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PARKER bringt den „Weisen“ zur Vernunft Ein Roman von Günter Dönges Josuah Parker mißbilligte die rüden Manieren zweier gutgekleideter Männer, die einen dritten jungen Mann unsanft abdrängten, um ihn durch eine schmale Tür zu zerren. Der Butler haßte im Grund seines Herzens Gewalt und fühlte sich veranlaßt, vermittelnd einzugreifen. Es war reiner Zufall, daß er die Szene beobachten konnte. Er befand sich in der hell erleuchteten Eingangshalle eines Bürohauses und schaute sich hier einige Wandtafeln an. Dabei geriet sein Blick auch hinter ein solches Schauobjekt, und schon wurde er Augenzeuge einer unerquicklichen Situation. Parker – hochherrschaftlicher Butler, wie unzweifelhaft zu sehen war – trug einen schwarzen, korrekt geschnittenen Covercoat, eine schwarze Melone und hatte den ausdrucksvollen Bambusgriff seines Regenschirmes über den angewinkelten linken Unterarm gehängt. Er näherte sich der betreffenden Gruppe und nahm zur Kenntnis, daß die beiden jungen Männer ihr Opfer mit Fausthieben traktierten. Die Hauptpersonen: Glenn Basnick wird daran gehindert, nach seinem Bruder zu suchen. Martin Lockson versucht, Mylady eine Mitgliedschaft aufzuschwatzen. Judy Owens ohrfeigt einen Trainer und setzt sich kommentarlos ab. Ron Hulland nennt sich Ordensgründer und läßt sich als Weisen feiern. Ray Restless glaubt mit kleinen Taschenspieler-Tricks arbeiten zu können. Lady Agatha Simpson handhabt mit Genuß ein Schrotgewehr. Butler Parker zertrümmert einen Einweg-Spiegel und macht dahinter eine Entdeckung. »Die Herren dürfen überzeugt sein, daß meine Wenigkeit Ihre Methoden ablehnt«, sagte der Butler. »Würden Sie umgehend davon ablassen, den jungen Mann weiterhin zu schlagen?!«
Die angesprochenen Männer blickten Parker überrascht an. Sie hatten ihn im Eifer des Gefechts nicht bemerkt. Vielleicht hing es aber auch damit zusammen, daß Parker sich ihnen geschickt genähert hatte. Einer der beiden Fausttraktierer ließ das Opfer los und trat schnell auf den Butler zu. »Scheren Sie sich zum Teufel!« blaffte er. »Hauen Sie ganz schnell ab, Mann, sonst bekommen Sie hier Ärger!« »Sie haben die Absicht, den jungen Mann gegen seinen Willen durch die Tür zu schaffen?« fragte Parker. Er verfügte über tadellose Manieren und eine bemerkenswert höfliche Ausdrucksweise. »Dann eben nicht«, erboste sich der Mann und ließ seine Absicht erkennen, dein Butler mit einem Magenhaken zu Boden zu schikken. Er holte kurz zu einem trockenen, ansatzlosen Schlag aus und… jaulte dann betroffen. Seine vorschnellende Faust hatte die Wölbung von Parkers Kopfbedeckung getroffen und mußte zur Kenntnis nehmen, daß der Bowler außerordentlich schlagsicher war. Die Fingerknöchel hatten das zähe Stahlblech kennengelernt, mit dem die schwarze Melone ausgelegt war. Der zweite Gutgekleidete hörte den Schmerzenslaut seines Partners, wirbelte herum und ließ sein Opfer los, das ausgepumpt auf die Knie fiel und sich mit der rechten Schulter an die Wand lehnte. Der Schläger kam auf den Butler zu und blickte seinen stöhnenden Begleiter an. »Was… was ist los?« fragte er mit scharfer Stimme. »Man scheint sich die Fingerknöchel ein wenig geprellt zu haben«, erklärte Josuah Parker. »In diesem Zusammenhang empfiehlt sich die Überlegung, daß Übereifer nur schadet.« »Richtig«, gab der Mann zurück und wollte den Butler mit einem Handkantenschlag zu Boden strecken. Parker kam dieser Absicht jedoch zuvor und stach mit der Spitze seines eng gerollten Regenschirmes in die betreffende Armbeuge des Mannes. Nun jaulte auch er, ließ den Arm wie leblos fallen und staunte den Butler an. »Sie sollten meiner Wenigkeit glauben, daß man diesen Vorfall ungemein bedauert«, entschuldigte sich der Butler. »Die bescheidene Lähmung Ihres Armes dürfte sich übrigens recht bald wieder geben.« Parker kümmerte sich um den jungen Mann, der nach wie vor am Boden kniete und nach Luft rang.
»Darf man Ihnen Hilfe und Begleitung anbieten?« erkundigte sich Parker. »Vor dem Center steht ein Wagen, dem Sie sich durchaus anvertrauen können.« Während der Butler noch sprach, half er dem jungen Mann, der etwa fünfundzwanzig Jahre zählte, hoch und geleitete ihn dann um die Stellwände herum in die Ausstellungshalle zurück. Der Begleiter stützte sich indes schwer auf und hätte es ohne die Hilfe des Butlers sicher nicht geschafft. Der Zwischenfall war von den wenigen Gästen in der Eingangshalle nicht wahrgenommen worden, wie Parker inzwischen festgestellt hatte. Drei junge Menschen, ein Mann und zwei Frauen, standen vor einem Schreibtisch und unterhielten sich angeregt mit einem Angestellten des Hauses, der eindringlich auf sie einredete. Zwei ältere Männer beugten sich über eine Vitrine und schauten sich Ausstellungsstücke an. Eine Gruppe junger Frauen und Männer saß in einer Besucherecke und ließ sich von zwei Serviererinnen mit Getränken verwöhnen. »Ich… ich schaffs nicht«, stöhnte Parkers Begleiter und knickte in den Beinen ein. »Sie sind mit Sicherheit stärker, als Sie glauben«, meinte der Butler in gemessenem Tonfall. »Vertrauen Sie sich weiter meiner Wenigkeit an.« »Die… die fangen uns ab«, fürchtete sich der Begleiter. »Die machen uns fertig…« »Man soll die Dinge niemals unnötig dramatisieren«, lautete Parkers Antwort. »Für fast jedes Problem findet sich meist eine adäquate Lösung.« Während dieser Äußerung zerschlug der Butler mit dem Bambusgriff seines Universal-Regenschirms die Sicherungsscheibe eines Feuermelders, der an einer Säule angebracht war, und drückte dann mit der Spitze seines Schirms den roten Alarmknopf. Das Resultat war beeindruckend.
* »Das klingt ja alles recht einladend, Mister Parker«, sagte Agatha Simpson und lächelte wohlwollend. »Und wo finde ich jetzt diesen jungen Mann?«
»Meine Wenigkeit war so frei, ihn Mister Horace Pickett zu überantworten«, erwiderte der Butler. »Mister Pickett bietet Unterkunft und Sicherheit.« »Der gute Pickett«, gab die ältere Dame zurück. »Irgendwann sollte ich ihn wieder mal zum Tee einladen, Mister Parker. Erinnern Sie mich bei Gelegenheit daran.« »Wie Mylady zu wünschen geruhen.« Parker servierte seiner Herrin nach dem Dinner Mokka und Cognac. Man hielt sich in der großen Wohnhalle des zweistöckigen Fachwerkhauses in Shepherd’s Market auf. In dem altehrwürdigen Stadthaus residierte Lady Agatha und startete von hier aus ihre abenteuerlichen Kreuzzüge gegen die Kriminalität der Millionenstadt London. Agatha Simpson hatte das sechzigste Lebensjahr überschritten, wie man ihr unschwer ansah. Sie war groß, stattlich und verfügte über die Gesten einer Bühnen-Heroine. Sie hatte eine recht tiefe, weittragende Stimme und zeichnete sich durch ungeniertes Benehmen aus. Immens vermögend, konnte sie sich jede Extravaganz leisten und hielt sich für einen weiblichen Sherlock Holmes. Lady Agatha war bekannt dafür, daß sie in jedes nur erreichbare Fettnäpfchen trat und es für selbstverständlich hielt, daß man sich dafür entschuldigte und auch noch zurechtweisen ließ. Im Lauf der Jahre hatte sie noch immer nicht wahrgenommen, daß sie es ihrem Butler verdankte, wenn sie noch lebte. Darüber hinaus gingen ihre Erfolge im Aufklären von Kriminalfällen ausschließlich auf des Butlers Konto. »Was passierte denn, nachdem Sie den Alarmknopf auslösten, Mister Parker?« wollte sie wissen. »Eine hauseigene Sirene verursachte einen Lärm, Mylady, den man nur als ausgesprochen penetrant und infernalisch bezeichnen kann«, berichtete der Butler in seiner bekannt höflichen Art. Sein glattes Gesicht, das einem Pokerspieler alle Ehre gemacht hätte, zeigte keinen Ausdruck. »Um die allgemeine Verwirrung noch zusätzlich zu steigern, opferte meine Wenigkeit noch eine Miniatur-Nebelbombe, die eventuell Wartenden vor dem Eingang die Sicht nahm.« »Recht hübsch«, urteilte sie. »Vielleicht ein wenig zuviel Aufwand, Mister Parker, aber ich will da nicht richten und rechten… Wer ist nun dieses junge Individuum?«
»Mylady haben es mit einem gewissen Glenn Basnick zu tun«, gab der Butler Auskunft. »Er ist fünfundzwanzig Jahre alt, Angestellter und war auf der Suche nach seinem um drei Jahre jüngeren Bruder.« »Und was sagt mir das, Mister Parker?« Erste Skepsis war in Myladys Stimme zu vernehmen. »Laut Mister Glenn Basnick wurde sein jüngerer Bruder Dan quasi seelisch gekidnappt, um es mal so auszudrücken, Mylady.« »Aha.« Sie räusperte sich explosionsartig. »Und so etwas gibt es neuerdings, Mister Parker?« »Mister Glenn Basnick glaubt, daß sein jüngerer Bruder in die Netze und Fänge einer Sekte geraten ist, die ihn einer Gehirnwäsche unterzogen hat.« »Nun, das klingt schon wieder interessant, Mister Parker. Sie dürfen mir nachgießen. Ich denke, daß mein Kreislauf eine zusätzliche Anregung braucht.« Parker füllte Cognac nach. Die ältere Dame nickte fordernd, als Parker die Karaffe absetzen wollte. Dann, als sie zufrieden war, nahm sie den großen Schwenker und schnupperte intensiv am Inhalt. »Wie gut, daß ich dies alles unter Kontrolle habe, Mister Parker«, lobte sie sich. »Nehmen Sie sich daran ein Beispiel.« »Mylady sind auch auf diesem Gebiet ein leuchtendes Vorbild«, behauptete Josuah Parker, wobei sein Gesicht glatt und ausdruckslos blieb. »Um auf Mister Glenn Basnick zurückzukommen: Sein jüngerer Bruder dürfte dem »Orden der reinen Vernunft« beigetreten sein.« »Hatte ich so etwas nicht schon mal, Mister Parker?« Die passionierte Detektivin runzelte die Stirn. »Mit letzter Sicherheit, Mylady«, erwiderte der Butler. »Von Zeit zu Zeit kommt es immer wieder zu diversen Sektengründungen. Mylady setzten sich mehrfach überaus erfolgreich mit solchen Etablierungen auseinander und konnten kriminelle Drahtzieher zur Rechenschaft ziehen.« »Ich weiß, ich weiß.« Sie lachte leise, doch dieses Lachen füllte die große Wohnhalle voll aus. »Es gab da einige Subjekte, die die Dummheit ihrer Mitmenschen ausnutzten.« »Ob der sogenannte Orden der reinen Vernunft auch einer solchen Sekte zuzuordnen ist, Mylady, dürfte die nahe Zukunft erweisen.«
»Ich werde der Sache nachgehen, Mister Parker. Und warum wollte man nun diesen älteren Bruder niederschlagen?« »Nach seinen Worten wollte er die Polizei alarmieren«, gab Josuah Parker zurück. »Der jüngere Bruder sollte – mit Verlaub – weggeschafft werden.« »Der Abend hat gerade erst begonnen«, sagte Agatha Simpson und hob ihre majestätische Fülle aus dem übergroßen Ledersessel. »Ich werde mir das Center dieser Sekte umgehend ansehen, Mister Parker. Ich hoffe auf einen unterhaltsamen Abend.« »Den dürften Mylady mit einiger Sicherheit haben«, versprach der Butler. »Man könnte sich, wenn dieser Vorschlag genehm sein sollte, als Interessentin gerieren.« »Genau das, Mister Parker, wollte ich gerade sagen«, erklärte sie mit Nachdruck. »Und ich weiß bereits jetzt, daß ich sehr überzeugend sein werde.«
* Ihre sonore Stimme war laut und deutlich zu vernehmen. Lady Agatha stand in der Eingangshalle des Bürohauses und unterhielt sich mit einem Mann, der nach Parkers Einschätzung etwa vierzig Jahre zählte und sich als Martin Lockson vorgestellt hatte. »Was nutzt all’ mein Geld«, klagte Lady Simpson. »Sie wissen sicher nicht, was Leere ist, junger Mann. Das Leben erscheint sinnlos. Man steht morgens auf und weiß, daß man einen Tag vor sich hat, der nichts als Langeweile bringen wird. Man hat keinen Menschen, mit dem man sich auseinandersetzen kann, keine Freunde… Man weiß, daß es aus dieser Einsamkeit kein Entrinnen gibt und…« »Ich denke, wir können da helfen«, warf Martin Lockson ein. Er witterte die Möglichkeit, das Gespräch endlich an sich zu reißen. »Lassen Sie mich ausreden, junger Mann«, grollte Agatha Simpson prompt. »Wie wollen Sie mir helfen, wenn Sie nicht wissen, was eine Witwe wie mich bedrückt? Was soll ich mit meinem nicht gerade kleinen Vermögen? So, und jetzt sind Sie an der Reihe. Ich hoffe sehr, Sie haben mir etwas Vernünftiges zu sagen.« »Sie stehen an der Schwelle zu schweren psychischen Störungen«, behauptete Martin Lockson, der sich bei der knappen Vor-
stellung als Trainer bezeichnet hatte. »Sie brauchen eine Aufgabe. Sie müssen Ihr Selbstbewußtsein wiederfinden, Madam…« »Und wie soll das geschehen?« Lady Agatha, die sich einen leicht ausgefransten Fuchs um die Schultern gelegt hatte, saß in einer Art Regiestuhl in der Fensterecke, und spielte glaubhaft die Rolle der einsamen Frau. Die vielen Ringe an ihren Fingern, die Perlenkette am Hals und die beiden Broschen an den Revers ihres Tweed-Kostüms sagten aus, daß sie nicht ganz unbemittelt war. Parker saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums, wie sein Privatwagen genannt wurde. Es handelte sich dabei um ein ehemaliges, recht betagt aussehendes Taxi, das einen Ehrenplatz in einem Museum für Technik und Verkehr verdient hätte. Der so antiquiert aussehende Wagen war allerdings nichts anderes als die raffinierte Tarnung für High-Tech in Reinkultur. Unter der ekkigen Motorhaube wartete ein Rennmotor nur darauf, seine Pferdestärken zeigen zu dürfen. Und mit dem wirklich fragwürdig aussehenden Bordradio war man in der Lage, die Sendung einer elektronischen Wanze aufzufangen, die die ältere Dame trug. Auf diese Weise konnte der Butler jedes Wort mitverfolgen. Er hatte seinen Wagen gegenüber dem Center des »Ordens der Weisheit« am Straßenrand abgestellt und benutzte ein lichtstarkes Nachtglas, um sich auch optisch informieren zu können. Martin Lockson war damit beschäftigt, Mylady zu erklären, daß man zuerst eine seelische Entschlackung vorzunehmen habe. Über gewisse Stufen der inneren Einkehr und der allgemeinen Erkenntnis erreiche man dann früher oder später das Tor zur reinen Vernunft und Erkenntnis. »Das hört sich teuer an, junger Mann«, antwortete die ältere Dame. »Es ist teuer, Madam«, lautete die verblüffende Antwort. »Nur bittere Medizin wirkt, wie man weiß. Der Grundkurs, der als Einführung gedacht ist, kostet fünfhundert Pfund.« »Gütiger Himmel«, seufzte Lady Simpson entsetzt. Und sie meinte es ernst. »Sie bekommen dieses Geld von jeder Bank als persönlichen Kleinkredit«, wußte Martin Lockson genau. »Aber rufen Sie besser die doppelte oder auch dreifache Summe ab. Sie werden sie brauchen, das lehrt die Erfahrung.«
Er sprach wie beiläufig und drang nicht sonderlich auf sie ein. Er verhielt sich, als sei er im Besitz der letzten Wahrheit und wundere sich sehr, daß man überhaupt noch Fragen stellte. »Muß ich Anträge ausfüllen und Unterschriften leisten?« fragte Agatha Simpson, die sich beeindruckt zeigte. »Anträge und Unterschriften«, bestätigte der Weisheits-Trainer und lächelte milde. »Sie können gleich drüben im Schreibzimmer einen entsprechenden Kreditvertrag unterschreiben. Das alles haben wir durchorganisiert. Anschließend werde ich Sie Ihrem Tutor vorstellen.« »Meinem was, junger Mann?« Sie runzelte die Stirn, wie Parker durch das Fernglas deutlich sah. »Ihrem Lehrer, Erzieher oder auch Beschützer«, übersetzte Martin Lockson geduldig. »In wenigen Monaten werden Sie ein völlig neuer Mensch sein, gute Frau, frei und selbstbewußt. Sie werden gelernt haben, dem >Orden der reinen Vernunft< zu dienen und darin Ihre innere Zufriedenheit finden.« »Gibt es vielleicht auch so etwas wie ein Kloster?« wollte Lady Simpson wissen. »Die Insel der Kontemplation«, gab der Trainer der Weisheit zurück, »daran arbeiten wir zur Zeit. Und wir stehen dicht vor dem Abschluß dieser stillen Stätte der inneren Schau und Versunkenheit.« »Und was bekomme ich dort?« drängte die ältere Dame. »Die letzte Glückseligkeit«, versprach Martin Lockson. »Aber billig wird dies nicht sein. Der Weise unseres Ordens läßt sich nur auf Menschen ein, die ihre Großzügigkeit bis zur materiellen Selbstaufgabe betreiben.« »Wer also Geld hat, schafft es, sonst klappt es nicht, wie?« In Lady Simpsons Stimme kam Farbe, wurde Ärger hörbar. »Mit Geld schafft man es schneller, ins Zentrum zu gelangen, denn wer Materielles aufgibt, der beweist, wie innerlich reifer ist. Wer nichts preisgeben kann, braucht einen längeren Weg der inneren Schau.« »Und wo finde ich nun Ihren Weisen, junger Mann?« lautete die nächste Frage der Detektivin. »Er ist hier, auch wenn wir ihn nicht sehen, gute Frau«, sagte der Trainer der Weisheit. »Ich bin sein Sprachrohr und seine Waffe zugleich.« »Nur Sie allein?« vergewisserte sich Lady Agatha.
»Wir sind viele Wächter«, antwortete er. »Wir achten darauf, daß kein Suchender vom Weg abirren kann. So, und nun sollten wir ins Schreibzimmer gehen, gute Frau. Wenn Sie wollen, kann bereits heute noch Ihr neues und besseres Leben beginnen.« »Ich werde mir das alles sehr gründlich überlegen«, sagte Lady Simpson und zögerte. »Gut, ich habe immerhin hundertzehntausend Pfund geerbt, aber…« »Was bedeutet schon Geld, wenn man innerlich hohl und leer ist?« fragte Martin Lockson zurück, worauf die altere Dame nickte. »Sie sollten sich mit Suchenden in unserem Entspannungsraum unterhalten«, schlug der Wächter nun weiter vor. »Genießen Sie die Harmonie der inneren Befreiung.« »Vielleicht später«, gab Agatha Simpson zurück. »Jetzt werde ich erst mal irgendwo chinesisch essen, junger Mann. Aber Sie können mir Schrifttum mitgeben.« »Sehr gern«, meinte Martin Lockson. »Ich lege Ihnen unser Programm ans Herz. Es kostet in Form eines Taschenbuches nur vier Pfund.« »Ich dachte eigentlich mehr an eine kostenlose Werbezeitschrift.« »Qualität hat ihren Preis«, lautete die Antwort. »Der >Orden der reinen Vernunft< bietet keine Dutzendware an, gute Frau.« »Nun denn«, meinte Mylady gequält. »Ich benötige aber eine Quittung für die Steuer. Ich werde Ihren Grundkurs selbstverständlich als Fachliteratur absetzen.«
* Josuah Parker wartete auf die Rückkehr seiner Herrin. Sie war hinter einer Stellwand verschwunden, und Parker rechnete damit, daß sie nun vorn im Eingang erscheinen würde. Er hatte das Bordradio bereits abgeschaltet und nahm ohne jede Hast den Kopf zur Seite, als gegen die Seitenscheibe des Wagens geklopft wurde. Gleichzeitig versuchte man, die Wagentür zu öffnen. Dies erwies sich allerdings als unmöglich, denn der Butler hatte selbstverständlich sämtliche Türen von innen zugeriegelt. Er hielt nichts davon, wenn ungebetene Gäste zustiegen, was immer wieder versucht wurde.
»Schnell, machen Sie auf!« drängte ein etwa dreißigjähriger Mann. Er machte einen gehetzten Eindruck und blickte sich scheu um. »Zu Ihren Diensten«, gab Parker zurück. »Bedienen Sie sich freundlicherweise der hinteren Wagentür.« Der Dreißigjährige reagierte umgehend, öffnete und schlüpfte in den Fond des Wagens. Er ließ sich in die Polster fallen, atmete tief durch und langte dann eindeutig nach einer Waffe, die er offensichtlich in einer Schulterhalfter trug. Er zog sie – es handelte sich um eine schallgedämpfte Automatic – und beugte sich wieder vor, um sie auf den Butler zu richten. Parker hatte allerdings längst entsprechend reagiert und einen der vielen Kipphebel auf dem damit reichhaltig ausgestatteten Armaturenbrett bewegt. Daraufhin schoß eine Trennscheibe aus der Versenkung blitzartig nach oben und schirmte die beiden Vordersitze vom Wagenfond ab. Der Zugestiegene stutzte und brauchte drei Sekunden, bis er begriffen hatte. Dann aber reagierte er gereizt. »Runter mit dem Ding«, verlangte er lautstark, »oder ich verpaß dir ‘ne Ladung.« »Sie brauchen Ihre Stimme keineswegs zu heben«, meinte der Butler. »Selbstverständlich verfügt man über eine bordinterne Sprechanlage. Und was Ihren geplanten Schuß betrifft, so sollten Sie zur Kenntnis nehmen, daß Sie es mit einer Panzerscheibe zu tun haben, die jedem Schuß widerstehen dürfte.« Der Fremde ließ die Waffe sinken, schaltete und dämpfte seine Stimme, die nun um Vertrauen warb. »Entschuldigung«, gab er zurück, »aber ich bin völlig durcheinander… Ich werde nämlich verfolgt und…« Er wollte umgehend aussteigen und betätigte den Türgriff, doch Parker hatte erneut die Zentralverriegelung bedient und die Türen blockiert. Der Dreißigjährige warf sich wütend mit der Schulter gegen die Tür, die sich natürlich um keinen einzigen Millimeter bewegte. »Was soll das?« fragte der Mann laut. »Lassen Sie mich raus! Ich will Ihnen keinen Ärger machen und…« »Sie sind herzlichst willkommen«, meinte der Butler. »Sie werden von wem verfolgt, wenn man fragen darf?« – »Schon gut«, erwiderte der Dreißigjährige. »Das ist zu kompliziert, um es Ihnen zu
erklären. Lassen Sie mich schleunigst raus, sonst handeln Sie sich Ärger von diesen Leuten ein.« »Selbstverständlich wird man Sie auf keinen Fall Ihren Gegnern und Verfolgern überlassen«, erwiderte Josuah Parker gemessen. »Dies gebietet allein schon die Höflichkeit. Zudem, meine Wenigkeit muß es gestehen, scheint die Zentralverriegelung einen Defekt zu haben.« Was natürlich keineswegs stimmte. Als Lady Agatha nämlich wenige Augenblicke später am Wagen erschien, vermochte Parker durchaus, die Beifahrertür zu öffnen. Die ältere Dame schob ihre Fülle in das hochbeinige Monstrum und blickte beiläufig auf den potentiellen Mitfahrer. »Ich hoffe doch sehr, Mister Parker, daß Sie einen Lümmel gefangen haben, der mir etwas zu gestehen hat«, sagte sie. »Aber alles zu seiner Zeit. Nun brauche ich erst mal einen Imbiß. Und mit Sicherheit auch etwas für meinen angegriffenen Kreislauf.«
* »Ich werde doch hoffentlich verfolgt, Mister Parker, oder?« Lady Agatha saß behäbig auf dem Beifahrersitz und hörte sich ihre Unterhaltung mit dem Trainer und Wächter namens Martin Lockson an. Der Butler hatte dieses Gespräch aufgezeichnet. »Ich bin erstaunlich gut«, meinte sie, nachdem der Butler das Gerät später abgestellt hatte. »Haben Sie mitverfolgt; wie ich dem naiven Lümmel die Würmer aus der Nase gezogen habe, Mister Parker?« »Myladys Fragetechniken sind nicht zu kopieren«, antwortete der Butler. »Der >Orden der reinen Vernunft< dürfte übrigens an Kreditverträgen interessiert sein. Mylady konnten solch einen Vertrag abschließen?« »Ich habe die Kopie bei mir«, gab die ältere Dame zurück. »Es geht um einen Betrag von tausend Pfund. Aber, ich habe mir natürlich ein Rücktrittsrecht einräumen lassen.« »Mylady können innerhalb einer bestimmten Frist vom Vertrag zurücktreten?« »Innerhalb einer Woche«, bestätigte Agatha Simpson. »Und ich werde natürlich von meinem Recht Gebrauch machen, Mister Parker.«
»Mylady würden sich freiwillig niemals von tausend Pfund zu trennen vermögen«, wußte der Butler. »Schon gar nicht für eine „Anleitung zur inneren Sammlung.« »Das will ich meinen!« Sie nickte und lächelte grimmig. »Und wer ist nun dieses Subjekt hinten im Fond?« »Man sollte davon ausgehen, daß es sich um ein Mitglied des Vernunft-Ordens handelt, das auf meine Wenigkeit angesetzt wurde«, vermutete Parker. »Und warum das, Mister Parker?« Die ältere Dame bewegte ihre Fülle und warf einen Blick auf den Fahrgast, der sich in sein Schicksal ergeben zu haben schien. »Möglicherweise wurde meine Wenigkeit beobachtet, als man Myladys Aktivitäten im Center des Ordens verfolgte.« »Dieser Orden ist eine kriminelle Vereinigung, wie?« »Ein solcher Beweis müßte erst angetreten werden, Mylady«, lautete die Antwort des Butlers. »Selbstverständlich wird Myladys Fahrgast ableugnen, im Dienste des Ordens zu stehen.« »Ich benötige Material über diese Sekte«, verlangte die Detektivin. »Nutzen Sie all meine Verbindungen, Mister Parker. Ich weiß bereits jetzt, daß ich es mit einem neuen Kriminalfall zu tun habe.« »Dem möchte meine Wenigkeit auf keinen Fall widersprechen«, erwiderte Josuah Parker. »Inzwischen hat sich ein Verfolger herauskristallisiert, wenn man es so ausdrücken darf.« »Das beruhigt mich sehr«, gab sie zurück und lächelte wohlwollend. »Man will mich natürlich aus dem Weg räumen, denke ich.« »Oder herausfinden, wer Mylady sind«, schränkte Josuah Parker ein. »Es dürfte den Wächtern des Ordens kaum entgangen sein, daß Mylady dieses Gefährt hier bestiegen.« »Dann wird man sich bald sehr wundern«, verkündete sie. »Was habe ich momentan vor, Mister Parker? Ich hoffe doch, daß Ihnen dazu einiges eingefallen ist.« »Mylady finden es sicher recht reizvoll, sich mit einem der Wächter zu unterhalten«, tippte der Butler an. »Vielleicht ist dann einiges über die Strukturen der Organisation in Erfahrung zu bringen.« »Sie nehmen mir das Wort von den Lippen«, behauptete die ältere Dame schon fast automatisch. »Um was für einen Verfolger handelt es sich übrigens, Mister Parker? Hoffentlich haben Sie sich nicht getäuscht.«
»Mylady haben es mit einem kleinen Vauxhall zu tun«, gab der Butler Auskunft. »In diesem Wagen sitzen zwei Männer, wie es üblich zu sein scheint.« »Zwei Mörder also«, urteilte die passionierte Detektivin und nickte nachdrücklich. »Man will mich auf jeden Fall aus dem Wegräumen. Ich werde für die Unterwelt von Woche zu Woche immer gefährlicher, Mister Parker.« »Mylady pflegen Angst und Schrecken auszulösen, wo immer Mylady zu erscheinen geruhen«, antwortete Parker mit großem Ernst. Sein Gesicht zeigte dabei nicht die Spur eines Ausdrucks.
* Vom ehemaligen Container-Umschlagplatz war nur eine Betonfläche zurückgeblieben, die von rostigem Maschendraht, Bretterzäunen und einigen Baracken gesäumt wurde. Parker hatte diesen Platz absichtlich gewählt, um sich mit den Vauxhall-Benutzern auseinanderzusetzen. Hier war man nämlich unter sich. Die Sanierung des Stadtteils Wapping war noch nicht bis in diese einsame Region vorgedrungen. Die beiden Männer im Verfolgerwagen erwiesen sich als recht bieder, wie Parker fand. Sie machten überhaupt keinen Versuch, unsichtbar zu bleiben. Sie hatten inzwischen dicht aufgeschlossen und setzten wohl darauf, daß das Objekt ihrer Verfolgung nervös wurde und Fehler beging. Parker konnte es nur recht sein, wenn die beiden jungen Männer so dachten. Sie sahen übrigens recht ordentlich aus, trugen Straßenanzüge und Krawatten. Daß sie Waffen mit sich führten, lag für den Butler auf der Hand. »Erteilen Sie diesen Subjekten eine möglichst herbe Lektion!« verlangte Lady Agatha, die sich gerade wieder ein wenig mühsam umgewandt hatte. Dabei warf sie einen Blick auf den Fahrgast im Fond. Der Dreißigjährige hatte natürlich die beiden Verfolger längst ausgemacht und versprach sich davon sicher die baldige Befreiung. Er wirkte nervös und schien es kaum abwarten zu können, bis er sich mit seinen Entführern endlich auf seine Weise befassen konnte.
Parker hatte das einfache Drahttor längst hinter sich gelassen. Es war ohnehin schon zerstört und plattgewalzt worden. Parker hielt mit seinem hochbeinigen Monstrum auf eine abgewrackte Barakke zu und sorgte dafür, daß aus dem Auspuff eine schwarze Ölwolke schoß, die den baldigen Exitus des Motors andeutete. Er minderte die Fahrt und wußte bereits im vorhinein, daß die beiden Verfolger auf den schon oft angewandten Trick hereinfallen würden. Die Ölwolke war von ihm künstlich beigemischt worden. Dazu lieferte ein Lautsprecher unter dem Wagenheck ein starkes Stottern und das Knattern von Fehlzündungen. Damit war im übertragenen Sinn des Wortes das Eis gebrochen. Die beiden Verfolger im Vauxhall sahen sich bereits als Sieger auf der ganzen Linie und wollten die Sache nun möglichst schnell hinter sich bringen. Sie holten auf und schoben sich an Parkers Gefährt heran. Der Beifahrer zeigte dem Butler einen Revolver und deutete mit dem Lauf nach rechts. Parker sollte abbiegen und dann vor einer Bauruine anhalten. Der Butler hielt sich an den Wunsch des Beifahrers, gab aber plötzlich Gas und schlug einen Haken. Das modifizierte Fahrwerk seines Wagens paßte sich diesem Haken willig an und ließ diesen Schlenker gerade noch zu. Der Fahrer des Vauxhall reagierte augenblicklich und mutete dem Fahrwerk seines Wagens allerhand zu. Der Wagen brach mit dem Heck aus, schleuderte und krachte mit dem Kofferraum gegen einen Betonpfeiler, dem Parker eine besondere Rolle zugedacht hatte. Der Vauxhall wurde zusätzlich hart genommen, drehte sich um seine Längsachse und kollidierte dann mit dem Kühler mit einem Stapel verrosteter Eisenträger, die abmontiert waren und zum Abtransport bereitlagen. Damit war der Vauxhall endgültig überfordert. Aus dem Kühler stieg zischend eine Dampfwolke, die das karge Licht der Notbeleuchtung an der Zufahrtsstraße zusätzlich einnebelte. Der rechte Scheinwerfer war zerbrochen, die Rücklichter waren nicht mehr vorhanden. Die Benutzer des völlig demolierten Wagens stiegen fast gleichzeitig aus dem Vauxhall und wollten sich verständlicherweise und voller Zorn auf den Fahrer des hochbeinigen Monstrums konzentrieren.
Doch da passierten Dinge, die die beiden Männer später immer wieder diskutierten. Der erste von den Fahrern blieb plötzlich stehen, als wäre er zu einer Salzsäule erstarrt. Erst nach etwa anderthalb Sekunden sackte der Mann haltlos in sich zusammen wie eine schlaffe Gliederpuppe. Der zweite Mann, der sich in Deckung bringen wollte, faßte während der Abtauchphase nach seiner Stirn, fiel dann steif nach hinten und blieb mit dem Rücken in einer seichten Pfütze liegen. »Wahrscheinlich zwei Glückstreffer«, mokierte sich Lady Simpson, als Josuah Parker seine High-Tech-Gabelschleuder in einer der inneren Manteltaschen seines schwarzen Covercoats verschwinden ließ. In der Handhabung dieses Geräts war er Meister. Lautloser konnte man mit solch einer Schleuder keine Gegner außer Gefecht setzen. Zur Behauptung der älteren Dame äußerte der Butler sich übrigens nicht. Er war schließlich auch Meister im Weg- und Überhören.
* »Das werden Sie noch bereuen«, meinte einer der beiden Vauxhall-Fahrer wütend. Er blickte ausgesprochen mißtrauisch in den Kofferraum des hochbeinigen Monstrums, in dem es zwei Ablagen gab. Parker hatte ihn gerade höflich gebeten, in das obere Fach zu steigen. »Sie sollten davon ausgehen, daß Mylady energisch nachhelfen werden, falls Sie sich weigern«, warnte der Butler den jungen Mann, der um die Fünfundzwanzig zu sein schien. Während Parker sprach, deutete er mit der Spitze seines eng gerollten Schirmes auf Lady Simpson, die gerade eine Hutnadel aus ihrer skurril anmutenden Kopfbedeckung gezogen hatte. Diese Nadel war einem kleinen Bratspieß ähnlich, wie der Fünfundzwanzigjährige wohl dachte. Er hüstelte kurz und suchte dann schleunigst das ihm zugewiesene Fach auf. Parker leistete diskrete Hilfe, denn die Handgelenke des Zusteigenden wurden von einer sogenannten Einwegfessel aus Plastik zusammengehalten. Dabei handelte es sich um einen Plastikstrei-
fen, der etwa anderthalb Zentimeter breit und fünfzig Zentimeter lang war. Dieser Streifen wurde um die Handgelenke einer Person geschlungen und durch einen einfachen, aber ungemein wirkungsvollen Verschluß gezogen, der selbst wütendes Aufzerren unmöglich machte. Je fester man an einer solchen Fessel riß, desto enger schloß sie sich zusammen. Glasfaserverstärkt war eine Wegwerffessel nur mit einem starken Seitenschneider aufzutrennen. Der Fünfundzwanzigjährige lag über seinem Partner, der in der unteren Ablage hatte Platz nehmen müssen. Beide VauxhallBenutzer machten einen verkniffenen Eindruck, denn sie hatten sich den Ausgang der Verfolgung ganz anders vorgestellt. Parker hatte die beiden jungen Männer keineswegs unterschätzt, die mit Revolvern aufgetreten waren und sie auch sicher benutzt hätten, wenn sich eine Gelegenheit geboten hätte, Persönliche Papiere hatten die Männer nicht, ebenfalls ein Zeichen dafür, daß man sich als Profi fühlte. Parker schloß den Kofferraum und begab sich zurück zu Lady Agatha, die den Vauxhall musterte. »Er wurde sicher gestohlen, Mister Parker«, meinte sie. »Mylady rechnen aber auch damit, daß dieser Wagen einem der beiden Männer oder sogar dem > Orden der reinen Vernunft< gehört.« »Selbstverständlich rechne ich damit«, grollte sie umgehend. »Und warum tue ich das, Mister Parker? Ich werde doch sicher einen bestimmten Grund dafür haben.« »Die Verfolger hatten vermutlich kaum Zeit, sich einen Wagen zu verschaffen, nachdem Mylady dort zustiegen.« Parker deutete mit der Spitze seines Universal-Regenschirms auf das hochbeinige Monstrum. »Das genau ist der Grund«, meinte sie und lächelte wohlwollend. »Ich höre, Mister Parker, daß Sie sich Gedanken gemacht haben. Sehr gut, weiter so!« »Mylady verstehen es immer wieder, die Gedanken meiner bescheidenen Wenigkeit zu beflügeln«, gab der Butler in seiner unverwechselbaren Gelassenheit und Höflichkeit zurück. »Man könnte jetzt dem Ort des Geschehens’ den sogenannten Rücken kehren.« »Und irgendwo einen nächtlichen Imbiß nehmen«, setzte die ältere Dame hinzu. »Ich werde mir Zeit lassen und diese Lümmel im
Wagen erst mal zum Schmoren bringen. Kennen Sie ein hübsches Restaurant, wo man preiswert und dennoch hervorragend essen kann?« »Gewisse Betreiber von speziellen Restaurants werden es sich zur Ehre anrechnen, Mylady kostenfrei bewirten zu dürfen«, erwiderte der Butler, ohne daß sich seine Pokermiene verzog. »Ausgezeichnet«, freute sich die ältere Dame und lächelte wohlwollend. »Ich überlasse es Ihnen, wen ich zuerst mit meiner Anwesenheit beehre, Mister Parker. Überraschen und verwöhnen Sie mich!«
* Der schmale, mittelgroße Mann hieß Ernie Mallison und bewirtschaftete im östlichen Teil von Soho ein Restaurant, in dem man sich an Fischgerichten aller Art delektieren konnte. Als Parker mit Lady Simpson das kleine Lokal betrat, wieselte Mallison um die Theke herum und begrüßte überschwenglich den Butler. Anschließend widmete er sich Lady Agatha und stellte mit ihr einen sogenannten kleinen Imbiß zusammen. Sie nickte zustimmend, als er von Garnelen in Sherry, einem Seezungen-Filet und dann noch von einem Stückchen Haselnußtorte sprach. Dazu wollte er entsprechenden Wein reichen. »Völlig einverstanden, mein Bester«, sagte die ältere Dame, »bis allerdings auf eine Kleinigkeit.« »Mylady haben noch einen zusätzlichen Wunsch?« fragte Mallison. »Kein Stückchen Haselnußtorte, mein Guter«, korrigierte sie, »ein richtiges Stück, damit gar nicht erst ein Mißverständnis aufkommt.« Der Restaurant Betreiber lächelte begeistert und wollte sich entfernen, als Parker ihn nach dem »Orden der reinen Vernunft« fragte. »Sie meinen diese Leute mit dem Weisen?« kam prompt die Gegenfrage. »Dieser angebliche Weise soll dem Orden vorstehen«, bestätigte der Butler »Das Center des Ordens befindet sich hier in Soho, genauer gesagt in Bloomsbury.«
»Ich kenne ein paar von diesen Leuten«, meinte der Restaurateur und dämpfte unwillkürlich die Stimme. »Die essen hier manchmal und wissen sehr genau, was gut ist.« »Demnach dürfte es sich nicht um normale Ordensmitglieder handeln, Mister Mallison.« »Nein, nein, die haben Geld… Und die geben’s auch aus…« Mallison lächelte. »Das sind Spitzenleute vom Orden.« »Sollten diese Personen hier in der Nähe wohnen?« tippte der Butler an. Mit solch erfreulicher Auskunft hatte er nicht gerechnet. Er hatte eigentlich nur aus reinem Pflichtgefühl nach dem Orden gefragt, um sich später keine Vorwürfe machen zu müssen. »Der Orden hat ein paar Blocks weiter in Bloomsbury ein Apartment-Hotel gekauft«, wußte der Betreiber des Lokals. »Die haben den verkommenen Laden toll aufpoliert und auf Vordermann gebracht, Mister Parker. Geld kann dabei keine Rolle gespielt haben.« »Kunststück bei diesen horrenden Kursgeldern«, mokierte sich die ältere Dame. »Sie könnten mir übrigens vorab einen leichten Thunfisch-Salat mit Artischockenherzen bringen, mein Bester. Ich möchte meinen Magen einstimmen.« Mallison ging, und Lady Agatha musterte ungeniert ihre nähere Umgebung. »Ein recht solides Publikum«, stellte sie fachmännisch fest. »Gediegene Atmosphäre, Mister Parker.« »Mylady dürften augenblicklich von einigen hundert Jahren Gefängnis umgeben sein«, vermutete der Butler in seiner höflichen Art. »Die Damen und Herren an den benachbarten Tischen gehören fast ausnahmslos der sogenannten Szene an, wie Mylady natürlich längst bemerkt haben.« »So etwas sieht man auf den ersten Blick«, behauptete sie und deutete mit ihrer Stielbrille ungeniert auf einen mittelgroßen, etwa fünfundvierzigjährigen Mann, der an einem Zweiertisch am Tresen saß und Crevetten knackte. »Der typische Unterweltler, Mister Parker«, meinte sie und lächelte. »Man sieht es ihm schon allein im Gesicht an. Wieviel Jahre hat dieses Subjekt hinter sich? Schätzen Sie mal!« »Mylady können davon ausgehen, daß Detektiv-Sergeant Clings schon etwa zwanzig Jahre Dienst tut«, gab Parker Auskunft.
»Er ist ein… Kriminalbeamter?« fragte Agatha Simpson ein wenig pikiert, fing sich dann aber wieder und lächelte. »Irgendwie sieht man’s ihm an, nicht wahr? Er fiel mir sofort auf.« »Wer vermag schon Mylady zu täuschen?« fragte der Butler. »Sergeant Clings dürfte keineswegs privat hier sein.« »Er beschattet einen Täter?« Ihre Neugier war geweckt. »Wahrscheinlich das Paar unterhalb des an der Wand angebrachten Fischernetzes«, vermutete Parker. »Mister Clings übersieht es fast schon zu unauffällig, obwohl das Paar sich ein wenig streiten dürfte.« »Man kann sein Desinteresse förmlich spüren«, sagte Lady Agatha. »Dieses Paar fiel mir sofort auf.« Sie hatte den Satz gerade beendet, als die junge, recht attraktiv aussehende Frau, die etwa dreißig Jahre alt war, ihren Tischpartner nachdrücklich ohrfeigte. Der Getroffene sprang auf und holte umgehend zum Gegenschlag aus. Die junge Frau warf sich zurück, um der ihr zugedachten Ohrfeige zu entgehen, und stieß dabei gegen einen kleinen Beistelltisch. Bevor sie aber zu Boden ging, stand der Butler bereits hinter ihr und fing sie auf. Er hatte sich derart schnell, aber auch unauffällig bewegt, daß Lady Agatha sich wunderte, Parker jetzt dort zu sehen. »Entschuldigen Sie freundlichst die gute Absicht, die möglicherweise ein wenig ungelenk ausgefallen ist, Madam«, sagte er und lüftete die schwarze Melone. »Wo… woher kommen denn Sie?« reagierte die junge Frau verdutzt. »Meine Wenigkeit befand sich rein zufällig in der Nähe«, schwindelte Parker. »Sie müssen sich der Zudringlichkeit Ihres Begleiters erwehren?« »Mann, hauen Sie ab, aber schnell!« forderte der Tischpartner der jungen Frau sein höfliches Gegenüber auf. »Kann man davon ausgehen, daß Sie auf Ihre Absicht verzichten werden, die Dame zu schlagen?« wollte der Butler wissen. »Das geht Sie einen Dreck an«, fauchte der Mann, der auch um die Dreißig sein mußte. »Gehen Sie ganz schnell, bevor ich ausraste!« »Aber die Herrschaften…«
Ernie Mallison war aufgetaucht und rang die Hände. Er wollte vermitteln und handelte sich einen Fausthieb des Dreißigjährigen ein. Mallison verlor dabei ein Tablett, auf dem unter anderem der angekündigte Thunfisch-Salat stand. Die Köstlichkeit wirbelte durch die Luft und landete auf der Hemdbrust eines vierschrötigen Mannes, der daraufhin leicht gereizt wirkte und aufstand. Mylady war nicht weniger gereizt, denn sie hatte sich auf diesen Salat intensiv gefreut. Sie holte deshalb mit ihrem perlenbestickten Pompadour schwungvoll aus und legte ihn auf die rechte Rippenpartie des Dreißigjährigen. Und die Folgen blieben nicht aus…
* In dem kleinen, eigentlich recht harmlos aussehenden Handbeutel der älteren Dame befand sich der sogenannte Glücksbringer. Dabei handelte es sich um das massive Hufeisen eines Brauereipferdes. Nur oberflächlich ummantelt mit dünnem Schaumstoff, war es in Myladys Hand eine Schlagwaffe, die einem mittelalterlichen Morgenstern glich, zumal der Pompadour an langen Lederschnüren hing, die diskret mit Stahldrähten verstärkt waren. Der Dreißigjährige, der den Thunfisch-Salat so leichtfertig auf die Hemdbrust des Muskulösen befördert hatte, ächzte laut, als sein Brustbein von den geprellten Rippen leicht nach außen gedrückt wurde. Der Mann verdrehte die Augen und fiel dann auf den gereizten Muskelträger, der sich gerade anschickte, eine lange Rechte abzuschießen. Der Schlag wurde im Keim erstickt. Beide Männer lagerten sich auf einem leichten Beistelltisch und gingen mit ihm zu Boden. Damit wurde ein allgemeines Tohuwabohu ausgelöst. Bisher völlig unbeteiligte Gäste vergaßen ihre wahrscheinlich nicht voll entwikkelte gute Erziehung, witterten eine hübsche Abwechslung und stiegen in den Ring - Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis man sich wechselseitig verprügelte und dabei erstaunliche Fähigkeiten entwickelte, was den Nahkampf betraf. »Man sollte vielleicht eine gewisse Deckung nehmen«, schlug der Butler Lady Agatha und der jungen Frau vor. Parker hob einen
Sektkühler hoch, als ein Gast mit der Faust zustieß, und schickte die krachende Rechte ins gestoßene Eis des Kühlers. Dabei ließ der Butler natürlich den chromglänzenden Behälter los, der sich raketenartig beschleunigte und ein Wandregal ansteuerte, in dem Flaschen untergebracht waren. Während sie zerbarsten oder zu Boden fielen, baute der Schläger sich auf und nahm Maß, was den Butler betraf. Er wollte sich für die so jäh abgekühlte Faust auf seine Art revanchieren. »Mit Ihrer Erlaubnis!« Parker lüftete höflich die schwärze Melone und stach mit der Spitze seines Universal-Regenschirmes gezielt zu. Er traf den Solarplexus des Kampflustigen, der daraufhin plötzlich ohne Atemluft war und verzweifelt den Mund aufriß. Nachdem Parker die Schirmspitze auf die linke Schuhspitze des Mannes gesetzt und dort einige Zehen animiert hatte, sog der Betroffene scharf die Luft ein und brüllte. Danach schleppte er sich zu einem noch aufrecht stehenden Barhocker und rutschte an ihm in Richtung Boden hinab. Dabei bedachte er den Butler mit dem weidwunden Blick einer getroffenen Kreatur. »Sie werden sich mit Sicherheit erholen«, beruhigte Parker den Muskulösen und wehrte dann mit einem Tablett, das sich wie durch Zauberei plötzlich in seinen schwarz behandschuhten Händen befand, ein Wurfgeschoß in Form eines schweren Bierkruges ab. Danach gelang es ihm, die beiden Frauen in einen Korridor hinter dem Tresen zu drängen. »Keine Angst, meine Liebe«, beruhigte Agatha Simpson die Dreißigjährige. »Sie stehen längst unter meinem Schutz.« »Darf man fragen, ob der Geohrfeigte Ihnen mehr oder weniger nahesteht?« wollte Josuah Parker wissen. »Steve Latting soll mir nahestehen?« Die junge Frau lachte gekünstelt und zugleich gequält. »Das fehlte noch! Diese Ratte würde ich am liebsten umbringen.« »Sie haben es immerhin bereits mit einer Ohrfeige versucht, die nicht nur angedeutet war«, meinte der Butler. »Wissen Sie, was er mir vorgeschlagen hat?« Ein empörter Blick war damit verbunden. »Meine bescheidene Wenigkeit geht davon aus, daß er Ihnen ein Angebot machte, das nicht unbedingt den Regeln einer gewissen Moral entsprach«, vermutete Josuah Parker.
»Er wollte mit mir in ein Stundenhotel«, fuhr sie aufgebracht fort. »Er wollte mich erpressen.« »Mylady schließt daraus, daß Sie Ihrerseits bestimmte Wünsche äußerten«, erwiderte der Butler und blickte in das Restaurant, in dem der Wille zum Kampf sichtlich erlahmte. Die Faustkämpfer hatten sich ausgiebig traktiert und demoliert, was abzuwracken war, und gönnten sich eine Erholungspause. Sie saßen in der Mehrzahl auf dem Boden, der mit Essensresten bedeckt war, und pflegten ihre diversen Wunden in Form von aufgeplatzten Lippen, angerissenen Augenbrauen, eingeschlagenen Nasen und weiteren Hiebwunden. »Ich wollte von Latting nur erfahren, wo mein Bruder ist«, gab die junge Frau inzwischen zurück. »Er ist nämlich seit ein paar Monaten bei diesen Ordensbrüdern.« »Sie sprechen jetzt sicher vom sogenannten Orden der reinen Vernunft, nicht wahr?« »Von wegen reine Vernunft«, erwiderte die junge Frau ironisch und lachte abwertend. »Das sind doch alles Gauner und Ganoven. Sie haben meinen jüngeren Bruder praktisch auf der Straße gefangen und dann in ihr Center verschleppt. Aber dort ist er nicht mehr. Er ist wie vom Erdboden verschwunden.« »Dürfte man Ihren Namen in Erfahrung bringen, Madam?« bat Josuah Parker, der verständlicherweise hellhörig geworden war. »Ich heiße Judy Owens«, lautete die Antwort, »und mein Bruder heißt Gene. Er ist dreiundzwanzig Jahre alt.« »Keine Einzelheiten jetzt«, schaltete die ältere Dame sich ungeduldig ein. »Mister Parker, nehmen Sie Kontakt mit dem Koch auf. Ich muß wissen, ob man noch servieren wird.« Josuah Parker kam dem Wunsch seiner Herrin nach und suchte nach Ernie Mallison. Er fand den Betreiber des Restaurants unter dem Tresen. Mallison hatte sich dorthin in Sicherheit gebracht und wagte sich nun mit Hilfe des Butlers zurück ans Tageslicht. »Das ruiniert mich«, sagte er weinerlich, nachdem er einen ersten Blick in die Runde getan hatte. »Sie sollten die sprichwörtliche Flinte nicht unnötig und vorzeitig in das oft zitierte Korn werfen«, gab Josuah Parker in seiner höflichen Art zurück. »Falls Sie einverstanden sind, wird meine Wenigkeit eine kleine Sammlung vorschlagen und durchführen. Die Gäste sind sicher gern bereit, einer solchen Anregung zu folgen.«
Nach diesem Vorschlag kümmerte sich der Butler um Steve Latting. Der Dreißigjährige, der von Judy Owens geohrfeigt worden war, kroch gerade auf allen vieren davon und wollte verduften. Parker sah sich genötigt, den Mann mit dem Bambusgriff seines Schirms daran zu hindern. Er legte ihn um den Hals des Davonkriechenden und stoppte ihn abrupt.
* »Meine Wenigkeit erlaubt sich, eine gewisse Orientierungshilfe anzubieten«, sagte Parker, nachdem er den Dreißigjährigen zu sich herangezogen hatte. Steve Latting riß und zerrte am Bambusgriff, der sich wie eine eiserne Hand um seine Gurgel legte. Er merkte sehr bald, daß er gegen diesen Griff nichts ausrichtete, und fügte sich in sein Schicksal. Er stand langsam auf und merkte erst mit einiger Verspätung, daß sich plötzlich eine Einwegfessel um sein Handgelenk schloß. »Verdammt, was soll das?« fauchte er den Butler an. »Eine gewisse Sicherheitsvorkehrung, Mister Latting«, beantwortete der Butler die Frage. »Möglicherweise haben Sie noch immer die Absicht, Miß Judy Owens zu schlagen.« »Das… das haben Sie alles mißverstanden«, beklagte sich der Dreißigjährige. »Geben Sie sofort meine Hände frei, sonst können Sie was erleben!« »Möchten Sie unbedingt eine Ohrfeige haben, junger Mann?« schaltete Lady Simpson sich in diesem Moment ein. Die ältere Dame machte einen überraschend gereizten Eindruck, und Parker merkte sofort, daß da etwas vorgefallen war, das ihr nicht paßte. Er blickte Agatha Simpson also fragend an. »Dieses kleine, dumme Ding hat mich hereingelegt«, sagte die ältere Dame wütend. »Man hat mich nach Strich und Faden belogen und betrogen. Dies wird noch Konsequenzen haben, Mister Parker.« »Muß meine Wenigkeit davon ausgehen, Mylady, daß Miß Judy Owens das sprichwörtliche Weite gesucht hat?« »Ja, und zwar durch ein Toilettenfenster«, entrüstete sich Lady Simpson. »Eigentlich hätten Sie mich entsprechend warnen müssen, Mister Parker.«
»Ein Versäumnis, Mylady, für das meine Wenigkeit einzustehen weiß«, gab der Butler in gewohnter Höflichkeit zurück. »Darf man auf Mister Steve Latting verweisen? Er dürfte Miß Judy Owens und ihren Bruder recht gut kennen.« »Nun ja.« Sie räusperte sich und blickte dann schon wieder versöhnt und erfreut auf das Chaos im Restaurant. »Es handelt sich um einen beachtlichen Flurschaden, Mylady, um es mal so auszudrücken«, ließ der Butler sich vernehmen. »Man sollte für Mister Ernie Mallison eine kleine Sammlung veranstalten. Noch machen die Anwesenden einen – mit Verlaub – spendenbereiten Eindruck.« Parker nahm seine schwarze Melone vom Kopf und schritt die angeschlagenen Nahkämpfer ab. Er bat eindringlich um eine Spende zugunsten des Restaurateurs und wehrte einige aufbegehrende Männer mit seinem Regenschirm, ab. Daran erkannte der überwiegende Teil der Gäste, daß mit Butler Parker nicht zu spaßen war. Man spendete also großzügig. »Für Sie, Mister Mallison«, sagte Parker nach einigen Minuten und kippte den Inhalt der Kopfbedeckung auf den Tresen. Der Koch und Betreiber des Restaurants staunte und war gerührt. Mit einer solchen Summe hatte er nicht gerechnet. »Das werde ich Ihnen nie vergessen, Mister Parker«, meinte er. »Damit komme ich gut über die Runden.« »Mylady würden recht gern in Erfahrung bringen, wie leitende Mitarbeiter des Ordens heißen«, fügte der Butler leise hinzu. »Darüber hinaus wäre meiner Wenigkeit mit Fingerabdrücken der bewußten Gäste gedient. Sie ließen sich auf Gläsern sicher recht leicht beschaffen.« »Kein Problem, Mister Parker«, gab Mallison zurück. »Ich werde das beschaffen.« »Vorerst wäre Mylady mit einem Seitenausgang gedient«, meinte der Butler und zuckte mit keiner Wimper, als er ein lautes Klatschen und danach ein dumpfes Stöhnen hörte. »Wagen Sie es von mir aus ruhig noch mal, eine wehrlose Frau zu attackieren«, war dann die energische Stimme der älteren Dame zu hören. Parker trennte sich von Mallison und ging zurück in den Korridor. Steve Latting, der Dreißigjährige, drückte sich gerade an der Wand wieder hoch. Er machte einen im wahrsten Sinn des Wortes niedergeschlagenen Eindruck.
»Mylady wurden heimtückisch angegriffen?« fragte der Butler. »Und wie, Mister Parker«, entrüstete sie sich. »Er wollte mich mit seiner Stirn niederschlagen. Nun, er traf natürlich nur die Mauer, wie man sieht.« Parker vergewisserte sich und entdeckte eine kleine Delle im Putz der Wand. Steve Latting schüttelte den Kopf und widersprach mühsam. Er behauptete, von Lady Simpson gegen die Wand gedrückt worden zu sein. »Sie werden diesem Subjekt doch wohl nicht glauben, oder?« fragte die ältere Dame. »An Myladys Worten zweifeln zu wollen käme einem Sakrileg gleich«, lautete Parkers Antwort. Sein Pokergesicht blieb unbewegt.
* Josuah Parker hatte seine diversen Mitfahrer im Haus der Lady Simpson untergebracht. Sie befanden sich in speziellen Gästezimmern, die im Keller-Labyrinth des Hauses eingerichtet worden waren. Das zweistöckige Fachwerkhaus der Lady stand auf den Gewölben einer ehemaligen, mittelalterlichen Abtei und war von Parker im Lauf der Zeit zu einer raffinierten Festung umgestaltet worden. Die beiden Vauxhall-Benutzer und der dritte Mitfahrer hatten Steve Latting ausdruckslos zur Kenntnis genommen. Parker ging von der Annahme aus, daß man sich nicht kannte. Alle vier Männer waren von ihm so in ihre Räume gebracht worden, daß sie jede Orientierung verlieren mußten. Kapuzen aus schwarzem Samt, die bis auf die Schultern reichten, hatten den Männern jede Sicht genommen. Sie befanden sich in kleinen, gut eingerichteten Apartments und verfügten sogar über Fernsehgeräte. Lady Agatha war bereits oben in ihren privaten Räumen. Sie hatte sich von ihrem Butler einen Imbiß richten lassen und wollte sich in ihrem Studio Notizen zu dem neuen Fall machen. So wenigstens hatte sie sich ausgedrückt, doch Parker wußte aus Erfahrung, daß sie vor ihrem Farbfernseher saß und sich an einer Mitternachts-Show erfreute.
Der Butler hatte das hausinterne Alarmsystem eingeschaltet und wartete auf einen ganz bestimmten Anruf. Seiner Schätzung nach würde der Orden sich in irgendeiner Form melden und ihn warnen. In der Zentrale dieser Sekte mußte inzwischen bekannt sein, daß einiges schiefgelaufen war, was gewisse Verfolgungen betraf. Aus Erfahrung war Parker nur zu gut bekannt, daß die Gegenseite sich dann meldete und mehr oder weniger finstere Drohungen ausstieß. Diese Gegenseite wollte neue Tatsachen schaffen, wie sich zeigte. Man verzichtete auf einen Telefonanruf und schickte zwei Gestalten, die eine Mauer übersteigen sollten. Die hausinterne Alarmanlage hatte jedoch per Video-Kamera mit Infrarotzusatz die Mauerbesteiger erfaßt. Sie lagen oben auf der Krone und übersahen die feinen Drahtborsten, die aus dem Rundverputz bürstenförmig hervorragten. Die beiden Mauerbezwinger orientierten sich und suchten nach einem passenden Einstieg. »Da unten…«, sagte einer von ihnen leise, aber eben nicht leise genug. Versteckt angebrachte Hochleistungs-Mikrofone übertrugen fast schon die Atemzüge der mittelgroßen, schlanken Männer, die dunkle Trikots trugen. Sie waren durch den kleinen Park gekommen, der sich hinter Myladys Haus befand. Die nächtlichen Besucher rechneten damit, sich ohne Schwierigkeiten nähern zu können. Die übermannshohe Mauer hatten sie schließlich fast mühelos schon überwunden. »Wir nehmen die Kellertür«, stimmte der zweite Trikotträger zu, »und dann durch nach oben, um die beiden Typen fertigzumachen.« Parker hatte die Qual der Wahl. Er konnte die Eindringlinge per Elektroschock von der Mauer werfen und bewegungsunfähig machen, er konnte sie aber auch auf das Grundstück überwechseln lassen, um sie dann im Raum hinter der Kellertür zur Strecke zu bringen. Er verzichtete darauf, Strom durch die Drahtborsten zu jagen. Bei null komma fünf Ampere konnte er im übrigen davon ausgehen, daß die Betroffenen gesundheitlich auf keinen Fall geschädigt wurden. Der Elektrozaun auf einer Viehweide arbeitete kaum anders. Die beiden Männer, die auf dem Bildschirm, des Kontroll-Monitors deutlich auszumachen waren, ließen sich auf der Innenseite der
Mauer vorsichtig hinunter und überquerten den schmalen Wirtschaftsweg, der zwischen der Rückfront des Hauses und der Mauer verlief. Sie erreichten den Niedergang, schnürten über die Treppenstufen nach unten und beschäftigten sich mit dem Türschloß. Sie mußten sich anstrengen, um es zu öffnen. Parker machte es Eindringlingen nicht zu leicht, er wollte jedes unnötige Mißtrauen ausschließen. Sie brauchten etwa drei Minuten, bis das Schloß endlich nachgab. Und es tat dies nur, weil der Butler es so wollte. Durch Fernbedienung hatte er eine entscheidende Sperre gelöst. Die beiden Männer schlüpften nacheinander in den dunklen Keller und schalteten eine Taschenlampe an. »Abstellraum für Gartengeräte«, konstatierte der Träger der Taschenlampe und leuchtete die Innentür an, die einen relativ leichten Eindruck machte. Die beiden Trikotträger bauten sich vor der Tür auf, und der Schloßspezialist betätigte erneut seinen Dietrich. Doch dann zuckten die Männer zusammen. Sie hatten hinter sich in der Dunkelheit ein sattes Klicken gehört, das von der Außentür stammen mußte. Der Lampenträger strahlte die Außentür an. Sie war zugefallen, wohl von einem kaum wahrnehmbaren Luftzug bewegt. »Sieh mal nach!« forderte der Lampenbenutzer seinen Begleiter ungeduldig auf. Er leuchtete die Tür unablässig an. Der Begleiter ging indes um einige aufgetürmte Gartenmöbel herum und wollte die Tür wieder öffnen, doch sie ließ sich nicht bewegen. »Das… das geht nicht!« rief er leise und mit bereits nervös klingender Stimme. »Das Ding ist zugeschnappt.« »Unsinn, versuch’s noch mal!« forderte ihn der Lampeninhaber auf. »Das verdammte Ding rührt sich nicht, wie ich sage«, blieb der Trikotträger nach einigen weiteren Versuchen ratlos und trat dann unbeherrscht gegen das Türblatt, das sich natürlich nicht erweichen ließ. Doch der dunkle Ton verursachte nun doch ein gewisses Nachdenken. »Mann, das hört sich ja fast an wie ‘ne Stahltür«, sagte der Türbearbeiter beeindruckt. »Wie ‘n Tresor«, fügte sein Begleiter hinzu. »Los, komm schon! Wir müssen hier weiter, wenn wir raus wollen.«
»Auch diese Tür dürfte Ihren Bemühungen mit letzter Sicherheit widerstehen«, war in diesem Augenblick die höfliche Stimme des Butlers zu vernehmen. »Fügen sich die Herren möglichst umgehend in das sogenannte Unvermeidliche und warten Sie, bis man Zeit hat, sich mit Ihnen zu befassen.« Die beiden Männer waren völlig außer sich, riefen durcheinander, suchten nach dem Lautsprecher, kamen sich schrecklich verlassen vor und machten schließlich den Vorschlag, auspacken zu wollen, falls sie über die Mauer wieder abziehen dürften. »Sie können natürlich eine entsprechende Aussage machen«, sagte der Butler. »Aber daraus sollten die Herren keine Zugeständnisse ableiten. Falls Ihre Hinweise sich jedoch als richtig erweisen, können Sie davon ausgehen, daß meine Wenigkeit nicht weiter an Ihnen interessiert sein wird.«
* Chief-Superintendent McWarden war ein untersetzter, etwa fünfundfünfzigjähriger Mann, dessen stets ein wenig grämlich wirkendes Gesicht an das einer leicht gereizten Bulldogge erinnerte. Die hervorquellenden Basedowaugen unterstrichen diesen Eindruck noch zusätzlich. McWarden leitete im Yard ein Sonder-Dezernat, das sich mit der Bekämpfung des organisierten Verbrechens befaßte. Der ChiefSuperintendent war ein sehr guter Kriminalist, der sich aber nie scheute, Butler Parkers Rat einzuholen. Mit Lady Simpson verband ihn eine langjährige Freundschaft, die jedoch an einer gewissen Bissigkeit litt. McWarden beneidete die ältere Dame um ihre Ungeniertheit, die auf gängige Konventionen pfiff. Als hoher Polizeioffizier konnte er sich eine solche Offenheit niemals leisten. Er war geradezu gezwungen, Rücksichten zu nehmen. McWarden erschien bereits recht früh im Haus der Lady. Agatha Simpson saß am Frühstückstisch und beschäftigte sich intensiv mit den wenigen Kleinigkeiten, die zu ihrer strengen Diät gehörten. Parker servierte nacheinander gebackene Nierchen mit Tomaten, Roastbeef, Schinken, das unvermeidliche Rührei mit Speck, dann diverse Bratwürstchen und einige Scheiben einer Fleischpastete.
Käse, Marmeladen und ein Apfeltörtchen rundeten das Angebot ab. »Verderben Sie sich nur nicht den Magen, Mylady«, stichelte der Chief-Superintendent nach der Begrüßung. »Den habe ich auf kleinste Mengen trainiert, mein lieber McWarden«, gab Lady Simpson zurück. »Aber ich stelle mit Bestürzung fest, daß Sie schon wieder dicker geworden sind.« »Ausgeschlossen«, erwiderte der Yard-Gewaltige. »Ich habe abgenommen.« »Ich wußte schon immer, daß Sie sich selbst betrügen, mein Bester«, meinte die Hausherrin. »Ich würde Ihnen ja gern eine Kleinigkeit anbieten, aber ich will Ihren Cholesterinspiegel auf keinen Fall zusätzlich anheben.« »Gerade durchgecheckt, alles in bester Ordnung«, wußte McWarden selbstzufrieden zu berichten. »Ich nehme von Woche zu Woche ab.« »Das klingt aber gar nicht gut, mein Lieber«, unkte sie und wiegte den Kopf hin und her. »Vielleicht ist Ihre Waage nicht in Ordnung. Sie kommen zufällig vorbei?« »Ganz sicher nicht, Mylady«, erwiderte McWarden, der sichtlich froh darüber war, daß man das Thema Gesundheit nicht weiter vertiefte. »Sergeant Clings berichtete mir von einer Massenprügelei in Mallisons Restaurant in Soho.« »Und weit und breit keine Polizei, als man sie mal brauchte«, mokierte sich die ältere Dame. »Ich wurde belästigt, wie Ihr Sergeant sicher berichtete.« »Er meldete auch, daß Sie einen gewissen Steve Latting mitnahmen«, redete der Chief-Superintendent weiter. »Sie interessieren sich für diesen Mann?« »Ich fühle mich völlig überfordert«, behauptete die passionierte Detektivin. »Die Vorfälle in der vergangenen Nacht waren wohl doch ein wenig zuviel für mich. Wie war das mit dem jungen Mann, Mister Parker?« »Mister Steve Latting bat um Mitnahme, wenn meine Wenigkeit die diversen Hinweise richtig interpretiert«, gab der Butler zurück. »Man kam seinem Wunsch natürlich nach.« »Und wo steckt Latting jetzt?« wollte der Chief-Superintendent umgehend wissen. »Warum interessieren Sie sich für diesen Mann, mein Bester?« warf die ältere Dame ein. »Sind Sie vielleicht hinter ihm her?«
»Ich interessiere mich für alles, was mit dem >Orden der reinen Vernunft< zusammenhängt«, antwortete McWarden. »Sie kennen diese Sekte, Mylady?« »Kenne ich sie, Mister Parker?« erkundigte sie sich bei ihrem Butler. »In vagen Umrissen, Mylady«, erklärte der Butler, der sich dann wieder McWarden zuwandte. »Könnte man einige Hinweise zu diesem sogenannten Orden bekommen, Sir?« »Dieser Weise, wie der Chef der Sekte heißt, muß ein toller Geschäftsmann sein«, erzählte McWarden. »Einverstanden, wenn ich etwas weiter aushole, Mylady?« »Sie sollten einen kleinen Sherry nehmen, mein Guter«, sagte sie überraschenderweise. »Aber nicht gleich betrinken, McWarden. Sie wissen ja, daß Sie zum Übertreiben neigen.« »Ich werde mich zu beherrschen wissen«, gab der Yard-Gewaltige ironisch zurück. »Rufen Sie mich rechtzeitig zur Ordnung, falls ich ausflippen sollte.«
* Der Chief-Superintendent wollte gerade mit seinem Bericht beginnen, als ein hoher Piepton die große Wohnhalle und auch den Salon füllte, in dem man sich aufhielt. Gleichzeitig flackerte über dem geöffneten Wandschrank neben dem verglasten Vorflur die rote Lampe. »Was ist denn jetzt wieder los?« erkundigte sich McWarden. »Besuch kündigt sich an, Sir«, antwortete der Butler. »Er passierte gerade eine Sensor-Schleuse.« »Aha!« McWarden schluckte und betrat vorsichtig die große Wohnhalle, um einen Blick auf den Wandschrank zu werfen. Parker, der vorausgegangen war, hielt die Fernbedienung in der rechten Hand und schaltete damit die verschiedenen, außen am Haus angebrachten TV-Kameras. Auf dem Bildschirm des Monitors im Schrank war ein Ford zu sehen, der gerade den überdachten Hauseingang erreichte. Zwei Männer stiegen aus. Sie waren adrett gekleidet und machten einen durchaus vertrauenerweckenden Eindruck. Vermutlich waren sie identisch mit jenen jungen Männern, die in den Führungsetagen der Wirtschaft und in den Banken bereits einflußreiche Posten
bekleideten. Sie nickten sich – wie auf dem Bildschirm deutlich zu sehen war – aufmunternd zu und traten dann vor die Tür. Einer von ihnen läutete. »Darf man sich höflich nach Ihren Wünschen erkundigen?« fragte Parker über die Sprechanlage. »Wir sind Mitglieder der juristischen Abteilung des >Ordens der reinen Vernunft<«, antwortete einer von ihnen. »Wir möchten uns mit Lady Simpson und ihrem Butler unterhalten.« »Sie kommen demnach im Auftrag jener Person, die man den Weisen zu nennen pflegt?« vergewisserte sich der Butler. »Im Auftrag des Weisen«, bestätigte der bisherige Sprecher. »Er ist der Ansicht, daß man gewisse Dinge im Sinn des Ausgleichs und der Vernunft regeln sollte.« »Meine Wenigkeit wird sich umgehend mit Mylady in Verbindung setzen«, versprach der Butler und schaltete die Verbindung ab. Agatha Simpson, die schräg hinter ihrem Butler stand, schob sich vor und lächelte erfreut. »Man will mich natürlich umbringen«, schickte sie voraus, »aber bitte, Mister Parker, lassen Sie diese Subjekte herein. Und Sie, mein guter McWarden, werden gleich noch eine Menge dazulernen.« »Ich bin bereits dabei, Mylady«, erwiderte der hohe Yard-Beamte. »Ich wette, Mister Parker, im Türrahmen haben Sie auch einen Waffen-Detektor eingebaut, wie?« »In der Tat, Sir«, bestätigte der Butler höflich wie stets. »Man sollte den Anfängen stets wehren, wie Mylady zu sagen pflegen.« »Tatsächlich«, wunderte sie sich ein wenig. »Nun ja, so etwas paßt zu mir, Mister Parker. Halten Sie sich also daran. Sie können öffnen.« »Und ich werde mich unsichtbar machen«, meinte McWarden. Er ging zurück in den kleinen Salon und baute sich an der Tür auf. Von dort aus hatte er einen guten Blick auf den verglasten Vorflur, in dem jetzt die beiden Besucher erschienen. Parker hatte die Tür per Fernbedienung geöffnet und deutete eine Verbeugung an, als die etwa dreißig Jahre alten Männer weitergehen wollten. Einer von ihnen streckte bereits die Hand nach dem Knauf der Innentür aus. »Würde es den Herren etwas ausmachen, die Waffen abzulegen?« fragte Parker in diesem Moment.
»Unsere Waffen?« Der junge Mann, der bisher geschwiegen hatte, blickte den Butler durch die Verglasung überrascht an. »Ihre Waffen«, wiederholte der Butler. »Nach der bescheidenen Einschätzung meiner Wenigkeit dürften Sie je eine Faustfeuerwaffe mit sich führen.« »Stimmt«, stieß der junge Mann hervor und zeigte dem Butler eine Automatic mit überlangem Schalldämpfer. Er richtete die Mündung auf den Butler und lächelte dazu ausgesprochen bösartig.
* »Vielleicht ist hier bald die Tür auf«, verlangte der andere junge Mann und zeigte ebenfalls Ungeduld. Er rüttelte wie ein Gereizter am Türknauf, doch die Glastür reagierte nicht. Sie machte einen ungemein soliden Eindruck. »Sind Sie scharf darauf, daß es hier gleich Glassplitter regnet?« fragte der Waffenbesitzer. »Die Herren sollten zur Kenntnis nehmen, daß Sie es mit besonders gehärtetem Panzerglas zu tun haben«, warnte der Butler die Besucher. »Es steht Ihnen selbstverständlich frei, dies zu testen. Mit den Querschlägern werden Sie sich allerdings allein auseinandersetzen müssen.« »Sie… Sie bluffen doch nur, Mann«, gab der Waffenträger gespielt lässig zurück und klopfte erneut gegen die Scheibe. »Wie Sie zu meinen belieben«, entgegnete der Butler und wandte sich wieder Mylady zu, die in einem großen Ledersessel vor dem mächtigen Kamin Platz genommen hatte. »Einen Mokka und ein wenig Cognac«, wünschte sie, nachdem der Butler sich erkundigt hatte. Die beiden eingeschlossenen Besucher im verglasten Vorflur schien er bereits vergessen zu haben. Parker passierte den Vorflur, als er sich in den kleinen Salon zurückbegab. Die jungen Männer hämmerten derweil mit ihren Fäusten wütend gegen die Verglasung, doch der Butler reagierte nicht. Lady Simpson hatte sich im Sessel zurückgelehnt und blätterte in einem Magazin. Auch für sie existierten die Männer nicht.
»Wir geben euch eine Minute Zeit«, drohte der Waffenträger, als Parker mit einem Tablett in die Wohnhalle zurückkam. Er servierte seiner Herrin den Mokka und stellte den Cognacschwenker ab. »Sie sollten wirklich nicht weiter stören«, bat Parker die beiden Besucher. »Okay, wir verschwinden wieder«, sagte der Mann, der seine Schußwaffe bisher noch nicht gezeigt hatte. »Aber Sie werden das bereuen! Wir hätten Ihnen einen guten Vorschlag machen können.« »Legen Sie Ihre Schußwaffen ab, dann kann es unter Umständen zu einem Gespräch kommen«, entgegnete der Butler. »Benutzen Sie dazu die Schiebelade neben der Tür.« Die beiden Männer sprachen leise miteinander und kamen dann dem Vorschlag des Butlers nach. Auch der zweite zog jetzt seine Automatic und packte sie zu der, die bereits in der Schublade lag. Parker hatte sich bereits an der Tür eingefunden und zog die Schublade von innen nach außen. Die Lade war in der Art einer Durchreiche konstruiert, wie man sie in Banken antrifft. Parker trug die Waffen zum Kamin und ließ sie dort in einer sehr alten, mit Eisenbändern beschlagenen Holztruhe verschwinden. Mittels Fernbedienung ließ er dann die Tür aus Panzerglas aufspringen. Die beiden Besucher hatten endlich freien Zutritt. Sie wirkten ein wenig befangen, kamen langsam näher und blieben dann in einer Entfernung von etwa drei bis vier Metern vor der älteren Dame stehen. »Nun zieren Sie sich nicht!« blaffte Lady Simpson sie an. »Was hat mir dieser Heilige zu bieten?« »Der Weise, Mylady«, korrigierte der Wortführer der Besucher hastig. »Es geht da um einige Mißverständnisse, verstehen Sie? Der Weise möchte einen Prozeß vermeiden.« »Warum sollte er mit Mylady prozessieren?« schaltete der Butler sich ein. »Glenn Basnick, den Sie ja kennen, hat Ihnen vielleicht Dinge erzählt, die absolut nicht den Tatsachen entsprechen.« »Er teilte Mylady über meine Person mit, daß man seinen Bruder Dan entführte und einer Gehirnwäsche unterzog«, entgegnete der Butler.
»Dan Basnick ist völlig freiwillig zu uns gekommen und will auch freiwillig bleiben«, redete der Wortführer weiter. »Es geht aber auch um unseren Tutor Steve Latting.« »Der hier festgehalten wird«, brauste der zweite Besucher auf, der zwei Jahre jünger sein mochte als sein Partner. Er hatte sich ein wenig seitlich abgesetzt und der Truhe absichtsvoll genähert. Nun kam er zur Sache. Er warf sich auf das alte Stück Möbel und wollte den gewölbten Deckel hochreißen. Es war seine Absicht, die beiden Schußwaffen wieder an sich zu bringen. Der Deckel saß allerdings so fest, als würde er von Schrauben und Nägeln gehalten.
* Der junge Mann war verständlicherweise enttäuscht und wollte dem Butler demonstrieren, daß er eine Ausbildung in fernöstlichen Kampfarten genossen hatte. Er ließ seine angewinkelten Arme kreisen, spreizte seine Finger und fingierte mit dem linken angezogenen Bein. »Was soll denn das, junger Mann?« fragte Agatha Simpson und zeigte sich belustigt. Und dann trat sie dem anderen Besucher ohne jede Vorwarnung kräftig ans linke Schienbein. Der Getroffene, der gerade geplant hatte, die ältere Dame zu überwältigen, brüllte überrascht auf und tanzte anschließend auf dem schmerzfreien Bein. Parker setzte sich unterdessen mit seinem Gegenüber auseinander. Der Butler hatte sich mit einem langen Schürhaken vom Kamin-Besteck ausgerüstet und widerstand damit einigen Fußtritten, die gefährlich waren und sowohl kraftvoll als auch gezielt angesetzt wurden. Daraufhin stöhnte auch dieser Einzelkämpfer fast aufdringlich, humpelte und verzichtete darauf, nach Parker zu treten. Mit den Handkanten wollte der Besucher nun vollendete Tatsachen schaffen und hechtete auf den Butler. Es zeigte sich, wie behend und sportlich Parker war. Wie ein professioneller Stierkämpfer wartete er den richtigen Zeitpunkt ab, dann wich er geschickt zur Seite aus und ließ den Angreifer kontaktlos zu Boden gehen.
Der Mann klatschte bäuchlings auf die Sandsteinplatten, mit denen die Wohnhalle ausgelegt war. Dann trudelte er noch etwa anderthalb Meter weiter und landete vor dem Sessel, neben dem Mylady sich aufgebaut hatte. Er hätte sich besser eine andere Landepiste ausgesucht. Lady Agatha fühlte sich nämlich angegriffen und reagierte umgehend. Sie nahm eines der großen Lederkissen aus dem Sessel und schlug es dem Mann, der sich hochdrücken wollte, kraftvoll um die Ohren. Der Jüngling sackte wieder nach unten und blieb regungslos liegen. Lady Agatha, einmal das Lederkissen in der Hand, besann sich auf ihre sportlichen Talente. Sie schoß schließlich den Bogen und spielte Golf. Beide Sportarten betrieb sie mit großer Begeisterung. Der Erfolg war vielleicht nicht so herausragend, aber Lady Simpson verfügte über eine gut entwickelte Muskulatur. Sie schlug dem Tanzenden das Lederkissen um die Ohren und beendete damit die nicht sonderlich gekonnte Einlage des Besuchers. »Donnerwetter«, ließ Chief-Superintendent McWarden sich vernehmen und kam aus dem Salon. »So etwas muß man sehen, sonst glaubt man es nicht.« »Sie haben hoffentlich mitbekommen, wie man eine wehrlose Frau angriff, McWarden«, erwiderte Agatha Simpson. »Es sind natürlich Profi-Killer, extra auf mich angesetzt.« »Die beiden Schußwaffen waren recht beachtlich«, meinte der Chief-Superintendent. »Ich war bereit, klärend einzugreifen.« »Mit Ihrer Erlaubnis, Sir.« Parker versorgte bereits die beiden Männer mit Einwegfesseln. Chief-Superintendent McWarden stieß einen leisen, fast anerkennenden Pfiff aus. »Sie sind gut bestückt, Mister Parker«, sagte er. »Meine Wenigkeit erlaubte sich, Methoden der Polizei in etwa zu kopieren«, gab Josuah Parker zurück. Er setzte die beiden Besucher hoch und drückte sie mit ihren Rücken gegen das Seitenteil eines der mächtigen Sessel. Als sie wieder einigermaßen zu sich kamen, blickten sie verwirrt um sich und wirkten danach ein wenig beschämt. Wahrscheinlich konnten sie es immer noch nicht begreifen, daß sie von zwei mit Sicherheit nicht mehr taufrischen Hausbewohnern außer Gefecht gesetzt worden waren.
»Die Herren haben jetzt die Möglichkeit, zur Sache zu kommen«, schlug der Butler vor. »Wie erinnerlich, hat der sogenannte Weise die Absicht, einen Prozeß zu vermeiden. Dazu erwartet Mylady präzise Vorschläge.« »Ihr werdet euch noch wundern«, reagierte der Wortführer verärgert. »Ihr rechnet euch doch wohl keine Chance gegen den Weisen aus, oder?« »Mylady und meine bescheidene Wenigkeit lieben die Überraschung«, lautete die Antwort des Butlers. »Sie sollten sich also, was das betrifft, keine Sorgen machen.« »Der Weise wird Ihnen Londons beste Anwälte auf den Hals hetzen, falls Sie unseren Tutor Latting nicht umgehend freilassen«, sagte der Wortführer. »Und schneiden Sie sofort diese verdammten Fesseln durch, sonst werden wir Sie auch noch wegen Freiheitsberaubung belangen.« »Es gibt da noch andere Personen, die sich als Myladys Gäste betrachten dürfen«, meinte der Butler. »Dazu gehören zwei Benutzer eines Vauxhalls, dann zwei Mauerbesteiger und ein Mitfahrer, der vor dem Center des Ordens in den Wagen meiner Wenigkeit stieg. Wollen Sie sich nicht auch für diese Personen einsetzen?« »Wie gesagt, rechnen Sie mit Mammut-Prozessen durch alle Instanzen«, drohte der Wortführer weiter. »Aber der Weise reicht Ihnen die Hand, falls Sie…« »Keine Bedingungen, junger Mann!« fuhr Agatha Simpson ihm prompt über den Mund. »In solch einer Tonart kann man mit einer Lady Simpson nicht reden!« »Was, zum Henker, bilden Sie sich eigentlich ein?« brüllte der Wortführer die ältere Dame an. »Wissen Sie überhaupt, wer der Weise ist?« »Wahrscheinlich ein geschickter Gauner«, vermutete die Detektivin genußvoll. »Ron Hulland wirkt weltweit«, erklärte der Wortführer. »In fast allen Ländern gibt es seine >Orden der reinen Vernunft<. Überall arbeiten seine Gläubigen freiwillig für ihn. Und sie sind bereit, für ihn durchs Feuer zu gehen. Er braucht nur mit dem Finger zu schnipsen, Lady, und schon schlagen sie sich für ihn. Sie haben eben ein anderes Bewußtsein als normale Bürger, sie sind eingeweiht und wissend.«
»Gütiger Himmel«, seufzte Lady Agatha und verdrehte bewußt die Augen. »Ich glaube, ich werde wohl doch einen Blick in die Prospekte werfen. Ich will jetzt wissen, wie man Dumme fängt.«
* »Wer der Weise ist, ist wirklich kein Geheimnis«, schickte ChiefSuperintendent McWarden voraus. »Es handelt sich um diesen Ron Hulland, der tatsächlich weltweit agiert. Er hat viele OrdensCentren und bittet ganz schön zur Kasse.« »Und was vermittelt Mister Hulland an neuem Wissen?« fragte Josuah Parker. »Innere Befreiung von psychischen Störungen«, lautete McWardens Antwort »Die bedingen laut Hulland natürlich auch körperliche Krankheiten.« »Man spricht in solchen Fällen von psychosomatischen Störungen«, erinnerte sich der Butler. »Und auf welche Art und Weise gelangt man zu einer inneren Befreiung und Ausgeglichenheit, Sir?« »Durch Beratung und Befragung«, zählte der ChiefSuperintendent weiter auf, während die beiden Gesandten des Weisen aufmerksam zuhörten. »Man arbeitet zum Teil auch mit einfachen Lügendetektoren, die den Hautwiderstand messen. Der Suchende soll sich seelisch völlig entblößen und sich zu seinen Ängsten und Fehlern bekennen. Und das geschieht nach Aussagen von Betroffenen durch Dauerverhöre, bis die Menschen innerlich und auch körperlich zusammenklappen.« »Und so etwas lassen Menschen mit sich machen, McWarden?« entrüstete sich die ältere Dame grollend. »Das kann ich, offen gesagt, kaum glauben. Warum gehen diese Personen nicht? Werden Sie etwa mit Gewalt festgehalten?« »Mit seelischer Gewalt«, erklärte der Chief-Superintendent. »Wir haben Eltern und sonstige Familienangehörige befragt. Wir sind von solchen Leuten aufgesucht worden, die es geschafft haben, sich vom Orden zu befreien… Der seelische Druck, dem diese Suchenden ausgesetzt sind, muß schrecklich sein. Es beginnt in der Regel völlig harmlos. Die Tutoren, wie sie sich nennen, kratzen ein wenig an der Psyche der Suchenden, bis sie fündig geworden sind.«
»Was sicher kaum schwer sein dürfte, Sir«, ließ Josuah Parker sich vernehmen. »Kontakte zum Orden suchen ja meistens Menschen, die innerlich in irgendeiner Form beschädigt sein dürften.« »Richtig, Mister Parker«, bestätigte der Chief-Superintendent. »Solche Personen sind willige Opfer für den Orden. Man schafft es fast ausnahmslos, ihnen den letzten Rest ihres Willens zu nehmen und sie zu gehorsamen Zombies zu machen.« »Die dafür auch noch zahlen?!« Agatha Simpson lachte ungläubig. »Und nicht zu knapp, Mylady«, sagte McWarden und nickte. »Sie versetzen und verkaufen, was immer sie haben. Und wenn alles in den Besitz des Ordens übergegangen ist, werden sie wie willenlose Sklaven ausgebeutet. Für Unterkunft und Verpflegung schuften sie wie Kettensträflinge unseligen Angedenkens.« »Und das alles, um innere Ruhe zu finden«, wunderte sich die ältere Dame erneut. »Um sauber zu werden«, korrigierte der Chief-Superintendent leicht. »Innerlich sauber und rein, wie es im Orden heißt. Dafür nehmen diese Menschen hohe Kredite auf, verpfänden Hab und Gut, pumpen ihre Familien und Freunde an und werben neue Suchende. Und wir als Polizei können dagegen noch nicht mal etwas machen, denn im Normalfall treten diese sogenannten Suchenden ja freiwillig dem Orden bei.« »Wer ist denn nun dieser angebliche Weise, Mister McWarden?« verlangte Lady Simpson zu wissen. »Er muß doch ein Vorleben haben, oder?« »Ron Hulland stammt aus London«, berichtete der ChiefSuperintendent. »Er hielt sich jahrelang in den Staaten auf und war dort in verschiedenen Sekten-Kirchen tätig. Danach leitete er die Werbeabteilung einer Getränkefirma und ließ sich dann wieder hier in London nieder.« »Um seine Sekte zu gründen, Sir?« fragte der Butler. »Sie war fast schlagartig überall aktiv und verfügte über erstaunlich viel Geld«, informierte McWarden. »In den großen Städten mietete der Orden Büroetagen oder Hochhäuser und schickte Werber auf die Straßen. Dazu kamen Anzeigen in den Medien.« »Mister Ron Hulland war möglicherweise in der Lage, sich ein Privatvermögen zu schaffen, Sir«, schlug Parker als Erklärung vor.
»Kaum«, lautete die Antwort des Yard-Gewaltigen. »Mit eigenen Mitteln kann er diesen Aufwand nicht finanziert haben. Wir haben da unsere Vermutungen, über die ich aber nicht reden kann.« »Sie denken an Fremdgeld, mein lieber McWarden?« tippte die Detektivin an und warf den beiden Besuchern einen grimmigen Blick zu. »Das haben Sie gesagt, Mylady«, entgegnete der ChiefSuperintendent und lächelte. »Sie denken sicher an illegale Drogengelder, nicht wahr?« »Woran sonst?« Die resolute Dame nickte nachdrücklich. »Wie gesagt, das haben Sie gesagt«, wiederholte der YardBeamte und blickte ebenfalls kurz auf die beiden jungen Männer. »Ich werde mich hüten, so etwas auch nur anzudeuten.« »Ich werde mich mit diesem komischen Weisen gründlich unterhalten müssen«, kündigte Agatha Simpson an. »Die Frage ist, ob Sie überhaupt an ihn herankommen, Mylady«, sagte McWarden. »Hulland hat sich mit einer Art Leibgarde umgeben und lebt sehr zurückgezogen.« »Wo, mein lieber McWarden?« flötete die ältere Dame und bemühte sich überraschend gut um Freundlichkeit. »Ron Hulland hat sich in Richmond niedergelassen«, gab der Yard-Beamte Auskunft. »Er residiert auf einem Landsitz und zieht von dort aus die Fäden.« »Könnte man auch sagen, Sir, daß er die Fäden ziehen läßt?« warf der Butler ein. »Genau dieser Verdacht besteht, Mister Parker«, erwiderte der Chief-Superintendent und nickte. »Vielleicht ist Hulland nur ein Strohmann, der für bestimmte Interessenten nach außen hin den Kopf hinhält. Er- und bewiesen ist das allerdings nicht.« »Ich werde den Dingen auf den Grund gehen, mein lieber McWarden«, erklärte die unternehmungslustige Dame. »Der Tag hat gerade erst angefangen. Ich weiß schon jetzt, daß er einige Abwechslung bringt.« »Darf man höflichst fragen, was mit den beiden Waffenträgern geschehen soll?« ließ der Butler sich vernehmen. »Waffenträger?« staunte McWarden und blickte sich um, wobei er die aggressiven Besucher völlig übersah. »Ich sehe weit und breit keine Waffenträger, Mister Parker. Sollten die sich aber noch im Lauf des Tages einfinden, so lassen Sie es mich wissen. Ich werde dann einige Mitarbeiter vorbeischicken.«
* Die nächtlichen Mauerbezwinger machten einen apathischen Eindruck. Sie saßen auf einer ausgedienten Gartenbank im Keller des altehrwürdigen Hauses in Shepherd’s Market und blickten kaum hoch, als der Butler den Raum betrat und einen guten Tag wünschte. »Sie haben sich arrangiert, wie zu sehen ist«, stellte Parker fest und deutete auf einige Mineralwasserflaschen, die leergetrunken auf dem Zementboden standen. Er wußte natürlich längst dank der hausinternen Überwachungsanlage, daß die Hobby-Kletterer sich bedient und damit auch automatisch ruhiggestellt hatten. In den Wasserflaschen befand sich ein harmloses Präparat, das geeignet war, Aggressionen abzubauen. Die beiden Männer, die nach wie vor bewaffnet waren, blickten den Butler in einer Mischung aus stiller Heiterkeit und Müdigkeit an. Sie wußten nicht, daß sie sich selbst außer Gefecht gesetzt hatten. »Wann gibt’s denn hier was zu futtern?« fragte einer. »Die Herren dürften bald frühstücken können«, gab Josuah Parker höflich zurück. »Vorher aber sollte man vielleicht noch einige Dinge klären, wenn Sie gestatten. Ihre Gastgeberin möchte gern erfahren, für wen Sie diese Mauer überstiegen. Mylady geht davon aus, daß Sie umgehend mit einer Auskunft dienen.« »Wir sind für William Wiggins rübergekommen«, lautete die Antwort. »Wir sollten hier alles auf Vordermann bringen.« »Was, bitte, darf man sich darunter vorstellen?« »Na, eben alles passend ausrichten und dann die Haustür aufsperren«, redete der Wortführer der beiden Kellerinsassen weiter. »Aber vorher sollten wir den Chef anrufen.« »Sie sprechen jetzt von dem bereits erwähnten Mister William Wiggins, nicht wahr?« »Genau«, bestätigte der zweite Kellerinsasse und lächelte wie abwesend. »Der hat uns nämlich geschickt. Und geschafft haben wir’s ja. Wir sind im Haus, oder?« »Konsequenter hätten Sie auf keinen Fall vorgehen können«, meinte Josuah Parker. Er ging dicht an den beiden Männer vorbei
und zupfte ihnen wie beiläufig die Schußwaffen aus den Schulterhalftern. Er barg auf diese Art zwei Revolver. »Vielleicht sollten Sie noch sagen, wo man Mister William Wiggins finden kann«, bat der Butler. »Könnte es sein, daß Mister Wiggins hin und wieder für den > Orden der reinen Vernunft arbeitet?« »Keinen blassen Schimmer«, lautete die sicher wahrheitsgemäße Antwort. »Der Boß schaukelt das alles. Und der wohnt in Stepney.« »Und geht dort sicher einem bürgerlichen Beruf nach?« »Wiggins macht in Autoteilen«, war die Antwort, der eine genaue Adresse hinzugefügt wurde. »Aber das is’ nur Tarnung, klar?« »Deutlicher hätten Sie es – mit Verlaub – nicht auszudrücken vermocht«, lobte Parker den Mauerbesteiger. »Sie sind häufig für Mister William Wiggins unterwegs?« »Wir haben verdammt viel zu tun«, freute sich der andere Kellerinsasse und lächelte ein wenig töricht. »Wir fangen Typen ein, die sich abgesetzt haben.« »Dazu sollten Sie sich ein wenig ausführlicher äußern«, schlug der Butler vor, »falls Sie dazu in der Lage sind.« »Das sind die reinsten Hetzjagden«, schickte der Mann voraus und strahlte den Butler an. »Wir bekommen vom Chef die Namen, kreisen die Leute ein, kassieren ab und schaffen sie dann ins Camp.« »Dessen Lage Ihnen wohl kaum bekannt sein dürfte«, meinte Josuah Parker, um sie zu animieren, genau Auskunft zu geben. »Mit solchen Angaben wird man Sie sicher nicht belasten.« »Und ob die uns damit belasten«, kam prompt die Antwort. »Das Camp liegt auf ‘nem alten Flugplatz bei Bromley. Und genau da liefern wir die Typen ab.« »Männer wie Frauen?« »Da machen wir keinen Unterschied«, erwiderte der Informant wider Willen und lächelte erneut töricht. »Wir fangen jeden, den wir erwischen sollen. Darauf können Sie Gift nehmen. Auch hier bringen wir noch alles auf Vordermann, wetten?« »Meine bescheidene Wenigkeit möchte Ihnen auf keinen Fall widersprechen«, meinte Josuah Parker. Er war sehr zufrieden. Er hatte wichtige Hinweise auf den Orden und jene Suchenden bekommen, die sich einer Gehirnwäsche entziehen wollten.
* »Solch innere Geschmeidigkeit hätte ich dem guten McWarden nun wirklich nicht zugetraut«, sagte die ältere Dame. Sie saß im Fond des hochbeinigen Monstrums und ließ sich von Parker in den Außenbereich Bromley bringen. Dort sollte sich laut Aussage der unfreiwilligen Kellerinsassen das Camp des Ordens befinden, in das man Abtrünnige zurückschaffte. »Mister McWarden weiß Myladys vielfältige Möglichkeiten sehr zu schätzen«, bot der Butler als Erklärung an. »Zudem kann er als sicher unterstellen, daß Myladys Gäste ohne fremde Hilfe nicht entkommen können. Demnach kann der Chief-Superintendent sich später immer noch mit den bewußten Personen befassen und gegen sie ermitteln.« »Er ist eigentlich recht passabel«, überredete sich Lady Agatha nachdenklich. »Aber man darf ihm das natürlich nicht zeigen, sonst wird der Gute noch überheblich. Ich habe jetzt übrigens was vor, Mister Parker! Hoffentlich haben Sie sich meine Ahnungen gemerkt.« »Mylady geruhen an einen bestimmten Impuls zu denken?« fragte Josua Parker. »Ich wollte mir doch dieses Subjekt kaufen, das die Mauerbesteiger geschickt hat.« »Mister William Wiggins«, erinnerte der Butler in seiner diskreten Art. »Da wäre aber auch noch Mister Ron Hulland, der einen Landsitz in Richmond bewohnt und der als Weiser bezeichnet wird.« »Es gibt noch sehr viel zu tun«, seufzte die ältere Dame tragisch. »Ich werde eigentlich überall gebraucht, Mister Parker.« »Mylady sind und bleiben unverzichtbar«, bestätigte der Butler ernst. Sein Gesicht blieb jedoch glatt und ausdruckslos. »Nun gut, Mister Parker, alles bitte der Reihe nach. Zuerst hinaus nach Boniley, oder wie immer das Städtchen heißen mag. Werde ich übrigens verfolgt?« »In der Tat, Mylady«, konnte Parker positiv antworten. »Mister Wiggins dürfte schon seit einiger Zeit seine beiden Mitarbeiter vermissen und deshalb neue schicken.« »Und wer möchte da meine Kreise stören?« verlangte Agatha Simpson zu wissen.
»Es handelt sich um ein Honda-Gefährt der kleineren Klasse«, beantwortete der Butler die Frage. »Zwei Personen männlichen Geschlechts gehen von der Annahme aus, Mylady belästigen zu können.« »Welch Anmaßung!« Sie lachte geradezu wohlig und guttural. »Machen Sie diesen Lümmeln klar, wer Lady Simpson ist, Mister Parker!« Der Butler deutete ein Nicken an und lotste die Verfolger erst mal in die falsche Richtung. Sie brauchten nicht zu wissen, daß man die Absicht hatte, in den Süden von London zu fahren. Falls die Honda-Fahrer ein Autotelefon besaßen, sollten sie keine entsprechende Warnung durchgeben können. Parker hielt also auf Greenwich zu und brauchte nach einer halben Stunde nicht lange nach einem geeigneten Platz zu suchen, um die Verfolger außer Gefecht setzen zu können. Er verließ die Schnellstraße in Richtung Dartmoor und steuerte eine Region an, die mit kleineren Waldstücken durchsetzt war und an einen riesigen Park erinnerte. Hier gab es sanfte Hügel, Bäche, die sich durch Wiesen wanden, kleine Brücken und Hecken. Die beiden Honda-Benutzer wollten ihre Aufgabe schnell hinter sich bringen, wie sich zeigte. Sie holten auf, pfiffen auf jede Tarnung und versuchten, sich in Schußposition zu bringen. Der Beifahrer lehnte sich bereits mit Kopf und Schulter aus dem Seitenfenster und machte eine kurzläufige Maschinenwaffe klar. Parker rechnete mit gezielten Feuerstößen und kam dieser Absicht zuvor. Sein privates Gefährt wurde schließlich nicht grundlos eine Trickkiste auf Rädern genannt.
* Es ging Josuah Parker darum, den Beifahrer am genauen Zielen zu hindern. Dazu mußte er den Mann durchschütteln lassen, und um dies zu erreichen, spielte der Butler, einen der vielen Trümpfe seines hochbeinigen Gefährts aus. Er setzte Krähenfüße ab. Dabei handelte es sich um Stahlstifte, die kreuzweise so miteinander verschweißt waren, daß zumindest eine Nadelspitze nach oben zeigte und sehnsüchtig darauf wartete, sich in einen Autoreifen zu bohren.
Die sogenannten Krähenfüße befanden sich in einem Behälter unter dem Wagenboden und wurden per Fernauslöser auf die Straße geworfen. Parker blickte nach dem Auslösen in den Rückspiegel und nahm ohne jede Gemütsregung zur Kenntnis, daß der Honda plötzlich aus dem Kurs geriet. Der Wagen torkelte wie ein Betrunkener von einer Straßenseite auf die andere, wurde abgefangen, geriet erneut ins Schleudern und landete schließlich im Straßengraben. Dabei überschlug sich der Wagen und stieß eine weiße Dampfwolke aus, die aus dem geborstenen Kühler zischte. »Recht ansprechend«, meinte Lady Agatha, die das Geschehen verfolgt hatte. »Hoffentlich haben die Lümmel sich wenigstens die Rippen verstaucht.« »Davon können Mylady ausgehen«, erwiderte der Butler. »Die Insassen des Hondas dürften sich kaum angeschnallt haben.« Während er noch sprach, setzte er das hochbeinige Gefährt schnell zurück und hielt neben der Unfallstelle. Parker verließ den Wagen, legte sich den eng gerollten Universal-Regenschirm über den angewinkelten linken Unterarm und beobachtete dann das Aussteigen der beiden Fahrer. Sie waren leicht mitgenommen und stöhnten im Duett. Sie hatten sich offensichtlich nichts gebrochen, doch sie standen noch deutlich unter einem Schock. Mit diesem jähen Ende ihrer Verfolgung hatten sie ganz sicher nicht gerechnet. Parker lieh den etwa dreißigjährigen Männern seine hilfreiche Hand und bedachte sie mit Wegwerffesseln. Die Kerle bekamen kaum mit, daß ihre Handgelenke verschnürt und sie dabei gleichzeitig entwaffnet wurden. Anschließend durften sie auf der Grasböschung der schmalen Straße Platz nehmen. »Mister Wiggins wird auch Ihre Niederlage nicht sonderlich schätzen«, sagte Parker, nachdem die beiden Männer sich ein wenig erholt hatten. »Ihre Freunde, die eine Mauer überstiegen und dann im übertragenen Sinn strandeten, dürften sich inzwischen bei dem erwähnten Mister Wiggins in einigen Mißkredit gebracht haben.« »Wer ist Mister Wiggins?« fragte der Mann, der die Maschinenpistole einsetzen wollte. Er bemühte sich um Ahnungslosigkeit. »Ich werde Ihrem Gedächtnis nachhelfen, junger Mann«, kündigte die ältere Dame umgehend an. »Mister Parker, sorgen Sie dafür, daß ich dabei nicht gestört werde.«
»Man könnte die Herren vielleicht in das nahe Waldstück verbringen«, schlug Parker vor. »Früher oder später wird hier auf der Straße wohl doch ein unbeteiligter Wagen erscheinen.« »Tun Sie, was ich für richtig halte«, verlangte Agatha Simpson von ihrem Butler und zog bereits eine ihrer bratspießähnlichen Hutnadeln aus der Kopfbedeckung. Sie prüfte die Spitze mit der Kuppe ihres linken Zeigefingers und schien zufrieden. Den gestrandeten Honda-Fahrern war keineswegs entgangen, womit die ältere Dame sich beschäftigte. Der Wortführer räusperte sich nachdrücklich und wollte wissen, warum man ihm die verdammte Nadel zeige. »Mylady ist Anhängerin der Akupunktur«, lieferte Parker die Erklärung. »Ich weiß, daß ich bereits sehr gut bin«, ließ Agatha Simpson sich anschließend optimistisch vernehmen. »Aber ich muß natürlich noch besser werden. Ich freue mich, daß Sie sich zur Verfügung stellen wollen.« »Verfügung stellen? Wofür?« Der Mann wußte es zwar, doch er wollte es einfach nicht glauben. »Für ein weiterführendes Experiment«, sagte der Butler. »Man wird die diversen Einstichstellen selbstverständlich fachgerecht desinfizieren.« »Einstichstellen?« Der Mann räusperte sich erneut. Sein Begleiter duckte sich bereits. »Mylady ist auf der Suche nach jenen Kreuzungs- und Festpunkten, die für die wahrheitsgemäße Aussage zuständig sind«, erklärte der Butler dem Schluckenden. »Eine gewisse Fehlerquote im Aufspüren dieser Wahrheitspunkte ist natürlich durchaus noch gegeben.« »Wieso hab’ ich mich zur Verfügung gestellt?« fragte der Mann aufgebracht. »Einen Dreck hab’ ich getan.« »Mylady und meine bescheidene Wenigkeit verstanden Sie aber so und nicht anders«, meinte Parker höflich wie stets. »Würden Sie jetzt freundlicherweise in den Wagen steigen? Im Schutz des nahen Wäldchens wird man ungestört experimentieren können.« »Was… was wollen Sie denn wissen?« bot der Mann schleunigst seine Mitarbeit an. Dann blickte er seinen Partner wütend an und forderte ihn auf, doch auch etwas zu sagen. »Packen wir aus«, gab der Partner zurück und schielte nach der Hutnadel. »Die wissen ja ohnehin, wer uns geschickt hat, oder?«
»Würden Sie den betreffenden Namen laut und deutlich nennen?« bat Josuah Parker. »William Wiggins«, sagten die beiden Männer hastig zugleich. »Und wie lautete Ihr spezieller Auftrag?« setzte der Butler nach. »Wir… wir sollten euch nachfahren. Wiggins will wissen, wohin ihr unterwegs seid.« »Vom Gebrauch einer Maschinenwaffe war demnach nie die Rede?« »Nie!« Der ehemalige Waffenträger schüttelte heftig den Kopf und wollte treuherzig erscheinen, was ihm allerdings nicht mal ansatzweise gelang. »Sollte ich tatsächlich auf mein geplantes Experiment verzichten?« ließ Lady Simpson sich prompt vernehmen und blickte ihren Butler an. »Ein Test könnte, was diese Aussage betrifft, vielleicht nicht schaden«, erwiderte der Butler. »Nur keine Aufregung«, lenkte der Mann sofort ein. »Okay, wir sollten euch von der Straße bringen. Mit ein paar gezielten Schüssen in die Reifen. Mehr war nicht drin. Mehr hätten wir auch nie gemacht. Wir sind doch keine Mörder.« »Aber wohl durchaus als Menschenjäger zu bezeichnen«, urteilte der Butler klar. »Ihre Betriebsfreunde sagten übereinstimmend aus, Mister William Wiggins setze seine Mitarbeiter im Auftrag des Ordens und des Weisen auf Personen an, die diesen Orden verlassen wollen oder es bereits getan haben.« »Was sollen die und wir tun?« Die beiden Männer schienen etwas irritiert. Höfliche Ausdrucksweise war ihnen wohl nicht vertraut. »Hetzen Sie nun Personen oder nicht?« raunzte die ältere Dame die Gefesselten an. »Und schaffen Sie sie nicht in ein Lager?« »Ins Camp«, lautete die schnelle Antwort des Wortführers, der dazu noch zusätzlich nickte, »und mehr passiert nicht… Wir bringen die Figuren zurück zum Orden und ins Camp. Alles geschieht ganz friedlich, das kann ich beschwören.« »Die gesuchten Personen gehen demnach freiwillig mit?« staunte der Butler verhalten. »Mehr oder weniger«, lautete die verlegene Antwort. »Gut, manchmal müssen wir schon nachhelfen. Da sind oft Familienangehörige, die Terror machen. Die beruhigen wir dann. Sie verstehen?« Er grinste in einer vertraulichen Art, die dem Butler keineswegs benagte.
»Sie wenden Gewalt an?« lautete seine Frage. »Ganz selten«, behauptete der Gangster. »Ein wenig Dresche tut’s meistens schon.« »Und wo befindet sich das Camp?« schaltete sich Lady Simpson ein. Beide Honda-Fahrer erwähnten den ehemaligen Flugplatz bei Bromley und schilderten die genaue Lage, die Anordnung der Gebäude und die Überwachungsanlagen. »Man wird sehen, ob Sie die Wahrheit gesagt haben«, schloß der Butler die Unterhaltung. »Bis dahin dürfen Sie sich als Myladys Gäste betrachten und an der Weiterfahrt teilnehmen.« »Weiterfahrt? Wohin?« fragte der Wortführer nervös. »Lassen Sie sich überraschen«, schlug Josuah Parker vor. »Würden Sie freundlicherweise im Kofferraum Platz nehmen, sobald Sie gewisse Krähenfüße eingesammelt haben?« Sie gingen auf die Einladung ein.
* Es handelte sich um einen jener ehemaligen Feldflugplätze, wie sie im Süden von London noch immer anzutreffen sind. Von den Graspisten waren während des Zweiten Weltkriegs die alliierten Maschinen in Richtung Festland gestartet. Es gab noch die Tower, die improvisierten Hangars, WerkstattBaracken und Nissen-Hütten, die als Unterkünfte gedient hatten. Dieses Gelände war natürlich sehr sorgfältig eingezäunt worden, doch im Lauf der Jahre war der Maschendraht verrostet. Parker hatte sein hochbeiniges Monstrum auf einen sanften Hügel gebracht und ihn unter halbhohen Bäumen abgestellt. Der Butler stand neben seinem Gefährt und beobachtete durchs Fernglas die Steinbaracken, neben denen zwei kleine Kastenlieferwagen und ein Jeep parkten. Aus einer Nissen-Hütte kamen zwei Männer in Overalls. Sie verschwanden in einem Hangar, dessen Schiebetor bis auf einen Spalt zugeschoben war. Dieses Tor war unverkennbar neu hergerichtet worden. Das alles dort unten auf dem ehemaligen Flugplatz machte einen völlig unverdächtigen Eindruck. »Ich überlege gerade, ob ich dieses Camp im Sturm nehme«, sagte Lady Agatha, die neben ihrem Butler stand. Sie machte in
ihrer majestätischen Fülle einen äußerst unternehmungslustigen Eindruck. Der perlenbestickte Pompadour an ihrer linken Hand pendelte bereits nachdrücklich und schien ungeduldig auf seinen Einsatz zu warten. »Mylady können sich alternativ allerdings auch durchaus vorstellen, daß man sich dem Camp möglichst ungesehen nähert«, schlug der Butler vor. »Das natürlich auch, Mister Parker.« Sie nickte. »Obgleich mir der Sturm natürlich besser liegt. Ich werde mich rechtzeitig entscheiden.« »Sobald man die Honda-Fahrer näher befragt hat, Mylady«, sagte der Butler. Er ging um das hochbeinige Gefährt herum und öffnete den Kofferraum. Die beiden Mitfahrer lagen in ihren Fächern und überfielen den Butler mit Morddrohungen aller Art. Es war offensichtlich, daß sie den bisherigen Transport nicht sonderlich schätzten. »Es liegt einzig und allein bei Ihnen, wann Sie den Wagen verlassen wollen«, schickte Josuah Parker voraus. »Die Herren brauchen dazu nur mitzuteilen, in welchem Gebäude die Campwache zu erreichen ist. Zudem müßte man wissen, aus wie vielen Personen sie besteht.« »Da sind ständig vier Leute drin«, lautete die Antwort, »und die sitzen im Tower. Die haben sich da eingerichtet.« »Hoffentlich haben Sie die Wahrheit gesagt«, ließ die passionierte Detektivin sich vernehmen. »Ich werde das nämlich überprüfen.« »Und… und falls die inzwischen umgezogen sind?« tippte der Wortführer vorsichtig an. »Könnte ja sein, oder?« »Dann werde ich Sie akupunktieren, mein Bester«, kündigte Lady Agatha an. »Noch können Sie sich übrigens korrigieren.« »Die Campwache wohnt in der Werkstatt-Baracke«, verbesserte der zweite ehemalige Honda-Fahrer schnell die erste Aussage. »Und da werden auch die Aufgeschnappten festgehalten.« »Jetzt wünsche ich mir fast, daß Sie die Unwahrheit gesagt haben«, erwiderte die ältere Dame. »Die Werkstatt-Baracke«, wiederholte nun auch der Wortführer. »Warum, zum Henker, soll’s denen da unten bessergehen als uns?« »Eine Betrachtungsweise, die aus Ihrer Sicht verständlich und nachvollziehbar ist«, stellte der Butler fest. »Sie erlauben?«
Er schloß den Kofferraum, bevor die beiden Mitfahrer protestieren konnten, und wandte sich dann wieder Mylady zu. Sie hatte sich von ihm das Fernglas geben lassen und studierte die Zufahrtsmöglichkeiten. Sie setzte das Glas ab und traf ihre Entscheidung. »Sie haben hoffentlich das schadhafte Tor hinter dem Hangar ausgemacht«, sagte sie. »Durch dieses Tor werde ich die bewußte Baracke im Sturm nehmen.« »Mylady hätten in der Tat keine bessere Entscheidung treffen können«, gab Parker zurück. »Dieser Weg dürfte sich anbieten, wenn man von dem Zaunstück absieht, das direkt neben dem Hangar zu sehen ist und an das die Baracke grenzt.« »Auf dieses Zaunstück wollte ich besonders hinweisen«, meinte die Detektivin. »Sie sind mir da leider zuvorgekommen, Mister Parker. Selbstverständlich ist das der bessere Weg. Mir ging es nur darum, Ihren Sinn für Taktik zu überprüfen.« »Kamen Mylady möglicherweise zu einem positiven Ergebnis?« erkundigte sich der Butler. »Ein guter Ansatz ist zweifelsfrei vorhanden«, räumte sie ein. »An den Feinheiten werden wir aber noch intensiv arbeiten müssen, Mister Parker. Nur Mut, es wird schon werden!« Parkers Höflichkeit ließ es nicht zu, daß sich auch nur ein einziger Muskel in seinem Gesicht bewegte.
* Sie wurden völlig überrascht. Es handelte sich um vier noch recht junge Männer, die ausnahmslos einen militärischen Zuschnitt aufwiesen. Sie trugen einheitliche, hellblaue Overalls, hatten das Kopfhaar kurz geschoren und bewegten sich auf Tennisschuhen. Jeder von ihnen war mit einem sogenannten Treiberstock ausgerüstet. Im Schaft dieser Stöcke befanden sich Batterien, deren hochgespannter Strom dazu verwendet wurde, um normalerweise widerspenstiges Vieh zu dirigieren. Der Zweck hier im Camp lag natürlich auf der Hand. Es handelte sich um Waffen, mit denen man eingefangene »Suchende« zur Räson bringen wollte. Diese vier paramilitärischen Personen hatten gepokert und blickten völlig entgeistert in die Doppelläufe der beiden Schrotgewehre, die Lady Simpson und Parker in den Händen hielten.
Die Waffen stammten aus einem Nebenraum, den Parker gerade inspiziert hatte. Hier hatte er übrigens außer den Gewehren noch andere Waffen entdeckt: Maschinenpistolen und sogar Handgranaten. »Ich hoffe doch sehr, daß Sie mich angreifen«, sagte die ältere Dame und lächelte gefährlich wohlwollend. »Wer… wer sind Sie?« fragte jener Mann, der wohl das Kommando hatte. Er war einige Jahre älter als seine Partner, die Parker für im Schnitt nicht über zwanzig einschätzte. »Ihr Leichtsinn ist geradezu bemerkenswert«, stellte der Butler fest. »Sie haben es übrigens mit Lady Simpson und ihrem Butler zu tun. Mein Name ist Parker, Josuah Parker.« »Verdammt, was wollen Sie hier?« fuhr der Kommandoführer ihn an. Er war allerdings so klug, am Tisch sitzen zu bleiben. Sein Instinkt riet ihm sicher dazu. Er sah zwei Personen vor sich, die durchaus in einen Club für Senioren paßten, doch die Art, wie sie die Schrotgewehre hielten, warnte ihn. »Und warum überfallen Sie uns?« lautete die nächste Frage. Während der Mann redete, bedachte er seine Mitspieler mit einem warnenden Blick. Er unterband damit die Absicht, aufzuspringen und anzugreifen. »Sie sind nach übereinstimmender Aussage das Stammpersonal dieses Ordens-Camps«, schickte Josuah Parker voraus. »Sie unterziehen Suchende, die den >Orden der reinen Vernunft<, verlassen haben, einer Umerziehung.« »Unsinn, wir sind ein Sport-Camp«, behauptete der Kommandoführer. »Hier wird kein Mensch umerzogen. Wer behauptet denn solchen Blödsinn?« »Mitarbeiter eines gewissen Mister William Wiggins«, erklärte Josuah Parker und wandte sich dann an einen der anderen Männer. »Wenn Sie unbedingt darauf bestehen, wird man Sie selbstverständlich mit einer Ladung Schrot bedenken. Sie brauchen nur weiterhin verstohlen nach Ihrer Schulterhalfter zu greifen.« Der Angesprochene zuckte zusammen und bekam einen dunkelroten Kopf. Dann zog er ihn ein, machte sich sehr klein und preßte die Lippen fest aufeinander. »Mylady geht davon aus, daß Sie mit Sicherheit über einen fest zu verschließenden Kellerraum verfügen«, fuhr der Butler fort.
»Im Interesse Ihrer Gesundheit wäre es recht förderlich, wenn Sie diesen Kellerraum beziehen würden.« »Parker war Ihr Name, ja?« fragte der Wortführer. »Okay, Sie sitzen im Moment am längeren Hebel, ganz klar, aber das wird sich ändern, glauben Sie mir.« »Und welchen Schluß sollte meine bescheidene Wenigkeit aus diesem Hinweis ziehen?« wollte der Butler wissen. »Ziehen Sie Leine, solange noch Zeit ist«, riet der Mahn eindringlich. »Noch können wir den Besuch hier wegstecken und vergessen. Aber wenn Sie uns reizen, sehe ich schwarz für Sie und die Lady.« Daraufhin löste Agatha Simpson spontan einen Schuß!
* Die Schrotladung ließ ein Regal zusammenfallen, das an der Wand stand und als Schrank diente. Flaschen, Gläser, Eßgeschirr, Vorratsdosen, Mehl, Milch, Kaffee und Zucker wirbelten stillos durch die Luft und sorgten für ein kleines Chaos. Es regnete Splitter. Mehl wirkte wie Schnee, Zucker verband sich mit dem Kaffeepulver und fiel von der Decke. Die vier Personen am Tisch duckten sich und suchten Deckung. Parker sorgte dafür, daß sie ihre Köpfe nicht mehr hoben, vorerst wenigstens nicht. Mit dem bleigefüllten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms klopfte er recht ungeniert, spielerisch leicht und schnell auf die Köpfe der Wächter und verschaffte ihnen auf diese Weise einen kurzen Tiefschlaf. Parker nutzte die Zeit und bediente sich einiger dünner, zäher Kabel, die er auf einem Wandtisch fand. Damit verschnürte er die Handgelenke der Männer und bewahrte sie so davor, später unnötig aktiv zu werden. Er hatte seine Arbeit gerade beendet, als die vier Overallträger wieder zu sich kamen. Sie machten einen betretenen Eindruck, nachdem sie festgestellt hatten, was mit ihnen passiert war. Parker hatte sie selbstverständlich auch entwaffnet und dabei vier Automatics sichergestellt. »Das werden Sie noch bereuen«, drohte der Kommandoführer ohne jeden Nachdruck.
»Ich bereue es schon jetzt, nicht besser gezielt zu haben, junger Mann«, ließ Agatha Simpson sich grimmig vernehmen. »Aber was nicht ist, kann ja noch werden, denke ich. Eine Lady Simpson weiß sich zu verteidigen, wenn sie angegriffen wird.« »Mylady wünscht zu erfahren, wo Sie die bisher eingelieferten Suchenden verwahren«, kam der Butler auf den eigentlichen Grund dieses Besuches zu sprechen. »Darunter müssen sich die Herren Dan Basnick und Gene Owens befinden.« »Wir… wir haben hier keine Gäste«, behauptete der Wortführer, dem man allerdings deutlich ansah, daß er log. »Darf man vielleicht nach diesen Gästen suchen?« tippte der Butler an. »Sollte es sich herausstellen, daß Sie – mit Verlaub – gelogen haben, würden Mylady dies als eine schwere Beleidigung auffassen.« »Und auf Beleidigung reagiere ich stets ärgerlich«, fügte die ältere Dame hinzu. »Ich fühle mich dann immer angegriffen und wehre mich mit dem, was ich gerade zur Hand habe.« Was sie damit meinte, war deutlich zu sehen. Lady Agatha untersuchte ihr doppelläufiges Schrotgewehr. Und es war sicher nur reiner Zufall, daß beide Läufe auf den Kommandoführer gerichtet waren. Er bog sich seitlich weg, doch wie durch Zauberei folgte der Doppellauf dieser Bewegung. »Wie spannt man die Waffe, Mister Parker?« erkundigte sich die ältere Dame und zeigte Ungeschick. »Okay, nehmen Sie schon endlich das verdammte Ding weg, Lady«, stöhnte der Overallträger. Dicke Schweißtropfen hatten sich auf seiner Stirn gebildet. »Ich kenne die beiden Leute, die Sie gerade erwähnt haben. Die sind hier…« »Und welche Personen insgesamt noch?« wollte der Butler wissen. »Dann noch zwei Männer und eine Frau«, kam nun flüssig die Auskunft. »Die sind drüben im Hangar in einer Zelle. Aber wir haben die Leute völlig korrekt behandelt.« »Und wem würden Sie eine unkorrekte Behandlungsweise unterstellen?« lautete die nächste Frage des Butlers. »Da kommen manchmal diese Tutoren aus der Stadt und ziehen ihre Show ab«, erklärte der Mann weiter. »Die haben ihre ganz speziellen Trainingsprogramme.«
»In bestimmten Räumen?« fragte der Butler. Lady Agatha stand derweil an einem Wandtisch und sichtete die Flaschen und Gläser, die zum Bestand einer improvisierten Bar gehörten. »Wir haben da Schulungsräume«, zählte der Kommandoführer weiter auf. »Aber noch einmal: Mit den Tutoren haben wir nichts zu tun.« »Von wem werden Sie bezahlt, um auch diese Frage noch zu klären?« Dabei goß die ältere Dame sich einen Brandy ein und roch betont prüfend am Inhalt. Anschließend nickte sie und kräftigte ihren angegriffenen Kreislauf. »Wir bekommen unser Geld vom Ordens-Center«, läutete die Antwort. »Meistens kommt ein gewisser Lockson und löhnt uns. Aber den werden Sie nicht kennen.« »Das Gegenteil ist der Fall«, konnte Parker informieren. »Welche Rolle spielt Mister Martin Lockson im Orden?« »Der ist so etwas wie der Boß der anderen Trainer und Tutoren«, erwiderte der Kommandoführer. »Lockson hat ‘ne Menge zu sagen.« »Bleibt noch ein Hinweis auf den bereits erwähnten Mister William Wiggins«, sagte der Butler in seiner höflichen Art. »Nach einer erschöpfenden Antwort können Sie der Ruhe pflegen.« »Einverstanden, Parker, wenn ich für ihn antworte?« reagierte in diesem Moment eine helle Männerstimme, in der Triumph mitschwang. »Drehen Sie sich langsam um und nehmen Sie die Arme hoch! Ich warte nur darauf, um Ihnen ein Ding zu verpassen!«
* Parker sah sich einem kleinen drahtigen Mann gegenüber, der einen Revolver in der rechten Hand hielt und kalt lächelte. Seine Augen glitzerten in einer Weise, die man nur als mörderisch bezeichnen konnte. »Kann und muß man davon ausgehen, daß Sie Mister William Wiggins sind?« erkundigte sich der Butler. Er hatte sich langsam zu dem Neuankömmling umgedreht und hob dabei die schwarz behandschuhten Hände.
Selbst ein aufmerksamer Beobachter hätte wohl kaum den ebenfalls tiefschwarzen Kugelschreiber in der linken Hand des Butlers ausmachen können, zudem auch der Halteclip schwarz war. Parker hatte das Schreibgerät sehr geschickt aus der Ziertuchtasche seines schwarzen Zweireihers gezogen. »Ich bin William Wiggins«, bestätigte der Mann, der nach Parkers Einschätzung um die vierzig Jahre sein mochte. »Und so also sehen Parker und die berühmte Lady aus.« »Hoffentlich sind Sie in der Lage, Mister Wiggins, Ihrer Enttäuschung einigermaßen Herr zu werden«, fuhr der Butler fort, während Agatha Simpson ihre stämmigen Arme über ihrer recht üppigen Brust verschränkte. »Genau so und nicht anders sind Sie mir beschrieben worden«, gestand der Gangster und lächelte wieder kalt. »Und ich muß schon sagen, daß ich doch sehr enttäuscht bin.« »Das war hoffentlich als Beleidigung gedacht«, grollte Lady Agatha. Sie schien den Revolver in der Hand des Gangsters nicht zu sehen. »Mit Ihnen, Lady, werde ich mich noch besonders befassen«, sagte Wiggins. »Das wird mir dann ein Vergnügen sein, glauben Sie mir. Sie müssen meine Angestellten ganz schön durcheinandergewirbelt haben.« »Anfänger sind das, nichts als Anfänger«, gab Mylady verächtlich zurück. »Um welche Subjekte handelt es sich denn noch, Mister Parker?« »Mylady hatten es mit zwei Personen männlichen Geschlechts zu tun, die über die rückwärtige Mauer von Myladys Anwesen stiegen«, erinnerte der Butler. »Hinzu kamen noch zwei Personen, die einen Honda benutzten. Zu diesen vier Herren gesellten sich noch zwei weitere, die regulär im Haus erschienen, aber wohl direkt vom Orden geschickt waren.« »Und alle diese Leute werden wir jetzt gemeinsam befreien«, schickte Wiggins voraus. »Aber vorher werde ich Sie, Mylady, zusammen mit Ihrem Butler erst mal so recht in Schwung bringen.« »Muß man davon ausgehen, Mister Wiggins, daß Sie zumindest leicht verärgert sind?« wollte der Butler wissen. »Und ob ihr mich gereizt habt!« Wiggins nickte. »Warum, zum Teufel, mischt ihr euch in Dinge, die euch einen Dreck angehen? Warum legt ihr euch mit dem Orden an?«
»Um Subjekten wie Ihnen das Handwerk zu legen«, grollte die ältere Dame in ihrer bekannt ungenierten Art. »Sie sind doch nichts anderes als ein Menschenjäger, nicht wahr?« »Kann man schon sagen.« William Wiggins nickte noch stolzer. »Und wir bekommen so gut wie jeden Typ, der sich absetzt.« »Man kann also unterstellen, daß Sie tatsächlich für den oft zitierten Weisen arbeiten und in seinen Diensten stehen, Mister Wiggins?« »Ich bin selbständig«, verwahrte sich der Gangster sofort. »Ich bin unabhängig.« »Und spielen nach Lage der Dinge sicher mit dem Gedanken, den Orden eines Tages in Eigenregie zu übernehmen?« »Wie kommen Sie denn ausgerechnet darauf?« Der Gangster lächelte und wirkte plötzlich erstaunlich entspannt. Dies dauerte allerdings nur wenige Sekunden, dann hatte er sich bereits wieder fest unter Kontrolle. »Reden Sie keinen Blödsinn, Parker!« »Ein Mann Ihrer Qualitäten weiß doch längst, über welche risikolosen Einnahmen der >Orden der reinen Vernunft< verfügt«, fuhr Parker zielstrebig fort. »Die Mitglieder dieses Ordens dürften sich darum reißen, den Weisen zu bezahlen. Juristisch ist dies unangreifbar, denn es geschieht auf freiwilliger Basis.« »Es gibt eben Leute, die kapieren’s nie«, mokierte sich der Gangster. »Aber das ist nicht mein Bier. Schluß jetzt mit der ganzen Quasselei! Wenn Sie glauben, mich reinlegen zu können, Parker, sind Sie auf dem Holzweg. Ich hab’ mir sagen lassen, daß Sie mit ganz verrückten Tricks arbeiten.« »Man dürfte sicher maßlos übertrieben haben«, vermutete Josuah Parker. »Für die Rückfahrt in die City möchte meine Wenigkeit Ihnen vorschlagen, den Privatwagen meiner Wenigkeit zu benutzen. Er verfügt über den Sender, mit dem man das Gittertor vorn an der Straße zu öffnen vermag.« »Sprechen Sie von dem Wrack, das da neben der Baracke steht?« fragte der Gangster ironisch. »Ein in der Tat betagtes Gefährt, Mister Wiggins, das aber noch durchaus als fahrtüchtig zu bezeichnen ist.« »Ich denk’ unwillkürlich an ‘ne Schrottpresse, wenn ich so ‘ne Rostlaube sehe«, stichelte der Gangster. »Aber man wird ja sehen, Parker. Jetzt gehen wir alle zuerst mal rüber in den Hangar und machen uns ein bißchen warm. Ich bin doch verdammt gespannt, wieviel Sie wegstecken können.«
»Meinen Sie damit etwa auch mich, junger Mann?« mischte sich die ältere Dame ein. »Auch Sie, Lady«, bestätigte der Gangster, der es bisher versäumt hatte, seine vier Mitarbeiter zu befreien. Durch das von Parker inszenierte Frage- und Antwort-Spiel war William Wiggins entscheidend abgelenkt worden.
* »Eine falsche Bewegung, Parker…« Mehr sagte Wiggins nicht und hob den kurzen Lauf seines Revolvers. »Sie können durchaus davon ausgehen, Mister Wiggins, daß meine Wenigkeit die feste Absicht hat, diese Begegnung zu überleben«, gab Josuah Parker in gewohnt höflicher Weise zurück. »Darf man sich aber erlauben, Mylady eine hilfreiche Hand zu leihen?« »Oder fürchten Sie sich etwa vor einer alten und völlig hilflosen Frau?« fragte Lady Agatha ironisch. »Ich fürchte faule Tricks«, lautete die Antwort des Gangsters, der erst jetzt auf seine vier Mitarbeiter am Tisch aufmerksam wurde und langsam zu ihnen hinüberwechselte. Dabei mußte er den Butler passieren, der einen halben Schritt zurücktrat und dabei den Anschein eines leichten Mißverständnisses erweckte. Wiggins verzog sein Gesicht, als sich ein feuchter Film auf seine Gesichtshaut legte und auch seine Augen traf. Er rümpfte die Nase und kniff die Augen zusammen. Dann stöhnte er und kratzte sich mit der linken Hand am Hals. Er nahm anschließend auch noch die rechte Hand hoch und richtete dabei den Revolverlauf zur Decke. »Verdammt, das juckt ja scheußlich«, stöhnte er und reagierte kaum, als Parker ihm wie beiläufig den Revolver aus der Hand nahm. Wiggins schien sogar dankbar zu sein, denn er reagierte ausgesprochen wohlig, als er sich nun auch mit der rechten Hand intensiv kratzen konnte. Dabei hüpfte er wie ein Känguruh um den Tisch herum und lachte unablässig. »Ich nehme an, Mister Parker, daß Sie für diesen Unsinn verantwortlich sind«, ließ Agatha Simpson sich vernehmen. Sie hatte ihren perlenbestickten Pompadour bereits in erste Schwingung versetzt.
»Mister Wiggins setzt sich mit dem Inhalt eines speziellen Kugelschreibers auseinander«, erklärte der Butler und präsentierte seiner Herrin das tiefschwarze Schreibgerät, das er wieder in die Ziertuchtasche seines Zweireihers steckte. »Es handelt sich dabei um ein Präparat, das einen unwiderstehlichen Juckreiz auslöst.« »Man sieht«, erwiderte die ältere Dame. »Seine Sprungkraft ist schon wirklich erstaunlich.« Sie hatte nicht übertrieben, wie zu sehen war. William Wiggins war inzwischen zu einem fast echten Känguruh geworden. Er hüpfte in erstaunlich weiten Sätzen, kurvte im Hintergrund um einen Küchentisch, riß dabei einige Stühle um und produzierte schrille Lustschreie. Er hopste zurück in Richtung Mylady, blickte sie aus weit geöffneten Augen an und jaulte dann, um ohne Übergang wieder zu lachen. »Wie lange dauert das, Mister Parker?« wollte die ältere Dame wissen. »Mister Wiggins muß mit einer halben Stunde exzessiven Frohsinns rechnen, Mylady«, antwortete der Butler. »Danach dürfte er erfahrungsgemäß der Erschöpfung anheimfallen.« »Ich sollte auch diese Subjekte mit dem Präparat behandeln«, überlegte die Detektivin und musterte die vier WigginsMitarbeiter, die in einer Mischung aus verstohlenem Mitlachen und einer gewissen Angst die Kür ihres Arbeitgebers verfolgten. »Man sollte die Herren vielleicht damit beglücken, Mylady, falls sie nicht bereit sind, weitere Angaben zu den diversen Hetzjagden zu machen«, schlug Josuah Parker vor. »Darüber hinaus sollten sie noch hinreichend fit sein, Fragen der eingefangenen Suchenden zu beantworten.« »Richtig«, bestätigte Agatha Simpson. »Genau das wollte ich ja gerade sagen, falls ich es nicht bereits gesagt habe, Mister Parker. Ich werde mich überraschen lassen. Handeln Sie in meinem Sinn.« Parker bat die vier Männer, mit Mylady und ihm in den Hangar zu gehen. Sie erblickten das Schrotgewehr in seinen Händen und verzichteten auf jeden Gegenvorschlag. Agatha Simpson befaßte sich mit William Wiggins und dirigierte ihn mit dem Lauf ihres Schrotgewehrs ebenfalls in die große Halle, in der normalerweise Flugzeuge gewartet wurden. Sie war sehr überrascht, als sie sah, wie man diesen Hangar neu gestaltet hatte. Auch der Butler nahm sich die Freiheit, seine linke
Augenbraue erstaunt hochsteilen zu lassen. So etwas hatte er nicht erwartet.
* In dem langgestreckten und haushohen Hangar war eine bemerkenswert komplizierte Hindernisbahn aufgebaut worden. Es gab Kriechstrecken, Eskaladierwände, Häuserfronten und tiefe Gruben mit steilen, ausgemauerten Seitenwänden. Die Bahn wurde durch zwei übermannshohe Begrenzungen aus Maschendraht vorgegeben. »Mylady und meine bescheidene Wenigkeit gehen davon aus, Mister Wiggins, daß Sie sich zu dieser Hindernisbahn näher erklären werden«, meinte der Butler. Wiggins, der sich nach wie vor wie besessen kratzte, kicherte ausgesprochen albern und ließ sich zu Boden fallen. Er rutschte anschließend auf dem Rücken über den Zementbelag am Anfang der Bahn. Man sah ihm deutlich an, daß er nach wie vor nicht anzusprechen war. Das Präparat aus Parkers Kugelschreiber war ungemein wirkungsvoll. »Nun, ich warte auf Ihre Erklärung«, schaltete sich die ältere Dame ein und blickte die Männer leicht ungeduldig an. Dabei nahm sie den Doppellauf des Gewehres ein wenig hoch. Die Mündungen zielten auf die unteren Körperpartien der vier Schläger. »Naja, das ist fürs Training«, erklärte jetzt der Wortführer des Wachkommandos und wirkte etwas verlegen. »Für das Training Ihrer Mitarbeiter?« wollte Josuah Parker wissen. »Klar, auch für uns… das heißt, eigentlich nur für uns.« Der Kommandoführer wirkte fahrig und log offensichtlich, Parker stieß nach. Er kam auf die sogenannten Suchenden des Ordens zu sprechen, die sich abgesetzt hatten. »Sie trainieren also in erster Linie jene Personen, die von Ihnen und Ihren Mitarbeitern wieder eingefangen wurden?« unterstellte der Butler. »Ja, die machen mit – das heißt, eigentlich scheuchen wir nur die über die Bahn, damit die sich körperlich mal so richtig ausarbeiten können.« »Und welchem Zweck dienen die Sandhügel in der Mitte des Hangars?« lautete die nächste Frage des Butlers. Mit seiner Schirm-
spitze deutete er auf zwei veritable Erhebungen von allerdings unterschiedlicher Höhe. Zwischen den beiden Sandbergen standen einfache Schubkarren und lagen Schaufeln. »Das ist… für Ausbesserungsarbeiten«, stotterte der Kommandoführer und schaute zu Boden. »Ich denke, ich werde dieses verkommene Subjekt gleich ohrfeigen, Mister Parker«, sagte Lady Agatha gereizt. »Ich höre doch deutlich, daß ich belogen werde.« »Sie sollten Myladys gerechten Zorn auf keinen Fall unnötig und leichtfertig herausfordern«, warnte Parker den Mann. »Man kann also unterstellen, daß die Eingefangenen hier kleine Sandberge zu versetzen hatten?« »Nur damit sie nicht Langeweile hatten«, wiegelte der Gangster ab und blickte ein wenig irritiert auf Wiggins, der sich endlich beruhigte, jetzt nur noch auf dem Rücken zappelte und bereits aufmerksam zuhörte. »Man wird die Betroffenen zu fragen wissen«, meinte Josuah Parker. »Wo findet man unter anderem die Herren Dan Basnick und Gene Owens?« »Sie bringen sich um Kopf und Kragen«, war in diesem Moment Wiggins zu hören. Er lächelte dabei sehr angespannt und scheuerte wieder seinen Rücken am Betonboden. »Sie werden ‘ne ganze Armee gegen sich haben, Parker.« »Halten Sie endlich Ihren Mund und beleidigen Sie mich nicht weiter!« blaffte Agatha Simpson und verabreichte dem Mann eine Ruhestellung, und zwar mit ihrem Pompadour. Der sogenannte Glücksbringer darin, nämlich das Hufeisen, klatschte gegen die linke Rippenpartie des Gangsters und beendete damit überraschenderweise den Juckreiz. Wiggins schnappte nach Luft, hechelte wie ein durstiger Hund und blieb dann ruhig liegen. »Na also, junger Mann, es geht doch«, sagte die ältere Dame. »Richten Sie sich jetzt darauf ein, diese Hindernisbahn zu durchsteigen. Ich werde mich davon überzeugen, wie gut trainiert Sie sind.« »Die übrigen vier Personen sind herzlichst eingeladen, sich an diesem Hindernisrennen zu beteiligen«, sagte der Butler. »Doch ohne Zuschauer könnte aufkeimender Ehrgeiz schnell zum Erliegen kommen. Man wird also die eingefangenen Suchenden bitten, sich am Geschehen zu beteiligen.«
Parker opferte eine seiner privaten Wegwerffesseln und verschnürte damit die Handgelenke von William Wiggins. Er wollte nicht noch mal gestört werden.
* Sie schienen müde und erschöpft. Aus einem bunkerähnlichen Verschlag unter dem Betonboden des Hangars holte Josuah Parker vier junge Männer und zwei ebenfalls noch junge Frauen. Sie trugen Overalls, karierte HolzfällerHemden und grobe Schuhe. Die sechs Menschen machten einen geistesabwesenden Eindruck. Freude darüber, daß man sie befreite, vermochten sie nicht zu zeigen. Ihre Augen waren glanzlos, ihre Körper abgemagert. Als sie die Kommando-Mitglieder erblickten, senkten sie sofort die Köpfe und blieben stehen. Dabei nahmen sie so etwas wie Haltung an. Ihre Angst war körperlich spürbar. Sie mußten eine Menge erduldet haben. »Meine Wenigkeit möchte Ihnen noch mal nachdrücklich erklären, daß Sie keine Angst mehr zu haben brauchen«, wiederholte der Butler. »Ihre Umerziehung ist hiermit beendet.« »Wieder so ein Trick?« fragte der junge Mann, der sich als Dan Basnick vorgestellt hatte. Seine Stimme klang resigniert. Er schien solche Ankündigungen bereits mehrfach gehört zu haben. »Ihre Trainer sind nicht mehr in der Lage, Sie über die Hindernisbahn zu jagen«, redete Parker gemessen weiter. »Falls Sie es wünschen, können Sie sich davon überzeugen, daß Ihre Peiniger inzwischen Fesseln tragen und zur Verantwortung gezogen werden.« »Wieso Peiniger?« sagte eine junge Frau und lächelte schüchtern. »Wir sind doch überhaupt nicht gepeinigt.« »Sie haben sich demnach völlig freiwillig und geradezu begierig auf dieser Hindernisbahn betätigt?« gab Parker zurück. »Natürlich«, sagte ein junger Mann und lächelte ebenfalls krampfhaft. »Uns hat niemals jemand dazu gezwungen.« »Sind auch Sie dieser Ansicht, Mister Gene Owens?« erkundigte sich Josuah Parker. »Ihre Schwester Judy geht von der Annahme aus, daß man Sie hierher verschleppt hat. Dies trifft auch für Ihren Bruder Glenn zu, Mister Basnick.«
»Natürlich werden auch die übrigen Personen von ihren Angehörigen gesucht«, warf Lady Simpson ein. »Aber ich sehe schon, Sie glauben an einen Trick, nicht wahr?« »Wieso Trick?« fragte Gene Owens. »Wir sind doch freiwillig hier.« »Ob Sie das nun glauben oder nicht«, fügte Dan Basnick hinzu, »aber so ist das nun mal eben. Wir trainieren hier völlig freiwillig.« »Die Damen selbstverständlich ebenfalls?« erkundigte sich der Butler in gewohnt höflicher Weise. »Jeder lügt, der das Gegenteil behauptet«, sagte die zweite junge Frau ausgesprochen eifrig und warf einen scheuen ängstlichen Blick auf Wiggins, der sich inzwischen hochgesetzt hatte. »Na, was habe ich Ihnen gesagt, Parker?« ließ der Gangster sich vernehmen. »Wir werden Ihnen Klagen anhängen, daß Sie nicht mehr aus dem Gericht herauskommen. Darauf können Sie Gift nehmen. Hier ist alles regulär.« »Vielleicht unterliegen Mylady und meine Wenigkeit tatsächlich nur einem äußerst bedauerlichen Irrtum«, sagte der Butler. »Wenn dem so sein sollte, kann man wirklich nur um Entschuldigung bitten und beschämt von hier wegfahren.« »Aber vorher schneiden Sie uns noch gefälligst die Fesseln durch«, verlangte William Wiggins, der natürlich Auftrieb erhielt. »Mit dem größten Vergnügen!« Parker holte einen kleinen Seitenschneider aus einer der zahlreichen Taschen seines schwarzen Covercoats und durchtrennte die Einwegfesseln der Trainer. Sie rieben sich die Handgelenke und blickten in einer Mischung aus Irritation und Wut auf den Butler, der wieder das Schrotgewehr in Händen hielt und mit dem Doppellauf auf die Hindernisbahn deutete. »Mylady würde es ungemein begrüßen, wenn die Herren einen Beweis Ihrer sportlichen Fitneß liefern würden.« »Mit anderen Worten… Und jetzt los!« kommandierte die ältere Dame. »Oder muß ich Sie erst mit einer Schrotladung überreden?« Die vier verhinderten Hochleistungssportler trabten an.
*
Sie warfen sich auf den Bauch, krochen unter quergespanntem Stacheldraht weiter in Richtung Autoreifen und hangelten sich dann von Pendelreifen zu Pendelreifen. Dabei entwickelten sie keinen besonders erkennbaren Eifer, und Parker sah sich genötigt, die Sportler ein wenig anzutreiben. Die sechs eingefangenen Suchenden hatten auf einem Querbalken Platz genommen und schauten teilnahmslos zu. Sie schienen von dem Hindernislauf nichts zu sehen, doch Parker ging davon aus, daß sich dies garantiert noch ändern würde. Die vier Männer hatten die Pendelreifen hinter sich gebracht und standen unentschlossen vor einer Eskaladierwand, die rund zweieinhalb bis drei Meter hoch war. Sie sprangen an den glatten Planken hoch und ließen sich dann wieder abrutschen. »Wie wurden Sie denn animiert, über die Hindernisse zu gehen?« erkundigte sich der Butler bei den Eingefangenen. Er wandte sich vor allen Dingen an Dan Basnick. »Die haben geschossen«, lautete die kaum glaubliche Antwort. »Die hatten Kleinkalibergewehre.« »Und wo findet man die Schußwaffen?« lautete die nächste Frage des Butlers. »Dort im Stahlschrank«, gab Gene Owens Auskunft. Er zeigte auf eine Art Sitzgruppe, die auf einer Tribüne untergebracht war. Eine steile Treppe führte hinauf. Parker veranlaßte die Suchenden, zusammen mit Mylady und ihm hinaufzugehen. William Wiggins zierte sich zwar ein wenig, doch als er Myladys pendelnden Pompadour sah, verzichtete er auf alle geplanten Einwände und hastete eilig nach oben. Von der Brüstung der Tribüne aus hatte man einen klaren Blick auf die Hindernisbahn. Parker öffnete einen der Stahlschränke und holte ein Kleinkalibergewehr hervor, das mit einem Zielfernrohr versehen war. »Mit Ihrer Erlaubnis, Mylady.« Parker setzte das Gewehr fachmännisch an, zielte kurz und feuerte dann einen Schuß ab, der einige Holzsplitter aus der Eskaladierwand riß. Das sprach die vier Trainer an, die ausgesprochen munter und laufstark reagierten. Sie wollten einem zweiten Schuß entgehen und beschäftigten sich intensiv mit der Hinderniswand. Sie sprangen an ihr hoch, unterstützten sich wechselseitig, erinnerten an nasse Säcke, die schlaff herunterhingen, stemmten,
zogen und zerrten sich wieder hoch und überwanden endlich das Hindernis. Damit begann aber erst die Folge der Hindernisse. Die Trainer mußten über glitschige Baumstämme balancieren, die über einem Pool lagen. Die vier Hindernisläufer zögerten ein wenig vor diesem Hindernis, doch als Parker einen zweiten Schuß ins Wasser abfeuerte und eine kleine Fontäne aufspringen ließ, machten die Sportler sich daran, auch dieses Hindernis zu nehmen. Sie breiteten ihre Arme aus, suchten nach dem Gleichgewicht und fanden es nicht. Das ölig-schwarze Wasser schäumte und verschlang erst mal die vier Sportler. Sie tauchten wieder auf, spuckten, gurgelten, husteten sich die Seele aus dem Leib und wateten anschließend ans rettende Ufer. Sie hatten einige Mühe, an Land zu kommen. Die sechs Ordensmitglieder, die sich abgesetzt hatten, zeigten endlich erstes Interesse am allgemeinen Geschehen. Sie waren aufgestanden, sprachen leise miteinander, beugten sich vor und begriffen langsam, daß sie es keineswegs mit einem Trick zu tun hatten. Die Trainer standen vor einem tiefen, ausgemauerten Graben und langten nach glatten Stangen, an denen sie hinuntergleiten konnten. Als Parker das Kleinkalibergewehr hob, fühlten die Männer sich bereits voll überredet und glitten schleunigst nach unten. Der Graben war derart tief, daß Parker die Sportler nicht mehr sah. »Sie verfügen mit Sicherheit über einschlägige Erfahrungen«, schickte er voraus und wandte sich an die Suchenden des Ordens. »Welche Aufgabe hat man vom Graben aus zu bewältigen?« »Wir mußten an den Stangen wieder hochklettern«, antwortete Gene Owens, »eine Wahnsinnsarbeit… Die Stangen sind glatt, und vom Pool her hat man ölige Hände.« »Im Wasser ist nämlich Öl«, fügte eine junge Frau hinzu. »Oft waren wir stundenlang in diesem verdammten Graben.« »Warum sind Sie nicht unten geblieben, meine Liebe?« wollte die ältere Dame wissen. »Wenn’s denen zu lange dauerte, haben die Wasser eingelassen. Bis zu unseren Hälsen«, lautete die Antwort. »Da drüben ist der Schieber… Die haben uns ununterbrochen in Bewegung gehalten.« »Selbstverständlich können Sie umgehend das fahren, was man gemeinhin eine Retourkutsche zu nennen pflegt«, erwiderte Josu-
ah Parker. »Einer gewissen Schadenfreude sollte man nicht aus dem Weg gehen, sofern ein bestimmter Rahmen nicht überschritten wird. Es liegt jetzt an Ihnen, die sogenannten Sportler dort unten zu testen.« Die sechs jungen Menschen hatten ihre innere Sperre überwunden und betätigten sich ab sofort ihrerseits als Trainer.
* Nicht gerade sauberes Wasser rauschte aus seitlich angebrachten Rohren in die ausgemauerte Grube. Die vier Trainer hatten sich in eine Ecke gedrängt und konnten nachvollziehen, was sie den eingefangenen Suchenden angetan hatten. Als das Wasser schnell höher stieg, hielten sie es doch für angebracht, den Graben zu verlassen. Die Trainer langten nach den glatten Stangen und kletterten an ihnen nach oben. Sie hatten eine Höhendifferenz von wenigstens fünf Metern zu überwinden. Und es kam, wie es kommen mußte: Die ölverschmierten Hände rutschten immer wieder an den glatten Geräten ab. Die Männer glitten nach unten und landeten im angestiegenen Wasser, das ihnen, bis zum Hals reichte. »So etwas könnte ich mir stundenlang anschauen, Mister Parker«, sagte Lady Simpson in ihrer direkten Art. »Und was folgt nach diesem Wassergraben?« »Danach mußten wir dort durch die Betonröhren kriechen«, erklärte Dan Basnick. »Dann ging es unten durch den künstlichen Sumpf.« »Darf man fragen, wie oft Sie diesen Weg zu nehmen hatten?« wollte der Butler wissen. »So oft, bis wir nicht mehr konnten«, lautete die Auskunft der jungen Frau. »Danach mußten wir den Sand dort karren.« »Sie trugen offensichtlich den ersten Hügel ab, um den zweiten neu aufzutürmen«, vermutete der Butler. »Stundenlang«, bestätigte Gene Owens. »Und wenn wir nicht mehr konnten, traktieren sie uns mit den Kolben ihrer Gewehre.« »Könnten Sie sich für eine der Schubkarren erwärmen, Mister Wiggins?« fragte der Butler und wandte sich an den Gangster, der offiziell nur gebrauchte Autoteile verkaufte.
»Das sind doch alles Ammenmärchen«, verteidigte sich der Gangster wütend und bedachte die vier befreiten Suchenden mit giftigen Blicken. »Dort unten wird umgebaut, das ist die ganze Erklärung.« »Dann sollten Sie Mylady den Gefallen erweisen, ein wenig mitzubauen«, schlug der Butler vor und deutete mit der Spitze des Kleinkalibergewehres auf Wiggins. »In der Handhabung einer Schubkarre dürften Sie sich mit einiger Sicherheit auskennen.« »Ich soll…?« Wiggins atmete tief durch. »Und zwar sofort, junger Mann«, fügte Lady Agatha gefährlich freundlich hinzu. »Vergessen Sie nicht, daß ich mit Schießgeräten ausgezeichnet umzugehen verstehe.« Agatha Simpson hielt es mit dem Schrotgewehr und richtete den Doppellauf auf William Wiggins, der blaß um die Nase wurde und abwehrend die Hände hob. »Beeilen Sie sich, junger Mann, bevor ich die Geduld verliere«, forderte sie den Gangster auf. Wiggins nickte mehrmals, schluckte und stieg dann über die Brüstung nach unten. Während seine Mitarbeiter sich im Schlamm suhlten, ging der Mann zögernd auf einen der beiden Sandhügel zu und zögerte. »Sie sollten Ihr Schicksal nicht unnötig herausfordern, Mister Wiggins«, warnte Parker den Gangster. »Mylady dürfte sich mit Sicherheit einschießen.« Der Gangster, der vor Minuten noch Überlegenheit gezeigt hatte, langte nun hastig. nach den Griffen einer Schubkarre und brachte sie in die Nähe des Sandes. Dann ergriff er eine breite Schaufel und füllte das Transportgerät. Er wollte eindeutig Zeit schinden. Er wurde aber erstaunlich schnell, als Parker ein Kleinkalibergeschoß dicht neben Wiggins in den Sand setzte. Eine kleine Erdfontäne stieg hoch und trieb den Gangster zur Eile und Intensität an. Wiggins wurde zu einem fast vorbildlichen Erdbeweger. Nachdem er die Schubkarre vollgeladen hatte, schob er sie über Holzplanken auf die Spitze des kleineren Hügels. »Sehr schön!« rief Agatha Simpson eindeutig schadenfroh. »Sie zeigen Begabung, junger Mann. Nur weiter so! Ich werde Sie unter Sichtkontrolle halten.« Die Detektivin blieb hart an der Brüstung stehen und beobachtete die Erdarbeiten des Gangsters. Die vier Trainer schoben sich inzwischen durch den zähen Schlamm und zeigten erste Ermüdungserscheinungen.
Die sechs Befreiten aber begriffen vielleicht erst jetzt, daß man sie keineswegs »linken« wollte. Sie faßten Zutrauen zu Mylady und ihrem Butler. »Mylady hätte ein paar Fragen durch meine Wenigkeit an Sie zu richten«, schickte der Butler voraus. »Man möchte gern in Erfahrung bringen, auf welche Art und Weise Sie in die Fänge des Ordens gerieten.« »Sie haben mich besoffen geredet«, sagte Gene Owens. »Die quatschten mich in einer Disco an, die dem Orden gehört, was ich aber nicht wußte, was mich auch bestimmt nicht interessiert hätte. Die sprachen von Karriere, von mehr Geld und von Selbstverwirklichung. Und die sagten mir auch auf den Kopf zu, daß ich nicht genügend Power in mir hätte. Die versprachen mir, mich aufzuladen und einen neuen Menschen aus mir zu machen.« »So ähnlich war’s auch bei mir«, ließ ein anderer Suchender sich vernehmen. »Die redeten ununterbrochen auf mich ein und machten mir klar, daß ich negative Wellen in mir hätte. Und die wollten die vom Orden umdrehen und positiv werden lassen.« »Für diese Umgestaltungen verlangte man sicher Summen von Ihnen, die man wohl als horrend bezeichnen muß«, warf Josuah Parker ein. »Wir alle haben durch die Bank Darlehen aufnehmen müssen«, sagte Dan Basnick. »Gezahlt werden mußte alles. Selbst für Unterkunft und Verpflegung mußten wir aufkommen.« »Und was für eine Verpflegung!« Die zweite junge Frau schüttelte sich fast. »Wir bekamen nur Getreidekörner angefaultes Obst und hin und wieder Fisch oder kaltes Huhn. Und dafür mußten wir von morgens bis abends schuften wie die Kettensträflinge.« In diesem Augenblick feuerte Mylady eine Schrotpatrone ab. Sie war der Ansicht, daß William Wiggins nicht fleißig genug Sand bewegte.
* Schlammverkrustet, ausgepumpt und fast teilnahmslos saßen die Trainer am Boden und sehnten sich nach Ruhe. William Wiggins, der einige Kubikmeter Sand bewegt hatte, gesellte sich zu ihnen und hob anklagend die Hände. Die dicken Wasserblasen auf den Innenseiten waren nicht zu übersehen.
»Mit dieser kleinen Kostprobe sollten Sie sich erst mal zufriedengeben«, meinte der Butler. »Sie können sich in jenem Raum entspannen, in dem die sechs Suchenden sich ablagern durften.« »Für diese Schinderei werde ich Sie noch belangen«, schwor Wiggins mit’ verhaltener Stimme. »Mittels solcher Plackerei sollten die entlaufenen Suchenden wieder auf den Pfad des Ordens gebracht werden?« erkundigte sich der Butler. »Natürlich. Und das hat bisher immer noch geklappt«, verplapperte sich Wiggins in einer Mischung aus Trotz und Wut. »Und irgendwann, Parker, werde ich Sie hier durch die Bahn scheuchen. Und dann…« »Sie sollten sich keineswegs genieren und weiterreden«, meinte der Butler, als William Wiggins eine Pause einlegte. »Sie wissen schon, was ich meine«, gab der Gangster zurück. »Und ich sag’s noch mal, Parker, irgendwann…« »Eine unerhörte Frechheit«, konstatierte die ältere Dame und blickte auf die beiden sehr unterschiedlich hohen Sandberge. »Ich denke, dieses Subjekt sollte noch einige Kubikmeter Sand bewegen, Mister Parker. Man hat Sie schließlich massiv bedroht.« »Vielleicht später, Mylady«, erwiderte der Butler. »Vorerst sollte man die fünf Herren separieren.« »Nun gut.« Sie nickte und machte einen grimmigen Eindruck. »Für mich ist die Sache aber noch nicht erledigt.« Josuah Parker bat die vier Trainer und ihren Chef in den niedrigen Bunker, in dem man die Suchenden eingesperrt hatte. Man kam seinem höflich vorgetragenen Wunsch nach und ließ sich widerstandlos einschließen. Danach begab sich der Butler zurück zu Lady Agatha und den Befreiten. Er schlug vor, in den Wohnteil der Baracke zu gehen. Hier versorgte er die jungen Leute erst mal mit Kaffee und mit frischen Speisen. Er brauchte sich nur zu bedienen. Die Trainer verfügten auf dem ehemaligen Flugplatz über erstaunliche Vorräte, die dazu noch gut sortiert waren. »Ihr Bruder Glenn, Mister Basnick, brachte den sprichwörtlichen Stein ins Rollen«, sagte Parker, als die Befreiten sich erfrischt hatten. »Und Ihre Schwester, Mister Owens, machte sich ebenfalls große Sorgen. Sie hingegen sind ohne Angehörige?« Mit diesen Worten wandte sich der Butler an die übrigen vier ehemaligen Ordensmitglieder.
»Natürlich haben wir Angehörige«, gab eine dieser Personen eifrig zurück, »aber wir hatten ihnen verboten, nach uns zu suchen, Sie können sich ja gar nicht vorstellen, wie man bei diesen Leuten unter Druck gesetzt wird.« »Mylady wurden bereits entsprechende Andeutungen gemacht«, entgegnete der Butler. »Der Orden bricht jeden eigenen Willen«, schaltete ein anderer Befreiter sich bitter ein. »So etwas begreift man nur, wenn man es mitgemacht hat. Dieses stundenlange Herunterleiern von sinnlosen Formeln, bis man fast verrückt wird…« »Dieses Gehorchen um jeden Preis«, stöhnte ein anderer. »Man führt jeden Befehl aus. Und diese Befehle sind absichtlich sinnlos. Man bricht jeden inneren Widerstand.« »Ausgeschlossen, meine Lieben«, ließ die ältere Dame sich grollend vernehmen. »So etwas gibt es doch nicht. Was ich zum Beispiel nicht will, das will ich nicht.« »Auch Ihren Willen würde man brechen«, sagte eine junge Frau fast aufgebracht. »Zuerst dachte ich auch, ich könnte mich gegen die Gangster behaupten, aber das war ein Irrtum.« »Wurden Sie etwa geschlagen, meine Liebe?« erkundigte sich Lady Agatha angelegentlich. »Nein, nein, niemals. Aber dieses ununterbrochene Anschreien und Beschwören, dann der Schlafentzug… die laute Musik… dann wieder körperliche Anstrengung. Das alles im bunten Wechsel hält auf die Dauer kein Mensch aus.« »Immerhin waren die Herrschaften stark genug, den Orden verlassen zu wollen«, erinnerte der Butler. »Aber wir wurden prompt wieder eingefangen«, erwiderte Gene Owens. »Die Trainer und die Suchkommandos hatten leichtes Spiel mit unserer Dummheit.« »Könnten Sie sich entschließen dies näher zu erläutern?« fragte der Butler. »Wir wollten zurück zu unseren Familien«, fuhr Owens fort. »Und genau dort fingen sie uns ab.« »Ziemlich brutal sogar«, warf die zweite junge Frau ein. »Es waren richtige Schläger, die uns kidnappten und dann hierherbrachten. Und damit begann die Hölle erst recht. Jetzt wollten sie uns körperlich fertigmachen.« »Kann und muß man davon ausgehen, daß Sie gewisse Verträge unterschrieben?« tippte der Butler an.
»Wahnsinnsverträge«, sagte Dan Basnick. »Es sind im Grund Schuldverschreibungen über Vorschüsse, die wir natürlich nie erhielten.« »Ich müßte danach rund zehntausend Pfund in Raten abzahlen«, sagte die erste junge Frau. »Bei mir sind’s fünfzehntausend Pfund«, ließ Gene Owens sich vernehmen. »Und bei ihr dürften es auch nicht weniger sein.« Die junge Frau, die er anblickte, nickte schüchtern. »Auf welche Art und Weise sollten Sie solche Summen je abzahlen?« wunderte sich Lady Simpson. »Durch Arbeit«, erwiderte Dan Basnick. »Aber gehen Sie mal davon aus, Mylady, daß die Stundenlöhne lächerlich gering angesetzt sind. Wir hätten unser Leben lang schuften müssen.« »Als was denn, mein Lieber?« Lady Simpson runzelte die Stirn. »Als Werber für den Orden, in den Druckereien, in den Discos und in den Centren überall im Land.« »Bleibt die Frage, wovon der Orden noch zusätzlich lebt, was die finanziellen Dinge betrifft«, wollte der Butler wissen. »Von den Angeworbenen, die Vermögen haben und es dem Orden überschreiben«, lautete die Antwort. »Sie ahnen ja nicht, wie viele Leute es gibt, die sich förmlich darum reißen, ihr Geld dem Orden in die Hand zu drücken.« »Man könnte irgendwie direkt neidisch werden«, seufzte die ältere Dame.
* Es war später Nachmittag geworden. Lady Agatha befand sich wieder in ihrem altehrwürdigen Haus in Shepherd’s Market und meditierte in ihrem Studio, wie Parker beim Passieren des oberen Korridors gehört hatte. Die nicht gerade leisen Schnarchtöne sprachen eine eindeutige Sprache. Der Butler hatte übrigens für klare Verhältnisse gesorgt und die diversen Gäste des Hauses abholen lassen. Die Mitarbeiter von Chief-Superintendent McWarden hatten sich helfend eingeschaltet. Die befreiten Suchenden, die längst nicht mehr nach innerer Erkenntnis fahndeten, befanden sich in Sicherheit. Parker hatte sie dazu gebracht, aufs Land zu fahren. Sie wohnten im Londoner
Süden in einem kleinen Landhaus der älteren Dame und wurden hier diskret bewacht von Freunden des ehemaligen Eigentumsumverteilers Pickett. Auch, für die vier Trainer und William Wiggins hatte der Butler gesorgt. Sie hielten sich zwar nach wie vor in jenem Bunker auf, in dem man die Entlaufenen festgehalten hatte, aber auch hier waren Picketts Freunde zur Stelle. Sie hatten die Aufgabe, Ordens-Mitglieder daran zu hindern, die Trainer und Wiggins zu befreien. Nach der Einschätzung des Butlers mußte der Orden sich bald melden. Port hatte man sicher, längst mitbekommen, daß einige Dinge schiefgelaufen waren. Möglicherweise wurde Myladys Haus bereits intensiv beobachtet. Es bestand durchaus die Möglichkeit, daß man versuchen würde, den Fachwerkbau zu stürmen. Aber darüber machte Parker sich nun wirklich keine Gedanken. Er wußte, daß er ungebetenen Gästen phantasievolle ‘Überraschungen anbieten konnte. Und dann meldete sich wie auf ein Stichwort hin das Telefon. Gemessen und würdevoll schritt der Butler zum Wandtisch und hob ab. Er nannte seinen Namen und erfuhr, daß er es mit einem Ray Restless zu tun hatte. »Ich bin der Partner Mister Locksons, den Sie ja sicher bereits kennen«, sagte Restless und gab sich munter. »Ich arbeite für den >Orden der reinen Vernunft< und fürchte, daß es da zwischen Ihnen und uns zu gewissen Mißverständnissen gekommen last.« »Sie sprechen selbstverständlich im Namen des sogenannten Weisen, Mister Restless?« vergewisserte sich der Butler. »Für den Weisen«, erfolgte die Bestätigung. »Ich gehe davon aus, daß Ihnen der bürgerliche Name des Weisen bekannt ist.« »Mister Ron Hulland«, sagte der Butler knapp. »Mister Ron Hulland«, lautete die umgehende Bestätigung. »Der Weise möchte sich unbedingt mit Ihnen arrangieren.« »Und in welcher Form soll so etwas geschehen, Mister Restless?« erkundigte sich der Butler. »Wir sind bereit, alle gerichtlichen Schritte gegen Sie zu unterlassen«, zählte Restless auf. »Darüber hinaus werden wir Ihnen die bisher entstandenen Auslagen und Unkosten großzügig ersetzen.« »Ihre Vereinigung ist dafür bekannt, daß sie über erhebliche Mittel verfügt«, erinnerte der Butler diskret.
»Der Weise denkt an zehntausend Pfund, Mister Parker. Dafür werden Mylady und Sie sich dann ab sofort nicht mehr um den Orden und seine Suchenden kümmern.« »Es gibt da einige Personen, die die Gastfreundschaft Myladys genossen und die inzwischen anderweitig untergebracht wurden, Mister Restless.« »Sie sind von der Polizei abgeholt worden«, sagte Restless und lachte leise. »Wir sind da bestens informiert. Unsere Hausjuristen werden sich um die Leute kümmern und sie bestimmt gegen Kaution freisetzen. Späteren Prozessen sehen wir mit großer Gelassenheit entgegen, denn was, bitte, will man diesen Leuten schon vorwerfen?« »Darüber könnte man ausgiebig diskutieren«, entgegnete der Butler. »Sie sprachen bisher nicht von Ihrem Trainings-Center bei Bromley, Mister Restless.« »Das haben wir erst mal geschlossen«, erwiderte der OrdensVertreter, »das heißt, wir haben dieses Camp eigentlich nur mieten wollen, aber daraus wurde bisher nichts. Sollte es hier zu Anklagen oder Unterstellungen kommen, werden unsere Hausjuristen auch das klären.« »Sie erwähnten zehntausend Pfund«, erinnerte der Butler. »Sind Sie an einem größeren Betrag interessiert? Das sollte kein Problem sein, Mister Parker. Wären Sie mit der doppelten Summe einverstanden? Möchten Sie eine zusätzliche private Zahlung? Wir wissen, daß Ihr Einfluß auf Lady Simpson recht groß ist.« »Wie wird der Orden reagieren, falls man auf seine Vorschläge nicht eingeht?« fragte der Butler. »Nun, Sie sollten sich dann überraschen lassen«, meinte der Repräsentant des Weisen. »Gehen Sie davon aus, daß uns sehr viel einfallen wird.«
* »Sie kennen meine Philosophie, Mister Parker«, sagte Lady Agatha. Sie hatte sich zum Dinner im kleinen Salon eingefunden und machte einen sehr ausgeruhten und daher auch dynamischen Eindruck. Sie musterte fachmännisch das Angebot, das der Butler offerierte, und nickte wohlwollend.
Parker reichte eine klare Kraftbrühe mit Markklößchen, dann eine Spalte geeiste Melone mit hauchdünn geschnittenem Schinken; er bot das unvermeidliche Roastbeef mit entsprechenden Saucen an, Huhn und selbstverständlich auch Fisch. Röstkartoffelchen in Speck und mehrere Gemüse rundeten alles ab. Zum Abschluß wollte der Butler, was auf dem Büffet zu sehen war, eine Apfeltorte anbieten. Mylady registrierte alles mit umfassendem Blick und ließ sich dann vorlegen. »Nur wenige Kleinigkeiten«, wehrte sie tapfer ab. »Sie wissen, Mister Parker, daß ich strenge Diät halte.« Dennoch versorgte die ältere Dame ihren Körper ausgiebig. Sie aß, um es deutlich auszudrücken, wie ein hungriger Scheunendrescher und ließ sich zum Mokka sicherheitshalber noch ein zweites Stück Apfelkuchen reichen, das sie mit Sahne ausgiebig zudeckte. »Man muß sich eben in der Gewalt haben, Mistes Parker«, sagte sie dazu. »Unmäßigkeit ist aller Laster Beginn. Daran sollten auch Sie stets denken.« »Wie Mylady zu wünschen geruhen.« »Zum krönenden Abschluß vielleicht noch einen Kreislaufbeschleuniger«, sagte sie. »Ich fürchte, mein Blutdruck ist abgefallen.« Parker servierte umgehend einen Cognac, während die Hausherrin von ihm wissen wollte, was sie für den Abend plane. »Mylady denken vielleicht daran, nach Richmond zu fahren«, erinnerte der Butler. »Warum nicht, Mister Parker? Und was soll ich da?« »In einem Landsitz in Richmond wohnt der sogenannte Weise, der Mylady das eben geschilderte Angebot machte.« »Eine Frechheit«, gab sie zurück. »Zehntausend Pfund… Oder auch das Doppelte… Und dann auch noch der Versuch, Sie bestechen zu wollen. So etwas müßte eigentlich bestraft werden.« »Dem wird meine bescheidene, Wenigkeit auf keinen Fall widersprechen«, entgegnete der Butler. »Mylady haben in dieser Hinsicht bereits gewisse Vorstellungen oder Pläne?« »Ich werde dieses verkommene Subjekt abkassieren«, meinte sie. Ihr Gesicht nahm einen versonnenen Ausdruck an. »Ich werde das Geld nehmen und natürlich weitermachen.« »Man könnte Mylady Unglaubwürdigkeit vorwerfen.« »Was schert mich, wie andere über mich denken, Mister Parker.«
»oder vielleicht sogar Betrug, Mylady«, steigerte der Butler. »Was reiner Nonsens wäre, Mister Parker«, fügte sie munter hinzu. »Ich zapfe das Vermögen dieser Roßtäuscher nur an, um Gutes zu tun.« »Mylady haben in dieser Hinsicht bereits konkrete Vorstellungen?« »Selbstverständlich«, sagte sie. »Ich werde das Geld spenden. Die genauen Einzelheiten werde ich mir noch überlegen. Gut, ich denke, Mister Parker, Sie sollten dies in Angriff nehmen. Und denken Sie daran, den Betrag noch deutlich anzuheben. Für ein Taschengeld ist eine Lady Simpson schließlich nicht zu kaufen.«
* In der hellen Empfangshalle bemühte man sich um freundliche Gelassenheit, als der Butler eintrat und grüßend die schwarze Melone lüftete. Er wünschte allerseits einen erquickenden Abend und erkundigte sich nach den Herren Lockson und Restless. »Vielleicht sind die beiden Tutoren nicht da«, sagte eine junge, sehr adrett gekleidete Frau, die etwa fünfundzwanzig Jahre alt war. »Aber das sollte Sie nicht irritieren. Auch unsere anderen Tutoren sind Ansprechpartner, wie Sie sie sich wünschen.« »Mister Lockson oder Mister Restless«, wiederholte der Butler. »Mein Name ist übrigens Parker, Josuah Parker. Meine Wenigkeit geht davon aus, daß man sofort positiv reagieren dürfte, wenn Sie meinen Namen nennen.« Sie bat ihn herzlich, in einer Besucherecke Platz zu nehmen. Parker tat es und interessierte sich augenblicklich für einen großen Wandspiegel. Der Butler ging davon aus, daß es sich um einen sogenannten Einweg-Spiegel handelte, durch den man hindurchschauen konnte. Wahrscheinlich befanden sich auf der anderen Seite dieses Spiegels schon wachsame Tutoren, die ihn musterten und ihn nach seinen Finanzen abschätzten. Um sie ein wenig zu stören, griff der Butler spielerisch und wie gelangweilt nach einem schweren Aschenbecher, hob ihn und warf ihn dann sehr ungeniert in den Spiegel. Das Resultat war frappierend.
Während der Spiegel barst und die Scherben klirrend zu Boden fielen, wurden zwei schlanke, etwa dreißigjährige Männer sichtbar, die einen überraschten Eindruck machten. »Man erlaubt sich, einen ungemein erholsamen Abend zu wünschen«, grüßte der Butler. »Hoffentlich können Sie meiner Wenigkeit noch mal verzeihen. Es überkam meine Person geradezu, wenn man dies so umschreiben darf.« »Verdammt, wie kommen Sie dazu…?« Einer der beiden Männer wollte sich aufregen, doch sein Begleiter faßte ihn am Oberarm und rief ihn auf diese Weise zur Ordnung. »Schon gut, schon gut«, sagte er dann und rang sich ein leicht gequältes Lächeln ab. »Ich sehe, daß Sie sich auskennen. Sie sind wer?« »Man hat Sie noch nicht informiert?« wunderte sich der Butler und deutete mit der Schirmspitze auf einen dritten Mann, der gerade den kleinen Raum betrat, stutzte und dann nach vorn zu den Resten des Spiegels eilte. »Mister Restless?« fragte Parker und lüftete erneut die schwarze Melone. »Ich sehe, Sie haben sich bereits bedient, Mister Parker«, sagte der Mann und lächelte völlig unbefangen. »Stimmt übrigens, ich bin Restless. So schnell hätte ich mit Ihrem Besuch nun doch nicht gerechnet. Warten Sie, ich komme.« Er verließ den kleinen Raum hinter dem, was mal ein Spiegel war, und brauchte nur wenige Augenblicke bis zur Besucherecke. Restless war etwa vierzig Jähre alt, mittelgroß, schlank und hatte ein angenehm geschnittenes, gebräuntes Gesicht. Er trug eine graue Hose, einen silberfarbenen Pulli und eine Holzkette aus bohnengroßen Perlen. Auf dem Medaillon war eine stilisierte Buddha-Statue zu erkennen. »Mister Lockson ist nicht verfügbar?« erkundigte sich der Butler. »Er hat ein anderes Center übernommen«, lautete die Antwort. »Handelt es sich vielleicht um etwas, das man gemeinhin eine Strafversetzung zu nennen pflegt?« »Wie Sie wollen, Mister Parker.« Restless zuckte die Achseln. »Wir alle sind ja ersetz- und austauschbar. Mein Anruf hat Sie interessiert?« »Und auch Ihr Angebot«, fügte der Butler hinzu. »Mylady ist für Barzahlungen stets empfänglich, wie Sie vielleicht wissen.«
»Zwanzigtausend Pfund«, sagte Restless. »Und was wollen Sie sehen, Mister Parker?« »Sie sollten meiner bescheidenen Wenigkeit ein Angebot machen, Mister Restless.« »Wird diese Unterhaltung etwa ferngesendet, Mister Parker?« Restless wechselte ohne Übergang das Thema. »Selbstverständlich, Mister Restless«, sagte der Butler. »Mylady empfängt in meinem bescheidenen Privatwagen jedes Wort.« »So etwas dachte ich mir bereits, Mister Parker. Sie wissen, daß solche Aufzeichnungen vor einem Gericht keine Aussagekraft haben?« »Selbstverständlich, Mister Restless«, lautete die Antwort des Butlers. »Mylady will lediglich wissen, um welche Summen es geht und worauf man sich einigt.« »Die alte Dame scheint sehr mißtrauisch zu sein.« Restless lächelte ironisch. »Hoffentlich auch loyal Ihnen gegenüber.« »Wie darf man dies interpretieren, Mister Restless?« erkundigte sich der Butler. »Nun, ich werde Sie zu einem Vortrag einladen«, gab Restless zurück und ließ den Butler dann in die Mündung einer schallgedämpften Automatic blicken.
* »Wie kann man sich nur derart hereinlegen lassen, Mister Parker?« mokierte sich die ältere Dame und schüttelte den Kopf. »Soviel Blauäugigkeit hätte ich Ihnen nun wirklich nicht zugetraut.« »Hoffentlich vermögen Mylady meiner Wenigkeit noch mal zu verzeihen«, gab der Butler zurück. Er befand sich in Begleitung von Ray Restless und einem weiteren Tutor des Ordens. Man hatte Parker gebeten, zu seinem hochbeinigen Monstrum zurückzugehen. Und der Butler war diesem Wunsch nur zu gern, nachgekommen. Dies alles paßte ausgezeichnet in seinen Plan. Lady Agatha blickte leicht verärgert auf die schallgedämpfte Automatic in der Hand von Restless und rückte ausgesprochen widerwillig zur Seite, als er zu ihr in den Fond des Wagens stieg. »Keine Vertraulichkeiten, junger Mann!« blaffte sie. »Halten Sie gefälligst auf Abstand!«
»An Ihrer Stelle, Lady, würde ich den Mund nicht so voll nehmen«, warnte Restless. »Sie ahnen wohl nicht, was da in den nächsten Stunden auf Sie zukommen wird, wie?« »Was wohl schon?« Agatha Simpson lehnte sich zurück und umspannte mit ihren nicht gerade kleinen Händen den perlenbestickten Pompadour. »Sie werden erst mal den Weisen kennenlernen«, setzte Restless ihr auseinander. »Und er entscheidet darüber, was mit Ihnen passiert.« »Was wohl schon?« benutzte Lady Simpson die gleichen Worte wie eben noch einmal. Sie blickte zu Parker hinüber, der inzwischen am Steuer des hochbeinigen Monstrums Platz genommen hatte und losfuhr. Neben ihm saß der andere Tutor, der seinen Revolver ausgepackt hatte. »Sie wünschen wohin gebracht zu werden?« fragte Parker mit gewohnt beherrschter Stimme. »Richmond«, erwiderte sein Beifahrer knapp. »Ich sag’ Ihnen, wo’s langgeht, klar?« »Ihre Wünsche werden meiner Wenigkeit Befehl sein«, behauptete Josuah Parker, ohne mit der Wimper zu zucken. »Eines steht bereits jetzt fest«, sagte Restless, der die Waffe auf Myladys Hüfte richtete. »Die kommenden Stunden oder Tage werden für euch verdammt aufregend werden.« »Gehen Sie davon aus, daß man Mylady und meine Wenigkeit zu eliminieren gedenkt?« »Wäre eigentlich zu einfach«, überlegte Restless. »Mir wäre es lieber, man würde die Lady und Sie umdrehen. Sie könnten ‘ne Menge geldschwerer Idioten an Land ziehen.« »Ihr Orden ist nur an Geld interessiert?« fragte der Butler. »Geld in jeder Form«, bestätigte Restless und lachte kurz. »Der Weise kann davon nicht genug bekommen.« »Könnte es sein, daß der sogenannte Weise nur ein Strohmann ist, der von einer übergeordneten Organisation vorgezeigt wird?« »Aha, Sie denken jetzt an die Mafia, nicht wahr?« »Solch einen Gedanken sollte man sicher hegen, Mister Restless.« Die Verständigung war gut im Wagen, denn die Trennscheibe zwischen dem Fond und den Vordersitzen war versenkt, sie schien gar nicht zu existieren. »Wir arbeiten solo und nur für uns«, gab Restless zurück. »Mit der Mafia haben wir nichts zu tun. Das fehlte noch… Die kann
doch höchstens von uns lernen, Parker. Aber der Weise hat natürlich seine Berater, das ist klar.« »Demnach teilt man die anfallende Beute zwischen dem Weisen und seinen Beratern?« »So könnte man sagen«, erwiderte Restless. »Der innere Kreis um den Weisen kommt schon anteilmäßig zurecht. So, Parker, und jetzt Funkstille. Bereiten Sie sich auf den Weisen vor!« »Auf Mister Ron Hulland«, präzisierte der Butler. »Oder auf Hulland«, sagte Restless. »Er ist richtig scharf darauf, Sie mal aus der Nähe zu sehen. Und ich wette, er läßt sich für Sie eine Menge einfallen.« »Herzlichen Dank im vorhinein für diese Anteilnahme«, entgegnete Josuah Parker in seiner stets höflichen Art.
* Er thronte in einer Art Halle vor einer großen Buddha-Figur, die ihrerseits auf einem Lacktisch stand. Der Weise trug eine Art Kimono und zeigte sich gelassen und triumphierend zugleich. Er fühlte sich als Herr der Lage und hatte seine Automatic weggelegt. Seiner Schätzung nach brauchte er sie nicht. Josuah Parker und Agatha Simpson hatten vor dem Weisen Aufstellung genommen. Lady Agatha war verärgert und verlangte grollend nach einer Sitzgelegenheit. »Sie werden sich wundern, Lady, was Sie alles verlangen und dennoch nicht bekommen werden«, sagte der Weise. Er war um die fünfzig Jahre alt, beleibt und hatte ein rosiges Gesicht. »Ich hätte übrigens nicht gedacht, daß Sie solch einen Fehler machen.« »Fehler, junger Mann?« blaffte sie. »Sie haben sich völlig überschätzt«, behauptete Ron Hulland. »Falls es Verfolger gegeben haben sollte, sind die längst abgeschüttelt, wie man mir berichtet hat.« »Sie planen Repressionen, Mister Hulland, was Mylady und meine bescheidene Wenigkeit betrifft?« erkundigte sich Parker. »Ich werde Sie zur Räson bringen«, kündigte der Weise an. »Sie und Ihre Lady werden in ein Camp in Schottland gebracht. Dort wird man Sie zu gehorsamen Dienern des Ordens umerziehen, was sicher seine Zeit brauchen wird.«
»Eine Lady Simpson werden Sie niemals umerziehen, junger Mann«, reagierte Lady Agatha gereizt. »Bilden Sie sich nur keine Schwachheiten ein.« »Wir erziehen jeden um, Lady«, wußte der Weise und lächelte feist. »Wir haben da unsere Erfahrung. Und was Sie speziell betrifft, sind Sie eine gute Anlage. Sie sind ja schließlich sehr vermögend, wie man mir gesagt hat.« »Sie bekommen keinen blanken Penny von mir.« »Jeden, Lady, jeden«, prophezeite der Weise. »Wie gesagt, wir erziehen jeden um, das ist kein Problem. Ist es nicht so, Restless?« »Kein Problem, Weiser«, pflichtete der Tutor seinem OrdensOberhaupt bei. »Sie müssen verstehen, daß Lady Simpson und ihr Butler glauben, sie hätten noch verwertbare Trümpfe im Ärmel.« »Trümpfe?« fragte der Weise erstaunt. »Versteckte Trickwaffen«, redete der Tutor weiter. »Aber sie haben nichts. Sie sind schließlich durch die Elektro-Kontrollen gegangen, die nicht angesprochen haben.« »Wieso sollten sie, an Trickwaffen glauben, wenn sie keine mit sich führen?«, fragte der Weise ein wenig gereizt. »Nun ja«, der Tutor schmunzelte, »sie hatten eine Schußwaffe und ein Hufeisen bei sich, aber die haben unsere Experten längst an sich genommen.« »Taschendiebe, Mister Restless?« staunte der Butler. »Richtig«, gab Restless triumphierend zurück. »Sehr gute Leute. Sie sind ein wenig zu siegessicher mitgekommen. Sie wollten auf diese Art mit dem Weisen Kontakt aufnehmen, nicht wahr?« »In der Tat«, räumte Josuah Parker ein. »Demnach sollte meine Wenigkeit völlig waffenlos in Feindeshand gefallen sein?« »Sie haben sich eben überschätzt, Parker«, freute sich der Tutor. »Es pflegt der Mensch zu irren, so lange er lebt«, zitierte der Butler. »Selbstverständlich ist es weder Mylady noch meiner Wenigkeit entgangen, daß sich Taschendiebe bemühten. Ihre Qualitäten lösten allerdings erhebliche Zweifel aus.« »Erhebliche Zweifel?« wunderte sich der Weise. »Man stahl und wurde dann seinerseits bestohlen«, fuhr der Butler fort. »Um dieses hier angebrachte Wort erneut zu wiederholen, Mylady ist wieder im Besitz des Hufeisens. Was meine Wenigkeit betrifft, so verfügt man erneut über eine Schußwaffe, die
aber jetzt und hier keineswegs zum Einsatz gebracht werden soll.« Der Weise reagierte augenblicklich, wandte sich ab und warf sich förmlich auf die Waffe, die er abgelegt hatte. Dabei wandte er dem Butler die nicht gerade kleine Kehrseite zu. Parker konnte nicht widerstehen. Er hob seinen Universal-Regenschirm leicht an und bedachte den Weisen mit einem der bunt gefiederten Pfeile. Lady Agatha war ihrerseits voll aktiv. In ihrem perlenbestickten Pompadour befand sich längst wieder ihr sogenannter Glücksbringer. Sie donnerte das Hufeisen auf Restless’ Brust und beförderte den Tutor gegen die BuddhaStatue, die vom Lacktisch rutschte und an die Wand kippte. Restless warf sich wider Willen aber durchaus schwungvoll über den Buddha und schien ihn umarmen zu wollen. Anschließend blieb er erschöpft auf der umgekippten Figur liegen. Ron Hulland jaulte und hüpfte durch den Raum der Versenkung, wie der kleine Saal von Restless genannt worden war. Er glaubte sich vergiftet. »Falls Sie Ihre Mitarbeiter alarmieren wollen, wird man Ihnen das rettende Gegengift versagen«, informierte der Butler. »Sie sollten schnellstens mit Mylady und meiner Wenigkeit in Myladys Haus fahren. Dann könnte Ihnen in jeder Beziehung geholfen werden.« »Schnell, schnell!« japste und bettelte der Weise. »Aber man dürfte keineswegs vergessen, gewisse Unterlagen mitzunehmen«, verlangte der Butler. »Es geht um Ihre geschäftlichen Aufzeichnungen, die für die Steuerbehörde sicher von Interesse sind.« »Und es geht um Bargeld, junger Mann«, erinnerte die ältere Dame. »Wo ist Ihr Tresor?« »Eile ist übrigens angebracht«, fügte der Butler hinzu. »Sie dürfen das spezielle Präparat an der Pfeilspitze nicht unterschätzen.« »Sie haben sich absichtlich hierherbringen lassen, wie?« fragte der Weise. »Es war die einfachste Methode, Ihnen in der Nähe zu begegnen«, entgegnete Parker. »Sie werden es nicht schaffen, einen Orden zu ruinieren«, sagte der Weise.
»Gehen Sie davon aus, daß man nur noch über ihn lachen wird«, lautete die Antwort des Butlers. »Wahrheit entwaffnet, Lächerlichkeit tötet.« »Das hätte von mir sein können«, meinte Agatha Simpson umgehend. »Oder habe ich das nicht bereits an anderer Stelle geäußert, Mister Parker?« »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Mylady«, behauptete der Butler. In seinem glatten Pokergesicht rührte sich kein Muskel.
-ENDENächste Woche erscheint BUTLER PARKER Band 504 Curd H. Wendt
PARKER piesackt den »Professor« Alice Carrington hat alles, was ein Mensch sich wünschen kann. Nur die schulischen Leistungen ihres Sohnes Christopher machen ihr Sorgen. Deshalb engagiert sie einen Nachhilfelehrer, der sich als emeritierter Professor aus Oxford ausgibt. Butler Parker, der seine Herrin zum Teebesuch im Hause Carrington begleitet, wird als erster stutzig: Die lateinischen Zitate, mit denen der »Professor« um sich wirft, strotzen vor Fehlern. Und wenige Stunden später ist die millionenschwere Kunstsammlung der Gastgeberin verschwunden. An der Seite der exzentrischen Privatdetektivin Agatha Simpson nimmt Parker die Jagd nach dem verdächtigen Hauslehrer und seinen Hintermännern auf. Doch kaum ist eine Spur der Gangster gefunden, wird Alice Carrington gewaltsam entführt. Skrupellos setzt der Bandenchef seine Geisel als Druckmittel ein. Aber gegen Parkers Spürsinn und Lady Simpsons Tatendrang haben selbst Killerkommandos auf Dauer keine Chance. Gönnen Sie sich jede Woche BUTLER PARKER!