Butler Parker Neu Nr. 258 Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von
Günter Dönges
Parker seilt den...
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Butler Parker Neu Nr. 258 Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von
Günter Dönges
Parker seilt den »Berggeist« ab Butler Parker war ungemein besorgt, ließ es sich allerdings nicht anmerken. Das glatte und ausdruckslose Gesicht blieb unbeweglich. Höflich und distanziert zugleich stand er seitlich hinter Lady Agatha Simpson, seiner Herrin, die gerade mit baritonaler Stimme verkündete, selbstverständlich sei sie noch durchaus in der Lage, einen Achttausender zu erstürmen. Lady Agatha Simpson, mit dem Blut- und Geldadel der Insel eng verschwistert und verschwägert, war eine stattliche Erscheinung, die Autorität ausstrahlte. Die große, durchaus als füllig zu bezeichnende Dame, hatte mit Sicherheit das sechzigste Lebensjahr überschritten. Sie besaß ein ausdrucksstarkes Gesicht, eine männliche Nase und ein Kinn, das Energie und Entschlossenheit verriet. Scan, Layout by Larentia Korrektur by 2242Panic Mai 2003 Diese digitale Kopie ist NICHT für den Verkauf bestimmt !
Lady Agatha befand sich zusammen mit ihrem Butler in den altehrwürdigen Räumen eines Clubs, zu dem normalerweise weibliche Wesen keinen Zutritt haben. In ihrem Fall aber hatte man wohlweislich eine Ausnahme gemacht, denn die »alte« Dame war dafür bekannt, daß sie Hindernisse, gleich welcher Art, souverän überwand. Um ihr jedoch einen Streich zu spielen, hatten einige ältere Semester sie herausgefordert und nagelten sie nun zielstrebig auf eine Wette fest. »Sprachen Sie eben von einem Achttausender, Mylady?« fragte Sir Rupert, der Präsident des Clubs, in dem sich Globetrotter zu treffen pflegten, Männer, die noch Zeit und Geld hatten, um sich Abenteuerreisen zu leisten. »Ich sprach von einem Achttausender«, antwortete Agatha Simpson munter. Ihre grauen Augen blitzten, »Sie haben sich nicht verhört.« »Schafft ein Hubschrauber solch eine Höhe?« fragte ein anderes Clubmitglied ironisch. »Selbstverständlich werde ich auf einen Hubschrauber verzichten«, grollte Mylady augenblicklich, »ich bestieg bereits das Matterhorn, junger Mann, als Sie noch gar nicht geboren waren!« »Ich denke, wir sollten auf eine Wette verzichten«, meinte Sir Rupert, ein zäh aussehender, drahtiger Fünfziger, listig. »Natürlich werde ich wetten«, antwortete die ältere Dame prompt und tappte damit in die gestellte Falle, »schneller kann eine arme Frau wie ich kein Geld verdienen.« Der Hinweis auf ihre Armut löste allgemeines Schmunzeln aus. Lady Agatha Simpson war immens vermögend, ihr Geiz allerdings nicht weniger bekannt. »Zehntausend Pfund, daß Sie einen Achttausender nie schaffen«, sagte Sir Rupert augenblicklich. »Papperlapapp, junger Mann«, antwortete Agatha Simpson
wegwerfend, »fünfzigtausend Pfund und keinen Penny weniger, sonst interessiert diese Wette mich nicht.« »Abgemacht«, gab Sir Rupert klein bei, »Sie bezwingen den bewußten Achttausender noch in diesem Jahr, das ist die Bedingung.« »Eine Kleinigkeit für mich, nicht wahr, Mr. Parker?« Die Lady wandte sich zu ihrem Butler um. »Wie Mylady zu meinen belieben«, lautete Parkers ausweichende Antwort. »Noch in diesem Jahr«, wiederholte Lady Agatha triumphierend, »ich habe also noch vier Monate Zeit, das müßte eigentlich reichen.« »Das werden Sie nie schaffen«, sagte Sir Rupert, »Lady Agatha, noch können Sie die Wette kündigen.« »Niemals, junger Mann«, grollte die ältere Dame, »ich nehme die kleine Herausforderung selbstverständlich an. Gibt es noch weitere Herren, die sich an dieser Wette beteiligen möchten? Falls ja, dann setzen Sie sich mit Mr. Parker in Verbindung. Er wird die Einzelheiten erledigen.« Sie nickte hoheitsvoll und schlenderte in die große Halle, die mit Marmor verkleidet war. Sie hielt dabei ein Longdrinkglas in der Hand, aus dem sie nachhaltig getrunken hatte. Ihre Wangen waren leicht gerötet, sie machte einen animierten Eindruck. »Nun, Mr. Parker, was halten Sie von dieser Wette?« fragte sie leutselig, als sie mit ihrem Butler allein war. »Schneller kann ich wirklich kein Geld verdienen, nicht wahr?« »Mylady werden sich in den Himalaya begeben müssen«, antwortete Parker in seiner gewohnt höflichen Art. »Das macht doch nichts«, lautete ihre leicht gereizte Antwort. »Mylady werden sich einem sogenannten Konditionstraining
unterziehen müssen«, zählte Josuah Parker weiter auf. »Unsinn«, raunzte sie, »ich bin in Hochform ... Erst vorgestern habe ich Golf gespielt und bin wenigstens eine ganze Meile gegangen.« »Ein Achttausender verlangt möglicherweise ein wenig mehr«, sagte der Butler gemessen. »Was wollen Sie mir da einreden, Mr. Parker?« Sie sah ihn streng an und runzelte die Stirn. »Ich habe erst vor einigen Tagen im Fernsehen einen Film gesehen. Ob Sie es nun glauben oder nicht, Mr. Parker, da wurde ein Bergsteiger gezeigt, der einen Achttausender sogar ohne Sauerstoffgerät erstieg, quasi mit der linken Hand. Ich werde mich doch von solch einem Jüngling nicht beschämen lassen!« »Myladys Wünsche werden meiner Wenigkeit selbstverständlich stets Befehl sein und bleiben«, erklärte Josuah Parker und deutete eine knappe Verbeugung an. »Sehr schön.« Sie nickte wohlwollend. »Sie, Mr.Parker, werden mich bei diesem Gipfelsturm natürlich begleiten.« »Meine Wenigkeit erlaubte sich, Mylady, dies bereits zu erahnen«, gab der Butler höflich zurück. Auch jetzt blieb sein Gesicht glatt und ausdruckslos wie das eines professionellen Spielers. Ein Butler Parker war eben durch nichts zu erschüttern. *** »Du lieber Gott«, meinte Mike Rander am anderen Morgen. Parker hatte dem Anwalt den Morgenkaffee im altehrwürdigen Fachwerkhaus der Lady Simpson serviert und ihm einen knapp gefaßten Bericht von den Ereignissen im Club gegeben, »selbstverständlich wird Mylady nie einen solchen Berg schaffen.«
»Auch hinsichtlich meiner bescheidenen Wenigkeit gibt es erhebliche Bedenken«, antwortete Parker gemessen, »Mylady scheint sich ein wenig zu überschätzen.« »Wie konnte es nur zu dieser Wette kommen?« Der etwa vierzigjährige Rander, groß, schlank und durchaus an einen bekannten James-Bond-Darsteller erinnernd, verwaltete neben seiner Praxis als Anwalt das Vermögen der älteren Dame, die er schon seit Jahren gut kannte. »Mylady befand sich möglicherweise in einem Zustand der Euphorie«, versuchte der Butler die verrückte Wette zu erklären, »zudem wurde Mylady geschickt herausgefordert.« »Dieser Sir Rupert ist eben ein gerissener Fuchs«, meinte Rander, »er hat sie voll ins Messer laufen lassen, Parker.« »Dem möchte und kann meine Wenigkeit nicht widersprechen, Sir.« Das Verhältnis zwischen Josuah Parker und Mike Rander war ausgezeichnet. In früheren Jahren hatten die beiden, von Grund auf verschiedenen Männer, gemeinsam viele Abenteuer überstanden, und zwar zu einer Zeit, als Parker noch Mike Randers Butler gewesen war. »Man müßte mal mit Sir Rupert reden«, meinte Rander nachdenklich, »man müßte ihn dazu bringen, daß er auf diese verrückte Wette verzichtet.« »Sir Rupert dürfte nur höchst ungern auf diesen sicheren Wettgewinn verzichten wollen.« »Das fürchte ich allerdings auch. So leicht läßt sich kein Geld verdienen wie hier.« »Mylady könnte sich theoretisch geschlagen geben und die fünfzigtausend Pfund zahlen, bevor weitere Wetten angeboten werden.« »Freiwillig wird Lady Simpson nie zahlen«, erwiderte der Anwalt und winkte ab, »aber wie, zum Teufel, können wir die
Achttausender vor Mylady bewahren?« »Man könnte in Mylady eine gewisse Allergie Bergen gegenüber auslösen, Sir.« »Und wie stellen Sie sich das vor? Haben Sie eine Idee?« »Mylady wird freiwillig kaum ein sogenanntes Konditionstraining durchführen, aber im Zusammenhang mit einem Kriminalfall würde Mylady sich selbstverständlich jeder Anstrengung unterziehen.« »Haben Sie denn einen passenden Kriminalfall auf Lager, der dazu noch in den Bergen spielt?« Parker nickte andeutungsweise. »Vor einigen Tagen brachte eine große Tageszeitung einen kleinen Artikel über eine Tauchunternehmung in Österreich. In diesem Zusammenhang wurde ein Taucher das Opfer rätselhafter Umstände.« »Ich hätte es gern deutlicher, Parker.« »Besagter Taucher, Sir, gehörte zu einer Gruppe von Schatzsuchern, wenn man so sagen darf. Man tauchte in einem kleinen Bergsee nach Barrengold und wurde von einem Berggeist nachdrücklich vertrieben.« »Berggeist? Eine Erfindung dieser Zeitungsleute, nicht wahr?« Rander lachte spöttisch. »In der Region, wo der kleine Bergsee sich befindet, spricht man schon seit Jahren von einem Berggeist, Sir. Dies ging aus dem erwähnten Artikel deutlich hervor. Danach scheint dieser Berggeist mehr als nur eifersüchtig über den kleinen See zu wachen.« »Und woher sollen die Goldbarren stammen?« »Sie sollen in den Wirren der letzten Kriegstage dort versenkt worden sein, Sir.« »Nun ja, davon liest man doch immer wieder«, meinte der Anwalt wegwerfend, »mal geht es um Banknoten, dann um Diamanten und jetzt eben um Goldbarren.«
»Insgesamt wurden bisher vier Opfer verzeichnet, Sir«, sagte Josuah Parker, »und in allen Fällen handelt es sich um Amateurtaucher, wenn man so sagen will und darf.« »Sie gehen davon aus, daß dort Feuer sein muß, wo Rauch aufsteigt, wie?« Mike Rander lächelte. »Ein passenderes Sprichwort, Sir, ließe sich kaum zitieren.« »Und wie wollen Sie Lady Simpson für diesen Fall interessieren?« »Man müßte eine kleine Manipulation vornehmen.« »Okay, Einzelheiten interessieren mich nicht«, erwiderte der Anwalt, »Sie wissen schon, wie man so etwas hinzaubert, Parker. Hauptsache, Mylady strampelt sich für einige Tage in den Bergen ab und sieht ein, daß ein Achttausender nicht gerade das Passende für sie ist.« *** Er war die Höflichkeit in Person, hieß Paul Karoly und mochte etwa sechzig sein. Er trug einen Trachtenanzug aus Loden, war groß, schlank und sprach ein ausgezeichnetes Englisch. Paul Karoly hatte sich vorgestellt, Lady Agatha mit einem vollendeten Handkuß begrüßt und lächelte gewinnend. Er deutete auf zwei Landrover. »Ich hoffe, Mylady, Sie werden zufrieden sein«, sagte Karoly, »ich habe mich strikt an Ihre Anweisungen gehalten.« »Sie haben die Tauchausrüstungen besorgt?« erkundigte sich Agatha Simpson. »Und auch die Kletterausrüstungen«, erwiderte Karoly, »auch mit der Unterkunft werden Sie gewiß zufrieden sein.« »Man wird sehen«, entgegnete die ältere Dame, die
erstaunlicherweise nicht grollte. Sie stand noch völlig unter dem Eindruck des Handkusses. Soviel Charme und Höflichkeit hatte sie nicht erwartet. »Es handelt sich um einen ehemaligen Bauernhof, der in ein Ferienhaus umgewandelt worden ist«, berichtete Karoly, »vom Gebirgshof aus haben Sie einen wundervollen Blick auf den kleinen See. Und dort oben werden Sie völlig ungestört sein.« »Sie haben meine Ankunft diskret behandelt, junger Mann?« »Selbstverständlich, Mylady. Diskretion ist mein Beruf.« »Sehr schön, Mr. Karoly.« Lady Agatha war äußerst zufrieden. »Was halten Sie übrigens von diesem Berggeist?« »Es soll ihn geben, Mylady.« »Nonsens«, reagierte Lady Agatha verächtlich, »das sind doch Ammenmärchen, mein Bester.« »Dazu möchte ich mich lieber nicht äußern«, erwiderte Paul Karoly, »Sie wissen sicher, daß bisher vier Taucher unten im See ihr Leben verloren.« »Weil es Amateure waren«, erwiderte die ältere Dame, während sie zusammen mit Karoly zu den beiden Landrovern schritt, »wie tief ist denn dieser See?« »Hundertfünfzehn Meter, Mylady«, ließ Josuah Parker sich vernehmen, der sich bisher vornehm zurückgehalten hatte. Er trug über seinem schwarzen Zweireiher den schwarzen Covercoat. Auf seinem Kopf saß eine sogenannte Melone in ebenfalls schwarzer Farbe. Am angewinkelten linken Unterarm hing sein altväterlich gebundener Regenschirm. »Das klingt nicht besonders aufregend«, meinte die passionierte Detektivin lässig, »da bin ich schon in ganz andere Tiefen getaucht, nicht wahr, Mr.Parker?« »Wie Mylady zu meinen belieben.« Parker enthielt sich bewußt jeder zusätzlichen Äußerung. »Tief unten im See liegen Baumstämme, Mylady, die eine
Art Sperre bilden«, berichtete Karoly weiter, »dort scheiterten bisher alle Tauchversuche.« »Ich werde das kleine Hindernis selbstverständlich beseitigen«, wußte die ältere Dame bereits im vorhinein, »es soll aber stimmen, daß man in den Bergesee Goldbarren versenkt hat?« »Dies wird hier überall so gesagt«, meinte Karoly vorsichtig, »aber ob es stimmt, ist natürlich fraglich. Sie müssen übrigens erstklassige Beziehungen haben, Mylady. Der See wurde für Tauch- und Bergungsversuche eigentlich gesperrt. Man möchte keine weiteren Opfer beklagen.« »Ein weiser Entschluß, junger Mann. So etwas ist eben nur für Profis.« »Mylady bemühte die Regierung dieser bemerkenswerten Republik«, fügte Josuah Parker hinzu, »Mylady erhielt eine Sondergenehmigung, was die geplanten Tauchversuche betrifft.« »Erzählen Sie mir etwas über diesen Berggeist, Mr. Karoly«, wünschte die ältere Dame unternehmungslustig, »man hat ihn also schon einige Male gesehen? Wie sieht er aus? Ich wette, er trägt einen Vollbart?« »So wird er beschrieben«, antwortete Paul Karoly, »der Berggeist soll übergroß und breitschultrig sein und einen weiten Umhang tragen. Auf seinem Kopf soll ein breitkrempiger Hut sitzen.« »Ich hoffe sehr, daß dieses Subjekt sich möglichst bald vorstellen wird«, sagte Agatha Simpson spöttisch, »wie sind denn die Taucher eigentlich umgekommen?« »Sie tauchten und kamen nie wieder ans Tageslicht, Mylady.« »Dann muß der Berggeist aber auch recht gut schwimmen und tauchen können.« Die ältere Dame zog die Augenbrauen
hoch und winkte dann abfällig, »nun ja, man wird sehen, Mr. Karoly. Kommen Sie, fahren wir hinauf zum Gebirgshof. Vielleicht hat der komische Berggeist bereits alles zum Empfang vorbereitet.« »Ich kann Ihren Spott durchaus verstehen, Mylady«, sorgte sich Karoly, »Sie kommen aus einer Millionenstadt, wo man kaum etwas von Geistern weiß, doch hier in den Bergen ist das anders, glauben Sie mir.« »Glauben Sie denn etwa an einen Berggeist?« »Ich weiß nicht recht« Karoly hob ratlos die Schultern, »aber hier passieren Dinge, die man mit dem Verstand nicht erklären kann. Hoffentlich erleben Sie keine bösen Überraschungen.« »Papperlapapp, junger Mann.« Agatha Simpson winkte ab und nahm auf dem Beifahrersitz des Landrover Platz, während Parker sich auf die Rückbank setzte. Karoly übernahm das Steuer und winkte dann durch das geöffnete Wagenfenster nach hinten. Kurz danach setzte sich auch der zweite Rover in Bewegung. Er wurde von einem Angestellten Karolys gesteuert. »Wie lange werden Mylady fahren müssen?« erkundigte sich Parker, als man durch das hübsche Gebirgsdorf rollte. »In einer halben Stunde müßten wir oben sein, falls nichts dazwischen kommen sollte.« »Und was sollte schon dazwischen kommen?« »Wer weiß?« Karoly atmete tief durch. »Wie gesagt, ich glaube an diesen Berggeist, auch wenn Ihnen das vielleicht lächerlich erscheint.« *** »Sie wissen hoffentlich, Mike, daß wir verfolgt werden«, sagte Kathy Porter beiläufig.
»Seitdem wir den Gasthof verlassen haben.« Mike Rander nickte. »Es handelt sich um den kleinen Fuchs mit dem roten Haar, nicht wahr?« »Genau der, Mike.« Kathy hatte sich bei Mike Rander eingehakt und schmiegte sich an ihn. Das junge Paar war vor einigen Stunden im Edener Tal in den Stubaier Alpen angekommen und hatte sich in einem altertümlichen Gasthof eingemietet. Mike Rander und Kathy Porter hatten sich als Schriftsteller und Privatsekretärin ausgegeben. Sie gingen davon aus, daß man ihnen das nicht abnahm, doch das kümmerte sie nicht weiter. Ja, sie wollten sogar, daß man sich mit ihnen beschäftigte. Und daß dies bereits der Fall war, zeigte die Tatsache, daß sie beschattet wurden. Nach ihrer Ankunft im Wagen in Edenes hatten sie Kaffee getrunken und erkundeten nun die nähere Umgebung. Es ergab sich fast wie zufällig, daß sie sich, wenn auch auf Umwegen, dem kleinen Bergsee näherten. Kathy Porter, die Gesellschafterin und Sekretärin der Lady Simpson, war um die achtundzwanzig, etwas über mittelgroß und schlank. Sie hatte braunes Haar mit einem leichten Rotstich und ein exotisch geschnittenes Gesicht, was mit ihren betonten Wangenknochen zusammenhing. Sie war eine attraktive Erscheinung, schien davon aber nichts zu wissen. Kathy Porter machte einen zurückhaltenden, manchmal sogar etwas scheuen Eindruck, doch sie konnte sich in eine wilde Pantherkatze verwandeln, wenn man sie angriff. Dann zeigte sie in Sekundenschnelle, daß sie sich in den fernöstlichen Künsten der Selbstverteidigung auskannte. Mike Rander und Kathy Porter waren eng miteinander befreundet, und Lady Simpson tat alles, um aus ihnen ein Paar zu machen. Sie wartete ungeduldig darauf, endlich die Hochzeit ausrichten zu können. Deshalb sorgte sie immer wieder dafür, daß Mike Rander und Kathy Porter möglichst oft zusammen waren. Sie hoffte, dadurch die anvisierte Hochzeit
schneller zu erreichen. Aus diesem Grund hatte sie auch Kathy Porter und Mike Rander vorausgeschickt. Sie sollten sich in der Nähe des bewußten Bergsees einlogieren und Informationen über den Berggeist sammeln. Josuah Parker war mit solcher Arbeitsteilung durchaus einverstanden. Doch ihm ging es überhaupt nicht um den Berggeist, sondern er wollte seine Herrin mit schroffer Bergwelt konfrontieren und sie so dazu bringen, auf die Erstürmung eines Achttausenders zu verzichten. »Wollen wir uns diesen Rotschopf kaufen, Mike?« fragte Kathy Porter. Sie befanden sich auf einem schmalen, abschüssigen Weg, der zum Seeufer hinunterführte. »Werden wir uns damit nicht verraten, Kathy? Man hält uns vorerst noch für ein Liebespaar, das im Tal ungestört turteln möchte.« »Können wir die Tarnung lange durchhalten, Mike?« »Stimmt auch wieder.« Rander nickte. »Okay, schnappen wir uns den kleinen Fuchs. Dort hinten kommt ein Knick, sieht gut für unsere Zwecke aus.« Sie brauchten sich nicht besonders zu verständigen, schlenderten weiter, als seien sie völlig ahnungslos, erreichten den Wegeknick und verschwanden dann links und rechts im Unterholz. Es dauerte nicht lange, bis schnelle Schritte zu hören waren. Der schmale, kleine Mann, dessen Gesicht tatsächlich einen fuchsähnlichen Zuschnitt besaß, kam um den Knick und suchte optischen Anschluß an die beiden Touristen, die er ganz eindeutig verfolgte. »Hallo, Mann«, rief Mike Rander und trat aus seinem Versteck hervor. Der etwa Fünfundzwangzigjährige fuhr herum und wollte die Flucht ergreifen. Er kam nicht weit.
Kathy Porter, unhörbar aus ihrem Versteck gekommen, stellte ihm geschickt ein Bein, worauf der junge Mann das Gleichgewicht verlor und fiel. Er sprang aber sofort wieder auf und hatte plötzlich ein Springmesser in der linken Hand. Rander trat mit dem rechten Fuß zu und beförderte diese Waffe in hohem Bogen ins nahe Gesträuch. *** »Sie hatten Glück, Mylady, daß der Gebirgshof noch frei war«, sagte Paul Karoly, während er den Landrover geschickt die kurvenreiche Strecke durch den Wald lenkte, »normalerweise sind die Ferienhäuser stets besetzt.« »Sie beschäftigen sich, wenn man höflich fragen darf, mit dem Fremdenverkehr?« wollte Parker vom Rücksitz des Wagens aus wissen. »Ich habe das Sporthotel auf der anderen Seeseite«, erwiderte Karoly, »und im Lauf der Zeit sind noch einige ehemalige Bauernhäuser dazugekommen.« »Von Ihrem Hotel aus wurden sicher die bereits erwähnten Tauchunternehmen gestartet, Sir?« »Das ist richtig, Mr. Parker«, bestätigte Karoly, »und vier davon endeten tragisch. Es gab aber noch mehrere Versuche, an den Goldschatz heranzukommen. Gefunden wurde nie etwas. Ineinander verkeilte Baumstämme über dem Grund versperren den Zugang zum eigentlichen Grund.« »Konnte man die Stämme nicht mittels einiger Sprengladungen aus dem Weg räumen?« lautete Parkers nächste Frage. »Das wurde einige Male versucht, aber es klappt nicht. Und dann traten ja immer wieder die seltsamen Störungen auf. Sie werden davon gehört haben, denke ich.«
»Nichts habe ich gehört«, ließ die Detektivin sich vernehmen. »Es könnte sich dabei immer um ganz normale technische Störungen gehandelt haben«, erwiderte Paul Karoly, »aber ich glaube, daß es so nicht war, Mylady.« »Sie denken an den ulkigen Berggeist?« Spott war in der Stimme der älteren Dame. »An den Berggeist, Mylady.« Karoly nickte ernst. »Einmal versagten die Sauerstoffventile, dann wieder trieb ein Bergungsfloß ab, dann verschwanden Taucherkleidungen, und dann wieder war das Seewasser undurchsichtig wie Milch. Eine normale Erklärung dafür kann ich nicht anbieten.« »Man hat den Leuten einen Streich gespielt«, vermutete die ältere Dame und lächelte mokant, »mit einer Lady Simpson wird man sich das nicht erlauben. Ist es nicht so, Mr. Parker?« »Falls es einen Berggeist geben sollte, müßte er Mylady bereits jetzt fürchten«, antwortete der Butler in seiner stets höflichen Art, »in diesem Zusammenhang wären, wenn es erlaubt ist, zwei Fragen möglich.« »Richtig«, schnappte Lady Agatha sofort zu, obwohl sie überhaupt keine Ahnung hatte, wie die Fragen lauteten. »Könnte der bewußte Goldschatz nicht längst schon geborgen worden sein?« stellte Parker die erste Frage. »Und falls nicht, muß dieser Schatz sich unbedingt im Wasser befinden?« »Eben.« Die ältere Dame nickte nachdrücklich. »Das alles habe ich mich bereits insgeheim gefragt, Mr. Karoly.« »Wann sollte der Goldschatz geborgen worden sein?« Karoly sah die Lady erstaunt an. »Seit 1945 weiß man von diesen Goldbarren, seit dieser Zeit wird nach ihnen getaucht.« »Wer hat gesehen, daß das Gold im See versenkt wurde?« erkundigte sich Agatha Simpson streng. »Gibt es noch
Augenzeugen? « »Einige alte Menschen, die schwören, alles gesehen zu haben«, sagte Paul Karoly, »und diese Zeugen haben nie davon gesprochen, daß die Goldbarren oben im Fels versteckt wurden.« »Die Zeugen können gelogen haben«, deutete die Detektivin an, »man könnte sie aber auch hinters Licht geführt haben. Ist es nicht so, Mr. Parker?« »In der Tat, Mylady«, entgegnete Josuah Parker, »man lenkte die Aufmerksamkeit auf den See, um den Schatz in Wirklichkeit oben im Fels zu verstecken.« Parker kam es einzig und allein darauf an, seine Herrin für ausgedehnte Klettertouren zu interessieren. Mit dem Hinweis auf den Zeitungsartikel und den Berggeist war es ihm gelungen, sie nach Österreich zu locken, und hier nun sollte Lady Simpson möglichst oft in die Bergwelt steigen, um im Lauf ihrer Ferientage zu erkennen, daß sie für einen Achttausender nicht geschaffen war. »An diese hübsche Felswand dachte ich bereits die ganze Zeit«, behauptete Lady Agatha inzwischen, »dort muß es doch eine Unmenge von Verstecke geben.« »Offen gesagt, an solch eine Möglichkeit hat hier bisher noch kein Mensch gedacht«, bekannte Paul Karoly und schüttelte verwundert den Kopf. Unmittelbar darauf trat er hart aufs Bremspedal, legte krachend den Rückwärtsgang ein und ließ den Landrover zurückrollen. Kurz danach krachten und sprangen Felsbrocken von der hohen Böschung nach unten, erreichten den schmalen Weg und blockierten ihn. »Der... Der Berggeist«, stöhnte Karoly, drückte die Wagentür auf seiner Seite auf und sprang ins Freie. »Eine ausgemachte Frechheit«, kommentierte die ältere
Dame den Zwischenfall, »es ist völlig klar, daß man mich gerade umbringen wollte. Oder sind Sie etwa anderer Meinung, Mr. Parker?« »Dies, Mylady, würde meine Wenigkeit sich nie erlauben«, gab Josuah Parker zurück. Er war bereits ausgestiegen und öffnete Myladys Wagentür, »es ist vielleicht angebracht, sich in Sicherheit zu bringen. Mit einer zweiten Geröll-Lawine ist durchaus zu rechnen.« *** Parker hatte sich keineswegs verrechnet. Kaum hatte Agatha Simpson den Landrover verlassen, da war auf dem Steilhang rechts vom Weg wieder Steinschlag zu vernehmen. Josuah Parker drängte die ältere Dame hinüber zum zweiten Rover, hinter dem Karoly und der Fahrer dieses Wagens bereits Deckung genommen hatten. Kurz danach polterten Steine aller Größe auf den ersten Landrover und deckten ihn ein. Nach wenigen Sekunden waren die Scheiben zerschlagen, das Blech zerschrammt und eingebeult. Staub wallte von der geschotterten Straße auf und nahm die Sicht. Der Fahrer des zweiten Rover hatte sich geduckt und hielt sich die Ohren zu, Karoly starrte entsetzt auf den ersten Wagen, der im Staub nur noch in Umrissen auszumachen war. »Man sollte Ihrem Berggeist keineswegs eine gewisse Anerkennung versagen«, urteilte Parker, als nur noch wenige Steine auf die schmale Strecke kollerten, »sein Ahnungsvermögen, um es mal so auszudrücken, ist geradezu beachtlich zu nennen.« »Wie meinen Sie das?« Karoly wischte sich dicke Schweißperlen der Angst von der Stirn. »Der sogenannte Berggeist muß gewußt haben, daß Mylady
beabsichtigt, nach dem sagenhaften Goldschatz zu fahnden.« »Von mir hat er jedenfalls nichts erfahren«, meinte Karoly in einem schüchternen Anflug von Spott. »Ich wiederhole noch mal: Man wollte mich gerade umbringen«, ließ Agatha Simpson sich grollend vernehmen, »und das nehme ich dem Berggeist übel!« »Natürlich könnte es sich auch um einen völlig normalen Zwischenfall gehandelt haben«, warf Josuah Parker ein. »Papperlapapp, Mr. Parker.« Sie sah ihren Butler streng an. »An solch einen Zufall glaube ich einfach nicht. Mit wem, Mr. Karoly, haben Sie über meinen Besuch hier und über meine Absichten gesprochen?« »Mit dem Personal«, gab Karoly Auskunft, »aber für meine Angestellten lege ich die Hand ins Feuer.« »Ich werde mir die Leute genau ansehen«, drohte Lady Agatha, um dann auf das Geröll zu deuten, das die schmale Straße blockierte, »und wie soll es jetzt weitergehen?« »Haben Mylady Bedenken, den Restweg zu Fuß zurückzulegen?« fragte der Butler höflich. »Unsinn, wieso sollte ich Bedenken haben?« Sie lächelte mild. »Die paar Meter schaffe ich natürlich ohne jede Verschnaufpause. Mir nach!« Sie stieg erstaunlich geschickt und energisch über die Felsbrocken und sah sich dann den Landrover genauer an. Er war von Geröll förmlich eingekeilt worden und sah aus wie nach einem mittelschweren Unfall. »Das war kein Zufall«, stellte sie fest, »das war reine Absicht. Der Berggeist fürchtet sich vor mir, er weiß genau, was auf ihn zukommt. Wie gut, Mr. Parker, daß ich noch im letzten Moment auf diesen Zeitungsartikel aufmerksam wurde.« Sie war nach wie vor ahnungslos und wußte nicht, wie
geschickt Josuah Parker ihr den Artikel über den Berggeist zugespielt hatte. Er hatte die Zeitungsseite so unter das Anmachholz im großen Kamin ihres Hauses geschoben, daß sie die Überschrift unbedingt sehen mußte. Nachdem Parker dann noch versucht hatte, ihr den Ausflug nach Österreich auszureden, hatte es für sie kein Halten mehr gegeben. »Sie sind rein zufällig auf diesen Bergsee mit seinem Goldschatz gestoßen?« fragte Karoly. »Im Grund natürlich nicht«, schwindelte die ältere Dame prompt, »ich beschäftige mich schon seit Jahren mit dem Thema. Ist es nicht so, Mr. Parker?« »Mylady pflegt kaum etwas zu entgehen, was von Interesse ist«, behauptete der Butler. Sein glattes Pokergesicht blieb ausdruckslos wie stets. »Eben«, meinte sie und marschierte weiter, »im Grund hat der seltsame Berggeist bereits verloren. Er weiß es nur noch nicht.« »Hoffentlich behalten Sie recht, Mylady«, sagte Karoly, der einen nervösen Eindruck machte. Er blickte immer wieder zum Steilhang hinauf und schien sich vor weiteren Überraschungen zu fürchten. *** »Sie sollten uns was erzählen«, schlug Mike Rander vor und sah den jungen Mann lächelnd an, »Ihre Geschichte soll aber glaubhaft sein.« Mike Randers Deutsch war beachtlich. Er brauchte Kathy Porter nichts zu übersetzen. Auch sie kannte die Landessprache des kleinen Fuchses recht gut. »Was wollen Sie? Warum haben Sie mich angegriffen?« fragte der kleine Fuchs zurück und rieb sich die verstauchte
Hand. »Sie haben uns nicht verfolgt?« wunderte sich Rander ironisch. »Warum sollte ich Sie verfolgen? Ich kenne Sie ja überhaupt nicht«, gab der junge Mann zurück, »und das mit dem Messer haben Sie falsch verstanden. Ich wollte mich nur wehren. Ich hab' gedacht, Sie wollten mich angreifen.« »Also ein Mißverständnis auf der ganzen Linie«, warf Kathy Porter ein. »Ein Mißverständnis.« Der junge Mann mit dem Fuchsgesicht nickte. »Sie haben meine Hand ganz schön verstaucht.« »Ein Mißverständnis«, wiederholte Mike Rander Kathy Porters Feststellung. »Sie stammen hier aus der Gegend?« »Ich wohne in Edenes«, erwiderte der junge Mann, »ich arbeite als Kellner.« »In welchem Hotel?« stellte Kathy Porter die nächste Frage. »Im Sporthotel auf der anderen Seeseite«, erklärte das Fuchsgesicht bereitwillig, »aber ich muß jetzt weiter.« »Kann man erfahren, wie Sie heißen?« erkundigte sich Mike Rander. »Peter Villach«, sagte der junge Mann, »übrigens sollten Sie da unten am See aufpassen.« »Wieso? Was könnte denn passieren?« wollte Mike Rander wissen. »Hier soll ein Berggeist sein Unwesen treiben.« »Was soll er, bitte? Ich verstehe nicht recht.« »Ein Berggeist soll hier spuken«, erklärte das Fuchsgesicht eifrig, »ein Phantom, verstehen Sie? Am See lebt ein Geist, der nicht gestört werden will.« »Ach so, jetzt verstehe ich.« Rander lächelte spöttisch. »Und
dieser Berggeist ist schon mal gesehen worden?« »Er soll vier Taucher umgebracht haben.« »Wir haben nicht die Absicht, im See zu schwimmen oder zu tauchen.« Rander lächelte. »Was ist denn los mit diesem kleinen See?« »Sie haben wirklich noch nichts vom Goldschatz gehört?« Der Fuchs sah das Paar ungläubig an. »Wir sind schließlich erst vor wenigen Stunden drüben in Edenes angekommen.« »Man sucht im See ständig nach Goldbarren«, erklärte das Fuchsgesicht, »und der Berggeist schaltet sich immer wieder ein. Er bewacht den Schatz.« »Wie der Drachen die Jungfrau, wie?« »Richtig.« Der junge Mann nickte. »Der Berggeist greift jeden an, der dem See zu nahe kommt.« »Wie interessant.« Rander blickte Kathy Porter aufmunternd an. »Dann können wir ja mit netten Überraschungen rechnen. Und wie soll dieser Geist nun aussehen? Hat er sich Ihnen schon mal gezeigt?« »Ich habe ihn mal gesehen.« Der junge Mann zeigte ein ernstes Gesicht. »Er ist riesengroß, trägt einen wilden Bart und einen Schlapphut.« »Mehr nicht? Für dieses Klima hier eine ziemlich spärliche Bekleidung.« »Außerdem trägt er einen weiten Umhang«, zählte das Fuchsgesicht weiter auf, »und er hat oft eine mächtige Keule bei sich.« »Das alles haben Sie gesehen?« »Nur in Umrissen, denn ich bin sofort weggerannt und habe mich in Sicherheit gebracht.«
»Sie haben nicht versucht, mit dem Messer nach ihm zu werfen? Darin scheinen Sie sich ja auszukennen.« »Er hätte mich wahrscheinlich umgebracht, wenn ich das versucht hätte«, antwortete der junge Mann, »ich merke schon, daß Sie das alles nicht glauben, aber ich wünsche Ihnen nicht, daß Ihnen der Bergeist über den Weg läuft.« »Grüßen Sie ihn von uns, falls Sie ihn noch mal sehen sollten«, meinte der Anwalt spöttisch. »Ich will ihn nicht noch mal sehen, glauben Sie mir.« »Und darum gehen Sie runter zum See, wie?« »Bis an den See bekommt mich kein Mensch«, erwiderte der junge Mann, »wer da unten den Ringweg um den See überschreitet, der bekommt es mit dem Berggeist zu tun.« »Versuchen wir doch mal unser Glück.« Rander blickte seine Begleiterin aufmunternd an. »Stellen Sie sich vor, Kathy, wir könnten in London von einem echten Berggeist erzählen?« »Man sollte sein Schicksal vielleicht nicht herausfordern«, gab sie gespielt beeindruckt und ängstlich zurück. »Es gibt keine Berggeister«, behauptete der Anwalt nachdrücklich, »in welchem Jahrhundert leben wir denn..?!« *** »Sehr hübsch, sehr ansprechend«, faßte Agatha Simpson ihr Urteil zusammen, nachdem sie den ehemaligen Gebirgshof besichtigt hatte, »ich glaube, hier werde ich mich wohl fühlen, oder, Mr. Parker?« »Selbst ein Fernsehgerät und ein Video-Rekorder stehen Mylady zur Verfügung«, erwiderte Parker. »Das sah ich auf den ersten Blick.« Sie war sehr zufrieden. »Ich werde mir die heimischen Kriminalfilmproduktionen
ansehen.« »Sie lieben Kriminalfilme?« fragte Paul Karoly interessiert. Er hatte sich inzwischen von dem Zwischenfall wieder erholt. »Mylady arbeitet an einem Drehbuch für das britische Fernsehen«, warf Parker ein. »Ach ja?« Karoly stand mit seinen Gästen auf der kleinen Terrasse und blickte hinunter auf den Bergsee, der von hohen Felswänden und Tannenwäldern umschlossen wurde. Es gab nur diesen schmalen Ausblick auf das fast kreisrunde Gewässer, das aus der Entfernung wie ein riesiges, dunkles Auge wirkte. »Haben Sie was entdeckt?« erkundigte sich die ältere Dame und trat neben Karoly. »Erstaunlich, daß schon am Nachmittag Nebel aufkommt«, wunderte sich Karoly. »Sehen Sie doch, Mylady!« Er deutete mit ausgestreckter Hand nach unten. Dichte Nebelschwaden quollen aus den Wäldern und trieben über den See, der plötzlich drohend und unheimlich wirkte. »Es gibt eine Telefonleitung hinunter in den Ort und zu mir hinauf ins Sporthotel«, sagte Karoly weiter, »ich denke, ich werde mich jetzt um Ihr Gepäck kümmern. Ich wünsche guten Erfolg. Wann werden Sie tauchen, wenn man fragen darf?« »Mylady wird sich möglicherweise erst mal mit den Felswänden befassen«, erwiderte der Butler, »man wird Sie rechtzeitig informieren, wann Mylady mit der Erkundung des Sees beginnt.« »Dann stelle ich Ihnen nämlich erfahrene Männer zur Verfügung, die sich auf dem Wasser bestens auskennen«, meinte Karoly, »Anruf genügt.« Er küßte Mylady formvollendet die Hand, nickte Parker zu und verließ die Terrasse. Bald darauf war er auf der schmalen Straße zu sehen, die nach unten führte. Agatha Simpson holte
tief Luft und genoß die einmalige Aussicht. Weit über dem See und den Steilflanken eines kleinen Bergmassivs waren die schneebedeckten Berge und der Teil eines Gletschers zu sehen. Die Sonne senkte sich andeutungsweise, die Luft war rein und klar. »Was halten Sie von diesem Karoly?« fragte die ältere Dame ihren Butler. Sie blickte versonnen auf die Hand, die der Hotelier eben erst geküßt hatte. »Mr. Karoly dürfte ein überaus höflicher Mensch sein, Mylady.« »Glaubt er an diesen Berggeist?« »Die Geröll-Lawine dürfte ihn überrascht haben, Mylady.« »Er hatte Angst, das habe ich genau gesehen ... Was halten Sie übrigens von meiner Theorie, Mr. Parker? Könnten die Goldbarren nicht dort drüben in der Felswand hinter dem See versteckt worden sein? Sie wissen, auf meine Intuition habe ich mich bisher noch immer fest verlassen können.« »Mylady müßten, um dies zu überprüfen, immerhin die Felswand untersuchen«, schickte Josuah Parker voraus, »eine Besteigung dieser wilden Felsformationen dürfte nicht einfach sein, falls meiner Wenigkeit dieser laienhafte Hinweis gestattet ist.« »Schwierige Felsformation?« Mylady lachte spöttisch. »Mr. Parker, für Sie mag das sicher zutreffen, aber doch nicht für mich! Aber machen Sie sich nur keine Sorgen, ich werde Ihnen beibringen, wie man sich im Fels verhält. Wenn wir Österreich wieder verlassen, werden Sie ein ganz passabler Bergsteiger sein.« »Mylady machen meine Wenigkeit bereits im vorhinein glücklich«, behauptete der Butler und schob den Kopf ein wenig vor, als plötzlich einige Vögel kreischend und protestierend aus dem nahen Hangwald emporstiegen.
»Sagen Sie nichts«, meinte die ältere Dame, die wie elektrisiert wirkte, »da unten hat sich etwas getan.« »Mylady dürften den sprichwörtlichen Nagel auf den Kopf getroffen haben.« »Ich denke an diesen Karoly«, redete Agatha Simpson weiter, »der Weg führt doch durch das Waldstück, nicht wahr?« »In der Tat, Mylady. Normalerweise reagieren die Vögel wohl kaum auf etwas, das auf dem Weg zu sehen ist.« »Ob dieser Berggeist nicht doch existiert?« fragte sie sich leise, »Mr. Parker, ich werde den Dingen sofort auf den Grund gehen und nachsehen. Sie dürfen mich begleiten.« »Mylady sind wieder mal zu gütig.« »Ich werde den Weg natürlich meiden und durch den Wald schleichen. Sie wissen, daß ich Pfadfinderin war und mich im Gelände auskenne.« »Mylady dürften mit Sicherheit kaum etwas verlernt haben.« »Natürlich nicht«, sagte sie, »ich habe in mir so etwas wie einen Kompaß, Mr. Parker. Folgen Sie mir!« *** »Sie glauben doch nicht etwa, ich hätte mich verlaufen, oder?« Lady Agatha schnaufte diskret und musterte Parker streng. Sie hatte die Führung durch den dunklen Wald übernommen und bahnte sich ihren Weg durch das dichte Unterholz. Dabei verursachte sie Geräusche, die weithin zu hören waren. Es gab keinen dürren Ast am Boden, den sie mit ihren übergroßen Schuhen nicht nachdrücklich geknackt hätte. »Meine Wenigkeit erkühnt sich, voll und ganz auf Myladys Fähigkeiten zu setzen und ihnen zu vertrauen«, lautete Parkers Antwort.
»Was ich mir aber auch ausgebeten haben möchte ...« Sie blickte um sich und suchte nach einem Anhaltspunkt, hatte sich selbstverständlich total verlaufen und wußte noch nicht mal andeutungsweise, wo sie sich befand. »Wir werden den Weg gleich erreicht haben«, verkündete sie nach einigen Sekunden, »und noch etwas, Mr. Parker: Sie sollten sich bemühen, vorsichtig aufzutreten.« »Wie Mylady wünschen.« Der Butler deutete eine knappe Verbeugung an. »Sie verscheuchen mir sonst den Berggeist«, redete sie lautstark weiter. »Mir nach!« Sie schob ihre majestätische Fülle wieder durch das dichte Gesträuch und brach sich ihren Weg. Vor Parker bildete sich eine breite Schneise, die er bequem zu nutzen verstand. Parker hätte seiner Herrin einen Hinweis geben können, was den gesuchten Weg betraf, doch er hütete sich, dies zu tun. Er kannte Lady Simpsons verwegenen Ehrgeiz und ihren Eigensinn. Sie ließ sich grundsätzlich nicht raten und wußte stets alles besser. Es ging übrigens wieder bergauf, was Lady Agatha aber kaum auffiel. Sie wurde allerdings ein wenig langsamer und schnaufte nun deutlich hörbar. Mit ihrer Kondition war es auf keinen Fall weit her. Sie blieb immer häufiger stehen, atmete krampfhaft und tief durch, schnappte nach Luft und fingerte an ihrer skurrilen Hutschöpfung herum. Parker enthielt sich jeden Kommentars. »Weit kann es wirklich nicht mehr sein«, sagte sie, nachdem sie etwas verschnauft hatte. »Wie Mylady zu meinen belieben.« »Dort hinter dem Hügel ist die schmale Zufahrtstraße. Oder sind Sie etwa anderer Meinung?« »Keineswegs und mitnichten, Mylady.«
»Sie, Mr. Parker, hätten sich ja längst verlaufen.« »Mit letzter Sicherheit, Mylady.« »Haben Sie überhaupt eine Ahnung, wo wir sind?« »Meine Wenigkeit muß gestehen, jede Übersicht verloren zu haben.« »Ja, was haben Sie denn die ganze Zeit über getan?« grollte sie sofort, »Sie sind mir so ganz einfach nachgelaufen?« »Meine Wenigkeit vertraute sich Myladys Führung an.« »Und wo ist Ihrer Ansicht nach der Bergsee?« Sie sah ihn hoffnungsfroh-listig an und erwartete einen Hinweis. »Meine Wenigkeit wäre ohne Myladys pfadfinderische Kenntnisse rettungslos verloren.« »Wissen Sie denn wenigstens, wo Westen ist?« »Meine Wenigkeit muß erneut zutiefst bedauern.« »Suchen Sie an einem beliebigen Baumstamm nach Moosen und Flechten, dort ist dann immer Westen«, erklärte sie und ging auf einen dicken Baumstamm zu, der dummerweise glatt und sauber war. »So ist es in der Regel«, korrigierte sie sich, »es geht eben nichts über britische Bäume, Mr. Parker. Diese hier halten sich nicht an die Spielregeln. Nun denn, weiter! Sie werden überrascht sein, wohin ich Sie führen werde.« Ihre Fülle brach eine weitere Schneise durch das Unterholz. Die ältere Dame arbeitete sich weiter hangaufwärts und ... blieb dann plötzlich wie angewurzelt stehen. Mylady haben eine Entdeckung gemacht?« erkundigte sich der Butler. »Der Gebirgshof«, sagte sie und bemühte sich, die Überraschung in ihrer Stimme zu überdecken. »Mylady meinen jenen Hof, in dem Mylady Quartier bezogen haben?«
»Natürlich«, sagte sie und nickte. Dann wandte sie sich zu ihrem Butler um und sah ihn triumphierend an, »zielgenau, Mr. Parker. Das soll mir erst mal einer nachmachen.« »In der Tat, Mylady.« »Ohne Kompaß habe ich Sie zum Haus zurückgeführt«, redete sie munter weiter, »und das in extrem schwierigem Gelände.« »Mylady sind und bleiben bewunderungswürdig.« »Ich hatte von Anfang an nämlich nicht die Absicht, diesen Berggeist aufzuspüren«, schwindelte sie, »man soll immer das tun, Mr. Parker, was man von einem eben nicht erwartet. Das ist eine subtile Art der Taktik.« »Mylady sehen in meiner Wenigkeit einen gelehrigen Schüler.« Parker fiel es nicht schwer, ernst zu bleiben. Er war trainiert, was das betraf. Ihn vermochte nichts zu erschüttern, wenn es um Mylady ging. *** »Das hier dürfte also die Bannmeile sein«, sagte Rander. Er und Kathy Porter hatten den Ringweg erreicht, der um den Bergsee führte. Der Wanderweg kreuzte diesen Ringweg und führte weiter hinunter zu einem langen Steg, der vor einem Bootshaus endete. »Haben Sie eben diesen eigenartigen Dunst mitbekommen?« fragte Kathy. »Sah nach künstlichem Nebel aus«, erwiderte der Anwalt, »man will eindeutig abschrecken und macht sich die Sache verdammt einfach.« »Ob Lady Simpson und Mr. Parker bereits im Gebirgshof sind?« »Ich denke schon, der Zeit nach müßte man sich bereits
eingerichtet haben, Kathy. Kommen Sie, sehen wir uns das Bootshaus mal an.« »Was halten Sie von diesem Fuchsgesicht?« »Der Bursche ist uns eindeutig nachgeschickt worden. Man will herausfinden, wer wir wirklich sind und was wir planen.« »Dann dürften wir beobachtet werden.« »Natürlich, Kathy. Irgendwo im Unterholz hockt der Berggeist und nimmt Maß.« Rander setzte sich in Bewegung und schritt zum Bootssteg hinunter. Er prüfte die Bohlen, über die man zum Bootshaus ging. »Sieht solide aus«, sagte er, »muß aber nicht sein.« »Achtung!« rief Kathy Porter fast unmittelbar darauf. Sie hatte hinter und über sich im Hang ein Geräusch gehört, als seien Zweige brutal zur Seite gerissen worden. Die junge Dame brachte sich sofort hinter einem Baumstamm in Deckung, und Mike Rander, der herumgewirbelt war, sah einen länglichen Gegenstand, der mit viel Fahrt direkt auf ihn zukam. Er wich dem Gegenstand geschickt aus und blickte dann überrascht auf eine Art überdimensional große Lanze, die ins Wasser zischte und dann federnd im Ufergeröll stecken blieb. »Der Berggeist«, sagte er trocken, »das nenne ich prompte Bedienung.« Rander suchte mit Blicken den Hang ab, konnte dort aber keine Bewegung feststellen. Er hielt Ausschau nach Kathy, doch die war erstaunlicherweise nicht mehr zu sehen. Sie hatte ihre Deckung verlassen und war im dichten Unterholz des Steilhanges untergetaucht. Mike Rander betrat den Bootssteg und konnte von hier aus nach der mächtigen Lanze greifen. Er wollte mit den Fingern bereits den unterarmdicken Schaft umfassen, als eine innere Stimme ihn davor warnte. Man konnte ja schließlich nicht wissen, ob das nur oberflächlich entrindete Holz nicht
präpariert war. Er beugte sich vor, um besser sehen zu können und entdeckte einen rötlichen Belag auf dem frisch geschälten Holz. Rander holte sein Ziertuch aus dem Blazer und benutzte es als Handschuh. Erst dann griff er zu und zog die schwere Lanze aus dem seichten Ufergrund. Er mußte sich gehörig anstrengen, um das zu schaffen. Die Lanze war mit erstaunlich großer Wucht geschleudert worden und hatte sich tief in den Untergrund gebohrt. Die Lanzenspitze bestand aus einer Art Faustkeil aus Stein, war scharf geschliffen und spitz wie eine Nadel. Diese steinerne Lanzenspitze war vorn in das Schaftholz eingeklemmt worden und mit Bast umwickelt. Rander trug das schwere Gerät ans Ufer zurück und faltete dann das Ziertuch sorgfältig zusammen. Danach ließ er es wieder in der oberen Tasche seines Blazers verschwinden. Als er sich aufrichtete, hörte er Hundegebell. Wenig später erschienen zwei Männer in weitem Umhängen und mit geschulterten Gewehren. Ein langohriger Jagdhund hatte den Anwalt natürlich längst ausgemacht und jagte auf Rander zu. Das Tier machte einen sehr aggressiven Eindruck. Mike Rander ließ sich nicht ins Bockshorn jagen, blieb gelassen stehen und beobachtete das große Tier, das seinen Schwung jäh bremste und ihn anknurrte. Einer der beiden Männer, die offensichtlich Jäger waren, stieß einen Pfiff aus. Der knurrende Hund reagierte fast unwillig, wandte sich langsam von Rander ab und lief dann zu den beiden Männern zurück, die ihre Gewehre von den Schultern genommen hatten. »Sie kommen ein paar Minuten zu spät«, sagte Rander und deutete auf die mächtige Lanze am Boden, »eben bin ich von Ihrem Berggeist begrüßt worden.« »Sie haben ihn gesehen?« Einer der Männer blickte unwillkürlich hinauf zum dicht bewaldeten Steilhang.
»Das hier ist seine Visitenkarte.« Rander deutete noch mal auf die mächtige Lanze. »Die kann ja nur ein Riese werfen«, sagte der zweite Jäger, doch erstaunlicherweise bückte er sich nach dem Wurfgerät, eine Tatsache, die der junge Anwalt stillschweigend, aber aufmerksam zur Kenntnis nahm. »Dieser Berggeist soll ja auch riesengroß sein«, meinte Rander, »Ihnen ist er bisher noch nicht begegnet, wie?« »Wir verzichten gern darauf«, erwiderte der Mann, »an Ihrer Stelle würde ich von hier verschwinden. Sie sind Tourist aus Edenes?« »Und wird es wohl nicht lange bleiben«, schwindelte Mike Rander. »Es gibt ja ganz in der Nähe auch noch wunderschöne Täler und Seen«, sagte da der andere Jäger, »Sie sind allein unterwegs? Sie sind Engländer, nicht wahr?« »Man hört es heraus, wie?« »Wenn man genau hinhört.« Der Jäger nickte. »Sie sind allein unterwegs?« »Meine Begleiterin wird gleich zurückkommen«, antwortete Rander. Er ging davon aus, daß man Kathy und ihn beobachtet hatte. Dann deutete er auf die schwere, übergroße Wurflanze, »ich sollte dieses Ding der Polizei übergeben ...« »Wollen Sie sich damit abschleppen? Das werden mein Freund und ich für Sie übernehmen. Wir treffen uns in Edenes, einverstanden?« »Bis dann.« Rander winkte den beiden Männern und warf dann einen Blick auf den Hund, der ihn aufmerksam musterte. Das Tier schien nur darauf zu warten, sich auf ihn stürzen zu dürfen. Die beiden Männer grüßten verhalten zurück, doch keiner von ihnen hob die Wurflanze auf. Mike Rander ging wieder zum Ringweg und dachte an Kathy Porter. Sie hatte
nicht umsonst ihre sichere Deckung aufgegeben. Wahrscheinlich hatte sie etwas Wichtiges bemerkt und ging der Sache nach. Sorgen um Kathy machte der junge Anwalt sich keine. Er wußte nur zu gut, wie selbständig sie war. Sie hatte sich bisher noch immer ihrer Haut zu wehren gewußt. Mike Rander hatte den Rand des dichten Unterholzes erreicht, blieb stehen und wandte sich um. Die beiden Männer standen noch immer neben dem schweren, überlangen Jagdspeer und unterhielten sich. Sie hatten aber inzwischen die Gewehre wieder geschultert. Der Hund lief am Ufer des Bergsees auf und ab und sah nun wesentlich friedlicher aus. Mike Rander nutzte die Gelegenheit, als die beiden Männer sich für einen Moment wegdrehten. Er hob blitzschnell einen Stein auf, holte weit aus und schleuderte den Stein auf den See. Die beiden Jäger hatten den Wurf nicht mitbekommen, blickten wieder herüber und zuckten förmlich zusammen, als der Stein auf dem Wasser aufschlug. In der herrschenden Stille wirkte der Aufschlag wie ein Pistolenschuß. Prompt fuhren die beiden Jäger herum und konzentrierten sich auf den See. Mike Rander drückte sich ab und verschwand im Unterholz. Er wechselte sofort die Richtung, duckte sich und arbeitete sich nach oben. Dabei achtete er darauf, nicht gehört zu werden. Er vernahm vom Ufer her ein Hetzkommando, das eindeutig nur dem Hund galt. Rander bückte sich und löste vorsichtig einen scharfkantigen, fußballgroßen Stein aus dem lockeren Erdreich. Dann drückte er sich an einen Baumstamm und wartete auf den Vierbeiner. Es dauerte nicht lange ... *** Kathy Porter glitt geschmeidig und lautlos durch das dichte Unterholz und verfolgte die Gestalt, die inzwischen aber wußte, daß man ihr auf den Fersen war.
Nachdem die Jagdlanze geworfen worden war, hatte Kathy für einen Moment weit oben am Hang eine Gestalt ausgemacht, die einen weiten Umhang trug. Ein breitkrempiger Hut hatte das Gesicht der Gestalt leider verdeckt, doch Kathy ging davon aus, daß sie es mit einem Mann zu tun hatte. Sie hatte sofort die Verfolgung aufgenommen, war mit der Schnelligkeit und Geschmeidigkeit einer Großkatze nach oben gestiegen und hatte sich an die seltsame Gestalt herangearbeitet. Dabei war ihr leider ein Mißgeschick passiert, sie war auf einen dürren Ast getreten und hatte die Aufmerksamkeit des Lanzenwerfers erregt. Daraufhin war die Gestalt sofort untergetaucht und hatte sich abgesetzt. Und nun verfolgte Myladys zurückhaltende Gesellschafterin und Sekretärin diese seltsame Erscheinung, die alles tat, um die Verfolgerin abzuschütteln. Doch Kathy war zäh und sportlich durchtrainiert. Es machte ihr nichts aus, daß die Verfolgungsjagd über Stock und Stein ging. Insgeheim wunderte sich Kathy über das Tempo der großen Gestalt. Es gelang ihr nicht, entscheidend Boden gutzumachen. Plötzlich war die Gestalt verschwunden. Sie hatte gerade eine Waldlichtung überquert, tauchte weg in Beerensträuchern und war nicht mehr zu hören. Kathy blieb sofort stehen, duckte sich und wußte, daß man ihr eine Falle stellen wollte. Der Flüchtende versuchte wohl endgültig, sie loszuwerden und auf die Lichtung zu locken. Kathy rechnete sogar damit, daß die Gestalt zum Gegenangriff überging. Das dichte Unterholz und die hohen Farne luden dazu förmlich ein. Sie dachte an Mike Rander. Sorgen um ihn machte natürlich auch sie sich nicht. Mike Rander mochte ein wenig blasiert, vielleicht sogar arrogant erscheinen, doch unter dieser Oberfläche steckte ein harter Fighter, der sich vor niemand fürchtete. Immer wieder wurde
er von seinen Gegnern unterschätzt, die ihn für einen überzivilisierten Schreibtischmenschen hielten. Wenn es sein mußte, konnte Mike Rander die Fäuste fliegen lassen und sehr hart zulangen. Daß er von dem Jagdspeer nicht getroffen worden war, hatte Kathy noch mitbekommen. Schließlich hatte sie ihn noch rechtzeitig warnen können. Diesen übergroßen Speer hatte man sicher mit der Absicht geschleudert, Mike Rander tödlich zu treffen. Es hatte sich um einen regelrechten Mordanschlag gehandelt, daran zweifelte sie keinen Moment. Und die Gestalt dort drüben im Gesträuch mußte die Lanze geworfen haben! Sie wollten diesen potentiellen Mörder stellen ... Kathy Porter hatte sich vorsichtig zurückgeschoben und streifte dabei geschickt ihre karierte Bluse vom Oberkörper. Der dunkelrote Flanellstoff wirkte wie eine Zielscheibe und lud einen Angreifer förmlich ein, sich auf diese Farbe zu konzentrieren. Nachdem sie die Bluse in der Hand hatte, befestigte sie sie geschickt an einem herabhängenden Zweig und schob sich dann noch weiter zurück. Es machte ihr überhaupt nichts aus, daß ihr Oberkörper entblößt war. Die junge Dame war noch nie prüde gewesen. Sie war waffenlos, doch sie wußte sich zu helfen. Nach einigem Suchen entdeckte sie einen trockenen Ast am Boden. Sie nahm ihn vorsichtig auf und prüfte seine Elastizität. Nun, viel würde er zwar nicht aushalten, doch er war gut für einen Scheinangriff. Kathy rollte sich unter Farnblättern zusammen und setzte auf Geduld. Es dauerte einige Minuten, bis sie endlich etwas hörte, was auf keinen Fall mit den üblichen Geräuschen des Waldes zusammenhing. Ein feines Scharren und Schieben war zu vernehmen, als bewege sich ein schwerer Gegenstand über den Waldboden. Kathy dachte sofort an die riesige Gestalt, die sie die ganze Zeit über so hartnäckig verfolgt hatte. Pirschte die sich jetzt vorsichtig heran? Robbte sie etwa über den Boden?
Tat sie damit genau das, womit Kathy Porter die ganze Zeit über gerechnet hatte? Wenig später sah Kathy Porter klar. Dicht neben ihr arbeitete sich die riesige Gestalt vorsichtig durch den Farn. Sie erinnerte an eine überdimensional große Raupe, wozu der Umhang wohl noch beitrug, den die Gestalt nicht abgelegt hatte. Und es war dieser Umhang, der das feine Schleifen und Scharren verursachte. Dennoch, dieser Mann, dessen Gesicht sie leider nicht erkennen konnte, kannte sich in der Natur aus und zeigte ebenfalls Geduld. Keine Bewegung war überhastet, der Mann ließ sich viel Zeit und wurde von der roten Bluse magnetisch angezogen. Kathys Taktik erwies sich als goldrichtig. Sie überlegte,ob ihre Handkante eine Chance hatte... *** Parker hatte endlich Gelegenheit, das Haus zu inspizieren. Im Erdgeschoß gab es die Küche, die Diele und ein Schlafraum, der vom großen Wohnraum aus zu erreichen war. Parker behielt sich diesen Raum vor, während Lady Agatha in einem der oberen Räume untergebracht wurde. Im Haus, das rustikal eingerichtet war, gab es pro Etage einen hübschen Baderaum und eine Toilette. Agatha Simpson befand sich während dieser Inspektion auf der Terrasse und pflegte ihren Kreislauf. Butler Parker hatte ihr aus seiner lederbezogenen Taschenflasche einen Kognak eingegossen. Die ältere Dame verschnaufte, nippte aus dem ovalen Becher an der speziellen Medizin und beobachtete die beiden Rover, die langsam über die steile, schmale Straße zum Haus herauffuhren. Parker nahm sich Zeit. Er wollte sicher sein, nichts zu übersehen. Er ging davon aus, daß der sogenannte Berggeist
die Gelegenheit genutzt hatte, hier im Haus für Überraschungen zu sorgen. Parker konnte jedoch nichts finden. Alles machte einen völlig unverdächtigen und normalen Eindruck. »Das hätte ich Ihnen gleich sagen können, Mr. Parker«, sagte sie, als der Butler auf die Terrasse zurückkam, »dieser Berggeist wagt es nicht, sich mit mir anzulegen.« »Mylady könnten die Situation durchaus richtig beurteilen.« »Natürlich beurteile ich sie richtig«, antwortete sie streng, »wer ist denn vor mir eben erst davongelaufen?« »Der Berggeist schien es in der Tat vorgezogen zu haben, Mylady zu meiden«, meinte der Butler in seiner höflichen Art. »Ich werde ihm sein Geheimnis entreißen«, redete die Detektivin munter weiter, »ich werde selbstverständlich diesen Goldschatz finden, und zwar oberhalb des Sees in der Felswand. Sie haben an eine Bergsteigerausrüstung gedacht?« »Sehr wohl. Mylady können jede beliebige Steilwand bezwingen.« »Was ich natürlich auch tun werde.« Sie nickte bedeutungsvoll. »Und ich werde Ihnen im Zusammenhang mit den Goldbarren eines sagen, Mr. Parker: Ich traue diesem Karoly nicht über den Weg. Seine Höflichkeit ist nur gespielt.« »Mylady deuteten so etwas bereits an.« »Inzwischen weiß ich es genau«, erwiderte sie, »eine Lady Simpson kann man nicht täuschen, Mr. Parker. Sein sogenanntes Sporthotel ist das Hauptquartier einer Gangsterbande.« »Mylady haben die Absicht, diesem Sporthotel einen Besuch abzustatten?« »Aber natürlich, Mr. Parker. Ich werde mich damit wieder mal in die Höhle des Löwen begeben. Und wie ich bereits sagte, könnte dieser ominöse Goldschatz längst gehoben
worden sein.« »Demnach müßte man feststellen, Mylady, wer Mr. Karoly ist und wie es ihm möglich war, das Sporthotel zu finanzieren.« »Das wollte ich gerade sagen, Mr. Parker ... Stellen Sie das fest! Ich wette, dieser Karoly ist ganz plötzlich und praktisch über Nacht reich geworden. Und natürlich hat er eine kriminelle Vergangenheit.« »Mylady sind umsichtig wie stets.« »Ich weiß.« Sie lächelte gönnerhaft. »Man muß eben an alles denken, Mr. Parker.« »Falls Karoly aber eine saubere Weste haben sollte, macht er sich in meinen Augen nur noch verdächtiger«, redete die ältere Dame weiter, »dann hat er etwas zu verbergen.« »Ein überaus logischer Schluß«, behauptete Josuah Parker. »Logik ist meine besondere Begabung«, lobte sich Lady Agatha ohne falsche Bescheidenheit, »wann werden die Kinder übrigens hier eintreffen?« »Miß Porter und Mr. Rander dürften inzwischen längst im nahen Edenes sein, Mylady.« »Sehr schön. Getrennt marschieren, vereint schlagen, Mr. Parker, das ist und bleibt meine Devise. Sie brauchen diesem verschlagenen Karoly natürlich nichts von unserem Ausflug zu sagen.« »Natürlich nicht, Mylady.« »Er braucht nicht zu wissen, daß ich mich mit der näheren Umgbung bereits vertraut gemacht habe.« »Er könnte daraus Schlüsse ziehen, Mylady.« »Eben, Mr. Parker, man spielt seine Trumpfkarten nicht vorzeitig aus. Das müssen Sie sich einprägen, wenn Sie erfolgreich werden wollen.« Parker wurde einer Antwort enthoben.
Karoly stieg aus dem Landrover und winkte nach oben. »Es hat doch noch geklappt«, rief er und deutete auf das ramponierte Auto, »es hat aber Zeit gekostet, die Straße freizuräumen.« »Der Berggeist hat Ihnen dabei nicht geholfen?« spottete die ältere Dame. »Hoffentlich läßt er sich nie blicken«, antwortete Karoly, »mir wäre wohler, Sie würden drüben im Sporthotel wohnen, Mylady, dort sind Sie auf jeden Fall sicherer.« »Ich liebe die Gefahr, junger Mann«, lautete die Antwort der energischen Dame, »richten Sie das ihrem Berggeist aus, falls Sie ihn sehen sollten!« *** Der Hund hatte Mike Randers Spur aufgenommen und hechelte immer näher heran. Er zwängte sich durch das dichte Unterholz, und der junge Anwalt hatte den scharfkantigen Stein bereits zum Schlag gehoben. Daß der Hund ihn nicht nur aufspüren sollte, war deutlich zu hören. Einer der beiden Jäger rief weitere Hetzkommandos nach oben und stachelte den Vierbeiner an, ordentlich zuzubeißen. Und dann war es soweit... Der Hund hatte den Baum erreicht, hinter dem Rander stand. Der Anwalt zog sich ein wenig zurück, sorgte für eine weitere Spur und... konnte den Vierbeiner dann überraschen. Bevor der Hund zubeißen konnte, was eindeutig seine Absicht war, landete Rander seinen Schlag. Der Hund jaulte verhalten auf und fiel auf die Seite, wie von einem unsichtbaren Blitz getroffen. Mike Rander, der Hunde durchaus liebte, hatte fast ein schlechtes Gewissen, als das Tier alle Viere von sich streckte. Er untersuchte kurz den Hund und
nickte dann erleichtert. Er hatte das Tier nur nachhaltig betäubt, danach war sicher alles wieder in Ordnung. Rander löste sich von dem Tier und stieg hangaufwärts. Er hörte die Stimmen der beiden Jäger, die nach dem Vierbeiner riefen. Die Männer mußten inzwischen gemerkt haben, daß da mit ihrem Hund einiges nicht stimmte. Der Anwalt erreichte das obere Ende des Steilhangs, blieb neben einem Baumstamm stehen und blickte nach unten. Die beiden Jäger standen nach wie vor auf dem Ringweg und wirkten ratlos. Der Hund war aus seiner Betäubung noch immer nicht erwacht und gab den beiden Männern durch sein Schweigen einige Rätsel auf. Mike Rander überstieg den Kamm des Steilhangs und sah vor sich eine weite, sanft ansteigende Lichtung. Er hütete sich, sie zu betreten, denn er dachte natürlich an die schwere Jagdlanze, die man auf ihn geschleudert hatte. Wer konnte wissen, ob der hinterlistige Täter sich hier aufhielt? Mike Rander winkelte nach links ab, tauchte wieder im Unterholz unter und schritt langsam und konzentriert weiter nach oben. Er kam hier wesentlich besser voran und dachte nur noch an Kathy Porter. Wie mochte es ihr inzwischen ergangen sein? Rander blieb stehen, als er einen leisen Pfiff hörte. Der Anwalt war ungemein erleichtert. Er kannte diesen Pfiff. Nur Kathy Porter konnte ihn ausgestoßen haben. Rander pfiff zurück, erhielt eine Antwort und wußte nun, an welche Richtung er sich zu halten hatte. Nach wenigen Minuten hörte er Kathy Porters Stimme. »Meine Kleidung ist nicht gerade gesellschaftsfähig, Mike«, rief sie, »ich mußte meine Bluse opfern.« »Wäre Ihnen mit meinem Oberhemd gedient, Kathy?« »Ich wollte gerade darum bitten, Mike.« Rander lächelte und entledigte sich seines Blazers. Dann streifte er sich das Hemd
vom Oberkörper und drückte es in Kathy Porters Hand. Sie stand hinter dem Stamm einer mächtigen Tanne. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis sie hervortrat. »Was ist passiert?« erkundigte sich Rander. »Ich hatte Kontakt mit einer Gestalt, die so etwas wie ein Berggeist zu sein scheint, Mike.« Sie knöpfte sich das Hemd über der Brust zu und deutete hinauf in den Bergwald. »Dieser Schrat kam dicht an mir vorbei, Mike, aber ich habe mich nicht getraut, mit der Handkante zuzuschlagen.« »Dann muß dieser Waldschrat ein wahres Ungetüm sein.« »Das kann man wohl sagen, Mike. Ich glaube, der Mann hätte jeden noch so harten Schlag ohne weiteres verdaut.« »Und wie wurden Sie Ihre Bluse los? « »Ich opferte sie, um ihn abzulenken, Mike. Als er merkte, daß ich ihn getäuscht hatte, verzichtete er auf alle weiteren Versuche, mich zu erwischen. Der Berggeist rannte davon und verschwand in einem Steilhang, der nach unten zum See führte. Ich bin sicherheitshalber nicht gefolgt.« »Was genau richtig war«, meinte der Anwalt. »Konnten Sie sein Gesicht sehen, Kathy?« »Nein, leider nicht, Mike. Aber ich weiß, daß er einen mächtigen Vollbart trägt.« »Wie viele hier in der Region, wie?« Rander lächelte. »So ist es, Mike.« Sie nickte. »Mit diesem Vollbart wird man nur wenig anfangen können.« »Dafür kann ich mit zwei Jägern dienen«, meinte Rander und berichtete in Stichworten von dem, was er erlebt hatte. »Ob sie mit dem Berggeist unter einer Decke stecken, Mike?« fragte Kathy Porter, als Rander seinen Bericht gegeben hatte. »Sie hüteten sich, die Lanze aufzuheben«, sagte der Anwalt, »und genau das hätte man normalerweise getan. Aber ich habe
eine Probe von diesem rötlichen Belag hier oben im Ziertuch.« »Denken Sie an Gift, Mike?« »So ungefähr.« Er zuckte die Achseln. »Ich werde den rötlichen Belag analysieren lassen, dann sehen wir weiter.« »Es ist schon verrückt«, schickte Kathy Porter voraus, »da wollte Mr. Parker Lady Simpson nur in die Bergwelt locken, um ihr den Achttausender auszureden, und daraus scheint sich nun ein handfester Kriminalfall zu entwickeln.« »Hier soll etwas vertuscht werden.« Rander nickte. »Und um Kleinigkeiten kann es sich nicht handeln. Vier Tote sprechen eine beredte Sprache.« »Ob die Goldbarren noch im See sind?« »Möglich, Kathy, aber sie können auch längst geborgen sein. Wir sollten auf jeden Fall mit den zuständigen Behörden und damaligen Zeugen reden, Kathy.« »Sie wollen für Nervosität sorgen?« »Richtig.« Mike Rander nickte. »Nur wenn die Gegenseite gescheucht wird, wird sie Fehler begehen.« Während sie sich miteinander unterhielten, hatten sie einen Wanderweg auf dem Bergkamm erreicht. Sie legten eine Verschnaufpause ein und kamen auf Lady Simpson und Butler Parker zu sprechen. »Wird man nicht schon bald dahinterkommen, Mike, wie gut wir uns kennen?« fragte Kathy Porter. »Natürlich«, antwortete er, »unser Berggeist weiß bestimmt, wie man mit einem Telefon umgeht und wie man Informationen einholt.« »Dann könnten wir doch Mylady einen Höflichkeitsbesuch abstatten, oder? Ich glaube, daß es gar nicht mehr so weit bis zum Gebirgshof ist.« Sie hatte ihren Satz gerade beendet, als plötzlich ein hartes Räuspern zu vernehmen war. Kathy Porter und Mike Rander
fuhren blitzschnell herum und sahen sich einer Gestalt gegenüber, die eine verteufelte Ähnlichkeit mit dem Berggeist hatte... *** »Und Sie haben ihn nicht gleich mitgebracht, Kindchen?« fragte Lady Agatha vorwurfsvoll. »Dieser Mann stellte sich als ein Bergbauer vor«, erwiderte Myladys Sekretärin lächelnd, »er nennt sich Gugenmooser und bewirtschaftet einen Almhof.« »Wie heißt dieser Mann?« Agatha Simpson hob die Augenbrauen. »Gugenmooser, Mylady«, wiederholte Kathy Porter, »er ist breitschultrig, sehr groß und trägt einen Vollbart.« »Und dazu noch einen weiten Lodenumhang und einen Bergsteigerhut«, fügte der Artwalt hinzu, »er könnte sich überall als Berggeist vorstellen. Man würde ihm aufs Wort glauben.« »Es war der Berggeist«, behauptete die ältere Dame, »also ich, meine Lieben, hätte ihn mitgebracht und dann hier verhört.« »Sanft wie ein Lamm sieht Gugenmooser nicht gerade aus«, warf Mike Rander amüsiert ein. »Wir haben uns bei ihm nach dem Berggeist erkundigt«, berichtete Kathy Porter weiter, »Gugenmooser will ihn schon oft gesehen haben, allerdings immer nur flüchtig. Ich erzählte ihm von dieser mächtigen Lanze, und Gugenmooser erklärte, mit solch einem Ding oder auch mit einer Keule würde der Berggeist durchs Gebirge ziehen.« »Was sagt der Mann zu dem Goldschatz, meine Lieben?« Lady Agatha sah das junge Paar wohlwollend wie stets an.
»Gugenmooser gehört zu den Leuten, die seinerzeit beobachteten, daß man im Bergsee Blechkisten versenkte«, antwortete der Anwalt, »er war damals blutjunger Soldat und hatte sich von seiner Einheit abgesetzt und hier oben in den Bergwäldern zusammen mit Freunden versteckt.« »Sehr interessant.« Agatha Simpsons Augen funkelten unternehmungslustig, »diese jungen Leute haben also gesehen, daß man Blechkisten im See versenkte. Wer tat das?« »Eine Sondereinheit der damaligen Wehrmacht«, berichtete Mike Rander weiter, »es handelte sich um einige Kettenfahrzeuge, die besonders scharf bewacht wurden. Man brachte die Kisten in Schlauchboote, fuhr bis in die Mitte des Sees und warf die Ladung dann über Bord.« »An dieser Stelle sollte man tunlichst vermerken, Sir, daß seinerzeit viele Mitwisser anwesend waren«, sagte Josuah Parker, »eine Tatsache, die jenen Männern bekannt gewesen sein dürfte, die das Versenken der erwähnten Kisten leiteten.« »Richtig, Parker.« Mike Rander nickte. »Ich ahne schon, worauf Sie hinaus wollen: Sie gehen davon aus, daß man Kisten ins Wasser warf, die wohl kaum Goldbarren enthielten.« »Genau darauf wollte ich gerade hinweisen«, schaltete die Detektivin sich sofort ein, »natürlich waren diese Kisten mit Ziegelsteinen oder ähnlichem gefüllt. Tatsächlich aber wurden die Goldbarren an anderer Stelle versteckt.« »Und warum bewacht der seltsame Berggeist dann den Gebirgssee?« fragte Kathy Porter. »Um falsche Spuren zu legen«, erwiderte Mike Rander, »man tut alles, um die Aufmerksamkeit auf den See zu lenken, damit man nur ja nicht auf den Gedanken kommt, an anderer Stelle nach den Goldbarren zu suchen.« »Nur so kann es sein, aber das wußte ich bereits von Beginn an«, behauptete Agatha Simpson.
»Man sollte vielleicht auch unterstellen, daß der Goldschatz bereits längst gehoben wurde«, warf Josuah Parker gemessen ein. »Richtig, das sagte ich ja bereits.« Die Lady paßte sich wieder mal blitzschnell an. »Auch in solch einem Fall müßte man den Schein wahren und alles tun, um den Bergsee zu bewachen«, redete Parker weiter, »man müßte in Erfahrung bringen, wer kurz nach Beendigung des Krieges schnell zu Wohlstand und Reichtum kam.« »Also, das ist schon erstaunlich«, meinte die ältere Dame, »genau das wollte ich gerade auch sagen. Mr. Parker, Sie sollten diese Ermittlungen übernehmen. Sie wissen, daß ich mich mit solchen Kleinigkeiten nicht abgebe.« »Wie Mylady zu wünschen belieben.« Parker deutete eine knappe Verbeugung und wußte plötzlich mit letzter Sicherheit, für welche Überraschung der Berggeist hier im Haus gesorgt hatte. Man befand sich im großen Wohnraum, der mit Holz verkleidet war. Durch die kleinen Fenster und die Terrassentür konnte man auf die Gipfel jenseits des Bergsees blicken. Die Sonne stand inzwischen tief und schickte sich an, hinter diesen Gipfeln zu verschwinden. Parker ging davon aus, daß der Berggeist eine elektronische Wanze installiert hatte. Dieser geheimnisvolle Wächter des Sees mußte ein großes Interesse daran haben zu erfahren, was hier gesprochen wurde, und mittels einer sogenannten Wanze konnte er dies leicht bewerkstelligen. »Was sagen Sie zu dieser Steilwand hinter dem See?« fragte Mike Rander, »es soll dort viele Höhlen und Felsnischen geben.« »Man sollte davon ausgehen, Sir, daß sämtliche Verstecke bereits gefunden und abgesucht wurden«, beantwortete der Butler Mike Randers Frage, »man sollte ferner unterstellen,
daß seinerzeit eine allgemeine Schatzsuche stattfand.« »Moment mal«, schaltete die ältere Dame sich ein, die Goldbarren sind also nicht im See, nicht in der Steilwand ... Wo sollten sie dann sein?« »Sie wurden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weder im See versenkt noch in der Steilwand versteckt«, meinte Josuah Parker mit deutlich akzentuierter Stimme, damit die elektronische Wanze auch ohne Schwierigkeiten übertragen konnte, »die Goldbarren, die zweifelsfrei existierten, haben den See meiner bescheidenen Ansicht nach gar nicht erst erreicht.« »Dann wird es aber schwer sein, an die Leute heranzukommen, die den Transport damals ausführten«, gab Kathy Porter zu bedenken, »wie will man die ehemaligen Soldaten heute noch finden, Mr. Parker?« »Sie stammen eindeutig hier aus der Bergregion, Miß Porter«, beantwortete der Butler die Frage, »und deshalb kümmern sie sich auch darum, den sogenannten Berggeist immer wieder in Erscheinung treten zu lassen. Die Begleiter des Goldtransports müssen aus der näheren Umgebung stammen oder sich nach dem Krieg hier angesiedelt haben.« »Demnach müßten es dann mehrere Personen sein, wie?« Rander nickte beifällig. »Erstaunlich, daß es unter ihnen nie zu Streitereien aus Habgier gekommen ist.« »Solche Dinge, Sir, sollte man auf keinen Fall ausschließen«, entgegnete Josuah Parker gemessen, »man müßte sich mit den Sterberegistern der nahen Ortschaften befassen. Daraus lassen sich eventuell klare Schlüsse ziehen.« »Aber ich bitte um Diskretion«, warf die Detektivin ein. »Meine Absichten müssen vorerst geheim bleiben, sonst schöpfen meine Gegner noch Verdacht.« Sie hatte gerade ausgesprochen, als kurz hintereinander dumpfe, schwere Schläge gegen das Haus erfolgten. Die
Scheiben klirrten diskret, die Tür vorn im Windfang bebte. »Der Berggeist«, sagte Agatha Simpson erfreut, »es wurde aber auch langsam Zeit, daß er sich meldet.« »Man dürfte leichte bis mittelschwere Steinbrocken gegen die Hauswand werfen«, deutete der Butler die Erschütterungen. »Sollen wir nachsehen?« fragte Kathy Porter. »Vielleicht später, Miß Porter«, antwortete der Butler, »wenn es erlaubt ist, wird meine Wenigkeit jetzt einen kleinen Imbiß herrichten.« »Ein recht alberner Berggeist«, kommentierte die ältere Dame die nächste Erschütterung, »in Sprengstoffen scheint das Subjekt sich nicht auszukennen.« »Malen Sie nur nicht den Teufel an die Wand, Mylady«, antwortete der Anwalt, »ich gehe davon aus, daß der Berggeist Zahn um Zahn zulegen wird. Ich wette, daß da noch einige hübsche Überraschungen auf uns zukommen.« *** Mike Rander und Kathy Porter hatten den Gebirgshof verlassen und waren auf dem Rückweg nach Edenes. Sie waren zwar eingeladen worden, die Nacht hier oben zu verbringen, doch sie hatten abgelehnt. Vor dem Verlassen des Hauses hatte Josuah Parker sie mit einigen hübschen Kleinigkeiten aus seinem Spezialkoffer versorgt. Dabei hatte es sich in der Mehrzahl um völlig normal aussehende Kugelschreiber gehandelt, die aber von ihm in seinem sogenannten Privatlabor in London umfunktioniert worden waren. Mit diesen Schreibgeräten war man durchaus in der Lage, sich seiner Haut nachdrücklich zu erwehren. Lady Agatha befand sich im großen Wohnraum und studierte das Fernsehen des Gastlandes. Obwohl sie so gut wie nichts
verstand, hielt sie vor dem Bildschirm aus. Parker hatte in der kleinen Küche aufgeklart und befand sich in seinem Zimmer. Er sichtete den Inhalt seiner schwarzen, altmodisch aussehenden Reisetasche und befaßte sich besonders intensiv mit einer zusammenlegbaren Gabelschleuder, deren Funktionsfähigkeit er überprüfte. An den Stahlbügeln der Schleuder befanden sich zwei starke Gummistränge, die in einer Lederschlaufe endeten. Mittels dieser Gabelschleuder war Parker in der Lage, erstaunliche Weiten zu überbrücken, was die verwendeten Spezialgeschosse betraf. Parker konnte kleine Tonmurmeln verschießen, aber er hatte auch die Möglichkeit, Stahlkugeln auf die Luftreise zu schicken. Mit dieser lautlosen Schußwaffe hatte er bereits in der Vergangenheit immer wieder erstaunliche Erfolge erzielt. Parker sortierte auch seine Kugelschreiber, die alle völlig normal, billig und durchschnittlich aussahen. Er hatte sie durchweg präpariert und zu erstaunlich effektiven Verteidigungswaffen umfunktioniert. Der Butler brauchte ein Zusammentreffen mit dem sogenannten Berggeist nicht zu fürchten. Er rechnete mit nächtlichem Besuch. Nicht umsonst hatte Josuah Parker akzentuiert seine Theorie dargestellt. Danach war der Goldschatz längst verteilt worden, und zwar an Personen, die in der näheren Umgebung wohnten oder gewohnt hatten. Parker war davon ausgegangen, daß wenigstens eine elektronische Wanze dies alles übertragen hatte. Aus seiner schwarzledernen Reisetasche holte er eine Art Voltmeter und machte sich daran, nach dieser Wanze zu suchen. Lady Agatha ließ sich überhaupt nicht stören. Sie schielte hin und wieder zu Parker hinüber, der die Wände des Wohnraumes systematisch absuchte. Nach etwa fünf Minuten wurde Parker bereits zum ersten Mal fündig. Hinter einem kleinen Lüftungsgitter in der Nähe des Kachelofens entdeckte er eine Wanze. Es handelte sich um ein modernes Modell mit eigener Stromversorgung. Der Sender sprach nur dann an,
wenn menschliche Stimmen registriert wurden. »Eine sehr hübsche Sendung«, meinte die ältere Dame, als Parker ihr die Wanze zeigte. Agatha Simpson paßte sich diesmal erstaunlicherweise den Gegebenheiten an und sprach in verschlüsselter Form, »ich bin sicher, Mr. Parker, daß dieses Fernsehen auch noch andere Kanäle hat, oder?« »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Mylady«, gab Josuah Parker in seiner höflichen Art zurück, »das Angbot dürfte auch in diesem Land umfangreich sein.« Parker suchte und fand noch zwei weitere Wanzen. Eine davon befand sich in der Porzellan-Hängelampe über dem schweren Bauerntisch, die zweite in der Nähe des Wandtelefons in der Hängeschale einer Topfpflanze. Lady Agatha nickte wohlwollend, als Parker nachdrücklich auf beide Verstecke deutete. Er ließ die drei Wanzen dort wo man sie angebracht hatte, denn dadurch besaß er die Möglichkeit, den Berggeist mit falschen Informationen zu versorgen und ihn so zu verwirren. Josuah Parker wunderte sich überhaupt nicht darüber, daß dieser seltsame Berggeist wußte, was elektronische Wanzen waren. Selbstverständlich hatte Parker nicht einen Moment an einen echten Geist geglaubt. Seiner Ansicht nach wurde hier ein Verwirrspiel durchgezogen, um Nachforschungen über den Goldschatz schon im Keim zu ersticken. Man scheute selbst vor Mord nicht zurück, um ein Geheimnis zu hüten. Und nachdem dieser vorgebliche Berggeist nun Parkers Theorie kannte, war mit nachdrücklichen Angriffen zu rechnen. Nach Parkers Ansicht mußte eine erste Attacke bereits noch in dieser Nacht erfolgen. Der Butler richtete sich darauf ein. ***
»Er hat eine gute Chance verpaßt«, sagte Mike Rander, als er und Kathy Porter den kleinen Ort erreichten. Während des Rückwegs hatte sich nichts ereignet. Der Berggeist schien an dem jungen Paar vorerst nicht weiter interessiert zu sein. »Unser Berggeist weiß inzwischen, daß wir uns im Gelände bewegen können«, antwortete Kathy Porter, »und er dürfte davon ausgegangen sein, daß wir uns auf sein Erscheinen eingestellt hatten.« »Klar, Kathy.« Mike Rander nickte und blickte hinunter auf die kleine Ortschaft. Die Häuser waren in der aufgekommenen Dunkelheit nur noch als Schattenrisse auszumachen. Hinter vielen Fenstern brannte Licht. Die typischen Steinbauten mit ihren flachen Satteldächern standen am Fuß eines kompakten Bergwaldes und säumten beide Seiten eines kleinen Gebirgsbaches. Die schlanke Kirchturmspitze stach wie eine spitze Nadel in den nächtlichen Himmel. »Was halten Sie von Parkers Theorie, Mike?« fragte Kathy, als sie sich wieder in Bewegung setzten. Das junge Paar befand sich auf einem Wanderweg, der in weiten Serpentinen hinunter nach Edenes führte. »Parker dürfte wieder mal goldrichtig liegen«, beantwortete Mike Rander die Frage, »das Gold ist längst aufgeteilt worden. Und das Theater um den Berggeist wird nur veranstaltet, um falsche Spuren zu legen.« »Sollte erst Parker auf diesen Gedanken gekommen sein, wonach das Gold bereits aufgeteilt wurde?« »Mancher hier in der Region wird sich Fragen gestellt haben, Kathy, aber hinter vorgehaltener Hand. Hier draußen passiert schnell etwas.« »Die Seen und Schluchten sind tief.« Kathy Porter nickte. »Wenn der Berggeist nur wüßte, daß wir gar nicht wegen der Goldbarren gekommen sind, Mike.«
»Er und Mylady sind aber davon fest überzeugt«, erwiderte der Anwalt, »kommen Sie, Kathy, machen wir einen kleinen Umweg.« »Ihnen passen die beiden Scheunen nicht, Mike, wie?« »Haargenau«, sagte der junge Anwalt, »weiß der Henker, was sich dahinter verbirgt. Der Platz ist ideal für einen hübschen Überfall.« Kathy Porter war mit dem vorgeschlagenen Umweg durchaus einverstanden. Mike Rander und sie verließen den schmalen Wanderweg und gingen auf eine weite Wiese. Doch schon nach wenigen Metern wurden sie von einem dünnen Draht aufgehalten, der zu einem Elektrozaun für Vieh gehörte. Rander griff nach einer fingerdicken Eisenstange, an deren Spitze sich ein Isolator aus Porzellan befand. Er wollte den Zaundraht heben, damit Kathy bequem auf die Wiese gelangte. In diesem Moment war das Aufheulen von Mopedmotoren zu hören... *** Parker hatte die Blendläden des ehemaligen Bauernhauses geschlossen und gab einem wartenden Berggeist damit deutlich zu verstehen, daß man der Ruhe pflegte. Lady Agatha hatte sich von Parker verabschiedet und in ihre Gemächer begeben. Der Butler schaltete alle Lichter im Haus aus, die nicht gebraucht wurden, und begab sich auf den Dachboden des alten Hauses. Er hatte sich vorher bereits mit den Örtlichkeiten vertraut gemacht und brauchte kein Licht, um sich zurecht zu finden. Es war seine Absicht, auf das flache Satteldach zu steigen, um von dort die nähere Umgebung zu überwachen. Er war nach wie vor fest davon überzeugt, daß der Berggeist sich melden würde. Wann dies der Fall wäre, wußte
er nicht zu sagen, doch er wollte gewappnet sein. Vorsichtig öffnete er das schmale Fenster, durch das er dann in der Nähe des großen Schornsteins aufs Dach stieg. Hier angekommen, machte er es sich bequem und suchte erst mal mit dem lichtstarken Nachtglas die Umgebung ab. Der ehemalige Gebirgshof stand auf einer leicht abschüssigen Wiese, die von drei Seiten aus von dichten Wäldern umgeben war. Zum See hin fiel das Gelände nach etwa fünfzig Metern steil ab und endete vor einem weiteren Waldstück. Von seinem Platz aus hatte der Butler einen ausgezeichneten Blick auf die nähere Umgebung. Dank seines schwarzen Zweireihers war er so gut wie nicht auszumachen, zumal er sich mit dem Rücken gegen den dunklen Schornstein lehnte. Parker war ein Mann mit der Geduld eines Asiaten. Er war durchaus bereit, stundenlang zu warten. Ihm kam es einzig und allein darauf an, die Absichten des Berggeistes zu durchkreuzen. Ja, er freute sich sogar darauf, es diesem sicher raffinierten Gegner gründlich zu zeigen. Was er dem Berggeist übrigens auf dem Umweg über die elektronischen Wanzen mitgeteilt hatte, entsprach seiner ehrlichen Auffassung. Seiner Ansicht nach war der Goldschatz längst gefunden und dann aufgeteilt worden. Dies alles mochte viele Jahre zurück liegen, und genau jene Leute, die die Goldbarren wohl unter sich aufgeteilt hatten, inszenierten nun das immer wiederkehrende Theater um den schrecklichen Berggeist. Damit wollten sie eindeutig unterbinden, daß man Fragen stellte, was den Verbleib dieses Goldschatzes betraf. Sie sorgten für Aktualität und scheuten selbst vor Mord nicht zurück. Und nach Parkers Meinung waren diese Leute langjährige Bewohner der engeren Region. Da er dies alles geäußert hatte, daß der Berggeist Bescheid wußte, mußten die Leute, die ihn geschaffen hatten, jetzt aktiv werden. Parker empfand keine Langeweile auf dem Dach.
Er sah zuerst ein Rudel Wildschweine. Die Schwarzkittel traten vorsichtig aus dem oberen Waldstück und durchpflügten mit ihren Schnauzen ein ehemaliges Kartoffelfeld. Sie bewegten sich erstaunlich ungeniert und laut. Nach den Schwarzkitteln erschienen Rehe, die das saftige Gras rechts vom Haus genossen. Auch sie wurden nicht gestört und zogen davon, ohne dazu gezwungen zu werden. Dann erschien ein Käuzchen und erblickte den Butler. Der Nachtvogel schwebte auf leisen Schwingen heran, umkreiste den Schornstein und stieß dumpfe Rufe aus. Da Parker sich aber nicht rührte, verlor das Käuzchen jedes weitere Interesse und schwebte im Tiefflug davon. Es kreuzte hinunter zum Steilhang und entschwebte in Richtung Bergsee. Eine halbe Stunde später tauchte ein vorsichtiger Fuchs auf der Bildfläche auf und pirschte an einige Feldhasen heran, die ihrerseits mehr als vorsichtig waren, Witterung aufnahmen und davonstoben. Der Fuchs, der sich um seine Beute betrogen sah, machte einen langen Hals, duckte sich dann aber plötzlich und schnürte zurück in das etwas unübersichtliche Gelände links vom Haus. Parker beobachtete durch das Nachtglas den Waldrand, den der Fuchs offensichtlich mied. Einige Sekunden später entdeckte Josuah Parker dann eine Gestalt, die sich im Schutz des Waldrandes aufhielt und sicherte. Selbst durch das lichtstarke Glas konnte der Butler nicht sonderlich viel ausmachen. Doch die Gestalt war groß, breitschultrig und trug einen weiten Umhang, der tief über die Knie reichte. Auf dem Kopf saß ein Schlapphut, der das Gesicht verdeckte. Das konnte durchaus der erwartete Berggeist sein. Parker griff in die linke Brusttasche und zog seine Steinschleuder hervor, die er bereits zusammengesetzt hatte. Er war in der Lage, die Gestalt zu empfangen. Sie verließ gerade die Deckung und schritt schnell zu dem
Zaun, der den ehemaligen Garten noch umgab. Dort wucherten Sträucher und boten sich als Deckung an. Parker blickte erneut durch das Fernglas. Unter dem Hut machte er einen mächtigen Vollbart aus, der genau dem entsprach, den der Berggeist angeblich trug. Josuah Parker entschied sich für eine hart gebrannte Tonmurmel, die er aus einer der vielen Westentaschen hervorgeholt hatte. Er legte sie in die Lederschlaufe seiner Zwille, strammte die beiden Gummistränge und visierte den Mann an, der den Zaun und die Sträucher schon fast erreicht hatte. Nachdem sein Daumen und der Zeigefinger die Lederschlaufe freigegeben hatten, zischte das Geschoß unhörbar durch die Luft und nahm Kurs auf die Gestalt. Sie wurde voll erwischt! *** »Man dürfte doch tatsächlich auf uns gewartet haben«, sagte Mike Rander, dessen Stimme sorglos und ironisch zugleich klang. Er zog die fingerdicke Eisenstange spielend leicht aus dem Boden und trat dann mit dem rechten Fuß auf den Draht. Mit schnellem, hartem Ruck riß er ihn aus dem Isolator und reichte ihn an Kathy weiter. »Könnte vielleicht ganz hilfreich sein«, meinte er dazu, »kommen Sie, Kathy, ich brauche auch so was. Sie werden gleich hier sein.« Seiner Schätzung nach hatte man es mit vier Mopedfahrern zu tun, die auf ihren Maschinen hinter einer der Scheunen hervorpreschten und Kurs auf die Wiese nahmen. Sie hatten die Lichter nicht eingeschaltet und wirkten dadurch besonders unheimlich. Sie schwärmten seitlich aus und hatten vor, Kathy
Porter und ihn zu attackieren. Mike Rander hatte sich inzwischen ebenfalls mit einer Waffe versorgt und wog den schweren und soliden Eisenstab erwartungsvoll in der rechten Hand. Die Mopedfahrer kamen schnell näher und ließen die Motoren ihrer Zweiräder immer wieder aufheulen. Sie fuhren inzwischen in weitem Kreis um die beiden jungen Leute und zogen diese Kreise immer enger. In der nahen Ortschaft mußte man diesen Lärm unbedingt hören, doch dort reagierte man nicht. Es wurde kein zusätzliches Licht in den Häusern eingeschaltet. Ja, eindeutig wurden sogar Blendläden geschlossen, wie auszumachen war. Die Bewohner wollten mit dieser Sache, aus welchen Gründen auch immer, nichts zu tun haben. »Schließen Sie fest die Augen, Kathy«, rief Mike Rander seiner Begleiterin zu, »ich zünde eine Blitzlichtbombe.« Kathy Porter reagierte augenblicklich. Ihr war die Wirkung einer solchen Blitzlichtbombe nur zu bekannt. Sie verursachte eine Helligkeit, die an die einer kleinen Sonne erinnerte. Sicherheitshalber preßte sie ihre Fäuste noch zusätzlich auf die Augäpfel, um nicht doch noch geblendet zu werden. Mike Rander hielt inzwischen einen von Parkers Kugelschreibern in der rechten Hand, verdrehte die beiden Hälften des Schreibgerätes gegeneinander und warf den Kugelschreiber dann von sich. Unmittelbar darauf folgte er Kathys Beispiel und war wieder mal überrascht, wie wenig das Schließen der Augen und auch die beiden Fäuste vor den Augäpfeln den Blendeffekt milderten. Er hatte den Eindruck, als würden seine Netzhäute direkt von übergrellem Licht angestrahlt. Mike Rander kam sich sekundenlang völlig hilflos vor und war nicht in der Lage, sich zu bewegen. Dafür aber hörte er einiges. Zuerst kreischte und schepperte Blech, dann klirrte Glas.
Motoren wurden förmlich überdreht, heulten wie wahnsinnig auf und starben ab. Gleichzeitig vibrierte der weiche Rasenboden, auf dem er stand. Es war eindeutig, die vier Mopedfahrer hatten das Gleichgewicht verloren und waren gestürzt. Zögernd öffnete Rander die Augen. Er sah nur grellrote Kreise, die jedoch schnell verschwanden, von dunklen Punkten abgelöst wurden und dann in Streifen übergingen. Erst allmählich war der Anwalt in der Lage, die Umgebung auszumachen. Er entdeckte vier dunkle Gestalten auf der Wiese, und diese stöhnten, wimmerten und schienen sich überhaupt nicht wohl in ihrer Haut zu fühlen. »Alles in Ordnung, Kathy?« erkundigte sich Rander erst mal bei seiner Begleiterin. »Es geht«, erwiderte Kathy Porter, »so langsam komme ich mit den näheren Umrissen wieder zurecht.« »Die Kerle hat es voll erwischt«, meinte der Anwalt, »ihre Maschinen dürften auch einiges abbekommen haben.« »Wollen wir uns die Geländefahrer ansehen, Mike?« »Wozu?« Er lachte leise. »Wir werden sie morgen an ihren entzündeten Augen erkennen. Aber wir können uns mal kurz die Maschinchen vornehmen, damit sie eine bleibende Erinnerung an uns haben.« »Ist das nicht zu hart, Mike?« »Sie wollten uns immerhin durch die Mangel drehen«, entgegnete Mike Rander, »weiß der Teufel, was sie sonst noch mit uns vorhatten. Strafe muß sein.« Die vier Mopedfahrer bekamen überhaupt nicht mit, daß ihre Maschinen technisch umfrisiert wurden. Mike Rander benutzte dazu die Eisenstange, die er mitgebracht hatte. Er wußte genau, wo er sie anzusetzen hatte.
Kathy Porter hielt sich an die vier nächtlichen Geländefahrer und durchsuchte sie nach Papieren. Sie wurde fündig. *** Die Tonmurmel hatte die Stirn des Mannes getroffen, und das Resultat war bemerkenswert. Die riesige Gestalt schien plötzlich von unsichtbarer Hand gestoppt worden zu sein. Die Gestalt blieb unbeweglich stehen, um dann allerdings leicht in die Knie zu gehen. Parker beobachtete durch das lichtstarke Nachtglas, daß unten aus dem weiten, tiefen Umhang ein Gegenstand freigegeben wurde, der ihn an einen kleinen Kanister erinnerte. Inzwischen hatte die riesige Gestalt sich aber schon wieder erholt. Sie bückte sich, langte durch einen Schlitz im Umhang nach dem Kanister und lief dann weiter zum Zaun und zum Gesträuch. Parker sah sich also gezwungen, ein weiteres Stopsignal abzusetzen. Diesmal verlieh er seinem Geschoß noch mehr Energie. Die Tonmurmel zischte durch die Dunkelheit und zerplatzte über der Nasenwurzel. Der Berggeist, falls es sich um ihn handelte, wurde zurückgeworfen, taumelte und landete dann auf dem Gesäß. Er glich einem Boxer, der genau auf den Punkt getroffen worden war und sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Parker ging davon aus, daß der Mann schon bald wieder aufstehen würde. Um ihn jedoch an Ort und Stelle festzunageln, wechselte der Butler die Waffe. Er hatte seinen Universal-Regenschirm nicht umsonst mit nach oben aufs Dach genommen. Er griff nach dem Schirm und richtete ihn wie ein Gewehr auf die unförmig-riesige Gestalt im Gras. Er hatte das Regendach bereits entsprechend präpariert und brauchte nur noch abzudrücken.
Der Schirmstock war hohl und nichts anderes als eine Art Lauf. Durch diesen Lauf konnte Parker stricknadellange und bunt gefiederte Blasrohrpfeile schießen, deren Spitze chemisch präpariert war. Als Antrieb benutzte Parker komprimierte Kohlensäure, die sich in einer entsprechenden Stahlpatrone befand. Die Patrone wiederum war oben im Schirmgriff untergebracht und konnte durch Verdrehen des Griffs gegen den eigentlichen Schirmstock aktiviert werden. Ein feines, wenig fauchendes Geräusch war zu vernehmen, als der Pfeil den Lauf dieses überdimensional großen Blasrohres verließ. Parker hatte genau gezielt und verfehlte nicht sein Ziel. Der Blasrohrpfeil zischte durch die Luft und landete im Oberarm des Berggeistes, der noch nicht mal zusammenzuckte. Nach den Berechnungen des Butlers dauerte es nur wenige Augenblicke, bis das chemische Präparat in die Blutbahn trat und dann im Gehirn einen kurzfristigen Tiefschlaf auslöste. Parker betrachtete die riesige Gestalt durch das Nachtglas. Der Mann im weiten Umhang rührte sich und wollte aufstehen. Seine Beine scharrten jedoch nur im Gras. Sie waren nicht imstande, den schweren Körper hochzustemmen. Nach einigen weiteren vergeblichen Versuchen streckte die Gestalt die Beine lang aus und blieb ruhig liegen. Parker dachte nicht im Traum daran, seinen improvisierten Hochsitz zu verlassen. Er war und blieb ein vorsichtigmißtrauischer Mensch. Schließlich wußte er ja nicht, ob die riesige Gestalt allein gekommen war. Hatte der Berggeist sich weitere Hilfsgeister mitgebracht? Warteten die nun darauf, in Erscheinung zu treten? Parker suchte weiter die Waldränder ab und war froh, daß Mylady sich zur Ruhe begeben hatte. Die ältere Dame neigte nämlich dazu, spontan zu reagieren. Dadurch schuf sie immer wieder gefährliche Situationen.
Parker entdeckte eine weitere Bewegung, konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf den linken Waldrand und machte zu seiner Überraschung eine weitere Gestalt aus, die nicht weniger groß und massig war als jene, die er eben erst niedergestreckt und in den Schlaf geschickt hatte. Hatte man es mit zwei Berggeistern zu tun? Parker hörte eine Art Schnalzen und gleichzeitig einen saugenden Einschlag dicht neben seinem Hals im Schornstein. Er duckte sich sofort, während ein feiner Regen aus Kalkmörtel und Steinsplittern auf ihn niederging. Er war gerade beschossen worden. Die Gestalt am Waldrand hatte ihn also erspäht und reagierte jetzt auf eine Art, die tödlich gemeint war. Man wollte ihn mit gezieltem Schuß vom Dach holen. Josuah Parker, an weiteren Geschossen überhaupt nicht interessiert, reagierte und nebelte sich ein. Er benutzte dazu einen seiner Patentkugelschreiber, den er in weitem Bogen vom Dach hinunter vor das Haus warf. Sofort nach der Landung breitete sich eine kompakte Nebelwolke aus, die sich schnell ausbreitete und alles einhüllte. Parker beeilte sich, vom Dach wieder in das schützende Haus zu gelangen. *** Er dachte allerdings nicht daran, im Haus zu bleiben. Butler Parker setzte auf den Nebel, der das Haus umwallte, lief nach vorn zur Haustür, öffnete sie und schloß sie dann wieder. Dabei bemühte er sich, nicht zuviel Lärm zu machen, setzte aber darauf, daß das Öffnen und Schließen gehört wurde. Anschließend ging Parker zurück in sein Zimmer, öffnete das kleine Fenster und stieß die beiden Hälften des Blendladens auf. Mit erstaunlicher Geschicktlichkeit stieg der Butler dann nach draußen und duckte sich sofort. Mit der Spitze seines Universal-Regenschirms drückte er die beiden Läden zu.
Der Butler wollte sich seine Beute nicht nehmen lassen. Ihm ging es um die Gestalt, die er in einen sicher erholsamen Tiefschlaf versetzt hatte. Die Nebelwolken hatten sich noch keineswegs aufgelöst und umspielten nicht nur das ehemalige Bauernhaus. Sie wurden vom Wind durcheinandergewirbelt, trieben auf die Wiese und zum Zaun. Parker setzte sich in Bewegung und pirschte an den ehemaligen Gemüsegarten heran. Er rechnete jeden Moment damit, von dem zweiten Berggeist angefallen zu werden. Er unterschätzte die Erscheinung keineswegs. Parker hörte nicht weit von sich entfernt ein Knacken und Brechen, als würde ein Holzpfosten zur Seite gedrückt. Der Butler wechselte hinüber zu einem kleinen Holzschuppen, der vorn am Garten stand, zwängte sich mit dem Rücken gegen eine Bretterwand und wartete erst mal ab. Nach einigen Sekunden hörte er Schleifen und Scharren, dann unterdrücktes Schnaufen und Stöhnen. Er hatte den Eindruck, daß hier versucht wurde, einen schweren Gegenstand wegzuschleppen. Ihm war schnell alles klar. Der zweite Berggeist versuchte offenbar, den ersten wegzuschaffen, was wohl nicht so ganz einfach war. Dieser zweite Berggeist mühte sich redlich ab und gab alles, was er vorzuweisen hatte. Dennoch: Parker verließ nicht die Deckung. Die Geräusche, die er gerade analysiert hatte, erschienen ihm zu deutlich und kamen ihm zu akzentuiert vor. Wollte man ihm etwas vormachen? Sollte er hereingelegt werden? Parker klemmete sich den Universal-Regenschirm unter den Arm und griff nach seiner Schleuder. Aus einer der vielen Westentaschen holte er eine perforierte Plastikapsel, in der sich eine Glasampulle befand. Er legte die Kapsel in die Lederschlaufe, orientierte sich nach dem schnaufenden Geräusch und verschoß das seltsame Geschoß. Erst dann prüfte er die herrschenden Windverhältnisse und beeilte sich, aus dem leichten Wind zu gelangen, der auf ihn zuhielt.
Dann hörte er auch schon Fluchen, Husten und Würgen. Parker hatte sein seltsames Geschoß genau plaziert und wußte, daß die dünnwandige Ampulle beim Aufschlag geplatzt war. Eine Reizflüssigkeit war ausgetreten, die sich in Verbindung mit Luft in flüchtiges Gas verwandelte. Dieser Reizstoff war es, der den Berggeist husten ließ. Parker beschrieb einen leichten Bogen, prüfte immer wieder die Windrichtung und entdeckte dann ein unförmiges Etwas, das schwankend und ungelenk dem nahen Waldrand zustrebte. Der hustende Berggeist setzte sich ab und war allein. Er hatte notgedrungen darauf verzichtet, den anderen Mann mitzunehmen. Der Husten wurde immer lauter und quälender. Nur zu gern hätte Parker den Flüchtenden gestoppt, doch er kam wegen der Windverhältnisse nicht näher an die Gestalt heran. Das Verschießen eines zweiten Pfeiles war sinnlos, denn die Gestalt trug ja einen weiten Umhang, der jede Pfeilspitze abgefangen hätte. Selbstverständlich hätte Josuah Parker auch eine reguläre Schußwaffe mit nach draußen nehmen und hier verwenden können, doch solche plumpen und oft tödlichen Waffen schätzte er überhaupt nicht. Sie schufen vollendete Tatsachen, die nicht mehr zu korrgieren waren. Inzwischen hatte die flüchtende Gestalt den Waldrand erreicht. Der Butler blieb am Zaun stehen und zog sich ein wenig zusammen. Das Husten und bellende Röhren verschwand inzwischen in der Tiefe des Waldes. Der Berggeist schien jedes Interesse an einer weiteren Auseinandersetzung mit Parker verloren zu haben. Nach einer Weile pirschte Josuah Parker an die unförmige Gestalt heran, die nach wie vor im Gras lag. War sie inzwischen wieder zu sich gekommen? Wartete sie nur darauf, Parker anspringen zu können? Der Butler nahm sich viel Zeit. Es gab keinen Grund, etwas zu überhasten.
Gerade stemmte die Gestalt sich hoch und mühte sich, auf die Beine zu kommen. Parker blieb, wo er war, schaute gelassen zu und war gespannt, was der Mann tun würde. Nun, er stand endlich, hielt sich an einem geknickten Pfosten fest, tat vorsichtig die ersten Schritte und ... schwankte dann auf das Haus zu. Zurück ließ die Gestalt, wie Parker deutlich ausmachen konnte, einen kleinen Benzinkanister. *** Die Gestalt pochte mit der linken Hand hart und laut gegen das Türblatt. Sie stand noch immer sehr unsicher auf den Beinen und stützte sich mit der rechten Hand gegen die Hauswand. »Darf man sich nach dem Grund Ihres Begehrens erkundigen?« fragte Josuah Parker in seiner höflichen Art. Er stand seitlich hinter der riesigen Gestalt und war bereit, jeden Angriff sofort zu parieren. »Wie ...?« Die Gestalt wurde für einen Moment zu Stein, belebte sich dann wieder und wandte sich langsam um. »Man erlaubt sich, einen relativ guten Abend zu wünschen«, redete Parker weiter. »Wie... Wieso sind Sie hier draußen?« »Meine Wenigkeit vertrat sich noch die Beine«, antwortete der Butler, »mit wem hat man möglicherweise die sogenannte Ehre?« »Ich bin Gugenmooser«, sagte die Gestalt, »Josef Gugenmooser...« »Wen darf man sich darunter vorstellen?« fragte Parker weiter, blieb wachsam und rechnete jeden Augenblick mit einer harten Attacke. »Ich bin Bergbauer oben auf der Alm«, gab der Mann
Auskunft, der sich als Gugenmooser vorgestellt hatte, »hören Sie, wissen Sie, was hier los ist?« »Was veranlaßt Sie zu dieser Frage?« Parker beherrschte die Landessprache ausgezeichnet. »Ich ... Ich bin beschossen worden«, meinte Gugenmooser und faßte unwillkürlich an Stirn und Nasenwurzel, »und dann dieser komische Nebel...« »Darf man Sie ins Haus bitten, Mr. Gugenmooser?« fragte Parker. »Aber klar«, sagte der Riese und strich durch seinen Vollbart, »ich wollte ja zu ihnen, aber dann hat's mich direkt von den Beinen gehauen. Ich kann das noch immer nicht verstehen und ...« Er wollte weiterreden, doch er konnte nicht. Die schwere Haustür hatte sich ruckartig geöffnet. Agatha Simpson stand vor dem Riesen und bot einen recht wunderlichen Anblick. Über ihr knöchellanges Nachthemd hatte sie einen Schlafrock gestreift. Ihre Haarfülle wurde von einer Art Baskenmütze aus Tüll gebändigt. In der rechten Hand hielt die ältere Dame ihren Pompadour, der in leichte Schwingung versetzt war. »Was soll denn dieser Lärm?« fragte sie entrüstet und musterte dann Gugenmooser, der sie noch immer entgeistert anstarrte. »Ich ... Ich wollte ... Ich hatte vor ... Mein Gott, wer sind Sie?« »Sie haben die Ehre und den Vorzug, Lady Simpson begrüßen zu dürfen«, schaltete der Butler sich ein. »Und Sie erinnern mich an diesen komischen Berggeist«, meinte die ältere Dame und hob ihre Stielbrille. Mylady blickte durch die Gläser und begutachtete den Almbauern. »Berggeist? Ich ...? Das fehlte noch.« Gugenmooser lachte
verkrampft. »Mit dem will ich nichts zu tun haben. Wegen dem Berggeist bin ich ja überhaupt hier.« »Sollten Sie diesen Kanister verloren haben?« Butler Parker hatte den schwarzen Plastikkanister geborgen und zeigte ihn. Gugenmooser blickte auf den Behälter und nickte. »Das ist mein Kanister«, sagte er, »können Sie mir mit Benzin aushelfen?« »Eine ungewöhnliche Zeit für solch eine an sich banale Frage«, meinte Parker. »Irgendwer hat meinen Tank leergezapft«, redete Gugenmooser weiter, »und ich bin eigentlich durch Zufall draufgekommen, als ich unten von Edenes raufkam. Mein Wagen steht oben auf dem Weg.« »Kann ich Benzin entbehren, Mr. Parker?« fragte die Lady. »Mylady können selbstlos helfen«, sagte Parker, »der Tank des Rover ist wohlgefüllt.« »Sie bekommen den Sprit natürlich wieder zurück«, versprach der Almbauer, »wenn ich nur wüßte, was mich da eben von den Beinen gehauen hat. Ich bekam plötzlich 'nen Schlag gegen die Stirn, als hätt' mich ein Pferd getreten.« »Haben wir für unseren Gast eine kleine Erfrischung?« fragte Agatha Simpson und blickte ihren Butler an. »Dazu könnte Mr. Gugenmooser möglicherweise einige Angaben zur Person des Berggeistes machen«, antwortete Parker und deutete eine zustimmende Verbeugung an. Er wußte längst, daß der kleine Kanister leer war, was aber an sich nichts über die Zuverlässigkeit des riesigen Mannes aussagte. »Ich weiß von dem nur das, was alle hier wissen«, behauptete Gugenmooser und betrat den Vorflur, »und das ist bestimmt nicht viel. Aber gegen 'ne kleine Erfrischung ist nichts einzuwenden.« Er schob sich ins Haus. Parker folgte, schloß die Tür und
stellte den Kanister gleich neben der Tür ab. Lady Agatha war bereits vorausgegangen und deutete auf die Sitzecke im Wohnraum. »Ich möchte jetzt etwas über diesen ominösen Goldschatz hören«, sagte sie, »können Sie mich verstehen? Meine Sprachkenntnisse sind vielleicht etwas eingerostet, junger Mann.« »Ich verstehe alles«, sagte der Riese, »hoffentlich können Sie mich verstehen? Ich spreche ziemlich mit Dialekt.« »Was sich recht lustig anhört.« Die ältere Dame gab sich leutselig. »Nun zieren Sie sich nicht länger! Mr. Parker, was mich betrifft, so brauche ich jetzt einen Kreislaufbeschleuniger.« Bevor der Butler antworten konnte, meldete sich das Telefon. Parker hob ab, nannte seinen Namen und hörte dann einen Moment interessiert zu. »Es ist erfreulich zu hören, daß selbst ein Berggeist sich inzwischen der modernen Technik bedient«, sagte er dann in seiner höflichen Art, »würden Sie Ihre an sich lächerlichen Drohungen noch mal etwas langsamer wiederholen?« *** »Was sagte dieser Lümmel?« erkundigte sich Agatha Simpson, nachdem der Butler aufgelegt hatte. »Man empfiehlt Mylady, das sogenannte Weite zu suchen«, beantwortete der Butler die Frage, während Almbauer Gugenmooser aufmerksam zuhörte, »man räumt Mylady entgegenkommenderweise eine gewisse Galgenfrist ein.« »Eine ausgemachte Frecheit«, kommentierte Lady Agatha diesen Satz, »und innerhalb welcher Frist soll ich die Flucht ergreifen?«
»Man will Mylady ab Mittag des bereits angebrochenen Tages nicht mehr sehen. Falls Mylady es jedoch vorziehen, noch länger zu verweilen, will man Mylady dem Zorn der Berggeister überantworten.« »Verdammt, das ist deutlich«, sagte Gugenmooser. »Sie glauben etwa an diese Berggeister?« Die ältere Dame sah den Almbauer ironisch an. »Glauben? Ich hab' den Berggeist schon ein paar Mal gesehen! Muß ich eigentlich Lady zu Ihnen sagen oder so?« »Sagen Sie schlicht und einfach Mylady zu mir, das reicht«, meinte die ältere Dame freundlich. »Sie können den Berggeist also genau beschreiben?« »Er ist riesengroß, trägt einen Vollbart, einen Umhang und einen Bergsteigerhut.« »Dann dürfte er Ihnen ähneln, junger Mann.« »Nee, ich habe mit diesem Berggeist natürlich nichts zu tun, gegen den bin ich ein Zwerg, glauben Sie mir.« »Ich werde es mir überlegen.« Die Detektivin griff nach dem Kognakglas, das Parker ihr höflich reichte. Danach versorgte er den Gast ebenfalls mit diesem Getränk. Lady Agatha prostete Gugenmooser zu und nahm dann einen mehr als nur herzhaften Schluck. »Dieser Berggeist bewacht also den sagenhaften Goldschatz unten im Bergsee, wenn ich dies vorausschicken darf«, sagte Parker, »gibt es diesen Goldschatz denn überhaupt noch? Könnten die Goldbarren nicht längst verteilt worden sein?« »Ich selbst hab' doch gesehen, wie man die Blechkisten im See versenkt hat.« »Haben Sie denn auch die Goldbarren gesehen?« fragte Agatha Simpson streng. »Nein, das natürlich nicht, aber die Kisten waren schwer und versiegelt.«
»Was nichts bedeutet, oder?« »Na ja, das stimmt schon«, räumte Gugenmooser ein, »aber wer sollte die Goldbarren denn aus dem See geholt haben? Seit damals ist man doch hinter ihnen her.« »Die Goldbarren könnten schon vor dem Versenken der Kisten weggeschafft worden sein«, meinte Parker, »und zwar denkt Mylady in diesem Zusammenhang an die Mitglieder der seinerzeitigen Wachmannschaften.« »Ich denke ununterbrochen daran«, ließ Agatha Simpson sich vernehmen. »Um wie viele Männer handelte es sich damals?« erkundigte sich Parker. »Das waren gut und gern ein Dutzend, alle schwer bewaffnet«, erzählte Gugenmooser, »die gehörten zu einer Sondereinheit. Ich hab' das genau beobachtet damals, ich war hier oben in den Wäldern.« »Der Hof, den Sie bewirtschaften, gehört Ihrer Familie? Sind Sie verheiratet, wenn man höflich fragen darf?« »Ich bin verheiratet, meine Frau lebt nicht mehr bei mir, sie is' mir weggelaufen, um ehrlich zu sein.« »Keine Ehegeschichten, wenn ich doch sehr bitten darf«, warf die ältere Dame ein, »sie wird sich oben auf der Alm gelangweilt haben, wie?« »Das ist es, Mylady«, meinte Gugenmooser, »die wollte immer, daß ich zumindest runter nach Edenes ziehe, aber ich wollte einfach nicht.« »Haben Sie jemals nach diesem Goldschatz gefahndet, Mr. Gugenmooser?« fragte der Butler. »Natürlich, wer will nicht schnell reich werden? Ich habe sogar einige Male getaucht, aber ohne Ausrüstung geht das nicht. Und dann die vier Toten, die's gegeben hat! Danach hab' ich das nicht mehr riskiert. Ich wollte nicht auch noch
umgebracht werden.« »Sie hielten sich bereits in den eben erwähnten Wäldern auf, als dieser Sondertransport hier am Bergsee erschien, Mr. Gugenmooser?« »Worauf wollen Sie hinaus?« Gugenmoosers Stimme wurde vorsichtig. »Sie haben den Weg des Sondertransports verfolgen können?« »Wieso sollte ich das getan haben?« »Nun, Sie dürften sich seinerzeit in richtiger Einschätzung der Kriegslage von Ihrer Einheit entfernt haben«, schickte Josuah Parker voraus, »und daraus resultiert, daß Sie wohl jede Bewegung hier auf den Straßen genau beobachteten. Sie mußten ja fürchten, daß nach Ihnen gesucht wurde.« »Hier ging damals alles drunter und drüber«, berichtete Gugenmooser, »da hat man sich nicht mehr um einen einzelnen Soldaten gekümmert, glauben Sie mir. Ich habe den Sondertransport erst gesehen, als die Lastwagen schon am See standen.« »Um wie viele Lastwagen handelte es sich damals, junger Mann?« erkundigte sich Lady Agatha. »Drei schwere Kettenfahrzeuge«, entgegnete Gugenmooser. »Dazu kamen noch einige Kübelwagen, wie wir hier zu unseren Jeeps sagen, verstehen Sie? Und diese Leute haben die Kisten mit einem Schlauchboot auf den See gebracht und dann ins Wasser geworfen.« »Wieso dachten Sie in diesem Zusammenhang sofort an Gold?« fragte Josuah Parker überraschend. »Ich dachte zuerst an gar nichts«, gestand Gugenmooser, »doch dann kam das Gerücht auf, und plötzlich wußten es hier alle. Man hatte Goldbarren ins Wasser geworfen. Seit dieser Zeit sind alle hinter diesen Barren her.«
»Die von einem Berggeist angeblich bewacht werden«, meinte Lady Agatha spöttisch, »das ist ausgemachter Humbug, mein Bester!« »Ich selbst habe den Berggeist doch gesehen«, protestierte Gugenmooser. »Gibt es Reaktionen seitens der zuständigen Behörden?« stellte der Butler seine nächste Frage. »Die hat's gegeben«, versicherte der Almbauer, »einige Jahre nach Kriegsende haben die Behörden tauchen lassen, aber man hat nie etwas gefunden. Und dann hat man sich nie wieder richtig darum gekümmert, bis auf die Amateure und Schatzsucher. Doch es gab da noch die Gipfelstürmer, aber die haben auch nichts erreicht.« »Was verstehe ich unter Gipfelstürmer?« Lady Agatha runzelte die Stirn. »Das sind Bergsteiger, die ein paar Jahre lang hier regelmäßig Urlaub machen«, berichtete der Almbauer, »es sind vier Männer. Und ich glaube, die gehörten zu der damaligen Wachmannschaft.« »Sie kennen diese Herren?« fragte der Butler. »Aber natürlich«, bestätigte Gugenmooser, »die sind sogar wieder hier und wohnen drüben im Sporthotel von Karoly. Da wohnen die immer.« »Gibt es einen speziellen Grund dafür, daß man sie Gipfelstürmer nennt?« wollte der Butler wissen. »Und ob.« Gugenmooser lächelte. »Die nennen sich Bergsteiger, aber die hab' ich noch nie im Fels gesehen. Die sitzen nur in den Gasthäusern herum, trinken und essen und wandern auch schon mal, aber das ist verdammt selten.« ***
»Was halte ich von diesem Mann, Mr. Parker?« erkundigte sich Agatha Simpson eine halbe Stunde später. Gugenmooser hatte sein Benzin bekommen und war gegangen. »Als bodenständiger Almbauer, Mylady, um es mal so auszudrücken, bemüht er sich förmlich, den hiesigen Dialekt zu sprechen.« »Das ist mir selbstverständlich ebenfalls aufgefallen«, behauptete die Detektivin umgehend, »und das macht mich natürlich mißtrauisch. Ich denke, ich werde dem Mann nicht über den Weg trauen.« »Mylady werden sicher bei Gelegenheit den Almhof ansehen«, vermutete Josuah Parker. »Das ist selbstverständlich beabsichtigt, Mr. Parker.« Sie nickte hoheitsvoll. »Und was werde ich sonst noch tun?« »Mylady werden sich mit letzter Sicherheit auch für die vier sogenannten Gipfelstürmer interessieren.« »Wie gut Sie mich doch kennen.« Sie lächelte freundlich. »Man müßte ferner feststellen, Mylady, seit wieviel Jahren die vier Männer hier erscheinen. Daraus lassen sich unter Umständen gewisse Schlüsse ziehen.« »Genau das, was ich gerade sagen wollte, Mr. Parker. Man muß wie ich, immer in großen Zusammenhängen denken.« »Diese grundsätzliche Frage bezieht sich auch auf Mr. Karoly, Mylady.« »Sie nehmen mir das Wort von den Lippen, Mr. Parker.« Lady Agatha schien den Eindruck gewonnen zu haben, daß die Dinge ausdiskutiert waren. Sie gähnte unverhohlen und erhob sich. Parker geleitete seine Herrin zur Treppe und wartete, bis sie oben im Haus verschwunden war. Dann räumte er den Tisch ab, klarte im Wohnraum auf und hatte endlich Zeit, sich mit dem Geschehen noch mal zu befassen. Er dachte an diesen
Gugenmooser und an den zweiten Riesen, der fast parallel zu dem Almbauern draußen auf der Wiese erschienen war. Hatten die beiden Männer sich abgesprochen? Steckten sie vielleicht unter einer Decke? Und was mochte es mit diesen vier sogenannten Gipfelstürmern auf sich haben? Legte man erneut eine falsche Spur? Sollten Mylady und er nur abgelenkt werden? Die Drohung am Telefon war unmißverständlich gewesen. Der Anrufer hatte sich als Berggeist ausgegeben, was natürlich nicht stimmen mußte. Fest stand aber, daß man Mylady und Josuah Parker nicht länger dulden wollte. Die Mordandrohung war eindeutig gewesen. Sie stand gewiß im Zusammenhang mit den elektronischen Wanzen, die er hier im Haus gefunden und auch im übertragenen Sinn gefüttert hatte. Der Anzapfer wußte jetzt, daß man hier im Haus davon ausging, daß die bewußten Goldbarren bereits vor dem Versenken der Kisten beiseite geschafft worden waren. Parker konnte sich gut vorstellen, daß die Wachmannschaften die leichte Beute unter sich aufgeteilt hatten. Vorfälle ähnlicher Art hatten sich in den Armeen aller Staaten gerade in den letzten Kriegswochen zugetragen. Parker begab sich ans Telefon und rief in jenem Gasthof an, in dem Kathy Porter und Mike Rander abgestiegen waren. Es dauerte eine Weile, bis der Anwalt sich meldete. »Neuigkeiten, Parker?« fragte er. Der Butler bejahte die Frage und gab eine kurze Schilderung dessen, was gerade über dem See passiert war. »Das paßt mit dem zusammen, was hier gelaufen ist«, sagte der Anwalt dann, »auch uns wollte man auseinandernehmen. Man scheint uns nicht sonderlich zu mögen, Parker. Wir sind zu neugierig und stellen zu viele Fragen.« »Mit scharfen Schüssen, Sir, dürfte ab sofort zu rechnen sein.«
»Das ist mir klar. Und dagegen können wir kaum etwas unternehmen. Räumen wir das Feld? Sollen wir uns umquartieren?« »Es erhebt sich die Frage, Sir, ob der Berggeist überhaupt noch willens ist, Mylady aus dem Tal zu lassen.« »Sie glauben, daß seine Aufforderung, bis Mittag zu verschwinden, nur als Falle gedacht ist?« »Davon sollte man ausgehen, Sir.« »Und wie werden wir uns verhalten?« »Mylady wird Kontakt mit den sogenannten Gipfelstürmern aufnehmen, Sir. Mylady ist auf einer Spur, die man nur als vielversprechend bezeichnen kann.« »Passen Sie da oben auf sich auf«, warnte der Anwalt, »die Nacht ist noch lang. Da kann eine Menge passieren. Ich glaube kaum, daß unser Berggeist die Hände in den Schoß legt.« »Sehr wohl, Sir.« Parker wechselte noch einige Worte mit Mike Rander, legte dann auf und überdachte die prekäre Lage, in der man sich befand. Seiner bescheidenen Ansicht nach war mit einem baldigen zweiten Angriff zu rechnen. *** Der Berggeist nahm sich eine Stunde Zeit, dann wurde er tatsächlich wieder aktiv. Parker, der sich nicht niedergelegt hatte, fuhr aus seinen Gedanken hoch, als der kleine Ohrclip plötzlich Geräusche übertrug. Dieser Clip war mit einer Art Taschenradio verbunden, das auf dem Tisch stand. Über die Teleskopantenne des Gerätes erhielt der Empfänger die Signale, die zwei kleine Sender draußen vor dem Haus übertrugen. Parker hatte sie dort ausgesetzt und wußte aus einschlägiger Erfahrung, wie prompt und hellhörig die kleinen Sender waren.
Im hohen Gras waren laut und deutlich Schritte zu vernehmen. Irgendwer näherte sich dem ehemaligen Bauernhaus und zwar diesmal von der linken Seite. Durch wechselweises Umschalten auf die beiden Sender vermochte der Butler dies klar herauszufiltern. Der Berggeist unternahm also den nächsten Versuch, die neugierigen Touristen auszuschalten. Josuah Parker ging sofort davon aus, daß dieser Berggeist es diesmal mit Benzin und Feuer versuchen würde... Parker ließ sich auf nichts ein. Er ging ins Obergeschoß und blickte durch ein Korridorfenster nach draußen. Es herrschte stockfinstere Nacht. Zu erkennen war überhaupt nichts. Doch der Butler verfügte über Mittel, um diese ägyptische Finsternis ein wenig aufzuhellen. Er benutzte dazu einen seiner SpezialKugelschreiber, die für sonnenhelles Blitzlicht garantierten. Der Butler drückte das kleine Fenster vorsichtig auf, verdrehte die beiden Hälften des Schreibgerätes gegeneinander und warf den Kugelschreiber dann hinaus in die Nacht. Gleichzeitig aber drehte er sich um und schloß fest die Augen. Und dennoch, wie Mike Rander und Kathy Porter, wurde er geblendet. Die grelle Lichtfülle schmerzte. Er brauchte einige Zeit, bis er wieder einigermaßen sehen konnte. Nur draußen war es inzwischen wieder dunkel geworden, doch Parker ging davon aus, daß der Berggeist ohne Vorwarnung von der Lichtblitzbombe erwischt worden war. Dieser Mann mußte demnach völlig hilflos und blind auf der Wiese stehen, unfähig, sich zu orientieren. Josuah Parker, der eine lichtstarke Taschenlampe mitgenommen hatte, schaltete sie ein und suchte damit nach dem Berggeist. Eine Sekunde später passierte es bereits. Zugleich mit einem schnalzenden Geräusch pfiff ein Geschoß dicht über seine Hand hinweg und landete klatschend in der Holzfüllung hinter ihm.
Parker ließ die Taschenlampe sofort fallen und preßte sich seitlich vom Fenster gegen die Wand. Seine Vorsicht erwies sich als goldrichtig, denn noch zwei weitere Geschosse folgten und lädierten die Holzvertäfelung. Splitter und Mörtelstaub aus den Einschußlöchern wirbelten durch die Luft. Parker war mehr als nur überrascht, Wieso war der Berggeist da draußen in der Lage, gezielte Schüsse abzugeben? Wieso konnte der Schütze trotz der blendenden Lichtfülle noch so genau sehen? Wußte er von dieser Lichtbombe? Falls ja, dann nur von den Ereignissen her, von denen Mike Rander am Telefon berichtet hatte. Der Anwalt und seine Begleiterin hatten solch einen Kugelschreiber verwendet, um sich die vier jungen Mopedfahrer vom Hals zu schaffen. Gab es hier eine direkte Verbindung? Parker, der seinen Kleinempfänger mit ins Obergeschoß genommen hatte, schaltete auf Empfang und hörte kurz darauf im Ohrclip, daß Schritte sich entfernten. Sie waren nur noch schwach zu vernehmen. Nach der Zündung der Lichtbombe hatte der Berggeist es wohl vorgezogen, das Weite zu suchen. Dieser geheimnisvolle Gegner ging wohl davon aus, daß Josuah Parker noch mit weiteren Überraschungen aufwarten konnte. Parker blieb auf der Hut. Für den Rest der Nacht schloß er kein Auge. Der Berggeist aber unternahm keinen weiteren Versuch, sich den beiden Touristen aus London zu nähern. Sein Bedarf an Überraschungen mochte vorerst mal gedeckt sein. *** »Eine ausgezeichnete Nacht«, stellte die Detektivin fest, als sie am Frühstückstisch Platz nahm, »ich denke, ich werde hier draußen in der Bergwelt für einige Tage auf meine Diät
verzichten.« »Meine Wenigkeit war bereits so frei, Mylady, dies zu unterstellen und hat entsprechende Vorbereitungen getroffen«, erwiderte der Butler und deutete auf den gedeckten Tisch. Seine Herrin inspizierte sachkundig das reichhaltige Angebot und nickte beifällig. »Frisches Bauernbrot, Bauernbutter und Jausenspeck, wie man hier zu sagen pflegt«, zählte Josuah Parker auf, »dazu frische Landeier von Hühnern, die noch das Glück haben, scharren zu dürfen, dann Konfitüren aus heimischer Produktion, Honig aus Berglagen und Käsesorten der engeren Umgebung. Mylady können dann noch über Bratwürste nach Art des Landes verfügen, dazu geräucherte Forellenfilets, Bratenaufschnitt und frische Milch.« »Woher stammt denn die?« wunderte sich Agatha Simpson. »Mr. Karoly ließ sie von einem Angestellten vorbeibringen, Mylady.« »Ein netter Mensch«, sagte die Lady. »Diese Milch dürfte eindeutig frisch und chemikalienfrei sein«, redete der Butler weiter, »meine Wenigkeit konnte den Überbringer der Milch überreden, davon ausgiebig zu trinken.« »Sehr gut.« Sie nickte anerkennend. »Sie denken an den Berggeist, nicht wahr?« »Er stattete Myladys Feriensitz in der vergangenen Nacht einen Besuch ab, wenn man so sagen darf.« »Und das erfahre ich erst jetzt?« Sie sah ihn streng an. »Eine Bagatelle, Mylady«, versicherte der Butler, »Mylady dürften mit Sicherheit nichts versäumt haben.« Während Parker den Kaffee eingoß, berichtete er von den Vorfällen in der vergangenen Nacht. Lady Agatha nahm dies alles zur Kenntnis, wirkte jedoch ein wenig abgelenkt. Sie beschäftigte sich intensiv mit dem Frühstück. Die Milch, die
Parker eingegossen hatte, rührte sie jedoch noch nicht an. Sie wollte erst mal ihre Lebensgeister wecken und brauchte dazu den Kaffee. »Und Sie haben dieses Subjekt nicht stellen können?« wunderte sie sich, als der Butler seinen Bericht beendet hatte. »Sie wissen hoffentlich, daß mir so etwas nicht passiert wäre.« »Die Frage bleibt, Mylady, wieso der Berggeist es schaffte, der Blitzlichtbombe zu trotzen.« »Sehr einfach«, sagte die Detektivin fast beiläufig, »er wußte davon und hat sich garantiert eine Brille aufgesetzt.« »Selbst eine Sonnenbrille hätte den Blendeffekt nicht mildern können, Mylady.« »Wie auch immer.« Sie zuckte die Achseln. »Was werde ich nach dem Frühstück unternehmen, Mr. Parker? Hoffentlich haben Sie sich gemerkt, was ich gestern geplant habe.« »Mylady wollen Mr. Karoly kontaktieren und sich dann mit den vier sogenannten Gipfelstürmern unterhalten.« »Richtig.« Sie war froh, daß Parker ihr die Stichworte geliefert hatte, denn sie hatte bereits alles wieder vergessen, »und dann werde ich mich wohl mit der Steilwand über dem See befassen, nicht wahr?« »Mylady gingen davon aus, daß der Goldschatz weder im See noch in der Steilwand abgelagert wurde.« »Natürlich, Mr. Parker. Ich höre, Sie haben sich ja doch alles genau gemerkt. Nur weiter so! Und ich möchte dann noch...« »Wenn Mylady meine bescheidene Wenigkeit für einen Moment entschuldigen wollen«, bat der Butler. Er hatte auf dem Zufahrtweg das Geräusch eines näherkommenden Fahrzeuges gehört, trat auf die Terrasse und blickte nach unten. Zu seiner Überraschung kehrte der kleine AllradGeländewagen zurück, mit dem Mr. Karolys Angestellter die Milch gebracht hatte. Parker fiel sofort auf, daß der Fahrer
offensichtlich unter gewissen Gleichgewichtsstörungen litt. Er steuerte das Fahrzeug in wilden Schlangenlinien über den schmalen Weg, touchierte die Wiesenränder und überfuhr gerade einen Begrenzungspfosten. Der Kopf des Fahrers fiel immer wieder nach vorn. Parker verließ die Terrasse und entdeckte im wirklich letzten Augenblick, daß Lady Agatha gerade das Glas Milch an die Lippen setzte. Um nur ja keine Zeit zu verlieren, schlug Parker ihr das Glas aus der Hand, und deutete eine kleine Verbeugung an. »Ich hoffe sehr, Sie können mit einer Erklärung dienen«, sagte Lady Agatha grollend. »Die Milch, Mylady, scheint wohl doch ein wenig präpariert worden zu sein«, erwiderte der Butler, »wenn Mylady erlauben, wird meine Wenigkeit zu einem späteren Zeitpunkt mit näheren Hinweisen dienen können. Im Augenblick erscheint es ratsam, Mr. Karolys Angestellten erste Hilfe zu gewähren.« *** »Ich weiß wirklich nicht, wie sehr ich mich bei Ihnen bedanken soll«, sagte Paul Karoly eine Stunde später, »ohne Ihre Hilfe wäre mein Angstellter längst tot.« »Sie können sich nicht erklären Sir, auf welche Art man die Milch vergiftet hat?« fragte Parker. Zusammen mit Agatha Simpson war er ins Sporthotel gekommen und befand sich zusammen mit Karoly in dessen Privatbüro. »Ich habe keinen blassen Schimmer«, antwortete Karoly, »und mein Angestellter ist ja noch nicht vernehmungsfähig. Also wirklich, wenn Sie nicht die Behörden alarmiert und einen Rettungshubschrauber angefordert hätten, wäre das
schrecklich ausgegangen.« »Sie haben noch nichts von diesem seltsamen Berggeist erwähnt, junger Mann«, ließ die ältere Dame sich grollend vernehmen. »Ich weiß, Mylady, daß Sie nicht daran glauben«, gab Karoly zurück, »aber ich sehe das anders. Dieser Mordanschlag galt Ihnen, darüber sollte man sich klar sein.« »In der vergangenen Nacht mühte der erwähnte Berggeist sich redlich ab, Mylady zu überraschen«, fügte Butler Parker hinzu. »Und wenn ich nicht aufgepaßt hätte, wäre ihm da auch einiges gelungen«, schwindelte Lady Agatha, »aber ich bin eben eine sehr wachsame Frau.« »Und man hat Mylady aufgefordert, das Tal umgehend zu verlassen«, warf der Butler ein, »Myladys Wachsamkeit dürfte den Berggeist inzwischen irritieren.« »Und was werden Sie tun, Mylady?« Karoly sah die Detektivin gekonnt bestürzt an. »Selbstverständlich sollen Sie sich nicht an den Mietvertrag gebunden fühlen. Ein Menschenleben ist wichtiger.« »Ich werde natürlich bleiben«, entschied Agatha Simpson, »eine Frau wie mich kann man nicht in Angst und Schrecken versetzen.« »Vielleicht sollten Sie aber doch hierher ins Sporthotel ziehen«, schlug Paul Karoly vor, »hier sind Sie auf jeden Fall sicherer, Mylady.« »Sind Sie denn nicht restlos ausgebucht?« wunderte sich Lady Agatha und lächelte ungläubig. »Diese Gipfelstürmer, oder wie immer die vier Männer auch heißen mögen, dürften doch die restlichen Zimmer belegt haben.« »Die Gipfelstürmer?« Der Hotelbesitzer horchte auf. »Die Gipfelstürmer«, wiederholte Josuah Parker, »dabei soll
es sich um vier Herren handeln, die Jahr für Jahr hier im Tal erscheinen und spöttisch-liebevoll als Gipfelstürmer bezeichnet werden.« »Ach so, jetzt weiß ich, wen Sie meinen.« Paul Karoly lächelte breit. »Ja, eine bessere Bezeichnung hätte man gar nicht erfinden können. Sie stürmen einen Gipfel nach dem anderen, doch sie bleiben auf bequemen Wanderwegen, falls sie das Hotel überhaupt verlassen.« »Sie kennen die vier Herren recht gut?« »Sehr gut sogar«, bestätigte Karoly über die Frage hinaus, »sie kommen tatsächlich schon seit Jahren und stammen aus Wien.« »Seit wann pflegen die Herren sich hier bei Ihnen einzustellen?« »Gott, darüber habe ich eigentlich noch nie nachgedacht.« Karoly hob bedauernd die Schultern. »Dann tun Sie es jetzt, junger Mann«, verlangte Agatha Simpson. »Was soll ich tun, Mylady?« »Darüber nachdenken«, grollte die Lady, »ich möchte es aus bestimmten Gründen möglichst genau wissen.« »Sie waren schon Stammgäste, als ich das Sporthotel übernahm«, erklärte Karoly. »Und wann dürfte dies gewesen sein, Sir?« Parker ließ sich nicht ablenken. »So um 1950 herum«, lautete Karolys Antwort, »ich übernahm das Haus hier von einem älteren Ehepaar.« »Ihr Sporthotel macht einen ungemein mordernen Eindruck.« »Ich habe alles umbauen lassen«, entgegnete Karoly, »die Ansprüche der internationalen Gäste stiegen im Lauf der Jahre.«
»Und Sie kommen woher, junger Mann?« fragte die ältere Dame leutselig. »Aus Innsbruck«, sagte Karoly, »geboren wurde ich aber in Budapest. Nach dem Krieg blieb ich in Österreich hängen, wie man so sagt.« »Sie waren Angehöriger der damaligen Deutschen Wehrmacht, Mr. Karoly?« »Wer war das nicht?« Karoly zuckte die Achseln. »Ich war sehr jung, als ich eingezogen wurde.« »Und Sie dienten, falls man meine Wenigkeit richtig informierte, bei einem Truppenteil, der hier in der Region seinen Standort hatte?« »Richtig!« bestätigte Karoly, »ich gehörte einem Funküberwachungstrupp an. Sie wissen, was damit gemeint ist?« »In der Tat.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an. »Ihre Einheit, wie es wohl hieß, befand sich bei Kriegsende in der Umgebung?« »Hier platzte alles auseinander«, äußerte Karoly, »als das Ende abzusehen war, lösten sich fast alle Einheiten auf. Wir verschwanden in Wäldern und Bergen, um nicht im letzten Augenblick noch erwischt zu werden. Sie können sich die damalige Stimmung kaum vorstellen. Man wollte nur noch die nackte Haut retten.« »Ein Verlangen, das durchaus gerechtfertigt ist, zumal man nur ein einziges Leben hat«, meinte der Butler. »Sie erfuhren also schon recht bald, um es mal so auszudrücken, von dem sagenhaften Goldschatz im Bergsee?« »Offen gesagt, ich selbst habe damals sogar einige Tauchversuche unternommen«, berichtete Karoly und lachte leise, »aber leider... Ich habe nichts gefunden. Oder doch, warten Sie, lassen Sie mich genau sein... Ich fand ein paar
Stahlhelme und Karabiner in Ufernähe. Das war aber auch alles.« »Könnte man unterstellen, daß die vier Gipfelstürmer ebenfalls nach dem Goldschatz suchten?« »Das wäre durchaus möglich, aber fragen Sie die Herren doch selbst, Mr. Parker. Sie sitzen draußen auf der Terrasse und besprechen wahrscheinlich ihren nächsten Gipfelsturm.« Karoly war zum Fenster gegangen und deutete nach unten. Parker, der neben Karoly erschien, blickte auf vier Männer, die um einen Tisch saßen und angeregt diskutierten. Dazu tranken sie Bier, wie sie unter Beweis stellten. »Sehr seriöse Herren«, meinte der Hotelier und widmete sich wieder der älteren Dame, »sie alle haben es geschafft, wie man so sagt, sind selbstverständlich Geschäftsleute und erfolgreich.« »Und offensichtlich eng miteinander befreundet«, ergänzte der Butler vom Fenster her. »Das kann man wohl sagen«, bestätigte der Hotelier, »Streit zwischen Ihnen hat es hier im Hotel noch nie gegeben.« »Ich werde die vier jungen Männer zu einem kleinen Umtrunk einladen«, entschied Agatha Simpson und erhob sich, »wollte ich sonst noch etwas fragen, Mr. Parker?« »In der Tat«, erwiderte der Butler, »Mylady wollten sich nach Mr. Gugenmooser erkundigen.« »Gugenmooser?« Karoly lächelte ein wenig abfällig, hatte sich dann aber sofort wieder unter Kontrolle, »Gugenmooser ist ein Eigenbrötler. Sie kennen diesen Ausdruck? Nun gut, er lebt zurückgezogen oben auf einem Almhof, nachdem seine Frau ihn verließ. Er ist kinderlos, was die Ehe betrifft und kapselt sich von der Umwelt völlig ab.« »Darf man fragen, wie er seinen Lebensunterhalt verdient? Er kann sich, wie der Augenschein lehrt, immerhin einen recht
teuren Allrad-Geländewagen leisten.« »Woher er sein Geld hat, weiß hier kein Mensch«, sagte Karoly, »ich gebe das wider, was ich so höre, ich möchte keinen Menschen verdächtigen, Mr. Parker. Die Menschen hier gehen ihm gern aus dem Weg. Er erinnert fast an den Berggeist, wenn er durch das Gelände geht. Er hat schon viele Menschen erschreckt.« »Halten Sie ihn für den Berggeist?« fragte die Detektivin nun sehr unverblümt. »Ich verdächtige grundsätzlich keinen Menschen, Mylady«, antwortete der Hotelier und hob abwehrend die Hände, »wissen Sie, ich möchte keinen Ärger haben, schon gar nicht mit Gugenmooser. Im Vertrauen, ich habe ein wenig Angst vor ihm ...« *** »Darauf sollten wir erst mal einen Brandy trinken«, sagte Mike Rander, als er mit Kathy Porter das private Institut verließ, in dem er das Ziertuch hatte analysieren lassen. Er war mit Kathy nach Innsbruck gefahren und hatte den rötlichen Belag vom riesigen Wurf- und Jagdspeer untersuchen lassen. »Wie gut, Mike, daß Sie den Lanzenschaft nicht angefaßt haben«, erwiderte Kathy Porter, »man hätte Sie wochenlang in einem Hospital behandeln müssen.« Sie überquerten die Straße und steuerten den Parkplatz an, wo ihr Mietwagen stand. Es handelte sich um einen japanischen Geländewagen, mit dem sie nach Edenes gekommen waren. »Wie, zum Teufel, ist der Berggeist nur an diese Dichlodiäthylsulfid gekommen?« meinte der Anwalt, »das ist schließlich ein Kampfstoff aus dem Ersten Weltkrieg.«
»Könnte es nicht auch aus dem Zweiten Weltkrieg stammen?« fragte Kathy, »wahrscheinlich hat man doch solche Kampfstoffe auf Vorrat hergestellt und nur nicht angewendet.« »Wie auch immer.« Rander zuckte die Achseln. »Der Berggeist, der mir das Ding ins Kreuz schleudern wollte, weiß auf jeden Fall bestens Bescheid. Er setzte darauf, daß ich bei einem Nichttreffer die Lanze hochnehmen würde. Dabei hätte ich mich mit tödlicher Sicherheit infiziert.« »Dieser Berggeist ist ein Mörder, Mike! Und was halten Sie von den beiden Männern, die mit dem Hund an den See kamen?« »Die Kerle, die sich als Jäger ausgaben ...« Rander nickte. »Sie dachten nicht im Traum daran, die Lanze aufzuheben.« »Sie wußten wahrscheinlich genau, wie gefährlich das war.« »Ist anzunehmen.« Rander hielt auf ein Bierlokal zu. Er brauchte wirklich einen Schnaps, um sich innerlich wieder aufzumöbeln. Er war schließlich mit knapper Not an einem vielleicht sogar tödlichen Anschlag vorbeigekommen. Als sie das Lokal betraten, drehte Kathy Porter sich plötzlich blitzschnell um und lachte leise. »Sie sind noch immer hinter uns, Mike«, sagte sie dann. »Die beiden Jünglinge?« »Die Halbstarken«, korrigierte sie, »wir sollten sie nicht auf die leichte Schulter nehmen, Mike.« »Zu den nächtlichen Mopedfahrern gehören sie aber nicht, oder?« »Ganz sicher nicht, sie haben keine entzündeten Augen. Wie wollen wir uns verhalten? Schütteln wir sie ab?« »Bei Gelegenheit«, schlug der Anwalt vor, »jetzt spannen wir erst mal richtig aus, Kathy.« Sie fanden Platz in einer hübschen Nische, und Rander bestellte zwei Obstler und Bier. Danach zündete er eine Zigarette an und lehnte sich entspannt
zurück. »Parker wird Bauklötze staunen«, meinte er, »und der Berggeist müßte eigentlich übernervös werden. Er wird doch erfahren, wo wir gewesen sind. Alles Weitere kann er sich dann leicht zusammenreimen.« »Wir sollten aufpassen, wenn wir nach Edenes zurückfahren.« »Das würde ich allerdings auch vorschlagen«, gab Mike Rander zurück, »unser Berggeist versucht bestimmt, uns ein Bein zu stellen. Die beiden Jünglinge werden ihn inzwischen sicher anrufen.« »Dann müßten sie ja wissen, wer er ist. Und das, Mike, kann ich mir kaum vorstellen. Der Berggeist ist vorsichtig und raffiniert. An ihn wird man wohl nur über einen Kontaktmann herankommen.« »Immerhin. Dann werden uns die beiden Jünglinge eben verraten müssen, wer dieser Kontaktmann ist, Kathy. Für den Berggeist brechen harte Zeiten an. Er hat sich längst viel zu weit vorgewagt. Übrigens, wir werden den Mietwagen austauschen, Kathy. Weiß der Henker, ob man ihn während unserer Abwesenheit nicht präpariert hat.« »Und wie soll das gehen?« »Wir werden ihn hinter einem Polizeirevier abstellen und die Männer anrufen. Wetten, daß sie dann den Wagen zerlegen? Nur so können wir aber sicher sein, daß der Wagen nicht in ahnungslose Hände gerät.« So machten sie es dann später auch. Als sie die Bierschänke verließen, war von den jungen Männern weit und breit nichts zu sehen. Sie hatten ihre Beschattung abgebrochen und befanden sich wahrscheinlich auf dem Weg nach Edenes, um sich unterwegs in einen Hinterhalt zu legen.
*** Die vier Gipfelstürmer zählten im Schnitt etwa sechzig Jahre, machten aber einen ausgesprochen munteren und aufgekratzten Eindruck. Sie waren durchweg schlank, hatten alle einige Kilo zuviel auf den Rippen, wirkten selbstsicher und sprachen Englisch, wenn auch nicht gerade fließend. Agatha Simpson hatte sich freundlich und mitteilsam gegeben und ihren unverwüstlichen, robusten Charme ausgespielt. Bevor die Männer überhaupt reagieren konnten, saß sie bereits bei ihnen am Tisch und sprach ungeniert vom Berggeist und dem Goldschatz im See. Sie erklärte, man habe ihr die Sondererlaubnis zu einem Tauchunternehmen erteilt. Sie stellte sich als Schriftstellerin vor, die hier vor Ort Studien betreibe, um Bestseller zu schreiben. Die Vier amüsierten sich und ließen sich nur zu gern ins Gespräch ziehen. Josuah Parker, der sich seitlich hinter Mylady aufgebaut hatte, bot das Bild des urenglischen, hochherrschaftlichen Butlers. Sein Gesicht war glatt und ausdruckslos wie stets. »Wir lernten uns in einem Gefangenen-Camp der Aliierten kennen«, sagte Horst Kreitmann, »damals ging es uns ziemlich dreckig, aber wir hielten zuammen wie Pech und Schwefel.« »Und damals schon hörten wir von diesem Goldschatz hier am See«, fügte Jockei Lechner hinzu. Er strich sich durch das schüttere Blondhaar und lächelte versonnen, »wir nahmen uns vor, später danach zu suchen.« »Und wir handelten mit Zitronen«, übernahm Willi Manowski die Rede, »wir tauchten im See, wie viele andere auch, aber wir fanden nichts. Ja, und dann kamen wir darauf, daß man auch durch Arbeit zu Geld kommen kann.«
»Und wir arbeiteten hart«, erklärte Poldi Hintersee, der kleinste des Quartetts, »inzwischen haben wir es längst geschafft, aber jedes Jahr fahren wir zusammen hierher an den See und sprechen von alten Zeiten.« »Glauben Sie, daß der Goldschatz sich noch im See befindet?« wollte die ältere Dame wissen. »Wahrscheinlich, aber an die besagten Blechkisten wird kein Mensch je herankommen«, antwortete Horst Kreitmann und schüttelte seinen ausgeprägten Glatzkopf, »die sind längst tief im Schlamm versunken und nicht mehr aufzuspüren.« »Warum haben die Behörden niemals offiziell danach tauchen lassen?« fragte Lady Agatha. »Das ist ja geschehen, aber dann gab's bereits den ersten Toten. Daraufhin wurde alles eingestellt, und so ist es bis heute geblieben.« »Vielleicht ist das Gold nie in den See geworfen worden«, tippte Agatha Simpson an, »ich habe da eine ganz bestimmte Theorie.« »Aha.« Willi Manowski grinste erwartungsvoll. »Schriftsteller haben bekanntlich mehr Phantasie als Durchschnittsmenschen.« »Das Gold wurde vorher beiseite geschafft«, redete die Detektivin weiter, »und es gibt noch heute einen Kreis von Eingeweihten, der dieses Geheimnis hütet.« »Klingt nicht schlecht«, meinte Jockei Lechner und fuhr sich wieder durch das schüttere Blondhaar, »und diese Eingeweihten wollen Sie jetzt aufspüren, Mylady?« »Da werden Sie aber nach Phantomen suchen müssen«, prophezeite Horst Kreitmann und fingerte an der langen Narbe hinter dem linken Ohr, »die Eingeweihten werden sich längst abgesichert haben ...« » ...und wahrscheinlich unter fremden Namen und mit
falschen Papieren leben«, mutmaßte Willi Manowski. Er war mittelgroß, hatte dichtes Haar und dunkle Augen, die der Farbe seines Haares ähnelten. »Und Sie glauben, Mylady, daß diese Eingeweihten sich später nicht gegenseitig umgebracht haben?« wollte Poldi Hintersee wissen. Er lachte ungläubig. »Warum, junger Mann, sollte man dies getan haben?« »Aus Geldgier«, erwiderte Hintersee, »wer viel hat, will mehr, das kennt man doch.« »Würden Sie sich gegenseitig umbringen?« erkundigte sich die ältere Dame weiter und blickte ihre Gesprächspartner der Reihe nach an. Sie machten zuerst einen betroffenen Eindruck, lachten dann aber lauthals. »Nee, wir würden's wohl nicht tun«, meinte Horst Kreitmann dann, »wir wären dazu bestimmt zu clever, Mylady.« »Und was halten Sie von dem Berggeist, meine Herren?« stellte die Detektivin ihre nächste Frage. »Den gibt's bestimmt«, entgegnete Jockei Lechner ernst, »wir haben ihn auch schon ein paar Mal gesehen. Direkt unheimlich. Der wischte wie ein Schemen durch's Gelände.« »Einmal waren wir so leichtsinnig, den Berggeist verfolgen zu wollen«, erinnerte sich Poldi Hintersee, »und dabei wären wir beinahe umgekommen. Plötzlich löste sich eine Geröllund Steinlawine. Wir konnten uns gerade noch im letzten Moment in Sicherheit bringen.« »Sie müssen natürlich wissen, Mylady, was Sie tun«, sagte Horst Kreitmann, »aber wenn Sie mich fragen, so sollten Sie die Finger vom See lassen. Der Berggeist ist eifersüchtig und wacht über den Schatz.« »Der See interessiert mich eigentlich nicht«, erwiderte Agatha Simpson und tat überzeugend mit ihrem Wissen, »ich befinde mich längst auf einer anderen Spur. Ist es nicht so, Mr.
Parker?« »Mylady dürften den anstehenden Fall theoretisch bereits gelöst haben«, behauptete Josuah Parker gemessen, »es bedarf nur noch einiger Beweise, um die Behörden offiziell in Kenntnis setzen zu können.« Die vier Gipfelstürmer blickten den Butler an und sagten kein Wort. *** Sie saßen in einem Nissan Patrol-Geländewagen und hatten damit ein Fahrzeug, das bis ins Detail dem glich, das Mike Rander auf dem Hof eines Polizeireviers abgestellt hatte. Nachdem dies geschehen war, hatte der Anwalt das Revier angerufen und auf den abgestellten Wagen verwiesen. Dabei hatte er einfließen lassen, man müsse damit rechnen, dieser Wagen enthalte einen versteckt angebrachten Sprengsatz. Von den beiden Halbstarken war auch jetzt nichts mehr zu sehen. Das war nicht weiter verwunderlich, denn sie konnten ja davon ausgehen, daß Rander und Kathy Porter auf jeden Fall nach Edenes zurückkehren würden. Man brauchte keineswegs an der Strecke also nur abzuwarten. Es gab eine einzige Straße, die in den Ort führte. »Wir sollten uns ein paar hübsche Überraschungen besorgen, Kathy«, schlug Mike Rander vor, »rechnen wir mit hartnäckigen Verfolgern.« »Wir brauchen uns nur zu fragen, was Mr. Parker in solch einem Fall unternehmen würde, Mike.« »Eben, Kathy. Entwickeln wir also Phantasie.« Rander schmunzelte. »Wie stoppen wir Mopedfahrer oder einen verfolgenden Wagen? « »Wir sollten Bälle und vielleicht einige Dutzend leere
Einmachdosen kaufen. Die habe ich eben in einem Eisenwarengeschäft gesehen.« »Bestens.« Rander war sofort einverstanden. »Also Bälle und Konservendosen. Und was brauchen wir noch? Wie wäre es mit etwas Mehl?« »Sehr gut.« Kathy hatte verstanden. »Sie wollen etwaigen Verfolgern die Sicht nehmen, nicht wahr?« »Billig und wirkungsvoll, Kathy, und etwas vollreifes Obst könnte ebenfalls nicht schaden. Wir haben eine kurvenreiche, teilweise asphaltierte Strecke vor uns.« »Fallobst in einer Kurve. Unwiderstehlich, Mike.« Nun lachte Kathy Porter. »Parker wird mit uns zufrieden sein. Aber was machen wir, falls man für uns eine Straßensperre bereit hält? « »Dann hilft nur der Rückwärtsgang«, antwortete der Anwalt. Während er sich mit Kathy unterhielt, steuerte er den Nissan Patrol durch die Straßen. Von Fall zu Fall hielt er, damit Kathy Porter ausgiebig einkaufen konnte. Abschließend erstanden sie auf einem kleinen Marktplatz noch einige Steigen mit vollreifen Pflaumen und Pfirsichen. »Auf in den Kampf«, meinte Rander, »servieren wir diesem Berggeist einige hübsche Überraschungen.« Sie schnallten sich an und begannen die Rückfahrt nach Edenes. Während der Fahrt hielten sie immer wieder Ausschau nach Verfolgern, doch die ließen sich nicht blicken. Es war wohl so, daß die beiden Halbstarken inzwischen vorausgefahren waren, um ihren Opfern unterwegs aufzulauern. »Wie weit werden die Behörden mit dem Wagen sein?« fragte Kathy nach einer Weile. »Man wird sich Zeit lassen und nichts überstürzen«, lautete Mike Randers Antwort, »Hauptsache, man ist genau.«
Er steuerte den geländegängigen Wagen in gemächlichem Tempo über die Landstraße, die man inzwischen erreicht hatte. Innsbruck lag bereits hinter ihnen. Die Berge wurden höher, die Täler tiefer und enger. Wälder schoben sich bis hart an die Straße heran. Der Verkehr hier draußen war abgeebbt. »Jetzt dürfte die Lage sich langsam zuspitzen«, meinte der Anwalt, »ich bin gespannt, wann man sich an uns hängen wird, wahrscheinlich in dem Augenblick, wenn wir das Tal von Edenes erreichen.« »Einspruch«, sagte Kathy Porter fast unmittelbar darauf, »hinter uns ist gerade ein Pulk von Motorradfahrern aufgetaucht. Das könnte etwas bedeuten, Mike.« *** »Hallo, Sie! Haben Sie einen Moment Zeit für mich?« Der junge Mann mit dem Gesicht eines Fuchses, winkte den Butler vorsichtig zu sich heran und blickte dabei verstohlen in die Gegend. Er schien Angst zu haben, beobachtet zu werden. »Sie meinen meine bescheidene Wenigkeit?« erkundigte sich Parker in der herrschenden Landessprache. »Sie gehören doch zu der Lady, ja?« »Ich habe die Ehre, Mylady als Butler dienen zu dürfen.« »Und die ist doch hinter dem Berggeist her?« »Mit wem spreche ich?« wollte der Butler wissen. »Ich heiße Peter Villach«, stellte der junge Mann sich vor. Er trug zur schwarzen Hose ein rotes Dinner-Jackett und gehörte offensichtlich zum Bedienungspersonal des Sporthotels. »Sollte man Sie kennen?« Parker gab nichts von seiner Gemessenheit auf. Er hatte seine Herrin auf der Terrasse bei den vier Gipfelstürmern zurückgelassen, weil dieser junge Mann ihm verstohlen zugewunken hatte.
»Ich kenne das junge Paar unten aus Edenes«, meinte Peter Villach, »ich weiß jetzt, daß die beiden Leute zu Ihnen gehören.« Parker hatte das Fuchsgesicht bereits richtig eingeschätzt und eingeordnet, zumal die Beschreibung, die Kathy Porter und Mike Rander geliefert hatte, perfekt war. Dies also war jener junge Mann, der mit dem Messer auf Kathy Porter und Mike Rander losgegangen war. »Sie haben meiner Wenigkeit etwas anzuvertrauen, wie ich wohl richtig unterstellen kann, nicht wahr?« »Sie sind doch hinter dem Goldschatz her, oder?« »Beiläufig, um es mal so auzudrücken«, sagte Parker, »Mylady geht es in erster Linie um den sogenannten Berggeist.« »Das hängt doch alles zusammen«, redete das Fuchsgesicht weiter, »ich kann Ihnen da einen tollen Tip liefern, aber das kostet was.« »Worauf bezieht sich das, was Sie einen Tip zu nennen belieben?« »Ich kann Ihnen sagen, wo der Berggeist sich aufhält. Aber dafür muß ich was sehen.« »An welchen Betrag dachten Sie?« »Tausend Pfund oder so.« »Könnten Sie sich möglicherweise präzise ausdrücken?« »Zweitausend Pfund«, erklärte Peter Villach dann und gab sich einen inneren Ruck, »mein Risiko ist schließlich groß.« »Man wird mit Mylady reden«, sagte der Butler, »aber ich möchte Ihnen gleich sagen, daß Sie kaum Hoffnung hegen dürfen, die geforderte Summe zu erhalten. Mylady haben den Berggeist inzwischen eingekreist.« »Mich können Sie nicht bluffen«, entgegnete das Fuchsgesicht und winkte ab, »das Versteck vom Berggeist ist
perfekt.« »Doch wohl nicht ganz«, widersprach der Butler, »Sie, um nur ein Beispiel zu nennen, kennen es bereits. Und außer Ihnen wird es noch andere Personen geben.« »Ich bin ganz zufällig drauf gekommen. Wollen Sie nun was wissen oder nicht?« »Hundert Pfund könnte meine Wenigkeit Ihnen jetzt und sofort in Form einer Banknote überreichen.« »Also gut, dann nehme ich erst mal die«, sagte das Fuchsgesicht, »aber später, wenn Sie wissen, daß ich nicht gelogen habe, müssen Sie mit dem Rest rüberkommen. Einverstanden? Kann ich mich auf Sie verlassen?« »Sie wollten meiner Wenigkeit jetzt den angekündigten Tip liefern.« Parker hatte die Banknote aus einer der vielen Westentaschen gezogen und ... zerriß sie in zwei Hälften. Eine davon reichte er dem jungen Mann. »Eine kleine Sicherheitsmaßnahme«, äußerte der Butler, »meine Wenigkeit geht davon aus, daß Sie sie keineswegs mißverstehen.« »Mann, sind Sie aber mißtrauisch.« Peter Villach blickte enttäuscht auf die halbe Banknote, räusperte sich dann und beugte sich vor. Er flüsterte fast, als er den Tip gab. »Fahren Sie zur Kiesgrube«, sagte er fast unhörbar, »die liegt einige Kilometer vor Edenes und ist längst außer Betrieb. Unten im Schwimmbagger hält der Berggeist sich versteckt.« »Sie sprechen von einer Kiesgrube? Hier oben in der Bergwelt?« »Die gibt es wirklich«, antwortete Villach und nickte nachdrücklich, »da hat man den Kies für die Straße und die Betonbrücken rausgeholt. Von der Hauptstraße müssen Sie von hier aus rechts abbiegen und etwa fünfhundert Meter weit fahren. Dann sehen Sie schon die Rampen.«
»Ist die Kiesgrube nur per Auto zu erreichen?« »Nee, da kommt man auch oben von den Bergen und den Wäldern ran, aber nur zu Fuß. Und das ist ein toller Umweg. Ich würd' an Ihrer Stelle einen Wagen nehmen.« Bevor Parker weitere Fragen stellen konnte, zog sich das Fuchsgesicht zurück und verschwand hinter einem Torbogen. Kurz danach war das Zufallen einer Tür zu vernehmen. Parker kehrte auf die Terrasse zurück, wo Lady Simpson sich noch immer angeregt mit den Gipfelstürmern unterhielt. Sie hatte ihren Kreislauf eindeutig angeregt und war bester Laune. Als Parker sich knapp verbeugte, winkte sie ihm förmlich. »Ist was, Mr. Parker?« erkundigte sie sich dann. »In der Tat, Mylady«, lautete die Antwort, die ungeniert und erstaunlich offen ausfiel, »Mylady hatten die Absicht, dem Berggeist einen Besuch abzustatten, Wenn man daran höflichst erinnern darf.« »Richtig.« Sie stand auf und reckte sich. In ihrer Fülle sah sie dabei ungemein majestätisch aus. »Kommen Sie, Mr. Parker, ich denke, ich bin in der richtigen Stimmung, diesem Subjekt zu zeigen, wer Lady Simpson ist!« *** »Selbstverständlich werde ich zu Fuß gehen und den kleinen Umweg nehmen«, hatte Agatha Simpson vor etwa einer Stunde gesagt und auf den Wagen verzichtet, um zum Baggersee zu gelangen. Inzwischen schien sie es zu bereuen, denn sie schnaufte verhalten und legte immer wieder eine Erholungspause ein. Dabei blickte sie äußerst mißbilligend auf Josuah Parker, dem man nicht die geringste Anstrengung ansah. Parkers glattes Gesicht zeigte keine Schweißperle. Er schien
sich auf ebenem Boden zu bewegen. Seine Kleidung war korrekt, der weiße Eckkragen nicht durchgeschwitzt. »Sie haben sich selbstverständlich verlaufen«, räsonierte die ältere Dame, als sie erneut einen Zwischenaufenthalt einlegte. Die eigenwillige Hutschöpfung saß schief auf ihrem Kopf. Auf Myladys Stirn waren dicke Schweißtropfen zu sehen. »Meiner Schätzung nach dürften Mylady die Kiesgrube innerhalb der nächsten Minuten erblicken«, meinte Parker in seiner stets höflichen Art, »Mylady brauchen nur noch den Bergrücken zu überwinden.« »Nichts als leere Versprechungen«, unkte sie grollend, »Sie wollen mich nur ablenken. Hätte nur ich die Führung übernommen. Sie wissen doch, wie gut ich mich im Gelände auskenne.« »Mylady rechnen natürlich damit, daß Mr. Karolys Angestellter gelogen hat.« »Aber natürlich. Man will mich nur in eine tödliche Falle locken. Das ist mir sonnenklar.« »Darum sind Mylady zu beglückwünschen, sich für den Fußmarsch entschieden zu haben.« »Weiter, weiter«, drängte sie plötzlich, »Sie haben doch wohl nicht geglaubt, daß meine Kondition nicht ausreicht, wie?« »Auf solch einen Gedanken würde meine Wenigkeit nie verfallen, Mylady. In diesem Zusammenhang möchte ich mir gestatten, auf den Achttausender zu verweisen, den Mylady zu nehmen gedenken.« »Du lieber Gott, wo ist da der Unterschied?« Sie lachte gequält. »Ich werde es diesem Sir Rupert zeigen und meine Wette gewinnen.« »Der kleine Baggersee, Mylady.« Parker blieb stehen und schob mit der Spitze seines Universal-Regenschirms die
Zweige eines dichten Strauches beiseite. Lady Agatha beugte sich etwas vor und räusperte sich dann verhalten. Tief unter ihr lag tatsächlich der Baggersee, von dem das Fuchsgesicht gesprochen hatte. Mitten im See war der Schwimmbagger zu erkennen, dessen Gestänge völlig angerostet war. Die Natur hatte sich inzwischen zurückgeholt, was man ihr einst nahm. Bis auf einen breiten Kiesstreifen war das Grün hart an die übrigen Ufer gewuchert. Im Wasser spiegelten sich die Wipfel einiger Bäume, die auf einem Felsvorsprung standen. Von einem Plateau aus führte ein schmales Schienenband nach unten zum Kiesufer. Auf dem Plateau standen Kipploren auf welligen Schienen. Links vom Plateau mußte sich die Verladerampe befinden, von der Peter Villach ebenfalls gesprochen hatte. »Alles Humbug«, meinte die Detektivin grollend, »der Berggeist wird sich kaum dort unten im Bagger versteckt halten. Da müßte er ja geradezu verrückt sein.« »Das Fuchsgesicht, Mylady, dürfte nicht ohne Grund auf diesen Baggersee verwiesen haben.« »Natürlich nicht.« Die Lady nickte nachdrücklich. »Man will mich hier umbringen, Mr. Parker.« »Demnach müßte der oft zitierte Berggeist sich unten auf dem Plateau aufhalten, Mylady.« »Ich werde mir dieses Subjekt kaufen«, erklärte Agatha Simpson, die nun wieder einen unternehmungslustigen Eindruck machte. »Treffen Sie alle erforderlichen Maßnahmen, Mr. Parker.« »Sie wurden bereits getroffen, Mylady«, lautete Parkers Antwort, »falls meine bescheidenen Sinne nicht trügen, dürfte man Mylady und meine Wenigkeit bereits hier oben erwartet haben.«
Sie schaute um sich und runzelte die Stirn. Aus den nahen Sträuchern schoben sich zwei Männer mit schallgedämpften Faustfeuerwaffen und forderten die ältere Dame und Parker unmißverständlich auf, schleunigst die Arme zu heben. *** Sie trugen Jet-Helme und saßen auf schweren, schnellen Maschinen. Die vier Motorradfahrer holten rasch auf und klemmten sich an das Heck des Nissan Patrol. »Von mir aus kann es losgehen, Mike«, sagte Kathy Porter, »ich warte nur noch darauf, daß sie unfreundlich werden.« »Damit werden sie sich noch etwas Zeit lassen«, gab der Anwalt zurück, »noch sind wir nicht im Tal.« Kathy Porter sichtete ihre Vorräte. Zu ihren Füßen standen die Steigen mit Pflaumen und Pfirsichen. Daneben hatte sie einige bunte Kinderbälle deponiert und leere Konservendosen. Auf dem Schoß lagen Pakete mit feinstem Weizenmehl. »Das könnten die vier Mopedfahrer sein, Mike.« »Klar.« Er nickte. »Unser komischer Berggeist bietet alles auf, was er vorzuweisen hat. Ihm scheint die allgemeine Lage nicht mehr zu gefallen.« Sie schlossen immer dichter auf, setzten zum Überholen an, ließen sich wieder zurückfallen und spielten die unbändige Kraft ihrer Maschinen geschickt aus. Sie fühlten sich eindeutig überlegen und stellten tatsächlich auch schon rein optisch eine Bedrohung dar. Inzwischen näherte man sich der Abzweigung ins Seitental. Mike Rander verließ die Durchgangsstraße und minderte die Geschwindigkeit. Er hatte die Streckenführung genau im Kopf. Nach etwa anderthalb Kilometer wurde die schmale Straße zu
einer Art Slalomstrecke. Sie schlängelte sich an Felsvorsprüngen vorbei, schien an Steilhänge geklebt zu sein, tauchte in dichte Waldstücke und verwandelte sich danach wieder in eine Art Achterbahn. Die Motorradfahrer wollten ihre Arbeit so schnell wie möglich hinter sich bringen. Kathy Porter hatte sich halb im Sitz umgedreht und beobachtete sie genau. Auch Mike Rander warf immer wieder einen schnellen Blick in den Außenspiegel. »Achtung, Mike, gleich wird scharf geschossen«, rief Kathy Porter plötzlich, »ich gehe zum Gegenangriff über.« Mike Rander hatte es ebenfalls gesehen. Zwei Motorradfahrer hielten Automatiks in der freien Hand, Waffen, die mit langen Schalldämpfern versehen waren. Kathy Porter nahm diesen Männern sofort jede Sicht. Sie hatte eine Weizenmehlpackung aufgerissen und sorgte mit dem Inhalt für einen Sichtschleier, der alle Erwartungen übertraf. Der Fahrtwind des Nissan Patrol trug das leichte Mehl durch die Luft und sorgte dafür, daß es sich auf dem Sichtschutz der Jet-Helme absetzte. Da Kathy nicht sparte, dauerte es nur wenige Sekunden, bis die ersten Fahrer jäh bremsten, um nicht vom Kurs zu kommen. Dadurch behinderten sie die beiden folgenden Zweiradfahrer. Die mußten nun ihrerseits bremsen und hatten mit gestörtem Gleichgewicht zu kämpfen. Innerhalb weniger Sekunden blieben die vier Fahrer weit zurück. Kathy bekam vor dem Erreichen der nächsten Kurve gerade noch mit, daß einer der Fahrer im Straßengraben landete. »Bestens«, sagte Rander und lachte, »Parker wird mit uns zufrieden sein.« »Das war erst der Anfang«, erwiderte Kathy Porter, »ich werde gleich das Spielzeug ausladen.« »Sie werden aus allen Rohren schießen«, prophezeite der Anwalt, »sie werden sauer sein wie die Pest.«
»Sie kommen!« Kathy griff nach zwei bunten Spielbällen. Sie sah zwei Maschinen, die um die Kurve preschten und sich mit Höchstfahrt näherten. Da die Fahrer mit Mehlstaub rechneten, hatten sie die Sichtblenden hochgeschoben. Dann fielen auch schon die ersten Schüsse. Zwei Geschosse lagen gefährlich gut, zertrümmerten die Rückscheibe und landeten an der Wagendecke! Kathy Porter ließ sich nicht verblüffen und beantwortete diesen Angriff. Sie schaufelte insgesamt sechs Spielbälle nach draußen und schickte dann die leeren Konservendosen hinterher. Sie landeten scheppernd auf dem Asphalt und hüpften den Bällen nach, die bereits einen ordentlichen Vorsprung besaßen. Die Straße hinter dem Nissan Patrol wirkte plötzlich bunt und bewegt. Die beiden Motorradfahrer versuchten alles, um den vielen springenden und hüpfenden Hindernissen zu entgehen, doch sie hatten wirklich keine Chance. Sie verrissen die Lenkung ihrer schweren Maschinen und setzten dann zu Freiflügen an, die im dichten Gesträuch links und rechts der schmalen Fahrbahn endeten. »Parker kann bei uns noch in die Lehre gehen«, meinte der Anwalt, »ich bin gespannt, ob sie aufgeben.« »Nein, Mike.« Spannung lag in Kathys Stimme. »Da tauchen die beiden nächsten Maschinen auf... Man scheint die Nase noch nicht voll genug zu haben. Ich denke, ich werde ihnen jetzt etwas Obst servieren.« *** »Darf man sich erlauben, Ihnen einen freundlichen und erfolgreichen Tag zu wünschen?« Parker machte einen völlig gelassenen und ruhigen Eindruck. Er hatte die Arme andeutungsweise gehoben und blickte auf die beiden Männer,
von denen Mylady und er überrascht worden waren. »Damit haben Sie nicht gerechnet, wie?« Einer der Waffenträger grinste boshaft, nachdem er seine Frage gestellt hatte. »Wir haben uns gleich gedacht, daß Sie über den Berg kommen würden.« »Das hätten Sie einkalkulieren müssen, Mr. Parker«, ärgerte sich die ältere Dame. Auch sie hatte ihre Arme andeutungsweise erhoben. Der perlenbestickte Pompadour in ihrer linken Hand war in leichte Schwingung übergegangen. »Hoffentlich können Mylady meiner Wenigkeit noch mal verzeihen«, sagte Josuah Parker, um sich dann wieder den beiden Männern zuzuwenden, »darf man fragen, wie Ihre Befehle lauten, was Mylady und meine Wenigkeit betrifft?« Parker fragte in der Landessprache, doch die Männer brauchten einige Zeit, bis sie verstanden hatten. Dann aber deutete der zweite Mann mit dem Lauf seiner Waffe nach unten zum Baggersee der Kiesgrube. »Sie bekommen 'ne Abkühlung verpaßt«, sagte er, »los, nach unten! Und wer Ärger macht, bekommt 'ne blaue Bohne...« »Wollen Sie mich umbringen?« fragte Agatha Simpson in ihrer Muttersprache und wurde verstanden. »Nee, Sie sollen nur ein paar Runden schwimmen«, meinte der zweite Mann und grinste ausgesprochen tückisch. »Dann können Sie von hier verschwinden. Und zwar für immer.« »Was halte ich von diesem Angebot, Mr. Parker?« Mylady blickte ihren Butler an, der sich gerade in Bewegung setzte und zum Plateau ging. »Es handelt sich um erfüllbare Wünsche, Mylady«, erwiderte Josuah Parker, der sich keinen Moment Illusionen machte. Natürlich wollte man Lady Simpson und ihn umbringen. Der sogenannte Berggeist, wer immer das sein mochte, kannte die Theorie des Butlers. Danach war der
Goldschatz seinerzeit überhaupt nicht im Baggersee versenkt worden, danach waren die Goldbarren schon vorher aufgeteilt worden. Weitere Nachforschungen konnte der Berggeist sich also nicht mehr bieten lassen. Er mußte die neugierigen Touristen so schnell wie möglich verscheuchen. Und dieser Baggersee war genau das, was er dazu brauchte. Er hatte dann immer noch die Möglichkeit, einen tragischen Unglücksfall vorzutäuschen. Aus diesem Grund rechnete Parker nicht damit, daß gezielt geschossen wurde. Falls man solch einen Unglücksfall inszenierte, mußten Verletzungen dieser Art um jeden Preis vermieden werden. Man hatte das Plateau erreicht. »Sie können gleich 'ne Talfahrt genießen«, sagte einer der beiden Bewaffneten und deutete mit dem Lauf seiner Waffe auf die Feldlore. »Ein halsbrecherisches Unternehmen, wenn man so sagen darf«, meinte der Butler. »Das wär' dann aber verdammtes Pech für Sie«, lautete die ironische Antwort, »los, steigen Sie ein und ziehen Sie den Kopf ein! Nun machen Sie schon, bevor wir Ihnen ein Ding verpassen!« »Beeilung, alte Tante«, blaffte der zweite Mann die Lady an und beging damit einen folgenschweren Fehler. Agatha Simpson war niemals bereit, sich auch nur andeutungsweise beleidigen zu lassen. So auch hier und jetzt. Bevor der Mann überhaupt begriff, was mit ihm geschah, kassierte er einen gezielten Fußtritt, der sein linkes Schienbein genau traf. Während der Malträtierte noch aufheulte, landete der perlenbestickte Pompadour auf seiner rechten Gesichtshälfte. Der im Handbeutel befindliche Glücksbringer, ein echtes Pferdehufeisen, tat seine Wirkung. Der Getroffene war förmlich begeistert die Waffe hoch und legte sich dann wie ein nasses Handtuch über den Rand der Kipplore.
Butler Parker war selbstverständlich nicht untätig geblieben. Mit der Wölbung seiner schwarzen Melone, die mit Stahlblech ausgefüttert war, setzte er sein Gegenüber außer Gefecht. Er brachte die Wölbung mit der Nase des Mannes in innige Verbindung und sorgte für eine Tränenflut. Bevor dieser Mann die Waffe auch nur andeutungsweise auf den Butler richten konnte, schlug Parker mit dem harten Rand seiner Melone auf die Handwurzelknochen des Gegners, die das ausgesprochen übel nahmen und Neigung zu feinen Haarrissen entwickelten. Dadurch rutschte dem Mann die Schußwaffe aus der Hand. »Wir möchten Sie nicht um den Genuß bringen, den Sie Mylady zugedacht hatten«, sagte Parker dann und deutete mit der Schirmspitze auf die Feldlore, »wenn die Herrschaften freundlicherweise Platz nehmen würden?« Lady Agatha inspizierte bereits die erste Lore und versetzte ihr dann einen derben Stoß. Das Gefährt setzte sich in Bewegung, rollte ein wenig zögernd an und entwickelte dann doch eine hübsche Geschwindigkeit. Die beiden Männer blickten fasziniert auf den rollenden Wagen, der steil nach unten donnerte und schlingerte. Wenige Augenblicke später landete er klatschend im hoch aufspritzenden Wasser des Baggersees. Die Mitarbeiter des Berggeistes saßen inzwischen in der Lore, die ihnen zugedacht war. Parker drückte die Spitze seines Universal-Regenschirms gegen den Wagen. »Könnten Sie sich unter Umständen entschließen, Mylady einige Hinweise zu geben?« fragte Parker nun. »Mylady würde gern erfahren, für wen Sie hier tätig zu werden gedachten.« »Für... Für den Berggeist«, sagte der Mann, der vorsichtig seine schmerzende Hand betastete. »Wer sollte das sein?« stellte Josuah Parker die nächste Frage. »Der ruft uns immer nur an, gesehen haben wir ihn noch
nie.« »Sie haben also schon häufiger für ihn gearbeitet?« »Manchmal«, gestand der Mann, »wir springen immer als Berggeist durch die Gegend, wenn hier die Touristen zu neugierig werden.« »Und wie geschieht das?« »Na ja, wir ziehen uns die Umhänge über, kleben uns einen Bart an und inszenieren dann unsere Show.« »Woher kommen Sie, um auch dies noch zu klären?« »Aus Wien«, lautete die Antwort. »Und Sie wohnen wo?« Parker stellte erstaunlich knappe Fragen. »Im Sporthotel«, entgegnete der Mann, der bereits vor Angst schwitzte. Er blickte immer wieder auf die mit Wasser gefüllte Kiesgrube. »Sie kennen natürlich die sogenannten Gipfelstürmer, nicht wahr?« »Die sind doch bekannt wie bunte Hunde«, meinte der Mann. »Und weshalb wohnen Sie stets im Sporthotel? Sind Sie dazu von Mr. Karoly eingeladen worden?« »Nein, nein, der Berggeist besorgt uns da immer die Zimmer«, meinte der Mann, »hören Sie, wollen Sie uns tatsächlich in den Baggersee rauschen lassen?« »Dies hängt von Ihren weiteren Antworten ab«, entgegnete Josuah Parker gemessen, »Sie waren in der vergangenen Nacht unterwegs und belagerten ein Ferienhaus des Sporthotels?« »Bestimmt nicht«, versicherte der Mann, »wir waren die ganze Nacht über im Sporthotel, da können Sie jeden fragen, wir feierten 'ne Party mit den Gipfelstürmern.« »Sie machten das aber nicht zum ersten Mal, nicht wahr?«
»Die kommen immer so gegen Ostern, wenn hier besonders viel los ist«, gab der Mann zurück, »und dann ruft uns auch der Berggeist immer an, damit wir hier unsere Show abziehen.« »Nun denn, man wünscht eine gute Fahrt«, sagte der Butler und versetzte der Feldlore einen Stoß. Das kleine Gefährt setzte sich sofort in Bewegung und ratterte munter nach unten, entwickelte eine beachtliche Geschwindigkeit und schlingerte über die ausgefahrenen Schienen. Dann erreichte die Lore das Ende der Bahn, tat einen gewaltigen Satz in die Luft, kippte zur Seite und lud die schreienden Insassen aus. Sie klatschten ins eiskalte Wasser, während die Lore sich noch ein wenig Zeit nahm, bevor sie sich in ein Tauchfahrzeug verwandelte... *** Die beiden Motorradfahrer suchten innigen Kontakt mit dem angebotenen Obst. Kathy Porter hatte nach dem Passieren der nächsten scharfen Kurve die überreifen Pflaumen und Pfirsiche aus dem Seitenfenster gekippt und die Straße in Obstkompott verwandelt. Die ahnungslosen Verfolger waren wenig später mit großer Fahrt aus der Kurve geraten und befanden sich unmittelbar auf einem Straßenbelag, der durchaus mit Glatteis zu vergleichen war. Das Resultat hatte sich dann deutlich gezeigt. Die Männer hatten sich von ihren Maschinen getrennt und schlitterten in ihrer Lederschutzkleidung durch die zwar glitschige, aber auch wohlriechende Masse. Sie strandeten vor einem Haufen Splitt, der für die Winterstreuung bereits deponiert war. Und sie waren noch benommen, als Mike Rander den Nissan Patrol zurückgesetzt und sie erreicht hatte. »Hallo, Leute«, grüßte der Anwalt spöttisch. Er hatte mit
schnellem Blick herausgefunden, daß die beiden Männer nicht verletzt waren, »wie fühlt man sich denn so nach der Rutschpartie durch das Kompott?« Sie schauten ihn aus Augen an, in denen noch der leichte Schock auszumachen war. »Wie geht's denn den beiden anderen Geländefahrern? « »Die kommen nicht weiter«, sagte da einer der beiden Motorradfahrer, »die Maschinen sind hin.« »Der Berggeist wird sie bestimmt ersetzen«, meinte der Anwalt, »und damit sind wir bereits beim Thema, Leute. Wer hat euch auf uns angesetzt?« »Wir... Wir haben nicht geschossen«, beteuerte der zweite Mann sofort. Er hatte, wie sein Begleiter, rot entzündete Augen, eine Tatsache, die Rander und Kathy Porter sofort registriert hatten. »Natürlich, geschossen haben immer die anderen«, erwiderte der Anwalt ironisch, »sehen wir doch mal nach, was ihr so mit euch herumschleppt.« Sie wollten sich gegen ein Durchsuchen zwar wehren, doch Mike Rander zeigte ihnen schnell und deutlich, daß er sich auf nichts einließ. Er fand schließlich zwei Automatiks mit überlangen Schalldämpfern. »Das reicht, um euch für einige Jahre ins Gefängnis zu stecken«, sagte auch er und reichte die Waffen an Kathy Porter weiter, »aber es kann auch sein, daß meine Begleiterin und ich einiges vergessen. Kommt auf euch an.« »Was ... Was verlangen Sie von uns?« »Hübsche Tips, Leute. Wer hat euch geschickt? Wer ist der Berggeist?« »Das wissen wir nicht... Ich meine, wir haben keine Ahnung, wer der Berggeist ist.« »Aha. Ihr seid dann nur aus Langeweile von euren Mopeds
auf die schweren Maschinen umgestiegen und habt auf uns geschossen. Leuchtet völlig ein.« »Wir waren das mit den Mopeds«, räumte der junge Mann ein, »und die Maschinen konnten wir uns in Innsbruck beim Händler abholen. Die waren bereits bezahlt und sollten uns gehören.« »Woher stammt ihr?« Rander war auf die Antwort gespannt, denn Kathy und er besaßen ja einige Papiere von ihnen, die gefunden wurden, als sie mit den Mopeds einen Überfall planten. »Wir sind aus Edenes«, sagte der junge Mann, »arbeiten aber in Innsbruck und in Steinach.« »Und ihr alle kennt den Berggeist?« »Wir wissen, daß es ihn gibt.« »Aber neugierig seid ihr nie gewesen, wie?« »Das schon, aber wir waren vorsichtig. Wir wollten nicht im See verschwinden.« »Und wer ist eurer Ansicht nach der Kerl, der sich als Berggeist ausgibt?« »Gugenmooser«, lautete die Antwort, »aber ich will nichts gesagt haben.« »Und wie lautete heute euer Auftrag? Ihr solltet uns umbringen, oder?« »Niemals! Wir sollten nur einen kleinen Unfall hinzaubern, damit Sie abhauen. Nein, nein, wir sollten auf keinen Fall einen Menschen verletzen, das hätten wir auch nie getan.« »Und dafür sollten euch dann die Maschinen gehören, ja?« »Die sind ja jetzt hin«, meinte der junge Mann. »Wendet euch doch an euren komischen Berggeist«, schlug Mike Rander vor, »er weiß doch, wo die Goldbarren sind. Für ihn ist es doch 'ne Kleinigkeit, neue Maschinen zu kaufen.«
*** »Ich wußte ja gleich, daß dieser Gugenmooser der Berggeist ist«, sagte die Detektivin nachdrücklich, »aber auf mich will man ja nicht hören.« »Er wurde immerhin von einem zweiten Berggeist weggezerrt, als er Benzin holen wollte«, erinnerte Kathy Porter. »Nichts als ein Ablenkungsmanöver«, redete die ältere Dame energisch weiter, »man will mir wieder mal Sand in die Augen streuen, aber so etwas verfängt bei einer Lady Simpson nicht.« »Mylady sind niemals zu täuschen«, behauptete der Butler in seiner höflichen Art, »darum lassen Mylady sich auch nicht von den Statisten ablenken, die sich bisher gezeigt haben.« »Statisten, Mr. Parker?« Sie stutzte. »Die vier Mopedfahrer und die beiden Männer, die mittels der Feldlore den Baggersee besuchten«, zählte der Butler auf, »man darf wohl unterstellen, daß sie alle tatsächlich nicht wissen, wer der Berggeist ist.« »Dieser Gugenmooser«, warf Agatha Simpson ein. »Der vielleicht auch nur den sogenannten Berggeist spielen muß«, redete der Butler weiter. »Und was halten wir von diesem Karoly?« fragte Mike Rander. »Ein ziemlich undurchsichtiger Bursche.« »Gerade deshalb halte ich ihn für völlig unschuldig,«, schlußfolgerte Agatha Simpson, »es ist doch so wie in vielen Kriminalromanen, mein lieber Junge: Derjenige, der besonders verdächtig ist, erweist sich schließlich als unschuldig.« »Dann gilt das aber auch für Mr. Gugenmooser«, entgegnete Kathy Porter lächelnd.
»Grundsätzlich schon, Kindchen, aber meine Menschenkenntnis ist eben einmalig gut ausgebildet«, erklärte Lady Agatha selbstbewußt, »Gugenmooser ist der Täter! Oder etwa nicht, Mr. Parker? Ich hoffe sehr, Sie sind nicht anderer Meinung.« »Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit verwirrt, was die wahre Person des Berggeistes betrifft«, schwindelte Josuah Parker, »man sollte auch die vier Männer in Betracht ziehen, die hier spöttisch als Gipfelstürmer bezeichnet werden.« »Sie können früher zur Begleitmannschaft gehört haben. Wie Karoly«, schaltete Kathy Porter sich ein, »vom Alter her paßt alles zusammen.« »Dann hätte ich es ja mit fünf Berggeistern zu tun, Kindchen«, spöttelte die ältere Dame. »Was ich mir durchaus vorstellen könnte, Mylady«, entgegnete Kathy Porter, »die Männer haben damals das Gold beiseite geschafft und danach den Berggeist erfunden. Wir wissen inzwischen, wie viele Männer hier als Berggeist aufgetreten sind.« »Klingt sehr vernünftig«, sagte Mike Rander, »und dann wäre da noch ein ganz bestimmter Zeitpunkt zu erwähnen. Bisher tauchten die Gipfelstürmer immer erst um Ostern auf, jetzt aber verstoßen sie gegen diese Regel und machen plötzlich Ferien. Das könnte mit unserem Erscheinen zusammenhängen.« »Vielleicht sind sie von Karoly alarmiert worden«, meinte Kathy. »Nun, Mr. Parker, was sage ich zu allem?« erkundigte sich Agatha Simpson bei ihrem Butler. »Mylady wußten von Beginn an, daß die Goldbarren niemals im See versenkt wurden«, schickte der Butler voraus, »Mylady untertstellten hypothetisch, daß die damaligen Wachmannschaften das Gold unter sich aufteilten.«
»Richtig«, freute sich Lady Agatha nachdrücklich, »und danach inszenierte man diesen Schwindel mit dem Berggeist, der den See mit seinem Schatz eifersüchtig bewacht.« »Ein raffinierter Schwindel«, warf Mike Rander ein, »Gugenmooser will damals ja etwa ein Dutzend Männer gezählt haben, die den Geheimtransport an den See begleiteten.« »Und ich glaube diesem einfachen, unschuldigen Mann«, ließ Agatha Simpson sich plötzlich vernehmen. Kathy Porter und Mike Rander tauschten draufhin einen geheimen Blick des spöttischen Einverständnisses. Parkers Gesicht blieb glatt und ausdruckslos. Er wußte aus Erfahrung, wie schnell und nachhaltig Mylady die Ansichten änderte. »Die Gipfelstürmer und Karoly haben also Gold an sich gebracht«, faßte Kathy Porter zusammen, »gehen wir doch mal davon aus, Mr. Parker, einverstanden?« »Sehr wohl.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an. »Die Gipfelstürmer kommen seitdem jeweils zur Osterzeit hierher ins Tal und organisieren zusammen mit Karoly die Maßnahmen für das laufende Jahr. Ich meine, sie legen dann fest, wer als Berggeist für weitere Unruhe zu sorgen hat. Und bei dieser Gelegenheit wird man wohl auch gemeinsame Dinge für die Zukunft besprechen.« »So sehe ich das auch, Kindchen. Genau das wollte ich gerade sagen«, ließ die passionierte Detektivin sich prompt vernehmen. »Und dieser Karoly dürfte der Kopf der Bande sein. Wenn ich schon an seine Handküsse denke, meine Lieben, dann kommen mir doch große Bedenken. Soviel Höflichkeit kann niemals ehrlich gemeint sein.« »Okay, Karoly und die vier Gipfelstürmer inszenieren den Berggeist«, schickte Mike Rander voraus, »aber wie wollen wir ihnen das beweisen? Ich sehe da kaum Möglichkeiten. Selbst wenn wir herausfinden, daß sie gleich nach dem Krieg zu Geld
gekommen sind, werden wir ihnen daraus keinen Strick drehen können. Sie brauchen sich nur still zu verhalten, dann sind sie unangreifbar.« »Und wenn ich herausfinde, daß sie damals zur Wachmannschaft gehörten, mein lieber Mike?« fragte Lady Agatha. »Auch das wäre kein Beweis«, entgegnete der Anwalt, »offiziell gilt die Version, daß man Blechkisten in den See versenkte. Und offizielle Meinung ist, daß sich in diesen Kisten Gold befindet.« »Das eigentlich woher stammt?« ließ Kathy Porter sich vernehmen. »Kriegsbeute aus Italien«, erklärte der Butler, »dies geht aus den Berichten hervor, die seinerzeit die Behörden gaben. Meine Wenigkeit war so frei, dies per Telefon festzustellen.« »Sie haben die Polizei angerufen?« staunte Mike Rander. »Die zuständige Regierungsstelle, und zwar in Myladys Auftrag«, berichtete der Butler weiter, »ist es erlaubt, in diesem Zusammenhang von dem Versteck der Goldbarren zu sprechen?« »Von dem Versteck?« Agatha Simpson sah den Butler mehr als nur überrascht an. »Die Goldbarren müssen seinerzeit doch in Sicherheit gebracht worden sein«, redete Josuah Parker weiter, »da die Zeitläufe kurz nach dem Krieg mehr als unsicher waren, dürfte man den Schatz hier in der engeren Region versteckt haben.« »Klingt logisch, Parker, aber später hat man die Barren eben unter sich aufgeteilt und dann weggeschafft.« »Würde man sich dann pro Jahr noch mal treffen, Sir?« »Was vermuten Sie denn hinter diesen Treffs?« »Sie dienen sicher nicht der Erinnerung an ein gemeinsames Erlebnis. Und Mr. Karoly könnte, falls er zu den damaligen
Wachmannschaften gehörte, von hier aus und allein die Aktivitäten des sogenannten Berggeistes steuern.« »Worauf wollen Sie hinaus, Parker?« Rander lächelte erwartungsvoll. »Vielleicht befinden die Goldbarren sich noch immer in dieser Region«, schickte Parker voraus. »Es wäre doch durchaus möglich, daß alle Beteiligten von damals gebraucht werden, um Teile des Schatzes stückweise zu heben.« »Wie soll ich das verstehen?« wollte die ältere Dame wissen. »Eine Person allein, Mylady, ist nicht in der Lage, an das Gold heranzukommen.« »Ein Tresor mit sieben Schlössern«, meinte Agatha Simpson umgehend, »gab es da nicht einen Kriminalroman von Edgar Wallace, Mr. Parker? Natürlich, das ist es! Ich ahnte es ja bereits die ganze Zeit über ... Das ist es! Im Sporthotel steht ein Tresor, der nur mit verschiedenen Schlüsseln geöffnet werden kann. Für mich ist der Fall damit geklärt ...« *** Parker war sicher, daß der Berggeist jedes Wort der Unterhaltung mitverfolgt hatte. Parker hatte die elektronischen Wanzen dort belassen, wo er sie gefunden hatte. Er konnte sich vorstellen, daß der Berggeist schleunigst reagieren mußte. Parkers Hinweis darauf, daß man nur gemeinsam an den Schatz herankam, mußte alarmierend wirken. Lady Agatha, Kathy Porter und Mike Rander befanden sich auf der Terrasse des ehemaligen Bauernhauses. Der Blick auf den Bergsee war ungetrübt. Parker servierte einen Imbiß und Tee. Als er ins Haus zurückgehen wollte, fiel sein Blick auf den linken Waldrand. Dort machte er eine riesige, unförmige Gestalt aus. Der
Berggeist schien sich warnend zeigen zu wollen, doch er verließ dann das Unterholz und kam mit großen, ruhigen Schritten auf das Haus zu. »Mr. Gugenmooser, Mylady«, meldete der Butler, »er scheint Mylady seine Aufwartung machen zu wollen.« »Der Berggeist?« Sie war wie elektrisiert und stand schnell auf. »Mylady hatten sich bereits auf einen anderen Berggeist festgelegt«, erinnerte Josuah Parker diskret. »Richtig, das ist ja Karoly«, sagte sie, »was will denn dieser Urmensch noch von mir?« Parker ging durchs Haus ins Freie und empfing den breitschultrigen, riesigen Mann, der einen verlegenen Eindruck machte. Er trug wieder den weiten Umhang und den breitkrempigen Bergsteigerhut. »Sie kommen sicher nicht zufällig des Weges«, meinte Josuah Parker, »darf man sich nach Ihren Wünschen erkundigen?« »Sie sind doch noch immer hinter dem Berggeist her, wie?« fragte Gugenmooser knapp, fast mürrisch. »In der Tat«, erwiderte der Butler, »aber würden Sie dieses Generalthema freundlicherweise mit Lady Simpson diskutieren?« »Sind Sie nicht der Mann, der das alles hier in der Hand hat?« »Sie schmeicheln unnötig meiner Eitelkeit«, versicherte Josuah Parker und ging voraus, »Mylady ist für alle Maßnahmen zuständig.« »Wenn wir Glück haben, können wir den Berggeist erwischen«, sagte der Almbauer. »Und wie stellen Sie sich das vor, wenn man fragen darf?« »Sie sollten wissen, daß der Berggeist nicht ein einziger
Mann ist.« »Sie versetzen meine Wenigkeit in Erstaunen.« »Den Berggeist spielen hier 'ne ganze Menge Leute«, redete Gugenmooser weiter. Man hatte inzwischen die Terrasse erreicht, und Lady Agatha musterte den riesigen Mann durch ihre aufgeklappte Stielbrille. Gugenmooser zeigte so etwas wie einen verunglückten Kratzfuß und nahm dann seinen Hut ab. Er blickte verlegen auf Parker. »Ich hab' ihm schon gesagt, was los ist«, sagte er dann, »wenn Sie wollen, können Sie den Berggeist erwischen.« »Welchen jungen Mann?« erkundigte sich die ältere Dame spitz. »Den, der die anderen Berggeister hier rumspringen läßt.« »Es gibt mehrere Berggeister?« fragte Agatha Simpson. »Darauf können Sie sich verlassen«, meinte Gugenmooser und nickte, »und Karoly zieht das alles ab.« »Wieso und warum sagen Sie uns das?« schaltete Mike Rander sich ein. »Ich will endlich meine Ruhe haben«, versicherte Gugenmooser, »alle hier sagen doch, ich wär' der Berggeist. Das ist verrückt. Karoly ist der Mann! Er und die komischen Gipfelstürmer, wie die genannt werden.« »Sie kennen die vier Männer?« fragte Kathy Porter. »Und ob ich die kenne! Und die wissen das ... Deshalb sind die auch hinter mir her, verstehen Sie?« »Woher, wenn man gezielt fragen darf, kennen Sie die Gipfelstürmer?« lautete Parkers Frage. »Von damals«, entgegnete Gugenmooser, »damals gehörten die zur Wachmannschaft. Ich hab' mir die Gesichter genau eingeprägt.«
»Und warum, glauben Sie, kommen die Herren jedes Jahr zurück ins Tal?« »Weil die jedes Jahr etwas von den Goldbarren aus dem Versteck holen«, behauptete Gugenmooser, »die nehmen immer nur soviel mit, daß es nicht auffällt.« »Sehr vernünftig«, urteilte die Detektivin, »und wo befindet sich das Versteck nun, junger Mann?« »Es ist sinnlos, Ihnen das zu beschreiben, Sie kennen sich hier nicht aus. Aber das Versteck ist verdammt raffiniert gewählt. Es handelt sich um einen ehemaligen Stollen, der zu einem alten Silberbergwerk gehört.« »Und Sie hatten bisher kein Verlangen danach, sich ein wenig zu bedienen?« fragte Josuah Parker. »Ich bin doch kein Selbstmörder«, erwiderte Gugenmooser und lachte verlegen, »ohne fremde Hilfe kommt man da nicht ran. Und die vier Gipfelstürmer und auch Karoly kennen sich mit Sprengstoffen aus. Die haben den Stollen erstklassig gesichert und Fallen eingebaut.« »Wie stellen Sie sich das weitere und dann wohl auch gemeinsame Vorgehen vor?« fragte Parker. »Ich bring' Sie zum Stollen«, sagte Gugenmooser, »aber dann müssen Sie sich was einfallen lassen. Ich weiß, daß die Gipfelstürmer bereits unterwegs sind.« »Das ist meine Stunde.« Agatha Simpson sah erfreut in die Runde. Mr. Parker, treffen Sie alle erforderlichen Vorbereitungen. Ich werde den Berggeist stellen und entlarven!« »Hören Sie, Lady, ich habe Ihnen da gerade einen tollen Tip gegeben«, schickte der Almbauer voraus, »wenn Sie jetzt die Goldbarren aus dem Versteck holen, bleibt da was für mich übrig?« »Lassen Sie sich überraschen, junger Mann«, antwortete die
ältere Dame, »aber Sie sollten wissen, daß ich als ausgesprochen großzügig gelte.« Nach dieser Behauptung bemühten sich Kathy Porter und Mike Rander, sich nicht anzusehen. Sie fürchteten sonst, ums Lachen nicht herumzukommen. Parkers Gesicht hingegen zeigte natürlich keine Reaktion. Keine noch so kühne Behauptung Myladys vermochte ihn aus der Fassung zu bringen. *** »Da unten ist es«, sagte Gugenmooser und deutete auf dichtes Gestrüpp vor einer Steilwand. Mit bloßem Auge konnte man Abraum ausmachen, der in früherer Zeit einfach in eine Schlucht gekippt worden war. »Und die Berggeister sind bereits im Stollen?« fragte die ältere Dame. »Als ich sie sah, gingen die gerade rein«, erwiderte der Almbauer, »die bleiben meist über eine Stunde da unten.« »Kennen Sie sich möglicherweise ein wenig im Stollen aus?« wollte der Butler wissen. »Nur im Hauptstollen. Dann gibt es einen Schacht, der nach unten weggeht. Und den kann man nur mit einem Seil oder ähnlichem nehmen. Ich glaube, der ist so ungefähr zwanzig Meter tief.« »Lassen die Berggeister oder Gipfelstürmer vorn am Stollen keine Wache zurück?« schaltete der Anwalt sich ein. »Ich habe nichts davon gesehen.« Gugenmooser zuckte die Achseln. »Nun denn...« Agatha Simpson straffte energisch ihre Fülle. »Mir nach, meine Lieben! Ich möchte diesen Fall beenden.« Sie setzte sich in Bewegung und schritt über einen schmalen,
gewundenen Pfad nach unten. Hinter ihr ging Gugenmooser, der eine Seilrolle um seine mächtigen Schultern gelegt hatte. Anschließend folgten Kathy, Mike Rander und Butler Parker. Es dauerte eine Weile, bis man den Eingang zum Stollen erreichte. Gugenmooser trat zur Seite und deutete dann in den dunklen Stollen. »Sie wollen nicht mitkommen?« fragte die Detektivin grollend. »Offen gesagt, ich habe Angst«, erklärte Gugenmooser, »ich krieg' da Platzangst.« »Sie sollten sich an einer hilflosen Frau ein Beispiel nehmen«, sagte die ältere Dame, die natürlich sich meinte. »Nee, ich bleib' lieber hier«, beteuerte Gugenmooser und nahm die Seilrolle von der Schulter, »ich werde Wache halten.« »Ich sehe Licht«, meldete Kathy Porter, die ein paar Schritte in den dunklen Stollen getan hatte. »Man ist also dabei, das Gold zu bergen«, vermutete Agatha Simpson munter und ungeduldig, »Mr. Parker, wie lange soll ich denn noch warten? Sie werden selbstverständlich die Führung übernehmen.« »Wie Mylady zu wünschen belieben.« Parker nahm die schwere Seilrolle an sich und betrat den Stollen. Seine Herrin folgte, dann setzten sich Kathy Porter und Mike Rander in Bewegung. Die Schritte der Schatzsucher waren laut und deutlich zu vernehmen. Gugenmooser, der vorn am Stollen stand, grinste plötzlich ironisch und zog ein Feuerzeug unter seinem weiten Umhang hervor. Er zündete die erstaunlich große Flamme und schob dann die Hand zum Querbalken. Er stieß mit der anderen Hand einige Steinbrocken zur Seite und legte auf diese Art eine Zündschnur frei, die er sofort zündete.
»Alles in Ordnung?« rief er dann in den dunklen Stollen. »Stören Sie jetzt nicht länger, junger Mann«, bat Lady Simpson sich energisch aus. Gugenmooser grinste erneut, blickte hinauf zur Zündschnur, die zischend brannte, und beeilte sich dann, den Stollenmund zu verlassen. Er steuerte eine Baumgruppe rechts vom Eingang an und wollte sich dort wohl hinter einem der mächtigen Stämme in Sicherheit bringen. Doch schon nach wenigen Schritten zuckte er zusammen, faßte automatisch nach seinem Nacken und ... erstarrte, was seine Bewegungen betraf. Seine Finger hatten einen Pfeil ertastet, der kaum größer und dicker war als eine normale Stricknadel. Dann begriff er, wirbelte herum und hielt einen Revolver in der rechten Hand. Als er ihn abfeuern wollte, wurde er irritiert. Dicht vor seinem Gesicht zischte eine fliegende Untertasse auf ihn zu. Es handelte sich um Parkers Melone, deren Rand genau die Nackenpartie des Almbauern traf. Der Schuß löste sich zwar, doch das Geschoß fetzte hinauf zum Himmel und richtete weiter keinen Schaden an. Bevor Gugenmooser sich auf die neue Situation einrichten konnte, setzte Josuah Parker den bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms auf die Stirn des Riesen. Gugenmooser ging sang- und klanglos zu Boden, scharrte noch ein wenig mit den Beinen und gab dann Ruhe. Parker legte den Griff wieder über den angewinkelten linken Unterarm und bot das Bild eines hochherrschaftlichen Butlers, der streng auf Formen achtete. »Die Zündschnur ist raus aus der Ladung«, rief Mike Rander vom Stolleneingang her. »Ich wußte ja schon immer, daß dieser Gugenmooser der Berggeist ist«, rief Agatha Simpson fast triumphierend, »aber auf mich will ja niemand hören. Wenn es nach mir gegangen
wäre, hätte ich dieses Subjekt schon gestern entlarvt.« *** Karoly küßte Mylady die Hand und ließ die ältere Dame erröten. Die vier sogenannten Gipfelstürmer, nämlich Kreitmann, Lechner, Manowski und Hintersee, taten es Karoly nach und applizierten ebenfalls gekonnte Handküsse. Die Lady errötete daraufhin noch intensiver. »Sehr hübsch«, sagte sie dann leutselig, »und ich entschuldige mich hiermit für meine Begleiter, meine Herren. Sie waren doch der schrecklichen Meinung, Sie hätten damals die Goldbarren an die Seite geschafft.« »So kann man sich täuschen«, meinte Karoly, »aber offen gesagt, gesucht nach dem Gold haben wir schon, Mylady. Jedes Jahr haben wir uns zu einer Party hier getroffen.« »Meist um Ostern herum, nicht wahr?« fragte Rander. »Richtig«, bestätigte Kreitmann, »aber diesmal alarmierte Karoly uns. Er teilte uns mit, eine echte Lady mit einem echten Butler würden nach dem Schatz tauchen.« »Das konnten wir uns nicht entgehen lassen«, warf Hintersee lachend ein. »Immerhin habe ich die Goldbarren gefunden«, erinnerte die ältere Dame, »und ich ahnte gleich, daß dieser Gugenmooser sie in seinem Haus versteckt hatte.« »Sie sind eine einmalige Kriminalistin«, schmeichelte Lechner. »Ich weiß, ich weiß«, sagte die Detektivin, »reden wir nicht von Selbstverständlichkeiten.« »Mr. Gugenmooser wird für den Rest seines Lebens in einer
Zelle leben müssen«, ließ Parker sich vernehmen, »und vielleicht wird er eines Tages sogar sagen, woher er den Kampfstoff hatte, mit dem er die Lanze präpariert hatte.« »Für uns ist das Kapitel damit erledigt«, sagte Karoly, »und damit sind auch die Morde geklärt, die sich hier zugetragen haben. Es waren schließlich Morde und keine Unfälle.« »Wie hat dieser Bursche sich eigentlich verraten?« wollte der Gipfelstürmer Manowski wissen. »Durch seine Wortwahl, um genau zu sein«, erwiderte der Butler, »er sprach von Platzangst und sagte ›offen gesagt‹, Wendungen, die nicht zu einem Bergbauern passen.« »Und wie kam der Kerl seinerzeit an das Gold?« fragte Kreitmann. »Er gehörte zur Wachmannschaft, die wesentlich kleiner war, als er erzählte. Er tat sich mit drei Freunden zusammen und raubte das Gold. Sie präparierten dann die Blechkisten und versenkten sie im See. Und anschließend brachte Gugenmooser seine Freunde der Reihe nach um.« »Wir alle können wohl mit einer hübschen Belohnung rechnen, wie?« fragte Karoly. »Die möchte ich mir aber auch ausgebeten haben«, sagte die ältere Dame energisch. »Sie brauchen tatsächlich Geld«, meinte der Anwalt anzüglich, »Sie denken sicher an Ihre Wette, Mylady.« »An welche Wette?« Agatha Simpson zog die Stirn kraus. »Sie haben den Achttausender vergessen?« erinnerte Kathy Porter und lächelte. »Aber nein, meine Liebe«, sagte die Detektivin, »diese Wette habe ich doch längst schon gewonnen.« »Sie haben die Wette gewonnen?« Rander blickte Kathy Porter verblüfft an und schüttelte dann den Kopf. »Es geht um eine Wette?« fragte Karoly.
»Mylady hat die feste Absicht, den Gipfel eines sogenannten Achttausender zu stürmen.« »Donnerwetter, da haben Sie sich aber einiges vorgenommen«, staunte der Hotelier. »Kaum zu schaffen«, meinte Hintersee. »Diese Wette haben Sie verloren, Mylady«, wußte auch Manowski bereits im voraus. »Hoffentlich werden Sie nicht zu sehr zur Kasse gebeten«, hoffte Lechner. »Es geht ja nur um fünfzigtausend Pfund«, antwortete Kathy Porter für ihre Chefin. »Und die sind mir sicher, Kindchen«, behauptete Agatha Simpson noch mal. »Sie wollen in den Himalaya?« staunte Karoly. »Schnickschnack, meine Lieben«, sagte nun die ältere Dame, »bin ich eine Gemse oder Bergziege? Nein, nein, ich habe meine Wette bereits gewonnen, ob Sie es nun glauben oder nicht.« »Mylady dürften eine glückliche Lösung gefunden haben, was die Wette betrifft«, stellte Josuah Parker fest. »Darauf können Sie sich verlassen, Mr. Parker. Und können Sie sich vorstellen, um was es sich handelt?« »In der Tat, Mylady«, gab Josuah Parker gemessen zurück, »während Sir Rupert von Metern sprach, redet Mylady wahrscheinlich insgeheim von Zentimetern.« »Richtig«, sagte die ältere Dame, »wir hatten uns nicht auf ein bestimmtes Maß geeinigt.« »Mylady dürften die Wette gewonnen haben«, sagte nun der Butler, »aber Sir Rupert dürfte Mylady dann stets aus dem Weg gehen und sich als Wettopfer betrachten.« »Wenn schon«, gab Agatha Simpson kühl zurück, »wenn ich
zwischen fünfzigtausend Pfund und diesem Sir Rupert zu wählen habe, brauche ich mich nicht lange zu entscheiden. Eine Frau wie ich, die mit dem Penny rechnen muß, hat sich nach der Decke zu strecken. Ist es nicht so, Mr. Parker?« »Es wäre ausgesprochen leichtsinnig, Mylady widersprechen zu wollen«, lautete daraufhin die Antwort des Butlers. ENDE
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