der Einbildungskraft auf ein bestimmtes Objekt. Auf diese Weise schweift die Einbildungskraft nicht umher, sondern sie richtet sich infolge der Selbstbegrenzung auf einen ganz bestimmten Punkt in der Sinnenwelt. Diese Begrenzung äußert sich als Kraftgefühl, in dem sich die »Energie, etwas zu wollen« (IV,2,118) manifestiert. Das Kraftgefühl ist für Fichte kein Gefühl im üblichen Sinne, und die in ihm enthaltene Begrenzung ist auch keine Begrenzung im bisherigen Sinne. Im Kraftgefühl manifestiert sich keine Begrenzung des Subjekts durch die Objekte, sondern vielmehr ein selbstbestimmtes »Durchbrechen der Beschränktheit« (IV,2,118) durch die Objekte der Sinnenwelt zu Gunsten der Beziehung auf ein ganz bestimmtes Objekt. Auf diese Weise ist die Kraft des reinen, intelligiblen Willens auf die Sinnenwelt beziehbar. Die weiteren Überlegungen Fichtes nehmen ihren Ausgang von der Annahme, daß aus der Kausalität des Willens auf die Objekte der Sinnenwelt eine Mannigfaltigkeit an Gefühlen der Kraft und des Denkzwanges hervorgeht. Diese Mannigfaltigkeit der Gefühle soll Produkt »einer einzigen ungetheilten Wirksamkeit des Willens« (IV,2,119) sein. Die Vereinbarkeit der mannigfaltigen Gefühle ist mittels der Dependenz (vgl. IV,2,119), d.i. der allseitigen Bedingtheit der Reihe, in der jedes ihrer Glieder bedingend und bedingt (vgl. IV,2,120) ist, gewährleistet. Denn die Verknüpfung des Mannigfaltigen in der Reihe ist ein Produkt des Willens (IV,2,120): »das Ich ist allenthalben im Übergehen [zwischen den Gefühlen des Denkzwanges] das Bestimmende; es ist das, wodurch der Übergang [...] zum Bestimmten erklärt wird« (IV,2,120).
Der Vereinigungspunkt der Mannigfaltigkeit der Zwangs- und Kraftgefühle ist die Anschauung. Das »Verhältniß des Mannigfaltigen im Verhältniß
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der Dependenz vereinigt angeschaut« ist ein Schema, das dem Subjekt als Zeitfolge erscheint. Für Fichte ist die Zeit sonach nur die »Form der Anschauung des Mannigfaltigen in Vereinigung vermittelst der Dependenz«. Denn sofern das »erste, ungetheilte Wollen« sukzessiv mittels der diskreten Gefühle des Denkzwanges und der Kraft ausgedehnt wird, entsteht die Zeitreihe. Die Kontinuität der Zeitreihe (vgl. IV,2,120) wird aufgrund der ständigen Wiederholung des Wollens garantiert. Die Ausdehnung der Kraft des Willens in der Sinnenwelt stellt für Fichte eine Brücke (vgl. IV,2,115) zwischen dem intelligiblen und dem empirischen Charakter des Subjekts dar. Die aus dem reinen Willen hervorgehende Entwicklung der Kraft ist die Versinnlichung des Schemas bzw. der Anschauungsform der Zeit. »Die Form der Kraft ist die Zeit« (IV,2,121). Da sich das reine Wollen in der Zeitreihe diskursiv in der Sinnenwelt realisiert, wird die Anschauungsform der Zeit vom Subjekt im engeren Sinne von a priori aus der intelligiblen in die empirische Welt hineingetragen. Da der Wille, der sich in jedem dieser Bestimmungsmomente partikuliert, immer ein und derselbe Wille bleibt, ist die Einheit des Willens bzw. des Bewußtseins im Wechsel der Gefühle der Kraft und des Zwanges innerhalb der Zeitreihe gewahrt. Der reine Wille »ist absolut und intelligibel, aber die Form – indem er über das Mannigfaltige des Gefühls ausgedehnt wird, ist sinnlich« (IV,2,127). VI.4 Das Gefühl des »Sollens und Nicht-dürfens« als Schnittpunkt zwischen dem intelligiblen Geisterreich und dem empirischen Subjekt (§§12-15) Zwar hängt das Kraftgefühl unmittelbar mit dem reinen Willen zusammen, der das spezifische Charakteristikum des Vernunftwesens ist, und es manifestiert sich auch im Kraftgefühl die »Kraft der Intelligenz« (IV,2,118) im Sinne der Energie etwas zu wollen (vgl. IV,2,118), aber mit der Selbstbegrenzung des Handelns auf ein bestimmtes Objekt ist noch nicht der höchste Grad der Intelligenz erreicht. Dieser ist erst dann gegeben, wenn das Subjekt seine Zwecksetzung nach den Äußerungen des moralischen, intelligiblen Gefühls des Sollens und Nicht-Dürfens ausrichtet und sie so in den Dienst der sittlichen Selbstbestimmung stellt, die es im gesellschaftlichen Leben realisiert. Entsprechend der Sittenlehre vertritt Fichte auch in der nova methodo die These, daß das Subjekt im Zu-
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stand des Handelns, das dem Sittengesetz entspricht, an der intelligiblen Welt partizipiert. Die sittliche Selbstbestimung hat nach Fichte drei Voraussetzungen: – die Einheit von intellektueller Anschauung und empirischer Selbstwahrnehmung – die Einheit von intelligibler und empirischer Welt – die Einheit von Individuum und Mitmensch, bzw. der Geisterwelt. Diese Einheiten erfährt das Subjekt nach Fichte im Gefühl des Sollens und Nicht-Dürfens. Dieses Gefühl versteht er somit als Garant der sittlichen Selbstbestimmung. Die Erörterung dieses Gefühls vollzieht er in kritischer Auseinandersetzung mit Kant. Anders als Fichte hält Kant an dem Dualismus von intelligibler und empirischer Welt fest. Daher können in seiner Philosophie die oben genannten Einheiten, die nach Fichte für die sittliche Selbstbestimmung konstitutiv sind, nur postuliert und nicht deduziert werden. Zu 1) Während für Fichte die intellektuelle Anschauung, d.i. die »Anschauung des in sich handelnden Ichs« (IV,2,31) bzw. des sich selbst setzenden absoluten Ichs (vgl. IV,2,30) für seine Philosophie konstitutiv ist, lehnt Kant sie strikt ab. (Vgl. IV,2,31.)128 Kant zufolge kommt die intellektuelle Anschauung nur Gott zu. Nach Kant kann sich das Subjekt nicht an sich, sondern immer nur als Erscheinung vorstellen. Die Anschauung der menschlichen Wesen ist für ihn immer sinnlich und diskursiv. (Vgl. B 68, 71 ff..) Für Fichte hingegen muß die intellektuelle Anschauung mit der empirischen Selbstwahrnehmung vereinigt werden. Nur so sei die Realisierung der sittlichen Selbstbestimmung durch das empirische Subjekt zu gewährleisten. Zu 2) In der Kritik der Urteilskraft äußert sich Kant zum Verhältnis zwischen intelligibler Welt und Sinnenwelt folgendermaßen: »Ob nun zwar eine unübersehbare Kluft zwischen dem Gebiete des Naturbegriffs, als dem Sinnlichen, und dem Gebiete des Freiheitsbegriffs, als dem Uebersinnlichen, befestigt ist, so daß von dem ersteren zum anderen [also vermittelst des theoretischen Gebrauchs der Vernunft] kein Uebergang möglich ist, gleich als ob es so viel verschiedene Welten wären, deren erste auf die zweyte keinen Einfluß haben kann: so soll doch diese auf jene einen Einfluß haben; nämlich der 128. Vgl. Jürgen Stolzenberg: Fichtes Begriff der intellektuellen Anschauung: die Entwicklung in den Wissenschaftslehren von 1793/4-1801/2, Stuttgart 1986.
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Freiheitsbegriff soll den durch seine Gesetze aufgegebenen Zweck in der Sinnenwelt wirklich machen, und die Natur muß folglich auch so gedacht werden können, daß die Gesetzmäßigkeit ihrer Form wenigstens zur Möglichkeit der in ihr zu bewirkenden Zwecke nach Freiheitsgesetzen zusammenstimme« (KdU XIX).
Für Fichte sagt Kant mit dieser Forderung nur: »Ich soll, also muß ich auch können« (IV,2,138). Da Kant das Können aus dem Sollen nicht deduziert, ist für Fichte die Verbindlichkeit der Realisierung des Sollens durch das praktische Subjekt nicht gewährleistet. Mittels der Deduktion des Gefühls des Sollens und Nicht-Dürfens will Fichte den synthetischen Nachweis des Könnens aus dem Sollen erbringen. Kant habe dieses nur analytisch erbracht. »Analytisch denken heißt, wenn ich annehme, daß alles Bewußtsein nichts andres sey als die Analyse des mir ursprünglich gegebenen in der Zeit […] synthetisch denken ist die notwendige Verknüpfung alles unsers Bewußstseyns an einen Punkt. Gegenwärtiges Sollen nun synthetisch denken heißt: ich soll es von einem [Bewußtseyn] ableiten und daran anküpfen« (IV,2,139).
Zu 3) Ferner kritisiert Fichte an Kant, daß Kants Bestimmung des kategorischen Imperativs der theoretische Nachweis der Anwendbarkeit in der Sphäre der Interpersonalität fehlt, denn Kant habe nicht einsichtig machen können, wie das Subjekt zur Annahme vernünftiger Wesen außer ihm kommt (vgl. IV,2,142). Diese Problematik formuliert Fichte in einem Brief vom 29.8.1795 an Reinhold. Im Rekurs auf Kants Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785) schreibt er, ihm sei während der Beschäftigung mit dieser Schrift klar geworden, »daß, wenn irgendwo, hier die Unzulänglichkeit der Kantischen Prinzipien, und [die] von [Kant] selbst unvermerkt gemachte Voraussetzung Höherer [d.h. Vernunftwesen], sich handgreiflich darthun läßt« (III,2,385). Nach Kant könne man von vernünftigen Wesen aus der Erfahrung nichts wissen, weil von der Vernunft außer uns keine äußere Anschauung möglich sei (vgl. IV,2,142). In Kants »kategorischem Imperativ – Handle so, daß du wollen kannst daß deine Maxime allgemeines Gesetz für andere vernünftige Wesen werden könne – [sei] das Princip für gegenwärtige Aufgabe zwar enthalten, aber nicht für unsere Erkenntnis; sondern nur auf unser praktisches Vermögen angewandt. Woher weiß ich denn von dem Daseyn vernünftiger Wesen etwas –? Woher dieser Befehl für meine Maxime?« (IV,2,142)
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Kapitel VI
Für Fichte ist »eben dieser Befehl für meine praktische Vernunft […] vernünftige Wesen außer mir zu denken […] auch Erkenntnisgrund und Princip der theoretischen Annahme vernünftiger Wesen« (IV,2,143).129 Fichte zufolge stiftet das Gefühl des Sollens und Nicht-Dürfens alle drei Einheiten, weil es als intelligibles Gefühl einen Schnittpunkt zwischen der übersinnlichen und der empirischen Welt darstellt. Einerseits gehört es seinem Gehalt nach zu dem Noumen des reinen Willens und der Geisterwelt, andererseits ist es als Gefühl dem endlichen, empirischen Subjekt zugehörig. Die Explikation der Funktion des Gefühls des Sollens und NichtDürfens für die Realisierung der genannten drei Einheiten beginnt Fichte in der nova methodo mit der Untersuchung des Zustandekommens des Zweckbegriffs. Die sich im Gefühl des Sollens und Nicht-Dürfens manifestierende Selbstbestimmung realisiert sich in einem Handeln, dessen Zweck dem Sittengesetz entspricht. Der Zweckbegriff setzt die Erkenntnis des Objekts voraus. Zwischen Zweck und Objekt besteht für Fichte ein Zirkel, den er folgendermaßen entwickelt: unter A versteht er den bestimmten Zweckbegriff und unter B versteht er die Erkenntnis eines bestimmten Objekts. Die Freiheit besteht in dem Übergehen zwischem Bestimmbaren und Bestimmten. Für dieses Übergehen ist A nötig. A »ist aber nur unter der Bedingung der Erkenntniß eines Objekts des Handelns [B] möglich« (IV,2,129). Damit B erkannt werden kann, muß auf es gehandelt werden. B setzt die Handlung A voraus. A und B hängen wechselseitig voneinander ab. »Diese Schwierigkeit kann nur synthetisch gelößt werden, nemlich so, daß Zweckbegrif und Objekt als eins gedacht werden muß« (IV,2,129). Gesucht wird ein Wollen, das sich sein Objekt B und seinen Zweck A selbst gibt (IV,2,135). Die Untersuchung des Zirkels im Hinblick auf das Gefühl enthält folgende Bestimmungsomente: Die Erkenntnis des wirklichen Objekts B hängt vom Gefühl ab. Die Bedingung der Entstehung des Zweckbegriffs ist Handeln. Einerseits gibt es kein Gefühl ohne Handeln, denn das Gefühl geht erst aus der Begrenzung des Handelns hervor. Andererseits ist das Handeln auf die Realisation des Zwecks gerichtet, der die Erkenntnis des Objekts voraussetzt, die ohne das Gefühl gar nicht zustandekommen kann. Demnach gibt es auch kein Handeln ohne Gefühl. Die Synthetisierung von Handeln und Gefühl wird von Fichte in zwei Schritten entwickelt:
129. Vgl. dazu aus philosophiehistorischer Perspektive Fichtes Bezug auf Paulus van Hemert (IV,2,143).
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Aus der Untersuchung des ersten Teils der Synthese resultiert: es gibt kein Handeln ohne Gefühl. Dieses Verhältnis zwischen Freiheit und Gefühl bezeichnet als Fichte »eine Freyheit, die nicht ohne Beschränktheit möglich ist« (IV,2,130). Im zweiten Teil seiner Untersuchung der Synthese geht er seiner Bestimmung nach, daß es kein Gefühl ohne ein Handeln gibt. Dies bedeutet für Fichte, daß die »Beschränktheit [...] nicht ohne Freiheit möglich ist« (IV,2,131). Die Zergliederung der Hauptsynthese zwischen Gefühl (Objekt) und Handeln (Zweck) in ihre zwei Bestandteile führt aber noch nicht zu dem Nachweis einer absoluten Zwecksetzung. Fichte greift nun auf die »Reihe der Dependenz in der Zeit« (IV,2,131) zurück, die der Reinheit der absoluten Freiheit, d.i. ihrer Nichtbestimmtheit durch Sinnliches, keinen Abbruch tut, denn »rein bleibt die Freyheit dadurch, daß wir das Sinnliche – die Reihe der voneinander dependirenden Glieder an die Freiheit anknüpf[en]. Umgekehrt hinngegen, wenn wir die Freyheit an jene Reihe anknüpften, bliebe der Begrif der Freiheit nicht rein« (IV,2,131).
Die ursprüngliche Unbedingtheit der Freiheit liegt Fichte zufolge in dem Vermögen, eine Reihe absolut anzufangen (vgl. IV,2,131). Die Beschränkung besteht in der bestimmten Richtung der Freiheit, für die sie sich auf irgend ein bestimmtes Objekt beziehen muß. Zwar ist die Freiheit absolut, aber indem sie gerade mit diesem bestimmten Objekt anfängt, das ihr durch das Gefühl des Denkzwanges gegeben ist, ist sie auch beschränkt. »Freiheit ist in wie fern absolut angefangen wird. Beschränktheit in wiefern nur so angefangen werden kann« (IV,2,132). Die Synthese zeigt sich darin, daß in diesem Zustand das Sinnliche, d.i. die Mannigfaltigkeit des Gefühls, mit dem Übersinnlichen, d.i. der intellgible Wille, vereinigt ist. Als Resultat seiner Untersuchung formuliert Fichte: »In der Mitte zwischen beyden als ihr Vereinigungsglied ist das Denken als enthaltend den Grund der Succession des Mannigfaltigen, das beyde verbindet und dadurch ich die Sukzession der Gefühle von meinem Wollen ableite« (IV,2,133). Dieses Denken bestimmt Fichte als die nur durch Abstraktion und Reflexion zugängliche intellektuelle Anschauung (vgl. IV,2,133), die sich von der sinnlichen Anschauung als jenem Übergehen vom Bestimmbaren zum Bestimmten unterscheidet. Wird das Wollen intellektuell angeschaut,
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Kapitel VI »bleibt uns blos die Anschauung unserer Bestimmtheit übrig, die da ist, aber nicht wird [...] Es erscheint uns als ein wollen, ein fodern – diese Bestimmtheit müßte sonach als kategorische Foderung, als bestimmtes absolutes Sollen erscheinen, und dies wäre reiner Wille, der nicht wird, sondern schon da ist, abgesondert von allen Bedingungen des Anschauens« (IV,2,134).
Dieses Resultat ist für Fichte nur ein Zwischenresultat. Er stellt nun die Frage: Wie kommt die intellektuelle Anschauung des Wollens in der emprischen Selbstwahrnehmung des Subjekts vor? Fichte bestimmt die intellektuelle Anschauung des Wollens in seiner Antwort als ein absolutes Sollen, d.i. als kategorische Forderung: Das Ich denkt sich selbst als anfangen sollend. Es gibt sich selbst den Zweck seiner Handlung unabhängig von den Einflüssen der Sinnenwelt. Im Denken des reinen Willens vermag das Subjekt den Zirkel zwischen Objekt und Handeln zu durchbrechen. Da das Denken des reinen Willens für die Realisierung des selbstgesetzten Zweckbegriffs notwendig ist und sich alles notwendige Denken auf das Gefühl gründet, muß das Mittelglied zwischen der kategorischen Anforderung und jenem Denken ein Gefühl sein (vgl. IV,2,134). Das in jedem Willensakt enthaltene Bewußtsein des selbstbestimmten Anfangenkönnens manifestiert sich für das Subjekt im Gefühl, das Fichte als Gefühl des Sollens und Nicht-dürfens (vgl. IV,2,134) bezeichnet. Mit dieser Vereinigung von Gefühl und Denken gewinnen wir »eine Erkenntnis, wie wir sie suchten« (IV,2,177). Einerseits entwickelt das Subjekt durch das Gefühl des Sollens und Nicht-Dürfens ein Bewußtsein seiner Wahlfreiheit, mittels der es Kraft seiner Spontaneität, eine Handlung neu zu beginnen, in die kausalen Naturabläufe in der Sinnenwelt eingreifen kann, d.i. indem es eine eigene Reihe anfängt. Andererseits äußert sich in diesem Gefühl für das Subjekt die kategorische Forderung, in der Sphäre des reinen Willens bleiben zu sollen und nicht über diese Sphäre hinausgehen zu dürfen (vgl. IV,2,134). Dieser Nachweis initiiert Fichtes weitere Untersuchungsschritte, in denen er davon ausgeht, daß das Gefühl des Sollens und Nicht-dürfens dem Ich ursprünglich gegeben ist (vgl. IV,2,139, 140). Die Voraussetzung, unter der das Subjekt auf dieses Gefühl reflektiert, liegt in dem Übergang vom Bestimmbaren zum Bestimmten. Das Gefühl des Sollens und Nicht-dürfens sich zu Bewußtsein zu bringen, d.i. zu reflektieren, heißt für Fichte, es als reines Wollen zu denken. Deshalb sagt Fichte: »Das Sollen soll gedacht werden – d.h. es als reines Wollen betrachten, es als etwas Intelligibles ansehen – das will ich nothwendig [...] Denn dieses
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reine Wollen ist nur als ein Gefühl ein Sollen« (IV,2,137). Da das reine Wollen ein Bestimmtes ist, dem entsprechend dem Reflexionsgesetz des Entgegensetzens ein Bestimmbares korreliert, setzt das Denken des Sollens ein System des Bestimmbaren voraus, das Fichte als die »Sphäre des Geistigen« bzw. das intelligible »Reich vernünftiger Wesen« (IV,2,141) bestimmt. Indem sich das Subjekt im Übergang vom Bestimmbaren zum Bestimmten ein bestimmtes Sollen zuschreibt, setzt es zugleich die überindividuelle Vernunft, aus der es sich herausgreift, indem es sich durch das Denken seines je bestimmten Wollens ursprünglich individuiert und seine Freiheit auf eine bestimmte Handlung begrentzt. Das mit dem Übergang vom Bestimmbaren zum Bestimmten einhergehende Herausgreifen aus dem bestimmbaren, präindividuellen Geisterreich, das das Denken eines bestimmten Wollens zur Folge hat, ist bewirkt durch die Reflexion eines selbstgewählten Zwecks, den sich das Subjekt infolge einer Aufforderung durch ein alter ego selbst gibt. Dieser Vorgang der Selbstbestimmung, der der Genese des Selbstbewußtseins (vgl. IV,2,177) ursprünglich zugrundeliegt, äußert sich für das Subjekt im Gefühl des Sollens und Nicht-Dürfens. Da die Genese des Gefühls des Sollens und Nicht-dürfens auf die Aufforderung durch ein alter ego zurückzuführen ist, ist dieses Gefühl dem Subjekt gegeben. Hierin zeigt sich die Verbindung des moralischen Gefühls mit dem Gefühl des Denkzwanges. Denn bevor das moralische Gefühl im Subjekt entstehen kann, muß das auffordernde Subjekt, das ihm dieses Gefühl gibt, für es sein. Wie alle Realität, so ist auch das alter ego dem Subjekt ursprünglich durch sein Gefühl des Denkzwanges bewußt. Laut dem Naturrecht, ist der Mitmensch dem Subjekt über die gefühlte Begrenzung seines Leibes zugänglich. Im §3 dieser Schrift konstatiert Fichte, daß das Auffordernde ein Objekt sei, das dem aufgeforderten Subjekt »in der Empfindung gegeben werden [muß]« und zwar »in der äusseren – nicht in der inneren – denn alle innere Empfindung setzt die leztere voraus« (I,3,342). Ein Grundgerüst dieser Argumentation findet man auch in Fichtes Kommentar zu Platners ›Philosophischen Aphorismen‹ (17941812)130, in denen er in anthropologischer Hinsicht Reflexionen über den Begriff des Leibes anstellt. Obwohl der Gefühlsbegriff in diesem Kommentar nicht häufig vorkommt, läßt sich dennoch dort die Struktur des oben vorgestellten Verhältnisses zwischen innerem und äußerem Organ 130. Im folgenden als Platner-Kommentar abgekürzt. Vgl. Wolfgang H. Schrader: Johann Gottlieb Fichte. Anthropologie und praktische Philoosphie, in: Philosophische Anthropologie im 19. Jahrhundert, hg. v. Jochem Hennigfeld u. Friedhelm Decher, Frankft. a. M. 1972
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Kapitel VI
des Subjekts wiederfinden. In seinem Platner-Kommentar spricht Fichte ebenfalls von einer Subordination des äußeren Sinnes unter das »innere geistige Organ« (II,4,76). Das Verhältnis zwischen beiden Organen ist das des Nachahmens. In der nova methodo führt er dazu aus: Im Akt der Aufforderung »redet jemand, diese Worte muß ich nachahmen. Ich muß nicht reden. D.h. nicht, ich physisch beschränkt hierinne, sondern wenn ich hören will, muß ich nicht reden, heißt eine Aufgabe die ich mir selbst zufüge um eines Zweckes willen nehmlich nur um zu hören. Ich höre hin, hier ist mein äußeres Organ durch das innere gehalten und beschränkt, allein ich werde doch gar nichts hören, wenn nicht Thöne da sind, mein äußeres Organ muß also, wenn ich hören soll, auch durch etwas äußeres beschränkt seyn« (IV,2,169 / 70; vgl. IV,2,166).
Die äußere Einwirkung ist dem Subjekt durch seinen Leib in der »unmittelbaren Empfindung« (II,4,75) gegeben. Die Empfindung ist die Repräsentation dieser Einwirkung. Diese ist keine strikte, absolute und bloß von außen bewirkte Grenze, sondern sie stellt einen Entscheidungspunkt für das Subjekt dar, sich infolge der Reflexion auf das Zwangsgefühl im Sinne einer »Aufgabe [auf einen bestimmten selbstgewählten Zweck hin] zu beschränken« (IV,2,167). »Mit dem Gefühl der Beschränktheit [ist] ein empirisches positives Wollen vereinigt« (IV,2, 173). Erst infolge der Reflexion auf den Entscheidungspunkt, in dem das Subjekt qua Aufforderung mit dem Anderen vereinigt ist, erscheint der Andere für das Subjekt als Vernunftwesen. Die sittliche Qualität der Reaktion auf die Aufgabe äußert sich für das Subjekt im Gefühl des Sollens und Nicht-Dürfens. Hier wird deutlich, daß das Selbstbewußtsein, das Bewußtsein des alter ego, das Bewußtsein der Objekte der Erkenntnis und der Pflicht für das Ich im Gefühl des Sollens und Nicht-Dürfens ursprünglich zusammenlaufen und daher immer moralisch besetzt sind.
KAPITEL VII Das Gewissen als das Bewußtsein, in und durch Gott zu existieren (17981801)
In der Sittenlehre und in der nova methodo vertritt Fichte die These, daß das Gewissen, bzw. das Gefühl des Sollens und Nicht-Dürfens dem Menschen nur anzeigt, ob eine Handlung geboten oder verboten ist. Die Regungen des Gewissens geben keine Auskunft darüber, ob das durch das Gewissen gebilligte Handeln auch tatsächlich die Beförderung der Sittlichkeit bewirkt, die durch das Handeln aus Pflicht erreicht werden soll. Der Mensch kann lediglich hoffen, daß sein sittliches Handeln zu dem gewünschten Erfolg führt. Fichte spricht in der Sittenlehre von dem »Zweifel, ob wohl auch der Endzweck der Moralität [d.i. die Übereinstimmung aller Subjekte untereinander] überhaupt befördert werden« kann (I,5,305). Daraus resultiert die Frage, »ob es einen Fortgang im Guten wirklich gibt, oder ob diese ganze Gesinnung nicht eine Schwärmerei sey, die auf ein Unding ausgeht«? (I,5,305). Die einzige Antwort auf diese Frage ist, so Fichte, allein »der Glaube an Gott und Unsterblichkeit«, der »die Beförderung des Vernunftzwecks« (I,5,305) garantiert und die sittliche Gesinnung, die sich im Gewissen äussert, belebt und stärkt. Die Beförderung des Vernunftzwecks hängt allein von Gott ab, denn möglich ist sie »weder im Gange der Natur, die sich auf Freiheit gar nicht bezieht, noch steht sie in der Gewalt endlicher Wesen aus demselben Grunde, weil endliche Wesen nur mit Naturkraft handeln« (I,5,305). Die eintreffenden
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Folgen der durch das Gewissen gebilligten Handlungen liegen für Fichte in einem einzigen Grund: »es ist ein Gott« (I,5,305).131 Das moralische Gefühl ist in Fichtes System der Wissenschaftslehre ab 1798 nicht mehr nur Kriterium der Richtigkeit der Überzeugung von einer bestimmten Pflicht, sondern es ist in Eins Manifestation des Glaubens an Gott.132 Zwar wurde diese Auffassung vom Gewissen von Fichte auch schon in den Predigten von 1786 und 1792 vertreten. Dort konnte er diese Auffassung noch nicht begründen und berief sich daher auf Philosophen und Theologen wie Gellert, Rousseau und Spalding. Relevant für die Rekonstruktion der Bestimmung des Gewissens als Manifestation Gottes sind neben der Wissenschaftslehre 1801 folgende populärphilosophische Schriften Fichtes: Ueber den Grund unseres Glaubens, Appelllation, Rückerinnerungen, Antworten, Fragen (1799)133 und Die Bestimmung des Menschen (1880). Fichte vertritt in den populärphilosophischen Schriften drei Thesen: – Nur das Gefühl des Gewissens eröffnet dem Individuum den Zugang zu Gott. – Das Gewissen läßt nur die Vorstellung von Gott als die ordo ordinans zu. – Religion ist nichts anderes als angewandte Sittenlehre. Diese Bestimmungen Gottes hatten das Dresdner Oberkonsistorium und den Kursächischen Hof veranlaßt, Fichte vorzuwerfen, er sei Atheist. Das Kurfürstlich-Sächsische Requisationsschreiben vom 18.12.1798, das Wei131. Vgl. dazu Günter Zöller: »Zu fragen bleibt, ob die Gründung der Sinnenwelt in einem Geisterreich, das selbst erst aus den Gesetzen des endlichen Denkens hervorgeht, nicht in einem defizienten Sinne zirkulär ist und der Ergänzung um ein Ungedachtes, Undenkbares bedürfte, das dem kreisenden Treiben des Ich Bestand gewährte. Die Fortentwicklung von Fichtes Denken jedenfalls findet nach dem Rückgriff auf den Gottesbegriff in der populärphilosophischen Schrift ›Die Bestimmung des Menschen‹ zum Ansatz eines Absoluten jenseits allen Wissens« (a.a.O. 1997, S. 306). 132. Fichte hat in den Schriften vor 1798 auch schon den Begriff Gottes mit dem Begriff des Gefühls in Zusammenhang gebracht. Das geschah aber lediglich im Hinblick auf das Streben des einzelnen Ich. In seiner Practischen Philosophie und im §5 der Grundlage bezeichnet Fichte das Ziel des strebenden Ich als die absolute Übereinstimmung mit sich selbst. In diesem Zusammenhang sagt er, dass dieses Ziel für das Subjekt nur für einen Moment (vgl. I,2,450) zu erreichen ist, weil die durchgängige Übereinstimmung mit sich selbst nur Gott zukommt. Die sich in den populärphilosophischen Schriften von 1798 / 99 andeutende Unterscheidung der Wissenschaftslehre 1801 gegenüber der Grundlage besteht im Hinblick auf die Bestimmung des Begriffs Gottes darin, daß das Subjekt im Gefühl des Gewissens Gott als den Realgrund seiner Existenz erfährt, während Gott in der Grundlage nur Mittel der Charakterisierung eines Zustandes ist, der Ziel des strebenden Ich ist und der sich für das Subjekt im Gefühl der Vollendung äußert. 133. Im folgenden als Rückerinnerungen abgekürzt.
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marische Rescript vom 27.12.1798 und das Gothaische Rescript vom 3.5.1799 führen zu Fichtes Ausschluß von der Universität Jena. Die sächischen Wirklichen Geheimen Räte wandten sich in der Angelegenheit des Atheismusstreits an das Preußische Ministerium. Friedrich Wilhelm III. kritisierte in einer Kabinettsordre vom 25. März 1799 Fichtes Auffassung von Gott als ordo ordinans, weil damit »das Daseyn Gottes als eines selbständigen Wesens weg[...]rässonir[t]« (I,5,338) würde, so daß gar keine Religion mehr stattfinden könnte. Fichtes Grundsätze seien »mit der christlichen, ja selbst mit der natürlichen Religion unverträglich« (I,5, 338).134 Im ersten Abschnitt dieses Kapitels soll Fichtes Auffassung von Gott als ordo ordinans dargestellt werden, die er erstmals in der Schrift Ueber den Grund unseres Glaubens formuliert.135 Im zweiten Abschnitt wird der aus dieser Bestimmung Gottes hervorgehende Atheismusvorwurf anhand der 1798 anonym erschienenen polemischen Denunziation Schreiben eines Vaters an seinen studirenden Sohn über den Fichteschen und Forbergschen Atheismus136 konkretisiert. In der Appellation formuliert Fichte Gegenargumente, mit denen er versucht, den gegen ihn erhobenen Atheimusvorwurf zu entkräften und seine Gegener seinerseits des Atheis134. Zum historischen Kontext des Atheismusstreites vgl. Wolfgang Janke: Panethischer Atheismus, zur Ausfaltung der moral-theologischen Weltanschauungen durch Jacob Salat, Friedrich Karl Forberg und Fichte (Philosophisches Journal einer Gesellschaft Teutscher Gelehrter 1797/8), in: ders. Vom Bilde des Absoluten. Grundzüge der Phänomenologie Fichtes, Berlin 1993, S. 493 ff. und die Einleitung von Frank Böckelmann in die von ihm herausgegebenen Schriften zu J. G. Fichtes Atheismusstreit, München 1969. Vgl. außerdem Otfried Brunk: Die Atheismus-Anschuldigung gegen Johann Gottlieb Fichte. Die Geisteshaltung Goethes und anderer Zeitgenossen in Briefen und anderen Dokumenten, Radolfzell am Bodensee 1985. In systematischer Hinsicht haben sich mit dem Gottesbegriff Fichtes zur Zeit des Atheismusstreites beschäftigt: Emanuel Hirsch: Fichtes Gotteslehre 1794-1802. Die idealistische Philosophie und das Christentum. Gesammelte Aufsätze, Studien des apologetischen Seminars Wernigerode, Heft 14, Gütersloh 1926, S. 140 ff. und Hans Michael Baumgartner: Über das Gottesverhältnis der Transzendentalphilosophie. Bemerkungen zum Atheismusstreit von 1798/9, in: Philosophisches Jahrbuch 73, Freiburg, München 1966, S. 303 ff.. 135. Die Schrift Ueber den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregieung hat Fichte im Hinblick auf einen Aufsatz Forbergs im Philosophischen Journal verfaßt, das von ihm und Forberg herausgegeben wurde, da er in Bezug auf Forberg Schwierigkeiten mit der Zensur befürchtete. Von diesen Befürchtungen spricht Fichte in einem Brief vom 22. April 1799 an Reinhold: »Ich wollte den Forbergischen Aufsaz nicht aufnehmen; u. wiederrieth ihm als Freund dessen Bekanntmachung. Er ließ sich nicht rathen. Als Herausgeber, u[nd] insofern Censor die Aufnahme pro auctoritate zu verweigern ist gegen meine Grundsätze; die so fest sind, daß, ohnerachtet dieses Ausgangs der Sache, ich doch ähnlichen Aufsätzen die Aufnahme nie verweigern würde« (III,3,328). Fichtes Vorhaben, mit seinem Aufsatz einen möglichen Atheismusvorwurf gegenüber Forberg abzuschwächen, ist mißlungen. Nicht nur Forberg, sondern auch er selbst wurde des Atheismus angeklagt. 136. Im folgenden als Schreiben eines Vaters abgekürzt.
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mus zu bezichtigen. Für die Darstellung der Gegenargumente werden auch die Schriften Ueber den Grund unseres Glaubens und die Rückerinnerungen herangezogen. Zwar formuliert Fichte diese Schriften eindeutig auf der Basis der Grundlage und der Sittenlehre. Da diese Schriften aber nur populärphilosophische Bedeutung haben, gelingt es ihm hier nicht, den Vorwurf des Atheismus hinreichend zu entkräften. Dem Charakter einer populärphilosophischen und allgemeinverständlichen Untersuchung entsprechend legt er hier lediglich die Resultate seiner wissenschaftlichen Philosophie ohne Rücksicht auf die dazugehörigen Deduktionen vor. Wie im dritten Abschnitt dieses Kapitels zu zeigen sein wird, vollzieht Fichte erst in der Wissenschaftslehre 1801 eine genetische Deduktion der sich im moralischen Gefühl äußernden Beziehung des Individuums zu Gott. Diese Deduktion führt er im Ausgang von apriorischen Prinzipien im Kontext der Reflexionen über die Bedingungen der Möglichkeit des Selbstbewußtseins aus. Hier zeigt sich, daß erst gegen Ende der Wissenschaftslehre 1801 der Reflexionspunkt erreicht ist, an dem die in den Schriften zum Atheismusstreit populärphilosophisch ausgeführte Bestimmung des Gewissens spekulativ entwickelt werden kann. In den populärphilosophischen Schriften wird von Fichte das moralische Gefühl nicht begründet, sondern als eine Tatsache des Bewußtsein hingestellt. In seiner Wissenschaftslehre 1801 hingegen geht es Fichte darum, Gott als notwendiges Element des menschlichen Geistes nachzuweisen und das Gewissen als Manifestation des Glaubens an Gott zu begründen. Die Ankündigung dieser wissenschaftlichen Untersuchung des Glaubens an Gott formuliert Fichte in einem Brief vom 27.12.1800 an Schelling, in dem er von einer »weitere[n] Ausdehnung der Transcentalphilosophie« in »einem transscendentalen System der intelligiblen Welt« (III,4,406) spricht. Der Folgebrief an Schelling vom 31.5.1801 enthält Fichtes wesentliche Überzeugung, daß die Bestimmung der »höchste[n] Sysnthesis«, d.h. der Synthesis der Geisterwelt als Gott, die Vollendung (III,5,45) der Wissenschaftslehre darstellt. Im Privatschreiben (1800) bezeichnet Fichte die wissenschaftlich-philosophische Untersuchung des Glaubens an Gott als »ein Geschäft, das in seiner ganzen Bestimmtheit keiner vor [ihm] übernommen hat; und das insofern etwas neues ist« (I,6,377).
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VII.1 Die Bestimmung Gottes als die ordo ordinans Die Bestimmung Gottes als die ordo ordinans nimmt ihren Ausgang von dem Gedanken der »Synthesis der Geisterwelt«, den Fichte in der Sittenlehre im Anschluß an die Deduktion der Bestimmung des Gewissens als Kriterium der Richtigkeit der Überzeugung von einer bestimmten Pflicht entwickelt. Die »Synthesis der Geisterwelt« versteht Fichte als »das Ganze der vernünftigen Wesen, die Gemeine der Heiligen« (I,5,230). Die Synthesis der Geisterwelt hat sowohl transzendentalphilosophische als auch teleologische Bedeutung. In transzendentalphilosophischer Hinsicht begründet sie die Möglichkeit der Erklärung der gemeinsamen Wirksamkeit und Übereinstimmung mehrer Individualitäten. In teleologischer Hinsicht ist sie das Ziel, auf das hin das Individuum sein Handeln ausrichten soll. Führt der Mensch die vom Gewissen gebilligte Pflicht aus, dann befördert er mit dieser Handlung nicht nur seine Selbstständigkeit, sondern auch »die Selbstständigkeit der Vernunft überhaupt. Die Selbständigkeit aller Vernunft, als solcher ist unser letztes Ziel« (I,5,209). Die Vernunft ist »durch mich als Intelligenz, außer mich gesezt; die gesammte Gemeine vernünftiger Wesen außer mir ist ihre Darstellung« (I,5,229). Das Reich der intelligiblen Vernunft überhaupt (vgl. IV,2,240) wird von Fichte in der nova methodo in der Erörterung des fünfachen synthetischen Periodus, mit dem er die Konstruktionsbedingungen des Bewußtseins aufstellt, als ein grundlegendes Systemteil bestimmt, da der reine Wille für das Individuum nur durch reflexive Entgegensetzung zum bestimmbaren Reich der Geister ist. In Übereinstimmung mit seiner Formulierung in der Sittenlehre vertritt Fichte auch in der nova methodo die Überzeugung, daß sich das reine Wollen für das Individuum im moralischen Gefühl des Sollens und Nicht-Dürfens äußert. Das Objekt dieses Sollens sei »gar nicht meine eigene Vernunft, sondern die Vernunft außer mir überhaupt« (IV,2,251). Vernunft überhaupt (vgl. IV,2,240) ist das Bestimmbare im Unterschied zum Bestimmten d.i. das reine Wollen. Das Bestimmbare begreift Fichte als eine »Masse, Sphäre des Geistigen [...] Und das Ich ist ein bestimmter Theil dieser Masse des Geistigen. Das Bestimmbare ist alle Vernunft und Freyheit oder das Reich der Geister als Wesen meiner Gattung. Das Bestimmte aber bin ich [durch ein Gefühl] als das entgegen gesetzte dieser Sphäre, nemlich dem Bestimmbaren« (IV,2,141).
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Da das Reich vernünftiger Wesen als das Bestimmbare das Gegenstück zur Bestimmtheit des reinen Willens bildet und mit der Realisierung des reinen Willens in der Sinnenwelt das Selbstbewußtsein anhebt, ist Fichte der Überzeugung, daß alle Erfahrung ausgeht »von einem Reiche vernünftiger Wesen, unter denen auch ich gedacht werde« (IV,2,143). Fichte nimmt diese Überlegungen zum Verhältnis zwischen Bestimmbarem und Bestimmtem in die von ihm im Kontext des Atheismusstreits veröffentlichten Populärschriften erneut auf. In seiner Schrift Ueber den Grund unseres Glaubens bezeichnet Fichte das intelligible Reich der Geister als moralische Ordnung (vgl. I,5,353). Hier bestimmt er diese moralische Ordnung nun erstmals als das Göttliche (vgl. I,5,354), das garantiert, daß die durch das Gewissen gebilligten Handlungen den Vernunftzweck befördern. In der Bestimmung des Menschen spricht Fichte im Kontext des Bestimmbaren bzw. Göttlichen nicht mehr von einer moralischen Ordnung (vgl. I,5,353), sondern vom absoluten Willen, der das Gesetz (vgl. I,6,292) der intelligiblen Welt darstellt und als solcher das »einige Lebens=Princip der geistigen Welt« (I,6,292) ist und in der Wissenschaftslehre 1801 spricht er vom absoluten Sein (vgl. II,6,197). Diese Bestimmungen Gottes entsprechen – wenn auch unter einer veränderten systematischen Perspektive – der Bestimmung Gottes in der Schrift Ueber den Grund unseres Glaubens und in der Appellation. Fichte legt dort seiner Bestimmung von Gott die These zugrunde, daß die durch sich selbst bestimmte Vernunft, »wenn sie rein und unabhängig aufgefaßt wird« (I,6, 284), nichts anderes als der einige, unendliche, übersinnliche absolute Wille ist, der als das Eine, das da ist (vgl. II,6,193), das absolute Sein (vgl. II,6,197) ausmacht. In der Wissenschaftslehre 1801 denkt Fichte den unendlichen, intelligiblen Willen nicht als Sphäre der Bestimmbarkeit, sondern als absolutes Sein (vgl. II,6,197), d.i. als Bestimmheit, obgleich der unendliche intelligible Wille weiterhin als Grund der Bestimmtheit des reinen Willen des Individuums begriffen werden muß. Unter den Begriff des absoluten Seins faßt Fichte die formal gedachte Idee der Einheit der dynamischen Beziehungen in der ordo ordinans. Auf den Unterschied zwischen dynamischer und formaler Bestimmung der ordo ordinans geht Fichte in einem Brief vom 31. Mai 1801 an Schelling ein: Der Übergang zwischen Bestimmbarem und Bestimmtem ist als Reflexionsgesetz zu verstehen und der Realgrund des Selbstbewußtseins ist der Schnittpunkt zwischen dem absoluten Sein (vgl. II,6,197) und dem reinen Willen. Da der Realgrund des
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Selbstbewußtseins dem Bewußtsein vorausgeht, ist er selbst unerkennbar. Daher ist der Realgrund des Selbstbewußtseins, d.i. der Übergang zwischen Bestimmbarem und Bestimmtem, nur der Form (vgl. III,5,47) nach zu beschreiben. Sofern das Individuum versucht, den Grund seiner Bestimmtheit zu reflektieren, muß es das absolute Sein infolge des Reflexionsgesetzes (vgl. II,6,197) als Sphäre der Bestimmbarkeit begreifen.137 VII.2 Die Rolle des moralischen Gefühls im Atheismusstreit Für den anonymen Verfasser des Schreibens eines Vaters ist Fichtes Aufassung von Gott als ordo ordinans atheistisch.138 In vier Anklagepunkten formuliert er seine Kritik an Fichte 139: 1) Erstens wendet er gegen Fichte ein, daß nach dessen Lehre kein traditioneller Schöpfergott mehr zu akzeptieren sei. Dem anonymen Verfasser zufolge sollen »wir uns [aber] ein selbständiges, von der Welt unterschiedenes, alles vermögendes, mit Zweck und Absicht würkendes Wesen« denken, das die Welt durch seinen »allmächtigen Willen« erschaffen (I,6,123) hat. 2) Zweitens bezeichnet der anonyme Verfasser Fichtes Bestimmung der intelligiblen moralischen Ordnung ohne menschenähnlichen Urheber als sinnlos, weil eine Ordnung einem solchen Urheber der Erfahrung widerstreitet (I,6,126). Eine Heilsordnung, die kein vernünftiges Wesen entwirft und ausführt, stellt etwas Unbegreifliches (vgl.I,6,129) dar. Ihm zufolge muß eine Substanz angenommen werden, die sich von der Heilsordnung als ihrem Urheber und Regent unterscheidet. Den Gedanken, daß diese Ordnung durch sich selbst ist, weil sie selbst Geist ist und nur dadurch ist, daß sie unaufhörlich intellektuell wirkt, bezeichnet er als unnütze, scholastische Grille (vgl. I,6,126). 3) Drittens bemerkt er zu Fichtes »abgedroschenen Einwurf« (I,6, 127) gegen unsere Erkenntnis von einem persönlichen Gott, demzufolge 137. Vgl. Wolfgang H. Schrader: Der Übergang zur Wissenschaftslehre 1801, in: Transzendentalphilosophie als System: Die Auseinandersetzung zwischen 1794 und 1806, hg. v. A. Mues, Hamburg 1989, S. 94 ff.. 138. Peter Rohs schreibt, daß es »über die Verfasserschaft« dieser Schrift »bald Streit« (a.a.O. 1991, S. 111) gab. »Der Alttestamentler Gabler in Altdorf wurde ihrer bezichtigt, was er aber in einer Erklärung entrüstet von sich wies. Der Verfasser ist bis heute unbekannt geblieben. Die Herausgeber der (Fichte-) Gesamtausgabe vermuten ihn im Umkreis Friedrich Nicolais (GA I,6,18-24)« (a.a.O. 1999, S. 111 f.). 139. Peter Rohs, a.a.O. 1999, vgl. S. 116 ff..
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die mittels Analogie erlangte Erkenntnis von Gott eine falsche Erkenntnis ist: »Daß alle unsere Erkenntniß von Gott nur analogisch ist, das haben wir längst gewußt. An statt der Eigenschaften, die wir Bewußtseyn, Verstand, Wille, Weisheit, Gerechtigkeit ec. nennen, ist Gott etwas unendlich vollkommneres. Aber daraus folgt nicht, daß diese und andere dergleichen Eigenschaften, in so fern sie Gott beygelegt werden, blos in unserer Phantasie gegründet wären. Wir wissen nun einmahl keine andern als die gewöhnlichen Nahmen, um sie zu bezeichnen. Weisheit bleibt Weisheit, sie mag sich in einem höhern oder in einem geringern geringern Grade äußern« (I,6,128).
4) In seinem vierten Anklagepunkt vertritt der anonyme Verfasser die Auffassung, daß durch Fichtes Negation eines substanzhaften Gottes dem christlichen Glauben an einen persönlichen Gott, der das Weltgericht abhält und dem damit einhergehenden Glauben an das ewige Leben oder an die Verdamnis in der Hölle, die vornehmste Stütze (vgl. I,6,129) entzogen wird. Der anonyme Verfasser klagt Fichte des Atheismus an, ohne seine eigene Position fundiert darzulegen. Seine Kritik stützt er lediglich auf das traditionelle Gottesbild (vgl. I,6,129). Fichte dagegen bezeichnet die auf Überlieferung und Tradition beruhende Lehre von Gott als Schulgeschwätz (vgl. I,5,356). Sein eigener und der gegnerische Standpunkt sind laut Fichtes Appellation so weit voneinander entfernt, daß er und sein Kritiker in »zwei verschiedenen Welten stehen, und von zwei verschiedenen Welten reden« (I,5,444). In Ueber den Grund unseres Glaubens führt er die Differenz der Standpunkte aus: Während seine Gegner, allen voran Eberhard, der Erörterung der Beziehung des Individuums zu Gott den Begriff zugrundelegen, sind für Fichte das Gefühl, das Begehrungsvermögen und das Handeln das Erste. Auf diese Differenz baut Fichte seine Verteidigung gegenüber dem Atheismusvorwurf auf. Allerdings setzt das Verständnis dieser Strategie die Kenntnis der Grundlage voraus. Eberhard u.a. glauben, so Fichte, »durch freies, willkührliches Denken gewisse Erkenntnisse und Begriffe [zu] erzeugen und dem Menschen durch Raissonement einpflanzen zu können, durch welche Gefühle hervorgebracht, das Begehrungsvermögen afficirt und so endlich das Handeln des Menschen bestimmt werde« (Pkt. 20). In diesem Kontext fragt Fichte danach, zu welchen Konsequenzen eine Philosophie führt, die »das Gefühl von Begriffen abhängig […] mach[t]«? Für Fichte folgt aus der
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Unterordnung des Gefühls unter den Begriff, daß der Mensch etwas »Unmittelbare[s] erräsonieren« will, was er »ursprünglich nicht fühlt, noch besitzt« (Pkt. 21) und das er »sich und andern durch Syllogismen aufnötigt« (Pkt. 21). Seine Kritik macht er an folgendem Beispiel deutlich: »Ich bekenne von Wärme oder Kälte nur dadurch zu wissen, daß ich wirklich erwarme oder friere; sie kennen, ohne je in ihrem Leben eine Empfindung von dieser Art gehabt zu haben, die Wärme oder Kälte, als Dinge an sich, und bringen erst nun, zufolge dieser Erkenntniß, Frost oder Hitze in sich hervor durch die Kraft ihrer Syllogismen. Mein Unvermögen dergleichen Syllogismen zu machen, ist es, was sie meinen Atheimsus nennen« (I,5,433).
Um solche Fehler zu vermeiden, muß man Fichte zufolge anstelle der von Eberhard vollzogenen Unterordnung des Lebens unter das Erkennen umgekehrt die Beziehung zwischen Individuum und Gott im Ausgang vom Gefühl und Begehren bestimmen. Fichtes Argumentation ist durch seine Thesen aus dem praktischen Teil der Grundlage und aus der Sittenlehre fundiert, nach denen das Gefühl allem Wissen, d.h. dem Objekt – und dem Pflichtbewußtsein, zugrundeliegt. Auf das Gebiet der Religion übertragen bedeutet dies, daß sich im Gefühl auch ein unmittelbares Bewußtsein von Gott manifestiert (vgl. Pkt. 20). Das Erkennen, bzw. der Begriff ist für das Individuum immer das Zweite. In der Grundlage bestimmt Fichte das Gefühl als das Charakteristikum des Lebens. Demnach stammt das sich in ihm manifestierende Bewußtsein von Gott aus dem Leben und ist daher »ein das Leben Bewegendes« (Pkt. 20). Diese Aussage Fichtes enthält einen weiteren Kritikpunkt an der Lehre seiner Gegner: in dieser sei man aufgrund der Unterordnung des Gefühls unter den Begriff gezwungen, den der religiösen Lebenspraxis zugrundeliegenden unmittelbaren Glauben an Gott zu erräsonieren (vgl. Pkt. 21). Damit sei eine praktische christliche Lebensführung nicht zu begründen. Schlüße mögen das Denkvermögen befriedigen, das Leben jedoch nicht. In Anlehnung an die Valediktionsrede und die Unterscheidung zwischen der orthodoxen Verstandesreligion und der Religion des Herzens in der Predigt von 1792 vertritt Fichte in den Rückerinnerungen dann die These, daß die Motivation zur religiösen Praxis nicht durch »einen logischen DenkZwang constituirt werden« (I,5,351) kann, sondern daß sie aus der gefühlsmäßigen »moralische[n] Stimmung« (I,5,351), bzw. der Rührung des Gemüts hervorgeht. Mit dem Begriff des Gewissens verbindet Fichte eine selbstständig gebildete Überzeugung von einem
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bestimmten Sachverhalt. Das Gefühl garantiert, daß der Glaube auf einer bewußten Entscheidung gründet und nicht Resultat eines tradierten dogmatischen Katechismusunterrichts ist. Im Rekurs auf die Sittenlehre stellt Fichte die Frage, wie Philosophen, die wie Eberhard das Gefühl dem Denken subordinieren, den Glauben an die Gewißheit ihrer Erkenntnis denn philosophisch rechtfertigen könnten. Wie schon zuvor in der Sittenlehre so äußert Fichte auch in den Rückerinnerungen die Überzeugung, daß die theoretische Einsicht immer nur eine »Gewissheit in höherer Potenz« (Pkt. 24) darstellt, deren Irrtum nur durch eine noch höhere Potenz ausgeschlossen werden kann und so ins Unendliche fort. Gewißheit manifestiert sich für Fichte nicht in einem Urteil, sondern in dem subjektiven Zustand des moralischen Gefühls. Vom Standpunkt der Fichteschen Transzendentalphilosophie aus muß »ein Gefühl […] aufgezeigt werden, an welches diese Erkenntnis unmittelbar sich anschliesst« (Pkt. 20). Das bestimmte Gefühl, »worauf unser Glaube an die Gottheit sich gründet, und wodurch derselbe als reell bewährt wird« bestimmt Fichte als das intellektuelle Gefühl des Gewissens (vgl. Pkt. 24). Ist das Gewissen der »erste schlechthin unmittelbare« (I,5,428) Zugang zu Gott, ist im Folgenden danach zu fragen, welche Bestimmungen Gottes und der Religion sich aus diesem Gefühl entwickeln lassen: In seinem Wesen und Wirken ist Fichtes Schrift Ueber den Grund unsereres Glaubens zufolge das göttliche Prinzip unbegreiflich (vgl. PKt. 32). Um Gott zu charakterisieren, fehlen »Sprach- und Begriffsbestimmungen« (Pkt. 32). Wie alle Realität, so ist auch die Realität Gottes für das Individuum nur im Gefühl, in diesem Fall im Gewissen zugänglich. Im Gewissen ist nicht mehr enthalten als das Bewußtsein der Richtigkeit einer bestimmten Pflicht und, unabtrennlich davon, der Glaube, daß ein höchstes Wesen bewirkt, daß die positiven Folgen einer realisierten Pflicht zur Beförderung des Vernunftzweckes beitragen. Fichte vertritt die These, daß der im Gefühl des Gewissens sich äußernde Glaube, mittels der eigenen Pflichterfüllung den »Zweck der Vernunft auch außer unserem Willen zu befördern« (Pkt. 28), die Religion konstituiert. Sofern der Mensch glaubt, mit Hilfe der Kultivierung seines eigenen Willens die Sittlichkeit der Menschheit im Ganzen befördern zu können, »glaubt er religiös« (Pkt. 30). Als das »einzig mögliche GlaubensBekenntnisß« (I,5,354) formuliert Fichte: »Ich und alle vernünftigen Wesen und unsere Verhältnisse zueinander [...] sind durch ein freies, intelligentes Princip erschaffen, werden
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durch dasselbe erhalten und unserem Vernunftzwecke entgegengeführt, und Alles, was nicht von uns abhängt, um jenen höchsten Zweck [d.i. die Übereinstimmung aller Menschen untereinander] zu erreichen, geschieht ohne all unser weiteres Zuthun, durch die weltregierende Macht desselben ohne Zweifel« (Pkt. 34).
Handeln aus Pflicht und Religion sind demnach für Fichte Eins und Dasselbe. Der Mensch, der »um des Gewissens willen« (I,5,426) handelt, glaubt, daß sein Handeln in einer durch Gott konstituierten Heilsordnung aufgehoben ist, in der die Beziehungen der vernünftigen Wesen untereinander durch Gott geordnet und hervorgebracht sind (vgl. Pkt. 33).140 Daß das Individuum die verschiedenen Bestimmungen des Gefühls »in dem Begriffe eines existirenden Wesens zusammen[fasst] […] das es vielleicht Gott nennt« (I,5,428), ist, so Fichte in der Appellation, »die Folge der Endlichkeit seines Verstandes; aber unschädlich, wenn [es] jenen Begriff nur zu weiter nichts benutzt, als eben zu diesem Zusammenfassen der unmittelbar in seinem Innern sich offenbarenden Verhältnisse einer übersinnlichen Welt zu ihm« (I,5,428). Für den Philosophen hingegen ist Gott die ordo ordinans (vgl. I,6,374): »Gott ist nichts, als das nothwendig anzunehmende Schaffen, Erhalten, Regieren selbst« (Pkt. 38). In Opposition zu den Kritikpunkten 1 und 2, die der anonyme Verfasser der »Denunziationsschrift« gegen ihn vorbringt, hält Fichte daran fest, daß es nicht möglich ist, wissenschaftlich Schlüsse (vgl. Pkt. 38) über die Bestimmung Gottes als ordo ordinans hinaus zu ziehen. »Dazu fehlt der Grund und schlechterdings die Möglichkeit« (Pkt. 38). In der Appellation schreibt er: »Wir bedürfen keines andern Gottes, und können keinen andern fassen« (I,5,354). Daß die Beziehung des Individuums zu Gott primär durch das Gefühl vermittelt ist, bedeutet für Fichte jedoch weder, daß sich diese Beziehung nicht erkenntnistheoretisch rekontruieren läßt, noch daß sie kontingent ist. So stellt die Wissenschaftslehre 1801 den Versuch Fichtes dar, den im Gewissen enthaltenen Glauben an Gott als notwendige Bedingung des Selbstbewußtseins zu rechtfertigen. Dies deutet sich schon in der Appellation an. Dort äußert er die Überzeugung, daß das Übersinnliche, d.h. Gott, »das einige gewisse [ist], und alles andere […] nur um seinetwillen gewiß« (I,5,430) ist. Nur weil Gott ist, hat das Individuum ein Realitätsund ein Pflichtbewußtsein. Das Individuum soll nicht an Gott glauben, 140. Vgl. dazu die Fassung des Glaubensbekenntnisses aus der Appellation: »Fröhlich und unbefangen vollbringen, was jedesmal die Pflicht gebeut, ohne Zweifeln, und Klügeln über die Folgen. Dadurch wird dieses Göttliche in uns lebendig« (I,5,354).
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weil es an die Sinnenwelt glaubt, sondern umgekehrt, nur weil es an Gott glaubt, ist eine Sinnenwelt als Material der Pflicht für es. Das Übersinnliche vereinigt somit den Glauben, das Wissen und die Moral. Dieses Gottesverständnis macht es Fichte in der Appellation im Hinblick auf Punkt 3 der »Denunziationsschrift« unmöglich, aus der Beschaffenheit des Individuums und der Sinnenwelt auf das Dasein und die Eigenschaften Gottes zu schließen, denn das Individuum überträgt dann nur seine eigenen sinnlich bestimmten Eindrücke auf Gott. Gott wird durch dieses analogische Vorgehen versinnlicht, personifiziert und zu einer Substanz gemacht (vgl. I,5,435 ff.). Im schlimmsten Fall, so Fichte, führt die »fromme Einfalt« seiner Gegner dazu, sich »Gott als eine ungeheure Ausdehnung durch den unendlichen Raum, oder noch einfältige[r] ihn so, wie er vor dem alten Dresdner Gesangbuche abgemahlt ist, als einen alten Mann, einen jungen Mann und eine Taube« (I,5,435) vorzustellen. Den Zweck einer solchen Gottesvorstellung sieht Fichte immer im Genuß und Eudämonismus. Der Gott seiner Gegner ist »der Geber der Glückseligkeit« (I,5,436). Ein derart vermenschlichter Gott stellt für Fichte lediglich einen Fürsten der Welt und einen Götzen dar. Ein vermenschlichter Gott ist kein Gott. Daher lehre nicht er, sondern seine Gegner den Atheismus (vgl. I,5,437). Der Atheismus läßt sich nur vermeiden, wenn man wie er, von seinem Gefühl des Gewissens geleitet, eine göttliche ordo ordinans annimmt, in der und durch die vernünftige Wesen existieren (vgl. I,5,440). Jacobi sagt daher in seinen Briefen über die Lehre des Spinoza (1785) ganz richtig: »durch ein göttliches Leben wird man Gott inne« (I,5,448). Dem Kritikpunkt 4 der »Denunziationsschrift«, nach dem Fichtes Lehre nicht zu dem Glauben an das göttliche Weltgericht und das Leben nach dem Tod führt, entgegnet Fichte, daß der Leib des Individuums vergänglich ist nicht aber die Vernunft, denn sie ist als das Übersinnliche Teil der göttlichen Heilsordnung, die dem empirischen Bewußtsein als sein Grund vorausgeht. Folglich wird das Individuum nach dem Tod, d.i. nach der Auflösung (vgl. I,5,452) des Körpers, mit seiner reinen Vernunft, die gar nicht an die Gesetze des Sinnlichen gebunden ist, in das Göttliche eingehen, denn die reine Vernunft ist unsterblich. Von einem Weltgericht, in dem Sünden und gute Taten gerichtet werden, spricht er anders als seine Gegner, nicht, denn Gott als Richter zu bezeichnen, würde eine Vermenschlichung Gottes bedeuten. Gegenüber Gott soll sich der Mensch vielmehr frei verhalten und nicht als Sklave, denn der Mensch ist ein freier Mitbürger des Gottesreichs, das sich selbst seinem Sein nach nur aus
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Vernunftwesen, die selbstbestimmt ihre Pflicht erfüllen, konstituiert (vgl. I,5,452). In seiner Lehre vom Gewissen vertritt Fichte die für traditionelle Theologie vermessene Überzeugung, daß nicht ein substanzhafter, persönlicher Gott den Menschen richtet, sondern daß die individuelle Stimme des Gewissens der unmittelbare Richter des Menschen ist und den Menschen zu seinem eigenen Richter macht. VII.3 Der Glaube an Gott als Konstituens des Bewußtseins (WL 1801 §§16-23, PopulärAnhang §§1ff, 4-8) In seinem Brief vom 31. Mai 1801 an Schelling charakterisiert Fichte die höchste Synthesis der Wissenschaftslehre, die der Beziehung des Menschen zu Gott ursprünglich zu Grunde liegt. Die Entfaltung des Gedankens der höchsten Synthesis führt, so Fichte an Schelling, zum Abschluß der Gradation des endlichen Bewußtseins in einem Zustand, in dem »die absolute Vereinigung des Bewußtseyn[s] der Geisterwelt und des Individuum[s]« (III,5,46) zu denken ist. Denn es gibt »kein bestimmtes [individuelles] Bewußtseyn, ohne das Bestimmbare [universelle der endlichen Vft]« (III,5,47). Das Universelle der endlichen Vernunft (vgl. III,5,47) bezeichnet Fichte als System der Geisterwelt. In seinem Brief an Schelling macht Fichte seine Verhältnisbestimmung des endlichen Bewußtseins mit der Geisterwelt, aus der sich Gott konstituiert, deutlich: »Setzen Sie das absolute Bewußtseyn = A so ist in ihm [die] Form des Bewußtseiyns als Bestimmbares = B. a+ C. Bestimmtheit des Bewußtseyns« (III,5,47) vereinigt. »Das ganze Bewußtseyn C. ist sonach selbst nur Objekt des Bewußtseyns A. Es hat aber absolute Gültigkeit für alle, inwiefern es in der ursprünglichen Form des Bewußtseyns A. ist. Dieses ganze geschloßne Bewußtseyn C. wieder in A. aufgenommen, giebt ein System der GeisterWelt [das obige B.] und einen unbegreiflichen RealGrund der Getrenntheit der Einzelnen, und ideales Band aller = Gott. Dies ist‘s, was ich die intelligible Welt nenne. Diese letzte Synthesis ist die höchste. Will man das, was auch diesem Blike noch undurchdringlich bleibt, Seyn nennen, und zwar das absolute, so ist Gott das reine Seyn« (III,5,48).
In der Überzeugung, mit der Synthesis von absoluten Bewußtseyn (A) und Bestimmtheit (C) das Prinzip der endlichen Vernunft dargestellt zu haben, behauptet Fichte, sie stellt »das durchaus universelle Bewußtseyn der gesamten Geisterwelt, als solches, dar, und ist selbst dieses Bewußtseyn«
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(III,5,48). Andererseits ist jedes Individuum »eine besondre Ansicht jenes Systems aus einem eignen GrundPunkte« (III,5,48) nämlich vom Punkt seiner ursprünglichen Bestimmtheit aus gesehen. Als Individualpunkt ist dieser Punkt der Wissenschaftslehre, weil sie selbst nur ein Rekonstruieren des »universellen Bewußtseyns [ist], selbst undurchdringlich = X. Weit entfernt sonach, daß die W. L. vom Individuum, als solchem ausgehen sollte, kann sie nicht einmal bis zu demselben hinkommen. Dem Leben ist aber jenes X faktisch [nicht genetisch] durchdringlich« (III,5,49). Die faktische Durchdringung des Individualpunktes manifestiert sich nach Fichte ursprünglich im Gefühl der Gebundenheit. Unter diesem Gefühl versteht Fichte das unmittelbare Daseinsgefühl, das der Individuierung des Menschen zugrundeliegt und aus dem das Gewissen als Manifestation des Bewußtseins von Gott entwickelt wird. Das Bewußtsein des Gefühls der Gebundenheit wird in der Wissenschaftslehre 1801 in folgenden Deduktionsschritten rekonstruiert: Den Eingang in die Wissenschaftslehre 1801 bildet die freie, intellektuelle Anschauung (vgl. II,6,212). In der intellektuellen Anschauung findet sich das Wissen als das ›was‹ es ist und als das ›weil‹ es ist (vgl. II,6,194). In der Anschauung ist das Ich auf nichts Äußeres, sondern ganz auf sich selbst bezogen. Diese Selbstanschauung wird von Fichte mit der Metapher »des auf sich selbst ruhenden und in sich geschlossenen Auges« (vgl. II,6,169) beschrieben, und weiter formuliert er: »Diese Selbstanschauung [...] haben wir zu erschöpfen« (II,6,169), um das Bewußtsein des Gefühls der Gebundenheit zu deduzieren. In der Selbstanschauung des absoluten Wissens liegt nicht nur das ›weil‹ des Wissens, d.i. sein »absolutes SelbstErzeugen« (II,6,169) durch Freiheit, sondern auch sein ›was‹, d.i. die Bestimmtheit des Seins. Im nächsten Deduktionsschritt sollen Freiheit und Sein für das absolute Wissen in der Selbstanschauung nachgewiesen werden, denn das »innere weil schlechthin, soll mit dem innern was schlechthin verschmelzen, und diese Verschmelzung selbst soll innerlich, oder für sich seyn« (II,6,170). Die systematische Explikation der Verschmelzung wird in ihrem Resultat den Nachweis erbringen, daß sich das absolute Wissen am absoluten Sein selbst vernichtet, was sich unmittelbar im Gefühl der Gebundenheit manifestiert. In der Selbstanschauung soll das Wissen aber nicht nur seine Freiheit, sondern auch sein ›was‹, d.i. seine Bestimmtheit, finden. Die Bestimmtheit ist aber die Gebundenheit des Wissens. Da die Anschauung ein freies sich Erzeugen ist, würde in Folge der Gebundenheit das ›weil‹ in der Anschauung vernichtet. Die notwendige Konsequenz
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dieses Gedankens zeigt nun, daß sich das Wissen als Selbstanschauung des ›was‹ nicht zugleich als sein sich Erzeugen begreifen kann. Durch das Sein wird die Freiheit aufgehoben. Freiheit und Sein lassen sich nur miteinander vereinigen, indem man deren Verhältnisbestimmung von Form und Materie genauer untersucht: Durch die Materie, d.i. das Sein, wird die Form der Anschauung, d.i. das freie sich Erzeugen, vernichtet. Fichte gelangt zu dem Resultat, daß in diesem Fall die Form der Anschauung »schlechthin durch sich selbst in sich selbst« verschwindet (II,6,171), denn die Form der Anschauung besteht in einem »durch sich selbst vergessen, u[nd] vernichten des Wissen[s]« an seiner Bestimmtheit, d.h. an seinem »absolute[n] Was« (II,6,173). Daraus ergibt sich für Fichte die zwingende Frage: »Was ist nun dies für ein Bewußtseyn?« (II,6,179). Die Lösung der Frage läßt sich nur so denken, daß die Erscheinung (vgl. II,6,179) davon, daß sich das absolute Wissen vergißt und vernichtet, die Gebundenheit als die »absolute Form des Gefühls« (II,6,180) ist. In dem Gefühl der Gebundenheit manifestiert sich »ein Wissen, das sich schlechthin nicht als Wissen setzt, sondern als Sein und zwar als absolutes, auf sich selbst ruhendes Sein« (II,6,180). Hier ist das Wissen als Anschauung für Fichte an das Ende der Möglichkeit der Anschauung gekommen, denn an dieser Stelle hört es auf, Wissen zu sein: Es geht über in den Zustand des Nichtwissens und damit in die Sphäre des absoluten Seins. Das absolute Wissen »schwebt zwischen Seyn und Nichtseyn« (II,6,183). Der Zentralpunkt des absoluten Wissens liegt daher nicht »im sich fassen als Wissen [vermittels der formalen Freiheit und] auch nicht im sich vernichten am absoluten Seyn, sondern schlechthin zwischen beiden« (II,6,182). Das absolute Sein, an dem sich das absolute Wissen ein Ende setzt und das insofern eigentlich ein bloßes reines Sein, ohne alles Wissen ist, ist das »absolut Eine« und das ist Gott (II,6,193). Von diesem »sich selbst gleiche[n], unveränderliche[n], ewige[n] u unaustilgbaren – Seyn« (II,6,193) als Gott, sagt Fichte, daß, wenn man Gott »doch ein Andenken von Wissen und eine Verwandtschaft zum Wissen lassen« wolle, Gott im Zustand dieser ursprünglichen Gebundenheit als »Gefühl = A« (II,6,191) dem Subjekt zugänglich wird. Weiter führt er dazu aus, daß dieses Gefühl dem »Inhalte nach« das »Bewußtseyn einer Unveränderlichkeit [eines absoluten an sich Gebundenseins] des Wissens ist, von der man wohl das daß weiß, in Absicht eines warum aber und weil, sich in das absolute Nichtseyn des Wissens = dem absoluten Seyn [...] verliert« (II,6,197). Der Ursprung des Bewußtseins liegt in der Einheit von Freiheit
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der intellektuellen Anschauung und Innesein im Gefühl der Gebundenheit bzw. schlechthinnigen Abhängigkeit von dem absoluten Sein als Gott. 141 Die Erscheinung, daß das absolute Wissen in der Selbstreflexion am absoluten Sein ein Ende setzt, äußert sich dem Ich als Gefühl der Gebundenheit. Das absolute Wissen erfährt zwar in dem Gefühl der Gebundenheit das absolute Eine (vgl. II,6,193), das Gott ist. Als »absolute Form des Gefühls« (II,6,180) ist es aber noch nicht das bestimmte Gefühl des Glaubens an Gott. In dem Gefühl der Gebundenheit ist vielmehr der Glaube an Gott ursprünglich gegründet. Das Gefühl der Gebundenheit ist weder das Gefühl der Begrenzung, das dem Realitätsbewußtsein der Sinnenwelt zu Grunde liegt, noch ist es das Gewissen. Das Gefühl der Gebundenheit ist Fichte zufolge vielmehr ein unmittelbares Daseinsgefühl (vgl. II,6,269), in dem sich der Ursprung des Wissens und der Beginn der Individuierung des Menschen überhaupt manifestiert. Innerhalb dieses Kontextes rekurriert Fichte indessen nicht auf eine bestimmte Individualität, die ihre Darstellung in einer bestimmten Objektvorstellung oder in einer bestimmten Pflicht hat und damit auch nicht auf eine konkrete Stellung des Menschen innerhalb der göttlichen Heilsordnung.142 141. Ein für sich sein des Subjekts setzt das Absolute bzw. Gott als Grund seiner Bestimmtheit voraus (vgl. II,6,194). Mit der Wendung des Wissens zum Absoluten ist die sich schon in der nova methodo abzeichnende Konsequenz verbunden, nach der das absolute Wissen zur »bloßen Reflexionsform« herabgestuft wird, vgl. Wolfgang H. Schrader: a.a.O. 1989, S.189 ff.. Zur Wissenschaftslehre 1801 vgl. Wolfgang H. Schrader: a.a.O. 1972, S. 125 ff.. 142. Zum Gefühl der Gebundenheit vgl. Wolfgang Janke: a.a.O. 1970, S. 275 ff.. Zum Begriff des Gefühls der Gebundenheit und Abhängigkeit vgl. auch Friedrich Schleiermachers Auffassung von diesem Gefühlsbegriff. In Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern (1799) (hg. v. Hans-Jürgen Rothert, Hamburg 1958), sagt er, daß sich die Religion auf das Gefühl gründet (vgl. S. 29, 33, 35-43 u. 99). Das Wesen der Religion sei weder Denken noch Handeln, sondern Anschauung und Gefühl. In: Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt (1821 / 22) (hg. v. Martin Redeker, 2 Bde., Berlin 1960) bestimmt er dieses Gefühl näherhin als das Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit. Dort heißt es: »Die Frömmigkeit, welche die Basis aller kirchlichen Gemeinschaften ausmacht, ist rein für sich betrachtet weder ein Wissen noch ein Tun, sondern eine Bestimmtheit des Gefühls oder des unmittelbaren Selbstbewußtseins« (Lehrsatz zu § 3). »Das Gemeinsame aller noch so verschiedenen Äußerungen der Frömmigkeit, wodurch diese sich zugleich von allen andern Gefühlen unterscheiden, also das sich selbst gleiche Wesen der Frömmigkeit, ist dieses, daß wir uns unsrer selbst als schlechthin abhängig, oder, was dasselbe sagen will, als in Beziehung mit Gott bewußt sind« (Lehrsatz zu §4). Im Zustand des »Gefühls der schlechthinnigen Abhängigkeit« (§4) erkennt Schleiermacher die Einwirkung Gottes auf das menschliche Bewußtsein, das in diesem Gefühlszustand seine höchste Entwicklungsstufe erreicht. Im Unterschied zu Schleiermacher ist in Fichtes Wissenschaftslehre 1801 das »Gefühl der Gebundenheit« Anfangspunkt der Entwicklung der Subjekts und Ursprung der Beziehung des Subjekts zu Gott. Die höchste Entwicklungsstufe der Beziehung des Subjekts zu Gott manifestiert sich Fichte zufolge im Gewissen. Die Äußerungen des guten Gewissens indizieren dem Subjekt solchermaßen seine Abhängigkeit von Gott, dass es Gott als Grund seines Selbstbewußtseins
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Die Voraussetzung für die Individuierung des Menschen liegt in seiner Bestimmtheit. Dieser Gedanke resultiert daraus, daß das Gefühl der Gebundenheit die Manifestation des vollzogenen Quantitierens überhaupt ist, keineswegs aber das Setzen eines bestimmten Quantums (vgl. I,6,216). Denn dieses Gefühl ist der allgemeine Konzentrationspunkt (vgl. II,6,263) der Individuierung eines jeden Menschen. Somit äußert sich im Gefühl der Gebundenheit »ein Punkt des sich ergreifens des Wissens in der unendlichen Sphäre des Wissens« (II,6,262) überhaupt. Fichte verdichtet diesen Gedanken und formuliert, daß das Gefühl der Gebundenheit die Basis aller anderen Gefühle sei, mittels der sich der Mensch in einer bestimmten Objektvorstellung oder in der Ausübung einer bestimmten Pflicht individuiert. Als eine solche Basis fließt dieses Gefühl durch alles besondere Wissen hindurch und trägt dieses besondere Wissen genau so, wie es selbst vom absoluten Sein getragen wird (vgl. II,6,269). In seiner Verhältnisbestimmung zwischen dem absoluten Gefühl der Gebundenheit und den bestimmten Gefühlen wie z.B. dem Kraftgefühl, dem Selbstgefühl, dem Gewissen und den bestimmten Empfindungen wie rot oder süß, durch die das Individuum seine konkrete Bestimmtheit gewinnt, gelangt Fichte zu dem Schluß, daß das Gefühl der Gebundenheit in diesen Gefühlen und Empfindungen immer bereits mit enthalten ist, denn »das in der Zeit liegende discrete, die Reihe der wirklichen Gefühle, ist nach allem gesagten ein blosses, absolutes Wissen, durchaus als solches« (II,6,283). Sobald das Gefühl der Gebundenheit in seine einzelnen Konzentrationspunkte (vgl. II,6,263) zerlegt wird, erhält man bestimmte Gefühle und Empfindungen. Bemerkenswert angelegt ist dieser Gedanke der Entfaltung eines Grundgefühls von Fichte schon in seiner Explikation des Selbstgefühls in der nova methodo. Hinsichtlich der Konkretisierung des Individuums stellt sich Fichte nun die Aufgabe, vom Gefühl der Gebundenheit den Nachweis zu erbringen, wie aus ihm das Setzen eines bestimmten Quantums (II,6,216 ff.) erfolgt. Das Individuum muß überhaupt zu einem wirklichen Ich werden, das sich in einer durch Raum und Zeit bestimmten Sinnenwelt wiederfindet. In der Sinnenwelt soll es in der Gemeinschaft mit anderen vernünftigen Wesen sein Pflichtbewußtsein kultivieren, so daß es auf dem höchsten begreift. Vgl. zu diesem Problemkomplex auch Maciej Potepa: Die Wissenschaftslehre: die Auseinandersetzung Schleiermachers mit Fichte, in: Fichte-Studien Bd. 12, Amsterdam-Atlanta 1997, S. 285 ff. und Andreas Arndt: Gefühl und Reflexion. Schleiermachers Stellung zur Transzendentalphilosophie und Spekulation, in: Der Streit um die Gestalt einer Ersten Philosophie (1799-1807), hg. v. Walter Jaeschke, Hamburg 1993, S. 105 ff..
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Punkt seiner Entwicklung im Gefühl des Gewissens Gott als den Grund seines Bewußtseins erkennt. Die von Fichte vollzogene Deduktion führt nun zu dem Resultat, daß sich die einzelnen Schritte, durch die das Individuum überhaupt zu einem Bestimmten wird, als Konzentrationspunkte (vgl. II,6,263) des Gefühls der Gebundenheit bestimmen lassen. Die Form der Entwicklung seiner Individuationsschritte gilt für jeden Menschen. In der Darstellung der Entwicklung der Individualität verzichtet Fichte anders als in seinen früheren Schriften auf die Erörterung der Aufforderung. Da Fichte die Synthesis (vgl. II,6,269) des absoluten Seins mit dem absoluten Wissen, von der er das Gefühl der Gebundenheit als Manifestation des Ursprungs der Individualität abgeleitet hat, als ein Denken (vgl. II,6,269) bestimmt, resultiert für ihn daraus, daß »ich dich ausser mir stelle, nur denkend, nicht dich fühlend, wohl wissend, daß du es eben so machst« (II,6,270). Infolge der Bewußtwerdung dieser einzelnen Konzentrationspunkte (II,6,282) objektiviert jeder selbst (II,6,270) seine Individualität. Einzelne Menschen erleben sich erst dann als von einander unterschieden, wenn sie auf das unmittelbare Gefühl der Gebundenheit reflektieren. Hier nimmt ihre konkrete Individualität ihren Anfang, denn das absolute für sich Sein (vgl. II,6,276) des Menschen im Gefühl der Gebundenheit wird in der Reflexion, »die nothwendig ein Quantitiren ist, Construktion, und der Anfangspunkt derselben – eben der Repräsentant des unmittelbaren Ergreifungs = u[nd] Gefühls = Punktes – wird absolute, innere, immanente Kraft. Es ist die gefundene Freiheit« (II,6,276).
In der philosophischen Reflexion stellt sich die Individuiertheit des Menschen in der Bestimmtheit der Kraftäußerung dar. In der Bestimmtheit der Kraftäußerung liegt ihre Gerichtetheit auf ein spezielles Objekt. In der Wissenschaftslehre 1801 ebenso wie in den ihr vorhergehenden Fassungen der Wissenschaftslehre ist dieses Objekt für Fichte nicht etwas, das unabhängig vom Ich existiert, sondern das ihm immanent ist. »Das empirische Bewußtseyn ist daher – der Form nach ein an sich selbst gebundenes Wissen u[nd] nimmer aus sich, aus seinem eigenen Seyn [wenn Sie wollen dem unmittelbaren Gefühle] herausgehendes Wissen, der Materie nach, von einer, unter einem innern formalen Gesetze [d.i. das Sittengesetz] stehenden unendlichen Entwikelung der
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Kraft, die äusserlich unter dem Gesetz der Wechselwirkung steht« (II,6,279).
Fichtes Überlegungen führen nun zu dem Resultat, daß die Gefühle bzw. die bestimmten Empfindungen, die die Objekte der Wahrnehmung konstituieren, das »Resultat der Wechselwirkung« der Kraftäußerung des Individuums mit dem Universum (II,6,282) sind. Das Ergebnis der Kraftäußerung des Subjekts ist eine Empfindung. Die einzelnen Realität konstituierenden Empfindungen sind »Diskretionen, u[nd] Concretionen« (II,6,283) der Kraftäußerung des Menschen. Als solche stellen sie jeweils ein in einem Zeitmoment geschlossenes Bewußtsein dar, das für Fichte die Bedingung der Individualität ist. In dieser Annahme Fichtes liegt die von ihm in dieser Form der Wissenschaftslehre unausgesprochende These, daß die Vorstellung der Zeit über eine Folge von Gefühlen entsteht. Den Gedanken der Immanenz des Objektbewußtseins formuliert Fichte in der »Wissenschaftslehre 1801 in Bezug auf das Gefühl noch schärfer als in den vorhergehenden Formen der Wissenschaftslehre. Die Gewißheit des Wissens in der Wahrnehmung (vgl. II,6,284) gründet in einem »materiale[n] Gefühl« (II,6,284). Im Zustand des materialen Gefühls ist das »für [...] sich zu einem Momente [in der Empfindung] verschliessende Wissen [...] ein blosses reines Seyn« (II,6,284). Und diesen Gedanken konkretisierend formuliert er: »Nicht, der Strenge nach, das innere wird heraus getragen auf das Objekt, wie der tr[anszendentale] Id[ealismus] im Streit mit dem Dogmatismus sich wohl ausgedrükt hat, noch das objective kommt herein in das Gemüth, sondern beides ist eben durchaus Eins; das Gemüth subjectiv, u[nd] fühlbar genommen ist nichts andres denn die Welt selbst, und die Welt mit der wir hier es zu thun haben, die Sinnenwelt ist nichts anderes, denn das Gemüth selbst« (II,6,285).
Während in der Grundlage davon die Rede war, daß das handelnde Ich die Beschaffenheiten der Dinge aus sich auf die Objekte überträgt (vgl. I,2,440), fällt in der Wissenschaftslehre 1801 der Vorgang des Übertragens weg, denn das Gefühl, das infolge der Kraftäußerung entsteht, ist mit seiner Materie unmittelbar verschmolzen (vgl. II,6,285). Die weitere Bestimmung der Kraftäußerung führt Fichte zu folgendem Resultat: Die Kraftäußerung des Individuums geht in eine bestimmte Richtung (vgl. II,6,298). Das Gesetz, unter dem diese Richtung steht, ist das Sittengesetz (vgl. II,6,294). Das Ziel der Kraftäußerung ist die Verwirklichung eines Zweckbegriffs (vgl. II,6,299). Die Kraftäußerung selbst
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wird vom Individuum im Gefühl des Triebs (vgl. II,6,290) wahrgenommen. In Folge der Bildung und Verwirklichung des Zwecks entsteht in ihm eine höhere, der Natur gegenüber selbständige Denkreihe (II,6,299). Zwar hatte Fichte schon in der Sittenlehre erklärt, daß das Material, das in dieser Reihe vom Ich in die Einheit des Zweckbegriffs gebracht wird, aus der Natur stammt. Nun geht aber der neugebildete Begriff über die Natur hinaus. Bildet das Individuum einen Zweckbegriff, so löst es sich sowohl von der Natur und mit der Entscheidung, einen ganz bestimmten Zweck auszuführen, löst es sich auch von der Sphäre des intelligiblen allgemeinen Wissens ab und wird zu einem individuellen Ich »innerhalb dieser allgemeinen Grundform des Wissen[s]« (II,6,313 ff.). In der Bildung des Zweckbegriffs konkretisiert sich die reale Freiheit des Individuums. Da Realität aber nur dadurch zustande kommt, daß das Ich, d.i. das absolute Wissen, seine Bestimmtheit erhält, indem es sich am absoluten Sein, d.i. an der Sphäre des intelligiblen allgemeinen Wissens vernichtet, muß die Äußerung der realen Freiheit des Individuums als Resultat »der Wechselwirkung mit allen Wissenden« (II,6,308,3) gedacht werden. Denn für Fichte gibt es keine wahrnehmbare Freiheit des Einzelnen. Indem sich das einzelne Individuum seiner eigenen bestimmten Freiheit bewußt wird, weiß es die »Freiheit kat exochen« (II,6,321). Die Intelligenz stellt daher nicht Eins dar, sondern ein Mannigfaltiges, zugleich aber ein Geschlossenes, ein System von Vernunftwesen (II,6,317). Da die Freiheit des einzelnen Individuums nur im Zusammenhang mit der Freiheit des allgemeinen Wissens begriffen werden kann, ergibt sich für Fichte daraus die notwendige Folge, Intelligenzen in ihrer Wahrnehmnung als miteinander harmonisierend (vgl. II,6,317) denken zu müssen. Die Ordnung des Handelns der Individuen in diesem Wahrnehmmungssystem ist die Wirkung des Sittengesetzes, das »die tiefste Wurzel alles Wissens« (II,6,317) ist. Als »reeller Grund der Erfahrung« (II,6,301) vereinigt das Sittengesetz das Bewußtsein von der eigenen Realität mit dem Bewußtsein der Realiät der fremden Intelligenzen. Deutlich wird dadurch, daß das so bestimmte Individuum Mittelglied (vgl. II,6,315) zwischen Natur und Freiheit, Sinnenwelt und intelligibler Welt, einzelnem und allgemeinem Wissen ist. Während der Philosoph die durch das Sittengesetz gestiftete Harmonie und Identität im Denken, Wollen und Handeln der Individuen in der Sphäre des allgemeinen Wissens als Gott begreift, da diese Sphäre die Bestimmtheit des absoluten Wissens und damit die Möglichkeit eines Seins (II,6,319) überhaupt sichert, äußert sich für das Indi-
Das Gewissen und der Glaube an Gott
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viduum im unmittelbaren Leben die »tiefste Potenz« (II,6,321) dieser Erkenntnis des Philosophen im Gefühl (vgl. II,6,321). Dieses bestimmte Gefühl ist für Fichte das Gefühl des Gewissens. Gegen Ende der Wissenschaftslehre 1801 zeigt Fichte vom Gefühl des Gewissens, daß in ihm das Individuum zugleich das Gefühl der Freiheit einer bestimmten Kraftäußerung und die sittliche Qualität derselben als auch das Gefühl der Gebundenheit an die Sphäre des allgemeinen Wissens und d.i. an Gott fühlt, weil seine Bestimmtheit im Gewissen nur für es ist aufgrund seiner Gebundenheit an das Ganze der universellen Vernunft, d.i. an Gott. Im Kontext dieser Bestimmungsmerkmale liegt der Selbstbestimmung, die sich für das Individuum im Gewissen manifestiert, der Wechselbezug einer Bestimmung der Freiheit und des absoluten Seins (vgl. II,6,321) zugrunde. Richtet das Individuum im Gefühl der zustimmenden Äußerung seines Gewissens seine Handlung auf den Vernunftzweck (vgl. II,6,314), d.i. auf die Übereinstimmung aller Menschen untereinander, und wird der Vernunftzweck zugleich als Zweck Gottes mit den Menschen (vgl. II,6, 318) verstanden, so stellt sich dem Individuum mittels des im Gefühl des Gewissens aufgehobenen Gefühls der Gebundenheit an das absolute Sein die Gewißheit ein: es ist Gottes Wille, was ich tue und die guten Folgen meiner durch das Gewissen gebilligten Handlungen sind in seinem Plan (vgl. II,6,318) mit den Menschen enthalten. Mit diesem Schritt ist Fichte an einen Punkt gelangt, an dem er seine populärphilosophische Bestimmung des Gewissens in seinen Schriften zum Atheismusstreit wissenschaftlich einholt: Indem das Individuum seiner sittlichen Einsicht entsprechend handelt und der sich in seinem Gefühl des Gewissens manifestierenden Forderung des Sittengesetzes gehorcht, vernichtet es seine Individualität und wird selbst zur reinen Darstellung des Sittengesetzes in der Sinnenwelt (vgl. II,6,317). In diesem Zustand der vollkommenen Übereinstimmung mit sich selbst hebt es seine besonderen Konkretionen auf und geht in die Sphäre des intelligiblen allgemeinen Wissens ein. Im Gefühl des Gewissens als unmittelbares Bewußtsein der vollzogenen Vereinigung seiner selbst mit der Sphäre der universellen Vernunft empfindet sich der Mensch als sich und die Welt in und durch Gott (vgl. II,6,318) existierend.143 143. Mit dem Bewußtsein der Beziehung des Individuums zu Gott, das sich nach Fichte im Gewissen als moralisch-religiösem Gefühl manifestiert, ist der höchste Grad der Selbstobjektivierung des Subjekts erreicht. Der gefühlsmäßige Zustand, in dem das Subjekt Gott als seinen Realgrund erfährt, avanciert bei Fichte im Anschluss an die Wissenschaftslehre 1801 zum zentralen Gegenstand seiner Philosophie, die »im Ganzen immer mehr zur Religionsphilosophie«
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Kapitel VII
(Peter Rohs a.a.O. 1999, S.165) wird. Prägnant ist hierbei, daß das moralisch-religiöse Gefühl des Gewissens nicht mehr länger das höchste Gefühl ist, sondern nunmehr dem Gefühl der Liebe untergeordnet wird. In der Anweisung zum seligen Leben (1806) gibt Fichte eine Apotheose der Liebe (S. 167): Die Liebe ist die Ukraft der Sehnsucht und des Handelns. Das wahrhafte Handeln entfließt »der Liebe, so wie das Licht der Sonne zu entfließen scheint, und so wie der inneren Liebe Gottes zu sich selbst die Welt wirklich entfließt« (I,9,170). Daher ist es »durchaus vergeblich, dem der nicht in der Liebe ist, zu sagen: handle moralisch; denn nur in der Liebe geht die moralische Welt auf, und ohne sie giebt es keine« (I,9,169). »Die Liebe daher ist höher denn alle Vernunft, und sie ist selbst die Quelle der Vernunft, und die Wurzel der Realität, und die einzige Schöpferin des Lebens, und der Zeit« (I,9,167.).
Zusammenfassung
Die vorliegende Arbeit zielt darauf, die Entwicklung des Fichteschen Gefühlsbegriffs von 1780 bis 1801 historisch und systematisch von den Texten selbst her zu beschreiben und damit eine Monographie des Begriffs für den Zeitraum von 1780 bis 1801 zu erstellen. Angesichts der Vielfalt, Komplexität und Diversität der behandelten Texte sollten die Gesichtspunkte der Bearbeitung aus den wechselnden immanenten Perspektiven der Texte abgeleitet werden, um so Genese und Entwicklung des Begriffs des Gefühls in der Philosophie Fichtes schlüssig zu explizieren. Der Begriff des Gefühls ist in vielfacher Hinsicht ein zentraler Begriff der Fichteschen Philosophie. Wie kein anderes Element erscheint der Begriff des Gefühls als Vermittlungsinstanz: zwischen der theoretischen und der praktischen Vernunft, zwischen empirischem und absolutem Ich, zwischen Sinnenwelt und intelligibler Welt, zwischen sowie zwischen Spekulation und Leben und zwischen populärer und wissenschaftlicher Philosophie. Diese Vermittlungen vollziehen sich unter dem Primat der Praxis, denn das Gefühl gehört für Fichte zum praktischen Wissen. Im Gefühl äußert sich die eine Grundkraft des Subjekts, die sich im empirischen Subjekt im Wechsel zwischen theoretischen und praktischen Tätigkeiten wie Streben, Trieb, Wollen, Vorstellen, Reflektieren, Anschauen und Einbilden zeigt. Diese Grundkraft »allein ist es, [die die Subjekte] zu selbständigen, beobachtenden und handelnden Wesen macht« (I,6,340). Nach Fichte ist das Gefühl nicht nur als Vermittlungsinstanz, sondern auch als Manifestation der Autonomie des Subjekts und damit als moralische Instanz zu bestimmen. Vom Begriff des Gefühls her verwirklicht er die
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Zusammenfassung
Haupttriebfedern seiner Philosophie: Die Frage nach der Einheit des Bewußtseins und dessen Prinzipiierung durch die absolute Freiheit sowie die sittlich-religiöse Vervollkommnung des Menschen. Mit der Betonung des Gefühls steht Fichte in der Tradition der Aufklärung. Aus den zeitgenössischen Debatten zur Genese des Wissens, zur Kultivierung des Menschen, zu Fragen der Erziehung und der Religion und zum Verhältnis von populärer und wissenschaftlicher Philosophie, entlehnt er pädagogische, moralische, erkenntnistheoretische und religiöse Funktionen des Gefühls, wie sie jeweils von Gellert, Spalding, Rousseau, Gebhard, Kant und Jacobi vertreten wurden. Er grenzt sich von den zeitgenössischen Philosophen ab, indem er den Begriff des Gefühls als Bestandteil der systematischen Darstellung des menschlichen Geistes begründet. Im Begriff des Gefühls thematisiert er die Fundierung des Bewußtseins und die Selbstbezüglichkeit des Subjekts. Die sich in den verschiedenen Formen des Gefühls artikulierende ursprüngliche Selbstbeziehung des erkennenden, pflichtmäßig wollenden und glaubenden Subjekts deduziert Fichte im System der Wissenschaftslehre vom Prinzip des absoluten Ich. Der Begriff des Gefühls ist für Fichtes Philosophie in historischer und systematischer Hinsicht konstitutiv. Der Rekurs auf den Begriff des Gefühls findet sich schon in seinen Jugendschriften (Valediktionsrede, Predigten). Mit den dort entwickelten didaktischen und moralischen Funktionen des Gefühls thematisiert Fichte Möglichkeiten intellektueller Selbsttätigkeit und Formen praktischer Anwendung des rational Begriffenen. Darüber hinaus bestimmt er zugleich das Gefühl als Konstituens und Wegweiser sittlich-religiösen Lebens. Damit sind die Grundlagen für die im System der Wissenschaftslehre entwickelten Bestimmungen des Gefühls bereits angelegt (vgl. Kapt. 1). In der Entstehungssphäre der Wissenschaftslehre leitet Fichte mit der Grundlegung des moralischen Gefühls durch ein apriorisches, praktisches »Prinzip aller Philosophie«, mit der die Bestimmung des moralischen Gefühls als Medium, d.h. als Vermittlungsinstanz, einhergeht, in die systematische Bestimmung des Gefühlsbegriffs ein. Mittels der zunächst nur ansatzweise gelungenen Prinzipiierung des moralischen Gefühls stellt Fichte eine Gegenposition zu Hommels Determinismus auf, der, wie aus den Aphorismen hervorgeht, die Äußerungen des moralischen Gefühls als Täuschungen versteht. (Vgl. Kapt. 2) Die Deutung des moralischen Gefühls als Medium ist für ihn in der Theorie des Willens Voraussetzung zur Überwindung des Dualismus in der Kantischen »Zwei-Welten-Lehre«
Zusammenfassung
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(intelligible Welt der Freiheit – Welt der Notwendigkeit), die Fichte zufolge die Anwendbarkeit des Sittengesetzes in der Sinnenwelt unmöglich macht. In der Begriffsschrift bezieht er das »Prinzip aller Philosophie« auch auf die erkenntnistheoretische Funktion des Gefühls. (Vgl. Kapt. 3) Im System der Wissenschaftslehre bringt Fichte die erkenntnistheoretische Funktion des Gefühls im praktischen Teil der Grundlage (§ 5ff.) in Anschlag, um Kants ›Kopernikanische Wende‹ in der Kritik der reinen Vernunft im Hinblick auf die Freiheit des erkennenden Subjekts zu radikalisieren. Über Kants Begriff der Erscheinung hinausgehend, ist für Fichte das Bewußtsein des Objekts kein Kompositum aus apriorischen Voraussetzungen und empirischen Gegebenheiten, sondern insgesamt ein Produkt des Subjekts. Fichte begründet dies im Rahmen der Explikation einer Gefühlssequenz, in der sich die durch das absolute Ich prinzipiierte Selbstobjektivierung des erkennenden Subjekts stufenweise manifestiert. Der idealistisch-realistische Charakter der Gefühlssequenz zeigt sich daran, dass sich Fichte in der Frage, als was sich die Ergebnisse der einzelnen Deduktionsschritte der systematischen Rekonstruktion des Objektbewußtseins jeweils für das empirische Subjekt äußern, unausgesprochen auf Jacobis realistische Konzeption des Objektbewußtseins bezieht, der als einer der profiliertesten Vertreter der Gefühlsphilosophie in seinem David Hume dem Gefühl Erkenntnisfunktion zuspricht. (Vgl. Kapt. 4) In der Sittenlehre entwickelt Fichte seine Bestimmung des moralischen Gefühls in Fortführung seiner schon 1793 formulierten Kritik an Kant. Im Rahmen der Deduktion des moralischen Gefühls vom Prinzip der Philosophie weist Fichte nach, dass dieses Gefühl die Einheit des sittlichen Bewußtseins begründet, die für die Anwendbarkeit des Sittengesetzes notwendig ist. Im Zustand des moralischen Gefühls partizipiert das empirische Subjekt am apriorischen Prinzip des Bewußtseins. Dadurch sind die Freiheit der sittlichen Selbstbestimmung und das moralische Gefühl als subjektimmanentes Kriterium der Richtigkeit des sittlichen Urteils begründet. Da sich nach Fichte für das Subjekt alle Realität im Gefühl äußert, verbindet das moralische Gefühl das Bewußtsein vom Objekt der Pflicht mit dem sittlichen Urteil. Ferner konstituiert es als unmittelbare Manifestation der sittlichen Selbstgewissheit die auf die sittliche Kultivierung des Menschen zielende Popularphilosophie. (Vgl. Kapt. 5) In der nova methodo reflektiert Fichte das sich im moralischen Gefühl äußernde sittliche Selbstbewußtsein als einheitsstiftendes Zentrum des Bewußtseins und stellt es in einem fünffachen synthetischen Periodus dar, der sich aus dem absoluten Ich, theoretischer und praktischer Ver-
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nunft, Sinnenwelt und intelligibler Welt der reinen Vernunftwesen zusammensetzt. Die erkenntnistheoretische Funktion wird der moralischen Funktion des Gefühls subordiniert: Die Freiheit des erkennenden Subjekts, für die Fichte über Kants Rede von Raum und Zeit als a priori gegebenen reinen Formen sinnlicher Anschauung hinausgehend nachweist, dass nicht nur das Bewußtsein von den qualitativen Beschaffenheiten (realita) der Objekte, sondern auch das Bewußtsein ihres Daseins in Raum und Zeit qua Gefühl in der Selbsttätigkeit des Subjekts gründet, wird aus dem Sittlichen deduziert. In der im Rahmen seiner Theorie der Aufforderung durchgeführten Rekonstruktion des Selbstbewußtseins führt Fichte den Nachweis, dass der die Autonomie des Subjekts begründende sittlich bestimmte Bezug des Subjekts auf sich selbst und auf die Objekte der Sinnenwelt durch einen Mitmenschen initiiert ist. Im Zustand des moralischen Gefühls bildet das Subjekt mit seinem Mitmenschen eine Einheit, die die für Fichte bei Kant nicht nachgewiesene Anwendbarkeit des Sittengesetzes in Gesellschaft begründet. (Vgl. Kapt. 6) In den Schriften zum Atheismusstreit entwickelt Fichte aus der interpersonalen Verfaßtheit des moralischen Gefühls den religiösen Aspekt des Gefühls. Die vom moralischen Gefühl geforderte Übereinstimmung aller Menschen untereinander führt vermittelt über den Gedanken der Synthesis der Geisterwelt zum Begriff Gottes. Im Gegensatz zur kirchlichen Orthodoxie begründet für Fichte das Gefühl den lebendigen, autonomen Glauben des Subjekts. Laut der Wissenschaftslehre 1801 gipfelt die Selbstobjektivierung des Subjekts im Glauben an Gott. (Vgl. Kapt. 7) Im Gefühl des Glaubens an Gott, d.h. in der höchsten Ausprägung des Gefühls, offenbart sich dem Subjekt das Bewußtsein, dass es selbst und seine gesamte vernünftige und sinnliche Umwelt in und durch Gott existieren.
Abkürzungen
Der Zitation der Werke Fichtes liegt die J. G. Fichte-Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (hg. v. R. Lauth u.a., StuttgartBad Cannstatt 1964 ff.) zugrunde. Die römische Ziffer gibt die Reihe, die erste arabische Ziffer die Bandnummer und die zweite arabische Ziffer die Seitenzahl an (I: Werke; II: Nachgelassene Schriften; III: Briefe u. IV: Kollegnachschriften). A.L.: Alessandro Lazzari: Fichtes Entwicklung von der zweiten Auflage der Offenbarungskritik bis zur Rezeption von Schulzes Aenesidemus, in: Fichte-Studien Bd. 9, Amsterdam-Atlanta 1997, S. 181 ff.. B.W.: Bernd Witte (Hg.): Christian Fürchtegott Gellert Gesammelte Schriften, Bd. V, Berlin und New York 1997 D.H.: Friedrich Heinrich Jacobi: David Hume über den Glauben oder Idealismus und Realismus, Reprint des Originals von 1787 (Breslau) incl. der Vorrede zur zweiten Aufl. v. 1815, hg. v. Lewis White Beck, New York & London 1983. Zitate aus der Vorrede der zweiten Aufl. von 1815 sind mit der Abkürzung: ›D.H. Vorrede 2. Aufl.‹ gekennzeichnet. H.H.: Heinz Heimsoeth: J. G. Fichtes Aufschließung der geschichtlichen Welt, in: Studia e ricerche di storia della filosofia, Nr. 50, Torino 1962. KdU: Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft, hg. v. Karl Vorländer, Hamburg 1993. KpV: Immanuel Kant: Kritik der praktischen Vernunft, hg. v. Karl Vorländer, Hamburg 1993.
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Abkürzungen
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