Parker rammt die Mondfähre Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges Butler Parker war...
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Parker rammt die Mondfähre Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges Butler Parker war beunruhigt, wie er später offen zugab. Sein Zustand hing mit einer Rakete zusammen, die an einen überdimensional großen Bleistift erinnerte und eine erschreckende Geschwindigkeit entwickelte. Sie jagte, einen langen Feuerschweif hinter sich herziehend, über die Bäume hinweg, streifte deren Wipfel und geriet eindeutig außer Kontrolle. Sie torkelte ein wenig, beschrieb dann einen weiten Bogen und nahm anschließend genauen Kurs auf das hochbeinige Monstrum des Butlers, der dies verständlicherweise nicht sonderlich schätzte. »Was ist denn das, Mr. Parker?« erkundigte Agatha Simpson sich. Sie saß im Fond des Wagens und hatte den rasenden »Bleistift« inzwischen ebenfalls bemerkt. »Falls meine bescheidenen Sinne mich nicht trügen, Mylady«, erwiderte Josuah Parker in seiner höflichen und gemessenen Art, »dürfte es sich um eine Kleinrakete handeln.« »Kommt die nicht direkt auf mich zu?« Lady Simpsons Stimme klang leicht erregt. »Ich fürchte, zustimmen zu müssen«, antwortete der Butler, ein Mann undefinierbaren Alters mit dem Gesicht eines erfahrenen Pokerspielers. »Und was werden Sie dagegen unternehmen?«
»Es empfiehlt sich, Mylady, das zu suchen, was man gemeinhin volle Deckung nennt.« Parker hatte seinen Wagen bereits gestoppt und stieg aus. Er öffnete die hintere Tür und deutete auf einen Wassergraben, der sich an der schmalen Straße entlangzog. »Volle Deckung?« Mylady stieg aus und schaute verärgert auf den »Bleistift«, der sich die Sache inzwischen wohl anders überlegt zu haben schien. Die Rakete war leicht abgeschwenkt und verschwand hinter einer nahen Baumgruppe. Lady Agatha Simpson war eine äußerst stattlich aussehende Dame, die seit ihrem sechzigsten Lebensjahr beschlossen hatte, keine Geburtstage mehr zu feiern. Sie machte einen energischen Eindruck und trug eines ihrer weit geschnittenen Tweed-Kostüme. Auf ihrem Kopf saß ein Hut, der eine skurrile Kreuzung aus einem Südwester und einem Napfkuchen darstellte. Lady Agatha, mit dem Blut- und Geldadel der Insel eng verschwistert und verschwägert, immens vermögend, sehr eigenwillig und tatendurstig, beobachtete die nahe Baumgruppe und schüttelte den Kopf. »Sie waren wieder mal zu vorsichtig, Mr. Parker«, stellte sie dann fest. »Das war natürlich nur ein harmloser Feuerwerkskörper.« Sie hatten ihren Satz kaum beendet, als der angeblich harmlose
Feuerwerkskörper wieder hinter der Baumgruppe kurvte und erneut Parkers Monstrum anvisierte. Bei diesem handelte es sich um den Privatwagen des Butlers, einem ehemaligen Londoner Taxi, das nach seinen ausgefallenen Wünschen und Vorstellungen ausgiebig umgestaltet worden war. Eingeweihte sprachen im Zusammenhang mit diesem Wagen von einer tückischen Trickkiste auf Rädern. »Wenn Mylady sich nun freundlicherweise in Deckung begeben würden?« Parker schritt voraus und deutete auf den Wassergraben. »Es dürfte nur noch eine Frage von Sekunden sein, bis ...« Lady Simpson war erfahren und klug genug, Parker nicht ausreden zu lassen. Die stattliche Dame hechtete ihre nicht unbeträchtliche Körperfülle erstaunlich schnell in den Graben und prustete, als das Wasser um sie herum spritzte. Josuah Parker war nicht weniger schnell. Er, der Hetze überhaupt nicht schätzte, landete ebenfalls im Graben, hatte aber das Glück, eine trockene Stelle zu erwischen. Im gleichen Augenblick war der rasende »Bleistift« auch schon heran, zischte dicht über ihre Köpfe hinweg, verfehlte das hochbeinige Monstrum nur um knapp anderthalb Meter, bog nach links ab und krachte jenseits der Straße gegen den Stamm einer alten Ulme. Die Wirkung war frappierend. Der Baum verwandelte sich in eine hohe Feuersäule. Blechteile flogen durch die Luft, eine Hitzewelle rollte über die beiden Schutzsuchenden hin-
weg. Dann war nur noch die Detonation zu hören, die fast die Trommelfelle sprengte. »Eine harte Landung, wenn ich mir diese Bemerkung gestatten darf«, sagte Parker und erhob sich. »Darf ich mich erkühnen, Mylady meine bescheidene Hand zu leihen?« Er durfte, zog und zerrte die ältere Dame aus dem Wassergraben und übersah taktvollerweise erst mal ihr Aussehen. Die Hutschöpfung saß sehr windschief auf ihrem Kopf, das Kostüm hatte die Grundfarbe des zähen braunen Schlammes angenommen. Überdies schien Agatha Simpson plötzlich von Sommersprossen befallen zu sein. Die Ulme brannte inzwischen weiter. Es roch nach Pulver, Treibstoff, nach verbranntem Gummi und nach heißem Metall. Von dem fliegenden »Bleistift« war selbstverständlich nichts mehr zu sehen. Er war in seine Einzelbestand teile zerlegt worden. »Nun sagen Sie schon endlich etwas, Mr. Parker?« grollte die passionierte Detektivin ihren Butler an. »Es bieten sich zwei Möglichkeiten der Erklärung, Mylady«, schickte Josuah Parker voraus. »Entweder wurde die Rakete absichtlich auf Mylady gerichtet, oder aber ...« »Die zweite Möglichkeit interessiert mich nicht, Mr. Parker«, erwiderte sie grimmig. »Selbstverständlich wollte man mich umbringen. Und so etwas lasse ich mir nicht gefallen! Schaffen Sie mir das Subjekt herbei, das diese Rakete abgefeuert hat!« *
Butler Parker wurde jeder Mühe enthoben, diesen nachdrücklichen Wunsch in die Tat umzusetzen. Er hatte bereits hinter der kleinen Baumgruppe das Röhren eines auf Hochtouren arbeitenden Motors gehört. Sekunden später erschien ein Jeep, in dem drei Männer saßen. Sie preschten mit dem Wagen über Stock und Stein und hielten dicht vor dem Wassergraben. Zwei junge Männer, etwa fünfundzwanzig Jahre alt, sprangen geschmeidig von den Vordersitzen und kümmerten sich um einen recht merkwürdig aussehenden Mann. Dieser Typ, klein, rundlich und in einem schwarzen Anzug, über den ein grauer Laborkittel hing, rückte seine randlose Brille zurecht. Selbst aus einiger Entfernung war zu erkennen, daß die Augengläser von enormer Stärke waren. Der sicher mehr als sechzig Jahre alte Mann übersah Lady Simpson, den Butler und auch das hochbeinige Monstrum. Er beobachtete nur die brennende Ulme und stieg dann mit Hilfe der beiden Begleiter durch den Graben. »Sehr schön, ausgezeichnet«, rief er dann und freute sich wie ein Kind, dem es gelungen ist, ein teures Spielzeug endlich zu zerstören. »Das hat ja hinreißend geklappt.« Die beiden jungen Männer kümmerten sich nicht weiter um den brennenden Baum. Sie beobachteten Lady Agatha und den Butler. Es schien ihnen überhaupt nicht zu passen, daß Augenzeugen existierten. Sie flüsterten leise miteinander. »Haben Sie mich etwa aufs Korn genommen?« Agatha Simpson
marschierte auf den Rundlichen zu. Der perlenbestickte Pompadour an ihrem linken Handgelenk war in Schwingungen geraten, was kein gutes Zeichen bedeutete. In diesem Handbeutel, wie ihn die Damen der Gesellschaft um die Jahrhundertwende trugen, befand sich nämlich Myladys »Glücksbringer«. Es handelte sich dabei um ein echtes Pferdehufeisen, das nur oberflächlich mit dünnem Schaumstoff umwickelt war. »Sie sollten weiterfahren«, sagte einer der beiden jungen Männer und baute sich vor Agatha Simpson auf. Der Rundliche hatte bisher noch nicht reagiert. »Und warum sollte ich das?« Lady Simpsons Stimme wechselte in den grollenden Bereich. »Und Sie sollten vergessen, was Sie hier gesehen haben«, fügte der zweite junge Mann warnend hinzu. »Das hier unterliegt der Geheimhaltung: Regierungsauftrag.« Die beiden Männer waren groß, schlank und sportlich durchtrainiert. Sie hatten die ausdruckslosen Gesichter cleverer Profis und kühle, kalte Augen. »Wer ist dieser Kindskopf?« Agatha Simpson deutete auf den Rundlichen, der nach den Trümmern seines Riesenbleistifts suchte. »Kein Kommentar, Madam«, meinte der erste Begleiter. »Bitte, fahren Sie! Und sprechen Sie auf keinen Fall über das, was Sie gesehen haben.« Der zweite Begleiter gab sich ein wenig höflicher, aber es handelte sich um eine Höflichkeit, hinter der viel Härte lauerte. »Sie wagen es, mich wegjagen zu wollen?« Die Lady geriet in Rage, was
bei ihr immer schnell der Fall war. »Sie hetzen eine Rakete hinter mir her, Sie jagen mich um ein Haar in die Luft, und da soll ich weiterfahren?« »In Ihrem eigenen Interesse, Madam«, sagte der zweite Begleiter und beging den Kardinalfehler, nach Myladys Unterarm zu fassen. Eine halbe Sekunde später glaubte er fest daran, von einem auskeilenden Pferdehuf erwischt worden zu sein. Der Pompadour der resoluten Dame war auf seiner linken Wange gelandet, was Folgen zeitigte. Der Mann warf die Beine hoch in die Luft und landete mit seinem verlängerten Rückgrat im Rasen. Dann legte er sich flach hin und schloß die Augen. Der erste jugendliche Begleiter reagierte schnell und geschmeidig wie ein Raubtier. Er wollte mit Sicherheit eine Schußwaffe ziehen, wie Josuah Parker die Geste deutete. Der Mann griff unter sein Jackett, wo sich in manchen Fällen eine Schulterhalfter befand. Der Butler war für eine friedliche Diskussion, deren Grundlagen allerdings erst mal geschaffen werden mußten. Mit der Stahlzwinge seines altväterlich gebundenen UniversalRegenschirms stach er Richtung Magenpartie des Mannes. Als Gegner unnötiger Härte besorgte er das fast beiläufig und ohne viel Nachdruck. Dennoch, der Begleiter blieb wie erstarrt stehen und vermißte die Luft in seinen Lungen. Er knickte in der Hüfte ein und beugte sich tief vor. Er bekam schon nicht mehr mit, daß Parker den bleigefütterten Bambusgriff seines Schirmes auf den Hinterkopf des jetzt höflich wirkenden Begleiters legte.
Bruchteile von Sekunden später lag er neben seinem Begleiter und schloß ebenfalls die Augen. »Was . . . Was treiben denn Sie hier?« fragte der Sechziger und rückte die randlose, dicke Brille zurecht. Er sah irritiert auf die beiden jungen Begleiter und schob dann seinen Kopf ruckartig vor. »Das hier ist Privatgelände.« »Und Ihre Rakete ist eine Frechheit«, raunzte die Detektivin den Rundlichen an. »Wie können Sie sich unterstehen, eine unschuldige und hilflose Frau so zu erschrecken!?« * »Professor Falcon«, stellte der kleine Mann sich vor. »Edwin Falcon, um genau zu sein. Das hier ist wirklich Privatgelände. Sie haben sich unnötig in Lebensgefahr begeben.« »Sie befinden sich noch in Lebensgefahr«, grollte die Lady. Ihr Pompadour pendelte bereits wieder. »Ich verlange eine Erklärung. Wollten Sie mich etwa umbringen?« »Was ist mit ihnen?« Der Professor deutete auf seine beiden Begleiter, die sich gerade aufrichteten. Josuah Parker hatte hinter ihnen Stellung bezogen und war ein Bild der Würde und vornehmen Zurückhaltung. »Zuerst mal Ihre Antwort«, raunzte Lady Agatha den Professor an. »Wollten Sie mich etwa umbringen?« »Aber keineswegs, liebe Frau, keineswegs!« Professor Falcon lächelte schüchtern und rückte sich wieder die schwere Brille zurecht. »Die Fernlenkung scheint noch nicht so zu klappen, wie ich es mir wünsche.«
»Darf man davon ausgehen, Sir, daß Sie sich mit dem Bau von Raketen befassen?« schaltete Parker sich gemessen ein. »Der Augenschein läßt es wenigstens vermuten.« »Raketen, natürlich.« Falcon nickte. »Das Weltall wartet auf uns. Der Raum muß erforscht werden. Das sind wir unserer Intelligenz schuldig.« »Weltall?« Lady Simpson lachte kurz, dafür aber ironisch und deutete auf die Ulme, die inzwischen nur noch qualmte. »Besonders weit sind Sie aber noch nicht gekommen.« »Ein kleines technisches Versehen, gute Frau.« »Ich bin nicht Ihre gute Frau.« Sie strafte ihn mit einem gereizten Blick. »Sie haben die Ehre und das Vergnügen, Lady Agatha Simpson gegenüberzustehen«, erläuterte Josuah Parker und bewegte diskret seinen Regenschirm. Mit dem Bambusgriff, der es im wahrsten Sinn des Wortes in sich hatte, klopfte er noch mal leicht gegen die Hinterköpfe der beiden Männer, die sich daraufhin wieder zurück ins Gras legten. »Lady Agatha Simpson.« Professor Falcon verbeugte sich. »Entschuldigen Sie das Versehen! Aber wie gesagt, die Fernlenkung . . . Daran werde ich noch arbeiten müssen.« »Wahrscheinlich noch jahrelang«, gab die ältere Dame bissig zurück. »Sie scheinen damit erst vor ein paar Stunden begonnen zu haben.« »Es gab auch schon ein paar gelungene Starts, Mylady«, erwiderte Professor Edwin Falcon und kämpfte wieder mit seiner dickglasigen Brille. Er strahlte die Sechzigerin an. »Sie waren wunderbar, hinreißend und technisch eine kleine Sensation.«
»Sie arbeiten an einer, wenn ich so sagen darf, privaten Neuentwicklung?« schaltete Josuah Parker sich ein und lüftete grüßend seine schwarze Melone. »Richtig, vollkommen richtig. Eine Privatentwicklung. Mehr möchte ich dazu nicht sagen. Streng geheim! Aber die Welt der Raumfahrt steht vor einer Sensation. Äh, warum liegen meine beiden Mitarbeiter im Gras?« Falcon bemerkte erst jetzt, daß seine beiden Begleiter immer noch der Ruhe pflegten, die Parker ihnen verordnet hatte. »Wahrscheinlich ein nur vorübergehendes Unwohlsein«, erklärte der Butler höflich. »Darf man erfahren, Sir, wo Ihre Labors sich befinden?« »Streng geheim, alles streng geheim.« Der Professor legte seinen kurzen Zeigefinger senkrecht vor die Lippen. »Ich kann mich auf Ihre Diskretion verlassen, nicht wahr? Sie ahnen ja nicht, wie sehr es hier von Spionen nur so wimmelt. Man will mir selbstverständlich meine Erfindungen stehlen. Wahrscheinlich will man mich sogar entführen. Man muß mit allem rechnen . ..« Während er redete, sah er Lady Simpson und Josuah Parker plötzlich mißtrauisch an. »Sie sind nicht zufällig Spione oder Kidnapper?« wollte er dann wissen. »Keineswegs und mitnichten, Sir!« Parker deutete eine knappe Verbeugung an. »Sie können in aller Ruhe das nächste Experiment starten, Sir. . . Möglichst aber erst dann, wenn Mylady und meine bescheidene Wenigkeit das Feld geräumt haben.« *
»Dieser Mann ist doch total verrückt«, stellte Lady Agatha wenige Minuten später fest. »Prüfen Sie mal, ob es hier in der Nähe nicht ein Sanatorium für... Na, Sie wissen schon.« »Professor Falcons Begleiter wären demnach Pfleger, die allerdings mit Revolvern auszugehen pflegen«, erwiderte der Butler. »Ich war so frei, mir den Tascheninhalt der beiden Herren anzusehen. In Schulterhalftern modernster Konstruktion fanden sich diese beiden Waffen« Er präsentierte seiner Herrin die beiden Revolver, um die Waffen dann auf den Beifahrersitz zu legen. »Das sieht allerdings schon erheblich interessanter aus«, fand Lady Simpson. »Was sagen Sie zu dieser Rakete, Mr. Parker?« »Eine Waffe, die man ernst nehmen sollte.« »War sie für mich gedacht?« »Dies, Mylady, möchte ich bezweifeln, wenn es erlaubt ist. Die Herren konnten unmöglich wissen, daß Mylady diesen Weg nehmen würden. Darf ich Mylady daran erinnern, daß Mylady spontan und ohne Vorankündigung diese Abkürzung wählten?« »Ich werde mich selbstverständlich mit diesem seltsamen Professor befassen«, erklärte die Detektivin. »Irgend etwas stimmt an der ganzen Geschichte doch nicht. Oder wollen Sie etwa widersprechen, Mr. Parker?« »Wenn es gestattet ist, würde ich diese Raketenversuche als recht mysteriös bezeichnen.« »Wo stecken wir zur Zeit?« verlangte Lady Simpson zu wissen.
Sie sah aus dem Wagenfenster auf die hügelige, grüne Landschaft, die immer wieder von kleinen Baumgruppen unterbrochen wurde. Es war im Grund ein überdimensional großer Park, durch den man fuhr, ein Park, der so groß war wie eine Grafschaft. Lady Agatha hatte in Swindon eine entfernte Verwandte besucht und war auf dem Weg zurück nach London. Butler Parker war bis vor knapp zehn Minuten auf dem Motorway M 4 geblieben, dann aber abgebogen, weil laut Funkdurchsage mit einem längeren Stau zu rechnen war. Hier in den Ausläufern der Wessex Downs war es dann zu diesem überraschenden Zwischenfall gekommen. »Mylady nähern sich Newbury«, beantwortete Parker die Frage seiner Herrin. »Möchten Mylady vielleicht einen Tee nehmen?« »Ich brauche etwas Stärkeres«, gab sie zurück. »Mein Kreislauf scheint etwas in Unordnung geraten zu sein.« Für den Butler war diese Äußerung das Signal, auf einen der vielen Knöpfe zu drücken, die sich auf dem reichhaltig ausgestatteten Armaturenbrett befanden. Daraufhin klappte im Fond des hochbeinigen Monstrums aus der Trennwand zwischen Fahrgast- und Fahrerraum eine Miniaturbar hervor. Agatha Simpson bediente sich selbst. Für ihren Kreislauf bevorzugte sie einen französischen Kognak, der selbstverständlich im Angebot war. Sie goß sich einen recht ordentlichen Schluck ein und fühlte sich danach gleich wieder besser. »Wir halten in Newbury«, sagte sie über die Sprechanlage nach vorn zu Parker. »Ich bin sicher, daß man
diesen verrückten Professor dort kennt.« »Mylady kommen damit meinem bescheidenen Vorschlag zuvor«, gab der Butler über die wageninterne Sprechanlage zurück. »Die sonderbaren Aktivitäten des Professor Falcon müssen dort sicher bekannt sein.« Parker hatte es nicht versäumt, hin und wieder einen Blick in den Rückspiegel zu werfen. Er war bisher absichtlich langsam gefahren, obwohl die Straße ein schnelleres Tempo zugelassen hätte. Er hatte gehofft, schon bald einen Jeep zu sehen. Und seine Hoffnung erfüllte sich jetzt. Das Fahrzeug hatte eine andere Abkürzung genommen und fuhr wesentlich schneller. Er erschien jenseits der Baumgruppe auf einem schmalen Feldweg und näherte sich in jähem Winkel der Straße. Dabei wurde der Jeep sogar noch schneller. Die Absicht lag klar auf der Hand. Lady Simpson und Butler Parker sollte der Weg abgeschnitten werden, um sie daran zu hindern, die nächste kleine Ortschaft zu erreichen. Sie lag hinter der nächsten Hügel- und Baumgruppe. Im Jeep saßen zwei Männer. Wer sie waren, ließ sich leicht bestimmen: Es konnten nur des Professors Begleiter sein, die wohl ein paar deutliche Worte mit den Insassen des hochbeinigen Monstrum zu wechseln gedachten. * »Das ist aber sehr aufmerksam«, freute Lady Simpson sich, als Butler Parker sie auf den Jeep aufmerksam machte. »Man verfolgt mich also?«
»Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Mylady. Und die Absichten der beiden Insassen dürften nicht gerade freundlicher Natur sein.« »Dann hat der kleine Ausflug nach Swindon sich also doch gelohnt.« Agatha Simpson bereute es nun nicht mehr, ihre verwandtschaftlichen Beziehungen gepflegt zu haben. Sie war versöhnt. »Und was werden wir nun tun, Mr. Parker?« »Man könnte eine Präventivmaßnahme ergreifen, Mylady.« »Drücken Sie sich gefälligst deutlicher aus.« »Man könnte vorsichtshalber die Initiative ergreifen und aktiv werden.« »Also schneller sein als die Verfolger, wie?« »So könnte man es natürlich auch ausdrücken, Mylady.« »Dann präventieren Sie mal«, sagte sie grimmig und lachte über ihre neue Wortschöpfung. »Aber nachdrücklich, Mr. Parker, das bitte ich mir aus.« »Mylady können sich ganz auf meine bescheidene Wenigkeit verlassen.« Josuah Parker pflichtete seiner Herrin aus Überzeugung bei. Er dachte nämlich noch immer intensiv an den rasenden »Bleistift« des seltsamen Professors. Sie waren da offenbar Augenzeuge eines Vorgangs geworden, der streng geheim bleiben sollte. Die beiden Männer im Jeep sollten wohl dafür sorgen, daß Mylady und seine bescheidene Wenigkeit von diesen Dingen nichts erzählen konnten. Parker kannte nicht die Waffen der beiden Verfolger, die bereits näher gekommen waren. Gewiß, sein hochbeiniges Monstrum war unter anderem auch eine Art gepanzerter
Kampfwagen, doch auch solch ein Gefährt war durchaus verwundbar, wenn man nur die richtigen Waffen wählte. Seine schwarz behandschuhte Hand glitt zum Armaturenbrett. Butler Parker entschied sich für einen der ebenfalls reichhaltig vorhandenen Kipphebel und drückte ihn nach unten. Es war wieder mal frappierend, was schon eine Sekunde später passierte. Aus Düsen, die unter dem Fahrzeugboden angebracht waren, schoß ein feiner Spray, der unter starkem Druck stand. Er verband sich mit der Außenluft und wurde augenblicklich zu einem dichten Nebel, der das hochbeinige Monstrum einhüllte. Parker hatte selbstverständlich gebremst, hielt dann und legte den Rückwärtsgang ein. Er gab Vollgas und steuerte den Wagen mit traumwandlerischer Sicherheit ein gutes Stück zurück. Er hatte sich eine schmale Abfahrt gemerkt, die auf eine Wiese führte. Er konnte nur hoffen, daß er sie nicht verfehlte. Er verfehlte sie natürlich nicht! Butler Parker war und blieb stets Herr der Situation. Sein ehemaliges Londoner Taxi rutschte zwar ein wenig ab, doch dank der Geländegängigkeit des Wagens war diese kleine Panne schnell behoben. Zwischen dem Jeep und Parkers Wagen stand inzwischen eine massive Nebelwand. Parker hatte diesen Trick in der Vergangenheit schon oft angewendet. Darüber hinaus aber gab es inzwischen noch einige Zusatzeinrichtungen, die er sich in seinem Privatlabor ausgedacht hatte. Bisher fehlte es ihm nur an Gelegenheit, sie auszuprobieren.
Hinter einer kleinen Baumgruppe stoppte Parker seinen Wagen und harrte der Dinge, die mit Sicherheit noch kommen mußten. Die beiden Jeepfahrer gaben seiner Ansicht nach nicht so schnell auf. Es waren Profis der Unterwelt, wie er zu wissen glaubte. Das allein bewiesen schon die Waffen, die er ihnen abgenommen hatte. »Wollen wir uns etwa verstecken, Mr. Parker?« Agatha Simpson war mit der Entwicklung nicht recht einverstanden. Es entsprach mehr ihrem Temperament, die Dinge gleich, um was es sich handelte - auf die Hörner zu nehmen. Dabei kam es zwar immer wieder zu gefährlichen Situationen, doch sie verließ sich stets auf Mr. Parker, der ihrer Ansicht nach einfach alles zu meistern hatte. Parker wollte sich nicht verstecken. Er visierte die nächste Baumgruppe an und fuhr dann plötzlich ohne jede Vorankündigung hart an. Lady Simpson wurde in die Polster gedrückt, sagte aber nichts. Sie war ein wenig perplex. Parker jagte mit dem hochbeinigen Monstrum auf die nächste Baumgruppe zu, hinter der die Straße wieder zu sehen war. Er bremste, durchfuhr vorsichtig einen relativ niedrigen Graben und steigerte dann wieder die Geschwindigkeit. Er hatte sich vorgenommen, das Testgelände des Professors noch mal unter die kritische Lupe zu nehmen. * »Die müssen hier irgendwo sein«, sagte Gene Gate nervös. Er stand neben dem Jeep und hüstelte. Der Nebel reizte seine Atemwege. Er
kochte vor Wut. Er hatte sich bisher für einen ausgemachten Profi gehalten, doch nun fühlte er sich auf den Arm genommen. Er war ein wenig größer und kräftiger als sein Partner Rich Peters, der irgendwie an eine geschmeidige Schlange erinnerte. Rich Peters saß am Steuer des Jeeps und traute sich nicht, auch nur einen einzigen Meter weiterzufahren. Die Sicht war gleich Null, der Nebel schien immer dichter und kompakter zu werden. »Clayburn wird ganz schön toben«, redete Gene Gate weiter. Er hielt eine kurzläufige, zusammenklappbare Maschinenpistole in Händen, die mit einem langen Schalldämpfer versehen war, der die Länge des Laufes weit überragte. »Lassen wir die Karre doch stehen«, schlug Rich Peters vor. »Ich glaube, die müssen da drüben sein. Eben hab' ich doch 'nen Motor gehört.« »Die können überall sein.« Gene Gate war mißtrauisch. »Und das waren keine harmlosen Ausflügler.« »Nee, Konkurrenz.« Rich Peters nickte und hatte Mühe, seinen Partner auszumachen. Der Nebel war fast so dicht wie schaumig gerührte Sahne. Die beiden jungen Männer kamen sich hilflos vor. Überall hier in dieser Schlagsahne konnte die Konkurrenz sich aufhalten. Sie mußten jeden Augenblick mit einem Überfall rechnen. Am liebsten hätten sie sich wieder in den Jeep gesetzt und wären losgefahren, doch sie hatten die Orientierung verloren. In der Nähe befand sich ihrer Erinnerung nach zwar die Straße, aber auch der Wassergraben. Aber wo war das?
»Wir versuchend ganz langsam«, erklärte Gene Gate schließlich. »Häng dich vorn auf den Kühler, Rich, und peil den Boden!« »Aber nur schleichen«, erwiderte der zweite Mann und kroch auf den flachen Kühler des Jeep. »Ich hab' keine Lust, mir den Hals zu brechen.« Gene Gate schlich nicht nur, nein, er kroch mit dem Wagen über den Boden. Seinen Partner vorn auf der Kühlerhaube konnte er nur in vagen Umrissen ausmachen. Er verließ sich auf dessen Zurufe, die wie durch dicke Watte an seine Ohren drangen. Plötzlich, ohne jeden Übergang, als habe man gerade einen Vorhang hochgezogen, befanden sie sich außerhalb des Dunstes und hatten wieder vollkommen freie Sicht. Verblüfft bremste Gate den Jeep ab. »Nicht zu glauben.« Gate schüttelte den Kopf und schaute sich um. Nur etwa anderthalb Meter hinter dem Heck des Jeep war die dichte, weiße Wand zu sehen. Sie ragte etwa zehn Meter hoch, wölbte sich wie eine Kuppel und schien einen Durchmesser von etwa zwanzig oder dreißig Meter zu haben. »Ist ja sagenhaft«, stimmte Rich Peters ihm bei. »Das Ding ist Gold wert.« »Das müssen wir Clayburn erzählen.« Gene Gate war trotz der Niederlage beeindruckt, fast schon begeistert. »Damit könnte man 'ne Menge anfangen.« »Ich hab' mir das Kennzeichen gemerkt«, sagte Rich Peters. »Falls es nicht geklaut ist, werden wir schnell an diesen Mann 'rankommen, der solche Nebelglocken blasen kann.«
»Im Moment hab' ich andere Sorgen.« Gene Gate schaute sich um und verwendete ein Fernglas. Er suchte diese wunderschöne Parklandschaft nach einem hochbeinigen Wagen ab. »Weit und breit nichts zu sehen, Rich.« »Die sind längst in Chilton«, meinte Rich Peters. »Ob wir da mal nachsehen?« »Ich ruf erst mal Clayburn an.« Gene Gate nahm ein schmales Funksprechgerät vom Sitz, schaltete es ein und setzte seinen Spruch ab. Er benutzte selbstverständlich einen Code, der mehr als harmlos klang, dazu noch zusätzlich eine Frequenz, wie sie von CB-Funkern überall verwendet wird. Unauffälliger konnte dieser Funkverkehr gar nicht sein. »Weitersuchen«, lautete die prompte Antwort, die nicht weniger unauffällig war. »Vielleicht liegt die Tasche in Chilton. Fünf Pfund sind eine Menge Geld, Kinder. Daddy wird schimpfen, wenn ihr ohne Geld zurückkommt!« * »Es handelt sich in der Tat um ein Privatgelände, Mylady.« Butler Parker hatte gehalten und studierte das große Schild an dem langen Sperrbalken, der die schmale Straße normalerweise hier enden ließ. Dieser Sperrbalken war nun allerdings zur Seite geschoben worden und wurde von überhängenden Sträuchern fast verdeckt. »Und das dort ist ein Privatweg?« Lady Simpson deutete mit ihrer Lorgnette auf die schmale Straße, die sie gefahren waren. Statt einer Brille benutzte sie selbstverständlich dieses
Relikt einer vergangenen Zeit. Diese Stielbrille, die zusammenklappbar war, machte einen nicht gerade billigen Eindruck. Sie war reich verziert und mit Schildpatt belegt. »Eindeutig ein Privatweg, Mylady. Ich bitte entschuldigen zu wollen, daß die falsche Richtung gewählt wurde.« Während der Butler noch sprach, deutete er auf eine zweite, gut ausgebaute Straße, die von diesem Punkt aus nach links abbog. Sie war nur wegen des zur Seite geschobenen Sperrbalkens verfehlt worden. »Warum sollte ich das entschuldigen, Mr. Parker?« Agatha Simpson schüttelte den- Kopf. Sie machte dabei einen durchaus zufriedenen und geradezu erfreuten Eindruck. »Ohne Ihren Irrtum hätte ich ja diesen verrückten Professor nicht kennengelernt. Wie heißt er noch?« »Edwin Falcon, Mylady.« »Warum fahren wir nicht zu ihm? Ich hätte große Lust, mich noch mal mit ihm zu unterhalten.« »Mylady, ein zweiter Jeep, wenn meine bescheidenen Augen mich nicht trügen.« Parker wartete die Antwort der älteren Dame nicht ab, fuhr sofort wieder an und brachte sein hochbeiniges Monstrum schleunigst von der Kreuzung weg. Er stellte seinen Wagen hinter nahem und dichtem Buschwerk ab. Der Jeep jagte heran. Er hielt knapp vor der Gablung. Drei stämmige Männer in dunklen Overalls stiegen aus und mühten sich anschließend mit dem Sperrbalken ab. Sie taten sich schwer, den Eisenbalken quer über die Straße zu schieben. Es zeigte sich, daß unter dem Balken, der
schon mehr ein T-Träger aus Eisen war, dicht nebeneinander stehende Eisenstäbe bis hinunter zum Boden reichten. Die Enden dieser Stäbe verschwanden in einer gleisähnlichen Vertiefung, die im Straßenbelag eingelassen war. Parker hatte die schmale Vertiefung bisher übersehen, weil- er sie automatisch für eine Wasserrinne gehalten hatte. Nach getaner Arbeit setzten die drei stämmigen Männer sich wieder in den Jeep und jagten zurück. Der Wagen war nach wenigen Minuten hinter einer Baumgruppe verschwunden. »Das verstehe, wer will.« Lady Simpson schüttelte irritiert den Kopf. »Die Straße wird gesperrt, das Gelände links und rechts daneben hingegen nicht. Zu Fuß kann man also jederzeit das Privatgelände betreten.« »Dies, Mylady, möchte ich inzwischen bezweifeln«, gab Josuah Parker zurück. »Dort dürften andere Sicherungen installiert sein.« »Die wir natürlich sofort ausprobieren werden.« Agatha Simpson war in bester Laune. »Darf ich mich erkühnen, Mylady davon abzuraten?« Parker dachte an die beiden bewaffneten Begleiter des Professors und an den Jeep, von dem sie verfolgt worden waren. »Mylady sollten diesen Leuten vielleicht erst ein wenig Ruhe und Sicherheit vorgaukeln.« »Sie sollen glauben, daß wir uns abgesetzt haben?« »Mylady hätten es kaum treffender ausdrücken können.« »Natürlich nicht.« Sie war einverstanden. »Und wann kehren wir zurück?«
»Vielleicht nach Erkundigungen, die man in London über Professor Falcon einziehen könnte, Mylady?« »Papperlapap, Mr. Parker! Warum erst zurück nach London? Es gibt doch Telefon. Nein, nein, wir bleiben hier in der Nähe. Sorgen Sie für eine passende Unterkunft. Noch in dieser Nacht werde ich mir dieses Weltraumunternehmen ansehen.« »Dies, Mylady, könnte mit einigen Gefahren verbunden sein«, warnte Josuah Parker. Er kannte das bedenkenlose Draufgängertum seiner Herrin nur zu gut. Sie erinnerte ihn immer wieder an einen weiblichen Kamikaze-Flieger. »Kommen Sie mir nur nicht mit Bedenken, Mr. Parker!« Sie sah ihn streng an. »Sorgen Sie dafür, daß man mich während dieses Ausfluges nicht unnötig belästigt.« »Mylady dürfen versichert sein, daß meine bescheidene Person sich alle erdenkliche Mühe geben wird. Wären Mylady damit einverstanden, in Savernake zu nächtigen?« »Wie der Ort heißt, Mr. Parker, ist unwichtig, ich möchte nur ein Bett haben, um ein paar Stunden vorzuschlafen. Ich habe noch viel vor!« Butler Parker zweifelte keine Sekunde daran. * Der Gasthof hieß »Zum Einhorn« und sah recht einladend aus. Es handelte sich um ein altes Haus mit wunderschönen Stil-Möbeln. Der Wirt, ein freundlicher Mann von etwa fünfzig Jahren, war nur zu gern bereit, Zimmer bereitzustellen. Lady Simpson erhielt einen recht großen Raum mit
offenem Kamin. Es dauerte nur kurze Zeit, bis in diesem Kamin ein Holzfeuer brannte. Josuah Parker hatte sich für eine mehr als bescheidene Kammer entschieden. Sie besaß allerdings den Vorteil, daß das einzige Fenster auf das Flachdach einer Remise führte. Josuah Parker schätzte solche Räumlichkeiten, die ihm die Möglichkeit boten, ungesehen das Haus zu verlassen. Während Lady Simpson sich für das Dinner zurechtmachte, unterhielt Josuah Parker sich mit dem Wirt, der Paul Comber hieß und seit Jahren hier ansässig war, wie er sagte. »Dann müßten Sie mit einiger Sicherheit auch Professor Edwin Falcon kennen«, steuerte Parker sein Ziel diesmal direkt an. »Und ob ich den kenne!« Paul Comber nickte erfreut. »Er schätzt meine Küche. Er ißt hin und wieder bei mir.« »Ist er immer noch der Einzelgänger, wenn ich fragen darf?« »Ja und nein.« Der Wirt wußte nicht recht, wie er sich ausdrücken sollte. »In letzter Zeit kommt er immer in Begleitung.« »Selbstverständlich, in Begleitung seiner Assistenten. Er ist ja ein ungemein geschätzter Naturwissenschaftler.« »Assistenten?« Paul Comber stutzte, um dann langsam zu nicken. »Richtig -Assistenten sind das wohl. Sie haben geschäftlich mit ihm zu tun?« »Mylady interessiert sich für eine Geldanlage«, antwortete der Butler ausweichend. »Vorher möchte Mylady sich jedoch noch vergewissern, wie solide dieses Unternehmen ist. Man
sagt, auf dem Privatgelände des Professors sei viel gebaut worden.« »Das auch, aber das meiste stand ja bereits.« »Sie denken jetzt wahrscheinlich an die Gebäude, die die Vorgänger errichteten, nicht wahr?« Parker hatte keine Ahnung, worum es sich handelte. »Vorgänger? Das ist gut!« Der Wirt des »Einhorn« lächelte. »Wenn Sie die Luftwaffe als Vorgänger betrachten?« »In der Tat!« Parker nickte verständnisvoll. »Da drüben auf dem Privatgelände bei Chilton hatte die Luftwaffe während des Zweiten Weltkrieges mal Versuche durchgeführt, aber das ist lange her. Der Professor hat das Gelände erst vor knapp einem Jahr aufgekauft und auch 'ne Menge Geld 'reingesteckt.« »Wenn man nur an die erforderlichen Reparaturen der verfallenen Gebäude denkt.« Parkers verständnisvolles Nicken fiel noch verständnisvoller aus. »Gebäude?« Der Wirt winkte ab. »Da gibt's und da gab's so gut wie keine Gebäude, das war und ist alles unter der Erde. So eine Art Bunker, verstehen Sie?« »Mylady hatte heute den Vorzug, bereits eine Rakete zu sehen.« »Eine Rakete?« Der Wirt des »Einhorn« musterte den Butler erstaunt. »Haben Sie sich da auch nicht getäuscht?« »Mit Sicherheit nicht, Mr. Comber.« »Ach so, jetzt weiß ich, was Sie meinen.« Der Wirt lächelte verstehend. »Rakete, nun, das hört sich mächtig kriegerisch an, nicht wahr? Nein, nein, der Professor beschäftigt sich mit Wetterforschung und so. Ich glaube, er hat's mit der Sonne. Wenn Sie mich
fragen, so sagt ein Laubfrosch im Einmachglas das Wetter immer noch am sichersten voraus.« Butler Parker unterhielt sich noch eine Weile mit dem auskunftsfreudigen Gastwirt, bis seine Herrin herunter in die Gaststube kam und sich an den gedeckten Tisch setzte. Sie hatte sich eine strenge Diät ausgebeten. Sie war seit geraumer Zeit fest entschlossen, ihre Körperfülle zu mindern. Parker, der es sich selbstverständlich nicht nehmen ließ, das Dinner zu servieren, hatte dem Wirt also bereits die entsprechenden Diätspeisen vorgeschlagen. Er reichte zuerst eine leichte Geflügelcremesuppe, die mit einer kleinen Portion Sahne verziert war. Anschließend gab es einige sehenswerte Scheiben Roastbeef mit einer leichten Sauce, dann kalte Hühnerbrust und einige nicht weniger ansehnliche Scheiben Fleischpastete. »Ist das alles?« beschwerte die Lady sich grollend, als sie die Speisen vertilgt hatte. Sie sah Parker empört an. »Wollen Sie mich aushungern?« »Es ist noch eine Scheibe Rumkuchen vorgesehen, Mylady, flambiert, wie ich hinzufügen möchte.« »Sie nehmen, was meine Diät betrifft, immer alles zu wörtlich«, behauptete die ältere Dame, als sie drei Scheiben Rumkuchen, natürlich flambiert, verzehrt hatte. »Wie soll ich leistungsfähig bleiben, wenn ich darben muß?« »Auf Mylady warten noch Mokka und Kognak«, antwortete Parker. »Das klingt schon besser«, sagte sie. »Und etwas Gebäck dazu, wenn ich bitten darf.«
Butler Parker verbeugte sich knapp, um vor allen Dingen den Kognak zu holen. Er war besorgt, daß Myladys Kreislauf etwa leiden könne. Paul Comber, der Wirt des »Einhorn«, füllte einen großen Schwenker, den Parker dann anschließend auf einem Tablett servieren wollte. Dabei passierte ihm ein bedauerliches Mißgeschick. Er kam an einem Tisch vorüber, an dem ein junger, sportlich aussehender Mann saß, der etwa dreißig Jahre alt war. Vor knapp zwanzig Minuten hatte er die Gaststätte betreten und bisher recht lustlos zwei Glas Bier getrunken. Nun, Parker stolperte, und der Inhalt des Schwenkers schwappte aus dem bauchigen Glas. Der gute Kognak landete genau im Gesicht des Mannes, der verständlicherweise ein wenig geblendet wurde. Das scharfe Getränk ätzte die Augen. Der Getroffene stöhnte. »Sie ahnen nicht, Sir, wie peinlich mir dieser Zwischenfall ist«, sagte Parker und benutzte die Serviette, um dem Mann die Augen auszutupfen. Der Butler besorgte dies mit der Hingabe eines Mediziners, wobei er weitere Entschuldigungen an den Mann brachte. Er sprach von der Tücke des Objekts, vom Zufall an sich und von der Ungeschicklichkeit eines alten, müden und relativ verbrauchten Mannes, der im Dienst ergraut war. Der Mann wehrte die Bemühungen des Butlers ab, kam gegen dessen Hilfsbereitschaft allerdings nicht an. Butler Parker wischte und putzte, beklagte wortreich den Ärger, den er verursacht hatte, und drückte den Mann immer wieder zurück auf den
Stuhl. Dann zuckte der Gast plötzlich zusammen und gab Ruhe. Er zwinkerte mit den noch leicht brennenden Augen, starrte den Butler an, erhob sich und verließ ohne jeden Kommentar die Gaststätte. Es sah so aus, als sei er leicht unsicher auf den Beinen. »Vergessen Sie meinen Kognak nicht«, erinnerte Lady Simpson, als Parker vor ihrem Tisch stand. »Mylady werden ihn gleich genießen können«, antwortete Josuah Parker. »Im Augenblick aber ist es wohl ein Gebot der Menschlichkeit, sich noch ein wenig um den Gast zu kümmern.« Sie antwortete nicht, sondern sah ihren Butler aus starren Augen an. Sie hatte endlich begriffen. Parker hatte inzwischen den Tisch verlassen und folgte dem Mann, dessen Gesicht er mit Kognak gewaschen hatte. Der Wirt des »Einhorn« wollte seinerseits dem Butler folgen, doch er blieb wie angenagelt stehen, als Lady Simpson ihn zu sich an den Tisch rief. Ihre Stimme duldete keinen Widerspruch. Wie unter einem fremden Zwang stehend, marschierte der Wirt zu Lady Agatha hinüber und verbeugte sich dienstbereit. * »Ich möchte endlich wissen, was da gespielt worden ist«, sagte Lady Simpson etwa eine halbe Stunde später, als der Butler in ihrem Zimmer erschien. »Sie haben den Kognak doch absichtlich verschüttet, oder?« »In der Tat, Mylady«, gestand Parker. »Dieses gespielte Ungeschick hatte eine kleine Vorgeschichte.«
»Nämlich?« Sie ärgerte sich, daß sie nicht vorher eingeweiht worden war. »Mr. Paul Comber, der Wirt des >Einhorn<, Mylady, führte ein kurzes, ich möchte sagen, hastiges Telefongespräch, als er sich allein und unbeobachtet glaubte. Darauf erschien dann jener Mann, um den zu kümmern ich mich bemühte.« »Und was haben Sie bei ihm gefunden?« »Eine Pistole, Mylady.« »Aha, also ein Gangster.« Agatha Simpsons Augen glänzten erfreut. »Mitnichten, Mylady«, redete Parker weiter. »Zu meinem außerordentlichen Bedauern setzte ich einen Mitarbeiter der Polizei außer Gefecht. Genauer gesagt, es dürfte sich um das Mitglied eines Geheimdienstes Ihrer Majestät handeln.« »Wie kommen Sie denn darauf?« Ihr paßte diese Variante nicht. »Außer besagter und erwähnter Pistole, Mylady, fand sich noch ein Dienstausweis. Demnach ist Mr. Dean Ledger Mitglied der Gesellschaft zum Schutz von Sing- und Wandervögeln.« »Wie war das?« Lady Simpson hüstelte leicht. »Es handelt sich bei dieser Gesellschaft um eine Spezialabteilung des Geheimdienstes, Mylady. Diese Tatsache ist allerdings nur einem kleinen Personenkreis bekannt.« »Sind Sie sicher, sich nicht zu täuschen?« »Mit letzter Sicherheit, Mylady.» »Und wohin haben Sie diesen Singund Wandervogel nun gebracht?« »Er liegt in seinem Wagen, der seinerseits in der Remise steht, Mylady. Ich werde mir die Freiheit
nehmen, mich bei passender Gelegenheit zu entschuldigen. « »Ob Professor Falcon für die Regierung arbeitet?« Die Detektivin hatte plötzlich Bedenken. »Könnten die Begleiter des Professors nicht ebenfalls Geheimdienstbeamte sein?« »An solch eine Möglichkeit erlaubte auch ich mir bereits zu denken, Mylady.« »Ich Werde das morgen feststellen«, erklärte Parkers Herrin nachdrücklich. »Ich werde mal das Innenministerium anrufen.« »Mylady werden also den geplanten nächtlichen Ausflug verschieben?« Parker hoffte ein wenig, daß die ältere Dame zustimmte, doch sie schüttelte natürlich den Kopf. »Ich denke nicht daran«, antwortete sie. »Ich will wenigstens wissen, was sich da auf dem Privatgelände abspielt. Sollte Falcon nicht für die Regierung arbeiten, haben wir wenigstens keine Zeit verloren.« »Wann gedenken Mylady aufzustehen?« »Wecken Sie mich eine halbe Stunde nach Mitternacht, Mr. Parker. Und sorgen Sie dafür, daß ich ungesehen aus dem Haus komme.« »Mylady können sich fest auf meine Pünktlichkeit verlassen.« Er verließ ihr Zimmer und begab sich hinüber in die kleine Kammer. Er sorgte für sämtliche erforderlichen Geräusche, die ein »Zu-Bett-Gehen.« auswiesen, löschte das Licht und ... blieb angezogen und hellwach neben dem nur angelehnten Fenster seiner kleinen Kammer stehen. Aus seiner schwarzen, abgeschabten Lederreisetasche, die an die eines Landarztes erinnerte, holte er ein
langes, dünnes Kabel hervor, an dessen Ende ein Präzisionsmikrofon angebracht war. Den Clip am anderen Ende steckte er sich ins linke Ohr. Er ließ das Mikrofon an der Hauswand hinuntergleiten und schaltete das Gerät samt Verstärker ein. Selbst das feine Rascheln einer Maus hätte er jetzt unten in der Remise hören können. Butler Parker besaß die Geduld einer Marmorstatue. Er ging davon aus, daß sich in dieser Nacht noch einiges ereignen würde. Wahrscheinlich sogar noch vor Mitternacht. Er wußte schließlich nicht, mit wem der Wirt des »Einhorn« gesprochen hatte, ihm war unbekannt, ob dieses Mitglied des Singvogelvereins durch diesen Anruf herbeigerufen worden war. Ebenso konnte der Wirt ja auch mit anderen Leuten gesprochen haben. Für einen nächtlichen Besuch waren die Wetterverhältnisse übrigens ausgezeichnet. Leichter Nebel kam auf, der in langen Schwaden über das Land trieb. Es war eine Nacht wie geschaffen für unangemeldete Besucher. * Plötzlich waren da Stimmen. Es ging auf 23.30 Uhr. Zuerst lieferte der Ohrclip nur leise, knirschende Schritte, dann ein Flüstern, aus dem Einzelstimmen nicht herauszufiltern waren. Wenig später aber hörte Parker den Wirt des »Einhorn«. «... wie die Murmeltiere«, sagte Paul Comber, der Gastwirt jetzt bereits wesentlich deutlicher. »Ich hab' denen was in den Mokka getan.«
»Und wo pennen sie?« erkundigte sich eine lässige Stimme. »Da oben, die beiden Fenster.« Paul Comber, wie sein Gesprächspartner noch immer nicht zu sehen, schien an der Hausfront hochzudeuten. »Dann wollen wir mal«, sagte eine dritte Stimme, die ebenfalls um Lässigkeit bemüht war. »Hier ist übrigens die Prämie, Comber, weiter so!« »Ist doch klar«, erwiderte der Wirt des »Einhorn«. »Da war noch ein Gast, aber der ist längst abgehauen.« Jetzt entdeckte Parker die drei Nachtschwärmer. Genau erkennen konnte er sie allerdings nicht. Er hatte jedoch den Eindruck, zwei der drei Männer bereits gesehen und behandelt zu haben. Wenn ihn nicht alles täuschte, dann handelte es sich um die beiden Jeepfahrer. Sie verschwanden wenige Minuten später bereits hinter der Hausecke. Parker barg in aller Ruhe erst mal seine private Übertragungsanlage, um sie dann, säuberlich zusammengerollt, in seine Reisetasche zu legen. Anschließend griff er nach einer recht seltsam aussehenden Waffe, die auf dem kleinen Tisch neben dem Fenster lag. Es handelt sich um eine Gabelschleuder, oder auch Zwille genannt. Dieses Gerät zum Verschießen von kleinen Steinen wurde wahrscheinlich schon vor Tausenden von Jahren verwendet, erfreute sich aber auch noch in der Gegenwart der Beliebtheit von mehr oder weniger bösen Jungen. Parkers Gabelschleuder war selbstverständlich eine Spezialkonstruktion, die aus seinem Privatlabor stammte.
Sie war zusammenlegbar, damit sie platzsparend in der Innentasche eines Jacketts untergebracht werden konnte. Die Gabel bestand aus Stahl, die beiden Gummistränge waren außergewöhnlich kräftig und dehnbar. Die Lederschlaufe, die die jeweilige »Munition« aufnahm, war recht groß. Parker konnte also auch Dinge verschießen, die für eine Gabelschleuder normalerweise nicht in Betracht kamen. Er hatte seine Kammer verlassen und stand in einer engen Nische, die vom Ende des Korridors und einem Schrank gebildet wurde. Von hier aus konnte er die Treppe kontrollieren und auch blockieren. Er hatte sich für kleine Tonmurmeln entschlossen, die mit Sicherheit keine körperlichen Schäden anrichteten. Sie kamen wie die Katzen die Treppe hoch. Die beiden jungen Männer verzichteten auf jedes Licht. Aber sie waren als schwarze Schatten zu erkennen, denn unten im Gastraum brannte noch Licht, gegen das sie sich abhoben. Sie blieben stehen, als sie die Treppe hinter sich gebracht hatten und flüsterten miteinander. Dann marschierten sie auf das Zimmer der älteren Dame zu. Josuah Parker konnte es sich nicht leisten, länger zu warten. Er hatte die Gummistränge bereits leicht gespannt und visierte den zweiten Mann an, der schräg hinter seinem Vordermann schritt. Es klickte leicht, als der Mann getroffen wurde. Er blieb jäh stehen, faßte nach seiner Stirn und rutschte dann gegen die Wand, was nicht ohne Geräusch abging.
Der Vordermann fuhr selbstverständlich herum und bot einladend dem Butler den Hinterkopf. Josuah Parker nutzte die Gunst der Sekunde und schickte die zweite Tonmurmel auf die Reise. Es war, als habe man dem Mann die Beine unter dem Körper weggezogen. Er fiel über seinen bereits auf dem Boden liegenden Partner und rührte sich nicht mehr. Es dauerte nur eine halbe Minute, bis Paul Comber erschien. Natürlich hatte er unten in der Gastwirtschaft die Geräusche gehört. Er hastete nach oben und . . . dann wieder nach unten. Den Rückweg trat er allerdings sehr unfreiwillig an, denn auch er war inzwischen von Parkers Geschoß erwischt worden. Paul Comber kullerte die Stufen hinunter und blieb still und entspannt am Fuß der Treppe liegen. Parker verließ das Versteck und horchte an Myladys Tür. Ein Sägewerk mittlerer Größe schien darin in Betrieb zu sein. Mit anderen Worten: Mylady schnarchte. Sie hatte schließlich den Mokka getrunken, den Parker eigentlich per Zufall nicht zu sich genommen hatte. Sie schlief also und war nicht in der Lage, sich an Parkers nächtlichen Aktionen zu beteiligen. Und Parker hatte einiges vor… * Im Scheinwerferlicht des Jeeps tauchte die Straßengabelung auf. Es war auch deutlich zu sehen, daß der schwarze und ungemein solide Sperrbalken zur Seite geräumt war.
Der Jeep minderte die Geschwindigkeit, fuhr dann auf das Privatgelände und in wesentlich schnellerer Fahrt die Straße hinunter, bis erneut eine Abzweigung zu sehen war. Die nebelfeuchten Reifenspuren auf dem Belag sagten eindeutig aus, daß hier Fahrzeuge verkehrten. Im Jeep befanden sich zwei Personen. Am Steuer saß Josuah Parker, der den Dufflecoat eines der beiden Männer trug. Neben ihm saß eine aufgeblasene Erscheinung, die ebenfalls einen Dufflecoat trug. Sie war jedoch nicht aus Fleisch und Blut, sondern tatsächlich nur eine menschengroße Puppe, die man nach Belieben aufblasen und wieder luftleer machen konnte. Erste Lichter erschienen hinter einer hohen Taxushecke. Sie beleuchteten die Zufahrt, die vor einigen würfelförmigen Betonhäusern endete. Der Eingang war bereits halb in den Boden verlegt. Vor dem zentralen Würfel standen weitere Jeeps. Parker zählte vier Fahrzeuge. Er kam zu dem Schluß, daß sich in diesem Betonwürfel, der übrigens keine Fenster hatte, die Wachmannschaft aufhielt. Er hielt schwungvoll und stieg geschmeidig wie einer der beiden jungen Männer aus. Parker war wirklich alterslos. Es machte ihm keine Schwierigkeiten, sich in Sekundenschnelle in eine völlig andere Person zu verwandeln, was seine Bewegungen betraf. Butler Parker ging über einige Stufen hinunter zur Tür, die sich als schweres Stahlschott erwies. Dieses Schott, das recht neu aussah, war nur angelehnt.
Parker horchte in den Würfel hinein, hörte Stimmen, Radiomusik, und dann Schritte. Natürlich mußte man das Näherkommen des Jeep registriert haben. Seiner Ansicht nach war das gesamte Privatgelände außerordentlich gut gesichert. Wahrscheinlich, er hatte das seiner Herrin gegenüber bereits angedeutet, gab es überall elektronische Alarmanlagen und wohl auch versteckt angebrachte Fernsehkameras. Josuah Parker handelte schnell und zielbewußt. Er zog das Schott mit einiger Mühe in den schweren Stahlrahmen, schloß es somit und hatte bereits einen seiner berüchtigt-berühmten Patent-Kugelschreiber in der schwarz behandschuhten Hand. Er verdrehte beide Hälften des Schreibgerätes gegeneinander und hielt die Spitze des Kugelschreibers auf die Naht, die vom Rahmen und der Tür gebildet wurde. Wieder mal zeigte sich, wie erfinderisch Parker war. Aus der Spitze des seltsamen Kugelschreibers schoß ein grellweißer Lichtstrahl der in seiner Intensität fast an einen Lichtbogen erinnerte. Eine winzige, aber dennoch wirkungsvolle Thermitladung ließ das Metall schmelzen und verband Rahmen und Schott mit einem dicken Schweißpunkt. Parker setzte noch einen zweiten Punkt und wandte sich dann gelassen ab. Er war sich seiner Methode völlig sicher. Dieses Schott war vorerst nicht mehr zu öffnen. Natürlich gab es irgendwo noch einen zweiten Ein- und Ausgang. Parker schritt um den Würfel herum und fand ihn ohne Schwierigkeiten. Etwa zehn Meter entfernt von der
rechten Würfelkante dieses Bunkers entfernt entdeckte er im Betonboden eine Art Kanalausstieg, dessen Deckel aus schwerem Stahl ein wenig verkantet war und aus dem Rahmen ragte. Man hatte diesen Ausstieg wohl geöffnet, um für frische Luft zu sorgen. Josuah Parker benutzte seinen Universal-Regenschirm als Brechstange, um den Stahldeckel in den Rahmen zu bewegen, was sich als nicht leicht herausstellte. Nachdem er es jedoch geschafft hatte, holte er den Jeep, den er benutzt hatte. Er parkte ihn mit der schweren Vorderachse, die vom Motor noch zusätzlich belastet wurde, auf dem viereckigen Ausstieg. Nun brauchte man schon eine Sprengladung, um diesen Ausstieg wieder freizumachen. Parker erledigte dies alles mit der ruhigen Selbstverständlichkeit eines Könners. Unnötige Hast lag ihm fern. Er schritt jetzt wieder nach vorn zum Eingang und hörte verzweifelt-wütendes Hämmern, das die Tür wie eine Glocke ertönen ließ. Doch das störte ihn nicht weiter. Mit dieser Lärmentwicklung hatte er durchaus gerechnet. Er zuckte auch nicht zusammen, als das Quäken einer Alarmanlage zu hören war. Natürlich löste man vom Innern des Betonwürfels eine generelle Warnung aus. Nun, es dauerte eine Weile, bis sich einiges tat. Hinter einem zweiten, kleineren Würfel erschienen zwei Männer in Overalls. Sie trugen Maschinenpistolen mit überlangen Schalldämpfern. Parker winkte sie zu sich heran und deutete auf den
Hauptwürfel. Die beiden Wachmänner sahen nur den Dufflecoat und waren selbstverständlich der Meinung, es mit einem Mitarbeiter zu tun zu haben. »Hinter der Ecke!« Scharf und knapp war Parkers sonst so höfliche Sprache. Die beiden Männer hasteten weiter und . .. vollführten dann nacheinander zwei leicht mißglückte Überschläge. Sie schrammten, vom Schwung mitgerissen, noch einen Meter über den Beton und blieben dann liegen. Parker legte sich den bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-RegenSchirms wieder über den angewinkelten Unterarm und barg erst mal die beiden häßlichen Maschinenpistolen. Er warf sie in hohem Bogen auf einen der Betonwürfel und ging auf eine Holzbaracke zu, die zu seiner Linken zu sehen war. Sie war von Busch- und Strauchwerk umgeben. »Was ist denn?« fragte von dorther die Stimme eines gewissen Edwin Falcon. »Dieser Lärm stört aber doch sehr!« * »Ich erlaube mir, mich Ihrer Ansicht anzuschließen«, sagte Josuah Parker. Er stand vor dem skurrilen Professor und lüftete höflich die schwarze Melone. »Wer... Wer sind Sie?« Professor Falcon rückte sich die Brille zurecht und musterte den Butler. »Haben wir uns nicht schon mal gesehen?« »Parker mein Name, Josuah Parker«, antwortete der Butler. »Darf ich davon ausgehen, nicht sonderlich zu stören?« »Parker? Josuah Parker?« Der Professor schüttelte ein wenig ratlos den
Kopf. »Sind wir uns nicht in den Staaten oder in Frankreich begegnet? oder vielleicht in Ägypten?« »So könnte man unter Umständen sagen«, erwiderte Parker, der sich auf keines der Länder festlegte. »Ihre seinerzeitigen Anmerkungen, Sir, waren bemerkenswert. « »Sie wurden aber nicht verstanden, ganz und gar nicht.« Professor Falcon schnaubte verächtlich. »Oder haben Sie sie verstanden?« »Sie sind Ihrer Zeit voraus, Professor«, deutete der Butler höflich an. »Rückschritt ist Fortschritt«, bekannte Professor Falcon überraschenderweise, was selbst den Butler verblüffte. »Nur die Besinnung auf die alten Werte bringt uns in die Zukunft.« »Eine Auffassung, die auch für die Raumfahrt gilt, Sir?« »Gerade für die Raumfahrt, Mr. .. äh .. . Wie war doch noch der Name?« »Parker, Sir, Josuah Parker. Sie spielen wahrscheinlich auf die Raketentechniken der alten Chinesen an, wie ich unterstellen darf?« »Donnerwetter, Sie haben es erfaßt!« Falcon nickte erfreut. »Aber diese Techniken müssen natürlich modifiziert werden, nicht wahr?« »Dieser Ihrer Ansicht möchte ich voll und ganz beipflichten.« Parker ließ sich durch das immer noch fortwährende Quäken der Alarmanlagen nicht sonderlich stören, zumal es ihm gelungen war, den Professor in das Innere der Baracke zurückzudrängen. Er sah sich verstohlen um und war ehrlich überrascht. Das hier war ein modern eingerichtetes Konstruktionsbüro, das in jeden
Großbetrieb gepaßt hätte. Die Ausstattung war erstklassig. Es gab eine Reihe Zeichenapparate, und an den Wänden waren Detailskizzen von Konstruktionen zu erkennen. »Millionen und Milliarden werden von den sogenannten Raumfahrtsbehörden der Industrienationen im wahrsten Sinn des Wortes verpulvert«, dozierte Falcon weiter. »Ich aber werde der Welt die Billigstrakete anbieten!« »Die Welt wird dankbar zugreifen, Professor«, glaubte Parker schon jetzt zu wissen. »Jeder Staat der Erde wird sich diese Billigstraketen leisten können. In einem großen Sprung nach vorn werden meine Volksraketen in den Weltraum fliegen und Kontakt mit anderen Intelligenzen suchen und auch finden.« »Eine berauschende Vorstellung, Sir.« Parker sah die Begeisterung in den Augen des Professors, der auf die Skizzen und Zeichnungen an den Wänden deutete. »Darf man fragen, Sir, wie weit Ihre Arbeit inzwischen gediehen ist?« erkundigte sich der Butler. Er dachte verständlicherweise an den fliegenden »Bleistift«, der seinen Wagen um ein Haar erwischt hätte. »Die Arbeiten sind so gut wie abgeschlossen«, behauptete Professor Falcon. »Es gibt da nur noch ein par kleine Probleme mit der Steuerung der Düsen, aber auch das ist bald behoben. In absehbarer Zeit werden meine Astronauten auf dem Mond eine Relaisstation bauen. Von dort aus, verstehen Sie, Herr Kollege, von dort aus wird dann der Raum erobert werden. Ich denke zuerst an den Mars, dann an den Jupiter und an Saturn.«
»Darf ich mir erlauben, Sir, Sie um Ihre Mitarbeiter zu beneiden?« »Mitarbeiter?« Professor Falcon lächelte milde und verzeihend. »Ich habe und brauche keine wissenschaftlichen Mitarbeiter. Ich brauche nur Männer, die mich vor Störungen bewahren. Übrigens, sind Sie eigentlich angemeldet? Clayburn hat mir nichts von Ihrem Besuch gesagt.« »Ich hatte es vergessen, Sir«, sagte in diesem Moment eine Stimme hinter Parker. Im gleichen Augenblick drückte sich ein harter Gegenstand gegen das Rückgrat des Butlers. Als erfahrener Mann wußte der Butler diesen Druck sofort richtig zu deuten. Es konnte sich nur um den Lauf eines Revolvers handeln. »Ich habe jetzt zu arbeiten.« Falcon schien den Butler bereits vergessen zu haben und ging zu einer großen schwarzen Wandtafel, die mit rohen Kreideskizzen und Zahlenkolonnen bedeckt war. »Wir auch«, sagte die Stimme hinter Parker. Sie war noch nicht mal besonders leise. »Eine falsche Bewegung, und Sie sind geliefert!« * Agatha Simpson schnaubte wie ein Walroß. Dies hing einmal mit den Wasserfluten zusammen, die aus dem Brausekopf der Dusche kamen, zum anderen aber schnaubte sie auch vor Zorn. Sie war plötzlich wach geworden, hatte einen Blick auf ihre Uhr geworfen und sofort gewußt, daß Butler Parker sie nicht rechtzeitig geweckt hatte. Laut ihrer Uhr ging es auf 02.00 Uhr morgens zu .. .
Sie hatte sich eine Decke um die Schultern gelegt und einen flüchtigen Blick in Parkers Kammer geworfen. Dieser kurze Blick hatte ihr völlig genügt. Ihr war jedoch nicht entgangen, daß ihr körperlicher Zustand nicht sonderlich gut war. Sie fühlte eine dumpfe Benommenheit, hatte dazu noch Kopfschmerzen und einen geradezu widerlichen Geschmack im Mund. Sie ahnte, daß man ihr auf irgendeine Art und Weise ein Schlafmittel verabreicht hatte. Ob es Butler Parker getan hatte, wußte sie nicht, doch sie traute ihm so etwas durchaus zu. In letzter Zeit neigte er wieder dazu, auf eigene Faust zu handeln. Um sich körperlich frisch und fit zu machen, duschte sie und frottierte sich dann ausgiebig ab, um ihren Kreislauf wieder in Ordnung zu bringen. Dann stieg sie grimmig in ihre Kleidung und verließ das Zimmer. Wo Parker war, ahnte sie. Es war eine ausgemachte Sache für sie, ihm umgehend zu folgen und später gründlich die Meinung zu sagen. In der Gaststätte brannte Licht. Die Detektivin rief nach dem Gastwirt, erhielt jedoch keine Antwort. Um keine Zeit zu verlieren, ging sie hinter den Tresen und bediente sich selbst. Sie suchte und fand einen Brandy, der sich halbwegs trinken ließ. Sie kurbelte damit ihren Kreislauf an und trat ins Freie. Ihr Ärger steigerte sich noch. Inzwischen wehten , dichte Nebelschwaden um das »Einhorn«. Die Sicht war äußerst schlecht. Lady Simpson marschierte jedoch geradewegs in den Nebel hinein. Ungefähr wußte sie, wo die Remise
war. Dort stand Parkers Wagen. War auch er verschwunden, dann gab es keine Zweifel mehr, dann war der Butler in eigener Sache unterwegs. Zu ihrer Verblüffung aber machte sie das. hochbeinige Monstrum aus. Es stand vor der Remise und war natürlich verschlossen. Lady Agatha war bekannt, wie gut dieser Wagen gesichert war. Ein öffnen ohne Erlaubnis des Butlers war so gut wie ausgeschlossen. Die ältere Dame ließ sich jedoch nicht in Verlegenheit bringen. Sie dachte an das Mitglied der Gesellschaft für Singund Wandervögel. Lag dieser Mann laut Parker nicht in seinem Wagen, der in der Remise stand? Es handelte sich um einen Land-Rover, wie sie erfreut feststellte. Einen Wagen dieser Klasse fuhr auch sie. Er stand in London in der Garage ihres Stadthauses. Sie öffnete die hintere Tür und blickte auf den am Boden liegenden Mann. Er schlief fest und reagierte überhaupt nicht, auch dann nicht, als sie ihn recht nachdrücklich an den ausgestreckten Beinen zog. Nun, dieser Mann war schließlich von Mr. Parker behandelt worden. Wahrscheinlich war auch ihm so etwas wie ein Schlafmittel verabreicht worden. Die ältere Dame hatte keine Lust, sich mit diesem Mann weiter abzugeben oder ihn gar aus dem Wagen zu zerren. Sie schob die Beine schräg hoch auf das Polster der Sitzbank, setzte sich ans Steuer und nickte grimmig, als sie den Zündschlüssel fand. Einladend befand er sich im Schloß und setzte nach einerkleinen Drehung sofort den Motor in Gang. Lady Agatha schaltete das
Licht ein und preschte in der ihr eigenen, verwegenen und rasanten Art aus der Remise, um ihrem Butler die Meinung zu sagen. * »Darf ich davon ausgehen, daß ich dem Leiter der Wachmannschaften gegenüberstehe?« fragte Josuah Parker, als sie in einem der Bunker waren. Der Raum, in den der Mann ihn bugsiert hatte, war recht ordentlich eingerichtet. Das Mobiliar stellte eine Mischung aus Büro und Wohnraum dar. »Wie kommen Sie denn darauf?« fragte der Mann. Er forderte den Butler auf, sich in einen der tiefen Sessel zu setzen, blieb selbst aber stehen und hielt den Lauf seines Revolvers auf Parker gerichtet. »Ich nehme an, Sie sind Mr. Clayburn.« »Was besagt das schon?« »Dieser Name wurde von zwei jungen Männern genannt, die Mylady und meiner bescheidenen Wenigkeit einen Besuch abstatten wollten.« »Zwei junge Männer? Die sollen meinen Namen genannt haben?« , »In der Tat! Sie fühlten sich unbeobachtet, nachdem ich mir die Freiheit genommen hatte, sie aus dem Verkehr zu ziehen, wie Sie es wohl auszudrücken belieben.« »Diese Schwachköpfe!« Clayburn ärgerte sich nur kurz und machte dann mit der freien Hand eine wegwerfende Bewegung. »Also gut, ich bin Clayburn. Und was haben Sie davon?« »Im gegenwärtigen Augenblick wohl nichts, Mr. Clayburn.« Parker machte einen völlig gelassenen
Eindruck, zumal er sich noch im Besitz seines Universal-Regenschirms befand, mit dem Clayburn nichts anzufangen wußte. »Sie werden auch später nichts damit anfangen können, Parker«, sagte Clayburn und lächelte. »Ich weiß inzwischen ungefähr, was für ein schräger Vogel Sie sind.« »Würden Sie mir diesen Ausdruck freundlicherweise interpretieren?« bat Parker. »Wieso konnten Sie Auskünfte über meine bescheidene Wenigkeit einziehen?« »Einer der beiden Trottel, die Ihnen ins Garn gegangen sind, hat sich Ihr Wagenkennzeichen gemerkt. Alles weitere war dann nur noch eine Kleinigkeit. Sie sind Butler bei dieser verrückten Lady Simpson.« »Mylady würden diesen Ausdruck mit Sicherheit nicht gern hören, Mr. Clayburn.« »Der werde ich noch ganz andere Sachen sagen, sobald sie hier ist. Aber jetzt erst mal eine andere Sache. Wo stecken meine beiden Leute?« »Sie befinden sich in Sicherheit, wie ich Ihnen versichern kann. Zudem haben sie keinen gesundheitlichen Schaden genommen.« »Den werden aber Sie und diese Lady Simpson nehmen!« Clayburn lächelte noch nicht einmal böse oder drohend. Er war ein großer und schlanker Mann von vielleicht vierzig Jahren und trug einen Schnauzbart, der ihm ein militärisches Aussehen verlieh. Im Gegensatz zu den Wachmannschaften, die in Overalls steckten, trug er einen sportlich soliden Anzug. Er machte einen selbstsicheren und energischen Eindruck, dieser Mr. Clayburn.
»Muß ich Ihrer Bemerkung entnehmen, daß Sie an einen Doppelmord denken?« wollte Josuah Parker wissen. »Sie wissen zuviel.« Clayburn zuckte die Achseln. »Ihr Pech, daß der Sperrbalken noch geschlossen war, Ihr Pech, daß Sie die Rakete gesehen haben.« »Ich kann mir kaum vorstellen, Mr. Clayburn, daß Professor Falcon mit einem Doppelmord einverstanden sein wird.« »Sie hat er inzwischen schon längst wieder vergessen.« Clayburn schmunzelte. »Er ist der typische Professor, wie man ihn aus Witzblättern kennt. Er ist zerstreut und vergeßlicher, er konzentriert sich einzig und allein auf seine technischen Probleme.« »Er will eine sogenannte Volksrakete herstellen, wie ich hörte?« »Falcon ist ein Genie«, antwortete Clayburn und nickte. »Gewisse Behörden scheinen das übersehen zu haben, als man ihn, nun sagen wir, entließ und ihm anriet, sich seelisch behandeln zu lassen.« »Eine diskrete Umschreibung jenes Zustandes, den man geistige Verwirrung nennt.« »Falcon ist vollkommen in Ordnung, was seine technische Seite betrifft. Ob Sie's nun glauben oder nicht, Parker diese Billigstrakete existiert. Wundern Sie sich nicht, warum ich das so einfach zugebe?« »Sie planen immerhin einen Doppelmord, Mr. Clayburn.« »Gut, daß Sie sich damit abgefunden haben, Parker. Diese Billigstrakete wird das Bombengeschäft des Jahrhunderts.«
»Sie planen, sie an jeden zu verkaufen, der entsprechend dafür zahlt? « »Selbstverständlich, Parker! Das ist ja der Sinn des ganzen Unternehmens. Ich könnte Ihnen Dutzende von Staaten aufzählen, die ich mit diesem Ding beliefern werde. Sie werden Schlange stehen.« »Um sich dann gegenseitig umzubringen, wie ich vermute.« »Das ist schon nicht mehr mein Problem, Mr. Parker. Mich interessieren nur harte Währungen.« »Und ich hatte Sie bereits für einen ausländischen Agenten gehalten, Mr. Clayburn.« »Vielleicht schließt das eine das andere nicht aus, Parker«, lautete Clayburns rätselhafte Antwort. »Kommen Sie, ich werde Sie jetzt. . . Moment, bleiben Sie sitzen!« Ein Summer ertönte. Clayburn ließ den Butler nicht aus den Augen, als er auf einen langen Arbeitstisch zuging, auf dem einige Telefone, Fernsehmonitore und Funkgeräte standen. Clayburn nahm eines dieser Handsprechgeräte hoch. Eine Leitung, die wahrscheinlich zu einer Außenantenne führte, verband dieses Gerät mit einem Stecker in der Wand. »Hier Daddy, hier Daddy«, meldete Clayburn sich. »Was liegt an?« Was anlag, konnte Parker nicht verstehen. Die Worte waren undeutlich, ergaben keinen Sinn und stellten sicher einen Code dar, den nur Clayburn kannte. Der Chef der Wachmannschaften lächelte, als er das Gerät abschaltete und zurück auf den Tisch legte. Er zuckte die Achseln. »Warten wir noch ein paar Minuten«, schlug er dann vor. »Ihre
verrückte Lady ist bereits im Anmarsch, wie ich gerade hörte. Es ist dann ein Aufwaschen.« »Womit Sie erneut den Doppelmord meinen, Mr. Clayburn?« »Wir werden das schnell hinter uns bringen, ich bin kein Unmensch oder Sadist. Ich brauche einfach Sicherheit. Sie verstehen das hoffentlich.« »Ich werde mich zumindest bemühen, Mr. Clayburn.« Parker senkte den Kopf und schien beeindruckt zu sein. »Sie sagten, Mylady sei bereits auf dem Weg hierher?« »Sie ist es, Mr. Parker! Und sie wird direkt in die Arme meiner Mitarbeiter laufen. Sie haben sie wirkungsvoll eingeschlossen, aber mit einem zweiten Notausstieg wohl nicht gerechnet, wie?« »Meiner bescheidenen Wenigkeit blieb leider keine Zeit, danach zu suchen, Mr. Clayburn. Mir ging es darum, ein wenig mit Professor Falcon zu plaudern.« Während dieser an sich anregenden Unterhaltung hatte Josuah Parker natürlich einige Vorkehrungen getroffen, Clayburn außer Gefecht zu setzen. Dazu war der bleigefütterte Bambusgriff des UniversalRegenschirms um etwa neunzig Grad verdreht worden. Wie wichtig dies war, zeigte sich wenig später. Clayburn zuckte plötzlich zusammen und starrte dann ungläubig auf seinen Unterarm. Dicht oberhalb der Hand, die die Waffe hielt, befand sich ein stricknadellanger Blasrohrpfeil, dessen Spitze sich tief in das Gewebe gebohrt hatte. Während Clayburn noch schaute und sich auch wahrscheinlich wunderte,
wurde Butler Parker aktiv und bereinigte erst mal die Lage. * Lady Agatha Simpson brauste durch Nacht und Nebel, vor allen Dingen durch einen Nebel, der sich verdichtet hatte. Die Detektivin verließ sich dabei auf ihr Gefühl, aber auch auf die Bremsen des Land-Rovers. Immer dann, wenn der schwere Wagen sich unvermittelt dem Straßengraben näherte, trat die ältere Dame energisch aufs Pedal. Übrigens rechnete sie nicht mit Gegenverkehr. Ihrer Ansicht nach war es viel zu gefährlich, bei dieser Sicht sich auf die Straßen zu trauen. Irgendwann - sie wußte schon gar nicht mehr, wo sie war und wie lange sie bereits unterwegs war - schimmerten zwei rote Lichter durch den Nebel, ein sicheres Zeichen dafür, daß sich auf der Straße zumindest ein Wagen befand, vielleicht aber auch eine Straßensperre. Agatha Simpson schaltete das Fernlicht ein, das schon nach wenigen Metern vom Nebel verschluckt wurde. Dann hielt sie an, schaltete das Licht völlig ab und stieg aus dem Wagen. Sie ging durch den Straßengraben und fühlte plötzlich, daß sie nicht mehr allein war. Die Reaktion der Lady war beachtlich und zeugte von Geistesgegenwart und Energie. Der Pompadour mit dem »Glücksbringer« schwang herum und traf. Ein scharfes Durchatmen war zu vernehmen, dann ein Stöhnen. »Mylady, ich bin Ihr Fahrgast«, sagte dann eine gepreßt klingende
Stimme. »Verdammt, womit haben Sie mich getroffen?« »Wie ist Ihr Name?« Lady Agatha wechselte sicherheitshalber die Position und war bereit, mit dem Pompadour noch mal zuzulangen. »Dean Ledger«, sagte die gepreßte Stimme irgendwo im Nebel. »Warum sagten Sie das nicht früher?« wurde die ältere Dame ärgerlich. »Sie stören zwar, aber Sie dürfen sich mir anschließen.« »Wir sollten schnell weggehen«, sagte Dean Ledger, das Mitglied der Gesellschaft für Singund Wandervögel. »Dort kommt ein Wagen.« Dies hatte auch Mylady bereits bemerkt. Die beiden roten Lichter waren in ihren Konturen schärfer geworden und näherten sich dem Land-Rover. Das Motorgeräusch war jetzt zusätzlich noch zu hören. »Folgen Sie mir, junger Mann!« Lady Simpson raunzte ihren Begleiter an und marschierte tiefer in den Nebel hinein. Dean Ledger, in Wirklichkeit Agent des britischen Geheimdienstes, wie die Detektivin von Parker wußte, folgte ihr notgedrungen. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wohin sie ging. Aber die hatte auch Lady Simpson nicht. Sie war nur beseelt von dem festen Willen, sich noch in das einzuschalten, was ihr Butler bereits erledigte. Von der Straße her waren Rufe zu hören, aber nur undeutlich und akustisch verschwommen. Der Nebel schluckte alle Einzelheiten. Lady Agatha marschierte indessen beharrlich weiter, als besitze sie Röntgen- oder Radaraugen. Dean Ledger ließ sich
von ihrem Optimismus anstecken und blieb dicht an ihren Fersen. Er hatte den Eindruck gewonnen, daß die kriegerische Lady genau wußte, was sie wollte. Sie war ein wenig ärgerlich, als sie um ein Haar mit einem Baum zusammenstieß. Sie konnte im letzten Moment noch ausweichen, während Dean Ledger hingegen voll gegen den Stamm rannte. Sein leises Fluchen daraufhin war verständlich. »Wohin wollen Sie eigentlich, Mylady?« fragte Ledger, als er zu ihr aufgerückt hatte. »Wohin, wohin!? Zum Versuchsgelände des Professors, was dachten denn Sie?« »Und Sie wissen, wo es sich befindet?« »Selbstverständlich, junger Mann. Ich besitze ein gutes Orientierungsvermögen, ein sehr gutes sogar.« »Ist Ihr Butler bereits dort?« »Er hat mich hintergangen«, reagierte Agatha Simpson gereizt. »Und darüber werde ich mich später noch mit ihm unterhalten.« »Müßten wir nicht längst da sein?« »Nerven Sie mich nicht unnötig, ich muß mich orientieren!« Lady Simpson schritt erstaunlich forsch aus. Sie war trotz ihrer Fülle gut zu Fuß. »Wir sind bereits seit zwanzig Minuten unterwegs«, stellte Dean Ledger nach einer Weile fest. »Hier ist ein Zaun, junger Mann. Das letzte Hindernis.« Agatha Simpson trat mit ihrem rechten Schuh auf den Stacheldraht, der sich daraufhin aus seinen Haltekrampen löste und zusätzlich noch zerriß. Ledger hielt den oberen Draht hoch, damit die ältere Dame ohne
Schwierigkeiten dieses angeblich letzte Hindernis nehmen konnte. »Wir sind da«, flüsterte die Lady und deutete auf die vagen Umrisse eines Gebäudes. »Die Weltraumfahrer werden sich gleich wundern!« »Wir sind tatsächlich da«, antwortete Dean Ledger. »Ich erkenne das Gebäude.« »Sie . .. Sie sind schon mal hier gewesen?« »Sie ebenfalls, Mylady«, erwiderte Dean Ledger trocken. »Es ist das Einhorn.« * Butler Parker ergriff keineswegs die Flucht. Er kümmerte sich nicht weiter um Clayburn, der am Boden lag und sich nicht rührte. Er war vom bleigefütterten Bambusgriff des altväterlich gebundenen Regenschirms nachdrücklich getroffen worden. Dazu kam noch das »Pfeilgift«, eine relativ harmlose chemische Mischung, die einen Tiefschlaf für wenigstens dreißig Minuten garantierte. Parker hatte den stricknadellangen Pfeil längst wieder in das Magazin seines Regenschirms zurückgesteckt. Durch den hohlen Schirmstock war er in der Lage, die Pfeile mittels komprimierter Kohlensäure zu verschießen. Er schätzte nicht nur die Geräuschlosigkeit dieser Waffe, sondern setzte vor allen Dingen auf die psychologische Wirkung. Wer von solch einem Blasrohrpfeil erwischt wurde, dachte automatisch an den Giftpfeil eines Amazonas-Indianers und war erst mal zutiefst geschockt. Diesen Schock pflegte der Butler dann
stets und verständlicherweise zu seinen Gunsten auszunutzen. Parker ging zu den kleinen Fernsehmonitoren hinüber und schaltete sie der Reihe nach ein. Es dauerte nur Sekunden, bis ihm Bilder geliefert wurden. Er sah Professor Falcon in seiner Arbeitsbaracke. Er stand vor der schwarzen Tafel und kritzelte Zahlen- und Symbolreihen darauf. Wahrscheinlich wußte der Mann überhaupt nicht, daß er nach Belieben heimlich beobachtet werden konnte. Auf dem zweiten Bildschirm war eine Art Montagehalle zu sehen, die unter der Erde liegen mußte. Die Wände bestanden aus rohem Beton, Fenster waren nicht vorhanden. Diese Halle, einem Flugzeughangar ähnlich, war recht groß und erstaunlich hoch. Auf dem dritten Bildschirm entdeckte Parker eine Rakete, die mit einem »Bleistift« schon nichts mehr zu tun hatte. Sie war von beachtlicher Höhe und stand auf einer Art Abschußrampe. Daß an ihr noch gebaut wurde, war deutlich zu erkennen. Gerüste aus Stahlrohren zogen sich an ihr empor. Es gab Arbeitsbühnen und Treppen, die hinaufführten. Nach Parkers flüchtiger Schätzung war diese Rakete etwa zwanzig Meter lang. Das Ende dieses Flugkörpers war nicht auszumachen, der Blickwinkel der Kamera reichte nicht bis zur Decke. Auf dem vierten Bildschirm präsentierte sich seinen Augen eine Art Zentrifuge, wie er sie von Raumfahrtzentren her kannte. An einem zentral gelagerten, langen Arm befand sich am Ende dieses Armes eine Art Gondel. Mit solchen und
ähnlichen Geräten wurden und werden Raumfahrer auf die Zentrifugalkräfte geschult, die sie später erwarteten. Dann gab es noch einen fünften Bildschirm, der genau jenen Betonwürfel zeigte, in dem die Wachmannschaften sich aufgehalten hatten. Die Männer in ihren Overalls hatten sich dort versammelt und warteten augenscheinlich auf einen Einsatzbefehl. Eine gewisse Verwirrung war ihnen irgendwie anzumerken. Butler Parker suchte auf dem langen Arbeitstisch nach einem Mikrofon. Es stand vor einem kleinen Pult, auf dem einige Schaltknöpfe angebracht waren. Erfreulicherweise war Clayburn ein ordentlicher Mensch. Unter diesen Schaltknöpfen waren kleine Schilder angebracht, die ihre Verwendung anzeigten. Parker drückte auf den Knopf für die Außenanlage. Er mußte es darauf ankommen lassen. Er verstellte seine Stimme, ahmte Clayburns Tonfall nach und gab sich dabei militärisch knapp. Er beorderte die Wachmannschaften in die Montagehalle. Hatte er den richtigen Knopf gedrückt? Hatte man ihn draußen verstanden? Bange Sekunden verstrichen, doch dann kam Bewegung in die Männer. Sie spritzten förmlich auseinander und waren wenig später hinter dem zentralen Betonblock verschwunden. Josuah Parker verließ den Befehlsbunker und ging nach draußen. Ohne unnötige Hast begab er sich zum Zentralbunker und setzte sich dort in den Jeep, den er bereits für die Herfahrt benutzt hatte. Sein stummer Begleiter war leider nicht mehr vorhanden. Auf
dem Beifahrersitz waren noch lange Gummifetzen der aufblasbaren Puppe zu sehen. Die Wachen schienen sich sehr roh mit der Puppe befaßt zu haben. Josuah Parker startete den Wagen und fuhr zurück in den schützenden Nebel. Da ohnehin nichts zu erkennen war, schaltete er die Scheinwerfer erst gar nicht ein. Er war jedoch bereit, früher oder später auf ein Hindernis zu stoßen und richtete sich darauf ein. * »Erstaunlich, daß Sie überhaupt noch mal zurückkommen, Mr. Parker«, sagte Lady Simpson spitz und sah ihren Butler unwillig an. »Ich gestatte mir, einen freundlichen, wenn auch noch recht frühen Morgen zu wünschen«, antwortete der Butler und lüftete grüßend die schwarze Melone. »Wenn Mylady es wünschen, bereite ich sofort den Tee.« »Wo waren Sie?« fragte Dean Ledger neugierig. Er saß im Gegensatz zu der älteren Dame in einem Sessel unten in der Gaststätte. »Auf einem gewissen Privatgelände«, erwiderte der Butler. »Wie ich sehe, Sir, haben Sie sich von dem kleinen Mißgeschick inzwischen wieder erholt.« »Sie haben mich ganz schön außer Gefecht gesetzt, Mr. Parker.« Ledger war nicht nachtragend und winkte lässig ab. »Wie haben Sie das eigentlich hingekriegt?« »Darüber vielleicht später mehr.« Parker war nicht bereit, über seine Methoden zu sprechen. »Sie haben mir irgend etwas unter die Haut gejagt«, redete Ledger weiter.
»Ich weiß genau, daß ich einen kleinen Stich verspürt habe.« »Haben Sie keine anderen Sorgen, junger Mann?« Agatha Simpson fauchte den Geheimdienstagenten an wie ein Raubtier. »Mr. Parker, ich erwarte eine Erklärung von Ihnen.« »Mylady wurden offensichtlich betäubt«, antwortete Parker höflich. »Zu meinem tiefen Bedauern sah ich mich daher gezwungen, allein zu Professor Falcon zu fahren.« »Fragt sich, von wem ich betäubt wurde!?« Sie sah ihn mißtrauisch an. »Diese Frage sollte man vielleicht an den Gastwirt richten, Mylady. Haben Mylady bereits die beiden Männer zur Rede gestellt, die sich in einem der Keller dieses Gasthofes befinden?« »Wir haben nur den Wirt gefunden. Und den hat's übel erwischt«, schaltete Dean Ledgers sich ein. »Er wurde mißhandelt?« erkundigte Parker sich. Mehr sagte er nicht. Er wußte immerhin, daß der Gastwirt mit den beiden Männern gemeinsame Sache gemacht hatte, ferner, daß Paul Comber dafür eine Geldprämie eingestrichen hatte. »Ein paar Schrammen«, beschwichtigte der Geheimagent. »Sie waren also auf diesem sogenannten Versuchsgelände?« »Hoffentlich haben Sie wenigstens etwas herausgefunden, was ich aber sehr bezweifle«, fügte die resolute Dame hinzu. »Der Nebel war und ist außerordentlich dicht, Mylady. Zudem waren die Wachmannschaften überaus lästig, wenn ich es so umschreiben darf.« »Sie haben also nichts erreicht?« faßte Dean Ledgers zusammen.
»Dem möchte ich nicht widersprechen«, entgegnete Josuah Parker, der nicht bereit war, sein Wissen preiszugeben. Er tat es nicht aus Eigensinn, aber dieser Dean Ledger war ihm schließlich trotz des Ausweises unbekannt. »So etwas habe ich mir doch gleich gedacht«, ließ die ältere Dame sich vernehmen. »Wahrscheinlich sind Sie im Nebel genauso herumgeirrt, wie ... Also, äh ... Ja, ich würde jetzt gern eine Tasse Tee trinken.« »Liegt Mr. Comber zu Bett, Mylady?« »Natürlich, der arme Teufel war ja völlig außer sich. Er ist immerhin von zwei Subjekten mißhandelt worden.« »Ich werde ihn vernehmen, sobald er wieder einigermaßen auf den Beinen ist«, warf Dean Ledger ein. »Sie befinden sich schon seit einiger Zeit in dieser Gegend, Sir?« wollte der Butler wissen. »Seit gut einer Woche.« Dean Ledger nickte. »Meiner Dienststelle wurden einige Dinge bekannt, denen ich nachgehen soll. Mehr kann ich dazu leider nicht sagen.« »Aber Sie wußten, daß Professor Edwin Falcon hier arbeitet?« »Das ... ist uns bekannt, Mr. Parker. Und das hat uns hellhörig werden lassen. Aber mehr kann ich nun tatsächlich nicht sagen. Wenden Sie sich an meine Dienststelle! Ich bin sicher, daß Sie sie kennen...« »Noch eine letzte Frage, Mr. Ledger, wird Mylady Sir Anthony morgen erreichen können? Würden Sie freundlicherweise den Kontakt herstellen und einen Höflichkeitsbesuch ankündigen?«
»Selbstverständlich, Mr. Parker.« Dean Ledger nickte. »Wir dürften ja jetzt in einem Boot sitzen, oder?« Parker hatte diesen Eindruck überhaupt nicht. Er hatte gerade herausgehört, daß Dean Ledger ein Lügner und Schwindler war. * »Wie kommen Sie denn darauf, Mr. Parker?« fragte Agatha Simpson. Sie war gerade in Parkers Monstrum gestiegen und räkelte sich auf dem Rücksitz zurecht. »Es gibt keinen Sir Anthony, Mylady, wenn ich darauf höflichst verweisen darf. Der Leiter der Sonderabteilung des Geheimdienstes ist. ..« »Natürlich, natürlich!« Die Lady ärgerte sich, den Schwindel nicht selbst herausgefunden zu haben. »Es ist Sir James, nicht wahr?« »In der Tat, Mylady! Demnach dürfte man mit Mr. Dean Ledger keineswegs in dem sprichwörtlichen einen Boot sitzen. Er scheint sehr private Interessen zu verfolgen.« »Ich habe bereits eine Theorie, Mr. Parker.« Die ältere Dame hatte sich blitzschnell auf die neue Situation eingestellt. »Dieser Dean Ledger ist ein Spitzel, vielleicht sogar ein Spion!« »Falls Mylady gestatten, möchte ich mich Myladys Ansicht anschließen«, antwortete Josuah Parker. »Darüber hinaus aber möchte ich. die Frage stellen, die Mylady bereits beschäftigen dürfte.« »Sie dürfen, Mr. Parker.« Lady Agatha wußte nicht, worauf Parker hinaus wollte, aber sie hütete sich selbstverständlich, das auch zuzugeben.
»Es erhebt sich also laut Mylady die Frage, wo der richtige Mr. Dean Ledger sich befindet. Der Dienstausweis war echt, er muß seinem wirklichen Besitzer abgenommen worden sein.« »Stimmt das wirklich, daß diese Gesellschaft für Sing- und Wandervögel eine Organisation des britischen Geheimdienstes ist?« »Mit letzter Sicherheit, Mylady.« »Dann werde ich mir diesen Mr. Ledger sehr bald schon vorknöpfen«, versprach die Detektivin. »Und diesmal, Mr. Parker, werden Sie mich nicht daran hindern, sehr nachdrücklich meine Fragen zu stellen.« »Mr. Ledger wird Ihnen, Mylady, jederzeit zur Verfügung stehen.« »Hoffentlich setzt er sich nicht ab, Mr. Parker.« »Damit dürfte nicht zu rechnen sein, Mylady. Er wird versuchen, über Mylady an Professor Falcon heranzukommen. Er wird sich als das erweisen, was man gemeinhin eine Klette nennt.« »Eben, das sagte ich ja gerade.« Die Lady nickte grimmig und ließ sich bequem zurücksinken. »Sie müssen zugeben, Mr. Parker, daß ich die Dinge wieder mal blitzschnell durchschaut habe.« »Auf eine bemerkenswerte Weise, Mylady, die meine bescheidene Wenigkeit wieder mal verblüfft.« »Entweder man hat's, oder man hat's nicht.« Sie war zufrieden und hatte ihren Ärger längst vergessen. Sie vibrierte bereits wieder vor Tatendrang und Angriffslust. »Was unternehmen wir jetzt, Mr. Parker?«
»Eine Rückkehr nach London wäre vielleicht nicht angebracht, Mylady. Man sollte in der Nähe des Versuchsgeländes bleiben.« »Aber natürlich, ich weiche keinen Schritt zurück!« »Mr. Clayburn wird weiter davon ausgehen, daß Mylady darauf verzichten wird, sich an die zuständigen Behörden zu werden.« »Hoffentlich denkt er tatsächlich so, Mr. Parker.« »Wie ich seinen Worten entnehmen konnte; hat er sich bereits über Mylady informiert. Demnach müßte Mr. Clayburn inzwischen wissen, daß Mylady einer Zusammenarbeit mit den Behörden gern aus dem Weg gehen.« »Worauf er sich verlassen kann, Mr. Parker. Ich denke nicht daran, mir ins Handwerk pfuschen zu lassen.« »Aus diesem Grund wird er die Versuchsbunker auch nicht verlassen, Mylady. Zudem wäre er dazu kaum in der Lage, denn die Einrichtungen sind zu aufwendig, als daß man sie wegschaffen könnte.« »Ich sagte ja schon, er wird versuchen, mich umzubringen, Mr. Parker.« »Davon soll und muß man ausgehen, Mylady, wenn ich darauf noch mal besonders hinweisen darf. Mr. Clayburn ist bekannt, daß Mylady inzwischen zuviel wissen.« »Ich will ja nicht überheblich sein, Mr. Parker, aber in mir hat sich schon mancher getäuscht.« Sie nickte grimmig. »Dem möchte und darf ich nichts hinzufügen, Mylady.« »Und was tun wir jetzt?« Sie hatte keine Ahnung, warum Parker nach Chilton fuhr.
»Es handelt sich um ein reizendes kleines Städtchen, Mylady, das sicher viele Touristen und Besucher anzieht. Vielleicht wollen Mylady sich einige dieser Besucher mal aus der Nähe ansehen. « »Was soll denn das?« Sie hatte eine völlig andere Antwort erwartet. »Besucher, die sich in erster Linie für die Billigst- oder Volksrakete interessieren, Mylady«, schloß Josuah Parker. »Was man verkaufen möchte, muß man schließlich auch optisch präsentieren, wenn ich mir diese Umschreibung erlauben darf.« * Es war ein Städtchen wie aus einem Werbeprospekt. Es gab alte Häuser, stille Plätze, grüne Flecken und einige stilvoll errichtete Kirchen. Das Leben in Chilton war geruhsam. Es waren vor allen Dingen die Gasthäuser und kleinen Hotels, die das Gefühl der Geborgenheit ausstrahlten. Genau für die Häuser interessierte Parker sich, die einen zurückhaltenden Eindruck machten. Besucher, die sich Professor Falcons Billigstrakete ansehen wollten, würden ganz sicher nicht in teuren Gaststätten oder Hotels absteigen, sondern wohl mehr unauffällige Unterkünfte bevorzugen. Er erledigte sein Programm auf sehr unkonventionelle und direkte Weise. Parker fuhr jene Häuser ab, die seiner Ansicht nach in Frage kamen und erkundigte sich dann an den jeweiligen Rezeptionen nach den Herren, für die Professor Falcon Zimmer reserviert hatte.
Geradliniger ging es nun wirklich nicht. Und wenn die Damen und Herren hinter den jeweiligen Rezeptionen mit dem Namen des Professors nichts anzufangen wußten, dann nannte der Butler einfach Clayburns Namen. Um ungestört arbeiten zu können, hatte er Lady Agatha Simpson in einem hübschen Hotel zurückgelassen. Sie saß dort auf einer überdachten Terrasse und durchbrach ihre strenge Diät. Sie hatte sich eine Art Zwischenfrühstück kommen lassen und schaute unwillig hoch, als ein Mann an ihren Tisch trat und sich höflich verbeugte. »Ach, Sie sind es, junger Mann!« Lady Simpson gelang es, halbwegs freundlich zu lächeln. Sie sah sich Dean Ledger gegenüber, der laut Butler Parker ein falscher Agent sein mußte. »Ich hab' Sie von der Straße aus gesehen, Mylady«, meinte er. »Nehmen Sie Platz, junger Mann!« Sie deutete auf den freien Stuhl. »Was tun Sie denn in Chilton?« »Ich bin dienstlich hier, Mylady«, erwiderte Ledger. »Mr. Parker ist unterwegs?« »Er erledigt ein paar Einkäufe.« »Ein tüchtiger Mann, nicht wahr?« »Nur nicht gleich übertreiben«, gab sie zurück. »Mr. Parker ist brauchbar.« »Er hat es immerhin geschafft, bis auf das Versuchsgelände zu kommen.« Dean Ledger lächelte. »Ich hatte dieses Glück bisher nicht.« »Und was brachte das ein?« Sie befaßte sich mit einigen Scheiben Roastbeef. »Nun, er wird doch immerhin einiges gesehen haben, nehme ich an.«
Dean Ledger beugte sich vor. »Das Innenministerium braucht dringend Informationen, Lady Simpson.« »Mr. Parker ist störrisch wie ein Maulesel«, entgegnete sie. »Er will angeblich nichts gesehen haben.« »Sie wissen aber, daß das Gegenteil der Fall ist, nicht wahr?« »Natürlich!« Sie tat wichtig und informiert. »Aber ich werde natürlich warten, bis er den Film entwickelt hat.« »Er... Er hat einen Film vom Versuchsgelände des Professors?« »Bleiben wir erst mal bei Ihnen, junger Mann!« Sie sah ihn prüfend an. »Sie stellen hier Fragen über Fragen, aber Sie selbst schweigen sich aus. Wonach suchen Sie denn? Hinter welcher Geschichte ist Ihre Dienststelle her?« »Über dienstliche Dinge darf ich nicht sprechen, Mylady.« »Dann werde auch ich meinen Mund halten, und die Fotos werde ich Ihnen auf gar keinen Fall zeigen.« »Also, Mylady, unter dem Siegel der Verschwiegenheit. ..« Dean Ledger dämpfte seine Stimme. »Wir vermuten, daß Falcon eine völlig neue Art von Rakete erfunden hat.« »Ist denn so etwas noch möglich?« Agatha Simpson wirkte erstaunt und machte große Augen. »Was könnte man denn dazu überhaupt noch erfinden, junger Mann? Machen Sie einer alten Frau nichts vor! Denken Sie an die NASA oder andere nationalen Raumfahrtnationen! Wo sollen da Erfindungen noch möglich sein?« »Es geht nicht um das Prinzip der Rakete an sich, Mylady.« Dean Ledger wurde gesprächiger. »Es geht um die Kosten. Stellen Sie sich vor, man
könnte Raketen aus ganz einfachen Grundmaterialien bauen.« »Aber die sind doch einfach genug. Etwas Blech, eine Innenkonstruktion, um das Blech zusammenzuhalten, ein paar Treibstofftanks und dann ein Leitsystem.« »So wenig wissen Sie gar nicht, Mylady.« Dean Ledger lächelte. »Professor Falcon hat eine Methode gefunden, das alles aus Teilen zusammenzubasteln, die man praktisch auf einem Autofriedhof findet.« »Und warum macht die Regierung ihm dann nicht ein passendes Angebot?« »Man nimmt Falcon nicht ernst«, entrüstete sich Ledger. »Was er da erfunden hat, ist den Fachleuten einfach zu simpel. Die Fachwissenschaftler weigern sich, an seine Vereinfachungen zu glauben. Sie halten ihn für einen entschuldigen Sie, für einen ausgemachten Spinner.« »Und Sie sollen nun herausfinden, ob er wirklich spinnt oder nicht, oder?« »Dazu bin ich hierher geschickt worden.« Dean Ledger nickte. »Und wie sind Sie an Falcon geraten?« »Durch einen Zufall, ob Sie es nun glauben oder nicht.« Diesmal konnte Lady Simpson sich zu ihrer eigenen Überraschung an die Wahrheit halten. »Ich habe solch eine Rakete gesehen und war sehr beeindruckt.« »Sie ... Sie haben solch eine Rakete gesehen?« Ledger schluckte vor Eifer. »Wie sah sie aus?« »Wie eine Rakete eben aussieht, junger Mann.« »Und dennoch interessieren Sie sich für diese Erfindung?«
»Aus Dickköpfigkeit.« Die ältere Dame nickte. »Aber das verstehen Sie wahrscheinlich nicht. Man hatte mich unhöflich behandelt, und das hätte man besser nicht getan.« »Demnach sind Sie an der Rakete an sich überhaupt nicht interessiert? Gilt das auch für Ihren Butler?« »Mich faszinieren nur Feuerwerksraketen zu Silvester«, antwortete Lady Simpson. »Aber das verstehen Sie wahrscheinlich auch nicht. Jetzt geht es mir nur darum, diesem Mr. Clayburn klarzumachen, daß er sich schleunigst zu entschuldigen hat.« »Clayburn?« Ledger nickte. »Das ist der Leiter der Herstellungsabteilung, nicht wahr?« »Möglich, aber nicht wichtig.« Lady Agatha winkte ab. »Sagen Sie, junger Mann, wieso genehmigt die Regierung eigentlich diese Versuche? Raketen verletzen doch den Luftraum, oder?« »Bisher konnte man ihm das nicht nachweisen, Mylady.« »Oder schießt er sie vielleicht gar nicht hier ab?« »Ich habe eine Theorie, Mylady. Meiner Ansicht nach finden die eigentlichen Versuche irgendwo auf See, außerhalb der Hoheitsgrenzen, statt. Aber auch das konnte man Falcon bisher nicht nachweisen. Könnte ich mich mit Ihnen verbünden, Mylady?« »Für Sir Anthony würde ich das schon tun. Gut, ich werde mit ihm reden.« »Diese Möglichkeit kann ich Ihnen sofort verschaffen, Mylady«, behauptete Ledger und deutete hinaus auf seinen Land-Rover. »Sir Anthony hat ganz in der Nähe Quartier bezogen. Ich könnte Sie sofort zu ihm bringen.«
»Ich sollte wohl erst auf die Rückkehr meines Butlers warten, Mr. Ledger. Allein ist er immer ein wenig hilflos.« »Ich werde vorn an der Rezeption eine Nachricht hinterlassen, wo Sie zu finden sind, Mylady.« »Okay, einverstanden. Der gute Sir Anthony!« Agatha Simpson lächelte und nickte zustimmend. »Er wird sich wundern, mich zu sehen.« Die resolute Dame war bereit, einen Mann zu besuchen, den es gar nicht gab. Und sie schien sich auch darauf zu verlassen, daß Ledger tatsächlich eine Nachricht an der Rezeption hinterließ! * »Wir haben dort im Bauernhaus unsere Leitstelle eingerichtet«, sagte Dean Ledger munter und deutete in das sanfte Tal hinunter, in dessen Mittelpunkt ein kleines, sehr verlassen aussehendes Farmhaus zu sehen war. »Sehr geschickt, junger Mann«, sagte Lady Agatha. Sie saß neben Ledger, der den Land-Rover steuerte. »Die Farm scheint menschenleer und unbewohnt zu sein.« »Scheint, Mylady, scheint!« Dean Ledger, der angebliche Geheimagent in Diensten Ihrer Majestät, lächelte. »Tarnung ist alles, wie Sie sich vorstellen können.« Agatha Simpson hatte ihre Lorgnette angehoben und faltete die Stielbrille auseinander. Sie hing normalerweise an einer starken Kette am Hals und verschwand in Busenhöhe hinter der Kleidung. Sie nahm die Stielbrille hoch und musterte die Farm, die jetzt schnell näherkam. Sie nahm zur
Kenntnis, daß dieser schmale Weg in jüngster Zeit häufig befahren worden sein mußte. Die Reifenprofile einiger Wagen hatten sich tief in den Boden gedrückt. »Sind Sie eigentlich allein tätig, oder verfügen Sie noch über Mitarbeiter?« erkundigte sie sich. »Ich habe noch zwei Funk- und Peilspezialisten bei mir«, gab Dean Ledger zurück. »Sie wissen, Mylady, wegen etwaiger Raketenstarts. Wir kontrollieren jede Bewegung am Himmel.« Der angebliche Agent Ihrer Majestät hielt weiter auf die Farm zu. Es handelte sich um ein zweistöckiges Gebäude aus Bruchsteinen, an das sich ein Stall anschloß. Die Holzscheune dahinter war teilweise bereits eingestürzt. Er merkte nicht, daß Myladys Zeigefinger über den Stiel der Lorgnette glitt. Er bekam nicht mit, daß sie eine Schildpattverzierung leicht nach vorn schob. Dadurch wurde die Spitze dieses Stielkamms noch ein wenig spitzer: Eine winzige Nadel schob sich vor und wartete darauf, eingesetzt zu werden. »So, das hätten wir, Mylady«, meinte Ledger munter, als er vor dem Farmhaus hielt, dessen Fenster mit bereits morsch aussehenden Brettern zugenagelt waren. »Das hätten wir!« Lady Simpson stach zu wie eine Wespe. Dean Ledger zuckte zusammen und starrte die ältere Dame dann überrascht an. »Entschuldigen Sie, junger Mann«, meinte Lady Agatha fröhlich. »Aber eine Frau in meinem Alter ist eben doch ungeschickt.«
Dean Ledger hätte sich dazu vielleicht gern noch geäußert, doch er schaffte es nicht mehr. Er schnappte nach Luft und wollte im letzten Moment noch nach seinem Schulterhalfter greifen, doch selbst dazu reichten seine Kräfte nicht mehr aus. Er fiel über das Lenkrad und schloß die Augen. Die Detektivin zeigte sich ungewöhnlich besorgt. Sie kümmerte sich intensiv um Ledger, der darauf jedoch nicht reagierte. Lady Agatha stieg aus dem Land-Rover, ging um den Wagen herum und öffnete die Fahrertür. »Mr. Ledger, Mr. Ledger«, rief sie in fragend-verzweifeltem Ton. »Was ist denn mit Ihnen? So wachen Sie doch auf!« Als Ledger es nicht tat, wandte die ältere Dame sich um und rief mit ihrer nicht gerade zarten Stimme um Hilfe. »Ist denn hier keiner? Hallo, Hallo, ist denn hier keiner!?« Die Hilfe nahte. Und zwar in Gestalt zweier Männer, die zögernd um die linke Hausecke kamen. »Nun beeilen Sie sich doch!« Agatha Simpsons Stimme grollte. »Mr. Ledger scheint es schlecht geworden zu sein. Du lieber Himmel, so rühren Sie sich doch endlich. Es geht schließlich um Ihren Vorgesetzten!« Daraufhin rührten die beiden Männer sich . . . * »Ich möchte offen bekennen, Mylady, daß ich mich anschickte, ein wenig in Sorge zu geraten«, gestand Josuah Parker. Er stand in der Halle
des Hotels und schritt gemessen auf seine Herrin zu, die einen aufgekratzten Eindruck machte. »Mir war's zu langweilig geworden, Mr. Parker.« Sie ließ sich in einem Sessel der Halle nieder. »Ich habe mich etwas umgesehen.« »Mylady machten einen kleinen Spaziergang?« Parker war klar, daß sie ihm etwas verheimlichte. Sie vibrierte förmlich vor Triumph und Spannung. »Spaziergang? Ich war mit unserem Mr. Ledger unterwegs, Mr. Parker.« »Mylady erschrecken meine bescheidene Wenigkeit noch nachträglich.« »Wollen Sie sich nicht endlich setzen?« Sie deutete auf den freien Sessel neben sich. »Dies steht einem Butler nicht zu, Mylady.« »Setzen Sie sich schon, sonst werde ich mich ärgern!« Parker nahm ganz vorn auf der Kante des Sessels Platz, um die ältere Dame vor Ärger zu bewahren. Er saß stocksteif, als habe er einen Ladestock verschluckt. Man sah es ihm deutlich an, daß er mit dieser Aufforderung überhaupt nicht einverstanden war und sie außerordentlich mißbilligte. »Ich war mit diesem Subjekt Ledger unterwegs.« Lady Agatha winkte einen dienstbaren Geist heran und bestellte zwei dreifache Kognak. »Mein Kreislauf«, sagte sie erklärend. »Während Sie sinnlos herumgelaufen sind, habe i c h einiges getan und hinter mir.« »Mylady wurden inkommodiert?« »Umgekehrt wird ein Schuh draus, Mr. Parker.« Sie lachte unvermittelt und dröhnend. »Diese drei Lümmel hatten wohl angenommen, mich so einfach umbringen zu können.«
»Mylady versetzen meine Wenigkeit in den Zustand höchstgespannter Erwartung.« Die resolute Dame wartete bis die beiden dreifachen Kognak serviert worden waren. Sie nahm sich eines der Gläser und dann einen ungemein herzhaften Schluck. »Der ist für Sie, Mr. Parker.« »Im Dienst, Mylady, pflege ich niemals auch nur einen einzigen Tropfen. ..« »Trinken Sie, Mr. Parker!« Ihre Stimme grollte wie ein aufziehendes Gewitter. »Trinken Sie auf meinen Erfolg!« Parker kam diesem Wunsch sofort nach, um endlich mehr zu erfahren. Er begnügte sich mit einem leichten Nippen, erst jetzt berichtete die ältere Dame von ihrem Abenteuer mit dem Geheimagenten Ihrer Majestät, der tatsächlich keiner war! »Ein Schwindler, ein Agent, wahrscheinlich ein Spion«, sagte sie abschließend. »Aber das wußte ich ja bereits vom ersten Moment an. Eine Lady Simpson täuscht man nicht!« »In der Tat, Mylady!« Parker nahm einen schon herzhafteren Schluck. Nachträglich noch fürchtete er um das Leben der älteren Dame, die sich wieder mal bedenkenlos in ein geradezu mörderisches Abenteuer gestürzt hatte. »Und Mylady gelangen es, diese drei Männer zu überwältigen?« »Ledger war bereits im Land-Rover erledigt«, zählte Lady Agatha auf. »Sie wissen doch, die Lorgnette. Eine recht brauchbare Erfindung, die Sie sich da haben einfallen lassen.« »Und die beiden anderen Personen?« Parker nahm einen
weiteren Schluck, was wirklich schon sensationell zu nennen war. »Erwischte ich mit meinem Pompadour.« Lady Agatha strahlte, um dann plötzlich wie ein junges Schulmädchen zu kichern. »Sie fielen um wie die Hampelmänner, diese Subjekte.« »Ich möchte mich erkühnen, Mylady zu beglückwünschen.« »Ein kleines Training«, sagte sie abwinkend. »Übertreiben Sie nicht immer gleich so.« »Und wo befinden die drei Herren sich, wenn man höflichst fragen darf?« »Bei diesem Dean Ledger, Mr. Parker. Bei dem richtigen.« »Mylady haben den richtigen Agenten Ihrer Majestät gefunden?« »Im Keller der Farm, dem armen Teufel ging es ziemlich schlecht, aber nun dürfte er sich bedeutend wohler fühlen, nehme ich an.« »Er befindet sich auf der Farm, Mylady?« »Und wartet auf uns, Mr. Parker. Wir könnten längst bei ihm sein, wenn Sie etwas schneller wären mit Ihrem Kognak.« Als Josuah Parker den Schwenker hob, um auch den Rest zu trinken, sah er über den Rand des Glases hinweg auf einen Mann, der ihm nicht ganz unbekannt war. Ben Clayburn betrat die Halle mit der Selbstsicherheit eines Mannes, der sämtliche Trümpfe eines Spiels in der Hand hatte! * »Natürlich bin ich allein gekommen«, sagte er und setzte sich bequem im Sessel zurecht. Er lächelte
mokant, womit er Lady Agatha bereits reizte. Clayburn hatte eine Frage des Butlers beantwortet und genoß seine Überlegenheit. Er winkte einen Kellner zu sich und bestellte einen Whisky ohne Eis und Wasser. »Ich glaube, ich werde Sie gleich ohrfeigen«, kündigte Agatha Simpson an. »Selbst wenn Sie das schaffen würden, Mylady, was hätten Sie davon?« erkundigte Clayburn sich. »Ich würde mich freuen«, erwiderte die Detektivin. »Es werden wahrscheinlich zwei Ohrfeigen sein.« »Die man bitter bezahlen müßte, Mylady.« »Sie wollen mir drohen?« Sie nahm bereits Maß, und Clayburn rückte nun doch sicherheitshalber ein kleines Stück von ihr ab. »Nicht Ihnen, Mylady, nicht Ihnen«, meinte Clayburn dann und lächelte bereits wieder mokant. »Aber denken Sie doch bitte mal an das, was Sie leider zufällig gesehen haben.« »Sie meinen sicher die Rakete, Mr. Clayburn?« schaltete Parker sich vermittelnd und ablenkend ein. »Richtig, Mr. Parker, Sie haben es erfaßt. Übrigens, erstklassige Arbeit draußen in der Nacht. Wirklich, ich hätte Sie gern auf meiner Seite. Darüber sollten wir uns bei passender Gelegenheit mal unterhalten. Ich trage Ihnen nichts nach, ich anerkenne Könner.« »Was ist mit der Rakete?« Lady Simpson bezwang ihren Wunsch, ihren Glücksbringer einzusetzen. »Sie wird auf ein bestimmtes Ziel abgefeuert werden, wenn ich mich nicht in gewissen Abständen melde.
Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?« »Überhaupt nicht, Sie Lümmel!« Lady Simpson fauchte. »Eine der fertigen Raketen steht abschußbereit auf der Rampe«, erläuterte Clayburn. »Sie wird von meinen Leuten abgefeuert, wenn ich mich nicht in bestimmten Abständen melde. Ach, Sie sollten noch wissen, daß dieser kleine Feuerwerkskörper auf Newbury gerichtet ist. Dort findet gerade ein Volksfest statt.« »Sie bluffen!« »Wollen Sie es darauf ankommen lassen, Mylady? Auf diesem Volksfest sind viele Mütter mit ihren Kindern. Wollen Sie es tatsächlich darauf ankommen lassen?« »Sie dürften nicht ohne Absicht hierher gekommen sein, Mr. Clayburn«, warf Parker ein. »Richtig, Mr. Parker. Sie sind eben ein vernünftiger Mensch!« Clayburn zwinkerte der älteren Dame zu, die plötzlich keine Lust mehr hatte, mit ihrem Pompadour auf Clayburn einzudreschen. Ein unbestimmtes Gefühl sagte ihr, daß dieser Mann wohl doch nicht bluffte. »Und welche Absichten, Mr. Clayburn, verfolgen Sie?« fragte der Butler weiter. »Woher wußten Sie überhaupt, daß ich hier bin?« wollte die Detektivin wissen. Sie ärgerte sich maßlos. »Geschäftspartner in Chilton verständigten mich«, gab Clayburn zurück. »Sie hatten herausgefunden, daß Mr. Parker sich nach ihnen erkundigte. Daraufhin schlugen sie bei mir Alarm. Und darum bin ich nun hier, um Sie einzuladen.«
»Diese Einladung nehme ich nicht zur Kenntnis«, fauchte Lady Agatha. »Denken Sie an die Rakete und an das Volksfest«, erinnerte Clayburn lässig und trank seinen inzwischen servierten Whisky. »Entschuldigen Sie mich jetzt für einen Moment, ich muß den Start der Rakete stoppen, sonst passiert ein Unglück.« Er stand auf und ging hinüber in eine der Telefonzellen. Dabei warf er einen schnellen und betont prüfenden Blick auf seine Armbanduhr. ,»Bluff oder nicht, Mr. Parker?« Lady Simpson war nervös geworden. Sie dachte an das Volksfest im nahen Newbury und an die Frauen und Kinder. »Mr. Clayburns Selbstsicherheit dürfte kaum gespielt sein, Mylady«, gab der Butler gemessen zurück. »Wenn es gestattet ist, würde ich die augenblickliche Situation als außerordentlich ernst bezeichnen.« »Lassen Sie sich gefälligst etwas einfallen, Mr. Parker.« »Darauf richten sich bereits meine bescheidenen gedanklichen Anstrengungen, Mylady«, erwiderte Josuah Parker. »Aber Mylady sollten davon ausgehen, daß man nicht allein ist.« Bevor die ältere Dame eine Frage dazu stellen konnte, kam Clayburn bereits wieder zurück und setzte sich. »Weitere zehn Minuten gewonnen«, sagte er. »Aber warum habe ich mich eigentlich gesetzt? Ich wollte Sie ja einladen, mit mir zu Professor Falcon zu fahren. Er ist gern bereit, Ihnen seine Arbeiten zu zeigen. Ich bin sicher, daß Sie seine Einladung nun nicht mehr abschlagen werden.«,
»Zehn Minuten werden nicht ausreichen, Mr. Clayburn, das Versuchsgelände zu erreichen.« »In meinem Wagen liegt ein Funksprechgerät. Damit verständige ich mich mit meinen Mitarbeitern, Mr. Parker. Kommen Sie, während der Fahrt könnte man noch ein wenig plaudern!« Man hörte förmlich das Zähneknirschen der resoluten Dame, die notgedrungen aufstand und zur Tür ging. Parker folgte, dann Clayburn, der sich eine Zigarette anzündete und bester Laune war. Er nahm sich sogar noch die Zeit, sich nach einer sehr reizvollen Blondine umzudrehen, die seinen Weg kreuzte, so daß er einen Moment lang stehenbleiben mußte. Die Blondine war äußerst attraktiv und machte einen durchaus einladenden Eindruck. * »Ich denke, Mr. Parker, wir nehmen Ihren Wagen«, schlug Ben Clayburn vor, als man die Straße erreicht hatte. »Darf ich Sie noch mal daran erinnern, daß irgendwelche Tricks sinnlos sind? Denken Sie an das Volksfest in Newbury. Es wäre doch sehr schade, wenn da inmitten fröhlicher Menschen eine Rakete einschlagen würde, nicht wahr?« »Vergessen Sie nicht, Mr. Clayburn, stets rechtzeitig ihren Stopcode durchzugeben«, erinnerte der Butler, als er die Wagentüren öffnete. Lady Simpson nahm auf dem Rücksitz Platz und war verstimmt. Sie wußte, daß ihr im Moment die Hände gebunden waren. Sie hatte keine Möglichkeit,
diesem Gangster einen Denkzettel zu verabreichen. Josuah Parker setzte sich ans Steuer und wartete, bis auch Clayburn Platz genommen hatte. Erfreulicherweise saß er neben der alten Dame und hatte so keine Gelegenheit, sich mit dem reichhaltig ausgestatteten Armaturenbrett zu befassen. Seine Neugier hätte unter Umständen eine Katastrophe auslösen können. Während der Fahrt hinaus zum Versuchs- und Privatgelände setzte Clayburn tatsächlich alle zehn Minuten einen Funkspruch ab. Er bediente sich dazu eines kleinen Funksprechgerätes. Er gab jedesmal nur eine Zahlenreihe durch. Im Rückspiegel hatte Parker bereits beobachtet, daß der Wagen, mit dem Clayburn gekommen war, ihnen folgte. Er war also doch nicht so allein gekommen, wie er es behauptet hatte. Aber darauf kam es nun überhaupt nicht mehr an. Dieser Gangster hatte seine Einladung sehr geschickt verpackt und Lady Simpson und Butler Parker quasi die Verantwortung für einen möglichen Massenmord zugeschoben. »Ihre Geschäftsfreunde haben Sie also angerufen«, frage Lady Simpson. Sie hatte sich entschlossen, ein wenig Konversation zu machen. »Mr. Parkers Interesse an gewissen Gästen in Chilton war zu offenkundig«, erwiderte Clayburn und lächelte. »Diese Geschäftsfreunde fühlten sich bedroht, oder anders ausgedrückt, zu sehr beobachtet.« »Sie haben in Chilton wohl eine kleine Armee von Interessenten versammelt, wie?«
»Unsere Billigstrakete wird der Schlager des Waffengeschäfts«, antwortete Clayburn mit brutaler Offenheit. »Gut, Professor Falcon glaubt an Weltraumforschung, aber warum sollte ich ihm diese Illusion nehmen? Hauptsache, er entwickelt das System so, daß wir die Unterlagen verkaufen können.« »Möglichst an jeden, der Raketen haben möchte?« »Mylady, das ist doch der Sinn eines Geschäftes.« Clayburn lachte leise. »Ihnen ist es also gleichgültig, wenn gewisse Staaten sich dann später gegenseitig mit diesen Raketen beschießen?« »Um Politik kümmere ich mich nicht. Jeder hat das Recht, sich so umzubringen, wie ihm das vorschwebt. Ich bin da völlig liberal.« »Sie rechnen nicht damit, daß man Ihre Versuche bereits intensiv beobachtet?« »Aber das ist einkalkuliert, Mylady.« Clayburn schien nichts aus der Fassung bringen zu können. »Natürlich möchte man mir die Unterlagen abjagen. Vielleicht möchte man auch Professor Falcon entführen. Ich rechne mit allen Möglichkeiten.« »Und wer Ihre Arbeit stört, den bringen Sie um, wie?« »Ich setze ihn außer Gefecht, Mylady. Aber was Sie und Mr. Parker anbetrifft, so habe ich mir da eine neue Methode ausgedacht. Sie werden begeistert sein.« »Eine neue Mordmethode?« Agatha Simpson zeigte erfreulicherweise weder Angst noch Panik. »Lassen Sie es mich so ausdrücken: Sie werden Teil eines Großversuchs werden. Sie werden das Glück haben,
sich unseren Globus so anzusehen, wie er im All schwebt. Um dieses Abenteuer beneide ich Sie richtig, ob Sie mir das nun glauben oder nicht!« * »Mensch, die muß ja aus 'nem Magazin gestiegen sein«, sagte Gene Gate und stieß einen leisen Pfiff aus. »Wer?« fragte Rich Peters. Er saß neben seinem Partner im Jeep und steuerte den geländegängigen Wagen. Die beiden Gangster hatten sich von ihrer Niederlage in der Nacht erholt und taten wieder Dienst. Clayburn hatte ihnen zwar gründlich den Kopf gewaschen, doch alles als eine Panne abgetan, die jedem mal passieren konnte. Gene Gate und Rich Peters fuhren Patrouille und sicherten das Versuchsgelände bereits im Vorfeld nach lästigen Beobachtern ab. Sie befanden sich mit dem Jeep in der grünen Parklandschaft der Wessex Downs und hatten eben erst auf einem Hügel gehalten, der mit Büschen und Sträuchern bewachsen war. »Mein lieber Mann«, murmelte Gene Gate weiter und regulierte noch mal zusätzlich die Optik seines Fernglases. »Wie hat die sich denn hierher verirrt?« »Laß mal sehen.« Rich Peters nahm seinem Partner das Glas weg und brauchte nicht lange zu suchen, bis auch er einen leisen und anerkennenden Pfiff ausstieß. »Na, was sagste jetzt?« fragte Gene Gate. »Sagenhaft! Und sowas läuft frei herum ...«
Die Begeisterung der beiden Männer hatte ihren Grund. Sie bezog sich auf eine ungemein attraktive Blondine, die drüben auf halber Höhe eines sanften Hügels gerade so etwas wie einen intimen und privaten Striptease vorführte. Sie trug Reithose, die die Länge ihrer Beine noch zusätzlich unterstrich. Im Augenblick war sie dabei, die lästige Oberbekleidung abzustreifen. Sie wollte wohl ein Sonnenbad nehmen und fühlte sich selbstverständlich völlig unbeobachtet. Rechts hinten stand ein Reitpferd, das an einem Strauch festgebunden war. Gene Gate und Rich Peters hatten den Eindruck, daß selbst das Pferd verstohlen nach seiner Reiterin schielte. Sie hatte sich inzwischen von dem befreit, was sie hinderte, die Sonne zu genießen, setzte sich ins Gras, dehnte und reckte die Arme, um sich dann langsam niederzulegen. Sie tat das mit der Grazie und Geschmeidigkeit einer jungen Löwin. »Ist die schon auf dem Privatgelände?« fragte Gate und reichte das Fernglas wieder seinem Partner. »Sie is' dicht dran«, erwiderte Peters. »Man sollte sie im Auge behalten«, schlug Gene Gate vor. »Na, und ob!« Rich Peters grinste. »Weiß der Henker, wer sie ist und was sie will.« »Wir sollten vielleicht mal näher 'rangehen, wie?« Gate reichte die Schärfe der Optik nicht. »Sollten? Wir müssen!« Peters stieg aus dem Jeep. »Die Karre lassen wir stehen.« Bevor sie sich in Marsch setzten, sahen sie sich die Sonnenanbeterin noch mal sehr genau an. Ja, die Dame hatte keine Ahnung, daß sie intensiv beob-
achtet wurde. Sie hatte ihre Arme hinter dem Kopf verschränkt und die Augen geschlossen. Sie hatte ein exotisch geschnittenes Gesicht mit betonten Backenknochen. Ihre Taille war schmal, und auch sonst stimmte alles. Perfektion! Sie war tatsächlich so etwas wie ein Traummodell, wie man es nur in einschlägigen Magazinen sieht. Die beiden Gangster pirschten sich langsam an die Blondine heran. Zwischendurch blieben sie immer wieder stehen und nahmen Maß. Je näher sie kamen, desto wirkungsvoller war die Ausstrahlung der jungen Frau, die ihrer Schätzung nach fünfundzwanzig war. »Und wenn sie jetzt auf dem Privatgelände 'rumliegen würde?« fragte Rich Peters während einer kleinen Beobachtungspause. »Dann müßten wir sie höflich darauf aufmerksam machen«, gab Gene Gate. »Du weißt doch, Clayburn will keinen Ärger haben.« »Schade, mit der hätt' ich gern einigen Ärger«, erwiderte Peters. Während der letzten Wegstrecke waren sie ruhig. Sie pirschten sich immer näher an ihr Opfer heran und blieben schließlich hinter einem Wacholderstrauch stehen. Nun konnten sie die Blondine eingehend studieren. Ihre vollen, roten und feuchten Lippen hatten sich ein wenig geöffnet und gaben blendend weiße Zähne frei. Sie strich jetzt eine vorwitzige Haartolle aus der Stirn und breitete beide Arme weit aus. Sie schien die Sonne umarmen zu wollen. Gene Gate nickte seinem Partner zu und trat dann geräuschvoll hinter dem Wacholderstrauch hervor.
Die Überraschte fuhr hoch und nahm schützend die Arme vor ihre Blöße. Sie sah die beiden schnell herankommenden Männer auch ein wenig ängstlich an. »Keine Angst«, sagte Gene Gate und lächelte breit. »Wir sind keine Strauchdiebe«, fügte Rich Peters hinzu. »Wir müssen Sie nur drauf aufmerksam machen, Miß, daß Sie auf Privatgelände liegen.« »Macht das dem Gelände etwas aus?« fragte sie und lächelte beruhigt. »Werden Sie mich jetzt festnehmen? « »Geht leider nicht.« Gate zeigte sich von seiner besten Seite. »Reiten Sie nur nicht weiter 'runter ins Tal«, bat Peters, der sich ebenfalls bester Manieren befleißigte. »Ist das hier eine Sperrzone?« Sie deutete in Richtung Versuchsgelände. »So ungefähr«, meinte Gene Gate. »Sie sind neu hier in der Gegend?« »Heute morgen angekommen«, erwiderte sie und griff verstohlen nach ihrer Bluse. »Mein Vater macht ein paar Tage Urlaub in Chilton.« »Wir sind gleich wieder weg«, sagte Rich Peters, der den Griff nach der Bluse natürlich bemerkt hatte. »Sie können weiter die Sonne verführen, Miß.« »Ich bin Jill Horton«, stellte sie sich vor. »Wir wohnen im Reiterhotel. Sagen Sie, was ist hier eigentlich so los? Ich fürchte, Chilton ist ziemlich langweilig. « »Ein Lunapark ist Chilton gerade nicht, Miß Horton«, pflichtete Gate ihr bei. »Wollen Sie sich nicht endlich umdrehen?« bat Jill Horton. »Ich möchte was überziehen.«
»Lassen Sie nur, wir gehen sofort.« Rich Peters bemühte seinen Charme. »Schade«, sagte sie, und es klang wirklich bedauernd und spontan.« Aber wenn das hier Privatgelände ist, werde ich wohl besser wegreiten. Mein Vater wird ohnehin schon in Sorge sein.« »Könnte man sich vielleicht mal treffen?« erkundigte sich Gene Gate. »Könnte man.« Sie nickte. »Ich hasse Langeweile.« »Wir melden uns bei Ihnen, Miß Horton«, erklärte Rich Peters. »Nein, nein, nicht anrufen!« Sie schüttelte hastig den Kopf. »Mein Vater ist ziemlich altmodisch. Er hat es nicht gern, wenn ich Bekanntschaften mache.« »Und wie könnte man sich arrangieren?« Gene Gate verschlang sie mit seinen Augen. »Vielleicht wieder hier?« Sie lächelte kokett. »Oder noch besser, in Chilton, ja? Am Marktplatz gibt es eine Bar, wie ich gesehen habe. Vor diesem Haus, ja?« »Und wann?« fragte Rich Peters. »Gegen acht Uhr, einverstanden?« Sie hatte sich umgedreht und die Bluse über ihren nackten Oberkörper gestreift. Als sie sie zuknöpfte, wandte sie sich bereits wieder zu den beiden Gangstern um. Sie ging zum Pferd hinüber, löste es vom Strauch und stieg geschmeidig in den Sattel. Da passierte es! Das Pferd tänzelte unruhig, steilte hoch und - warf die Reiterin ab. Sie landete genau zu Füßen der Kerle und blieb regungslos im Gras liegen. Sie beeilten sich, ihr zu helfen. Sie stürzten sich förmlich auf die ohnmächtige Frau und dachten mit
Sicherheit zumindest an eine Mundzu-Mund-Beatmung. * »Äh, haben wir uns nicht schon mal gesehen?« fragte Professor Falcon und musterte den Butler durch seine Brille. »Ja? Nein? Nun, es spielt ja auch keine Rolle. Und Sie, Madam, interessieren sich für die Raumfahrt? Hat man selten, äh, ja, hat man selten.« Butler Parker und Lady Simpson befanden sich in dem riesigen Montageund Abschußbunker, den Parker bereits von einem der Monitore her kannte. Er sah erst jetzt, wie hoch diese Halle war, die sich oben öffnen ließ. Beim Eintreten wurden gerade zwei schwere Betonschieber zusammengefahren und geschlossen. Dennoch war es taghell in dieser Halle. Auf den Stahlrohrgerüsten waren Monteure zu sehen, die irgendwelche Arbeiten ausführten und sich um die Besucher nicht weiter kümmerten. Mylady und Parker konnten sich selbstverständlich nicht frei bewegen. Abgesehen von Clayburn, der neben ihnen stand, hielten sich im nahen Hintergrund einige Wachmänner einsatzbereit. Sie zeigten sehr ungeniert ihre Schußund Schlagwaffen. »Das ist sie also«, sagte Parker, sich an den Professor wendend. »Darf ich gestehen, daß meine kühnsten Erwartungen weit übertroffen werden, Sir?« »Eine Rakete wie jede andere«, sagte die ältere Dame bissig. »Eben das beweist, daß Sie keine Ahnung haben.« Falcon drehte sich zu
ihr um und funkelte sie an. »Ich arbeite nach einem völlig neuen Prinzip.« »Papperlapapp, Professor«, fuhr die Detektivin ihm über den Mund. »Das gibt es nicht.« »Das glauben diese sogenannten Wissenschaftler«, sagte Falcon und lächelte. »In den uns bekannten Raketen gibt es getrennte Brennstoffbehälter, die Kerosin und Wasserstoff enthalten. Erst in der Brennkammer wird dieses Gemisch entzündet.« »Sie sprechen jetzt wahrscheinlich und möglicherweise von den Grundstufen konventioneller Raketen, Sir?« warf Parker ein. »Richtig, vollkommen richtig.« Falcon nickte beifällig. »Die oberen Raketenstufen arbeiten zwar nach demselben Prinzip, jedoch mit anderen Treibstoffen, die wesentlich komplizierter sind und daher auch teurer ausfallen. Bei mir aber ist das alles ganz anders.« »Schnickschnack«, ärgerte Agatha Simpson sich halblaut. »Sehen Sie sich die Rakete an«, forderte Professor Falcon die ältere Dame auf. »Können Sie da irgendwelche Treibstofftanks erkennen?« Sie waren tatsächlich nicht vorhanden, wie der Butler längst bemerkt hatte. Die Verkleidungsbleche der Rakete waren teilweise abmontiert und ließen einen Blick auf das Innere der Rakete zu. Parker sah nur Bündel von langen, glänzenden Rohren. »Nickelstahl, einfacher Nickelstahl«, redete Edwin Falcon weiter und geriet immer mehr in einen Zustand der Begeisterung. »Sie sind Tanks und Brennkammern in einem, haben Sie
begriffen? Sie sind Tanks und Brennkammern in einem!« »Und welchen Treibstoff verwenden Sie, Sir?« »Dieselöl und Salpetersäure«, gab Professor Falcon zurück. »Sie verbrennen in diesen Röhrenkammern und ergeben den Staustrahl.« »Genial, nicht wahr?« Clayburn fühlte sich genötigt, auch etwas zu sagen. »Dieses Prinzip ist nicht gerade revolutionär oder neu«, antwortete Josuah Parker beiläufig. »Daß Dieselöl und Salpetersäure in Röhrenkammern verbrennen, ist seit einigen Jahrzehnten bekannt. Ich darf vielleicht ein anderes Problem ansprechen, Professor?« »Dieses Verfahren ist tatsächlich nicht neu«, sagte Falcon erst mal und nickte zustimmend, »aber hier wird es konsequent angewendet.« »Die Röhrenenden sind nicht schwenkbar, wie mich deucht«, redete Parker in seiner ihm eigenen Art weiter. »Wie wollen Sie die Rakete also steuern, wenn diese Frage gestattet ist?« »Sie haben das Problem sofort erkannt. Sehr begabt, sehr begabt!« Professor Falcon freute sich. »Schwenkbare Steuerdüsen gibt es bei mir nicht. Völlig unnötiger Aufwand. Je nach Wunsch und Kurskorrektur öffne und schließe ich bestimmte Rohrbündelsysteme. Was wird dann geschehen? Antworten Sie!« »Die Rakete wird entsprechend neue Flugrichtungen einschlagen«, erwiderte Parker wie ein Musterschüler. »Durch das Weiter brennen anderer Bündelsysteme entstehen einseitige
Schübe, die man untereinander kombinieren kann.« »Gut, sehr gut, sogar ausgezeichnet.« Falcon benahm sich wie ein Schulmeister, war mit der Antwort zufrieden. »Ahnen Sie, womit ich das öffnen und Schließen der Treibwerksventile bewerkstellige? Sie werden nie darauf kommen, niemals!« »Ich möchte mir gestatten zu kapitulieren, Sir.« »Scheibenwischermotoren, verstehen ' Sie, Scheibenwischermotoren. Wissen Sie, was das ist?« »Sie meinen jene ordinär einfachen Motoren, die die Wischblätter der Autoscheibenanlagen betreiben, Sir?« »Sie funktionieren erstklassig und sind spottbillig. Diese Rakete stellt kostenmäßig alles in den Schatten was bisher je konstruiert wurde.« »Auf dem Zeichenbrett dürfte das alles ausgezeichnet funktionieren«, entgegnete Parker. »Aber in der Wirklichkeit, Sir? Darf ich daran erinnern, daß Sie sich über die Fernsteuerung beklagten, als ich den Vorzug hatte, Sie kennenzulernen?« »Diese Panne ist bereits ausgebügelt und existiert nicht mehr. Inzwischen ist meine Billigstrakete zu steuern wie ein Flugzeugmodell.« »Sie werden das ja bald erleben«, schaltete Clayburn sich nun wieder ein, während Falcon hinter einer Montagebühne verschwand. »Wir wollen unseren potentiellen Kunden einen Großversuch vorführen. Und dafür habe ich mir einen ganz besonderen Gag ausgedacht. «
»Wollen Sie uns etwa hinauf auf den Mond schicken?« fragte Lady Simpson grimmig. »Sie sagen es, Mylady, Sie sagen es! Ausgezeichnet!« Clayburn imitierte die Sprechweise des Professors. »Es wird für Sie eine Reise ohne Rückkehr werden!« * »Sie glauben doch nicht ernsthaft, daß dieses Ding fliegen wird, Mr. Parker? « Agatha Simpson zeigte eine gewisse Unruhe. Sie befand sich zusammen mit ihrem Butler in einem kleinen, fensterlosen Bunker. Clayburn hatte sie hierher bringen lassen, damit sie sich auf ihren Flug durchs All innerlich vorbereiten konnten, wie er sich ausgedrückt hatte. »Es wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlich tatsächlich fliegen, Mylady«, gab der Butler zurück. »Das Prinzip dieser gebündelten Nickelstahlröhren ist bekannt, der Treibstoff ebenfalls.« »Sie wollen mir Angst einjagen, nicht wahr?« »Keineswegs und mitnichten, Mylady. In diesem Zusammenhang darf ich an ein Magazin erinnern, das sich Spiegel nennt und in Westdeutschland erscheint. Darin wurde ausgiebig über dieses neue und alte Prinzip berichtet.« »Aber wir werden doch nie im All oder auf dem Mond landen!« »Nach meinen bescheidenen Kenntnissen, Mylady, erreichten Billigstraketen dieser Bauweise bereits Höhen von bis zu sechzig Kilometern.«
»Na, also!« Sie seufzte erleichtert auf. »Das ist doch gar nichts.« »Die Mylady sicher noch bekannte V-2-Rakete aus dem Zweiten Weltkrieg schaffte auf Anhieb eine Gipfelhöhe von neunzig Kilometern. Professor Falcon dürfte diese Werte längst überschritten haben.« »Der Mond interessiert mich überhaupt nicht, Mr. Parker. Ich hoffe, daß Sie bald etwas unternehmen.« »Zur Zeit, Mylady, sehe ich mich dazu außerstande«, räumte Parker höflich ein. »Die Betonwände hier dürften meterdick sein. Und die Panzertür ist auch mit meinen Mitteln auf keinen Fall zu sprengen.« »Sie haben sich schlecht auf solch eine Möglichkeit vorbereitet, Mr. Parker. Das muß mal deutlich gesagt werden.« Sie sah ihn streng an. »In der Tat, Mylady«, räumte der Butler ein. »Aber das von Mylady angesprochene Problem liegt meiner bescheidenen Ansicht nach auf einem anderen Gebiet.« »Nämlich?« Sie wanderte unruhig durch den kleinen und niedrigen Betonbunker. »Die Höhe, die die Rakete erreichen wird, Mylady, dürfte nicht relevant sein, wenn ich mich so ausdrücken darf. Es geht um die Landung.« »Sie meinen jetzt so etwas wie eine weiche Landung?« »In der Tat, Mylady, die Landung wird das sein, was man nur als äußerst hart bezeichnen kann.« »Dieser Schuft will uns also umbringen?« »Daran, Mylady, durfte kein Zweifel bestehen.« »Das werde ich mir nicht bieten lassen«, grollte die resolute Dame. Dann
gähnte sie und schwankte leicht. Josuah Parker sah sich genötigt, seiner Herrin zu Hilfe zu kommen. Sie landete in seinen Armen und wurde schlaff. Als Parker sie vorsichtig auf dem Betonboden abgesetzt hatte, gähnte inzwischen auch er ausgiebig. Er setzte sich neben Lady Simpson und schloß die Augen. Ihm war klar geworden, daß Clayburn über einen der beiden kleinen Lüftungsschächte ein Betäubungsmittel einblasen ließ. Wahrscheinlich wollte man Lady Simpson und ihn für den Start zum Mond vorbereiten! * »Gute Arbeit, Miß Porter«, sagte der Mann, der hinter den Sträuchern und Büschen erschien und ein wenig außer Atem war. Er nickte der attraktiven Blondine anerkennend zu und verschnaufte erst mal. Der Mann war etwa fünfzig Jahre alt, klein, rundlich und hatte leicht hervorstehende Augen, die dem Gesicht den Ausdruck einer gereizten Bulldogge verliehen. Es handelte sich um ChiefSuperintendent McWarden, der im Yard ein Sonderdezernat leitete. Die Blondine, Miß Kathy Porter, war die Sekretärin und Gesellschafterin einer gewissen Lady Simpson. Darüber hinaus verstand sie sich als Meisterschülerin Butler Parkers. Durch ihn hatte sie die Kunst gelernt, sich blitzschnell und nur mit wenigen Hilfsmitteln in einen anderen Menschen zu verwandeln. Sie war noch in der Nacht von Parker ausgiebig informiert worden. Daraufhin hatte Kathy Porter sich
sofort mit Chief-Superintendent McWarden in Verbindung gesetzt. Gemeinsam waren sie dann in die Wessex Downs gefahren, um bei Bedarf zur Verfügung zu stehen. McWarden blickte auf die beiden Gangster Gene Gate und Rich Peters hinunter. Sie lagen regungslos im Gras und standen noch unter dem Einfluß leichter Handkantenschläge, die Kathy Porter verteilt hatte. »Ich denke, wir bringen sie zu Ledger«, sagte der Chief-Superintendent und holte ein kleines, handliches Funksprechgerät hervor. »Diese beiden Kerle müssen erst mal weggeschafft werden.« Er setzte seinen Spruch ab. Er hatte sich inzwischen mit dem wirklichen Dean Ledger in Verbindung gesetzt, was an sich nicht einfach gewesen war. Normalerweise hätte der Geheimdienst Ihrer Majestät niemals mit einem ganz normalen YardBeamten zusammengearbeitet, doch der Hinweis auf Lady Simpson und Butler Parker hatte echte Wunder bewirkt. Eine Kurzschaltung zwischen dem echten Ledger und McWarden war danach nur noch eine Frage von knapp einer Stunde gewesen. Es hatte sich wieder mal gezeigt, wie weitverzweigt und intensiv die verwandtschaftlichen Beziehungen der Lady waren. Es war aber auch deutlich geworden, wie sehr man Parker in fast allen Dienststellen schätzte, mochten sie auch noch so geheim sein. Wenn der Butler sich für einen Fall interessierte, dann war man nur zu gern bereit, mit ihm zusammenzuarbeiten. Die lange Liste seiner bisherigen Erfolge sprach Bände.
»Wie kommen wir an das eigentliche Versuchsgelände heran?« fragte McWarden, nachdem er Dean Ledger verständigt hatte. »Ich würde am liebsten zum Sturm blasen, Miß Porter.« »Und damit das Leben Myladys und Mr. Parkers gefährden, Sir«, antwortete Kathy Porter. »Eben, ich weiß.« McWarden nickte wütend. »Zudem würden wir natürlich nichts finden, glaube ich.« »Das wohl schon, Sir, Raketen! Sie wissen, was Mr. Parker am Telefon mitgeteilt hat.« »Das bringt uns nicht weiter.« McWarden schüttelte den Kopf. »Das heißt, wir würden uns einen saftigen Prozeß einhandeln. Unsere Gesetze hier auf der Insel sind streng, was Privateigentum angeht.« »Vielleicht könnte ich mit einem durchgehenden Pferd näher an die Betonbunker herankommen, Sir«, schlug Kathy Porter vor. »Und würden sich damit unter Umständen in Lebensgefahr bringen, Miß Porter. Nein, nein, diese Verantwortung kann ich nicht übernehmen.« »Vergessen Sie nicht, daß Lady Simpson und Butler Parker sich dort befinden, Sir. Vielleicht geht es nur noch um Stunden oder Minuten.« »Sie argumentieren sehr überzeugend, Miß Porter.« »Und ich werde danach handeln, Sir.« Sie nickte ihm zu und saß im Sattel, bevor McWarden irgendwelche Einwände vorbringen konnte. Sie gab ihrem Pferd die Sporen und galoppierte aus dem Stand heraus den Hügel hinunter. Chief-Superintendent McWarden nickte noch mal anerkennend. Was sie
da tat, war im Grund die einzige Möglichkeit, legal an die Betonbunker heranzukommen. Doch gab es da vielleicht noch eine illegale Möglichkeit? McWarden sorgte sich sehr um Lady Simpson und Butler Parker. Ja, er mußte unbedingt etwas für sie tun, auch wenn er sich später großen Ärger mit seinen Vorgesetzten einhandelte. Freunde ließ man nicht im Stich! * Butler Parker kam zu sich und fühlte sich gar nicht wohl. Es kostete ihn einige Mühe, die Augen offenzuhalten, die Lider waren schwer wie Blei. Sein Unterbewußtsein registrierte, daß er halb lag, daß diese Lage aber nicht gerade unbequem war. Es dauerte noch einige Sekunden, bis sein Hirn die ersten optischen Signale verarbeiten und deuten konnte, die seine Augen lieferten. Dann durchfuhr es ihn siedend heiß, wie er später durchaus offen einräumte. Wenn ihn nicht alles täuschte, befand er sich in einer äußerst engen Astronautenkapsel, wie er sie von vielen Fernsehsendungen her kannte. Er war festgeschnallt auf einem Konturensitz, der mehr eine Liege war, die sich seinem Körper anpaßte. Knapp über ihm und vor seinen Augen gab es Schalttafeln, die mit Knöpfen, flackernden Signalen, Kipphebeln und Drehknöpfen übersät waren. Und nun spürte er auch eine gewisse Vibration, die durch den gepolsterten Konturensitz seinen Körper erreichte. Sie wurde mal stärker, schwächte sich
wieder ab, um dann unvermittelt in ein hartes Stoßen und Rütteln überzugehen, das aber schon nach wenigen Augenblicken wieder nachließ und in eine normale Vibration überging. Erst jetzt entdeckte Parker eines der beiden kleinen Dreieckfenster. Dahinter herrschte pechschwarze Finsternis, doch plötzlich sah er leuchtende Punkte, die er als Sterne identifizierte. Gut, er wurde nicht gerade von wilder Panik erfaßt, doch Parkers Unwohlsein verstärkte sich noch. Er hatte das fast schon sichere Gefühl, tatsächlich in einer Raumkapsel zu liegen, die durch das All flog. Hatte Clayburn seine Drohung wahrgemacht und ihn samt der Billigstrakete in den Weltraum geschossen? Lady Simpson! Er wandte langsam den Kopf zur Seite und . . . sah seine Herrin neben sich liegen. Auch sie thronte wie hingegossen auf einem Konturensitz, schien aber noch nicht aus ihrer Betäubung oder Ohnmacht erwacht zu sein. »Mylady, Mylady«, rief Parker leise, aber eindringlich. »Sollten Sie möglicherweise schon in der Lage sein, sich mit gewissen Tatsachen abzufinden?« Nein, sie war dazu noch nicht in der Lage. Mylady schnarchte. Die ältere Dame, ebenfalls festgeschnallt, hatte noch nicht den Vorzug, diesen Raumflug zu genießen. Parker nahm wieder den Kopf herum und studierte die vielen bunten Signallichter, die nach irgendeinem bestimmten Rhythmus aufflackerten, wieder erloschen und dann offensichtlich verrückt spielten. Dann war da wieder dieses gefährliche Stoßen und Rütteln, die stärker
werdende Vibration und dann wieder nur ein sanftes Wiegen. Erst jetzt merkte Parker, daß weder Agatha Simpson noch er Sauerstoffmasken oder Raumhelme trugen. Auch der Andruck in den Konturensitzen war völlig normal und entsprach wohl dem eigenen Körpergewicht. Seit wann mochte diese Raumkapsel unterwegs sein? Parker hatte verständlicherweise jedes Zeitgefühl verloren. Er suchte auf den vielen Schalttafeln nach einer regulären Uhr, konnte aber nichts dergleichen entdecken. Sollte die Rakete des Professors es wirklich geschafft haben, der Erdanziehungskraft zu entkommen? Befand sie sich bereits jenseits der Erdumlaufbahn? Ging es tatsächlich hinauf zum Mond, von dem der Professor als Ziel gesprochen hatte? Im Grund wollte Josuah Parker sich das nicht vorstellen. Er dachte an die wochenlangen Vorbereitungen, die man von Kap Kennedy her kannte, er dachte an den langwierigen Countdown, der solch einem Raumstart vorausging. Und das alles sollte Professor Falcon umgangen und eingespart haben? Er sollte einfach diese Billigstrakete gezündet und in den Weltraum abgeschossen haben? Falls er das geschafft hatte, war seine Konstruktion einmalig und sensationell, dann war sie geradezu revolutionär. Parkers Gedanken wurden abgelenkt. Durch eines der kleinen Dreiecksfenster sah er überraschend einen grellen Planeten erscheinen. Der Mond!?
Parker hielt für einen Moment unwillkürlich den Atem an. Nein, das konnte unmöglich stimmen! Aber seine Augen gaukelten ihm keineswegs etwas vor. Natürlich, das mußte der Mond sein. Er sah bereits recht deutlich riesige Mondgebirge und Krater, dunklere Mare, scharfe Schatten. »Mr. Parker?« Lady Simpson war zu sich gekommen. Ihre Stimme klang etwas heiser. »Mr. Parker, sehen Sie das, was ich sehe!?« »Ich möchte es auf keinen Fall leugnen, Mylady«, erwiderte Parker schon wieder mit gewohnter Höflichkeit. »Sehen Sie ein Gebilde, das wie der Mond aussieht?« »In der Tat, Mylady, es müßte sich um den oft zitierten Erdtrabanten handeln.« »Wie ... Wie ist das möglich?« »Mylady nehmen offensichtlich wie meine bescheidene Wenigkeit an einem Mondflug teil.« »Ausgeschlossen! Sagen Sie, daß das nicht wahr ist, Mr. Parker, ich bestehe darauf.« »Der optische Eindruck scheint meine Behauptung zu unterstreichen.« »Dieses Subjekt Clayburn kann sich auf einiges gefaßt machen, wenn ich erst wieder auf der Erde bin.« »Mylady rechnen mit einer glücklichen Rückkehr?« »Sie etwa nicht? Sind nicht auch die amerikanischen Astronauten zurückgekehrt?« »Die Voraussetzungen dazu, Mylady, dürfen ein wenig günstiger gewesen sein.« »Lassen Sie sich gefälligst etwas einfallen, Mr. Parker. Könnte man nicht
schon jetzt umdrehen? Der Mond interessiert mich nicht.« Nach dieser Feststellung schwieg Agathe Simpson für einige Momente, denn die Raumkapsel geriet wieder in starke Schwingungen, drehte sich eindeutig nach hinten und ließ die Beine der Insassen nach oben steigen. Dann gab es einen harten Ruck, und die Kapsel vollführte eine Drehung nach vorn, bis Mylady und Butler Parker mit dem Kopf halb nach unten hingen. »Der Mond ist nicht mehr zu sehen, Mr. Parker«, sagte Parkers Herrin mit gepreßter Stimme. »Die Raumkapsel scheint zu taumeln, Mylady.« »Stellen Sie das gefälligst ab, Mr. Parker. Warten Sie, ich werde es mal versuchen.« Parker machte sich erst gar nicht die Mühe, Mylady zu warnen, ihr davon abzuraten, die vielen Bedienungselemente auf den Schalttafeln in Ruhe zu ' lassen. Die ältere Dame war bereits voll dabei, fast so etwas wie Akkorde zu greifen und zu tasten. Ihre Finger drückten, kippten und berührten so gut wie alles, was sie erreichen konnte. Daraufhin spielte die Kapsel im wahrsten Sinn des Wortes verrückt. Für ein paar Sekunden sah Parker wieder den Mond, der an einem der Dreieckfenster vorbeizugleiten schien. * Clayburn war zufrieden. Er stand weit hinten am Eingang zu dem kleinen Vortragssaal und hörte zu, was Edwin Falcon den geladenen Gästen sagte und demonstrierte. Der Professor stand vor einer großen
Leinwand und erklärte Dias, technische Detailzeichnungen und teilte den Zuhörern gerade mit, daß gleich ein Film zu sehen sei, der einige erfolgreiche Starts der Billigstrakete demonstriere. Die geladenen Gäste waren echte Interessenten, die erst nach intensiven Sicherheitskontrollen den Vortragsraum betreten durften. Sie stammten aus vielen Ländern und hatten sich gehütet, ihre wahre Identität oder Nationalität zu nennen. Der Film, der anschließend gezeigt wurde, war mehr als beeindruckend. Fliegende »Bleistifte«, wie Mylady und Butler Parker sie gesehen hatten, jagten von einfachen Rampen steil in die Luft, um dann mit glühendem Schweif in hohen Wolkenbänken zu verschwinden. Diese Raketenstarts erfolgten übrigens von steilen Felsküsten aus, wie deutlich zu sehen war. Und die Startrampen waren nichts anderes als leicht umgebaute Sattelschlepper, wie man sie täglich auf den Straßen sah. Als das Licht wieder eingeschaltet wurde, herrschte zuerst mal Schweigen, dann aber erhob sich leichter, gepflegter Beifall. Die Gäste zollten der Arbeit des Professors ihren Tribut. Sie alle hatten wohl sofort begriffen, wozu man diese fliegenden »Bleistifte« verwenden konnte, nämlich als Waffen, die besonders schnell und billig herzustellen waren, die man jedoch weit in das Hinterland des Gegners jagen konnte. Falcon schien das allerdings nicht zu wissen. Er setzte seinen Zuhörern gerade auseinander, daß diese Kleinstund Billigstraketen nur Versuchsmodelle seien, die nur den
einen Sinn hätten, die wirklichen Großraketen technisch vorzubereiten. Auf Dias war dann die Großraumrakete zu sehen, die Parker in dem Montagehangar bereits hatte sehen können. Der Professor nannte Gipfelhöhen, Geschwindigkeiten, Nutzlasten und Reichweiten. Die Zahlen waren mehr als beeindruckend, doch Clayburn hörte nicht hin. Er kannte das alles nur zu gut. Er schätzte seine Möglichkeiten ab, die Konstruktionszeichnungen an den Käufer zu bringen. Nach Falcons Vortrag wollte er dann zur Sache kommen und seinerseits Zahlen nennen, nämlich Preise. Und die sollten gesalzen sein! »Was ist denn?« fragte er nervös, als einer seiner Wachmänner an ihn herantrat und ihn zur Seite winkte. Er reagierte dann aber sofort und stahl sich näher an die Tür heran. »Wir haben 'ne Frau gefangen«, sagte der Wachmann. »Die kam eben mit 'nem durchgegangenen Pferd hier dicht vor den Bunkern an.« »Wer ist sie?« Clayburn wurde sofort mißtrauisch. »Sie nennt sich Jill Horton, Sir. Sie kommt aus Chilton, wie sie sagt.« »Und Ihr Eindruck?« »Ein Paradiesvogel, Sir, Sie sollten ihn sich ansehen.« »Das hat Zeit. Ich kann hier jetzt nicht weg. Ist sie sicher untergebracht?« »Selbstverständlich, Sir. Da wäre aber noch etwas.« »Schnell, ich muß gleich ans Vortragspult.« »Gate und Peters melden sich nicht mehr. Die geben schon seit 'ner
Viertelstunde keinen Ton mehr von sich.« »Suchtrupp losschicken«, ordnete Clayburn an. »Und hier herrscht ab sofort Alarmstufe Gelb! Alles 'raus, was Beine hat! Die Bunker werden hermetisch abgeriegelt!« »Geht klar, Sir.« »Die Gäste dürfen davon aber nichts merken, wenn sie gleich herumgeführt werden. Die Wachen bleiben unsichtbar.« Mehr konnte Clayburn im Moment nicht anordnen. Falcon hatte ihn gebeten, nach vorn ans Vortragspult zu kommen und die geschäftliche Seite dieses Forschungsunternehmens darzulegen. Clayburn gab sich einen Ruck, schaltete sein bestes Lächeln ein, das ihm zur Verfügung stand und ging nach vorn. Nun standen Millionen auf dem Spiel. Er mußte klaren Kopf behalten und ganz bei der Sache sein. Es ging um Optionen, um Schecks und um Schweizer Bankkonten. * Ob sie beobachtet wurde, wußte sie nicht. Kathy Porter in der Rolle der verspielten Jill Horton, hatte sich gerade von der Liege erhoben und schaute sich neugierig in dem fensterlosen Raum um. Sie tat so, als sei ihr das alles fremd und neu, in Wirklichkeit aber war sie keinen Augenblick lang bewußtlos gewesen. Ihr Sturz vom durchgehenden Pferd war eine wahre Meisterleistung gewesen. Selbst ein Kaskadeur hätte ihr seinen tiefen Respekt gezollt, und ein Stuntman
hätte sie sofort als Mitarbeiterin engagiert. Sie hatte sich von hilfreichen und frechen Händen in diesen Bunker tragen lassen, der halb unter der Erde lag. Vier Männer hatten sich das Vergnügen gemacht, sie zu tragen und dann auch behandeln wollen. Einer war dann schließlich übriggeblieben, ein untersetzter, bulliger Mann, der wohl als Arzt Dienst tat. Er hatte sie mehr als eingehend untersucht, war dabei allerdings durchaus fachgerecht vorgegangen. Er hatte sich jedoch nicht das Vergnügen versagen können, die junge Dame ausgiebig zu betrachten. Kathy Porter hatte das alles über sich ergehen lassen. Sie war ja angeblich ohnmächtig gewesen. Nun aber stand sie wieder auf ihren Beinen und wunderte sich. Falls es irgendwo eine versteckt angebrachte Fernsehkamera gab, wollte sie sich als erstklassige Schauspielerin präsentieren. Natürlich ging sie erst mal hinüber zur Tür und wich gespielt wütend und überrascht zurück, als sie sich als verschlossen erwies. Sie rüttelte an der Klinke, hämmerte dann mit ihren Fäusten gegen die Stahltür, um dann ratlos und nachdenklich zurück zur Liege zu gehen. Sie setzte sich, rieb sich verschiedene Körperteile, die angeblich schmerzten, sprang dann plötzlich auf und lief erneut zur Tür, um sie mit ihren Fäusten zu bearbeiten. Dazu rief sie einige Schimpfworte, die sich durchaus hören lassen konnten. Danach schien sie zu resignieren. Sie ging zum Waschbecken und betrachtete ihr zerzaustes Haar und ihre zerrissene Bluse. Sie prüfte ihr
Gesicht und befaßte sich einzig und allein mit ihrem Aussehen. Sie sagte damit irgendwelchen Beobachtern, daß sie auf keinen Fall eine Agentin sein konnte, die nämlich hätte sicher andere Sorgen gehabt. Kathy Porter feuchtete ein Handtuch an und wischte sich ihr Gesicht ab. Mit dem Ergebnis war sie noch nicht zufrieden. Sie zupfte an den Fetzen ihrer Bluse und ... zog sie dann entschlossen aus. Darunter trug sie nichts, hatte nur nackte Haut, aber das machte ihr nichts aus. Sie wusch sich ausgiebig und bekam durchaus mit, wie die Stahltür vorsichtig geöffnet wurde. Sie wusch sich weiter und wirbelte erst herum, als sie ein diskretes Hüsteln hörte. Sie sah sich einem großen, sportlich aussehenden Mann gegenüber, der einen Schnauzbart trug, der ihm militärisches Aussehen verlieh. »Entschuldigung«, sagte dieser Mann, aber er dachte nicht daran, sich zurückzuziehen. »Wieso werde ich hier eingesperrt?« fragte Kathy Porter wütend und ließ das Handtuch bewußt tief sinken. Erst als sie den seltsamen Blick in den Augen des Mannes wahrnahm, riß sie das Handtuch wieder hoch. »Was hat das zu bedeuten? Was ist eigentlich passiert? Und wo bin ich überhaupt?« »Sie heißen Jill Horton?« fragte der etwa vierzigjährige Mann. »Woher wissen Sie das?« Sie tat verblüfft. »Sie sagten es meinem Werksarzt, Miß Horton, aber das wissen Sie wohl nicht, wie?« »Und wer sind Sie?«
»Clayburn, ich bin hier der Leiter eines Versuchsprogramms. Sie haben sich auf gesperrtes Gelände verirrt, Miß Horton.« »Weil dieses verflixte Pferd mit mir durchgegangen ist.« Sie wurde noch nachträglich ärgerlich. »Aber das kommt davon, wenn man sich Pferde ausleiht. Wollen Sie sich nicht endlich umdrehen, Mr. Clayburn? Ich möchte mir was überziehen.« »Sie stammen hier aus der Gegend?« fragte Clayburn. »Aus London, ich mache mit meinem Vater Urlaub in Chilton. Sonst noch etwas? Richtig, Sie werden mich natürlich sofort zurück nach Chilton bringen lassen, nicht wahr? Und meinen Vater müssen Sie unbedingt verständigen.« »Das wird alles geschehen, Miß Horton, aber wir wollen doch nichts überstürzen, nicht wahr?« »Was soll das heißen?« »Ich muß zuerst mal feststellen, ob Ihre Angaben stimmen. Wie gesagt, Sie befinden sich auf verbotenem Terrain. Armeeversuchsgelände, verstehen Sie?« »Ich habe nirgendwo ein Verbotsschild gesehen.« Sie stampfte mit dem Fuß auf. »Ich verlange, daß Sie sofort . ..« »Ich lasse Ihnen jetzt erst mal eine kleine Erfrischung servieren«, schlug Clayburn höflich vor. »Und danach muß ich mich aus Sicherheitsgründen mit Ihnen unterhalten, Miß Horton. Darf ich Ihnen ehrlich sagen, daß ich's nicht bedaure, daß Ihr Pferd durchgegangen ist?« Kathy Porter lächelte plötzlich geschmeichelt. Sie sagte ihm damit deut-
lich, daß sie gegen Komplimente überhaupt nichts einzuwenden hatte. * Die Raumkapsel hüpfte wie ein betrunkener Ziegenbock. Agatha Simpson stieß einige spitze Schreie aus und kam sich ebenfalls wie angetrunken vor. Die Kapsel rotierte um ihre Längsachse, schaukelte anschließend nach links und rechts, um dann einen Salto nach dem anderen zu vollführen. Lady Simpsons Hände spielten schon längst nicht mehr auf den Schalttafeln. Sie war froh und glücklich von den Gurten auf dem Konturensitz gehalten zu werden. Josuah Parker ließ die wilde Torkelei vergleichsweise gleichmütig über sich ergehen. Stoisch ertrug er die Revolten seines Magens und fand immer noch Zeit, den Erdtrabanten zu beobachten. Nein, er täuschte sich nicht! Die Oberfläche des Mondes näherte sich in gefährlicher Schnelligkeit. Die Einzelheiten wurden immer schärfer und deutlicher. Inzwischen aber fürchtete Parker nicht mehr die harte Landung auf dem Mond. Er hatte Zeit genug gehabt, sich mit den Dingen zu befassen. Ihm war klar, daß diese angebliche Reise durch das All nur in einem Trainer oder Simulator erfolgte. Es war ausgeschlossen, daß man Mylady und ihn ins All befördert hatte. Hier wurde ihnen ein sehr realistisches Schauspiel vorgeführt. Er hatte schließlich die sogenannte Trägerrakete in der großen und hohen Montagehalle gesehen. Sie war einfach nicht in der Lage, die
Fluchtgeschwindigkeit zu liefern, um die Erdanziehung zu überwinden... Plötzlich knackte es in irgendeinem versteckt angebrachten Lautsprecher. »Achtung, Mondfähre«, kam es durch den Lautsprecher, »Achtung, Mondfähre. Landung in minus fünf Minuten. Die Bremsraketen werden automatisch gezündet werden. Achtung, weiche Landung in minus fünf Minuten.« »Sie können den Film abschalten«, sagte Parker laut und deutlich. »Es war sehr informativ, diese simulierte Raumfahrt, aber inzwischen dürften auch Sie sich langweilen, Mr. Clayburn.« »Wie war das?« Agatha Simpson hatte ihren hüpfenden Magen endlich wieder unter Kontrolle. »Dieser Flug findet in einem Simulator statt, Mylady«, antwortete der Butler. »Aber damit dürfte ich nur das sagen, was Mylady längst wissen.« »Äh, wie? Ja, ja, natürlich. Reiner Unfug!« Die Kapsel stabilisierte sich unmittelbar nach Parkers Durchsage. Auch die Vibration hörte auf. Die Mondfähre hoppelte noch einige Male, um dann endgültig Ruhe zu geben. Parker hörte außerhalb der Kapsel Geräusche. Metall schlug gegen Metall. Dann erfolgte ein Knirschen, ein schmatzendes Saugen, und schon öffnete sich das Einsteigeluk. Clayburns Gesicht war zu sehen. Er sah auf die beiden Insassen der Raumkapsel hinunter. »Das war nur ein kleiner Vorgeschmack«, sagte Clayburn. »Ich wollte Sie einstimmen.«
»Sie sind ein Lümmel«, raunzte die ältere Dame den Gangster an. »Sie sprachen gerade von einem Vorgeschmack«, erinnerte Parker und sah Clayburn erwartungsvoll an. »Selbstverständlich werden Sie noch eine wirkliche Flugreise unternehmen«, antwortete Clayburn. »Das sind wir unseren kommenden Geschäftspartnern schuldig.« »Und welchen Planeten wird man dann ansteuern?« erkundigte sich der Butler gemessen. »Überhaupt keinen, Mr. Parker. Mit etwas Glück werden Sie jenseits der Küste im Meer landen.« »In Richtung Portsmouth, wenn ich nicht irre?« »Das wäre die allgemeine Richtung, stimmt.« Clayburn lächelte. »Aber man kann ja nie wissen. Sehen Sie, die Steuerung hat noch gewisse Tücken. Wissen Sie was, lassen Sie sich doch einfach überraschen!« »Und wann soll der echte Start erfolgen, Mr. Clayburn?« »Nach Eintritt der Dunkelheit, oder sagen wir lieber, kurz zuvor.« »Müssen Mylady und meine bescheidene Wenigkeit solange in dieser recht engen Kapsel verbleiben?« »Natürlich, aber die hier werden wir abheben und gegen eine leere austauschen. Meine Geschäftsfreunde wollen sich ja auch eine Kapsel ansehen, das gehört zum Besichtigungsprogramm.« »Sie sind fest entschlossen, einen Doppelmord zu begehen?« »Ich spiele doch nur eine Art Poker mit Ihnen, Mr. Parker. Sie haben durchaus die Chance, daß die Kapsel auch weich wassert. Zugegeben, die Chancen sind nicht besonders groß,
aber sie sind immerhin im Ansatz vorhanden.« Clayburns Gesicht verschwand, die Luke wurde wieder geschlossen. »Was geschieht jetzt?« wollte die Detektivin von Parker wissen. »Man wird die Raumkapseln austauschen, Mylady«, erwiderte der Butler, ohne die Ruhe zu verlieren. »Die Mondfähre hier dürfte vorerst in ein Magazin wandern, um dann später wieder aufgesetzt zu werden.« »Clayburn blufft doch, nicht wahr?« »Dies, Mylady, wage ich allerdings zu bezweifeln«, lautete Parkers Antwort. »Clayburn wird seinen potentiellen Kunden einen Raketenstart vorführen müssen. Bei dieser Gelegenheit möchte er sich gewisser Mitwisser entledigen.« Wie richtig Parker die Lage beurteilt hatte, zeigte sich schon bald. Lady Simpson und Parker merkten, daß die Kapsel von einem Kran angehoben wurde. Nach einer recht kurzen Luftreise setzte sie ziemlich hart auf. Dann erfolgte ein Rumpeln. »Was hat das zu bedeuten, Mr. Parker?« fragte Lady Agatha unwillig. »Man transportiert die Kapsel in das von Mr. Clayburn erwähnte Magazin«, erklärte Josuah Parker. »Und ich soll nach wie vor in diesem Korsett liegen?« entrüstete die ältere Dame sich. »Ich kann mich ja kaum bewegen.« »Ich fürchte sehr, daß Mylady sich mit den Gegebenheiten abfinden müssen«, sagte Parker. »Das sagen ausgerechnet Sie?« Lady Agathas Stimme grollte erstaunlicherweise gar nicht, die Sechzigerin schien überrascht zu sein.
»Man sollte sich eingestehen, Mylady, daß es Dinge gibt, die nicht mehr zu korrigieren sind«, schloß Parker. »Oder anders ausgedrückt, wenn es erlaubt ist: Irgendwann findet jeder seinen Meister! Hier scheint dies leider der Fall zu sein...« * Man hatte ihr eine Flasche Sekt serviert. Kathy Porter, in der Rolle der Jill Horton, sprach diesem erfrischenden Getränk herzhaft zu und merkte schon nach dem ersten Schluck, daß der Sekt mit Sicherheit präpariert worden war. Soviel Leichtigkeit hätten zwei Gläser Sekt nie allein bewirkt. Sie hatte sich auf die schmale Liege gelegt und rauchte. Zum Sekt hatte es auch eine normal aussehende Schachtel Zigaretten gegeben, aber auch der Tabak mußte eine Art Enthemmer enthalten, obwohl die Packung fabrikmäßig geschlossen war. Nun, sie behielt vorerst noch die Kontrolle über sich. Dieser Clayborn wollte sie wahrscheinlich in eine Stimmung versetzen, die eine spätere Unterhaltung und Befragung erleichterte. Er wollte ihre Zunge lockern und herausfinden, ob sie tatsächlich die Wahrheit sagte. Nun, der Hintergrund ihrer Geschichte war schnell, aber auch sorgfältig vorbereitet worden. Sie war in dem Reiterhotel abgestiegen, von dem sie gesprochen hatte. Und es gab auch einen Vater, den ChiefSuperintendent McWarden spielte. Er war selbstverständlich nicht allein nach Chilton gekommen, nachdem Parker Kathy Porter per Telefon
alarmiert und informiert hatte. In Chilton befanden sich inzwischen Mitarbeiter des Chief-Superintendenten. Sie warteten nur darauf, auszuschwärmen und in Aktion zu treten. War Clayburn der Mann, dem man etwas vormachen konnte? Mußte sie nicht davon ausgehen, daß er übervorsichtig und mißtrauisch war? Bisher hatte dieser Gangster doch negative Klasse gezeigt. Es war ihm gelungen, Professor Falcon in seine Dienste zu nehmen. Und Clayburn war immerhin in der Lage gewesen, die Gelder aufzutreiben, um den Versuchsbetrieb durchzuführen. Ein Mann wie Clayburn würde sicher nicht über einen kleinen Stein stolpern. Gut, er konnte sich in London nach einem Horton und dessen Tochter Jill erkundigen. Er würde alles über diesen Finanzmakler erfahren, den es wirklich gab. Der wirkliche Horton und seine Tochter Jill aber befanden sich zur Zeit in Hongkong, aber was besagte das schon? Kathys Gedanken irrten ein wenig ab. Sie merkte, daß das Präparat im Sekt und in der Zigarette wirkte. Sie geriet von Minute zu Minute immer stärker in den Zustand einer schwebenden Leichtigkeit. Würde sie eine Befragung durchstehen? Sie durfte sich nichts vormachen. Leider öffnete sich bereits die Tür. Clayburn trat ein und nickte ihr entschuldigend und lächelnd zu. Er warf einen schnellen Blick auf die Sektflasche und sah, daß seine Gefangene rauchte. »Leider konnte ich erst jetzt kommen«, meinte er. »Aber dafür habe ich jetzt Zeit für Sie. Meine Geschäftsfreunde werden
herumgeführt und gehen dann zu Tisch. Darf ich Sie bitten, mir zu folgen? Hier ist es auf die Dauer doch sehr ungemütlich.« »Ich ... Ich muß Ihnen was sagen«, erwiderte Kathy und unterdrückte einen kleinen Schluckauf. »Ich muß Ihnen unbedingt etwas sagen.« »Sagen Sie's mir drüben, ja?« Er zog sie von der Liege hoch, hakte sie bei sich ein und führte sie aus dem Raum, der ja kaum etwas anderes als ein Bunker war. Kathy spürte sofort, daß sie unfähig gewesen wäre, Clayburn außer Gefecht zu setzen. Wohlige Schlaffheit hatte sich in ihren Gliedern ausgebreitet. Sie lachte unvermittelt auf. Clayburn führte sie durch einen schmalen, niedrigen und betonierten Gang in seinen Arbeitsraum. Als er sie losließ und auf einen der Sessel deutete, schwankte Kathy leicht. Und erneut lachte sie amüsiert auf, als käme ihr das alles sehr komisch vor. »Sie wollten mir unbedingt etwas sagen, Jill«, meinte Clayburn. »Ich darf Sie doch so nennen, nicht wahr?« »Haben wir nicht den Sekt vergessen?« fragte sie. »Hier ist frischer.« Er deutete auf eine geöffnete Flasche. »Sie nehmen es mir also nicht übel, daß ich Sie noch ein wenig festhalten muß, nein? Wir ziehen gerade Erkundigungen über Ihren Vater ein. Das dauert seine Zeit.« »Ach, zum Teufel mit Ihren Erkundigungen«, erwiderte sie und warf sich in einen Sessel. »Gar nichts werden Sie herausfinden! Und selbst wenn, dann ist alles Unsinn!« »Wie soll ich das verstehen?« Er lachte leise und goß ihr frischen Sekt ein.
»Weil's mich nicht gibt«, entgegnete sie und lachte. »Das heißt, ich bin gar nicht die, die ich sein soll.« »Was Sie nicht sagen, Jill!« Eine Katze hätte eine Maus nicht wachsamer ansehen können. »Ich bin Kathy Porter«, antwortete sie. »Und wollen Sie wissen, wer das ist?« »Nur, wenn Sie's mir freiwillig sagen wollen.« »Natürlich will ich.« Sie trank einen Schluck Sekt. »Ich bin die sogenannte Sekretärin und Gesellschafterin der Lady Simpson. In Wirklichkeit aber bin ich die Fußmatte, auf der sie ihre Füße abtritt.« »Und das gefällt Ihnen nicht, Kathy?« »Ich hasse diese Frau«, gestand Kathy Porter weiter. »Sie schwimmt in Geld, aber mich speist sie mit einem Hungerlohn ab. Und soll ich Ihnen verraten, wer mein angeblicher Vater ist, der da drüben in Chilton ist? Wollen Sie wissen, wo Ihre beiden Wachleute sind?« Sie stemmte sich aus dem Sessel hoch und tat einige Tanzschritte. Trunkenheit schien sie erfaßt zu haben. Sie wirbelte um Clayburn herum, der sie fasziniert beobachtete. Kathy verlor plötzlich das Gleichgewicht, strauchelte und landete in Clayburns auffangbereiten Armen. Sie lachte und lehnte fast zärtlich ihren Kopf gegen seine Schulter. Sie schluchzte, ohne jeden Übergang. »Reden Sie sich alles von der Seele!« sagte er leise und eindringlich. Er zog sie an sich und spürte die Wärme ihres schlanken Körpers ... *
Butler Parker brauchte nur wenige Minuten, bis sein Oberkörper frei war. Er benutzte dazu eine Art Skalpell in Miniaturausgabe, das in der Unterseite seiner schwarzen Krawatte untergebracht gewesen war. Die Schneide dieses kleinen Trennmessers war schärfer als die einer Rasierklinge. Er durchtrennte damit die breiten Ledergurte, die ihn auf dem Konturensitz festhielten. Er nahm sich erst gar nicht die Zeit, sie aufzuschnallen. Er wollte so schnell wie möglich wieder Herr der Situation werden, denn er wußte schließlich nicht, wann sich neuer Besuch einstellte. »Na, endlich, Mr. Parker!« Lady Simpson sah ihren Butler ein wenig wohlwollend an, als er sie losschnallte und ihr aus der Raumkapsel half. Dies war keine Kleinigkeit, wie sich zeigte. Die majestätische Fülle der Dame hatte ihr Gewicht, zum anderen war der Ausstieg mehr als eng. Mylady glich einem überdimensional großen Korken, der mühsam aus einem Flaschenhals gezerrt werden mußte. »Ich glaube, ich werde in Zukunft noch etwas mehr abnehmen müssen«, sagte sie verärgert, als sie endlich auf ihren Beinen stand. Sie sah sich die Kapsel genau an und schüttelte dann erstaunt den Kopf. »In diesem winzigen Etwas bin ich gewesen?« »Darf ich mich nach Myladys Befinden erkundigen?« »Irgend etwas gegen meinen Kreislauf haben Sie natürlich nicht bei sich, oder?« »Diesmal muß ich außerordentlich bedauern, Mylady.«
»Schlecht vorbereitet«, tadelte sie. »Gerade jetzt brauchte ich eine kleine Erfrischung. »Wenn Mylady sich vielleicht noch etwas gedulden könnten?« Parker interessierte sich bereits für den Raum, in dem die Kapsel stand. Er war wesentlich größer, als er angenommen hatte. Seitlich neben der Raumkapsel stand ein solider Gabelstapler, mit dem man die Mondfähre wohl hierher geschafft hatte. Natürlich war auch dieser Bunker fensterlos und wurde nur von zwei Notlampen beleuchtet. Das Licht reichte jedoch vollkommen aus, Einzelheiten erkennen zu lassen. Hinter der Raumkapsel lagerten Nickelstahlrohre auf schweren Eisenstellagen. Es gab eine lange Werkbank mit einer Menge von Werkzeugen. Rechts davon standen Kanister auf dem Boden. Die Tür war leider mehr als solide, wie Parker schnell herausfand. Es handelte sich um eine Art Stahlschott, das natürlich fest verschlossen war. »Könnte man es nicht mit diesem Gabelstapler rammen? « erkundigte die ältere Dame sich. »Ich fürchte, Mylady, daß der Gabelstapler dabei zu Schaden kommen wird, das Schott hingegen nicht.« »Haben Sie nicht einen Ihrer komischen Kugelschreiber zur Hand?« »Während der Betäubung, Mylady, bin ich leider sämtlicher Hilfsmittel entblößt worden«, gestand Parker. »Was allerdings nicht bedeuten soll, daß mir einige unwesentliche Kleinigkeiten geblieben sind.«
»Also sitzen wir nach wie vor in der Falle.« Sie sah ihn gereizt an. »Man wird die Kapsel früher oder später zurück in die Montagehalle holen, Mylady.« »Ich habe keine Lust, noch länger zu warten, Mr. Parker. Zudem habe ich Hunger. Ich brauche eine Kleinigkeit, ich fühle mich total erschöpft.« »Fühlen Mylady sich in der Lage, bei der Konstruktion einer kleinen Bühne zu helfen?« »Vor wem soll ich denn auftreten?« Sie hatte ihn nicht verstanden, und ihr Blick fiel entsprechend aus. »Ich kann Ihren Sinn für Humor nicht teilen.« »Die Mitarbeiter des Mr. Clayburn werden in jedem Fall kommen, um die Kapsel zur Rakete zu bringen«, schickte Parker voraus. »Für diesen Fall sollte man den Herren eine Überraschung bereiten.« »Und wie soll die aussehen?« Parker deutete auf die Nickelstahlröhren und hinüber zur Tür. Dann machte er sich an die Arbeit. Er wußte schließlich nicht, wieviel Zeit ihm zur Verfügung stand. * Clayburn hielt Kathy im Arm und zuckte zusammen, als er einen kleinen Schmerz am Hals spürte. Er machte sich frei und faßte nach der Stelle. Dann sah er auf die linke Hand der Dame, an der sich ein kleiner, sicher auch billiger und wertloser Ring befand. »Ach so«, meinte er lässig. »Ich dachte schon, da wäre wieder ein Strick im Spiel.« Er hatte zwar den sprichwörtlichen Nagel auf den Kopf getroffen, doch er
wußte es nicht. Gewiß, der Ring war billiger Tand, wie man ihn überall kaufen konnte, doch dieser Ring war von Parker entsprechend präpariert worden. Die imitierte Perle ließ sich zur Seite knicken und war hohl. Darunter befand sich ein feiner Stachel, der von einer Biene stammen konnte. Und genau dieser Stachel hatte seine Haut geritzt. Und das reichte bereits. Clayburn sah plötzlich schwarz. Er schwankte, machte einen angetrunkenen Eindruck und begriff, daß Kathy Porter ihn hereingelegt hatte. »Verdammtes Biest«, sagte er wütend. Er wollte nach seiner Waffe greifen und mühte sich, den Arm hochzubekommen. Anstrengung verzerrte sein Gesicht und machte es zu einer drohenden Fratze. Kathy Porter war nicht in der Lage, sich in Sicherheit zu bringen. Auch bei ihr machte sich die Droge bemerkbar, die man ihr auf dem Umweg über den Sekt und die Zigarette beigebracht hatte. Sie blieb wie angewurzelt stehen und sah Clayburn fast interessiert an. Schaffte er es, schaffte er es nicht? Sie lehnte sich gegen die Wand und kämpfte gegen die Ohnmacht an. Die Beine wurden weich wie Gummi. Sie lächelte, aber es war ein gefrorenes Lächeln. »Ich . .. bring . .. um!« keuchte Clayburn. Er konnte schon nicht mehr zusammenhängend sprechen. Er ließ den leicht angewinkelten Arm herunterfallen wie einen fremden Gegenstand. Dann torkelte er zu der Couch und fiel der Länge nach auf die weichen Polster. Kathy drückte sich von der Wand ab, näherte sich Clayburn zu und
handelte wie in Trance. Es kostete sie unglaubliche Mühe, die Waffe aus der Schulterhalfter zu ziehen. Sie brach unter ihrem Gewicht fast zusammen und schob sie unter die Couch. Dann fetzte sie sich die leichte Bluse vom Oberkörper, schnallte den Gürtel der Reithose auf und wollte sie zusätzlich noch abstreifen. Sie merkte schon nicht mehr, ob sie es schaffte oder nicht. Sie rutschte aus und fiel über Clayburn, rollte über ihn hinweg und blieb an der Rückwand der breiten Couch liegen. Dann schloß sie die Augen, seufzte und verlor das Bewußtsein. * Irgendwie trauten sie dem Braten nicht, wie der Volksmund es ausgedrückt hätte. In der gerade geöffneten Tür standen vier Wachmänner in Overalls. Jeder von ihnen hielt eine kurzläufige Maschinenpistole in Händen. Sie richteten die Waffen auf die Raumkapsel und traten zur Seite, als zwei Monteure erschienen und auf den Gabelstapler zugingen. Die vier Männer rückten vorsichtig nach und bildeten einen Halbkreis um die Kapsel. Einer von ihnen ging noch ein wenig weiter vor, um einen Blick durch eines der Dreieckfenster in das Innere der Mondfähre zu werfen. Über der Tür aber saßen Mylady und Josuah Parker. Lady Agatha erinnerte an eine riesige, füllige Glucke, die auf der Stange eines Hühnerhauses saß. Parker hatte aus den Nickelstahlröhren eine recht solide Bühne gebaut und dabei das Gewicht seiner Herrin in etwa genau abgeschätzt.
Im Gegensatz zu Lady Simpson blieb er nicht auf der Bühne. Er schwang sich gerade behend nach unten und hielt eine der meterlangen und schweren Röhren in Händen. Butler Parker holte aus, so gut die Raumverhältnisse es zuließen. Dann langte er kraftvoll zu und .. . fegte die drei Wachmänner von den Beinen. Wie Puppen flogen sie durch den Raum und blieben regungslos liegen. Der vierte Wachmann war aufgrund seiner Position nicht zu erreichen gewesen. Er fuhr herum und wollte natürlich sofort schießen. Doch bevor sein Zeigefinger sich krümmen konnte, hatte die ältere Dame bereits auf ihre Art zugeschlagen. Der Mann sah zwar noch den Kanister durch die Luft auf sich zukommen, doch ausweichen konnte er nicht mehr. Wie von einem auskeilenden Pferd getroffen, schlug er nach hinten und verlor die Waffe. Die beiden Monteure schalteten wesentlich langsamer als ihre vier Begleiter. Sie hatten sich umgedreht und stierten aus entsetzten Augen auf Mylady, die oberhalb des Schotts auf der provisorischen Tribüne aus Nickelstahlrohren saß. Dann sahen sie in die Mündung einer Maschinenpistole, die Parker bereits an sich genommen hatte. »Ich bin sicher, daß Sie keine Dummheiten begehen werden«, sagte Parker höflich zu ihnen. »Würden Sie die Freundlichkeit haben und in die Kapsel steigen?« Sie hatten die Freundlichkeit und beeilten sich, blitzschnell darin zu verschwinden. Parker sammelte die übrigen Waffen ein und stellte sie in eine Ecke.
»Wie lange soll ich hier oben noch sitzen, Mr. Parker?« Myladys Stimme klang ungeduldig und scharf. »Ich werde mir erlauben, Mylady sofort meine hilfreiche Hand zu leihen«, antwortete Josuah Parker. Er fing seine Herrin ab, die sich langsam und vorsichtig herunterließ. Doch er ging etwas in die Knie, als ihr ganzes Gewicht seinen Körper belastete ... »Was machen wir jetzt mit diesen Subjekten?« Sie deutete auf die vier Wachmänner. »Es liegt mir fern, vorschnell zu urteilen, aber ich möchte sagen, daß Mylady bereits eine entsprechende Idee haben.« »Und ob, Mr. Parker!« Sie lächelte triumphierend. »Wie du mir, so ich dir! Warum sollen diese Lümmel nicht auch mal zum Mond fliegen?« Parker verstand, und in Anbetracht der Situation gestattete er sich ein andeutungsweises, feines Lächeln. Lady Simpson sah ihren Butler daraufhin fast fassungslos an. Sie erlebte es höchst selten, daß Parker sich solch einen Gefühlsausbruch zugestand. * Professor Edwin Falcon hatte mehrmals angeklopft, aber keine Antwort erhalten. Er wollte sich schon wieder abwenden und gehen, als er sich die Sache dann doch anders überlegte. Die Zeit drängte, und der Abschuß der Großund Billigstrakete war in einen genau festgelegten Zeitablauf eingebettet. Er klopfte erneut, drückte dann zögernd die Klinke hinunter und betrat das Büro seines Geldgebers und
technischen Leiters. Zuerst begriff er überhaupt nicht, dann aber zog er sich schnell und ungeniert wieder zurück. »Mr. Clayburn, Mr. Clayburn«, rief er halblaut in den Raum. Als keine Antwort erfolgte, frischte er seine Stimme ein wenig mehr auf und rief erneut nach Clayburn, doch auch jetzt erfolgte keine Reaktion. Professor Falcon war ratlos. Was er da auf der Couch gesehen hatte, war eindeutig genug, war eigentlich sogar ein Skandal. Clayburn schien vergessen zu haben, um was es ging. Er vertat die Zeit mit einer Frau, die Falcon hier auf dem Versuchsgelände übrigens, noch nie gesehen hatte. Ja, waren Frauen hier nicht sogar strikt verboten? Falcon faßte sich ein Herz. Es ging um den Start der Rakete. Er brannte darauf, den Beweis für seine Theorie anzutreten. Er wollte den Interessenten zeigen, wie genial und einmalig er war. Er sah zur Seite, schamhaft und diskret, als er zur Couch ging. Er rüttelte Clayburns Schulter und forderte ihn auf, sofort aufzustehen. Der Professor genierte sich wirklich sehr, denn er hatte immerhin mitbekommen, daß die Blondine hinter Clayburn nur mangelhaft bekleidet war. Er hatte typisch weibliche Merkmale festgestellt, die ihm das Blut ins Gesicht trieben. »Mr. Clayburn, bitte!« Professor Falcon rüttelte und schüttelte an der Schulter des Mannes und erreichte nur, daß die Blondine sich bewegte und nun langsam aufrichtete. Sie sah ihn aus großen, trunkenen Augen an. »Was ist denn?« fragte sie langsam.
»Madam, ich muß doch sehr bitten, muß ich!« Edwin Falcon bekam einen tiefroten Kopf. »Sie sollten sich . .. Äh, ich meine . .. Sie sind nicht, das heißt, Sie sind eigentlich fast nackt.« »Helfen Sie mir«, bat sie. »Madam, bitte.« Professor Falcon hüstelte. »Ihre Hand!« Sie hatte Schwierigkeiten, ihren Arm auszustrecken. Edwin Falcon konnte einfach nicht länger widerstehen. Er ergriff ihre Hand und half ihr, über Clayburn hinwegzusteigen. Sie konnte sich nicht auf den Beinen halten, klappte zusammen und fiel gegen Falcon, der sie jetzt nicht ungern festhielt. »Dusche«, murmelte sie. »Dusche.« »Wie, bitte?« Falcon hatte nicht recht verstanden. »Dusche, bitte!« Sie glitt an ihm hinunter, und Falcon mußte sie wieder hochziehen. Er hatte jetzt verstanden, was sie wollte und wußte, wo die Dusche war, um die sie gebeten hatte. Er nahm Sich ein Herz und hob die junge Dame einfach hoch. Sie kuschelte sich wie ein Kind an seine Brust und schloß wieder die Augen. Dabei seufzte sie. Professor Falcon trug Kathy Porter in den Nebenraum. Hier lagen Clayburns eigentliche Privaträume, die allerdings nicht übermäßig üppig eingerichtet waren. Falcon schleppte seine süße Last, inzwischen keuchend, durch das kleine Schlafzimmer ins Bad und stellte Kathy dann in die Duschkabine. »Wasser, Wasser«, murmelte sie. »Sie sind durstig, Madam?« erkundigte Falcon sich. Inzwischen
sah er recht wohlgefällig auf die junge Blondine hinunter. »Duschen«, murmelte die junge Frau. »In Reithosen?« Falcon zögerte ein wenig, bevor er dem Wunsch nachkam und das Wasser aufdrehte. Ihm war inzwischen aufgegangen, daß ihr schlecht sein mußte. Wahrscheinlich hatte sie zuviel getrunken, wie übrigens auch Clayburn drüben im Büro. Sie fuhr zusammen, als das kalte Wasser herunterprasselte. Sie hustete, wollte mit den Händen das Wasser abwehren, verschluckte sich fast, öffnete aber endlich wieder die Augen und weit den vollen, roten Mund, wie Falcon registrierte. »Geht es Ihnen jetzt besser?« erkundigte er sich. »Besser«, murmelte sie und nickte. Sie trank gierig das kalte Wasser in sich hinein und wollte aufstehen, rutschte jedoch wieder in sich zusammen. »Sie ... äh ... Sie werden sich erkälten«, warnte der Professor und konnte seinen Blick nicht mehr von ihr wenden. Sie erinnerte ihn jetzt an eine ungemein schöne und wohlgebaute Wassernixe. Diese Nixe schaffte es im zweiten Anlauf, auf die Beine zu kommen. Falcon brauchte dabei kaum zu helfen. Er hatte den Raketenstart und Clayburn völlig vergessen. Er half ihr aus der Duschkabine und führte sie behutsam ins angrenzende Schlafzimmer. Kathy warf sich rücklings auf das Bett und griff nach ihrem linken Ohrclip. Sie zerrte ihn vom Ohrläppchen und mühte sich ab,
den mattweißen Schmuckstein zu lösen. »Warten Sie, ich werde Ihnen helfen.« Professor Falcon nahm ihr den Clip aus der Hand und fand schnell heraus, daß der Schmuckstein abzuschrauben war. Als er das geschafft hatte, sah er eine kleine Tablette in der Vertiefung. »Schnell, mein Herz«, murmelte sie. Und schon schlossen sich wieder ihre Augen. Falcon wußte, was seine Pflicht war. Er schob die kleine Tablette in ihren Mund und wartete dann auf die Reaktion. Es war seine Pflicht als Wissenschaftler und Mensch, solange zu warten, bis diese bezaubernde Frau sich von ihrem Herzanfall erholt hatte ... * »Sehr schön, Mr. Parker«, sagte die ältere Dame und nickte zufrieden.« So hatte ich mir das vorgestellt.« Sie stand vor einem der Dreieckfenster der Raumkapsel und warf einen prüfenden Blick in das Innere, in dem drangvolle Enge herrschte. Sie war durchaus verständlich, denn die sechs Mitarbeiter des privaten Raumfahrtzentrums befanden sich in der Raumkapsel und bildeten ein verschlungenes Knäuel aus ineinanderverstrickten Armen und Beinen. Parker hatte eben erst die Tür geschlossen und von außen zusätzlich noch speziell abgesichert. Die sechs Raumfahrer hatten von sich aus keine Möglichkeit, dieser mehr als drangvollen Enge zu entkommen. Parker traf bereits weitere Vorbereitungen, um die seine Herrin ihn nachdrücklich gebeten hatte. Es ging
darum, diesen sechs ClayburnMitarbeitern das Erlebnis eines Raumfluges zu vermitteln, mochte es auch nur simuliert sein. Lady Simpson und Butler Parker hatten sich in Anbetracht der hier in den Betonbunkern herrschenden Methode neu eingekleidet. Sie trugen die üblichen Overalls, wobei allerdings anzumerken war, daß Lady Agatha in ihrem Arbeitsanzug ein wenig skurril aussah. Sie hatte verständlicherweise nichts Passendes gefunden und sich mit viel Mühe und Not in den größten Overall gezwängt, den sie gefunden beziehungsweise sich ausgeliehen hatte. Ihr Overall spannte sich wie eine zweite, viel zu enge Haut um ihre Fülle und drohte aus allen Nähten zu platzen. Josuah Parker hatte den Gabelstapler voll unter Kontrolle. Es war ihm gelungen, Mylady auszureden, dieses Fahrzeug zu steuern. Sie stand jetzt hinter ihm und schaute zu, wie Parker mit den ausladenden Gabeln die überfüllte Raumkapsel anhob und dann durch das große Schott in einen breiten, tunnelähnlichen Gang fuhr. Weit hatten sie es nicht. Der Simulator befand sich in einer benachbarten kleineren Halle. Hier gab es so etwas wie ein kreiselartiges Gerät, das mit dem Betonboden fest verankert war. Parker schob die Kapsel geschickt in die Bettung und setzte sie dann vorsichtig ab, während Lady Simpson vorn am Eingang die Wache übernahm. Die Raumkapsel oder auch Mondfähre befand sich jetzt in einem Gestell, das nach allen Seiten gedreht und gekippt werden konnte. Dazu brauchten nur noch gewisse
Verschlüsse und Verspannungen angebracht und festgelascht werden. Parker erledigte diese Kleinigkeiten innerhalb weniger Minuten und begab sich dann gemessen zum Leit- und Steuerstand. Das Prinzip dieses Trainers oder Simulators war recht einfach. Von diesem Leitstand aus konnte man Bilder der Mondoberfläche auf eine große Leinwand projizieren, darüber hinaus konnte man die Kapsel ganz nach Belieben taumeln und torkeln lassen. Die Insassen wurden so an alle Bewegungsmöglichkeiten gewöhnt, die in einer Raumkapsel auftreten konnten. Die kommenden Astronauten hatten ihrerseits aber auch die Möglichkeit, die Kapsel vom Innern aus zu steuern, doch das war jetzt unmöglich. Die Überfüllung in der Mondfähre war total. »Möchten Mylady vielleicht die Simulation übernehmen?« Parker deutete einladend auf das Steuerpult. »Diese Subjekte werden sich, wundern!« Agatha Simpson nickte grimmig. »Sie werden eine Raumfahrt erleben, die sich gewaschen hat!« Die resolute Dame baute sich vor dem Steuerpult auf und ließ ihre Finger über alle Tasten, Kipphebel und Druckknöpfe spielen, die sie nur erwischen konnte. Die Mondreise der sechs Gangster begann! * Kathy Porter erholte sich überraschend schnell. Professor Falcon trat einen Schritt zurück, als er diese Verwandlung
beobachtete. Eben noch hatte die hübsche Blondine sich kaum richtig bewegen können, nun aber, nach der Einnahme der Tablette, schien sie zu neuem Leben erwacht zu sein. Ihre Augen glänzten, als sie Falcon anschaute. »Sie fühlen sich wieder gut?« fragte der Professor überflüssigerweise. »Ausgezeichnet«, antwortete sie. »Wann werden Sie die Rakete starten, Professor?« »Woher wissen Sie? Wer sind Sie eigentlich?« »Ich heiße Kathy Porter«, gab sie zurück. »Mr. Clayburn lud mich heimlich ein. Ich soll mir den Start in eine neue Zukunft ansehen.« »Eine neue Zukunft.« Professor Falcon nickte. Seine bisherige Irritation war beendet, er dachte nur noch an die Wunderrakete. »Dieser Start wird mich rehabilitieren. Kommen Sie, Sie sollen Augenzeuge sein, Madam!« »Und was ist mit Mr. Clayburn?« »Richtig, Clayburn.« Falcon nickte und marschierte zurück in das Büro, wo Clayburn noch immer auf der Couch lag. Falcon blieb stehen und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. »Wie kann man sich nur so benehmen? Hat er die Interessenten und Fachleute vergessen, die aus der ganzen Welt zusammengekommen sind?« »Wo befinden Ihre Gäste sich jetzt, Professor?« »Im Kasino, Madam. Man reicht dort Erfrischungen.« »Können Sie auf Mr. Clayburn verzichten?« »Selbstverständlich, Madam.« Edwin Falcon nickte. »Den eigentlichen Start führe ohnehin ich
allein durch. Von diesen technischen Dingen versteht er nichts.« »Dann sollten wir doch auf ihn verzichten, Professor. Sie werden pünktlich sein müssen.« »Wir haben nur noch zwanzig Minuten Zeit.« Falcon nickte. »Dann wird sich die Billigstrakete erheben und hinaus ins All schießen.« »Sie verfügen auch über kleinere Raketen, Professor?« »Selbstverständlich.« Falcon nickte. »Versuchsmuster. Clayburn ließ sie massenweise herstellen.« »Und wo lagern sie?« »In einem zweiten Montagebunker, aber wir werden sie nicht mehr brauchen. Die Großrakete allein wird die Weltraumfahrt revolutionieren.« »Dann werde ich die Gäste jetzt in den Kontrollraum bitten, wenn Sie einverstanden sind.« »Könnten Sie sich vorher etwas überziehen?« bat Falcon, und Kathy Porter merkte erst jetzt, daß sie noch immer sehr frei herumlief. Sie lachte ohne jede Befangenheit und streifte sich die zerfetzte Bluse über, um das Schamgefühl des Professors nicht weiter zu verletzen. Dann folgte sie ihm und durchschritt mit ihm ein wahres Labyrinth von Gängen und Korridoren, bis das Kasino erreicht war. Sie öffnete die Tür spaltbreit und warf einen Blick in den großen, strahlend hell erleuchteten Raum, der modern und wohnlich eingerichtet war und einer intimen Bar glich. Clayburn wußte sehr wohl, wie man wichtige Geschäftspartner zu bewirten hatte. Die Interessenten an der Billigstrakete saßen in kleinen Gruppen zusammen und ließen sich von
Stewards bedienen. Keiner von ihnen bemerkte, daß er beobachtet wurde. »Gehen Sie bitte schon voraus, Professor«, sagte Kathy. »Wie finde ich Sie? Wo ist der Kontrollraum?« »Immer den roten Pfeilen nachgehen, dann können Sie ihn gar nicht verfehlen. Er liegt unmittelbar neben dem Startbunker.« Falcon trippelte davon, ganz in Gedanken versunken. Kathy Porter war längst klar geworden, daß dieser Mann nur ausgenutzt und mißbraucht wurde. Er ahnte noch nicht mal, welches Unheil seine Billigstrakete anrichten konnte. Er dachte nur an die technische Seite dieses Unternehmens. Als Falcon hinter einer Biegung verschwunden war, schloß Kathy die auch hier schottähnliche Tür und überlegte, wie sie sie sichern konnte. Als sie sich suchend umwandte, erstarrte sie. Vor ihr stand Clayburn! Er war noch sehr unsicher auf den Beinen, schwankte und riß sich außerordentlich zusammen, aber der Lauf seiner Waffe war genau auf ihren Leib gerichtet. Clayburn lächelte böse. »Ich ... Ich .... habe 'ne Pferdenatur«, sagte er dann mühsam und mit schwerer Zunge, »aber das konnten Sie nicht wissen, wie?« »Was haben Sie jetzt vor?« Sie blieb ruhig, zumal sie einen Gabelstapler sah, der durch den Korridor auf sie zurollte. Zwei Gestalten in den typischen Overalls saßen auf diesem Gefährt. Nein, sie hatte keine Chance, Clayburn noch mal zu entwischen. »Die ... Die Rakete geht hoch«, sagte Clayburn. »Und mit ihr Lady Simpson und dieser Butler. Vielleicht
werde ich Sie noch dazupacken. Ja, das werde ich tun. Sie fliegen mit, Miß Porter, Sie werden mitfliegen!« Sie schätzte ihre Chancen ab, Clayburn die Waffe aus der Hand zu schlagen, doch die Gefahr war zu groß, der Abstand zu weit. Er hätte in jedem Fall noch die Möglichkeit gehabt, einen Schuß auf sie abzufeuern. Clayburn hatte inzwischen den Gabelstapler bemerkt und winkte ihn mit der freien Hand zu sich heran. »Beeilung, Beeilung«, rief er mit immer noch matter Stimme. »Hier ist noch ein Passagier für die Kapsel.« »Sie dürfte bereits restlos überfüllt sein«, sagte der Fahrer des Gabelstaplers und schlug Clayburn die Waffe aus der Hand. »Mylady hat sie bereits bemannt, und selbst eine Maus dürfte kaum noch unterzubringen sein!« * »Ich glaub's einfach' nicht«, sagte Chief-Superintendent McWarden und wanderte durch die Montagehalle. »Ohne jedes Blutvergießen, ohne jede Schießerei! Das ganze Versuchsnest ist ausgehoben, kein Raketenstart. Nein, ich glaub's einfach nicht.« Er sagte die Wahrheit. Clayburn und seine Mitarbeiter saßen in einem der vielen Betonbunker und warteten auf ihren Abtransport. Professor Falcon, verwirrt und zerstreut wie immer, befand sich in seiner Baracke und konstruierte bereits wieder. Er wurde selbstverständlich diskret überwacht, und zwar von dem richtigen Geheimagenten Dean Ledger, zu dem andere Männer des Geheimdienstes gestoßen waren. Es war offensichtlich, daß Falcon für
nichts verantwortlich zu machen war. Sein gestörter Kopf hatte die wahren Hintergründe dieses Unternehmens überhaupt nicht erfaßt. »Was wird aus ihm werden?« fragte Kathy Porter. »Eigentlich ist er doch ein netter Herr.« »Er wird solange konstruieren dürfen, wie er möchte«, antwortete McWarden. »Man wird natürlich dafür sorgen, daß er nicht mehr in die Hände skrupelloser Gangster gerät.« »Und die Gäste im Kasino, Sir?« fragte Kathy weiter. »Tja, gegen die können wir juristisch überhaupt nichts unternehmen.« McWarden hob fast bedauernd die Schultern. »Wir werden ihnen anraten, so schnell wie möglich zurück in ihre Heimatländer zu reisen.« »Hoffentlich können Sie wenigstens diesen Clayburn und seine Handlanger festsetzen«, schaltete die ältere Dame sich grimmig ein. »Das mit Sicherheit, Mylady.« Der Chief-Superintendent lächelte zufrieden. »Da kommt eine Menge an Tatbeständen zusammen. Zum Beispiel Entführung, versuchter Mord, von anderen Delikten ganz zu schweigen. Nein, keine Sorge, Clayburn wird so schnell nicht wieder mit Billigstraketen experimentieren können. In einem Zuchthaus läßt sich das nur schwer machen.« »Demnach dürfte dieser Fall gelöst sein«, antwortete Josuah Parker, der wieder vollständig korrekt gekleidet war. Über seinem angewinkelten linken Unterarm hing der altväterlich gebundene Regenschirm, auf dem Kopf saß die schwarze Melone.
»Ich bin sicher, daß das Innenministerium sich noch bedanken wird«, meinte McWarden, sich besonders an Lady Simpson wendend. »Schnickschnack, was habe ich davon?« Sie war nachdenklich. »Im Grund, McWarden, habe ich mir einen Wunsch verdient, finden Sie nicht auch?« »In gewissem Sinn schon, Mylady.« McWarden gab sich großzügig. »Ohne Ihre Mitarbeit hätten wir dieses Nest nicht ausheben können. Und wahrscheinlich haben Sie noch sehr viel mehr verhindert.« »Eben!« Sie nickte bestätigend. »Gut, Mr. Parker hat dabei ein wenig mitgeholfen, Miß Porter ebenfalls, aber die schwerste Last lag doch wieder mal auf meinen Schultern.« »In der Tat, Mylady«, warf Josuah Parker ein, ohne eine Miene zu verziehen. »Clayburn hätte mich noch im letzten Moment erledigt, Mylady«, bestätigte Kathy Porter. Sie tauschte mit Parker einen schnellen Blick aus. »Dieses Subjekt von einem Clayburn hat mich verärgert«, redete die resolute Dame weiter. »Er hat mich in der Raumkapsel durcheinandergeschüttelt. Dafür möchte ich ihm eine Lektion erteilen. « »Und wie stellen Sie sich die vor, Mylady?« fragte der ChiefSuperintendent. »Sie haben doch auf einem dieser Monitore eine Zentrifuge gesehen, Mr. Parker, nicht wahr?« »Durchaus, Mylady.« »Geben Sie mir Clayburn und diese Zentrifuge«, sagte die ältere Dame und lächelte hintergründig. »Und geben Sie mir dann noch zehn Minuten, das müßte meiner Ansicht nach reichen.«
»Sie wollen Clayburn rotieren lassen, Mylady?« McWarden schluckte. »Nur ein wenig, McWarden. Sie können mir diesen Wunsch nicht abschlagen.« »Ich habe nichts gehört, Mylady«, antwortete McWarden und wandte sich ab. »Ich habe ohnehin noch mit den Interessenten im Kasino zu tun. In etwa einer Viertelstunde muß ich Clayburn allerdings einem ersten Verhör unterziehen.« »Er wird dann reden wie ein Wasserfall«, prophezeite die Detektivin und nickte ihrem Butler zu. »Mr. Parker, schaffen Sie mir dieses Subjekt herbei. Eine Mondfahrt kann ich ihm nicht bieten, dafür aber eine Karussellfahrt in der Zentrifuge, von der er noch in den nächsten Jahren jede Nacht träumen wird.« »Es ist meiner bescheidenen Wenigkeit eine ausgemachte Freude, Mylady dienlich sein zu dürfen«, antwortete Josuah Parker und lüftete andeutungsweise und höflich die schwarze Melone. »Ist es gestattet, diesem Schauspiel beizuwohnen?« »Sie sind mir zu zartbesaitet, Mr. Parker«, gab Agatha Simpson zurück. »Aber Sie können mir kurz zeigen, wie ich diese Zentrifuge in Bewegung bringe.« Parker führte seine Herrin in den niedrigen Bunker, in dessen Mittelpunkt die Zentrifuge stand. Sie sah irgendwie harmlos aus, und die kleine Gondel, die die Testpersonen aufnahm, war sogar bunt bemalt. »Die Schalttafel, Mylady!« Parker deutete auf das kleine Pult, das in einer Nebenkammer stand. Durch eine
dicke Glasscheibe konnte man später das Kreisen der Gondel beobachten. Parker brauchte nur kurze Zeit, bis er Lady Agatha die Handhabung der Steuerung auseinandergesetzt hatte. »Lassen Sie mich es mal versuchen«, sagte sie energisch und baute sich vor dem Pult auf. Sie schaltete die Zentrifuge ein und lächelte, als der lange Hebelarm samt Gondel zu kreisen begann. Er kam schnell in Fahrt und bewegte sich mit atemberaubender Geschwindigkeit um seine Achse. »Clayburn wird auf seine Kosten kommen«, sagte sie, als sie die Zentrifuge wieder abstellte. »Können Sie sich noch daran erinnern, Mr. Parker, daß dieses Subjekt eine dieser Kleinstraketen in das Volksfest jagen wollte?« »Eine für meine Vorstellung immer noch schreckliche Drohung.« »Ich werde diesem Clayburn eine Lektion erteilen«, sagte Lady Simpson. »Ich werde ihn solange kreisen lassen, bis er einen, wie heißt es noch ...?« »Mylady meinen das, was man volkstümlich Drehwurm nennt?« »Bis er einen Drehwurm hat«, schloß sie. »Er wird mich nie vergessen!« »Davon, Mylady, erlaube ich mir überzeugt zu sein.« Parker verließ den Raum und suchte erst mal den Bunker auf, in dem die elektrischen Sicherungen und Einrichtungen zentral untergebracht waren. Er hielt es für angebracht, nach der Sicherung zu forschen, die das Rotieren der Zentrifuge ermöglichte oder auch nicht. Butler Parker war eben ein Mensch, der dafür sorgte, daß gewisse Dinge nie auf die Spitze getrieben wurden. Er
kniete schließlich vor Lady Simpson nahm sich vor, Lady Simpson knapp nieder. drei Minuten einzuräumen, um Clay»Sie . .. Sie werden mich umbrinburn ihrem Test zu unterziehen. Drei gen«, behauptete er mit versagender Minuten mit Lady Agatha allein, das Stimme. reichte auch für einen Clayburn voll»Unsinn«, grollte sie. »Ich lasse sie kommen aus. Danach war er mit etwas Karussell fahren. Ganz langsam Sicherheit bereits durch eine Art nur. Glauben Sie etwa, ich möchte Sie Fegefeuer gegangen... monatelang im Gefängnislazarett wisAls Clayburn später in dem Zentrifusen? Nein, nein, wir werden ganz langgenbunker war, ahnte er sofort, was sam kreisen, ganz langsam, Sie Lümauf ihn zukam. Zur Überraschung der mel, aber dafür etwas länger als älteren Dame, die herrisch auf die geplant. Ich bin doch kein einsteigbereite Gondel deutete, sackte Unmensch!« Clayburn haltlos in sich zusammen. Er rief und schrie nach der Polizei und Parker ging beruhigt aus dem Bunker. Er wußte, daß Agatha Simpson ihren Zorn auf Clayburn wieder unter Kontrolle hatte. Er nahm sich vor, ihr volle vier Minuten zu geben. Oder auch viereinhalb, er wollte da nicht zu genau sein! ENDE scan: crazy2001@10/2011 corrected: santos22
Red. Hinweis: Der heutigen in der Schweiz verbreiteten Auflage ist ein interessanter Prospekt des Instituts Mössinger, Fernschule in Zürich, beigelegt, den wir der Aufmerksamkeit unserer Leser empfehlen.
Günter Dönges schrieb für Sie wieder einen neuen Nr. 184
Parker foppt den Dinosaurier Natürlich wußte Josuah Parker von der sogenannten »Zeitmaschine«. Es gab und gibt ja genug Literatur über dieses seltsame Gerät, mit dem man Reisen in die Vergangenheit unternehmen kann. Lady Agatha Simpson und er hatten allerdings nicht damit gerechnet, in der Kreidezeit zu landen, In der es alles andere als gemütlich war. Da gab es Dinosaurier, die dem Butler unbedingt an den Kragen wollten, da gab es allerdings erstaunlicherweise auch recht seltsame Kreaturen, die Menschen waren und unbedingt morden wollten. Nun, Butler Parker ließ sich nicht lange verblüffen und nahm den Kampf mit der Zeit auf, wobei er wieder mal seine Improvisationsgabe voll ausspielen konnte. Günter Dönges legt einen neuen Parker-Krimi vor, der vor Hochspannung knistert, in dem aber mit Sicherheit herzhaft gelacht werden darf. Natürlich schaffte er den Sprung zurück in die Gegenwart, doch wie er das schaffte, sollten Sie sich nicht entgehen lassen. In der Neuauflage erscheint Butler Parker Nr. 152
Parker pokert mit Pistolen von Günter Dönges