PARKER spitzt die „Dauerkiller“ an Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges
Josuah P...
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PARKER spitzt die „Dauerkiller“ an Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges
Josuah Parker fühlte sich äußerst wohl. Was damit zusammenhing, daß er sich endlich nicht mehr beobachtet fühlte. Seine schwarze Melone, sein Regenschirm und seine korrekte Kleidung paßten durchaus in das Straßenbild. Er war seit vielen Tagen umgeben von schwarzen und grauen Melonen, von gestreiften Beinkleidern, von Regenschirmen und schwarzen Zweireihern. Er ging förmlich in der Menge derart gekleideter Menschen unter. Was wiederum damit zusammenhing, daß er sich in London befand. Parker saß am Steuer seines hochbeinigen Wagens und fuhr in langsamer, genußreicher Fahrt durch die City. Er ließ Piccadilly-Circus hinter sich und näherte sich bereits der vornehmen Seitenstraße, in der sein junger Herr Quartier bezogen hatte. Um ihn herum gab es zahlreiche gleich aussehende Wagen. Auch in dieser Beziehung fiel der Butler nicht mehr auf. Er befand sich in seiner Heimat und genoß seine Rückkehr in vollen Zügen. Anwalt Rander und er hatten die Staaten vor knapp zwei Wochen verlassen. Mike Rander hatte sich von seinem Butler ein Einzelhaus besorgen lassen, das ihren Vorstellungen voll und ganz entsprach. Von London aus wollte Mike Rander seine Spezialpraxis auf den Kontinent hinüber ausdehnen. Seine Praxis in Chikago wurde in der Zwischenzeit von seinen ausgesuchten Mitarbeitern geleitet. Anwalt Mike Rander versprach sich von seinem neuen Aufenthalt hier in London einen besonderen Effekt, über den er allerdings nicht mit Parker gesprochen hatte. Mike Rander war es satt, sich wider Willen in weitere Kriminalfälle hineinziehen zu lassen. Er wollte seine Nerven nicht weiter strapazieren und erhoffte sich von London und dem nahen Kontinent Ruhe, nichts als Ruhe. Gangster amerikanischen Zuschnitts waren hier sicher nicht zu erwarten. Mike Rander hatte darüber nicht mit Parker gesprochen, doch der Butler wußte insgeheim, wonach sein junger Herr sich sehnte. Er hatte sich ehrlich vorgenommen, von sich aus nichts zu unternehmen, um die Nerven seines jungen Herrn zu strapazieren. Zumal es noch kurz vor ihrer Abreise zu einem dramatischen Prozeß gegen einen US-Gangsterboß namens Longless gekommen war. Mike Rander und er hatten gegen diesen Mister Longless ausgesagt und dafür
gesorgt, daß dessen Gang zerschlagen und der Boß selbst unter Anklage gestellt werden konnte. Nun, das lag nun alles hinter ihnen. Parker bog in die ruhige Seitenstraße ein, in der sich das Wohnhaus seines jungen Herrn befand. Dem Haus gegenüber gab es einen kleinen netten Park, der hier inmitten der City wenigstens die Illusion einer grünen Oase schuf. Parker, der sich viel vorgenommen hatte, wußte zu diesem Zeitpunkt nicht, daß sich im übertragenen Sinne bereits ein böses Unwetter zusammenbraute Vielleicht hätte er sich dann weniger wohl gefühlt. *** Er hieß Cleveland und sah sehr europäisch aus. Er war etwas über mittelgroß, schlank und hatte dunkelblondes Haar. Keiner hätte hinter dieser Fassade einen kalten Killer vermutet, der er in Wirklichkeit war. Er war ein Vollprofi, der sich in allen mörderischen Tricks auskannte und fuchsschlau reagierte. Cleveland befand sich in einem Jet, der gerade zur Landung ansetzte. Neben ihm am Fensterplatz saß ein wesentlich jüngerer Mann, der irgendwie an ein Riesenbaby erinnerte. Er war pausbäckig, hatte neugierige Jungenaugen und wirkte etwas naiv. Und ängstlich dazu. Er schnaufte kurzatmig, als der Jet sich in eine Kurve legte und dann die Rollbahn anvisierte, die bereits im Dunst deutlich zu erkennen war. „Ist ja gleich geschafft“, sagte Cleveland beruhigend zu seinem Begleiter, für den er sich verantwortlich fühlte. „Hoffentlich“, schnaufte der junge Mann, der für sein Alter zu füllig war. „'runter kommt man immer“, verhieß Cleveland ironisch. „Aber wie!“ antwortete das Riesenbaby und prustete lauter. „Hängt nur von der Landung ab“, stellte Cleveland stichelnd fest. Das Riesenbaby schloß die Augen und belegte seinen Vater drüben in den Staaten mit einigen unschönen Worten. Dieser Vater war schließlich verantwortlich dafür, daß er jetzt in dieser scheußlichen Maschine saß und luftkrank war. Diesem Vater drüben in den Staaten hatte er es zu verdanken, daß er die Schule des Lebens kennenlernen sollte. Auf diese Schule pfiff er! Er wäre liebend gern in Chikago geblieben und hätte weiterhin das College besucht. Das Riesenbaby stöhnte, als das Fahrwerk des Jets ziemlich hart aufsetzte Der Schweißausbruch, den er über sich hatte ergehen lassen müssen, endete schlagartig. Das Riesenbaby wagte wieder die Augen zu öffnen. „Morgen können wir wieder zurückfliegen“, sagte Cleveland, dem die Landung überhaupt nichts ausgemacht hatte. „Aber vielleicht sollten wir noch einen Abend in Soho zulegen.“
Das Riesenbaby nickte vage und kam erst richtig wieder zu sich, als der Jet endgültig ausrollte. Auf noch leicht zittrigen Beinen verließ der junge, dickliche Mann zusammen mit Cleveland den Jumbo und stieg über die hohe Gangway hinunter auf den festen Boden. „Was ist denn?“ fragte er nervös, als Cleveland plötzlich fluchte und ihn unerwartet heftig zur Seite drängte. „Kopf 'rum!“ forderte Cleveland hastig. „Wieso?“ Das Riesenbaby war begriffsstutzig. „Pressefotografen!“ stieß Cleveland hervor. „Wissen die denn, daß wir kommen?“ wunderte sich das Riesenbaby naiv. „Du Trottel!“ Cleveland verdrehte wie so oft die Augen ergeben zum Himmel. „Die haben nicht auf uns, sondern auf den Burschen da drüben gewartet.“ Während er noch sprach, deutete Cleveland auf einen dunkel gekleideten Mann, der voll gespielter Bescheidenheit an ihnen vorbei hinunter zur Presse schritt. Er wurde von zwei gleich angezogenen Männern begleitet, die offensichtlich seine Schützer waren. Es handelte sich bei diesem Herrn um einen bekannten Mann der Ölwirtschaft, der zu einer Nahost-Konferenz gekommen war. Aber das interessierte Cleveland nicht, selbst wenn er es gewußt hätte. Er hatte nur die einzige Sorge, daß sein Begleiter und er nicht zufällig mitfotografiert worden waren. Ein gewisser Josuah Parker war schließlich nicht zu unterschätzen und mit allen Wassern gewaschen. *** Im Souterrain des ansehnlichen Wohnhauses hatte Parker sich neben seinen privaten Räumen eine Art Labor eingerichtet, das sich sehen lassen konnte. Bereits schon jetzt, obwohl es in vielen Dingen an Vollständigkeit fehlte. Gewiß, Josuah Parker hatte keineswegs die Absicht, sich in Kriminalfälle einzumischen, aber es entsprach seinem restlosen und erfinderischen Geist, daß er sich dennoch mit Eventualitäten befaßte. Zudem war er ja, wie bekannt, ein Erfinder aus Leidenschaft. Worüber sich drüben in den Staaten schon mancher Gangster seine Gedanken gemacht hatte, nachdem es für ihn zu spät gewesen war. Parker war immer gut für eine Überraschung gewesen. Der Butler hielt sich also in seinen Privaträumen auf, doch er erfand diesmal nicht. Er hielt eine starke Lupe in der Hand und untersuchte damit ein Pressefoto, das er in der Abendzeitung gefunden hatte. Auf diesem Pressefoto war die Gangway eines Jumbo-Jets zu sehen, die mit Reisenden dicht gefüllt war. Nachdem Parker sich dieses Foto intensiv angesehen hatte, legte er die Zeitung auf seinen Arbeitstisch, nahm einen Rotstift und kreiste damit zwei Köpfe auf dem Foto sorgfältig ein. Er hob leicht den Kopf, als über die Hauswechselsprechanlage plötzlich klassische Musik zu hören war. Parker verzog andeutungsweise sein Gesicht und
wendete ein wenig den Kopf. Für Musik dieser Art hatte er noch nie etwas übriggehabt. Ganz im Gegensatz zu seinem jungen Herrn. „Zum Teufel, Parker, wo bleiben Sie denn?“ kam Randers Stimme dann durch die Wechselsprechanlage. „Die Smokingschleife schafft mich restlos ...“ „Im Grunde, Sir, bin ich bereits bei Ihnen“, erwiderte Parker in Richtung Lautsprecher, der gleichzeitig als Mikrofon diente. „Darf ich Sie dennoch bitten, sich für einige wenige Sekunden zu gedulden.“ Parker trat an einen Wandschrank und entnahm dem Bord einen silbernen Servierteller. Anschließend schloß er eine Lade dieses Schrankes auf und entnahm ihr einige bestimmte Gegenstände, um sie seinem jungen Herrn zu servieren. Ein Butler seiner Perfektion dachte stets an alle Möglichkeiten. *** Mike Rander hatte es aufgegeben, sich mit seiner Smokingschleife zu befassen. Die Musik hatte ihn abgelenkt und wieder mal restlos in ihren Bann gezogen. Rander stand vor dem modernen Stereogerät und dirigierte mit weitausholenden Gesten. Wobei er sich kritisch im großen Spiegel beobachtete und kontrollierte. „Na, endlich, Parker“, sagte Rander, als sein Butler im Spiegel zu sehen war. „Die Abendzeitung, Sir!“ meldete Parker und näherte sich gemessen seinem jungen Herrn. Er schob das Silbertablett vor, auf dem das Blatt zu sehen war. „Kein Interesse“, gab Rander abwehrend zurück. „Hören Sie doch . . . Das Grundthema... Einmalig, wie? Und gleich erst das Finale .. . Hinreißend!“ „Wie Sie meinen, Sir“, erwiderte Parker höflich, aber völlig desinteressiert. „Sie sind und bleiben ein Musikbanause“, stellte Rander lächelnd fest. „Sehr wohl, Sir, wie Sie meinen. Darf ich dennoch Ihr Interesse auf die Abendzeitung lenken? Und vielleicht auch zusätzlich auf diese kleine Auswahl, die selbstverständlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann.“ Während Parker noch sprach, hob er mit der freien Hand die Abendzeitung an und präsentierte seinem jungen Herrn einige sperrige Gegenstände, die sich auf dem Silbertablett recht seltsam ausnahmen. Es handelte sich um einen Browning, um einen veritablen 38er, um eine Stahlrute und ein Stilett. Rander nickte geistesabwesend, um dann nach Sekundenbruchteilen allerdings zusammenzufahren. Erst jetzt hatte er diese sperrigen Gegenstände richtig wahrgenommen. „Was soll denn das?“ wunderte er sich, „ich will ins Konzert und nicht nach Soho.“ „Dies, Sir, ist mir durchaus bekannt.“ „Na, also. Ich schieße grundsätzlich nie auf Solisten, Parker, mögen sie auch noch so schlecht sein.“
„Ich dachte weniger an etwaige Solisten, Sir, als vielmehr an jene beiden Touristen, die anzukreuzen ich mir erlaubt habe.“ Parker nahm die Zeitung hoch, kniffte sie und reichte sie an seinen jungen Herrn weiter. Mike Rander warf einen kurzen Blick auf das Foto und zuckte die Achseln. „Was soll's?“ meinte er dann. „Bei diesen besonders markierten Touristen, Sir, handelt es sich eindeutig um die Herren Cleveland und Longless, die meiner bescheidenen Ansicht nach keineswegs nach London gekommen sind, um sich den Tower anzusehen.“ „Longless? Unser Longless? Zeigen Sie noch mal her!“ Rander sah sich das Foto intensiver an und schüttelte dazu den Kopf. „Wo sehen Sie denn Longless, Parker?“ „Ich darf Ihre Aufmerksamkeit auf jenen pausbäckigen, jungen Mann lenken, Sir. Es handelt sich um den möglicherweise hoffnungsvollen Sprößling jenes Gangsterbosses, der von Ihnen und meiner bescheidenen Wenigkeit in gewisse Schwierigkeiten gebracht werden konnte.“ „Der Junge sieht nicht gerade wie ein Kirchenlicht aus“, stellte Rander ironisch fest. „Dafür wird jener Mister Longless junior immerhin von einem gewissen Cleveland begleitet, Sir.“ „Sein Kindermädchen, wie?“ Rander schmunzelte. „So ist es durchaus zu umschreiben, Sir.“ Parker nickte ernst. „Ich muß allerdings darauf verweisen, Sir, daß dieser Mister Cleveland ein sogenannter Killer alter Schule ist. Der Verdacht liegt also durchaus nahe, daß er Longless junior anleiten soll.“ „Anleiten?“ „Sie und meine bescheidene Wenigkeit zu ermorden, Sir! Mister Longless senior schwor ja seinerzeit, Sie und meine Wenigkeit umbringen zu lassen.“ „Herrliche Aussichten!“ Rander seufzte. „Soll denn das ganze Theater wieder von vorn losgehen? Ich dachte, hier in Europa hätten wir endlich unsere Ruhe!“ *** Sie saßen im Wagen und beobachteten sorgfältig das vornehme Haus in der stillen Seitenstraße, in dem Rander und sein Butler wohnten. Cleveland hatte seine Routine ausgespielt und schnell herausgefunden, wo die beiden geplanten Opfer wohnten. Das war für ihn eine Kleinigkeit gewesen. Er wartete jetzt darauf, diesen Job so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Einmal wegen der erstklassigen Prämie, die dann für ihn fällig wurde, zum anderen aber auch wegen Longless junior, der ihm bereits kräftig auf die Nerven ging. Cleveland war sich als Kindermädchen zu schade. Er wußte bereits jetzt, daß aus Longless junior niemals ein richtiger Killer wurde. Dieses Riesenbaby war viel zu naiv dazu. Es besaß im Gegensatz zu seinem Vater überhaupt keine Naturveranlagung.
„Da .. . Rander!“ stieß Longless plötzlich hervor und zog seinen schallgedämpften Revolver. „Jetzt ist er reif wie 'ne faule Tomate.“ Cleveland hatte das Ziel bereits mit seinen Augen aufgenommen. Aus dem Haus kam Mike Rander, der einen erstklassig sitzenden Smoking trug. Der junge Anwalt ging schnell auf einen am Straßenrand stehenden Sportwagen zu. Er bot ein erstklassiges Ziel. „Wie sagst du doch immer so treffend?“ meinte Longless junior fast begeistert. „Kimme ... Doppelkorn. Und ab geht die Post!“ „'runter mit der Kanone“, fauchte Cleveland ihn an, „wohl leicht behämmert, wie? Rander ist nur die zweite Wahl. Für uns ist Parker die Spitze.“ „Und wo ist der?“ Longless junior kniff die Augen zusammen. „Im Haus natürlich“, seufzte Cleveland. „Der hat seinen Chef erst mal ausgehfertig gemacht.“ „Gehen wir doch zu ihm 'rein“, schlug der Junior hoffnungsvoll vor. „Machen wir“, höhnte der Profi-Killer, „wir klingeln und bitten ihn, sich mal für 'nen Kernschuß kurz vor uns aufzubauen, wie? Junge, du hast vielleicht Nerven.“ „Jetzt rauscht Rander bereits los.“ Longless junior wies mit dem Schalldämpfer seiner Waffe auf den Sportwagen, der sich gerade vom Straßenrand löste und lospreschte. „Der kommt auch wieder zurück“, tröstete der Killer seinen Lehrling, „Parker ist wichtiger.“ „Warum eigentlich? Der ist doch nur 'n Angestellter, Clevie.“ „Er ist das As im Ärmel“, widersprach Cleveland leicht gereizt, „der Bursche steckt voller Tricks. Gegen den kann man nur 'nen Vollprofi ansetzen.“ „Hattest du schon mal mit ihm zu tun?“ wollte Longless junior wissen. „Nee, sonst würde Parker längst nicht mehr 'rumlaufen“, gab Cleveland selbstsicher zurück. „Dein Daddy hätte mich viel früher anheuern sollen, dann hätte es nie Ärger gegeben.“ „Gehen wir jetzt 'rein oder nicht?“ drängte Longless junior und wollte die Wagentür öffnen. „Zuerst kommt mal die geistige Vorarbeit“, sagte Cleveland in dozierendem Tonfall, „so was muß man dialektisch sehen, Junge, These-Antithese und dann der Volltreffer.“ „Mensch, bist du gut“, reagierte Longless junior bewundernd, „und wann steigt der Volltreffer?“ „Morgen rauschen wir zurück in die Staaten und kassieren die Prämie“, verhieß Cleveland selbstsicher, „Parker ist eigentlich schon tot, er weiß es nur noch nicht!“ Longless junior steckte seine Waffe zurück und war froh, daß sein Daddy ihm diesen Lehrmeister ausgesucht hatte. Einen besseren hätte er sich gar nicht wünschen können. Nach Jahren sinnloser Tätigkeit als Playboy wollte der Junior so schnell wie möglich das Handwerk seines Vaters erlernen und ein vollwertiges Glied der Gesellschaft der Cosa nostra werden. In ihm war der Ehrgeiz wach geworden.
*** Sie war höchstens fünfundzwanzig Jahre alt, schlank und fast zierlich. Sie hatte ausdrucksvolle Augen, eine süße Stupsnase und zusätzlich eine Riesenangst. Was mit zwei Männern zusammenhing, die ihr offensichtlich auf den Fersen waren. Sie hießen schlicht und einfach Bill und Charly, waren stämmig und hatten die bösen und harten Gesichter von Filmschurken. Sie saßen in einem Wagen und überholten jetzt die reizende junge Frau, bremsten scharf ab und waren blitzschnell aus dem Wagen. Vivi Carlson, wie die junge Blondine hieß, flüchtete entschlossen in einen dunklen Torbogen und steuerte einen weiten Hinterhof an, wo am Ende ein kleines Gittertor zu sehen war. Vivi Carlson sah sich gehetzt um. Sie keuchte vor Anstrengung und Angst. Die beiden Schläger waren schon seit gut einer Viertelstunde hinter ihr. Es war ihr bisher nicht gelungen, sie abzuschütteln. Vivi rannte auf die Gittertür zu und klinkte sie auf. Bruchteile von Sekunden später merkte sie, daß die Tür verschlossen war. „Heute geschlossen, Süße“, hörte sie hinter sich. „Ruhetag!“ „Komm schon, Puppe“, fügte Charly fast gemütlich hinzu, „dein Arbeitgeber sehnt sich nach dir.“ Vivi warf sich herum und starrte die beiden Schläger aus weit geöffneten Augen an. „Gehen Sie, oder ich schreie!“ sagte sie keuchend vor Angst und Anstrengung. „Der Chef war doch noch nie'n Unmensch“, behauptete Bill, der etwas schmaler wirkte als sein Partner. „Ich schreie!“ warnte Vivi. „Geh besser nicht auf Sendung“, sagte Charly grinsend, „sonst mach ich dein Mikrofon kaputt. Komm schon!“ Vivi Carlson wurde völlig überrascht, als Bill und Charly sich auf sie warfen Aber sie war dennoch geistesgegenwärtig genug, Charly gegen das Schienbein zu treten. Worauf Charly auf Sendung ging, lautstark und dabei die Augen verdrehend. Er vergaß für einen kurzen Moment sein Opfer. Als er wieder daran dachte, huschte Vivi bereits an ihm vorbei. „Los, nach!“ brüllte Charly und setzte sich in Bewegung. Da sich aber auch Bill vorwarf, kollidierte er mit seinem Partner und ging zusammen mit ihm zu Boden. Vivi schaute sich kurz und gehetzt um. Bill und Charly, die sie nur zu gut kannte, behinderten sich jetzt gegenseitig und schufen ihr damit ungewollt einen Vorsprung. Vivi lief erneut los, diesmal ihre letzten Kräfte und Energien einsetzend. Sie rannte zurück zum Torweg und zur Straße.
Bill und Charly standen inzwischen wieder auf ihren Beinen und verfolgten sie. Dabei war deutlich zu sehen, daß Charly unter gewissen Konditionsschwächen zu leiden hatte. Er humpelte wie ein rheumatischer Rentner. *** Parker stieg aus seinem hochbeinigen Monstrum, wie der Wagen in den Staaten genannt wurde.' Hier in London fiel sein Privatwagen nicht mehr auf. Das ehemalige Taxi, das nach seinen privaten Wünschen umgestaltet worden war, glich einem der vielen tausend Taxis, wenn man nicht genauer hinschaute Das Taxischild vorn auf dem Wagendach fehlte, sonst wäre der Eindruck perfekt gewesen. Parker zog einen Universal-Regenschirm aus dem Ständer neben seinem Fahrersitz, legte sich den bleigefütterten Bambusgriff über den linken Unterarm, rückte sich die schwarze Melone zurecht und lustwandelte hinüber zu einem nahen Teich, der zum Park gehörte. Nach Randers Weggang hatte Parker das Haus verlassen, um sich ein wenig die Füße zu vertreten. Er wollte seinem unschuldigen Hobby frönen, die Schwäne und Enten im Parkteich zu füttern. Er wußte wohl nicht, daß er dabei scharf beobachtet wurde. Die Beobachter waren selbstverständlich Cleveland und Longless, die es hier draußen im stillen, spätnachmittäglichen Park hinter sich bringen wollten. Eine günstigere Gelegenheit hätte sich gar nicht finden lassen. „Komm schon, Clevie“, bat Longless junior eindringlich, „laß mich schießen!“ „Ich weiß nicht, Junge“, zögerte Cleveland. „Ist doch wie auf 'm Schießstand“, sagte Longless junior. „Na, schön“, gab Cleveland großzügig nach, „ich will dir mal was gönnen, Junge. Ich bin ja kein Unmensch!“ Longless junior sah seinen Lehrmeister dankbar und froh an. Longless junior überprüfte noch mal den Schalldämpfer, dann die Waffe an sich und nahm langsam Ziel auf. Parker stand inzwischen am Rand des Teiches und fütterte die diversen Wasservögel. Er wandte den beiden Killern den Rücken zu. Wahrscheinlich hatte er noch nicht mal den Wagen bemerkt, der etwa fünfzig Meter von ihm entfernt auf einem Seitenweg stand. „Ruhig durchatmen, Junge“, ermahnte Cleveland seinen Lehrling, „und jetzt... wartest du noch 'nen kleinen Moment. Ja, setz die Knarre ab!“ „Wieso? Was ist denn?“ wollte Longless irritiert wissen. „Du Trottel hattest nicht entsichert“, stellte Cleveland mißbilligend fest, „und dann bricht dort was Weibliches durch die Büsche.“ Cleveland deutete nach rechts aus dem Wagen.
Longless junior kniff die Augen zusammen und beobachtete Vivi Carlson, die wie ein scheues, aber schnelles Reh durch die Ziersträucher brach und dann auf Parkers hochbeinigen Wagen zulief. Sie verwechselte Parkers Privatwagen ganz offensichtlich mit einem offiziellen, konzessionierten Taxi. Sie rief mehrmals laut und ängstlich: „Hallo, Taxi! Hallo, Taxi!“ Parker, der auf dem Weg zurück zu seinem Wagen war, blieb stehen und lüftete vor Vivi, die ihn inzwischen erreicht hatte, höflich seine schwarze Melone. „Kann und darf ich irgend etwas für Sie tun?“ erkundigte er sich. „Schnell zur Polizei... Schnell“, sagte Vivi und wandte sich ängstlich in Richtung Ziersträucher um. „So beeilen Sie sich doch! Zur Polizei!“ „Sind Sie sicher, Madam?“ wollte Parker wissen. „Man ... Man will mich umbringen“, keuchte Vivi und sah sich erneut nach den beiden Strolchen Bill und Charly um, die zögernd, aber dennoch stetig langsam auf sie zukamen. „Ihr Wunsch ist mir selbstverständlich Befehl, Madam“, sagte Parker, der all diese Einzelheiten durchaus mitbekam, sich aber keineswegs aus der Ruhe bringen ließ. „Darf ich mir erlauben, Ihnen in den Wagen zu helfen?“ Vivi verzichtete auf jede weitere Förmlichkeit. Sie drängte sich an Parker vorbei in den Wagen, dessen Fondtür von dem Butler respektvoll geöffnet worden war. Sie drückte sich tief und schutzsuchend in die Polster. „So fahren Sie doch endlich“, stieß sie dabei hastig aus. Sie verwechselte Parkers Privatwagen immer noch mit einem offiziellen Taxi. „Worauf warten Sie denn noch?“ Parker begab sich gemessen nach vorn zum Fahrersitz, nahm Platz und ließ sein hochbeiniges Monstrum langsam anrollen. Dabei schaute er fast beiläufig in den Rückspiegel und nahm bei dieser Gelegenheit zwei Männer wahr, die ihn vielleicht noch mehr interessierten als die beiden Schläger, die das junge, blonde Mädchen verfolgt hatten. *** Cleveland und Longless hetzten hinter Parkers Wagen her. Sie konnten ein Stück Weg abkürzen, rannten quer über einen Rasen, durch ein Blumenbeet und schlossen auf. Dabei zeigte sich, daß Longless junior, das Riesenbaby, offensichtlich unter leichten Konditionsmängeln litt. Cleveland war schneller und hatte inzwischen den Wagen erreicht. Er riß die Tür auf und schlüpfte zu Vivi nach hinten in den Fond. „Was... Was wollen Sie?“ stieß Vivi Carlson ängstlich hervor, um dann auf Longless junior zu sehen, der von seinem Partner Cleveland in den Wagen gezerrt wurde. „Schnauze, Mädchen“, sagte Cleveland, als er es geschafft hatte, „dir wird überhaupt nichts passieren.“ Während er noch sprach, hatte er bereits seine
schallgedämpfte Waffe in der Hand und richtete sie auf den Nacken des Butlers, der hinter der schmalen Trennscheibe zu sehen war. „Möchten auch Sie möglicherweise zu den zuständigen Behörden, sprich Polizei?“ erkundigte sich Parker in diesem Moment. Parker saß nach wie vor steif und aufrecht am Steuer. Die Waffe in der Hand des Profi-Killers schien er überhaupt nicht zu sehen. „Kleiner Scherzbold, wie?“ fragte Cleveland ironisch, während Longless junior sich dicke Schweißperlen von der Stirn wischte und Vivi dabei neugierig anschaute. „Ist er nicht ein kleiner Scherzbold?“ fragte Cleveland und wandte sich dabei an den noch leicht keuchenden Partner. Dann nahm er den Kopf zurück und ließ seinem Lehrling den Vortritt. Longless hatte inzwischen ebenfalls seine Waffe gezogen und schlüpfte in die ihm zugedachte Rolle. Er räusperte sich, um seiner Stimme den gewünschten, drohenden Unterton zu geben. „Mach mal 'ne kleine Vollbremsung; Parker!“ Longless war mit sich zufrieden. Seine Stimme klang drohend. „Ich weiß nicht, ob dies im Interesse der jungen Dame ist, Mister Longless.“ „Aber da bin ich doch leicht geplättet“, sagte Cleveland und sah Longless junior überrascht an. „Der Gevatter kennt uns.“ „In der Tat“, gab Parker zurück, „ich habe das zweifelhafte Vergnügen mit den Herren Cleveland und Longless ...“ „Die du jetzt erst richtig kennenlernen wirst“, sagte Cleveland und nickte seinem Lehrling zu. „Stop, Parker“, verlangte Longless daraufhin mit immer noch scharfer Stimme. „Und du, Mädchen, haust jetzt ab. Dein Typ ist hier nicht gefragt!“ Während Vivi die beiden Killer entsetzt ansah, glitt Parkers schwarz behandschuhte Hand über das mit Kipphebeln, Schalter und Druckknöpfen reichhaltig ausgestattete Armaturenbrett seitlich neben dem Fahrersitz Dazu sagte er gelassen: „Ich hoffe sehr daß Sie gewisse Vorsichtsmaßnahmen meinerseits verstehen werden.“ Longless junior grinste, zumal der Wagen wieder langsamer wurde. Parker spurte. Und das hing ganz sicher mit der Kanone zusammen, die er dem Butler in den Nacken schob. Der Mann hatte begriffen. Er war doch nicht das As, wie Cleveland behauptet hatte. Parker schien seine Trickkiste bei der Gepäckaufbewahrung abgegeben zu haben. Bruchteile von Sekunden später brüllte Longless junior nur noch ein lautes, Verzweifeltes „Au!“ und starrte auf seine eingeschlossene und gequetschte Hand, die plötzlich ohne Schußwaffe war. Diese Änderung der Situation hing mit dem Armaturenbrett des Wagens zusammen. Noch deutlicher, sie korrespondierte mit Parkers Finger, der einen Knopf gedrückt hatte. Daraufhin war die schmale Trennscheibe mit größter Wucht
und Schnelligkeit nach oben geschossen und hatte Longless' Hand in die Zange genommen. Cleveland reagierte augenblicklich, bereit, die Situation noch mal zu wenden. Er warf sich nach vorn und drückte den Lauf seiner Waffe gegen die Trennscheibe. Sein Gesicht war hart geworden. „Die Trennscheibe, meine Herren, besteht selbstverständlich aus schußsicherem Panzerglas“, war Parkers Stimme in diesem Moment zu hören. „Etwaige Schüsse würden nach den geltenden Gesetzen der Physik und Mechanik als unkontrollierbare Abpraller nur unnötigen Schaden anrichten.“ Cleveland verstand sofort. „Los, 'raus!“ rief er Longless zu, dem es inzwischen gelungen war, die angequetschte Hand wieder freizubekommen. Cleveland griff nach dem Türgriff und rüttelte wütend und verzweifelt daran herum. Die Tür ließ sich nicht öffnen. Longless machte Sekunden später die gleiche Erfahrung. „Die Türen sind selbstverständlich elektrisch verriegelt“, ließ sich Parkers Stimme in diesem Moment im Wagenfond vernehmen. Sie kam aus einem Lautsprecher hinter den Sitzen. Cleveland und Longless kamen sich wie in einer Zelle vor. Sie starrten sich jetzt betroffen-nervös an. „Um ihren Tatendrang ein wenig einzuengen, werde ich mir die Freiheit nehmen, etwas zur allgemeinen Entspannung der Lage beizutragen“, kam Parkers Stimme erneut aus dem Lautsprecher. Und während er noch sprach, war plötzlich ein feines, aber irgendwie giftig wirkendes Zischen zu vernehmen. Cleveland und Longless fanden nach einer Sekunde heraus, woher dieses Zischen stammte. Es begleitete den Austritt eines feinen Nebels, der aus zwei drahtvergitterten, kleinen Düsen unterhalb der Trennscheibe hervorschoß und das Wageninnere schnell füllte. Vivi vergrub vor Angst ihr Gesicht in beiden Händen und wußte nicht, was sie tun sollte. Cleveland und Longless junior beschäftigten sich inzwischen damit, mit ihren Fingern die beiden Düsen zu verschließen. Was ihnen selbstverständlich nicht gelang. „Ich darf mir erlauben, Ihnen eine angenehme Ruhe zu wünschen“, war Parkers Stimme dann durch den feinen Nebelspray zu hören. Aber das bekamen Longless junior und sein Lehrmeister Cleveland schon nicht mehr mit. Sie rutschten haltlos von ihren Sitzen und schliefen ziemlich unvermittelt ein. Wie Vivi Carlson, die sich jetzt dekorativ über die beiden Killer legte und ebenso einschlief. Josuah Parker war wieder mal zufrieden. Er war froh, daß er selbst nach seiner Ankunft in London den Wagen sorgfältig gewartet hatte. Alle Systeme funktionierten ausgesprochen erstklassig.
Parker nahm Kurs zurück zur Wohnung seines jungen Herrn. Er fragte sich, was Mike Rander wohl zu der jungen, blonden, sehr reizvollen Dame sagen würde. *** „Da müssen Sie aber 'ne ganz nette Dosis versprüht haben, Parker“, sagte Mike Rander, „sie schläft noch immer. Was glauben Sie, haben wir es mit einem Lockvogel zu tun? „ Anwalt Rander und sein Butler standen in der Bibliothek des gemieteten Hauses, die gediegen englisch eingerichtet war. Vivi Carlson befand sich in einem der Gästezimmer und war von Rander gerade diskret in Augenschein genommen worden. „Nach einem Lockvogel, Sir, sieht mir die junge Dame eigentlich nicht aus“, gab der Butler gemessen zurück, „ihr Auftauchen kann durchaus ein Zufall gewesen sein. Ich hielt es daher für richtig, sie erst mal ins Haus zu bitten.“ „Lassen wir uns also überraschen. Und wo haben Sie diese beiden Killer?“ „Ich war so frei, Sir, sie außer Gefecht zu setzen, wie der Volksmund es so treffend ausdrücken würde.“ Rander schmunzelte. Er kannte den Erfindungsreichtum seines Butlers. *** Es handelte sich um eine sehr einsame Straße in der Nähe eines kleinen Parks irgendwo in London. Es war dunkel geworden, und die einzige Laterne in dieser kurzen Straße brannte bereits. Sie beleuchtete eine Idylle, die irgendwie unwirklich und grotesk wirkte. Die beiden Dauerkiller Cleveland und Longless saßen am Fuß dieser Straßenlaterne auf dem Boden und hatten sich an den Händen angefaßt. Zwischen ihnen ragte der gußeiserne Mast der Laterne hoch. Kräftige, patrouillierende Schritte waren plötzlich zu hören, die die Stille durchbrachen. Diese Schritte verhielten, wurden dann schneller und trugen schließlich einen Bobby an die Laterne heran. „Hallo, meine Herren, Sie werden sich erkälten.“ Der Bobby beugte sich zu Longless hinunter und rüttelte an dessen Schulter. Erst dann entdeckte er die Handschelle, die Longless' Hand mit der von Cleveland innigst verband. Der Bobby wunderte sich leicht. Er ging um Longless herum und untersuchte dessen zweite Hand. Auch sie war mit dem Gelenk der anderen Hand Clevelands verbunden. Die beiden Dauerkiller umschlossen auf diese Art und Weise die Straßenlaterne.
Der Bobby zuckte nervös zusammen, als Longless plötzlich einen tiefen Schnarcher von sich gab. Dann langte der Hüter des Gesetzes nach seiner Signalpfeife und alarmierte seine Kollegen. „Ruhe!“ murmelte Cleveland, der sich gestört fühlte, „ich werde mich bei der Direktion beschweren!“ „Mieser Service“, tadelte Longless junior und schnarchte dann erneut auf, während der Bobby sich Gedanken darüber machte, wer wohl diese beiden Männer mittels zweier Handschellen um den Laternenmast drapiert hatte. So etwas war ihm während seiner ganzen Praxis noch nie passiert. *** „Gut, Miß Carlson, fassen wir noch mal zusammen“, sagte Rander etwa um diese Zeit und beugte sich leicht zu Vivi hinunter, die in einem bequemen Sessel vor ihm saß, aber noch immer leicht verschlafen und benommen wirkte. „Sie stammen also aus Dänemark und arbeiten seit einigen Monaten hier in London für einen gewissen Mister Harvey, der ein Antiquitätengeschäft hat.“ „Ja, wirklich. Oder glauben Sie mir nicht?“ Vivi sah Mike Rander unsicherempört an. „Und heute, Miß Carlson, wollen Sie festgestellt haben, daß Ihr Chef ein Banknotenfälscher ist?“ In Randers Stimme schwang deutliche Skepsis mit. „Es müssen gefälschte Banknoten gewesen sein, Mister Rander“, erwiderte Vivi nachdrücklich, „Mister Harvey hatte einen ganzen Koffer voll davon.“ „Vielleicht gehen die Geschäfte dieses Mister Harvey glänzend“, warf Rander ein. Sein Mißtrauen war nach wie vor nicht zu überhören. „Eben nicht, Mister Rander.“ Vivi Carlson schüttelte nachdrücklich den Kopf. „Wir haben nur eine ganz kleine Kundschaft. Gerade ich muß das doch wissen. Und warum hetzte Mister Harvey dann danach seine beiden Angestellten Bill und Charly auf mich?“ „Hier dürften Verdachtsmomente vorliegen, die ich als gravierend bezeichnen möchte“, schaltete Josuah Parker sich gemessen ein. Er nickte Vivi beruhigend zu. Er ließ damit deutlich erkennen, daß er sie mochte. „Ich habe keinen Grund, Sie zu belügen“, redete Vivi in Richtung Mike Rander weiter, „warum glauben Sie mir nicht?“ „Was werden Sie jetzt tun?“ fragte Rander, ohne ihre Frage zu beantworten. „Ich gehe selbstverständlich zur Polizei“, gab Vivi kühl zurück, um sich dann an Parker zu wenden, „vielen Dank für Ihre Hilfe, Mister Parker. Ohne Ihr Eingreifen hätten die beiden Kerle mich vielleicht schon umgebracht.“ „Den Gang zu den Behörden sollte man vielleicht auf einen späteren Zeitpunkt verschieben“, schaltete der Butler sich erneut ein. „Ihr Einverständnis voraussetzend, Sir, sollte man sich das erwähnte Antiquitätengeschäft des Mister Harvey erst mal ansehen. Ein Gang, Sir, den ich Ihnen selbstverständlich abneh-
men werde. Miß Carlson sollte bis zu meiner Rückkehr in Ihrer Obhut verbleiben. Die Gefahr scheint noch längst nicht gebannt zu sein!“ *** „Ich werd verrückt, Chef! Da ist die komische Type von gestern“, stieß Schläger Charly hervor und deutete durch das Schaufenster, das mit Antiquitäten vollgestopft war, nach draußen. „Welche Type, Charly?“ Auf einer Wendeltreppe, die hinauf ins Obergeschoß führte, erschien Mister Harvey, ein schlanker Mann von etwa vierzig Jahren. Um seine schmalen Lippen spielte ein stereotypes und kaltes Lächeln, an dem seine Augen nie beteiligt waren. „Der Kerl der Vivi abgeschleppt hat“, rief Charly und ging hinter einer-angeblich mittelalterlichen Madonna aus Holz in Deckung. Harvey stand jetzt hinter ihm und sah hinaus auf die schmale Straße, in der sein Antiquitätengeschäft lag. Er beobachtete ein Taxi, das von einem Butler gerade verlassen wurde. Und dieser Butler schritt gemessen auf sein Geschäft zu. „Verschwinde, Charly“, sagte Harvey, „sag Bill Bescheid! Den Knaben werden wir hochnehmen.“ Harvey verstärkte sein Lächeln, als er hinüber zur Tür ging, deren Glockenspiel bereits ertönte. „Guten Tag, der Herr“, dienerte Harvey, als Parker eintrat und höflich seine schwarze Melone lüftete. „Ich erlaube mir, einen wunderschönen Tag zu wünschen“, gab der Butler zurück. „Wie, bitte?“ Harvey war zuerst ein wenig irritiert, „ach so, ja, ich auch.“ „Mein Name ist Parker. Josuah Parker. Ich habe die Ehre und den Vorzug, für Mister Rander arbeiten zu dürfen.“ „Wie schön für Sie. Und was kann ich für Sie tun?“ „Mister Rander schickt meine bescheidene Wenigkeit in einer Angelegenheit, die man als ausgesprochen heikel bezeichnen muß. Genauer gesagt, handelt es sich um eine junge Dame, die sich Vivi Carlson nennt und bei Ihnen als Verkäuferin und Sekretärin gearbeitet haben will.“ „Ach, Miß Carlson!“ Harveys Lächeln wurde spitz und ironisch, „eigentlich hat sie mehr gestohlen als gearbeitet, um genau zu sein. Leider habe ich das etwas zu spät bemerkt. Ist sie jetzt etwa bei Ihnen aufgekreuzt?“ „In der Tat“, gab der Butler zurück, „darf und muß ich Ihrer Bemerkung entnehmen, daß Sie Miß Carlson gram sind?“ „Gram? Stocksauer! Äh, sehr enttäuscht, um genau zu sein. Da hilft man nun einem jungen Girl... Äh, Mädchen, das in London unsere Sprache lernen will und wird zum Dank dafür beklaut. Hoffentlich haben Sie das Familiensilber Ihres Arbeitgebers gut verschlossen!“
„Miß Carlson macht auf meine Wenigkeit einen recht positiven Eindruck“, widersprach Parker. „Alles nur Mache, Mister Parker. Sie sollten das Girl bei der nächsten Revierwache abliefern.“ „Auch auf die Gefahr hin, Mister Harvey, daß Miß Carlson dann von Blüten sprechen könnte, die keineswegs in das Gebiet der Botanik fallen?“ Harveys Augen wurden schmal. Was unter anderem auch damit zusammenhing, daß hinter Parker seine beiden Mitarbeiter Bill und Charly auftauchten, die auf leisen Sohlen sich an Parker heranpirschten. Sie waren selbstverständlich bewaffnet. Und die Schußwaffen lagen sehr profihaft in ihren Händen. Parker reagierte erstaunlich. Die Augen seines Gegenübers hatten ihm bereits genug gesagt. Ohne jeden Kommentar hob er langsam die Arme zur Decke. „Ich muß und darf dies wohl als einen Überfall betrachten und deuten“, sagte er dazu. „Das war ja 'ne richtige Blitzschaltung“, meinte Harvey etwas irritiert, „meine Mitarbeiter werden Sie 'runter in den Keller schaffen, Parker. Bei der Gelegenheit sollten Sie Ihre Brieftasche 'rausrücken. Man will doch schließlich wissen, wo wir Sie später wieder abliefern können.“ Erstaunlicherweise tat der Butler gar nichts, um die Lage zu verändern. Willig ließ er sich abführen. Es schien ihm sogar Spaß zu machen. *** „Sie müssen mein Mißtrauen schon entschuldigen“, sagte Mike Rander lächelnd, „aber Ihr Auftauchen vor Parker wirkte nun mal gesteuert.“ „Noch wissen Sie ja nicht, ob meine Geschichte stimmt“, gab Vivi Carlson zurück. „Man hat ja schließlich so etwas wie Menschenkenntnis“, meinte der Anwalt. „Und die sagt Ihnen jetzt eindeutig, daß ich kein Lockvogel bin?“ „Richtig.“ Rander nickte. „Nach einem Lockvogel sehen Sie nicht aus, Miß Carlson.“ „Den Ausdruck benutzten Sie schon mal.“ „Unsere Gegner arbeiten eben mit allen Mitteln“, setzte der Anwalt seinem Gast auseinander, „und bisher hat das Syndikat sich noch immer etwas einfallen lassen.“ „Das Syndikat?“ Vivi Carlson sah Rander irritiert an. „Verbrechersyndikat“, präzisierte der Anwalt, „Sie werden ja davon schon gehört haben. Drüben in den Staaten sorgten Parker und ich dafür, daß einer dieser führenden Burschen hinter Gitter wanderte. Seitdem läßt man uns einfach nicht mehr in Ruhe.“ „Denken Sie jetzt an diese beiden scheußlichen Kerle, die sich zu mir in den Wagen drängten?“
„Cleveland und Longless“, bestätigte Rander, „Cleveland ist ein Profikiller. Longless ist der Sohn jenes Gangsterbosses, der durch uns eingesperrt wurde.“ „Dann dürften Sie sehr gefährlich leben!“ „Man gewöhnt sich daran. Und Parker scheint sogar Gefallen daran zu haben.“ „Ihr Butler ist ein sehr ungewöhnlicher Mensch, Mister Rander.“ „Auf seine Art ist er ein Genie“, meinte Rander, „und ich frage mich immer wieder, wer der eigentliche Chef ist. Aber darauf kommt es gar nicht an, Hauptsache, wir ergänzen uns.“ „Sie stammen aus England?“ „Richtig, aber ich habe jahrelang drüben in den Staaten gearbeitet, im Grund bin ich längst Amerikaner. Oder Weltbürger, wenn Sie so wollen.“ „Werden Sie für längere Zeit hier in London bleiben?“ „Das ist wenigstens so geplant, kommt aber darauf an, welche Aufgaben sich anbieten. Parker hätte sicher nichts dagegen, wenn wir länger bleiben würden.“ „Er ist natürlich ebenfalls Engländer?“ „Vom Scheitel bis zur Sohle, Miß Carlson, aber fragen Sie mich nur nicht, woher er kommt, wie seine Vergangenheit aussah. Darüber redet er niemals.“ „Ich mag ihn“, sagte Vivi und lächelte versonnen. „Und er Sie ebenfalls“, gab Rander zurück, „sonst würde er sich bestimmt nicht für Sie einsetzen. Werden Sie nach dieser Affäre hier zurück nach Dänemark fahren?“ „Auf keinen Fall, Mister Rander. Ich werde schon einen neuen Job finden.“ „Haben Sie irgendeine bestimmte Ausbildung?“ „Ich bin gelernte Stenotypistin. Singen und Tanzen kann ich übrigens auch.“ „Bei der Wahl Ihres neuen Arbeitgebers sollten Sie nun besonders vorsichtig sein.“ „Ich bin ein gebranntes Kind“, erwiderte Vivi ernst, „ich habe Todesangst ausgestanden, als die beiden Schläger hinter mir her waren. Glauben Sie, daß Ihr Butler mit ihnen fertig wird?“ „Wie ich ihn einschätze, wird es ihm ein Vergnügen sein, Miß Carlson. Aber wenn er innerhalb der nächsten halben Stunde nicht zurück ist, werde ich wohl doch die Polizei alarmieren. Unverwundbar ist schließlich kein Mensch.“ *** Parker befand sich wieder mal in einem fensterlosen Keller, der in seinem Ausmaß an einen niedrigen Bunker erinnerte. Von der Decke hing eine nackte Glühbirne herab, die trübes Licht verbreitete. Die Tür, die Parker inzwischen längst untersucht hatte, war mit dickem Eisenblech beschlagen und sah aus wie die Panzertür eines Tresors. Wie oft schon in der Vergangenheit hatte der Butler sich in solchen Räumen aufhalten müssen. Und ebenso oft hatten seine Gegner solche Keller für
unüberwindbar gehalten. Sie konnten sich einfach nicht vorstellen, daß Türen dieser Art geknackt wurden. Parker wußte es natürlich besser. Er hatte gerade in Anbetracht solcher Bunker ein besonderes System entwickelt, Türen dieses Zuschnitts zu öffnen. Und der Schlüssel zu solchen Türen war ein harmlos aussehender Kugelschreiber, der zusammen mit anderen und ähnlichen Schreibgeräten in Parkers Westentasche steckte. Dieser Kugelschreiber, den Parker jetzt in der Hand hielt, hatte es in der Tat in sich. Parker schob die Spitze in das Türschloß und legte dann mit seiner schwarz behandschuhten Hand den Clip herum. Bruchteile von Sekunden später war giftiges Zischen zu hören. Vorn aus der Spitze des angeblichen Schreibgeräts schoß ein weißglühender Feuerstrahl, der an eine Thermitlanze erinnerte. Die Hitzegrade, die diese Thermitlanze entwickelte, waren beträchtlich und beeindruckend. Geschmolzenes Metall tropfte und floß aus dem inzwischen deformierten Schlüsselloch. Nach wenigen Sekunden, als Parker sich versuchsweise gegen die Tür lehnte, schwang sie bereits auf und gab den Weg frei. Parker schien das für selbstverständlich zu halten. Er wartete ab, bis der Kugelschreiber sich entleert hatte, griff dann nach seinem altväterlich gebunden Regenschirm, setzte sich seine schwarze Melone zurecht und schritt gemessen und wie selbstverständlich hinaus in den Gang. Er hatte oben im Haus noch einiges zu erledigen, was er auf keinen Fall auf die lange Bank schieben wollte. *** Im Antiquitätengeschäft langweilte sich Bill. Er stand in der Nähe der Wendeltreppe, die hinauf in Harveys Apartment führte, blätterte lustlos in einem Magazin und gähnte anhaltend. Das Geschäft war geschlossen. Die Springrollos vor dem Schaufenster und der Tür waren heruntergelassen. Bill hatte die Aufgabe, die Stellung zu halten. Er dachte nicht im Traum daran, daß Parker hier oben im Geschäft auftauchte. Worin er sich getäuscht haben sollte. Neben einem Glasverschlag im Hintergrund des Ladenlokals erschien der Butler. Er bewegte sich mit der Geräuschlosigkeit eines Indianers, der sich auf dem Kriegspfad befand. Dabei blieb Parker, was seine Bewegungen anbetraf, stocksteif, als habe er einen Ladestock verschluckt. Er vermied jede Hast, die er ohnehin verabscheute. Parker schritt gemessen auf einen antiken Schrank zu und ging hinter ihm in Deckung. Hier präparierte er seinen Universal-Regenschirm, der es wirklich in sich hatte.
Der Schirmstock war hohl und ausgebohrt. Er war nichts anderes als ein Blasrohr, durch das er kleine, stricknadelgroße Blasrohrpfeile verschießen konnte. Und zwar mittels Preßluft, deren Patrone sich im bleigefütterten Bambusgriff des Schirms befand. Parker schraubte die kleine Schutzkappe von der Bodenzwinge des Schirmes ab und verdrehte den Bambusgriff. Damit war das Schießgerät bereits schußfertig. Ein Blasrohrpfeil befand sich im Lauf, und die Preßluft konnte auf Wunsch freigelassen werden. Bill war und blieb ahnungslos. Er legte gerade das Magazin aus der Hand und dachte an Harvey. Klarer Fall, daß diese Carlson keine Chance hatte. Dumm war an der ganzen Geschichte nur, daß Harvey dieses Girl überhaupt aufgenommen hatte. Das war wirklich nicht notwendig. Parker visierte mit der Schirmspitze seinen Gegner an. Dann drückte sein schwarz behandschuhter Finger auf einen kleinen, versteckt angebrachten Knopf unterhalb des Bambusgriffes. Fast unhörbar zischte der bunt gefiederte Blasrohrpfeil aus dem hohlen Schirmstock, beschrieb eine leichte Parabel und landete zielsicher in der rechten Gesäßbacke des Schlägers. Bill zuckte wie unter einem elektrischen Schlag zusammen und faßte automatisch nach der schmerzenden Stelle. Er fand den kleinen Pfeil, zog ihn aus dem Muskel und bekam fast einen Ohnmachtsanfall, als er den Pfeil als solchen identifizierte. Er hatte genug Filme gesehen, um zu wissen, um was es sich da in seiner Hand handelte. Ein Blasrohrpfeil, wie ihn die Indios des Amazonas verschossen. Bill hüstelte vor Aufregung und griff nach seinem Schießeisen, das in der Schulterhalfter steckte. Doch seine Bewegungen wurden bereits langsam und zögernd. Er spürte, daß sich etwas in seinem Körper ausbreitete, so etwas wie eine lähmende Müdigkeit, die nicht unangenehm war. Während seine Hand an die Schulterhalfter tastete, fragte er sich, ob dieser Aufwand sich denn überhaupt lohnte. Er gähnte noch mal und erfreute sich der warmen Wohligkeit, die sich in seinen Adern ausbreitete. Sekunden später knickte er in den Knien ein und machte es sich auf dem Boden bequem. Er zog die Beine an und erinnerte plötzlich an einen schlafenden Riesensäugling. Er seufzte zufrieden, schob sich die flachen Hände unter die linke Wange und entschlummerte. Parker trat hinter dem antiken Schrank hervor, sicherte seine Schirmwaffe und nahm dann den Blasrohrpfeil wieder an sich. Er ließ ihn im Magazin seines Schirms verschwinden. Er kümmerte sich nicht weiter um Bill.
Aus Erfahrung wußte er, daß der stämmige Mann wenigstens eine Stunde Tiefschlaf vor sich hatte. Danach würde er erwachen und sich sogar noch wohl fühlen. Was mit dem Präparat zusammenhing, mit dem die Spitze des Blasrohrpfeils bestrichen war. Parker hatte, was die Zusammensetzung betraf, sich mit Chemikern und Physiologen beraten. Gesundheitliche Schäden verursachte dieses Patent-Präparat selbstverständlich nicht. Dies hätte sonst Parkers Grundeinstellung widersprochen, nach der er es ablehnte, seinen Mitmenschen Schaden zuzufügen. Parker stieg über die Wendeltreppe hinauf zu Harveys Apartment, um seinen jungen Herrn zu warnen. Es war anzunehmen, daß Harvey und dessen Schläger Charly unterwegs waren, um Vivi Carlson einzufangen. *** Vivi Carlson befand sich im Badezimmer im Obergeschoß des Hauses und vervollständigte ihr Make-up. Sie war bester Laune und Stimmung. Ihr Gefühl sagte ihr deutlich, daß sie bei Rander in guten Händen war. Sie fühlte, daß sie diesem Mann vertrauen konnte. Ganz zu schweigen von Butler Parker, der einen tiefen Eindruck auf sie gemacht hatte. Vivi vervollständigte gerade die Frisur, als sie im Spiegel eine irreguläre Bewegung bemerkte. Hastig drehte sie sich um — und starrte Charly an, der den Lauf einer Schußwaffe auf sie richtete und dazu ironisch grinste. „Schnauze, Puppe!“ sagte er leise, „oder es wird hier verdammt laut!“ Vivi unterdrückte im letzten Moment einen Aufschrei und preßte sich gegen das Waschbecken. „Kleine Überraschung, wie?“ „Wie — wie haben Sie mich gefunden?“ fragte Vivi. „Parker war so frei!“ gab Charly zurück. „Der Wunderknabe ist gar nicht so gut, wie er aussieht. Wo steckt Rander?“ „Was wollen Sie tun?“ stammelte Vivi. „Rate mal, Süße!“ antwortete Charly, „du hast doch bestimmt genug Phantasie!“ Er- gab die Tür frei, durch die er gekommen war und ließ jetzt Harvey eintreten, der Vivi zunickte. „Wir werden uns schon einigen“, sagte Harvey mit falscher Freundlichkeit, „wer wird denn kündigen, ohne die gesetzliche Frist einzuhalten, Miß Carlson?“ „Ich habe kein Wort...“ Harvey unterbrach sie. „Natürlich nicht, Miß Carlson“, sagte er, „Parker hat uns schon bestätigt, daß Sie vollkommen dicht gehalten haben Charly, sorg dafür, daß sie keine Dummheiten macht!“
Vivi setzte alles auf eine Karte und wollte weglaufen. Sie landete vor der Brust Charlys, der sie sofort scharf an sich zog und seine Arme um sie schlang. Vivi trat aus wie ein störrisches Maultier, traf und sorge dafür, daß Charly ein paarmal wütend aufstöhnte. Dann erhielt sie jedoch einen Schlag an die Schläfe, der ihr das Bewußtsein raubte. „Nimm sie mit 'runter zu Rander“, sagte Harvey lächelnd, „ein besseres Druckmittel könnten wir uns gar nicht wünschen. *** Parker hatte die Nummer seines jungen Herrn gewählt und wartete mit leichter, aber kaum erkennbarer Ungeduld darauf, daß der Anwalt sich meldete. Er hörte das Freizeichen, aber auf der Gegenseite wurde nicht abgehoben. Worüber Parker sich seine Gedanken machte. Sollten Harvey und Charly bereits in Randers Haus sein? Ging er davon aus, so mußte er sich ungemein beeilen, um gewisse Dinge noch zurechtzurücken. Parker legte auf und ging zurück zur Wendeltreppe; Er hatte sie aber noch nicht vollends erreicht, als das Telefon sich meldete. Der Butler zögerte. Sollte er zurückgehen und abheben? Verlor er dadurch nicht wertvolle Zeit? Er meldete sich. „Bei Mister Harvey. — Wie meinen ...!? Hier spricht der Butler, Madam. Jawohl, der Butler. Mister Harvey war so freundlich, mich zu beschäftigen. Nein, Madam, hier spricht keineswegs das Eichhörnchen.“ Die Stimme auf der Gegenseite war quäkend und ungemein schnell. Sie gehörte mit Sicherheit zu einer Frau, die es gewohnt war, ihre Partner nur selten zu Wort kommen zu lassen. Parker nahm den Hörer sicherheitshalber etwas vom Ohr ab. Er wollte sein Trommelfell nicht unnötig gefährden. „Sehr wohl, Madam“, sagte er zwischendurch, wenn er mal eine Chance hatte. „Gewiß, Madam. Umgehend, Madam ...“ Sie redete wie ein tosender Wasserfall und deckte den Butler vollkommen ein, bis auch sie nach Luft schnappen mußte. „Ich werde es ausrichten, Madam“, versprach Parker in diesem Moment. „Sobald Mister Harvey wieder zurück ist, wird er Sie umgehend anrufen. Darf ich mir Ihren Namen und Ihre Telefonnummer aufschreiben, Madam — Miß Elsie Hampden. Natürlich können Sie sich auf meine bescheidene Wenigkeit verlassen, Madam. Sie werden mit Sicherheit zufrieden sein.“ Parker legte schnell auf, bevor sie weiterreden konnte. Dann schritt er gemessen zur Wendeltreppe, um sich auf dem kürzesten Weg zu Mister Harvey zu begeben. Als geschulter Butler wollte er seinen Auftrag umgehend erledigen.
*** Rander lag regungslos auf dem Teppich der Bibliothek und war ohnmächtig. Hinter ihm stand Harvey, der eine wippende Stahlrute in der rechten Hand hielt und zufrieden auf den Anwalt hinunterschaute. „Na also, warum denn nicht gleich so“, sagte Harvey kalt lächelnd, „so sieht die Sache ganz anders aus!“ „Und jetzt, Chef?“ erkundigte sich Charly, der sich hinter Vivi aufgebaut hatte, deren Arm er festhielt. „Das ist dein Problem, Charly“, sagte Harvey fast beiläufig, „servier ihn auf jeden Fall ab! Der Mann stört mich!“ „Nein — nein! Bitte nicht!“ Vivi riß sich urplötzlich von Charly los, der allerdings keine Anstalten machte, sie zurückzuhalten. „Ich schwöre Ihnen, Mister Harvey, daß ich ihm nichts gesagt habe. Er weiß nichts. — Er hat keine Ahnung ...“ „Du kannst mir viel erzählen, Mädchen“, gab Harvey kühl zurück. „Steck dir deine Schwüre an den Hut! Gegen Augenzeugen war und bin ich verdammt allergisch!“ „Dann — dann wollen Sie auch mich ...?“ Sie sprach den Satz nicht aus, wich noch mal zurück und starrte Harvey entsetzt an. „Na und?“ Harvey lächelte nicht mehr. Seine Augen wurden kalt wie Stangeneis. „Aber das ist doch Mord!“ Vivis Stimme wurde leise vor Entsetzen. „Doppelmord“, korrigierte Harvey wie selbstverständlich. Dann wandte er sich Charly zu. „Worauf wartest du noch, Charly? Soll das hier ein abendfüllendes Programm werden?“ Selbst Charly zögerte. Mord, das war etwas, was ihm gar nicht in den Kram paßte. Schön, gegen eine solide Schlägerei hatte er bisher noch nie etwas einzuwenden gehabt, auch wenn danach kosmetische Operationen für den jeweils Betroffenen notwendig gewesen waren. Aber Mord ...!“ „Nun mach schon“, rief Harvey ihm zu. Die Stimme des Antiquitätenhändlers war wie ein Peitschenschlag für ihn. Charly hob langsam die Waffe und visierte den am Boden liegenden Mike Rander an. Er wie sein Chef Harvey sahen nicht die beiden schwarz behandschuhten Hände, die sich durch die geöffnete Tür schoben. In diesen befand sich eine Gabelschleuder, wie sie von Lausejungen benutzt wird, um Steine durch die Gegend zu befördern. Das Y dieser Schleuder bestand aus einem zusammenlegbaren, starken Stahlprofil, die beiden Gummistränge aus erstklassigem Material, das ungewöhnlichen Belastungen standhielt.
In der Lederschlaufe dieser Schleuder befand sich schließlich eine hartgebrannte Tonmurmel. Die beiden schwarz behandschuhten Hände strafften die Gummistränge und ließen die Tonmurmel dann frei. Unhörbar und rasant schoß dieses seltsame Geschoß durch die Luft, während Vivi in diesem Moment ohnmächtig in Harveys Armen zusammensackte. Sie weigerte sich unbewußt, dem geplanten Mord zuzusehen. Aber auch Charly weigerte sich plötzlich, den tödlichen Schuß zu lösen. Was nicht mit seinem Willen übereinstimmte. Diese Weigerung hing mit der Tonmurmel zusammen, die gerade auf seinem Handrücken gelandet war und ihm die Schußwaffe aus der Hand fegte. Charly stieß einen entsetzten Schrei aus und begann mit einem leichten Steptanz, den er bis zur ausgelassenen Raserei steigerte. Dabei hielt er sich die getroffene Hand und lutschte an der stark geröteten Aufschlagstelle. Was ist denn los?“ fauchte Harvey, ließ Vivi hart zu Boden gleiten und kam schnell auf Charly zu. „Meine Hand! Meine Hand!“ stöhnte Charly, „irgendwas hat mich getroffen.“ „Was denn, du Trottel“, brüllte Harvey nervös. „Weiß ich nicht.“ brachte Charly knirschend hervor, „irgend etwas .. Weder er noch Harvey achteten auf Vivi, die sich gerade vorsichtig erhob. Sie schätzte blitzschnell ihre Chancen ab und rannte dann in Richtung Tür. „Nee, so nicht, Süße!“ Harvey grinste tückisch und nahm sofort die Verfolgung auf. Vivis Chancen sanken rapide. Harvey war wesentlich schneller. Bis auch ihn eine Tonmurmel erwischte, und zwar genau auf der Kniescheibe. Parker hatte sie mit aller Wucht auf die Luftreise geschickt. Und sie schuf eine tolle Wirkung. Harvey wurde mitten im Lauf hart gestoppt, stolperte, humpelte, verlor das Gleichgewicht und fiel gegen Charly, der tanzend seinen Weg kreuzte. Innerhalb von Sekundenbruchteilen wurden sie zu einem vorerst unentwirrbaren Knäuel von Gliedmaßen, die sich gegenseitig behinderten. Inzwischen erschien Josuah Parker durch die Tür, die er als Deckung benutzt hatte, und lüftete in Richtung Vivi grüßend seine schwarze Melone. „Nach Lage der Dinge darf ich wohl gewiß sein, rechtzeitig gekommen zu sein.“ „Oh, Mister Parker!“ schluchzte Vivi auf und rannte zu ihm hinüber. Sie warf sich weinend an seine Brust, was Parkers linke Augenbraue aufstellen ließ. „Ich muß gestehen, daß ich angenehm überrascht bin“, stellte Parker zusätzlich fest, „ich darf wohl unterstellen, daß weder Ihnen, Miß Carlson, noch Mister Rander etwas Ernsthaftes passiert ist?“ Harvey hatte sich von seinem Mitarbeiter Charly freigestrampelt und kroch zur Tür, die hinaus ins Treppenhaus führte. Charly folgte seinem Herrn und Meister, verhedderte sich aber im Teppichläufer und stürzte erneut. Und zwar derart heftig, daß er sich mit dröhnendem Kopf auf dem Boden fand, um kurz danach sein Bewußtsein zu verlieren.
Harvey hatte den rettenden Korridor erreicht, humpelte, hinkend und stöhnend. Er schmetterte die Tür hinter sich zu und rannte nach unten. „Harvey!“ stieß Vivi hervor und deutete auf die Tür. „Ich weiß, Miß Carlson“, stellte der Butler ungerührt und gemessen fest, „ich bin sicher, ihn innerhalb kürzester Frist wiederzusehen.“ Dann kümmerte er sich um Mike Rander, der sich gerade vorsichtig aufrichtete und nach seinem Kopf faßte. „Ich wollte Ihnen eine telefonische Warnung zukommen lassen“, entschuldigte sich Parker. „Leider konnte hier aber schon nicht mehr abgehoben werden, was meine Grundschnelligkeit erheblich zu steigen vermochte.“ „Beinahe wäre es zu einer Katastrophe gekommen, Parker.“ Rander richtete sich mit Vivis und Parkers Hilfe vorsichtig auf und ließ sich in einem Sessel nieder. „Dies, Sir, hätte ich mir mit Sicherheit nie verziehen“, antwortete der Butler. „Wenn Sie erlauben, reiche ich Ihnen jetzt eine kleine, den Umständen angepaßte Erfrischung.“ „Schaffen Sie erst mal diesen Gauner weg“, sagte Rander, „sonst wird mir jeder Drink im Glas sauer.“ „Glauben Sie mir jetzt?“ erkundigte sich Vivi bei Rander, „daß ich von wirklichen Gangstern gehetzt worden bin?“ „Jeder Zweifel ist erloschen“, meinte Rander und lächelte etwas mühsam, wobei er sich an die Beule faßte, die sich deutlich gebildet hatte. „Nachdrücklicher hätte man mir das überhaupt nicht beibringen können.“ *** Die beiden Bobbies, die aus der Polizeistation kamen, bewegten sich mit einer Ungezwungenheit, die bereits schon wieder Verdacht erregte. Hinzu kam der schlechte Sitz ihrer Uniformen. Die Polizeibeamten erreichten die Straße und marschierten einträchtig auf einen am Bordstein geparkten Streifenwagen zu, an dessen Steuer ein uniformierter Fahrer saß. Einer dieser beiden Beamten hatte eine viel zu kurze und zu knappe Hose an, die fast aus den Nähten platzte. Was kein Wunder war, denn Longless war ein Riesenbaby, dessen Formen bereits barocke Ausmaße hatten. Cleveland hatte eine Hose und Jacke erwischt, die viel zu weit waren. In der Kürze der Zeit hatte auch er sich wie Longless junior nicht besser einkleiden können. Die Auswahl war nicht besonders groß gewesen. Sie hatten sich bei jenen beiden Polizisten bedienen müssen, von denen sie im Verhörraum bewacht worden waren. Die Beamten lagen zu dieser Zeit ohnmächtig hinter einem Schreibtisch und waren in Unterkleidung.
Cleveland und Longless hatten diese Art der Verkleidung gewählt, um möglichst ungefragt aus der Station herauszukommen. Jetzt ging es darum, einen passenden fahrbaren Untersatz zu bekommen. Eine Minute später hatten sie es geschafft. Der Fahrer des Streifenwagens saß mit dem Rücken gegen einen Hydranten und sah nur noch bunte Sterne. Dann raffte der Mann sich aber energisch auf, verzichtete auf weitere astronomische Studien und trillerte auf seiner Pfeife Alarm. Cleveland, der das Steuer des Streifenwagens übernommen hatte, kurvte in Richtung Innenstadt. „Wie hat Daddy das wieder gemacht?“ fragte er stolz bei Longless junior, „an deiner Stelle, mein Junge, würde ich das mal deinem Alten schreiben. So ganz beiläufig. So was nenn' ich alte Klasse und Schule!“ „Ich war aber auch nicht schlecht“ sagte Longless, der sich nervös nach etwaigen Verfolgern umschaute, „wie ich dem Bullen das Bein gestellt habe.“ „Das war mein Bein, du Anfänger“, gab Cleveland zurück, „um ein Haar wäre ich im Schrank gelandet.“ „Jeder macht ja mal einen Fehler“ entschuldigte sich Longless, „und was liegt jetzt an, Clevie?“ „Zuerst mal Zivilklamotten und dann neue Kanonen“, erwiderte Cleveland. „Und dann nichts wie ab zum Flugzeug“, fügte Longless hoffnungsvoll hinzu. „Was willst du denn auf dem Flugplatz?“ wunderte sich Cleveland. „Zurück in die Staaten! Hier können wir doch keinen Blumentopf mehr gewinnen.“ „Du mußt 'ne Meise haben“, erklärte Cleveland mild und verweisend, „natürlich werden wir bleiben. Und natürlich werden wir Rander und Parker abknipsen! Wie dein Alter es befohlen hat.“ „Aber die wissen doch jetzt, daß wir existieren.“ „Entsprechend ruhig werden sie schlafen“, meinte Cleveland grinsend, „für die wird jede Stunde zur Hölle werden, weil sie jetzt nämlich wissen, wer ihnen auf den Fersen sitzt.“ „So kann man's natürlich auch sehen“, meinte Longless leicht enttäuscht. „Die Überraschung wird ganz auf unserer Seite liegen“, schlußfolgerte Cleveland scharfsinnig, „wird sich ja schnell 'rumsprechen, daß wir angeschwirrt sind, Junge. — Rander und Parker rechnen doch nie damit, daß wir noch in der kommenden Nacht erscheinen werden ...“ „In der kommenden Nacht?“ Longless junior hüstelte betreten. „In der kommenden Nacht“, wiederholte Cleveland noch mal, „und dann liefern wir 'ne Feinarbeit ab, daß ein Goldschmied Komplexe bekommt, ist das klar?“ „Du bist der Chef“, erwiderte Longless ergeben und schloß die Augen. Er war sich längst klar darüber geworden, daß dieser Job für sein Nervenreservoir geradezu mörderisch war. ***
Schläger Charly fühlte sich ausgesprochen nackt, als er wieder zu sich kam. Er erinnerte sich blitzschnell gewisser, äußerst peinlicher Tatsachen. So zum Beispiel an die schnelle Flucht seines Chefs und dann an den rutschenden Teppich, der ihn zurück zu Boden gebracht hatte. Charly wunderte sich, daß er frei war, wenngleich diese Freiheit auch ihre Schattenseiten hatte. Parker hatte ihn ausgesetzt, daran war nicht zu zweifeln. Warum der Butler das getan hatte, verstand Charly nicht, aber in welcher Lage er sich befand, war ihm schnell aufgegangen, als er die ersten, leicht schockierten Blicke der Passanten fühlte. Charly saß nämlich am Trafalgar-Square auf einer niedrigen Steinmauer, die zu einem Blumenbeet gehörte. Er hatte nackte Füße und einen fast nackten Oberkörper. Parker hatte ihm Schuhe und Oberhemd weggenommen. Doch das war es nicht allein. Charly konnte nicht aufstehen und sich heimlich verdrücken. Wie festgeschmiedet saß er auf der niedrigen Steinmauer und vermochte sich nicht zu rühren. Seine Hose war eine ungemein innige Verbindung mit der Steinmauer eingegangen, was, wie er noch nicht genau wußte, mit einem äußerst zähen Klebstoff zusammenhing, den Parker verwendet hatte. Charly versuchte aufzustehen. Wieder einmal. Doch er merkte sofort, daß dies unmöglich war. Der Stoff der Hose knirschte bedenklich und zeigte deutliche Neigung, sich in seine Grundfasern zu zerlegen. Ohne ein Verlassen der Hose war ein Wegkommen unmöglich. Und das konnte er sich in Anbetracht des Ortes, an dem er sich befand, einfach nicht leisten. Charly schwitzte Blut und Wasser, als ein Bobby heranschlenderte und dabei ganz beiläufig die vielen Hippies und Gammler verscheuchte, die sich vor den Beeten niedergelassen hatten. Dieser Bobby mußte sehr bald bei ihm sein. Charly versuchte es erneut. Und dabei ging er etwas zu hastig vor. Mit einem trockenen Reißen ging sein Hosenboden in die Brüche. Charly schloß die Augen und erstarrte. Bis sein rechter, nackter Fuß angetippt wurde. „Hallo, Mann“, hörte er eine höfliche, aber autoritätsgebundene Stimme. „Hallo“, erwiderte Charly und öffnete die Augen. Wie erwartet, stand der Bobby vor ihm. „Wir haben hier in London noch andere Plätze“, sagte der Uniformierte mit neutraler Stimme. „Weiß ich.“ „Die würd' ich mir auch mal ansehen“, schlug der Bobby vor, der den TrafalgarSquare räumen wollte. „Meine Hose...!“ gab Charly heiser zurück. „Und...?“ „Die ist hin“, sagte Charly, „ich kann nicht aufstehen.“ „Ich würd's mal versuchen.“
„Dann nehmen Sie mich wegen anstößigen Benehmens in der Öffentlichkeit fest!“ „Sind Sie sicher?“ Der Bobby blieb höflich. „Vollkommen!“ „Lassen Sie's doch darauf ankommen“, schlug der Bobby mit fester Stimme vor. „Auf Ihre Verantwortung!“ Charly erhob sich und ließ dabei den letzten Rest seines Hosenbodens zurück. „Sie haben gewonnen“, sagte der Bobby nach kurzer Prüfung der Lage, „betrachten Sie sich als festgenommen, Mann! Sie sind wohl ein Exhibitionist, wie!?“ „Ich bin ein Rindvieh gewesen“, stellte Charly fest. „Das auch noch“, fügte der Bobby hinzu. „Ich bin gespannt, was der Richter zu dieser neuen Masche sagen wird.“ „Und ich erst“, ergänzte Charly und schloß wieder die Augen, um sich gleichzeitig zurück auf die Reste seiner Hose niederzulassen. Er schämte sich schrecklich. *** „Die Polizei wird an die Decke gehen, wenn sie herausbekommt daß wir eine Art Privatkrieg führen“, meinte Rander, nachdem Parker ihm von der Aussetzung Charlys berichtet hatte. Parker war ins Haus zurückgekehrt und servierte kleine Erfrischungen. „Dieser Krieg, Sir, wird mit Sicherheit bald beendet sein“, gab der Butler würdevoll zurück. „Meiner bescheidenen Ansicht nach nähern wir uns bereits dem Höhepunkt.“ „Der wie aussehen soll, Parker?“ Rander und Parker waren allein. Vivi Carlson hatte sich in ihr Gästezimmer zurückgezogen, um sich von den Aufregungen der vergangenen Stunden etwas zu erholen. „Es steht zu erwarten, Sir, daß die diversen Gauner und Gangster mit Sicherheit hierher ins Haus zurückkehren werden.“ „Ihr Wort in Gottes Ohr, Parker. Woher beziehen Sie Ihren Optimismus?“ „Die Vertreter der Unterwelt werden versuchen, gewisse Ergebnisse zu korrigieren.“ „Worauf Sie sich verlassen können.“ „Also werden sie zurückkommen müssen, Sir, um so mehr, als sie feststellen, daß weder Sie noch meine bescheidene Person sich an die Behörden gewandt haben.“ „Da ist was dran“, räumte Rander vorsichtig ein. „Also sollte man gewisse Empfangsvorbereitungen treffen“, redete Josuah Parker weiter, „wobei zu überlegen ist, ob man Miß Carlson nicht dazu überreden sollte, dieses Haus kurzfristig zu verlassen.“ „Aus Sicherheitsgründen?“ „In der Tat, Sir!“
„Nehmen Sie das in die Hand, Parker! Was halten Sie übrigens von Miß Carlson?“ „Eine äußerst angenehme, junge Dame!“ „Finde ich auch.“ „Die dazu noch über die Fähigkeiten einer Sekretärin verfügt, wie ich in Erfahrung bringen konnte.“ „Worauf wollen Sie hinaus, Parker?“ Rander lächelte leicht. Er ahnte, was Parker ihm vorschlagen würde. „Da Sie ohnehin eine weibliche Hilfskraft zu beschäftigen wünschen, Sir, könnte man Miß Carlson vielleicht dazu bringen, sich Ihnen und meiner Wenigkeit anzuschließen.“ „Ich werde darüber nachdenken“, erwiderte Rander, obwohl er innerlich bereits Parker voll zustimmte, „aber kommen wir auf Miß Carlsons früheren Chef zurück. Was geschieht mit Harvey? Er soll laut Miß Carlson immerhin über Blüten verfügen.“ „Dieser Blüten sollte man sich annehmen, Sir.“ „Also zurück in sein Antiquitätengeschäft, Parker?“ „Dort wird man jene Blüten auf keinen Fall mehr finden, Sir. Ich würde vorschlagen, eine gewisse Miß Elsie Hampden aufzusuchen.“ „Elsie Hampden?“ Rander war noch nicht informiert. Was sich sehr schnell änderte, als sein Butler ihm von dem Telefongespräch berichtete, in dem der Spitzname Eichhörnchen gefallen war. *** Es war nicht gerade die Saville Row, aber immerhin eine seriöse Straße, in der sich das Geschäft des Herrenausstatters Madsen befand. Madsen, ein rundlicher, sehr agiler Typ, runzelte andeutungsweise die Stirn, als zwei schlecht gekleidete Polizeibeamte sein Geschäft betraten. „Bitte?“ fragte er reserviert. „Wir brauchen Privatklamotten —äh, Zivilkleidung“, sagte Cleveland lakonisch, „irgendwas Normales.“ „Bitte mir folgen zu wollen!“ Madsen winkte einen Verkäufer zu sich heran. „Ihnen ist bekannt, daß wir nur Maßkleidung verkaufen?“ „Und was ist das?“ erkundigte sich Longless junior und zeigte auf einen Wandschrank, der mit Herrengarderobe gefüllt war. „Maßkleidung, die bestellt und gearbeitet wurde.“ „Wie- lange müssen wir auf 'ne Hose und auf 'nen Rock warten?“ wollte Cleveland wissen. „Maximal acht Tage“, stellte Madsen fest. „Wäre es nicht besser, meine Herren, Sie würden in ein Kaufhaus gehen?“ „Besser schon, läßt sich aber nicht machen“, erwiderte Cleveland, um dann nach Madsens Krawatte zu greifen. „In 'nem Kaufhaus würden wir nämlich auffallen.“
„Aber hier nicht!“ fügte Longless junior hinzu, der sich der Krawatte des Verkäufers bemächtigte. „Und nun wollen wir erstklassig bedient werden“, sagte Cleveland, „irgendwas von den Klamotten da muß uns doch wohl passen, oder?“ „Hoffentlich“, fügte Longless junior drohend hinzu, „sonst werd ich nämlich ärgerlich.“ „Und wenn der Junge erst mal richtig ärgerlich geworden ist, werden Sie Ihren komischen Laden nicht mehr wiedererkennen“, schloß Cleveland drohend. „Beeilung, Mann, Sie ahnen ja nicht, wie uns diese komischen Uniformen drücken!“ *** Josuah Parker, der sich Name und Adresse der Elsie Hampden aufgeschrieben hatte, war unterwegs. Erneut genoß es der Butler, mit seinem hochbeinigen Wagen nicht aufzufallen, mochte man es nun auch für ein reguläres Londoner Taxi halten oder nicht. Parker erreichte eine Straße jenseits der Themse, die auf ein Hospital zuführte. Er ließ den Wagen am Straßenrand stehen und lustwandelte , zu Fuß auf ein Apartmenthaus zu, das der Adresse entsprach. Dieses Haus hatte die guten Jahre bereits hinter sich, schrie nach einem neuen Anstrich und wirkte leicht abgetakelt. Parker fand einen Hauswart, der den spärlichen Rasen sprengte, und erkundigte sich nach einer gewissen Elsie Hampden. „Will die sich jetzt 'nen Butler engagieren?“ fragte der Hauswart ironisch zurück. „Würde Ihnen dies mißfallen?“ „Nee, nicht mein Bier.“ „Wo also kann ich Miß Hampden erreichen?“ „Hier nicht mehr.“ „Besteht die Möglichkeit, daß Sie sich etwas deutlicher ausdrücken können?“ fragte Parker und griff in seine Rocktasche. Danach befand sich zwischen seinen schwarz behandschuhten Fingern eine Pfundnote, die der Hauswart ausgesprochen begehrlich anstarrte. „Verlieren Sie das Ding nur nicht“, sagte der Hauswart warnend. »Würden Sie bitte mal halten?“ gab Parker zurück und drückte dem Mann die Pfundnote in die Hand. „Also, die Hampden“, kam der Hauswart sofort zur Sache, „die ist nämlich weggefahren.“ „Wird sie zurückkehren?“ „Sieht nicht danach aus. Die hatte Koffer dabei.“ „Und das Ziel ihrer Fahrt?“ „Man macht sich so seine Gedanken.“ „Darf ich teilhaben?“ erkundigte sich Parker und opferte eine weitere Pfundnote. „Lassen Sie mich mal nachdenken“, schlug der Hauswart vor.
Eine dritte Pfundnote wechselte den Besitzer. „Jetzt fällt's mir wieder ein“, freute sich daraufhin der Hauswart ehrlich. „Elsie wird zu ihrem Bruder gefahren sein.“ „Den ich wo finden kann?“ „In meinen Jahren läßt das Gedächtnis verdammt nach. Geht Ihnen das auch so?“ Eine vierte Pfundnote machte sich auf die Wanderschaft, woraufhin sich das Gedächtnis des Hauswarts erstaunlich schnell reaktivierte. Parker erhielt eine Adresse, von der er annahm, daß sie wohl richtig sein müßte. *** „Tut's gut, Eichhörnchen?“ erkundigte sich Elsie Hampden und kniete neben Harvey nieder. Der Antiquitätenhändler lag auf einer Couch und stöhnte, als Elsie ihm einen nassen Lappen auf das dick geschwollene Knie legte. „Paß doch auf“, stöhnte das Eichhörnchen. „Das Knie wird immer dicker“, stellte Elsie fest. Sie war ein üppig gekurvtes Mädchen von schätzungsweise 28-30 Jahren mit einem leicht ordinären Einschlag, woran die fast weißblond gefärbten Haare nicht ganz unschuldig waren. Elsie Hampden trug ein viel zu knappes Kleid mit einem ausgiebigen Dekollete. „Wenn ich den Butler erwische, bring ich ihn um“, behauptete Harvey und faßte vorsichtig nach seinem Knie. „Lassen Sie mir aber noch was übrig“ bat Bill, der seine Kopfbeule behandelte. „Was drückst du dich hier noch 'rum?“ ärgerte sich Harvey, „verschwinde, Bill!“ „Und Charly?“ „Den sehen wir nicht wieder. Der kann abgeschrieben werden.“ „Und wenn er doch ...? Ich meine ...“ „Halt die Klappe! Hau endlich ab und pack die Koffer. Wir sehen uns für die nächsten Wochen die Provinz an.“ „Wie schön“, seufzte Elsie naiv, „endlich verreisen. Das hattest du mir immer schon versprochen!“ Harvey schloß die Augen und stöhnte. Elsie ging ihm fast genauso auf die Nerven wie dieser Parker. Er überlegte, wie er beide für immer los wurde. *** Die beiden Gentlemen waren tadellos gekleidet. Sie verließen das Herrenausstattungsgeschäft und nickten sich gegenseitig betont anerkennend zu. „Es geht eben nichts über englische Herrenmode“, sagte Longless junior. „Und englische Jagdwaffen“, fügte Cleveland hinzu. „Haargenau!“ „Worauf warten wir noch?“ fragte
Cleveland, „ich bin direkt scharf auf 'nen 45er mit Schalldämpfer.“ „Mein Daddy hat mir nie ein Jagdgewehr mit Zielfernrohr gekauft“, beschwerte sich Longless junior nachträglich. „Ich werd dir die Kanone schenken“, verhieß Cleveland seinem Lehrling, „du kannst aussuchen.“ Nun, die beiden Amerikaner in London sahen immer noch nicht sehr englisch aus, hatten sich aber immerhin etwas angepaßt. Sie trugen graue Flanellhosen und dazu Jacketts, die vielleicht etwas zu großkariert waren. Longless junior hatte sich mit einer Mütze ausgestattet, auf der ein Wollknäuel saß. Diese fast schirmlose Mütze unterstrich unnötigerweise sein rundes, volles Babygesicht. Sie hatten sich vorgesehen, etwas Bargeld mitgenommen und zwei Herren im Laden zurückgelassen, die zur Zeit noch verzweifelt gegen solide Stricke ankämpften, mit denen sie festgeschnürt worden waren. In der City von London fanden Cleveland und Longless junior schnell, wonach sie gesucht hatten, nämlich ein Waffengeschäft, das unter anderem auch den königlichen Hof belieferte, wie an einem entsprechendem Schild zu lesen war. „Gerade richtig für uns, Junge“, stellte Cleveland fachkundig fest. „Das Beste ist für uns gut genug!“ „Daddy wird Augen machen, daß ich bei einem königlichen Hoflieferanten eingekauft habe“, sagte Longless junior stolz. „Dein Daddy wußte schon, warum er mich engagiert hat“, bemerkte Cleveland beiläufig, ,,'ne richtige Ausbildung zahlt sich immer aus, Junge!“ Sie betraten das Waffengeschäft und sahen sich einem fast verdorrt aussehenden, großen Mann gegenüber, der sie sofort etwas skeptisch musterte. Cleveland äußerte die Wünsche, die er und Longless hatten. Und sie ließen sich die Waffen zeigen, nach denen ihr Herz schrie. „Sehr schön“, sagte Cleveland, als eine 45er in seiner Hand lag, „das ist es.“ „Und die hier auch!“ stellte Longless junior fest, der sich mit einem Schnellfeuergewehr befaßte. „Jetzt die Munition“, sagte Cleveland. Der Verdorrte griff unter die Theke und reichte Cleveland eine Packung Munition. Der Bursche nahm sich Zeit. Er genoß förmlich seine Überlegenheit, die er innerhalb der nächsten Minuten ausspielen wollte. Ihm gefiel die schwere Waffe in seiner Hand. Als gelernter Profi auf diesem Gebiet war er sofort ein anderer Mensch, wenn er eine Waffe in der Hand hielt. Cleveland lud das Magazin, während der Vertrocknete hinter der Theke geduldig zuschaute. Der Mann schien nicht zu ahnen, was auf ihn zukam. „So, das wär's“, sagte Cleveland, als das Magazin gefüllt und durchgeladen war. Er richtete die Mündung der Waffe auf den Verdorrten und grinste kalt. „Auf die Rechnung werden wir verzichten, einverstanden?“
„Das ist nämlich ein Überfall“, fügte Longless junior hinzu. Er wußte, daß man diese Floskel zu äußern hatte, falls man auf diese Art und Weise einkaufte. Alles mußte seine Richtigkeit haben. „Und jetzt hätten wir nichts gegen den Kassenbestand“, redete Cleveland weiter. „Trab, Alterchen, sonst zieh ich die Kandare an ...“ Der Vertrocknete blieb völlig ruhig. Er ging zur Kasse, ließ sie aufspringen und — holte einen Browning hervor. „Nicht doch!“ sagte Cleveland hart und nahm Druckpunkt. „Wer wird denn jetzt noch durchdrehen?“ „Ich auf keinen Fall“, sagte der Verkäufer und schoß. Clevelands Augen füllten sich mit Tränen, was mit dem Gas zusammenhing, das aus dem Browning stammte. Er schoß zwar automatisch zurück, doch außer einem dünnen Knall passierte nichts. „Platzpatronen“, sagte der Vertrocknete und lächelte plötzlich breit, „man kennt doch seine Kunden ...“ Longless junior warf die Waffe weg und griff nach Clevelands Hand. Da Longless noch sehen konnte, betätigte er sich als Blindenführer und führte den weinenden Cleveland etwas zu schnell und zu ungeduldig aus dem Ladenlokal. Dabei zeigte sich die besondere Klasse, die er bereits unter Clevelands Anleitung erreicht hatte. Er warf dem Verdorrten vorher noch die Flinte zu, um ihn zu beschäftigen. „Mieser Kundendienst“, sagte Longless junior, als er mit Cleveland die Straße erreicht hatte, „und so was beliefert nun den königlichen Hof. Die Queen scheint kein Gefühl für Qualität zu haben.“ *** Bill blieb wie gelähmt stehen, als der Streifenwagen der Polizei genau auf die Antiquitätenhandlung zuhielt und dann vor dem Eingang stoppte. Bill verschwand blitzschnell in einem nahen Hausflur, beobachtete die Szene und wunderte sich nicht schlecht, als Charly ausstieg. Sein Freund Charly hatte sich und sein Untergestell in eine Decke gewickelt und stelzte mit den kurzen Trippelschritten eines Mannequins auf den La- . den zu, wobei die beiden Uniformierten ihm lächelnd nachsahen. „Hallo, Süße“, rief Bill seinen Freund Charly an, der wenig später die Tür öffnete. „Halt bloß die Klappe“, regte sich Charly auf und sah dem bereits davonfahrenden Streifenwagen nach. „Wo trittst du mit der Nummer auf?“ wollte Bill grinsend wissen. „Bei Parker!“ gab Charly lakonisch zurück. Er drückte die geöffnete Tür auf und beeilte sich, in den schützenden Laden zu kommen. Nachdem Charly die Tür geschlossen hatte, berichtete er von seinen speziellen Erlebnissen mit Parker.
„Ich habe noch Glück gehabt, daß die Bullen mir die Geschichte abgenommen haben“, schloß er. „Welche Geschichte?“ wollte Bill wissen. „Daß Freunde sich mit mir einen Scherz erlaubt haben. Von wegen Klebstoff und so ...“ „Die Polizei, dein Freund und Helfer“, stellte Bill fest, „so wenigstens sagen sie drüben auf dem Kontinent in Germany...“ „Ich kann mich wirklich nicht beklagen“, antwortete Charly, „wo steckt der Chef? Ist er noch heil weggekommen?“ „Der pflegt sein Knie.“ „Und ich meine Rache“, sagte Charly, „diesen Butler nehm ich doch glatt auseinander.“ „Später“, stellte Bill richtig. „Der Chef will die Werkstatt räumen. Du kannst gleich mitmachen.“ „Werkstatt räumen!?“ „Aus Sicherheitsgründen. Er glaubt, daß Parker wieder aufkreuzen wird.“ „Ich will dir mal was sagen“, erklärte Charly und wickelte sich aus der Decke, „wenn ich's noch mal zu tun hätte, dann würde ich glatt einen bürgerlichen Beruf wählen. Das hier macht einen doch auf die Dauer restlos fertig.“ *** Josuah Parker war in die stille Seitenstraße zurückgekehrt, wo das Haus seines jungen Herrn lag. Er stieg würdevoll und steif aus dem Wagen, schloß die Tür, legte sich den Regenschirm über den linken Unterarm und schritt dann auf das Hausportal zu. Parker hatte eine interessante Fahrt hinter sich und wollte das Ergebnis seiner Ermittlungen seinem jungen Herrn unterbreiten. Der Butler hatte keine Ahnung, daß er sich zu diesem Zeitpunkt bereits im Fadenkreuz eines Zielfernrohrs befand. *** Dieses Zielfernrohr befand sich auf einem Gewehr, das von Longless Junior gehalten wurde, der sich seinerseits zusammen mit seinem Lehrmeister Cleveland in einem Gesträuch des nahen Kleinparks befand. „Ich hab ihn genau drin“, verkündete Longless eifrig, wobei er sich noch etwas vorlegte. „Ganz ruhig!“ kommandierte Cleveland, „nichts überstürzen, Junge!“ Er und Longless waren nun doch noch zu Waffen gekommen. Sie hatten es in einem anderen Geschäft versucht und Erfolg gehabt. Sie waren jetzt bestens ausgestattet, während der Inhaber dieses zweiten Waffengeschäftes inzwischen eine Beule am Hinterkopf kühlte.
Cleveland und Longless waren zurück in die City gefahren und hatten sich vor Randers Haus aufgebaut. Hier hatten sie auf Parkers Rückkehr gewartet. „Druckpunkt!“ mahnte Cleveland besorgt wie auf einem Schießstand, „ruhig durchatmen, Junge ...“ Weder er noch Longless hatten während der ganzen Zeit auf zwei Halbwüchsige geachtet, die sich zusammen mit ihnen im Kleinpark befanden. Diese beiden hoffnungsvollen Sprößlinge befaßten sich schon seit geraumer Zeit mit einem Bumerang, wie man ihn in Spielwarengeschäften unverständlicherweise ohne weiteres erstehen kann. Es handelte sich um ein im Grunde gefährliches Spielgerät, wie Cleveland und Longless bald erfahren sollten. Die beiden Sprößlinge trainierten den Rückflug dieses Bumerangs, der mit einem bestimmten Schwung und in einem bestimmten Bogen weggeworfen werden mußte. Bisher war es ihnen noch nicht gelungen, doch mit der sprichwörtlichen britischen Zähigkeit versuchten sie es immer wieder. „Sobald er vor der Tür ist, abdrücken!“ empfahl Cleveland seinem gelehrigen Schüler. Longless verzichtete auf das Nicken. Er konzentrierte sich ganz auf diesen Schuß, der zu einem Riesentreffer werden sollte. Schief konnte jetzt nichts mehr gehen. Daddy würde mit Sicherheit stolz auf ihn sein. Inzwischen hatte einer der beiden Sprößlinge den Bumerang erneut auf die Luftreise geschickt. Mit sehr viel Schwung, aber mit dem falschen Winkel. Der Junge starrte dem davonschwirrenden Bumerang nach, der tatsächlich zuerst mal einen Bogen beschrieb, dann aber vom Kurs abkam und direkt auf ein Gesträuch zuhielt. Der Bumerang kam nicht wieder zurück, aber dafür schoß ein Mann aus dem Gesträuch hervor, der wie ein Riesenbaby aussah und sich brüllend den Kopf hielt. Cleveland wußte nicht, warum Longless plötzlich hochgesprungen war. Er registrierte nur, daß Longless den Schuß versiebt, das Gewehr weggeworfen hallo und jetzt stöhnend durch das Gesträuch brach. Cleveland riß das Gewehr hoch. Parker mußte wieder mal mit einem faulen, unanständigen Trick gearbeitet haben. Aber noch war es nicht zu spät. Cleveland peilte durch das Zielfernrohr und sah, daß die Tür sich hinter Parker gerade geschlossen hatte. Das Opfer war nicht mehr zu sehen. „Du Trottel!“ stöhnte Cleveland wütend Und schaute sich nach seinem Lehrling um. Longless hörte überhaupt nicht zu. Er hielt sich das rechte Ohr, das von dem Bumerang getroffen worden war, und sah den beiden hastig davoneilenden Jungen nach, die ihrerseits jetzt in einem dichten Gesträuch auf der anderen Seite des Kleinparks verschwanden. Sie hatten das Gefühl, sich nicht besonders vornehm verhalten zu haben, und suchten das Weite.
„Du blutiger Anfänger“, schimpfte Cleveland, „wie konnte denn das passieren?“ „Sieh dir das mal an!“ sagte Longless junior und zeigte Cleveland den Bumerang, den er aus dem Hemdkragen zog, wohin er nach dem Volltreffer gerutscht war. „Na, und!?“ „Davon bin ich erwischt worden“, beschwerte sich Longless. „Wein dich bei Mammy aus“, schnaufte Cleveland, „so ein harmloses Stück Holz ...“ Während er noch sprach, warf er den Bumerang wütend von sich. Mit viel Schwung und mit dem richtigen Winkel. Dann wandte er sich wieder an Longless. „Jetzt ist Parker natürlich gewarnt“, sagte Cleveland gereizt, „er wird selbst den schallgedämpften Schuß gehört haben. Und ich sage dir ...“ Er kam nicht mehr dazu, das zu sagen, was er hatte sagen wollen. Der Bumerang war zurückgekehrt, wie von Meisterhand geworfen. Er landete genau auf Clevelands Hinterkopf, der daraufhin in die Knie ging und anschließend den Rasen küßte. „So ein harmloses Stück Holz“, stellte Longless fest, „suchst du was, Clevie!?“ *** „Nach meinen diskreten Ermittlungen, Sir, dürften sich das Eichhörnchen und Miß Hampden in einer kleinen Wohnung befinden, die oberhalb einer Autowerkstatt liegt.“ „Und?“ Rander schob das Schriftstück zur Seite, mit dem er sich beschäftigt hatte. „Besagte Autowerkstatt gehört Miß Hampdens Bruder“, berichtete der Butler weiter, „das Geschäft dieses Bruders scheint ausgesprochen schleppend zu gehen.“ „Wieso, Parker?“ „Besagte Werkstatt wird nicht frequentiert. Sie macht einen, wenn ich es so ausdrücken darf, geschlossenen und unbenutzten Eindruck.“ „Wie ich Sie kenne, haben Sie bereits gewisse Schlußfolgerungen daraus gezogen.“ „In der Tat, Sir!“ Parker blieb würdevoll vor dem Schreibtisch Randers in der Bibliothek des Hauses stehen. „Ich erlaubte mir, in diesem Zusammenhang an die Falschnoten zu denken, von denen Miß Carlson sprach.“ „Sie glauben, dieser Harvey ließe in dieser Werkstadt drucken?“ Rander stand auf und überlegte. „Ich bin mir fast sicher, Sir.“ „Die Polizei wird sich freuen, von uns einen Tip zu bekommen“, antwortete der junge Anwalt.
„Und wird mit Sicherheit unmutig sein, falls dieser Tip sich als falsch erweisen sollte, Sir.“ „Mit anderen Worten, wir sollen mal wieder privat vorgehen, wie?“ „Dies, Sir, würde ich unbedingt vorschlagen ...“ „Zum Teufel mit diesen Kriminalaffären“, erklärte Rander, „wir sind nach Europa gekommen, Parker, um endlich unsere Ruhe zu haben!“ „Worauf die beiden Herren Cleveland und Longless mit Sicherheit nicht eingehen werden. Soeben, das möchte ich vermelden, wurde auf meine bescheidene Person geschossen.“ „Wie, bitte!?“ Parker berichtete von seinem Erlebnis vor der Haustür. „Haben Sie Cleveland und Longless gesehen?“ wollte Rander anschließend wissen. „Ich muß bedauern, Sir. Ich bin natürlich auf Mutmaßungen angewiesen.“ „Da sitzen wir wieder mal herrlich in der Patsche“, tadelte Mike Rander. „Zwei Killer, die hinter uns her sind...“ „ ... und Mister Harvey samt seinen beiden Mitarbeitern“, fügte Parker höflich hinzu. „Wenn ich mir einen Vorschlag erlauben darf, sollte man die sogenannte Vorwärtsverteidigung anwenden.“ „Also angreifen, wie?“ „So kann man es selbstverständlich auch ausdrücken“, gab der Butler zurück, „das ist nur eine Frage der Perspektive.“ „Also gut!“ Rander gab sich einen Ruck. „Nehmen wir also diese Werkstatt aus, stellen wir die Blüten sicher. Legen wir Cleveland und Longless trocken. Ist ja alles eine Kleinigkeit. Zwei Mann gegen ein halbes Dutzend ausgekochter Gangster!“ „Viel Feind, viel Ehr, Sir“, bemerkte Parker, „eine Floskel, die man dem Volksmund zuspricht. . .!“ „Nachdem man es dem Volksmund oft genug eingeredet hat“, stellte Mike Rander richtig, „einen dümmeren Slogan kann ich mir nicht vorstellen.' „Ich bin so frei, Sir, Ihnen voll und ganz beizupflichten“, schloß Parker. *** „Ich hab' 'ne Idee“, behauptete Longless junior und beugte sich verschwörerisch über den Tisch in Richtung Cleveland. Die beiden Killer saßen in einer kleinen Snack-Bar und tranken Tee. Sie brauchten nach ihrer peinlichen Panne ein wenig Entspannung. „Ich hab' 'ne Idee“, wiederholte Longless junior noch mal, als Cleveland nicht reagierte. Der Lehrmeister des Jung-Killers prüfte wieder mal vorsichtig seine veritable Beule am Hinterkopf. „Hörst du überhaupt zu?“ vergewisserte sich Longless. „Ich habe Empfangspause“, gab Cleveland mißmutig zurück, „ich bin sauer.“
„Wir können Parker und Rander noch heute hochnehmen“, verhieß Longless eifrig. Seine Augen glänzten kindhaft fröhlich. „Ach nee!“ „Ich denk da an das Handbuch für Profis, Seite 34.“ „Seite 34?“ „Seite 34, Clevie ...“ „Ist doch viel zu laut, dieses Verfahren ...!“ „Na und?!“ „Woher nehmen wir' den Sprengstoff, Junge?“ „Seite 36, Clevie ...“ „Du meinst?“ „... ich meine, den besorgen wir uns auf einer Baustelle, wie im Handbuch genau erklärt wird...“ „Und dann?“ „Jubeln wir Parkers Karre hoch. Wie eine Mittelstrecken-Rakete!“ „Klingt nicht schlecht.“ Cleveland erwärmte sich endlich leicht. „Sobald er die Zündung einschaltet, geht er auf Senkrechtkurs, Clevie!“ „Elegant ist die Methode aber nicht, Longie.“ „Aber Daddy wird sich freuen.“ : „Okay“, sagte Cleveland, „im Grund bin ich ja gegen Methoden aus dem Handbuch, aber in diesem Fall.. „Ich mache mich, wie?“ „Sagenhaft“, gab Cleveland zurück und verzog sein Gesicht, „dein Alter wird stolz auf dich sein.“ Cleveland zahlte, worauf die beiden Killer sich auf den Weg machten, den erforderlichen Sprengstoff zu besorgen. „Man könnte vielleicht auch Seite 41 anwenden“, schlug Longless weiter vor, als sie in einem Taxi saßen und sich in Richtung East-India-Docks bringen ließen. „Ich weiß nicht recht“, gab Cleveland zögernd zurück, „denk an die Fußnote dazu! Und woher nehmen wir jetzt so aus dem Ärmel eine Tellermine?“ „War ja nur ein Vorschlag“, entschuldigte sich Longless, „aber das mit Seite 34 würde ich gern mal machen.“ „Schaffst du das?“ Clevelands Skepsis brach sich Bahn. „Na, höre mal“, meinte Longless daraufhin fast gekränkt, „ich habe schließlich den Grundschein für Sprengmeister. Laß dich mal überraschen!“ *** Elsie lag auf der Couch und fütterte ihre an sich schon ausgeprägten Linien mit Pralinen. Sie hörte nur oberflächlich zu, was Harvey seinen beiden Mitarbeitern zu sagen hatte. „Zuerst schaffen wir die Blüten weg und die Druckplatten“, sagte er. „Dann nehmen wir uns diesen Butler und den Anwalt vor...“ „Und was ist mit der kleinen Carlson?“ wollte Bill wissen. „Die ist natürlich auch dran“, bestätigte Harvey großzügig, „mich wundert nur, daß Parker nicht die Polizei alarmiert hat.“
„Weil der Bursche selbst hinter den Blüten her ist“, erwiderte Charly tiefsinnig. „Wieso?“ fragte Bill verblüfft, während Harvey sicherheitshalber schwieg. „Na, die geben sich als Anwalt und Butler aus“, präzisierte Bill, „aber wer sagt uns, ob das stimmt. Die kommen aus den Staaten. Ich wette, die sind drüben abgehauen, weil sie Dreck am Stecken hatten.“ „Könnte durchaus sein“, meinte Harvey. „Wie gesagt, die haben die Polizei bisher aus dem Spiel gelassen.“ „Kann aber auch ein Trick sein“, gab Charly zu bedenken. „Ne ... Wenn wir beschattet würden, hätte ich das längst gemerkt“, beruhigte Bill, „die wollen ihr Privatgeschäft machen.“ „Und das werden wir ihnen gründlich versalzen“, entschied Harvey. „Also, weg mit den Blüten und den Druckplatten!“ „Und wann fahren wir?“ rief Elsie mit leicht näselnder Stimme von der Couch her. „Übermorgen“, rief Harvey ihr zu, wobei er seinen beiden Mitarbeitern zuzwinkerte. Er dachte nicht im Traum daran, Elsie mit auf diese Provinzreise zu nehmen. Elsie, diese dumme Gans, ging ihm schon seit Monaten auf die Nerven. Darum hatte er ja auch diese Vivi Carlson engagiert, um sein Auge endlich mal erfreuen zu können. Er hatte ja nicht wissen können, daß Vivi Carlson sich als restlose Enttäuschung entpuppen würde. Charly und Bill wußten nun, was zu tun war. Und sie verließen das Apartment über der Garage, um sich der Geheim-Werkstatt anzunehmen. Dazu brauchten sie nicht weit zu gehen. In der Auto-Werkstatt angekommen, schritten Charly und Bill zielsicher auf eine Wagengrube zu, stiegen über die Betonstufen hinunter auf den Boden dieser Grube und klopften dann nachdrücklich auf einige Bohlen, mit denen die Öffnung bedeckt war. Es dauerte eine Weile, bis zurückgeklopft wurde. Und zwar unterhalb dieser ölverschmierten und verdreckten Bohlen. Carly und Bill traten zurück zur Stiege und warteten, bis die Bohlen sich plötzlich anhoben. Eine zweite Steintreppe, die sehr eng war, führte in einen Keller hinunter, in dem es strahlend hell war. Elsies Bruder, ein untersetzter, stämmiger Mann mit schwammigem Gesicht, nickte ihnen zu. „Wir bauen ab“, sagte Charly. „Aber ich bin mitten im Druck“, sagte Ernest Hampden, Elsies Bruder. Er deutete auf eine einschlägige Presse, die ununterbrochen Banknoten produzierte, die nur noch richtig beschnitten zu werden brauchten. „Der Chef nimmt einen Stellungswechsel vor“, sagte Bill lakonisch. Wieder mal sah er sich neugierig in der Druckerei um. Es faszinierte ihn, daß dieser Ernest Hampden hier wie ein Besessener produzierte. Der rechteckige Raum war sehr niedrig und wurde von der Druckpresse und einem großen Arbeitstisch fast ausgefüllt. Ernest verfügte über moderne Ar-
beitsgeräte und war ein Meister seines Fachs. Belüftet wurde die Falschmünzerei durch eine geschickt getarnte Be-und Entlüftung, die in der Autowerkstatt über ihnen mündete. „Und was mach ich?“ wollte Ernest wissen. „Keine Ahnung, frag den Chef“, erwiderte Charly. „Dann stell ich mich wieder auf Travellerschecks um“, murmelte Ernest, der ohne Arbeit einfach nicht sein konnte, „oder was haltet ihr von Aktien?“ „Das mußt du wissen, Ernest“, tröstete Bill den Druckerei-Fanatiker, „irgendwas wird dir schon einfallen. Rück jetzt mal die Druckplatten für die Blüten 'raus!“ „Und die Produktion ...“ fügte Charly hinzu, „wir wollen nichts zurücklassen.“ „Schade, wo ich mitten im Betrieb war“, seufzte Ernest. „Ist denn die Polente hinter uns her?“ „I wo“, beruhigte Charly den Drucker, „die schläft wie immer. Vom Chef aus kannst du weitermachen, eben nur keine Blüten.“ Ernest ließ die Maschine auslaufen und befaßte sich mit den Druckplatten für die Blüten. Er hatte im Moment Schweizer Franken in der Presse, die er für wohlgeraten hielt. Sie waren seiner Ansicht nach noch besser als die Deutschmark, die er vor zwei Tagen in Tag- und Nachtschicht hergestellt hatte. *** Josuah Parker bemühte sein kleines Besteck, das an einen Schlüsselbund erinnerte. Dieses Besteck befand sich in einem Lederetui und enthielt alles, was man zum leisen Öffnen von Türschlössern benötigte. Rander, der knapp hinter Parker stand, wunderte sich wieder mal ausgiebig über die speziellen Kenntnisse seines Butlers, unter dessen flinken Händen sich jedes Türschloß förmlich beeilte, so schnell wie möglich nachzugeben. Parker brauchte etwa viereinhalb Sekunden, bis er die kleine Pforte im großen Werkstatt-Tor geöffnet hatte. Er stieß die Tür auf und stoppte sie sofort, als sie vernehmlich quietschte. Auch jetzt wußte der Butler sich zu helfen. Er entnahm einer seiner Westentaschen einen harmlos aussehenden Kugelschreiber, dessen Spitze er an die Türangeln brachte. Durch mehrfachen Druck auf den Halteclip beförderte er eine kleine Dosis Graphit auf die quietschende Reibfläche. Danach schwang das kleine Tor sanft und geräuschlos auf. Parker übernahm selbstverständlich die Führung, um seinem jungen Herrn alle eventuellen Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Er war sich seiner Pflichten als Butler stets voll bewußt. Sie überquerten den kleinen Hof, in dem sich leere Öldosen und Autogerümpel aller Art stapelten und erreichten das eigentliche Tor zur Werkstatt. Hier brauchte Parker sein Spezialbesteck nicht mehr einzusetzen. Das Tor war nur angelehnt und ließ sich geräuschlos öffnen. Als Rander und Parker in der leeren Werkstatt waren, hörten sie undefinierbare Geräusche.
Mit der Spitze seines Universal-Regenschirms deutete Josuah Parker auf die Wagengrube. Er hatte inzwischen herausbekommen, woher diese seltsamen Geräusche kamen, die sich jetzt als Stimmengewirr entpuppten. Er und Rander wollten gerade hinuntersteigen, als sie Schritte hörten. Rander und Parker zogen sich hinter einige Blechteile zurück, die die Garage anfüllten. Eine knappe Minute später erschienen nacheinander Charly und Bill. Von einer baldigen Überraschung hatten die beiden Falschmünzer und Schläger keine Ahnung. Charly trug zwei Koffer, die offensichtlich nicht leicht waren, Bill hingegen nur einfache Last, die aus einem Pappkarton bestand, den er sich unter den linken Arm geklemmt hatte. „Falls Sie Hilfe brauchen, meine Herren, stehe ich Ihnen selbstverständlich zur Verfügung“, verkündete Parker, der hinter einem abgeschnittenen Autoheck hervortrat und dazu grüßend seine schwarze Melone lüftete. Bill ließ den Pappkarton vor lauter Verblüffung fallen. Charly die beiden Koffer! Sie landeten zu Bills Mißfallen auf seinen Zehen, worauf Bill hochhüpfte und aus dem Gleichgewicht geriet. Charly ergriff die Flucht, aber auch gleichzeitig seine Schußwaffe. Er hätte es besser nicht getan. Mike Rander warf ihm gekonnt eine noch halbvolle Ölbüchse an den Kopf. Charly sah plötzlich nicht mehr sonderlich viel, verspürte einen ranzigen Fettgeschmack auf seinen Lippen, der ihn fast an Kartoffel-Chips erinnerte, die in schlechtem Öl gebraten wurden. Und dazu wurde er auch noch von Bill gehandicapt, der gegen ihn stieß. Die beiden Schläger Charly und Bill behinderten sich gegenseitig und ausgiebig dazu. Rander und Parker sahen gelassen und abwartend zu. Sie gingen stets von dem Grundsatz aus, daß man möglichst mit einem Minimum an Aufwand ein Maximum an Wirkung erzielen sollte. Sie hatten noch nie etwas dagegen gehabt, wenn Gauner, Gangster und Schläger sich gegenseitig außer Gefecht setzten. Doch diesmal hatten sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht, sprich Ernest Hampden. Der Druckereifacharbeiter hatte den Lärm gehört und war nach oben gestiegen. Mit einem schnellen Blick erkannte er, daß er gebraucht wurde. Er handelte dementsprechend. Ernest Hampden warf sich auf Mike Rander, der ihm am nächsten stand. Rander strauchelte und ging mit dem wild um sich schlagenden Mann zu Boden. Worauf Parker sich aufgerufen fühlte, seinem jungen Herrn Entlastung zu erteilen. Er besorgte das mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines UniversalRegenschirms, wobei Parker allerdings das peinliche Versehen unterlief, den Kopf Mike Randers zu treffen.
Bill und Charly nutzten die Gunst der Sekunde. Sie rafften sich und die Koffer samt Pappkarton auf und ergriffen schleunigst die Flucht. Charly war noch geistesgegenwärtig genug, das Werkstattor von außen zu verriegeln. Parker hatte inzwischen mit einem zweiten Schlag Ernest Hampden außer Gefecht gesetzt und widmete sich seinem jungen Herrn, den er vorsichtig, fast liebevoll aufhob und auf eine leere Tonne setzte. „Oh ...!“ stöhnte Rander bald darauf und faßte nach seinem Kopf, „ich glaube, ich bin von einem keilenden Pferd erwischt worden...“ „Dieser Eindruck stellt sich nach einem Niederschlag manchmal ein“, sagte Parker, ohne auf diesen Niederschlag näher einzugehen. Das Versehen war ihm peinlich genug. „Wo ... Wo sind die Strolche!?“ fragte Rander, der sich jetzt zusammenriß und auf die Füße stellte. „Sie haben leider bereits das gesucht, was man gemeinhin das Weite nennt“, gab der Butler gemessen zurück. „Und wer ist das hier?“ Parker deutete auf den am Boden liegenden Ernest Hampden. „Wahrscheinlich Miß Elsies Bruder“, antwortete Parker, „ich muß gestehen, Sir, daß ich seine mögliche Anwesenheit in der Garage nicht miteinkalkulierte.“ „Jeder macht mal einen Fehler“, sagte Rander. „Ich freue mich über Ihr Verständnis, Sir.“ „Wieso!?“ Rander zeigte eine leichte Verblüffung. „Weil mir der kaum entschuldbare Fehler unterlief, Sir, Sie mit meinem Regenschirm zu treffen.“ „Das also war's!“ Rander griff wieder nach seinem Hinterkopf. „Ich bin untröstlich, Sir!“ „Schon gut, Bei Gelegenheit werde ich mich revanchieren“, sagte Rander. „Und jetzt, Parker? Die beiden Strolche werden längst über alle Berge sein.“ „Und mit ihnen Mister Harvey und Elsie Hampden!“ „Ich war ja gleich dafür, die Polizei einzuschalten“, meinte der Anwalt elegisch. „Jetzt haben wir mit Zitronen gehandelt, Parker. Und uns dabei auch noch restlos blamiert.“ „Ich darf vielleicht auf jenen Herrn hinweisen, der gerade wieder zu sich kommt“, widersprach der Butler gemessen. „Mister Hampden wird sicherlich in der Lage sein, uns weitere Informationen zu geben. Man sollte ihn kurzfristig zu sich ins Haus laden, Sir.“ *** Es war dunkel geworden. Aus dem Gesträuch des nahen Kleinparks kamen zwei Gestalten, die an Cleveland und Longless erinnerten.
Sie waren es! Sie schlenderten langsam auf das Haus zu, in dem Parker und Rander wohnten, und benahmen sich wieder mal derart unauffällig, daß es schon fast peinlich war. Ihr Ziel war Parkers hochbeiniger Wagen, der jetzt präpariert werden sollte. Cleveland sicherte mit seinen grauen, prüfenden Augen die nähere Umgebung. Mit einer Falle Parkers war ja immer zu rechnen. Longless junior trug fast liebevoll ein Zigarrenkastengroßes Paket, das in Zeitungspapier eingeschlagen war. „Los, Junge!“ flüsterte Cleveland seinem Lehrling zu. „Die Luft ist rein!“ Longless zitterte vor Stolz und Erwartung. Er, der verwöhnte Junge eines großen Gangsterbosses drüben in den Staaten, könnte jetzt und hier sein Meisterstück darbieten und sich einen Namen machen. Er brauchte nur das auszuführen, was er im Handbuch immer wieder auswendig gelernt hatte. Es handelte sich um eine Kleinigkeit. Er brauchte die diversen gebündelten Dynamitstangen samt ihrer Zündung nur an den Motor von Parkers Wagen heranzubringen und mit der Zündung verbinden. Alles weitere würde dann Parker selbst besorgen. Longless setzte das Paket vor dem Wagen vorsichtig ab und griff nach der Motorhaube, die natürlich geschlossen war. „Hallo, Clevie“, rief er wohlgemut, aber schon etwas irritiert, „wie geht das Ding hier auf?“ „Wieso?“ fragte Cleveland nicht weniger irritiert zurück. „Was meinst du?“ „Die Motorhaube.“ „Wie üblich“, antwortete Cleveland, in dem sich bereits die ersten Anzeichen einer mittelschweren Gereiztheit breitmachten. „Ach so“, sagte Longless junior und befaßte sich nun intensiv mit der Motorhaube, die sich auf keinen Fall von außen öffnen ließ, wie er bald feststellte. „Clevie!?“ „Was ist denn jetzt schon wieder? Fertig?“ „Die Motorhaube!“ stöhnte Longless junior. „Das Ding klemmt.“ „Ich klemm dir bald eine“, schimpfte Cleveland verhalten, „schwirr ab, laß mich mal machen!“ Cleveland befaßte sich nun seinerseits mit der Motorhaube, auch ihm erschloß sie sich nicht. Was verständlich war, sie ließ sich halt nur vom Wageninnern aus entriegeln. „Ich knack die Tür“, verkündete Cleveland, „oder traust du dir sowas zu?“ „Davon steht nichts im Handbuch“, antwortete Longless betreten, „aber ich seh mir's genau an.“ Cleveland trat an den Wagenschlag und langte nach dem Türgriff. Er hoffte insgeheim, Parker könnte den Wagen nicht abgeschlossen haben, doch er hoffte vergebens. Die Tür war verschlossen — und giftig wie eine gereizte Klapperschlange, wie er plötzlich zu seinem Leidwesen feststellen mußte.
Er zuckte wie unter einem elektrischen Schlag zusammen. Was genau den Tatsachen entsprach, denn Parker hatte die Türklinken des Wagens unter Strom gesetzt. Es handelte sich um jenen Strom, wie er bei Weidezäunen gegen störrisches Vieh verwendet wird. „War was?“ erkundigte sich Longless, der das nicht richtig begriffen hatte. „Nee“, sagte Cleveland und rieb sich verstohlen die brennende und schmerzende Handinnenfläche. „Mach du jetzt mal, Junge!“ Longless fuhr unter dem Stromschlag derart zusammen, daß er das Dynamitbündel aus der Hand verlor. Es segelte unter Parkers Wagen und blieb dort liegen. „Das Dynamit!“ stöhnte Longless und schaute wieder verblüfft auf seine schmerzende Hand. „Und!?“ „Ist unter den Wagen gerollt“, verkündete Longless betreten. „Soll ich es etwa holen?“ wunderte sich Cleveland gereizt. Seufzend legte sich Longless auf den Bauch und angelte mit den Armen nach dem Dynamitbündel. Er gestand sich ein, daß er sich dieses Attentat erheblich leichter vorgestellt hatte. Und hatte dann endlich den gesuchten Gegenstand an der Hand. Wie er zuerst annahm und glaubte! Das gesuchte Dynamit aber entpuppte sich., als ausgewachsener Kater, der unter Parkers Wagen Zuflucht genommen hatte, um von hier aus eine Katze in der näheren Nachbarschaft besser beobachten zu können. Dieser Kater mißverstand den harten Griff nach seinem Schweif und reagierte dementsprechend. Longless brüllte auf, als der Kater ihn attackierte. Der Juniorgangster bekam einige tüchtige Kratzer und schob sich schnell wieder zurück auf die Straße. Dann erhob er sich und ergriff erst mal die Flucht, an der Cleveland ganz automatisch teilnahm, bis ihnen im Kleinpark die Puste ausging. „Was war denn los?“ fragte Cleveland endlich keuchend. „'ne Katze ... Unter dem Wagen!“ „Und deshalb scheuchst du mich durch die Nacht, du Idiot!“ Cleveland wurde handgreiflich, worauf Longless erneut die Flucht ergriff. Was übrigens äußerst komisch, ja fast grotesk aussah, denn Longless war erheblich größer und massiver als der schlanke Cleveland. *** Ernest Hampden befand sich in einer traurigen Stimmung. Er saß fast teilnahmslos in einem Sessel vor Parkers Schreibtisch und schüttelte immer wieder den Kopf. „Ich hab wirklich keine Ahnung, wohin Harvey sich abgesetzt haben könnte“, sagte er erneut, „der Kerl ist überhaupt 'ne einzige Enttäuschung für mich.“ „Darf man nach dem Grund fragen?“ erkundigte sich Parker. „Er hat mir bisher keinen einzigen Penny für meine Arbeit bezahlt.“
„Wie peinlich für Sie!“ gab der Butler mit einem leichten Anflug von Ironie zurück. „Ich würde Ihnen gern helfen, Mister Harvey die noch ausstehende Rechnung zu präsentieren.“ „Halt!“ sagte Hampden plötzlich und richtete sich steil auf, „ich glaube, ich habe 'ne Idee.“ „Wie ungemein erfreulich!“ In Parkers Gesicht rührte sich kein Muskel. „Was bekomme ich denn dafür?“ wollte Ernest Hampden wissen. „Für die richtige Adresse?“ „Na, ja! Man muß ja schließlich leben.“ „Was stellen Sie sich denn vor, Mister Hampden?“ „Daß Sie mich laufen lassen!“ „Ich fürchte, Sie werden dann umgehend wieder mit der Falschmünzerei beginnen.“ „Wahrscheinlich nicht“, seufzte Ernest Hampden. „Die Unkosten sind zu hoch. Falschgeld wird fast genauso teuer wie richtiges Geld!“ „Sie haben gegen die bestehenden Gesetze verstoßen!“ „Und Sie sind verdammt nachtragend“, meinte Hampden gekränkt, „hab ich Sie etwa geschädigt?“ „Wir sollten dieses Thema verlassen, es ist im Moment zu kompliziert“, sagte der Butler. „Widmen wir uns wieder Ihrer Idee, Mister Hampden. Sie behaupten genau zu wissen, wo Mister Harvey und dessen Mitarbeiter sich aufhalten könnten?“ „Genau!“ „Dann werden sie dort mit Sicherheit nicht sein“, antwortete der Butler. „Mister Harvey wird jede Adresse meiden, die Ihnen bekannt ist.“ „Er weiß aber nicht, daß ich die kenne.“ „Und wie, wenn man bescheiden fragen darf, haben Sie sie herausgefunden?“ „Weil ich ihm mal nachgefahren bin, als er die ersten Blüten abholte. Er hat garantiert nichts gemerkt.“ „Befindet sich dieser Aufenthaltsort hier in London?“ „Heiß!“ sagte Ernest Hampden. „In der Nähe der City?“ „Heiß!“ wiederholte Hampden fröhlich. „In der City?“ „Heiß“, kam es fröhlich -frei aus Hampdens Mund. Er schien an diesem Ratespiel Gefallen gefunden zu haben. Er beugte sich vor und wartete ungeduldig auf die nächste Frage. „Welchem Beruf ging Ihre Schwester nach, bevor sie Harvey kennenlernte?“ stellte Parker eine überraschende Frage, mit der Hampden offensichtlich nicht gerechnet hatte. „Elsie hatte 'ne miese kleine Boutique“, sagte Hampden arglos, um sich Bruchteile von Sekunden später leicht betreten auf die Lippen zu beißen. „Und wo?“
„Ich habe 'ne Bedingung gestellt“, sagte Hampden trotzig, „sonst rück ich mit der Adresse nicht 'raus!“ „Dort also, in besagter Boutique, werden sich Harvey und seine Begleiter aufhalten“, faßte Parker wie selbstverständlich zusammen. „Ich mächte nicht versäumen, Mister Hampden, mich bei Ihnen zu bedanken. Sie waren in der Lage, Mister Rander und meiner Wenigkeit entscheidend weiterzuhelfen.“ *** „Wie finden wir jetzt um diese Zeit die Adresse der Boutique?“ wollte Rander etwa zehn Minuten später wissen, nachdem Parker ihm Bericht erstattet hatte. Hampden befand sich wieder in seinem fensterlosen Kellergelaß im Souterrain des Hauses, doch hier fehlte es ihm an nichts. „Darauf vermag ich im Augenblick nicht zu antworten“, antwortete Parker. „Das Geschäft muß sich aber in der City befinden“, schaltete sich Vivi Carlson ein. „In der Tat, Miß Carlson!“ „Die City von London ist nicht besonders groß“, redete Vivi weiter, „es handelt sich um einen ganz bestimmten Komplex.“ „Worauf wollen Sie hinaus, Miß Carlson?“ erkundigte sich jetzt der Anwalt. „Um diese Zeit sind alle Geschäfte, die auf Verkauf wert legen, geöffnet“, sagte Vivi Carlson eifrig. „Suchen wir doch nach einer Boutique, die geschlossen und vielleicht sogar unbeleuchtet ist.“ „Nicht schlecht! Was meinen Sie, Parker?“ „Durchaus eine Möglichkeit, durch Selektion diese Boutique zu finden.“ „Worauf warten wir dann noch? Warum sollen wir hier herumsitzen und Däumchen drehen?“ „Ich kenn da ein Mädchen, das weiß genau über Boutiquen Bescheid“, steigerte Vivi Carlson ihre Mitarbeit. „Es macht Ledergürtel und verkauft sie an die Boutiquen. Vielleicht kann sie uns einen wichtigen Tip geben.“ „Sie sind sicher, noch nie als Detektivin gearbeitet zu haben?“ fragte Rander lächelnd. „Vollkommen sicher“, gab Vivi zurück, „aber ich merke, daß diese Arbeit mir Spaß macht. Fahren wir doch sofort zu Ruth Spolding. In spätestens zehn Minuten wissen wir vielleicht mehr.“ Parker drückte durch ein andeutungsweises Kopfnicken seine Zustimmung aus. Rander zwinkerte seinem Butler zu. Er hatte nämlich den Eindruck, daß ihr gemeinsames Findelkind ein guter Fund gewesen war. *** „Glück muß der Mensch haben“, sagte Longless junior andächtig vor Freude, als hinter der Tür zu Randers Wohnhaus Licht eingeschaltet wurde.
„Glück hat auf die Dauer eben nur der Könner“, bemerkte Cleveland und strich eine dunkelblonde Haarsträhne aus der Stirn. Cleveland imitierte mit dieser Geste einen amerikanischen Starschauspieler früherer Zeiten, dem er in der Tat ungemein ähnelte. „Ich weiß schon, wie wir's machen können, Clevie“, sagte Longless, innerlich zitternd vor Eifer. „Laß Daddy mal hören!“ „Sobald sie am Wagen sind, werf ich denen die Sprengladung vor die Zehen.“ „Nicht schlecht“, räumte Cleveland ein, „die Ladung müßte reichen.“ Sie pirschten sich erneut durch die ihnen bereits bekannten Sträucher und Büsche und näherten sich vom Klem-park aus der stillen Seitenstraße. Das Licht im Vorflur des Hauses erlosch, kurz danach erschienen drei Gestalten, die ziemlich schnell auf den hochbeinigen Wagen des Butlers zugingen. Parker hatte aus ganz bestimmten Gründen zu dieser Eile geraten, die er im Grund nicht ausstehen konnte. Doch Parker wußte immerhin von zwei Killern, die man ihnen auf die Spur gesetzt hatte. Er wollte kein unnötiges Risiko eingehen. Longless junior zündete inzwischen seine improvisierte Superhandgranate und warf sie hinüber auf die Straße. Bis zur Detonation verblieben maximal vier Sekunden. „Alles in Ordnung?“ flüsterte Cleveland und hielt Ausschau nach dem Dynamitbündel. Seiner Berechnung nach mußte es dicht vor dem Wagen liegen. Doch er konnte das Bündel nicht erkennen, obwohl das Straßenlicht dazu ausgereicht hätte. Und genau das machte ihn nervös. „Wo liegt das Ding?“ fragte er scharf. Dann, eigentlich mehr durch einen Zufall, nahm er die Tiefenschärfe seiner Augen zurück und schnaufte entsetzt. Diese Reaktion war voll und ganz zu verstehen, denn was sich seinen entsetzten Augen bot, hätte auch jeden anderen Profi dem Wahnsinn ausgeliefert. Das Dynamitbündel hing nämlich nicht weit von ihnen entfernt auf den Schmuckspitzen jenes relativ niedrigen Eisenzaunes, der den Park einfriedete. Longless junior mußte den Wurfbogen falsch berechnet haben. Oder er hatte in der verständlichen Aufregung einfach nicht richtig gezielt. „Gleich geht die Kiste hoch“, flüsterte Longless junior stolz und richtete sich ein wenig auf, um besser sehen zu können, wenn Parker und Rander in die Luft flogen. „Volle Deckung!“ zischte Cleveland und zog Longless jäh zu Boden. „Laß mich doch!“ wehrte sich Longless junior. „Kann doch nichts passieren.“ Cleveland, der sich für seinen Lehrling verantwortlich fühlte, schlug Longless hart ins Genick und riß ihn dann zu sich auf den Boden. Dann zählte er unnötigerweise nach und wartete auf die Druckwelle. Er hörte darüber das Anlassen eines Motors, das Sirren von Pneus auf dem Asphalt und — leider nicht die Detonation. „Hast du auch wirklich abgezogen?“ fragte er und richtete sich zögernd wieder auf.
„Natürlich“, verteidigte sich Longless und hob ebenfalls den Kopf. „Ich höre aber nichts“, schnaufte Cleveland. „Muß gleich kommen“, antwortete Longless. „Kopf 'runter, Clevie!“ Die beiden Killer begaben sich erneut in Deckung, bis ihnen die Zeit zu lang wurde. „Da muß doch was nicht ganz geklappt haben“, stellte Longless schließlich unsicher fest. „Der Wagen ist auf jeden Fall weg“, gab Cleveland zurück. „Und die Bombe?“ „Steckt auf dem Geländer!“ Longless war tief getroffen. Er hatte sich alles so schön vorgestellt. Er hatte schon mit einer lobenden Erwähnung im Fachblatt des Gangstersyndikats gerechnet. ..Ich ... Ich kann das nicht verstehen“, meinte er und schüttelte den Kopf. „Das Ding mußte doch hochgehen!“ „Selbst wenn... Sieh mal, wo die Bombe steckt!“ Longless junior bekam Magenkrämpfe, als er die selbstgebastelte Bombe nicht weit von sich entfernt auf der Zaunspitze entdeckte. „Was — was machen wir jetzt?“ wollte er von seinem Lehrmeister wissen „Hol die Bombe, vielleicht brauchen wir sie noch!“ „Und — und wenn das Ding gerade dann hochgeht?“ „Besauf ich mich vor Freude, weil ich dich dann endlich los bin“, gab Cleveland äußerst rüde zurück. *** Ruth Spolding trug ein weißes, kaftanähnliches Gewand, das von ihrer Figur nichts erkennen ließ. Die etwa 25 Jahre junge Dame lag träge auf einer Matratze in ihrer sogenannten Werkstatt und sah Vivi aus verklärten Augen an. Mike Rander, der zusammen mit Vivi zu ihr gegangen war, Parker war beim Wagen zurückgeblieben - hielt sich im Hintergrund. Er hatte gleich das Gefühl, daß Ruth high war. Vielleicht hatte sie Gras geraucht und war nicht ansprechbar. Er bewunderte Vivis Geduld, die sich nach der ehemaligen Boutique von Elsie Hampden erkundigte. Ruth war überhaupt nicht in Stimmung, auf präzise Fragen präzise Antworten zu geben. Sie schwärmte Vivi von einem jungen Mann vor, den sie vor einigen Tagen kennengelernt hatte. Rander sah sich in der kleinen Werkstatt um. Die Einrichtung war mehr als kläglich, aber die gefertigten Ledergürtel, die an den Wänden hingen, konnten sich durchaus sehen lassen. Sie waren originell und äußerst farbenprächtig. „Wir haben Glück“, sagte Vivi nach wenigen Minuten, als sie zurück zu Mike Rander gekommen war. „Die Boutique liegt ganz in der Nähe in einer kleinen Seitenstraße.“
„Das klingt schon fast zu gut“, meinte Rander, „lassen wir uns überraschen, Miß Carlson, vielleicht ziehen wir einen Hauptgewinn.“ *** Parker hatte die Führung übernommen und inspizierte erst mal das Ladenlokal von der Straße her. Hinter dem kleinen Schaufenster war wegen eines heruntergelassenen Rollos nichts zu erkennen. Die Glasfüllung der Tür war von innen durch eine Lade gesichert. Vivi und Rander saßen im Fond von Parkers Wagen und schauten dem Butler interessiert zu. Parker leuchtete mit seiner Kugelschreiber-Taschenlampe das Türschloß aus und kam nach knapp zwei Minuten zum Wagen zurück. „Die Tür ist von innen verschlossen“, meldete er. „Läßt sie sich dennoch öffnen?“ fragte Rander, „betrachten Sie diese Frage als rein akademisch. Ich möchte Sie auf keinen Fall dazu anhalten, die Tür zu öffnen.“ „Dieses kleine Problem ließe sich in knapp einer Minute regeln“, gab der Butler zurück. „Deutlicher Staub auf der Klinke sagt allerdings, daß die Tür in letzter Zeit nicht benutzt worden ist.“ „Vielleicht gibt es einen zweiten Eingang?“ „Ich werde mich sofort vergewissern, Sir. Aber vielleicht sollte man den Wagen ein wenig weiter die Straße hinunterbewegen!“ Nachdem Parker dies erledigt hatte, verschwand er in einem nahen Hausflur und schaute sich die Rückseite dieser Häuserzeile aus der Nähe an. Es war erstaunlich, mit welcher Sicherheit und Selbstverständlichkeit Parker sich auf fremden Terrain bewegte. Angst schien er überhaupt nicht zu kennen. Er verschwand in dem Haus, in dem sich die Boutique befand, entdeckte die Tür, die vom Hausflur aus in den hinteren Raum führte und sicherte auch an dieser Türklinke deutliche Staubspuren. Er schritt gemessen zurück zu Mike Rander, der sichtlich aufatmete, daß sein Butler bereits wieder erschien. „Man sollte das Wild nicht unnötig vergrämen, Sir“, sagte er, nachdem er Bericht erstattet hatte. „Falls es überhaupt zurückkommt!“ „In dieser Hinsicht braucht man tatsächlich einiges Glück, Sir...“ „Wollen wir uns hier auf die Lauer legen?“ „Ich denke, Sir, dies könnte man der einschlägigen Technik überlassen. Vivi verstand zwar kein Wort, sah aber fasziniert zu, wie Parker seine Spezialtasche öffnete. Es handelte sich um einen kleinen, schwarzen Lederkoffer, der angefüllt war mit technischem Gerät, von dem sie nichts verstand. All diese mehr oder weniger kleinen Gegenstände befanden sich in Lederschlaufen und waren sorgfältig gesichert.
Parker wählte eine Art Farbbanddose, die er aufschraubte. Dieser Dose entnahm er einen runden Gegenstand, der nicht größer war als eine Kleinmünze. Die Dicke dieser Münze entsprach der Stärke einer Doppelmünze. „Ich bin überhaupt nicht neugierig“, sagte Vivi lächelnd, „aber was ist das?“ „Ein Kleinstsender“, antwortete der Butler. „Er arbeitet mit eigener Energieversorgung und überträgt alles, was in seinen Aufnahmebereich gerät.“ „Eine Wanze“, präzisierte Rander, „im Grunde der richtige Name für solche Geräte.“ „Und wie empfängt man?“ wollte Vivi wissen. „Dazu dient ein kleines Transistorradio“, erläuterte Parker weiter. „Es ist genau auf die Frequenz des Kleinstsenders geeicht.“ „Und in welchem Umkreis kann man abhören?“ stellte Vivi ihre nächste Frage. „Maximal bis zu drei Kilometer“, lautete Parkers Antwort, der sich über die präzisen Fragen Vivi Carlsons insgeheim freute. „Den Empfänger kann man selbstverständlich noch mit einem Kleinsttonband koppeln, um bewegungsfrei zu bleiben.“ Parker nahm die Wanze, wie Rander den Sender genannt hatte, und ging zurück zur Ladentür, deren Einzelheiten er bereits kannte. Er schob den Kleinstsender in den oberen Lüftungsschlitz der Eingangstür und durfte sicher sein, den richtigen Platz gewählt zu haben. „Ich möchte nie Ihr Gegner sein“, sagte Vivi, als Parker zum Wagen zurückgekehrt war. „Sie unterschätzen einen müden, alten und relativ verbrauchten Mann“, untertrieb Parker würdevoll. Wozu Mike Rander nur schwach lächeln konnte. *** „Sagenhaft“, stellte Cleveland fest, nachdem Longless junior die handgebastelte Bombe endlich sichergestellt hatte. Cleveland hatte sich die Superhandgranate genau angesehen und wußte jetzt, warum sie nicht gezündet hatte. „Was ist sagenhaft, Clevie?“ erkundigte sich Longless junior. „Du hast haargenau den Zünder zerschmettert“, antwortete Cleveland kopfschüttelnd. „Sowas von Geschicklichkeit hab ich noch nie erlebt! „Man lernt nur durch Fehler. Hat mein Daddy schon gesagt.“ „Den nächsten Angriff übernehme ich“, stellte Cleveland richtig und fest. „Du taugst gerade zum Handlanger, mein Junge!“ „Und wie soll's jetzt weitergehen?“ „Wir lassen uns 'ne neue Masche einfallen.“ „Mit der Bombe?“ „Vielleicht, ich muß das erst mal geistig verarbeiten, Longie. Grundsätzlich ist mir 'ne solide Kanone lieber.“ „Wir brauchen hier doch nur zu warten. Einmal werden sie ja zurückkommen.“
„Noch nie was von geregelter Arbeitszeit gehört?“ wunderte sich Cleveland. „Ich bin schließlich schon seit Jahren organisiert.“ „Organisiert?“ „So 'ne Art Privatgewerkschaft der Profis. Komm, setzen wir uns ab! Ich brauche 'ne Mütze voll Schlaf. Morgen ist auch noch ein Tag.“ Sie verließen den Kleinpark und merkten erst auf der Parallelstraße, daß sie etwas vergessen hatten. „Wo hast du die Bombe?“ erkundigte sich Cleveland bei seinem Schützling. „Ich denke, du hast sie?“ „Bin ich dein Kofferträger?“ Longless seufzte und trabte zurück zum Versteck, wo er die Bombe zurückgelassen hatte. Doch er konnte sie plötzlich nicht mehr finden. Sie schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Dann endlich entdeckte er sie. Und zwar im Fang eines kleinen, energisch aussehenden Straßenköters, der ihn böse anknurrte. Dieser Straßenköter befand sich auf nächtlicher Streife und hatte Witterung aufgenommen. Da die Dynamitstangen ihn irgendwie an einen Knochen erinnerten, hatte er sich die Beute unter den Nagel, sprich Fang gerissen. „Ja, wo ist denn der kleine Hund?“ lockte Longless mit falscher und süßer Stimme. „Wo ist der Hund? Komm schon!“ Er ging auf den Hund zu, der selbstverständlich mißtrauisch zurückwich und noch lauter knurrte. „Wo ist der liebe Hund?“ lockte Longless junior erneut. „Wie redest du denn von mir?“ empörte sich Cleveland, der sicherheitshalber zurückgekommen war. „Noch alle Tassen im Spind?“ „Sieh dir das mal an, Clevie!“ Cleveland sah und schluckte. „Los, wir umzingeln das Biest!“ rief er Longless leise zu. Sie umzingelten den kleinen, energischen Straßenköter, dem dieses nächtlichen Intermezzo Spaß machte. Sie wandten alle möglichen Tricks an, doch der Hund ließ sich nicht erwischen. Ja er spielte mit den beiden Killern Katz und Maus. Das liebe Hundchen ließ das Explosionsbündel fallen und wich ein wenig zurück. Doch immer dann, wenn Cleveland oder Longless danach greifen wollte, war der kleine Hund wesentlich schneller, riß die Dynamitstangen an sich und wetzte ein paar Meter zurück, um sich dann erneut aufzubauen. Auf diese neckische Art und Weise erreichten sie bald eine Querstraße, ohne es recht zu merken. „Ich schieß das Biest ab“, schimpfte Cleveland schließlich. „Ich laß mich doch nicht auf den Arm nehmen.“ „Ausgeschlossen!“ sagte Longless mit einer überraschenden Endgültigkeit in der Stimme. „Wir sind doch keine Schlächter!“
„Guten Abend, die Herren!“ mischte sich eine kühle, aber aufmerksame Stimme in das Zwiegespräch ein. „Noch unterwegs?“ Hinter Cleveland und Longless war ein Streifenwagen der Polizei aufgetaucht, der sich auf leisen Reifen heranschob. „Bißchen frische Luft schnappen“, erklärte Cleveland hastig. „Unser Hund ist durchgebrannt“, fügte Longless hinzu und deutete auf die pikante Promenadenmischung, in der ein Foxterrier und ein Dackel primär zu erkennen waren. „Nettes Tier“, sagte der Beifahrer durch die geöffnete Scheibe. „Nur etwas störrisch“, stellte Cleveland fest. Voller Unruhe sah er, wie das nette Tier jetzt ausgesprochen zutraulich herantrabte und die gebündelten vier Dynamitstangen dicht vor seinen Füßen ablegte, um dann Männchen zu machen. „Was haben wir denn da?“ wunderte sich der Streifenbeamte aus dem Wagen heraus. „Dynamit!“ gab Cleveland ungemein geistesgegenwärtig zurück, um das Bündel dann energisch in den Park zu kicken. „Spaßvogel“, meinte der Polizist und nickte seinem Fahrer zu. Der Streifenwagen setzte sich wieder in Bewegung und verschwand bald darauf in einer Seitenstraße. Longless junior wischte sich dicke Schweißperlen von der Stirn. „Mann, war das dicht“, sagte er dann. „Wieso?“ wunderte sich Cleveland, der sich überlegen gab. „Wer nimmt einem schon die Wahrheit ab? Damit kommst du immer durch, Junge.“ *** Parker ließ den Wagen vor dem Haus seines jungen Herrn ausrollen und schaute sich erst eingehend um, bevor er ausstieg. „Sie trauen dem Frieden wohl nicht, oder?“ fragte der Anwalt, der Vivi aus dem Wagen half. „Ich darf auch weiterhin auf die beiden Herren Cleveland und Longless verweisen“, warnte der Butler, „man sollte sie auf keinen Fall unterschätzen. Oh...!“ Sein „Oh“ galt dem kleinen Hund, der an eine Primärkreuzung zwischen Foxterrier und Dackel erinnerte. Dieser Hund erschien vorn am Kühler des Wagens, machte Männchen und knurrte freundlich. Bellen war ihm deshalb unmöglich, weil er ein undefinierbares Bündel im Fang hielt. „Wen haben wir denn da?“ sagte Bander lächelnd. „Wie reizend!“ stellte Vivi fest, beugte sich herunter und streckte ihre Hand aus. Das an sich ruppige Kerlchen auf seinen vier Beinen fühlte sich angenehm berührt und angesprochen. Es trabte auf Vivi zu, baute erneut Männchen und ließ sich anstandslos streicheln. Zum Dank für diese Liebkosungen ließ es das Bündel zu Boden fallen. „Was ist denn das?“ wunderte sich Vivi, die das Geschenk hochnahm.
„Ohhh!“ sagte Parker, diesmal gedehnter. Er hatte das Bündel sofort identifiziert. „Was ist denn?“ fragte Rander neugierig. „Ein wahrscheinlich verunglückter Gruß der Herren Cleveland und Longless“, stellte Parker fest. „Auf der anderen Seite eine erfreuliche Bereicherung meines Instrumentariums, wie ich bemerken möchte. Ich werde bei Gelegenheit nicht versäumen, den Spendern meinen Dank auszusprechen.“ *** „Ich versteh nicht, warum wir nicht längst die Kurve gekratzt haben“, wunderte sich Charly, nachdem sie das Ladenlokal betreten hatten. Elsie Hampden war weiter durchgegangen und befand sich bereits im kleinen Aufenthaltsraum hinter der eigentlichen Boutique. „Sind wir hier auch sicher?“ wollte Bill wissen. „Wie in Abrahams Schoß“, behauptete Harvey, der die Tür zur Straße hin verschloß. „Irgendwo in der Provinz sind wir sicherer“, sagte Charly. „Aber erst dann, wenn wir Ernest geschafft haben!“ „Geschafft haben?“ war die etwas schrille Stimme von Elsie zu hören, die in den Laden zurückgekehrt war. „Natürlich“, gab Harvey wie selbstverständlich zurück, „oder willst du, daß er bei der Polizei landet? Wir müssen ihn zurückholen!“ „Du glaubst, daß dieser Butler ihn noch hat?“ „Das wird sich zeigen.“ „Wie denn, Eichhörnchen? Ruf ihn doch an!“ „Gute Idee! Ist der Anschluß hier noch in Ordnung?“ Während Harvey sprach, hob er den Telefonhörer von der Gabel. In der Leitung blieb alles vollkommen ruhig. „Ich bin gleich wieder zurück“, sagte Harvey, „ich hab drüben am Platz 'ne Öffentliche gesehen.“ „Ich komm mit“, sagte Charly. „Was soll denn das heißen?“ „Nur, damit unterwegs nichts passiert“, sagte Charly hastig, „um diese Zeit treibt sich verdammt viel Gesindel auf der Straße herum.“ Harvey sah seinen Mitarbeiter Charly kurz, aber sehr nachdenklich und prüfend an. Harvey besaß eine feine Witterung für die Dinge. Er merkte, daß Charly ihm nicht mehr über den Weg traute. Und Bill? Nun, dieser Mitarbeiter schien überhaupt nichts begriffen zu haben, was eigentlich noch verdächtiger war. Harvey beschloß, sehr vorsichtig zu sein. ***
Ein kleines rotes Licht auf der Skala des Taschentransistors zeigte an, daß der Sender arbeitete, daß der Empfänger sich ebenfalls automatisch eingeschaltet hatte und schließlich noch, daß das Tonband aufzeichnete. Vivi, Rander und Parker befanden sich im Souterrain des Anwalt-Hauses und staunten nicht schlecht, daß die Falschmünzer bereits in der Boutique eingetroffen waren. Parker drückte auf einen Knopf des Transistors, worauf nun auch der Lautsprecher den Ton lieferte. Mit einer erstklassigen Qualität waren die Stimmen von Harvey und Charly zu hören. Das Trio im Souterrain bekam jede Einzelheit mit. „Wenn Sie erlauben, Sir, bereite ich mich auf das Gespräch vor, das Mister Harvey mit uns zu führen beabsichtigt. Er baute sich am durchgestellten Telefon auf und brauchte nicht lange zu warten, bis es klingelte. „Bei Mister Rander“, meldete Parker sich. „Hier spricht der Butler.“ „Hier Harvey“, meldete sich der Chef der Falschmünzer. „Jetzt hören Sie mal genau zu, Parker!“ ,,Ich werde mir Mühe geben.“ „Was ist mit Ernest Hampden?“ „Mister Hampden ist nach wie vor geschätzter Gast unseres Hauses“, antwortete der Butler würdevoll, „ich möchte annehmen, daß ihm im Augenblick nur die Freiheit fehlt.“ „Darüber rede ich jetzt mit Ihnen, Parker. Lassen Sie den Mann umgehend frei!“ „Ich bin mir durchaus klar darüber, daß nach dieser Forderung auch ein Angebot erfolgen wird.“ „Dafür lassen wir die kleine Carlson ab sofort in Ruhe. Wir ziehen einen Schlußstrich, verstehen Sie?“ „Sie befinden sich immerhin im Besitz von Falsifikaten und einiger Druckplatten, Mister Harvey.“ „Das ist ein Gerücht. Beweisen Sie mir das erst mal!“ „Dafür wird Mister Ernest Hampden einstehen, der sich wahrscheinlich freiwillig der Polizei stellen wird.“ „Das ist doch nur ein Bluff, Parker.“ „Mister Hampden fühlt sich von Ihnen getäuscht, zum anderen möchte er wieder in Ruhe leben können.“ „In irgendeinem Gefängnis, wie?“ Harvey lachte kurz auf. „Man dürfte Mister Hampden mildernde Umstände zubilligen, sofern er sich freiwillig stellt und gegen Sie und Ihre Mitarbeiter aussagt.“ „So doof wird er niemals sein.“ „An Ihrer Stelle würde ich es nicht darauf ankommen lassen.“ „Also schön. Dann rücken doch Sie endlich mal mit Ihren Vorschlägen 'raus!“ „Mister Rander wird seinerseits auf weitere Verfolgung verzichten, falls Sie die Druckplatten und das bisher hergestellte Falschgeld zur Verfügung stellen.“
„Glauben Sie wirklich, daß ich mich darauf. einlassen werde?“ „Sie sollten es sich überlegen, Mister Harvey. Darf ich Ihnen eine zeitliche Frist bis zum frühen Morgen einräumen? Ich denke an 10 Uhr!“ Bevor Harvey antworten konnte, legte Parker auf und deutete in Richtung Rander eine knappe Verbeugung an. „Zeit genug für uns, Harvey auszuheben“, sagte Rander unternehmungslustig. „Mister Harvey und seine beiden Schläger werden mit letzter Sicherheit innerhalb der kommenden Stunden hier erscheinen, Sir.“ „Hoffentlich geht Ihre Rechnung auf.“ „Falls nicht, Sir, kann man sich immer noch zur Boutique begeben, zumal Mister Harvey sich dort völlig sicher wähnt.“ „Also gut“, entschied Rander lächelnd, „bereiten wir uns also auf eine turbulente Nacht vor. Um Einzelheiten brauche ich mich wohl nicht zu kümmern, oder?“ „Ich möchte im vorhinein annehmen, Sir, daß Sie mit meiner Wenigkeit zufrieden sein werden.“ *** „Was ist denn das für'n komischer Verein?“ wunderte sich Longless, der den gestohlenen Wagen gerade starten wollte. Er beugte sich etwas vor und deutete durch die Windschutzscheibe nach vorn. Er hatte sich nicht getäuscht. Es handelte sich um drei Gestalten, die viel zu harmlos die Straße entlangschlenderten, um dann plötzlich auf der Treppe zu verschwinden, die hinunter zum Souterrain eines der vornehmen Häuser führte. „Riecht verdämmt nach Berufskollegen“, sagte Cleveland, der das Ziel aufgenommen hatte. „Die wollen uns doch nicht etwa die Show stehlen?“ ärgerte sich Longless junior und zog bereits wieder seine Schußwaffe. „Soll ich sie stoppen?“ „Junge, kapierst du denn nicht?“ Cleveland lächelte versonnen. „Die kreuzen doch wie bestellt auf. Die wollen wahrscheinlich abstauben und klemmen. Gar nichts gegen einzuwenden. Wir brauchen doch ein paar Köpfe für die Bullen, sobald wir Rander und Parker umgelegt haben.“ „Okay“, staunte Longless und strahlte. „Man merkt dir immer wieder den Vollprofi an, Clevie!“ „Gelernt ist eben gelernt“, gab Cleveland bescheiden zurück, um dann allerdings energisch auszusteigen, „'raus jetzt, Longie, solange die Türen noch geöffnet sind!“ Cleveland und Longless kletterten aus dem Wagen, überquerten die Straße und schlenderten auf Randers Haus zu. Dann inspizierten sie vorsichtig die Treppe, die hinunter zum Souterrain führte. Die Tür zum Kellergeschoß befand sich genau unter dem vornehmen Portal. Vor den Fenstern des Souterrains, die sämtlich stark vergittert waren, gab es eine Art Lichthof von anderthalb Metern Breite.
„Clevere Jungens“, lobte Cleveland, als sie hinüber zur Tür stiegen, „haben die Tür ohne weiteres geknackt. Da merkt man doch gleich, mit wem man es zu tun hat. Qualität bleibt Qualität!“ *** „Daß die Leute immer so leichtsinnig sind“, tadelte Harvey, als sie auf der Kellertreppe waren, die hinauf ins Erdgeschoß führte. Er und seine beiden Mitarbeiter Bill und Charly hatten sämtliche Türen ohne jede Schwierigkeit geöffnet. „Wen nehmen wir uns zuerst vor?“ erkundigte sich Charly leise. Er wie auch Harvey und Bill hatten sich mit schallgedämpften Revolvern ausgerüstet. „Zuerst die Carlson“, entschied Harvey, „die hat uns Ärger genug gemacht. Anschließend Ernest!“ „Und wo stecken die beiden?“ „Erfahren wir noch früh genug. Weiter!“ Sie erreichten die letzte Tür, die sich leicht öffnen ließ, stiegen über die Treppe hinauf ins Obergeschoß und blieben auf dem Korridorgang einen Moment lang prüfend stehen. „Da!“ Harvey hatte eine entscheidende Entdeckung gemacht. Vor einer der Schlafzimmertüren standen die Schuhe von Vivi Carlson. Logischerweise mußte die junge Dame sich also in dem hinter dieser Tür liegenden Zimmer aufhalten. Die Tür war unverschlossen. Harvey stieß sie auf und näherte sich zusammen mit seinen beiden Mitarbeitern dem großen Bett, in dem seine frühere Sekretärin lag und offensichtlich fest schlief. Ihre Formen waren unter der leichten Decke genau zu erkennen, ebenso ihr blonder Haarschopf auf dem Kissen. Harvey nickte seinen beiden Leuten zu. Wie auf Kommando hoben sie ihre schallgedämpften Waffen, zielten und drückten gleichzeitig ab. Worauf sich einiges tat, womit sie keineswegs gerechnet hatten. Vivi Carlson schien förmlich zu explodieren. Es gab einen ungemein lauten Knall, doch dann war sie plötzlich nicht mehr zu sehen. Die Zudecke lag platt und flach auf der Matratze. Vivi Carlson schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Harvey begriff, daß irgend etwas nicht stimmte. Er ergriff die Flucht, wobei er sicher sein durfte, daß Charly und Bill ihm prompt folgten. Sie rannten hinaus in den oberen Korridor und stolperten eiligst auf die Treppe zu. Dabei entging ihnen, daß sich unten in der Halle eine Gestalt befand, die völlig unbeeindruckt zu sein schien. ***
Bei dieser Gestalt handelte es sich um Parker, der sich einer scheinbar völlig sinnlosen Arbeit widmete. Er hielt eine Art Taschen-Parfümzerstäuber in der Hand und sprühte damit ausgiebig die an sich schon gut polierten Steinplatten am Fuß der Treppe und in der Vorhalle ein. Er bewegte sich mit der Gelassenheit eines Menschen, der sehr viel Zeit hat. Harvey, Charly und Bill polterten inzwischen über die Stufen nach unten. Sie konnten Parker jetzt nicht mehr sehen, da er sich hinter eine ansehnliche Wanduhr zurückgezogen hatte. Harvey, Bill und Charly waren völlig ahnungslos. Doch hatten sie gerade noch festen, vor allen Dingen rutschfreien Boden unter den Füßen, so änderte sich das innerhalb der nächsten Sekunde. Sie gerieten auf jene Stufen und Steinplatten, die von Josuah Parker vorbehandelt worden waren. Der Zerstäuber in seiner Hand hatte nämlich keineswegs für frische Luft gesorgt, sondern ein Supergleitmittel versprüht, gegen das Bohnerwachs oder Öl stumpf wirkten. Entsprechend bewegten sich daher auch die drei Gestalten, die plötzlich zu erstklassigen Ballett-Tänzern wurden. Mit mehr oder weniger graziösen Bewegungen umsprangen sie sich, suchten nach Halt, griffen wirkungslos in die Luft und schwebten umeinander wie Elfen aus dem Sommernachtstraum. Josuah Parker genoß diese Darbietung und bewunderte gerade Charly, der sein linkes Bein hoch in die Luft warf und das Kunststück fertig brachte, das rechte folgen zu lassen, bevor das erste wieder auf dem Boden war. Der Steinfußboden dröhnte diskret, als Charly auf seinem Gesäß landete. Bills Ehrgeiz war weniger artistisch ausgeprägt. Er tänzelte wie eine etwas plumpe Elfin, umklammerte dann den Pfosten des Treppengeländers, rutschte vollends aus und trat gegen Harvey, der sich gerade von den Knien und aufstützenden Händen erheben wollte. Katapultartig wurde der Chef der Falschmünzer daraufhin über den Boden befördert und entwickelte eine erstaunliche Grundgeschwindigkeit. Er landete krachend an der Wand, drehte sich auf dem Gesäß wie ein wilder Kreisel und flitzte dann zurück zu Bill, der sich gerade vom Geländerpfosten gelöst hatte. Es dauerte etwa zwanzig Sekunden, bis alle drei Männer zu einem unentwirrbaren Knäuel geworden waren. Sie blieben schließlich erschöpft auf dem Boden liegen. Parker löste sich aus seinem Versteck und kam gemessen auf sie zu. Er hatte das Licht eingeschaltet und konnte die Männer gut überwachen. Dabei entwickelte Harvey aber einen Freiheitsdurst, den Parker vielleicht unterschätzt hatte. Harvey nutzte die Gunst der Glätte. Er stieß sich plötzlich mit beiden Füßen energisch von der Kante der unteren Treppenstufe ab, befreite sich von seinen beiden Mitarbeitern und zischte hinüber
in den Vorflur. Er landete unmittelbar vor der Haustür, entriegelte sie hastig und flüchtete sich nach draußen. Parker mußte auf jede Verfolgung verzichten, denn Bill und Charly wollten ihren Chef nachahmen. Parkers bleigefütterter Bambusgriff des Universal-Regenschirms tat sich jetzt besonders hervor. Durch je einen leichten Schlag auf den Hinterkopf sackten die beiden Harvey-Mitarbeiter wieder in sich zusammen und gaben Ruhe. „Ich möchte betonen, meine Herren, daß ich grundsätzlich gegen rohe Gewalt bin“, stellte Parker höflich dazu fest, „doch in diesem speziellen Fall mußte ich mir die Freiheit nehmen, einmal bewußt gegen meine Prinzipien zu verstoßen.“ „Wogegen auch gar nichts einzuwenden ist“, ließ Mike Rander sich oben von der Treppe aus lächelnd vernehmen. „Ich hoffe, Sir, Sie sind mit meiner Wenigkeit zufrieden.“ „Ich werde Sie sogar weiter empfehlen. Alles klar?“ „In etwa, Sir. Mister Harvey konnte leider entkommen. Und was die Herren Cleveland und Longless anbetrifft, so könnten sie durchaus noch erscheinen!“ Während Parker noch sprach, begab er sich hinüber zur Tür, die hinunter ins Souterrain führte. Mike Rander folgte mit dem Abstieg in die Halle und näherte sich schnell den beiden am Boden liegenden und schlafenden Harvey-Mitarbeitern. In diesem Augenblick öffnete sich die von Parker angesteuerte Tür. Parker nahm erstaunlich schnell seine Schleuder hoch, die er schußbereit in Händen hielt. Die beiden Gummistränge beförderten eine hartgebrannte Tonmurmel durch den Türspalt, worauf ein unterdrückter Fluch zu hören war, dessen Zusammensetzung eindeutig auf amerikanischen Ursprung schließen ließ. Inzwischen befand sich der Anwalt auf jenen Steinplatten, die von seinem Butler gleitfähig gemacht worden waren. Und leider hatte Parker es versäumt, seinen jungen Herrn entsprechend zu warnen. Rander wurden die Füße unter dem Leib weggerissen. Er kam sich plötzlich wie ein Astronaut vor, ruderte hilfesuchend mit den Armen in der Luft herum und krachte zu Boden. Dabei entwickelte er noch derart viel Fahrt, daß er gegen Parker schleuderte. Parker drückte ungewollt die Tür zur Kellertreppe zu und setzte sich anschließend nicht ohne Würde auf den Bauch von Mike Rander, der überrascht nach Luft schnappte. „Ich möchte mich in aller Form entschuldigen“, sagte Parker höflich, als er sich vorsichtig erhob. „Ich darf Ihnen versichern, daß ich untröstlich bin!“ *** Cleveland rieb sich die schmerzende Stelle zwischen den Augen und tastete sich zurück ins Souterrain.
Vom Türspalt aus hatte er auf Parker schießen wollen. Die Gelegenheit dazu war wirklich einmalig gewesen. Doch Parker war wieder mal schneller gewesen und hatte ihm dieses Ding verpaßt. „Alles okay?“ erkundigte sich Longless, den er aus Sicherheitsgründen im Souterrain zurückgelassen hatte. „Alles“, erwiderte Cleveland, „bis auf 'ne Kleinigkeit. Parker lebt immer noch!“ „Dann werde ich jetzt mal 'raufgehen“, sagte Longless junior unternehmungslustig. „Wir machen Fliege!“ ordnete Cleveland an, „wir schwirren ab. Der Butler wartete doch nur darauf, daß wir noch mal aufkreuzen. Los, ab durch die Mitte!“ Die beiden Killer leiteten ihre Absetzbewegung ein und stahlen sich auf leisen Sohlen hinaus ins Freie. Am Rande sei dabei erwähnt, daß Longless mehrfach in die Hacken seines Lehrmeisters trat. Longless ging es nämlich nicht schnell genug. *** Es war wieder jene kleine, einsame Straße in der Nähe eines anderen Parks. Und es handelte sich erneut um jenen Bobby, der schon mal eine überraschende Entdeckung gemacht hatte. Dieser Bobby befand sich gemäß seiner Streifeneinteilung wieder auf nächtlicher Tour und näherte sich jenem Laternenmast, der schon mal seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Der Bobby blieb plötzlich stehen und rieb sich leicht die Augen. Das, was er sah, konnte doch unmöglich wahr sein. Solch eine Doublette gab es doch nicht! Er lockerte seinen Schlagstock, straffte sich den Kinnriemen seines Helms und näherte sich dann zögernd der Laterne, an deren Fuß drei Männer saßen. „Hallo, meine Herren, Sie. werden sich erkälten!“ warnte der Bobby erneut. Wie bei seiner ersten Begegnung, als zwei Männer mittels zweier Handschellen einen Kreis um den Laternenmast beschrieben hatten. Die drei Männer antworteten nicht. Es handelte sich um die Herren Charly, Bill und Ernest Hampden, die von Parker außer Haus geschafft worden waren. Jetzt handelte es sich um drei Handschellen, die ihre Gelenke wechselseitig miteinander verbanden. An einer dieser Handschellen baumelten zwei schallgedämpfte Revolver, die Parker gleich mitgeschickt hatte. Der Bobby schluckte, rieb sich erneut die Augen und mußte sich ungemein konzentrieren, bevor es ihm gelang, auf seiner Signalpfeife einen halbwegs klaren Ton hervorzuzaubern. „Hier muß ein Nest sein“, murmelte er kopfschüttelnd. „Wenn mir das noch mal passiert, dreh ich glatt durch und wechsle den Beruf.“
Charly, Bill und Ernest Hampden verzichteten auf jede Antwort. Parker hatte sie angeregt, tief und fest zu schlafen. Und wenn Parker so etwas mal in die Hand nahm, dann konnte es nur ein voller Erfolg werden. *** „Ziehen wir doch mal Bilanz“, sagte Rander, nachdem Josuah Parker einige Erfrischungen serviert hatte. „Ernest Hampden, Charly und Bill sind wir endgültig los. Sie dürften inzwischen die Zellen einer Polizeistation bevölkern.“ „Dies sollte man als eine Tatsache betrachten“, erwiderte Parker. „Bleibt noch Harvey“, schaltete sich Vivi Carlson ein. „Und er allein ist gefährlicher als Bill und Charly zusammen!“ „Dem kann und muß man zustimmen.“ Parker nickte andeutungsweise, „Darauf lassen allein die Schüsse schließen, die Ihrem Double galten, Miß Carlson!“ „Wie war das eigentlich damit?“ wollte Vivi wissen. „Es handelte sich um eine aufblasbare Puppe aus Kunststoff“, setzte der Butler ihr auseinander. „Man nennt sie auch Party-Puppen. Sie haben fast menschliche Ausmaße, zerplatzen allerdings, wenn man sie nicht sach- und fachgerecht behandelt.“ „Was die Schüsse bewirkt haben“, übernahm Rander nun den Faden der Erklärung, „nach den Einschlägen platzte sie auseinander.“ „Mister Harvey setzte eben alles daran, Augenzeugen zu eliminieren“, sagte der Butler. „In dieser Hinsicht ist er den Herren Cleveland und Longless gleichzusetzen.“ „Haben Sie keine Angst vor diesen beiden Killern?“ wollte Vivi wissen. „Nicht gerade Angst, Miß Carlson“, beschied der Butler ihr, „sie regen meine Phantasie an, wenn ich es so darf. Selbstverständlich dürfen sie keineswegs unterschätzt werden.“ „Wie Harvey!“ Rander trank einen Schluck und nahm seine Wanderung durch die Bibliothek auf. „Worauf warten wir eigentlich noch, Parker? Wir wissen doch, wo er zu finden ist.“ „Mister Harvey befindet sich noch nicht in der Boutique“, erklärte Parker und deutete auf den kleinen Transistorapparat, der auf einem Beistelltisch stand. „Der Sender schaltet sich automatisch ein, sobald Mister Harvey sein Ziel erreicht hat. Er wird dann nämlich mit Sicherheit irgendwelche Erklärungen abgeben und Miß Hampden auseinandersetzen, warum seine beiden Mitarbeiter Charly und Bill nicht mitgekommen sind.“ *** „Riskieren wir es in dieser Nacht noch mal?“ fragte Longless und reichte seinem Lehrmeister einen nassen Lappen. Cleveland kühlte sich damit das kleine Horn zwischen den Augen und oberhalb der Nasenwurzel.
„Nur nichts übertreiben“, sagte Cleveland müde und abgeschafft, „ich habe das Gefühl, daß wir ein paar Fehler gemacht haben.“ „Am laufenden Band“, stellte Longless junior richtig. „Dank deiner Schusseligkeit“, reagierte Cleveland spitz. „Wer hat die Bombe versaut?“ „Ich lerne ja erst“, verteidigte sich Longless junior. „Kein Profi fällt vom Himmel.“ „Ich denke, wir lassen Rander und Parker für den Rest der Nacht erst mal in Ruhe. Die Leute brauchen auch eine kleine Erholung.“ „Und ich überlege, wie wir es morgen packen können“, sagte Longless und warf sich auf sein Bett. Er und Cleveland hatten sich in einem kleinen Hotel eingemietet, dessen Zuschnitt im Grund nicht ihrem Standard entsprach. Aber sie waren zu durcheinander gewesen, um lange zu suchen. „Hör mal, Clevie“, sagte Longless nach einer Weile vom Bett her. „Was ist denn jetzt schon wieder?“ „Sag mal ehrlich: Hab ich Begabung?“ „Wofür?“ „Für was wohl? Als Killer natürlich.“ „Die Anlagen sind bestimmt nicht schlecht“, relativierte Cleveland, „aber deine Trottelhaftigkeit ist deutlicher zu erkennen!“ „Ob ich Daddy bitten soll, daß er mich wieder abzieht?“ „Auf keinen Fall“, entschied Cleveland und richtete sich sofort sehr stramm auf. „Ich habe deinem Daddy versprochen, aus dir einen erstklassigen Killer zu machen. Und den liefere ich bei ihm ab, ist das klar?“ Zwischen Cleveland und Longless entstand wieder Schweigen. Bis Longless sich leicht anhob und behauptete, er habe eine Idee. „Tu mir das bloß nicht an, Junge“, entsetzte sich der Profi Cleveland. „Wir kidnappen das Mädchen, das sie sich ins Haus geholt haben“, redete Longless weiter und sich zusätzlich in Begeisterung. „Damit locken wir dann Rander und Parker in die Falle.“ „Junge, das ist doch nicht mal schlecht“, räumte Cleveland überrascht ein. „Woher hast du das?“ „Handbuch für Profis, Seite 56“, gestand Longless etwas verschämt, „aber das hätte auch von mir sein können!“ *** „Stell bloß keine blöden Fragen“, schnauzte Harvey, bevor Elsie überhaupt fragen konnte. „Bill und Charly sind hochgenommen worden.“ „Und mein Bruder?“ „Keine Ahnung! An den sind wir erst gar nicht 'rangekommen. Pack dein Zeug, wir verschwinden!“ „Fahren wir los?“ fragte Elsie unnötigerweise.
„Klar doch! Wir .putzen die Platte, Süße.“ „Wie schön, Eichhörnchen!“ freute sich Elsie Hampden und kam überhaupt nicht auf den Gedanken, Harvey könnte sie unterwegs verlieren. Harvey befaßte sich mit seinem leichten Handgepäck. Es bestand aus einem Koffer, der voll mit Blüten bepackt war. Der Mann wickelte den kleinen Pappkarton auf und verstaute die Druckplatten zusätzlich im Koffer. Er brauchte Bewegungsfreiheit. Harveys Absicht war klar. Er wollte die Insel so schnell wie möglich verlassen und heitere Gefilde aufsuchen. Ihm schwebte vor, irgendwo von der Cote d'Azur aus ein Geschäft neu aufzubauen. Aber, bitte, ohne Elsie, für die er nicht weiter das Eichhörnchen spielen wollte. Er rechnete sich in doppelter Hinsicht gute Chancen aus. Elsie konnte er auf dem Weg nach Dover unterwegs verlieren. In allen Ehren und vielleicht auch zusätzlich mit einer Bleiladung. Und was diesen Butler samt seinen jungen Herrn betraf, so brauchte er die nicht mehr zu fürchten. Sie hatten keine Ahnung, wo er steckte und was er plante. Die Sterne standen ausgesprochen gut. *** Und zwar für Josuah Parker und Mike Rander. Der kleine Minisender in der Boutique hatte gerade wieder eine erstklassige Information geliefert. Man wußte, wo der Falschmünzer sich zur Zeit aufhielt. Er brauchte nur noch aufgepickt zu werden. „Bitte, darf ich mitkommen?“ bat Vivi, „allein hier im Haus hätte ich jetzt Angst.“ „Na, Parker?“ Rander wandte sich an seinen Butler. „Hinter dem schußsicheren Glas der Wagenscheiben dürfte Miß Carlson ungefährdet sein“, erwiderte der Butler, damit gleichzeitig sein Einverständnis erklärend. Es dauerte nur wenige Minuten, bis sie im Wagen saßen und losfuhren. Während der Fahrt sah der Butler wiederholt in den Rückspiegel und hielt Ausschau nach etwaigen Verfolgern. Da waren ja immer noch die beiden Killer Cleveland und Longless. Vielleicht waren sie zäher, als er annahm. Es dauerte knapp fünfzehn Minuten, bis sie sich der Straße näherten, in der sich die Boutique befand. Parker verlangsamte die Fahrt und hielt schließlich. Sie befanden sich schräg gegenüber dem Ladenlokal, vor dem ein Wagen stand. „Das ist Harveys Wagen“, sagte Vivi, „ich erkenne ihn ganz genau.“ „Sie erlauben, Sir, daß ich einige Vorbereitungen treffe“, entschuldigte sich Parker und stieg aus dem Wagen. Als er die Tür schloß, vergaß er nicht, höflich seine schwarze Melone zu lüften. Parker hielt in jeder noch so prekären Situation auf Formen.
Er überquerte die Straße und näherte sich dem Fahrzeug des Falschmünzers. „Was macht Mister Parker da?“ wollte Vivi Carlson wissen. Sie sah deutlich, daß Parker sich leicht bückte und offensichtlich die Reifen von Harveys Wagen anschaute. „Keine Ahnung“, gab Rander zurück, „sieht so aus, als würde er die Reifen zerschneiden!“ *** Nun, Josuah Parker machte sich gar nicht die Mühe, die Reifen des Wagens zu zerschneiden. Er wußte aus Erfahrung, daß dies gar nicht so einfach zu bewerkstelligen ist, selbst wenn man die weichen Flanken angriff. Parker hatte da seine eigene Methode. Er hielt einen seiner Patent-Kugelschreiber in der Hand und drückte bereits am zweiten Reifen auf den Halteclip. Daraufhin schoß eine helle Flüssigkeit vorn aus der Spitze und breitete sich seitlich auf dem Reifen aus. Dort, wo die Flüssigkeit gelandet war, bildeten sich bereits die ersten Gummiblasen. Die Flüssigkeit, die Parker sich von einem Chemiker besorgt hatte, war unwiderstehlich. Innerhalb von Sekunden sackte der Wagen auf seine Felgen. Davon merkte Harvey überhaupt nichts, der jetzt hastig aus der Boutique kam. Er trug einen Koffer in der Hand und wandte sich nervös zu Elsie Hampden um, die ihm folgte und sich ebenfalls mit Handgepäck abschleppte. „Los, Beeilung, Elsie! Nun mach doch endlich!“ Sie stiegen in den Wagen, und Harvey ließ den Motor an. Er kam etwa drei Meter weit, dann merkte er, daß er auf den Felgen rollte. „Verdammter Mist“, fluchte er, als er ausgestiegen und den Schaden besichtigte. „Wenn ich den Kerl erwische, der ...“ „Darf ich Ihnen meine bescheidene Hilfe anbieten?“ ließ Parker sich in diesem Augenblick vernehmen und erschien hinter Harvey, der entsetzt herumfuhr. Parker lüftete höflich seine schwarze Melone, was Harvey aber kaum zur Kenntnis nahm. Er kümmerte sich auch nicht weiter um seine Freundin Elsie, die er ja ohnehin irgendwo zurücklassen wollte. Harvey nahm seinen Koffer und dann die Beine in die Hand und rannte los, was das Zeug hielt. : Doch da war ein Bein, das sich seinen Gehwerkzeugen geschickt in den Weg stellte. Dieses Bein kam hinter zwei parkenden Wagen hervor und beendete die Flucht des Falschmünzers. Harvey warf den Koffer und die Arme weit vor, segelte zu Boden, schrammte ein gutes Stück über den Straßenbelag und blieb dann leicht mitgenommen liegen. Rander erschien zwischen den beiden Wagen und schaute in Parkers Richtung. „Ich hoffe, Mister Parker, Sie waren mit mir zufrieden“, parodierte er dann Stil und Tonfall seines Butlers.
*** Noch eine knappe halbe Stunde hatte der Bobby vor sich, dann würde er abgelöst werden. Er hatte die drei Männer, die man mittels Handschellen um den Laternenmast gelegt hatte, längst abholen lassen. Er dachte noch immer an diesen Zwischenfall und an sein erstes Erlebnis in dieser Richtung. Er und auch sein Schichtleiter konnten sich diese Häufung von Ablieferungen nicht erklären. Fast zögernd betrat der Bobby jene Straße, in der sich alles abgespielt hatte. Weit hinten war die Laterne zu sehen, die alle Personen bisher so erfolgreich festgehalten hatte. Der Bobby kniff die Augen zusammen und ... blieb wie erstarrt stehen. Es kroch ihm eiskalt über den Rücken. Nein, er täuschte sich wirklich nicht! Unterhalb der Laterne hockten wieder zwei Gestalten. Und sie umschlangen ganz offensichtlich die Laterne. Der Bobby rieb sich die Augen, schluckte und wurde unsicher. Dann pirschte er sich auf Zehenspitzen an die bewußte Lichtquelle heran. Nein, er hatte sich nicht getäuscht. Diesmal hatte die Besetzung gewechselt. Durch Handschellen vereint, umsaßen eine Frau und ein Mann den Fuß der Laterne. Beide Personen schienen zu schlafen und dabei dennoch einen Koffer zu bewachen, der an einer der Handschellen befestigt war. Der Bobby brauchte Sekunden, bis seine Signalpfeife richtig zwischen den Lippen saß. Dann pfiff er, was das Zeug hielt. *** „Die Morgenzeitung, Sir!“ Parker erreichte den Frühstückstisch, an dem Rander und Vivi Carlson saßen. „Na, was sagt die Presse?“ fragte Rander und Schüttelte den Kopf, als Parker ihm das Blatt reichen wollte. „Die gesamte Morgenpresse, Sir, eingeschlossen der Frühnachrichten der einschlägigen Rundfunksender drücken ihr Erstaunen über gewisse Vorfälle aus.“ „Die Sache mit der Laterne, wie?“ Rander lächelte Vivi wie ein großer Junge an. „In der Tat, Sir! Man kann sich diese nicht erklären und fragt sich, wer der Lieferant sein könnte.“ „Darauf werden wir besser nicht antworten“, meinte der Anwalt, „ich möchte keinen Ärger mit den Behörden haben.“ „Haben Harvey und seine Leute bereits gestanden?“ wollte Vivi wissen.
„Gewiß, Miß Carlson. Man belastete sieh gegenseitig und mit viel Erfolg. Diese Affäre dürfte man wohl zu den Akten legen können.“ „Und was wird aus mir, Mister Rander?“ Vivi Carlson sah Rander aufmerksam an. „Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, selbst wenn man Ihren Namen nennen sollte.“ „Sie glauben, daß Harvey von mir und Ihnen nichts sagen wird?“ „Wie denken Sie darüber, Parker?“ „Ich erlaube mir, mich Ihrer Ansicht anzuschließen“, bemerkte der Butler würdevoll, während er Tee nachgoß. „Sollten Mister Harvey oder seine Mitarbeiter diese Namen erwähnen, müssen sie zusätzliche Belastungen befürchten. Ich rede von den diversen Mordversuchen.“ „Genau“, bestätigte der Anwalt, „diese Dinge werden die Falschmünzer bestimmt ausklammern. Machen Sie sich also keine Sorgen, Miß Carlson“, wandte sich Rander an seinen jungen, blonden Gast. „Sie werden hier die Stellung halten, einverstanden?“ „Ich möchte Ihnen aber auf keinen Fall zur Last fallen. Ich werde bestimmt einen neuen Job finden.“ „Den haben Sie hiermit. Parker und ich sind der Meinung, daß Sie als meine neue Sekretärin bleiben sollten. Wie denken Sie darüber?“ „O ja ... Gern! Schrecklich gern. Ich glaube, daß gerade diese Arbeit sehr interessant sein wird!“ „Neue Abenteuer brauchen Sie nicht zu befürchten“, sagte Mike Rander. „Nach diesem kleinen Zwischenfall werden wir unsere Ruhe haben, nicht wahr, Parker?“ „Ich werde mich bemühen, Sir“, gab der Butler zurück, „es gibt allerdings Dinge, die stärker sind als wir schwachen Erdenmenschen.“ „Richtig!“ Vivi Carlson wirkte hoffnungsvoll. „Da sind ja noch die beiden Killer, nicht wahr?“ *** „Genau zur rechten Zeit“, sagte Longless eifrig. Er und sein Lehrmeister Cleveland hatten sich am Ende der vornehmen und stillen Seitenstraße samt ihrem gestohlenen Wagen aufgebaut und beobachteten Randers Haus. Parker trug gerade etwas Handgepäck zum Wagen und öffnete dann den Schlag für seinen Herrn. Mike Rander blieb einen Moment stehen und winkte Vivi zu, die in der Tür verweilte. „Die wollen abhauen“, stellte Longless nervös fest. „Verreisen“, korrigierte Cleveland, der tiefer sah. „Na, und? Was machen wir jetzt? Nehmen wir uns die Kleine vor, oder hängen wir uns an Rander und Parker?“ „Natürlich Rander und Parker“, sagte Cleveland. „Falls es eine Panne gibt, können wir uns die Puppe immer noch kaufen.“
„Die Puppe sofort wäre mir lieber“, sagte Longless. „Wo bleibt denn deine Berufsauffassung, Junge?“ tadelte Cleveland und schüttelte verweisend den Kopf. „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen!“ *** „Ich möchte vermelden, Sir, daß wir seit etwa einer Stunde äußerst hartnäckig, aber ungeschickt verfolgt werden“, sagte Parker. Sie befanden sich bereits weit außerhalb von London, auf dem sogenannten flachen Land. „Unsere beiden Dauerkiller?“ „Dies, Sir, ist mit letzter Sicherheit anzunehmen.“ „Und das sagen Sie erst jetzt?“ „Mir lag daran, Sir, die Herren Cleveland und Longless aus London abzuziehen.“ „Wegen Miß Carlson?“ „In der Tat, Sir!“ „Dann hängen Sie das Duo bloß nicht endgültig ab“, warnte der Anwalt. „Was halten Sie übrigens von meiner neuen Sekretärin.“ „Miß Weston in Chikago war ein sehr reizvoller Mensch“, erwiderte der Butler, der stocksteif am Steuer saß. „Miß Carlson hingegen ist kindhafter. Sie aktiviert automatisch den Schutzinstinkt eines jeden Mannes!“ „Nicht schlecht ausgedrückt“, gab Rander lächelnd zurück. „Und im Gegensatz zu Sue Weston, Parker, wollen wir sie grundsätzlich aus unseren internen Dingen heraushalten. Falls es überhaupt noch mal zu einem Kriminalfall kommen wird!“ „Ich werde mich tunlichst bemühen. Die Herren Cleveland und Longless schließen übrigens auf, wie ich am Rande bemerken möchte.“ „Vielleicht wollen sie zum Angriff übergehen. Passen Sie auf! Ich möchte heil in Schottland ankommen.“ *** „Die Sache ist doch ganz einfach, Junge“, redete Cleveland auf seinen Lehrling ein. „Du überholst jetzt Parkers Karre, sorgst für einen kleinen Vorsprung, und ich werde denen dann das Ding hier vor die Nase setzen.“ Das Ding, von dem Cleveland sprach, war eine große Plastiktüte, die mit Schmieröl gefüllt war. Clevelands Plan war ungemein einfach, aber wirkungsvoll. Parker und Rander sollten samt Wagen auf der sich bildenden Öllache ausrutschen, im Graben landen und sich dann wehrlos ausschalten lassen. Longless, der leidenschaftlich gern Auto fuhr, und noch nicht mal schlecht, steigerte das Tempo. Die Straße war ideal, schnurgerade und nicht besonders breit. Zu beiden Seiten gab es tiefe Gräben, die für einen Totalbruch sicher waren. „Was ist denn, Junge?“ tadelte Cleveland, als Parkers Wagen nicht näher kam. „Der wird schneller!“ sagte Longless.
„Die alte Karre schaffst du doch mit der linken Hand“, gab Cleveland optimistisch zurück. „Natürlich.“ Longless trat das Gaspedal bis zum Bodenblech herunter. Der starke Leihwagen, den sie sich in der Innenstadt besorgt hatten, schoß vor. Cleveland und Longless wurden gegen die Rücksitze gepreßt. „Wie eine Rakete“, lobte Cleveland. „Die aber auch“, sagte Longless mit gepreßter Stimme. „Das... das kann doch nicht wahr sein!“ „Was denn?“ Cleveland wurde ungeduldig. „Der wird immer schneller.“ Cleveland sah ungläubig auf die Tachonadel des Leihwagens, die bereits den Anschlag erreicht hatte. Der starke Wagen — aus Gründen der Schleichwerbung sei die Marke nicht genannt — lieferte erstaunliche Werte, kam aber an Parkers hochbeiniges Monstrum nicht heran. „Das glaube ich einfach nicht“, sagte Longless leise und konzentrierte sich auf die Straße. Weder Cleveland noch Longless wußten, daß Parkers Wagen nach den privaten Vorstellungen des Butlers präpariert war. Unter der Motorhaube befand sich selbstverständlich nicht mehr der Originalmotor. Er war gegen ein anderes Triebwerk ausgetauscht worden, auf den sich ein Großtourenwagen der InterRennserie gefreut hätte. Dieser Motor lieferte Beschleunigungs- und Spitzenwerte, die für jede internationale Rennstrecke gut gewesen wären. Der Wagen des Butlers glich nur noch in der äußeren Form einem Londoner Taxi. Bedingt durch den starken Motor, war auch die Grundkonstruktion geändert worden. Sie entsprach jetzt den Werten, die der Wagen abzugeben imstande war. „Übertreiben Sie nicht“, warnte Rander seinen Butler. Parker saß trotz der erheblichen Geschwindigkeit stocksteif am Steuer und spielte mit dem Verfolgerwagen Katze und Maus. Er ließ ihn etwas herankommen, schuf in ihm den Optimismus, es jetzt endlich zu schaffen und gab dann wieder etwas Gas, um davonzuschweben. Auf diese neckische Art und Weise näherten sie sich einer Kurve, die durch besondere Hinweisschilder besonders markiert und vorangezeigt wurde. „Denken Sie an unsere Verfolger“, sagte der menschenfreundliche Anwalt. „Die haben mit Sicherheit nicht die Straßenlage wie wir.“ *** „Gleich ... habe ich ... sie!“ knirschte Longless verbissen und beugte sich über das Steuerrad. Auch er sah die Kurve rasend schnell näherkommen und bemerkte nicht, wie Cleveland sich krampfhaft festhielt und zwischendurch immer kurz die Augen schloß. Seine Arme hielten den mit Schmieröl prall gefüllten Plastikbeutel. „Vor der Kurve muß er mit dem Tempo 'runtergehen“, verkündete Longless triumphierend, „dann gewinnt der, der zuletzt bremst.“
„Übertreibe es nur nicht, Junge!“ warnte Cleveland. Er öffnete die Augen, sah nun auch die Kurve und brüllte dann entsetzt: „Bist du wahnsinnig? Stop!“ „Nie!“ knirschte Longless, der vom Rennfieber erfaßt worden war. „Dem Burschen werde ich es zeigen!“ Doch zu seiner Überraschung leuchteten die Bremslichter von Parkers Wagen nicht auf. Das hochbeinige und eckig wirkende Gefährt glitt mit unveränderter Geschwindigkeit in die Kurve, schmiegte sich dabei dank des modifizierten Fahrwerks an den Straßenbelag und verschwand hinter der scharfen Biegung Nicht so der Leihwagen, den Cleveland und Longless sich besorgt hatten. Gewiß, dieser Wagen war gut, aber er blieb einfach nicht auf der Straße. „Neiiin!“ schrie Cleveland, als ihr Wagen aus der Kurve herausgetragen wurde. „Doooch . . .!“ schrie Longless verbissen und eigensinnig. Und dann war plötzlich alles vorüber. Nachdem die Staubwolke sich gelegt hatte, krabbelten zwei Menschen schwarzer Hautfarbe aus dem zerbeulten Chassis und blieben leicht schwankend am Straßenrand stehen. Sie sahen wehmütig auf den Wagenrest hinunter, der kläglich in der Gosse lag. Longless grinste. „Du siehst 'aus wie ein Neger“, stellte er fest. „Du auch!“ antwortete Cleveland, und gebrauchte ein Schimpfwort, das die Regeln des Anstandes ungemein verletzte. „Das Schmieröl“, seufzte Longless und sah an sich hinunter. Es troff aus den Hosenbeinen und bildete zu seinen Füßen eine Lache. Und diese Pfütze vereinte sich mit der, die Clevelands Hosenbeine produzierte. Die beiden Dauerkiller sahen nicht mehr salonfähig aus. „Das schwöre ich dir“, sagte Cleveland und spuckte eine Prise Öl aus, die in seinen Mund gedrungen war. „Das schwöre ich dir, Junge, wenn ich diesen Parker erwische, dann ...“ „ . .. ist er reif“, schloß Longless. Er wie Cleveland glaubten fest daran, was sie gerade gesagt hatten. *** „Alles in Ordnung?“ erkundigte sich Rander, als Parker zum Wagen zurückgekommen war. „Die Herren Cleveland und Longless erfreuen sich bester Gesundheit“, vermeldete der Butler und verstaute das Fernglas im Köcher. „Sie sehen allerdings, was ihr Äußeres anbetrifft, mehr als mitgenommen aus.“ „Wir sollten in Zukunft vielleicht nicht mehr so übertreiben“, schlug der Anwalt vor. „Unsere Verfolger könnten sich sonst was tun.“ „Darauf werde ich bei zukünftigen Aktionen besonders achten, Sir“, versprach der Butler, der zurück in den Wagen stieg. „Ich muß gestehen, daß die Herren Cleveland und Longless meine bescheidene Person ungemein animieren, wie ich
schon einmal bemerkte. Ich möchte auch in Zukunft keinesfalls auf sie verzichten!“ ENDE
Die nächste Butler-Parker-Story von Günter Dönges erscheint als Silber-Krimi Nr. 960 (Butler Parker 115) unter dem Titel
PARKER blufft den „großen Meister“
Scan: crazy2001 @01/2011 Corrected: santos22