PARKER setzt den „König“ matt Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges »Mylady dürfen...
14 downloads
600 Views
1MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
PARKER setzt den „König“ matt Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges »Mylady dürfen versichert sein, daß meine bescheidene Wenigkeit
in höchstem Maß bemüht ist, den Turnierpfeil schnellstens wieder
zu beschaffen«, rief der Butler aus dem Unterholz. »Wenn Mylady
sich inzwischen aus dem mitgeführten Picknickkorb stärken wol
len?«
Agatha Simpson stapfte mißmutig über die Lichtung. »Finden Sie
erst mal meinen Pfeil, Mister Parker. Schlimm, daß Sie nicht wis
sen, wo er hingeflogen ist. ich bin eben gut auf lange Distanz…«
Josuah Parker hörte Myladys verärgerte Stimme sehr gut, gab
jedoch keine Antwort, denn er hatte Myladys Pfeil entdeckt. Es
war ein Slazenger, und die Farbe stimmte auch. Allerdings steck
te der Turnierpfeil nicht im Erdboden, sondern in der Brust eines
Mannes, der Butler Parker völlig unbekannt war. Sollte Mylady
ungewollt auf ihre kraftvolle Art einen heimlichen Beobachter ih
rer Bogenschießübungen erlegt haben? Unausdenkbar wären die
Folgen…
Die Hauptpersonen:
Norman King ist der abgefeimte Millionär, der um jeden Preis
Meister im Bogenschießen werden will.
Gwendolyn Barney mimt Kings Geliebte, die er als »Hausdame«
ausgibt, was manche erschreckend finden.
Lionel Hotchkiss betätigt sich als Butler im Hause King und gleich
zeitig als Experte in gesetzwidrigen Machenschaften.
Lady Agatha Simpson konkurriert mit Norman King um den Titel
des britischen Meisters.
Butler Parker mißbilligt die Methoden der Gegenseite und spielt
den Lockvogel.
»Wo bleiben Sie denn, Mister Parker? Servieren Sie endlich den
Lunch!«
»Sehr wohl, Mylady.« Parker ließ den Pfeil stecken, wo er war,
und arbeitete sich durchs Unterholz zur Lichtung zurück. »Es ist nicht ganz ausgeschlossen, daß die Polizei alarmiert werden muß, Mylady. Im Gebüsch liegt ein Toter.« »Was sagen Sie da? Ein Toter? Immer diese unangenehmen Zwi schenfälle, wenn ich trainiere, Mister Parker. Ich beginne mit der geräucherten Lachsforelle und etwas Sahnemeerrettich. Dazu einen Schluck Hocks.« »Sehr wohl, Mylady. Der Hochheimer Riesling paßt ausgezeich net. Die Flasche ist gut gekühlt.« »Haben Sie übrigens meinen Pfeil gefunden, Mister Parker?« Der Butler räusperte sich. »Möglicherweise ja, Mylady. In der Brust des Toten steckt ein grüner Slazenger von der gleichen Art und Beschaffenheit jenes Pfeiles, den Mylady zuletzt abgeschos sen haben.« Die dunkel gekleidete Gestalt, die sich am Ende der Lichtung zeigte und zielstrebig den herrschaftlichen Picknickplatz ansteuer te, ließ Butler Parker seinen Gedankengang unterbrechen und sich auf die neue Situation einstellen. »Man bekommt Besuch, Mylady«, sagte er. Agatha Simpson lehnte es ab, ihre Körperfülle in die Richtung zu wenden, die Parker mit ausgestreckter Hand andeutete. »Wir ig norieren den Spaziergänger, Mister Parker.« Sie hielt ihr Glas hoch. »Wenn Sie bitte nachschenken wollen…« »Meine Wenigkeit bittet um Entschuldigung, Mylady.« Parker leg te die gestärkte Stoffserviette um den Flaschenhals und füllte das Glas. »Zum Brathuhn nehme ich dann einen leichten Rose, Mister Par ker.« Der Butler kam nicht mehr dazu, Mylady zuzustimmen. Der Fremde war stehengeblieben, stemmte breitbeinig die Fäuste in die Seiten und blickte auf das herrschaftliche Picknick. So je denfalls schien es, Josuah Parker. »n’ Appetit…«, murmelte der schwarzgekleidete Störenfried. »Hoffentlich schmeckt’s.« »Sagen Sie diesem Subjekt, daß ich nicht gestört zu werden wün sche, Mister Parker«, verlangte die ältere Dame. »Unerträglich, bei einem so bescheidenen Imbiß belästigt zu werden.« Agatha Simpson richtete sich empört in ihrem Feldstuhl auf, ei nem faltbaren Etwas, das an einen Regiestuhl erinnerte. »Ver schwinden Sie! Sie… Sie… Waldläufer…!«
»Tja, das bin ich wirklich – ein Waldläufer«, erwiderte der Fremde seufzend. »Man wandert und freut sich der Natur und des eigenen Lebens, und plötzlich hört man dann einen Schrei. Sie haben ihn doch auch gehört, nicht wahr, Lady Simpson?« »Woher kennen Sie meinen Namen?« »Wer kennt ihn nicht, den Namen der berühmten Bogenschützin, die hier anscheinend für die Britischen Meisterschaften trainiert. Ich sah ihren letzten grandiosen Schuß, Mylady. Meine Hochach tung! Mister King ist zwar genausogut, aber er ist ein Mann.« »Sie arbeiten für King, für Norman King?« »Dieses Individuum dient im Hause King als Butler, Mylady«, er läuterte Parker. »Zumindest wird die Tätigkeit so definiert. Es verwundert ein wenig, daß Mister Hotchkiss am hellen Tag von seiner Herrschaft nicht benötigt zu werden scheint.« »Machen Sie’s nicht so umständlich Parker. Heute ist mein freier Tag. Sie kriegen wohl nie frei, wie? Um auf den Schrei zurückzu kommen…« »Es gab keinen Schrei, Mister Hotchkiss«, sagte Parker mit unbe wegter Miene. »Sie müssen einer Sinnestäuschung erlegen sein.« »Blindtaub, wie? Ich habe genau gesehen, wie Ihre Herrin den Bogen spannte. Kraft hat sie, das muß ihr der Neid lassen. Und dann zischte der Pfeil ab. Tolle Distanz. Leider ging er weit daneben, und in derselben Sekunde gellte der Schrei durch den Wald.« »Meine bescheidene Wenigkeit ist bereit zu schwören, daß kein Schrei der erwähnten Art hörbar wurde, Mister Hotchkiss. Sie werden auf einen Eichelhäher hereingefallen sein.« »Unsinn! Wo ist denn der Pfeil, Parker? Sie haben doch danach gesucht. Bei dem bekannten Geiz Ihrer Herrin stellt ein Slazenger ja schon ein Vermögen dar. Hab ich recht?« »Sie mischen sich in Angelegenheiten ein, die Sie nicht betreffen dürften, Mister Hotchkiss. Mylady wünscht nicht länger Ihre An wesenheit. Man möchte Sie an Ihrem freien Tag keineswegs auf halten.« »Merken Sie was, Lady Simpson?« wandte sich Hotchkiss an Par kers Herrin. »Ihr Butler will mich loswerden. Sie schnüffeln doch in Kriminalfällen herum und halten sich für eine tolle Amateurde tektivin, Finden Sie nicht auch, daß Parker sich verdächtig be nimmt? Nicht daß ich scharf bin auf ein Stück Huhn… Ich habe meinen Lunch schon eingenommen, gerade drüben im >Fox and
Fitchew<. Kann ich übrigens sehr empfehlen. Der Gasthof besteht seit den Zeiten Heinrichs VIII.« »Wer sich hier verdächtig benimmt, sind Sie, Hotchkiss«, grollte Lady Agatha. »Sie laden sich ungebeten ein, belästigen eine Da me der Gesellschaft und ihren Butler… Fort mit Ihnen, ehe ich einen Pfeil einlege!« »Tätliche Bedrohung«, stellte Lionel Hotchkiss nüchtern fest. »Das kommt noch hinzu. Sie sind gewalttätig, Lady Simpson. Vor wenigen Minuten ist hier ein Mensch getötet worden. Ich bin Zeu ge. Es kann ein Unfall gewesen sein, doch da Sie und Parker den Tatbestand bestreiten, muß ich Absicht vermuten.« »Mylady und meine Wenigkeit haben weder etwas bestritten, noch Geständnisse gemacht, Mister Hotchkiss. Man möchte Myla dys Empfehlung nachdrücklich wiederholen, daß Sie Ihres Weges ziehen. Sie werden aufdringlich.« »Aufdringlich? Was meinen Sie, was die Polizei erst wird? Ich eile zum >Fox and Fitchew< zurück und werde den Polizeichef der Grafschaft informieren. Zufällig ist Commissioner Harley ein guter Bekannter meiner Herrschaft.« »Tun Sie sich keinen Zwang an, Mister Hotchkiss. Wenn Sie einen Rat annehmen wollen: versprechen Sie sich nicht. Der Schrei dürfte nur in Ihrer Phantasie existieren.« »Von wegen Phantasie, Parker! Golightly liegt erschossen im Ge büsch und…« »Haben Sie den Fundort schon besichtigt? Oder woher wissen Sie den Namen des vermeintlich Getroffenen?« »Sparen Sie sich Ihre Spitzfindigkeiten, Parker. Diesmal winden Sie sich nicht heraus. Ich weiß, was ich gesehen und gehört habe. Ich bin Tatzeuge. Wir sehen uns wieder vor Gericht.« Lionel Hotchkiss machte sich davon. Er war kein Sportsmann, und sein beschleunigter Gang erinnerte an das berühmte Hasenpa nier. * »Ein höchst unangenehmer Mensch«, bemerkte Lady Agatha, die an eine versäumte Ohrfeige dachte. »Ich kann nichts mehr essen und verzichte auch auf das Obst. Geben Sie mir nur einen Sherry, Mister Parker.«
»Was den Toten da drüben im Gebüsch betrifft, Mylady…« »Ich will nichts mehr davon hören«, unterbrach die ältere Dame ihn. »Was geht mich eine fremde Leiche an! Wir brechen auf, damit wir nicht den lästigen Fragen der Landpolizei ausgesetzt sind, Mister Parker.« »Mit Verlaub, Mylady, diese Handlungsweise könnte als unbeson nen gelten. Ein solch strategischer Rückzug würde zweifelsohne als Flucht ausgelegt. Und Flucht bedeutet soviel wie ein Einges tändnis der Schuld. Mylady sollten nicht vergessen, daß ein Tur nierpfeil im Körper des Getöteten steckt.« »Unsinn! Ich habe den Mann gar nicht gesehen. Wie soll ich ihn dann getroffen haben?« »Mylady belieben den kritischen Punkt anzusprechen. Nach mei nem bescheidenen Dafürhalten konnte Myladys Pfeil nicht mehr die erforderliche Kraft haben, einen Menschen nach dem Auftref fen zu töten. Zweifelsohne wird man eine Rekonstruktion des Herganges durchführen. In diesem Fall sollten Mylady nicht ihre berühmte Kraft am Bogen voll einsetzen.« »Was werde ich also unternehmen, Mister Parker?« »Mylady geruhen, meiner Wenigkeit unverzüglich den Auftrag zu erteilen, über Funk Verbindung mit Mister McWarden in Scotland Yard aufzunehmen. Er wird als Myladys wohlmeinender Freund die Verhöre der Grafschaftspolizei abzuwenden wissen.« »Beeilen Sie sich, Mister Parker. McWarden soll sofort herkom men.« »Mister McWardens sofortiges Erscheinen wird durch die Entfer nung erschwert, die Mylady zwischen London und dieser Übungs stätte hinter sich gebracht haben. Es ist jedoch angeraten, dem ehrenwerten Chief-Superintendent zu empfehlen, fernmündlich Einfluß auf die Grafschaftspolizei zu nehmen, so daß Mylady bis zum Eintreffen Mister McWardens von unangenehmen Fragen verschont bleiben.« Lady Agatha schenkte sich gedankenvoll nach, und Josuah Parker stellte die Funkverbindung zu Scotland Yard her. McWarden war erreichbar und versprach, unverzüglich aufzubre chen. »Es handelt sich um einen Freundschaftsdienst, Sir«, erwiderte Parker gemessen. »Man wird amtlich feststellen, daß der angebli che Treffer weder auf eine Absicht noch auf ein Versehen zurück geführt werden kann. Die perfide Tat dürfte nur den Zweck ha
ben, Mylady an der Teilnahme zur Meisterschaft im Bogenschie ßen zu hindern.« »Es ist gut, Mister Parker. Wir reden später darüber weiter. Ich bin schon unterwegs, sagen Sie das Mylady.« Der Butler richtete es wörtlich und unverzüglich aus. »Haben Sie McWarden etwa von dem Picknick erzählt, und daß noch etwas übrig ist? Ich weiß doch, daß er nur deshalb her kommt, Mister Parker. Nun denn, ich habe jetzt die Kraft, den Leichnam in Augenschein zu nehmen. Führen Sie mich zum Ge büsch.« »Dem möchte meine Wenigkeit abraten, Mylady. Man sollte den vorhandenen keine zusätzlichen Spuren hinzufügen.« »Was für Spuren?« »Die Spuren des Mörders, Mylady. Meiner bescheidenen Person stellt sich der Tathergang absolut klar dar. Man wird nach Eintref fen der Grafschaftspolizei und der Herren von Scotland Yard dies bezügliche Angaben machen. Mylady wäre zu empfehlen, in die sem speziellen Fall nicht selbst zu ermitteln, da Befangenheit un terstellt werden könnte.« »Ziehen Sie wenigstens den Pfeil heraus, damit mein Dutzend wieder komplett ist, Mister Parker.« Der Butler hob die Brauen. »Dies zu vollziehen, wäre ein so siche res Eingeständnis wie Flucht, Mylady. Der Pfeil in der Brust des Toten, dessen Namen Mister Hotchkiss mit Golightly angab – ob wohl er ihn noch gar nicht gesehen hatte –, dieser Pfeil beweist Myladys Unschuld, solange er an Ort und Stelle steckenbleibt.« »Wie soll ich das verstehen, Mister Parker?« »Man sprach bereits andeutungsweise mit Mister McWarden dar über, Mylady. Es ist nach physikalischen Gesetzen völlig ausge schlossen, daß Mylady den Tod des Zaungastes oder heimlichen Beobachters verschuldet haben.« »Und warum nicht?« »Weil der fragliche Pfeil in einem Winkel zwischen fünfundvierzig und fünfzig Grad auftraf, betrachtet in Richtung des Kopfes des Toten. Ausgehend von der größten Wahrscheinlichkeit, nämlich daß die Gestalt aufrecht stand, als der Pfeil angeblich traf, hätte sich als ballistische Kurve eine Parabel ergeben müssen. Mit an deren Worten, Mylady hätten, um jenen Menschen zu treffen, steil in den Himmel schießen müssen, um zu erreichen, daß der Pfeil nach Passieren des Scheitelpunktes ebenso steil aufgetroffen
wäre.« »Aber ich habe doch auf die Scheibe gezielt, Mister Parker. Mein Pfeil war nie höher als fünf Fuß über dem Erdboden.« »So ist es, Mylady.« »Wie ist dann der Mensch umgekommen?« »Golightly wurde allem Anschein nach ermordet, Mylady. Man warf sich auf ihn, so daß er stürzte und auf dem Rücken lie genblieb. Daraufhin ergriff man jenen Pfeil, der noch immer steckt, und stach dem Bedauernswerten ins Herz. Beachten Myla dy, daß auch Messerstiche bei einem liegenden Opfer in besagtem Eintrittswinkel ausfallen.« »Ich brauche das nicht zu beachten. Ich weiß es längst, Mister Parker. Was Sie da erzählt haben, ist mir von vornherein klar ge wesen. Ich habe deshalb ruhig mein Diätfrühstück beendet. Selbstverständlich werde ich den Domestiken dieses Norman King belangen. Er hat mich beleidigt und mir den Appetit aufs Dessert genommen. Bringen Sie mich jetzt zum Wagen, Mister Parker. Ich möchte noch etwas ausruhen, bis die Polizei eintrifft.« * Lionel Hotchkiss war nicht mitgekommen, obwohl es vom »Fox
and Fitchew« bis zur Waldlichtung nicht weit war.
Zuerst traf eine Motorradstreife ein. Der Polizist mit Schutzhelm,
in Stiefeln und Breeches faßte Josuah Parker ins Auge. »Führen
Sie mich zur Leiche, Mister.«
»Mein Name ist Parker, Josuah Parker, Constable. Meine Wenig
keit steht dem Haushalt Lady Simpsons als Butler vor. Mylady
ruht sich augenblicklich im Fond jenes schwarzen Fahrzeuges aus.
Sie sollten Ihre Ermittlungen nicht zu laut werden lassen, damit
Mylady nicht gestört wird.«
Der Polizist sah sich das hochbeinige Monstrum an, denn um kein
anderes Fahrzeug handelte es sich, in dem sich Agatha Simpson
erholte.
»Ihre Herrin schnarcht wie ein Holzfäller, Mister Parker.«
»Sir!« Josuah Parker legte seine ganze Mißbilligung in dieses
Wort. »Eine Lady schnarcht nie – eine Lady ruht. Es kann sein,
daß das Gaumensegel Geräusche verursacht, doch sie sind der
Garant für Myladys friedvollen Mittagsschlaf.«
Der Constable schien sich nur ungern von dem hochbeinigen Monstrum zu trennen, in dem Lady Agatha halb sitzend, halb lie gend der Ruhe frönte. »Ich kann mir nicht helfen, Mister Parker: hier riecht es nach Brandy. Dabei sind die Türen doch zu.« »Sind Sie gekommen, um diesem Phänomen nachzugehen, Constable, oder erhielten Sie den Auftrag, sich um einen unbe kannten Toten zu kümmern?« »Ich bin nur die Vorhut, Mister Parker. Ich habe Zeugen und Be teiligte daran zu hindern, sich vom Tatort zu entfernen. Außer dem ist der Tote nicht unbekannt. Der Meldung zufolge wurde Freddy Golightly Opfer des bedauerlichen Unfalls.« »Vom wem stammt diese Meldung, Constable? Verstößt es gegen das Dienstgeheimnis, wenn Sie zugeben, daß es Mister Hotchkiss war, der die Meldung erstattet hat?« »Hotchkiss? Doch nicht Hotchkiss… Der sehr ehrenwerte Mister King rief persönlich an. Commissioner Harley ist sofort vom häus lichen Mittagstisch aufgebrochen. Ich rechne jeden Moment mit seinem Eintreffen.« Josuah Parker behielt seine unbewegte Pokermiene bei. Diese Leute machten Fehler über Fehler. Wie konnte Norman King per sönlich den Unfall melden und sogar den Namen des Opfers nen nen, wenn er nicht in der Nähe war? Hatte Hotchkiss ihn zuvor verständigt? Oder war das Ganze von Anfang an eine abgekartete Sache? Jenseits der Lichtung, wo die Fahrspur durch den Wald endete, dröhnten starke Motoren auf. In niederem Gang schlingerten zwei schwarze Jaguar-Dienstfahrzeuge durch die Schneise. Der Mann im vorderen Wagen neben dem Fahrer war von kleinem Wuchs, glatzköpfig und rotgesichtig. Der Constable nahm sofort Haltung an, »Commissioner Harley, Mister Parker. Der Chef wird üble Laune mitbringen. Er läßt sich in der Mittagszeit nicht gern stören. Seit über einem Jahr ist in unserem Dienstbereich kein Mensch mehr eines unnatürlichen Todes gestorben, müssen Sie wissen!« Der Butler nickte interessiert. »Meine Wenigkeit hat es vernom men, Constable.« Der Uniformierte zog den Hals ein. »Eigentlich bin ich noch Constable auf Probe, Sir. Ich gehöre zur Motorradstaffel. Wir sind vier Männer und begleiten seine Hoheit, den Herzog, zu Jagdaus
flügen. Zwei Männer vorneweg, zwei auf den Maschinen hinter her. Nennen Sie mich, wenn Sie mit dem Chef reden, bitte nicht Constable.« »Man dankt für diesen Hinweis.« Josuah Parker trat dem Com missioner gemessenen Schrittes entgegen und lüftete leicht erge ben die steife Melone. »Die Angelegenheit, die Sie dem Kreis Ihrer Familie und Ihrer verdienten Mittagsruhe entriß, mag in hohem Maß bedauerlich sein, Sir, doch dürfen Sie gewiß sein, daß man Sie aus eigenem Antrieb nicht bemüht hätte.« »Was soll das heißen?« ereiferte sich Harley. »Ich will wissen, was hier vorgeht, zum Teufel! Mein Freund Norman ruft mich an und erzählt mir, hier läge eine Leiche im Busch. Angeblich Freddy Golightly, dieser Windhund.« »Sie kannten das Opfer, Sir?« »Golightly – wenn er’s ist – den kannte doch jeder: ein arbeits scheuer Trunkenbold und Weiberheld. Ein Spieler, er setzte auf Pferde, abscheulich. Ich ziehe Hunderennen vor, Mister…« »Parker, Josuah Parker, Sir. In Diensten der Lady Agatha Simp son in Shepherd’s Market, London.« »Ja, ja, schon gut, Parker. Was sind Sie bei der Lady?« »Man hat die Ehre und das Vergnügen, Mylady als Butler dienen zu dürfen.« »Und wo steckt Ihre Herrin? Norman erwähnte, daß sie es war, die Golightly mit Pfeil und Bogen erlegt hat.« »Dies, Sir, grenzt an Übertreibung. Mylady war keineswegs auf der Jagd. Mylady trainierte in der Einsamkeit dieser Waldlichtung für die Meisterschaften im Bogenschießen. Meine bescheidene Wenigkeit war zu jeder Sekunde anwesend, so daß behauptet werden darf, daß Mylady nur auf die mitgebrachte Scheibe zielte. Lediglich ein Pfeil wurde von einer Windbö davongetragen. Man begab sich auf die Suche und entdeckte im Unterholz eine Person männlichen Geschlechts, die sich reglos verhielt. Ein Pfeil von der Beschaffenheit jener Übungsgeräte, die auch Mylady bevorzugt, fand sich in der Brust dieses Mannes.« »Wo ist nun die Lady?« »Mylady bedurfte der Ruhe und hält sich zur Bequemlichkeit in jenem Fahrzeug dort auf, das zu lenken meine Wenigkeit die Ehre hat.« »Holen Sie Ihre Herrin her. Ich will sie verhören.«
»Sir, wäre es nicht angebracht, zuvor das Opfer in Augenschein zu nehmen? Informativ muß Ihnen mitgeteilt werden, daß Scot land Yard bereits verständigt wurde.« »Aha, McWarden vermutlich…« Harley kniff die ohnehin dünnen Lippen zusammen. Sein Schädel rötete sich noch mehr. »Wie kommen Sie auf die Idee, daß dieser Unfall den Yard betrifft, Par ker?« »Gewisse Umstände führten meine Person zu dem Entschluß, Mylady anzuraten, Scotland Yard hinzuzuziehen. Man sollte dies nicht auf freiem Feld oder in einer Waldlichtung erörtern, Sir.« »Wollen Sie mir Vorschriften machen, Parker?« »Mitnichten, Sir. In der Position des Butlers ist man gelegentlich mit Kriminalfällen konfrontiert, besonders im hochherrschaftlichen Haus in Shepherd’s Market. Mylady genießt den Ruf einer hervor ragenden Kriminalistin. In dem Zusammenhang dürfte darauf hinzuweisen sein, daß Mister Golightly nicht von einem Pfeil Myla dys getroffen und verletzt wurde, sondern daß der Pfeil von frem der Hand stammen muß. Er wurde benutzt wie ein Dolch, Sir.« »Woher wollen Sie das wissen?« »Es ergab sich die Gelegenheit, den Stichwinkel und den Verlauf des Wundkanals zu begutachten, Sir. Demnach muß jener Pfeil auf den stehenden Mister Golightly mit Durchschlagskraft vom Himmel gefallen sein – oder Mister Golightly starb in liegender Stellung durch die frevelhafte Hand eines gedungenen Mörders. Euer Ehren mögen dem entnehmen, daß Mylady nicht für Mister Golightlys Ableben verantwortlich gemacht werden kann.« »Zeigen Sie mir endlich den Toten. Ich mag Leichen nicht, beson ders nach einem opulenten Mittagsmahl, doch Dienst ist Dienst.« »Sehr wohl, Sir.« Josuah Parker ging mit steifen Schritten voraus, gefolgt von dem Commissioner, dem Constable und weiteren zwei Männern der Grafschaftspolizei. Er bahnte sich seinen Weg, hielt Zweige beiseite und erreichte die Stelle, wo er vor etwa einer halben Stunde die männliche Leiche entdeckt hatte. An dieser Stelle war nichts mehr außer niedergedrücktem Wald gras zu sehen. »Wenn ich zum Narren gehalten werde…« tobte Harley los und beäugte Josuah Parker, doch der Butler war vorausgegangen. »Das wird Folgen haben«, drohte der Commissioner. »Ist es noch weit bis zu dem toten Golightly, Parker?«
»Man ist schon da, Sir. Leider ist aber Mister Golightly nicht mehr da. Er muß aufgestanden und gegangen sein. Schleifspuren sind nicht zu finden.« »Gegangen? Ein Toter ist gegangen, Parker?« »Vielleicht war Freddy doch nicht so verkommen, wie allgemein behauptet wurde, Sir«, wagte der Mann namens Coverdale zu äußern. »Wenn Mister King durchgibt, Freddy hätte tot hier gele gen, dann hat Freddy auch tot hier gelegen. Vielleicht ist er weg geflogen. Engel verstehen sich aufs Fliegen, Sir…« Harley griff sich entgeistert an den Kopf. Coverdales Bemerkung erfuhr ungeahnte Aktualität, weil ein Heli kopter dicht über den Baumwipfeln einschwebte und auf die Waldlichtung niederging. An der Unterseite der Maschine, zwischen den Kufen, stand in breiten Großbuchstaben zu lesen: POLICE. »Das dürfte Chief-Superintendent McWarden sein, Sir«, äußerte Josuah Parker. »Gestatten Sie, daß man ihm entgegengeht und ihn willkommen heißt, Sir? Es wäre auch angemessen, Mylady über die erfolgte Ankunft in Kenntnis zu setzen. Mylady ist mit Mister McWarden durch langjährige Bekanntschaft verbunden.« »Gehen Sie zum Teufel, Parker! Und kommen Sie mir nie wieder unter die Augen… Abrücken, Männer! Die Eintragung ins Wach buch nehme ich selbst vor.« * Als Josuah Parker die Lichtung erreichte, war der Helikopter be reits gelandet. Die Rotorflügel schwangen aus. Mylady schien aufgewacht zu sein, denn sie zeigte Bein, als sie sich aus dem Fond des hochbeinigen Monstrums nach draußen zwängte. Parker blickte dezent zur Seite. »Mister Parker, helfen Sie mir! Die Tür scheint mir so schmal, daß nicht mal ein indischer Gaukler hindurchkäme.« Der Butler kannte Fakire aus eigenem Erleben. Nach seiner Schätzung fanden drei bis vier von ihnen hier genügend Platz. Er wandte einen gekonnten und galanten Griff an – und Parkers Herrin war draußen, um sich im Gras auszubalancieren. »Was hat dieser Helikopter zu bedeuten, Mister Parker? Eine Un verschämtheit ist es, meinen besten Schlaf zu stören.«
»Dies lag gewiß nicht in der Absicht des Chief-Superintendenten, Mylady. Mister McWarden wählte das schnellste Beförderungsmit tel, das dem Yard zur Verfügung steht, um Mylady zu Hilfe zu eilen.« »Meinen Sie wirklich? Sitzt McWarden drin?« »In der Tat, Mylady. Man sieht ihn gerade aussteigen. Der ChiefSuperintendent hat Mylady bereits wahrgenommen. Haben Myla dy in der Kürze der Zeit wohl geruht?« »Ich habe kein Auge zugetan, Mister Parker. Der Sherry war nicht gut. Die Flasche hatte das falsche Etikett. Ich möchte nichts mehr davon, Mister Parker.« »Sehr wohl, Mylady. Eine bedauerliche Verwechslung der Behält nisse. Mylady sollten Abstand davon nehmen, sich selbst zu be dienen. Möchten Mylady Mister McWarden gegenübertreten?« »Ja, jetzt sofort, Mister Parker. Schicken Sie den Superintenden ten zu mir. Die Polizei der Grafschaft scheint zu schlafen.« »Mit Verlaub, Mylady, Commissioner Harley war bereits hier und ist mit seinen Leuten erfolglos abgezogen, weil die Leiche nicht mehr da war.« »Der Tote war nicht mehr da…?« »In der Tat, Mylady! Mister Golightly, wie Mister Hotchkiss das Opfer bezeichnete, glänzt zur Zeit durch Abwesenheit. Da er kaum von den Toten auferstanden sein kann, muß Mister Golight lys Leiche von dritter Seite entfernt worden sein. Spuren von Kraftfahrzeugen oder Reifen waren nicht festzustellen. Demzufol ge muß Mister Golightly von zwei Leuten weggetragen worden sein. Einer dieser beiden kann Mister Hotchkiss gewesen sein, da er überraschend gut informiert war. Er mag der Weisung seines Herrn, hm… Mister King gefolgt sein, der wiederum an Mister Hotchkiss’ Stelle die Polizei verständigte.« »Das ist mir alles zuviel, Mister Parker. Ich fühle mich nicht gut. Gehen Sie McWarden entgegen und bitten Sie ihn zu mir. Dann gebe ich Ihnen für eine Viertelstunde frei. Wir fahren anschlie ßend nach Shepherd’s Market zurück.« »Sehr wohl! Wie Mylady belieben…« Josuah Parker schritt dem Yard-Mann entgegen. »Man wünscht einen guten Tag, Sir, und möchte dies verbinden mit ‘dem Aus druck vorzüglichen Dankes für Ihren persönlichen Einsatz, Sir.« »Schon gut, Mister Parker. Mylady macht keinen frischen Ein druck. Haben die Ereignisse die Gute so stark mitgenommen?«
»Es dürfte sich weniger um die Ereignisse handeln, Sir, als um die Früchte zum Dessert, die Mylady ausgeschlagen hat. Mylady be gnügte sich mit etwas vermeintlichem Sherry. Bedauerlicherweise verwechselte Mylady die Flasche…« »Was hat sie denn geschluckt, die Ärmste?« Parker schüttelte würdevoll das Haupt. »Das Picknick anläßlich Myladys Training beschränkte sich auf kalte Speisen und Geträn ke, Sir. Sollten Sie weiterer Auskünfte dieserhalb bedürfen, ist es angeraten, mit Mylady selbst zu sprechen. Meine bescheidene Wenigkeit schätzt sich glücklich, Sie zu Mylady begleiten zu dür fen, Sir.« Offensichtlich hatte die frische Luft Agatha Simpson gutgetan. Ihre robuste Natur hatte die Oberhand gewonnen. McWarden ging fast in die Knie, als Parkers Herrin ihm jovial auf die Schulter schlug. »Nett, daß Sie so schnell gekommen sind, McWarden. Ich hörte von Mister Parker, daß sich die Sache erledigt hat. Die Leiche ist nicht mehr da. Und ohne Leiche kein Kriminalfall. Ich muß zugeben, daß mich die Sache aber immer noch interessiert, denn wenn auch die Leiche gestohlen worden ist, bleibt mit kriminalis tischem Instinkt zu ermitteln, wie es überhaupt zu der Leiche kam.« McWarden wirkte verwirrt. »Ich meine, wer den Mann getötet hat – oder richtiger gesagt, ermordet! Mister Parker hat eine Theorie entwickelt, die mir zwar nicht einleuchtet, die aber eine Arbeitsgrundlage sein könnte. Erzählen Sie McWarden davon, Mister Parker.« Der Butler verbeugte sich. »Es handelt sich um den Auftreffwin kel, beziehungsweise um den Wundkanal, den der fragliche Pfeil verursacht hat…« Parker führte noch mal sachlich und mit Be gründung aus, was er bereits seiner Herrin vorgetragen hatte. »Hinzu kommt, Sir, daß der Pfeil den Brustkorb des Opfers durchbohrt hat und tief ins Herz vorgestoßen ist. Auf die Distanz zu Myladys Abschußposition hätte ein Dreiunzenpfeil allenfalls in einer Schießscheibe aus Stroh steckenbleiben können.« »Was ist daraus zu schließen, Mister Parker?« »Der besagte Pfeil wurde nicht von Sehne und Bogen abgeschos sen, Sir, sondern von meuchlerischer Hand und mit großer Wucht wie ein Speer geführt. Der Tod des Opfers muß sofort eingetreten sein.«
»Sind Sie sicher, daß der Mann wirklich tot war? Haben Sie ihn angefaßt, Parker?« »Mitnichten, Sir. In der Annahme, daß das Opfer unverändert liegenbleiben werde, informierte meine bescheidene Wenigkeit zunächst Mylady. Immerhin handelte es sich bei dem Pfeil um einen jener Slazenger, die Mylady für ihr Training benutzte.« »Interessant! Fahren Sie fort, Mister Parker!« »Es gibt nicht mehr viel zu sagen, Sir.« Der Butler berichtete von dem unverhofften Auftauchen Lionel Hotchkiss’. Er sprach von Kings Butler mit spürbarer Distanziertheit. McWarden schien zufrieden. »Damit haben wir den Mörder. Klarer Fall. Dieser Hotchkiss wußte Bescheid, obwohl er direkt aus die sem Gasthof gekommen sein wollte, diesem…« »Fox and Fitchew, Sir.« »Richtig, Parker. Er hat Ihnen mit der Polizei gedroht, aber der Alarmruf kam nicht von ihm, sondern von seinem Herrn, diesem Mister King, nicht wahr?« »So äußerte sich einer der Beamten, Sir.« Der Chief-Superintendent wurde immer zufriedener. »Ich werde mit Harley ein ernstes Wort reden müssen. Zufällig kenne ich den Commissioner. Er hat sich vor Jahren aufs Land zurückgezogen, nachdem ihm in London einige schlimme Pannen passiert sind.« »In der Tat, Sir?« Parker warf verstohlen einen Blick auf die älte re Dame. Mylady schien im Stehen eingenickt zu sein. Es war ohnehin auffällig, daß Mylady so wenig zu dem Gespräch beige tragen hatte. McWarden fiel es auch auf. »Ist Ihnen nicht wohl, Lady Simp son?« Sie zuckte zusammen. »Wie…? Was ist mit dem Pfeil?« »Mit welchem Pfeil? Wir sprachen über Commissioner Harley.« »Kenne ich nicht. Was geht mich Commissioner Harley an. Ich habe nachgedacht, McWarden. Sie nahmen natürlich an, ich wäre eingeschlafen. Typisch. Konzentriertes Nachdenken und die Fä higkeit, logische Schlußfolgerungen zu ziehen, ist das Geheimnis des Erfolgs einer Kriminalistin. Ich wiederhole: Was ist mit dem Pfeil?« »Mit welchem Pfeil, Mylady?« »Ich spreche von dem Pfeil, den ich abschoß, und den Mister Par ker suchen sollte, McWarden. Ein plötzlicher Windstoß fegte den Pfeil ins Unterholz. Da Mister Parker ihn nicht finden konnte, muß
er also noch da sein.« »Was beweist das?« »Immerhin, daß ein mörderisches Komplott gegen mich im Gange ist. Dieser King scheut nicht mal davor zurück, einen Menschen zu töten – nur um mich in Schwierigkeiten zu bringen. Er hat mich beobachten lassen, Mister McWarden. Er weiß, welche Art Pfeile ich beim Training bevorzuge. Er schickte den Mörder mit einem Slazenger los, Glasfaserkörper, Alu-Spitze und Naturfedern am Ende…« Die passionierte Detektivin begeisterte sich immer mehr für ihre spontane Theorie. »Schicken Sie den Helikopter weg, McWarden. Sie fahren mit mir nach London zurück, nachdem Sie den Mörder und den Anstifter festgenommen haben. Ich schenke Ihnen einen restlos aufgeklärten Fall. Sie brauchen nur noch die Verhaftungen vorzunehmen. Natürlich erwarte ich, daß ich in der Berichterstat tung der Presse gebührend erwähnt werde. Schließlich bin ich dann die Kriminalistin, die den Fall Golightly gelöst hat!« »Verehrte Lady«, ächzte McWarden. »Wir sind noch weit davon entfernt, Festnahmen vorzunehmen. Wenn ich eben zu Parker sagte, wir hätten den Mörder, dann war es so gemeint, daß der Kreis der Tatverdächtigten eingegrenzt werden könnte. Ich werde mich hüten, Mister King oder seinen Butler festzunehmen, nur weil sie von dem Toten im Unterholz wußten.« »Sie haben zweierlei zu tun, McWarden«, verlangte Lady Agatha. »Erstens schicken Sie den Helikopter zurück und machen sich mit Mister Parker auf die Suche nach dem abgedrifteten Pfeil, und zweitens verfügen Sie sich unter meiner Aufsicht zum Haus dieses Mister King, wo Sie ohne Zweifel Golittles Leichnam vorfinden werden.« »Das Opfer hieß Golightly, Mylady.« »Das sagte ich doch, Mister Parker! Sobald Sie Golumback gefun den haben, nehmen Sie diesen King fest, McWarden. Ich will auch den Butler im Gefängnis wissen, Hicklist…« »Hotchkiss, dürften Mylady meinen.« »Korrigieren Sie mich nicht immer, Mister Parker! Ihr Namensge dächtnis läßt zu wünschen übrig. Suchen Sie den verschossenen Pfeil! Ich bin mit einem Dutzend Slazengers hergekommen und werde die Waldlichtung auch mit der kompletten Anzahl Slazen gers verlassen.«
*
Der zwölfte Pfeil wurde nicht gefunden, obwohl McWarden die beiden Helikopter-Piloten zusätzlich mit der Suche beauftragt hat te. Zu dritt durchkämmten sie das dichte Gebüsch und Unterholz, die Teilnehmer außer Josuah Parker mit deutlichem Unwillen. Inzwischen vertrieb sich der Chief-Superintendent die Zeit, um von dem vermeintlichen Sherry zu kosten. Lady Agatha geneh migte ihm einen Schluck. »Ich weiß längst, das Mister Parker die Flaschen vertauscht hat, McWarden. Bei einem Picknick, noch dazu anläßlich meines an strengenden Trainings, hat Brandy nichts zu suchen. Wenn Sie Norman King und seinen Butler festnehmen, werde ich wohlwol lend überlegen, ob ich Ihnen zum nächsten Weihnachtsfest eine Flasche aus dem eigenen Vorrat schicken lasse.« »Wofür ich Mylady schon heute verbindlichsten Dank sage.« McWarden war fast soweit motiviert, daß er sich zu Parker und den Piloten in die Büsche schlagen wollte, als der Suchtrupp im Gänsemarsch zurückkehrte, Butler Parker an der Spitze. Er hielt das abgerissene Stück einer billigen, versilberten Kette zwischen Daumen und Zeigefinger. »Meiner Wenigkeit ist nicht klar, wie lange das schon dort gelegen hat«, sagte er. »Wo… dort?« »Wo Mister Golightly lag, Mylady. Es dürfte wie immer zwei Mög lichkeiten geben. Entweder hat man seinen Tod nur vorgetäuscht. Man kennt ja von Pfeilen durchbohrte Menschen durch Theater, Film und Fernsehen. Mister Golightly wandte die bekannten Tricks an und stellte sich tot. Er wollte nur von meiner bescheidenen Wenigkeit entdeckt werden, um dafür zu sorgen, daß Mylady an schließend nervlich beansprucht würden. Dies ist, wie gesagt, die eine Möglichkeit. Mister Golightly hätte seinen Auftrag erledigt und wäre nach Hause gegangen, oder…« »… ja, die andere Möglichkeit, Mister Parker?« »Die Durchbohrung vermittels jenes Pfeiles war kein Trick, son dern trauriges Faktum. In diesem Fall wäre tatsächlich Golightly geopfert worden, um Mylady in Schwierigkeiten zu bringen.« »Aber die Leiche ist doch nicht mehr da!« »Myladys zwölfter und fehlender Pfeil ebenfalls nicht«, gab Parker
zu bedenken. »Das macht jenen besagten Pfeil mit hoher Wahr scheinlichkeit zur Mordwaffe.« »Wir werden jetzt sofort zu Kings Anwesen fahren und den Mann verhören«, wandte sich Lady Agatha an McWarden. »Es pfeifen ja die Spatzen von den Dächern, wie King in diese Sache verstrickt ist. Er war es, der uns die Polizei auf den Hals geschickt hat. Er war es auch, der dieses Schauerstück inszeniert hat – ob Golittle nun tot ist oder nicht.« »Golightly, Mylady…« »Sage ich doch! Natürlich ist auch dieser angebliche Butler betei ligt, wie heißt er doch…?« »Lionel Hotchkiss, Mylady.« »Wie sonst auch! Ich brauche keine Nachhilfe in Namen, Mister Parker. Begeben Sie sich ans Steuer und walten Sie Ihres Amtes. Mister McWarden und ich wollen schnellstens zu Kings Anwesen gefahren werden.« »Wie Mylady wünschen«, sagte Josuah Parker mit gemessener Verbeugung. »Mylady wollen indessen bedenken, daß die Gegner schaft zwischen Mylady und jenem Mister King nicht nur auf sportlicher Ebene gegeben ist.« »Was wollen Sie damit sagen, Mister Parker?« »Mylady dürften den Vorsatz gefaßt haben, den Kontrahenten auch im Bogenschießen auf einen unbedeutenden Platz zu ver weisen, wie es an der Börse bereits geschehen ist. Mister King müßte erhebliche Einbußen zu beklagen haben, nachdem Mylady ihn bei größeren Spekulationen zuvorgekommen sind.« »Das hat mit der Meisterschaft im Bogenschießen gar nichts zu tun, Mister Parker. King hat ohnehin nicht die geringste Chance gegen mich. Er weiß das auch und versucht deshalb, mich mit allen Mitteln an der Teilnahme zu hindern.« »Was ihm gelingen könnte«, mischte sich McWarden ein. »Sie haben keine Ahnung, Superintendent«, beschied Lady Agat ha ihn. »Dieser Mister hat es immerhin geschafft, den Fall aktenkundig zu machen, Mylady. Das Opfer ist zwar verschwunden, aber die Aussage des Butlers wird zu Protokoll genommen.« »Ich verbiete Mister Parker, sich zu äußern!« »Ich meinte nicht Ihren hochgeschätzten Mister Parker, sondern sprach von Hotchkiss, dem Butler im Hause King. Hotchkiss er freut sich nicht eines tadellosen Rufes, doch wenn er den Leich
nam gesehen hat…« »Parker hat ihn angeblich auch gesehen, McWarden. Aber die Leiche ist nicht mehr da! Also gibt es auch keine Konsequenzen. Mister Parker wird offiziell zu Protokoll geben, daß er sich einen Spaß erlaubt hat.« »Das dürfte nichts nützen, Lady Simpson«, erwiderte McWarden kühl. »Parkers Funkspruch ist im Yard auf Tonband aufgezeichnet worden. Damit ist der Fall amtlich geworden. Davon abgesehen wird auch Harley seinen Bericht schreiben. Ich wette sechs gegen eins, daß die Presse diesen Fall begeistert aufgreift. Dafür wird schon Mister King Sorge tragen.« »Lächerlich. Ein Mord ohne Leiche…!« »Genau, Mylady: der Mordfall ohne Leiche. Ich sehe die Schlag zeilen schon vor mir: Dame der Gesellschaft läßt Leiche ver schwinden. Oder: Bogenschützin aus dem Hochadel benutzt menschliche Zielscheibe.« »Das soll King mal wagen! Ich werde ihn verklagen…« »Damit werden Sie wenig Erfolg haben, Lady Simpson. King be sitzt eigene Zeitungen, und er kann seine Redakteure anweisen, nichts als die Wahrheit zu bringen. Und im vorliegenden Fall ist die Wahrheit übel genug. Für Sie, Mylady.« »Dann müssen wir eben Frobishers Leiche finden.« »Sie meinen Golightly?« »Nerven Sie mich nicht, McWarden! Sie sind noch schlimmer als Mister Parker, der auch alles besser wissen will. Ich weiß, was ich zu tun habe. Sie können mitkommen oder nach London zurück kehren, McWarden. Ich jedenfalls werde King aufsuchen und ihn zur Rede stellen. Es ist deprimierend und schockierend zugleich, daß eine alleinstehende Lady nicht mehr auf Unterstützung rech nen kann und immer auf sich selbst angewiesen ist…« »Ich komme mit.« Der Chief-Superintendent schien klein bei zugeben. »Ich weiß zwar, daß es Ärger gibt, aber ich lasse Sie nicht allein, Verehrteste.« »Sie sind ein Opportunist, McWarden«, erwiderte Mylady bissig. * Der Herrensitz, den Norman King vor Jahren günstig gegen Ablö sung der Bankforderungen einem verarmten Mitglied des Adels
abgenommen hatte, befand sich in allerbestem Zustand. Josuah Parker chauffierte das hochbeinige Monstrum eine mit weißem Kies bestreute Auffahrt hoch. Die Rasenflächen rechts und links der Zufahrt verrieten die kundigen Hände von Gärtnern, die die Tradition ihrer Vorgänger gewissenhaft fortgesetzt hatten. Auch die mehr als 12 Fuß hohen Rhododendren schienen so ehr würdig zu sein, als wären sie zu Zeiten der Tudors gepflanzt wor den. Das Gebäude selbst mit Säuleneingang, drei Etagen und etlichen Dutzend Sprossenfenstern ließ gediegenen Reichtum erkennen. Alles war zum Besten – nur Norman King, seine Lebensgefährtin Gwendolyn Barney und sein Butler Lionel Hotchkiss paßten nicht in diesen ehrwürdigen Landsitz. Parker hatte seine Herrin rechtzeitig darüber informiert, was sie bei ihrem Besuch erwarten würde. Hotchkiss, der Butler mit kri mineller Vergangenheit, war Mylady bereits ein Begriff. Norman King kannte Agatha Simpson aus eigenem Erleben. Was Miß Barney betraf, die King als seine Hausdame ausgab, würde Mylady sich in Kürze selbst einen Eindruck verschaffen können. Parker hatte dezent bemerkt, Gwendolyn Barney sei in Jugend jahren Künstlerin gewesen. Ballett und Ausdruckstanz… Daß die Dame in einer berüchtigten Striptease-Bar in Soho gearbeitet hatte, hätte Mylady zu sehr geschockt. Parkers Gefährt stoppte vor dem Portal. McWarden brachte sich allein auf den feinen weißen Kies. Mylady wünschte Parkers Arm, um ohne Sturz die Freitreppe zu errei chen. »Läuten Sie, Mister Parker! Ich finde es unerhört, wie wir emp fangen werden. Als hätte das Personal unsere Anfahrt nicht längst bemerkt. Wenn alle Dienstboten von der Art dieses kriminellen Huckworth sind, beneide ich King nicht.« »Hotchkiss, Mylady.« »Schon gut, Mister Parker. Läuten Sie noch mal, diesmal aber eindringlich. Ich habe nicht vor, den Nachmittag vor dieser Tür zu verbringen.« Der Erfolg von Parkers anhaltendem Läuten war das Öffnen einer Klappe in der weißlackierten Eingangstür. »Sie wünschen?« McWarden schob sich vor. »Scotland Yard! Machen Sie bitte auf!
Wir wollen zu Mister King.« »Mister King ist nicht zu Hause.« »Dann wollen wir den Butler Hotchkiss sprechen.« »Ich bin Hotchkiss, Mister. Seit wann gehören Ihre sonderbaren Begleiter zum Yard? Reichen Sie bitte Ihren Dienstausweis her über, Mister.« Fordernd streckte Hotchkiss eine Hand durch die Klappe. »Ich bin Chief-Superintendent McWarden«, sagte der YardGewaltige streng. »Ich habe es nicht nötig, mich auszuweisen!« Josuah Parker verfolgte das energische Auftreten des Beamten mit unverhohlenem Interesse. Er hielt es dennoch für richtig, nicht nur zu verhandeln, sondern eine körperliche Komponente ins Spiel zu bringen. Parker ergriff die Hand, die sich durch die Klappe streckte und hielt sie fest. »Sie reißen mir den Arm ab!« schrie Hotchkiss. »Man möchte Sie lediglich auf freundschaftliche Weise beeinflus sen, Mister Hotchkiss, die Tür zu öffnen. Sie sind frei, sobald man eintreten kann.« Sofort ging die schwere Tür einen Spaltbreit auf. Parker setzte seinen schwarzen Schuh dazwischen und überließ den Arm sei nem Eigentümer. »Sehr gütig von Ihnen, in Vertretung Ihrer Herrschaft Lady Agat ha und Chief-Superintendent McWarden so freundlich zu empfan gen, Mister Hotchkiss. Bemühen Sie sich nicht – man wünscht keine Erfrischungen. Meine bescheidene Person beabsichtigt viel mehr, Sie eindringlich zu verhören. Führen Sie die Herrschaften und meine Wenigkeit unverzüglich in Ihre Privatgemächer.« »Du tickst wohl nicht richtig, Parker. Was sollte ich mit deinen Leuten oder dir zu besprechen haben, verdammt noch mal?« McWarden schob sich vor. »Kannten Sie Golightly? Haben Sie ihn mit einem Slazenger-Pfeil erstochen? Wo finden wir Mister King?« »Chief-Superintendent, Sie wissen genau, daß ich darauf nicht zu antworten brauche. Ich bekam die Auskunft von Mister Alan M. Simrock, Mister Kings Rechtsberater.« »Ah, King braucht ständig einen Anwalt?« sagte Lady Agatha so liebenswürdig, daß es schon verdächtig klang. »Ich beschäftige ebenfalls einen Anwalt – sicher einen besseren als diesen ominö sen Mister Simrock. Mein Anwalt hat mir geraten, Sie zu verkla gen, Hotchkiss. Sie haben mich in eine unangenehme Situation
gebracht und werden es auszubaden haben. Geben Sie gefälligst dem Chief-Superintendenten Antwort!« »Ich kannte keinen Golightly. Von einem Slazenger-Pfeil weiß ich auch nichts. Wo sich Mister King aufhält, ist mir nicht bekannt. Reicht das?« »McWarden, nehmen Sie diesen Mann auf der Stelle fest! Er lügt! Er selbst war es, der den Toten als Golightly identifiziert hat. Wahrscheinlich hat er ihn auch umgebracht.« Hotchkiss rieb sich die Augen. »Spinnt die Alte?« »Vorsicht, junger Mann«, riet McWarden und dämpfte Myladys Erregung. »Sie sprechen mit Lady Agatha Simpson!« »Kenn’ ich nicht…« Josuah Parker blickte von einem zum anderen. »Es gilt, ein Miß verständnis aufzuklären. Dieser überaus zweifelhafte Gentleman trägt zwar den Namen Hotchkiss, doch er ist nicht jener Hotch kiss, der Mylady auf der Waldlichtung wegen des Toten belästigte. Er ist nicht Lionel Hotchkiss, sondern Livingston Hotchkiss, der Zwillingsbruder. Meiner bescheidenen Person sind beide hinläng lich bekannt.« »Ein Zwilling?« staunte McWarden. »In der Tat, Sir. Mister King verfügt über genügend, hm… Humor, um Zwillingsbrüder als Butler zu beschäftigen. Während der eine ungesetzlichen Machenschaften nachgeht, betreut der andere Haus und Anwesen. Schon vor Jahren begannen die Brüder Hotchkiss mit diesem Verwirrspiel. Meine bescheidene Wenigkeit hatte vor dem Aufenthalt in den Vereinigten Staaten das zweifel hafte Vergnügen, die Gebrüder Hotchkiss nacheinander der Polizei und somit dem Gesetz zu übergeben. Man schätzt sich glücklich, die Gentlemen auseinanderhalten zu können. Hier hat man es zweifelsfrei mit Livingston Hotchkiss zu tun. Ihm fehlt die Kuppe des linken kleinen Fingers – wenn Sie sich überzeugen wollen, Sir.« Hotchkiss zitterte, als der Chief-Superintendent die Fingerglieder kontrollierte. »Sie haben recht, Mister Parker. Sind Sie sicher, daß dem ande ren nicht auch die Fingerkuppe fehlt?« »Absolut sicher, Sir. Bei der kürzlichen Begegnung mit Lionel Hotchkiss wurde auf die Kuppe des linken kleinen Fingers größtes Augenmerk gelegt. Man hat es hier und jetzt zweifelsfrei mit Li vingston Hotchkiss zu tun. Er dürfte Mister Golightly gekannt ha
ben, doch da sein Zwillingsbruder diese Bekanntschaft schon zu gegeben hat, muß Livingston nach den Regeln jeglichen Kontakt bestreiten.« »Was für ein Wahnsinn«, knurrte McWarden. »Auf diesem sogenannten Wahnsinn, Sir, bauten die Brüder Hotchkiss ihre Übeltaten auf. Jahrelang haben sie die Polizei und die Geridite zum Narren gehalten. Wenn Sie im Yard die einschlä gigen Akten überprüfen, wissen Sie Bescheid, Sir.« »Bleibt noch die Frage, wohin sich King verkrochen hat«, erinner te Lady Agatha. »Ich traue dem Burschen nicht. Er weiß genau, wo seine Herrschaft steckt.« »Keine Ahnung«, reagierte Livingston überheblich. »Wenn Sie mit der Hausdame reden müssen – Miß Barney ist anwesend. Soll ich sie rufen?« »Es ist anzunehmen, daß Miß Barney bereits über Myladys Besuch informiert ist«, sagte Parker. »Selbstverständlich auch über die Anwesenheit des Chief-Superintendenten.« »Was kann uns die Hausdame nützen?« warf McWarden ein. »Sie weiß doch auch nichts.« »Hausdame!« rief Agatha Simpson verächtlich. »Ich weiß zufällig, daß dieses Flittchen alles andere ist als eine Hausdame. Holen Sie sie her, Hotchkiss. Ich werde aus dieser Person schon heraus bringen, wo Norman King untergetaucht ist.« »Die Ermittlungen führe ich.« McWarden wurde deutlich. »Miß Barney wird nicht benötigt. Hingegen werde ich mit Hotchkiss sprechen, ob er nun den Toten gefunden hat oder nicht. Gehen Sie voraus und führen Sie uns in einen Raum, wo wir ungestört sind, Hotchkiss.« »Mister King wird damit nicht einverstanden sein«, gab der Mann patzig zurück. »Außerdem habe ich mit Ihnen nichts zu bespre chen, Superintendent. Ich habe das Haus heute nicht verlassen.« »Genau das gilt es nachzuprüfen«, erklärte McWarden. »Ich kann auch Commissioner Harley herbitten, Hotchkiss.« »Tun Sie’s doch, Mister.« * Lady Agatha schob Josuah Parker vor, um ihre Theorie erläutern zu lassen.
»Ich weiß, daß King alles daransetzt, mir diesen mysteriösen
Mord in die Schuhe zu schieben. Aber ich habe ihn durchschaut!
Norman King ist sich im klaren darüber, daß er die Britische Meis
terschaft nicht für sich entscheiden kann, solange ich teilnehme.«
»Das scheint mir keine Begründung zu sein, Mylady.«
»Sie sind ja auch ahnungslos, McWarden. Mister Parker, erklären
Sie noch mal meine Ansicht zu dem Fall.«
»Sehr wohl. Mylady schlossen mit kriminalistischem Scharfsinn,
daß die Brüder Hotchkiss ihre Eigenschaft als verwechselbare
Zwillinge ausgenutzt haben. Während Livingston durch die Ein
nahme einer Mahlzeit im >Fox and Fitchew< sich ein Alibi schuf,
arrangierte Bruder Lionel den Mord an Mister Golightly.«
»Absoluter Schwachsinn«, rief Hotchkiss dazwischen. »Ich war
heute nicht aus dem Haus.«
»Das dürfte sich durch eine Gegenüberstellung mit dem Personal
jenes Gasthofes leicht nachprüfen lassen. Was hatten Sie zum
Lunch, Mister Hotchkiss?«
»Schweinebraten. Aber hier im Haus! Mich legen Sie nicht her
ein…«
»Wann verließen Mister King und Ihr Bruder das Haus?«
»Die gleiche Antwort wie eben schon. Nämlich keine. Ich brauche
auf Ihre Fragen nicht einzugehen, solange Sie nicht beweisen
können, daß sich ein Verbrechen ereignet hat.«
»Im Unterholz lag eine Leiche«, gab Butler Parker zu bedenken.
»Mister Lionel nannte vor Zeugen den Namen des Toten: Freddy
Golightly.«
»Vor Zeugen! Ihre Herrin steckt bis zum Hals in dem Fall mit drin,
Parker.«
»Also belieben Sie es doch einen Fall zu nennen!«
»Das hab’ ich nicht gesagt. Es ist solange kein Fall, wie es keine
Leiche gibt.«
»Wie können Sie, mit Verlaub, wissen, daß der Leichnam ver
schwand, Mister Hotchkiss? Weder Mylady noch Mister McWarden
erwähnten dies.«
Livingston fing sich rasch. »Das konnte sich sogar ein Idiot zu
sammenreimen, daß da ein dicker Hund begraben ist.«
McWarden stand auf. »Das genügt. Ich nehme Sie fest, Livings
ton. Wegen Beihilfe zu einem Verbrechen.«
»Wie soll ich denn beigeholfen haben, wenn ich den ganzen Tag
im Haus war, verdammt noch mal?«
»Das behaupten Sie! Ich möchte telefonieren. Bringen Sie mir einen Apparat.« Hotchkiss schüttelte den Kopf. »Von Mister Kings Anwesen aus können Sie nicht telefonieren, Mister. Ich setze mich selbst doch nicht unter Druck.« McWarden wandte sich an die Detektivin. »Sie merken, wie ich mich für Sie einsetze, Mylady. Darf ich Ihrerseits mit Entgegen kommen rechnen? Mister Parker möchte den Festgenommenen zur Dienststelle der Grafschaftspolizei fahren.« Die ältere Dame nickte hoheitsvoll. »Sie haben gehört, Mister Parker. Bringen Sie Hotchkiss ins Gefängnis. Bis Sie zurück sind, werde ich mich weiter im Haus umsehen. Schließlich bin ich ver dächtigt worden, mit Pfeil und Bogen auf einen lebenden Men schen geschossen zu haben. Norman King wird noch bedauern, daß er diesen Verdacht geschürt hat. »Sie werden bedauern, daß Sie Mister King in diese Geschichte reinziehen wollen, Madam.« »Ein übles Subjekt sind Sie! Mister Parker, schaffen Sie mir das Individuum aus den Augen! Zuvor unterrichten Sie Miß Barney, daß ich sie verhören will. Meine Methode lasse ich mir nicht vor schreiben.« »Was Sie vorhaben, kommt Sie teuer zu stehen, Madam«, sagte Hotchkiss. »Ich bin kein Jurist, aber da hätten wir Nötigung und versuchte Einschüchterung. Von der Freiheitsberaubung will ich nicht reden.« »Sie sind offiziell festgenommen, Hotchkiss«, fuhr McWarden da zwischen. »Mister Parker ist beauftragt, Sie in die Haftzelle zu überführen. Lady Simpson hat völlig recht, wenn sie feststellt, daß Mister Parker vorübergehend Organ der Polizei ist. Wir blei ben hier und warten die Rückkehr Ihres Herrn ab. Selbstverständ lich in Anwesenheit eines Mitglieds des Personals. Ich werde Miß Barney auffordern, uns Gesellschaft zu leisten.« »Mister King reißt Ihnen die Ohren ab, wenn Sie Miß Barney be lästigen. Miß Barney gehört nicht zum Personal!« »Was ich bereits sagte«, mischte sich Lady Agatha ein. »Die Un moral in diesem Haus wird bald ausgemerzt sein. Alle wandern dann hinter Gitter.« Josuah Parker nahm Livingston Hotchkiss beim Arm. »Kommen Sie, Mister Livingston. Meine Wenigkeit erfüllt nur den Auftrag des Chief-Superintendenten, indem man Sie dem Polizeigewahr
sam anvertraut.« »Das werdet ihr alle noch bereuen!« Hotchkiss ließ sich unter Protest abführen. Er wurde von Parker in den Fond des hochbeinigen Monstrums befördert und hatte keine Chance, die Türen von innen zu öffnen. In diesem umgebauten Taxi war der Mann sicherer aufgehoben als in einer Gefängniszel le, denn die Türen ließen sich nur nach Aufhebung der Verriege lung vom Armaturenbrett aus öffnen. Der eckige Oldtimer rollte an und beschleunigte. Hotchkiss wurde förmlich in den Sitz gepreßt. Er kam nicht dazu, etwas zu unter nehmen. Eine Panzerglasscheibe trennte die Kabine von Parkers Sitz. Der Butler steuerte das Monstrum zugleich rasant und kon zentriert durch die engen Straßen. Er erreichte die Station der Grafschaftspolizei in Rekordzeit. Ruckartig stoppte er seinen Privatwagen neben den schwarzen Jaguars und Dienstfahrzeugen. Josuah Parker ging allein hinein und verlangte höflich und gemes sen zu Commissioner Harley vorgelassen zu werden. Der diensttuende Constable beäugte den Mann im schwarzen Co vercoat mit nicht geringem Erstaunen. »Waren Sie nicht kürzlich auch im Wald dabei, Mister?« Parker konnte dies nicht leugnen. »Man ist einem Auftrag des Chief-Superintendenten gefolgt und bringt einen wichtigen Zeu gen, um ihn in Verwahrung zu nehmen. Mister McWarden vom Yard gab meiner Wenigkeit den Auftrag.« »Wen? Hotchkiss…?« »Einen der Gebrüder Hotchkiss, Constable. Der Festgenommene hört auf den Namen Livingston. Nicht zu verwechseln mit dem Zwillingsbruder Lionel. Wenn Sie den Gefangenen freundlicher weise übernehmen würden…« »Ohne Anweisung des Commissioners geht das nicht. ChiefSuperintendent McWarden war anscheinend etwas voreilig. Oder hat er einen Haftbefehl erwirken können?« »Soviel meiner Wenigkeit bekannt ist – nein, Sir. Livingston Hotchkiss dürfte aufgrund des Verdachts der Mittäterschaft fest genommen worden sein.« »Mittäterschaft – woran? Etwa an dem Mord an Freddy Golightly? Der Mann hat aus Brighton ein Telegramm geschickt und sich für die Albernheit entschuldigt. Das wird noch Folgen haben, denn der Commissioner versteht nicht diese Art von Humor.«
»Ein Telegramm, Sir? Aus Brighton?« »Ja. Es liegt beim Chef auf dem Schreibtisch. Leider darf ich es Ihnen nicht zeigen, Mister Parker. Der Vorgang ist streng vertrau lich. Ich wollte nur vermeiden, daß sich der Chief-Superintendent noch mehr in etwas verrennt.« »Sehr freundlich von Ihnen, Constable. Haben Sie eine Erklärung dafür, wie Mister Golightly in der kurzen Zeit nach Brighton ge langt sein will? Wenn er nicht den Pilotenschein und ein Privat flugzeug besitzt, dürfte ihm die Überwindung jener hundertfünfzig Meilen in solch kurzer Zeit schwergefallen sein.« »Seit unserem Einsatz sind fast zwei Stunden verstrichen, Mister Parker. Mit einem schnellen Wagen konnte Golightly es schaffen.« »Möglicherweise hat Ihre Meinung in der Tat etwas für sich. Doch worin liegt der Sinn, nach Brighton zu fahren, um ein Telegramm ausgerechnet von dort aufzugeben? Der Commissioner dürfte offensichtlich eines übersehen haben, ein Telegramm sagt noch nichts über die wahre Identität des Absenders aus. Jedermann in Brighton hätte jene telegraphisch übermittelte Botschaft an Commissioner Harley absenden lassen können.« »Mister Parker, warum sollte das ein Außenstehender tun?« Josuah Parker hob das energische Kinn. »Selbstverständlich aus dem Grund, um der Polizei vorzutäuschen, Mister Golightly sei noch am Leben, Constable. Für meine bescheidene Wenigkeit stellt jenes Telegramm geradezu ein Beweis dar, daß Mister Go lightly nicht mehr unter den Lebenden weilt. Ohne Beschuldigun gen erheben zu wollen, muß gesagt werden, daß sowohl Mylady als auch meiner bescheidenen Person der Sinn für derlei Spaß abgeht. Gewisse Erfahrungen haben meine Wenigkeit gelehrt, einen Mann, der sich totstellt, von einem wirklichen Toten unter scheiden zu können.« »Sie wollen sagen, Golightly hätte es echt hinter sich gehabt, Parker?« »Dem Sinne nach ja, Constable, wenn auch die Würde es gebietet zu sagen, daß Mister Golightly immerhin verstorben ist.« »Und wie soll er sich dann aus dem Gebüsch gestohlen haben? Sie wissen selbst, daß nicht die geringsten Spuren gefunden wur den.« »Dies, Constable, gehört zu einem anderen Fragenkomplex. In dessen wäre man Ihnen zutiefst verbunden, wenn Sie das Indivi duum übernehmen würden, das auf Mister McWardens Geheiß
herzufahren meine Person das zweifelhafte Vergnügen hatte.«
»Reden Sie immer so, Parker? Sie wollen, daß ich Hotchkiss in
Polizeigewahrsam nehme?«
»Dies ist der erklärte Sinn meiner Bitte, Constable.«
»Nun gut, auch wenn ich Ärger bekomme – ich werde mit Livings
ton reden. Wenn er sich in Widersprüche verwickelt, behalte ich
ihn hier und sperre ihn ein.«
»Verbindlichsten Dank. Mylady erwartet den Wagen und meine
bescheidene Wenigkeit gewiß schon zurück.«
* Der Chief-Superintendent richtete sich kerzengerade auf und brachte sich in Position. »Ich werde Ihnen den Tathergang exakt rekonstruieren, Mylady. Was geschehen ist, mag mysteriös er scheinen, doch für mich ist es wie ein offenes Buch.« »Der Trick mit Zwillingsbrüdern ist so alt, wie es Zwillinge gibt, McWarden. Sie brauchen nichts zu rekonstruieren. Ich weiß selbst, wie man es angestellt hat, diesen Toten ins Gebüsch zu praktizieren.« »Haben Sie denn die Leiche gesehen, Mylady?« »Natürlich nicht. Ich mag solche Anblicke nicht. Mister Parker erklärte, er hätte statt meines verschossenen Pfeils einen Toten gefunden. Warum sollte ich das bezweifeln und selbst ins Ge büsch kriechen, um diese Feststellung zu überprüfen? Ich habe es vorgezogen, einen Imbiß zu mir zu nehmen.« »Bewundernswert«, sagte McWarden. »Es zeugt von starken Ner ven, in Steinwurfweite von einem Toten entfernt den Lunch zu nehmen, Lady Agatha.« »Es war etwas mehr als Steinwurfweite, McWarden. Pfeilschuß weite. Die Waldlichtung war groß genug, um Ihren Helikopter landen zu lassen. Sie kennen sich ja aus. An der Westseite war der Abschußpunkt. Die Zielscheibe aus geflochtenem Stroh hatte Mister Parker am anderen Ende der Lichtung aufgestellt.« »Schön und gut«, unterbrach McWarden die streitbare Dame. »Es geht doch nicht um Ihre Schießübungen, Mylady. Überhaupt – ist das ein Damensport, Abschießen von Pfeilen?« »Die Natur hat mich dafür prädestiniert, Mister McWarden«, erwi derte Agatha Simpson nicht ohne Genugtuung. »Für Treffer auf
weite Distanz muß man verstehen, die Sehne bis zum kritischen
Punkt zu spannen.«
Parkers Herrin machte vor, was sie meinte. Die Natur hatte sie in
der Tat großzügig ausgestattet. Myladys Oberarme wirkten eher
muskulös als zierlich.
»Es kann passieren, daß die Sehne reißt, oder der Bogen bricht,
McWarden«, fügte sie erklärend hinzu.
»Wie der Volksmund sagt, Mylady: Man soll den Bogen nicht ü
berspannen, nicht wahr? Was nun die Rekonstruktion des Tather
gangs betrifft…«
»Sie langweilen mich, McWarden! Ich weiß alles – auch ohne Ihre
umständlichen Erklärungen.«
Der Chief-Superintendent riskierte ein dünnes Grinsen. »Sie ha
ben unterstellt, daß der Mann bereits als Toter ins Gebüsch prak
tiziert worden ist. Damit sind Sie im Irrtum, Mylady.«
»Ich irre mich nie, McWarden!«
»Auch das dürfte ein Irrtum sein. Dieser Golightly steckte mit
Ihrem Kontrahenten King und dessen Personal unter einer Decke.
Man wollte Ihnen eine Lehre erteilen und zugleich Ärger bereiten.
Nebenbei gefragt: Wie oft haben Sie die Lichtung schon benutzt,
um Pfeile abzuschießen?«
»Ich habe die Lichtung benutzt, um zu trainieren, McWarden.
Pfeile abschießen… pah! Sie sind kein Sportsmann, McWarden!«
»Sie waren also öfter dort?«
»Regelmäßig, sozusagen. Ich bin Champion des Bogenschießens
und habe keine Lust, den Titel einem Emporkömmling zu überlas
sen. Ich beanspruche den ersten Platz in der Britischen Meister
schaft, McWarden.«
»Das ist keine Antwort auf meine berechtigte Frage. Wie oft ha
ben sie dort trainiert, Lady Simpson?«
»Ich habe es nicht gezählt. Fragen Sie Mister Parker. Er pflegt
Nebensächlichkeiten in seinem Gedächtnis zu speichern. Was soll
das alles?«
»Das will ich Ihnen gern sagen, Mylady. Man hat Sie beobachtet –
und Ihnen eine Falle gestellt. Und wenn ich sage >man<, meine
ich natürlich Norman King und seine Handlanger. King muß Ihren
für heute angesetzten Trainingstermin förmlich herbeigesehnt
haben. Er wollte Sie zum Ausscheiden zwingen, und dazu war ihm
kein Trick zu übel. King geht nämlich über Leichen.«
»Er legte diesen Toten also ins Unterholz, um mich zu belasten?«
»Das ergibt keinen Sinn, Mylady. Ich gehe davon aus, daß Go lightly noch lebte, als Sie mit Ihrem Training begannen. Im Ge büsch wartete Lionel Hotchkiss, daß der Wind einen Ihrer Pfeile zum Abdriften brachte. Hotchkiss holte sich diesen Pfeil und stach Golightly ab. Anschließend, nachdem Parker die Leiche in Augen schein genommen hatte, schulterte Hotchkiss den Toten und trug ihn weg. Für ein Alibi war ja gesorgt, durch den Zwillingsbruder Livingston.« »Sie machen es sich zu leicht, McWarden. Wie sollte Hotchkiss wissen, daß ihm eine Windbö einen meiner Pfeile vor die Füße tragen würde? Nein, der Tathergang ist ganz anders gewesen. Ich weiß, was ich sage. Ich bin in kriminalistischen Dingen erfahrener als Sie, McWarden. Golightly war schon tot, als er ins Gebüsch gebracht wurde! Er wurde mit einem Pfeil erstochen, einem Pfeil, der identisch ist mit dem Modell, ‘das ich zu Trainingszwecken bevorzuge. Norman King wußte, daß ich mit Slazengers trainie re.« »Das beweist nichts, Mylady. Wie viele Wettkämpfer außer Ihnen trainieren ebenfalls mit solchen Pfeilen?« »Vergessen Sie nicht, daß die Farben unterschiedlich sind, Mister McWarden. Wie sollte man sonst die Treffer auseinanderhalten können? Heute trainierte ich mit grünen Pfeilen. Es hätten auch blaue, rote oder gelbe sein können. Mister Parker fand den verlo renen Pfeil in Golightlys Brust. Also ist einer meiner Pfeile in Go lightly hineingesteckt worden. Der Mord geschah schon vorher…« Der Chief-Superintendent zog die Schultern hoch. »Man wird dies alles klären, sobald die Leiche gefunden ist. Es war äußerst ge schickt, den Toten wegzubringen. Ein Mord ohne Leiche ist schwer nachzuweisen, zum Teufel!« »Setzen Sie Experten darauf an, McWarden. Ich habe keine Lust, wegen dieser verworrenen Sache in die Schlagzeilen zu geraten. Ich muß mich auf Sie verlassen können. Sie werden mich aus diesem Fall heraushalten, Mister McWarden!« »Gewiß, wenn das möglich ist. Immerhin wurde aber Golightly mit einem Ihrer Pfeile getötet, Mylady.« »Unsinn! Mein kriminalistisches Gespür sagt mir, daß der Mann schon tot war, McWarden. Ich werde es Ihnen in Kürze bewei sen.« Die ältere Dame und der Chief-Superintendent blickten auf, als durch die Tür jemand eintrat.
»Entschuldigung. Ich wußte nicht, daß Sie immer noch hier sind. Ich sah das schwarze Auto abfahren und dachte…« Agatha Simpson erhob sich zu majestätischer Größe und blickte die Person durchdringend an. »Sie sind diese >Hausdame<, nicht wahr?« »Ich bin Gwendolyn Barney, Madam.« »Sie sollten sich schämen, Miß Barney! Ich weiß alles. Auch die Einzelheiten Ihrer Beziehung zu Mister King. Wollen Sie etwa meine wichtige Unterredung mit Chief-Superintendent McWarden stören?« »Ich bin froh, daß Sie noch im Haus sind, Madam; In der Halle wartet ein Mann. Er behauptet, sein Name sei Frederick Golight ly.« * »Golightly…? Freddy Golightly?« McWarden hatte einen Ausdruck
in den Augen, als hätte er es mit einem Gespenst zu tun. »Waren
Sie nicht mal tot zwischendurch, Mister?«
»Ich? Nein, Sir. Miß Barney verhielt sich auch schon so komisch.
Sie fing an zu zittern, als sie die Tür aufmachte und mich erkann
te. Was ist denn los?«
»Es muß ein Irrtum sein, daß Sie noch leben, Golightly… Sie sind
doch tot!«
»Das wußte ich aber nicht, Sir.«
»Können Sie sich ausweisen?«
»Ich habe einen Brief bei mir, der an mich gerichtet ist. Wer sind
Sie, Sir? Was machen Sie in Mister Kings Haus?«
»Ich bin von Scotland Yard, Golightly, und wurde alarmiert, weil
man Sie tot im Wald gefunden hat. Erstochen mit einem Pfeil.«
»Ach, das…«
»Wie soll ich das verstehen?« mischte sich Lady Agatha ein. »Hal
ten Sie das Ganze etwa für einen Jux, Mister? Mit solchen Dingen
spaßt man nicht.«
»Ich sollte gut dafür bezahlt werden, um bestimmten Leuten ei
nen Schrecken einzujagen, Madam. Jetzt bin ich hier, um mein
Geld abzuholen, aber Mister King ist noch nicht zurück. Ich soll
warten, hat Miß Barney gesagt.«
»Klarer Fall«, sagte McWarden. »Die Hausdame ist eingeweiht.
Sie weiß, was sich abgespielt hat. Wie sagte sie doch? Draußen wäre ein Mann, der behauptete, Golightly zu sein. Jede Wette, daß Miß Barney denken mußte, Golightly hätte das Zeitliche ge segnet.« »Wenn Mister Parker sagt, daß der Mann tot war, dann war er auch tot«, beharrte die Detektivin auf ihrem Standpunkt. »Der Mann lügt, wenn er vorgibt, Golightly zu sein.« »Madam…« protestierte der Ankömmling schwach. »Ich bin Lady Agatha Simpson und beanspruche eine standesge mäße Anrede. Außerdem bin ich Kriminalistin. Fragen Sie McWar den!« »Ich glaub’s Ihnen auch so, Lady. Was machen Sie in diesem Haus? Warum sind Sie hier?« »Die Fragen stelle ich«, erwiderte Agatha Simpson streng. »Mein Butler hat Sie tot im Unterholz gefunden, Mister Golightly. Leug nen Sie nicht, daß Sie tot waren! Eine Frechheit, hier wieder zu erscheinen und vorzugeben…« »Golightly zu sein? Ich bin Golightly! Fragen Sie doch die ande ren.« »Welche anderen?« »Na, die mich gut kennen, Lady. Ich sollte zehn Pfund dafür be kommen, daß ich pünktlich um neun bei der Lichtung war. Auf Ehre und Gewissen, ich war auch da, pünktlich. Hotchkiss gab mir was zu trinken, aus einer Taschenflasche. Von da an weiß ich nichts mehr. Als ich wach wurde, war die Sonne nach Mittag lan ge vorbei, und ich lag an der Böschung des Sawleeny-Bachs. Mit einem verdammten Brummschädel, den ich meinem größten Feind nicht wünschen möchte.« »Der Mann ist betäubt worden, Lady Agatha«, machte sich McWarden wichtig. »Das weiß ich selbst. Aber wie wurde ihm einer meiner Pfeile in die Brust gerammt? Mister Parker sprach sogar von Blut.« »Blut?« Golightly wurde blaß. »Ich habe nicht geblutet, ehrlich!« »Das können Sie gar nicht wissen, weil Sie bewußtlos waren. Wer hat Ihnen das Angebot gemacht, sich für ein paar lächerliche Pfund totzustellen?« »Totzustellen? Ich sollte nur um neun Uhr früh bei der Lichtung sein, Lady. Hotchkiss kam auch pünktlich und gab mir diesen verdammten Drink. Was danach war, weiß ich nicht.« »Typisch für so ein ungebildetes Individuum«, sagte Lady Agatha.
»Keine Spur von Beobachtungsgabe, wenn es darauf ankommt.« Golightly rieb sich intensiv den Nasenrücken. »Ich würde ver dammt gern wissen, was mit mir passiert ist, Lady. Das Blackout von mehreren Stunden macht mir zu schaffen… Was ist denn?« Er fand nicht mehr Lady Agathas und McWardens Aufmerksam keit. Beide waren ans Fenster getreten, weil Josuah Parker mit dem hochbeinigen Monstrum zurückkam. »Er kann die Tour zur Polizeistation gleich noch mal machen«, meinte die Detektivin. »Golightly gehört hinter Gitter. Der Mann lügt, daß sich die Balken biegen. Wenn Mister Parker behauptet, er habe Golightly tot aufgefunden, muß es auch so gewesen sein. Wir werden eine Gegenüberstellung veranstalten, McWarden. Ge ben Sie Mister Parker Bescheid, daß er hereinkommen soll.« »Wenn Sie der Ansicht sind, daß uns das weiterhilft, Mylady.« »Sie werden erleben, daß der Erfolg mir recht gibt. Ich bin eine erfahrene Kriminalistin und eine Frau mit intuitiver Begabung. Mister Parker wird diesen Lügner und Hochstapler entlarven. Der Mann kann nicht Golightly sein, denn Golightly lag erstochen im Unterholz.« »Das wüßte ich aber«, murmelte der unglückliche Freddy. Danach hielt er den Mund, bis der Butler eintrat, begleitet von der Haus dame Gwendolyn Barney. Agatha Simpson wollte die Gunst des Augenblicks nutzen und für sich einen Triumph herausholen. Sie benahm sich wie der Kron anwalt persönlich. »Ich fordere Sie auf, Mister Parker, diesen Mann eindringlich zu betrachten. Kennen Sie ihn? Er besaß die Kühnheit, sich als Go lightly auszugeben. Wir alle wissen, daß dieser Golightly tot ist!« »Ich kenne ihn«, sagte Gwendolyn Barney matt. »Er heißt Freddy Golightly – und tot war er nie!« »Meiner bescheidenen Wenigkeit ist dieses Individuum völlig un bekannt«, erklärte Josuah Parker. »Mylady mögen zur Kenntnis nehmen, daß man diese Person erstmals zu Gesicht bekommt.« »Er ist nicht der Tote aus dem Gebüsch, Mister Parker?« »Mitnichten, Mylady. Jener Zeitgenosse im Unterholz befand sich in entseeltem Zustand, indessen der vermeintliche Mister Golight ly sich bester Gesundheit erfreut. Mylady wollen bedenken, daß hier der Sachverhalt von Aussage gegen Aussage gegeben ist. Mister Lionel Hotchkiss bezeichnete den Toten nahe der Lichtung als Golightly und Miß Barney beharrt darauf, das anwesende Indi
viduum ebenfalls als Golightly zu identifizieren. Haben Mylady den Betroffenen bereits befragt, für wen er selber sich hält?« »Ich bin doch nicht vertauscht worden, zum Henker!« Golightly schlug sich mit beiden Fäusten auf die Brust. Parker gab ihm recht. »Man hat Sie aber auf arglistige Weise in ein Verbrechen verwickelt, Mister Golightly. Meine bescheidene Wenigkeit neigt mittlerweile zu der Annahme, in Ihrer Person den wirklichen Frederick Golightly anzutreffen.« Freddy grinste säuerlich. »Wer mit den Polypen in den Clinch ge rät, kommt aus der Mühle so leicht nicht wieder raus. Mit mir kann man’s ja machen… Mir glaubt keiner mehr. Am Ende wird’s noch heißen, ich wäre gar nicht ich, sondern irgendwer anders.« »Reden Sie keinen Unsinn, Mann«, schnarrte McWarden. »Wir wollen hypothetisch davon ausgehen, daß Sie Golightly sind. Miß Barney scheint Sie zu kennen.« »Aber ja, Mister… äh, Sir. Jeder im Dorf kennt Freddy Golightly. Für manche ist es kein Vergnügen, mit Golightly zu tun gehabt zu haben. An ihm klebt Ärger und Verdruß.« »Was hab’ ich gesagt.« Freddy blickte kläglich in die Runde. »Ich bin der Sündenbock der Grafschaft. Jetzt soll ich auch noch er mordet und zugleich der Täter sein, wie?« »Werden Sie nicht albern, Golightly«, sagte Agatha Simpson streng. »Sie haben das Glück, daß ich mich für Ihren Fall interes siere. Ich bin eine Kapazität auf dem Gebiet mysteriöser Mordfäl le. Mister Parker wird erklären, wie ich die Zusammenhänge sehe. Was McWarden davon hält, ist nichts als pure Mutmaßung.« Der Chief-Superintendent reckte sich zu voller Größe. »In Kürze werden Sie bestätigt finden, Mylady, daß meine Theorie die einzig richtige ist.« Die ältere Dame winkte ab. »Sie sprachen von einem Mord ohne Leiche, McWarden. Golightly sollte angeblich weggeschafft wor den sein. Nun steht Golightly bei bester Gesundheit vor uns. Kei ne Leiche – kein Mord…« »Mit Verlaub, Mylady«, wandte Parker ein. »Es kam zum Mord, jedoch nicht an Mister Golightly. Damit dürfte sich die Frage stel len, wer jene entseelte Person ist, die meine Wenigkeit im Ge büsch zu entdecken dem Zufall verdankt.« »Muß ich denn alles selbst erklären?« Die passionierte Detektivin hob anklagend die Arme. »Der Tote war einer der Zwillingsbrüder Hotchkiss!«
»Dies sollte ausgeschlossen seih, Mylady.« Josuah Parker zeigte milde Verwunderung. »Meine Wenigkeit hatte bekanntlich Gele genheit, mit Lionel Hotchkiss zu sprechen, nachdem die Leiche im Unterholz entdeckt worden war. Später traf man auf Livingston Hotchkiss, der auftragsgemäß und lebendig in Polizeigewahrsam gebracht wurde.« »Wer soll denn dann der Tote gewesen sein? Etwa Norman King selbst?« »Dies wäre nicht anzunehmen, Mylady. Es empfiehlt sich, Mister Kings Rückkehr abzuwarten. Vermutlich befindet sich Mister Lio nel in Begleitung seines Herrn. Mylady werden den Gentlemen peinliche Fragen vorlegen. Der Fall jenes unbekannten Toten kann bis zum Abend durchaus als geklärt und abgeschlossen an gesehen werden.« Josuah Parker konnte es verantworten, die gewonnenen Erkennt nisse aus dem in Brighton abgesandten Telegramm einstweilen für sich zu behalten. Die Preisgabe jener Information hätte unter den Anwesenden nur Verwirrung gestiftet. * Spannung lag in der Luft und Unfrieden herrschte. Es war eine unbehagliche Situation, für jeden bis auf Lady Agatha spürbar. Parker hatte nach mehrmaliger Aufforderung der Hausdame Platz genommen. McWarden labte sich an Tee, den Gwendolyn Barney zur Bewirtung der unverhofften Gäste hatte kommen lassen. Agatha Simpson verzichtete. Ohne einen Schuß Jamaika-Rum hielt sie dieses Aufgußgetränk für ungenießbar. Daran änderte auch nichts der braune Kandis, den die Hausdame reichen ließ. Freddy Golightly tigerte unruhig zwischen Tür und Fenstern hin und her. Da Parker nahe der Tür saß, schied diese Fluchtmöglich keit aus. Gwendolyn Barney bemühte sich nach Kräften, die Honneurs zu machen und einen belanglosen small-talk aufrecht zu erhalten. Lady Agatha nahm übel und beteiligte sich nur gelegentlich an dem Wortgeplänkel, dessen tragende Säule Chief-Superintendent McWarden war. »Ich gebe Norman King noch genau fünfzehn Minuten«, erklärte die streitbare Lady. »Dann fahre ich mit Mister McWarden nach
London zurück. Sie werden sich ausmalen können, Miß, was das für Ihre Herrschaft bedeutet. Ich werde in London Anzeige erstat ten – wegen des Verdachts auf Anstiftung zum Mord, des weite ren wegen Flucht- und Verdunklungsgefahr. Mister King wird sei nes Lebens nicht mehr froh. Er bekommt die verdiente Strafe für seine Übeltaten.« »Ich muß doch sehr bitten, Mylady«, begehrte McWarden auf. »Sie erheben unhaltbare Anschuldigungen.« »Ich weiß, was ich sage. Warum läßt er sich denn nicht blicken, der Kriminelle? King hat Dreck am Stecken. Jetzt ist er auf der Flucht. Er hat einen Mann ermorden und verschwinden lassen. Golightly war es offensichtlich nicht, doch auch er wird wegen Mithilfe bestraft werden.« Freddy jaulte wie ein getretener Hund. »Wie oft muß ich noch sagen, daß ich selbst ein Opfer bin! Man hat mich betäubt – der Superintendent hat’s bestätigt.« »Unsinn! Sie haben in dem Ablenkungsmanöver die tragende Rol le gespielt, Golightly! Leugnen Sie nicht – ich weiß alles. Ihr Zwil lingsbruder, den Mister Parker entlarvt hat, ist dumm! Wie sonst hätte er behaupten können, der Tote im Gebüsch seien Sie, ein gewisser Golightly.« »Lionel muß sich vertan haben. Tote sehen alle gleich aus.« »Sie geben es also zu! Sie wußten von der Leiche im Unterholz.« »Nichts wußte ich… Lionel hat mich beiseite geschafft, nachdem er mich mit Gift betäubt hat. Das hab’ ich amtlich. Mir können Sie nichts anhängen, Lady Simpson.« Parker hatte sich erhoben und war würdevoll und gemessen ne ben den Stuhl seiner Herrin getreten. »Ein Wagen ist vorgefahren, Mylady. Dem Geräusch des Motors und des Getriebes nach zu urteilen dürfte es sich zweifelsfrei um einen 8-Zylinder Rover, 3500, handeln. Das Auslaßventil des sechsten Zylinders scheint zu hängen. Die Zündung müßte opti mal eingestellt sein.« »Warum sagen Sie mir das, Mister Parker?« »Mit Verlaub, Mylady, Mister King läßt ein solches Fahrzeug chauffieren. Es steht zu erwarten, daß er bald eintritt und Auf schluß fordert bezüglich Myladys und meiner bescheidenen We nigkeit Anwesenheit.« »Das können Sie getrost mir überlassen, Mister Parker. Sollte King tatsächlich nach Hause gefunden haben, werde ich ihn gehö
rig vornehmen! Eine Unverschämtheit, mich so lange warten zu lassen…« »Mylady befinden sich immerhin unter ungewöhnlichen Umstän den in einem fremden Haus«, gab Parker zu bedenken. »Ein Mord ist geschehen. Ein Mord – nach wie vor ohne auffindbare Leiche.« »Norman nimmt das in den Griff«, sagte Gwendolyn Barney, die sich von einem Lachanfall erholt zu haben schien. »In fünf Minu ten sind Sie alle draußen, darauf möchte ich wetten.« Freddy Golightly sah grau aus im Gesicht. »Ich muß doch nicht dabei sein, oder…« »Sie bleiben!« bestimmte Lady Agatha mit Stentorstimme. »Sie sind der Hauptverdächtige, Golightly.« »Ich bin das einzige Opfer, abgesehen von diesem Unbekannten, den sie hingemacht haben«, jammerte Freddy. »Scotland Yard ist dabei und unternimmt nichts! Jeden Moment kann Norman King reinkommen. Ich verlange Schutz vor dem Verrückten – und Schutz vor seinem Handlanger Lionel Hotchkiss!« »Mäßigen Sie sich«, warnte Agatha Simpson. »Sie sind ein Waschlappen, Golightly. Solange ich hier bin, werden Recht und Gesetz befolgt. Keine Übergriffe in meiner Anwesenheit!« »Was können Sie schon groß machen – gegen einen Kerl wie King! Der dreht jeden durch den Wolf, wenn er will.« Freddy schien sich hinter Agatha Simpson verstecken zu wollen. * »Was ist denn hier los?« Norman King blieb am Eingang stehen. »Hast du diese Leute eingeladen, Gwendy?« »Schockierend«, ließ Agatha Simpson angesichts der Art und Weise verlauten, wie King mit seiner Hausdame redete. »Etwas mehr Abstand wäre angebracht, Mister King.« »Oh, schon wieder Sie! Was haben Sie in meinem Haus zu su chen, Lady Simpson? Haben Sie diese Leute mitgeschleppt? Na türlich, Golightly muß auch dabei sein! Raus mit dir, du Schnor rer! Hier gibt’s nicht für dich!« McWarden schob sich energisch vor. »Wir nehmen in Ihrem Haus Gastrecht in Anspruch, Sir. Dies geschah unter dem Zwang der Umstände. Sie haben nicht das Recht, Mister Golightly hinauszu werfen. Es ist ein Mord geschehen. Nicht nur Golightly hat sich
verdächtig gemacht.« »Wer denn noch?« fragte King spöttisch. »Etwa ich?« »Ich habe einige entscheidende Fragen an Sie, Sir«, gab McWar den zu. »Von Ihren Antworten kann viel abhängen.« »Pah… so kommt man mit King doch nicht weiter, Superinten dent!« Lady Agatha baute sich kriegerisch vor dem Hausherrn auf. »Auf der Stelle geben Sie zu, daß Sie Golightly in Ihre krimi nellen Machenschaften eingespannt und Ihren Angestellten Hotchkiss zum Mord angestiftet haben, Mister King!« Norman King blieb ungerührt. »Wer soll denn ermordet worden sein?« »Fragen Sie Hotchkiss! Wo steckt dieser Mensch überhaupt?« »Es geht Sie zwar nichts an, Verehrteste, doch da wir gewisser maßen Sportsfreunde sind, will ich Ihnen verraten, daß Hotchkiss Besorgungen für mich erledigt. Zufrieden, Lady Agatha?« »Ich bin erst zufrieden, wenn Sie festgenommen sind und in einer Haftzelle stecken, King. Ich beschuldige Sie des Mordes, bezie hungsweise der Anstiftung zum Mord, begangen an einer noch unbekannten Person. Mister McWarden gehört zu Scotland Yard und wird sich weiter um Sie kümmern. Gestehen Sie, Norman King!« »Ich würde Ihnen gern den Gefallen tun, Lady Agatha. Leider habe ich nichts zu gestehen. Von welchem Mord reden Sie denn? Wer ist umgebracht worden?« »Sie wissen genau, wovon ich rede… Sie sind doch der Anstifter! Wo hat Hotchkiss die Leiche versteckt? Ich weiß alles! Ihr Freund, Commissioner Harley, kann Ihnen auch nicht mehr helfen.« »Harley? Ich brauche Harley nicht. Kann es sein, daß Sie heute Ihren neurotischen Tag haben, Lady Agatha?« »Unverschämtheit! Ich bin doch nicht gerade beleidigt worden? Mister Parker, geben Sie King eine Beschreibung jenes Toten, den Sie im Unterholz entdeckt haben. Und schildern Sie ausführlich, welche Einlassungen Hotchkiss gemacht hat, als er mich belästig te.« »Hotchkiss soll Sie belästigt haben, Lady Agatha? Ah, Sie haben wieder trainiert, nicht wahr? Auf der Lichtung? Nebenbei gesagt, zählt dieses Areal zu meinem Besitz. Doch deshalb keine Feind schaft, Verehrteste! Wir sind doch faire Sportler, die sich gegen seitig jede Chance geben. Ich kann mir denken, daß Sie in Lon don bei weitem nicht solch optimale Trainingsmöglichkeiten vor
finden.« Agatha Simpson winkte ab. »Sie geben es also zu! Sie haben mich seit langem beobachtet oder beobachten lassen, Mister King… Dann wußten Sie auch, welche Pfeile ich benutze. Sie be sorgten sich einen grünen Slazenger und erstachen Ihr Opfer da mit. Später schickten Sie Hotchkiss raus, der ein Exemplar mei ner Pfeile stehlen sollte. Aus keinem anderen Grund schlich Hotchkiss um mich und Mister Parker herum.« »Sie müssen verrückt sein. Lionel Hotchkiss ist seit dem frühen Morgen in Besorgungen unterwegs, Lady Agatha. Oder meinen Sie etwa den mißratenen Bruder, Livingston Hotchkiss? Er arbei tet bei mir gelegentlich als Aushilfe.« »Livingston war den ganzen Tag im Haus, Norman«, mischte sich Gwendolyn Barney ein. »Das habe ich im übrigen auch schon ausgesagt.« »Ausgesagt? Haben wir es denn mit einer offiziellen Untersuchung zu tun, Superintendent?« Gwendolyn Barney ließ McWarden nicht zu Wort kommen. »Li vingston ist eingesperrt worden, Norman. Dieser Mann dort…«, sie deutete auf Josuah Parker, »brachte Livingston zur Graf schaftspolizei.« Endlich gelang es McWarden, sich durchzusetzen. »Das geschah auf meine Veranlassung, Mister King. Livingston Hotchkiss hat sich höchst verdächtig gemacht und sich in diese Affäre verwi ckeln lassen. Sobald Bruder Lionel auftaucht, werde ich ihn eben falls festnehmen. Auch Sie, Sir, wären gut beraten, einen tüchti gen Anwalt zu konsultieren. Stimmt es, daß Sie mit Mister Alan M. Simrock arbeiten?« Mit Norman King ging eine Veränderung vor. Von allen unbemerkt bis auf Josuah Parker. King verlor an Gesichtsfarbe, fing sich je doch rasch. »Meinen Sie im Ernst, ich hätte anwaltliche Hilfe nötig, Superin tendent? Wozu denn? Oder weshalb? Es ist doch nichts passiert. Sie phantasieren von Mord, aber es gibt keine Leiche. Niemand wurde als verschollen oder abgängig gemeldet. Können Sie mir wenigstens sagen, um wen es sich bei dem angeblichen Opfer handeln soll?« »Mister Parker hat die Leiche mit eigenen Augen gesehen«, schal tete sich Lady Agatha ein. »Sie können nicht erwarten, daß er mit sämtlichen Dunkelmännern vertraut ist, mit denen Sie Kontakt
pflegen, Mister King. Liefern Sie eine kurze Beschreibung, Mister Parker.« »Eine Beschreibung jenes Toten, Mylady? In gewissem Sinn muß man Hotchkiss recht geben, nämlich daß sich Tote ähneln. Die Gesichtszüge werden starr, und wenn man den Verstorbenen zu seinen Lebzeiten nicht gekannt hat, muß eine Beschreibung der sterblichen Überreste zwingend unbefriedigend ausfallen. Mit an deren Worten, Mylady: meine bescheidene Wenigkeit sieht sich außerstande, unverkennbare oder charakteristische Merkmale jenes unbekannten Toten zu schildern.« Parker sah mit Genugtuung, wie King erleichtert aufatmete. »Immerhin wissen wir, daß Ihr Personal in diese mysteriöse Affä re verstrickt ist, Mister King«, sagte die ältere Dame unzufrieden. »Hotchkiss, den Sie auf Besorgungen geschickt haben wollen, erschien zur Lunchzeit auf meinem Picknickplatz und gab an, den Toten zu kennen, obwohl er die Fundstelle nicht besichtigt hatte.« »Genau!« erwiderte McWarden. »Deshalb werde ich Hotchkiss festnehmen und in Haft überführen lassen.« »Was sagte Hotchkiss denn, wer der angebliche Tote wäre?« er kundigte sich King. »Das brauchen Sie nicht zu wissen«, begann McWarden gleichzei tig mit Lady Agatha, deren Erklärung vielleicht etwas voreilig kam. »Golightly sollte es gewesen sein.« »Da haben Sie es, Superintendent. Hotchkiss hat zuweilen einen morbiden Sinn für Humor. Golightly befindet sich in bester Ge sundheit in unserer Mitte. Ich habe für den Kerl zwar nichts übrig, aber es beruhigt mich, daß seine Existenz für sich spricht. Sind Sie sicher, Lady Agatha, daß Sie es wirklich mit Hotchkiss zu tun hatten?« »Ich brauche Ihre Dienstboten nicht zu kennen, Mister King. Mis ter Parker klärte mich auf, daß der Störenfried Hotchkiss heißt und in Ihrem Haushalt beschäftigt ist. Sie hören noch von mir, Mister King. Jetzt möchte ich nach Shepherd’s Market zurück in mein behagliches Haus. Mister Parker soll mich fahren.« McWarden schien zu überlegen. »Der Helikopter ist nicht mehr da, und ich habe noch mit Ermitt lungen zu tun, Mylady.« »Unterwerfen Sie sich keinem Zwang, McWarden. An Ihrer Stelle hätte ich King und seine sogenannte Hausdame schon längst festgenommen und Hotchkiss zur Fahndung ausgeschrieben.«
»Ich kann Ihnen nur raten, auf die Wahl Ihrer Worte zu achten, Lady Agatha«, drohte King. »Sie sprechen unhaltbare Beschuldi gungen aus. Ich könnte Sie wegen übler Nachrede belangen.« »Tun Sie es doch! Setzen Sie sich mit Ihrem Mister Simrock zu sammen und konstruieren Sie etwas gegen mich. Ich sage Ihnen jetzt schon, daß Sie den kürzeren ziehen, King. Genau wie bei der Meisterschaft. Ich werde Sie schlagen, weil Sie ein Versager sind. Ihre Millionen sind für mich kein Gegenbeweis. Jeder Narr kann heutzutage Geld machen.« Zum zweitenmal erlebte Josuah Parker, wie Norman King bei der Erwähnung des Namens Simrock erblaßte. Und das gab dem But ler zu denken… * »Es war kein erfreulicher Tag, Mister Parker«, sagte Agatha Simpson, als sie sich aus dem Fond des hochbeinigen Monstrums nach draußen schob. Der Butler hatte das ehemalige Taxi bis zum Eingang gefahren. Das altehrwürdige Fachwerkhaus in Shepherd’s Market lag in völ liger Dunkelheit. »Machen Sie Licht, Mister Parker. Man sieht die Hand vor Augen nicht. Es ist in Ordnung, daß die Außenbeleuchtung abgeschaltet blieb. Aber warum hat das liebe Kind nicht wenigstens im Haus Licht gemacht?« »Es steht zu vermuten, Mylady, daß Miß Porter zur Zeit nicht in den Räumen weilt.« . »Warum sollte meine Sekretärin und Gesellschafterin nicht da sein, wenn ich sie brauche.« »Dies entzieht sich meiner bescheidenen Kenntnis, Mylady. Man wird unverzüglich darangehen, nach Miß Porter zu forschen, so fern Mylady dies wünschen.« Agatha Simpson stützte sich auf Parkers sehnigen Arm. »Lassen Sie mal. Vielleicht ist die Gute bei Mister Rander. Man soll Lieben de nicht trennen.« Josuah Parker wußte von den Bestrebungen seiner Herrin, Kathy Porter und den Anwalt Mike Rander unter die Haube zu bringen. Es bedurfte jedoch nicht ihrer Einflußnahme – die beiden verstan den sich auch so recht gut. Nach Parkers Dafürhalten mußte sich
jede zwischenmenschliche Beziehung langsam entfalten wie ein
zartes Pflänzchen und reifen.
»Tea time ist zwar vorüber, Mister Parker, aber ich möchte trotz
dem noch eine gute Tasse Tee. Nehmen Sie von der Mischung,
die Sie für Ihren Eigenbedarf zusammenstellen lassen.«
»Wie Mylady wünschen. Wäre eine indische Mischung angenehm?
Ein kräftiger Orange Pekoe – nur die Blattspitzen?«
»Kräftig soll er sein, Mister Parker. Lassen Sie ihn nicht zu lange
ziehen.«
Parker hatte Agatha Simpson zur Wohnhalle geführt, wo sie sei
nen Arm losließ. »Servieren Sie den Tee im Salon. In der Halle
allein komme ich mir verloren vor.«
»Sehr wohl, Mylady.« Josuah Parker verfügte sich ins Souterrain,
wo Küche und Vorratsräume untergebracht waren. Er knipste in
der Küche Licht an, das sich in dem Fliesenboden brach. Übli
cherweise hatte die Zugehfrau für einen Reinigungszustand ge
sorgt, wie Butler Parker ihn nachdrücklich forderte.
So mißfiel ihm um so mehr eine angebrochene Rolle Klebeband,
auch als Lassoband bezeichnet, die eine der polierten Anrichten
verunzierte. Mit spitzen Fingern nahm Parker die Rolle beiseite,
um sie in den Mülleimer zu versenken.
Es blieb jedoch bei der Absicht. Zur Ausführung gelangte Butler
Parker nicht, da die Hausherrin ungeduldig läutete. Ehe er dem
Ruf Myladys Folge leistete, füllte er den Wasserkessel und zog
sich frische, makellos weiße Handschuhe über.
Parker betrat wieder den Salon. »Mylady haben geläutet?«
»Natürlich, Mister Parker. Kommen Sie mal und sagen Sie mir,
was Sie hiervon halten.«
Die Detektivin wedelte mit einem Fetzen Papier. »Den muß Kathy
in meiner Abwesenheit angenommen und hingelegt haben, Mister
Parker. Ich werde daraus nicht schlau.«
»Wollen Mylady gütigst erlauben…« Josuah Parker nahm ihr den
Zettel ab und unterzog ihn einer kurzen, jedoch nicht flüchtigen
Prüfung.
»Dieses Papier stammt von einem Abreißblock, Mylady. Man be
zeichnet derartige Heftungen auch als Spiralblocks. Kennzeich
nend ist die ausgerissene Perforation am Rand.«
»Das sehe ich selbst. Haben Sie sonst nichts dazu zu sagen, Mis
ter Parker?«
»Mit Verlaub, Mylady, bereits das Äußere und die Aufmachung
dieser Mitteilung beinhalten interessante Aufschlüsse.« »Erstaunlich, daß Sie das auch erfaßt haben, Mister Parker. Ich habe geläutet, weil ich Ihnen eine praktische Lektion in krimina listischer Ermittlungsarbeit erteilen will. Was besagt dieser Pa pierfetzen sonst noch, abgesehen, davon, daß er aus einem Spi ralblock stammt?« »Es handelt sich um liniertes Papier, Mylady. Die matter gedruck ten Hilfslinien deuten an, daß der Block für des Schreibens nicht sonderlich Kundige konzipiert worden ist. Zu der genannten Gruppe zählen außer Schulanfängern besonders jene Zeitgenos sen, für die die Abfassung einer schriftlichen Äußerung mit Mühsal und Erschwernis verbunden ist. Der Verfasser dieser Nachricht scheint ansonsten Kommunikation in direkter Weise zu betreiben als durch Hinterlassung handgeschriebener Mitteilungen.« »Das kann man auch kürzer sagen, Mister Parker. Wer das hier zusammengekritzelt hat, muß ein Dummkopf sein.« »Mylady befaßten sich bereits mit Text und Inhalt? Wollen Mylady gnädigst zur Kenntnis nehmen, daß Spiralblocks dieser Art in My ladys Haushalt nicht vorrätig gehalten werden.« »Das wäre ja noch schöner, Mister Parker… Analphabetenpapier in meinem Haus! Was sagt Ihnen dieser Wisch noch?« Josuah Parker deutete eine höfliche Verbeugung an. »Ohne Myla dy langweilen zu wollen, hat die Aufmerksamkeit dem Phänomen zu gelten, wie dieses abgerissene Blatt überhaupt auf den Tisch im kleinen Salon gelangt ist. Mylady ergingen sich in der nahelie genden Vermutung, Miß Porter habe das Papier entgegengenom men und zu Myladys Kenntnisnahme auf jenem Tisch deponiert.« »Wie soll es denn sonst gewesen sein, Mister Parker?« »Zweifelsohne werden Mylady ihre Gesellschafterin dieserhalb befragen«, erwiderte der Butler. »Ebenso zweifelsohne wird Miß Porter von sich weisen, diesen Zettel angenommen und hinterlegt zu haben.« »Gut erkannt, Mister Parker. Wie kommen Sie darauf, daß ich so dachte?« »Die sich aus Text und Inhalt der Nachricht ergebenden Erkennt nisse lassen keine andere Schlußfolgerung zu, Mylady. Nun aller dings stellt sich die Frage, wie der Zettel ohne Miß Porters Zutun dorthin gelangt ist, wo Mylady ihn gefunden haben.« »Daran habe ich noch gar nicht gedacht, Mister Parker!« Lady Agatha schlug sich leicht auf den Mund. »Äh, ich meine… Wie
konnte ich denken, daß Sie beinahe so scharfsinnig sind wie ich, Mister Parker. Ich muß feststellen, daß Sie bei mir eine Menge gelernt haben. Lesen Sie mir die Krakelei noch mal vor. Ich konn te nicht alles entziffern.« »Sehr wohl, Mylady.« Josuah Parker räusperte sich dezent. »Die Nachricht trägt weder Datum oder Uhrzeit, noch Anrede, Myla dy.« »Wir haben Ihr Horoskop erstellt. Ihre Sterne stehen schlecht. Verzichten Sie auf Ihr nächstes wichtiges Vorhaben! Sie bekom men Ärger – so oder so. Ein Freund, der es gut mit Ihnen meint.« »Keine Unterschrift«, schloß Parker die Vorlesung. »Es handelt sich ohne Zweifel um eine Botschaft nötigenden Inhalts, Mylady.« »Die hat King zusammengekritzelt, um mich von der Teilnahme an der Endausscheidung abzuhalten. Was soll er sonst damit ge meint haben, mit diesem >Verzichten Sie auf Ihr nächstes, wich tiges Vorhaben…< Damit hat er sich verraten, Mister Parker.« »Nach meiner bescheidenen und keineswegs maßgeblichen An sicht sind ganz andere Gesichtspunkte ausschlaggebend, Mylady. Ausgehend von der Annahme, daß Miß Porter ein solches Papier niemals zu Myladys Kenntnisnahme im Salon deponiert hätte, zumal der Adressat nicht erkennbar ist und der Informationsge halt als dürftig bezeichnet werden muß, bleibt zur Erklärung des Vorhandenseins dieser Nachricht auf dem Tisch in Myladys Salon nur die Mutmaßung, daß sich eine oder mehrere Personen unbe rechtigten Zutritt ins Haus verschafft haben.« »Unerhört!« »Für diese Annahme sprechen auch Unregelmäßigkeiten in der Küche, Mylady. Meine bescheidene Wenigkeit mußte eine Rolle Klebeband entdecken, ein Material, das in diesem Haus nicht zur Verwendung gelangt. Es stellt sich ebenso wie bei der aufgefun denen Nachricht die Frage, wie die Klebebandrolle in die Küche geraten ist, Mylady. Zusätzlich ergibt sich Unsicherheit infolge des Fehlens innerer Zusammenhänge. Oder haben Mylady eine Erklä rung dafür, daß jene Rolle unten in der Küche liegt?« »Bringen Sie mir das Ding herauf, Mister Parker, und meinen Tee. Ich möchte nicht bis Mitternacht warten.« »Sehr wohl, Mylady.« *
Josuah Parker hatte seine Rückschlüsse und die daraus resultie renden Mitteilungen für Myladys Ohren bewußt knapp gehalten. Ihm war klar geworden, daß während ihrer Abwesenheit im Fachwerkhaus in Shepherd’s Market Ungesetzlichkeiten vorge kommen waren. Man konnte mit einiger Berechtigung an Einbruch denken, wenn auch nichts entwendet worden, sondern – im Gegenteil – etwas hinzugekommen war. Der Butler erhitzte das Wasser, schritt in seine nebenan gelege nen privaten Räume, um die erforderliche Menge der Teemi schung zu holen, die Mylady sich ausgebeten hatte. Parker stutz te, als er die Tür zu seinem Arbeitsraum und Labor halb offen fand. Mit der Teedose in der Hand, betrat Parker jenen Raum, der aus Gründen der dort gelagerten chemischen Stoffe, der Versuchsan ordnungen und pyrotechnischen Materialien allein ihm vorbehal ten war. Auf dem beweglichen, weil mit Rollen versehenen Laborstuhl kau erte eine Gestalt. Parker sah nur den Rücken und den nach vorn gesunkenen Kopf. Der Kleidung nach war das Opfer männlichen Geschlechts, was Parker mit einiger Erleichterung konstatierte. Es wäre ihm in höchstem Maß unangenehm gewesen, etwa Miß Porter unter die sen unwürdigen Umständen vorzufinden. Zwar hätte Miß Porters Vorhandensein gewisse Theorien erhärtet, die nunmehr aufgege ben werden mußten, doch in Parkers Innenleben gewann die Er leichterung Überhand. Er ging um den Laborstuhl herum, um sich die vermeintlich hilflo se Person von vorn anzusehen. Hand- und Fußgelenke waren mit mehreren Wicklungen Klebe band an den Armlehnen und an der Fußsäule des Laborstuhls be festigt. Dieses sogenannte Lassoband hatte die Eigenschaft, in mehreren Lagen verwendet unzerreißbar zu sein. Das Opfer war ohne Bewußtsein. Parker griff dem Gefesselten unter das Kinn und hob den Kopf. Zuvor schon hatte er den Mann identifiziert. Es war Lionel Hotchkiss, der den King’schen Haushalt leitete oder dies zu tun vorgab. Aus Hotchkiss’ Mund strömte der intensive Geruch eines Betäu bungsmittels, das die moderne Medizin schon lange nicht mehr
benutzte. Parker nutzte die Gelegenheit, die Taschen des Bewußtlosen zu kontrollieren. Sämtliche Taschen waren so leer wie der Hut eines Bettlers morgens um sieben. Immerhin interessant, denn Josuah Parker zweifelte keine Sekun de daran, daß Lionel Hotchkiss dieses Happening allein und ohne Hilfe inszeniert hatte. Im Salon der Abriß des Spiralblocks, in der Küche der Rest von der Bandrolle, mit der sich Hotchkiss selbst gefesselt hatte, und nun hier Hotchkiss selbst – schon durch sein Vorhandensein eine Anklage an sich. Der Mann hatte sich gut versorgt. Parker brauchte lediglich die Fesselung der rechten Hand straffer zu ziehen. Sogar ein Amateur konnte erkennen, daß Hotchkiss die Hand nachträglich unter die weit gelegten Wicklungen des Lassobandes geschoben hatte. Nun allerdings war er so wirkungsvoll gefesselt, wie er sich wirk lich selbst betäubt hatte. Josuah Parker konnte ein Lächeln nicht vermeiden, als er das Labor verließ, um sich in der Küche der Zubereitung von Myladys Tee zu widmen. Er trug das Tablett in den Salon, ein Kännchen kräftigen Tees, Zitrone und Milch, je nach Wahl, ein Schälchen mit angewärmten Brandy, dazu etwas Gebäck. »Wo haben Sie gesteckt, Mister Parker? Ich mußte eine halbe Ewigkeit auf meinen Tee warten… Danke, bemühen Sie sich nicht. Ich helfe mir selbst. Ich brauche Sie heute nicht mehr.« »Vielen Dank, Mylady. Meine Wenigkeit gedachte soeben um Frei zeit für den Rest des Abends zu ersuchen, Mylady.« »Was haben Sie denn noch vor?« fragte Agatha Simpson neugie rig. »Es handelt sich um eine Privatangelegenheit, Mylady. Die Einzel heiten würden Mylady langweilen.« »Nun gut, Sie können gehen, Mister Parker. Ein Jammer, daß Miß Porter nicht im Haus ist.« »Miß Porter hat Myladys vorzeitige Heimkehr wahrscheinlich nicht erwartet. Es war die Rede davon, daß Miß Porter Ausgang haben sollte bis zur morgigen Frühstückszeit, Mylady.« »Vielleicht ist es auch gut, wenn ich allein bin, Mister Parker. Ich habe in der Sache, die mir heute widerfahren ist, noch einige Ge dankenarbeit zu leisten. Bis morgen früh habe ich den Fall ge löst.« »Wie Mylady meinen«, erwiderte Parker und ging.
*
Im Büro und in den Wohnräumen Mike Randers in der Curzon Street brannte Licht, wie Josuah Parker es nicht anders erwartet hatte. Zudem parkte Miß Porters Mini-Cooper vor dem Haus. Parker läutete in der Weise, daß Mike Rander, sein ehemaliger Herr und Brötchengeber, sofort erkannte, wer Einlaß begehrte. Rander hatte den vertrauten Code nicht verlernt. »Kommen Sie herein, Parker«, schnarrte es aus der Türsprechanlage. Der Butler wurde von dem Anwalt im bequemen Hausmantel empfangen. »Ich nehme an, es gibt Neuigkeiten, Parker. Und keine angenehmen…« »In der Tat, Sir. Wenn Sie meiner bescheidenen Wenigkeit einige Augenblicke Ihrer Freizeit widmen wollten, Sir. Miß Porter muß nicht unbedingt anwesend sein, Sir.« »Ich verstehe, Parker. Ihr Anliegen ist diskreter Natur. Keine Bange, Kathy wird uns nicht stören. Kann ich Ihnen etwas anbie ten? Sie wissen ja, wo die Bar ist…« Rander gab sich sehr aufge räumt. »Nichts Alkoholisches, Sir. Wenn Sie erlauben, daß man raucht?« »Etwa eine Ihrer Bomben in Zigarrenformat? Ich möchte hier noch wohnen bleiben, Parker. Nehmen Sie eine von meinen Ziga retten. Das Kästchen steht auf dem Tisch. Setzen Sie sich und berichten Sie.« Josuah Parker befolgte nur letzteres. Er war ein erklärter Gegner von Tabakwaren, bei denen Papier mitverbrannt und inhaliert werden mußte. Seine handgefertigten Spezialzigarren bestanden aus Tabak und sonst nichts. Myladys Butler zog es vor, stehend zu berichten. Er hatte die schwarzen Handschuhe bereits im Treppenaufgang abgestreift und die steife Melone damit gefüllt, die er in der Lin ken hielt. Der Universal-Regenschirm pendelte an seinem Unter arm. »Sir, in der Folge nicht abreißender unliebsamer Vorkommnisse fand man in den mir vorbehaltenen Räumlichkeiten des Souter rains eine bewußtlose gefesselte Person männlichen Geschlechts. Diese Person konnte unschwer als ein gewisser Lionel Hotchkiss identifiziert werden, angeblicher Butler im Hause King.«
»Meinen Sie Norman King, den millionenschweren Geschäftema cher, der unbedingt Britischer Meister im Bogenschießen werden will, Parker?« »So ist es, Sir.« Josuah Parker lieferte in aller Kürze einen an schaulichen Überblick der stattgefundenen Ärgerlichkeiten dieses Tages. Mike Rander massierte sich das Kinn. »Jetzt kann ich einen Drink gebrauchen, Parker. Mixen Sie mir bitte einen Highball.« »Mit Vergnügen, Sir. Darf Ihre Bestürzung in der Weise gedeutet werden, daß Sie Mylady in der schwierigen Situation nicht allein zu lassen gedenken?« »Natürlich, Parker. Ich bin entschlossen, in die Sache voll einzu steigen. Sie sind absolut sicher, daß der Mann im Unterholz tot war?« »So sicher, Sir, wie feststeht, daß der Tote nicht Freddy Golightly gewesen sein kann. Wie erwähnt, erschien Mister Golightly ge sund und munter im Hause King, um die ihm zugesagte Prämie zu kassieren. Die Hausdame war einigermaßen bestürzt, Golightly wohlbehalten vor sich zu sehen. Dies läßt den Schluß zu, daß Miß Barney in den Plan eingeweiht war, in den Plan, der offensichtlich bei der Ausführung so stark modifiziert wurde, daß sich die Betei ligten nicht mehr auskannten, Sir.« »Was wollen Sie damit sagen, Parker? Ist der Falsche ermordet worden?« »Dies zu behaupten, wäre vermessen, Sir. Jemand ist mit einem Turnierpfeil erstochen worden. Mister Hotchkiss bezeichnete den Toten, ohne ihn gesehen zu haben, als jenen Golightly, der je doch bei bester Gesundheit ist. Fraglos sollte Mister Golightly den Toten spielen, um Mylady in Schwierigkeiten zu bringen. Daher auch Miß Barneys Bestürzung, als Golightly unvermutet auftauch te und seinen Lohn kassieren wollte. Mylady und meine beschei dene Wenigkeit hatten damit Mister Kings Intrige durchschaut.« »Moment mal!« Mike Rander hob die Hände. »Intrige, sagen Sie, Parker. Weiß Gott, das ist nicht nur eine Intrige – das ist ein di cker Hund, um Lady Agatha unmöglich zu machen. Mich wundert, daß die Presse noch nicht informiert wurde, denn logischerweise ist das ein Fressen für die Skandalblätter.« »Und dabei ohne Risiko für den Urheber, Sir. Als man weisungs gemäß jenen Livingston Hotchkiss zur Grafschaftspolizei ver brachte, erwähnte der Diensthabende dort ein Telegramm, auf
gegeben in Brighton von Golightly und des Inhalts, der Absender entschuldige sich offiziell für den üblen Scherz, den er sich er laubt habe.« »Warum erfahre ich das erst jetzt, Parker?« »Jenes Telegramm ist selbstverständlich nicht von Mister Golight ly aufgegeben worden, Sir. Nach eigenem Bekunden befand sich Frederick Golightly zur Aufgabezeit noch in tiefer Bewußtlosigkeit. Lionel Hotchkiss soll ihn betäubt haben.« »Aber das ergibt doch keinen Sinn, wenn Golightly wenig später in Kings Haus auftaucht.« »Dies ist exakt der Punkt, Sir, der zu Maßnahmen zwingt. Aus noch unbekannten Gründen wurde der angebliche Mord anders als nach Plan zu einem wirklichen Mord. Lionel Hotchkiss schien den vom Plan abweichenden Hergang nicht zu kennen, so daß er ohne weiteres erklärte, Mylady habe mit einem ihrer Turnierpfeile einen gewissen Golightly >erlegt<. Die eigenwillige Wortwahl stammt im übrigen von Mister Hotchkiss, Sir.« »Noch mal rekapitulieren, Parker: Hotchkiss erschien auf der Lichtung und beschuldigte Lady Agatha, Golightly getötet zu ha ben, ohne daß Hotchkiss überhaupt in dem Gebüsch gewesen war?« »Er gab an, in einem nahen Gasthof, dem >Fox and Fitchew< geluncht zu haben und direkten Weges hergekommen zu sein, Sir.« »Dann hat Hotchkiss einen Fehler gemacht, Parker.« »Nicht, wenn tatsächlich Golightly im Gebüsch gelegen hätte, Sir. Der Fall verkompliziert sich. Nach Golightlys Aussage wurde er von Hotchkiss betäubt. Er sollte als vermeintliches Opfer herhal ten. Tatsächlich aber wurde Golightly von einem Dritten aus dem Unterholz entfernt und zur Uferböschung des nahen SawleenyBaches geschleppt, wo Golightly dann später aus seiner Betäu bung erwachte und zum Hause King wankte.« »Bleibt die Frage, wer der Tote im Unterholz nun wirklich ist, Par ker.« »Um die Antwort auf diese Frage zu erschweren, wurde der Leichnam entfernt, Sir. Lionel Hotchkiss scheint für diese Aktion auszuscheiden. Er schritt in die entgegengesetzte Richtung, um die Polizei zu verständigen. Als die polizeiliche Vorhut in Person eines gewissen Mister Lapson erschien, einem Constable auf Pro be, muß der Leichnam noch vorhanden gewesen sein. Später
dann, als Commissioner Harley den Fall in die Hand nahm, war die Leiche verschwunden.« »Wie lange hat es gedauert, bis Harley kam?« »Eine knappe halbe Stunde, Sir. Mylady ruhte in der Zeit, wie es nach dem Lunch Myladys Gewohnheit ist.« »Das ist jetzt nebensächlich, Parker. Ich beschuldige ja nicht Lady Agatha der Mittäterschaft. Nach Ihren Beobachtungen kommt Hotchkiss ebenfalls nicht in Frage. Sie selbst scheiden natürlich auch aus.« »Danke für Ihr Vertrauen, Sir.« »Parker, werden Sie nicht zynisch!« »Das würde meine Wenigkeit sich nie erlauben, Sir.« »Es bleibt also der Sachverhalt, daß sie eine männliche Leiche mit einem von Lady Agathas Turnierpfeilen im Herzen gefunden ha ben.« »Mit Verlaub, Sir: bei dem fraglichen Pfeil handelt es sich um ei nen sogenannten Slazenger, wie Mylady ihn verwendete. Wie be reits ausgeführt, kann der Pfeil aus ballistischen Gründen aber nicht von Myladys Bogen abgeschossen worden sein.« »Demnach wurde der Mann am Tatort mit einem Pfeilhieb ersto chen!« »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Sir. Es wäre der korrekten Abwicklung des Falles zuträglich, wenn Sie in Ihrer Eigenschaft als Anwalt das Souterrain in Shepherd’s Market auf suchen würden, Sir, um Mister Lionel Hotchkiss zu verhören. Dies war auch der eigentliche Grund meiner späten Belästigung, Sir.« »Klar, ich komme rüber, Parker. Fahren Sie schon voraus. Miß Kathy kann mich hinbringen. Ich möchte mich nur noch umzie hen, denn so wie ich bin, kann ich Lady Agatha kaum unter die Augen treten.« * Butler Parker benutzte den Seiteneingang. Bereits von draußen hatte er in Myladys Studio noch Licht gesehen, ein flackerndes, die Farbe wechselndes Licht, das vom TV-Gerät stammte. Allem Anschein nach verfolgte Mylady den Spätkrimi. Parker schloß aus einschlägiger Erfahrung nicht aus, daß seine Herrin vor dem Bildschirm eingeschlafen war. Er entledigte Sich
seiner Melone, der Handschuhe und des Universal-Regenschirms und betrat seinen privaten Aufenthaltsraum, dessen gegenüber liegende Tür zum Labor führte. Sonderbarerweise stand diese Tür offen, obwohl Parker vor Ver lassen des Hauses sie nicht nur geschlossen, sondern sogar abge schlossen hatte. Der auf Rollen bewegliche Stuhl war nicht mehr besetzt. Am Bo den lagen Knäuel von abgewickeltem Klebeband. Erst jetzt fiel Parker auf, daß im Schacht des Video-Rekorders die Kassette fehlte, die dazu bestimmt war, die Signale der Überwa chungskamera am Portal aufzuzeichnen, um über Besucher Auf schluß zu geben – auch bei Abwesenheit. Parker empfand das Fehlen jener Kassette als höchst unerfreu lich, mußte er doch sich selbst ein gewisses Maß an Unaufmerk samkeit eingestehen. Indessen blieb die Frage offen, wie Hotch kiss sich allein hatte befreien können. Der Butler entsann sich, das Lassoband am rechten Handgelenk des Eindringlings nachdrücklich festgezogen zu haben. Ein Ent kommen ohne fremde Hilfe wäre Hotchkiss unmöglich gewesen. Hatte Hotchkiss etwa noch einen Komplizen ins Haus geschmug gelt? Kaum zu denken, aber nicht gänzlich auszuschließen. Die verschwundene Video-Kassette zeugte für Hotchkiss’ Bestreben, sein Eindringen in Myladys Fachwerkhaus zu verschleiern. Er mußte von der TV-Überwachungsanlage gewußt haben. Zwar war die Kamera optimal getarnt, doch für einen Experten, der nach dem zwangsläufig sichtbaren Objektiv suchte, war es keine große Sache, das Tele-Auge aufzufinden. Parker begab sich würdig und gemessen zum herrschaftlichen Wohnbereich, um die im Vorflur des Portals installierte VideoKamera auf Anschluß und Funktion hin zu überprüfen. Der Butler kam nicht dazu, denn in der fast dunklen Wohnhalle im Schein des sterbenden Kaminfeuers gewahrte er eine Gestalt auf dem Boden. Der Masse und dem Volumen nach handelte es sich um Mylady. Josuah Parker ging neben der Reglosen in die Hocke. Eine äußerst unwürdige Situation für die Herrin des Hauses… Parker entfernte die aneinandergereihten Klebstreifen von Myla dys Lippen. Die Hausherrin stieß spitze Schreie aus. »Parker! Sie reißen mir die Haut vom Gesicht…« »Zum Entfernen von Klebeverbänden wird stets ein kurzer, ener
gischer Ruck empfohlen, Mylady. Meine Wenigkeit hält sich ledig lich an Erfahrungssätze. Darf man fragen, wer Mylady dies ange tan hat? War es Mister Hotchkiss, der Zwilling mit dem Taufna men Lionel?« »Schneiden Sie die Klebestreifen auf, Parker! Sehen Sie denn nicht, daß mir die Hände auf den Rücken gebunden sind? Ich ha be schon kein Gefühl mehr in den Fingern…« »Sofort, Mylady.« Parker wählte die dünne Klinge seines Zigar renabschneiders, um die klebenden Fesseln Schicht für Schicht zu durchtrennen. »Machen Sie voran, Mister Parker…« »Gewiß… Es hat aber inzwischen geläutet, Mylady. Draußen war ten Mister Rander und Miß Porter. Meine bescheidene Wenigkeit sah sich genötigt, Myladys Rechtsberater herzubitten, da gewisse Vorfälle im Souterrain des Hauses juristischen Beistand wün schenswert erscheinen ließen.« Parker trennte die Fesselung an den Fußgelenken durch und ü berließ es seiner Herrin, nachdem er ihr auf die Beine geholfen hatte, sich selbst von den Resten des Klebebandes zu befreien. »Sind Mylady damit einverstanden, wenn den Besuchern nun mehr geöffnet wird?« »Wieso hat Kathy keinen Schlüssel?« »Das entzieht sich der Kenntnis meiner bescheidenen Person, Mylady.« Josuah Parker schritt würdevoll zum Eingang, als er vernahm, wie der Schlüssel eingeschoben wurde. Die Sicherheits tür schwang auf. Kathy Porter trat ein, gefolgt von ChiefSuperintendent McWarden und Mike Rander, der dem YardBeamten den Vortritt ließ. Lady Agatha hatte sich in einen Sessel gesetzt und war dabei, sich von den klebenden Fesseln zu befreien Parker machte Licht. »Was ist denn passiert?« McWarden trat neugierig näher. »Warum haben Sie auf mein Läuten nicht gleich geöffnet, Mister Parker? Ich mußte warten, bis Miß Porter kam und aufschloß.« »Immer der Reihe nach«, mischte Mike Rander sich ein. »Setzen Sie sich, McWarden.« Er blickte zu Lady Agathas Sessel, vor dem Kathy kniete und ihrer Herrin beistand. »Hat es Verletzungen ge geben?« »Außer ein paar Laufmaschen ist nichts festzustellen, Mike, – äh, Mister Rander.« »Haben Sie den Täter erkannt, Mylady? Wer war’s?«
»Wie soll ich das wissen! Mir wurde plötzlich ein Lappen auf Mund und Nase gedrückt. Was dann passierte, kann ich nicht sagen. Ich erwachte erst aus meiner Ohnmacht, als Mister Parker mir das Pflaster vom Mund riß.« »Meine Wenigkeit fand Mylady hier in der Wohnhalle, Sir, wenige Minuten nach meiner Rückkehr, als festgestellt werden mußte, daß Lionel Hotchkiss nicht mehr da war.« »Nicht mehr da?« echote McWarden. »War der Mann denn über haupt da? Ich meine, was hatte er hier im Haus verloren?« »Um dies zu prüfen und wenn möglich zu beantworten, wurde Mister Rander hergebeten, Sir. Zum Zeitpunkt des alarmierenden Gesprächs mit Mister Rander konnte allerdings nicht davon aus gegangen werden, daß Hotchkiss inzwischen das Weite gesucht hätte.« »Nachdem er mich umbringen wollte!« rief Parkers Herrin ankla gend. »Purer Zufall, daß ich noch lebe. Aber das wird er mir bü ßen, dieser King…!« »Wer? Mister King, Lady Agatha?« McWarden hüstelte. »Der Mann war so freundlich, mich herzufahren. Den ganzen Weg von Essex bis zu Ihrem Haus. Womöglich steht sein Wagen noch un ten am Tor. Mister King kann mit den Vorgängen nicht das ge ringste zu tun haben, Lady Agatha.« »Unsinn! King ist ein Wolf im Schafspelz, McWarden. Ich habe gesagt, was zu sagen war. Bringen Sie mich bitte hinauf, Miß Por ter. Ich bin schwer mißhandelt worden… in meinem eigenen Haus! Wozu werden Sie von Scotland Yard eigentlich bezahlt, McWarden, wenn Sie eine alleinstehende Lady nicht schützen können! Ich habe Ihnen den Namen des Verbrechers bekannt gegeben. Nehmen Sie King auf der Stelle fest! Er ist der Verant wortliche und der Anstifter!« * Josuah Parker hatte gewartet, bis Kathy Porter die Herrin des Hauses zu den oberen Gemächern begleitet hatte. In der Wohn halle brannte nun der Kamin kräftiger, die Stehlampen und Wandleuchten waren eingeschaltet. »Darf man Erfrischungen anbieten?« erkundigte sich Parker. »Fruchtsäfte, Tee oder Kaffee?«
»So spät keinen Kaffee mehr, Mieter Parker«, erwiderte McWar den. »Ich bin nicht mehr im Dienst. Ein kleines Glas Whisky wäre nicht übel.« Parker verbeugte sich. »Sehr wohl, Sir. Nehmen Sie auch einen Whisky, Mister Rander?« Mike Rander winkte ab. »Nach allem, was vorgefallen ist, sollten wir einen klaren Kopf behalten, Parker. Kathy kann später etwas Tee bringen. Ich habe das dumpfe Gefühl, daß in dieser Nacht noch einiges fällig ist. Hotchkiss ist also geflohen?« »Es hat den Anschein, Sir. Hotchkiss muß von dritter Seite Hilfe bekommen haben, da seine angebliche Fesselung ja meinerseits korrigiert und gesichert wurde. Zudem bestätigt das Fehlen der eingelegten Bandkassette, daß in diesem Hause während Myladys und meiner Wenigkeit Abwesenheit Ungesetzliches vorgefallen ist. Lionel Hotchkiss hat sich auf illegale Weise Zutritt verschafft.« »Und er ist nicht mehr da! Duplizität der Ereignisse. Erst finden Sie unweit der Lichtung, auf der Ihre Herrin trainierte, einen Toten, Mister Parker, und dann wollen Sie Lionel Hotchkiss im Sou terrain entdeckt haben, gefesselt und betäubt. Wer jedoch tat sächlich gefesselt und betäubt war, war Lady Agatha, Ihre Herrin. Würde ich Sie nicht besser kennen, müßte ich Sie festnehmen, Mister Parker!« Rander hob die Hand. »Nicht so voreilig, Superintendent! Wie mehr oder weniger gut Sie Parker kennen, steht hier nicht zur Debatte. Hotchkiss hat Spuren hinterlassen, die Parkers Aussage bestätigen werden.« »Wer außer Parker will beweisen können, daß Hotchkiss hier war, Mister, Rander?« »Beweisen kann das niemand, Sir. Nicht mal Parker. Es ist nur beweisbar, daß ein Fremder im Haus war. Parker will den Mann als Lionel Hotchkiss identifiziert haben. Das nehme ich erst mal als Faktum, um weiterzukommen.« »Sir«, unterbrach Josuah Parker das begonnene Plädoyer des Anwalts. »Mylady wurde ebenfalls betäubt und gefesselt. Wer könnte ein Interesse daran haben, so etwas zu tun, wenn nicht Hotchkiss, der sich befreien konnte oder, was wahrscheinlicher ist, von einem Komplizen befreit wurde. Bedenken Sie die Schwierigkeit, Mylady vom Souterrain die Treppe hoch zur Wohn halle zu schaffen.« »Das überzeugt mich«, sagte McWarden, »wer kann denn Hotch
kiss’ Komplize gewesen sein, Parker? Der Zwillingsbruder scheidet aus, weil Sie ihn doch selbst auf meine Anweisung in Polizeihaft gebracht haben. King scheidet ebenfalls aus. Er persönlich hat mich hergefahren.« »Golightly?« McWarden blickte Rander scharf an. »Was wissen Sie davon? Sie waren doch gar nicht dabei.« »Ich habe Parkers mündlichen Bericht entgegengenommen, Su perintendent. Was ist mit Golightly?« »Soviel ich weiß, war er noch im Haus, als ich mit King losfuhr.« »Sicher sind Sie nicht, oder?« »Golightly ist völlig unbedeutend, Mister Rander. Als Anwalt wis sen Sie doch, wie sich manche Leute aufspielen. Golightly konnte, keinesfalls vor uns hier eingetroffen sein. Er hätte schon fliegen müssen.« »Bleibt noch Miß Barney. Wie lange war die Hausdame anwe send?« McWarden zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich habe meine Untersuchungen zu Ende geführt, war mit Mister King noch bei der Lichtung und habe nach Spuren geforscht. Es gab keine.« »Mit Verlaub, Sir«, sagte Josuah Parker. »Woher kannten Sie . den Tatort?« »Es war doch dieses Gebüsch. Außerdem hat mich Mister King zu der Stelle geführt.« »Interessant«, äußerte sich Mike Rander. »King kannte den Tat ort, ohne je vorher dort gewesen zu sein…« »Natürlich war er dort. King hat doch den Commissioner alar miert…« »Mit Verlaub, Sir, Mister King mag Commissioner Harley angeru fen haben, nachdem er von Lionel Hotchkiss Bescheid erhalten hatte. So lautete auch die Aussage des Constables. Den Tatort oder Fundort konnte Mister King jedoch nicht kennen, da er bis zum Abrücken der Polizei nicht erschienen war. Auch nicht bis zu dem Zeitpunkt, da meine bescheidene Wenigkeit die Ehre hatte, Mylady und Sie, Sir, zum Anwesen Mister Kings zu chauffieren.« »Verdammt!« »Sie hätten King besser mit Handschellen am Tor festmachen sollen, Superintendent«, sagte Rander. »Jetzt ist er auf und da von und lacht sich eins ins Fäustchen.« »Wollen Sie mir Vorschriften machen, Mister Rander?« McWarden
funkelte erbost mit den Augen. Der Anwalt schüttelte den Kopf. »Vorschriften? Niemals! Ich gebe Ihnen einen gutgemeinten Rat, Superintendent: lassen Sie das Trio zur dringenden Fahndung ausschreiben. Norman King, Gwendolyn Barney und Lionel Hotchkiss. Ich gehe jede Wette ein, daß King nicht vor Endausscheidung der Britischen Meisterschaf ten zu Hause anzutreffen ist.« »Wann findet diese Endausscheidung denn statt?« »Morgen, Sir«, sagte Josuah Parker. »Wäre Mylady andernfalls heute im eigenen Haus überfallen und betäubt worden? Mylady verkörpert Mister Kings einzige ernsthafte Konkurrenz, Sir.« »Verkörpert? Ja, ja. Wenn es danach geht, hat Lady Simpson die Meisterschaft bereits gewonnen.« »Es wird sich fragen, ob Mylady am morgigen Tag gesundheitlich imstande ist, der schwierigen Disziplin des Bogenschießens zu genügen, Sir. Falls nicht, hätte Mister King sein Ziel mit unlaute ren Mitteln erreicht. Mit Fug und Recht darf man Mister King für den Verantwortlichen des Nervenkrieges halten. Meine beschei dene Person möchte Mister Randers Rat eindringlich unterstützen, Sir. Lassen Sie Mister King zur Fahndung ausschreiben.« »Das bedeutete, daß er nicht an der Meisterschaft teilnehmen könnte, nicht wahr? Diese Befürchtung sprach er unterwegs aus. King hält Lady Simpson für imstande, wie er sagte, alle Gemein heiten einzufädeln, um ihn an der Teilnahme der Britischen Meis terschaften zu hindern. Im Vertrauen – King ließ mich wissen, daß er den Fall mit dem Mord ohne Leiche für einen geplanten Bluff Ihrer Herrin hält, Mister Parker. Außer Ihnen hat niemand den Toten gesehen. Und es gab nicht die geringsten Spuren.« Rander schaltete sich ein. »Wie paßt dann Hotchkiss ins Bild, Su perintendent? Hatte King auch dazu eine Erklärung parat?« »Wie sollte er! King konnte doch nicht ahnen, daß sein Butler sich betäubt und gefesselt hier im Haus befand. Wiederum ist es Mis ter Parker allein, der den Mann identifiziert haben will. Vielleicht wurde Hotchkiss in eine vorbereitete Falle gelockt?« »Sir…?« »Sie sind verrückt, Superintendent! Auf welcher Seite stehen Sie eigentlich?« Mike Rander regte sich mächtig auf. »Auf welcher Seite? Auf der Seite des Gesetzes natürlich! In mei ner Position bei Scotland Yard kann ich mir keine Parteinahme erlauben, auch wenn es sich um eine Dame des Adels handelt.
Ich muß die Indizien bewerten, und diese Indizien sprechen ge gen…« »Gegen Mylady, Sir?« unterbrach Josuah Parker mit unbewegtem Pokergesicht. »Nein! Gegen Sie, Mister Parker!« Die Miene des Butlers änderte sich nicht. »Sie wünschen Hut und Mantel, Sir. Man wird Sie zur Tür begleiten…« * »Ein dicker Hund«, sagte Mike Rander und betonte jede einzelne Silbe. »McWarden muß verrückt geworden sein, Sie zu beschuldi gen, Parker.« »Aus seiner Sicht ist dies durchaus verständlich, Sir«, erwiderte der Butler. »Mister McWarden bildet sich sein Urteil nach den ihm vorliegenden Indizien. In der Tat hatte meine Wenigkeit keine Zeugen, als zum einen der unbekannte Tote und zum anderen Lionel Hotchkiss gefunden wurden.« »Das kann Absicht sein, Parker. King kann es so eingefädelt ha ben, daß keine Zeugen dabei waren, zumal Hotchkiss sich selbst betäubt und gefesselt hat.« »Mitnichten, Sir. Hotchkiss mag sich anfänglich selbst gefesselt haben, doch wie ist er dann nach der von mir korrigierten Fesse lung allein wieder freigekommen? Er hat das Klebeband absicht lich in der Küche zurückgelassen, das auf einen fremden Täter deuten sollte. Außerdem war Hotchkiss betäubt. In seinen Ta schen war nichts zu finden, womit er die Betäubung hätte vor nehmen können.« »Wir werden gemeinsam hinuntergehen und alles gründlich durchsuchen, Parker. Der Mann kann die Ampulle mit letzter Kraft in eine Ecke geschleudert haben.« Josuah Parker neigte den Kopf. »Vergessen Sie nicht diese Nach richt, Sir. Mylady wurde gewarnt, auf das nächste wichtige Vor haben zu verzichten. Damit kann nur die Endausscheidung ge meint sein, Sir.« »Das paßt doch alles ins Bild, Parker. Mit dem erstochenen Toten hatte es nicht so recht geklappt. Statt Golightly mußte ein Frem der dran glauben. Um die Panne zu vertuschen, ließ King die Lei che wegschaffen.«
»Durch wen? Mit wessen Hilfe, Sir?« »Vielleicht hat es der ehrenwerte Mister King selbst besorgt. Sie sagten, King sei von kräftiger Statur. Ich brauche Ihnen doch nicht zu erklären, daß ein Mann mit einem bestimmten Griff einen anderen Mann mühelos wegschaffen kann, Parker. Dann bleibt nichts als zerdrücktes Gras, wie Sie es vorgefunden haben, Par ker. Keine Schleifspuren, keine Abdrücke von Fahrzeugreifen.« »Und jenes Telegramm aus Brighton?« »Das hat Hotchkiss in Kings Auftrag aufgegeben, ehe er von Brighton direkt hierher fuhr, um den Überfall vorzutäuschen, den McWarden Ihnen anhängen will.« »Möglicherweise, Sir. Warum aber der vorgetäuschte Überfall, wenn der Überfall auf Mylady echt war?« »Geben Sie mir jetzt doch einen Whisky, Parker. Mit dem Glas in der Hand kann ich besser denken.« »Sehr wohl, Sir. Scotch, Canadian oder Bourbon?« »Sagen Sie bloß, Lady Agatha hätte die Sorten alle!« »Meine bescheidene Wenigkeit verfügt über gewisse Vorräte. Darf man Sie in meine bescheidenen Privaträume begleiten? Sie haben die freie Auswahl, Sir. Es macht mich glücklich, Ihnen dienlich sein zu können.« »Willst du schon wieder fort, Mike?« rief Kathy von der Treppe. »Lady Agatha hat sich noch aufgeregt. Kein Wunder, nach allem, was geschehen ist. Ich soll ihr eine Milch >mit Geschmack< brin gen.« »Das wird meine Wenigkeit erledigen«, sagte Parker gemessen. »Aus Erfahrung kennt man den >Geschmackszusatz<, dessen Mylady bedarf, Miß Porter. Wollen Sie Mister Rander in meine di versen Räumlichkeiten begleiten. In wenigen Augenblicken wird meine bescheidene Person folgen.« »Okay, gehen wir vor, Kathy«, reagierte Rander grinsend. »Ich werde mich schon zurechtfinden.« Butler Parker hielt es nicht für erforderlich, in der Küche Milch anzuwärmen. Er wußte ohnehin, welche »Milch« Mylady meinte. Die Flasche stand gleich vorn im Barfach. Ihr Inhalt war tatsäch lich von milchiger Beschaffenheit. Es handelte sich um ein exqui sites Getränk, das unter diversen Marken und Etiketten vertrieben wurde. Auf der zum Haushalt gehörigen Flasche prangte die Be zeichnung »Cream with Scotch Whisky«. Der Alkoholgehalt dieses Damenlikörs würde Mylady bald in Mor
pheus’ Arme treiben. Parker nahm ein Glas und schenkte reichlich ein. Auf einem Silbertablett trug er Myladys Labsal in Agatha Simpsons sogenanntes Studio. Die ältere Dame war noch auf, als Parker an die Tür pochte. »Kommen Sie rein, mein Kind…« Der Butler räusperte sich. Die Detektivin sah in ihrem großgeblümten, rosafarbenen Haus mantel furchterregend aus. Über den TV-Schirm flimmerte der Spät-Krimi. »Sie, Mister Parker? Was bringen Sie da? Mir ist nicht wohl. Ich kann keinesfalls angewärmte tierische Produkte zu mir nehmen. Miß Porter hatte klare Weisung bekommen.« »Eine Weisung, die von meiner bescheidenen Wenigkeit durchaus verstanden worden ist, Mylady. In diesem Zusammenhang darf man den Wunsch ausdrücken, Mylady möge eine ruhige Nacht haben.« »Danke, Mister Parker. Ich habe meine Nachtruhe bitter nötig. Überfall im eigenen Haus! Das muß man sich mal vorstellen…« »Meine bescheidene Wenigkeit ist dabei, in dieser Hinsicht eine gewisse Vorstellungskraft zu entwickeln, Mylady. Mister McWar den vermochte die Geschehnisse nicht als das zu nehmen, als was sie gedacht waren. Im Endergebnis hat der ChiefSuperintendent meine Person in Verdacht. Dies ist um so mehr bedauerlich, als Mylady allein der Idee verfallen sind, überwältigt, betäubt und gefesselt worden zu sein.« »Was reden Sie da, Mister Parker!« »Wenn Mylady erlauben, möchte man den Hergang mit an Si cherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wie folgt schildern: Myla dy begaben sich zum Souterrain in die Küche und begegneten dort zwei Individuen, die bei Myladys Anblick zur Flucht ent schlossen waren.« »Woher wollen Sie das wissen, Mister Parker? Sie waren doch gar nicht dabei…« »Man hatte das zweifelhafte Vergnügen, jenen vage bekannten Mister Lionel Hotchkiss in den meiner bescheidenen Wenigkeit vorbehaltenen Räumen zu finden. Nach Verbesserung der vorge täuschten Fesselung hätte es Mister Hotchkiss nur schwer gelin gen können, sich aus eigener Kraft zu befreien. Daher ist die An nahme statthaft, daß sich noch eine zweite Person, ein Komplize, im Haus befand.«
»Gut, ich gebe es zu, Parker. Hotchkiss hatte diese zweifelhafte Person bei sich, diese >Hausdame
berzeugen, nach Mister King fahnden zu lassen. Vielmehr ver dächtigt er meine Wenigkeit gewisser Unregelmäßigkeiten. Myla dy haben sich in der Vortäuschung jener Straftat keinen guten Dienst erwiesen. Sollten Hotchkiss oder die Hausdame gefaßt werden, kann es für Mylady peinlich enden. In diesem Fall exis tierten zwei Aussagen, daß Mylady unversehrt zurückblieben.« »Unsinn! Wer glaubt denn solchem Gesindel? Sie können bezeu gen, daß Sie mich befreit und gerettet haben, Mister Parker! Ich rechne auf Ihre Aussage! Sagen Sie einfach nur die Wahrheit.« »Gewiß, Mylady.« »Gute Nacht, Mister Parker. Miß Kathy möchte mich um acht Uhr wecken. Bereiten Sie mir ein besonders kräftiges Frühstück, Mis ter Parker. Morgen ist Wettkampftag. Überprüfen Sie meine Aus rüstung, ehe Sie sich selbst schlafen legen.« * »Wo haben Sie so lange gesteckt, Parker? Ich habe eine Flasche
Paddy gefunden und mich schon selbst bedient. Wirklich, die Iren
verstehen es, einen milden Whisky zu brennen. Kathy ist schon
zu Bett gegangen. Sie waren lange bei Lady Simpson, Sie Schwe
renöter!«
Rander drohte ironisch mit dem Finger.
»Es stellt sich nunmehr die Frage, Sir, was Hotchkiss und die
zweite Person in Myladys Haus wollten.«
»Die zweite Person? Gehen Sie immer noch davon aus, daß Lady
Agatha nicht von einem einzelnen hochgetragen werden konnte,
Parker?«
»Es gibt Beweise, daß eine zweite Person im Hause weilte, Sir.
Leider ist es mir verboten, darüber zu reden.«
»Zu mir können Sie doch offen sein, Parker.«
»Bedauerlicherweise in diesem Fall nicht, Sir. Meine Offenheit
würde Dritte belasten.«
»Ich bin zur Verschwiegenheit verpflichtet, Parker.«
»Sicher, Sir. Dringen Sie nicht weiter in meine bescheidene Per
son ein. Es gilt, Mister Hotchkiss ausfindig zu machen. Er hat sich
in Widersprüche verstrickt, die nach Klärung den Weg zu dem
Mörder jenes Opfers weisen, das meine Wenigkeit im Unterholz
zu entdecken das zweifelhafte Vergnügen hatte.«
»Sie reden, als wüßten Sie inzwischen, um wen es sich bei dem
rätselhaften Toten handelt, Parker.«
Der Butler verzog keine Miene, sondern blickte Mike Rander offen
an. »Wenn man der kriminalistischen Methode folgt, die Unwahr
scheinlichkeiten abzugrenzen und auszuschließen, wenn man
Verhaltensweisen auf Indizien zuordnet, wenn man schließlich ein
wenig Intuition walten läßt, bleibt nichts anderes als die Frage,
Sir, ob Sie zufällig in Besitz des neuesten juristischen Jahrbuches
sind.«
»Was soll denn das? Ich stehe sowieso nicht drin. Die Erwähnun
gen sind den uralten Anwaltsfirmen vorbehalten, die seit Genera
tionen das Recht durch den Fleischwolf drehen, Parker.«
»Würde es Ihnen etwas ausmachen, Sir, in Ihrer Bibliothek nach
jenem Jahrbuch zu forschen?«
»Jetzt? Mitten in der Nacht?«
»Es ist von einiger Wichtigkeit, Sir.«
»Okay, Sie alter Geheimniskrämer.
Aber Sie kommen mit! Sie können mich zur Curzon Street fahren,
Parker.«
»Mit dem größten Vergnügen, Sir. Können wir bald aufbrechen?
Es steht zu befürchten, daß die Sache eilt.«
Mike Rander kannte seinen ehemaligen Kampfgefährten gut ge
nug, um keine überflüssigen Fragen zu stellen. Er trank aus und
stellte das Glas ab. »Vamos…«
»Das sagt man in Spanisch-Kalifornien, nicht wahr, Sir?«
»Si, compadre. Vamos. Der Teufel soll Sie holen, wenn ich das
juristische Jahrbuch umsonst hervorkramen muß!«
»Dies, Sir, steht nicht zu befürchten. Was ärgerlich sein könnte,
wäre die Tatsache, daß nicht alle Chefs von Simrock, Simrock &
Simrock mit ihren Konterfeis abgebildet sind, Sir.«
»Was haben Sie denn mit dieser versnobten Anwaltsfirma zu
schaffen, Parker?«
»Simrock, Simrock & Simrock vertreten die Interessen von Mister
Norman King, Sir.«
»Na, und…?«
»Anhand des Jahrbuches erfolgen in Ihrem Büro weitere Auf
schlüsse, Sir.« Josuah Parker strebte voraus und hielt seinem Ex-
Herrn die Tür offen. Bei dem geringen Verkehr um die späte
Stunde dauerte die Fahrt zurück zur Curzon Street nur kurz.
In seinem Büro ging Mike Rander Vor und sperrte auf. »Das Jahr
buch«, sagte er und machte Licht. »Ich muß es bei der speziellen britischen Fachliteratur eingeordnet haben. Ah, hier haben wir es schon. Bedienen Sie sich, Parker.« Der Butler blätterte das Register durch, schlug unter Simrock nach und fand die Erwähnung. Es gab nur noch einen Simrock. Die Seniorpartner waren verstorben, beziehungsweise ausge schieden. Daher existierte nur ein einziges Foto. Honorable Alan Manfort Simrock lächelte huldvoll. Man hatte ihn, womöglich auf eigenen Wunsch, in Amtstracht abgebildet. Trotz der entstellenden Perücke wußte Josuah Parker sofort, daß er den Toten aus dem Unterholz identifiziert hatte. In der Brust dieses Mannes hatte einer der Slazenger gesteckt, wie Mylady sie im Training verwendete. Aber Mylady hatte Alan M. Simrock keinesfalls auf dem Gewissen. »Alles klar, Parker?« erkundigte sich Mike Rander munter. »Was die in Frage stehende Klärung betrifft, ja, Sir. Der in jener Anwaltskanzlei einzig agierende Mister Simrock weilt nicht mehr unter den Lebenden. Er ist der Mann, den meine bescheidene Wenigkeit entseelt im Gebüsch entdecken mußte. Nun handelt es sich nur noch um das Vorgehen, Mister Simrocks Mörder zu stel len und zu überführen.« »Teufel auch«, brummte Rander. »Sie haben King in Verdacht, wie? Ein harter Brocken, Parker. Hoffentlich verschlucken wir uns nicht daran. Ich möchte gern meine Zulassung als Anwalt behal ten. King ist wirklich wie ein König! Er hält die entscheidenden Fäden in der Hand und kann die Puppen tanzen lassen, wann er will.« »Wenn wir ihm noch die Chance dazu geben. Sind Sie bereit und willens, Sir, trotz der späten Stunde zu Mister Kings Anwesen in Essex zu fahren?« »Ich muß ja wohl«, erwiderte Rander und kratzte sich am Kopf. * »Sie fahren völlig unvorbereitet, Parker? Kein Kaninchen im Hut,
keine Tricks, keine überraschenden Effekte?«
»Mit Kaninchen, Sir, wird Mister King kaum beizukommen sein.
Die besten Waffen hat die Natur uns in unserem Körper verliehen.
Ein scharf denkendes Hirn, gesunde Sinne und schnelle Reakti
on.« »Reaktion ist wichtig«, brummte der Anwalt. Er wurde bei Parkers Tempo von einer Ecke in die andere geschleudert. Der Butler hat te die Panzerglas-Trennscheibe herabgelassen, so daß Rander ohne elektronische Sprechanlage mit ihm Kontakt hatte. Das umgebaute Taxi raste über die ausgebaute Schnellstraße. London mit einer Glocke aus Licht und Dunst lag zwanzig Meilen hinter ihnen. »Wie wollen Sie’s bei King denn anfangen, Parker, vorausgesetzt, daß er uns überhaupt ins Haus läßt?« »Das dürfte die Gunst des Augenblicks entscheiden, Sir. Sie ha ben das Jahrbuch doch bei sich? Man könnte Mister King das Kon terfei des toten Mister Simrock vorhalten und ihn sogleich be schuldigen, diesen Mann absichtlich und aus niederen Beweg gründen vom Leben zum Tod befördert zu haben.« »Und wenn er es hohnlächelnd abstreitet, Parker?« »Dann hat Mister King immerhin zugegeben, daß Mister Simrock in der Nähe war. Man braucht nur noch Simrocks sterbliche Über reste zu finden, Sir. Der Einstich eines Pfeiles kann nicht kaschiert werden. Der Aufprallwinkel und der Wundkanal kann von Exper ten mit Hilfe von Sonden genau festgestellt werden. Im King’schen Haushalt hatte jedermann ein Alibi – mit Ausnahme des Hausherrn. Zusätzlich ist zu bedenken, daß Mister King den Mordfall gemeldet hat. Zwar zog Lionel Hotchkiss los, um die Poli zei zu verständigen, doch verständigt wurde lediglich sein Dienst herr.« »Demnach müßte King zu Hause gewesen sein, Parker.« »Oder im >Fox and Fitchew<, respektive auf dem Weg dorthin.« »Das verstehe ich – nicht ganz, Parker.« »Sir, wenn die Herren Hotchkiss, Lionel oder Livingston, als Täter aus scheiden, bleibt nur noch Mister King selbst übrig! Der Stoß konnte nur von einem kräftigen Mann geführt werden. Der ge samte Plan geht auf Mister Kings kriminelle Energie zurück. Ur sprünglich mochte daran gedacht worden sein, Mylady einen nachhaltig gen Schock beizubringen. Von einem Dutzend abge schossener Pfeile werden stets zwei bis drei vom Wind fortgetra gen. Auf der Suche nach dem verlorenen Pfeil sollte Mister Go lightly vermeintlich getroffen aufgefunden werden. Mister Hotch kiss hatte die Vorbereitungen dazu ja schon getroffen. Freddy Golightly wurde mit einer flüssigen Droge in Bewußtlosigkeit ver
setzt. Man braucht kein Theaterrequisiteur zu sein, um ein angeb lich von einem Pfeil durchbohrtes Opfer darzustellen.« »Wenn ich mir nun King vorknöpfen soll, muß ich aber heil und lebendig dort ankommen«, lenkte der Anwalt ab und machte auf die Geschwindigkeit des Wagens aufmerksam. »Verzeihung, Sir! Die Straße, ist frei und eben. Darf meine We nigkeit nun in der Betrachtung des allzu frühen Ablebens Mister Simrocks fortfahren?« »Gehen Sie vom Gas runter, Parker! So eilig können wir es gar nicht haben! Golightly sollte also Ihrer Meinung nach den toten Mann markieren, um Lady Agatha einen Schrecken einzujagen.« »Nicht nur das, Sir. Mylady und meine bescheidene Wenigkeit sollten verleitet werden, die Polizei zu alarmieren, um lächerlich dazustehen, weil die vermeintliche Leiche vor Eintreffen der Poli zei entfernt sein würde. Ein derber Spaß, ganz dazu angetan, Mylady in Mißkredit zu bringen, in Widersprüche zu verwickeln und womöglich von der Teilnahme an den Britischen Meister schaften abzuhalten.« »Sie entpuppen sich als Sozialkritiker, Parker. Hat Lady Agatha Ihnen auf die Sprünge geholfen?« »Es geht um das Motiv, Sir. Warum wurde ein Mann getötet? Wa rum Anwalt Simrock anstelle des Komparsen Golightly? Diese Frage muß beantwortet werden, ehe man zu Mister Kings Fest nahme schreiten kann. Wenn das Motiv geklärt ist, dürfte man auch auf die Leiche stoßen.« »Wie denn das, Parker?« »Mister King müßte gezwungen werden, zu gestehen. In Folge davon wird er uns zu der Leiche führen, Sir.« Mike Rander mußte sich festhalten. Parker hatte das hochbeinige Monstrum von der Schnellstraße gelenkt und befuhr nun holprige Landstraßen. »Sie haben sich also für King als Täter entschieden, Parker?« »Es dürfte keine Frage der Entscheidungsfindung sein, Sir. Durch Abwägung und Ausklammern bleibt allein Mister Norman King übrig. Nur er kann der Täter sein. Vielleicht fiel Anwalt Simrock einem Unfall zum Opfer. Gleichwohl sollte Mister King der Mann bleiben, der als einziger den tödlichen Pfeil geführt haben kann.« »Er wird alles abstreiten.« »Das dürfte zu erwarten sein, Sir. Man müßte Mister King in den Maschen seines Netzes fangen. Es bestände die Möglichkeit, daß
Sie, Sir – zumindest übergangsweise – als Tatzeuge auftreten.« »Hey! Ich war doch nicht dabei…« »Gewiß nicht. Doch dürfte Mister King das mit Sicherheit nicht wissen. Auch die Gerichte entscheiden sich gern für einen Lokal termin, wenn sie mit ihrer Beweisführung nicht weiterkommen. Mister King sollte dazu gebracht werden, trotz der herrschenden Dunkelheit den Tatort noch mal aufzusuchen. Sie, Sir, müßten ihn dazu anregen. An Ort und Stelle könnte meine bescheidene We nigkeit dann ein Spektakel inszenieren, das selbst den härtesten Rechtsbrecher zu Geständnissen bringt.« »Sie haben was vor, Parker!« »In der Tat, Sir! Man wird die Rolle jenes unglücklichen Mister Simrock übernehmen, und Sie werden es sein, der die Bluttat erneut begeht.« »Ich soll Sie abstechen, Parker?« »Nur zum Schein, Sir. So wie es mit Mister Golightly geplant war. Meine bescheidene Person wird sich mit Erfolg zu schützen wis sen.« »Wir haben doch gar nicht alles dabei, was wir für solch eine Vor stellung brauchen, Parker.« »Mit Verlaub, Sir, doch. Myladys Ausrüstung befindet sich noch im Wagen. So dürfte auch der richtige Pfeil zur Verfügung stehen, um den tödlichen Stich demonstrieren zu können.« »Das sagen Sie so… >tödlicher Stich<, Parker. Wie wollen Sie sich schützen, wenn ich tatsächlich zustoße, damit es echt wirkt?« »Machen Sie sich deshalb keine Gedanken, Sir. Je weniger Sie über die Begleitumstände wissen, desto überzeugender muß es auf Mister King wirken. Immerhin befindet sich eine Grundaus stattung meines bescheidenen Labors im Fahrzeug, Sir. Bis man bei dem Kingschen Anwesen eintrifft, bleibt Zeit genug, einen Plan über das gemeinsame Vorgehen abzusprechen.« * Bei allem angeborenen Taktgefühl hinsichtlich Besuchszeit spürte Butler Parker keine Bedenken, den Bronze-Türklopfer in Funktion zu setzen. Sie hatten Mister Kings weitläufiges Anwesen erreicht. Das hoch
beinige Monstrum stand im Hof. Rander war mit ausgestiegen und wartete zwei Schritte hinter dem Butler auf der Freitreppe, daß ihnen aufgetan wurde. Es war zwischen Nacht und Morgen. Der Himmel im Osten ver färbte sich schon grau. Ein kühler Wind strich durch den Eichen hain, der den Besitz zum Wald hin abschirmte. Parkers Vorbereitungen hatten einige Zeit in Anspruch genom men. Er hatte alle zur Verfügung stehenden Mittel und Möglich keiten genutzt, sich für kommende Spektakel zu präparieren. Auch Rander war mit seiner Rolle vertraut, wenn er auch gewisse Vorbehalte geltend gemacht hatte. Der Anwalt schien nicht so recht an den Erfolg zu glauben. »Die machen erst gar nicht auf, Parker«, sagte er düster. »Zum Teufel, ich tät’s auch nicht.« Gleichmütig setzte Josuah Parker sein Begehren um Einlaß fort. Wie dumpfe Hammerschläge hallten die Geräusche des Klopfers durch das Haus. Endlich flammte innen mattes Licht auf. Es dauerte noch einige Augenblicke, bis Schritte zu hören waren, dann ging die Tür auf. Norman King hatte selbst geöffnet. Er hatte sich einen Morgen mantel übergeworfen und hielt einen Trommelrevolver in der rechten Hand. »Schon wieder Sie! Ich hätte es mir denken können.« King blickte Josuah Parker verärgert an. »Hat Ihre Herrin Sie losgeschickt, um mir die Nachtruhe zu rauben?« »Die Nacht ist ohnehin gleich vorbei, Sir, und Frühaufstehen hat noch nie geschadet. Ist Ihr Personal nicht im Haus?« »Was geht Sie das an, Parker? Wen haben Sie da mitgebracht?« King hatte sich wie erwartet verhalten und dem Anwalt unwis sentlich das Stichwort gegeben. »Mein Name ist Rander, Sir. Ich vertrete Lady Simpson als ihr Rechtsberater. Wir sind einander bereits gestern Vormittag be gegnet, Sir.« »Ich kenne Sie nicht, Mister… Rander war der Name?« »Er ist es noch, Sir. Sonderbar, daß Sie mich nicht gesehen ha ben wollen. Kollege Simrock jedenfalls hat mich erkannt und freundlich gegrüßt. Hat er Ihnen nichts davon gesagt, Sir?« Der Revolver in Kings Hand begann zu zittern. »Simrock? Reden Sie von Alan M. Simrock von Simrock, Simrock & Simrock, Mister Rander? Er ist mein Anwalt, aber ich habe ihn
seit Tagen nicht gesehen.« »Das können Sie vielleicht der Polizei erzählen, aber nicht mir, dem Augenzeugen Ihrer Bluttat, Mister King! Ich habe bis jetzt gezögert, meine Beobachtungen weiterzugeben. Selbst Lady Simpson ist nicht im Bilde.« »Was wollen Sie? Verlangen Sie Geld? Sie bekommen von mir keinen Penny, Rander. Ich lasse mich nicht erpressen, nicht von einem Winkeladvokaten wie Ihnen. Sie sind nicht mal Brite!« »Ich habe gezögert, Mister King, weil ich es als Jurist vorziehe, eine Aussage lückenlos zu machen. Mir war Verschiedenes nicht klar.« Norman King lachte höhnisch. »Soll ich Ihnen etwa auf die Sprünge helfen, Rander?« »Sie haben die Wahl, Mister King. Ich kann auch sofort zur Polizei gehen, wenn Sie nicht zur Mithilfe bereit sind. Ihre einzige Chan ce wäre eine Entscheidung der Vorinstanz, daß es sich bei Mister Simrocks Tod um einen Unfall handelt.« »Und wenn es wirklich ein Unfall gewesen wäre?« fragte King lauernd. »Der Hergang kann nur am Tatort geklärt werden, Mister King, Ich fordere Sie daher auf, mich zu der Stelle zu begleiten. Sie kennen sie ja. Ihr Fehler war, Chief-Superintendent McWarden dorthin zu führen.« »Verdammt!« King krächzte. Er brachte den Revolver hoch. »Ver schwinden Sie, oder ich jage Ihnen ein Stück Blei in den Leib!« »Tätliche Bedrohung«, erwiderte Mike Rander ungerührt. »Sie verbösern Ihre Lage, Mister King. Ich kann leider nichts mehr für Sie tun. Kommen Sie, Parker. Wir werden den Mordfall auch ohne Mister Kings Mitwirkung am Tatort rekonstruieren.« Norman King war blaß geworden. Das lag nicht nur am vagen Licht der Morgendämmerung. Josuah Parker hatte sich bereits abgewandt. »Sie bluffen, Rander…« hörte er den Hausherrn sagen. »Sie haben überhaupt nichts gesehen, weil Sie so wenig dort waren wie ich!« »Und Sie, Mister King, müssen zu Tode erschrocken gewesen sein, als Sie feststellen mußten, daß Sie den falschen Pfeil er wischt hatten. Den Pfeil nämlich, den Lady Simpson verschossen hatte. Dieser Pfeil war nicht präpariert, wie der, den Sie für Go lightly vorgesehen hatten.« »Woher wissen Sie das?«
»Ihre Frage ist gleichbedeutend mit einem Eingeständnis, Mister King. Machen Sie reinen Tisch und begleiten Sie uns zum Tatort. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich mich an die realen Fak ten halte und Ihnen nichts anhängen werde, Mister King.« »Sie arbeiten für die alte Schreckschraube, die mich hinter Gitter bringen will?« »Ich bin Lady Simpsons Anwalt, das ist richtig. Als solcher bin ich nach britischem Recht aber auch integriert in die Wahrung von Recht und Ordnung. Ich handle nicht in freiem Ermessen, wenn ich Sie auffordere, mich zum Tatort zu begleiten.« »Ich nehme meine Schußwaffe mit, Rander.« »Das ist Ihnen unbenommen, Mister King, solange Sie keinen Gebrauch davon machen. Besitzen Sie einen Waffenschein?« »Wollen Sie den jetzt etwa sehen?« Mike Rander schüttelte den Kopf. »Fahren Sie den Wagen vor, Rander! Sie kennen ja den Weg zur Lichtung. Kommen sie, Mister King! Wir steigen hinten ein. Es ist Platz genug in diesem vorsint flutlichen Gefährt.« »Soll ich im Hausrock mitfahren, Ränder?« »Uns sieht ja niemand. Bald geht die Sonne auf. Wir bringen Sie auch wieder zurück.« Der Wagen mit Mike Rander und Norman King im Fond rumpelte über die Waldschneise zu der bekannten Lichtung. Die beiden Passagiere schwiegen sich an. Im Innenspiegel sah Parker Kings unbewegliche Miene. Sollte Simrocks Tod wirklich das Ergebnis eines Unfalls gewesen sein? Parker, gezwungen darauf zu wetten, hätte als vorsichtiger Mensch auf fifty-fifty getippt. * »Hier ist es geschehen, nicht wahr?« Rander blickte King fragend an. »Ich sage kein Wort«, erwiderte der Grundbesitzer. »Wenn Sie alles gesehen haben, müssen Sie es ja genau wissen, Rander.« Mike Rander hatte sich auf Parker verlassen, der vorangegangen war und im Gebüsch Halt gemacht hatte. »Ich will Ihnen nicht verhehlen, daß wir Freddy Golightlys Aussa ge haben, Mister King. Der Plan war der, daß Golightly angeblich
von einem Pfeil Lady Agathas getroffen sein sollte. Lionel Hotch kiss trichterte Golightly auch dieses Betäubungsmittel ein, aber als Trinker war Golightly härtere Sachen gewohnt. Er schlaffte nicht richtig ab, torkelte herum, wurde laut und lamentierte, wor aufhin Hotchkiss ihm eins auf den Hinterkopf verpaßte.« »Wollen Sie das etwa auch gesehen haben, Rander?« fragte King höhnisch. »Es ergibt sich aus dem Zusammenhang, Mister King. Golightly mußte beiseitegeschafft werden. Hotchkiss machte es sich einfach und ließ Golightly die Böschung zum Sawleeny-Bach hinabrollen, wo der arme Kerl dann liegenblieb, weit genug vom Ort des Ge schehens entfernt.« »Und dann?« »Lady Agatha trainierte unermüdlich. Es war die letzte Möglich keit vor der Endausscheidung. Meine Mandantin ahnte nichts von den Vorgängen um sie herum. Sie schoß Pfeil auf Pfeil ab, korri gierte ihre Technik und achtete auf den Wind. Dennoch trieb es einen der Slazengers ins Gebüsch. Parker ließ sich Zeit, nach dem Pfeil zu suchen, denn seine Herrin hatte ja ein Dutzend Turnier pfeile mitgebracht.« »Wo wollen Sie denn in der Zeit gesteckt haben, Rander? Ich ha be Sie nicht gesehen!« »Dies beweist, daß Sie ebenfalls hier waren, Mister King. Hören Sie auf, das abzustreiten! Sie machen sich unglaubwürdig. Nach dem die Panne mit Golightly eingetreten war, überlegten Sie fie berhaft, wie Sie Lady Agatha trotzdem eins auswischen konnten. Sie brauchten ein >Opfer<. Hotchkiss war nicht da. Um sein Alibi besorgt, lunchte er im >Fox and Fitchew<. Er mußte annehmen, als er von dem Toten im Unterholz erfuhr, daß man Golightly verwendungsgemäß zurückgeschafft hatte. Es war aber nicht Freddy Golightly, der angeblich getroffen worden war, sondern Anwalt Alan M. Simrock, der tatsächlich mit einem Pfeil erstochen wurde!« »Was sollte Simrock ausgerechnet hier im Wald?« »Da wissen Sie doch besser, Mister King! Sie haben Ihren Anwalt herbestellt, um einen neutralen Zeugen zu haben, falls Ihr morbi der Spaß zu Folgerungen führen würde… Es konnte immerhin sein, daß Lady Agatha die Nerven verlor und in Panik geriet. In dem Fall sollte Simrock auftreten und den Schwindel als dummen Scherz erklären.«
»Sie haben keine Ahnung, Rander! Sie phantasieren vor sich hin.
Simrock hatte nichts damit zu tun, weil er nämlich nicht hier
war.« »Es gibt noch einen zweiten Zeugen für Simrocks Anwe
senheit, Mister King.«
»Da bin ich aber gespannt…«
»Das kann ich mir denken. Sie haben ja alle Beteiligten wegge
schickt. Was haben Sie sich nur davon versprochen, Hotchkiss in
Lady Simpsons Stadthaus einbrechen zu lassen?«
»Davon weiß ich nichts. Hotchkiss ist verschwunden. Ich meine,
Lionel Hotchkiss, seinen Bruder, der völlig unschuldig ist, hat Par
ker ja bei der Polizei abgeliefert.«
Josuah Parker äußerte sich weder zu Livingstons »Unschuld«,
noch zu der Tatsache, daß Gwendolyn Barney ebenfalls wider
rechtlich im Haus in Shepherd’s Market gewesen war.
»Was ist nun mit Ihrem zweiten Zeugen, Rander?« bohrte King
weiter. »Der Mann existiert doch nur in Ihrer Vorstellung – ge
nauso, wie Ihnen Ihre krankhafte Phantasie vorspiegelt, Sie hät
ten irgendwas gesehen.«
»Beschreiben Sie den Toten, den Sie vorgefunden haben, Par
ker.«
»Eine Beschreibung dürfte nicht vonnöten sein, Sir. Im neuesten
juristischen Jahrbuch ist das Opfer abgebildet. Ohne den gerings
ten Zweifel wurde Mister Alan M. Simrock, Honorable, an dieser
Stelle erstochen und heimlich weggeschleppt.«
»Behaupten kann man viel, Parker.«
Der Butler ging nicht darauf ein und wandte sich an Mike Rander.
»Der Pfeil, Sir.« Er reichte dem Anwalt einen von Myladys grünen
Slazengers. Dieser allerdings war angesägt und wies eine Soll
bruchstelle auf. »Sie benötigen den Pfeil für die Demonstration,
deretwegen man hier im Morgengrauen zusammengekommen ist,
Sir.«
»Schon gut, Parker. Ich möchte Mister King zuvor noch erklären,
wie es kam, daß er statt Golightly meinen ehrenwerten Kollegen
Simrock erstach.«
»Sie wissen nichts und haben nichts zu erklären, Rander.«
»O doch, Mister King. Mister Simrock hatte Ihnen von Ihrem Vor
haben ernsthaft abgeraten. Er lehnte es ab, in diesem Scheinduell
den Sekundanten zu spielen. Dennoch bemühte er sich her, denn
schließlich waren Sie sein Mandant, den es zu beraten und zu
schützen galt.«
»Purer Schwachsinn.« »Sie haben recht: Ihr Plan war purer Schwachsinn. Unter allen Umständen wollten Sie Lady Simpson von der Endausscheidung fernhalten. Ihnen war jedes Mittel recht, sogar ein vorgetäuschter Mord – aus dem, vielleicht ungewollt, ein echter Mord wurde. Simrock hielt sich als versteckter Beobachter unweit der Lichtung auf. Er bekam den Ärger mit Golightlys Betäubung mit. Um Schlimmeres zu verhüten, bezog er Posten am vermeintlichen Tatort, um Sie, Mister King, zu hindern, Ihr schwachsinniges Vor haben zu Ende zu führen. Sie hätten einen der Brüder Hotchkiss als Opfer nehmen können, denn Lady Agatha war mit ihrem Trai ning noch lange nicht zu Ende.« »Sprechen Sie doch weiter, Rander.« »Es gibt nicht mehr viel zu sagen. Anwalt Simrock entdeckte Lady Agathas verschossenen Pfeil und hob ihn auf. Sie kamen dazu, Mister King, und es ergab sich um jenen Pfeil ein Handgemenge, bei dem Simrock den kürzeren zog. Er glitt aus und stürzte. Sie warfen sich über ihn, um ihn zu hindern, zu rufen oder sich sonstwie bemerkbar zu machen. Simrock bäumte sich auf. Das war seine letzte Tat. Sie holten mit dem Pfeil aus, den Sie ihm abgerungen hatten, Simrock ließ sich nach hinten zurückfallen, und so konnte es geschehen, daß Sie Ihren Anwalt voll ins Herz trafen. Simrock war sofort tot. Als Sie Mister Parker durch das Unterholz herannahen hörten, verzogen Sie sich in ein Versteck. Kurz danach luden Sie sich Simrock auf die Schulter und schlepp ten ihn weg, so weit Ihre Kräfte reichten.« »Das alles ist doch krankhafte Phantasie, Rander! Sie haben nicht die Spur eines Beweises, denn Sie waren nicht dabei…« »Ich liefere Ihnen den Beweis, King! Sie werden den Mord, den Sie an Mister Alan M. Simrock begangen haben, ein zweites Mal erleben. Aus der Sicht des Tatzeugen.« Mike Rander nahm, wie zuvor mit Parker vereinbart, Angriffsstel lung ein. »Ich will den Pfeil haben, Simrock! Her damit! Sie wer den meine Pläne nicht durchkreuzen, Sie nicht!« »Sie bekommen diesen Pfeil nicht, King! Ich behalte ihn und brin ge ihn Lady Simpson zurück. Vergessen Sie doch dieses Theater. Wem wollen Sie damit imponieren?« Mit verzerrtem Gesicht warf sich Mike Rander auf sein Opfer. Er entrang Parker den angesägten Pfeil. Parker stürzte planmäßig zu Boden und blieb auf dem Rücken liegen.
»Sie sind verrückt, King!« Dabei versuchte er sich aufzurichten.
Rander holte weit aus und stach mit dem Pfeil zu.
Nur Josuah Parker stellte zu seiner Befriedigung fest, daß die
scharfe Spitze durch eine Folie und einen prallen Schwamm an
seinem Körper stieß, auf einer schützenden Metallplatte darunter
abschrammte und brach.
Aus dem Einstich sprudelte es rot.
Der Pfeil war abgebrochen und steckte tief im Schwamm. Das
untere Pfeilende war unter Hemd und Jackett verschwunden.
Norman King schrie auf. »Sie haben ihn umgebracht, Rander!
Nun sind Sie ein Mörder wie ich! Ich kann bezeugen, daß vor
meinen Augen ein Mord geschehen ist. Wir können uns einigen.
Ein Abkommen auf Gegenseitigkeit!«
Mike Rander schüttelte stumm den Kopf.
Josuah Parker stützte sich mit den Händen ab und erhob sich.
»Hat Mister Rander Ihnen nicht deutlich genug erklärt, daß es
sich um eine bloße Demonstration handelte, Sir?«
»Teufelswerk! Sie sind doch tot, Parker…«
»Mitnichten, Sir. Meine bescheidene Wenigkeit hat sich selten so
wohl gefühlt wie in diesem Augenblick. Sie sind des Mordes an
Mister Simrock überführt, Sir! Werfen Sie Ihren Revolver weg!«
»Der… Revolver…« King schien sich der Waffe in seiner Hand
nicht bewußt gewesen zu sein. Erst jetzt brachte er den Reming
ton hoch und legte fächernd auf Rander und Parker an.
»Von euch beiden geht keiner lebend vom Platz!«
* Sie bildeten ein Dreieck – King mit seinem Trommelrevolver, Mike
Rander und Josuah Parker. »Sie erwischen nur einen von uns,
King«, sagte Rander. »Ihre alte Kanone ist viel zu träge.«
Der Mann kicherte hysterisch.
»Machen wir’s so wie damals in Whitedog-Junction, Parker?«
Der Butler hatte nicht die geringste Erinnerung an Whitedog-
Junction, aber er sah, wie Rander sich im Krebsgang zur Seite
brachte. Das vergrößerte den Winkel, den King mit dem Lauf sei
ner Waffe fächern mußte.
Auch Parker wich zur Seite hin aus, soweit es das Unterholz zu
ließ.
King drängte sich in der Mitte weiter vor. Das war sein entschei
dender Fehler. Jetzt brauchte er schon halbe Kehrtwendungen,
um einen vor die Mündung zu bekommen.
Er schien Rander für den gefährlicheren Mann zu halten – und das
war ein Fehler mehr in dieser Morgenstunde.
Dumpf krachte der Schuß.
Mike Rander hatte sich längst zu Boden geworfen.
Norman King hatte Josuah Parker noch den Rücken zugewandt,
als der Butler einen starken Ast aufhob und ihn wie eine Keule
dem Bewaffneten ins Genick setzte.
Der Revolver prallte zu Boden.
»Sie tun mir weh«, schrie King.
Mike Rander hatte sich erhoben. »Der Galgen tut noch mehr weh,
King. Doch dafür dauert es nicht lange. Wir haben noch ein paar
Kleinigkeiten zu erledigen, und dann bringen wir Sie zu Ihrem
Freund Harley, dem Commissioner. Er wird nicht mehr viel für Sie
tun können.«
Norman King drehte durch, doch Josuah Parker hielt ihn uner
schütterlich fest. »Es empfiehlt sich, Sir, dem Gefangenen zu sa
gen, wie er seine Lage verbessern kann.«
»Ach, ja. Das Versteck, King! Wo haben Sie Simrocks Leiche de
poniert?«
King schäumte und schüttelte sich.
»Zwecklos, Parker! Von dem erfahren wir kein vernünftiges Wort
mehr. Trauen Sie sich allein zu, ihn sicher im Wagen zu verstau
en? Ich sehe mich inzwischen mal um. Viel Auswahl hatte King
nicht, Simrock zu verstecken.«
»Man wird Mister King in angemessener Weise versorgen und zu
beruhigen versuchen, Sir«, versprach der Butler. »Meine beschei
dene Wenigkeit übernimmt die volle Gewähr dafür.«
Er nahm King hoch wie einen zu groß geratenen Säugling und
trug den zappelnden Mann zum Wagen.
»Wenn Sie freundlichst einsteigen wollen, Sir«, sagte Parker und
hielt Norman King die rückwärtige Tür auf.
»Ich bringe euch alle um! Auch Ihre fette Herrin…«
»Das dürfte eine handfeste Drohung sein, Sir.« Josuah Parker
stieß den Mann mit gemäßigtem Erbarmen in den Fond. Die Türen
waren so eingestellt, daß sie sich nur von außen öffnen ließen,
das Glas war schuß- und bruchsicher.
Norman King saß wie in einer Gummizelle – nur nicht so gut ge
polstert. Bei seinem Toben konnte er sich verletzten. Josuah Parker sah dem Spiel nicht lange zu. Er schaltete die Bordstromanlage ein und betätigte einen versteckten Schalter. Auf einmal herrschte Ruhe im rückwärtigen Abteil. Norman King schlief. An seiner Ruhigstellung war die Kanüle mit einem harmlo sen Betäubungsmittel nicht ganz unschuldig, die Parker mittels Fernbedienung aus dem Sitzpolster in Kings untere Rückenpartie befördert hatte. Für die nächste halbe Stunde war King versorgt – sozusagen mattgesetzt. Ein King auf Wartestellung, bis Mike Rander ihn dem Gesetz in Gestalt der Diensttuenden bei der Grafschaftspolizei überantwortet haben würde. Bis die Wirkung der Injektion nachließ, konnte Josuah Parker an der Suche nach Simrocks Leiche teilnehmen. Er war es leid, mit einem Fall »Mord ohne Leiche« zu tun zu haben. Schließlich brauchte alles seine natürliche Ordnung, Parker kam nicht weit. Im Morgendunst taumelte Mike Rander ihm entgegen. »Wir kön nen fahren, Parker.« »Sir…?« »Verdammt, ja! Ich habe Simrock gefunden, beziehungsweise das, was von ihm übriggeblieben ist. Schauderhaft… Sollte ich einen Stock nehmen und darin herumprockeln?« »Worin, Sir?« »In ungelöschtem Kalk, mit dem ein menschlicher Körper einge schüttet und mit Wasser übergossen wurde. King macht keine halben Sachen.« »Da anzunehmen ist, Sir, daß Sie nur unter äußersten Umständen mit Mister King in Kontakt zu treten gewillt sind, sollte dem Ge fangenen das gesamte Rückabteil zur Verfügung gestellt bleiben. Mister King ruht sich zur Zeit aus.« »Schon gut. Fahren Sie ruhig, Parker. Ich klemme mich ins Kof ferfach. So weit kann es bis zur Polizeistation ja nicht sein, o der?« »Es durften zwanzig Meilen sein, Sir. Aber der Morgen ist noch jung, und die Sonne geht gerade auf. Alles deutet daraufhin, daß es ein schöner Tag wird.« *
»Habe ich nicht gewünscht, frühzeitig geweckt zu werden, Mister Parker?« Agatha Simpson betrachtete ihren Butler mißbilligend durch die Gläser ihres Lorgnons. »Mit der Bitte um Verzeihung soll Mylady nicht verschwiegen werden, daß es in den zurückliegenden Stunden gelang, Mister King des Mordes an Mister Simrock zu überführen. Mylady wollen freundlichst zur Kenntnis nehmen, daß Mister King inzwischen im Gefängnis einsitzt.« »Das ist aber auch das mindeste, was ich erwarten konnte, Mister Parker. Nun richten Sie mir bitte mein Diät-Frühstück.« »Sehr wohl, Mylady. In wenigen Minuten werden Mylady in der Wohnhalle serviert bekommen. Wenn meine Wenigkeit noch hin zufügen darf, der Übeltäter in Person jenes Mister Norman King ist der Gerechtigkeit überantwortet worden, Mylady.« »Ich habe nichts anderes erwartet. Nach dem Frühstück beginne ich mit meinen gymnastischen Übungen, und nach dem Lunch fahren Sie mich bitte zur Kampfstätte, wo ich sämtliche anderen Teilnehmer in die Schranken weisen werde… nachdem nun Nor man King ausgeschaltet ist.« »Im Verlauf von Myladys Frühstück wird Mister Rander erschei nen. Er hat gewisse Vorbehalte, was Myladys Teilnahme an der Endausscheidung der Britischen Meisterschaften im Bogenschie ßen betrifft.« »Was hat der liebe Junge denn einzuwenden, Mister Parker?« »Man hat Lionel Hotchkiss gefunden, Mylady. Genauer ausgespro chen – er stellte sich freiwillig.« »Was deute ich daraus?« »Mister Hotchkiss hat gewisse Mitteilungen gemacht, Mylady.« »Wirklich? Das habe ich ja schon immer gewußt.« »Mylady besitzen einen unübertrefflichen Scharfsinn. Mister Lionel Hotchkiss äußerte sich einigermaßen sonderbar. Es hatte den Anschein und klang so, als hätten Mylady in gewissem Sinne die stattgefundenen Ereignisse mitprovoziert.« »Wo denken Sie hin, Mister Parker!« »Mister Hotchkiss gab zu Protokoll, warum Mylady ausgerechnet jene Region zu Trainingszwecken bevorzugten, die zu Mister Kings Besitz gehört. Meine bescheidene Wenigkeit möchte eben falls der Verwunderung Ausdruck geben, daß Mylady speziell auf dem Grund und Boden der schärfsten Konkurrenz trainierten.«
»Das ist doch wohl meine Sache.« »Solange niemand gestört, behindert oder auf absurde Gedanken gebracht wird, haben Mylady durchaus recht. Wie es der Volks mund ausdrücken würde, trainierten Mylady direkt vor Mister Norman Kings Nase. Dies erregte den Unwillen des härtesten Konkurrenten, und Mister King faßte einen Plan, um Mylady aus zuschalten.« »Soll er doch.« »Mylady hatten zu diesem Zeitpunkt jenen Lionel Hotchkiss be reits fest in der Hand. Um erneut einen bildhaften Vergleich zu zitieren: Mylady hatten durch die Person jenes Lionel Hotchkiss bereits einen Fuß in Mister Kings Tür. Hotchkiss war Myladys er gebener Gehilfe, Mister King an der Teilnahme am Turnier zu hin dern.« »Das muß erst mal bewiesen werden, Mister Parker.« »Es ist bereits aktenkundig, Mylady. Hotchkiss hat rückhaltlos gestanden. Sein Bruder ist daraufhin freigelassen worden. Li vingston hat mit der ganzen Sache nichts zu tun.« »Wie ärgerlich für McWarden! Er hat den Mann doch einbuchten lassen, oder wie sagt man im einfachen Volk, Mister Parker?« »Polemik scheint nicht angebracht zu sein, Mylady. Mister Lionel Hotchkiss’ umfassendem Geständnis ist zu entnehmen, daß Myla dy von Mister Kings perfidem Plan wußten. Mylady zahlten Hotch kiss einen Betrag, um Golightlys Betäubung und somit den ge samten Plan zu vereiteln.« »Das sind private Dinge, Mister Parker. Ich kann Zahlungen leis ten, an wen ich will.« »Gewiß, Mylady. Nun erst wird meiner bescheidenen Wenigkeit plausibel, Mylady wußten, daß es den vermeintlichen Toten in Wirklichkeit nicht gab. So nahm Mister King eine Ersatzperson – eben jenen unglücklichen Anwalt Alan M. Simrock von der An waltsfirma Simrock, Simrock & Simrock, den er in einem Augen blick geistiger Unzurechnungsfähigkeit mit Myladys Pfeil erstach, um eine gewisse Verunsicherung auszulösen.« »Weiß ich doch, Mister Parker.« »Die Pfeile wurden unseligerweise vertauscht, Mylady. Mister King geriet nicht an den präparierten Pfeil, sondern an einen der ech ten Slazenger Turnierpfeile. Mister Hotchkiss verschwieg auch nicht sein Abenteuer in diesem Haus. Genauer gesagt, Myladys Befreiungsaktion.«
»Das war doch diese Person, die >Hausdame
Die wahre Championesse bin ich. Sollen sich die anderen doch um die Plazierung streiten. Moralisch habe ich gesiegt – noch vor dem ersten offiziellen Bogenschuß.« »Wie Mylady meinen«, sagte Josuah Parker ergeben. »Es hat ge läutet, Mylady.« »Wahrscheinlich ist das Mister McWarden… In Gottes Namen, le gen Sie ein zusätzliches Gedeck auf, Mister Parker. Und vorher reichen Sie McWarden einen Drink. Ich will mit Scotland Yard kei nen Ärger haben…« Ende Nächste Woche erscheint BUTLER PARKER Auslese Band 330 Gunter Dönges PARKER surft der »Qualle« nach