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PARKER stört den ,Weihnachtsmann’ Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von John D. Acton Später sagten alle Zeugen übereinstimmend aus. er habe sie an einen freundlichen und gütigen Weihnachtsmann erinnert… Der große, imponierend aussehende Mann von rund sechzig Jahren trug eine runde, altmodische Nickelbrille, hinter deren Gläsern freundliche, braune Augen zu sehen waren. Die Wangen waren rosig angehaucht und zeugten vom häufigen Aufenthalt in der frischen Luft. Die knollige, große Nase war leicht gerötet und schien gerade einen kleinen Schnupfen hinter sich gebracht zu haben. Freundlich und vertrauenerweckend war dieser Mann anzusehen, auch dann noch, als er den Kassierer der Filiale der Nothern Time Bank in die Mündung einer unfreundlichen 38er blicken ließ und mit gütiger Stimme nicht mehr und nicht weniger als zwanzigtausend Dollar verlangte. Der Kassierer glaubte erfreulicherweise nicht eine Sekunde lang an einen dummen Scherz. Er erkundigte sich auch nicht nach einem eventuellen Bankguthaben. Er griff hastig in die Banknotenbündel und schob sie dem alten Herrn zu. »Müssen es genau zwanzigtausend sein?«, fragte er dazu mit leicht bebender Stimme, wobei er auf den Revolver schielte. »Ich will nicht eigensinnig sein«, antwortete der Herr und ließ die Banknotenbündel unter dem weiten Mantel verschwinden. »Hoffentlich sind Sie es auch nicht. Schlagen Sie erst Alarm, wenn ich die Bank verlassen habe! Haben wir uns verstanden?« »Natürlich. Sir!« gab der Kassierer jetzt mit versagender Stimme zurück und hielt sich an die Empfehlung dieses seltsamen Kunden. Er wartete, bis der ältere Herr die Filiale verfassen hatte, um dann allerdings den Alarm auszulösen. Während die Türen automatisch geschlossen und verriegelt wurden, während in der nahen Polizeistation Bereitschaftsbeamte nach ihren Waffen griffen und Streifenwagen per Funk zur Bankfiliale dirigiert wurden, schaute der Kassierer kopfschüttelnd auf den rotbackigen Apfel, den der Kunde auf dem Zahlbrett zurückgelassen hatte. 2
Am Stiel dieses Apfels war ein kleines Zettelchen befestigt, auf dem der Kunde ein fröhliches Weihnachtsfest wünschte. Der Kassierer wußte daraufhin nicht, ob er weinen oder lachen sollte. Die Polizei, die kurz danach am Tatort erschien, fühlte sich hingegen nur auf den Arm genommen. Ein Apfel, mochte er auch noch so frisch und rotbackig aussehen, war sicher kein Äquivalent für zwanzigtausend Dollar. Genauer gesagt sogar für sechsundzwanzigtausendvier-hundertachtzig Dollar, denn der freundliche alte Herr war ja keineswegs eigensinnig gewesen, wie er besonders betont hatte. * »Amüsant.«, sagte Mike Rander und blickte von seiner Morgenzeitung hoch. Butler Josuah Parker, der seinen jungen Herrn formgerecht bediente und in stiller Würde seitlich hinter dem Sessel stand, beugte sich andeutungsweise vor, um sein Interesse zu bekunden. »Ein Weihnachtsmann scheint in der Stadt aufgetaucht zu sein«, erklärte Rander und las die entscheidenden Phasen des Überfalls aus der Zeitung vor, sehr aufmerksam, daß er einen Apfel als eine Art Gegengeschenk zurückgelassen hat. »Der Täter muß Sinn für skurrilen Humor haben. Parker. Sie müßten dafür doch eigentlich Verständnis haben, oder?« »Nur in einem gewissen Rahmen, wenn ich das bemerken darf, Sir.« »Sie sind nicht amüsiert?« Rander schmunzelte und blättert weiter in der Zeitung herum. »Der Mann hat auf jeden Fall bereits seinen Spitznamen weg. Man nennt ihn den ,Weihnachtsmann’, weil er immerhin auch Gaben austeilt.« »Vorerst in der Form eines Apfels, Sir!« »Nein, nein, er hat schon in zwei anderen Städten Gaben verteilt.« Rander tippte auf die Zeitung, um sie dann wegzulegen, »mit diesem Trick hat er bereits in Detroit und Flint gearbeitet. Im ersten Fall schenkte er einem völlig verdutzten Kassierer einen Riegel Marzipan, in Flint bedachte er den Kassierer mit einer Krawatte.« »Um dann im nächsten Fall wohl Stahlmantelgeschosse zu verteilen, Sir!« 3
»Sie wirken auf mich heute sehr pessimistisch, Parker. Ist Ihnen eine Laus über die Leber gelaufen?« »Mitnichten. Sir! Ich fürchte nur, daß dieser Täter mit dem angeblichen Sinn für skurrilen Humor früher oder später zu einem Mörder werden könnte.« »Das könnte schon stimmen!« Mike Rander schmunzelte nicht mehr. Dann hüstelte er nervös und merkte, daß er auf dem besten Weg war, in Parkers Falle zu laufen. Er schloß: »Aber das ist schließlich nicht unsere Sache, Parker. Wozu haben wir schließlich die Polizei? Soll die sich mit diesem komischen Weihnachtsmann befassen.« »Wie Sie meinen, Sir!« »Kommen Sie nur ja nicht auf den Gedanken, sich in diesen Fall einzumischen«, warnte Rander eindringlich. »Auf keinen Fall«, Sir. Sie können sich, wie immer, fest auf meine bescheidene Wenigkeit verlassen.« »Hoffentlich«, antwortete Rander skeptisch. * Etwa um diese Zeit betrat ein mittelgroßer, schlanker Mann von etwa fünfundvierzig Jahren die Filiale der Chikago-Bank und schritt wie ein alter Kunde, selbstsicher und unauffällig zugleich, auf den Kassenschalter zu. »Zwanzigtausend Dollar«, forderte er höflich und ließ den Kassierer in die Mündung eines 38ers blicken, »schlagen Sie keinen Alarm, sonst muß ich schießen!« Der Kassierer, noch relativ jung, fühlte sich dummerweise veranlaßt, auf den Alarmknopf unterhalb des Schaltertresens zu treten. Er hatte diesen Alarmknopf noch nicht ganz berührt, als der unauffällige Herr schoß. Ohne sich um die entstehende Panik zu kümmern, drehte er sich um und ging nicht zu schnell zurück zum Ausgang, dessen Tür gerade von einem Bankangestellten geschlossen werden sollte. »Warten Sie einen Moment«, rief der Herr dem Angestellten zu, um dann sofort zu schießen. Der Bankangestellte schrie halblaut auf und rutschte in sich zusammen. Der Bankkunde stieg über sein Opfer hinweg und erreichte das Freie, ohne daß man ihn auf4
gehalten hätte. Er mischte sich unter die Passanten und war nach knapp zwei Minuten verschwunden, ohne eine Spur zu hinterlassen… * »Ich fürchte. Sir, meine pessimistische Betrachtungsweise ist durch die Realität erhärtet worden«, sagte Josuah Parker, als sein junger Herr die Abendausgabe der Zeitung überflog. »Wovon reden Sie, Parker?« »Von besagtem Weihnachtsmann, Sir, der diesmal als Gabe zwei verletzte Bankangestellte zurückgelassen hat.« »Warum erzählen Sie mir das? Wollen Sie mich für den Fall interessieren?« »Keineswegs. Sir.« Parkers Gesicht blieb unbeweglich. »Ich fürchte allerdings, daß dieser Täter im Verlauf seiner weiteren Überfälle noch brutaler werden wird.« »Wenn Sie sich nur nicht in den Finger schneiden. Parker.« Rander hatte den betreffenden Artikel gefunden und bereits überflogen, »diesmal trat ein rund fünf und vierzig jähriger Mann auf, mittelgroß, schlank. Das genaue Gegenteil des Weihnachtsmannes!« »Die Zeugenaussagen scheinen das zu belegen, Sir.« »Sie sind anderer Meinung?« »In gewissen Grenzen, Sir. Art und Weise des Überfalls deutet auf einen einzigen Täter hin.« »Der einmal groß und kompakt, dann wieder klein und schlank ist. wie? Wissen Sie. Parker, ich habe das Gefühl. Sie sehnen sich förmlich nach einem neuen Fall. Aber Sie wissen hoffentlich, daß ich nicht mitspielen werde. Ich habe schließlich noch einen Beruf und werde als Anwalt in meinem Büro gebraucht.« »Selbstverständlich, Sir!« »Dann sind wir uns also einig?« »Sir, ich würde mir niemals erlauben, anderer Meinung zu sein als Sie!« Rander lächelte. Er kannte die Versicherungen seines Butlers. Er wußte aus Erfahrung, daß Josuah Parker wie eine Katze das Naschen niemals lassen konnte. Diesmal hatte Mike Rander sich aber fest vorgenommen, neutral 5
zu bleiben. Die Arbeit in seinem Anwaltsbüro häufte sich. Gewiß, er hatte erstklassige Mitarbeiter, doch hin und wieder mußte er sich eben einschalten. Es gab wichtige Kunden, die einzig und allein von ihm vertreten werden wollten. Diesen Leuten, die sehr gut zahlten, durfte er nicht dauernd den Rücken weisen. Mike Rander beendete das ausgezeichnete Dinner, das sein Butler zubereitet hatte, und zog sich dann in sein Arbeitszimmer zurück. Er sah irritiert hoch, als wenig später sein Butler höflich anklopfte und eintrat. »Ist noch was?« fragte Rander und sah von einem Gesellschaftsvertrag hoch, den er gerade Punkt für Punkt ausarbeitete. »Ich möchte mich formgerecht und höflich für zwei Stunden entschuldigen, Sir!« »Sie gehen aus?« »Nur, wenn Sie meiner nicht mehr bedürfen. Sir.« »Nein, nein. Parker, ich brauche Sie nicht. Viel Vergnügen. Das heißt. Moment mal… Sie halten sich doch an unsere Abmachung, nicht wahr?« »Selbstverständlich. Sir! Ich möchte mir nur ein wenig die Beine vertreten. wie man so sagt. Die frische Abendluft wird mir, so hoffe ich sehr, guttun!« Josuah Parker verließ das Arbeitszimmer seines jungen Herrn und ließ einen nachdenklich-nervösen Mike Rander zurück… * »Ja, wie finde ich denn das!?« Mel Harvey nestelte an seiner Brille mit den Halbgläsern und strahlte den eintretenden Butler an. Er wieselte um die kleine Ladentheke herum und war ehrlich erfreut. Josuah Parker zu sehen. »Ich wünsche Ihnen einen freundlichen Abend«, sagte Parker gemessen, »ich darf wohl hoffen und unterstellen, Sie bei bester Gesundheit anzutreffen?« »Ob mir’s gut geht? Klar, Mister Parker. Immer ‘rein in die gute Stube. Nee, nicht hier. Wir gehen ‘rüber in mein Privatbüro!« Parker sah sich wieder einmal interessiert in der Pfandleihe von Mel Harvey um. Der große Kellerraum, der als Ladenlokal diente, war bis zur Decke vollgestopft mit Krimskrams aller Art. Bei Harvey konnte man alten Schmuck kaufen, Musikinstrumente, Uhren, 6
Radios, Kleider und Schuhe, Antiquitäten, Gemälde, anrüchige Fotos und Funkgeräte, Möbel, Bestecke, Schnaps und schließlich auch Gegenstände, die er noch gar nicht hatte, aber prompt besorgte. Mel Harvey wurde von der Polizei als Hehler bezeichnet, aber gegen diese Unterstellung wehrte er sich stets. Mit Erfolg übrigens, denn nur in seltenen Fällen hatte man ihm bisher etwas nachweisen können. »Kann ich irgendwas für Sie tun?« fragte Harvey, nachdem er für seinen Gast einen alten Stuhl freigeräumt hatte. »Ich wette, Sie sind nicht gerade zufällig hier bei mir vorbeigekommen.« »Sie würden diese Wette gewinnen, Mister Harvey«, antwortete der Butler würdevoll und legte seine schwarze Melone ab. »Ich möchte von Ihnen einige Nachrichten erstehen.« »Hatte ich mir schon fast gedacht.« Mel Harvey grinste und rückte sich seine Brille zurecht, »hinter wem sind Sie her?« »Ich interessiere mich für den ,Weihnachtsmann’!« »Den ,Weihnachtsmann’…?« Harvey hüstelte und hatte wieder mit seiner Brille zu tun, die ihm unentwegt über die Nase wegrutschen wollte. »Sie haben völlig richtig verstanden, Mister Harvey!« »Tut mir leid, den kenne ich nicht!« Harvey schüttelte ratlos den Kopf. »Sind Sie sicher? Haben Sie nicht irgendeinen bestimmten Verdacht?« »Nichts! Aber ich kann Ihnen im Vertrauen sagen, Mister Parker, daß Sie nicht der erste sind, der sich nach ihm erkundigt hat.« »Ich erwärme mich für dieses Thema.« »Hank Studdel war hier und wollte auch ein paar Nachrichten über den ,Weihnachtsmann’ kaufen.« »Sehr aufschlußreich.« »Studdel war wütend, das kann ich Ihnen sagen. Es paßt ihm nicht, daß sich in seinem Bezirk dieser ,Weihnachtsmann’ ‘rumtreibt. Aber der wird wohl darauf pfeifen.« »Ich darf mich darauf verlassen, Mister Harvey. daß Sie mir nichts verschwiegen haben?« »Hören Sie, Mister Parker. Ich weiß genau, daß Sie mir damals aus ‘ner verdammten Patsche ‘rausgeholfen haben. Das werde ich Ihnen nie vergessen. Ich würde Sie nicht belügen, Sie nicht!« »Ich möchte es sehr hoffen. Der Begriff ,Weihnachtsmann’ ist 7
Ihrer Meinung nach also erst von der Presse geboren und erfunden worden?« »Ganz sicher. Wirklich, vorher hab ich noch nie von diesem ,Weihnachtsmann’ gehört. Wenn Sie mich fragen, dann handelt es sich um einen Einzelgänger. Um einen ganz verflixten Einzelgänger, der sein Handwerk versteht. Vielleicht ist er aus ‘ner anderen Stadt zu uns nach Chikago gekommen.« »Laut Zeitungsmeldungen muß er schon in Detroit und Flint gearbeitet haben. Bestehen Geschäftsbeziehungen Ihrerseits zu diesen beiden Städten?« »Na, ja, man hat so seine Verbindungen, Mister Parker. Ich müßte mal dort ‘rumfragen, aber versprechen kann ich nichts.« »Ich hoffe, Ihnen in irgendeiner Form eines Tages danken zu können. Mister Harvey.« Josuah Parker griff nach seiner schwarzen Melone und verließ die Pfandleihe, ohne in diesem Moment zu ahnen, daß man ihm nicht umsonst nachsagte, er zöge Verbrecher und Verbrechen an wie ein Magnet Eisenfeilspäne… * Josuah Parker schritt gemessen und würdevoll zurück zu seinem hochbeinigen Monstrum, das er auf einem nahen Parkplatz abgestellt hatte. Er dachte wirklich nicht an unangenehme Zwischenfälle, zumal er im Augenblick wirklich keinen anderen Fall verfolgte. Er hatte den besagten Parkplatz aber noch nicht ganz erreicht, als seine Aufmerksamkeit erregt wurde. Aus einem um diese Zeit noch geöffneten Juweliergeschäft kam eine nette, ältere Dame in leicht altmodischer Kleidung. Sie trug eine etwas altertümlich geschnittene Brille und hatte das auf dem Kopf, was man einen Kapotthut nannte. Umständlich zog sie die Tür des Geschäfts hinter sich zu. eine Tatsache, die den Butler bereits stutzig werden ließ. Kunden in Geschäften solcher Klasse wurden an die Tür geleitet. Und zudem öffnete man ihnen überhöflich die Tür, auch dann, wenn nichts gekauft wurde. Parker blieb also unwillkürlich stehen und sah der älteren, wirklich netten Dame nach, die auf ein Taxi zuschritt und umständlich darin Platz nahm. Die Tatsache, daß ein freies Taxi auf einen Kunden wartete, ließ den Butler nun zusätzlich stutzig werden. Ein freies Taxi um diese 8
späte Zeit, das war so etwas wie ein Wunder. Als das Taxi sich in Bewegung setzte, stürzte eine hellblonde, etwas zu sehr aufgemachte Verkäuferin aus dem Geschäft und schrie mit leicht erstickter Stimme um Hilfe. Danach brach sie in sich zusammen und blieb auf der Türschwelle liegen. Parker war alarmiert. Die Hellblonde oder das Taxi. Er mußte sich entscheiden. Und Parker entschied sich, zumal die ersten Passanten bereits auf die junge Verkäuferin zuliefen, um ihr erste Hilfestellung zu leisten. Das Taxi hatte weiter Fahrt aufgenommen und hielt genau auf den Butler zu. der sich am Straßenrand aufgebaut hatte und den Wagen mit seinem Universal-Regenschirm mehr als energisch abwinkte. Der Taxifahrer scherte sich nicht daran. Für den Bruchteil einer Sekunde konnte der Butler in das Gesicht des Fahrers sehen. Ein glattes, volles, nichtssagendes Gesicht unter einer tief in die Stirn gezogene Mütze. Im Fond des Wagens saß jene nette, ältere Dame mit dem Kapotthütchen auf dem Kopf. Sie beschäftigte sich mit ihrer Handtasche und schien das energische Abwinken überhaupt nicht mitbekommen zu haben. Parker trat, um seinem Winken Nachdruck zu verleihen, etwas auf die Fahrbahn hinaus, mußte sich aber fluchtartig zurückziehen, um nicht angefahren zu werden. Das Taxi rauschte an ihm vorbei. Parker wurde unwillig, was ihm nicht oft passierte. Instinktiv ahnte er einen gewissen Zusammenhang zwischen der ohnmächtig gewordenen Verkäuferin und der alten Dame im Taxi. Um jene ältere Dame zu befragen, mußte er das Taxi stoppen. Schießen war unmöglich. Einmal, weil gewisse Beweise fehlten und er auf keinen Fall einen gefährden konnte. Zum anderen aber fehlte ihm seine Schußwaffe. Er hatte auf sie verzichtet, als er die Dachgartenwohnung seines jungen Herrn verlassen hatte. Was war zu tun? Josuah Parker wußte sich selbstverständlich zu helfen. Er nahm seine stahlblechgefütterte schwarze Melone vom Haupt und schleuderte sie als eine Art Diskus dem Taxi nach. Er traf zielsicher! Die Melone landete auf dem Rückfenster des Taxis, zerschmetterte machtvoll die Scheibe und verschwand im Wageninnern. Das Taxi geriet aus dem Kurs, tat einen Schlenker und krachte 9
dann mit dem Kühler gegen einen Hydranten, der freundlicherweise in unmittelbarer Nähe stand. Es gab leider einen Auflauf in Form einer Gruppe neugieriger Passanten. Parker hielt es für unangebracht, diesmal zu sehr auf Würde zu halten. Er schritt schneller als gewöhnlich aus um möglichst schnell zum Taxi zu gelangen. Als er sich seinen Weg durch die neugierige Menge gebahnt hatte, die von Sekunde zu Sekunde immer größer wurde, sah er auf den ersten Blick, daß die nette ältere Dame nicht mehr vorhanden war. Sie mußte es, vorgezogen haben, das Weite zu suchen. Der Taxifahrer hingegen war noch zu sprechen, wenn auch nicht im Moment. Die Melone hatte ihn noch erwischt und ihn zeitweilig abtreten lassen. Der Fahrer lag ohnmächtig auf dem Steuerrad und wartete darauf, von der Polizei abgeholt zu werden… * »Sie wollen mir doch nicht erklären, daß Sie rein zufällig in der Gegend waren?« Leutnant Madford von der Mordabteilung der Stadtpolizei Chikago sah den Butler mißtrauisch und cholerisch zugleich an. »Sagen Sie schon die Wahrheit, Parker, man hatte Ihnen irgendeinen Tip gegeben!« »Ich muß bedauern«, erwiderte Parker zurückhaltend. Er stand höflich und würdevoll im Arbeitszimmer seines jungen Herrn und trug ein Silbertablett auf der rechten Hand. Er hatte Madford und dessen Sergeant McLean vor etwa zehn Minuten eingelassen und sie zu seinem jungen Herrn gebracht. »Parker, verschweigen Sie nichts«, warf Rander unnötigerweise ein, »haben Sie wirklich nichts gewußt?« »Ich möchte betonen, Sir, daß ich die Wahrheit und nichts als die Wahrheit gesagt habe. Darf ich jetzt die gewünschten Erfrischungen servieren?« »Natürlich!« Rander wandte sich an Madford, der grimmig am übergroßen Fenster stand und hinaus auf den See sah… »Sie wissen doch, wie das mit Parker ist, Madford. Sie erleben das doch nicht zum erstenmal. Er braucht sich nur ein paar Zigarren zu kaufen, und schon läuft ihm irgendein Verbrechen nach…« Madford drehte sich um und griff mürrisch nach dem Glas, das Parker ihm auf dem Silbertablett reichte. Sergeant McLean, der 10
breitschultrige Mann, der stets an einen Grislybären erinnerte, hatte sich bereits bedient und strapazierte mit seinem Körpergewicht einen Ledersessel. »Was haben Sie denn über diesen Taxifahrer herausbekommen?« Rander stellte die Frage, um Madford abzulenken, »irgendein Kunde von Ihnen?« »McLean, sagen Sie schon, was wir wissen!« Madford, klein, drahtig, cholerisch, mit einem messerscharfen Bärtchen auf der Oberlippe, vergaß für einen Moment den Butler. McLean räusperte sich und brachte damit bereits die Statik der Fensterscheibe in leichte Unordnung. Dann griff er umständlich nach einem abgewetzten Notizbuch, blätterte, quälend suchend darin herum und vorlas: »Taxifahrer. etwa fünfundvierzig Jahre alt. mittelgroß, vollschlank, etwa einhundertachtzig Pfund schwer, Lücke in der oberen Zahnreihe, und…« »Mensch, fassen Sie sich kurz!« fuhr Madford seinen vertrauten Mitarbeiter an, »ich will hier keinen Roman hören.« »… der hiesigen Polizei unbekannt, verweigert die Nennung seines Namens und jede weitere Aussage«, las McLean ungerührt weiter vor, »das bewußte Taxi war als gestohlen gemeldet und somit wiedergefunden worden.« »Das ist alles«, sagte Madford und nahm endlich Platz. »Mehr haben wir bisher nicht herausfinden können. Rander, mehr als mager, ich weiß, aber was sollen wir machen?« »Keine Ahnung.« »Sie sind sicher, daß im Fond eine ältere Dame saß?« sagte Madford und beschäftigte sich wieder mit dem Butler. »Dafür kann ich mich verbürgen, Sir! Sie kam aus dem Juweliergeschäft, das laut Ihrer Aussage teilweise ausgeräumt wurde!« »Die besten Stücke ließ diese Frau mitgehen«, wiederholte Madford mit tragisch verschleierter Stimme, »sie kam in den Laden und hielt plötzlich eine Pistole in der Hand. Sie bat die Verkäuferin höflich, ihr die Tasche mit ausgesuchten Schmuckstücken zu füllen!« »Und ließ laut Aussage der Miß Ann Harper als eine Art Geschenk ein paar gestickte Taschentücher zurück«, erklärte McLean mit neutraler Stimme. »Bei der Stickerei handelte es sich um Hohl… Hohl… um Hohlsaumstickerei, wie unser Labor feststellte!« McLean schien sich das Wort »Hohlsaumstickerei«, nicht deutlich 11
ins Notizbuch geschrieben zu haben. Er mußte dieses Wort einige Male studieren, bevor er es herausbrachte. »Das alles sieht aber verdammt nach dem ,Weihnachtsmann’ aus«, stellte Mike Rander fest und sah Madford fragend an. »Sie haben vergessen, daß dieser ,Weihnachtsmann’ bisher ein Mann war«, sagte Madford ironisch. »Dies, Sir, nimmt man bisher an«, korrigierte der Butler aus dem Hintergrund. »Was soll das heißen? Sie wissen also doch mehr, Parker? Raus mit der Sprache, bevor ich unangenehm werde!« »Ich habe mir nur erlaubt, Sir, einen gewissen Zweifel zu artikulieren«, antwortete Parker gemessen. »Wieso Zweifel, glauben Sie, daß wir es bei diesem ,Weihnachtsmann’ mit einer Frau zu tun haben?« Madford lachte gequält ironisch auf. »Dies, Sir, vermag ich wirklich nicht zu sagen! Man muß abwarten, in welchem Aufzug der ,Weihnachtsmann’ sich in der Zukunft präsentieren wird!« »Zuerst war der ,Weihnachtsmann’ groß und schwer, dann klein und vollschlank und jetzt ist er eine nette, ältere Dame.« Madford lächelte abfällig-höhnisch. »Parker, diesmal sind Sie auf dem Holzweg. Ich will Ihnen mal etwas sagen. Wir haben es nicht mit einem, sondern jetzt schon mit drei Weihnachtsmännern zu tun! Das Beispiel macht Schule, wenn Sie es genau wissen wollen. Ich möchte nicht wissen, in welcher Aufmachung sich die nächsten Gauner zeigen werden.« * Für den Butler war der Tag beendet, nachdem sich Lieutenant Madford und Sergeant McLean verabschiedet hatten. Mike Rander bedurfte der stillen Aufmerksamkeiten seines Butlers nicht mehr und verabschiedete sich von ihm, worauf Josuah Parker hinüber in seine Privaträume des Penthouse ging. Für ihn war es selbstverständlich noch viel zu früh, um zu Bett zu gehen. Parker sah sich also in seiner privaten Bastelstube um und gab sich seinem Hobby hin. Er erfand und bastelte kleine, hin und wieder sogar liebenswürdige Überraschungen für die Unterwelt. Dabei achtete er strickt darauf, daß diese Bastelarbeiten 12
stets en miniature angefertigt wurden. Für extreme Kompaktbauweise hatte der Butler schon immer etwas übrig gehabt. Josuah Parker beschäftigte sich gerade mit einem vollkommen harmlos aussehenden Kugelschreiber, den er in eine Kleinstsprühdose verwandeln wollte, als das Telefon sich meldete. Parker hatte, um seinen Herrn nicht zu stören, das Gerät umgeschaltet und brauchte nur in den Verbindungstrakt zwischen den beiden Wohnteilen zu gehen. Er hob ab und meldete sich. »Hier spricht der ,Weihnachtsmann’«, meldete sich eine sehr undeutliche Stimme. »Josuah Parker, Butler des Mister Rander«, stellte Parker sich seinerseits vor, ohne auch nur die Spur von Überraschung zu zeigen, »ich bin ehrlich erfreut, von Ihnen angerufen zu werden.« »Ob das eine Freude ist, wird sich noch herausstellen«, sagte die sehr undeutliche Stimme, von der man nicht sagen konnte, ob sie einer Frau oder einem Mann gehörte. »Sie haben sich erfrecht meine Geschäfte zu stören. Dafür werde ich Sie zur Rechenschaft ziehen.« »Und in welcher Form, wenn ich höflichst fragen darf?« »Ich werde Sie ermorden«, sagte der Weihnachtsmann sehr unchristlich, »ich werde Sie umbringen. Und zwar innerhalb der kommenden drei Tage.« »Sehr freundlich, mir diese Frist zu nennen«, bedankte Parker sich gemessen, »ich muß gestehen, daß Sie mich ein wenig verlegen und stolz zugleich machen.« »Wie?« Der Weihnachtsmann schien überrascht zu sein. »Nun, ich möchte es so interpretieren«, schickte der Butler voraus, »Sie schenken einem müden, alten und relativ verbrauchten Mann einiges Interesse, wie ich unterstellen darf, daraus schließe ich, daß Sie weitere Störungen durch meine Person befürchten. Daraus wiederum ist abzuleiten, daß Sie diesen alten, müden und relativ verbrauchten Mann in etwa fürchten!« »Moment. Ich soll Sie fürchten?« Der Weihnachtsmann lachte meckernd auf, »das kann doch nur ein Witz sein, wie?« »Ich kenne die Art und Weise Ihres Humors nicht.«, redete der Butler würdevoll weiter, »ich weiß nur, daß Sie meine Wenigkeit umzubringen gedenken. Gewiß wohl nicht aus einer gewissen Langeweile heraus.« »Ich bringe jeden um, der sich mir in den Weg stellt!« »Nehmen Sie davon aber Ihren Psychiater aus, falls Sie sich von 13
solch einem Spezialarzt beraten und betreuen lassen. Falls dies noch nicht der Fall ist, würde ich zu einigen Sitzungen raten.« Auf der Gegenseite blieb es jetzt still, obwohl nicht aufgelegt wurde. Der ,Weihnachtsmann’ verdaute wohl erst noch die Anzüglichkeiten, die der Butler allerdings sehr höflich verpackt hatte. »Halten Sie mich für verrückt?« erkundigte der ,Weihnachtsmann’ sich schließlich. Die Stimme blieb nach wie vor verzerrt und undeutlich. »Ich bedaure unendlich, aber ich fürchte, ich habe gewisse Anzeichen dafür festgestellt.« »Diese Frechheit werden Sie bereuen, Parker!« Die undeutliche Stimme des »Weihnachtsmannes« wurde schrill. »Innerhalb von drei Tagen, ich weiß!« Parker legte keinen weiteren Wert mehr auf diese Unterhaltung. Er legte einfach auf und blieb abwartend neben dem Telefon stehen. Er wußte fast mit letzter Sicherheit, daß der ,Weihnachtsmann’ sich erneut melden würde. * »Und er rief wieder an. Parker?« Mike Rander sah seinen Butler kopfschüttelnd an. »In der Tat. Sir. nach genau viereinhalb Sekunden erfolgte der zweite Anruf dieses »Weihnachtsmannes«, wenn ich bei diesem Spitznamen bleiben darf, besagter ,Weihnachtsmann’ schien immens erbost darüber gewesen zu sein. daß ich es wagte, einfach aufzulegen.« »Und was sagte er?« Rander ließ sich von Parker in den Morgenmantel helfen. »Besagter ,Weihnachtsmann’, Sir. wiederholte seine Drohungen, allerdings mit gewissen Einschränkungen.« »Aha.« Rander ließ sich von Parker Feuer geben und rauchte eine Zigarette an. »Zur Strafe für mein vorzeitiges Auflegen, Sir, beabsichtigt der ,Weihnachtsmann’, meine Wenigkeit bis zum Morgengrauen in das zu schicken, was er das Jenseits nannte.« »Er will sie noch in dieser Nacht umbringen?« »So drückte er sich aus. wenn auch wesentlich blumiger, wenn 14
ich diese Umschreibung verwenden darf.« »Sie nehmen diese Drohung auf die leichte Schulter?« »Keineswegs, Sir. Leichtsinn bei der Verbrechensbekämpfung kann nur zu einem unnötigen, frühen Tod führen. Wenngleich ich bemerken möchte, daß dieses Penthouse einen ungewöhnlichen Schutz bietet, wie die Vergangenheit schon oft bewiesen hat.« »Dieser ,Weihnachtsmann’ scheint Phantasie zu haben, Parker. Verbrecher mit Phantasie sind gefährlich, sie lassen sich nämlich etwas einfallen. Ist der Dachgarten abgesichert?« »Selbstverständlich, Sir! Die Fernsehübertragungsanlage ist eingeschaltet, die übrigen Sicherungen arbeiten. Ich kann mir nicht vorstellen, wie besagter ,Weihnachtsmann’ hier eindringen will.« »Vielleicht hat er das überhaupt nicht vor.« »Wie sollte er dann…?« Parker neigte sich höflich vor, als sein junger Herr mit einer schnellen Handbewegung unterbrach. »Wenn er Sie umbringen will, braucht er nicht hier einzudringen«, sagte Rander, »es würde genügen, das Penthouse in die Luft zu jagen. Sagen wir, von einem Hubschrauber aus.« »Diese Möglichkeit besteht allerdings, Sir! Wenn Sie erlauben, werde ich in aller Kürze einige Gegenmaßnahmen ergreifen.« »Einverstanden, aber verzichten Sie darauf Flugabwehrraketen zu installieren, Parker.« Rander lächelte amüsiert, »wir leben schließlich nicht allein in Chikago!« * »Ich weiß nicht. Ich weiß nicht!« Mike Rander schüttelte zweifelnd den Kopf, als er neben Parker Platz nahm, der daraufhin sein hochbeiniges Monstrum aus der Tiefgarage des Bürohochhauses hinauf zur Straße steuerte. »Wenn wir Pech haben, laufen wir diesem ,Weihnachtsmann’ direkt in die Arme!« »Ich möchte es sehr hoffen, Sir!« »Man könnte Leichtsinn dazu sagen, Parker.« Rander fingerte nach seinem 45er und sah etwas hinaus aus dem Wagen. »Wenn Sie erlauben, Sir, möchte ich widersprechen. Mir liegt daran, das Penthouse vor Ungemach zu bewahren. Und dies kann nur geschehen, wenn Sie und meine Wenigkeit es verlassen und hinaus in die freie Natur fahren.« 15
»Sie rechnen damit, daß der ,Weihnachtsmann’ uns beobachten läßt?« »Mit letzter Sicherheit, Sir, zumal ich während des zweiten Gespräches deutlich durchblicken ließ, daß ich den Inhalt beider Unterhaltungen der Presse zur Verfügung stellen würde.« »Du lieber Himmel!« Rander hatte begriffen und seufzte auf. »Ich möchte den ,Weihnachtsmann’ dazu bringen, Sir, unvorsichtig zu werden.« »Danke. Das ist mir jetzt klar.« »Ich hoffe weiter. Sir, daß er sich nicht blamieren will.« »Und ich hoffe, daß er nur Unsinn geredet hat!« Mike Rander fühlte sich nach wie vor unbehaglich. »Ob Sie es glauben oder nicht, Parker, ich hänge an meinem Leben!« Parker konzentrierte sich auf den nächtlichen Verkehr in den Straßen des Loop. Er steuerte sein hochbeiniges Monstrum hinaus auf eine Ausfallstraße und war offensichtlich bestrebt, etwaige Verfolger und Mörder auf das flache Land zu ziehen. Ob sie verfolgt wurden, ließ sich vorerst nicht ausmachen, dazu war der Verkehr noch zu groß. Erst später, als sie bereits auf der Ausfallstraße waren, wurde die Lage kritischer. Hatte sich dieser Ford dort an sie gehängt? Oder befanden sich in jenem Buick die erwarteten Verfolger? War der Chrysler auf sie angesetzt worden, oder der Chevrolet hinter dem großen Lastwagen? »Nun sagen Sie doch endlich etwas?« meinte Rander endlich zu seinem Butler, »was sagt denn Ihr sechster Sinn?« »Ich möchte mich nicht festlegen, Sir, doch ich glaube, daß Sie und meine Wenigkeit von einem Dodge verfolgt werden.« »Dodge? Wo?« »Jener Wagen, Sir, der zur Straßenmeisterei gehört. Er befindet sich in diesem Moment genau sechs Wagen hinter dem unsrigen!« »Wo denn? Habe ich überhaupt nicht bemerkt.« »Sie können versichert sein, Sir, daß ich mich nicht getäuscht habe. Der betreffende Wagen bleibt hartnäckig auf unserer Spur!« »Angenommen, Sie haben recht. Wie soll es weitergehen?« »Ich würde raten, bald von der Hauptstraße abzuzweigen, um dem Spiel ein vorläufiges Ende zu bereiten.« »Wir stellen dem Dodge eine Falle?« »Ähnliches schwebt mir in der Tat vor, Sir!« 16
»Dann lassen Sie mal schweben, Parker. Hauptsache, wir kommen heil zurück in die Stadt!« »Dafür möchte ich in Grenzen eine gewisse Garantie übernehmen.« »Hört sich aber nicht sehr ermutigend an!« »Gewiß. Sir, zumal wir es mit einem Verbrecher zu tun haben, der über Phantasie verfügt.« »Wie sieht Ihr Plan aus?« »Mein Wagen verfügt seit einigen Tagen über das, was man einen Autopiloten nennt, Sir. Ähnliche Geräte werden bereits in der Fliegerei mit Erfolg eingesetzt!« »Wie beruhigend!« Rander holte seine 45er aus der Halfter und entsicherte sie. »Und was soll dieser Autopilot tun, wenn ich mal so ganz nebenbei fragen darf?« »Darf ich hoffen. Sir, Sie ein wenig überraschen zu können?« »Ich bin davon überzeugt, daß Ihnen das wieder einmal gelingen wird!« Rander seufzte auf. Die Überraschungen seines Butlers waren ihm vertraut. Bisher war er noch immer voll auf seine Kosten gekommen. * Das hochbeinige Monstrum rollte in die Dunkelheit hinein. Die voll aufgedrehten Scheinwerfer bohrten sich in die Nacht und leuchteten die schmale Schotterstraße aus, auf der es sich bewegte. Dieser Schotterweg führte auf eine Kiesgrube zu, die aber nur zu erahnen war. Im Licht einiger Hängelampen konnte man etwa zweihundert Meter voraus einige Hochsilos sehen, deren oberer Rand aus der tiefen Kiesgrube hervorragten. Gegen den Nachthimmel und den aufkommenden Mond hob sich das Gestänge eines Kiesbaggers ab. Das Monstrum wurde langsamer, schien sich vorsichtig voranzutasten, obwohl die Scheinwerfer an Leuchtkraft nicht nachgelassen hatten. Bald darauf war die Rampe erreicht, die hinunter in die Kiesgrube führte. Das hochbeinige Monstrum schien einen Anlauf zu nehmen und war dann plötzlich von der Schotterstraße verschwunden. Es rollte hinunter in die Grube. Hier angekommen, blieb es plötzlich stehen. Das Licht wurde 17
ausgeschaltet, der Motor erstarb. Stille breitete sich aus. Eine unheimliche, lastende Stille. Diese Stille wurde unterbrochen von einem daherpreschenden Wagen, der ebenfalls in Richtung Kiesgrube fuhr und wenig später, erheblich schneller als das Monstrum, auf der Rampe nach unten verschwand. Plötzlich zerriß die Dunkelheit im grellen Aufleuchten einer Leuchtbombe. Kalkig-weißes Licht leuchtete die Kiesgrube bis in den letzten Winkel aus. Das hochbeinige Monstrum in der Nähe eines der Hochsilos, war leer. Von Mike Rander und Josuah Parker war im Moment nichts zu sehen. Neben dem Dodge standen zwei mittelgroße Männer, die Strumpfmasken trugen und sich mit je einer schallgedämpften Maschinenpistole ausgerüstet hatten. »Parker! Geben Sie auf!« dröhnte eine undeutliche und sehr verzerrte Stimme auf, die die Kiesgrube auszufüllen schien, »verstecken ist sinnlos! Jetzt werden Sie für Ihre Frechheit bezahlen!« * »Darf ich Ihnen ein wenig Kognak reichen?« fragte Parker leise und hielt eine ledergezogene Hüftflasche in der Hand, aus der er einen kleinen Zinnbecher füllte, »ich hoffe, daß Sie die Temperatur erträglich finden.« »Ich schwitze vor Nervosität. Meine Temperatur steigt auf Siedehitze«, flüsterte Rander. »Ich spielte, wenn ich darauf aufmerksam machen darf, auf die Temperatur des Kognaks an«, erklärte der Butler steif und füllte den kleinen Zinnbecher. Er befand sich mit seinem jungen Herrn inmitten dichten Gebüschs und war vom Rand der Kiesgrube gut und gern zweihundert Meter entfernt. Rander und Parker hatten das hochbeinige Monstrum weit vor der Kiesgrube verlassen. Der Wagen war von Parker mittels Kurzwelle und Autopilot weitergesteuert und in die Kiesgrube gelenkt worden. »Ah… das tut gut!« sagte Rander, der den Kognak getrunken hatte. »Und die Temperatur, Sir? Ich fürchte, sie war ein wenig zu 18
niedrig!« »Mensch, Parker, Ihre Sorgen möchte ich haben!« Rander hörte die erneute Aufforderung der verzerrten Stimme. Parker möge sich schleunigst seiner Ermordung stellen. »Eine Zumutung, Sir, die ich nur als vollkommen naiv bezeichnen kann«, tadelte Parker den ,Weihnachtsmann’, der sich in der Kiesgrube befinden mußte. »Wollen wir hier anwachsen?« empörte sich Rander, »wir sollten etwas tun. Parker! Der ,Weihnachtsmann’ sitzt in der Falle, wenn Sie mich fragen!« »Dies wage ich zu bezweifeln, Sir!« »Wir haben ihn doch gerade wieder gehört.« »Es könnte sich um eine akustische Täuschung gehandelt haben, Sir. Zudem geschieht mit einiger Sicherheit etwas, sobald Sie und meine bescheidene Wenigkeit nicht reagieren.« »Sind Sie Hellseher. Parker?« Der junge Anwalt wirkte unruhig und nervös wie ein Rennpferd vor dem Start. »Keineswegs bin ich das. Sir, was man einen Hellseher nennt, dafür ist mir allerdings bekannt, daß mein Privatgefährt besonders präpariert ist. Ich möchte hoffen, Sir, daß es seine Schuldigkeit tun wird!« * Die beiden Strumpfmasken schienen sich in ihrer Haut nicht sonderlich wohl zu fühlen. Sie begnügten sich mit einer oberflächlichen Kontrolle der Silos, trauten sich aber an den riesigen Kiesbagger kaum heran. Sie strahlten die Kiesgrube noch dreimal mit Leuchtbomben aus, aber die nähere Umgebung ihres Dodge verließen sie nicht. Endlich kamen sie auf die Idee, sich das hochbeinige Monstrum des Butlers aus der Nähe anzusehen. Unter Wahrung aller Vorsicht und mit jetzt eingeschalteten starken Taschenlampen pirschten sie sich an den Wagen heran. Die beiden Männer verständigten sich mit Handzeichen. Sie nahmen Parkers Privatfahrzeug quasi in die Zange und rechneten jeden Moment mit peinlichen Überraschungen. Erst als sie sich versichert hatten, daß der Wagen leer war, wollten sie sich mit dem Wageninnern befassen. 19
Die erste Strumpfmaske griff nach dem soliden Türgriff und wollte die Wagentür öffnen. Im selben Moment stieß die Strumpfmaske einen leisen Schrei der Überraschung aus, dem ein mittelschwerer Fluch folgte. Die zweite Strumpfmaske versuchte es mit der hinteren Fondtür. Auch hier folgte nach dem Griff zur Klinke ein leiser Aufschrei, dem ein etwas ausgesuchterer Fluch folgte. Die erste Strumpfmaske wirkte jetzt leicht unkonzentriert, sie schien Bruchteile von Sekunden später von einer lähmenden Müdigkeit erfaßt worden zu sein, ging in die Knie und machte es sich dann auf dem Boden bequem. Die zweite Strumpfmaske reagierte wesentlich differenzierter. Sie wurde zwar auch überraschend und schnell müde, aber sie wollte unbedingt zurück zum Dodge. Sie schaffte zwei, drei Schritte, torkelte dann ein wenig und schraubte sich dann in den weichen Sand. Die Beine zappelten und strampelten und warfen den lockeren Sand hoch. Sekunden später gab es aber auch hier eine lähmende Müdigkeit, die in einen erquickenden Tiefschlaf überleitete… * Mike Rander und Josuah Parker erreichten den Dodge, der bis auf ein Tonbandgerät und einen Lautsprecher, der ans halb geöffnete, vordere linke Wagenfenster angeklemmt war, sich als leer erwies. »Dort!« Rander wies auf die beiden Strumpfmasken, die tief und fest schliefen. »Zwei Weihnachtsmänner!« »Dies wage ich zu bezweifeln. Sir! Es wird sich um Handlanger dieses Herrn handeln!« Mike Rander blieb vorsichtig, als er sich den beiden Strumpfmasken näherte. Der 45er lag schußbereit in seiner Hand. So ganz traute er dem Frieden nicht. Josuah Parker folgte seinem jungen Herrn. Er bewegte sich gemessen, würdevoll und mit einer Sicherheit, als sei bereits alles überstanden. Mit der Spitze seines Universal-Regenschirms tippte er leicht gegen die beiden Körper, die schlaff und regungslos blieben. Rander sicherte, während Josuah Parker die beiden Strumpf20
masken von den Gesichtern der schlafenden Männer entfernte. Mit seiner Kugelschreiber-Taschenlampe leuchte er in die Gesichter. Er war nicht sonderlich überrascht, als er zwei kantige, rohbrutale Gesichter ausmachte, die sich in einem Gangsterfilm sehr gut bewährt hätten. »Nun sagen Sie mir bloß, wie Sie das wieder geschafft haben!« Rander war zurückgekommen und lächelte anerkennend. »Ihre Trickkiste scheint unerschöpflich zu sein, Parker.« »Wenn Sie erlauben, Sir, werde ich Ihnen dies gern erläutern!« Parker interessierte sich für den Tascheninhalt der beiden Opfer und achtete dummerweise nicht darauf, was sein junger Herr tat, als er hinüber zum hochbeinigen Monstrum ging und nach der vorderen, linken Türklinke griff. »Da bin ich aber gespannt.«, gab Rander lächelnd zurück, um im gleichen Moment überrascht zurückzuzucken und dabei äußerst diskret fluchte. »Ich fürchte. Sir. Sie haben in diesem Moment bereits selbst die Erklärung gefunden, die ich zu geben gewillt war«, sagte Josuah Parker, der peinlich betroffen war, zumal sein junger Herr sich ohne jede Umschweife im Sand ausstreckte, um ebenfalls einen kurzen Tiefschlaf anzutreten. Parker beeilte sich, die vier Wagenklinken von ihrem stacheligen Überzug zu befreien, da diese spitzen Stacheln immerhin mit einem Indianerpräparat versehen waren, das den bereits erwähnten Tiefschlaf garantierte. * Parker war zwar peinlich berührt, daß es seinen jungen Herrn erwischt hatte, er machte sich gewisse Vorwürfe, verlor darüber aber keine wertvolle Zeit. Sein Gefühl sagte ihm, daß die Gefahr noch nicht überstanden war. Er lud sich seinen jungen Herrn auf die Schulter und trug ihn vom Wagen weg. In unmittelbarer Nähe des Kiesbaggers bettete er ihn weich in den Sand und wartete der Dinge, die da seiner bescheidenen Ansicht nach kommen mußten. Er sollte sich nicht getäuscht haben. Wenige Minuten nach dem Weggang vom Wagen erschien auf der Rampe zur Kiesgrube ein zweites Verfolgerauto. Dieser Wa21
gen – es handelte sich um einen kleinen Chevrolet-Laster – preschte förmlich nach unten in die Kiesgrube und hielt mit quietschenden Bremsen neben dem Dodge. Im Licht der wenigen Hängelampen waren zwei weitere Männer zu sehen, die förmlich aus diesem Kleinlaster herausfielen und sich blitzschnell im Gelände verteilten. Die Jagd konnte beginnen. Der ,Weihnachtsmann’ hatte sein Pulver noch längst nicht verschossen. Er brachte seine Einsatzreserve heran und wollte seine beiden Opfer um jeden Preis stellen und vernichten. Parker wußte eigentlich sehr genau, daß keiner dieser beiden zusätzlichen Männer der ,Weihnachtsmann’ sein konnte. Er glaubte, die Taktik dieses Verbrechers endlich erkannt zu haben. Leider war Mike Rander immer noch keine Hilfe. Er schlief tief und fest und konnte nicht unbewacht zurückgelassen werden. Parker entschloß sich also, wieder einmal die Initiative zu übernehmen. Er ließ sich etwas einfallen. Mit wenigen Handgriffen setzte er seine Patent-Gabelschleuder zusammen. Dann holte er sein abgewetztes Zigarrenetui aus der Innentasche seines Zweireihers und öffnete es. Es gab gewiß einige Zigarren in diesem Etui, doch daneben befanden sich noch einige kleine Kapseln aus Porzellan. Solch eine Kapsel legte der Butler in die Lederschlaufe der Gabelschleuder, nachdem er die beiden stumpfen Enden gegeneinander verdreht und damit eine Art Aufschlagzünder in Gang gesetzt hatte. Parker strammte die beiden Gummistränge, visierte den Kleinlaster an und… ließ die Porzellankapsel lautlos durch die Luft fliegen. Der Erfolg war frappierend! Die Porzellankapsel landete unmittelbar vor dem Kühler dieses Wagens und platzte auseinander. In Sekundenbruchteilen wuchs eine kompakte Nebelwand hoch und nahm jede Sicht. Mit dieser Nebelwand wurden allerdings auch Reizstoffe frei, die die Schleimhäute reizten. Wie wirkungsvoll dieser Reizstoff war, ließ sich am lauten Husten der beiden frisch angekommenen Gangster hören. Sie verloren jedes Interesse an einer mörderischen Verfolgung. Sie schlugen mit den Händen wie verrückt um sich, als hätten sie es mit einem Bienenschwarm zu tun. Dann ergriffen die beiden Männer die Flucht und preschten ohne Wagen hinauf zur Rampe 22
der Kiesgrube. Parker konnte dies alles zwar nicht sehen, dafür aber um so besser hören. Nun wandte der Butler sich ab. Von dieser Seite aus drohte ihm im Moment keine Gefahr. Aber da war immer noch der Gangster, der sich ,Weihnachtsmann’ nannte. Wenn er ihn richtig einschätzte, dann befand dieser Mann sich bereits auf der Pirsch, um seine Drohung wahrzumachen. Die vier Gangster, die er bis jetzt auf Rander und Parker angesetzt hatte, sollten wohl nur ablenken. Parker hielt seine Gabelschleuder schußbereit in der Hand und beobachtete die beiden Randstreifen des Baggersees. An einem der beiden Uferstreifen entlang mußte der ,Weihnachtsmann’ sich heranarbeiten. Parkers Vermutung traf prompt zu. Nur mit dem kleinen Unterschied, daß eine Gestalt, die nur schwach auszumachen war, sich bereits wieder absetzte. Diese Gestalt hatte es sehr eilig, hastete am linken Ufer des Sees entlang und würde innerhalb weniger Sekunden vollends in der Dunkelheit verschwinden. Der ,Weihnachtsmann’, um ihn mußte es sich handeln, hatte wohl Lunte gerochen und vermutet, daß Parker seinen Trick durchschaut hatte. Um sich nicht in Gefahr zu begeben, zog der ,Weihnachtsmann’ es vor, schleunigst das Weite zu suchen. Parker strammte die beiden Gummistränge seiner Gabelschleuder und riskierte es. daß sie platzten. Er mußte die bereits große Entfernung überbrücken. er mußte dem ,Weihnachtsmann’ einen Denkzettel verabreichen. Zischend stieg eine weitere Porzellankapsel steil in die Luft. Sie raste durch die Dunkelheit und schlug knapp vor dem flüchtenden Mann auf den Boden. Gleißende Helligkeit ersetzte die Dunkelheit. Der Flüchtende wirbelte überrascht herum. Die Mauer aus weißen Lichtblitzen stoppte ihn. Auf diesen Moment hatte Josuah Parker gewartet, ja. er hatte ihn geradezu provoziert. Nicht umsonst hielt er jetzt ein seltsames Gerät in der Hand, das er blitzschnell vor das rechte Auge nahm. Es handelte sich um ein einäugiges Fernrohr mit einer kleinen Präzisionskamera am Durchblick. Parker schoß schnell einige Aufnahmen, bevor der Lichtblitz in sich zusammenfiel. Er setzte das Gerät wieder ab, schob das 23
Fernrohr teleskopartig zusammen und verstaute alles in einer seiner unergründlichen Taschen. Ohne sich weiter um den flüchtenden ,Weihnachtsmann’’ zu kümmern, beschäftigte er sich anschließend mit den beiden schlafenden Gangstern am Dodge. Er opferte eine private Handschelle eigener Bauart, koppelte die beiden Männer aneinander und beförderte sie dann kraftvoll in den Kofferraum seines hochbeinigen Monstrums. Er barg seinen jungen Herrn, verwahrte ihn im Fond seines Wagens, setzte sich ans Steuer und verließ wohlgemut die Kiesgrube. Er rechnete keineswegs mehr mit Überraschungen. Er wußte, daß er dem ,Weihnachtsmann’ zumindest für diese Nacht jeden Schneid abgekauft hatte. Die Tatsachen bestätigten die Richtigkeit seiner Vermutung. Die Rückfahrt in die Stadt verlief völlig reibungslos. wenn man davon absah, daß Mike Rander, der zu sich gekommen war, einige Unfreundlichkeiten von sich gab, die sich auf gewisse Wagenklinken bezogen… * »Ich möchte nur wissen, warum Sie mich nicht verständigt haben«, grollte Lieutenant Madford am anderen Morgen und blitzte den Butler an. »Wir hätten es diesem ,Weihnachtsmann’ schon gezeigt. Absperrung der Kiesgrube – Einsatz von Streifenwagen per Funk. Der Mann wäre ohne Chance geblieben. Aber nein. Sie müssen ja wieder einmal auf eigene Faust arbeiten.« »Wenn Sie erlauben, möchte ich dazu eine kleine Randbemerkung machen. Sir.« Parker blieb bei seiner vornehmen Würde und Zurückhaltung. »Falls die Polizei sich eingeschaltet hätte, wäre besagter ,Weihnachtsmann’ mit größter Sicherheit in der Stadt geblieben und hätte die Verfolgung nicht gewagt. Mir scheint. Sir, daß Sie den ,Weihnachtsmann’ erheblich unterschätzen. Meiner bescheidenen Ansicht nach haben wir es keineswegs mit einem durchschnittlichen Gangster zu tun.« »Genau!« warf Mike Rander ein, in dessen Arbeitszimmer man sich befand, »dieser Bursche ist voller Tricks, das habe ich nun auch gemerkt!« »Sie reden wahrscheinlich von Ihrem Butler, oder?« Lieutenant Madford versuchte es mit Ironie. 24
»Parker auch!« antwortete Rander schmunzelnd, »er hat es immerhin geschafft, den ,Weihnachtsmann’ zu fotografieren!« »Wie, bitte?« Madford staunte. »Parker hat den ,Weihnachtsmann’ fotografiert.«, wiederholte Mike Rander noch einmal. »Ist das was?« »Und das sagen Sie mir erst jetzt?« Madford regte sich schon wieder künstlich auf. »Sie ließen Parker und mich ja nicht zu Wort kommen«, frotzelte der junge Anwalt, um sich dann an seinen Butler zu wenden, »Parker, die Fotos!« »Wenn ich mir also erlauben darf, Sir!« Parker griff nach einer Unterschriftenmappe, faltete sie auseinander und reichte sie so an Lieutenant Madford weiter. »Das sind ja sagenhaft deutliche Aufnahmen«, wunderte Madford sich, um sofort mißtrauisch hinzuzufügen, »soll das wirklich der ,Weihnachtsmann’ sein? Oder wollen Sie hier einen Türken bauen?« »Es müßte sich mit großer Wahrscheinlichkeit um den gesuchten Täter handeln«, erwiderte Parker, »falls Sie darauf bestehen, überlasse ich Ihnen gern einige Abzüge.« »Und ob ich Abzüge brauche! Vielleicht ist dieser Kerl schon in unserer Kartei vertreten. Nun erzählen Sie mal, wie Sie an diese Aufnahmen gekommen sind.« Parker faßte sich erstaunlich kurz und brauchte nur zehneinhalb Minuten, bis er alle Details geschildert hatte. »Soll das heißen, daß diese beiden Ganoven sich noch im Kofferraum Ihres Monstrums befinden?« fragte Madford schließlich und holte tief Luft. »Nicht direkt, Sir. Ich war so frei, die beiden betreffenden Männer in diesem Haus einzuquartieren. Sie stehen zu Ihrer Verfügung!« »Parker, Parker!« Madford schüttelte verweisend, aber mild gestimmt den Kopf, »was Sie da treiben, bewegt sich hart am Rande der Legalität. Sie werden eines Tages noch mächtigen Ärger mit den Behörden bekommen!« »Diesen möglichen Auseinandersetzungen sehe ich mit einiger Ruhe entgegen«, gab Parker höflich zurück, »wenn Sie gestatten, werde ich mich jetzt um die beiden Herrn kümmern. Sie könnten inzwischen bereits etwas ungeduldig geworden sein!«
25
* »Ach nee… Sammy und Miles!« Madford schüttelte überrascht den Kopf, »so sieht man sich wieder!« Sammy und Miles, beide mittelgroß, der eine schlank, der andere etwas korpulent, standen wie zwei Statuen nebeneinander, da Parker ihnen die Handschelle noch nicht abgenommen hatte. Sie machten einen übernächtigten Eindruck und waren sehr böse. »Lieutenant. Das ist Freiheitsberaubung!« brauste Sammy wütend auf, »befassen Sie sich mal mit diesem komischen Burschen da!« Er deutete auf Parker, »der hat uns grundlos überfallen und hier diese Handschellen verpaßt. Wenn das kein Kidnapping ist, will ich Joe heißen.« »Sie heißen aber Sammy und haben den Mund zu halten«, fauchte Lieutenant Madford den Gangster an, »was war in der Kiesgrube? Warum waren Sie hinter Mister Rander und Butler Parker her? Spielen Sie bloß nicht das unschuldige Lämmchen! Ich weiß genau, was mit Ihnen los ist, Sammy?« »Wärmen Sie doch nicht immer diese alten Kamellen auf«, entrüstete sich Sammy. »Gut, ich habe ein paarmal gesessen, aber seit der letzten Strafe habe ich keinen Mist mehr gebaut!« »Ich auch nicht.«, warf Miles ein, der kompaktere der beiden Männer. »Wir waren so ganz harmlos unterwegs, als uns dieser komische Bursche da so ganz einfach aufs Kreuz gelegt hat!« »Weint bloß nicht, ihr harmlosen Menschen«, spottete Lieutenant Madford. »Für wen arbeitet ihr denn zur Zeit?« »Arbeiten?« Sammy und Miles sahen sich fast entsetzt an »…sagten Sie arbeiten?« »‘raus mit der Sprache, für wen arbeitet ihr im Moment?« »Wir sind ohne Job«, behauptete Sammy. »Und könnt euch trotzdem diesen hagelneuen Dodge leisten?« »Dodge? Ich höre immer Dodge?« Miles wunderte sich sichtlich. »Ist er nun geklaut, oder nicht? Wir finden das sehr schnell heraus.« Sammy und Miles sahen sich leicht betreten an. An den Wagen schienen sie nicht mehr gedacht zu haben. »Den… den haben wir unterwegs gefunden«, behauptete Sammy dann, »von Klauen kann überhaupt keine Rede sein, Lieutenant, wirklich’ nicht.« 26
»In Untersuchungshaft könnt ihr darüber nachdenken. Ich erhebe erst einmal Anklage wegen Wagendiebstahls. Für ein paar Tage wird das reichen.« »Sir, darf ich mir erlauben, Ihnen einen Vorschlag zu machen?« »Was ist denn?« Madford sah den Butler ungnädig an. »Ich möchte annehmen. Sir, daß Mister Rander keine Anklage erheben wird, von meiner Wenigkeit einmal ganz zu schweigen. Könnte man die Herren Sammy und Miles unter diesen Umständen nicht wieder auf freien Fuß setzen?« »Was versprechen Sie sich davon?« »Ich denke ausschließlich an den ,Weihnachtsmann’. Sir!« Während Parker sprach, sah er sich die beiden Ganoven sehr gründlich an. Als der Ausdruck ,Weihnachtsmann’ fiel, flackerten ihre Augen. »Wie nett von Ihnen, an den ,Weihnachtsmann’ zu denken«, höhnte Lieutenant Madford aufgebracht, während sich sein kleines messerscharfes Bärtchen sträubte. »Besagter ,Weihnachtsmann’ wird sich freuen, seine beiden Mitarbeiter wieder in die Arme schließen zu können.« »Sind Sie sicher, Parker?« Mike Rander schaltete sich ein. Er hatte verstanden, worauf sein Butler hinauswollte. »Vollkommen sicher, Sir, zumal er ja sicher sein konnte und ist, daß weder Misfer Sammy noch Mister Miles auch nur die Andeutung eines Verrats geübt haben.« Sammy und Miles hatten nun ebenfalls verstanden. Sie sahen sich leicht betroffen an. Ihnen ging ein Licht auf, wenn auch etwas langsam. Sie mußten sich fragen – und sie taten es – woher der ,Weihnachtsmann’ denn so sicher wissen wollte, daß sie nicht geplaudert hatten. »Also, was den Dodge angeht, Lieutenant.«, sagte Sammy nun schnell, »den haben wir also wirklich gestemmt… Ehrlich währt am längsten. Nicht wahr. Miles?« »Ne, haben wir nicht… Moment mal… doch… natürlich, den haben wir geklaut. Ehrlich, Lieutenant! Sie bekommen’s ja doch heraus. Da sagen wir schon lieber die Wahrheit.« »Na gut, wir unterhalten uns in den nächsten Tagen darüber«, sagte Lieutenant Madford und grinste wie ein kleiner Westentaschenteufel. »Mein Büro wird euch verständigen, wann und wo ihr euch einzufinden habt. Bis dahin seid ihr auf freiem Fuß gesetzt!« »Wir… wir haben aber keine feste Adresse«, meinte Sammy 27
schnell, »haben Sie keine Angst, daß wir abhauen könnten?« »Aber nein!« Madford ließ sich nicht erweichen. »Ihr kommt schon, wenn ich euch rufe!« »Sie wollen uns doch auf die Straße schicken, Lieutenant!« »Warum denn nicht?« Madford schmunzelte breit. »Ich bin gegen unnötige Festnahmen, kosten den Steuerzahler nur Geld. Ihr könnt verschwinden.« »Meine besten Wünsche und Grüße an den ,Weihnachtsmann’«, ließ der Butler sich vernehmen. »Ich werde Sie zur Tür geleiten. Wenn Sie mir folgen würden!« Sammy und Miles brach der nackte Angstschweiß aus. Sie hatten offensichtlich Angst, von einem gewissen ,Weihnachtsmann’ abgeholt zu werden. Sie sahen Madford fast flehend an. Sie wagten es natürlich nicht, ihren Arbeitgeber zu nennen. Sie gehörten offensichtlich einer Gang an, deren Boß sie auf keinen Fall kennen durften. Zögernd folgten sie dem Butler, der sie vom Penthouse aus, über die große Dachgartenterrasse hinüber zum Lift brachte. Bald darauf schwebten sie nach unten. »Glauben Sie, daß der ,Weihnachtsmann’ sich mit ihnen befassen wird?« fragte Madford den Anwalt. »Bestimmt.«, antwortete Mike Rander, »er will ja schließlich erfahren, wonach wir gefragt haben.« »Vielleicht hätten wir Sammy und Miles beschatten lassen sollen«, meinte Madford und ärgerte sich plötzlich, »mit etwas Glück hätten die beiden Ganoven uns zum ,Weihnachtsmann’ führen können, ohne davon etwas zu ahnen.« »Keine Sorge, Madford«, sagte Mike Rander da und lächelte listig, »das hat Parker bereits übernommen.« »So was läßt er sich nicht entgehen.« »Soll das etwa heißen, daß er bereits hinter Sammy und Miles her ist?« Madford sah den Anwalt entrüstet an. »Es soll, Madford.« Rander hob bedauernd die Schultern, »ich dachte, das wüßten Sie längst!« * Parker hatte seine beiden Gäste Sammy und Miles selbstverständlich in den regulären Lift gesteckt und ihn entsprechend programmiert. Dieser Lift erlitt daher während der Abfahrt einige 28
Pannen, war sehr langsam und erreichte erst nach vielen, qualvoll langen Minuten das Erdgeschoß des Bürohochhauses, auf dessen Dach sich das Penthouse des Anwalts befand. Parker hingegen hatte den Privatlift. benutzt und war in einem schnellen Rutsch hinunter in die Tiefgarage gefahren. Hier setzte er sich mit weitem zeitlichen Vorsprung an das Steuer seines hochbeinigen Monstrums und lenkte das Vehikel hinauf zur Straße. Sammy und Miles erschienen. Sie schienen dem Frieden nicht zu trauen. Sie sahen sich ein wenig verstört in der Runde um, suchten wohl nach einem Festkomitee und merkten, daß sie keineswegs abgeholt wurden. Dafür schafften sie es hingegen, ein zufällig vorbeifahrendes leeres Taxi zu erwischen, in das sie sich prompt setzten. Parker folgte diesem Taxi in würdevollem Abstand, vergaß aber nicht, sich nach etwaigen Verfolgern umzusehen. Er wußte nur zu gut, daß er es keineswegs mit einem durchschnittlichen Gangster zu tun hatte. Das Taxi nahm südöstliche Richtung und schien es plötzlich eilig zu haben. Parkers Verdacht, daß das Taxi geschickt worden war, verstärkte sich. Parker schloß noch dichter auf. Er wollte den Fahrer des Wagens nervös machen und ihn zu Dummheiten reizen. Übrigens wurde der Butler verfolgt und beschattet. Hinter ihm kurvte ein Ford, der mit sturer Hartnäckigkeit immer wieder aufschloß. Am Steuer saß ein Mann, der trotz der frühen Morgenstunde bereits eine Sonnenbrille trug. Parker scherte sich vorerst überhaupt nicht um diesen Ford. Es genügte ihm zu wissen, daß man ihn verfolgte. Es genügte ihm zu wissen, daß man auf ihn aufmerksam geworden war. Seine Ahnungslosigkeit und scheinbare Unvorsichtigkeit sollte die Gegner in Sicherheit wiegen. Das Taxi näherte sich einem verwinkelten, abbruchreifen Stadtviertel, in dem das soziale Elend nistete. Das Taxi wurde noch schneller und versuchte nun, den Butler abzuhängen, was überraschend schnell geschah. Parker ließ sich die Vorfahrt nehmen, bremste einige Male und verlor so das Taxi aus den Augen. Dafür rückte der Ford immer näher. Nun galt es zu handeln. Josuah Parker zog einen der vielen Knöpfe am Armaturenbrett. Daraufhin öffnete sich unter dem Wagen eine versteckt ange29
brachte, kleine Klappe. Durch diese Klappe purzelten einige Spezialnägel, die mit Sicherheit jeden Wagenreifen zerfetzen mußten. Parkers Trick gelang wie selbstverständlich. Der Ford lief auf die Nägel auf, und die Reifen entledigten sich prompt ihrer Druckluft. Der Wagen humpelte noch etwa hundert Meter weiter, um dann stehenzubleiben. Der Fahrer mit der Sonnenbrille stieg aus und begutachtete schimpfend den Schaden. Parker aber verschwand bereits in der nächsten Seitenstraße, umfuhr einen Block und ließ sein hochbeiniges Monstrum anschließend vor einem leeren, geräumten Wohnblock stehen. Er stieg aus und ging zu Fuß weiter bis zur Straßenecke. Der Fahrer hatte den Ford aufgegeben und sich davongemacht. Wie sollte er auch vier völlig zerfetzte Wagenreifen so schnell wieder in Ordnung bringen? Als ordentlicher Mensch sammelte Parker die noch herumliegenden Spezialnägel auf und ließ sie auf einem Trümmergrundstück verschwinden. Anschließend setzte er sich eine breitbügelige Sonnenbrille auf und lauschte auf die Zirptöne, die aus dem kleinen Hochleistungsempfänger kamen. Diese Zirptöne wiesen ihm genau den Weg. Sie wurden von einem Miniatursender produziert, den Parker Sammy in der Form eines Knopfes am rückwärtigen Teil der Gürtelhose befestigt hatte. Der Empfänger im Brillenbügel nahm diese Sendegeräusche auf und ortete so den ahnungslosen Gangster. An der Intensität der Peilzeichen merkte Josuah Parker, daß Sammy, und damit auch Miles, nicht weit sein konnten. Wahrscheinlich sind sie hier im Viertel irgendwo untergekrochen. Unter Wahrung aller gebotenen Vorsicht lustwandelte der Butler durch die düsteren Straßen und scherte sich nicht darum, daß ihn mehr als amüsierte Blicke trafen. Die Bewohner dieses Viertels spürten wohl instinktiv, daß ein Mann wie Josuah Parker aus einer anderen Welt kam. Das Zirpen wurde laut und lauter, als der Butler sich einem Spirituosengeschäft näherte, das man nur als einen ordinären Schnapsladen bezeichnen konnte. Hinter der Schaufensterscheibe, die einen langen Sprung aufwies, waren Flaschen jeder Sorte aufgebaut. Im Geschäft selbst gab es eine Reihe aufgebockter Spundfässer, aus denen man den begehrten Alkohol gleich literweise abzapfen konnte. Hinter dem Tresen stand ein kleiner, verschrumpelt aussehender Mann von 30
schätzungsweise sechzig Jahren, dessen Gesicht an einen vertrockneten Apfel erinnerte. Er schaute ohne jedes Interesse hoch, als Josuah Parker den Schnapsladen betrat und höflich die schwarze Melone lüftete. Parker hatte seinen Brillenbügelempfänger übrigens ausgeschaltet, da das Zirpen unerträglich laut geworden war. »Ich wünsche einen schönen Tag«, sagte Parker in seiner distanziert-freundlichen Art. »Läßt es sich einrichten, Mister Sammy und Mister Miles zu sprechen?« Der Mann mit dem vertrockneten Apfelgesicht richtete sich etwas auf und sah den Butler mißtrauisch an. »Sammy und Miles?« wiederholte er die beiden Namen, »kann schon sein, wenn sie da sind. Wer sind denn Sie?« »Parker mein Name, Josuah Parker! Würden Sie mich bitte anmelden?« »Mal sehen, ob die überhaupt da sind.« Das Apfelgesicht beugte sich zu einem Telefonapparat hinunter, hob den Hörer ab und sagte: »Hier Fred… Sind Sammy und Miles da? Hier ist ein komischer Vogel, der sie sprechen will!« Die Auskunft schien das Apfelgesicht zu animieren. Das Gesicht färbte sich intensiv. Fred schien einen netten Anpfiff bekommen zu haben. »Sie sollen warten«, sagte er dann mürrisch zu Parker, als er auflegte, »Sammy kommt gleich! Nehmen Sie inzwischen ruhig einen kleinen Schluck!« »Ich werde keineswegs unhöflich sein«, erklärte Parker und sah zu, wie Fred zwei Gläser mit klarem, Sprit füllte. Er sah aber auch, daß in eines der Gläser eine kleine Pille fiel, die sich wahrscheinlich sofort auflöste. »Das ist aber äußerst interessant!« sagte Parker, als Fred die Drinks servierte. Gleichzeitig deutete der Butler mit der Spitze seines Universal-Regenschirms hinaus auf die Straße. Fred war viel zu neugierig, um nicht mit dem Kopf dieser Bewegung zu folgen. Parker nahm sich die Freiheit, die beiden Gläser zu vertauschen und sagte dazu: »Um ein Haar hätten die lieben kleinen Kinder dort eine Fensterscheibe eingetreten…« »Wenn schon!« Freds Stimme klang enttäuscht. Gleichzeitig griff er nach dem vermeintlich richtigen Glas ohne Pille. »Diese verdammten Gören richten doch am laufenden Band Unheil an. Prost dann!« 31
Alkohol schien er zu mögen. Fred trank sein Glas in einem schnellen Zug leer, während Parker nur so tat, als schätze er dessen wasserklaren Sprit. »Ist irgend etwas?« erkundigte Parker sich dann höflich, als Fred die Augen verdrehte und ohne jeden Kommentar hinter der Theke wegsackte. Parker ging um die Theke herum, barg das kleine Pillenfläschchen, um den Inhalt bei Gelegenheit analysieren zu lassen und baute sich dann gemessen und ohne jede Hast seitlich von einem großen Weinfaß auf. Wenig später geriet dieses scheinbar ungemein schwere Weinfaß in leichte Bewegung, um dann zur Seite zu schwenken. Sammy betrat den Schnapsladen, schob den Vorhang zur Seite, der das Faß gegen Straßensicht tarnte und riß weit und erschreckt die Augen auf, als Parker plötzlich vor ihm stand! * »Betrachten Sie dies keineswegs als Zufall, daß ich vor Ihnen stehe«, sagte Parker höflich, »ich bin davon überzeugt, daß Sie meinen Besuch erwartet haben!« Bevor Sammy etwas zu sagen vermochte, legte sich bereits der bleigefütterte Bambusgriff des Universal-Regenschirms leicht, aber dennoch nachdrücklich auf seine Stirn. Sammy stieß einen leichten Kickser aus und fiel dann in die Arme des Butlers. Parker schloß das Ladenlokal, legte Sammy zum Apfelgesicht und betrat den schmalen Korridorgang, der hinter dem zur Seite geklappten Weinfaß zu sehen war. Nach etwa zwanzig Schritten bog dieser Korridorgang nach rechts ab. Und hier hatte sich ein zweiter Bekannter aufgebaut. Es handelte sich um Miles, der den Butler erstaunt-grinsend anschaute, zumal er ja wohl vermutete, daß sich hinter Parker schließlich noch Sammy befinden mußte. »Haben wir dich endlich, verdammter Bursche!« sagte Miles und verlieh seiner Stimme jenen sattsam-höhnischen Unterton, den man aus einschlägigen Filmen ja nur zu gut kennt. »Wie geht es weiter?« fragte Parker, da sich hinter Miles eine Art Lichthof befand, auf den drei Türen mündeten. »Erste Tür rechts!« sagte Miles und ließ den Butler vorbei. Dann wandte er dem Butler den Rücken zu und wartete auf Sammy. Er 32
wartete noch, als Parker leicht mit dem Bambusgriff bei ihm anklopfte und ihn so in das oft zitierte Land der Träume schickte. Miles rutschte in sich zusammen, seufzte auf und machte mit einiger Sicherheit vorerst keine Schwierigkeiten. Parker benutzte die erste Tür rechts, klopfte höflich an, drückte die Klinke und trat ein. Ein weiterer Bekannter! Der Mann mit der Sonnenbrille wartete auf den Butler. Er spielte mit ihr und ließ sie um ihren Bügel rotieren. Der Mann, er mochte fünfunddreißig Jahre alt sein, sah den Butler fast beleidigt an. »Das mit den Nägeln war aber ‘n fauler Trick«, beschwerte er sich dann, »darüber unterhalten wir uns noch. Parker!« »Wohin muß ich mich jetzt wenden?« »Immer geradeaus. Sie werden schon erwartet. Aber wo stecken Sammy und Miles?« »Dort, wenn ich zeigen darf!« Parker wies mit dem bleigefütterten Bambusgriff auf die noch geöffnete Tür, um dann auch den Sonnenbrillenträger für einige Zeit außer Gefecht zu setzen. Parker, der die diversen Schußwaffen der drei Gangster selbstverständlich geborgen hatte, säumte nun nicht weiter, um seinen Gastgeber aufzusuchen. Hinter der nächsten Tür befand sich ein überraschend teuer und fast intim eingerichteter Raum, der eine Kreuzung aus Salon und Büro darstellte. In einer Sitznische saß ein stiernackiger, untersetzter Mann von etwa fünfzig Jahren, dessen Schädel an eine blankpolierte Billardkugel erinnerte. »Ich wünsche einen guten Tag«, grüßte Parker und lüftete höflich seine schwarze Melone, »ich möchte fast mit Sicherheit annehmen, daß ich es mit jenem Herrn zu tun habe, den man in einschlägigen Fachkreisen ,Glatzen-Joe’ nennt. Sie sind also der Gangsterboß, der in letzter Zeit von sich reden gemacht hat!« Parker streckte dem ahnungslosen Glatzen-Joe seine behandschuhte Hand hin. Glatzen-Joe war so dumm, danach zu greifen und sie auch zu drücken. Er übersah dabei die flache, schmale Messingdose in Parkers Handfläche, aus der ein kurzer Dorn hervorragte. Nachdem die beiden Hände sich getroffen und geschlossen hatten, kam die Handfläche von Glatzen-Joe naturgemäß in innigen Kontakt zu diesem Dorn. Daraufhin zappelte Glatzen-Joe wie ein Fisch an der Angel. Er 33
schien sehr nachdrücklich elektrisiert zu werden. Er schüttelte sich und keuchte: »Aufhören, aufhören… Ich werd’ verrückt. Aufhören!« * »Kommen wir schnell zur Sache, da meine Zeit begrenzt ist.« Parker hatte den Handkontakt gelöst und wartete, bis der immer noch zitternde Gangsterboß zurück in die Sitzpolster plumpste. »Sie wollten mich wahrscheinlich sprechen, Mister Stone.« Glatzen-Joe, mit richtigem Namen Joe Stone, rieb sich die prickelnd-schmerzende Hand und war offensichtlich aus dem Konzept gebracht worden. »Mann!« murmelte er, »was war das? Hab’ ich noch nie erlebt!« »Eine kleine, hoffentlich belebende Elektrisierung!« sagte der Butler ausweichend, »aber bleiben wir doch bei der Sache, Mister Stone. Womit kann ich dienen?« »Mann! Ich lasse Sie in der Luft zerreißen!« Brüllend sprang Stone hoch. Er hatte sich erinnert, daß doch er derjenige war, der hier die Fragen zu stellen hatte. »Sie benehmen sich so theatralisch wie ein Schmierenkomödiant.«, tadelte der Butler und schüttelte leicht verweisend den Kopf, »wollen Sie nicht endlich zur Sache kommen?« »Sammy… Miles… Artie…!« brüllte Stone. Er allein fühlte sich der Lage nicht gewachsen. »Sie haben Fred vergessen«, erinnerte Parker, als sich hinter der Tür nichts rührte. »Was… was soll das heißen?« Stone begriff endlich, daß er allein auf weiter Flur war. »Belasten Sie sich nicht mit Dingen, die ohnehin bereits geschehen sind«, beruhigte Parker sein Gegenüber, »darf ich vorschlagen, daß wir uns nun über den ,Weihnachtsmann’ unterhalten, für den Sie doch so offensichtlich tätig sind.« »Weihnachtsmann’?« Stone stöhnte den Namen förmlich hervor. »Sie haben vollkommen richtig gehört.«, meinte Parker und blieb höflich an Stones Seite stehen, um die Tür unter Augenkontrolle zu halten, »Sie wollen doch hoffentlich nicht abstreiten, Mister Stone, daß dieser ,Weihnachtsmann’ Sie engagiert hat, nicht 34
wahr?« »Sie… Sie reden sich um Kopf und Kragen!« Stone war unsicher geworden. »Lassen Sie dies, bitte, meine Sorge sein, Mister Stone. Ich darf wohl als sicher unterstellen, daß Sie auf keinen Fall ahnen oder wissen, wer dieser ,Weihnachtsmann’ ist, nicht wahr?« »Sind Sie wahnsinnig?« Stone hatte sich etwas gefaßt. »Wissen Sie eigentlich, wo Sie sind?« »Selbstverständlich, Mister Stone. Im Hauptquartier Ihrer Bande, von der ich allerdings sagen muß, daß sie einer gewissen personellen Überholung bedarf. Sie haben sich nicht gerade mit ausgesuchten Spitzenkräften umgeben.« Stones Gesicht färbte sich violett. Er schnappte nach Luft wie ein frisch gelandeter Karpfen. Eine Tonart, wie sie der Butler bevorzugte, war ihm bestimmt noch niemals untergekommen. Aus Gründen der Gerechtigkeit muß allerdings gesagt werden, daß Glatzen-Joe durchaus kein Anfänger war. In Gangsterkreisen war dieser Mann gefürchtet wie die Pest. Er und seine Leute hatten sich bisher durch eine gewisse Brutalität ausgezeichnet. Doch jetzt und hier erinnerte Stone eigentlich an eine hilflose Witzblattfigur. Gewöhnt, hemmungslos Macht auszuüben, verlor er sofort den Faden, als Parker ihn kühl und überlegen behandelte. »Ich möchte eine gewisse Warnung aussprechen«, redete der Butler gelassen weiter, »Ihre Zusammenarbeit mit dem ,Weihnachtsmann’ kann nach Lage der Dinge tödlich für Sie und Ihre Mitarbeiter sein. Sie haben es mit einem Mann zu tun, dem Sie auf keinen Fall gewachsen sind.« »Wer… wer sind Sie denn eigentlich, um so mit mir zu reden?« »Parker mein Name, falls Ihnen das entgangen sein sollte, Josuah Parker. Richten Sie dem ,Weihnachtsmann’ bitte aus, daß ich mir die Freiheit genommen habe, ihn in der Kiesgrube zu fotografieren. Die Bilder sind ausgesucht gut. Er wird sich erinnern, daß die herrschenden Lichtverhältnisse am Ufer des Baggersees für einige Sekunden ausgezeichnet waren. Und noch etwas, Mister Stone. bestellen Sie dem ,Weihnachtsmann’, daß ich auf Wunsch und Anfrage nach wie vor mit einem erstklassigen Psychiater dienen kann!« Parker lüftete erneut die Melone, wandte sich ab und wollte gehen, doch in diesem Augenblick wurde die Tür aufgestoßen. Zwei Männer, die der Butler bisher noch nicht gesehen hatte, bauten 35
sich an der Tür auf und ließen Parker in die Mündungen ihrer Maschinenpistolen sehen. »Macht ihn fertig… Los, worauf wartet ihr noch?« kreischte Stone sofort. »Zerreißt ihn in der Luft!« * Es war bald Mittag, als irgendwo im Loop ein seriöser, älterer Herr ein Taxi verließ und schnurstracks im Büro einer Konzertagentur erschien. »Was kann ich für Sie tun?« fragte der junge Mann hinter dem Kassenschalter. »Wenn Sie noch eine Karte für das Abendkonzert haben wollen, Sir, muß ich bedauern. Wir sind gerade ausverkauft worden!« »Ich interessiere mich ausschließlich für die Kasse«, sagte der seriöse Herr, »ich bin der ,Weihnachtsmann’, wenn Ihnen das etwas sagt.« Während er noch sprach, hatte der seriöse Herr einen 38er gezogen und richtete den Lauf auf den Leib des jungen Mannes. Der junge Mann glaubte an einen kleinen Scherz. Er war gerade erst aus dem Urlaub zurückgekommen und hatte die Zeitungen noch nicht gelesen. Er wußte mit dem Begriff ,Weihnachtsmann’ überhaupt nichts anzufangen. Er wußte nicht, daß er einem potentiellen! Mörder gegenüberstand. »Das Geld… aber schnell!« »Lassen Sie doch diese Witze!« Der junge Mann fühlte sich zum Helden berufen und beging den Fehler, dem ,Weihnachtsmann’ die Waffe aus der Hand schlagen zu wollen. Daraufhin drückte der Gangster kalt ab. Nach dem ersten Schuß warf der junge Angestellte seine Arme hoch in die Luft. Nach dem zweiten Schuß brach er in sich zusammen. Aus Augen, die sich in panischer Angst weit geöffnet hatten, starrte der junge Mann auf den ,Weihnachtsmann’. »Ich werde Sie nicht töten«, sagte der ,Weihnachtsmann’, während er sich bereits abwendete, »richten Sie der Polizei aus. daß der ,Weihnachtsmann’ in Zukunft so und ähnlich strafen wird, falls man seinen Wünschen nicht sofort nachkommt!« Der junge Mann verlor das Bewußtsein. Die übrigen Angestell36
ten der Konzertagentur, die sofort die Hände hochgestreckt hatten, sahen dem seriösen Mann nach, der nun wie ein Schemen verschwand. Dann löste sich ihr Bann. Sie alarmierten die Polizei, sie kümmerten sich um ihren jungen Kollegen, der aus zwei nicht gerade harmlosen Fleischwunden blutete, und sie diskutierten die Warnung des Täters. Sie sorgten dafür, daß die Worte des »Weihnachtsmannes« buchstabengetreu in den Abendzeitungen erschienen. * Die beiden Männer mit den Maschinenpistolen dachten nicht daran, den Butler in der Luft zu zerreißen. Sie grinsten Stone irgendwie heimtückisch an und richteten die Läufe ihrer Maschinenpistole auf den Gangsterboß. »Nicht… Nein… Nicht!« stammelte Stone, der erst jetzt merkte, daß es sich keineswegs um zwei Männer seiner Bande handelte, »das… das könnt ihr doch nicht tun?« »Können wir?« fragte der erste Gangster. »Natürlich können wir!« erwiderte der zweite Gangster. »Aber Sie müssen nicht.«, schaltete Josuah Parker sich mit leichtem Kopfschütteln ein. »Vermeiden wir doch sinnloses Blutvergießen, meine Herren.« »Is’ der blöd, oder hat er so gute Nerven?« erkundigte sich der erste Gangster bei seinem Partner, während er gleichzeitig auf den Butler deutete. »Soll ich ihn mal fragen?« erwiderte der Partner. Er zwinkerte seinem Begleiter fast neckisch zu. Diese beiden Gangster genossen ihre derzeitige Überlegenheit in vollen Zügen. Sie spielten mit Parker und mit Joe Stone Katz’ und Maus. Glatzen-Joe verlor darüber die Nerven. Vielleicht ahnte oder wußte er ohnehin, daß man ihn töten wollte. Daher setzte er alles auf eine Karte und griff nach seiner Waffe, die sich aber irgendwo in der Schulterhalfter verhedderte. Der erste Gangster schoß fast lässig auf Stone, der die Arme hoch in die Luft warf und dann seitlich auf die Sitzbank rutschte. »Das war ein sinnloser Mord«, sagte Parker tadelnd, »wobei ich betonen möchte, daß Morde an sich sinnlos sind. Sie werden dafür früher oder später zur Rechenschaft gezogen!« 37
»Der is’ doch so blöd, wie er sich gibt.«, stellte der Gangster grinsend fest, »los, Mann, mitkommen, aber ’n bißchen plötzlich. Unser Chef will Sie sprechen.« »Hank Studdel?« erkundigte Parker sich. Ihm war plötzlich so etwas wie eine Erleuchtung gekommen. Hatte Pfandleiher Mel Harvey nicht davon gesprochen, daß dieser Gangsterboß sich für den ,Weihnachtsmann’ interessierte? »Er hört das Gras wachsen, der schlaue Junge!« Der Gangster sah seinen Partner an und grinste ein wenig dumm. »Schlaue Jungens mag’ ich aber gar nicht gern«, erwiderte der Begleiter und schüttelte beleidigt den Kopf. »Also, wenn ich nun bitten darf!« Parker war nicht anzusehen, ob er Furcht hatte. Er strahlte nach wie vor Würde und Gemessenheit aus. Die beiden Gangster schienen ihm überhaupt nicht zu imponieren. Ohne sich weiter um sie zu kümmern, schritt Parker hinüber zur Tür. Hinter sich hörte er Schritte. Die beiden Männer folgten ihm. Wahrscheinlich hatten sie so etwas noch nie erlebt. Sie brauchten einige Zeit, um Parkers Verhaltensweise zu verdauen. Parker stieg über die Stone-Gangster hinweg und erreichte den Schnapsladen, hinter dessen Tresen Fred, der Mann mit dem Apfelgesicht, lag. »Soll ich zu Ihnen in den Wagen steigen? Oder bevorzugen Sie es, sich hinüber zu meinem Wagen zu bemühen?« »Nennen Sie das Wagen, was Sie da fahren?« Der erste Gangster grinste abfällig, »der kann stehenbleiben. Wenn man nach Ihnen sucht, soll man sich ruhig an die Stone-Bande halten!« Parker nickte und stieg in den vor dem Ladenlokal parkenden Buick. Er war gespannt, was Hank Studdel ihm zu sagen hatte. Er war sich aber völlig klar darüber, daß Studdel aus einem anderen Holz geschnitzt war als Joe Stone. * Jim und Marty, wie die beiden Gangster hießen, lieferten ihn ohne jeden Umweg bei Hank Studdel ab. Studdel, ein schlanker, schmaler Mann mit eisblauen Augen und einem Raubvogelgesicht, hatte es überhaupt nicht nötig, sein Privatbüro zu tarnen oder gar zu verstecken. Studdel residierte in 38
einem nüchtern eingerichteten Büro, das sich im Anbau seines freistehenden Privathauses befand. Studdel betrieb eine Firma für Gebäudereinigung und verfügte über Angestellte, die tatsächlich Fensterscheiben säuberten oder Hausfassaden schrubbten. Eine bessere Tarnung hätte Studdel sich überhaupt nicht ausdenken können. Den Behörden gegenüber konnte er unbefangen und legal auftreten. »Nehmen Sie Platz, Parker«, sagte Studdel und nickte grüßend, »kommen wir sofort zur Sache. Sie sind hinter dem ,Weihnachtsmann’ her. nicht wahr?« »Darf ich erfahren, aus welcher Quelle Sie Ihr derzeitiges Wissen beziehen?« »Ich habe Mel Harvey auf den Zahn fühlen lassen, genügt Ihnen das?« »Im Augenblick durchaus. Mister Studdel. Was also kann ich für Sie tun?« »Ich will alles erfahren, was Sie über den ,Weihnachtsmann’ wissen. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?« »Ihre Worte lassen an Klarheit kaum etwas übrig. Ich muß Sie allerdings enttäuschen. Ich möchte annehmen, daß Sie vielleicht mehr über diesen geheimnisvollen Täter wissen als meine bescheidene Person.« »Quatsch… In meiner Branche weiß man genau, wie gerissen Sie sind! Sie wissen mehr als Sie zugeben wollen. Also, heraus mit der Sprache!« »Warum unterhielten Sie sich nicht mit Mister Stone. einem Ihrer Konkurrenten? Nach Lage der Dinge ließen er und seine Mitarbeiter sich von besagtem ,Weihnachtsmann’ sogar engagieren.« »Mit einem Stone kann man nicht reden.« »Aus diesem Grund ließen Sie ihn umbringen?« »Ich weiß von nichts.« Studdel lächelte andeutungsweise. »Könnte aber durchaus sein, daß ein Mann wie er umgebracht wurde. Feinde hatte er ja genug.« »Da muß ich Ihnen beipflichten. Mister Studdel, aber einen ganz bestimmten Feind werden auch Sie jetzt haben. Ich denke an den ,Weihnachtsmann’.« »Zerbrechen Sie sich bloß nicht meinen Kopf, Parker! Und lenken Sie vor allen Dingen nicht vom Thema ab! Ich will wissen, was Sie über den ,Weihnachtsmann’ herausgebracht haben. Ich werde Sie nicht lange bitten, bilden Sie sich da. bloß keine 39
Schwachheiten ein. Wenn Sie nicht reden wollen, werden wir Sie dazu zwingen. Und zwar verdammt schnell, glauben Sie mir!« Studdel sah an Parker vorbei hinüber zu Jim und Marty, die sich an der Tür aufgebaut hatten. Sie warteten wohl nur darauf, den Butler einer Spezialbehandlung zu unterziehen. »Sie wollen Gewalt anwenden?« fragte Parker mißbilligend. »Das ist noch gelinde ausgedrückt! Reden Sie also endlich!« »Nun denn, ich fürchte, ich werde das auf den imaginären Tisch legen müssen, was man gemeinhin die Karten nennt.« »Was müssen Sie?« Studdel hatte den Satz des Butlers nicht ganz mitbekommen. »Ich fürchte, daß ich ein Geständnis ablegen muß.« »Wozu ich Ihnen nur raten kann! Also!« »Und was geschieht, wenn ich Ihnen meine Geschichte erzählt habe?« »Was wohl? Sie können dann zurück nach Hause. An Ihnen bin ich im Augenblick nicht interessiert.« »Gut, dann möchte ich mit der Vorgeschichte beginnen«, sagte Josuah Parker, »fassen Sie sich in Geduld, ich könnte mir nämlich vorstellen, daß für Sie jede Nuance von Interesse sein müßte.« »Reden Sie endlich!« Parker nickte, räusperte sich andeutungsweise und begann mit seiner Vorgeschichte, die recht spannend ausfiel, dafür aber gut und gern zehneinhalb Minuten dauerte. Parker sprach mit einer gewissen Monotonie. Hinzu kam seine mehr als barocke Ausdrucksweise. Studdel sowie die beiden Gangster Jim und Marty wurden regelrecht eingeschläfert. Sie bekamen schwere Augenlider und kämpften ungeniert gegen eine aufsteigende Müdigkeit an. Dann kam der Butler zum eigentlichen Thema. Er schmückte die weinigen Tatsachen, die ihm bekannt waren, außerordentlich aus. Er brauchte jetzt fast zwanzig Minuten, bis er alles gesagt hatte. Das heißt, bis er nichts gesagt hatte, denn die bilderreiche Geschichte enthielt kaum den Kern einer realen Tatsache. Jim und Marty lehnten bereits mit dem Rücken gegen die Wand und gestatteten sich einen diskreten, oberflächlichen Schlummer. Hank Studdel schien hypnotisiert zu sein. Er stierte auf den Teppich und gähnte unverhohlen. Dann riß er weit die Augen auf und sich dann zusammen. 40
»Und wer ist nun der ,Weihnachtsmann’?« fragte er mit schwerer Zunge. »Ich möchte Ihnen, Ihre Erlaubnis voraussetzend, mit einem Beweisstück dienen«, sagte Parker, »vorher möchte ich mir allerdings eine Tablette zuführen, zumal mein Kreislauf nicht den üblichen Normen entspricht.« Weder Jim noch Marty schöpften Verdacht. Sie hatten den Butler ja entwaffnet. Auf Pillendose, Zigarrenetui und andere Dinge des persönlichen Bedarfs hatten sie selbstverständlich nicht geachtet. Dazu war ihnen Parker doch zu unbekannt. Der Butler holte also in aller Ruhe seine Pillendose hervor, öffnete sie und griff nach einer kleinen Glaskapsel, die er betont sorgfältig zu Boden fallen ließ. In Sekundenbruchteilen stand dort, wo Parker sich gerade noch aufgehalten hatte, nur eine Nebelsäule, die sich schnell ausbreitete. Jim riß seine Maschinenpistole hoch, wagte es aber nicht, einige Geschosse in den Nebel zu schicken. Er vermutete nicht zu unrecht, daß sich hinter der Nebelwand sein Herr und Meister aufhielt. Marty war da wesentlich rüder. Nervös geworden, riß er den Abzug durch und feuerte eine Geschoßgarbe in den Nebel. Die Antwort bestand im Splittern und Bersten von Büromöbeln und einem unterdrückten Aufschrei. Marty stürmte in den Nebel. Er wollte den Butler endgültig fertigmachen. Doch er stieß im Nebel mit einem seltsamen, äußerst harten Gegenstand zusammen, der sich auf seine Stirn legte. Daraufhin verlor Marty seine Maschinenpistole und brach über einem Stuhl zusammen. Jim wollte sich schleunigst empfehlen und bessere Wetterbedingungen abwarten, doch er kam nicht weit. Aus dem Nebel heraus sirrte die schwarze Melone des Butlers. Der mit Stahlblech ausgefütterte Rand der Melone traf seinen Hals. Jim gluckste überrascht auf und fiel dann wie ein gefällter Baum zu Boden. Parkers Gestalt kam aus der Nebelwand. Er barg zuerst betont ruhig seine Universal-Kopfbedeckung. um dann einen kleinen Tascheninhalator hervorzuziehen. Er öffnete den Schraubverschluß und drückte auf den Treibgasauslöser. Sorgfältig sprühte Parker ein bis zwei Quadratmeter Boden vor der immer noch geschlossenen Tür ein. Dann baute er sich seit41
lich neben dieser Tür auf, faßte seinen Universal-Regenschirm am Stock an und hob den bleigefütterten Griff halbhoch in die Luft. Er rechnete nämlich fest mit neugierigen Besuchern. * Josuah Parker brauchte nicht lange zu warten. Die Tür wurde aufgedrückt. Dann stürmte der erste Besucher tatendurstig in das Büro seines Chefs. Dieser Besucher konnte, keineswegs ahnen, daß der Boden hinter der Tür ausgiebig besprüht und mit einem Spezialgleitmittel eingewachst worden war. Nun. seine Beine glitten prompt aus, machten sich selbständig und flogen hoch in die Luft. Krachend landete der Mann auf dem Rücken und schlug mit dem Kopf zusätzlich, wenn auch etwas später, auf. Parker benutzte den bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms, um das erste Opfer an die Seite zu ziehen. Dieses Opfer sollte weiteren Besuchern nicht unnötig im Weg sein. Der zweite Gast! Sein linkes Bein zuckte hoch, er griff haltsuchend in die Luft und landete krachend auf der linken Seite. Da er noch zappelte und sich erheben wollte, half der Butler mit dem Bambusgriff sanft nach. Darauf steckte dieser zweite Gast jeden weiteren Widerstand auf und konnte an die Seite geräumt werden. Der dritte Besucher! Dieser Mann war offensichtlich sportlich gestählt, vielleicht sogar ein perfekter Turmspringer. Kurz er schraubte sich hoch zur Zimmerdecke empor, schlug einen Salto, der in eine Art Schraube überging und landete dann fast senkrecht. Diesmal brauchte der Butler mit dem Bambusgriff nicht mehr nachzuhelfen. Der Mann hatte es vollkommen allein geschafft. Der vierte Besucher! Er war mißtrauisch geworden. Er hatte schließlich das Dröhnen mitbekommen, das die drei Bauchlandungen seiner Freunde verursacht hatten. Daher steckte er erst einmal sichernd und prüfend seinen Kopf in das Zimmer und war ehrlich überrascht, fast nichts als Nebel zu sehen. Als er den Kopf wieder zurückziehen wollte, ließ der Butler den 42
erhobenen Universal-Regenschirm nach unten fallen. Der bleigefütterte Bambusgriff kam in innige Berührung mit dem Hinterkopf des Besuchers, der daraufhin keine Chance mehr hatte. Parker räumte auch diesen jetzt schlafenden Besucher aus dem Weg. War damit das Reservoir der Gäste erschöpft? Es schien so! Parker wartete noch einige Sekunden, dann kümmerte er sich um das dünne Greinen, das irgendwoher aus dem Nebel kam. Dieses weinerliche Greinen wurde von Hank Studdel produziert, der von zwei Geschossen aus der Maschinenpistole erwischt worden war. Es handelte sich keineswegs um gefährliche Verletzungen, wie es zuerst den Anschein hatte. »Was… was haben Sie jetzt vor?« stotterte Studdel nervös, als Parker vor ihm auftauchte. »Ich möchte Ihnen, wenn es genehm ist, Erste Hilfe leisten.« »Ich… ich verblute!« stöhnte Studdel erleichtert. Er war sich bis zu diesem Zeitpunkt etwas allein und einsam vorgekommen. »Dies hat gewiß noch Zeit.«, beruhigte Parker den Gangsterboß, »bevor ich mich empfehle, einige Auskünfte.« »Was wollen Sie denn noch?« Studdel verdrehte die Augen. Er fühlte sich sehr schwach. »Einige Auskünfte, wie ich mir gerade zu bemerken erlaubte. Warum sammeln Sie Informationen über den ,Weihnachtsmann’, wenn ich in aller Form fragen darf?« »Weil der Kerl mir das Geschäft verdirbt! Die Polizei war noch nie so aufgescheucht wie jetzt, man kann ja nicht mehr richtig arbeiten.« »Wieso und warum, so lautet meine nächste Frage, schickten Sie die Herren Jim und Marty zu Mister Joe Stone?« »Wegen Ihnen, Parker. Sie waren hinter Ihnen her und sollten Sie zu mir bringen.« Studdel beschäftigte sich mit seiner an sich harmlosen Oberarmwunde, während er den glatten Durchschuß seines linken Oberschenkels für einen Moment vergaß. »Und warum ließen Sie Mister Joe Stone töten?« »Das hatte ich nicht angeordnet. Ich wundere mich selbst, daß Jim und Marty das taten. Ich hätte mich mit denen darüber noch unterhalten. Ich bin gegen Mord!« »Wie beruhigend und erfreulich, dies aus Ihrem Mund zu hören.« Parker richtete sich auf, »bevor ich mich verabschiede, möchte ich Ihnen einen Rat erteilen, Mister Studdel. Sie leben ab sofort sehr gefährlich. Der ,Weihnachtsmann’ wird Ihnen den 43
Mord an Mister Stone anlasten. Ich fürchte, er wird Sie dafür zur Rechenschaft ziehen!« * »Und wie sind Sie nun von Studdel weggekommen?« erkundigte sich Mike Rander eine gute Stunde später, nachdem Parker berichtet hatte. »Sie befanden sich doch immerhin in der Höhle des Löwen.« »Durchaus, Sir, doch die diversen Löwen, um bei dem Bild zu bleiben, gaben sich dem Tiefschlaf hin. Ich konnte durchaus ungeniert das Gelände der Gebäudereinigungsfirma verlassen.« »Lieutenant Madford wird rotieren, wenn er Ihre Geschichte hört.« »Ich pflichte Ihnen bei, Sir, daß er besser auf seinen Blutdruck achten sollte. Darf ich Ihnen noch Kaffee reichen?« »Danke. Parker.« Mike Rander erhob sich vom Arbeitsfisch und stellte sich an das breite, riesengroße Fenster, das den einmaligen Blick hinaus auf den See garantierte. »Kontakt mit dem Weihnachtsmann’ bekamen Sie aber nicht, wie?« »Der ,Weihnachtsmann’, Sir, hielt sich überraschend zurück. Für mich steht es allerdings fest, daß er die Bande des inzwischen ermordeten Mister Stone engagierte. Dieser Kontakt dürfte vorerst zerrissen sein. Ungemein schade um Mister Stone!« »Warum wurde er niedergeschossen?« »Dieser Mord geschah möglicherweise doch nicht im Affekt.«, sagte Parker nachdenklich, »gewiß. Mister Stone wollte nach seiner Waffe greifen, doch der Gangster Jim beeilte sich zu sehr, genau auf Mister Stone zu schießen.« »Ist Ihnen ein bestimmter Verdacht gekommen, Parker?« »Ein vager Verdacht, Sir, wie ich einräumen muß! Ich frage mich, ob der Weihnachtsmann’ sich von Mister Stone trennen wollte.« »Sie nehmen an, er hätte diesen Jim gekauft?« »Man sollte diese Vermutung nicht von der Hand weisen, Sir.« »Aber Jim arbeitet doch für Studdel, der seinerseits hinter dem ,Weihnachtsmann’ her ist und ihn am liebsten erledigen möchte, oder?« »Gewiß, Sir. Aber das eine schließt das andere nicht aus. wie 44
ich höflichst bemerken möchte. Ich denke jetzt an diesen Gangster Marty, der Mister Studdel verletzte. Mir scheint, daß man sich um die beiden Gangster Jim und Marty etwas intensiver kümmern müßte. Es ist nicht ausgeschlossen, daß sie ein doppeltes Spiel treiben.« »Gut. kaufen wir uns also Jim und Marty!« »Ich werde die erforderlichen Vorbereitungen dazu gern treffen, Sir. Darüber hinaus müßte man Mister Studdel zusätzlich informieren und warnen. Sein Leben scheint mir ungemein gefährdet.« »Vergessen Sie darüber Ihr Leben nicht. Parker«, warnte Mike Rander. »Der ,Weihnachtsmann’ hat es in erster Linie auf Sie abgesehen.« * Mel Harvey, der Pfandleiher, rang sich ein Lächeln ab, als Josuah Parker im Kellerladen erschien. Harvey schien gegen eine offene Türkante gerannt zu sein, so lädiert sah er aus. »Hallo!« sagte er nur und mühte sich ab, sein Gesicht im Schatten zu halten. »Ich wünsche einen relativ guten Tag«, antwortete Parker, »nach Lage der Dinge scheinen meine Wünsche aber etwas zu spät zu kommen. Mister Harvey.« »Wieso… Was meinen Sie?« »Wann waren die Mitarbeiter Mister Studdels bei Ihnen?« »Wovon reden Sie eigentlich?« Harvey war offensichtlich eingeschüchtert worden. »Ich erlaube mir von Mister Studdel und seinen Mitarbeitern zu reden.« »Ach so… Studdel…« Harvey tat so, als habe er den Namen noch nie gehört. »Ich kann durchaus verstehen, daß Sie Mister Studdel fürchten, zumal Sie von seinen Mitarbeitern befragt wurden, ich kann Ihnen aber versichern, daß dies nicht wieder passieren wird. Darüber hinaus werde ich die betreffenden Herren noch nachträglich zur Rechenschaft ziehen.« »Mister Parker, ich gebe Ihnen einen guten Rat. Halten Sie sich da ‘raus!« Harveys Stimme klang gepreßt. 45
»Aber keineswegs, Mister Harvey.« Parker lächelte andeutungsweise, »ich möchte von Ihnen wissen, wonach Studdels Mitarbeiter Sie befragten? Geben Sie die Unterhaltung so detailliert wie möglich wieder!« »Ich… ich will keinen Ärger haben.« »Den werden Sie mit Sicherheit nicht mehr bekommen. Wußten die Studdel-Mitarbeiter bereits im vorhinein, daß meine bescheidene Wenigkeit sich mit dem. ,Weihnachtsmann’ befassen wollte?« »Parker… ich… ich kann nicht reden.« »Sie dürfen mir vertrauen. Ich werde darüber hinaus dafür sorgen, daß man Ihnen ein angemessenes Schmerzensgeld zahlt. Mein Wort als Butler darauf.« »Na schön, ich riskiere es!« Harvey ließ sich auf einen niedrigen Schemel fallen und zündete sich einen Zigarettenstummel an. »Jim und Marty waren hier. Sie wissen, wen ich meine. Sie wußten bereits ganz genau, daß Sie hinter dem ,Weihnachtsmann’ her sind. Sie wollten herausbekommen, was ich von diesem Mann wußte. Leider hat’s sich ja ‘rumgesprochen, daß ich manchmal mit Informationen handele.« »Wann waren die Herren Jim und Marty bei Ihnen?« »Vor ein paar Stunden. Aber viel habe ich nicht sagen können. Und auch nicht gewollt!« »Sie haben wichtige Details verschwiegen?« »Worauf Sie sich verlassen können. Ich wollte mich ja nicht in die Nesseln setzen…« »Sie haben Nachricht aus Detroit und Flint?« »Es ist nicht viel, Parker, aber für Sie vielleicht wichtig.« »Ich werde Ihnen mit größtem Vergnügen zuhören.« »Freunde von mir in Detroit und Flint haben da was läuten gehört. Vor ein paar Monaten hat sich dort ein Einzelgänger ‘rumgetrieben, der wie der ,Weihnachtsmann’ gearbeitet hat. Er war sehr höflich, wenn er Geld kassierte, aber er schoß sofort, wenn man Schwierigkeiten machte.« »Ist der Name dieses Mannes bekannt?« »Er hat sich damals Glenn Wilmore genannt. Er muß aus New York stammen!« »Glenn Wilmore also!« Parker nickte langsam. »Weiß man etwas über seinen derzeitigen Aufenthaltsort?« »Wilmore soll nach Chikago gegangen sein. Aber das ist nur ein 46
Gerücht. Mehr war nicht herauszufinden. Parker. Viel ist das nicht, ich weiß!« »Ich möchte mich auf jeden Fall sehr herzlich bedanken«, antwortete der Butler gemessen. »Und wegen der angekündigten Entschädigungssumme werde ich mich in aller Kürze mit Ihnen ins Benehmen setzen, Mister Harvey.« Parker nickte Harvey zu und verließ die Pfandleihe. Er schritt vier Stufen hinauf zur Straße und zuckte mit keiner Wimper, als dicht neben ihm ein kleines, flaches Päckchen auf dem Boden landete. Parker reagierte spontan und mit einer Schnelligkeit, die man nur noch still bewundern konnte. Mit der Spitze seines Universal-Regenschirms schnellte er das bewußte Päckchen in die äußerste Ecke des äußeren Kellergangs und beeilte sich synchron damit, im Ladenlokal Harveys Deckung zu nehmen. Bruchteile van Sekunden später erfolgte eine scharfe, reißende Detonation, die die Fensterscheibe des Kellerladens in mehr als eintausendvierhundertelf Stücke zersplittern ließ. Ein wütender Luftruck fegte durch die Pfandleihe und richtete einigen Schaden an. Parker wurde gegen die Wand des Ladenlokals gedrückt, konnte sich aber auf den Beinen halten. Im Hintergrund stöhnte Harvey. doch dieses Stöhnen kündigte deutlich an. daß es wirklich nur aus der Angst gebaren worden war. Parker war auf der Hut! Er zog seinen alten, vorsintflutlich aussehenden Colt und wartete auf einen ganz bestimmten Menschen, der sich wahrscheinlich aus Neugier zeigen würde. Dieser Mensch wollte mit größter Wahrscheinlichkeit herausbekommen, ob sein Anschlag auch von Erfolg gekrönt worden war. Parkers Vermutung sollte sich bestätigen. Schon nach wenigen Augenblicken ließ sich am Geländer zwischen Gehsteig und tieferem Kellergang eine Gestalt sehen, die äußerst angestrengt nach unten schaute. Parker war versucht, seinen vorsintflutlich alten Colt abzufeuern, doch im letzten Moment nahm er davon Abstand. Es war ihm einfach unmöglich, auf jene alte Dame zu schießen, die sich am Geländer sehen ließ. Gut, sie konnte mit dem gesuchten ,Weihnachtsmann’ identisch sein, aber sie mußte nicht… 47
* »Konnten Sie sich diese Dame nicht aus der Nähe ansehen?« erkundigte sich Mike Rander eine halbe Stunde später, nachdem er sich mit seinem Butler in einem Restaurant getroffen hatte. Sie saßen in einer stillen Nische und nahmen einen kleinen Imbiß zu sich. »Diese Absicht hatte ich durchaus. Sir«, gab Josuah Parker zurück, »aber ich hatte sowohl die Schnelligkeit der gewußten Dame, als auch die Menge der neugierigen Zuschauer unterschätzt.« »Sie entwischte Ihnen also?« »Ich muß offen einräumen, Sir, das dem so war.« »War diese Dame mit dem ,Weihnachtsmann’ identisch?« »Ich möchte es als sicher unterstellen, Sir. Zum einen verweise ich auf den Überfall, den eine ältere Dame in der Art und Weise des ,Weihnachtsmannes’ ausführte, zum anderen verweise ich darauf, daß eine durchschnittliche Dame niemals die Nerven aufgebracht hätte, sich wenige Sekunden nach einem Bombenattentat nach den vermeintlichen Opfern umzusehen.« »Gut, Parker, unterstellen wir also, daß Sie es mit dem ,Weihnachtsmann’ zu tun hatten.« Rander lächelte kopfschüttelnd, »das würde bedeuten, daß unser ,Weihnachtsmann’ eine Frau ist.« »Oder, Sir, wenn ich diesen Einwand machen darf, daß dieser ,Weihnachtsmann’ sich in der Kunst der Maskierung äußerst gut auskennt.« »Einverstanden. Damit verringern sich aber unsere Chancen, ihn oder sie zu finden, wie?« »Leider, Sir. Ich hege im Augenblick wenig Hoffnung, diesen Täter stellen zu können. Er ist mir weiter entfernt denn je!« »Oder schon näher als Sie glauben, Parker. Ein unheimlicher Gedanke. Dieser ,Weihnachtsmann’ kann in jeder möglichen Verkleidung herumlaufen und sich an Sie heranpirschen. Sie haben ja wohl nicht vergessen, daß er Sie um jeden Preis umbringen will!« »Keineswegs, Sir!« »Wie wollen Sie sich gegen ihn schützen? Rechnen Sie sich überhaupt eine Chance aus?« »Ich fürchte, Sir, erneut verneinen zu müssen.« Parker sah sei48
nen jungen Herrn ernst an. »Ich möchte nicht verhehlen, daß ich die allgemeine Lage für äußerst bedrohlich halte!« * »Tut mir leid, Rander, aber das Bild Ihres Butlers hat uns nicht weitergebracht.« Lieutenant Madford hob bedauernd die Schultern. »Sie sollten nicht nach meinem Butler suchen lassen, sondern nach dem Mann, den er draußen in der Kiesgrube fotografiert bat.« Rander grinste wie ein großer Lausejunge. »Legen Sie nicht jedes Wort auf die Briefwaage«, gab Madford knurrig zurück, »Sie wissen doch genau, wie ich’s gemeint hatte. Also, nach diesem Kiesgrubengangster habe ich in unserer Verbrecherkartei suchen lassen. Der Mann ist nicht registriert.« »Parker hat so etwas schon befürchtet.« Rander hielt sich im Büro von Lieutenant Madford auf und war nicht sonderlich enttäuscht, daß Madford ihm nichts zu sagen hatte. »Wo steckt Ihr Butler eigentlich?« Madford fragte scheinbar beiläufig. »Er vertritt sich ein wenig die Beine.« »Wollen Sie mir Sand in die Augen streuen?« »So hat er sich mir gegenüber ausgedrückt, Madford. Was er wirklich treibt, können Sie und ich nur ahnen.« »Er ist also nach wie vor hinter dem ,Weihnachtsmann’ her?« »Haben Sie etwas anderes vermutet? Er läßt Ihnen übrigens einen zusätzlichen Tip zukommen, Madford. Recherchieren Sie doch nach einem gewissen Glenn Wilmore, der in Detroit und Flint straffällig geworden sein muß. Er arbeitete dort vor wenigen Wochen oder Monaten nach der Art unseres ,Weihnachtsmannes’!« »Glenn Wilmore?« Madford schmunzelte. »Sie kennen diesen Namen?« »Halten Sie uns für total unfähig?« Madford vergaß sein Schmunzeln schon wieder, »auch wir sind auf diesen Wilmore gestoßen. Aber ich muß Sie und Ihren Butler enttäuschen, Rander. Wilmore sitzt seit drei Wochen im Staatsgefängnis. Wegen Scheckbetrug und Diebstahl. Er wurde zu einem halben Jahr verurteilt. Er kann der ,Weihnachtsmann’ also auf keinen Fall sein.« »Parker wird Augen machen, wenn ich ihm davon erzähle!« 49
»Er wird nicht nur Augen machen, sondern sich diesmal sogar die Zähne ausbeißen. Ich will nicht den Propheten spielen, Rander, aber ich habe so das Gefühl, daß er dem ,Weihnachtsmann’ nicht gewachsen ist.« »Wie tröstlich für uns alle!« spottete Rander, »demnach räumen Sie diesem Täter jede Chance ein, wie?« »Offen gestanden, Rander. ich glaube jetzt nur noch an den Zufall. Ohne ihn werden wir den ,Weihnachtsmann’ bestimmt nicht hochnehmen können. Dieser Kerl ist so ausgekocht wie selten ein Gangster. Wollen Sic mir mal sagen, wo wir den Hebel ansetzen sollen?« * Fred der Mann mit dem Apfelgesicht, bekam leicht verschleierte Augen, als Josuah Parker plötzlich im Schnapsladen vor dem Tresen stand. »Sie?« fragte Fred gedehnt. Er schob sich unauffällig zurück und wollte sich wohl in die Nähe seiner versteckt angebrachten Alarmanlage bringen. »Genieren Sie sich nicht.«, bat der Butler, »ich möchte den Nachfolger des leider verblichenen Mister Stone sprechen. Ich hoffe, daß sich dies einrichten lassen wird.« Fred verzichtete darauf, Alarm zu schlagen. Er beschäftigte sich mit seinem Telefon und unterrichtete Artie, den Mann mit der Sonnenbrille. Artie erschien nach wenigen Minuten, diesmal aber ohne Sonnenbrille. In seiner Begleitung befanden sich die Ganoven Sammy und Miles. Sie sahen den Butler nicht gerade freundlich an. »Sie wollten mich sprechen, Parker?« fragte Artie, der allerdings trotz seiner knappen Sprache etwas unsicher wirkte. »In der Tat, Mister Artie!« Parker blieb bei dem Vornamen dieses Mannes. »Ich möchte übrigens hoffen, daß Sie die Fragen der Polizei nach der Ermordung Mister Stones gut überstanden haben.« »Den Ärger haben wir noch immer am Hals, aber das macht nichts, Parker!« »Falls Sie einen Zeugen für diesen Mord brauchen, stehe ich Ihnen gern zur Verfügung. Sie und meine bescheidene Wenigkeit 50
wissen ja, daß es die beiden Mitarbeiter Jim und Marty von Mister Studdels Gang gewesen sind.« »Die nehmen wir ganz privat auseinander.« Artie gab sich stark und überlegen. »Aber kommen Sie zur Sache. Was wollen Sie von mir?« »Könnten wir dies nicht in Ihrem. Büro erledigen?« »Von mir aus!« Artie, Miles, Sammy und Josuah Parker verschwanden hinter dem bereits bekannten Weinfaß und erreichten das Büro des inzwischen verblichenen Mister Stone. »Also?« Artie nahm auf der Schreibtischkante Platz und sah Parker abwartend und mißtrauisch an. Sammy und Miles hatten sich seitlich neben ihm aufgebaut. »Ich darf kurz rekonstruieren«, begann Parker in seiner höflichgemessenen Weise, »Mister Stone. Ihr Vorgänger ließ sich von einem gewissen ,Weihnachtsmann’ engagieren, und zwar im Hinblick auf meine Wenigkeit. Er und Sie, meine Herren, hatten die Aufgabe übernommen, meine bescheidene Person ins Jenseits zu befördern. Bitte, ich verzichte auf Gegendarstellungen. Ich erinnere nur an die Vorgänge in der bewußten Kiesgrube. Nun, Mister Stone weilt nicht mehr unter uns, wie es so treffend heißt, darf ich erfahren, ob Sie sich nach wie vor an diesen Auftrag gebunden fühlen?« Artie rutschte von der Schreibtischkante und baute sich kopfschüttelnd vor dem Butler auf. »Aus Ihnen soll einer klug werden«, meinte er dann, »angenommen wir arbeiten noch für den ,Weihnachtsmann’, dann könnten wir Sie doch hier fertigmachen, oder?« »Sie würden es versuchen, würde ich sagen.« »Und auch schaffen, wetten?« »Darf ich darauf aufmerksam machen, daß wir das Thema aus den Augen verlieren?« »Schön. Für uns ist der Auftrag erledigt. Mit dem ,Weihnachtsmann’ haben wir nichts mehr zu tun, das war eine Sache zwischen Stone und ihm.« »Ich bin geneigt, Ihnen zu glauben, Mister Artie!« »Das können Sie halten, wie Sie wollen. Uns interessieren nur noch Studdel und seine Jungens. Warum, brauche ich Ihnen ja wohl nicht zu erklären.« »Ich möchte sagen, daß Sie einen trefflichen Entschluß gefaßt haben«, erwiderte Josuah Parker und nickte wohlwollend. »Nach 51
meinen bescheidenen Ermittlungen ist Ihr Vorgänger, Mister Stone, nämlich von seinem Auftraggeber ermordet worden!« »Vom ,Weihnachtsmann’?« Artie riß die Augen auf. An diese Möglichkeit hatte er noch nicht gedacht. »In der Tat.«, redete der Butler zielbewußt weiter, »darf ich als sicher unterstellen, daß Mister Stone ungefähr wußte, wo er den ,Weihnachtsmann’ zu suchen hatte?« »Stone hatte sich natürlich über diesen ,Weihnachtsmann’ so seine Gedanken gemacht und wollte an ihn ‘rankommen!« »Aus diesem Grund mußte er sterben. Früher oder später. Nach der peinlichen Fehlentwicklung in der Kiesgrube, als meine geplante Ermordung nicht so recht gelang, war Mister Stone für den ,Weihnachtsmann’ unbequem und unfähig geworden. Daher mußte Stone sterben.« »Jetzt werfen Sie aber verschiedene Dinge durcheinander.« Artie hob protestierend den Arm, »Stone wurde schließlich von zwei Studdel-Leuten niedergeschossen, oder?« »Durchaus, von den Herren Jim und Marty! Aber, so frage ich, taten sie es aus eigenem Antrieb? Bestand die Notwendigkeit, Mister Stone niederzuschießen? Ich als Augenzeuge muß das verneinen. Mir scheint es als erwiesen, daß der ,Weihnachtsmann’ sich neue Mitarbeiter gesucht hat, die meine Ermordung betreiben sollen.« »Warum erzählen Sie uns das alles?« »Um die Fronten zu klären. Und auch, um sie dringend zu warnen, meine Herren. Lassen Sie sich mit dem ,Weihnachtsmann’ auf keinen Fall ein. Sie müßten früher oder später nur sterben. Dieser Einzelgänger denkt nur an seinen Vorteil, Vertragstreue dürfte ihm unbekannt sein.« »Sie sind ein ulkiger Vogel«, urteilte Artie und schüttelte erneut den Kopf. »Aus Ihnen werde ich nicht klug. Wollen Sie uns auf Studdel und seine Jungens hetzen? Sollen wir Ihnen den Rücken decken?« »Sie werden es zwangsläufig tun müssen.« Parker leistete sich den Anflug eines feinen Lächelns, »schließlich suchen Sie ja die Mörder Ihres ehemaligen Bandenchefs. Ich erinnere noch einmal, Mister Stone wurde meiner Ansicht nach auf Betreiben des ,Weihnachtsmannes’ erschossen. Mit diesem Mörder werden Sie also mit größter Wahrscheinlichkeit nie wieder zusammenarbeiten.« 52
»Sie sind ein gerissener Hund!« Artie grinste. »In der Kunst, Komplimente zu machen, müssen Sie sich noch ein wenig üben«, schloß Parker die interessante Unterhaltung, »ich darf mich wohl jetzt verabschieden, meine Herren. Denken Sie stets an Ihre Gesundheit, die das kostbarste Gut des Menschen ist.« * »Läßt es sich ermöglichen, Mister Studdel zu sprechen?« erkundigte Parker sich bei der jungen Dame in der Anmeldung der Firma für Gebäudereinigungen aller Art. Die junge Dame, die möglicherweise keine Ahnung hatte, daß Mister Studdel nicht nur Firmenchef, sondern auch Gangsterboß war, bemühte sich per Telefon, nachdem Parker ihr seinen Namen genannt hatte. Sie hörte kurz zu, legte auf und hob bedauernd die Schultern. »Mister Studdel hat eine wichtige Konferenz«, sagte sie, »Hinterlassen Sie bitte Ihre Adresse, Mister Studdel wird Sie anrufen.« »Sprachen Sie gerad mit Mister Studdel persönlich?« »Mit seinem Vorzimmer, mit Mister Rank!« »Wie interessant!« Parker tat so, als sagte ihm dieser Name etwas, »Mister Jim oder Marty Rank?« »Mister Ben Rank, Sir!« Sie antwortete durchaus arglos. »Mr. Rank ist der Privatsekretär von Mister Studdel.« »Könnte ich dann jenen Mister Rank sprechen? Bitte, versuchen Sie es, es, handelte sich um eine Unterredung von größter Wichtigkeit.« Sie versuchte es erneut, beendete diesen Versuch aber mit einem erneuten Anheben der Schultern. »Mister Rank ist ebenfalls sehr beschäftigt.«, sagte sie dann, »bitte lassen Sie mir Ihre Telefonnummer zurück. Wir werden rückrufen!« Parker ging auf den Vorschlag ein, hinterließ seine Telefonnummer und verließ die Eingangshalle. Er sah prüfend zum nachmittäglichen Himmel hoch und wartete, bis die junge Dame ihren Platz hinter der Anmeldung verließ. Dies konnte nur noch eine Frage von Sekunden sein. Die junge Dame beschäftigte sich bereits mit ihren leicht trä53
nenden Augen, hüstelte leicht und entschloß sich, schleunigst hinüber in den Waschraum zu gehen. Sie wollte etwas gegen ihre brennenden und tränenden Augen tun. Parker ging nun zurück in die Halle und griff nach dem harmlos aussehenden Kugelschreiber, den er auf dem Anmeldetisch zurückgelassen hatte. Er verdrehte die beiden Hälften gegeneinander und stoppte so das Ausströmen des vollkommen harmlosen Gases, das wirklich nur die Tränendrüsen reizte. Er kam nun ohne jede Voranmeldung zum Lift und fuhr hinauf in den zweiten Stock. Er stieg aus, orientierte sich anhand der Hinweistafeln und fand dann den ihm bereits bekannten Weg zum Privatbüro Studdels. Parker trat ein, ohne anzuklopfen. Nein, Studdel war zwar nicht anwesend, dafür aber die beiden Gangster Jim und Marty. Sie unterhielten sich mit einem etwa vierzigjährigen, schlanken, energisch aussehenden Mann. Jim und Marty federten herum, als sie den Butler erkannten. Fast gleichzeitig griffen sie nach ihren Waffen, doch dann stoppten sie ihre Bewegungen und wurden leicht verlegen. »Mit diesen Schußwaffen soll sich einer auskennen«, tadelte Parker sich selbst und schüttelte fast vorwurfsvoll den Kopf dazu. »Ein alter, müder und relativ verbrauchter Mann wie ich wird es wohl nie lernen.« Jim und Marty gerieten in leichte Panik, als sie die klobige, leicht angerostete Waffe in Parkers Hand sahen. Sie schien zu schwer zu sein, denn Parkers Hand wies einen deutlichen Tremor auf. Der Lauf der Waffe wackelte von Jim zu Marty, wieder zurück und dann hinüber zu dem schlanken, energisch aussehenden Mann. »Darf ich mich Ihnen vorstellen?« Parker wandte sich an den dritten Mann, »mein Name ist Parker, Josuah Parker. Ich habe die unbestreitbare Ehre und Freude, der Butler Mister Randers sein.« »Rank… Ben Rank!« erwiderte der Mann und grinste ironisch, »ich habe das zweifelhafte Vergnügen, die rechte Hand von Mister Studdel zu sein.« »Der sich laut Auskunft in einer wichtigen Konferenz befinden soll, nicht wahr?« »Sie haben es erraten, Mister Parker. Kann ich vielleicht irgend etwas für Sie tun?« »Aber selbstverständlich. Haben Sie doch die Güte, mich mit 54
Mister Studdel in Kontakt zu bringen. Umgehend!« »Das wird sich nicht machen lassen. Im Moment wenigstens nicht.« »Und wenn ich Sie sehr bitte, Mister Rank?« »Auch dann nicht, Mister Parker. Und stecken Sie jetzt diese verdammte Waffen weg. Wir befinden uns schließlich in einem zivilisierten Land!« »Ich werde mir erlauben, Sie bei Gelegenheit daran zu erinnern.« Parker deutete eine seiner knappen Verbeugungen an, »darf ich noch einmal auf Mister Studdel zurückkommen.« »Sagen Sie mal, können Sie nicht hören?« Rank wurde böse. »Er ist jetzt nicht für Sie zu sprechen.« »Wäre er denn dazu imstande?« »Was soll das heißen?« »Geht es ihm, wenn ich so fragen darf, gesundheitlich gut?« »Dumme Frage! Natürlich!« »Dann gibt es doch wohl keinen Hinderungsgrund, ihn zu sehen.« Rank seufzte. Die Hartnäckigkeit des Butlers ging ihm zwar auf die Nerven, aber er bemühte sich, dies nicht zu deutlich werden zu lassen. Scheinbar gab er nach. »Also gut… Jim… Marty… Bringt Mister Parker zu Mister Studdel.« Er wandte sich an Parker. »Mister Studdel konferiert drüben in seinem Privathaus.« »Sehr freundlich, äußerst freundlich!« Parker nickte dankend, »ich möchte Sie auf keinen Fall echauffieren, meine Herren. Es genügt mir, wenn ich Mister Studdel von hier aus per Telefon sprechen kann. Dies läßt sich gewiß einrichten, nicht wahr?« »Natürlich!« Rank zwang sich weiterhin zur Ruhe. Er ging zum Schreibtisch und griff nach dem Telefonapparat, während Jim und Marty ihn sorgsam beobachteten und offensichtlich auf ihr Stichwort warteten. Während Rank eine Nummer wählte, beugte er sich etwas vor, um besser und ungenierter nach der Schublade greifen zu können, was er wohl besser nicht getan hätte. Parker fühlte sich nämlich veranlaßt, seine Waffe abzufeuern. *
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Ben Rank zuckte zusammen, als das Geschoß ihn erwischte und auf seinem Nacken auseinanderplatzte. Eine warme, zähe Flüssigkeit rann ihm in den weißen Kragen hinein und netzte seine Schultern. Rank, der die Situation völlig verkannte, schrie auf und faßte unwillkürlich nach der Stelle, die allerdings überhaupt nicht schmerzen konnte. Tomatenmark hat nun einmal die freundliche Angewohnheit, keine Wunden hervorzurufen. Parker hatte eine Platzpatrone, gefüllt mit Tomatenmark abgefeuert. Jim und Marty wollten selbstverständlich aktiv werden. Jim riß seine Waffe aus der Schulterhalfter, handelte sich darüber aber eine zweite Platzpatrone ein. Dunkelrotes Tomatenmark rann über sein Gesicht und verklebte ihm die Augen. Marty schien ein humorvoller Mensch zu sein, und zwar in Richtung auf Schadenfreude. Er vergaß völlig, nach seiner Waffe zu greifen. Er lachte lauthals, als er das Gesicht seines Partners sah. Neckisch rann das zähflüssige Würzmittel über Nase und Kinn, tropfte auf das Vorhemd hinunter und verschwand zwischen den Revers des Jacketts. Parker schoß erneut. Nun lachte Marty allerdings nicht mehr. Die Ladung erwischte ihn voll im Gesicht. Da er den Mund geöffnet hatte, drang eine gehörige Portion Tomatenmark in seinen Rachen und beeilte sich, auf dem Weg über die Speiseröhre in den Magen zu gelangen. Einige Tomatenmarkspritzer verwechselten allerdings die Richtung und gerieten in die Luftröhre. Von diesem Sekundenbruchteil an hatte Marty sehr viel mit sich selbst zu tun. »Sehen wir doch nach Mister Studdel!« sagte Parker, sich an Rank wendend, der die Welt nicht mehr verstand, zumal die beiden Berufskiller Jim und Marty beleidigt waren und nicht mehr mitspielen wollten. Rank starrte in die rot gesprenkelten Gesichter der beiden Männer, schaute dann auf den Butler und riskierte in seiner dummen Verwegenheit einen Angriff. »Einen Moment, bitte!« sagte Parker und stoppte den heranstürmenden Mann mit der erhobenen ausgestreckten Hand. Rank bremste seinen Schwung ab und blieb überrascht stehen. »Dies hier«, erläuterte Parker und nahm den bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms hoch, »dies hier, Mister Rank, ist doch offensichtlich der Griff eines Regenschirms, 56
nicht wahr?« »Na, und?« Rank war ehrlich verblüfft. »Verfolgen Sie den Weg dieses Griffes«, redete der Butler würdevoll und gemessen weiter, »Sie werden eine erstaunliche Feststellung machen.« »Da bin ich aber gespannt!« Rank ahnte nicht im geringsten, worauf Butler Parker hinauswollte. Parker führte den bleigefütterten Griff langsam auf Rank zu, der diesen Griff scharf verfolgte und schließlich sogar leicht schielen mußte. »Können Sie den Griff noch sehen?« erkundigte Parker sich. »Natürlich«, gab der schielende Mister Rank zurück. »Können Sie ihn auch fühlen?« Zu einer Antwort kam Rank nicht mehr, da der Butler den bleigefütterten Griff auf das Kinn des Mannes gelegt hatte. Rank verdrehte die Augen, schielte dann ganz schrecklich, seufzte auf und schraubte sich zu Boden. Er blieb malerisch vor dem großen Schreibtisch liegen. Parker kümmerte sich um Jim und Marty, die dabei waren, das Tomatenmark aus ihren Augen zu wischen. Sie waren völlig mit sich selbst beschäftigt und hinderten den Butler nicht daran, das Büro gemessen zu verlassen… * Immer noch mit Tomatenmark bekleckert, erschienen Jim, Marty und Ben Rank in der Privatgarage des Studdels-Wohnhauses. Sie schleppten sich mit einem Teppich ab, der eine gewisse Füllung zu haben schien. Diesen Teppich wollten sie unter allen Umständen in den Kofferraum eines Cadillac schieben und pressen. Die Füllung des Teppichs antwortete darauf mit einem unterdrückten Stöhnen, was die drei Ganoven aber keineswegs beeindruckte. Sie gaben sich ziemlich rüde und schienen es sehr eilig zu haben. Parker beendete das Spiel. Er stand hinter einem Blechspind an der Stirnseite der großen unterirdischen Doppelgarage und schob sich eine seiner Spezialzigarren in den Mund. Anschließend warf er eine kleine Räucherbombe in die Garage. Diese Räucherbombe in der Form einer Glasampulle zeigte 57
prompte Wirkung. Nach einem dumpfen »Puff« breitete sich in rasender Schnelligkeit eine grauweiße Nebelwand aus. Jim. Marty und Ben Rank wollten weglaufen, doch sie schafften es nicht mehr. Sie rutschten haltlos in sich zusammen und verloren das Bewußtsein. Parker atmete nicht zu unrecht durch die Zigarre, die nichts anderes war als ein gut getarnter Filter. Ihm machten die Nebelschwaden überhaupt nichts aus. Eile schien der Butler ebenfalls nicht zu kennen. Er durchsuchte die Taschen der drei Gangster und interessierte sich vor allen Dingen für den Inhalt der Brieftaschen. Er entnahm diesen drei Brieftaschen insgesamt fünfhundert Dollar und fertigte als korrekter Mensch sogar eine Quittung aus. Darauf stand, daß das entnommene Geld als Schmerzensgeld an einen gewissen Pfandleiher namens Harvey bestimmt war. Anschließend bastelte der Butler einen kurzen Augenblick an den drei gefundenen Handfeuerwaffen herum, die er dann allerdings wieder zurück in die drei Schulterhalfter gleiten ließ. Parker hob mit erstaunlicher Kraft den eingerollten Teppich aus dem Kofferraum und verstaute ihn auf dem bequemen Rücksitz des Cadillac. Er setzte sich ans Steuer und fuhr die Last aus der Doppelgarage hinaus. Er parkte den Cadillac neben seinem hochbeinigen Monstrum und nahm hier eine zweite Umladung vor. Nun wanderte der Teppich samt jetzt schweigender Füllung in den wirklich komfortablen Kofferraum des Monstrums. Parker schloß ihn, setzte sich steif und würdevoll ans Steuer und verließ das Gelände der Gebäudereinigungsfirma. Er ließ drei verstörte, aber noch schlafende Gangster in einer leicht verqualmten Garage zurück… * Mel Harvey traten Tränen der Rührung in die Augen, als Josuah Parker ihm fünfhundert Dollar aushändigte. »Wie, wie soll ich das je wieder gutmachen?« fragte er. »Die Herren Jim und Marty hoffen, daß dieses kleine Schmerzensgeld ausreichen wird«, sagte Parker, »ein gewisser Ben Rank hat sich finanziell und aus moralischen Gründen an diesem Betrag beteiligt.« 58
»Wird, wird das keinen Ärger geben?« fragte Harvey und wurde schon wieder etwas ängstlich. »Sicher nicht, wenn Sie einen kleinen Rat beherzigen.« »Und der wäre?« »An Ihrer Stelle würde ich für einige Tage diese schöne Stadt verlassen und die Konkurrenz in, sagen wir, New York aus nächster Nähe begutachten.« »Sie meinen, ich sollte verschwinden.« »So kann man es natürlich auch ausdrücken«, erwiderte der Butler, »aber Sie müssen zugeben, daß dies vulgärer klingt… In diesem Zusammenhang noch eine Frage. Ist Ihnen Mister Ben Rank näher bekannt?« Harvey nickte spontan. »Sie brauchen sich keine Beschränkung aufzuerlegen«, beruhigte Parker seinen Gesprächspartner. »Bem Rank ist die rechte Hand von Studdel. Eines Tages, so heißt es in der Branche, wird er den Studdel-Laden übernehmen. Wenn Studdel hart ist, dann ist Rank brutal.« »Daher mein bescheidener Rat, sich ein wenig in New York umzusehen«, meinte der Butler, »je schneller übrigens, desto besser. Ich könnte mir durchaus vorstellen, daß hier bald Besuch auftauchen wird. Ich fürchte, ich habe mich bei gewissen Leuten nicht gerade sehr beliebt gemacht!«
* »Parker, Parker! Sie bringen uns in des Teufels Küche«, sagte Anwalt Mike Rander und schüttelte verweisend den Kopf. »Gut, Sie haben Studdel samt Teppich aus dem Cadillac geholt und wahrscheinlich Studdels Ermordung verhindert, aber wir können den Mann doch nicht festhalten. Das ist Kidnapping in leicht verschwommener Form!« »Ich hoffe, Sir, Sie vollkommen beruhigen zu können. Darf ich auf dieses Schriftstück verweisen?« Während Parker noch redete, griff er in eine der vielen Taschen seines schwarzen Zweireihers und holte ein Blatt Papier hervor, das er fast feierlich entfaltete. Rander überlas die wenigen Zeilen, dann reichte er das Schreiben kopfschüttelnd, aber immerhin lächelnd an seinen Butler zu59
rück. »Sie haben sich abgesichert.«, meinte er, »Studdel bestätigt Ihnen in dem Schreiben, daß er aus freien Stücken Ihr Gast ist. Schön, ich will nicht fragen, wie Sie an diese Erklärung gekommen sind.« »Dies ist aber durchaus kein Geheimnis, Sir. Ich bat Mister Studdel um diese Bestätigung, die er freudig abgab.« »Wahrscheinlich, weil Sie ihm klargemacht haben, daß er von Jim, Marty und Rank dringend gesucht wird, wie?« »Was den Tatsachen vollkommen entspricht. Sir. Ich möchte also sagen, daß ich das tat, was man gemeinhin eine gute Tat nennt.« »Bleiben wir bei Jim, Marty und Rank!« Rander wollte sich eine Zigarette anzünden, doch sein Butler war mit dem altmodischen Feuerzeug, das einem mittelschweren Flammenwerfer glich, wesentlich schneller. »Bleiben wir also bei Jim, Marty und Rank. Hat Studdel gesagt, warum man ihn umbringen oder zumindest wegschaffen wollte?« »Mister Studdel ist im Moment nicht orientiert.«, erwiderte der Butler, »er kann es sich nur so erklären, daß seine drei wichtigsten Mitarbeiter vom Weihnachtsmann’ gekauft wurden.« »Glaube ich auch.« »Ich erlaube mir, mich Ihrer Ansicht anzuschließen, Sir. Durch die Entnahme gewisser Entschädigungsgelder aus diversen Brieftaschen und durch das Hinterlassen einer Quittung, aus der hervorgeht, für wen dieses Geld gedacht ist, hoffe ich, daß diese drei Gangster früher oder später hier erscheinen werden, um sich Mister Harveys zu versichern.« »Warten wir es ab! Bisher hat sich noch nichts getan!« Rander sah sich in dem kleinen Hinterzimmer des Kellerladens um und seufzte. Gemütlich war es hinter der Pfandleihe Harveys ganz sicher nicht. Es roch nach Moder und Armut und war feucht und schäbig. Er und Parker warteten nun schon fast seit einer Stunde auf Zwischenfälle, die sich aber nicht einstellen wollten. Bis zum Dunkelwerden konnte es nicht mehr lange dauern. Vielleicht tat sich dann etwas, wenn erst einmal die Nacht über die Stadt hereingebrochen war. »Darf ich mir erlauben, Ihnen einen. Kognak zu reichen, Sir?« »Wäre nicht schlecht.«, sagte Rander und lächelte versonnen. Dann zuckte er allerdings zusammen, als Parker dicht vor ihm 60
auftauchte, um die kleine Erfrischung aus Silberbechern zu servieren. »Ihre Maskerade macht mich völlig nervös«, beschwerte Rander sich aufatmend, »ich bin sicher, daß man Sie auf jeden Fall mit Harvey verwechseln wird.« »Ich möchte es doch sehr hoffen, Sir.« Rander hatte keineswegs übertrieben. Parker sah wie Harvey aus, war klein geworden, zeigte den schiefen Rücken, hatte das pfiffig aussehende Gesicht, eines gemütlichen Alkoholikers und trug die Brille mit Halbgläsern auf der Nase. Parkers Maske war ein Meisterwerk, wie jeder Maskenbildner ohne weiteres eingeräumt hätte. Nicht umsonst hatte der Butler in der Vergangenheit das Handbuch »Die Kunst der Maske« eingehend studiert. Auch auf diesem Gebiet war er einsame Klasse, wie Mike Rander sich wohl ausgedrückt hätte. Rander sah blitzschnell hoch, als die Ladenklingel schrillte. Josuah Parker strich sich den grauen Arbeitskittel zurecht, den Mel Harvey vor seiner Abreise nach New York getragen hatte und ging durch den kurzen Verbindungskorridor hinüber in die Pfandleihe. Ein etwas abgerissen aussehender Beatnik von schätzungsweise dreißig Jahren, mit dichtem Kinnbart, Flowerhemd und ausgebeulten Manchesterhosen, stand vor der Theke und sah sich suchend im Ladenlokal um. »Eine Trompete!« sagte er dann mit rauher Stimme, »haben Sic so was? Darf aber nich’ teuer sein.« »Mal nachsehen«, erwiderte Parker, der den Tonfall und die Stimme Mel Harveys ausgezeichnet nachahmte, »so was muß dasein. Was wollen Sie denn anlegen?« Mike Rander hatte seinen 38er gezogen und sich in den kurzen Verbindungskorridor hineingestohlen. Auch der ,Weihnachtsmann’ hatte sich bisher als Meister der Maske erwiesen… * Josuah Parker suchte unter den herumhängenden und herumliegenden, teils relativ neuen, teils hoffnungslos alten und verbeulten Instrumenten nach einer noch halbwegs passablen Trompete. Der Beatnik schien auf die Gelegenheit gewartet zu haben, daß 61
Parker ihm den Rücken zuwendete. Er griff plötzlich in die Tasche und schien einen größeren, sperrigen Gegenstand ans Tageslicht befördern zu wollen. »Wollten Sie ‘ne Trompete?« fragte Mike Rander in diesem Augenblick und schob sich betont gelassen, aber äußerst wachsam in das Ladenlokal hinein. Der Beatnik war völlig überrascht. Er schaute blitzschnell zur Seite und zog seine leere Hand wieder hervor. »Eine Trompete!« bestätigte er. »Darf es die hier sein?« Parker hatte etwas gefunden. Er ließ sich nicht anmerken, ob das Dazwischentreten seines jungen Herrn ihm gefiel oder nicht. »Zehn Dollar!« »Mann, ich will doch nicht Ihre ganzen Laden kaufen«, entrüstete sich der Beatnik, »zehn Dollar. Bin ich Rockefeller? Da sehe ich mich lieber mal bei der Nachbarschaft um.« Ohne weitere Worte zu verlieren, drehte er sich um und verließ die Kellerpfandleihe. »Verflixt.«, sagte Rander und kratzte sich verlegen am Kopf, »hoffentlich bin ich nicht im falschen Moment aufgetaucht, Parker!« »Sie sollten sich keine Selbstvorwürfe machen, Sir.« »Ich bin also zu früh aufgetaucht?« »Vielleicht, Sir.« »Dann nichts wie diesem Kerl nach!« Rander sah den Butler unternehmungslustig an. »Dies, Sir, wird wenig Sinn haben! Falls der Beatnik der ,Weihnachtsmann’ war, wird er sich bereits demaskiert haben. Falls wir es mit einem echten Beatnik zu tun haben, wäre dies reine Zeitverschwendung.« »Als der Bursche in die Hosentasche griff, dachte ich, er wollte seine Kanone ziehen und auf Sie schießen.« »Was der ,Weihnachtsmann’ unbedingt getan hätte, Sir. Ich möchte mich an dieser Stelle sehr herzlich für Ihr Mißtrauen bedanken.« »Sagen Sie mal, wollen Sie mich auf den Arm nehmen, Parker?« »Dies. Sir, würde ich mir niemals erlauben. Ich möchte annehmen, daß der erwartete ,Weihnachtsmann’ sich auf jeden Fall erneut sehen lassen wird, falls der Beatnik mit ihm identisch war.« 62
»Weil er jetzt weiß, daß wir hier in der Pfandleihe sind?« »Gewiß, Sir. Falls der Beatnik harmlos war, wird der ,Weihnachtsmann’ ohnehin noch kommen. Verloren dürfte demnach also nichts sein.« »Sie haben eine wunderbare Art, beruhigend zu wirken, Parker.« Rander zündete sich wieder eine Zigarette an. »Wie lange wollen wir überhaupt warten?« »Mister Harvey pflegte seine Pfandleihe bis gegen 22.00 Uhr geöffnet zu halten.« »Und jetzt haben wir erst 18.30 Uhr«, seufzte Mike Rander. »Wenn Sie erlauben, Sir, richte ich inzwischen ein kleines Dinner. Ich hoffe, Ihre Wünsche getroffen zu haben!« »Ein Dinner? Hier, in dieser Höhle?« »Ich habe die erforderlichen Gerätschaften selbstverständlich herbeigeschafft, Sir. Ich darf mir erlauben, in dem Raum, den Mister Harvey als Büro bezeichnet, zu decken.« »Da bin ich aber gespannt!« Rander lachte. »Hoffentlich haben Sie auch ein Gedeck für den ,Weihnachtsmann’ eingepackt, Parker? Sie wollen ihn doch nicht enttäuschen, falls er sich hier wirklich blicken läßt.« * Mike Rander rauchte seine Zigarette und sah seinem Butler zu, der wieder einmal seine universelle Begabung unter Beweis stellte. Mike Rander staunte über die Handfertigkeiten seines Butlers. Aus einem kleinen Koffer zauberte Parker ein weißes Tischtuch aus Damast hervor, das er über den verschrammten Arbeitstisch legte. Anschließend folgte das Gedeck, das er mit dem dazu passenden Besteck kränzte. »Ich habe mir die Freiheit genommen, ein etwas rustikales Geschirr zu wählen, das sich diesem Ort hier einigermaßen anpaßt.«, kommentierte der Butler steif und würdevoll. Er zauberte aus dem bewußten Koffer ein Rechaud hervor, diesen Spiritusdocht er in Brand setzte. Über dieser sanften Flamme wärmte er eine französische Zwiebelsuppe auf, der Mike Rander nicht widerstehen konnte. Nach der Zwiebelsuppe folgte ein feines Ragout mit einigen Löffeln Reis. 63
»Ich möchte Ihren Magen nicht unnötig belasten, Sir, zumal weder mir noch Ihnen unbekannt ist, was uns erwartet.«, sagte der Butler dazu. »Ich weiß, daß ich mich auf Sie verlassen kann.« Rander konnte nur noch lächeln. Sein Butler war eben unschlagbar. »Darf ich Ihren Gaumen nun mit einem abschließenden Omelett verwöhnen?« erkundigte Parker sich. »Auf Wunsch könnte ich es mit altem Kognak flambieren.« »Lassen Sie sich nur nicht aufhalten, verwöhnen Sie…!« Rander nickte interessiert zu seinen Worten. »Lieutenant Madford müßte uns hier sehen, Parker. Er bekäme einen Schlaganfall!« Josuah Parker übergoß das leichte Omelett mit Kognak und entzündete ihn. Eine blaue Flamme huschte über die Speise. Ein intensiver Geruch breitete sich aus. »Und nun der Mokka, Sir!« Parker hatte selbst an ihn gedacht, doch als er ihn servieren wollte, meldete sich die Tür der Pfandleihe. Rander erhob sich sofort und griff nach seiner Schußwaffe. Josuah Parker deutete eine entschuldigende Verbeugung an und ging hinüber in das Ladenlokal. Das heißt, er traf eine gewisse Sicherheitsvorkehrung. In der Pfandleihe hatte er eine leicht lädierte Kleiderpuppe vorgefunden, die er entsprechend kostümiert hatte. Diese kostümierte Puppe nun schob er sicherheitshalber zuerst einmal in die eigentliche Pfandleihe hinein. Es tat sich einiges! Einige dumpfe »Plopps« waren zu hören, die draußen auf der Straße unmöglich Aufmerksamkeit erregen konnten. Parker spürte, daß die Kleiderpuppe wie von mächtigen Fäusten herumgewirbelt wurde. Parker ließ sie zu Boden fallen und produzierte daraufhin ein durchaus gekonntes Stöhnen. Schnelle Schritte näherten sich dem kleinen Korridor, der das Büro mit dem Ladenlokal verband. Diese Schritte mußten zu dem Mann oder der Person gehören, die sich hier als Mörder betätigt hatte. »Na, also«, sagte die Stimme von Jim. »Warum denn nicht gleich so!« pflichtete Gangster Marty seinem Partner bei, um dann zusammen mit ihm in den Korridor einzubiegen. Was sie wohl besser etwas vorsichtiger angestellt hätten. 64
* Sie beugten sich über ihr vermeintliches Opfer und merkten erst jetzt, daß man sie getäuscht hatte. »Bleiben Sie bitte in der jetzigen, gebeugten Haltung«, sagte Parker höflich, aber mit einem Unterton, der Jim und Marty veranlaßte, keine Dummheiten zu machen. Mike Rander trat diesmal in Aktion und lieh sich dazu den Universal-Regenschirm seines Butlers aus. Mit zwei gezielten Schlägen beförderte er Jim und Marty ins Land der Träume. »Liegt sehr gut in der Hand«, stellte Rander dann fest und stellte den Regenschirm in die Ecke. »Und jetzt, Parker?« »Falls Sie mich für einen Moment beurlauben, Sir, ließe dieses Problem sich leicht lösen.« »Sie brauchen den Urlaub nicht gerade schriftlich einzureichen«, spottete der junge Anwalt und nickte seinem Butler zu. Josuah Parker verschwand im Büro, um dann mit einer Rolle Bindfaden zurückzukommen. Schnell und fachmännisch band er Jim und Marty, um sie anschließend ins Büro zu tragen. Er schaute sich einen Augenblick suchend um, dann verstaute er die beiden noch immer leicht benommenen Gangster in einem unansehnlichen und etwas zu engen Besen-Schrank. »Darf ich jetzt den Mokka servieren?« fragte er den Anwalt. »Haben Sie keine Angst, daß der ,Weihnachtsmann’ noch auftauchen wird, Parker?« »Ich hoffe sehnlichst, Sir, daß er noch kommt.« Parker servierte den Mokka und reichte seinem jungen Herrn Feuer für eine weitere Zigarette. Dann befragte er seine unförmig aussehende Zwiebeluhr, die an einer soliden Nickelkette hing und nickte erfreut, als die Ladentür der Pfandleihe sich erneut meldete. Mike Rander wischte hoch und griff schon fast automatisch nach seiner Waffe. Josuah Parker bemühte sich im Verbindungskorridor noch einmal um die Kleiderpuppe und schob sie sehr naturalistisch in das Ladenlokal. »Hallo, ist denn hier niemand?« Die etwas schrille Stimme einer Frau war zu hören. Parker lugte an der Puppe vorbei in die Pfandleihe hinein. Vor der Theke stand eine etwa fünfundvierzigjährige, 65
einfach gekleidete Frau, die einen zerbeulten Filz auf dem Kopf trug. »Was darf es sein?« erkundigte Parker sich als Mel Harvey. »Ich brauche Töpfe«, sagte die Frau, in deren Stirn einige Haarsträhnen hingen. »Töpfe? Warten Sie, so was ist bestimmt da.« Parker in der Rolle des Pfandleihers war überzeugend. Er schlurfte noch näher an die Theke heran, ließ die Frau aber nicht aus den Augen. Ihm war schließlich nur zu gut bekannt, daß der ,Weihnachtsmann’ es nicht verschmähte, auch als Frau aufzutreten. »Viel kann ich aber nicht anlegen«, sagte die Frau, deren Mund ein leichter Schnapsgeruch entströmte. »Neu krieg’ ich sie überall.« Sie stellte eine einfache Handtasche aus Kunstleder auf die Ladentheke und öffnete den Verschluß. Würde sie jetzt nach einer Schußwaffe greifen? Parker war nichts anzusehen. Er hatte sich jedoch taktisch günstig aufgebaut, um einem Angriff sofort begegnen zu können. Er hatte keine Lust, sich einem etwaigen ,Weihnachtsmann’ als williges und dummes Opfer anzubieten. »Da haben Sie ja was an der Wand hängen«, rief die bereits angejahrte und wirklich schlampig aussehende Frau Sie deutete mit ausgestrecktem Arm hinüber zur nahen Wand, auf der sich in der Tat Pfannen und Töpfe befanden. »Gewiß, gewiß«, sagte Parker freundlich, ohne seinen Blick von der Frau aber abzuwenden. Obwohl er genau wußte, daß er von seinem jungen Herrn gedeckt wurde, wollte er jedes unnötige Risiko vermeiden. »Dort, an der Wand!« Die Frau wurde gereizt, »Mann, sehen Sie denn nicht?« »Aber selbstverständlich«, antwortete der Butler in der Maske des Pfandleihers. »Bedienen Sie sich nur! Kommen Sie ruhig um die Theke herum!« »Hätten Sie ja auch gleich sagen können«, gab sie mürrisch zurück und folgte seinem Ratschlag. Gleichzeitig zog sie aus der Kunstledertasche eine schäbige Geldbörse und warf sie auf die Theke. »Eine Bedienung is’ das hier.« Sie erstand einen ausgebeulten Topf, eine Pfanne und einige Blechteller, zahlte dafür nach Parkers Vorschlag drei Dollar und ging mit ihrer Beute, ohne sich die Gerätschaften einschlagen zu 66
lassen. Sie ließ das Klingeln der Ladentür zurück und auch den Geruch nach billigem Fusel… * »War das nun der ,Weihnachtsmann’ oder nicht?« Madford hatte sich die Geschichte mit großen Interesse angehört und war verständlicherweise nicht mit ihr zufrieden. »Hätten Sie dieser Dame nicht mal gründlich auf den Zahn fühlen können, Parker?« »Ich fürchte, Sir, Sie verwechseln meine Wenigkeit mit einem Zahntechniker!« lautete die Antwort des Butlers. »Ich hoffe, Sie begnügen sich mit der Festnahme wenn ich mich so ausdrücken darf, der Herren Jim und Marty!« »Denen ich erst einmal den Mord an Joe Stone nachweisen muß«, sagte Madford und verzog sein Gesicht, »leicht wird das nicht sein.« »Müssen mein Butler und ich Ihnen immer die Fälle gelöst servieren?« fragte Mike Rander ironisch dazwischen. »Da Sie von Jim und Marty reden, Madford, vergessen Sie nicht, daß sie auch ihren Chef Studdel ermorden wollten.« »Studdel... Studdel… wie vom Erdboden verschwunden.« Madford sah den Butler schlau an, »Sie wissen nicht zufällig, wo er sich aufhalten könnte?« »Ich weiß, dies will ich ohne weiteres einräumen, recht viel, was den Fall des ,Weihnachtsmannes’ angeht, doch in diesem speziellen Fall möchte ich von einer Äußerung Abstand nehmen.« »Sie wissen also sehr genau, wo Studdel sich aufhält?« »In der Tat, Sir!« »Dann möchte ich sofort die Adresse von ihm haben, Parker.« Madford plusterte sich wie gewöhnt auf. »Studdel ist ein ungemein wichtiger Zeuge.« »Mit dem ich erst einmal Rücksprache nehmen werde«, erklärte der Butler, »sobald ich seine Stellungnahme kenne, werde ich Sie umgehend informieren, Sir.« »Ich könnte Sie zwingen, mir seine Adresse zu verraten.« »Wie Sie meinen, Sir!« »Ist Ihr Butler ein sturer Bursche«, seufzte Madford auf. der sich hütete, es zu einem echten Streit kommen zu lassen. »Rander, sorgen Sie dafür, daß ich Studdel so schnell wie möglich 67
sprechen kann. Er kann mir die Argumente liefern, die ich für verlängerte Haftbefehle brauche.« »Nun drehen Sie nicht gleich durch, Madford.« Mike Rander lächelte amüsiert. »Parker wird Ihnen diesen Studdel schon zustellen. Bleiben wir aber beim ,Weihnachtsmann’! Was haben Sie und Ihre Leute zusätzlich herausgefunden?« »Nach wie vor nichts, rein gar nichts. Die Aufnahmen von ihm, die Parker geschossen hat, werden inzwischen in allen Bundesstaaten ausgewertet. Viel Hoffnung mache ich mir aber nicht. Wir haben es mit einem Einzelgänger zu tun, der bisher noch nicht aufgetreten ist. Ja, wenn man Fingerabdrücke hätte.« »Diese erwähnten Fingerabdrücke kann ich Ihnen selbstverständlich zur Verfügung stellen, Sir!« »Wie bitte?« Madford staunte wieder einmal. »Darf ich Sie an die beiden etwas skurrilen Besucher in der Pfandleihe erinnern, Sir? Die Fingerabdrücke des Beatniks finden Sie auf der Theke, die der alkoholisierten Dame auf einer emaillierten Bratpfanne, die an der Wand hängt. Nach wie vor besteht ja durchaus die Möglichkeit, daß sowohl der bärtige Mann als auch die beschwipste Dame mit dem ,Weihnachtsmann’ identisch sein könnte.« Madfords Hand schoß nach vorn zum Telefonapparat. Er wählte seine Hausnummer und gab einige Befehle in die Leitung. Dann schwieg, er und merkte überhaupt nicht, daß sein Gesicht sich krebsrot färbte und feuerte schließlich den Hörer auf die Gabel. »Hat sich was mit Ihren verdammten Finger abdrücken«, knurrte er dann gereizt, »Sie wissen wahrscheinlich noch nicht, daß die Pfandleihe von Harvey restlos ausgebrannt ist. Eine verdammte Schweinerei, wenn Sie mich fragen.« »Wenn Sie gestatten, Sir, würde ich mich gern Ihrer Betrachtungsweise anschließen«, kommentierte der Butler. »Erwiesen ist demnach, daß entweder die alkoholisierte Dame oder aber der Lebenskünstler der ,Weihnachtsmann’ gewesen sein muß!« * Es war nach Mitternacht, als Mike Rander sich von seinem Butler zurück zum Bürohochhaus fahren ließ. Das hochbeinige Monstrum auf Rädern rollte durch die nächtlichen Straßen, die man 68
endlich einmal zügig befahren konnte. Der Verkehr der Riesenstadt war leicht eingeschlafen. Nachdem Parker seinen Wagen in die Tiefgarage gesteuert hatte, betraten Rander und Parker den privaten Schnellift. Da der ganze Hochhauskomplex Mike Rander gehörte, hatte er sich die Dinge installieren lassen können, die er schätzte und dringend benötigte. So war man in der Lage, mit diesem Lift hinunter in eine Spezial-Tiefgarage zu fahren. Dies war nur möglich, wenn man die Geheimnisse des Lifts kannte. Ein Unbefugter hätte selbst mit den raffiniertesten Nachschlüsseln niemals erreicht, daß der Lift sich weiter nach unten bewegte. Hank Studdel logierte in einem vollklimatisierten Raum und war noch wach. Er lag zwar auf einer breiten, bequemen Liege, stand aber sofort auf, als seine beiden Gastgeber eintraten. »Darf ich mich nach Ihrem Befinden, aber auch nach Ihren Wünschen erkundigen?« fragte Josuah Parker. »Ich glaube, ich habe Fieber«, erklärte Studdel, dessen schmales Raubvogelgesicht gelblich wirkte. »Die beiden Verletzungen machen mir zu schaffen.« »Sie werden sich bald in einem Polizeilazarett auskurieren können«, warf Mike Rander ein. »Kann ich mir eine Zigarette anzünden?« Studdel nickte. »Polizeilazarett?« fragte er dann. »Natürlich. Daran werden Sie nicht vorbeikommen. Studdel! Sie können sich ja vorstellen, daß die Polizei sich für Sie interessiert. Denken Sie an den Mord an Joe Stone!« »Mit dem ich doch nichts zu tun habe!« »Wir glauben Ihnen selbstverständlich, aber ob Madford sich so leicht überzeugen lassen wird? Jim und Marty haben bereits alles abgestritten. Sie schieben die Schuld auf Sie!« »Na. die werden sich wundern, wenn ich auspacke!« »Jim und Marty sind ungemein zurückhaltend. Auch sie scheinen plötzlich Angst vor der Rache des ,Weihnachtsmannes’ zu haben.« »Dieser verdammte Kerl ist daran schuld, daß alles auseinandergeplatzt ist.« »Ein Grund mehr, ihn schleunigst aus dem Verkehr zu ziehen, Studdel, Sie hatten nun Zeit genug, sich alles gründlich durch den 69
Kopf gehen zu lassen. Was wissen Sie über den ,Weihnachtsmann’?« »So gut wie nichts!« »Sie waren doch ebenfalls hinter ihm her.« »Stimmt, aber ich hatte schließlich Rank, Jim und Marty auf diesen Außenseiter angesetzt. Ich wette, sie haben mir alles unterschlagen, was sie je über diesen ,Weihnachtsmann’ erfuhren.« »Sie vertrauten Rank restlos?« »Natürlich. Konnte ich ahnen, daß er sich ausgerechnet vom Weihnachtsmann kaufen ließ? Konnte ich ahnen, daß er sich mit Jim und Marty gegen mich auflehnte?« »Das Führen einer Gang scheint seine Probleme zu haben«, meinte Anwalt Rander ironisch. »Was sagten Ihre Kollegen in der Branche denn zum ,Weihnachtsmann’?« »Wir alle waren ziemlich aufgeregt. Außenseiter stören den Arbeitsfrieden, verstehen Sie? Dieser ,Weihnachtsmann’ scheuchte die gesamte Polizei auf, so was können wir uns nicht leisten. Um noch einmal auf Madford zu kommen. Sie wollen mich wirklich ihm übergeben? Können wir über diesen Punkt nicht noch mal reden?« »Ausgeschlossen«, erklärte Rander kategorisch, »Sie sind ein zu wichtiger Zeuge in einer Mordanklage, Studdel. Und offen gesagt, ich bin davon überzeugt, daß Sie mehr wissen, als Sie zugeben wollen. Ob sich das auszahlen wird, sei noch dahingestellt. Unterschätzen Sie nur nicht den ,Weihnachtsmann’!« * Die Morgenzeitungen brachten die Sensation. Parker hatte selbstverständlich dafür gesorgt, daß seine Fotos in gekonnten Abzügen bei der Presse landeten. Die Redakteure hatten sich beeilt, diese einmaligen Aufnahmen des »Weihnachtsmannes« auf den Frontseiten zu bringen. Weiter war in diesen Zeitungen zu lesen, daß der ,Weihnachtsmann’ einen Privatkrieg gegen einen Butler namens Josuah Parker führte, der in drei Tagen über die Bühne gehen sollte. Zwei Tage waren davon fast schon verstrichen. Die Kommentare erwähnten wohlwollend bereits von Parker gelöste Kriminalfälle, verschwiegen aber keineswegs, daß der ,Weihnachtsmann’ diesmal wohl obsiegen würde. 70
Als Parker seinem jungen Herrn das Frühstück servierte, meldete sich das Telefon. »Der ,Weihnachtsmann’, wenn mich nicht alles täuscht.«, sagte Parker, bevor er den Hörer abnahm, »er scheint die einschlägigen Morgenblätter bereits gelesen zu haben.« »Hier spricht der ,Weihnachtsmann’«, sagte eine bereits bekannte, verzerrt klingende Stimme, »Sie spielen unseren Privatkrieg aber ziemlich hoch, Parker.« »Hoffentlich haben Ihnen die Aufnahmen gefallen.« »Sehr nett, aber wozu sollen sie nützlich sein? Sie wissen doch inzwischen, daß ich stets in Maske auftrete!« »Waren Sie nun, wenn ich fragen darf, die alkoholisierte Dame oder der Beatnick?« »Raten Sie mal?« »Ich würde, wenn Sie mich schon fragen, auf die Dame tippen.« »Falsch, Parker, ich war der Mann, der die Trompete kaufen wollte. Leider kam Ihr Arbeitgeber dazwischen!« »Dann kann ich Sie zu Ihrer Maskenkunst nur beglückwünschen«, räumte der Butler ein, »aber war es notwendig, die Pfandleihe gleich auszubrennen?« »Ich trug immerhin keine Handschuhe. Ich habe etwas gegen Fingerabdrücke.« »Sie hätten, wenn ich das einflechten darf, diesen Brand etwas früher inszenieren sollen.« »Wie soll ich das verstehen, Parker?« »Ihre Fingerabdrücke habe ich selbstverständlich sichergestellt. Ein vorsichtiger, alter Mann wie meine Wenigkeit schaltet jedes unnötige Risiko aus!« Auf der Gegenseite blieb es einen Moment lang ruhig. Der ,Weihnachtsmann’ schien nun doch, etwas beeindruckt zu sein. Die Sache mit den Fingerabdrücken paßte ihm keineswegs. »Sie machen sich bei mir immer unbeliebter«, sagte der ,Weihnachtsmann’ schließlich, »aber ich muß Sie enttäuschen, eine akute Gefahr stellen die Abdrücke für mich nicht dar!« »Ich verstehe. Ihre Fingerabdrücke sind in der Zentralkartei des FBI noch nicht vertreten. Aber was nicht ist, kann noch werden. Übrigens, fühlen Sie sich nicht sehr einsam?« »Wie soll ich das verstehen?« »Nun, ich möchte behaupten, daß Sie ab sofort kaum noch Mitarbeiter finden werden. Nach Ihrem Mord an Mister Stone ist die 71
Branche außerordentlich verstimmt. Die Aussagen Mister Studdels werden das noch zusätzlich unterstreichen. Sie werden, wenn Sie mich ermorden wollen, sich schon selbst bemühen müssen!« »Und ob ich das tun werde, Parker. Ihre verdammte Hochnäsigkeit geht mir auf die Nerven. Lange werden Sie’s nicht mehr tun!« »Sie halten sich doch hoffentlich an die Drohungen, die Sie auszustoßen beliebten?« »Noch anderthalb Tage, dann sind Sie erledigt! Dann bin ich an der Reihe, ironisch zu werden!« »Noch eine Frage.« »Ja? Was wollen Sie wissen? Etwa mit mir verhandeln?« »Sie überschätzen sich wieder einmal. Ich möchte nur zu gern wissen, wo Sie die schöne Kunst der Maske erlernt haben? Ein Meister seines Fachs muß Sie unterrichtet haben.« »Ende!« sagte der ,Weihnachtsmann’ daraufhin nur und legte auf. »Wollten Sie ihm die Würmer aus der Nase ziehen?« fragte Rander lächelnd. »Dies ist mir, wenn ich so sagen darf, bereits in gewissem Umfang gelungen, Sir«, antwortete Josuah Parker, der plötzlich einen nachdenklich-zufriedenen Eindruck machte. * Ben Rank ließ sich das Päckchen durch die spaltbreit geöffnete Tür reichen, verzichtete aus Zeitgründen darauf, ein Trinkgeld zu geben und schloß die Tür hastig. Er verriegelte sie und trug das Päckchen zum kleinen Tisch am Fenster. Seitdem er allein war, hatte er sich selbstverständlich nicht mehr in der Gebäudereinigungsfirma blicken lassen. Er wußte, daß die Polizei hinter ihm her war. Unter anderem Namen, abgesichert durch einen falschen Paß mit falschem Namen, wohnte er jetzt in einem zweitklassigen Hotel. Er öffnete die Verschnürung des Päckchens und nickte zufrieden. Gebrauchte Dollarnoten in Form von Zehnerscheinen blinzelten ihm freundlich zu. Er zählte die Scheine durch, worauf seine Laune sich noch steigerte. Der ,Weihnachtsmann’, das mußte er zugeben, hatte sich als prompt und großzügig erwiesen. Zehntausend Dollar in bar, was 72
wollte man mehr. Diese Summe gab es noch einmal, falls es ihm gelang, einen gewissen Josuah Parker noch an diesem Tag umzubringen. Ben Rank wollte sich diese Summe auf jeden Fall verdienen. Er hatte sich bereits Gedanken gemacht, auf welche Art und Weise dem Butler beizukommen war. Rank glaubte den richtigen Weg gefunden zu haben. Er trug die Banknoten anschließend in ein Schließfach des Zentralbahnhofes, frühstückte ausgiebig in einem Feinschmeckerlokal und fand, daß die Lage gar nicht so ungünstig war, wie er zuerst angenommen hatte. Gut, Jim und Marty waren verhaftet worden und die Polizei suchte ihn. Studdel war nicht für immer von der Bildfläche verschwunden, aber was spielte das alles für eine Rolle. Hatte der ,Weihnachtsmann’ ihm nicht sogar eine Beteiligung für die Zukunft angeboten? Mit dieser Aussicht konnte man doch arbeiten und Geld machen! Gegen zehn Uhr begab sich Ben Rank auf den Weg. Jetzt war Josuah Parker an der Reihe. Weitere zehntausend Dollar brauchten in des Wortes wahrster Bedeutung nur noch abgeschossen ZU werden! * Josuah Parker ließ sein hochbeiniges Monstrum vor dem altersschwach aussehenden Haus im Loop stehen und fuhr mit einem unmöglichen Lift hinauf in die vierte Etage. Hinter einer bunt bemalten Glastür befand sich ein breiter Korridor, an dessen Längswänden Stuhl neben Stuhl stand. All diese Stühle waren besetzt. Junge Beaus saßen neben seriös aussehenden Bankdirektoren, attraktive, junge Damen neben Heldenmüttern. Eine fast körperlich spürbare Atmosphäre von Hoffnung, Resignation und stumpfer Gleichgültigkeit lagerte in diesem Korridor. Parker schritt steif und würdevoll an den Gestalten vorbei und hielt auf eine weitere Glastür zu. Er trat ein ohne anzuklopfen. Eine ältliche Sekretärin nahm empört den grauhaarigen Kopf hoch, doch als sie den Butler erkannte. strahlte sie wie eine frisch, eingeschaltete Heizsonne und nickte dem Butler fast freudig erregt zu. 73
»Oh, Mister Parker!« flötete sie dazu. »Ich freue mich, sie wiederzusehen«, sagte Parker. »Ich bin übrigens mit Mister Raspers verabredet!« »Ich weiß, ich weiß, Mister Parker. Ich melde Sie sofort an.« Sie brauchte es nicht zu tun. Die nächste Tür öffnete sich, ein sehr korpulenter, kleiner Mann erschien schnaufend auf der Bildfläche und geleitete eine junge Dame hinaus. Als der Korpulente den Butler sah, strahlte auch er und breitete seine Arme grüßend aus. »Hallo, Parker!« rief er mit etwas Quäkender Stimme, »schön, Sie wieder einmal zu sehen.« »Ich werde Ihre kostbare Zeit auf keilen Fall unnötig lange in Anspruch nehmen, Mister Kaspers!« »Bleiben Sie, solange Sie wollen. Kommen Sie!« »Darf ich mich höflichst nach dem Gang der Geschäfte erkundigen?« fragte Parker, nachdem er im Privatbüro von Mister Raspers Platz genommen hatte. »Betrieb wie immer. Alles drängt sich nach einem Engagement. Aber die Talente sind leider nicht dick gesät, Parker. Manchmal möchte man verzweifeln. Das, was Sie da draußen gesehen haben, taugt höchstens für die mieseste Provinz!« »Sind Sie damit einverstanden, Sir, daß ich Sie zu einem späteren Zeitpunkt bedaure?« fragte Parker und lächelte andeutungsweise. Er kannte die Künstleragentur Raspers, die zu den führenden des Landes gehörte. Und er kannte vor allen Dingen Raspers selbst, der nur klagte und stöhnte und dennoch einer der größten Talentförderer war, den die Branche besaß. »Darf ich Ihre Fachkenntnis nur für wenige Minuten in Anspruch nehmen?« »Selbstverständlich. Was ich Ihnen verdank, kann ich niemals wieder abtragen!« »Was ich seinerzeit für Sie tun konnte, Sir, war eine Selbstverständlichkeit. Aber darf ich zum Kern der Sache kommen?« »Sie haben Ärger mit dem ,Weihnachtsmann’, wie?« Raspers grinste. »Ich suche ihn«, erklärte Parker. »Aber doch nicht bei mir oder unter meinen Klienten?« »Ich erlaube mir zu widersprechen. Dieser besagte ,Weihnachtsmann’, der solch große Schlagzeilen macht, muß meiner bescheidenen Ansicht nach ein ehemaliger Artist sein.« »Jetzt machen Sie mich aber neugierig, Parker.« Raspers richte74
te sich auf. Er war hellhörig geworden. »Wie kommen Sie darauf?« »Ich darf rekapitulieren, Sir!« Parker legte seine behandschuhten Hände auf den bleigefütterten Bambusgriff seines UniversalRegenschirms. »Ich darf rekapitulieren, mich aber gleichzeitig kurz fassen. Besagter .Weibnachtsmann’, das ist erwiesen, zeigt sich als Meister der Maske. Er ist darin derart firm, daß ich von einem Profi sprechen möchte. Ein Dilettant würde diese Kunst nur unvollkommen beherrschen.« »Sie kennen den ,Weihnachtsmann’, nicht ich!« »Ich wiederhole noch einmal, Mister Raspers, der ,Weihnachtsmann’ hat die Kunst der Maske von Grund auf erlernt. Er beherrscht sie in allen Nuancen und schlüpft in erstaunlicher Schnelligkeit von einer Rolle in die andere.« »Sie glauben doch hoffentlich nicht, daß ich der ,Weihnachtsmann’ bin!« Raspers lachte leise. »Weil Sie vor vielen Jahren einmal als ,Die Maske’ auftraten, Sir?« »Ich war nicht schlecht.«, meinte Raspers und erinnerte sich deutlich. Sein Gesicht nahm fast einen milden Ausdruck an. »Ihre Arbeit war sogar außerordentlich gut.«, meinte Josuah Parker. »Aber ich denke selbstverständlich nicht daran, Sie mit dem ,Weihnachtsmann’ gleichzusetzen.« »Schön von Ihnen, Parker. Aber nun suchen Sie nach einem Mann, der als Profi gearbeitet hat!« »In der Tat, Sir. Und ich möchte meiner stillen Hoffnung Ausdruck verleihen, daß Sie solch einen Maskenmann kennen oder sogar in Ihren Artistenkarteien führen.« »Lassen Sie mich nachdenken!« Raspers war aufgestanden und wanderte vor der Fensterfront hin und her. »Benny Osterlake? Nein, bereits viel zu alt. Müßte jetzt über siebzig Jahre alt sein. Glenn Morgan? Nein, ist gestorben vor zwei Jahren bei einem Autounfall. Aber Gene Pooster! Ja, Gene Pooster! Sagt Ihnen dieser Name was, Parker?« »Ich muß bedauern, Sir.« »Gene Pooster!« wiederholte Raspers den Namen noch einmal und begeisterte sich von Sekunde zu Sekunde immer mehr. »Ein einmaliges Genie, wenn Sie mich fragen. Nach ihm rissen sich alle Künstleragenturen. Er war reines Geld. Man konnte ihn vermitteln, wohin man wollte!« 75
»Darf ich Einzelheiten über diesen Mister Pooster erfahren?« »Natürlich, aber warten Sie. Ich lasse mir die Unterlagen kommen.« Raspers beugte sich über seine Sprechanlage und bat Miß Ethel im Vorzimmer um besagte Akte. »Ist Mister Pooster nicht mehr tätig?« fragte Rander. »Nein, nein. Vor ein paar Jahren trat er ab. Da war irgend etwas mit einem Mordprozeß oder so. Genaues weiß ich nicht mehr, muß aber in den Akten stehen. Pooster war plötzlich verschollen. Ah. Miß Ethel.« Die Vorzimmerdame brachte die Akte, strahlte den Butler an und verschwand wie eine graue Maus. Raspers hatte die Akte bereits aufgeschlagen und las stichwortartig vor: »Fünfzig Jahre alt, schlank, mittelgroß. Zuletzt wohnhaft in Detroit. Verheiratet. Ah, da haben wir’s, Parker! Er stand vor sechs Jahren vor einem Bericht, und zwar wegen Ermordung seiner Frau. Irgendein Eifersuchtsdrama. Er kam mit Totschlag davon. Pooster erhielt sechs Jahre Gefängnis! Er müßte demnach vor etwa vier Monaten entlassen worden sein, nein, vor drei Monaten.« »Sehr aufschlußreich. Pooster also – existieren Künstlerfotos von ihm?« »Hier, sehen Sie!« Josuah Parker nahm die Fotos entgegen, die Raspers ihm reichte. Auf den ersten Blick wußte Parker, daß sie mit denen identisch waren, die er von dem Mann in der Kiesgrube aufgenommen hatte. Hier zeigte sich in der Tat eine vielversprechende Spur. »Würden Sie mir freundlicherweise Mister Poosters letzte Adresse geben?« bat er. »Staatsgefängnis von Michigan. Davor hier in Chikago, Wisconsin Road 357.« Raspers sah lächelnd hoch. »Ich wette, dort werden Sie ihn bestimmt nicht mehr antreffen. Er hatte sich nämlich einen ganz schönen Luxus leisten können, bevor er diese Mordgeschichte über sich ergehen lassen mußte!« * Parker wußte schon seit geraumer Zeit, daß er wieder einmal beschattet wurde. Er wußte ferner, daß ein gewisser Ben Rank am Steuer des ver76
folgenden Wagens saß, doch das alles genierte ihn nicht. Der Besuch bei Raspers hatte sich gelohnt. Parker wunderte sich über sich selbst, daß er nicht schon früher an einen Artisten gedacht hatte. Nur ein Profi, das war ihm inzwischen klar, konnte eine derartige Meisterschaft in der Kunst der Maske entwickeln. Nun war sein Verdacht erhärtet worden. Die Richtung stemmte also, aber es war noch immer zweifelhaft, ob Mister Gene Pooster tatsächlich mit dem ,Weihnachtsmann’ identisch war. Der Verdacht, gewiß, der lag nahe, aber es fehlte an der letzten Sicherheit. Außer Pooster und Raspers zum Beispiel, gab es in den Staaten noch, andere Artisten, die als Verwandlungskünstler auftraten und in jede beliebige Rolle schlüpfen konnten. Um die Dinge voranzutreiben, fuhr der Butler ungeniert und gerade wegen seines Verfolgers in die Wiscosin Road im Osten der Stadt. Gewiß, er lockte seinen potentiellen Mörder in eine günstige Position, auf der anderen Seite war eine erkannte Gefahr nur noch eine halbe Gefahr. Dies hatte sich in der Vergangenheit mehr als einmal erwiesen. Unnötige Befürchtungen brauchte Parker also nicht zu hegen. Hinter der Hausnummer 357 verbarg sich ein dreistöckiges Apartmenthaus, das hier in der Gegend einen recht luxuriösen Eindruck machte. Parker verließ sein hochbeiniges Monstrum und betrat die Eingangshalle. Anhand der Hinweisschilder suchte er nach dem Namen von Gene Pooster, wußte aber im Grunde von vornherein, daß er diesen Namen nicht finden würde. Er konnte sich kaum vorstellen, daß Pooster hier wieder wohnte. Ihm kam es einzig und allein darauf an, Ben Rank, seinen Verfolger, sehr deutlich auf dieses Apartmenthaus hinzuweisen. Es war ja damit zu rechnen, daß Rank dies an seinen Auftraggeber weitermeldete. Von einem Korridorfenster aus beobachtete der Butler den Wagen des Gangsters. Ben Rank saß nach wie vor am Steuer und wartete wohl darauf, daß sein Opfer die Eingangshalle wieder verließ. Dann wollte er sich wohl als Kunstschütze betätigen. Parker war kein Selbstmörder. Gegen einen gezielten Schuß war schließlich auch er machtlos. Daher verließ Parker das Haus durch einen rückwärtigen Keller, wechselte auf ein benachbartes Grundstück über und erreichte durch einen Torbogen eine Parallelstraße. Er hatte das Riesenglück, hier ein leeres Taxi zu erwischen, setzte sich steif, würde77
voll und sehr aufrecht in die Polster und gab sein Fahrtziel an. Um sein hochbeiniges Monstrum kümmerte er sich vorerst nicht weiter. * Ben Rank verlor nach etwa zehn Minuten die Geduld. Wo mochte Parker stecken, so fragte er sich verärgert. Rank verließ seinen Wagen, um sich drüben im Haus näher umzusehen. Er war zudem auf den Gedanken gekommen, daß Josuah Parker wesentlich unauffälliger im Haus selbst niedergeschossen werden konnte. Er hatte das Haus gerade betreten, als sich ein Taxi seinem verlassenen Wagen näherte. Parker beglich die Rechnung und wartete, bis das Taxi verschwunden war. Dann schritt er würdevoll auf Ranks Wagen zu und hatte hier das Pech, eine Geldmünze zu verlieren. Als sparsamer Mensch bückte er sich selbstverständlich nach der Münze, die leider unter das Wagenheck gerollt war. Josuah Parker barg die Münze, versah den Wagen Ranks aber gleichzeitig mit einem Magnet-Peilsender. Es handelte sich um eine kleine Metallkapsel, die magnetisiert war. Er brauchte diese Kapsel nur unter das Blech des Kofferraums zu drücken. Schon saß sie unverrückbar fest und beeilte sich, in gewissen Abständen Peilzeichen auszustrahlen. Eine sehr nützliche Einrichtung, falls Rank später einmal dringend gesucht wurde. Parker überquerte die Straße, setzte sich ans Steuer seines hochbeinigen Monstrums und fuhr zurück in die Innenstadt. Er hoffte, alles richtig und wirkungsvoll getan zu haben. * Nach genau 63 Minuten meldete sich das Telefon. »Hier spricht der ,Weihnachtsmann’«, meldete sich die bereits bekannte, verzerrte Stimme. »Ich wünsche Ihnen einen erfolgreichen Tag, Mister Pooster«, antwortete der Butler. Auf der Gegenseite blieb es für Sekunden still, doch der Butler glaubte förmlich die Überraschung zu hören, die auf der Gegen78
seite die Reaktion sein mußte. »Wer, bitte?« fragte die verzerrte Stimme dann zurück. Sie klang deutlich etwas belegt. »Mister Gene Pooster!« wiederholte der Butler höflich, »ich denke, wenigstens Sie und meine bescheidene Wenigkeit sollten das Versteckspiel aufgeben.« »Wie… wie sind Sie darauf gekommen?« fragte der ,Weihnachtsmann’. Plötzlich sprach er normal, ohne jede Verzerrung. Es handelte sich um eine etwas rauhe Stimme. »Sie legten zu schnell auf, als ich Sie fragte, wer Ihnen die Kunst der Maske beigebracht habe«, antwortete Josuah Parker gemessen und ohne jede Hast. »Sie waren hörbar betroffen. Daraus erlaubte ich mir Schlüsse zu ziehen.« »Sie sind nicht schlecht, Parker«, lobte der ,Weihnachtsmann’, alias Gene Pooster, »aber damit kommen Sie auch nicht weiter!« »Da unterschätzen Sie die Möglichkeiten der Polizei aber gründlich«, widersprach Josuah Parker, »Ihre Identität, Mister Pooster, ist nun klargestellt, wie Sie einräumen müssen. Man kennt Ihren richtigen Namen und weiß, welche Fingerabdrücke zu Ihnen gehören. Das Geheimnis des ,Weihnachtsmannes’ ist gelüftet!« »Aber nicht seine Maske, Parker!« Die Gegenseite schien sich bereits wieder gefangen zu haben. Ein leises Lachen tönte auf. »Glauben Sie, ich würde als Gene Pooster herumlaufen? So dumm bin ich nicht! Ich habe mir ein anderes Äußeres zugelegt!« »Wovon ich selbstverständlich überzeugt bin, Mister Pooster! Aber auch dies wird sich klären lassen. Darf ich Sie an eine wichtige Tatsache erinnern?« »Da bin ich aber gespannt! Es hat übrigens keinen Sinn, herausfinden zu wollen, von wo aus ich anrufe. Falls Sie mir die Polizei auf den Hals schicken wollen, verfährt die unnötig Benzin.« »Ich unterschätze Sie keineswegs, Mister Pooster. Sie werden sich schon, wie ich unterstellt habe, die richtige Telefonzelle ausgesucht haben, um bei Gefahr schleunigst gehen zu können. Bleiben wir aber bei den Tatsachen!« »Und die wären?« »Ich frage mich, warum Sie sich ausgerechnet an Mister Stone gewendet haben, als Sie Mord- und Erfüllungsgehilfen suchten?« »Na, und?« »Sie werden verstehen, wenn ich Ihnen das Ergebnis meiner 79
Gedankenarbeit vorerst vorenthalte!« »Hören Sie, Parker, Sie kommen sich wohl verdammt gerissen vor, wie?« »Sie beschämen mich geradezu, Mister Pooster.« »Ich stehe zu meiner Warnung und zu meiner Wette. Innerhalb der Frist werde ich Sie schaffen!« »Dann sollten Sie sich einen anderen Mitarbeiter als Mister Ben Rank suchen.« »Jetzt nehme ich die Dinge selbst in die Hand! Sie haben immer noch die Chance, schleunigst die Stadt zu verlassen.« »Und Sie nur die einzige Chance, sich freiwillig zu stellen, Mister Pooster!« »Sie gestatten, daß ich mal lache!« »Aber selbstverständlich, Mister Pooster. Das Lachen wird Ihnen ja ohnehin bald vergehen. Sie müßten doch eigentlich spüren, wie sehr Sie bereits umstellt sind!« »Wollen Sie mich nervös machen?« »Ich bin der festen Ansicht, daß Sie es bereits sind. Sie haben einige Fehler gemacht, und Sie wissen es. Aber Sie wissen nicht, um welche Fehler es sich handelt!« Parker legte auf, bevor der ,Weihnachtsmann’, alias Gene Pooster antworten konnte. Dann zündete der Butler, da er allein war, sich eine seiner pechschwarzen, spezialangefertigten Zigarren an und gab sich dem Nachdenken hin. Er befand sich im Penthouse seines jungen Herrn und brauchte keine gesundheitlichen Schäden für Mike Rander zu befürchten. Das Kraut nämlich, das Parker zu rauchen pflegte, haute normalerweise den stärksten Mann vom Schlitten, wie der Volksmund es so treffend ausgedrückt hätte. Warum, so fragte Parker sich erneut, hatte der ,Weihnachtsmann’ sich ausgerechnet mit Joe Stone verbunden, dessen Gang nicht gerade zu den Spitzenbanden der Stadt gehörte. Warum Joe Stone und nicht eine andere, gleichwertige Gang? Welche Motive mochte der ,Weihnachtsmann’ dafür gehabt haben? Die Beantwortung dieser Frage bedeutete schon die Festnahme des Burschen! *
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Mike Rander verließ das imposante Gebäude der Financial Trust Company und ging hinüber zu seinem parkenden Wagen. Er hatte eine komplizierte, zeitraubende Verhandlung hinter sich und freute sich auf die Rückkehr nach Hause. Er war gespannt, was sein Butler ihm an Neuigkeiten zu berichten hatte. Er war gespannt, ob der Besuch in der Künstleragentur Raspers sich gelohnt hatte. Rander war sehr erstaunt, als Josuah Parker ihn in der Höhe seines Wagens erwartete, jetzt höflich die schwarze Melone zog und sich andeutungsweise verbeugte. Als Mike Rander merkte, daß Parker doch überhaupt nicht wußte, daß er hier in diesem Gebäude gewesen war, war es bereits zu spät. Butler Parker ließ ihn einen kurzen Blick auf eine schallgedämpfte Pistole tun… »Machen Sie keinen Blödsinn, Mister Rander«, sagte der Butler auch schon, »los, steigen Sie ein, setzen Sie sich ans Steuer!« »Sie sind der ,Weihnachtsmann’?« fragte Rander, der seine ehrliche Verblüffung fast gekonnt hinunterschluckte. »Stört Sie doch hoffentlich nicht, oder?« »Ihre Maske ist ausgezeichnet. Selbst ich wurde einen Moment lang getäuscht!« »Fahren Sie schon endlich los, Rander. Ich habe nur wenig Zeit. Es wird höchste Zeit, daß Ihr Butler das Zeitliche segnet. Parker wird mir langsam unbequem!« »Ist er Ihnen schon so dicht auf den Fersen?« Rander ließ seiner Wagen anrollen und schätzte seine Chancen ab. Er sah ein, daß ein Überrumpelungsversuch selbstmörderisch sein mußte. Die Mündung der Waffe preßte sich gegen seine rechte Körperseite. Falls der ,Weihnachtsmann’ in der durchaus gekonnten Maske des Butlers abdrückte, gab es keine Chancen mehr. * Josuah Parker tätigte einen Telefonanruf. Ethel, die Vorzimmerdame von Raspers, erkundigte sich erfreut nach Parkers Wünschen. »Läßt es sich einrichten, Mister Raspers zu sprechen?« fragte Josuah Parker höflich. »Oh, das tut mir aber leid«, erwiderte Ethel, die graue Vorzimmermaus, »Mister Raspers ist vor etwa einer halben Stunde weg81
gefahren. Ein dringender Termin! Kann ich etwas ausrichten, Mister Parker?« »Wissen Sie, wo ich Mister Raspers erreichen kann?« »Aber selbstverständlich. Er wollte sich eine Kautschuknummer im Eldorado ansehen, Mister Parker. Warten Sie, ich suche Ihnen sofort die Nummer heraus.« Parker brauchte nur wenige Sekunden zu warten. »Mister Raspers erreichen Sie unter 246.810, Mister Parke. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?« »Im Moment nicht, Miß Ethel«, sagte Parker höflich, »ich bedanke mich außerordentlich für Ihre Freundlichkeit!« Er legte auf und wählte die betreffende Nummer, worauf sich das Eldorado, das heißt, der Manager des Clubs meldete. »Parker mein Name, Josuah Parker. Ich möchte Mister Raspers in einer dringenden Angelegenheit sprechen.« »Da haben Sie Pech, Mister Parker«. lautete die Antwort, »Raspers ist noch nicht hier. Wir warten selbst auf ihn. Vielleicht versuchen Sie es später noch einmal.« Parker bedankte sich, legte auf und rieb sich nachdenklich den Nasenrücken, ein. sicheres Zeichen dafür, daß er sich etwas gehenließ, was nur dann vorkam, wenn drückende Gedanken ihn beschäftigten. * »Rufen Sie schon Ihren Butler an«, sagte der ,Weihnachtsmann’, der neben Mike Rander stand, »oder wollen Sie sich unbedingt einen Schuß in den Oberschenkel einhandeln?« Mike Rander gab seinen Widerstand auf, der doch nur sinnlos gewesen wäre. Er griff nach dem Hörer, wählte die Nummer seiner Wohnung und atmete irgendwie erleichtert auf. als Parker sich meldete. »Hören Sie, Parker«, sagte Mike Rander, »ich brauche Sie unbedingt, ich bin ja auf wichtige Dinge gestoßen. Ja, es handelt sich um den Weihnachtsmann’, ich befinde mich in Startes ehemaligen Hauptquartier. Ein Mann namens Artie ist da auf wichtige Unterlagen gestoßen. Gut, ich warte. Natürlich, bringen Sie die Maschinenpistole mit, kann man immer brauchen.« Rander legte auf und sah seinen Bewacher an. 82
»Zufrieden?« fragte er dann. »Hoffentlich haben Sie nicht versucht mich hereinzulegen«, sagte der Mann, der Butler Parker so täuschend ähnlich sah, »bis nachher… Wenn alles überstanden ist, können Sie von mir aus gehen. Sie sind nicht wichtig!« »Wie gut zu hören«, gab Rander ironisch zurück. Er wartete, bis die Tür des niedrigen Kelleraums sich hinter ihm geschlossen hatte. Dann zündete er sich eine Zigarette an und untersuchte die Tür. Nach kurzer Prüfung mußte Mike Rander sich eingestehen, daß er diese Tür nicht zu öffnen vermochte. So etwas schaffte eben nur sein Butler. * Parker stieg aus seinem hochbeinigen Monstrum und betrat den Schnapsladen. Fred, der verschrumpelt aussehende Mann mit dem ausgeprägten Apfelgesicht, stand vor einem hochgebockten Spritfaß und füllte einige Flaschen ab. »Ach, Sie!« sagte er dann gleichgültig. »wollen Sie zu Artie?« »In der Tat! Wollen Sie mich bitte anmelden?« Fred griff nach dem Telefon und schaute erstaunt hoch, als Parker seinen Universal-Regenschirm anhob und die Zwinge auf den Oberkörper richtete. »Warum bemühen Sie sich noch, Mister Pooster?« fragte Josuah Parker dann höflich, »finden Sie nicht auch, daß Ihr Spiel inzwischen aus ist?« »W… was?« »Mister Pooster, Sie haben Ihre Rolle als ,Weihnachtsmann’ ausgespielt.«, sagte Parker, deutlicher werdend, »geben Sie sich keine Mühe mehr! Vergessen Sie nicht Ihre Fingerabdrücke! Ich habe sie mit denen verglichen, die ich hier aus dem Geschäft mitgehen ließ, wie es so treffend heißt. Ihre Identität ist geklärt!« »Sie reden blanken Unsinn!« »Dann zeihen Sie mich des Irrtums, sobald die Polizei sich eingeschaltet hat!« Fred schüttelte den Kopf und lachte. »Ich soll der Weihnachtsmann’ sein? Das glauben Sie doch selbst nicht!« 83
»Sie sind es! Würden Sic mich nun freundlicherweise zu Mister Rander führen? Ich möchte nicht, daß er unnötig lange eingesperrt bleibt!« »Sie soll einer verstehen!« Fred schüttelte den Kopf, öffnete das Weinfaß und wollte den Butler vorausgehen lassen. »Nach Ihnen, Mister Pooster«, sagte Parker höflich. »Sie sind ja hier zu Hause!« Fred, der laut Parker mit dem ,Weihnachtsmann’ identisch sein sollte, übernahm die Führung, und schien die Anschuldigungen bereits wieder vergessen zu haben. Parker, der oben im Schnapsladen nur geblufft hatte, hätte nun unsicher werden müssen, doch er wurde es nicht. Er war sich seiner Sache vollkommen sicher. »Wir müssen ‘runter in den nächsten Keller«, sagte Fred und deutete auf eine, solide aussehende Tür. »Genieren Sie sich nur nicht, Mister Pooster!« »Hören Sie endlich auf mit diesem verdammten Pooster«, sagte Fred verärgert, »Sie sind auf dem Holzweg! Ich habe mit dem Weihnachtsmann’ nichts zu tun!« Fred öffnete die Tür und warf sich plötzlich herum. Er riß eine kleine Pistole aus der Hosentasche und wollte sie auf Parker abfeuern. Doch der Universal-Regenschirm unterband diesen letzten Mordversuch des »Weihnachtsmannes«. Klirrend landete die Waffe auf dem Zementboden. »Ich möchte annehmen, daß Sie sich ein wenig übernommen haben«, sagte Parker zu Fred, alias »Weihnachtsmann«, alias Pooster, der sich die schmerzende Hand rieb. »Sie waren und sind ein Meister der Maske, was ich durchaus zugeben und einräumen möchte, doch als Gangster sind Sie das, was man einen Versager nennt. Warum hätten Sie sich sonst echte Gangster engagieren müssen, um einen Mord auszuführen? An dieser Tatsache scheitern Sie nun, Mister Pooster! Ersparen wir uns weitere Erklärungen, vor Lieutenant Madford werden Sie ohnehin berichten müssen!« * »Sie lagen vollkommen richtig«, sagte Madford am nächsten Tag, als er Rander und Parker im Penthouse besuchte. Er raucht schnell und nervös eine Zigarette, während Sergeant McLean sich 84
an die Sandwiches hielt, die Parker serviert hatte. »Pooster hat ein Geständnis abgelegt… Und Ihnen gedroht Sie umzubringen, sobald er wieder aus dem Bau ist!« »Wird er die Freiheit je wieder sehen, Sir?« »Er ist unter anderem wegen Mord angeklagt… Ich glaube nicht, daß er sich Hoffnungen zu machten brauchte… Pooster tobte, als er seine Geschichte noch einmal erzählen mußte… Er weiß genau, daß er über Sie gestolpert ist!« »Die Umstände waren eben sehr glücklich, Sir.« »Na ja, Ihre Kombinationen auch, Parker.« Madford war in Geberlaune und genierte sich nicht, Parker ein Lob zu spenden. »An einen Profi aus der Welt des Varietes dachten auch wir schon, nicht wahr, McLean?« »Natürlich, Sir…!« erwiderte der Sergeant ohne jede Überzeugung, wofür er sich einen strafenden Blick von Madford einhandelte. »Es wäre nur eine Frage von Stunden gewesen, bis wir auf Pooster gestoßen wären«, behauptete Madford weiter. »Nicht wahr, Sergeant?« »Klar, Lieutenant«, mampfte McLean, jetzt ohne jede Überzeugung. Der Blick Madfords fiel daraufhin noch strafender aus. »Aber wie kamen Sie auf Fred?« wollte Madford wissen. »Intuition und Kombination«, erläuterte der Butler gemessen. Da McLean eine Tellerseite bereits leergegessen hatte, drehte Parker die Platte verstohlen um 90 Grad herum, was McLean, der jetzt wieder an neue Sandwiches herankam, mit einem erfreuten Blick quittierte. »Ich fragte meine bescheidene Wenigkeit, wieso und warum der Weihnachtsmann sich ausgerechnet die Bande des verblichenen Mister Stone aussuchte, um seine Mordpläne auszuführen… Ich kam zu dem Schluß, daß er Stone und seine Männer bereits gut kannte. Da Pooster früher aber niemals Kontakt zur Unterwelt hatte, mußte er die Stone-Gamg sehr gut und intim kennen. Also, so schloß ich. mußte er vielleicht im gleichen Boot sitzen.« »Na ja, nicht schlecht«, sagte Madford ein wenig mürrisch. »Pooster hatte sich nach seiner Entlassung um diesen Schnapsladen beworben, als Stone einen neuen Tarnpächter suchte. Mit Stone selbst verkehrte er natürlich nur per Telefon.« »Bis Mister Stone wohl dahinterkam, daß der sattsam bekannte Weihnachtsmann sein neuer Schnapsladenpächter war…« 85
»Richtig… Pooster gibt an, er sei von Stone überrascht worden, als er Maske machte. Daraufhin kaufte Pooster sich die StuddelGangster Jim, Marty und Rank. Er sorgte dafür, daß Stone umgehend ermordet wurde und lenkte damit den Verdacht gleichzeitig auf Studdel, der dann ebenfalls dran glauben sollte.« »Hat man die Beute des ,Weihnachtsmannes’ gefunden?« fragte Mike Rander. »Alles sichergestellt.«, entgegnete Madford, »ein Riesenlager an Bargeld und Schmuck. Eigentlich war Pooster schon wieder saniert. Er gibt an, er habe aufhören wollen, doch als Parker sich einmischte, wurde er eitel und wollte mit dessen Ermordung seine Laufbahn als ,Weihnachtsmann’ krönen!« »Bliebe nur Ben Rank…« Rander sah Madford an. »Haben Sie schon eine Spur von ihm?« »Ihn zu erwischen ist nur noch eine Frage der Zeit!« »Oder die Sache eines guten Peilempfängers«, warf Parker beiläufig ein, »ich werde Ihnen gern die Frequenz geben, Sir. Unter Ben Ranks Wagen befindet sich ein kleiner Sender, den anzubringen ich mir erlaubt habe!« »Rank würden wir auch ohne diese Mätzchen erwischen«, erregte sich Madford, »aber gut, ich will Ihnen den Gefallen tun und mitspielen. McLean wird sich gleich alles aufschreiben. Sie dürfen nicht vergessen, daß wir schließlich auch Sammy, Miles und Artie erwischt haben. So unfähig sind wir also nicht!« »Selbstverständlich nicht.«, sagte Rander, »hat das hier einer behauptet?« »Das wollte ich auch gemeint haben«, erwiderte Madford grimmig, »wir wollen doch mal festhalten, das blutige Laien in diesem harten Job nichts zu tun haben!« »Sie sagen es, Sir, Sie sagen es!« antwortete Parker feierlichhöflich, aber mit einer Spur Ironie, »ich möchte mir erlauben. Ihnen voll und ganz beizupflichten!«
-ENDE-
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