PARKER nimmt die Crasher hoch Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges Auf den ersten...
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PARKER nimmt die Crasher hoch Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges Auf den ersten Bück machten die beiden Besucher einen durchaus
seriösen Eindruck. Sie trugen sandfarbene Popelinemäntel, deren
Kragen sie wegen der herbstlichen Witterung hochgeschlagen
hatten.
Der ältere von ihnen schien über 50 zu sein. Das Auffallendste an
ihm war die Nase von beeindruckendem Ausmaß. Sie hatte die
Form einer Tomate und verlieh seinem Gesicht clownhafte Züge.
Sein Begleiter war etwa 20 Jahre jünger und besaß einen sorgfäl
tig gestutzten Backenbart. Beim Sprechen sah man einen gold
blitzenden Schneidezahn. »Zwei Herren vom Inkassobüro Peter
son bitten höflich um die Erlaubnis, Mylady sprechen zu dürfen«,
meldete Butler Parker seiner Herrin, die gerade ihre Teestunde
mit einem Glas Sherry beschloß.
»Jagen Sie die Kerle zum Teufel, Mister Parker!« fauchte die älte
re Dame. »Und sagen Sie ihnen, sie könnten sich weitere Mah
nungen sparen. Ich zahle keinen Penny!«
Die Hauptpersonen:
Marty Silverstone handelt mit Schrott und haßt neugierige Fra
gen.
Paul Trenton macht alte Autos wieder neu.
Humphrey Muiligan sieht Beulen, wo keine sind.
Charles McGriffin fühlt sich Parker und Mylady überlegen, nimmt
aber doch ein unfreiwilliges Bad im Meer.
Kathy Porter zeigt den Crashern mutig die Krallen.
Lady Agatha Simpson will keinen Penny für einen »Unfall« zahlen
und läßt sich darin nicht beirren.
Josuah Parker verdirbt seiner Herrin nicht ohne Grund den Appetit
auf Pralinen.
Mit einer höflichen Verbeugung wandte sich der Butler zum Ge
hen, um Myladys Besuchern Bescheid zu überbringen, doch auf
halbem Weg wurde er zurückgerufen.
»Ich habe es mir anders überlegt, Mister Parker«, verkündete die
Hausherrin. »Lassen Sie die Burschen herein. Ich werde ihnen die passende Antwort erteilen.« »Sie haben auch unsere zweite Mahnung mißachtet, Mylady«, begann der Clownnasige, sobald Parker ihn und seinen Begleiter in den Salon geführt hatte. »Deshalb sind wir gekommen, um die achthundert Pfund persönlich einzutreiben.« »Ich denke nicht daran, auch nur einen Penny zu zahlen!« wurde Lady Simpson ärgerlich. »Diese lächerliche Beule war ja nicht der Rede wert. Und sagen Sie Ihrem Mister Meterson…« »Peterson«, korrigierte der Mann. »Nichts anderes habe ich gesagt«, behauptete Mylady. »Also un terbrechen Sie mich nicht! Ihrem Mister Keterton können Sie aus richten: Wenn er mich nicht ab sofort in Ruhe läßt, werde ich ihn verklagen.« »Vielleicht sollten Sie es sich doch noch mal überlegen, Mylady«, meinte ihr Gegenüber und setzte ein herablassendes Grinsen auf. »Wenn Sie das Geld nicht bar im Haus haben – wir nehmen auch Schecks.« »Ich denke nicht daran!« wiederholte die ältere Dame. »Sie denken nicht daran?« fragte der Mann lauernd. »Was sagst du dazu, Mick?« Wie unabsichtlich stieß er mit dem Ellenbogen gegen die kostbare, altchinesische Vase auf Myladys prachtvoller Barockkommode. Klirrend landete das edle Stück auf dem Fußbo den und zersprang in tausend Scherben. »Sind Sie wahnsinnig?« fuhr Agatha Simpson auf. »Pat ist nur etwas tolpatschig, Mylady«, meldete sich der jüngere Mann zu Wort. »Am besten rücken Sie sofort die Kohlen raus, damit wir gehen können. Sonst passieren ihm vielleicht.« »Das werde ich zu verhindern wissen«, drohte Mylady. Ächzend schwang sie ihre beeindruckende Körperfülle aus dem Sessel und nahte wie eine zürnende Furie. Pat jaulte auf wie ein getretener Hund, als er eine der berüchtig ten Ohrfeigen bekam. Benommen torkelte er zur Seite und rieb wimmernd seine Wange, die sich farblich immer mehr seiner Nase anglich. Tolpatschig, wie er offenbar wirklich war, trat er im nächsten Moment auf die Reste der chinesischen Vase. Die Scherben brachten ihm aber alles andere als Glück. Auf dem spiegelblanken Parkettboden rutschten sie wie Bananenschalen unter seinen Fü ßen weg und brachten ihn endgültig aus dem Gleichgewicht.
Pat jammerte noch mal auf, als er sich mit dem Hosenboden mit ten in die Porzellansplitter setzte. Da er aber gleichzeitig mit dem Hinterkopf gegen die Kommode schlug, war dieses Jammern sei ne vorerst letzte Äußerung. Dafür fühlte sich sein jüngerer Kollege zu Aktivitäten aufgerufen. Doch es erging ihm nicht viel besser. Als er sich mit wütendem Gebrüll auf Mylady stürzen wollte, plazierte Parker seelenruhig das Silbertablett, das er gerade in der Hand hielt, auf seinem Schädel. Auf der Stelle vergaß der Besucher seine unfreundlichen Absich ten und sank vor der Hausherrin auf die Knie, als wollte er sie um Verzeihung bitten. Anschließend streckte er sich mit einem tiefen Seufzer gleich neben Pat auf dem Boden aus. »Möglicherweise sollte man Mister Peterson auf die mangelhaften Umgangsformen seiner Bediensteten hinweisen«, schlug Parker vor. »Natürlich werde ich mich beschweren«, stimmte Agatha Simpson ihm zu. »Aber unabhängig davon werden die Kerle mir den Scha den ersetzen, den sie hier angerichtet haben.« Unter den kritischen Blicken seiner Herrin mußte Parker die be wußtlosen Männer durchsuchen. Personalpapiere hatte keiner bei sich. Dafür fanden sich in Pats Brieftasche immerhin knapp fünf hundert Pfund, die Lady Simpson als Anzahlung für die zertrüm merte Vase betrachtete und wegsteckte. Anschließend schleppte Parker die Besucher nach draußen und setzte sie auf die Stufen vor der Haustür. Minuten später wurde draußen ein Automotor gestartet. Bertrand Petersons Geldeintrei ber waren verschwunden. * Die Straße, an der das Inkassobüro Peterson lag, zählte nicht gerade zu den feinsten Adressen in London. Das zweistöckige Haus im Baustil der Jahrhundertwende machte einen herunterge kommenen Eindruck. Von der Fassade bröckelte der Putz. Das Firmenschild war kaum noch zu entziffern. Gemächlich ließ Parker sein hochbeiniges Monstrum am Straßen rand ausrollen. Früher hatte der schwarze Kasten brav seinen Dienst als Taxi getan. Parker hatte das schwerfällig wirkende Ge
fährt jedoch zu einem technischen Wunderwerk aufgerüstet, das bei Freund und Feind als »Trickkiste auf Rädern« galt. Mit einer formvollendeten Verbeugung öffnete der Butler den Wa genschlag und war seiner Herrin beim Aussteigen behilflich. Josu ah Parker war ein Mann unbestimmbaren Alters und wenig mehr als mittelgroßer Statur. Bekleidet war er mit einem steifen, schwarzen Covercoat. Der schwarze Bowler und der altväterlich gebundene Regenschirm am angewinkelten Unterarm vervollständigten seinen Aufzug, der an einen hochherrschaftlichen Butler aus längst vergangenen Zeiten denken ließ. Seine Herrin stand schon weit in den Sechzigern. Sie trug ein derbes Tweedkostüm von nicht gerade modischem Schnitt und rustikale Schnürschuhe. Auf ihrem Haupt thronte ein undefinier bares Gebilde, das sie hartnäckig als »Hut« titulierte, obwohl es eher einem mißratenen Napfkuchen glich. Zu erwähnen wäre noch ein perlenbestickter Pompadour von nicht gerade damenhaftem Format an Myladys muskulösem Handgelenk. Dieser Beutel, den Mylady ebenso überraschend wie erfolgreich einzusetzen wußte, enthielt ihren sogenannten Glücksbringer, ein Pferdehufeisen, das von einem stämmigen Brauereigaul stammte. Gemessenen Schrittes geleitete Parker seine Herrin durch den schmuddeligen Flur und öffnete die Tür mit der Aufschrift »An meldung«. Die beiden Männer, die es sich mit den Füßen auf den Schreibtischen bequem gemacht hatten, fuhren wie elektrisiert in die Höhe, als sie sahen, wer da ihre vormittägliche Ruhe störte. Pat und Mick schienen die Lektion vom Vorabend schon wieder vergessen zu haben, denn beide warfen sich wie aufgeschreckte Wachhunde den Ankömmlingen entgegen. Seelenruhig faßte der Butler seinen schwarzen Universal-Regenschirm am Griff und hielt dem anstürmenden Pat die bleigefüllte Spitze entgegen. Der Angreifer schnappte nach Luft und verdrehte die Augen, als er das unerwartete Hindernis in seiner Magengrube spürte. Wie ein Taschenmesser klappte er in der Hüfte ein und ließ sich stöh nend zur Seite fallen. Dadurch kam er allerdings seinem Kollegen Mick in die Quere, der gerade mit bloßen Fäusten auf Mylady losgehen wollte. Mick ab solvierte einen eindrucksvollen Salto, der allerdings den sauberen Abgang vermissen ließ. Sein Bemühen, nach dieser turnerischen
Vorführung wieder auf die Beine und ins Gleichgewicht zu kom men, endete kläglich. Daran hatte allerdings die resolute Dame nicht unbeträchtlichen Anteil. Mit kaum hörbarem Zischen durchschnitten lederne Tragriemen die Luft, als Lady Agatha ihren Pompadour auf die Reise schickte. Unbeirrbar suchte sich der perlenbestickte Beutel sein Ziel. Mit heiserem Aufschrei quittierte Mick den Empfang der Überra schung. Reflexartig riß er die Arme hoch und faßte nach der Stelle an seinem Hinterkopf, wo sich die Umrisse von Lady Agathas Glücksbringer unübersehbar eingeprägt hatten. Seine Augen schienen aus den Höhlen springen zu wollen, als er rückwärts torkelte, über einen Bürostuhl stolperte und röchelnd zu Boden ging. Im selben Moment wurde die ledergepolsterte Tür aufgestoßen, die Pat und Mick so glücklos verteidigt hatten. Das kahlköpfige, spindeldürre Männchen, das fassungslos die Verwüstungen in seinem Vorzimmer musterte, versuchte erst gar nicht, Mylady und den Butler am weiteren Vordringen zu hindern. »O mein Herz«, jammerte der Mann. Mit der Linken faßte er sich an die Brust, mit der Rechten zog er ein blütenweißes Taschen tuch hervor und tupfte sich den Schweiß von der Stirn. »Führen Sie sich gefälligst nicht so wehleidig auf«, knurrte Agat ha Simpson unbeeindruckt. »Ich habe mit Ihnen zu reden.« Mit ängstlichen Blicken wich der Mann in sein Büro zurück und ließ sich heftig atmend an seinem ledergepolsterten Schreibtisch nieder. Anschließend griff er nach seiner silbernen Pillendose und schluckte ein halbes Dutzend Dragees auf einmal. »Nun hören Sie schon mit diesem Firlefanz auf! Man sieht doch, daß Sie kerngesund sind«, herrschte Mylady ihn an. »Mein Kreis lauf ist dagegen außerordentlich sensibel und verlangt dringend nach einer Stärkung.« Wortlos hielt ihr das Männchen die geöffnete Pillendose entgegen, doch die ältere Dame hob abwehrend die Hände und wandte sich mit einem Ausbruch des Ekels ab. »Mylady bringt den Produkten der pharmazeutischen Industrie keinerlei Vertrauen entgegen«, klärte Parker den Mann auf. »Ein Kognak wäre eher hilfreich, falls man sich die Bemerkung erlau ben darf.« »Bitte, bedienen Sie sich«, sagte der Gastgeber mit kraftloser Stimme und wies auf einen eleganten Wandschrank aus kostba
rem Palisanderholz. »Flasche und Gläser stehen dort.« Mit wohlwollendem Grunzen registrierte die ältere Dame das Eti kett eines renommierten französischen Abfüllers, als Parker ihr das erste Glas vollschenkte. »Darf man davon ausgehen, Mister Peterson persönlich gegenü berzustehen?« erkundigte sich der . Butler, während er die Fla sche in Myladys Reichweite abstellte. »Bertrand Peterson«, bestätigte das Männchen. »Man bittet um Nachsicht wegen der Unruhe im Vorzimmer, die Sie zweifellos gestört haben dürfte, Mister Peterson«, fuhr Parker in seiner höflichen Art fort. »Die Umgangsformen Ihrer Bedienste ten ließen allerdings gewisse Maßregelungen unvermeidlich er scheinen.« »Wer sind Sie denn überhaupt?« fragte der Mann, der allmählich seine Fassung wiedergewann. »Lady Simpson…«, wollte Parker die Vorstellung beginnen, doch der Mann hinter dem Schreibtisch fiel ihm ins Wort. »Lady Simpson?« wiederholte er. »Dann war es Ihr Haus, in dem meine Mitarbeiter schon gestern nachmittag brutal mißhandelt wurden? Ich protestiere energisch gegen derartige Übergriffe, Mylady!« »Stimmt«, bestätigte die passionierte Detektivin und hielt dem Butler ihr leeres Glas zum Nachfüllen entgegen. »Ich habe den Burschen schon gestern eine Lektion erteilt. Aber vermutlich bin ich dabei noch nicht deutlich genug geworden.« »Meine Mitarbeiter haben nicht mehr und nicht weniger als ihre Pflicht getan«, entgegnete Peterson. »Sie haben die Anweisung, bei besonders hartnäckigen Schuldnern mit einer gewissen Be stimmtheit aufzutreten.« »Hartnäckige Schuldner?« empörte sich Mylady. »Ich schulde Ihnen keinen Pfennig, Sie „mir aber fünfhundert Pfund.« »Für die kaputte Vase?« erkundigte sich ihr Gegenüber. »Wenn ich recht informiert bin, haben Sie meine Mitarbeiter gestern schon um einen Betrag dieser Größenordnung erleichtert.« »Das war selbstverständlich nur die Anzahlung, Mister Meterson«, erwiderte Lady Agatha kühl. »Ich erwarte von Ihnen, daß Sie Ihre restliche Schuld unverzüglich begleichen.« »Es steht Ihnen natürlich frei, Ihre Forderungen auf gerichtlichem Weg geltend zu machen«, gab Peterson zurück und war plötzlich wieder ganz Geschäftsmann. »Ebenso werde ich verfahren, falls
Sie nicht bereit sind, unverzüglich den von Ihnen zu verantwor tenden Unfallschaden in Höhe von achthundert Pfund zu regulie ren.« »Achthundert Pfund für eine kleine Beule an einem schrottreifen Auto? Das ist doch lächerlich«, prustete Mylady los und ließ sich von Parker noch mal nachschenken. »Kleine Beule?« reagierte Peterson verwundert. »Sie werden doch nicht das Gutachten des amtlich vereidigten Sachverständigen anzweifeln wollen? Außerdem gibt es einen unbeteiligten Zeugen, der die Schwere der Schäden zu Protokoll gegeben hat.« »Alles Unsinn«, fegte Mylady seine Einwände vom Tisch. »Und wenn Sie alle Gerichte der Welt bemühen – von mir werden Sie keinen Penny bekommen.« »Natürlich sind achthundert Pfund kein Pappenstiel«, lenkte Pe terson ein. »Aber Sie hätten eben Ihre Haftpflichtversicherung einschalten sollen, Mylady. Die Versicherungen haben bisher im mer anstandslos gezahlt.« »Darf man aus Ihrer Äußerung den Schluß ziehen, Mister Peter son, daß Sie häufig mit ähnlich gelagerten Fällen zu tun haben?« erkundigte sich Parker. Ein verlegenes Lächeln huschte über das Gesicht des dürren Man nes. »Nun – ab und zu«, antwortete Peterson ausweichend. In diesem Moment wurde ein Rumpeln und Poltern aus dem Vor zimmer hörbar. Offensichtlich waren Pat und Mick aus ihren Träumen erwacht. Gleich darauf wurde die Klinke gedrückt. Parker, der sich mit dem Rücken gegen die Tür gelehnt hatte, leistete zwar erfolgreichen Widerstand, doch er ahnte, daß die beiden Männer mit Gewalt ins Büro dringen würden, um ihrem Chef zu Hilfe zu eilen. »Möglicherweise sollte man Mister Peterson Gelegenheit zu einer vertraulichen Beratung mit seinen Mitarbeitern geben«, schlug Parker seiner Herrin vor, die ohnehin an Aufbruch dachte. Während Mylady sich zum Gehen wandte, öffnete der Butler ruckartig die Tür. Pat und Mick, die gerade Anlauf genommen hatten, um die Tür einzurennen, waren zu überrascht, um noch stoppen zu können. Stolpernd schossen sie ins Zimmer und prall ten beide gegen Petersons Schreibtisch. Bäuchlings rutschten sie über die polierte Platte auf ihren Chef zu und umarmten ihn so stürmisch, daß Peterson samt Sessel nach hinten kippte und sie weiter mit sich riß.
Ehe der Menschenknäuel hinter dem Schreibtisch sich wieder entwirrt hatte, verließen Josuah Parker und Agatha Simpson den Raum. »Man wünscht noch ungestörte Stunden«, sagte der Butler, zog die Tür zu und schloß von außen ab. * »Das werden die Kinder sein. Bitte, gehen Sie öffnen, Mister Par ker«, ordnete Mylady an, als es zur Teezeit an Ihrer Haustür läu tete. Wenn die Hausherrin von ihren »Kindern« sprach, waren damit allerdings keine leiblichen Nachkommen gemeint. Vielmehr pfleg te sie mit diesem irreführenden Begriff ihre attraktive Gesell schafterin Kathy Porter und den erfolgreichen Rechtsanwalt Mike Rander zu belegen. Rander, ein Vierziger, braungebrannt und sportlich, erinnerte an einen beliebten Hauptdarsteller aus James-Bond-Filmen. Er hatte zusammen mit Parker einige ereignisreiche Jahre in den Staaten verbracht, bevor der Butler nach London zurückkehrte und in La dy Simpsons Dienste trat. Als Rander später nachkam und in der Metropole an der Themse eine Kanzlei eröffnete, führte Parker ihn im Hause Simpson ein. Mylady schloß den sympathischen Anwalt sofort in ihr Herz. Seit dem gehörte es zu Randers wichtigsten Aufgaben, ihr immenses Vermögen zu verwalten. Die hübsche Kathy, die Rander im Hause Simpson kennengelernt hatte, schien ihm nicht gleichgültig zu sein. Doch bisher waren alle Bemühungen der älteren Dame, zwischen ihren »Kindern« einen legalen Bund fürs Leben zu stiften, im Sand verlaufen. »Ich hoffe, es geht Ihnen gut, Mylady«, begrüßte Rander beim Hereinkommen die Hausherrin. »Sie sehen jedenfalls blendend aus.« »Danke, mein lieber Junge, danke«, gab Mylady geschmeichelt zurück. »Man tut eben, was man kann. Aber wahrscheinlich ist es der ständige Ärger, der mich so jung und fit erhält.« »Ärger?« fragte Kathy Porter mitleidig und nahm neben der älte ren Dame auf dem Sofa Platz. »Sie hatten doch nicht etwa schon wieder Ärger?«
»Von früh bis spät, Kindchen«, übertrieb Agatha Simpson. »Die Burschen, die mir dieser Meterson auf den Hals geschickt hat, waren wirklich unerträglich.« »Meterson?« fragte Rander. »Wer ist denn das?« »Mylady geruhte, von zwei Mitarbeitern des Inkassobüros Bert rand Peterson zu sprechen, falls die Anmerkung erlaubt ist«, gab der Butler Auskunft. »Vermutlich wollten die Leute Geld von Ihnen haben, Mylady?« vergewisserte sich der Anwalt. Agatha Simpson, die sich gerade ein Stück Mokkatorte in den Mund geschoben hatte, nickte nur stumm. »Das ist wirklich ärgerlich«, kommentierte Rander und zwinkerte Kathy dabei zu. Beide wußten nur zu gut, wie geizig die ältere Dame war. »Aber wenn ein Inkassobüro Ihnen schon seine Mitarbeiter ins Haus schickt, müssen Sie sich mit dem Bezahlen wirklich Zeit gelassen haben«, fuhr Rander fort. »Oder handelt es sich um ei nen Irrtum?« »Gewissermaßen ja«, erklärte die Detektivin. »Das Ganze ist ein Irrtum. Ich werde nämlich keinen Penny herausrücken.« »Worum geht es denn eigentlich, Mylady?« wollte Kathy Porter wissen. »Über die Einzelheiten kann Ihnen Mister Parker berichten«, ant wortete Mylady und ließ sich das nächste Tortenstück vorlegen. »Er war es ja ohnehin, der mir den ganzen Ärger eingebrockt hat.« »Meine Wenigkeit ist in der Tat untröstlich über den bedauerli chen Zwischenfall«, versicherte Parker, bevor er von dem Baga tellunfall berichtete, in den er vor einigen Wochen verwickelt worden war. Damals hatte der Butler seine Herrin gerade zu einem Wohltätig keitsbasar zugunsten verarmter Adliger fahren wollen, in einer Vorstadt war es passiert. Aus einer Seitenstraße, die für Parker nicht einsehbar war, kam plötzlich ein Fahrzeug und hatte sein hochbeiniges Monstrum gerammt. Der Zusammenstoß verlief allerdings glimpflich. Während Parkers schwarzes Gefährt nur eine Schramme an der Beifahrertür davon trug, hatte der Fahrer des schon reichlich betagt wirkenden Mus tang-Coupes eine Delle im Kotflügel und ein zerbrochenes Scheinwerferglas zu beklagen.
Mylady zettelte zwar eine langwierige Diskussion über die Schuld frage an, doch ihr Kontrahent war sich völlig sicher. »Die britischen Verkehrsgesetze sind eindeutig, Mylady«, versi cherte er. »An Kreuzungen ohne Vorzeichen hat der von links Kommende Vorfahrt.« Parker wußte, daß der Mann im Recht war. An der Tatsache, daß er wirklich von links gekommen war, gab es nichts zu deuteln. Das bekräftigte auch ein Zeuge, der zeitungslesend auf einer Parkbank an der Kreuzung gesessen und den Zusammenstoß aus wenigen Metern Entfernung miterlebt hatte. Agatha Simpson tat in dieser Situation etwas sehr Ungewöhnli ches: Sie ließ sich von den Argumenten der Männer überzeugen, wehrte sich allerdings dagegen, den Vorfall ihrer HaftPflichtversicherung anzuzeigen, wie der Butler es ihr von Anfang an geraten hatte. »Wegen dieser Lappalie meinen Schadenfreiheitsrabatt aufs Spiel zu setzen – das kommt nicht in Frage«, erklärte sie mit Be stimmtheit. »Dann werde ich die paar Shilling eben aus meiner eigenen Tasche zahlen, wenn es wirklich unvermeidlich ist.« »Bei den heutigen Werkstattpreisen werden Sie mit ein paar Shil ling nicht davonkommen«, mahnte der Mustangfahrer, doch My lady blieb hart. »Sie dürfen mir die Rechnung zuschicken«, beschied sie den Mann. »Ich werde dann entscheiden, ob ich die Höhe für gerecht fertigt halte.« Eine Woche später verschlug es ihr dann fast den Atem, als der Mustangfahrer, ein gewisser Jeremy Fuller, ihr brieflich seine For derungen übermittelte. Fuller hatte die Kopie eines Gutachtens beigelegt, das ein amtlich vereidigter Sachverständiger erstellt hatte. Bei dem Unfall habe sich das Fahrgestell des erst zwei Jahre alten und tadellos gepflegten Fahrzeuges verzogen, hieß es dort. Zu sammen mit Ausbeulen, Lackieren und einigen kleineren Arbeiten hatte der Gutachter Reparaturkosten von achthundert Pfund er rechnet. Parker mußte seiner ungläubigen Herrin bestätigen, daß sie den Text’ auch richtig verstanden hatte. Anschließend nahm sie Brief und Gutachten und schleuderte beides wutschnaubend ins Kamin feuer. Doch damit war die Angelegenheit keineswegs erledigt. Wenig später traf die erste Mahnung des Inkassobüros Peterson
ein. »Das klingt ja merkwürdig«, stellte Mike Rander fest, der Parkers Bericht mit wachsender Aufmerksamkeit gefolgt war. »Gerade heute morgen hat mir ein Kollege von einem Mandanten berich tet, dem es ganz ähnlich ergangen ist.« »Fast sollte man meinen, Mister Fuller hätte den Unfall absichtlich provoziert«, meinte Kathy Porter. »Genau«, bestätigte Rander. »Dieser Verdacht kam mir im Mo ment auch. Vielleicht sollte man sich diesen Mister Fuller mal nä her ansehen.« »Daran habe ich natürlich auch längst gedacht«, behauptete die ältere Dame. »Gleich morgen früh wird Mister Parker mich zu Mister Puller fahren. Der Kerl ist ein Betrüger. Das steht für mich fest.« »Vielleicht sollten Sie zuerst versuchen, Beweise zu sammeln, ehe Sie Mister Fuller mit einer derartigen Anschuldigung überfallen, Mylady«, versuchte der Anwalt zu bremsen, doch die Detektivin war schon in ihrem Lieblingsfahrwasser. »Dieses kleinliche Kleben an Beweisen ist doch ein anachronisti scher Luxus, den sich nur noch ein paar Juristen leisten«, erklärte Agatha Simpson in belehrendem Tonfall. »Schließlich bin ich De tektivin genug, um dem Mann an der Nasenspitze anzusehen, daß er ein Verbrecher ist. Und wenn ich ihn erst mal vernehme, wird er schon ein Geständnis ablegen.« »Myladys Vernehmungsmethoden sind in der Tat von einmaliger Durchschlagskraft, falls diese Anmerkung erlaubt ist«, ließ Parker sich vernehmen. »Ich weiß«, versicherte Rander eilig. »Na also.« Für Mylady war die Welt wieder in Ordnung. »Falls es Sie interessiert, werde ich bis morgen nähere Informati onen über den anderen Unfall beschaffen, den ich eben erwähn te«, bot Rander an, ehe er sich zusammen mit Kathy Porter ver abschiedete. »Man dankt für die freundliche und außerordentlich hilfreiche Mit arbeit, Sir«, äußerte Parker, während er das Paar zur Tür geleite te und beiden eine angenehme Heimfahrt wünschte. *
»So feine Leute wie Sie verirren sich aber nur selten in diese Ge gend«, krächzte die alte Frau, die vor dem Eingang der verwahr losten Mietskaserne auf einem wackeligen Holzstuhl saß und die milde Septembersonne genoß. »Zu wem wollen die Herrschaften denn?« »Muß man davon ausgehen, daß Mister Jeremy Fuller derzeit nicht zu Hause ist?« erkundigte sich Parker und lüftete höflich seinen schwarzen Bowler. »Mister Fuller?« echote die Frau grinsend und ließ dabei ein paar schwarze Zahnstummel sehen. »Natürlich ist Mister Fuller zu Hause. Gehen Sie nur rauf. Er wohnt im vierten Stock.« »Dürfte man vorher höflich um eine kleine Auskunft bitten?« »Für Auskünfte ist die alte Finchley die richtige Adresse, Sir«, antwortete die Greisin und ließ ein meckerndes Lachen hören. »Möglicherweise könnten Sie mitteilen, wo Mister Fuller sein Au tomobil zu parken pflegt«, sagte Parker und drückte der Frau dis kret eine Banknote in die ausgestreckte Hand. »Da drüben steht sein Wagen«, behauptete die Alte und deutete auf einen Vauxhall, der den größten Teil seiner Lebensdauer of fenbar schon hinter sich hatte. »Mister Fuller fährt aber ein Automobil anderen Typs, falls man sich nicht gründlich täuscht«, entgegnete der Butler. »Nein, das ist Mister Fullers Wagen«, beharrte die Greisin. »Er hat ihn allerdings noch nicht lange.« Mit schlurfenden Schritten trat sie näher an Parker heran und begann zu flüstern: »Ich würde zu gern wissen, wie der Mann das macht. Ist schon seit Jahren arbeitslos und fährt alle paar Wo chen ein anderes Auto…« »Eine durchaus naheliegende Frage, der man möglicherweise auf den Grund gehen sollte«, antwortete Parker und geleitete seine Herrin unter den neugierigen Blicken der alten Frau in den Haus flur. »Man dankt für die wertvolle Information.« »Sie?« Fullers Gesicht im Türspalt zeigte Überraschung und Mißtrauen zugleich. »Mylady hat sich zu Ihnen bemüht, Mister Fuller, um noch einige Einzelheiten des bedauerlichen Verkehrsunfalls zu klären, in den man kürzlich verwickelt wurde«, informierte Parker ihn über den Grund des Besuches. »Für mich gibt es da nichts mehr zu klären«, entgegnete Fuller abweisend.
»Die Schuldfrage ist eindeutig, die Schäden an meinem Wagen sind durch einen vereidigten Sachverständigen festgestellt. Un klar ist mir nur eines: warum Sie nicht endlich für den Schaden aufkommen.« »Das wollte ich Ihnen gerade deutlich machen, junger Mann«, raunzte die Detektivin ihn an. »Wenn Sie glauben, Sie könnten eine Lady Simpson betrügen…« »Betrügen?« unterbrach Fuller die ältere Dame und bemühte sich seiner Stimme einen entrüsteten Klang zu geben. »Ich weiß ü berhaupt nicht, warum ich mich mit Ihnen in Diskussionen einlas se.« Er wollte seinen Besuchern die Tür vor der Nase zuschlagen, doch Parker hatte schon die Spitze seines Universal-Regenschirmes dazwischen. »He, was soll das?«, fluchte Fuller. Mit dem Fuß versuchte er ver geblich, die Schirmspitze aus dem Türspalt zu schieben. »Man dankt für die außerordentlich freundliche Aufforderung zum Eintreten, Mister Fuller«, entgegnete der Butler ungerührt und drückte die Tür ganz auf. Fuller wich ein paar Schritte in den Flur zurück. Doch er dachte nicht daran, den Weg freizugeben, sondern griff nach einem bronzenen Briefbeschwerer auf dem Telefontisch. Parker, der mit Unfreundlichkeiten bereits gerechnet hatte, durchkreuzte seine Absichten jedoch nachhaltig. Mit der bleigefüllten Schirmspitze .tippte er gegen das Handge lenk des Mannes, der gerade zum Wurf ausholen wollte. Fuller heulte auf wie ein einsamer Wolf bei Vollmond und vergaß au genblicklich das schwere Wurfgeschoß in seiner erhobenen Hand. Ein zweites Jaulen folgte unmittelbar darauf, als der Briefbe schwerer den Gesetzen der Schwerkraft folgte und ausgerechnet auf seine Zehen plumpste. Fuller geriet völlig außer Fassung und wußte nicht, worum er sich zuerst kümmern sollte: um sein rasch anschwellendes Handgelenk oder um die heftig schmerzenden Hühneraugen. Wie ein amputiertes Känguruh hüpfte er auf einem Bein im Flur hin und her und versuchte gleichzeitig, seine Hand zu massieren. Leider war der Flur aber zu schmal für tänzerische Darbietungen, zumal Fullers Körperbeherrschung eindeutig zu wünschen übrigließ. Die unvermeidliche Folge war, daß er mit Getöse den Telefontisch umriß und im Stolpern instinktiv nach den Mänteln
am Garderobenständer griff. Da dieser Halt sich jedoch als trüge risch erwies, und der schwere Ständer prompt umkippte, torkelte der unfrei willige Gastgeber weiter rückwärts durch die angelehn te Tür ins nächstliegende Zimmer. Als Parker und seine Herrin folgten, fanden sie ihn stöhnend auf einem Sofa sitzen, wo er sich hingebungsvoll der Begutachtung seiner Blessuren widmete. »Das werden Sie mir büßen«, knurrte der Mann. »Wenn Sie nicht sofort verschwinden, rufe ich die Polizei.« . »Dank Ihrer Unvorsichtigkeit, Mister Fuller, dürfte der Telefonap parat wohl kaum noch funktionsfähig sein, falls dieser Hinweis erlaubt ist«, stellte Parker fest. »Haben Sie eben mit der Polizei gedroht, junger Mann?« verge wisserte sich Lady Agatha. »Das kann ich nur als Scherz auffas sen. Ein Mann wie Sie sollte um jeden Polizisten einen weiten Bo gen machen.« »Ein Mann wie ich?« gab Fuller wütend zurück. »Was soll das hei ßen?« »Spielen Sie nicht den Ahnungslosen!« wies Mylady ihn zurecht. »Eine Detektivin meines Formats läßt sich nicht täuschen.« »Sie – eine Detektivin?« Fuller lachte auf und musterte die ältere Dame mit hämischem Grinsen. »So habe ich mir eine Detektivin aber nie vorgestellt.« »Das ist Ihr Problem, junger Mann«, belehrte Agatha Simpson ihn. »jedenfalls werde ich Ihnen jetzt einige Fragen stellen. Aber denken Sie daran: Ich merke sofort, wenn Sie von der Wahrheit abweichen, und dann kann ich ausgesprochen ungemütlich wer den.« »Wenn’s Ihnen Spaß macht, dann fragen Sie!« lenkte Fuller ein. Er hielt das skurrile Pärchen offenbar für übergeschnappt und fühlte sich wieder als Herr der Situation. »Na los, fragen Sie schon! Ich will ja kein Spielverderber sein«, forderte er die Detektivin auf. Doch Lady Simpson runzelte nur die Stirn und schwieg. Was hatte sie diesen Menschen eigentlich fragen wollen? Hektisch kramte sie in den unergründlichen Win dungen ihres Gedächtnisses, doch der Erfolg war gleich Null. End lich kam ihr die rettende Idee. »Mein Butler wird Ihnen die Fragen vorlegen«, teilte sie ihrem Gegenüber mit. »Um solche Details kann ich mich bei meiner großen Verantwortung nicht auch noch kümmern.«
»Ist mir auch recht«, reagierte Fuller und setzte sich auf seinem Sofa in Pose, als hätte man ihn gerade um ein Fernsehinterview gebeten. Das breite Grinsen, das er dabei aufsetzte, sollte ihm jedoch bald vergehen. »Falls Sie gestatten, Mister Fuller, möchte man zunächst Myladys Verwunderung über die Höhe der angeblichen Reparaturkosten zum Ausdruck bringen«, begann der Butler. »Falls meine Wenig keit sich nicht gründlich täuscht, dürfte der geforderte Betrag angesichts der geringfügigen Blech- und Glasschäden als maßlos überhöht gelten.« »So sah es vielleicht auf den ersten Blick aus«, erwiderte Fuller. »Aber Schäden am Fahrgestell übersieht man als Laie meistens.« »Dieser Behauptung dürfte in der Tat nur schwer zu widerspre chen sein, Mister Fuller«, räumte Parker ein. »Dennoch darf man vielleicht auf einen anderen Punkt verweisen, der der Klärung bedürfte.« »Was für einen anderen Punkt?« wollte Fuller wissen. »Nach Aussage des Gutachtens, das Sie Mylady freundlicherweise zustellten, war Ihr Fahrzeug zum Zeitpunkt des Unfalles erst zwei Jahre alt, Mister Fuller«, gab der Butler Auskunft. »Stimmt«, nickte sein Gegenüber. »Der Wagen war noch ziemlich neu und in tadellosem Zustand.« »Neu?« keifte Mylady. »Diesen elenden Schrotthaufen wollen Sie als neu, und tadellos gepflegt bezeichnen, Mister Puller?« »Fuller«, korrigierte der Mann. »Genau das habe ich gesagt!« herrschte Mylady ihn an. »Sie soll ten besser zuhören, wenn eine Dame mit Ihnen spricht. Sonst sehe ich mich gezwungen, Ihnen erst mal entsprechende Um gangsformen beizubringen.« Jeremy Fuller wollte aufbrausen, doch er besann sich und zog es vor, über die vermeintlich Verrückten zu lächeln. »In dieser Situation könnte eine Besichtigung des fraglichen Fahr zeuges vermutlich näheren Aufschluß geben, falls die Anmerkung erlaubt ist«, äußerte Parker. »Ich hätte ja nichts dagegen«, behauptete der Mann. »Aber leider habe ich den Wagen nicht mehr. Ich habe ihn reparieren lassen und dann gleich weiterverkauft.« »Inzwischen dürften Sie Besitzer eines Vauxhall sein, falls meine Wenigkeit sich nicht gründlich täuscht?« vergewisserte sich der Butler.
Fullers Augen verengten sich zu Schlitzen. »Sie sind ja gut infor miert«, preßte er hervor. »Vermutlich sind Sie der alten Finchley über den Weg gelaufen. Dieses gräßliche Weib ist eine wandelnde Klatschspalte.« »Meiner Wenigkeit steht es nicht zu, über Mistreß Finchleys Cha rakter zu urteilen«, gab Parker zurück. »Man wäre jedoch dank bar, wenn Sie sich eindeutig dazu äußern würden, ob es sich bei dem genannten Vauxhall um Ihr derzeitiges Fahrzeug handelt, Mister Fuller.« »Ja, der Vauxhall gehört mir«, bestätigte der Mann ungeduldig. Allmählich machte ihn die Fragerei doch nervös. »Ein solides und geräumiges Fahrzeug, falls man sich dieses Ur teil erlauben darf«, fuhr Parker fort. »Dem Augenschein nach dürfte der Wagen jedoch erheblich älter sein als der Mustang, den Sie kürzlich veräußert haben.« »Na und?« brauste Fuller auf. »Ist doch meine Sache, was ich für ein Auto fahre, oder nicht? Sie geht das jedenfalls einen Dreck an. Sie sollten endlich die überfällige Rechnung bezahlen, statt Ihre neugierige Nase in anderer Leute Angelegenheiten zu ste cken.« »Sollten Sie sich nicht umgehend eines höflichen Gesprächstones befleißigen«, drohte die Detektivin, »sähe ich mich gezwungen, doch noch einzugreifen und Ihnen Manieren beizubringen.« »Wissen Sie, was Sie mich können?« brüllte Fuller. »Kreuzweise können Sie mich! Ich habe die Nase voll von Ihrem dämlichen Spiel. Also verschwinden Sie endlich, Sie abgetakelte Fregatte!« »Mister Parker?« Myladys baritonal gefärbte Stimme war von ei nem Grollen untermalt, das an ein fernes Erdbeben denken ließ. »Ja, Mylady?« »Könnte es zutreffen, Mister Parker, daß dieser junge Mann so eben eine Dame der Gesellschaft in geradezu unglaublicher Weise beleidigt hat?« erkundigte sich die Detektivin. »Mylady haben den juristischen Tatbestand in einer Präzision um rissen, die jedem Richter zur Ehre gereichen würde«, gab der Butler ihr recht. Doch dieser Bestätigung hätte es gar nicht be durft, denn Agatha Simpson war bereits dazu übergegangen, die Beleidigung in der ihr eigenen, spontanen Art zu sühnen. Fuller duckte sich instinktiv, als Myladys Pompadour in einem fla chen Bogen sich näherte. Seine Reaktion war jedoch nicht schnell genug, um den Kopf rechtzeitig aus der Flugbahn des perlenbe
stickten Handbeutels zu bringen. Der Mann stöhnte, als sich Myladys’ Glücksbringer nachdrücklich an seine Schläfe schmiegte. Haßerfüllt starrte er die Detektivin aus hervorquellenden Augen an und wollte sich mit letzter Kraft aus dem Sofa hochstemmen. Der lädierte Fuß und die lädierte Hand, vor allem aber seine rasch schwindenden Sinne machten dieses Bemühen zunichte. Fuller japste nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen und ließ sich kraftlos in die Polster zurücksinken. Seine Lippen bewegten sich und schienen Flüche zu formen. Heraus kam aber nur ein unverständliches Blubbern. Schließlich ließ er den haltlos hin- und herpendelnden Kopf auf die Schulter sinken, schloß die Augen und machte es sich mit ei nem behaglichen Seufzer bequem. Sein Interesse an weiterer Unterhaltung schien erloschen. »Dieser ungehobelte Rüpel wird es nicht noch mal wagen, eine Lady Simpson zu beleidigen«, stellte die ältere Dame befriedigt fest. »Falls Mylady gestatten, möchte meine bescheidene Wenigkeit diese Äußerung mit allem Nachdruck unterstreichen«, pflichtete der Butler ihr bei. »Sollten Sie auf irgend etwas stoßen, das sich zur Belebung mei nes angegriffenen Kreislaufs eignet, Mister Parker, könnte ich schon ein paar Tropfen zu mir nehmen«, erklärte die Detektivin, als sie bemerkte, wie der Butler in Fullers Schränken und Schub laden zu stöbern begann. »Selbstverständlich wird man sich alle nur erdenkliche Mühe ge ben, um Myladys Wünschen in vollem Umfang zu entsprechen«, versicherte Parker. Doch außer einem billigen Whisky aus dem Supermarkt, den seine Herrin verschmähte, fand sich nichts Trinkbares. Dafür stieß der Butler auf den Schlüsselbund und die Papiere, die zu Fullers neuem Altwagen gehörten. Als Vorbesitzer war ein ge wisser Herbert Milne vermerkt, dessen Anschrift Parker sich sofort einprägte. Auch das Datum der ersten Zulassung merkte er sich. Danach war das ausgesprochen betagt wirkende Fahrzeug kaum älter als drei Jahre. »Nicht mal eine vernünftig ausgestattete Hausapotheke besitzt dieser Kerl!« schimpfte Lady Agatha und warf dem unruhig schlummernden Fuller einen Verächtlichen Blick zu. »Deshalb
werden Sie mich jetzt unverzüglich nach Hause chauffieren müs sen, Mister Parker. Mein sensibler Kreislauf verlangt dringend nach einer Stärkung.« »Weitere Gespräche mit Mister Fuller dürften sich ohnehin als unergiebig erweisen, falls die Anmerkung erlaubt ist«, pflichtete Parker seiner Herrin bei und geleitete sie unverzüglich zur Tür. Wenn Myladys Kreislauf nach einer Stärkung verlangte, war Eile geboten. Und kein Mittel half so gut wie die sogenannten Kreislaufbe schleuniger, die in den Kellergewölben unter Myladys repräsenta tivem Wohnsitz in Shepherd’s Market lagerten. Wenn Parker die Vorräte von Zeit zu Zeit auffüllte, achtete die Hausherrin streng darauf, daß nur Flaschen eingelagert wurden, die mit Etiketten der renommiertesten französischen Kognakabfüller versehen wa ren. »Na, haben Sie Mister Fuller angetroffen?« krächzte die alte Finchley, als das Duo aus dem Haus trat und zu Parkers hochbei nigem Monstrum schritt. »Mister Fuller war über Myladys Besuch außerordentlich erfreut«, gab der Butler zur Antwort, bevor er seiner Herrin in den Fond des Wagens half. »Man dankt noch mal für die hilfreiche Informa tion und wünscht einen angenehmen Tag, Mistreß Finchley.« * Nach ihrem Bedarf an Stärkungsmitteln zu urteilen, mußte der Besuch bei Jeremy Fuller Myladys Kreislauf wirklich ernsthaft an gegriffen haben. Seit der Heimkehr war kaum eine Stunde ver gangen, und Parker schenkte immer wieder ein. Dafür hatte sich die Laune seiner Herrin erheblich gebessert. Als er in würdevoller Haltung das Silbertablett durch die Weitläufige Wohnhalle balan cierte, machte sie sogar einen ausgesprochen zufriedenen Ein druck. »Dank meiner Routine habe ich diese ärgerliche Sache ja schnell abschließen können«, erklärte sie, während der Butler neben ihr stand. »Deshalb kann ich mich heute nachmittag endlich meinem Manuskript widmen. Hat mein Verleger eigentlich schon wieder gemahnt, Mister Parker?« »Bedauerlicherweise kann sich meine bescheidene Wenigkeit an
einen derartigen Vorgang nicht erinnern, Mylady«, antwortete der Butler. Daß Mylady an einem Kriminalroman arbeitete, der nicht nur in die Bestsellerlisten, sondern auch in die Literaturgeschichte eingehen sollte, war ihm bekannt. Natürlich wußte er auch, daß seine Herrin im Verlauf von einigen Jahren noch nicht über das Anfangskapitel hinausgekommen war. Daß Mylady aber bereits einen Verleger hatte, der so versessen auf ihre geistigen Ergüsse war, daß er das Manuskript ständig anmahnte, war ihm völlig neu. »Wenn er das nächste Mal anruft, Mister Parker«, instruierte die ältere Dame ihren Butler, »können Sie ihm sagen, daß ich unmit telbar vor der Vollendung meines Werkes stehe.« »Selbstverständlich wird man bemüht sein, streng nach Myladys Anweisungen zu handeln«, versicherte der Butler und verneigte sich höflich. »Darf man Myladys Äußerungen so verstehen, daß Mylady in der Sache Fuller keine weiteren Schritte zu unternehmen gedenken?« erkundigte sich Josuah Parker nach einer Pause. »Was für eine Sache Fuller?« fragte die ältere Dame irritiert. ‘ »Zweifellos entsinnen sich Mylady des Mannes, der nach dem bedauerlichen Verkehrsunfall eine offensichtlich überhöhte Repa raturkostenaufstellung vorlegte«, half Parker ihrem Gedächtnis auf die Sprünge. »Mylady nahmen heute morgen persönlich die Gelegenheit wahr, Mister Fuller nachdrücklich auf sein Fehlverhal ten hinzuweisen.« »Natürlich entsinne ich mich, Mister Parker«, gab die Detektivin ärgerlich zurück. »Allmählich sollten Sie wissen, wie hervorragend mein Gedächtnis arbeitet – vor allem, was Personen betrifft.« »Nie würde meine Wenigkeit es wagen, Myladys Feststellungen anzuzweifeln«, versicherte der Butler durchaus wahrheitsgemäß. »Das würde ich Ihnen auch nicht raten, Mister Parker«, drohte Mylady. Als Parker ihr aber einen weiteren Kreislaufbeschleuniger servierte, klang ihre Stimme schon wieder versöhnlich. Je schwe rer ihre Zunge wurde, desto leichter nahm sie das Leben. »Wie lautete noch Ihre Frage von eben, Mister Parker?« erkundig te sie sich. »Man war so frei, um Auskunft darüber zu bitten, ob Mylady in der Sache Fuller weitere Schritte zu unternehmen gedenken«, erinnerte Parker sie. »Richtig! Gerade fiel es mir auch wieder ein«, behauptete Agatha
Simpson. »Natürlich werde ich keine weiteren Schritte unterneh men, Mister Parker. Dieser Shruller ist ein kleiner Betrüger, den ich so deutlich in die Schranken verwiesen habe, wie er es ver dient. Er wird nicht noch mal versuchen, mit plumpen Tricks an anderer Leute sauer verdientes Geld zu kommen.« »Die Zurechtweisung, die Mylady Mister Fuller zuteilwerden lie ßen, war in der Tat eindrucksvoll, falls die Anmerkung erlaubt ist«, ließ der Butler sich vernehmen. »Aber…« »Kein aber, Mister Parker!« schnitt die ältere Dame ihm das Wort ab. »Mister Puller bekommt keinen Pfennig von mir. Mister Meter son, oder wie der Kerl hieß, erst recht nicht. Damit ist der Fall für mich erledigt.« »Selbstverständlich, wie Mylady wünschen«, antwortete Parker gehorsam. »Vielleicht dürfte man dennoch eine bescheidene Bitte äußern.« »Eine Bitte?« wiederholte die Hausherrin mißtrauisch. »Hoffent lich geht es nicht um Geld, Mister Parker. Sie wissen genau, wie karg meine finanziellen Möglichkeiten sind. Wenn ich mir Ihr fürstliches Gehalt nicht geradezu vom Mund absparen würde .« »Myladys Großzügigkeit setzt wirklich Maßstäbe«, antwortete Parker und ließ offen, ob er damit positive oder negative meinte. »In der fraglichen Angelegenheit geht es jedoch keineswegs um Geld, falls der Hinweis gestattet ist. Abgesehen von den Ausga ben für zwei bis drei Gallonen Treibstoff dürften keinerlei Kosten entstehen.« »Zwei bis drei Gallonen?« fragte Mylady entgeistert. Offenbar hatte sie einen anderen Treibstoff im Sinn als, ihr Butler. »Benzin zum Antrieb des Automobils«, stellte Parker deshalb eilig klar. »Selbstverständlich, Mister Parker«, nickte die Detektivin. »Was denn sonst? Aber nun sagen Sie schon, was Sie vorhaben. Wollen Sie womöglich auf eigene Faust Ermittlungen anstellen?« »Solange Mylady an Ihrem Manuskript arbeiten, dürfte die Anwe senheit meiner bescheidenen Wenigkeit nicht zwingend erforder lich sein«, antwortete der Butler. »Deshalb würde man gern die Zeit nutzen, um einem gewissen Herbert Milne einen kurzen Be such abzustatten.« »Herbert Milne?« »Bei Mister Milne handelt es sich um den Vorbesitzer von Mister Fullers derzeitigem Kraftfahrzeug«, erläuterte Parker.
»Ich weiß zwar nicht, was Sie sich davon versprechen, Mister Parker«, gab Mylady zurück. »Aber wenn Sie wirklich nichts Wich tigeres zu tun haben, fahren Sie ruhig hin. Dabei werden Sie schnell feststellen, daß Ihre Hypothesen sich in Luft auflösen. Wenn hinter dieser Geschichte wirklich ein ernstzunehmender Kriminalfall steckte, hätte ich das schon längst gespürt.« Höflich dankte Parker seiner Herrin für die Großzügigkeit. An schließend half er der ächzenden Dame diskret aus dem Sofa. Die Schwierigkeiten, die Lady Agatha heute hatte, hingen offenbar nicht nur mit ihrer Körperfülle zusammen. Dennoch demonstrierte sie ihren eisernen Willen und schaffte den Weg über die ge schwungene Holztreppe ins Obergeschoß allein. Als Parker seiner Herrin kurz darauf noch das Stärkungsmittel bringen wollte, das Sie vor ihrem Abgang verlangt hatte, machte er jedoch auf halber Höhe kehrt. Die dröhnenden Schnarchgeräu sche, die seine Trommelfelle schockierten, kündeten davon, daß Mylady ihr Therapieziel bereits erreicht hatte. Mit der Vollendung des ersten Romankapitels würde es heute also wieder nichts wer den… * Herbert Milne arbeitete als Hochfrequenztechniker bei der BBC. Zusammen mit seiner rundlichen Ehefrau Dorothy und den beiden Kindern bewohnte er ein gepflegtes Haus mit Garten am Stadt rand. Als Parkers hochbeiniges Monstrum in die ruhige Wohnstra ße rollte, war der Mann gerade damit beschäftigt, die hüfthohe Ligusterhecke an der Straßenfront seines Grundstücks zu stutzen. Gemächlich ließ der Butler sein eckiges Gefährt am Straßenrand ausrollen. Milne unterbrach seine Arbeit, wischte sich den Schweiß von der Stirn und sah dem schwarz gekleideten Besu cher erwartungsvoll entgegen. Parker schätzte den Mann auf höchstens 45 Jahre. Sein Gesicht wirkte offen und sympathisch, sein Lächeln echt und ungezwun gen. »Kann und darf man davon ausgehen, Mister Herbert Milne gege nüberzustehen?« vergewisserte sich Parker und lüftete höflich die schwarze Melone. »Genau der bin ich«, bestätigte Milne. »Was führt Sie zu mir?«
»Meiner Wenigkeit steht es zwar nicht zu, über Ihre persönlichen Angelegenheiten Auskunft zu fordern, Mister Milne«, erklärte der Butler. »Dennoch wäre man Ihnen sehr verbunden, wenn sie auf eine nicht allzu indiskrete Frage Antwort geben könnten.« »Klingt ja recht geheimnisvoll«, meinte Milne lächelnd. »Aber stellen Sie Ihre Frage ruhig. Falls Sie mir zu indiskret sein sollte, antworte ich sowieso nicht.« »Könnte es zutreffen, daß Sie in den letzten Tagen oder Wochen einem gewissen Jeremy Fuller ein gebrauchtes Kraftfahrzeug ver kauft haben?« wollte Parker wissen. »Wer ist Jeremy Fuller?« antwortete der Mann in der grünen Gar tenschürze mit einer Gegenfrage. »Mister Fuller besitzt ein Fahrzeug der Marke Vauxhall, in dessen Papieren Sie, Mister Milne, als Vorbesitzer eingetragen sind«, gab Parker Auskunft. »Ausgeschlossen«, entgegnete Milne. »Ich kenne keinen Jeremy Fuller und habe in letzter Zeit auch keinen Gebrauchtwagen ver kauft. Einen Vauxhall habe ich allerdings noch bis vor kurzem gefahren. Aber dabei kann es sich unmöglich um den Wagen handeln, den Sie meinen.« »Darf man sich höflich erkundigen, worauf sich Ihre Gewißheit gründet, daß es sich nicht um dasselbe Fahrzeug handelt, Mister Milne?« blieb Parker am Ball. »Ganz einfach«, gab Milne lachend zur Antwort. »Ich habe den Wagen nicht verkauft, sondern weggeworfen.« »Muß man davon ausgehen, Mister Milne, daß Sie diese Äußerung im wörtlichen Sinn verstanden wissen möchten?« vergewisserte sich der Butler. »Natürlich nicht«, antwortete sein Gesprächspartner. »Ich bin ja kein Umweltfrevler. Ich habe den alten Wagen von einem Schrotthändler abholen lassen, als ich den neuen bekam. Der Mann bot mir immerhin noch zwanzig Pfund für den Vaux hall.« »Eine Information, die sich möglicherweise als wertvoll erweisen dürfte«, stellte Parker fest. »Könnte es zutreffen, daß Sie sich zufällig auch noch an den Namen des Schrotthändlers erinnern, Mister Milne?« »Klar!« sagte der Mann. »Marty Silverstone heißt der Mann. Den kennt hier jeder in der Gegend. Wenn Sie dort unten rechts ab biegen und sich am Ausgang der Neubausiedlung links halten,
können Sie den großen Autofriedhof gar nicht verfehlen.« »Man dankt in aller Form für das aufschlußreiche Gespräch, Mis ter Milne«, sagte Parker. Er lüftete seinen Bowler und wollte sich zum Gehen wenden, doch Milne hielt ihn noch einen Moment zu rück. »Ist denn etwas nicht in Ordnung mit dem Wagen?« wollte er wissen. »Und vor allem: Wie kommt mein Name in die Autopapie re dieses Mister Fuller?« »Das ist eine Frage, der man in der Tat eine gewisse Aufmerk samkeit widmen sollte, falls meiner bescheidenen Wenigkeit diese Anmerkung gestattet ist«, stimmte Parker zu und lenkte seine Schritte in Richtung Fahrzeug. »Man wünscht noch einen ange nehmen Nachmittag, Mister Milne.« * Im Schrittempo ließ der Butler sein hochbeiniges Gefährt durch die Schlaglöcher rollen, die die Zufahrt zu Marty Silverstones Au tofriedhof markierten. Links und rechts türmten sich zerquetsch te, ausgebrannte oder sonstwie unbrauchbar gewordene Karossen zu gespenstisch vor sich hinrostenden Gebirgen. Endlich öffnete sich der Weg zu einem kleinen, mit schlammigen Pfützen bedeck ten Platz. Zwei Männer in ölverschmierten Overalls waren unter beträchtli chem Kraft- und Lärmaufwand damit beschäftigt, aus einem gründlich ramponierten Ford noch brauchbare Teile herauszurei ßen. Vor einer baufälligen Baracke, die anscheinend als Büro und Unterkunft diente, brachte Parker seinen schwarzen Kasten zum Stehen. Gerade hatte der Butler sein Fahrzeug verlassen, da trat ein Mann aus der Tür der Baracke. Allerdings hatte er Schwierigkeiten, sich durch den Rahmen zu zwängen. Parker konnte sich nicht erin nern, jemals einem solchen Koloß begegnet zu sein. An seiner Seite wäre Agatha Simpson geradezu zierlich erschienen. Der Unbekannte mußte um die 50 sein. Ein leicht ergrautes Bors tenkleid, das lebhaft an einen Igel erinnerte, bedeckte seinen massigen Schädel. Der noch leidlich saubere, graue Kittel, der ihn von den beiden anderen Männern unterschied, schien ihn als Chef des Unternehmens auszuweisen:
Da der Mann auf der Schwelle stehenblieb und dem Ankömmling lediglich mißtrauische Blicke entgegensandte, schritt Parker näher und lüftete höflich seine schwarze Kopfbedeckung. »Das wird aber Zeit, daß die alte Mühle aus dem Verkehr gezogen wird«, empfing ihn der Schrotthändler und warf einen verächtli chen Blick auf Parkers altertümlich wirkendes Gefährt. »Was wol len Sie denn für den Haufen Schrott noch haben?« »Meine Wenigkeit ist keineswegs in der Absicht gekommen, die ses Fahrzeug zum Zwecke der Verschrottung zu verkaufen, falls der Hinweis erlaubt ist«, korrigierte der Butler. »Darf man im üb rigen von der Annahme ausgehen, mit Mister Silverstone persön lich zu sprechen?« »Sie dürfen«, bestätigte Silverstone und legte ein Grinsen auf, das im nächsten Moment schon wieder verschwunden war. »Wenn Sie den Wagen nicht verkaufen wollen – was wollen Sie denn überhaupt von mir?« »Falls Sie keine Einwände erheben, Mister Silverstone, würde man sich erlauben, einige Fragen zu stellen«, gab Parker zur Antwort. »Ich bin Schrotthändler«, entgegnete Silverstone kurz angebun den, »kein Auskunftsbüro.« »Diese Tatsache ist meiner Wenigkeit durchaus geläufig«, räumte der Butler ein. »Dennoch könnte es ja zutreffen, daß Sie sich dar an erinnern, kürzlich von einem gewissen Mister Milne ein Fahr zeug gekauft zu haben.« »Kann sein, kann auch nicht sein«, reagierte Silverstone mür risch. »Bei all dem Schrott, der tagtäglich hier angeliefert wird, kann ich mich unmöglich an die Namen der Leute erinnern.« »Möglicherweise wäre Ihrem Erinnerungsvermögen mit dem Hin weis nachzuhelfen, daß Mister Milne ganz in der Nähe wohnt«, beharrte Parker. »Bei dem fraglichen Fahrzeug handelte es sich um einen Vauxhall, der Ihnen immerhin noch die Summe von zwanzig Pfund wert war, falls man nicht gänzlich falsch informiert ist.« »Na gut, ich habe Herbert Milne seine alte Kiste weggeholt und ihm zwanzig Pfund dafür dagelassen«, knurrte Silverstone unge duldig. »Was interessiert Sie daran? War der Preis vielleicht nicht okay?« »Da Mister Milne Ihr Angebot akzeptierte, dürfte über den Preis vermutlich kein Streit entstehen«, räumte der Butler ein.
»Na also«, brummte Silverstone. »Hören Sie, Mann! Ich gebe Ihnen einen guten Rat: Scheren Sie sich auf der Stelle vom Platz und halten Sie mich nicht länger von der Arbeit ab, sonst werde ich verdammt ungemütlich.« »Darf man auch noch höflichst um Auskunft darüber bitten, ob sich das Fahrzeug, das Mister Milne Ihnen verkaufte, noch auf Ihrem Firmengelände befindet?« tat Parker, als hätte er die Dro hung überhört. Doch Silverstone war mit seiner Geduld am Ende. »Hank! Ron!« brüllte er. »Kommt mal rüber, Jungs! Ich glaube, hier gibt’s Ar beit für euch.« Das ließen sich seine Helfer nicht zweimal sagen. Abwechslungen dieser Art waren ihnen offenbar willkommen. Im Laufschritt trab ten Ron und Hank herbei, jeder mit einem respektablen Hammer ausgerüstet. Grinsend stellten sie sich neben ihrem Chef auf und musterten Parker von Kopf bis Fuß. »Der Kerl her stellt mir zu viele neugierige Fragen«, erklärte Sil verstone seinen Gehilfen. »Falls er nicht augenblicklich in seine Schrottmühle springt und sich aus dem Staub macht, solltet ihr ihm deutlich sagen, daß wir für so etwas keine Zeit haben. Ver standen?« »Okay, Boß«, antworteten Ron und Hank wie aus einem Mund. Betont lässig schlenkerten sie mit ihren Hämmern und taten den ersten Schritt in Parkers Richtung. Da hielt es der Butler für angebracht, das Gesetz des Handelns an sich zu reißen. Senkrecht ließ er den altväterlich gebundenen U niversal-Regenschirm vom angewinkelten Unterarm in die Höhe steigen und hatte in derselben Sekunde die Spitze in der schwarz behandschuhten Rechten. Kurz, aber vernehmlich pochte er mit dem bleigefüllten Bambusgriff auf Rons Schädeldecke. Wortlos ließ der athletisch gebaute Bursche seinen Hammer fallen und sah den Butler fassungslos aus glasigen Augen an. Augen blicklich nahm sein Gesicht die Farbe der berühmten Kreidefelsen von Dover an. Ein Zittern lief durch seinen Körper, ehe er in den Knien einknickte und sich bäuchlings in eine Pfütze legte. Hank, der im ersten Schreck einen Schritt zurückgewichen war, besann sich auf seinen Auftrag und stürzte sich unter wütendem Brüllen in Parkers Richtung, den schweren Hammer in der erho benen Hand. Doch der Butler, der mit solchen Unfreundlichkeiten
gerechnet hatte, war vorbereitet. Gelassen streckte .er dem anstürmenden Hank seinen Schirm entgegen und ließ ihn in die bleigefüllte Spitze laufen. Wie ange wurzelt blieb der Angreifer stehen und japste nach Luft, als er den unangenehmen Druck in der Magengegend spürte. Fassungslos blickte er hinter seinem Hammer her, der über Par kers Kopf hinwegflog. Klirrend landete das gewichtige Werkzeug ausgerechnet dort, wo Silverstone einen Vorrat an unversehrten Windschutzscheiben für den Verkauf bereitgestellt hatte. Hank blieb es jedoch erspart, die Verwüstung, die sein schlecht gezielter Hammerwurf angerichtet hatte, unmittelbar miterleben zu müssen. Er machte statt dessen einige recht ungeschickte Tanzschritte, ruderte mit den Armen wie ein Ertrinkender und knickte schließlich in der Hüfte ein. Wäre er nicht zu guter letzt über den Hammer gestolpert, den sein Kollege achtlos hatte fallen lassen – er hätte mit letzter Kraft noch einen trockenen Ruheplatz erreicht. So aber legte er sich platschend gleich neben Ron in die Pfütze. Silverstone schien mit den Leistungen seiner Männer nicht recht zufrieden zu sein. Deshalb wollte er es besser machen und griff eine Brechstange, die in seiner Reichweite an der Wand lehnte. Wie eine Lanze packte er das rostige Eisen mit den Fäusten und stürmte mit der Wucht seiner kolossalen Fleischmassen auf den Butler los. Gelassen wie ein Torero trat Josuah Parker einen Schritt zur Sei te. Silverstone, der seinen riesigen Körper in Bewegung gesetzt hatte, schoß in gerader Richtung an dem Butler vorbei, bis auch ihn das Geschick in Gestalt des vielfach bewährten UniversalRegenschirmes ereilte. Unwiderstehlich legte sich der bleigefüllte Bambusgriff um Sil verstones Fußgelenke und riß ihm buchstäblich die Beine unter dem gewichtigen Leib weg. Mit einem Aufschrei, der an Urwald laute erinnerte, absolvierte er eine nahezu formvollendete Bauch landung, die aber wegen des steinigen Untergrundes etwas schmerzhaft ausfiel. Stöhnend wandte der Mann sich um und starrte den Butler an. In seihen Augen flackerte die Angst. »Darf man höflich an die Frage erinnern, deren Beantwortung noch aussteht, Mister Silverstone?« sprach Parker den am Boden liegenden Schrotthändler an. »Falls man sich nicht täuscht, woll ten Sie gerade über den Verbleib von Mister Milnes Vauxhall Aus
kunft geben, als Ihre Mitarbeiter bedauerlicherweise das Ge spräch störten.« »Sie können ihn sich ja heraussuchen«, knurrte Silverstone. »Da drüben müßte er eigentlich dabeisein.« Mühsam richtete er sich auf und deutete mit dem Daumen auf einen gewaltigen Stapel rostigen Blechs. Parker schätzte, daß es sich um mindestens hundert ehemalige Automobile handelte, die allerdings schon zu handlichen Paketen gepreßt waren. »Eine Suche dürfte sich als ebenso zeitraubend wie überflüssig erweisen, Mister Silverstone«, entgegnete Parker. »Warum?« tat der Schrotthändler ahnungslos. »Vielleicht sollte man eine kleine Behandlung vornehmen, die Ihr Gedächtnis zweifellos auffrischen dürfte«, ließ Parker anklingen. Langsam pendelte die Spitze seines Schirmes vor Silverstones Nase hin und her. »Um Himmels willen!« schrie der Mann entsetzt. »Bleiben Sie mir bloß mit dem Teufelsding vom Leib. Ich gebe Ihnen jede Antwort, die Sie wollen.« »Darf man höflich darauf aufmerksam machen, daß Sie noch im mer keine Auskunft über den Verbleib von Mister Milnes Vauxhall gegeben haben?« bohrte Parker. »Ich hab’ den Wagen tatsächlich nicht mehr hier«, gestand er. »Ein Bastler, der sich die Karre auf dem Hinterhof wieder flottma chen wollte, hat ihn mitgenommen.« »Könnte es zutreffen, daß es sich bei diesem Bastler um einen gewissen Mister Jeremy Fuller handelte?« forschte der Butler wei ter. »Fuller?« fragte Silverstone gedehnt. »Kenn’ ich nicht.« »Ihre Gedächtnislücken sind wirklich beeindruckend, Mister Sil verstone«, stellte Parker gelassen fest. »Mister Fuller sprach von Ihnen wie von einem alten Freund.« »Der Hund!« entfuhr es dem Schrotthändler. »Darf man aus Ihrer Äußerung schließen, daß Mister Fuller Ihnen möglicherweise doch bekannt ist, Mister Silverstone?« erkundigte sich Parker und ließ seinen Schirm weiterhin vor dem Gesicht des Schrotthändlers auf- und abschwingen. »Ich kenne ihn«, gab Silverstone zu und folgte den Schwingun gen von Parkers Schirm mit besorgten Blicken. »Weil er gerade kein Auto hatte und Milnes Wagen noch halbwegs fahrbereit war, habe ich ihm die Karre mitgegeben.«
»Möglicherweise darf man von der Annahme ausgehen, daß Sie Mister Fuller auch gleich gefälschte Papiere mitlieferten, die das Fahrzeug erheblich jünger machten, als es tatsächlich ist«, ließ Parker nicht locker. »Damit habe ich nichts zu tun«, beteuerte Silverstone. »Solche Sachen laufen bei mir nicht.« »Darf man sich denn erkundigen, wo >solche< Sachen laufen, wie Sie sich auszudrücken belieben. Mister Silverstone?« »Keine Ahnung«, gab der immer noch am Boden liegende Mann zurück, »da müssen Sie Fuller schon selbst fragen.« »In der Tat ein Vorschlag, dem man bei Gelegenheit nähertreten sollte«, ließ Parker sich vernehmen. Da aus Silverstone anschei nend nicht mehr herauszuholen war, entschloß sich Parker zum Aufbruch. »Man dankt für den freundlichen Empfang und das aufgeschlos sene Gespräch, Mister Silverstone«, waren seine letzten Worte, ehe er in sein hochbeiniges Monstrum stieg und davonfuhr. * »Da sehen Sie doch ganz klar, Mister Parker, daß ich natürlich wieder mal recht hatte«, stellte Lady Agatha triumphierend fest, als der Butler ihr beim Abendessen von dem berichtete, was er bei Herbert Milne und auf Marty Silverstones Schrottplatz erfah ren und erlebt hatte. »Sie müssen einfach eingestehen, daß sie auf einer völlig falschen Fährte waren«, behauptete die Detektivin und schob rasch die letzten Käsewürfel in den Mund. »Dieser Mister Silvermoon hat seinem Freund Puller ein altes Auto geschenkt, das eigentlich ver schrottet werden sollte. Und Puller hat sich irgendwo falsche Pa piere besorgt. Vielleicht schämte er sich, mit einem so alten Auto fahren zu müssen und wollte es wenigstens in den Papieren jün ger machen.« . »Myladys Hypothesen sind von geradezu bestechender Originali tät«, kommentierte Parker mit höflicher Verbeugung und lenkte seine Schritte zum Wandschrank, um den feinen, alten Sherry zu holen, den Agatha Simpson nach dem Abendessen besonders schätzte. »Hypothesen?« entrüstete sich die Detektivin. »Das sind Tatsa
chen, Mister Parker! Deshalb ist der ganze Fall nicht mehr als eine kleine Gaunerei, wie sie in London jeden Tag passiert.« »Möglicherweise sollte man Mister Randers Bericht über den zwei ten Unfall abwarten, Mylady«, wandte der Butler ein. »Sollten sich Parallelen ergeben, würde das zweifellos den Verdacht auf einen Fall organisierter Kriminalität erhärten, falls diese Anmer kung erlaubt ist.« »Parallelen dieser Art wird es nicht geben, Mister Parker«, pro phezeite die Hausherrin. »Falls Ihr Verdacht wirklich begründet wäre, hätte ich zuallererst etwas gespürt. Da läßt mich mein kri minalistischer Instinkt nie im Stich, wie Sie ja wissen.« Parker kam um eine Stellungnahme zu Myladys faustdick aufge tragenem Selbstlob herum, weil in diesem Moment die Haustür glocke sich bemerkbar machte. »Hallo, Parker!« grüßte Mike Rander gut gelaunt, als der Butler den abendlichen Besucher hereinließ. »Ich wollte Mylady nur eben ein paar interessante Neuigkeiten erzählen.« »Darf man vermuten, Sir, daß Sie damit Informationen über den zweiten Unfall zu meinen geruhen?« erkundigte sich Parker. »Sie vermuten richtig, Parker«, bestätigte der Anwalt im Hinein gehen. Mylady begrüßte ihn überschwenglich und bot ihm sogar ein Glas Sherry an. Aber Rander lehnte dankend ab. »Ich muß noch Auto fahren und wollte sowieso nicht lange bleiben«, erklärte er. »Ich wollte Ihnen nur schnell bestätigen, daß Sie wieder mal auf einer heißen Spur sind.« Die Detektivin bedachte den Anwalt mit einem mißtrauischen Sei tenblick. »Auf einer heißen Spur?« wiederholte sie lauernd. »Wie kommen Sie denn darauf, mein lieber Junge?« »Die Parallelen zwischen Ihrem Unfall und dem zweiten, von dem ich gestern erzählte, sind so überdeutlich«, gab Rander Auskunft, »daß man eine regelrechte Regie dahinter vermuten muß. Die Sache hat allem Anschein nach System.« »Natürlich habe ich dieses System schon längst durchschaut«, schwindelte Mylady, ohne rot zu werden. »Für mich war von An fang an klar, daß ich einer brisanten Sache auf der Spur bin, ei nem typischen Fall von organisiertem Verbrechen.« Parker und Rander tauschten Blicke, aber keiner von beiden lie ferte einen Kommentar zu Myladys geistesgegenwärtigem Mei nungsumschwung. So war sie nun mal.
Die Parallelen, von denen Rander knapp berichtete, waren in der Tat verblüffend. Wieder war es ein schon recht betagt wirkendes Fahrzeug gewesen, das an einer unübersichtlichen Kreuzung ohne Vorfahrtzeichen plötzlich von links in die Fahrbahn geschossen kam. Wieder hatte es zufällig einen unbeteiligten Zeugen gegeben, der zwar nicht zeitungslesend auf einer Bank gesessen, dafür aber den Zusammenstoß von einer Telefonzelle aus beobachtet hatte. »Allerdings gab es an der fraglichen Kreuzung auch keine Bank«, schob Rander grinsend ein. »Und an dem Abend, als der Unfall passierte, regnete es in Strömen. Da war die Telefonzelle wirklich praktischer.« Auch in der Fortsetzung der Geschichte waren die Übereinstim mungen mit Parkers und Myladys Unfall offenkundig. Der »Schul dige« hatte ein Gutachten erhalten, das den beschädigten Wagen als nahezu neuwertig auswies, und zusätzlich eine Reihe teurer Schäden auflistete, die bei dem Unfall gar nicht entstanden sein konnten. »In diesem Fall hätten die Ganoven vermutlich anstandslos ihr Geld bekommen, denn der Mandant meines Kollegen hatte nicht die Absicht, den Schaden aus der eigenen Tasche zu bezahlen«, brachte Rander seinen Bericht zu Ende. »Zufällig war der Mann aber Abteilungsleiter bei einer Versicherung. Dadurch bekam er seine eigene Akte in die Hand, wurde stutzig und informierte die Geschäftsleitung. Inzwischen ist auch die Polizei eingeschaltet.« »Das war natürlich ein ungeschickter Schritt«, kommentierte A gatha Simpson mißmutig. »Hätte die Geschäftsleitung sich an mich gewandt, hätte ich ihr selbstverständlich davon abgeraten, die Polizei einzuschalten.« »Welche Meinung Sie von unseren Ordnungshütern haben, ist ja allgemein bekannt«, entgegnete Rander lachend. »Aber vielleicht gelingt es Ihnen auch diesmal, den Fall als erste aufzuklären, My lady.« »Da gibt es für mich überhaupt keinen Zweifel, mein lieber Jun ge«, antwortete Mylady in ihrer selbstbewußten Art. »Mein takti sches Konzept steht bereits. Ich muß nur noch ein wenig an den Einzelheiten feilen. Deshalb möchte ich mich heute auch etwas früher zurückziehen.« »Es war auch nicht meine Absicht, Sie länger aufzuhalten, Myla dy«, versicherte Rander höflich. »Ich bin nur gespannt, was bei
der Sache herauskommt. Wenn man davon ausgeht, daß die meisten Menschen solche Unfälle ihrer Versicherung melden und die abgeblichen Schäden dann anstandslos bezahlt werden, könn te die Dunkelziffer beträchtlich sein.« »Das ist es, was ich eben auch noch bemerken wollte«, behaup tete die Detektivin dreist. »Sie sehen also wieder mal, daß eine Lady Simpson sich nie mit kleinen Fischen abgibt.« Unter ho heitsvollem Kopfnicken wandte die Hausherrin sich der Treppe zu und entschwand zum Obergeschoß. Bevor Rander sich verabschiedete, ließ er dem Butler noch einen Zettel mit der Anschrift von James Marc da, gegen den die Polizei wegen Betrugs ermittelte. »Das muß ungefähr die Gegend sein, in der Ihr Freund Jeremy Fuller wohnt«, meinte der Anwalt. »Es handelt sich um die zweite Querstraße links, Sir, falls man sich nicht gründlich täuscht«, antwortete Parker, der den Londo ner Stadtplan wie ein altgedienter Taxifahrer, im Kopf hatte. Im Hinausgehen berichtete er dem Anwalt noch von seinen Besuchen am Nachmittag. »Und wie werden Sie in der Sache weiter vorgehen, Parker?« wollte Mike Rander wissen. »Morgen früh wird man Mylady vermutlich den Vorschlag unter breiten, Mister Marc aufzusuchen und ihn um ein klärendes Ge spräch zu bitten«, gab der Butler Auskunft. Bevor er den Anwalt hinausließ, schaltete Parker routinemäßig die hauseigene Videoanlage ein, die in einem Wandschrank im ver glasten Flur untergebracht war. Doch das kristallklare Bild, das gleich darauf auf dem Monitor erschien, zeigte nichts Verdächti ges. »Keine Posten vor Myladys Haus«, stellte der Anwalt fest. »Dar aus sollte man schließen, daß die Crasher noch nicht gemerkt haben, daß Ihnen jemand auf der Spur ist.« »Diese Vermutung dürfte sich als zutreffend erweisen, Sir«, gab Parker zurück. »Dennoch sollte man damit rechnen, daß sich die Verhältnisse in kurzem ändern.« »Da bin ich sicher«, pflichtete Rander ihm bei. »Dann also viel Erfolg und gute Nacht, Parker.« »Meine Wenigkeit dankt und wünscht ebenfalls eine gute Nacht, Sir«, gab Parker mit höflicher Verbeugung zurück.
*
Die Mietskaserne, vor deren Eingang Parker sein schwarzes Ge fährt ausrollen ließ, lag im selben Viertel und war mindestens ebenso häßlich und – heruntergekommen wie der Block, in dem Jeremy Fuller hauste. Ein Dutzend Kinder waren eifrig damit beschäftigt, die trostlos graue Fassade mit bunten Kreidebildern zu verzieren. Neugierig unterbrachen sie ihre Arbeit und verfolgten in stummem Staunen, wie der Butler seiner Herrin aus dem Fond des Wagens half und sie zum Eingang geleitete. Die Wohnung mit dem Namensschild »J. Marc« lag im Erdge schoß. Die Tür stand weit offen. Eine junge Frau, die ihre strähni gen, blonden Haare mit einem karierten Küchentuch zusammen gebunden hatte, kniete im Eingang zur Wohnung und schrubbte den Fußboden. Sie blickte erst auf, als der Butler sich dezent räusperte und sie ansprach. »Man bittet, die Störung zu entschuldigen«, ließ Parker sich ver nehmen und lüftete seinen Bowler. »Mylady ist in der Absicht ge kommen, mit Mister James Marc ein Gespräch zu führen. Darf man von der Annahme ausgehen, daß Mister Marc sich zu Hause befindet?« »Natürlich nicht«, gab die Frau in gereiztem Ton zurück. »Der verdammte Kerl treibt sich ja nur noch herum!« »Darf man sich, um Verwechslungen auszuschließen, vergewis sern, wen Sie mit der Bezeichnung >Kerl< zu meinen geruhen?« fragte Parker. »James natürlich«, antwortete die Frau und erhob sich ächzend aus ihrer unbequemen Haltung. Parker schätzte sie auf etwa fünfundzwanzig. Sie schien hübsch zu sein, doch in der Vermum mung mit durchlöchertem Putzkittel und kariertem Kopftuch konnte man das nur ahnen. Ihr Gesicht war schweißüberströmt. Sie machte einen nervösen und gehetzten Eindruck. »Darf man die Hoffnung äußern, daß Sie über den derzeitigen Aufenthaltsort von Mister James Marc Auskunft geben können?« Der Butler warf einen unauffälligen Blick in den Flur. »Wo soll er schon stecken?« erklärte die Frau wütend. »In der Kneipe gleich um die Ecke. Wenn er schon mal ein paar Pfund nach Hause bringt, ist er gleich wieder verschwunden und setzt alles in Bier um oder vertiert beim Pokern. Dabei hat er mir drei
Kinder gemacht, um die ich mich jetzt allein kümmern muß.« »Darf man Ihre Äußerungen dahingehend verstehen, Mistreß Marc, daß Ihr Ehegatte keiner geregelten Beschäftigung nach geht?« erkundigte sich Parker. »Als das zweite Kind kam, wurde James arbeitslos«, gab die Frau bereitwillig Auskunft. »Seitdem hat er nur noch Gelegenheits jobs.« »Man dankt für die freundliche Auskunft, Mistreß Marc, und wünscht noch einen angenehmen Tag«, sagte Parker. Anschlie ßend geleitete er seine Herrin wieder zur Haustür. Die Kneipe, die die Frau meinte, war ihm schon bei der Herfahrt aufgefallen, es war die einzige weit und breit. »Und wenn Sie ihn sehen, sagen Sie ihm, daß er sich auf der Stelle nach Hause scheren soll!« rief die junge Frau noch hinter her. Der erbärmliche Vorstadt-Pub, den Mylady und Butler Parker kurz darauf betraten, hatte um diese Vormittagszeit noch keine Gäste – außer zwei Männern, die an einem kleinen, schäbigen Holztisch saßen und ins Pokerspiel vertieft waren. Halbleere Biergläser hat ten sie in Reichweite stehen. Ob der Mann mit dem Rücken zur Tür James Marc war? Der ande re konnte es nicht sein. Den kannte Parker. Es war Jeremy Fuller. Auch Fuller hatte die Ankömmlinge sofort wiedererkannt und sprang vom Stuhl auf. »Was wollen Sie denn jetzt noch von mir?« schrie er. »Darf man Sie höflich auf einen kleinen Irrtum aufmerksam ma chen, Mister Fuller?« begann der Butler. »Mylady hat sich herbe geben, um mit Mister James Marc zu sprechen, nicht mit Ihnen.« »Mit mir?« Marc schlug mit der Faust auf den Tisch, daß die Glä ser klirrten, und grinste unverschämt. »Verschwinden Sie, aber schnell! Sonst gibt’s Ärger! Mit mir können Sie solche Sperenz chen nicht machen wie mit Jerry.« »Ich werde Ihnen jetzt einige Fragen stellen, Mister Dark«, über ging die Detektivin seine unfreundliche Begrüßung, »und Sie wer den mir absolut Wahrheitsgemäß antworten. Versuchen Sie nicht, mir Märchen aufzutischen! Eine Detektivin meines Ranges merkt das sofort. Und dann kann ich ausgesprochen ungemütlich wer den.« »Eine Äußerung, die man nur mit allem Nachdruck unterstreichen kann, Mylady«, pflichtete Parker ihr bei. »Ihren Nachdruck kön
nen Sie sich in die Haare streichen«, erwiderte Marc grimmig. »Und daß die fette Schlampe da ‘ne Detektivin ist, das glauben doch nicht mal ihre Enkel.« Agatha Simpson hatte sich wirklich vorgenommen, ruhig zu blei ben und sich nicht provozieren zu lassen. Doch das ging ent schieden zu weit. Als James Marc Sekunden später seinen Fehler einsah, war es zur Reue schon zu spät. Lautlos wie eine Fledermaus huschte Myladys Glücksbringer heran und schmiegte sich an den Hinterkopf des Mannes. Wie elektri siert schoß Marc in die Höhe und stieß einen langgezogenen Laut aus, der an die Signale eines gewissen Tarzan erinnerte. Mit beiden Händen gleichzeitig faßte er nach der Stelle, wo sich die Umrisse des Glücksbringers als rasch anschwellender Wulst abzuzeichnen begannen. Torkelnd warf er erst seinen Stuhl, dann den Tisch mit den halbvollen Biergläsern und den Spielkarten um. Aus blutunterlaufenen Augen stierte er die Detektivin an, ehe er in den Knien einknickte und sich grunzend in eine Bierlache auf dem Fußboden bettete. Fuller, der die Wirkung von Myladys Pompadour schon am eige nen Leib erfahren und noch frisch in Erinnerung hatte, wartete nicht ab, bis auch ihn das Unheil ereilte. Mit ein paar langen Sät zen verschwand er hinter der Theke und versuchte, durch die Küchentür zu entkommen. Sein Pech war, daß in diesem Moment die rundliche Wirtin, durch den Lärm aufgeschreckt, aus der Küche in den Schankraum stürz te. In der offenen Tür stießen beide zusammen. Die Frau ließ einen erschreckten Schrei hören, doch dank ihrer beachtlichen Körper fülle überstand sie den Zusammenprall ziemlich problemlos. Fuller dagegen taumelte rückwärts, verlor das Gleichgewicht und suchte nach einem Halt. Da ein Unglück selten allein kommt, be kam er ausgerechnet die offene Tür eines Hängeschrankes zu fassen, in dem die Wirtin ihre frisch gespülten Gläser aufbewahr te. Knirschend gaben die Dübel im morschen Mauerwerk nach, als das Gewicht des stürzenden Mannes ihre Haltbarkeit auf die Pro be stellte. Immerhin besaß Fuller noch die Geistesgegenwart, sich im letzten Moment zur Seite zu werfen. Wäre er unter das Möbelstück geraten, das mit ohrenbetäuben dem Poltern und Klirren auf den Fußboden schlug, wären ernst
hafte Verletzungen zu befürchten gewesen. So aber wurde er durch Lärm und Scheppern aus seiner leichten Benommenheit aufgeschreckt. Wie ein Tier, das man in die Enge getrieben hat, lehnte er schwer atmend am Schanktresen und hielt verstohlen nach einem ande ren Fluchtweg Ausschau. Im nächsten Augenblick schon stieß er sich ab und unternahm einen verwegenen Ausbruchsversuch. Mit einem langen Hechtsprung versuchte Fuller, an Mylady und ihrem Butler vorbei die Tür ins Freie zu erreichen. Doch Parker, der diese Entwicklung Vorausgeahnt hatte, durchkreuzte seine Pläne nachhaltig. Während Fuller losstürmte, ließ der Butler seinen UniversalRegenschirm vom angewinkelten Unterarm senkrecht in die Höhe steigen, faßte die Spitze mit der schwarz behandschuhten Hand und ließ den bleigefütterten Bambusgriff einen flachen Bogen ü ber dem Fußboden beschreiben. Fuller, der in seiner Panik nur die Tür sah, bemerkte das Hinder nis erst, als sich der gekrümmte Griff um seine Knöchel legte und ihm die Beine unter dem Leib wegfegte. Der Mann absolvierte eine nicht sehr elegante Bauchlandung und rutschte in gestreckter Haltung noch ein Stück auf dem Boden weiter. Einen Meter vor der rettenden Tür in die Freiheit blieb er stöhnend liegen. »Prima haben Sie das gemacht«, staunte die Wirtin und warf dem Butler einen bewundernden Blick zu. »Das hätte dem Kerl so pas sen können: meine Einrichtung zertrümmern und sich dann aus dem Staub zu machen!« Vorsichtig stieg die Frau über Schranktrümmer und Scherben, kam hinter der Theke hervor und begutachtete den am Boden liegenden Fuller, der noch keine Anstalten machte, um sich von seinem harten Lager zu erheben. »Was war denn eigentlich los?« wollte sie wissen. »Sind die Kerle sich beim Pokern wieder in die Haare geraten?« Jetzt erst bemerkte sie den bewußtlosen Marc unter dem umge kippten Tisch. »O Gott!« rief sie aus. »Hat Jerry ihn zusammen geschlagen?« »So muß es wohl gewesen sein«, gab sie sich selbst die Antwort, als Parker schwieg. »Und als Sie plötzlich hereinkamen, versuchte er zu flüchten?« »Eine Version, der man eine gewisse Plausibilität nicht abspre
chen kann«, antwortete der Butler. »In der von Ihnen geschilder ten Weise könnte es sich tatsächlich abgespielt haben, falls die Anmerkung erlaubt ist.« Ratlos blickte sich die Wirtin in ihrem verwüsteten Schankraum um. »Was mache ich denn nur mit den Burschen?« »Möglicherweise könnte es sich als sinnvoll erweisen, Mister Marc unverzüglich ärztlicher Behandlung zuzuführen«, schlug der But ler vor. »Mylady und meine Wenigkeit würden diese Aufgabe ü bernehmen, falls Sie keine Einwände erheben.« »Im Gegenteil«, antwortete die Frau. »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie James gleich ins Krankenhaus bringen würden. Dann könnte ich die Polizei anrufen.« »Die Polizei?« fragte Agatha Simpson entgeistert. »Die sollen den Schaden hier zu Protokoll nehmen und sich Jerry mal gründlich vorknöpfen«, erklärte die Wirtin. »So einfach kommt er mir nicht davon.« »Bis zum Eintreffen der Polizei dürfte es sich jedoch empfehlen, Mister Fuller in seiner Bewegungsfreiheit etwas einzuschränken«, schlug Parker vor. Er hatte bemerkt, daß der Mann schon wieder deutliche Lebenszeichen von sich gab und erste Anstrengungen unternahm, sich zu erheben. Der Butler half ihm vollends auf die Beine. Willenlos ließ sich der taumelnde Fuller bis an die Theke führen. Geduldig wartete er, bis Parker die Handschellen aus speziell gehärtetem Stahl seiner Tasche entnahm und ihn an die Haltestange ankettete, die rund um den Tresen verlief. Jeremy Fuller war noch viel zu benommen, um an Flucht oder Gegenwehr zu denken. Mit einem dankbaren Seufzer ließ er sich auf den Barhocker sinken, den Parker ihm aus Gründen der Be quemlichkeit unterschob. »Man wünscht noch einen angenehmen Tag«, sagte der Butler, lud sich den bewußtlosen Marc auf die Schulter und verließ mit seiner Herrin das Lokal. * Parker dachte natürlich nicht daran, James Marc ins Krankenhaus zu bringen. Daß der Mann keine ernstlichen Verletzungen erlitten hatte, davon hatte sich der Butler bei einer kurzen Untersuchung
überzeugt. In einem von Myladys komfortabel eingerichteten Gästezimmer war Marc besser untergebracht, zumal er auch eini ge Fragen beantworten sollte! Diese Zimmer waren im Untergeschoß des repräsentativen, zwei stöckigen Fachwerkbaus untergebracht, der Lady Simpson als Wohnsitz diente. Die Kellergewölbe, auf denen das Gebäude er richtet war, stammten noch von einer uralten Abtei, über deren Geschichte aber keinerlei Aufzeichnungen erhalten waren. Die Räume, die Mylady dort unten hatte ausbauen lassen, ließen an Komfort keine Wünsche offen. Geschmackvolle Möbel und ge diegene Teppiche machten den Aufenthalt ebenso angenehm wie Kühlschränke und Farbfernseher. Nur Fenster gab es nicht. Auch kein Telefon. Und in die schweren, stählernen Feuerschutztüren hatte der Butler raffinierte Sicherheitsschlösser einsetzen lassen. Um vor Überraschungen bewahrt zu bleiben, hatte Parker vor Antritt der Heimfahrt ein Sprayfläschchen aus der Tasche gezo gen und es dem unruhig schlummernden Marc unter die Nase gehalten. Ein kleiner Knopfdruck genügte, um ihn tief ins Reich der Träume fallen zu lassen. Inzwischen ruhte er auf dem breiten, bequemen Sofa seines Gastzimmers, wo Parker ihn nach der Heimkehr deponiert hatte. »Schläft dieser Faulpelz denn immer noch?« fragte Agatha Simp son ungeduldig, als Parker aus dem Untergeschoß in die weitläu fige Wohnhalle zurückkehrte. Sie konnte es gar nicht erwarten, endlich mit ihrem Verhör zu beginnen. »Mister Marc dürfte noch einige Minuten benötigen, bis er das volle Bewußtsein wieder erlangt hat und auf Myladys Fragen ant worten kann«, gab Parker Auskunft. »Dann sorgen Sie dafür, Mister Parker, daß er schneller wieder zu sich kommt«, ordnete die Detektivin an. »Ich habe schließlich noch andere Dinge zu tun.« »Wie Mylady wünschen«, gab der Butler höflich zurück und schritt seiner Herrin auf dem Weg zu James Marcs Zimmer voran. Als er durch den Türspion blickte, hatte Myladys Gast sich gerade auf gesetzt und starrte wie geistesabwesend vor sich hin. Auch als Parker aufschloß und seine Herrin eintreten ließ, zeigte Marc nur schleppende Reaktionen. Mühsam drehte er den Kopf und sah dem eintretenden Duo unter schweren Augenlidern apa thisch entgegen. »Nein, nicht schon wieder«, murmelte er nur. Dann fiel sein Kopf
auf die Seite, und er schloß die Augen wieder. Mit einem Fläsch chen Riechsalz gelang es Parker jedoch, ihn rasch wieder in die harte Realität zurückzuholen. »Was wollen Sie von mir?« fragte Marc mit schwacher Stimme, als er die Augen wieder aufschlug. »Warum lassen Sie mich nicht gehen?« »Leider muß ich feststellen, Mister Quark, daß Sie die Ehre, mei ne Gastfreundschaft genießen zu dürfen, nicht gebührend würdi gen«, ließ die Hausherrin sich in pikiertem Ton vernehmen. »Ich jedenfalls würde es bedauern, wenn Sie mein gastliches Dach so schnell wieder verlassen würden. Ich schlage vor, daß wir uns über den Zeitpunkt Ihrer Abreise unterhalten, sobald Sie ein um fassendes Geständnis abgelegt haben.« »Geständnis?« Marc war plötzlich hellwach und taxierte die De tektivin mit lauernden Blicken. »Habe ich richtig gehört? Was für ein Geständnis?« * James Marc ahnte nicht, daß er Mylady mit seiner Gegenfrage in eine schwierige Situation brachte. Ihr Gedächtnis, auf das sie so große Stücke hielt, versagte wieder mal völlig den Dienst. So sehr die Detektivin auch grübelte – ihr kam einfach nicht mehr in den Sinn, was sie James Marc fragen wollte, und was für ein Geständ nis sie von ihm erwartete. Jedem anderen wäre diese Situation peinlich gewesen. Agatha Simpson kannte derartige Skrupel nicht. Wofür bezahlte sie denn einen Butler? »Mister Parker wird Ihnen die Fragen vorlegen, die ich für diese Vernehmung ausgearbeitet habe«, beschied sie ihr Gegenüber. »Aber ich rate Ihnen dringend, streng bei der Wahrheit zu blei ben, sonst werde ich sehr ungehalten, Mister Quark.« »Marc«, gab der Mann zurück. »Wie?« fragte Mylady irritiert. »Marc habe ich gesagt«, wiederholte ihr Besucher. »Ich heiße Marc, nicht Quark.« »Nichts anderes habe ich gesagt, Mister Clark«, reagierte Agatha Simpson unwillig. »Sie müssen sich verhört haben. Wenn eine Dame mit Ihnen spricht, sollten Sie ihr etwas mehr Aufmerksam keit widmen. Sonst sähe ich mich gezwungen, Ihnen entspre
chende Umgangsformen zu vermitteln.« Marc antwortete mit unverständlichem Grunzen. Der perlenbe stickte Pompadour, der schon wieder erwartungsvoll an Myladys Handgelenk wippte, ließ es ihm geraten erscheinen, der resoluten Dame nicht zu widersprechen. »Darf man davon ausgehen, daß Sie vor nicht allzu langer Zeit an einem Verkehrsunfall beteiligt waren, Mister Marc?« begann Par ker seine Befragung. »Da ist mir so ein Idiot in die Seite gefahren, obwohl ich eindeu tig Vorfahrt hatte«, behauptete der Mann. »Meiner Wenigkeit liegt es fern, dieser Darstellung zu widerspre chen«, versicherte der Butler. »Allerdings ist Mylady weniger an der verkehrsrechtlichen Seite dieses bedauerlichen Vorfalls inte ressiert.« »Sondern?« »Die ungewöhnliche Höhe der Reparaturkosten nach einem ge ringfügigen Zusammenstoß und das angeblich geringe Alter Ihres Fahrzeuges dürften eher Anlaß zu Fragen geben, falls der Hinweis erlaubt ist«, gab Parker Auskunft. »Ich weiß nicht, was Sie wollen«, wich sein Gesprächspartner aus. »Das steht alles in einem Gutachten mit amtlichem Stem pel.« »Dieser Umstand ist meiner Wenigkeit durchaus geläufig, Mister Marc«, bestätigte Parker. »Dennoch wäre Mylady Ihnen zweifellos sehr verbunden, wenn Sie auf die Frage antworten könnten, wie alt Ihr Fahrzeug zum Zeitpunkt des Unfalls tatsächlich war.« »Ungefähr zwei Jahre«, behauptete Marc. Seine Stimme klang fest, aber seine Mundwinkel zuckten nervös. »Ich habe Sie ausdrücklich davor gewarnt, mir Märchen aufzuti schen, Mister Dark«, schaltete die ältere Dame sich in drohendem Tonfall ein. Sie machte einen Schritt auf Marc zu und baute sich mit ihrer Körperfülle vor ihm auf wie eine zornige Walküre. Ihren Pompadour hatte sie bereits in heftige Schwingungen versetzt. »Vielleicht war er auch etwas älter. Ich kann mich nicht so genau erinnern«, räumte Marc ein, während er mit ängstlichen Blicken den Bewegungen des ledernen Beutels folgte. »Das genaue Alter steht in den Papieren.« »Eben diese Papiere sind es, an deren Echtheit Zweifel ange bracht sein dürften«, stellte Parker fest und hielt sein Gegenüber konzentriert im Auge.
James Marc hatte sich ziemlich in der Gewalt, doch den aufmerk samen Blicken des Butlers entgingen die kleinen Schweißtropfen nicht, die nun plötzlich von seiner Stirn perlten. »Das ist eine verdammte Anschuldigung, die Sie erst mal bewei sen müßten«, gab er trotzig zurück. Aber seine Augen flackerten unstet. Er konnte dem Blick des Butlers nicht standhalten. »Das Geständnis Ihres Kollegen Jeremy Fuller dürfte es beträcht lich erleichtern, den fraglichen Beweis anzutreten«, gab Parker gelassen zurück. »Fuller?« fragte Marc mißtrauisch. »Mister Fuller sah sich genötigt, umfassende Auskünfte zu ertei len, nachdem man ihn mit entsprechenden Angaben des früheren Fahrzeugbesitzers konfrontiert hatte«, schwindelte Parker. »Was wollen Sie damit sagen?« »Wie Ihnen vermutlich bekannt sein dürfte, Mister Marc, war ihr Kollege Fuller kürzlich in einen auffallend ähnlichen Unfall verwi ckelt«, wurde der Butler deutlich. »Auch Mister Fuller versuchte, überhöhte Reparaturkosten geltend zu machen und das Alter sei nes Fahrzeugs zu fälschen. Er gab sein vergebliches Leugnen al lerdings auf, als er dem Vorbesitzer des Automobils gegenüberge stellt wurde, der von einem wesentlich höheren Alter sprach.« Marc wurde blaß, sagte aber nichts. »Aufgrund dieser Sachlage räumte Mister Fuller bereitwillig ein, daß er sich gefälschte Papiere beschafft habe«, fuhr Parker fort. »Freundlicherweise teilte er gleich noch mit, daß die Papiere Ihres Fahrzeuges von derselben Hand gefälscht worden seien.« »Der Hund!« tobte Marc, der allmählich doch die mühsam be wahrte Fassung verlor. »Wenn ich den zu packen kriege!« »Darf man sich erlauben, Ihnen jetzt noch mal mit allem Nach druck die Frage nach der Herkunft und dem wahren Alter Ihres Fahrzeuges zu stellen, Mister Marc?« blieb Parker unbeirrbar am Ball. »Ich weiß wirklich nicht, wie alt der Karren war«, gab sein Ge genüber zurück, und diesmal klang es echt. »Auf jeden Fall älter als zwei oder drei Jahre. Das stimmt.« »Demnach dürfte man von der Annahme ausgehen, daß das Fahrzeug eigentlich verschrottet werden sollte, bevor sie es er hielten?« erkundigte sich der Butler. »Was soll ich leugnen?« resignierte Marc. »Die Mühle stammte von einem Schrottplatz…«
»… dessen Besitzer auf den Namen Marty Silverstone hört, falls man sich nicht gründlich täuscht«, führte der Butler seinen Satz zu Ende. »Sie sind ja wirklich gut informiert«, stellte der Mann beeindruckt fest. »Leider sah Mister Fuller sich nicht in der Lage, den Namen des Mannes zu nennen, der die Fahrzeugdokumente fälschte«, fuhr Parker fort. »Er versicherte, Sie hätten das für ihn miterledigt.« »Ich?« Marc machte ein entgeistertes Gesicht. Doch plötzlich ließ er ein breites Grinsen sehen. »Sie wollen mich wohl leimen?« knurrte er. »Auf den Trick falle ich nicht herein. Von mir erfahren Sie den Namen nicht.« »Dann werde ich eben meine Verhörmethoden verschärfen müs sen, Mister Quark«, schaltete Mylady sich wieder ein. Ihr Bariton klang wie Donnerrollen. Mit wütend entschlossener Miene steuer te sie auf ihren Besucher los und ließ den Pompadour kreisen. »Nicht!« schrie Marc entsetzt. »Ich gestehe!« »Darauf warte ich schon viel zu lange, Mister Quark«, dröhnte Myladys Organ. Dicht vor dem eingeschüchterten Mann machte sie halt und maß ihn mit abschätzigem Blick. »Aber versuchen Sie nicht noch mal, mich zu belügen!« »Der Mann heißt Gus Miller«, behauptete Marc und bemühte sich, ein möglichst glaubwürdiges Gesicht aufzusetzen. »Gelogen«, entgegnete die Detektivin. »Entweder Sie verraten mir sofort den wahren Namen, oder ich muß wirklich eine deutli chere Sprache reden.« »Paul Trenton«, schrie Marc in panischer Angst. Doch da war das Unheil schon unterwegs. Er hatte die letzte Silbe noch auf den Lippen, als der perlenbestickte Pompadour sich mit beträchtli chem Nachdruck an seine Schläfe schmiegte. Haltlos pendelte Marcs Kopf von der einen auf die andere Seite. Aus glasigen Augen glotzte er Mylady und Butler fassungslos an. Mit letzter Kraft wollte er sich aus dem Sofa stemmen, doch seine Arme versagten den Dienst. Marc gab ein gurgelndes Geräusch von sich, als er zusammensackte und der Kopf auf die Brust sank. Von da ab war er auch mit wohlgemeintem Zureden nicht mehr dazu zu bewegen, sich am Gespräch zu beteiligen. *
»Ich bin ja bekanntlich ein ausgesprochen friedliebender Mensch«, stellte Mylady mit einem Blick auf ihr Opfer fest und rieb sich befriedigt die Hände. »Aber wenn jemand mich belügen will, kann ich recht ungemütlich werden.« »Falls Mylady gestatten«, ließ Parker sich vernehmen, »würde meine bescheidene Wenigkeit diese Äußerung aus reicher Erfah rung mit allem Nachdruck unterstreichen.« »Jedenfalls hat er zum Schluß doch die Wahrheit gesagt«, hob die Detektivin hervor. »Es gibt eben keinen noch so gerissenen Ga noven, der meinen Verhörmethoden gewachsen wäre.« »Auch diese Feststellung verdient es, nachdrücklich bekräftigt zu werden, Mylady«, gab der Butler ihr recht. »In der Tat sollte man vermuten, daß es sich bei dem genannten Paul Trenton um den Fälscher handelt.« »Zweifellos ist dieser Preston der Kopf der Crasher-Bande«, kom binierte die Detektivin. »Sonst hätte Mister Quark sich nicht so hartnäckig geweigert, seinen Namen preiszugeben.« »Eine solche Möglichkeit sollte man keineswegs ausschließen, Mylady«, räumte Parker ein, doch seine Gedanken gingen bereits in eine andere Richtung. »Sie werden es erleben, daß ich – wie immer – recht habe«, be harrte die ältere Dame. »Was machen Sie denn da, Mister Par ker?« Der Butler hatte dem sanft schlummernden James Marc, in die Innentasche seiner Jacke gegriffen und ein gefaltetes Papier he rausgezogen, das er vorher bei der Suche nach Waffel nicht wei ter beachtet hatte. Jetzt nahm er das farbig bedruckte Päckchen heraus und faltete es auseinander. Es war ein gewöhnlicher Stadtplan von London, wie man ihn an jeder Ecke zu kaufen bekam. Eins allerdings unterschied diesen Plan von den handelsüblichen – abgesehen von den unvermeidli chen Spuren häufigen Gebrauchs: Sein Besitzer hatte Dutzende von kleineren Straßenkreuzungen mit einem gelben Stift mar kiert. Neben jedem gelben Ring waren in blauer Schrift zwei Buchstaben notiert; möglicherweise die Abkürzungen von Namen. »Was soll ich denn damit, Mister Parker?« entrüstete sich Mylady, als der Butler ihr das schmuddelige Exemplar präsentierte. »Zweifellos sind Mylady die gelben Markierungen aufgefallen«, erläuterte der Butler. »Eine dieser Markierungen bezeichnet auch
die Stelle, an der Mylady kürzlich in einen Unfall verwickelt wur den.« »Sie wurden in einen Unfall verwickelt, Mister Parker«, stellte die, ältere Dame klar. »Es war Ihr Unfall, nicht meiner…« »Nicht mal im Traum würde meine Wenigkeit es wagen, Myladys Feststellung zu widersprechen«, versicherte der Butler und sprach damit durchaus wahrheitsgemäß. »Fraglos sind Mylady aber auch darauf aufmerksam geworden, daß neben der entsprechenden Markierung die Buchstaben >JF< vermerkt sind.« »Selbstverständlich ist mir das aufgefallen, Mister Parker«, log die Hausherrin unbekümmert. »Aber was soll das? Wollen Sie mir ein Rätsel aufgeben?« »Ein derartiges Unterfangen liegt meiner Wenigkeit absolut fern, falls die Anmerkung erlaubt ist«, gab Parker zurück. »Man war nur bemüht, darauf hinzuweisen, daß die genannte Abkürzung >Jeremy Fuller< bedeuten könnte.« Nach kurzer Suche hatte der Butler die Stelle gefunden, an der James Marc einen Unfall provoziert hatte. Auch sie war mit einem gelben Ring markiert. Daneben standen die Buchstaben »JM«. Er machte seine Herrin darauf aufmerksam, doch Mylady begriff noch immer nicht. »Falls man sich nicht gründlich täuscht, dürfte es sich bei diesem Stadtplan um den Einsatzplan der Crasher-Bande handeln«, teilte Parker ihr seinen Verdacht mit. »Natürlich ist es ein Einsatzplan, Mister Parker«, bestätigte Agat ha Simpson. »Das war mir schon von der ersten Sekunde an klar. Endlich sind Sie auch daraufgekommen.« »Ein Dokument, dem außerordentliche Beweiskraft zukommen dürfte«, kommentierte der Butler, doch Mylady spielte die Bedeu tung seiner Entdeckung herunter. »Ein Dokument, Mister Parker«, bestätigte sie. »Aber mehr auch nicht. Bitte, verwahren Sie den Plan, damit ich ihn nach Abschluß meiner Ermittlungen der Polizei zur Verfügung stellen kann.« »Wie Mylady wünschen«, gab Parker höflich zurück und geleitete seine Herrin zur Tür hinaus. Ehe er ihr in die Wohnhalle folgte, überzeugte er sich, daß Marc trotz seiner unbequemen Sitzhal tung, (tief schlummerte. Anschließend verschloß er sorgfältig die Tür. »Ich werde mich jetzt noch ein Stündchen zurückziehen und an den Feinheiten meines taktischen Konzepts feilen, Mister Parker«,
verkündete die Hausherrin und gähnte herzhaft. »Aber halten Sie sich bereit. Ich plane, noch heute den Fälscher festzunehmen und mit seinem Geständnis den Fall abzuschließen.« Hocherhobenen Hauptes entschwand sie über die geschwungene Freitreppe ins Obergeschoß. Als Parker Minuten später dröhnende Schnarchtöne vernahm, überlegte er, ob seine Herrin wirklich »feilen« gesagt hatte. Oder hatte sie vielleicht von »sägen« ge sprochen? Ehe der Butler sich den Arbeiten widmete, die in der Küche auf ihn warteten, zog er James Marcs Stadtplan noch mal aus der Tasche und breitete ihn auf dem großflächigen Eßtisch in der Wohnhalle aus. Erst jetzt fiel ihm auf, daß der Benutzer des Planes noch weitere Markierungen angebracht hatte: In einige der gelben Ringe hatte er mit Filzstift noch einen roten Punkt gesetzt. Die beiden Unfall stellen, die Parker bisher kannte, trugen diesen roten Punkt. Sollte der Punkt etwa den Vermerk »Erledigt« ersetzen? Dann bezeichneten alle gelben Ringe ohne Punkt jene Kreuzungen, an denen es in der nächsten Zeit zum Crash kommen würde, falls man der Bande nicht endlich das Handwerk legte. Gemessenen Schrittes begab sich der Butler ans Telefon in der Diele und rief Mike Rander an. * Am Nachmittag rollten drei Fahrzeuge aus der stillen Straße, in der Myladys Anwesen lag, und fuhren in verschiedene Richtungen davon: Mike Randers dunkelblauer Austin, Kathy Porters MiniCooper und Parkers hochbeiniges Monstrum. Vorher hatte sich jeder anhand des Stadtplans, den der Butler bei James Marc gefunden hatte, drei mit einem gelben Ring markierte Kreuzungen ausgesucht, die er anfahren wollte, um die Probe aufs Exempel zu machen. Die verschiedenen Initialen neben den Markierungen legten die Vermutung nahe, daß Marc und Fuller längst nicht die einzigen waren, die an dem kriminellen Unternehmen mitwirkten. So be stand zumindest eine gewisse Hoffnung, weitere Mitglieder der Crasher-Bande kennenzulernen. »Ich habe Ihnen doch gleich prophezeit, Mister Parker, daß Sie
einem Hirngespinst nachjagen«, mäkelte Lady Agatha, die es sich mit einem ansehnlichen Vorrat erlesener Pralinen im Fond des Wagens bequem gemacht hatte. »Vielleicht hat eines von Mister Quarks Kindern die bunten Kringel in den Stadtplan geschmiert. Sie beißen sich wieder an einem völlig unwichtigen Detail fest.« »Eine Zeitlang schien es so, als sollte Mylady recht behalten. Zwei Kreuzungspunkte hatte der Butler schon angefahren. Zu gefährli chen Begegnungen mit anderen Fahrzeugen war es weder am ersten noch am zweiten Punkt gekommen. Trotz größter Auf merksamkeit hatte Parker nichts Verdächtiges entdeckt. Allmäh lich brach die Dämmerung herein. Lampen flammten auf. Die eintönige Vorstadtstraße in einem Wohnviertel am nördlichen Stadtrand, durch die der Butler sein hochbeiniges Monstrum rol len ließ, machte einen verlassenen Eindruck. Links und rechts lagen zweistöckige Reihenhäuser mit kleinen Vorgärten, die durch Hecken und Büsche zur Fahrbahn abgegrenzt wurden. Parker schaltete die Scheinwerfer seines Fahrzeuges ein und hielt konzentriert Ausschau. Gleich mußte die kleine Kreuzung kom men, die er als letzten Testpunkt herausgesucht hatte. Irgendwelche Fahrzeuge waren nicht zu entdecken. Dafür wurde der Butler auf einen Mann aufmerksam, der auf einer niedrigen Mauer am rechten Fahrbahnrand hockte. Die abendliche Kühle schien ihm nichts auszumachen. Auch mit dem schwachen Dämmerlicht schien der Unbekannte keine Probleme zu haben, denn er hielt eine aufgeschlagene Zei tung in der Hand und tat zumindest so, als ob er die neuesten Nachrichten studierte. Der Mann blickte auf, als er zum erstenmal das Motorengeräusch von Parkers hochbeinigem Monstrum vernahm. Während er dem näherkommenden Fahrzeug entgegensah, ließ er langsam die Zeitung sinken. Gemächlich fuhr der Butler weiter und richtete sich schon auf ein scharfes Bremsmanöver ein. Parker hatte die Höhe des Fremden fast erreicht, als plötzlich von links – hinter einer hohen Hecke hervor – ein Wagen in die Fahr bahn geschossen kam. Wäre der Butler auf dieses Ereignis nicht vorbereitet gewesen – ein Zusammenstoß hätte sich nicht ver meiden lassen. Mit quietschenden Reifen stoppte sein hochbeiniges Monstrum schon nach einigen Metern, Zentimeter vor der schon etwas be tagten Limousine amerikanischer Bauart, die in flottem Tempo die
Straße kreuzte. Der Fahrer des Wagens unternahm nicht die geringsten Anstalten, zu bremsen oder Parkers Fahrzeug auszuweichen. Im Gegenteil: Dem Butler entging nicht, daß der Mann das Steuer nach rechts riß, um die offenbar geplante Karambolage doch noch realisieren zu können. Dank Parkers schneller Reaktion verlief der Unfall jedoch anders, als der Mann sich das vorgestellt hatte. Die Front von Parkers schwarzem Gefährt zu erwischen, glückte ihm nicht mehr. Dafür schlitterte sein Straßenkreuzer über den Gehweg, durch brach eine Hecke, pflügte den Vorgarten und wurde erst durch die Stufen vor der Tür des gegenüberliegenden Hauses abrupt ge stoppt. Gelassen stellte der Butler sein Fahrzeug an den Straßenrand und legte die wenigen Meter bis zu dem verunglückten Wagen zu Fuß zurück. Der Fahrer schien die unprogrammgemäße Vorgarten-Rallye un beschadet überstanden zu haben. Er war schon ausgestiegen und in einen erregten Wortwechsel mit dem Zeitungsleser verwickelt. Dem Fahrzeug war die Fahrt über Stock und Stein weniger gut bekommen. So, wie der Wagen jetzt aussah, war er nur noch dazu geeignet, auf Marty Silverstones Schrottplatz zu einem handlichen Päckchen gepreßt zu werden. »Man wurde zufällig Zeuge des bedauerlichen Unfalls«, sprach Parker die beiden Männer an. »Möglicherweise dürfte man den Herren eine helfende Hand anbieten.« »Mach die Biege, Opa«, knurrte der Fahrer des ramponierten Straßenkreuzers. »Wir kommen schon allein klar.« »Den Beschädigungen nach zu urteilen, dürfte das Fahrzeug kaum noch fahrbereit sein«, überging der Butler die wenig freundliche Begrüßung. »Möglicherweise sollte man einen Defekt an den Bremsen oder an der Lenkung als Ursache dieses Unfalls annehmen.« »Hast du nicht gehört? Du sollst verschwinden!« brüllte der völlig entnervte Mann. »Dieser Unfall ist allein unsere Sache, kapiert?« »Von wegen«, fuhr eine kräftige Stimme ihm in die Parade. »Da habe ich auch noch ein Wörtchen mitzureden.« Mit zornrotem Gesicht und aufgekrempelten Hemdsärmeln stand der Hausbesitzer in der offenen Tür und musterte fassungslos die Verwüstungen, die der Wagen in seinem sorgfältig gepflegten
Vorgarten angerichtet hatte. Parker schätzte den Mann auf Mitte Vierzig. Er war kräftig gebaut und schien nicht abgeneigt, dem Fahrer zunächst eine ordentliche Tracht Prügel zu verabreichen. Er besann sich jedoch. »Betty!« rief er in den Hausflur. »Ruf sofort die Polizei an! Hier ist so ein rasender Idiot mit seinem Wagen im Vorgarten gelandet.« »Aber warum denn gleich die Polizei?« wandte der Fahrer des Straßenkreuzers ein. »Ich werde Ihnen den Schaden schon erset zen.« »Kommt nicht in Frage«, blieb der Mann in der offenen Tür hart. »Auf so etwas habe ich mich schon mal eingelassen. Und dann ließ der Lümmel sich nie wieder blicken.« »Ich könnte Ihnen hundert Pfund als Anzahlung dalassen«, bot der Fahrer an. »Über den Rest würden wir uns sicher einigen.« In diesem Moment tauchte hinter den breiten Schultern des Hausbesitzers das Gesicht seiner Frau auf. »Ich habe die Wache erreicht«, meldete sie. »Die Beamten wollen in fünf Minuten hier sein.« * Auf den Unglücksfahrer und den angeblich unbeteiligten Zeitungs leser übte diese Nachricht eine ausgesprochen aufmunternde Wirkung aus. Sie tauschten einen schnellen Blick und wollten oh ne weiteren Kommentar das Weite suchen. Doch der Butler, der mit einem übereilten Aufbruch der beiden Männer gerechnet hat te, durchkreuzte ihre Fluchtpläne nachhaltig. Der Fahrer des Straßenkreuzers wußte nicht, wie ihm geschah, als sich schon nach den ersten Schritten etwas Hartes unwider stehlich um seine Knöchel legte. Gelassen hatte der Butler wieder mal seinen bewährten Universal-Regenschirm eingesetzt, der stets griffbereit am angewinkelten Unterarm hing. Parker ließ den bleigefütterten Bambusgriff einen flachen Bogen dicht über der Erde beschreiben und riß dem flüchtenden Fahrer augenblicklich die Beine unter dem Leib weg. Der Mann stieß ei nen Schrei aus, als sein Lauf plötzlich in einen Gleitflug über wechselte. Platschend landete er im Gras und rutschte auf dem Bauch über den Rasen, bis Kopf und Schultern in der Weißdorn hecke stecken blieben.
Der Mann, der den Fahrer durch das Sinkenlassen der Zeitung auf Parkers nahendes Gefährt aufmerksam gemacht hatte, kam im merhin ein paar Meter weiter. Er sprang durch das Loch, das der Straßenkreuzer in die Hecke gerissen hatte, und rannte davon, als wäre der Leibhaftige ihm auf den Fersen. Sein Pech war, daß er auf diesem Fluchtweg dicht an Parkers hochbeinigem Monstrum vorbeikam. Lady Agatha, die inzwischen die letzte Praline verspeist hatte und sich im Fond des Wagens langweilte, hatte sich nämlich entschlossen, ausnahmsweise ohne Parkers Hilfe auszusteigen und nach dem Rechten zu sehen. Sie stieß die Wagentür genau in dem Moment auf, als der ren nende Zeuge heranspurtete. In vollem Lauf prallte der Mann ge gen das unvermutete Hindernis. Wie ein Betrunkener torkelte er noch ein paar Schritte ziellos über den Gehweg, ehe er in den Knien einknickte und sich mit gur gelndem Geräusch zu Myladys Füßen auf das Pflaster bettete. »Hätte ich nicht ebenso beherzt wie überlegt eingegriffen, wäre der Bursche mit Sicherheit entkommen«, raunzte die Detektivin. »Eine solche Nachlässigkeit dürfte Ihnen eigentlich nicht unterlau fen, Mister Parker!« »Mylady waren in der Tat wieder mal unübertrefflich«, versuchte Parker, seine aufgebrachte Herrin zu besänftigen. »Dessen unge achtet’ wird meine bescheidene Wenigkeit sich aber in Zukunft verstärkt bemühen, keinerlei Anlaß zu Klagen mehr zu geben.« Gewandt lud er sich den bewußtlosen Mann auf die Schulter und trug ihn zum Haus. Anschließend legte er ihn auf den Rasen gleich neben dem Fahrer, der noch keine Anstalten machte, sein Haupt aus dem dornigen Lager in der Hecke zu erheben. »Donnerwetter!« staunte der Hausbesitzer. »Das war ja wie in einem Krimi. Hätten Sie nicht eingegriffen, wären mir die Kerle garantiert durch die Lappen gegangen. Wollen Sie nicht herein kommen? Meine Frau hat gerade Tee gemacht.« »Man dankt für die freundliche Einladung«, erwiderte Parker. »Leider ist Mylady aber unterwegs zu einem wichtigen Termin. Man muß sich deshalb unverzüglich verabschieden und wünscht noch einen ruhigen Abend.« Gemessenen Schrittes begab sich der Butler wieder zu seinem Fahrzeug und half Agatha Simpson beim Einsteigen. Kurz bevor sein hochbeiniges Monstrum um die nächste Ecke rollte, regist rierte er im Rückspiegel noch den Streifenwagen, der mit heulen
der Sirene über die Straße fuhr und dann an der Unfallstelle stoppte. * Als Parker und Mylady wieder in Shepherd’s Market eintrafen, wartete Mike Rander schon. »Außer Spesen nichts gewesen«, meinte der Anwalt betrübt. »Da haben wir wohl den falschen Tag erwischt.« »Darf man aus Ihrer Äußerung schließen, Sir, daß Ihnen keine Begegnung mit den Crashern vergönnt war?« erkundigte sich der Butler. »Nicht die Spur, Parker«, gab Rander zurück. »Ich bin sogar zweimal über jede der drei Kreuzungen gefahren, aber es wollte einfach kein Unfall passieren.« »Natürlich hatte ich wieder die richtige Nase, mein lieber Junge«, gab Mylady mit stolzgeschwellter Brust bekannt. »Und ich habe den Burschen keine Chance gelassen, wie Sie sich denken kön nen.« »Das kann ich mir wirklich denken, Mylady«, antwortete Rander schmunzelnd. »Hatten Sie denn einen Unfall?« »Ich natürlich nicht«, entgegnete die Hausherrin, während man sich in den Salon begab und Parker in der Küche rasch ein A bendessen richtete. »Die Ganoven hat es tüchtig erwischt. Als die Kerle mich erblickten, wollten sie vor Schreck davonrennen, aber das habe ich natürlich verhindert.« »Und wo sind die Burschen jetzt, Mylady?« erkundigte sich der Anwalt. »Dieser Schwachkopf von Hausbesitzer!« keifte die ältere Dame so unvermittelt los, daß Rander erschreckt zusammenfuhr. »Wie bitte?« fragte er. »Was war mit dem Hausbesitzer?« »Der Tölpel hatte nichts Eiligeres zu tun, als die Polizei anzurufen, nur weil an seiner Hecke ein paar Blätter fehlten«, beklagte sich Lady Agatha. »Aus diesem Grund mußte ich mein schon sorgfältig vorbereitetes Verhör verschieben.« Inzwischen hatte der Butler den Tisch gedeckt und servierte einen Cocktail von Meeresfrüchten als Vorspeise. »Ihr Wagen ist also mit dem anderen gar nicht in Berührung ge kommen, Mylady?« bohrte Rander weiter, um sich endlich ein
klares Bild machen zu können. »Das sagte ich doch schön, mein lieber Junge«, blieb die Detekti vin ungeduldig. »Aber wenn Sie noch weitere Einzelheiten erfah ren, wollen – Mister Parker kann über die Details berichten.« Das tat der Butler denn auch, und nach wenigen, knappen Sätzen war der Anwalt umfassend informiert. »Wo steckt Kathy denn eigentlich?« fragte Rander unvermittelt, als Parker seinen Bericht beendet hatte. »Sie müßte doch längst hier sein.« Irritiert sah Mylady von ihrem Teller auf. »Dem armen Kind wird doch nichts zugestoßen sein?« äußerte sie besorgt und hätte fast das Essen vergessen. »Kathy weiß sich schon zu helfen«, meinte Rander zuversichtlich. »Das hat sie mehr als einmal bewiesen.« Dem Anwalt war natürlich bekannt, daß die zierliche Frau mit den exotisch geschnittenen Augen und dem Kastanienschimmer im Haar jahrelang die Künste fernöstlicher Selbstverteidigung stu diert hatte. Wenn es nötig war, verwandelte sich die sanfte Kathy innerhalb von Sekunden in einen fauchenden Panther mit blitzschnell zu schlagenden Krallen, die kein Erbarmen kannten. »Vielleicht hat Kathy sich auch verfahren«, jammerte Agatha Simpson. Es klang, als wäre sie den Tränen nahe. »Ich hätte das Kind nicht allein losschicken sollen. Ewig werde ich mir Vorwürfe machen, wenn ihr etwas zugestoßen ist.« Rander wollte gerade einen weiteren Versuch unternehmen, die aufgelöste Dame des Hauses zu beruhigen, doch Lady Agatha ließ unvermittelt ihre Gabel auf den Teller fallen und begann schwer zu atmen. »Mein Kreislauf«, stöhnte sie. »Das ist zu viel für meine sensible Natur! Die Sorge um Kathy bringt mich noch um.« »Um Himmels willen, Mylady!« rief der Anwalt entsetzt und sprang auf. »Sollen wir einen Arzt rufen?« »Das ist nicht mehr nötig«, winkte die ältere Dame mit schwacher Stimme ab. Es war auch wirklich nicht mehr nötig. Mit einer höflichen Verneigung stellte Parker das Silbertablett ab, entkorkte die Flasche und goß seiner Herrin das Glas randvoll. Agatha Simpson genoß den Kognak in einem Zug. »Etwas besser geht es mir schon«, verkündete sie anschließend und schob dem Butler das leere Glas zum Nachfüllen hin.
»Sie werden sehen, Mylady, gleich steht Kathy unversehrt in der Tür«, tröstete Rander die Detektivin. Er sollte recht behalten, wenigstens zum Teil. Als es kurz darauf klingelte, stand tatsächlich Kathy Porter drau ßen. Doch ganz unversehrt war sie nicht. »Man darf hoffentlich von der Annahme ausgehen, daß Ihnen nichts Ernstliches zugestoßen ist, Miß Porter?« erkundigte sich Parker besorgt, als er sie hereinließ. »Die Burschen wollten frech werden«, gab die junge Frau zurück und lächelte schon wieder. »Aber ich habe ihnen gezeigt, daß sie zu weit gegangen sind.« »Kathy, mein Kind, ich habe mir Sorgen gemacht!« rief Agatha Simpson pathetisch, als ihre Gesellschafterin den Salon betrat. »Mein Kreislauf stand unmittelbar vor einem Kollaps. Aber inzwi schen habe ich mich wieder erholt.« Seit der Butler ihr zum drit tenmal eingeschenkt hatte, machte Myladys Genesung sichtbare Fortschritte. »Kathy, wie siehst du denn aus?« fragte Rander entgeistert. »Ist alles okay mit dir?« »Alles okay, Mike«, bestätigte die junge Frau und gab ihm einen Kuß, den Mylady mit Wohlwollen registrierte, während Parker diskret seine Blicke abwandte. Plötzlich begann Kathy aber doch zu schluchzen und barg ihr Ge sicht an Randers Schulter. Erst als er eine Weile zärtlich ihr Haar gestreichelt hatte, beruhigte sie sich. Nach dem Bild, das sie bot, mußte sie Schlimmes erlebt haben. Kathys Haar war wirr und zerzaust, ein Ärmel ihrer hellblauen Kostümjacke war ausgerissen, die Rocknaht verrutscht. Ihre Schuhe hatte sie offenbar am Ort des Ereignisses zurücklassen müssen. Kathy Porter trocknete ihre Tränen, gab Mike Ränder noch einen zärtlichen Kuß und nahm dann am Tisch Platz. Als ihr bewußt wurde, daß Mylady sie verstohlen von der Seite musterte, setzte sie ein tapferes Lächeln auf und begann ihren Bericht. * »An den ersten beiden Kreuzungen tat sich nichts Verdächtiges«, erzählte Kathy Porter und nahm einen winzigen Schluck von dem
Kognak, den Mylady ihr anbot. »Als ich aber an den dritten Punkt kam, fiel mir schon von weitem ein Mann auf, der an der Ecke stand und Zeitung las.« »Merkwürdig«, schwatzte Mylady dazwischen, »an der Ecke, wo ich Mister Parker gerade noch rechtzeitig vor einem Zusammen stoß warnte, stand auch ein Mann, der Zeitung las.« »Das scheint kein Zufall zu sein«, warf Mike Rander ein. »Ver mutlich gibt der Mann mit seiner Zeitung dem Fahrer in der Sei tenstraße das Signal zum Losfahren. Zusätzlich steht dieser Hel fer dann nach dem Unfall als angeblich unbeteiligter Zeuge zur Verfügung.« »Das ist in der Tat das Rezept, nach dem die Bande arbeitet«, meldete die Detektivin sich eifrig zu Wort. »Gerade wollte ich Sie darauf aufmerksam machen, mein lieber Junge.« »Ich dachte mir auch, daß der Mann mit der Sache etwas zu tun haben müßte«, setzte Kathy Porter ihren Bericht fort. »Deshalb fuhr ich besonders vorsichtig an die Kreuzung heran. Und tat sächlich kam dann von links ein Wagen angeschossen. Aber ich konnte noch so rechtzeitig bremsen, daß es um Zentimeter an einem Unfall vorbeiging.« »Da werden die Kerle sich aber ganz schön geärgert haben«, warf Lady Agatha ein und grinste schadenfroh. »Das haben sie auch«, bestätigte Kathy Porter. »Und weil ihr Plan mißglückt war, versuchten sie es auf andere Weise.« »Auf andere Weise?« wiederholte die Detektivin neugierig. »Das Auto hatte schon einige Beulen«, gab die attraktive Kathy Auskunft. »Die hatten zwar längst Rost angesetzt, aber der Fah rer behauptete dreist, ich hätte seinen Wagen gerammt und wäre für die Schäden verantwortlich.« »Unglaublich!« rief Agatha Simpson empört. »Er wurde richtig unverschämt und wütend«, fuhr die junge Frau fort. »Schließlich wollte er mich zwingen, eine Erklärung zu unter schreiben, in der ich alle Schuld an dem angeblichen Unfall auf mich nehmen sollte.« »Und wie hat sich der Mann mit der Zeitung verhalten?« wollte Rander wissen. »Das war überhaupt der Gipfel der Dreistigkeit«, empörte sich Myladys Gesellschafterin. »Der Mann kam dazu und behauptete, er hätte es deutlich knallen hören. Danach hätte ich meinen Wa
gen zwar zurückgesetzt, aber er könnte jederzeit bezeugen, daß ich die Schäden verursacht hätte.« »So setzt man Leute unter Druck«, kommentierte der Anwalt. »Bis sie schließlich unterschreiben.« »Ich habe natürlich nichts unterschrieben«, entgegnete Kathy lachend. »Und dann haben die Kerle aufgegeben?« vermutete die Detekti vin. »Von wegen!« erwiderte Kathy. »Da ging es erst richtig los. Als der Fahrer merkte, daß er von mir nie eine Unterschrift bekom men würde, machte er mir ein eindeutiges Angebot.« »Der Kerl wurde auch noch zudringlich?« entrüstete sich Mylady. »Das hätte er bei mir mal wagen sollen!« »Er wollte mich zu einem Schäferstündchen drängen«, berichtete die junge Dame. »Dafür wollte er dann großzügigerweise den Unfall vergessen und auf die Bezahlung der Schäden verzichten.« »So ein Schurke!« knurrte Rander und war sichtlich geladen. »Wenn der mir in die Finger gerät!« »Es kommt noch besser«, fuhr Kathy Porter fort. »Als ich dem Kerl den Vogel zeigte, fielen plötzlich beide Männer über mich her und wollten mich in den Wagen zerren. Aber da waren sie bei mir an der falschen Adresse.« Sie setzte ein selbstbewußtes Lächeln auf, aber Mike Rander spürte, daß ihre Stimme noch ein wenig zitterte. »Es wird höchste Zeit, daß ich zuschlage und den Burschen das Handwerk lege«, entschied die Detektivin. »Noch heute abend werde ich den Kopf der Bande dingfest machen und ihn zu einem Geständnis bringen.« »Das wäre zu wünschen«, pflichtete Mike Rander ihr bei. »Wissen Sie denn schon, wer der Kopf der Crasher-Bande ist, Mylady?« »Was denken Sie denn, mein lieber Rander«, gab die Hausherrin in leicht pikiertem Tonfall zurück. »Für mich stand vom ersten Moment an fest, daß es nur dieser…« Sie unterbrach sich und legte ihre Stirn in Falten. »Wie hieß noch der Kerl, Mister Par ker?« »Bedauerlicherweise entzieht es sich der Kenntnis meiner Wenig keit, wen Mylady zu meinen geruhen«, antwortete der Butler höf lich. »Sie sind wirklich etwas begriffsstutzig heute, Mister Parker«, tadelte Agatha Simpson. »Ich meine natürlich diesen…« Wieder
kam sie nicht weiter. Mike Rander und Kathy Porter grinsten verstohlen, doch in Par kers glattem Gesicht regte sich kein Muskel. »Natürlich meine ich den Ganoven, der die falschen Ausweise für die Autos herstellt«, kam Mylady endlich einen Schritt weiter. »Mylady geruhen, von Mister Paul Trenton zu sprechen, falls man sich nicht gründlich täuscht«, warf Parker ein. »Richtig, Preston hieß der Mann«, bestätigte die Detektivin. »Preston?« wollte Rander wissen. »Wer ist das?« »Mister James Marc war so entgegenkommend, während einer Unterhaltung mit Mylady den Namen Paul Trenton preiszugeben«, erläuterte Parker. »Sofern Mister Marcs Version der Wahrheit ent spricht, dürfte der genannte Mister Trenton zumindest in zwei Fällen Autopapiere gefälscht haben.« »Möglicherweise käme aber auch der Gutachter als Drahtzieher in Frage«, warf der Anwalt ein und erntete prompt einen giftigen Blick der Detektivin. »Zumindest steht fest, daß er keine weiße Weste hat. Daß er die falschen Gutachten irrtümlich ausgestellt hat, nehme ich jedenfalls nicht an.« »Selbstverständlich ist auch der Gutachter ein Betrüger, mein lieber Junge«, gab Lady Agatha ihm recht. »Aber er ist nur eine völlig unwichtige Randfigur, mit der ich mich bei der Fülle meiner Verantwortung nicht befassen kann. Wie Sie wissen, ist es die Aufgabe Mister Parkers, sich über die Details Gedanken zu ma chen.« »Und wie steht es damit?« wandte Rander sich an den Butler. »Haben Sie sich schon Gedanken über die Randfigur Mulligan gemacht?« »So ist es, Sir«, bestätigte Parker mit höflicher Verbeugung. »So fern Mylady keine Einwände erheben, würde man Mister Mulligans Büro noch am späten Abend einen Besuch abstatten.« Mylady war durchaus dafür. Sie beauftragte den Butler lediglich, ihr noch die Stärkungsmittel ins Studio zu schaffen, die sie benö tigte, um die Anstrengungen ihrer abendlichen Meditation durch zustehen. »Soll ich dich in meinem Wagen mitnehmen, Kathy?« bot Mike Rander an, während die beiden Gäste sich erhoben. »Dann könn test du bei mir duschen und dich schön machen. Anschließend gehen wir bummeln, damit du auf andere Gedanken kommst.« »Einverstanden«, willigte Kathy ein. »Eigentlich bin ich schon
froh, daß ich jetzt nicht allein nach Hause fahren muß.«
Beide verabschiedeten sich von Mylady, ehe der Butler sie zur
Haustür geleitete.
»Dann viel Erfolg bei Ihrem Nachtausflug, Parker«, wünschte Mi
ke Rander beim Hinausgehen.
»Hoffentlich geht alles glatt«, setzte Kathy Porter hinzu.
»Man dankt in aller Form für die freundlichen Wünsche«, gab der
Butler mit einer Verbeugung zurück. »Gute Nacht, Miß Porter,
gute Nacht, Sir.«
* Der dreigeschossige Flachbau, in dem der amtlich vereidigte Kraftfahrzeug-Sachverständige Humphrey Mulligan eine Etage für seine Büros gemietet hatte, lag in tiefer Dunkelheit. Gemächlich ließ Parker in der nächsten Seitenstraße sein hochbeiniges Monst rum ausrollen. Gemessenen Schrittes durchquerte er die Grünanlage und näher te sich dem Eingang. Auf den Stufen machte er jedoch kehrt und schickte sich an, das Gebäude zu umrunden. Wenig später stellte sich heraus, daß diese Vorsichtsmaßnahme alles andere als überflüssig war. Das Gebäude war nämlich nicht ganz so verlassen, wie es von der Straße aus wirkte. In einem Raum im obersten Stock brannte noch Licht. Ob es wo möglich Mulligan war, der noch so spät in seinem Büro saß? Aufmerksam setzte der Butler seinen Kontrollgang fort, bis er den Eingang wieder erreichte. Seelenruhig zog er das handliche Uni versalbesteck aus einer der unergründlichen Innentaschen seines altväterlich geschnittenen Covercoats. Geräuschlos ließ er den passenden Fühler in das Zylinderschloß der verglasten Eingangs tür gleiten. Der Schließmechanismus leistete nur kurze Zeit Widerstand. Dann gab er mit einem kaum hörbaren Klicken den Überredungs künsten des Butlers nach. Mit schlafwandlerischer Sicherheit fand Parker im stockdunklen Hausflur seinen Weg. In würdevoller Haltung schritt er die Stufen bis zum dritten Stock empor und schlug dann die Richtung ein, in der das noch beleuchtete Büro liegen mußte. Gleich darauf blieb der Butler vor der Tür stehen, aus deren
Schlüsselloch ein dünner Lichtstrahl in den dunklen Gang fiel. Lauschend legte er sein Ohr an das Holz, doch außer dem gele gentlichen Rascheln von Papier war kein Geräusch zu vernehmen. Im Schein seiner Bleistiftlampe las er das Türschild: Humphrey Mulligan. Parker wollte schon die Klinke niederdrücken und eintreten, um dem Gutachter bei der nächtlichen Arbeit über die Schulter zu schauen, doch ein Summton ließ ihn innehalten. Gleich darauf war Mulligans Stimme zu hören. »Wer?« fragte er. »Ach, du bist’s, Paul. Komm rauf, ich drück’ dir auf.« Mulligan erhielt also noch Besuch. Ob es sich um Paul Trenton handelte, der nach Marcs Aussage die Autopapiere der Crasher fälschte? Gleich darauf setzte sich der Fahrstuhl in Bewegung. Da der kahle Flur auf Mulligans Büroetage keinerlei Deckungsmöglichkeit bot, schlug der Butler die Richtung zum Treppenhaus ein. Er war ge rade um die Ecke gebogen, als Mulligans Tür geöffnet wurde und das Licht im Flur anging. Parker hörte, wie auch die Fahrstuhltür geöffnet wurde und Mulli gan seinen nächtlichen Besucher kurz begrüßte. Dann klappte die Tür seines Büros, und es wurde wieder still. Unverzüglich kehrte der Butler auf seinen Horchposten zurück, doch die beiden Männer unterhielten sich in gedämpftem Ton, so daß er ihre Worte durch die Tür hindurch nur undeutlich vernahm. Er griff deshalb in den Ausschnitt seines Covercoats und zog ein Stethoskop aus der Innentasche, wie Ärzte es zum Abhören ihrer Patienten benutzen. Vorsichtig drückte er die Gummimuschel mit dem hochempfindlichen Mikrofon gegen das Holz und setzte die Ohrhörer auf. »Ich fürchte, wir werden den Chef informieren müssen«, hörte er jetzt einen der Männer sagen. »Aber warum denn, Paul?« fragte der andere, der also offenbar Mulligan war. »Du weißt, daß er sich nicht gern stören läßt.« »Aber in den letzten Tagen sind Dinge passiert, die mir gar nicht gefallen«, hielt Paul entgegen. »Ach was! Du siehst Gespenster, Paul«, versuchte Mulligan ihn zu beruhigen. »Das Ding läuft schon seit zwei Jahren, und es läuft wie geschmiert. Der Trick, den der Chef sich da ausgedacht hat, ist bombensicher.«
»Da habe ich eben Zweifel«, beharrte Paul. »Erst diese verrückte alte Lady, die Jerry auf die Bude rückte und offen von Betrug sprach…« »Ich weiß, Paul«, unterbrach Mulligan ihn. »Dann werden wir uns eben von Jerry trennen müssen, wenn er in Verdacht geraten ist. Du weißt, wie konsequent der Chef in solchen Sachen denkt.« »Aber wenn’s so weitergeht, kann der Chef sich bald von allen seinen Leuten trennen«, wandte sein Gesprächspartner ein. »Wahrscheinlich weißt du noch nicht, daß der seltsame Butler, den die alte Fregatte bei sich hatte, kurz darauf bei Marty auf tauchte und neugierige Fragen stellte.« »Und was hat Marty mit dem Kerl gemacht?« wollte Mulligan wis sen. »Er hat ihn glatt von seinem Schrottplatz gejagt«, antwortete Paul nicht ganz wahrheitsgemäß, doch wahrscheinlich gab er nur die Version weiter, die Marty Silverstone ihm aufgetischt hatte. »Aber das ist ja noch längst nicht alles«, fuhr Mulligans Besucher fort. »Seit heute morgen sind Jerry und James spurlos ver schwunden. Keiner weiß, wo die Kerle stecken.« »Verdammt!« hörte Parker Mulligan knurren. Doch die Kette der Unglücksnachrichten riß noch immer nicht ab. »Das Neueste hab ich selbst erst vor einer halben Stunde ge hört«, setzte der Besucher seinen Bericht fort. »Pete hat heute nachmittag bei einem Crash Pech gehabt. Er verfehlte den ande ren Wagen und landete in einem Vorgarten. Der Hausbesitzer hatte natürlich nichts Eiligeres zu tun, als die Bullen zu holen.« »Und?« fragte Mulligan. »Die haben ihn und Terence mit auf die Wache genommen«, gab Paul Auskunft. »Zum Glück hatten die Bullen keinen Durchblick und haben die beiden nach einem Alkoholtest wieder laufen las sen.« »Auf unsere Polizei ist eben Verlaß«, kommentierte Mulligan. »Die merkt so was nicht.« »Dafür aber diese verrückte Lady und ihr Butler«, entgegnete sein Gesprächspartner. »Nach der Beschreibung, die Pete und Terence geliefert haben, scheinen die beiden sich an der Unfall stelle getummelt zu haben.« »Das klingt wirklich nicht sehr beruhigend«, meinte Mulligan. »Ist aber immer noch nicht alles«, fuhr sein Besucher fort. »Un gefähr zur selben Zeit gerieten Walter und AI bei einem Crash,
der auch nicht so richtig geklappt hatte, mit einer jungen Frau in Streit. Die verdammte Katze hat anscheinend Karate studiert. Jedenfalls legte sie beide Jungs aufs Kreuz und türmte.« »Die sind uns wirklich auf der Spur«, gestand Mulligan ein. Seine Stimme klang plötzlich nervös. »Wenn die beiden mißratenen Crashs heute nachmittag kein Zufall sind, sondern im Zusam menhang stehen, müssen wir sogar davon ausgehen, daß eine unserer Einsatzkarten in falsche Hände geraten ist.« »Der Verdacht kam mir auch schon«, bestätigte der Mann na mens Paul. »Ich habe jedenfalls meine Stempel und Unterschrif tenmuster vorerst verschwinden lassen.« »Du hast recht«, stimmte Mulligan ihm zu. »Ich werde auch heu te nacht noch einige Unterlagen vernichten. Und den Chef werde ich anrufen. Er muß sich in die Sache einschalten, ehe es zu spät ist.« Der Besucher, bei dem es sich offensichtlich um den Fälscher Paul Trenton handelte, verabschiedete sich ziemlich unvermittelt und schritt zur Tür. Parker ließ deshalb sein Stethoskop wieder in die Tasche gleiten und verbarg sich im Treppenhaus – gerade noch rechtzeitig. Als Trenton mit dem Aufzug nach unten fuhr und der Butler wie der auf seinen Posten zurückkehrte, hatte Mulligan seinen unbe kannten Chef offenbar schon über die bedrohliche Lage infor miert. Parker bekam gerade noch mit, wie er »Alles okay, Chef!« sagte und den Telefonhörer auflegte. Wenn Mulligan den unbekannten Boß der Crasher-Bande aus sei ner Höhle lockte, war es wahrscheinlich besser, im Moment auf eine Diskussion über seine Gutachten zu verzichten. Andererseits wollte Parker ihm keine Gelegenheit geben, wichtige Beweisstü cke verschwinden zu lassen. Er griff deshalb in die rechte Außentasche seines Covercoats und zog ein kleines Plastikröhrchen hervor, das einem Kugelschreiber nicht unähnlich war. Lautlos drückte der Butler die Klinke nieder und schob vorsichtig die Tür einen Fingerbreit auf. Mulligan hantierte mit Akten, die er vermutlich dem Reißwolf überantworten wollte, und hörte nichts. Rasch verdrehte Parker die beiden Hälften des Röhrchen gegen einander und ließ seinen Gruß durch den schmalen Türspalt fal len. Dann schloß er die Tür sofort wieder. Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis Mulligan den erwarteten
Hustenanfall bekam. Deutlich vernahm Parker, wie der Mann rö chelte und nach Luft japste. Dann folgte ein dumpfer Fall. Parker öffnete die Tür und durchquerte mit angehaltenem Atem rasch den Raum. Er öffnete beide Fenster, um das betäubende Gas entweichen zu lassen, das Mulligan schon in tiefen Schlum mer versetzt hatte. Anschließend kehrte der Butler zu dem am Boden liegenden Mann zurück und hielt ihm eine kleine Sprühflasche unter die Nase. Zwei Sekunden lang drückte er auf den Sprühknopf. Das würde genügen, um Mulligan für mindestens eine Stunde außer Gefecht zu setzen. Dankbar registrierte der Butler, daß der Gutachter bereits begon nen hatte, den Stahlschrank auszuräumen, der die »heißen Un terlagen« enthielt. So konnte er sich langwieriges Suchen sparen und sofort Mulligans Kopiergerät einschalten. Als Parker nach einer halben Stunde auf leisen Sohlen den Raum verließ und die Tür hinter sich schloß, trug er ein ganzes Paket von Papieren unter dem Arm, die bei einem späteren Prozeß eine wichtige Rolle spielen würden. Die Originale hatte er nach dem Kopieren wieder so hingelegt, wie er sie vorgefunden hatte. Wenn Mulligan aus seinen Träumen erwachte, würde er keinen Verdacht schöpfen. Vermutlich würde er an eine plötzliche Kreis laufschwäche glauben und sich vornehmen, bei nächster Gele genheit einen Arzt zu konsultieren. * Als Josuah Parker mit seinem Bündel von Kopien wieder das Haus Simpson betrat, graute der Morgen. Er verzichtete deshalb auf seine Nachtruhe und begab sich in die Küche, um Vorbereitungen für Myladys Frühstück zu treffen. Wenig später ging er wieder in den Salon, um eine frische Decke aufzulegen. Dabei wurde er auf ein Geräusch vor der Haustür aufmerksam. Gemessenen Schrittes begab sich der Butler zur Videoanlage im Flur und schaltete die Kamera über dem Eingang ein. Sekunden später flimmerte ein kristallklares Bild auf dem kleinen Monitor auf, und Parker sah sofort, daß seine Ohren ihn nicht getäuscht hatten. Gerade krochen zwei Männer unter seinem hochbeinigen Monst
rum hervor, das er vor dem Haus abgestellt hatte. Ohne sich noch mal umzusehen, gingen die Burschen zur Straße, bogen nach rechts ab und waren gleich darauf dem Blickfeld der Kamera entschwunden. Den Umständen nach war damit zu rechnen, daß die nächtlichen Besucher entweder die Bremsleitungen angesägt oder eine Sprengladung unter dem Fahrzeug befestigt hatten. Parker ging vorsichtshalber von der zweiten Möglichkeit aus und verzichtete deshalb darauf, sich durch Augenschein zu überzeu gen. Da die Männer unter dem Boden des schwarzen Gefährts gewer kelt hatten, konnte die Sprengladung, falls sie wirklich angebracht war, unmöglich mit der Motorzündung in Verbindung stehen. Ein Zeitzünder schied ebenfalls aus, da die Attentäter nicht wis sen konnten, wann der Butler sein Fahrzeug wieder benutzen würde. Also kam nur eine Zündung per Funk in Frage. Dann aber mußten die Ganoven in Sichtweite des hochbeinigen Monstrums Posten bezogen haben, um es im rechten Moment samt Fahrer in die Luft jagen zu können… In würdevoller Haltung stieg Josuah Parker die Stufen zum Spei cher des Hauses hinauf. Mit der Sicherheit einer Katze durchquer te er den finsteren Raum und öffnete eines der kleinen Dachfens ter an der Straßenseite. Draußen dämmerte es schon, und der Butler hatte keine Mühe, die beiden Gestalten auszumachen, die es sich weiter oben an der Straße auf einer Ruhebank bequem gemacht hatten. Einige Meter von ihnen entfernt parkte ein Porsche, der nicht den Eindruck machte, als ob er von Marty Silverstones Schrottplatz stammen könnte. Bedächtig zog Parker seine Gabelschleuder heraus und ließ eine hartgebrannte Tonmurmel in die lederne Schlaufe gleiten. Fast bis zum Zerreißen spannte er die starken Gummistränge und visierte kurz sein Ziel an. Lautlos flog die kleine Kugel in der Morgen dämmerung davon. Von seinem Ausguckposten aus registrierte der Butler, wie einer der Männer in die Höhe fuhr, als hätte ihn ein Stromschlag getrof fen. Reflexartig faßte er an seinen Kopf, bevor er zur Seite kippte und seinem Kollegen in den Schoß fiel. Der befreite sich in panischem Schrecken von seiner Last und ging erst mal hinter dem Porsche in Deckung. Als minutenlang
alles still blieb, kroch er jedoch wieder hervor. Eine langläufige Pistole im Anschlag, spähte der Mann mißtrauisch in alle Richtungen, ehe er rasch die Beifahrertür aufriß und An stalten traf, seinen tief und fest schlummernden Kollegen in den Wagen zu schleifen. Wieder spannte der Butler die Gummistränge seiner stählernen Zwille. Diesmal schickte er jedoch keine Tonmurmel auf die Reise, sondern eine runde Plastikkapsel von der Größe eines Pingpong balles. Die glatte, weiße Kugel enthielt ein winziges, aber außerordent lich kompliziertes Gerät, das üblicherweise als Baustein einer A larmanlage diente und einen ohrenbetäubenden Jaulton produzie ren konnte, der einer Polizeisirene sehr ähnlich war. Lautlos huschte der Pingpongball über die Köpfe der Männer hin weg, fiel ein Stück hinter ihnen auf das Straßenpflaster und rollte in einen Regeneinlauf. Das Geheul, das unvermittelt losbrach, ließ den Porschefahrer sichtbar zusammenzucken. Erschreckt wandte er sich in die Rich tung, aus der der Lärm kam. Hastig verstaute er seinen Kollegen auf dem Beifahrersitz, rannte um das Fahrzeug herum und sprang ans Steuer. Sekunden später war der schnelle Wagen verschwunden. Gemessenen Schrittes stieg Parker wieder die Treppen hinunter, öffnete die Haustür und begab sich zu seinem Fahrzeug. Im Mo ment waren die beiden Attentäter zu sehr mit sich selbst beschäf tigt, um an eine Zündung des Sprengsatzes zu denken. Es war der rechte Zeitpunkt, um die Ladung zu entschärfen. Der Butler mußte nicht lange suchen, bis er das eindrucksvolle Bündel Dynamitstangen gefunden hatte, das die Männer mit Draht an der Vorderachse befestigt hatten. Seelenruhig löste Josuah Parker das Paket aus seiner Befestigung und trennte den Zünder von der Sprengladung. Anschließend be gab er sich wieder ins Haus zurück und setzte die unterbrochenen Frühstücksvorbereitungen fort. * Beim Frühstück hatte der Butler seiner Herrin gerade von dem Gespräch zwischen Humphrey Mulligan und Paul Trenton berichtet
und wollte auf den vereitelten Sprengstoffanschlag zu sprechen kommen, als die Haustürglocke anschlug. Draußen stand eine junge, blonde Frau. Sie hielt ein in Geschenk papier gewickeltes Päckchen in der Hand. Ihr orangefarbener Ny lonkittel wies sie als Mitarbeiterin einer bekannten Londoner Kon ditorei aus. Auch der kleine Lieferwagen, der an der Straße park te, trug den Namenszug des Unternehmens, das dem Butler von gelegentlichen Einkäufen her bekannt war. Mit einem freundlichen Guten-Morgen-Gruß überreichte die Frau dem Butler das Päckchen und Wollte gleich wieder gehen. »Darf man sich höflichst erkundigen, wem man diese freundliche Aufmerksamkeit zu verdanken hat?« fragte Parker. »Ich weiß es nicht«, antwortete die junge Frau. »Der Herr, der die Bestellung aufgegeben hat, war mir persönlich nicht bekannt. In der Packung steckt aber ein Brief von ihm, den ich mit auslie fern soll.« »Man dankt für den aufschlußreichen Hinweis«, sagte der Butler, während die Konditorei-Angestellte über den Vorplatz zu ihrem Auto ging. Vorsichtig hob Parker das Päckchen ans Ohr und lauschte. Kein noch so leises Ticken war zu hören. Einen Zeitzünder schien das überraschende Präsent nicht zu enthalten. »Wie aufmerksam«, stellte Mylady entzückt fest, als Parker ihr die Schachtel auf einem silbernen Tablett in den Salon brachte. »Wer macht mir denn da eine Freude?« »Ob der Inhalt der Packung Freude bei Mylady auslöst, dürfte erst nach dem Öffnen zu entscheiden sein«, wandte der Butler ein. »Wieso, Mister Parker?« fragte die ältere Dame irritiert. »Es sind Pralinen. Das sieht man doch schon von außen.« »Mylady haben fraglos bedacht, daß eine Pralinenpackung biswei len auch andere Überraschungen bergen kann«, ließ Parker sich vernehmen. »Schließlich bin ich Detektivin, Mister Parker!« gab Agatha Simp son entrüstet zurück. »Natürlich habe ich daran gedacht. Warum öffnen Sie dieses Päckchen nicht endlich, damit ich mich überzeu gen kann?« »Falls Mylady gestatten, würde meine Wenigkeit es vorziehen, zunächst eine kurze Untersuchung im Labor vorzunehmen«, schlug Parker mit einer höflichen Verbeugung vor. »Sie meinen, in der Schachtel könnte Sprengstoff sein, Mister
Parker?« erkundigte sich Mylady und musterte das Präsent mißtrauisch. »Man sollte diese Möglichkeit zumindest nicht ausschließen, falls die Anmerkung erlaubt ist«, pflichtete der Butler ihr bei. »Der Zündmechanismus könnte so konstruiert sein, daß die Ladung beim Öffnen des Deckels explodiert.« »Dann sollten Sie die Untersuchung wirklich besser in Ihrem La bor vornehmen, Mister Parker«, entschied die Detektivin. Plötzlich schien sie auf die Pralinen gar nicht mehr so erpicht zu sein. Als Parker zehn Minuten später aus dem Untergeschoß in den Salon zurückkehrte, hatte er die Packung schon geöffnet. Sie enthielt tatsächlich Pralinen. Doch als Mylady beherzt zugreifen wollte, zog er die Schachtel rasch zurück. »Unterlassen Sie gefälligst diese kindischen Spielchen, Mister Parker«, grollte die ältere Dame, der schon das Wasser im Mund zusammenlief. »Warum nehmen Sie mir die Pralinen wieder weg?« »Mylady sollten sich auf eine Duftprobe beschränken, falls meine bescheidene Wenigkeit diese Anregung unterbreiten darf«, ant wortete Parker und servierte seiner Herrin die Packung so, daß sie daran schnuppern konnte. »Das riecht aber merkwürdig«, stellte Agatha Simpson mit ge krauster Stimme fest. »An irgend etwas erinnert mich dieser Ge ruch…« »Falls man sich nicht gründlich täuscht, dürfte es sich um das typische Aroma von Bittermandeln handeln…«, begann Parker. »Richtig«, Unterbrach die Detektivin ihn. »Das wollte ich auch gerade sagen, Mister Parker. Vielleicht sollte ich eine probieren, um zu sehen, ob sie wirklich bitter schmecken.« »Zweifellos dürfte Mylady bekannt sein, daß auch das tödliche Gift Blausäure einen Duft entwickelt, der an Bittermandeln erin nert«, gab der Butler zu bedenken, und die Hausherrin zog ihre Hand zurück, als hätte sie sich verbrüht. »Dann wird es jetzt wirklich ernst, Mister Parker«, verkündete die ältere Dame grimmig. »Der Boß der Crasher-Bande hat mir den Krieg erklärt, und ich nehme seine Kriegserklärung natürlich an.« »Daran hätte meine Wenigkeit auch nie gezweifelt, Mylady«, ver sicherte der Butler. »Bedauerlicherweise sieht man sich aber der zeit nicht imstande, Myladys Kriegserklärung dem betreffenden Herrn auch zur Kenntnis zu bringen.«
»Ich werde einfach hinfahren, seine Leibwächter aus dem Weg räumen und den unverschämten Burschen festnehmen«, erklärte Mylady selbstbewußt. »Bedauerlicherweise ist bisher weder die Identität noch der Auf enthaltsort des fraglichen Herrn bekannt, falls Mylady diesen Hinweis gestatten«, bremste Parker ihren Tatendrang. »Aber da ist doch ein Brief«, erinnerte sich die ältere Dame plötz lich. »Wahrscheinlich enthält er einen Hinweis.« »Nun lesen Sie schon vor, Mister Parker! Oder brauchen Sie eine Brille?« drängte Mylady, als der Butler das Kuvert geöffnet hatte und ihr das Anschreiben nach einem kurzen Blick überreichte. »Ein kleiner Gruß von einem glühenden Verehrer, der unerkannt bleiben möchte«, las Parker mit unbewegter Miene vor. »Der Schurke!« schimpfte Mylady. »Das glaube ich, daß er uner kannt bleiben möchte! Wenn ich nicht von Anfang an so mißtrau isch gewesen wäre, hätte der Kerl mich vergiftet. Sonst schreibt er nichts? Kein Name, kein Absender?« »Man bedauert aufrichtig, keine weiteren Mitteilungen entdecken zu können«, gab Parker Auskunft und legte das Blatt auf den Tisch. »Ich muß und werde den Kerl noch heute in die Finger bekom men«, reagierte die Detektivin wütend. »Vermutlich haben Mylady bereits einen Plan, wie man das In kognito des Gangsterchefs lüften könnte?« erkundigte sich Par ker. »Ich habe einen Plan, wie ich ihn überrumpeln und überführen werde«, behauptete Agatha Simpson. »Aber solche Details wie Namen und Anschriften sind selbstverständlich Ihre Sache, Mister Parker.« »Meine Wenigkeit wird sich bemühen, Myladys Wünschen unver züglich nachzukommen«, versicherte der Butler. »Aber lassen Sie sich nicht zu lange Zeit«, mahnte die energische Dame. »Ich ziehe mich jetzt für ein Stündchen zum Meditieren zurück.’ Anschließend möchte ich unverzüglich aufbrechen.« Ächzend wuchtete sie ihre Körperfülle aus dem bequemen Sessel, wobei Parker ihr diskret assistierte. »Und bringen Sie mir noch ein kleines Stärkungsmittel hinauf, Mister Parker«, ordnete Myla dy an, bevor sie in Richtung auf ihre privaten Gemächer ver schwand. Der Butler war gerade mit dem leeren Tablett aus dem Oberge
schoß zurückgekehrt, als in der Diele das Telefon läutete. In wür devoller Haltung schritt er zum Apparat und nahm den Hörer ab. Die Männerstimme, die sich mit einem knappen »Hallo, Mister Parker!« am anderen Ende meldete, hatte er noch nie gehört. * »Ich hoffe, Ihre Herrin ist wohlauf?« begann der Unbekannte das Gespräch. »Falls Sie damit auf die Pralinen anzuspielen geruhen«, gab Par ker zur Antwort, »so darf man Ihnen die erfreuliche Mitteilung machen, daß Mylady nach einer Geruchsprobe von dem Genuß absah.« »Sie sind wirklich ein verdammter Fuchs, Parker«, stellte der An rufer anerkennend fest. »Deshalb will ich jetzt auch mit offenen Karten spielen.« »Darf man sich höflich erkundigen, wie Sie diese Äußerung ver standen wissen möchten?« fragte Parker in kühlem Ton. »Sie haben mir ganz schön ins Geschäft gefunkt«, erwiderte der Unbekannte. »Und Sie sind mir in einem denkbar ungünstigen Augenblick auf die Spur gekommen. Ich wollte mich nämlich oh nehin gerade aus der Crash-Sache zurückziehen und die nächsten Jahre in Ruhe auf dem Land verleben.« »Ein durchaus löblicher Vorsatz«, urteilte der Butler knapp. »Ich bin auch entschlossen, an diesem Vorsatz festzuhalten«, bekräftigte der Mann. »Ab sofort gibt es für mich keine unsaube ren Geschäfte mehr.« »Dieser Vorsatz allein dürfte aber keineswegs ausreichen, um Sie vor Strafverfolgung zu schützen«, gab der Butler zu bedenken. »Falls wir beide zu einer vernünftigen Einigung kämen, sollte es Ihr Schaden nicht sein, Parker«, entgegnete der Anrufer. »Und ich könnte mein Leben als biederer Schafzüchter beschließen.« »Bedauerlicherweise reicht die Phantasie meiner bescheidenen Wenigkeit nicht aus, um sich vorzustellen, welche Art von ver nünftiger Einigung Sie meinen könnten«, reagierte Parker gelas sen. »Jetzt stellen Sie sich aber naiver, als Sie sind, Parker«, ließ der Unbekannte sich vernehmen. »Ich würde Ihnen eine anständige Summe in bar auf den Tisch legen, wenn Sie Ihr Wissen über die
Crasher für alle Zeiten vergessen.« »Meine Wenigkeit ist mit finanziellen Mitteln in hinreichendem Maß versorgt«, versicherte Parker bescheiden und provozierte den Anrufer. »Sie wollen nur die Preise hochtreiben«, brummte der Mann är gerlich. »Wenn Sie auf mein Angebot nicht eingehen, kann ich auch anders.« »Daran zu zweifeln, liegt meiner Wenigkeit absolut fern, falls der Hinweis erlaubt ist«, entgegnete der Butler. »Na also«, meinte der Anrufer. »Dann wissen Sie ja hoffentlich, wie Sie sich zu entscheiden haben. Oder haben Sie etwa Angst, ich könnte Sie in eine Falle locken?« »Man sollte in der Tat mit allen denkbaren Möglichkeiten rech nen«, gab Parker zu bedenken. »Vorsicht ist bekanntlich die Mut ter der Porzellankiste, wie der Volksmund in seiner oft so treffen den Art zu sagen pflegt.« »Hab ich mir’s doch gedacht«, lachte der Fremde. »Ich gebe Ih nen natürlich mein Ehrenwort, daß ich unbewaffnet komme und erwarte dasselbe auch von Ihnen, Parker. Wenn Sie also an ei nem Gespräch unter vier Augen interessiert sind, finden Sie mich heute abend um zehn in der Druckerei von Paul Trenton.« »Paul Trenton?« wiederholte Parker, als hörte er den Namen zum erstenmal. »Trenton versorgt meine Jungs mit frisierten Papieren«, erläuter te der Anrufer. »Bei ihm sind wir ungestört. Sein Betrieb liegt an der Tanner Street in Bermondsey.« »Falls man Ihrer freundlichen Einladung Folge leisten wollte, müßte man allerdings wissen, nach wem man zu fragen hätte«, wandte Parker ein. »Erkundigen Sie sich beim Pförtner nach Charles McGriffin«, emp fahl der Anrufer. »Man wird Sie dann zu mir führen.« Es knackte in der Leitung. Der Chef der Crasher-Bande hatte auf gelegt. »Ich hoffe, Sie haben endlich die notwendigen Informationen be schafft, Mister Parker?« erkundigte sich Mylady, als sie – noch etwas verschlafen – zur Teestunde im Salon erschien. »Der Chef der Crasher-Bande erwartet Mylady zu einem Gespräch heute abend um zehn Uhr im Druckereibetrieb des schon mehr fach genannten Paul Trenton«, teilte Parker gelassen. mit. »Dieser Mister McPiffin fühlt sich durch meine Ermittlungen derart
in die Enge getrieben, daß er mir ein Friedensangebot unterbrei ten will«, mutmaßte die ältere Dame, nachdem Parker von dem Anruf berichtet hatte. »Aber ich werde ihn natürlich überlisten und nur zum Schein auf sein Angebot eingehen, um ihn dann mit einem Überraschungsschlag festzunehmen.« »Ein Plan, der in beeindruckender Weise Zeugnis von Myladys taktischen Fähigkeiten ablegt«, gab Parker höflich, aber vieldeutig zur Antwort. »Allerdings werden Mylady zweifellos damit rechnen, daß der fragliche Gangsterchef ebenfalls beabsichtigt, sich einer List zu bedienen.« »Selbstverständlich rechne ich damit, Mister Parker«, erwiderte die Detektivin pikiert. Sie besann sich einen Moment, ehe sie noch eine Frage anhängte: »Woraus schließe ich das?« »Mister McGriffin dürfte nur deshalb in so überraschender Offen heit gesprochen haben, weil er fest damit rechnet, Mylady und meine Wenigkeit für alle Zeiten zum Schweigen bringen zu kön nen«, erläuterte der Butler. »Mich zum Schweigen bringen?« empörte sich die ältere Dame. »Das schafft keiner!« »Eine Feststellung, deren Wahrheitsgehalt man nur mit allem Nachdruck bekräftigen kann, Mylady«, gab Parker ihr recht. »Welche Anordnungen gedenken Mylady konkret zu, treffen?« »Entweder hören Sie schlecht, oder Ihr Gedächtnis läßt nach, Mister Parker«, kritisierte die Detektivin. »Ich habe doch längst meine Anweisungen erteilt. Ich werde Mister McPiffin überrum peln und festnehmen. Dazu muß ich natürlich zum Schein aufsein Angebot eingehen. Wie ich im einzelnen dabei vorgehe, darüber dürfen Sie sich Gedanken machen, Mister Parker.« »Man dankt in aller Form für das Vertrauen, Mylady«, antwortete der Butler in seiner höflichen Art, bevor er Agatha Simpson das erste Stück duftender Sachertorte vorlegte und ihr von dem fei nen Darjeelingtee einschenkte. * Ehe Parker gegen 21.30 Uhr seine Herrin zur Tür geleitete, stieg er noch mal auf den Speicher und warf einen Blick aus dem Dach fenster. Es war, wie er vermutet hatte. Am oberen Ende der Stra ße parkte wieder der Porsche, den er schon am frühen Morgen
dort gesehen hatte. Offenbar gingen McGriffins Männer davon aus, daß sich die Sprengladung noch unter dem schwarzen Ge fährt des Butlers befand. Deshalb war der Gangsterboß so freizügig mit Informationen ge wesen! Er rechnete fest damit, daß Parker und Lady Agatha ihr Anwesen nicht lebend verlassen würden. Vorsichtshalber schaltete der Butler noch die Videoanlage ein und überzeugte sich davon, daß in der näheren Umgebung des Hau ses nicht mit unerfreulichen Überraschungen zu rechnen war. Kurz darauf rollte das hochbeinige Monstrum vom Hof. »Dieser McPiffin scheint wirklich ein Waschlappen zu sein«, maul te Mylady, die im Fond des Wagens Platz genommen hatte. »Sonst würde er doch wenigstens Verfolger auf mich ansetzen.« Trotz der Dunkelheit konnte Parker im Rückspiegel den Porsche ausmachen, während er sein Gefährt gemächlich auf die Durch gangsstraße rollen ließ. Vermutlich drückten die Männer jetzt wie besessen auf den Auslöseknopf ihres Funkfernzünders und begrif fen nicht, warum der schwarze Kasten unbehelligt weiterrollte. »Falls man sich nicht gründlich täuscht, dürfte mit Ereignissen in dem von Mylady gewünschten Sinn kurzfristig zu rechnen sein«, meldete Parker nach hinten. Kurz vor dem Abbiegen hatte er noch registriert, daß die Insassen des Sportwagens ihre vergebli chen Sprengversuche beendet hatten. Die Scheinwerfer des Sportwagens flammten auf, und das schnelle Fahrzeug setzte sich in Bewegung. »Das wird aber auch höchste Zeit, Mister Parker«, stellte Mylady befriedigt fest und wickelte die ledernen Riemen ihres perlenbe stickten Pompadours fester um das Handgelenk. »Nichts ist mir so zuwider wie Untätigkeit.« »Geruhen Mylady spezielle Wünsche hinsichtlich der Behandlung der Verfolger zu äußern?« erkundigte sich Parker. Inzwischen hatte der Sportwagen aufgeholt und lag nur noch wenige Wagen längen zurück. Die beiden Insassen gaben sich nicht die geringste Mühe, unbemerkt zu bleiben. »Die Details überlasse ich Ihnen, Mister Parker«, antwortete die Detektivin. »Allerdings möchte ich mich nicht länger aufhalten als unbedingt nötig. Sie wissen ja, daß die wichtigste Aufgabe mir noch bevorsteht.« »Dieser Umstand ist meiner bescheidenen Wenigkeit in der Tat bekannt, Mylady«, bestätigte der Butler. »Man wird deshalb be
müht sein, Myladys Wünschen in vollem Umfang gerecht zu wer den.« Ohne den Blinker einzuschalten, bog Parker überraschend in eine Seitenstraße. Der Porschefahrer, der auf derartige Manöver of fenbar gefaßt war, reagierte prompt. Er schloß dichter auf und versuchte anscheinend bei Gelegenheit zu überholen. Der Butler, der dieses Viertel fast genauso gut kannte wie die unergründlichen Innentaschen seines schwarzen Covercoats, ließ dem Mann jedoch keine Chance. Immer wieder bog er um neue Ecken und wählte schmale Sträßchen, die ein Überholen von vornherein unmöglich machten. Dem Porschefahrer schien solch planloses Umherkurven an die Nerven zu gehen. Parker blieb jedoch gelassen wie immer und ließ sich auch nicht aus der Ruhe bringen, als sein Verfolger ihm mit Signalhorn und Lichthupe zusetzte. Die Stelle, an der er McGriffins Leute abzuschütteln gedachte, war nicht mehr weit. Allmählich ging der Butler mit dem Tempo herunter und machte den Porschefahrer, der die Vorzüge seines Fahrzeuges wegen der engen Straßen nicht ausspielen konnte, noch zappeliger. Gleich darauf bog Parker in eine lange Gerade und trat das Gaspedal seines hochbeinigen Monstrums bis zum Anschlag durch. Mit dumpfem Röhren schaltete sich das Zusatztriebwerk ein und ver lieh dem schwerfällig wirkenden Gefährt das Temperament eines feurigen Araberhengstes. Der Porschefahrer, der auf keinen Fall den Anschluß verpassen wollte, gab ebenfalls Vollgas. Schnell hatte er Parkers schwarzen Kasten wieder dicht vor sich. Allerdings versperrte ihm das Fahr zeug die Sicht nach vorn. So konnte er nicht ahnen, was an der nächsten Ecke auf ihn zukam. Die Straße, auf der die beiden Fahrzeuge dahinjagten, knickte nach wenigen hundert Metern ziemlich scharf nach links ab. Die Weiterfahrt in gerader Richtung wurde durch einen hölzernen Bauzaun versperrt. Erst vor wenigen Tagen war der Butler hier vorbeigekommen. Deshalb wußte er, daß hinter dem Bretterzaun eine frisch ausge hobene Baugrube lag. Die Arbeiten waren allerdings abgebrochen worden, weil die Regenfälle der letzten Wochen den Boden in lehmigen Sumpf verwandelt hatten. Parker hatte die Ecke fast erreicht, als er einen der zahlreichen Kipphebel am Armaturenbrett umlegte, deren Funktion nur ihm
bekannt war. Augenblicklich quoll aus dem Auspuff seines Fahr zeuges eine schwarze Rußwolke, die dem Verfolger den letzten Rest an Sicht nahm. Gleichzeitig bremste der Butler sein Fahr zeug und zog es im letzten Moment auf quietschenden Pneus nach links. Der Porschefahrer ging zwar instinktiv ebenfalls auf die Bremse, als sein Wagen in die undurchdringliche Qualmwolke schoß. Er ahnte jedoch nicht, daß die Straße an dieser Stelle einen Knick machte. Und als er den Nebel durchstoßen hatte und die Bretter wand auf sich zurasen sah, war es schon zu spät. Der Knall, mit dem der Wagen das splitternde Hindernis durch brach, ließ sogar Mylady auffahren, die sich gerade zu einem kur zen Nickerchen in die Polster gelehnt hatte. »Was war das, Mister Parker?« erkundigte sie sich irritiert. »Myladys Verfolger dürften aufgrund ihrer leichtfertigen Fahrwei se von der Fahrbahn abgekommen sein, wenn man sich nicht gründlich täuscht«, gab Parker Auskunft, während er sein Fahr zeug zum Stehen brachte. »Mittlerweile dürften die Herren sich dem heilkräftigen Genuß eines Schlammbades hingeben.« Als der Butler und Agatha Simpson ihr Gefährt verlassen hatten und durch das breite Loch im Bauzaun blickten, bestätigte sich diese Vermutung. Der Porsche war weit in die flache Grube gesegelt und bis über die Räder im Lehm versunken. Gerade mühten die Insassen sich ab, gegen den Widerstand der Schlammassen die Türen aufzu drücken, was ihnen erst nach einigen vergeblichen Versuchen gelang. »Darf man der Hoffnung Ausdruck geben, daß die Herren die Fol gen ihrer leichtfertigen Fahrweise körperlich unversehrt überstan den haben?« rief Parker hinunter. Die beiden Männer, die bis zu den Hüften in dickflüssigem Lehm wateten und dabei nur mühsam vorankamen, antworteten mit Flüchen und schüttelten drohend die Fäuste. »Nur wenige Straßen von hier entfernt befindet sich eine Auto waschanlage, die Tag und Nacht geöffnet hat«, teilte Parker un gerührt mit, bevor er seine Herrin wieder zum Wagen geleitete und am Steuer seines hochbeinigen Monstrums Platz nahm. *
Trentons Druckerei an der Tanner Street war ein ansehnlicher Betrieb mit weitläufigen Hallen und einem eindrucksvollen Ma schinenpark, der gelegentlich auch dazu diente, Lohnaufträge für die großen Londoner Zeitungen auszuführen. Als Parker seinen Privatwagen an der Hofeinfahrt vorbeirollen ließ, war das Gelände jedoch nur spärlich beleuchtet. Die Arbeit schien zu ruhen. Nur in der erleuchteten Pförtnerloge saß ein älterer Mann, der in das Studium der Abendzeitung vertieft war. Falls McGriffin keine falsche Fährte gelegt hatte und sich wirklich hier aufhielt, vertrau te er wohl auf die Zuverlässigkeit seiner Sprengstoff-Experten und rechnete deshalb nicht mit überraschendem Besuch. Diskret klopfte der Butler an die Scheibe, um den in seine Lektüre vertieften Mann aufmerksam zu machen. Mißmutig legte der Pförtner die Zeitung beiseite und öffnete das Fenster. »Sie wünschen?« erkundigte sich der Mann. »Mylady wünscht, Mister Charles McGriffin zu sprechen, falls der Herr anwesend ist«, gab Parker Auskunft. »McGriffin?« Der Pförtner erblaßte. Mißtrauisch musterte er das skurrile Paar. Seine Hand zitterte, als er zum Telefonhörer griff. »Ich werde Sie anmelden«, erklärte er. »Derartige Umstände sind keineswegs erforderlich«, hielt der Butler ihn zurück. »Mister McGriffin erwartet Mylady nämlich be reits, falls dieser Hinweis gestattet ist.« Unschlüssig behielt der Pförtner den Telefonhörer in der Hand und sah sich hilfesuchend um. »Mister Trenton hat aber ausdrücklich Anweisung erteilt, keine unangemeldeten Besuche vorzulassen, solange er in der Besprechung mit Mister McGriffin ist«, behaup tete der Mann. »Wie meine Wenigkeit bereits zu verdeutlichen versuchte, wird Mylady von Mister McGriffin erwartet«, beharrte der Butler. »Demnach dürfte es sich wohl kaum um unangemeldeten Besuch handeln.« »Aber…« wollte der Pförtner einwenden, doch weiter kam er nicht. Unbemerkt hatte Parker während des kurzen Gesprächs ein klei nes Sprayfläschchen aus der Tasche gezogen. Er griff blitzschnell durch das offene Fenster, hielt dem Pförtner die Düse vors Ge sicht und drückte auf den Sprühknopf. In fassungslosem Staunen verdrehte der Mann die Augen, als er
den feinen Nebel durch Mund und Nase einatmete. Im nächsten Moment ließ er achtlos den Telefonhörer auf den Tisch fallen und sackte mit tiefem Seufzer in seinen Stuhl zurück. Selig lächelte er den Butler aus verschleierten Augen an. Dann ließ er den Kopf auf die Tischplatte sinken und zeigte an weiterer Unterhaltung kein Interesse mehr. Die Tür mit der Aufschrift »Geschäftsleitung 1. Etage«, zu der der Butler die ältere Dame danach geleitete, war nicht verschlossen. Mylady wollte gleich die Treppe hinaufstürmen, doch Parker bremste ihren Elan. »Mylady haben zweifellos bedacht, daß Mister McGriffin Leibwäch ter vor der Tür postiert haben könnte, um sich vor unangemelde ten Besuchern zu schützen«, ließ er sich mit gedämpfter Stimme vernehmen. »Selbstverständlich habe ich das bedacht, Mister Parker«, rea gierte die Detektivin unwirsch. »Und wie werde ich die Leibwäch ter ausschalten?« »Falls man sich nicht täuscht, möchten Mylady einer List den Vor zug geben, um eine mögliche Wache abzulenken«, schlug Parker vor und schritt geräuschlos zum Fahrstuhl, der im Erdgeschoß stand. Vorsichtig öffnete er die Tür, drückte auf den Knopf für das erste Obergeschoß und kehrte wieder zu seiner Herrin zurück. Während die Tür langsam ins Schloß fiel und der Aufzug sich in Bewegung setzte, waren Mylady und ihr Butler schon auf der Treppe unterwegs nach oben. Parker hatte sich nicht getäuscht. Als er vorsichtig um die Ecke spähte, hatte er die Rücken zweier Männer unmittelbar vor sich. Beide hatten sich mit gezogenen Revolvern neben der Aufzugtür postiert und warteten auf den Besucher, den sie im Fahrkorb vermuteten. »Man bittet um Nachsicht für den kurzen Scherz, der leider un vermeidlich ist«, sagte der Butler leise, während er mit dem blei gefüllten Bambusgriff seines Universal-Regenschirmes auf den Hinterkopf des ersten Leibwächters pochte. Mylady hatte inzwischen eine der furchterregenden Hutnadeln aus ihrer Kopfbedeckung gezogen und rammte sie dem zweiten Leib wächter ins Gesäß. Er stieß einen heiseren Schrei aus und begann wie ein Betrunkener zu torkeln. Die Waffe entglitt seiner Hand, während er an der glatten Wand vergeblich nach einem Halt suchte. Anschließend knickte er in
den Knien ein und streckte sich zu einem Schläfchen auf dem Fußboden aus. Das aus pflanzlichen Essenzen destillierte Betäu bungsmittel, mit dem Parker die Spitze der Hutnadel präpariert hatte, wirkte innerhalb von Sekunden. »Sieh an, Mister Parker!« sagte plötzlich eine schneidende Stim me, die dem Butler vom Telefon her bekannt war. Der Mann, der in der offenen Tür zu Paul Trentons Büro stand und eine langläu fige Pistole mit Schalldämpfer auf die Besucher richtete, mußte Charles McGriffin sein. Der elegante Nadelstreifenanzug mit seidener Krawatte ließ an einen erfolgreichen Geschäftsmann denken. Die Augen waren hinter den bläulich getönten Brillengläsern kaum zu erkennen. Die Lippen unter dem gepflegten Schnurrbärtchen waren zu einem dünnen Strich zusammengepreßt. »Man dankt für die freundliche Einladung zum Eintreten«, sagte Parker in seiner höflichen Art, als McGriffin ihn und Mylady mit unmißverständlicher Geste in Trentons Büro dirigierte. »Dieser alte Fuchs scheint meine Leute schon wieder ausgetrickst zu haben«, wandte McGriffin sich an Paul Trenton, der hinter dem Schreibtisch an der Stirnwand des Büros stand und die Eintretenden vorsichtig beäugte. »Dann werden wir beide eben dafür sor gen, daß dreiste Schnüffelnasen für alle Zeiten das Schnüffeln lassen.« »Junger Mann, Sie vergreifen sich im Ton«, grollte Lady Agatha, die den Ernst der Lage anscheinend noch nicht begriffen hatte. »Schließlich stehen Sie einer Dame gegenüber. Außerdem kann ich Ihnen nur raten, auf der Stelle ein umfassendes Geständnis abzulegen, ehe ich ungemütlich werde, Mister McPiffin.« »Und wenn ich Ihnen alles gestehen würde, was Sie wissen wol len, Mylady«, gab McGriffin mit höhnischem Grinsen zurück. »Es würde Ihnen nichts mehr nützen, weil Ihre Stunden auf dieser schönen Erde gezählt sind.« »Meinst du wirklich, Chef…?« versuchte Trenton schüchtern ein zuwenden. »Was denkst du denn, Paul«, erwiderte McGriffin barsch. »Nur keine Rührseligkeiten in letzter Minute! Meine Yacht liegt zum Auslauf bereit, und Sally wartet schon auf mich. Es muß also schnell gehen!« Paul Trenton fühlte sich sichtlich unwohl in seiner Haut. »Aber wie?« fragte er.
»Du hast doch die schöne, große Altpapierpresse«, schlug McGrif fin vor, und sein glattrasiertes Gesicht verzog sich zu einer teufli schen Grimasse. »Ein Knopfdruck, und wir sind die beiden los.« Parker und Agatha Simpson blieb nichts anderes übrig, als den Befehlen des Gangsterbosses zu folgen. Mit der Pistole in der Hand dirigierte McGriffin sie durch eine Stahltür in die angrenzen de Maschinenhalle. Vorsichtig hielt er dabei auf Distanz und gab Parker keine Chance zum Angriff. Die imposante Altpapierpresse, von der der Chef der Crasher ge sprochen hatte, stand auf einem mehr als mannshohem Podest, zu dem eine eiserne Treppe hinaufführte. Schritt für Schritt stiegen Mylady und ihr Butler über die Stufen. McGriffin und Trenton folgten. »Los, weiter!« kommandierte der Gangster, als seine Gefangenen! den oberen Treppenabsatz er reicht hatten. Doch in diesem Moment sah Parker seine Chance und nutzte sie eiskalt. Mit kräftigem Fußtritt beförderte er einen vollen Farbeimer, der auf der Treppe abgestellt war, in McGriffins Richtung. Darauf war der vorsichtige Ganove nicht gefaßt. Mit entsetztem Schrei torkelte er auf den Stufen rückwärts, als der schwere Behälter ihm entgegengepoltert kam. Im Fallen riß McGriffin noch den völlig überraschten Trenton mit sich, der ihm gefolgt war. Beide landeten wenig elegant in einem Berg von Altpapier. Wäh rend McGriffin sofort wieder auf den Beinen war und mit langen Sätzen davonjagte, blieb Trenton benommen am Boden liegen. Das war sein Pech, denn in diesem Moment schlug der schwere Farbeimer auf die unterste Stufe, und der Deckel sprang ab. Ehe Trenton sich in Sicherheit bringen konnte, ergoß sich der schwarze Farbbrei über ihn. Nur sein Gesicht blieb verschont und zeigte eine Mischung von hilflosem Grinsen und panischem Schre cken, als die Detektivin und ihr Butler vor ihm standen. »Ich – ich hätte es nicht gekonnt«, stammelte er. »Darf man sich in aller Bescheidenheit erkundigen, wie man diese Äußerung zu verstehen hat, Mister Trenton?« fragte Parker. »Die Presse…«, brachte der Mann mühsam hervor, während Angstschweiß von seiner Stirn perlte. »Nie hätte ich auf den Knopf drücken können.« »Über den Wahrheitsgehalt dieser Behauptung wird möglicher weise später zu sprechen sein, Mister Trenton«, erklärte der But
ler kühl. »Im Moment wäre Mylady Ihnen sehr verbunden, wenn Sie auf eine einfache Frage eine klare Antwort geben könnten.« »Welche Frage?« erkundigte sich Trenton ängstlich. »Aus naheliegenden Gründen würde Mylady gern erfahren, wo Mister McGriffins auslaufbereite Yacht vor Anker liegt«, ließ der Butler sich vernehmen. »In Folkstone«, gab Trenton bereitwillig Auskunft. »Sein Boot heißt >Pacific Star<.« »Vermutlich darf man davon ausgehen, daß es sich bei der ge nannten Dame namens Sally um Mister McGriffins Lebensgefähr tin handelt?« forschte der Butler weiter. »Er will Sally Seymour mit auf die Bahamas nehmen«, bestätigte der Druckereibesitzer. »Beide kennen sich schon lange.« »Man dankt für die hilfreiche Information, Mister Trenton«, sagte Parker mit einer höflichen Verbeugung. »Allerdings muß man auch um Verständnis für die Notwendigkeit bitten, Sie vorüberge hend etwas in Ihrer Bewegungsfreiheit einzuschränken.« Mit den Handschellen aus speziell gehärtetem Stahl, die er stets mit sich zu führen pflegte, kettete Parker den eingeschüchterten Unternehmer am eisernen Treppengeländer fest, ehe er mit sei ner Herrin den Maschinensaal verließ und sein hochbeiniges Monstrum ansteuerte. * Der Himmel im Osten färbte sich schon grau, als der Butler sein hochbeiniges Gefährt über die Serpentinen nach Folkstone hinun terrollen ließ und die Richtung zum Jachthafen einschlug. An der Mole ließ er die Detektivin aussteigen. Zu dieser frühen Morgen stunde lag der Hafen, in dem Hunderte von Segel- und Motor jachten vertäut waren, noch verlassen und düster. »Falls man sich nicht täuscht, dürfte Mister McGriffin soeben die letzten Vorbereitungen zum Auslaufen treffen«, erklärte Parker und machte seine Herrin auf eine hochseetüchtige Segelyacht aufmerksam, die weiter draußen an einem hölzernen Steg lag. Aus den Kabinenfenstern drang gelber Lichtschein. Deutlich war in der Morgenstille das leise Tuckern des Dieselmotors zu hören. Als Parker und Mylady den Steg erreicht hatten, setzte sich die »Pacific Star« gerade in Bewegung. Im letzten Moment gelang es
dem Butler, ein starkes Tau, das zusammengerollt in Reichweite lag, mit einem blitzschnell geschlungenen Seemannsknoten seit lich an der Reling des Bootes zu befestigen. Während die »Pacific Star« ablegte und Fahrt aufnahm, schlang er das andere Seilende um den Poller, an dem das Boot eben noch gelegen hatte. Mit aufrauschender Bugwelle glitt die Yacht in Richtung Hafenaus fahrt, als plötzlich die Kajütentür geöffnet wurde und eine blonde junge Frau auf dem hinteren Deck erschien. Es war die Kondito rei-Angestellte, die die vergifteten Pralinen geliefert hatte. Auch Sally Seymour mußte den Butler und seine Herrin erkannt haben, denn sie machte sofort kehrt und stürzte in die Kajüte. Im nächsten Moment erschien McGriffin auf dem Achterdeck des davongleitenden Bootes. Auch jetzt schien er noch fest entschlos sen, die Mitwisser seiner Verbrechen für alle Zeiten zum Schwei gen zu bringen. Das Schnellfeuergewehr, mit dem er auf Parker zielte, sprach eine eindeutige Sprache. Doch in diesem Augenblick war die Taurolle abgespult. Mit einem Ruck straffte sich das Seil, an dem die »Pacific Star« hing. Die Jacht bäumte sich auf wie ein Pferd, dessen Reiter heftig am Zü gel reißt. Anschließend drehte sich das Boot quer zur Fahrtrichtung und legte sich auf die Seite. McGriffin, der mit diesem eigenwilligen Kurs seines Schiffes begreiflicherweise nicht gerechnet hatte, hielt es nicht mehr auf den Beinen. Schreiend ließ er sein Gewehr ins Wasser fallen und suchte auf dem plötzlich abschüssigen Deck verzweifelt nach einem Halt. Doch er griff ins Leere, rutschte über die Planken und schoß – mit den Beinen voran – unter der Reling durch in die kalten Fluten. Der Chef der Crasher-Bande war allerdings nicht der Einzige, den das plötzlich gespannte Seil aus dem Gleichgewicht brachte. My lady, die trotz Parkers Warnung zu nahe an der Taurolle stand, schrie auf, als das Seil ihr plötzlich die Beine unter dem Leib wegriß. Ehe Josuah Parker ihr zu Hilfe eilen konnte, kippte sie hintenüber. Allerdings hatte die ältere Dame noch Glück im Unglück. Sie lan dete rücklings auf dem nebenan vertäuten Boot und fand sich auf einem dicken Stapel von Segelplanen wieder, die ihren Sturz weich aufgefangen hatten. Wie ein riesiger Käfer strampelte die Detektivin hilflos mit den Beinen. Beschimpfungen ergossen sich über Parker, während er
Mylady aus ihrer mißlichen Lage befreite. Danach erst konnte er sich wieder McGriffin zuwenden, der prustend aus dem Wasser tauchte und laut um Hilfe rief. Gelassen ergriff Parker einen Rettungsring, der am Geländer des Bootssteges hing, und schleuderte ihn in McGriffins Richtung. Klatschend landete der rot und weiß lackierte Korkreifen auf dem Wasser. Schon nach, wenigen Schwimmstößen hatte McGriffin den Ring erreicht und klammerte sich daran fest. Ehe der Butler dem pu delnassen und vor Kälte mit den Zähnen klappernden Gangster boß auf die Bretter half, legte er ihm jedoch vorsichtshalber das zweite Paar Handschellen an, das er bei sich trug. »Sie sind verhaftet, Mister McPiffin«, verkündete Mylady trium phierend, doch laute Schreie unterbrachen sie. Hoch oben auf der Bordwand der gekenterten Yacht saß Sally Seymour und ruderte verzweifelt mit den Armen, als stände ihr das Wasser schon bis zum Hals. »Ich kann nicht schwimmen«, schrie sie. »So helft mir doch!« McGriffin, der bibbernd in seinen triefenden Kleidern auf dem Steg stand und stumpfsinnig auf seine Handschellen stierte, wür digte seine Freundin keines Blickes. Parker dagegen griff das Seil und begann, die Yacht, deren Motor inzwischen ausgesetzt hatte, zu sich heranzuziehen. »Sie sollten noch einen Moment Geduld aufbringen, falls dieser Ratschlag ge nehm ist, Miß Seymour«, rief er hinüber. »Man ist bereits be müht, Sie trockenen Fußes an Land zu bringen.« Wenig später war es geschafft, und Parker hatte die gekenterte »Pacific Star« so dicht an den Steg gezogen, daß Sally Seymour auf die rettenden Bretter hinüberspringen konnte. »Sie sind verhaftet, Mister McPiffin!« wiederholte Mylady nach dem glücklichen Abschluß der zweiten Rettungsaktion. »Und Sie auch, Miß Glamour!« »Möglicherweise sollte man Mister McGriffin die Gelegenheit ge ben, seine durchnäßte Kleidung zu trocknen«, schlug der Butler vor. »Falls meine bescheidene Wenigkeit sich nicht gründlich täuscht, müßte die Polizeiwache in Folkstone über einen Ofen und Wolldecken verfügen, so daß Mister McGriffin sich aufwärmen könnte.« »Ausnahmsweise haben Sie mal recht, Mister Parker«, willigte die Detektivin ein. »Meine Ermittlungen sind ja ohnehin abgeschlos
sen. Jetzt kann die Polizei sich ruhig mit dem Fall befassen.«
»Myladys Fahndungserfolge werden die königlichen Ordnungshü
ter vor Neid erblassen lassen, falls diese Anmerkung erlaubt ist«,
schloß Parker, und seine Herrin nickte geschmeichelt.
»Aber was das Wichtigste ist, Mister Parker«, verkündete Agatha
Simpson stolz. »Ich habe Ihnen von Anfang an gesagt, daß ich für
den Unfall keinen Penny bezahle. Und dabei bleibt es auch.«
ENDE Nächste Woche erscheint Butler Parker Band 332 Edmund Died richs PARKER, Fußball und Ganoven Lord Finton, einen weitläufigen Bekannten Myladys, plagen schwere Sorgen. Er ist Präsident eines Fußballclubs und wird von skrupellosen Erpressern bedroht, die Spieler seines Vereins, die nach der Saison gegen entsprechende Ablöse den Club wechseln wollen, in ihrer Gesundheit zu beeinträchtigen. Die Gangster dro hen, die Spieler so zuzurichten, daß sie ihren Beruf nicht mehr ausüben können. Damit wären sie für andere Clubs uninteressant und die Ablösesummen würden entfallen, auf die der Verein an gewiesen ist. In seiner Not wendet sich Finton an Mylady, von deren kriminalistischen Talenten er schon gehört hat. Doch sieht es zunächst so aus, als würden die Gangster die Ober hand behalten, und der Lord macht aus seiner Enttäuschung über Myladys »Versagen« keinen Hehl. Finton und die Gangster haben die Rechnung allerdings ohne ei nen gewissen Butler Parker gemacht, der wieder mal glänzend die Fäden zieht und die Ganoven überlistet. Gönnen Sie sich jede Woche BUTLER PARKER!