Karl May
Pandur und Grenadier Historische Erzählungen
Ein Stücklein vom alten Dessauer Humoreske von Karl May
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Karl May
Pandur und Grenadier Historische Erzählungen
Ein Stücklein vom alten Dessauer Humoreske von Karl May
»Der Herr Hauptmann soll eintreten!« sagte der Kammerdiener und öffnete dem Offiziere, welcher schon längere Zeit im Vorzimmer gewartet hatte, die Thür. An einem Tische, auf welchem ein großes Schwarzbrod, Butter, Käse, Wurst und Schinken in sehr reicher Quantität zu erblicken war, saß kauend der Fürst, ließ einen riesigen Bissen nach dem andern unter dem gewaltigen Schnurbarte verschwinden und langte dabei fleißig nach dem Glase, um durch einen kräftigen Schluck Bieres die Verdauung zu befördern. Er befand sich augenscheinlich in rosiger Laune; denn auf den militairisch ehrerbietigen Gruß des Eingetretenen erwiederte er mit behaglichem Knurren: »Hat Er Appetit?« »Danke, Durchlaucht!« »Dummheit! Bedanke Er sich, wenn Er fertig ist. Hergesetzt! Zugegriffen! Das Zeug ist zwar nicht vom Zuckerbäcker; aber Er wird wohl nicht gleich dran sterben.« Der Hauptmann kannte den alten Knasterbart zu genau, um zu zögern oder viele Complimente zu machen. Er setzte sich an den Tisch und griff wacker zu, was die gute Stimmung des Fürsten merklich erhöhte. »Ist er schon 'mal in Wahlsdorf gewesen?« »Nein.« »So kennt er auch den Amtmann Hiller nicht?« »Näher nicht; aber ich habe ihn gesehen, als er in Ew. Durlaucht Abwesenheit hier war, um sich vorzustellen.« »So. Werden ihn kennen lernen. Bin sonst kein Freund von dergleichen Leuten; scheint es aber gut mit uns zu meinen. Da lese Er!« Er schob dem Hauptmanne einen Brief hin, welcher von den Fettflecken, die von den Fingern des Fürsten herrührten vollständig durchsichtig geworden war. »Was sagt Er zu dem langen Geschreibsel?« »Hm! Solche Leute sind zu gebrauchen, zumal da –« erschrocken hielt er inne; denn eben war er im Begriffe gewesen, durch eine unvorsichtige Aeußerung den Alten an Etwas zu erinnern, woran dieser nur mit Grimm zu denken pflegte. »Nur immer weiter! Wer einmal den Schnabel aufthut, den darf ihn auch nicht eher wieder zuklappen, als bis der Sermon zu Ende ist. Er meint wohl die Geschichte von dem sakkermentschen
Rheinländer, der uns mit seinen sieben Fuß sechs Zoll davon gelaufen ist? Den kriegen wir wieder. Ich weiß ganz genau, daß der Himmelhund noch nicht über die Grenze ist, und Gott genade ihm, wenn er sich packen läßt. Will er den Fang in Wahlsdorf übernehmen?« »Zu Befehl, Durchlaucht!« »So. Da wird Er – Na, was zum Teufel giebts denn schon wieder?« wandte er sich an den eintretenden Lakaien. »Es ist ein Mann draußen, der Ew. Durchlaucht dringend zu sprechen verlangt.« »Jage den Kerl fort; hab' keine Zeit!« »Das habe ich ihm schon gesagt; aber er meinte, ich soll nur seinen Namen nennen, so würde Durchlaucht schon Zeit haben.« »Sei kein Esel. Jetzt könnte meinetwegen der Großmogul kommen; er müßte wieder fort. Wie heißt denn der Mann?« »Schmidt aus Wahlsdorf. Er hat nur einen Arm.« »Himmelement, das ist ja der Schockwerenöther, der – na, das ist 'was Anderes. Lasse ihn 'rein!« Durch die sofort geöffnete Thür trat ein Mann von so riesigen Dimensionen, daß er sich fast bücken mußte, um in das Zimmer zu gelangen. Er trug die Kleidung des gewöhnlichen armen Landbewohners und blieb nach den ersten drei Schritten in strammer kerzengrader Haltung stehen. »Schmidt, Hallunke, ich lasse Dich Spießruthen laufen, daß Du nicht längst 'mal gekommen bist. Hab' Dirs ja gesagt, dazumal, als Du mich herausgehauen hattest, daß Du an mich denken sollst, wenn Dich 'mal der Schuh drückt. Da aber ist der Schlingel stolz geworden und hat gar nicht an den Leopold gedacht, der ihm das Leben zu verdanken hat.« – »Donnerwetter, Durchlaucht; das ist nicht wahr! Ich habe alle Stunden an Euch gedacht und bin nur deßhalb noch nicht gekommen, weil mich der Schuh bisher noch nicht gedrückt hat.« »Aber jetzt brauchst Du wohl Seitenflecke, hm?« »Möglich, und dazu einen Schuster, der sie mir aufflickt.« »Und dieser Schuster soll ich wohl gar sein, alter Commisknopf?« lachte der Fürst, der ganz sichtlichen Wohlgefallen an dem Wesen und der Ausdrucksweise des Mannes fand. »Also in Wahlsdorf wohnst Du jetzt?« »Mit Eurer Erlaubniß, Durchlaucht.«
»Kennst Du da den Amtmann Hiller?« »Freilich kenne ich ihn, und gerade seinetwegen komme ich heut nach Dessau.« »Seinetwegen? Mord und Todtschlag, da bist wohl gar Du der Schmidt, von dem er mir einen meilenlangen Schreibebrief geschrieben hat?« »Ich bin bei uns der einzige Schmidt. Hat er von mir geschrieben, Durchlaucht?« fragte der Mann, indem seine ehrlichen und offenen Züge eine gewisse Besorgniß ausdrückten. »Freilich! Hast Du einen Sohn?« »Ja.« »Der so lang und stark ist wie Du?« »Nicht ganz so,« lautete die Etwas ängstliche Antwort. – »Und morgen habt Ihr Kirmeß?« »Allerdings.« »So, so, so,« dehnte der Fürst und warf einen nachdenklichen Blick auf den wieder zur Hand genommenen Brief. »Was hast Du mit dem Amtmanne?« »Der Wiesenbauer ist der reichste Mann im Dorfe und Annemarie, seine Tochter, hat sich mit meinem Jungen, dem Wilhelm, lieb gehabt schon seit langer, langer Zeit. Er hat die beiden Leutchen gehen lassen; denn ich habe mir aus den Niederlanden, wo ich damals mit Ew. Durchlaucht war, ein hübsches, rundes Sümmchen mitgebracht, und Wilhelm ist ein statiöser Bursche, mit dem sich kein Mädel zu schämen braucht und fleißig und ehrlich dazu. Da aber hat vor zwei Jahren Hiller das herrschaftliche Gut in Pacht genommen, ist dadurch Amtmann und die einflußreichste Person der Umgegend geworden. Sein Sohn, der Eduard, ist ein schöner Kerl, grad so groß wie ich, und die Mädels sind hinter ihm her, wie die Flöhe hinter den Flanellröcken. Daß er leicht und lüderlich ist, das sehen sie nicht, und so giebt es fast nur eine Einzige, die ihn nicht ästimirt. Das ist die Annemarie, und grad auf die hat er es abgesehen. Sein Vater ist natürlich nicht müsig gewesen, den Wiesenbauer gehörig zu bearbeiten, und das hat auch Erfolg gehabt; aber mit dem Mädchen haben sie doch nichts machen können. Sie mag von keinem Andern als dem Wilhelm 'was wissen, obgleich ihr der Umgang mit ihm verboten ist, und so hat ihr Vater schließlich ein Machtwort gesprochen und bestimmt, daß morgen Abend Verlobung sein soll. Da kommen eine Menge Verwandte und
sonstige Gäste, und der Teichbauer hat also die beste Gelegenheit, zu zeigen, wie es in seinem Sacke aussieht.« »Sapperment, also deßhalb schreibt mir der Hiller, daß Dein Junge ein ganzer Gardegrenadier sei, und wenn ich morgen Abend einen Trupp Buntröcke schicken wolle, so könnte ich ihn und noch ein ganzes Schock anderer Riesen vom Tanzboden wegkapern? Der Galgenstrick meint also, mich als Werkzeug für die Erreichung seiner miserablen Absichten gebrauchen zu können; aber da soll ihm doch ein heiliges Weiter dreinschlagen! Hahaha, so ein lumpiger Bauer, dem ich aus Gnade und Barmherzigkeit das Gut in Pacht gegeben habe und dem nun die Glatze brennt, weil er alle sechszehn Jahre für einen halben Pfennig Tinte verkleckst, glaubt, mich in der Hand zu haben wie einen Zappelmann, der auf den leisesten Ruck an der Schnur zu tanzen anfängt. Warte, Coujon; ich werde selbst kommen, morgen, und Dich so bei dem Faden nehmen, daß Du die Hände über den Kopf zusammen schlagen sollst! Hat der Kerl viel, leicht sonst noch was auf der Kreide, he?« »Das ist nicht meine Sache, Durchlaucht. Ich komme nicht, um den Mann schlecht zu machen, sondern will blos bitten, mir einen Rath zu geben, auf welche Weise ich meinem Jungen sein Madel erhalte.« »Halts Maul, alter Sünder! An einem Rathe würde Dir verteufelt wenig gelegen sein, und am Liebsten würdest Du es sehen, wenn ich den Freiersmann machen wollte. Hab ich recht?« »Durchlaucht!« »Na, laß gut sein! Hab Dir das Leben zu verdanken und werde Dir also den Gefallen thun, obgleich ich zu solchen Dingen eigentlich keine Zeit habe. Aber ich weiß auch, wie es thut, wenn man eine nicht kriegen soll, die man doch zu gern haben will, und da muß ich 'mal 'nen Trunk über den Durst thun und sehen, wie das Ding aufgeklebt werden muß. Hol Dir dort den Stuhl, setz Dich her und beiß mit an. Du mußt die ganze Nacht gelaufen sein und wirst Hunger haben.« »Ich kann doch unmöglich wagen –« »Larifari! Wenn Dirs nicht paßt, lässest Du es stehen; ich springe deßhalb nicht ins Wasser; aber wenn Du kein Esel bist, so langst Du zu. Hier hast Du's umsonst, und wo anders mußt Du's bezahlen!« Schmidt zögerte nicht länger, und bald saß das ungewöhnliche
Kleeblatt in ein eifriges Gespräch vertieft, am Schlusse dessen sich der Fürst erhob und die beiden Anderen mit den Worten verabschiedete: »So, nun macht, daß Ihr fortkommt; ich habe noch mehr zu thun. Also morgen komme ich zur Kirmeß, und da mich weder der Hiller noch ein Anderer aus dem Dorfe gesehen hat, so werde ich wohl nicht vor der Zeit erkannt werden.« – – – – – – – – – – – – – – Am frühen Morgen des andern Tages schritt auf dem Vicinalwege, welcher von Bucko nach Wahlsdorf führt, rüstigen Fußes ein Handwerksbursche dahin. Es war ein langer, breitschultriger Kerl mit schwarzem Schnurwichs und dunklen Augen, welche mit scharfem Blicke die rechts und links am Wege liegenden Felder musterten. Er trug eine blauleinene Blouse, vielfach geflickte Hosen und eine alte, verschossene Soldatenmütze. Die Stiefel waren beschmutzt, und das Felleisen, welches er über den breiten Rücken geschnallt hatte, war so hochbetagt, daß es mehr Jahre zählte, als es Haare besaß. Trotzdem er jedenfalls schon einen bedeutenden Marsch hinter sich hatte, war seiner soldatisch aufrechten Haltung nicht die geringste Ermüdung anzumerken, und wie er so dahinschritt, den mächtigen Knotenstock in der rechten Faust schwinkend, hätte wohl Niemand mit ihm anzubinden sich getraut. Aber je näher er dem Dorfe kam, desto mehr beugte sich sein Nacken und desto langsamer wurde sein Gang, und als die ersten Häuser aus dem Grün hevorschimmerten, glich er vollständig einem »armen Reisenden«, der gewohnt ist, um des Leibes Nahrung und Nothdurft zu »fechten«. Plötzlich blieb er stehen und blickte über einen Zaun hinüber in den Garten, welcher denselben einfaßte. »Maschallah!« würde ein Muhamedaner rufen, wenn er diese riesengroßen Pflaumen sähe, die am am Boden liegen. Weil ich aber kein solcher Türkenhund bin, so lasse Allah auf der Straße sitzen und steige über den Zaun, um zu sehen, wie das Zeug schmeckt. Man kriegt doch einen verteufelten Appetit, wenn man eine solche Fußtour macht! Mit einem leichten Sprunge war er über das Stacket, warf Ranzen und Stock von sich und setzte sich in das Gras, um die vom Nachtwinde abgeschüttelten Pflaumen zu kosten. Sie schienen ihm zu munden; denn, ohne zu beachten, daß seine Kleidung von dem
thaugetränkten Grase ganz durchnäßt wurde, fuhr er so eifrig in seiner Beschäftigung fort, daß er den Mann nicht bemerkte, welcher sich leise heranschlich und ihn endlich mit einem raschen Griffe beim Kragen packte. »Habe ich Dich endlich 'mal, Spitzbube? Alle Morgen, wenn ich in den Garten komme, sind mir die Pflaumen gestohlen, und ich habe das Nachsehen und den Aerger; heut aber kommst Du mir nicht davon!« Ruhig griff der Ertappte in das Gras und führte mit der größten Seelenruhe ein wirklich prachtvolles Exemplar der süßen Früchte dem unter dem Schnurrbarte befindlichem Loche zu. »Ereifert Euch nicht Herr! Einem Paar Pflaumen wegen ist noch Niemand gehängt worden. Ich habe ungefähr drei Mandel gegessen. Was kosten sie?« »Er ist nicht gekommen, um zu kaufen, sondern um zu stehlen, sonst wäre er nicht über den Zaun gesprungen. Es kann also von keinem Preise die Rede sein, und ich muß ihn arretiren. Komme er mit. Vorwärts!« »Na, na, nur sachte. Soll ich einmal eingewickelt werden, so kommt es auf ein Dutzend mehr oder weniger nicht an. Wartet also, bis ich die Taschen voll habe!« Sich niederbückend, füllte er eine Tasche nach der andern, lächelte bei dem Raisomements des erbosten Gartenbesitzers heimlich in sich hinein und war nicht eher zum Fortgehen zu bewegen, bis er keinen Kern mehr hätte zu sich stecken können. »So, jetzt bin ich fertig! Aber nun sagt mir auch, wer Ihr seid; denn ich kann mich doch nicht von jedem hergelaufenen Grasaffen arretiren lassen.« »Wahre Er sein Mundwerk, Er Vagabond, sonst lasse ich Ihm fünfundzwanzig aufzählen! Ich bin der Amtmann Hiller und werde Ihm zeigen, was es heißt, in einen fürstlichen Garten einzudringen.« »Vagabond? Es sollen Ihn doch gleich neunundneunzig Donnerwetter treffen, wenn Er dieses Wort noch einmal in sein Schandmaul nimmt. Da hat er mein Wanderbuch, in welchem er nachsehen kann, ob ich ein Vagabond bin.« »Dazu ist nachher Zeit; seine Reden aber merke Er sich Also vorwärts!« Der Handwerksbursche schritt, immer in die Taschen greifend und mit vollen Backen kauend, voran; der Amtmann folgte und
bewachte jede Bewegung seines Arrestanten, damit er ihm nicht etwa davonlaufe. Dieser aber schien an Flucht gar nicht zu denken, besah sich gemüthlich die Gegenstände, an denen sie vorüberkamen, schritt über den Hof und den Flur nach der Thür des Wohnzimmers und meinte, dieselbe öffnend: »Hier herein wirds wohl vor der Hand gehen. Aber machts kurz; ich bin müde.« Die anwesenden Knechte und Mägde musterten mit neugierigen Blicken die Gestalt des Fremden und steckten dann lachend die Köpfe zusammen. »Hans, rufe 'mal den Wächter!« befahl Hiller und zog dann, sich setzend, das Wanderbuch hervor. Der Eigenthümer desselben holte sich ebenfalls einen Stuhl herbei und ließ sich behaglich auf denselben nieder. »Daraus wird Nichts; stehe Er nur getrost wieder auf; ein Inculpat hat sein Urtheil stehend zu vernehmen!« »Sapperlot, was Ihr für ein großer Herr seid, Amtmann! Aber zu einem Richter habt Ihr doch verteufelt wenig Geschick. Giebt es denn nicht irgend einen Winkel in diesem Hause, wo Ihr ungestört und mit der nöthigen Würde Eure Gänsekiele kauen könnt, oder muß unsere Sitzung hier in dieser Höhle abgehalten werden, wo Hinz und Kunz und Hanne und Sophie einander die Nasen putzen, he?« »Schweige Er!« donnerte Hiller aufspringend. »Er macht sich außer des Diebstahles noch der Injurie schuldig, und ich werde ein Exempel an Ihm statuiren. Jörge,« fuhr er zu dem eben eintretenden Wächter gewandt, fort; »schaffe diesen Menschen in das Gefängniß und sorge dafür, daß er nicht entspringt.« »Na, den würde ich wohl nicht erst um Erlaubniß bitten, wenn ich in die Lappen gehen wollte,« antwortete der Handwerksbursche und schritt von dem Helden der öffentlichen Sicherheit gefolgt, zur Thüre hinaus. Draußen auf der Straße wandte er sich um. »Wo ist denn das Loch in welches ich kriegen werde?« »Ja, ein besonderes Gefängniß giebt es hier gar nicht; Er wird also ins Spritzenhaus gesteckt.« »Wo ist das?« »Ganz unten im Dorfe.« »So; Er kann mir wohl meinen Ranzen tragen, was?« »Fällt mir im ganzen Leben nicht ein. Die Leute dächten am
Ende gar, ich hätte nicht Ihn, sondern Er hätte mich arretirt.« »Was die Leute denken, das muß Ihm egal sein. Da hat Er ein Trinkgeld, und hier ist der Tornister.« Als der Wächter das Geldstück sah, griff er schnell nach dem Felleisen. »Na, geb Er her. Einmal geht es schon; die Nachbarn wissen ja, wer ich bin.« »Freilich; aber höre Er, ist das dort ein Wirthshaus?« »Ja.« »Da müssen wir 'mal 'reingehen! Ich habe mir mit den Pflaumen den Magen verkältet und muß 'was Warmes haben.« »Das ist nicht erlaubt. Ich habe Ihn in's Spritzenhaus aber nicht in das Wirthshaus zu schaffen.« »Das weiß ich, und ich werde auch mit Ihm gehen. Vorher aber muß ich eine Suppe haben. Dabei bleibts!« »Aber ich werde abgesetzt, wenn ich mit Ihm gehe!« »So spaziere Er vornweg und setze Er sich meinetwegen mit dem Ranzen auf den alten Klystierkasten, bis ich nachkomme.« Furchtsam die Hühnengestalt des Sprechenden messend, legte der Vedrängte sich auf das Bitten. Aber es half Nichts; er mußte mit in die Gaststube treten. Trotzdem es noch früh am Tage war, saßen doch schon einige Gäste an den Tischen. Es war ja Kirchweih, und heut konnte man also schon am Vormittage trinken, ohne für lüderlich gehalten zu werden. Die beiden Eingetretenen wurden nicht sehr beachtet. Den Wächter kannte man, und da derselbe das Felleisen des Andern trug, so hielt man Letzteren für einen Bekannten von ihm und ließ sich durch ihre Anwesenheit nicht im Gespräche stören. Der Gegenstand desselben war der Amtmann, und Einer der Leute setzte seine angefangene Rede fort: »Er ist ein Schlaukopf durch und durch und weiß seine Stellung auszunützen. Bei ihm gilt das Geld mehr als das Recht; das kann man fast täglich sehen, und die Felder zieht er so aus, daß sein Nachfolger 'mal zehn Jahre lang arbeiten muß, um sie zu ihrer früheren Ergiebigkeit zu bringen.« »Da hast Du Recht, und wie mit den Feldern, so ist es auch in jeder andern Beziehung. Denkt nur an die Schmidts. Wie hat er sie nicht bei jeder Gelegenheit coujonirt und ihnen das Leben so sauer wie möglich gemacht, damit der Wilhelm freiwillig zurücktreten
möge, und wie hat er nicht den alten Wiesenbauer bearbeitet, um ihn auf seine Seite zu bekommen! Es ist eine wahre Schande. Das Mädel geht umher wie ein Schaden, und der Wilhelm muß seinen Muth hinunterschlucken und darf sich nicht muxen.« In dieser Weise wurde das Sündenregister Hillers aufgedeckt, und der Arrestant hatte die beste Gelegenheit, den Charakter seines Nichters kennen zu lernen. Jedes Wort prägte sich seinem Gedächtnisse ein, und als das Gespräch ein anderes Thema berührte, fragte er seinen Wächter: »Ist das Alles wahr, was die Leute da erzählt haben?« »Ob's wahr ist oder nicht, das geht Ihm doch Nichts an. Bekümmere er sich lieber um sein Essen, damit wir fortkommen!« »Na, wahr muß es doch sein; denn wenn der Diener so ein Erzgrobian ist, was mag da erst der Herr für ein Kerl sein! Trinke Er aus, ich bin neugierig, wie es in dem Spinnenneste aussieht, wo ich campiren soll.« Sie schritten mit einander das Dorf hinab, und da sich mittlerweile die Kunde verbreitet hatte, daß man einen Pflaumendieb gefangen habe, so öffneten sich zu beiden Seiten die Fenster, an denen man neugierige Köpfe erblickte, und bald hatte sich ein Heer von Jungens und Mädchens angesammelt, welche den Gefangenen mit lautem Geschrei verfolgten. Das »Spritzenhaus« lag in der Mitte des Dorfes; es war aus festen Steinen errichtet, mit Ziegeln gedeckt und mit einer starken Thür versehen, welche zum Schutze gegen die zudringliche Jugend durch mehrere Vorlegeschlösser und Riegel verwahrt und mit Eisenblech beschlagen war. Das Gebäude eignete sich sonach allerdings im Nothfalle zum Gefängnisse, und es mochte wohl schon mancher Strolch zwischen den vier engen Mauern Denkübungen gehalten haben. Als sie sich ihm näherten, erblickten sie den Amtmann, welcher als Spitze der Ortspolizei und richterliche Größe gekommen war, um sich zu überzeugen, daß seinem Befehle Folge geleistet worden sei. Er war nicht wenig erstaunt, den Delinquenten noch nicht hinter Schloß und Riegel zu sehen und empfing den Polizisten mit höchst ungnädigen Blicken. »Wo hat Er sich denn nur in aller Welt herumgetrieben, daß Er erst jetzt kommt?« »Macht keinen Sums, Amtmann! Ihr seht, daß wir unterwegs
nicht gefressen worden sind, und das muß Euch beruhigen. Jetzt aber schließt die Budike auf, damit ich den Krawall los werde, den Eure liebe Jugend da vollführt.« Mit vieler Mühe öffnete der Wächter die Thür und ließ den Handwerksburschen zuerst eintreten. Dann folgte er und auch der Amtmann schritt durch die Thüröffnung, um sich über die Zuverlässigkeit des Arrestlokales zu unterrichten. Kaum aber hatte er die ersten Schritte gethan, so krachte es hinter ihm, daß das alte Gebäude erzitterte, und tiefes Dunkel herrschte in dem dumpfigen Raume. Seinen Pflichten als Arrestant uneingedenk, hatte der Gefangene nämlich die Gelegenheit abgepaßt, war rasch wieder aus der Thüre getreten und gab sich jetzt Mühe, die Riegel wieder vorzuschieben und die Schlösser anzulegen. Als ihm das unter den Zornesrufen der beiden Geprellten gelungen war, steckte er die Schlüssel zu sich, zog eine Hand voll Kleingeldes aus der Tasche und rief, dasselbe unter die Jungens werfend: »Da, greift zu, ihr Rangen; aber laßt mir die zwei Burschen nicht 'raus, die ich arretirt und da hereingesteckt habe. Und wenn sie etwa den Laden aufstoßen und die Nasen herausstecken, so müßt ihr ihnen Eins draufgeben. Verstanden?« Unter dem beistimmenden Jubelgeschrei des muthwilligen Volkes entfernte er sich und schritt langsam und bedächtig, als habe er gar Nichts zu befürchten, das Dorf hinab. Vor einem kleinen, netten Häuschen, dessen Aeußeres auf Reinlichkeit und Ordnungsliebe der Bewohner schließen ließ, blieb er, an das Fenster klopfend, stehen. Sofort erschien Schmidt, welcher hier wohnte, an demselben. »Ist Dein Sohn zu Hause?« »Zu Befehl, Durchlaucht.« »Halte den Schnabel mit Deiner Durchlaucht! Ich will mir 'mal meine Felder ansehen; der Hiller soll teufelmäßig wirthschaften. Schicke den Jungen hinaus nach der großen Eiche; ich möchte ihn kennen lernen! Aber er mag 'was zu beißen einstecken; denn im Dorfe darf ich mich jetzt nicht mehr sehen lassen.« »Warum nicht?« »Ich bin in die Pflaumen gerathen und habe zur Strafe dafür den Amtmann sammt seiner Polizeikreatur in Nummer Sicher gebracht. Da stecken sie nun und unterhalten sich mit den Schulbuben, die ich als Ehrengarde hinpostirt habe.«
Behaglich lachend strich er sich den Bart und war dann bald hinter der Ecke des Hauses verschwunden. Die erwähnte Ehrengarde blieb aber allerdings nicht lange in der Nähe des Spritzenhauses halten. Den Herrn Amtmann und nun gar den Wächter, welcher sie mit seinem Spieße oft in den besten Streichen gestört hatte, im »Loche« zu sehen, war für die wohlgerathenen Sprossen der Dorfbewohner ein wahres Gaudium. Diese Freude wollten sie nicht allein genießen, und kaum war der freigiebige Handwerksbursche ihren Augen entschwunden, so lief ein Jeder nach Hause, um die interessante Kunde zu verbreiten und so viel Personen wie möglich zusammenzutrommeln. Bald standen auf dem freien Platze vor dem Spritzenhause die Menschen so dicht gedrängt, daß kein Apfel zur Erde hätte fallen können und die entgegengesetztesten Meinungen machten sich in lebhaften Ausrufen Luft. »Wer steckt denn eigentlich da drin?« fragte Einer, der vom Felde kam und das Vorhergegangene nicht kannte. »Der Herr Amtmann und der alte Jörg mit dem Spieße.« »I der Tausend, was thun sie denn mit 'nander im Reichskammergericht?« »Der Amtmann instruirt den Jörg im Arretiren.« »Bewahre!« mengte sich ein Anderer drein, »sie halten nur 'mal Spritzenprobe.« »Fehlgeschossen! Der Jörg studirt ihm die Rede ein, die er heut Abend bei der Verlobung halten wird.« So flogen die boshaften Bemerkungen durch die Versammlung; aber ein Ende mußte die fatale Sache doch nehmen. Nach den öfters wiederholten Befehlen und Bitten Hillers kam der Schmied, um die Thür zu öffnen und die blamirte Gerichtsbarkeit aus ihrer Hölle zu erlösen. Die Eingesperrten verweilten natürlich nicht lange an dem Orte ihres Triumphes und machten sich so schnell wie möglich aus dem Staube. – Es war am Abende. Die älteren Bewohner des Dorfes saßen mit ihren Kirmeßgästen plaudernd in der unteren Stube des Gasthauses, während die Jüngeren eine Treppe höher gestiegen waren, um sich bei Musik und Tanz zu erlustiren. Auch Jörg, der Polizist befand sich oben, um Kraft seines Amtes, jedem etwa ausbrechenden Unfuge zu steuern. Behaglich lehnte er in seiner Ecke und beobachtete die lustig sich tummelnde Gesellschaft. Da plötzlich riß
er den Mund auf und starrte mit so entsetztem Ausdrucke nach der Thür, als sähe er ein Gespenst. Dort stand, die Arme über die breite Brust verschränkt, der Pflaumendieb von heut Morgen und blickte mit solcher Gemüthsruhe in das Treiben vor sich hin, als hätte er am Vormittage nicht ein entsetzliches Majestätsverbrechen begangen. Rasch wandte sich Jörg durch die Menge und trat in ein Nebenzimmer, in welchem der Amtmann und der Wiesenbauer mit ihren Gästen und Familiengliedern Platz genommen hatten. »Herr Amtmann, da draußen steht er vor der Thür. Rasch, ehe er uns wieder ausreißt!« rief er hastig. »Wer denn?« »Na, wer anders als der Kerl, der uns heut eingeschlossen hat!« »So? Das geht doch über alle Frechheit! Wart Bursche, Dich will ich kriegen!« rief Hiller, indem er aufsprang. »Kommt Alle mit und greift mit zu. Das ist ein ganz gefährliches Subject, ein Bandit oder Räuberhauptmann, mit dem nicht zu spaßen ist!« Wie eine Lawine ergoß sich der Strom der Anwesenden in den Saal, und im nächsten Augenblicke war der Fremde umringt und gefangen. »Bindet ihn und schafft ihn hierher in die Mitte! Ich werde gleich jetzt Gericht mit ihm halten.« Obgleich in Folge des entstandenen Tumultes die in der Unterstube sitzenden Gäste nach Oben kamen und der Saal in Folge dessen voll wurde, entstand doch in der Mitte ein freier Raum, in welchen man den Wiederergriffenen halb schob, halb zog. »Na, macht Euch nur 'nen Spaß; ich komme schon auch noch dran!« lachte er. »Aber mit dem Bindfaden bleibt mir vom Leibe oder ich werfe Euch Alle zum Fenster 'naus!« »Immer bindet ihn, oder haltet ihn wenigstens fest!« »Das Vergnügen könnt Ihr Euch machen. Da, habt Ihr meine Tatzen!« Er hielt die Arme hin und wurde bei denselben gefaßt. »Wo hat Er sich heut herumgetrieben?« begann Hiller das Verhör. »Das muß Er doch am Besten wissen. Er hat mich ja unter Bedeckung in Transport gegeben.« »Spotte Er nicht! Wie kann Er nur so verrückt sein und wieder hierher kommen?« »Sieht Er das denn nicht ein, Er Dummhut? Ich habe ja meinen Tornister liegen gelassen.«
»Wenn Er sein Schandmaul nicht hält, werde ich Ihn krumm schließen lassen! Warum ist Er heut davongelaufen?« »Soll ich etwa stehen bleiben, wenn der Herr Amtmann in eigener Person die Güte hat, für mich zu brummen?« »Stricke her; ich werde Ihn zusammenschnüren lassen, daß er die Engel im Himmel pfeifen hört!« In diesem Augenblicke tönte ein kurzer, scharfer Pfiff von der Straße herauf, und sofort reckte sich die Gestalt des Gefangenen in die Höhe, und die ihn Haltenden mit einer kraftvollen Bewegung von sich abschüttelnd, donnerte er mit löwenstarker Stimme: »Dazu wäre Er Himmelhund auch der rechte Kerl!« Und den Kittel aufreißend, sodaß die Rabetten der Uniform und die blitzenden Sterne auf der Brust sichtbar wurden, fuhr er fort: »Er hat ja nicht einmal Geschick, einen armseligen Pflaumendieb rechtschaffen zu verhören. Wäre Er nur mit einem einzigen Athemzuge auf den Gedanken gekommen, mich aussuchen zu lassen, so hätte Er sich die ganze Komödie erspart. Ich werde Ihm jetzt 'mal zeigen, wie man mit Spitzbuben umspringt.« Und sich gegen die halb geöffnete Thür wendend, rief er: »Gewehr auf! Vorwärts marsch!« Sofort flog die Thür vollends auf, und im nächsten Augenblicke waren die Ausgänge und Fenster von hochgewachsenen, bärtigen Grenadieren besetzt. »So, und nun kommt die Reihe an Ihn, Er elender Taugenichts! Wilhelm Schmidt, komm her und lies 'mal diesen Brief vor, den mir der Schwerenöther gestern geschickt hat!« Der Gerufene trat vor und folgte der Weisung. Kaum hatte er das letzte Wort gelesen, so erhob sich unter den Anwesenden, welche in dem Handwerksburschen ihren Fürsten erkannt hatten, ein wahrer Sturm von Verwünschungen und zornigen Ausrufungen. »Ruhe hier! Jetzt habe ich zu sprechen. Dort ist noch der Strick. Bindet ihn.« Man gehorchte. Hiller sträubte sich dagegen und rief: »Durchlaucht, ich protestire gegen dieses Verfahren; ich habe es nicht verdient!« »Was, nicht verdient, Er Galgenstrick? Glaubt Er etwa, daß ich Ihn binden lasse wegen der heutigen Lappalie? Das fällt mir gar nicht ein! Aber wie steht es denn mit dem Schlingel, der sich dort so ängstlich hinter den Schenktisch verkriecht, he? Zieht ihn 'mal
hervor! So. I, guten Abend, Herr Urian! Hast Du Dich doch noch erwischen lassen, trotzdem Dich der Herr Vetter drei Wochen lang so gut versteckt hat? Wart, Hallunke, Du sollst Spießruthen laufen, bis Du aus allen Löchern pfeifst! Herr Hauptmann, da ist er, an den Ihr mich gestern nicht erinnern wolltet. Nehmt ihn fein ordentlich in Eure Fingerlein und bringt ihn gut nach Hause!« »Durchlaucht, ich habe nicht gewußt, daß –« rief Hiller; aber der Fürst fiel ihm sofort in die Rede; »Will Er schweigen, Er Nichtsnutz Er! Wer einen Deserteur versteckt, kriegt die Kugel vor den Kopf. Weil Er aber keinen Schuß Pulver werth ist, wird Er vielleicht mit einer Landkarte auf dem Hintern davonkommen. Jetzt aber schafft mir den Kerl aus den Augen. Wo ist denn sein Goldsohn? Ah dort in der Ecke. Komm 'mal her, mein Liebling!« Zitternd trat der Gerufene herbei. Der Fürst musterte ihn vom Kopfe bis zum Fuße und sprach dann: »Dein Alter meinte, der Wilhelm gebe einen schönen Gardegrenadier; ich finde aber, daß Du noch besser dazu passest. Du wirst also an seiner Stelle mit uns gehen; dort ist der Korporal, der Dich zurechtschnitzen wird. Vorwärts!« Und als er der Weisung nicht sofort Folge leistete, wurde er gepackt und nach unten geschafft. Die Amtmännin mit ihren Töchtern erhoben ein lautes Wehklagen und wollten sich dem strengen Richter zu Füßen werfen. Dieser aber machte eine abwehrende Bewegung und befahl: »Haltet mir das Weibsvolk vom Leibe; ich kann das sakkermentsche Flennen beim Tode nicht leiden!« Und sich dann nach der andern Seite wendend, sprach er: Die »Wiesenbauers und die Schmidts mögen 'mal herkommen!« Es geschah, und Leopold nahm jede einzelne Person scharf ins Auge. »So. Das ist also die Annemarie, die den Wilhelm so lieb hat? Bist wirklich ein allerliebstes Blitzmädel. Willst mich haben, he?« fragte er lächelnd, indem er sich wohlgefällig den Bart drehte. »Na, na, brauchst dich nicht zu fürchten; ich will dich ja gar nicht zwingen. Aber wenn du mich nicht magst, so sollst du zur Strafe auch keinen Andern kriegen, als den neuen Amtmann. Den magst du doch, was?« »Durchlaucht!«
»Weiß schon! Ihr Weibsvölker könnt zehn Wochen lang immer in einer Tour fortschwatzen; aber grad dann, wenns am Nöthigsten ist, da steht die Mühle still. Ich werde also deinen Vater fragen müssen. Trete Er hierher, Teichbauer! So! – Was ist Er nur für ein dummer Esel gewesen, daß Er Sein schönes Kind dem nichtsnutzigen Hiller hat geben wollen. Schäme Er sich! So ein alter Kerl wie Er ist, sollte doch wohl nur daran denken, sein Kind glücklich zu machen! Wie es jetzt mit den beiden Hillers steht, das hat Er gesehen. Aus der Heirath kann also Nichts werden. Aber da heut Abend einmal Verlobung sein soll, so muß ich mich wohl ins Spiel legen. Ich habe da einen neuen Amtmann für Euch, das ist ein verteufelt braver Kerl, noch jung zwar, aber er hat Etwas gelernt und das Herz auf dem rechten Flecke. Wollt Ihr ihm die Annemarie zur Frau geben?« »Ich weiß ja nicht, wer es ist, Durchlaucht.« »Da steht er ja! Gukt ihn Euch an, 's ist ein stattlicher Bursche.« »Durchlaucht!« riefen voll Ueberraschung die beiden Schmidt's zugleich. »Das ist nicht möglich!« »Maul halten; Ordre pariren! Der Wilhelm hat mir gefallen. Hab' ihm heut scharf auf den Zahn gefühlt, hat aber gut bestanden. Er wird Amtmann, pasta, abgemacht! Na, Wiesenbauer, wie stehts?« »Wenn Durchlaucht befehlen, so muß ich wohl ja sagen.« »Das will ich Ihm auch gerathen haben, Er Himmelelementer. Und wie ist's denn mit dem Mädel, he? Magst du ihn?« »Ja,« hauchte tief erröthend das glückliche Kind. »Da hat man's; jetzt kann sie auf einmal reden. Also heut ist Verlobung, und ich bleibe da, um mitzumachen. Der neue Herr Amtmann wird wohl einen Winkel haben, wo ich schlafen kann; ich bin mit Allem zufrieden, nur nicht mit Eurer sakkermentschen Klystierbude.« Und einen Blick über die Andern werfend, setzte er mit erhobener Stimme hinzu: »Eigentlich wollte ich mir ein Dutzend Rekruten mitnehmen, und es sind auch einige ganz prächtige Himmelstürmer da; aber weil ich 'mal bei Laune bin, soll der Würgengel heut an ihnen vorübergehen. Will Euch die Freude nicht verderben; sollt heut Alle lustig sein. Und damit das auch gleich los gehe, so blast mir jetzt einmal unsers Herrgott's Dragonermarsch, und du, Mädel, komme 'mal her und gieb mir 'nen herzhaften Schmatz; ich habe ihn verdient, und meine Alte, die Anneliese, wird
wohl Nichts dagegen haben.« Er zog die tief Erglühende zu sich empor, und als bei der herrschenden Stille der Kuß des alten Degenknopfes laut durch den Saal schallte, da erhob sich dröhnender Jubel und die Musik fiel mit einem rauschenden Tusche ein, welchem sie das verlangte Lied folgen ließ. Als es zu Ende geblasen war, nahm der Fürst Annemarie bei der Hand und sprach: »So, nun wollen wir gehen. Was heut hier getrunken wird, das bezahle ich; aber sauft mich nicht arm, Ihr Tausendschwerenöther! Achtung: Gewehr an! Vorwärts marsch!« Dem Kommando gehorchend, marschirten die Grenadiere ab, und ihr Vorgesetzter schritt hinter ihnen her, umgeben von den Gliedern der beiden glücklichen Familien und begleitet von den anerkennenden Zurufen der ganzen zahlreichen Versammlung.
Unter den Werbern Humoristische Episode aus dem Leben des alten Dessauer von Karl May
1. Bei »Mutter Röse« Obgleich es noch früh am Tage war, ging es auf den Gassen, Straßen und Plätzen der guten Haupt- und Residenzstadt Dessau doch schon lebhaft zu. Es war heut ja Wochenmarkt, an welchem die Bewohner der Umgegend herbeiströmten, entweder um die Producte ihres Gewerbfleißes in Angebot zu bringen oder Dasjenige einzukaufen, was zur Befriedigung ihrer wirthschaftlichen, häuslichen und persönlichen Bedürfnisse nothwendig war. Durch die Alt-, Neu- und Vorstadt-auf-dem-Sande bewegten sich die Wagen, Karren und Fußgänger der von dem Fürsten Leopold erst neu angelegten Cavalierstraße zu, welche noch heut mit ihren Rasenplätzen und dem unvergleichlichen Blick auf die Johanneskirche eine der größten Zierden der Stadt ist. Dorthin zog es die Neugierigen, und gruppenweise standen sie vor den Ladenfenstern oder wagten sich scheu und einzeln in eins der »grausam vornehmen« Gasthäuser, wo es zu sehen, zu hören, zu essen und zu trinken gab, was noch keinem der biedern Landbewohner vorgekommen war. Die Meisten von ihnen aber kehrten doch schließlich nach dem engen, an der Mulde gelegenen Stadttheile zurück, in welchem »Mutter Röse«, die dickste und zugleich beste Wirthin des ganzen Anhalt'schen Landes residirte, die es außerordentlich gut verstand, ihre Gäste gegen die beiden Erbübel der Menschheit, den Hunger und den Durst, in nachdrücklichen Schutz zu nehmen. Wie eine Königin thronte sie zwischen zahllosen Flaschen, Gläsern und Krügen hinter dem langen, massiven Schenktische, hatte für Jeden einen freundlichen Gruß, ein vertrauliches Kopfnicken oder wohl gar einen kräftigen Händedruck und ließ wie eine Sonne die Strahlen ihres vollen und stets lächelnden Gesichtes bis in die entfernteste Ecke fallen. Nirgends war das Bier so frisch und erquickend, nirgends der Braten so saftig und nirgends die Bedienung so aufmerksam wie bei »Mutter Röse«, und wem es gar widerfuhr, von ihr selbst bedient zu werden, der konnte sich diesen Vorzug für eine wirkliche Ehre anrechnen und wurde darüber von
den Andern groß angesehen. Aber ebenso kräftig und entschieden konnte sie auch gegen Den auftreten, welcher es wagte, sie aus ihrem Gleichgewichte zu bringen, und gar mancher Gast schon hatte ein solches Beginnen mit einem blitzesschnellen »An die Luft setzen« büßen müssen. Auch jetzt hatte sie sich mühsam zwischen den vielen anwesenden Marktgästen hindurchgedrängt, um an dem hintern Tische einen der erwähnten Bevorzugten mit ihrer Aufmerksamkeit zu beglücken, als sich die Thür öffnete und ein Mann eintrat, welcher sich tief bücken mußte, um seinem Kopfe eine unliebsame Berührung mit den Querbalken zu ersparen. Obgleich er die Sechzig längst zurückgelegt haben mußte, trug er sich doch so stramm und kräftig, als stehe er noch zwischen zwanzig und dreißig, und das dunkle, scharfe Auge hatte in jugendlicher Lebhaftigkeit das Zimmer mit einem einzigen kurzen Blicke überflogen. Er schritt zu dem allein noch leerstehenden Tische, ließ sich auf den lautkrachenden Stuhl fallen, zog die bestaubten Gamaschen in die Höhe, warf den Dreispitz von dem zierlich bezopften Kopfe und wartete nun augenscheinlich auf irgend einen dienstbaren Geist, um sich mit dessen Hilfe von einem der obengenannten Erbübel zu befreien. Zufälliger Weise aber war sein Kommen nicht bemerkt worden, und so zupfte er zunächst etliche Male ungeduldig an dem blauen Leinwandsacke herum, welcher seinen breitschultrigen Oberkörper bedeckte, wirbelte sodann mit unmuthiger Miene die beiden Spitzen seines Schnurrwichses um die Zeigefinger, und als auch diese Manipulation erfolglos blieb, erhob er endlich den dicken Knotenstock, welcher mittelst eines Lederriemens an seinem Handgelenk hing, und ließ ihn lautdröhnend auf die eichene Platte des Tisches fallen. »Heda, alte Klatschmaschine, mach', daß Du bald vorkommst, sonst werde ich Dir Beine machen!« Auf diese mit lauter und kräftiger Baßstimme hervorgedonnerten Worte trat über das ganze Zimmer hinweg augenblicklich eine tiefe Stille ein, und Aller Augen wandten sich nach dem Manne, welcher es wagte, die zwar gute, aber sehr streng auf ihre Reputation haltende Wirthin in dieser Weise zu insultiren. Jedermann war überzeugt, daß der Sprecher in wenig Secunden draußen vor der Thür stehen werde, zumal Mutter Röse, schnell
herumfahrend, die beiden Hände in die Hüften stemmte, was bei ihrer Corpulenz allerdings ein gewagtes und höchst schwieriges Unternehmen war, und mit vor Zorn hochrothem Gesichte über die Häupter der Sitzenden hinweg rief: »Wer ist denn der unverschämte Kerl, he, der da vorn so dicke thut? Wart 'mal, Bürschchen, wir werden gleich sehen, wer von uns Beiden dem Andern Beine macht!« Und sich nach dem Schenktisch wendend, wo eben ein vierschrötiger Hausknecht ein Faß auf die Stellage hob, setzte sie befehlend hinzu: »Christian, nimm ihn doch 'mal bei der Perrücke und zeige ihm, wo der Zimmermann das Loch gelassen hat!« »Laß Dich nicht auslachen, alte Bierliese, und halte den Schnabel. Ihr wärt mir die Rechten von wegen dem Zimmermannsloche!« Das war der Wirthin doch zu stark, zumal nun auch der Aerger über den Hausknecht dazu kam, denn dieser machte nicht die geringste Miene, dem Befehle seiner Herrin Folge zu leisten, sondern lehnte in höchster Verlegenheit an der Küchenthür. Mit raschen Schritten wand sie sich zwischen den Gästen hindurch, um den Fremden, den sie der Entfernung wegen noch gar nicht hatte sehen können, in Augenschein zu nehmen. »Was wären wir? die Rechten? Ja, das sind wir auch, und das will ich Ihm sofort beweisen, Er Grobian! Glaubt Er denn, daß man eine ehrsame und tugendhafte Wittwe – – Herrjeh!« unterbrach sie sich, die dicken Hände in höchstem Schrecke zusammenschlagend, als sie jetzt in das sich ihr zuwendende Gesicht des Ausgescholtenen blickte, »wer denkt denn so Etwas! Bitte hunderttausend Mal um Verzeihung, Durchl – –« »Will Sie wohl endlich ruhig sein und mir einen Krug Zerbster bringen und was dazu gehört!« unterbrach er sie schnell. »Oder glaubt Sie etwa gar, daß ich hereingekommen bin, nur um Ihre schönen Redensarten anzuhören?« »Ja freilich, einen Krug Zerbster,« wiederholte sie eilfertig, »und was dazu gehört, gleich, gleich sollen Durchl – –« »Ich frage Sie nur,« fiel er ihr wieder rasch und diesmal mit dem Fuße stampfend in die Rede, »ob Sie schweigen will. Wenn Sie noch ein einzig Mal dieses Wort ausspricht, so mag Sie Ihr Zerbster selbst hinunterspülen!« »Ja ja, schön, schön, ich wollte nur sagen, daß ich Ew. Durchl –
–«
Das Wort blieb ihr bei dem fürchterlichen Blicke, welcher sie traf, im Munde stecken; sprachlos vor Verlegenheit über ihre dreimalige Indiscretion eilte sie nach dem Schenktisch, brachte den vollen Thonkrug herbei, stellte ihn auf den höchst eigenhändig mit ihrer weißen Schürze abgewischten Tisch, und bald lag neben dem Trunke auch ein mächtiges hausbackenes Roggenbrod, ein Stück gelber Butter und ein großer, appetitlicher Landkäse. Der Gast leerte den Krug auf einen Zug und gab ihn der Wirthin zum Füllen zurück. Sodann griff er zum Messer und beschäftigte sich sehr eifrig und erfolgreich mit dem Imbiß, während die Anwesenden die Köpfe zusammensteckten und sich nicht genug über das eigenthümliche Vorkommniß wundern konnten, bis ein Name leise von Stuhl zu Stuhl, von Tisch zu Tisch geflüstert wurde und die Fremden dann mit halb scheuen, halb ehrfurchtsvollen Blicken die hohe Gestalt des Essenden musterten. Dieser bekümmerte sich nicht im Geringsten um die Andern und war so sehr in seine Arbeit vertieft, daß er den Eintritt eines neuen Gastes gar nicht bemerkte, welcher, ihn erblickend, ein Zeichen der Ueberraschung nicht unterdrücken konnte, dann aber wie in Folge eines raschen Entschlusses auf ihn zuschritt und nach einem Stuhle griff. »Ist der Stuhl erlaubt?« fragte er kurz. »Warum nicht?« antwortete mit einem tiefen Brummen der Kauende. »Ich habe ihn nicht gemiethet!« Der also Berichtete setzte sich und meinte: »Wünsch guten Appetit!« »Danke,« brummte es wieder; »aber lasse Er mich jetzt ungeschoren! Ich habe mehr zu thun, als mir Seine Höflichkeiten gefallen zu lassen.« »Ist mir auch recht!« klang die Antwort unter einem belustigten Lächeln des Sprechenden. »Heda, Mutter Röse, habt Ihr nicht noch ein Messer bei der Hand? Der Mann da wird die ganze Portion wohl nicht für sich allein brauchen!« Jetzt erst blickte der Essende auf und überflog mit einem erstaunten Blicke seinen Gegenüber. Das Resultat mußte ein zufriedenstellendes sein, denn als die Wirthin antwortete: »Ich habe schon noch das Nöthige für Ihn übrig,« entgegnete er in befehlendem Tone:
»Mach Sie keine Faxen und lasse Sie ihn immer hier mit zugreifen!« Mit einem raschen Griffe schwang er dem jungen Manne das schwere Brod hinüber, schob ihm Butter und Käse zu und nahm dann die unterbrochene Beschäftigung mit erneutem Nachdrucke auf. Der Andere griff ebenso fleißig zu, und als die beiden Hungrigen endlich ihre Arbeit beendigten, war außer einem bescheidenen Brodreste nichts Genießbares mehr auf dem Tische zu bemerken. Die leeren Krüge wurden wieder gefüllt, und sich mit einem behaglichen Laute die Magengegend streichend, begann der zuerst Angekommene: »So, das wäre abgemacht, und nun kann man auch wieder sprechen. Er schlägt keine schlechte Klinge!« »Hm, so 'was lernt sich schon, und der Käse war gut!« »Meint Er? Ja, bei der Mutter Röse weiß man, was man bekommt. Er ist wohl kein Dessauer Kind?« »Nein.« »So ist Er wohl in Geschäften hier?« »Ja und nein, je nachdem man's nimmt.« »Ja und nein – so sprecht doch deutlicher, wie es einem vernünftigen Menschen zukommt!« »Warum?« »Warum, fragt Er noch? Na, zum Tausendsapperlot, wenn wir nicht hier sitzen und Maulaffen feil halten wollen, so müssen wir doch Etwas reden. Und auf eine gutgemeinte Frage gehört doch wohl eine ehrliche Antwort!« »Da habt Ihr wohl recht; nur weiß ich nicht, was es Euch und mir nützen soll, wenn wir über meine Angelegenheiten verhandeln!« »Mir wird's freilich nicht viel nützen, aber für Euch kann's vielleicht gut sein. Ich bin hier bekannt, und wenn es auch weiter gar nichts wäre, so kann doch wenigstens ein guter Rath nie Schaden bringen.« »Ihr sprecht wahrhaftig grad' wie ein Buch; aber wahr ist's trotzdem, was Ihr sagt. So sollt Ihr denn meinetwegen wissen, daß ich mir hier eine Stelle suchen will.« »Eine Stelle? Was denn für eine?« »Beim Alten!« »Beim Alten? Bei was denn für einen Alten, he, wenns gefällig
ist?« »Nu, beim Fürsten.« »Beim Fürsten? Bei dem wollt Ihr eine Stelle haben und nennt ihn doch den Alten?« fuhr er zornig auf. »Da schlage doch ein Himmelmillionenschock – na, ich sehe da gar nicht ein, warum ich mich über Seine Malicen ärgern soll. Seine Stelle kann mir ja ganz gleichgültig sein!« »Ich habe Nichts dagegen, aber wer neugierig ist, muß auch die Antworten nehmen, wie sie kommen.« »Hört 'mal, Ihr seid ein verteufelt aufrichtiger Kerl, und ich glaube, das Flunkern habt Ihr nicht gelernt!« »Das will ich wohl zugeben. Man kommt mit der Ehrlichkeit immer noch weiter als mit der Flunkerei.« »So? Da habt Ihr es wohl schon weit gebracht?« »O ja, bis zum Reitknechte.« »Alle Wetter, das ist allerdings weit; so wohl ist mirs noch nicht geworden! Und da will Er wohl auch in diesem Fache Beschäftigung beim Fürsten haben, den Er den ›Alten‹ nennt, he? Na, ich wollte Ihn dafür kurranzen, wenn ich der ›Alte‹ wäre!« »Errathen!« antwortete der Stellesuchende lächelnd über das »Er«, mit welchem er an Stelle des »Ihr« betitelt wurde, seit er von sich als Reitknecht gesprochen hatte. »Aber aus dem Kurranzen würde wohl nichts werden.« »So! Warum denn nicht?« »Weil Ihr es bleiben lassen würdet. Wenigstens seht Ihr grad' wie ein verständiger Mann aus, und ein brauchbarer Diener hat auch seinen Werth.« »I der Kuckuk, sehe ich wirklich wie ein verständiger Mensch aus?« rief der Alte lachend, daß ihm die Thränen in die Augen traten. »Na, das wollte ich Ihm auch gerathen haben. Was Er aber da von dem Diener schwatzt, das klingt recht nach Einbildung.« »Da irrt Ihr Euch grade. Ein Mann soll nicht mehr, aber auch nicht weniger von sich halten, als er darf!« »Jetzt spricht ja Er wie ein Buch. Kann Er denn wirklich ein Pferd reiten?« » Ein Pferd? Hm! Sprecht lieber, jedes Pferd!« »Jedes? Höre Er 'mal, dazu gehört mehr als Brod essen! Der ›Alte‹ zum Beispiel, wie Ihr den Fürsten nennt, hat einen Rapphengst, der noch Niemanden im Sattel gelitten hat. Das ist eine
Bestie, wie es in der ganzen Welt weiter keine giebt!« »Wer, der Alte oder der Rapphengst?« »Mohrenelement, wie meint Er das? Er Himmelhund will doch nicht etwa seinen Narren aus mir machen. Das sollte Ihm ganz außerordentlich schlecht bekommen!« »Halt, guter Freund, was Ihr da sagt, das fällt mir ja gar nicht ein. Ich habe Euch nur nicht recht verstanden und meinte gar, Ihr wolltet den Fürsten verschimpfiren. Aber da hättet Ihrs mit mir zu thun bekommen, denn der ist ein Kerl, welcher mehr wiegt, als fünfmalhunderttausend von der Sorte, wie Ihr seid. Ich habe einen heidenmäßigen Respect vor ihm, und wer ihn schlecht machen will oder gar eine Bestie nennen, wie mir es vorhin schien, dem schlage ich das Lästermaul so breit, daß man darauf sechsspännig herumfahren kann!« »So, so!« schmunzelte es wohlgefällig um den schwarzen Schnurrwichs. »Er macht mir da ein schönes Compliment mit den Fünfmalhunderttausend!« »Na, ist's etwa anders? Ich habe Euch noch nicht gefragt, wer und was Ihr seid, aber der Fürst ist Souverain, Feldmarschall, Gouverneur, Ritter von fünf Schock Orden und was Alles sonst noch. Ist das etwa nicht genug, he?« »Hm, Etwas ist's schon; aber was glaubt Er denn, was ich bin?« »Ihr? I na, ich habe so einen Blick, so einen gewissen Geruch, um zu sagen, was Einer ist, und ich irre mich selten. Ich glaube, Ihr – Ihr – handelt mit – mit – na, mit Zwiebeln!« »Ich hand – le – mit – Zwie – Zwie – Zwie – beln – hahahaha – mit Zwie – Zwie – wie – wie – beln!« brach der Alte mit einem Lachen los, welches fast in einen Lachkrampf ausartete und die Wände des Zimmers zu erschüttern schien. »O, Er ist ein weiser Salomo; aber errathen hat Er es doch: ich handle – hahaha – mit Zwie – wie – wie – beln – hahahaha – ja, und ich habe schon Manchen in eine Zwiebel beißen lassen, daß ihm die Augen übergegangen sind! Höre Er, Er ist kein unebener Kerl, und ich möchte Ihm gern einen Gefallen erweisen. Will Er wirklich zum Fürsten?« »Freilich! Ich habe gehört, daß der Leibknecht abgegangen ist, und wollte fragen –« »Halt da! Er versteht wohl von der Sache noch gar Nichts? Leibknecht kann nicht jeder hergelaufene Fremde werden, sondern
zu einem solchen Posten kommt nur Einer, der erstens sein Fach aus dem Fundamente versteht, und zweitens vom Stalljungen auf gedient und sich das Vertrauen des Fürsten erworben hat. Das ist ein Vertrauensposten, auf den ein Unbekannter sich keine Rechnung machen darf.« »Das ist mir Alles gar wohl bekannt; aber man weiß doch manchmal nicht, wie der Hase läuft, und ein Fremder ist zuweilen ebenso brauchbar wie Einer, der sich von Stelle zu Stelle emporscherwenzelt hat.« »Ich will da nicht mit Ihm streiten, aber der Leibknecht des Fürsten muß, so viel ich weiß, nicht nur ein excellenter Reiter sein, sondern auch nach der Schnur fahren können, denn der ›Alte‹, wie Er den Fürsten nennt, ist etwas mürbe geworden, und das Fahren fällt ihm leichter als das Reiten, da er seine Achtundsechzig auf dem Rücken hat. Er steht jetzt mit seinen Buntröcken in Magdeburg und muß auch zuweilen hier in Dessau sein; da geht es denn oft herüber und hinüber, und der Leibknecht ist dabei meist seine einzige Begleitung. Versteht Er nun, was ich meine?« »Warum denn nicht? Ihr macht es Einem ja so deutlich, als wenn Ihr gar auf Schulmeister gelernt hättet, und man bekommt einen wirklichen Respect vor Euch. Aber Ihr sollt mir doch keine Angst machen, und ich werde mein Heil versuchen! Der Fürst soll jetzt grad' in Dessau sein, und ich werde mich noch heut' Vormittags erkundigen, wie man es anzufangen hat, um mit ihm sprechen zu können.« »Da braucht Er gar nicht erst ewig herumzufragen, denn ich kann es Ihm ebenso gut berichten, wie jeder Andere. Ich muß nachher auch auf's Schloß; habe mit dem Hofgärtner so Einiges abzumachen und werde wegen Ihm einmal zuhorchen. Bin auch nicht ganz so ohne alle Connexionen, und bei Hofe geht es manchmal wunderbar zu – von der Nichte zum Vetter, vom Vetter zur Muhme, von der Muhme zur Tante, von der Tante zum Onkel, und so weiter, versteht Er! Wollen doch 'mal sehen, ob ich Ihn bis zum Kammerlakaien hinaufschieben kann; das Andere ist dann Seine Sache.« »Ja, da habt Ihr recht, daß bei Hofe zuweilen Einer etwas thun kann, dem man es gar nicht angesehen hat, und ich habe alles Vertrauen zu Euch. Wenn Ihr ein Wort für mich sprechen wollt, so werde ich es Euch herzlich Dank wissen; aber wie habe ich mich
denn sonst noch zu verhalten?« »Das ist sehr einfach. Gehe Er einmal so in anderthalb Stunden auf's Schloß; da steht unter dem Thore Einer, der muß Jeden fragen, was er dort zu suchen hat, und dem kann er es einmal im Vertrauen sagen, daß er den Zwie – hahahaha – den Zwie – wie – wiebelhändler sucht. Er wird Ihm sagen, wo ich stecke, und dann wird sich ja zeigen, ob ich derweile Etwas für Ihn habe thun können.« »Gut, ich werde mich pünktlich einfinden und Euch Ehre zu machen suchen!« »Das will ich auch hoffen. Heda, Mutter Röse, hier ist Geld!« Die Wirthin kam so eilig herbei, als ihr Körperumfang es ihr gestattete und nahm von ihm die Bezahlung für beide Gäste in Empfang. »Habe Seine Zeche mit abgemacht! Er hat mit mir gegessen und getrunken und war also mein Gast. Leb' er wohl und verbummle Er die richtige Zeit nicht!« »Habt keine Sorge. Danke für das Zahlen!« Die Wirthin begleitete den Fortgehenden bis an die Thür, während der Zurückbleibende ihm mit einem listigen und befriedigten Lächeln nachblickte.
2. Beim »Alten« »Der alte Knasterbart«, wie der Feldmarschall des heiligen römischen Reiches deutscher Nation und Preußens, Leopold von Anhalt-Dessau, gern von seinen Soldaten genannt wurde, saß in seinem Arbeitszimmer. Die kleinen Fältchen an den äußeren Augenwinkeln waren zusammengezogen und die tiefen Furchen der Stirn senkten sich nieder fast bis auf die Nasenwurzel – ein Zeichen, daß er sich mit unangenehmen Gedanken beschäftige. Früher war es seine treue Lebensgefährtin, die einstige Apothekerstochter Anna Luise Föhsin gewesen, welche mit mildem Zuspruche so manche Wolke verscheucht, so manche Sorge mit ihm getheilt hatte, aber die lag nun im Grabe, die alte, liebe, gute Anneliese, und er mußte nun allen Aerger, alle Kränkung allein tragen, und das wollte ihm doch gar nicht in den harten Trotzkopf, der die lange Reihe von Jahren bis auf den heutigen Tag kein anderes Gesetz gekannt hatte, als seinen eigenen Willen. Aergerlich schob er den Stuhl zurück, riß einige Knöpfe des Uniformrockes auf und maß mit langen, raschen Schritten das Zimmer. »Das ist doch geradezu, um des hellen lichten Teufels zu werden!« monologisirte er. »Da hat der König am dreißigsten September bei Sorr die Oesterreicher mit seinen achtzehn Tausend gegen volle vierzig Tausend auf's Haupt geschlagen, ihnen zweiundzwanzig Kanonen, zwölf Fahnen und zwei Tausend Gefangene abgenommen und glaubt nun, daß sie sich auf eine solche Schlappe heuer nicht wieder herauswagen werden. Die Armee cantonnirt bei Schweidnitz, und General du Moulin soll sie mit seinem Cordon an der Grenze schützen. Der König ist nach Berlin gegangen und spielt Flöte, seine Soldaten liegen in ihren Baracken und rauchen Tobak, und Keiner merkt, daß man unterdessen da hinter dem Gebirge einen Trank zusammenbraut, der ganz verteufelt nach Schwefel und Salpeter schmecken wird.« Dem alten Kriegshelden schien es wohl zu thun, sich immer
weiter in seinen Grimm hineinzureden. »Ja, ja, mich macht die österreichische Therese nicht dumm, und der Kaunitz, na, der taugt so wenig, daß ich ihn für zehntausend Thaler nicht in eine Compagnie stecken möchte. Der Kerl ist ja die reine Flaumfeder und zieht zehn Röcke, zwanzig Ueberröcke und dreißig Pelze an, wenn er sich in den Hundstagen einmal an die Luft fahren läßt, und so einem Ofenhocker sollte der Dessauer nicht in die Karte gucken können? Profit die Mahlzeit! Aber was hilft's denn, he? Einen Brief nach dem anderen schicke ich nach Berlin, warne, mahne, bitte, drohe, kurz und gut, ziehe alle möglichen Saiten auf – und was ist die Folge? Man antwortet mir nicht einmal, lacht mich vielleicht gar noch dazu aus. Da muß doch gleich ein himmelmiserables Graupelwetter d'reinschlagen, mich auch noch auszulachen! Wenn ich nur ein einziges Wort davon höre, so nehme ich meine zwölf Tausend Buntröcke, marschire auf Berlin und lasse das ganze armselige Nest Spießruthen laufen vom König an bis herunter zum letzten Schusterjungen!« Jetzt befand sich der Sprecher in der vollsten Rage. Bei den letzten Worten war er stehen geblieben und hatte drohend den Arm erhoben. Er dachte gar nicht daran, daß er sich in der schönsten Revolution gegen seinen Feldobersten befinde, und als habe Jemand einen Einspruch gegen seine Rede erhoben, fuhr er plötzlich auf den Absätzen herum und rief: »Was, das thäte ich nicht? Warum denn nicht, he? Wer will mir's denn verwehren, mir, dem Sieger in den Niederlanden, am Rhein, in Bayern, in Italien, in Schweden und so weiter? Aber was ich gethan habe, das hat man vergessen, und wenn ich warne, da lacht man und – bläst Flöte dazu. I, da spielt meinetwegen Rumpelbaß oder Brummeisen, aber auslachen lasse ich mich nicht, und Antwort will ich haben, wenn ich schreibe! Aber ich weiß wohl, der Fritz ist mir nicht gut, weil ich bei seinem Alten, der Herrgott hab' ihn selig sammt seinem Tabakscollegium, einen Stein im Brette hatte. Ja, der kannte seine Leute, und wenn er auch manchmal ein wenig unbequem werden konnte, so – – Na, was will Er denn, Er Schockschwerenöther?« unterbrach er sich, als in diesem Augenblicke ein Diener unter der Thür erschien. »Oberlieutenant von Polenz. Meldung aus Halle!« »Herrrrein!« In der nächsten Secunde stand der Genannte gerade und steif
wie ein Ladestock vor dem Fürsten, diesem mit der Rechten ein versiegeltes Schreiben hinreichend. Leopold trat mit demselben an's Fenster, erbrach das Couvert und begann, den Inhalt zu buchstabiren. Er war nie ein Freund und Bewunderer der edlen Schreibekunst gewesen, und Meldungen lesen oder gar selbst die Feder führen, gehörte für ihn zu den größesten Strapazen des Erdenlebens. Die Zeilen konnten nichts Gutes enthalten, denn seine Miene verfinsterte sich immer mehr, und als er fertig war, ballte er das Schreiben in der Hand zusammen und trat mit Unheil verkündender Miene auf den Offizier zu. »Weiß Er, was in dem Wische steht?« »Zu Befehl, Excellenz.« »Weiß Er auch, was d'raus wird, wenn das so fortgeht?« »Zu Befehl, nein, Excellenz.« »So! Oberlieutenant will Er sein, und weiß das nicht, was sich ein jeder Tambour denken kann? Wenn das Desertiren und Ausreißen so fortgeht, so steht Er zuletzt ganz allein im Standquartiere und sperrt das Maul auf, oder kann sich auch so nach und nach verduften wie die Anderen. Da schlage doch das Wetter in die Disciplin! Kein Tag vergeht, wo ich nicht vom Durchbrennen höre, und allemal sind's die besten Kerls, welche sich davon machen, während die Taugenichtse kleben bleiben. Heut' wieder der Korporal Nauheimer, der bravste Unteroffizier in der ganzen Armee. Auf den hätte ich Häuser gebaut! Warum hat sich der salvirt, he? Das muß doch einen Grund haben, denn ohne Grund desertirt kein Nauheimer!« »Halten zu Gnaden, Excellenz, ich weiß es nicht; der Korporal Nauheimer hat sich einen Urlaub von drei Tagen genommen und ist nicht wieder eingetroffen.« »So! Und da zetert Ihr gleich über Desertion? Es kann doch dem Manne sonst 'was zugestoßen sein. Werde die Sache untersuchen! – Aber was ist denn nun das Andere, he? Da wagen sich die sächsischen Werber herüber über die Grenze und schnappen uns nicht nur die besten Bauernburschen, sondern auch die eigenen Soldaten weg! Nun hört mir aber Alles auf! Zwölf Tausend Preußen stehen da, ziehen die Nachtmützen über die Ohren und lassen sich die feindlichen Werber geradezu zwischen den Beinen hindurchkriechen – will Ihm denn da sein Bischen Verstand nicht still stehen, he? Da sollen doch gleich zehn Millionen Granaten in
die ganze saubere Geschichte hineinfahren! Na, ich werde hinüberkommen und die guten Herren beim Schopfe nehmen, daß es ihnen grün und gelb vor den Augen funkeln soll! Wie weit ist Er denn mit seiner Liebsten?« »Excellenz, immer noch auf dem alten Flecke.« »Kann mir's denken! Tabak rauchen, Karte spielen, mit dem Säbel rasseln, den Verstand vertrinken, einem braven Bürgersmädchen den Kopf verdrehen, Schulden machen, Schlägereien anzetteln, das könnt Ihr alle; aber wenn es endlich einmal ernstlich einem gescheidten und anständigen Frauenzimmer gilt, da klebt Ihr in der Buttermilch und wißt kein Geschick d'ran zu machen!« »Excellenz, halten zu Gnaden, das Fräulein von Naubitz hat die Marotte, nur mit einem Offizier anzuknüpfen, der eine Compagnie hat, und da –« »Papperlapapp! Meine Anneliese hat auch nicht nach der Compagnie gefragt! Wenn man so ein Mädchen nur zu packen weiß, da fällt sie einem ganz von selbst um den Hals; ich weiß das ganz genau. Aber da scheint es Ihm am Besten, nämlich an der Anstelligkeit zu fehlen. Die Naubitz ist meine Pathe; Sein Vater schreibt mir und bittet mich um Protection, und ihm zu Liebe, der ein alter Kriegskamerad von mir ist, thue ich auch alles Mögliche, um die Sache zu Stande zu bringen, aber wenn Er selbst den Brei immer wieder anbrennen läßt, so mag Er zusehen, wenn ein Anderer kommt und sie Ihm vor der Nase wegschnappt.« »Verzeihen Excellenz, das glaube ich nicht befürchten zu müssen!« »Nicht? Da weiß ich mehr als Er. Das Teufelsmädel ist schön, reich und klug, und ich glaube, sie hat bei ihrem letzten Besuche in Berlin Einen gefunden, der es geschickter anzudrehen weiß als Er. 'S ist ein Rittmeister bei den Ziethenhusaren, und die sind in allen Dingen gewohnt, g'rad d'reinzuschlagen. Da ihre Eltern todt sind, so hat der Mann kurz und bündig mich um das Jawort gebeten, und, wahrhaftig, er hätte es mit Freuden bekommen, wenn mir nicht noch zur rechten Zeit Sein Vater eingefallen wäre.« »Gestatten Excellenz die Frage nach dem Namen des Rittmeisters?« »Meinetwegen; es ist der Herr von Platen, derselbe, von dem man sich so manches lustige Reiterstückchen erzählt. Der König
scheint ihn sehr zu protegiren. Er kann sehen, wie Er ihn aus dem Sattel bringt!« »Werde es versuchen und sage Excellenz meinen schuldigen Dank für gnädige Information.« »Schon gut! Das Mädel ist g'rad noch hier im Schlosse, geht aber schon in einigen Stunden auf ihr Gut nach Beyersdorf. Er ist noch im letzten Augenblicke gekommen; gehe Er zu ihr und mache Er seine Sache besser als bisher!« Während des letzten Theiles der Unterredung hatte sich der Unmuth des Fürsten etwas gelegt und einer freundlicheren Stimmung Platz gemacht, ein Umstand, aus welchem sich schließen ließ, daß der Vater des vor ihm stehenden Offiziers bei ihm in gutem Andenken stehen müsse. Am Schlusse der Endermahnung gab er mit der Hand das Entlassungszeichen und wandte sich zurück. Der Oberlieutenant aber blieb, trotzdem er den Wink bemerkt haben mußte, stehen und zog zwischen den Rabatten der Uniform ein Papier hervor. »Excellenz!« »Was giebt's denn noch?« Ohne ein Wort der Erklärung auszusprechen, reichte der Gefragte das Schriftstück hin. Der Fürst trat wieder an das Fenster hin und studirte eine ganze Weile auf dem Zettel herum bis er endlich ärgerlich in die Worte ausbrach: »Was ist denn das für ein dummer Wisch, he? Das sieht ja gerade aus, als hätte Einer Hände und Füße in die Tinte gesteckt und wäre dann mit allen Vieren auf dem Papiere herumgekrochen. Und so eine heillose Sudelei wagt man, mir zu schicken!« Die Stirnadern schwollen wieder ganz bedenklich an, und die Augen begannen von Neuem, ihre Blitze zu werfen. »Da kann ja kein Mensch einen richtigen Buchstaben herausfinden. Wird Er mir wohl sagen, welcher Esel das geschrieben hat?« »Verzeihen, Excellenz,« stotterte der Offizier in größter Verwirrung; »Oberst von Brandow läßt ganz gehorsamst bitten, mir mitzutheilen, was die Zeilen enthalten.« »Oberst Brandow – mittheilen – enthalten – –? Seid Ihr denn alle mit einander verrückt geworden! Was habe denn ich mit der Correspondenz des Obersten zu thun? Soll der Fürst Leopold von Anhalt-Dessau etwa Schreiberdienste bei ihm verrichten? Nun ist mir's aber genug, und wenn Er nicht sofort macht, daß Er zur Thür
hinaus kommt, so werde ich Ihm sammt Seinem unverschämten Obersten zeigen, wie man sich gegen seinen Vorgesetzten zu verhalten hat. Hier ist der Wisch, und dort ist das Loch; vorwärts marsch!« »Durchlaucht, Excellenz – –« »Marsch, sage ich!« »Bitte tausend Mal – –« »Himmel-Kreide-Pech und Hölle, wird Er wohl Subordination leisten! Rrrrraus!« »Excellenz haben – –« »Rrrrraus!!« »Diese Ordre hier – –« »Rrrrraus!!!« »Ja selbst geschrieben!« »Rrrr – – – w–a–a–as, selbst geschrieben? Ich? Diese Klexerei? Mensch, ich lasse Ihn auf der Stelle krumm schließen, wenn er das noch einmal sagt! Glaubt Er etwa, ich kann nicht schreiben oder gar mein Geschriebenes nicht lesen?« »Kein Mensch wird wagen, so Etwas nur zu denken, Durchlaucht; aber bitte, die Unterschrift zu bemerken, und hier ist das Couvert!« »Die Unterschrift? Hm, hm, ich unterschreibe mich doch ›Leopold‹, aber da ist kein L, kein e und auch kein o zu erkennen, und das ›pold‹ ist ganz und gar in der Tinte ersoffen. Zeige Er das Couvert! Hm – hm – was soll denn die ganze Geschichte vorstellen?« »Es ist die Ordre, welche Excellenz gestern durch einen reitenden Boten dem Herrn Obersten von Brandow zu – –« »Was, meine Ordre ist's? Und die kann der Oberst nicht lesen? die schickt mir der Oberst zurück? Alle Stern-Hagel-Blitz-und-Granatensplitter – jetzt hört endlich 'mal die Geduld auf – jetzt steigt mir's in den Kopf – jetzt lasse ich die ganze saubere Gesellschaft krumm schließen!« Mit dem Zeichen der höchsten Erregung stürmte er im Zimmer auf und ab, stampfte mit den Füßen und focht mit den Armen in der Luft. Der vor Angst förmlich zitternde Polenz schwieg eine geraume Weile und unternahm es sodann, den Obersten zu entschuldigen: »Excellenz, die Schrift –« »Solche unmenschliche Dummheit! – ja ja – die Schrift –«
»Ist durch die Hände –« »Sollte man nicht – – ja ja – durch die Hände –« »Des ganzen Offiziercorps gegangen!« »Für möglich halten! ja ja – Offiziercorps geg – was sagt er da? des ganzen Offizierscorps? Eine Ordre, die nur an den Obersten gerichtet war? Und das nennen diese Menschen militairische Discretion! Na, ich komme hinüber – freut Euch nur!« »Und Keiner –« »Was noch, he?« »Hat sie lesen können!« »Keiner – kein Einziger – das wird immer toller!« »Und da der Ordre doch Gehorsam geleistet werden muß – –« »Das will ich mir auch ausgebeten haben, Ihr Himmelsackermenter!« »So bin ich im Carrière herübergeritten – –« »Nun und –?« »Um gehorsamst zu fragen, welchen Befehl sie enthält.« »Welchen Bef – – Mensch, sind Ihm denn alle Sinne abhanden gekommen, alle miteinander? Da ist wohl der Befehl noch gar nicht ausgeführt worden?« »Excellenz verzeihen gnädigst, was man nicht lesen kann, kann man auch nicht ausführen.« »Und das sagt Er mir? wirklich mir? Himmelherrgott, wo nehme ich nur heute diese übermenschliche Geduld her! Eigentlich sollte ich Ihn in Kochstücke hauen! Gebe ich da einen Befehl – und dieser Befehl wird nicht befolgt – weil man nicht lesen kann – und nun soll ich meine eigene Ordre lesen! Sage Er mir doch in drei Teufels Namen, für wen sie geschrieben ist!« »Für den Herrn Oberst von Brandow.« »Gut, jetzt scheint Ihm doch der Verstand wieder zu kommen! Wer hat sie also zu lesen?« »Der Herr Oberst, Excellenz.« »Richtig, ganz richtig! Bin ich aber etwa der Herr Oberst von Brandow?« »Nein.« »Richtig, sehr richtig! Also wer hat sie nicht zu lesen?« »Ew. Durchlaucht.« »Gut, vortrefflich! Merke Er sich das und sage Er das auch Seinem Herrn Obersten. Ich brauche nicht so zu schreiben, daß ich
es lesen kann, denn ich schreibe keine Briefe und Ordres an mich selbst. Da ich heut' aber ausnahmsweise einmal nachsichtig bin, so werde ich Ihm die Geschichte noch einmal zu Papiere bringen. Warte Er also!« Mit einem grimmigen Lachen setzte er sich an den Tisch, und bald knirrschte und kratzte die Feder mit lautem, geräuschvollem Schreien über das Papier. »So – da lese Er 'mal!« »Excellenz, das – kann – ich – nicht – lesen!« »Das will ich Ihm auch gerathen haben; ich kann's auch nicht lesen! Meine Befehle soll, darf und kann – versteht Er wohl? – kann auch nur Der lesen, an den sie gerichtet sind. Und wer's nicht kann, der mag sich zum Teufel scheeren. Merke Er sich auch das, und sage Er es Wort für Wort dem Herrn Oberst wieder. – Jetzt aber mache Er, daß Er endlich fortkommt!« Mit erleichtertem Herzen trat Polenz unter militärischem Grüße ab und schritt so schnell durch das Vorzimmer und über den Corridor, daß er fast mit einer jungen Dame zusammengerannt wäre, welche sich eben anschickte, die Treppe hinabzusteigen. Erschreckt fuhr er zurück, verbeugte sich erröthend und stammelte: »Entschuldigung, Fräulein von Naubitz, ich befinde mich so sehr in Eile – –« »Daß ich den Herrn Lieutenant keinen Augenblick aufhalten, sondern ihm gern den Vortritt lassen werde,« fiel sie ihm in stolzer Haltung und mit einem feinen, überlegenen Lächeln in die Rede, indem sie mit einer abweisenden Handbewegung zurücktrat. »O, meine Gnädige – so groß ist diese Eile denn doch nicht, – daß ich nicht einige Worte – –« »Danke, danke! Der Dienst geht vor, und Ihr befindet Euch im Dienste. Bitte voranzutreten!« »Ich werde gehorchen; aber zuvor bitte ich, mir zu sagen, warum Ihr gegen meine Person eine so große Abneigung hegt!« »Ich muß bemerken, Herr von Polenz, daß hier nicht der geeignete Ort ist, von Zu- oder Abneigungen zu sprechen.« »Dann ersuche ich ganz ergebenst um die Erlaubniß, einige kurze Minuten bei Fräulein eintreten zu dürfen!« »Ich stehe eben im Begriff, der Einladung einer Freundin Folge zu leisten. Es ist ein Abschiedsbesuch, welcher sich unmöglich aufschieben läßt!«
Polenz wollte grad' eine Entgegnung aussprechen, als sich unten eine tiefe, wohlklingende Stimme vernehmen ließ: »Höre Er, guter Freund, ist im Laufe des Vormittages nicht ein Zwiebelhändler hier gewesen?« Die Sonderbarkeit der Frage ebenso wie der Wohllaut der sonoren Stimme, aus welcher trotz der in den Worten liegenden Erkundigung doch etwas Befehlendes klang, erregte die Aufmerksamkeit der Obenstehenden in der Weise, daß sie ihre eigenen Angelegenheiten vergaßen. »Ein Zwiebelhändler? O, ja,« tönte unter einem leisen Lachen die Antwort. »Er will wohl mit ihm sprechen?« »Ja.« »Dann ist Er wohl der Fremde, der bei Mutter Röse mit ihm gegessen hat?« »Ja.« »Gut, so gehe Er diese Treppe hinauf. Hinter der Thür, welche Ihm links entgegensteht, wird man Ihm Bescheid sagen!« Das war die Thür des fürstlichen Vorzimmers; es handelte sich also vielleicht um eines jener spaßhaften Vorkommnisse, welche zuweilen einzutreten pflegten, wenn der Fürst die Stadt oder deren Umgegend einmal incognito durchstrichen hatte. Die beiden an der Treppe Postirten sahen in Folge dessen dem Erscheinen des Fragers mit einer gewissen Neugierde entgegen. Jetzt kam er langsam und gemächlich die Stufen heraufgestiegen. Es war ein noch junger Mann, welcher vielleicht dreißig Jahre zählen mochte. Von nicht zu hoher Gestalt, war er breitschulterig gebaut, von kräftigen Formen und gewandten Bewegungen. Wie er so mit über den Rücken gelegten Armen den Fuß von Stufe zu Stufe setzte, war es fast, als sei er hier zu Hause oder finde ganz und gar nichts Besonderes in einem Besuche bei dem strengsten Souverain des deutschen Reiches. Oben angekommen, erhob er mit einem raschen und offenen Aufschlage den bis jetzt niedergerichteten Blick. Ein Blitz freudiger Ueberraschung leuchtete, als er die Dame erblickte, aus dem großen, dunklen Auge, aber so schnell, so kurz, daß Polenz ihn gar nicht bemerkte und dann klang es in gleichgültig fragendem Tone unter dem sorgfältig gepflegten Bärtchen hervor: »Wo ist die Thür, die Einem hier links entgegensteht?« Fräulein von Naubitz war bei seinem Anblicke bis tief in den
Nacken hinab erröthet und schien durch die possirliche Frage ganz aus der Fassung gebracht zu werden. Desto mehr aber bewahrte der Lieutenant seine Würde. »Kerl,« rief er, »ist Er denn wirklich so heidenmäßig dumm, daß Er nicht weiß, was links und was eine Thür ist?« »Freilich! Ich hielt Sein großes Maul für das Loch, durch das ich kriechen soll. Er reißt es ja sperrangelweit genug auf!« Damit drehte sich der Fremde nach links und trat in das Vorzimmer. Polenz hob schon den Fuß, ihm nachzueilen, um ihn für die Beleidigung zu züchtigen, aber die Gegenwart der Angebeteten veranlaßte ihn, seinen Zorn zu beherrschen. »Freches Subject!« brummte er. »Solches Volk darf man aber gar nicht beachten! – Also das gnädige Fräulein steht im Begriff, auszugehen? Und doch läßt mich der Dienst keine spätere Stunde erwarten.« »Nun, so theilt mir schnell mit, was Ihr von mir wollt!« »Was ich will, fragt Ihr? Nichts weiter, als eine endgültige Entscheidung. Ihr kennt mich und meine Verhältnisse und wißt auch, daß ich nicht ohne Protection bin.« »So wißt Ihr desto weniger, daß die Protection der Liebe nur schadet. Diese läßt sich nicht commandiren, sie handelt nach eigenem Ermessen und ist nur für den Preis zu haben, den sie selbst bestimmt.« »So nennt mir diesen Preis!« bat der Offizier, indem sein Blick sich mit verlangender Gluth an die schönen, vollen Formen der Sprecherin heftete. Mit träumerisch glücklichem Ausdrucke suchte ihr Auge die Thür, hinter welcher vor wenigen Secunden der Fremde verschwunden war, und leise klang es von ihren Lippen: »Ich kann nur einem Manne angehören, der neben imponirender Körper- und Geisteskraft auch einen Sinn für die feineren Gefühle des Herzens besitzt. Das profane, alltägliche Leben muß mit den Strahlen der Romantik übersponnen werden, wenn die Liebe heimisch werden soll, und ich kann mir nichts Entzückenderes denken, als wenn zum Beispiel ein stolzer Ritter die Zeichen seines Standes von sich legt, um im unscheinbaren Kleide nach dem Besitze der Geliebten zu ringen!« In süßer Selbstvergessenheit haftete ihr Auge noch immer an der Thür, als könne sie durch dieselbe das Wesen erblicken, von
welchem ihre Worte berichteten; dann aber richtete sie sich stolz empor, grüßte den Lieutenant mit einem kurzen Nicken des weißgepuderten Lockenköpfchens und rauschte die Stufen hinab. »Die Zeichen seines Standes von sich legt – also incognito – in unscheinbarem Kleide – stolzer Ritter – Besitz der Geliebten ringen –« murmelte Polenz. »Hm, habe noch gar nicht gewußt, daß sie an solchen alten Burg- und Rittergeschichten Wohlgefallen findet. Mir soll's recht sein – da bin ich mit dabei. Nach Beyersdorf geht sie? Gut, ich komme auch nach Beyersdorf – – aber natürlich ganz incognito. Da giebts dann vielleicht Eduard und Kunigunde, und nachher zur Abwechslung Kunigunde und Eduard!« Unter diesen Gedanken stieg auch er jetzt mit nachdenklicher Miene nach unten.
3. Die Reitprobe Während dessen war der junge Mann, welchen wir zuerst bei Mutter Röse trafen, in das Vorzimmer des Fürsten getreten, wie wir gesehen haben. Dort wandte er sich an den dienstthuenden Lakaien mit der Frage: »Hat Er nicht vielleicht heut einen Zwiebelhändler hier herumlaufen sehen?« Der Gefragte lachte mit dem ganzen Gesichte. »Wie kommt Er denn dazu, einen Zwiebelhändler hier zu suchen?« »Nu, der Mann hat mich herbestellt, und da unten an der Thür stand Einer, der hat mich hier heraufgewiesen!« »So, na, da gehe Er nur immer dahinein! Vielleicht findet Er da Seinen guten Freund von der Mutter Röse her.« – Noch immer rollte der Aerger seine Wogen durch die Adern des Fürsten, welcher unter dem Einflusse der gehabten Aufregung mit langen Schritten im Zimmer auf- und abspazierte. Als er den Eintretenden bemerkte, glättete sich sein faltenreiches Gesicht zusehends, trotzdem aber klang es kurz und barsch: »Wen sucht Er hier?« »Den Zwiebelhändler!« »Den Zwie – ja ja, den Zwie – hahahaha – den Zwie–wie–wiebelhändler!« Und sich breitspurig vor ihm hinstellend, rief er, immer noch lachend: »Will Er mich wohl einmal recht genau angucken?« »Warum denn nicht, wenn's Euch solchen Spaß macht!« »Gut! Was sieht Er denn nun da, he?« »Was ich sehe? Nu, was denn Anders als Euch!« »Höre Er 'mal, das versteht sich ja ganz von selber! Aber ich meine, ob Er nicht so Etwas bemerkt von wegen einer gewissen Aehnlichkeit.« »Aehnlichkeit?« und dabei musterte er mit der größten Aufmerksamkeit die Figur des Fürsten. »Nein, davon sehe ich
Nichts.« »Was? Er sieht gar Nichts in Beziehung auf mich und den Zwiebelhändler? Ich hätte wahrhaftig nicht gedacht, daß Er so wenig Grütze im Kopfe hat!« Bei diesen Worten richtete sich der Fremde einige Zoll höher empor. »Grütze? Höre Er, wem es von uns Beiden an Grütze fehlt, das wird sich finden, aber beleidigen lasse ich mich nicht, versteht Er wohl? Daß er mein Zwiebelhändler ist, das sieht wohl jedes Kind, und wer man selbst ist, dem kann man doch nicht ähnlich sehen. Also frage Er ein andermal gescheidter, wenn Er keine dumme Antwort haben will!« »Alle Wetter,« lachte der Fürst, daß ihm die Thränen über die Backen liefen, »ist Er den nicht bei Troste, hier an diesem Orte so aufzutreten!« »Ich bin den ganzen Tag bei Troste, und Abends und des Nachts erst recht, am allermeisten aber jetzt eben! Hat Er's verstanden? Er denkt wohl, weil er Seine Zwiebeln vielleicht in dem fürstlichen Garten bauen und also auch diese alte, speckige Livree tragen darf, oder weil Er ein Glas Bier und ein Stück Käse für mich bezahlt hat, so soll ich mir's gefallen lassen, daß Er mich mit meinem Grütze aufzieht? Da kommt Er bei mir an den Rechten, denn grade beim Grütze bin ich am Allerempfindlichsten!« Leopold konnte vor Lachen nicht antworten. Der Aerger war vollständig verschwunden und hatte der besten Laune Platz gemacht. Mit den Händen immer abwechselnd die Thränen aus den Augen wischend, bemerkte er auch nicht, daß es hier und da wie helle Belustigung über das Gesicht des Sprechers zuckte. »Ja, lache Er nur! Ich kann meinen Käse schon noch selber bezahlen und brauche auch Seine Fürsprache gar nicht, denn ich werde auch ohne Ihn mit dem Fürsten reden können!« »Ohne mich? Hahahaha! Das möchte ich doch einmal sehen, wie es zuginge!« »Wie das zuginge? Gut, das werde ich Ihm gleich zeigen!« Er drehte sich um, schritt nach dem Eingange und hatte diesen schon geöffnet, als es hinter ihm erscholl: »Halt, komme Er noch einmal her!« Langsam und zögernd folgte er dem Rufe. »Sage Er doch in des Teufels Namen, wo will Er denn da
eigentlich hin?« »Wohin denn anders als zum Fürsten? Mit Ihm werde ich mich doch nicht etwa lange hier herumärgern!« Wieder brach der Fürst in ein schallendes Gelächter aus, und nur mit Mühe brachte er die Frage hervor: »Aber sieht Er denn wirklich nicht, daß ich der Fürst selber bin?« »Er? Na, Er wäre mir der Rechte!« Das Lachen wurde immer dröhnender, bis sich Leopold endlich mit Gewalt beherrschte und mit ernster Miene dicht an den Ungläubigen herantrat. »So, Er glaubt es nicht?« »Nein, nicht eher, als bis Er mir Sein Wort giebt, daß es wahr ist.« »Gut, hier hat Er meine Hand darauf, daß ich Leopold heiße!« »Jaaa – Leopold heißen Viele!« »Na, und daß ich der Fürst bin!« Der Fremde hatte bisher in bequemer und gemüthlicher Haltung dagestanden, jetzt aber reckte sich wie unter einem electrischen Schlage seine Gestalt in stramme Breite und Höhe, und selbst das Auge des feinsten oder strengsten Exerziermeisters hätte nicht die leiseste Veranlassung zu irgend einem Tadel wahrgenommen. Wohlgefällig überflog Leopold den kraftvollen und dabei doch so geschmeidigen Gliederbau und meinte dann in freundlichem Tone: »Also eine Stelle sucht Er bei den Pferden?« »Durchlaucht, nicht bei den Pferden, sondern bei Euch!« »Das ist hüben wie drüben: die Pferde sind meine, und meine sind die Pferde, also wenn Er eine Stelle bei meinen Pferden hat, da – na was lacht Er denn?« »Entschuldigung, Durchlaucht – da habe ich bei den Pferden auch eine Stelle!« antwortete der Gefragte rasch, der den Eindruck der wunderlichen Logik des Fürsten nicht schnell genug überwinden konnte. Verdutzt sah ihn dieser an, bis ihm endlich ein Licht aufging über die gehabte sprachliche Confusion; er lachte selbst darüber und rief: »Ja, so geht's Einem, wenn man sein A-B-C mit dem Säbel schreibt und seine Verse mit den Kanonen singt! Der Dessauer ist eben nicht zum Schulmeister geboren. Aber bleiben wir doch bei der
Fahne! Also Er getraut sich jedes Pferd zu reiten, wie Er am Vormittage sagte?« »Ja.« »Gut, ich nehme Ihn beim Worte. Leibknecht kann Einer eigentlich erst nur nach langen Dienstjahren werden; so ein Mann will erprobt sein. Aber Er gefällt mir, und so will ich Ihm denn ein Generalstückchen aufgeben, welches ebenso viel wiegt wie eine lange Dienstzeit. Drunten steht ein Rapphengst, der hat neunundneunzig Teufel im Leibe; satteln und aufzäumen läßt er sich, aber damit ist's basta; er hat bisher Alle in den Sand geworfen, die sich an ihn gewagt haben, und es waren Kerle d'runter, vor denen man Respect haben muß. Will Er's versuchen?« »Warum nicht, Durchlaucht? Den wollen wir schon kriegen!« »Das hat Jeder gesagt; aber sitzen bleiben ist die Hauptsache. Komme Er 'mal mit!« Einen leichten Ueberrock umwerfend, schritt er voran hinunter zu den Stallungen. Sämmtliches Personal von dem eben anwesenden Oberstallmeister bis herab zum letzten Jungen betrachtete den Fremden mit neugierigen Blicken, als der Befehl ertheilt wurde, den Rappen vorzuführen. Es war ein prachtvolles Thier, dessen Bau einen jeden Kenner und Liebhaber in Entzücken versetzen mußte; aber aus den dunkel von der Weiße des Augapfels abstechenden Pupillen loderte unbezähmte Wildheit. Vier starke Reitknechte waren nothwendig, es herbeizuführen, und kaum hatten sie mit ihm den Platz betreten, so zogen sich alle Andern ängstlich zurück, um bei dem zu erwartenden Schauspiele nicht beschädigt zu werden. Die Hauptperson auf der Scene aber, der Fremde nämlich, schien für das Thier gar keine Aufmerksamkeit zu haben, sondern sein Blick war auf eine Person gerichtet, welche an einem der geöffneten Fenster stand und mit unverkennbarer Angst in dem schönen Angesichte dem Vorgange zuschaute. »Marie!« flüsterte er. »Sie hat mich erkannt. Sie schien vorhin ausgehen zu wollen, und ist doch zurückgeblieben, um zu sehen, was ich bei dem Alten thue. Nur getrost, mein süßes Mädchen – werde ihm das verweigerte Jawort schon noch abzwingen!« Er wandte sich dem Pferde zu, welches abwechselnd vorn und hinten in die Höhe ging und die Knechte mit wirklichem aber immer nur kurzem Erfolge von sich abzuschütteln suchte.
»Aufgepaßt!« commandirte er. »Sobald ich springe, laßt Ihr fahren und bringt Euch in Sicherheit!« Eben bäumte sich der Rappe auf den Hinterfüßen hoch empor – ein kühner Sprung – der Reiter saß im Sattel, und die vier Leute flogen nach allen Richtungen davon. Im ersten Augenblicke schien das Thier gar nicht zu wissen, was mit ihm geschah und stand eine Weile vollständig bewegungslos, dann aber schnellte es plötzlich mit allen Vieren in die Luft und versuchte durch eine Reihe von Seitensprüngen sich der Last zu entledigen. Als ihm das nicht gelang, warf es sich nieder, sprang wieder empor, wälzte sich, dazwischen immer wieder von Neuem aufspringend und sich zur Erde werfend, nach allen Seiten hin und her, gebrauchte Hufe und Zähne, um sich des Reiters zu erwehren, aber immer blieb dieser über ihm und schien desto größeres Gaudium zu empfinden, je toller es die Bestie unter ihm trieb. Jetzt sauste er im rasenden Galoppe dahin, riß das Pferd im halsbrecherischen Schwunge auf den Hinterhufen herum, sprengte bis gegenüber der Thür, unter welcher der Fürst stand, und rief mit lauter Stimme: »Aufgepaßt jetzt, wer Etwas lernen will!« Mit kräftigem Stoße grub er den Daumen der geballten Hand zwischen Hals- und Rückenwirbel des Pferdes ein; dieses stieß einen Schmerzensschrei aus, der mit dem Klange des gewöhnlichen Wieherns nicht die entfernteste Aehnlichkeit hatte, und versuchte, wieder in die Höhe zu steigen. Aber wie eingemauert stak sein Leib zwischen den Schenkeln des Reiters, deren gewaltiger Druck ihm trotz der Anstrengung aller Muskeln und Fibern den Athem und die Bewegung raubte. Es war ein Anblick zum Angstwerden. Hier kämpfte nur Körperkraft gegen Körperkraft, und die geistige Ueberlegenheit des Menschen war für den Augenblick suspendirt. Die Stirnadern des muskelstarken Mannes traten blau und angeschwollen hervor; blutroth lag die Anstrengung auf seinem Gesichte, und groß und schwer fielen die Tropfen des Schweißes ihm von den Wangen herab. Bewegungslos waren seine Züge, starr hing das Auge an dem Kopfe des Pferdes, und dem Zerreißen nahe spannten sich die Zügel. Der Odem des Rappen drang pfeifend durch die Nüstern; die Beißkette knirrschte unter den vor Angst zusammengepreßten Zähnen; die Hufe hoben sich unter den krampfhaft zuckenden Beinen und suchten doch sofort wieder den
Boden. So hielten Roß und Reiter eine ganze kleine Ewigkeit an derselben Stelle, bis endlich das Erstere lautlos zusammenbrach. Ein allgemeines »Ah« der Bewunderung und Erleichterung entfuhr den Lippen Aller, welche Zeugen dieses Meisterstückes gewesen waren; über alle Rufe hinweg aber ertönte die Stimme des Fürsten: »Mensch! Kerl! Wo hat Er nur um aller Welt willen diese heidenmäßige Stärke her? Da stehen Einem ja die Haare zu Berge, wenn man daran denkt, daß man einmal unversehener Weise zwischen Seine Beine gerathen könnte. Er hat mir ja den Rappen zusammengedrückt, daß er nach Luft schnappt wie ein Karpfen! Höre Er, ist Er denn auf dem Wagen auch so zu Hause wie auf dem Pferde?« »Ich denke, Durchlaucht.« »So! Nun, wenn Er es denkt, so wird es auch schon wahr sein; ich habe es Ihm gleich angesehen und auch gesagt, daß Er das Flunkern nicht gelernt hat. Er soll die Stelle haben. Dort steht der Herr Oberstallmeister, der wird Ihm Seine Instruction geben! Ueber Seine früheren Verhältnisse werden wir schon noch reden!« Langsam entfernte sich der Fürst. Die Knechte zogen das bis auf's Aeußerste ermattete Pferd, welches sich unterdeß wieder aufgerichtet hatte, in den Stall, und der Vorgesetzte, an welchen der Pferdebändiger gewiesen worden war, unterwies denselben in seinen Obliegenheiten, und zwar in einer Weise, welche deutlich erkennen ließ, daß dabei das Wohlwollen des Fürsten bedeutend mit in Betracht gezogen werde. Als er das Schloß verließ, um zu Mutter Röse zu gehen, wo er seit seiner gestrigen Ankunft in Dessau logirt und also seine Effecten liegen hatte, hörte er das Rauschen einer seidenen Robe hinter sich und vernahm zugleich die Worte: »Curt, Du hier? Was soll diese Maskerade?« Er zog die Schritte etwas ein, und während die Fragerin vorüberpassirte, antwortete er: »Grüß Dich Gott, mein Herzensschatz! Ich nahm Urlaub, um auf den mir gewordenen abschlägigen Bescheid unerkannt die Verhältnisse zu sondiren. Im Gasthause traf ich auf den Fürsten und bin durch die Macht der Umstände in seinen Dienst gerathen, obgleich das gar nicht in meiner ursprünglichen Absicht lag. Nun mag's laufen wie es läuft.«
»Ich gehe nach Beyersdorf. Sehen wir uns dort?« »Ja, wenn es möglich zu machen ist. War das vorhin der Polenz?« »Ja,« hörte er noch, dann hatte sie ihn so weit überholt, daß keine weiteren Bemerkungen ausgetauscht werden konnten. Bei Mutter Röse angekommen, trat er zunächst noch einmal in die allgemeine Gaststube, um sich nach der gehabten Anstrengung an einem Kruge guten Bieres zu erquicken. Obgleich er anfänglich nicht daran dachte, die Anwesenden zu beobachten, wurde seine Aufmerksamkeit doch bald durch zwei Männer in Anspruch genommen, welche an dem benachbarten Tische saßen. Der Eine, lang und hager, aber starkknochig gebaut, trug einen schwarzen Knebelbart; seine kleinen, stechenden Augen blickten listig unter den buschigen Brauen hervor, und jeder Zug seines von der Sonne verbrannten Gesichtes verrieth den schlau berechnenden Egoisten, dessen höchster Lebenszweck der Gewinn ist. Der Andere und Jüngere war, wie aus der Aehnlichkeit zwischen Beiden sich schließen ließ, jedenfalls sein Sohn und schien auch in geistiger Beziehung ganz das Ebenbild seines Vaters zu sein. »Was sagst Du da, Junge? Du hättest zum Beispiel eine Gelegenheit gefunden?« fragte der Letztere. »Ja, und was für eine!« »Wo denn, zum Beispiel?« »In Bitterfeld.« »In Bitterfeld? Wie bist Du denn dahin gekommen? Dort giebts ja fast nur lauter Tuchmacher, Töpfer und Schuster.« »Oho, es giebt auch ganz bedeutenden Getreidebau dort, den die Fläminger betreiben, die ihr eigenes Recht haben. Aber diese Leute sind so zähe, daß Unsereiner an ein Geschäft mit ihnen gar nicht denken kann. Ich wollte es versuchen, deshalb ging ich hin, aber umsonst. Der Einzige, mit dem sich ein Wörtchen reden läßt, ist der Bäcker Wolstraaten; das ist ein Kerl, mit dem sich Etwas machen läßt, aber es fehlt ihm eben auch am Besten!« Dabei machte der Sprecher die Geberde des Geldzählens. »So! Was zum Beispiel läßt sich denn mit ihm machen?« »Hm, ich denke, so ziemlich Alles, wenn's nur 'was einbringt.« »Junge, Du bist ein Schlauberger, und wenn Du von Jemandem so Etwas sagst, so hast Du auch Deine Gründe dazu. Hab' ich Recht?«
»Möglich.« »Ja ja, bist ganz nach mir gerathen, ganz nach mir. Also, was ist's zum Beispiel mit dem Bäcker?« Der Gefragte sah sich scheu um; da aber unser Lauscher in seinen Bierkrug vertieft zu sein schien und die andern Gäste zu entfernt saßen, um Zeugen des Gespräches sein zu können, so antwortete er, wenn auch in etwas gedämpfterem Tone: »Der fragt bei Allem, was ihm vorkommt, nur, ob es ihm 'was einbringt, und je mehr es trägt, desto weniger bekümmert er sich darum, wie man es nennt. Er hat in einem Umkreise von mehreren Meilen die Hauptniederlage für den Elbschmuggel, steht mit allen Langfingern in ziemlicher Freundschaft und weiß vielleicht auch von den Seelenverkäufern und Werbern zu reden, welche die Gegend dort herum so unsicher machen.« »Das ist ja ein ganz außerordentlich gefährlicher Kerl! Mit dem mag ich zum Beispiel nichts zu thun haben, gar nichts.« »Ja, das wäre wohl auch meine Meinung, aber der Mann hat auch eine ganz vortreffliche Seite.« »Welche denn?« »Die, daß er Vormund ist.« »Vormund? Von wem denn zum Beispiel?« »Na, von Der, die ich vorhin meinte!« »Ach so! Aber mache mir die Sache doch etwas deutlicher!« »Du weißt, die Fläminger sind eigne Leute, die so ihre altherkömmlichen Gebräuche haben und sich den Teufel um unsre Gesetze und Regeln kümmern. Bei ihnen hat ein Vormund eine ganz ungewöhnliche Macht über sein Mündel und darf mit dessen Person und Habe schalten und walten fast nach Belieben. Und da wäre denn mit dem Wolstraaten ein Geschäft zu machen.« »Wieso?« »Sein Mündel, ein blitzsauberes Mädel, soll eine Erbschaft gemacht haben in Haarlem oder so daherum; die wird jetzt ausgezahlt und –« »Da hast Du Dich an das Mädel gemacht?« »Ja, noch mehr aber an den Vormund.« »Höre, Du bist ein ganzer Junge! Bei den schweren Kriegsläuften zum Beispiel haben wir im Geschäfte mehr zugesetzt als profitirt, und da könnte man so eine Zubuße schon gebrauchen. Wie ist's denn gegangen mit der Sache?«
»Gut und schlecht, jenachdem man es nimmt. Das Sofje, wie die Flamänder statt Sophie sagen, hat einen Liebsten, und ich habe also nicht viel ausrichten können; den Bäcker aber habe ich auf meiner Seite, und das ist doch immer die Hauptsache.« »Wie hast Du denn das zu wege gebracht?« »Das ist doch so einfach wie nur 'was: ich lasse ihn mit erben!« »Das war gescheidt! Politisch muß man sein, und Du bist bei mir zum Beispiel in eine gute Schule gegangen. Ihr seid also einig geworden?« »Ja; es fehlt nichts weiter, als daß Ihr nach Bitterfeld fahrt und die Sache mit ihm vollends in Ordnung bringt. Das schöne Geld sticht Einem in die Augen, und wenn man erst das Mädel sieht, da möchte man gleich mit ganzen Beinen d'reinspringen.« »Ich glaube, Du bist gar verliebt! Da wird man ja selbst ordentlich neugierig. Weißt Du 'was? Ich werde gleich morgen oder übermorgen hinauffahren. Zu thun giebts hier nicht viel, und bei solchen Dingen darf man keine Zeit verlieren. Also einen Liebsten hat sie? Was ist es denn für ein Mensch?« »Er heißt Nauheimer und ist Korporal.« »Also ein Buntrock ist er? Da ist es mir gar nicht angst, denn diese Sorte darf zum Beispiel gar nicht so leicht an's Heirathen denken, und das Mädel wird, wenn sie Etwas auf sich hält, sich bedanken, einen solchen Bruder Leichtfuß zu nehmen.« »Verrechnet Euch nur nicht! Ein bildschöner Kerl ist er, das muß ich sagen, und das Sofje ist auch ganz vernarrt in ihn. Außerdem soll der alte Dessauer große Stücke auf ihn halten, und wo so ein Herr dahintersteckt, da weiß man nicht, wie es werden kann.« »Dieser Punkt darf Dir keine große Sorge machen! Du bist ja auch ein Kerl, der sich sehen lassen kann, und wenn der Nauheimer sich etwa gar zu breit macht, so hast Du ja ein Paar gute und gesunde Fäuste, mit denen sich zum Beispiel schon Etwas machen läßt. So ein Korporal hat seinen Rücken auch nicht von ungefähr und fühlt eine Tracht Prügel ebenso gut wie jeder Andere. Als ich zu Deiner Mutter auf die Freite ging, habe ich gar manchen herzhaften Puff austheilen müssen, ehe ich sie den Andern wegschnappte, aber Püffe, sage ich Dir, Püffe, die thun manchmal Wunder, besonders wenn sie nicht gar zu zart sind!« »Hört, Vater, Euer Wort in Ehren, da kommt Ihr bei dem
Nauheimer an den Rechten. Ich hab's auch ohne Euch gewußt, was eine derbe Faust zu Stande bringt, aber bei dem mag ich's mein Lebtag nicht wieder versuchen.« »Was? Du bist wohl schon mit ihm zusammengerathen?« »Na, das versteht sich, und wie!« »Nu, und weiter?« »Was denn weiter? Ich habe meine Prügel eingesteckt und das Nachsehen gehabt!« »Mohrenelement! Du hast Dich so ruhig abwarten lassen und bist dann fortgeschlichen? Da muß ich mich als Dein Vater ja wirklich schämen. Das hätte zum Beispiel mir passiren sollen; alle Wetter, hätte ich den Kommisbrodbeißer kurranzen wollen! Aber so ist's jetzt bei Euch Dämlingen: Ein sauberes und reiches Mädchen sticht Euch wohl schon in die Augen, aber wenn es gilt, für sie einmal d'reinzuschlagen, da salvirt Ihr Euch und reibt den Buckel!« »Oho, da seid Ihr allerdings auf dem Holzwege! Ich bin auch kein Hasenfuß und weiß mich meiner Haut schon zu wehren, aber der Korporal steht für Zehne; so einen Goliath habe ich noch gar nicht gesehen. Deshalb hält ja eben der alte Dessauer so große Stücke auf ihn, denn der Nauheimer und der Rittmeister Platen von den Ziethenhusaren, das sind die beiden stärksten Kerle in der ganzen preußischen Armee, das weiß jedes Kind. Ich glaube, wenn die Zwei 'mal zusammen kämen, die hauten eine ganze Kompagnie zusammen!« »So schlimm ist's doch wohl nicht! Von dem Platen habe ich auch gehört, und der soll ein ganz verteufelter Satan sein, was aber Deinen Korporal betrifft, so ist er mir noch nicht mit einem einzigen Worte vor die Ohren gekommen, und ich glaube, es läßt sich mit ihm schon fertig werden! Wie ist es denn zum Beispiel eigentlich mit Eurer Balgerei gewesen?« »Das war so: Das Sofje wollte am Sonntag Abends auf den Tanz gehen, das erfuhr ich von dem alten Wolstraaten. Das Mädel ist eine flotte Tänzerin, und der Bäcker gab mir da einen Wink, mich an sie zu machen, ›denn,‹ sagte er, ›ein guter Tänzer und eine flotte Tänzerin geben einen tüchtigen Hopser, und zwei Hopser ein Liebespaar.‹ Ich machte mich also auch auf den Saal und suchte sie auf; aber das Ding war gar nicht so leicht, wie ich es mir gedacht hatte.« »Wieso denn zum Beispiel?«
»Weil um das Mädel ein Gezerre und Gereiße war, als ob es auf der ganzen Welt weiter gar keine Andere gäbe. Einer nahm sie dem Andern nur immer so vor der Nase weg, und ich kam gar nicht einmal dazu, nur ein Wörtchen mit ihr zu reden.« »Donnerwetter, das muß doch ein ganz außerordentlich hübsches Geschöpfchen sein, daß es den Burschen die Köpfe so verdreht! Ich werde immer neugieriger auf das Mädel. Morgen fahre ich hinauf nach Bitterfeld!« »Ja, da guckt sie Euch nur einmal an! Die hat ein Gesicht wie Milch und Blut; ein Paar Augen macht sie, daß es Einem ganz weich im Magen wird, und gewachsen ist sie dazu, wie – wie – na, die vornehmste Dame brauchte sich nicht zu schämen, und Ihr werdet es ja selbst sehen, wenn Ihr hinkommt. – Also ich mußte nur immer so von Weitem stehen, und Ihr könnt Euch wohl denken, daß es mir darüber ganz kollerig und grimmig zu Muthe wurde. Am liebsten hätte ich schon jetzt dreinschlagen mögen; aber es hatte mir ja eigentlich noch gar Niemand Etwas gethan, und so mußte ich meinen Aerger im Stillen hinunterkauen. – Da auf einmal geht die Thüre auf, und es tritt ein Kerl herein, so lang und breitschultrig, daß er oben, hüben und drüben fast anstößt, und dabei quirlt er sich den Schnurrbart und reißt ein Gesicht wie ein General.« »Du, das war wohl zum Beispiel der Nauheimer?« »Freilich war er's, aber ich wußte es noch nicht und hatte auch noch gar nichts von ihm gehört. Als ihn die Sophie sieht, läßt sie ihren Tänzer grad' mitten auf dem Saale stehen, lacht vor Freude bis hinter die Ohren und drängt sich durch das Gewühle bis hin zum Korporal. Und der packt sie auch ganz ungenirt unter den Armen, hebt sie in die Höhe und klebt vor allen Leuten seinen Schnurrbart unter ihr Näschen, als ob er dort vierzehn Tage hängen bleiben sollte.« »Ja, so Einer mit zweierlei Tuch zum Beispiel nimmt sich gar viel heraus. Aber mach' weiter!« »Als er sie wieder auf die Füße gestellt hat, gucken sie sich einander in die Augen, als hätten sie sich seit Abraham's Zeiten nicht gesehen, und dann packt er sie plötzlich um den Leib und – heidi, geht's los, rund herum, daß die andern Paare auseinander fliegen und es Einem ordentlich wirbelig wird.« »Der macht kurzen Prozeß; das muß ja ein Tausendsapperloter sein!«
»Hm, ja, und die Bursche hatten einen solchen Respect vor ihm, daß sich Keiner von jetzt an mehr an das Mädchen wagte. Das war grad' so, als wäre er ganz allein Hahn im Korbe, und auch die Musikanten spielten blos die Tänze auf, die er bestellte.« »Aha, es schwant mir schon, und jetzt zum Beispiel geht der Teufel los!« »Ihr habt's errathen! Die Geschichte wurmte mich natürlich ganz ungemein, und da ich mich nun von den Andern nicht mehr zurückgedrängt sah, so wartete ich erst noch ein Weilchen und steuerte dann auf sie zu, um sie zum Tanze wegzunehmen. Das Mädel lachte mich an und meinte: ›Warum denn nicht, wenn's mein Liebster da erlaubt!‹ Jetzt mußte ich ihn fragen, aber er antwortete mir gar nicht, sondern drehte sich zu ihr: ›Du weißt ja, wie ich es gehalten haben will: wenn ich nicht da bin, so kannst Du meinetwegen mit jedem honnetten Burschen tanzen, wenn ich aber komme, so hat's damit ein Ende. Wer ist denn der?‹ ›Das ist ein Getreidehändlerssohn aus Dessau, der mit dem Vater Geschäfte macht.‹ ›So, dagegen kann ich nichts haben, aber mit Dir soll er keine Geschäfte machen!‹ Und darauf wandte er sich herum und sagte: ›Hat Er's gehört? Marsch, ab!‹« »Alle Hagel, grad' als hätte er einen Rekruten vor sich. Was zum Beispiel hast Du denn dazu gesagt?« »Das Commandiren fuhr mir in die Nase. ›Der soll sich verrechnet haben,‹ dachte ich, und deshalb antwortete ich grad' in demselben Tone wie seiner gewesen war: ›Höre Er 'mal, hier ist ein öffentlicher Ort, und ein Mädchen, das hierher kommt, muß mit Jedem tanzen, der sie wegnimmt, wenn sie noch nicht versprochen ist. Mein Geld ist auch kein Blech, und wenn ich bezahle, so tanze ich, mit wem ich will!‹« »Da hast Du es ihm aber zum Beispiel tüchtig gesteckt! Und was sagte er dazu?« »Erst gar nichts; er blinzelte mich nur so verdächtig vom Kopfe bis zum Fuße an; nachher stand er auf, stellte sich groß und breit vor mich hin und meinte ganz freundlich: ›So ist's recht, mein Junge, so gefällst Du mir! Aber mache, daß Du fortkommst, sonst könnte ich Dir nicht gefallen!‹«
»Da bist Du doch nicht etwa fortgelaufen?« »Freilich bin ich gegangen! Ich weiß selber nicht, wie das gewesen ist, das war so eine sonderbare Freundlichkeit, daß es mir ordentlich in die Beine gefahren ist, und ehe ich zur rechten Ueberlegung gekommen bin, habe ich wieder in meiner Ecke gestanden. Die dabei gewesen sind, haben mich ausgelacht, und da ist eine wirkliche Wuth über mich gekommen. Als der nächste Tanz losging, bin ich wieder auf die Beiden zugetreten und habe den Korporal gefragt: ›Ist Seine Liebste jetzt versprochen?‹ ›Nein,‹ antwortete er.« »Und Er tanzt auch nicht mit ihr?« »Nein, diesmal nicht.« »So werde ich's einmal mit ihr versuchen.« »Das lasse Er ja bleiben. Es könnte Ihm am Ende einen Schnupfen eintragen!« »Oho, glaubt Er etwa, die Mädels seien alle nur für Ihn gewachsen?« »Dabei habe ich sie beim Arme ergriffen und mit ihr fortgewollt; aber ehe ich's mir nur versehen konnte, bin ich durch das Gedränge hindurch bis grad' vor die Thür geflogen, so daß ich rechts und links ein halbes Dutzend von den im Wege Stehenden mit niedergerissen habe, und da ist er auch schon wieder bei mir gewesen, hat mich angefaßt, so daß ich mich gar nicht rühren konnte, und mich die Treppe hinunter bis vor das Haus getragen. Da ist drüben über der Straße ein langer, hölzerner Wassertrog gestanden, in den hat er mich der Länge lang hineingelegt, so daß mir das Wasser aus dem Rohre grad' über die Nase gelaufen ist.« »Und Du hast Dir das so ruhig gefallen lassen? Das hätte er zum Beispiel einmal mit mir probiren sollen!« »Ihr hättet auch nichts machen können! Der Mensch ist ja so stark, daß mir nicht nur der Athem, sondern auch Hören und Sehen vergangen ist. Und so habe ich mich denn aus dem kalten Bottich herausgekrabbelt und bin meiner Wege gegangen. Als ich so pudelnaß zum Bäcker kam, ist der fuchswilde über das Mädchen gewesen, und ich mag die Predigt nicht mit anhören, die sie später jedenfalls bekommen hat. Ich bin in andere Kleider gefahren, habe einen warmen Schluck zu mir genommen, und dann sind wir noch lange beisammen gesessen, um unsre Heirathsgeschichte in
Ordnung zu bringen. Als ich am frühen Morgen fortging, hat er mir noch einen schönen Gruß an Euch aufgetragen, und Ihr solltet nur recht bald kommen, um Euch die Gelegenheit einmal anzusehen.« »Na, das ist ja ein ganz miserables Abenteuer gewesen, und hier ist zum Beispiel gar nicht viel Zeit zu verlieren! Ich werde, wie gesagt, schon morgen fahren, und es müßte nicht mit rechten Dingen zugehen, wenn ich den Handel nicht zu Stande brächte. Ich bin schon noch der Mann, so einem nichtsnutzigen Korporal den Braten zu verderben! Komm, trink' aus; wir müssen das Geschirr putzen, daß morgen Alles recht hübsch sauber ist. Wer gut schmiert, der fährt auch gut!« – Bei der Erwähnung des Rittmeisters Platen hatte sich unser schweigsamer Zuhörer vorhin eines leisen Lächelns nicht erwehren können; jetzt blickte er den beiden sich entfernenden Männern mit ironischem Ausdrucke nach und winkte dann die Wirthin herbei. »Kennt Ihr die Zwei, welche hier an diesem Tische saßen, Mutter Röse?« »Ei freilich werde ich sie kennen. Es war der Getreidehändler Habermann mit seinem Sohne.« »Habermann? So so! Das sind wohl reiche Leute?« »Steinreich, wie die Leute sagen. Der Alte ist ein Pfiffikus, aber auch ein sonderbarer Kauz. Bei jedem Worte sagt er ›zum Beispiel‹. Wollt Ihr Geschäfte mit ihm machen?« »Nein. Ein fürstlicher Bediensteter darf keine Geschäfte in Getreide oder Mehl unternehmen.« »Ach so, Ihr seid in die Dienste der Durchlaucht getreten! Deshalb waret Ihr wohl auf dem Schlosse?« »Ja.« »Und nun wißt Ihr auch, mit wem Ihr heut' Vormittag gesprochen habt?« »Es war der Fürst selber.« »Ja, der macht sich gern den Spaß, einmal in einem alten Rocke nachzuschauen, wie es unter den Bürgern zugeht. Morgen fährt er wieder nach Halle. Da müßt Ihr wohl auch mit?« Der Gefragte nickte bejahend und erhob sich dann, um nach seinen Reisehabseligkeiten zu sehen, die noch oben im Zimmer lagen.
4. Der Kleidertausch In einer der Morgenstunden des nächsten Tages hielt ein leichter Jagdwagen, an den zwei feurige Braune gespannt waren, welche ungeduldig mit den Hufen scharrten und an den Zügeln zerrten, vor dem Schlosse zu Dessau. Auf dem Bocke saß der neue Leibknecht, welcher heut' seinen Herrn zum ersten Male fahren sollte. Endlich erschien derselbe unter dem Portale und trat zu den Pferden. »Das sind zwei heillose Sappermentscanaillen, höre Er. Die Probe, welche Er heut' im Fahren ablegen soll, wird Ihm nicht leicht werden!« »Durchlaucht sollen zufrieden sein!« »Hoffe es auch!« antwortete der Fürst, zum Schlage tretend, welchen ein Diener öffnete. »In Radegast wird Mittag gemacht und abgefüttert. Weiß Er den Weg?« »Werde ihn schon finden, Durchlaucht.« »Na, dann vorwärts!« Ohne eine Bedienung aufzunehmen, rollte das Gefährte davon, zum Leipziger Thore hinaus und schlug dann die Straße ein, welche über Hensdorf, Radegast und Zörbig nach Halle führte. Am zweitgenannten Orte wurde, wie der Befehl gelautet hatte, ein längerer Halt genommen, und dann ging es wieder in scharfem Trabe weiter. Der Fürst schien mit der vorzüglichen Führung seines muthigen Gespannes außerordentlich zufrieden zu sein. Er hatte sich in den weiten Ueberrock gehüllt und lag behaglich in einer Ecke des Wagens, mit munterem Auge die Umgegend musternd, obgleich er dieselbe in Folge des öfteren Hin- und Herpassirens genau kannte. Längst schon war man über Zörbig hinausgekommen und näherte sich eben der Stelle, an welcher das Geschirr in die von Brehna kommende Straße einbiegen mußte, als er sich plötzlich mit dem Oberkörper aus dem Wagen beugte, um einen Mann zu beobachten, welcher mit langen und eiligen Schritten vor ihnen herwanderte.
Es war eine hochgewachsene, breite Gestalt, durch deren Haltung und Bewegung sich der Mann als Militair gekennzeichnet hätte, auch wenn seine Kleidung nicht eine soldatische gewesen wäre. »Alle Teufel, wenn das nicht der Korporal Nauheimer ist, welcher desertirt sein soll, so ist meinen Augen nicht mehr zu trauen. He, fahre Er 'mal zu, daß wir an den Kerl kommen, der da vorne läuft!« Bei dem Namen Nauheimer hatte der Kutscher rasch aufgeblickt und brachte die Pferde in raschere Bewegung, noch ehe der Befehl dazu vollständig ausgesprochen war. Den Mann im erwartungsvollen Auge behaltend, murmelte er leise vor sich hin: »Da wird man ja den Riesen kennen lernen, mit dem man mich zusammenstellt. Und desertirt soll er sein? Bin doch neugierig!« Der Voranschreitende vernahm jetzt das Rollen des Wagens und drehte sich um. Kaum hatte er den Insassen desselben erblickt, so machte er Front und streckte sich in die zum Gruße vorgeschriebene Stellung. Der Kutscher parirte die Pferde; der Fürst legte sein Gesicht in die grimmigste Miene und fragte barsch und kurz: »Korporal Nauheimer, wie kommt Er hierher?« »Zurück vom Urlaube, Excellenz.« »Wie lange hat man Ihm Urlaub gegeben?« »Drei Tage, Excellenz.« »Und wie lange ist Er fort?« »Sechs Tage, Excellenz.« »Er ist also Deserteur!« »Zu Befehl, Excellenz,« ertönte die Antwort, während das Gesicht des Soldaten nicht die mindeste Spur von Angst oder Bestürzung zeigte. »Er ist also mein Gefangener und wird in Halle Seine Strafe bekommen. Will Ihm, der als Unteroffizier ein gutes Beispiel geben sollte, lehren, so ganz nach Belieben vom Regimente wegzubleiben. Setze Er sich neben den Kutscher, und dann vorwärts!« »Mit Permiß, Excellenz, habe, bevor ich aufsteige, erst meinen Rapport abzustatten!« »Seinen Rapport? Alle Teufel, ist Er etwa in dienstlichen Angelegenheiten desertirt? Wenn Er vielleicht meint, mir Etwas vorfasuliren zu können, so lasse ich Ihm das Fell noch extra gerben!«
»Excellenz, allerdings waren es dienstliche Angelegenheiten, welche mich verhinderten, zur rechten Zeit beim Regimente einzutreffen.« »Will Er wohl Sein Maul halten, Er Erzflunkerer! Steige Er auf, sonst werde ich ihm eigenhändig auf den Bock helfen!« »Zu Befehl, Excellenz,« und dabei machte er Miene, dem Gebote Folge zu leisten. »Aber dann werden wir sie auch nicht fangen!« »Fangen? Wen denn?« »Na, die Sachsen!« »Die Sachsen? Halt! Stehen geblieben, und Rede und Antwort gegeben! Was für Sachsen sollen wir fangen?« »Die Werber, die Excellenz so gern haben wollen, und die uns doch immer entgangen sind.« »Die Werber?« Bei dieser Frage blitzten die Augen des Fürsten auf. »Hat Er vielleicht einen ihrer Schlupfwinkel entdeckt?« »Zu Befehl, ja!« »Wo denn?« »In Bitterfeld.« »Da? Diese Himmelhunde wagen sich sogar nach Bitterfeld! Na, ich werde ihnen die Suppe so versalzen, daß sie die Mäuler von Leipzig bis Merseburg verziehen sollen! Wo ist denn das Loch, in dem Er sie getroffen hat?« »Bei dem Bäcker Wolstraaten.« »Hat der Schwerenöther eine Trinkwirthschaft?« »Ja, und sein Mündel ist meine Geliebte.« Der Fürst blickte ihn überrascht an. »So? Da geht es aber doch einem Mann an den Kragen, dem Er goutiren sollte!« »Der Dienst geht vor die Liebe, Excellenz!« »Er ist ein braver Kerl, Nauheimer, und Seinen Schaden soll er bei der Geschichte nicht haben. Wie viele sind es denn?« »Es sind zehn Mann, die im Verborgenen die Gegend absuchen und ihren Fang zum Bäcker bringen. Dort werden die Angeworbenen in den Keller gesteckt, wo sie bis zu einer passenden Gelegenheit versteckt oder auch wohl gefangen bleiben; denn es wird bei der Sache nicht blos Ueberredung, sondern auch Gewalt angewendet.« »Gut, den Keller wollen wir einmal leer machen. Wie lange Zeit
hat das wohl noch?« »Blos bis heute Abend.« »Alle Hagel, das ist verteufelt wenig. Ehe man nach Halle oder wenigstens in das nächste Quartier kommt, vergeht ja schon eine ganze Ewigkeit, und ein von dort abgesandtes Detachement kann dann unmöglich noch zur rechten Zeit in Bitterfeld eintreffen. Und etwas Anderes giebt's ja nicht. Hm, hm! Wie sollen die Leute denn fortgeschafft werden?« »Jedenfalls geht ein kleines Kommando Bedeckungsmannschaften einzeln und verkleidet über die Grenze. Bei Wolstraaten treffen sie sich, und dann werden die Rekruten bei Nacht und Nebel und auf Schleichwegen hinübertransportirt.« »Hm! Wie viele sitzen denn auf dem Leime?« »Sechszehn Mann; ich hab's von meinem Mädchen. Die soll zwar von der Sache nichts wissen, aber Weiberaugen sehen durch die dickste Mauer. Ich habe meinen Urlaub nur überschritten, Excellenz, um durch die Sophie der Geschichte richtig auf die Spur zu kommen!« »Na, da will ich einmal Sein Beichtvater sein, Korporal Nauheimer und Ihm Absolution ertheilen. Jetzt aber wollen wir die Zeit nicht mit vergeblichem Grübeln verschwenden. Also aufgestiegen und dann fort, was die Pferde laufen können! Es wird unterwegs schon noch der richtige Gedanke kommen. – Nein,« fügte er hinzu, als der Korporal sich anschickte, neben dem Kutscher Platz zu nehmen, »setze Er sich herein zu mir. Er soll mir einen ausführlichen Bericht erstatten!« Diesem letzteren Gebote wurde, während die Pferde trotz des schlechten Weges im raschesten Laufe dahinflogen, Folge geleistet, und bald war der Fürst nicht nur mit den letzten Erlebnissen, sondern auch mit allen Verhältnissen und Wünschen des Unteroffiziers bekannt. Da das Gespräch in lautem Tone geführt wurde, so vernahm auch der Wagenlenker jedes Wort, trotzdem er seit einiger Zeit ein Fuhrwerk, welchem sie sich näherten, scharf in die Augen genommen hatte, und als jetzt Leopold nachdenklich brummte: »So, also der junge Habermann aus Dessau will Ihm das Mädel wegfischen? Das wird Er sich doch nicht gefallen lassen!« wandte er sich zu dem Sprecher zurück und bemerkte, nach vorwärts deutend: »Durchlaucht, da vorn fährt er, der Habermann!«
»Was? Hat den der Teufel auch schon hier? Wohin mag der nur wollen?« »Nach Bitterfeld, zum Bäcker Wolstraaten, Durchlaucht.« »Wie kommt Er auf diese Idee? Der wird wohl nicht acht Stunden umfahren; der grade Weg geht doch über Ragulm und Jeßnitz, und überdies hätte er da unten links einbiegen müssen!« »Vielleicht hat er hier herum ein Geschäft abzumachen und richtet es so ein, daß er des Nachts bei dem Bäcker bleibt. Ich weiß ganz gewiß, daß er zu ihm will.« »Woher denn?« »Er sprach gestern bei Mutter Röse mit seinem Sohne davon, daß er heut' die Heirathsgeschichte in Ordnung bringen will.« »So so, hm, hm! Alle Wetter, da kommt mir ein Gedanke. Laß' Er die Pferde ausgreifen, daß wir den Kerl schnell einholen!« Das Gespann sauste im gestreckten Galoppe dahin, fuhr an dem Getreidehändler vorüber und hielt dann mitten auf der Straße, sich quer über dieselbe legend, sodaß Habermann nicht vorbei konnte. Dieser ließ auch halten, zog ehrfurchtsvoll die Mütze und grüßte, indem er sich respectgemäß erhob. »Höre Er, Habermann, was hat Er denn hier in der Welt herum zu fahren? Wo will Er hin?« »Nach Landsberg, Durchlaucht.« »Was hat Er da zu thun?« »Eine Partie Roggen kaufen. Soll ein gutes Geschäft sein zum Beispiel; habs unterwegs erst gehört.« »Unterwegs? So hat Er also gar nicht nach Landsberg gewollt und wird wohl auch über die Nacht nicht dortbleiben?« »Nein, Durchlaucht.« »Wo soll's denn hingehen?« »Nach Bitterfeld.« »Da hat Er noch verteufelt weit. Was hat Er denn dort zu suchen? Giebts auch Roggen zu kaufen?« »Familienangelegenheiten, Durchlaucht.« »So, da hat Er also keine Verluste, wenn Er heute gar nicht hinkommt. Höre Er 'mal, Habermann, will Er mir wohl 'nen Gefallen thun?« »Wenn ich zum Beispiel kann, mit tausend Freuden!« »Das ist schön von Ihm. Viel Hudelei wird's Ihm nicht machen; wollen blos 'mal unsre Wagen umtauschen.«
–«
»Die Wagen? Umtauschen? Wie käme ich denn zum Beispiel –
»Halte Er das Maul mit Seinem Beispiel und parire Er Ordre! Also ausgestiegen!« Während der Getreidehändler vom Wagen sprang, verließ auch der Fürst den seinen. »So! Komme Er 'mal näher! Ich glaub', wir haben eine Länge mit einander, und über allzu großes Fett kann Er sich ebenso wenig beklagen wie ich.« »Durchlaucht –« tönte die verlegene Antwort, da der Sprecher nicht wußte, wo das Alles hinaus sollte. »Da wird mir also Sein Rock nicht ganz schlecht sitzen, und in dem Meinen braucht Er sich auch nicht zu schämen.« »Durchlaucht, wenn ich fragen dürfte, warum zum Beispiel –« »Will Er wohl auf der Stelle Sein albernes Beispiel weglassen! Werde Ihm schon sagen, was Er zu thun hat! – Muß heut' noch einen kleinen Abstecher machen, aber ohne daß mich Jemand kennt. Weil nun mein Wappen an dem Wagen ist, so soll Er mir den Seinen geben; Seine Mähren kann Er aber behalten. Und mit dem Habite machen wir es ebenso. Da in den Sträuchern können wir umwechseln, ohne daß wir einander anzugaffen brauchen!« Habermann stand vor Erstaunen da wie vom Blitze getroffen und zog dabei ein so verdutztes Gesicht, daß der Fürst laut auflachen mußte, während er sich an den Kutscher wandte: »Und Er giebt hier Dem da Seine Livree! Der Nauheimer wird derweile bei den Pferden bleiben. Verstanden?« »Sehr wohl, Durchlaucht!« antwortete der neue Leibknecht mit einer Miene, in der sich das ganze Vergnügen aussprach, welches er an dem ungewöhnlichen Abenteuer empfand. Er zog, während der Korporal zurückblieb, den Knecht Habermanns mit sich fort, und bald war nur noch die scheltende Stimme Leopolds zu hören, welcher sich in der unbequemen Arbeit nur schwer zurechtfinden konnte. Die beiden Rosselenker waren am ersten mit der Umänderung ihres äußeren Adams fertig; schon hatten sie die Pferde umgeschirrt und saßen wartend auf ihrem Platze, als endlich die beiden Andern erschienen. Es war wirklich auffallend, welche Aehnlichkeit Habermann jetzt in der Montour mit dem Fürsten hatte, und der Letztere sah in der Kleidung des Ersteren ganz wie ein alter,
ehrsamer Spießbürger aus. »So, das wäre gemacht! Denke Er nicht etwa, daß ich nur aus reinem Appetite in Seine alten Hosen gefahren bin. Es geht diesmal nicht anders, weil mir keine Zeit übrig bleibt. Und daß Er Seinen Schnabel hält über die ganze Geschichte, das sage ich Ihm, sonst hat Er's mit mir zu thun!« Er zog seine Brieftasche hervor, riß ein Blatt aus derselben und kritzelte einige Augenblicke darauf herum. »Nun passe Er auf, was ich Ihm jetzt befehlen werde. Er fährt jetzt, so sehr Seine Ziegenböcke laufen können, nach Halle; dem Wachtcommandanten am Thore giebt Er diesen Zettel, und das Uebrige wird sich finden. Hat Er's capirt, he?« »Ja.« »Na, so steige Er auf! Morgen sehen wir uns wieder. Korporal Nauheimer, Er kann sich wieder zu mir in den Wagen setzen! Vorwärts jetzt!« Der Leibkutscher lenkte um, und in fliegender Eile ging es erst zurück und dann auf der Straße nach Brehna weiter. Als sie das Städtchen erreichten, war es bereits dunkel, und die engen Gassen wurden nur von einigen Laternen erleuchtet, welche hier und da vor der Thür eines Gast- oder Wirthshauses brannten. Eben fuhren sie an einem solchen vorüber, als der Korporal sich zurückbog, um einen Mann schärfer anzusehen, welcher unter dem Thore gestanden hatte; aber die Entfernung war schon zu bedeutend, um die Gesichtszüge desselben zu erkennen. »Was war's denn, Nauheimer?« »Es war mir grad' so, Excellenz, als ob der Wolstraaten dortgestanden hätte.« »Da hat Er sich sicher geirrt. Der wird sich hüten, heut' Abend aus dem Hause zu gehen, wo solcher Besuch zu erwarten ist.« »Er weiß doch nicht –« »Papperlapapp, ich meine die Sachsen. Wollen sie aber schon kriegen, die Schurken! Ich bin der Getreidehändler Habermann – na, das geht ja jetzt so toll bei mir her, daß ich zuletzt selbst nicht mehr weiß, wer oder was ich bin, hahaha! Gestern war ich ein Zwie–wie–hahahaha – ein Zwie–wie–wiebelhändler, heut' spiele ich den Getreidewurm – hahahaha – und wer weiß, was Alles noch bis morgen aus mir werden kann. Also ich bin der Getreidehändler Habermann und komme, um die Heirathsgeschichte in Ordnung zu
bringen; der Leibkutscher ist mein Knecht – hört Er's?« frug er, sich zu dem Erwähnten vorbeugend – »und Er, na Er hat keine Rolle, sondern Er soll uns nur führen und dann Seine Augen offen halten.« Der Jagdwagen mit dem fürstlichen Wappen und den beiden Kleppern bewegte sich zögernd nach Halle zu. Hans, dem Knechte, ging das soeben gehabte Erlebniß wie mit Windmühlenflügeln im Kopfe herum, sodaß es ihm ganz gleichgültig war, ob die Pferde überhaupt liefen oder sich in den Straßengraben legten, und Habermann konnte ebenso wenig aus dem Ereignisse klug werden. Er grübelte und grübelte, was dies Alles wohl zu bedeuten habe, aber es wollte ihm lange nicht das rechte Licht kommen, bis ihm endlich ein einziges Wort den Verstand zurückbrachte. »›Korporal Nauheimer, Er kann sich wieder zu mir in den Wagen setzen!‹ hat der Alte gesagt, und so hieß ja zum Beispiel der infame Bengel, der meinen Jungen in den Wassertrog gelegt hat! Da steckt Etwas dahinter. Ob die nicht vielleicht nach Bitterfeld fahren! Der Kerl soll gut beim Fürsten stehen, und da weiß man nicht, was es geben kann. Ich muß mir nur einmal den Zettel ansehen, den ich am Thore abgeben soll!« Er zog ihn aus der Tasche und versuchte, seinen Inhalt kennen zu lernen; aber das war ein Unternehmen, welches seine hier ohnehin schwachen Kräfte überstieg, und so steckte er ihn denn unbefriedigt wieder zu sich. »Hm, das ist ja eine ganz verwickelte Geschichte! Da soll ich zum Beispiel nach Halle fahren, versäume dabei aber meinen Handel in Landsberg, und in Bitterfeld wird mir unterdessen vielleicht gar der Braten vor der Nase weggefischt. Den Handel möchte immerhin der Kuckuk holen, aber die Heirath zum Beispiel, die Heirath, die darf ich mir nicht entgehen lassen. Die Erbschaft aus Harlem oder so daherum, das ist die Hauptsache; aus dem Fürsten brauche ich mir nichts zu machen, und den Zettel kann ich ja mit Gelegenheit nach Halle besorgen! – Hans, kehre um! Wir fahren nach Bitterfeld!« Der Angerufene schrak aus seinem tiefen Sinnen auf, nahm die zwei Gedanken, welche ihm noch geblieben waren, zusammen und zog die müden Thiere herum. »Nach Bitterfeld? Ohne erst noch 'mal einzukehren? Ja, beim Schimmel ginge es wohl, aber es geht nicht, weil's der Fuchs nicht aushält; dem liegt's schon seit Langem in den Gliedern!«
»Fahre nur zu! Zum Ausruhen ist's zum Beispiel in Brehna oder weiter unten noch Zeit!« Es wurde dunkel. Kurz vor Brehna begegnete ihnen ein einzelner Fußgänger. »He, guter Freund, wo soll denn der Weg hingehen?« fragte Habermann. »Nach Halle will ich; aber die Thore werden wohl schon geschlossen sein, wenn ich hinkomme.« »Habt Ihr denn nothwendig dort?« »Freilich, sonst würde ich doch lieber in dieser späten Tageszeit zu Hause bleiben!« »Na, da will ich Euch durch die Thore helfen. Gebt zum Beispiel einmal diesen Zettel an den Wachtcommandanten ab; es steht eine Nachricht für ihn darauf, und bei dieser Gelegenheit kommt Ihr ungehindert in die Stadt.« Der Fremde trat an den Wagen, um das Papier in Empfang zu nehmen. In dieser unmittelbaren Nähe war es ihm möglich, die Uniform zu erkennen, und respectvoll zog er die Mütze. »Schönen Dank, Herr Offizier, das soll gut besorgt werden!« »Das will ich hoffen! Es wird auch Euer Schade nicht sein, denn Ihr werdet zum Beispiel ein schönes Trinkgeld bekommen!« Mit diesem Versprechen beabsichtigte Habermann, den Diensteifer des Mannes anzuspornen; dieser grüßte noch einmal und schritt dann eilig davon. »Das paßt gut!« flüsterte er vor sich hin. »Wenn die Sachsen kommen, mache ich mich allemal aus dem Staube, damit es mir nicht an dem Kragen geht, wenn sie einmal erwischt werden. Das Geld habe ich voraus, und sie kennen die Schliche im Hause so gut, daß sie ihre Leute auch ohne mich finden. Und übrigens ist ja die Rosine da; auf die kann ich mich verlassen. Die Hauptsache ist ein – ein – ein Alibi, wie's die Juristen nennen, der Beweis, daß ich nicht zu Hause, sondern wo anders gewesen bin, und in Halle hole ich mir diesen Beweis am sichersten, denn was Einer vom Militair sagt und bezeugt, das gilt in solchen Dingen mehr, als was ein gewöhnlicher Mann behauptet, der keine bunten Fetzen trägt.« Er verbarg das Papier gut in seinem Rocke, ohne den Inhalt desselben zu ahnen, welcher also lautete: »Riettmeißter von Gallwitz sofohrt mit Seyner Escadron
nach Bitterfeld. Ist eylig! Mich beym Bäcker Wollstraden trehffen. Ueberbrynger ist der Gedreydehändler Hawerman aus Dessau. Ihm feßthalden und mietbryngen. Leopold.«
Während der vertrauensvolle Bote seinen Weg fortsetzte, näherte sich der Wagen Habermanns dem Städtchen und passirte dasselbe, ohne anzuhalten. Die Pferde wollten, von der zurückgelegten weiten Tour ungewöhnlich angestrengt, nicht mehr recht weiter, die Finsterniß wurde immer dichter und es fröstelte die beiden Männer, welche so unerwartet zu Ehren und Würden gekommen waren. »Wir könnten doch unsre armen Thiere eine halbe Stunde verschnaufen lassen!« raisonnirte Hans. »Das geht nicht! Das muß doch zum Beispiel ein jedes Kind einsehen, daß wir in unsern Kleidern uns hier nicht sehen lassen dürfen. Bei mir hätte es zwar keine Noth, aber Du zum Beispiel, Du –« »Was denn ich?« fiel ihm der Knecht ärgerlich in die Rede. »Denkt Ihr denn etwa, daß ich den Kammerjäger oder den Leibhusar oder was ich jetzt vorstellen soll, nicht spielen kann? Das ist mir Wurst wie Schale, warum also nicht einkehren? Es ginge schon, aber es geht nicht, weil Euch der Offizier zu schwer fällt!« »Was? Der Offizier? Mir schwer fallen? Wenn Du das noch einmal sagst, so jage ich Dich auf der Stelle fort, und dann kannst Du zum Beispiel leibjägern oder kammerhusaren wo und wie es Dir beliebt; aber jetzt bist Du mein Husarenjäger und da hast Du vor allen Dingen Respect zu haben. Verstehst Du mich?!« »Na, warum denn nicht? Da mögen die Pferde meinetwegen hungern, daß die Schwarte knackt, aber warum ich als Stallmeister auch mit hungern soll, das möchte ich wissen, Herr Generalrittmeister!« »Hunger hast Du?« erwiederte Habermann, durch diesen unmöglichen Titel geschmeichelt. »Ja, das ist ein miserables Gefühl, und so wollen wir zum Beispiel bei der nächsten Gelegenheit 'mal einkehren und sehen, ob etwas zu beißen zu bekommen ist. Aber da werde ich Dir auch beweisen, daß ich aufzutreten verstehe, wie ein Feldmarschall.« Er fuhr sich mit den beiden Händen in das Gesicht, versuchte
seinem Schnurrbarte eine martialische Biegung nach oben zu geben und zog die Stirn in so bedrohliche Falten, daß die Augenbrauen fast auf die Nase zu liegen kamen. »So, das ist die richtige und wahrhafte Generalstabsmiene. Fahre zu, Hans; wir werden schon noch an ein Wirthshaus kommen, wo Du Dich zum Beispiel über mich wundern sollst!« »Na, ich habe heut' schon mein blaues Wunder vor Augen gehabt. Wenn ich's nur auch begreifen könnte, was der Fürst eigentlich vorhat. Es ginge wohl, denn ich bin all' mein' Lebtage nicht dumm gewesen, aber es geht nicht, weil mir das Nachdenken noch niemals nicht Etwas geholfen hat! Ahü, Schimmel, ahü, Fuchs, sonst sollt ihr sehen, daß ich Stallhusar geworden bin!«
5. Die Seelenverkäufer Es klingelte am Thore. Die Glocke wurde von einem schlank gewachsenen jungen Mann gezogen, welcher die Kleidung gewöhnlicher Landleute trug, zu der aber ein gewisses Etwas in seiner Haltung nicht recht passen wollte. Niemand schien auf den Ton zu hören, trotzdem derselbe weit über den Hofraum hinschallte. Der Einlaß Begehrende handhabte den Klingelzug deshalb in etwas ungeduldigerer Weise, und bald ließen sich langsame, schlürfende Schritte vernehmen, welche sich dem Eingange näherten. »Nunununuhhh!« machte eine tiefe Baßstimme hinter der Mauer. »Wo brennts denn hier in Beyersdorf? Soll ich etwa löschen helfen?« »Macht keine dummen Witze und zieht lieber den Riegel weg, damit man eintreten kann!« raisonnirte der Außenstehende. »Dumme Witze? Könnt Ihr sie vielleicht besser machen? Riegel wegziehen? Der ist blos bei Nacht vorgeschoben; das Schloß ist Schuld, daß Ihr draußen steht und ich hinne. Eintreten kann? Damit hat's noch gute Weile! Wer seid Ihr denn?« »Das kann Euch egal sein. Macht nur auf!« »Da kann es Euch auch egal sein, wenn ich nicht aufmache!« Der Mann schlürfte langsam und gemächlich wieder über den Hofraum zurück. »Will Er wohl dableiben und öffnen, Er Grobian!« rief der Andere, an dem Zuge reißend, daß der Drath zersprang. »Höre Er da draußen, wenn Er keine Ruhe halten kann, so schicke ich Ihm die Knechte auf den Hals; mit denen mag Er sich herumklingeln, soviel Er will! Ist das eine Art, nicht Red' und Antwort stehen und dann an der Glocke zerren, daß man denkt, der jüngste Tag sei da. Hier hängt nun der Drath; das ist eine schöne Bescheerung!« »Wenn Er aufgemacht hätte, so wäre das nicht passirt. Also vorwärts; ich habe keine Lust, mich lange mit Ihm herumzuärgern!«
»Das ist auch nicht nothwendig, und der Gedanke ist nicht so ganz albern von Ihm. Also, wer ist Er denn?« »Ich habe Ihm schon gesagt, daß Ihm das egal sein kann!« »Auch gut. Da mag Er also draußen stehen bleiben. Das Klingeln will ich Ihm jetzt nicht mehr verbieten!« Wieder entfernten sich die Schritte. Das war dem Harrenden zu viel; er schnellte sich an der Mauer empor, ergriff die obere Kante derselben, zog sich mit einem kräftigen Schwunge hinauf und machte Anstalt, auf der andern Seite hinunter zu springen, als ein lauter Pfiff ertönte. »Hektor, allons; da fällt es Einem ein, auf unsre Festung Sturm zu lausen. Zeige ihm doch 'mal Deine Zähne!« Der große, zottige Wolfshund, welcher auf den Ruf herbeigesprungen war, nahm unter dem Obensitzenden Platz und fletschte grimmig knurrend das scharfe, elfenbeinweiße Gebiß. »So! Wenn die Leute jetzt anfangen, über die Mauern herein zu spazieren, da brauchen wir das Thor gar nicht mehr zu verschließen!« Bei diesen Worten steckte er den Schlüssel in das Schloß und zog dann die Thorflügel weit auseinander. »Jetzt, Hektor, kannst Du heraus und herein. So ein Thier will auch 'mal sein Vergnügen haben!« Mit breitem Lachen wandte er sich ab und schritt langsam der Scheune zu, aus welcher eine Anzahl von Knechten und Mägden den Mauerreiter unter schallendem Gelächter beobachteten. Da das Thor jetzt von dem schlauen Alten geöffnet worden war, so konnte der Fremde weder hüben noch drüben herunter, denn nach welcher Seite er sich auch wandte, immer stand der Hund unten, der mit einigen raschen Sätzen durch das Thor dem Gefangenen zuvorkam. Er erkannte das Mißliche seiner Lage und die Nothwendigkeit, sich auf's Bitten zu legen. »So rufe Er doch nur Seinen Köder zurück. Er soll ja erfahren, wer ich bin!« Der Angeredete drehte sich um und kam wieder näher. Sein dickes, rothes Gesicht grinste förmlich von einem Ohre bis zum andern vor Plaisir. »Das ist ganz gescheidt von Ihm, denn ich hätte Ihn sonst meinetwegen bis zum Jörgentage da oben sitzen lassen. Also zum dritten Male: wer ist Er denn?«
»Ich bin ein guter Freund von Seiner Herrin, mit der ich Etwas zu besprechen habe,« antwortete der unglückliche Turner, indem er seinen besorgten Blick über die zwei Fensterreihen des Wohngebäudes gleiten ließ. Welche ungeheure Blamage, wenn sie ihn in seiner gegenwärtigen Situation bemerkte! »Ein Freund von meiner Herrin? – von Fräulein von Naubitz? Das mache Er nur getrost einem Andern weis, aber mir nicht! Ein Freund von unserm gnädigen Fräulein hat nicht nöthig, über die Mauern zu springen und sich dabei die Hosen aufzuschlitzen!« Erst auf diese Notabene hin bemerkte der junge Mann mit Schrecken, daß seine Beinkleider weniger glücklich nach oben gekommen waren, als ihr Besitzer. Mit einer raschen Bewegung zog er die Ränder des weitklassenden Risses über einander und capitulirte weiter: »Weiß Er vielleicht, was incognito ist?« »Natürlich weiß ich das. Wenn ich dort der Karoline ihren Wattrock anziehe und ihre Bänderhaube aufsetze, so bin ich incognito.« »Richtig, und ich bin auch incognito. Versteht Er mich?« »Ja. Er ist irgend ein vornehmer Herr und reist zu seiner Unterhaltung jetzt als Mauerläufer. Viel Prosit scheint Er aber nicht dabei zu haben!« »Daran ist Niemand weiter Schuld, als Er. Rufe Er den Hund zurück, daß ich hinunter kann!« »Nicht eher, als bis Er Seinen Namen nennt!« »Den wird Er schon noch zur rechten Zeit erfahren, und dann wird Er wohl einsehen, was für ein Esel Er gewesen ist!« antwortete der rittlings auf dem Throne Sitzende. Die Achtung, welche er seinem Stande und Namen schuldig zu sein glaubte, verbot ihm, sich zu nennen. »Ganz wie Er will! Wenn ich der Esel bin, so mag Er als Affe droben hocken bleiben, bis das gnädige Fräulein zurückkehrt. Dann wird sich's wohl finden, was für ein guter Freund Er von ihr ist!« »Fräulein von Naubitz ist nicht da?« »Verreist.« »Wohin?« »Nach Bitterfeld.« »Wann kommt sie zurück?« »Spät Abends oder gar erst morgen.«
»Erst gestern in der Nacht hier angekommen, und heut' schon wieder fort? Das muß ja etwas ganz Nothwendiges sein.« »Woher weiß Er denn, daß sie gestern hier eingetroffen ist?« »Weil ich gestern früh noch mit ihr in Dessau gesprochen habe.« »So so, da scheint doch etwas Wahres d'ran zu sein, daß Ihr sie kennt. Aber warum sagt Ihr auch nicht, wer Ihr seid und was Ihr wollt? Hektor, kusch Dich! Da springt meinetwegen jetzt herunter. Die Karoline mag Euch den Riß zuflicken, und dann könnt Ihr warten, bis das Fräulein kommt.« Der aus seiner Drangsal Erlöste wagte den nicht ganz leichten Sprung und antwortete dann, tief aufathmend: »Das Warten ist eine langweilige Sache; ich werde ihr lieber entgegen gehen und sie also unterwegs oder in Bitterfeld treffen. Wo ist sie dort zu finden?« »Ja, das weiß ich nicht! Ich glaube, es handelt sich um einen Prozeß, und da könnt Ihr einmal, wenn Ihr ihr nicht begegnet, bei ihrem Sachwalter nachfragen. Er heißt Uhlmann und wohnt beim Bäcker Wolstraaten. Sie kennt die Familie gut und ist schon früher mehrmals dortgeblieben, wenn's zur Heimfahrt zu spät wurde.« Die Karoline wurde gerufen und folgte den beiden Männern in die Stube. Während hier ein Imbiß genommen wurde, heilte sie mit kräftigen Nadelstichen den Hosenriß zusammen, und dann nahm der Held der verunglückten Mauerattaque, in welchem wir längst den Lieutenant von Polenz wiedererkannt haben, Abschied, um sein Incognito weiter fortzusetzen. Es war doch nicht mehr so früh am Tage, als er gemeint hatte, und da er den Weg noch nicht gegangen war, so mußte er ihn mit der Beschreibung, die er sich von demselben hatte geben lassen, so oft vergleichen, daß er nicht mit der erwünschten Schnelligkeit vorwärts kam. Dazu verursachte ihm das genossene Vesperbrod einen Durst, welcher sich mit jedem Schritte steigerte, und deshalb beschloß er, obgleich es schon zu dunkeln begann, in ein Wirthshaus einzutreten, welches er jetzt erblickte, einsam zwischen dichtem Gebüsche an der Straße liegend. An einem der eichenen Tische, welche in der niedrigen Gaststube standen, saßen drei Männer, die sich durch den Neuangekommenen nicht im Geringsten stören ließen, sondern ihr Gespräch über Krieg und Frieden, Handel und Wandel ungenirt fortsetzten. Doch glitten ihre Blicke beobachtend über seine
schlanke, biegsame Gestalt, und als er sich einen Krug Bier bestellte und der Wirth ihnen einen fragenden Blick zuwarf, neigte der Eine von ihnen bejahend und mit pfiffigem Augenblinzeln seinen Kopf. Der Wirth holte den Trunk aus dem Keller, brachte denselben aber nicht direct in die Stube, sondern ging erst in die Küche, wo er ein Fläschchen aus dem Schranke nahm, um einige Tropfen daraus in das Bier zu gießen. »Möchte doch nur wissen, was das für ein Teufelszeug ist! Wer's bekommt, der verliert den Verstand und die Besinnung so vollständig, daß man alles Mögliche mit ihm machen könnte. Na, mich geht's nichts an; ich bekomme mein Geld für jeden Vogel, den sie fangen, und damit holla!« Er trug den Krug in das Zimmer und stellte ihn vor Polenz hin. Dieser, durstig wie er war, leerte ihn bis auf die Nagelprobe und ließ sich einen zweiten kommen. Das Getränk schien ihm Kühlung zu bringen, aber der Durst wollte nicht weichen und wurde vielmehr immer heftiger. Er trank und trank; das Blut pulsirte heiß ihm durch die Adern; es war, als müsse er aufspringen und hinauseilen in die feuchte Abendluft, aber ihm fehlte nicht nur die Kraft, sondern auch der Wille dazu. Und dabei empfand er keineswegs eine Beklemmung seines Gemüthes, sondern es bemächtigte sich seiner eine Heiterkeit, welche ihn bewog, auf das Anerbieten der drei Männer, sich zu ihnen zu setzen, willig einzugehen. Bald war eine launige Unterhaltung im Gange; die Rede kam auf das Soldatenwesen, auf die Schlachten und Gefechte der letzten Feldzüge, auf die Vorzüge der verschiedenen Armeen und endlich auch auf die Anwerbung. Der Eine von ihnen war kürzlich erst den sächsischen Werbern mit sammt dem Draufgeld durchgebrannt und erzählte unter Scherz und Lachen, wie es dabei zugegangen sei. Polenz fand Gefallen an den muntern Burschen und gab nach besten Kräften seinen Theil zum Gespräche, obgleich ihm die Zunge immer schwerer wurde und seine Sinne sich zu umnebeln begannen. »Also so war's,« fuhr der Erzähler fort, sich an Polenz wendend: »Ich saß so, wie Ihr hier sitzt, und hier, hier, hier und hier saßen die vier Kerls, welche mich haben wollten. Mir war's blos um das Handgeld zu thun, denn mein Beutel hatte das Bauchgrimmen, und so that ich, als ob ich nichts merkte. Hab' sie auch schön geleimt, die Hallunken; da liegt er noch, der churfürstlich sächsische
Soldatenhut, den ich mir zum Andenken mitnahm, als ich ihnen durchging. Habe ich's etwa nicht klug gemacht?« »Doch, doch!« nickte Polenz. »Gut! Nun denkt Euch einmal, Ihr wärt an meiner Stelle! Mit dem Zutrinken ging's natürlich los, und der Wein wurde nicht geschont. Prosit, Kamerad!« »Prosit!« antwortete Polenz, das Glas leerend. Wenn ihn jetzt Jemand nach seinem Namen gefragt hätte, so wäre er kaum im Stande gewesen, sich auf ihn zu besinnen. »Der Soldatenrock soll leben, Kamerad. Prosit!« »Prosit!« klang es von Neuem, und wieder war das Glas leer. »Da hält er mir drei goldne Füchse hin, so ungefähr, wie ich sie jetzt Euch hinhalte, und dabei fragt er mich: ›Willst Du's immer so lustig haben, wie heut'? Greif' zu!‹ Was hättet Ihr an meiner Stelle gethan, wenn es bei Euch im Beutel so ausgesehen hätte wie bei mir?« »Greif' zu!« antwortete Polenz, das Geld einsteckend, ohne zu wissen, was er that. Er kannte alle Kunstkniffe dieser Leute, aber er war seiner nicht im Geringsten mehr mächtig und wäre am liebsten unter den Tisch gefallen, um sich gründlich auszuschlafen. »So ist's recht! Darauf hat er den Hut genommen, ihn mir auf den Kopf gesetzt, so wie ich es jetzt mit Euch thue, und gesagt: ›Basta, abgemacht, jetzt bist Du des Churfürsten Soldat und hast von nun an Ordre zu pariren. Komm' mit in Deine Kammer und träume, was Dein Herz begehrt. Morgen wird's von selber anders. Hahahaha!‹« Die drei Männer erhoben sich und trugen den vollständig Besinnungslosen hinaus. Als sie zurückkehrten, meinte der Wirth: »Habe Euch heut' die Arbeit leicht gemacht; er hat in jedem Krug sein Deputat bekommen.« »Kerl bist Du verrückt? Das kann ihn ja um den Verstand bringen! Einmal ist's schon leidlich; zweimal ist's genug. Aber gewöhnlicher Leute Kind ist der nicht, das hat man ihm angesehen. Wenn er nur nicht etwa eine Frau Liebste hat und was noch Kleines d'rum und d'ran zu hängen pflegt, sonst heult er uns die Ohren voll und – na, mit heut' ist so wie so ja Alles vorüber!« Der Sprecher suchte ein schmutziges Spiel Karten hervor, und bald saßen die drei Kumpane beim Spiele, welches erst eine Störung erlitt, als draußen Pferdegetrappel und das Rollen eines Wagens
hörbar wurde. Der Wirth zündete eine Laterne an, um nachzusehen, was es gäbe. Die Zurückbleibenden horchten gespannt auf. »Hierher leuchten,« tönte eine barsche Stimme, »damit man weiß, wohin man tritt! Giebt's bei Ihm zum Beispiel 'was zu essen und zu trinken?« »Jawohl, Herr Lieutenant!« »Und Futter für die Pferde?« »Jawohl, Herr Hauptmann!« »Und Tabak? meine Pfeife ist mir zum Beispiel ausgegangen.« »Jawohl, Herr Major!« »So führt mich hinein in die Budike!« »Jawohl, Herr Oberst!« Der Wirth sah, daß er einen Officier vor sich hatte, doch konnte er in der Dunkelheit sich über den Rang desselben nicht klar werden. Je näher er ihm aber mit der Laterne kam, desto höher wuchs sein Respect vor der mächtigen Gestalt, die vor ihm stand; mit kriechender Höflichkeit öffnete er die Stubenthür, und als er nun beim hellen Schein der Lampe den Gast genauer in das Auge fassen konnte, sprang er schnell zu einem Stuhle, wischte ihn eilig ab und rief, denselben präsentirend: »Wollt Ihr nicht Platz nehmen, Herr General?« Habermann – denn dieser war es – warf sich mit seiner hochmüthigsten Miene in den Sessel, richtete den herabgesunkenen Bart wieder in die Höhe, streckte die langen Beine gravitätisch von sich und ließ sein Auge so funkelnd wie möglich in dem Raume umherschweifen. Von den Gästen waren zwei verschwunden, und der dritte lehnte schnarchend in der Ecke hinter dem Ofen. »Wecke Er 'mal dort den Menschen auf. Ich bin zum Beispiel nicht gewohnt, mich anschnarchen zu lassen! So! Und nun bringe Er zunächst einen Krug Bier. Den für meinen Leibhusaren setzt Er dort an die Ecke bei der Thür!« Während dessen schlüpfte einer von den zwei Verschwundenen auf die Straße und trat zum Kutscher. »Schöne Pferde das!« »Hm, ja! Mit dem Schimmel ginge es wohl, aber es geht nicht, denn dem Fuchs liegt es schon lange in den Gliedern.« »Und ein proprer Wagen. Sapperlot, da muß man wie ein Prinz
d'rinsitzen!« »Hm ja! Vielleicht gar wie ein Fürst.« »Da habt Ihr ja ein Wappen d'ran! Laßt mich's doch 'mal sehen!« Hans leuchtete gutmüthig hin. »Donnerwetter, das ist ja – – Unsereiner,« setzte er, sich rasch unterbrechend, hinzu, »kennt sich mit solchen vornehmen Bildern nicht aus. Wer ist denn eigentlich der Herr, der da drinnen sitzt?« »Das ist – das ist – ja, das darf ich nicht sagen. Es ginge wohl, denn ich weiß ganz genau, wer es ist, aber es geht nicht, weil ich's sonst verrathe!« »Aber wer Ihr seid, das dürft Ihr wohl sagen?« »Warum nicht? Ich werde doch wohl von mir selber reden dürfen!« »Nun?« »Ja nun! Ich bin der Stalloberhusar vom alten Dessauer!« »Und wer der da d'rin ist, das wollt Ihr mir nicht sagen?« »Bewahre. Ich werde doch meinen eignen Herrn nicht etwa verrathen!« »Wo soll denn die Reise so spät noch hingehen?« »Nach Trippstrille,« antwortete Hans ärgerlich über das viele Fragen. »Packe Er sich fort, sonst komme ich vor Weihnachten nicht zu meinem Biere!« Nachdem er mit Hülfe des Wirthes die Pferde versorgt hatte, trat er in die Stube. Habermann saß ganz allein darin und kaute an dem Abendbrode, welches er sich hatte geben lassen. Verwundert guckte der Knecht auf die Ecke, auf welcher seine Portion stand. »Wo ist denn mein Bier?« »Dort.« »Hier das?« »Ja.« »Grad' wie die Leichenfrau! die muß sich auch an die Ecke bei der Thür setzen. Das ginge wohl, denn ich habe Hunger, aber es geht nicht, denn ich bin keine Leichenfrau, sondern fürstlicher Kammermeister!« »Maul gehalten – hingesetzt – eingehauen!« donnerte ihn da Habermann an. »Wart', ich werde Dir zeigen, daß ich den Offizier spielen kann! Kammermeister! Da bist Du zum Beispiel gar nichts gegen mich!«
»Na ja,« antwortete Hans kleinlaut und vollständig eingeschüchtert. »Der Fürst konnte auch meinen Rock anziehen und Ihr dem Kutscher seinen; da wär's grad' umgedreht gewesen: ich wäre Regimentsmarschall und Ihr wärt Stalllakai, und da könnte ich Euch auch in die Wicken donnern!« »Will Er nun wohl dort zum Beispiel anbeißen oder soll ich Ihm raisonniren helfen, Er Schwerenöther!« »Ich esse ja schon!« ertönte die Antwort zwischen den kauenden Zähnen hervor; »es geht so leidlich, denn ich habe Hunger!« – Drüben auf der andern Seite des Flures saßen in einer kleinen moderigen Hauskammer die Drei, welche sich aus dem Staube gemacht hatten, und steckten, leise flüsternd, die Köpfe zusammen. Im hintern Winkel des Raumes lag Polenz auf der Erde und merkte nicht das Mindeste von dem, was um ihn vorging. »Ja, das wäre ein Fang, wie er uns im ganzen Leben nicht wieder vorkommt!« »Und was der uns einbringen würde, wenn's der alte Dessauer wirklich ist!« »Freilich ist er's; darüber giebt's ja gar keinen Zweifel!« »Aber es ist viel gewagt bei der Sache. Wir könnten uns vielleicht auch eine schlimme Suppe einbrocken.« »In wiefern?« »Denkt, was das in aller Welt für einen Scandal machen würde; es entstände ein wahrer Aufruhr unter den Diplomaten, und auf wen ginge es hinein? Zunächst auf den Kurfürsten, und dann immer weiter hinunter, bis es uns an den Kragen käme.« »Bilde Dir nicht solche dumme Sachen ein, alter Hasenfuß. Hast Du denn von den Gerüchten noch gar nichts gehört, die so in der Luft herumschweben? Wenn Du an eine Winterruhe glaubst, jetzt, Anfangs November, so bist Du auf dem Holzwege. Die Schlappe, welche die Oesterreicher bei Sorr erlitten haben, können sie unmöglich ein halbes Jahr lang auf sich ruhen lassen; die werden nach Revanche brennen, und wenn man Augen und Ohren offen hält, so hört und sieht man Manches, was nach neuen Märschen riecht. Warum ist der Prinz von Lothringen von Wien abgereist, warum befindet sich unser Marschall Rudowsky immerfort auf Inspectionen unterwegs, und warum endlich werden plötzlich alle Werbestationen eingezogen, trotzdem wir uns grad' jetzt mitten in den besten Geschäften befinden, he?«
»Ja warum?« »Weil's heut' und morgen losgehen kann, oder übermorgen! Der Dessauer steht mit zwölf Tausend Mann an der sächsischen Grenze, und er ist so ein Hitzkopf, daß er beim geringsten Zeichen sofort hinübermarschirt und losschlägt. Da wäre es doch wohl ein ächter Geniestreich, wenn man den alten Krippenbeißer mitten unter seinen Leuten und in Feindesland zusammenwickelte und nach Nummer Sicher transportirte, so daß er keinen Schaden bringen kann. Donner und Doria, das gäbe Geld und Avancement und vielleicht noch manches Andere!« »Wie Du die Sache anschaust, haben wir allerdings nur Belohnung zu erwarten, und es leuchtet mir auch ein, daß Du vollständig Recht hast. Aber wie wollen wir ihn denn so kriegen, daß wir sicher mit ihm durchkommen?« »Das ist allerdings das Schwierige. Betrunken machen können wir so Einen nicht, und selbst wenn wir ihn schon fest hätten, so will ein Fürst und Feldmarschall doch anders behandelt sein, als so ein Grünschnabel, wie sie uns zu Dutzenden in's Garn laufen.« »Ich denke, wenn wir ihn nur erst in Bitterfeld hätten, so wäre das Weitere nicht schwer. Bei solcher Bedeckung, wie sie heut' Nacht zu uns stößt, ist Nichts mehr zu befürchten.« »Das ist richtig, aber wie ihn nach Bitterfeld bringen?« »Hat er Waffen bei sich?« »Habe nichts gesehen.« »Auch im Wagen nicht?« »Nein, habe Alles durchsucht.« »Der Kutscher scheint ein noch sonderbarerer Kauz zu sein wie sein Alter. Vor dem brauchen wir uns keine Angst zu machen! Der spricht: ›Es ginge wohl, aber es geht nicht!‹ und dabei knicken wir ihn zusammen und schnallen ihn über das Schmutzleder.« »Wenn sie keine Waffen haben, so ist die Sache ja doch nicht schwer! Mit dem Kutscher wird gar kein Kram gemacht und der Alte muß uns sein Ehrenwort geben, daß er sich ruhig fügen will.« »Aber wenn er es nun nicht giebt?« »Nicht giebt? Ein Pistolenlauf ist eine kitzliche Sache. Versuchen können wir es wenigstens.« »Aber der da? Den können wir doch nicht im Stiche lassen!« »Das wird sich schon machen; der wird einfach hinten aufgebunden. Zuerst müssen wir den Kutscher nehmen, um in den
Besitz des Wagens zu kommen. Das ist Eure Sache; den Fürsten nehme ich auf mich allein.« »Und der Wirth? Wird der's zugeben?« »Der muß ruhig sein, denn wenn wir reden, so wird er strangulirt.« – Während in der dunklen Kammer über das Schicksal des Feldmarschalles des heiligen römischen Reiches deutscher Nation und des Königreiches Preußen solche außergewöhnliche Bestimmungen getroffen wurden, schob Seine Durchlaucht Habermann den leer gewordenen Teller von sich, schnalzte mit der Zunge und meinte: »Das war nicht schlecht gegessen in diesem alten Neste. Wie steht es zum Beispiel mit den Pferden, Wirth?« »Die sind wieder frisch und munter.« »Da bringe Er noch ein Bier, und dann mag's weitergehen!« Hans erhob sich, während der Wirth nach dem Keller schritt. »'S ist nicht so prächtig mit dem Essen! Im Käse waren Maden, und das Brod – –« »Maden? Willst Du mir etwa noch hintennach den Appetit verderben, Kerl? Wo sollen denn zum Beispiel jetzt im November die Maden herkommen!« »Na, die treiben sich doch wohl das ganze Jahr im Käse 'rum! Ich kann keine essen. Es ginge wohl, wenn man die Augen dabei zumachen wollte, aber es geht nicht, weil ich sehen muß, was ich esse.« »Mach', daß Du 'raus kommst zu den Pferden, sonst will ich Dich bemaden!« »Herr Brigadewebel, ich lasse mich nicht, ›Du‹ schimpfen, so lange ich Kammerhusarenjäger bin!« »Packe Er sich fort, sonst werfe ich Ihm zum Beispiel dort den Bierkrug an den Kopf!« »Gut, so 'ne Rede lasse ich mir eher gefallen; das ›Er‹ und ›Ihm‹ macht sich doch gleich reputirlicher!« Mit dieser Belobigung trollte er sich von dannen. Nachdem er das Riemenzeug der Pferde einer kurzen Controle unterworfen hatte, nahm er auf dem Bocke Platz und gewahrte also nicht, daß auf dem am Hintertheile des Wagens angebrachten Bediententritte ein Mann saß, welcher durch Stricke in seiner sitzenden Lage festgehalten wurde. Ebenso wenig hörte er die leise
geflüsterten Worte: »Gut, der macht's uns leicht! Da können wir den Alten ruhig einsteigen lassen, dann aber heißt's rasch d'rauf – ich den Fürsten, Du den Kutscher, und Du greifst da zu, wo es zuerst nothwendig wird. Aufgepaßt, jetzt kommt er!« »So, da leuchte Er nur wieder; das ist ja eine Finsterniß, daß man zum Beispiel die Hand nicht vor den Augen sehen kann – na, da löscht Ihn noch dazu der Luftzug Seine alte Funzel aus – nun ist's rabenschwarz! 'S ist gut; Er braucht nicht erst wieder anzubrennen. Finde mich schon zurecht. So. Jetzt vorwärs, Hans!« »Hü –« wollte dieser den Pferden zurufen, aber die Laute blieben ihm vor heller Verwunderung im Halse stecken, denn in diesem Augenblicke saß neben ihm ein Mann, der ihm die Zügel und die Peitsche aus der Hand nahm und darauf loskutschirte, als ob das Fuhrwerk ihm gehöre. Das war dem Hans noch nicht passirt, so lange er lebte, und deshalb wußte er auch gar nicht, wie er sich zu verhalten habe. Das Ereigniß ging ihm so über alle Begriffe, daß er schluckte und schluckte und doch kein Wort hervorbrachte, trotzdem ihm das Erstaunen den Mund sperrangelweit aufgerissen hatte. Und dazu kam, daß auch hinter ihm etwas Ungewöhnliches vorging, denn grad' als ihm sein »Hü« stecken geblieben war, hatte auch Habermann gerufen »Donnerwet – –« und das Wort nicht ganz herausgebracht. Wäre es Tag gewesen, so hätte der gute Hans sehen können, daß sein Herr mit noch viel weiter geöffnetem Munde ebenso vergeblich nach Worten schnappte wie er selbst. Da ertönte eine halblaute, befehlende Stimme: »Kein Wort, Durchlaucht, außer wenn ich frage! Es soll Euch nichts geschehen; aber wenn Ihr Lärm macht, so haben wir scharf geladen!« Hans drehte sich nach dem Sprecher um und sah trotz der Dunkelheit drei Männer im Wagen sitzen statt einem, und in den Händen von zweien blitzten Pistolenläufe. Das gab ihm die verlorene Sprache wieder. »Lärm machen? Bewahre, wir sind ja die zwei ruhigsten Leute in der ganzen Umgegend!« Dieses angstvolle Geständniß löste auch die Zunge des Getreidehänders, der zwar weniger Furcht besaß, aber den Waffen gegenüber sich doch eingeschüchtert fühlte.
»Alle Wetter, was wollt Ihr Strolche hier in meinem Wagen?« rief er mit halber Stimme. »Hans, willst Du wohl gleich anhalten!« »Ja, das ginge wohl, wenn ich allein wäre, aber es geht nicht, weil bei mir auch Einer sitzt!« »So wirf ihn zum Beispiel hinunter auf die Straße!« »Oder er mich! Fangt nur Ihr erst mit Euren Beiden an! Ich als Leibstalljäger muß warten, bis der Herr Divisionscorporal – –« Die Fahrt ging jetzt über steinigtes Terrain, und die ferneren Worte des Sprechers wurden von dem lauten Rollen des Wagens verschlungen.
6. Im Keller Mamsell Rosine saß in der Laube. Das war nun jedenfalls kein großes weltgeschichtliches Ereigniß, doch wer Mamsell Rosine gekannt und gewußt hätte, was für eine außerordentliche Wirthschaftslast auf ihren spitzen Schultern ruhte, und daß sie selbst in den schönsten Tagen den Garten fast nie betrat, dem hätte es doch wohl Wunder genommen, sie in der Dämmerstunde dieses unfreundlichen Novembertages in der Laube sitzen zu sehen. Aber sie hatte gar wohl einen Grund, heut' hier zu sein, nur daß derselbe nicht im Wetter lag, sondern viel, viel tiefer, nämlich in ihrem pietätvollen, jungfräulichen Herzen. Heut' war ihr Geburtstag, und heut' war es auch grad' neununddreißig Jahre, daß er – ach er – nämlich ihr Erster und leider auch ihr Letzter – hier in dieser Laube vor ihr auf den Knieen – auf allen beiden Knieen gelegen und ausgerufen hatte: »Röse – Röschen – Rosa – Rosina – ich liebe Dich – küsse mich, oder ich sterbe!« Das war ihr weit hinein in die Seele gedrungen. Sterben, nein, sterben sollte, durfte er nicht; sie mußte ihn retten! Und so hatte sich denn ihr theures Bild zu ihm herabgeneigt, den Geliebten zärtlich zu umfangen, und dann – ach, ja ja, das war in dieser Laube gewesen, grad' in derselben hier, nur daß sie damals drüben in der andern Ecke gestanden hatte und dann später vollständig neu hierher gesetzt worden war – die halb verfaulten Bretter und Latten von der alten hatte man verbrannt. War es also etwa ein Wunder zu nennen, daß Mamsell Rosine wie alljährlich, so auch am heutigen Datum die traute Stätte aufsuchte, die den ersten Kuß ihrer einzigen Liebe gehört hatte? – ihrer einzigen, weil er Schneider gewesen und ihr nur vierzehn Tage treu geblieben war. Sie aber hatte ihm ihre Treue bewahrt die ganze Zeit ihres Lebens hindurch, denn so oft die Versuchung an sie herangetreten war, Keiner hatte sie gewollt, Keiner hatte sie gemocht – und so haßte sie alle, alle, außer diesen Einzigen, der
doch wenigstens zwei Wochen bei ihr ausgehalten hatte. Die Liebe, verschmäht und gekränkt, war aus ihrem Herzen gewichen und die Rache dafür in dasselbe eingezogen. Sie hatte sich gerächt an dieser verhaßten Männerbrut – und wie oft! Wie Viele waren da unten in den Kellern eingeschlossen worden, die das Handgeld von Vater und Mutter – vom Liebchen hinweggelockt hatte, und die, wenn der Rausch verflogen war, alle Qualen der Reue zu kosten bekamen! An dieser Reue, an ihren Klagen und Thränen hatte sie sich erquickt und bei jedem neuen Opfer neue Freude empfunden. Nur der heutige Tag hatte sie stets versöhnlich gestimmt. – Wenn das Herz das ganze Jahr hindurch nur Rache kocht, einen Tag muß es doch haben für die Liebe, und wenn kein Fisch mehr anbeißen will, so geht man in die Vergangenheit zurück zu dem Einzigen, welcher angebissen hatte. Sie senkte das Gesicht tief auf den Strickstrumpf und bließ einen Seufzer nach dem andern in die Maschen, dabei ihres einsamen Lebens gedenkend und des trüben Schicksales, es nicht weiter bringen zu können als bis zur – Haushälterin. Ach, Haushälterin! Sie war's gewesen, wie lange, wie lange, und war's geblieben – auch bei dem vorigen Besitzer des vor der Stadt gelegenen Hauses. Dann hatte Wolstraaten es gekauft und seine Bäckerei an den Nagel gehängt, aber obgleich er Wittwer war und sie nun wieder süße Hoffnung hegen durfte – sie war Haushälterin geblieben. Und dieses dumme, unerfahrene Ding, das Sofchen, um die war das Gereiße, und seit nun gar die Harlemer Erbschaft spukte, war's erst recht nicht mehr zum Aushalten! Wenn sie doch nur recht bald fort wäre aus dem Hause! Vielleicht hat der Dessauer Getreidehändler ein Einsehen und kommt bald zur Brautschau. Sobald ein Mädchen ein nur einigermaßen hübsches Lärvchen hat, bildet es sich gleich wer weiß was für Wunderdinge ein – grad' so wie die Fremde, die heut' wieder einmal bei Anwalts auf Besuch ist, und die immer an Einem vorüberrauscht, als wäre sie von Seide und Andere aus Papier. Und dort – ja ja, man darf nur den Teufel an die Wand malen, da kommt er sicher gleich – das ist sie; ich möchte nur wissen, was die im Garten hier zu suchen hat, jetzt im November! Mit der mag ich gar nicht zusammentreffen. Ich gehe! Mamsell Rosine konnte nicht begreifen, was die jugendliche
Spaziergängerin in den Garten trieb, und doch war es dieselbe Gewalt, von welcher sie selbst hergeführt worden war: die Liebe. Der Liebende, sei seine Liebe nun glücklich oder unglücklich, er sucht die Einsamkeit, er liebt die abendliche Stille, in welcher er denken, sinnen und träumen kann. Und was gab es für Maria von Naubitz nicht alles zu denken! Der Geliebte hatte Urlaub genommen und war trotz der abschlägigen Antwort des Fürsten nach Dessau gekommen, war gegen seine ursprüngliche Absicht in den Dienst desselben gerathen – was sollte daraus werden! Der Sachwalter war verreist; seine Frau liebte es nicht, ihrem Besuch mit zudringlichen Aufmerksamkeiten beschwerlich zu fallen; so konnte sie, ohne die Gastfreundin zu beleidigen, sich in den Garten zurückziehen, um den Regungen ihres Innern Gehör zu schenken. Längst schon war es dunkler Abend, und noch immer saß sie, das Köpfchen nachdenklich in die Hand gestützt, in der Laube, an welche sich die süßen Erinnerungen von Mamsell Rosine knüpften. Diese befand sich jetzt in der Stube und gab sich ihrer Lieblingsbeschäftigung hin, ihrer intimen Feindin, dem Sofchen, das Leben sauer zu machen. Das Zanken, Kneifen und Sticheln wollte kein Ende nehmen, und es war zu verwundern, mit welcher Geduld und Selbstbeherrschung das hübsche und zugleich verständige Mädchen diese Raisonnements ertrug. Da näherte sich das Rollen eines Wagens, welcher dann vor dem Hause halten blieb. Das kräftige Klatschen einer Peitsche forderte die Bewohner desselben zur Aufmerksamkeit auf. »Na, wird's denn bald, Du alte Schlenderliefe,« rief Mamsell Rosine dem Mädchen zu, »oder soll ich etwa selbst hinaus gehen?« Ohne ein Wort der Erwiederung verließ die Gescholtene das Zimmer. »Wohnt hier der Bäcker Wolstraaten?« fragte eine tiefe Männerstimme vom Wagen herab. »Ja!« »Kann man hier die Pferde unterstellen?« »Im Stalle nicht mehr; da stehen schon zwei. Aber dort in dem Schuppen ist noch Platz.« »Schön. Da mögen die zwei aus dem Stalle in den Schuppen gebracht werden. Meine sind gewohnt, auf Flaumfedern zu schlafen!«
»Das wird das Fräulein von Naubitz nicht zugeben!« »Von Naubitz? Was hat denn das Wettermädel hier zu suchen, he?« »Sie ist beim Sachwalter, der hier im Hause wohnt.« »Und da bleibt sie wohl auch heut'?« »Ich glaube.« »Das hätte ich wissen sollen. Da hätte der Polenz mitgemußt!« Es war so finster, daß der Fürst die Aufmerksamkeit, welche sein Kutscher diesem Gespräch schenkte, nicht bemerken konnte. »Na, gegen das Weibsvolk muß man galant sein; da mögen die Braunen also in die Boutique kommen. Aber höre Er, reibe Er sie erst tüchtig ab, lasse sie gehörig verschnaufen und wickle sie dann gut in Decken ein, damit sie mir nicht etwa verschlagen! Wer ist Sie denn, Sie kleines Geschöpf?« »Ich heiße Sophie und bin das Mündel vom Wirthe.« »So! Da ist also Sie die Wetterhexe, das Sofchen, wegen der die Leute in den Wasserbottichen herumkrabbeln müssen? Ich werde Sie mir einmal gehörig angucken!« Damit sprang er aus dem Wagen und trat in das Haus. Sophie wollte ihm folgen, wurde aber noch vor der Thür von zwei starken Armen umschlungen und fühlte einen langen, herzhaften Kuß auf den Lippen. Die besondere Art und Weise dieser Liebkosung schien ihr sehr bekannt vorzukommen, denn, sich rasch von ihrem augenblicklichen Schrecke erholend, rief sie, ohne den Mann erst genau betrachtet zu haben: »Fritz, Du? Ich denke, Du bist längst über alle Berge!« »Ich dachte auch nicht, daß ich so rasch wiederkäme; aber die Umstände haben's nothwendig gemacht.« »Wer ist denn das, mit dem Du gekommen bist?« »Das – das ist der Getreidehändler Habermann aus Dessau mit seinem Knechte.« »Der Getreidehändler! Der kommt wohl schon meinetwegen?« »Freilich.« »Und Du – wie kommst Du denn mit ihm zusammen?« »Unterwegs. Aber gehe jetzt hinein; ich muß nun verschwinden. Sobald Du Zeit hast, kommst Du hinüber an den Hollunderbusch; ich werde auf Dich warten.« Er schob sie durch die Thür, obgleich sie noch hundert Fragen auf der Zunge hatte. Als sie in die Stube trat, fand sie den Fremden
in voller Verhandlung mit Mamsell Rosine. »Und der Wolstraaten, wo steckt er denn?« »Der ist nach Halle.« »Nach Halle – heut? So so – hm, da hat der Teufelskerl doch Recht gehabt, der Nauh – ja so, hm, hm. Und Sie, wer ist Sie denn?« »Ich heiße Mamsell Rosine Fransenhuberin und halte hier die Wirthschaft in Ordnung.« »Das ist ja recht schön von Ihr! Also, Mamsell Rosine Fransenhuberin, ich habe einen verteufelten Durst; hat Sie vielleicht einen guten Schluck, der dagegen hilft? Auch für etwas zu essen kann Sie sorgen, denn ich werde hier bleiben, bis der Wolstraaten wiederkommt!« Das gebieterische Wesen dieses Mannes imponirte ihr; sie machte den Versuch, einen Knix zu Stande zu bringen, und eilte dann zur Küche, wo sie mit Sophie zusammentraf, welche sich in der Stube gar nicht verweilt hatte. »Schnell einen Krug Bier hinein! Das muß kein ganz gewöhnlicher Mann sein!« »Ich bleibe da. Sie kann ihm das Bier auch hinzutragen!« »Ich? Warum denn ich?« »Weil ich nicht mag. Mit dem Habermann habe ich Nichts zu thun!« »Der Habermann ist's? Woher weißt Du denn das?« »Hab's draußen gehört.« »So so – das ist ja ein recht reputirlicher Herr – zwar nicht mehr der Jüngste, aber er hat so eine Manier, so eine Art und Weise – war er nicht Wittwer?« »Ja.« »Wenn Du nicht anders willst, so kann ich ihm das Bier schon selbst hinaustragen!« Mamsell Rosine hatte die Eigenthümlichkeit, daß ihr bei jeder unverheiratheten Mannsperson jene süßen Worte: »Röse – Röschen – Rosa – Rosine – ich liebe Dich – küsse mich, oder ich sterbe!« und die darauf folgenden seligen Augenblicke in den Sinn kamen, und wie herrlich, wie erhebend mußte es sein, wenn diese tiefe, kraftvolle Baßstimme da d'rinnen einmal versuchen wollte: »Röse – Röschen – –« aber sie hatte keine Zeit, diesen himmlischen Gedanken vollständig auszudenken, obgleich ihr beifiel, welch' einen Streich sie der Sophie, diesem dummen Dinge, spielen könne,
wenn sie ihre Schwiegermutter würde. Sie füllte den Krug und eilte in die Stube, wo sie ihn mit dem gewinnendsten Lächeln vor den Gast hinsetzte. »So – ich danke Euch! Hättet Ihr denn wohl ein Bett, wenn man die Nacht hierbleiben müßte?« »Wir sind nicht auf Nachtgäste eingerichtet; aber ich würde Euch – ja« fuhr sie erröthend fort – »ich würde Euch – wenn Ihr – –« »Na, heraus damit! Was würdet Ihr?« »Ich würde Euch – – meine Kammer abtreten!« brachte sie endlich, züchtig und verschämt die Blicke senkend, heraus. Und in ihrem Innern jubelte es: »Erst sagte er ›Sie‹, jetzt spricht er schon ›Ihr‹; o, ich weiß, was das zu bedeuten hat!« »Ihre Kammer?« »Ja.« »Und wohl auch Ihr Bett?« »Wenn – wenn – na – ja, auch das Bett.« »Und wo wollt Ihr denn schlafen, he?« »Für mich wird sich schon ein andres Plätzchen finden. Ich thue es Euch gern zu Gefallen!« »Zu Gefallen?« fragte er, während seine Augen sie ganz eigenthümlich anblitzten. »Höre Sie 'mal, Mamsell Rosine Fransenhuberin, Sie ist doch ein ganz heilloses Weibsen! Erstens sagt ein Frauenzimmer so Etwas gar nicht, wenn sie auch im Stillen ihr Lager für einen Gast herborgt, und zweitens kann es mir in meinem ganzen Leben nicht einfallen, mich auf so einer alten Schachtel ihre Schnarchmaschine zu legen. Es war übrigens auch nur so eine Frage für den Nothfall.« Wenn eine Bombe in das Zimmer gefahren wäre, sie hätte kein größeres Unheil in dem Innern von Mamsell Rosine anrichten können, als diese Worte. Zuerst stand sie wie eine Bildsäule in absoluter Unbeweglichkeit da; es schien ihr die Luft vollständig ausgegangen zu sein. Dann aber stieß ihre vom Entsetzen zusammengepreßte Lunge einen keuchenden Pfiff hervor, ihre Arme fuhren topfhenkelartig in die Seiten, die Augen öffneten sich groß und drohend, ihr weit geöffneter Mund ließ anderthalb Paar lange, gelbe Turbirzähne erblicken, und nun brach die Sturmfluth los: »Was? Was wäre ich? Eine alte Schachtel? Und mein Bett, mein Bette eine Schnarchmaschine? Weiß Er denn, Er unverschämter –«
Weiter freilich kam sie nicht; denn ihr Gegner fuhr mit donnernder Stimme dazwischen: »Will Sie wohl ruhig sein!« »Weiß Er denn, Er unversch – –« »Ich frage ob Sie ruhig sein will!« »Weiß Er denn, Er un– –« »Rrrraus!« »Er unversch– –« »Rrrraus!« »Er un– – « »Rrrraus, sage ich!« »Er – –« Jetzt konnte sie beim besten Willen nicht weiter; denn er hatte den Bierkrug ergriffen und schleuderte ihr den Inhalt desselben mit solcher Vehemenz in das Gesicht, daß er ihr nicht nur in den geöffneten Mund, sondern auch in die Augen und in die Nase drang. So einen Mordanfall hatte man noch niemals auf sie versucht; alle ihre Nerven waren, als hätte sie der Schlag getroffen, vom Schrecke gelähmt und wie angeleimt lagen die schützenden Hände vor dem triefenden Gesichte, Da endlich ging ein convulsivisches Zittern durch ihren Körper; der in die Nase gedrungene Gerstensaft begann seine lebendig machende Thätigkeit: die Hände haben sich vom Gesichte, der Kopf bog sich hintenüber, der Mund fuhr krampfhaft auseinander, die Züge legten sich in jene wunderbar ergreifende und erwartungsvolle Visage, welche bei Nichtschnupfern die unausbleibliche Folge einer guten Prise ist, und nun entrang sich dem jungfräulichen Busen von Mamsell Rosine Fransenhuberin ein markerschütterndes und wahrhaft elephantenartiges: »A–a–a–azzz–i–i–iiiihhh!« »Wohl bekomme es Ihr, Sie alte Regimentskneipzange, Sie!« lachte höflich der Bierkrugschütze und schob, während sie immer wieder von Neuem zum Niesen ausholte, die alles Widerstreben Vergessende über die Stube hinüber und in die Küche hinaus. Sophie hatte Alles vernommen und konnte sich beim Anblicke der Mamsell des Lachens nicht enthalten. »Komme Sie doch einmal herein zu mir!« befahl der Fürst. Sie folgte ihm. »So! Hierher muß Sie treten, daß ich Sie bei der Lampe deutlich sehen kann. Hm, hm, der Korporal scheint keinen so ganz
schlechten Geschmack zu haben! Höre Sie' mal Sie mag wohl den Namen Habermann gar nicht gern leiden?« Sie vermochte vor Verlegenheit nicht zu antworten. »Na, ich meine es ja ebenso gut mit Ihr wie der Nauheimer, und Sie wird schon noch einsehen, daß ich auf Ihr Glück bedacht bin! Jetzt sorge Sie aber zunächst für ein Abendbrod, und dann wollen wir einmal weiter mit einander reden!« Da trat der Kutscher ein und machte Anstalt, an einem der Tische Platz zu nehmen. »Höre Er, aus dem Hersetzen wird jetzt nichts. Er wird bei der Sache Sein Theil jedenfalls auch mit zu thun bekommen, und da ist es ganz besonders nothwendig, daß Er die gehörige Ortskenntniß besitzt. Gehe Er also einmal recognosciren, damit Er sich später zurechtfinden kann, wenn's nothwendig ist.« Der Angeredete entfernte sich, obgleich er ganz aus eigenem Antriebe die Umgebung des Hauses schon abgesucht hatte. Nur allein im Garten war er noch nicht gewesen, und daher richtete er jetzt seine Schritte nach demselben. Ganz sicher hatte das Haus gewisse Schlupfwinkel und wohl auch verborgene Gelegenheiten zum Ein- und Auspassiren, die bei dem heutigen Rekrutentransporte jedenfalls benutzt wurden. Leicht konnte man mit einer der eingeweihten Personen zusammentreffen und Verdacht erregen, und so schlich der Kutscher geräuschlos und mit einer Umsicht weiter, die ihm nicht das Geringste entgehen ließ, ihn selbst aber gegen jede Entdeckung schützte. So kam er auch an die Laube. Ohne in dieselbe einzutreten, lauschte er mit angestrengten Sinnen, ob dieselbe leer oder besetzt sei. Leise Athemzüge ließen sich vernehmen – es war Jemand d'rin. Wer war es? Er mußte Gewißheit haben, und machte schon Anstalt, sich niederzulegen, um näher zu kriechen, als ein leichtes Räuspern ertönte, das Rauschen eines weiblichen Gewandes sich vernehmen ließ und eine dunkle Gestalt hervortrat. Sie blieb einige Augenblicke vor dem Eingange stehen und wollte sodann sich nach dem Hause wenden, als sie dicht neben sich den leisen Ruf vernahm: »Marie!« Ueberrascht, fast erschrocken zog sie den Fuß zurück. »Ist wer da?« fragte sie mit halblauter Stimme. »Wahrhaftig, Du bist's, und ich habe mich nicht geirrt!« ertönte
es mit gewaltsam unterdrückter Freude; zwei Arme legten sich um sie und zogen sie an eine breite Männerbrust. »Curt! Welche Ueberraschung! Wie kommst Du, den ich in Halle glaubte, hierher?« »Das sollst Du erfahren. Komm, setze Dich!« Er trat mit ihr in die Laube, zog sie auf seinen Schoß, und bald waren sie in lebhafter, wenn auch fast unhörbarer Unterhaltung begriffen. – – Während dessen setzte Sophie das Essen auf den Tisch und schlüpfte dann, den Gast befriedigt und beschäftigt wissend, auf ein kurzes Weilchen hinüber zu dem Hollunderbusch. – Der Fürst ließ sich das Mahl wohlschmecken und war mit demselben grad' fertig geworden, als der Kutscher wieder eintrat. »Hat Er 'was Verdächtiges gespürt?« »Nein.« »So esse Er! Ich werde mir den Ort jetzt auch einmal besehen!« Er erhob sich und schritt hinaus. Um die Ecke des Hauses biegend, sah er die zurückkehrende Sophie auf sich zukommen. Da er sie in der Dunkelheit nicht sofort erkannte, so hielt er sie beim Arme: »Halt, was trippelt denn da im Grase herum?« »Ich bin's – –« »Ach, das kleine Jungferchen! Kann mir's denken, was Sie hier herum zu suchen hat, nicht wahr?« »Durchlaucht!« »Durchlaucht? Aha, so hat also der Schwerennöther, der Nauheimer, das ganze Geheimniß ausgeplaudert! Na, den werde ich bei der Parabel nehmen!« »O nein, Durchlaucht, verzeiht ihm! Er hat's ja gut gemeint, und ich will Euch dafür auch in Allem gern behülflich sein.« »So, will Sie das? Na, da stehe Sie mir erst 'mal aufrichtig Rede und Antwort! Ist's wahr, daß da unten in den Kellern – –?« »Ja.« »Darf Sie in die Keller?« »Nein; ich soll ja gar Nichts davon wissen.« »Und heut' soll es fortgehen?« »Ja.« »Woher weiß Sie das?« »Ich hörte den Vormund mit der Mamsell davon sprechen.«
»Ach so! Da ist die alte verliebte Kachel auch mit bei der Sippe?« »Die führt eigentlich das ganze Geschäft. Der Vormund entfernt sich allemal, wenn ein Transport kommt oder geht.« »Weshalb?« »Aus Klugheit, damit er sich herausreden kann, wenn einmal Etwas passirt.« »Sind die Keller groß?« »Groß und klein. Es sind mehrere, wie man sie eben braucht.« »Sie ist trotz des Verbotes doch wohl schon unten gewesen?« »Zuweilen –« klang die zögernde Antwort. »Ja, Euch Weibsbilder kennt man schon! Könnte Sie mich nicht vielleicht 'mal 'runterführen?« »Das wird schwer halten. Die Mamsell hat die Schlüssel.« »Kann Sie die nicht auf einen Augenblick fortstibitzen?« »Ich will's versuchen, Durchlaucht! Aber wenn Ihr weiter Nichts wollt, als Euch blos die Leute ansehen, die da unten sind, so brauche ich gar keinen Schlüssel.« »Ja, vor der Hand will ich doch auch nichts Anderes.« »Da steigen wir in den Bierkeller; der steht auf, und da habe ich ein Loch entdeckt, durch welches man die Gesellschaft ganz gut belauschen kann.« »So führe Sie mich hinunter.« »Soll ich nicht den Korporal holen? Es ist besser, man ist bei solchen Dingen vorsichtig.« »Nicht nothwendig. Der mag auf seinem Posten bleiben, um zu sehen, was außer dem Hause passirt. Komme Sie nur!« Sie schritten mit einander um die zweite Ecke des Hauses und kamen in den Hofraum. Sophie schob den Riegel von einer schmalen Thür, hinter welcher eine Stufenreihe abwärts führte. »Wartet einen Augenblick, Durchlaucht; ich will Licht machen.« Sie griff in eine kleine Nische, zog Stahl, Stein und Zunder hervor, und bald brannte das Licht der Laterne, welche hier placirt war, damit man beim Holen des Bieres eine Lampe nicht über den ganzen Hof zu tragen habe. Nachdem sie noch einmal nachgesehen hatte, daß die Thür vollständig herangezogen sei, stieg sie, ihm voran, die Stufen hinab. – – »Heda, ist denn Alles ausgerissen?« rief der Kutscher, vom
Essen aufblickend, und klopfte mit dem leeren Kruge auf den Tisch. Die Küchenthür öffnete sich und ließ die spitze Nase der Mamsell Rosine erscheinen. »Was hat Er denn zu spectakeln? Bei Ihm heißt's wohl auch: Wie der Herr, so der Diener!« »Nein, sondern: Wie die Liebe, so die Hiebe! Kommt Sie manierlich, so bin ich reputirlich, kommt Sie aber mit Grobheiten, so kann Sie 'was erleben. Hier, noch einen Krug!« Der Gebrannte scheut das Feuer, darum hütete sich Rosine auch, ihrem Zorne freien Lauf zu lassen. Ihren Ingrimm verbeißend, nahm sie den Krug, um ihn aus der in der Küche befindlichen Blechkanne zu füllen; aber dieselbe enthielt nicht mehr die nöthige Menge des braunen Getränkes. Durch den Umstand, wegen dieser groben Menschen auch noch in den Keller steigen zu müssen, wurde ihr Aerger um ein Bedeutendes erhöht; sie eilte über den Hof, fand die Kellerthür nur angelehnt, und wohl das Feuerzeug, nicht aber die Laterne an ihrem Platze. Sie stutzte. Es mußte Jemand im Keller sein und zwar in einer geheimen Absicht. Leise schlich sie die Stufen hinab und bemerkte, unten angekommen, im Hintergrunde einen schmalen Lichtstreifen. Er fiel aus einem der Nebenräume, welche durch eine starke, eisenbeschlagene Thür vom Bierkeller getrennt wurde. Mit lautlosen, katzenartigen Schritten näherte sie sich der Thür und erkannte nun deutlich den Fremden, welcher auf einem herbeigerollten leeren Fasse stand und durch ein in der Mauer angebrachtes Luftloch in das nebenan liegende Gewölbe blickte, aus welchem sich verschiedene Stimmen vernehmen ließen. Sophie stand mit der Laterne in seiner Nähe. Es flimmerte vor den Augen der Lauscherin. Das war ja Verrath, und diese Heuchlerin stak mit dem unverschämten Grobsacke unter einer Decke! Welch' ein Glück, daß sie zur rechten Zeit gekommen war! Hier mußte rasch gehandelt und das spionirende Paar unschädlich gemacht werden. Aber die Genugthuung mußte sie dabei haben, den Beiden wissen zu lassen, von wem ihnen der Streich gespielt werde. Sie trat deshalb unter den Eingang. »Was hat Er denn hier in meinem Keller zu suchen, Er alter neugieriger Cyperkater Er? Ich werde Euch Zweien das Horchen einstreichen, daß Ihr wer weiß wie lange an die ›alte Schachtel‹ denken sollt!«
Ehe er noch vom Fasse steigen oder die erschrockene Sophie herbeieilen konnte, hatte sie die Thür zugeschlagen und schob die Riegel vor. »Will Sie wohl gleich aufmachen, Sie verwünschte Wetterhexe Sie?« donnerte der Fürst und trat mit kräftigem Fußstoße gegen die Thür. Aber es war weder eine Antwort zu hören, noch gab die Thür den vereinten Anstrengungen der beiden Eingeriegelten nach. Sie waren gefangen. Allerdings tobte der alte »Knasterbart« wie ein angeschossener Eber in dem engen Raume herum. Er, der Sieger in so vielen Schlachten, der – na – er sollte sich von so einer – na – übertölpeln und in solch' schandbaren Prison nehmen lassen! Und was wird die Welt dazu sagen, wenn es heißt, daß er, der Fürst – Tod und Teufel, nein – lieber wollte er die Mauer mit seinem Kopfe einrennen und – horch, was ist denn das da drüben für ein schallendes Gelächter? Er stieg auf das Faß und lugte durch die Oeffnung. Drüben hatte man einen Kreis geschlossen, inmitten dessen Einer stand, welcher mit lauter Stimme erzählte. Eben schien er mit dem Berichte fertig zu sein, denn es erhob sich ein rauschender Beifallssturm, aus welchem am vernehmlichsten der Ruf zu unterscheiden war: »Hurrah, der alte Dessauer gefangen – Bier her, Wein her, das muß angefeuchtet werden!« Zitternd vor Grimm sprang er von seinem hölzernen Sockel. »Da sollen doch gleich fünfunddreißig Tausend Bomben und Granaten d'reinschlagen – diese Hundsfötter wissen wahrhaftig, wer ich bin. Na, laßt mich nur hinüber kommen – ich werde Euch den ›alten Dessauer‹ um die Ohren schlagen, daß Ihr den Himmel für einen Osterfladen halten sollt!« »Jetzt bringen sie ihn!« schallte es gedämpft durch die Wand. »Bringen – wen denn?« knurrte er zornig, wieder auf das Faß steigend und die Nase in das Mauerperspectiv steckend. Kaum aber hatte er einen Blick hinübergeworfen, so fuhr er zurück, daß er fast die Balance verloren hätte. »Sternen-Pech-und-Hagelwetter, das wird ja mit jeder Minute bunter – das ist ja der Habermann, der Schwerenöther! Da ist der Kerl gar nicht nach Halle gefahren, und ich kann jetzt bis zum jüngsten Tage auf meine Dragoner warten? Und dazu hat er meinen Rock an und blamirt ihn jetzt und in alle Ewigkeit, Amen. Na, komme ich nur hinüber, ich werde ihm eine Salbe einreiben, nach
der es ihn am ganzen Leibe jucken soll!« »Aber ich bin ja gar nicht der Fürst, für den Ihr mich zum Beispiel haltet!« wurde drüben eine ärgerliche Stimme laut. »Nicht? Wer seid Ihr denn, wenn man fragen darf?« »Ich bin der Getreidehändler Habermann aus Dessau und –« »Schon gut, Durchlaucht, wir kennen das! Ihr sollt das beste Plätzchen, was wir hier haben, als Gewahrsam bekommen und auch einen guten Schluck zu trinken. Das Uebrige mag nachher der Hauptmann bestimmen, sobald er eingetroffen ist!« »Aber ich sage Euch zum Beispiel – –« »Wissen Alles, wissen Alles! Der Getreidehändler Habermann hat sicher weder einen Jagdwagen noch ein fürstlich Wappen daran, und Eure Uniform –« »Ich habe ja mit dem Fürsten umwechseln müssen!« »Allen Respect vor Euch, Durchlaucht, aber Ihr werdet uns auf diese Weise nur zum Lachen zwingen. Tretet hier herein!« »Und Er,« ertönte eine andre Stimme, »kann sich einstweilen dort in jene Ecke setzen.« »Wohin? Soll ich mich etwa immer nur von einer Ecke auf die andre drücken – erst beim Bataillonsmarschall und nun auch hier? Das ginge wohl, wenn ich mir's gefallen ließe, aber es geht nicht, weil ich es nicht zu leiden brauche. Ich bin Oberstallbereiter und setze mich hin, wo mir's beliebt. Gebt mir 'was zu trinken!« »Heut' ist die ganze Welt von Sinnen,« murmelte der Fürst; »doch der Mensch von einem Pferdeknecht da, der ist ganz und gar verrückt geworden. Aber da bringen sie wahrhaftig noch Einen geschleppt, und da kommt auch die gute Mamsell Schachtelmeierin oder Kachelhuberin oder wie sie heißt, dahinter hergestiegen. Die wird wohl melden wollen, daß sie hier zwei Vögel eingesperrt hat. Na, komme ich nur hinüber, ich werde ihr in die Schmachtlocken sausen, daß sie aus dem Nießen gar nicht wieder herauskommen soll!« »So!« klang es drüben. »Stecken sie denn fest?« »Ja, ich habe sie eingeriegelt.« »Dann macht's uns keinen Schaden; wir marschiren ja heut' ab. Thut nachher mit ihnen, was Ihr wollt!« »Das ist gut!« bemerkte der Fürst. »Sie fragen gar nicht, wer ich bin, sonst hätten sie mich wahrhaftig mit dem Habermann zusammengeführt. Aber wer ist denn das, den sie dahin gelehnt
haben? Heiliger Baldrian, entweder sehe ich verkehrt, oder es ist der Polenz! Wie kommt denn der von Halle her nach Bitterfeld – und in dieses Loch? Der Tausendelementer macht doch nichts als dumme Streiche, und einen immer schlimmer als den andern. Betrunken ist er zum Erbarmen, und – Schwerebrett, einen sächsischen Dreispitz hat er auf dem Kopfe. Ich glaube gar, den haben sie um den Verstand gebracht und angeworben! Na, komme ich nur hinüber, mein guter Polenz, ich werde Ihn in die Wäsche nehmen, daß Ihm die Lust zum Heirathen vergehen soll. Hm, so ein Hallunke und die Marie – die Naubitz! – –«
7. Schluß Nach Beendigung des Abendbrodes begab sich der Kutscher wieder hinaus in den Garten. Er glaubte den Fürsten auf Recognition; vor Eintreffen der Dragoner war jedenfalls Nichts zu thun, und so hatte er mit der Geliebten Verabredung getroffen, sich noch auf ein Viertelstündchen in der Laube zu sprechen. Er hatte das Glück, bei ihr sein zu können, noch zu wenig genossen, um jetzt nicht jede Minute ihrer Nähe für kostbar zu halten, und zudem gab es so viel zu besprechen, zu rathen, zu beruhigen und – aufzuklären. Als er das stille Plätzchen betrat, fand er sie schon sein wartend und nahm dicht an ihrer Seite Platz. Schon vorhin hatte er ihr über den Grund seiner und des Fürsten Anwesenheit einige kurze Mittheilungen gemacht; jetzt vervollständigte er dieselben und war grad' bei der Bemerkung, daß Leopold auch um ihr Hiersein wisse, als er unter seinen Füßen ein Geräusch wahrzunehmen glaubte. Auch Marie hatte dasselbe gehört, und beide lauschten mit angehaltenem Athem, ob es vielleicht wiederkehren werde. Da plötzlich bewegte sich ihr Sitz, und zwar dieser nicht blos allein, sondern mit ihm die ganze Laube. Der Darinsitzende ergriff das Mädchen und stand mit einem raschen Sprunge auf festem Boden. Nur die kurzen Worte: »Schnell, schnell hinter jenen Baum!« raunte er ihr zu, und lag dann auch schon platt auf der Erde, von welcher er bei der Dunkelheit nicht zu unterscheiden war. Ein leiser Lichtschein schimmerte aus der Tiefe und ließ die Mündung eines Ganges erkennen, welche von dem hölzernen Boden der Laube verdeckt gewesen war. Ein einziger Blick genügte, um den einfachen Mechanismus zu begreifen. Im Balkenfuße des kleinen Bauwerkes stak ein senkrechter Riegel, welcher die Laube fest hielt; zog man ihn aber heraus, was sowohl von oben als auch von unten geschehen konnte, so ließ sie sich drehen und gab den Eingang frei. Leise, vorsichtige Schritte stiegen empor; ein Kopf tauchte aus der Tiefe hervor und spähete in die schwarz umherliegende Nacht
hinaus, ob er unbeobachtet sei. Dann stieg der Mann vollends herauf und schob, während das Licht unten fortbrannte, die Laube wieder in ihre vorige Stellung, worauf er den Riegel in seine ursprüngliche Lage brachte. Voller Angst harrte Marie des nun Kommenden; sie ahnte, daß ein Kampf zwischen ihm und dem Geliebten bevorstand und zitterte vor Erregung. Da vernahm sie ein leises Geräusch – jetzt ist der Augenblick gekommen, dachte sie – aber es blieb vollständig ruhig, bis nach einigen Augenblicken eine leise Stimme rief: »Marie, komm!« Voll Freude eilte sie herbei. Er kniete auf einem menschlichen Körper. »Hier mein Messer! Schneide die Waschleine von diesen zwei Bäumen ab; ich muß ihn binden, ehe ihm die Besinnung wiederkehrt.« Sie folgte der Weisung, und bald lag der Betäubte geknebelt und gebunden in einem Winkel des Gartens. »Ich muß hier bleiben, um den neuentdeckten Eingang zu bewachen. Willst Du nicht einmal auf die Straße spähen, ob Du den Korporal entdeckst? Er soll herkommen; ich muß mit dem Fürsten sprechen.« Sie eilte von dannen. Leichten Schrittes flog sie durch den Hausflur, sodaß ihr Kommen von einem Manne, welcher auf der Straße lauschend am Fenster stand, gar nicht gehört wurde. Seine hohe, breite Gestalt ließ ihr in ihm den Gesuchten ahnen. »Seid Ihr der Korporal Nauheimer?« »Ja, der bin ich.« »Ihr sollt schnell zum Kutscher des Fürsten in den Garten kommen; er hat eine wichtige Entdeckung gemacht.« »Wer seid Ihr?« »Eine Pathe des Fürsten.« »Gut, ich gehe mit.« Er folgte ihr und erfuhr, bei der Laube angekommen, das Vorgefallene und die Absicht des Kutschers, zum Fürsten zu gehen. »Ja, das weiß der Kuckuk, wo der sich jetzt herumtreibt, und auch die Sophie ist nicht zu finden; ich habe schon eine ganze Zeit vergebens nach ihnen gesucht. D'rin in der Stube sitzt die alte Mamsell allein und fängt Grillen, und – weiß Er 'was Neues?« »Was denn?«
»Der Habermann ist da!« »Der Habermann? Nicht möglich!« »Und doch! Vorhin brachten sie ihn im fürstlichen Jagdwagen; jedenfalls denken sie, sie haben die Durchlaucht gefangen. Es waren sechs Personen: der Habermann, sein Knecht, und Einer, den ich nicht wegbekommen konnte, war hintenauf geschnallt.« »Und wo sind sie jetzt?« »Jedenfalls im Keller.« »Weiß es der Fürst?« »Wohl nicht; er wird doch nicht etwa zu weit fortgegangen und den Transporteurs in die Hände gefallen sein? Die können jeden Augenblick kommen!« »Das wär' 'ne schöne Geschichte! Muß 'mal suchen. Zunächst aber wollen wir doch einmal nachsehen, wo der Gang hinführt, der hier unter der Laube mündet. Jetzt sind wir zu Zweien und können eher Etwas wagen.« Der Korporal war bereit, obgleich Marie bat, von dem gefährlichen Unternehmen abzustehen. Der Riegel wurde entfernt, die Laube gedreht; dann stiegen Beide in die noch immer erleuchtete Oeffnung, welche sie nicht verschlossen, um für alle Fälle sich einen schnellen Rückzug zu sichern. Der Gang war sehr einfach und schleußenartig ausgeführt, erstreckte sich immer in grader Richtung vorwärts und endete vor einer Thür, welche nur angelehnt war. Vorsichtig öffneten sie dieselbe und betraten einen kleinen, leeren Kellerraum; hier aber tönten ihnen aus einem Nebengewölbe laute Stimmen und schallendes Gelächter entgegen. Sie befanden sich, ohne daß sie es wußten, unmittelbar neben dem Keller, in welchen der Fürst mit Sophie eingeschlossen war, nur daß die Thür zu demselben auf der entgegengesetzten Seite angebracht war. Der Kutscher blies das Licht aus und huschte an die ihnen gegenüberliegende Thür; auch sie war nur angelehnt, so daß er durch die dadurch entstandene Spalte fast das ganze Gewölbe überblicken konnte. Nach wenigen Augenblicken kehrte er zurück. »Kommt! Wir wollen uns nicht unnöthiger Weise in Gefahr begeben, aber vor den paar Leuten wäre mir auch nicht bange.« Wieder im Garten angekommen, wurde die Oeffnung verschlossen, und während der Korporal nun Wache hielt, ging der Andere, den Fürsten zu suchen. Er fand ihn weder in der Nähe des
Hauses noch in der Gaststube, welche vollständig leer war. Auch in der Küche war weder Sophie noch die Wirthschafterin zu erblicken. Schon wollte er, von lebhafter Besorgniß erfüllt, durch den Hausflur in den Garten zurückkehren, als ein dumpfes Geräusch wie von unterdrückten menschlichen Stimmen an sein Ohr schlug. Er blieb lauschend stehen; die Töne drangen durch die Seitenwand und schienen von unten zu kommen. Er näherte sich der Wand, deren eine Hälfte ein großer, breiter Schrank einnahm, dessen Thür nicht verschlossen, sondern nur angelehnt war. Sein Inhalt bestand in Kleidern, welche den Raum von oben bis herab zum Boden ausfüllten. Das dumpfe Gemurmel war hier vernehmlicher als vorher, und, die alten Röcke und Hosen mit beiden Armen auseinander ziehend, erblickte er hinter ihnen eine dunkle Oeffnung, welche jedenfalls mittelst einer Treppe nach abwärts führte. Der Schrank hatte keine Hinterwand. Die Pistole ziehend, kroch er in die Oeffnung, fühlte Stufen unter seinen Füßen und stieg dieselben leise und vorsichtig hinunter. Nach einer Weile berührte er mit der tastenden Hand eine Thür. Dieselbe war jetzt nur durch eine einfache Klinkvorrichtung geschlossen. Behutsam öffnete er und gewahrte, daß er außerhalb desselben Gewölbes stehe, welches er vorhin von der entgegengesetzten Seite überblickt hatte, und in dem sich eine zahlreiche Gesellschaft von Männern befand. Soeben setzte, wie er durch die schmale Spalte bemerken konnte, die Mamsell einen Krug vor den Knecht des Getreidehändlers. »Wohl bekomm's Ihm!« sagte sie dabei in höflichem Tone. »Er kann von Glück reden, daß man Ihn mit dem Fürsten aufgegriffen hat. Herrendienst ist ein schlimmer Dienst, und so ein schmucker Gesell wie Er wird bei den Soldaten sicher sein Glück machen. Da giebt es ein lustigeres Leben als in Dessau, wo Er nur böse Tage hat, wenn Er nicht zu scherwenzeln versteht!« »Soldat? Ich gehe nicht unter die Soldaten!« »Nicht? Da wird Er wohl gar nicht viel gefragt werden. Mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen!« »Fällt mir gar nicht ein, den bunten Rock anzuziehen! Ja, es ginge wohl, wenn ich wollte, aber es geht nicht, weil ich mich nicht gern todtschießen lassen mag!« Der Lauscher wußte genug. Leise, wie er gekommen war, schlich er wieder zurück und begab sich nun eiligen Schrittes zur
Laube zurück. »Der Fürst ist nirgends zu sehen, auch das Mädchen nicht. Entweder sind beide in eine Falle gerathen oder es droht der Durchlaucht von außen her eine Gefahr.« »Alle Teufel, was ist da zu thun!« »Zu thun giebt's weiter Nichts als unsre Pflicht. Wir müssen uns in den Besitz des Nestes setzen und die Kerls da unten unschädlich machen Das Uebrige wird sich dann schon finden.« »Aber wir sind nur zu Zweien!« »Fürchtet sich der Korporal Nauheimer vielleicht?« »Fürchten? Wenn Er das Wort noch einmal sagt, so soll Er sehen, was passirt. Er sieht mir's wohl auch an, daß ich es gut mit einem halben Dutzend solcher Hallunken aufnehme, aber man muß auch vorsichtig sein. Zu einer solchen Affaire gehört mehr Umsicht und dergleichen, als ein Kutscher, wie Er, zu besitzen pflegt!« »Ah, ist es das? Nun, ich werde Euch einmal zeigen, daß ein Kutscher zuweilen doch auch ein ganzer Kerl sein kann. Passet 'mal auf! Ich habe soeben noch einen Eingang zu den Kellern entdeckt; er geht von der Küche aus hinunter. Nun könnten wir zwar die Leute von beiden Seiten einschließen, aber es wäre ihnen doch möglich, auszubrechen; es sind ihrer viele und so eine Thür ist bald zertrümmert; dann wäre uns natürlich das ganze Spiel verdorben. Und was am meisten zählt, sie blieben alle im Besitze ihrer Waffen. Diese muß man ihnen nehmen und sodann entweder sie in ganz sicheren Gewahrsam bringen oder nach Befinden ihnen mit noch energischeren Maßregeln auf den Leib rücken.« »Höre Er, Seine Ansichten sind nicht schlecht! Aber wie soll das Alles angefangen werden?« »Nun, Ihr schleicht Euch durch den Laubengang bis an die zweite Thür; ich gehe durch die Küche, und sobald Ihr merkt, daß ich Euch brauche, tretet Ihr in das Gewölbe.« »Gut. Hat Er denn Waffen?« »Ja, Ihr doch wohl auch?« »Zur Genüge.« »Und ich?« frug da Marie, welche bisher eine schweigende Zuhörerin gewesen war. »Du? Für Dich ist es am besten, wenn Du Dich zurückziehst. Solche Vorgänge sind nicht für Frauen.« »Ich mich zurückziehen, wo es sich um den Fürsten handelt und
um Dich? Nimmermehr!« »Mein liebes, muthiges Mädchen!« antwortete er. »Ich kenne Dich und habe nichts Anderes von Dir erwartet.« Er zog sie an sich und küßte sie innig, während Nauheimer, ganz erstaunt über diese Vertraulichkeit zwischen einer adeligen Dame und einem Kutscher, dastand und diese Zärtlichkeit gar nicht begreifen konnte. »Und welchen Platz weisest Du mir also an?« fragte sie. »Einen sehr wichtigen. Die Transportmannschaft wird baldigst eintreffen, denn jedenfalls war Der, welchen ich vorhin überrumpelte, abgeschickt, um ihnen den Weg zu zeigen. Ich glaube annehmen zu können, daß sie schon jetzt da drüben in dem Hölzchen auf diesen Boten warten, da sich in der Nähe keine andere Deckung für sie befindet. Da sollst Du nun hier Wache stehen. Sobald Du etwas Verdächtiges bemerkst, eilst Du zur Küche, steigst durch den Kleiderschrank, hinter welchem eine Treppe in den Keller führt, und giebst mir Nachricht. Doch denke ich, daß wir, fertig sein werden, ehe Du Veranlassung zu einer solchen Warnung bekommst.« »Aber sage Er mir doch einmal,« platzte da endlich Nauheimer los, »wie kommt Er denn zu dieser Bekanntschaft mit – –« »Laßt das jetzt gut sein,« fiel ihm der Andere schnell in's Wort; »Ihr werdet schon noch das Nöthige erfahren. Jetzt macht, daß Ihr in den Gang kommt! Ich muß ihn von Außen verschließen, damit Ihr nicht vielleicht von hinten überfallen werdet; man muß sich hier Alles überlegen.« »Höre Er, ich bekomme nach und nach einen ganz gehörigen Respect vor Ihm!« »So? Na, da thut dazu, daß ich auch vor Euch Respect bekomme!« Als der Korporal in dem Gange verschwunden und die Laube wieder vorgerückt worden war, sah der Kutscher noch einmal nach dem in der Gartenecke Liegenden und überzeugte sich, daß von demselben nichts zu befürchten sei. Dann empfahl er der Geliebten die nöthige Vorsicht und begab sich zunächst in den Stall. Hier versah er sich mit einer ziemlichen Anzahl von Schnüren und Stricken, welche an den alten, verwitterten Wänden herumhingen. »So, die werden wir vielleicht gebrauchen können. Wenn der Korporal wirklich so ein Kerl ist, wie der junge Habermann gestern
sagte, so wird Alles gut gehen, trotzdem es ein ganz verteufeltes Wagestück ist!« Jetzt schritt er nach der Gaststube, in welcher er Mamsell Rosine traf. »Will Sie mir wohl einen Gefallen thun, Jungfer Rosine?« fragte er sie. »Er ist eigentlich zu unmanierlich, als daß man Ihm viel Gefallen erweisen möchte; aber was will Er denn, und wozu sind die Stricke da?« »Das soll Sie gleich sehen,« antwortete er, indem er die Thür verriegelte und die Pistole hervorzog. »Setze Sie sich einmal hier auf diesen Stuhl!« »Herr Jemine, was soll –« wollte sie beim Anblicke der Waffe aufkreischen; er aber fiel ihr schnell in das Wort: »Kein Wort weiter! Wenn Sie nur im Geringsten muckst, so schlage ich Ihr hier mit dem Dinge da die Schmachtlocken auseinander, denn einen Schuß Pulver ist so eine alte Trine, wie Sie, doch nicht werth!« Sie zitterte an allen Gliedern und konnte vor Angst kein Wort mehr hervorbringen. »Was für eine saubere Wirthschaft da unten in den Kellern getrieben wird, das weiß ich, und wir werden das Nest auch nachher ausnehmen; jetzt aber frage ich Sie nur, wo mein Herr, der Habermann aus Dessau steckt!« War der Fürst in eine Falle gerathen, so mußte sie es wissen, so calculirte er, indem er sie drohend anblickte. »Sau–be–re Wirth–schaft?« stammelte sie. »Habermann –? Ich weiß von Alledem nichts, gar nichts!« »So, na, da hat eben Ihre letzte Stunde geschlagen!« Er faßte sie beim Halse und holte aus, als wolle er ihr mit dem Griffe der Pistole einen Schlag versetzen. »Halt,« röchelte sie in Todesangst, »ich will's gestehen!« »Nun, wo ist er?« »Unten, eingeschlossen.« »Und die Sophie?« »Auch mit eingeschlossen.« »Wer hat es gethan?« »Die Sachsen,« antwortete sie aus Angst, daß es ihr an's Leben gehen könne, wenn sie die Wahrheit sagte.
»Gut, jetzt weiß ich genug! Jetzt lege Sie Ihre Hände hinter die Lehne und die Füße hier an die Stuhlbeine. Ich werde Sie anknüpfen. Wenn Sie sich ruhig verhält, geschieht Ihr nichts, wenn Sie aber einen Versuch macht, loszukommen, so ist's um Sie geschehen!« Widerstandslos ließ sie sich fesseln; dann band er ihr die Schürze vor den Mund und trat in die Küche. Helles Gelächter tönte ihm entgegen, als er die Stufen hinunterschritt. Ihm war allerdings nicht sehr lächerlich zu Muthe. Von dem Gelingen des Streiches hing Vieles ab, besonders da der Fürst sich selbst unter den Gefangenen befand. Geräuschlos öffnete er die Thür ein Wenig und horchte. »Ich kann nicht begreifen,« klang eine Stimme, »warum Müller nicht zurückkommt. Um blos zu sehen, ob sie da sind, braucht es doch nicht eine so lange Zeit. Ich muß einmal nachschauen, was er draußen treibt!« Das galt jedenfalls dem gefesselt im Garten Liegenden. Hier war keine Zeit zu verlieren, und der Sprecher hatte kaum den Fuß erhoben, um sich zu entfernen, so ertönte von der Thür her ein kraftvolles »Halt« in seine Ohren. Er fuhr herum und erblickte den am Eingange Stehenden, welcher in jeder Hand eine gespannte Pistole hielt. »Verrath! Zu den Waffen!« rief er erschrocken und eilte zum Ecktische, auf welchen er und seine Kameraden ihre Waffen abgelegt hatten. Aber mit einigen raschen Schritten hatte ihn der Eindringling vom Tische abgeschnitten. »Keinen Schritt weiter. Wer sich von seiner Stelle rührt, ist verloren!« erscholl es ihm entgegen. Da riß er ein Messer hervor und wollte sich mit erhobener Faust auf den Fremden stürzen. Ein Schuß krachte, und der Arm sank zerschmettert herab. Zu gleicher Zeit öffnete sich die andere Thür; Nauheimer trat ein und warf sich mit seiner mächtigen Gestalt den Werbern entgegen, welche aufgesprungen waren, ihren Kameraden zu rächen. – – – Während dessen stand Marie von Naubitz draußen in der finstern Nacht auf ihrem Posten, um Wache zu halten. Sie war eine würdige Pathe des alten Knasterbartes und kannte weder Furcht noch Unentschlossenheit. An die Worte des Geliebten denkend, schien es Ihr rathsam, sich einmal nach dem Gehölz zu schleichen,
und schon legte sie die Hand an die kleine Gartenpforte, welche in das Freie führte, als sie einen Schritt zurücktrat und sich schnell niederbeugte. Zwei dunkle Gestalten kamen längs des Zaunes herbeigeschlichen und blieben jenseits desselben grad' vor ihr stehen. »Das muß das Haus sein, Hauptmann!« flüsterte eine leise Stimme. »Natürlich! Und hier steht auch die Laube, in welche der Gang münden soll.« »Warum nur keiner von den Kerls sich beim Rendezvous einfindet! Sie müssen doch wissen, daß wir nicht ewig warten können, weil wir die Nacht zum Transporte benutzen wollen.« »Wer weiß, was sie noch zu verrichten haben. Eintreten können wir nicht; so bleibt uns also nichts übrig, als uns in Geduld zu fügen.« Die beiden Männer entfernten sich langsamen Schrittes, und auch Marie erhob sich wieder, um das Gehörte zu melden. Als sie, längs des Gebäudes hingehend, an die Kellerthür kam, glaubte sie ein polterndes Geräusch zu vernehmen, welches die Stufen heraufdrang. Sie öffnete und lauschte hinunter. Jetzt hörte sie ganz deutlich ein lautes Krachen und dazwischen den unterdrückten Schall einer tiefen Baßstimme: »Himmelmohrenelement, ob wohl das alte Ding nachgeben wird, daß man aus der Bude herauskommt!« Das war der Fürst; sie kannte diese Stimme zu deutlich und hörte aus den vernommenen Worten, daß er eingeschlossen sei. Ohne sich lange zu besinnen, eilte sie, so schnell es ihr die Dunkelheit gestattete, die Treppe hinab, und je weiter sie hinunter kam, desto deutlicher bemerkte sie, daß man eine Thür mit mächtigen Fußtritten bearbeite. Sie tappte sich dem Schalle nach, bis sie die Thür erreicht hatte und zog mit Anstrengung aller ihrer Kräfte die Riegel zurück. Der Schein des Lichtes fiel auf ihre Gestalt. »Alle Wetter! Mädel, wie kommst denn Du in dieses vermaledeite Loch? Na, davon später; jetzt muß ich machen, daß ich den beiden Teufelskerlen da drüben zu Hülfe komme, denn da scheint es bunt herzugehen! Wie kommt man denn aber hinab in die
Rattenfalle?« »Durch die Küche, Durchlaucht. Erlaubt, daß ich Euch führe!« antwortete Marie, noch ehe Sophie ein Wort sagen konnte. »Durch die Küche? Wie kommst denn Du dazu, das zu wissen, he?« fragte er, eilte aber, ohne eine Antwort abzuwarten, nach oben, und stand in kurzer Zeit vor dem Kleiderschranke. »Da hinein soll ich kriechen? Na, jetzt komme ich endlich, Ihr Schwerenöther, und nun sollt Ihr alle Euern Zahlaus haben!« So rasch wie möglich eilte er nach unten, stieß die angelehnte Thür auf und – blieb erstaunt unter derselben stehen. Im Hintergrunde des Gewölbes lagen sämmtliche Werber gebunden auf der Erde; der Korporal war eben beschäftigt, dem Letzten derselben eine Schlinge um die Beine zu legen, während der Kutscher mit drohenden Pistolen immer noch an dem Tische stand, auf welchem die Waffen der Gefangenen lagen. Es war augenscheinlich, daß die Angeworbenen, ihren Vortheil erkennend, bei der Ueberwältigung derselben geholfen hatten, und auch Hans schien nicht ganz müßig gewesen zu sein, denn er stand vor Einem der Gefesselten und hielt ihm eben die erbauliche Rede: »Sieht Er's nun ein, he? Wie Du mir, so ich Dir! Wir wollen Ihm schon lehren, bei nächtlicher Weile ehrlichen Leuten auf den Wagen zu springen, um sie unter's Militair zu stecken! Das ginge wohl, wenn's blos hieße: wie Du mir, aber es geht nicht, weil's auch heißt: so ich Dir!« Die Arbeit war also hier vollständig gethan, und Leopold konnte sich nicht enthalten, in die anerkennenden Worte auszubrechen: »Kerls, habt Ihr denn den leibhaftigen Satan im Leibe, daß Ihr zu Zweien Euch in diese Räuberhöhle wagt? Das ist doch ein Stück, wie's nur so im Buche steht. Na, es soll Euch auch angerechnet werden! Nauheimer, Er mag einmal hier zur Wache zurückbleiben; Er aber« – damit wandte er sich an den Kutscher – »Er aber bringe mir einmal den Habermann herauf in die Stube und auch den – den – na, den Menschen, der dort an der Wand lehnt. Muß einmal ein Wörtchen mit ihnen reden, und die Andern werden schon auch noch an die Reihe kommen!« Als er in die Küche trat, fand er die beiden Mädchen vor, welche mit Spannung auf den Ausgang des Abenteuers gewartet hatten. Marie trat zu ihm heran. »Verzeihung, Durchlaucht, daß ich vorhin keine Zeit fand, zu
melden, daß sächsisches Militair das Wäldchen unweit des Dorfes besetzt hält.« »Woher weißt Du das?« »Ich stand Wache und hörte dem Gespräche zweier Offiziere zu.« »Wache gestanden? Blitzmädel, an Dir ist ein Grenadier verdorben, und der Herrgott mag's einmal bei mir verantworten, wenn ich hinauf komme, daß er Dich in den Unterrock gesteckt hat. Und zwei Offiziere waren es, sagst Du? Da ist die Mannschaft zahlreich, und wir müssen die Ohren spitzen. Was sprachen sie?« Sie theilte die belauschte Unterredung mit. »Da wären wir wenigstens einen Augenblick vor der Ueberrumpelung sicher und –« Er hielt mitten im Satze inne und eilte in die Stube, denn draußen vor dem Hause hatte sich Pferdegetrappel hören lassen. Noch hatte er die in den Flur führende Thür nicht erreicht, als dieselbe haftig geöffnet wurde und ein Dragoneroffizier eintrat, hinter welchem noch mehrere Uniformen zu erblicken waren. Den Fürsten erkennend, salutirte er: »Eingetroffen nach Befehl, Excellenz!« »Gut, gut, schön, schön! Aber wo ist denn der Gallwitz?« »Ist mit der Escadron noch Etwas zurück; schickte mich nur vor, um zu recognosciren; mußte vorsichtig sein, wußte nicht, um was es sich handle.« »Ja, der Gallwitz ist ein verständiger und umsichtiger Soldat. Mache Er sich's einstweilen bequem hier, schicke aber vorher einen Seiner Leute retour, den Gallwitz zu führen. Alles Geräusch vermeiden; fünfhundert Schritt entfernt vom Hause halten!« Schon seit einigen Minuten war der Kutscher mit Habermann und Polenz aus dem Keller gestiegen. Marie hatte ihm sofort die dem Fürsten gemachte Mittheilung wiederholt, und als er jetzt die letzten Worte desselben vernahm, trat er vor. »Erlaubt, Durchlaucht, daß ich gehe; kenne mich hier besser aus als diese Leute, die soeben erst hier angekommen sind!« »Da hat Er recht. Melde Er mir's sofort, wenn die Blauen eingetroffen sind!« Der Kutscher ging; aber anstatt sich direct nach der Straße zu wenden, trat er zu dem fürstlichen Jagdwagen, auf welchem der Getreidehändler gekommen war, hob den Sitz in die Höhe und
entnahm dem darunter befindlichen Kasten ein Packet. »Es war doch gut, daß ich für alle Fälle meine Uniform einpackte. Jetzt mag vorerst der Kutscher in den Kasten gehen, und dann – ja dann wollen wir den Sachsen auf den Hals, ohne daß wir den Alten erst lange um guten Rath fragen!« murmelte er leise. – – – Erst als die Thür sich hinter dem Fortgehenden geschlossen hatte, bemerkte Leopold die Mamsell, welche noch immer gefesselt und geknebelt auf ihrem Stuhle saß. »Alle guten Geister,« rief er, »das ist ja die alte Meerkatze, die mich – na, das ist nicht für Jedermanns Ohren! Nehmt ihr doch 'mal die Schürze von der Nase und bindet den Drachen los!« Als diesem Befehle Folge geleistet war, fragte er: »Jetzt sage Sie 'mal, wer Sie hier so vortrefflich festgenagelt hat; aber mache Sie's kurz!« »Wer denn anders, als Euer Kutscher!« antwortete sie, ihren Ingrimm bemeisternd, da sie sehr wohl bemerkte, daß hinter dem Getreidehändler doch wohl etwas Anderes stecke. Zudem fühlte sie sich nur gar zu wohl schuldig, und dieses Gefühl machte sie gefügiger, als sie es sonst gewesen wäre. »Das ist doch ein ganz verteufelter Himmelhund!« rief er wohlgefällig. »Jetzt bleibe Sie ruhig sitzen; wir werden nachher schon sehen, was für Fett sich noch aus Ihrem Leichnam braten läßt. Ah, da ist ja auch der Habermann! Komme Er doch 'mal näher, mein Lieber!« Diese Worte waren mit jener eigenthümlichen Freundlichkeit gesprochen, hinter der sich immer ein Gewitter verbarg. Der Handelsmann trat zögernd herbei. »Warum ist Er niederträchtiger Millionenschwede – ach, alle Wetter!« unterbrach er sich hier, indem ihm erst jetzt das Eintreffen der Dragoner wunderbar vorkam, da Habermann doch jedenfalls nicht nach Halle gekommen war. Mit Spannung fuhr er deshalb fort: »Wie kommt Er denn hierher nach Bitterfeld?« »Weil mich die Werber gefangen nahmen, Durchlaucht.« »So. Schämt Er sich denn nicht bis über die Waden hinunter, daß Er sich von solchem Gelichter hat übertölpeln lassen – und noch dazu in meinem Rocke, Er Hallunke? Eigentlich sollte ich Ihn ganz gewaltig durchfuchteln lassen, versteht Er mich, he? Aber Er wird Seine Strafe auch so schon haben. Und was hat Er denn mit meinem Zettel angefangen?«
»Den habe ich einem Manne gegeben, der mir unterwegs begegnete. Er ging nach Halle.« »Was? Einem Manne? Hat Er ihn denn gekannt?« »Nein.« »Nicht? Also dem Ersten Besten übergiebt Er so mir nichts, dir nichts eine Ordre von mir – wo so viel auf dem Spiele steht, Er Mohrenbraten Er – – –!« Da kam ihm plötzlich ein Gedanke. Konnte das wohl vielleicht gar der Wolstraaten gewesen sein? Wahrscheinlich war es, und bei dieser Vorstellung lachte er ingrimmig in sich hinein; dann meinte er drohend: »Wenn der Zettel nicht abgegeben worden ist, so hat Er's mit mir zu thun, und wird sehen, was es Ihm einbringt! Was hat Er denn eigentlich in Bitterfeld zu suchen gehabt?« Der Gefragte schwieg, an allen Gliedern zitternd. »Er mag immer schweigen! Weiß doch, daß Er dort das Goldfischchen hat wegangeln wollen für Seinen albernen Buben, aber da wird ihm der Henker 'was braten. Das Mädel ist versehen, und der Nauheimer ist ein Kerl, der Meriten hat und meine Connexion obendrein. Setze Er sich. Die Angst ist Ihm ja in die Beine gefahren, wie einem Storche der Schinken!« Polenz lehnte während dieser Scene auf einem Stuhle. Die Besinnung war ihm wenigstens soweit zurückgekehrt, daß er das um ihn Vorgehende wie im Traume sah und hörte. Die Stimme des Fürsten klang ihm wie die Posaune des jüngsten Gerichtes in die Ohren, und als dieser befahl: »Jetzt bringt mir nun den Menschen dort einmal her!« war es ihm grad', als sei er an eine Kanone gebunden und erwarte in furchtbarer Todesangst den vernichtenden Schuß. Je näher er wankenden Schrittes herbeitaumelte, desto grimmiger wurde das Gesicht Leopolds. Dieser schien den Maleficanten mit dem Auge durchbohren zu wollen und vor Zorn nach Worten ringen zu müssen, bis er endlich, ganz gegen seine Gewohnheit, kurz und kalt befahl: »Schafft mir das Subject aus den Augen! Das Jammerbild ist ja keines Wortes werth. Aber den Hut mag er auf dem Hirnkasten behalten, bis man ihm das Standrecht hält!« Eine ganze Weile schritt er, mit seiner Aufregung kämpfend, in der Stube auf und ab. Endlich wurden seine Züge milder und milder, und mit einer kurzen Schwenkung blieb er vor Marie von Naubitz
stehen. »Höre, Mädel, da hätte ich alter Isegrimm bald einen dummen Streich gemacht und Dich an einen Mann gehängt, der – na, ich will mich nicht wieder ärgern! Wir wollen uns die Sache mit dem Platen noch einmal überlegen. Habe viel von ihm gehört, sehr viel Gutes und Schönes – soll ein ganz wahrhaftiges Extractum von allen Offizierstugenden sein! Und Du selbst bist ja heut' auf dem Damme gewesen trotz eines Pulverfressers und hast mich aus der Teufelshöhle herausgeholt, in die mich dort das alte Schüreisen – na, warte nur,« unterbrach er sich, wieder zornig werdend, »nennt mich dieses traurige Weibsbild einen alten Cyperkater! Ich werde Sie, Mamsell Rosine Kachelmüllerin oder Schachtelbergerin, becypern, daß Sie bis an Ihr seliges Ende an dem Kater herumkauen soll!« Vielleicht hätte er der alten Jungfer eine etwas längere Rede gehalten, wäre jetzt nicht zum zweiten Male draußen das Stampfen von Rosseshufen laut geworden, und zwar in einer Weise, welche auf eine zahlreiche Abtheilung schließen ließ. Wüthend eilte der Fürst nach der Thür. »Wahrhaftig, da bringt mir der Kerl die ganze Truppe bis an die Nase hergeschleppt, und dabei machen die Leute einen Scandal, daß die Kurfürstlichen taub sein müßten, wenn sie es nicht hörten. Das wird uns den ganzen Coup verderben!« Er befand sich wieder in vollem Zorne und herrschte, als jetzt der Eingang sich öffnete, dem Einen der beiden Eintretenden zu: »Alle Tod und Teufel, Rittmeister, was fällt Euch denn ein, mit solchem Spectakel mir in das Haus zu fallen, wenn ich befohlen habe, daß Ihr fünfhundert Schritt von hier Posto nehmen sollt? Nun sind uns die Sachsen futsch, die ich haben wollte!« »Excellenz erlauben zunächst, diesen Mann abzuliefern!« erwiederte der Angeredete, indem er seinen Begleiter vorschob. Es war ein in Civil gekleideter Mann, in dessen Mienen die Angst und Furcht mit größter Deutlichkeit zu lesen waren. »Wer ist's?« »Der Bäcker Wolstraaten.« »Aha, ist er von seinem Spaziergange nach Halle zurück? Habe jetzt aber keine Zeit, mich mit dem Landesverräther zu befassen. Setzt ihn dorthin neben seine alte Mamsell Schatulle!« »Sodann habe ich Excellenz diese Allerhöchste Zuschrift zu
überreichen. Kam aus Berlin und ist so pressant, daß sie mir sogar für die gegenwärtige Excursion anvertraut wurde, um baldigst in Eure Hände zu gelangen.« »Na, da gebt 'mal Licht her!« Er trat zum Tische, brach das Königliche Siegel auf, entfaltete das Schreiben und versuchte, sich den Inhalt desselben anzueignen. Lange wollte es ihm nicht gelingen; endlich aber legte er es mit einer Miene des Triumphes wieder zusammen. »So, da ist der alte Dessauer wieder 'mal gescheidter gewesen, als all' die hochgelehrten Herren Federfuchser. Kinder, morgen marschiren wir; der Teufel geht wieder los. Mein guter Special, der liebe Herr Minister von Brühl, hat wieder 'mal 'nen Affen geheckt, der ihn in die eigenen Augen kratzen wird. Der alte Blutsauger kann das Schlabbermaul nicht halten und hat sich selbst verrathen. Also morgen geht's auf Leipzig los, und der Herrgott mag seine Englein trommeln und pfeifen lassen, daß es uns nicht am Siege fehlt! Es wird ja doch wohl die letzte Campagne sein, die Euer alter Leopold mit Euch unternimmt,« setzte er mit milder werdendem Tone hinzu, »und da wollen wir denn noch einmal zeigen, daß wir noch Kalk in den Knochen haben! Was nun das Neueste dabei ist, der Rittmeister Curt von Platen wird mir als Adjutant beigegeben. Der Fritz in Berlin will's so, und mir kann's auch recht und lieb sein! Aber nun hinaus zu den Sachsen, wenn sie uns, wie gesagt, nicht futsch sein sollen!« »Excellenz, die Sachsen sind uns nicht futsch; wir haben sie schon!« »Ihr habt sie? – – Wo denn, he?« »Draußen vor dem Hause.« »Vor dem Hause? Gefangen? Alle Hagel, wie ist denn das zugegangen?« »Der Rittmeister von Platen, welchen uns Excellenz entgegenschickten –« »Platen? – Entgegenschicken? Bei Euch rappelts wohl?« Der Gefragte wurde der Antwort überhoben, denn es öffnete sich wieder die Thür und ein Offizier in der kleidsamen Tracht der Ziethenhusaren trat ein, nahm drei Schritte vor dem Fürsten Stellung und meldete: »Fertig mit den Kurfürstlichen, Durchlaucht. Alle gefangen!« »Potz Schwe– – –«
Das Kraftwort blieb dem alten Helden im Munde stecken. Auf's Höchste erstaunt, trat er einige Schritte zurück und beguckte sich mit aufgerissenen Augen den Mann, der sich mit solcher Eleganz vorzustellen wußte. »Ist denn heut' die ganze Welt aus Rand und Band gefahren, daß Er Himmelsackermenter es wagen darf, als Leibkutscher sich – –« Wieder hielt er vor erneutem Erstaunen mitten in seiner Strafpredigt inne, denn Marie von Naubitz trat zu dem Husaren, legte ihre Hand auf den Arm desselben und sprach: »Der Herr Rittmeister von Platen, Excellenz!« »Wa–wa–wa–was? Da ist ja heut' eine förmliche Revolution gegen mich! Also Er ist der Tausendschwerebretter, der so viele schöne dumme Streiche gemacht hat und nun jetzt gar dieses Mädel da zur Frau nehmen will? Und da hat Er sich gestern wohl nur deshalb bei Mutter Röse eingeschlichen, um mir so hinten herumzukommen und mich auf Seine Seite zu kriegen? Und den Kutscherrock hat Er angezogen, Er, ein Offizier, der doch Ehre im Leibe haben sollte und Reputation und Ambition und wie das welsche dumme Zeug alles noch heißen mag! Da schlage doch der Teufel d'rein! Daraus wird Nichts, rein gar Nichts. Na, wartet nur, Ihr Heidenvolk, Ihr sollt mir alle sammt und sonders, wie Ihr dasteht – und auch die da unten in den Kellerlöchern – mit nach Halle, und da wird ein Jeder Das bekommen, was er verdient hat, nämlich – – –« »Der Nauheimer seine Sophie!« ertönte es herzhaft aus dem Hintergrunde, wo der Korporal auf einen kurzen Augenblick erschienen war, um sein Mädchen beim Halse zu nehmen. Er hatte es unten bei den Gefangenen doch nicht länger aushalten können und war nach oben gestiegen, wo es ihm vielleicht möglich war, ein kleines Wörtchen für sein Glück einzulegen. »Maul gehalten, Er vorwitziger – – ja so, Er war's wohl selber, Korporal? Da will ich Nichts dagegen haben; also, der Nauheimer seine Sophie, und – und – und –« »Der Platen – –« lachte muthig der Husarenrittmeister. »Seine Marie!« ergänzte die Pathin des Fürsten, bittend zu diesem aufblickend. »Ja ja, da darf man nur sagen: und – und – und –« »Der Habermann seinen Hans!« machte sich eine halblaute Stimme bemerklich. »Das ginge wohl, denn Habermann bleibt
Habermann, und das geht auch, denn der Hans bleibt auch der Hans!« »Will Er dahinten wohl gleich seinen Schnabel zumachen! Glaubt Er wohl, Er dummer Hans, daß ich mich nur wegen ihm herstelle und dreimal ›und – und – und‹ schreie? Na« – wandte er sich wieder an die beiden jungen Leute, welche erwartungsvoll vor ihm standen – »da greift meinetwegen zu! Aber zur Beichte sollt Ihr mir noch sitzen, und zwar ganz gehörig, denn ich muß Alles wissen, was ich jetzt noch nicht erfahren habe, und wenn ich dann zufrieden bin mit dem Herrn Rittmeister, so wird er sich auch nicht zu beklagen haben über – hahahaha – über den Zwie–wie– hahahaha – wie–wie–wiebelhändler von gestern!«
Die drei Feldmarschalls Bisher noch unbekannte Episode aus dem Leben des »alten Dessauers« von Emma Pollmer
I. Es war eine schlimme Zeit für Deutschland und ganz besonders auch für die Bewohner der brandenburgisch-hannöverschen Grenze. Friedrich der Große hatte gegen Maria Theresia von Oesterreich losgeschlagen; Kurfürst Georg August von Hannover, der als Georg II. auch König von Großbritannien war, hielt es als Reichsfürst und Garant der Pragmatischen Sanction für seine Pflicht, gegen Preußen Front zu machen; darum erhielt der Feldmarschall Fürst Leopold von Anhalt-Dessau von Friedrich die Ordre, Brandenburg gegen einen Einfall Georg's zu schützen, und legte längs der Scheidelinie zwischen den beiden Ländern seine »Buntröcke« auf die Lauer, die, in einer langen Kriegsschule gestählt und abgehärtet, nichts sehnlicher wünschten, als hinüberstürmen und neuen Ruhm zu dem alten erwerben zu dürfen. Leider ging dies nicht so schnell, als sie es erwarteten. Der Befehl lautete nicht auf Offensive, sondern nur auf den Schutz der Grenze; Leopold durfte also nicht, wie er gern wollte; das wußten die Hannoveraner sehr wohl, und darum fühlten sie sich sicher, blinzelten lustig hinter den Marksteinen herüber, huschten zuweilen auch etwas weiter, als es rathsam war, in das feindliche Gebiet hinein und trieben dabei allerlei Schabernack, der ganz geeignet war, die Geduld der Preußen auf eine harte Probe zu stellen. In der an der Löcknitz und ungefähr eine halbe Stunde von der Elbe gelegenen Stadt Lenzen im Kreise Westpriegnitz des Regierungsbezirkes Potsdam war heute Wochenmarkt, und die Bauern der Umgegend strömten schon am frühen Morgen herbei, um den Erlös für ihre Feld- und Gartenfrüchte zum Ankaufe derjenigen Nothwendigkeiten zu verwenden, welche ihnen auf ihren Dörfern nicht geboten wurden. Sämmtliche Gasthöfe und Schänkwirthschaften des Ortes waren stark besucht, nirgends aber waren die Tische so dicht besetzt, wie in dem »blauen Stern«, wo die Landbewohner am liebsten verkehrten, weil Fährmann, der Wirth, stets für ordentliche Stallung und gutes Futter sorgte, alle Neuigkeiten zu erzählen wußte und neben den besten Speisen und Getränken auch Dieses und Jenes zum Vorscheine brachte, was einem klugen und verschwiegenen Manne von Nutzen sein konnte. Er stammte aus dem
Hannoverschen Lüchow, hatte noch viele alte Beziehungen über die Grenze hinüber und galt unter seinen näheren Bekannten für einen Mann, dem die berühmte Streusandbüchse des heiligen römischen Reiches deutscher Nation nicht gar sehr an das Herz gewachsen sei. In der hintersten Ecke der Schänkstube, da, wo der Familientisch des Gastgebers stand, saß ganz allein eine kurze, dicke Gestalt, welche mit gelangweiltem Blicke den Bewegungen Fährmann's folgte, der es sehr eilig hatte, die zahlreichen Gäste zu befriedigen. Schon einige Male hatte er beruhigend herübergewinkt oder im Vorbeistreifen ein halblautes »Ich komme gleich!« gerufen, war aber zu sehr in Anspruch genommen, um bald Wort halten zu können. Da endlich erhob sich der Dicke, griff nach Stock und Kopfbedeckung und rief: »Wirth, bezahlen!« Da holte Fährmann seine Frau zur Stellvertretung aus der Küche und trat dann herbei. »Ist's denn gar so eilig zumal?« zürnte er laut. »Könnt' doch wohl warten, bis man die Hand frei hat!« Leise aber setzte er, das Geld in Empfang nehmend, hinzu: »Hast Neuigkeiten?« »Ja.« »Geh' in die Scheune, da ist's sicher! Ich komm' gleich nach.« Der Dicke verließ grüßend die Stube. Fährmann ließ einige Minuten vergehen, ehe er ihm durch die Küche folgte. Kaum aber hatte er die Thür hinter sich, so bewegte sich auf dem Kanapee hinter dem Tische eine Gestalt, welche bisher laut schnarchend dort gelegen hatte, rieb sich gähnend die Augen, erhob sich langsam und unsicher und stolperte dann wie noch halb schlaftrunken durch die Reihen der Gäste hinaus auf den Flur. Dort angekommen, sah sie sich vorsichtig um. Es war ein junger, hochgewachsener und breitschulteriger Mann von ungewöhnlich kräftiger Körperbildung. Er sah sich unbeobachtet. Sofort verschwand der schläfrige Ausdruck aus seinem Gesichte, die munteren Augen leuchteten befriedigt auf; mit einigen raschen Schritten trat er in den Hof und von da in den Pferdestall. Er schien zu wissen, daß dieser durch eine wenig oder gar nicht gebrauchte Thür mit der Scheune in Verbindung stand. Es befand sich kein Mensch im Stalle. Leise und vorsichtig zog er die Thür auf und lauschte. Ein kaum vernehmliches Geflüster überzeugte ihn, daß die heimliche Unterredung auf der Tenne
stattfand und er also ungesehen in denjenigen Theil der Scheune, der von der Tenne gewöhnlich durch eine Breterwand getrennt wird und den Namen Pansen zu führen pflegt, treten konnte. Er that es, zog die Thür hinter sich zu und schlich sich mit unhörbaren Schritten an den Verschlag, hinter welchem die Beiden standen. Er konnte jedes Wort vernehmen. »Hier hast Du das Geld, Fährmann! Einundzwanzig Thaler für einundzwanzig Recruten, die Du uns zugeschwenkt hast. Zähle sie durch; es geht im Finsteren.« Das Scheunenthor war geschlossen, so daß es ziemlich dunkel in dem Raume war. Ein leises, silbernes Klingen ließ sich vernehmen; dann klang die gedämpfte Stimme des Wirthes: »Das Geld ist richtig. Soll ich fortfahren mit der Sendung?« »Das versteht sich! Der Major von Zachwitz, der auf dem Schlosse liegt, ist sehr zufrieden mit den Kerls, die er von Dir bekommen hat. Er will mehr haben und zahlt gern zwei Thaler für den Kopf, die wir dann theilen, Du und ich. Das ist ein gutes Geschäft, von dem wir, wie es eingerichtet ist, keinen Schaden, sondern nur Gewinn haben können. Am liebsten sind ihm natürlich ausexercirte Leute, für die er das Doppelte bietet. Kannst Du denn nicht zuweilen auch so etwas schicken?« »Will's versuchen; wir haben ja zumal die ganze Stadt jetzt voll solcher Kerls, denen es gar nichts schaden kann, wenn sie des Königs Rock mit dem kurfürstlichen vertauschen.« »Und was ich Dir noch sagen muß: Könnten wir zuweilen einen Officier im Stillen kapern, so gäbe es ein Gaudium, von dem Dein Beutel auch seinen Theil bekommen würde. Man kann so einen Herrn zwar nicht in der Weise zur Verwendung bringen wie einen Gemeinen, aber gefangen ist er doch und wird gezwungen, Neutralität zu schwören.« »Das geht nicht, Hämmerlein. Ich kann doch unmöglich einen Officier mit einem Auftrage zu Dir über die Grenze hinüberschicken. Ich möchte nur sehen, wie der mich zumal andonnern würde!« »Hast Recht; aber geht's nicht so, so geht's auf andere Weise. Es schleichen genug dieser Herren die Grenze auf und ab, um die Patrouillen zu überwachen und zu recognosciren, wie sie's nennen. Wie Du es anfängst, das ist Deine Sache, aber Du könntest sicher Manches erlauschen und uns sofort Nachricht senden. Meinst Du
nicht?« »Hm, will's versuchen. Die Hauptsache ist, daß es auch etwas abwirft!« »Darüber mach' Dir nur keine Sorgen. Und überdies solltest Du schon um der Anna willen gut zu mir halten. Sie ist das einzige Kind, und Dein Ludwig findet sicher im ganzen Lande keine bessere Gelegenheit.« »Das möchte ich gelten lassen; aber das Mädchen scheint sich zumal nicht viel aus ihm zu machen. Der Bellheimer, oder wie der Mensch heißt, liegt ihr im Kopfe.« »Laß dies gut sein, Fährmann. Ich will ihr den preußischen Wachtmeister schon versauern, daß ihr der Appetit nach ihm vergeht! Sie ist ja sonst nicht ohne Verstand und Ansicht und wird sich gewiß noch geben.« »Ist er denn gar so ein ansehnlicher Kerl, daß er einem Mädchen wie der Anna den Sinn so ganz und gar verdrehen kann?« »Hübsch ist er, das muß man ihm lassen; lang, breit, stark wie ein Goliath und dazu zehntausend Teufel im Leibe. Er soll auch beim alten Dessauer gewaltig gut angeschrieben sein und zu allerlei Dienst benutzt werden, wozu Muth und Körperkraft erforderlich ist. Das hat er Beides in gutem Maße und ist noch obendrein schlau und listig wie ein Fuchs, das habe ich ja selbst schon oft erfahren.« »Wieso?« »Ja, das ist ja eben mein Aerger. Denke Dir nur, er weiß, daß ich ihm nach dem Leder trachte, und kennt auch die sonstigen Gefahren sehr genau, die es drüben für ihn giebt, und doch wagt er sich öfters hinüber, wo er dann nicht nur hinter meinem Rücken mit dem Mädchen schamerirt, sondern oft auch so dreist ist, bei mir einzukehren und ein Bier zu verlangen.« »So laß ihn doch festnehmen! Das gäbe zumal gleich einen Ausexercirten und schaffte ihn Dir sofort vom Halse.« »Das ist bald gesagt, aber nicht so leicht gethan, wie Du denkst. Er ist so stark, daß er es mit einem halben Dutzend kräftiger Kerls gern und gut aufnimmt, und kommt nur dann herein, wenn er sicher ist, keine Uebermacht zu finden. Schicke ich dann heimlich nach Succurs, so ist er plötzlich fort wie weggeblasen, und ich habe den Aerger und das Nachsehen.« »So laß ihn doch verfolgen, zumal er doch nicht verschwinden kann!«
»Hab's öfters versucht, hilft aber nichts, denn er ist in Wustrow zu Hause und kennt die Gegend wie seine eigene Tasche. Ist er einmal fort, so will ich Den sehen, der ihn findet! Ein einziges Mal nur ist er von einem Corporal und noch Zweien auf dem Heimwege gefaßt worden. Und was war die Folge? Er hat die Drei durchgebläut, daß ihnen der Verstand vergangen ist, und sie dann mit ihren eigenen Waffen vor sich her und über die Grenze getrieben, wo man sie in preußisches Tuch gesteckt hat.« »Da ist er ja ein ganz verteufeltes Subject, zumal ich ihn wahrhaftig einmal sehen möchte! Aber jetzt muß ich hinein. Hast Du noch etwas zu sagen?« Der Lauscher fand es gerathen, sich jetzt zurückzuziehen. Er schlug denselben Weg ein, welchen er gekommen war, gelangte glücklich wieder in den Flur und trat mit verschlafenem Gesichte in die Stube, wo er einen müden Schluck aus seinem Glase nahm und dann wie vorhin in abgewendeter Lage, und das Gesicht unter die vorgeschützte Hand verbergend, sich auf das Kanapee streckte. Der bald zurückkehrende Wirth schenkte ihm nicht die mindeste Aufmerksamkeit; er war gewohnt, dergleichen verschlafene Gesellen bei sich zu sehen, und hatte mit den anderen Gästen genug zu thun. Da öffnete sich die Thür, und es trat ein Mann ein, der mit raschem Blicke den Raum überflog und den hintersten Tisch als einzigen erkannte, an dem noch Platz zu finden war. Mit langen Schritten wand er sich durch die Menge der Gäste und ließ sich auf demselben Stuhle nieder, den der geheimnißvolle Dicke vorher eingenommen hatte. Die Anwesenden konnten nicht umhin, ihm ihre Aufmerksamkeit zu schenken, deren Grund in der überraschenden Aehnlichkeit lag, welche er mit dem Wirthe hatte. Beide waren lang und hager, aber sehnig gebaut; Beide hatten die Sechzig jedenfalls überschritten, trugen denselben dunkeln Schnurrwichs und konnten infolge ihrer beiderseitigen Gesichtszüge leicht für Brüder gelten. Der neu Angekommene trug einen blauleinenen Kittel, hatte eine dickstielige Lederpeitsche über die Schulter geschnallt und mußte zu so früher Tageszeit schon einen ansehnlichen Weg zu Fuße zurückgelegt haben, denn die wohlgeschmierten Aufziehstiefel, welche die ganze Länge seiner Beine bedeckten, waren bis über die Kniee herauf mit Staub und Schmutz bedeckt.
»Heda, Wirthschaft,« rief er, als er nicht sofort nach seinem Begehre gefragt wurde, »soll man etwa hier im ›blauen Stern‹ verdursten?« »Nur sachte da hinten,« antwortete Fährmann, »oder glaubt Er vielleicht, daß ich nur auf Ihn gewartet hab'?« »Raisonnire Er nicht, sondern spute Er sich ein wenig, daß ich einen Krug Frisches bekomme!« Bei dem Klange dieser tiefen, dröhnenden Stimme war der auf dem Kanapee Liegende zusammengezuckt, hatte aber seine Stellung ruhig beibehalten. »Da hat Er Sein Bier,« meinte Fährmann, den Krug vor den Gast hinstellend, »und nun wird Er wohl zufrieden sein!« »Wenn der Trunk gut ist, ja, sonst aber kann Er Seine Brühe selber trinken!« Er kostete, schnalzte wohlgefällig mit der Zunge und leerte dann das Gefäß in einem Zuge. »Noch einen!« befahl er schmunzelnd. »Nun, schmeckt's?« »Besser als man es bei Ihm denken sollte!« Fährmann holte das Verlangte und nahm sich dann Zeit zu einigen neugierigen Fragen. Der Unbekannte schien ihm Interesse einzuflößen. »Er muß schon weit gelaufen sein, daß Er einen solchen Durst hat. Man sieht es auch an Seinen Stiefeln. Woher des Wegs, he?« »Weither!« »So, da ist man zumal so klug wie zuvor! Und wohin die Reise?« »Weiterhin!« »Sackerment, Alter, Er ist verteufelt kurz angebunden!« »Kann Ihm nichts schaden!« »Meint Er? Ihm wär's vielleicht auch mehr von Nutzen, wenn Er zumal auf eine gut gemeinte Frage etwas reputirlicher antwortete. Man sieht und hört es Ihm doch gleich an, womit Er umgeht!« »Ach? Nun, womit denn?« »Doch nur mit dem lieben Vieh!« »Da hat Er Recht, denn g'rad eben jetzt habe ich diesen lieben Umgang. Er ist ein großer Scharfsinn, höre Er!« »Pah! Wer täglich einige Hundert Gäste bei sich sieht, der kennt den Viehhändler schon auf eine halbe Stunde weit. Er will wohl
nach der Lenzerwische, um Pferde oder Rinder einzukaufen?« »Fällt mir gar nicht ein! Habe eine ganze Heerde in Perleburg losgeschlagen und will nun ledig hinüber nach Clenze, wo ich zu Hause bin,« antwortete er mit einem eigenthümlichen Zucken der Bartspitzen. »Da ist Er also ein Hannoveraner?« fragte Fährmann, indem er sich einen Stuhl herbeizog und seinem soeben eingetretenen Sohne ein Zeichen gab, sich einstweilen der anderen Gäste anzunehmen. »Und in Clenze daheim? Da stammen wir ja gar nicht weit auseinander, denn meine Heimath ist Lüchow. Hat Er einen guten Paß, um zumal unangefochten durch die Sperre zu kommen?« »Paß? Hm, woher soll ich ihn haben? Werde schon auch ohne ihn hinüberkommen!« »Da täuscht Er sich gewaltig!« Er senkte den Kopf etwas tiefer herab, um von keinem Anderen gehört zu werden, und flüsterte, nachdem er sich mit einem Blicke auf das Kanapee überzeugt hatte, daß der dort Liegende fest schlafe: »Wäre Er eher gekommen, so hätte sich Ihm eine gute Gelegenheit geboten, glücklich zu passiren.« »Wieso?« »Es war Einer da bei mir, der alle Schliche kennt und Ihn gern mitgenommen hätte. Ich sage Ihm das, weil Er mein Landsmann ist und den Potsdamer Flötenspieler gewiß auch nicht leiden mag.« »Hm, Er ist ja ein ganz verflucht guter Patriot! Wer ist es denn, der hier gewesen ist? Vielleicht ist mir der Mann auch bekannt; ich kenne die Sorte, zu der er gehört, so ziemlich genau.« »Wirklich? Ja, die Kurfürstlichen sind brave Leute und halten immer sehr gut zusammen. Ich kann Ihn gleich einmal auf Seine politische Meinung prüfen, und wenn Er den Mann kennt, den ich zumal meine, so darf man Vertrauen zu Ihm haben. Es ist ein Gastwirth aus einem Orte an der Zehre. Nun?« »Himmelelement, wohl gar der Hämmerlein aus Gartow, he?« »Wer soll's denn anders sein? Er kennt ihn? Woher denn, wenn ich fragen darf?« »Hm, ich weiß nicht, ob ich es Ihm sagen kann!« »Warum denn nicht, he?« »Weil's gefährlich ist. Der Hämmerlein hat so ein kleines Geschäft mit Leuten, die für einen hübsch gewachsenen Burschen immer ein gutes Auge haben, und ich bin gar oft – hm, versteht Er
mich?« »Vollkommen. Und da es so steht, will ich Ihm einen Weg beschreiben, auf dem er bequem hinüberkommt, ohne belästigt zu werden.« Er griff in die Tasche und versuchte, seine Beschreibung durch eine auf die Tischplatte geworfene Zeichnung anschaulicher zu machen, die er mit der Kreide so geläufig ausführte, daß man bemerken mußte, er sei den betreffenden Weg schon oft selbst gegangen. »So! Nun ist Er sicher, daß Ihm die Leute des alten Grobians nicht in die Quere kommen.« »Des alten Grobians? Wen meint Er denn da?« »Nun, den Dessauer, der voller Flüche und Grobheiten steckt, wie der Hund voller Flöhe.« »Ach so,« klang es unter dem gewaltig zuckenden Schnurrbarte hervor. »Wenn Er ihn so gut kennt, so nehme Er sich nur in Acht, daß Er ihm nicht einmal in die Tatzen läuft, denn dann kann Er sehen, was so ein Floh für eine heillose Creatur ist.« »Pah, vor dem alten Teufelsbraten fürchte ich mich noch lange nicht.« »Gut für Ihn! Jetzt aber adjes und schönen Dank für Seinen guten Rath.« Er erhob sich, bezahlte seine Zeche und schritt zur Thür hinaus. Draußen schlug er die Richtung nach dem Marktplatze ein. Dort begegnete ihm ein junger Cornet, welcher, den einfach gekleideten und beschmutzten Mann gar nicht beachtend, sporenklirrend an ihm vorüber wollte. Mit einem raschen Griffe aber hatte er ihn bei der Achselschnur. »Halt! Front! Augen grad' aus!« commandirte er. »Sage Er mir einmal, wo der Herr Oberstwachtmeister von Dennau in Quartier liegt?« »Wer ist Er denn, Er Flegel, daß Er es wagt, einen Offic –« »Maul halten! Ordre parirt!« donnerte es da dem erzürnten Kriegshelden entgegen. »Will Er Himmelelementer mir wohl auf der Stelle meine Frage beantworten?« Die Stimme des alten Viehhändlers klang so unwiderstehlich, daß der Angeschmetterte unwillkürlich den Arm erhob und, vorwärts zeigend, in kleinlautem Tone beschied: »Dort um die Ecke, das zweite Haus links, eine Treppe!«
»Schön! Augen rechts! Rechts abgeschwenkt! Marsch!« Das an der Thür der beschriebenen Wohnung stehende Schilderhaus ließ sie als das Quartier des Platzcommandanten erkennen. Der Händler schritt an der Schildwache vorbei, stieg die Treppe empor und öffnete die erste beste Thür, die sich ihm entgegenstellte. Zwei Unterofficiere befanden sich in dem Raume, den er betrat. »Wer ist Er und was will Er?« fragte ihn der Eine mit barscher Stimme. »Ist der Herr Oberstwachtmeister von Dennau zu Hause?« »Was will Er von dem Herrn?« »Das geht Ihm wohl nichts an. Ich frage, ob der Herr Oberstwachtmeister zu Hause ist!« »Und ich frage, was –« »Will Er wohl sofort Seinen naseweisen Schnabel zuklappen, Er Tausendschwerenöther Er? Ich –« »Schnabel? Naseweis?« unterbrach in der Unterofficier, auf ihn zutretend und ihn beim Arme packend. »Sofort komme Er mit herunter auf die Wache! Ich werde Ihm den naseweisen Schnabel mit dem Stocke auf das Leder zeichnen lassen, daß –« »Was ist denn das für ein heidenmäßiger Scandal hier außen?« fragte es da mit scharfem Tone in das Raisonnement hinein. Es war der Oberstwachtmeister selbst, welcher sich in seinem Zimmer mit einigen Officieren im Gespräche befunden hatte und zornig die Thür aufriß. »Wer ist denn der Störenfried, der sich untersteht, hier in –« »Der Störenfried?« meinte der Viehhändler, indem er sich herumdrehte. »Seht ihn Euch doch einmal an, Herr Oberstlieutenant!« »Himmeldonnerw-, wollte sagen, bitte tausendmal um Verzeihung, Durchlaucht Excellenz! Konnte unmöglich wissen, daß –« »Schon gut, schon gut! Macht aber ein ander Mal die Augen besser auf, ehe Ihr schimpft.« Er trat in das Zimmer, wo ihn die ganz überraschten Herren in strammer, vorschriftmäßiger Haltung empfingen. »Guten Morgen! Habt wohl nicht gedacht, daß heute solcher Besuch nach Lenzen kommt? Na, wollte doch auch 'mal sehen, wie's hier geht und steht. Habt doch gestern meine Ordre empfangen, Herr Oberstwachtmeister, was?«
Der Gefragte stand vor ihm, die kleinen Finger an den Hosennähten und steif wie ein Ladestock. »Zu Befehl, Excellenz, ja.« »Habt Ihr den Kerl?« »Darf ich gehorsamst fragen, welchen Kerl?« »Welchen Kerl? Nun, wen anders als den Hämmerlein?« »Hämmerlein? Habe den Namen noch nie gehört. Ich bitte unterthänigst, mich zu informieren, wer –« »Hämmerlein – nie gehört – zu informiren?! Da sollen doch gleich zehn Millionen Granaten dreinschlagen! Ihr habt meine Ordre erhalten und bittet unterthänigst um Auskunft über den Hämmerlein?« »Excellenz halten zu Gnaden, ich erlaubte mir, nach Empfang der Ordre sofort den Lieutenant von Wrede in das Hauptquartier zu senden, um zu sagen, daß die Ordre –« »Wrede – Hauptquartier – Ordre? Warum schickt Ihr mir eine Ordonnanz, da ich doch geschrieben habe, daß ich heute selbst kommen werde? Ich wollte die Untersuchung in eigener Person führen und frage jetzt zum zweiten Male, ob Ihr den Hämmerlein habt!« Das Gesicht des Platzcommandanten war vor Verlegenheit hochroth geworden, und die anderen Kameraden warfen sich verstohlene Blicke zu, in denen sich die lebhafteste Besorgniß nicht verkennen ließ. »Excellenz gestatten mir gütigst,« er trat zum Schreibtische und zog ein beschriebenes Blatt aus einem dort liegenden Couvert, »um Durchsicht dieser Zeilen zu bitten!« Fürst Leopold – denn dieser war es – griff nach dem Papiere, trat an das Fenster und studirte eine ganze Weile an den schauderhaften Hieroglyphen herum, die sich seinem Blicke boten. Er war nie ein Freund und Bewunderer der edeln Schreibekunst gewesen, und Meldungen zu lesen oder gar selbst die Feder zu führen, gehörte für ihn zu den größten Strapazen des Erdenlebens. Aber so eine Schrift, wie er sie hier sah, war nach seiner Ansicht gar keine menschliche, war ihm geradezu noch niemals vor die Augen gekommen. »Was ist denn das für ein dummer Wisch, he?« fragte er endlich. »Das sieht ja gerade aus, als hätte Einer die Hände und Füße in einen Tintenbottich gesteckt und wäre dann mit allen Vieren auf
dem Papiere herumgekrochen. Und so eine heillose Sudelei wagt Ihr, mir zum Lesen zu geben!« Seine Stirnadern begannen zu schwellen, und seine Augen blitzten zornig im Kreise herum. »Da kann ja kein Mensch einen richtigen Buchstaben herausfinden. Werdet mir wohl sagen, welcher Esel das geschrieben hat?« »Excellenz, darf ich gehorsamst bitten –« »Bitten? Was denn?« »Mir zu sagen –« »Zu sagen? Was denn?« »Was diese Zeilen enthalten?« »Was – diese – Zeilen – enthalten? Seid Ihr denn verrückt geworden, verrückt Einer wie der Andere? Ich habe Euch ja gesagt, daß kein Mensch im Stande ist, unter diesen schmierigen Klexen einen vernünftigen Buchstaben zu erkennen. Oder könnt Ihr's vielleicht?« »Nein.« »Nicht! Und ich, der Fürst Leopold von Anhalt-Dessau, Feldmarschall des deutschen Reiches und Preußens, soll Schreiberdienste verrichten und Euch den schwarzen Schlamm zurechtkratzen?« Sein Zorn war in stetem Wachsen begriffen. Er trat hart an den Oberstwachtmeister heran und fragte: »Also welcher Essenkehrer hat sich auf dem Wische herumgewälzt, und was hat der Fetzen hier mit meiner gestrigen Ordre zu schaffen?« »Durchlaucht, dieses Schriftstück –« »Schriftstück? Eine Klexerei ist's! Nun also, diese Klexerei?« »Ist von Excellenz höchst –« »Alle Teufel, nur weiter! Ist von Excellenz höchst –?« »Höchsteigener Hand geschrieben worden.« Der Fürst trat einige Schritte zurück, riß vor Erstaunen den Mund weit auf und sah dem Sprecher mit starrem Auge in das angstvolle Gesicht. Es dauerte eine ganze Zeit, ehe er zu sprechen vermochte. »Ich selbst – mit höchsteigener Hand geschrieben! Mensch, Herr Oberstwachtmeister, meine Herren, wollen Sie sich über Ihren Feldherrn lustig machen? Wäret Ihr nicht Officiere, ich ließe Euch sammt und sonders auf der Stelle krumm schließen! Glaubt vielleicht Einer von Euch, daß ich nicht schreiben oder gar mein Geschriebenes nicht lesen kann?«
»Excellenz, Niemand wird wagen, so etwas auch nur leise zu denken; aber –« »Das will ich Euch Allen auch gerathen haben! Also aber –« »Aber ich bitte, gütigst die Unterschrift zu bemerken. Und hier ist das Couvert!« »Die Unterschrift? Ich unterschreibe mich doch ›Leopold‹, aber hier ist weder L, noch e, noch o zu erkennen, und das ›pold‹ ist ganz und gar in der Tinte ersoffen. Zeigt einmal das Couvert! Hmhm, – was soll denn eigentlich die Geschichte vorstellen?« »Es ist die Ordre, welche Excellenz mir gestern sendeten.« »Was? Meine Ordre ist's? Und die kann der Herr Oberstwachtmeister nicht lesen, die giebt er mir zurück, daß ich ihm sagen soll, was sie enthält? Alle Sternhagel-, Blitz und Granatensplitter, jetzt geht mir endlich einmal die Geduld flöten, jetzt steigt mir's in den Kopf, jetzt – was thue ich nur mit Euch, mit – mit –« Mit dem Zeichen der höchsten Erregung stürmte er im Zimmer auf und ab, stampfte mit den Füßen und focht mit den Armen in der Luft. »Excellenz, diese Schrift ist –« »Ist? Nun, was ist mit ihr?« »Ist durch die Hände des ganzen Officiercorps gegangen –« »Officiercorps geg– – Wa – wa – wa – was?! Des ganzen Officiercorps? Was sagt Ihr mir da? Eine Ordre, die nur an den Oberstwachtmeister von Dennau gerichtet war, ist durch die Hände – Himmel– – des ganzen – Millionen – Officiercorps gegangen – Hagelwetter! Und das nennt man militairische Discretion! Na, macht Euch gefaßt, Ihr – Ihr – Ihr –« »Und Keiner –« »Was noch, he?« »Hat sie lesen können.« »Keiner? Kein Einziger? Das wird immer toller!« »Und da der Ordre doch Gehorsam geleistet werden muß –« »Schwerebret, das ist Euer Glück, das will ich mir auch ausgebeten haben!« »So sendete ich den Lieutenant sofort in das Hauptquartier, um –« »Ach so, um den Befehl noch einmal schreiben zu lassen! Herr Oberstwachtmeister, nichts für ungut, aber – aber – aber – o, ich
gäbe gleich hundert Ducaten drum, wenn Ihr nicht Oberstlieutenant, sondern – sondern – na, da ist der Befehl also noch gar nicht ausgeführt?« »Halten zu Gnaden, nein!« »Und das sagt Ihr mir – wirklich mir? Himmelherrgott, wo nehme ich heute nur diese übermenschliche Geduld her! Gebe ich da einen Befehl – und dieser Befehl wird nicht befolgt – weil man nicht lesen kann – und nun soll ich meine eigene Ordre buchstabiren! Sagt mir doch in aller Welt, für wen sie geschrieben ist!« »Für mich.« »Gut! Wer hat sie also zu lesen?« »Ich.« »Sehr gut! Bin ich etwa der Herr Oberstwachtmeister von Dennau?« »Nein.« »Vortrefflich! War sie an mich gerichtet?« »Nein.« »Habe ich sie also zu lesen?« »Nein.« »Gut – sehr gut – vortrefflich! Merkt Euch das, Ihr Herren. Ich schreibe meine Ordres nicht für mich und habe also gar nicht nothwendig, sie lesen zu können. Wer aber eine Ordre von mir bekommt und sie nicht lesen kann, der soll – der soll – hm, ja, ich bin heute nun einmal ausnahmsweise so unendlich nachsichtig und will annehmen, daß ich gestern nichts geschrieben habe. Also sollt Ihr –« In diesem Augenblicke öffnete der diensthabende Corporal die Thür und meldete: »Excellenz entschuldigen, ich soll sagen, der Heinz ist da!« »Gut. Trete Er einmal näher!« Der Mann folgte mit niedergeschlagenen Augen dem Befehle. »Nun, Er Himmelhund, wie steht es denn mit dem naseweisen Schnabel? Will Er ihn mir denn noch auf das Leder zeichnen lassen?« »Durchlaucht – Excellenz – ich ahnte nicht – ich – ich –« »Na, jetzt kennt Er mich und wird's wohl nicht wieder machen. Hier hat Er einen Gulden, und trinke Er ein paar Krüge, um sich den Schnabel naß zu machen! Der Heinz soll eintreten!«
Der Soldat zog sich freudig dankend zurück und hielt den Eingang für einen Mann offen, der in parademäßiger Haltung hereinmarschirte, drei Schritte von der Schwelle entfernt die Fersen aneinanderschlug und mit der Hand salutirend in tiefstem Basse grollte: »Eingetroffen zur Bedienung, Dorchlaucht!« »Schön, Heinz! War eher da, als Du. Wie kommt das?« »Der alte Bagagewagen ging auseinander. Hol' der Teufel das Gerümpel, Dorchlaucht!« »Nicht raisonniren, Heinz! Laß Dir ein Zimmer anweisen! Werde bald nachkommen.« »Zu Befehl, Dorchlaucht!« Er machte Kehrt und marschirte ab. Der Fürst wendete sich wieder an die Officiere: »Meine Herren, die Kurfürstlichen werden von Tag zu Tag dreister und geberden sich gerade so, als ob wir nur zum Spaße an der Grenze ständen. Sie haben unter unseren Augen Werbestationen errichtet, die ihre Fangarme sogar herüber in das Brandenburgische strecken, und zu meinem Bedauern muß ich hören, daß Eure Wachsamkeit sich von den Galgenvögeln täuschen läßt. Es muß einmal ein Exempel statuirt werden, ein ganz gewaltiges Exempel, und darauf bezog sich die gestrige Ordre, die – die der Oberstwachtmeister sammt seinem ganzen Officiercorps nicht lesen konnte. Ich habe erfahren, daß die rührigste Station im Hause des Gastwirthes Hämmerlein zu Gartow zu suchen sei, und werde, da – da meine Ordre nicht gelesen werden konnte, die Sache einmal in die eigene Hand nehmen. Ich gehe heute nach Gartow und –« »Excellenz,« wagte Dennau, ihn zu unterbrechen, »bedenken doch gütigst die Gefahren, welche –« »Papperlapapp! Ich gehe; abgemacht und nicht gemuckst! Wenn meine Officiere sich täuschen lassen, so muß ich einmal die eigenen Augen offen halten, und überdies gehe ich in hinlänglicher Begleitung. Man lasse sofort den Wachtmeister Bellheimer von der Schwadron des Rittmeisters von Galen rufen!« »Bellheimer? Entschuldigen Excellenz, der hat heute Morgen auf zwei Tage Urlaub erhalten.« »Urlaub? In welcher Angelegenheit?« »Auch uns ist das Treiben jenseits der Grenze und besonders zwischen hier und Gartow aufgefallen, obgleich unsere
Nachforschungen leider bisher ohne Resultat geblieben sind. Bellheimer nun meldete sich gestern bei mir und versprach, der Sache ganz gewiß auf die richtige Spur zu kommen, wenn ich ihn auf zwei Tage entlassen wolle. Ich entsprach natürlich seinem Wunsche und glaube, daß er sich nun längst schon unterwegs befindet.« »Ah – hm – braver Kerl, der Bellheimer! Kenne ihn – wird Wort zu halten suchen! Werde aber dennoch meinen Plan ausführen und nun ohne Begleitung gehen, Herr Oberstwachtmeister!« »Excellenz?« »Bin ich heut' Abend punkt Neun nicht zurück, so reitet Rittmeister von Galen mit seiner Schwadron hier ab und direct nach Gartow, besetzt sofort das Schloß und den Gasthof des Wirthes Hämmerlein, wo er mich an einem der beiden Orte wohl finden wird. Verstanden?« »Zu Befehl, Excellenz; doch gestatte ich mir eine Wiederholung meiner dringenden Bitte um –« »Keinen Widerspruch,« klang es scharf und kurz: »weiß ganz allein, was ich thue!« Dann fügte er in freundlicherem Tone hinzu: »Haben die Herren schon gefrühstückt?« »Nein.« »Dann laden wir uns bei dem Herrn Oberstwachtmeister zu Gaste, doch nur auf Brod und Bier; zu Mehrerem bleibt mir nicht Zeit genug!« Der Officier war über diese Wendung der für ihn so ungünstig begonnenen Unterhaltung hoch erfreut, und bald saßen die Anwesenden in respectvoller Haltung mit ihrem Feldherrn an dem frugal besetzten Tische. An Delicatessen durfte Dennau nicht denken; er kannte den Geschmack des Fürsten. Unterdessen machte sich Heinz in dem ihm angewiesenen Zimmer mit dem wenigen Gepäcke zu schaffen, welches er für seinen Herrn mitgebracht hatte. Er war Leib- und Kammerhusar des Fürsten und eine wegen seiner derben Gutmüthigkeit und Originalität, ebenso wie durch seinen oft bewiesenen Muth nicht nur in der nächsten Umgebung des Fürsten, sondern in allen Dessauer Landen und der ganzen Armee bekannte, geachtete und beliebte Persönlichkeit. In der Stadt Dessau geboren, war er mit Leopold in den Niederlanden, am Rhein, in Baiern, Oesterreich und Italien gewesen, hatte dessen sämmtliche Feldzüge und Reisen mitgemacht
und war ihm so lieb geworden und so mit ihm verwachsen, daß er dem strengen Herrn und Gebieter gegenüber sich Manches erlauben konnte, was ein Anderer bei Leib und Leben nicht hätte wagen dürfen. Dafür war er ihm auch mit ungewöhnlicher Treue ergeben, hatte um dieser Treue willen nicht geheirathet und wäre für ihn täglich hundertmal mit Freuden in den Tod gegangen. Alle, denen der Fürst gewogen war, konnten auch auf die Freundschaft Heinrich Balzer's, wie sein voller Name lautete, rechnen, und da der Erstere schon öfters eine gewisse Gönnerschaft für den Wachtmeister Bellheimer an den Tag gelegt, so hatte auch Heinz ihn in sein altes Herz geschlossen und sich heut' gleich nach seiner Ankunft nach ihm erkundigt. Leopold war ihm in allen Stücken ein nacheifernswerthes Vorbild, und darum hielt er sich auch in seinem Aeußeren ganz seinem Herrn entsprechend. Er trug Haar und Bart gerade so wie dieser, hatte ganz dessen Gang, Haltung und Ausdrucksweise acceptirt und hätte von Einem, der wohl von dem »alten Dessauer« gehört, ihn aber noch nicht gesehen hatte, recht gut für diesen gehalten werden können. Er erzählte unendlich gern von seinen Erlebnissen und fand, wenn es keinen anderen Zuhörer gab, für seine Geschichten doch stets zwei willige Ohren – seine eigenen, denen er stundenlang mit einem Eifer, als hätte er einen zahlreichen Hörerkreis um sich, vorplaudern konnte. Und ebenso war es eine seiner Haupteigenthümlichkeiten, daß er nie Durch laucht sagte, sondern ein- für allemal das u in ein o verwandelt hatte. Jetzt befand sich der zweite diensthabende Corporal bei Heinz, um ihm beim Ordnen der mitgebrachten Bagage hilfreich an die Hand zu gehen. »Also der Bellheimer ist wirklich auf Urlaub?« »Ja, zwei Tage.« »Weiß Er vielleicht, weshalb?« »Nein.« »Hm, ja, er macht nie viele Worte, der brave Junge. Mordelement, hab' ihn fast ein wenig lieb und hätte ihn fürs Leben gern einmal wiedergesehen! Kann Er mir wohl sagen, ob der Wachtmeister irgendwo eine Liebste hat?« »Nein.« »Hm, könnte möglich sein, daß er eines Mädels wegen den Dienst im Stiche ließ. Traue ihm aber eine solche Dummheit
eigentlich gar nicht zu. Hab' auch nie d'ran gedacht, selbst nicht in meinen jungen Jahren. Ein einziges Mal nur hätte ich mich beinahe in ein rundes Lärvchen verguckt, und das war dazumal, als wir in Baiern anno Vier an der Donau standen, um bei Hochstätt d'reinzuschlagen. Wir lagen bei einer jungen Wittfrau in Quartier, ich und die Dorchlaucht nämlich; ich sage, bei einer jungen Wittfrau, die ganz verteufelt hübsch war und, Mordelement, es ist Wort für Wort wahr, sogar ein Auge auf mich geworfen hatte. Das war eigentlich auch gar nicht anders zu erwarten; denn wir waren zwei Kerls, nämlich ich und die Dorchlaucht, zwei Kerls, sage ich Ihm, lang und schlank, drall und schmuck, wie gemalt, und dazu jung, gesund und voll Race, wie ein arabischer Schimmel. Eines Tages nun stehe ich unter der Thür und putze grad' mein Lederzeug, da kommt sie die Treppe herab und stellt sich mit einem Blicke vor mich hin, als ob ich nur rasch zuzugreifen und meinen Schnurrwichs an ihr rothes Mäulchen zu wischen hätte. Corporal, ich sage Ihm, drei Finger breit über dem Magen fing es wirklich an, zur Attaque zu trommeln, und wer weiß, was Alles geschehen wäre; aber da kommt es plötzlich die Straße heraufgalopirt, hält vor dem Hause, und wer steigt ab? – eine Ordonanz vom Prinzen Eugenius, welche den Befehl bringt, daß –« »Heinz!« erscholl es da hinter dem Erzähler. Er fuhr herum, erblickte den Fürsten, welcher vom beendigten Frühstücke kam, und streckte sich sofort in die reglementsmäßige stramme Haltung. Der Corporal war bei dem Klange der tiefen Stimme augenblicklich aus der Stube verschwunden. »Dorchlaucht?« »Ich gehe hinüber nach Gartow.« »Hinüber nach Gartow? Sackrament, Dorchlaucht, das ist ja hannöversch!« »Thut nichts! Zum Abende bin ich wieder hier. Hast Urlaub bis dahin!« »Urlaub? Fällt mir nicht ein. Ich gehe mit!« »Kann Dich nicht brauchen!« »Was? Hm, möglich; aber ich kann Dorchlaucht brauchen!« »Geht nicht; basta, abgemacht! Will einmal nachsehen, was die Kurfürstlichen für Vogelbauer haben; weiß einen Weg, auf dem ich sicher hinüber- und herüberkomme, und treffe dabei vielleicht gar auf den Bellheimer, der auch hinüber ist.«
»Soll ich die Pistolen hervorsuchen, Dorchlaucht?« »Nein; hab' genug an der Peitsche, die mit Blei ausgegossen ist. Kannst aufsitzen und mit dem Rittmeister von Galen nachkommen, wenn ich um neun noch nicht zurück bin!« »Dorchlaucht, ich hab' Niemandem 'was zu befehlen; aber, Schockschwerenoth, viele Hunde sind des Hasen Tod, und wenn sie Euch packen, dann – na, dann komme ich hinüber, und genade Gott Dem, der mir vor den Säbel kommt! Besser aber ist's, ich gehe jetzt gleich mit.« »Du bleibst!« Der Ton, in welchem diese zwei Worte gesprochen wurden, war entscheidend. Der Fürst ging, und Heinz verfolgte vom Fenster aus seine hohe Gestalt, bis sie hinter der Ecke des Marktes verschwunden war. Er hatte ganz das Gefühl, als gehe sein Gebieter einem Unglücke, einer großen Gefahr entgegen, und mußte an sich halten, ihm nicht unbemerkt zu folgen. So stand er noch lange Zeit am Fenster und blickte mit düsterem Auge auf die Straße hinab; da zuckte es plötzlich überrascht durch seine alten, treuen Züge. »Tausend Schock – wer ist denn das? Ich glaube gar – ja, wahrhaftig, da kommt der Bellheimer gelaufen, der über die Grenze hinüber sein soll, und macht Beine, als müsse er in zwei Stunden die Lüneburger Haide messen. Der hat etwas auf dem Herzen und will damit zum Herrn Oberstwachtmeister. Wart', ich fange ihn ab!« Er öffnete die Thür, an welcher der Kommende vorüber mußte. »Links abgeschwenkt; zu mir herein, Wachtmeister!« commandirte er. »Habe mit Ihm Einiges zu reden.« »Heinz!« rief der Angeredete mit froher Miene. »Ihr hier im Hause? Da ist Seine Durchlaucht wohl noch nicht fort?« »Warum?« »Weil ich auf der Stelle mit dem Fürsten sprechen muß.« »Da kommt Er um eine Viertelstunde zu spät.« »Also doch schon fort! Wohin? Nicht wahr, nach Gartow hinüber?« »Ja. Woher weiß denn Er das?« »Nachher, Heinz! Jetzt muß ich vor allen Dingen zum Herrn Oberstwachtmeister, sonst wird der Fürst von den Kurfürstlichen gefangen. Komme auf dem Rückwege wieder herein!« Der Kammerhusar ergriff ihn beim Arme und hielt ihn fest.
»Halt, Bellheimer; nicht von der Stelle! Wenn der Feldmarschall sich in Gefahr befindet, so steht der Heinz über dem Oberstwachtmeister und über allen Generalen. Heraus also mit Seiner Meldung! Wer will den Herrn fangen?« »Der Fährmann und der Hämmerlein.« »Fährmann – Hämmerlein? Bombenelement, wer sind denn diese beiden Halunken?« »Fährmann heißt der Wirth zum ›blauen Stern‹ hier, und der Hämmerlein ist aus Gartow, auch ein Gastwirth.« »Zwei Wirthe? Und diese beiden Bierschlingels wollen sich an meine Dorchlaucht machen? Himmel-Donner-Hagel-Graupel- und – und – na, alle Wetter, da werde ich zwischen sie hineinfahren, daß die Fetzen auseinanderfliegen! Wo hat Er denn die Kunde her?« »Nachher, Heinz, nachher! Die Zeit ist kostbar; ich muß zum Platzcommandanten!« Die Gelegenheit ersehend, daß Heinz seinen Arm losgelassen hatte, war er zur Thür hinaus. Der Leibhusar wollte ihm nach, besann sich jedoch anders und riß einen Mantelsack auf, dem er zwei geladene Reiterpistolen entnahm. »Zwei Schnapssieder – und die Dorchlaucht fangen, den Fürsten und Feldmarschall Leopold von Anhalt-Dessau Excellenz? Das ist verrückt, das ist wahnsinnig, das ist Mord, Raub, Hochverrath und Majestätsüberfall. Ich laufe ihnen nach und schieße sie über den Haufen, wo ich sie nur finde, die Halunken, die Mordbrenner und Brand – Brand – Br –; aber warten muß ich doch, bis der Bellheimer wiederkommt. Hm, verteufelte Geschichte! So ist's, wenn man dem Heinz bis neun Uhr Urlaub giebt, statt ihn mitzunehmen, wie sich's von Rechtswegen schickt und gehört!« Er stieg mit langen, schweren Schritten im Zimmer hin und her, lauschte ungeduldig auf jedes Geräusch, welches sich draußen vernehmen ließ, und wühlte dazwischen rathlos in seinen Siebensachen herum nach Waffen und anderen Gegenständen, die ihn bei der Verfolgung der beiden »Schnapssieder« von Nöthen erschienen. So war wohl über eine Viertelstunde verflossen, und der Wachtmeister ließ noch immer auf sich warten. »Bomben und Granaten, wo bleibt nur dieser ewige Wachtmeister? Derweile können sie meine Dorchlaucht bis hinter zu den Mongolen schleppen! Ich glaube, Denen da oben ist der Schreck in den Verstand gefahren, und nun sitzen sie beisammen
und lernen das königlich preußische privilegirte Gesangbuch der guten Stadt Pasewalk auswendig! Das zieht und zerrt und wartet und dehnt grad' wie der weise kaiserliche Hofkriegsrath zu Wien damals, als wir anno Vier gegen die Baiern und Franzosen marschirten. Aber der Prinz Eugen machte den langsamen Herren einen schnellen Strich durch die unendliche Rechnung. Es ist, als wär's wie heute: Wir lagen bei einer jungen Wittfrau in Quartier, nämlich ich und der Fürst, die höllisch hübsch war und weiß Gott ein Auge auf mich geworfen hatte. Ich weiß wahrhaftig nicht, zu was das hätte führen sollen; denn eines schönen Morgens stehe ich unter der Thür und putze grad' mein Lederzeug, da kommt sie die Treppe herab, stellt sich vor mich hin und macht mir ein paar Augen, Schwerenoth, ein paar Augen, daß mir Hören und Sehen vergeht. Eben will ich sie um die Taille fassen, da kommt es zum Glücke die Straße heraufgalopirt, hält vor dem Hause, und wer steigt ab? – eine Ordonnanz vom Prinzen Eugenius, welche den Befehl bringt, daß –« Er wurde unterbrochen. Bellheimer trat ein. »Gott sei Dank, da ist Er ja endlich wieder! Nun schieße Er aber schleunigst los!« »Muß es kurz machen, Heinz, hab' keine Zeit; muß sofort mit nach dem ›blauen Stern!‹« »Nun?« »Der Hämmerlein in Gartow macht den Seelenverkäufer, und der Fährmann schickt ihm jeden hübschen Burschen zu, dessen er habhaft werden kann. Er giebt ihm zum Scheine einen Auftrag an Hämmerlein, verspricht ihm einen guten Botenlohn, und wenn der Betrogene dann hinüberkommt, so wird er festgehalten und muß die Muskete tragen.« »Da soll den Sakramentern doch gleich ein dickes Prasselwetter auf den Pelz fahren!« »Der Hämmerlein hat eine Tochter, ein Mädchen wie ein Husar, und die ist meine Liebste.« »Seine Liebste? Rappelt's etwa bei Ihm? Wer eine Liebste hat, der ist –« »Mag gut sein, Heinz; muß mich kurz fassen. Ich bin also oft hinüber und habe da so Manches beobachtet, was mir verdächtig schien und mich auf die richtige Spur brachte. Gestern nahm ich Urlaub auf heut' und morgen, um das Ding einmal genau zu untersuchen. Ich ging heut' in den ›blauen Stern‹, that verschlafen
und vertrunken und legte mich aufs Kanapee, um unerkannt zu bleiben. Da kam der Hämmerlein aus Gartow und bestellte sich beim Wirthe neue Burschen, Ausexercirte und sogar Officiere. Habe Alles gehört und belauscht. Nachher kam der Fürst und setzte sich an meinen Tisch.« »Die Dorchlaucht? Donner und Doria, davon weiß ich kein Sterbenswort! Er hat Ihn doch sofort erkannt?« »Nein; ich trug keine Uniform und verdeckte das Gesicht mit der Hand. Hatte meine Gründe dazu. Der Wirth hielt ihn für einen Viehhändler aus Clenze, wurde gesprächig und beschrieb ihm einen Schleichweg nach Gartow. Einer von den Gästen aber hatte die Excellenz erkannt und sagte es nachher. Der Wirth erschrak, besann sich aber bald und schickte heimlich seinen Sohn, der mein Mädchen, die Anna, heirathen soll, zu Pferde hinüber nach Gartow zum Major von Zachwitz, um den Fürsten aufgreifen zu lassen. Habe Alles beobachtet und belauscht. Dann that ich, als ob ich erwache. Fährmann schien mich für einen verlaufenen Strolch zu halten, der gut in den kurfürstlichen Rock passe, setzte sich zu mir und bat mich endlich, ihm ein paar Zeilen nach Gartow zu Hämmerlein zu tragen. Ich sagte ›Ja‹, bekam das Papier und ging, aber nicht nach Gartow, sondern zum Platzcommandanten.« »Millionen Donnerwetter, das ist ja eine ganz und gar heidenmäßige Geschichte! Wie geht denn der Weg, den der Fährmann beschrieben hat?« »Hab' ihn schon dem Herrn Oberstwachtmeister beschrieben. Jetzt muß ich fort; der Corporal ruft vor der Thür!« »Wohin denn wieder?« »Zum ›blauen Stern‹. Der Fährmann wird arretirt. Und eine Compagnie Grenadiere ist schon unterwegs, um sich an der Grenze zu zerstreuen und den Fürsten womöglich noch zu ereilen.« Mit der letzten Erklärung eilte er hinaus. Heinz starrte mit offenem Munde die Thür an. »Da hat man die Bescheerung! Die Dorchlaucht in die Wicken, die Kurfürstlichen über sie her, und die Grenadiere, die nutzen nichts, reineweg gar nichts, denn der Fürst hat Beine wie ein Storch und läuft noch über den jüngsten Schneidergesellen weg. Der ist schon längst über die Berge, und der Heinz, Donnerwetter, der steht da und hält Maulaffen feil! Vorwärts marsch, alter Esel, hinüber nach Gartow und die Excellenz herausgehauen! Ich habe Urlaub und
kann gehen, wohin es mir beliebt.« Er griff wieder nach den Pistolen, in deren mit Silber beschlagenen Schäften die fürstlich dessauische Krone eingravirt war. »Hm, aber so kann ich doch unmöglich fort! Die Dorchlaucht ist als Viehhändler hinüber; das ist das Beste; das kann ich auch. Herunter mit den Gamaschen; ich ziehe die langen Stiefeln an; einen blauen Kittel habe ich auch, und eine Peitsche, die kann ich in jedem Seilerladen haben. Also vorwärts, Heinz, und drauf auf die Halunken, wie damals auf die Baiern und Franzosen, nämlich ich und die Dorchlaucht anno Vier!«
II. Im Speisezimmer seines Schlosses zu Gartow saß der hannöverische Landrath Andreas Gottlieb Freiherr von Bernstorff an der Seite des Majors von Zachwitz. Die beiden Herren pflegten nach Tische, wenn die Dame des Hauses sich mit den beiden Söhnen, von denen der Jüngere später als Diplomat so berühmt wurde, zurückgezogen hatte, noch eine Flasche alten Rebensaftes auszustechen, einen guten Knaster zu dampfen und sich über Krieg und Frieden und die Ereignisse des Tages zu unterhalten. So auch heute. Die Streitigkeit mit Preußen bildete natürlich den Hauptgegenstand ihres Gespräches, welches ruhig und ohne den geringsten Zwiespalt von Statten ging, da die beiden Männer sich zu der gleichen politischen Farbe bekannten und auch sonst eng befreundet waren. »Gestern erhielt ich die Kunde,« meinte der Major, »daß der Fürst von Dessau im Begriffe stehe, die Besetzung der Grenzlinie in eigener Person zu inspiciren.« »Ah! Das wird ein lebhaftes Halloh unter der Bevölkerung der Linie geben, denn die Suite eines Feldmarschalls des deutschen Reiches und Preußens muß sicher eine zahlreiche und glänzende sein.« »Da irrt Ihr Euch sehr in dem alten Knasterbart! Zwar muß ich gestehen, daß ich ihn auch nicht gesehen habe; doch nach dem, was man von ihm hört, ist ihm sehr zuzutrauen, daß er incognito von Posten zu Posten schleicht, um die Säumigen zu überraschen und nach Herzenslust anschwerenöthern zu können. Kennt Ihr ihn, Baron?« »Von Ansehen, ja. Habe ihn vor zwanzig Jahren einige Male in Halle und auch in Magdeburg gesehen, und dieses Gesicht kennt man unter Tausenden heraus. Er wird gewaltig donnerwettern, wenn er drüben hört, was für gute Geschäfte Eure Werber machen.« »Will's glauben. Und wird vielleicht noch besser werden mit diesen Geschäften. Es ist ja das Einzige, was man thun kann, um sich und den Leuten die Langeweile zu verkürzen. Ich lobe mir einen frischen, fröhlichen Krieg. Dieses abspannende Zuwarten und Grenzwachen aber macht die Knochen mürbe und nudelt den Muth
in die Breite wie einen Kuchenteig. Ginge es nach dem Dessauer, so hätte er schon längst dreingeschlagen, und wir könnten ihm herzlich dankbar dafür sein. Ich wollte, ich bekäme ihn einmal von Angesicht zu Angesicht zu sehen! Er ist ein alter wackerer Degenknopf, dem man, ob Freund oder Feind, doch sicher gut sein muß.« »So laßt die Euren die Augen offen halten! Es wäre ja vielleicht möglich, daß er einige Schritte zu weit zur Seite liefe und dabei die Farben der Grenzpfähle verwechselte.« »Das wäre allerdings ein Fang, wie's keinen zweiten giebt; aber so wohl wird es uns nicht werden, dafür ist gesorgt.« »Der Gastwirth Hämmerlein wünscht den Herrn Major zu sprechen!« meldete der eintretende Diener. »Soll kommen!« Die kurze, dicke Gestalt des Wirthes schob sich unter tiefen Referenzen durch den Eingang. »Was bringt Er Neues, Hämmerlein?« »Darf ich sprechen, gnädigster Herr Major?« »Warum nicht? Der Herr Baron kann immerhin hören, was Er zu sagen hat!« »Ich war heut' früh in Lenzen.« »Wirklich? Hat Er den Fährmann mit aufgesucht?« »Ja. Er hat seine Bezahlung erhalten und wird mit den Sendungen in der jetzigen Weise fortfahren.« »Das ist ja schön! Ist er auf den weiteren Vorschlag eingegangen?« »Auch das. Ich kenne ihn und weiß, daß er gut aufpassen und uns die Streifpatrouillen möglichst signalisiren wird.« »Soll mir lieb sein, wenn er Wort hält, und Euer Schaden ist's dann sicher nicht; jeder Arbeit ihren Lohn! Hat Er noch Etwas?« »Nein. Ich hielt es nur für meine Pflicht, das Ergebniß der heutigen Unterredung gehorsamst zu melden.« »Danke. Er kann also abtreten!« Hämmerlein ging. Er hatte ein sehr bewegtes Leben geführt und manchen harten Thaler auf eine Weise verdient, von der Niemand etwas zu erfahren brauchte. Sein anfangs kleines Heimwesen hatte sich dadurch nach und nach vergrößert; er war ein anerkannt wohlhabender Mann geworden und hatte nun den Wunsch, seine Tochter, die sein einziges Kind war, möglichst gut an den Mann zu
bringen, seine Liegenschaften in flüssiges Capital zu verwandeln und von den Zinsen desselben ein ruhiges und gemächliches Leben zu führen. Vor dieser Ruhe aber wollte er seine Thätigkeit einmal verdoppeln, um zu guter Letzt noch so viel wie möglich zum Bisherigen hinzuzufügen. Die moralische Natur des Geschäftes war ihm dabei vollständig gleichgiltig; Geld hieß sein Zweck, und erreichte er ihn, so war alles Andere Nebensache. Zu Hause stand ihm eine Ueberraschung bevor. Der wohlbekannte Braune Fährmann's hing gesattelt und gezäumt an dem Ringe neben der Thür, und in der Stube saß Ludwig, welcher soeben erst angekommen war, um sich seines wichtigen Auftrages zu entledigen. »Was der Tausend, Du bist's, Ludwig? Das ist ja die reine Hetzjagd. Kaum bin ich von Euch in Lenzen fort und einen Augenblick daheim, so finde ich Dich schon hier! Dem muß etwas ganz Nothwendiges zu Grunde liegen! Was führt Dich denn so schnell herüber?« »Sind wir allein?« »Wie Du siehst, ja. Die Anna weiß Alles und kann wohl hören, was Du sagst.« »Es ist aber eine äußerst wichtige und verschwiegene Sache!« Das Mädchen, welches nähend am Fenster gesessen hatte, erhob sich und schickte sich an, die Stube zu verlassen. »Wenn der Herr Fährmann glaubt, daß ich mich für seine Rede interessire, so kann ich ihm das Gegentheil beweisen! Ich gehe!« »Bleib'!« befahl der Vater. »Zwischen Euch soll's keine Heimlichkeiten geben!« Sie setzte sich, von den Beiden abgewendet, wieder nieder und fuhr in ihrer Beschäftigung fort. »Ich dachte, Euch noch einholen zu können,« nahm der Bursche das Wort wieder auf; »aber Ihr müßt derb gelaufen sein, und an der Grenze hatte ich allerlei Scheerereien zu erleiden, die mich aufgehalten haben. Es ist nämlich gleich nach Euerm Weggange etwas passirt, was ungeheuer vortheilhaft für uns ausfallen kann, und wenn Ihr Euch billig finden laßt, so bin ich bereit, es Euch mitzutheilen.« »Du thust ja ganz ungeheuer wichtig! Was ist denn vorgefallen?« »Das nachher erst; zuvor aber muß ich Euch eine Frage
vorlegen.« »Nun?« »Ihr habt mir und dem Vater wegen der Anna Versprechungen gemacht, die bis heut' noch nicht in Erfüllung gegangen sind, und wenn es bleibt, wie es ist, so kann ich warten, bis ich sie zur Frau bekomme!« »Das klingt deutsch! Was hast Du denn eigentlich an uns auszusetzen, he?« »An Euch weniger, desto mehr aber an der Anna. Ihr habt sie mir versprochen, und ich komme, trotz der Gefahr, die ein lediger und gesunder Bursche bei Euch läuft, wöchentlich herüber, um sie zu sehen und mit ihr zu verkehren. Sie aber thut nicht dergleichen, läßt mich sitzen, wo ich sitze, und zieht mir, wenn ich ihr ja einmal nachgehe, ein Gesicht, als hätte sie den Heuboden verschluckt. Ihr ist der Bellheimer, der malitiöse Kerl, lieber als ich, und Ihr laßt Gottes Wasser über Gottes Land laufen, obgleich es nur auf ein Wort von Euch ankommt, um der Sache ein Ende zu machen. Ich kann der Mädels genug bekommen und brauche keiner nachzulaufen und gute Worte zu geben. Macht's kurz, Hämmerlein: Soll ich sie haben oder nicht?« »Hopp, hopp! Das geht ja über Stock und Stein, als ob kein Augenblick mehr zu verlieren sei! Brennt Dir's denn gar so unter den Nägeln?« »Das nicht, im Gegentheile, ich habe Zeit und kann mich auch einmal anderwärts umsehen. Aber mich an der Nase herumführen lassen, dazu habe ich keine Lust. Und wenn wir Euch solche Dienste leisten, wie der jetzige ist, so dürfen wir auch auf ein verständiges Einsehen rechnen.« »So! Welchen Dienst meinst Du denn?« »Ihr habt heut' zum Vater gemeint, daß es dem Major ein großer Gefallen wäre, auch einmal einen Officier von drüben wegschnappen zu können?« »So ist's. Was weiter?« »Ihr könnt gleich heut' schon einen haben, und zwar was für einen!« »Wirklich? Das glückte ja recht schnell! Was ist's? Ein Lieutenant?« »Höher!« »Ein Hauptmann oder Rittmeister?«
»Höher!« »Ein Major?« »Immer höher!« »Dummheit! Doch nicht etwa gar ein Oberst?« »Nein, noch höher!« »Dann wär's ein General! Aber das ist unmöglich, und der General bist Du, nämlich ein Generalschwindler!« »Was ich sage, das ist wahr. Es ist ein wundervoller, seltener Fang!« »Also wirklich ein General?« »Noch höher!« »Donnerwetter! Junge, Du hast entweder den Verstand verloren oder willst mich foppen; denn höher giebt es bloß noch einen Einzigen, und das ist der Dessauer selbst!« »Der ist's auch!« »Der? Wie soll denn der in unsere Hände kommen?« »Leicht, kinderleicht!« »Ich glaube, Du hast das Fieber oder den Sonnenstich!« »Keins von beiden! Uebrigens ist die Sache von großer Eile, so daß ich keine Zeit für Euern Zweifel habe. Wollt Ihr ihn fangen oder nicht?« »Es kann nicht wahr sein; es ist zu ungeheuerlich!« »Dann sind wir also fertig. Adjes, Hämmerlein!« »Halt, Junge! In der Welt ist manches Unmögliche möglich, und der Kuckuk könnte sich doch einmal den Spaß machen, den alten Eisenfresser uns herüber zu führen. Erzähl' es also einmal ausführlicher!« »Da habe ich erst eine Bedingung zu machen!« »Welche?« »Gebt mir Gewißheit und Handschlag wegen der Anna, und Ihr sollt ihn fangen, sonst aber nicht!« »Flunkerst Du wirklich nicht?« »Nein!« »Gut! Hier die Hand; das Mädel ist Dein, und in acht Wochen ist Hochzeit, wenn wir den Dessauer bekommen. Aber das Fanggeld gehört dann mir allein!« »Zugestanden!« »Anna, geh' her und gieb dem Bräutigam die Hand!« Das Mädchen erhob sich. Sie war fast Kopfes länger als ihr
Vater, und Bellheimer hatte recht gehabt, als er zu Heinz sagte: ›ein Mädel wie ein Husar‹. Ihr Gesicht war hochgeröthet, und ihr Auge blitzte, als sie zu Beiden trat. Ludwig legte den Arm um sie; im nächsten Augenblicke aber fiel ihre Rechte laut klatschend auf seine Wange und fuhr ihm dann mit so unerwarteter Stärke vor die Brust, daß er zurücktaumelte und auf seinen Stuhl niedersank. »Das ist mein Bescheid!« rief sie mit zornig erregter Stimme. »Wenn der Vater den Menschenhändler macht, so muß ich es leiden, weil ich nicht anders kann; wenn er mich aber an einen Spion und Seelenverräther verschachern will, so geb' ich zuerst gute Worte, und helfen diese nicht, so zeig' ich, daß ich auch einen Willen hab'. Ich bin versehen und brauch' den Lenzener nicht!« Die letzten Worte klangen nur noch unter dem Eingange; dann fiel die Thür hinter ihr zu. Ludwig sprang wieder auf und hielt die Hand an das brennende Gesicht. »Hämmerlein, was thätet Ihr an meiner Stelle?« Der Gefragte war selbst so erstaunt und erschrocken über das Verhalten des muthigen Kindes, daß es eine Weile dauerte, ehe er sich auf die beste Antwort besinnen konnte. »Ich würde d'rüber lachen, Ludwig. Die Anna hat ihre Mucken; sie hält Dich für verzagt. Hättest Du sie unter vier Augen vorgenommen, so wär' die Antwort anders ausgefallen. Im Uebrigen aber bin ich der Vater und werde mein Wort halten, welches ich Dir gegeben habe. Ist Dir's recht?« »Hm, die Schelle ist nicht überzuckert gewesen, und mit einer Frau, die so d'reinzuschlagen weiß, ist's besser, man bedenkt sich vorher ein Weniges. Aber, Hämmerlein, ich kann nicht dafür; ich bin einmal vernarrt in sie und will's versuchen. Hab' ich sie fest, so soll ihr das Beohrfeigen schon vergehen!« »So ist's recht. Also in acht Wochen ist Hochzeit; hier, noch einmal meine Hand darauf. Und nun erzähl'!« »Das war nämlich so: Als Ihr kaum fort waret, kam Einer, der war als Viehhändler gekleidet und hat nach einem Schleichwege zu Euch gefragt. Der Vater hat ihm geglaubt, daß er aus Clenze sei, und ihm den Weg gezeichnet. Ein Gast aber hat ihn erkannt, daß es der Dessauer war, der sich ja gern verkleidet im Volke herumzuschleichen pflegt, und nun ist's gewiß daß er Lunte von unserm Handel bekommen hat und uns einmal belauschen will. Er
wird kommen, und sicher ganz allein. Der Vater hat mich sofort herübergeschickt, um Euch Nachricht zu geben, und ist nach dem Markte gegangen, um ihn zu beobachten; denn der Alte ist erst zum Stadtcommandanten gegangen, dem er doch seine Ankunft sagen muß.« »Also ist's noch unsicher, ob er kommt?« »Nein, er kommt gewiß; denn was Der sich einmal vorgenommen hat, das führt er auch durch. Ich bin fort, noch ehe der Vater zurück war; aber wir haben ausgemacht, daß er über die Elbe fahren und dem ersten hannöverschen Posten Bescheid sagen soll.« »Wie war der Fürst gekleidet?« Der Gastwirthssohn beschrieb ihn so genau wie möglich. »Das ist ja ganz außerordentlich leicht zu erkennen, und ich muß gleich wieder zurück zum Major, der schöne Augen machen wird, wenn ich ihm eine solche Botschaft bringe. Du bleibst doch hier, bis ich zurückkomme?« »Nein; ich darf's nicht wagen. Der Vater ist nicht daheim und ich auch fort; das könnte auffallen, zumal es sicher nicht verschwiegen bleibt, daß der Dessauer bei uns gewesen ist. Zudem machten sie mir schon vorhin an der Grenze große Schwierigkeiten. Ich hab' gesagt, ich muß nach Schneckenburg, und bin nun auch gezwungen, dorthin zu reiten, und werde jenseits über Lanz und Wustrow heimkehren. Botschaft braucht Ihr uns nicht extra zu geben, denn wir werden von selbst erfahren, wie's gegangen ist. Lebt wohl, und setzt dem Mädchen nur ganz gehörig den Kopf zurecht!« »Keine Sorge, mein Junge. Sie ist Dein; dabei bleibt's!« Ludwig stieg auf und trabte von dannen. Hämmerlein aber schritt eilends nach dem Schlosse zu. Die beiden Herren saßen noch immer plaudernd beisammen, als er gemeldet wurde. »Der Hämmerlein wieder?« fragte Major von Zachwitz. »Hat er doch etwas vergessen! Er mag eintreten!« Der Wirth that dies mit einer so vergnügten und verheißungsvollen Miene, daß Zachwitz sofort fragte: »Nun, habt Ihr wieder Einen?« »Noch nicht; aber er will ins Garn, Herr Major. Der Fährmann hat in so kurzer Zeit ganz prächtig Wort gehalten.«
»So!« rief der Officier, sich erhebend. »Also etwas Höheres?« »Nicht nur Höheres, sondern ganz und gar Hohes.« »Da macht Er mich wirklich neugierig! Wer ist's?« »Ich bitte, einmal gütigst zu rathen!« »Führt zu nichts. Thue Er den Mund auf!« »Wenn es nun ein Oberst wär', Herr Major?« »Flunkere Er nicht, Hämmerlein!« »Oder vielleicht ein General?« »Soll ich Ihn hinauswerfen lassen?« »Oder gar ein Feldmarschall, zum Beispiel der Dessauer selber?« »Kerl, ich lasse Ihn Spießruthen laufen, wenn Er glaubt, Seinen Spaß mit mir treiben zu dürfen!« »Ich rede im vollen Ernste!« »Dann ist Er übergeschnappt!« »Das sagte ich zu dem jungen Fährmann auch, als ich jetzt nach Hause kam und von ihm die Botschaft hörte.« »Der junge Fährmann? So ist also wirklich ein Fang angekündigt worden?« »Ja, und ein Hauptfang, ein Capitalfang, ein riesenmäßiger Fang. Was bekomme ich, Herr Major, wenn ich Euch wirklich noch heut' den Dessauer in die Hände liefere?« »Alle Teufel, Hämmerlein, spricht Er wirklich mit Verstand und Ueberlegung?« »Mit voller Ueberlegung!« »Hm, dem alten Schwerenöther ist es wirklich zuzutrauen, daß er einmal incognito einen kleinen Abstecher wagt! Was meint Ihr, Baron?« »Sagtet Ihr nicht vorhin erst, daß er inspiciren wolle und dies wohl auf seine bekannte Weise thun werde?« »Richtig! Hämmerlein, ich zahle Ihm fünfzig, hundert, ja zweihundert Thaler, wenn Er mir zu diesem Fange verhilft!« »Dreihundert, Herr Major, dreihundert rund, wenn er festsitzt, und jetzt außerdem zehn für den Boten, dem ich sie vorgeschossen habe!« »Er ist ein Jude, Hämmerlein!« »Ich bin ein guter Christ und Hannoveraner. Gilt's? Ich spreche nicht eher!« »So mag es sein!« Er griff in die Tasche und zählte die verlangte
Summe vor. »Hier sind die zehn Thaler. Die Dreihundert zahle ich Ihm aus, sobald ich den Alten habe. Nun rede Er!« Der Wirth begann seinen Bericht, ließ weg, was ihm die Klugheit zu verschweigen gebot, und sprach ausführlicher als Ludwig, wo er es für nöthig hielt. Der Officier folgte seinen Worten mit immer wachsender Spannung und wurde am Ende des Vortrages von seiner Aufregung im Zimmer auf und ab getrieben. Es war nichts Kleines, was sich ihm da zur Ausführung bot. Er stand im Begriffe, sich für ein Unternehmen zu entscheiden, dessen mögliche Folgen gar nicht abgesehen werden konnten und für welches er jedenfalls einen nicht geringen Grad von Verantwortlichkeit auf sich lud. Bald aber war er mit sich einig und drehte sich mit einer scharfen, raschen Schwenkung auf dem Absatze herum. »Ich thu's! Er kann gehen, Hämmerlein; bleibe Er aber zur Hand! Es ist möglich, daß ich Ihn noch brauche. Und Ihr, Baron, erlaubt mir, die begonnene Unterhaltung später fortzusetzen! Ich habe meine Vorkehrungen zu treffen!« Der Wirth befand sich kaum einige Minuten daheim, so sah er eine Menge Ordonnanzen vor dem Quartiere des Majors, welches zum Schlosse gehörte, auf die Pferde steigen und, nach verschiedenen Richtungen auseinandereilend, der Grenze zusprengen. Der Fang war so gut wie gelungen. – Ungefähr halbwegs zwischen Lenzen und Gartow steht mitten im Walde an der damals nur schwer fahrbaren Vicinalstraße ein einsamer Krug, der sich gegenwärtig allerdings etwas behäbiger präsentirt, als zur Zeit, da während der schlesischen und des siebenjährigen Krieges die ausgedehnten Föhrenbestände dieser Gegend die Unwegsamkeit erhöhten und den Verkehr erschwerten. Der Krüger war ein finsterer, verschlossener Mann, der jedem Gaste gab, was er verlangte, und sich dann außer der Zahlung nicht weiter um ihn bekümmerte. Er war nicht auf Rosen gebettet in seinem abgelegenen Hause und konnte erst seit kurzer Zeit von einer wesentlichen Einnahme erzählen, die er den soldatischen Gestalten zu verdanken hatte, welche vom frühen Morgen bis zum späten Abende jetzt in seiner niedrigen und verräucherten Stube saßen, aßen, tranken, rauchten, spielten und trotz ihrer immerwährenden Lustigkeit Jeden, der ein bestimmtes Alter
überschritten hatte, unangefochten ließen. Kam aber Einer, der noch frisch ins Leben schaute, der saß gar bald, er wußte selbst nicht wie, mitten unter ihnen und war dann plötzlich verschwunden, ohne daß ihn Jemand wieder zu sehen bekam. Doch das ging dem Krüger nichts an. Die Zeche wurde stets ordentlich entrichtet, und für das Andere hatte er keine Augen. Es war kurz nach Mittag, als ein Mann gemächlich die Straße dahergeschritten kam, dessen Angesicht sich beim Anblicke des Kruges bedeutend aufheiterte. Sein Oberkörper war in einen blauleinenen Kittel eingehüllt; die Beine staken in zwei weit heraufgezogenen Aufschlagestiefeln, und über die Schulter war eine wuchtige Peitsche geschnallt. Er mochte die Sechzig längst überschritten haben, doch stand ihm der schwarze Schnurrwichs gar martialisch zu Gesichte, und seine Bewegungen zeugten trotz ihrer Gemächlichkeit von Kraft und einer in diesem Alter nicht mehr häufigen Gewandtheit. »Hm,« brummte er schmunzelnd, »endlich finde ich so eine Hundebude, in der man sich den Straßenstaub hinunterspülen kann. Ich gehe hinein!« Seine Schritte wurden länger und schneller, und schon hatte er das Haus fast erreicht, als ein Bedenken in ihm aufzusteigen schien. »Wer wohl in der Hütte stecken mag? Sie sieht mir ganz wie Gesindel aus! Vielleicht haben gar die kurfürstlichen Jacken hier Station und fragen mich nach Dem und Jenem, was sie nicht zu wissen brauchen. Mordelement, da fällt mir etwas ein! Der Fährmann im ›blauen Stern‹ hat ganz meine Statur, mein Alter und auch sonst noch einige Aehnlichkeit. Wenn der herüberkommt, den fressen sie nicht. Halloh, ich bin der Fährmann aus Lenzen, und der Satan soll Den reiten, der's nicht glaubt!« Er trat ein. Ein Dutzend kräftiger Gestalten saß um eine lange Tafel herum und war theils mit Pfeife und Krug, theils auch mit einer schmutzigen Karte beschäftigt. Der Wirth hockte gähnend in der Ecke und hatte bei dem Lärme, den die Gäste vollführten, den Eintritt des neuen Ankömmlings nicht gehört. Dieser trat an den einen leeren Tisch, ließ sich auf einen der primitiven Sessel fallen, nahm die Peitsche herab und klopfte mit dem Griffe derselben auf die Platte, daß es krachte. »Heda, alte Schlafmütze, schaff' Bier!« »Na – na – na – na, schlage Er mir nur den Tisch nicht entzwei.
Wer so schreien kann wie Er, der ist noch lange nicht am Verdürsten!« »Brrrrrr, nicht gezankt, sondern eingeschenkt, wenn Sein Regenwasser zu trinken ist!« »Für Ihn ist's gut genug!« »Meint Er? Hm, so zeige Er einmal her!« Er setzte den Krug an den Mund und kostete, zog aber sofort ein Gesicht, als hätte er einen Igel verschluckt. »Himmelsackerment, was ist denn das für eine Seifensiederlauge? Schaffe Er schnell einen Schnaps, sonst zerrt mich's auseinander!« »Er scheint sich auch den Geier auf einen guten Schluck zu verstehen. Den Schnaps soll Er noch haben, sonst aber nichts weiter. Wer meine Getränke tadelt, der kann gehen, wohin es ihm beliebt, und meinetwegen sich die Gurgel mit Wagenschmiere einreiben!« »Sackerment, hat Er ein Mundwerk! Wer da hineingeräth, der hat am längsten gepfiffen! Sage Er mir doch einmal, wie lange man noch bis Gartow zu gehen hat?« »Grad' so lange, wie von Gartow bis hierher!« »So! Da will ich Ihm einen guten Rath geben: Gehe Er doch zu Seinem Kurfürsten und lasse Er sich von ihm als Oberlandeswegeweiser anstellen. Er wird Ehre damit einlegen, Er alter Bullenbeißer, Er! Hier hat Er sein Geld, und nun –« Er hielt mitten in der Rede inne. Draußen vor dem Hause hielt ein kleines Detachement Dragoner. Der Officier war abgesessen und stand, die letzten Worte vernehmend und den Sprecher mit scharfem Blicke musternd, bereits unter der Thür. Die anderen Gäste hatten sich bei seinem Anblicke respectvoll erhoben. »Wer spricht hier in dieser Weise von Seiner Königlichen Majestät, unserm gestrengen und gnädigen Herrn Kurfürsten?« »Ich, wenn's Euch beliebt, Herr Lieutenant!« »Und wer seid Ihr?« »Wer hat das Recht, danach zu fragen?« »Jetzt und zunächst ich! Darf ich um Antwort bitten?« »Warum nicht? Der Gastwirth Fährmann aus Lenzen wird sie Euch gern geben!« »Der – Gastwirth – Fährmann – aus – Lenzen?« fragte der Officier lächelnd. »Und was hat dieser hier zu suchen? Für einen Unterthan des Königs von Preußen ist es in den gegenwärtigen
Zeitläuften gefährlich, die Grenze zu überschreiten. Habt Ihr einen von dem hiesigen Grenzcommando unterzeichneten Erlaubnißschein?« »Hab' gar nicht an so ein Ding gedacht!« »So! Dem Gastwirth Fährmann wäre eine solche Nachlässigkeit nicht zu verzeihen; der Feldmarschall Fürst Leopold von Anhalt-Dessau Durchlaucht und Excellenz aber kann sich unmöglich zu solchen Kleinigkeiten bequemen. Excellenz, darf ich bitten, sich mir bis Gartow anzuschließen?« »Donner und Doria, Lieutenant, was soll das heißen?« »Das soll heißen, daß die sämmtliche Grenzmannschaft sich in Alarm befindet, um den hohen Gast, welcher uns angezeigt ist, würdig zu empfangen. Ich habe die Ehre, Excellenz mein Pferd zur Verfügung zu stellen.« »Das soll wohl heißen, daß ich gefangen bin, Er Schwerenöther?« brauste es unter dem Schnurrwichs hervor. »Wie kann Er sich denn einfallen lassen, den Gastwirth Fährmann für den – den – den –« »Durchlaucht,« erwiderte der Angedonnerte fest, aber mit leise zuckendem Munde, »ein Gastwirth pflegt nicht einen Siegelring mit fürstlicher Krone und von solchem Werthe zu tragen, wie ich ihn hier an diesem Finger bemerke, und der ›Schwerenöther‹, den ich soeben hörte, ist mir ein fast noch sichrerer Beweis, daß ich mich nicht irre.« »Hölle, Pech und Teufel,« meinte der Bedrängte, nach der Peitsche greifend und einen Blick hinauswerfend, wo das Pferd des Lieutenants ungeduldig mit den Hufen scharrte, »der Hengst ist gut; ich werde ihn probiren!« Der Lieutenant flog zur Seite; draußen ertönten einige rasche Fragen, dann laute Rufe; der Officier raffte sich empor und sprang hinaus. Er kam grad' noch zur rechten Zeit, um Einen der Seinen vom Pferde zu ziehen, dieses selbst zu besteigen und dem kühnen Flüchtlinge nachzusprengen, der ventre à terre auf dem Rappen dahinjagte, ohne sich mit einem Blicke nach seinen Verfolgern umzusehen. Der seines Thieres Beraubte trat zu den Gästen, welche auf die Straße geeilt waren und unter lebhaftem Schreien, Fluchen und Schimpfen die tolle Jagd beobachteten, bis eine Biegung der Straße sie ihren Augen entzog.
»Wißt Ihr, wer das war? Kein Anderer, als der Dessauer, der bei uns spioniren schleicht. Lange Stiefel, blauer Kittel, Treiberpeitsche, so ist er uns angesagt, und wir kamen eben her, um Euch Ordre zu bringen, Jeden, der in dieser Kleidung hier einkehrt, festzunehmen und nach Schloß Gartow zu transportiren.« Diese Kunde vergrößerte die Aufregung nur, statt sie zu dämpfen. Man trat in die Stube zurück, um die unerhörte Neuigkeit durch einige frische Krüge verdaulicher zu machen, und es dauerte lange, ehe die Stimmen in gemäßigterem Tone durch die rissigen Fenster drangen. Da nahte ein Zweiter dem Hause. Er trug einen blauleinenen Kittel, ging in langheraufgezogenen Stiefeln und hatte eine zusammengenestelte Peitsche von der linken Achsel auf die rechte Hüfte niederhängen. Er mochte die Sechzig überschritten haben, doch zeigte der gewaltige Schnurrwichs noch seine volle Schwärze, und die dunkeln Augen blitzten gar munter auf den einladenden Zweig, der über der Thür des Kruges befestigt war. »Hm,« brummte er, »hier könnte man sich den Urlaub anfeuchten, wenn man die gehörige Zeit dazu hätte; aber ich muß direct nach Gartow zu dem Hämmerlein, dem Galgenstrick, um meine Dorchlaucht herauszuhauen, und da – hm, zu einem Kruge bleibt mir doch wohl Zeit. Ich gehe hinein!« Als er in die Stube trat, richteten sich sofort Aller Augen auf ihn, und sämmtliche Köpfe fuhren in Unheil verkündendem Geflüster zusammen. »Rasch, Wirth, einen Krug!« befahl er und trat dann an das Fenster. Die Eile, welche er hatte, ließ ihn nicht ans Niedersetzen denken. »Werber! Hol' mich der Kuckuk, das sind Werber!« murmelte er in den Bart; »das Gelichter kennt man auf den ersten Blick. Wer aber bin ich denn eigentlich, wenn mich Einer fragt? Hm, da kann ich in eine ganz verteufelte Patsche gerathen. Wenn ich wüßte, daß sie den Fährmann, der gewiß in gutem Rufe bei ihnen steht, nicht grad' persönlich – Mordelement, ich bin der Wirth zum ›blauen Stern‹; basta, punktum. Sie mögen mir nur kommen!« Statt des Wirthes brachte Einer der Werber den vollen Krug und setzte sich so in seine Nähe, daß er die Thür deckte. »Woher des Weges, Herr?« fragte er mit einer Stimme, welche zwischen Respect und Strenge hin und her vibrirte.
»Von Lenzen,« klang es kurz. »Das ist bös; wer da herüberkommt, wird angehalten. Wir sind wohl da zu Hause?« »Wir? Wer denn?« »Nun, Ihr.« »Ach so! Ja.« »Was habt Ihr für ein Zeichen?« »Gastwirth.« »Und der Name?« »Fährmann, Gastwirth Fährmann im ›blauen Stern‹ zu Lenzen. Nun aber laß Er mich ungeschoren. Ich habe mehr zu thun, als Ihm den Katechismus vorzubeten!« Er trank seinen Krug leer, zog den Mund bis an die Ohren und langte in die Tasche. »Was bekommt Er für das Bier?« Jetzt traten die Anderen herbei. »So weit sind wir noch nicht! Habt Ihr einen Passirschein aufzuweisen?« »Passirschein? Er hat wohl nicht recht ausgeschlafen? Ich bin passirt, wozu brauche ich da jetzt noch einen solchen Wisch?« »So beweist uns wenigstens, daß Ihr wirklich der Gastwirth Fährmann seid!« »Beweisen? Wozu?« »Weil der Fährmann schon einmal dagewesen ist!« »Schon einmal – hm, der Halun– hm, das ist nicht wahr! Bin ich's gewesen?« »Nein.« »Na also, folglich war ich's nicht! Macht Platz, Ihr Schwerenöther, ich kann –« »Schwerenöther? Excellenz, ich muß mir ganz gehorsamst die Waffen ausbitten! Ew. Durchlaucht –« »Excellenz – Dorchlaucht – Waffen ausbitten? Den Henker sollt Ihr haben, Ihr Höllenpack, aber nicht meine Waffen. Gebt Raum!« Er machte Miene, die Thür zu gewinnen, sah sich aber augenblicklich umringt und festgehalten. Mit einem gewaltigen Rucke riß er sich los und zog die beiden Pistolen hervor; schnell aber war er wieder gepackt; es entstand ein angestrengtes Ringen; die Schüsse entluden sich, einige Schreie zeigten, daß sie getroffen hatten – aber, wie Heinz heut' zum Fürsten gesagt hatte: viele Hunde
sind des Hasen Tod; er wurde übermannt und gefesselt, da die aufgeregten Männer wegen der Schüsse auf seinen vermeintlichen hohen Stand keine Rücksicht nahmen. Nach kaum einer Viertelstunde saß er auf dem Holzwagen des Wirthes und wurde, von einer alten, mageren Mähre gezogen, unter vier Mann Bedeckung nach Gartow transportirt. Der Wagen konnte noch nicht gar weit gekommen sein, da kam ein Dritter auf das Haus zugeschritten. Ueber dem blauen Leinwandkittel trug er eine Peitsche, und die langen Stiefel waren bis nahe an den Unterleib herangezogen. Er konnte die Sechzig überschritten haben, doch schien nicht dieses Alter, sondern ein anderer Umstand schuld an dem trüben, müden Ausdrucke seines Gesichtes zu sein. »Hm,« brummte er, indem er die Spitzen seines matt niederhängenden Schnurrbartes in die Höhe zog, »das nenne ich doch Glück beim Unglücke! Wäre ich daheim gewesen, so hätten sie mich weggeholt, und ich hinge vielleicht schon jetzt drei Ellen hoch am Stricke; so aber bin ich dem Dessauer nachgeschlichen, um Gewißheit zu haben, daß er auch wirklich herüber ist, und wurde bei der Heimkehr unterwegs gewarnt. Hätte ich nicht noch Zeit gefunden, beim Schwäher die Kleidung zu wechseln, so hätte man mich erkannt und ich wäre gar nicht durchgekommen; denn so eng wie heut' ist die Linie noch nie besetzt gewesen. Nun aber weiß ich weder Rath noch That und muß zum Hämmerlein; der wird zu helfen wissen. Vorher aber einen Trunk! Bin zwar noch nie in diesem Loche eingekehrt; aber Durst geht über Geschmack!« Er trat ein und bestellte sich einen Krug Bier. Die Anwesenden sahen sich beinahe verblüfft an und beriethen leise über die Maßregeln, welche sie zu nehmen hatten. Endlich erhob sich Einer und trat herbei. »Gut Wetter heut', nicht?« »Hm, ja.« »Seid wohl schon weit gegangen?« »Nicht gar sehr weit.« »Woher?« »Von Lenzen.« »Seid wohl da auch bekannt?« »Bin da zu Hause.« »Kennt Ihr vielleicht Fährmann, den Wirth zum ›blauen
Stern‹?« »Den kenn' ich ganz genau; denn ich bin es zumal selber!« »Aha! Habt Ihr einen Passirschein bei Euch?« »Nein.« »Warum nicht?« »Weil mein Geschäft so eilig war, daß ich mir zumal keinen besorgen konnte.« »Wißt Ihr's schon von dem Dessauer?« »Was? Daß er heimlich herüber ist?« »Aha! Aber das wißt Ihr noch nicht, daß seit einer Stunde schon zwei Fährmänner aus dem ›blauen Stern‹ hier eingekehrt sind?« »Das ist nicht möglich!« »Und Ihr seid der Dritte. Wie kommt es denn, daß Euch Euer Dreispitz zu klein und der Kittel zu kurz und weit ist, he?« »Sapperlot, da müßt Ihr meinen Schneider fragen; ich kann zumal nicht dafür!« »Wollt wohl auch nach Gartow, wie die Anderen?« »Ja, nach Gartow will ich.« »Das ist ja schön. Wir gehen mit!« Während dieser Verhandlung kam ein Vierter die Straße entlang. Er hielt sich stets am Saume des Waldes, als sei er jeden Augenblick bereit, sich hinter das Gebüsch desselben zurückzuziehen. In der Nähe des Kruges angekommen, schlug er sich in das Dickicht, bis er auf einen schmalen Waldpfad stieß, den er mit eiligen Schritten verfolgte. Es war Bellheimer, den es nach der erfolglosen Arretur des Sternwirthes und als er erfahren, daß auch Heinz fort sei, nicht in Lenzen gelitten hatte. Er war über die Elbe gegangen und schlug nun den kürzesten Weg nach Gartow ein, wo seine Gegenwart seiner Meinung nach von Nutzen sein konnte. Der Pfad war ein schnurgerader Richteweg, der die gewöhnliche Gehzeit fast um die Hälfte kürzte, so daß der unternehmende und kühne Wachtmeister gar bald den Waldessaum erreichte und nun den Flecken mit seinem Schlosse vor sich liegen sah. Ein scharfer Blick über die Gegend zeigte ihm, daß er seinen gewöhnlichen Weg ohne Gefahr verfolgen könne, nur die unbetretenen Raine benutzend und seiner Gestalt die gebückte Haltung eines alten, müden Mannes gebend, schob er, der Vielverfolgte, dem bei einer etwaigen Erkennung Kampf und
Gefangenschaft, vielleicht gar der Tod eines Spiones drohte, sich zwischen den bereits abgeernteten Feldern hindurch bis an die hinteren Gartenzäume des Ortes, denen entlang er sich weiter schlich, bis er eine Pforte erreichte, durch welche er nach vorherigem Spähen vorsichtig schlüpfte. Eine hochgewachsene Mädchengestalt war mit Trocknen der Wäsche beschäftigt. »Pst, Anna!« klang es leise aus dem Buchengebüsche an ihr Ohr. Sie drehte sich um. Eine Hand winkte zwischen den Blättern hervor. Erschrocken und erfreut zugleich trat sie näher. »Heinrich, um Gotteswillen, Du hier? Heut', und am hellen Tage!« »Ich konnte nicht anders, Anna! Sprich, wo ist Dein Vater?« »Ach Gott, der liegt im Bette, ohne Verstand und Besinnung!« »Was ist's mit ihm?« »Ich weiß nicht. Als sie den ersten Dessauer brachten –« »Dessauer? Den ersten?« »Ja. Sie haben zwei gefangen und wissen nicht, welcher der richtige ist.« »Gefangen? Alle Wetter, also doch! Nun, Dein Vater?« »Da wurde er zum Major gerufen, und kurze Zeit darauf brachten sie ihn getragen. Ich hörte nur, daß er einen fürchterlichen Faustschlag, erhalten hat.« »Ah – so! Sind Gäste drin?« »Kein Mensch.« »Knecht und Magd?« »In den Wald nach Streu gefahren.« »Der Ludwig aus dem ›Stern‹ war hier?« »Das weißt Du? Er hat den Fürsten verrathen und vom Vater dafür die Zusage, von mir aber eine gute Ohrfeige erhalten. Ach, Heinrich, was thue ich nur?« »Bist mir wirklich gut, Anna?« »Ach, von Herzen!« »So thue heut', was ich Dir sage!« »Ich will's!« »Auch wenn's schwer ist?« »Auch dann. Es kann nicht mehr so fortgehen wie jetzt. Ich laß lieber Alles im Stiche und geh' fort, so weit mich meine Füße
tragen.« »So soll es heut' fest werden. Komm mit herein zum Vater!« »Heinrich, das geht nicht! Wenn man Dich –« »Vorwärts, Anna; ich weiß schon, was ich thu'!« Er konnte getrost das Haus betreten; es war Niemand vorhanden, der ihn hätte verrathen wollen; denn sämmtliche Bewohner Gartows, die nicht durch Arbeit gebunden waren, befanden sich in der Nähe des Schlosses, um das unerhörte Ereigniß zu beobachten, daß zwei Fürsten von Dessau gefangen seien, von denen doch nur Einer der Richtige sein konnte. Der Major, welchem zwei Schwadronen zur Verfügung standen, hatte seine Vorkehrungen so gut getroffen, daß ihm der Erwartete nicht entgehen konnte, und als der betreffende Posten von Fährmann die Nachricht brachte, daß der Fürst wirklich unterwegs sei, war er seiner Sache ganz gewiß gewesen und zum Baron zurückgekehrt, um in seiner Gesellschaft den hohen Arrestanten zu erwarten. Da erklang Pferdegetrappel vom Hofe herauf; sporenklirrende Schritte ließen sich auf dem Corridor vernehmen, und unangemeldet trat ein schweißtriefender Officier ein. »Lieutenant Helmerding, woher so eilig?« »Herr Major, wir haben ihn!« »Wo?« rief dieser aufspringend. »Unten im Hofe – auf der Treppe – nein, ich höre ihn schon draußen vor der Thür!« »Laßt ihn eintreten. Das Nähere werde ich nachher wohl erfahren!« Der Lieutenant stieß die Thür auf und ließ den Gefangenen eintreten. Der Major trat diesem respectvoll entgegen. »Durchlaucht, ich habe die höchst schätzenswerthe Ehre –« »Dummheit!« donnerte es ihm entgegen. »Verdammt große Ehre, einen Gastwirth aufzugreifen und für einen Fürsten zu halten!« Der Major trat betroffen zurück. »Ein Gastwirth! Höre ich recht?« »Frage Er nur Seine Leute! Wenn Er sich blamiren will, mich geht die Sache nichts mehr an!« Rasch war er an der Thür zum Erkerzimmer, stieß diese auf, trat hinein, und im nächsten Augenblicke bewies das Klirren von
Schlüssel und Riegel, daß er sich eingeschlossen habe. Der Major riß das Fenster auf, befahl zwei Mann Wache mit scharf geladenem Gewehre unter das Cabinet und ließ dann den Lieutenant wieder eintreten, der einen ausführlichen Rapport abstatten mußte. Der Hengst hatte gestolpert und war unter seinem Reiter gestürzt, wodurch der Letztere in die Hände seiner Verfolger gerathen war. Zachwitz befand sich in der größten Rathlosigkeit. Er konnte den Gefangenen weder vernehmen, noch untersuchen lassen, da bei der Gewaltthätigkeit, welcher dieser während des Transportes bewiesen hatte, von einem Aufsprengen der Thür nichts Gutes zu erwarten war. Und für den Fall, daß es der Fürst doch sei, war ja die möglichste Rücksicht und Schonung geboten. »Baron,« fragte er diesen, »habt Ihr ihn wiedererkannt?« »Hm, bin mir darüber noch sehr im Zweifel!« »Herr Lieutenant, Ihr seid für jetzt entlassen. Der Hämmerlein soll kommen, aber schleunigst!« Der Verlangte erschien nach kurzer Zeit. »Er kennt doch den Fährmann ganz genau?« »Das will ich meinen!« »Beschreibe Er ihn mir!« Er that es. Das Signalement paßte genau auf den Gefangenen. »Lasse Er sich eine Leiter geben,« befahl der Major mit gedämpfter Stimme, »und steige er einmal vorsichtig zum Erkerfenster empor, um einen Blick auf den Mann zu werfen. Das soll entscheiden!« Der Wirth folgte dem Gebote; kaum aber hatte er mit der Stirn die Fensterhöhe erreicht, so wurde ein Flügel schnell aufgerissen, und eine geballte Faust sauste mit solcher Wucht auf seinen Kopf hernieder, daß er an der Leiter herabrutschte und besinnungslos zur Erde stürzte. Zachwitz wollte eben den Befehl ertheilen, die Thür nun doch aufzusprengen, als der verabschiedete Lieutenant wieder erschien. »Halten zu Gnaden, Herr Major, ein zweiter Gefangener! Darf er eintreten?« »Ein Zweiter? Herein mit ihm!« Heinz trat ein. Er war an den Armen gebunden. Hinter ihm erschienen die Transporteure mit den beiden Pistolen. »Einstweilen abtreten!« befahl er ihnen und wendete sich mit
sichtlicher Unsicherheit an den Gefangenen. »Wie kommt es, daß man Euch gefesselt hat?« Heinz warf einen raschen Blick im Zimmer umher und sah die Thür zur Erkerstube sich bewegen, in welcher, vom Major ungesehen, der Fürst erschien. Dieser hatte den Kammerhusaren durch das Fenster bemerkt und leise geöffnet. »Ja,« antwortete er, »wie kommt es, daß man einen Gastwirth für einen Feldmarschall hält und ihn doch in schimpfliche Banden schlägt? Beantworte Er sich Seine kluge Frage selber!« Mit zwei Schritten war er draußen beim Fürsten, und im Nu klirrte das Schloß hinter ihm. Zachwitz stand vollständig steif vor dem Baron, der auch das Oeffnen des Nebenraumes zu spät bemerkt hatte. »Was sagt Ihr dazu, Herr von Bernstorff?« stieß er endlich hervor. »Gar nichts, gar nichts; ich glaube, mir träumt es! Vernehmt einmal die Leute!« Es geschah. Auch die Pistolen wurden untersucht und als jedenfalls dem Fürsten gehörige befunden. Welcher von Beiden war der echte Leopold, wenn Einer von ihnen es überhaupt war? Der Major beschloß, die Ankunft seiner beiden Rittmeister, welche auf Inspection geritten waren, abzuwarten und dann mit ihnen das Nöthige zu berathen. Noch aber war keiner von ihnen zurückgekehrt, als der dritte Gefangene gemeldet wurde. »Ein Dritter? Das wird immer toller! Herein mit ihm!« Fährmann trat ein. Zachwitz stellte sich vorsichtig zwischen ihn und die Nebenzimmerthür. »Wollt Ihr mir wohl –« Er konnte nicht weiter sprechen. Zwei Fäuste faßten ihn von hinten, während er sah, daß der Arretirte von zwei anderen blitzschnell weggezogen wurde. Dann fühlte er sich frei, und als er sich umwendete, war die Thür wieder verschlossen. Jetzt war es ihm wirklich unmöglich, ein schallendes Gelächter zurückzuhalten. Der Baron stimmte ein. Die Situation hatte trotz ihres Ernstes auch eine so komische Seite, daß sie unbedingt zum Lachen hinriß. In dieser Lustigkeit wurden die beiden Männer durch die Rückkehr des einen Rittmeisters, dem bald auch der andere folgte, überrascht. Der sofort gebildete Rath verhörte zunächst die Begleiter des Sternwirthes und beschloß dann, die Thür mit Gewalt zu öffnen
und die Gefangenen, wenn die Vernehmung derselben zu keinem Resultate führe, unter hinreichender Bedeckung noch heute an das Hauptquartier abzuliefern. Schon erhob sich der Major, um diesem Beschlusse gemäß zu handeln, als die Tochter Hämmerlein's gemeldet wurde. Sie konnte nur etwas auf die Sache Bezügliches bringen und wurde sofort vorgelassen. »Herr Major,« bat sie, »der Vater läßt um eine sofortige geheime Unterredung ersuchen. Er hat in Beziehung der Gefangenen eine wichtige Entdeckung zu machen!« »Gut, mein Kind! Hat er sich erholt?« »So daß er sprechen kann, ja.« »So sag', ich komme gleich! Meine Herren, ich kehre jedenfalls bald zurück und bitte, mit den beschlossenen Maßregeln bis dahin zu warten!« Die Unterredung mußte eine sehr wichtige sein; denn statt des Majors kam nach kurzer Zeit Anna wieder und bestellte im Auftrage des Letzteren den älteren Rittmeister, dann nach einer Pause den jüngeren und endlich auch den Lieutenant von Helmerding. Sie gingen nacheinander und überließen die Aufsicht über das Gefangenenzimmer endlich dem Baron, welcher außerordentlich gespannt auf den Ausgang der Sache war und die Rückkehr der Officiere mit Ungeduld erwartete. Nach und nach wurde er unruhig. Er befand sich allein im Zimmer. Die Besatzung stand an der Grenze auf Posten oder war auf Patrouille abwesend; sämmtliche dienstfreie Officiere waren nacheinander zu Hämmerlein gegangen, und im Schlosse selbst gab es kaum ein Dutzend Soldaten, auf deren Beistand er rechnen konnte, wenn es den Gefangenen einfiel, ihr Zimmer zu verlassen. Da klangen rasche Schritte auf dem Corridore; die Thür ging auf, und ein junger Officier in der Uniform eines Dragonermajors trat ein. Den Schloßherrn erblickend, fragte er, sich verbeugend: »Der Herr Baron von Bernstorff?« »Derselbe! Und wer giebt mir die Ehre?« »Der Wachtmeister Heinrich Bellheimer, Herr Baron, der sich nur einstweilen in die Kleidung des gefangenen Majors von Zachwitz geworfen hat, um Euch zu bedeuten, daß Ihr ein Kind des Todes seid, wenn Ihr zu mucksen wagt!« Er zog eine Pistole hervor, schritt an dem erbleichenden und vor
Schreck sprachlosen Manne vorüber und schlug an die Nebenzimmerthür. »Aufgemacht!« »Werda?« brummte es von Einem. »Wachtmeister Bellheimer von Lenzen herüber!« Das Schloß klang; es wurde vorsichtig geöffnet, und hinter einer kleinen Spalte erschien der Schnurrbart Heinzens. »Mordelement, er ist's wirklich! Auf mit dem Loche!« Er trat in das Zimmer, hinter ihm der Fürst. Bellheimer wendete sich an den Letzteren: »Er ist der Lieferant Hillmann?« »Wenn Er nichts dagegen hat!« klang es schnell entschlossen. »Was will Er?« »Seine Durchlaucht, der Herr Feldmarschall Excellenz hat erfahren, welche Gefahr Ihm einer eingebildeten Aehnlichkeit wegen droht, und mich mit einem Detachement herübergesendet, um Ihm aus der Klemme zu helfen. Nehme Er die geborgten Pistolen, die der Major von Zachwitz hier liegen gelassen hat, und komme Er mit mir. Vorwärts, Fährmann, heraus aus der Bude!« Der Fürst und Heinz hatten sich in die Lage, auch ohne sie vollständig zu begreifen, sofort gefunden und verließen das Gemach, ohne den Baron mit einem einzigen Blicke zu beachten. Fährmann wäre jedenfalls lieber zurückgeblieben, hegte aber viel zu großen Respect vor Bellheimer's Pistole, als daß er sich hätte weigern mögen. »Herr Baron, Ihr bleibt hier an dieser Stelle, bis ich wiederkehre!« befahl der Wachtmeister noch und folgte dann den Voranschreitenden nach. Unten standen, von zwei Soldaten gehalten, vier gesattelte Pferde. Der Fürst machte dem Wachtmeister Augen, als wolle er ihn mit ihrem Blicke in Flammen setzen, saß aber mit Heinz sofort im Sattel. »Kann Er reiten?« fragte Bellheimer den Sternwirth. »So steige Er auf! Ich voran, Er in der Mitte und die Beiden da hinter Ihm!« Im scharfen Trabe ging es vom Schlosse fort, durch den Flecken und hinaus ins freie Feld. Am Wege stand Anna mit einem kleinen Bündel in der Hand. »Komm herauf zu mir!« meinte der Wachtmeister, indem er ihr
die Hand herniederstreckte. »Was soll das Mädchen?« fragte Leopold. »Werd's nachher sagen!« Wieder vorwärts ging es so scharf wie möglich durch die Felder und den Wald, an dem einsamen Kruge vorüber und immer weiter, ohne daß sich ein feindliches Wesen sehen ließ. So erreichte man endlich die Elbe unterhalb Mödlich. Ein Kahn lag hart am Wasser; es wurde abgestiegen. Bellmann trat zum Fürsten. »Darf Fährmann wissen, mit wem er gefangen war?« »Nein.« »So bitte ich, vorauszufahren. Ich komme mit ihm nach und werde ihn dem Herrn Oberstwachtmeister von Dennau abliefern.« »Und das Mädchen?« »Wird jetzt mit rudern und mir dann den Kahn herüberbringen.« So geschah es. Auch hier ließ sich kein Hannoveraner sehen. Drüben stand ein preußischer Posten. Er rief den Kahn an, bekam die Losung und ließ die beiden Männer passiren. Anna brachte das Fahrzeug zurück. Die Pferde wurden an den Stern gekoppelt, wo Bellheimer, das Steuer führend, sie beaufsichtigte. Fährmann mußte mit zum Ruder greifen; so gelangte man glücklich hinüber. Hier wurden die Thiere an das Gesträuch gebunden, um später abgeholt zu werden; dann nahm Bellheimer seinen Gefangenen fest am Arme und schritt mit ihm und dem treuen Mädchen dem nahen Lenzen zu. Dort angekommen, fanden sie die Schwadron des Rittmeisters von Galen, welche zum Ausrücken bereit gewesen war, soeben aber den Befehl erhalten hatte, wieder abzusitzen. Kaum hatte er den Sternwirth abgeliefert, so wurde er zum Fürsten beordert. Er fand ihn allein. »Bellheimer, Er Himmeltausendschwerenöther, wie hat Er denn aber das Alles fertig gebracht?« wurde er von ihm empfangen. »Er hat ja alle neunundneunzigtausend Teufel im Leibe!« Der Wachtmeister erzählte Alles von heute früh bis auf den letzten Augenblick. Anna hatte sich am Schlosse nach der Lage der Gefangenen erkundigen und dann die Officiere holen müssen. Diese waren einzeln, wie sie kamen, von Bellheimer überwältigt worden. Den Major, welcher ähnlicher Statur mit ihm war, hatte er zum Kleiderwechsel gezwungen, ihn und seine Kameraden durch Fesseln unschädlich gemacht und sich dann auf das Schloß begeben, wo die
in diesem Augenblicke herrenlosen Soldaten seine Befehle, in der Meinung, er sei vom Hauptquartiere gesendet, sofort respectirt hatten. Es waren ihrer nur wenige gewesen, deren Mehrzahl er mit Befehlen an die Außenposten gesandt hatte, um sich den Rückweg frei zu machen; die Anderen hatten ihm die Pferde der vier mit Hämmerlein eingeschlossenen Officiere satteln müssen. Der Fürst hörte mit immer wachsender Verwunderung zu. »Bellheimer, Er ist ein ganzer Kerl, Er ist ein ganz gefährlicher Halunke, vor dem man sich in Acht zu nehmen hat. Darum soll Er von heut' an stets in meiner Nähe sein. Will Er Lieutenant werden?« »Excellenz –« »Schon gut! Er tritt aus dem Regimente und wird als Officier mein Zeltmeister. Verstanden?« »Zu Befehl, Excellenz! Ich weiß nicht, welche Worte –« »Maul gehalten, Er Schwerenöther! Und Sein Mädchen, das um Seinetwillen den Vater im Stiche gelassen, der allerdings den Strick verdient, soll auch mit mir zufrieden sein. Was sie heut' verloren hat, das soll ihr die Ausstattung wiederbringen, für die ich Sorge tragen werde. Schicke Er sie bis zur Hochzeit nach Dessau. Ich will ihr ein paar Worte an meine alte Anne-Liese mitgeben, die für sie sorgen wird. Den Sternwirth hat Er doch richtig abgeliefert?« »Zu Befehl, ja!« »Schön! Dem will ich lehren, unsere Landeskinder an den Feind zu verkaufen! Spricht der Himmelhund heut' zu mir, der Dessauer stecke voller Grobheiten, wie der Hund voller Flöhe! Wart', er soll den feinsten Strick bekommen, der zu finden ist, und seinen Jungen, den Verräther, den werde ich bei der Parabel nehmen, daß ihm die Anna vergehen soll! Jetzt aber mache Er, daß Er fortkommt; Er weiß ja, was Er dem Bernstorff versprochen hat, sonst sitzt und schwitzt und wartet der auf Ihn bis zum jüngsten Tag!« – Die Frau des Oberstwachtmeistes hatte sich Anna's liebreich angenommen und ihr für jetzt ein Asyl bei sich eröffnet; Bellheimer mußte sich bei der freundlichen Dame bedanken. Dann aber ging's zu Heinz, der schon mit Ungeduld und längst auf ihn gewartet hatte. »Mordelement, läßt Er mich ewig sitzen! Gleich komm Er her hier neben mich und erzähle Er, wie es Ihm gelungen ist, uns aus der Tinte herauszufischen!« Der Bericht begann von Neuem, und der alte brave Leibhusar
war ein ebenso aufmerksamer Zuhörer wie der Fürst. »Heilige Granate, ist Er ein Mordkerl, Bellheimer! Ich bin Ihm immer gut gewesen; jetzt aber muß ich Ihn gradezu umarmen. Komme Er und gebe Er mir einen Schmatz! So! Und nun will ich Ihm nur Eins noch sagen, Wachtmeister –« »Halt; es hat sich ausgewachtmeistert, Heinz!« »Wieso?« »Weil ich von jetzt an Zeltmeister Ihrer Durchlaucht mit Lieutenantsrange bin.« »Ist's wahr, Goldjunge? Victoria, der Knoten ist gerissen; wer weiß, was nun noch Alles aus Ihm wird! Aber freilich, verdient hat Er's reichlich; denn kein Mensch darf wissen, in welch' ein sauberes Loch wir uns geritten haben, und die Sache muß Geheimniß bleiben jetzt und in Ewigkeit, Amen!« »Ich werde zu schweigen wissen!« »Ja, ja, das weiß ich; aber das Mädel, die Anna, der – der Husar?« »Die ebenso wie ich!« »Will's hoffen! Er hat sich da etwas ganz Extrafeines herausgelesen, das muß man sagen. Das Mädel ist verteufelt nett und sauber, gerad' wie – wie die junge Wittfrau, bei der wir damals anno Vier in Quartier lagen, nämlich ich und die Dorchlaucht. Es ging damals gegen die Baiern und Franzosen, und sie hatte wahrhaftig ein Auge auf mich geworfen, so daß ich oft kaum wußte, wohin ich sehen sollte. Eines Tages nun stehe ich unter der Thür und putze grad' mein Lederzeug, da kommt sie die Treppe herab und macht mir ein Gesicht, als ob es gleich zum Altare gehen sollte. Ich strecke auch schon alle zehn Finger nach ihr aus, da kommt es die Straße heraufgaloppirt, hält vor dem Hause, und wer steigt ab? – eine Ordonnanz vom Prinzen Eugenius, die den Befehl bringt, daß –« »Darf ich eintreten?« fragte es da schüchtern am Eingange. Es war Anna, die den Geliebten suchte. Heinz hatte Unglück mit dieser seiner Lieblingsgeschichte. Er brachte sie nie weiter, als bis zu dem Befehle des Prinzen Eugenius; doch war er auch jetzt zu gutmüthig, als daß er dem Störenfried hätte zürnen können. Er nickte ihr vielmehr freundlich zu und meinte: »Ja, kommen Sie nur immer herein, Jüngferchen; dem Wachtm–
wollte sagen, dem Herrn Lieutenant wird's heut' Abend lieber sein, als damals anno Vier, und Ihr kleines Plapperment hört er gewiß zehnmal lieber, als die Beschreibung von meiner jungen Wittfrau, die sich allerdings auch sehen lassen konnte!«
Die Kriegskasse Eine kleine Episode aus einer großen Zeit von E. Pollmer
1. Der Obermüller konnte den Niedermüller nicht leiden und der Niedermüller war dem Obermüller nicht gut, das hatte seine guten Gründe. Die Obermühle war bis vor zehn Jahren die einzige Mühle im Thale gewesen, und ihr Besitzer hatte sich recht gut dabei gestanden; da war der jetzige Niedermüller gekommen, hatte seine neumodische Klapper an den Bach gesetzt und dem Obermüller die Mahlgäste weggenommen. War das etwa schön von ihm? Der Obermüller wenigstens hielt es ganz für das Gegentheil, zumal er den theuern Prozeß verlor, den er anstrengte, um sich seines Concurrenten zu erwehren. Dieser aber war ein durchtriebener Pfiffikus, lachte sich Eins in's Fäustchen und hatte seine Freude über den Aerger seines nun mehr und mehr verarmenden Berufsgenossen. Doch die zwischen den beiden Männern herrschende Antipathie hatte noch einen andern Grund. Der Obermüller war nämlich ein ächtes, braves Rheinlandskind und konnte es nicht verwinden, daß unser schönes Vaterland unter dem Drucke der französischen Herrschaft seufzte, seiner besten Kräfte beraubt wurde und seine reichen Hilfsquellen nach und nach versiechen sah. Der Niedermüller aber war von der obermoseler Gegend herabgekommen, wo man heimlich nach Frankreich hinüber zu schielen pflegte, und kannte keinen andern Herrgott, als den großen Bonaparte, der den Muth gehabt hatte, seine gewaltige Hand nach ganz Europa auszustrecken. Zwar hatte er eine Tochter, der wegen ihrer Schönheit, Sittsamkeit und Herzensgüte, vielleicht auch wegen des zu erwartenden Erbes die Jungburschen alle im Wege herumliefen, aber das machte doch die Sache nicht anders, vielmehr steigerte sich die Abneigung des Obermüllers um ein Bedeutendes, als er bemerkte, daß sie es seinem Franz auch angethan hatte, der des Abends um die Niedermühle strich und am Tage vor lauter Zerstreuung statt des zu mahlenden Getreides den Kartoffelsack in den »Rumpf« ausleerte. Auch heut hatte er allerlei Ungebürlichkeiten, die sonst gar nicht in seiner Art lagen, begangen, und als es nun Abend geworden war, fuhr er mit den Armen in das Sonntagsnachmittagswamms und schickte sich zum Fortgehen an.
»Wo willst Du hin, Franz?« frug der Vater mit jenem unzufriedenen Tone, der jetzt öfters bei ihm zu hören war. »Hinunter in's Dorf; es giebt heute Tanz.« »Wirst aber wohl nicht ganz hinunterkommen!« »Warum?« »Weil Dir die Niedermühle im Wege liegt.« »So gehe ich an ihr vorbei.« »Oder bleibst ein Wenig stehen, bis die Anna herauskommt.« Franz erröthete. »Soll ich etwa vor ihr ausreißen, Vater?« »Nein, das ist nicht nothwendig; aber Du weißt, daß ich das fremde Volk da unten nicht leiden mag. Der Niedermüller ist ein Franzosenfreund; er hat uns um unser Brod gebracht und ist schuld, daß wir Tag für Tag unser Leben wagen müssen, wenn wir nicht verhungern wollen. Die Anna mag gut sein, aber Du kannst schon noch eine Andere bekommen!« »Aber ich mag keine Andere, Vater! Wir haben uns lieb, und Du würdest ihr gewiß auch gut sein, wenn Du sie so kenntest, wie ich sie kenne. Sie spricht gar herzig von Dir und der Mutter und möchte gern an Euch gutmachen, was ihr Vater Ungutes an Euch gethan hat.« »So!« meinte der Müller nachdenklich und seine Stimme klang um ein Beträchtliches milder. »Sie hat mich allerdings immer freundlich gegrüßt, wenn ich ihr begegnet bin, weiter aber kenne ich sie nicht. Was sagt denn ihr Vater dazu?« »Der weiß noch Nichts davon. Er will, sie soll den Douanenlieutenant Jambrieu nehmen, der in St. Goar stationirt ist.« »Siehst Du! Wenn die Anna so denkt, wie Du sagst, so möchte es meinetwegen möglich sein, daß ich einmal Ja sage, aber der Alte wird es nimmermehr zugeben, daß sie den Sohn seines Todfeindes heirathet. Such' Dir also eine Andre! Du bist durch ganz Deutschland gewandert und auch mehrere Jahre in Frankreich gewesen, und wer so viel gesehen und gelernt hat, der bekommt schon eine Frau!« Der Sohn antwortete nicht, sondern nahm die Mütze zur Hand und schritt nach der Thür. Er hatte dieselbe schon geöffnet, als hinter ihm die Weisung ertönte: »Punkt Elf bist Du wieder daheim! Es giebt heut ein gutes Geschäft, und um Zwölf müssen wir über das Wasser sein. Wir
haben Neumond, so daß uns nicht leicht Jemand sehen wird, und wenn uns der Zufall nicht die ganze Zollwache auf den Hals führt, so stecken wir ein schönes Geld in die Tasche. Mit Einem oder Einigen nehmen wir es schon auf.« »Ists viel, was wir zu laden haben?« »Mehr als gewöhnlich, und darum wird auch die Gesellschaft voll beisammen sein. Vielleicht wird es gar an Fahrzeugen fehlen.« »So nehmen wir den Kahn des Niedermüllers dazu. Anna wird mir den Schlüssel dazu geben.« »Weiß Sie denn, daß – – –?« »Ja, sie weiß es. Sie ist ganz zufällig dahinter gekommen, und ich konnte nicht leugnen. Aber Ihr Andern braucht keine Sorge zu haben; ich habe es ihr nur von mir gestanden!« »So! Und sie hat Nichts verrathen? Das ist brav von dem Mädchen!« sagte der Vater. »Ich sehe nicht ein, warum die Einen den Zucker und Kaffee theurer bezahlen sollen als die Andern, und zwar blos deshalb, weil Herr Napoleon einen Grenzstrich zwischen sie gezogen hat.« »Soll ich also den Kahn nehmen?« fragte der Sohn. »Ja; nur nimm Dich in Acht, daß der Alte Nichts merkt! Du brauchst da gar nicht wieder zur Obermühle zu kommen, sondern kannst gleich hinüber rudern. Du weißt ja, wo wir zu treffen sind!« Franz ging. Er war ein rüstiger, straffer und auch hübscher Bursche, dem ein Mädchen schon gut sein konnte; das wußte die Anna am Allerbesten, und darum lehnte sie bereits seit einer Viertelstunde am Gartenzaune und horchte in die stille Nacht hinaus, ob sich der bekannte Schritt des heimlich Geliebten nicht bald vernehmen lassen wolle. –
2. Es war zwölf Uhr des Nachts. Im Douanenhaus zu St. Goar saß der Lieutenant Jambrieu bei der Lampe und schrieb an einem Berichte, welchen er morgen in der Frühe an seine Vorgesetzten nach Bacharach abgehen lassen wollte. Das Schreiben ging ihm heute gar nicht recht aus der Hand; seine Gedanken waren alle auf der Niedermühle, wo es ja Eine gab, die dem leckeren Franzosen in die Augen gestochen hatte. » Morbleu! « murmelte er, die Feder zur Seite legend, »ich bringe partourt keinen gescheidten Satz fertig, weil mir das verteufelte Mädchen im Kopfe liegt. Ich bin so nervös und unruhig. Sollte das vielleicht eine Ahnung sein? Ich habe gehört, sie schamerirt mit dem Franz aus der Obermühle. Vielleicht steckt sie grad jetzt mit ihm in einer Ecke und läßt sich das rothe Mäulchen von ihm küssen. Wenn ich so Etwas bemerkte, ich stäche dem armseligen Coion den Degen durch den Leib! Coion, ja, so hat der Kaiser gesagt und so ist es auch wahr; Coions sind sie alle, diese Deutschen, und Brigands und Spitzbuben dazu, welche zu ganzen Schaaren und Banden den Schmuggel betreiben, ohne daß man ihnen beikommen kann!« In diesem Augenblicke hörte er eilige Fußtritte dem Hause nahen, und einige Secunden später trat ein langer, hagerer Mann in das Zimmer, dem der Schweiß in großen Tropfen auf Stirn und Mund stand. »Verzeihung, Herr Lieutenant, daß ich so spät störe,« entschuldigte er sich; der Angeredete ließ ihn aber den beabsichtigten Satz nicht beginnen, sondern erwiderte, sich erhebend, mit dem Tone eines Gönners: »Ihr seid es, Niedermüller? Ihr stört mich nicht und wenn Ihr mitten in der Nacht mich aus dem Schlafe weckt! Was führt Euch zu mir? Ihr seid ja ganz außerordentlich echauffirt!« »Es ist auch die Sache darnach, Herr Lieutenant, und ich bin in meinem ganzen Leben noch nicht so gelaufen wie jetzt, um noch zur rechten Zeit zu kommen!« »Zur rechten Zeit? Diable! Das klingt ja fast, als hättet Ihr mir eine wichtige Botschaft zu bringen. Setzt Euch und sprecht!«
Der Müller nahm auf dem dargebotenen Stuhle Platz und begann: »Sie kennen den Obermüller, Herr Lieutenant?« »Ja.« »Und seinen Sohn, den Franz?« »Auch ihn. Warum fragt Ihr?« »Sie wünschen die Schmuggler zu fangen, die Ihnen bisher so geschickt entgangen sind?« »Ob ich will? Sacre nom du dieu, ich habe keinen heißeren Wunsch, als sie einmal auf frischer That zu ertappen. Sie schaffen nun seit Jahren die kostbarsten Waaren im Werthe von vielen tausend Franks über die Grenze, ohne daß es gelungen ist, ihrer habhaft zu werden. Aber was hat dies mit dem Obermüller zu thun?« »Er ist ein Mitglied der Bande oder gar ihr Anführer.« » Helas! Ist das möglich! Woher wißt Ihr es?« »Das sollen Sie gleich hören! Schon seit einiger Zeit habe ich bemerkt, daß die Anna zu einer gewissen Abendstunde in den Garten geht; es ist mir aufgefallen, und ich beschloß, ihr einmal nachzugehen, um zu sehen, was sie zu so ungewöhnlicher Zeit da draußen zu thun habe. Heut' bin ich ihr nachgeschlichen, und was denken Sie, was ich gesehen habe?« »Nun?« »Sie stand mit dem Franz am Zaune, und verhandelte allerlei ungereimte Dinge mit ihm. Ich stand schon im Begriffe, mich zu erkennen zu geben, als er von ihr den Schlüssel zu meinem Kahn verlangte, auf welchem ich den jenseitigen Kunden das Mehl zu bringen pflege.« »Weiter, weiter!« drängte der Douanenoffizier. »Weiter? Ich bin fertig. Das Uebrige können Sie sich denken!« »Denken? Hm, ja. Also der Franz schamerirk mit Eurer Tochter. Das habe ich mir schon längst gedacht! Ich hoffe aber, daß – – –« »Keine Sorge, Herr Lieutenant! Nun ich weiß, was hinter meinem Rücken vorgeht, werde ich dafür Sorge tragen, daß es nicht wieder geschieht.« »Natürlich! Aber Ihr könnt doch unmöglich mit Eurer Geschichte fertig sein?« »Ich bin fertig, denn das Andre hat für Sie kein Interesse,« meinte der vorsichtige Müller, welcher seine Tochter nicht in
Gefahr bringen wollte. »Nur das habe ich zu sagen, daß der Bursche mit meinem Kahn hinüber ist; sein Vater fuhr später auch ab, und etwas weiter unten bemerkte ich ebenfalls einige Boote, welche vorsichtig hinüber steuerten. Man hatte die Ruder mit Lappen umwunden. Es gilt jedenfalls ein Unternehmen, und ich bin daher Hals über Kopf nach St. Goar gelaufen, um Ihnen Nachricht davon zu bringen.« »Ich danke Euch, Niedermüller; es wird Euer Schade nicht sein!« antwortete Jambrieu und begab sich nach der Thür, um den im Vorraume befindlichen Zollwächter herbei zu rufen. Nachdem er diesem die nöthigen Befehle ertheilt hatte, schnallte er sich den Degen fester, steckte die geladenen Pistolen bei und warf den Mantel über. »So, jetzt bin ich armirt, und nun allons, Niedermüller, Ihr geht ruhig nach Hause; es braucht Niemand zu wissen, wem ich die Kunde verdanke; ich aber begebe mich nach dem rendez-vous, an welchem ich meine Leute erwarten werde.« Die beiden Männer verließen das Haus und schritten am Ufer abwärts, bis sie die Stelle erreicht hatten, wo nach der Aussage des Niedermüllers Franz mit dem Boote abgestoßen war. Der Erstere verabschiedete sich hier, um nach seiner Wohnung zu gehen, der Lieutenant aber begab sich nach einer in der Nähe liegenden Stelle, wo er bereits einige seiner Untergebenen vorfand, welche er durch den schnell abgesandten Boten an diesen Ort befohlen hatte. In kurzer Zeit stießen noch Mehrere hinzu, und bald waren die Wächter in einer Anzahl versammelt, welche genügend war, auch einen größeren Trupp, als die Schwärzer gewöhnlich zu bilden pflegten, siegreich in Empfang zu nehmen. Der Offizier vertheilte seine Leute nach ab- und aufwärts in einer Weise, daß eine bedeutende Strecke des Stromes von ihnen beobachtet werden und ihre Vereinigung auf das gegebene Zeichen doch leicht und schnell erfolgen konnte, und bald lag tiefe Stille auf der Gegend, welche in jedem Augenblicke der Schauplatz eines blutigen und erbitterten Kampfes werden konnte. Die Zeit verging. Mitternacht war längst vorüber. Es schlug Eins und Zwei. Da endlich ließ sich unterhalb des Ortes, an welchen Jambrieu sich befand, ein klagender Unkenruf vernehmen. So rasch und geräuschlos wie möglich eilte er vorwärts und traf fast zu gleicher Zeit mit den Anderen bei dem Douanier ein, welcher das
Signal gegeben hatte. »Was giebt es, Sombrier?« frug er ihn. »Hast Du Etwas bemerkt?« »Bücken Sie sich nieder, Herr Lieutenant,« lautete die Antwort, »daß Ihr Auge in gleicher Linie mit dem Wasser kommt, und blicken Sie hier hinüber!« Der Offizier folgte der Weisung und suchte das nächtliche Dunkel in der Richtung zu durchdringen, welche ihm der erhobene Arm des Sprechers angab. Der leise, phosphorische Schimmer, welcher die Oberfläche des Wasser kennzeichnete, ließ einige schwarze Punkte erkennen, welche auf dem Strome sich bewegten und bei ihren Nahen sich mehr und mehr vergrößerten. » Voilà, da sind sie! Tretet zurück; laßt sie ruhig aussteigen und die Boote befestigen. Dann aber rasch auf sie los!« Er hatte sich in seiner Voraussetzung verrechnet; die Schmuggler waren klüger und vorsichtiger als er dachte. In sicherer Entfernung vom Ufer ließen sie die Boote halten, und bald zeigte ein leises Plätschern, daß Einer von ihnen in das Wasser gesprungen war, um an das Land zu schwimmen und daselbst zu recognosciren. Mit kraftvollen Armen theilte er die Fluth, stieg leise und langsam die Dammböschung empor und blieb hier horchend stehen. Da klang ein leiser Ton durch die Nacht, so leise, daß er einem Anderen vielleicht entgangen wäre; er aber hatte ihn vernommen und griff zum Messer. » Sacré, « murmelte Jambrieu zwischen die Zähne, »muß ich auch jetzt grad an den verteufelten Säbel stoßen! Ich werde dem Kerl den Rückzug abschneiden, damit er nicht zurück in das Wasser kann!« Er hatte einen höchst unklugen Entschluß gefaßt. So leise er auch aufzutreten versuchte, der Schmuggler vernahm doch das Geräusch seiner Schritte und wandte sich nach dem Strome um. Jedenfalls war es seine Absicht, die Boote schwimmend wieder zu erreichen; er konnte sie aber nicht ausführen, denn noch hatte er keinen Fuß im Wasser, so fühlte er sich von dem Offizier gepackt und zurückgehalten. »Zurück!« rief er mit laut schallender Stimme; »die Zollratten sind da!« und machte zu gleicher Zeit eine Anstrengung, von dem Lieutenant loszukommen. Es gelang ihm nicht, denn es hatten sich zahlreiche Hände
ausgestreckt, die ihn packten, und während er mit den überlegenen Gegnern rang, zog Einer derselben die geöffnete Blendlaterne unter dem Mantel hervor und ließ ihm den hellen Schein derselben in das Gesicht fallen. »Der Franz,« rief es; »der Franz aus der Obermühle!« Und »Bindet ihn!« fügte der Offizier hinzu. Franz war erkannt; gelang es ihm nicht, zu entkommen, so war sein Loos die Galeere. Der starke Bursche fühlte bei diesem Gedanken seine Kräfte sich verdoppeln: wie der Löwe die Hunde, so schüttelte er die kleinen, schmächtigen Franzosen von sich ab; sie stürzten um ihn zur Erde, und nur Jambrieu hielt so fest, daß nicht von ihm loszukommen war. »Laß los, Bonapartenpudel, sonst magst Du sehen, wie es Dir geht!« »Meinst Du, Coion? Zeig' doch, was Du kannst!« »Sollst's gleich sehen!« antwortete es. Der blasse Schimmer einer blanken Messerklinge leuchtete auf den Offizier nieder; er stieß einen kurzen, schrillen Wehelaut aus, fuhr zuckend mit dem Armen in die Luft und brach dann zusammen. Mit einigen Sprüngen brachte Franz sich aus dem Bereiche seine Feinde und war im nächsten Augenblicke in der Finsterniß verschwunden. Ein fernes Plätschern bewies, daß die Boote den Warnungsruf beachtet hatten und schleunigst davonruderten. Der erwartete Fang war den unachtsamen Häschern entgangen. – – –
3. Es war um Weihnachten. Der Winter war über das Land gegangen und hatte seine Schneeflocken auf Feld und Flur gestreut. Deutschland lag unter der drückenden, erwartungsvollen Stille, wie sie dem Sturme vorherzugehen pflegt; am Rheine war die politische Schwüle am drückendsten, und der heilige Christ, welcher sonst so fröhliche Gesichter findet, begegnete gar manchem ernstblickenden Auge, welches von Dingen redete, die der Mund nicht auszusprechen wagte. Auch auf den beiden Mühlen ging es außerordentlich ruhig zu. Von Franz hatte man seit jener Nacht Nichts wieder gehört. Jambrieu war von der erhaltenen Messerwunde vollständig genesen und wohnte jetzt in der Niedermühle. Er schien sich in St. Goar nicht mehr ganz sicher zu fühlen und hatte dieses Logis gewählt, weil er bei dem zu erwartenden Rückzuge gern einen reichen Vogel mitgenommen hätte. Anna sträubte sich zwar nach Kräften gegen die von dem Vater ihr aufgezwungene Verbindung, aber das Drängen des Lieutenants wurde von Tag zu Tag nachhaltiger, und es war vorauszusehen, daß er den Müller endlich zu einem rücksichtslosen Machtspruch bewegen werde. So war der zweite Feiertag gekommen; die Familie saß noch spät in der von dem brennenden Tannenbaume hell erleuchteten Stube und horchte auf die ruhmredigen Berichte, welche Jambrieu zum hundertsten Male von seinem Kaiser vortrug. Da klopfte es an die Thür, und auf das laute »Herein« des Müller trat ein Mann herein, dessen zerfetzte Kleidung auf überstandene schwere Strapazen deuteten. Er trug den linken Arm in der Binde und ein Heftpflaster über das Gesicht, welches sich von der Nase bis fast an das Ohr erstreckte. Hätten ihn nicht schon diese Blessuren als Krieger gekennzeichnet, so wäre es sicher durch das Kreuz der Ehrenlegion geschehen, welches seine breite Brust schmückte. »Kut' Apend!« grüßte er in gebrochenem Deutsch. »Kann ein arm' Soldat 'ab' un peu ßu ess', ßu trink' hund ßu schlaf'?« Der Douanenoffizier erhob sich sofort und zog den beklagenswerthen Mann an den Tisch. Es verstand sich von selbst,
daß ihm das Begehrte reichlich vorgesetzt wurde, und ebenso zahlreich waren auch die Fragen, welche er während des Essens zu beantworten hatte. Er gehörte zu der großen französischen Armee, welche aus Rußland retirirt war, in Deutschland geschlagen wurde und ihre versprengten Theile als Bettlerkolonnen heim in das gelobte Frankreich sandte. Im Laufe des Gespräches fand es sich, daß er ein Müller sei, und dieser Umstand bewog den Hausherrn zu der Frage, ob er auf der Niedermühle bleiben wolle, bis er sich von den ausgestandenen Beschwerden erholt habe. Er willigte mit Freuden ein und ward nach vollendetem Abendbrode bedeutet, sich von der Tochter des Hauses zur Ruhe weisen zu lassen. Anna ergriff eines der Lichter, um ihn zu begleiten, es zitterte in ihrer Hand, aber sie brachte ihre Angst nicht eher zum Ausdrucke, bis sie in der Kammer stand, wo kein Lauscher zu befürchten war. »Franz!« Nur das eine Wort sprach sie aus, aber der Ton sagte mehr, als alle Worte es vermocht hätten. »Anna! So hast Du mich erkannt?« »Nicht gleich, aber endlich doch. Um Gottes Willen, geh' fort von hier; wenn es herauskommt, wer Du bist, so bist Du verloren!« Er nahm das falsche Haar vom Kopfe, entfernte den struppigen Bart aus dem Gesichte und warf die Binde fort, die seinen Arm gehalten hatte. »Ich bleibe hier, Anna; ich muß hier bleiben, und Niemand wird mich erkennen!« »Nein, Du mußt fort; ich würde sonst vor Angst sterben!« »Es geht nicht; ich muß, Anna, und damit laß es gut sein! Wie steht es mit dem Jambrieu?« »Ich muß ihn nehmen, wenn keine Hilfe kommt.« »Sie wird kommen, und zwar bald. Deswegen bin ich hier. Wie geht es meinen Eltern?« »Sie sind gesund und wohl. Was ist's hier mit dem Pflaster? Geht das auch herunter?« »Nein, der Hieb ist nicht falsch; ich habe ihn wirklich erhalten.« »Einen Hieb? Sag', wo!« »Das werde ich Dir später erzählen. Jetzt geh' hinab, damit Niemand Verdacht schöpft!« Er schlang die Arme um sie, gab ihr einen herzlichen Kuß und schob sie dann zur Thür hinaus. Nachdem er die Letztere verriegelt
hatte, öffnete er das Fenster. Es führte auf den Damm des Teiches, welchen der Bach hier bildete und an welchen sich die hintere Seite des Hauses lehnte. Mit einem gewandten Sprunge stand er draußen und gelangte auf einem Umwege zu dem Pfade, welcher längs des Wassers hinauf zur Obermühle führte. Dort angelangt, fand er die Thür verschlossen und alles Licht erloschen. Die Eltern, welche er sehen wollte, waren schlafen gegangen. Sollte er sie in ihrer Ruhe stören? Nach kurzem Besinnen beschloß er, umzukehren. Er mußte mehrere Tage bleiben und konnte sie also ja morgen aufsuchen. Langsam schritt er den Weg, welchen er gekommen war, wieder hinab und stand, als er die Niedermühle erreicht hatte, eben im Begriff, seine Kammer aufzusuchen, als er Schritte vernahm, welche sich von vorn dem Hause näherten. Er blieb lauschend stehen. Es wurde geklopft, und als nach einiger Zeit der Müller aus dem geöffneten Fenster blickte, frug eine Stimme in fremdländischem Accent nach dem Lieutenant Jambrieu. Franz schlich sich näher und versteckte sich hinter einem Haufen Reißholz, welcher in der Nähe der Thür aufgeschichtet lag. Der Lieutenant erschien nach einiger Zeit; aber kaum hatte der späte Gast einige Worte zu ihm gesprochen, so faßte er ihn am Arme und zog ihn von der Thür hinweg bis in die nächste Nähe des unberufenen Lauschers. Dieser vernahm jedes Wort der hastig geführten Unterhaltung und erhob sich, als die beiden Männer sich mit raschen Schritten entfernt hatten, mit einem tiefen Athemzuge aus seiner gebückten Stellung. Es währte eine lange Zeit, ehe sie wiederkehrten, aber nicht zu Zweien, sondern zu Dreien. Sie trugen einen schweren Gegenstand, machten einen möglichst weiten Bogen um die Mühle und verschwanden in dem Gesträuch, welches den Teich von drei Seiten umgab. Nach wenigen Minuten knirrschte es wie zerbrochenes Eis und es wurde ein kurzes Plätschern hörbar, als werde ein fester Gegenstand in das Wasser gesenkt und fahre, von den haltenden Händen losgelassen, mit kräftigem Schlage zu Boden. Am nächsten Morgen fand der Müller statt des einen Franzosen, den er gestern aufgenommen, noch zwei, welche durch den Lieutenant hier ein Obdach gefunden hatten und für einige Tage hier zu bleiben erklärten. Und zu derselben Zeit traf man bei St. Goar auf einen alten Wagen, vor welchen ein alter, abgetriebener Gaul
gespannt war, der traurig und hungrig den Kopf zur Erde senkte. Das Geschirr war aus irgend einem Grunde von seinem Führer verlassen worden.
4. Das Neujahr 1814 war gekommen. Draußen in der Welt bereiteten sich große Dinge vor, und auch in der Niedermühle schien ein Sturm im Anzuge zu sein. Es konnte nicht verschwiegen bleiben, daß die Sache Napoleons auf schlimmen Füßen stehe, sämmtliche Douaniers hatten Ordre bekommen, sich marschfertig zu halten, aber der Befehl zum Rückzuge zögerte von Stunde zu Stunde. Der Glaube an die Allmacht des großen Corsen war so stark, daß man an den erlittenen Niederlagen zweifelte und aller Augenblicke den Bericht erwartete, er sei an der Spitze seiner Legionen erschienen und habe den Feind mit einem seiner gewaltigen Schläge für immer zu Boden geworfen. Die vier Franzosen, welche jetzt die Mühle mitbewohnten, waren sehr darüber einig, daß diese Hoffnung in Erfüllung gehen werde, und der Eine von ihnen, welcher Müller war und das Kreuz der Ehrenlegion trug, übertraf sogar den Lieutenant an Eifer, für seinen glorreichen Kaiser auch mit der Zunge zu fechten. Er schien ihm auch in anderer Beziehung den Vorrang ablaufen zu wollen, wenigstens bemerkte der eifersüchtige Jambrieu, daß zwischen ihm und Anna trotz seines nichts weniger als ansprechenden Aeußeren eine immer wachsende Sympathie stattfinden müsse, und schon zu wiederholten Malen hatte er daher im Begriff gestanden, sein vermeindlich besseres Recht nunmehr zur Geltung zu bringen. Der Müller fühlte sich nirgends wohler, als in der Gesellschaft dieser vier Männer, welche den gleichen Abgott mit ihm hatten und – es sich an seinem Tische trefflich schmecken ließen. Jemehr er grad jetzt um seines politischen Bekenntnisses willen von den Nachbarn gemieden wurde, desto fester hielt er dasselbe, und die Gerüchte, welche über den Vormarsch der Verbündeten im Umlauf waren, machten so wenig Eindruck auf ihn, daß er die Verlobung Anna's mit Jambrieu auf den heutigen Abend festgesetzt hatte. Er hatte erwartet, bei der Tochter den kräftigsten Widerstand zu finden und wunderte sich nicht wenig, als sie sein Machtwort mit der gleichgültigsten Miene hinnahm und die nothwendigen wirthschaftlichen Vorbereitungen zu dem Familienfeste ohne besondere Anweisung traf. Er glaubte, sie sei endlich einmal klug
geworden; ein Douanenoffizier ist ein schwerwiegendes Menschenkind, und wenn eine Müllerstochter ihn zum Manne bekommt, so hat sie von einem Glücke zu sagen. Es waren für den Abend wenig Gäste geladen; aber der Kreis der Verwandten und Hausgenossen war ein so zahlreicher, daß sich bald eine lebhafte Unterhaltung entwickelte, welche gegen Mitternacht hin, wo das bindende Verlöbniß stattfinden sollte, in Folge des reichlich genossenen Weines außerordentlich animirt wurde. Nur Jambrieu theilte nicht die frohe Laune der Anderen; er bemerkte gar zu wohl die Blicke, welche möglichst verstohlen zwischen Anna und dem Legionär gewechselt wurden; so gern er den Letzteren in den ersten Tagen gehabt hatte, so wenig konnte er ihn jetzt leiden, und es schwebte von Minute zu Minute ein scharfes Wort auf seinen Lippen, welches er nur zurückhielt, weil das schöne Mädchen ihm doch jedenfalls nun sicher war. Er gab sich Mühe, seine Eifersucht zu überwinden und ergriff das gefüllte Glas, um einen Toast auf seinen Kaiser auszubringen. Alles stimmte in das » vive l'empereur! « ein, und nur der Legionär bückte sich unter den Tisch, als sei ihm irgend Etwas zur Erde gefallen. Jetzt erhob sich auch der Müller zu einem Toaste. Er spöttelte über die kleinen Feinde Napoleons und forderte auf, die Gläser auf den baldigen Untergang derselben zu leeren. Alle folgten dieser Weisung außer wieder dem Legionär, welcher, sein Glas zwischen den Fingern drehend, ruhig sitzen blieb. » Helas, « meinte Jambrieu, »bist Du an den Stuhl gewachsen? Was soll das heißen, daß Du Dich gar nicht rührst?« »Das soll 'eiß, Napoleong sein perdu, Napoleong sein futsch, Napoleong sein kaput, sakt die Kossak,« antwortete er in seiner gebrochenen Sprache. Diese Worte brachten ein ungeheueres Aufsehen hervor; eine solche Versündigung an dem gewaltigen Herrscher war unerhört, und Jambrieu machte Miene, sich auf den Verbrecher zu stürzen, als plötzlich die Thür hastig aufgerissen wurde und ein Douane mit Sack und Pack hereintrat, um dem Lieutenant einen verschlossenen Brief zu überreichen. Jambrieu besah das Couvert. Das Schreiben kam von seinem Vorgesetzten. Er las es und tiefe Blässe breitete sich über seine erschrockenen Züge.
»Der Feind ist da,« rief er; »wir müssen fort. Rasch vorwärts in die Berge, bis der Kaiser sie wieder packt und vernichtet!« Jambrieu eilte zur Thür, prallte aber dort um einige Schritte zurück, denn vor derselben stand die hochaufgerichtete Gestalt des Legionärs, welcher ihm die Pistole entgegen hielt. »Wart' Sie nok ein klein Wenik, 'err Lieutenant,« meinte er lächelnd; »Sie 'ab' verkeß', mitßunehm' Ihr Braut!« »Was soll das heißen?« frug der vollständig verblüffte Offizier. »Es soll 'eiß', daß Franzis sein kaput und die 'err Lieutenant sein auk kaput!« »Kaput? Ich?!« » Oui, kaput, ßerr kaput!« »Zurück, Schurke; laß Deinen dummen Witz! Ich habe keine Zeit, ihn anzuhören.« »Ah, die 'err Lieutenant muß lauf', lauf' über die Berg vor der Cuchons, die freß' all' Franzos' und all' Douaniers. Hêlas, die 'err Lieutenant muß bleib' in diese chamber bis komm' der Cuchons! « Jambrieu wollte ihn fassen; der Legionär aber stieß ihn zurück, riß die Perrücke vom Kopfe, den Bart vom Gesichte und warf das alte Camisol, welches er getragen hatte, vom Leibe. Ein Schrei des Schreckens entfuhr der aufgeregten Versammlung, denn statt des verwundeten Franzosen stand Franz vor ihnen, der dem Douanenoffizier mit einem raschen Griffe den Degen entriß. Er trug eine schwarze, roth vorgestoßene Litewke, von welcher die goldgelben, halbmondförmigen Achselstücke sich glänzend hervorhoben; das dunkle Lederzeug stak voller Waffen, und seine ganze Haltung war eine solche, daß keiner der Franzosen sich auf ihn zu werfen wagte, zumal Alle die fürchterliche Uniform kannten, welche er trug: er war ein Lützower. Den Degen Jambrieu's hinter sich an die schnell verriegelte Thür lehnend, zog er eine zweite Pistole hervor. Die Hähne knackten, ein leiser Druck der Finger und die tödtlichen Schüsse mußten krachen. »Kennen Sie mich jetzt, Herr Lieutenant?« frug er ernst. »Sie wollten einst den Schmuggler fangen, jetzt hat er Sie im Sacke. Und nun paßt auf, Ihr Leute: Wer nicht sofort thut, was ich befehle, den schieße ich auf der Stelle nieder!« Man sah es ihm an, daß er Ernst machen werde, und als ein kurzes, barsches »Setzt Euch!«
erscholl, suchten Alle außer Jambrieu die verlassenen Sitze wieder auf. »Herr Lieutenant, ich schieße. Setzen Sie sich! Eins – zwei – –« Der eingeschüchterte Offizier wartete die verhängnißvolle »Drei« nicht ab. »Aber was wollen Sie denn eigentlich von uns?« frug er kleinlaut, indem er sich ruhig auf dem Stuhle niederließ. »Wir werden Ihnen nicht das Geringste zu Leide thun, sondern ganz ruhig unseres Weges gehen!« »Ich habe noch Mehreres mit Ihnen zu verhandeln!« lachte der muthige Lützower. »Zunächst sage ich Ihnen meinen Dank für den Unterricht, welchen Sie mir über die Stellung der Ihrigen so – so naiv gegeben haben. Ich bin stets des Nachts fortgewesen, um das Vernommene an gehöriger Stelle zur Meldung zu bringen.« » Mille tonnerre! « fluchte der blamirte Douanier zwischen die Zähne. »Ferner muß ich Ihnen dafür danken, daß Sie im Eise des Mühlteiches ein so deutliches Zeichen angebracht haben. Ich hätte sonst nicht so leicht die Stelle gefunden, wo der eiserne Kasten von Ihnen versenkt wurde.« » Sacré bleu! « rief er aufspringend. »Ich muß fort; der Kerl weiß Alles! En avant, Ihr Leute; schlagt ihn nieder; wir müssen die Kriegskasse retten!« Er kam nicht weit, der drohende Lauf der Pistole hielt ihn zurück. »Niedergesetzt!« erklang es drohend. »Für die Kassewerden bessere Leute sorgen, als Sie!« Des Leutenants Augen blitzten wüthend auf, aber er mußte gehorchen, wenn er sein Leben nicht verlieren wollte. Franz wandte sich jetzt zum Niedermüller. »Jetzt kommt an Euch die Reihe! In wenigen Minuten ist Euer Haus von den siegreichen Cuchons besetzt. Wißt Ihr, wie Ihr stets von ihnen gesprochen und was Ihr ihnen erst vorhin noch gewünscht habt?« Der Müller erbleichte; er vermochte nicht zu antworten. »Euer Schicksal hängt von Eurem gegenwärtigen Verhalten ab. Ich habe keine Zeit zu langen Reden. Antwortet mir also kurz und bündig: Ist Eure Tochter noch frei?« »Ja,« erwiderte er zitternd und zögernd.
»Ihr habt Euch auf eine Verlobung eingerichtet. Der Herr Lieutenant wird entsagen müssen. Anna, komm her!« Das Mädchen, welche eine angstvolle Zeugin des ganzen Vorganges gewesen war, trat zu ihm. Er faßte ihre kleine, bebende Hand. »Herr Niedermüller, Ihr wißt, daß wir Beide uns lieb haben. Gebt mir die Anna zur Frau!« Der Müller schwieg. »Antwortet! Ja oder nein?« Der Gefragte blickte rathlos im Kreise umher. Da erklang lautes Pferdegetrappel und ein lauter Kommandoruf vom Hofe herauf in die Stube; die Hausthür wurde aufgerissen, und fragende Stimmen ließen sich hören. »Nun! Macht schnell, die Cuchons sind da!« »Ich – habe – – Nichts dawider!« lautete die seufzende Antwort, während Jambrieu sich mit einer protestirenden Armbewegung erhob. Franz zog das Mädchen an sich und drückte einen schallenden Kuß auf ihre Lippen. »So ist's recht,« erklang es da hinter ihm; »nur drauf, immer drauf, wer Glück und Sieg begehrt!« Es war ein Greis, der diese Worte sprach. Er mochte seine siebzig Jahre zählen, aber seine Haltung war eine noch ungemein rüstige. Ein langer Mantel fiel von seinen Schultern, eine leichte Interimsmütze bedeckte den graubehaarten Kopf; der dichte, weiße Schnurrbart stand ihm gar martialisch zu Gesichte, und wie er so dastand, die Linke am Degengriffe, in der Rechten die kurze, qualmende Pfeife, und mit dem großen, scharfen Auge die Versammlung überfliegend hätte es wohl Keiner gewagt, ein Wort zu sprechen, ohne von ihm gefragt zu sein. Er hatte sofort die Situation vollständig begriffen. »Aha, eine Verlobung auf dem Degenknopf! Oder nicht?« »Zu Befehl, Excellenz, ja!« antwortete Franz mit salutirender Handbewegung. »Gratulire! Der Alte dort wird Wort halten müssen!« Und auf Jambrieu deutend, fuhr er fort: »Ist das der Zöllner, dem wir Deine Nachrichten verdanken, mein Sohn?« »Zu Befehl, ja!« »Er wird uns die Monneten lassen müssen! Wo stecken sie?« »Im Teiche, Excellenz.«
» Fi donc, « lachte der alte Feldmarschall, welcher vor kaum einer Viertelstunde bei Caub über den Rhein gegangen war, »die Napoleons im kalten Wasser! Wir müssen sie erretten; zeige uns den Ort, mein Sohn!« Er kniff Anna freundlich in die Wange und schritt hinaus; ein Wink an die Draußenstehenden genügte, die in der Stube befindlichen Personen unter sichere Wache zu bringen. Franz folgte ihm und nahm unten im Hofe eine Hacke zur Hand. Eine Schaar Lützower hielt vor dem Hause. Die berühmten Freischärler hatten den Rheinübergang eröffnet und waren von Blücher zur Begleitung nach der Mühle befohlen worden. Die Offiziere schlossen sich dem Feldherrn an. Beim Teiche angekommen, deutete Franz auf eine tiefe und hartüberfrorene Stelle, welche unweit des Ufers lag. »Hier ist's, Excellenz! Sie haben den Kasten an Stricken befestigt, deren Enden so im Eise angebracht sind, daß sie mit eingefroren sind.« »Schön; so haben wir leichte Arbeit. Hack' zu; ich habe nicht viel Zeit!« Mit wenigen Schlägen war die Scholle herausgehauen; die Stricke wurden gefaßt, und bald lag der Kasten am trockenen Ufer des Teiches. »Uebernehmen Sie die Chatulle, Horwitz,« wandte sich Blücher an einen der Offiziere, »und rapportiren Sie mir am Morgen über ihren Inhalt. Die Douaniers werden sofort mitgenommenen! – Du aber, mein Sohn, hast zwei volle Tage Urlaub. Ich werde dafür sorgen, daß Deine Verdienste nicht vergessen werden!« Nach wenigen Minuten ertönte wieder lautes Pferdegetrappel, und bald lag die Niedermühle einsam wie zuvor im nächtlich dunklen Thale. In der Stube aber, wo der Feldmarschall die Küssenden überrascht hatte, ging es noch lange Zeit munter und lebendig her. Obermüllers waren geholt worden; Franz saß jetzt an der Seite Anna's auf demselben Stuhle, welcher vorhin den Douanierleutenant getragen hatte; Toast auf Toast erklang, und als der Niedermüller, welcher vor dem jungen Manne einen ganz gehörigen Respekt bekommen hatte, den Seinigen ausbrachte, klang derselbe ganz anders als der vorige und hatte nicht den großen Napoleon zum Gegenstand, sondern diente zur Verherrlichung des wackeren, alten Marschall »Vortwärts.« – – –
Aqua benedetta Ein geschichtliches Räthsel von Emma Pollmer
1. In Versailles Ludwig der Fünfzehnte ging im Parke von Versailles spazieren. Während die bevorzugten Herren und Damen seines Hofes in respectvoller Entfernung folgten, hielt sich die Marquise von Pompadour, seine allmächtige Geliebte und eigentliche Gebieterin Frankreichs, dicht an seiner Seite, und die lebhaften Gestikulationen der beiden hohen Personen bewiesen, daß der Gegenstand der Unterhaltung ein für sie außerordentlich interessanter sein müsse. »Kennen Sie seine Abstammung, Madame?« frug der König. »Sie ist ein Geheimniß, Sir, über welches er die tiefste Verschwiegenheit beobachtet, und ich glaube, daß selbst Ew. Majestät Fragen hier ohne Erfolg sein würden.« »Dann hat er Gründe, seine Vergangenheit zu verbergen. Er ist aber trotzdem ein sehenswerther Abenteurer.« »Der dem Staate von unendlichen Nutzen sein kann,« fügte die Favorite angelegentlich hinzu. »Es scheint sicher zu sein, daß ihm die Fabrikation edler Steine und Metalle wenig Schwierigkeiten verursacht; er hat während der kurzen Zeit seines Hierseins die bewundernswerthesten Kuren vollbracht und besitzt ein Elexir, welches die Einwirkungen des Alters vollständig aufhebt.« »Also ein Adept, ein Wunderdoctor!« »Mehr, viel mehr als dies, Sire! Er zeichnet und malt genial, ist Virtuos verschiedener musikalischer Instrumente und spricht außer französisch, englisch, deutsch, italienisch, spanisch, portugiesisch und den sämmtlichen alten Sprachen auch türkisch, arabisch, persisch und chinesisch. Der Mann ist ein Mirakel!« »Und zwar eins von denen, deren Bewunderung in Enttäuschung übergeht. « Die Marquise war sichtlich bemüht, die Zweifel des Königs zu beseitigen. »Gestatten Ew. Majestät, die Gräfin von Gergy zu rufen!« bat sie, und ohne die Antwort abzuwarten, wandte sie sich um und winkte einer Dame, welche sich im Gefolge befand. Der längst verstorbene Graf von Gergy war vor fünfzig Jahren
Gesandter in Venedig gewesen; die Dame war seine Wittwe. »Seine Majestät wollen das Nähere über Ihr Zusammentreffen mit dem Grafen von St. Germain in Venedig wissen, meine Liebe. Wollen Sie Ihren Bericht kurz wiederholen!« Die Gräfin verneigte sich zustimmend. »Darf ich fragen, wie alt mich Ew. Majestät schätzen?« frug sie. Der König lächelte über diese Frage, welche eine Dame nur in der sicheren Erwartung eines Complimentes auszusprechen pflegt. Er befand sich bei angenehmer Laune und beschloß, die Gräfin durch eine hohe Ziffer zu ärgern. Er schätzte sie fünfzig, antwortete aber schnell und kurz: »Sechzig!« Jetzt war es die Frau von Gergy, welche lächelte. »Sire, mein erstes Zusammentreffen mit dem Grafen St. Germain fällt um volle fünfzig Jahre zurück,« antwortete Frau von Gergy, »und damals zählte ich einige Jahre über dreißig.« »Nicht möglich!« rief Ludwig, im Stillen etwas ärgerlich über die Blöße, welche er sich gegeben hatte. Ein König muß ja Alles wissen; sogar die Verhältnisse Derjenigen, welche sich in seiner Nähe befinden, soll er kennen. »Ich habe in Bezug auf mein Aeußeres jenes Alter von dreißig Jahren ein volles Vierteljahrhundert hindurch unverändert behalten, und zwar in Folge eines Trankes, welchen mir der Graf von St. Germain damals gab, und selbst als der letzte Tropfen dieses köstlichen Elexirs verbraucht war, hat es seine Wirkung bis auf den heutigen Tag erstreckt; ich bin langsamer alt geworden als Andere.« »Und der Graf? Er selbst braucht natürlich auch diesen Zaubertrank?« »Augenscheinlich. Er ist seit fünfzig Jahren um kein Jahr älter geworden.« »Erzählen Sie uns von Ihrer zweiten Begegnung; sie muß voller Ueberraschung gewesen sein!« »Ich traf ihn bei Madame,« begann die alte Gräfin mit einer Verbeugung gegen die Marquise, »und glaubte einen dem Vater außerordentlich ähnlichen Sohn vor mir zu sehen. Ich wagte, mich ihm zu nähern, und redete ihn an: ›Haben Sie die Güte, mir zu sagen, ob nicht Ihr Vater gegen das Jahr 1510 in Venedig war!‹ ›Nein, Madame,‹ antwortete er sehr gelassen, ›es ist schon viel
länger her, daß ich meinen Vater verlor; aber ich selbst wohnte zu Ende des vorigen und zu Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts in Venedig. Ich hatte die Ehre, Ihnen dort einiges Interesse einzuflößen, und Sie waren gütig genug, einige Barcarolen meiner eigenen Composition, welche wir zusammen sangen, hübsch zu finden.‹ ›Verzeihen Sie, aber das ist unmöglich; denn der Graf St. Germain, den ich damals kannte, war wenigstens fünfundvierzig Jahre alt, und Sie haben jetzt höchstens erst das gleiche Alter!‹ ›Madame,‹ sagte der Graf lächelnd, ›ich bin schon sehr alt.‹ ›Aber dann müßten Sie ja nahe an hundert Jahre zählen!‹ ›Das ist nicht unmöglich!‹ Und nun erzählte er mir eine Menge kleiner, näherer Umstände, welche sich auf unsern gemeinschaftlichen Aufenthalt in den venetianischen Staaten bezogen und von denen nur ich und St. Germain wissen konnten. Sein außerordentliches Gedächtniß erinnerte sich nicht nur der unbedeutendsten Einzelnheit, sondern jedes Wortes, welches damals zwischen uns gesprochen wurde, und um mich gänzlich zu überzeugen, zeigte er mir eine kleine Narbe an seiner Hand, welche dadurch entstanden war, daß er sich einst an meiner Sticknadel blutig riß.« »Hat er Sie hier besucht?« frug der König. »Nein, Sir; seine Zeit ist außerordentlich in Anspruch genommen. Aber er gab mir die Erlaubniß, auf eine Minute bei ihm vorzusprechen. Ich that es. Er zeigte mir seine Diamantensammlung und erinnerte mich dadurch wahrhaftig an Aladins Wunderlampe. Sie sind viele, viele Millionen werth.« »So ist er reich?« »Ich bin davon überzeugt, obgleich man sich seinen Reichthum auf keinerlei Weise zu erklären vermag. Er hat keine Güter, keine Renten, keine Banquiers, keine feste Einnahme irgend einer Art; Karten und Würfel berührt er nie und dennoch führt er einen großen Haushalt, hat Bediente, Pferde und Wagen und eine ungeheure Menge Edelsteine von allen Gattungen und Farben. Man weiß nicht, was man denken soll!« »Er ist ein sehr geschickter Charlatan. Man wird ihm vielleicht einmal begegnen!« meinte Ludwig. Er konnte nicht gestehen, daß er diesem »geschickten Charlatan« grad für die jetzige Stunde auf vorsichtige Weise ein Rendez-vous habe andeuten lassen.
Diese Andeutung war verstanden und befolgt worden. Eben als man um ein Bosquet bog, war ein Herr zu erblicken, welcher eine Rose, die er in der Hand hielt, so sorgfältig betrachtete, daß er das Nahen des Hofes nicht zu bemerken schien. Des Königs Auge glitt forschend über die Gestalt des Fremden und leuchtete dann mit zufriedenem Blicke auf. Er hatte den Erwarteten erkannt. »Wer ist dieser Mann?« frug er dessenungeachtet mit zorniger Miene. »Es soll ja während Unsrer Anwesenheit Niemand Zutritt haben!« »Sir,« antwortete die Gräfin erstaunt, »es ist der Graf von St. Germain. Er ist gewohnt, mehr als Andere wagen zu dürfen. Gestatten Majestät, ihn vorzustellen?« Der König nickte zurückhaltend. »Wir sind geneigt, Uns einige Minuten von ihm unterhalten zu lassen!« Frau von Gergy trat zu dem wunderbaren Mann, begrüßte ihn und führte ihn dann dem Könige zu. Er war von mittler Größe und elegantem Benehmen, hatte regelmäßige Züge, tiefbraune Gesichtsfarbe und schwarze Haare. Seine Kleidung war einfach, aber geschmackvoll. Der einzige Luxus, welchen er zeigte, allerdings auch ein außerordentlich ungewöhnlicher, bestand in einer großen Menge von Diamanten, welche er an allen Fingern, an der Uhrkette und statt der Knöpfe trug. Die Schuhschnallen allein würde jeder Kenner auf mindestens 200,000 Franks geschätzt haben. Ludwig begrüßte ihn freundlich, begann aber die Unterredung ohne alle Einleitung: »Man sagt, Sie seien mehrere Jahrhunderte alt. Ist das wahr?« »Sire,« antwortete Saint Germain mit jenem Ausdrucke in Stimme und Gesicht, welcher nur Menschen von großem Geiste eigen ist, »ich belustige mich zuweilen damit, nicht glauben zu machen, sondern glauben zu lassen, daß ich schon in den ältesten Zeiten gelebt habe.« »Doch die Wahrheit, Herr Graf, ist –?« »Die Wahrheit ist häufig unergründlich.« »Nach der Versicherung mehrerer Personen, von denen Sie schon unter der Regierung meines Großvaters gekannt worden sind, scheint es aber doch, daß Sie über hundert Jahre zählen.« »Das wäre ein wenig überraschendes Alter; im Norden Europa's
habe ich Menschen von 160 Jahren und darüber gesehen.« »Ich weiß, daß es deren giebt; aber Ihr jugendliches Aussehen ist es, welches alle Forschungen der Gelehrten über den Haufen wirft. Ich würde mich freuen, den Beweis zu erhalten, daß Sie schon im vorigen Jahrhunderte lebten.« »Das wird mir sehr leicht sein, Sir!« Er zog ein in gothischer Art gebundenes Souvenir aus der Tasche, öffnete es und suchte eines der zahlreichen Blätter, welche es enthielt, hervor. »Wird ein Zeugniß des großen Montaigne genügen, Majestät?« »Vollständig. Geben Sie das Blatt der Marquise!« Der Graf folgte diesem Befehle, und Frau von Pompadour las die Zeilen des damals als unübertroffen geltenden Philosophen vor: » Il n'est homme de bien qui mette a l'examen des lois toutes ses actions et pensées, qui ne soit pendable six fois en sa vie; voire tel qu'il serait dommage et très injuste de punir. à son ami, le comte de Saint-Germain. M. Eyquem de Montaigne. « 1 Der erstaunte Monarch griff nach dem Zettel und überzeugte sich, daß Montaigne ihn im Jahre 1580 mit eigner Hand geschrieben habe. »Merkwürdig, höchst merkwürdig, Graf!« rief er, und auch der Herr von Gontout, der Herzog von Brancas und der Abbé Bernis, welche näher getreten waren, vermochten nicht, ihre Verwunderung zurückzuhalten. »Ich sehe, daß Sie an Edelsteinen nicht Mangel leiden. Vermögen Sie, aus kleinen Diamanten große zu machen?« »Wer dieses vermöchte, Sir, der würde sicher mit seiner Kunst zurückhaltend sein,« antwortete der Graf ausweichend. »Eher darf man davon sprechen, Perlen wachsen zu lassen.« »Ist Ihnen dies möglich?« »Ja. Ich gebe ihnen fünf-, ja zehnfache Größe und verleihe ihnen dabei das schönste Wasser.« »Haben Sie schon gehört, daß es fleckige Diamanten giebt?« Ueber die geistreichen Züge des Grafen glitt ein feines, fast schonendes Lächeln. »Ich habe deren sehr oft selbst welche gehabt. Die Flecke lassen sich fast stets entfernen.«
»Wie, Sie hätten dieses Geheimniß entdeckt, nach dessen Lösung die Kunst bisher vergebens strebte?« »Die Lösung ist nicht schwer, Sire. Gelang sie Anderen nicht, so lag es nicht an der Kunst, sondern an den Künstlern.« »Wenn ich nun die Wahrheit Ihrer Behauptung einer Prüfung unterwerfe?« »Ich werde sie bestehen,« klang es stolz und zuverlässig. Der König zog einen Diamanten hervor und bewies damit augenscheinlich, daß er auf das Zusammentreffen mit Saint Germain vorbereitet sei. »Sehen Sie diesen Stein, er würde 4000 Franks mehr werth sein, wenn er rein wäre.« Der Graf betrachtete den Diamanten aufmerksam. »Der Fleck ist etwas groß; aber ich werde ihn dennoch fortbringen. Wollen Ew. Majestät den Stein mir anvertrauen?« »Sie dürfen ihn mitnehmen. Mein Jubelier, der ihn jetzt auf 6000 Franks schätzt, versichert, 10,000 für ihn zahlen zu können, wenn er den Flecken nicht hätte.« »In vierzehn Tagen gebe ich mir die Ehre, ihn vollständig rein zurück zu bringen.« »Man wird dann Grund haben, Ihre Geschicklichkeit anzuerkennen. Aber sagen Sie einmal aufrichtig, Graf; man spricht von einem Lebenselixir, von einem Aqua benedetta, welches Sie zu bereiten verstehen, und durch welches Freunde von Ihnen Schutz gegen die Einwirkungen des Alters gefunden haben.« »Die Natur ist ewig jung, Sire. Wer ihre Lebenskraft zu extrahiren und in den menschlichen Organismus überzuführen versteht, kennt kein Alter. Er kann Tausende von Jahren gelebt haben, ohne davon zu sprechen.« »Sie weichen mir aus und geben dennoch Ihr Eingeständniß. Wir finden Wohlgefallen an Ihrer Unterhaltung. Lassen Sie sich wiedersehen. Man wird Ihre Gegenwart gern bemerken!« Mit einem huldvollen Neigen des königlichen Hauptes war der Graf verabschiedet. Er entfernte sich und schritt einer entlegenen Parthie des Parkes zu. Eben wollte er diesen durch einen dort befindlichen Ausgang verlassen, als er einem jungen Manne begegnete, welcher im Begriff stand, einzutreten. Auf dem Gesichte Beider spiegelte sich eine Ueberraschung ab, welche der Graf eher als der Andere zu beherrschen verstand.
»Ah –!« rief der Letztere, und zwar in deutscher Sprache, »da triffst man ja so ganz und gar unerwartet den Herrn Ritter von Schöning oder den Grafen Tzarogy oder wie der eigentliche Name lauten mag! Sagen Sie aufrichtich, mein Herr, mit welcher Magie operirt man in Versailles erfolgreicher, mit der schwarzen oder der weißen?« Es klang eine unendliche Bitterkeit aus seinem Tone. Der Graf blickte ihm kalt und starr in das erregte Angesicht und frug: »Herr Baron, wie befindet sich Ihr Vater?« »Ich danke, sehr wohl! An dem Tage, an welchem Sie ihn ohne Abschied verließen, bemerkte er, daß er sich an den Bettelstab laborirt habe. Ihre Kunst hat ihm Nichts gelassen als die Kugel, mit welcher er besser umzugehen verstand, als mit Gaunern und Betrügern. Der Schuß gelang; es lebt ein Zeuge Ihres Talentes weniger!« »Es war voraus zu sehen, da er meinen wohlgemeinten Rathschlägen niemals Gehör schenkte. Dennoch thut mir der Fall um Ihretwillen leid. Kann ich Ihnen hier in irgend einer Weise dienlich sein?« »Ich muß auf Ihre Dienste verzichten, da ich Nichts besitze, um sie mit meinem Ruin bezahlen zu können!« »Ich bin sehr nachsichtig, mein Herr, aber wahren Sie dennoch Ihre Zunge! Der Graf von Saint Germain, welcher soeben eine vertrauliche Unterhaltung mit dem Könige verlassen hat, fühlt sich keineswegs gezwungen, die grundlosen Malicen des Barons von Langenau ruhig anzuhören.« »Graf von Saint Germain? Lassen Sie mich Ihnen zu diesem neuen Titel gratuliren! Ich habe heut Einiges mit dem Könige zu besprechen und werde nicht versäumen, ihm den Grafen von Saint Germain zur Regelung seiner Finanzen zu empfehlen!« Mit einer verächtlichen Handbewegung wandte er sich ab und schritt von dannen. Der Graf blieb stehen. Trotz seines braunen Teints war die Blässe zu bemerken, welche sein Gesicht überzog. Nach einigem Besinnen kehrte er, statt durch den Ausgang zu treten, in den Park zurück und ging nach dem Schlosse. Hier erfuhr er, daß die Marquise von Pompadour bereits ihre Gemächer wieder betreten habe. Er war schon öfters bei ihr gewesen, hatte die Erlaubniß zum beliebigen Zutritt erhalten und ließ sich anmelden. Frau von Hausset, ihre erste Kammerfrau, war bei ihr. Die mächtige Dame
empfing ihn mit außerordentlicher Liebenswürdigkeit. »Willkommen, mein lieber Graf! ich vermuthete nicht, Sie so schnell wieder bei mir zu sehen.« »Durfte ich Versailles verlassen, Madame, ohne Ihrer Güte zu danken, welche mir erlaubte, den größten Monarchen unseres Jahrhunderts zu sprechen?« »Diese Güte ist nicht ohne Eigennutz. Man profitirt bei Ihnen durch Unterricht über Außerordentlichkeiten, welche bisher für unmöglich galten. Werden Sie den Diamanten des Königs wirklich von seinen Flecken befreien?« »Es wird ganz sicher geschehen. Sehen Sie diese Steine!« Er zog eine Schachtel aus der Tasche und öffnete sie. Es befanden sich Topase, Smaragde, Saphire und Rubine von ganz bedeutendem Werthe in ihr. Frau von Pompadour schlug die Hände zusammen. »Welch ein Reichthum! Graf, Sie sind wirklich ein Phänomen!« Er nahm die Bewunderung sehr gleichmüthig hin. »Diese Schachtel enthält nur die geheilten Patienten aus meiner Sammlung. Sie alle hatten Flecken; ich habe ihnen dieselben genommen. Sie besitzen dadurch einen doppelten Werth. Diese Kleinigkeit mag als Beweis dienen!« Er warf ein goldenes Kreuz mit grünen und weißen Steinen auf den Tisch. Ein Schmuckhändler hätte wenigstens 1500 Franks dafür gegeben. »Frau von Hausset, wollen Sie es als Geschenk von mir annehmen?« »Das kann doch Ihr Ernst nicht sein!« antwortete die Kammerdame, das Kreuz dennoch nehmend und es zur Prob an den Hals haltend. »Warum nicht? Es ist ja nur eine Bagatelle!« »Nehmen Sie es immerhin, meine Liebe; der Herr Graf will es ja!« redete die Favorite ihr zu. »Sie versprachen mir bei Ihrem letzten Besuche,« sprach hierauf Frau von Pompadour, indem sie sich gegen den Grafen von St. Germain wandte, »noch einmal auf Ihr Aqua benedetta zurückzukommen. Ich hoffe, daß ich keine Fehlbitte thue, denn man hat mir erzählt, daß die kleine, zehnjährige Comteß Lancy 2 schon eine Probe davon bekommen hat.« »Man hat die Wahrheit gesagt. Ich begleitete einige italienische
Arien, welche die Comteß sang, und war von ihr so entzückt, daß ich beschloß, ihr das glückliche Loos der Schönheit, welche sie besitzen wird, zu verlängern.« »Auch der König hörte von Ihrem Wasser; er wünscht, daß der gegenwärtige Zustand seiner Gesundheit ihm so lange wie möglich erhalten bleibe.« Der Graf brachte zwei geschliffene Flaçonetten zum Vorscheine, welche mit einer krystallhellen Flüssigkeit gefüllt waren. »An der Erfüllung dieses Verlangens hängt das Glück einer ganzen Nation. Dieses Aqua benedetta wird Frankreich seinen Monarchen und Ihnen, Madame, Ihre Schönheit und Jugend erhalten.« Er reichte die Flaçonetten ihr entgegen. Sie griff mit sichtlicher Begierde zu und rief freudig: »Ich danke Ihnen sehr, mein lieber Freund! Einen Grafen von St. Germain darf man nicht nach dem Preise dieses unbezahlbaren Elixirs fragen. Bestimmen Sie, was ich für Sie thun kann!« »Der einzige Lohn, den ich begehre, ist Ihr Wohlwollen, Madame, und die Erlaubniß, mit Hülfe der Sterne über Ihnen und dem Könige wachen zu dürfen.« »Der Schutz Ihres Genius ist uns willkommen. Ich bat Sie ja schon, die Sterne über mich zu befragen. Erhielten Sie eine Antwort?« »Ich erhielt sie, heut in der Mitternacht.« »Und wie lautet sie?« »Sie war klar und offen, so daß ich die Geister der Weltgegenden nicht zu Rathe zu ziehen brauchte. Ich darf sie darum auch offen mittheilen.« »Nun?« Die Marquise schien außerordentlich gespannt zu sein. »Ich sah den Himmel Deutschlands erglänzen; ein großer Stern stieg strahlend in die Höhe, eine kleine Schnuppe flog von ihm ab, schoß über die Grenze herüber und stieß an den Stern Frankreichs. Da troff Blut herab vom Firmamente; es wurde Nacht in den Lüften, und die Erde zitterte unter dem Fußgestampf würgender Cohorden. Ich sah keine Person, ich sah keinen Namen, Madame, ich erblickte nur Thatsachen. Die Sterne haben mich noch niemals getäuscht. Die Lösung ist mir nicht gegeben; ich muß sie Ihnen überlassen.« Die Marquise war unter der Schminke leichenblaß geworden.
»O, ich weiß, wer dieser Stern in Deutschland ist! Dieser König von Sanssouci glaubt ja, er sei schon längst unter die Himmlischen zu rechnen. Aber die Schnuppe, hatte sie nicht eine Farbe, eine Gestalt, aus welcher sich etwas Sicheres schließen ließe?« »Ich glaube die Gestalt eines L erkannt zu haben. Doch steht mir der Zutritt in die chambres diplomatiques nicht offen; ich kenne keine Persönlichkeit, auf welche ich eine Hindeutung aussprechen möchte.« »Meine Ahnung hat mich nicht betrogen! Ein L –? Dieser deutsche Baron von Langenau ist mit einer geheimen Sendung betraut. Seine Physiognomie hat mir gleich vom ersten Augenblicke an einen Widerwillen eingeflößt. Er soll mit dem Könige sprechen; ich werde aber dafür sorgen, daß diese Unterredung nicht stattfindet. Ich vertraue Ihren Sternen. Er mag noch heut' in seine barbarische Heimath abreisen!« – – – Als sich einige Viertelstunden später Baron von Langenau zur Audienz meldete, ward ihm vom dienstthuenden Kammerherrn die Weisung, seine kostbare Zeit nicht nutzlos in Versailles zu verschwenden; der König werde seiner augenblicklichen Rückkehr nach Deutschland kein Hinderniß in den Weg legen. Als er seine in Paris gelegene Wohnung betrat, überreichte ihm sein Diener ein duftendes Billet, welches soeben erst hier abgegeben worden war. Es enthielt die wenigen Worte: »Mein Freund. Sie werden fortgeschickt. Obgleich meine Tante von dem Urheber dieser Maßregel ein Brillantkreuz geschenkt erhielt, konnte sie es doch nicht unterlassen, mich zu benachrichtigen. Ein Wenig Aqua benedetta ist schuld, daß Ihre Sendung scheitert, und ich habe Sie lieb genug, um Ihnen das Nähere mitzutheilen, wenn Sie vor Ihrer Abreise noch einmal besuchen wollen Ihre zärtliche Amély Hausset.«
2. Im Haag Der Graf d'Affri, französischer Gesandter in den Niederlanden, hatte große Soirée. In den prachtvollen Räumen seiner Wohnung bewegten sich außer den hohen Würdenträgern der Generalstaaten und den Vertretern aller europäischen Nationen eine zahlreiche Menge berühmter oder einflußreicher Privatpersonen, deren Anwesenheit der Versammlung einen weniger diplomatischen Anstrich gab, als sie sonst besessen hätte. Man hatte die Tafel aufgehoben, an welcher man mehrere Stunden lang den materiellen Freuden des Lebens gehuldigt hatte, und die Anwesenden suchten, in einzelnen Gruppen aufgelöst und in die verschiedenen Zimmer vertheilt, ihren persönlichen oder staatlichen Interessen mittelst einer regen, beliebig angeknüpften und ebenso leicht wieder abgebrochenen Unterhaltung nachzukommen. Ein junger Mann in einfachem, schwarzem Anzuge durchschritt scheinbar theilnahmlos die Reihen der conversirenden Herren und Damen und gelangte in ein leeres Zimmer, welches die lange Enfilade der Gemächer beschloß. Es war nur spärlich erleuchtet. Er trat an eines der Fenster und blickte, von den weit herabgehenden Gardinen vollständig verhüllt, durch dasselbe hinaus in die abendliche Winterlandschaft. Da vernahm er nahende Schritte. Zwei Männer traten ein und nahmen auf einem der die Wände garnirenden Sammetpolster Platz. Ganz sicher hatten sie sich zurückgezogen, um irgend einen Gegenstand, der nicht für Jedermanns Ohren war, zu besprechen. Der junge Mann stand schon im Begriffe, aus seinem unabsichtlichen Verstecke, wie es ihm die Ehre gebot, hervorzutreten, als er einen Namen nennen hörte, bei dessen Klange er zu bleiben beschloß. Er hörte, daß der eine der Männer der Graf d'Affri selbst war; der Andre war der berühmte Casanova, der sich durch seine kühne Flucht aus den Bleikammern Venedigs Ruhm erworben hatte, und jetzt von Frankreich nach dem Haag geschickt war, um im Auftrage des Herzogs von Choiseul eine wichtige
Geldangelegenheit zu betreiben. »Ich sage Ihnen, mein lieber Casanova, daß Sie sich mit der Hoffnung, gute Geschäfte zu machen, täuschen werden,« meinte der Graf. »Ich hege viel Theilnahme für Sie und wünsche Ihnen das beste Gelingen, aber der König wird schlecht bedient, die Operationen des General-Controleurs haben die Nation discreditirt und man ist, ich sage es Ihnen offen, auf einen unvermeidlichen Bankerott gefaßt.« »Das weiß ich Alles sehr genau; aber ich möchte dennoch nicht ganz an dem Erfolge meiner Sendung verzagen. Es mangelt der Regierung an Geld. Ich bin beauftragt, für zwanzig Millionen französischer Staatspapiere, welche der Minister Ihnen geschickt hat, mit einem möglichst geringen Verluste gegen besser stehende ausländische Papiere umzutauschen, eine Manipulation, deren Gelingen mir nicht unmöglich erscheint, da der Minister mir versichert hat, daß der Krieg, welcher unsre Schuldscheine drückt, sich seinem Ende nähere. Die geheimen Friedensverhandlungen sind im vollsten Gange.« »Ich will diese letztere Thatsache nicht in Abrede stellen; doch geben Sie sicherlich zu, daß ich als Gesandter über unsre politischen Hoffnungen und Befürchtungen vollständiger unterrichtet sein muß als Sie. Die Staatskasse ist geleert, die Flotte vernichtet, unsre Heere sind geschlagen. Der Friede wird kein vortheilhafter für uns sein. Wer jetzt unsre Papiere kauft, muß lange warten, ehe er hoffen darf, sie ohne Verlust verwerthen zu können, und Herr von Benis hat mich beauftragt, Ihnen die zwanzig Millionen nur mit acht Procent Minus zu überlassen. Ich bin sehr geneigt zu glauben, daß bei einem solchen Angebote Niemand kaufen wird.« »Ich halte trotzdem meine Hoffnung fest. Wenn der König sieht, daß seine Forderung zu hoch ist, wird er sich zu einer Reduction derselben entschließen; ich hatte heut' eine Conferenz mit Herrn Peels und sechs anderen Compagniechefs. Sie boten zehn Millionen baar, sieben Millionen in fünfprozentigen Papieren und verzichteten außerdem auf zwölfmalhunderttausend Gulden, welche die französisch-indische Gesellschaft der holländischen schuldet; das sind neun Prozent Verlust für uns. Das Gebot scheint mir unter den gegenwärtigen Verhältnissen sehr acceptabel.« »Sie täuschen sich, wenn Sie glauben, daß der König zu diesem Handel in irgend einer Beziehung stehe. Die Politik des ›Oeul de
boeuf‹ befindet sich sehr oft und so auch grad gegenwärtig in der Lage, sich der Berechnung ihrer creditirten Vertreter zu entziehen.« »Ich verstehe Sie nicht.« »Das ist möglich. Kennen Sie vielleicht den Grafen von St. Germain?« »Ich habe ihn in Paris bei Frau d'Orfé gesehen. Er besitzt ganz das Aussehen eines außerordentlichen Mannes. Der König schenkt ihm sein Vertrauen und hat ihm sogar eine Wohnung in Chambord eingerichtet.« »Ah?« rief d'Affri erstaunt. »Dieser Abenteurer scheint vom Glücke bevorzugt zu werden. Wissen Sie, daß er sich hier im Haag befindet?« »Kein Wort!« »Er ist im ›Prinzen von Oranien‹ abgestiegen und gerirt sich mit diplomatischer Miene, ohne mich eines Besuches zu würdigen. Ich habe die Art und den Zweck seiner Sendung nicht zu enträthseln vermocht, werde mich aber auch nicht in die Gefahr begeben, mich durch eine Empfehlung bloszustellen, wenn man sich bei mir nach ihm erkundigt.« »Im ›Prinzen von Oranien‹? Das ist der Gasthof, in welchem auch ich wohne!« »Dann werden Sie vielleicht mit ihm zu sprechen kommen?« »Auf alle Fälle, Graf.« »Darf ich Ihnen die Geschicklichkeit zutrauen, den Zweck seines Hierseins zu erfahren?« »Ich weiß nicht, ob ich sie besitze; es kommt ja nur auf eine Probe an.« »Versuchen Sie es. Jetzt aber lassen Sie uns zur Gesellschaft zurückkehren, man würde uns sonst vermissen!« Als die beiden Männer sich entfernt hatten, verließ der Lauscher sein Versteck und begab sich in die vorderen Gemächer zurück. Dort trat er zu einem Manne, welcher sich durch eine eigenartige, männliche Schönheit auszeichnete und allein an einem der kleinen Pfeilertischchen saß. »Verzeihung, mein bester Herr Casanova,« entschuldigte er sich, »daß ich um die Erlaubniß bitte, an Ihrer Seite Platz zu nehmen! Es treibt mich der Wunsch dazu, Ihnen nützlich sein zu dürfen.« Der berühmte Verbannte Venedigs deutete auf einen vis-à-vis stehenden Stuhl und meinte höflich:
»Die Gesellschaft des Herrn Barons von Langenau ist mir zu jeder Zeit eine angenehme! Auch ich hege den Wunsch, Ihnen dienen zu dürfen.« »So lassen Sie mich Ihnen den ersten Beweis unserer gegenseitigen freundschaftlichen Gesinnung geben! Ich höre, daß Herr von Choiseul Ihnen die Ordnung einer gewissen finanziellen Angelegenheit aufgetragen hat?« »So ist es. Ich habe keinen Grund, aus der Sache ein Geheimniß zu machen.« »Ich möchte gern das Meinige beitragen, Ihnen die Lösung Ihrer Aufgabe zu ermöglichen.« »Sie würden mich Ihnen dadurch zu lebhaftem Danke verbinden,« meinte Casanova. »Sollte vielleicht wirklich eine positive Unterstützung in Ihrer Macht liegen?« »Nicht eine positive, sondern eine negative, aber, wie ich hoffe, darum doch keine ganz und gar geringfügige. Ich bin nämlich in der glücklichen Lage, Ihnen ein bedeutendes Hinderniß, welches sich Ihrem Vorhaben entgegenstellt und von dem Sie keine Nachricht zu haben scheinen, nennen zu können.« »Ein Hinderniß? Wirklich? Darf ich fragen, worin es besteht, Herr Baron?« fragte Casanova. »Es heißt Saint Germain,« antwortete der Baron von Langenau. »Saint Germain? Kennen Sie diesen Mann?« »Ein Wenig; doch würde ich einem Andern gegenüber wohl kaum Lust haben, dies einzugestehen. Sie kennen die Angelegenheit nicht, welche ihn nach dem Haag geführt hat?« »Nein,« antwortete Casanova. »Ist sie Ihnen bekannt?« »Ja. Es handelt sich um nichts Geringeres als hundert Millionen gegen Verpfändung der französischen Krondiamanten. Dies Geschäft möchte der König ohne Einmischung seiner Minister und selbst ohne, daß sie Etwas erführen, machen. Der Graf Saint Germain hält sich für den Mann, es glücklich zu Stande zu bringen, und läßt sich in Folge dieses Selbstvertrauens nicht herbei, dem Grafen d'Affri einen Besuch zu machen.« »Sind Sie überzeugt, daß Sie mir die Wahrheit sagen?« »Vollständig; Herr Calcoen, ein Secretair Ihrer Hochmögenden, hat mir das Geheimniß vertraut und mich auch davon benachrichtigt, daß Saint Germain den schönsten der Krondiamanten als Unterpfand deponirt habe. Der Stein soll
prachtvoll und vom reinsten Wasser sein. Man ist nicht abgeneigt, auf das Geschäft einzugehen, und Sie sehen ein, mein bester Casanova, daß Sie darunter leiden werden. Wenn man dem Könige hundert Millionen borgt, wird man nicht geneigt sein, Ihre zwanzig Millionen umzuwechseln.« »Sie haben Recht, und ich bin Ihnen zu großen Danke verpflichtet. Ich verstehe vollkommen den Wink, welchen Sie mir geben wollen, und will Ihnen auch offen sagen, daß die hundert Millionen des Königs mir nicht so sehr am Herzen liegen als meine zwanzig; der Mensch ist ja Egoist. Sie scheinen bereits über diese Sache nachgedacht zu haben; können Sie mir vielleicht einen guten Rath ertheilen?« »Ein Mann von Ihren Fähigkeiten bedarf des guten Rathes nicht, aber ich werde Sie dem Banquier Adrian Hope vorstellen, welcher die entscheidende Stimme in der Saint Germain'schen Angelegenheit hat und Ihnen in der Ihrigen auf meine Empfehlung hin gern nützlich sein wird. Sodann kenne ich hier einen auszeichneten Chemiker, der ein armer aber ehrlicher Mann ist und sich von dem Aplomb des Grafen nicht im Geringsten blenden lassen wird. Sie verstehen mich?« »Sehr gut! Er wird den Krondiamanten untersuchen. Wollen Sie mich auch mit ihm bekannt machen?« »Sobald Sie es wünschen. Er heißt Van Holmen und wohnt hier ganz in der Nähe, für Vertraute ist er auch des Nachts zu sprechen.« »Wollen wir ihm noch diesen Abend unsern Besuch machen?« »Ich stehe Ihnen zu Diensten! Ich glaube nicht,« setzte der Baron mit feinem Lächeln hinzu, »daß der Graf d'Affri Veranlassung oder Neigung hat, Saint Germain zu protogiren. Wüßte ich, daß Sie die Neigung dieses Gesandten besitzen, so würde ich darauf hindeuten, daß ein Brief von ihm an den Minister die Pfandanleihe sehr in Frage stellen dürfte.« »Lassen Sie mich machen, Herr Baron! Der Graf befindet sich über die Sendung Saint Germains im Unklaren; indem Sie es mir möglich machen, ihn zu unterrichten, erweisen wir ihm einen Dienst, der ihn veranlassen wird, sich mir gefällig zu erweisen. Ich werde sogleich mit ihm sprechen!« Casanova erhob sich, um den ausgesprochenen Vorsatz auszuführen. Der Baron von Langenau blieb mit dem Bewußtsein zurück, dem Grafen Saint Germain die erste Rate für das Andenken
an den Park zu Versailles zurückzahlen zu können. Als die Anwesenden sich zurückzuziehen begannen, entfernten sich auch die beiden Männer. Nach kurzer Zeit standen sie vor der Hinterthür eines kleinen, unscheinbaren Häuschens, aus dessen Schornsteine sie trotz der Nacht einen dichten, dunklen Rauch aufsteigen sahen, in welchen sich zuweilen roth und blau glühende Kunken mischten. Langenau pochte auf eigenthümliche Art, worauf die Thür sich von selbst öffnete und sich ebenso hinter den Eintretenden wieder schloß. Nachdem sie einen kurzen, engen Flur durchschritten hatten, kamen sie an einen verräucherten, niedrigen Raum, dessen Ausstattung ihn als Labaratorium kennzeichnete. Unter einer Menge von Gläsern, Retorten, Tiegeln und allerlei seltsam geformten Gefäßen kauerte ein kleines, dürftiges Männchen, welches sich um die Eingetretenen gar nicht zu kümmern schien, sondern mit größter Aufmerksamkeit dem Erkalten einer metallischen Flüssigkeit zusah, welche in eine Sandform ausgegossen worden war. Erst als sie sich in Zustande der Erkaltung befand, erhob er sich, um die Ankömmlinge zu begrüßen. Es geschah einfach und mit Herzlichkeit; er hatte nicht das Geringste von dem Wesen eines Charlatanes an sich. »Wie kommt es, Herr Baron,« frug er, »daß ich Sie heut' noch so spät bei mir sehe?« »Ich wollte Ihnen Herrn Casanova vorstellen, der vielleicht nächstens Gelegenheit haben wird, sich für Ihre Kunst zu interessiren.« »Herr Jacob Casanova aus Venedig?« »Ja,« antwortete der Genannte. »Sie verzeihen, daß mir der Name Van Holmen nicht unbekannt ist!« »Sie sind ein Freund der Frau d'Urfé in Paris?« »Ja. Kennen Sie diese Dame?« »Ich stehe mit ihr in Briefwechsel. Sie hat mir oft von Ihnen geschrieben. Ich erwarte soeben einen Mann, welchen Sie vor einigen Wochen bei ihr gesehen haben.« »Darf ich fragen, wer dieser Mann ist?« »Der Graf von Saint Germain.« »Ah!« rief Casanova erstaunt. »Zählen Sie ihn zu Ihren Freunden?« »Ich? Hm!« schüttelte der Chemiker stolz mit dem Kopfe. »Es
giebt Hunderte, die ihn fast wie einen Gott verehren, ich aber halte ihn für einen klugen Quacksalber, der es versteht, aus den Dukaten anderer Leute sechzehn karätiges Gold für sich zu machen. Er ist jetzt hier und benachrichtigte mich durch seinen Diener, daß er mir kurz nach Mitternacht einen Besuch machen werde. Ich bin neugierig zu erfahren, was ihn zu mir führt.« »Ein glücklicher Zufall,« antwortete der Baron von Langenau. »Grad der Graf ist es, wegen dem wir zu Ihnen kommen. Er ist beauftragt, oder giebt wenigstens so an, die französischen Kronjuwelen gegen die Summe von hundert Millionen zu versetzen, und hat mit der Bitte um sofortige Auszahlung von hunderttausend Gulden den größten der Diamanten zur Caution gestellt. Ich sage Ihnen dies, weil ich weiß, daß Sie verschwiegen sind. Die Freundschaft zwischen diesem Grafen und dem Könige von Frankreich muß eine sehr innige und vertrauensvolle sein.« »Ja, entweder,« versetzte Van Holmen; »oder ist das Vertrauen des Grafen auf die Naivität anderer Leute ein eben so großes! Ich errathe den Wunsch, welchen Sie mir vorzutragen beabsichtigen; Sie brauchen ihn also gar nicht auszusprechen. Hören Sie, es klingelt! Er wird es sein. Treten Sie in dieses Cabinet; er soll von Ihrer Anwesenheit Nichts merken.« Er öffnete eine hinter dem Rauchfange verborgene Thür und wies die beiden Männer in ein kleines Kämmerchen, welches von dem Laboratorium nur durch eine dünne Wand getrennt wurde, so daß man jedes Wort, welches in demselben gesprochen wurde, vernehmen konnte. Sie hörten das Geräusch der Thüren und waren dann Zeugen eines zwar kurzen aber interessanten Gespräches. »Sie sind Van Holmen?« »Ja.« »Ich bin der Graf von Saint Germain.« »So!« Saint Garmain hatte jedenfalls erwartet, zu imponiren. Das einfache »So« des Chemikers schien ihn zu ärgern. »Sie haben wohl noch gar Nichts von mir vernommen?« frug er kurz und gestoßen. »Viel ist es nicht, was ich hörte.« »So werden Sie desto mehr noch zu vernehmen haben! Ich komme, um ihnen ein gutes Geschäft anzutragen.« »Worin besteht es?«
»Haben Sie Kenntniß von meinem berühmten Aqua benedetta?« »Ja.« »Ich habe dem Könige von Frankreich und der Marquise von Pompadour davon geben müssen; der Vorrath geht zur Neige, und der König bittet mich um Erneuerung. Ich bedarf zur Herstellung des Wassers ein vollständig eingerichtetes Laboratorium, und da ich meine Apparate nicht bei mir führe, so ersuche ich Sie, mir Ihr Laboratorium auf eine Stunde abzutreten. Ich werde den gegenwärtigen Zustand desselben respectiren und biete Ihnen als Lohn für Ihre Gefälligkeit diesen Diamanten an. Ich erhielt ihn in Wien von dem Grafen Zobor; er ist seine 1200 Gulden werth.« »Und die Ingredientien zu dem Aqua benedetta?« »Habe ich hier in der Manteltasche bei mir.« »Ich stehe Ihnen zu Diensten, da ich mit meiner Beschäftigung grad jetzt zu Ende bin, und werde Sie mit meiner Einrichtung hier vertraut machen.« Es erfolgte die versprochene Instruction, welcher Van Holmen hinzufügte: »Jetzt werde ich Sie verlassen; schalten Sie nach Belieben. Sobald Sie meiner bedürfen, ziehen Sie an dieser Glocke!« Eine Thür ging und ward hörbar von innen verschlossen. Nach kurzer Zeit öffnete sich eine in dem Boden der Kammer angebrachte Fallklappe, und aus ihr stieg der Chemiker empor, welcher lächelnd den beiden Andern Schweigen winkte. »Er fabricirt sein Universal-Lebenswasser,« flüsterte er. »Ich werde ihn beobachten!« Er zog einen Stuhl an die Wand, stieg auf denselben und öffnete vorsichtig einen unter der Decke in der Scheidewand angebrachten Ventilator. Durch die entstandene Oeffnung war es möglich, einen Blick in das Laboratorium zu werfen. Er stand eine geraume Weile auf seinen Posten, ehe er herunter stieg. »Nun?« frugen die Andern neugierig. »Nichts. Er beguckt sich die Töpfe und Tiegel. Sein Aqua benedetta ist, ich bin davon überzeugt, eine ganz harmlose Mischung von Wasser mit irgend einem wohlriechenden Stoffe. Sein Besuch hat nur den Zweck der Reclame; aber es ist möglich, daß dieses Aqua benedetta für ihn zu Aqua maledetta wird. Ich meine sehr, daß er einen großen Fehler begangen hat, mir den angeblichen Diamanten des Grafen Zobor zu schenken. Ich werde
denselben einer Analyse unterwerfen. Ich hoffe, Sie werden mich bis dahin nicht verlassen.« »Wir bleiben. Es liegt in unserm Interesse, das Resultat Ihrer Untersuchung zu vernehmen.« Einige Stunden vergingen doch, ehe Saint Germain klingelte. Van Holmen verschwand augenblicklich durch die Fallthür und betrat darauf das Laboratorium. »Ich bin fertig,« meinte der Graf, »und Ihre Bezahlung haben Sie. Darf ich wiederkommen? Ich habe einige wichtige und complicirte Operationen vorzunehmen, welche eine längere Zeit erfordern als ich sie heut brauchte. Doch wird meine Anwesenheit Ihnen keinerlei Nachtheil bringen.« »Kommen Sie wieder, und bedienen Sie sich meiner Apparate nach Belieben!« Der Graf entfernte sich. Der Chemiker ließ die beiden Männer wieder zu sich eintreten. »Der Vorwand des Aqua benedetta diente als Einleitung. Wer weiß, welche chemischen Prozesse er vorzunehmen hat, die mit seinen hundert Millionen in Beziehung stehen. Jetzt aber werde ich vor allen Dingen den Diamanten prüfen.« Er schürte das bereits ausgegangene Feuer von Neuem an, füllte verschiedene Gefäße mit eben so verschiedenen Ingredientien und unterwarf den Stein einem Verfahren, zu welchem selbst Casanova, der sich guter Kenntnisse in der Chemie rühmte, die Einsicht fehlte. Die Prozedur nahm eine lange Zeit in Anspruch; der Morgen war längst angebrochen, als sie zu Ende ging. Die zwei Zuschauer befanden sich in einer außerordentlichen Spannung, denn das Ergebniß dieser streng wissenschaftlichen Untersuchung mußte auf ihr Vorhaben von bedeutendem Einfluß sein. »Ich bin fertig!« entschied endlich mit triumphirender Miene Van Holmen. »Ich würde wenigstens die Steine erst einer strengen Prüfung unterwerfen,« sagte Casanova. »Ah –! Halten Sie dieselben nicht für ächt?« frug erstaunt der Banquier Hope. »Ich kann Nichts behaupten, doch wir kommen soeben von einer solchen Prüfung, die allerdings ein für den Grafen sehr ungünstiges Resultat ergeben hat.« Er erzählte den Vorgang bei Van Holmen. Hope hörte ihn mit
gespanntester Aufmerksamkeit bis zu Ende. Es folgte eine sehr bewegte Unterredung, an deren Ende die Drei mit der Versicherung des strengsten Stillschweigens auseinander gingen. »Ich glaube, wir gehen einem Siege entgegen,« meinte Casanova. »Wenn Sie mir in dieser Weise die Hindernisse beseitigen helfen, Herr Baron, so beginne ich allerdings zu glauben, daß ich mein Geschäft zu Stande bringen werde.« »Ich wünsche es Ihnen, muß aber allen etwa reservirten Dank zurückweisen, da ich dem Grafen gegenüber weniger für Sie als in meinem eigenen Interesse handle. Ich bin ihm eine Revanche schuldig.« – – – Einige Tage später erhielt der Graf Saint Germain folgendes Billet: »Der König von Frankreich hat durch den Herrn Grafen d'Affri, seinem Gesandten hier, Ihre Auslieferung verlangt. Der deponirte Krondiamant ist untersucht und als Composition erkannt worden. Er wird behalten werden, bis ihn der König selbst reclamirt. Aus Schonung gegen den Letzteren wird Ihnen Zeit zur schleunigen Abreise gelassen. Ein Freund des Schreibers läßt Ihnen sagen, ein Wenig Aqua benedetta sei schuld, daß Ihre Sendung scheitert. Denken Sie an den Baron Langenau und an den Abend bei Van Holmen. Zwei Stunden nach Empfang dieses Billet wird man kommen, Sie zu arretiren. * * *« Als der abgesandte Polizeicommissär kam, fand er den Grafen bereits abgereist. Die Verfolgung wurde nur höchst lässig betrieben, und so erfuhr man nach wenigen Tagen, daß Saint Germain sich in Sicherheit befinde. Er war über Nymwegen und den Kanal nach England gegangen.
3. In Eckernförde Der Prinz Karl von Hessen-Kassel, dänischer Feldmarschall und Statthalter der Provinzen Schleswig und Holstein, saß in seinem Polsterstuhle, auf den ihn das leidige Podagra bannte, und blätterte sehr eifrig in alten, vergilbten Manuscripten herum. Dabei blickte er von Zeit zu Zeit unruhig nach der Uhr; er schien irgend Jemanden ungeduldig zu erwarten. Endlich meldete der Kammerdiener zwei Männer, welche auch alsbald eintraten und von dem Prinzen mit ausgezeichneter Höflichkeit empfangen wurden. Es war der dänische Legationsrath Morin und der Graf von Lamberg, welcher Letzterer von dem Ersteren vorgestellt wurde. »Herr Graf,« meinte der Marschall verbindlich, »Ihre Gegenwart ist mir angenehm, denn sie bietet mir Gelegenheit, zu beweisen, daß ich den berühmtesten Mann dieses Jahrhunderts schon seit langen Jahren unter meinem Dache beherberge. Der Graf von Saint Germain befindet sich augenblicklich in meiner Bibliothek. Er wird heut' Nacht Punkt zwölf Uhr zwei Aufgaben lösen, an denen die Magie und Scheidekunst schon seit Jahrtausenden vergebens gearbeitet hat. Sie kommen zur guten Stunde, und ich lade Sie ein, Augenzeuge unseres Triumphes zu sein.« Der Graf verneigte sich dankend. »Der Graf, den ich als Herrn von Bellamare kennen zu lernen die Ehre hatte, ist ein außerordentlicher Mann, eine Erscheinung, die sich aller unserer Berechnung entzieht.« »Wo trafen Sie ihn zum ersten Male?« »In Venedig, wo ich Zeuge war, daß ein einfaches Papierschnitzel, welches er einem Bekannten schenkte, von einem Banquier für zweihundert Dukaten eingelöst wurde. Er ließ eine Perle im Werthe von fünf Dukaten binnen acht Tagen so wachsen, daß man ihm sechzig Dukaten für dieselbe bot, und der Baron Stosch versicherte, ihn vor vielen Jahren in Bayonne gesehen zu haben, wo er eine viele Pfund schwere Bleitafel in reines Silber
verwandelte. Er hatte seitdem nicht im Allergeringsten gealtert.« »Haben Sie ihn musiciren hören?« »Ja, auf dem Klaviere. Er spielt virtuos.« »Sie werden ihn heut noch mehr bewundern. Ich sehe eine Gesellschaft bei mir, zu welcher auch Sie geladen sind. Er wird sich bei dieser Veranlassung auf der Violine produziren, wie er mir versprochen hat. Seine Meisterschaft ist hier ganz ohne Gleichen. Herr Morin hier, welcher ihn vor neunundvierzig Jahren spielen hörte, versicherte mir, daß seit dieser langen Zeit weder seine Fertigkeit noch sein Aussehen sich verändert habe.« »Darf man nach dem Namen dieses Manuscriptes fragen?« »Es ist ein Commendar von Raimundus Lullus, der alle Dunkelheiten des Heber, Roger Baco und Arnauld de Villeneuve aufklärt. Es kostet mich benahe viertausend Thaler; ich habe es von Saint Germain, der seiner Zeit eine bedeutend höhere Summe dafür bezahlt hat.« »Und welches sind die Aufgaben, die der Graf heute lösen wird?« »Ein Projectionpulver, welche augenblicklich alle Metalle in das reinste Gold verwandeln, und ein Aqua benedetta, welches nicht nur wie bisher den Einfluß des Alters hebt, sondern auch den durch äußere Einflüsse erfolgenden Tod, z.B. durch Verwundung, zur Unmöglichkeit macht.« »Dann bin ich wirklich begierig, ob es ihm gelingen wird.« »Ich bin davon überzeugt. Das Pulver steht schon seit fünf Jahren über dem Feuer; ich mußte immer von einer Zeit auf die andere warten, da die geheimen Stunden niemals mit der Constellation der Gestirne harmoniren wollten, und schon verlor ich die Geduld, als mir der Graf die Versicherung gab, daß heut' um Mitternacht alle astronomischen und magischen Voraussetzungen vorhanden seien.« »Darf ich mir erlauben,« frug Morin, »zwei Herren mitzubringen, welche mich in diplomatischer Angelegenheit besuchten und sich für Excellenz lebhaft interessiren?« »Wer sind sie?« »Der Prinz Paranow und der Baron von Langenau.« »Bringen Sie die Herren doch ja mit. Den Prinzen traf ich einst in Wien; er ist mir sehr willkommen, und der Baron hat sich als Diplomat ausgezeichnet; ich freue mich, seine Bekanntschaft zu
machen.« »Sie sind Beide mit ihren Damen hier.« »Die natürlich bei der Gesellschaft sein werden. Sprechen Sie ihnen meine Einladung aus. Man kommt und geht bei mir ohne den Zwang und die Bedenken von Versailles und Potsdam. Ich habe dem Grafen Nichts gesagt von der Versammlung, welche seine Kunst bewundern soll; vielmehr beabsichtige ich, ihn freudig durch die Anwesenheit von alten Bekannten zu überraschen, welche ich eigens zu diesem Zwecke eingeladen habe. Sie werden viel besprochene und sogar berühmte Personen bei mir finden. Wir wollen jetzt den Grafen nicht stören; er hat sich jede Behelligung verboten, da alle seine Kräfte bis Mitternacht in Anspruch genommen sind!« Der Marschall war ein eifriger Freimaurer und ist noch heute bekannt sowohl durch sein Streben, die stricte Observanz wieder herzustellen, als auch durch seine große Neigung für Mystiker und Geisterseher. Er wußte, daß man seine Freundschaft für den Grafen Saint Germain und seine Freigebigkeit gegen denselben belächelte, und wollte heute einmal eclatant beweisen, daß der Adept keineswegs ein Betrüger, sondern ein Phänomen sei, welches nur deshalb nicht recht gewürdigt werde, weil der Verstand des Uneingeweihten es nicht zu begreifen vermöge. Die Eingeladenen erschienen Alle. Außer den schon genannten Herren und Damen hatte sich eine reiche Anzahl politisch oder wissenschaftlich ausgezeichneter Personen eingestellt, welche alle mit Spannung auf das Erscheinen des geheimnißvollen Grafen warteten. Dieser hatte bis Mitternacht im Laboratorium gearbeitet und erfuhr erst zu dieser Zeit vom Prinzen, daß er die Beweise seiner Kunst nicht ihm allein, sondern einer ansehnlichen Versammlung wißbegieriger Personen zu liefern habe. Nur nach langem Weigern war er darauf eingegangen. Es wurde ein mit Vorhängen draperirtes Podium im Salon errichtet, auf welchem endlich der Held des Abendes erschien, gehüllt in ein persisches Gewand und begleitet von mehreren Bedienten, welche verschiedene Apparate und eigenthümlich geformte Gefäße trugen. Er hatte das Aussehen eines sehr gut conservirten Sechzigers. Nachdem er die Gegenstände geordnet und den Vorhang zurückgeschlagen hatte, begann er mit tiefer, monotoner Stimme: »Wer die Theorie der planetarischen Stunden, die Talismane des
Polyphilos und des Grafen von Trier kennt und in die Geheimnisse des Artephius und Sandivaye eingedrungen ist, der mag seinen Genius ersuchen, mit mir zum Merkur, vom Merkur zum Monde, vom Monde zum Jupiter und vom Jupiter zur Sonne gehen. Es ist dies der magische Kreis des Zoroaster, der den Saturn und Mars überspringt, und den ich mit schwarzen Charakteren hier auf diese weiße Tafel zeichne.« Bisher hatte er mit niedergeschlagenen Augen gesprochen. Jetzt erhob er dieselben, ließ sie über die Versammlung gleiten und fuhr fort: »Ich begrüße Sie im Namen der Genien des Agrippa und umschließe Sie mit dem heiligen Fünfeck des großen Salomo, dessen Kunst, den Tod zu bezwingen, ich heut' von Neuem aufgefunden habe. Hier diese Phiole enthält das neue Aqua benedetta, die herrliche Kostbarkeit, von der es genügt, alle Jahrhunderte einen einzigen Tropfen zu nehmen, um unsterblich, ewig gesund und unverwundbar zu sein. Der erste Tropfen gehört dem Erfinder – –« Er ließ einen Tropfen der Flüssigkeit in einen mit Wasser gefüllten, goldenen Löffel fallen und sog den Trank langsam ein. »– – der zweite wird den Mann, bei welchem wir uns befinden und der die heilige Wissenschaft durch so großmüthige Opfer unterstützte, bei ewiger Jugend erhalten; er möge sich mir nahen!« Der Marschall erhob sich. Saint Germain nahm ihn scharf in die Augen. Bei dieser Gelegenheit fiel sein Blick auf den Mann, welcher hinter dem Prinzen Platz genommen hatte; die Hand, welche den Löffel hielt, zitterte; er fiel zu Boden. »Halt,« rief er; »es sind finstere Dämonen in meine Kreise gedrungen; der Unglaube hat sich in diesen Raum geschlichen; ich kann nicht weiter!« Der Vorhang fiel; der Graf raffte von den Apparaten zusammen, was er von ihnen fassen konnte, und entfernte sich. Die Gesellschaft war verdutzt und beobachtete ein minutenlanges Schweigen, welches endlich von einer scharfen, lachenden Stimme unterbrochen wurde. »Er hat uns erkannt, Baron; er fürchtet sich. Kommen Sie!« Es war der Prinz Paranow, welcher diese Worte zu dem Herrn Baron von Langenau sprach. Beide traten zum Marschall. »Excellenz, wollen Sie die Güte haben, uns zu dem sogenannten
Grafen von Saint Germain zu begleiten?« frug der Prinz. Der Angeredete befand sich seinen Gästen gegenüber in großer Verlegenheit; die Aufforderung kam ihm gelegen; er nickte zustimmend und winkte den beiden Männern, ihm zu folgen. In einigen Augenblicken standen sie vor dem Gesuchten. »Sie kennen mich wohl, Herr Graf?« frug der Baron. »Ich hatte die Ehre, Ihnen in Versailles zu begegnen, nachdem Sie die Bekanntschaft meines Vaters aufgegeben hatten; im Haag war es mir leider nicht möglich, Ihnen meine Aufwartung zu machen, da Sie zu schnell abreisten, desto mehr freut es mich, Sie hier zu sehen und Ihnen diesen Herrn mitbringen zu können, dessen Sie sich vielleicht noch erinnern!« »Mein Gedächtniß ist Jahrhunderte alt,« antwortet stolz der Graf; »es verläßt mich nie!« »So werden Sie sich wohl auch des Diamanten erinnern,« meinte jetzt Paranow, »welchen Sie mir in Wien für fünf Tausend Dukaten als ächt verkauften. Er stammte aus Ihrer mit dem Grafen Zobor gegründeten Manufactur und erwies sich als Composition. Sie sind ein Betrüger, Herr von Montferrat, von Bellamare, von Schöning, von Welldone, von Soltikow, von Tzarogy und von Saint Germain. Sie sehen, ich kenne alle Ihre Namen, welche diejenigen eines Schwindlers sind. Sie werden nicht Ehrgefühl genug haben, um Satisfaction zu fordern!« »Ich habe Nachsicht genug, um mich durch die Raisonnements eines Unsinnigen nicht aus der Fassung bringen zu lassen!« »Beim Teufel, Graf, das wäre schändlich!« meinte der Marschall. »Nach dem, was dieser Herr Ihnen gesagt hat, müssen Sie sich mit ihm schlagen. Ich müßte sonst auf Ihre Gesellschaft verzichten.« »Gut; aber wenn ich es thue, so geschieht es nur aus Rücksicht auf Sie, Excellenz.« »Excellenz risciren dabei Nichts,« lachte Paranow höhnisch. »Der Graf bleibt Ihnen erhalten; er hat einen Tropfen seines Aqua benedetta getrunken und ist unverwundbar.« – Die vier Männer blieben längere Zeit von der Gesellschaft abwesend. Nur drei von ihnen kehrten zurück; der Graf blieb unsichtbar. Beim ersten Morgengrauen hörte man draußen zwischen den Dünen zwei Schüsse krachen, und einen Tag später verbreitete sich
die Nachricht, daß der berühmte Graf Saint Germain plötzlich gestorben sei. Seine Anhänger glaubten, sein Geist habe nur eine neue Wandlung angetreten; der Graf hatte immer von seiner Apostasie gesprochen. Seine Gegner waren anderer Meinung. Zu den Letzteren gehörten jedenfalls die zwei Männer, welche einige Tage nach seinem Tode in einer Postkalesche die Stadt verließen. Sie unterhielten sich von ihm. Zwei Damen saßen bei ihnen. »Er hatte wirklich Angst vor mir,« meinte der Eine. »Er schoß fehl; meine Kugel drang ihm grad in die Brust. Sein Erbe gehört dem Marschall.« »Es wird wenig genug sein,« fügte der Andere hinzu; es war der Baron von Langenau, »ein Stück vergoldetes Blei und ein Fläschchen mit Aqua destillata!« »Welches dieselbe Wirkung haben wird, die das berühmte Aqua benedetta bei Ludwig dem Fünfzehnten und der Frau von Pompadour gehabt hat, nämlich keine.« Die Sprecherin war die Baronin von Langenau, jene Nichte der Frau von Hausset, welche ihrem jetzigen Manne in Paris das aufklärende Billet mit der Unterschrift »Ihre zärtliche Amély Hausset« geschrieben hatte.
[Fußnoten] 1 »Es giebt keinen Menschen, der bei gesetzlicher Prüfung seiner Handlungen und Gedanken sich nicht wenigstens sechs Mal hängenswerth fände; es ist daher schade und sehr ungerecht, zu strafen. Seinem Freunde, dem Grafen von Saint Germain. M. Eyquem de Montaigne.« 2 Sie ist dasselbe Mädchen, welches später als Frau von Genlis so berühmt wurde.
Husarenstreiche Ein Schwank aus dem Jugendleben des alten »Feldmarschall Vorwärts« von Karl May
Erstes Kapitel Wer hat den hochwohlehrbaren Herrn Stadtkassirer Pappermann in Stolp gekannt? Wohl Niemand, denn der ist nun schon seit langer Zeit zum großen, ewigen Apell gegangen; aber wer ihn kannte, damals, als er noch lebte, der konnte gewiß nicht ohne Respect an ihn denken, und wer nun gar mit ihm persönlich zu thun hatte, oder sonst irgend wie in seine Nähe kam, der empfand ganz sicher jenes Gefühl, welches, wenn es seinen stärksten Grad erreicht, die Eigenthümlichkeit besitzt, eiskalt den Rücken hinab zu laufen. Er hatte in früheren Jahren bei den Husaren gestanden und es bis zum Wachtmeister gebracht. Da hatte er sich ein strammes, kurzes Wesen angeeignet, war das Befehlen gewohnt geworden und hatte diese Tugenden auch mit in sein späteres Privatleben herübergenommen. Das Reiten war ihm während seiner langjährigen Dienstzeit so unvermeidlich geworden, daß er sich in der dabei nothwendigen Stellung am wohlsten befand. Nie nahm er auf einem Kanapee Platz, und setzte er sich auf einen Stuhl, so geschah es in der Weise, daß er die Lehne vorn in den Händen hatte und mit seinen beiden an den Seiten herabgehenden Beinen den gehörigen Schenkeldruck auf die vier Extremitäten des Möbels auszuüben vermochte. Befand er sich dabei in ruhiger Stimmung, so blieb er auch wie andere Leute am Platze halten, brachte ihn aber irgend Etwas in innere Bewegung, oder gar zur Begeisterung und Exstase, so war es ihm unmöglich, still zu sitzen und er ritt auf dem Stuhle in der Stube hin und her, als habe er seinen alten, lieben Kommisschimmel noch unter dem Sattel. In einer ähnlichen, inneren Ruhelosigkeit mußte er sich auch jetzt befinden, doch schien dieselbe keine freundliche Ursache zu haben, denn sein hageres Gesicht lag in tiefen Falten und die Hände erhoben sich sehr fleißig von der Stuhllehne zum Schnurrbarte, um die Spitzen desselben zornig in die Luft hinaus zu wichsen. Noch vor fünf Minuten hatte er am ersten Fenster der Stube gesessen und sehnsüchtig hinausgeschaut in die Dämmerung, ob die zwei Kumpane wohl erscheinen möchten, mit denen er heut das gewohnte Spielchen machen wollte. Er hatte Niemanden gesehen und war von der Ungeduld mit seinem Stuhle bis an das zweite Fenster getrieben worden. Dann war er bis zum Dritten geritten,
hatte auch da ärgerlich hinausgeschaut, und da sie immer noch nicht kamen, so drehte er den Sessel herum und ritt brummend bis an das zweite zurück. Endlich sogar wieder beim ersten angekommen, fühlte er, daß es mit seiner Geduld nun zu Ende sei. Er drehte sein hölzernes Reitpferd nach der Thür, rüttelte an der Lehne, daß es krachte und fuhr dann mit der Faust durch die Luft, als habe er einen Pallasch in derselben und wolle Jemanden mitten auseinander hauen. »Himmel-Mohren-Element, ist das eine Zucht mit diesem Civil! Schon seit zwanzig Minuten hat es acht geschlagen und noch ist Keiner da. Es ist doch nicht zum Aushalten mit Leuten, die der Herrgott nicht unters Militär gesteckt hat. Da kann eigentlich nichts Anderes helfen, als nur eine tüchtige Fuchtel! Da bin ich es doch anders gewohnt. Als ich damals bei den Belling-Husaren stand, hatte ich mich so pünktlich gewöhnt, daß alle Tage die Sonnenuhr über der Rathhausthür nach mir gerichtet wurde, wenn ich mit meinem Schimmel die Gasse heraufgeritten kam. Das Civil aber –« Er wurde unterbrochen. Es klopfte an der Thür. »Herein!« rief er mit commandirender Baßstimme. Ein kleines, dürftiges, vornübergebeugtes Männchen trat ein und grüßte mit einer Freundlichkeit, der ein klügerer Beobachter, als Pappermann war, ganz sicher die Absichtlichkeit angesehen hätte. »Schönen Diener, Herr Oberstwachtmeister! Ich muß sehr um Entschuldigung bit – –« »Halte Er das Maul mit Seinem ewigen Oberstwachtmeister, und merke Er es sich doch endlich einmal, daß ich nicht Major, sondern Feldwebel, also Wachtmeister gewesen bin. Es ist doch eine Sünde und eine Schande mit diesem Civil, das nicht einmal einen Dragoner von einem Kochlöffel unterscheiden kann! Warum kommt Er denn volle dreiundzwanzig Minuten zu spät?« »Ich muß mich sehr entschuldigen, Herr Rittmeister, daß ich – –« »Wachtmeister bin ich und nicht Rittmeister!« unterbrach ihn Pappermann donnernd, indem er vor Aerger mit seinem Stuhle einen Seitensprung machte. »Verzeihung, Herr Wachtmeister – nicht wahr, jetzt war's richtig? – daß ich nicht eher kommen konnte! Ich hatte eine Abhaltung, die nicht mit angerechnet war.« »Eine Abhaltung, die giebts gar nicht; eine Abhaltung darf
niemals stattfinden; eine Abhaltung ist rein unmöglich. Ja, bei diesem Civil ist Alles gleich: Komm ich heut' nicht, so komm ich morgen! Beim Militär ist's freilich ganz anders. Als ich damals bei den Belling-Husaren stand, da kannte man das Wort Abhaltung gar nicht. Einmal beim Distancereiten stand mir ein Thurm im Wege, das wäre für einen Civilisten doch sicher eine Abhaltung gewesen, wie es gar keine größere geben kann. Ich aber bin mit meinem Schimmel im Galopp zur Thür hinein, die Wendeltreppe hinauf und mit einem Riesensprung von oben wieder herab, und das Alles so schnell, daß ich nicht einen halben Zoll zurückgeblieben bin. Was hat es denn eigentlich gegeben, daß Er um dreiundzwanzig Minuten verhindert worden ist?« »Ich ging über den Markt, um den Gevatter Pfefferkorn mitzunehmen, und der sagte mir, daß er nicht kommen kann.« »Was? Der Pfefferkorn kann nicht kommen? Da wird ja aus unserm Spiele Nichts! Weshalb kann er denn nicht?« »Weil ihm das Podagra wieder in den Beinen liegt. Ich mußte eine ganze Zeit lang bei ihm bleiben, um ihn zu trösten. Daher kam ich so spät.« »Das Podagra? Ja ja, so was kann nur dem Civil passiren, dem liegt das Reißen alle vierzehn Tage einmal in den Beinen, und dann giebt's ein Jammern und Wehklagen, daß sich die Steine erbarmen möchten. Da ist's doch beim Militär ganz anders! Als ich damals bei den Belling-Husaren stand, da lag mir das Podagra einmal so gewaltig im Leibe, daß mir's die Kniee bis herauf an die Achselschnüre gezogen hat. Der Feldscheer gab mich schon auf, und der Schimmel hat vor Kummer vier Wochen lang nicht eine Spur von Futter zu sich genommen. Ich aber habe mich unter eine Wäschmangel gelegt und mir die Beine wieder grad' rollen lassen. So eine Kur ist allerdings Nichts für Euch arme Schlucker; die hält blos ein Wachtmeister bei den Husaren aus! Aber was wird denn nun mit unserm Spiele? Wollen wir den Strohmann setzen?« »Herr Oberstwacht – –« »Wachtmeister bin ich, wenn es Ihm endlich einmal beliebt!« »Allerdings! Also, Herr Wachtmeister, ich möchte Euch bitten, für heut einmal von der Karte abzusehen.« »Von der Karte absehen?« frug Pappermann so erstaunt, daß er mit seinem Stuhle um einige Schritte zurückfuhr. »Von der Karte absehen? Das ist seit dreißig Jahren noch nicht ein einziges Mal
vorgekommen. Warum also sollte denn heut eine so reglementswidrige Ausnahme gemacht werden?« »Weil ich Euch Etwas vorzutragen habe, was mir nöthiger und auch wichtiger erscheint, als das Spiel.« »Ich wüßte nicht, was mir wichtiger und nöthiger wäre als das, was ich mir vorgenommen habe! Ich wollte heut spielen, und so wird also heut auch gespielt. Wenn Er nicht will, so kann Er ja gehen. Aber wieder zu kommen braucht. Er dann auch nicht mehr!« »Ich will Euch ja gern zu Willen sein, Herr Oberstwacht – – Herr Wachtmeister: aber ich ersuche Euch wirklich ganz dringend, mich erst über meine Angelegenheit sprechen zu lassen, ehe wir anfangen!« »Ueber Seine Angelegenheit! Er hat eine Angelegenheit mit mir? Da macht Er mich wirklich über alle Maßen neugierig. Also gut, ich will Ihm volle zehn Minuten Zeit geben, diese Angelegenheit in Ordnung zu bringen. Setze Er sich also nieder und mache Er kurz und bündig Seinen Rapport!« Der Kleine folgte diesem Gebote und begann dann mit etwas unsicherem Tone: »Ihr wißt, Herr Stadtkassirer, wer – –« »Halt! Ist's etwa eine Stadtkassengeschichte, die Er mir vorzutragen hat?« »Nein. Es ist nur eine Privatangelegenheit.« »Nun, so nenne Er mich nur immer Wachtmeister, wie sich's schickt und gehört. Stadtkassirer heiße ich nur dann, wenn es sich um eine Amtsangelegenheit handelt. Euch Civilisten sind diese nothwendigen Unterscheidungen freilich niemals beizubringen.« »Ich werde es zu merken suchen! Also, Ihr wißt ja, wer und was ich bin –« »Natürlich weiß ich das. Er ist der Spezereikrämer Hiller und macht im Landsknecht die größten Pudel weit und breit.« »Das mag sein! Ein Fehler im Spiele hat nicht gar viel zu bedeuten, wenn man nur sonst den Kopf auf dem rechten Flecke hat und sein Geschäft versteht, so daß man Etwas vor sich bringt, so etwa, wie es bei mir der Fall ist. Ihr wißt ja, wie es mit mir steht, Herr Wachtmeister. Ich bin ein thätiger und sparsamer Mann, weiß aus dem Heller einen Groschen zu machen und habe mir ein Sümmchen gespart, wie es hier in Stolp wohl kaum ein Zweiter aufzuweisen hat.«
»Das weiß ich. Er ist der wohlhabendste Mann in der ganzen Stadt und der größte Pfennigfuchser dazu. Was Er hat, das hat Er von anderen Leuten zusammengeschunden und sitzt nun über seinem Geldkasten wie ein alter, feuerspeiender Drache, den kaum zehn Herkulesse todtschlagen können. Aber warum spricht er denn auf einmal von Seinem Vermögen zu mir? Er vermeidet doch sonst mit einer wahren Todesangst jedes Wort darüber!« »Ihr werdet das gleich hören, Herr Oberstwachtmei – –« »Wachtmeister bin ich, Er Himmel-Mohren-Elementer, Er!« »Jawohl, Herr Wachtmeister! Also was ich sagen wollte, ich habe mir das Meinige sauer erworben, aber nicht etwa, um es zu hüten wie ein Drache, wie Ihr vorhin sagtet, oder gar Wucher damit zu treiben, sondern ich habe in meinen jungen Jahren nur gearbeitet und gespart, um nachher das Leben ruhig und ohne Sorgen genießen zu können.« »Das wäre ein ganz gescheidter Gedanke, wenn es wirklich wahr ist, daß Er ihn gehabt hat!« »Es ist wahr, sonst würde ich es doch nicht sagen!« »Gut! Aber ich weiß noch immer nicht, was Er eigentlich mit Alledem will. Acht Minuten sind bereits vorüber, und Er hat also nur noch zwei übrig. Spute Er sich, denn sobald die zehn vorbei sind, geht das Spiel los!« »Was ich will? Ja, das kann ich eigentlich gar nicht so schnell sagen und erklären. Ich habe nun so viel, daß ich mich zur Ruhe setzen und mir das Leben angenehm machen könnte; aber dazu fehlt mir Eins, und das ist grad die Hauptsache.« »Die Hauptsache? Ja, die besteht ja eben in dem Gelde, meiner Ansicht nach!« »Wie man's nimmt!« entgegnete Hiller. »Das Geld ist das Fundament, auf das man bauen muß; aber zu einem gemüthlichen und ruhigen Leben gehört noch mehr. Das Nothwendigste ist da allemal eine – eine –« »Eine – eine – nun, so fahre Er doch heraus mit Seiner Einen!« sagte der Wachtmeister. »Eine Frau.« »Eine Frau?!« rief Pappermann und machte mit seinem Stuhle einen Heckensprung, der den ehrsamen Spezereikrämer Hiller beinahe über den Haufen gerissen hätte. »Himmel-Mohren-Element, was ist Ihm denn da für eine riesenhafte Dummheit in den Kopf
gefahren? Eine Frau soll das Nothwendigste sein? Eine Frau will Er sich nehmen? Hat Er vielleicht den Koller, oder steckt Ihm sonst irgend ein Rappel im Leibe?« »Nichts von Alledem, mein bester Herr Wacht – ja, es ist richtig, Wachtmeister! Wenn es wirklich so eine riesenhafte Dummheit wäre, sich eine zu nehmen, so wäret Ihr ganz sicher unverheirathet geblieben.« »Höre Er, das ist etwas ganz Anderes! Damals als ich bei den Belling-Husaren stand, wollte meine Löhnung weder hinten noch vorn so recht zureichen. Nur aus diesem Grunde sah ich mich endlich nach einer Frau um, die mit allerhand Weiberkram ein Weniges mit verdienen konnte. Es ist der einzige dumme Streich, den ich bei den Belling-Husaren begangen habe, trotzdem ich sagen muß, daß meine Alte die reine Seele war, fast so gut und lammfromm wie mein Schimmel. Freilich ihre Mucken hatte sie auch, denn wo wäre wohl eine Frau ohne dergleichen Dornen und Spitzen, und es hat gar manches Aergerniß gegeben, das ich mir besser hätte ersparen können. Na, jetzt ist sie todt, Gott hab' sie selig, und die Anna, das Mädel, die muß Ordre pariren daß die Gelenke knacken. Die habe ich mir dressirt und eingeübt, daß sie ohne einen Mux zu wagen zur Feueresse hinausfährt, wenn ich sie hinausschicke. Wer die 'mal bekommt, der ist unter vielen Tausenden der Einzige, dem ich das Heirathen vergeben will.« »Ganz dasselbe meine ich auch, Herr Wachtmeister, und eben aus diesem Grunde wollte ich mit Euch reden!« »Aus diesem Grunde? Mit mir reden? Wegen der Anna?« rief und frug Pappermann und machte bei jeder dieser drei Fragen mit seinem Stuhle einen Satz nach rückwärts. »Höre Er, ich fange wirklich an zu glauben, daß Er nicht ganz bei Troste und bei Sinne ist! Ist es wirklich Sein Ernst, was Er da sagt?« »Mein völliger.« »So ist Er verrückt, geradezu verrückt!« »Wieso denn, wenn ich fragen darf, Herr Stadtkaff – – Herr Wachtmeister.« »Weil Er, der Spezereikrämer Hiller, der niemals beim Militär gestanden hat und kaum einen Major von einem Laubfrosche unterscheiden kann, die Tochter eines langgedienten und ehrenvoll verabschiedeten Wachtmeisters von Sr. Majestät Bellings-Husare zur Frau begehrt. Das ist doch Wahnsinn, der reine Wahnsinn!«
»Doch vielleicht nicht so sehr wie Ihr denkt!« entgegnete Hiller beleidigt. »Wir Civilisten sind ebenso gut Menschen wie Ihr vom Militär, und wenn Ihr selbst vorhin sagtet, daß das Geld die Hauptsache sei, so haben wir von dieser Hauptsache wohl mehr als Ihr. Habe ich Recht oder nicht?« »Hm, das kommt sehr darauf an! Bei einem Vergleiche zwischen uns Beiden kann ich dies natürlich gar nicht ableugnen, aber Er muß doch wohl auch zugeben, daß es im Offiziercorps und ganz besonders bei der Cavallerie gar manche Herrn giebt, deren einer hundert und mehr Spezereikrämer aufwiegt! Als ich noch bei den Belling-Husaren stand, diente bei meiner Schwadron ein Rittmeister, der so reich war, daß er zum Desserte nur eingelegte Dukaten und marinirte Doppellouisd'ors verspeiste.« »Das mag sein! Aber erstens ist Eure Tochter doch wohl nicht für einen General bestimmt, und zweitens sind ja für uns Beide nicht fremde Verhältnisse maßgebend. Und übrigens wißt Ihr ja nur zu gut, daß ich auch meine Meriten habe: ich bin bei der Bürgergarde Oberlieutenant.« »Ja, das ist Er! Und wenn Ihr exercirt, so quikt Er Seine Kommando's wie ein junger Gänserich, dem die Stimme noch außen am Schnabel hängt. Eure Bürgergarde ist auch blos für den Kukuk. Da sollte Er mich einmal befehlen hören! Als ich noch bei den Belling-Husaren stand, wurde im Regimente der Stabstrompeter abgedankt, weil meine Stimme sogar im Kanonendonner eine halbe Meile weit gehört wurde. Einmal – es war an einem ruhigen, windstillen Morgen – exercirten wir in der Gegend von Zessen. In Potsdam rückten um dieselbe Stunde die Dragoner aus. Der Oberst ruft mir das Kommando zu; ich rufe: ›Reeee – gi – meeeent, rrrreeeechts schwenkt ab!‹ und was meint Er, was geschieht? Vor Potsdam schwenkten die Dragoner von der Straße ab und rechts in das Feld hinein. Hält Er das für möglich?« »Warum nicht Herr Wachtmeister? Wenn Ihr es erzählt, so giebt es ja gar keinen Zweifel. Ich habe allerdings keine solche Meilenstimme, aber meinen Mann stelle ich doch, und wenn ich die Dütendreherei bei Seite lege und mich mit einer hübschen, jungen Frau in das Privatleben zurückziehe, so sollt Ihr schon sehen, daß ich mir Respect zu verschaffen weiß. Was ich brauche, das habe ich, und so werde ich den Leuten einmal zeigen, daß ich zu leben verstehe. Darum möchte ich Euch,« fügte er langsam und mit
Betonung hinzu, »ersuchen Herr Wachtmeister, einmal nach einem guten, zuverlässigen Reitpferde auszuschauen. Ihr versteht Euch ja auf den Roßhandel besser als ich und sollt die Mühe nicht umsonst haben!« Noch niemals hatte der Stuhl einen solchen Riesensprung gemacht, wie in diesem Augenblicke. Pappermann schnellte auf ihm von der Fensterseite des Zimmers fast bis an die gegenüberliegende Wand; seine Augen waren vor Verwunderung weit aufgerissen und unter dem gewaltigen Schnurrbarte gähnte eine Oeffnung, durch welche ihm der schlaue Spezereikrämer fast bis hinunter in den Magen zu sehen vermochte. »Wa – wa – wa – was? Er Himmel-Mohren-Elementer will sich ein Reitpferd kaufen? Ist Er denn vor Hochmuth toll, oder steht Er im Begriffe, vor Stolz und Einbildung auseinander zu platzen?« »Keins von Beiden, Herr Ritt – wollte sagen Herr Wachtmeister. Ein Wenig spazierenfahren werde ich zuweilen, reiten aber wenig oder gar nicht. Meine Absicht ist nur, Euch ein Vergnügen zu bereiten, wenn Ihr mein Schwiegervater werden wollt. Das Pferd halte ich lediglich nur für Euch, und wenn ich es einmal auf ein Stündchen brauche, so werdet Ihr es mir wohl überlassen.« »Er redet ja wahrhaftig, als wäre Er bereits mit der Anna copulirt! Aber ich will Ihm auch gern gestehen, daß der Gedanke gar nicht übel ist von Ihm. Was würde das Bürgervolk die Augen aufreißen, wenn der alte Wachtmeister und Stadtkassirer Pappermann auf einmal wieder wie in seinen jungen Jahren durch die Stadt galoppirte! Und nun gar erst die Militärs, die würden sich blau ärgern, wenn sie sähen, daß Unsereiner noch weit besser und adretter zu Pferde sitzt als die jetzigen neubackenen Gelb- und Grünschnäbel! Aber ein Schimmel müßte es sein, ein Apfelschimmel wie mein Hans, den ich hergeben mußte, als ich den Abschied nahm!« »Das versteht sich ja ganz von selbst! Wenn Ihr einmal ein Reitpferd haben sollt, so könnt Ihr Euch natürlich auch die Farbe wählen,« antwortete Hiller. Er kannte den Alten genau, der seine Tochter sicher keinem Civilisten zur Frau gab, wenn ihm nicht eine ganz außerordentliche Concession dabei gemacht wurde. Der Gedanke, ein Reitpferd zu besitzen, hatte den früheren Husaren auch sofort in einer solchen Weise in Beschlag genommen, daß ihm von all den Bedenken, welche er im andern Falle sicher vorgebracht
hätte, kein einziges in den Sinn kam. Der in Aussicht gestellte Apfelschimmel bestach ihn so vollständig, daß er mit seinem Stuhle bis hart an den Heirathskandidaten heranritt und ihm die Rechte auffordernd entgegenstreckte. »Hiller. Er ist ein Kerl, gegen den ich wohl gar Manches vorbringen könnte. Er hat keine Figur, ist bereits über die Jünglingszeit hinaus, hat niemals beim Militär gestanden, spielt einen ganz schauderhaft armseligen Landsknecht und hat es noch nicht ein einziges Mal so weit gebracht, pünktlich und auf die Minute hier bei mir einzutreffen. Aber Er hat auch seine Meriten, wie Er vorhin ganz richtig sagte. Sein Geschäft versteht Er aus dem Fundamente, hat ein hübsches Vermögen, besitzt keine ganz üblen Lebensansichten und – was mir ganz besonders von Ihm gefällt – Er ist ein Mann, der seinen Schwiegervater achten und in Ehren halten wird. Ich hätte vielleicht Nichts gegen die Heirath, wenn ich sicher sein könnte, daß Er mit dem Reitpferde auch wirklich Wort hält!« »Ich halte Wort, Herr Wachtmeister. Ihr könnt Euch gleich morgen das Geld bei mir holen, welches Ihr zu dem Kaufe braucht!« »Gut, dann schlage Er ein! Ich werde jetzt die Anna rufen und ihr sagen, was sich zugetragen hat.« »Wird sie unserm Plane auch beistimmen?« frug der Spezereikrämer etwas besorgt. Er wußte, daß er einen Nebenbuhler hatte, der nicht zu unterschätzen war. »Warum denn nicht? Glaubt Er etwa, daß sich das Mädchen einen andern Willen erlaubt als den meinigen? Was ich will, das will ich. Sie weiß das und wird sofort ja sagen. Zwar habe ich schon öfters einen Unteroffizier bemerkt, der mit den Augen fast an ihrem Fenstern hängen bleibt, wenn er vorübersteigt, aber der darf Ihm nicht bange machen. Es ist der Wildebrandt, der Aufschneider, der einmal gesagt hat, es gäbe noch viel bessere Reiter als ich bin. Er sollte mir nur kommen. Ich wollte ihm – –« Es klopfte. »Herein!« rief der unterbrochene Wachtmeister. Die Thür wurde geöffnet. Der Eintretende war ein junger, stattlicher Mann in Husarentracht. Er trug die Abzeichen des Unteroffiziers. »Guten Abend, Herr Wachtmeister!« grüßte er, die Fersen klirrend zusammenschlagend und die Hand zur Stirnhöhe hebend. »Ach, schön guten Abend, mein Bester! Was führt denn Ihn zu
mir?« »Ich bitte, mit Euch ein Wort unter vier Augen sprechen zu dürfen!« »Unter vier Augen? Warum denn das? Hat Er mir vielleicht ein wichtiges Staatsgeheimniß mitzutheilen?« »Das nicht; aber die Angelegenheit, welche mich zu Euch führt, ist nicht für Fremde.« »Eine Angelegenheit hat Er? Das ist ja recht schön! Vielleicht ist es ganz dieselbe, welche ich heut schon einmal mit einem Andern besprochen habe. Doch das werde ich ja hören, sobald es Ihm nur beliebt, sie mir mitzutheilen.« »Das ist eben meine Absicht; doch sagte ich schon, daß die Sache nicht für fremde Ohren bestimmt ist.« »Fremde Ohren giebt es jetzt gar nicht in meiner Stube. Dieser Mann hier ist mein Spezial, der Alles hören kann, was Er mir zu sagen hat. Schlage Er also nur immer los mit Seiner Neuigkeit!« »Wenn Ihr es so befehlt, Herr Wachtmeister, so muß ich gehorchen. Ich komme wegen Eurer Tochter Anna. Wir haben uns kennen gelernt und sind einander lieb geworden. Darum möchte ich Euch gern bitten, zuweilen ein Stündchen meiner Urlaubszeit bei Euch verbringen zu dürfen, damit Ihr Euch ein Urtheil über meine Person und meinen Character aneignen könnt. Ich bin überzeugt, daß Ihr dann eine – – –« »Seine Ueberzeugung ist mir gleichgültig!« fiel ihm Pappermann in die Rede, »und Seine Person und Sein Character auch. Er hat also meine Tochter kennen gelernt? Davon weiß ich ja gar Nichts! Beim Civil läuft man zusammen ohne zu fragen woher und wohin; beim Militär pflegt man aber anders zu verfahren. Als ich noch bei den Belling-Husaren stand, habe ich einmal bei einem Vater um ein Mädchen angehalten, die ich noch gar nicht gesehen hatte. Es versteht sich ja ganz von selbst, daß man hinter dem Rücken der Eltern Nichts vornimmt. Er freilich hat nicht Ehrgefühl genug, dies einzusehen, und so hätte Er besser gethan, auch heut Seinen Besuch zu unterlassen. Das Mädchen bekommt Er nicht, und an Seiner Gegenwart ist mir nicht das Mindeste gelegen. Bleibe Er mir also in Zukunft vom Leibe!« Der Unteroffizier behielt seine stramme, kerzengrade Haltung bei und veränderte nicht eine Miene seines tiefgebräunten, männlichen Gesichtes.
»Wie es zu der Zeit gewesen ist, als Ihr bei den Belling-Husaren gestanden habt, Herr Wachtmeister, davon weiß ich Nichts zu erzählen; ich kann nur von jetzt berichten, und da ist es allerdings Sitte, daß man sich das Mädchen erst ansieht, ehe man sie heirathet. Ich habe nach diesem Gebrauche gehandelt und Nichts gethan, was mein Ehrgefühl mißbilligen könnte!« »Wie klug Er doch sprechen kann, grad so klug wie damals, als Er behauptet hat, daß Er viel besser reiten könne, als ich. Höre Er, Wildebrandt, Er ist ein Prahler, ein Großthuer, und was hinter solchen Leuten steckt, daß weiß man ja. Gehe Er, ich habe Nichts mit Ihm zu schaffen!« »Ist dies Euer letztes Wort, Herr Wachtmeister?« »Mein letztes. Er kann besser reiten als ich und wird also auch sonst besser als ich wissen, was die Glocke geschlagen hat, wenn ein ehrenvoll verabschiedeter Wachtmeister von den Belling-Husaren zu Ihm sagt, daß Er gehen soll!« »Das weiß ich allerdings besser als Ihr: sie hat eben zur Hochzeit geschlagen. Ich bin Unteroffizier bei den Belling-Husaren und habe es mit dem nächsten Schritte ebenso wie Ihr zum Wachtmeister gebracht. Ein tüchtiger activer Unteroffizier aber wiegt wenigstens grad so schwer wie ein verabschiedeter Wachtmeister, und so könnt Ihr Euch denken, daß ich mich nicht so mir nichts Dir nichts ohne allen stichhaltigen Grund von der Thür weisen lasse. Ich habe die Anna lieb, sie mich auch, und wenn Ihr mir nicht beweisen könnt, daß Eins von uns Beiden des Andern unwerth ist, so trete ich nicht zurück, sondern erkläre Euch, daß sie meine Frau wird!« »Will Er wohl machen, daß Er sofort hinauskommt, Er Himmel-Mohren-Elementer!« rief Pappermann zornsprühend und galoppirte mit seinem Stuhle grad auf Wildebrandt los. »Ich sage Ihm, Er bekommt sie nicht. Ich bin der Wachtmeister und Stadtkassirer Pappermann und weiß, was ich will!« »Und ich sage Euch, ich bekomme sie. Ich bin der Unteroffizier Wildebrandt und weiß auch, was ich will. Gute Nacht!« Er öffnete die Thür und schritt sporenklirrend die Treppe hinab. Unten stand die Geliebte in banger Erwartung der Entscheidung. Aus dem lauten Tone, in welchem die Unterhandlung geführt wurde, hatte sie auf das Ergebniß derselben geschlossen und frug jetzt leise:
»Nicht wahr, er hat nein gesagt?« »So ist's!« sagte Wildebrandt zornig. »Und als einzigen Grund hat er angegeben, daß ich behauptet habe, ich könne besser reiten als er. Ich habe allerdings so gesagt, aber nur, weil er sich über mich und meinen Apfelschimmel moquirt hat. Er nennt ihn einen alten Ziegenbock und sagt, ich sitze darauf wie der Affe auf dem Kameele. Kann ich dafür, daß er auch einen Apfelschimmel geritten hat und nun seine beleidigenden Vergleiche zieht zwischen sich und mir?« Der Zornige hätte seinem Herzen noch länger Luft gemacht, wenn nicht soeben die Stimme Pappermanns oben erschollen wäre. »Anna, herauf zur Parole!« »Komm, tritt hier herein!« flüsterte das Mädchen, eine Thür öffnend und ihn in den dunklen Raum schiebend. »Ich schließe Dich ein, damit Dich Niemand bemerkt, und werde Dir nachher berichten, was es oben giebt!« Sie zog den Schlüssel ab und stieg die Treppe empor. Als sie in das Zimmer trat, hielt der Vater noch immer zornglühend auf seinem Stuhle vor der Thür. »Kennst Du den Unteroffizier Wildebrandt?« »Ja.« Sie war gewohnt, ihr Antworten nur in der kürzesten und bündigsten Weise zu geben. »Du hast eine Liebschaft mit ihm?« »Ja.« »Hinter meinem Rücken?« »Nein!« »Wie meinst Du das?« »Du hast mich noch nicht darnach gefragt!« »Ach so! Als ich noch bei den Belling-Husaren stand, machten mir meine Untergebenen ihre Meldungen auch ohne daß ich sie fragte. Er sagt, Du wärst ihm gut. Ist das wahr?« »Ja.« »Schön! Ich befehle Dir hiermit, ihm nicht mehr gut zu sein!« Sie schwieg. »Hast Du's gehört?« »Ja.« »Ich habe Dir bereits einen Mann bestimmt.« Sie sah ihn bestürzt und fragend an.
»Nämlich diesen da!« erklärte er, auf den Spezereikrämer deutend. »Das ist nicht möglich, Vater!« »Warum nicht? Was ich thue, das ist stets und allemal möglich! Als ich noch bei den Belling-Husaren stand, habe ich Manches möglich gemacht, was Andre für eine Unmöglichkeit gehalten haben. Einmal hatten wir ein Treffen in der Pfalz; eine feindliche Kanone schoß immer grad mitten in unsre Glieder hinein; wir befanden uns in einer sehr exponirten Stellung und hätten aus der Haut fahren mögen vor Aerger, uns so ruhig wegputzen lassen zu müssen. Da zog ich meine Pistolen, gab dem Nebenmanne das Ladezeug, und während er nur immer lud, zielte ich grad auf die Mündung der Kanone und schoß auf diese Weise jede Kugel entzwei, die sie uns entgegen schickten. Ich erhielt für diese Geschicklichkeit eine Medaille, habe sie aber später einmal wieder verloren. Das war doch das reine Unmögliche möglich gemacht. Meinst Du da, daß ich mich vor Deiner Unteroffiziersliebe fürchte?« »Nein!« »Na also! Der Lieutenant von der Schützencompagnie, Herr Hiller, hat vorhin bei mir um Deine Hand angehalten. Ich habe sie ihm zugesagt, und Du wirst nun wissen, was Du zu thun und zu lassen hast. Verstehst Du mich?« »Ja.« »Du wirst es gut haben bei ihm, davon hat er mich vollständig überzeugt. Du wirst die reichste und vornehmste Frau im Orte sein und die Freude erleben, daß Dein Vater täglich spazieren reitet.« »Du? Woher nimmst Du denn das Pferd?« »Das wird Dein Mann mir schenken. Morgen schon zahlt er das Geld, und dann werde ich mich sofort nach einem tüchtigen Schimmel umsehen.« »So hast Du mich für ein Pferd, für ein Thier verkauft?« Er fuhr mit seinem Stuhle zurück, als sehe er sich plötzlich der Mündung einer geladenen Kanone gegenüber. Dann wirbelte er die beiden Spitzen seines Schnurrbartes in die Luft, schlug mit den Füßen an die Stuhlbeine, als habe er es mit einem widerspenstigen Reitthiere zu thun, und rief mit blitzendem Auge: »Was meinst Du, Du Himmel-Mohren-Elements-Hexe Du? Verkauft hätte ich Dich, verkauft für ein Pferd? Meine eigene Tochter erklärt mich, den Stadtkassirer und von den
Belling-Husaren ehrenvoll verabschiedeten Wachtmeister Pappermann für einen Menschenhändler, für einen Menschenabschlächter, für einen Rabenvater, für einen – ich, ich finde gar keine Worte, ich könnte, ich möchte, ich –« Er trabte auf seinem Stahle stampfend in der Stube hin und her und hielt endlich mit einem krachenden Rucke vor dem Spezereikrämer, den er grimmig bei der Brust packte. »Höre Er, was soll ich mit der ungerathenen Tochter machen? Soll ich sie todtschießen, soll ich sie fortjagen, soll ich sie krummschießen, soll ich – he, so sage Er doch, was ich mit ihr machen soll!« Der Gefragte hielt ängstlich den Zornigen mit beiden Armen von sich ab. »Herr Ritt – Herr Stadtkass – Herr Wachtmeister, verheirathet sie, dann seid Ihr sie und die Aergerniß los und der Schimmel ist Euer.« »Ja, das werde ich machen! Erst sollte sie Ihn nehmen, jetzt aber muß sie Ihn nehmen; sie muß und zwar zur Strafe, zur gerechten Strafe für den Rabenvater. Und den Schimmel, auf den soll sie mich alle Tage sehen zur Züchtigung für die Insubordination und Bosheit, die sie gegen mich begangen hat!« Er warf sein prasselndes Pferd herum zu ihr und donnerte: »Anna!« »Was?« »Du kennst mich!« »Ja!« »Wenn Du noch ein einziges Wort mit dem Wildebrandt sprichst, so passirt Etwas! Hast Du's gehört?« »Ja!« »Du heirathest den Herrn Lieutenant Hiller!« Sie schwieg. »Hast Du's gehört?« »Ja!« »Morgen bekomme ich den Schimmel und in acht Tagen ist die Verlobung. Verstanden?« »Ja!« »Tret' ab!« Sie gehorchte dem Commandoworte und verließ das Zimmer. Während der ehrenvoll verabschiedete Wachtmeister oben noch
lange seine möbelzerstörenden Evolutionen ausführte, öffnete sie unten die Thür und stattete dem Geliebten den versprochenen Bericht ab. Mancher Rettungsplan wurde von den beiden jungen Leuten, die sich in ihrer Liebe so ernstlich bedroht sahen, ausgesonnen und wieder verworfen, und Hiller hatte schon längst das Haus verlassen, als der Unteroffizier sich endlich von seinem Mädchen verabschiedete. Er ließ sie nicht ohne Trost zurück. »Es bleibt dabei, Anna, ich spreche mit dem Herrn Lieutenant von Blücher. Er ist nicht nur ein respectabler Offizier, sondern auch ein Pfiffikus, wie es im ganzen Regimente keinen zweiten giebt, und hält große, sehr große Stücke auf mich. Wenn irgend ein Rath möglich ist, so weiß er ihn, und ist eine That nothwendig, so läßt er mich sicher auch nicht im Stiche. Gute Nacht!« »Gute Nacht!« Ein zärtlicher Kuß klang leise von den vier warmen Lippen; dann nahm Wildebrandt vorsichtig den Degen in den Arm und schlich unhörbar davon. Pappermann ahnte nicht, daß die Tochter, welche er sich »so gut dressirt« hatte, daß sie »nicht einen Mux wagen durfte«, zu einer Widersetzlichkeit entschlossen war, die ganz ohne Beispiel dastand seit damals, »als er noch bei den Belling-Husaren stand«.
Zweites Kapitel Jungfer Adelheid stand am Fenster und schaute sehnsüchtigen Blickes hinüber nach dem Laden, hinter dessen Glasscheiben zuweilen ein hageres, gelbbleiches Gesicht vorüberhuschte, momentan und eilfertig, als hätte es nicht Zeit, einen raschen oder auch nur halben Blick hinauszuwerfen auf die Straße. Lange, lange Jahre hatte sie an derselben Stelle, an demselben Fenster gestanden und hinübergesehen nach denselben Glasscheiben, erst mit heißem Verlangen, dann mit ängstlicher Ungeduld und endlich mit stillem, tiefem, unheilbarem Weh im Herzen, denn niemals hatte sich das Gesicht ihr zugewendet, niemals war eine kleine Aufmerksamkeit, ein freundliches Lächeln, ein grüßendes Kopfnicken ihr zu Theil geworden. Und wenn der Abend sich mit seinem geheimnißvollen, verschwiegenen Dunkel über die Erde neigte und Alles, Alles sich fand, was sich liebte und suchte, dann verließ auch der Herr Spezereikrämer Hiller seine Wohnung, aber nicht, um die Pfade der Liebe zu wandeln, sondern er ging entweder zum alten Pappermann spielen, oder unternahm einen einsamen Spaziergang vor das Thor, um sich die neuen Waarenpreise zu berechnen und ungestört den Gedanken an Gewinn und Profit nachhängen zu können. Kein einziger Blick war jemals hinauf zu ihr gefallen. Trotzdem hatte sie stets gewartet, bis er zurückkehrte, und wenn dann seine Gestalt im Schatten der Thür verschwunden und das grausame Klirren des Hausschlüssels verklungen war, so zog auch sie sich zurück und begab sich zur Ruhe, um am nächsten Morgen ihre ewig erfolglosen Beobachtungen von Neuem zu beginnen. »Ach, was haben doch die Männer für harte, verständnißlose und unbedürftige Herzen,« seufzte sie. »Er ist so einsam und allein, und ich hätte ihn gewiß sehr glücklich gemacht. Er ist zwar nicht mehr so jung und schmuck, wie früher, nicht den zehnten Theil so drall und reizend, wie zum Beispiel mein Herr von Blücher, aber ich liebe ihn doch, ich habe ihn geliebt heiß und innig, ich werde ihn lieben jetzt und in alle Ewigkeit.« Da ertönte die Klingel des Vorsaales. Sie ging hinaus und öffnete. Draußen stand der Diener des Lieutenants.
»Darf ich um den Kellerschlüssel bitten, gnädiges Fräulein?« »Mit Vergnügen darf Er das!« antwortete sie. Im Stillen dachte sie: »Was doch die Leute vom Militär für charmante, liebenswürdige und höfliche Menschen sind. Seit ich den Herrn von Blücher bei mir wohnen habe, bin ich ein gnädiges Fräulein geworden und werde von Jedermann mit Respect und Ehrerbietung behandelt. Ach, wenn doch der Herr Kaufmann Hiller auch Husar geworden wäre; er würde gewiß nicht so gleichgültig sein!« Und laut fügte sie hinzu: »Er will gewiß wieder Wein aus dem Keller holen?« »Ja.« »Zu so früher Tageszeit schon?« »Es ist Besuch da, und die Herren Offiziere lassen sich nichts Anderes vorsetzen.« »Besuch? Ich sah doch Niemanden kommen, trotzdem ich mich schon ziemlich lange am Fenster befinde.« »Hm, das glaube ich wohl,« lachte er. »Die Herren sind nicht durch die Straße, sondern hinter der Stadt hergekommen und über den Zaun gesprungen.« »Gesprungen?« frug sie erstaunt. »Warum gingen sie denn nicht durch die Pforte? Sie steht ja am Tage stets offen.« »Weil sie zu Pferde waren.« »Zu Pferde? Mein Gott, so sind sie wohl gar über den Zaun geritten, über meinen schönen Zaun hinweggesprengt?« »Freilich.« »Und ihre Pferde haben mir die Blumen vernichtet und das Gras niedergestampft?« »Ich weiß das nicht, denn ich habe mich nicht darnach umgesehen. Die Thiere stehen jetzt unten im Vorrathsgewölbe.« Sie schlug erschreckt die Hände über dem Kopfe zusammen. »In meinem Vorrathsgewölbe?« jammerte sie. »Wo ich die Eier, die Butter, das Gemüse und tausend andere nothwendige und zerbrechliche Dinge aufbewahre! Sind die Herren denn von Sinnen?« »Auch das weiß ich nicht. Ich werde sie aber gleich einmal darnach fragen und Euch dann Bescheid sagen, gnädiges Fräulein.« »Um Gotteswillen, thue Er das nicht! Sie würden mir bös darüber sein und ich wäre dann wahrhaftig ganz untröstlich. Aber ist
es denn möglich, über einen so hohen Zaun hinwegzureiten? Wenn nun Einer gestürzt wäre und Etwas gebrochen hätte!« »Ja, gnädiges Fräulein, wir Leute von den Belling-Husaren brechen niemals den Hals! Jetzt aber muß ich fort. Soll ich einmal nachsehen, ob sich die Pferde über die Eier und das Gemüse hergemacht haben?« »Ja, mein Lieber, ich bitte ihn um diese Gefälligkeit. Ich würde es gern selbst thun, aber ich wäre ja gleich des Todes, wenn ich öffnete und so ein Thier blickte mich mit den großen, fürchterlichen Augen an. Ist der Herr Lieutenant auch schon zu Hause?« »Nein. Er befindet sich noch auf dem Exerzierplatze, wird aber wohl bald heimkehren.« Es war so, wie er sagte: Blücher hielt mit seiner Fuchsstute – damals das anerkannt beste Pferd im ganzen Regimente, wie sein Herr auch als der geschickteste und kühnste Reiter bekannt war – auf dem freien Raume vor der Stadt, wo die täglichen Uebungen stattzufinden pflegten, und drängte sein muthiges, tänzelndes Roß in die glänzende Colonne, welche sich unter dem Kommande des Obersten zum Heimritte anschickte. Unter den schmetternden Klängen der Trompeten hielten die schmucken Cavalleristen ihren Einzug in die Stadt. Gar manches schöne Auge folgte ihnen und gar mancher bewundernde Blick ruhte besonders auf dem Lieutenant, dessen schlanke, kräftige Figur, von der knappen Husarenuniform noch mehr hervorgehoben, so leicht und sorglos im Sattel saß und dessen hell und kühn über die wohlgebogene Adlernase blitzendes Auge wohl hier und da empor nach einem Fenster flog, niemals aber mit einem Blicke, der zur leisen Hoffnung hätte ermuthigen können. Blücher war einer der tüchtigsten, flottesten und – hübschesten Offiziere, das wußten nicht nur seine Vorgesetzten, sondern besonders von seiner letztgenannten Eigenschaft waren auch die Schönen der Stadt überzeugt, doch ebenso gut wußte man auch, daß sein Herz noch frei und gar nicht geneigt sei, sich in süße Fesseln schlingen zu lassen. Nach Auflösung der Truppe stand er im Begriffe, sich nach seiner Wohnung zu begeben, als der Unteroffizier Wildebrandt, den Hut mit Kolpak auf dem Kopfe und den Säbel dicht herangezogen, in dienstlicher Haltung an ihn heranritt. »Mit Erlaubniß, Herr Lieutenant; darf ich heut' vielleicht eine
Bitte aussprechen?« »Ist es etwas den Dienst Betreffendes?« »Nein, sondern eine Privatangelegenheit.« »So kommen Sie zu mir, sobald Sie Ihr Pferd versorgt haben. Ich werde zu Hause sein.« Als er an dem Hause des Stadtkassirers vorbeitrabte, klirrte ein sich öffnendes Fenster und eine Stimme rief in devotem Tone: »Herr Lieutenant, ich bitte um ein Wort!« Er zog das Pferd herum und antwortete: »Ah, guten Morgen, Herr Wachtmeister! Was haben Sie auf dem Herzen?« »Eine Frage ist's, die ich Ihnen vorlegen möchte.« Der alte Herr hatte trotz seiner Bärbeißigkeit einen ganz gehörigen Respect vor dem überall beliebten und angesehenen, wackeren, jungen Manne und pflegte ihn daher niemals mit dem altgebräuchlichen »Ihr«, sondern mit dem damals eben in die Mode kommenden »Sie« anzureden, eine Ausnahme, deren sich nur Wenige zu rühmen wußten. »So fragen Sie nur zu.« »Ich stehe im Begriffe, mir ein Reitpferd zu kaufen.« »Ein Reitpferd?« frug Blücher verwundert. »Wozu denn?« »Nun, wozu anders, als zum Reiten!« antwortete Pappermann etwas pickirt. »Natürlich, natürlich,« lachte der Offizier, »denn zum Schlachten wird es doch wohl nicht sein. Aber wer soll es reiten?« »Wer sonst, als ich! Oder glauben der Herr Lieutenant vielleicht, daß ich nicht mehr im Stande sei, mich im Sattel zu halten?« »Ich traue Ihnen alles Mögliche zu, Herr Wachtmeister! Aber was habe ich mit Ihrem Pferdehandel zu schaffen?« »Sie sind der gewiegteste Pferdekenner und in den Ställen der ganzen Umgegend zu Hause; darum möchte ich gern eine Frage aussprechen. Wissen Sie nicht etwas Passendes für mich? Auf alle Fälle muß es ein Apfelschimmel sein und abgeleiert möchte ich ihn auch nicht haben. Ich kaufe mir ein Pferd zum Vergnügen, also einen Spazierschimmel, mit dem man sich nicht zu schämen braucht.« »So, so! Hm, für den Augenblick fällt mir grad' nichts Convenables ein, obgleich ich so ziemlich Alles weiß, was hier zu haben ist. Aber warten Sie, ich werde mich besinnen und Ihnen dann
Nachricht geben.« »Schön, Herr Lieutenant. Danke, und bin Ihnen gern zu jedem Gegendienst bereit!« Mit einem militärischen Gruße zog er sich von dem Fenster zurück und Blücher ritt kopfschüttelnd davon. Er konnte den Luxus eines Spazierpferdes mit dem Einkommen des verabschiedeten Wachtmeisters nicht in Einklang bringen. Zu Hause angekommen, übergab er die Fuchsstute dem Diener und trat in das Zimmer, wo er die anwesenden Kameraden mit einer Miene bewillkommnete, welche verrieth, daß er gewohnt sei, sie auch während seiner Abwesenheit hier nach Belieben schalten und walten zu lassen. Der einfach möblirte Raum war nicht sehr groß und seine ganze Einrichtung ließ erkennen, daß der Bewohner desselben nicht gerade sonderlich viel auf häusliche Bequemlichkeit und übermäßigen Comfort zu geben geneigt sei. Mehrere große, schon sehr mitgenommene Polsterstühle, ein derber Eichentisch, von dem die Decke entfernt war, um einem halbgeleerten Flaschenkorbe Platz zu machen, ein großer, massiver Schrank, durch dessen geöffnete Thür verschiedene Uniformstücke neugierig schauten, ein alter Schreibtisch mit unendlich vielen Fächern bildeten nebst den verräucherten und in sorglose Falten verzogenen Gardinen die Ausstattung der Stube, welche der später so berühmte Mann damals bewohnte. Doch ein Hauptschmuck muß noch erwähnt werden. Die ganze den Fenstern gegenüberliegende Wand war mit allerlei merkwürdigem Reitzeug, mit älteren und neuen kostbaren Sätteln und mit Waffen aller Art behangen und bedeckt. Neben dem Dienstpallasch hing der schön verzierte Damascener eines türkischen Paschas; zwischen zwei stark mit Silber beschlagenen Reiterpistolen aus der berühmten Werkstatt des Meister Erneste in Paris funkelte die graue, schneidige Klinge eines seltenen malayischen Yatagans, und wenn man die gegenwärtigen Insassen des Zimmers betrachtete, so mußte man wohl die Ueberzeugung gewinnen, daß sie in jenen Sätteln zu Hause waren und es auch gar wohl verstanden, die prächtigen Waffen mit Erfolg zu gebrauchen. »Ihr benutzt Euern Urlaub auf eine sehr ausgiebige Weise,« meinte er, auf die geleerten Flaschen deutend. »Doch laßt Euch nicht stören, ich thue mit.« Er ergriff einen der ziemlich umfangreichen Humpen, in
welchen der dunkelglühende Burgunder blinkte und trank ihn mit einem kräftigen Zuge aus. »Was treibt Euch denn so früh schon in meine Kasematte? Der Durst nach meinem Rothen pflegt sich doch gewöhnlich erst des Nachmittags bei Euch einzustellen.« »Wir kommen, um Deine Meinung zu hören,« antwortete Einer, welcher die Abzeichen eines Oberlieutenants trug. »Worüber?« »Wir saßen bei unserm Rudorf hier, tranken unschuldigen Kaffee und bissen neubackene Hörnchen dazu, kurz und gut, wir waren die unbefangensten Menschen von der Welt und freuten uns unsers Daseins in bester Weise. Da plötzlich fiel es unserm Teufel, dem langen Venske ein, das Kraut der Zwietracht in unsre paradiesische –« »Schweig, Treskow, mit Deinen malcontenten Gleichnissen,« fiel ihm der Genannte in die Rede. Er war eine lange, hagere Gestalt, mit schwarzem, weit herabhängendem Schnurrbart. »Die Sache ist sehr kurz: Treskow behauptete, Keiner von uns vermöge mit seinem Pferde fünf Fuß feste Barrière zu überspringen; ich hielt ihm Widerpart; wir stritten uns noch hin und her und wären jetzt noch im selben Zanke, wenn nicht Rudorf auf den Gedanken gekommen wäre, Dich als Schiedsrichter vorzuschlagen. Wir saßen sofort auf, machten einen Probesprung über Deinen viereinhalbfüßigen Zaun und – tout voilà, da sind wir. Nun aber sag' uns auch, wer Recht hat.« »Natürlich Du, Venske. Dein Schwarzer hat gute Knochen und wenn Du ihn gut in die Zügel nimmst, so brauchst Du Dich vor den fünf Fuß gar nicht zu fürchten.« »Das bestreite ich!« rief Treskow. »Wenn es nicht feste Barrière wäre, so wollte ich es eher für möglich halten.« »So glaubst Du wohl auch nicht,« entgegnete Blücher, »daß ich mit meiner Stute fünfeinhalb Fuß überflogen habe?« Auf die Frage Blüchers antwortete Treskow: »Nein! Du reitest besser als wir Alle, und ich habe auch ganz gehörigen Respect vor Deinem Thiere, aber ich meine doch, daß Du Dich in dieser Höhe ein Wenig irrst!« »Willst Du es vielleicht bewiesen haben?« »Du vermagst den Beweis nicht zu führen!«
»Was gilt die Wette?« frug Bücher. Spiel und Wette liebte er fast leidenschaftlich, und wo sich eine Gelegenheit zur Letzteren bot, versäumte er sie gewiß niemals. »Was setzest Du?« »Fünfzig Dukaten!« »Angenommen. Schlag ein!« Die Hände der beiden Offiziere fielen bekräftigend ineinander, als der Diener die Thür öffnete. »Was giebts?« forschte Blücher, sich zu ihm wendend. »Der Unteroffizier Wildebrandt ist draußen. Er sagt, er sei bestellt.« »Laß ihn eintreten!« Als der Bezeichnete bemerkte, daß der Lieutenant nicht allein sei, konnte er trotz der straffen Stellung, in welcher er grüßte, eine kleine Verlegenheit nicht bemeistern. »Da mich keine dienstliche Meldung herführt, erlauben mir vielleicht der Herr Lieutenant, wieder zu kommen!« meinte er. »Warum das? Tragen Sie immerhin Ihr Anliegen vor; wir sind hier ganz unter uns.« »Ich darf die Herren doch unmöglich mit einer Sache belästigen, welche nur allein für mich von Interesse ist.« »Sie wollten doch mir die Mittheilung davon machen! Setzen Sie bei den Herren Kameraden nicht die gleiche Theilnahme für einen braven Husaren, der Sie doch sind, voraus?« »Ich befürchte, ein Wenig ausgelacht zu werden, wie ich offen gestehen muß!« »So! Ich versichere Ihnen, daß dies nicht geschehen wird. Sie sind nicht der Mann, der eine Lächerlichkeit begeht!« »Und doch werden grad' der Herr Lieutenant das, was ich von mir zu sagen habe, für ungeheuerlich lächerlich halten!« »Meinen Sie? Da bin ich doch neugierig, es zu hören. Also heraus damit, Wildebrandt!« »Ich bin – ich bin nämlich – ich habe – ich habe mich nämlich – –« »Nun, was sind Sie denn nämlich, oder was haben Sie nämlich?« »Verliebt,« platzte er heraus. »Verliebt bin ich, verliebt habe ich mich!« »Verliebt? Das ist allerdings kein grad' sehr bewundernswerther
Husarenstreich, den Sie da begangen haben. Wer ist denn die tapfre Amazone, die es wagt, einen Belling-Husaren so über's Ohr zu hauen?« »Es ist die Tochter des Stadtkassirer Pappermann.« »Ah, mein lieber Wildebrandt, da haben Sie keinen ganz schlechten Geschmack! Ich sah das Mädchen einige Male am Fenster sitzen, und glaube, sie ist nicht ganz übel.« »Der Herr Lieutenant haben Recht,« antwortete der Unteroffizier, erfreut sowohl über dieses Urtheil als auch darüber, daß er nicht ausgelacht wurde, wie er vorher wirklich sehr befürchtet hatte. »Die Anna ist nicht nur ein hübsches Mädchen, sondern steckt auch voller Tugenden wie mein voriger Apfelschimmel voller Mucken. Nur einen einzigen Fehler hat sie, und wegen ihm wollte ich Sie um einen guten Rath bitten.« »Mich wegen eines Fehlers Ihrer Geliebten um einen guten Rath bitten? Wollen Sie vielleicht ein Mittel hören, ihr diesen Fehler auszutreiben?« »Ja; das war's, was ich wollte!« »Hören Sie, mein Lieber, Ihrem vorigen Apfelschimmel – ach,« unterbrach er sich plötzlich lachend, »erinnern Sie mich nachher einmal an die liebe, alte, gute Liese, die Ihnen so viel Mühe und Aerger bereitet hat! – also Ihrem vorigen Apfelschimmel hätte ich vielleicht von seinen Mucken helfen können, ob mir das aber auch bei Ihrem Mädchen gelingen würde, das bezweifle ich sehr. Meine Erfahrungen reichen da gar nicht sehr weit!« »Und doch vermögen Sie es, Herr Lieutenant, das weiß ich. Wenn Sie sich einmal Etwas vorgenommen haben, so gelingt es Ihnen auch, denn Sie gehen nie wieder zurück.« »Ja, ›Vorwärts,‹ das habe ich mir zur Losung gemacht, aber vor Frauenmucken fühle ich doch einen ganz gewaltigen Respect. Welches ist denn der Fehler, den das Mädchen hat?« »Ich soll sie nicht bekommen!« »Ach so!« rief Blücher. »Das scheint mir allerdings der größte Fehler, den ein Mädchen haben kann. Ist sie Ihnen denn gut?« »Von Herzen.« »Also ist der Vater gegen Sie?« »Ja.« »Warum?« »Weil ich einmal behauptet habe, daß es Leute giebt, die besser
reiten können als er.« »Da haben Sie wohl auch die Wahrheit gesagt.« »Und weil ihr der Alte schon einen Bräutigam ausgesucht hat.« »Das sieht ihm ganz ähnlich! Wer ist denn der Erwählte?« »Der Spezereikrämer Hiller da drüben.« »Der – – –?« frug der Lieutenant gedehnt. »Der will Ihnen das hübsche, frische Mädchen wegschnappen? Der Kerl ist ja trockener als seine Düten und dürrer als seine Nudeln! Wollen Sie sich denn das so ruhig gefallen lassen?« »Fällt mir gar nicht ein, und der Anna auch nicht! Wir haben uns gestern Abend besprochen, fanden aber das rechte Mittel nicht. Vielleicht wäre noch Etwas zu machen, aber der Pappermann ist ein eingefleischter Kavallerist, und der Krämer hat ihm einen Apfelschimmel versprochen, wenn er das Mädchen bekommt.« »Ah, ah, ah, – – jetzt geht mir ein Licht auf!« rief Blücher, von seinem Stuhle, auf welchem er Platz genommen hatte, emporspringend und mit hastigen Schritten in der Stube auf und niederschreitend. »Warten Sie einmal, warten Sie; ich merke, daß mir ein Gedanke kommen will!« Dann blieb er vor dem Unteroffizier stehen, blickte ihn mit lustig blitzenden Augen an und frug: »Wissen Sie, wer Ihren früheren Apfelschimmel damals beim Ausrangiren erstanden hat?« »Ja. Er steht noch heut draußen bei dem Schulzen von Fahrenkow in guter Kost und Pflege. Ich habe ihn erst kürzlich gesehen und mich über ihn gefreut.« »So ist er wohl gut erhalten.« »Ja; man sieht ihm seine alten Tage gar nicht an, und seine Launen hat er auch alle noch. Der Schulze hat ihn verkaufen wollen und darum die Bohnen aus den Zähnen fortgebrannt.« »Das paßt ganz prächtig! Hören Sie, Wildebrandt, Sie sollen das Mädchen bekommen!« »Wirklich, Herr Lieutenant?« frug der Unteroffizier hoch erfreut. »Wirklich! Ich will Ihnen nicht nur einen guten Rath geben, sondern Ihnen auch mit der That beistehen. Ich halte Etwas auf Sie, das wissen Sie ja; Ihr Mädchen wird es ja auch werth sein, daß man Etwas für sie thut; der Krämer ist ein abscheulicher Kerl, obgleich er den besten Burgunder führt, und was den alten Pappermann
betrifft, so ist es sicher kein Unrecht, ihn darüber zu belehren, daß ein hübscher Husarenunteroffizier einem alten, ausgetrockneten Pfefferhändler allemal vorzuziehen ist. Hören Sie, was ich Ihnen sage: Sie nehmen sofort in Angelegenheiten des Lieutenants von Blücher einen kurzen Urlaub – die Bescheinigung werde ich Ihnen gleich schreiben – reiten hinaus nach Fahrenkow und sagen dem Schulzen, er solle mir einmal unverweilt den Schimmel schicken, ich hätte einen Käufer für denselben.« »Zu Befehl Herr Lieutenant!« »Sie bringen die alte Liese so schleunig wie möglich zu mir, reiten aber nicht durch die Straße, sondern ziehen sie durch den Garten in den Hof.« »Zu Befehl Herr Lieutenant!« »Das Uebrige werden Sie seiner Zeit erfahren. Jetzt sind Sie entlassen, und hier ist das Papier mit der Bescheinigung! Reiten Sie schnell. In einer Stunde können Sie wieder eingetroffen sein!« Der Entlassene verließ mit freudigem Herzen das Haus. Er kannte seinen Lieutenant und wußte, daß er sich auf ihn verlassen könne. Die anwesenden Offiziere hatten dem Gespräche zugehört, ohne an demselben Theil zu nehmen; jetzt aber brachen sie ihr bisher behauptetes Schweigen. »Sag' einmal, Blücher, was für ein Plan Dir durch den Kopf gefahren ist!« meinte der lange Venske. »Du machst ja ein ganz erstaunlich unternehmendes Gesicht!« »Ein Plan ist es allerdings, der mir durch den Kopf geht, nur muß er erst die gehörige Reife erlangen. Der brave Wildebrandt muß unterstützt werden, das versteht sich ganz von selbst, und wenn es dabei dem alten Bramarbas, dem Pappermann, ein Wenig an den Kragen geht, so kann es ihm gar Nichts schaden. Vielleicht wird er dann für einige Zeit von seinem Aufschneiden kurirt.« »Was für eine Absicht hast Du denn eigentlich mit dem Schimmel?« »Das ist mir selbst noch nicht recht klar. Der Wachtmeister hat mich vorhin gefragt, ob ich kein Spazierpferd für ihn weiß; es muß aber partout ein Apfelschimmel sein, weil er früher einen solchen geritten hat. Da kommt mir nun unsre ausrangirte Liese zu Statten. Sie geht für's Leben gern in's Wasser, und ich weiß sehr genau, daß Pappermann halb todt ist, wenn er nur die geringste Pfütze zu sehen
bekommt. Er ist vor einigen Jahren einmal in einen Teich gerathen und hat seit dieser Zeit eine unüberwindliche Idiosynkrasie gegen Alles, was naß ist. Außerdem besitzt die Liese eine solche Zuneigung für mich und meine Fuchsstute, daß sie trotz Sporen und Zügel und des besten Reiters mit uns Beiden durch Dick und Dünn geht, sobald ich ihr nur die Hand entgegenhalte. Es ist das eine Folge der verschiedenen Parforcetouren, welche ich mit Wildebrandt früher zu meinem Privatvergnügen unternommen habe. Damals hat sie der Unteroffizier dressirt, daß sie einen fremden Reiter nicht eher absitzen läßt, als bis sie den betreffenden Wink dazu erhält, und rechne ich zu Alledem noch, daß sie als ehemaliges Militärpferd unsern Signalen unmöglich widerstehen wird, so scheint mir genug Stoff zu einen lustigen Streiche vorhanden, der den alten Stadtkassirer zu Verstande bringen und ihn darüber belehren wird, ob er wirklich besser reitet als sämmtliche Angehörigen der hiesigen Garnison. Ich meine – –« Er wurde durch eine neue Meldung des Burschen unterbrochen. Auf sein zustimmendes Kopfnicken trat ein kleines, verwachsenes Bürschchen in das Zimmer und überreichte ihm ein zusammengefaltetes Papier. Als er es geöffnet hatte und mit dem Auge überflog, zuckte es wie Zorn über sein kräftig gebräuntes, männlich schönes Angesicht, bald jedoch machte sich auf demselben ein Zug geltend, welcher für Jemanden, der den Lieutenant nicht kannte, schwer zu enträthseln gewesen wäre. »Wer bist Du eigentlich, Kleiner?« frug er. »Ich bin der neue Ladendiener des Herrn Spezereihändlers Hiller.« »Der mir hier die Rechnung über den von ihm bezogenen Burgunder nun zum zweiten Male schickt und mich zur – Zahlung mahnt! Sage doch einmal Deinem Herrn, er solle sofort zu mir herüberkommen, wenn er bezahlt sein will, aber sofort, hörst Du?« »Ja, Herr Lieutenant. Sie sagen es ja laut und deutlich genug!« »Gut; so troll Dich von dannen!« Der Ladenjüngling ließ sich das nicht zweimal heißen. Es wurde ihm fast unheimlich unter dem Blicke, welchen die großen, hellblauen Augen auf ihn blitzten, und so machte er sich mit der größten Beschleunigung aus dem Staube und brachte seinem Herrn und Meister die Kunde, welche ihm übergeben worden war. Dieser äußerte nicht die geringste Verwunderung über dieselbe; er nahm
an, daß Blücher dem ihm unbekannten Diener die Summe nicht haben anvertrauen wollen, warf sich in den großschößigen, blauen Staatsrock und schritt in gravitätischer Haltung über die Straße hinüber. Jungfer Adelheid saß wie gewöhnlich am Fenster und sah den Einziggeliebten ihres Herzens direct auf ihre Thür lossteuern. Ein heiliger Schreck bemächtigte sich ihres zarten, schamglühenden Herzens. Sollte sie doch nicht so ganz unbeobachtet gewesen sein, als sie immer gemeint hatte? War ihre unendliche und unveränderliche Liebe bemerkt worden? Kam er vielleicht, um – – – Ach, wie schlug doch ihr Puls auf einmal so fieberhaft selig, wie zitterten ihr die Hände und Füße so wonnig wie – ach, ach, ach! Sie huschte trotz ihrer freudebebenden Glieder zur Thür, öffnete dieselbe leise und horchte hinab. Die Thür zu dem Vorzimmer des Lieutenants wurde geöffnet; also nicht ihr, sondern ihm galt der Besuch! Aber was wollte Hiller bei dem Offizier? Sie war vorhin einige Augenblicke vom Fenster fortgewesen und hatte in Folge dessen das Kommen und Gehen des Ladendieners nicht bemerkt. War es nicht vielleicht möglich, daß der Spezereihändler, der ja mit ihr noch niemals zusammengetroffen war und noch kein einziges Wort mit ihr gewechselt hatte, den Herrn von Blücher um seine gütige Vermittelung in dieser discreten Angelegenheit bitten wollte? Sie mußte Gewißheit haben und beschloß daher, auf jeden Fall den Burschen auszufragen. Während sie, oben an der Treppe stehend, auf jeden Laut, der sich unten vernehmen ließ, mit gespannter Anstrengung lauschte, trat Hiller in die Stube, in welcher ihn die Offiziere mit Blicken empfingen, unter denen es ihm ganz eigenthümlich zu Muthe werden wollte. Ganz besonders aber fiel ihm Blücher auf, welcher in kerzengrader Haltung und mit über die Brust verschränkten Armen am Tische lehnte und dabei ein Gesicht machte, als wolle er ihn sammt dem blauen Staatsrocke mit einem einzigen Bisse verschlingen. Er grüßte, vollständig eingeschüchtert unter der Vorahnung eines Unheiles, welches im Begriffe stand, über ihn herein zu brechen. »Lasse Er Seine Höflichkeiten!« bedeutete ihm Blücher in barschem Tone. »Nach dem, was Er sich gegen mich erlaubt hat, sind sie am unrechten Platze!«
»Erlaubt, Herr Lieutenant?« frug er ängstlich. »Das klingt ja fast, als hätte ich etwas Böses gethan, und ich bin mir etwas Derartiges gar nicht bewußt!« »Er soll darüber sofort die rechte Aufklärung erhalten und hat hier weiter Nichts zu thun, als kurz und bündig die Fragen zu beantworten, welche ich an Ihn stellen werde.« Die Gestalt des Krämers wurde unter dem Eindrucke dieser streng gesprochenen Worte wo möglich noch kleiner und dünner als sie so schon war. »Ich werde mich bemühen, so kurz und bündig wie möglich zu sein!« versicherte er, fast athemlos vor banger Befürchtung. »Das ist Ihm auch sehr anzurathen! – Also: Wer bin ich?!« »Der Herr Lieutenant von Blücher.« »Gut. Kennt Er meine Verhältnisse?« »Ja.« »Sind dieselben etwa derangirt?« »Ich verstehe dieses Wort nicht.« »Das heißt auf gut Deutsch: ob ich mit meinen Geldbeutel auf den Hund gekommen bin!« »Das wird Niemand zu behaupten wagen! Ich meine vielmehr grad das Gegentheil.« »Mache Er keine Flaußen. Er hat es ja doch behauptet!« »Ich?!!!« frug Hiller auf das Heftigste erschrocken. »Ja, Er!« »Herr Lieutenant ich versichre – –« »Ruhig! Er hat diese Behauptung nicht durch das Wort, sondern durch die That ausgesprochen. Wer einen Offizier um die Bezahlung von einigen lumpigen Weinflaschen mahnt, der erklärt natürlich durch dieses beleidigende Verhalten nichts Andres, als daß er ihn für insolvent, für bankerott halte!« »Aber ich versichere – –« »Still soll Er sein, habe ich Ihm gesagt! Er hat hier gar Nichts zu versichern, sondern nur einfach mit Ruhe und Ehrerbietung das zu vernehmen, was ich Ihm sagen will. Seine erste Rechnung habe ich vorige Woche erhalten; sie wurde nicht berichtigt, weil ich an die Bagatelle wirklich nicht wieder gedacht habe. Heut nun schickt Er mir ein Duplucat in's Haus. Ist das nicht eine Unverschämtheit, die gradezu ihres Gleichen sucht?« »Aber, Herr Lieutenant, ich versichre – –«
»Nichts hat Er zu versichern, gar Nichts, denn hier giebt es nicht den mindesten Grund zu irgend einer Entschuldigung!« »Und doch giebt es einen solchen, wenn nur der Herr Lieutenant die Gnade haben wollen, mich anzuhören!« »Da wäre ich doch wirklich neugierig!« »Ich will Ihnen offen gestehen: Ich habe meinem Schwiegervater – –« »Seinem Schwiegervater? Er ist ja unverheirathet!« »Das wohl, aber ich werde baldigst heirathen. Also ich habe meinem Schwiegervater, dem Herrn Stadtkassirer und Rittmei – und Wachtmeister Pappermann – –« »Dem Stadtkassirer und Wachtmeister Pappermann? Der soll Sein Schwiegervater werden, dem seine Tochter will Er heirathen? Na, darüber sprechen wir uns noch weiter! Was hat Er denn Seinem Schwiegervater, he?« »Ein Reitpferd, einen Apfelschimmel versprochen.« »So! Alle Wetter, da hat Er sich doch ganz gewaltig auf die splendite Seite gelegt! Aber was hat denn der Apfelschimmel mit meinem Burgunder zu schaffen?« »Der Herr Wachtmeister will sich noch heut Vormittag das Geld zu dem Pferde holen, und da – –« »Das Geld zu dem Pferde holen? Hat Er ihm denn eine bestimmte Summe dafür ausgeworfen, oder ist der Handel bereits abgeschlossen?« »Keins von Beiden; er will wohl nur sehen, ob ich Wort halte. Da nun meine Kasse grad heut auf eine solche Ausgabe nicht eingerichtet ist, so – –« »So schlug Er dem Lieutenant von Blücher die größte Beleidigung in's Gesicht, die es für jeden Ehrenmann und insbesondere für jeden Offizier nur geben kann. Wenn Er meint, daß mein Beitrag dem alten Wachtmeister zu dem versprochenen Apfelschimmel verhelfen solle, so mag Er meinetwegen Seinen Willen haben, aber die Folgen muß Er natürlich auf sich nehmen!« »Die Folgen? Welche meinen der Herr Lieutenant?« »Das wird Er gleich hören!« Er trat an den Schreibtisch, öffnete eines der zahlreichen Fächer und entnahm demselben die verlangte Summe. »Hier hat Er Sein Geld! Wäre Er nur der Pfefferkrämer Hiller, so würde ich Ihn jetzt, da Er die Bezahlung hat, durch meinen
Burschen auf die Straße werfen lassen; da Er aber zufälliger Weise Offizier der hiesigen Schützencompagnie ist, so will ich das unterlassen und in anderer Weise mit Ihm sprechen. Er hat mich gemahnt, Herr Oberlieutenant, Er ist ein Flegel, hört Ers, Herr Oberlieutenant, ein Erzflegel, den man eigentlich beohrfeigen sollte! Als Offizier von der Schützengilde wird Er wissen, was Er jetzt zu thun hat. Und sollte Er in Beziehung auf den Flegel wirklich ohne alle Kenntniß davon sein, was die Ehre fordert, so darf Er nur Seinen zukünftigen Schwiegervater fragen und ihm sagen, daß der Herr von Blücher Jedem zu Diensten stehe, der ein solches Wort nicht leiden will. Jetzt aber mache Er nun, daß Er hinaus kommt!« Ganz steif vor Schreck und Entsetzen wandte sich Hiller nach der Thür. Es war ihm ganz so, als habe ihn Jemand mit einer Keule auf den Kopf geschlagen. Halb bewußtlos schritt er über die Straße hinüber, und wie im Traume betrat er seinen Laden, in welchem er sich gar nicht aufhielt. Er begab sich vielmehr sofort in die Wohnstube und warf sich dort, ohne den Staatsrock abzulegen, schachmatt in allen Gliedern, auf das prasselnde Kanapee und stierte gedanken- und bewegungslos empor zur Decke. So fand ihn Pappermann, welcher bei dem Anblicke des halb Erstarrten, der weder sein Erscheinen noch seinen Gruß beachtete, besorgt auf ihn zutrat. »Was fehlt Ihm denn, Er Himmel-Mohren-Elementer, daß Er sich hier auf die Pritsche legt und Augen macht wie Einer, den der Blitz erschlagen hat?« Es erfolgte keine Antwort. »Kann Er nicht reden, oder will Er nicht reden und spielt Komödie mit mir?« Er faßte ihn bei den Schultern und schüttelte ihn so kräftig, daß sein Auge sich nothwendiger Weise von der Decke wenden mußte. »Nun, wie wirds? Mache Er den Mund auf, damit man hört, was es mit Ihm gegeben hat!« »Gegeben? Mit mir?« frug Hiller, wie aus einem tiefen Schlafe erwachend. »Ach ja, Herr Stadtkass – Herr Wachtmeister, es hat Etwas gegeben, und zwar etwas Schreckliches, etwas Fürchterliches, etwas Ungeheuerliches!« »Das klingt ja wahrhaftig als hätte Ihn der leibhaftige Gottseibeiuns überfallen und Ihm den Kopf auf den Rücken drehen wollen!«
»Das ist's ja auch, grad das ist's und nichts Anderes!« »Mache Er keine Flausen! Vor dem braucht man sich nicht zu fürchten, wenigstens ein alter Kavallerist nicht. Bei Euch vom Civil freilich ist es anders; Euch holt er ohne vorher viel zu fragen und zu parlamentiren. Als ich noch bei den Belling-Husaren stand, lag ich einmal in einer Mühle in Quartier. Nachts punkt zwölf Uhr ging meine Kammerthür auf, obgleich ich sie von innen und von außen verschlossen hatte, und wer trat herein? Nun, Er kann sich's ja denken, wer es war. Ich sollte mit ihm gehen, weil im Garten ein ungeheuer großer Schatz vergraben lag; aber ich packte den Kerl bei den Parabel, trug ihn hinaus und hinunter in die Mühle, schüttete ihn auf wie einen Sack voll Getreide und ließ ihn zu Pulver mahlen. Es war ein ganzer Scheffel voll, und ich hab es mir mitgenommen und die größten Wunderkuren damit gemacht. Er wird wohl einsehen, daß es seit jener Zeit unmöglich mehr einen Teufel geben kann; meine Patienten haben das Pulver verschluckt, und er ist so vollständig verdaut worden, daß er ganz und gar alle geworden ist. Wenn Er sagt, daß der Böse bei Ihm gewesen ist, so ist das gar nicht wahr, sondern Er hat es nur geträumt.« »Geträumt habe ich es nicht, sondern es ist gewiß und wahrhaftig geschehen.« »So! Wie sah er denn aus?« »Jung und hübsch, und eine Belling-Husaren Uniform hatte er an.« »Höre Er, Er will mich wohl zum Narren halten? Wer soll denn dem Teufel eine Husarenuniform borgen!« »Ja der Teufel war es eigentlich nicht, aber es ist trotzdem nicht weniger schlimm, denn aus ist's doch nun mit mir!« »Es ist aus mit Ihm?« fragte Pappermann. »Der Teufel war's nicht? Er redet irre! Wer war es denn?« »Der Lieutenant von Blücher,« antwortete Hiller. »Nun hört mir aber Verschiedenes und Alles auf! Den Herrn von Blücher mit dem Satan zu vergleichen! Was hat Er denn mit dem gehabt, daß es nun aus mit Ihm ist?« »Ich habe ihn gemahnt wegen dem Burgunder, den er noch nicht bezahlt hatte. Das hat er mir übel genommen und mich hinüber kommen lassen.« »Nun?!« »Da hat er mich vor den Offizieren, welche bei ihm saßen,
angeschnauzt, daß mir die Haare zu Berge standen, von Ohrfeigen und vom Hinauswerfen gesprochen und –« »Donnerwetter! Und das hat Er gelitten? Das hat Er ruhig und geduldig hingenommen?« »Was konnte ich denn machen? Nicht einmal reden durfte ich! Und zuletzt brachte er endlich gar einen Brocken, an dem ich mich sicher todtkauen werde.« »Welchen denn?« »Ich habe die Worte und den Sinn eigentlich nicht so recht verstanden, aber es ahnt mir, was es zu bedeuten hat.« »Wie sagte er denn?« »Er meinte: ›Wäre Er nur der Pfefferkrämer Hiller, so würde ich Ihn auf die Straße werfen lassen, da Er aber zufälliger Weise Offizier der hiesigen Schützengilde ist, so will ich in einer andern Weise mit Ihm sprechen. Er ist ein Flegel, Herr Oberlieutenant, ein Erzflegel, den man eigentlich beohrfeigen sollte! Als Offizier von der Schützengilde wird Er wissen, was Er nun zu thun hat, und sollte Er es wirklich nicht wissen, so darf Er nur Seinen zukünftigen Schwiegervater fragen!‹ Das ist ja das reine Duell, das ist der fürchterlichste, hinterlistigste Mord und Todtschlag, den er an mir begehen will!« »Das ist nun freilich eine schlimme Geschichte! Was hat Er denn geantwortet?« »Was soll ich denn auf so eine tigerhafte Blutdürstigkeit antworten? Nichts habe ich gesagt, gar Nichts, sondern gegangen bin ich!« »So, gegangen ist Er und vor Furcht und Angst hier auf das Kanapee gefallen. Was wird Er denn nun thun?« »Thun? Ich? Nicht das Geringste! Ich bin ein guter, seelensguter Kerl und thue Niemandem Etwas!« »So hab ich's nicht gemeint. Er muß doch Etwas unternehmen auf die Beleidigung hin, die Ihm da drüben geworden ist!« »Fällt mir gar nicht ein! Ich bin nicht rachsüchtig; ich werde dem Lieutenant Alles verzeihen!« »Da wäre Er ja ein ganz ehrloser, miserabler Hallunke! Glaubt Er denn, daß der Herr von Blücher Seine Verzeihung annehmen wird?« »Es ist mir ganz gleichgültig, ob er sie annimmt oder nicht! Ich bin ein Christ; ich räche mich nicht; ich vergelte lieber Böses mit
Gutem; ich sammle glühende Kohlen auf seinem Haupte!« »Das ist ja Alles recht schön, denn es steht so in der heiligen Schrift zu lesen; aber bei dieser Sache ist es doch wohl anders. Die Drohung mit der Ohrfeige und dem Hinauswerfen und nun gar noch den Flegel, den Erzflegel, den darf Er bei Leibe nicht auf sich sitzen lassen. Er ist Offizier bei der Schützengilde, wie der Lieutenant ganz richtig bemerkt hat, und will mein Schwiegersohn werden. Das sind zwei sehr triftige Gründe, Seine Ehre zu wahren und lieber mit Händen und Füßen drein zu schlagen, als dieselbe ungestraft beleidigen lassen!« »Ich schlage aber nicht darein, weder mit den Händen noch mit den Füßen. Ich weiß, was mir gut ist und was ich vertragen kann; ein Duell aber ist für meine Gesundheit schädlich, und wer gegen die Gesundheit wüthet, der ist sein eigener Selbstmörder!« »Da ist Er sehr auf dem Holzwege! Das Duell ist der Gesundheit nur zuträglich. Als ich noch bei den Belling-Husaren stand, hatte ich wöchentlich fünf bis sechs Duelle zu bestehen, entweder mit den Lieutenants oder mit dem Rittmeister und Major, die zuweilen etwas anderer Meinung waren als ich und sich dann stets mit dem Pallasch vertheidigen mußten; zweimal habe ich mich sogar mit dem Obersten geschlagen, wobei mir der Generalmajor seèundirte. Ich bin gesund und munter dabei geblieben und ein alter Kerl geworden. Er sieht also wohl, daß so ein Duell für den guten Schützen oder einen wohlgeschulten Fechter weiter Nichts ist als eine angenehme und kräftigende Leibesbewegung!« »Ich danke schön für diese Art von Leibesbewegung! Wenn ich mich angenehm bewegen will, so krabbele ich mir mit den Fingern hinter den Ohren, und will ich mich durch Bewegung kräftigen, so schiebe ich mir ein gutes Frühstück in den Mund. Dabei werde ich wenigstens ebenso alt wie Ihr bei Eurem Säbelgeklirr und Pistolengeknalle und brauche auch keinen Generalmajor, der mir bei meiner Krabbelei oder bei dem Frühstücke secundirt!« »So! Da hat Er allerdings Ansichten, welche das Schützencommando bei einem seiner Offiziere und ich bei meinem Schwiegersohn unmöglich billigen kann. Wenn die Sache ruchbar wird – und das wird sie sicher, denn dafür wird der Herr von Blücher Sorge tragen – so wird man Ihm die Epauletten nehmen, und aus der Verbindung mit meiner Tochter kann trotz des Apfelschimmels natürlich auch Nichts werden. Ich brauche keinen
Schwiegersohn, der sich selbst für ehrlos erklärt!« »Was Ihr da sagt!« rief Hiller erschrocken, indem er von den Kanapee emporschnellte. Die letzten Worte des Wachtmeisters gaben ihm seine ganze Spannkraft wieder. Er war enragirter Gildenschütze und unendlich stolz auf seine Charge. Der Gedanke, dieselbe einzubüßen, war ihm vollständig unerträglich. Ebenso verhielt es sich mit dem zweiten Punkte. Er war bisher einsam und allein durch das Leben gegangen und hatte den Gewinn, den Reichthum als einzigen Zweck, als einziges Ziel all seiner Arbeit und Anstrengung gekannt. Die Liebe war ihm fremd geblieben, bis er eines Abends ganz plötzlich bemerkt hatte, daß Anna, die Tochter seines Spielkollegen, die er doch seit ihren frühsten Jahren kannte, nie aber groß beachtet hatte, ein allerliebstes, wunderhübsches Mädchen geworden sei. Von diesem Abende an war sein enges, hartes Herz groß und weich geworden, und die süße Neigung, die ihren Einzug in dasselbe hielt, wuchs höher und höher, ließ ihm keine Ruhe bei Tag und Nacht und veranlaßte ihn endlich, um die Hand des Mädchens anzuhalten. Er mußte dabei seiner Sparsamkeit durch das Versprechen eines Apfelschimmels einen harten Stoß geben, aber einestheils wußte er, daß nur auf einem solchen Wege zum Ziele zu gelangen sei, und anderntheils blieb das Pferd ja sein Eigenthum und konnte zu jeder beliebigen Zeit, sobald Anna seine Frau geworden war, wieder verkauft werden. »Die Wahrheit sage ich, die reine Wahrheit! Das Offiziercorps von der Schützengilde kann und darf einen Menschen, der sich ungestraft einen Flegel nennen läßt, nicht unter sich leiden, und ich mag erst recht Nichts mehr von Ihm wissen. Thue Er, was Ihm beliebt; ich habe meine Pflicht gethan und Ihn gewarnt!« »Nein, aus der Schützengilde werden sie mich nicht streichen; ich leide es nicht. Und Ihr dürft das Wort nicht brechen, welches Ihr mir gegeben habt!« »Sie werden es thun, darauf verlasse Er sich, das ist so Ehre und Gesetz. Und mein Wort kann ich zurücknehmen so oft es mir beliebt und sobald ich sehe, daß Er keine Ambition im Leibe hat. Mein Mädchen bekommt allemal einen Mann, und wenn ich sie dem Unteroffizier Wildebrandt geben sollte!« Das war dem Spezereikrämer denn doch zu viel. Der Wildebrandt? Nein, der durfte sie nicht bekommen; lieber wollte er sich von einem ganzen Dutzend spitziger Degen aufspießen lassen!
»Ja, so sagt mir doch, was ich in dieser Angelegenheit eigentlich zu thun habe, um Euch zufrieden zu stellen! Ihr redet von meiner Ehre, die beleidigt worden ist; ich fühle aber doch gar nicht, daß sie mir wehe thut!« »Desto schlimmer für Ihn, wenn Er eine Ehre besitzt, die so steinhart ist, daß sie sogar einen Erzflegel, der ihr an den Kopf geworfen wird, nicht fühlt! Er hat weiter Nichts zu thun, als den Lieutenant von Blücher einfach zu fordern.« »Wenn's weiter Nichts ist! Das kann ich schon thun, zehnmal für einmal!« »Gut! Endlich kommt Er zu Verstande! Dazu ist es nothwendig, daß Er sich einen unbescholtenen Mann als Cartellträger engagirt.« »Was ist das?« »Der dem Lieutenant die Forderung bringt.« »Der ist bald gefunden! Wollt Ihr es thun, Herr Ritt – Herr Wachtmeister?« »Mit Vergnügen! Es giebt für mich keine größere Lust, als Säbel blitzen zu sehen und Kanonen donnern zu hören.« »Säbel blitzen?! Kanonen donnern?! Habe ich denn so Fürchterliches auszustehen?« »Na, Kanonen werden grad nicht dabei donnern, denn der König wird Ihm zum ordnen Seiner Ehrensachen nicht die ganze tapfere preußische Artillerie zur Verfügung stellen. Aber mir ist es doch einmal ganz eigenthümlich passirt. Als ich noch bei den Belling-Husaren stand, forderte ich einmal einen Hauptmann von der Artillerie; ich kam mit einem Säbel und er mit einem Vierundzwanzigpfünder. Er hatte den ersten Schuß; ich wartete, bis die Kugel kam und hieb sie mitten auseinander, dann drang ich auf den Kerl ein und machte es mit Ihm g'rad' wie mit der Kugel: ich theilte ihn mit einem einzigen Hiebe in zwei Hälften, die rechts und links zur Erde fielen. Solche Abenteuer wird Er freilich nicht zu bestehen haben.« »Das ist mir lieb zu hören. Welcher Art werden denn die meinigen sein?« »Das wird ganz auf den Herrn von Blücher ankommen.« »Inwiefern auf diesen?« »Weil er die Waffen bestimmen wird, das heißt, ob Ihr Euch mit Degen oder mit Schießwaffen schlagt.« »Da thue ich nicht mit! Ihr habt doch vorhin gesagt, ich hätte
weiter nichts zu thun, als den Lieutenant einfach zu fordern.« »Allerdings!« »Gut! Ich habe Euch beauftragt, ihn zu fordern; weiter habe ich nichts zu thun; stechen oder schießen werde ich auf keinen Fall!« »Da hat Er mich falsch verstanden. Wenn Er den Offizier fordern läßt, so versteht es sich ja ganz von selbst, daß Er Seine verletzte Ehre durch die Waffen wieder herstellen will.« »Nein, das versteht sich nicht ganz von selbst! Giebt es denn nichts Anderes, wodurch ich sie wieder herstellen kann, wenn sie wirklich verletzt ist, wovon ich aber gar nichts merke?« »Nichts, gar nichts giebt es, als das Duell.« »Aber ich kann ja gar nicht fechten und wenn ich einen Schuß höre, so falle ich um! Meine Nerven sind so gefühlsam, daß ich in meinem Laden kein Pulver führe, viel weniger aber gar noch schießen darf.« »Das denkt er nur! Ich habe nun genug mit ihm verhandelt und bin des Redens müde. Er hat ja die Wahl. Soll ich Sein Secundant sein oder will Er die Forderung bleiben lassen? Seine Epauletten stehen auf dem Spiele und Seine Braut dazu. Entscheide Er sich rasch, sonst gehe ich meiner Wege!« »Giebt es wirklich nichts Anderes?« »Nein!« »So mögen mir die sechsunddreißig heiligen Nothhelfer, oder wie viel es ihrer sind, ich weiß es nicht genau, gnädig und barmherzig sein! Geht hinüber und fordert ihn. Ich mache heute Nachmittag mein Testament.« »Zu dieser Vorsicht will ich Ihm allerdings gerathen haben. Der Blücher ist ein Schütze, wie kein zweiter, und den Säbel versteht er erst recht zu führen. Denke Er aber bei dem Testiren auch an mich und Seine Braut! Wie steht es denn von wegen dem Pferde? Hat er das Geld parat gelegt?« »Ich hätte es wohl; aber wenn ich todtgeschossen werde, so wird ja auch aus der Heirath nichts und ich hätte Euch den Apfelschimmel umsonst gekauft.« »Dann werden Ihm die paar Thaler, welche er kostet, auch gleichgültig sein und Er hätte wenigstens die Genugthuung, daß ich alle Tage hinaus auf den Gottesacker geritten käme und den Schimmel über Seiner letzten Ruhestätte dreimal wiehern ließe. Aber mit dem Todtschießen geht es nicht so schnell. Vielleicht
kostet es Ihm blos die Hand, oder den Fuß, oder das Ohr, und das läßt sich schon ertragen.« »Die Hand – den Fuß – das Ohr! Und blos! Giebt es wirklich kein anderes Mittel, den Flegel von meiner Ehre wieder herunter zu bringen?« »Keins!« »Gut, Ihr sollt das Geld haben! Es mag immerhin zum Fenster hinausgeworfen sein; mit mir ist's doch nun auf alle Fälle aus. Kauft Euch dafür, was Ihr wollt, einen Apfelschimmel, einen Rappen, einen Fuchs, meinetwegen auch einen Orang-Utang oder eine Seeschlange. Aber das Wiehern auf meinem Grabe könnt Ihr bleiben lassen. Wenn mir hier oben auch auf eine so schauderhafte Weise mitgespielt wird, so will ich wenigstens dann da unten meine Ruhe haben!«
Drittes Kapitel Es hatte während der Nacht heftig und anhaltend geregnet und das Stolpeflüßchen trieb seine trüben, angeschwollenen Wasser durch die leise Dämmerung des anbrechenden Morgens. Die Straßen und Gassen der Stadt schwammen im Wasser und die Wege vor derselben waren fast bis zur Bodenlosigkeit aufgeweicht. Wer die Thore des Ortes verließ, um das freie Feld zu erreichen, der wurde sicher entweder von der Noth oder von irgend einer dringenden Geschäftsangelegenheit hinausgetrieben. Und doch war es weder der eine noch der andere Grund, wegen dessen sich heute bei grauendem Tage verschiedene Personen zum Aufbruche rüsteten. Drei Häuser waren es, in denen Regsamkeit und Leben herrschte, während die Bewohner der übrigen noch in tiefem Schlummer lagen. An derselben Stelle, an welcher Jungfer Adelheid gestern dem Kommen des heimlich Geliebten gelauscht hatte, stand sie auch jetzt und horchte mit angehaltenem Athem nach unten, von woher sich schallende Hammerschläge vernehmen ließen. Der Klang, welchen sie verursachten, war dumpf und hohl; sie konnte ihn nicht deuten, aber sie wußte, daß es sich jedenfalls um etwas Furchtbares handle. Noch am vergangenen Abende hatte sie von dem Burschen des Lieutenants vernommen, daß der Letztere den Spezereikrämer auf Tod und Leben gefordert habe. Der Schlaf war von ihren Augen gewichen, ihr Herz klopfte laut und stürmisch vor Angst um den theuren Mann, fast so laut und kräftig, wie die Schläge unter ihr im Flur der Hauses. Sie konnte es nicht länger aushalten, sie mußte hinab, um zu erfahren, was das Unheil verkündende Pochen zu bedeuten habe. Als sie hinunterkam, fand sie den Diener mit dem Unteroffizier Wildebrandt beschäftigt, einen großen, hölzernen Kasten zusammenzunageln. Er war lang und schmal, gerade als ob ein Mensch in ihm Platz finden sollte. »Was baut Ihr denn da zusammen?« frug Adelheid ahnungsvoll. »Einen Sarg, gnädiges Fräulein.« »Einen Sarg? Für wen denn?«
»Für den Schützengildenlieutenant Hiller.« »Für wen?! Ist er denn gestorben?« »Noch nicht. Aber nachher wird er erschossen!« »Er meint wohl im Duell von dem Herrn von Blücher?« »Ja.« »Das ist ja fürchterlich, das ist ja entsetzlich! Giebt es denn kein Mittel, diesen unmenschlichen Handel rückgängig zu machen?« »Keins!« »Weiß Er das genau?« »Sehr genau. Und wenn Ihr mir nicht glauben wollt, dürft Ihr nur den Herrn Lieutenant selbst fragen.« »Ist er in seinem Zimmer?« »Ja.« »So melde Er mich doch einmal an,« bat sie nach einem kurzen Besinnen. Als sie bei dem Offizier eintrat, fand sie ihn mit den beiden Reiterpistolen beschäftigt, welche an der Wand zu hängen pflegten. »Verzeihung, Herr Lieutenant! Die Sorge im Ihr Wohl treibt mich so ungewöhnlich früh schon zu Ihnen.« Er kannte seine Wirthin; er hatte sie täglich am Fenster stehen und den gegenüberliegenden Laden beobachten sehen; er war von ihrer stillen, jungfräulichen Neigung überzeugt und wußte, welche Sorge sie zu ihm trieb. »Ich danke Ihnen! Was macht Sie denn so besorgt um mein Wohl?« »Ich erfuhr, daß Sie im Begriffe stehen, eine böse Ehrensache auszufechten und habe so große Angst, daß Ihnen dabei etwas Schlimmes passiren könnte.« »Beruhigen Sie sich, mein bestes, gnädiges Fräulein! Ich gebe Ihnen mein Wort, daß mir nichts Uebles widerfahren wird.« »Aber ich habe doch gehört, daß bei solchen Begegnungen Blut fließen muß!« »Da haben Sie allerdings recht gehört!« »Aber, mein Gott, mein guter, mein bester Herr Lieutenant, es muß doch für einen Christenmenschen geradezu unmöglich sein, den Nächsten so mir nichts dir nichts um's Leben zu bringen!« »Das ist wahr! Aber ich setze den Fall, dieser Nächste will es nicht anders? Und übrigens habe ich gar nicht die Absicht, den Herrn Spezereihändler umzubringen. Ich werde auf ihn schießen
und dann ist es seine Sache, wohin er sich von meiner Kugel treffen läßt.« »O, ich bin sicher, daß Sie ihn grade in die Brust oder in die Stirn treffen werden! Herr Lieutenant, mein liebster, mein bester Herr Lieutenant, thuen Sie doch das nicht!« »Warum nicht?« »Weil ich Sie nicht als Mörder sehen kann.« »Oder weil Sie wünschen, daß dem Herrn Nachbar da drüben nichts geschehe. Habe ich Recht, gnädiges Fräulein?« Sie schlug unter dem scharfen, forschenden Blicke des großen, blauen Auges die Wimpern schamvoll nieder und fand keine Antwort auf diese militärisch gerade und unverhohlene Frage. Er trat ihr näher und legte ihr die Hand schwer auf die Schulter. »Lassen Sie mich offen zu Ihnen reden! In Augenblicken, in denen man dem Tode nahe steht, kennt man keine alltäglichen Höflichkeiten, sondern geht ohne Seitenwege auf sein Ziel los. Der Herr Spezereihändler ist Bräutigam?« »Bräutigam?« rief sie erblassend. »Nicht möglich! Wissen Sie es genau?« »So genau, wie ich auch weiß, daß Sie ihn lieb haben. Er ist seit vorgestern mit der Tochter des alten Stadtkassirers Pappermann versprochen, der ihm sein Kind für ein Reitpferd verhandelt hat. Der Schwiegervater hat es mir selbst erzählt; er war gestern hier und kaufte mir einen Apfelschimmel ab. Das arme Mädchen ist einem Andern herzlich gut. Sie kennen ihn auch; es ist der Unteroffizier Wildebrandt, welchen Sie draußen im Flur getroffen haben. Nur die Empörung über diesen Menschenschacher ist es, welche das heute stattfindende Duell herbeigeführt hat.« »Was ich da höre!« jammerte sie, die Hände zusammenschlagend. »Ich habe dem Wildebrandt versprochen, daß er sein Mädchen bekommen solle und darum werde ich seinem Nebenbuhler eine Kugel zu kosten geben, die er wohl nicht gleich wieder verdauen wird.« »Nein, Herr Lieutenant, schießen Sie ihn nicht todt! Es ist wahr, ich denke oft und viel an ihn und würde kein Opfer scheuen –« Sie unterbrach sich. Die Angst um den gleichgültigen Geliebten hatte sie rückhaltsloser sprechen lassen, als es sonst ihre Gewohnheit zu sein pflegte.
»Bitte, vollenden Sie Ihre Rede,« mahnte er. »Vielleicht ist es möglich, eine Aenderung zum Guten herbei zu führen.« »Wirklich?« Sie athmete erfreut auf. »Ich wollte sagen, daß ich viel, sehr viel darum geben würde, wenn –« »Nun, wenn?« »Wenn – wenn – hundert Thaler, zweihundert, dreihundert – ach, ich weiß vor Angst ja gar nicht, was ich sagen soll!« »Ich weiß genug, mein gnädiges Fräulein! Sie geben dem armen Unteroffizier dreihundert Thaler zur Einrichtung, wenn er die Tochter des Wachtmeisters Pappermann heirathet. Sie sind wohlhabend, Sie können das, zumal wenn ich Ihnen ein ähnliches Versprechen gebe, wie es Wildebrandt von mir bekommen hat.« »Ein ähnliches Versprechen –? Ach so!« meinte sie erröthend. »Ja, ich gebe diese Summe, ich gebe sie gern, wenn Sie Wort halten.« »Ein Mann, ein Wort; schlagen Sie ein. Topp!« Sie legte ihre Hand in die dargebotene Rechte und verabschiedete sich dann um ein Bedeutendes ruhiger, als sie gekommen war. Er blickte ihr lächelnd nach. Daß er ihr ein Versprechen gegeben hatte, von dem er noch nicht wußte, wie es zu lösen sei, machte ihm keine Sorge; er hätte auch nicht Zeit gehabt, sich mit einer solchen zu quälen, denn ein nahendes Sporengeklirr machte ihn auf das Erscheinen der Kameraden aufmerksam, welche kamen, um dem ungewöhnlichen Morgenritte beizuwohnen. Auch im Hause Pappermanns herrschte frühzeitiges Leben. Er war eben aus dem Holzschuppen, in welchem bei Ermangelung eines Stalles der gestern erhandelte Apfelschimmel einstweilen untergebracht worden war, herbeigekommen und in das Zimmer getreten, wo er sich anschickte, die Stücke einer Husarenuniform anzulegen, welche er als ein heilig gehaltenes Andenken an seine ehrenvoll zurückgelegte Militärzeit aufbewahrt hatte. Anna schlief. Sie durfte nicht ahnen, zu welchem ernsten Gange der Vater sich rüstete. Die Frauen sind ja ohne Verständniß für solche wichtige Dinge und erschweren durch ihr Jammern und Wehklagen nur das nothwendige Handeln. Als er den alten, nur mit großer Mühe blankgeputzten Schleppsäbel umgegürtet hatte,
betrachtete er seine martialische Gestalt wohlgefällig im Spiegel. »Ich bin doch ein Himmel-Mohren-Elements-Wachtmeister!« sagte Pappermann, sich selbstgefällig im Spiegel betrachtend. »Als ich noch bei den Belling-Husaren stand, war ich der schönste Mann im ganzen Regimente und noch heute, wenn ich des Königs Rock anhabe, sehe ich aus wie Einer, vor dem die Andern Respect haben müssen. Und nun noch der Apfelschimmel! Die Offiziere laufen bei diesem Wetter sicher nicht in den Wald hinaus und so wird es mir, da ich einmal das Pferd habe, auch nicht einfallen, mir müde und schmutzige Beine zu machen. Ich komme ebenso stolz zu Rosse wie sie. Der Hiller, denn ich abholen muß, mag sehen, wie er durch den Sand und Schlamm zur Stelle kommt.« Er schritt leise, um die Tochter nicht aufzuwecken, die Treppe hinab, zog den Schimmel auf die Straße, setzte sich auf und trabte mit stolzer Miene in den grauenden Morgen hinein. Bei dem Spezereihändler angekommen, fand er denselben in fürchterlicher Angst und Unruhe seiner wartend. »Nun, wie steht es, ist Er parat?« »Ja,« antwortete der Gefragte kleinlaut. »So! In diesem Anzuge will Er, der Oberlieutenant von der Schützencompagnie, sich mit einem Offizier von den Belling-Husaren schlagen? Ist Er von Sinnen?« »Soll ich vielleicht zu der Menschenschlächterei gar noch meinen theuern, blauen Staatsrock anziehen?« »Auf seinen Staatsrock ist es nicht abgesehen, sondern auf seine Uniform.« »Auf meine Uniform? Die mich ein so schweres Geld gekostet hat? Die soll ich anlegen? Bei diesem Wetter? Fällt mir gar nicht ein!« »Es wird ihm schon einfallen. Wer bei so einem Rencontre seine Charge verleugnet, darf sich auch nicht wundern, wenn er als ordinärer Mensch angesehen und behandelt wird!« »Aber wenn ich erschossen werde, so wird ja der schöne Waffenrock ganz mit Blut und Schmutz bespritzt!« »Das ist ihm dann ganz egal. Jetzt holt Er gleich die Uniform, sonst mag Er sich nur immer nach einem andern Secundanten umsehen!« Hier war nicht länger zu widerstehen. Hiller legte seine Schützengildenuniform an und trat dann mit dem strengen
Schwiegervater hinaus auf die Straße. »Ich glaube gar, Ihr wollt zu Pferde hinaus!« meinte er, als er den Apfelschimmel erblickte. Die Sorge um sein kostbares Leben hatte ihn so gleichgültig gegen alles Andere gemacht, daß er das Thier vorher weder gehört noch gesehen hatte. Auch jetzt bemerkte er nicht, daß da drüben in dem gegenüberliegenden Hause Jemand am Fenster stand und mit bleichem Angesichte herunter auf die Gasse schaute. »Das versteht sich ganz von selbst. Ein ehrenvoll verabschiedeter Wachtmeister von den Belling-Husaren setzt sich zu Pferde, wenn er eine solche Ehrensache mit zu verhandeln hat. Bei Ihm ist das etwas ganz Anderes. Er ist Mitglied der Schützencompagnie und muß zu Fuß gehen. Vorwärts marsch!« Er war aufgestiegen, setzte seinen Schimmel in Bewegung und ritt in gemüthlichem Schritte dem Thore zu. Hiller stieg in einer unbeschreiblichen Stimmung neben ihm her und ärgerte sich nicht wenig über den sonderbaren Umstand, daß er, als der eigentliche und rechtmäßige Besitzer des Pferdes, gezwungen war, die Beine zu gebrauchen, während der Stadtkassirer vornehm und ganz in der Haltung eines Generals der Kavallerie hoch oben im Sattel thronte. »Aber, Herr Stadt – Herr Ritt – Herr Wachtmeister,« brummte er, als sie in das Freie gelangt waren; »das geht doch eigentlich nicht, daß Ihr auf meinem Schimmel reitet, und ich laufe wie ein Schulbube hinter Euch her, werde bis an den Federstutz voll Schmutz bespritzt und mache mir meine kostbare Uniform zu Schanden!« »So? Warum geht es denn nicht? Er sieht es ja ganz deutlich, daß es geht. Und was Er da von Seinem Pferde sagt, das kann ich nun gar nicht verstehen. Es ist doch mein, Er hat es mir gekauft!« »Da seid Ihr ganz außerordentlich im Irrthum, Herr Wachtmeister. Ich habe es für mich gekauft und Euch nur zum Gebrauche überlassen.« »Dagegen will ich allerdings Nichts sagen, denn wenn Er es mir zum Gebrauche überläßt, so ist es ja mein Eigenthum so lange als ich es benutzen will.« »Ihr werdet Euch aber doch besinnen, daß ich vorgestern die Bedingung machte, daß ich es auch auf ein Stündchen bekommen kann, wenn ich es besteigen will.« »Besteigen? Nein, Er hat nur vom Fahren gesprochen, jetzt aber
wird geritten.« »Ihr seht doch wohl jedenfalls ein, daß ich hier unten im Schlamme ersticken muß, wenn es so fortgeht. Laßt mich wenigstens ein Bischen mit aufsitzen!« »Was will Er?« frug Pappermann ganz erstaunt. »Zu mir heraufsetzen will Er sich?« »Ja. Es ist kein Mensch in der Nähe, und Niemand wird es sehen, daß wir zu zweien reiten. Nehmt doch Rücksicht auf den miserablen Weg, den ich bis an die Kniee durchzuwaten habe. Ich habe mich Euch doch auch gefällig erwiesen!« »Hm, da hat Er nicht so ganz Unrecht! Der Schimmel ist stark und kann uns Beide eine Strecke weit tragen. Na, da komme Er, und setze Er sich hinter mich. Aber halte Er sich fest an, damit Er mir nicht wieder hinunter in den Mehlbrei rutscht!« »Nach einigen vergeblichen Versuchen gelang es dem Spezereihändler und Schützengildenlieutenant hinter seinem Schwiegervater Platz zu nehmen. Es war das erste Mal, daß er ein Pferd bestieg; er zog die Beine so weit wie möglich in die Höhe, klammerte sich mit den beiden Armen ängstlich an den Stadtkassirer und gab sich im Verlaufe des ungewöhnlichen Rittes alle erdenkliche Mühe, die kostbare Balance nicht zu verlieren.« »Drücke Er mir nur nicht die Rippen ein,« mahnte Pappermann, als sie eine kurze Strecke vorwärts gekommen waren. »Er sitzt mir ja auf dem Nacken, wie ein alter Infanterietornister!« »Kann ich dafür?« frug Hiller. »Der Schimmel wirft ja die Beine als wolle er in die Wolken steigen, und ich rutsche dabei immer weiter über den Schwanz hinunter. Mir wird's ganz jämmerlich zu Muthe, grad' wie Einem, der auf dem Kirchthurme sitzt und den Krampf in die Beine bekommt!« »Das hätte Er sich gleich erst denken können! Ein Apfelschimmel ist kein Kanapee und ein Schützengildist noch lange kein Kosakenhäuptling. Mache Er sich wieder herunter, sonst bekommt Er die Seekrankheit und fällt mir in die Buttermilch, aus welcher ich Ihn zeitlebens nicht wieder herauskriege! – Mache Er rasch,« fügte er hinzu; »dort aus dem Seitenwege scheint Jemand zu kommen, und das wäre mir eine schöne Geschichte, wenn man uns beisammen auf dem Pferde träfe!« »Ihr könnt doch auch absteigen. Die Reihe, zu laufen, ist nun an Euch! Dann sitze ich besser und werde den Schwindel los. Ein
Oberlieutenant mit Epauletten gehört doch wohl eher auf den Schimmel als ein Wachtmeister, der keine – – –« »Ah, guten Morgen, meine Herren!« ließ sich in diesem Augenblicke eine helle Stimme vernehmen. Blücher kam mit seinen Begleitern zwischen den am Wege stehenden Büschen dahergesprengt, und sein schnelles, unerwartetes Erscheinen hatte den Beiden nicht Zeit gelassen, ihre Fußgängerangelegenheit in Ordnung zu bringen. »Ah,« rief er lachend, »wie fein und lieblich ist es, wenn Brüder einträchtiglich bei einander wohnen!« »Ja,« meinte der lange Venske mit einem Blicke, der fast noch spitzer war als seine Nase; »eine Umarmung zu Pferde und zwar von hinten. Es passiren merkwürdige Neuigkeiten in der Welt!« Der alte Wachtmeister kam in eine ganz schauderhafte Verlegenheit. So eine Blamage war ihm noch niemals widerfahren. Er drehte sich zurück und gab dem Krämer einen Stoß, der denselben bald vom Apfelschimmel geworfen hätte. »Will Er wohl nun endlich einmal zusehen, daß Er hinunter und auf die Beine kommt, Er Himmel-Mohren-Elementer Er! Drei Dutzend Mal habe ich's Ihm schon gesagt, Er aber scheint heut' gar keine Ohren mehr zu haben!« »Das Pferd ist mein; ich bleib sitzen!« erklärte Hiller, indem er sich bemühte, seine halbverlorene Stellung wieder zu gewinnen. Er durfte sich unmöglich vor den Herren Offizieren von dem Stadtkassirer demüthigen lassen. »So lange ich es brauche, ist es mein!« behauptete dieser. »So ist es ausgemacht, und so muß es auch gelten. Wenn Er nicht sofort und auf der Stelle absteigt, nehme ich das Thier vorn in die Höhe, und dann wird Er ja wohl erfahren, wie weich es sich im Schlamme sitzt!« »Lassen Sie den Herrn Oberlieutenant immerhin bleiben, wo er sitzt,« suchte Rudorf zu begütigen. »Sie haben das Pferd gekauft und er hat es bezahlt; also haben Sie gleiche Rechte und müssen zu zweien reiten. Vorwärts, Kinder!« »Ja, vorwärts!« stimmte Blücher bei, indem er seiner Fuchsstute den Schenkel zu fühlen gab. »Die Zeit vergeht und Ihr wißt, daß ich heut' Blut sehen muß!« Er strich dem Apfelschimmel über die Nase, schnalzte mit dem Finger und schoß dann im Galopp davon. Dies war das alt gewohnte Zeichen für das ausrangirte Husarenpferd. Es spitzte die Ohren,
schnaubte einige Male wie beistimmend in die Nüstern und flog dann mit seinen beiden Reitern in weiten Sätzen der Stute nach. »Mein Jesses, Herr Wacht – Herr Stadt – Herr Ritt – Herr Schwiegervater, haltet mich fest, sonst fliege ich in die Luft!« brüllte Hiller, indem er die Arme um seinen Vordermann schlug, als wolle er ihn erwürgen. »Hab – keine – Zeit!« rief dieser athemlos zurück. »Der Schimmel – hat – den Teufel – im Leibe. Fliege Er – wohin er will! Als ich – noch bei – den Belling-Husaren stand – da hatte – ich einmal – – –« Die Rede blieb ihm im Munde stecken. Blücher hatte jetzt vom Wege abgebogen. Der Ritt ging grad mitten in die Büsche hinein, und die Zweige schlugen dem Wachtmeister klatschend um die Ohren. Er konnte weder sehen noch hören; das Sprechen verging da ganz von selbst. Er mußte alle frühere Geschicklichkeit herbeisuchen, um nur sitzen zu bleiben und konnte sich also unmöglich um das Schicksal des Spezereihändlers bekümmern. Dieser schloß die Augen, zog die Beine in die Höhe, und schlang sie um die Hüften des Wachtmeisters. So lange dieser sich hielt, war auch er gesichert, das stand fest, und so braußte die verwegene Jagd prasselnd und knackend durch Strauch und Busch, bis endlich Blücher auf einem freien Platze hielt, auf welchem zwei Männer standen, welche die Kommenden erwartet hatten. Es waren der Bursche und Wildebrandt. Sie hielten neben dem vorhin gezimmerten Kasten vor einem tiefen Loche. Hacke und Schaufel in ihren Händen zeugten, daß sie es eben erst aufgeworfen hatten. Sobald der Schimmel stand, machte Hiller Miene, schleunigst herabzuklettern, doch das in seine alten Gewohnheiten fallende Thier schlug hinten in die Höhe und ließ ihn nicht eher herunter, als bis Blücher mit der erhobenen Hand ein Zeichen gab. »Was ist denn das für ein Loch?« frug Pappermann, sich den rinnenden Schweiß von dem Gesichte wischend. »Das Himmel-Mohren-Elements-Vieh hätte mich ja beinahe hinein geworfen!« »Es ist für Ihren Herrn Schwiegersohn bestimmt,« antwortete Blücher gleichmüthig, indem er abstieg und an die Grube trat, um ihre Weite mit der Größe des Kastens zu vergleichen. »Einer von uns Beiden wird fallen, das versichere ich Ihnen, und wer es sein
wird, darüber kann ja gar kein Zweifel sein!« »Für meinen Schwiegersohn?« Er sah mit einem Gesichte drein, welches schwer zu beschreiben war. »Wollen Sie ihn denn geradezu todtschießen?« »Das versteht sich ganz von selbst! Wenn es Einer von der Schützencompagnie wagt, einen Husarenoffizier zu fordern, so wird von dem Letzteren die Sache natürlich so scharf wie möglich genommen. Das müssen Sie als alter Cavallerist sehr gut wissen!« »Also nicht blos ein Wenig angeritzt, sondern wirklich erschossen soll er werden! Nachher in den Kasten und dann in das Loch? So gefährlich für ihn habe ich es mir allerdings nicht vorgestellt. Als ich noch bei den Bellings-Husaren stand, habe ich wöchentlich wenigstens sechs bis acht Rencontre's gehabt, aber getödtet, eingekastet und begraben ist dabei Niemand worden.« »Das mag sein. Doch beginnen wir; die Zeit ist verflossen!« Auch die andern Offiziere, welche den drei Reitern auf dem Fuße gefolgt waren, stiegen ab. Wenn sie auf den Spezereihändler blickten, fiel es ihnen schwer, den nothwendigen Ernst zu bewahren. Er hatte das Gespräch Pappermanns mit dem Lieutenant angehört und stand auf dem Platze wie Einer, über den das jüngste Gericht hereinbricht. Der Federhut war ihm während des Parfocerittes verloren gegangen; die Haare hingen ihm wirr um das hagere, angstbleiche Gesicht, und seine Hände lagen gefaltet in einander, als erwarte er schon jetzt die tödtliche Kugel. Treskow trat vor. Er war der Zeuge Blüchers und begann den üblichen Versuch zu einer friedlichen Ausgleichung der Sache. »Schon gut!« schnitt ihm Blücher, indem er die Pistole hervorzog, kurz die Rede ab. »Ersparen wir uns alle unnützen Worte und schreiten wir lieber zur That. Herr Wachtmeister, messen Sie die Distanze ab, fünfzehn Schritt, nicht zu weit; ich werde einstweilen versuchen, ob meine Hand heut sicher ist. Da oben die einzelne Zapfe an der Tannenspitze soll herunter. Aufgepaßt!« Der Schuß krachte und die Zapfe flog zerschmettert in die Luft. »So, es geht! Will der Herr Oberlieutenant nicht vielleicht auch einen Probeschuß thun?« Dieser schüttelte nur verneinend mit dem Kopfe. Es war ihm nicht wie Schießen, es war ihm überhaupt wie gar Nichts, er wußte kaum, daß er noch lebte. Er hatte noch niemals ein Mordgewehr in der Hand gehabt und Blücher hatte aus so bedeutender Höhe das
kleine Ziel herabgeholt. Es gab ja gar nichts Anderes zu erwarten, als den Tod! Der omiöse Kasten stand ja schon bereit und daneben gähnte das furchtbare Loch, welches bestimmt war, einen armen Oberlieutenant von der Schützencompagnie zu verschlingen, welcher keinen Schuß zu hören vermochte, ohne in Ohnmacht zu fallen. »Also sind Sie Ihres Armes sicher? Das ist mir lieb. Treten wir also an!« Die Pistolen wurden geladen. Jeder der beiden Contrahenten erhielt eine derselben in die Hand, und nun war der fürchterliche Augenblick endlich gekommen. Hiller mußte an seinen Platz geschoben werden. Es war ihm vollständig schwarz vor den Augen und in den Ohren tobte und toste es ihm, als brande die ganze Ostsee in ihnen. »Herr Lieutenant,« rief Pappermann in bittendem Tone; »ich ersuche Sie ganz gehorsamst um eine möglichst milde – – –« »Sparen Sie alle vergebliche Mühe, Herr Wachtmeister! Ich weiß ganz genau, was ich zu thun habe, und einen Schwiegersohn bekommen Sie allemal wieder. Also, Herr Oberlieutenant, auf Commando Beide zugleich schießen. Zielen Sie genau, ich werde es auch thun!« Er hob die Waffe; Hiller that es ihm mechanisch nach. Sie zitterte in seiner Hand. Er raffte sich mit aller Gewalt zusammen, und legte den Finger an den Drücker der Pistole. Das Zeichen wurde gegeben. Zwei Schüsse krachten zu gleicher Zeit. »Mein Jesses, Herr Wacht – ich – – ich bin – – – ich bin todt!« schrie der Spezereikrämer, mit den beiden Händen sich krampfhaft nach der Brust fahrend. Dann brach er auf der Stelle, wo er gestanden hatte, leblos zusammen. Pappermann eilte herbei und knieete an seiner Seite nieder. Die Offiziere warfen sich Blicke zu, aus denen eine nur mühsam unterdrückte Lachlust blitzte. Hiller hatte gradauf gen Himmel geschossen, Blücher aber auf einen Baumstamm losgedrückt, der auch getroffen worden war. »Er ist todt, ganz und gar todt, fürchterlich todt!« wehklagte der Stadtkassirer. »Aber – aber – ich bemerke doch keine Wunde!« »Er ist todt!« wiederholte Blücher. »Das sagte er selbst, und das sagen auch Sie, Herr Wachtmeister; folglich wird er sofort
begraben, damit keine Spur von unserm immerhin gefährlichen Handel zu finden sei!« »Ja, todt ist er, der arme Teufel, und den Apfelschimmel, Gott sei Dank, den habe ich! Aber wo ist denn eigentlich Ihre Kugel eingedrungen?« »Da er todt ist, so ist diese Untersuchung vollständig überflüssig. Wildebrandt, die Leiche gehört jetzt Ihnen!« »Zu Befehl, Herr Lieutenant! Machen Sie Platz, Herr Wachtmeister!« »Das geht nicht so schnell, wie Er es meint! Es ist Menschenpflicht und Christenpflicht und ganz besonders auch meine Pflicht, hier so sorgfältig wie nur möglich zu verfahren. Ich sehe keine Wunde. Vielleicht ist er nur vor – vor – vor Anstrengung umgefallen!« »Ob er in Folge der Anstrengung umgefallen oder von dem Schusse getroffen worden ist,« meinte der lange Venske, »das ist hier ganz und gar gleichgültig. Er selbst hat in seinem letzten Augenblicke erklärt, daß er todt sei; und ein Sterbender sagt niemals eine Lüge. Legt ihn in den Kasten und werft ihn in das Loch. Es giebt noch genug Spezereikrämer in der Welt!« »So!« rief Pappermann zornig werdend. »Vielleicht giebt es auch der Lieutenants genug!« »Das ist möglich,« antwortete Blücher; »aber jedenfalls sind sie mehr werth, als alle möglichen Krämer und Wachtmeister zusammengenommen!« Der Stadtkassirer erhob sich überrascht. »Soll das vielleicht eine Beleidigung sein, Herr von Blücher?« »Wie Er's nimmt!« »Er?« Das war dem alten Bramarbas noch nicht widerfahren; in dieser Weise war er seit langen Jahren nicht angeredet worden. Er wußte nur zu gut, daß Blücher den Streit mit dem Spezereihändler vom Zaune gebrochen hatte. Wollte er vielleicht mit ihm ein Gleiches thun? »Wenn ich es nun nicht als eine solche nehme?« »Das ist Seine Sache! Wir sind hier sechs Personen, welche Seinen Schwiegersohn für todt erklären. Er als der Siebente ist nicht berechtigt, eine andere Meinung durchzusetzen. Der Todte wird begraben!« »Meinetwegen! Jedenfalls aber nicht eher, als bis auch ich von
seinem Tode vollständig überzeugt bin. Daß Sechs gegen mich sind, macht mich nicht furchtsam. Als ich noch bei den Belling-Husaren stand, bin ich einmal ganz allein mitten in eine feindliche Batterie hineingeritten, habe die Bedienungsmannschaft sammt der ganzen Bedeckung niedergesäbelt und die vier Kanonen nachher zu meiner Schwadron gebracht. Ich erhielt für diesen Streich damals eine Medaille; sie ist mir aber später einmal wieder verloren gegangen. Solcher Abenteuer könnte ich viele erzählen; glauben Sie da etwa, daß ich mich vor sechs Leuten fürchte, die in Summe kaum so alt sind, wie ich allein es bin?« »Nein, das glauben wir nicht; aber ein Aufschneider ist Er, wie es keinen zweiten wieder giebt.« »Herrrrrr –!« brauste der Alte auf. »Soll das etwa wieder eine Beleidigung sein?« »Wie Er's nimmt! Er wird es aber jedenfalls wieder als keine solche gelten lassen!« »Meinen Sie. Wenn ich es nun als eine Beleidigung nehme?« »So weiß Er als ehrenvoll verabschiedeter Veteran, was Er zu thun hat. Wer ganz allein eine Batterie erstürmt, der muß trotz der verlorenen Medaille seine Ehre vertheidigen, sobald sie angegriffen wird.« »Gut; ich fordere Sie!« »Schön! Ich bin jetzt einmal im Zuge, und im Kasten ist vielleicht grad noch Platz genug für ihn.« »Wir wollen erst abwarten, wer von uns Beiden hineinkommt. Denken Sie denn, daß es mir einfällt, mich mit Ihnen zu schießen? Nein, die Säbel müssen blitzen!« »Darüber zu entscheiden ist wohl nicht Seine, sondern meine Sache! Aber ich will Ihm den Gefallen thun und den Degen wählen.« »Schön! Und Ort, – Zeit?« »Jetzt, aber nicht hier! Er hat sich gestern den Schimmel gekauft, und ich will Ihm Gelegenheit geben, uns zu zeigen, daß Er keinen schlechten Handel gemacht hat. Wir fechten zu Pferde und reiten deshalb hinaus in's freie Feld.« »Angenommen!« zwang sich der Wachtmeister zu sagen. Es war ihm doch nicht ganz wohl zu Muthe. Er sah ein, daß der Lieutenant zu seinem ungewöhnlichen Verhalten durch eine ganz besondere Absicht getrieben werden müsse und daß er als der
Aeltere und Erfahrenere mehr Vorsicht und Bedachtsamkeit hätte zeigen müssen. »So setze Er sich auf!« »Nicht eher, als bis ich hier den Todten gehörig untersucht habe!« »Das kann unterbleiben! Ich gebe Ihm mein Ehrenwort, daß Sein Spezial nur dann begraben wird, wenn er wirklich todt sein sollte. Lebt er noch, so soll er mit der größten Sorgfalt behandelt werden. Genügt ihm das?« »Gegen Ihr Ehrenwort kann ich natürlich keine Einwendung machen. Aber wie steht es denn mit dem Secundiren. Wird einer der Herren mir die Ehre erweisen?« »Das versteht sich ganz von selbst. Das kann Er aber auch ausmachen, wenn wir am Platze sind. Jetzt also auf die Pferde und vorwärts, fort von hier!« Dieser Aufforderung wurde Folge geleistet. Als sie das Gebüsch hinter sich hatten, wandte sich Blücher an Treskow. »Jetzt gilt's Deine fünfzig Dukaten. Hältst Du das Geländer am Mühlwasser für feste Barrière?« »Jedenfalls.« »Gut! Es ist wohl einige Zoll noch über fünfeinhalb Fuß hoch. Mach Dich gefaßt zum Zahlen!« »Du wirst doch nicht etwa gar bei der Ausführung Deines Planes einen so gefährlichen Sprung wagen! Bedenke doch, daß Du den Wachtmeister ganz ohne alle Tollkühnheit dahin bringen kannst, wo – – –« »Ah bah! Ich brauche die fünfzig Füchse grad nothwendig und verdiene sie heut besser und lieber als morgen. Also Ihr reitet sofort zum Müller und laßt ihm das Wasser abstellen!« »Wie es ausgemacht ist!« meinte Treskow mit einem vergnügten Seitenblick auf Pappermann, welcher von der Unterhaltung kein Wort gehört hatte. Blücher drängte jetzt sein Pferd an den Schimmel, strich diesem über die Nase und schnalzte wie vorhin mit dem Finger. »Was soll diese Zärtlichkeit mit meinem Thiere?« meinte der Wachtmeister. In der Erinnerung an den halsbrecherischen Ritt durch den Busch begann ihm die Ahnung aufzusteigen, daß hinter dem Verhalten des Lieutenants irgend Etwas stecken möge. »Das wird Er gleich sehen!« antwortete dieser, gab seinem
Pferde die Sporen und setzte dasselbe in Galopp. Der Apfelschimmel warf den Schwanz in die Lüfte, wieherte freudig auf und griff dann mit den Beinen aus, als wolle er seinen Reiter in vierundzwanzig Stunden um die Erde tragen. Die Jagd begann von Neuem und zwar mit einer Schnelligkeit und Ausdauer, daß in kurzer Zeit eine ganz bedeutende Strecke zurückgelegt wurde. Sie ging einer Gegend zu, in welcher der Stolpefluß eine nicht unansehnliche Erweiterung erleidet, in deren Nähe damals eine große Mühle lag. Dieser Ort war es, den Blücher bei seinen früher mit Wildebrandt unternommenen Ausflügen als Ziel gewählt hatte, um sich mit den Pferden im tiefen Wasser zu erlustigen. Er kannte das Letztere sehr genau und wußte, daß es oberhalb des Mühlenwehres eine Bodenerhöhung unter demselben gab, welche die sonstige Tiefe auf nicht ganz Manneshöhe reduzirte. Er sprengte grad auf diese Stelle zu. Als der Wachtmeister die glatte, schimmernde Fläche des trügerischen Elementes erblickte, begann es ihm unheimlich zu werden. Je näher er ihr kam, desto mehr bemerkte er aus der Richtung, welche Blücher einhielt, daß dieser einen Sprung in's Wasser vorhabe, und gab sich Mühe, sein Pferd zu pariren. Aber der Schimmel ließ sich nicht mehr lenken; er hatte das Wasser gerochen, blies die Nüstern sehnsüchtig auf und setzte in weiten Griffen nur immer hinter der Fuchsstute her, die ihm hier so oft eine wackere Führerin gewesen war. »Herr Lieutenant!« rief der wasserscheue Mann. »Herr Lieutenant, ich bitte Sie um aller Welt willen, Sie wollen doch nicht etwa gar – –!« Die Stimme versagte ihm. Sein Pferd griff mit den Hinterhufen fast über die vorderen hinaus, und bei jedem Zusammenwerfen der Beine war es dem Reiter, als sitze er auf einer Kugel, die sich mit ihm in die Fluthen rollen wolle. Schon war das Geländer zu erkennen. Es war stark gebaut, fest und hoch. Darüber konnte Niemand hinwegkommen! Und doch ließ Blücher seinen Fuchs laufen, was er nur laufen konnte. »Herr Lieutenant, Herr Lieutenant! Halten Sie doch Ihre infame Stute an! Himmel-Moren-Element, da – da – da – –!« Mit einem mächtigen Satze war der kühne Husarenlieutenant über die Barrière weg. Das Wasser schlug schäumend über ihn und sein Roß zusammen. Der Schimmel strengte alle seine Sehnen an
und folgte. »Herr Lieutenant –! Alle gute Geister – –! Gott sei meiner armen Seele – – –!« Das über ihm zusammenschlagende Wasser verschloß ihm den Mund. Nach einigen Sekunden erschien er mehrere Schritte von seinem Pferde entfernt, pustend, sprudelnd und mit Händen und Füßen um sich schlagend wieder auf der Oberfläche. Die Tragkraft des Wassers hatte ihn aus dem Sattel gehoben. Blücher bemerkte es, glitt vom Pferde, schwamm auf ihn zu und faßte ihn beim Schopfe. Die Fuchsstute strebte dem wohlbekannten Landungsplatze zu, wo sie stets aus der Fluth gestiegen war, und der Schimmel folgte ihr mit treuer Anhänglichkeit, wie er es aus früherer Zeit noch im Gedächtniß hatte. Rudorf, Treskow und der lange Venske waren, nachdem sie das Gelingen des Riesensprunges mit bewundernder Anerkennung beobachtet hatten, unbekümmert um die vier schwimmenden Wesen seitwärts abgeritten und in der Richtung nach der Mühle zu bald verschwunden. Pappermann bemerkte von dem allen Nichts, er wußte nur das Eine, daß er sich in der Stolpe befinde und daß nun seine letzte Stunde gekommen sei. Das Wasser drang ihm durch Ohren, Mund und Nase; er stieß es gurgelnd von sich und wehrte sich halb bewußtlos und in krampfhaften Bewegungen gegen den fürchterlichen, unnatürlichen Tod, dessen nasse und eiskalte Schwingen ihn erbarmungslos umrauschten. »So halte Er doch still!« tönte die befehlende Stimme Blüchers wie aus meilenweiter Entfernung an sein Ohr; »sonst lasse ich Ihn los und Er mag meinetwegen ertrinken!« Jetzt erst fühlte er, daß ihn Jemand bei den Haaren gefaßt hielt. Der Gedanke an eine Möglichkeit der Rettung ließ seine bereits schwindenden Lebensgeister zurückkehren und, gehorsam dem Gebote, verhielt er sich so ruhig, wie es ihm die unendliche Angst seines Herzens gestattete. »So, jetzt kann Er festen Fuß fassen. Trete Er auf und öffne Er die Augen, damit Er sieht, wo Er sich befindet!« Er wurde bei der Schulter gefaßt und mit den Füßen kräftig niedergedrückt. Sie berührten den sichern Grund, aber das Wasser ging ihm so hoch, daß es ihm den Athem versetzte und seine zitternde Gestalt immer wieder in die Höhe hob. »Herr Lieutenant,« rief er, die Augen noch geschlossen, und die
Arme grad emporstreckend, »Sie bringen mich um, Sie haben mich gemordet, Sie haben mich schmählich ersäuft. Ich werde Sie beim Oberkommando anzeigen!« »Thue Er das, Herr Wachtmeister, wenn es Ihm gelingt, sich aus dem Wasser heraus zu arbeiten! Inzwischen will ich Ihn nicht weiter belästigen. Lebe er wohl!« Die Arme, welche ihn bisher unterstützt hatten, wichen von ihm. »Halt, halt, mein bester Herr von Blücher, bleiben Sie, gehen Sie nicht fort, ich muß ja sonst bei lebendigem Leibe jämmerlich ertrinken! Ich – kann nicht – schwimmen!« »So hat Er die beste Gelegenheit, es zu lernen!« »Nein, nein, ich danke für diese Gelegenheit, ich mag es nicht lernen, ich – ich will – – ich will hinaus!« »Dann mache Er endlich die Augen auf, damit wir mit Seiner Forderung in's Reine kommen, denn eher kommt Er nicht von dannen!« »Mit meiner Forderung? Ich fordere Nichts, gar Nichts als nur mein armes Bischen Leben. Ich habe Niemand gefordert, ich bin der friedfertigste Mensch, den es nur geben kann!« »Rede Er keine Dummheit! Er hat mich in Gegenwart von fünf Zeugen auf Säbel verlangt, das kann Er als ehrenvoll verabschiedeter Wachtmeister gar nicht leugnen und jetzt befinden wir uns auf der Stelle, welche ich mir zum Kampfplatz ausgesehen habe.« Der Schreck über diese Worte riß ihm endlich die Augen auf. Er sah ringsum Wasser, Nichts als Wasser, welches in stillen, hinterlistigen, heimtückischen Wellen auf ihn einfluthete, es wurde ihm grün und gelb vor dem erstarrenden Blicke, und die erschrockenen Lider schlossen sich ebenso schnell, wie sie sich geöffnet hatten. »Kampfplatz?« zeterte er. »Hier? Mitten im Wasser? Das ist unmöglich, das ist gradezu ganz und gar unmöglich. Ich thue nicht mit!« »So lasse ich Ihn hier allein, und Er mag stehen und warten, bis ihn die Frösche und Kröten anbeißen!« Bei dieser Vorstellung zog der Geängstigte unwillkührlich die Beine in die Höhe. Sofort fuhr er mit dem Kopfe unter das Wasser. Blücher hob ihn empor und brachte ihn in seine vorige Stellung zurück.
»Da sieht Er, wie es Ihm geht, wenn Er auf Seiner Weigerung beharrt. Aber so mache Er nur einmal ordentlich die Augen auf, sonst kann Er versichert sein, daß ich die Geduld verliere und Ihn Seinem Schicksale überlasse. Er ist doch kein Kind, und ein ehrenvoll verabschiedeter Wachtmeister von den Belling-Husaren wird sich doch vor ein paar Tropfen Wasser nicht fürchten!« »Ein paar Tropfen –« jammerte er, »ein paar Tropfen sollen das sein! Es wibbelt und kribbelt von Eidechsen, Fröschen und Kröten um meine Beine, das Wasser geht mir bis an den Hals, und das sollen nur ein paar Tropfen sein! Da bleibt mir doch gradezu der Verstand stille stehen!« »Da halte Er ihn nur so fest wie möglich, denn Er wird ihn noch sehr nothwendig gebrauchen können! Wenn das Wasser jetzt bis an Seinen Hals reicht, so wird es Ihm in kurzer Zeit bis an den Mund gehen, und dann ist es aus mit Ihm. Bemerkt Er nicht, daß es immer höher und höher steigt? Der Müller hat den Schützen geschlossen, und so wird es in zehn Minuten vielleicht gar schon über Ihn zusammen gehen.« »Herr Lieutenant, Sie sind ein ganz entsetzlicher Mensch! Sagen Sie doch nur schnell, was ich eigentlich thun soll!« »Die Augen richtig offen halten und dann den Säbel ziehen!« »Aber wozu denn nur um des Himmels willen? Ich bin doch kein Haifisch, daß Sie mir zumuthen, mich hier im Wasser mit Ihnen herum zu wälzen!« »Aber ein Mann ist Er, dem es ganz miserabel steht, zu jammern und zu klagen, wenn es gilt, seine Ehre zu vertheidigen!« »Ich will sie ja auch vertheidigen, aber nur nicht hier in dieser gräßlichen Sündfluth, in der ich mich nicht bewegen kann, ohne zu ertrinken.« »Es kommt ja ganz auf Eins heraus, ob Er ertrinkt oder ob ich Ihn da draußen niederstoße, denn mir ist Er doch nicht gewachsen, das weiß Er nur zu gut. Ziehe Er blank, sonst schlage ich Ihn ohne Gegenwehr nieder!« Der Sprecher zog den Degen und ließ ihn drohend vor der Nase Pappermanns funkeln. »Also hier soll ich elend umkommen! Von den Fischen und Wasserratten soll ich aufgefressen und verzehrt werden! Als ich noch bei den Belling-Husaren stand, hätte ich an so Etwas gar niemals gedacht! Giebt es denn kein Mittel, diesem abscheulichen
Tode zu entgehen? Ich will ja gern Alles thun, was Sie wollen, nur schaffen Sie mich aus diesem nassen Jammerthal hinüber an das Ufer!« »Hm, Er ist mir ein schöner Hasenfuß, daß Er vor dem Bischen Brühe hier so zittert! Aber wenn es Sein Ernst ist mit dem Versprechen, so will ich Rücksicht auf unsre bisherige Freundschaft nehmen und mich billig finden lassen.« »Gut! Also was verlangen Sie?« »Ich muß Ihn zuvor um Etwas fragen. Weiß Er denn schon, daß Hiller den Apfelschimmel wieder verkauft hat?« »Nein. Aber das ist ja gar nicht möglich; ich habe ihn ja noch!« »Aber nur für kurze Zeit. Nach der Hochzeit wird er wieder abgeholt.« »Das kann ich nicht glauben.« »Wenn es Ihm der Lieutenant von Blücher sagt, so wird Er wohl die Gewogenheit haben, es zu glauben! Der Pferdehändler Ganzow hat es meinem Burschen noch gestern Abend erzählt; er kennt den Schimmel und hat ihn also im Sacke kaufen können. Der Krämer hat Ihn mit dem Thiere nur aufs Eis geführt, er ist zu geizig, Ihm zu Liebe eine solche Ausgabe zu machen, und sobald das Mädchen sein ist, geht der Apfelschimmel flöten.« »Da soll dem Himmel-Mohren-Elementer doch gleich – aber der Zorn hilft mir auch Nichts mehr. Da ist der Kerl ja ein ganz armseliger Lügner und Betrüger!« »Ich begreife auch nicht, wie Er sich so gewaltig in ihn verschameriren konnte. Da ist mir der Wildebrandt doch ein ganz anderer Mann für Seine Tochter, und Er kann sich gratuliren, ihn zum Schwiegersohn zu bekommen!« »Ich –? Den –? Zum Schwiegersohn –? Daran denkt kein Mensch!« »Dann wäre also auch ich kein Mensch, denn ich denke sehr daran und grad jetzt am Meisten. Der Wildebrandt wird Sein Schwiegersohn; ich gebe Ihm mein Ehrenwort darauf. Das ist ja eben die Bedingung, unter welcher ich Ihm einzig und allein nur aus der Tinte helfe.« »Einzig und allein? Das wäre ja schauderhaft, denn ich kann unmöglich darauf eingehen. Der Wildebrandt ist mir zuwider; er hat mich ganz außerordentlich beleidigt!« »Spreche Er nur ja nicht von Beleidigung! Was der gesagt hat,
das ist wahr; Er pflegt bei Seinen Erzählungen den Mund ganz ungeheuer voll zu nehmen und ist immer selber Schuld, wenn Seine Angaben Mißtrauen erregen. Jetzt geht Ihm das Wasser schon bis beinahe an den Mund; da kann Er ihn noch einmal voll nehmen, und das wird wohl das letzte Mal sein.« »Aber der Wildebrandt ist ein Habenichts und blos Unteroffizier. Ein Soldat, welcher noch im activen Dienste steht, ist kein Mann für meine Tochter, und es kann noch lange Jahre dauern, bis er eine Anstellung erhält und eine Frau ernähren kann. Himmel-Mohren-Element, ich kann nicht mehr stehen; das Wasser reißt mich um. Schaffen Sie mich doch um aller Heiligen willen aus dieser unglückseligen Ueberschwemmung heraus. Der Müller muß auch grad jetzt des Teufels sein und das Wehr zustellen. Ich muß wahrhaftig schon Wasser schlucken, und Sie sehen doch ein, daß ich nicht, um auf den Beinen zu bleiben, die ganze Stolpe austrinken kann!« »Ist auch nicht nöthig. Gebe Er nur Seine Zustimmung zu meinem Vorschlage, der annehmbarer ist als Er meint! Der Wildebrandt ist kein Habenichts; er hat dreihundert Thaler bei meiner Wirthin und fünfzig Dukaten bei mir stehen. Beim nächsten Geburtstage des Königs, an welchem die gewöhnlichen Jahresavancements stattfinden, wird er Wachtmeister, ich weiß dies ganz genau; er steht schon auf der Liste. Und was die Anstellung betrifft, so wird er sicher eine finden; ich selbst werde dafür Sorge tragen. Entscheide Er sich schnell. Entweder sagt Er ja oder wir schlagen uns. Ich warte keine Minute länger!« »Aber ich habe doch dem Hiller mein Wort gegeben, und das darf ich nicht brechen, so lange er selbst den Vertrag hält, wenn der arme Teufel überhaupt noch lebt!« »Er hat ihn durch den heimlichen Verkauf des Schimmels schon gebrochen. Uebrigens kann ich Ihm sagen, daß er noch lebt; er ist aus reiner Angst umgefallen, Schande genug für Ihn als Schwiegervater! Er wird Ihm heut noch sein Wort zurückgeben.« »Ist das wahr?« »Wenn ich es Ihm versichere, so ist es wahr! Also, den Säbel oder Seine Zustimmung?!« »Sind Sie denn wirklich so hart und unerbittlich, Herr Lieutenant? Giebt es keine andre Hülfe? Ich kann es wahrhaftig keinen Augenblick länger hier aushalten, ich bin ja schon über die
Hälfte ertrunken!« »Es giebt keine andre Rettung und das ist nun mein letztes Wort. Bekommt der Wildebrandt die Anna? Ja oder Nein!« Wieder blitzte der Säbel drohend vor den Augen Pappermanns, der jetzt bis an den Schnurrbart in Wasser stand. Er mußte den Kopf heben, um es sich nicht in den Mund dringen zu lassen. »Schauderhaft!« sprudelte er. »Ich muß wohl ja sagen, denn ich kann nicht anders, wenn ich nicht elend und jämmerlich vom Wasser zerplatzt werden soll. Schaffen Sie mich hinaus; er soll das Mädchen haben!« »Schlage Er ein!« »Auch noch! Ich habe in meinem ganzen Leben noch nicht unter dem Wasser eingeschlagen, weder als ich bei den Belling-Husaren stand, noch vor- oder nachher. Hier ist meine Hand!« Blücher griff zu. »Abgemacht also! Und heut Abend ist die Verlobung, was?« »Meinetwegen schon heut Vormittage noch, aber nur beileibe nicht hier im Wasser!« »Das will ich Ihm gern zugestehen. Jetzt aber wollen wir Seinen Apfelschimmel rufen, damit Er dann aufsteigen kann!« »Ja, was wird denn nun mit dem? Der Hiller bekommt nun die Anna nicht, und so wird es mit dem Spazierenreiten seine guten Wege haben.« »Reichen denn Seine Mittel aus, um das nöthige Futter beschaffen zu können?« »Ich denke ja, wenn ich mich sonst ein Wenig einschränke. Wenigstens möchte ich es versuchen.« »Dann soll Er ihn behalten dürfen!« Er ließ einen scharfen, lauten Pfiff erschallen. Die Fuchsstute, welche mit ihrem vierbeinigen Kameraden ruhig am Ufer weidete, hob den Kopf und ging auf eine Wiederholung des Signales gehorsam in das Wasser. Der Schimmel spitzte die Ohren, schlug mit dem Schwanze einen kurzen Wirbel und sprang ihr dann nach. In kurzer Zeit und nach einiger Mühe, welche Pappermann dem Lieutenant bereitete, befanden sich Beide außerhalb des Wassers auf dem Trockenen. »So!« meinte Blücher, sich seiner früheren, höflichen Redeweise wieder bedienend. »Jetzt reiten Sie schnell nach Hause und suchen sich zu erwärmen, damit Ihnen das kalte Bad keinen
Schaden bringt. Ich muß die Kameraden aufsuchen, welche in der Mühle eingekehrt sind!« »Darf ich zuvor eine Bitte aussprechen, Herr Lieutenant?« frug der Wachtmeister, dessen pudelnasse Gestalt es an allen Gliedern schüttelte. Die Zähne klapperten ihm hörbar im Munde, und von den Spitzen des trübselig herabhängenden Schnurrbartes floß das Wasser in großen, schweren Tropfen hernieder. »Thun Sie es!« »Lassen Sie doch Niemandem Etwas von der heutigen Affaire erfahren! Es wäre sofort um meine ganze Ehre und Reputation geschehen, wenn die Sache ruchbar würde, und ich dürfte mich in der Stadt nie wieder sehen lassen.« »Schön! Auf unsre Discretion können Sie sich verlassen; nur geben Sie wohl acht, daß Sie nicht selbst zum Verräther werden. Wir sehen uns heut noch wieder. Bis dahin leben Sie wohl!« Er wandte sein Roß von dem triefenden Stadtkassirer und ritt der Mühle zu. Dort fand er die Drei, mit Spannung seiner wartend. Sie hatten schon im Begriffe gestanden, nach ihm zu sehen, weil sein »Wasserständchen,« wie der lange Venske sich ausdrückte, ihnen »einige Ellen zu lang gedauert hatte.« »Wie ist es abgelaufen?« frugen sie im Vereine. »Gut, sehr gut!« lautete seine Antwort. »Der Wildebrandt kann zufrieden sein.« Dann wandte er sich zum Müller. »Ich habe Ihm einen Anzug für mich zustellen lassen. Führe Er mich an einen Ort, wo ich mich umziehen kann und besorge Er dann etwas Warmes. Seinen Schützen kann Er nun wieder aufziehen!« Bald darauf trabten die Offiziere wohlgemuth der Stadt wieder zu. Treskow hatte seine Wette verloren und sich zur Zahlung der fünfzig Dukaten bereit erklärt. War es ihm schon wunderbar, daß Blücher mit seiner Fuchsstute die fünfeinhalb Fuß überwunden hatte, so schien es ihm ganz und gar unbegreiflich, daß auch der alte Apfelschimmel hinübergekommen war. Blücher lachte. »Es war ein Jugendstreich von dem guten Thiere, der ihm zum zweiten Male wohl nicht wieder gelingen dürfte. Deine Dukaten bekommt Wildebrandt zur Beisteuer!« Schon hatten sie eine bedeutende Strecke zurückgelegt und standen im Begriffe, aus dem Busche auf offenes Terrain zu biegen, als der lange Venske, welcher voranritt, sein Pferd parirte.
»Halt!« kommandirte er. »Die da draußen brauchen uns nicht zu sehen!« »Wer?« frug Treskow. Statt der Antwort deutete Venske mit der Rechten nach der Mündung des Holzweges, welchen sie gekommen waren. Eine Schwaderon Husaren war zu sehen, welche trotz des lockern, aufgeweichten Bodens in scharfem Trabe über das freie Feld fegte. »Ah,« meinte Rudorf, »der Rittmeister von Platow mit seinen armen, geplagten Teufeln. Der muß hinaus und wenn es Heringstonnen schneit!« »Gebt einmal genau Achtung,« erinnerte Blücher, welcher der Hinterste gewesen war und sich von den Andern die Aussicht verdeckt sah, »ob Ihr unsern tapfern Schimmel mit dem alten Pappermann dabei bemerkt!« »Wieso soll der dabei sein?« »Ich denke mir's nur so. Der Apfelschimmel kann keinem Signale widerstehen, und wenn er Kavallerie sieht, so muß er dabei sein, da bringt ihn weder Sporen noch Zügel ab. Es sollte mich wundern, wenn der Wachtmeister der Schwadron nicht begegnet wäre!« »Ja, ja, richtig,« lachte der lange Venske, »dort reitet er mitten drin in Reih und Glied. Na, Pappermann, jetzt kannst Du Etwas erleben!« »Den hat der Platow mit dem größten Vergnügen aufgefischt, und ich kann mir ganz lebhaft vorstellen, was es für eine Teufelshetze geben wird. Der arme Kerl ist naß bis auf die Haut und vielleicht auch noch ein Wenig weiter hinein, aber ich wette Hundert gegen Eins, daß er in einer Viertelstunde vor Hitze siedet!« Sie ließen die Schwadron vorüber und setzten dann ihren Weg weiter fort. In der Stadt angekommen, suchte ein Jeder seine Wohnung auf. Als Blücher die seinige erreichte, kam ihm Jungfer Adelheid mit angstvollem Gesichte entgegen. »Mein liebster, mein bester Herr Lieutenant, wie ist es denn abgelaufen? Ich war sehr in Sorge um Sie!« »Danke, meine Gnädige! Diese Sorge war wirklich unbegründet. Der Streit ist auf die zufriedenstellendste Weise beigelegt.« »So habe ich mich getäuscht!« rief sie, sichtlich erleichtert. »Als Ihr Bursche und Wildebrandt den Kasten durch die hintere Pforte
brachten, glaubte ich zu bemerken, daß sie schwer trugen, und da ich bisher den Herrn Spezereikrämer nicht zurückkehren sah, so mußte ich fast annehmen, daß ihm ein Unglück widerfahren sei.« »Beruhigen Sie sich! Er befindet sich so wohl, als läge er in Abrahams Schooß. Ich glaube sogar, Sie bekommen ihn heut noch zu sprechen.« »Ist's möglich, Herr Lieutenant? O, ich danke Ihnen für diesen Trost, der mir die verlorene Ruhe wiedergiebt. Seien Sie ja auch versichert, daß – daß ich mein Wort halten werde, wenn – wenn – –« »Wenn ich das meinige halte? Ich gab noch niemals ein Versprechen, welches ich nicht auch erfüllte. Adieu jetzt, gnädiges Fräulein, ich bin nun sehr beschäftigt!« Er trat in sein Zimmer. Sie stieg die Treppe empor nach dem ihrigen. Es war ihr wie heller, lichter und warmer Sonnenschein in dem Herzen, dessen Himmel bisher stets ein bewölkter und trüber gewesen war. Jungfer Adelheid setzte sich wie immer an das Fenster und beobachtete das gegenüberliegende Haus, ob der heimlich Geliebte nicht erscheinen wollte. Der Vormittag verging, ebenso der Nachmittag; der Abend kam, und noch hatte sich das hagere, gelbbleiche Gesicht nicht am Fenster des Ladens sehen lassen. Es wurde ihr doch wieder bange und schon überlegte sie, ob es nicht gerathen sei, den Lieutenant noch einmal ernstlich zu fragen, als es an die Thür klopfte und beim Oeffnen Blüchers Bursche vor ihr stand. »Verzeihung, gnädiges Fräulein! Darf ich fragen, ob Sie ein wenig Zeit haben?« »Mit dem größten Vergnügen darf Er das! Ja, ich habe Zeit. Weshalb fragt Er?« »Weil mich mein Herr zu Ihnen schickt. Er läßt Sie bitten, einmal hinab in den Keller zu kommen, dessen Schlüssel ich Ihnen, wie mir eben einfällt, noch gar nicht wieder eingehändigt habe.« »Bitte sehr, bitte sehr! Aber warum nicht in seine Wohnung, sondern hinab in den Keller?« »Weil er Ihnen dort Etwas zu zeigen hat.« »Schön; ich eile, ich komme gleich!« Der Bursche entfernte sich und stieg in denselben Raum hinab, nach welchen er die Wirthin beschieden hatte. Dieser war von einer
Laterne nothdürftig erleuchtet. In seiner Mitte stand der Kasten, welcher heute früh mit im Busch gewesen war. Blücher, Rudorf, Treskow und der lange Venske waren anwesend und beobachteten, wie Wildebrandt sich mit dem Oeffnen des improvisirten Sarges beschäftigte. Der Deckel, welcher mit mehreren Luftlöchern versehen war, gab dem Drucke leicht nach, und nun erkannten die Umstehenden eine menschliche Gestalt, welche darin gelegen hatte. Die Augen waren geschlossen, Die Wangen tief eingefallen, die Hände gefaltet; der Mann sah wirklich aus wie eine Leiche. Es war der Spezereihändler und Schützengilden-Oberlieutenant Hiller. Blücher faßte ihn bei den Armen und rüttelte ihn. Er gab kein Lebenszeichen von sich. »Er wird doch nicht etwa gar erstickt sein,« meinte Rudorf. »Fällt ihm gar nicht ein! Der Puls geht fühlbar und der Athem auch,« lautete die Antwort. Dann fügte der Sprecher in lautem, befehlendem Tone hinzu: »Aufgestanden, wenn es beliebt, Herr Oberlieutenant!« Der Angerufene rührte sich nicht. Man nahm ihn aus dem Kasten und versuchte, ihn auf die Beine zu stellen. Er blieb steif und bewegungslos. Den Andern wollte es fast ängstlich werden, Blücher aber bemerkte unbesorgt: »Laßt nur mich machen, ich erwecke ihn schon von den Todten!« Er zog ein Pistol hervor und feuerte es ab. Ein Schrei erschallte von der Kellertreppe herab, und zu gleicher Zeit sprang Hiller, wie von Spannfedern getrieben, vom Boden auf. Mit weit aufgerissenen Augen blickte er um sich. »Wo bin ich? Ist das schon die Hölle?« »Nein, sondern erst das jüngste Gericht. Setze Er sich nieder; Er soll Sein Urtheil hören!« Ganz mechanisch, ohne zu wissen, was er thue und wer die Umstehenden seien, folgte er sofort dem Befehle und ließ sich auf den Rand des Kastens nieder. »Kennt Er mich?« »Nein!« »So sehe Er mich einmal genauer an!« Hiller erhob die Augen. »Nun! Wer bin ich?«
»Sie sind – der – der Herr – der Her Lieutenant von Blücher.« »Gut, daß Ihm endlich die Besinnung kommt! Weiß Er, was heut mit Ihm passirt ist?« »Ja.« »Was denn?« »Sie haben mich erschossen!« »Und nachher?« »Nachher bin ich begraben worden.« »Und jetzt?« »Jetzt – jetzt – – ja, das – – – das weiß ich selber nicht!« »Er ist ein Esel, ein altes Weib, über das man zu gleicher Zeit weinen und lachen könnte! Lebt Er denn noch oder ist Er wirklich gestorben?« »Ja, Herr – Herr Lieutenant, das – das – – das kann ich nicht sagen. Ich glaube, ich bin todt!« »Schön! So muß Er auch wieder begraben werden. Wildebrandt, legen Sie ihn in den Kasten zurück!« »Nein, nein, ich bin lebendig, ich bin nicht gestorben!« rief angsterfüllt der Krämer, als er sich von zwei derben Fäusten gepackt fühlte. »Gut, so mag Er einstweilen noch sitzen bleiben! Aber in den Kasten kommt Er doch wieder, denn Seine Augenblicke sind gezählt.« Er wandte sich an den Diener, dem er die abgeschossene Pistole übergeben hatte. »Hast Du wieder geladen?« »Zu Befehl, Herr Lieutenant!« »So gieb ihm die Waffe!« Der Diener drückte sie dem Spezereihändler in die Hand. Dieser sah fragend und bestürzt empor. »Was soll ich denn mit dem Gewehre thun?« »Das fragt Er noch? Heut Morgen war ausgemacht, daß geschossen werden solle, bis einer von uns Beiden gefallen sei. Wir leben Beide noch, folglich beginnen wir jetzt von Neuem!« »Von Neuem? Nein, ich thue nicht mit! Sie erschießen mich sonst zum zweiten Male und wenn ich wieder aufwache, gar noch zum dritten und vierten Male!« »Das werde ich nun freilich thun, und darum ist es eine ganz unbegreifliche Dummheit von Ihm, daß Er immer wieder lebendig wird. Stehe Er jetzt auf und nehme Er Distanze, damit wir fertig werden!«
»Ich stehe nicht auf, ich mag von keiner Distanze Etwas wissen, ich will von Ihnen gar nicht fertig gemacht werden. Ich bin froh, daß ich wieder lebendig bin, ich mag nicht wieder in den fürchterlichen Kasten, wo ich gar nicht mehr gewußt habe, wer ich bin!« »Er muß, denn Er hat mich gefordert!« »Ich nehme meine Forderung zurück. Ich bitte Ihnen Alles ab, Alles, Alles, den Burgunder, die Rechnung, das Mahnen, Alles, Alles, was Sie nur wollen!« »Das ist nun zu spät. Stehe Er auf, sonst schieße ich Ihn ohne Gegenwehr zu Boden!« »Das wäre der reine Todtschlag, der reine Mord. Wenn ich Abbitte thue, so müssen Sie mich leben lassen!« »Herr Lieutenant!« ließ sich da eine leise bittende Stimme vernehmen, und eine Hand legte sich begütigend auf seinen Arm. »Schießen Sie ihn nicht todt; lassen Sie Gnade für Recht ergehen! Ich wäre ja selbst gleich des Todes, wenn hier in meinem Hause so eine furchtbare That geschehe!« Jungfer Adelheid war es. Sie war vorhin vor Schreck über den Schuß auf der Kellertreppe niedergesunken, hatte sich aber wieder erholt und kam nun herbei, um womöglich den Geliebten zu retten. »Hm, das ist wahr! Ihr Haus, mein gnädiges Fräulein, käme in einen bösen Ruf, wenn es ruchbar würde, daß um mitternächtige Zeit ein todtgeschossener Spezereihändler darin sein Wesen treibe. Daran habe ich allerdings gar nicht gedacht, und ich möchte wohl gern auf Sie Rücksicht nehmen. Aber was haben Sie und ich davon, wenn wir ihn leben lassen?« »Ich –?« frug sie verlegen. »Sie wissen ja, mein bester Herr von Blücher, daß – daß ich – – daß ich gern – –« »Ja, ich weiß, daß es besser wäre, wenn ich ihm eine Kugel durch den Kopf jagte, denn dann würde das arme Mädchen von ihm erlöst, das er mit Gewalt an sich bringen will.« »Mit Gewalt!« warf Hiller ein. »Ich thue Niemandem Gewalt an, ich habe sie nicht gezwungen, ihr Vater hat mir das Jawort freiwillig gegeben. Wegen ihm lasse ich mich nicht über den Haufen schießen!« »Und grad wegen ihm muß Er sterben! Ich habe es hier dem Wildebrandt versprochen, daß er die Anna bekommt, und wenn Er nicht freiwillig von ihr läßt und die Verlobung aufgiebt, so putze ich Ihn hier mit der Pistole weg.«
»Ich mache nicht mit, ich laß mich nicht ermorden, mein Leben ist mir lieber als sie, ich mag von ihr gar Nichts mehr wissen!« »Ist das Sein Ernst?« »Ja.« »Würde Er das auch dem Wachtmeister sagen?« »Wenns nicht anders ist, ja.« »Gut, ich halte Ihn beim Worte, und Er wird nachher mit zu Pappermanns gehen, wenn ich ja noch auf das Duell verzichte. Sein Leben hängt noch von einer Bedingung ab, die ich Ihm zu machen habe.« »Noch eine Bedingung? Das nimmt ja gar kein Ende. Was ist's denn für eine?« »Wenn Er aus Rücksicht auf meinen Willen die Anna aufgiebt, so halte ich es für meine Pflicht, Ihm eine andre Frau zu verschaffen.« »Eine andre Frau? Ich mag keine, ich will nicht das Geringste mehr von den Weibern hören; sie bringen lauter Unheil, lauter Mord und Todschlag in die Welt!« »Da irrt Er sich. Man muß nur Eine nehmen, die Einem gut ist und die zu Einem paßt. Und da weiß ich nun allerdings eine Dame, die für Ihn grad wie geschaffen ist.« »Da wäre ich doch begierig, sie zu sehen.« »Das kann Er!« antwortete Blücher, sich nach der Jungfer umdrehend. Er erblickte sie nicht mehr. Sobald sie gemerkt hatte, daß sich das Gespräch auf ihre Person lenken wolle, war sie in züchtiger Schamhaftigkeit verschwunden. Darum fuhr der Sprecher fort: »Gehe Er nur hinauf zu Fräulein Adelheid, die ist Ihm schon längst gewogen, besitzt ein anständiges Vermögen und steht im gleichen Alter mit Ihm. Das ist eine ganz andre Parthie für einen Mann der Oberlieutenant bei der Schützengilde ist, als die arme Wachtmeisterstochter.« »Die Fräulein Adelheid? Die? Die wäre mir gewogen?« frug Hiller. Er war ganz erstaunt; daß er eine so wohlhabende Frau bekommen könne, hatte er, dessen Anfang ein kleiner und armer gewesen war, niemals geglaubt. Da hatte Blücher allerdings Recht: Das war eine ganz andre Parthie für ihn. »Ist es wahr, was Sie mir da sagen?« »Hält Er mich etwa für einen Lügner?« »O nein, nein, Herr Lieutenant; ich zweifle gar nicht!« Er hatte
schon Angst vor einer neuen Drohung. »So ist Er also mit mir einverstanden?« »Das versteht sich! Ich bin einverstanden, vollkommen einverstanden, ganz und gar einverstanden!« »So erkläre Er es laut und feierlich hier vor diesen Zeugen!« »Ich erkläre es!« rief der Krämer, im Eifer beide Hände in die Höhe streckend. »Schön! Nun habe ich blos noch eine Bedingung, unter der ich meine Pistole wieder zurücklege.« »Wahrhaftig, wieder eine! Nimmt denn das gar kein Ende?« »Es ist die letzte und auch die leichteste. Sie betrifft den Apfelschimmel.« »Den? Soll ich etwa mit ihm herumgaloppiren, bis er schwarz wird? Ich mag von der infamen Bestie gar Nichts mehr hören!« »Darum hat Er sie wohl auch schon wieder verhandelt?« »Verhandelt? Woher wissen Sie denn das?« »Ich habs aus einem sichern Munde; aber Er wird den Kauf wohl rückgängig machen, denn der Pappermann will den Schimmel behalten.« »Der ist gar nicht so dumm! Den Apfelschimmel behalten, wenn ich seine Tochter nicht heirathe! Nein, das geht nicht!« »Es geht ganz prächtig; denn wenn Er ihm das Thier nicht läßt, so schieße ich mich doch noch mit Ihm und Er kommt hier in den Kasten.« »Sie sind ein ganz fürchterlich grausamer Mensch, Herr von Blücher!« »Das denkt Er blos! Die reiche Heirath, welche Er macht, bringt Ihm den Apfelschimmel hundertmal wieder ein.« »Aber ich weiß doch noch gar nicht, ob sie auch wirklich zu Stande kommt!« »Das Fräulein sagt sofort ja, das versichere ich Ihm. Also der Wachtmeister behält das Pferd?« »Na, da mag er es haben; ich wünsche ihm Glück zu dem wahnsinnigen Viehzeuge, das mir alle Knochen im Leibe zusammengeschüttelt hat!« »Auch das erklärt Er feierlich vor diesen Zeugen?« »Ich erkläre es! Aber nur unter der Bedingung, daß Ihre Bedingungen nun einmal ein Ende haben!« »Es war ja meine letzte. Jetzt gehe Er hinauf zu meiner Wirthin
und werde Er einig mit ihr. Dann kommt. Er in meine Wohnung; ich werde auf Ihn warten!« »Darf ich zuvor um Etwas bitten?« »Nun?« »Erzählen Sie Niemandem Etwas von dem, was heut geschehen ist!« »Ich werde es nicht an die große Glocke hängen. Es kommt ganz auf Sein Verhalten an, ob wir schweigen oder reden. Es ist ein gar schönes und kostbares Ding um die Ehre eines Oberlieutenants von der Schützengilde; wenn Er selbst zu schweigen versteht, so wird sie nicht sehr in Gefahr kommen!« – Der ehrenvoll verabschiedete Wachtmeister und lobesame Stadtkassirer Pappermann saß wieder auf seinem Stuhle am Fenster und lugte in den dunklen Abend hinaus. Er wußte, daß Blücher sein Wort halten und kommen werde. Anna saß bei der Lampe am Tische und war mit einer weiblichen Arbeit beschäftigt. Sie konnte gar nicht begreifen, was heut vorgegangen sein mußte, denn der Vater befand sich in einer Stimmung, die sie noch nie an ihm beobachtet hatte. »Ich möchte nur eigentlich wissen, wenn er kommen wird! Ein Lieutenant sollte doch etwas schneller sein können! Ja, wenn es ihm so in den Beinen juckte, wie meinem alten Apfelschimmel! Denke Dir, Anna, heut bin ich über eine Barrière hinweggesetzt, die über zwölf Ellen hoch war, und zwar gradewegs hinein in's Wasser. Der Lieutenant von Blücher war dabei und wäre bei einem Haare ertrunken, wenn ich ihn nicht herausgezogen hätte. Als ich noch bei den Belling-Husaren stand, habe ich manch einen schönen Sprung gemacht, aber so einen gewaltigen doch nicht!« Das Mädchen nickte ihm beistimmend zu. Es war das Beste, was sie thun konnte. »Und nachher begegnete ich der Schwadron des tollen Rittmeisters von Platow. Mit dem habe ich gewettet, daß er mit sammt seiner ganzen Schwadron mich und den Schimmel nicht fangen könne. Wir sind drei Stunden lang herumgejagt, und ich habe die Wette gewonnen. Ich glaube aber nicht, daß er mir das Geld bezahlen wird. Solche Herren sind in dieser Beziehung sehr vergeßlich!« Er ritt mit seinem Stuhle an das nächste Fenster. »Hm, fast scheint es, als ob er gar nicht – doch, da kommt Einer!
Anna, nimm die Lampe und leuchte dem Herrn die Treppe herauf!« »Wer ist es denn?« »Der Herr Lieutenant von Blücher; ich hör's am Gange und am Degenklirren; er hat eine ganz eigene Art, auf der Straße daher zu rasseln.« Er hatte richtig gehört. Blücher kam die Treppe heraufgestiegen, grüßte das Mädchen freundlich und trat dann in die Stube. »Guten Abend, Herr Wachtmeister! Haben Sie sich erholt?« »Erholt?« frug der Alte mit einem Seitenblicke auf die Tochter. »Wovon soll ich mich denn erholt haben? Ein Wachtmeister von den Belling-Husaren braucht sich niemals zu erholen, denn es giebt Nichts, was ihn ermüden und angreifen könnte!« »Ganz meine Meinung! Der Herr Rittmeister von Platow läßt Sie grüßen. Er möchte gern wissen, ob – –« »O, mein bester Herr Lieutenant,« fiel ihm Pappermann mit demselben Seitenblicke auf die Tochter in die Rede, »hat Nichts zu sagen, hat Nichts zu sagen; ich kenne den Herrn und werde nicht dringlich sein.« »Schön!« antwortete Blücher lächelnd, da er diese Seitenblicke zu würdigen wußte. »Wie steht es denn mit dem Apfelschimmel?« »Ganz prächtig! Er steht im Schuppen und kaut Hafer. Werde ich ihn behalten können?« »Ja. Der Spezereihändler wird es Ihnen selbst versichern.« »Kommt er vielleicht heut noch?« »Ganz sicher. Ich glaube, da ist er schon. Ach nein, es ist einstweilen ein Anderer.« Die Thür hatte sich geöffnet. Wildebrandt trat ein und wandte sich in meldender Haltung an den Offizier. »Eingetroffen, Herr Lieutenant, zur Rücksprache mit dem Herrn Wachtmeister.« »Recht so! Sagen Sie ihm, was Sie auf dem Herzen haben!« Der Unteroffizier trat dankend zurück und wandte sich an Pappermann: »Herr Wachtmeister, ich hatte schon einmal die Ehre, Ihnen zu sagen, daß ich und Anna uns lieb haben. Sie waren gegen unsre Neigung. Seit dem heutigen Rencontre aber ist Ihre Ansicht wohl eine andre geworden, denn nach dem prachtvollen Sprunge in's Wasser haben Sie dem Herrn Lieutenant aus – –« »Halte Er einmal ein!« rief der Stadtkassirer, indem er mit
seinem Stuhle um einige Ellen vorwärts ritt und einen besorgten Blick auf die Tochter warf. »Ich habe gar Nichts gegen Ihn, und wenn das Mädchen ja sagt, so ists mir auch recht, vorausgesetzt, daß alles Versprochene gehalten wird. Das Rencontre braucht Er gar nicht zu erwähnen, und der Sprung in die Stolpe war erst recht eine Lappalie, die ein ehrenvoll verabschiedeter Wachtmeister von den – –« »Guten Abend!« ertönte es schüchtern unter der Thür. Hiller stand auf der Schwelle. Er hatte die maltraitirte Uniform mit dem Staatsrocke vertauscht. »Nur immer herein!« ermunterte ihn Blücher. »Es ist grad die rechte Zeit zur Gratulation!« »Das will ich auch thun!« antwortete der Spezereihändler. »Herr Wachtmeister, ich habe Euch Einiges zu sagen!« »Und ich Ihn Einiges zu fragen! Hat Er den Schimmel verkauft?« »Ich hatte ihn wieder verkauft, weil – weil – – weil – – « »So! Er ist ja ein ganz außerordentlicher Himmel-Mohren-Elementer!« »Verzeihung, Herr Wachtmeister, es ist anders geworden; Ihr könnt den Apfelschimmel behalten. Und was Eure Tochter betrifft, so – so – so – –« »Nun? So – so – so – –?« »So könnt Ihr sie auch behalten!« »Ah, sehe Er doch einmal an! Sie gefällt Ihm wohl nicht mehr, seit Er todtgeschossen worden ist? Wie ist es Ihm denn eigentlich ergangen, seit – –« »Ich bin verlobt,« unterbrach ihn Hiller vorsichtig, »und habe von meiner Braut den Auftrag bekommen, dem Unteroffizier Wildebrandt hier diese dreihundert Thaler zum Angebinde auszuhändigen!« »Und ich,« setzte Blücher hinzu, »füge dieser Summe fünfzig Dukaten bei, die ein Freund des Unteroffiziers ihm schenken will. Hier sind sie!« »Himmel-Mohren-Element!« rief Pappermann und machte mit seinem Stuhle einen Satz, als wolle er durch die Stubendecke reiten, »wenn es in dieser Weise von allen Seiten Geld regnet, so ist mir der Schwiegersohn natürlich willkommen!« »Die dreihundert Thaler nehme ich an,« meinte Wildebrandt, am
ganzen Gesichte lachend. »Was aber die fünfzig Dukaten betrifft, so ist der Schimmel mit bei dem Preissprunge gewesen. Erlauben der Herr Lieutenant, daß sie ihm zu Gute kommen?« Blücher nickte zustimmend. »Hier, Herr Schwiegervater, sind die Füchse. Bauen Sie den Schuppen aus und kaufen Sie Futter und Streu für das gute Thier!« Der Satz, welchen Pappermann jetzt mit seinem Stuhle machte, war vollständig unbegreiflich; er hätte ihn auf dem Apfelschimmel nicht kühner und höher machen können. »Ist's wahr, Wildebrandt, Goldkerl?« frug er aufspringend und die Arme ausbreitend. »Komm an mein Herz, Junge, ich muß Dich küssen!« Er schob den Schnurrbart auf die Seiten und gab dem Unteroffizier, ihn herzlich an sich drückend, einen schallenden Schmatz. Dann faßte er die Tochter am Arme und schob sie dem Geliebten zu. »Da habt Ihr Euch, Ihr Himmel-Mohren-Elementer! Herr Lieutenant, Sie haben Ihr Wort ganz prachtvoll gehalten. Als ich noch bei den Belling-Husaren stand, gab es wohl auch Offiziere, die sich gewaschen hatten, aber wie den Herrn von Blücher habe ich keinen gekannt. Der Hiller hat Seine, der Wildebrandt hat Seine und ich – ich habe auch Meinen, nämlich den Apfelschimmel, und der ist mir lieber als alle Medaillen, die ich bekommen habe; sie sind mir doch wieder verloren gegangen. Wenn ich Etwas zu befehlen hätte, Herr Lieutenant, so wären Sie in zwei Jahren Oberst, in vier Jahren General und in sechs Jahren Feldmarschall. Der richtige Kerl sind Sie dazu. Amen!«
Der Pflaumendieb Humoristische Episode aus dem Leben des alten Dessauers von Karl Hohenthal
I. Der Werber Die Dorfstraße herauf kam ein alter Kerl gegangen, dessen Aussehen nicht eben sehr empfehlend genannt werden konnte. Er trug ein Paar alte, beschmutzte Drellhosen und eine schwarze Kutte, über deren Kragen ein roth und gelb getüpfeltes Halstuch geschlungen war, dessen zwei Zipfel bis über die breite Brust herabhingen. Die grob gearbeiteten Knöchelschuhe an seinen Füßen hatten sicher schon seit Monaten weder Wichse noch Schmiere gesehen; der Zopf, welcher ihm am hintern Theile des Kopfes hing, war zersaust, vielleicht vom Streichen durch dichten Wald und Busch; der riesige Dreispitz auf seinem Haupte hatte sichtlich schon manchen Krawall miterlebt, und der stark mit Eisen beschlagene Knotenstock in seiner Hand trug nur dazu bei, den martialischen Eindruck der ganzen Persönlichkeit zu erhöhen. Bei einem Hause angekommen, über dessen Thür die Inschrift »Erbschenke zum wilden Mann« zu lesen war, bog er auf dasselbe ein und trat in die niedrige, verräucherte Gaststube, wo er außer der Wirthin einen Mann bemerkte, welcher die hinterste Ecke eingenommen hatte. »Guten Morgen, Alte,« grüßte er mit tiefer Baßstimme, »gebe Sie mir einem Genêvre!« »Scheneber? Den haben wir nicht. Ich denke, ein Kornschnaps wird auch gut genug für Ihn sein,« antwortete sie, einen geringschätzenden Blick auf seine staubbedeckte Gestalt werfend. »So? Meint Sie das wirklich? Ja, Sie scheint eine fürchterliche Weisheit zu sein, das sieht man ja gleich an Ihrer allerliebsten Gurkennase, auf der die Warzen sitzen wie die Blattläuse am Sauerampfer! Aber Genêvre hat Sie doch, Sie alte Lügnerin. Her damit!« Die Frau ließ ein zorniges Schnaufen durch die soeben beschriebene Nase vernehmen. »Was bin ich, und wie nennt Er mich, Er Grobsack und Landstreicher? Eine Lügnerin? Will Er mir das wohl gleich beweisen, he?«
»Halte Sie Ihr Plapperment, sonst schlage ich Ihr den Grobsack um die Flattusenhaube, daß Ihr der Landstreicher in alle Ewigkeit vor den Augen flimmert! Steht etwa dort auf der Flasche nicht groß und deutlich genug ›Wachholder‹ geschrieben?« »Ja, Wachholder, aber doch nicht Scheneber, oder wie Sein albernes Zeug heißen soll!« »Da sperre Sie einmal den Mund auf und merke Sie sich das, was ich Ihr sagen werde!« Er faßte sie bei beiden Schultern und brüllte ihr mit einer wahren Donnerstimme in die Ohren: »Wachholder und Genêvre ist ganz ein und dasselbe! Hat Sie es kapirt, he? Und nun schenke Sie ein, sonst bewachholdere ich Sie, und das gehörig!« »Herrjesses, hat der Mensch eine Stimme! Das ist ja grad, als hätte man es mit Löwen und Elephanten zu thun! Will Er denn einen Großen oder einen Kleinen?« »Nehme sie den Stamper da oben herunter; aus Ihren Finkennäpfen trinke ich nicht!« »Den Stamper dort? Ja, der kostet zwei gute Groschen. Hat Er Geld?« Sein Auge blitzte halb zornig und halb belustigt auf. »Will Sie mir wohl nun endlich einmal den Schnaps geben, oder soll ich nachhelfen!« Diese Worte waren nicht sehr laut aber in einem eigenthümlichen Tone gesprochen, welcher kein weiteres Zögern zuließ. Die Wirthin schenkte das Glas voll und stellte es vor ihn hin. »So, da! Er ist ein Grobian erster Sorte. Ich glaube kaum, daß sich der alte Dessauer mit Ihm messen kann, und der hat's doch gewißlich weg!« »Ah, hat der's wirklich weg! Hab viel von ihm gehört; möchte ihn nur auch 'mal sehen!« »Na, da behüte mich der liebe Gott, dabei zu sein! Da würden die Grobheiten niederprasseln wie ein Hagelwetter. Ihr Zwei paßt gut zusammen.« »Meint Sie? Hat Sie ihn denn schon gehört?« »Nein. Ich habe ihn blos einmal von Weitem gesehen und bin auch ganz froh, daß er mir noch nicht zu nahe gekommen ist. Wer ist Er denn eigentlich, he?« »Das geht Sie den Teufel an. Aber rathe Sie doch einmal! Für
wen oder was hält Sie mich?« »Hm, Unsereins kennt seine Leute und wenn sie auch einmal in einem andern Rocke stecken. Euer Schnurrbart und der Soldatenzopf, die verrathen Euch. Ihr seid ein Unteroffizier und geht auf den Rekrutenfang.« »Alle Wetter, Alte, ist Sie scharfsinnig! Na, wenn ich mich so schlecht verstellen kann, so werde ich verteufelte Geschäfte machen.« Der Mann in der Ecke horchte auf. Seine schmale, niedere und zurückgebogene Stirn, welche in eine speckartig glänzende Glatze verlief, die weit auseinander stehenden kleinen, stechenden Augen, die scharf geschnittene Habichtsnase, die dünnen, bartlosen Lippen und das kurze, spitze Kinn, in welches sein Gesicht verlief, gaben demselben etwas entschieden Raubvogelähnliches, was durch den Ausdruck der Salbung, der auf seinen Zügen lag, eher vermehrt als vermindert wurde. Als jetzt die Wirthin die Stube verließ, erhob er sich von einem Platze und trat herbei. »Ist es erlaubt, bei Euch Platz zu nehmen?« »Ich werde Ihn nicht fressen!« »Es ist nicht gut, so allein zu sitzen; ich liebe die Langeweile nicht.« »So mache Er sie sich kurz!« »Ihr seid Werber?« »Hm, ja, wenn ich es richtig nehme. Warum?« »Weil ich Euch dann noch etwas zu fragen hätte.« »So frage Er!« »Sieht Er diesen Gulden hier?« »Hält Er mich etwa für blind? Er reckt ihn mir ja weit genug unter die Nase her.« »Diesen Gulden kann Er sich verdienen.« »Ah! Womit?« »Mit einer Auskunft, die Er mir giebt.« »Worüber?« »Ueber einen Mann, den ich suche.« »Wer ist's?« »Ein Schwindler und Betrüger, der sich für den Grafen Arthur von Hellbach ausgiebt.« »Ist mir noch nicht begegnet; kenne überhaupt die Hellbachs gar
nicht!« »So! Dann hat er sich wohl einen andern Namen beigelegt. Ich bin sehr genau unterrichtet, daß er sich hier unter die Soldaten stecken will.« »Ist nicht geschehen; würde ihn sonst kennen, denn ein neuer Offizier spricht sich schnell herum.« »Offizier ist er jedenfalls nicht, denn da hätte er sich beim Fürsten melden und seinen wahren Namen sagen müssen. Er ist sicher als Gemeiner unter die blauen Lumpen gegangen.« »Wohin? Unter die blauen Lumpen? Wird Er mir wohl sagen, wen Er unter diesen blauen Lumpen versteht?« »Das könnt Ihr Euch wohl denken!« »Nein. Heut ist Sonntag, und Sonntags habe ich mir all mein Lebtage nichts Gescheidtes denken können. Also heraus damit!« »Es bleibt drin, denn Ihr seid Werber, und ich will Euch nicht beleidigen.« »Das will ich Ihm auch gerathen haben, Er Himmelhund! Was hat es denn eigentlich mit Seinem Arthur von Hellbach für eine Bewandtniß, he?« »Das ist ein Geheimniß.« »So behalte Er es für sich! Warum aber zerbricht Er sich denn erst das Maul darüber?« »Na, Euch könnte ich es schon anvertrauen, denn wenn Ihr noch nichts von ihm gehört und gesehen habt, so ist es doch möglich, daß Ihr ihm noch begegnet. Die Hellbachs sind nämlich österreichisch und eine sehr reiche Familie, welche in zwei Linien getheilt war, von denen die eine vor Jahreszeit ausstarb. Das Erbe ist also auf die andere übergegangen. Der verstorbene Hellbach war unverheirathet, und dennoch meldete sich nach seinem Tode ein Mensch, welcher sich für seinen Sohn ausgab und Anspruch auf die Hinterlassenschaft erhob. Natürlich wurde er als Betrüger hinter Schloß und Riegel gebracht, zerbrach aber die Eisenstäbe vor dem Fenster seines Gefängnisses und entkam. Er wurde zwar von einer aus sechs Mann bestehenden Patrouille erwischt, doch war es derselben unmöglich, ihn zu halten. Vier Mann schlug er nieder, und die andern zwei salvirten sich.« »Sechs Mann? Und die Eisenstäbe zerbrechen? Das muß ja ein ganz sakerment'scher Schlingel sein!« »Ja, er ist ungeheuer stark. Seine Spur blieb lange Zeit verloren,
bis man sie in Sachsen wiederfand. Er ist jetzt hier im Lande und geht ganz sicher unter die Soldaten, um sich unter dem bunten Rock zu verbergen. Ihr habt mir zwar keine Auskunft geben können, aber hier ist der Gulden; er soll Euer sein, denn ich denke, daß wir einander wiedersehen werden, wo Ihr mich dann vielleicht besser berichten könnt.« »So also ists gemeint! Habe ich denn wirklich eine so armselige Physiognomie, daß Er mir zutraut, Seinen Spion zu machen? Er ist wohl ein Wiener Polizist? Da nehme Er sich nur ja in Acht, daß Er nicht selbst bei der Parabel genommen wird, denn der Dessauer leidet kein solches schleichendes Gewürm in seinem Lande.« »Falsch gerathen! Wäre ich ein Polizist, so würde ich mich an die Behörde wenden.« »Na, was hat Er denn sonst für ein Metier? Heraus damit!« »Ich bin Seifensieder.« »So, i der Tausend! Was hat da Seine Seife mit den Hellbachs zu thun?« »Mein Bruder ist Kammerdiener in der Familie; daher kenne ich die Angelegenheit.« »Hm, ja, ja! Stecke Er Seinen Gulden nur immer wieder ein; ein Seifensieder hat nichts zu verschenken, und trolle Er sich ja schleunigst von dannen, sonst richtet Er sich eine Lauge an, die Ihn in die Finger beißt!« Er zog einen wohlgefüllten Leinwandbeutel aus der Tasche und wandte sich zu der wieder eintretenden Wirthin. »Hier hat Sie Ihre zwei guten Groschen; aber das Zeug ist der reine Fusel und keinen Heller werth; hol's der Teufel, und Sie dazu!« – Er verließ die Schenke. Unweit derselben stand die Kirche. Eben läuteten die Glocken zum Beginn des Gottesdienstes. Er trat ein und nahm in einem Stuhle gegenüber der Kanzel Platz. Die nach und nach anlangenden Kirchenbesucher hielten ihre Augen mit ganz absonderlicher Neugierde auf ihn gerichtet; sein Habitus paßte zu wenig in die sonntägliche Umgebung, in welcher er sich befand. Das erste Lied war bereits gesungen, ohne daß er sich an dem Gesange betheiligt hatte. Da kam eine dicke, vierschrötige Bauerngestalt langsam herbeigeschritten und blieb vor ihm halten. »Das ist mein Platz!« »So? Schön, gut!« »Weg also mit Ihm!«
»Ja, weg mit Ihm!« »Hat Er mich verstanden?« »Vollständig.« »Nun, so packe Er sich.« »Nein, ich packe Ihn!« Er erhob sich, faßte den Mann bei den Schultern und drückte ihn mit solcher Nachhaltigkeit auf den Nebensitz nieder, daß dieser in allen Fugen krachte. »So, da hat Er einen Sitz. Der Seinige ist jetzt mein, wie Er sieht!« Der Zurechtgewiesene hielt es um des Kirchenfriedens willen für gerathen, sich zu fügen. Er nahm sein Gesangbuch vor und schlug das eben begonnene Lied auf. Es war das bekannte »Ein' feste Burg ist unser Gott.« Kaum aber hatte er das Buch vor sich hingelegt, so griff der Fremde darnach. »Gebe Er her! Seine Stimme wird ja so nicht viel taugen.« Er warf sich in Positur, strich sich den gewaltigen Zwickelbart zurecht und fiel mit einer Stimme ein, welche donnerähnlich den Gesang und die Orgelbegleitung überschallte. Die Folge davon war eine ebenso augenblickliche wie ungewöhnliche: die Gemeinde schwieg, und der Organist fuhr empor, als ob ihn eine Natter gestochen hätte. Die Donnerstimme sang nämlich das Lied nicht nach der bekannten Kirchenweise, sondern nach der Melodie des Dessauer Marsches »So leben wir, so leben wir, so leb'n wir alle Tage, bei der allerschönsten Saufkompagnie.« Der Organist winkte, die Umsitzenden lachten – doch das war vergeblich, denn je größeres Aufsehen sein Gesang erregte, desto lauter ertönte seine Stimme, und selbst als der Orgelspieler alle Register zog und die Melodie mit vier Manualoktaven und doppeltem Pedale unisono intonirte, war der fürchterliche Baß noch deutlich zu hören nach der Melodie »des Mittags bei dem Branntewein, des Abends bei dem Bier.« Da kam der Küster, vom Pfarrer gesandt, herbeigeeilt und gebot ihm Schweigen. Auch das war vergeblich; er sang weiter, mit einer wahren Wollust im Gesichte und einer Miene, welche verrieth, daß er sich durch nichts stören lassen werde. Es gab nur ein Mittel, ihn zum Schweigen zu bringen: der Prediger mußte die Kanzel besteigen und seinen Vortrag beginnen. Er that es. Nach der gebräuchlichen Einleitung kam er zum
Thema, welches nicht in einem Bibelworte, sondern in dem Verse bestand: »Die Sünd' ist mächtig, und ihr Fürst Droht aller Welt Verderben, Weil er nach unsern Seelen dürst't, Der Höll' sie zu vererben.« Der Fremde hatte sich beim Beginne der Rede niedergesetzt, jetzt aber fuhr er in die Höhe und blickte mit funkelnden Augen zur Kanzel empor. Was bisher eine reine Unmöglichkeit gewesen war, die Einmischung eines Kirchgängers in die Predigt, es geschah: »Halt, Ruhe, nicht weiter gemuxt!« erklang der lautschallende Befehl. »Wie kann Er es wagen, von der Kanzel herab gegen Seinen Fürsten zu rebelliren! Was sagt Er, was ich thue? Ich drohe aller Welt Verderben? Ich dürste nach Euern Seelen? Ich will sie in die Hölle spediren? Er ist abgesetzt, abgesetzt auf der Stelle und wird krummgeschlossen, daß es knackt! Die Kirche ist aus; packt Euch nach Hause!« Hätte der Blitz mitten in die Versammlung hineingeschlagen, der Schreck wäre nicht größer gewesen als das Entsetzen, welches jetzt auf allen Gesichtern zu lesen war. Der Pfarrer faßte sich zuerst. »Wer ist Er?« »Wer ich bin? Donner und Doria, ich glaube gar, er kennt nicht einmal Seinen – ja so, Er stammt aus Sachsen, wurde vom Konsistorialrathe eingesetzt und ist erst eine Woche im Amte; Er kann mich also nicht kennen! Ich heiße Leopold, versteht Er mich? Fürst Leopold von Anhalt-Dessau und so weiter. Ich werde Ihn lehren, mich in der Kirche vor meinen Unterthanen zu schimpfiren! Steige Er herab; mit Ihm ists Matthäi am Letzten!« 1 Der Geistliche hatte von den Eigenthümlichkeiten des Fürsten gehört; er wußte auch, daß dieser nur eine einzige Melodie zuwege brachte und alle möglichen Lieder nur nach dieser sang – den Dessauer Marsch. Er begriff die Situation und entgegnete daher: »Mit dem ›Fürsten‹ waren doch nicht Ew. Durchlaucht gemeint.« »So? Wer denn, wenn ich fragen darf?« »Der Teufel.« »Der Teu – –« Das Wort blieb dem alten Knasterbart im Munde
stecken; er stand mit weitgeöffneten Lippen da und staunte über sich selbst. »Alle Wetter, habe ich da einen Schnitzer gemacht! Es ist ja wahr, daß Ihr Pastoren den Satanas mit solchen Titeln beehrt, die der Kerl gar nicht verdient! Na, da bleibe Er also oben und fahre Er in Seiner Rede fort. Ich habe Ihn nicht selbst installirt und bin also gekommen, um zu sehen, ob Er Seine Sache versteht. Also vorwärts, weiter!« Er setzte sich wieder nieder und beachtete nicht die erstaunten und verwunderten Blicke, welche die anwesende Versammlung auf ihn warf. Der Pfarrer setzte seine unterbrochene Predigt fort. Er war ein junger Mann, der sich in die gegenwärtige Lage gut zu schicken wußte. Er bemühte sich, den kräftigen Anschauungen seines hohen Patrones gerecht zu werden, und dies gelang ihm so vollständig, daß die strengen Züge des Fürsten einen immer befriedigteren Ausdruck annahmen, der am Schlusse der Rede in ein höchst beifälliges Kopfnicken überging. Der darauf folgende Theil des Gottesdienstes verlief ohne weitere Störung. Nach Beendigung desselben winkte Leopold den Organisten zu sich. »Trete Er einmal hierher; so! Wie hoch beläuft sich Sein Gehalt?« »Vierzig Gulden für die Schule und fünfzehn für das Orgelspielen.« »Das ist zu wenig für so einen Spielmann, wie Er ist. Er hat Seine Sache besser gemacht als Alle, die ich bisher gehört habe. Die Orgel hat ja förmlich Zetermordio gebrüllt, und Seine Begleitung meiner Stimme ist ganz unvergleichlich gewesen. Ich glaube, ich habe noch nie so schön gesungen wie heut. Aber Seine Gemeinde ist nicht weit her; das Volk hat dagesessen und zwar das Maul aufgerissen, aber gesungen hat Keiner. Er muß eine bessere Stelle haben. Melde Er sich bei mir, sobald Er von einer Vakanz hört. Hier hat Er etwas!« Er zog den Beutel und drückte ihm ein Goldstück in die Hand. Der Mann war fast noch mehr erstaunt als erfreut, eine Belobigung zu erhalten, wo er gerade das Gegentheil erwartet hatte. Die Musik war eine der schwächsten Seiten des Fürsten, der so wenig Tongehör besaß, daß ihn die fürchterliche Dissonanz zwischen seiner Stimme und der Orgel ganz außerordentlich angesprochen hatte.
Nun trat er in die Sakristei, welche der Pfarrer noch nicht verlassen hatte. »Höre Er, ich bin ganz zufrieden mit Ihm. Er hat den richtigen Schick, es den Leuten an das Herz zu legen. Und damit Er sieht, daß ich das zu würdigen weiß, werde ich mich bei Ihm zu Mittag laden. Er hat doch eine Frau?« »Allerdings, fürstliche Durchlaucht. Ich fühle mich glücklich bei so hoher Ehre, doch weiß ich nicht, ob unsere einfache Küche – – –« »Papperlapapp!« fiel ihm Leopold in die Rede; »ich verlange keine indischen Schwalbennester und keine amerikanischen Bärentatzen; ein Stück Fleisch mit Gemüse oder meinetwegen auch eine Schüssel Hirsebrei ist gut genug. Rechts um; vorwärts marsch in die Pfarre!« Als sie ankamen, stand die Pfarrerin eben vor dem Herde und schlug Eier in die Pfanne. »So ists recht,« meinte der Fürst; »zähle Sie getrost ein Dutzend mehr hinein. Was kocht Sie denn dazu?« »Gebackene Pflaumen.« »Donnerwetter, das ist mein Leibgericht, das mir die Anneliese wöchentlich wenigstens einmal vorsetzen muß. Ihr Leute von der Geistlichkeit habt keinen schlechten Geschmack!« Das dralle, nette Weibchen war nicht wenig erstaunt über die ungenirte Weise, mit welcher sich dieser fremde Mann einführte, und sah den Pfarrer fragend an. Dieser beeilte sich, das Versäumte nachzuholen. »Liebe Frau, unserem Hause widerfährt heute eine ganz absonderliche Gnade und Ehre. Unser hoher Gast ist – – –« »Schnickschnack!« unterbrach ihn Leopold. »Ich bin der Dessauer und habe Hunger, weiterer Worte bedarf es nicht.« Jetzt erschrak die Frau auf das Heftigste. »Mein Gott, ists möglich! Da mögen Ew. Durchlaucht nur Nachsicht üben, wenn mein Essen – – –« »Still! Ruhe! Nicht gemuxt! Leckereien mag ich nicht, aber wenn Sie mir Etwas vorsetzt, so muß es genug sein, denn ich schlage keine üble Klinge. Spute Sie sich; ich habe nicht lange Zeit und werde in der Stube warten, bis angerichtet ist.« Der Pfarrer folgte ihm in das Zimmer. »Er ist ein Sachse, wie ich gehört habe?« »Ja.«
»Woher?« »Aus Dresden.« »Ah, wo meine guten Freunde wohnen, der Kukuk mag sie reiten! Ich werde schon noch einmal über sie kommen, darauf kann Er sich verlassen! Wie ich hörte, war Er bisher Erzieher?« »Beim Grafen von Glachau, Durchlaucht.« »Warum hat Er diese Stelle quittirt?« »Der Graf starb als Wittwer, und die beiden Kinder, ein Sohn und eine Tochter, kamen unter die Vormundschaft des Ministers von Brühl, mit dem ich nichts zu thun haben mochte.« »Höre Er, da ist Er mein Mann! Ich mag den Kerl auch nicht leiden. Aber warum wandte Er sich denn gerade in das Dessauische?« »Ew. Durchlaucht Gesandter, Geheimerath von Raumer, ist mir verwandt. Von ihm erhoffte ich eine Anstellung, die mir auch geworden ist.« »Da hat Er einen gar wackern Vetter, und ich werde ihm meine Anerkennung ausdrücken dafür, daß er mir einen so guten Kanzelredner in das Land gezogen hat. Ich bin mit Ihm zufrieden, denn Er spricht, wie Ihm der Schnabel gewachsen ist, und redet keinen solchen frommen Syrup, wie man ihn von den meisten Geistlichen zu schlucken bekommt. Wer nicht an die Bibel glaubt, der ist ein Hundsfötter, den man hängen sollte, aber deshalb braucht man nicht zu himmeln und die Augen zu verdrehen, als ob sie in einem Leierkasten stäken. Es kommen in der Bibel Dinge vor, über die man sich ganz verteufelt ärgern kann.« »Darf ich ein Beispiel davon hören, Durchlaucht?« »Warum nicht! Was hält Er von der Strategie, Taktik und Heeresorganisation, wie sie in der Bibel vorkommt? Wenn ich so einen Kerl wie Josua, Gideon, Saul und wie sie alle heißen, in meinem Regimente zu Halle hätte, er müßte mir alle Tage Spießruthen laufen. Es ist abscheulich, was diese Menschen für Schnitzer machen. Diese Ammoniter, Moabiter und Moskowiter verstehen nicht zu exerziren, noch zu manövriren; ich glaube, es hat damals noch gar keinen richtigen Korporal gegeben. Und dieser Simson hantirt gar mit einem Eselskinnbacken, statt mit einem Säbel. Wäre ich ein Philister gewesen, ich hätte ihn bekinngebackt, daß ihm angst und bange geworden wäre!« Er wurde in diesen sonderbaren Reflexionen durch ein Mädchen
unterbrochen, welches eintrat, um den Tisch zu decken und einen Vortrunk zu kredenzen. Von ungewöhnlich hoher und voller Gestalt, war sie trotz dieser Verhältnisse eine Schönheit ersten Ranges zu nennen, was auch Leopold durch einen ihm unbewacht entschlüpfenden Ausdruck der Bewunderung bekundete. »Sakerment! Hm, ja, hätte bald Etwas gesagt. Aber lasse Sie das Dienern und Verbeugen! Sie hat es zwar ganz prächtig exerzirt, aber ich mag solchen Firlefanz nicht gern leiden. Komme Sie doch 'mal näher!« Sie trat zum Stuhle, auf welchem er Platz genommen hatte. »Hierher! So! Achtung, Arme an den Leib, Kopf in die Höhe, Augen grad aus! Jetzt ists richtig. Wer ist denn die Jungfer? Seine Tochter kann sie nicht sein.« »Sie ist eine – eine – eine Verwandte, Durchlaucht,« antwortete der Pfarrer mit einigem Stocken, »die sich zur Unterstützung meiner Frau bei uns befindet.« »Verwandte? Unterstützung? Hm, von so einem Prachtmädel könnte ich mich auch unterstützen lassen. Hat Sie einen Liebsten?« »Nein, Durchlaucht,« antwortete sie erröthend über die etwas indiskrete Frage. »Keinen? So! Hm, das ist schön! Donnerwetter, da fällt mir Einer ein, der wie für Sie gewachsen ist, ein reputirlicher Kerl, lang, stark, gescheidt und muthig. Hm, ja, das gäbe ein Paar, über das man seine Freude haben könnte. Sage Sie doch einmal, hat Sie von der Anneliese gehört?« »Durchlaucht meinen Dero Frau Gemahlin?« »Ja, ich meine meine gute Alte. Sie hat einige Dutzend Jahre mehr auf dem Rücken wie die Frau Pastorin und braucht also eine Unterstützung nöthiger. Hat Sie Lust, zu ihr nach Dessau zu gehen?« »Durchlaucht!« erklang es mehr erschrocken als erfreut. »Na, na, na, Sie braucht darüber nicht gleich aus Rand und Band zu fahren. Meine Liese ist ein gutes Weibsen und wird Sie nicht verschlingen. Also, will Sie?« »Die Gnade, welche Durchlaucht mir zugedenken, ist groß, aber ich möchte meine – meine Muhme doch nicht gern verlassen, weil – weil – –« »Nun, weil – –?« »Weil sie zuweilen an Zufällen leidet, welche schnelle weibliche
Hülfe erfordern.« »Papperlapapp! Meine Anneliese hat ganz dieselben Zufälle; Ihr Grund fällt also weg. Sie hat keine Lust, das sehe ich gar wohl, aber das wird Ihr nicht viel helfen. Ich habe einen Plan mit Ihr. Also Sie geht nach Dessau?« »Durchlaucht – –!« Sie vermochte nicht, den Ausdruck der Besorgniß, welcher in ihren schönen, feinen Zügen lag, zu beherrschen, und auch das Gesicht des Pfarrers war höchst ernst geworden. »Sie will nicht? Gut, so muß Sie; punktum, dabei bleibts! Morgen Mittag zwölf Uhr hat Sie sich auf dem Schlosse mit Sack und Pack einzufinden; kommt Sie nicht, so lasse ich Sie holen. Verstanden? Und nun mache Sie sich an Ihre Arbeit!« Dieses Intermezzo war von einem sichtlich beängstigenden Eindruck auf die drei Personen der pastorlichen Familie, und auch der Fürst zeigte in Folge des Widerstandes, den er gefunden hatte, einige Verstimmung, die auch nicht wieder wich, bis er sich zum Aufbruch rüstete. »Jetzt gehts wieder fort. Wenn Er einmal nach Dessau kommt, so spreche Er mit bei mir vor; Er soll auch eine Suppe und ein Dutzend Rühreier haben. Und liegt Ihm einmal Etwas am Herzen, so wende Er sich nur getrost an mich; ich habe es gern, wenn Leute, mit denen ich zufrieden bin, von der Leber weg reden. Und Sie, Frau Pastorin, lasse Sie Ihre Zufälle und habe Sie Dank für Ihre Gastfreundlichkeit! Ihre Pflaumen waren gut. Das Mädel aber schicke Sie mir nach Dessau, sonst könnte trotz Ihrer Pflaumen ein Wetter losdonnern, das Ihr monatelang vor den Augen leuchtet. Ordre parirt, merkts Euch, und damit adieu!« Er ging. Bei jedem Gute und jedem Hause, an welchem er vorüberkam, fuhren die Köpfe durch die geöffneten Fenster, und die Jugend trollte in respektvoller Entfernung hinter ihm her, bis er das Dorf im Rücken hatte. Bis Dessau waren einige Wegestunden zurückzulegen; die Sonne brannte trotz der vorgerückten Jahreszeit heiß hernieder; darum mäßigte er seine Schritte, bis er in den Wald gelangte, in dessen Schatten er schneller vorwärts kam. Eine Biegung des Weges überwindend, bemerkte er vor sich eine Gestalt, welche sofort seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. »Sapperlot ist das ein Kerl! Der könnte ja gleich Flügelmann bei
der Potsdamer Garde werden. Achtzig Zoll hat der Kerl wenigstens, Schultern wie Simson, Hüften wie Goliath, und Schenkel wie – wie – na, der Teufel kann wissen, wie die Riesen damals alle geheißen haben; ich glaube, es war auch ein Herr Kules mit dabei! Wer mag der Mensch sein? Jung ist er auch, das sieht man am Gange und der Haltung. Ich werde ihm einmal auf den Zahn fühlen!« Er verdoppelte seine Schritte und hatte den Gegenstand dieses Selbstgespräches in kurzer Zeit erreicht. Dieser war ein Jüngling von höchstens vierundzwanzig Jahren und zeigte allerdings eine Figur, welche jeden Werber in Entzücken versetzen konnte. Seine offenen, ehrlichen Züge nahmen den Fürsten sofort für ihn ein; es lag etwas beinahe Militärisches in seinem Wesen, und seine Bewegungen hatten eine Art eleganter Sicherheit, welche bei dem Sohne des Volkes nur selten anzutreffen ist. »Guten Tag!« lautete der populäre Gruß Leopolds. »Schönen Dank!« »Woher des Weges?« Der Jüngling warf einen prüfenden Blick auf den Frager und antwortete dann: »Von Sachsen herein.« »Und wohin?« »Zunächst nach Dessau.« »Was will Er dort?« »Will mir eine Anstellung suchen, wenns möglich ist.« »Als was?« »Hm, als Gärtner oder so dergleichen.« »Als Gärtner? Giebts denn nichts Besseres für Ihn?« »Was denn zum Beispiel?« »Nun, Soldat! Darauf muß doch ein Kerl, wie Er ist, ganz von selbst kommen. Ich glaube, der Dessauer würde Ihn mit Freuden in sein Regiment aufnehmen.« »Denkt Er?« »Ja, ich denke es. Hat Er nicht ein Lüstchen, he?« »Hm, das schon, aber – – –« »Nun, was aber – – –?« »Ich habe nicht Lust, mich malträtiren zu lassen!« »Malträtiren? Von wem denn, wenn ich fragen darf? Was will Er damit sagen?« »Nun, vom Korporal, vom Feldwebel, von den Offizieren bis
hinauf zum Obersten und endlich auch vom Fürsten selbst.« »Alle Teufel, das wäre allerdings ein ganz verdammtes Malträtement! Und das sagt Er mir so frei und offen in das Gesicht, Er Mohrenelementer Er? Damit verdient Er Himmelhund ja eben, daß man Ihn malträtirt!« Bei dieser Ausdrucksweise glitt das Auge des jungen Mannes wie unter einem plötzlichen Erkennen über die Gestalt des Fürsten, nahm aber schnell seinen vorigen Ausdruck wieder an. »Wer ist Er denn, daß ich Ihm das nicht sagen soll?« »Ich? Hm, ich bin – na, ich kann es Ihm ja sagen: ich bin ein Werber.« »Ohne Montur?« »Ohne Montur, denn so macht man den besten Fang. Und wie heißt Er?« »Franz Baldauf.« »Woher?« »Aus Bautzen.« »Was für ein Metier?« »Gärtner.« »Hat Er Papiere bei sich?« »Natürlich.« »Zeige Er sie 'mal her!« Der Aufgeforderte griff in die Tasche und reichte ihm das Verlangte hin. Leopold warf einen Blick hinein. »Richtig; das stimmt – aber, Donnerwetter, was ist denn das mit der Größe? Da steht ja siebzig Zoll, während Er über achtzig mißt!« »Siebig? Steht das wirklich dort? Ich habe das Geschreibsel noch gar nicht so genau angesehen.« »Freilich steht es da. Hier, sehe Er einmal her!« »Wahrhaftig. Na, was ists denn weiter? Der Kerl hat sich jedenfalls verschrieben!« »Anders kann es ja gar nicht sein; aber bei Seiner Figur eine Siebzig für eine Achtzig zu machen, dazu gehört eine geradezu fürchterliche Dummheit. Die Papiere wird Er mir gleich lassen!« »Oho! Wozu denn?« »Nun, weil ich Ihn anwerbe.« »Ohne mich weiter zu fragen?« »Ohne! Passe Er auf, wie schnell das geht!« Er zog den Beutel, nahm einige Goldstücke heraus, schob sie
ihm in die Außentasche seines Rockes, nahm ihm die Mütze vom Kopfe und setzte ihm an ihre Stelle den eigenen Dreispitz auf. Dies geschah allerdings mit einer Schnelligkeit, welche es dem Andern unmöglich machte, es zu verhindern. Er schien auch gar nicht überrascht und bestürzt zu sein, sondern nahm diese Prozedur mit lächelnder Miene hin. »So! Er hat das Handgeld in der Tasche und des Fürsten Hut auf dem Kopfe und gehört also von diesem Augenblicke an in das blaue Regiment, welches zu Halle garnisonirt.« »Hopsa, Alter; da habe ich wohl auch ein Wort zu sprechen!« »Wie so? Der Handel ist abgemacht!« »Noch nicht! Erstens habe ich das Geld zwar in der Tasche, aber angenommen habe ich es nicht. Wenn Er wirklich Werber ist, so muß Er ja wissen, daß Er mir es in die Hand zu geben hat. Zweitens muß Er mir erst noch beweisen, daß diese alte Mottenschachtel wirklich des Fürsten Hut ist. Drittens ist Er in Zivil und kann also einen gültigen militärischen Handel gar nicht abschließen. Und wenn auch diese drei Punkte nicht wären, so bin ich viertens Manns genug, zu thun, was grad nur mir beliebt.« »Ah! Glaubt Er das wirklich?« »Ja!« Im Nu hatte er den Hut wieder mit seiner Mütze vertauscht. »Hier hat Er Seine Filzquetsche wieder; die drei Dukaten behalte ich als Angebinde; Er muß nämlich wissen, daß heut mein Geburtstag ist! Heraus mit den Papieren!« »Gratulire, grutulire!« lachte Leopold ingrimmig. »Aber die Wische werde ich als Andenken an Seinen Geburtstag doch behalten. Er ist Rekrut, und damit basta!« »Er giebt die Papiere heraus, und damit hollah!« »Hole Er sie sich!« rief der Fürst, den Knotenstock erhebend. »Thue er den Prügel weg; Er sieht, daß ich auch so einen Rückenkitzler in der Hand habe!« »Was, Er will sich also ernstlich zur Wehre stellen, Er Hundsfötter Er? Er ist Rekrut, und wenn Er nicht auf der Stelle den Stock wegthut, so lasse ich Ihn füsiliren!« Die Augen des Jünglings leuchteten belustigt auf. Hätte der zornige Fürst auf das Mienenspiel seines Gegners Acht gehabt, so hätte er bemerken müssen, daß dieser errieth, wen er vor sich habe. »Mich füsiliren? Er wäre mir der Rechte dazu! Und den Hundsfötter, den stecke Er nur gleich wieder ein, denn mich geht
das Schimpfwort nichts an. Er ist der Kukuk, der seinen eigenen Namen schreit.« »Wa – wa – waaaaas? Der Hundsfötter bin ich selber? Himmel-, Hagel- und Graupelwetter, das hat mir noch Niemand geboten, das ist zu arg, das steigt mir in die Faust; hier – hier hat Er Eins, und noch Eins, und noch – – –« Er vollendete vor Erstaunen seine Rede nicht. Der erste Hieb war durch eine blitzschnelle Bewegung des Jünglings parirt worden, und bei dem zweiten begegnete der Stock des Letzteren demjenigen Leopolds mit solcher Kraft, daß dieser dem Fürsten aus der Hand und weit fort über die Straße flog. »Donnerwetter,« schnaubte der Entwaffnete, »da fliegt der Knüttel zum Teufel; fahre Er mit, Er Lumpazi Hallunki Vagabundus!« Er faßte den Gegner, der sofort den Stock fallen ließ, bei den Schultern und versuchte, ihn niederzuringen, brachte es aber nicht zu Stande. Mit ausgespreizten Beinen stand der Jüngling lächelnden Angesichtes wie eine Mauer da, ohne sich zu wehren, ohne jegliche Bewegung. Leopold wandte seine ganze Kraft auf, ihn aus dem Gleichgewichte zu heben, vergebens; er fluchte und tobte; sein Grimm wuchs mit jeder neuen nutzlosen Anstrengung, bis er völlig vor Wuth schäumte. »Heiliger Sturmbock, der Kerl ist weiß Gott der leibhaftige Beelzebub; aber ich werde ihn doch noch in die Hölle schicken!« Er trat zurück um auszuholen; er wollte den jungen Mann mit einem gewaltigen Ansprunge niederstürzen, wurde aber, da dieser zur Seite wich, von der Kraft seines Anlaufes auf den Boden geschleudert. Mit einem unartikulirten Schrei der äußersten Wuth erhob er sich wieder. »Bei allen zehntausend Bomben und Granaten, das ist mir noch nie passirt; aber nun ists aus, nun wirds alle, jetzt nimmts ein Ende mit Ihm!« Der Grimm verdoppelte seine Kräfte; das Ringen begann von Neuem – ganz mit demselben Erfolge. Da endlich schien dem Jünglinge die Geduld abhanden zu kommen. »Giebt Er die Papiere heraus?« »Nein, und hundertmal nein!« »So nehme ich sie!« Er legte die Arme um den Fürsten, der sich wie zwischen einem
Schraubstocke fühlte und den Athem verlor; ein rascher Griff dabei, und er hatte seine Papiere zurück; ein nochmaliges Zusammenpressen der wie aus Stahl gebildeten Arme machte den Fürsten zu jedem Widerstande unfähig. »So, jetzt sieht Er, was ein Hundsfötter zu bedeuten hat, Er Schelm und Spitzbube Er, der ehrliche Leute auf offener Straße anfällt, um ihnen die Legitimation zu rauben. Für einen Werber giebt Er sich aus? Ein Galgenstrick ist Er, ein Erzschlingel, den ich arretiren und nach Dessau liefern werde. Marsch vorwärts! Seinen Prügel werde ich tragen, und wenn Er nur den geringsten Versuch macht zu entfliehen, so ist Ihm sein Brod gebacken.« »Was will Er? Mich arretiren? Ihm ist wohl der Tollwurm in den Kopf gestiegen! Weiß Er, wer ich bin? Weiß Er, an wem Er sich vergriffen hat?« »Wer und was Er ist, das wird sich finden. Vorwärts jetzt, allons!« »Ja, das wird sich finden, und zwar sofort! Sieht Er den Wagen, welcher dort kommt?« »Der geht mich nichts an!« »Der geht Ihn sogar sehr viel an, denn wie ich sehe, sitzt darin der Rittmeister Baron von Wehlen, Gesandter am sächsischen Hofe, der Ihm sagen wird, gegen wen Sein Mordanfall gerichtet war.« Wirklich kam im scharfen Trabe ein Wagen herbeigefahren, in dessen Innern ein einzelner Herr saß. Dieser erkannte, in der Nähe angekommen, den Fürsten und gebot dem Kutscher, zu halten. Erstaunt blickte er auf die vom Falle arg beschmutzte Kleidung Leopolds. »Durchlaucht hier?! Wollen Ew. fürstliche Gnaden vielleicht einzusteigen geruhen?« »Ja, wohlan, ich fahre mit; doch zuvor sagt doch einmal diesem Himmelhund, wer ich bin!« »Wer anders als Durchlaucht Fürst Leopold von Anhalt-Dessau, Feldmarschall Excellenz!« »Hört Ers, Er Sakermenter? Will Er mich nun noch arretiren?« Beim Klange des berühmten Namens hatte sich der Angeredete in eine militärisch-stramme Haltung geworfen; er stand da wie ein Soldat vor seinem Generale, doch war nicht die geringste Verlegenheit in seinen Zügen zu bemerken. »Ich gebe Durchlaucht frei.«
»So! Will Er wirklich so gut sein? Und was denkt Er wohl, ob ich auch Ihn freigebe?« »Ich hoffe es nicht.« »Was? Er hofft es nicht? Er will gefangen sein?« »Gefangen allerdings nicht, denn so etwas würde selbst Ew. Durchlaucht nicht gelingen.« »Nun, was denn?« »Ich nehme das Handgeld an. Hier sind die Papiere!« »Donnerwetter, warum hat Er sich denn da vorhin so heidenmäßig gewehrt?« »Uebertölpeln und zwingen lasse ich mich nicht. Was ich thue, das thue ich freiwillig. Hätten mir Ew. Durchlaucht gesagt, wer Sie waren, so hätte ich aus eigenem Antriebe um die Erlaubniß gebeten, in Dero glorreich berühmtes Regiment eintreten zu dürfen.« Das Gesicht des Fürsten nahm einen wohlwollenderen Ausdruck an. »Aber Er hat sich an mir vergriffen!« »Ich kannte Ew. Durchlaucht nicht und war ebensowenig Derjenige, welcher den Streit begann. Auch glaube ich beweisen zu können, daß ich mit möglichster Rücksicht verfahren bin.« »Das ist richtig! Er hat ja eine wirkliche Elephantenstärke und hätte mich zu Brei gemacht, wenn Er gewollt hätte. Kann Er schreiben?« »Ja.« »Schön! Er gefällt mir, und es kann etwas aus Ihm werden. Setze Er sich zum Kutscher. Er fährt mit mir nach Dessau; aber ich hoffe, daß Er sich in Zukunft eine ähnliche Paukerei mit mir nicht wieder einfallen läßt. Den Hundsfötter wollen wir gegenseitig zurücknehmen. Aufgestiegen, vorwärts marsch!« – – –
II. Beim Dessauer Es war am andern Morgen. Am Fenster seines Arbeitszimmers stand Fürst Leopold und neben ihm sein Vetter, der regierende Fürst von Anhalt-Bernburg, Viktor Friedrich, ein junger, mit einem sehr angenehmen Aeußeren ausgestatteter Herr, welcher um die Hand Louisens, der Lieblingstochter des Dessauers, angehalten hatte, eine Werbung, welche den Beifall der jungen Prinzeß hatte und auch von den Eltern nicht abschläglich beschieden worden war. Leopold trommelte mit den Fingern lebhaft an einer Fensterscheibe, ein Zeichen, daß er sich im Zorne befinde. »Also Du sagst wirklich, daß die Hallunken sich wieder in den Anhaltischen Landen breit machen?« »Trotzdem die Bewohner desselben protestantisch sind.« »Sie müssen doch wissen, was ihrer wartet, wenn sie attrapirt werden.« »Lange Gefangenschaft, eventuell noch mehr.« »Schön, mein Junge! Dieses Eventuell wird eintreten, sobald ich einen dieser Schleicher bei mir erwische. Ich halte fest an Gott und weiß es auch, daß er es gern sieht, wenn ihm getrommelt und gepfiffen wird, aber Alles in der rechten Weise. Habe da gestern einen Prediger gehört, der seine Sache aus dem Fundamente verstand; werde ihn vielleicht 'mal zum Feldprediger machen. Aber sich die Haut mit Frömmigkeit beschmieren, während das Herz voll Dreck, Schlamm und Sünde ist, das kann ich nicht leiden, da werde ich wild, da fahre ich reinweg aus der Haut. Und das nennt sich ›Gesellschaft Jesu,‹ hole der Kukuk die saubere Bande! Du meinst also, daß sie besonders in Erbangelegenheiten machen?« »Ja; doch habe ich ihnen die Sache in einigen Fällen verleidet.« »Recht so. Da muß man dazwischen fahren, wie der Teufel damals unter die Schweine; ich glaube, es war bei den Girgesenern, oder wie die braven Leute hießen. Werden auch schönen Speck bekommen haben! Was waren es denn für Fälle?« »Natürlich machen sie sich besonders an die wenigen
Katholiken im Lande. Hatten da einen reichen Bauer vollständig umzingelt, daß er ihnen zu Gunsten ein Testament machte und seine Kinder enterbte. Diese suchten Hülfe bei mir, weil sonst Niemand helfen konnte.« »Hast es doch gethan?« »Natürlich. Ich ließ mir das Testament bringen und zerriß es. Die Erbschleicher suchten das Weite, und dem Tölpel von Bauer habe ich den Kopf wieder zurechtgesetzt.« »Bravo! Wagten sie so etwas bei mir, so wollte ich ihnen eine Erbschaft bereiten, die ihnen schwer zu verdauen sein würde. Weiter!« »Nach Bernburg kommt ein Uhrmacher, gründet ein Geschäft, macht sich an eines der reichsten Nädels in der Stadt, fischt sie auch wirklich weg und heirathet sie. Nach einiger Zeit stirbt der Vater; die junge Frau tritt als einziges Kind das Erbe an, und jetzt erklärt ihr der Mann, daß er eigentlich katholisch sei und aus dem Lande ziehen werde. Die Frau wehrt sich, und er geht ihr mit dem Gelde durch. Aber kurz vor der Grenze haben wir ihn erwischt.« »Und aufgehängt natürlich.« »Nein; der Strick wäre zu gut für ihn gewesen. Er mußte den Raub herausgeben und wurde über die Grenze gestäupt.« »Zu wenig, viel zu wenig, Vetter; bei mir hätte er unbedingt hängen müssen! Du bist zu gut und unvorsichtig, denn der Schlingel wird anderwärts dasselbe Spiel beginnen.« »Die Nachforschungen, welche ich anstellen ließ, haben ergeben daß diese Gesellschaft Jesu uns förmlich zu erobern trachtet. Wir sind zum Zwecke ihrer Propaganda in regelrechte Bezirke getheilt, welche unter Agenten stehen und von Subjekten bearbeitet werden, die nach einem festen, unerschütterlichen Plane handeln.« »Und du meinst, daß Dessau auch zu diesen Bezirken gehört?« »Jedenfalls.« »Das mögen sie sich nur nicht wagen, sonst nehme ich ihre Propaganda, oder wie das Weibsen heißt, beim Kopfe und lasse ihr das Leder gerben, daß man Trommelfelle daraus machen kann!« »Sie werden es dennoch wagen. Ich bin gestern in der Stadt Einem begegnet, der dem gestäupten Uhrmacher so ähnlich sah wie ein Ei dem andern.« »Siehst Du? Nun habe ich das Ungeziefer hier! Hättest Du ihn hängen lassen! Doch ich hoffe, daß ich Deinen Fehler gut machen
kann.« Ein Diener trat ein. »Was willst Du?« »Der Herr Gesandte Geheime Rath von Raumer bittet um Audienz zum Vortrage.« »Mag kommen! Kannst dableiben, Vetter; wir haben keine Heimlichkeiten zu verhandeln.« Der Geheimerath Johann Georg von Raumer trat ein. Er gehörte zu denjenigen wenigen Persönlichkeiten, welche den Fürsten richtig zu nehmen wußten, und sich daher seiner unveränderlichen Gunst erfreuten. »Setzt Euch nieder, Hansjörg, und beginnt mit Euren Neuigkeiten!« befahl Leopold. Der tägliche Morgenvortrag wurde begonnen, und Raumer verstand es, selbst das Unangenehme in eine versöhnliche Gewandung zu hüllen, so daß der Fürst ohne besondere Aufregung bis zu Ende hörte. »Fertig für heute, Hansjörg! Ich habe gestern Deinen Pastor gehört.« »Darf ich hoffen, daß er sich der Zufriedenheit Ew. Durchlaucht erfreut?« »Er ist ein ganzer Kerl, und wir haben mit ihm eine sehr passable Aquisition gemacht. Kennt Ihr das Mädchen, welches er bei sich hat?« »Ja,« antwortete der Geheimerath, indem sich eine leichte Röthe über sein Gesicht zog. »Ein Prachtmädel! Nicht wahr?« »Allerdings.« »Ja, ein Blitzmädel, stramm und fest, gewachsen wie ein Grenadier. Sie wird heut Mittag kommen, hahahaha, als Stütze für meine Anneliese, habe ich gesagt; aber die Sache wird anders: der Franke soll sie heirathen.« »Der Franke?« »Ja. Oder habt Ihr etwas dagegen?« »Was Ew. Durchlaucht thun, ist wohlgethan; da es aber so steht, muß ich mir in dieser Angelegenheit eine Bemerkung gestatten.« »Nun?« »Korporal Franke hat eine Geliebte.« »Ist das wahr?«
»Ich habe mir niemals gestattet, Ew. Durchlaucht ein unsicheres Wort zu sagen.« »Da soll mir der Kerl durch das ganze Regiment Spießruthen laufen und nachher als Extrastrafe das Pastormädel nehmen. Verliebt sich der Mensch, ohne mir ein Wort zuvor zu sagen! Die Welt wird immer böswilliger und ungehorsamer, und es ist wirklich die höchste Zeit, den Gänserich zu rupfen, damit er erfährt, wem seine Federn gehören. Wer weiß, in was für eine Drehpuppe sich der Kerl verschamerirt hat. Wenn meine Blauröcke heirathen, so sollen sie auf tüchtige Rekruten zielen, und dazu ist vor allen Dingen erforderlich, daß ihnen die Frau nicht blos bis an die Hüften reicht.« »Das hat der Korporal jedenfalls im Auge, denn seine Erwählte ist kaum zwei Zoll kleiner als er und dabei brav und wohlhabend wie selten Eine.« »So! Das freut mich; da hat er doch eine Ansicht gehabt, und ich werde ihm also die Spießruthen erlassen. Aber das Pfarrermädel nimmt er doch. Ich habe es beschlossen, und dann wißt Ihr, daß es dabei bleibt. Hat sie etwa auch schon einen Liebsten?« »Ich glaube, nein. Der Pfarrer war heut schon früh wegen ihr bei mir.« »Ah!« »Er hat Ew. Durchlaucht mitgetheilt, daß er Erzieher bei dem Grafen von Glachau war?« »Allerdings.« »Die beiden Kinder desselben kamen nach seinem Tode unter die Vormundschaft des Ministers von Brühl.« »Der beste Freund, den der Dessauer hat. Wenn es nach ihm ging, wäre es längst aus mit mir!« »Eine seiner Kreaturen, ein Federfuchser und Baron ich weiß nicht wie, verlangt für seine geleisteten Dienste die schöne Tochter des Grafen von Glachau von ihm.« »Ist sie wirklich schön?« »Sehr, und gut und lieb dazu.« »So wollte ich, daß der Teufel den Kerl in die Hölle ritte! Also für geleistete Dienste? Gegen wen sind sie denn geleistet worden? Doch nur gegen Preußen und mich? Und dafür soll der Hallunke eine so vornehme, schöne und brave Frau bekommen? Ist sie lang?« »So lang und stark wie der Korporal Franke.« »Donnerwetter, wenn man dem Kerl etwas am Zeuge flicken
könnte!« »Das könnten Ew. Durchlaucht recht gut!« »Wirklich? Inwiefern?« »Emma von Glachau kann den Federfuchser nicht leiden.« »Darum lobe ich sie.« »Der Minister aber will sie zwingen –« »Bekäme ich den Urian einmal zwischen meine Patschen, ich wollte ihn auch zwingen!« »Darum hat sie kurzen Prozeß gemacht und ist entflohen.« »Ausgerissen? Hört, Hansjörg, das ist ein ganzes Weibsen! Ich möchte sie nur einmal sehen!« »Ew. Durchlaucht haben sie bereits gesehen und gesprochen.« »Ich? Wo denn?« »Sie floh aus dem Lande zu ihrem früheren Erzieher, der aus diesem Grunde eine Anstellung in Dessau gesucht hatte.« »Meint Ihr damit etwa Euern Pastor?« »Denselben.« »Himmelbataillon, jetzt geht mir ein Licht auf. Das ist ja eine förmliche Verschwörung gegen mich! Der Hansjörg stellt hinter meinem Rücken einen Pfarrer an, damit ein obstinates Mädel ihrem Vormunde echappiren kann. Ich werde Euch und die ganze Sippschaft krummschließen lassen!« Der Zorn begann sich in ihm zu regen. Raumer ergriff das geeignetste Mittel, ihn zu besänftigen. »Durchlaucht waren abwesend, und ich gab dem Pfarrer die Stelle, ohne von der ganzen Angelegenheit das Geringste zu wissen, und weil ich ihn für einen Prediger hielt, mit dem sein fürstlicher Patron zufrieden sein werde. Er entschied sich deshalb für Dessau, weil er wußte, unter einen starken Schutz zu kommen. Der Minister fürchtet Durchlaucht und wird es nicht wagen, zu Gewaltmitteln zu greifen, was er in jedem andern Falle thun würde.« »Wollte es ihm auch nicht rathen! Aber wenn das Mädel wirklich so ein großes Vertrauen zu mir hat, so soll sie sich nicht täuschen. Sie wird bei mir so sicher sein wie im Schooße Abrahams. Aber, alle Teufel – da kann ja aus der Geschichte mit dem Franke gar nichts werden! Er ist ein ganzer Kerl, das ist richtig, doch eine gräfliche Prinzeß – hm, da habe ich mich in eine schöne Patsche hineingeritten. Helft mir heraus, Hansjörg! Daß ich das Mädel kommen ließ, das macht mir kein Bauchgrimmen; sie wird als
Gesellschaftsdame bei meiner Liese bleiben, die ganz glücklich sein wird, so eine arme verwaiste und malträtirte Glucke unter ihre Flügel nehmen zu können. Aber ich habe auch den Franke bestellt, um ihm seine Braut zu zeigen. Was thue ich mit ihm?« »Durchlaucht können ihm ja irgend einen Auftrag geben.« »Oder ihm die Genehmigung zur Heirath mit seiner Liebsten ertheilen,« fiel jetzt der Bernburger ein. »Hm, so ja ja! Vetter, Du hast nicht ganz unrecht; aber ich kenne das Mädel ja nicht.« »Es wird Dir nicht schwer sein, sie einmal zu sehen.« »Das wohl, aber er hat sich in sie verliebt, ohne mich um Erlaubniß zu fragen; das erfordert Strafe, und ich werde – –« Er wurde durch den eintretenden Diener unterbrochen. »Rittmeister Baron von Wehlen!« »Herein!« Er wandte sich an die beiden Anwesenden. »Der Rittmeister kehrte gestern aus Dresden zurück; ich hatte keine Zeit, seine Anträge zu hören und habe ihn für jetzt bestellt. Gehe zu den Frauen, Vetter, und bringe sie mir hernach herüber; ich habe sie heut noch gar nicht gesehen. Und Euch, Hansjörg, werde ich meine Entschließung in Betreff Eures Schützlings zukommen lassen. Jetzt adieu!« Sie entfernten sich, während Wehlen eintrat. Er schritt drei Schritte vor, schlug die Fersen sporenklirrend zusammen und wartete dann auf die Anrede des Fürsten. Die Unterhaltung bezog sich auf politische Evolutionen, und erst als dieses Thema erschöpft war, zog der Rittmeister zwei Schreiben hervor, welche er Leopold überreichte. »Von wem?« »Aus der Kanzlei des Ministers von Brühl.« »Und das zweite?« »Von seiner Excellenz dem Generalfeldmarschall Prinz Eugenius. Es wurde mir von dem österreichischen Gesandten zur Besorgung anvertraut.« »Was sollte mir dieser Brühl mitzutheilen haben? Weiß Er es vielleicht?« »Ja; der Minister legte mir persönlich an das Herz, den in seiner Zuschrift ausgesprochenen Wunsch bei Ew. Durchlaucht zu befürworten.«
»Nun?« »Es betrifft seine Mündel, die Gräfin Emma von Glachau, welche ihm entflohen ist und nach Anhalt gegangen zu sein scheint.« »Kennt Er die Dame persönlich?« »Ja. Ich wurde ihr vorgestellt.« »Weßhalb entfloh sie?« »Einer ihr mißfälligen Verbindung wegen.« »Wen sollte sie nehmen?« »Den Sekretär von Sanden.« »Den – –! Ein schöner Kerl! Habe seinem Einflusse auf den Minister manchen Aerger zu verdanken. Er soll des Satans Urgroßmutter heirathen, aber nicht die Glachau. Seine Befürwortung behalte Er für sich, Rittmeister. Wir sind fertig. Rechtsum, kehrt, marsch!« Eine scharfe Schwenkung auf dem Absatze, und der Offizier schritt zur Thür hinaus. Kaum hatte er sich entfernt, so erklangen lachende Stimmen auf dem Korridor, die Thür wurde wieder geöffnet und wie ein zum Neste zurückkehrender Vogel flog Prinzeß Louise herein und an seinen Hals. Ihr folgten langsamer die Fürstin am Arme des Bernburgers. »Guten Morgen, Papa!« grüßte Louise, ihn herzlich küssend. »Guten Morgen, Kind!« Und der Fürstin die Hand entgegenstreckend, fügte er hinzu: »Willkommen, Alte! Ausgeschlafen?« »Gut, mein Alter. Du warst schon sehr in Arbeit?« »Wie es sich für einen Fürsten schickt, der ein guter Vater seines Landes sein will! Setzt Euch! Wo bleiben denn die Andern?« »Die sind im Parke exerziren bei Korporal Franke.« »Recht so! Wer jung gedrillt wird, erspart es im Alter. Du hast Fräulein von Mitagsheim Urlaub gegeben?« »Auf einige Wochen,« erwiderte die Fürstin. »Sollst in ihrer Abwesenheit eine andere Gesellschafterin haben, ein braves Frauenzimmer, das von seinen Feinden gehetzt wird und bei Dir Schutz sucht.« »Wer ist es?« frug Anna Louise verwundert, da sich der Fürst nur höchst selten um ihre Damen zu bekümmern pflegte. »Eine Gräfin von Glachau aus Dresden. Brühl will sie zwingen,
einen Skribifax zu heirathen; da ist sie entflohen und soll bei Dir Hülfe finden. Heut Mittag trifft sie ein. Hier ist der Brief, welchen der Minister mir schreibt. Ich habe ihn noch gar nicht geöffnet. Lies ihn einmal vor, Louise!« Die Prinzeß ergriff das Schreiben, brach das Couvert auf und entfaltete den Bogen. Der Minister stellte die Angelegenheit in seinem Sinne dar, bat um sofortige Auslieferung der Flüchtigen, falls sie, wie sich aus den Spuren vermuthen lasse, in den Anhalt-Dessauischen Landen eine Zuflucht suche, und drohte im Verweigerungsfalle mit ernsten Maßregeln, zu denen er sich dann veranlaßt sehe. Der Fürst hörte den Brief bis zum Ende ruhig an; bei der letzten Wendung aber brauste er zornig auf. »Der Teufel hole den Kerl! Ich mache mir den Kukuk aus seinen Maßregeln, und wenn sie so ernst sind, daß ihm selbst die Haare dabei zu Berge stehen! Ich bin souveräner Fürst des deutschen Reiches und brauche mir keine Vorschriften vortrommeln zu lassen. Ich nehme bei mir auf, wen ich will, und jage fort, wen ich nicht leiden mag. Die Glachau ist mir willkommen, und die Maßregeln werde ich ruhig abwarten!« »Ist es eine gebildete und liebenswürdige Dame, Papa?« frug Louise. »Ja; vierundsiebzig Zoll hoch und so breit wie ich. Eine solche Bildung hat nicht Jede aufzuweisen.« »Sogar ich nicht,« lachte die Prinzeß. »Fräulein von Mitagsheim ist meine Freundin, und wenn die Riesin so gut ist wie sie, wird sie es auch werden.« »So ist's recht, mein Matz! Aber hier habe ich noch einen Brief. Er ist vom Prinzen Eugenius. Lies ihn vor!« Das in der eigenthümlichen Art des »kleinen Kapuziners« abgefaßte Schreiben lautete folgendermaßen: »Wien, im Fruchtmonat anno domini 1739. Ew. Liebden! Obgleich es in politicis und causa militaris mit nichten etwelche Absonderlichkeit zu vermelden giebt, so seid Ihr mir ein theurer und werther Freund, an den ich eine Bitte donnire, betreffend eine Personnage, welcher ich mein Wohlwollen und Fürwort nicht versagen kann.
Ew. Liebden weiß von unsern ruhmreichen Feldzügen her, daß ein General von Hellbach unter mir diente, dessen Bravour und aimable Conduite ich stets auszuzeichnen hatte. Item verblich derselbe vor Jahresfrist des Todes und hinterließ einen legitimen Erben, dessen Mutter dem Generale in der Stunde ihres Todes allerdings nachträglich angetrauet wurde. Die Hellbachs sind zwei Linien. Die jüngere, annoch bestehende zeichnet sich durch extremement fromme Gesinnungen und Inklinationen aus, zuwegen bei ihr die Väter Jesu verkehren und ihre plus meilleuse Stütze finden. Also erhebt sich gegen den Erben Arthur von Hellbach eine feine Opposition, geleitet von den frommen Vätern, so nach seinen Gütern trachten, ihm seine Papiere und documenti entwenden und es ihm impossible machen, seine Beweise zu präsentiren. Dieweilen man ihn des Betruges zeiht, wird er gar in prison genommen, dabei es ihm gelingt, sich gewaltsam zu salviren. Ew. Liebden können glauben, daß ihn die Väter und Brüder in Jesu verfolgen, indem sie ihn sodann in Sachsen gefunden haben. Auch hier ist ihm der Rückzug gelungen, und nun vernimmt man die Mähr, er sei nach Preußen gegangen. Item habe ich alle Ursache, mich des Verfolgten anzunehmen und im Stillen die Beweise seiner Unschuld und Legitimität zu sammeln, was mir binnen kurzer Zeit vollständig gelungen sein wird. Sollte besagter Hellbach bis dahin Ew. Liebden vor das Gesicht und Gehör kommen, so ersuche ich, ihm allen Vorschub zu leisten und ihn gegen die Machinationen seiner ennemis in löblichen Schutz und Protektion zu nehmen, wobei ich nicht verfehle, mich zu dünken Ew. Liebden vielgetreuer Freund und Kamerad Eugen. «
»Alle Wetter, das ist ja dieselbe Geschichte, welche mir gestern der Seifensieder erzählt hat!« meinte Leopold. »Welcher Seifensieder?« frug die Fürstin. Ihr Gatte erzählte von dem Zusammentreffen. Die Fürstin wurde nachdenklich. »Sollte dieser Mann, der sich für einen Seifensieder ausgiebt, vielleicht einer der jesuitischen Spione sein, welche den Hellbach
verfolgen?« »Hm! Fromm sah der Kerl nicht aus.« »Maske!« »Kannst recht haben, Anneliese! Ich habe ihm bedeutet, sich zu trollen; läßt er sich wiedersehen, so geht es ihm an den Kragen. Ich will dieser heiligen Sippe zeigen, was es heißt, den Dessauer für einen Schubiak zu halten, bei dem sie ihren Dreck an den Mann bringen können!« Die Adern seiner Stirn schwollen wieder bedenklich an, und es wäre sicherlich einer seiner Zornesausbrüche erfolgt, wenn nicht vom Schloßhofe herauf Trommelschlag und Pfeifenklang erschollen wäre. »Da kommen die Jungens; auf mit den Fenstern!« gebot der Fürst. Einer der jüngeren Prinzen, der elfjährige Moriz, verrieth trotz seiner Jugend ein unleugbares militärisches Talent, und Leopold hatte daher aus Knaben beliebter Bürger eine Kompagnie bilden lassen, welche an Uniform und Ausrüstung ganz seinem Halle'schen Regimente glich. Sie hatte täglich Uebung im Parke und kam von einer solchen jetzt zurück, um sich im Schloßhofe aufzulösen. Kaum aber erblickte Moriz die Zuschauer an den Fenstern, so zog er den Degen an, warf sich in Positur und ließ die Kompagnie mit klingendem Spiele und präsentirtem Gewehre vorüberdefiliren, wornach er einige Uebungen ausführte, die den vollen Beifall des Fürsten fanden. »Bravo!« rief dieser in den Hof hinab. »Kompagnie halt! Rechtsum! Das Gewehr beim Fuß! Los, rührt Euch! Brav gemacht, Jungens; sollt heut doppelte Löhnung haben!« Er verließ das Zimmer, um hinabzugehen, und stieß dabei draußen auf eine Bauersfrau, welche mit einem Korbe auf dem Rücken nach der Küche wollte. »Wohin?« frug er. »Zur Durchlaucht Fürstin.« »Die kommt da hinter mir. Was hat Sie in dem Korbe?« »Butter.« »Es ist meine Butterfrau,« erklärte die Fürstin. »Wie theuer giebt Sie heut das Stückchen?« »Zweiundzwanzig Pfennige.« »Zweiundzwanzig? Auf dem Markte kostet sie nur neunzehn.«
»Die wird auch darnach sein.« »Gute Butter! Da sehe Sie her; ich habe sie holen lassen, weil Sie heut später kommt als gewöhnlich.« »Soll ich nicht etwas mehr verlangen, wenn ich die Butter aufs Schloß tragen muß? Solche Leute können schon Etwas geben,« bemerkte die Frau mit unvorsichtigem Muthe. Die Folgen ließen sich sofort spüren. Der Fürst, den die kleinste Veranlassung aufregen konnte, war durch seine große Sparsamkeit bekannt. Daß er für jedes Stückchen Butter drei Pfennige mehr geben sollte als andere Leute, brachte ihn sofort in Harnisch. »Wird Sie die Butter wohl für neunzehn geben?« »Zweiundzwanzig!« »Gut; nehme Sie den Korb herab!« Er griff selbst mit zu. »Also neunzehn?« »Zweiundzwanzig!« »Schön!« Die rothe Farbe seines Gesichtes, seine rollenden Augen und die tiefen Falten seiner Stirn verriethen ein nahendes Wetter, doch war eigenthümlicher Weise seine Stimme nicht so dröhnend wie bei ähnlichen Veranlassungen, und der Mund zuckte unter einem unbeschreiblichen, verheißungsvollen Lächeln. »Köche her!« kommandirte er. Zwei weißgekleidete Männer erschienen, eine kerzengerade Haltung annehmend. »Kommen Sie hierher!« Er faßte die Frau, zog sie zur hinteren Wand der Küche und stellte sie hart an die Mauer, so daß sie den Rücken nach dem Raume kehrte. »Glaubt Sie, daß ich halte, was ich sage?« »Ja.« »Schön! Vortrefflich! So gebe ich Ihr jetzt mein heiliges Wort, daß ich Sie wegen Betruges vier Wochen einspinnen lasse, wenn Sie sich muxt oder eher vom Flecke rührt, als bis ich es Ihr ausdrücklich befehle. Sie hat sich keinen Zoll breit zu bewegen! Vier Wochen; hat Sie's gehört? Und mein Wort darauf!« Jetzt wandte er sich zu den beiden Köchen, welche vorn bei der Thür an dem Korbe standen. »Könnt Ihr zielen?« »Zu Befehl, Durchlaucht!«
»Und gut werfen?« »Zu Befehl!« »Werft ihr die Butter Stück für Stück auf den Buckel. Wer nicht trifft oder zu leise wirft, erhält acht Tage strengen Arrest!« Weder die Fürstin, noch Louise oder der Bernburger wagten einen Einspruch gegen diese ungewöhnliche Züchtigung. Der Zorn Leopolds wäre dadurch nur vergrößert worden. »Achtung! Geladen! Feuer!« Beim zweiten Kommandorufe griffen die Köche in den Korb. Jeder nahm ein Stückchen Butter zur Hand. Beim dritten Worte flog die Butter der Bäuerin mit solcher Vehemenz auf den breiten, mit hochschließender Taillenjacke bekleideten Rücken, daß sie sich breit drückte und dann auf die Diele herabfiel. Die Frau wagte nicht, einen Laut von sich zu geben. »Geladen! Feuer!« Diese Kommandos erschollen so lange, bis der Korb leer war und hinter der Bäuerin ein Haufe formloser Butter lag. »Jetzt wieder umgedreht!« Die Frau folgte dem Gebote. Sie sprach nichts, aber ihre Augen ruhten mit dem Ausdrucke listiger Wuth auf den Ruinen ihres milchwirthschaftlichen Fleißes. »So! Ich werde Ihr lehren, mich zu prellen, Sie alte Butterhexe, Sie! Lecke Sie sich den Buckel ab und nehme Sie das Zeug hier wieder in den Korb. Und wenn Sie wieder einmal höhere Preise macht als Andere, so wird Ihr die Butter noch an einem andern Orte beigebracht! Versteht Sie mich, an welchem? Jetzt schleunigst fort mit Ihr!« 2 Sie schaufelte die Butter mit den beiden Händen in den Korb und verließ dann die Küche. Als der Fürst aus derselben trat, verhandelte eben ein in die gewöhnliche ländliche Tracht gekleideter Mann, der einen Stelzfuß hatte, mit dem Kammerdiener. »Er kann nicht vorkommen,« meinte der Letztere. »Seine Durchlaucht sind beschäftigt, und ich kenne Ihn ja gar nicht.« »Er wird schon Manchen eingelassen haben, den Er nicht kennt. Sage Er nur meinen Namen, so ists genug. Ich bin der Vater vom Korporal Franke!« Diese letztern Worte vernahm Leopold im Heraustreten, und kaum war sein Auge auf den Sprecher gefallen, so rief er:
»Feldwebel Franke, alter Kriegskamerad, Du hier? Komm herein!« und zum Diener meinte er verweisend: »Wenn Dieser hier kommt, so wird er eingelassen, und wenn es mitten in der Nacht ist!« Er schritt voran zum Arbeitszimmer; der Stelzfuß folgte. Als sich die Thür hinter ihm geschlossen hatte, zog er den Mann an sich und klopfte ihm während der herzlichen Umarmung freundlich auf die breite Schulter. »Willkommen, willkommen! Habe Dich seit acht Jahren nicht zu sehen gekriegt. Warum kommst Du nicht einmal herbei, he?« »Durchlaucht, ich bin kein Lump, der von Eurer Freundschaft Vortheil ziehen will. Ihr seid gut zu mir, und ich habe Euch lieb; das wissen wir Beide, und das ist mir genug. Der Teufel hole alle Scherwenzelei! Wenn ich öfters käme, könnten die Leute weiß Gott denken, ich raspelte Süßholz mit Euch!« »So bekomme ich also meinen besten Kriegskameraden nicht zu sehen, weil Du Dich vor den Leuten fürchtest!« »Oho, Durchlaucht, macht mir keine dummen Witze! Ihr wißt, ich bin grad so ein alter Rappelkopf wie Ihr. Habt Ihr jemals gesehen oder gehört, daß ich mich fürchte?« »Nein, alter Schwede; dieses Zeugniß muß ich Dir geben, und darum eben halte ich so große Stücke auf den Feldwebel Franke. Hast Du schon gefrühstückt?« »Nein; aber macht Euch deshalb keine Sorge. Ich habe ein Stück Brod und Käse in der Tasche, das hilft gegen den Appetit und gegen den Hunger.« »Donnerwetter, willst Du, daß ich mich blamire? Soll es etwa heißen, daß der Dessauer nichts für den Schnabel hat, wenn ihn ein guter Freund besucht? Heinz!« Und als der Ruf nicht sofort gehört wurde, öffnete er die Thür und brüllte mit wahrer Löwenstimme: »Heeeeeeiiiiiinz!!!« Der Diener erschien. »Schaffe etwas zu essen; aber nichts Schnepferliches, sondern etwas Kräftiges für zwei alte Soldaten! Und einen guten Trunk dazu; das ist die Hauptsache!« Einige Minuten später saßen sie am Tische und schlugen wacker ein; die Gläser klangen, und die Erinnerungen wurden wach. Eine halbe Stunde verging nach der andern; jeder Angemeldete wurde abgewiesen, und die Dienerschaft merkte also, daß der einfache
Mann mit dem Stelzfuße dem Herrn werther sei als mancher Offizier und Kavalier, vor dem man Respekt haben mußte. Sämmtliche Kriegsfahrten und Abenteuer des Dessauers wurden durchgenommen; manches Kraftwort erschallte, und manches heitere oder gar dröhnende Lachen ertönte. So wurde es zwölf Uhr, und mit dem Glockenschlage trat der Diener ein. »Ist ein Weibsbild draußen; kommt vom Pastor aus – – –« »Die?« fiel er ihm in die Rede. »Die mag hereinkommen, und nachher führst Du sie zur Fürstin!« Die Angemeldete trat ein. Sie trug heut eine Kleidung, welche die Schönheit und Fülle ihrer Formen noch mehr hervortreten ließ als das gestrige Hausgewand. »Bravo! Ich sehe, daß Sie pünktlich ist. Wo hat Sie den Pfarrer?« »Er befindet sich beim Herrn Geheimerath von Raumer.« »Habt wohl alle Beide Angst vor mir?« »Angst nicht, Durchlaucht; aber eine kleine Sorge durfte ich mir gestatten.« »Ja, das hat man davon, wenn man nicht offenherzig ist. Konntet mir gleich gestern Alles sagen! Sie ist eine Glachau?« »Zu Befehl, Durchlaucht.« »Und der Brühl will Sie zur Heirath zwingen?« »Leider!« »Der Teufel soll ihn holen und den Bräutigam dazu! Und wenn sie mir wegen Ihr etwas am Zeuge flicken wollen, so werde ich sie koramiren, daß es ihnen grün, gelb und blau vor den Augen wird!« »Soldat Baldauf!« meldete der Diener. »Herrrrein!« Der gestern angeworbene Rekrut trat ein. Er trug bereits die Uniform des Halle'schen Regimentes und hielt mehrere Papiere in der Hand. Als sein Auge auf Emma von Glachau fiel, zuckte es wie ein tiefer Schreck über sein offenes Gesicht; auch sie erbleichte sichtlich, doch nahmen sich Beide schnell zusammen. »Ich habe Ihn für jetzt bestellt, um mir Seine Skripturen anzusehen. Ist es wahr, daß Er gut mit der Feder bewandert ist, wie Er mir gestern sagte, so wirds zu Seinem Nutzen sein. Habe da drei Kerle in der Kanzlei sitzen, die können nicht 'mal meine Schrift lesen, viel weniger eine andere. Seine Faust versteht Er zu gebrauchen, das hat Er mir bewiesen, Er Himmelhund, und Begriff
hat Er auch, das sehe ich jetzt: gestern erst eingetreten, heute eine Stunde exerzirt, und steht nun vor mir, glatt und blank wie ein Alter. Das freut mich, Er kann's schnell vorwärts bringen. Zeige Er die Wische her!« Leopold überblickte die Bogen. »Famos, ganz famos! Er ist ein Tausendschwerenöther! Eine Zeile wie die andere, und die Buchstaben in gleicher Höhe und Lage aufmarschirt wie ein Regiment Grenadiere, Augen rechts, richtet Euch. Er tritt in meine Kanzlei, und weil es grad so paßt, so setze er sich her; ich werde Ihm 'was diktiren!« Der Rekrut nahm an dem Seitentische Platz, auf welchem sich alle nöthigen Schreibrequisiten befanden. »Also schreibe Er!« »An den Minister Excellenz Graf von Brühl, Dresden. Habe Eure Schrift erhalten und gelesen. Scheere mich den Teufel um das, was bei Euch vorgeht; scheert Euch doch auch den Teufel um das, was mir zu thun beliebt. Die Glachau ist ein braves, resolutes Weibsen; werde sie Euch nicht an das Messer liefern. Wer sie heirathen will, mag sie holen. Ab, basta! Leo – – –« »Wollen Euer Durchlaucht diese Unterschrift nicht selbst vollziehen?« unterbrach ihn der Schreiber. »Ja, richtig! Wenn ich einmal im Flusse bin, so läufts wie Wasser. Gebe Er die Feder her!« Während er sich bückte, um seinen Namen unter die höflichen Zeilen zu setzen, begegneten die Augen des Rekruten dem Blicke Emma's. In Beider Zügen leuchtete die Freude. Es war klar, sie mußten bekannt mit einander sein. »Jetzt kann Er gleich noch einen Brief schreiben,« gebot der Fürst. »Wir sind einmal im Zuge!« Der Rekrut nahm wieder Platz, und Leopold diktirte: »Dessau, im September 1739.
Ew. Liebden theile ich mit, daß ich auch ganz verdammt ärgerlich bin über die Ruhe im Reiche. Wenn der Friede so bleibt, so verfault Alles; ein fröhlicher Krieg ist die Hauptsache, alles Andere aber ist Larifari. Der Hellbach soll mir willkommen sein, wenn er so gescheidt ist, mich aufzusuchen; die Schleicher aber, die ihn suchen, lasse ich aufhängen, sobald ich sie erwische, wobei ich verbleibe Ew. Excellenz guter Freund und Kamerad – – –
So, jetzt kommt der Name!« Er streckte die Hand nach der Feder aus; der Schreiber hielt sie zurück. »Mit Verlaub, Durchlaucht; an diesem Schreiben wird etwas zu ändern sein.« »Zu ändern?!« Leopold trat einen Schritt zurück und maß den Verwegenen mit zornigem Auge. »Zu ändern? Er wagt es, mein Diktum zu tadeln? So lang ich lebe, ist mir so 'was noch nicht vorgekommen, und Er Himmelbatailloner thut es gleich im ersten Augenblicke Seines Dienstes! Er ist entlassen aus der Kanzlei; Er geht vier Wochen in Arrest. Marsch hinaus!« »Durchlaucht haben – – –« »Marsch, sage ich!!« »Keinen Fehler begangen,« fuhr der Muthige ruhig fort. »Marsch hin – – – Was? Ich habe keinen Fehler gemacht, und doch sagt Er, daß geändert werden muß! So stammt der Schnitzer also von Ihm?« »Auch nicht. Ich muß nämlich bemerken, daß – – –« »Kerl, Er ist verrückt, Er ist total übergeschnappt! Niemand hat einen Fehler gemacht, und doch soll geändert werden. Will Er mir das wohl erklären!« »Ich meine den Passus ›der Hellbach soll mir willkommen sein, wenn er so gescheidt ist, mich aufzusuchen.‹ Hier muß es anders heißen.« »Wie denn zum Beispiel, Er Himmelelementer?« »Der Hellbach ist so gescheidt gewesen, mich aufzusuchen, und ich heiße ihn willkommen.« »Donnerwetter, das wäre ja die reine Lüge!«
»Ich wage dies zu bestreiten, Durchlaucht, denn –« er richtete sich so hoch wie möglich empor und fuhr salutirend fort: »Der Hellbach steht ja hier!« »Er – Er ist der Hellbach? Teufel, das ist ja ein wirkliches Theaterstück, was Er da aufführt! Ich denke, Er heißt Franz Baldauf.« »Ich mußte meinen Namen verschweigen und habe mir die auf Baldauf lautenden Papiere geborgt.« »So, so, hm! Also darum stand eine Siebzig an Stelle der Achtzig. Aber, hm, ja, wie will Er mir denn beweisen, daß Er wirklich der Arthur von Hellbach ist?« »Haben Ew. Durchlaucht die Güte, sich an Fräulein von Glachau zu wenden. Sie kennt mich und wird mich rekognosziren.« »Ihr kennt Euch? woher denn?« »Von Dresden aus, wo ich erst Zuflucht fand und dann wieder fliehen mußte.« »Himmeltausendsapperment, jetzt wirds hell, jetzt geht mir eine Ahnung auf! Das Fräulein von Glachau hat den Tintenklexer nicht gemocht, weil – weil – na, weil ihr ein gewisser Hellbach lieber gewesen ist. Ists so oder nicht, Ihr Tausendschwerenöther?« »Wir können nicht leugnen, Durchlaucht,« antwortete Hellbach. »So! Und was man in Wien und Dresden zerrissen hat, das soll ich hier wieder zusammenflicken?« »Ew. Durchlaucht sind der einzige Schneider, der das fertig bringt!« »Was bin ich? Ein Schneider bin ich, Er Mohrenelementer? Und noch dazu der einzige? Warum denn das, he?« »Es hat nicht Jeder den Muth, zwei unschuldig Verfolgte in Schutz zu nehmen. Ew. Durchlaucht sind der einzige Fürst im deutschen Reiche, vor dessen Willen selbst der Kaiser Respekt hat.« »So! meint Er das wirklich?« »Mit voller Ueberzeugung!« »So soll Er sich auch nicht getäuscht haben. Ihr bleibt in Dessau, so lange es Euch gefällt, und ich will 'mal Den sehen, der Etwas dagegen hat! Aber als gemeinen Soldaten kann ich ihn unmöglich installiren. Er scheint bereits einige militärische Begriffe zu haben?« »Ich habe die Militärschule absolvirt und stand, als Vater starb, als Oberlieutenant beim Regimente Natzmer.« »Natzmer? Sind ganze Leute das; kenne sie von früher her, als
ich an der Seite des kleinen Kapuziners focht! Will Er bei mir eintreten?« »Mit Freuden!« »Schön, Herr Oberlieutenant à la suite. Jetzt aber nehme Er Seine Braut und führe Er sie zu meiner Frau. Die und die Louise werden sich schön wundern über den Roman, der hier zu spielen scheint.« Hellbach nahm mit vor Freude glänzendem Gesichte Emma beim Arme und marschirte mit ihr zur Thür hinaus. Als sich diese hinter ihnen geschlossen hatte, wandte sich Leopold zu Franke zurück. »Was sagst Du dazu, altes Haus?« »Eine ergötzliche Geschichte.« »Und ein verteufelt schmuckes Paar.« »Freilich; grad wie mein Junge und seine Anna.« »Ach so, ja, es ist ja wahr; der Korporal soll eine Liebste haben?« »Und was für eine! Sie gibt da der Glachau gewiß nichts nach.« »Alle Wetter, das ist viel gesagt!« »Die reine Wahrheit!« »Ich werde ihn aber dennoch ganz gehörig bei der Parabel nehmen. Wie kann er es wagen, sich ohne meinen Willen zu verschameriren!« »Er hat mich auch nicht gefragt, und ich bin doch der Vater.« »Aber ich bin sein Pathe und Kriegsoberster!« »Die Liebe ist ein obstinates Ding. Als ich meine Alte nahm, habe ich auch nicht viel gefragt, und ich weiß nicht, ob Durchlaucht – – –« »Hast Recht, Alter, hast Recht! Na, so wollen wir es für dieses Mal noch hingehen lassen. Wer ist denn das Mädel?« »Es ist die Nichte vom Amtmann Grunert.« »Vom Grunert? Ich hörte, der Kerl sei unverheirathet.« »So ist es auch. Die Anna führt ihm die Wirthschaft, und was das bei einem Amtsgute zu bedeuten hat, das wird Durchlaucht wissen.« »Ja ja; das Gut ist groß, ein wirkliches, richtiges Rittergut. Der Grunert war fremd; er kam, glaube ich, aus Oesterreich oder Bayern, als ich den Pacht ausrufen ließ. Er bot fünfhundert Thaler mehr als sein Vorgänger, und darum erhielt er es. Ich war damals im Felde,
und – meiner Treu, jetzt fällt es mir erst ein, daß ich ihn noch gar nicht gesehen habe. Der Pacht wurde von der Rentei abgeschlossen, und da die Gelder alle pünktlich eingehen, so habe ich mich nicht weiter nach der Geschichte umgesehen.« »Und dennoch wäre dies vielleicht einmal nöthig gewesen.« »Nöthig? Wie so?« »Er wirthschaftet schlecht.« »Und zahlt pünktlich. Wie paßt das zusammen?« »Wer die Aecker aussaugt und den Wald rodet, der kann gut zahlen.« »Donner und Doria, ist das wahr?« »Natürlich, sonst würde ich es doch nicht sagen.« »So soll mir der Hallunke herhalten. Er hat den Pacht pünktlich zu entrichten und das Gut mitsammt den Liegenschaften in dem Stande zu erhalten, in welchem er sie überkommen hat.« »Ja, prosit die Mahlzeit! Durchlaucht mögen nur hingehen und sich die saubere Wirthschaft einmal ansehen. Der Wald wird von Tag zu Tag lichter, das Feld magerer, die Wiese gelber, und im Stalle stehen die Pferde und Rinder wie die Gespenster. Der Pacht läuft im Frühjahr ab; dann wird der Grunert mit dem herausgesaugten Gelde verschwinden, und der Nachfolger kann sich zehn Jahre abmühen, ehe er einen gesunden Halm erbaut.« »Wenn das so ist, so werde ich es mit ihm machen, wie er mit der Wirthschaft. Aber das ist doch nicht plötzlich gekommen. Warum wird es mir erst jetzt gemeldet?« »Der Grunert ist Amtmann, ein schlauer Fuchs und dabei gewaltthätig bis zum Exzeß. Wer will sich da aufwerfen. Uebrigens haben ja Durchlaucht und Dero Beamte selber Augen, um zu sehen, was zu sehen ist; warum soll man da den Angeber machen!« »Gut, hast Recht. Werde ihm nächster Tage in den Sattel steigen, und dann wehe ihm, wenn ich schmutzige Wäsche bei ihm finde!« »Ist genug davon vorhanden! Ich hätte heut gar nicht von ihm angefangen, wenn nicht die Gemeinde endlich doch zusammengetreten wäre und mich hergeschickt hätte, um mit Durchlaucht über ihn zu sprechen.« »So also steht es? Eine förmliche Beschwerde!« »Ja, nicht wegen seiner schlechten Wirthschaft, denn das geht uns nichts an, sondern wegen seiner Amtsführung und andern
Dingen.« »Nun, heraus damit.« »Ja, es muß heraus, obgleich seine Nichte die Liebste von meinem Jungen ist. Wie er die Felder aussaugt, so zieht er auch die Gemeinde aus. Es sollte mich wundern, wenn eine einzige Rechnung stimmte. Im vorigen Jahre hat der Schmied für zwanzig Gulden Arbeit geliefert, in der Rechnung aber steht plötzlich eine Sechzig. Dem Lehrer, welcher sich plagen muß, aus dummen Jungen brauchbare Rekruten zu machen, hat er von seinen vierzig Gulden, die doch weder vorn noch hinten reichen, fünfzehn abgebrochen. Wenn Ew. Durchlaucht rekrutiren lassen, so fertigt er eine Liste, in welcher die reichen Bursche nicht stehen, weil sie zahlen können; dann muß der Kriegsherr die armen, ausgehungerten Teufel nehmen, deren Mütter und so weiter der Gemeinde zur Last fallen.« »Da schlage doch gleich ein sternhageldickes Graupelwetter drein!« rief der Fürst aufspringend. »Das ist genug: ich mag jetzt weiter gar nichts hören! Aber ich komme, Du Hallunke, und Gnade Dir Gott und die Fuchtel, wenn ich Dich zwischen die Finger nehme!« »Eins aber muß ich doch noch sagen!« »Was noch?« »Haben Durchlaucht von den Jesuiten gehört, welche sich jetzt im Lande breit machen wie die Kohlraupen?« »Habe es gehört. Was ists mit ihnen?« »Der Grunert ist Katholik, und – – –« »Katholik? Ich glaube, in seinem Ausweise stand, daß er Protestant sei.« »Möglich, aber dennoch ist er Katholik, und des Nachts verkehren bei ihm öfters Leute mit langen Röcken, die bis oben zugeknöpft sind. Manchmal sind wohl an die Zwanzig da. Dann werden des Nachts Reden gehalten; man ißt und trinkt und schleicht sich beim grauenden Morgen heimlich wieder davon.« »Woher weißt Du das?« »Von der Anna. Der Amtmann will es nämlich nicht zugeben, daß sie meinen Jungen nimmt, und so kommt sie zuweilen zu mir und meiner Alten, um uns ihre Noth zu klagen. Sie soll partout Einen heirathen, der bei den nächtlichen Zusammenkünften mit zugegen ist; er ist reich und sie bekommt nichts, weil das Vermögen
des Amtmanns der Gesellschaft Jesu gehört.« »So, aha, pfeift es aus diesem Loche? Höre, Franke, kennen mich die Leute bei Euch?« »Wohl kaum; es sind bereits über zwanzig Jahre her, daß Ew. Durchlaucht nicht im Dorfe waren.« »Gut, schön. Schreibe mir doch 'mal die Bursche auf, welche der Amtmann durch die Liste gelassen hat!« Franke griff ohne Umstände nach Feder und Papier, um die verlangte Aufzeichnung zu machen. Er übergab das Blatt dem Fürsten. »Einundzwanzig Bursche? Alle Teufel; die im Regimente haben oder nicht, das ist ein Unterschied! Ich werde die Sache so besorgen, daß Du zufrieden sein kannst, Franke, doch halte reinen Mund. Und jetzt kommst Du mit hinüber zur Anneliese; die wird sich freuen, daß Du uns nicht ganz vergessen hast!« – – –
III. Auf der Kirchweihe Wieder war es Sonntag Morgens, aber zu einer früheren Stunde als vor acht Tagen; da ließ sich auf der Leinefelder Straße lauter Marschschritt hören. »Einunddreißig, zweiunddreißig – einunddreißig, zweiunddreißig – Leberwurst und Sauerkraut, – links, rechts – links, rechts – Leberwurst und Sauerkraut – einunddreißig, zweiunddreißig – Brust heraus, Bauch hinein – Donnerwetter, was macht Ihr für Puppengesichter, Ihr Hallunken! Finster, immer finsterer, noch finsterer, daß die Leinefelder Respekt bekommen! So ists recht! – – Da ist das Nest. Achtung! Augen rrrrechts! Augen grrrrad aus! Tambour, fang an! Einunddreißig, zweiunddreißig – einunddreißig – rrrrumdidum di rrrrumdidum! Uebers G'werrrr!« So raisonnirte und kommandirte der alte zwickelbärtige Feldwebel, welcher eine halbe Kompagnie blauröckiger Grenadiere nach dem Dorfe führte. Eigentlich hatte er nicht die mindeste Veranlassung zu einem Raisonnement, denn es war der kleinen Truppe sehr deutlich anzusehen, daß sie ganz ausgezeichnet gedrillt sei. Ein Zopf war auf die Linie so lang wie der andere, ein Riemen lag wie der andere, ein Auge blickte wie das andere, eine Gamasche saß wie die andere, und der Marschschritt klang so kurz, voll und exakt, daß es gar nicht nöthig war, mit dem damals beliebten »Einunddreißig, zweiunddreißig – Leberwurst und Sauerkraut – links, rechts – links, rechts« den Takt zu markiren. So viele Dorfbewohner aus den Federn waren, so viele kamen auch heraus auf die Gasse, und wer von dem Trommelschlage erwachte, der beeilte sich hinabzukommen, um die Veranlassung zu dem ungewöhnlichen Lärme zu erfahren. Der Feldwebel ließ seine Truppe bis vor die Fronte eines großen, hart an der Dorfstraße liegenden Gutes marschiren. »Bataillon, halt! – Frrrront! – Schultert das G'werrrr! – Beim Fuß das G'werrrr! – Augen rrrrechts, rrrrichtet Euch! – Augen grrrrad aus!« klang das Kommando; dann wandte sich der Webel an
eine schläfrige Magd, welche sich an dem Thorpfeiler reckte und dehnte. »Gehört Sie hier zum Gute?« »Ja.« »Das Gut ist herrschaftlich?« »Ja.« »Wo ist der Amtmann?« »Im Bette.« »Wecke Sie ihn!« »Ich darf nicht.« »Waas? Wenn ich Ihr etwas befehle, so darf Sie nicht?« »Ich darf nicht. Wer den Herrn Amtmann weckt, wird fortgejagt.« »I der Tausend. Hier stellt Sie sich an den Pfeiler; so! Soldat Hiller, vortreten!« Der Genannte trat drei Schritte aus der Fronte heraus. »Schulterts G'werrrr! – Hahn auf! – Leg annnn!« Hiller stand mit angelegtem Gewehre da, bereit, auf das Kommando »Feuer« auf die Magd abzudrücken, zu der sich der Feldwebel wieder wandte. »Will Sie den Amtmann wecken, he?« »Ja, Herr Hauptmann!« »Schön, mein Schatz. Aber spute Sie sich, sonst mache ich Ihr Füße! Soldat Hiller, leg ab! – rrrrechtsumkehrrrrt, marrrrsch! – Frrrront! – Beim Fuß das G'werrrr!« Kaum waren zwei Minuten vergangen, so erschien unter dem Thore eine blos mit Hose, Jacke und Zipfelmütze bekleidete Gestalt. Die schmale, niedrige und zurückgebogene Stirn, die weit auseinanderstehenden, kleinen, stechenden Augen, die scharfgeschnittene Habichtsnase, die dünnen, bartlosen Lippen und das kaum bemerkbare, spitze Kinn, in welches dieses Gesicht verlief, gaben demselben etwas ganz entschieden Raubvogelähnliches. Dieser Mann war sicher ebenso listig wie hart und gewaltthätig und vollständig unfähig, mit seiner Physiognomie Vertrauen zu erwecken. »Seid Ihr der Herr Amtmann?« »Ja. Was solls denn sein?« »Ein Befehl der Kriegskanzlei, abzugeben an Euch!« »Gebt her!«
»Donnerwetter! Glaubt Ihr etwa, daß ein alter, diensterfahrener Feldwebel Euch hier am Thore eine Meldung machen oder gar einem Manne in Schlafmütze und Nachthosen eine Ordre übergeben wird, die aus der Kriegskanzlei kommt und von dem Feldmarschall Durchlaucht Excellenz eigenhändig unterzeichnet wurde? Macht Euch schnell hinein und fahrt in einen andern Gottfried, sonst mache ich Euch Beine wie Eurer Milchchristel, die Euch nicht wecken wollte.« »Oho! Ihr wißt wohl gar nicht, mit wem Ihr sprecht?« »Nun, mit wem denn, he?« »Ich bin der Amtmann Grunert, wie ich Euch schon einmal sagte.« »Davon sehe ich noch nichts. Für jetzt steht nur eine Schlafmütze und Nachthaube hier. Also steckt den Amtmann heraus; ich habe keine Zeit und muß bald weiter!« Grunert entfernte sich. Der Feldwebel folgte ihm nach einigen Minuten und fand ihn in der Stube am Schreibepulte seiner harrend. »Seid Ihr der Herr Amtmann?« »Zum Teufel, ich habe Euch doch bereits zweimal – – –« »Rrrruhe, nicht gemuxt!« donnerte da der alte Soldat mit wahrer Löwenstimme. »Was versteht Ihr vom Dienste! Ich habe Euch zu fragen und Ihr habt zu antworten, damit basta! Seid Ihr der Herr Amtmann?« »Ja.« »Eine Ordre aus der Kriegskanzlei!« Er übergab das Schreiben. Grunert öffnete und las es. Sein Gesicht zeigte, wenn nicht Bestürzung, so doch einige Verlegenheit. »Das ist unmöglich!« Der Feldwebel schwieg. »Reinweg unmöglich!« Der Feldwebel antwortete nicht. »Habt auch Ihr irgend welche Ordre?« »Allerdings.« »Welche?« »Wenn Ihr nicht binnen einer Stunde schafft, was da drin verlangt wird, so werde ich mir es zu holen wissen. Leinefeld hat fünfundzwanzig Mann zu liefern, und sollte ich diese Zahl mit dem Herrn Amtmann selber voll machen müssen!« »Eine Stunde ist zu wenig!«
»Für mich nicht. Könnt Ihr oder nicht? Dann habe ich die Fünfundzwanzig in zehn Minuten.« »Ich muß mit dem Gemeinderathe sprechen.« »Mir ganz egal. Könnt Ihr?« »Ja.« »Schön. Wir haben scharf geladen. Ich lasse das Dorf umzingeln, daß Keiner echappirt. Zehn Minuten haben wir bereits verhandelt; in punkt fünfzig Minuten bin ich hier, um die Rekruten mit einer Namensliste in Empfang zu nehmen!« Er ging hinaus. »Bataillon in zwei Zügen abmarschirt. Korporal Fritsche vor!« Der Korporal trat vor die Fronte und kommandirte: »Erster Zug, G'werrrr auf! – Rrrrechts um! – Uebers G'werrrr! – Vorwärts marrrrsch!« »Gefreiter Lange vor!« befahl der Feldwebel. Dieser folgte dem Rufe und kommandirte: »Zweiter Zug, G'werrrr auf! – Rrrrechts um! – Uebers G'werrrr! – Zweimal links abgeschwenkt, vorwärts marrrrsch!« Der erste Zug marschirte nach dem niedern, der zweite nach dem obern Dorfe, um den Kordon zu schließen. Der Feldwebel aber bog in einen schmalen Seitenweg ein, welcher zwischen zwei Gütern hindurchführte, ging eine Strecke hinter den Gärten fort und stieg dann über ein niederes Staket, welches ein kleines Gärtchen umschloß, das zu einem niedlichen und außerordentlich sauber blickenden Häuschen gehörte. Durch die hintere Thür desselben tretend gelangte er in eine Küche, wo er Niemand fand, und von da in die Wohnstube, in welcher zwei Personen bei der Suppe am Tische saßen. Es war der Feldwebel Franke und seine Frau. Beim Anblicke des Feldwebels erhob sich der Erstere überrascht. »Durchlaucht!« »Halte Er den Schnabel, Er Sakermenter! Es braucht Niemand zu wissen, wer ich bin; für jetzt bin ich Feldwebel, punktum. Habt Ihr noch einen Löffel? Ich habe Appetit!« Die über diesen vornehmen und plötzlichen Besuch erschrockene Hausfrau erhob sich, um das Verlangte zu holen. Sie machte Miene, sich in Entschuldigungen zu ergehen, die ihr aber sofort abgeschnitten wurden. »Still! Jetzt wird gegessen und nicht gesprochen!«
Die Löffel erklangen, und es wurde der Suppe zugesprochen, bis kein Tropfen mehr in der Schüssel war. Erst jetzt begann der Fürst: »Ihr habt heut Kirmeß?« »Ja.« »Ich lade mich zu Gaste, doch darf jetzt noch kein Mensch 'was davon wissen. Es hat mich Niemand zu Euch gehen sehen. Bin gekommen, um dem Grunert in den Topf zu gucken. Habe fünfundzwanzig Rekruten von ihm verlangt, und wehe ihm, wenn er parteiisch handelt! – Habe Euch auch eine Freude gemacht!« »Allerdings ist es uns die größte Freude, Ew. Durchlaucht bei uns zu sehen!« »Nicht geflunkert! Meine eine andere Freude. Habe Eurem Jungen, dem Korporal, Urlaub gegeben, daß er zur Kirmeß gehen und seine Anna einmal beim Kopfe nehmen kann. Hast Du nichts wieder von den Schwarzkitteln gehört?« »O ja. Die Anna war gestern Abend hier und erzählte, daß heut in dem Gartenhause heimliches Abendessen sei.« »Wann?« »Um acht Uhr.« »Wie viele Gedecke?« »Achtzehn.« »Sehr gut. Werde gesegnete Mahlzeit wünschen. Macht mir ein Bett zurecht; werde vielleicht heut Nacht hier schlafen. Jetzt adieu! Hört Ihr den Lärm und das Lamentiren draußen? Der Amtmann läßt die Rekruten zusammenschleppen.« Er ging denselben Weg wieder zurück, den er gekommen war. Beim herrschaftlichen Hofe angelangt, fand er wirklich fünfundzwanzig Bursche vor, welche mit Paketen auf dem Rücken Abschied von ihren weinenden und jammernden Angehörigen nahmen, und zugleich ertönte der lautschallende Schritt der wieder herbeikommenden Soldaten. »Nun mags gut sein mit dem Heulen, Ihr Jungens! Ihr bekommt des Fürsten Rock angezogen, und wer sich darein fügt und gut gehorcht, aus dem kann mal was Ordentliches werden, vielleicht gar so ein Feldwebel wie ich. Angetreten und eingerückt! So! Wer zu entfliehen sucht, wird niedergeschossen! – Kompagnie rrrechts um! – Adieu, Herr Amtmann; viel Vergnügen zur Kirmeß! Kann leider nicht hier bleiben, sondern muß weiter, um noch einige fünfzig Jungens zu holen. Uebers G'werrrr! Vorwärts marsch!«
Die gepreßten Rekruten in der Mitte, marschirte die Truppe das Dorf hinab, begleitet von den jammernden Verwandten. »Einunddreißig, zweiunddreißig, Leberwurst und Sauerkraut, links, rechts, links rechts, Tambour, fang an! Einunddreißig, zweiunddreißig, einunddreißig, zweiunddreißig, rrrrumdidum di rrrrumdidum!« Draußen vor dem Dorfe ließ er halten, um die störende Begleitung zurückzuweisen; dann ging der Marsch fort bis in den Wald, wo er in einen Holzweg einbiegen ließ, der in einen schmalen Pfad verlief und dann auf eine verborgene Lichtung mündete. Hier lagerte sich, nachdem die nöthigen Posten ausgestellt waren, die Truppe. Er zog das Namensverzeichniß, welches er von dem Amtmanne erhalten hatte, hervor, um zu verlesen. Es befand sich unter den Burschen kein einziger von denen, welche ihm Franke in Dessau aufnotirt hatte. »Jammert nicht, Jungens! Ich gebe Euch mein Wort: wenn Ihr Euch ruhig verhaltet und keine Dummheiten macht, so seid Ihr heut Abend alle wieder frei. Ich bin der Leopold von Dessau und will nur Eurem sauberen Amtmann einmal auf die Finger klopfen!« Diese Rede brachte allerdings nicht geringe Freude hervor. Der Fürst aber trat zu einem Baume, unter welchem zwei Männer standen, die einige Pakete hielten. Es war der Oberlieutenant von Hellbach und der Korporal Franke, beide einander an Gestalt und Größe vollständig gleich. Er wandte sich an den Ersteren. »Er kennt also einige von denen, die ihn verfolgen, persönlich?« »Ja.« »Vielleicht hat er das Vergnügen, sie heut Abend zu sehen. Korporal, er kann nach Hause gehen. Ich werde ihn schon finden, wenn ich ihn brauche. Jetzt, Helldorf, komme er zwischen die Büsche. Ich bin neugierig, wen er aus mir machen wird!« Nach Verlauf einer halben Stunde hinkte eine lange, tief vornübergebeugte Gestalt dem Dorfe zu. Auf dem Kopfe saß ein Filz, der weder Form noch Farbe hatte, über das rechte Auge zog sich eine breite, schwarze Binde; ein eisgrauer Schnurrbart senkte seine müden Spitzen zu beiden Seiten des Kinnes herab; eine alte, abgeschabte Uniform bedeckte den Körper, und an den Füßen schlappten ein paar Schuhe, die man beinahe als Kähne benützen konnte.
Sich hinter das Dorf wendend, stand er eben im Begriffe, zwischen Zäunen und Feldern umzubiegen, als ihm aus derselben Richtung ein Mädchen entgegenkam, bei deren Anblicke er unwillkürlich stehen blieb. »Gott zum Gruß, Jungfer,« hüstelte er. »Schönen Dank. Will er zur Kirmeß?« »Ja.« »Zu Verwandten?« »Nein. Ich habe hier Niemanden; aber zu einem solchen Feste gibt wohl Jedermann einem alten armen Teufel ein Stückchen Brod.« »Sicher. Hier hat Er etwas!« Sie griff in die Tasche und reichte ihm einige Kupfermünzen. »Komm Er nachher zu mir; da soll Er haben, was Er nur essen kann.« »Ja, wer ist denn die Jungfer?« »Ich gehöre zum herrschaftlichen Hofe und bin des Amtmanns Nichte. Frage Er nur nach mir, man wird ihn schon zurechtweisen.« Sie ging. Er blickte ihr nach, so lange er sie zu sehen vermochte. »Himmelbataillon, das also war die Anna! Hm, wegen der ließe ich mir am Ende auch 'mal Urlaub geben von der Anneliese. Der Franke soll sie haben, so wahr ich Leopold heiße!« Er humpelte weiter. Hinter dem gutsherrlichen Garten angekommen, blickte er über den Zaun hinüber und gewahrte eine Reihe von Pflaumenbäumen, welche voll der größten, schönsten Früchte hingen. »Sapperlot, sind das Zwetschgen, so reif und süß, daß sie den Boden bedecken! Die Suppe beim Franke war ganz verteufelt gesalzen und hat mir Durst gemacht. Vorwärts, hinüber; ich muß Pflaumen haben!« Er schwang sich über den Zaun, setzte sich gleich in das thaufrische Gras und begann zu schnabuliren. Die Früchte waren wirklich so gut, wie er sie noch selten gegessen hatte; er aß und aß und merkte nicht, daß Jemand leise herbeigeschlichen kam. Da legte sich eine Hand auf seine Schulter und eine zornige Stimme schnaubte ihn an: »Was thut Er hier?« Er wandte langsam den Kopf. »Das sieht Er ja; ich esse.« »Das sehe ich allerdings. Aber was ißt Er denn?«
»Hm, Zwetschgen.« »Ja, aber meine Zwetschgen, meine!« »Seine? Wie will Er das beweisen?« »Beweisen? Ist Er verrückt?« »Fällt mir gar nicht ein! Sieht Er nicht, daß ich hier aus der Tasche esse? Wer sagt Ihm denn, daß ich grad Seine Zwetschgen drin habe?« »Was sollen es denn für welche sein?« »Mir egal!« »Und sieht Er, jetzt langt er sich eine vom Boden auf und beißt hinein!« »Das war blos eine Verwechslung. Ich will Ihm dafür eine andere aus meiner Tasche herlegen.« »Aber was hat er denn hier im Garten zu suchen?« »Hm, was sucht denn Er?« »Ich bin der Amtmann!« »Ach so, das gibt der Sache allerdings eine andere Wendung.« Er erhob sich. »Ich bin ein armer Teufel und muß vorsprechen gehen; da sah ich hier die Pflaumen liegen und habe mir ein Paar davon geholt. Das wird nicht schlimm sein, denn was am Boden liegt, das gehört den Bettlern und Handwerksburschen, das ist ein alter Brauch.« »Aber bei mir nicht. Komme Er mit herein!« »Wozu?« »Nur vorwärts und nicht geweigert; Er ist mein Arrestant!« »Da muß ich allerdings gehorchen.« Er folgte dem Amtmanne durch die Wohnstube in einen Nebenraum, wo derselbe seine Expedition zu haben schien. Dort nahm dieser einen Bogen Papier und die Feder zur Hand. »Ich werde Ihn verhören, und Er hat mir durchaus nur die Wahrheit zu sagen!« »Werde es thun!« »Herr Amtmann, hat Er hinzuzufügen! Wie heißt Er?« »Werde es später sagen.« »Herr Amtmann, heißt es! Warum nicht jetzt?« »Habe meine Gründe.« »Herr Amtmann! merke Er es sich doch einmal. Wo ist Er her?« »Aus Dessau.« »Herr Amtmann, soll Er hinzufügen, sage ich!«
»Donnerwetter, wenn Er so genau weiß, wer und was Er ist, warum soll ich es Ihm denn dann bei jedem Worte sagen?« »Aha, Er ist ein renitenter Kerl, der nicht gestehen will, wie Er heißt! Da wollen wir kurzen Prozeß machen, und ich kann die Schreiberei sparen. Er ist in meinen Garten gestiegen?« »Ja.« »Und hat von meinen Pflaumen gegessen?« »Ja.« »Gesteht Er zu, daß dies gestohlen ist?« »Meinetwegen; mir Alles egal!« »So! Also weder Reue, noch Aussicht zur Besserung! Für seinen Einbruch in meinen Garten bekommt Er vier Tage Gefängniß im Orte, und zwar sofort und auf der Stelle. Darnach wird sich finden, wer Er ist, ich werde Ihn weiterliefern.« »Ich habe höchstens ein halbes Schock Pflaumen gegessen, ich werde sie bezahlen.« »Ah, Er hat Geld?« »Ja.« »Ich habe Ihm Alles abzunehmen, was Er bei sich führt. Zeige Er her!« »Fällt mir nicht ein! Ich gebe Ihm einen Gulden für die Pflaumen.« »Er hat keinen Gulden!« »Weiß er das so genau? Da schaue Er her!« Er zog eine wohlgefüllte Börse hervor und ließ ihren Inhalt klingen. Die Augen des Amtmannes leuchteten auf. »Woher hat Er das viele Geld?« »Gestohlen nicht!« »Das muß Er erst beweisen! Ein Landstreicher trägt keine solche Summe bei sich. Ich muß Ihn als dringend verdächtig festhalten. Zahlt Er zehn Gulden für Pflaumen, Arretur und Verhör, so kann Er gehen, wohin Er will!« »Höre Er, Er ist doch ein ganz verdammter Hallunke! Von mir erhält er keinen rothen Heller. Stecke Er mich in Gottes Namen ein!« »Dann vorwärts! Der Büttel ist nach der Stadt; ich werde Ihn selbst einsperren; das mit den zehn Gulden war natürlich blos ein juristischer Kniff, um zu sehen, woran ich mit Ihm bin. Er wird
nicht eher wieder frei, als bis Er vollständig ausgewiesen ist.« »Hat Er denn ein Gefängniß im Orte?« »Ein eigentliches Gefängniß nicht. Er kommt bis zu seiner Abführung in das Spritzenhaus.« Der vermeintliche Landstreicher schritt ohne Widerstreben voran, der Amtmann folgte, mit einem riesigen Schlüssel in der Hand, den er von der Wand genommen hatte. Der Vormittagsgottesdienst, den heut Alles besuchte, was Zeit hatte, war bereits angegangen, darum fanden sie die Straße vollständig leer und gelangten an das im unteren Theile des Dorfes gelegene Spritzenhaus, ohne daß ihnen Jemand begegnet wäre. Der Amtmann hielt seinen Arrestanten für einen schwachen Greis und ahnte nicht das Mindeste von der Gefahr, in welche er sich begeben hatte. Er steckte den Schlüssel in das Schloß und öffnete. »Hier; trete Er ein!« »Er ist Amtmann; Er hat den Vortritt!« meinte der Andere. Sich hoch aufrichtend, faßte er ihn bei den Hüften und schleuderte ihn in den dunklen Raum hinein, der zur großen Hälfte von dem darin befindlichen Spritzkasten ausgefüllt wurde. Im Nu hatte er die Thüre in das Schloß geworfen, drehte den Schlüssel zweimal herum, zog ihn ab und steckte ihn ein. »Werde Er nicht auch renitent, Herr Amtmann!« klang es unter lustigem Gelächter; dann schritt er davon. Im Oberdorfe lag der Gasthof. Dorthin begab er sich. Trotz des Gottesdienstes befanden sich einige Gäste hier, besonders Fremde, von denen das Ereigniß des heutigen Morgens eingehend besprochen wurde. Das ganze Dorf befand sich in Aufregung darüber, daß kein einziger der reicheren Bauerssöhne mit abgeführt worden war, und es wurden sogar die Summen genannt, welche der Amtmann für diese Ungerechtigkeit eingenommen hatte. Im Laufe des Gesprächs kam Vieles zum Vorschein, was ein düsteres Licht über diesen Mann verbreitete, und als endlich erwähnt wurde, daß der Fürst benachrichtigt worden sei, sprachen Alle die Ueberzeugung aus, daß dieser ganz sicher wie ein Wetter dazwischen fahren und der Sache ein Ende machen werde. Leopold konnte so in aller Gemüthlichkeit vernehmen, wie beliebt er trotz seiner vielen Härten im Lande war. So verging die Zeit, und der Gottesdienst war beendet. Da kam Einer und erzählte, daß der Amtmann im Spritzenhause
eingeschlossen sei. Einige vorübergehende Kirchgänger hatten sein Rufen gehört und nach dem Schmiede geschickt, um das Schloß zu öffnen. Jetzt war es Zeit für Leopold, den Ort zu verlassen. Als er das Freie erreichte, warf er den alten Hut von sich, strich sich die Farbe aus dem Barte und schritt in seiner gewöhnlichen energischen Haltung dem Walde zu, um zu den Seinigen zu gelangen. Da kam ein Mann langsam ihm entgegen die Höhe herabgestiegen. Er kam ihm bekannt vor, und darum blickte er schärfer hin. »Alle Teufel, der Seifensieder. Warte, dem werde ich gleich einmal nach dem Pulse fühlen!« Er ging ihm entgegen. Der Mann erkannte auch ihn und blieb halten. »Das ist ja der Werber von voriger Woche! Woher des Weges?« »Hat Ihm kein Kerl begegnet, ungefähr in derselben Bekleidung wie die meine?« »Nein. Warum?« »Weil er mir einen ganz verteufelten Streich gespielt hat. Will ich da ins Dorf, um einen alten Bekannten zu besuchen, den ich wohl an die zehn Jahre nicht gesehen habe, und setze mich, dieweil es mir zu heiß wird, ein wenig in das Gras. Aus Unvorsichtigkeit ziehe ich auch meinen Rock aus und schlafe am Ende ein. Als ich erwache, ist mein Dreispitz weg sammt dem Rocke, und statt ihrer liegt hier dieser Gottfried dort. Der's gethan hat, muß ein Bettler oder Vagabund gewesen sein. Ins Dorf hinein ist er jedenfalls nicht; darum bin ich heraus, um seine Spur zu finden.« »Es ist mir Niemand dergleichen begegnet. Aber da wir uns so zufälliger Weise begegnen, so könnte Er mir wohl sagen, ob Er vielleicht etwas von dem Hellbach gemerkt hat.« »Hm!« »Ja?« »Hm!« »So rede Er doch!« »Und derweile geht mir mein Spitzbube verloren! Adieu!« Er that, als ob er fort wolle; der Andere aber ergriff ihn am Arme. »So bleibe Er doch! Sein Rock wird wohl noch zu ersetzen sein!«
»Wer soll ihn mir ersetzen? Doch, wohl Er nicht?« »Warum nicht? Wenn Er mir gute Botschaft gibt, kommt es mir auf zehn Gulden nicht an.« »Hat Er das Geld bei sich?« »Ja.« »Dann her mit den zehn Gulden!« »Erst Sein Bericht!« »Und dann kein Geld; das kennen wir! Adieu!« »Halt! Hat Er ihn gesehen?« »Erst das Geld!« »Hier ist es. Aber nun will ich auch etwas hören!« Der Fürst steckte die zehn Gulden schmunzelnd ein. »Ich habe ihn gesehen.« »Ists wahr?« »Ja.« »Und gesprochen?« »Hm!« »Na, heraus damit!« »Hm!« »Was will Er denn mit Seinem Hm?« »Daß ich ihn gesehen habe, macht zehn Gulden. Mehr Werth noch hätte es für Ihn, wenn ich ihn sogar gesprochen hätte?« »Er ist ein Gauner und Erzschelm!« »Kostet nun erst recht zehn Gulden, und wenn Er fortschimpft, macht es gar zwanzig!« »Hier sind noch zehn. Nun ists aber ab!« »Ich habe mit ihm gesprochen, und zwar öfters.« »Was denn?« »Ja, nun ists aber ab!« »Ich soll doch nicht etwa noch zehn Gulden zahlen, um zu erfahren, was Er mit ihm geredet hat?« »Das überlasse ich Ihm!« »Er ist wirklich ein Spitzbube!« »Soll ich Ihm sagen, für was ich Ihn halte?« »Gut, Er soll Seinen Willen haben. Hier sind noch zehn Gulden; aber weiter bekommt Er auf keinen Fall etwas! Also, was hat Er mit ihm gesprochen? Was hat Ihm der Hellbach mitgetheilt?« »Alles! Reinweg Alles!« »Weiter!«
»Ja, weiter sage ich auf keinen Fall etwas!« Es machte Leopold innerlich Spaß, den Mann gegen so gute Bezahlung förmlich auf die Folter zu spannen; dieser hingegen konnte nur mit Mühe seinen Aerger und die Begierde, etwas zu erfahren, verbergen. »Er ist ein schlechter Mensch, ein Galgenstrick, den – – –« »Schön; ich kann gehen; dann mag Er sehen, von wem Er etwas erfährt. Der Hellbach ist nur heut noch zu haben, und zwar auf die leichteste Weise, die es nur geben kann.« »Ist das wahr?« »Ich will zehntausend Jahre in der Hölle braten, wenn ich es nicht fertig bringe, ihn Euch heut noch zu verschaffen!« »Jetzt glaube ich Euch! Ihr seid unser Mann! Ihr verdient Euch gern etwas und werdet ein gutes Geschäft machen. Der Hellbach muß verschwinden, versteht Er? Verschwinden auf immer und spurlos. Was will Er haben, wenn Er ihn uns heut bringt?« »Was gibt Er?« »Hundert Gulden!« »Papperlapapp!« »Ist das zu wenig?« »Wie viel erbt die jüngere Linie oder Sein Orden, wenn er verschwindet?« »Wer hat Ihm das gesagt?« »Da sieht Er wenigstens, daß ich den Hellbach im Sacke und nach Allem ausgeforscht habe!« »Ich gebe zweihundert.« »Dafür bekommt Er wohl seinen Rock oder seine Stiefel, nicht aber seine Person. Die ist Millionen werth.« »Er ist wirklich ein ganz hartgesottener Sünder!« »Dankt Gott, daß ich das bin, denn sonst könntet Ihr kein Geschäft mit mir machen! Uebrigens brauche ich diese Reden nicht zu leiden. Lebe Er wohl!« »Halt! Sage Er mir kurz und bündig, wie viel Er haben will!« »Tausend Gulden. Jetzt die Hälfte und heut Abend die Hälfte, wenn ich ihn bringe.« »Das geht nicht!« »Warum nicht?« »Es ist zu viel!« »So sind wir fertig. Adieu!«
»Auch habe ich das Geld nicht bei mir.« »So hole er es sich.« »Ja, wo denn?« »Das ist Seine Sache. Ich warte grad eine halbe Stunde.« »Sechshundert gebe ich.« »Tausend!« »Siebenhundert.« »Tausend!« »Achthundert.« »Tausend! Komme Er mir nicht noch mit neunhundert, sonst ist's ab!« »Er geht also nicht herunter?« »Keinen Heller!« »Er ist ein Filz; doch soll Er das Geld haben! Ich kann Ihn gleich bezahlen; da sieht Er, daß Er um die andere Hälfte nicht besorgt zu sein braucht!« »Werde sie mir schon holen!« lachte der Fürst, grimmig vergnügt. »Hier hat Er! Sehe Er nach; es sind zehn Fünfzigguldenscheine!« »Danke!« »Nun hält Er aber auch Wort!« »Der Teufel soll mich holen, wenn ich Euch den Hellbach nicht bringe!« »Schön! Aber Er weiß ja noch gar nicht wohin!« »Werde es wohl erfahren!« »Kennt Er das Dorf hier?« »Leidlich.« »Es liegt ein herrschaftliches Gut darin.« »Habe davon gehört.« »Dorthin soll – – –« »Halt, das ist mir zu gefährlich.« »Warum?« »Was Ihr vorhabt und was in dem Gute geschehen soll, brauche ich nicht zu wissen; aber ich will nicht dort gesehen sein, damit man mich nicht mit Euren Angelegenheiten in Verbindung bringt.« Diesen Einwand hielt Leopold nöthig, um kein Mißtrauen zu erwecken. »Wo soll ich ihn denn bekommen?«
»Punkt acht Uhr hier an diesem Orte.« »Wird er auch mit mir gehen?« »Sicher; Er ist ein guter Freund von mir, der ihm zur Flucht behülflich sein will.« »Das geht.« »Aber bringe Er die andern Fünfhundert mit.« »Habe Er keine Bange; aber denke Er auch nicht, mich zu betrügen; ich kenne nämlich den Hellbach sehr genau.« »Wenn ich spiele, so ist mein Spiel stets ein ehrliches. Abgemacht. Und säume Er nicht, denn ich bin nicht gewohnt, zu warten!« Sie gingen aus einander. – Am Nachmittage strich der Korporal einmal längs des herrschaftlichen Gartens hin. Anna hatte bereits von seiner Unwesenheit gehört, und da sie sich früher bei ähnlichen Veranlassungen im Garten gesehen hatten, so war sie herausgegangen, um ihn vielleicht zu treffen. Er erblickte sie und sprang zu ihr herüber. »Anna, meine liebe, liebe Anna!« »Komm hinter den Hollunder, damit uns Niemand sieht!« Aber den ersten Kuß erhielt er doch noch vor dem Hollunder. Hinter demselben angekommen nahm sie der Korporal in seine Arme und frug: »Kommst Du heut zum Tanz?« »Am Nachmittage nicht, sondern nur zum Abend.« »Warum?« »Ich habe für den Abend viel vorzubereiten, denn wir bekommen das Gartenhaus voll Gäste.« »Ah! Mußt Du da nicht bedienen?« »Nein.« »Das übernimmt wohl Dein Oheim?« »Auch nicht. Ich weiß nicht, was es für Leute sind; aber er hat mir große Heimlichkeit anbefohlen. Es muß etwas Ungutes dabei sein, denn er überläßt sie sich selbst und geht mit unsern übrigen Gästen nach dem Saale. Erst später will er zu ihnen, wenn Alles schläft.« »Darf ich dann mit Dir tanzen, wenn der Oheim dabei ist?« »Thue es immer. Ich lasse mich nicht zwingen.« »So will ich jetzt wieder gehen, da Du so nothwendig hast.«
»Ja, geh! Der Oheim hat so schlimme Laune, weil er heut von einem Strolche eingesperrt worden ist. Ich glaube, ich bin demselben auch begegnet; er sah gar nicht so bös aus, und doch hat er nach seiner Flucht einen Hut und einen Rock gestohlen, wie der Oheim erfahren hat.« Der Korporal sprang wieder über den Zaun und schritt dem Walde zu; er hielt es für nohwendig, dem Fürsten zu melden, daß der Amtmann auf dem Saale zu treffen sein werde. – Es war bereits dunkel, als es vom Thurme die achte Stunde schlug, und Niemand konnte die beiden Männer sehen, welche vom Walde her dem Dorfe zuschritten. »Getraut Er sich also wirklich, allein mit dem Kerl zu gehen?« frug der Fürst. »Warum nicht, Durchlaucht?« antwortete Hellbach. »Ich kann mich auf mich verlassen und weiß doch auch Ew. Hoheit in der Nähe.« »Werde Ihn auch nicht massakriren lassen!« Als sie die Stelle erreichten, wo Leopold die Unterredung mit dem angeblichen Seifensieder gehabt hatte, fanden sie denselben bereits ihrer harrend. »Da ist Er ja. Sehe Er sich diesen Herrn einmal näher an!« Trotz der Dunkelheit erkannte der Seifensieder den Gesuchten, doch dieser auch ihn, freilich ohne es sich merken zu lassen. »Der Herr Lieutenant von Hellbach!« Jetzt nahm dieser das Wort. »Er kennt meine Verhältnisse?« »Ja.« »Dieser Mann hier, der sich bisher freundlich meiner angenommen hat, hat Ihn als Führer empfohlen. Er wird von meinen Absichten unterrichtet sein und wir können also die Worte sparen. Vorwärts und adieu!« Er reichte dem Fürsten die Hand. »Adieu und viel Glück!« Leopold hielt bereits die zweiten fünfhundert Gulden, welche ihm der Seifensieder zugesteckt hatte, zwischen den Fingern. »Kein übles Geschäft! Soll mich verlangen, ob die Schufte noch mehr solches Papier haben. Kann es gut gebrauchen!« Er wartete, bis die Schritte der Beiden verklungen waren und folgte ihnen dann vorsichtig. Als er nach einigen Minuten in den
gutsherrlichen Garten kam, fand er das Gartenhäuschen bereits von seinen Soldaten besetzt. Die Thür war von innen verschlossen doch vernahm er deutlich die Stimme Hellbachs, obgleich er die einzelnen Worte nicht verstehen konnte. Er befahl zwei Mann herbei, um auf seinen Befehl den Eingang mit dem Kolben zu erzwingen. Die Verhandlung dauerte über eine Viertelstunde; da erscholl drin ein vielstimmiger Schrei und gleich darauf von Hellbachs Stimme der donnernde Ruf: »Herein!« »Auf mit der Bude!« befahl der Fürst. Zwei Kolbenstöße genügten, die leicht gearbeitete Thür zu sprengen. Leopold trat ein. Der Raum war hell erleuchtet; die geschlossenen Läden ließen das Licht nicht nach Außen dringen. An mehreren Tischen hatten achtzehn Männer gesessen, die unter einer Ueberraschung aufgesprungen zu sein schienen und ihre Augen jetzt auf den Eintretenden richteten. Hellbach hatte in einer Ecke Schutz gesucht und hielt in der Linken einen Pack Papiere, während seine Rechte den Griff eines Messers umschloß. »Keine Furcht, Ihr Brüder in domine, « rief der Seifensieder. »Dieser Mann ist der Werber, der ihn mir ausgeliefert hat.« Und sich auf Hellbach werfend, gebot er: »Also her mit den Dokumenten!« »Halt!« donnerte da der Fürst. »Will Er Hallunke wohl Seine Hand von diesem Manne lassen? Habe ich Ihm nicht im ›wilden Manne‹ gesagt, daß Er sich eine Lauge einrühren werde, in der Er sich die Finger verbrennt? Hellbach, sage Er diesen Schurken, wer ich bin!« »Durchlaucht, Fürst Leopold von Anhalt-Dessau!« Sämmtliche Anwesenden erbleichten. Keiner wagte, ein Wort zu sagen. »Was hat Er da für Papiere?« »Jedenfalls die Beweise meiner Legitimität. Sie glaubten mich in der Falle und hatten den Hohn, sie mir zu zeigen. Dieses Gartenhaus scheint der Hauptversammlungsort der frommen Brüder zu sein, und dort der Schrank enthält das Archiv. Dieser Meister Seifensieder wurde Pater Provinzial genannt.« »Ah, ich werde ihn bepatern, daß ihm sämmtliche Provinzen des
deutschen Reichs blau auf den Rücken laufen!« Er wandte sich zurück. »Herein mit Euch!« Im Nu füllte sich der noch freie Raum mit den Soldaten. »Korporal Fritsche, die Stricke her! Jungens, bindet mir diese achtzehn Schufte, aber fest, und wenn die Haut platzt.« »Durchlaucht, ich muß gegen ein solches Verfahren apelliren!« meinte jetzt der angebliche Seifensieder. »Wir sind nicht Unterthanen Ew. Hoheit, sondern – – –« »Rrrruhe, Er Hallunk! Fritsche, wenn dieser Kerl oder ein Anderer noch einmal wagt, das Maul aufzuthun, so stößt Er es ihm mit dem Kolben zu! Ich wollte solchem Ungeziefer auch rathen, sich meine Unterthanen zu nennen! Lieutenant von Hellbach, wessen klagt Er sie an?« »Der Fälschung und des Mordversuchs. In fünf Minuten hätte ich nicht mehr gelebt!« »Schön, schön, ausgezeichnet! Das liefert sie mir an das Messer, denn dieser Versuch wurde innerhalb meines Landes gemacht, und ich bin ja selber Zeuge. Wurde auch gut bezahlt dafür. Die Brüder in domine haben sich doch einmal verrechnet und werden hängen Alle mit einander. Werde die Sache genau untersuchen. Ihr bleibt da, Jungens, bis ich wiederkomme. Vorwärts, Hellbach; wir haben noch ein Nest auszunehmen!« – Unterdessen ging es im Saale des Wirthshauses recht lebhaft zu. Das Jungvolk drehte sich wacker im Kreise, und die Alten saßen im Nebenzimmer beim Biere, um zu politisiren und ganz besonders die Ereignisse des heutigen Tages zu besprechen. Der Amtmann, welcher sich mit seinen Kirchweihgästen unter ihnen befand, war sehr kleinlaut. Er mußte auf manchem Gesichte eine schwere Anklage wegen seiner ungerechten Rekrutenaushebung lesen, und noch mehr als dies ärgerte ihn die Blamage, welche ihm heut der Bettler zugezogen hatte. Er suchte nach einem Gegenstande, an welchem er seinen Grimm auslassen könnte. Da fiel sein Blick durch die geöffnete Thür in den Saal, und sofort erhob er sich. Er hatte den Korporal Franke gesehen, welcher mit Anna tanzte. Auf das Paar zueilend faßte er seine Nichte und riß sie aus den Armen ihres Tänzers. »Hast Du vergessen, was ich Dir befohlen habe? Fort nach Hause!«
Sofort schwieg die Musik, und die drehenden Paare standen still. Franke ergriff Anna von Neuem. »Was fällt Ihm ein, Amtmann, mir meine Tänzerin zu nehmen! So lange ich mit ihr tanze, geht sie Ihm nichts an. Er wäre mir der Rechte, einen wohlgedienten Korporal seiner fürstlichen Durchlaucht öffentlich zu beschimpfen!« »Ich werde Ihm beweisen, daß ich doch der Rechte bin, Er Grünschnabel! Ich werde ihm – – –« Er hielt mitten in der Rede inne. Sein Blick war zufälliger Weise auf den Eingang gefallen und hatte dort den Bettler von heute morgen bemerkt. Dieser lehnte sich behaglich an den Pfeiler, ganz unbekümmert darum, daß sich der Dorfbüttel ganz in seiner Nähe befand. »Halt, heda! Wer ist denn das?« frug der Amtmann ganz erstaunt darüber, daß der Mensch es wagte, hier zu erscheinen. »Das ist der Kerl, der mir heut entflohen ist, der Spitzbube, der Pflaumendieb! Polizei, bringe ihn doch einmal her!« »Diesen da?« frug der Büttel auf den Fürsten deutend. »Ja.« »Dann vorwärts, Alter!« Leopold ließ sich willig bis in die Mitte des Saales führen, wo der Amtmann stand. »Wie kann Er es wagen, wiederzukommen, nachdem Er heut solche Schlechtigkeit verübt hat? Ich werde Ihm Seine Strafe verdoppeln. Er ist mir in den Garten gebrochen, hat mir die Pflaumen gestohlen, sich gar an mir vergriffen und ist dann entflohen. Auch den Schlüssel zum Gefängnisse hat Er gestohlen; ich werde Ihm vier Wochen diktiren!« »Herr Amtmann, ich bin kein Dieb,« meinte Leopold kleinlaut. »Nicht? Er gesteht nicht ein; das macht die Sache schlimmer!« »Ich habe die Pflaumen von ihm zu bekommen!« »Er? Von mir? Er hat wohl ein Rad zu viel im Kopfe?« »Hat Er mir außer dem Pachte nicht jährlich einen halben Scheffel von jeder Obstsorte zu liefern? Die paar Pflaumen habe ich mir auf Abschlag genommen.« Immer noch klang seine Stimme kleinlaut und demüthig. Der Amtmann blickte ihn erstaunt an. »Er hält sich wohl gar für den Fürsten, he?« »Nein,« donnerte da der Gefragte, indem er sich hoch
aufrichtete und den alten Rock öffnete, unter welchem eine besternte Uniform sichtbar wurde; »ich halte mich nicht für ihn, sondern ich bin es wirklich, Er Erzschelm und Hallunke!« Die Ueberraschung der Anwesenden und der Schreck des Amtmannes war unbeschreiblich. Leopold achtete gar nicht darauf, sondern fuhr fort: »Er wollte mich heut zwingen, Ihn ›Herr Amtmann‹ zu tituliren. Schön, es soll geschehen! Ich habe meine ausgemergelten Felder gesehen; es ist aus mit Ihm, Herr Amtmann! Im Walde steht kein gescheidter Baum mehr; es ist aus mit Ihm, Herr Amtmann! Ich habe die Schwarzkittel in Seinem Gartenhause arretirt; es ist aus mit Ihm, Herr Amtmann! Ich werde seine Amtsführung und die Gemeinderechnungen prüfen; es ist aus mit Ihm, Herr Amtmannn! Er steckt die Armen ins Militär und läßt die Reichen frei; es ist aus mit Ihm, Herr Amtmann! Gefreiter Lange!« Auf diesen Ruf marschirte der Genannte, hinter ihm seine Leute, zur Thür herein. Sie hatten still auf der Treppe und im Hause gestanden. »Zu Befehl, Durchlaucht!« »Dieser Mensch ist Sein Gefangener. Stecke Er ihn in das Spritzenhaus – hier ist der Schlüssel dazu – und stelle Er zwei Posten davor! Ab, vorwärts marsch!« Der Amtmann war so niedergeschmettert, daß er keinen Laut von sich gab. Er sah sich verloren und wankte mit niedergesenktem Haupte zur Thür hinaus, welche die Soldaten hinter ihm streng besetzten. »Korporal Franke!« »Zu Befehl, Durchlaucht!« »Er sieht, ich brauche einen neuen Amtmann! Will Er es sein?« »Durchlaucht, ich weiß nicht, ob – – –« »Maul halten! Er ist ein tüchtiger Kerl, und wo Er nicht durchkommt, wird Ihm Sein Vater mit Rath und That beistehen, abgemacht, basta! Hole Er mir einmal Seine Frau Amtmännin her!« Der von diesem ungewohnten Glücke beinahe verblüffte Korporal brachte die erröthende Anna herbei. »Will Sie ihn nehmen, Sie Blitzhexe, he?« »Ja!« antwortete sie beherzt. »Korporal, so gebe Er ihr auf der Stelle einen Schmatz! Eins, zwei, drei! So wars gut! Ich werde heut bei Seinem Vater bleiben,
da können wir das Nöthige besprechen, vor der Hand aber lade ich mich zur Hochzeit ein; versteht Er mich? Ich bin Sein Pathe, und wenn ich so für Ihn sorge, darf Er mich nicht übergehen!« Jetzt drehte er sich nach der Thür um. »Herein mit den Rekruten!« Die heut gepreßten Bursche traten ein. »Ihr seid frei. Geht zu Euren Mädels!« Unter beifälligem Jubel der ganzen Versammlung hatten sie sich im Nu zerstreut. Jetzt zog der Fürst den Zettel hervor, auf welchen Feldwebel Franke in Dessau seine Notizen gemacht hatte. »Aufgepaßt! Die ich jetzt vorlese, haben vorzutreten!« Alle Einundzwanzig waren anwesend und standen bald vor ihm. »So! Also das sind die Himmelhunde, für welche die Söhne armer Leute büßen sollten? Euch soll ein hageldickes Donnerwetter reiten! Ich will Euch heut den Spaß nicht verderben; aber nächsten Sonnabend habt Ihr Euch in Halle zu melden, verstanden? Und wenn mir Einer fehlt, so stecke ich seinen Alten in die Montour oder den ersten besten männlichen Verwandten, der mir in die Hände kommt. Das thue ich, so wahr ich Leopold heiße! Jetzt aber, Kinder, macht wieder Musik und singt mir einmal dazu unsers Herrgotts Dragonermarsch!« Dieser Befehl wurde mit unendlichem Beifalle entgegengenommen; die Musikanten setzten die Instrumente an, und nun erscholl ein brausendes »So leben wir, so leben wir,« allen voran die Stimme des Fürsten, der dann, gefolgt von Franke, Anna und den Soldaten, nach dem Takte der Melodie zur Thür hinausmarschirte.
[Fußnoten] 1 Der ganze Vorgang ist geschichtlich wahr. 2 Auch dieser Vorgang beruht auf geschichtlicher Thatsache, obgleich es unmöglich ist, ihn vollständig wahrheitsgetreu zu erzählen.
Ein Fürst des Schwindels von Ernst von Linden Nach authentischen Quellen
1. Aqua benedetta Friedrich der Zweite hatte sich auf den Thron Preußen's gesetzt. Seine Politik modelte er nach den Satzungen des heute noch geheimnißvollen »Testamentes des großen Kurfürsten«. Zunächst richtete er sein Augenmerk auf einen Neutralitätsvertrag mit Frankreich. Zu diesem Zwecke sandte er den Baron von Langenau nach Versailles, um Ludwig den Fünfzehnten für seine Pläne günstig zu stimmen. Der Baron war zwar noch jung, besaß aber das vollste Vertrauen seines Königs und sah auch seine Bemühungen von einem solchen Erfolge gekrönt, daß eine baldige Unterzeichnung des Vertrages in sicherer Aussicht stand. Heute war er wieder zu einer Audienz nach Versailles befohlen und deßhalb zu Wagen von Paris herbeigekommen, um wo möglich seine Aufgabe zur letzten Entscheidung zu bringen. Er fuhr nicht bis an das Schloß selbst heran, sondern ließ bereits in ziemlicher Entfernung von demselben halten und stieg aus. Zu Fuße begab er sich unbemerkt nach der Umzäunung des Parkes und schritt an derselben hin bis zu einer Pforte, an welcher er sich halblaut räusperte. Sofort klirrte ein Schlüssel in dem Schlosse; es wurde von innen geöffnet, und er sah sich einer Dame gegenüber, deren Schönheit allerdings geeignet erschien, einen so außergewöhnlichen Schritt zu erklären. »Amély!« »Charles!« Er nahm ihre kleine Hand, bückte sich auf dieselbe nieder und küßte in galanter Courtoisie die Fingerspitzen ihrer seidenen Handschuhe. »Tausend Dank, ma belle amie, daß Sie so gütig sind, meine Bitte zu erfüllen! Schließen wir die Pforte?« »Ja, wir schließen sie, mon ami. Sie können unmöglich ohne Wagen an dem Portale erscheinen und müssen also durch den Park Entrée nehmen. Allerdings begebe ich mich durch die Erfüllung Ihres Wunsches in große Gefahr, denn der König promenirt soeben
im Parke, doch schien es mir nöthig, Ihnen vor Ihrer Unterredung mit dem Monarch Nachricht über die Erfolge meiner Thätigkeit zu geben.« »So haben Sie wirklich Erfolge zu verzeichnen, Amély?« frug er, ihren Arm nehmend und in einen schmalen Seitenpfad einbiegend. »Allerdings, wenn auch nicht nach der Seite hin, auf welche Sie mein Augenmerk zu richten strebten. Allerdings ist meine Tante als Freundin und erste Hofdame der Marquise de Pompadour nicht ohne Einfluß auf diese und ma chére tante hat mich zu lieb, als daß sie mir einen erfüllbaren Wunsch abschlagen könnte, doch – doch – – –« »Nun, meine Theure, doch – doch – – –?« »Darf ich aufrichtig sein, lieber Freund?« »Vollständig; ich bitte darum! Sie scheinen mir etwas zu sagen zu haben, von dem Sie annehmen, daß es mich verletzen könnte; aber bedenken Sie, daß es mir ohne vollständige Klarheit vielleicht unmöglich sein würde, meine schwierige Aufgabe zu lösen, und ein zu reges Zartgefühl also nicht am Platze sein dürfte!« »Nun wohl! Tante kann nichts für Sie thun, weil – weil – – –« »Weil – – –? Ich bitte wirklich dringend, fortzufahren, Amély!« »Es fällt mir schwer, doch sei es gesagt: die allmächtige Marquise scheint eine Antipathie zu hegen, deren Gegenstand – –« »Deren Gegenstand ich bin; ist es nicht so?« »Allerdings, mein Freund. Natürlich bin ich der festen Ueberzeugung, daß diese Abneigung oder – sagen wir lieber – diese Idiosynkrasie eine vollständig ungerechtfertigte ist; aber Sie haben das Unglück gehabt, die Hand der Marquise beim Audienzkusse mit drei statt nur mit zwei Fingern zu berühren, und für solche Dinge hat sie ein Gedächtniß, welches nur höchst selten zum Vergeben geneigt ist.« » Bon! Ich werde also auf ihre Zuneigung verzichten müssen. Aber, sprachen Sie nicht von einer anderen Seite?« »Von einer Seite, auf welcher sich ein Einfluß auf den König zu Gunsten Ihrer Mission geltend zu machen sucht – – gegen die Ansichten der Marquise. Sie verstehen mich?« Der Baron machte eine zustimmende Geberde, und die Dame sprach leise weiter: »Freilich hat sich der König in dem Grade von der Marquise abhängig gemacht, daß schließlich ihre Stimme doch
siegen könnte. Schlagen wir nun eine andere Richtung ein, mein Lieber. Dieser Pfad führt nach der großen Fontaine, und wenn wir ihm weiter folgen, so laufen wir Gefahr, der Majestät mit sämmtlichen Herren und Damen des Hofes zu begegnen!« Sie hatte mit diesen Worten Recht, denn von dem berühmten Bosquet de Fosan aus bewegte sich eine lange Reihe von einzelnen Gruppen nach der großen Fontaine zu, voran der König, an der Seite der Marquise von Pompadour, und zunächst hinter ihm in der Mitte einiger hervorragenden Hofdamen die erste Dame der Marquise, Madame d'Hausset an der Seite der durch ihre weiten Reisen und ihre diplomatischen Antecedentien wohlbekannten Gräfin von Gergy. Die Marquise ging am Arme des Königs. Sie trug eine Robe von schwarzer Soie de Lyon, ein rundes Jagdmützchen auf dem Kopfe und stützte sich mit der Hand auf einen massiv elfenbeinernen Stock, dessen Griff reich mit Brillanten und Rubinen verziert war. Ihr Gespräch mit Louis quinze schien einen Gegenstand zu betreffen, welcher geeignet war, das höchste Interesse der beiden hochgestellten Personen in Anspruch zu nehmen. »Kennen Sie seine Abstammung, Madame?« frug der König. »Sie ist ein Geheimniß, Sire, über welches er die tiefste Verschwiegenheit beobachtet, und ich glaube, daß selbst Ew. Majestät Fragen hier ohne Erfolg sein würden,« antwortete die berüchtigte Frau, welche ihren Einfluß auf einen unsittlichen Herrscher so klug zu verwenden verstanden hatte, daß sie die eigentliche Gebieterin Frankreich's war. »Dann hat er sicherlich Gründe, seine Vergangenheit zu verbergen. Er ist aber trotzdem ein höchst sehenswerther Abenteurer.« »Der dem Staate von unendlichem Nutzen sein kann,« fügte die Pompadour angelegentlich hinzu. »Es scheint sicher zu sein, daß ihm die Fabrikation edler Steine und Metalle wenig Schwierigkeiten verursacht. Er hat während der kurzen Zeit seines Hierseins die bewundernswerthesten Kuren vollbracht und besitzt ein Elixir, welches die Einwirkungen des Alters vollständig aufhebt.« »Also ein Adept, ein Wunderdoctor!« »Mehr, viel mehr als dies, Sire! Er zeichnet und malt genial, ist Virtuos verschiedener musikalischer Instrumente, singt zum Entzücken, modellirt gleich einem Künstler und spricht außer
französisch, englisch, deutsch, italienisch, spanisch, portugiesisch und den sämmtlichen alten Sprachen auch arabisch, türkisch, persisch und chinesisch. Der Mann ist auf alle Fälle ein Mirakel.« »Und zwar eins von denen, deren Bewunderung dann schließlich in Enttäuschung übergeht.« Die Marquise schüttelte mit dem Kopfe; sie war sichtlich bemüht, die Zweifel des Königs zu beseitigen. »Dann müßte die Enttäuschung längst eingetreten sein, Sire, denn der Graf von St. Germain ist eine Berühmtheit, welche nicht erst seit zwanzig oder dreißig Jahren von sich reden macht.« »Ah! Dann besitzt er ein hohes Alter?« »Nein, denn er wird nie alt. Ich hatte bereits die Ehre, sein Elixir zu erwähnen, welches ewige Jugend und Gesundheit verleiht. Man erzählt von ihm, daß er bereits vor mehreren hundert Jahren, ja vielleicht schon vor tausend Jahren gelebt habe.« »Madame!« rief Ludwig in beinahe verweisendem Tone. »Hat er selbst es gewagt, Ihnen diese Unwahrheiten zu erzählen?« »Unwahrheiten, Sire? Wenn ich nicht die vollständige Ueberzeugung hätte, daß ich von Thatsachen spreche, so würde ich nicht wagen, den Grafen zum Gegenstande des Gespräches zu machen. Uebrigens gibt er niemals irgend eine Auskunft über sich und seine Verhältnisse, sondern Alles, was man von ihm weiß, ist erst durch Andere und zwar durch vollgültige Zeugen bekannt geworden.« »Nach dem, was ich von Ihnen hörte, Madame, dürfen sich diese Zeugen wohl keiner allzugroßen Zuverlässigkeit rühmen.« »Doch, doch, Sire! Mir wenigstens gilt zum Beispiele das Wort der Gräfin von Gergy als höchst vertrauenswerth.« »Die Gräfin Gergy?« »Deren verstorbener Gemahl vor nun bereits fünfzig Jahren Gesandter in Venedig war.« »Sie ist mir gewissermaßen selbst ein Räthsel. Ich kenne sie beinahe seit zwei Dezennien und sehe nicht, daß sie in dieser langen Zeit nur einen Tag gealtert hätte.« »Gestatten Ew. Majestät, die Gräfin zu rufen!« Sie wandte sich zu dem Gefolge zurück und winkte. Die Wittwe des einstigen venetianischen Gesandten beeilte sich, der Aufforderung Folge zu leisten, und trat mit einer tiefen Verneigung an die linke Seite des Königs.
»Seine Majestät wollen das Nähere über Ihr Zusammentreffen mit dem Grafen von St. Germain in Venedig erfahren, meine Liebe,« erklärte die Marquise. Die Gräfin verbeugte sich zustimmend. »Darf ich fragen, wie alt mich Ew. Majestät schätzen?« begann sie ihren Bericht. Der König lächelte über diese Frage, welche eine Dame nur in der sichern Erwartung eines Complimentes auszusprechen pflegt. Er befand sich bei gnädiger Laune und beschloß, die Gräfin durch eine möglichst hohe Ziffer zu ärgern. Er schätzte sie fünfzig und hielt es für unmöglich, daß ihr Gemahl vor eben dieser Zeit in Venedig gewesen sein könne, antwortete aber schnell und kurz: »Sechzig!« Jetzt war es Frau von Gergy, welche lächelte. »Sire, mein erstes Zusammentreffen mit dem Grafen von St. Germain fällt um volle fünfzig Jahre zurück,« antwortete sie, »und damals zählte ich einige Jahre über dreißig.« »Nicht möglich!« rief Ludwig. »Dann wären Sie ja über achtzig Jahre alt!« »Das bin ich auch, Sire. Ich habe in Bezug auf mein Aeußeres jenes Alter von dreißig Jahren ein volles Vierteljahrhundert hindurch unverändert behalten, und zwar in Folge eines Trankes, welchen mir der Graf von St. Germain damals gab, und selbst als der letzte Tropfen dieses köstlichen Elixirs verbraucht war, hat sich seine Wirkung bis auf den heutigen Tag erstreckt. Ich bin langsamer alt geworden als Andere, habe nie das leiseste Unwohlsein gespürt und hege die feste Ueberzeugung, daß ich auch heut nur dreißig Jahre alt erscheinen würde, wenn mir jener Wundertrank nicht ausgegangen wäre.« »Und der Graf? Er selbst braucht natürlich auch dieses Zaubermittel?« »Augenscheinlich, denn er hat seit jener Stunde, in welcher ich ihn vor fünfzig Jahren zum ersten Male sah, nicht um einen Augenblick gealtert.« »Erzählen Sie uns von Ihrer zweiten Begegnung! Sie muß voller Ueberraschung gewesen sein.« »Ich traf ihn ganz unerwartet bei Madame,« berichtete die Gräfin mit einer Verneigung gegen die Marquise Pompadour, »und glaubte, einen dem Vater außerordentlich ähnlichen Sohn vor mir zu
sehen. Ich trat auf ihn zu und bat ihn, mir zu sagen, ob nicht sein Vater um das Jahr 1700 in Venedig gewesen sei.« »Was antwortete er?« »Nein, Madame,« antwortete er gelassen; »es ist schon viel länger her, daß ich meinen Vater verlor; aber ich selbst wohnte zu Ende des vorigen und zu Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts in Venedig. Ich hatte die Ehre, Ihnen dort einiges Interesse einzuflößen, und Sie waren gütig genug, einige Barcarolen meiner eigenen Composition, welche wir zusammen sangen, hübsch zu finden.« »Verzeihen Sie, aber das ist unmöglich,« warf ich ein; »denn der Graf von St. Germain, den ich damals kannte, war wenigstens fünfundvierzig Jahre alt, und Sie haben jetzt höchstens erst das gleiche Alter!« »Madame,« sagte der Graf lächelnd, »ich bin schon sehr alt, so alt vielleicht, daß ich den Tag meiner Geburt längst vergessen habe.« »Aber dann müssen Sie ja nahe an hundert Jahre zählen!« »Finden Sie das unmöglich?« »Und nun erzählte er mir eine Menge kleiner, näherer Umstände, welche sich auf unsern gemeinschaftlichen Aufenthalt in Venedig bezogen, und von denen nur ich und St. Germain wissen konnten. Sein außerordentliches Gedächtniß erinnerte sich nicht nur der unbedeutendsten Einzelnheit, sondern jedes Wortes, welches damals zwischen uns gesprochen wurde, und um mich gänzlich zu überzeugen, zeigte er mir eine kleine Narbe an seiner Hand, welche dadurch entstanden war, daß er sich einst an meiner Sticknadel blutig riß.« »Hat er Sie hier besucht?« frug der König. »Nein, Sire; seine Zeit ist ganz außerordentlich in Anspruch genommen. Alles, was ich erreichte, war die Erlaubniß, auf einige wenige Minuten bei ihm vorsprechen zu dürfen.« »Und Sie thaten es?« »Sicher. Ich durfte mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen, den berühmten Mann chez soi même zu sehen.« »Wie fanden Sie es bei ihm?« »Wenn ich erwartet hatte, einen Einblick in die ganze Enfilade seiner Wohnräume zu gewinnen, so fand ich mich getäuscht, denn ich durfte nur ein einziges Zimmer betreten, und dieses zeigte nicht
die geringste Merkwürdigkeit. Doch brachte er aus den Nebenräumen Manches, was mich in Erstaunen versetzte, zum Beispiel seine Diamantensammlung, welche mich geradezu an Aladin's Wunderlampe erinnerte. Sie ist viele, viele Millionen werth.« »So ist er reich?« »Ich bin davon überzeugt, obgleich man sich seinen Reichthum auf keinerlei Weise zu erklären vermag. Er hat keine Güter, keine Renten, keine Banquiers, keine feste Einnahme irgend einer Art; Karten und Würfel berührt er nie, und dennoch führt er einen großen Haushalt, hat Bediente, Pferde und Wagen und eine ungeheure Menge von Edelsteinen in allen Größen, Gattungen und Farben. Man weiß wahrhaftig nicht, was man von dem Allen denken soll!« »Er ist jedenfalls ein geschickter Charlatan; man wird ihm vielleicht einmal begegnen,« meinte Ludwig. Er konnte nicht gestehen, daß er schon längst von dem Grafen gehört hatte und mehr an das Erzählte glaubte, als er sich merken ließ. War es denn nicht vielleicht möglich, daß er bei dem »geschickten Charlatan« Hülfe gegen die immerwährende Ebbe in seinen Kassen finden konnte? Dieser Gedanke hatte ihn bereits viel beschäftigt, und deßhalb hatte er es über sich gewonnen, dem Grafen just für die jetzige Stunde ein scheinbar zufälliges Rendezvous andeuten zu lassen. Diese Andeutung war verstanden und befolgt worden. Eben als man um eine Ecke bog, war ein Mann zu erblicken, welcher eine Rose in der Hand hielt und sie so sorgfältig betrachtete, daß er das Nahen des Hofes nicht zu bemerken schien. Das Auge des Königs glitt forschend über die Gestalt des Fremden und leuchtete dann mit zufriedenem Blick auf. Er hatte den Erwarteten erkannt. Dessenungeachtet aber frug er mit zorniger Miene: »Wer ist dieser Mann? Es ist ja bekannt, daß während Unserer Anwesenheit Niemand Zutritt finden soll!« Die Gräfin von Gergy hatte die Situation sofort begriffen. »Sire,« antwortete sie, »es ist der Graf von St. Germain. Er ist gewohnt, mehr als Andere wagen zu dürfen. Gestatten Ew. Majestät, ihn vorzustellen?« Der König nickte zurückhaltend. »Wir wollen Uns geneigt finden lassen, Uns einige Minuten mit ihm zu unterhalten.«
Frau von Gergy trat zu dem wunderbaren Manne, begrüßte ihn und führte ihn dann dem König zu. Er war von mittlerer Größe und sehr elegantem Benehmen, hatte regelmäßige Züge, eine tiefbraune Gesichtsfarbe und schwarzes Haar. Seine Kleidung war einfach, aber geschmackvoll. Der einzige Luxus, welchen er zeigte, allerdings auch ein außerordentlich ungewöhnlicher, bestand in einer großen Menge von Diamanten, welche er an allen Fingern, an der Uhrkette und statt der Knöpfe trug. Die Schuhschnallen allein würde jeder Kenner auf mindestens 200,000 Francs geschätzt haben. Ludwig nahm dessen ehrerbietigen Gruß mit freundlichem Kopfnicken entgegen und begann, wie er es fast stets zu thun pflegte, die Unterredung ohne alle Einleitung: »Man sagt, Sie seien mehrere Jahrhunderte alt. Ist das wahr?« »Sire,« antwortete St. Germain mit einem Ausdrucke in Stimme und Gesicht, welcher nur Leuten von Geist eigen ist, »ich belustige mich zuweilen damit, nicht glauben zu machen, sondern glauben zu lassen, daß ich schon in den ältesten Zeiten gelebt habe.« »Doch die Wahrheit, Graf, ist – – –« »Die Wahrheit ist häufig unergründlich,« antwortete er ausweichend. »Nach der Versicherung mehrerer Personen von denen Sie schon unter der Regierung meines Großvaters gekannt worden sind, scheint es, als ob Sie über hundert Jahre zählen.« »Das wäre ja nicht einmal ein sehr überraschendes Alter. Im Norden von Europa habe ich Menschen gesehen, welche 160 Jahre und darüber alt waren.« »Ich weiß es, daß es deren gibt; aber Ihr jugendliches Aussehen ist es, welches alle Forschungen der Gelehrten über den Haufen wirft. Ich würde mich freuen, den Beweis zu erhalten, daß Sie schon im vorigen Jahrhunderte lebten.« »Das wird sehr leicht sein, Sire!« Er zog ein in gothischer Art gebundenes Souvenir aus der Tasche, öffnete es und nahm eins der zahlreichen Blätter, welche es enthielt, heraus. »Wird ein Zeugniß des großen Montaigne genügen, Majestät?« »Wie?« frug der König erstaunt; »Sie wollen Montaigne persönlich gekannt haben, der im Jahre 1592 gestorben ist?« »Ich stelle diese Behauptung auf und bitte, sie beweisen zu
dürfen!« »Geben Sie das Blatt der Marquise!« Der Graf folgte diesem Befehle, und Frau von Pompadour las die Zeilen des damals für unübertroffen geltenden Philosophen vor: » Il n'est homme de bien qui mette a l'examen des lois toutes ses actions et pensées, qui ne soit pendable six fois en sa vie; voire tel qu'il serait dommage et très injuste de punir. A son ami, le comte de Saint-Germain. M. Eyquem de Montaique « 1 Der erstaunte Monarch griff nach dem Zettel und überzeugte sich, daß Moutaigne ihn im Jahre 1580 mit eigener Hand geschrieben hatte. »Das ist merkwürdig, höchst merkwürdig!« rief er und wandte sich zu seinem Gefolge: »Kommen Sie her, meine Herren, und sehen Sie hier den Grafen von St. Germain, welcher so alt ist, daß er Montaigne persönlich kannte!« Der Herzog von Brancas, der Herr von Gontout, der Abbé Bernis und Andere traten näher, nahmen Einsicht in die Zeilen und vermochten nicht, ihre Verwunderung zurückzuhalten. Ihr Erstaunen wurde noch größer, als sie die Edelsteine bemerkten, welche der Graf an sich trug. Der König bemerkte es und frug: »Sie scheinen ein großer Freund von Steinen zu sein?« »Ich pflege mich viel mit ihnen zu beschäftigen, Sire. Besonders ist es ihre Entstehung und ihr Wachsthum, welches mich lebhaft interessirt.« »Das heißt, Sie halten es für möglich, daß ein Mensch so tiefen Einblick in diese Entstehung gewinnen kann, daß es ihm gelingt, solche Steine beliebig hervorzubringen?« »Der Wissenschaft ist Alles möglich, Majestät, nur daß sie an die Entwickelung unsers Wissens gebunden ist und nur selten einen ihrer Jünger in der Weise bevorzugt, daß sie ihm einen deutlichen Einblick in die Schöpfungswerkstätten der Natur gestattet. »Vielleicht sind Sie selbst ein solcher bevorzugter Liebling der Wissenschaft. Vermögen Sie, aus kleinen Diamanten große zu machen?« »Wer dieses vermöchte, Sire, der würde sicher mit seiner Kunst zurückhaltend sein,« lautete die ausweichende Antwort. »Eher darf
man davon sprechen, Perlen wachsen zu lassen.« »Ist Ihnen das möglich?« »Ja. Ich gebe ihnen die fünf-, ja zehnfache Größe und verleihe ihnen dabei denjenigen Grad von Wasser, welcher mir beliebt.« »Das ist viel. Haben Sie schon davon gehört, daß es fleckige Diamanten gibt?« Ueber die geistreichen Züge des Grafen glitt ein feines, fast schonendes Lächeln. »Ich habe deren sehr oft selbst gehabt. Wer eine Aufmerksamkeit, wie die meinige, den Steinen widmet, kennt jede einzelne ihrer Sonderheiten. Die Flecken lassen sich fast stets entfernen.« »Wie, Sie hätten wirklich das Geheimniß entdeckt, nach dessen Enthüllung die Kunst bisher vergebens strebte?« »Die Lösung ist nicht schwer, Sire. Gelang sie Andern nicht, so lag es nicht an der Kunst, sondern an den Künstlern.« »Wenn ich nun die Wahrheit Ihrer Behauptung einer Prüfung unterwerfe?« »Ich werde sie bestehen.« Diese Antwort klang so stolz und zuverlässig, als handle es sich um die Entfernung eines Weinfleckes aus einem Stücke Seidenzeug. Auf den König schien dieses Selbstvertrauen Eindruck zu machen. Er zog einen Diamanten hervor und bewies damit augenscheinlich, daß er auf das Zusammentreffen mit St. Germain vorbereitet sei. »Sehen Sie diesen Stein! Er würde 4000 Francs mehr werth sein, wenn er rein wäre.« Der Graf betrachtete den Diamanten aufmerksam. »Der Fleck ist etwas groß, aber ich werde ihn dennoch fortbringen. Wollen Ew. Majestät den Stein mir anvertrauen?« »Sie dürfen ihn mitnehmen. Mein Juwelier, der ihn jetzt auf 6000 Francs schätzt, versichert, 10,000 für ihn zahlen zu können, wenn er den Fleck nicht hätte.« »In vierzehn Tagen gebe ich mir die Ehre, ihn vollständig rein zurückzubringen.« »Man wird dann Grund haben, Ihre Geschicklichkeit anzuerkennen. Aber sagen Sie einmal aufrichtig, Graf; man spricht von einem Lebenselixir, von einem Aqua benedetta, welches Sie zu bereiten verstehen, und durch welches Freunde von Ihnen Schutz vor den Einwirkungen des Alters gefunden haben sollen.«
»Die Natur ist ewig jung, Sire. Wer ihre Lebenskraft zu extrahiren und in den menschlichen Organismus überzuführen versteht, kennt kein Alter und keinen Tod. Er kann Tausende von Jahren gelebt haben, ohne davon zu sprechen.« »Sie weichen mir aus und geben dennoch Ihr Eingeständniß. Sie selbst haben sich außerordentlich gut conservirt und danken diese immerwährende Jugend jedenfalls nur der Wirkung dieses Zauberwassers.« »Krankheit und Tod lassen sich nicht durch einen bloßen Wunsch, sondern nur durch Waffen besiegen, Majestät.« »Und stehen diese Waffen nur Ihren speziellen Freunden zu Gebote?« »Nur. Das Aqua benedetta wird unter einer Constellation der Gestirne bereitet, welche für die rechte Wirkung des Trankes eine innige Sympathie zwischen dem Verfertiger und demjenigen, welcher sich des Mittels bedient, voraussetzt.« »So sind für die Zubereitung dieser Lebenstinktur auch astrologische Kenntnisse von Nöthen?« »Ich leugne es nicht und gestehe, daß diese Kenntnisse nicht schülerhafte sein dürfen. Die Gestirne werden von derselben Kraft gehalten, welche wir, so lange sie im Leibe des Menschen thätig wirkt, das Leben nennen. Aus dem Laufe der Sonnen und Sterne ist sie berechenbarer als aus den Bewegungen unserer Glieder, und so schwer diese Berechnungen sind, es ist nothwendig, sie zu Rathe zu ziehen, wenn man das kühne Unternehmen wagt, die ewige Kraft in den vergänglichen flüssigen Tropfen zu bannen.« »Sichert dieser Trank auch gegen die Folgen äußerer Verletzung?« »Nein, Sire. Das Leben, welches mit ihm in den Organismus strömt, kann durch gewaltsame Angriffe vernichtet werden. Die Aufgabe, ein Elixir zu bereiten, welches selbst den Streich einer tödtlichen Waffe unschädlich macht, ist noch keinem Sterblichen zu lösen gelungen, doch hoffe ich« – und dabei ging ein siegesbewußtes Lächeln über seine Züge – »auch diese Schwierigkeit noch zu überwinden.« »Sie sind kühn in Ihren Hoffnungen, Graf!« »Ein Mann, welcher nicht genau weiß, was er zu leisten vermag, ist kein Mann, Sire; er wird nie zur vollständigen Entwickelung der Kräfte gelangen, welche ihm von dem gütigen Schöpfer verliehen
sind.« »Sie mögen Recht haben, Graf. Wir finden überhaupt Wohlgefallen an Ihrer Unterhaltung. Lassen Sie sich wieder sehen. Man wird Ihre Gegenwart nicht ungern bemerken.« »Dann ersuche ich Ew. Majestät, mir gütigst die Stunde bestimmen zu lassen, in welcher ich erscheinen darf.« »Man wird dies in der Voraussicht thun, daß Uns durch Ihre Kenntniß der Naturgeheimnisse nach den Anstrengungen Unsers schweren Berufes eine Stunde besserer Erholung bereitet werde.« Mit einem huldvollen Neigen des königlichen Hauptes wurde der Graf entlassen. Er entfernte sich und schritt einer entlegenen Partie des Parkes zu. Eben stand er im Begriffe, um eine künstliche Felsengruppe zu biegen, als hinter derselben der Baron von Langenau hervorkam. Dieser hatte seine Unterredung mit Fräulein d'Hausset beendet und wollte sich nach dem Schlosse verfügen, als ihn diese unerwartete Begegnung mit einer Ueberraschung erfüllte, welche sein offenes Gesicht nicht sofort zu verbergen vermochte. Auch über das Angesicht des Grafen glitt ein Zug, welcher fast die Folge eines Schrecks genannt werden konnte, doch hatte sich der seltene Mann so in der Gewalt, daß seine Miene schon im nächsten Augenblick einen ruhigen Ausdruck annahm. »Ah, der Herr Baron von Langenau, wenn ich mich nicht irre!« meinte er mit einem beinahe gnädigen Nicken seines stolz erhobenen Kopfes. »Sie irren sich allerdings nicht, Herr Ritter von Schöning, Graf Tzarogy oder wie Ihr eigentlicher Name lauten mag. Sagen Sie einmal aufrichtig, mein Herr, mit welcher Magie operirt man in Versailles besser, mit der schwarzen oder mit der weißen?« Es klang eine unendliche Bitterkeit aus seinem Tone. Der Graf blickte ihm jetzt kalt und starr in das Angesicht und antwortete: »Je nach dem Erfolge, welchen man zu erzielen beabsichtigt, mein Herr. Und dieser Erfolg ist immer ein sicherer, wenn man sich nicht Leuten anvertraut, welche zu schwach sind, Großes ertragen zu können. Wie befindet sich Ihr Vater, Herr Baron?« »Ich danke; sehr wohl!« »Das heißt?« »Das heißt, daß er keine Gelegenheit mehr hat, sich schlecht zu befinden. An dem Tage, an welchem Sie die Güte hatten, uns ohne Abschied zu verlassen, bemerkte er, daß er sich an den Bettelstab
laborirt hatte. Ihre bewundernswerthe Kunst hatte ihn von sämmtlichem Gold und Silber befreit und ihm nichts gelassen, als ein Stück armseliges Blei in Kugelform. Leider verstand er mit demselben besser umzugehen, als mit Gaunern und Betrügern. Statt dem Schwindler, welcher mit unserer sämmtlichen Habe von dannen zog, auch dieses Blei noch anzubieten, behielt er es für sich selbst. Der Schuß gelang, mein Herr, und es lebt nun ein Zeuge Ihres Talentes weniger.« »Das thut mir leid, obgleich es vorauszusehen war, da Ihr Vater meinen wohlgemeinten Rathschlägen niemals Gehör schenkte. Er war ein Schüler, welcher unbedingt nach der Mahnung seines Meisters hätte handeln sollen. Wer aus seinem physischen Dasein heraustritt, um mit den Geistern zu verkehren, muß den Muth haben, sie sich unterthan zu machen, sonst überwältigen sie ihn, und er ist verloren. Der Fall thut mir nun Ihretwegen leid. Kann ich Ihnen hier in irgend einer Weise dienlich sein?« »Ich muß auf Ihre Gefälligkeiten verzichten, da ich nichts besitze, um sie mit meinem Ruin bezahlen zu können!« »Ich bin sehr nachsichtig, mein Herr, aber wahren Sie dennoch Ihre Zunge! Der Graf von St. Germain, welcher soeben eine vertrauliche Unterredung mit dem König hatte, fühlt sich keineswegs gezwungen, die grundlosen Malicen des Barons von Langenau ruhig anzuhören.« »Graf von St. Germain? Lassen Sie mich Ihnen zu diesem neuen Titel gratuliren! Auch ich habe heute Einiges mit dem König zu besprechen und werde nicht versäumen, ihm den Herrn Grafen zur Regelung seiner Finanzen zu empfehlen.« »Daß heißt, Sie wollen sich mir als Feind gegenüber stellen? Welcher vorsichtige Mann wünscht sich einen überlegenen Gegner! Erlauben Sie mir, Ihnen eine höchst werthvolle Lehre zu geben: Ein kluger Diplomat – und dieser Carrière scheinen Sie sich ja doch zugewandt zu haben – bekämpft seinen Feind stets nur im Stillen und aus wohlgedeckter Stellung; er verräth deßhalb um keinen Preis und mit keiner Miene seine innere Gesinnung, denn diese Unvorsichtigkeit kann ihm seine Ziele leicht in unerreichbare Ferne rücken.« »Ich habe Ihre höchst werthvolle Lehre angehört, um ganz in die Tiefe Ihres menschenfreundlichen Herzens blicken zu können, habe aber leider nicht die Intention, sie zu beherzigen. Wir Deutschen
sind ein ungelecktes Volk, welches gewohnt ist, auf starken Sohlen seinen geraden Weg zu wandeln und auch dem überlegenen Feinde sich Auge in Auge zu stellen. Herr Graf von St. Germain, ich verachte Sie und werde dafür sorgen, daß Ihre Künste hier keine Opfer finden!« Mit einer verächtlichen Handbewegung wandte er sich ab und schritt von dannen. Der Graf blieb stehen. Trotz seines braunen Teint war deutlich die Blässe zu bemerken, welche sein Gesicht überzog. Nach einigem Besinnen kehrte er in den Park, welchen er zu verlassen im Begriffe gestanden hatte, wieder zurück und schritt nach dem Schlosse. Hier erfuhr er, daß die Marquise von Pompadour ihre Gemächer bereits wieder betreten habe. Er war schon öfters bei ihr gewesen, hatte die Erlaubniß zum beliebigen Zutritt erhalten und ließ sich anmelden. Die Marquise, bei welcher Frau d'Hausset, ihre erste Dame, war, empfing ihn mit außerordentlicher Liebenswürdigkeit. »Willkommen, mein lieber Graf! Ich vermuthete nicht, Sie so schnell wieder bei mir zu sehen.« »Durfte ich Versailles verlassen und nach Paris gehen, Madame, ohne Ihrer Güte zu danken, welche mir gestattete, den größten Monarchen unseres Jahrhunderts zu sehen und zu sprechen?« »Diese Güte ist nicht ohne Eigennutz. Man profitirt dabei durch Ihren Unterricht über Außerordentlichkeiten, welche bisher für unmöglich galten. Werden Sie den Diamanten des Königs wirklich von seinem Flecken zu befreien vermögen?« »Es wird ganz sicher geschehen; ich werde Ihnen das beweisen, Madame. Sehen Sie diese Steine!« Er zog eine Schachtel aus der Tasche und öffnete sie. Es befanden sich Topase, Smaragde, Saphire und Rubine von ganz bedeutendem Werthe in derselben. Frau von Pompadour vergaß ganz die Würde, welche sie sich sonst zu eigen zu machen strebte, und schlug in heller Verwunderung die Hände zusammen. »Welch' ein Reichthum in so kleinem Behältnisse! Graf, Sie sind wirklich ein Phänomen!« Er nahm diese Bewunderung sehr gleichgültig hin und antwortete mit einem leichten Achselzucken: »Diese Schachtel enthält nur die geheilten Patienten aus meiner Sammlung. Diese Alle hatten Flecken, die ich ihnen jedoch genommen habe. Sie besitzen dadurch einen doppelten Werth. Diese
Kleinigkeit mag als Beweis dienen!« Er warf ein massiv goldenes Kreuz mit grünen und weißen Steinen auf den Tisch. Es war von außerordentlich guter Arbeit, und ein Schmuckhändler hätte wenigsten 1500 Francs dafür geboten. Die Marquise nahm den Schmuck und zeigte ihn, nachdem sie ihn betrachtet hatte, ihrer Kammerdame. »Hausset, treten Sie näher und sehen Sie dieses prachtvolle Kreuz. Müssen Sie nicht den Glanz der Steine und die Feinheit der Fassung bewundern?« Die Dame nahm das Kreuz und hielt es, einen Blick in den Spiegel werfend, unwillkürlich wie zur Probe an den Hals. »Prachtvoll, Madame, wirklich ein Cabinetstück!« antwortete sie. »Ich bitte, Frau d'Hausset, es als ein Geschenk von mir anzunehmen!« bat der Graf. Die Kammerdame erglühte vor freudigem Schreck. »Das kann Ihr Ernst doch nicht sein, Graf. Ein so kostbares Stück verschenkt man nicht so pour passer le temps! « »Warum nicht? Es ist ja nur eine Bagatelle!« »Nehmen Sie es immerhin, meine Liebe,« redete die Marquise ihr zu. »Der Graf will es ja, und Sie hören aus seinem eigenen Munde, daß er damit nicht das mindeste Opfer bringt!« Trotz des Entzückens, welches eine jede Frau bei einem solchen Geschenke empfinden wird, machte Frau d'Hausset doch eine Bewegung, als wolle sie das Kreuz seinem früheren Besitzer wieder einhändigen, aber ein eigentümlicher Blick desselben bewog sie, den bereits ausgestreckten Arm wieder an sich zu ziehen. »Ich acceptire Ihr Geschenk,« meinte sie, »als ein Souvenir an den Tag, an welchem der Fürst von Frankreich dem Fürsten der Brillanten begegnete.« Er konnte doch in seinen Mienen einen Zug nicht unterdrücken, welcher verrieth, daß er sich geschmeichelt fühlte. »Alle Steine dieses Kreuzes hatten Flecken,« erklärte er, »und ebenso wie sie wird auch der Diamant des Königs von seiner Trübung geheilt werden. Fragen Sie den Grafen de Lancy, welcher mir einen Smaragd übergab, der einen bedeutenden dunklen Punkt besaß und jetzt sich wieder vollständig fehlerfrei in seiner Hand befindet.« »Den Grafen de Lancy? Apropos, bei seinem Namen fällt mir
ein, daß die kleine zehnjährige Comtesse Lancy 2 eine Probe von Ihrem wunderbaren Aqua benedetta bekommen haben soll. Hat man mich recht berichtet?« »Man hat Ihnen die Wahrheit gesagt. Ich begleitete einige italienische Arien, welche die Comtesse sang, und war von ihr so entzückt, daß ich beschloß, ihr das glückliche Loos der Schönheit, welche sie besitzen wird, durch meinen Trank zu verlängern.« »Sie wissen, daß auch der König von Ihrem Aqua gehört hat. Er wünscht, daß ihm der gegenwärtige Zustand seiner Gesundheit so lange wie möglich erhalten bleibe.« »Das soll geschehen, so weit es in meiner Macht liegt, Madame,« antwortete der Graf. Er brachte zwei geschliffene Flaconetten zum Vorschein, welche mit einer krystallhellen Flüssigkeit gefüllt waren, und reichte sie der Marquise dar. »An der Erfüllung dieses Verlangens hängt das Glück und die Wohlfahrt einer ganzen Nation. Dieses Aqua benedetta wird Frankreich seinen Monarchen und Ihnen, Madame, Ihre Schönheit und Jugend erhalten.« Die Marquise griff mit sichtlicher Begierde zu und rief freudig: »Ich danke Ihnen sehr, mein lieber Freund! Allerdings darf man einen Grafen von St. Germain nicht nach dem Preise dieses unbezahlbaren Elixir fragen, doch bitte, bestimmen Sie selbst, was ich für Sie thun kann!« »Ich begehre als einzigen Lohn nur Ihr dauerndes Wohlwollen, Madame, und die Erlaubniß, mit Hülfe der Sterne über Ihnen und dem Wohle des Königs wachen zu dürfen.« »Der Schutz Ihres Genius ist uns natürlich hoch willkommen. Ich bat Sie ja schon, die Sterne über mich zu befragen. Ist Ihnen noch nicht eine Antwort geworden?« »Ich erhielt sie, heut' in der Mitternacht.« »Und wie lautet sie?« »Sie war so klar und offen, daß ich die Geister der Weltgegenden gar nicht erst zu Rathe zu ziehen brauchte. Ich darf sie darum wohl auch ebenso offen mittheilen?« »Nun?« »Ich stand um Mitternacht unter den Sternen und sah den Himmel Deutschland's erglänzen; ein großer Stern stieg strahlend in die Höhe; eine kleine Schnuppe flog von ihm ab, schoß über die
Grenze herüber und stieß an den Stern von Frankreich. Da troff Blut herab vom Firmamente; es wurde Nacht in den Lüften, und die Erde erzitterte unter dem Fußgestampfe kämpfender Cohorten. Ich sah keine Person, ich bemerkte keinen Namen, Madame; ich erblickte nur Thatsachen. Die Sterne haben mich noch niemals getäuscht; die Lösung ist mir nicht gegeben; ich muß sie Ihnen überlassen.« Die Marquise war unter der Schminke leichenblaß geworden, während Frau d'Hausset seitwärts eine Miene machte, als ob sie sich auf den Grafen stürzen wolle, der sie vorher doch so fürstlich beschenkt hatte. »Oh, ich weiß, wer dieser Stern in Deutschland ist,« meinte endlich die Marquise. »Dieser König von Sansouci glaubt ja schon längst, daß er unter die Himmlischen zu rechnen sei. Aber die Schnuppe, Graf, hatte sie nicht eine Farbe, eine Gestalt, aus welcher sich etwas Sicheres schließen ließe?« »Ich glaube, die Gestalt eines L erkannt zu haben, doch steht mir der Zutritt zu den chambres diplomatiques nicht offen, und ich kenne also auch keine Persönlichkeit, auf welche ich eine Hindeutung aussprechen möchte. Nur das muß ich bemerken, daß die große, drohende Gefahr keine zukünftige ist, sondern schon morgen, heut oder gar jetzt hereinbrechen kann; es sind also schleunige Maßregeln erforderlich, sie abzuwenden.« »Meine Ahnung hat mich nicht betrogen!« rief die erregte Marquise. »Ein L –? Dieser preußische Baron von Langenau ist mit einer Sendung betraut, deren Zweck mich unangenehm berührt. Frankreich soll sich nicht dem noch sehr neuen Königshof in Brandenburg gefällig zeigen, und die Physiognomie dieses Barons hat mir gleich vom ersten Augenblicke an einen unbesiegbaren Widerwillen eingeflößt. Er soll mit dem König sprechen? Ich werde dafür sorgen, daß diese und eine weitere Unterredung gar nicht stattfindet. Ich vertraue Ihren Sternen, Graf, und der Preuße soll noch heute nach seiner barbarischen Heimat zurückgeschickt werden!« Als nach einer Viertelstunde sich der Baron von Langenau zur Audienz meldete, wurde er nicht vorgelassen, sondern an den Minister des Aeußern gewiesen, von welchem er eine versiegelte Schrift mit der Bemerkung empfing, daß diese eine ausführliche Erklärung des Königs auf seinen Antrag enthalte und schleunigst nach Berlin zu befördern sei, weßhalb man bereits Befehl ertheilt
habe, ihm bis an die Grenze Relais zu legen. Damit war deutlich genug gesagt, daß seine Mission gescheitert sei. Er verließ das Schloß und schritt der Stelle zu, an welcher sein Wagen noch immer auf ihn wartete. Noch ehe er dieselbe erreichte, hörte er das Rollen von Rädern hinter sich und trat zur Seite, um die Carrosse an sich vorüber zu lassen. Er kannte sie sammt den sechs Schimmeln, welche vorgespannt waren; es war das Geschirr der Marquise von Pompadour, mit welchem sie die Entfernung zwischen Paris und Versailles zurückzulegen pflegte. Aber diesmal saß nicht sie in den rothseidenen Kissen, sondern eine männliche Gestalt, bei deren Anblick ihm das Blut in den Adern zu sieden begann – der Graf von Saint-Germain, welchen die Marquise nach der Hauptstadt fahren ließ. Auch der Graf erkannte seinen Gegner. Was kein Mann von adeliger Gesinnung gethan hätte, er that es: er gab dem Kutscher ein Zeichen und ließ just an der Stelle, wo Langenau stand, halten. »Ah,« frug er mit ironischem Erstaunen, »der Stellvertreter Seiner Majestät von Preußen zu Fuße auf der Landstraße?« Der Baron gab keine Antwort und hob den Fuß, um seinen Weg fortzusetzen. »Herr Baron!« klang es da mit einer Stimme, deren Ton Langenau bewog, sich nochmals umzuwenden. »Nur Eines, ehe Sie gehen, mein »ungeleckter« Preuße!« Der Graf bog sich, um von Kutscher und Domestiken nicht gehört zu werden, weit über den Wagenschlag herüber und raunte dem Baron zu: »Abgeblitzt wie ein Schulbube, nicht wahr? Ein Stück »Blei in Kugelform« wäre wohl auch für Sie das Beste!« Das Gesicht Langenau's erglühte vor Zorn, und er erhob den Arm wie zum Schlage, ließ ihn aber, sich beherrschend, wieder sinken und trat näher an den Wagen heran. »Herr Graf von Saint-Germain, das Blei, welches meinen Vater traf, befindet sich in meiner sorglichsten Verwahrung, denn es hat einem gerechten Zweck zu dienen: auch Sie werden an demselben sterben!« Er wandte sich und schritt vorwärts, den Wagen gar nicht beachtend, welcher jetzt an ihm vorüber rollte. Er bestieg alsbald den seinen und fuhr ganz langsam nach. Noch aber war er nicht weit gekommen, so hörte er abermals Pferdegetrappel hinter sich und erblickte, sich zurückwendend, Amély zu Pferde, gefolgt von einem
berittenen Diener. »Herr Baron,« meinte sie erröthend, als sie ihn erreicht hatte, »meine Isabella ist heute so wenig artig, daß ich Sie fragen muß, ob Sie einen Platz für mich übrig haben. Mein Weg ist auf eine Strecke hin der Ihrige.« Im Nu stand er auf der Erde, hob sie vom Pferde, dessen Zügel der Diener ergriff, und half ihr in den Wagen steigen. Dieser setzte sich in Bewegung, und der Diener folgte mit dem Reitpferde. »Sie werden fortgeschickt, mein Freund?« »So ist es!« knirschte er. »Und wissen Sie, was Schuld ist?« »Meine Offenheit – – –!« »O nein, ein wenig Aqua benedetta. Lassen Sie sich erzählen, was ich soeben von meiner Tante erfuhr!« Als die junge Dame nach kurzer Zeit den Wagen verließ, um ihr Pferd wieder zu besteigen, trennten sich die Beiden mit einem innigen Händedruck und einem herzlichen Blick, welcher deutlich verrieth, daß sie sich wiedersehen würden. – – –
2. Der Krondiamant Herr Calcoen, der Sekretär »Ihrer Hochmögenden, der Generalstaaten,« 3 saß allein in seinem Arbeitscabinet und forschte eifrig in wichtigen Actenstößen, die sich auf ein Neutralitätsbündniß zwischen den Niederlanden und Frankreich gegen das britische Inselreich bezogen. Seine Aufmerksamkeit war von den Scripturen so sehr und ausschließlich in Anspruch genommen, daß er den Eintritt seiner Frau ganz überhörte, welche ihre wohlbeleibte Figur an den Eingang postirte und mit ruhig ernstem Gesichte auf einen Augenblick zu warten schien, an welchem es dem Herrn Sekretär belieben würde, einmal von seiner schwierigen Arbeit aufzublicken. Es muß nämlich gesagt werden, daß Mynheer Calcoen trotz seiner hohen und einflußreichen Stellung die Einfachheit liebte und vielleicht auch aus Sparsamkeitsrücksichten keine Domestiken engagirte, sondern es vorzog, sich von den Gliedern seiner Familie bedienen zu lassen. Diese wußten sehr genau, daß nichts seinen Zorn so sehr erregen könne, als wenn man es unternahm, ihn während des Schreibens oder der Lectüre von wichtigen Dingen zu stören, und so wartete denn auch jetzt die Meffrouw Sekretärin mit gutmüthigem Lächeln geduldig auf den geeigneten Moment, ihre Angelegenheit vorzubringen. Da schlug er das eine Heft zusammen und griff nach einem andern. Meffrouw hustete leise. Er vernahm es und drehte sich um. »Was willst Du, Katje?« »Ich muß Dich fragen, ob Du zum Thee herunterkommst oder ob Du ihn hier nehmen willst.« »Hier, Katje, hier! Ich habe es so nothwendig, daß ich keine Sekunde verlieren darf.« »Willst Du ihn blank oder mit Röstbrodchen?« »Brod, viel Brod, Katje! Die Kopfarbeit strengt den Körper an, und so muß der Sekretär essen, wenn es wohl um die Staaten stehen soll.« »Du hast es also sehr nothwendig? Und doch steht draußen ein
Mann, der Dich zu sprechen verlangt.« »Wer ist es? Ich habe wirklich keine Zeit, Katje.« »Es ist ein Fremder, doch wie er heißt, weiß ich nicht, da er seinen Namen nur Dir allein nennen will.« »Ich brauche seinen Namen nicht zu hören; er mag ihn einem Andern nennen; er kann gehen!« »Höre, er bat mich, Dir nur zu sagen, daß es sich um Millionen handle.« »Um Millionen? Ah! Sieht der Mensch denn darnach aus?« »Allerdings; er ist ein feiner Herr, und ich erblickte an seinem Finger einen Brillanten, welcher heller als die Sonne leuchtete.« »So, hm, dann mag er eintreten, und Du bringst den Thee erst, wenn er sich wieder entfernt hat.« Meffrouw nickte zustimmend und verließ das Zimmer. Durch die offen gelassene Thür trat der Angemeldete ein. Bei seinem Anblicke erhob sich unwillkürlich der Sekretär. Der Fremde machte allerdings den Eindruck, als sei er gewohnt, mit hochgestellten Leuten zu verkehren. »Wer sind Sie?« frug Calcoen. »Mein Name wird Ihnen nicht unbekannt sein; ich bin der Graf von St. Germain?« »Der Graf von St. Germain? Ah, ist es möglich? Bitte, nehmen Sie Platz!« »Ich höre, daß Ihre Zeit sehr in Anspruch genommen ist,« bemerkte der Graf, indem er der Aufforderung Folge leistete und sich auf einen der anspruchslosen Sessel niederließ. »Allerdings ist dies der Fall, doch glaube ich, so viel erübrigen zu können, um zu erfahren, welche Angelegenheit Sie zu mir führt.« »Ich ließ Ihnen bereits melden, daß ich nicht beabsichtige, Sie mit einer Kleinigkeit zu incommodiren. Sie kennen wohl meine intime Beziehung zu dem König von Frankreich?« »Ich hörte davon sprechen. Wie es scheint, besitzen Sie das Wohlwollen und Vertrauen des Regenten.« Der Graf verneigte sich zustimmend und zog ein versiegeltes Schreiben aus der Tasche, welches er dem Sekretär überreichte. »Ich bitte, Einsicht in dieses Mandat zu nehmen!« Calcoen nahm den Bogen, entsiegelte und öffnete ihn und überflog den Inhalt desselben. Seine Miene verrieth Spannung und lebhaftes Interesse, als er den Grafen frug:
»Sie kennen den Wortlaut dieses Schreibens?« »Den Inhalt, wenn auch nicht den Wortlaut.« »Seine Majestät legitimirt Sie durch diese Vollmacht zu dem Abschlusse eines allerdings sehr wichtigen Geldgeschäfte mit den Generalstaaten. Darf ich Ihre Mittheilung erwarten?« »Sicher! Bemerken muß ich vorher, daß meine Mittheilungen sich nur auf die allerunentbehrlichsten Personen zu beschränken haben, und da es Majestät beliebt, den Minister des Aeußern, Herzog von Choiseul, von der Mitwissenschaft unserer Angelegenheit auszuschließen, so ist es mir auch verboten, unsern hiesigen Gesandten, den Grafen d'Affri, in die Affaire einzuweihen.« »Ihre Intentionen werden natürlich streng berücksichtigt werden, wie ich Ihnen im Namen der Hochmögenden versichern kann. Jetzt also weiter, Herr Graf!« »Ohne Einleitung, Mynheer: der König beabsichtigt, bei den Generalstaaten eine Anleihe zu machen.« »Ah? Wieder? Hm! Zu welcher Höhe?« »Zu einer allerdings nicht ganz gewöhnlichen: hundert Millionen.« »Hundert – freilich bedeutend!« »Aber keineswegs zu hoch für die Mittel, welche den Generalstaaten zur Verfügung stehen.« »Mag sein! Doch muß ich erwähnen, daß wir schlechte Ernten in den Colonien hatten und unsere Ausgaben in den letzten zwei zwei Jahren die Einnahmen so bedeutend übersteigen, daß wir selbst vor einer leeren Kasse stehen und die Hilfe unserer Banquiers in Anspruch nehmen müssen.« »Dabei kann es kein Bedenken geben; die Hilfsquellen der Generalstaaten sind unerschöpflich, und ihr Kredit ist ein grenzenloser.« »Er wurde bereits in der Weise verwerthet, daß die hochmögenden Herren wohl schwerlich zu bestimmen sein werden, ihn für fremde Interessen anzustrengen.« »Dürften hierbei nicht die Concessionen zu berücksichtigen sein, welche man Ihnen zu machen bereit ist?« »Möglich. Welches ist der Zinsfuß, zu welchem Sie ermächtigt sind?« »Die Höhe desselben hängt von der Schnelligkeit ab, mit
welcher die Zahlung des Darlehens erfolgt.« »Begreiflich. Und welche Unterlagen bieten Sie?« »Eine höchst ungewöhnliche und mehr als genügende, nämlich ein Faustpfand, welches mehr als den doppelten Betrag des Darlehens repräsentirt.« »Worin besteht es?« »In den sämmtlichen Kronjuwelen Frankreich's.« »Ah!« machte der Sekretär erstaunt. »Sie geben zu,« meinte der Graf gleichmütig, »daß ein solches Pfand Sie vollständig sicher stellt. Ich bin darauf angewiesen, Ihnen mitzutheilen, daß unsererseits nur der König, die Marquise de Pompadour und ich von dem Depositum wissen dürfen.« »Die Sicherstellung ist allerdings mehr als genügend; haben Sie jedoch auch die Schwierigkeiten bedacht, welche sich eben jetzt einer solchen Anleihe gegenüberstellen?« »Sie meinen die vermeintliche Erschöpfung Frankreich's durch den Krieg und die Aussichtslosigkeit auf eine baldige Lösung der politischen Conflicte? Pah! Ich bin in dieser Beziehung natürlich besser unterrichtet als Andere und darf Ihnen versichern, daß der Krieg seinem Ende naht. Und selbst wenn Ihre Befürchtungen begründet wären, so sprachen Sie ja selbst die Ueberzeugung aus, daß Sie vollständig und für alle Fälle gedeckt sind. Ich komme zunächst zu Ihnen, weil ich weiß, wie schwer Ihr Wort in wichtigein Angelegenheiten wiegt, und ersuche Sie, mir die Namen derjenigen Herren zu nennen, an welche ich mich nach Ihnen zu wenden habe.« »Es ist mir jetzt leider unmöglich, diese Auskunft zu ertheilen. Geben Sie mir die Erlaubniß, Ihre Angelegenheit zunächst den Generalstaaten vorzutragen, und dann wird sich ja zeigen, wer von denselben zur Verhandlung mit Ihnen beauftragt wird.« »Sie haben diese Erlaubniß, natürlich unter der Voraussetzung der strengsten Discretion. Wann darf ich mir Bescheid holen?« »Auch das ist noch unbestimmt. Wo wohnen Sie?« »Im Prinzen von Oranien.« »Ich werde mir erlauben, Sie dort aufzusuchen, sobald eine Entscheidung gefällt worden ist.« »Dann gestatte ich mir nur noch eine Zufügung.« Er zog ein kleines Etui hervor und überreichte es dem Sekretär. »Wollen Sie die Güte haben, den Inhalt zu prüfen?« Calcoen öffnete und stieß einen Ruf der Bewunderung aus. Das
Etui enthielt einen Diamanten von solcher Größe und Reinheit, wie er noch niemals einen gesehen hatte. »Prachtvoll, außerordentlich prachtvoll!« rief er. »Wie hoch schätzen Sie den Stein?« »Ich bin zu wenig Kenner, um seinen Werth taxiren zu können, doch glaube ich gern, daß derselbe nach Millionen zählt.« »Sicher! Der König hat mir aufgetragen, gegen eine Anzahlung von hunderttausend Gulden denselben schon vor Abschluß des Hauptgeschäftes und zur Probe bei Ihnen zu deponiren.« »Wollen Sie mir den Stein anvertrauen, damit ich ihn den hochmögenden Herren zu zeigen vermag?« »Gewiß, wenn Sie die Güte haben wollen, den Empfang des Diamanten durch Unterschrift und Siegel zu bescheinigen.« »Gern!« Er schloß das Etui und das Mandat des Grafen sorgfältig ein und stellte dann den verlangten Depositenschein aus, nach dessen Empfang sich der Graf entfernte. Draußen auf dem Korridore stieß dieser mit einem Manne zusammen, bei dessen Anblick er unwillkürlich einen Schritt zurückfuhr. »Der Baron von Langenau!« rief er beinahe bestürzt. Auch der Baron war überrascht, doch ließ er kein Wort vernehmen, sondern schritt mit einem verächtlichen Blicke an dem Grafen vorüber und verschwand in dem Arbeitszimmer des Sekretärs. Der Mißerfolg seiner Sendung nach Versailles hatte ihm in Beziehung auf das Vertrauen seines Königs keinerlei Schaden gebracht. Er befand sich jetzt hier in Haag in derselben Eigenschaft als Gesandter, hatte sich die Freundschaft des Sekretärs erworben und besaß die Erlaubniß, zu jeder Zeit unangemeldet Zutritt nehmen zu können. Er fand Calcoen noch nicht wieder in seine Arbeit vertieft. Die Unterredung mit dem Grafen hatte den Sekretär trotz seiner sonstigen Ruhe in eine gewisse Aufregung versetzt, so daß er bei dem Eintritte des Barons mit ungewöhnlicher Lebhaftigkeit im Zimmer auf und nieder ging. »Willkommen, Herr von Langenau! Ah, Sie finden mich einigermaßen echauffirt. Ist Ihnen Jemand begegnet?« »Ein Herr, draußen auf dem Korridore.« »Rathen Sie, wer es war!« »Der Graf von St. Germain.« »Was! Sie kennen diesen Mann?«
»Leider!« »Leider? Sie scheinen also keine positiven Gefühle für diesen berühmten Mann zu hegen!« »Berühmt oder berüchtigt? Die Entscheidung zwischen Beidem muß ich einem Jeden für sich selbst überlassen.« Der Sekretär machte eine verneinende Handbewegung, faßte ihn beim Arme und zog ihn neben sich auf einen Stuhl nieder. »Herr Baron, Sie wissen, daß Sie meine Freundschaft besitzen!« »Die mir von hohem Werthe ist.« »Und mit ihr mein Vertrauen!« »Welches mich zum größten Dank verpflichtet.« »Dieser Dank hätte naturgemäßer Weise nur in Gegenvertrauen zu bestehen. Der Graf von St. Germain war in einer höchst wichtigen Angelegenheit bei mir; er ist mir weniger als Ihnen bekannt, wie es scheint, und da mir sehr daran liegt, etwas Genaues über ihn zu hören, so muß ich Sie ersuchen, aus Ihrer diplomatischen Verschlossenheit herauszutreten und mir zu Gefallen etwas offenherzig zu sein!« »Darf ich fragen, von welcher wichtigen Angelegenheit Sie sprechen?« »Sie ist ein Geheimniß, Herr Baron. Ich habe mich zur tiefsten Verschwiegenheit verpflichtet.« »Auch mir gegenüber?« »Allerdings.« »Selbst wenn ich über die Angelegenheit ebenso unterrichtet wäre, wie der Graf selbst?« »Das ist unmöglich!« »Scheinbar. Ich werde Ihnen das Gegentheil beweisen. Der Graf von St. Germain ist in Haag behufs einer Anleihe von hundert Millionen unter Verpfändung der Kronjuwelen Frankreich's.« Der Sekretär machte ein höchst erstauntes Gesicht. »Wahrhaftig! Sie sind sehr genau unterrichtet. Aber der Graf versicherte doch, daß nur er allein das Geheimniß mit dem König und der Marquise de Pompadour theile!« »Er irrt, wie Sie ja selbst sehen. Wird es ihm gelingen, sich seines Auftrages glücklich zu entledigen?« »Möglich ist es. Wenigstens wird er die hunderttausend Gulden erhalten, die er für den König sofort unter Verpfändung des werthvollsten Krondiamanten begehrt.«
»Hunderttausend Gulden? Davon ist mir nichts bekannt. Sein Auftrag lautet nur auf hundert Millionen, und ich glaube nicht, daß er ermächtigt ist, eine Voranzahlung zu fordern.« »Das wäre allerdings gewissermaßen Mißtrauen erregend, wenn ich annehmen dürfte, daß Sie wirklich genau unterrichtet sind. Können Sie mir Ihre Quelle bezeichnen?« »Nur als ein Freund dem anderen. Ich habe eine Braut in Versailles, durch welche ich Einsicht gewinne in sämmtliche Geheimnisse des Hofes.« »Ist eine junge Dame, vielleicht ohne offizielle Stellung, nicht ein etwas unsicheres Medium für dergleichen Wichtigkeiten?« »Das Beispiel hat Ihnen ja bewiesen, daß mein Medium vollständig zuverlässig ist. Meine Braut besitzt eine sehr nahe Verwandte, welche stets um die Person der Marquise ist und von derselben mit dem unbeschränktesten Vertrauen beehrt wird.« »So ist es ja leicht erklärlich, daß Sie von den hunderttausend Gulden nichts wissen; die Marquise hat von dem Einen, aber nicht auch von dem Anderen gesprochen. Uebrigens deckt der Stein die Summe mehr als um das Zehnfache.« »Darf man ihn sehen?« »Da Sie bereits so weit unterrichtet sind, halte ich es für keinen Wortbruch, wenn ich Ihnen den Diamanten zeige.« Er öffnete das Fach, in welchem er ihn verborgen hatte, und gab Langenau das Etui. Dieser betrachtete den Stein mit der größten Aufmerksamkeit und meinte dann: »Kenner bin ich nicht, aber allem Anscheine nach ist der Diamant wirklich ächt; nur fällt mir ein Umstand auf – – –« »Welcher?« »Ich hatte Gelegenheit, die französischen Krondiamanten sehr eingehend mustern zu können, und kann mich nicht entsinnen, diesen hier unter ihnen gesehen zu haben.« »Hierfür wäre mehr als eine Erklärung zu finden. Warum sollen wir den Vorschuß nicht leisten, wenn der Stein ächt ist? Sie lieben den Grafen nicht und mögen Ihre Gründe dazu haben, doch in geschäftlichen Angelegenheiten ist man oft genöthigt, gegen persönliche In- oder Declinationen zu handeln. Trafen Sie den Grafen in Paris?« »In Versailles. Ich hatte ihm eine schwere diplomatische Niederlage zu verdanken, nachdem ich des Sieges bereits sicher
gewesen war.« »Ah, Sie sind rachsüchtig!« »In des Wortes strengster Bedeutung nicht. Ich kannte den Schwindler bereits früher.« »Sie nennen ihn einen Schwindler? Ein außergewöhnlicher Charakter pflegt auch außergewöhnlich zu handeln und kommt daher leicht in die Lage, falsch beurtheilt zu werden. Wo lernten Sie ihn kennen?« »Auf Langenau.« »Auf Ihrem Stammsitze? Wann war das?« »Vor nunmehr vier Jahren. Mein Vater war ein Freund der abstracten Wissenschaften und verbrachte die größte Zeit mit dem Studium metaphysischer Probleme; zuletzt warf er sich auf die Magie, Astrologie und Alchymie, und obwohl sich dabei sein Wesen verdüsterte und er die Abgeschiedenheit dem Kreise seiner Familie vorzuziehen begann, konnten wir ihn doch unbesorgt seiner Lieblingsbeschäftigung überlassen, da wir aus derselben keinen weiteren Schaden für uns ersahen. Da plötzlich erschien der Graf von St. Germain unter dem Namen eines Ritters von Schöning auf Langenau; mein Vater hatte als Alchymiker einigen Ruf erlangt, was den gewandten Abenteurer angezogen haben mochte, und mit seinem Erscheinen trat das Unglück bei uns ein. Ich will mich nicht wieder in jene traurige Zeit versenken und Ihnen nur constatiren, daß der Graf meinen Vater in den Tod trieb, nachdem er alle unsere Habe mit Hülfe mir unbekannter Experimente an sich gerissen hatte. Die Mutter starb kurze Zeit darauf, und die Schwester verlor den Bräutigam, welcher als armer Offizier nun nicht daran denken konnte, sich den längst beabsichtigten Herd zu gründen.« »Traurig, sehr traurig! Aber sind Sie wirklich überzeugt, daß der Graf an diesem Allen die Schuld trägt?« »Ich bin so überzeugt, daß ich dieses Blei hier für ihn aufhebe.« Er griff unter die Weste und zog eine Kugel hervor, welche er an einer Schnur auf der Brust verwahrt hate. »Vater hat durch dasselbe den Tod gefunden; es wird dafür das Herz des Schurken treffen!« Er verbarg die Kugel wieder und strich sich mit der Hand über das Gesicht, als könne er mit dieser Bewegung die bösen Gedanken verscheuchen, welche in seinem Innern aufgetaucht waren. Dann warf er den Kopf zurück und frug: »Apropos, wissen Sie bereits, daß morgen Abend bei dem Grafen d'Affri große Soirée sein wird?«
»Ich bin bereits geladen.« »Ich auch. Sie werden doch erscheinen?« »Das ist noch unbestimmt. Vielleicht nimmt die Anleihe meine Zeit so in Anspruch, daß ich verhindert bin, zu erscheinen.« »Was ich lebhaft bedauern würde. Die isolirte Lage, in welcher sich mein König gegenwärtig befindet, hat zur naturgemäßen Folge, daß auch seine Vertreter zurückgezogen erscheinen, und so werde ich, wenn Sie fehlen, auf mich selbst angewiesen sein.« »Ich bin überzeugt, daß Sie dieses Unglück ebenso siegreich ertragen werden, wie Ihr Heldenkönig, und – ah, hier kommt Katje und bringt mir den Thee! Sie nehmen natürlich auch eine Tasse. Eigentlich sollte ich Sie mitleidslos fortjagen, da ich's ursprünglich außerordentlich nothwendig hatte; doch ist die Millionenanleihe so gewaltig über mich hereingebrochen, daß ich für meine Acten nicht die mindeste Aufmerksamkeit mehr habe. Katje, noch eine Tasse, einige Brödchen und zwei Pfeifen mit dem neu angekommenen Sumatrakanaster!« – – Am anderen Abend bewegten sich in den prachtvollen und glänzend erleuchteten Räumen des französischen Botschafters außer den hohen Würdenträgern der Generalstaaten und den Vertretern aller europäischen Regierungen eine zahlreiche Menge berühmter oder einflußreicher Privatpersonen, deren Anwesenheit der Versammlung einen weniger diplomatischen Anstrich gab, als sie sonst besessen hätte. Die Tafel war aufgehoben, an welcher man mehrere Stunden lang den materiellen Freuden des Lebens gehuldigt hatte, und in einzelne Gruppen aufgelöst und in die verschiedenen Zimmer vertheilt, suchten die Anwesenden ihren persönlichen oder staatlichen Interessen mittelst einer regen, beliebig angeknüpften und eben so leicht wieder abgebrochenen Unterhaltung gerecht zu werden. Der Sekretär der »hochmögenden Herren Generalstaaten« fehlte wirklich, und der Baron von Langenau durchschritt in einem einfachen schwarzen Anzuge scheinbar theilnahmslos die Reihen der conversirenden Herren- und Damengruppen und gelangte schließlich in ein leeres Zimmer, welches die Enfilade der Gemächer abschloß. Es war nur spärlich erleuchtet. Er trat an eines der Fenster und blickte, von den weit herabgehenden Gardinen vollständig verhüllt, durch dasselbe hinaus in die abendliche
Winterlandschaft. Da vernahm er nahende Schritte. Zwei Männer traten ein und nahmen auf einem der die Wände garnirenden Sammetpolster Platz. Ganz sicher hatten sie sich zurückgezogen, um irgend einen Gegenstand, welcher nicht für Jedermanns Ohren war, zu besprechen. Langenau stand schon im Begriffe, aus seinem unabsichtlichen Verstecke, wie es ihm die Ehre gebot, hervorzutreten, als er einen Namen nennen hörte, bei dessen Klange er zu bleiben beschloß. Er vernahm, daß einer der beiden Männer der Graf d'Affri selbst war; der andere war der berühmte Casanova, welcher sich durch seine Flucht aus den Bleikammern Venedig's einen weithin klingenden Namen erworben hatte und jetzt von Frankreich hieher gekommen war, um im Auftrage des Herzogs von Choiseul eine wichtige Geldangelegenheit zu betreiben. »Ich sage Ihnen, mein lieber Casanova, daß Sie sich mit der Hoffnung, gute Geschäfte zu machen, sicher täuschen werden, falls nicht plötzlich und unvorhergesehen günstigere Umstände eintreten,« meinte der Graf. »Ich hege viel Theilnahme für Sie und wünsche Ihnen das beste Gelingen, aber der König wird schlecht bedient, die Operationen des General-Controleur haben die Nation discreditirt, und man ist auf einen unvermeidlichen Bankerott gefaßt, wie ich Ihnen offen sagen will.« »Das weiß ich Alles ganz genau, aber ich möchte dennoch nicht völlig an dem Erfolge meiner Sendung verzweifeln. Es mangelt der Regierung an Geld. Ich bin beauftragt, französische Staatspapiere, welche nominell den Werth von zwanzig Millionen repräsentiren, mit einem möglichst geringen Verluste gegen besser stehende ausländische Papiere umzutauschen, eine Manipulation, deren Gelingen mir nicht unmöglich erscheint, da der Minister mir versichert hat, daß der Krieg, welcher unsere Schuldscheine drückt, sich seinem Ende nahe. Die geheimen Friedensverhandlungen sind im vollsten Gange, wie mir von best unterrichteter Seite versichert wurde.« »Ich will diese letztere Thatsache nicht in Abrede stellen, doch geben Sie sicherlich zu, daß ich als Gesandter über unsere politischen Hoffnungen und Befürchtungen vollständiger unterrichtet sein muß, als Sie. Die Staatskasse ist geleert, die Flotte vernichtet, und unsere Heere sind geschlagen. Der Friede wird in Folge dessen kein vortheilhafter für uns sein. Wer jetzt unsere
Papiere kauft, muß lange warten, ehe er hoffen darf, sie ohne Verlust verwerthen zu können, und Herr von Bernis hat mich beauftragt, Ihnen die zwanzig Millionen nur mit acht Prozent minus zu überlassen. Ich bin sehr geneigt, zu glauben, daß bei einem solchen Angebote Niemand kaufen wird.« »Ich halte trotzdem meine Hoffnung fest. Wenn der König sieht, daß seine Forderung zu hoch ist, wird er sich zu einer Reduction derselben entschließen. Ich hatte heute eine Conferenz mit Herrn Peels und sechs anderen Compagniechefs. Sie boten mir zehn Millionen baar, sieben Millionen in fünfprocentigen Papieren und verzichteten außerdem auf zwölfmalhunderttausend Gulden, welche die französisch-indische Gesellschaft der holländischen schuldet; das sind neun Procent Verlust für uns. Dieses Gebot scheint mir unter den gegenwärtigen Verhältnissen sehr acceptabel.« »Sie täuschen sich, zu glauben, daß der König zu diesem Handel in irgend einer Beziehung stehe. Die Politik des » Oeil de boeuf « 4 befindet sich sehr oft und eben auch jetzt in der Lage, sich der Berechnung ihrer beglaubigten Vertreter zu entziehen. »Ich verstehe Sie nicht.« »Das ist möglich. Der König und der Herzog von Choiseul pflegen in Geldangelegenheiten selten Hand in Hand zu gehen; man zieht unabhängig von einander Gelder ein, nur mit dem einen Unterschiede, daß der Eine verantwortlich ist, während man einer Majestät von Gottes Gnaden unmöglich nachrechnen darf. Kennen Sie vielleicht den Grafen von St. Germain?« »Ich habe ihn in Paris einige Male bei Frau d'Orfé gesehen.« »Das glaube ich. Frau d'Orfé ist eine halbe Zauberin und gibt für Magie und dergleichen Dinge Summen aus, von denen jede einzelne einem ganzen Vermögen gleichkommt. Der Graf ist ihr ein Phänomen gewesen, in dessen Glanze sie um jeden Preis hat wandeln müssen. Was denken Sie von ihm?« »Er besitzt ganz das Aussehen eines außerordentlichen Mannes. Der König schenkt ihm sein ganzes Vertrauen und hat ihm sogar eine sehr prachtvolle Wohnung in Chambord eingerichtet.« »Ah!« rief d'Affri erstaunt. »Dieser Abenteurer scheint vom Glücke mehr bevorzugt zu werden, wie mancher brave Mann von großen Verdiensten. Wissen Sie, daß er sich hier befindet?« »Kein Wort.« »Er ist im »Prinzen von Oranien« abgestiegen und gerirt sich
mit diplomatischer Miene, ohne mich eines Besuches zu würdigen. Ich habe die Art und den Zweck seiner Sendung nicht zu enträthseln vermocht, werde mich aber auch nicht in die Gefahr begeben, mich durch eine Empfehlung bloßzustellen, wenn man sich bei mir nach ihm erkundigen sollte.« »Im Prinzen von Oranien? Das ist ja der Gasthof, in welchem auch ich wohne!« »Dann läßt sich ja vermuthen, daß Sie einmal mit ihm zu sprechen kommen werden.« »Auf alle Fälle, Graf.« »Darf ich Ihnen vielleicht die Geschicklichkeit zutrauen, den Zweck seines Hierseins zu erfahren?« »Ich kann nicht sagen, ob ich sie besitze, doch ist ja eine Probe immerhin erlaubt.« »Versuchen Sie es. Jetzt aber lassen Sie uns zur Gesellschaft zurückkehren; man würde uns sonst vermissen!« Die beiden Männer entfernten sich; der Lauscher verließ sein Versteck und kehrte nach ihnen in die vorderen Gemächer zurück. Es war seine Absicht, Casanova aufzusuchen. Dieser hatte sich ganz allein an einem Pfeilertischchen niedergelassen. Er war ein Mann, welcher sich durch eine seltene, eigenartige Schönheit auszeichnete und schien mit seinen großen, dunklen Augen die ganze Versammlung zu beherrschen. Langenau näherte sich ihm und begann, sich verbeugend: »Entschuldigung! Sie sind Herr Casanova?« »Ja.« »Werden Sie mir verzeihen, daß ich eine Unterredung mit Ihnen suche, ohne daß wir uns vorher vorgestellt wurden?« »Meine Vergangenheit wird Ihnen beweisen, daß ich ein Feind jeden Zwanges bin. Nehmen Sie hier Platz, mein Herr!« Der Baron setzte sich an der andern Seite des Tischchens nieder und erläuterte: »Mein Name ist von Langenau – –« »Ah, der Vertreter des Königs von Preußen in Haag?« »Ja.« »Darf ich Sie meiner aufrichtigsten Sympathie versichern?« »Ihre Theilnahme ist mir um so angenehmer, als ich Sie nur aufsuchte, weil mich der Wunsch trieb, Ihnen nützlich zu sein.« »Verfolgen Sie bei diesem Wunsche eine besondere Richtung?«
»Gewiß! Sie sind von dem Herzog von Choiseul mit der Ordnung einer gewissen Angelegenheit betraut?« »So ist es! Ich habe keine Veranlassung, diese Angelegenheit heimlich zu betreiben.« »Man sagt Ihnen, daß Sie auf Schwierigkeiten stoßen werden?« »Auch hier vermuthen Sie recht, doch denke ich, daß es mir gelingen wird, die Hindernisse glücklich zu überwinden.« »Ich möchte gern das Meinige dazu beitragen, Ihnen die Lösung Ihrer nicht leichten Aufgabe zu ermöglichen.« »Sie würden mich Ihnen dadurch zu lebhaftem Danke verbinden,« meinte der berühmte Verbannte Venedig's. »Sollte vielleicht wirklich eine positive Unterstützung in Ihrer Macht liegen, Herr Baron?« »Zwar nicht eine positive, sondern eine negative, aber, wie ich hoffe, darum doch keine ganz und gar geringfügige. Ich bin nämlich in der glücklichen Lage, Ihnen ein ganz bedeutendes Hinderniß, welches sich Ihnen entgegenstellt und von dem Sie keine Nachricht zu haben scheinen, namhaft machen zu können. Wer seine Feinde kennt, ist auf dem besten Wege, sie zu besiegen.« »Ein Hinderniß? Wirklich? Darf ich fragen, worin es besteht, Herr Baron?« frug Casanova. »Es heißt Saint Germain.« »Saint Germain? Kennen Sie diesen Mann?« »Ein wenig, doch würde ich einem Andern gegenüber wohl schwerlich Lust haben, dies einzugestehen. Kennen Sie die Angelegenheit, welche ihn nach Haag geführt hat?« »Nein,« antwortete Casanova und frug dann schnell: »Ist sie vielleicht Ihnen bekannt?« »Vollständig.« »Dürfen Sie davon sprechen?« »Eigentlich nicht; da ich aber vermuthe, daß ich Sie in die Lage versetze, dem Grafen d'Affri einen Dienst zu erweisen, so sollen Sie Alles wissen. Ihre Angelegenheit müßte eigentlich scheitern, weil ohne Ihr Wissen eine ähnliche vom König selbst betrieben wird.« »Nicht möglich! Sprechen Sie, Herr Baron!« »Es handelt sich um nichts Geringeres als um eine Anleihe von hundert Millionen gegen Verpfändung der französischen Kronjuwelen. Der König möchte dieses Geschäft ohne Einmischung seiner Minister machen, und selbst ohne daß sie etwas davon
erführen. Der Graf von St. Germain hält sich für den Mann, es glücklich zu Stande zu bringen, und läßt sich in Folge dieses Selbstvertrauens nicht herbei, dem Grafen d'Affri den schuldigen Besuch abzustatten. Vielleicht hat er hiezu noch andere Gründe, die ich aber einstweilen nur vermuthen möchte, ohne sie näher zu bezeichnen.« »Sind Sie überzeugt, daß Sie mir die Wahrheit sagen?« »Ich würde ohne diese Ueberzeugung nicht zu Ihnen sprechen.« »Seit wann ist der Graf in dieser Angelegenheit hier thätig?« »Seit gestern.« »Wissen Sie etwas Ausführlicheres?« »Ich kannte den Zweck seiner Reise bereits, bevor er hier anlangte, und muß – – –« »So scheint es, daß man in Deutschland sehr genau von den geheimen Verhältnissen und Vorgängen des französischen Hofes unterrichtet ist!« »Selbstverständlich! Herr Calcoen, Sekretär Ihrer Hochmögenden, hat dann mit mir über die Angelegenheit gesprochen und mir auch mitgetheilt, daß der Graf bereits den werthvollsten der Krondiamanten deponirt hat.« »Sind Sie davon überzeugt?« »Ich habe ihn selbst gesehen. Der Stein ist wirklich prachtvoll und vom reinsten Wasser. Wie ich dann heut erfuhr, ist man nicht abgeneigt, auf das Geschäft einzugehen, und Sie sehen ein, mein bester Casanova, daß Sie darunter leiden müßten. Wenn man dem König hundert Millionen borgt, wird man schwerlich geneigt sein, Ihnen für den Minister zwanzig Millionen umzuwechseln.« »Sie haben Recht und ich schulde Ihnen großen Dank, Herr Baron. Ich verstehe vollkommen den Wink, welchen Sie mir geben wollen, und will Ihnen auch offen sagen, daß mir die hundert Millionen des Königs nicht so sehr am Herzen liegen, als meine zwanzig; der Mensch ist ja ein Egoist!« »Und ich also auch. Frankreich steht uns feindlich gegenüber, und es kann meinem König also nicht gleichgültig sein, ob Ludwig eine solche Summe erhält oder nicht. Man wird sich im Stillen wehren müssen.« »Sie scheinen bereits über diese Sache nachgedacht zu haben. Können Sie mir vielleicht einen guten Rath ertheilen?« »Ein Mann von Ihren Fähigkeiten bedarf des guten Rathes nicht,
aber ich werde Sie dem Banquier Adrian Hope vorstellen, welcher die entscheidende Stimme in den St. Germain'schen Angelegenheiten hat und Ihnen in der Ihrigen auf meine Empfehlung hin gern nützlich sein wird. Sodann habe ich einen Gedanken, den ich Ihnen nicht verschweigen will. Ich kenne die französischen Krondiamanten und habe den deponirten Stein nicht unter ihnen gesehen; St. Germain verlangt für ihn eine Anzahlung von hunderttausend Gulden, wovon in seiner Instruktion nichts steht – –« »Ah – –!« »Allerdings. Nehmen Sie dazu, daß er ein geschickter Chemiker ist, so wird es Ihnen nicht schwer werden, einen Verdacht zu hegen, den ich nicht besiegen kann.« »Sie denken beinahe Unmögliches!« »Von meinem Standpunkte aus ist das, was Sie unmöglich nennen, sogar sehr wahrscheinlich. Ich kenne hier einen ausgezeichneten Chemiker, der ein armer, aber ehrlicher Mann ist und sich von dem Aplomb des Grafen nicht im Geringsten blenden lassen wird. Sie verstehen mich?« »Sehr gut! Er wird den Krondiamanten untersuchen. Wollen Sie auch mich mit ihm bekannt machen?« »Sobald Sie es wünschen. Er heißt van Holmen und wohnt hier ganz in der Nähe. Für Vertraute ist er auch während der Nacht zu sprechen und ich beabsichtige, nach der Soirée ihn aufzusuchen.« »Darf ich Sie begleiten?« »Sehr gern!« Dann setzte er mit feinem Lächeln hinzu: »Ich glaube nicht, daß der Graf d'Affri Veranlassung oder Neigung hat, St. Germain zu protegiren. Wüßte ich, daß Sie die Neigung des Gesandten besitzen, so würde ich darauf hindeuten, daß ein Brief von ihm an den Minister die Anleihe über den Haufen werfen dürfte.« »Lassen Sie mich machen, Herr Baron! Der Graf befindet sich über die Sendung St. Germain's im Unklaren; indem Sie es mir möglich machen, ihn zu unterrichten, erweisen wir ihm einen Dienst, der ihn veranlassen wird, sich mir gefällig zu bezeigen. Verzeihen Sie, daß ich Sie verlasse! Ich werde sogleich mit ihm sprechen.« Er erhob sich, um den ausgesprochenen Vorsatz zur Ausführung zu bringen. Der Baron von Langenau blieb mit dem Bewußtsein
zurück, dem Grafen Saint Germain die erste Rate für das Andenken an den Park zu Versailles zurückzahlen zu können. Sobald es später thunlich war, winkte er Casanova und verließ mit ihm das Palais des Gesandten. »Nun?« frug er, indem sie neben einander die Straße dahinschritten. »D'Affri war im höchsten Grade überrascht.« »Nannten Sie ihm meinen Namen?« »Sie hatten mir keine Erlaubniß dazu gegeben.« »Sie haben recht gehandelt. Will er schreiben?« »Er hat es bereits gethan. Er hielt die Angelegenheit für so wichtig, daß er sich auf einige Minuten von der Gesellschaft zurückzog, um den Bericht abzufassen und einen Courier mit demselben sofort abzusenden.« »Prächtig! Sehen Sie dies kleine Haus? Hier wohnt van Holmen.« Sie befanden sich vor einem kleinen, unscheinbaren Häuschen, aus dessen Schornstein sie trotz der späten Nachtstunde einen dichten, dunklen Rauch aufsteigen sahen, in welchen sich zuweilen roth und blau glühende Funken mischten. Sie schritten um zwei Ecken und gelangten an die Hinterthür, an welche Langenau auf eine eigenthümliche Art pochte, worauf sie sich ganz von selbst öffnete und ebenso hinter ihnen ohne alle bemerkbare Hülfe sich wieder verschloß. Nachdem sie einen kurzen, engen Flur durchschritten hatten, kamen sie in einen verräucherten, niedrigen Raum, dessen Ausstattung ihn als Laboratorium kennzeichnete. Unter einer Menge von Gläsern, Retorten, Tiegeln und allerlei seltsam geformten Gefäßen kauerte ein kleines, dürftiges Männchen, welches sich um die Eintretenden gar nicht zu kümmern schien, sondern mit großer Aufmerksamkeit dem Erkalten einer metallischen Flüssigkeit zusah, welche in eine Sandform ausgegossen worden war. Erst als sich dieselbe im Zustande der Erstarrung befand, erhob er sich, um die Ankömmlinge zu begrüßen. Dies geschah einfach und mit Herzlichkeit; er hatte nicht das Geringste von dem Wesen eines Charlatan an sich. »Herr Baron,« frug er, »wie kommt es, daß ich Sie heut noch so spät bei mir sehe?« »Ich wollte Ihnen hier Herrn Casanova vorstellen, der vielleicht
nächstens Gelegenheit haben wird, sich für Ihre Kunst zu interessiren.« »Herr Casanova aus Venedig?« »Ja,« antwortete dieser. »Dann wird Ihr Interesse nicht erst vielleicht nächstens wach werden, sondern Sie sind mir bereits Ihrem Rufe nach als ein guter Chemiker bekannt.« »Es ist wahr, daß ich mich einst viel mit Chemie beschäftigte, doch brachte ich es nicht weit.« »Sie sind bescheiden. Ich weiß sehr genau, daß Sie recht gute Kenntnisse besitzen; Schade nur, daß Ihre Lehrer sich mehr mit Alchymie anstatt mit der eigentlichen Scheidekunst beschäftigten!« »Sie kennen mich, den Schüler, während ich von Ihnen, dem Meister, noch nichts gehört habe. Wie kommt das?« Das kleine Männchen lächelte leise vor sich hin. »Die wahre Kunst genügt sich selbst und macht kein Geschrei, dennoch aber bin ich nicht so ungekannt, wie Sie vielleicht meinen. Ich verkehre sogar mit Personen, welche sich auf dem Gebiete der Alchymie einen bedeutenden Namen erworben haben. Sie kennen die Frau d'Orfé in Paris?« »Ich nenne mich sogar ihren Freund.« »Das weiß ich, denn sie hat mir öfters von Ihnen geschrieben, und dort auf dem Tische liegt noch ihr letzter Brief, in welchem sie Ihrer gedenkt. Ich erwarte soeben einen Mann, den Sie vor einigen Wochen bei ihr gesehen haben.« »Darf ich fragen, wer dieser Mann ist?« »Der Graf von St Germain.« »Ah!« rief Casanova erstaunt. »Zählen Sie den Grafen auch zu Ihren Freunden? »Ich? Hm!« Der Chemiker schüttelte stolz den Kopf. »Es gibt Hunderte, die ihn fast wie einen Gott verehren, ich aber halte ihn für einen klugen Quacksalber, welcher es versteht, aus den Dukaten anderer Leute sechzehnkarätiges Gold für sich zu machen. Er ist jetzt hier und benachrichtigte mich durch seinen Diener, daß er mir in der gegenwärtigen Stunde einen Besuch machen werde. Ich bin wirklich neugierig, zu erfahren, was ihn zu mir führt.« »Es ist hier ein außerordentlich glücklicher Zufall vorhanden,« meinte der Baron von Langenau. »Eben der Graf ist es, dessentwegen wir zu Ihnen kommen. Er ist beauftragt, oder gibt
wenigstens so an, die französischen Kronjuwelen gegen die Summe von hundert Millionen zu versetzen, und hat mit der Bitte um sofortige Auszahlung von hunderttausend Gulden den größten der Diamanten zur Caution gestellt. Ich sage Ihnen dies, weil ich weiß, daß Sie verschwiegen sind. Die Freundschaft zwischen diesem Grafen und dem König von Frankreich muß eine sehr innige und vertrauensvolle sein.« »Ja,« versetzte van Holmen, »oder es ist das Vertrauen des Grafen auf die Naivetät anderer Leute ein ebenso großes. Ich errathe den Wunsch, welchen Sie mir vorzutragen beabsichtigen, und Sie brauchen ihn also gar nicht auszusprechen. Hören Sie diesen Ton? Die Thür ist gegangen. Treten Sie in dieses Kabinet. Er soll von Ihrer Anwesenheit nichts merken.« Er öffnete eine hinter dem Rauchfange verborgene Thür und wies die beiden Männer in ein kleines Kämmerchen, welches von dem Laboratorium nur durch eine dünne Wand geschieden wurde, so daß man jedes Wort vernehmen konnte, welches in dem Laboratorium gesprochen wurde. Sie hörten das Geräusch einer aufund zugehenden Thür und waren dann Zeugen eines für sie sehr interessanten Gespräches. »Sie sind van Holmen?« »Ja.« »Ich bin der Graf von Saint Germain.« »So!« Der Graf hatte jedenfalls erwartet, zu imponiren. Das einfache »So« des Chemikers schien ihn zu ärgern. »Sie kennen mich?« »Nein.« »Aber mich kennt doch alle Welt, und Fürsten bemühen sich um meine Gunst.« »So!« »Sie scheinen wenig oder gar nicht mit der Welt zu verkehren?« »Ja.« »Eben deßhalb komme ich zu Ihnen, um Ihnen ein sehr gutes Geschäft in Vorschlag zu bringen.« »So!« »Haben Sie Kenntniß von meinem berühmten Aqua benedetta? « »Nein.«
»Dieser Wundertrank ist der größte Triumph des Menschengeistes; wer ihn gebraucht, wird nie alt und stirbt nicht.« »So!« »Ich habe dem König von Frankreich und der Marquise de Pompadour davon geben müssen; der Vorrath geht zur Neige, und der König bittet mich um Erneuerung. Ich bedarf zur Herstellung des Wassers ein vollständig eingerichtetes Laboratorium, und da ich meine Apparate nicht bei mir führe, so ersuche ich Sie, mir Ihr Laboratorium auf eine Stunde abzutreten. Ich werde den gegenwärtigen Zustand desselben respektiren und biete Ihnen als Lohn für Ihre Gefälligkeit diesen Diamanten an. Gehen Sie auf meinen Vorschlag ein?« »Ja.« »Ich erhielt den Stein in Wien von dem Grafen Zobor als Geschenk; er ist seine zwölfhundert Gulden werth.« »So.« »Sind Sie eben jetzt beschäftigt?« »Nein.« »So werde ich sofort beginnen. Von Ihren Vorräthen brauche ich nichts, da ich die Ingredientien zu meinem Aqua benedetta hier in dieser Manteltasche bei mir führe.« »So!« »Geht dieser Glockenzug nach Ihrem Wohnraume?« »Ja.« »So werde ich Sie durch die Glocke benachrichtigen, wenn ich fertig bin. Hier ist der Diamant. Ich werde binnen einer Stunde fertig sein, und Sie können gehen!« »So!« Eine Thür ging und ward hörbar von innen verschlossen. Nach kurzer Zeit öffnete sich ganz unvermuthet eine in dem Boden der Kammer angebrachte Fallklappe, deren Dasein die beiden Männer gar nicht bemerkt hatten, und aus ihr stieg der Chemiker empor, welcher lächelnd den beiden Andern Schweigen zuwinkte. »Ein geistreiches Gespräch, nicht wahr?« flüsterte er. »Jetzt fabrizirt er sein Universal-Lebenswasser. Ich werde ihn dabei beobachten.« Er stellte vorsichtig einen Stuhl an die Scheidewand, stieg auf denselben und öffnete geräuschlos einen unterhalb der Decke angebrachten Ventilator. Durch die entstandene Oeffnung war es
möglich, Alles, was im Laboratorium vorging, zu beobachten. Er stand eine ziemliche Weile auf seinem Posten, ehe er herunterstieg. »Nun?« frug der Baron. »Nichts, gar nichts! Er beguckt sich die Töpfe und Tiegel. Ich bin fest überzeugt, daß sein Aqua benedetta nichts ist als eine ganz harmlose Mischung von destillirtem Wasser mit irgend einer wohlriechenden Flüssigkeit. Sein Besuch bei mir hat jedenfalls nur den Zweck der Reklame; aber es ist sehr leicht möglich, daß sein Aqua benedetta für ihn zu einem Aqua maledetta wird. Ich meine sehr, daß er einen großen Fehler begangen hat, mir den angeblichen Diamanten des Grafen Zobor zu schenken, denn ich werde denselben einer sehr genauen Analyse unterwerfen, und ich hoffe, daß Sie mich bis dahin nicht verlassen, um das Resultat meiner Untersuchung zu vernehmen.« »Wir bleiben gern, denn es liegt ja in unserm Interesse, so bald wie möglich zu wissen, woran wir sind.« Auch Casanova und Langenau bestiegen nach einander den Stuhl und bemerkten, daß es dem Grafen nicht einfiel, eine chemische Operation vorzunehmen. Erst nach Verlauf einer Stunde zog er ein Pulver hervor, welches er verbrannte. Ein außerordentlich lieblicher und feiner Duft verbreitete sich hierauf sogar in der Nebenkammer. »Jetzt wird er klingeln,« meinte van Holmen. »Der Duft soll mich glauben machen, daß er wirklich gearbeitet hat.« Er hatte Recht; die Glocke ertönte, und auf dieses Zeichen verschwand er in der Fallklappe und erschien darauf in dem durch den Grafen jetzt wieder von innen geöffneten Laboratorium. »Riechen Sie etwas?« frug derselbe. »Ja.« »Das ist der bei der Zubereitung des Elixirs entflohene Lebensduft. Das bloße Einathmen desselben wird Ihr Dasein auf ein ganzes Jahrzehnt verlängern.« »So!« »Sind Sie auch sternenkundig?« »Nein.« »Das ist eine ganz unverzeihliche Unterlassungssünde von Ihnen. Wer die Stoffe beherrschen will, aus denen unsere Erde zusammengesetzt ist, muß vor allen Dingen den unendlichen und allgegenwärtigen Stoff zu beherrschen trachten, der die Urmaterie
des universalen Lebens bildet.« »So!« »Ich bin fertig, und Ihre Bezahlung haben Sie. Darf ich wiederkommen?« »Ja!« »Ich habe einige wichtige und complicirte Operationen vorzunehmen, welche eine längere Zeit erfordern, als dies heute nothwendig war. Doch wird meine Anwesenheit Ihnen zwar wohl eine kleine Unterbrechung Ihrer eigenen Arbeiten, aber keineswegs irgend einen Nachtheil bringen. Sie haben wohl bereits bemerkt, daß ich gewohnt bin, königlich zu bezahlen; die Berühmtheit gar nicht gerechnet, welche Ihr Laboratorium dadurch erlangen wird, daß ich in demselben meine Zaubermittel bereitet habe.« »So!« Das ununterbrochene »Ja« und »So« schien doch den Grafen stutzig zu machen. Er warf einen scharfen, forschenden Blick in das unbewegliche Angesicht des kleinen Chemikers und meinte dann: »Warum sprechen Sie nicht? Haben Sie das Gelübde gethan, nur einsilbige Worte in Anwendung zu bringen?« »Ja.« »Dann ist mit Ihnen ja keine Unterhaltung möglich. Ich gehe also. Gute Nacht! Aber ich werde noch im Laufe dieser Woche wiederkommen.« »So!« Der berühmte Meister des Lebenelixirs entfernte sich mit einem sehr gnädigen Neigen seines Hauptes; der Chemiker ließ nicht die mindeste Lust zu einer Verbeugung spüren und begleitete ihn bis an die Thür, welche er sorgfältig hinter ihm verschloß. Dann kehrte er in das Laboratorium zurück und befreite Casanova und den Baron aus der engen Kammer. »Das also war der hochberühmte Graf von St. Germain, der Abgott aller Astrologen, Magier und Alchymisten!« »Ja, das war er,« meinte Langenau. »Es ist Ihre Pflicht, sich hoch beglückt über diesen unendlich ehrenvollen Besuch zu fühlen!« »Hm, der Vorwand des Aqua benedetta diente natürlich nur als Einleitung. Wer weiß, welche chemischen Prozesse er vorzunehmen hat, die mit seinen hundert Millionen und den Krondiamanten in Beziehung stehen! Jetzt aber werde ich vor allen Dingen den Stein
des Grafen Zobor einer Prüfung unterwerfen.« Das Feuer war bereits ausgegangen, ein Zeichen, daß die Thätigkeit St. Germain's gleich Null gewesen sei. Er schürte es wieder an, füllte verschiedene Flaschen, Tiegel und andere Gefäße mit ebenso verschiedenen Ingredientien und unterwarf den Stein einem Verfahren, zu welchem selbst Casanova das Verständniß und die Einsicht fehlten. Die Prozedur nahm eine lange Zeit in Anspruch, und der Morgen war längst angebrochen, als sie zu Ende ging. Die zwei Zuschauer befanden sich in einer außerordentlichen Spannung, denn das Ergebniß dieser streng wissenschaftlichen Untersuchung mußte auf ihr Vorhaben von bedeutendem Einfluß sein. »Endlich bin ich fertig!« entschied mit triumphirender Miene van Holmen. »Und Ihre Entscheidung lautet?« frug der Baron. »Sie wissen, woraus der Diamant besteht?« »Allerdings. Er besteht aus reinem Kohlenstoff.« »Und muß daher im Sauerstoffgas zu Kohlensäure verbrennen,« fügte Casanova hinzu. »Richtig. Sie haben bemerkt, daß ich mit diesem Diamanten den mir von dem Grafen angegebenen Werth von zwölfhundert Gulden riskirt habe; ich wollte ihn verbrennen, aber es ist mir nicht gelungen. Ich habe ihn dann mit andern Stoffen behandelt und jetzt dieses feine, grauweiße Pulver erhalten, von welchem sich ein dünner, durchsichtiger und äußerst harter Niederschlag geschieden hat. Ich will in diesem Augenblick sterben, wenn der Stein ein Diamant gewesen ist. Welche Zusammensetzung er eigentlich hatte, kann ich jetzt nicht sagen, denn um dies zu bestimmen, müßte ich sowohl das Pulver als auch den Niederschlag einem weiteren und sehr complicirten Verfahren unterwerfen; doch hege ich schon jetzt die Ueberzeugung, daß wir es mit einer allerdings meisterhaft hergestellten glasartigen Composition zu thun haben.« »Zieht der Versuch, einen Diamanten in Sauerstoffgas zu verbrennen, unbedingt den Verlust des ganzen Steines nach sich?« »Nein, denn man kann den Prozeß des Verbrennens unterbrechen, obgleich die seine Schwierigkeiten hat, denen nicht jeder Chemiker gewachsen sein dürfte.« »Getrauen Sie sich, den Krondiamanten, welchen der Graf
deponirt hat, einer Prüfung zu unterwerfen, ohne daß der Werth desselben, wenn der Stein ächt sein sollte, bedeutend angegriffen wird?« »Ich getraue es mir.« »So nehmen Sie einstweilen unsern Dank für Ihre heutige Bemühung; sobald die Angelegenheit sich entschieden hat, wird –« »O bitte,« fiel van Holmen ein; »Sie sind mir weder Dank noch Honorar schuldig! Im Interesse unserer herrlichen Wissenschaft muß jeder ächte Jünger derselben bestrebt sein, allem Schwindel mit allen Kräften entgegen zu arbeiten. Ich bin reichlich belohnt, wenn meine Arbeit dazu beitragen kann, einen Schelm zu entlarven, dem es bei seinem ungewöhnlichen Talente mehr als Andern gelang, Unheil zu säen und dafür Reichthum und Ehren zu ernten!« Sie verließen den braven, kenntnißvollen Mann mit dem Gefühle der vollständigsten Hochachtung. Auf der Straße angekommen, blieb der Baron stehen. »Wir haben unser Werk erst begonnen,« meinte er. »Wollen wir das Eisen nicht schmieden, so lange es noch warm ist?« »Das versteht sich, Herr Baron,« antwortete Casanova. »Es ist zwar noch ziemlich früh am Morgen, aber einen Freund, wie es der Sekretär Calcoen Ihnen ist, darf man auch schon zu dieser Stunde aufsuchen.« »Sie errathen, wohin ich mich zu wenden beabsichtigte. Lassen Sie uns zunächst ihn aufsuchen!« Sie schritten nach der Wohnung des Sekretärs und trafen Frau Katje im Flur, welche, mit weißer Nachthaube auf dem Kopfe, emsig beschäftigt war, die roth und weißen Klinkerplatten des Fußbodens zu säubern. Sie begrüßte die beiden Männer, ein wenig erstaunt über den so frühen Besuch. »Ist Mynheer Calcoen bereits munter?« frug der Baron. »Bereits munter?« frug sie halb erstaunt und halb beleidigt. »Mynheer ist stets mit den Hühnern munter.« »So können wir ihn wohl sprechen?« »Da der Herr Baron dabei ist, ja, sonst aber nicht. Morgenstunde hat Gold im Munde; das ist eine gute Arbeitsregel.« Sie stiegen die Treppe empor und gingen nach dem Studierzimmer des Sekretärs. Er hatte die Füße auf dem Kohlenbecken, die Zeitung in der Linken und die langrohrige Thonpfeife in der Rechten.
»Welch eine Ueberraschung!« rief er aus einer dichten Tabakswolke heraus. »Sie bringen mir sicher etwas höchst Wichtiges, Herr von Langenau.« »Zunächst den Herrn Casanova hier, von dem Sie jedenfalls – – –« »Gehört haben, nicht wahr? Wir haben uns sogar bereits gesprochen, und es sind also Komplimente zwischen uns nicht nöthig. Setzt Euch, Mynheers, und sagt, was Ihr mir bringt!« »Wir kommen in der bekannten Krondiamantenangelegenheit.« »Was? In dieser – – Aber ich denke, diese Angelegenheit ist tiefstes Geheimniß, und da stellen Sie mir auch Herrn Casanova als Eingeweihten vor.« »Sie wissen, welche wichtige Aufgabe ihn hieher geführt hat. Die hochmögenden Herren machen ihm die Lösung derselben sehr schwer und sind, wie ich beinahe glaube, eher geneigt, einem Betrüger hundert Millionen zu geben, als einem ehrlichen Manne zwanzig Millionen umzuwechseln. Ich habe keinem Grafen von St. Germain Discretion gelobt und kann also über mein Geheimniß sprechen, zu wem mir beliebt. Ich habe triftige Gründe, Herrn Casanova in das Vertrauen zu ziehen; das geschah gestern Abend beim Grafen d'Affri, und jetzt sind wir bereits in der Lage, Ihnen mit einem Resultate dienen zu können.« »Wirklich? Ich bin natürlich ganz Ohr!« »Der deponirte Krondiamant befindet sich wohl noch in Ihrer Hand?« »Nein. Ich habe ihn zur Verfügung der hochmögenden Herren gestellt, und er wurde dem Banquier Hope zur Aufbewahrung übergeben.« »Ist er geprüft worden?« »Von drei Kennern, welche ein untrügliches Auge besitzen.« »Und wie lautete ihr Urtheil?« »Er ist ächt.« »Ah! Wirklich?« »Ja. Die Herren Generalstaaten sind sehr geneigt, auf die Offerte des Grafen von St. Germain einzugehen.« »Dann muß ich Ihnen sagen, daß sich die drei Sachverständigen wohl dennoch geirrt haben. Wir haben heute Nacht einen Diamanten des Grafen, welchen wohl mancher feine Kenner für ächt gehalten hätte, chemisch untersuchen lassen.«
»Bei wem?« »Bei van Holmen.« »Der ist sicher, und was er sagt, gilt als ein Schwur. Wie fand er den Stein?« »Er war unächt, trotzdem der Graf ihn als Geschenk von dem Grafen Zobor erhalten haben wollte und seinen Werth auf zwölfhundert Gulden angab.« »Ich bin erstaunt!« »Wir nicht, denn wir hatten es nicht anders erwartet. Die zwölfhundert Gulden bestehen jetzt nur noch in einem winzigen Häufchen Pulver, für welches kein Mensch die kleinste Münze bezahlt.« »Erzählen Sie, erzählen Sie, wenn ich es glauben soll!« Der Baron gab einen ausführlichen Bericht über die Erlebnisse bei dem kleinen Chemiker. Als er zu Ende war, starrte ihn der Sekretär mit offenem Munde an. Die Pfeife war dem guten Manne längst ausgegangen. Er legte sie weg und erhob sich. »Das ist höchst merkwürdig und muß beherziget werden. Wollt Ihr mit zu Adrian Hope?« »Wir sind bereit dazu.« In kurzer Zeit befanden sich die Drei auf dem Wege zum Banquier. Dort kamen Langenau und Casanova lange nicht zu Worte, denn der eifrige Mynheer Sekretär ließ es sich nicht nehmen, den Bericht selbst abzustatten. Hope hörte denselben mit der gespanntesten Aufmerksamkeit bis zu Ende. Dann erfolgte eine längere und sehr lebhafte Unterredung, nach deren Schluß die Drei den Banquier mit dem Versprechen der tiefsten Verschwiegenheit verließen. Noch unter der Thür reichte er Langenau und Casanova die Hand. »Leben Sie wohl, meine Herren! Wenn sich Ihre Vermuthung bestätigt, so werden wir einen raffinirten Betrüger entlarven, und Sie haben sich die Dankbarkeit der Hochmögenden erworben. In diesem Falle hege ich keinen Zweifel, daß die Umwechslung der zwanzig Millionen keinen Anstand finden wird, Mynheer Casanova. Mir würde es nur leid thun, daß wir dann gegen den Schwindler nicht nach den Gesetzen vorgehen könnten, weil wir Rücksicht auf Seine Majestät den König von Frankreich zu nehmen hätten.« Als sich Casanova mit dem Baron allein befand, meinte er: »Ich bin überzeugt, daß wir einem Siege entgegengehen, und
werde Ihnen immer größern Dank schuldig!« »Sie haben keine Veranlassung, von Dank zu sprechen, denn ich handle wohl nur als Egoist,« lautete die Antwort. »Ich bin ihm eine Revanche schuldig und glaube nun auch, daß es, um den Grafen zu entlarven, des Boten nicht bedurft hätte, welchen d'Affri gestern an den Herzog schickte.« – – Er hatte mit dieser Meinung Recht, denn bereits am zweiten Tage erhielt der Graf von St. Germain durch einen unbekannten Boten folgendes Billet: »Graf d'Affri hier, Gesandter des Königs von Frankreich, hat von den Herren Generalstaaten Ihre Auslieferung verlangt. Der von Ihnen deponirte Krondiamant wurde untersucht und als Composition erkannt. Er bleibt hier in Verwahrung, bis ihn der König selbst reklamirt. Zwei Stunden nach Empfang dieser Zeilen wird man kommen, um Sie zu arretiren.« Wirklich kam nach zwei Stunden ein Polizeikommissär in die Wohnung des Grafen, fand ihn aber bereits abgereist. Die Verfolgung wurde natürlich nur höchst lässig betrieben, und so erfuhr man bald, daß er sich in England in Sicherheit befinde. Man hatte ihn aus Rücksicht auf Ludwig den Fünfzehnten entkommen lassen. – – –
3. Aqua maledetta Es war zu Anfang des Jahres 1780. Auf der Straße von Kiel nach Eckernförde bewegte sich ein Schlitten, in welchem zwei Herren und zwei Damen saßen. Diese waren der bekannte Prinz Paranow mit seiner Gemahlin und der Baron von Langenau mit seiner Frau, dem früheren Hoffräulein Amély d'Hausset. Die beiden Herren hatten sich in Wien kennen gelernt und waren innige Freunde geworden. Kürzlich hatte der Prinz den Baron in Berlin besucht, und da von Langenau in einer wichtigen Mission nach Eckernförde gehen sollte, so beschloß Paranow, ihn zù begleiten, um diese Gelegenheit, eine interessante Bekanntschaft zu machen, nicht vorübergehen zu lassen. In Eckernförde nämlich residirte der Landgraf Karl von Hessen-Kassel, dänischer Feldmarschall und Statthalter der Provinzen Schleswig und Holstein. Er schrieb das Buch: » Mémoires sur la campagne de 1788 en Suéde. « Als eifriger Freimaurer that er sich besonders durch sein Streben hervor, die »stricte Observanz« wieder herzustellen, und als ein Freund der »geheimen Künste und Wissenschaften« verwandte er große Summen auf Dinge, welche man heute als vollständig werthlos erkannt hat. Er war ein Spielball von Magiern, Zauberern, Adepten und Wunderkünstlern, denen er das größte Vertrauen schenkte, und die dasselbe zu ihren Zwecken ausbeuteten. Die Abergläubigsten sind ja stets die in religiösen Dingen Glaubenslosen. Auch Prinz Paranow hatte sich früher, wie es so in den Bestrebungen der Zeit lag, viel mit der Magie und Scheidekunst beschäftigt, war aber, nachdem er ihnen eine ganze Reihe von vergeblichen Opfern gebracht hatte, klug geworden und von ihnen zurückgetreten. Dennoch hegte er noch jetzt ein lebhaftes Interesse für Alles, was sich auf diese Disciplinen bezog, und fühlte eine unwiderstehliche Theilnahme für Jeden, der sich in den Banden befand, welche abzustreifen ihm nur nach großen Kämpfen und vieler Selbstüberwindung gelungen war. Daher wollte er auch den
Marschall Karl von Hessen-Kassel kennen lernen und hatte sich dem Baron von Langenau nur deßhalb angeschlossen, um jetzt persönlich diese Bekanntschaft zu machen. Die Unterhaltung drehte sich natürlich um den Feldmarschall, auf den sowohl die Herren als auch die Damen außerordentlich neugierig waren. »Fahren wir direkt zu ihm?« frug Amély, welcher man es sehr leicht ansah, daß sie sich als Gemahlin Langenau's recht glücklich fühlte. »Nein,« antwortete der Baron. »Meine Mission weist mich an, erst das Terrain gehörig zu sondiren. Der Marschall ist in manchen Dingen höchst unberechenbar; er kennt mich jedenfalls und weiß, daß ich als nüchterner Verstandesmensch mit manchen abenteuerlichen Anschauungen, welche er hegt, nicht harmonire; daher steht zu erwarten, daß er mir nicht sehr viel Sympathie entgegenbringen wird. Ich machte das in Berlin bemerklich und gab zu verstehen, daß es vielleicht besser sei, einen Geeigneteren mit meiner Mission zu betrauen, doch zog man es vor, meine Vorstellungen nicht zu beachten.« »An wen werden Sie sich wenden?« frug der Prinz. »An den Grafen von Lamberg, welcher bereits angewiesen wurde, die vorbereitenden Schritte zu thun. Er ist ein sehr gewandter Diplomat und hat es wirklich fertig gebracht, den dänischen Legationsrath Morin, welcher jetzt in Eckernförde anwesend und ein Vertrauter des Marschalls ist, für unsere Intentionen zu gewinnen. Gelingt es mir, die Theilnahme des Marschalls für meine Person zu erregen, so zweifle ich keinen Augenblick an dem glücklichen Verlaufe meiner Sendung.« »Die sich natürlich auf die Verhältnisse Preußen's mit Schweden bezieht?« frug der Prinz. »Es gibt Beziehungen,« antwortete Langenau lächelnd, »für welche die Freundschaft keine Worte haben darf.« »Schön! Und ebenso gibt es Freundschaften, für welche die Politik kein Verständniß hat.« »Ich möchte nicht beistimmen. Doch verirren wir uns damit auf ein Gebiet, welches unserm vorigen Thema so fern liegt, daß wir schleunigst zurückkehren wollen. Wissen Sie, wer sich gegenwärtig bei dem Marschall befindet?« »Nun?«
»Ein alter Bekannter von mir und auch von Ihnen. Der berühmte Graf von Saint Germain.« »Ich weiß es und will Ihnen offen gestehen, daß seine Anwesenheit ein Grund mehr für mich war, mich Ihnen anzuschließen. Ich bin sehr begierig, eine kleine Abrechnung mit ihm zu halten.« »Ah!« »Er hatte die Güte, mir in Wien einen Diamanten, welchen er selbst auf zehntausend Dukaten schätzte, für die Hälfte dieser Summe zu verkaufen. Der Stein stammte, wie ich später erfuhr, aus seiner mit dem Grafen Zobor gegründeten Manufactur und erwies sich als unächt. Ich habe ihn bei mir und werde den Fälscher ersuchen, ihn gegen die fünftausend Dukaten unverzüglich zurückzunehmen.« »Er wird es nicht thun.« »Er wird es!« »Dann müßte er im Besitze der betreffenden Summe sein, was ich aber nicht vermuthe.« »Es würde ihm nicht schwer fallen, eine Anweisung auf die Kasse des Marschalls zu erhalten.« »Auch diese Kasse ist leer; er hat dafür gesorgt.« »Dann mag er sehen, wie er die Summe sonst auftreibt, wenn er es vermeiden will, daß ich per Waffe mit ihm spreche!« »Das wirst Du nicht thun!« bat die Prinzessin ängstlich. »Keine Sorge, mein Herz! Meinen guten Degen besudele ich nicht mit seinem Blute, und Du weißt ja, daß ich kein schlechter Schütze bin. Ein Mann von seinem Genre besitzt wohl die nöthige Hinterlist, welche zum feigen Betruge erforderlich ist, aber nicht den Muth, sich einem furchtlosen Gegner Auge in Auge gegenüberzustellen. Er wird das Geld aufbringen, um jeden Kampf zu vermeiden, denn er selbst weiß natürlich am allerbesten, welche Wirkung sein Aqua benedetta eigentlich hat.« »Das wissen Andere außer ihm ja ebenso gut,« meinte Amély lächelnd. »Die Marquise Pompadour hat das Elixir getrunken, bis sie – starb, und daß auch Louis quinze trotz des Aqua todt ist, hat alle Welt erfahren. Man muß sich wundern, daß es noch Menschen gibt, welche im Stande sind, einem solchen Betrüger Glauben zu schenken!« Man hatte jetzt die Stadt erreicht. Paranow stieg mit der
Prinzessin im Gasthofe ab, während der Baron von Langenau mit seiner Gemahlin zu dem Grafen von Lamberg fuhr, wo ein Logis für Beide bereitet worden war. Der Baron hatte sich als Diplomat ausgezeichnet und wurde von dem Grafen sehr freundlich empfangen. Beide hatten vor allen Dingen eine Unterredung, welche sich auf die Mission Langenau's bezog, und begaben sich dann zu dem Legationsrath Morin, um ihn zu bitten, den Baron bei dem Feldmarschall einzuführen. Der Letztere saß um die gleiche Stunde auf seinem Polsterstuhle, auf den ihn das leidige Podagra bannte, und blätterte in alten, vergilbten Manuscripten herum. Er blickte von Zeit zu Zeit unruhig nach der Uhr; er schien Jemand ungeduldig zu erwarten. Da endlich trat der Kammerdiener ein und meldete: »Der Herr Graf von Saint Germain!« »Eintreten.« Der Graf, welcher jetzt unter der Thür erschien, hatte ganz noch das Aussehen, wie damals, als er Zutritt bei Ludwig von Frankreich gefunden hatte. Er schien wirklich nicht zu altern, doch bei einer genaueren Untersuchung hätte es sich wohl herausgestellt, daß er es ausgezeichnet verstand, sein Aeußeres mittelst kosmetischer Mittel zu conserviren. Er verbeugte sich leicht vor dem Marschall und nahm auf dessen Wink auf einem Stuhle in der Nähe seines Gönners Platz. Allerdings zeigte das Gesicht des Marschalls in diesem Augenblick nicht die freundliche Miene eines Gönners, sondern einen Unmuth, welcher durch die Schmerzen, die ihm das Podagra verursachte, noch erhöht wurde. »Ich ließ Sie bereits vor einer Stunde zu mir bitten, Graf!« »Excellenz entschuldigen, daß ich Ihrer Aufforderung nicht sofort Folge leisten konnte! Eine wichtige Schmelzung, welche ich im Laboratorium begonnen hatte, hielt mich fest.« »Eine wichtige Schmelzung? Wissen Sie, mein Herr, welche Schmelzung mich in neuester Zeit wieder ganz außerordentlich beschäftigt?« »Ich höre, Excellenz!« »Das Schmelzen des Inhaltes meiner Kasse. Ueber fünf Jahre lang wohnen Sie bereits bei mir; über fünf Jahre lang stelle ich Ihnen selbst für meine Mittel ganz ungeheure Summen zur
Verfügung, um Sie in den Stand zu setzen, die Versprechungen zu halten, die Sie mir gegeben haben; über fünf Jahre lang warte ich darauf, daß Sie Wort halten, und sehe keinen andern Erfolg, als daß mein Vermögen zur Neige geht und ich mich mit meinen Gläubigern herumschlagen muß; über fünf Jahre lang bin ich ein Muster von Geduld gewesen, aber mit den Mitteln geht auch meine Nachsicht zu Ende!« »Excellenz erschrecken mich! Meine Operationen führen sicher zum Ziele; sie befinden sich in einem solchen Gange, daß – – –« »Daß ich endlich selbst auch gehen muß!« fiel ihm der Marschall in die Rede. »Und doch fällt mir das Gehen schwer. Sie beabsichtigen, einen Lebenstrank herzustellen, der den Menschen ewig jung macht, und vermögen mir nicht einmal ein Mittel zu geben, welches mir das Podagra vertreibt!« »Gestatten Excellenz die Bemerkung, daß die Krankheit längst gehoben wäre, wenn nicht das rasche, heiße Temperament – – –« »Bah, die alte Einrede! Was hat mein Temperament mit dem Podagra zu schaffen? Beweise ich Ihnen etwa durch eine mehr als fünfjährige Nachsicht, daß mein Temperament so übermäßig schnell und hitzig ist? Ich habe heut wieder zweitausend Dukaten zu bezahlen und weiß wahrhaftig nicht, woher ich sie nehmen soll. Ich habe mich schon öfters auf Morin verlassen müssen, doch machte er mir erst kürzlich eine nichts weniger als zweideutige Aeußerung, daß er mir nicht mehr zur Verfügung stehen könne. Was nun?« Man sah es dem Grafen an, daß er sich in einer ungewöhnlichen Verlegenheit befand. Er schien mit einem Entschlusse zu ringen. »Sollten Ew. Excellenz Verhältnisse wirklich in der Weise derangirt sein, wie ich vernehmen muß?« »Derangirt, das ist noch viel zu wenig! Alle geworden sind sie, vollständig alle; ich habe gar keine Verhältnisse mehr. Es gibt Niemand, an den ich mich wenden könnte, als Sie, Graf. Können Sie mir fünfzigtausend Friedrichsd'or borgen?« Der Graf neigte den Kopf und blieb eine volle Minute still. Wer vermochte zu sagen, was in ihm vorging? Dann blickte er wieder auf und sah dem Marschall mit einem triumphirenden Lächeln in das Gesicht. »Borgen? Nein, schenken werde ich Ihnen diese fünfzigtausend Friedrichsd'or, auch hunderttausend oder eine Million, wenn Sie wollen!«
»Ah! Ist's möglich?« rief der Marschall. Er dachte nicht an sein Podagra; es war augenblicklich verschwunden, und als hätte er diese schmerzvolle Krankheit niemals kennen gelernt, sprang er empor und trat heftig auf den Grafen zu. Dieser blickte ihm siegessicher entgegen. »Sehen nun Excellenz, daß ich wirklich ein Mittel gegen Ihre Krankheit habe? Nur eines Wortes hat es bedurf, und sie ist verschwunden!« »Und die Krankheit meiner Kasse?« »Sie auch!« »Erklären Sie sich deutlicher!« »Sie wissen, daß ich fünf Jahre lang vergeblich auf eine günstige Constellation der Gestirne gewartet habe.« »Leider!« »Heut genau um Mitternacht wird sie eintreten.« »Wirklich?« frug der Marschall mit einem tiefen Athemzuge der Erleichterung. »Ganz zuverlässig. Meine Berechnungen werden mich nicht täuschen.« »Gut! So haben wir endlich eine günstige Stellung der Gestirne, aber das Andere – –?« »Es ist Alles fertig, und ich bin vorbereitet.« »Was können Sie mir versprechen?« »Ewiges Leben und unendliche Reichthümer heut gerad um Mitternacht, Excellenz.« »Graf, ist das wirklich wahr?« Der Marschall befand sich vollständig in Ekstase. Alle Opfer, aller Zorn waren vergessen; er umarmte den Grafen und drückte ihn dann wieder auf den Stuhl nieder, von welchem sich der Adept vorhin in seiner Verlegenheit erhoben hatte. »So gewiß, als ich hier stehe,« klang die feste Antwort. »Nur unter günstigen Sternen ist der Trank zu bereiten, und es können Jahrhunderte vergehen, ehe sich die heutige glückliche Constellation wiederholt. Ich fertigte das Elixir zum ersten Male an dem Tage, nach welchem Moses die Finsterniß über Egypten verhängte; zum zweiten Male am Begräbnißtage Samuel's, des Hohenpriesters, und zum dritten Male in der Nacht, als Christus seine Bergpredigt beendigt hatte.«
»Sie haben Christum gekannt?« Das Gesicht des Grafen zeigte ein eigenthümliches Lächeln. »Ich habe Alles und Alle gekannt, Excellenz. Könnten Sie Petrus, den Apostel, fragen, so würde er Ihnen gestehen, daß ich ihm sehr oft den guten Rath gegeben habe, seine Heftigkeit zu mäßigen. Und wie ich bereits vor dreitausend Jahren lebte, so werden Sie mich auch nach dreitausend Jahren wiedersehen, denn Sie werden heut um Mitternacht mit mir den Tropfen des ewigen Lebens trinken und den Tod nie kennen lernen.« Der Marschall erstarrte beinahe vor Hoffnung und Verwunderung. Der Graf hatte allerdings hier und da eine leise Andeutung fallen lassen, aber so offen wie jetzt hatte er noch nie von seiner dreitausendjährigen Vergangenheit gesprochen. »Graf, ich zweifle nicht, daß Sie die Wahrheit sagen; aber wenn Sie Ihr Versprechen wirklich erfüllen, so werde ich Sie belohnen, wie noch nie ein Mensch be – – –« »Lohn? Bah, Excellenz, wer könnte mich belohnen! Bin ich es nicht, von dem Sie Alles empfangen? Was können Sie mir schenken, der ich Ihnen ewige Jugend und unendlichen Reichthum verleihe! Doch jetzt muß ich fort, denn ich darf keinen einzigen der glücklichen Augenblicke versäumen, aber heut um Mitternacht werde ich Ihnen Glück und Leben bringen. Lassen Sie den Saal in der Weise bereiten, wie es stets bei unsern Beschwörungen geschah!« Er ging und ließ den Marschall in einer ganz unbeschreiblichen Aufregung zurück. Dieser wäre am liebsten mit seinen Gedanken und seinem Jubel allein geblieben, doch war ihm dieses nicht beschieden, denn nach einiger Zeit trat der Diener ein und machte eine Meldung, welche der Marschall in seiner Erregung allerdings gar nicht beachtete. Die Thür öffnete sich wieder, und es trat ein kleines, schmächtiges Männchen ein, dessen vollständig weiße Haare auf ein bedeutendes Alter schließen ließen. Es dauerte lange, ehe der Marschall den Eingetretenen gewahrte. »Wer sind Sie, und wer erlaubt Ihnen, hier Zutritt zu nehmen?« frug er mit zornig klingender Stimme. »Ich wurde angemeldet, Excellenz!« erklang die ruhige Antwort. »Ah so! Also wer sind Sie?«
»Mein Name ist van Holmen.« »Van Holmen? Aus Haag?« »Ja.« »Ah! Setzen Sie sich!« Es war augenscheinlich, daß die Ankunft des Chemikers dem Marschall etwas ungelegen kam; doch sammelte er sich schnell und erklärte: »Sie wurden mir – allerdings nicht erst heut oder gestern – als ein Mann der Wissenschaft geschildert, zu dem man das unbeschränkteste Vertrauen hegen dürfe.« »Casanova!« schaltete van Holmen mit einer höflichen Verbeugung ein. »Wie? Sie wissen, mit wem ich von Ihnen sprach?« »Der berühmte Verbannte schrieb es mir.« »So! Ich erinnerte mich seiner Worte, als ich in die Lage kam, das unparteiische Urtheil eines Chemikers zu hören, der sich nicht von abenteuerlichen Anschauungen beeinflussen läßt, und sandte nach Haag in Holland, um Sie auffordern zu lassen, auf eine Woche zu mir zu kommen.« »Wie Excellenz sehen, bin ich dieser ehrenvollen Aufforderung gefolgt, obgleich ich mir eine große Vernachlässigung meiner eigenen Arbeiten zu Schulden kommen lasse.« »Sie sollen für Alles entschädigt werden. Natürlich wohnen Sie hier bei mir, doch mache ich die Bedingung, daß Sie sich bis morgen nur auf Ihr Zimmer beschränken.« »Darf ich nach der Angelegenheit fragen, Excellenz, welche dem an mich ergangenen Rufe zu Grunde liegt?« »Wir werden heut nicht darüber sprechen, da Sie sich vor allen Dingen ausruhen müssen; doch verspreche ich Ihnen, daß Sie morgen früh vollständig unterrichtet sein werden.« Der kleine Chemiker neigte den Kopf mit einem leichten Lächeln auf die Seite. »Darf ich es wagen, mich bereits für unterrichtet zu halten?« »Wie so?« »Excellenz, ich bin kein Charlatan,« antwortete er jetzt in ernstem Tone; »ich liebe es, stets zu wissen, was ich einmal wissen soll. Ich bin Ihrem Rufe gehorsam gefolgt, aber ich habe keine Zeit, morgen etwas in die Hand zu nehmen, was ich bereits schon heut beginnen kann.«
»Ich werde Sie ja entschädigen!« »Das können Sie nicht. Sie können mir wohl ein Aequivalent geben für den Arbeitsertrag, welchen mir der versäumte Tag gebracht hätte, aber Sie können mir die verlorene Zeit nicht wieder bringen und auch den geistigen Ertrag, der mir entgeht, nicht ersetzen. Der Graf von Saint Germain ist nicht der Mann, dem zu Liebe ich nur eine Stunde meiner köstlichen Zeit verschwenden möchte. Er kann über fünf Jahre auf das Gelingen eines Experimentes warten, denn er hat ein Aqua benedetta, welches ihn unsterblich macht; ich aber bin ein sterbliches Menschenkind und muß daher so viel als möglich mit den Stunden geizen.« Der letzte Satz war mit einer Ironie gesprochen, welche dem Marschall nicht entgehen konnte. »Sie ahnen, weßhalb ich Sie rief?« frug er. »Ich ahne es nicht bloß, sondern ich weiß es. Sie verlangten mich nach Eckernförde, weil sich in Ihnen ein sehr gerechtfertigtes Mißtrauen regte gegen den Mann, der Ihnen so viel versprochen und gar nichts gehalten hat. Ich sollte seine Arbeit untersuchen, und mein Urtheil sollte Ihnen die Richtschnur Ihres Verhaltens gegen ihn sein.« »So ist es allerdings,« gestand der Marschall, der sich überrumpelt sah. »Dann bitte ich um den Grund, weßhalb ich nicht sofort beginnen soll!« »Ich will aufrichtig sein, mein Lieber! Ich habe vielleicht etwas zu schnell gehandelt, wenigstens gestehe ich, daß mein Vertrauen zu dem Grafen nicht im Geringsten erschüttert ist, denn – denn – – –« Es fiel dem alten, ehrlichen Haudegen schwer, eine Unwahrheit zu sagen. Van Holmen war gewandt genug, Alles sofort zu begreifen; darum fiel er ein: »Denn er hat Ihnen ein neues Versprechen gegeben, welches so unendlich verheißungsvoll und glänzend ist, daß dadurch alle Ihre Bedenken wieder in die Flucht geschlagen wurden. So ist es, und also mein Gutachten nicht mehr verlangt wird, so erlaube ich mir, ohne Verzug wieder in die Heimat zurückzukehren!« Noch ehe der Marschall ihn zu halten vermochte, hatte er die Thür geöffnet und das Zimmer verlassen. Zu gleicher Zeit öffnete sich die Thür des Vorzimmers, und es traten zwei Männer ein, von denen der Eine den Chemiker mit erst zweifelnder und dann
freudiger Ueberraschung betrachtete. »Van Holmen! Ist's möglich?« »Herr Baron von Langenau! Sie auch hier in Eckernförde?« »Wie Sie sehen! Was thaten Sie beim Marschall?« »Etwas sehr Wichtiges. Ich überzeugte ihn, daß irgend Jemand lebt, der van Holmen heißt, und ging dann wieder.« »Was heißt das?« »Das heißt: der Marschall ließ mich kommen, um dem Grafen St. Germain auf die Finger zu sehen, hat aber wieder neues Vertrauen gewonnen, so daß ich als personne inutile die Pflicht habe, mich zu entfernen.« »Gehen Sie jetzt nicht, sondern warten Sie, bis ich zurückkehre. Sie begleiten mich dann in meine Wohnung.« »Melden Sie mich!« befahl der Andere der Beiden jetzt dem Kammerdiener. Dieser öffnete die Thür. »Der Herr Legationsrath Morin!« »Eintreten!« Morin folgte mit dem Baron dem Rufe. Der Marschall war noch so begeistert von seiner Unterredung mit dem Grafen, daß er, ohne Langenau zu beachten, auf Morin zustürmte und ihn bei beiden Händen ergriff. »Willkommen, Herr Rath, willkommen! Sie sehen mich außerordentlich freudig erregt in Folge einer glückverheißenden Nachricht, die mir zugegangen ist.« »Gestatten Sie mir, Excellenz, mich an Ihrer Freude zu betheiligen, Ihnen aber vorher den Herrn Baron von Langenau vorzustellen, welcher Berlin verlassen hat, um Ew. Excellenz von der freundlichen Gesinnung und Hochachtung seines Monarchen zu überzeugen!« »Ah! Recht so, Herr Baron! Zwar haben wir uns noch nicht gesehen, aber Sie sind mir aus Ihrem Wirken als ein Mann bekannt, auf den sein König sich verlassen kann. Nehmen Sie Platz, meine Herren, und hören Sie, Herr Rath, was ich Ihnen Erfreuliches mitzutheilen habe! Auch Sie, Herr Baron, werden meiner Neuigkeit Ihr Interesse nicht versagen. Ich weiß sogar, daß Sie erstaunen und eingestehen werden, daß Sie einst dem großen Manne Unrecht thaten.« »Darf ich fragen, wem Excellenz die Ehre erweisen, ihn einen
großen Mann zu nennen?« frug höflich Langenau. »Den Grafen St. Germain.« »Ah so! Auch ich nenne ihn groß, doch ist er jedenfalls nur eine negative Größe.« »Welchen Sinn sollen diese Worte haben, Herr Baron?« »Denselben, mit welchem ich die Freude als eine positive, den Schmerz aber als eine negative Seelenbewegung bezeichne.« »So halten Sie den Grafen für eine Größe im Schlimmen?« »Nicht anders, leider!« »Ich bin in der glücklichen Lage, Sie vom Gegentheile überzeugen zu können. Sie haben doch gehört, daß er sich bei mir befindet?« »Ich weiß schon längst, daß er bei Ihnen ein Asyl vor der Rache und den Verfolgungen derer gefunden hat, welche von ihm betrogen worden sind, weil sie ihm glaubten.« »Das ist nicht nur streng, sondern sogar ungerecht und zugleich eine Beleidigung für mich,« entgegnete der Marschall mit finsterer Miene. »Doch sind Sie ein Mann, der meine Achtung besitzt, und ich werde sicher die Genugthuung haben, daß Sie Ihre Meinung aufrichtig widerrufen. Ich muß Sie entschuldigen, denn auch ich begann bereits, wankelmüthig zu werden. Ich weiß recht wohl, daß man über mein Vertrauen und über die Opfer, welche ich dem Grafen gebracht habe, gelächelt hat; heut aber müssen die Spötter zu Schanden werden, und ich stehe im Begriffe, mir eine Satisfaction zu verschaffen, welche nicht glänzender genannt werden kann.« »Es soll mich um Excellenz willen freuen, wenn ich mein Urtheil über den Grafen als ein falsches erkenne. In diesem Falle bin ich bereit, ihm Alles zu vergeben, was er an mir und den Meinen verbrochen hat,« antwortete der Baron. »Ich verstehe! Ich traf Casanova, welcher mir Einiges von Ihnen und dem Grafen erzählte. Ich bin überzeugt, daß dem Letzteren damals in Haag Unrecht gethan worden ist. Er ist der berühmteste Mann des Jahrhunderts und befindet sich gegenwärtig entweder im Laboratorium oder in meiner Bibliothek. Er wird heute Nacht Punkt zwölf Uhr zwei Aufgaben lösen, an denen die Magie und Scheidekunst schon seit Jahrtausenden vergebens gearbeitet hat. Sie kommen zur guten Stunde, und ich lade Sie Beide ein, Zeugen unseres Triumphes zu sein.« Morin verneigte sich dankend und meinte:
»Der Graf, den ich als Herrn von Bellamare kennen zu lernen die Ehre hatte, ist ein außerordentlicher Mann, eine Erscheinung, die sich aller unserer Berechnung entzieht.« »Wo trafen Sie ihn zum ersten Male?« frug Langenau. »In Venedig, wo ich Zeuge war, daß ein einfaches Papierschnitzel, welches er einem Bekannten schenkte, von einem Banquier mit zweihundert Dukaten eingelöst wurde. Er ließ eine Perle im Werthe von fünf Dukaten binnen acht Tagen so wachsen, daß man ihm sechzig dafür bot, und der Baron Stosch versicherte, ihn vor vielen Jahren in Bayonne gesehen zu haben, wo er eine viele Pfund schwere Bleitafel in reines Silber verwandelte. Er hatte seitdem nicht im Geringsten gealtert.« »Haben Sie ihn musiciren hören?« frug der Marschall. »Ja, auf dem Klaviere. Er spielt virtuos.« »Sie werden ihn heut noch mehr bewundern. Ohne daß ich ihm davon sage, lade ich für heut eine Gesellschaft auserlesener Herren und Damen zu mir, um mein bisheriges Vertrauen öffentlich durch den Erfolg zu rechtfertigen. Er wird sich bei dieser Veranlassung auf meine Bitte hin als Violinist produciren. Seine Meisterschaft ist hier ganz ohne Gleichen. Fürst Smirnoff, welcher ihn vor neun und vierzig Jahren auf der Violine spielen hörte, versicherte mir, daß seit dieser langen Zeit weder seine Fertigkeit noch sein Aussehen sich verändert habe. Auch werde ich Ihnen ein höchst merkwürdiges Manuscript zeigen.« »Darf man nach dem Namen dieses Manuscriptes fragen?« »Es ist ein Commentar von Raimundus Lullus und erklärt alle Dunkelheiten des Heber, Roger Bacon und Arnauld de Villeneuve. Das volume kostet mich beinahe viertausend Thaler.« »Von wem kauften Sie es?« »Von Saint Germain.« »Ist es ächt?« frug Langenau unwillkürlich. »Warum?« »Weil, so viel ich weiß, Raimundus Lullus sich nicht mit Magie beschäftigt hat, sondern erst von seinen Anhängern für einen Magier ausgegeben wurde.« »Sie erlauben mir hier eine andere Meinung. Uebrigens hat der Graf seiner Zeit wohl fünfzehntausend Thaler für dieses Manuscript bezahlt.« »Welches sind die beiden Aufgaben, welche er heut Abend
lösen wird?« »Er wird ein Projectionspulver mischen, welches alle Metalle bei der bloßen Berührung in das reinste Gold verwandelt.« »Das würde eine weltumstürzende Erfindung sein. Und die andere?« »Ein Aqua benedetta, welches nicht nur, wie bisher, den Einfluß des Alters hebt, sondern auch den durch äußere Einflüsse erfolgenden Tod zur Unmöglichkeit macht.« »Sie meinen durch Verwundung zum Beispiel?« »Allerdings.« »Dann bin ich begierig, ob es ihm gelingen wird,« meinte Morin. »Ich bin davon überzeugt. Das Pulver steht schon seit fünf Jahren über dem Feuer. Ich mußte immer von einer Zeit auf die andere warten, da die geheimen Stunden niemals mit der Constellation der Gestirne harmoniren wollten, und schon verlor ich die Geduld, als mir der Graf vorhin die Versicherung gab, daß heute um Mitternacht alle magischen und astronomischen Voraussetzungen vorhanden seien. Sie kommen doch, meine Herren?« Morin sagte zu; Langenau überlegte. »Ich würde kommen, Excellenz, aber ich habe schon anderwärts zugesagt.« »So sagen Sie wieder ab! Bei wem?« »Bei dem Grafen von Lamberg, bei welchem ich mit meiner Frau wohne. Auch Prinz Paranow und seine Gemahlin, welche mit mir hier ankamen, sind geladen.« »Wer sonst noch?« »Weiter Niemand.« »So kommen Sie alle um elf Uhr zu mir. Prinz Paranow ist mir nicht unbekannt. Ich traf ihn in Wien und Warschau; er und die Prinzessin werden mir sehr willkommen sein. Der Graf von Lamberg ist öfters bei mir und wird sich nicht weigern, zu kommen. Und Ihre Frau Gemahlin – ah, hörte ich nicht einmal, daß es Amély d'Hausset sei, die wunderschöne Nichte der Frau von Hausset, welche erste Dame bei der Marquise von Pompadour war?« »Es ist so, Excellenz.« »Dann muß ich sie sehen, Herr Baron!« »Sie wird kommen, denn auch sie hat ein Interesse, zu sehen, ob
die Experimente des Grafen gelingen.« »Welches Interesse meinen Sie?« »Sie erbte von ihrer Tante ein Kreuz, welches dieselbe einst in Gegenwart der Marquise von dem Grafen St. Germain zum Geschenk erhalten hatte. Ich ließ es untersuchen; es war unächt.« »Oder wurde von einem Juwelier untersucht, der nicht Kenner war. Es gibt der Diamanten gar verschiedene; sie sind farblos und wasserhell, oft gefärbt, grau, braungelb, rosa, blau, grün oder schwarz, und da ist eine Irrung sehr leicht möglich.« »Zugegeben, Excellenz. Aber auch Prinz Paranow kaufte einst von dem Grafen einen Diamanten für fünftausend Dukaten, dessen spezifisches Gewicht nur zwei und einhalb war, während dasjenige des Diamanten drei und fünf bis sechs Zehntel beträgt. Und die beiden Diamanten, welche ich in Haag durch van Holmen untersuchen ließ, phosphorescirten weder im Finstern, noch ließen sie sich im Sauerstoffgas verbrennen. Der größere von ihnen sollte zu den französischen Krondiamanten gehören; später stellte es sich jedoch heraus, daß es nur darauf abgesehen war, die Generalstaaten durch eine werthlose Composition um hunderttausend Gulden zu betrügen. Fragen Sie bei dem Banquier Adrian Hope an; er wird meine Aussage bestätigen, denn in seiner Verwahrung befindet sich noch heut der Stein, welcher angeblich viele Millionen werth sein sollte und doch bis jetzt von keinem Menschen reklamirt wurde.« »Wenn Sie mit dem Allen die Wahrheit erzählen, so hätte ich allerdings Ursache genug, vorsichtig zu sein; doch bin ich überzeugt, daß Sie sich täuschen. Noch vorhin erst hat mir der Graf gesagt, daß er bereits vor mehreren tausend Jahren gelebt habe.« »In Folge seines Aqua benedetta? « »Ja.« »Ludwig der Fünfzehnte, die Pompadour und die Gräfin Gergy haben von demselben getrunken und sind dennoch gestorben; sollte es seine Wirkung nur allein beim Grafen äußern? Er scheint ein außerordentlicher Kosmetiker zu sein. Uebrigens bitte ich um die Erlaubniß, daß ich heut das Kreuz meiner Frau, und der Prinz seinen Diamanten mitbringen darf. Wird ein Kenner bei der Gesellschaft sein?« »Banquier Larssen aus Stockholm ist einer der bedeutendsten Kenner von edlen Steinen; er wird mit anwesend sein. Er kam heut an, um eine nicht ganz geringfügige Summe zu erheben, die ich ihm
leider verweigern muß, weil durch die fünfjährigen Experimente meine Mittel erschöpft worden sind. Ich muß ihm Gelegenheit geben, sich heut Abend zu überzeugen, daß ich mehr als ein Krösus sein werde.« Langenau mußte über das blinde Vertrauen des Marschalls lächeln. Um sich aber den Statthalter zu verpflichten, sagte er: »Haben Sie die Güte, immerhin anzunehmen, daß diese Hoffnung sich als trügerisch erweisen dürfte! Ich werde von hier nach Stockholm gehen und stand aus diesem Grunde im Begriff, einige verfügbare Summen bei Larssen zu deponiren. Es ist mir sehr lieb, ihn in dieser Beziehung schon hier sprechen zu können, und ich bitte um die Erlaubniß, mich ihm als Ihren Vertreter bezeichnen zu dürfen, Excellenz!« Der Marschall sah ihn freudig überrascht an. Ein von den Gläubigern belagerter Mann pflegt bei einem solchen Anerbieten auf alle Prüderie zu verzichten. »Mein Vertreter? Mit Vergnügen, Herr Baron! Aber die Summe beträgt zweitausend Dukaten!« »Ich halte dennoch meine Bitte fest!« Der Marschall reichte ihm die Hand. »Angenommen! Und ich hoffe, daß die Stunde kommen wird, in der es mir vergönnt ist, ebenso aufmerksam gegen Sie zu sein! Und nun darf ich doch die Ueberzeugung hegen, daß Sie heut Abend mit Graf Lamberg, Prinz Paranow und Ihren Damen kommen werden?« »Wir werden Sie nicht warten lassen, Excellenz! Doch eine Frage! Würde es nicht vielleicht gerathen sein, den Chemiker van Holmen, welchem wir im Vorzimmer begegneten, mit gegenwärtig sein zu lassen?« »Hm! Wenn Sie es wünschen, ja. Aber er ist bereits fort, und ich weiß ihn leider nicht zu finden.« »Er wartet im Vorzimmer auf mich. Der Mann befindet sich im Besitze meiner vollsten Hochachtung; er wird für die Zeit seines Aufenthaltes hier mein Gast sein.« Die beiden Männer erhoben sich und nahmen Abschied von dem Marschall, der nun sicher sehr freundliche Gesinnung gegen Langenau hegte, obgleich er in dem Urtheile über St. Germain nicht mit ihm übereinstimmen wollte. – – Es war am Abend, und bereits hatte es elf Uhr geschlagen. Alle hervorragenden Mitglieder des kleinen Hofes des Statthalters waren
in dem Saale versammelt, welchen der Graf von St. Germain als den Schauplatz seiner Manipulation bestimmt hatte. Die Fenster waren dicht verhüllt und die Wände schwarz behangen. An dem von der Mitte der Decke herabhängenden Kronleuchter brannten nur einige Kerzen, so daß in dem Raume nur ein geheimnißvolles Halblicht herrschte, welches verhinderte, die Züge der Anwesenden genau zu erkennen. Ueber den Hintergrund des Saales war ein Vorhang gezogen; jedenfalls verdeckte er die Bühne, auf welcher der Graf erscheinen wollte. Ganz vorn am Eingange des Saales, um von dem Podium aus nicht sofort bemerkt zu werden, hatten Langenau, Paranow und van Holmen nebst den Gemahlinen der beiden Ersteren Platz genommen. Der Marschall hatte seine Gäste bewillkommnet und sich dann entfernt. Jetzt trat er wieder ein und wandte sich zu dem Baron: »Ich war bei dem Grafen,« flüsterte er. »Er hat bisher geglaubt, nur mich anwesend zu finden, und war außerordentlich erzürnt, als ich ihm meldete, daß eine ganze, zahlreiche Versammlung seine Triumphe mit zu feiern beabsichtige.« »Hat er nicht behauptet, daß nun die Aufgabe nicht gelöst werden könne?« »Er hatte jedenfalls die Absicht, dies zu sagen; ich ließ ihn aber nicht dazu kommen. Ich bemerkte ihm, daß mein Vertrauen verlacht werde und ich es deßhalb meiner Ehre schuldig sei, daß er öffentlich beweise, er sei kein Betrüger und werde nur deßhalb verkannt, weil der Verstand der Uneingeweihten seine Macht und Größe nicht zu würdigen verstehe.« Langenau konnte sich eines befriedigten Lächelns nicht enthalten. Der Same des Mißtrauens, welchen er in das Herz des Statthalters geworfen hatte, war also doch aufgegangen und hatte bereits eine Frucht angesetzt. »Weiß er von unserer Anwesenheit?« »Nein.« »Wollen Sie mir und sich selbst einen Gefallen erweisen?« »Sprechen Sie!« »Lassen Sie alle Ausgänge besetzen und stellen Sie auch Posten unter diejenigen Fenster, welche dem Grafen zugänglich sind.« »Herr Baron, das würde ein Mißtrauen verrathen, zu dem ich nicht fähig bin!« »Aber ich, Excellenz! Ich kenne den Grafen und kann mich des
Gedankens nicht erwehren, daß er seine Lage erkennt und versuchen wird, sich derselben zu entziehen. Ich habe keineswegs die Absicht, mich von ihm düpiren zu lassen, und gestehe Ihnen aufrichtig, daß ich gehen werde, wenn ich nicht die Ueberzeugung habe, daß er nicht entkommen kann, sondern gezwungen ist, seine Rolle bis zu diesem oder jenem Ende fortzuspielen.« Diese Worte klangen so energisch, daß sie dem Statthalter imponirten. »Nun wohl! Wenn Sie mich in dieser Weise zwingen, so werde ich Ihren Wunsch erfüllen.« »Gebieten Sie Ihren Leuten, dem Grafen bei einem etwaigen Fluchtversuche zu sagen, daß er die Wahl habe zwischen der Mensur und der Bühne dort!« Der Marschall entfernte sich, und es dauerte lange Zeit, ehe er wieder zurückkehrte. Es war bereits ein Viertel über Zwölf, als es geschah, und trotz der unzulänglichen Beleuchtung des Saales war die Blässe zu erkennen, welche auf seinem Gesichte lag. »Es ist etwas geschehen?« frug Paranow. »Ja, Ihre Voraussicht hat sich bereits erfüllt, Herr Baron. Ich selbst ertappte den Grafen, als er im Begriffe stand, sich heimlich davonzuschleichen.« »Ah!« »Ich zwang ihn, zurückzukehren.« »Wird er erscheinen?« »Er muß,« knirschte der alte Haudegen. »Jetzt glaube ich, daß er ein Betrüger ist. Wenn er sich weigert, ist er verloren.« »Er ist auf alle Fälle verloren!« meinte Paranow kaltblütig. Noch während er sprach, durchzuckte ein greller Blitz den Raum, welcher hinter dem Vorhange lag, und der Vorhang ging in die Höhe. Mitten auf der Bühne stand der Graf, in ein langes, persisches Gewand gehüllt und begleitet von mehreren Bedienten, welche verschiedene Apparate und eigenthümlich geformte Gefäße trugen. Er hatte das Aussehen eines sehr gut conservirten Fünfzigers. Nachdem er die Gegenstände aufgestellt und geordnet hatte, schickte er die Domestiken fort und begann mit tiefer, monotoner Stimme: »Ich begrüße Euch mit dem Spruche der Weisen, mit dem Gruße der Magier, mit dem Abracadabra des unsterblichen Serenus Sammonicus!«
Es trat eine athemlose Pause ein, während welcher er sein Auge über die Versammlung gleiten ließ, um die Anwesenden zu erkennen. Wegen des im Saale herrschenden Halbdunkels gelang ihm dies nur unvollständig. Dann fuhr er fort: »Wer in die Geheimnisse des Artechins und Sandivaye eingeweiht ist; wer die Theorie der planetarischen Stunden und die Talismane des Polyphilos und des Grafen von Trier kennt, der mag seinen Genius ersuchen, mit mir zum Merkur, vom Merkur zum Monde, vom Monde zum Jupiter und vom Jupiter zur Sonne zu gehen. Es ist dies der magische Kreis des Zoreaster, den die Wissenden Zenduscht nennen; er überspringt den Saturn und den Mars, und ich zeichne ihn Euch mit schwarzen Charakteren hier auf diese weiße Tafel.« Er nahm einen schwarzen Kreidestift und schrieb einige, Allen unverständliche Hieroglyphen auf die bezeichnete Tafel, dann wandte er sich wieder an die Versammlung: »Ich begrüße Euch nochmals im Namen der Genien des Agrippa und umschließe Sie mit dem heiligen Fünfeck des großen Salomo, dessen Kunst, den Tod zu bezwingen, ich heut von Neuem erfunden habe. Er mag erscheinen, um mir zu bezeugen, daß sein Geist Eins ist mit dem meinen. Man lösche die Lichter aus!« Es geschah, wie er befohlen hatte, und sofort erschien an der Hinterwand der Bühne ein Schatten, welcher die Arme wie zum Segen gegen den Grafen erhoben hatte. »Camera obscura!« meinte van Holmen geringschätzend. »Der Blitz vorhin war Colophonium mit Bärlappsamen. O sancta simplicitas! « Der Schatten verschwand, und nun brannte St. Germain die Kerzen eines dreiarmigen Leuchters an, welcher die Bühne hell erleuchtete. Dann begann er von Neuem: »Jetzt steigt hernieder, ihr Engel aus Sud und Nord, aus Ost und West; steigt herauf, ihr Geister des Feuers und der Erde! Dem Meister der geheimen Künste ist die Macht gegeben über Fels und Stein, über alle Erden und Metalle.« Er nahm eine Platte vom Tische und reichte sie vom Podium herab. »Ueberzeugt Euch, Ihr Hörer des großen Meisters der Gnomen, daß diese Platte von Silber ist!« Die Platte ging aus einer Hand in die andere, wurde als Silber
erkannt und ihm dann zurückgegeben. Er nahm eine Phiole und hielt sie empor. »Dieses Pulver hat fünf Jahre lang über dem geheiligten Feuer gekocht; es enthält die Allmacht, welche Steine und Luft in Diamanten verwandelt; es wird diese silberne Platte augenblicklich in Gold verwandeln.« Er trat seitwärts, hielt die Platte so, daß die Lichtflammen zwischen sie und die Augen der Anwesenden kamen, und schüttete ein wenig von dem Pulver aus. »Wie klug!« meinte van Holmen. »Das Licht blendet uns; ein Tausch ist leicht vorzunehmen.« Der Graf trat wieder vor und gab die Platte herab. »Ueberzeugt Euch, Ihr Staunenden, daß sich das Silber in Gold verwandelt hat! Der Wirth dieses hochbegnadigten Hauses behalte sie!« Das Gold erregte allerdings das Staunen aller Versammelten mit Ausnahme derjenigen Personen, welche im Vordergrund saßen. Die Tafel kam schließlich in die Hände des Marschalls, welcher sie behielt. Jetzt stellte der Graf mehrere Dreifüße auf, unter denen er Spiritusflammen entfachte. »Jetzt naht der große Augenblick, an welchem die ganze Ewigkeit in einen Tropfen Wasser gebannt wird. Man bringe die Ingredientien!« Ein Diener brachte auf einem Präsentirteller mehrere Phiolen herbei; in der einen Hand trug er eine Pistole, welche der Graf jedoch zurückwies. »Was soll die Waffe?« frug Langenau. »Er will den Diener auf sich schießen lassen und dabei beweisen, daß das Aqua benedetta unverwundbar mache,« antwortete der Marschall. »Er muß sich doch wenigstens in dieser Sache sicher wissen.« »Ah!« meinte Peranow. »Darf ich um Ihre Kugel bitten, Baron?« »Wozu? Hier ist sie!« Er zog sie hervor und reichte sie dem Prinzen hin. Dieser wandte sich an den Marschall: »Ist der Diener, welcher die Phiolen brachte, ein Vertrauter des Grafen?« »Nein. Ich habe ihn vorhin auf Gradewohl zur Bedienung des
Grafen, der sich einen Domestiken erbat, commandirt.« »Ist der Raum, in welchem er sich befindet, von der Bühne aus zu überblicken?« »Nein; er ist mit ihr durch eine schmale, jetzt geöffnete Thür verbunden.« »Und wie gelangt man hin?« »Durch die hintere Thür des Seitencorridors.« »Ich danke!« Er erhob sich und verließ leise den Saal. Die weichen Decken des Corridors dämpften seinen Schritt. Als er die bezeichnete Thür leise öffnete, fand er das kleine Zimmer leer. Der Diener befand sich jedenfalls zu irgend einer Handreichung draußen auf der Bühne. Paranow sah zwei Tische stehen; der eine war leer, und auf dem andern lag die Pistole, eine Kugel und Pulver neben ihr. Mit zwei raschen, leisen Schritten stand er dort und hatte die Kugel mit derjenigen vertauscht, welche so lange auf dem Herzen des Barons getragen worden war; sie paßte allem Anscheine nach ganz gut in den jetzt ungeladenen Lauf. Im nächsten Augenblick stand er wieder auf dem Corridor und kehrte in den Saal zurück. Er war sich dessen vollständig bewußt, was er gethan hatte, aber es war dem wilden Kroaten in seinem kampfes- und thatenreichen Leben jene zarte Bedenklichkeit verloren gegangen, welche jeden Anderen abgehalten hätte, das Gleiche zu thun. »Wo waren Sie?« frug Langenau, als er wieder Platz nahm. »Sie werden es erfahren,« antwortete er kurz und wandte sein Augenmerk der Bühne zu. Es brodelte und zischte über den Flammen; der Graf trat von einer zu der andern, und der Diener harrte hinter ihm seiner Befehle. Endlich schien das Werk gelungen zu sein. Er vereinigte die Flüssigkeiten in ein Flacon und verlöschte die Flammen. Dann ließ er aus dem Flacon einen Tropfen in einen mit Wasser gefüllten goldenen Löffel fallen und erhob denselben. »Heil dieser Stunde und Heil diesem Hause! Hier dieses Glas enthält das neue Aqua benedetta, die herrliche Kostbarkeit, von dem es genügt, alle Jahrhunderte einen einzigen Tropfen zu nehmen, um unsterblich, ewig gesund und unverwundbar zu sein. Der erste Tropfen gehört dem Erfinder – – –« Er führte den Löffel zum Munde und sog den Trank langsam ein. Dann fuhr er fort:
»Der zweite Tropfen wird den Mann, bei welchem wir uns befinden und der die heilige Wissenschaft durch so großmüthige Opfer unterstützte, bei ewiger Jugend erhalten. Vorher aber muß ich beweisen, daß der einzige Tropfen mich wirklich gegen den Tod und jede Verwundung schützt, obgleich er erst in diesem Augenblick in meinen Körper übergegangen ist.« Er winkte dem Diener, welcher die Pistole mit Zubehör herbeibrachte. Der Graf wies ihn an das Publikum. »Man untersuche Pulver, Blei und Waffe, um sich zu überzeugen, daß keine Täuschung obwalte.« Die Prüfung wurde bald beendet; dann mußte der Diener vor den Augen Aller die Waffe sorgfältig laden. Der Graf postirte ihn an die eine Seite der Bühne, er selbst lehnte sich an die gegenüberliegende Wand und commandirte: »Eins – zwei – –« »Halt!« rief da mit lauter Stimme Paranow, indem er auf die Bühne zuschritt. »Auf ein Wort, Herr Graf von Saint Germain!« Der Graf erkannte den sich Nähernden und erbleichte. »Prinz Paranow!« »Derselbe! Kennen Sie diesen Stein?« Er zog den Diamanten hervor und hielt ihm denselben entgegen. »Ja.« »Er ist von Ihnen?« »Allerdings.« »Ist er ächt?« »Ja.« »So sind Sie bereit, ihn für fünftausend Dukaten wieder zurückzunehmen?« »Ich kaufe keine Steine!« »Auch nicht, wenn ich Sie fordere?« »Ich kann keine Forderung annehmen, denn ich bin unverwundbar!« antwortete er stolz. »Nun wohl, dann List gegen Betrug, wenn Brust gegen Brust nicht angenommen wird!« Er trat zurück. Der Graf schien durch dieses Intermezzo nicht im Mindesten aus der Fassung gebracht worden zu sein; er wandte sich zum Diener und zählte von Neuem: »Eins – zwei – – drei!« Der Schuß krachte; der Graf warf die Arme in die Luft und griff
krampfhaft nach der Schnur, welche zur Direction des Vorhanges diente. Ein einziger, vielstimmiger Schreckensruf erschallte; dann stürzte der Vorhang nieder. »Folgt mir!« gebot Paranow und eilte nach der Thür, und über den Corridor nach der Bühne, hinter ihm der Marschall, Langenau und van Holmen. Der Diener stand bleich und rathlos vor St. Germain, welcher bewußtlos an der Erde lag, umgeben von einer Lache dampfenden Blutes. Van Holmen kniete vor den Verwundeten nieder, um ihn zu untersuchen. »Verloren,« entschied er. »Er wird nur erwachen, um zu sterben.« »Untersuchen Sie diese Kugel!« bat Paranow. Der Chemiker betrachtete sie genau und erhob sich dann ganz erschrocken. »Ach, jetzt ahne ich! Diese Kugel besteht aus Quecksilber mit einer Galmeimischung; allem Anscheine nach von Blei, wird sie bei dem Schusse sich doch hart vor dem Laufe zertheilen und unschädlich zur Erde fallen. Prinz, Sie waren hier und haben sie mit derjenigen vertauscht, welche Ihnen der Herr Baron geben mußte!« »So ist es!« Diese einfache und ruhige Antwort versetzte die Anderen in Entsetzen, doch der Prinz wehrte jeden Vorwurf mit einer gebieterischen Handbewegung ab. »Ruhig, meine Herren! Dieser König der Betrüger und Schwindler hat mehr verdient, als einen so plötzlichen, schmerzlosen Tod. Tausende fluchen ihm, der hundertmal der gerechten Strafe entging, weil man hohe Herren nicht compromittiren wollte, während ein armer Schlucker um eines Vergehens willen, zu welchem ihn der Hunger treibt, gehängt wird oder im Kerker verschmachten muß! Wir sind gerächt, meine Herren, und tiefes Dunkel mag diese Scene decken!« »Aber die Versammlung da draußen!« stöhnte der Marschall. »Mag an eine Ohnmacht glauben. Selbst wenn man unverwundbar ist, muß die anprallende Kugel eine Contusion hervorbringen, an der man einige Zeit zu laboriren hat.« Van Holmen hatte unterdessen Umschau gehalten. Er bückte sich und hob eine Papierrolle empor, um daran zu riechen. »Hierin stack der Blitz,« fagte er. »Und sehen Sie hier hinter der
geöffneten Thür die Camera! Sie mußten sie bedienen? Nicht?« wandte er sich an den Diener, welcher verlegen nickte. »Und hier liegt hinter dem Armleuchter die Silberplatte, welche er nicht in Gold verwandelt hat! Es ist Ihr Geld, Herr –« »Marschall,« wollte er sagen; dieser aber war verschwunden. Er hatte sich jedenfalls nach dem Saale begeben, um seine Gäste zu beruhigen und sich ihrer zu entledigen. Jetzt bewegte sich der Graf. Unter convulsivischem Zucken der Gesichtsmuskeln öffnete er die Augen und richtete sie starr auf die Umstehenden. Nach und nach kehrte Bewußtsein in den Blick zurück; er wandte das Auge von Einem zum Anderen und flüsterte: »Paranow – – Langenau – – – Holmen – – oh, Aqua – – bene – – detta! « Van Holmen bog sich zu ihm nieder und sprach: »Sie haben das Edelste, die Wissenschaft, zum Gemeinsten benutzt, dessen der Mensch fähig ist, zum Betruge; daher erfüllt sich das, was ich Ihnen einst in Haag weissagte: Ihr Aqua benedetta ist für Sie zum Aqua maledetta geworden. Wollen Sie einen Priester?« Der Verwundete hatte jetzt die Besinnung vollständig wieder erlangt. »Betrug –« flüsterte er; »verloren – – todt – – – oh, Aqua – – male – – detta – – –! « Ein Blutstrom quoll ihm aus Nase und Mund. Er bäumte sich empor und sank dann zurück; der Tod hatte die kalten Arme um ihn gelegt, um ihm zu beweisen, daß mit ihm nicht zu spotten sei. – – – Am anderen Tage erzählte man sich in Eckernförde, der Graf von St. Germain sei leicht erkrankt, weil eine Kugel von seinem Körper abgeprallt sei. Später hörte man, daß er die Stadt verlassen habe, um eine Reise um die Erde anzutreten. Seine Anhänger und Bewunderer warteten lange auf ein Lebenszeichen von ihm; es gibt Leute, welche noch heut an sein Aqua benedetta glauben – er ist bis jetzt nicht von seiner Reise zurückgekehrt. – – –
[Fußnoten] 1 »Es gibt keinen Menschen, der bei gesetzlicher Prüfung seiner Handlungen und Gedanken sich nicht wenigstens sechsmal hängenswerth fände; es ist daher Schade und sehr ungerecht, zu strafen. Seinem Freunde, dem Grafen von Saint-Germain. M. Eyquem de Montaigne.« 2 Dieses Mädchen wurde später als Frau von Genlis so berühmt. 3 Generalstaaten hießen ehmals die versammelten Abgeordneten der vereinigten Niederlande, weil sie sich mit Gegenständen, welche das gemeinschaftliche Wohl aller Provinzen betrafen, z.B. mit Krieg und Bündnissen, beschäftigten. Sie tagten in Haag. D.R. 4 Oeil de boeuf (Ochsenauge) bedeutet eigentlich ein kleines, rundes Fenster in dem Fries oder in den Dächern großer Gebäude. Weil in Fürstenschlössern die durch solche Fenster erhellten Räume nur von der niederen Dienerschaft bewohnt werden und daher häufig der Schauplatz der ärgerlichsten Familienklatschereien sind, so hat man mit oeil de boeuf in Frankreich überhaupt die Orte bezeichnet, wo Klatschereien erdacht und erzählt wurden. Davon erhielt denn auch das Vorzimmer im Schloß zu Versailles, in welchem zur Zeit Ludwig's XIV., XV. und XVI. die Hofleute versammelt waren, um ihre Aufwartung bei dem König zu machen, den Namen oeil de boeuf, da es der Sitz der Scandalchronik des Hofes war. D.R.
Der Scheerenschleifer Originalhumoreske von Karl Hohenthal
I. Der Krautpopel Wenn man zu Anfange des vorigen Jahrhunderts auf der Straße von Oschersleben nach Halberstadt ging, hatte man einen ausgedehnten Wald zu durchwandern, in welchem man wohl allen möglichen Arten von Wild, selten aber einem Menschen begegnete. Diese Forstung war sogar ein wenig verrufen, wohl meist der zahlreichen Wilddiebe wegen, und es wurde in der Umgegend als ein Beweis von Muth angesehen, wenn ein einzelner Mann sich entschloß, die Straße allein und ohne Begleitung zu durchwandern. Heut gab es bereits am frühen Morgen drei solche muthige Personen, welche sich im Walde befanden; doch waren sie durch größere Entfernungen so von einander getrennt, daß Keiner von den beiden Andern etwas wußte und Jeder von ihnen glaubte allein zu sein. Am Straßenrande saß ein junger Mann, der vielleicht in den ersten zwanziger Jahren stehen mochte. Er hatte seine riesigen, aber sehr wohl proportionirten Glieder bequem in das duftende Gras ausgestreckt und kaute behaglich an einem Stücke trockenen Brodes, zu welchem er hie und da einen Schnitt harten Bauernkäse zwischen die blanken Zähne schob. Seiner Kleidung nach mußte man ihn für den Sohn nicht ganz armer Bürgersleute halten; sie war sehr sauber und aus einem Tuche gefertigt, dessen Preis von einem Armen nicht bezahlt werden konnte. Seine Vertrauen erweckenden offenen Züge waren schön zu nennen; der klare muthige Blick seines tiefblauen Auges harmonirte sehr gut mit dem kraftvollen Körperbaue, und ein schelmischer, unternehmender, ja beinahe listiger Zug um die mit einem gut gepflegten Schnurrbärtchen geschmückten Lippen gab dem jugendlich frischen Gesichte einen Ausdruck, den eine Salondame vielleicht als pikant bezeichnet hätte. Nicht auf der Straße, sondern tiefer im Walde schritt eine zweite Person zwischen den Bäumen dahin. Der Mann mochte am Ende der Zwanziger stehen. Er hatte zwar nicht ganz den riesigen Gliederbau wie der Vorige, doch hätte sein Kopf wohl immer noch um ein Beträchtliches über tausend Andere hervorgeragt. Die
breitschulterige sehnige Gestalt stak in einem ziemlich abgetragenen grauen Tuchwammse, in eben solchen Hosen und in Stiefeln, deren Schäfte bis weit über die Kniee heraufgezogen waren. Das Gesicht war von der Sonne braun gebrannt und erhielt durch den scharfen strengen Blick der tiefschwarzen Augen und einen gewaltigen Zwickelbart einen höchst martialischen Ausdruck. Dieser Mann trug über der Schulter eine Büchse, an welcher ein Rehbock von seltener Größe hing. Die dritte Person war eine ziemliche Strecke auf der Straße zurück. Es war ein Jüngling von vielleicht achtzehn Jahren, dessen Gestalt sich recht gut neben derjenigen der beiden Andern zeigen konnte. Er trug einen Knotenstock in der Hand und auf dem Rücken ein altes Ränzel, welches ihn nebst seinem ganzen Habitus als einen jungen Handwerksgesellen kennzeichnete, der sich auf der Wanderschaft befand. Der Jäger mitten im Walde hielt mit rüstigen Schritten auf die Straße zu, welche er dann in der Richtung nach Halberstadt verfolgte. Er schien seine Gedanken mit irgend einem fesselnden Gegenstande zu beschäftigen, denn er bemerkte den seitwärts im Grase Liegenden nicht eher, als bis er ihn vollständig erreicht hatte. Da blieb er halten und musterte ihn mit einem Blicke, in welchem man zunächst einige Ueberraschung und dann ein sichtliches Wohlgefallen bemerken konnte. »Guten Morgen, Freund,« grüßte er dann. »Was treibt man denn so früh da hier im Walde?« Der Andere hatte den scharfen Blick lächelnd ausgehalten. »Guten Morgen,« antwortete er. »Was ich treibe, das ist sehr leicht zu sehen.« »Nun?« »Ich ruhe mich aus und esse.« »Donnerwetter, das sehe ich allerdings! Aber wer ist man denn?« »Einer, der nicht ganz so neugierig zu sein scheint wie Er.« Ueber das Gesicht des Fragers zuckte ein eigenthümliches Lächeln. »Meint Er? – Meinetwegen! Aber der Mensch hat seinen Schnabel nicht blos für Brod und Käse, sondern auch zum Sprechen erhalten und dazu gehört bekanntlich, daß Rede und Antwort richtig zusammenklappen. Sieht Er das ein?«
»Ja.« »Na, so antworte Er auch, wenn Er gefragt wird! Also, wer ist Er?« »Hm! Wenn ich Ihm wirklich antworten soll, so muß Er etwas gescheidter fragen!« »Alle Teufel! – Inwiefern denn, Er Grobian?« »Was soll ich denn auf die Frage ›Wer?‹ antworten, he? Das Wort ist mir zu unbestimmt.« »Ach so! Na, ganz Unrecht hat Er freilich nicht, und da will ich Ihm die Schlackwurst deutlicher vorkauen. Wo ist Er her?« »Aus Oschersleben.« »Was treibt Er für ein Metier?« »Ich bin Lohgerber.« »Mache Er mir nichts weiß, Er Himmelhund!« Der Gerber konnte ein befriedigtes Lächeln nicht verbergen. Es zuckte beinahe schalkhaft über seine Züge, als er antwortete: »Etwas weiß machen? Pah! Er scheint mir nicht der Kerl zu sein, wegen dem man sich die Mühe geben sollte, eine Lüge an den Mann zu bringen.« »Hoho! Sehe ich denn gar so vagabundisch aus?« »Na und ob!« »Himmel heiliges Bomben – man merkt es, daß Er es mit Kälber-, Schaf- und Ochsenschwarten zu thun hat! Er ist ja ein Grobsack der allerobersten Sorte!« »Meinetwegen! Wie es in den Wald schallt, so schallt es wieder heraus.« »Ach so! Bin ich etwa grob gegen Ihn gewesen?« »Saugrob geradezu!« »Kerl, sage Er mir das noch einmal, so schlage ich Ihm den Rehbock hier um die Ohren, daß Er Seinen Lohgerber für den Rammelsberg halten soll! Erkläre Er sich über meine Grobheit doch einmal deutlicher!« »Ist es etwa fein und manierlich, wenn Er mich einen Lügner nennt?« »Hat ein Lohgerber etwa solche feine weiße Hände wie Er da?« »Ich bin Meister und lasse nur meine Gesellen und Lehrbuben arbeiten.« »Alle Wetter, da ist Er ja ein verteufelt junger Meister und scheint sich nicht ganz schlecht zu stehen!«
Der Andere lachte wohlgefällig. »Ja; wir haben was wir brauchen, und vielleicht auch noch ein Bischen mehr.« »Darf man denn auch Seinen Namen wissen?« »Warum nicht? Ich heiße Heinrich Silberling.« »Hm, vertrakter Name! Habe ihn noch nicht gehört, als nur einmal in Bernburg, wo es auch einen Silberling geben soll.« »Das ist mein Vater,« meinte der Gerber mit einem leichten Zucken seiner Bartspitzen. »Sein Vater? Sapperlot! – So wäre Er ja ein Anhalter Kind?« »Das bin ich auch. Ich bin erst vor einem halben Jahre nach Oschersleben gezogen.« »Da schlagen doch gleich fünfunddreißigtausend Wetter in diese hundsföttische Geschichte. Das ist ja eine Nachlässigkeit, die ihres Gleichen gar nicht finden kann. Na, wartet nur, Ihr Hallunken, ich werde Euch schon lehren, die Augen besser aufzusperren!« »Was denn? Auf wen raisonnirt Er denn eigentlich?« »Auf meine We – – na, das braucht Er nicht zu wissen. Wohin will Er denn eigentlich jetzt? Vielleicht nach Halberstadt?« »Nein, sondern nach Quedlinburg.« »Da muß Er doch über Halberstadt.« »Fällt mir gar nicht ein!« »Warum?« »Wenn Er mich ansieht, so kann Er es sich denken.« »Werde mir Seinetwegen den Kopf nicht zerbrechen. Also, heraus damit!« »In Halberstadt sitzt der Dessauer mit seinem Musterregimente.« »Und was hat dies mit Ihm zu schaffen?« »Sehr viel. Oder weiß Er nicht, daß dieser Spitzbube keine größere Freude hat, als wenn es ihm gelingt, einen Mann von meiner Größe für sein Regiment wegzuschnappen?« »Wer? Wie sagt Er? Dieser Spitzbube? Mensch, sagt Er das noch einmal, so werde ich Ihn bespitzbuben, daß – aber, das geht mich ja gar nichts an; das ist mir ganz und gar egal. Aber lasse Er es nur keinen Andern hören, sonst könnte Er gewaltig in die Käse fliegen. Also nach Halberstadt will Er nicht?« »Nein. Ich lasse es links liegen.« »Und was hat Er in Quedlinburg zu suchen?«
»Ich muß zu einem alten Pathen, der auf dem Sterben liegt und mich noch einmal sehen will. Er hat keine Verwandte und wird mich wohl im Testamente bedenken wollen.« »Gratulire! Er ist glücklicher als andere Leute. Mir zu Liebe holt der Teufel keinen alten Pathen, der auf den löblichen Gedanken kommt, mir seinen Geldsack aufzuzwingen.« »Glaube es Ihm. Nach großen Geldsäcken sieht Er allerdings nicht aus!« »Nach was denn, he, wenn ich fragen darf?« »Hm, Er ist doch wohl nichts Anderes, als ein armer Dorfspitz, der sich hinter dem Rücken des gnädigen Herrn einen Braten gemaust hat. Nicht?« »Ein Dorfspitz, also ein Büttel? Braten gemaust? Heiliger Ladestock, ich möchte Ihm den Spitz – aber ein gutes Auge hat Er, das muß man sagen. Will Er mir wohl einen Gefallen thun?« »Warum nicht?« »Kehrt Er vielleicht in dem Kruge ein, der da vorn an der Straße liegt?« »Möglich.« »So sei Er so gut und verrathe Er mich dort nicht. Er braucht mich ja gar nicht in das Maul zu nehmen. Wenn es herauskäme, daß ich mir den Bock geholt habe, so käme ich um mein Amt und müßte ein paar Jährchen brummen. Und dazu habe ich ebensowenig Lust, wie Er zu den Soldaten.« »Werde von Ihm gar nicht reden. Aber, weiß Er nicht vielleicht, ob der Dessauer gerade jetzt in Halberstadt anwesend ist?« »Warum?« »Darum! Meines Geschäftes wegen.« »Wie so?« »Weil man jetzt so gar nicht weiß, woran man ist. Der schwedische Karl ist in Sachsen eingefallen, hat den dortigen Kurfürsten besiegt und ihn im Altranstädter Frieden gezwungen, die polnische Königskrone herzugeben. Der König von Preußen hat Alles in Kriegsbereitschaft gesetzt, und der Dessauer –« »Der Spitzbube, wie Er ihn vorhin nannte, Er Schwerenöther,« fiel ihm der Dorfbüttel in die Rede. »Thut nichts. Er ist ja auch ein Spitzbube, denn er maust im Lande wie ein Rabe nach groß gewachsenen Leuten herum. Also, der Dessauer steht in Halberstadt auf dem Sprunge nach Sachsen
hinüber, und dennoch spricht man davon, daß Karl der Zwölfte und unser König eine geheime Friedensunterhandlung im Sinne führten. Das gibt natürlich eine Ungewißheit, unter welcher alle Geschäfte leiden. Und darum frug ich Ihn nach dem Dessauer. Ist er bei seinem Regimente in Halberstadt, so deutet dies auf Krieg; befindet er sich aber in seiner Residenz zu Dessau, so gibt dies Hoffnung auf Frieden.« »Er ist ja ein ganz außerordentlicher Diplomat, und ich bekomme einen ganz heillosen Respekt vor Ihm. Der Spitzbube ist in Halberstadt; das kann ich Ihm ganz genau sagen, denn ich selbst habe ihn noch gestern Abend dort gesehen. Nehme Er sich nur in Acht, daß er Ihn nicht am Ende auch wegfischt und unter seine Buntröcke steckt. Das Maß hat Er ja wohl, nicht? Ich glaube, daß der Dessauer noch niemals einen Flügelmann von Seiner Größe gehabt oder auch nur gesehen hat. Stelle Er sich doch einmal in die Höhe!« Der Andere folgte bereitwillig dieser Aufforderung, und der Büttel rief ganz erstaunt: »Tausend Schock Element. Er ist ja noch größer, als ich vorhin dachte. Er muß ja seine sieben Fuß haben. Himmel Kreuz Bataillon, wenn Ihn der Dessauer zu sehen bekommt, so ist Er geliefert. Nehme Er sich in Acht!« »Wird mir nicht viel anhaben, Euer General Schockschwerenöther.« »Oho! Inwiefern?« »Wer mich packen wollte, den würde ich zu Mehl zerreiben.« »Nur sachte, sachte, sachte. Sein Maul ist ja noch fünf mal größer als Er selber. Er thut wahrhaftig, als ob Er der lange Seeström in eigener Person wäre!« »Der lange Seeström? Wer ist das?« »Der größte, stärkste und brävste Offizier, den es gibt. Er dient bei dem schwedischen Karl, der große Stücke auf ihn hält. Also, ich bitte Ihn, mich dort in dem Kruge nicht zu verrathen. Hat Er es kapirt?« »Ja.« »Gut. So sind wir fertig. Lebe Er wohl!« »Guten Appetit zu dem Bocke, den Er geschossen hat!« Diese Worte waren mit einer Betonung gesprochen, die den Büttel veranlaßte, sich noch einmal umzudrehen.
»Was für einen Bock hat Er da gemeint?« »Hat Er denn noch einen andern als diesen geschossen?« »Hm! Seine Rede klang mir beinahe etwas anzüglich, und das hätte ich mir allerdings sehr streng verbitten müssen.« »War gut gemeint. Nun aber mache Er, daß Er fortkommt, sonst wird Er trotz meiner Verschwiegenheit erwischt und als Wilddieb eingesperrt!« »Hopp, hopp! Habe meine Arme und Beine nicht umsonst in den Leib gesteckt bekommen.« Damit verschwand der Mann mit dem Bocke zwischen den Bäumen des Waldes. Der Lohgerber legte sich behaglich wieder nieder. »Ich thue also, als ob ich der lange Seeström sei, hahahaha! Und der da ist ein Dorfspitz, der sich einen Bock gestohlen hat! Man müßte dieses Gesicht und diesen Zwickelbart nicht kennen! Und verrathen soll ich ihn nicht dort in dem Kruge. Ich wette meinen Goldfuchs gegen ein Heupferd, daß er jetzt im Gegentheile geradewegs nach dem Kruge läuft, um seinen Rekrutenfängern zu sagen, daß sie mich packen sollen. Danke für Knoblauch im Quarke!« Wirklich hielt sich der Büttel nicht allzulange im Walde, er trat nach einiger Zeit wieder auf die Straße heraus, welche er mit raschen Schritten verfolgte, bis er an ein Häuschen gelangte, über dessen Thür ein Tannenzweig andeutete, daß man hier einkehren könne. Er trat in die niedrige, halb dunkle Gaststube. Es waren nur zwei Tische vorhanden. Der eine stand leer, und an dem andern saßen vier Männer, welche würfelten. Der Wirth hockte in der Ecke auf einem niedrigen Schemel. Der Eingetretene warf den Bock zur Erde, lehnte die Büchse an die Wand und setzte sich an den leeren Tisch. »Hollah Wirthshaus! Schläfst Du etwa?« »Geht Dich wohl nicht viel an, Bursche!« »Meinst Du? Na, friß mich nur nicht! Hast Du ein Bier hier in Deiner alten Bude?« »Ja.« »Aber was es taugen wird!« »Es ist mehr als gut genug für Dich und Deinesgleichen.« »Bist wahrhaftig nicht auf das Maul gefallen, Alter! Ist es Broihahn?«
»Ja.« »So schaffe einen Krug, aber ohne Zucker und Zitrone!« Der Wirth brachte das Verlangte. Indem er es auf den Tisch setzte, frug er: »Woher des Weges?« »Das siehst Du ja: aus dem Walde.« »Bist wohl Forstknecht?« »Fällt mir nicht ein!« »Ah! Du hast also die Büchse zum Vergnügen?« »So ähnlich.« »Und wagst Dich hierher in den Krug?« »Warum nicht? Oder gibt es hier Menschenfresser?« »Nicht ganz, aber ziemlich. Siehe Dir einmal hier diese Leute an!« Er zeigte nach den Vieren am andern Tische. Der Büttel blickte gleichgiltig zu ihnen hinüber. Er verzog keine Miene, als sich zwei von ihnen erhoben und zu ihm traten. »Warum?« frug er. »Es sind Freunde von Rehböcken und solchen Kerlen wie Du bist. Mußt einen allerliebsten Grenadier abgeben, Bursche!« »Meinst Du? Bin zu alt dazu?« »Noch nicht. Versuche es einmal!« »Hätte längst versuchen können, habe aber keine Lust dazu.« »Papperlapapp, keine Lust!« meinte einer der Nahegetretenen. »Hat man den Rock an, so kommt die Lust ganz von selber. Höre, sieh einmal her, was ich Dir zeige! Es ist ein hübsches Sümmchen, aber es ist Dein, wenn Du Dir einen Dreispitz aufsetzen läßt!« »Pech und Schwefel! So seid Ihr also Werber! Für wen arbeitet Ihr?« »Für den Dessauer.« »Der wird seine helle Freude an Euch haben!« »Wie so?« »Weil Ihr wahre Wunder von Gescheidtheit seid. Wäre ich der Dessauer, so ließ ich Euch durchfuchteln, daß Euch die Wolle platzte. Ist das eine Manier, einem Fremden gleich im ersten Augenblicke zu sagen, wer man ist und was man will! Gibt Euch der Dessauer nicht genug Moos, daß Ihr so einem Vogel erst zutrinken könnt, bis er Euch von selbst in die Arme fällt? Wo ist Korporal Waldow, der diese Station kommandirt?«
Sie machten größere Augen als vorher, und Einer antwortete: »Draußen im Stalle.« »Herein mit ihm!« Das klang so gebieterisch, so unwiderstehlich, daß der Genannte unwillkürlich gerufen wurde. Er trat ein. Kaum hatte er den Büttel erblickt, so warf er sich in jene stramme unbewegliche Haltung, welche die militärische Disziplin einem hohen Vorgesetzten gegenüber vorschreibt. Die andern Vier folgten sofort und erschrocken seinem Beispiele. »Korporal Waldow, weiß Er, was Er ist?« »Zu Befehl, Durchlaucht Excellenz!« »Nun was denn?« »Korporal der ersten Kompagnie von Ew. Durchlaucht Regiment Anhalt-Dessau.« »Das ist seine Charge; Er selbst aber ist etwas ganz Anderes, nämlich ein ganz gewaltiger Esel, ein Ochse, wie er gar nicht dümmer vorkommen kann!« Der Korporal antwortete nicht. Er war bleich geworden, blickte aber dem Fürsten fest in das Auge, wie es Vorschrift war. »Nun rede Er!« »Excellenz, ich kann nicht.« »Wie? Was? Ich übergebe Ihm eine Werbestation, und Er behauptet, nicht reden zu können! Warum kann Er nicht reden, he?« »Ein Esel schreit, und ein Ochse brummt, Durchlaucht Excellenz; reden aber können Beide nicht!« »Heiliges Sternhagel-Kreuz-Millionen-Schloßen-und Bombenwetter! So wagt Er Hallunke mir zu kommen! Ich trete Ihn mit Seinen eigenen Beinen in die Wolken, Er Hundsfötter, Er! Wie kann Er es wagen, in dieser Weise zu reden, he!« »Excellenz haben mich bei Namur gesehen, dann bei Kaiserswerth, Venloo, Stephanswerth und Roermonde, nachher bei Höchstädt, am Oglio, bei Cassano und Turin, bei Novara, Mailand, Pizzighettano und so weiter. Da haben der Herr General niemals zu mir gesagt, daß ich ein Esel oder Ochse sei!« Die finstere Stirn des Fürsten klärte sich wieder auf. »Hm, ja! Er ist ein Dessauer Kind, hat mich auf allen meinen Feldzügen begleitet und stets seine Pflicht gethan. Aber warum nimmt Er diese Schafsköpfe nicht besser in die Schule!« »Sie sind von den neuen, aus Brandenburg gesandten Leuten,
Excellenz. Für ihre Köpfe kann ich nicht. Lieutenant von Hallau hat sie mir gegeben, weil ich hier nur Leute gebrauchen kann, die der Bevölkerung der Umgegend noch nicht als Soldaten bekannt sind.« »So hat Er ja den Ladestock. Das ist das beste Mittel, ein zusammengedorrtes Gehirn aufzuweichen. Mit ihm macht man einen Brandenburger Ochsen in vierzehn Tagen zum Professor der Weltweisheit. Merke Er sich das, sonst probire ich dieses Experiment an Ihm selber. Doch, jetzt höre Er: In einigen Minuten wird ein Kerl vorüberkommen, den ich haben muß. Er ist gewachsen wie eine Eiche und gibt einen Flügelmann, der sich gewaschen hat. Kehrt er ein, so nehmt Ihr ihn hier, will er aber vorüber, so faßt Ihr ihn draußen. Er spricht, daß er ein Lohgerber aus Oschersleben sei und nach Quedlinburg wolle. Ich glaube es ihm aber nicht. Vielleicht gibt er sich bei Euch für etwas noch Anderes aus. Verstanden?« »Zu Befehl, Durchlaucht.« »Wenn Er ihn fest hat, so bringt Er ihn mir selbst nach Halberstadt, und hier den Bock dazu, den ich geschossen habe. Der Kerl ist stark genug; er mag ihn tragen. Fangt Ihr mir den, so will ich ein Auge zudrücken über die Dummheit von vorhin. Damit Gott befohlen!« Er trank sein Bier aus, warf dem Wirthe ein Geldstück hin und verließ den Krug. – Der zurückgebliebene Lohgerber erhob sich um dieselbe Zeit aus dem Grase; aber statt seinen Weg auf der Straße fortzusetzen, trat er in den Wald und schlug die Richtung quer durch denselben nach Quedlinburg ein. Unterdessen war der junge Handwerksbursche näher gekommen. Er erreichte den Krug, ohne Jemanden begegnet zu sein. Er war vielleicht von einem langen Wege ermüdet, denn er trat ein und ließ sich auf demselben Stuhle nieder, auf welchem kurz zuvor Fürst Leopold gesessen hatte. Außer dem Wirthe befand sich nur der Korporal jetzt in der Stube; er schien von dem Eingetretenen nicht die mindeste Notiz zu nehmen. Dieser öffnete seinen Ranzen und zog eine mächtige Blutwurst hervor, welche er ohne Brod zum Munde brachte, dessen Zähne einer solchen Arbeit wohl gewachsen zu sein schienen. Dazu ließ er sich ein Glas Bier geben. »Schmeckts?« frug der Wirth. Der Gefragte nickte. Er hatte von der Wurst ein solches Stück
abgebissen, daß er unmöglich antworten konnte. »Woher des Weges? Wohl von Oschersleben?« Der Esser nickte zum zweiten Male. »Und wohin des Weges? Gewiß nach Halberstadt!« Ein drittes Nicken erfolgte. »Was ist man denn?« Da erfolgte die erste hörbare Antwort: »Sieht Er das nicht, Er Rhinozeros? Ein Handwerksbursche!« »Hm, Er scheint unter dem wilden Viehzeuge sehr bewandert zu sein! Was hat Er denn für ein Metier gelernt, he?« »Bürstenbinder.« »Glaube es! Grob genug ist Er dazu, und das Saufen hat Er auch gelernt. Schlingt dieser Kerl einen solchen Doppelkrug voll Braunbier in einem einzigen Zuge hinunter! Wo ist man denn geboren, he?« »Im Bette!« »Alle Wetter, ich will es glauben, daß es nicht auf der Kirchthurmspitze geschehen ist. Aber ich möchte doch gern wissen, für was für einen Landsmann man Ihn zu halten hat!« »Ich bin ein Lappländer.« »Das sieht man an den Wurststücken, die Er losreißt und hinunterlappt! Er hat ein Gefälle wie eine Bulldogge.« »Wenn Er sich so gern um mein Gefälle kümmert, so sehe Er zu, daß der Krug nicht in alle Ewigkeit leer stehen bleibt, sonst fahre ich Ihm mit meinem Knotenstocke zwischen die Beine, daß sie in Bewegung kommen!« »Hm, Er ist noch ein junger Kerl, aber man kann von Ihm viel lernen. Zum Balletmeister hat Er kein Talent!« Er brachte das Bier und ließ sich neben dem angeblichen Bürstenbinder nieder. »Ist Er nicht vor ganz kurzer Zeit bereits einmal Lohgerber gewesen?« »Lohgerber? Nein. Aber ich kann es gleich werden.« »Wie so?« »Wenn Er mir noch einmal mit einer solchen albernen Frage in die Quere kommt, so gerbe ich Ihm das Fell, daß das Pergament in Fetzen davonfliegen soll!« »Auch nicht übel! Er hätte ganz bedeutende Anlagen.« »Wozu?«
»Zum Adjutanten bei Fürst Leopold oder zum Beichtvater bei dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm.« »So? Hm! Warum?« »Weil dies die beiden gröbsten Kerle sind, die es gibt.« »Sage Er ihnen dies einmal selber, Er Lausewenzel, Er!« »Mag von dieser Ehre gar nichts wissen! Na, na, nehme Er sich nur Zeit. Weiß Gott, der Doppelkrug ist schon wieder leer!« »Mache Er ihn voll!« »Das wollte ich wohl, aber hat Er denn auch Geld?« »Will Er wohl auf der Stelle einschenken, oder soll ich nachhelfen?« Bei diesen Worten griff er zum Knotenstocke. »Dummheit! Lege Er seinen Knüppel weg! Hier zu Lande gibt es schon noch Leute, die sich von einem Lappländer oder einem Lappisten nicht zu fürchten brauchen. Wenn Er Geld hat, werde ich Ihm einschenken, sonst nicht. Zeige Er Seinen Beutel her!« »Erst den Stock, dann das Bier, und zulegt den Beutel!« Mit diesen Worten holte er aus, und zog dem Wirthe den Stock mit einem kräftigen Jagdhiebe über den Rücken. Der Getroffene sprang auf und wollte ihn fassen, merkte aber sofort, daß er seinen Meister gefunden hatte, denn der blutjunge Mensch packte ihn bei den Hüften, hob ihn empor und schleuderte ihn zur Erde, daß Alles krachte. »Waldow, zu Hilfe!« rief der Wirth. »Schon da!« antwortete der Korporal. »Zurück!« gebot der Handwerksbursche und hielt den Knotenstock zum Schlage bereit. »Gibt es nicht bei mir, mein Junge. Wirst wohl folgen müssen.« Der ebenso gewandte wie starke und in so vielen Schlachten gestählte Korporal griff zu, erhielt zwar einen Hieb, den er nicht zu pariren vermochte, hatte aber im nächsten Augenblicke seine Arme so um den Jüngling geschlungen, daß dieser trotz aller Anstrengung sich kaum zu regen vermochte. »Herein, Leute!« rief er dabei. Die Nebenthür öffnete sich, und die vier Werber traten ein. »Wir haben ihn. Gebt ihm den Hut auf den Kopf und das Aufgeld in die Tasche!« Sie setzten dem Handwerksburschen den Dreispitz auf und steckten ihm einige Münzen zu. Jetzt ließ ihn der Korporal los,
entriß ihm aber vorher den Stock. »So, mein Bürschchen; weißt Du nun, wie viel es geschlagen hat?« Der Gefragte zeigte nicht die mindeste Ueberraschung. Er antwortete sehr ruhig: »Zwölfe.« »Richtig zwölfe hat es geschlagen. Wir sind Werber im Dienste Seiner Durchlaucht, des Herrn Generals der Infanterie Fürst Leopold von Anhalt-Dessau. Du bist jetzt unser, Dein Stock ist mein, und er kommt nur dann erst in Anwendung, wenn Dir beikommen sollte mir Widerstand zu leisten.« »Kerl, hast Du Arme. Die sind ja von Eisen!« »O, mit so einem Jüngelchen wird man schon fertig. Aber merke Dir: Mit dem Du ist es nichts. Ich bin der Herr Korporal Waldow und werde Er genannt!« »Schön, Herr Korporal; ich werde Ihn genügend respektiren.« »Na, Er scheint ganz gute Anlagen zur Subordination zu besitzen und sich in sein Schicksal ergeben zu wollen.« »Das thue ich auch. Es ist ja nicht mehr zu ändern.« »Bravo! Es gibt keinen bessern Rock, als den des Königs. Wenn Er die Kleinigkeit von zwölf bis fünfzehn Jahren abgedient und seinen Dienst absolvirt hat, kann Er gar einmal Korporal werden, so wie ich. Er sieht, daß ich seine Willigkeit anerkenne, denn ich nenne Ihn jetzt noch Er, was allerdings anders wird, sobald Er eingekleidet ist. Er wird jetzt auf der Stelle nach Halberstadt transportirt. Entscheide Er, ob Er mir gutwillig und ohne Fluchtversuch folgen will, oder ob ich Ihn binden soll?« »Ich gehe freiwillig mit.« »Freut mich. Aber gedenke Er ja nicht mich anzuschmieren. Diese vier Männer werden uns begleiten, und ein Entkommen ist also unmöglich. Sobald Er versucht uns durchzubrennen, wird Er geschlossen und als Deserteur betrachtet, welcher Spießruthen laufen muß. Ich meine es gut mit Ihm, also bedenke Er sein Wohl.« »Werde gehorsam sein, Herr Korporal. Aber sagt mir, an welchen Offizier ich abgeliefert werde.« »Ich habe Ihn an Durchlaucht selbst abzugeben. Aber fürchte Er sich nicht. Der Fürst ist ein Kerl wie ein Kind. Er kann mit ihm reden wie mit einer gebackenen Aepfelfrau. Jetzt aber müssen wir einmal sehen, was Er in seinem Tornister hat.«
»Da wird der Herr Korporal nicht viel finden, was er brauchen kann.« »Das versteht sich ganz von selber. Wir sind ehrliche Werber, aber keine Straßenräuber. Was Seine ist, das bleibt auch Seine. An seinem Eigenthum vergreifen wir uns nicht, und wenn Er tausend Thaler im Felleisen hätte, was Ihm aber nicht einfallen wird.« Der Rekrut lächelte. Der Korporal untersuchte das Ränzel. Er brachte zunächst ein mächtiges Stück Schinken und dann eine Brieftasche und einen Beutel zum Vorschein. Er beroch den Schinken und nickte. »Vorzüglich! Aecht aus Westfalen! Da könnte Er mir ein Stück losschneiden!« »Der Herr Korporal kann ihn ganz behalten!« »Danke! Man sieht schon jetzt, daß Er ein tüchtiger Grenadier wird, mit dem seine Herren Vorgesetzten zufrieden sein werden. Aber, alle Wetter, ist der Beutel schwer! Was ist darin, he?« »Sehe Er nur immer hinein!« Der Korporal öffnete. »Donnerwetter! Was ist denn das? Gold, reines pures Gold, lauter Goldstücke! Kerl, wo hat Er sie her?« »Von meinem Vater als Reisegeld.« »Schnikschnak! Ein Bürstenbinder kriegt nicht so viel als Reisegeld mit. Wie viel ist es denn?« »Grad tausend Thaler.« »Tausend Thaler? Himmel Heiland! Kerl, Er hat das Geld doch nicht etwa gar gestohlen?« »Warum nicht gar!« »Hm! Er sieht mir allerdings auch nicht wie ein Spitzbube aus. Und was ist in der Brieftasche?« »Sehe Er hinein!« Der Korporal zog zunächst einige Papiere hervor. »Was sind das für Wische? Das ist ja eine fremde Sprache!« »Es ist Latein und Französisch.« »Versteht Er das?« »Ja.« »Sapperlot, dann ist Er ja ein verdammt gescheidter Bürstenbinder! Na, ich sehe schon, daß Er Karrière machen wird. Vielleicht bringt Er es bereits in zehn Jahren zum Korporal. Nun weiter, hier! Das ist doch, hol mich der Teufel, schon wieder Geld,
Papiergeld die schwere Menge! Wie viel ist das, he?« »Neuntausend Thaler.« »Neun – tau – – send – – – Tha – – – – ler!« rief der Korporal, die Hände zusammenschlagend. »Ein Bürstenbinder, ein Handwerksbursche, und zehntausend baare Thaler im Ranzen? Verdammter Kerl, Er ist ein Räuberhauptmann!« »Meinetwegen! Uebergebt das Gelb dem Fürsten. Er mag untersuchen, ob ich ein Räuber bin.« »Ja, das werde ich. Der Ranzen wird mit zehn Siegeln versiegelt. Er hat wohl auch in der Tasche Geld?« »Ein wenig.« »Zeige Er es her!« Der Rekrut zog einen langen, zweizugigen Beutel hervor und gab ihn hin. Der Korporal schüttete den Inhalt auf den Tisch und zählte ihn. »Gold und Silber! Dreihundert und vierundsechzig Thaler, neunzehn Groschen und elf Pfennige zusammen! Mensch, wo hat Er das Geld her? Gestehe Er es!« »Von meinem Vater!« »Na, dieser Vater wird wohl noch herauszubekommen sein! Ich werde Ihn doch noch binden müssen.« »Ist nicht nothwendig.« »Ist sehr nothwendig. Solche gefährliche Subjekter läßt man nicht frei in der Welt herumlaufen. Uebrigens hat Er hier den Rehbock zu tragen.« »Ich? Fällt mir gar nicht ein!« »Fällt Ihm recht sehr ein, merke Er sich das! Wenn Er sich weigert, setzt es fürchterliche Keile. Mit Ihm wird kein Federlesens gemacht!« Der Beutel wurde mit in den Tornister gethan und dieser wirklich versiegelt. Der Rekrute erhielt ihn auf den Rücken geschnallt, seine Hände wurden gefesselt, und nachdem man ihm den Rehbock über die Schulter gehängt hatte, setzte sich der Zug in Bewegung. Unterdessen war Fürst Leopold in seinem Quartiere zu Halberstadt eingetroffen. Er fand im Vorzimmer mehrere Offiziere, welche sich zum Rapporte eingefunden hatten, und auf seinem Schreibtische einige Briefe, welche er sofort öffnete, um sie zu lesen. Der eine war mit dem königlichen Privatsiegel versehen.
Leopold hob ihn bis zuletzt auf und hatte dann außerordentliche Mühe, die sehr unleserliche Schrift zu entziffern. Schreiben und Lesen gehörten für ihn zu den größten und verhaßtesten Anstrengungen. Hier war diese Anstrengung eine doppelte, und nur mit Hilfe einiger hundert Kernflüche brachte er es endlich fertig, den Brief zu lesen. Er lautete mit Auslassung des Datum: »An Unßern Liebwerten, treyen und besunderbahrlich geehrten General Leopold, Fürsten und Herren von Anhalt-Dessau etc. zu Halwerstatt. Ew. Lübden diene vürdersammst zur Nachriecht, das Wier in Hult Ewer gedenken, zumahlen die politischen Konstellazionen sich dermaaßen präsentuiren, das Wier Unß Ewrer Hülfe zu getrößten gedenken. Maaßen wir Unß veranlaßt sehen, Unßern vielliewen Son, den Kronprinßen Friedrich Wilhelmus Euch nag Halwerstatt zu senden, damiet Ew. Lübden des Näheren von Ihme selpst müntlich in Erfarung bringen sol. Wolen auch Ew. Lübden sich so fort auff Seyne Ankunft forbereidten, da Er nuhr kurtze Zeidt nach Dießem bei Euch eintreffen wirdt. Indeme Wier Unß des Beßten von Euch versehen, hofen wier daß beßte Gelingen und versiechern Euch Unßerer ganz besonderbaren, gnädigen Freundschaft und Neigung, um zu seyn Ewer Bruder und König Friedrich.« Die Lektüre dieses sonderbar orthographisirten Schreibens brachte eine sehr schnelle Wirkung hervor. Er eilte an die Thür und öffnete sie. Die Herren da draußen waren in einer halblauten Unterhaltung begriffen. »Ruhe!« donnerte er. »Seine Königliche Hoheit, der Kronprinz Friedrich Wilhelm treffen heut zum Besuch hier ein. Das Regiment exerzierbereit und paradefertig halten, sonst soll Euch alle der Teufel holen. Jetzt eintreten zum Rapport. Aber kurz machen. Habe keine Zeit, mich mit Lappalien abzugeben!« Was noch niemals geschehen und bei seiner militärischen Strenge ein wirkliches Ereigniß war, er hatte die Uniform anzulegen vergessen und nahm den Rapport in demselben Habite entgegen, welches er draußen im Walde getragen hatte. Noch aber waren
kaum zehn Minuten vergangen, so wurden die Herren durch den Diensthabenden gestört, welcher einzutreten wagte, obgleich dies nur bei außerordentlichen Veranlassungen gestattet war. »Was will Er?« fuhr ihn Leopold, erzürnt über die Störung an. »Excellenz verzeihen! Der Korporal Waldow ist draußen und sagt – –« Sofort fiel ihm der Fürst in die Rede. »Der Waldow? Ist er allein?« »Nein. Er hat vier Mann Begleitung bei sich, um Ew. Durchlaucht einen soeben erworbenen Rekruten vorzustellen.« »Mag eintreten. Der Rekrute aber wartet draußen, bis ich ihn befehle!« Während der Wachthabende abtrat, wandte sich Leopold an die Offiziere: »Bin neugierig! Werden einen Kerl sehen, wie wir noch keinen gesehen haben.« Er rieb sich in der seltensten guten Laune die Hände und fuhr dann fort: »Sieben Schuh hoch, ein Riese unter den Riesen, und proportionirt gebaut! Ein wahrer Simson, ein Kolos zu Rodach, oder wie das Nest geheißen hat, ein Mensch, grad wie der lange Seeström, für den ich zwanzigtausend Thaler geben würde, wenn ich ihn bekommen könnte.« Der Korporal trat ein. »Nun, Waldow?« »Gehorsamst zu melden, wir haben ihn!« »Wollte es Euch auch gerathen haben! Hat er viel Sperenzien gemacht?« »Gar keine.« »Wundert mich. Wäre der Kerl dazu, Euch alle Fünf in Grund und Boden zu stampfen. Scheint kein kouragirter Kerl zu sein, werden ihm aber schon den gehörigen Muth einbläuen.« »Gehorsamst zu vermelden, Durchlaucht, Muth hat der Kerl, und grob war er auch wie – wie der Teufel. Er fing gleich von Anfang Skandal mit dem Wirthe an, hieb ihm Eins mit dem Knotenstocke über und warf ihn zu Boden wie ein Kind. Nachher bekam ich auch einen Rettig über den Arm, daß ich lange daran pfiepen werde; aber als wir ihm das Handgeld und den Hut gaben, war er wie umgewandelt und fügte sich sofort. Muß gern Soldat sein der Kerl, das war ihm anzusehen.« »Desto besser. Schicke ihn herein!«
»Bitte unterthänigst noch um eine Bemerkung, Excellenz!« »Nun?« »Der Mensch ist entweder ein Spitzbube oder ein Räuberhauptmann.« »Wa – wa – wa – was! Bist Du verrückt!« »Nein, Durchlaucht. Er ist ein Bürstenbinder und – –« »Ein Lohgerber!« »Zu mir sagte er ein Bürstenbinder, und hatte in seinem Tornister – –« »Tornister? Er hatte ja gar keinen!« »Permettiren Durchlaucht gnädigst! Er hatte einen, er hat ihn sogar mit.« »So habe ich ihn nicht gesehen, oder er hatte ihn versteckt.« »Das Letztere wird es wohl sein, denn er hatte in dem Ranzen eintausend Thaler in Gold und neuntausend Thaler in Papier. Und außerdem befanden sich in seinem Beutel über mehrere hundert Thaler in Gold und Silber. Dieses Geld hat er zusammengeraubt.« »Alle Teufel! Hat er das gestanden?« »Nein. Er sagte, er habe es von seinem Vater.« »Immer möglich. Werde ihn examiniren und ihm den Satan auf den Hals bringen, wenn er die Wahrheit verschweigt. Wo ist der Ranzen?« »Er hat ihn noch auf dem Rücken. Ich habe ihn zehnfach versiegelt.« »Gut! Wie steht es mit meinem Bocke?« »Er hat ihn hierher getragen, wie Ew. Durchlaucht befahlen.« »Hast Du ihn in der Küche abgegeben?« »Nein; er hat ihn noch überhängen.« »So mag er ihn mit hereinbringen. Es ist ein Kapitalbock, den die Herren sehen müssen. Also herein mit ihm!« Der Korporal trat ab und brachte nach einigen Augenblicken seinen Rekruten hereingeführt. Dieser war noch immer gefesselt und schleppte seinen Tornister und den Rehbock auf dem Rücken. Trotz dieser Bürde schritt er leicht und rüstig vor, stellte sich in Positur und salutirte. »Durchlaucht, eingetroffen als Rekrut!« »Himmel-Kreuz-Bataillon-Schock-Schwe – – –!« Der Fürst war einige Schritte zurückgewichen, hatte vor Schreck die Arme hoch erhoben und den Mund aufgerissen, als ob ihm
Jemand bis in den Magen hinuntersehen solle. Der Fluch blieb ihm trotz dieser Oeffnung im Munde stecken. Auch die Gesichter der meisten Offiziere zeigten einen Ausdruck, der mehr eine Folge der Bestürzung als der Ueberraschung zu sein schien. Der Rekrut drehte sich zu dem Korporal um: »Korporal Waldow, Er hat Recht: Mit dem Fürsten von Anhalt-Dessau kann man reden wie mit einer gebackenen Apfelfrau. Er sperrt das Maul auf, als hätte er die Apfeldorre im Bauche!« Jetzt bekam Leopold die Sprache wieder: »Hol mich der Teufel; es ist wirklich wahr! Königliche Hoheit! Alle guten Geister loben ihren Meister! Königliche Hoheit als Rekrut, mit meinem Bo – mit – hahahaha – mit mei – hahahahi – mit meinem – hahihi hahihihi – mit meinem Bock auf – hihihihi – auf dem – hihihi – auf dem Buckel – hihihi hihihihiiiiii – – –!« Er hatte sich bei den ersten Worten alle Mühe gegeben, das Lachen zu unterdrücken; aber dies war ihm unmöglich. Aus dem anfänglichen Lachen auf A wurde nach und nach ein riesiges, fast wieherndes Gelächter auf Ihhhiii, welches schon mehr dem schrillen Trompetiren eines Elephanten glich und fast in einen Lachkrampf ausartete. Er mußte sich auf einen Stuhl werfen, schob den Kopf über die Lehne, streckte die Füße weit von sich, legte die Hände auf den Bauch und brüllte nun ein solches Klarinettengelächter hinaus, daß die Wände des Zimmers zu wackeln schienen. Die Mehrzahl der Offiziere hatte den Kronprinzen Friedrich Wilhelm erkannt. Sie strengten sich beinahe übermenschlich an, sich von dem Lachen des Fürsten nicht anstecken zu lassen, aber auch sie wurden von dem Verhängnisse ergriffen; denn als der Kronprinz selbst, von der Situation hingerissen, sich mit schallender Stimme hören ließ: »Himmel-Donnerwetter, Durchlaucht, nur um Gotteswillen nicht zerplatzen, hihihihiiiiihhh!« Da konnte sich keiner von ihnen mehr halten, und nun brach ein Lachchor los, dessen Brausen und Wiehern einem entfesselten Orkane glich, und der nicht eher endete, als bis die Thür aufgerissen wurde und eine weibliche Gestalt eintrat. »Was ist denn um Gottes Willen hier los, Leopold? Man hört das ja über die ganze Stadt hinweg!« »Hahahahihihi – was hier – hahihihi – hier los ist, hiiiih? Anneliese, hahihihihahaha – komme einmal her, und – hihihahaha,
und siehe Dir den Kerl hier an – hohohohohuuuh!« Die Fürstin trat näher, blickte dem Rekruten in das Gesicht und schlug die Hände zusammen. »Königliche Hoheit! Herrgott, als Handwerksbursche und mit diesem Thiere da! Wie geht das zu?« Auch der Kronprinz lachte noch aus vollem Halse. »Hahahaha – Durchlaucht entschuldigen – hihihohohoh – aber ich kann mich nicht halten: der Kukuk hole das verdammte Lachen; ich glaube – hohohohoho – meine Haut langt nicht mehr zu. Aber diesen Bock – hahahihihohoho – habe ich für Eure Küche herschleppen müssen – hohohohohooooh.« »Für – meine Küche? Wie geht das zu?« »Fragt Den da, Durchlaucht! Der hat – hahahihoho – es mir – es mir befohlen – hohohoho!« »Ists möglich!« »Jahahahaha!« Dies gab dem Fürsten auf einmal seinen vollen Ernst wieder. Er erhob sich und trat mit drohender Miene hart an den Korporal heran. »Kerl, Schlingel, Taugenichts, Hallunke, ich lasse Ihn fuchteln, bis es keinen Ladestock im Regimente und keinen Haselzweig mehr im ganzen deutschen Reiche gibt! Wie hat Er Himmelhund denn diesen hirnverbrannten Streich zuwege gebracht?« Der arme Teufel hatte dieses Gewitter längst erwartet, und darum war ihm vor lauter Herzensangst nicht das allermindeste Lächeln angekommen. Er wußte, daß der Kronprinz von Preußen, der nachmals als König Friedrich Wilhelm der Erste eine solche Strenge und Rücksichtslosigkeit entwickelte, daß er sogar seinen eigenen Sohn, den späteren Friedrich den Großen, erschießen lassen wollte, der barscheste Offizier des ganzen Heeres sei und sich gewöhnt hatte, trotz seiner achtzehn Jahre mit den ältesten und verdientesten Militärs nach Gutdünken umzuspringen. Er hatte diesen Prinzen einen Spitzbuben und Räuberhauptmann genannt; er hatte ihn zum Rekruten gepreßt und ihn sogar gefesselt; er hatte ihn gezwungen, den Rehbock eine so weite Strecke und durch ganz Halberstadt zu tragen. Es war ihm, als sei der jüngste Tag gekommen und er stehe mitten unter den Böcken, die dahin müssen, wo Heulen und Zähneklappern ist. Trotz dieser entsetzlichen Angst versuchte er sich zu fassen und eine ruhige Antwort zu geben: »Durchlaucht pardonniren allergnädigst! Ich habe handeln
müssen wie mir befohlen war.« »Befohlen? Heiliges Hagelwetter! Habe ich Ihm befohlen, Seine königliche Hoheit, den Kronprinzen von Preußen zu arretiren und ihm diesen vermaledeiten Rehbock an den Hals zu hängen, he?« »Durchlaucht haben mir befohlen, den Kerl, welcher jetzt gleich kommen werde, zum Rekruten zu machen und ihn den Bock nach hier tragen zu lassen.« »Nicht raisoniren, Er Himmelsakermenter, sonst wird Er krumm geschlossen wie ein Igel! Ich habe Ihm allerdings befohlen, daß Er den Kerl festnehmen soll, aber sind Seine königliche Hoheit ein Kerl? Sind Seine königliche Hoheit der Kerl, den ich meinte?« »Ich habe nicht die Ehre, Seine Königliche Hoheit zu kennen, und da allerhöchst Dieselben zuerst kamen und sich für einen Handwerker ausgaben, so mußte ich meine Pflicht erfüllen.« »Der Kerl ist weiß Gott unverbesserlich. Er will seine Schuld nicht einsehen! Hoheit, ich gebe ihn in Eure Hände. Laßt ihn schlachten; laßt ihn in die Bockhaut nähen und auf einem Ambos hämmern; schneidet ihm die Nase oder sonst 'was ab, laßt ihn in der Esse räuchern; thut überhaupt mit ihm, was Euch gefällt. Er gehört Euch!« Friedrich Wilhelm, der jetzt seine spätere Härte noch nicht besaß und sich durch das gehabte Vergnügen zur Milde gestimmt fühlte, lächelte. Er meinte: »Uebergebt Ihr ihn mir wirklich, Durchlaucht?« »Mit Leib und Leben!« »Dann habe ich also auch das Recht, ihn wieder zu verschenken?« »Natürlich!« »Nun gut, so werde ich von alledem nichts mit ihm thun. Ich übergebe ihn Euch, liebe Fürstin. Bestraft oder begnadigt ihn, ganz wie es Euch gefällt!« »Himmelsapperlot, das ist falsch, Hoheit! Die würde ihn begnadigen, und wenn er Euch gefressen hätte. Die Anneliese hat ein Herz wie Butter. Wenn es warm wird, läufts in die Kasserole.« »Ich danke, Königliche Hoheit!« meinte dagegen die Fürstin. »Ich werde nicht entscheiden, ohne vorher gehört zu haben. Erzähle, Leopold!« »Ich? Erzählen? Etwa ein Verhör anstellen zwischen mir und diesem Schwerenöther? Hm, na meinetwegen, weil Du es bist,
Anneliese. Also da draußen im Walde liegt ein Mensch, wenn den der Herrgott gesehen hätte, so hätte er ihn hinauf in den Himmel geschleppt, und ihn zum Flügelmanne in seiner Leibgarde zu machen, ein Mensch, sage ich Euch, der beinahe einen Kopf länger noch ist als ich selber, um ein paar Schultern hat wie der Ablaß, oder der Atlas oder wie der arme Teufel geheißen hat, der früher die Erde auf seinen Achseln getragen hat, ein Mensch wie gemalt, ein Mensch wie aus Erz gegossen ober in Marmor gehauen. Ich renne also nach der Station und befehle diesem Hallunken hier, ihn abzufangen, wenn er kommt. Und was thut die Rotte Korah, Dathan und Abraham? Sie fängt mir statt den Kapitalburschen hier die Königliche Hoheit weg. Ist das nicht geradezu zum Verrücktwerden! he?« – »Hast Du den Mann näher bezeichnet?« »Natürlich! Er sagte mir, daß er in dem Kruge einkehren werde, und so gab ich den Befehl, den Ersten, welcher komme, zu arretiren.« »Und wer ist der Erste gewesen, Korporal?« »Seine Königliche Hoheit.« »Still, Dummkopf! Hättest Du in Deinem Strohkopfe nur einen Funken von Verstand, so wäre Dir eingefallen, daß ein Kronprinz dieser Erste ja gar nicht sein darf.« »Leopold, der Korporal ist unschuldig!« »Unschuldig? Was? Wie? Warum?« »Er hat sich ganz genau nach Deinen Worten gerichtet!« »So! Und ist ihm das etwa erlaubt, wenn da Dummheiten entstehen? Dann hat er sich gar nicht nach mir zu richten, dann bin ich eine reine Null, dann hat er eben nur den Richtigen zu fangen. Himmel-Donnerwetter, ich werde ihm schon noch lehren, was Subordnung heißt. Das heißt nämlich, Alles so sub zu machen, daß Alles in Ordnung ist. Versteht Er mich, Er Himmelelementer, he? Nun sage Er einmal, hat Er wirklich sub gemacht? Nein, denn sonst wäre die Sache in Ordnung?« Er hatte sich wieder in die volle Wuth hineinraisonirt. Die Fürstin versuchte ihn abzuleiten. »Aber Leopold, wo ist denn nun der Richtige geblieben?« »Der Richtige? Himmel-heiliges Pech, das ist ja wahr! Wo ist er geblieben, Korporal?« »Halten zu Gnaden, Excellenz, ich weiß es nicht.«
»Wie – wo – was? Er weiß es nicht? Nein, nun ist es aber aus, reineweg aus! Der Hund weiß nicht, wo der Richtige ist. Hinaus mit Dir, hinaus, Tagdieb, und wenn Du mir den Richtigen nicht bringst, so karbatsche ich Dich mit eigener Hand, daß Du die Cherubim und Seraphim im Himmel pfeifen und trommeln hörst!« Nichts konnte dem Korporal so willkommen sein, als dieser Befehl. An den Nachsatz, der für ihn höchst gefährlich war, dachte er noch gar nicht. Er machte sich schleunigst aus dem Staube. »War der Mensch denn wirklich so excellent?« frug der Kronprinz. Er war wo möglich ein noch größerer Liebhaber großer Soldaten, und es ist bekannt, daß er als König trotz seiner oftmals übermäßigen Sparsamkeit bisweilen fünfzehntausend Thaler für einen solchen Mann bezahlte. »Excellent? Geht mir mit diesem Excellent! Es sagt noch viel zu wenig. Ein Simson ist er, und wenn ich ein Regiment solcher Kerls hätte, so schlüge ich mit ihm ganz allein an die fünfmalhunderttausend Philister todt.« »So müssen wir ihn haben!« »Ja, wir müssen ihn haben, und wenn er in die Mongolei gelaufen wäre!« »Aber wie?« »Hm! Kreuzschokschwerenoth, ist das ein Elend! Wenn man nur wüßte, wo der Kerl steckt! Im Walde ist er längst nicht mehr.« »Wo kam er denn her?« »Aus Oschersleben; aber er stammt aus Bernburg. Sein Vater heißt Silberling. Es gibt blos einen einzigen Silberling dort.« Da trat einer der anwesenden Offiziere vor. »Pardon, Königliche Hoheit! Pardon, Durchlaucht! Der Kerl hat eine Lüge gesagt. Ich kenne den Silberling in Bernburg, denn ich habe bei ihm in Quartier gelegen. Er hat gar keine Kinder, und einen zweiten Silberling gibt es nicht.« »Ist das wahr, Hauptmann?« »Ich bürge dafür.« »Donnerwetter, so hat mich der Mensch geleimt! Wehe ihm, wenn ich ihn bekomme! Dann ist er wohl auch gar nicht aus Oschersleben, und wer weiß, wer und woher er eigentlich ist. Ein solcher Kerl kann gar nicht vom Civil sein, denn den hätten die Werber längst weggeschnappt. Es wird doch nicht etwa ein Emisär des Kurfürsten von Sachsen oder des Schwedenkönigs sein!«
»Möglich!« meinte der Kronprinz. »Oberst Ravenau, der beim Könige in geheimen Geschäften ist, hat mir geschrieben, daß der lange Seeström auf Urlaub ist. Ich erkundigte mich nach ihm, weil ich ihn gern haben möchte.« »Alle neunundneunzigtausend Teufel, am Ende ist er es gar gewesen. Ich habe hier die eisernen Ladestöcke, den Gleichschritt und das neue Exerzitium eingeführt, und ich halte es für sehr möglich, daß der Schwede auf den Gedanken kommt, mir diese vortheilhaften Neuerungen ablauschen zu lassen!« »Wo wollte der Fremde hin?« frug der Kronprinz. »Nach Quedlinburg aber um Halberstadt herum.« »Es ist möglich, daß er Euch auch hier belogen hat.« »Das soll ihm schlecht bekommen, denn ich werde ihn dennoch fangen. Ich lasse die ganze Gegend besetzen und nach ihm absuchen, ich lasse jedes Haus in der Stadt und auf den Dörfern umwenden, und es müßte mit dem Satan zugehen, wenn er mir entkäme.« »Das müßte aber gleich geschehen.« »Natürlich! Aber Königliche Hoheit, Ihr müßt entschuldigen, wenn – –« Der Kronprinz war für eine solche Rekrutenhetze selbst so passionirt, daß er ihm schleunigst in die Rede fiel: »Macht Euch keine Sorge, Durchlaucht! Ihr wißt, daß ich überflüssige Schnirkeleien nicht leiden mag. Der Kerl muß gefangen werden, und ich werde selbst mithelfen. Das wird mir keinen Schaden, sondern nur Vergnügen machen. Meine Kleider und andern Sachen sind noch unterwegs, ich kann mich also nicht umziehen, und so brauche ich keine Bange zu tragen, daß ich erkannt werde, wenn ich ein wenig mit spioniren gehe. Wenn Ihr Streifpatrouillen in die Gegend von Quedlinburg, Aschersleben und Thale aussendet und die Stadt mit ihrer Umgebung gut absuchen laßt, so werden wir den Urian bekommen, und dann könnt Ihr ja den Preis sagen, für welchen ich ihn erhalten kann.« »Schön, Hoheit! Werde auch selbst mit suchen und brauche mich also auch nicht in Gala zu werfen. Annaliese, schaffe etwas zum Schlucken und Beißen und laß hier den Bock abholen, er braucht sich nicht jetzt und in alle Ewigkeit hier herumzusielen!« »Und meinen Ranzen,« fügte der Kronprinz bei, »übergebe ich Euch, Durchlaucht. Den Inhalt werden wir vielleicht gut brauchen
können. Habt Ihr die Zuschrift meines gestrengen Vaters erhalten?« »Gleich vorhin erst.« »Ich weiß nicht, wie viel er schreibt. Darf ich den Brief einmal sehen?« »Hier ist er! Hat mir viel Mühe gemacht. Will lieber auf eine Festung Sturm laufen als solchen Krimskrams enträthseln.« Der Kronprinz las das Schreiben und meinte dann: »Steht gar nichts drin. Werde Euch alles ausführlich expliziren müssen. Doch das hat noch Zeit. Gebt also Eure Instruktionen, daß die Hetze losgehen kann!« – Der Gegenstand dieser Unterredung, der angebliche Lohgerber nämlich, war unter dem Schutze des Waldes bis in die Entfernung von drei Viertelstunden an die Stadt herangekommen. Am Saume des Forstes blieb er halten, um die Gegend zu rekognosziren. Vor ihm lag ein niedrig gehügeltes Terrain, aus fruchtbaren Feldern und Wiesen bestehend, welche hier und da durch ein dünnes durchsichtiges Buschwerk getrennt wurden. »Hm,« meinte er wie zu sich selbst, »fatale Affaire! Ich muß den Klas Baldauf unbedingt sprechen; ich muß also auf alle Fälle in die Stadt, und doch bin ich in Gefahr, wenn man mich sieht. Der Büttel war kein Anderer als der Dessauer selbst. Er wird das Blaue vom Himmel herunter wettern, wenn er hört, daß sie mich nicht ergriffen haben, und ich setze meinen Kopf zum Pfande, daß er dann die ganze Gegend nach mir absuchen läßt. Gehe ich durch eines der Thore in die Stadt, so bemerkt man mich, denn meine Größe fällt auf, und springe ich irgendwo über die Mauer, so ist das erst recht gefährlich. Was thun? Es bleibt mir nichts anderes übrig, als mich bis möglichst nahe heran zu pürschen und dann zu sehen, was zu thun ist.« Er schritt in der Richtung nach Halberstadt weiter, indem er jede Begegnung sorgfältig zu vermeiden und sich durch die Büsche zu decken versuchte. Hätte er gewußt, daß man gerade damals sehr fleißig an einem neuen, jenseits der Holzemme gelegenen Stadttheile baute, so wäre er nicht so sehr besorgt gewesen in die Stadt zu kommen. Das Terrain brachte es mit sich, daß er nicht in gerader Richtung gehen, sondern einen Bogen um die Stadt schlagen mußte. Da erblickte er die vor der Mauer gelegenen, theils neuen theils noch unvollendeten Gebäude, an denen zahlreiche Arbeiter beschäftigt
waren. Ein befriedigtes Lächeln glitt über sein Gesicht, und nun wandte er sich geradewegs auf einige Zimmerleute zu, welche nicht weit von ihm mit dem Behauen von Balken beschäftigt waren. Er grüßte sie und frug: »Könnt Ihr mir nicht sagen, wo in der Stadt ein Gastwirth Namens Hilarius Wolf zu finden ist?« »Der Hilarius?« antwortete Einer. »Der wohnt gar nicht mehr da drüben. Der wird doch nicht dumm sein und sich dort hinübersetzen, wo es hier hüben Batzens zu verdienen gibt. Sehe Er sich das Haus dort an, das ist der Gasthof ›zum Leopold.‹ Da wohnt der Hilarius Wolf.« »Lebt seine Frau noch?« »Die lange Margarethe? Die lebt noch; die stirbt nimmermehr.« »Haben sie Kinder?« »Fällt ihnen gar nicht ein. Sie sind ganz allein und haben nur den schwarzen Klas bei sich, den alten Eulenspiegel. Er will wohl zu dem Hilarius?« »Ja.« »Wo kommt Er denn her?« »Von Brandenburg. Habe einen Auftrag an ihn.« Mit diesen Worten setzte er sich gegen das bezeichnete Haus in Bewegung. Es war noch neu, und über seiner Thür prangte ein riesiger Schild mit einem Reiter. Das Pferd sah eher wie ein Ziegenbock aus, und wen der Mann vorstellen sollte, konnte man nur aus der Unterschrift errathen. Sie lautete »Gasthof zum Leopold,« war aber sammt Pferd und Reiter vom Regen bereits wieder verwischt und verwaschen. Eben als er eintreten wollte, wollte ein Anderer heraustreten. Sie fuhren zusammen, machten erst erzürnte, dann aber überraschte Gesichter und hatten sich sofort bei der Hand. »Klas!« rief der Fremde. »Junker Erich! Um Gotteswillen, wenn man Euch sieht!« »Kannst Du mich verstecken?« »Ja; es paßt gerade, daß Niemand auf der Treppe ist. Kommt herauf, ich will es riskiren.« Er führte ihn die Treppe empor in ein kleines zweifenstriges Stübchen, dessen einfache Möbel dahin deuteten, daß es seine Wohnung sei. Ein Tisch, zwei Stühle, ein Bett und ein Uhrkasten bildeten das sämmtliche Inventarium. Der Uhrkasten war jedenfalls
ein Erbstück aus längst vergangenen Zeiten her. Aus starkem Eichenholze gefertigt, hatte er eine Breite von fast drei und eine Höhe von sicher sieben bis acht Fuß. Die Uhr fehlte; vielleicht war sie unten in der Gaststube aufgehängt worden. »Hier herein, Herr Lieutenant. Hier seid Ihr sicher.« »Wer wohnt hier?« »Ich.« »Kommt Niemand herein?« »Niemand außer des Abends einige Speziale, die wir aber jetzt nicht zu erwarten haben. Also Ihr in Halberstadt! Wer hätte das gedacht! Aber erlaubt, daß ich erst noch einmal hinuntergehe, um zu sehen ob wir sicher sind!« »Bringe mir ein Bier und etwas zu Essen mit!« Es dauerte lange, ehe Klas wieder kam. Man hatte ihn wider seinen Willen aufgehalten. Er stellte Essen und Trinken vor den Lieutenant hin und beguckte ihn dabei mit ein paar Augen, aus denen die innigste Liebe und Anhänglichkeit glänzte. »Aber sagt, wie kommt Ihr nur nach Halberstadt, gnädiger Junker!« »Ich war in Stralsund und Stettin.« »Ah, ich denke, Ihr geht bei dem Könige in Sachsen!« »Allerdings. Du weißt, daß wir den Sachsen klein gemacht haben. Der König will nun auch an den Preußen. Der ahnt dies und hat ihm den Obersten Ravenau geschickt, um einen Vertrag vorzubereiten. Während dessen aber rüsten Beide. Kommt der Vertrag je noch zu Stande, so gibt es nur eine Galgenfrist; der König bricht doch noch los. Daher mußte ich nach Stettin und Stralsund und komme auf dem Rückwege zu Dir. Wie steht es mit Deiner Aufgabe?« »Sehr gut. Ich bin fertig.« »Kennst also das neue Exerzitium?« »Ja.« »Das Reglement?« »Ja. Habe es hier im Tischkasten.« »Wie kamst Du dazu?« »Sehr leicht. Mit den Papieren, die Ihr mir aushändigtet, fand ich in Halberstadt sofort die Erlaubniß bleiben zu dürfen. Ich wählte mir einen passenden Dienst und wurde Hausknecht hier beim Hilarius. Zu ihm kommen sehr viele Soldaten, ich trollte sehr oft mit
hinaus auf den Exerzierplatz und habe mir die neue Geschichte recht wohl zu Kopfe genommen.« »Aber das Reglement?« »Habe ich von einem guten Freunde, der mich oft besucht und hier oben ein Gläschen mit mir trinkt.« »Wer ist es?« »Korporal Waldow. Er hat die Werbestation da im Oscherslebener Wald.« »Ah! Hätte mich heut beinahe in die Hände gekriegt!« »Nicht möglich! Wie so?« »Ich traf den Dessauer – –« »Donnerwetter! Doch nicht!« »Ja. Eben da draußen im Walde.« »Nanu! Er geht immer hinaus um zu schießen.« »Er hatte einen Rehbock und fing ein Gespräch mit mir an. Ich gab mich für einen Oscherslebener Lohgerber aus, und er suchte mich zu veranlassen, in dem Kruge, welcher im Walde liegt, einzukehren.« »Da hätte Euch der Teufel geholt.« »Glaube es; bin also nicht auf den Leim gegangen. Hast Du einen Plan von Halberstadt?« »Ja. Ist schon längst fertig.« »Wird aus dem Vertrage nichts, so schlägt der König los. Der nächste und schlimmste Feind ist der Dessauer. Daher beabsichtigt der König, Halberstadt zu überrumpeln und den Fürsten mit seinem ganzen Regimente aufzuheben. Deshalb bist Du hierhergeschickt worden, und deshalb auch steigt der Wachtmeister Roller zwischen hier und Merseburg herum, um sich den Weg zu besehen. Es ist jetzt die Zeit der frühzeitigen Kirchweihen. Er benutzt dies und geht bald als Leiermann, bald als Vogelhändler oder so etwas, und kundschaftet dabei Dinge aus, die mancher Offizier nicht herausbringen würde.« »Aber wenn man ihn ertappt, so ist er geliefert!« »Ich und Du auch. Diese Art von Vergnügen wird nun einmal Spionage genannt und mit dem Strange bezahlt. Habe übrigens verdammt wenig Lust, dergleichen Affären auch fernerhin mitzumachen. Schickt sich nicht für einen ehrlichen Offizier. Weiß gar nicht, warum der König allemal mich auswählt, da ich doch wegen meiner Gestalt in größerer Gefahr bin als jeder andere.«
»Er weiß, daß er sich auf Euch verlassen kann.« »Pah, das weniger! Ich habe so meine eigenen Gedanken, die ich beinahe einen Verdacht nennen möchte.« »Doch nicht!« »Ja. Ich habe nämlich eine Geliebte – –« »Ihr? Eine Geliebte? Wollt Ihr mich konfus machen?« »Ich sage die Wahrheit.« »Eine Geliebte! Endlich, endlich hat Er einmal angebissen!« »Allerdings. Es ist viel geangelt worden, ohne daß ich es auch nur beachtet habe, hier aber habe ich sofort zugeschnappt.« »Wer ist es?« »Hm! Eine sehr reiche Erbin.« »Von Adel?« »Natürlich.« »Jung?« »Achtzehn. So lang und stark wie ich beinahe.« »Alle Teufel!« »Ja, ein Weibsen wie Kernseife. Aber dabei ein Gemüth wie Wachs, ein Gesicht wie Milch und Blut und einen kühnen entschlossenen Sinn.« »Wo wohnt sie?« »Bei Merseburg. Sie ist eine Waise, und der Herzog von Sachsen-Merseburg ist ihr Vormund. Hole ihn der Teufel!« »Warum der Teufel?« »Weil er sie verschachern will.« »An wen?« »An unsern Obristen Börjessen.« »Ah, an den Liebling des Königs?« »Der König ist auch für den Plan eingenommen. Was kann ich als armer kleiner Lieutenant dagegen thun?« »Ist sie es werth, daß man etwas dagegen thut?« »Versteht sich. Ihretwegen reite ich ein ganzes Regiment über den Haufen.« »Hm, so thut man eben etwas. Aber was?« »Der Obrist hat erfahren, daß Anna mich kennt, und dem Könige einen Floh in das Ohr gesetzt. Nun werde ich zu Missionen benutzt, die eine lange Abwesenheit mit sich bringen, die man wohl benutzen wird. Vielleicht tritt gar der Fall ein, daß ich irgendwo abgefangen werde, und dann hat der Obirst freie Hand. Wenn sie es
mir zu toll machen, werde ich ihnen die Rechnung durchstreichen. Wo hast Du den Plan und das Reglement?« »Hier!« Der Hausknecht zog den Tischkasten auf und nahm die Papiere aus demselben. Noch aber hatte Seeström sie nicht geöffnet, als sich unten im Flur eine Stimme hören ließ: »Wird oben in seiner Stube sein.« »Gut; steige ich hinauf!« »Sakerment! Herr Lieutenant, da kommt dieser verdammte Korporal Waldow!« meinte Klas erschrocken. »Schließ zu!« »Geht nicht. Müßte hinaus und den Drücker abziehen, und das sieht er ja.« »Donnerwetter! Wenn man sich nur verstecken könnte!« »Rasch hinein in den Uhrkasten!« »Hm, geht an! Mach schnell!« Sie zogen den Kasten von der Wand zurück, und Klas schob ihn, nachdem der Lieutenant dahintergeschlüpft war, wieder an dieselbe an. Kaum war er damit fertig, so trat der Korporal ein. Dieser warf sich nach einem außerordentlich mürrischen Gruße auf einen Stuhl und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Klas!« »Waldow!« »Ich erschieße mich!« »Weshalb?« »Ja, ich erschieße mich, wenn Du mir keinen guten Rath gibst.« »Weshalb?« »Ei Du dreimal – – na, ich will nicht fluchen, denn ich habe mich auf meine letzte Stunde vorzubereiten, weil ich mich ganz sicher erschieße.« »So sage doch nur, weshalb Du Dich partout massakriren willst?« »Weil ich einen Bock geschossen habe, größer als der größeste Elephant.« »Und da mußt Du Dich auch erschießen.« »Ja, denn sonst läßt mich der Fürst bei lebendigem Leibe abziehen und braten.« »Was ist es denn für ein Bock, den Du geschossen hast?« »Ein jämmerlicher, ein horribler, ein ganz und gar entsetzlicher.
Denke Dir, Klas, ich habe seine königliche Hoheit, den Kronprinzen arretirt!« »Was!« »Ich habe ihn einen Spitzbuben und Räuberhauptmann geschimpft!« »Was!« »Ich habe ihn gefesselt, mit Stricken gebunden!« »Wa – a – as!« »Und ich habe ihn gezwungen, einen Rehbock von der Station bis zum Fürsten auf dem Buckel zu schleppen!« »Wa – wa – was!« »Ja, so ist es. Und darum muß ich mich erschießen!« »Mensch Du sagst niemals eine Lüge, und daher muß ich Dir es glauben, obgleich es ganz unmöglich klingt. Aber wir stehen am Anfange der Hundstage, und – –« »Ich bin nicht toll! Es ist ganz genau so, wie ich sage.« »Aber bei allen Teufeln, wie kommst Du dazu, den Kronprinzen zu arretiren!« »Ja, das ist es ja eben! Eigentlich bin ich nicht schuld, aber schuld bin ich doch!« »Das reime sich zusammen wer es mag, ich nicht!« »Ich werde Dir es erklären, und Du gibst mir dann einen guten Rath!« »Gern, wenn es möglich ist.« »Also es war so: Der Fürst geht sehr früh in den Wald und schießt sich einen Bock. Da sieht er einen Kerl, der ein wahrer Goliath ist und der bei uns in dem Kruge einkehren will. Er kommt sofort zu mir und sagt mir, daß ich diesen Kerl abfangen soll, er werde gleich kommen. Dann legt er mir den Bock hin, den der Kerl nach Halberstadt tragen soll, und macht sich davon. Gleich darauf kommt auch Einer, der die richtige Grenadiergröße hat. Ich denke es ist der Richtige, und nehme ihn bei der Parabel. Ich finde über zehntausend Thaler in Gold und Papieren in seinem Ranzen, trotzdem er sich für einen Handwerksburschen ausgibt, halte ihn deshalb für einen Spitzbuben und schließe ihn. Auch den Bock hänge ich ihm über den Rücken, wie es der Fürst befohlen hat. So bringe ich ihn nach Halberstadt.« »Ja wo bleibt denn da der Fehler, den Du begangen haben willst?«
»Der kommt ja gleich; denn denke Dir nur, als ich den Kerl dem Fürsten vorführe, wer ist es? Kein anderer als der Kronprinz Friedrich Wilhelm, königliche Hoheit, der sich den Spaß gemacht hat, inkognito nach Halberstadt zu gehen.« »Himmel heiliges Pech!« »Ja! Ich denke, mich rührt ein dreißigfacher Schlag. Ich war ganz perplex und hatte nachher kaum so viel Verstand, mich leidlich zu vertheidigen. Es lief auch ziemlich gut ab, denn die Herren lachten alle fürchterlich, sogar der Kronprinz mit, und dann kam die Annaliese und nahm mich in Schutz, weil ich doch blos gethan hatte, was mir befohlen worden war. Aber da jagte mich der Fürst zur Thür hinaus und befahl mir den Richtigen zu bringen, sonst geht es mir über den Kopf. Als ich in das Vorzimmer komme, sind meine vier Leute, die den Skandal gehört haben, ausgerissen. Ich weiß meiner Angst kein Ende und komme zu Dir. Rathe mir, wo ich den Richtigen hernehmen soll.« »Das ist ja eine ganz verdammte Geschichte! Sollst Du denn allein nach ihm suchen, oder haben auch noch Andere dabei zu thun?« »Ich habe nur wenig davon gehört, aber ich denke, daß man die ganze Gegend mit Streifpatrouillen belegen und auch in der Stadt nachsuchen lassen wird.« »So kannst Du Dich trösten, denn vielleicht wird man ihn finden. Kommst Du direkt vom Fürsten?« »Nicht ganz. Ich habe erst eine halbe Stunde nach meinen Leuten herumgesucht. Die sind jedenfalls hinaus nach der Station und ich bin – – Donnerwetter, da ist Lieutenant Kummer! Er weiß, daß ich hier verkehre, wenn ich in der Stadt bin, und wird mich doch nicht etwa suchen?« Unten wurde die Stubenthür geöffnet und man hörte eine Stimme fragen: »Korporal Waldow heut hier gewesen?« »Ja,« lautete die Antwort. »Er ging vorhin hinauf zum Hausknechte.« »Wo ist dieser?« »Werde es Euch zeigen, Herr Lieutenant.« Der Korporal gerieth in die größte Angst. Er fuhr in der Stube herum wie eine Maus, welche ihr Loch nicht finden kann. »Kreuz-Bataillon, wo verstecke ich mich!«
»Ist nicht nothwendig. Er mag Dich immer treffen!« »Nein. Er soll mich zum Fürsten schleppen.« »Fahr unter das Bette!« »Da sieht er mich. Ich stelle mich hinter den Uhrkasten. Schiebe ihn schnell wieder an die Wand zurück!« Er faßte den Kasten und zog ihn ab, um in höchster Eile dahinter zu schlüpfen, blieb aber erstarrt stehen, denn an der Wand lehnte ein Mensch, der einen ganzen Fuß länger war als er selbst. Wie ein Blitz durchzuckte ihn der Gedanke: das ist der Kerl, den wir suchen; das ist der Richtige! In diesem Augenblicke trat der Lieutenant ein; der Wirth war, nachdem er diesem die Thür gezeigt hatte, wieder zurückgegangen. Der Offizier erblickte den Hausknecht und den Korporal, den schwedischen Lieutenant aber nicht, weil zwischen ihm und diesem sich der halb verschobene Kasten befand. »Korporal Waldow, wo treibt Er sich denn herum?« »Ich bin von Seiner Excellenz entlassen, Herr Lieutenant!« »Ja, aus dem Audienzzimmer, aber im Vorzimmer hatte Er zu bleiben. Hätte ich nicht gewußt, daß Er immer hier zu finden ist, so hätte ich nach Ihm laufen können bis an der Welt Ende! Er kennt den Oscherslebener Wald?« »Ganz und gar.« »So komme Er! Er soll einer Streife durch den Forst als Wegweiser dienen.« »Um den – den Richtigen zu fangen?« »Ja.« »Das ist nicht nothwendig, Herr Lieutenant. Ich habe ihn bereits.« »Donnerwetter, ist es wahr? Wo hat Er ihn denn?« »Hier.« Er deutete hinter den Kasten. Der Lieutenant trat näher, und zu gleicher Zeit trat auch Seeström hervor. Er wurde von dem Lieutenant mit erstaunten Blicken betrachtet. »Mensch, was macht Er denn hier hinter dem Uhrkasten?« »Ich wollte sehen, welche Zeit es für ihn ist.« »Was soll das heißen?« »Werdet es sehen! Ja, ich bin der Richtige, den Ihr sucht, das will ich gern gestehen; aber wer ich eigentlich bin, das weiß noch Keiner von Euch. Der Herr Kamerad mag seiner Durchlaucht, dem
Fürsten von Dessau, und Seiner königlichen Hoheit, dem Kronprinzen von Preußen sagen, daß es nicht so leicht ist, als wie sie es sich denken, den Junker Erich von Seeström, Lieutenant in Seiner schwedischen Majestät Regiment ›Gustav Adolf‹ unter die preußischen Rekruten zu stecken. Nun weiß Er wer ich bin. Dieser Hausknecht hier ist der Feldwebel Klas Baldauf in meiner Kompagnie. Wir empfehlen uns!« Ein Schlag seiner Faust traf den Lieutenant, so daß dieser zusammenstürzte, und ein zweiter brachte auch den Korporal zu Falle. »Hast Du etwas mitzunehmen, Klas?« »Die Papiere hat der Herr Junker. Weiter brauche ich nichts.« »Dann vorwärts! Es ist hier nicht mehr recht geheuer.« Sie traten aus dem Zimmer, stiegen die Treppe hinab und verließen ungehindert das Haus. Auch durch die noch im Entstehen begriffenen neuen Straßen kamen sie ohne Belästigung, aber als sie die Stadt im Rücken hatten, sahen sie, daß die Umgebung von zahlreichen militärischen Trupps durchzogen wurde, denen man entweder nur zu Pferde oder unter dem Schutze der Nacht entkommen konnte. Es war lauter Infanterie, und nur zwei einzige Männer saßen zu Pferde. Der eine kam von links und der andere von rechts dahergeritten, und unweit der Stelle, an welcher sich die Flüchtlinge befanden, mußten sie sich begegnen. »Der Fürst!« meinte Seeström besorgt. »Und der Kronprinz!« fügte der Feldwebel hinzu. »Wir sind verloren!« »Noch nicht. Sie sind im ersten Augenblick nur zwei gegen zwei.« »Aber da hinter uns kommt eine Truppe.« »Himmel-Donnerwetter! Was ist zu thun?« Da glitt über das sonnverbrannte, dunkel behaarte Gesicht des Feldwebels ein halb entschlossener, halb lustiger Zug. »Ich habs!« »Was?« »Sieht der Herr Junker die beiden Krautpopel.« »Du meinst die Vogelscheuchen?« »Ja. Hier zu Lande heißt es Krautpopel. Schnell hinein, den einen nieder, und der Herr Lieutenant an seine Stelle!« »Ah, hm! Und Du?«
»Der Fürst kennt mich. Der Herr Junker werden schon sehen was ich will: jetzt ist keine Zeit zu Weitläufigkeiten. Vorwärts, hinein.« Sie standen vor einem umfangreichen Waizenfelde. Die Aehren desselben waren bereits gelb vor Reife, und um die gefräßigen Vögel von ihnes abzuhalten, hatte der Besitzer zwei Vogelscheuchen mitten in das Feld gesetzt, welche riesenhafte menschliche Figuren bildeten. Seeström bückte sich zur Erde nieder und kroch zwischen die Halme hinein, auf die nächste Figur zu. Sie bestand aus einer Strohpuppe welcher man einen gigantischen Dreispitz aufgesetzt und einen langen Rock mit Bratenschößen, von dem die Fetzen hingen, angezogen hatte. Seeström legte seinen eigenen Hut ab, setzte den andern auf, warf sich den alten Rock über, erhob sich dann langsam und streckte die beiden Arme gerade so wie sein Vorgänger aus. Der Feldwebel war unterdessen langsam weiter getrollt. Leopold und der Kronprinz, beide noch immer in Civil, hatten sich in der Stadt getrennt, um außerhalb derselben die Patrouillen schneller instruiren zu können. Hier trafen sie sich wieder. »Etwas bemerkt?« frug Friedrich Wilhelm. »Nein.« »Ich auch nicht. Wer ist der Mensch, der da kommt?« Leopold drehte sich um. »Hausknecht im Gasthof, ›zum Leopold‹. Kommt auf uns zu und macht ein verteufelt wichtiges Gesicht. Heda, Klas, was schnobbert Er hier herum?« Der Angerufene trat heran und zog den Hut unter einer linkischen Referenz, wobei sein Gesicht ein sehr verschmitztes Lächeln versuchte. »Durchlaucht suchen einen Flügelmann?« »Was soll die Frage?« »Der im Wald davongekommen ist? Ich habe ihn.« »Donnerwetter, ists wahr?« »Ein Kerl, gerade sieben Fuß hoch, blond, himmelblaue Augen.« »Stimmt, stimmt wie Rhabarber! Kerl, Du kriegst hundert Thaler, wenn es wahr ist und wenn wir ihn bekommen!« »Danke! Die hundert Thaler sind mein. Aber ehe ich sage, wo er ist, müssen mir Durchlaucht eine Bitte gewähren!«
»Gut, eingestanden! Aber welche?« »Er steckt in meinem Herrn seinem Felde. Reiten es Durchlaucht doch nicht nieder!« »Ah, im Felde? Gut, wir werden es schonen. Also, nun heraus damit!« »Sehen die Herren dort den Krautpopel im Waizen?« »Nun?« »Das ist der Richtige.« »Kerl, Er ist verrückt!« »Nein, Durchlaucht. Ich bin meiner Sache sicher. Ich war bei den Kartoffeln daneben und hatte mich niedergebückt, um sie zu untersuchen. Da kam er hier den Rain entlang. Er hat die beiden Herren kommen sehen und im Augenblicke kein anderes Mittel gewußt sich zu retten. Er kroch zu dem Krautpopel hin, setzte sich den Hut desselben auf, zog den Rock desselben an und – nun, da steht er.« Die Arme Seeströms mochten ermüden; er ließ den einen ein wenig sinken, hob ihn aber sofort wieder empor. Der Fürst hatte es bemerkt. »Gott stehe mir bei, es ist wahr! Dieser Krautpopel ist ein Mensch! Seht Euch einmal sein Gesicht an, Königliche Hoheit, und er hat mit dem Arme gewackelt.« »Wirklich!« meinte der Kronprinz. »Der ist verloren!« »Unbegreiflich!« eiferte Leopold. »Der Kerl muß doch Gottstrampach noch weniger Verstand im Kopfe haben wie sein Ideal, von dem er sich Hut und Rock geborgt hat. Na, Bursche, warte, ich werde Dich bekrautpopeln! Komme Er einmal her Klas, und halte Er unsere Pferde! Wir werden unser Wort respektiren und nicht in das Feld seines Herrn reiten. Aber hineinsteigen werden wir dennoch müssen, wenn auch nur ein kleines Bischen.« Auch der Kronprinz stieg ab und übergab dem Feldwebel die Zügel seines Pferdes. »Durchlaucht,« meinte er, »wir thun gar nicht dergleichen, als ob wir etwas ahnten. Wir umgehen das Feld, Ihr rechts und ich links, und dann spazieren wir gerade auf ihn zu. Nachher kann er uns ja gar nicht auskommen.« »Versteht sich! Wir thun, als ob wir Kornblumen suchen. Auf diese Weise bringe ich meiner Annaliese einen Feldstrauß mit nach Hause. Also vorwärts, Hoheit!«
Sie stiegen von dannen und umgingen, Kornblumen pflückend das Feld, bis sie die unbewegliche Vogelscheuche gerade zwischen sich hatten. »Los!« rief jetzt der Kronprinz und rannte vorwärts in den Waizen hinein. »Halloh, haben ihn!« rief der Fürst und folgte von der entgegengesetzten Seite seinem Beispiele. Seeström rührte sich nicht eher, als bis sie beide auf drei Schritte herangekommen waren. Da aber flog dem Prinzen der alte Rock um den Kopf und dem Fürsten der Hut in das Gesicht. Der Schwede raffte den seinigen auf und sprang in mächtigen Sätzen davon. Leopold stand einige Augenblicke ganz verblüfft; der vor Schmutz starre Hut hatte seinem Gesichte nicht sehr wohlgethan; auch der Prinz war eine Minute lang beschäftigt seinen Kopf aus dem Rocke zu bringen. Da war der Flüchtling bereits über zwanzig Schritte von ihnen entfernt, und bei den tigerähnlichen Sätzen, welche er machte, war keine Hoffnung, ihm zu Fuße nachzukommen. »Halt ihn auf, halt ihn auf!« brüllte der Fürst. »Her, schnell her mit den Pferden, Klas.« »Gleich!« rief dieser. Im Nu saß er auf dem einen Thiere und im nächsten Augenblicke der Lieutenant auf dem andern. »Gute Verrichtung, meine Herren!« rief der letztere. »Seid so gut und vergeßt den Lieutenant Seeström nicht.« »Und auch seinen Feldwebel Klas Baldauf nicht!« rief der Hausknecht. Im Galoppe, so daß die Ackererde hinter den Hufen der Pferde aufflog, ging es über Stock und Stein, durch Dick und Dünn davon. »Straf mich Gott, der Seeström ists gewesen!« knirschte Leopold. »Hol mich der Teufel, er war es, und sein verdammter schwarzer Feldwebel dazu!« sekundirte der Kronprinz. »Ihr mußtet auch so albern sein und vom Pferde steigen!« »Seid Ihr klüger gewesen, he?« »Aber Ihr habt den Vorschlag gemacht!« »Nicht raisonniren, Hoheit, sonst soll das Donnerwetter dreinschlagen! Mit Maulaffen Feilhalten kriegen wir die Höllenhunde nicht wieder. Still über unsern albernen Streich, und rasch in die Stadt. Alle Pferde, die es dort gibt, müssen her. Tausend
Thaler dem, der mir diesen schwedischen Satan fängt!«
II. In der Patsche In Dankerode war Jahrmarkt. Dies konnte nun allerdings kein großartiges Ereigniß genannt werden, aber daß zum Dankeroder Jahrmarkt einmal ein so ausgezeichnetes Wetter war, das hatte man seit vielen Lustren nicht erlebt. Daher wanderte auch Alles, was nicht mit Gewalt zu Hause festgehalten wurde, dem Dorfe zu. Dankerode war keine Stadt, nicht einmal ein Marktflecken. Es hatte also auch gar keine Gerechtsame zur Abhaltung eines Jahrmarktes. Aber es war nun einmal herkömmlich, daß am fünfzehnten Juli Jeder, der etwas zu verkaufen hatte oder etwas kaufen wollte, Jeder, der sich entschlossen hatte, in Dienst zu gehen oder der einen Dienstboten brauchte, überhaupt Jeder, der ein Geschäft irgend welcher Art abzumachen hatte, nach Dankerode lief, um dort seine Angelegenheit unter freiem Himmel in Ordnung zu bringen. Da stand denn sehr oft Bude an Bude und Regenschirm an Regenschirm; denn wer am fünfzehnten Juli nach Dankerode ging, der wußte, daß er naß wurde, von außen bis auf die Haut, und von innen durch allerhand Viere und sonstige Flüssigkeiten bis unter die Haut und noch tiefer. Daß es nun heut nicht wie aus Tragkörben goß, war ein Wunder aller Wunder. Nicht einmal ein Gewitter stand am Himmel, der so hell und rein, so unschuldig aussah, als ob er alle Jahre den Dankerodern ein so freundliches liebenswürdige Gesicht gemacht hätte. Sogar der Himmel hat kein Schamgefühl mehr! Aber das Anfeuchten war man in Dankerode einmal gewohnt. Ging es nicht von außen, so geschah es doppelt und dreifach von innen, wegen der ungeheuren Hitze, wie man sich entschuldigte. In keiner Bude aber wurde so viel getrunken, wie in derjenigen der ehrsamen Wittib Veronika Salzmeierin. Das war aber auch eine Frau, bei der man unwillkürlich mit der Zunge schnalzen mußte, gerade so, als wenn man ein Stück saftigen Rehrücken vorgesetzt bekommt. So propre und sauber, so nett und adrett, so appetitlich
und zum Anbeißen gab es in der ganzen Grafschaft Mansfeld sicherlich kein zweites Weibsen, und dabei hatte sie ein Mäulchen, so fleißig wie ein zwölfgängiges Mühlwerk, und ein paar Augen, die es jedem anthaten, der noch ein Herz im Leibe trug. Heut hatte sie es besonders auf einen Tisch abgesehen, der da hinten in der Herrenecke stand. Da saßen nämlich sieben oder acht Gäste, von denen Jeder wenigstens drei Flaschen, nämlich drei leere Flaschen, vor sich stehen hatte. Und dabei hatten die Leute so etwas an sich, so etwas Ausgezeichnetes, so etwas Vornehmes, so etwas Salzmeierinanziehendes, daß die gute Veronika kein Auge von der Gruppe verwandte und alle drei Minuten herbeigetrippelt kam, um zu fragen, ob vielleicht noch eine Flasche befohlen werde. Und jetzt kam gar ein Mann herein, der hatte eine Haltung, einen Schritt, ein Auge, einen Zwickelbart, hurrjeh, dem sah es die Wirthin sofort an, daß er noch viel ausgezeichneter und anziehender sein müsse als die Andern. Die erhoben sich auch sofort von ihren Sitzen und machten Gesichter, als ob er sie alle ungefährdet verschlingen dürfe. Er aber gab nur einen ganz kleinen Wink, so setzten sie sich augenblicklich wieder nieder, und er nahm bei ihnen Platz. Sie kam wie eine Bachstelze herbei gewippt und geschnippt, wischte sich mit der schneeweißen Schürze den Mund ab, schlug in jungfräulicher Verschämtheit die Augen nieder und frug nach den Befehlen des gnädigen Herrn Bergamtmannes. Denn in der Grafschaft Mansfeld war damals der Bergamtmann die angesehenste Persönlichkeit, und weil dieser Herr gar so nobel aussah, mußte er unbedingt ein Bergamtmann sein, obgleich er für eine solche Charge eigentlich noch sehr jung war. »Woher kennt Sie mich denn so genau,« frug er mit einem Blicke, der eigentlich für zwei Bergamtmänner zugereicht hätte. »Von dem letzten Bergaufzug her,« antwortete sie, ganz entzückt, daß sie so scharfsinnig gewesen war, sofort das Richtige zu treffen. »Wie so?« »Da schritt der gnädige Herr voran und hatte einen rothen Federstutz oben,« antwortete sie, denn so war es bei den Bergamtmännern der Fall. »Hm, ja; Sie hat ein sehr gutes Gedächtniß. Sage Sie einmal, könnte Sie wohl einen Bergamtmann gut leiden?«
Diese Worte gingen ihr so tief in das liebesbedürftige und doch verwittwete Herz und seine Finger knippen sie so zärtlich in die gerötheten Wangen, daß sie einen so tiefen Knix machte, daß ihre Knie beinahe die Erde berührten. »Ja!« »Donnerwetter, das paßt; denn ich habe noch keine Bergamtmännin. Wenn kann man Sie denn einmal besuchen, Sie kleine Hexe Sie?« »Zu jeder Zeit, gnädiger Herr!« »Schön! Ich gebe Ihr mein Wort, daß ich zu keiner Anderen gehe, wenn ich mir meine Amtmännin hole.« »Aber vergeßt es nur nicht, gnädiger Herr!« lispelte sie leise. »Nein. Sie hat mein Wort und damit basta! Bringe Sie mir auch so eine Flasche, aber kein Katzenwasser, verstanden!« Sie schnellte hinter den Schenktisch und suchte eine von den wenigen Flaschen hervor, die sie für ganz besondere Ehrengäste reservirt hatte. Da kostete eine zwanzig Silbergroschen, aber sie nahm sich vor, ihm nur zwölf abzuverlangen. Das erste Glas goß sie ihm selbst ein und nippte leise davon. »Zur Gesundheit, gestrenger Herr!« »Danke, Schatz!« Er trank das Glas aus, schenkte sich voll und leerte nochmals; dann streckte er die Beine von sich und wollte eben ein Gespräch beginnen, als er daran verhindert wurde und sich augenblicklich in eine horchende Stellung aufrichtete. Draußen vor der Bude hielt nämlich ein Schleifer mit seinem Karren. Er hatte sehr viel zu thun; aber nicht nur seine Kunden standen bei ihm, sondern auch eine ganze Menge andere Leute. Er war seit einigen Tagen in der Gegend bekannt, und man wußte, daß er gar schöne Schleiferlieder zu singen verstehe. Er pflegte sie zum Takte seines Rades vorzutragen und die Pausen mit dem Geräusche auszufüllen, welches durch die Berührung der Messer und Scheeren mit dem Schleifsteine hervorgebracht wird. Er hatte heut bereits viel gearbeitet, aber noch nicht gesungen. Darum wurde er so dringend um ein Lied gebeten, daß er endlich nachgeben mußte. Er begann: »Der Schleifer ist allzeit ein Mann, Den man nicht gut entbehren kann, Weils Vieles gibt, wie Ihr ja wißt,
Was abgestumpft und schartig ist, Und man sich da nur nutzlos quält, Wo Schärfe, Schnitt und Rundung fehlt. Der Schleifer findet weit und breit Gar manche Ungeschliffenheit, Und wo er nicht selbst helfen kann, Da packen andre Kräfte an. Das Schicksal faßt ja manchen Tropf Mit eisenfestem Griff, Setzt ihm den widerspenst'gen Kopf Zurecht und gibt ihm Schliff!« Der Klang dieser Stimme war es, welcher den zwickelbärtigen Herrn Bergamtmann am Sprechen verhindert hatte. Er hörte die Strophe zu Ende und meinte dann: »Nicht übel, das Lied, hm; sollte länger sein, nicht, Hauptmann?« Derjenige, an den die Worte gerichtet waren, beeilte sich beizustimmen: »Gewiß, Durchlaucht! Doch, da kommt ja bereits eine zweite Strophe!« Wirklich erklang es bereits nach dieser kurzen Pause draußen weiter: »Der Meister und die Meisterin, Die haben oft gar eignen Sinn, Der Lehrling ist ein Aschenbrod, Hat wenig Freud und sehr viel Noth, Arbeitet wie ein Droschkenpferd Und gilt doch keinen Heller werth. Der Sündenbock für alle Welt, Auf halbe Ration gestellt, Zu spät ins Bett, zu früh heraus, Das halte doch der Teufel aus! Und klagt und schimpft und jammert er, So kommt der Meister Pfiff, Nimmt Elle oder Knieriem her Und applizirt ihm Schliff!«
Der Bergamtmann strich schmunzelnd seinen schwarzen Schnurrwichs. »Ja, die Elle oder der Knieriem sammt dem Lade-und dem Haselstocke sind die besten Erzieher, die es gibt. Die Elle macht fromm, der Knieriem sanft, der Ladestock gehorsam und der Haselstock geduldig! Meint Er nicht, Hauptmann?« »Versteht sich, Excellenz. Ein strenges Wort hat mehr Wirkung, als eine freundliche Predigt von sechs Stunden Dauer.« »Bei einer solchen Gesinnung ist es schade, daß Er nicht anstatt Hauptmann Feldprediger geworden ist. Aber horcht, er singt weiter!« Der Schleifer fing die dritte Strophe an. Sie lautete: »Bei einem wohlbekannten Haus Fliegt Geld hinein, Papier heraus. Man sagt, daß es ein Bankhaus sei, Doch ists die höh're Schleiferei; Denn man dreht drinnen dem Hans Tapp Die schwer ersparten Groschen ab. Da plötzlich wird die gute Bank An hoffnungsloser Schwindsucht krank; Der Prinzipal kniff gerne ex, Doch faßt ihn ›Polyp multiplex.‹ Jetzt brummt er in der Einsamkeit, Und kaut an seinem Kniff, Und für das Schleifen frührer Zeit, Bekommt er selbst nun Schliff!« »Wenn dieser Kerl sich seine Lieder selbst macht, so ist er ein ganz verdammter Himmelhund!« meinte der Fürst. »Das schnappt und klappt ja Alles ganz vortrefflich! Und das mit der höheren Schleiferei ist ganz richtig; nur will ich ihm nicht rathen einen Namen zu nennen, sonst wird er noch höher geschliffen. Aber wahrhaftig, der Mann bringt noch mehr. Hört!« Draußen erklang die Fortsetzung des Liedes: »Im Schulhaus geht für Jedermann Das offizielle Schleifen an. Und was die liebe Frau Mama
Bisher am Zuckerkind versah, Wird hier barmherzig und geschickt Mit Stock und Ruthe ausgeflickt. Das niederträchtige A-B-C Schmeckt unbedingt nach Aloë, Und wer das Einmaleins verdaut, Der stirbt auch nicht an Sauerkraut. In diese Art Philosophie Fährt man mit raschem Griff, Legt sie gemüthlich übers Knie Und applizirt ihr Schliff.« »Bravo, Bravo! Immer übers Knie mit den Rangen, und gehörig aufgewichst. Mir sollte die Anneliese nicht wagen, die Buben und Mädels zu verderben! Warum hat man jetzt so gottlose subordnungswidrige Bengels unter den Rekruten, Hauptmann? Nun?« »Es liegt an der Erziehung; die Eltern sind schuld!« »Und darum verdienen sie mehr Prügel, als die Jungens. Es ist jetzt eine traurige Zeit, eine Zeit, in welcher eigentlich Hoch und Niedrig, Jung und Alt ganz gehörig durchgeprügelt werden müßte; denn ich sage Euch, Ihr Herren, daß – – –« Er war dabei auf eines seiner Lieblingsthemata gekommen, über welches er stundenlang zu reden vermocht hätte, wenn er nicht von dem Schleifer gestört worden wäre: »Wohnt einmal Einer in der Stadt, Der gar zu lange Finger hat; Bei Tage bleibt er stets zu Haus, Geht nur im Dunkelmunkel aus, Ist aller Straßenlampen Feind Und liebt den Mond, wenn er nicht scheint. So wandert heimlich er fürbaß, Denkt bald an Dieses, bald an Das, Bis er, Kreuzhimmelelement, Ein fremdes Port'monnaie umrennt. Doch leider wird der Schelm ertappt Bei dem verbot'nen Griff; Ein Gänsedarm hat zugeschnappt
Und sorgt für bessern Schliff.« »Hm,« brummte jetzt der Fürst. »Da fällt mir ja etwas ein, Ihr Herren. Habe da einen Wisch von Oberst Ravenau, der beim Schwedenkönige sitzt, erhalten, worin ich benachrichtigt werde, daß ein Wachtmeister, ein gewisser – – Teufel, wie heißt doch der Bengel gleich? Major, Er hat das Schreiben ja gelesen!« »Wachtmeister Roller,« antwortete der Aufgeforderte. »Roller, ja; also daß ein gewisser Wachtmeister Roller in der Gegend zwischen Merseburg, Halberstadt und da herum sein – – – Donnerwetter, da geht es wieder los; das muß man sich gefallen lassen. Hört!« »Ich kenne ein Amphibium, Heißt Redakteur und ist nicht dumm. Im Tintenfasse schwimmt das Thier, Frißt Federn, Schreib- und Druckpapier, Hat eine Zunge, spitz und scharf, Und quakt, was man nicht quaken darf. Drum bringt den Herrn Amphibius Das Quacken öfters in Verdruß, Wobei es hier und da gelingt, Daß man ihn auf das Trockne bringt. Denn tritt er in der Setzerei Etwas zu stark aufs Schiff, So stürzt ein Paragraph herbei Und sorgt für bessern Schliff.« »Fertig? Also nun kann ich fortfahren. Der Oberst Ravenau schreibt mir, daß sich da ein Wachtmeister Roller herumtreibe, bald als Brillmann, bald als Bänkelsänger oder Scheerenschleifer, bald als sonst etwas. Was das für einen Zweck hat, kann sich Jeder denken, und ich möchte mir den Kerl da draußen denn doch einmal in Augenschein nehmen. Was meint Er, Major?« »Ein gewöhnlicher Schleifer hat diese Verse nicht gemacht, so viel ist sicher, Durchlaucht. Sie stammen nicht blos von einem witzigen, sondern auch von einem gewandten und erfahrenen Kopfe – – ah, noch eine Strophe!«
»Herr Müller und Frau Müller sind Zuweilen sehr konträr gesinnt. Er liebt den Skat; sie haßt das Spiel, Er schweigt gern und sie plappert viel, Er ist ein Feind von Tand und Putz, Und sie hälts mit dem Federstutz. Der Frau gebührt natürlich Recht; Sie ist das schönere Geschlecht. So war es schon zu Adams Zeit, So bleibt es auch in Ewigkeit. Und fehlt dazu dem Grobian Der richtige Begriff, Schafft sie sich einen Hausfreund an Und sorgt für bessern Schliff!« Ein schallender Beifall war der Lohn für den Vortrag dieses Liedes. Auch in der Bude stimmte man ein, und nur die Offiziere verhielten sich zurückhaltend. Auf einen Wink des Fürsten erhob sich der Jüngste von ihnen und trat hinaus vor die Bude zu dem Schleifer. »Hat Er einen Augenblick Zeit?« Der Gefragte sah ihn forschend an. »Warum?« »Da drinnen am hintersten Tische sitzen einige Männer, die Ihn gern sehen möchten, weil Er so schöne Lieder singen kann.« »Werde gleich kommen!« Seine Haltung und seine Ausdrucksweise verriethen dem Auge des Kenners allerdings eine nicht vollständig zu verbergende militärische Schulung. Er schliff das Messer, welches er in der Hand hielt, vollends fertig und trat dann in die Bude, wo er der Wirthin begegnete. »Wer sind die Leute da hinten?« frug er sie. Sie kannte ihn jedenfalls schon und nickte ihm aufmunternd zu. »Sehr vornehme Leute, da wird es ein Gläschen Guten geben. Der Eine, der mit dem schwarzen Zwickelbarte, ist der Herr Bergamtmann, der erst eine halbe Stunde hier ist und bereits die dritte Flasche hat.« »Bergamtmann? Sehe nicht viel Vornehmes daran,« antwortete er.
Sie warf ihm ob dieser Rede einen sehr vernichtenden Blick zu, er aber beachtete denselben gar nicht und schritt nach dem ihm bezeichneten Tische. Leopold wandte sich ihm zu. »Er ist der Schleifer von da draußen?« »Ja.« »Woher hat Er seine Lieder?« »Die mache ich mir selber.« »Und die Melodie dazu?« »Auch.« »Kreuzelement, da ist Er ja ein ganz verdammt gescheidter Kerl!« »Ist auch nicht zu verwundern!« »Wie so?« »Habe viel Schule genossen. Sollte studieren.« »Kam aber nicht bis an das Gehirn, sondern nur bis an das große Maul!« »Oho! War bereits bald fertig, da wurde das Geld alle, und ich mußte aufhören. Aber dichten und musiziren kann ich dennoch wie sonst Einer.« »Heda, Wirthin!« Die ehrbare und lobesame Wittwe Veronika Salzmeierin kam herbeigeschnippt. »Was gebieten der gestrenge Herr Bergamtmann?« »Eine Flasche für Den da, aber hinaus an den Karren!« Sie knixte erst, und dann schnippte sie eiligst davon. »Danke, Herr Amtmann!« meinte der Schleifer. »Wo ist Er denn eigentlich zu Hause?« »In Treptow.« »So so!« »Hat Er Seinen Schein bei sich?« »Ja.« »Zeige Er ihn einmal heraus!« Der Schleifer brachte seine Legitimation aus dem Wammse und gab sie dem Fürsten. Dieser buchstabirte sie zusammen. Seine Miene verrieth einige Bedenklichkeit. »Dieser Ausweis ist doch nicht in Treptow, sondern in Merseburg ausgestellt worden!« »Die ursprüngliche Legitimation ist mir verloren gegangen, und da hat man mir an ihre Stelle diese hier gegeben.«
»Ach so! Aber der Verlust der ersteren müßte doch hier bemerkt sein!« »Das verstehe ich nicht. Vielleicht ist diese Bemerkung vergessen worden.« »Möglich. Doch kann er dadurch in Verlegenheiten verwickelt werden.« Er hätte vielleicht noch etwas hinzugefügt, aber es hatte sich ein Mann herbeigedrängt, der dem Schleifer die Hand auf die Achsel legte. »Nicht wahr, Er ist der Schleifer?« »Ja.« »Hier ist der Brief, den Er zu besorgen hat. Bezahlt ist Er wohl bereits?« »Ja. Werde ihn gut besorgen.« Der Mann entfernte sich und Leopold frug nun weiter: »Hat Er Seine Lieder nur im Kopfe oder auch auf Papier geschrieben?« »Was ich selber dichte, brauche ich doch nicht etwa niederzuschreiben!« »Wohin wird Er von hier aus gehen?« »Vielleicht nach Querfurt; da ist in ein paar Tagen auch Jahrmarkt.« »So! Na, da will ich Ihm gute Geschäfte wünschen. Jetzt kann Er gehen.« Kaum war der Schleifer fort, so berichtete der Major, welcher neben Leopold saß: »Durchlaucht kannten den Mann, welcher den Brief brachte?« »Nein. Wer war er?« »Ein Diener des Grafen Johann Georg der Dritte von Mansfeld.« »Ah! Etwa gar heimliche Intriguen des Grafen! Aber es kann ja auch eine Privatsache des Dieners betreffen.« »Dann hätte er ihn gekannt und nicht erst gefragt, ob er der Schleifer sei.« »Das ist richtig.« »Dann hätte er sich auch anders ausgedrückt und nicht gesagt: Hier ist der Brief, den Er zu besorgen hat!« »Das ist wieder richtig.« »Und dann hätte der Brief wohl auch ein anderes Siegel und eine andere Adresse gehabt. Ich habe Beides zwar flüchtig aber
genau gesehen.« »Was für ein Siegel war es?« »Das des Grafen.« »Ah! Und die Adresse?« »War diejenige des Herzogs von Sachsen-Merseburg.« »Donnerwetter! Ists wahr?« »Ich weiß genau, daß ich mich nicht geirrt habe.« »Dann ist irgend eine Teufelei dabei im Spiele. Diese Grafschaft Mansfeld ist nicht mehr selbstständig; sie steht unter brandenburgischer und sächsischer Sequestration, und der Graf erhält blos die Einkünfte des Bornstädtischen Amtes. Man weiß von sächsischen Umtrieben, denen der Graf nicht fern steht, und dieser Merseburger Herzog ist ein Filou, der sich freuen würde, uns einen Streich zu spielen. Ah, ich werde diesem Schleifer doch einmal auf die Finger sehen, und wehe ihm, wenn sie schmutzig sind. Was meinen die Herren, wie man das anfängt?« »Es müßte sehr im Geheimen geschehen,« antwortete der Major. Während er noch sprach, kam die Wirthin herbei und berichtete mit einem tiefen Knixe: »Gestrenger Herr Bergamtmann, der Schleifer läßt sich noch einmal für den Wein bedanken.« »So? War nicht nothwendig!« »Vielleicht, weil er jetzt fortgeht.« »Er geht fort?« »Ja. Er hat alle Scheeren und Messer, die er noch zu schärfen hatte, zurückgegeben und sich auf den Weg gemacht.« »Wohin?« »Nach Eisleben zu.« »Gut. Ich danke Ihr!« Sie knixte tief und schnippte davon. Der Fürst wandte sich an den Lieutenant: »Höre Er, diesen Schleifer übergebe ich Ihm. Wir haben denselben Weg mit ihm. Mache Er sich jetzt auf und reite Er so hinter ihm her, daß er nichts merkt. Er läßt ihn nicht aus dem Auge, bis wir nachkommen. Verstanden?« »Zu Befehl, Durchlaucht!« Der Offizier entfernte sich. Nach einer Viertelstunde verließen auch die Andern die Bude. Der sonst so sparsame Leopold berichtigte die ganze Zeche.
»Also merke Sie es sich,« meinte Er zur Wirthin. »Wenn ich eine Bergamtmännin brauche, so komme ich zu Ihr!« »Viel Ehre, sehr viel Ehre, gnädiger Herr!« »Wenn ich Sie aber nun nicht mehr ledig finde?« »O, ich warte; ich warte so lange, bis Ihr kommt.« »Darauf verlasse ich mich auch, denn unter zwanzig bis fünfundzwanzig Jahre wird es wohl nicht dauern, bis ich komme!« Sie machte ein höchst erschrockenes Gesicht, er aber trat aus der Bude mit einer Miene, in welcher man seine Freude über diese Enttäuschung erkennen konnte. In einiger Entfernung vor dem Dorfe gab es seitwärts von der Straße eine kleine Waldwiese, auf welcher mehrere Reitknechte mit Pferden standen. Die Herren waren hier im Verborgenen abgesessen, um ihr Inkognito nicht zu gefährden. »Lieutenant Walther hier gewesen?« frug der Fürst. »Vor einer Viertelstunde,« berichtete der Knecht. Man stieg auf und verfolgte den Weg im scharfen Trabe, bis der Lieutenant erreicht wurde. »Wo ist der Schleifer, he?« »Da vor uns hinter der Straßenkrümmung.« »Hat Er sich sehen lassen?« »Nein. Ich habe das Terrain so benutzt, daß er mich nicht bemerken konnte.« »Dann vorwärts!« Der Schleifer hörte das Pferdegetrappel hinter sich und wandte sich um. Er verwunderte sich sichtlich, die Herren auf militärisch aufgeschirrten Pferden zu sehen. »Was? Er hier!« meinte der Fürst erstaunt. »Ich denke, Er hatte da oben sehr viel zu arbeiten?« »Die Leute wollten nicht viel zahlen, darum bin ich fort.« »Das mache Er mir nicht weiß! In Seinem Geschäfte wird nicht abgehandelt. Er hat erhalten was Er verlangte. Ich meine, es gibt einen andern Grund, weshalb er den Ort so rasch verlassen hat.« »Den möchte ich wissen! Es kann Andern überhaupt ganz gleichgiltig sein, ob ich bleibe oder gehe. Es gefiel mir nicht mehr, und damit basta!« »Und damit gar nicht basta, Er Himmelelementer! Mir zum Beispiel ist das, was Er thut, ganz und gar nicht gleichgiltig. Er ist nur deshalb so schnell von da oben fort, weil Seine Fixfaxerei mit
dem Grafen abgethan ist!« »Mit dem Grafen?« »Thue Er nicht unschuldig, sonst klatsche ich Ihm Seine Heimlichkeit um die Ohren, verstanden! Wo ist der Brief, den Ihm der Diener des Grafen brachte?« »Das war kein Diener irgend eines Grafen.« »Mensch, lüge Er nicht! Heraus mit dem Briefe!« »Der gehört nur mir. Ihr als Bergamtmann habt mir überhaupt gar nichts zu befehlen. Ich mache was ich will.« »Schön, sehr schön von Ihm!« meinte Leopold mit einem gefährlichen Lächeln. »Wer hat Ihm denn gesagt, daß ich ein Bergamtmann bin?« »Die Wirthin.« »Die ist dumm und Er noch zehnmal dümmer! Ein Wachtmeister Seiner schwedischen Majestät sollte sich von einem Weibsen nicht foppen lassen. Aha, Er erbleicht! Habe ich den Nagel getroffen?« »Was meint Ihr da mit dem Wachtmeister?« »Weg mit den Faxen, Kerl! Der Dessauer läßt sich von einem Wachtmeister Roller nicht an der Nase führen!« Der Mann wurde noch bleicher als vorher. »Wer seid Ihr? Der Fürst Leopold von Dessau?« »Ja, wenn Er nämlich nichts dagegen hat. Komme Er einmal mit seinem Karren hier seitwärts in den Wald herein!« »Warum?« frug der Mann trotzig. »Warum? Weil ich es Ihm befehle, Er Himmelhund! Vorwärts, sonst helfe ich nach!« Der Schleifer blickte sich um, machte einen Sprung zwischen den Offizieren hindurch und wollte entfliehen. Da riß Leopold sein Pferd in die Höhe, setzte ihm nach und ritt ihn einfach über den Haufen. »Ich werde Ihm lehren auszureißen! Bindet ihn und schafft ihn nebst seinem Karren unter die Bäume. Wir wollen es nicht an die große Glocke schlagen, daß der berühmte Schleifer gefangen wird. Die Sachsen und Schweden brauchen es nicht zu hören!« Diesem Gebote wurde schnell Folge geleistet. Die Herren zogen sich mit ihrem Gefangenen so weit unter die Bäume zurück, daß die zu erwartende Verhandlung von einem zufällig Vorübergehenden weder gesehen noch gehört werden konnte.
»Jetzt nehmt ihm einmal ab was bei ihm zu finden ist!« Der Major untersuchte die Taschen des Schleifers und brachte zunächst einige Zettel zum Vorscheine, auf welchen Gedichte standen. »Was ist das, Major?« »Schleiferlieder sind es.« »Ah! Ist das auch dabei, welches Er vorhin gesungen hat?« »Ja.« »Sieht Er es, Er Hallunke, daß Er mich vorhin belogen hat! Wird Er mir wohl sagen, wer Er ist, he?« »Durchlaucht haben ja meine Legitimation gesehen!« »Unsinn! Ich frage Ihn, ob Er eingestehen will, daß Er der Wachtmeister Roller ist. Wir haben keinen Krieg, und wenn Er auch die Gegend ausgekundschaftet hat, so werde ich ihn dennoch nicht als Spion betrachten. Seine Vorgesetzten haben es Ihn geheißen, und Er hat gehorchen müssen. Na also!« Der Gefragte schwieg verlegen. »Wenn Er fortfährt mich zu belügen, so lasse ich Ihn durchpeitschen. Stöcke wachsen hier genug. Gesteht Er es aber, so kann Er wählen: Entweder bleibt Er einen Monat als Kriegsgefangener bei mir und kann gehen, wohin es Ihm beliebt, oder Er tritt in Seiner gegenwärtigen Eigenschaft als Wachtmeister in preußische Dienste. Also, ist Er der Roller oder nicht?« »Zu Befehl, Durchlaucht; ich bin es.« »Gut! Wer hat diese Lieder gemacht?« »Der Herr Lieutenant von Seeström.« »Donnerwetter, der Kerl kann doch Alles! Sie waren wohl extra für Ihn gemacht, damit Er den Schleifer richtig spielen könne?« »Ja.« »Und was war seine Aufgabe?« »Diese Gegend zu durchforschen, ob die Bevölkerung preußisch oder sächsisch gesinnt ist.« »Nun, wie hat Er es gefunden?« »Man hält es mehr mit Sachsen.« »So mag der Teufel die ganze Gegend holen! Und Pläne hat Er wohl auch gezeichnet?« »Ja.« »Wo sind sie?« »Im Schleifkarren, hier in dem verborgenen Kästchen.«
»Heraus damit!« Der Major öffnete das Schubfach, welches ein Fremder wohl schwerlich an diesem Orte vermuthet hätte, und gab die Pläne dem Fürsten hin, der sie prüfte. »Er ist doch ein ganz verdammter Kerl! Diese Arbeiten sind ausgezeichnet. Er soll es gut haben, wenn Er sich entschließt, zu uns überzugehen. Mit seinem Schwedenkönige bleibt es nicht so stehen, wie jetzt; das kann ich Ihm sagen. Und nun der Brief des Grafen von Mansfeld?« »Im Westenfutter.« Er wurde hervorgeholt, und der Fürst öffnete ihn. »Wie kommt Er zu dem Grafen?« »Der Herzog von Merseburg gab mir einen Brief an ihn mit auf den Weg.« »Den hat Er abgegeben?« »Ja. Das hier ist die Antwort.« »Das ist ja eine richtige deutliche Kanzleihand. Man weiß, daß der Graf wie gedruckt schreiben soll. Das ist aber auch alles, was er kann. Will einmal sehen, was er schreibt!« Der in hübscher deutlicher Handschrift verfaßte Brief lautete folgendermaßen: »An meynen vielliewen Bruder, Hertzogen zu Sachßen-Merzeburg, zu üwergewen durch Dießem hier. Auff Ewer werthen Anffrag von wegen dere Sequestrazzion bien Ich bereitt, deß Näheren zu vernehmen und unter den erffahrene Bedingnißen auff Ewer Vorschlägg einzuhalten, maßen Ich weiß, daß ich Mir von Sachzen deß Besserem zu versehen hawe als von dießem Preußen. Schreibt mir also deß Baldigen wiedder. Von Erfforderniß der Mamßell Anna von Boberfeld bien ich allerdinge der eintzige Verwantte, dene Selwige annoch besizzen mag, abber sindt so vielle Stuffen derenzwischen, daß mann wohlen sehr schwehr findten möchte, welchem Grad dieße Verwanttschafft angehören möchte. Gebe allßo gern meyn Permiß zu deren Heyrath mit deme Obrißten von Börjesson, maßen ich Seyner Mayestät von Schwedten gern
rekommandirret bien. Daß Auffseheramt zu Eißleben hat bereidts Meyn Klagen üwer diesem Leopoldten von Anhalt empfangen, wasmaßen Ich auf Sonntag nach Merßeburg kommen werdte, um mit Euch zu berathen, auff welch Weisen Wier diesen Uewermuth demühtigen und auch Euch zu dem Eurigen zu verhelffen vermöggen. Damiet Gott beffohlen, obgleych daß Einkomm vom Amdte Bornstädt bey dieße Theyrung faßt nimmer zureichen mag. Meines Herrn Hertzogen Bruder und Freundt Johann Georg III., Graff zu Mannsfeldte.«
Leopold hatte diese Zeilen nicht laut gelesen; aber daß sie ihn erzürnten, konnten die Umstehenden an seinem Gesichte sehen. Nun aber donnerte er los: »Also so schreiben die heiligen Apostel Matthäus, Markus, Lucius und Sankt Paulum? Solche saubere Geschichten haben diese Herren im Kopfe? Ueber den Leopold wollen sie herziehen? Kreuz-Mohrenelement, das soll ihnen versalzen werden! Ich werde zwischen ihnen hineinfahren wie damals die Sau unter die – oder vielmehr wie damals die Teufel unter die Säue der Gir – Gir – Gir – Girgendorfer, oder wie die Leute hießen!« »Und eine Verschwörung wollen sie machen gegen die kurbrandenburgische Sequestration?« fuhr er nach einer Pause fort. »Ich werde ihnen den Sequest um die Nase wischen, daß sie niesen sollen bis zum jüngsten Tage! Dem schwedischen Karl will er sich rekommandiren? Werde ihm zeigen, daß ich auch rekommandiren kann, mit dem spanischen Rohre nämlich! Und was ist denn das mit Der von Boberfeld? Die soll an den Schweden Börjesson verschachert werden? Die Boberfeld, welche länger und stärker sein soll als ein Flügelmann? Die kriegt keinen Andern als einen Offizier von meinem Regimente. Wir brauchen große Weiber, wenn wir große Rekruten ziehen wollen. Habe sie in Dresden gesehen, sie ist ein Prachtweibsen, und mir soll beim Teufel kein Schwede wagen, sie mir wegzuschnappen! Kennt Jemand von den Herren die Anna von Boberfeld?« Fast Alle bejahten. »Ihr Vater hat mit mir bei Namür, Kaiserswerth und Venloo gefochten, und als er vor Stephanswerth an meiner Seite starb, da
bat er mich, an seine Tochter zu denken. Er hatte zwar in seinem Testamente den von Sachsen-Merseburg zum Vormunde bestimmt, aber dies nachher bereut, und ich denke, daß ich es ihm schuldig bin, seine Tochter nicht so elend verschachern zu lassen. Weiß Jemand wo sie ist?« »Durchlaucht,« antwortete der Major, »ich glaube, daß sie sich jetzt in Allstädt befindet. Das ist eine ihrer vielen Besitzungen, deren Einkommen der Merseburger in seine Tasche steckt.« »Werde ihm einmal auf diese Tasche klopfen! Muß so wie so zum Schweden hinunter. Ihr wißt es ja, weshalb. Müssen eine kleine Demonstration unternehmen, damit diesem kleinen Könige die Lust vergeht, die Verhandlungen in die Länge zu ziehen. Hm, Saperlot, kommt mir da ein Gedanke, ein lustiger famoser Gedanke. Höre Er, Roller, wozu wird Er sich entscheiden: will Er Wachtmeister oder Gefangener sein?« »Desertion, Durchlaucht!« »Papperlapapp! Ist Er durchgebrannt? Ist Er freiwillig vom Regimente gelaufen? Er kann ja annehmen und sagen, daß ich Ihn mit Gewalt unter meine Buntröcke gesteckt habe, ich habe ja dazu das Recht. Verstanden? Na, entschließe Er sich!« »Gut, ich trete über.« »Schön! Aber das sage ich Ihm, daß ich Ihn Spießruthen laufen lasse bis Er krepirt, wenn Er Miene macht fortzugehen. Hier hat Er sein Handgeld und meinen Hut auf Seinen Schädel. Lege Er Seine Hand in meine Patsche und schwöre Er, was ich Ihm vorsage!« Der Wachtmeister that wie ihm geheißen wurde, obgleich er noch gefesselt war. Der Fürst sagte ihm den Schwur vor. »Wie ist Sein vollständiger Name?« »Ich habe nur einen Vornamen: Jakob Roller.« »Aus?« »Aus Dresedow.« »Also ein Pommer! Schwöre Er: Ich, Jakob Roller aus Dresedow in Pommern – –« »Ich schwöre: Ich, Jakob Roller aus Dresedow in Pommern –« »Bisher Wachtmeister in der Kavallerie des Königs Karl von Schweden – –« »Bisher Wachtmeister in der Kavallerie des Königs Karl von Schweden – –« »Mag von diesem Himmelhunde von heute an nichts mehr
wissen – –« »Mag von diesem – – Himmelhunde von heute an nichts mehr wissen – –« »Und trete also hiermit in den Dienst Seiner Majestät des Königs von Preußen über.« »Und trete also hiermit in den Dienst seiner Majestät des Königs von Preußen über.« »Ich gelobe in die Hand meines nächst obersten Kriegsherrn – –« »Ich gelobe in die Hand meines nächst obersten Kriegsherrn – –« »Fürst Leopold von Anhalt-Dessau, Generales der Infanterie – –« »Fürst Leopold von Anhalt-Dessau, Generales der Infanterie – –« »Daß mich der leibhaftige Teufel holen soll – –« »Daß mich der leibhaftige Teufel holen soll – –« »Wenn es mir beikommen sollte, von meiner neuen Fahne zu desertiren.« »Wenn es mir beikommen sollte, von meiner neuen Fahne zu desertiren!« »Amen!« »Amen!« »So, nun ist Er mein. Und das Wetter soll Ihn treffen, wenn Er sich Fissimatenten erlaubt; denn ich sage Ihm, der Teufel, der Ihn dann holt, den mache ich selbst! Nehmt ihm die Stricke fort. Er ist nun mein Soldat und soll frei sein.« Der Wachtmeister wurde von seinen Banden befreit, und dann frug der Fürst: »Wem gehört die Karre? Hat Er sie bezahlt?« »Nein. Der Herzog von Merseburg hat sie mir versorgt.« »Den werde ich bekarren, daß Er an mich denken soll! Ich werde sein Schleiferlied lernen, und Er hat mir dabei zu helfen. Den Karren bringe ich dem Herzog selber zurück.« Er hob den Karren in die Höhe und schob ihn eine Strecke fort. »Es wird gehen, ganz prachtvoll. Jetzt spanne Er sich vor. Wir reiten über Hettstedt nach Aschersleben, und Er folgt uns nach. Ich lasse zwei Reitknechte bei Ihm, die mit ihrem Kopfe für Ihn haften. Sie haben Pistolen mit. Merke Er sich das!«
Die Herren stiegen zu Pferde und verfolgten ihren Weg weiter. Ihnen nach trollte der Schleifer, von den zwei Knechten zu Fuße begleitet. Er wäre ihnen wohl schwerlich entkommen, wenn ihn die Lust zur Flucht angewandelt hätte. Es war einige Tage später, und zwar an einem Sonnabende. Jungfer Zeißig, die Wirthschafterin des Rittergutes Allstädt, hatte sehr viel zu schaffen. Der Sonnabend ist der Tag der wöchentlichen Reinigung. Auch heute sollte geputzt und gescheuert werden, aber es war zum Verrücktwerden, daß die nothwendigen Hände dazu fehlten. Es gab nämlich auf Feld und Wiese eine solche Arbeit, daß alle vorhandenen Knechte und Mägde dabei betheiligt werden mußten. Mit Getreide oder Heu hochbeladene Wagen wankten hinter einander durch das Thor herein, auf die geräumigen Scheuern zu, und Jungfer Zeißig lief aus einer Stube in die andere und ärgerte sich zum Zerplatzen, daß noch nirgends gescheuert war und überall der Staub auf Tischen und Stühlen lag. Nur in den Zimmern der Herrin war gesäubert worden. Dort gab es nämlich ein Stuben- und ein Kammermädchen, und diese beiden hatten dafür gesorgt, daß Alles blitzeblank aussah. Konnte Jungfer Zeißig sich dies gefallen lassen? Nein. Sie ging hinauf zu der Herrin, stemmte die Arme in die Seiten und meinte, sich einige Male um ihre Achse drehend und dabei die Möbel besichtigend: »Ja, das lasse ich mir gefallen, gnädiges Fräulein! So muß es sein; hier gibt es Ordnung und Sauberkeit. Aber unten bei mir, da sieht es noch aus grad wie in Polen, wie mein Seliger immer sagte.« »Da muß Sie sich gedulden, meine gute Jungfer Zeißig,« antwortete Anna von Boberfeld. »Die Leute haben keine Zeit, aber am Spätnachmittage werden sie fertig sein.« »Das ist es ja eben! Wenn ich am Spätnachmittage erst anfange, kann ich ja gar nicht fertig werden, selbst wenn ich bis tief in die Nacht hinein scheuern lasse. Es ist ein Kreuz und ein Elend. Im Winter sitzen die Leute Haufenweise da und haben nichts zu thun, im Sommer aber, zumal zur Erntezeit, weiß man vor Arbeit weder aus noch ein und kann doch keine Leute kriegen. Das ist eine Wirthschaft gerade wie in Polen, wie mein Seliger immer sagte. Sie könnten helfen, gnädiges Fräulein!« »Wie so?« »Wenn Sie mir das Kammermädchen und das Stubenmädchen für einige Stunden ablassen wollten.«
»Ah! Ich habe Ihr doch bereits oft gesagt, meine gute Jungfer Zeißig, daß dies nicht geht.« »Es geht schon, wenn Sie nur wollen gnädiges Fräulein.« »Nein, es geht nicht. Die Beiden haben bei mir zu thun. Die Eine ist eben über dem Plätten, und die Andere näht an der Garderobe.« »Ist das denn heut so nothwendig?« »Ja. Und überdies habe ich die Mädchen nicht für den Stall oder für die Wirthschaft gemiethet. Sie sind ausschließlich nur zu meiner Bedienung da und würden sich sehr wundern, wenn ich ihnen zumuthete, die Gesinderäume zu scheuern.« »O, dazu sind sie auch nicht zu gut! Aber ich weiß schon, sie bilden sich ein, mehr zu sein als die andern, das Näschen steht ihnen hoch, und der Hochmuthsteufel steckt ihnen im Leibe. Da kann man ihnen freilich nicht zumuthen, eine Treppe tiefer zu steigen und zu uns Plebs herunter zu kommen. Das ist eine Wirthschaft gerade wie in Polen, wie mein Seliger immer sagte. Ich werde am Ende noch selber scheuern müssen! Dann aber laufe ich auf und davon, und wer bleibt dann übrig zum Wischen und Putzen? Das Kammer- und Stubenkätzchen. Und wenn die nicht wollen, so müssen das gnädige Fräulein endlich selber scheuern, melken und ausmisten. Es ist ein Kreuz und ein Elend hier auf Allstädt!« Damit ging sie zur Thür hinaus. Unten begegnete ihr ein Soldat, welcher am Thore abgestiegen war und sein Pferd dort angehängt hatte. »Ist das gnädige Fräulein von Boberfeld zu sprechen?« Ihr Gesicht heiterte sich bei seinem Anblicke außerordentlich schnell auf. »Ihr seid es, Herr Korporal? O, das ist doch einmal eine Erholung in all diesen Jammer und dieses Elend hinein.« »Hat Sie denn schon wieder einen Jammer erlebt?« »Wie, nur von einem einzigen Jammer redet Ihr? Zwei, drei, fünf, zehn, zwanzig Jammers habe ich; unzählige Jammers erlebe ich täglich! Denkt Euch nur: es ist bereits zwei Uhr, und ich habe noch nicht mit dem Scheuern anfangen können!« »Das ist allerdings sehr schlimm!« »Blos schlimm? Das langt noch lange nicht! Fürchterlich ist es, schrecklich sogar ist es!« »Ja, Sie hat gar zu viel auf Ihren Schultern liegen. Als Frau
Korporalin hätte Sie es bedeutend besser!« Sie schlug verschämt die Augen nieder. »Frau Korporalin, oh, das hat einen Klang, einen Klang wie, wie – wie, wie ein Waldhorn oder eine Trompete! Aber wo wäre denn mein Korporal?« »Wo? Hier steht er, meine schöne Jungfer Zeißig!« »Hier? Ihr wäret es? Ihr wollt mich nur ein wenig zum Narren halten, nicht?« »Bewahre! Ich rede die reine Wahrheit, aber natürlich nur unter gewissen Umständen.« »Darf man diese Umstände erfahren?« »Warum nicht! Sie weiß, daß mein Herr, der Oberst Börjesson Ihr Fräulein lieb hat. Sie scheint nicht ganz einverstanden zu sein, und leider habe ich den Schwur gethan, nur mit meinem Obersten zu heirathen. Dann wird er General und ich werde Feldwebel oder gar Lieutenant. Das wäre ein Leben!« »Oh mein Gott, wie schön, wie prächtig, wie herrlich, wie entzückend!« »Nicht wahr? Aber mein Oberst wird nie heirathen, wenn er das Fräulein von Boberfeld nicht bekommt, und dann muß ich meinen Schwur halten und ledig bleiben.« »Ist das so nothwendig?« »Natürlich! Ein Schwur, bedenke Sie, der hat gar viel zu bedeuten!« »Ach, das ist traurig! Das ist ja eine Wirthschaft, grade wie in Polen, wie mein Seliger immer sagte!« »Hat er das gesagt? Da hat er auch Recht gehabt. Sie weiß doch wie wir Schweden die Polen zusammengehauen haben, so daß ihr König in Altranstädt hat abdanken müssen. Aber sage Sie einmal: Sie hat einen Mann gehabt und wird doch Jungfer genannt?« »Jungfer Zeißig, geborene Linde,« ergänzte sie stolz. »Gut. Aber wie reimt sich das zusammen?« Sie erröthete züchtig und schlug abermals die Augen verschämt zu Boden. »Weil ich – weil ich noch – noch eine Jungfer bin.« »Ah!« »Ja. Ich kann es Euch zuschwören, mein Seliger war damals viel älter als ich. Er war ein Seiler und – und gab sich lieber mit seinen Stricken ab als mit mir.«
»Da ist er ja selber der allergrößeste Strick gewesen, den es gegeben hat. Er hätte sich ja gleich an sich selbst aufhängen können!« »Oh, das hat er auch gethan!« »An sich selbst?« »Nein; aber gehängt hat er sich. Ach, diesen Tag vergesse ich nie, nie, nie, Herr Korporal! Er zankte sich immer mit mir, obgleich ich ein Herz habe wie ein Lamm, und eines schönen Tages sagte er: ›Das ist ja eine Wirthschaft, grade wie in Polen!‹ Das waren seine letzten Worte. Er ging hinaus, und als ich später einen großen Lärm hörte und zum Fenster hinaussah, da hatte er sich draußen auf der Straße an die Hausthüre gehängt.« »Schauderhaft!« »Ja, schauderhaft; es schaudert mich noch heute, wenn ich daran denke! Das war nachher eine Wirthschaft, grade wie in Polen, wie mein Seliger immer sagte!« »Ein elender Tod! Aufhängen! Das kann auch nur ein Seiler machen. Unsereiner würde edler sterben.« »Edler sterben? In wie fern?« »Wenn ich mich wegen meiner Frau tödten wollte, so würde ich mich erschießen.« »Erschießen!« lispelte sie mit liebevollem Blicke. »Oh, das ist ein tapferer Tod, ein sehr ritterlicher Tod!« »Ja. Aber ich würde mich eben mit meiner Frau so gut vertragen, daß ich mich gar nicht zu erschießen brauchte.« »Natürlich! Man ist ja geduldig und liebevoll und verträglich. Man paßt ja zusammen, als ob man von den Tauben zusammengetragen worden wäre!« »Versteht sich! Wenn nur beim Teufel Ihr Fräulein mit meinem Obersten ein wenig freundlicher sein wollte!« »Ach ja. Wenn ich da nur helfen könnte!« »Das kann Sie.« »Aber wie, Herr Korporal?« »Wenn Sie ein wenig mit Intrigue spielt.« »O, das kann ich, darin habe ich ausgelernt, da bin ich erfahren wie keine andere.« »Habe es Ihr auch zugetraut.« »Nicht wahr? Ja, man hat auch so seine Kenntnisse und Fertigkeiten! Aber worin soll ich denn Intriguen spielen?«
»Gegen diesen Lieutenant von Seeström.« »Ach so! Ja, ich glaube, dem ist sie gut!« »Versteht sich! Aber dieses Gutsein muß man eben alle machen.« »Ich bin dabei, Herr Korporal. Aber wie kann man dies fertig bringen?« »Das weiß ich noch nicht, aber mein Oberst weiß es. Er wird Ihr schon die nöthigen Instruktionen geben, und wenn Sie diese ausführt, so ist es sehr leicht möglich, daß Sie Frau Korporalin, Frau Feldwebel und Frau Lieutenant wird.« »Oh, ich werde sie ausführen; darauf könnt Ihr Euch verlassen! Aber ist es denn auch wahr, Herr Korporal?« »Ja.« »Oh!« seufzte sie entzückt. »Frau Korporalin, Frau Feldwebel und gar Frau Lieutenant, verwittwete Zeißig, geborene Linde. Wann kommt Ihr Herr Oberst wieder einmal nach Allstädt?« »Heute, jetzt! Er ist bereits unterwegs, und ich bin vorausgeritten, um ihn dem gnädigen Fräulein anzumelden.« Da schlug sie die Hände erschrocken zusammen. »Herr, mein Heiland! Der Herr Oberst kommt, und es ist noch nicht gescheuert! O weh, das ist ja eine Wirthschaft gerade wie in Polen, wie mein Seliger immer sagte. Geht hinauf, Herr Korporal. Ich muß eilen, ich muß fliegen, ich muß mich sputen!« Sie rannte in die Küche und er stieg die Treppe zu der Herrin von Allstädt empor. Während dieses Gespräches schritten zwei Männer dem Gute zu. Es waren kräftige, aufrecht gehaltene Gestalten, die im Gleichschritte neben einander gingen, so exakt, als ob sie vor dem Dessauer exerzirten, der ja den Gleichschritt zuerst in seinem halberstädtischen Regimente eingeführt hatte. »Das ist Allstädt, Korporal?« frug der Eine. »Ja.« »Ob er bereits da ist?« »Abwarten!« »Verdammte Geschichte!« »Was?« »Wenn er uns sieht.« »Lassen uns eben nicht sehen. Müssen erst rekognosziren.« »Natürlich.«
»Wollte doch, es käme ihm einmal etwas in die Quere! Dann bissen wir ihn heraus und erhielten vielleicht Pardon.« »Der Teufel hole diesen verdammten Seeström!« »Warum?« »Ihr fragt noch warum? Sind wir nicht etwa wegen ihm fortgejagt worden wie alte Hunde, die keine Zähne mehr haben?« »Das ist richtig! aber muß man denn nun deshalb den Seeström zum Teufel wünschen? Er ist ein prächtiger Kerl. Daß er uns so gelöffelt hat, ist allerdings eine ganz vermaledeiete Geschichte; aber man muß Achtung vor ihm haben. So etwas bringt ein Anderer nicht gleich fertig. Aber diesen Feldwebel Baldauf, den mag der Teufel zur Hölle reiten! Gibt sich für einen Hausknecht aus, führt mich an der Nase herum und haut mir nachher gar Eins über den Kopf, daß ich niederplumpse wie ein Sack.« »Ist er es denn auch wirklich gewesen? So ein Hieb sieht mehr nach Seeström aus!« »Mir egal. Er war mit dabei, und wenn ich ihn zwischen meine Finger kriege, quetsche ich ihn wie eine Citrone aus oder zerschnitze ihn zu Gurkensalat!« »Es wäre am Ende besser wir gingen zu den Schweden!« »Warum, Er Elementer?« »Nun, hat uns der Dessauer nicht fortgejagt, uns alle fünf, weil wir den Kronprinzen gefangen haben und ihm nachher der Junker entwischt ist.« »Ja, das hat er, aber muß man nun da gerade durch Dick und Dünn zu den Schweden rennen, he? Hat Er keine Ehre und Ambition im Leibe? Mich, den Korporal Waldow kann der Leopold tausendmal fortjagen, ich bleibe ihm dennoch treu. Er ist ein ganz verfluchter Grobian und schüttet das Kind zuweilen mit dem Bade aus, das ist wahr; aber wenn die Hitze verflogen ist, dann ist er wieder der beste Kerl, den es nur geben kann. Und Er will zu den Schweden? Jetzt wo der Teufel den Fürsten reitet, daß er partout nach Allstädt und Merseburg will, und zwar inkognito, wie sie lateinisch sagen, das heißt zu deutsch als Scheerenschleifer?« »Wißt Ihr es denn gewiß?« »Ja. Der Wachtmeister Roller, den er neu angeworben hat, hat es mir gesagt. Er hat ihn das Schleifen und auch das Lied dazu lehren müssen.« »Möchte dabei gewesen sein!«
»Ja, ist auch schön dabei zugegangen. Der Fürst hat etliche fünfzig Messer verschliffen, etliche dreißig Scheeren ruinirt und das Lied doch nicht in den Kopf gebracht. Singen kann er nicht, denn der Herrgott hat ihm seinen Bärenbaß gerade nur zum Kommandiren gegeben, und die achtundneunzig Zeilen, welche das Lied hat, mengt er wie Kraut und Rüben unter einander. Aber er hat sich von seinem Vorhaben nicht abbringen lassen; er ist eben ein Eisenkopf, der Alles thut, was er sich einmal vorgenommen hat. Wenn er anfängt zu schleifen und zu singen, so müßte es mit Erbsen zugehen, wenn sie ihn nicht erkennen und festhalten.« »Festhalten?« »Natürlich!« »Es ist doch kein Krieg!« »Ihm fehlt wahrhaftig ein ganzes Rad von Verstand. Es ist wahr, der Preuße verhandelt mit dem Schweden; aber das ist auch eine Verhandlung die keinen Dreier werth ist. Ich sage ihm, Krieg gibt es allemal. Durch die Verhandlung kann er nur auf einige Jahre oder Monate hinausgeschoben werden. Wird man aber über gar nichts einig, so bricht er sofort los. Darum rüstet der Sachse im Stillen, trotz des Altranstädter Friedens, darum hält der Schwede seine Leute schlagbereit, und darum stellt auch der Preuße seine Buntröcke heimlich an die Grenze, so daß sie in einem einzigen Tage in Merseburg sein können. Und wie ich den Dessauer kenne, so ist er nicht so in das Blaue hinein als Schleifer in diese Gegend gegangen. Er weiß, welche Gefahr er dabei läuft und hat sich sicher einen Hinterhalt für den Fall gelegt, daß sie ihn ertappen und bei der Parabel nehmen wollen. In Allstädt ist er sicher, denn die Besitzerin ist eine Tochter des Majors von Boberfeld, unter dem ich in den Niederlanden gekämpft habe. Er war mit dem Leopold ein Herz und eine Seele; das weiß sie, und darum wird sie ihm nichts Uebles zufügen.« »Und der Kronprinz?« »Der ist auch so ein Tausendsapperloter. Ich glaube, er ist auch inkognito zu den Schweden oder nach Merseburg, und es sollte mich Wunder nehmen, wenn ich mich täuschte. Warum hat er sich in Halberstadt bei meinem Gevatter Schneider einen gewöhnlichen Anzug und bei einem Tischler einen Kasten machen lassen, wie ihn die Tabuletkrämer brauchen? Das kann wenn er erkannt wird eine ganz heillose Geschichte werden!«
»Hier ist das Thor!« »Ja. Spioniren wir zuerst!« Sie blieben am Thore halten, von welchem aus sie den ganzen weitläufigen Hof zu übersehen vermochten. »Ich sehe keinen Schleifer,« meinte der Korporal Waldow. »Und auch keinen Karren,« fügte sein Gefährte hinzu. »Er ist noch nicht da.« »Was machen wir?« »Er kommt jedenfalls. Dort guckt ein Weibsbild aus dem Fenster. Vorwärts, hin zu ihr!« »Seid nur höflich, Korporal!« Der Angeredete warf dem Sprecher einen sehr verweisenden Blick zu. »Bin ich etwa nicht immer höflich, he?« »Hm!« machte der Andere, zog es aber vor, sich nicht weiter auszusprechen. Der gute Korporal war gegen seine Untergebenen zuweilen wohl etwas Anderes gewesen als höflich. Er meinte in überlegenem Tone: »Werde Ihm gleich zeigen, wie galant ich sein kann. Dieses Weibsen ist eine alte, halb verrostete Schachtel, aber ich werde sie dennoch mit ›Jungfer‹ anreden, denn so etwas hören die Frauenzimmer gern, selbst wenn sie neunzig Jahre zählen, und zwanzig Männer unter die Erde geärgert haben.« Sie stiegen über den Hof hinweg bis an das Fenster, aus welchem die Wirthschafterin ihnen entgegenblickte. »Guten Tag, Jungfer!« grüßte er, indem er den Dreispitz lüftete. »Guten Tag,« entgegnete sie freundlich. Er hatte sie mit seiner Anrede sofort gewonnen. »Was wollt Ihr hier?« »Nicht wahr, dieses Rittergut heißt Allstädt?« »Ja.« »Und gehört dem gnädigen Fräulein von Boberfeld?« »Ja.« »Ihr seid gewiß das gnädige Fräulein selbst, nicht wahr, Jungfer?« Sie lachte vor Entzücken am ganzen Gesichte. Der Korporal verstand es doch nicht so schlecht, sich die Gunst eines weiblichen Herzens im Sturmschritte zu erobern. »Nein. Das gnädige Fräulein bin ich zwar nicht, aber die Wirthschafterin.«
»Thut nichts, denn das ist ja beinahe eben so viel. Darf man Euern Namen wissen?« Sie nickte freundlich lächelnd. Er nannte sie nicht Sie sondern Ihr, und das that ihrer nach Sympathie verlangenden Seele wohl. »Jungfer Zeißig, geborene Linde.« Der Korporal beherrschte sich, sein Kamerad aber hatte die Kraft nicht dazu. Er machte ein höchst verblüfftes Gesicht, denn er konnte sich nicht erklären, wie eine geborene Linde noch Jungfer Zeißig heißen könne. »Schön, Jungfer Zeißig!« meinte der Korporal. »Ich heiße Waldow, und mein Kamerad heißt Hammer. Wir suchen Arbeit. Habt Ihr vielleicht welche?« »Arbeit? O, genug! Was seid Ihr denn, was könnt Ihr denn?« »Wir können Alles, was zur Landwirthschaft gehört.« »So könnt Ihr sofort eintreten. Kommt aber zunächst herein in die Küche; ich will Euch zu essen geben. Dann könnt Ihr mit dem ersten Knechte, der mit dem Wagen kommt, hinaus auf das Feld oder auf die Wiese fahren.« Diese Einladung war den Beiden willkommen. Sie gingen in die Küche und bekamen reichlich vorgesetzt. Sie hatten eben die Messer in die Hand genommen, als der schwedische Korporal eintrat. Er warf einen kurzen, hochmüthigen Blick auf die beiden Fremden und meinte dann mißmuthig: »Verfluchte Geschichte!« »Was denn?« frug die Wirthschafterin. »Wollte Ihr Fräulein heute ausfahren?« »Nein.« »Donnerwetter! Und als ich melde, daß mein Oberst kommt, sagt sie, das thue ihr leid. Sie sei für heute bereits in die Nachbarschaft versprochen und werde gleich abfahren; ich solle das dem Herrn Obersten melden.« »Ich weiß nichts davon.« »Sie thut dies natürlich nur, um dem Herrn Obersten von Börjesson auszuweichen.« »Wo mag sie hin wollen?« »Ich nahm mir den Muth und frug sie. Da fuhr ich aber verteufelt an. Sie donnerte mich ab, daß es eine Art hatte.« »Läßt sich denken. Das gnädige Fräulein sind außerordentlich selbständig.«
»Sie hat jedenfalls gemeint, der Herr Oberst kommt ihr nachgeritten, wenn er erfährt wo sie sich befindet.« »Was wird er sagen, wenn er es erfährt?« »Wenn er es nur erst erfahren hätte, daß der Sturm vorüber wäre, den es geben wird. Uebrigens weiß ich auch den Weg gar nicht, den er einschlägt, und es ist also sehr unsicher, ob ich ihm begegnen werde. Lebe Sie wohl, Jungfer.« »Lebt wohl, Herr Korporal!« Er ging, und sie begleitete ihn über den Hof hinweg zu seinem Pferde. Die beiden Zurückbleibenden sahen einander an. »Ein Schwede!« »Habs gesehen, daß es kein Mohr war,« antwortete Waldow. »Dieser Oberst Börjesson scheint also mit der von Boberfeld Süßholz raspeln zu wollen, und sie mag nichts von ihm wissen.« »Er gefällt ihr vielleicht nicht!« »Natürlich, Er Esel. Wenn er ihr gefiele, würde sie nicht vor ihm ausreißen. Vielleicht hat sie ganz denselben Wohlgefallen an ihm, wie ich an dieser Jungfer Zeißig, geborene Linde.« »Gefällt mir aber ganz gut.« »Ah? Traue es Seinem Geschmacke beinahe wirklich zu!« »Natürlich, gerade meinem Geschmacke. Oder hat sie hier nicht dafür gesorgt, daß wir Geschmack an ihr finden müssen?« »Ach so! Hm, Er ist denn doch nicht ganz auf die Nase gefallen. Bin nur neugierig, die Boberfeld zu sehen. Soll ein Weibsen sein, wie der Goliath!« »Wenn wir hier tagelöhnen, werden wir sie schon noch zu sehen bekommen.« Jetzt trat die Wirthschafterin wieder ein. »Schmucker Kerl,« bemerkte Waldow. »Wer?« »Dieser schwedische Korporal.« »Findet Ihr das? Sein Oberst hält auch große Stücke auf ihn. Es wird gar nicht lange dauern, so wird er Feldwebel und dann auch Lieutenant.« »So! Das hat er Euch wohl selbst gesagt?« »Ja. Aber Ihr seid jetzt wohl fertig mit Essen?« »Wir sind satt, und nun kann die Arbeit losgehen.« »Draußen hält der Knecht mit dem Wagen. Ich habe es ihm gesagt; er wird Euch mitnehmen. Das Andere werde ich mit dem
Verwalter ausmachen, wenn er nach Hause kommt.« Sie begleitete sie bis in den Hof. Dort war wohl ein ungeheurer Leiterwagen, aber kein Knecht zu sehen. Die Wirthschafterin suchte und fand ihn in der Remise. »Was thut Er hier? Er muß ja hinaus auf das Feld!« »Ich habe für das gnädige Fräulein anzuspannen.« »Wer hat es Ihm befohlen?« »Das Fräulein selbst. Sie guckte zum Fenster heraus.« »So, hm! Na, da mache Er seine Sache. Sie wird selber fahren, wie gewöhnlich, und Er bringt dann diese beiden Männer hinaus auf das Feld.« Sie kehrte in die Küche zurück. Waldow und Hammer griffen mit zu, so daß der leichte Wagen bald zur Abfahrt bereit war. Und nun kam auch die Herrin in den Hof herab. Sie war allerdings von einer ganz außerordentlichen Höhe, dabei aber so proportionirt gebaut, daß dieselbe ihrer ungewöhnlichen Schönheit nicht den mindesten Abbruch that. Ihre Bewegungen waren sicher, leicht und graziös, und der Blick ihres Auges ließ errathen, daß sie neben weiblicher Milde auch über ein gutes Theil männlichen Selbstbewußtseins verfüge. »Wer seid Ihr?« frug sie die beiden ehemaligen Werber. »Neue Arbeiter,« antwortete der Korporal. Sie nickte mit dem Kopfe, stieg ein und ergriff die Zügel. In kurzer Zeit war der schnell dahinrollende Wagen nicht mehr zu sehen. Auch der Leiterwagen verließ den Hof. Kurze Zeit später sprengte ein Reiter durch das Thor, ließ sein Pferd in eleganten Sätzen über den Hof kourbettiren und warf dabei einige verstohlene Blicke nach den Fenstern der herrschaftlichen Etage empor. Als er Niemand bemerkte, stieg er ab und band sein Pferd an die Angel eines Fensterladens. Seine Miene war finster geworden. Eben wollte er eintreten, als ihm die Wirthschafterin entgegenkam. »Der Herr Oberst von Börjesson. Willkommen auf Allstädt, gnädiger Herr!« »Willkommen? Es scheint nicht so!« »Warum, gnädigster Herr Oberst?« »Es gibt hier ja nicht einmal einen Diener, welcher mir das Pferd abnehmen kann. Das bin ich allerdings nicht gewohnt!« »Entschuldigen der Herr Oberst! Es sind alle Hände hinaus auf das Feld, und wir haben erst vor einigen Minuten erfahren, daß wir
Euch zu erwarten hatten.« »War der Korporal hier?« »Ja.« »Bin ihm nicht begegnet.« »Schade!« »Schade; warum?« »Weil er Auftrag hatte Euch zu sagen, daß unser gnädiges Fräulein nicht zu Hause ist.« »Wer hat ihm diesen Auftrag ertheilt?« »Das Fräulein selber.« »Also war sie vorher zu Hause?« »Ja.« »Ah! War es vorher bestimmt, daß sie aus wollte?« »Mir wenigstens hat sie nichts gesagt.« »Sie ist aber noch nicht fort?« »Doch.« »Seit wann?« »Seit einer Viertelstunde.« »Wohin?« »Sie hat es Niemandem gesagt.« Sein Gesicht legte sich in immer düsterere Falten. »Das heißt also, daß sie vor mir geflohen ist und mich nicht wissen lassen will, wo ich sie finden könnte! War der Lieutenant Seeström hier?« »Gestern Abend.« »Wann kam er?« »Sechs Uhr.« »Und wann ritt er wieder fort?« »Vielleicht um Mitternacht.« »Also für ihn hat sie sechs volle Stunden übrig, für mich aber ist sie nicht daheim. Ich werde sie aber erwarten.« »Sie wird wohl spät kommen, gnädiger Herr!« »Thut nichts. Ich hätte auf alle Fälle heut hier über Nacht bleiben müssen.« »Ah!« »Ja. Ich hatte sehr angenehmen und hohen Besuch anzumelden, den ich morgen Vormittag an der Seite der Herrin des Hauses hier empfangen muß.« »Ist es möglich! Herr mein Heiland, ist das ein Jammer und ein
Elend! Hoher Besuch und noch nicht gescheuert! Das ist ja eine Verwirrung und eine Unordnung, gerade wie in Polen, wie mein Seliger immer sagte. Darf ich fragen, wer die hohen Herren oder Damen sind?« »Keine Damen, sondern nur Herren. Bin auch nicht befugt, die Namen zu nennen. Es sind ihrer drei oder vier. Zwei kann ich Ihr bezeichnen, nämlich den Herzog von Merseburg, den Vormund Ihrer Herrin, und – – –« »Herr mein Heiland, der Herr Herzog kommen, und es ist weder gescheuert, noch sonst eine Vorbereitung getroffen!« »Und der Graf von Mansfeld.« »Der Graf von Mansfeld! So ein berühmter großmächtiger Herr aus dem Lande, wo sie die Thaler aus der Erde graben! Und noch nicht gescheuert! Ich vergehe vor Aerger, Jammer und Sorge.« »Treffe Sie also Ihre Vorbereitungen. Ich will Sie dabei nicht stören und werde darum einen Spazierritt vornehmen. Mit der Dunkelheit bin ich zurück. Aber spute Sie sich, denn es ist immerhin möglich, daß außer mir einer der Herren noch heute eintrifft.« Er band sein Pferd wieder los, schwang sich auf und ritt davon. Sie aber stand in völliger Rathlosigkeit vor der Thür und schlug die Hände zusammen. »Was ist zu thun? Was ist anzufangen? Wer hereinkommt, wird festgehalten. Ich lasse keinen Menschen wieder fort. Sie Alle, die Knechte und Mägde müssen putzen und scheuern, daß es kracht!« Sie hätte ihren Monolog vielleicht noch weiter ausgedehnt, aber sie wurde unterbrochen, denn es kam abermals ein Reiter durch das Thor und gerade auf sie zu. Bei seinem Anblick wäre sie beinahe in eine Ohnmacht gefallen. Er hielt vor ihr an und frug: »War das nicht der Oberst Börjesson, der jetzt das Gut verließ?« »Ja, mein gnädiger Herr Herzog.« »Meine Mündel ist zu Hause?« »Nein. Das gnädige Fräulein sind ausgefahren.« »Wohin?« »Wir wissen es nicht.« »Wann kommt sie zurück?« »Auch das wissen wir nicht.« Seine Miene wurde strenger und finsterer, als sie schon bereits war. »Hat sich der Oberst anmelden lassen?«
»Ja.« »Bei Ihr oder bei Fräulein von Boberfeld?« »Bei dem gnädigen Fräulein.« »Sie war also noch da?« »Noch vollständig da.« »War ihre Spazierfahrt bereits beschlossen und sehr nothwendig?« »Nein, mein gnädiger Herr.« »So hat sie also dem Obristen ausweichen wollen. Ich werde ihr diese Mucken vertreiben! War der Lieutenant Seeström hier?« »Gestern, sechs Stunden lang.« »Ah, vor ihm reißt sie also nicht aus!« »Ja, das ist ein Jammer und Elend hier auf Allstädt, mein gestrenger Herr Herzog. Alles geht drunter und drüber. So hoher Besuch und nicht geputzt, gereinigt und gescheuert, keine Vorbereitung getroffen, nicht gebacken, kein Fleisch gekauft, oh, das ist eine Wirthschaft, gerade wie in Polen, wie mein Seliger immer sagte.« »Also nicht einmal absteigen kann man? Hat der Oberst den Besuch angemeldet und Ihr gesagt, wie viele Personen Sie zu erwarten hat?« »Ja, drei oder vier sehr hohe Herren.« »Oder auch fünf, denn ich glaube nicht, daß der Kö – – wollte sagen, der eine Herr ganz ohne Begleitung kommen wird. Spute Sie sich mit Ihren Vorbereitungen, ich werde einen Spazierritt machen und versuchen, ob ich den Obristen noch einholen kann. – Wann wollte er wiederkehren?« »In der Dämmerung.« »Gut; da komme ich auch zurück. Kann Sie lesen?« »Ach nein, mein gestrenger Herr Herzog. Unsereiner hat eine solche Schule – –« »Schon gut! Hier nehme Sie einmal diese kleine Mappe und trage Sie dieselbe hinauf in mein Zimmer. Aber sorge Sie dafür, daß sie kein Mensch in die Hände bekommt! Versteht Sie mich?« »Sehr wohl, mein gnädiger Herr!« Er zog aus der Satteltasche einen mit dem herzoglichen Wappen versehenen Umschlag hervor, in welchem mehrere Papiere lagen, welche durch einen Gummi festgehalten wurden. Nachdem er ihr diese Mappe übergeben hatte, ritt er davon. Sie sah ihm nach und
schlug die Hände abermals zusammen. »Herr mein Heiland, ist das eine Noth und eine Sorge! Nun ist auch der bereits da. Ich muß nur gleich in die Vorrathskammer gehen und nachsehen, was Alles noch zu besorgen wäre!« Sie trat in die Küche, legte die Mappe auf den ersten besten Tisch und begab sich dann in den Vorrathsraum. Noch waren nicht zehn Minuten vergangen, so kam abermals eine Person durch das Thor. Es war kein Reiter, sondern ein Fußgänger, der einen Karren vor sich herschob. Er blieb einige Augenblicke halten, besah sich die Gebäude und brachte seinen Karren dann nach der Wagenremise. Weder hier noch sonst irgendwo war ein Mensch zu sehen. Der Mann schritt also dem Eingange des Wohnhauses zu und trat in die Küche. In demselben Augenblicke kam die Wirthschafterin von ihrer Inspektion zurück. »Guten Tag!« grüßte er mit tiefer Baßstimme und warf, indem er mit der Linken seinen Knebelbart strich, aus seinen dunklen Augen einen forschenden Blick auf sie. »Gibt es hier Arbeit für mich?« »Arbeit? Genug! Was ist Er denn?« »Ein Scheerenschleifer.« »Ah, ich dachte, vielleicht ein Taglöhner. Aber Er kann auch als Schleifer hier Arbeit finden, denn unser ganzes Schneidzeug ist stumpf geworden. Doch ich habe jetzt keine Zeit. Setze Er sich und – – – ah, da kommt mir ein Gedanke! Es ist gut, daß Er hier vorspricht. Es muß Jemand hinaus auf das Feld und auf die Wiesen, um die Leute zu rufen. Droben sind zwar die beiden Stubenmädchen, aber die kann ich nicht schicken, denn ihnen steht die Nase zu hoch. Er ist hier fremd, nicht wahr?« »Ja.« »Er würde also die Leute nicht finden; also muß ich selbst hinaus. Bleibe Er einstweilen hier. Dort steht Brod, Wurst und Käse. In zehn Minuten bin ich ganz sicher wieder da; das kann Er sagen, wenn Jemand kommen sollte.« »Schön! Wer ist Sie denn eigentlich?« »Ich bin Jungfer Zeißig, geborene Linde, die Wirthschafterin hier.« »Hm, Jungfer Zeißig, geborene Linde, wo ist denn Ihre Herrin?« »Ausgefahren.«
»Sonst kein Besuch hier?« »O ja, sehr vornehmer Besuch!« »Wer denn?« »Der Herzog von Merseburg und der Obrist von Börjesson. Aber ich habe jetzt keine Zeit zum Plaudern; ich muß auf das Feld, ich, die Wirthschafterin! Das ist ja eine Verwirrung, ganz wie in Polen, wie mein Seliger immer sagte. Also halte Er Haus, bis ich wiederkomme!« Sie eilte davon. Er blickte ihr durch das Fenster nach. »Ein ganz verfluchtes Weibsen, das! Nennt sich Jungfer und hat bereits einen ›Seligen‹. Wie war nur ihr Name? Es war ein Vogel und ein Baum. Ja, so ist es; Jungfer Finke, geborene Birke, oder nein, Jungfer Wachtel, geborene Erle, so war es. Muß es mir merken, denn die scheint hier im Hause etwas zu gelten! Aber was ist denn das, hier?« Sein Auge war auf die Mappe gefallen. »Das Merseburger Siegel! Kreuz-Schock-Schwerenoth, vielleicht spielt mir da der Zufall gerade das in die Hände, was ich so gerne wissen möchte! Muß doch einmal nachsehen. Bin wie es scheint der Einzige hier im Hause und wäre wahrhaftig ein riesiger Esel, wenn ich das nicht benutzte. Ueberrascht kann ich nicht werden, da ich ja von hier aus das Thor im Auge habe.« Er öffnete die Mappe und nahm die Papiere hervor. Je länger er die Schriftzüge zu entziffern suchte, desto gespannter wurde seine Miene, und von Zeit zu Zeit stampfte er mit dem Fuße oder schlug mit der Faust auf den Tisch und stieß dabei einen kräftigen Fluch hervor. Als er fertig war, legte er die Papiere wieder in den Umschlag zurück und zog den Gummi darüber. »Himmel-Tausend-Sakerment, habe ich da einmal in einen Topf geguckt! Na, warte, diesen Braten soll Euch der helle lichte Teufel gesegnen! Aber essen muß ich noch schnell etwas, sonst merkt diese Jungfer Zippe, geborene Fichte, daß ich vielleicht spionirt habe.« Er schob sich ein Stück Brod in den Mund und einen halben Käse darauf. Dann setzte er kauend seine Betrachtungen fort. »Das ist ja die elendeste, die schlechteste Schlechtigkeit! Also über uns herfallen wollen sie. Der Mansfeld will die Sequestration los sein, und der Merseburger bekommt einige Hunderttausende in die Schatulle gesteckt. Ihr verdammten Bengels, ich werde Euch sequestriren und schatulliren, daß Euch die Augen flimmern sollen!
Und dazu den Meißener Kreis kriegt der Merseburger? Nicht auch noch Oesterreich und Bayern, Frankreich und das Kaffernland dazu! Das sollte der sächsische Kurfürst wissen! Kommt dieser Schwedenbengel herein nach Deutschland und geberdet sich, als ob er Hahn im Korbe sei und Herzogthümer verschenken könne!« Er schob ein halbpfundschweres Stück Wurst dem Käse nach. »Wir haben den Kerl jetzt ungestört schalten und walten lassen, weil er zu unserm Vergnügen einigen von unsern lieben Vettern das Fell ausklopfte, daß die Flöhe davonspringen mußten. Jetzt nun hält er uns für Tolpatsche und will auf uns los. Kerl, mache mich nicht warm, sonst trete ich Dich auf die Hühneraugen, daß Du Deine Leichdörner für die Alpen ansehen sollst! Und auch mir, dem Leopold von Dessau, wollen sie die Fingernägel verschneiden, weil ich mir zuweilen einen Rekruten über die Grenze hinübergeholt habe. Prosit die Mahlzeit, dazu gehört eine Scheere und jetzt bin ich Schleifer. Ich werde Euch die Scheere so verschleifen, daß sie Euch in die eigenen Tatzen zwackt! Also die Verhandlung mit unserm Oberst von Ravenau wird nur zum Scheine und zwar so lange geführt, bis diese Spitzbuben hier sich geeinigt haben! Hm! Hätte ich nur gleich Jemand, der mir hinüber nach Blankenfelde laufen könnte zu dem Major! Aber, da kommt die alte Schachtel! Ich muß mich noch einmal über den Käse hermachen!« Als die athemlose Wirthschafterin eintrat, saß er mit einem sehr unschuldigen Gesichte bei dem Essen. »Na, da ist Sie ja wieder! Braucht Sie Ihre Leute denn gar so nothwendig?« »Freilich, freilich! Der Besuch ist ja bereits da und morgen kommen noch mehrere. Und da ist weder gescheuert noch Eins noch Keins! Aber jetzt kommen sie Alle gerannt, und dann soll Er sehen wie schnell alles in Ordnung gebracht wird.« »Ja, ja, so eine Wirthschafterin hat was zu bedeuten, und Sie kann es mir glauben, daß ich bei solchen Gelegenheiten nicht in Ihrer Haut stecken möchte, meine liebe Jungfer Amsel geborene Erle!« Sie sah ihn ganz erstaunt an. »Will Er mich vielleicht schimpfen he? Das lasse Er nur immer bleiben!« »Schimpfen? Fällt mir gar nicht ein! Warum denn?« »Weil Er mir einen so albernen Namen gibt!«
»Das ist ja der Ihrige, den Sie mir selber gesagt hat!« »Jungfer Zeißig, geborene Linde, habe ich gesagt!« »Bomben und Granaten! Ich wußte wohl, daß es ein Vogel und ein Baum war, aber ich habe mir nur die richtigen nicht gemerkt, das ist der Fehler.« »Wenn es so ist, will ich es Ihm für dieses Mal nicht anrechnen, aber für später mag Er es sich besser merken. Jetzt kann Er hinausgehen und sich einen Stand aussuchen. Ich werde wohl so viel Zeit übrig behalten, um einige Scherren, Messer und Anderes für ihn auszulesen.« Er verließ die Küche und ging hinaus in den Hof. Dort besah er sich die Stallungen und Scheunen, während die Knecht und Mägde von den Feldern heimkehrten. Zu seinem Karren zurückkehrend, sah er zwei Männer, welche vor demselben standen und ihm den Rücken zukehrten. Als sie seinen Schritt vernahmen, drehten sie sich um. In jedem von den drei Gesichtern spiegelte sich die Ueberraschung ab. »Waldow, Hammer! Ihr verfluchten Hallunken Ihr, was habt Ihr denn in Allstädt zu suchen?« »Wir tagelöhnern hier, Durchlaucht,« antwortete Waldow. »Halte den Schnabel, Kerl! Sagst Du noch einmal Durchlaucht, so pfeife ich Dir Eine in das Gesicht, daß Du denkst, Du hast zweiunddreißig Elephantenzähne drinnen! Was Ihr hier wollt, das weiß ich sehr genau: Mit den Schweden wollt Ihr dunkelmunkeln!« »Straf mich Gott, das ist nicht wahr! Und da Ihr so kommt, so will ich aufrichtig sagen, was wir hier wollen. Wir haben gewußt, daß Ihr als Schleifer nach Allstädt wollt, und weil das gefährlich ist, sind wir nach, damit Ihr doch Jemanden habt, auf den Ihr Euch verlassen könnt, wenn etwas schief gehen sollte.« »Höre Er, ist das wahr oder ist es nur eine verfluchte Finte?« »Habe ich meinem Generale jemals eine Finte gemacht?« »Nein, das ist wahr!« »So könnt Ihr mir auch hier glauben.« »Aber ich habe Euch fortgejagt!« »Der Teufel soll mich holen, wenn Ihr uns nicht auch wieder annehmt!« »Hallunke! Du sprichst ja, Gott stärke mich, wie Einer, der nur zu reden braucht! Na, ich werde Euch einmal auf die Probe stellen.« »Thut es! Wir werden sie bestehen.«
»Wollen sehen! Also merkt auf, was ich Euch sage! Ihr thut jetzt, als ob die Arbeit Euch nicht gefällt, und macht Euch auf die Socken. Ihr lauft hinüber nach Blankenfelde zum Major Hagen. Morgen Abend punkt halb Elf muß er mit fünfzig Mann hier hinter dem Gute stehen. Diese Leute müssen durch feindliches Gebiet. Er wird also für Civilkleider sorgen, nur lauter zuverlässige Männer nehmen und sie den Weg ganz vereinzelt machen lassen. Wenn der Major auf die Minute hier ist, so habt Ihr Eure Scharte ausgewetzt, Waldow, und Du magst meinetwegen Feldwebel werden. Jetzt aber packt Euch fort, Ihr Ungeziefer, sonst merken diese Leute, daß wir uns kennen.« »Aber nehmt Euch in Acht bis dahin – –« »Will Er Himmelhund wohl gleich verduften, he, oder soll ich Ihm Beine machen, daß Er in einem Athem läuft von hier bis nach Konstantinopel?« Die Zwei gingen davon und benutzten die erste Gelegenheit, das Gut heimlich zu verlassen. Nach einiger Zeit kam der Verwalter zu dem Schleifer. »Hier bringe ich Ihm Verschiedenes zum Ausbessern, aber Er braucht sich damit nicht sehr zu beeilen!« »Wird dennoch noch heute gemacht. Morgen ist Feiertag, an dem ich nicht arbeite.« »Ganz wie Er will. Standen nicht die beiden neuen Tagelöhner vorhin bei Ihm?« »Ja.« »Ich sehe sie nicht mehr. Wovon sprachen sie?« »Davon, daß ihnen das Ding nicht recht gefallen wollte. Es wäre keine Ordnung hier auf dem Gute.« »Aha, lüderliches Pack. Sie sind auf und davon. Landstreicher, nichts weiter!« Nach und nach brachten auch einige der Knechte und Mägde Verschiedenes zu schleifen, und er begann. Zuschauer gab es nicht, da Alle sehr beschäftigt waren. Gegen Abend kehrte der Herzog von Merseburg an der Seite des Obristen zurück. Ihre Zimmer waren in Ordnung, wie ihnen die Wirthschafterin meldete. »Das Fräulein zurück?« frug der Herzog. »Noch nicht.« »Melde Sie es mir sofort, wenn sie kommt! Und jetzt besorge Sie uns etwas zu essen!«
Eine halbe Stunde später saßen die beiden Herren bei Tische und unterhielten sich von den Plänen, welche morgen hier zur Sprache kommen sollte. Sie wurden hier und da durch ein schallendes Gelächter unterbrochen, welches vom Hof heraufschallte. »Was gibt es da unten?« frug der Herzog, als die Wirthschafterin eine neue Schüssel brachte. »Es ist ein Schleifer da, ein possierlicher Grobsack, mit dem sich das Volk, das meistenteils nun Feierabend hat, unterhält. Sie fragen ihn ob er singen kann, aber er hat keine rechte Lust dazu.« In diesem Augenblicke ging unten etwas los, für was man unmöglich einen Namen haben konnte; es war kein Reden, kein Brüllen, kein Singen, und es war doch Alles dies zusammen. Die Fenster waren geöffnet, und man konnte jedes Wort deutlich verstehen: »Der Schleifer ist allzeit ein Mann, Den man nicht gut entbehren kann. Arbeitet wie ein Droschkenpferd, Und gilt doch keinen Heller werth. Denn man dreht drinnen dem Hans Tapp Die schwer ersparten Groschen ab. Das niederträcht'ge A-B-C Schmeckt unbedingt nach Alloë, Wobei es hier und da gelingt, Daß man ihn auf das Trockne bringt. In dieser Art Philosophie Kaut er an seinem Kniff; Er legt die Elle übers Knie Und applizirt ihr Schliff.« Der Herzog sah den Obristen erstaunt, und dieser ebenso erstaunt den Herzog an. »Unser Schleiferlied!« meinte überrascht der Merseburger. »Aber wie! Das klingt ja, als würde es von einem Hahn, einer Katze, einem Löwen und einer Klarinette unisono gekräht, gemiaut, gebrüllt und gepfiffen. Und diese Verse! Hört!« Unten fuhr der Sänger mit donnernder Stimme fort: »Wohnt einmal Einer in der Stadt,
Der gar zu lange Finger hat. Im Tintenfasse schwimmt das Thier, Frißt Federn, Schreib- und Druckpapier. Und wer das Einmaleins verdaut, Der stirbt auch nicht an Sauerkraut. Und wo er selbst nicht helfen kann, Da packen andre Kräfte an. Man sagt, daß es ein Bankhaus sei, Doch ists die höh're Schleiferei. Und klagt und schimpft und jammert er Bei dem verbotnen Griff, So stürzt ein Paragraph daher Und kriegt nun selber Schliff!« Ein kröhlendes Gelächter war der Lohn für den ungewöhnlichen Vortrag. Droben sahen sich die beiden Herren noch immer erstaunt an. Die Wirthschafterin war wieder fortgegangen und lauschte von der Küche aus auch auf den Gesang, aus welchem kein einziger Mensch klug werden konnte. Eben begann der Schleifer wieder: »Ich kenne ein Amphibium, Heißt Redakteur und ist nicht dumm. Bei Tage bleibt er stets zu Haus Geht nur im Dunkelmunkel aus. So war es schon zu Adams Zeit, So bleibt es auch in Ewigkeit. Der Prinzipal kniff gerne ex, Doch faßt ihn Polyp multiplex. Zu spät ins Bett, zu früh heraus, Das halte doch der Teufel aus! Jetzt brummt er in der Einsamkeit Mit eisenfestem Griff, Und für das Schleifen früh'rer Zeit Sorgt er für bessern Schliff.« »Wahrhaftig unser Lied, aber zum Tollwerden! Sollte der Lieutenant Seeström sich den Spaß gemacht haben, seine Verse einem Menschen zu geben, der sie nicht in der gehörigen Reihenfolge behalten kann?«
»Das ist möglich, aber sehr unwahrscheinlich. Ich traue es ihm nicht zu. Diese Art von Menschen, welche sich Dichter nennen, haben ein eigenes Ehrgefühl, welches sie sicher abhält, ihre Reime in solche Hände kommen zu lassen. Wahrhaftig, es ist noch nicht alle; der Kerl fängt wieder an. Hört, Obrist!« »Bei einem wohlbekannten Haus Fliegt Geld hinein, Papier heraus, Wobei es hier und da gelingt, Daß man es auf das Trockne bringt. Der Frau gebührt natürlich Recht, Sie ist das schönere Geschlecht, Ist aller Straßenlampen Feind Und liebt den Mond, wenn er nicht scheint. Der Sündenbock für alle Welt, Auf halbe Ration gestellt, Hat eine Zunge spitz und scharf Und quakt was man nicht quaken darf. Doch leider wird sie auch ertappt, Mit ihrem Meister Pfiff; Ein Gänsedarm hat zugeschnappt Und kriegt nun selber Schliff.« In das Lachen, welches unten erschallte, wurde auch oben eingestimmt. »Das ist mehr als kurios!« rief der Herzog. »Den Kerl möchte ich sehen.« »Gehen wir einmal hinunter, Hoheit?« »Wenn Ihr mitwollt, ja. Kommt!« Sie kamen in den Hof. Es war gerade noch so hell, daß der Schleifer seine Arbeit so leidlich verrichten konnte. Er drehte den Stein mit dem Fuße und sang dabei: »Der Meister und die Meisterin, Die haben oft gar eignen Sinn; Der Meister findet weit und breit Gar manche Ungeschliffenheit. Der Lehrling ist ein Aschenbrod, Hat wenig Freud und sehr viel Noth.
Weil er sich da nur nutzlos quält, Wo Schärfe, Schnitt und Rundung fehlt, Bis er, Kreuzhimmelelement, Ein fremdes Port'monnaie umrennt. Doch dazu fehlt dem Grobian Ein widerspenst'ges Schiff, Man schafft sich einen Hausfreund an Und gibt ihm bessern Schliff.« Die zwei Herren waren während der letzten Verse etwas näher getreten. Da faßte der Herzog den Obristen beim Arme. »Himmel! Wer ist denn das! Kennt Ihr ihn, Herr Obrist?« »Nein.« »Kommt rasch zurück, daß er mich nicht bemerkt!« Er zog ihn unter den Eingang, wohin das Auge des Schleifers nicht reichen konnte und meinte dann in sehr angelegentlichem Tone: »Welch ein Fall! Obrist, wir machen hier einen Fang, der den Erfolg aller unserer Pläne und Intentionen auf das Beste sichert!« »Einen Fang? Welchen?« »Rathet?« »Wie kann ich rathen.« »So hört und staunet: Dieser Schleifer ist kein Anderer, als der Fürst Leopold von Anhalt-Dessau, wie er leibt und lebt!« »Hoheit, unmöglich.« »Ganz gewiß! Wir haben uns zwar noch nie gesprochen, und daher mag es kommen, daß er denkt, ich kenne ihn nicht; aber ich habe ihn dennoch oftmals gesehen und kenne ihn sehr genau.« »Ihr müßt Euch täuschen.« »Nicht im Geringsten! Habt Ihr noch nie gehört, wie gern er verkleidet im Lande umherzieht, um zu horchen wie es steht? Habt Ihr noch nie gehört, daß er nicht im Stande ist, nur zehn Worte richtig auswendig zu lernen? Habt Ihr noch nie gehört, daß es ihm unmöglich ist, eine Melodie zu merken oder auch nur einen richtigen Gesangston hervorzubringen?« »Allerdings habe ich das gehört.« »Nun! Und den Grund könnt Ihr Euch doch auch denken, warum er in dieser Gegend herumschleicht. Diesen Scharfsinn muß ich Euch jedenfalls zutrauen.«
Der Obrist nickte mit dem Kopfe. Er schien jetzt überzeugt zu sein, daß sich der Herzog nicht geirrt habe. Dieser fuhr fort: »Und Ihr erkennt auch den unendlichen Vortheil, welcher uns erwachsen muß, wenn wir ihn dingfest machen können?« »Das versteht sich!« »Seid Ihr dabei?« »Auf der Stelle!« »Aber Ihr begreift, daß ich mich wenigstens offiziell rein halten muß?« »Das begreife ich sehr. Die Schweden haben diese Provinz besetzt; dieser General einer Macht, die wir jetzt nicht für eine uns freundliche erklären können, schleicht sich mitten in unsere Kantonnirung ein. Ich habe nicht nur das Recht, sondern sogar die strenge Verpflichtung ihn gefangen zu nehmen.« »Aber ohne alles Aufsehen!« »Habt da keine Sorge, Hoheit. Ich bin sehr überzeugt, daß der Fürst sein Inkognito nicht preisgeben wird. Ich nehme also nur einen verdächtigen Schleifer gefangen, und das Uebrige wird sich dann von selbst ergeben. Aber wie kommt er zu diesem Liede?« »Mir ein Räthsel!« »Ob Seeström eine Abschrift davon bei seiner kürzlichen Flucht aus Halberstadt bei sich gehabt und verloren hat?« »Schwerlich. Ich befürchte vielmehr, daß Wachtmeister Roller eine Unvorsichtigkeit begangen hat und dem Dessauer in die Hände gefallen ist.« »Das wäre verdammt! Aber in diesem Falle läßt sich vermuthen, daß der Fürst den Karren des Wachtmeisters benutzt; ich habe diesen ja gesehen, und werde mich überzeugen.« »Aber wie greifen wir ihn. Es ist ein verwegener Geselle.« »Das ist sehr einfach. Ihr geht hinauf in das Nebenzimmer, wo Ihr die ganze Verhandlung mit anhören könnt. Ich lasse ihn zu mir kommen, während ich noch unten bleibe und den Karren besehe. Dann bringe ich mir gleich so viel Knechte mit, daß er keinen Widerstand zu leisten vermag.« »So mag es gehen. Aber wohin stecken wir ihn?« »Ihr kennt die Räumlichkeiten dieses Hauses besser als ich. Bestimmt Ihr das!« »Hier im Flur gibt es ein Gewölbe, welches ein ganz kleines und vergittertes Fenster hat; die Thür ist aus starkem Eichenholze und
mit sehr sicheren Riegeln versehen, das Schloß gar nicht gerechnet. Hier könnte er nicht entkommen. Bis morgen früh steckt er da vollständig sicher.« »Warum nur bis morgen früh? Ich halte es für vortheilhafter, wenn wir ihn bis zur Ankunft des Königs und des Grafen hier behalten.« »Ihr habt Recht. Also wollen wir beginnen. Ich gehe nach oben. Macht Eure Sache gut!« Einige Minuten später trat die Wirthschafterin zu dem noch immer von dem sämtlichen Gesinde umgebenen Schleifer. »Höre Er, Er könnte nun aufhalten. Es ist ja so dunkel, daß Er gar nichts mehr sehen kann!« »Ja, Sie hat Recht, meine gute Jungfer Bachstelze, geborene Akazie. Macht Platz, Jungens, daß ich meinen Karren wieder in die Remise bringe!« »Was fällt Ihm denn ein, he, mich wieder so zu nennen?« rief die Beleidigte, indem sie sich breit und drohend vor ihn hinstellte. »Einfallen? Was denn? Sie hat mir ja gesagt, das Sie so heißt!« »So! Na, wie heiße ich denn?« »Na, glaubt Sie etwa, daß ich mir Ihren Namen nicht merken kann?« »So sage Er ihn doch!« »Den kann Sie hören: Jungfer Drossel, geborene Nußbaum!« Ein dröhnendes Gelächter war die Folge dieser Verwechselung. Selbst die Wirthschafterin lachte ihren Aerger mit fort. »Er ist ein Dummrian wie es keinen Zweiten wieder gibt!« »So? Aaach! Ein Dummrian? Sage Sie das noch einmal, so fahre ich Ihr mit dieser Schinkengabel in die Physiognomie, daß Sie auf der Stelle die Maulsperre kriegt, Sie altes Feuereisen, geborene Kachelofen!« »Schimpfe Er nicht, denn das kann ich nicht vertragen, Er alter langer Gabriel!« »So, wer hat zuerst geschimpft, Sie alte buckelige Melusine, Sie! Warum kommt Sie denn her; was will Sie denn eigentlich von mir?« »Meine Messer und Scheeren will ich!« »Die werden erst morgen fertig. Solche Sachen macht man nicht in einem Schweineathem aus, verstanden?« »So komme Er!«
»Wohin?« »Hinauf zum gnädigen Herrn Obristen.« »Was soll ich da?« »Er hat Sein schönes Lied gehört und will Ihm seine Anerkennung aussprechen.« »Seine Anerkennung? Darnach frage ich den Teufel. Er mag sie auf Leinwand schmieren, und Jemandem auflegen, der einen Karfunkel hat. Ich brauche kein solches Pflaster. Ich singe für mich und für keine Maulaffen.« »Na, meinetwegen; aber er will Ihm ein Messer aushändigen, welches Er scharf machen soll.« »Das ist etwas Anderes; das hole ich mir. Führe Sie mich zu ihm!« »So komme Er. Aber sei Er mit dem Herrn Obristen höflicher als mit mir!« »Kommt nicht auf mich an, sondern nur auf ihn. Vorwärts marsch!« Sie schritt voran, und er folgte ihr die Treppe empor bis in das Zimmer, in welchem die Herren gesessen hatten. »Warte Er einen Augenblick. Der Herr Obrist wird gleich kommen!« »Nur nicht zu lange! Versteht Sie mich?« Sie ging, und er setzte sich mit einer Nonchalance auf den nächsten Stuhl, als ob dieses Zimmer für ihn bestimmt sei. Nach kurzer Zeit trat der Obrist ein. Er betrachtete sich den Schleifer mit einem Blicke, dessen Ausdruck nicht zu entziffern war. »Er ist der Schleifer von da unten?« »Hm, jetzt bin ich der Schleifer von hier oben!« Der Obrist lächelte. »Zugestanden! Wo ist Er denn eigentlich zu Hause?« »Aus dem Bückeburgischen.« »Und wie heißt er?« »Friedrich Langer.« »Hat Er eine Legitimation mit?« »Versteht sich!« »Zeige Er sie einmal vor!« »Hm, wo hat mich denn da diese Jungfer Krähe geborene Weide hingeführt?« »Wie so?«
»Sie wollte mich doch zum Obristen Börjesson bringen!« »Der bin ich ja!« »Der – –? Ach so! Ich dachte, Er wäre der Büttel von Allstädt, weil Er nach meiner Legitimation fragt. – Na, schadet nichts! Er erniedrigt sich wohl auch nicht viel, wenn Er dem Büttel einmal die Arbeit versorgt. Hier ist der Wisch!« Der Obrist prüfte die Legitimation. Sie stimmte genau mit den gemachten Angaben. Doch wußte der Schwede recht gut, daß es dem Fürsten von Anhalt nicht schwer fallen könne, sich eine solche Legitimation zu verschaffen. »Richtig! Woher hat Er denn das Lied, welches Er vorhin sang?« »Gehört.« »Von wem?« »Von einem andern Schleifer.« »Wo?« »Weiß nicht mehr. Der Teufel mag sich die Namen der ganzen Nester merken, in denen man geschliffen hat!« »Und woher hat Er den Karren, mit welchem Er arbeitet?« »Von zu Hause.« »Aus dem Bückeburgischen?« »Ja.« »Er sagt mir die Wahrheit nicht.« »Wie so?« »Diesen Karren hat Er erst seit einigen Tagen.« »Wer hat Ihm das weiß gemacht?« »Niemand. Ich weiß es selbst. Höre Er, mit Ihm hat es keine guten Wege!« »Da fahre ich!« »Der Karren, den Er hat, gehört einem Schleifer, der seit einigen Tagen spurlos verschwunden ist!« »Der Karren gehört mir, und wenn Einer verschwinden will, so brauche ich ihn nicht zu halten.« »Man vermuthet, daß der Mann ermordet worden ist.« »Wohl von seinem Karren?« »Spotte Er nicht! Ich habe Seine Grobheiten bis jetzt übersehen, doch das thue ich nicht länger. Woher hat Er den Karren?« »Ich habe es bereits gesagt.« »Das ist eine Lüge. Es ist der Karren des ermordeten Schleifers.
Ich muß Ihn verhaften, um die Sache untersuchen zu lassen.« »Er? Mich verhaften, Er Himmelhund?« donnerte Leopold, indem er einen Schritt auf den Obristen, welcher unwillkürlich zurückwich, zutrat. »Er wäre mir der Kerl dazu! Er hat hier den Teufel zu sagen!« »Das ist meine Sache! Er ist mein Gefangener, und damit basta! Wenn Er sich nicht gutwillig fügt, mache ich kurzen Summs mit Ihm!« »Er mit mir? Wage Er es mich anzurühren, so werde ich Ihn besummsen, daß Ihm die Seele in lauter Nudeln aus dem Leibe fährt. Her mit meinem Wisch!« Er riß dem Obristen die Legitimation aus der Hand und öffnete die Thür. Draußen standen sämmtliche Knechte, wohlbewaffnet. »Was ist denn das, he?« frug Leopold sich zurückwenden. »Das sind wohl die Häscher, welche Er Judas Ischarioth auf mich hetzen will? Wer hindert mich, Ihm Eins auf die Nase zu geben, daß Ihm das große Einmaleins sechs Jahre lang im Kopfe herumwirbelt? Aber ich durchschaue Ihn, und werde mich den Teufel hüten, mich mit diesen Christians und Traugotts herumzuschlagen. Gut, ich bin Sein Gefangener. Ein Schleifer macht sich nichts daraus, wenn er einmal in die Patsche geräth; er weiß sich wieder herauszudrehen; Er aber, Er schwedischer Lausewenzel Er, soll sicher nicht gleich wieder herausgerathen, wenn Er einmal bis über die Ohren in der Tinte sitzt; darauf kann Er sich verlassen, jetzt und in alle Ewigkeit!« – – –
III. Herausgebissen Am nächsten Tage, als am Sonntage Nachmittags, ritten zwei Männer auf dem Vizinalwege dahin, welcher nach Allstädt führte. Der Eine war in einen militärisch geschnittenen Rock gekleidet, mochte ungefähr fünfundzwanzig Jahre zählen und hatte ein vollständig bartloses Gesicht, aus welchem jedoch ein Paar Augen blitzten, welche dem Gesichte einen sehr bedeutenden Ausdruck gaben. Der Andere war viel älter und trug sich in Civil, seine Züge verriethen einen tief denkenden, sich in ruhigem nachhaltigem Wirken gefallenden Geist. »Und was sagst Du zu diesem Plane, Piper?« frug der Jüngere. »Wenn er gelingt, Majestät, so macht er Euch zum Herrn des ganzen nördlichen Deutschlands, und Ihr könnt Euren Feinden diejenigen Grenzen diktiren, hinter welche Ihr sie zurückdrängen wollt.« Der Sprecher war der schwedische Reichsrath Piper, der bekannte Freund und Rathgeber des zwölften Karls von Schweden. »Deine Zustimmung erfreut mich,« meinte der letztere. »Ich weiß, daß ich dieses Mal nicht den gewohnten geraden Wege gehe, aber ich habe mich entschlossen ihn zu betreten, weil er mich am schnellsten zum Ziele führt.« »Wer hat diesen Plan entworfen?« »Nicht ich, denn ich mag niemals mit fremden Federn schmücken. Er stammt von dem Obristen Börjesson, der sich dann auch alle mögliche Mühe gegeben hat, ihn zur Ausführung zu bringen. Ich werde seinen Eifer belohnen.« »Wodurch?« »Nach dem Gelingen unseres Vorhabens mache ich ihn zum Generale, und bereits jetzt gebe ich ihm eine Frau, die er sich von mir erbeten hat.« »Von Euch? Habt Ihr ihre Hand zu vergeben?« »Eigentlich nicht, aber die Umstände geben mir die Macht dazu.«
»Das klingt, als ob er diese Hand freiwillig nicht erhalten würde.« »So ist es auch. Sie liebt ihn nicht.« »Ich könnte ihn auch nicht lieben. Wer ist das Mädchen?« »Ein Fräulein von Boberfeld; ihr Vater war Obrist in preußischen Diensten.« »Ah! Er starb in den Niederlanden?« »Ja.« »Der Freund des Dessauers?« »Derselbe.« »So ist der Herzog von Merseburg ihr Vormund?« »Ja.« »Ist es edel von Borjesson, sich die Hand eines Mädchens zu erzwingen, welches ihm ihre Liebe und vielleicht auch ihre Achtung versagt?« »Ich kann darüber nicht urtheilen, denn Du weißt, ich hasse die Frauen. Ein Freund wie Du ist mir mehr werth als alle Frauen der Welt. Und darum hast Du mir mit Deiner Reise von Schweden hierher eine Freude bereitet, welche ich Dir hoch anrechnen werde. Uebrigens was diese Boberfeld betrifft, so verhält sie sich nur deshalb abweisend zu dem Obristen, weil sie eine kleine Liebelei mit einem meiner niederen Offiziere angesponnen hat.« »Mit wem?« »Mit Erich Seeström.« »Dem Sohne von Axel Seeström?« »Ja.« »Das ist ein nicht nur körperlich, sondern auch geistig ausgezeichneter junger Mann, der Karrière machen wird, obgleich er einer armen Familie angehört.« »Ich weiß es. Er hat mir bereits verschiedene Aufgaben von großer Schwierigkeit gelöst, und ich stehe im Begriffe ihm einen Auftrag zu ertheilen, dessen gute Ausführung ihm viel nützen wird. Ich sende ihn nach Warschau.« »Wenn?« »Morgen.« »Weiß er davon?« »Noch nichts.« »Ich verstehe! Dann ist er dem Obristen aus dem Wege geräumt. Majestät, ich würde dies nicht thun!«
»Ich verbinde mir dadurch nicht nur den Obersten, sondern auch den Herzog und den Grafen von Mansfeld. Ich kenne meine Handlungen. Es muß jede einzelne von ihnen beurtheilt werden nach dem Zusammenhange mit den andern, mit denen sie eine geschlossene Kette bildet, die mir zur Fesselung meiner Feinde dient. Hier ist Allstädt. Ich hoffe, daß die Andern bereits anwesend sind.« Sie ritten in den Hof des Gutes ein. Da ihre Ankunft bemerkt worden war, kam ihnen der Obrist mit dem Herzoge und dem Mansfelder, welcher bereits auch eingetroffen war, entgegen, um sie zu empfangen. Kurze Zeit später schritten zwei andere Männer auf demselben Wege dahin. Auch hier war der eine jünger als der andere. An dem herkulischen Gliederbau war Erich von Seeström und an dem von einem dunklen Barte bewaldeten Gesichte der schwarze Klas, Feldwebel Baldauf leicht zu erkennen. »Also es ist wirklich wahr von dem Börjesson?« frug Erich. »Ja, Herr Lieutenant. Er ist gestern Mittag fort und bis heute noch nicht zurückgekehrt. Sein Bursche sagte, daß er nach Allstädt sei.« »Und ohne Bedienung?« »Ja.« »Auffällig.« »Und zwar hat er sich durch sein Faktotum, den Korporal Malholm dort anmelden lassen. Ich habe es von dem Korporal selbst erfahren.« »Was hat das Fräulein gesagt?« »Daß ihr der Obrist willkommen sei, sie habe ihn längst mit Sehnsucht erwartet.« »Lüge! Grade das Gegentheil hat sie gesagt, dafür will ich mit meinem Leben einstehen. Dieser Malholm weiß, daß Du mir Alles wiedersagst, und hat mich ärgern oder gar mit dem Fräulein veruneinigen wollen. Ehe wir nach dem Gute gehen, kehren wir erst im Dorfe ein. Dort werden wir erfahren, ob sich der Obrist bei dem Fräulein befindet oder nicht.« Das Dörfchen bestand aus nur einigen Bauerngütern und Häusern. Ehe sie es erreichten, sahen sie einen Mann langsam seitwärts vom Felde kommen. »Der Wirth! Der wird uns Auskunft geben können.«
Sie versuchten ihn einzuholen, dies gelang ihnen aber erst, als er seinen Garten bereits erreicht hatte. »Ah, der Herr Lieutenant!« meinte er. »Wollt Ihr auch auf das Schloß?« »Auch? Das klingt ja, als ob bereits Wer dort sei?« »Will es meinen!« antwortete der Wirth mit wichtiger Miene. »Wer ist es?« »Ihr wißt es wirklich nicht, Herr Junker?« »Nein.« »So muß ich es Euch freilich sagen: Der König.« »Der König?« frug Erich erstaunt. »Welchen König meint Ihr denn?« »Wir haben ja jetzt nur einen König hier, Euren König, den König von Schweden.« »Das ist wohl nicht gut möglich. Was will der König auf Allstädt?« »Weiß es nicht.« »Er hat sich eine Unwahrheit aufbinden lassen!« »Dann müßte ich sie mir selber aufgebunden haben. Ich habe ihn nach dem Gute gehen sehen.« »Kennt Er ihn denn genau?« »Will es meinen! Habe ihn oft genug in der Stadt gesehen, und zwar erst gestern noch mit dem Regentschaftsvikar Piper, der heut auch mit ist.« »Wenn dies wahr ist, so muß es allerdings etwas höchst Wichtiges geben.« »Könnt Euch darauf verlassen!« »Sind noch andere Herren da?« »Ja.« »Wer?« »Der Graf von Mansfeld, der Herzog von Sachsen-Merseburg und der Obrist Börjesson. Der erstere ist heut Vormittag gekommen, die beiden andern aber schon gestern.« »Alle Wetter, das Fräulein ist zu Hause?« »Ja.« Und mit gutmüthig verschmitzter Miene fuhr er fort: »Sie ist auch erst heute Vormittag gekommen, denn gestern ist sie vor dem Herrn Obersten ausgerissen.« »Weiß Er das genau?« »Sehr. Die Kammerzofe ist meine Base; die macht mir keine
Lügen. Es gibt auf dem Gute heut noch mehr Sonderbares.« »Er will mich neugierig machen!« »Schadet aber nichts, denn ich kann diese Neugierde auch stillen.« »Nun?« »Gestern haben sie einen Scheerenschleifer gefangen genommen.« »Weshalb?« »Weil er einen andern Schleifer todt geschlagen und ihm den Karren und die Lieder abgenommen hat.« »Die Lieder?« »Ja. Die hat er hier gesungen, und davon ist es herausgekommen.« Der Lieutenant wurde aufmerksam. »Weiß Er was es für Lieder gewesen sind?« Es soll gar wunderbar sein was er gesungen hat. Die Base hat Alles mit angehört und gar sehr lachen müssen. So hat es zum Beispiel darin geheißen: »Der Frau gebührt natürlich Recht, Sie ist das schönere Geschlecht.« dann ferner: »Im Tintenfasse schwimmt das Thier, Frißt Federn, Schreib- und Druckpapier.« und auch: »Denn wer das Einmaleins verdaut, Der stirbt auch nicht am Sauerkraut.« »Klingt das nicht possirlich? Und nun steckt er unten im Gewölbe, und ein Knecht muß stets Wache vor der Thüre stehen, daß er nicht echappiren kann. Gehen die Herren einmal mit herein? Ich habe ein frisches Faß angesteckt!« »Wir gehen mit,« antwortete der Lieutenant nachdenklich. »Ich führe Euch durch die Küche gleich in die Herrenstube.« Dieses geschah. Das Herrenstübchen war von der gewöhnlichen
Gaststube durch eine Glasthüre getrennt, welche keinen Vorhang hatte. Eben wollte sich der Lieutenant setzen, als der Feldwebel beinahe erschrocken seinen Arm ergriff. »Herr Junker!« »Was?« »Seht durch die Thür!« Der Lieutenant warf einen Blick durch die Glasscheibe und fuhr zurück. »Alle Wetter!« »Was denn?« frug der Wirth. »Dieser Tabuletkrämer ist ein Bekannter von uns.« »Soll ich ihn herausschicken?« »Nein, um keinen Preis! Wirth, ich muß Ihm sagen, daß Er mir einen großen Gefallen thun kann!« »Sehr gern, wenn es mir möglich ist.« »Sagt diesem Krämer nicht, daß ich hier bin; verschweigt ihm auch, daß die Herrschaften sich auf dem Gute befinden, und versucht es, ihn nur eine Viertelstunde aufzuhalten, bis ich wiederkomme. Baldauf, passe auf ihn auf. Daß Du ihn mir ja nicht aus den Augen lässest!« Er verließ das Zimmer durch die Küche und eilte mit raschen Schritten nach dem herrschaftlichen Gute. Dort trat ihm die Wirthschafterin entgegen. »Der Herr Lieutenant!« »Ja. Ist das gnädige Fräulein zu Hause?« »Ja.« »Wo ist sie?« »In der blauen Stube bei den Herren.« »Kennt Sie diese Herren?« »Nicht alle.« »Ich muß hinauf.« »Halt, das ist verboten!« »Warum?« »Der gestrenge Herr Herzog haben gesagt, daß kein Mensch Zutritt haben soll, er mag heißen wie er will.« »Das gilt nicht für mich.« »Oh, für Euch auch, denn der Herr Obrist hat das hinzugefügt.« »Ah! Und dennoch gehe ich hinauf!« »Ihr dürft nicht!«
Sie wollte ihn beim Aermel zurückhalten, brachte es aber nicht fertig. »Herr mein Heiland, ist das eine Noth und eine Sorge! Wer soll das aushalten? Da soll er nicht hinauf und rennt dennoch hinauf. Ueber wen wird man dann herfallen? Ueber mich! Das ist ja eine ganz heillose Geschichte, eine Unordnung, gerade wie in Polen, wie mein Seliger immer sagte!« Oben trat der Lieutenant ein. Die Herren saßen um die Tafel, hatten allerlei Karten, Pläne und Skripturen bei sich und vor ihnen stand die Herrin des Hauses in einer Haltung und einer Miene, welche sehr kampfbereit aussah. Bei seinem Anblicke erhoben sich die Herren alle. »Lieutenant Seeström,« rief der König in strengstem Tone. »Majestät!« »Weiß Er, daß der Eintritt hier verboten wurde?« »Die Wirthschafterin sagt es.« »Und Er wagt es meinen Befehl zu übertreten?« »Majestät, der Grund wird mich entschuldigen.« »Es gibt keinen Grund, der einen solchen Ungehorsam entschuldigen könnte. Ich werde Ihn bestrafen lassen! Herr Obrist!« »Majestät!« »Lieutenant Seeström erhält eine Woche Stubenarrest!« Das Auge des Junkers blitzte zornig auf. »So mag der Fang zum Teufel gehen! Majestät, ich bedanke mich für die gnädige Strafe!« Mit dröhnendem Schritte verließ er das Zimmer. »Lieutenant!« erklang es hinter ihm. Es war der König. Er mußte umkehren. »Majestät!« »Mache Er die Thür wieder zu! Von welchem Fange sprach Er?« »Ich habe soeben den Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preußen im Inkognito gesehen und erkannt.« »Wetter! Er fabulirt!« »Majestät, ich bin nüchtern!« Es kam eine eigenthümliche Bewegung unter die Anwesenden. Der König frug: »Wo hat Er ihn gesehen?« »Hier in der Nähe. Das war der Grund, der mich entschuldigen
sollte!« Schnell hatte er sich umgedreht und war zur Thüre hinaus. »Teufel, welch ein Benehmen! Obrist, eile Er ihm nach und bringe Er ihn zurück!« Börjesson sprang davon, kehrte aber bereits nach einer Minute allein zurück. Sein Gesicht war vom Zorne geröthet. »Nun, wo hat Er ihn?« »Majestät, ich fordere Genugthuung! Dieser Mensch antwortet mir, daß er keine Achtung vor mir zu haben brauche; einem solchen Boten könne er nicht gehorchen.« Bei diesen Worten blitzten die Augen der Herrin stolz und befriedigt auf. Der König ergrimmte sichtlich über den Widerstand des Lieutenants, aber es stand so viel auf dem Spiele, daß er sich beherrschte. »Wer weiß, wie Er dem Junker gekommen ist.« Er trat zum Fenster und öffnete es. Seeström hatte bereits das Thor erreicht. »Lieutenant von Seeström!« »Majestät!« klang es von unten herauf. »Ich befehle ihm zurückzukehren!« »Zu Befehl!« Er trat nach wenigen Augenblicken wieder ein. Der König fixirte ihn lange mit finstern Blicken, dann sagte er: »Ich will ihm den Stubenarrest erlassen. Wo ist der Kronprinz?« »In der Schenke hier.« »Inkognito?« »Als Tabuletkrämer.« »Hat Er Seine Maßregeln getroffen, daß er nicht entkommen kann?« »Feldwebel Baldauf bewacht ihn.« »Wie viele Mann gebraucht Er, um ihn gefangen herzubringen?« »Keinen als mich allein.« »Warum hat Er ihn dann nicht gleich gebracht?« »Einen Kronprinzen? Ohne Euer Majestät Erlaubniß oder Instruktion?« »Er hat Recht! Ich vertraue ihm diese Mission an. Gehe Er und bringe Er ihn!« Der Lieutenant trat ab und eilte nach der Schenke. In der
Herrenstube angekommen sah er, daß der Tabuletkrämer noch anwesend war. Er hatte Mehreres an die Gäste abgesetzt und verschloß soeben seinen Kasten, um das Lokal zu verlassen. »Du folgest mir nachher, Baldauf, daß er nicht fliehen kann.« Mit diesen Worten trat er in das allgemeine Gastzimmer und legte dem Krämer, der ihm den Rücken zudrehte, die Hand auf die Achsel. Er wandte sich um. »Donnerwetter, der Seeström!« rief er erschrocken. »Ja, der Seeström,« antwortete Erich freundlich. »Willkommen hier zu Lande! Wie geht der Handel, Kamerad?« Der Krämer hatte sich bereits wieder gefaßt. »Schlechte Zeiten, man muß zufrieden sein!« »Ja, ja. Wenn Er ein besseres Geschäft machen will, als hier, so folge Er mir!« »Wohin?« »Auf das herrschaftliche Gut.« Das Gesicht des Krämers wurde ernster. »Habe keine Zeit!« »Einer Dame zu Liebe hat man allemal Zeit!« »Fräulein von Boberfeld?« »Ja, die Ihn wohl nicht fressen wird!« »Habe keine Angst, aber auch keine Zeit, wie ich schon sagte!« »Und ich habe Befehl Ihn mitzubringen, todt oder lebendig!« antwortete der Lieutenant in scherzhaftem Tone; der Tabuletkrämer aber mußte erkennen, daß der strengste Ernst dahinter stecke. Sollte er es auf einen Kampf ankommen lassen? Der Junker war ihm überlegen, und ein Schauspiel mußte auf alle Fälle vermieden werden. »Gut, ich gehe mit!« »So nehme Er Seinen Kasten!« »Ich bin ermüdet. Ich werde ihn mir tragen lassen!« »Mir auch recht.« Gegen eine kleine Belohnung nahm einer der anwesenden Gäste den Kasten auf den Rücken, und die Beiden folgten. »Sehe Er sich einmal um!« meinte Seeström. »Kennt Er den, der hinter uns herkommt?« Der Händler blickte sich um. »Geht mich nichts an!« antwortete er. »Ist der Kasten in Halberstadt gemacht?«
»Halte Er das Maul!« »Gut!« Der Kronprinz that keinen Schritt, der zu der Annahme, daß er fliehen wolle, berechtigen konnte. Sie erreichten das herrschaftliche Gut; der Kasten wurde in den Flur niedergesetzt und der Prinz von dem Lieutenant nach oben geführt. »Er tritt ab, bleibt aber zur Verfügung!« bemerkte der König dem letzteren. Seeström trat ab. Es war kein Mensch auf dem Korridore. Er wagte es an die Thür zu Annas Wohnzimmer zu gehen und zu klopfen. Sie öffnete. »Erich!« »Anna! Was passirt hier?« »Ich weiß es nicht. Etwas politisch Wichtiges aber ist es.« »Ihr habt bereits einen Gefangenen?« »Ja.« »Wer ist es?« »Ich weiß es nicht.« »Wegen Mordes?« »Ja. Er hat Dein Lied gesungen.« »Ich muß kurz sein, denn der König kann jeden Augenblick rufen. Du hattest eine Scene mit den Herren gehabt?« »Ja.« »Ich sah es Dir an als ich eintrat. Was war es?« »Ich habe mich gewehrt, mit aller Kraft.« »Wogegen?« »Gegen die Heirath mit dem Obristen. Der König und die Andern wollen mich zwingen.« »Was war das Resultat?« »Man gab mir noch zwei Stunden Bedenkzeit.« »Ach! Und wenn Du nicht einwilligest?« »Komme ich in ein Stift für alte adelige Fräuleins.« »Was wirst Du thun?« »Nicht heirathen und auch nicht in das Stift gehen.« »Wohin sonst?« »Nach Berlin zum Könige oder nach Dessau zum Fürsten. Beide nehmen sich sicher meiner an. Mein Vermögen soll dann, wenn ich nicht auf die Heirath eingehe, halb dem Herzoge, viertheils dem Mansfeld und viertheils dem Herrn Bräutigam zufallen abgerechnet
die Summe, welche das Stift beanspruchen wird.« »Schöner Plan! Sie wollen Dich wohl gleich mitnehmen?« »Ja.« »So willst Du fliehen?« »Ja.« »Ich gehe mit!« »Wolltest Du?« jubelte sie. »Ja, zum Dessauer. Ich werde den Kronprinzen wieder befreien. Das ist kein Hoch-, kein Landesverrath und keine Desertion, das ist nur die einfachste Nothwehr. Für meine Treue bekam ich eine Woche Arrest; wer weiß, was später noch auf mich wartet. Wir besprechen das Weitere noch. Adieu, mein Leben!« »Adieu, Erich!« Kaum hatte er seinen Posten wieder erreicht, so wurde er gerufen. In dem blauen Zimmer hatte sich unterdessen eine eigenthümliche Scene abgespielt. Der Kronprinz hielt es natürlich unter allen Umständen für gerathen, sein Inkognito festzuhalten. Er kannte sie Alle persönlich und war ebenso Allen wieder persönlich bekannt. Sie erhoben sich bei seinem Eintritte, nur Karl blieb sitzen. »Monseigneur,« meinte er mit einem ironischen Lächeln, »es ist eine eigenthümliche Audienz, Die ich Euch gegenwärtig ertheile!« »Audienz? Alle Teufel, was ist das für ein Ding?« »Ich hoffe nicht daß Euch Euer bekannter Starrkopf – – –« »Herr!« donnerte der Krämer dazwischen hinein. »Wer seid Ihr?« »Ich bin der König von Schweden!« »Gut! Und ich bin ein armer Tabuletkrämer. Ihr habt mich kommen lassen. Was wollt Ihr von mir kaufen?« »Ich ermahne Euch dringend, Euer Inkognito aufzugeben, da Ihr sonst als Derjenige behandelt werdet, für den Ihr Euch ausgebt!« »Inkognito? Macht Euch nicht lächerlich! Inkognito gibt es nur bei sehr vornehmen Herren; wäre ich ein solcher, so würde ich nicht stehen bleiben, sondern mich setzen; wäre ich ein solcher, so würdet Ihr nicht sitzen bleiben, sondern so höflich sein aufzustehen. Verstanden, Herr König von Schweden? Basta, abgemacht!« »Also Ihr seid ein Tabuletkrämer? Wie heißt Ihr?« »Hier ist mein Hausirzettel, da steht Alles darauf. Macht es kurz!«
Der König nahm Einsicht in die Zeilen und frug darauf: »Was wollt Ihr grad in dieser Gegend?« »Kuriose Frage! Ehrlichen Handel treiben! Was aber wollt Ihr in dieser Gegend?« »Zunächst habe ich hier zu fragen! Er schweigt, bis ich eine Antwort erwarte! Ist Er mit Erlaubniß Seines Vaters hier?« »Gehe Er doch dahin, wo mein Vater ist, und frage Er diesen! Ich pflege mich nicht so wie Andere den Leuten zum Unfrieden und zur Molestation in der Welt umherzudrücken. Er wird wohl verstehen, wen ich meine!« »Ein renitenter Kerl! Man wird Ihn aber zu packen wissen und Ihm zeigen, daß Er die Angelegenheiten Seines Herrn Vaters vollständig über den Haufen wirft!« »Wird kein großer Haufe sein! Ich habe übrigens keine Zeit. Lasse Er mich gehen!« »Daß man ein Thor wäre! Man wird sich Seiner Person versichern. Seeström!« Auf diesen Ruf trat der Lieutenant ein. »Dieser Krämer wird in dasselbe Gewölbe gebracht, in welchem sich bereits der Scheerenschleifer befindet. Er kommt dann wieder zu mir!« Seeström führte den Kronprinzen ab, nahm der Wache den Schlüssel aus der Hand und öffnete. Der Kronprinz trat willig ein. »Durchlaucht!« »Hoheit!« Diese beiden Rufe vernahm der Lieutenant, warf einen Blick in das Gewölbe und erkannte den Dessauer. Er hatte aber keine Zeit, seiner Ueberraschung Ausdruck zu geben; er mußte wieder nach oben. Als er das blaue Zimmer wieder betrat, winkte ihm der König näher zu treten. »Lieutenant von Seeström, Eure Umsicht, Tapferkeit und Treue hat mir schon öfters lobenswerthe Dienste erwiesen. Ich bin Euch zu Dank verpflichtet und mache Euch hiermit zum Hauptmanne!« »Majestät – –!« »Schon gut! Ich bin überzeugt, daß ich mich auch ferner auf Euch verlassen kann, und will Euch einen Beweis meines unbeschränkten Vertrauens geben, indem ich Euch eine Mission ertheile, von deren Erfüllung sehr viel abhängt. Ihr geht nämlich
nach Warschau, wo Eurer voraussichtlich ein längerer Aufenthalt wartet. Eure Instruktion ist bereits ausgefertigt. Ihr geht jetzt sofort zu meinem Sekretär, sie zu holen. Morgen früh müßt Ihr abgereist sein. Die Instruktion habt Ihr erst in Warschau zu öffnen. Lebt wohl!« Er streckte ihm mit gnädigem Lächeln die Hand entgegen, Seeström aber ergriff sie nicht, sondern verbeugte sich kalt. »Ja, lebt wohl, Majestät. Ich werde um meinen Abschied einkommen!« »Wie! Höre ich recht?« fuhr der König auf. »Ich werde um meinen Abschied einkommen!« wiederholte der Junker. »Warum?« »Weil ich Euch durchschaue, Majestät. Ich werde niemals ohne Gegenwehr den Ort verlassen, an welchem ein gewisser Börjesson nicht am Platze ist.« »Was will Er damit sagen?« »Daß ich selbst einem Könige das Recht nicht zugestehe, in das Glück zweier Herzen vernichtend einzugreifen. Ich war Euer Majestät treuester, eifrigster und furchtlosester Soldat. Man belohnt mir diese Treue mit Verrath. Ich nehme meinen Abschied.« Der König schnellte in die Höhe. »Verrath! Elender, weiß Er, wem Er dieses Wort gesagt hat? Ich kann Ihn zertreten wie einen Wurm!« »Wurm?« frug Seeström mit blitzenden Augen und reckte sich in die Höhe. »Seht mich einmal an, Majestät! So wie ich hier stehe, fürchte ich Euch Alle und noch zwanzig Andere nicht. Wer ist nun der Wurm!« »Er!« knirschte Karl. »Das will ich Ihm sogleich beweisen! Er ist mein Gefangener. Ich selbst werde Ihn in das Gewölbe bringen, und ich will sehen, ob Er es wagt, sich an der Majestät zu vergreifen!« Er faßte den Lieutenant beim Arme. Dieser lächelte von oben auf ihn hernieder. »An der Majestät? Pah! Wo wäre diese in diesem Augenblicke zu finden. Aber dennoch werde ich mitgehen, und zwar nicht wie der Verbrecher mit der Majestät, sondern wie das starke edle Roß, welches sich willig von dem kleinen Buben führen läßt. Vorwärts. Ich bin bereit und werde wieder Fürsten für Euch fangen!«
Unten im Gewölbe hatte sich unterdessen eine etwas kräftige Unterhaltung abgesponnen. »Durchlaucht!« hatte der Prinz, und »Hoheit!« hatte der Fürst gerufen. Dann schloß sich die starke Eichenthüre hinter ihnen. Sie beguckten einander vom Kopfe bis zu den Füßen herab, und dann brachen sie beide in ein schallendes Lachen aus, welches mit der gegenwärtigen Situation allerdings nicht gut harmoniren wollte. »Donnerwetter, nehmt Ihr Euch gut aus, Prinz!« »Sapperlot, seid Ihr ein netter Kerl, Fürst!« »Nicht wahr? Ja, man hat auch so seine Meriten! Wer hat Euch denn eigentlich abgefangen, he?« »Dieser verdammte Seeström!« »Was? Der? Den soll doch ein Donnerwetter neunundneunzig Klafter tief in den Erdboden schlagen! Hat denn den der Teufel überall?« »Wie es scheint! Und wer hat Euch beim Zopfe genommen?« »Der Börjesson! Diesen verfluchten Kerl lasse ich noch Spießruthen laufen, und wenn ich die Stöcke dazu barfuß und höchst eigenhändig aus Sibirien herbeischaffen sollte! War da über dem besten Schleifen, habe jedes Messer und jede Scheere um eine halbe Elle kürzer gemacht und stets von der verkehrten Seite an den Stein gehalten – sang wie eine Haidelerche mein schönes Lied; da läßt mich dieser Himmelhund zu sich kommen und schickt mir das ganze Gesinde auf den Hals. Habe mich aber gar nicht gewehrt!« »Ich auch nicht.« »Warum sollte man denn Spektakel machen! Das Bischen Holz hier könnte man mit dem Fuße zertreten, ist aber auch nicht nöthig. Jetzt ist es bereits acht Uhr, und halb elf Uhr kommt der Major Hagen mit fünfzig Mann von Blankenfelde herüber, um mir die Tinte, in der ich stecke, abzulecken.« »Ah! So habt Ihr Euch also vorgesehen?« »Ja, Doch still! Man schließt wieder auf.« Die Thüre wurde geöffnet, und der König in eigener Person steckte den Lieutenant herein. Dieser war einigermaßen verlegen, wie er sich benehmen sollte, aber diese Verlegenheit schwand sofort, als er von einem wahrhaft homerischen Gelächter empfangen wurde. »Oho! Wer kommt denn da? Ich glaube gar der Herr Urian
selber! Auch als Gefangener oder um uns hübsch auszuhorchen!?« frug der Kronprinz. »Als Gefangener,« antwortete er einfach. »Kann Er sein Wort als Edelmann darauf geben?« »Ich gebe es!« »Na, da schlage doch Gott den Teufel todt! Erzähle Er!« Während der Lieutenant seinen Bericht erstattete, saß Anna in schweren Sorgen oben in ihrer Stube. Sie hatte erfahren, daß Erich eingesperrt worden war, und die Zeit, in welcher sie ihren Entscheid geben sollte, rückte heran. Doch als die Stunde gekommen war, wurde sie nicht gerufen. Sie hätte leicht fliehen können, aber sie mochte es nicht ohne Erich. Man hatte da drüben im blauen Zimmer gewiß sehr nothwendige Berathungen zu pflegen. Es wurde neun Uhr und zehn Uhr, und die Dunkelheit des Abends begann sich über die Gegend zu breiten. Da kam ein Mann durch das Thor und über den Hof herüber. Im Flur bei der Wache stand die Wirthschafterin, welche sich die Behütung der Gewölbethüre angelegener sein ließ als der Posten selbst. Der Mann trat ein. Es war der Feldwebel Baldauf, der die Rückkehr seines Lieutenants in der Schenke vergebens erwartet hatte. »Wo ist der Herr Junker von Seeström, Jungfer Zeißig?« frug er. »Wo der ist? Da drin steckt er!« »Da drin? Was thut er da?« »Er brummt!« »Was soll das heißen?« »Na, was anders, als daß er gefangen ist!« »Gefangen? Weshalb denn?« »Weiß ich es?« frug sie schnippisch. »Ist es wahr?« frug er den Posten. »Ja,« antwortete der Knecht treuherzig. »Ich stehe hier Wache. Ich darf das Fräulein nicht herunterlassen und auch die Drei nicht hier heraus, sonst werde ich selber eingesteckt.« »Das Fräulein? Donnerwetter! Und diese drei? Wer ist das?« »Der Herr Lieutenant, der Schleifer und der Krämer.« »Darf man denn nicht einmal mit dem Herrn Lieutenant sprechen?« »Nein, das ist sehr streng verboten!« antwortete die Wirthschafterin.
»Halte Sie Ihr Maul! Sie hat gar nichts darein zu reden! Klaus, ist es wirklich wahr, daß ich nicht mit dem Herrn Lieutenant reden darf? Ich habe als Feldwebel ganz nothwendig mit ihm zu sprechen.« »Hm! Mir ist blos gesagt worden, daß ich eingesteckt werde, wenn sie ausreißen.« »So mache mir einmal auf!« »Nein; das darf Er nicht, Klaus! Ich sage es dem Herrn Obristen!« »Will Sie wohl stille sein, Sie alte Kanaille, Sie? Wenn Sie das Maul noch einmal aufthut, so soll Sie sehen was passirt!« Klaus hatte den Schlüssel bereits angesteckt und öffnete. »Herr Lieutenant!« »Feldwebel!« »Ihr seid wirklich gefangen?« »Ja.« Er trat heraus um sich zu zeigen, da faßte ihn aber die Wirthschafterin am Arme. »Ihr habt hier drin zu bleiben! Versteht Ihr?« Der Lieutenant war ganz erstaunt über das Frauenzimmer und antwortete ihr nicht. Aber an seiner Stelle antwortete ein anderer. »Ah, das ist ja Sie mit Ihrem gottsvergessenen Plapperment, Sie Jungfer Staar geborene Kreuzdorn! Sie soll doch gleich der Gottseibeiuns bei Ihren Storchwaden nehmen und durch die Lüfte säuseln!« »Halte Er sein großes Maul, Er Thunichtgut! Er ist ja keinen Heller werth! Er hat mir ja lauter Unheil angestiftet! Die Wiegmesser hat er auf der obern statt auf der untern Seite geschliffen, bei den Tischmessern die Hefte statt der Klingen und bei den Scheeren die Griffe anstatt der Schneiden. Das war eine schöne Bescheerung, das war ja eine Wirthschaft gerade wie in Polen, wie mein Seliger immer sagte!« »Warte, da werde ich Sie auch gleich beim Hefte nehmen. Höre Er, wie heißt Er?« »Klaus.« »Er ist der Posten hier?« »Ja.« »Hat Er einmal vom Dessauer gehört?« »Ja.«
»Der bin ich, und das ist der Kronprinz von Preußen. Wer jetzt muckst, dem schneide ich den Hals ab. Draußen vor dem Gute stehen meine achttausend Soldaten, die rauben, morden, sengen und brennen, die spießen die Kinder im Mutterleibe todt und schneiden den Jungfern die Bäuche auf, wenn Ihr nicht Ordre parirt. Herein mit Euch Zweien! Sie, Jungfer Henne, geborene Balsamine, wagt es nicht, einen Laut auszustoßen, und Er, Klaus, bewacht sie drin und sieht darauf, daß sie keinen Skandakel macht. Also hinein mit den zwei Sechsern in den Klingelbeutel! So!« Er schob sie hinein, schloß zu und steckte den Schlüssel ein. »Nun wartet einen Augenblick! Ich will sehen, ob der Hagen da ist!« Er ging in den Hof und hinter das Gut. »Hagen!« »Hier!« »Alle da?« »Alle, Durchlaucht.« »Das Ding wird eingeschlossen, daß niemand hindurch kann. Hinein darf Jeder, heraus aber Niemand. Waldow, Er ist Feldwebel; besorge Er das. Die Offiziere aber folgen mir jetzt!« Als er mit diesem Gefolge den Flur erreichte, trat ihm Baldauf entgegen. »Durchlaucht, der Herr Lieutenant von Seeström sagt mir, daß er mit Euch geht!« »Ja.« »Ich bin sein Feldwebel.« »Kenne Ihn schon, Er Hallunke, von wegen der Krautpopels damals!« »Darf ich mit?« »Komme Er nur, denn solche Galgenstricke kann ich gern gebrauchen! Jetzt hinauf!« Die Treppe wurde leise erstiegen, und ebenso leise öffnete Leopold die Thür. Drin stand jetzt Anna vor den Herren und der Herzog meinte eben: »Ihr laßt also von diesem Seeström und habt die Wahl zwischen Börjesson und dem alten Jungfernstifte. Entscheidet Euch!« »Packt Euch selber zu den alten Jungfern, Ihr malefizer gichtbrüchiger Kuppler Ihr!« klang es da von der Thüre her. Der Fürst, der Kronprinz, Seeström, Baldauf und vier Offiziere
vom halberstädtischen Regimente traten ein. Die Ueberrumpelten sprangen auf. »Was ist das? Verrath!« rief der König und suchte die auf der Tafel liegenden Schriften fortzuraffen. »Laßt das Zeug in Gottes Namen liegen, ich habe die Mappe meines lieben Merseburger Vetters bereits gestern in der Küche gelesen.« »Ihr seid unsere Gefangenen! Was wollt Ihr hier oben? Ich werde Euch schärfer bewahren lassen!« brauste der König auf. »Da steckt nur auch meine Buntröcke mit ein, die das ganze Allstädt umzingelt haben, daß keine Maus und keine Laus sich durchbeißen kann! Setzt Euch nieder, Ihr Herren. Wir haben mit Euch zu reden!« Man folgte seinem Gebote. Er wandte sich nach der Thür. »Major Hagen, befehlt zehn Mann mit guten Stricken herauf. Man weiß nicht, wie man den Hanf brauchen kann, denn ich habe nicht Lust, mir den Schnabel wund zu reden.« Der Major entfernte sich. Leopold wandte sich wieder der Tafel zu. »Ihr Herren habt vorhin diesem Fräulein von Boberfeld Bedingungen gestellt, jetzt nun kommt die Reihe Bedingungen zu machen an uns. Ihr Alle kennt mich genau und wißt, daß ich kein Faselhans bin. Was ich sage, das gilt, und damit Punktum! Hört Ihr die zehn Mann mit den Stricken kommen? Sie bleiben draußen, denn unsere Unterredung dürfen nur wir hören. Unten stehen noch so viel Buntröcke, wie ich brauche. Und nun sage ich Euch, entweder werden wir einig, oder Ihr Alle geht als meine Gefangenen mit mir!« »Das ist gegen das Völkerrecht! Ich protestire da – –« »Donnerwetter,« unterbrach Leopold den König, »wer muckst noch? Habe ich nicht deutlich genug gesagt, daß jetzt ich, nämlich ich spreche! Ihr habt uns ohne Umstände gefangen genommen; ich könnte es mit Euch ebenso thun; aber ich will es gnädig machen und Euch Bedingungen stellen, die Euch den Rückzug erleichtern. Geht Ihr nicht darauf ein, so ist es Euer eigener Schaden. Ich kehre mich den Teufel um Euer Völkerrecht und um Eure Protestation. Ihr macht es ebenso, wenn Ihr das Heft in den Händen habt. Also hört mein letztes Wort: Ihr habt zu Altranstädt im vorigen Jahre Frieden mit dem Kurfürsten von Sachsen gemacht; Ihr wollt zu Altranstädt
in diesem Jahre eine Konvention mit dem Kaiser von Oesterreich schließen; ich verlange, daß Ihr in diesem Jahre und noch vor dieser Konvention ein Bündniß mit Preußen schließt. Ihr habt uns bisher hingehalten und unsern Obersten Ravenau mit schönen Redensarten gefüttert. Ich verlange, daß endlich Ernst gemacht wird und der Traktat bis spätestens den sechzehnten August unterzeichnet ist. Wollt Ihr nicht, dann marsch mit Euch nach Halberstadt! Gebt eine Antwort. Aber kurz und deutlich!« »Dieser Antrag,« meinte der König vorsichtig, »ist allerdings einer reiflichen Ueberlegung werth, und ich werde in Zeit von einigen Tagen – – –« »Kreuz-Bomben-Hagel- und Granatenwetter! Ist das eine kurze und deutliche Entscheidung? Ich sehe, daß ich in den Wind rede. Major Hagen, laßt die Leute eintreten. Wir müssen zu einer andern Sprache – – –« »Halt, Herr Major!« gebot der König dem bereits sich nach der Thüre kehrenden Hagen. »Ich bin bereit, bis zu dem angegebenen Tage das Bündniß abzuschließen und zu unterzeichnen!« »Gut! Aber ein Hundsfott, wer sein Wort nicht hält! Weiter, Wir haben vorhin unten in unserem Gefängnisse Zeit gehabt, die einzelnen Punkte dieses Traktates zu Papiere zu bringen. Sie sind, Gott straf mich! sehr gerecht und billig von uns gestellt worden, und wir legen sie Euch hiermit vor. Papier liegt genug hier. Diese Punkte werden in zwei Exemplaren abgeschrieben und unterzeichnet, ein Exemplar bekommt der König und das andere der Kronprinz hier. Das ist der Traktat, der am sechzehnten August öffentlich ausgefertigt wird. Unsere heutige Abmachung bleibt bis dahin geheim, ebenso Alles, was in diesen zwei Tagen geschehen ist, und auch die Art und Weise, wie Ihr dazu gekommen seid uns willfährig zu sein. Ihr seht, daß wir Euch schonen wollen. Die geheimen Ausarbeitungen, welche Ihr hier liegen hattet, und die gegen uns gerichtet sind, kommen in meinen Gewahrsam. Sie werden Euch aber prompt und reell ausgehändigt, sobald das Bündniß abgeschlossen ist. Lest unser Papier durch. Ich gebe Euch zehn Minuten Zeit. Am Schlusse der zehn Minuten aber kommandire ich meine Jungens herein, und wenn Ihr dann zehnmal Ja sagen wollt, es ist zu spät; das schwöre ich Euch bei allen Heiligen des Kalenders, bei meiner Seligkeit und beim Teufel und seiner Großmutter, ganz wie Ihr wollt! Heraus also mit dem Wische,
Hoheit!« Der Prinz griff in die Tasche und brachte einen Fetzen Papier hervor, welchen er dem Könige übergab. Dieser studirte die Punkte. »Fünf Minuten –« zählte der Dessauer – »sechs – – sieben – – acht – – –« »Ich muß bemerken,« meinte der König, dem wirklich der Schweiß auf der Stirn zu stehen schien, »daß der dritte Punkt von mir nicht – – –« »Nichts wird bemerkt, Majestät! Ihr sprecht heute einmal nicht mit dem Obersten von Ravenau, sondern mit dem Dessauer. Angenommen oder gefangen! – neun Minuten – – zehn – – Major Hagen, laßt – – –« »Halt, ich nehme an!« »Gut! Hagen, laßt die Leute wieder hinuntergehen!« »Aber, Fürst, Ihr seid ein ganz entsetzlicher Mensch!« »Gott bewahre! Ich bin ein höchst gemüthlicher und verträglicher Bursche, nur lasse ich mir nicht gern die Katzen vor dem Wege herumlaufen. Also schreiben, meine Herren! Ein Exemplar schreibt mein Major und das andere der Herr Graf von Mansfeld!« »Durchlaucht, ich bin mit der Feder nicht so recht – – –« »Papperlapapp! Ihr schreibt eine ganz erträgliche Pfote. Hier seht Euch einmal diesen Brief an! Ich habe ihn dem Wachtmeister Roller abgenommen, der jetzt bei mir in Halberstadt steht. Auch diese Beiden gehen über. Der Junker von Seeström wird als Hauptmann mein Adjutant. Könnt ihm gratuliren!« Mit größtem Aerger sah Mansfeld sein Schreiben in der Hand Leopolds; er mußte sich bequemen und griff zur Feder. In einer halben Stunde waren die beiden Exemplare geschrieben und unterzeichnet und gingen in die Hände des Königs und des Kronprinzen über. »So!« meinte Leopold. »Ich weiß, das ist nur für kurze Zeit, denn ich kenne die Majestät von Schweden. Aber wenn es losgeht, dann wird der Dessauer mit dem Säbel ebenso dazwischenfahren, wie heute mit dem Maule. Und nun zu etwas Anderem! Herzoglich Merseburgische Durchlaucht wissen, daß mein Freund und Kampfgenosse von Boberfeld in meinen Armen gestorben ist, der Teufel hole die Kugel, die ihn traf! Er legte mir in seinen letzten Worten das Glück seines Kindes an das Herz, und ich will heut
Abend an mein damaliges Versprechen denken. Herzogliche Durchlaucht, ich bitte hiermit bei Euch um die Hand Eurer hier stehenden Mündel Anna von Boberfeld für meinen Adjutanten, den Hauptmann Erich von Seeström!« Das kam dem Herzoge doch zu überrascht. »Durchlaucht, meine Mündel ist bereits versprochen, und übrigens hat der Junker von Seeström noch seinen Abschied aus dem schwedischen Dienst nicht erhalten.« »Richtig, Eure Mündel ist bereits versprochen; sie selbst hat sich nämlich an meinen Adjutanten versprochen. Ein Anderer hat nichts darüber zu bestimmen, sonst lasse ich bei der obersten Reichsbehörde die Verwaltung ihres Vermögens untersuchen. Pasta, abgemacht und kein Wort weiter! Und was den Herrn von Seeström betrifft, so bitte ich Euer Majestät um seinen mündlichen Abschied. Die Erfüllung dieser Bitte würde ich Euch zu aller Zeit gedenken.« Der König mußte doch lächeln über die rasche unwiderstehliche Art, in welcher der Eisenfresser Bresche zu legen versuchte. »Durchlaucht, da Ihr mich bittet, so verabschiede ich ihn hiermit!« »Ehrenvoll?« »Ehrenvoll!« »Auch seinen Feldwebel, den schwarzen Klas, den Hallunken, der mich so unverschämt gefoppt und gemeiert hat?« »Auch ihn!« »Danke, Majestät! Und nun, Herzogliche Durchlaucht, Eure Antwort!« »Was soll der Herr Obrist von Börjesson sagen!« »Der? Der hat gar nichts zu sagen! Der mag sich zum Kukuk scheeren, und wenn er ihn nicht findet, so will ich ihm gern einen Wegweiser malen! Also, heraus damit!« »Ich habe nichts dagegen!« »Gut! Hauptmann, geht hin, nehmt sie bei der Parabel und gebt ihr einen Schmatz, aber einen Zwanzigpfünder!« Der Hauptmann gehorchte. Dann meinte Leopold lustig: »Und nun ist heute Verlobung; die Herren sind eingeladen. Und am sechzehnten August, wenn man das Bündniß unterzeichnet, wird die Hochzeit gefeiert. Hier, Hauptmann, hat Er den Schlüssel zum Gewölbe. Lasse Er die zwei Gefangenen heraus und bringe Er mir die Jungfer Rabe geborene Esche mit herauf!«
In der kürzesten Zeit trat die Wirthschafterin herein. Leopold zog ihr sein fürchterlichstes Gesicht. »He, Sie alte Trauerweide, heute Abend ist Verlobung. Weiß Sie, was das ist?« »Ja.« »Da wird gegessen und getrunken. Verstanden?« »Ja.« »Na, da spute Sie sich, und schaffe Sie her, was Sie nur finden kann. Aber bringe Sie um Gotteswillen keine Messer von denen, die ich gestern geschliffen habe! Eigentlich sollte ich Ihr Verschiedenes um die Ohren pfeifen, aber da Alles ein so gutes Ende nimmt, so will ich mich einmal nicht weiter um Ihre Flöhe bekümmern, Sie alte Jungfer Stieglitz, geborene Hollunder, Sie!« –
Fürst und Leiermann Eine Episode aus dem Leben des »alten Dessauer«. Von Karl May
Es war kurz nach dem Ausbruche des ersten schlesischen Krieges, als zwei Männer auf der Straße dahinschritten, welche nahe an der hannoverschen Grenze von Arendsee nach Ziemendorf führt. Sie trugen die Kleidung gewöhnlicher Land- oder Bürgersleute, ein scharfsinniger Beobachter aber würde vielleicht Einiges bemerkt haben, was mit derselben nicht so recht zu harmoniren schien. Die großen, steifgewichsten Schnurrbärte, ihre stramme, kerzengrade Haltung, die straffe, militärische Art und Weise ihrer Bewegungen und besonders das martialische Aeußere des Einen und Aelteren von ihnen standen grade jetzt, wo sie sich jedenfalls unbeobachtet wußten, zu dem friedlichen Rocke in einem Gegensatze, welcher keineswegs durch die derben, stacheligen Knotenstöcke, die sie in den Händen trugen, gemildert wurde. »Papperlapapp, Hauptmann; lasse Er das unnütze Reden!« meinte der Martialische. »Ich bin kein Schuljunge, sondern regierender Reichsfürst und kommandirender Feldmarschall. Als solcher werde ich wohl wissen, was ich thue! Selber ist der Mann, und was ich mit meinen eignen Augen sehe, das ist mir mehr werth, als der Bericht von hundert Spionen.« »Aber wenn Ew. Durchlaucht durch irgend einen Zufall erkannt werden!« bemerkte trotz dieser Zurechtweisung der Andere. Seine Gestalt konnte zwar nicht eine imponirende genannt werden, trotzdem aber ließ sich aus seinem ganzen Wesen erkennen, daß auch mit ihm nicht viel zu spaßen sei. »So mag man nur erst sehen, ob man mich bekommt! Ich hätte heut gerade Lust, mir einmal eine kleine Motion zu machen; man wird bei dieser ewigen Faulenzerei ja zuletzt von Innen und von Außen sauer und läuft endlich gar wie alter Käse auseinander. Während der Teufelskerl, der Fritz, dem man es gar nicht zugetraut hätte, die Oesterreicher trotz ihrer vielgerühmten Kavallerie nach Noten walkt, muß ich als Kettenhund auf der Bärenhaut liegen und den Jörge von Hannover anknurren, wenn er mit den Pantoffeln klappert. Könnte ich mich doch nur einmal so recht nach Herzenslust über ihn hermachen! Denn, weiß Er, Hauptmann, ich habe einen ganz verteufelten Pick auf ihn, noch von dazumal her, wo wir Anno neunundzwanzig ihm einige dumme Rekruten wegschnappten und er darüber einen Spektakel verübte, der das ganze heilige römische Reich in Aufruhr brachte.« »Vielleicht geht es auch hier noch los, Durchlaucht!«
»Das gebe Gott! Wohl mag das sündhaft klingen, aber bei dieser Langeweile fahre ich entweder aus der Haut, oder schrumpfe vor Aerger zusammen wie eine gebackene Zwetschge. Ein fröhliches Dreinschlagen hat auch sein Gutes; man weiß dann wenigstens, woran man ist. Aber, bst! Was ist denn das?« Er blieb stehen, faßte seinen Begleiter am Arme und deutete nach seitwärts, wo eine schmale Oeffnung des Gebüsches dem Auge gestattete, eine kleine Lichtung zu überblicken, welche rings von dichten Sträuchern eingefaßt war. Mitten auf dem freien Platze, dem Auge so recht deutlich sichtbar, kniete mit gefalteten Händen eine weibliche Gestalt. Das um den Kopf geschlungene Tuch war zurückgefallen und ließ die aufgelöste Fülle des dunklen Haares erkennen, welches in dichten Ringeln über die Schulter herabquoll; das feine, von innerer Erregung geröthete Gesichtchen war mit einer Inbrunst aufwärts gerichtet, die nur dem tiefsten Grunde des Herzens enstammen konnte; die Augen schwammen in Thränen, und die vollen Lippen bewegten sich zuckend unter dem Schmerze, welcher das liebliche Wesen fast zu überwältigen schien. »Sie betet!« flüsterte weich die sonst so harte Stimme des Fürsten. »Sie betet!« klang es leise aus dem Munde des Andern zurück und unwillkürlich faltete er die Hände. »Hauptmann, hat Er vielleicht meine Anneliese einmal gesehen, als sie noch jung war?« »Nein, Durchlaucht!« »Da sehe Er sich das Mädchen da einmal recht genau an. So eine Aehnlichkeit ist mir fast noch gar nicht vorgekommen.« Er fuhr sich nachdenklich und sichtbar ergriffen mit der Hand über das alte, wetterharte Gesicht. »Was ihr nur fehlen mag!« »Das könnten wir ja leicht erfahren.« »Da hat Er Recht! Ich habe das Plappern und Frommthun niemals leiden mögen, aber dieses Gebet kommt aus einer reinen und gläubigen Seele und sollte darum wohl Erhörung finden. Freilich kommt der liebe Herrgott nicht vom Himmel herunter, um gleich eigenhändig zuzugreifen, sondern er schickt seine Leute, die, wie zum Beispiel wir jetzt eben, das Ding beim rechten Zipfel anzufassen haben. Komm Er! Sie ist aufgestanden. Wahrhaftig, das Mädchen ist eine Schönheit, wie sie bei manchem Hoffeste kaum gefunden wird.«
Mit raschen Schritten eilte er zwischen den Büschen hindurch und stand nach wenig Augenblicken vor der Erschrockenen, welche sich bei dem Anblick der beiden unbekannten Männer ängstlich hinter einen mit Waldstreu halb gefüllten Korb zurückzog. »Brauchst Dich nicht zu fürchten, Kleine!« suchte sie der Fürst mit seinem mildesten Tone zu beruhigen. »Wir haben von der Straße aus Dich beten sehen, und weil Du ein frommes und braves Kind zu sein scheinst, so schickt uns der da droben herüber, um Dir zu helfen. Welcher Hallunke ist denn Schuld, daß Du weinst, he?« Sie stand fast zitternd vor dem Manne, der sie mit seinen dunklen Augen so eigenthümlich anblitzte, daß sie ihre Fassung vollends schwinden fühlte. Noch hingen ihr die Thränen in den Wimpern, und die zuckenden Lippen verriethen, daß die Fluth von Neuem hervorzubrechen drohe. »Weine nicht, sondern sage, was Dir fehlt! Wenn es uns möglich ist, so werden wir Dir Hilfe bringen.« Langsam und unsicher suchte ihr Blick den seinen, und mit vibrirender Stimme klang es leise: »Ihr könnt mir nicht helfen! Wer seid Ihr?« »Papperlapapp, nicht helfen! Das wird sich finden! Und wer wir sind? Nun, wir sind zwei Kerls, die schon Manches fertig gebracht haben, was andern Menschenkindern niemals gelungen wäre. Also nur immer heraus mit der Antwort! Wie heißest Du?« »Ich heiße Emma, und mein Vater ist der Schulmeister Brehmer in Ziemendorf.« »Brehmer? Hm, hm! Stammt er von hier?« »Nein; er ist gebürtig aus Ottersleben bei Magdeburg.« »Brehmer – hm! Ottersleben – hm!« brummte der Frager nachdenklich. »Ist er stets Schulmeister gewesen?« »O nein! Er hat lange, lange Jahre bei dem Militär gestanden, wurde aber blessirt und mußte in Folge dessen seinen Abschied nehmen.« »Dachte es mir doch; konnte mich nur nicht gleich besinnen! Nicht wahr, er bekam eine Kugel in die Achsel?« »Ja,« antwortete sie, ihn überrascht anblickend. »Kennt Ihr ihn?« »Ein Wenig. Wenn ich mir das Ding richtig betrachte, so sind wir eigentlich Kriegskameraden mit einander.« »Ist es wahr? Habt Ihr vielleicht auch mit dem alten Dessauer
gegen die Schweden gefochten?« »Mit wem, he, wenn ich fragen darf?« »Mit dem alten Dessauer,« antwortete sie, indem ihr schon gewachsener Muth durch den barschen Ton, mit welchem seine letzten Worte gesprochen waren, wieder eingeschüchtert wurde. »Mit dem alten Dessauer! Da muß doch gleich – na, ja, Du kannst nichts dafür, und ich habe wirklich einmal mit dem alten Grobian zu thun gehabt. Wer den zum General gemacht hat, kann es auch in seinem ganzen Leben nicht verantworten.« »Oho!« antwortete sie, und es schien auf einmal alle Furcht von ihr gewichen zu sein. »Das solltet Ihr in Gegenwart meines Vaters sagen; der würde Euch eine Antwort geben, die sich gewaschen hätte.« »So! würde mich auch ganz gewaltig vor ihm entsetzen! Muß den Mann nur einmal aufsuchen, wenn wir jetzt nach Ziemendorf kommen. Ist er zu Hause?« »Nein,« entgegnete sie, indem ihre Züge in den früheren traurigen Ausdruck zurückfielen. »Er ist gefangen.« »Gefangen? Alle Wetter, was hat er denn verbrochen, daß er eingesponnen werden mußte?« »Nichts hat er verbrochen, gar nichts; er wollte nur den Paul zurückbringen, und da hat man auch ihn festgehalten.« »Den Paul? Wer ist denn der?« »Das ist – das ist – –« »Aha, weiß schon, das ist Dein Schatz! Na na, brauchst Dich nicht zu schämen. Habe auch einen Schatz gehabt, und was für einen! Donnerwetter, sollte ihn nicht bekommen; aber da bin ich mit Händen und Füßen dreingesprungen und habe nicht eher locker gelassen als bis ich ihn hatte. Also, der Paul ist auch gefangen?« »Ja.« »Wo denn? Erzähle uns doch die Geschichte einmal ausführlich!« »Ja, das ist so: Der Paul ist der einzige Sohn einer armen Wittfrau und Oberknecht beim Wiesenbauer, welcher ein Gut hat, größer als manche herrschaftliche Domäne. Und weil er gar so brav und immer meines Vaters bester Schüler gewesen ist, so haben die Eltern es gern gesehen, daß er viel auf mich hält und mich – mich am Ende gar – gar noch heirathen will. Da aber ist der rothe David aus Prezelle gekommen und mir auf Schritt und Tritt nachgelaufen,
bis ihn der Paul einmal gehörig heimgeschickt hat. Aus Wuth darüber hat er ihm gestern in der Nacht die hannoverschen Seelenverkäufer über den Hals geschickt, und die – die – –« Sie konnte nicht weiter; die Thränen erstickten ihre Stimme. »Mord und Teufel, die Lumpenröcke von da drüben hätten es gewagt, über die Grenze herüber zu kommen und den Unterthan eines fremden Souverain zu pressen? Da sollen ihnen doch gleich neunundneunzigtausend Hagelwetter auf den Hals fahren! Und Dein Vater ist ihnen nachgegangen, um den armen Tropf aus der Tinte wieder heraus zu angeln?« »Ja; er hat bloß gute Worte geben wollen, aber sie sind auch über ihn hergefallen und haben ihn hinter Schloß und Riegel gesteckt.« »O, Ihr miserablen Canaillen! Einen alten, wohlverabschiedeten Soldaten und ehrlichen Schulmeister wie einen Spitzbuben und Gaudieb um die Freiheit zu betrügen! Wart, ich werde hinter Euch herfahren wie die Watte hinter den Flöhen und Euch das Kurfürstenthum Hannover um die Köpfe schlagen, daß die lieben Englein im Himmel darüber singen, pfeifen und trompeten sollen! Wo stecken denn die Millionenhunde?« »Das Regiment steht in Dannenberg, die Abtheilung aber, welche hier in Ziemendorf gewesen ist, befindet sich noch in Prezelle, wo heut Kirchweih gehalten wird.« »Aha, da wollen sie fressen, saufen, tanzen und dicke thun, während die beiden armen Teufel bei Wasser und Brot verschimmeln können! Gut, sie sollen eine Kirmeß haben, nach der es ihnen noch zehn Jahre lang hinter den Ohren jucken wird. Wie heißt denn der Paul mit seinem Familiennamen?« »Schubert.« »Schön! Jetzt will ich Dir nur Eins sagen, meine Tochter! Bleibe immer so fromm und gut, wie Du jetzt bist, dann wird Dich der liebe Herrgott in keiner Noth verlassen. Du sollst Deinen Paul wieder haben und Deinen Vater obendrein, Adieu!« Sich scharf auf dem Absatze herumdrehend, entfernte er sich; nach wenigen Schritten aber blieb er wieder stehen und wandte sich noch einmal zurück. »Aber höre 'mal, was bekomme ich denn eigentlich, wenn ich Dir Deinen Herzenswunsch erfülle?« »Ich weiß nicht,« antwortete sie verlegen. Es war ihr diesem
Manne gegenüber so eigenthümlich zu Muthe. Seine ganze Art und Weise hatte Etwas, was ihr Respekt und Vertrauen einflößte, und doch mußte sie seine Worte und Versprechungen als diejenigen eines ihr vollständig Fremden in einen gewiß nicht ungerechten Zweifel ziehen. »So weiß ichs desto besser und werde mir den Lohn nehmen, sobald ich ihn verdient habe. Aber sag' noch, wie stark die Hannoverschen ungefähr gewesen sind!« »So an die fünfzehn oder zwanzig Mann.« »Da werden sie den Himmel nicht einreißen! So ein paar Lüneburger Haidschnucken packt man bei der Parebel und hält sie drei Wochen lang zum Fenster hinaus, bis sie verhungert sind. Adieu!« Jetzt kehrte er nicht wieder zurück, sondern schritt auf die Straße hinaus, wo er stehen blieb. »Höre Er, Hauptmann, ich will ihm 'mal 'was sagen: Die beiden Männer müssen wir wieder haben und dem Jörge seine zwanzig Kriegspudel dazu. Darum muß Er unverzüglich nach Leppin, wo wir unsre dreißig Eisenfresser gelassen haben. Mit denen kommt er so schnell wie möglich nach Ziemendorf, wo Er mich vielleicht im Kruge findet; bin ich aber dort nicht mehr anzutreffen, so marschirt Er im Schnellschritt nach Prezelle, und dort wird sich dann das Uebrige ganz von selbst ergeben.« »Durchlaucht, ich halte es für meine Pflicht, auf die Gefahren aufmerksam zu machen, welche – – –« »Papperlapapp! Bekümmere Er sich um meine Befehle und nicht um meine Sicherheit! Was ist's denn, wenn sie mich erwischen? Er wird ja kommen und seinen Feldobersten nicht im Stiche lassen!« »Es können aber ganz unvorhergesehene Umstände eintreten, und die Disposition Ew. Durchlaucht ist so allgemein, daß – – –« »Mordelement, Hauptmann, Er wird mich doch nicht etwa disponiren lehren! Und vor seinen unvorhergesehenen Umständen fürchte ich mich den Kuckuck. Wenn sie kommen, so lasse ich auch etwas Unvorhergesehenes eintreten, und dann wird sich zeigen, wer zu befehlen hat, ich oder die Umstände. Laufe Er nur, was Er laufen kann, so wird die Sache prächtig klappen!« Bei den letzten Worten drehte er sich kurz um und schritt von dannen, seinen bisherigen Begleiter in einer keineswegs
angenehmen Situation stehen lassend. Nachdem er einige Zeit sinnend und ärgerlich gestikulirend vorwärts gegangen war, traten die Büsche von der Straße zurück und die letztere führte nunmehr durch offenes Terrain. Er blieb stehen, um zu recognosciren. In einer Entfernung von wenig mehr als dreißig Minuten lag Ziemendorf vor ihm. Kein Mensch war rings umher zu bemerken außer einem einsamen Fußgänger, welcher seitwärts auf einem Feldwege dahergeschritten kam und allem Anscheine nach die Straße zu erreichen suchte. Das rechte Unterbein war ihm nach hinten gebogen und der Schenkel vom Knie an in ein ledernes Futteral geschnallt, an welchem sich eine hölzerne Stelze befand. Auf dem Rücken trug er einen in eine alte Wachsleinwand gehüllten Kasten. Sobald er die Straße betreten hatte, blieb er stehen, um den Fürsten herankommen zu lassen, zog dann seine Mütze und bat in demüthigem Tone: »Gebt einem armen Krüppel eine kleine Münze, Herr! Die Zeiten sind schlecht, und ich habe fünf Kinder daheim.« »So? Fünf Kinder, und das nennt Er schlechte Zeiten? Wenn sie wirklich so schlecht sind, so sei Er nur so gut, sich in Beziehung auf seine Nachkommenschaft auch nach ihnen zu richten! Was für ein Gebreste ist Ihm denn in das Bein gefahren?« »Die Gicht hat mirs so krumm gezogen.« »Die Gicht – schlechte Zeiten – fünf Kinder – und da guckt ihm die Schnapsbulle aus dem Sacke! Kerl, Er ist ein ganz unverschämter Lügner, und ich hätte fast Lust, Ihn hier nach meiner Stockflautuse tanzen zu lassen. Aber Er kommt mir zufälliger Weise grad gelegen. Will Er sich einige hübsche Thaler Geld verdienen?« »Herr, für Geld thut man Alles, was sich thun läßt! Was verlangt Ihr von mir?« »Sei Er zunächst einmal aufrichtig! Hier hat Er einen Thaler, wenn Er die Wahrheit sagt. Er trägt diesen Stelzfuß nur aus Geschäftsrücksichten; ich habe es gleich an seinem Gange gesehen, was?« »Hm, wir sind hier unter uns Zweien. Ihr mögt Recht haben; man muß sich helfen, so gut wie man kann. Her mit dem Thaler! So; danke schön!« »Er will mit Seinem Leierkasten gewiß hinüber nach Prezelle zur Kirmeß?« »Ihr könnt gut rathen!«
»Wo ist Er her?« »Aus der Gegend von Soltau.« »Also ein Hannoveraner! Hat Er Seine gehörigen Papiere bei sich?« »Freilich. Die muß ich ja allerorten vorzeigen, ehe ich meine Orgel drehen darf!« »Schön! Ich möchte mir einmal bis ungefähr morgen früh Seinen Kasten, Seine Papiere und Sein hölzernes Bein borgen. Wie viel will Er dafür haben?« »Sapperlot, Herr, das ist eine bedenkliche Geschichte. Ich kenne Euch nicht, und wenn Ihr mir mit diesen drei nothwendigen Dingen durchbrennt, so sitze ich mit den paar Pfennigen, die Ihr mir bieten werdet, in einer sauberen Patsche.« »Schwatze Er kein albernes Zeug! Ich gebe Ihm zehn Thaler, und zwar jetzt gleich, und bringe ihm die Sachen morgen Vormittag in den Ziemendorfer Krug.« »Das ließe sich hören! So ein schönes Stück Geld bekommt man nicht alle Tage zu sehen. Wenn ich nur wüßte, ob Ihr auch Wort haltet mit dem Wiederbringen!« »Na, was soll ich denn sonst mit seiner alten Wimmerlade und dem unglückseligen Humpelfuße machen! Glaubt Er etwa, daß ich das Gerölle braten und verzehren werde? Was ist die Leiermühle denn eigentlich noch werth?« »Zwanzig Thaler unter Brüdern.« »Das ist vielleicht möglich; ich verstehe mich auf solche musikalische Seltenheiten ganz verteufelt schlecht. Weiß Er was? Ich werde Ihm die zwanzig Thaler geben, damit Er eine Caution in den Händen hat, und wenn ich Ihm morgen den Hausrath wiederbringe, so zahlt Er mir zehn davon zurück. Ist er damit zufrieden?« »Auf diese Weise läßt sichs machen. Aber wer Ihr seid, das möchte ich doch wohl wissen!« »Das geht Ihn grad so viel an, wie mich seine krumme Gicht angeht! Hier hat Er das Geld, und nun schnalle Er den Menuettfuß herunter; ich habe eine ganz absonderliche Sehnsucht, einmal das Trampelthier zu spielen. So! Da steht auch der Kasten; und nun die Papiere her!« »Hier sind die Wische!« »Gut! Warte Er einmal! Na, sie sind nicht ganz so schlecht, wie
ich dachte, und für einen Nachmittag mag es mit ihnen wohl einmal gehen. Und nun will ich Ihm nur noch Eins sagen: Er erzählt keinem Menschen Etwas von unserm Handel! Wenn Er reinen Mund hält, kommt es mir auf einem Extrathaler auch nicht an; schlabbert Er aber nur ein Wort von der Sache aus, so ist es Sein eigener Schaden! Und nun mache Er sich schleunigst aus dem Staube; wir haben für heut Nichts mehr mit einander zu schaffen!« Obgleich der Mann sehr gern der in Aussicht stehenden Verwandlung beigewohnt hätte, zog er es doch vor, diesem Gebote Folge zu leisten und schritt nach einigen kurzen Bemerkungen auf Ziemendorf zu. Mit einiger Mühe gelang es Leopold, den Stelzfuß an das Bein zu befestigen; dann hing er die Drehorgel um, griff zum Knotenstocke und hinkte langsam und stolpernd von dannen. »Heiliger Mephistopheles,« knurrte er mit zusammengekniffenem Gesichte; »muß mich da der Teufel reiten, daß ich mir die vermaledeiete Sperlingswade anschnalle! das ist ja ein Gefühl, als ob mein Corpus aus neunmalhunderttausend Hühneraugen zusammenapothekert wäre! Aber ein vortrefflicher Gedanke ist es doch, als fürstliche Durchlaucht und militärische Excellenz den Leierbengel zu machen. Mit dem Gichtstiefel und der Hopsertruhe bin ich für das ganze hochlöbliche Kurfürstenthum Hannover vollständig unkenntlich gemacht, ganz abgesehen davon, daß ich einen prächtigen Erlaubnisschein habe, für einige Pfennige das ganze heilige deutsche Reich zu leiermüllern. Nach Ziemendorf komme ich gar nicht, sondern ich stampfe gleich querfeldein auf die Grenze zu, denn je eher ich Prezelle erreiche, desto besser ist es für die Gefangenen. Der Hauptmann wird sich schöne wundern, wenn er mein heutiges Avancement in Augenschein nimmt!« Trotz der Ungeduld, mit welcher Fürst Leopold von Anhalt-Dessau die Ausführung Dessen, was er sich einmal vorgenommen hatte, zu betreiben pflegte, kam er wegen des künstlichen Beines nur langsam vorwärts. Dasselbe für einstweilen wieder abzuschnallen, war nicht gerathen, da er sehr leicht unterwegs auf Jemanden stoßen konnte, der ihn in Prezelle wiedersehen mußte, und so arbeitete er sich unter dem jammervollsten Gesichtsausdrucke und den kräftigsten Kernsprüchen stundenlang vorwärts, bis er endlich das nicht unbedeutende Kirchdorf vor sich liegen sah. Da blieb er stehen und versetzte dem hölzernen Beine einen krachenden Hieb mit dem
Knotenstocke. »Da hast du Eins, du satanischer Höllenknüppel, du! Einmal gehinkt in meinem Leben und nicht wieder, wenn mich unser Herrgott vor dem Elende bewahrt, in der Schlacht eine Kugel auf den Stiefel zu bekommen! Aber jeden Druck und jeden Stich und jeden Zwick, den ich auf diesem Passionswege gefühlt habe und heute noch fühlen werde, sollen mir die Gelbschnäbel des tapfern Jörge bezahlen! – Hm! Werde mit meiner Ludelei unter dem jungen Volke Freude anrichten! Hätte doch fragen sollen, was für Stücke eigentlich in dem alten Flötenschranke stecken, und es wundert mich nur, daß der Kerl ihn mir gegeben hat, ohne mich im richtigen Gebrauche zu unterweisen. Sehe ich denn wirklich so fürchterlich drein, wie die Leute immer sagen, daß selbst so einem Galgenstricke die Gedanken abhanden kommen, wenn ich ihn angucke? Glücklicher Weise verstehe ich es ein wenig, mit dem Dinge umzugehen, denn ich habe früher schon einmal den Orgelmann gemacht, was mich vorhin eigentlich erst auf die glückliche Idee brachte, die Polkaschachtel umzuhängen. Das war dazumal, hahahaha! als sie mich mit Denen, auf die wir's abgesehen hatten, vor meinen eigenen Werbern in den Keller versteckten. Und als die nun kamen und alle Welt glaubte, daß ihnen der Fang nicht gelingen werde, da fing ich an zu leiern, und – hurrah! hatten sie die Muttersöhne und auch mich! Na, die Gesichter vergesse ich nicht!« Die wohlthuende Erinnerung an dieses Abenteuer ließ ihn die Unbequemlichkeit des Vorwärtsschreitens leichter ertragen, und bald hatte er die ersten Häuser des Dorfes erreicht, wo ihm eine Schar jubelnder Kinder entgegengesprungen kam. »Ein Orgelmann, ein Orgelmann!« rief es aus allen Kehlen. »Mach los, mach los; einen Tanz wollen wir hören!« »Werdet Ihr mich wohl in Ruhe lassen, ihr Affenbrut, Ihr! Ich muß doch erst die Erlaubnis dazu haben! Wo wohnt der Schulze?« »Da oben wohnt er. Wir gehen mit!« Umsprungen von der hoffnungsvollen Ortsjugend hinkte er weiter und trat nach kurzer Zeit durch ein weit offenstehendes Thor in den Schulzenhof, natürlich gefolgt von seinen immer zahlreicher werdenden Begleitern. Die Bewohner des Gutes, welche nebst den anwesenden Kirchweihgästen grad bei Tische saßen, fuhren, erschrocken über den ungewöhnlichen Lärmen, mit den Köpfen an die Fenster, fühlten sich jedoch bei dem Anblicke des unerwarteten
Musikanten nicht nur vollständig beruhigt, sondern gaben ihre Freude über seine Ankunft dadurch zu erkennen, daß sie ihm entgegenkommend die Thüren öffneten und ihn zum Eintritte aufforderten. Nur das Oberhaupt des Dorfes war im Bewußtsein seiner amtlichen Würde ruhig auf dem Großvaterstuhle sitzen geblieben und nickte dem Ankömmlinge kaum eine Entgegnung seines respektvollen Grußes zu. »Wer ist man? Wie heißt man? Wo kommt man her? Und was will man?« klang es aus dem fettglänzenden Gesichte hervor. »Man ist das und das! Man heißt so und so! Man kommt da und da her! Und man will Dieses oder Jenes!« lautete die ausführliche Antwort. Da zogen sich die kleinen Augen des Schulzen noch mehr zusammen, und das Gesicht wurde um einige Töne röther, als es vorher gewesen war. »Weiß Er, mit wem Er spricht?« »Nein!« »Ich bin der Schulze von Prezelle!« »Ach so! Und weiß Er, mit wem Er gesprochen hat?« »Das werde ich wohl erfahren!« »Jawohl! Er hat mit Niemanden gesprochen, denn ›Man‹ ist Niemand. Will Er so gut sein, sich einmal diese Papiere anzusehen!« Er gab die geliehenen Legitimationen und Erlaubnisscheine hin. Der Schulze nahm sie in Empfang und beguckte einen nach dem andern mit einer Miene, die möglichst gelehrt sein sollte, dem Fürsten aber sofort erkennen ließ, daß der gute Mann mit dem Alphabete auf einem nicht sehr vertrauten Fuße stehe. »Also, wie heißt Er?« »Das steht drin!« »Wo ist Er her?« »Steht auch drin! Sehe Er nur richtig nach!« »Aber ich will es aus Seinem Munde hören! Uebrigens sagt man zu einem Beamten nicht ›Er‹ sondern ›Ihr‹; weiß Er das?« »Da stehen wir auf gleichem Fuße, denn ich bin auch Beamter.« »Wie so?« frug der Vater von Prezelle erstaunt. »Weil ich kaiserlicher, königlicher, kurfürstlicher, landgräflicher und so weiter Drehorgelmarschall bin.« »Ich habe dem deutschen Kaiser, den Königen von Schweden,
den Kurfürsten von Hannover und hundert andern Potentaten vorgespielt, und all die Herren haben einen gewaltigen Respekt vor mir gehabt. Seht Euch nur die Papiere an, wenn Ihr es nicht glaubt!« Der dicke Schulze unterwarf die Dokumente einer neuen Prüfung. »Richtig, da steht es: Schweden – Hannover – Deutscher Kaiser – hundert Potentaten – Ihr seid ein ganzer Kerl!« »Das will ich meinen! Wenn Ihr neben die Potentaten kommen wollt, so dürft Ihr nur Euern Namen zu den andern Potentaten setzen. Ich werde nächstens den Kurfürsten Georg wieder ein Stücklein hören lassen, und da wird es Euch große Ehre machen, wenn er von Euch zu lesen bekommt.« »Eure Meinung ist gut und löblich, und Ihr sollt dafür auch ein tüchtiges Stück Aepfelkuchen haben, aber solchen Herren gegenüber bin ich immer gern bescheiden gewesen. Hereinschreiben werde ich mich also nicht, aber wenn Ihr zu ihm kommt, so könnt Ihr es ihm durch die Blume zu verstehen geben, daß hier auch Leute wohnen, die zu regieren wissen und Musik im Kopfe haben.« »Gut! Ich weiß nur heut noch nicht genau, von welcher Art die Blume sein wird, durch welche ich mit ihm reden werde; aber verstehen wird er mich; das kann ich Euch versprechen. Und nun gebt Ihr mir wohl die Erlaubnis, hier im Orte meine Orgel hören zu lassen?« »Natürlich! Ihr könnt vor allen Häusern und in allen Stuben spielen, und es ist recht gut, daß Ihr gekommen seid, denn der Schulmeister, welcher immer zum Tanze fiedelt, liegt krank im Bette und unser junges Volk hat sich schon blau geärgert, daß es zur Kirchweih auf das gewohnte Vergnügen verzichten soll. Zuerst aber laßt Ihr natürlich Eure Stücke hier in meiner Stube los!« »Das will ich Euch gern zu Gefallen thun. Aber da ist ja hier in der Gegend der Teufel einmal so recht tüchtig in die Schulmeisterei gefahren. Ich bin von Ziemendorf dahergekommen, habe aber denen über der Grenze da drüben Nichts vorspielen wollen, denn wie Ihr in den Papieren gelesen habt, ist mein Kasten ein echter Hannoveraner, und da habe ich gehört, daß ihnen der Schulmeister reinweg davongelaufen ist!« »Davongelaufen? Da hat man Euch schlecht berichtet! Er ist herübergekommen, um einen Kerl loszubringen, den unsre Buntröcke das Mitgehen geheißen haben. Ist ihm aber schlecht
bekommen, denn nun stecken Beide bei dem David Petermann im Gewölbe. Der Eine wird morgen früh nach Dannenberg transportirt, und der Andere, ja wir wissen noch gar nicht, was wir mit dem anfangen. Er hat einen Rekruten befreien wollen und gehört also vor ein Kriegsgericht, wie der Korporal sagte, und dann hat er auf uns und auf den Kurfürsten geschimpft, und da gehört er vor unser Amt und vor die Landdrostei. Wir werden uns die Sache heut noch überlegen. Ich möchte ihn zuerst vor das Amt und dann nachher in das Kriegsgericht schaffen lassen, denn eine kurfürstliche Beleidigung geht vor. Ich wollte diese Geschichte ganz geheim behalten, aber Ihr sollt sie erfahren, weil Ihr es Euch vorgenommen habt, meine Gesinnung dem Kurfürsten durch die Blume zu verstehen zu geben.« »Daran thut Ihr sehr recht! Und der Jör – – der Kurfürst wird es Euch großen Dank wissen, daß Ihr so aufrichtig mit mir gewesen seid. Aber jetzt will ich einmal losmachen!« Er plazirte die Orgel auf einen Stuhl, schlug die Decke zurück, stellte die Walze und begann zu drehen. Gleich bei den ersten Tönen fuhr der Schulze erschrocken von dem Stuhle empor. »Halt, halt! Das Ding dürft Ihr hier nicht hören lassen; das ist ja der Dessauer Marsch!« Der Fürst war selbst etwas erschrocken, als er seine Lieblingsmelodie, die einzige, welche er zu singen verstand, erklingen hörte: »So leben wir, so leben wir, so leb'n wir alle Tage.« Schnell gab er der Walze eine andere Stellung; die munteren Tonweisen wurden mit lebhaftem Beifall aufgenommen, und als das letzte Stück verklang, war der unangenehme Eindruck, welchen das erste hervorgebracht hatte, vollständig vergessen. »So! Weiter steckt keins mehr drin, und nun will ich machen, daß ich fortkomme; die Andern wollen auch was haben!« Der Schulze gab ihm seine Papiere zurück, und reichlich beschenkt verließ er den Hof. Nun machte er zur Freude der Gassenjugend eine Concertrunde durch das ganze Dorf, und seine Hauptaufgabe hierbei war, sich in dem Petermannschen Hause möglichst umzusehen. Von den Jungens erfuhr er leicht, wo dasselbe gelegen sei. Als er es erreichte, schritt er gleich durch Hof und Flur in die Wohnstube. Hier saßen mehrere Soldaten bei Schnaps und Bier am Tische und würfelten. Ein ungewöhnlich langer und stämmiger, rothhariger Bursche erhob
sich bei dem Eintritte des Musikanten vom Stuhle und trat ihm entgegen. »Was will Er hier? In meinem Hause wird nicht gebettelt, und Seine Ludelei brauchen wir erst recht nicht zu hören!« »Was? Nicht hören?« rief einer der Soldaten. »Freilich wollen wir einen lustigen Tanz haben! Mach los, Spielmann: Du sollst auch trinken, so viel Du vertragen kannst!« »Ihr habt nur zu befehlen, nicht wahr?! Wenn dieser Kerl da etwa denkt, daß ich ihn anbetteln will, so mag er seine schlechten Dreier behalten! Er ist wohl der rothe David, he?« »Wie kann Er es wagen, mich zu schimpfen, Er armseliger Strolch, Er! Wenn Er sich nicht auf der Stelle verduftet, so gerbe ich Ihm sein altes Leder, daß man Stiefelsohlen draus schneiden kann! Vorwärts marsch hinaus!« »Dazu wäre Er mir der Rechte, Er Windbeutel, Er! Ich quetsche Ihn doch gleich mit den bloßen Händen zu Brei! Und wenn Er mir etwa zu viel Kram macht, so stecke ich Ihn in meinen Kasten, und leire Ihm die arme Seele aus dem Leibe, daß der Teufel Seinen fuchsigen Balg als Staatsatzel bekommt! So ein ungezogener Flegel ist mir doch all mein Lebtage nicht vor die Augen gekommen!« »So ists recht!« lachten die Kriegsleute, die sich gern an einer Katzbalgerei erlustirt hätten. »Laß Dir nichts gefallen, Alter! Der David ist kein solcher Riese, als wie er thut!« »Das braucht Ihr mir gar nicht erst zu sagen! Wird Euch auch nicht viel besser gehen als ihm!« »Wie meinst Du das, he?« »Grad so, wie ich es gesagt habe. Denkt nur nicht, daß ich Euch den Gefallen thue, mich mit dem dummen Jungen hier herumzuwalken!« »Was bin ich? Ein dummer Junge?« rief der Rothe und faßte den alten Haudegen beim Rocke. »Das soll Er mir noch einmal sagen, und noch dazu in meiner eigenen Stube!« »Lasse Er um Tausend willen meinen Gottfried fahren, wenn Er nicht auf der Stelle an die Wand genagelt sein will!« »Giebs ihm David!« ermunterten die Andern jetzt den Wirth, um auf alle Fälle ihren Zweck zu erreichen. Da aber flog derselbe auch schon über die Stube herüber und krachte mit solcher Kraft an die Wand, daß ihm Hören und Sehen verging. »So! den wäre man los! Und Ihr da haltet Eure Gänseschnäbel,
sonst klopfe ich Euch auf das hannoversche Gewissen, daß die Preußen nichts weiter von Euch finden als die mausigen Schnurrbartfedern, die Euch unter der Nase flattern!« »Was? Gänseschnabel? Hannoversches Gewissen? Der Kerl ist ein Preuße! Warte einmal, Alter; Dich müssen wir uns genauer besehen!« Im Nu war er umringt. Auch Petermann hatte sich wieder aufgerafft und kam auf ihn losgefahren. »Er hat sich an mir vergriffen! Er muß seine Hiebe bekommen!« schrie er wüthend. »Und Er hat den Rock unseres Kurfürsten beleidigt! Er ist ein Preuße, ein Spion! Er wird gehängt!« riefen die Anderen. »Hast Du Papiere? Her damit!« »Ihr wärt die Kerls darnach, mir meine Papiere abzuverlangen! Die kriegt bloß der Schulze in die Hände!« »Wieder ein Schimpf!« meinte einer. »Nehmt ihm die Wische und schlagt ihm auf das lose Maul!« »Halt!« warnte ein Besonnenerer. »Die Papiere haben wir hier nicht zu verlangen. Schickt nach dem Schulzen und steckt den Grobian einstweilen hinter zu den beiden Anderen!« »Hast Recht, Kamerad! Vorwärts, Mann; Du bist arretirt!« »So?! Das wäre mir – –« Er unterbrach sich, denn es leuchtete ihm sofort ein, daß diese Wendung der Dinge dem Zwecke seines Hierseins recht gut zu statten komme. »Na, dagegen kann ich nichts haben. Gegen Gewalt darf man sich wehren, wenn Ihr mich aber gesetzlich rechtmäßig arretirt, so werde ich mich fügen. Ob ich ein Spion bin, das wird sich finden, sobald der Schulze kommt. Ihr brockt Euch da eine Suppe ein, die Euch schlecht bekommen kann!« Er folgte den Leuten willig hinaus in den Flur, wo man eine Thür öffnete, die an starken, eisernen Angeln ging und mittelst dicker Krampen und Vorstecker verschlossen war. Sie führte in ein Gewölbe, welches seiner Kühle wegen zur Aufbewahrung von allerlei landwirthschaftlichen Erzeugnissen zu dienen pflegte, jetzt aber als Gefängnis benutzt wurde. Eine einzige, kleine und vergitterte Maueröffnung gestattete dem Tageslichte Zutritt, doch war es hell genug in dem Raume, um zwei Männer zu bemerken, welche auf einer an der Wand stehenden Bank neben einander Platz genommen hatten. »Guten Tag, Ihr Leute!« grüßte er, als die Thür hinter ihm
wieder verschlossen war. »Da kommt noch einer, den sie hängen wollen!« »Hängen?« frug der Aeltere der zwei Gefangenen. »Weßhalb denn?« »Weshalb? Hm! Weil ich von einer gewissen Emma geschickt worden bin, um Zweien aus der Patsche zu helfen, die gern nach Ziemendorf zurück möchten!« Bei diesen Worten sprangen beide von ihrem Sitze auf und traten freudig überrascht zu ihm heran. »Emma?« rief Paul Schubert lauter, als es die Vorsicht erforderte. »Wer seid Ihr, und wo habt Ihr sie getroffen?« »Leise, leise, junger Mann! Die da draußen brauchen nicht zu hören, was ich Euch zu sagen habe. Wer ich bin? Hm! – nicht wahr, Er ist der Schulmeister Brehmer und stammt aus Ottersleben?« »Ja. Woher kennt Ihr mich?« »Komme Er doch 'mal her unter das Fenster und sehe er mir ordentlich in das Gesicht. So! Hat Er mich nicht schon einmal gesehen?« Brehmer trat höchlichst erschrocken einen Schritt zurück. Wer dieses Gesicht nur einmal gesehen hatte, der konnte es sicher nicht wieder vergessen. »Mein Gott, ist's möglich?! Durchl – – –« »Bst! Schreie Er nicht, als stäke Er am Spieße, sondern nehme Er mir den Kasten ab! So! Wir wollen ihn dort in die Ecke stellen. Und nun setzt Euch her und hört hübsch ruhig zu!« Es war eine höchst ungewöhnliche Situation, in der sich die drei Männer befanden, und ebenso wundersam war die Unterhaltung, welche zwischen ihnen geführt wurde. Brehmer befand sich wie im Traume über das Glück, seinen vielbewunderten Feldherrn in solcher Gestalt und aus solchen Gründen neben sich zu sehen. Schon die bloße Anwesenheit des gewaltigen Recken beruhigte ihn vollständig über seine Besorgnis erregende Lage, und trotz dieser letzteren hätte er die gegenwärtigen Augenblicke für Vieles in der Welt nicht hingegeben. Da rasselten die Vorstecker, und die Thür öffnete sich. »Orgelmann, kommt doch 'mal heraus. Bringt aber den Kasten mit!« befahl einer der Soldaten, hinter welchem der Schulze sichtbar wurde. »Habe jetzt keine Zeit. Macht die Bude nur immer wieder zu!«
»Was habt Ihr denn da drin so nothwendig zu thun?« »Das geht Ihn den Kuckuck an! Ich bleibe hier! Nun weiß Er wohl, wie viel es geschlagen hat? Wer voreilig handelt, muß auf Unannehmlichkeiten gefaßt sein.« »Wir haben ja nun gesehen, daß Ihr kein Spion seid!« »Das zu untersuchen seid Ihr Kerls alle zu dumm! Seine Durchlaucht und Königliche Hoheit, der Kurfürst Georg mag das selbst entscheiden! Ich bleibe hier!« »Herr Orgelmarschall,« bat jetzt der Schulze, »Ihr werdet Euch doch nicht auf die schlechte Seite legen wollen! Kommt heraus! Die Jungens und Mädels wollen gern tanzen, und liegen draußen wie vor einer Festung. Wenn Ihr nicht kommt, so wird wahrhaftig Revolution im Dorfe!« »Das wäre schon recht! Warum steckt man einen kaiserlich-königlich-kurfürstlich-landgräflichen Leiermann mit solchem Gesindel zusammen, wie hier auf der Bank sitzt! Aber Euretwegen, Schulze, will ich einstweilen die Beleidigung vergessen. Ihr seid ein tüchtiger Kerl und gescheidter als das ganze übrige Hannover zusammengenommen. Nun wißt Ihr meine politische Meinung und laßt mir dafür hier das Musikgehäuse nach dem Saal schaffen; ich habe die krumme Gicht im Stelzfuße, und hier in dem naßkalten Loche ist sie mir beinahe wieder gerade geworden!« Das willfährige Ortsoberhaupt rief einige stämmige Jungens herbei, welche es sich zur Lust machten, die vielbegehrte Orgel an Ort und Stelle zu schaffen, sodann nahm er den jetzweiligen Inhaber derselben brüderlich beim Arme und wanderte mit ihm selbander das Dorf hinauf, dem Wirthshause zu. Die Belagerungsmannschaften hatten gar nicht auf die beiden »Beamten« gewartet, sondern es für sicherer gehalten, das musikalische Instrument gar nicht aus den Augen zu lassen; sie waren also sammt und sonders hinter demselben hergezogen, und als Leopold den niedrigen Tanzsal betrat, fand er ein so zahlreiches Publikum versammelt, daß es ihm wegen der bevorstehenden Arbeit hätte angst und bange werden mögen. »Laßt mich in Ruhe, Ihr Teufelszeug« wehrte er ab, als man ihm unter aufmunternden Zurufen von allen Seiten Flaschen und Gläser entgegenbrachte. »Bin ich denn ein Haifisch, daß Ihr mir zumuthet, so eine Ueberschwemmung hinunter zu schlingen? Schafft mir ein
paar Stühle da hinten in die Ecke, und dann sollt Ihr springen, daß Hannover wackelt!« Er postirte sich an dem angegebenen Ort, und bald war das ersehnte Vergnügen in vollem Gange. Mittlerweile brach der Abend herein, und der Fürst zählte die Viertelstunden, welche bis zum Eintreffen des Hauptmanns noch verfließen mußten. Wenn derselbe sich sputete, so konnte er in zwei Stunden hier sein. Deßhalb erschrak Leopold fast, als er, nach der Thür schauend, ihn unter derselben stehen und mit unruhigem Auge den Saal überblicken sah. »Da muß etwas passirt sein, was ihn verhindert hat, nach Leppin zu gehen,« brummte er besorgt in den Bart, »und nun sucht er mich. Mord und Todtschlag, es wird mir hier doch nicht gar etwas in die Quere kommen, da bis jetzt Alles so schön gegangen ist! Aha, jetzt sieht er mich. Was er für Augen macht! Grad als ob ihm ein Gespenst erschienen sei! Ja, ja, der Feldmarschall dreht die Trompetennudel! Jetzt schleicht er sich langsam durch!« Der Hauptmann, noch in sein landläufiges Kostüm gekleidet und den Knotenstock in der Hand, hatte schnell seine Ueberraschung bemeistert und näherte sich so wenig auffällig wie möglich seinem Vorgesetzten. In der Nähe desselben angelangt, blieb er erst eine kleine Weile stehen, dem Anscheine nach seine ganze Aufmerksamkeit dem Tanze zuwendend; dann trat er wie absichtslos an den Musikanten heran, welcher eben eins seiner Stücke beendet hatte, und flüsterte: »Alles in Ordnung, Durchlaucht!« »Was? In Ordnung? Ich denke, es ist Ihm irgend etwas passirt, weil Er schon hier ist.« »Ich habe mir unterwegs ein Pferd genommen, um so schnell wie möglich nach Leppin zu kommen. Dort ließ ich einige Wagen requiriren, auf welchen ich die Mannschaft immer Trapp und Galopp bis nach Ziemendorf brachte, wo Excellenz nicht zu finden waren. Nun halten sie draußen vor dem Dorfe seitwärts im Felde, und ich bitte um weitere Befehle.« »Gut, sehr gut! Er ist kein ganz unebener Kerl! Die Gefangenen habe ich gefunden. Sie stecken bei dem David Petermann, vier Güter von hier rechts an der Straße, in einem Gewölbe, welches sich im Hausflur befindet. Wir müssen jetzt noch warten, bis die Buntröcke sich alle hier eingefunden haben; dann sind sie uns am sichersten. Die Wagen mögen stehen bleiben; wir brauchen sie
wieder; die Leute aber bringe Er vorsichtig in den Obstgarten, der hier grad gegenüber liegt, und wenn ich unsers Herrgotts Dragonermarsch aufspiele – Er kennt ihn doch, Hauptmann, – so kommt Er mit ihnen herauf. Einige Mann von ihnen aber mögen zu gleicher Zeit zu Petermann eilen, um die Gefangenen und mit ihnen den rothen David herbeizubringen. Hat Er mich verstanden?« »Zu Befehl, Durchlaucht!« »So scheere Er sich vorsichtig wieder von dannen!« Der Offizier befolgte diesen zart gegebenen Rath, und Leopold steckte ein neues Stück auf. Die Zeit des Abendbrotes ging vorüber, und in Folge dessen mehrten sich die Gäste zusehends, auch die Soldaten stellten sich alle bis auf Einen ein, der jedenfalls zur Bewachung der Gefangenen bei dem rothen David zurückgeblieben war, welcher sich bis jetzt nicht hatte sehen lassen. Nun erhob sich ein noch regeres Treiben als zuvor; die in Menge getrunkenen Spirituosen thaten ihre Wirkung, und der Uebermuth ward endlich so toll, daß er sich auf allerlei Spitzfindigkeiten und Händel zu legen begann. Zuletzt band man sogar mit dem Spielmanne an. Er antwortete nach seiner derben Art und Weise, und es dauerte gar nicht lange, so stand fast das sämmtliche Militär um ihn herum, in der Absicht, sich über ihn lustig zu machen. »Laßt ihn gehen; er ist Generalleiermann, und wir müssen Alle vor ihm präsentiren!« meinte einer von ihnen. »Dann ist er auch ein Preuße, denn im ganzen Reiche ist dieser Rang beim Stabe nicht zu finden.« »Nein, das glaube ich nicht; für einen Preußen ist er zu alt; die sterben alle frühzeitig an der Dummheit. Aber zu so einem Range können wir es auch bringen; das will ich Euch gleich zeigen. Gehe einmal weg; ich will ein Stück zum Besten geben!« »Packe Er sich zum Teufel, sonst gebe ich Ihm einen Klapps auf Seine Klugheit, daß Ihm alle Armeerangarten vor den Augen flimmern sollen!« Er wollte nach dem Stocke greifen, schnell aber kam ihm einer zuvor und nahm denselben von der Orgel weg, auf welcher er gelegen hatte. »Ich wollte Dich schon beklappsen. Da sind mir noch ganz andre Kerle unter die Fäuste gekommen, als Du bist! Fort von dem Kasten, jetzt sind wir da!« »Ja, fort,« rief es in dem Kreise. »Jetzt drehen wir!«
»Laßt meine Orgel in Ruhe, sonst wird es bös, sage ich Euch! Zum Tanzen will ich Euch vorspielen, so viel Ihr wollt, an meinem Eigenthum aber darf sich Keiner vergreifen!« »Oho! da werden wir uns auch ganz schrecklich vor Dir fürchten. Vorwärts marsch bei Seite!« Er faßte den Fürsten beim Arme, dieser aber nahm ihn in der Mitte des Leibes, hob ihn hoch empor und schleuderte ihn mitten unter die Anderen hinein, so daß sie auseinander flogen. Im nächsten Augenblicke jedoch war er umzingelt und wurde von allen Seiten gepackt. Er suchte die Dränger von sich abzuwehren, was ihm aber nicht gelingen wollte, denn es fehlte ihm der feste Halt. Eine Schnalle des Stelzfußes war aufgegangen und dieser, nun nur noch locker befestigt, wackelte in der Weise an dem zurückgebogenen Beine herum, daß er eher als Hindernis denn als Stütze diente. Dies erhöhte den Aerger des Fürsten und schnell entschlossen machte er sich für einen Augenblick frei und bückte sich nieder, um die andre Schnalle auch zu öffnen. Dann riß er das falsche Bein herunter und schwang es hoch in die Luft empor. »Gebt Raum ihr Canaillen, sonst schlage ich Euch das Spazierholz um die Köpfe, daß Euch die Beulen wie die Bomben platzen!« »Er hat einen falschen Fuß, der Betrüger!« johlte es ihm entgegen. »Der Kerl ist kerngesund. Haut ihn durch, haut ihn durch!« Sie warfen sich auf ihn, er aber empfing sie mit so wuchtigen Hieben, daß sie gar nicht heran konnten. Der Stelzfuß mit seiner schweren Kniescheibe war eine furchtbare Waffe in der Hand eines solchen Mannes; doch für die Dauer hätte Leopold dem Andrange so zahlreicher Gegner wohl kaum widerstehen können, wenn nicht ein für ihn glücklicher Umstand eingetreten wäre. Der Wirth nämlich, welcher einsah, daß eine Balgerei ihm großen Schaden machen könne, war schleunigst herbeigeeilt und zu dem Leierkasten getreten. In der Absicht, durch das Erklingen einer verführerischen Weise die Streitenden auseinander und zum Tanze zu bringen, ergriff er die Kurbel und setzte sie in Bewegung. Zufälliger Weise war das letzte auf der Walze punktirte Stück abgespielt worden, es konnte folglich kein anderes als das erste ertönen, und so brauste denn mitten in das Getümmel der damalige Lieblingsmarsch der Preußen »So leben wir, so leben wir, so leb'n wir alle Tage« hinein.
Im Nu hielten die Kämpfenden inne, die Hannoveraner aber nur, um sich gleich darauf desto wüthender auf den Fürsten zu stürzen. »Seht Ihr es, daß er ein Spion ist? Er hat den ›Dessauer,‹ den alten Spitzbuben in der Orgel!« »Ja, Ihr Himmelhunde, den Dessauer habe ich drin, und Ihr werdet den ›alten Spitzbuben‹ noch diese Stunde so gut kennen lernen, daß Ihr an ihn denken sollt bis an Euer seliges Ende!« Er machte sich mit dem Beine aus Leibeskräften über ihre Köpfe her; zu gleicher Zeit ward der noch geschlossene zweite Thürflügel aufgerissen und – eins, zwei – eins, zwei – marschirte die erwartete Abtheilung preußischer Grenadiere, lauter zweiundsiebzigzollige, bärtige Bursche mit ellenhohen Mützen in den Saal. Der Schreck über diese unerwarteten Gäste machte den Lärm total verstummen; eine wahre Todtenstille trat ein, und Diejenigen, welche die Aergsten gewesen waren, standen am verblüfftesten da und starrten mit aufgerissenen Augen den ungebetenen Zuspruch an. »Nun, was steht Ihr denn da und sperrt die Mäuler auf so weit wie die Scheunenthore? Jetzt ist Euch der Muth wohl in die Gamaschen gefahren, daß Ihr den hellen Wadenkrampf verspürt? Der Dessauer steckt nicht bloß da in der Heulbudike, sondern er steht auch noch wo anders, und der ›alte Spitzbube‹ wird Euch zeitlebens in dem Bauche grimmen.« »Er warf den Rock von sich, und nun kam eine Uniform zum Vorschein, an welcher die Anwesenden sehr leicht den eigentlichen Charakter des seltenen Orgelmannes erkennen konnten.« »Gewehr auf!« kommandirte er. »Legt an! – So! und nun, Ihr Millionenrackers, sage ich Euch: Wer nur einen Mucks von sich giebt, der mir nicht gefällt, der bekommt eine Kugel vor den Kopf. Korporal Weidauer, ich sehe, daß Er eine Handvoll Stricke mitgebracht hat; Er ist immer ein Kerl, der an Alles denkt. Trete Er vor und binde Er die Erzhallunken; aber fest, es ist von wegen dem Wadenkrampf!« Auch der Hauptmann ließ seinen Waffenrock sehen, und die Persönlichkeit des Fürsten sowie das feste Auftreten seiner Untergebenen machte einen so überwältigenden Eindruck, daß die kurfürstlichen Soldaten sich binden ließen, ohne den geringsten Widerstand zu versuchen. Noch war der Korporal mit dieser Arbeit nicht vollständig fertig, als neue Ankömmlinge erschienen. Es waren die zu Petermann
beorderten Leute mit den beiden befreiten Gefangenen, dem rothen David und dem dort zurückgebliebenen Posten. »Nun, Brehmer,« rief Leopold dem Schulmeister entgegen: »habe ich Wort gehalten?« »Durchlaucht, ich danke! Das war nicht anders zu erwarten!« »Ja, ja, Er kennt mich! Natürlich seid Ihr beide nun frei und werdet nachher mit mir nach Ziemendorf fahren. Vorher aber müssen wir noch ein Wort mit unseren Kirmeßleuten reden. Wo ist der Schulze?« Der Gesuchte wurde aus einem Winkel herbei geschoben; er zitterte vor Angst an allen Gliedern. »Trete Er einmal näher, Er großer Potentate, Er! Ich will Ihm Etwas sagen, aber nicht durch die Blume. Was klappert Er denn vor Furcht? Ich werde Ihn nicht todtbeißen! Höre Er, seine Prezeller sind Galgenschwengel, wie sie niederträchtiger gar nicht gefunden werden können; weil Er aber einen so delikaten Apfelkuchen bäckt, will ich einmal gnädiger sein, als Ihr es eigentlich verdient habt. Eigentlich müßte ich das ganze armselige Nest mit Kind und Kegel aufspießen oder todtschießen lassen, und beim nächsten Male werde ich es auch thun: jedoch für heut sollt Ihr mit einem blauen Auge davonkommen, indem Ihr dem Manne da, den Ihr erst der Landdrostei und dann dem Kriegsgerichte übergeben wolltet, aus dem Gemeindesäckel zwanzig Thaler Schmerzensgeld auszahlt.« »Herr Orgelmarschall – – –« »Ruhig! Ich bin der Fürst Leopold von Anhalt-Dessau, wenn Er es noch nicht gemerkt hat, den sie vorhin den ›alten Spitzbuben‹ gen – – na, wartet nur, Ihr Canaillen, ich lasse Euch Spießruthen laufen, daß die Fetzen bis nach Egypten fliegen! – Also, Er Schwerenöther, die zwanzig Thaler hat Er auf der Stelle herbei zu schaffen! ich werde Ihm ein Picket mitgeben, und die Quittung habe ich ihm heut zur Genüge vorgeorgelt. Was ich Ihm dabei versprochen habe, das werde ich halten! Sobald ich nächstens dem Jörge wieder 'mal tanzen lasse, werde ich ihm durch die Blume von dem dicken Prezeller Schulzen erzählen. Jetzt kann Er gehen, aber in zehn Minuten ist Er wieder hier. Korporal Weidauer, helfe Er dem Manne zählen!« Der Korporal machte Kehrt und marschirte hinter dem Vater des Dorfes zur Thür hinaus. Jetzt wandte sich Leopold zu Petermann. »Und nun kommt Er daran! wie kann Er sich denn eigentlich
unterstehen, als so ein schandbarer Seelenverkäufer und Menschenverräther über die Grenze zu kommen, um Seine armselige Rache zu kühlen, Er zehnfaches Galgenfutter, Er! Und mich nennt Er heut einen Strolchen und will mir mein Leder gerben, daß man Stiefelsohlen daraus schneiden kann, Er Millionen- und Zinnoberfuchs! Ich werde Ihn beledern und besohlen, daß Er die vier großen sammt den zwölf kleinen Propheten um Hülfe rufen soll, denn weiß Er, Er wird in dieselbe Grube gesteckt, die Er dem Schubert da gegraben hat. Er marschirt nachher mit uns hinüber und wird in des Königs Rock gesteckt. Thut Er da gut, so will ich Ihm Seine Schlechtigkeit nicht anrechnen, bleibt Er aber ein Lump, so mache Er sich auf den Strick gefaßt!« »Durchlaucht, ich kann doch nicht von meiner Wirthschaft – – –« »Maul halten und Ordre pariren! Hier habe bloß ich zu reden! Für seine zwei dummen Ackerfurchen wird sich wohl ein Esel finden, der sie mit den langen Ohren bewackelt, bis Er einmal seinen Abschied bekommt. Er mag die Sache von drüben aus in Ordnung bringen; ich habe keine Zeit, mich her zu setzen, bis Er seinen Kram in Ordnung hat, und Nachsicht hat Er nicht verdient, das muß Er selber eingestehn!« Er wandte sich von dem vollständig Zerknirschten ab und zu den gebundenen Soldaten. »Na, was sagt Ihr nun, Ihr Heidenvolk, he?! Nichts? Da will ich Euch 'was sagen: Wir brauchen jetzt da drüben Kanonenfutter, und weil unsre jungen Leute alle vor lauter Dummheit sterben, so fehlt es uns ganz außerordentlich an gelehrten Pudels, die wir dem Wiener Thereserl auf den Reifrock hetzen können, und darum will ich nur vom Jörgen von Hannover heut einmal eine Probe mitnehmen. Ihr werdet des Königs Soldaten, und wenn ich solche Ausbunde von Klugheit auf unsre vernagelten Brandenburger pfropfe, so wird wohl ein Gewächs zu Stande kommen, das zu gebrauchen ist. Aber merkt Euch Eins: Bei uns zu Hause gedeiht der Haselstock verteufelt besser als in der kurfürstlichen Haide, und wen der lieb hat, der darf sich um zu wenig nie beklagen! He, Wirth, schaffe Er einmal etwas Ordentliches zu essen und zu trinken her für meine bunten Kinder; sie haben einen tüchtigen Schluck verdient, und Prezelle wird bezahlen!« In diesem Augenblicke brachte der Korporal den Schulzen
zurück, welcher dem Fürsten mit süßsaurer Miene einen alten, schmutzigen Leinwandbeutel entgegenhielt. »Der Sack gehört dem Brehmer. Tragt ihn hin! So! Und nun, Schulze, komme Er 'mal her zu meiner Fagottmühle! Meine Jungens möchten gern ein wenig Tafelmusik haben, und weil ich des Guten schon genug gethan habe, so ernenne ich Ihn zum fürstlich Anhalt-Dessauischen Leiergriffel. Das ist ein Amt, welches Ihm viel Ehre bei Seinem Monarchen eintragen wird, wenn er die Nachricht davon durch die Blume bekommt. Und weil Er heut dem ›alten Spitzbuben‹ seinen Leibmarsch so gern hat hören wollen, so will ich extra für Ihn die Walze stellen und Er soll die Freude genießen, sich das Ding eigenhändig vorzuorgeln. Da; jetzt kann es losgehen! Na, wie wird's? Oder soll ich etwa nachhelfen?!« Der arme Dorfregent mußte wohl oder übel die hochverrätherische Melodie hervorarbeiten und was das Schlimmste war, der Fürst fand seine Freude so an ihr, daß er die Walze immer wieder zurückstellte, sobald der Marsch zu Ende war. Auf diese Weise wurde »So leben wir« so oft wiederholt, bis die Preußen fertig mit Essen und Trinken waren und sich zum Aufbruche richteten, wo der schweißtriefende Schulze den ersten unbewachten Augenblick benutzte, sich ungesehen aus dem Staube zu machen. Der Abschied Leopolds war kurz, aber in so kräftigen Worten abgefaßt, daß er den Prezellern ganz gewiß für lange Zeit in heilsamer Erinnerung blieb. Bei den im freien Felde harrenden Wagen angekommen, stiegen Preußen und Hannoveraner auf, und im scharfen Trabe ging es nach Ziemendorf. Während der Fürst dort den Andern gebot, ihren Weg fortzusetzen, fuhr er bis vor die Thür des Schulhauses, unter welcher auf ein mit der Peitsche gegebenes Zeichen die Frau und Tochter Brehmers erschien. Er war der Erste, welcher abstieg und trat sogleich auf die beiden Frauen zu. »Na, da ist ja die Emma! Guten Abend! Da gucke Dir 'mal die beiden Männer an, welche ich mitbringe, ob es auch die Rechten sind!« Mit einem lauten Freudenschrei eilte das brave Kind zunächst zum Vater, welchem sie jubelnd die Arme um den Nacken schlang. Auch die Mutter konnte die Gefühle ihres Herzens bei dem unverhofften Wiedersehen der fast verloren Geglaubten nicht verbergen, und beide gaben sich ihrem Entzücken so rückhaltlos
hin, daß Brehmer selbst sie an ihre häuslichen Pflichten mahnen mußte. Einige leise geflüsterte Worte genügten, ihnen zu sagen, was für ein hoher Gast vor ihrer bescheidenen Wohnung stehe, und nun begann allerdings eine Verlegenheit für sie, die ihren Höhenpunkt erreichte, als der Fürst ihnen voran nach der Stube schritt und sich dort gemüthlich auf das alte, knackende Kanapee fallen ließ. »So, hier sitze ich, und nun stellt Euch einmal alle in Reih und Glied hierher! Ich habe nur einige Minuten Zeit und werde also meine Sache kurz machen. Brehmer, nach Dem, was heut geschehen ist, kann Seines Bleibens hier nicht länger mehr sein und Er soll deßhalb eine hübsche Schulmeisterstelle bei mir im Dessauischen haben. Ist Er damit einverstanden?« »Durchlaucht, das wäre ja ein Glück, welches ich – –« »Papperlapapp! Ich werde doch für einen alten Kriegskameraden sorgen! Und Er, Schubert, ist Oberknecht auf einem großen Gute?« »Ja!« »Versteht Er sich denn auch ordentlich auf Sein Fach?« »Mein Herr bekümmert sich fast gar nicht um die Bewirthschaftung seines Besitzthums und überläßt Alles ganz meinem Ermessen. Die Leute sagen, unsre Felder seien weitaus im besten Stande und mit unserm Vieh könne sich kein anderes messen.« »So? Hm! Da würde Er wohl nur schwer fort zu bringen sein?« »Durchlaucht – –!« »Weiß schon, weiß schon! Ich werde Ihn auf die Probe stellen und wenn Er Seine Sache versteht, so soll Er an demselben Orte wohnen wo der Brehmer seine Stelle bekommt. Ich brauche einen Inspektor dort. Seine Mutter bringt Er natürlich auch mit!« Dem jungen Mann standen über diese Güte die Freudenthränen im Auge. Leopold aber wehrte seine lebhaften Dankeserweisungen von sich ab. »Schon gut! Lasse Er das jetzt; ich muß fort!« Dann erhob er sich und hielt der Hausfrau die Hand entgegen. »Ihren Mann kenne ich von langer Zeit her schon, Sie aber habe ich noch nicht gesehen. Sie scheint mir eine tüchtige und brave Hausfrau zu sein, grad wie meine gute Anneliese es immer gewesen ist, das sieht man hier ja deutlich in der saubern, blitzeblanken Wirthschaft. Und eine Mutter ist Sie dazu, vor der man Respekt
haben muß, das habe ich heut an Ihrem frommen, herzigen Kinde bemerkt. Wenn alle Weiber ihre Pflicht so treu erfüllten, so gäbe es viel weniger Unglück und Herzeleid im Lande. Da, schlag Sie ein; wir wollen gute Freundschaft halten! Und wenn Sie mit Ihrem Manne nach dem Dessauischen kommt, so werde ich Sie schon einmal aufzusuchen wissen!« Es war eine ungewöhnliche Rührung über den alten, strengen Knasterbart gekommen. Trug die Erinnerung an seine eigene und einzige Liebe daran die Schuld, oder war es der Eindruck der zwar armen aber traulichen Häuslichkeit, der ihn so mild stimmte? Vielleicht Beides zugleich. Es dauerte auch nur einige Augenblicke, so war er Herr seiner Weichheit geworden und trat nun lächelnd zu dem Mädchen. »Also mein Wort habe ich gehalten, und was die Folgen davon sind, das wird man ja später erfahren dürfen. In den jetzigen Kriegsläuften will es Einem nur selten einmal fröhlich um das alte Herze werden, aber wenn sie vorüber sind, so würde ich gern einmal bei einer lustigen Hochzeit sein, um doch wenigstens zu sehen, daß der liebe Herrgott da droben mich heut nicht umsonst von der Straße weg in den Busch geschickt hat. Aber wie steht es denn nun eigentlich mit meinem Lohne, von dem Du gar Nichts wissen wolltest?« Sie schwieg, und eine dunkle Röthe übergoß ihr hübsches Gesichtchen von der Stirn bis auf den Hals herab. »Na, Strafe muß sein, das habe ich heut bewiesen! Und Lohn muß auch sein, das werde ich ebenso beweisen!« Er faßte sie unter dem Kinn, hob ihr Köpfchen empor und gab ihr einen herzhaften Kuß auf die vollen, frischen Lippen. »So! Der Schubert wird nicht darüber räsonniren und meine Anneliese auch nicht, wenn ich ihr davon erzähle. Jetzt aber lebt wohl, Ihr Leute! Ihr werdet bald eine gewisse Entscheidung von mir erfahren, und dann wird es vielleicht nicht lange dauern, bis wir uns wiedersehen!« Er schritt, von ihnen begleitet, zur Thür hinaus. Der Fuhrknecht hatte unterdessen die Drehorgel abgeladen und in die Nähe des Einganges gestellt. »Hier steht der Orgelmarschallkasten, Brehmer. Der Eigenthümer befindet sich hier im Kruge und hat zehn Thaler Leihgebühren zu bekommen. Ich habe ihm als Kaution zwanzig
gegeben und er mag sie behalten, weil sein Unglücksbein in Prezelle liegen geblieben ist. Suche Er ihn auf und gebe Er ihm dabei diese Papiere zurück!« Er stieg auf den Wagen und reichte den vier Leuten von oben herab noch einmal die Hand. Unter herzlichen Dankesworten traten sie zurück; die Pferde zogen an, und der Wagen rollte von dannen. Von tiefer Bewegung erfüllt, lauschten die Zurückbleibenden wortlos dem sich entfernenden Hufschlage, bis derselbe von der ringsum herrschenden nächtlichen Stille verschlungen wurde. – – –
Ein Fürst-Marschall als Bäcker Humoristische Episode aus dem Leben des »alten Dessauers« von Karl May.
Beim »Alten« Es war in Dessau, im Jahre eintausendsiebenhundertsechsundzwanzig, und zwar am sechzehnten Trinitatis-Sonntage früh halb acht Uhr. Der Feldmarschall Fürst Leopold von Anhalt-Dessau saß in seinem Arbeitszimmer und frühstückte, um sich zum heutigen Kirchgange zu stärken. Er war gewohnt, seinen gewaltigen Baß wie eine Posaune durch die Räume der Kirche ertönen zu lassen. Leider hatte sein musikalisches Talent nur für eine einzige Melodie zugereicht, nämlich für diejenige des »Dessauer Marsches«; eine andere zu erlernen, war rein unmöglich gewesen, und so sang er alle Kirchenlieder rundweg nach dieser tapfern Weise. Dabei kam er natürlich stets in großen Conflict mit der Orgel und dem Gesange der Gemeinde, und er mußte sich sehr wacker halten, um nicht umzuwerfen. Das gab natürlich jeden Sonn- und Feiertag eine eminente Anstrengung seiner Lunge, vor welcher sich jedoch der gewaltige Kriegsheld nicht im Mindesten fürchtete. Und wenn der Organist alle Register zog, um seine Stimme zu übertäuben, und wenn die versammelten Andächtigen noch so laut sangen, um sein »So leben wir, so leben wir« zum Schweigen zu bringen, es gelang doch niemals, denn dann erhob er seinen Baß zu einer dreifachen Stärke; seine Gestalt richtete sich siegreich empor; seine Augen blitzten kampfesmuthig, und seine unwiderstehlichen Töne schmetterten wie die Posaunen von Jericho jeden Widerstand darnieder. War es da ein Wunder, daß er vor jedem Kirchenbesuche ein ganz besonders kräftiges Frühstück zu sich nahm? Auch heute lag vor ihm ein festes, hausbackenes Brod, ein angeschnittener Schinken, eine riesige geräucherte Schlackwurst, ein Käse von sechs Zoll Höhe und zwei Spannen im Durchmesser, dazu einige frische Zwiebeln, mehrere saure Gurken und allerhand Kleinzeug, das zwar nicht besonders aufgeführt zu werden braucht, aber auf dem Frühstückstische eines alten Knasterbartes doch nie fehlen darf. Nach dem leisen, vergnügten Brummen zu urtheilen, welches er beim Kauen hören ließ, schien es ihm ganz ungewöhnlich zu munden, und er hatte eine außerordentliche Verwüstung unter den Vorräthen angerichtet, als er endlich die Reste von sich schob und
sich erhob, um zur Unterstützung der Verdauung das Zimmer einige Male mit langen Schritten zu durchmessen. Dann klatschte er laut in die Hände, und der Diener erschien. Der Fürst zeigte nach einem auf dem Tische liegenden Zettel. »Es kann losgehen!« Der Diener ergriff den Zettel und kehrte nach dem Vorzimmer zurück. Er mußte die dort Harrenden nach der Reihenfolge eintreten lassen, wie ihre Namen auf dem Papiere verzeichnet waren. Aber diese Namen zu lesen, war keine Kleinigkeit, da der Fürst eine Hand schrieb, die er selbst sehr oft nicht wieder zu enträthseln vermochte. Und wirklich zog der Lakei bereits bei dem ersten Namen die Brauen ganz bedenklich in die Höhe und bewegte rathlos die Lippen, um den Hieroglyphen einige Buchstaben zu entlocken. Es gelang ihm nicht, und er befand sich somit in einer höchst fatalen Lage. Der Fürst wartete bereits und durfte unmöglich nach der Bedeutung seiner Krähenfüße gefragt werden, wenn er nicht in einen fürchterlichen Zorn versetzt werden sollte. Der Diener blickte im Kreise umher und trat zu einem Herrn, dessen Tracht einen Geistlichen in ihm vermuthen ließ. »Herr Feldprediger, bitte, lest mir doch einmal diesen Namen herunter!« bat er ihn. Der Prediger nahm das Blatt und buchstabirte. »Hm!« meinte er. »Wer kann das lesen! Das Erste ist ein G, der zweite Buchstabe ein O, der dritte ein L und der vierte ein D. Das heißt also Gold. Dann kommt – – hm, das kann nur wieder ein G sein mit einem R. Nun kommt entweder ein A und ein U, oder ist es ein verspritztes D, denn es ist ein Kleks darauf. Das Folgende ist unbedingt ein hartes P, und die zweite Silbe würde also ›graup‹ heißen. Zuletzt folgt ein N, ein E und ein R. Der Name heißt Goldgraupner.« »Wißt Ihr das gewiß, Herr Feldprediger?« frug der Diener. »Es ist nicht anders möglich.« »Na, wird's bald!« klang von drinnen heraus die scheltende Stimme Leopold's. Der Diener drehte sich schnell im Kreise herum und frug die Anwesenden: »Ist Jemand hier, der Goldgraupner heißt?« Es erfolgte keine Antwort, und er trat in das Zimmer des Fürsten zurück. »Nun?« frug dieser, als er ihn allein kommen sah.
»Excellenz, Entschuldigung! Dieser Goldgraupner ist noch nicht da.« »Goldgraupner? Welcher?« frug Leopold stirnrunzelnd. »Der hier auf dem Blatte steht.« »Auf welchem Blatte?« »Welches Excellenz mir gegeben haben.« Dem Lakeien stand bereits der Schweiß auf der Stirn. Er sah an den zuckenden Bartspitzen seines Herrn, daß ein Gewitter im Anzuge sei. »Zeige es einmal her!« gebot dieser, die Hand ausstreckend. Der Diener reichte ihm den Zettel entgegen, und der Fürst warf einen Blick darauf. »Wo soll dieser Hallunke, der Goldgraupner, stehen?« »Es ist der erste Name.« Das Auge des Fürsten leuchtete unheimlich. »Der erste? Obenan?« »Zu Befehl, Durchlaucht!« »Kerl, bist Du verrückt, oder kannst Du nicht lesen?« »Keines von beiden, wie ich glaube, Excellenz!« »Halte den Schnabel, Mensch! Alles beiden ist der Fall! Du kannst nicht lesen und bist auch übergeschnappt. Hier hast Du den Wisch zurück, und lies den Namen noch einmal!« Der Lakei zermarterte sich an den Schriftzügen, doch vergebens. »Nun, wie heißt es?« »Goldgraupner, Excellenz.« »Kerl, ich lasse Dich so lange fuchteln, daß Du diese Goldgraupen schwitzen sollst! Will der Hallunke mein Diener sein und kann meine Schrift nicht lesen!« »Gnade, Durchlaucht! Der Herr Feldprediger da draußen hat das Wort auch nicht anders gelesen.« »Der Feldprediger? Der? Was hat denn der mit diesem Zettel zu thun?« »Ich bat ihn um seine Hülfe, weil ich den Namen nicht lesen kann.« »Das ist ja ganz wundervoll! Also der Herr Feldprediger kann das Wort auch nicht lesen? Grad dieses Wort?« Er lächelte höchst verheißungsvoll und trat selbst an die Thüre, um sie zu öffnen. Der Diener kannte dieses freundliche Lächeln: es endete allemal mit einem Donnerschlage. Der Fürst winkte dem
Prediger. »Trete Er doch einmal ein!« Der Gerufene folgte diesem Befehle mit einer tiefen Verneinung. »Er ist Prediger?« frug der Fürst mit dem mildesten Tone seiner Stimme. »Zu Befehl, Durchlaucht!« antwortete der Gefragte, nicht wenig erstaunt über diese sonderbare Einleitung. »So ist Er wohl auf der Schule gewesen?« »Allerdings.« »Und auf der Universität?« »Ja.« »Und was hat Er denn da getrieben, he?« »Ich habe mich dem Studium mit allem Fleiße gewidmet.« »Dem Studium? Das glaube ich, aber was Er da studirt hat, das ist die Frage. Er hat doch noch viel weniger gelernt als hier in Dessau der allerkleinste Schuljunge!« »Excellenz!« »Na, excellenze Er mich nur nicht etwa so an! Da, nehme Er doch einmal dieses Papier in die Hand, und lese Er mir das erste Wort vor!« Der Prediger nahm das Papier und erkannte es als dasselbe, welches er bereits vorher in der Hand gehabt hatte. »Nun, wird's bald!« trieb Leopold. »Goldgraupner.« »Schön! Jetzt sehe ich allerdings, daß Er lesen kann. Aber wie! Da mag der Herrgott ein Einsehen haben! Buchstabire Er mir doch einmal das Wort!« »Der erste Buchstabe ist ein G – – –« »Ein G? So, hm! Ja! Wunderschön! Weiter!« »Der zweite ein O – – –« »Natürlich!« »Der dritte ein L – – –« »Versteht sich!« »Der vierte ein weiches D – – –« »Hm! Er kann am Ende doch noch lesen!« »Der fünfte ein G – – –« »Weiter!« »Der sechste ein R – – –«
»Schön!« nickte der Fürst mit sehr zufriedener Miene. »Der siebente ein A – – –« »Ja, ja!« »Der achte ein U. Etwas Anderes kann es nicht sein.« »Warum denn nicht, he?« »Weil kein anderer Buchstabe in das Wort hereinpassen würde.« »Prächtig! Herrlich! Das ist der triftigste Grund, den es geben kann! Nun sehe ich allerdings, daß Er sich dem Studium mit allem Fleiße gewidmet hat!« »Verzeihung, Durchlaucht! Es ist ja wohl möglich, daß es ein anderer Buchstabe hat werden sollen, aber – – –« »Werden sollen! Donnerwetter!« Wenn der Königlich Preußische Feldmarschall Fürst Leopold von Anhalt-Dessau einen Buchstaben machen will, so wird es dieser Buchstabe auch! Ich wollte es dieser Kanaille von Buchstaben nicht rathen, ein anderer Buchstabe zu werden! Und was will Er mit Seinem Aber?« »Aber die Feder hat gespritzt, und es ist leider ein – – –« »Nun, ein – – –? Heraus damit!« »Es ist leider ein – ein Klecks geworden, mit Ew. Durchlaucht gnädigster Permission.« »Was? Ein Klecks mit meiner Durchlaucht gnädigster Erlaubniß? Er hat wohl Ratten unterm Dache? Dieser Klecks hat den Teufel nach meiner gnädigsten Erlaubniß gefragt. Die Feder spritzte, und der Kerl saß da, auf dem Papiere. Pasta! Aber Er, wenn Er Lust hat, Er selbst kann ein Klecks sein, mit und meinetwegen auch ohne meine allergnädigste Permission. Versteht Er mich? Buchstabire Er weiter!« Der Geistliche befand sich in einer schauderhaften Verlegenheit. Er wußte ganz genau, daß dieses ominöse Wort nicht Goldgraupner heißen solle, und doch war es menschenunmöglich, es anders zu lesen. Mit bebender Stimme meinte er weiter: »Der neunte Buchstabe ist ein hartes P – – –« »Natürlich!« »Der zehnte ein N – – –« »Freut mich sehr!« »Der elfte ein E – – –« »O, ja!« »Und der zwölfte ein R.« »Nun zusammen – – –?«
»Zusammen bilden diese Buchstaben also das Wort Goldgraupner.« »Goldgraupner! Prächtig! Und der Kerl ist nicht da?« »Nein!« »Sapperlot! Bin ich denn blind oder ist Er es?« »Mit Ew. Durchlaucht allergnädigster Permission möchte ich – – –« »Bleibe Er mir mit Seiner allergnädigsten Permission vom Leibe!« herrschte ihn der Fürst an. »Ich habe Ihn gefragt, ob Er blind ist?« »Ich glaube, daß ich sehen kann, Durchlaucht!« »So! Glaubt Er das wirklich? Das ist ja recht schön von Ihm! Trete Er doch einmal hierher!« Er faßte den Prediger und schob ihn vor den Spiegel. »Wenn Er wirklich sehen kann, so blicke Er einmal hier hinein! Wen sieht Er da?« »Mich,« antwortete der Gefragte schwitzend. »Sich? Hm, eigentlich ja. Aber Er sieht zugleich auch diesen Hallunken, den Goldgraupner, von dem Er denkt, daß er nicht da ist. Drehe Er sich wieder herum! Jetzt werde ich Ihm einmal dieses Wort vorbuchstabiren. Passe Er auf!« Der Fürst riß ihm den Zettel aus der Hand und begann: »Der erste Buchstabe ist ein F. Versteht Er?« »Aber, Excellenz, ein F ist ja ganz anders. Ein F ist – – –« »Wa – wa – was! Er will mir sagen, ein F sei ganz anders, Er – Er – – Er – – – Er selber F und Doppel-FF! Das Wort heißt F–e–l–d = Feld, p–r–e–d = pred, i–g = ig, e–r = er, also Feldprediger. Versteht Er mich, Er Goldprediger oder Feldgraupner Er?« »Excellenz, kein Mensch konnte vermuthen, daß – – –« »Daß Er nicht lesen kann! Da hat Er sehr Recht! Und weil Er eine so löbliche Selbsterkenntniß besitzt, so will ich einmal über den Bock den Er geschossen hat, hinwegsehen und Ihn im Besitze meiner Gewogenheit bleiben lassen, mit Seiner allergnädigsten Permission nämlich.« Und zum Diener gewendet, setzte er hinzu: »Hier ist der Zettel wieder. Mache, daß Du fortkommst, und bringe mir keinen solchen Graupner wieder herein. Sonst jage ich Dich zum Teufel!« Der Lakei verschwand augenblicklich, und Leopold wandte sich wieder zu dem Prediger:
»Ich habe Ihn aus Halle hercitirt, daß Er mir heute einmal eine rechte Extrapredigt halten möge. Versteht Er mich?« »Haben Excellenz die Gewogenheit, mich von Dero Mensis gnädigst zu unterrichten!« »Mensis? Was ist das für ein Kerl?« »Das Wort ist ein lateinisches und bedeutet so viel als Absichten oder Meinungen.« »Warum wirft Er da mit solchen fremden Brocken um sich, wenn Er weiß, wie es auf Deutsch zu heißen hat? Ich glaube gar, Er will dicke thun! Da kommt Er bei mir an den Unrechten! Ein deutscher Bengel ist mir zehnmal lieber als ein lateinischer Flegel. Merke Er sich das, und rede Er in Zukunft ganz so, wie Ihm der Schnabel gewachsen ist! Ich habe keine Zeit, für Jeden, der zu mir kommt, eine andere Sprache zu lernen. Giebt es doch schon in der Muttersprache Leute genug, die über die eigene Zunge stolpern und gar nicht wissen, was sie sagen sollen. Von Ihm aber weiß ich, daß Er ein guter Redner ist, und daher will ich mir heut einmal ein Gaudium anthun. Nämlich die Herren Väter von der Stadt scheinen den Gehorsam verlernt zu haben, und es soll ihnen einmal so recht tüchtig der Kopf gewaschen werden. Dazu taugt mir aber der Hiesige nicht. Will Er die Aufgabe übernehmen?« »Ich gehorche!« »Das wollte ich Ihm auch rathen, Er Schwerenöther! Sage Er den Kerls Seine Meinung nur so recht von der Leber herunter!« »Dann wäre es mir lieb, einige Punkte zu erfahren, in denen die besagten Väter der Stadt sich das Mißfallen Ew. Durchlaucht zugezogen haben.« »Das ist nicht nothwendig. Glaubt Er, daß ich wegen einer Kanzelrede Ihm erlaube, seine Nase in meine Töpfe zu stecken? Er braucht weiter nichts zu wissen, als daß sie schwerhörig und hartmäulig sind. Will ich hüh, so wollen sie hott; sage ich ja, so sagen sie nein; fluche ich, so beten sie; will ich ein Graupelwetter, so wollen sie Sonnenschein. Das ist ja hundsföttisch; das ist geradezu zum aus der Haut hinausfahren! Was giebt es denn heut für eine Epistel oder für ein Evangelium?« »Wir haben den sechzehnten Trinitatissonntag. Da wird gepredigt entweder über Epheser 3, Vers 13 bis 21, oder über Lucas 7, Vers 11 bis 17.« »Was steht denn in diesem Lucas?«
»Die Auferweckung des Jünglings zu Nain.« »Und in diesem Epheser?« »Daß Christum lieb haben besser sei als alles Wissen.« »Das ist ganz richtig. Das kann Er sich auch selbst zu Herzen nehmen, denn Christum lieb haben ist auch besser als seine lateinische Großthuerei. Hat Er es verstanden. Aber sein Evangelium paßt ebenso wenig für meinen Zweck wie seine heutige Epistel. Eine Strafrede muß kräftig sein und dazu ist auch ein kerniger Text nothwendig. Ich werde Ihm einen solchen Text aussuchen.« »Ich bin ganz zu Ew. Durchlaucht Befehl.« »Das versteht sich ganz von selbst, denn ich bin hier Landesherr, und wer nicht reden will, was ich befehle, der kann sich zum Kukuk scheeren. Kennt Er die Geschichte von dem Teufel, der unter die Schweine gefahren ist, daß sie in's Wasser liefen und alle ersaufen mußten?« »Ja.« »So predige Er über diese Stelle.« »Excellenz erlauben mir gnädigst die Bemerkung, daß diese biblische Erzählung denn doch nicht wohl als Predigttext zu behandeln ist.« »Nicht?« frug der Fürst, die Stirn runzelnd. »Warum nicht? Hat Er etwa kein Geschick dazu?« »Sie dürfte wohl etwas zu kräftig sein.« »Mohrenelement, das ist es ja grad, was ich haben will! Die Säue, das sind die Hallunken, die mir nicht pariren wollen, und der Teufel, das bin ich. Ich werde unter sie fahren, daß es eine Art hat, und es ist mir dabei ganz und gar egal, wenn sie alle mit einander ersaufen.« »Und wer soll da der Besessene sein, Durchlaucht?« »Der Besessene, aus dem der Teufel eigentlich ausgetrieben wird? Hm, das ist natürlich die Stadt Dessau, das Rathskollegium, der Bürgermeister. Sinne Er sich das selbst aus! Ich habe keine Zeit, darüber nachzudenken, wer heut besessen sein soll oder nicht.« »Aber Durchlaucht, ich erlaube – – –« »Papperlapapp! Bringe Er mir kein Aber, sonst werde ich Ihn beabern, daß Ihm die Schwarte knackt! Er hat Ordre zu pariren, weiter nichts! Gehe Er jetzt hinaus. Draußen steht mein Page, der Lindow, der Ihn zur Kirche bringen soll. Später darf Er bei mir zu
Mittag essen. Macht Er seine Sache gut, so wird es Ihm schmecken; macht Er sie aber nicht gut, so stehe ich für nichts! Er kennt mich. Ich bin die Liebe selbst; man kann mich um den Finger wickeln. Aber versuche Er ja nicht, mich von der andern Seite kennen zu lernen, denn dann könnte es sehr leicht passiren, daß ich Ihn trotz seines Lateins als gemeinen Soldaten unter die Grenadiere stecke. Für jetzt sind wir fertig!« Eben als sich der Prediger, dem nicht ganz wohl zu Muthe war, entfernen wollte, trat der Diener wieder ein. »Was giebt's?« frug Leopold. »Kannst Du wieder nicht lesen?« »Ich wollte mir nur die Frage gestatten, ob die auf dem Zettel bezeichnete Reihenfolge beizubehalten ist, da eben jetzt ein Offizier angekommen ist.« »Wer?« »Der hannöversche Premierlieutenant von Hartegg.« »Der Hartegg! Was will denn der?« »Weiß nicht. Er bittet Excellenz sprechen zu dürfen.« »Kommt mir grade recht! Befinde mich grad in der Laune, diesen Hannoveraner auszuhannovern, daß er seine Lüneburger Haide für einen Ziegenkäse halten soll. Machen diese Menschen einen Heidenskandal, wenn einer meiner Werber einmal über die Grenze läuft und aus Versehen einen Rekruten mit herüber bringt! Ihr Kurfürst, der sich König von England nennen läßt, hat deshalb sogar bereits bei Seiner Majestät dem deutschen Kaiser Beschwerde erhoben. Schicke ihn herein und jage die Andern fort. Sie mögen morgen wieder kommen, denn ich glaube nicht, daß mir heut viel Zeit für sie übrig bleibt!« Der Lakei entfernte sich, und gleich trat der Angemeldete ein. Er war ein junger Mann von vielleicht sechsundzwanzig Jahren, hoch und breit gewachsen, mit blondem Haar und treuen, blauen Augen. Er avancirte drei Schritte, schlug die Fersen zusammen, daß die Sporen klirrten und stand dann kerzengrad und unbeweglich, als sei er aus Stein gehauen. Die drohend emporgezogenen Brauen des Fürsten senkten sich langsam nieder. Er schien Wohlgefallen an dem Hannoveraner zu finden und musterte ihn mit Kennerblick vom Kopfe bis zu den Sohlen herab. Der Offizier hielt diese Musterung ruhig aus. Keine Wimper zuckte an ihm; kein Fingerglied wich um die Breite eines Haares aus seiner Lage. Seine Uniform saß wie angegossen. Nicht
das leiseste Fältchen war zu bemerken, und das Metallzeug glänzte, als ob sich der Sonnenstrahl drin spiegelte. Aber das erste Wort des Fürsten war dennoch ein Tadel: »Er ist nicht gepudert!« »Wäre ich Offizier in dem berühmten Regimente Ew. Durchlaucht, so würde ich pudern,« klang die ruhige Antwort. »Was will Er?« »Ew. Excellenz Erlaubniß, mich verheirathen zu dürfen.« Leopold trat einen Schritt zurück. »Meine Erlaubniß? Meine? Sich verhei – – – Donnerwetter! Wie kommt Er mir vor? Was habe denn ich dabei zu thun, wenn Er, ein Hannoveraner, seinem Mädchen den Kopf verdreht hat?« »Sehr viel, Durchlaucht!« »Erkläre Er sich!« »Das Mädchen ist eine Liebau und hier im Lande ansässig.« »Ah! Das ist etwas Anderes!« »Der Vater hat nichts gegen unsere Verbindung, aber er will seine Einwilligung nicht eher geben, als bis er überzeugt ist, die Genehmigung Ew. Durchlaucht zu besitzen.« »Warum kommt er nicht selbst?« »Er ist unwohl.« »Unwohl? Ja, dieses Unwohlsein kenne ich! Angst hat er vor mir: das Herz ist ihm in die Hosen gefallen, weiter Nichts! Er mag für einen Groschen Dammbecker Pflaster auflegen; vielleicht zieht es ihm den Herzbeutel wieder in die richtige Lage! Ich wollte sein Gut haben, und er wollte es nicht verkaufen; da zwang ich ihn, es mir für die Taxe zu lassen, und nun mag er nichts mehr mit mir zu thun haben. Der alte Schlucker schmollt wie ein Hamster, dem man die Körner genommen hat. Aber er sollte doch wissen, daß er damit nicht vorwärts kommt. Ich bin sein Souverain und frage den Geier darnach, was er mir für Gesichter schneidet. Wo hat Er das Mädchen kennen gelernt?« »In Magdeburg.« »Ja, ich weiß, sie ist dort gewesen. Sie hat eine Muhme dort, ein altes Felleisen, dem bereits schon einige Riemen und Schnallen abhanden gekommen sind. Ich glaube, das Weibsen muß bereits über Sechzig zählen. Habe sie in Dresden kennen gelernt. Stammt aus einem gräflichen Hause und trug deshalb die Nase so hoch, daß sie recht gut als Wetterfahne dienen konnte, wenn man einen Stiel
hindurchgesteckt hätte. Kann solche Leute sehr gut leiden, sehr gut! Aber was sagen Seine Vorgesetzten dazu, daß Er sich so jung bereits verheirathen will? Er darf sich ja als Lieutenant noch gar keine Frau nehmen! Hat Er Hoffnung, das Hauptmannspatent zu erhalten?« »Ich nehme den Abschied.« »Was? Ist Er bei Sinnen! Ein Kerl wie Er? Gewachsen wie eine Eiche, gesund wie ein Hecht, und den Abschied!« »Ich habe das Ding satt.« »Satt? Wird er schuriegelt? Will man Ihm nicht wohl?« »Im Gegentheile! Grad das zu große Wohlwollen paßt mir nicht!« »Höre Er, Er hat wohl ein gelindes Fieber?« »Möglich, denn der Aerger geht in's Blut.« »Erkläre Er sich!« »Ich habe mein Mädchen; ich mag keine Andere und soll doch eine Andere nehmen.« »So nehme Er sie doch in Gottes Namen! Gehauen oder gestochen, das ist ja ganz egal. Es ist Eine so schlimm wie die Andere!« »Dann will ich mir doch lieber die Schlimme nehmen, die ich mir selbst heraussuche!« »Das klingt allerdings nicht unverständig! Wer ist denn die Andere?« »Die Tochter meines Regimentskommandeurs.« »Aha! Eine Heirath aus dienstlicher Rücksicht! Alt?« »Neunundzwanzig.« »Alle Wetter! Man kennt das. Wenn so Eine neunundzwanzig sagt, so ist sie eigentlich achtunddreißig oder sechsundvierzig! Hübsch?« »Sehr! Uhu oder Schleiereule!« »Bombenelement, Er scheint sich auf Gleichnisse zu verstehen! Reich?« »Sie ist seit ihrem vierzehnten Jahre jede Stecknadel schuldig geblieben.« »So sind viele Geschwister da?« »Fünf Schwestern und ein Bruder. Sie ist die Jüngste.« »Auch noch! Sage Er Seinem Oberst einen Gruß von mir, und er soll seine Venusse dem Sultan schicken. Der kann sie als
Derwischinnen an seine Mamelucken verschenken! Er thut mir wirklich leid; aber ich kann Ihm nicht helfen.« »Durchlaucht!« »Ein Hannoveraner bekommt die Liebau nicht!« »Ich quittire ja den Dienst!« »Bleibt sich gleich! Ich kann das Volk da drüben nun einmal nicht leiden. Sein Kurfürst schreit sich heiser um eines armseligen Rekruten willen. Trete Er über!« »Das ist nicht Ew. Excellenz Ernst.« »Warum nicht? Er gehört einer guten Familie an, die auch bei uns begütert ist, und hat sich im Dienste bereits einige Meriten erworben, wie ich gehört habe. Ich glaube, Er würde bei mir nicht lange Lieutenant bleiben.« Das Auge Hartegg's leuchtete auf. Er wußte, welche Ehre es für einen preußischen Offizier war, in dem Musterregimente des Dessauers zu dienen. Dennoch aber antwortete er: »Ein Ueberläufer ist unter allen Umständen ehrlos!« »Freut mich, daß Er diese Ambition besitzt! Aber, so lasse Er sich doch einmal fangen!« »Das dürfte bei den jetzigen Verhältnissen unmöglich sein. Und wer sich mit Absicht fangen läßt, ist ja auch Deserteur.« »Gut, so mag Er seinen Willen haben, und ich behalte den meinigen.« »Ist dies Ew. Durchlaucht letztes Wort?« »Ja.« Das offene Angesicht des Offiziers wurde um einen Schatten bleicher; aber er beherrschte sich. »So ist die private Angelegenheit beendet, und ich bitte um die Erlaubniß, zur dienstlichen schreiten zu dürfen.« »Er ist auch im Dienste hier?« »Zu Befehl!« »Und bringt das Dienstliche erst nach dem Privaten vor! Mann, wenn Er zu meinem Regimente gehörte, so fuchtelte ich Ihn!« »Ich kenne die Sünde, die ich begangen habe, aber ich glaube, Ew. Durchlaucht Verzeihung zu erhalten. Ich wollte die Erfüllung meiner Bitte nicht gleich von vorn herein unmöglich machen.« »So hat das Dienstliche wohl einen üblen Beigeschmack?« »Ja.« »Das konnte ich mir denken. Was kann aus Nazareth Gutes
kommen! Schieße Er einmal los!« »Königliche Hoheit, der Kurfürst Georg Ludwig von Hannover, mein allergnädigster Landesfürst und Kriegsherr, haben geruht, in Sachen des Werbewesens eine Beschwerdeschrift an Kaiserliche Majestät nach Wien gehen zu lassen – –« »Das danke ihm der Teufel!« »Kaiserliche Majestät haben geruht, dem Kurfürsten ein freundliches Handschreiben zuzustellen, in welchem gemeldet wird, daß an den königlich preußischen Hof ernstliche Vorstellungen ergangen sind, die hannöverschen Landesgrenzen in Zukunft zu respectiren und das preußische Heer nur innerhalb der preußischen Länder und Besitzungen zu rekrutiren. Trotz dieser kaiserlichen Verwarnung aber – – –« »Verwarnung? Himmelelement, menagire Er sich, sonst gebe ich Ihm eine Verwarnung, die bessern Nachdruck haben soll als die kaiserliche, von der Er hier redet!« »Durchlaucht halten zu Gnaden. Ich muß grad so sprechen wie mir befohlen worden ist! Also trotz dieses Hortamentum ist – – –« »Halt! Hortamentum, wer ist das?« »Das ist lateinisch und heißt Warnung oder Vermahnung.« »Reitet Euch denn alle zusammen heute der Henker? Da schlage doch ein Graupelwetter drein! Heute kommen alle diese Himmelhunde, die einmal einen lateinischen Fetzen weggeschnappt haben, um ihn mir hier um das Gesicht zu schlagen. Wenn Er mir mit Seinem Hormentum oder Hermuntarium oder wie das Ding geheißen hat, noch einmal kommt, so behormentire ich Ihn, daß es Ihn nicht blos lateinisch, sondern auch griechisch und chinesisch vor den Augen flimmert! Hält Er mich etwa für ein Karnikel, das lateinische Zwiebeln frißt? Fahre Er fort, aber nehme Er sich in Acht, damit ich Ihn nicht etwa bei den Ohren kriege!« Er war jetzt ernstlich in Zorn gerathen: seine Augen blitzten, und die Adern seiner Stirn begannen zu schwellen. Dies war allerdings eine Mahnung für den Oberlieutenant, vorsichtig zu sein. Dieser fuhr fort: »Trotz der besagten Vermahnung nun ist es zum Oeftern wieder vorgekommen, daß preußische Werber die Grenze überschritten und hannöversche Unterthanen molestirt oder gar mitgenommen haben, um sie unter die Fahne zu stecken, und so haben sich kurfürstliche Hoheit bewogen gefühlt, einen Kurier nach Berlin mit dem
Bescheide zu senden, daß von jetzt an Repressalien erhoben werden, wenn weder die Grenze des Landes noch der Wille des Kaisers respectirt wird.« »Er hat Seine Lection sehr hübsch auswendig gelernt; daß muß ich Ihm bezeugen,« meinte der Fürst ironisch. »Aber warum kommt Er zu mir?« »Der Kurier hat gar keine Antwort erhalten, und einige Tage nach seiner Rückkehr wurde von den Preußen ein ganzer Trupp Hannoveraner über die Grenze geholt. Da nun Ew. Durchlaucht so zu sagen der Wächter der besagten Grenze sind – – –« Leopold unterbrach ihn: »Wächter der besagten Grenze? Hm! Nicht übel ausgedrückt! Das ist auch beinahe lateinisch und heißt eigentlich zu deutsch ›Kettenhund‹. Ja, ja, das bin ich auch, mein Herr Oberlieutenant; aber sein Georg Ludwig mag nur nicht etwa denken, daß ich nur mit dem Schwanze wedle: ich kann auch brummen, bellen, beißen. Versteht Er mich? Nun weiter!« »So ist mir der Auftrag geworden, Excellenz in directer Weise die Entschließung Seiner Kurfürstlichen Hoheit zu übermitteln und vor allen weiteren Eingriffen zu warnen. Derjenige preußische Werber, welcher auf hannöverschem Gebiete ergriffen wird, wird sofort aufgehenkt – – –« »Sage Er doch Seinem Georg Ludwig, er möge selber baumeln! Wenn einer unserer Werber sich hinüber verirrt, was bei Nacht und Nebel leicht geschehen kann, so habt Ihr ihn uns einfach auszuliefern. Wird ihm nur ein einziges Haar gekrümmt, so kommen wir hinüber und treiben Euch zu Paaren; darauf könnt Ihr Euch verlassen!« »Würden Excellenz einen ergriffenen hannöverschen Werber auch ausliefern?« »Ja.« »Ew. Durchlaucht haben das noch nie gethan, sondern die Leute stets in den preußischen Rock gesteckt.« »So steckt doch auch Ihr den Kerl, der so dumm ist, sich von Euch erwischen zu lassen, in den hannöverschen Kittel! Uebrigens hat Er soeben zugegeben, daß auch Eure Werber herüber kommen. Was raisonnirt Er denn da über die unserigen, he? Was dem Einen Recht ist, das ist dem Andern billig. Noch in der vorigen Woche haben Eure Schlingels einen Klempner aus Betzendorf über die
Grenze hinübergelockt, und nun muß er drüben exerziren nach Noten. Und bei einem solchen Stande der Dinge rennt Sein Kurfürst von Pontius zu Pilatus, um sich über uns zu beschweren! Sogar dem Kaiser ist er unterthänigst vor die Füße gekrochen. Mag er nicht vielleicht auch noch zum römischen Papst und zum türkischen Großmufti gehen, um seine sechs Schnurrbarthaare an ihren Pantoffeln abzureiben? So ein Millionenhund hat selber Werg genug am Rocken und will wegen irgend eines Lumpazi Vagabundus, der zu uns herüberläuft, den Kaiser und das Reich auf uns hetzen! Da schlage doch der Blitz die ganze Sippe auseinander!« Er hatte sich selbst immer mehr in die Wuth hineingesprochen und stieg mit langen Schritten im Zimmer auf und nieder. Sein Haarzopf wackelte vor Aerger; die langen Seitenlocken hingen ihm wie aufgeregte Schlangen in das von Pulver geschwärzte Gesicht herein, und seine Arme gestikulirten wie Windmühlenflügel in der Luft herum. »Durchlaucht,« bat der Offizier; »erlauben – – –« »Halte Er sein Maul, sonst läuft mir die Galle über und ich gebe Ihm ein Memorandum mit auf den Weg, von dem das Memo nach Salz und das Randum nach Pfeffer schmecken soll! Sieht Er, daß ich auch lateinisch conjugiren oder insultiren oder dolmetschiren kann? Wir haben das Unserige auch gelernt; versteht Er mich? Man hat sein Herz, sein Gefühl und sein Gemüth; man ist mild und nachsichtig in allen Stücken; man verletzt keine Fliege und tritt nicht gern das kleinste Lindwürmchen todt; aber wenn man solche Botschaften erhält, so läuft Einem die Laus über den Kopf, und der Spektakel ist fertig. Wenn Sein Georg Ludwig nicht aufhört, uns zu infamiren, so reite ich ihm Gottstrambach vor die Bude und haue ihn, das es flunkert!« Da richtete sich der Offizier etwas höher empor. »Durchlaucht erlauben mir die Bitte, in meiner Gegenwart nicht in dieser Weise von meinem Monarchen und Feldherrn zu sprechen!« Der Fürst blieb stehen und sah ihn ganz und gar erstaunt an. »Wie? Wa – wa – wa – waaas!« »Einen König von England, Kurfürsten von Hannover und Erzschatzmeister des römischen Reiches deutscher Nation ›haut‹ man nicht, Excellenz! Ich als hannöverscher Offizier darf solche Worte nicht hören!«
»Mensch, um Gottes willen, ist Er den geradezu übergeschnappt?« »Ich glaube vielmehr, daß ich sehr bei Sinnen bin!« »Ja, das ist doch eben das Unglück, daß jeder Verrückte denkt, er sei bei Sinnen!« »Durchlaucht!« donnerte der Lieutenant und trat einen Schritt weiter vor. Leopold fuhr empor. Seine Augen funkelten unheimlich wie diejenigen eines Panthers, und seine Lippen öffneten sich, um die weißen Zähne sehen zu lassen. »Was! Will Er mir etwa drohen?« »Das kann ich nicht wagen; aber ich muß mir jede Beleidigung ernstlich verbitten!« »Verbitten? Er? Er Knirps? Da soll doch gleich ein Himmeltausenddonner und Doria – – – wo habe ich denn nur meinen – meinen Stock hingelegt? Ich werde – –« Er rannte wie besessen in der Stube hin und her, um den Stock zu suchen. Er sah ihn nicht liegen, so wurden seine Augen von der Wuth geblendet. Sein Gesicht bot einen schrecklichen Anblick dar; es war dasjenige eines Menschen, der vor Aufregung einen Mord begehen kann. »Mir so etwas zu sagen!« rief er. »Hier in meinem eigenen Zimmer! Ein Hannoveraner! Ein Lumpenhund, ein Lausewenzel, der – – –« »Durchlaucht, meinen Sie mich?« Hartegg trat abermals einen Schritt vor und legte die Linke an die Scheide seines Säbels. »Ja, ja, hundertmal ja und tausendmal ja! Mich in dieser Weise zu molestiren, mich – mich –mich! Luft muß ich haben, Luft! Ich muß Ihn massacriren, wenn ich nicht vor Wuth zerplatzen will! Ah, endlich! Da ist der Stock!« Dieser Stock war gar oft mit dem Rücken eines Bürgers, eines Soldaten in Berührung gekommen; hohe Beamte und selbst Offiziere hatten ihn gefühlt, ohne etwas dagegen machen zu können. Jetzt holte Leopold zum Schlage aus. »Zurück!« rief der Lieutenant und trat bei Seite, indem er nun auch die Rechte an den Griff seines Säbels legte. »Kerl, Hund, Du wagst es, die Hand an die Waffe zu legen! Hundsfötter, da nimm!«
Der Stock sauste nieder. Der furchtbare Hieb mußte, wenn er traf den Oberlieutenant zu Boden schmettern. Aber in demselben Augenblicke fuhr der Säbel desselben blitzesschnell aus der Scheide und der Stock wurde in zwei Hälften zerhauen, von denen die eine in der Hand des Fürsten blieb, während die andere gegen die Wand flog. Leopold stand ganz erstarrt. »Durchlaucht, ich werde Sie fordern!« sagte Hartegg ruhig, indem er den Säbel schlagfertig in der Hand behielt. Der Fürst warf das Bruchstück seines Stockes zu Boden und ballte die Fäuste. Einen Augenblick lang hatte es den Anschein, als ob er sich auf den Gegner stürzen wolle. Die Stirnadern schienen zersprengen und die Augen aus ihren Höhlen hervortreten zu wollen. Aber plötzlich und ganz unerwartet drehte er sich mit einem raschen Rucke auf der Ferse herum und trat zum Fenster. Sein Blut kochte, und seine Lunge athmete hörbar; aber sein Gesicht glättete sich nach und nach. Da endlich drehte er sich wieder herum. »Er will mich fordern lassen?« »Ja, Durchlaucht können meinen Cartelisten nicht zurückweisen. Ich bin ein Offizier und Edelmann, an dessen Namen kein Makel haftet.« »Er wagt es wirklich, Er, der Lieutenant, sich mit mir, dem Feldmarschall und Sieger in so viel Schlachten und Belagerungen, schlagen zu wollen?« »Ich verlange Genugthuung. Excellenz haben mich mit Wort und That so schwer beleidigt, daß ich auf Satisfaction bestehen muß!« »Hartegg, Er hat ja neunundneunzigtausend Teufel im Leibe! Glaubt Er denn wirklich, daß ich Seine Forderung annehme?« »Durchlaucht sind dazu gezwungen, wenn Sie nicht selbst als ehrlos gelten wollen.« »Aber ich werde Ihn ja in Grund und Boden schlagen!« »Das wird sich finden! Man weiß den Säbel auch zu führen!« »Den Kukuk werde ich! Versteht Er mich? Er ist ein ganz prächtiger Himmelelementer, der sich nicht einmal vor mir und vor dem Satan fürchtet, und es sollte mir leid thun, wenn ich Ihm die Haut ritzen sollte. Wie habe ich Ihn denn genannt, he?« »Ich mag die Worte nicht wiederholen.« »Na, es wird wohl so etwas gewesen sein wie verrückt, Knirps,
Lumpenhund, Lausewenzel und so weiter. Ist Er zufrieden, wenn ich es Ihm jetzt abbitte?« Der Lieutenant blickte überrascht empor. »Das kann ich ja kaum erwarten!« »Warum nicht? Einen Andern beleidigen, das kann ein Jeder, aber eine übereilte Beleidigung wieder abzubitten, das ist ehrenhafter, als mit dem Froschmesser zu renommiren und zu der Beleidigung auch noch den Todtschlag fügen. Hier hat Er meine Hand. Verzeihe Er mir und schlage Er ein. Er ist weder ein Lumpenhund noch ein Lausewenzel, sondern ein himmelsakkermentscher Spitzbube, ein Heidenkerl, vor dem man Respect haben muß. Für Seinen Georg Ludewig gebe ich keinen Pfennig; für Ihn aber würde ich ein schönes Sümmchen zahlen, wenn Er Handgeld nehmen wollte. Doch da Er nicht will, so mag Er es bleiben lassen!« »Es geht nicht, Durchlaucht!« »Na, schon gut! Hat Er Hunger?« »Nein!« antwortete der Oberlieutenant lächelnd. »Sonst hätte Er hier essen können. Aber Er wird wohl noch Appetit bekommen, und so gehe Er her und schneide Er sich ab. Er kann es unterwegs verzehren.« »Excellenz, es giebt ja unterwegs Schänkhäuser genug, um – – –« »Papperlapapp! Will Er wohl Ordre pariren! Nehme Er seine paar Groschen zusammen! Komme Er her. Ich will Ihm abschneiden. Das kann Er einstecken. Unterwegs setzt Er sich auf einen Feldrand und lebt unter freiem Himmel wie der Herrgott in Frankreich, das der Teufel holen mag.« Der Fürst trat an den Frühstückstisch und riß mit dem Messer ein Stück Brod herunter, an dem sich drei Tagelöhner hätten satt essen können. In den dicksten Theil dieses Fladens grub er ein Loch, welches er mit Butter füllte. Dazu that er Käse, Schinken und Wurst in Fülle, eine saure Gurke, einen Rettig, eine Zwiebel, eine Knolle Knoblauch und eine tüchtige Portion Salz, Pfeffer und Kümmel. Dann trat er an den Schreibtisch und suchte in den dort sich befindlichen Papieren. »Jetzt wollen wir das Futter gehörig einpacken. Da liegen ein paar Schreiben vom Minister v. Grumbkow und von dem österreichischen Gesandten, General Graf Seckendorf. Diese Wische sind eigentlich noch viel zu schlecht für die Zwiebel und
den Knoblauch; aber ich will die Geschichte doch damit einwickeln und diese beiden Ehrenmänner in meinem nächsten Briefe davon benachrichtigen. So, da hat Er sein Packet, und nun scheere Er sich dahin, wo der Pfeffer wächst!« »Ich danke, Excellenz! Auf meine Privatbitte darf ich wohl nicht noch einmal zurückkommen?« »Das wage Er ja nicht, wenn Er mich nicht wieder in Harnisch bringen will. Ich habe Ihm bereits gesagt, daß ein Hannoveraner die Liebau nicht bekommt, und dabei hat es sein Bewenden. Pasta!« Er gab mit der Hand das Zeichen des Abschiedes, und der Oberlieutenant sah sich gezwungen, mit seinem Speisepackete unter dem Arme sich zu verabschieden. Dann öffnete der Fürst die Thür. Das Vorzimmer war jetzt leer. Nur der Lakei befand sich noch da. »Der Feldwebel Goldschmidt hat den Dienst?« »Zu Befehl, Excellenz!« »Soll sofort kommen!« Nur zwei Minuten später trat der Genannte bei ihm ein. Er war eine jener Gestalten, welche von Friedrich Wilhelm dem Ersten oft mit mehreren Tausend Thalern bezahlt wurden. Er maß sicher seine achtundsiebzig Zoll und war dieser Länge ganz proportional gebaut. Das Auge Leopold's ruhte mit besonderem Wohlgefallen auf ihm, und es war beim ersten Blick zu bemerken, daß er ein Liebling des Dessauers sei. Auch er trat vorgeschriebener Weise drei Schritte vor, und stand dann stramm und starr wie eine Bildsäule. Das Auge des Fürsten musterte ihn. Auch ihm wurde sofort ein Tadel, wenn auch nicht in einem harten, beleidigenden Tone. »Donnerwetter, Feldwebel, Er ist ja ganz ungeheuer lüderlich geworden!« Der Angeredete wurde roth, aber er sagte kein Wort. »Mit vierundzwanzig Jahren bereits Feldwebel in meinem Regimente, das ist viel! Nicht?« »Zu Befehl!« »Das hat Er seiner Tapferkeit, seiner Schlauheit bei aller Ehrlichkeit und seiner Ordnungsliebe zu verdanken. Jetzt aber steht Er vor mir grad so lüderlich und schladderig wie ein Rekrut!« Auch jetzt sagte Goldschmidt kein Wort. »Weiß Er, warum? Die linke Spitze seines Schnurrbartes steht wenigstens um einen Messerrücken breit tiefer als die rechte. Drehe
Er sie sofort in die Höhe!« Der Feldwebel erhob die Hand und gehorchte dem Befehle. »Jetzt ist sie zu hoch,« meinte der Fürst. »Schaffe Er sie um ein Haar breit nieder!« Auch dies wurde befolgt. »So! Jetzt steht Er da als ein exactes Muster für – – Alle Wetter, was ist denn das?« Der Fürst trat näher und besah sich den Schnurrbart genau. »Da rechts ist ein Haar schneller gewachsen als die andern. Es steht ganz gewiß einen Zehntelzoll hervor, und das sieht Er nicht, Er Schwerenöther! Soll ich Ihn Spießruthen laufen lassen? Ich stelle Ihn bei jeder Gelegenheit dem Regimente als Norm und Beispiel hin, und da kommt Er herein, so schlendrig und schlumprig wie ein Kesselflicker! Wenn das noch ein einziges Mal arrivirt, so nehme ich Ihm das Portcépée und gebe Ihm dafür drei Monate lang Lattenarrest. Das merke Er sich! Hat Er mich verstanden?« »Zu Befehl!« »Na, schön! Und damit Er dennoch sieht, daß der Dessauer kein Wüthrig ist, werde ich Ihm seinen Bart selbst curiren.« Der Fürst ging zum Schreibtische, holte eine riesige Papierscheere, die mehr einem Garteninstrumente glich, und knipp mit derselben das subordinationswidrige Haar hinweg. »So, jetzt ist Er parademäßig hergestellt!« Der Fürst betrachtete den Feldwebel noch einmal von allen Seiten, konnte aber nicht das Geringste entdecken, was ihm Veranlassung zu einem weiteren Tadel hätte geben können. »Accurat und sauber: grad wie jetzt erst aus der Schachtel!« lobte er. »So will ich meine Jungens haben; dann schlage ich die Welt mit ihnen todt! Feldwebel, es giebt wieder einmal einen Coup!« Das dunkle, intelligente Auge Goldschmidt's blitzte auf; aber er stand noch immer in Achtung und durfte also nur sprechen, wenn er gefragt wurde. »Will Er?« frug Leopold.« »Zu Befehl!« »Er soll nicht zu Bef – – – Ah so! Trete Er los und mache Er es sich bequemer! So! Also, es giebt wieder einen Streich auszuführen, bei dem ich Ihn brauche. Will Er?« Der Feldwebel hatte jetzt die strenge Haltung aufgegeben und
konnte daher auch auf die Unterhaltung eingehen. Wenn Leopold bei guter Laune war oder einen Menschen vor sich hatte, dem er wohl wollte, so ließ es sich ganz prächtig mit ihm verkehren; nur mußte man dabei sehr vorsichtig sein, denn er glich auch dann einem Vulkane, der an jedem Augenblicke ausbrechen konnte. Uebrigens zeigte sich selbst seine beste Laune oft in einer Weise, die dem Andern qualvoll wurde. Er konnte dann dem Knaben verglichen werden, der zu seiner Unterhaltung den Käfer am Faden zappeln läßt. »Na, und ob, Durchlaucht!« antworte der Feldwebel. »Aber es kann gefährlich werden!« »Desto besser!« »Schön! Ich kenne Ihn und weiß, daß ich mich auf Ihn verlassen kann. Ich will Ihm einmal etwa vorlesen.« Er langte in die Tasche seiner grauen Leinwandhosen und zog ein zu einem Knäul zusammengeknittertes Papier hervor, welches er auseinander faltete und auf dem Knie glättete. Er las: Liebwerther Serenissimus! Wie Uns in Erfahrung gekommen, ist von Hannover eine Scriptura nach Wien expediret worden, des insipiden Inhaltes, daß Unsere Werber als Raub- und Mordgesellen dahingestellet und conterfeiet werden. Hierauf wurde Uns ein kaiserliches Documentum donniret, in welchem Wir ermahnet werden, dieses Wesen zu remaniren und dem Kurfürsten Reparation zu leisten. Eine solche Reparation aber können Wir unmöglich goutiren, zumalen ihr Scopus sowohl eine Reprehensio als auch eine Deprimio enthält und Wir zu gleicher Stunde erfahren, daß die hannöverschen Conquisitores einen Klempner aus Betzendorf fortgeführet haben. Daher ersuchen Wir Ew. Liebden, Eure Bureaux d'afféage so zu stellen, daß wir von diesen hannöverschen Bengels gleich eine tüchtige Zahl saisiren und unter unser Vexillum stecken, wasmaßen Wir Euch ersuchen, Uns zwei oder drei große Kerls zu envoyiren, die Wir nothwendig für Unsere Garde nöthig haben. Indem Wir Ew. Excellenz Unserer Affection und Declination versichern, zeichnen Wir
Euer gnädigster Freund und Bruder Friedrich Wilhelm. König von Preußen etc. etc. etc.
Nachdem Leopold dieses ganz im Style der damaligen Manier abgefaßte Schreiben vorgelesen hatte, ballte er das Papier wieder zusammen und warf es zornig zur Erde. »Was sagt Er zu dieser miserablen Scriblifaxerei? Kann Er sie verstehen?« »Ja!« »Was? Ist Er etwa auch so ein gelehrter Regenwurm, der sich nur in dem lateinischen Drecke wohl befindet?« »Nein. Aber ich sollte Theologe werden und habe einige Classen durchgemacht. Dann starb der Vater, der nichts hinterließ, und ich griff zur Muskete.« »Das hat Er gescheidt gemacht! Denke Er nicht etwa, daß der König diesen Wisch geschrieben hat. Den hat so ein Federfuchser verfaßt, der an seinem Latein und Französisch gewiß noch einmal ersticken wird. Da patschen diese Menschen in der fremden Tunke herum, als hätte unsere ehrliche deutsche Sprache nicht Worte genug, um mir zu sagen, daß wir dem Kaiser und dem Kurfürsten von Hannover zum Schure nun grad erst recht auf den Fang gehen werden. Da soll ich envoyiren, expediren, insipidiren, donniren, remaniren, goutiren, saisiren und noch sonst 'was -iren! – Hätte ich den Affenpintscher da, der das auf das Papier geschmiert hat, den wollte ich -iren, nämlich maulschelliren, kurbatschiren, turbiren, spießruthiren, füßiliren, stranguliren und dann zuletzt noch zum Teufel -iren! Schreibt der Hottentotte vom Vexillum! Die Werber schimpft er Conquisitores und unsere Werbestationen heißt er gar Bureaux d'afféage. Dieser Kerl hat entweder Ameisen oder Hummeln oder Ratten im Kopfe! Was heißt denn das Wort auf Deutsch?« »Amtliche Stelle für Draufgeld.« »Konnte er das nicht gleich schreiben, he? Sobald ich nach Berlin komme, erkundige ich mich nach diesem Wortverquirler, und dann werde ich so gut deutsch mit ihm reden, daß er denken soll, die lieben Englein im Himmel pfeifen Dudelsack! Das Beste an dem ganzen Krame ist, daß nun der Teufel erst recht losgehen soll, und daß wir dem Könige so bald wie möglich drei große hannöversche
Kerls schaffen müssen. Aber woher nehmen und nicht mausen!« »O,« lachte der Feldwebel, »mausen müssen wir sie doch!« »Hm, ja, richtig ist's doch! Gleich drei auf einmal; das wird schwer halten!« »Vielleicht ist es leichter, als Ew. Durchlaucht denken.« »So? Feldwebel, ich sehe es Ihm an, Er hat einen guten Gedanken; Er hat wohl gar bereits etwas in Petto.« »Möglich!« »Rede Er!« »Drei lange Kerls? Durchlaucht, das paßt mir gerade. Ich habe diese Drei schon längst gern los sein wollen.« »Los sein? Wie meint Er das? Ich denke doch, daß wir sie nicht los sein, sondern daß wir sie bekommen wollen.« »Und doch ist es so, wie ich sagte. Ich will sie gerne los sein, und Ew. Durchlaucht sollen sie bekommen.« »Gleich Drei auf einmal?« »Ja.« »Große Kerls?« »So lang und stark wie ich.« »Donnerwetter! Wo denn?« »Hm! Etwas weit von hier. Nämlich in Wustrow an der Jeetze.« »Da unten? Er selbst hat sie gesehen?« »Ja.« »Wie alt?« »Zwanzig, dreiundzwanzig und fünfundzwanzig.« »Gesund?« »Wie Forellen.« »Wer ist's?« »Der Vater heißt Hillmann und hat einen Gasthof mit Bäckerei und Fleischerei in Wustrow. Er selbst betreibt die Schänkerei und überlaßt das Backen einem Gesellen.« »Warum nicht einem Sohne?« »Weil keiner seiner Söhne Bäcker ist. Der Jüngste hat die Schlächterei und die beiden Andern betreiben den Viehhandel. Übrigens verkommen sie mit dem Alten nicht gar zu gut. Er gießt gern Einen hinter die Binde und ist dann geradezu unausstehlich. Und dann giebt es keinen gröbern Kerl im ganzen Deutschen Reich als ihn. Er ist wegen seiner Grobheit weit und breit berühmt, und wenn einmal ein Fremder kommt, der sucht gewiß den alten
Hillmann auf, um sich von ihm abschnautzen zu lassen.« »Alle Wetter! Er macht mich ja förmlich neugierig!« »Ich sage nicht zu viel. Der Braunschweiger, Herzog August Wilhelm, der kürzlich mit seinem Bruder, dem Fürsten Ludwig Rudolf von Blankenburg, eine Reise nach Mecklenburg unternahm, hat extra einen Abstecher gemacht, um sich den groben Hillmann anzusehen. Wie man hört, soll er seinen Theil so bekommen haben, daß er sich in Wustrow sicherlich nicht wieder sehen läßt.« »Hm, das wäre ja etwas für mich! Möchte mir dieses Unicum auch einmal begucken.« »Übrigens kenne ich da unten noch mehrere Riesen, die wir gebrauchen könnten.« »Wirklich?« »Ja. In Lüchow hat der Schmied Peters einen Jungen, dreizehn Viertel hoch und sechstehalb Viertel breit an den Schultern, und einen Gesellen aus dem Holsteinischen, der den Ambos dreimal um das Haus herumträgt.« »Heiliger Ladestock, die müssen wir kriegen! Die Hillmanns und auch die Peters!« »Das ist nicht leicht, Durchlaucht.« »Glaub's schon! Müssen sie aber haben, grad diesem hannöverschen Georg Ludewig zum Trotze. Weiß Er keinen unter unsern Jungens, der in Lüchow und Wustrow genau Bescheid sagen kann?« »O ja.« »Wer?« »Ich selbst, Durchlaucht.« »Er? Hm, ja. Er sagte doch bereits, daß Er diese drei Kerls los sein wolle, und also muß Er doch Etwas mit ihnen haben.« »Ich stand übrigens ein Jahr lang als Gemeiner auf Werbung in Lenzen und muß also auch deshalb die Gegend genau kennen.« »Und wie kommt Er nach Lüchow und Wustrow?« »Ich – ich – ich habe eine Liebste dort, Excellenz.« 1 Der Oberlieutenant von Hartegg hatte vorhin die Stadt nicht etwa sofort verlassen, sondern war nach einem der bessern Gasthöfe gegangen, wo er ein separates Zimmer aufsuchte. In demselben saß ein junger Mann, der neunzehn bis zwanzig Jahre zählen mochte. Er war schlank aber kräftig gebaut, hatte angenehme Gesichtszüge, in
denen aber ein aufmerksamer Beschauer die Spuren eines herrischen Eigenwillens leicht entdecken konnte, und zeigte in seinem ganzen Habitus gleich beim ersten Blicke, daß er wohl nicht der Sohn gewöhnlicher Eltern sei, obgleich seine Kleidung so einfach wie möglich gehalten war. Da er sich bei dem Eintritte des Oberlieutenants nicht erhob, so konnte er zu diesem wohl nicht in einem untergeordneten Verhältnisse stehen. »Endlich!« meinte derselbe wie tadelnd. »Ihr habt mich sehr lange warten lassen, Lieutenant!« »Es ging schnell genug, Königliche Hoheit,« antwortete Hartegg. Sein Ton war mehr abweisend als entschuldigend. »Oho! Wollt Ihr Euch beleidigt zeigen? Ihr habt Euch noch unterwegs verweilt, wie ich sehe!« »Woraus vermuthen Durchlaucht dies?« »Ihr habt Einkäufe gemacht, während ich einsam wartete.« »Nein!« erklang es kurz. »Woher dann dieses Packet?« »Vom Fürsten.« »Vom Dessauer! Was enthält es?« »Sehen Sie nach, Hoheit!« Mit diesen sehr kalt gesprochenen Worten trat er in das Nebenzimmer. Dort lehnte er die Stirn an die Scheiben des Fensters. Sein Leben flog mit Gedankenschnelle an seinem geistigen Auge vorüber. Er war das hinterlassene, einzige Kind vornehmer und reicher Eltern – ein freier Mann, und doch durch dienstliche Rücksichten abhängig fast wie ein Sklave. Die außerordentliche Strenge und Peinlichkeit des damaligen Dienstes war es nicht, die ihn verbittern mußte; aber die Gewaltthätigkeit, welche dieser Dienst auch auf seine privaten Verhältnisse auszuüben begann, sie machte ihn mißmuthig. Er war ein ganzer Soldat und hatte viele Auszeichnungen erfahren; er war sogar Adjutant des jungen Mannes geworden, der da d'rin in dem andern Zimmer saß, dieses stolzen, aufgeblähten Jünglings, der nur seinen eigenen Willen, sein eigenes Ich berücksichtigte und alles Andere zu ignoriren gewohnt war. Diesem hatte er es zu verdanken, daß er in die Fesseln einer verhaßten Ehe geschlagen werden sollte. Er war der Protector des Obersten, dessen Tochter der Adjutant von dem Schicksale des Vergessens befreien sollte. Und weil nun Hartegg sich widerstrebend zeigte, suchte man auf alle Weise durch die Macht
des Dienstes auf ihn einzuwirken. Man brachte ihn geflissentlich in schiefe Stellungen und in Lagen, denen sich kaum der Erfahrenste und Tapferste ohne Schädigung seiner Ehre zu entziehen vermochte. Man führte Gelegenheiten herbei, Verantwortlichkeiten über ihn zu bringen, denen auch der Schlaueste nicht gerecht zu werden vermochte. »Ich habe es satt!« – murmelte er leise vor sich hin. »Dieser alte Kriegsheld, der mit seinem Lobe sicher mehr als sparsam ist, sagt mir offen und rückhaltslos, daß er Tausende zahlen würde, wenn ich übertreten wollte, und hier – peinigt man mich wie einen Rekruten, der den einfachsten Handgriff nicht begreifen will. Ich sollte ihnen wahrhaftig davonlaufen! Verdammte Erfindung, diese Ehre, die Einem anhängt wie ein Hemmschuh! Was könnte ich sein und werden, wenn ich beim alten Dessauer wäre!« »Lieutenant!« rief es da im Nebenzimmer. Er gehorchte dem Rufe. Der junge Mann blickte ihm hoch aufgerichtet und mit zornigen Augen entgegen. »Er vergißt wohl, wen Er vor sich hat?« »Ich weiß dies ganz genau, Excellenz. Es ist Seine königliche und kurfürstliche Hoheit, Prinz Friedrich Ludwig von England, Irland, Schottland und Hannover.« »Dessen Adjutant und Diener Er ist. Wenn Er dies aber so sehr genau weiß, warum verhält Er sich nicht darnach?« »Ich bin mir keiner Respect- oder Dienstwidrigkeit bewußt, Hoheit!« »Nicht? Hat Er den Ton vergessen, in welchem Er mir antwortete? Hat Er vergessen, daß Er sich zurückzog, ehe Er von mir die Erlaubniß dazu erhielt? Wie kann Er mir zutrauen, dieses Wurst- und Käsepacket zu öffnen, mir, dem erstgeborenen Sohn des Kronprinzen und ältesten Enkel des Königs von Großbrittannien und Hannover?« »Königliche Hoheit wollen bedenken, daß ich mich keineswegs im Dienste befinde, und daß es Angriffe giebt, denen der Untergeordnete nur dadurch entgehen oder begegnen kann, daß er sich entfernt.« »Meint Er? Aus welchem Grunde glaubt Er, daß Er sich nicht im Dienste befindet?« »Man trägt im Dienste Uniform.« »Die trägt Er ja!«
»Aber Ew. Hoheit nicht. Diese Uniform legte ich nur um des Feldmarschalls Leopold von Anhalt-Dessau willen an und werde sie jetzt wieder in die Reisetasche thun.« Der junge Prinz trat ihm einen Schritt näher. »Lieutenant, vergesse Er sich nicht, damit ich mich nicht auch vergesse!« »Ew. Hoheit haben sich bereits schon vergessen!« »Was? Er wagt – – –!« »Ich wage nichts; ich thue nur Das, was ein jeder ehrenhafte Officier thun muß. Ew. Excellenz treten mir continuirlich und auch vorhin noch in einer Weise entgegen, die mich mit dem innigsten Mißmuthe erfüllen muß. Ich bin Ew. Hoheit Adjutant und militärischer Gehilfe, keineswegs aber Ihr Civilbedienter, der für Härte und ungerechtfertigtes Mißtrauen keine Empfindung haben darf!« »Gut, gut! Mein königlicher Vater und Großvater mögen Ihr allerhöchstes Gutachten über diesen Punkt aussprechen, denn meiner Würde dürfte es wohl nicht angemessen sein, mich mit Ihm zu zanken. Jetzt aber hat Er mir von Seiner Unterredung mit dem Dessauer Bericht zu erstatten!« »Meine Audienz beim ›Dessauer‹, wie Ew. Hoheit den Fürsten zu nennen belieben, hat ganz das Resultat gehabt, welches ich vorhersagte.« »Erkläre Er sich deutlicher!« »Er empfing mich so, wie man den Boten eines Feindes empfängt.« »Wir wissen, daß er keine Sympathie für Uns hegt, aber Er kann sehr überzeugt sein, daß diese Abneigung eine gegenseitige ist.« »Ich weiß es. Der Feldmarschall war grob, sehr grob. Er hatte bereits erfahren, daß unsere Werber den Klempner aus Betzendorf weggeführt haben, und war ganz ergrimmt darüber, daß wir unter solchen Umständen es wagen, Beschwerde über die Preußen zu führen. Sollten unsere Leute in Brohme Erfolg haben, so wird sein Grimm noch stärker werden.« »Haha, ich hätte seine Ausdrücke hören mögen!« »Sie waren ganz so, wie man es bei ihm gewohnt ist. Er griff endlich sogar zum Stocke.« »Um zu schlagen?« frug der Prinz erstaunt. »Wozu anders?«
»Ihn?« »Natürlich!« »Das hätte er mir thun sollen!« »Was hätten Excellenz gethan?« »Ich hätte ihn geohrfeigt.« »Ew. Hoheit kennen den Fürsten nicht, haben ihn noch nicht einmal gesehen. Er ist der Mann nicht, der sich beohrfeigen läßt. Excellenz wären bereits beim ersten Schlage eine Leiche gewesen.« »Er hat sich also die Schläge ruhig gefallen lassen?« »Pah!« »Was sonst?« »Ich zog blank.« »Donnerwetter!« »Hieb ihm den Stock entzwei und forderte ihn.« »Das, das hätte Er gewagt? Er, als Lieutenant?« »Ist dieser Grad ein Grund, es nicht thun zu dürfen?« »Was antwortete er?« »Er wies die Forderung zurück.« »Da hat Er es! Wenn Er zum Beispiele es wagte, mich zu fordern, so ließ ich Ihn erst Spießruthen laufen, dann aber degradiren und lebenslänglich in das Zuchthaus stecken!« »Ich bin überzeugt davon,« antwortete Hartegg mit eisiger Kälte. »So ist Er also mit Seiner Forderung riesig abgeblitzt!« »Wohl nicht!« »Was sonst? Das war wieder einmal eine Seiner jugendlichen Dummheiten, und diesmal ist es um so schlimmer, als Er damit das ganze hannöversche Officiercorps blamirt hat!« »Gestatten mir Ew. Hoheit eine ganz entgegengesetzte Meinung. Ich bin überzeugt, diese Ehre nach besten Kräften verfochten zu haben. Der Fürst ist leidenschaftlich, grob und gewaltthätig, aber er weiß sehr genau, was ein Officier seiner Ehre schuldig ist. Er weiß, daß in dieser Beziehung ein Lieutenant sogar mit einem regierenden Fürsten ganz auf gleicher Linie steht, und würde trotz seiner Gewaltthätigkeit eine Forderung niemals mit Spießruthen, Cassation und Zuchthaus beantworten. Er hat zwar die Forderung zurückgewiesen, mir aber doch die glänzendste Satisfaction gegeben, die ich nur wünschen konnte.« »Ah! Wie so?«
»Er hat mich für seine Übereilung mit der Hand um Verzeihung gebeten.« »Das ist nicht wahr!« »Excellenz!« »Er lügt!« »Excellenz!!« »Ich bleibe dabei: Er lügt!« »Excellenz!!!« Die Augen Hartegg's blitzten zornig. Es war ihm anzusehen, daß er sich nur mit äußerster Austrengung beherrschte. Der Prinz lächelte darüber und meinte: »Das kann er nicht gethan haben, denn das ist bei einem Fürsten niemals möglich.« »Bei einem hannöverschen Fürsten, wollen Ew. Hoheit wohl sagen!« »Lieutenant!« »Schon gut! Daß es bei einem Fürsten möglich ist, hat der Feldmarschall ja bewiesen. Er sagte wörtlich zu mir: ›Einen Andern beleidigen, das kann ein Jeder, aber eine übereilte Beleidigung wieder abzubitten, das ist ehrenhafter, als mit dem Froschmesser zu renommiren und zu der Beleidigung auch noch den Todtschlag fügen.‹ Und das ist ganz auch meine Ansicht von der Sache. Er hätte es sich gar nicht beikommen lassen, nach dem Stocke zu greifen; aber ich erzürnte ihn dadurch, daß ich nicht ungebührlich von meinem Herrn reden lassen wollte.« »Ah! Was hat er gesagt?« »Es wird besser sein, dies zu überschweigen.« »Ich befehle Ihm, es zu sagen!« »So muß ich es allerdings berichten,« meinte der Lieutenant mit innerlichem Vergnügen. »Er meinte: ›Wenn Sein Georg Ludewig nicht aufhört, uns zu infamiren, so reite ich ihm Gottstrambach vor die Bude und haue ihn, daß es flunkert!‹« »Das ist stark!« »Mir schien es auch so, und daher verbat ich mir dergleichen Ungebührlichkeiten. Er wurde darauf grob gegen mich selbst, und daher forderte ich ihn. Ich meine also, nur recht gehandelt zu haben, und zum Dank dafür werde ich von Ew. Hoheit in einer Weise beleidigt, welche mich veranlaßt, Excellenz ganz Dasselbe zu sagen, was ich dem Fürsten sagte.«
»Was?« »Ich werde mir gestatten, Ew. Hoheit fordern zu lassen, falls der ›Lügner‹ nicht augenblicklich widerrufen wird.« »Mensch!« »Ich bin Ew. Excellenz Untergebener, werde aber zusehen, ob man wirklich den Muth besitzt, mich Spießruthen laufen zu lassen und so weiter.« »Diesen Muth werde ich haben, und sogar sehr! Sein Verhalten ist ja die reine Auflehnung und Empörung! Was bildet Er sich eigentlich ein? Weiß Er, wer und was Er ist?« »Ich weiß es.« »Ich will noch einmal Nachsicht mit Ihm haben; aber ich verlange dann von Ihm die augenblickliche Erklärung, daß Er eine große Dummheit begangen hat.« »Diese Erklärung gebe ich nicht!« »Nicht?« »Nein!« »So befehle ich Ihm, Seine ungereimte Forderung sofort zurückzunehmen!« »Auch das thue ich nicht!« »Was!« »Ich kann nicht.« »Ich befehle es Ihm zum zweiten und letzten Male!« »Es kann und darf mir Niemand befehlen, meine Ehre beflecken zu lassen. Ich wurde ein Lügner genannt und bestehe auf Genugthuung. Ich verlange dieselbe entweder durch die Waffe oder durch die Erklärung, daß dieser beleidigende Ausdruck zurückgenommen wird!« »Offener Ungehorsam! Offene Widersetzung!« »Meinetwegen!« »Weiß Er, was Er zu erwarten hat?« »Ich werde es erwarten!« »Ich werde Sein Verhalten dem Könige melden!« »Und ich werde das Verhalten Ew. Hoheit dem gesammten Officierscorps zur Kenntniß bringen. Das militairische Ehrengericht mag entscheiden, wer ehrenhaft handelte, Excellenz oder ich.« »Kerl! Hätte ich nur einen Stock, so griff ich auch darnach!« Da richtete sich Hartegg in die Höhe. Seine Lippen zitterten, und seine Stimme klang vor Empörung beinahe heiser: »Kerl! Nimmst
Du dieses Wort im Augenblick zurück?« Der Prinz erblaßte und wich um einige Schritte retour. Der junge Prinz sah ein, daß er zu weit gegangen war, und daß es nur eines winzigen Tropfens bedurfte, um das bereits längst volle Gefäß überlaufen zu lassen. »Hartegg!« rief er, halb zornig und halb verlegen. »Was?« »Was fällt Ihm ein! Ist Er bei Sinnen?« »Sehr! Es wurde vom Stocke gesprochen. Wird das widerrufen oder soll ich die einzige Antwort geben, die darauf möglich ist?« »Welche?« »Ich werde öffentlich erklären, daß mir mit dem Prügel gedroht wurde, und daß ich darauf mit einer – mit einer Ohrfeige antwortete!« »Mensch!« »Antwort!?« Der Lieutenant folgte dem Prinzen. Dieser sah die hühnenhafte Gestalt hart vor sich. Es war kein Entrinnen. »Hartegg, ich bin Sein General und der Enkel Seines Regenten!« »Bei diesem Betragen glaube ich das nicht. Also Antwort, augenblicklich!« »Nun gut! Ich widerrufe!« »Auch den Lügner?« »Ja.« »So will ich in Anbetracht der großen Jugend Ew. Excellenz und auch des Umstandes, daß wir uns unter vier Augen befinden, einmal annehmen, daß die Beleidigung nicht geschehen ist.« Er trat mit einer sehr gemessenen Verbeugung zurück. Der Prinz sah sich nicht mehr eingeengt und gewann sogleich wieder den gewohnten Stolz und Muth. »Und ich gebe Ihm grad' auch in Anbetracht des letzteren Umstandes die Versicherung, daß ich nur deshalb widerrief, weil wir allein waren!« »Das weiß ich, Hoheit!« antwortete Hartegg mit einem überlegenen Lächeln. »Der Widerruf ist aber geschehen, und so kann ich mich zufrieden geben.« »Ich werde dennoch Sein Verhalten melden!« »Ich bin gefaßt darauf.« »Was folgt, kann Er sich denken!«
»Ich habe bereits einmal gesagt, daß ich es abwarten werde!« »Meine Freundschaft hat Er sich ein für allemal verscherzt!« »Ich wußte nicht, daß ich sie besaß.« »Ich sehe immer mehr, welch ein harter Kopf Er ist; aber man wird Ihn schon noch zu packen wissen. Für jetzt aber ist diese Sache erledigt, und wir können unser Thema wieder aufnehmen. Er weiß, daß ich nach Dessau ging, um mir den Fürsten einmal unerkannt zu betrachten. Wie wird das möglich sein?« »Gehen Ew. Hoheit in die Kirche. Er wird sicherlich kommen.« »Er wird mich begleiten, Lieutenant!« »Gestatten Excellenz, daß ich zurückbleibe!« »Warum?« »Man kennt mich jetzt hier, und Ew. Hoheit begeben sich in die Gefahr, erkannt zu werden, wenn ich dabei bin.« »Das ist richtig. Er wird mich also hier erwarten.« »Zu Befehl!« »Nach der Kirche reisen wir sofort ab.« »Nach Hannover?« »Unterlasse Er solche alberne Fragen! Er weiß, was ich vorhabe.« »Ich muß die Warnung, welche ich bereits wiederholt aussprach, festhalten. Bedenken Excellenz, wie außergewöhnlich und auch gefährlich ein solches Beginnen ist!« »Pah.« »Seine Majestät vermuthen Sie in Celle. Ich habe bereits eine schwere Verantwortung auf mich geladen, daß ich Ew. Hoheit mit nach hier nahm!« »Verantwortung? Er hat mir zu gehorchen!« »Ich befinde mich dennoch in einer peinlichen Lage, da auch der König Gehorsam von mir fordert. Trifft uns ein Unfall, so wird man nicht Ew. Excellenz, sondern allein mich zur Rechenschaft ziehen. Und nun gar der abenteuerliche Gedanke, den Werber spielen zu wollen!« »Grad' das Abenteuerliche ist es, was mich reizt. Hat Er nicht gehört, daß der ›Dessauer‹ oft dasselbe thut? Er geht incognito im Lande umher und soll auch bereits schon über die Grenze gerathen sein, um sich in eigener Person einige Rekruten zu holen.« »So etwas kann auch er nur wagen; er ist der rechte Mann dazu!«
»So! Ich nicht?« »Das, was für einen gewöhnlichen Mann etwas Ungefährliches ist, kann für einen Prinzen ein Wagniß sein!« »Für den Fürsten von Anhalt-Dessau ebenso. Was Dieser vermag, das kann ich auch. Verstanden? und überdies bin ich durch den Hof und den Dienst so abgespannt, daß mir eine Unterhaltung anderer Art einmal geboten erscheint. Ich werde Ihn nach Lenzen begleiten.« »Ich kann es nicht verantworten!« »Das soll Er auch gar nicht.« »Bedenken Ew. Hoheit, daß der Auftrag schon mir nicht angenehm ist. Ich habe den Befehl erhalten, falls sich der ›Dessauer‹ nicht gefügig zeigt, sofort ein Exempel zu statuiren und den Lenzener Jahrmarkt zu benutzen, um einen möglichst bedeutenden Fang zu machen. Das ist nicht ungefährlich. Wenn man mich erwischt, so steht es mit mir Matthäi am Letzten.« »Ah, Er fürchtet sich!« »Pah! So lange mir freie Hand bleibt, habe ich nichts zu befürchten. Wenn ich aber auch auf die Sicherheit Ew. Hoheit Rücksichten zu nehmen habe, ist mir die Hand gebunden und ich kann für nichts stehen.« »Ich werde für meine Sicherheit schon selbst zu sorgen wissen! Übrigens steht Ihm ja Militair zur Verfügung. Wie viel Mann hat Er?« »Es kommen von Dannenberg vierzig Mann herüber. Zwanzig gehen verkleidet in die Stadt, und die anderen Zwanzig bleiben nach Gartow zu an der Grenze halten, um uns zu erwarten oder nötigenfalls beizuspringen.« »Und mit diesen vierzig Mann fühlt Er sich nicht sicher?« »Man kann die Verhältnisse nicht vorher berechnen. Ich ersuche Ew. Hoheit wirklich allen Ernstes, von dem Vorhaben abzustehen!« »Unsinn! Ich will ein Abenteuer haben! Aber um Ihn einigermaßen zu beruhigen, werde ich Ihm versprechen, mich nicht viel in Lenzen selbst sehen zu lassen. Wohin sind Seine Leute bestellt?« »Nach dem Gasthof ›zum Mecklenburger,‹ wo sie Einer nach dem Andern ohne Aufsehen und in verschiedener Verkleidung erscheinen werden.« »Dann werde ich mein Absteigequartier in Lüchow nehmen.«
»In Lüchow!« frug der Lieutenant aufmerksam. »Ja.« »Im Gasthofe?« »Nein. Auf dem Schlosse.« »Incognito?« »Versteht sich!« Der Prinz warf einen raschen Seitenblick auf Hartegg und fuhr weiter fort: »Ich habe gehört, daß sich die kleine Liebau dort befindet.« »Möglich!« meinte der Oberlieutenant ruhig. »Die Liebau nämlich, an Der Er so viel Antheil zu nehmen scheint!« »Es scheint nicht nur so, sondern es ist Wirklichkeit, Excellenz.« »Eine kleine, vorübergehende Liaison, pah! Er hat, wenn es einmal Ernst sein soll, ganz andere Chancen vor sich. Übrigens hat mir diese Liebau, als wir uns vergangenes Frühjahr zufällig in Uelzen sahen, nicht übel gefallen. Sie ist ein Prachtmädel, der man wohl einmal eine Schäferstunde widmen könnte. Ich werde sehen, was sich auf Lüchow thun läßt!« »Excellenz dürften auf die erwartete Schäferstunde verzichten müssen!« »Ah! Warum?« »Fräulein von Liebau ist keineswegs der Gegenstand eines flüchtigen Spieles.« »Das kennt man, Lieutenant,« lachte der Prinz. »Der Enkel eines Königs ist niemals unwillkommen!« »Hier dürfte es anders sein!« »Pah! Sie gefällt mir, und sie wird mein!« »Gestatten Hoheit mir die Mittheilung, daß Auguste von Liebau meine Braut ist!« »Er faselt!« »Ich spreche sehr im Ernste. Ich habe bereits bei ihrem Vater um sie angehalten.« »Komödie!« »Und das Jawort bekommen.« »Das mache Er weiß, wem Er will, aber mir nicht! Wenn Er sich wirklich eine Frau nehmen will, so weiß Er, wo Er sie zu suchen hat. Das Hauptmanns-Patent liegt in diesem Falle schon für Ihn bereit.«
»Ich werde nur das Weib nehmen, welches ich mir selbst wähle!« »Natürlich! Er wird Diejenige wählen, die Seinen Intentionen nahe gelegt worden ist.« »Niemals!« »Unsinn! Er kennt Unsere Wünsche und hat darnach zu handeln. Versteht Er?« »Es giebt nur einen Wunsch, den ich hierbei zu berücksichtigen habe, und das ist der meinige. Ein Mann nimmt sich ein Weib, aber er läßt es sich nicht aufnöthigen.« »Werden sehen! Er wird sich in Beziehung auf Seine Carrière nicht im Wege stehen wollen. Seine Liebau aber werde ich einmal für mich engagiren.« »Hoheit!« »Was?« »Ich werde den Abschied nehmen!« »Er wird zusehen, ob Er ihn erhält!« »Erhalte ich ihn nicht, so gehe ich selbst!« »Dann ist Er Deserteur, und Seine in Hannover gelegenen Güter sind für Ihn verloren. Das hat Er sehr wohl zu berücksichtigen. Also wozu das leere Geschwätz! Es hat schon längst zur Kirche gelauten, und ich muß gehen. Er erwartet mich und hat also bis zu meiner Rückkehr vollständig Zeit, darüber nachzudenken, welche Veranlassung Er mir heute gegeben hat, Ihm meine Ungnade im vollsten Maße empfinden zu lassen. Sehe Er zu, ob Er es ermöglichen kann, seine Dummheiten wieder gut zu machen!«
Incognito's Ueber den Schloßhof von Lüchow schritt ein Mann, dessen Aussehen nicht sehr appetitlich war. Ein langes, wirres, ungekämmtes Haar hing ihm über das Gesicht herein und ebenso verwahrlost sah der dichte, volle Bart aus, der wohl niemals eine ordentliche Pflege gekannt hatte. Auf dem Kopfe klebte eine Mütze, deren ursprüngliche Form und Farbe gar nicht mehr zu erkennen war. Die hohe, breitschulterige Gestalt des Mannes war in ein Röcklein gekleidet, welches sicher früher auf einem viel kleineren, schmächtigeren Körper gesessen hatte, denn die Aermel reichten nur wenig über den Ellbogen herunter, und die Taille saß beinahe oben zwischen den Achseln. Die Hosen bestanden aus lauter zusammengenähten Flicken und Flecken; die Gamaschen hatten Runzel auf Runzel, und die Schuhe schienen in einem sehr intimen Verhältnisse zu den Zehen zu stehen, denn sie gestatteten ihnen, aus ihrer Gefangenschaft einen eigentlich unerlaubten Ausguck in die freie Welt zu halten. Der Mann trug einen alten, schmierigen Sack auf dem Rücken und ein großes Pflaster quer über der geschwollenen Nase, hatte aber trotz alledem Etwas an sich, was den Gedanken, daß er zu dem Volke der Lüderlichen gehöre, nicht wohl aufkommen ließ. Vor dem Portale des Schlosses stand der Verwalter Hartig, ein kleines, dünnes Männchen mit spitziger, unangenehmer Vogelphysiognomie. »Was will Er?« schnauzte er den Ankommenden mit hoher Fistelstimme an. »Verzeihung, Herr Baron! Ich bin – – –« »Ich bin nicht der Baron«, unterbrach ihn Hartig, »aber Er kann mich dessen ungeachtet Ew. Gnaden nennen.« »Sehr schön!« antwortete der Mann in sehr respectvollem Tone. »Ich bin ein armer Handelsmann, der Ew. Gnaden um die Erlaubniß bittet, den Leuten des Schlosses seine Waaren zeigen zu dürfen.« »Womit handelt Er?« »Mit Wichse, Stiefelschmiere, Pflaster, Schnürsenkeln, Zwirn, Puder, Knöpfen und Nähnadeln.« »Für welche Krankheit hilft Sein Pflaster?«
»Es hilft gegen Magenkrebs, Zahnschmerzen, güldene Ader, Aufreiten, Kolik bei Mensch und Thier, Kopfschmerz, Sommersprossen, Ziegenpeter, alle Arten und Sorten von Fieber, Bandwurm, Feldmäuse, Maulsperre, Wasserkopf, Brüche, krumme Beine, Hieb-, Schuß- und Stichwunden, Hühneraugen, Herzwurm, Blasensteine, Warzen, Veitstanz, Mitesser, Rothlauf, Auszehrung, Ueberbeine, Gicht, böse Augen, Weichselzopf, Spat, Dampf, Klauenseuche, Drehwurm, Pips, Wassersucht, Knochenfraß, Schnecken, Regenwürmer, Verrenkung, Nasenbluten, Beulen und Gartenflöhe.« »Was sagt Er! Für das Alles hilft Sein Pflaster?« »Für das Alles und noch viel schrecklichere Krankheiten. Wollen Ew. Gnaden eine Probe machen? Haben Ew. Gnaden vielleicht den Weichselzopf oder den Ziegenpeter, die Klauenseuche oder den Knochenfraß und – – –« »Kerl! Was fällt Ihm ein, he? – Ich – und die Klauenseuche! Ist Er vielleicht verrückt?« »Ew. Gnaden haben mich ja nicht ausreden lassen! Ich wollte sagen, den Weichselzopf, den Ziegenpeter, die Klauenseuche oder den Knochenfraß im Schlosse. Ich helfe ganz sicherlich. Mein Wunderpflaster wird von dem weltberühmten Doctor, Professor und Wunderkünstler Amadeus Plaustrumus Singultus Promontorius Paderborniensis verfertigt. Es hilft zu jeder Zeit, zu jeder Stunde, bei jeder Krankheit und bei jeder Wunde.« »Das scheint allerdings ein sehr berühmter Name zu sein, denn er ist lateinisch und sehr lang. Hilft Sein Pflaster auch gegen Leberflecke und gegen das Herzgespann?« »O, sehr schnell, Ew. Gnaden.« »Meine Frau hat das Gesicht voller Flecke, und besonders Nachmittags spannt es ihr gewaltig um das Herz herum. Ich werde Sein Pflaster einmal versuchen. Wo hat man es aufzulegen?« »Gegen die Leberflecke kommt es auf die linke Wade, und gegen das Herzgespann legt man es zwölf Tage lang auf den Nabel.« »Auf den Nabel? Zwölf Tage lang? Ist es stark?« »Ja«. »Es wird ihr doch nicht etwa gar den Nabel herausziehen!« »Nein, aber herunterziehen.« »Wie so?«
»Das Herzgespann kommt doch daher, daß der Nabel bis hinauf zum Herzen wächst; dann wickelt er sich um dasselbe herum und würgt es langsam ab.« »Donnerwetter! Das leuchtet mir ein, denn sie hat ganz das Gefühl, als ob ihr der Nabel das Herz erdrücken wolle!« »Mein Pflaster hat also den Nabel anzupacken und wieder herunterzuziehen.« »Gelingt es auch immer?« »Ja.« »So gebe Er ein Pflaster her!« Der Fremde nahm den Sack vom Rücken, griff hinein und zog ein Schächtelchen hervor. »Hier, Ew. Gnaden!« »Was kostet es?« »Eigentlich einen Gulden. Aber weil es für eine so hohe Patientin ist und weil Ew. Gnaden mir die Erlaubniß ertheilen, meine Sachen hier verkaufen zu können, so kann ich unmöglich Etwas nehmen. Ich will es der gnädigen Frau schenken.« »Ich danke Ihm! Ich sehe, daß Er Lebensart besitzt, obgleich Er nicht darnach aussieht. Was hat Er denn für ein Ding im Gesicht?« »Das ist eine sehr gefährliche Bremse, die ich von den preußischen Werbern erhalten habe.« »Was hat denn Er mit ihnen zu thun?« »Sie wollten mir meinen Sack ausräumen, und ich wehrte mich dagegen.« »Da hat Er diesen Hieb erhalten?« »Ja; aber ich habe ihn mit Zinseszinsen zurückgegeben.« »Freut mich sehr! Diese Hallunken sollte man eigentlich ganz todtschlagen. Aber sage Er, Seine Bremse ist doch nicht etwa ansteckend?« »Gott bewahre! Es ist ja nur von einem Hiebe!« »Nun gut. So sehe Er hier zu, ob Er etwas verkaufen kann. Ich werde Ihm nicht hinderlich sein.« Das kleine Männchen machte sich davon, und der Pflasterhändler stieg die Treppe empor. Droben begegnete er einem Mädchen. Sie war halb wie eine Zofe und halb wie etwas Besseres gekleidet, von hoher, voller Gestalt und blühenden Wangen. Wer sie sah, mußte sie für eine Schönheit erklären. Sie erstaunte, als sie den fremden Mann erblickte, denn Leute von seinem Aussehen wurden
hier wohl selten zugelassen. »Was will Er?« frug sie ihn. »Guten Tag, schöne Jungfer!« antwortete er. »Der Herr Verwalter hat mir erlaubt, hier im Schlosse meine Waaren zu verkaufen.« »Was hat Er für Sachen?« »Pflaster, Wichse, Stiefelschmiere, Nähnadeln, Schnürsenkel, Puder, Zwirn, Heftel und Knöpfe.« »Ich brauche nichts.« »Will Sie mir nicht sagen, wo ich Jemand finde, der vielleicht etwas kauft!« »Gehe Er dort in die Küche. Da sind die Mägde.« Sie wollte an ihm vorüber. Er aber vertrat ihr den Weg. »Warte Sie nur noch einen Augenblick, schöne Jungfer!« »Was will Er noch?« »Ich wollte Sie nur fragen, ob sich nicht vielleicht heute ein Handwerksbursche hier hat sehen lassen, der seines Zeichens ein Bäcker ist?« »Ich habe nichts bemerkt. Adieu!« »Halt. Ich habe noch etwas.« »Was?« »Einen Gruß.« »An wen?« »An ein Mädchen, das Anna Grunert heißt. Wo finde ich sie?« »Ich bin es selbst.« Er blickte sie erstaunt an. »Sie? Hm! Hat keinen schlechten Geschmack, der Kerl!« »Wer?« Er trat ihr einen Schritt näher und sagte mit gedämpfter Stimme: »Der Feldwebel, der Goldschmidt.« Ihre rosigen Wangen wurden noch röther. »Von Dem? Von ihm ist der Gruß?« »Ja.« »Wo hat Er ihn getroffen?« »In Lenzen.« »Wann?« »Gestern Abend. Ich habe Ihr etwas sehr Wichtiges auszurichten. Hat Sie keine Stube, wo uns Niemand hört?« »Komme Er!«
Sie führte ihn eine Treppe höher und öffnete dort eine Thür. Beide traten in ein allerliebstes, zweifenstriges Stübchen, welches so nett und sauber gehalten war, daß man seine Freude haben mußte. Der Händler zog die Thür hinter sich zu und schob den Riegel vor. »Warum verriegelt Er?« frug sie. »Weil uns Niemand zu überraschen braucht.« »Also, was hat Er mir auszurichten?« »Das!« Er legte den Sack auf den Boden, schlang seine Arme um das Mädchen und drückte ihr einen schallenden Kuß auf die kirschrothen Lippen. »Unverschämter!« Mit einem raschen Rucke hatte sie sich losgewunden; dann holte sie blitzschnell aus und versetzte ihm eine Ohrfeige, welche hundertmal stärker klatschte als der Kuß vorher. Der Mann fuhr sich mit der Hand nach dem Backen. »Himmeldonnerwetter, das ist ja eine noch viel ärgere Bremse als diejenige, welche ich vorhin dem Verwalter vorgefaselt habe! Anna, Du bist weiß Gott ein Pracht- und Kernmädel. Besser kann ich's selber nicht!« Sie trat abermals erstaunt zurück. »Was soll denn das? Wer ist Er?« Er nahm einen Kieselstein aus dem Munde, die Mütze ab und die falsche Perrücke vom Kopfe. »Na, wer wird's denn sein? Schau her, Du schlagende Wetterhexe?« Sie schlug die Hände zusammen. »Wilhelm!« »Na, endlich! Wenn es wahr ist, daß die Liebe blind ist, so kann ich mit der Deinigen sehr zufrieden sein.« »Mein Himmel, wie siehst Du aus!« »Allerliebst, nicht wahr?« »Wozu diese Maskerade?« »Komm, setze Dich her zu mir. Ich werde es Dir sagen.« »Gut. Aber komme mir ja nicht etwa zu nahe heran! Du siehst ja aus wie der allerschlimmste Vagabund!« »Nicht wahr? Ich war neugierig, ob Du mich erkennen würdest. Die Probe ist sehr gut ausgefallen, denn ich sehe, daß ich nun vollständig sicher bin. Wenn Du mich nicht erkennst, so vermuthet
sicherlich auch kein Anderer den Goldschmidt in mir.« »Ich wundere mich selber darüber, daß ich Dich nicht sofort erkannte.« »O, diese Kleidung, der Bart und die Haare, und schließlich noch der Stein im Munde, der die Sprache vollständig verändert, gar nicht zu rechnen die wunderhübsche Beule, die ich mir über das Gesicht geklebt habe.« »Auch sie ist nicht echt?« »Nein. Mehl und Leim, weiter nichts.« »So nimm wenigstens diesen Bart für einen Augenblick herunter!« »Das geht nicht. Er ist mit Mispelleim fest gemacht.« »So komm mir ja nicht zu nahe!« »Hm! Ich habe an der einen Maulschelle genug! Der Appetit ist da, das ist richtig; aber wenn ich nicht freiwillig einen Schmatz kriege, so lasse ich es bleiben. Ich muß gewärtig sein, Du haust mir meinen Karfunkel von der Nase weg, und so einen bekomme ich nicht gleich wieder.« »Na also, erzähle!« »War wirklich noch kein Handwerksbursche da?« »Nein.« »So wird er bald kommen.« »Wer ist es?« »Rathe!« »Ach was! Sage es lieber gleich!« »Der Alte.« »Welcher Alte?« »Der Dessauer.« Sie fuhr in die Höhe. »Was?! Ist's möglich?« »Ja.« »Was will denn Der hier?« »Dich sehen.« »Mich? Warum?« »Hm! Ob Du ihm gefällst.« »Geh weg!« »Wirklich; es ist so! Ich habe ihm von Dir erzählt, und nun will er einmal unerkannt sehen, was Du für ein Mädchen bist. Gefällst Du ihm, so heirathen wir uns; gefällst Du ihm aber nicht, so – – –«
»So heirathen wir uns wohl nicht, he?« »O ja, auch, ihm zum Trotze. Aber dann müßte ich meinen Abschied nehmen.« »Höre, es kommt mir etwas unwahrscheinlich vor, daß der Fürst meinetwegen von Dessau nach Lüchow laufen sollte, noch dazu in der Verkleidung als Handwerksbursche!« »Er kommt allerdings nicht blos Deinetwegen.« »Was will er sonst noch?« »Das ist eigentlich Dienstsache.« »Ist das Geheimniß so sehr wichtig?« »Allerdings, wenn man es recht betrachtet. Aber Du sollst es erfahren, da ich sicher bin, daß Du nichts verrathen wirst.« »Fällt mir gar nicht ein!« »Die Hannöverschen haben uns in den letzten Tagen mehrere Rekruten weggeführt, und darüber ist der Alte so teufelswild, daß er in höchsteigener Person ausgiebige Revanche nehmen will.« »Ah! Ihr wollt Euch einige Bursche holen?« »Ja.« »Ich habe nichts dagegen. Thut mir nur den Gefallen und nehmt den Peters mit, der immer aufdringlicher wird!« »Grad diesen nehmen wir.« »Will es der Fürst?« »Ja. Ich habe ihm erzählt, daß man Dir den Kerl aufdringen will, und so werden wir ihn unschädlich machen.« »Du, ich werde Deinen Alten lieb gewinnen!« »Schön! Ist der große Geselle noch bei Peters?« »Ja.« »Auch er muß mit!« »Du, nehmt Euch in Acht! Es ist keine Kleinigkeit, solche Leute zu überwältigen und fortzuschleppen.« »Pah! Man ist auch nicht aus Watte gemacht, obgleich ich Deine Maulschelle ruhig hingenommen habe. Übrigens stehen uns dreißig Soldaten zur Verfügung. – Wie verkommst Du mit den Deinen?« »Schlecht!« »Ah?« »Wilhelm, es ist wirklich ein Jammer und ein Elend zu Hause. Der Vater trinkt mehr als jemals zuvor und mißhandelt die Mutter, und die Brüder helfen ihm dabei. Sie will die Scheidung einreichen.«
»Wirklich?« »Ja.« »Das freut mich; das ist gut!« »Warum?« Sollte er ihr sagen, daß er beabsichtigte, grad auch ihre drei Stiefbrüder wegzufangen? Er zog vor, darüber doch zu schweigen. »Weil, dann das Elend ein Ende hat,« antwortete er. »Die Mutter liegt schwer darnieder, so hat er sie zugerichtet!« klagte das Mädchen, dem Thränen in den Augen standen. »Er wird ausgezahlt; darauf kannst Du Dich verlassen! Und Dein lieber Vormund, der Knirps?« »Noch immer wie früher. Ich soll und muß den Peters heirathen. Der Vormund scheint dem alten Peters viel Geld schuldig zu sein.« »Ah, ist es so! Da werden wir einmal dazwischen fahren! Willst Du uns dabei helfen?« »Natürlich. Nur immer fort mit dem Menschen! Wie ist Euer Plan?« »Der Fürst hat sich als Handwerksbursche verkleidet und wird hier in der Gegend nach passenden Burschen suchen. Dabei will er die Gelegenheit ergreifen, Dich einmal in Augenschein zu nehmen.« »Da er sich diese Mühe giebt, scheint er sehr viel auf Dich zu halten!« »Viel, das ist wahr. Darum möchte ich gern haben, daß er nichts gegen Dich einzuwenden hat.« »Ich werde mir Mühe geben.« »Aber thu nur bei Leibe nicht so, als ob Du ihn kennst. Ich bin ja nur deshalb von Lenzen herübergelaufen, um Dich aufmerksam zu machen.« »Der Fürst weiß nichts davon?« »Kein Wort. Ich habe strengen Befehl, Lenzen nicht eher zu verlassen, als bis er mir einen Boten schickt. Heute Morgen ist er fort, und ich bin gleich hinter ihm her. Beim ersten Dorfe bin ich abgebogen.« »Wo hast Du denn die garstige Verkleidung gleich hergenommen?« »O, das ist das Allerwenigste. Und Legitimation habe ich auch. Ich traf in Lenzen einen Quacksalber, der zum Jahrmarkt feilhalten will. Derselbe hat drei Gehilfen, und Einer von diesen hat mir gegen drei Thaler seine Papiere geborgt.«
»Aber wie kann ich Euch behilflich sein, wenn Du in Lenzen bist? Da kann ich doch nicht mit Dir reden!« »Ich habe meinem Korporal Alles übergeben. Er ist ein sehr zuverlässiger Mann. Ich bleibe heimlich hier und gehe nur, wenn es nöthig ist, einmal nach Lenzen hinüber. Wir können uns also immer sehen.« »Wo wirst Du logiren?« »Im Fremdenverkehr, denn meine Verkleidung paßt nicht wo anders hin.« »Das ist gefährlich!« »Warum?« »Der Fremdenverkehr ist nicht mehr im Gasthofe ›zum Bären,‹ sondern der Schmied Peters hat ihn übernommen. Er hat eine Bierund Schnapskneipe errichtet.« »Das soll für mich gefährlich sein?« »Er kennt Dich ja!« »Hast Du mich erkannt? Grad weil wir seinen Jungen und seinen Gesellen wegschnappen wollen, ist es mir lieb, daß ich bei ihm wohnen kann. – Horch! Das muß ein Reiter sein.« Im Schloßhofe ließ sich Pferdegetrappel vernehmen. Goldschmidt trat an das Fenster, um in den Schloßhof hinabzublicken. »Alle Teufel, wer ist denn das? Das ist ja der Hartegg!« »Der Hartegg?« frug Anna, indem sie auch zum Fenster eilte. »Kennst Du ihn?« »Ich habe ihn in Dessau gesehen.« »Er war in Dessau?« »Ja, beim Fürsten, und da ich Dienst im Schlosse hatte, so sah ich ihn kommen und gehen. Kennst Du ihn auch?« »Nein. Ich sehe ihn heute zum ersten Male. Ein schöner Mann! Nicht?« »Ja. Er will ganz sicherlich zu Deiner Herrin.« »Zu wem sonst!« »Hm!« »Was?« »Was mag er wollen?« »Närrische Frage! Dasselbe, was Du bei mir willst!« »Das ist möglich,« antwortete er mit eigenthümlicher Betonung. »Ich will hier Zweierlei: Dich sehen und Rekruten angeln. Vielleicht
hast Du ganz ohne Dein Wissen Recht. Auch er will seine Braut sehen und Rekruten fangen.« »Wie kommst Du auf diesen Gedanken?« »Weil mir Erstens sein Umweg nach hier verdächtig vorkommt, und weil er Zweitens als der geschickteste Werbeoffizier Hannovers bekannt ist. Ich wollte, ich wäre eine Maus, um jetzt lauschen zu können!« »Was das betrifft, so kannst Du ruhig sein. Das gnädige Fräulein wird mir Alles sagen.« »Ist sie so vertraut zu Dir?« »Ja. Wir klagen einander die Noth.« »Natürlich! Ganz so, wie es Weiber zu machen pflegen! Anna, ich muß unbedingt abwarten, ob er hier bleibt oder wieder fortreitet. Geht es?« »Nein. Man hat Dich kommen sehen, und es würde auffallen, wenn Du so lange bei mir bist. Wir können uns anderswo treffen.« »Wo?« »An der hintern Gartenmauer. Vom Balkon aus kann ich ganz gut mit Dir reden, wenn Du draußen vorübergehst.« »Dann müssen wir aber ein Zeichen verabreden.« »Wenn ich Dir Etwas zu sagen habe, lege ich mein weißes Taschentuch hier an das Fenster. Das kannst Du von der Stadt aus sehen.« »Und wenn ich mit Dir reden will?« »Siehst Du die Linde da drüben?« »Ja.« »Neben ihrem Stamme liegt ein Stein. Sobald er auf der andern Seite liegt, komme ich in den Garten.« »Gut. Das wird bei Tage ausreichen. Aber Abends?« »Ich bin punkt 11 Uhr im Garten. Und giebt es etwas Außergewöhnliches, so schicke ich nach dem Fremdenverkehr um ein Pflaster.« »So sind wir einig. Jetzt also fort. – Anna!« Er sah sie bittend an. »Geh!« »Na, sei nur nicht grausam!« »Du siehst zu abscheulich aus. Dieser dreckige Bart, die Kleisterbeule auf der Nase und das schmutzige, alte Gesicht! Pfui!« »Aber es steckt doch ein anderes dahinter!«
»Na, meinetwegen denn; sonst werde ich Dich in Ewigkeit nicht los!« Sie reichte ihm mit einiger Vorsicht den Mund entgegen. Er schob den Bart so viel wie möglich bei Seite und holte sich zum zweiten Male Das, was er vorhin mit einer Ohrfeige bezahlt hatte. Dann setzte er Perrücke und Mütze wieder auf, warf den Sack über den Rücken und reichte ihr die Hand. »Leb' wohl, Anna. Auf Wiedersehen um 11 Uhr, wenn bis dahin nicht vielleicht etwas Dringendes passirt.« »Leb' wohl!« Als er bereits die Thür ergriffen hatte, nahm sie ihn plötzlich freiwillig beim Kopfe und küßte ihn auf den falsch bebarteten Mund. »Nimm Dich in Acht, Wilhelm! Ich weiß, daß Du stark und muthig bist; aber wenn man Dich erwischt, so geht es nicht gut!« Unterdessen war Hartegg vom Pferde gestiegen. Ein in der Nähe stehender Diener eilte herbei, um das Thier in Empfang zu nehmen. »Ist Fräulein von Liebau zu Hause?« »Ja.« »Wo ist sie?« »Auf ihrem Zimmer. Eine Treppe rechts. Die Zofe wird da sein, um Sie anzumelden. Soll ich das Pferd in den Stall ziehen?« »Nein. Führe Er es auf und ab, ich komme bald wieder.« Er stieg die Treppe empor und schritt auf die ihm bezeichnete Thür zu. Aber noch ehe er dieselbe erreicht hatte, öffnete sie sich von selbst, und in dem hellen Raume zwischen dem Thürgewände erschien ein so liebliches, reizendes Bild, daß selbst er, der diesen Liebreiz längst schon kannte, bezaubert stehen blieb. Die Dame, welche da stand, war vielleicht dreiundzwanzig Jahre alt und eine wahrhaft königliche, vollständig entwickelte Schönheit. Ihr Haar, nach damaliger Sitte weiß gepudert und mit winzigen Goldflimmern besäet, war über der Stirn hoch empor genommen und sank hinten in langen, weichen und dichten Wellen auf die Schultern herab, welche marmorweiß aus dem weit ausgeschnittenen Kleide hervorschimmerten. An den feinen Schläfen rollten sich kleine, kokette Löschen in einander, um der hohen, freien Stirn einen milderen, weicheren Eindruck zu ertheilen. Tiefschwarze, herrlich gebogene Brauen überwölbten Augen, deren
strahlende Bläue mit der des Firmaments wetteifern konnten. Das kleine Näschen war zwar nicht streng und scharf, aber voll Charakter geschnitten. Die vollen Lippen hatten sich jetzt unter dem Eindrucke der freudigen Überraschung leise geöffnet, so daß die glänzenden Spitzen der kleinen Zahnperlen zwischen ihnen hervorschimmerten. Die Gestalt war hoch, von plastischer Fülle und Rundung, aber dennoch fluthete um dieses herrliche Wesen eine Anmuth, eine Zartheit, eine Wonne spendende Milde, welche ein jedes Männerherz umstricken und erobern mußte. »Ernst!« rief sie mit glückstrahlendem Lächeln. »Auguste!« Sie öffneten beiderseits die Arme und lagen sich am Herzen. Sie beherrschte sich zuerst wieder. »Komm' herein!« »Sahst Du mich kommen, mein Leben?« »Ja. Und ich öffnete selbst, denn die Zofe ist zur Stadt gegangen, und die Gesellschafterin scheint beschäftigt zu sein. Setze Dich!« Sie nahmen Hand in Hand neben einander Platz und beschauten sich mit vor Freude glänzenden Augen. »Ich überraschte Dich sehr, nicht wahr, Auguste?« »Sehr! Ich konnte nicht denken, Dich in Lüchow zu sehen. Eben dachte ich an Dich, als ich Dich absteigen sah.« »An mich? Wirklich?« frug er glücklich. »O, ich denke immer an Dich! Doch wie war es Dir möglich, mir die gegenwärtige Freude zu bereiten, Ernst?« »Der Dienst führt mich in diese Gegend. Ich war in Dessau.« »In Dessau?« »Beim Fürsten.« »Bei ihm? Wirklich? In dienstlicher Angelegenheit?« »Ja.« »Gewiß wieder etwas Unangenehmes!« »So ist es. Ich bin das Chicaniren nachgerade gewohnt geworden. Man will mich peinigen, um mich gefüge zu machen.« »Ärmster!« »Man steckt mich mit der Tochter des Obersten zusammen, so oft es nur möglich ist, und fast scheint es mir, als ob ich nur die Firma eines anderen Besitzers bilden solle. Erst vorige Woche wieder gab es eine ziemlich aufgeregte Scene, und um mich dafür
zu strafen, schickte man mich nach Dessau.« »In welcher Angelegenheit?« »Es war wahrhaftig die reine Böswilligkeit! Ich sollte nur dem Fürsten bedeuten, daß er sich keine Rekruten mehr aus Hannover holen dürfe. Der Kurfürst-König hat sich sogar bei Kaiser und Reich beschwert, obgleich es seine Werber ganz in der gleichen Weise treiben. Man kennt den Dessauer und wußte also, daß ich mit ihm ganz ernstlich zusammengerathen mußte.« »Ist Dies geschehen?« »Ja.« »O weh!« »Leider! Die schlaue Berechnung dieser hohen Herren hat ganz zu dem vermutheten Facit geführt. Sie wußten, daß Du ohne die Einwilligung des Dessauers wohl nicht die Meinige werden kannst, und ertheilten mir diesen Auftrag nur, um ihn gegen mich aufzubringen. Ich war allerdings so vorsichtig, das Private noch vor dem Dienstlichen zu berühren, aber – – –« »Du hast mit ihm von mir gesprochen?« unterbrach sie ihn schnell.« »Ja.« »Was sagte er?« »Sein Bescheid lautet ungünstig. Er wird niemals zugeben, daß Du einen Hannoveraner heirathest.« »Ernst, ich schwöre Dir, daß es dennoch geschehen wird!« »Ich danke Dir! Deine Liebe ist es allein, die mich bisher auf gerader Bahn erhalten hat. Ich gerieth mit dem Fürsten bitterbös zusammen, so daß ich sogar gezwungen war, ihn zu fordern.« »Herrgott! Das hättest Du gethan? Wie unvorsichtig!« »Er griff zum Stocke.« »Er hätte nicht geschlagen!« »Er schlug bereits. Ich mußte blank ziehen, um den Hieb zu pariren, und haute ihm den Stock in Stücke.« »O, nun ist Alles verloren!« »Noch nicht, mein Herz. Gerade diese Verwegenheit hat dem Fürsten imponirt und, wie ich glaube mir seine Gewogenheit erworben. Er hat mir die Beleidigung freiwillig abgebeten.« »Ist's möglich!« »Und dann sind wir in Frieden von einander geschieden. Ja,« lachte er, »der Alte hat mir sogar noch eine Menge Proviant
eingepackt, den ich mitnehmen mußte: Butterbrod, Wurst, Schinken, Käse, saure Gurken, Zwiebeln und Knoblauch.« »Das sieht ihm ähnlich! Und nun beginne ich allerdings wieder zu hoffen. Ich konnte mir ja denken, daß Ihr nicht als Feinde scheiden würdet. Du bist gewohnt, Freund und Feind zu besiegen.« Ihr Blick haftete auf seiner männlich kraftvollen Gestalt und seinen schönen, offenen Zügen. Hartegg führte lächelnd ihre Hand an seine Lippen. »Du beurtheilst mich mit den Augen der Liebe, mein Leben. Möge mir dieses Glück bewahrt bleiben für jetzt und immerdar! Leider hat das persönliche Wohlwollen des Fürsten keinen Einfluß auf sein Urtheil gehabt. Noch im Scheiden frug ich ihn wiederholt, und er blieb dabei, daß Du niemals einen Hannoveraner heirathen dürfest.« »So kaufe ich mich in Hannover an. Dann ist es nicht mehr nöthig, Rücksicht auf ihn zu nehmen.« »Nein, nein! Alles nur Dieses nicht! Du weißt, daß Hannover mir ganz und gar verleidet ist.« »So nimm den Abschied und komm nach Preußen!« Er blickte gedankenvoll und finster zur Erde. »Dieser Gedanke hat für mich immer etwas Anstößiges gehabt; in neuerer Zeit aber scheint man mich geradezu zwingen zu wollen, mich mit ihm zu versöhnen. Wenn man eine Saite zu sehr anspannt, so reißt sie. Mein dienstliches Verhältniß gleicht einer solchen Saite. Ich war nicht allein in Dessau.« »Wer war mit?« »Prinz Friedrich Ludwig.« »Was Du sagst! Der eingebildete Geck, den ich in Uelzen traf?« »Ja.« »Warum ging er mit?« »Daraus werde ich nicht klug. Nur im mich zu ärgern, das ist doch nicht Grund genug. Es wird ein wenig Abenteuerlichkeit mit im Spiele sein. Er ließ sich in Celle für einige Tage Urlaub nach Braunschweig geben, und während man jetzt meint, daß er bereits wieder zurückgekehrt sei, hängt er mir als riesenhafte Klette an der Schleppe. Wenn sein Vater, der Kronprinz, oder gar der König es erfährt, wird man mir unschuldigen Menschen eine Nase drechseln, die in steter Erinnerung bleiben muß. Und dabei cujonirt er mich auf jede Weise. Ich bin in Dessau fast noch ärger mit ihm
zusammengerathen als mit dem Fürsten. Er nannte mich wiederholt einen Lügner und drohte sogar mit dem Stocke.« Auguste erbleichte. »Was hast Du darauf gethan?« »Was das allein Mögliche war: Ich habe ihn gefordert.« »Und was antwortete er?« »Er drohte mit Cassation, Spießruthen und Zuchthaus. Das ergrimmte mich vollends, und so bot ich ihm Ohrfeigen an. Das half. Er widerrief, versprach mir aber, mein Verhalten an oberster Stelle zu denunciren.« Sie legte ihm die Arme auf die Schultern und küßte ihn auf die Stirn. »Für diesen Muth muß ich Dich belohnen, Ernst! – Gerade so und nicht anders hätte auch ich gehandelt. Nun aber wird es doppelt schlimm für Dich!« »Ich werde sehen, wie lange es zu ertragen ist. Jeden falls werfe ich so bald wie möglich diese Fesseln ab. Ja, Fesseln sind es, und zwar die schlimmsten, die es giebt. Sogar nach Lenzen ist mir der Prinz gefolgt!« »Was thatest Du in Lenzen?« »Hm! Wirst Du mich verrathen?« »Ich Dich! Willst Du mich kränken?« »Es ist wahr! Selbst so etwas wird bei Dir sicher aufgehoben sein. Nächsten Montag ist in Lenzen Jahrmarkt und diese Gelegenheit soll ich benutzen, um eine Anzahl von Rekruten zu fangen.« »Wieder!« »Jawohl! Man vertraut vorzugsweise gern mir dergleichen heikle Geschäfte an, weil sie sehr geeignet sind, mich in Blamagen zu bringen. Ich kenne das! Und dieses Mal ist der Prinz darauf versessen, mit dabei zu sein. Wenn es sich nicht um mich selbst dabei handelte, so wünschte ich, daß er von den Preußen attrapirt und weggefangen würde.« »So ist er in Lenzen?« »Seit heute Morgen nicht mehr. Und das ist es eben, was mich zu Dir führt. Ich habe mit ihm von Dir gesprochen und ihm offen erklärt, daß ich mich nicht beeinflussen lasse. Darauf hat mir dieser Mensch ganz ruhig erklärt, daß er für die Zeit meines Aufenthaltes in Lenzen hier in Lüchow wohnen werde.«
»Hier!« rief die junge Dame bestürzt. »Ja. Er wird Eure Gastfreundschaft in Anspruch nehmen.« »Incognito?« »Versteht sich.« »Ich jage ihn fort!« »Das kannst Du nicht. Du bist selbst nur Gast hier, und der Besitzer oder dessen Verwalter können einen solchen Besuch unmöglich fortweisen.« »Was soll ich thun, Ernst?« »Das darf ich getrost nur Dir selbst überlassen. Aber Eins muß ich Dir sagen, obgleich ich gern darüber schweigen möchte; Er hat nicht nur mich, sondern auch Dich beleidigt. Er kommt nicht nach Lüchow, sondern zu Dir; er besucht Dich als ein Frauenzimmer, das ihm Amusement gewähren soll.« Sie erröthete bis in den Nacken herab. »Was! Er hatte die Stirn, Dir das zu sagen?« »Ja.« »Und Du hast ihm nicht die Faust in das Gesicht geschlagen?« »Er zog es vor, sich mit dem letzten Worte schleunigst zu entfernen.« »Weißt Tu, was ich thun werde?« »Was?« »Ich reise sofort ab!« Hartegg lächelte. »Fürchtest Du ihn?« Sie erhob sich und schritt einige Male im Zimmer auf und ab. Dann blieb sie vor ihm stehen und legte ihm die Hand auf den Arm. »Du hast Recht. Eine Liebau flieht keinen solchen Menschen, und Diejenige, die Dein Weib werden soll, muß ihn mit einem einzigen Blicke niederschlagen können. Ich bleibe. Wann wird er kommen?« »Er kann jeden Augenblick hier sein. Ich borgte mir ein Pferd, um gleich hinter ihm abzureiten, und schlug einen Feldweg ein, um ihm zuvorzukommen, da ich vor ihm mit Dir sprechen wollte. Ich werde aufbrechen müssen.« »Du lässest mich ohne Sorge allein mit ihm?« frug sie. »Ohne Sorge und mit vollstem Vertrauen,« antwortete er. »Ich danke Dir! Wird man Dich hier gekannt haben?« »Ich glaube nicht. Ich war noch niemals hier, bin in Civil und
habe nur mit einem Diener gesprochen.« »So wird Niemand erfahren, daß Lieutenant Hartegg bei mir gewesen ist.« »Können wir uns wiedersehen?« »Wo?« »Hier. Es sind noch mehrere Tage bis Montag, und ich kann zu Pferde ja leicht herüber und wieder zurück.« »Dann müßtest Du Dich verkleiden, um von dem Prinzen nicht erkannt zu werden, falls er Dir begegnen sollte.« »Gewiß. Aber wo treffen wir uns?« »Es müßte natürlich des Abends sein. Kannst Du eine Zeit bestimmen?« »Nein. Ich weiß nicht, was der Dienst mir bringt. Da drüben sind Steinbrüche, in denen sicher oft gesprengt wird. Ist Abends ein Schuß auffällig?« »Wohl schwerlich. Die Bursche in der Umgegend schießen gar oft.« »Wohl. Sobald da drüben bei der Linde ein Schuß fällt, bin ich da. Wo treffen wir uns dann?« »Im Garten. An der hinteren Mauer desselben befindet sich ein Balkon. Wenn ich auf demselben stehe und Du draußen bist, können wir ganz gut mit einander sprechen.« »Kann man von Außen hinaufkommen?« »Das käme auf meine Gewogenheit an. Vielleicht könnte ich einen Schlüssel mitbringen,« lächelte sie, »wenn ich es mit Dir wagen dürfte.« »Bringe ihn getrost mit, Auguste; ich bitte Dich darum! Ich hätte noch viel zu sagen und zu fragen, aber ich darf nicht riskiren, von dem Prinzen überrascht zu werden. – Lebe wohl, mein Herz, und bleibe mir gut und hold!« »Lebe wohl, Ernst! Sei vorsichtig. Du bist in Lenzen nicht ohne Gefahr.« Sie verabschiedeten sich mit derselben Zärtlichkeit wie nur wenige Minuten früher das Paar eine Treppe über ihnen; dann ritt der Lieutenant davon. Hartegg suchte die Stadt möglichst zu umgehen und schlug dann einen Richteweg ein, der von der nach Gartow, Schnakenburg und Lenzen führenden Straße seitab ging. Er war noch nicht lange auf demselben fortgeritten, so erhob sich einige hundert Schritte vor
ihm eine lange, kräftige Gestalt aus dem Grase, worin dieselbe augenscheinlich geruht hatte, und zog sich seitwärts in die Büsche. »Ein Handwerksbursche,« lachte er. »Der arme Teufel konnte getrost liegen bleiben. Ich selbst bin ja froh, wenn ich nicht bemerkt werde!« Hartegg ritt weiter, ohne sich umzusehen. Der Handwerksbursche aber war hinter den ersten Büschen stehen geblieben und beobachtete ihn, bis er vorüber war. Er schien sich im Unklaren zu befinden, denn er schüttelte unbefriedigt den Kopf und brummte vor sich hin: »Albernheit! Es war nur eine Ähnlichkeit. Wie käme denn dieser Hartegg nach Lüchow. Auf fünfhundert Schritte kann sich auch ein scharfes Auge täuschen, und die Mähre, die er ritt, war nur ein Karrengaul, aber kein Pferd für einen solchen Schwerenöther, wie der Hartegg ist!« Der Handwerksbursche trat aus dem Gebüsch hervor und schlug den Weg nach der Stadt ein. Dieser »arme Reisende« stand bereits nicht mehr in den gewöhnlichen Wanderjahren. Er mochte mindestens vierzig Jahre zählen, hatte einen gewaltigen Schnurrwichs und ein Paar kohlpechrabenschwarze Augen, die sicherlich auch mit grimmigen Blicken um sich werfen konnten. Sein gepudertes Haar war in einen faustdicken Zopf gebunden, welcher unter einem alten, breiten Fälbelhute perpendikelartig hin und her baumelte. Der Anzug war zwar alt, aber reinlich und ganz, auf dem Rücken saß ein wohlgefüllter Ranzen, und in der Rechten führte er einen Knotenstock, dessen Astschnitte mit kupfernen Nägeln beschlagen waren. Als er Lüchow erreichte, schritt er stracks gleich auf die erste Person zu, welche ihm begegnete. Es war eine alte Frau. »Grüß Sie Gott, Alte! Wo ist hier die Herberge?« frug er sie. »Für wen?« »Na, für wen sonst, als für die Handwerksburschen!« »Es giebt zwei Herbergen. Was hat Er für ein Metier?« »Ich bin Bäcker.« »Die Bäcker, Schmiede, Schlosser, Klempner, Feilenhauer, Schreiner und Wagner bleiben beim Schmied.« »Beim Schmied? Hat Der eine Herberge?« »Freilich. Er hat sie erst jüngst eröffnet.«
»Wie heißt der Kerl?« »Peters.« »Peters? Mohrenelement! Ist's Der, der einen Sohn und einen Gesellen hat?« »Ja.« »Wo wohnt er?« »Gehe Er über den Markt und dann rechts. Da kommt Er auf die Dannenberger Straße. Dort wohnt der Schmied.« »Ich danke Ihr, Alte! Hier, da hat Sie Etwas!« Der Handwerksbursche zog einen alten Strumpf heraus, der jetzt das Schicksal hatte, als Geldbeutel zu dienen, griff hinein und gab der Alten ein Geldstück. Sie sah es an und riß Mund und Augen auf. »Na, was glotzt Sie mich denn an!« »Na, Er ist mir aber doch ein sonderbarer Kerl!« »Warum, he?« »Statt daß Er es macht wie andere Handwerksburschen, welche fechten gehen, schmeißt Er ja mit Geld um sich wie ein Heide. Sieht Er denn nicht, daß Er mir fünf Silbergroschen gegeben hat!« »Geht Sie das etwa was an, Sie alte Kohlenschaufel Sie? Soll ich Ihr vielleicht beweisen, daß ich auch fechten kann? Nämlich mit meinem Prügel hier. Wenn Sie nicht sofort macht, daß Sie mir aus dem Kraute geht, so haue ich Ihr noch fünf Groschens, die nicht von Silber sind, um den dummen Kopf herum. Sei Sie doch froh, daß Sie hat, was Sie hat! Gemaust ist es nicht!« Die Alte machte sich sehr erschrocken aus dem Staube, und der Handwerksbursche schritt dem Markte zu. Als er die Dannenberger Gasse erreichte, hörte er lauten Hammerschlag erschallen und erkannte die Herberge an den ausgehängten Handwerkszeichen. In der räucherigen Stube saßen mehrere Leute, welche er gar nicht beachtete, weil sie nach nichts aussahen, und an dem Ofen lehnte die hohe, knochige Gestalt des Schmiedes, dessen Schurzleder von Schmutz starrte. »Gott zum Gruß, Herr Vater!« grüßte der alte Bursche mit dröhnender Stimme. »Ich bin ein wandernder Gesell der ehrbaren Bäckerzunft und werde Ihn bitten, mir ein Glas Bier zu geben.« Der Wirth räusperte sich wichtig, schnäuzte sich erst einmal und sagte dann: »Ein Bäcker wäre Er? Das mache Er mir nicht weiß.« »So! Warum glaubt Er es nicht?« »Weil Er die Schmiedefarbe im Gesichte hat. So sieht nur ein
Schmied oder ein Soldat aus, der viel Pulver gerochen hat!« »Das kann Ihm ganz egal sein, ob ich Schmied oder Bäcker oder Maulwurfsfänger oder Lufthut bin. Ich bleibe bei Ihm nicht über Nacht. Schaffe Er das Bier, und halte Er Sein Maul!« »Na, Er scheint mir zur allerbesten Sorte zu gehören!« »Schwatze Er nicht! Bier her!« »Na, na, na, na! Er wird doch nicht gleich verdursten und verdampfen!« »Verdampfe nur Er selber, sonst werde ich Ihm Beine machen!« Es waren nur drei Tische vorhanden, ein runder, der mit einem weißen Linnen belegt war, und zwei lange. An dem einen der letzteren saßen vier Handwerksgesellen, die den Bäcker wegen seines couragirten Auftretens mit offenem Munde bewunderten, und an dem andern saß nur eine einzige Person. Es war – der Pflasterhändler, Feldwebel Wilhelm Goldschmidt. Diesem Letzteren war es bei dem Erscheinen des Bäckers nicht sehr wohl zu Muthe. Wenn er von ihm erkannt wurde, mußte es ein fürchterliches Donnerwetter geben; aber er nahm sich vor, so dreist wie möglich zu sein. Der Wirth brachte das Bier. »Da hat Er Sein Theil!« »Mein Theil? Ist Er bei Sinnen! Wie viele Tropfen gehen denn eigentlich in diesen Fingerhut, he? Und wie sieht das Zeug aus! Ist das Bier? Oder haben vielleicht Frösche in den Soff geheckt?« »Es ist Bier, und damit pasta!« »Werd's kosten!« Er nahm das Glas an den Mund und that einen kleinen Zug, zog aber sofort ein Gesicht, als ob er Schwefelsäure verschluckt habe, und spuckte Alles wieder aus. »Was soll das sein? Bier soll das sein? Weiß Er, was das ist? Ich will es Ihm gleich sagen: Wasser ist es, Scheuerwasser mit Essig, Aloe, Sauerampfer, Huflattich, Bilsenkraut, guter Heinrich, Teufelsdreck und Stubenkehricht. Was kostet so ein Vogelnäpfchen voll davon?« »Fünf Pfennige.« »Fünf Pfennige? Na, es ist auch darnach!« »Höre Er, sei Er höflicher, sonst wird Er einfach an die Luft gesetzt!« »Mache Er keinen Summs, und behalte Er Seine Luft für sich!
Hat Er vielleicht ein besseres Bier?« »Hm! Kann Er es bezahlen?« »Das geht Ihm den Teufel an.« »Das geht mich wohl etwas an! Da kommt oft so ein Vagabund, thut groß und dick, ißt und trinkt, und wenn es zum Treffen kommt, langen die paar Bettelpfennige nicht aus. Wer ist nachher der Geleimte, he? Ich, kein Anderer!« »Na, thue Er nur nicht selber dicke! Er sieht mir gar nicht so aus, als ob Er um sehr viel geleimt werden könnte! Da gucke Er einmal her! Sieht Er diesen Strumpf, he?« »Alle Wetter! Ist der voll Geld?« »Was soll es sonst sein? Apfeltröpfe vielleicht?« »Höre Er, da versteht Er sich aber ganz ausgezeichnet auf's Fechten!« »Das will ich wohl meinen. Ich fechte, daß die Schindeln prasseln! Also, was hat Er noch für Bier?« »Gose und Mumme. Das ist eigentlich nur für die Herren Honoratioren, wenn die mich einmal besuchen.« »Honoratioren? Wird auch viel Gescheidtes geben in diesem Neste! Schneider, Schuster, Ofenputzer, Löffelmacher, Ellenreiter, ja! Ist die Gose echt?« »Natürlich!« »Dummheit! Natürlich ist blos das Wasser, und das mag ich nicht! Ich meine, ob die Gose auch wirklich aus Goslar ist.« »Ja.« »Bringe Er mir eine!« »Kann Er sie denn auch vertragen?« »Warum?« »Wer sie nicht gewohnt ist, dem geht es schlimm!« »Na, da wird Er mir Seine Hosen auch nicht dazu borgen. Scheere Er sich hinaus, sonst helfe ich nach!« Der Schmied hatte sich über den Mann erst ärgern wollen, jetzt aber war er klug geworden und lachte über ihn. »Höre Er« – sagte er – »Er ist ein Grobian, wie er im Buche steht. Außer Ihm giebt es nur noch Zwei, die so 'was fertig bringen.« »Ah! Wer wäre denn das?« »Mein Compater, der Hillmann in Wustrow, und der alte Dessauer.« Da fuhr der Bäcker von seinem Sitze auf.
»Wer? Der alte Dessauer? Kerl, wie kommt Er auf Diesen!« »Na, ich dächte doch, daß der wegen seiner Feinheit weit und breit berühmt ist. An den soll ja nicht einmal mein Compater, der Hillmann, reichen!« Der Bäcker besann sich und setzte sich wieder nieder. »Möglich!« brummte er. »Gehe Er einmal nach Dessau, und gucke Er sich ihn an! Vielleicht wird Er vom Dessauer mit Haut und Haar und Schurzleder gefressen. Aber, warum nennt Er ihn den ›alten‹ Dessauer, he?« »Na, seine Jungens sind doch schon groß genug beim Militair, und übrigens ist es nun einmal Sitte, einen solchen Grobian den ›Alten‹ zu heißen.« »Schön! Nun aber hat Er genug geschwatzt. Schaffe Er die Gose her!« Der Wirth holte dieselbe herbei; der Bäcker trank und schmunzelte. »Schmeckt das?« frug der Schmied. »Ja, das ist etwas Anderes als die Seifenbrühe dort. Ich trinke gleich aus. Bringe Er noch eine – – oder, halt, noch zwei!« »Für wen?« Der Bäcker deutete auf den Pflasterhändler. »Für Den da. Er sitzt mit mir an einem Tische und soll auch mit mir trinken. Das bin ich so gewohnt. Ihm ist's doch recht, he? Oder nicht?« Diese letzteren Fragen waren an den Händler gerichtet. »Ich trinke mit!« antwortete dieser gleichgültig. »Das will ich Ihm auch gerathen haben! Abschlagen lasse ich mir nichts. Wer oder was ist Er denn eigentlich?« »Ich bin ein Handelsmann.« »Womit schachert Er?« »Mit Schnürsenkeln, Knöpfen, Wichse, Schmiere, Puder und Pflaster.« »Schönes Geschäft! Paßt ganz gut zusammen! Wenn Einer einmal Seine Wichse kriegt, kann er sich gleich mit Seiner Schmiere salben, mit Seinem Puder einreiben und mit Seinem Pflaster umwickeln lassen; die Knöpfe dafür steckt Er dann ein und bindet den Beutel mit Seinen Schnürsenkeln zu.« »Ich treibe auch noch Anderes.« »Was?«
»Ich schlage die Karte und sage wahr.« »Aha! Ist Er so ein Galgenstrick, der Anderen das Geld abschwindelt!« »Ich schwindele nicht. Mir hat stets Alles zugetroffen.« »Schneide Er nicht auf! Ich wollte Ihn schon auf die Probe stellen, daß Ihm angst und bange würde.« »Das kann Er thun!« »Was! Er wagt es, mir zu widersprechen?« »Dabei ist nichts gewagt. Was ich sage, trifft zu, und damit punktum! Es steht einem jeden Menschen in der Hand geschrieben, was er war, was er ist und was er sein wird. Sogar die Gedanken und Absichten lassen sich aus der Hand erkennen.« »Die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die Gedanken und Absichten? Das wird mir zu viel; das ist zu bunt! Wollen wir wetten?« »Ich wette mit,« antwortete der Händler sehr ruhig. »Um was?« »Um die beiden Gosen. Wer verliert, der hat sie zu bezahlen.« »Er hält mich wohl für einen tüchtigen Esel, he? Die Gosen habe ich bestellt; da stehen sie, und ich werde sie auch bezahlen. So billig kommt Er mir nicht weg. Seine Frechheit soll besser bestraft werden! Hat Er Geld?« »Ein Weniges; so was ich in acht Wochen gelöst habe.« »Hat Er fünf Thaler?« »Die sind da.« »Oder vielleicht zehn?« »Vielleicht bringe ich sie zusammen.« »Zähle Er auf!« Der Händler langte in die Tasche und zog ein altes Schnupftuch hervor, in dessen Zipfel er sein Geld eingebunden hatte. Er zählte es. »Es ist mehr, als ich dachte,« sagte er vergnügt. »Ich habe billig gelebt.« »Wie viel?« »Vierzehn Thaler zwanzig Silbergroschen und neun Pfennige.« »Wagt Er, das zu setzen?« »Ja.« »Schön!« Mit höchst befriedigter Miene zog der Bäcker seinen Strumpf
hervor und zählte die gleiche Summe ab. Während der Bäcker diese Arbeit verrichtete, holte der Schmied seine Frau, seinen Sohn und den Gesellen herbei. Diese sollten das mit ansehen, denn so was war hier noch gar nicht vorgekommen. »Hier ist mein Geld!« sagte der Bäcker. »Ist Er bereit?« »Ja.« »So hat Er hier meine Hand. Aber wenn nicht Alles zutrifft, bekommt Er von Seinem Gelde keinen Heller wieder!« »Und wenn Alles zutrifft, so ist Sein Geld mein Eigenthum!« »Versteht sich. – Hier, gucke Er auf die Hand. Also erst die Vergangenheit!« Der Handelsmann nahm die Hand und betrachtete sie aufmerksam. »Nun? Wird's bald? Oder geht Ihm schon jetzt die Klugheit flöten?« »Nur langsam! Das ist eine Hand, wie ich sie noch nicht betrachtet habe. – Er ist an einem glücklichen Tage geboren.« »An welchem?« »Am dritten Juli.« »Alle Wetter, Er kann gut rathen!« »Stimmt es?« »Ja.« »Das ist nicht gerathen, sondern es steht ganz deutlich in der Hand geschrieben. Das will ich Ihm gleich beweisen, denn hier stehen auch die Namen Seiner Eltern.« »Was? Hokuspokus! Wie heißen sie?« »Sein Vater heißt Hansgörg und Seine Mutter Jette. Oder soll ich die Namen so lesen, wie sie im Kirchenbuche stehen werden?« »Nein. Er ist ein Teufelskerl, es stimmt!« »Hier steht auch das Bild von dem Hause, in dem Er geboren wurde. Soll ich es von Seiner Hand weg auf den Tisch abzeichnen?« »Ja. Bin doch neugierig, denn bisher ist Ihm der Schwindel gelungen.« »Wirth, schaffe Er Kreide!« Die Kreide wurde gebracht, und der Händler begann, indem er die Hand immerfort genau betrachtete, zu zeichnen. Er war sehr vorsichtig und warf nur einige Linien hin, aber der Bäcker merkte bereits bei den ersten Strichen, daß die Zeichnung das Schloß zu Dessau vorstellen würde. Rasch fuhr er mit der Hand darüber
hinweg. »Da schlage doch der Henker d'rein!« rief er ganz erstaunt. »Auch dieses stimmt!« »Nun wollen wir sehen, wie Seine Pathen und Schulmeister heißen und bei wem Er das Backen erlernt hat.« »Halt! Davon will ich nichts wissen. Sage Er mir die Gegenwart!« »Diese fällt gewöhnlich mit den Absichten und Gedanken zusammen. Seine Hand hat so deutliche Züge, wie ich sie noch bei keinem andern Menschen gesehen habe. Hier finde ich zunächst zwei Männer. Der Eine ist Er selber, und der Andere, der – der heißt Wilhelm. Hier steht es. Der Zuname ist niemals dabei. Hinter den Beiden kommen zwei, fünf, acht, elf, zwanzig, dreißig Männer, wenn ich richtig gezählt habe, und ganz hier hüben, über diese tiefe Grenzlinie hinweg, sehe ich zunächst einen Ambos mit zwei Männern, das müssen also Schmiede sein, und dann noch drei Männer, von denen der Eine ein Kalb sticht, während die – – –« »Halt! Halt!« unterbrach ihn der Bäcker, der seinen ganzen Plan in der größten Gefahr sah, verrathen zu werden. »Ich mag nichts mehr wissen, gar nichts!« »Stimmt es?« »Ja, ja, ganz und gar. Er ist der größte Himmelsakkermenter, den ich in meinem Leben gesehen habe! Aber, halt! Wer ist Er, wie heißt Er, und wo ist Er her? Er kann mich doch bereits einmal gesehen haben, und dann sollte Ihn allerdings der Teufel reiten!« »Hier hat Er meine Legitimation!« Er zog das Papier hervor und reichte es dem Bäcker hin. Dieser sah es durch. »Hm! Stimmt! Und die Visa beweisen, daß Er mich nicht gesehen haben kann. Höre Er, so Etwas habe ich bei meiner armen Seele für rein unmöglich gehalten. Das bringt mir ja kein Doctor und kein Professor fertig! Wo will Er denn von hier aus hin?« »Ich gehe über die Grenze nach Preußen hinüber.« »Hm! Wohin?« »Weiß es noch nicht. Zunächst mache ich den Markt in Lenzen mit.« »Es ist möglich, daß ich auch hinüberkomme. Wo wird Er da bleiben?« »Im Gasthofe ›zum Mecklenburger‹, wie ich denke.«
»Schön! Vielleicht treffen wir uns dort. Woher hat Er denn die Beule da in Seinem Gesichte?« »Die haben mir die hannöverschen Werber gehauen.« »Hole sie der Teufel – oder, na, meinetwegen auch nicht! Er Himmelelementer hat mir also die Wette abgewonnen.« »Das Geld ist mein?« »Natürlich! Stecke Er es ein, denn Er hätte das Seinige auch nicht wiederbekommen. Aber denke Er ja nicht, daß es mich wurmt! Wenn Er nicht so ganz genau das Richtige getroffen hätte, daß ich glauben könnte, Er habe mich betrogen, so würde ich Ihm einmal die Karte schlagen, aber wie! Was kostet die Gose, Wirth!« »Zwei Silbergroschen.« »Macht zusammen sechs Silbergroschen fünf Pfennige. Da kostet mich also der Spaß hier über fünfzehn Thaler. Ist das hier Sein Sohn?« »Ja.« »Und das Sein Geselle?« »Ja.« »Hier hat Er das Geld. Ich wünsche, daß Euch die fünfzehn Thaler wohl bekommen! Lebt wohl, und vergeßt den Bäcker nicht!« Er warf den Ranzen wieder über, griff zum Knotenstocke und verließ die Herberge, um den Weg nach dem Schlosse einzuschlagen. »Miserable Geschichte!« brummte er mißmuthig vor sich hin. »Verwette ich hier vierzehn Thaler zwanzig Silbergroschen und neun Pfennige. Wenn das die Anneliese wüßte, die würde ein Gesicht machen wie ein alter Ofentopf. Aber so Etwas ist mir auch noch gar nicht vorgekommen? Liest mir der Kerl die Namen, das Datum und sogar auch das Bild von der Hand herunter! Ob nur Alles wahr gewesen ist! Es muß wahr sein, obgleich ich es kaum glauben kann. Es giebt in der Welt Dinge, denen man geradezu als Esel und Dummhut gegenübersteht. Wie nun, wenn dieser Handgucker auch den Andern prophezeit? Dann ist mein schöner Plan vollständig futsch, und ich kann in eine schauderhafte Patsche gerathen. Na, ich denke, er wird schleunigst daran gehen, den Gewinnst zu verjubeln, und da giebts zum Wahrsagen keine Zeit.« Als er den Schloßhof betrat, stand der Verwalter wieder neben dem Portale, um ein Pferd zu betrachten, welches ihm vorgeführt wurde. Droben aber konnte man das Köpfchen Anna's sehen, welche
lauschend am Fenster stand, um die Ankunft des Handwerksburschen ja nicht zu versäumen. Der Bäcker trat mit tiefabgezogenem Hute zu dem Verwalter und bat mit demüthiger Stimme: »Herr, ein armer Reisender. Darf ich Euch um eine kleine Gabe bitten?« Das Männchen sah ihn unwillig an und antwortete mit hoher Stimme: »Was hat Er hier zu betteln? Arbeite Er!« »Das will ich, Herr. Habt Ihr vielleicht Arbeit für mich?« »Was ist Er?« »Ich bin Bäcker.« »Hier wird nicht gebacken. Mache Er, daß Er fortkommt!« Der »arme Reisende« wandte sich von dem Verwalter ab und wollte in das Portal treten. »Halt! Wo will Er hin?« »In's Schloß.« »Da hat Er nichts zu suchen!« »Es wohnen außer Euch wohl auch noch andere Leute da, die einen armen Reisenden nicht abweisen werden.« »Er hat sich zu entfernen. Ich bin der Verwalter, und wenn ich sage, daß Er gehen soll, so geht Er auch. Verstanden?« »Ihr könnt doch den Andern nicht verbieten, mir etwas zu geben!« »Ich verbiete es. Hier wird nicht gefochten. Packe Er sich, sonst werfe ich Ihn vor das Thor hinaus!« Der Handwerksbursche lachte am ganzen Gesichte. »Wollt Ihr das vielleicht einmal probiren? So eine Puppe, wie Ihr seid, werfe ich doch gleich über die Wolken hinweg!« Er trat ein. Der Verwalter eilte ihm nach, stieß aber auf Anna, welche eiligst heruntergekommen war. »Daß Sie diesem Menschen nichts giebt!« gebot er. »Warum nicht?« »Er ist ein Grobian, und ich lasse hier nicht betteln.« »Herr Verwalter, seid Ihr ein Christ? Die Bibel sagt: ›Wohlzuthun und mitzutheilen vergesset nicht.‹ Und was die Bibel sagt, Das muß gelten!« »Ich leide es nicht!« »Vergeßt nicht, Herr Verwalter, daß ich nicht Eure Untergebene bin. Mein gnädiges Fräulein ist Gast Eures Herrn, der es sehr übel vermerken würde, wenn Ihr uns in gleiche Reihe mit Eurer
Dienerschaft stellen wollt. Übrigens bin ich keine Dienstmagd, und Ihr habt also nicht Sie, sondern Ihr zu mir zu sagen. Verstanden? Man kann höflich sein, selbst wenn man ein Verwalter ist. Merkt Euch das!« Das Gesicht des kleinen Mannes drückte eben so viel Grimm wie Erstaunen aus. »Gut! Schön!« rief er. »Ich werde es mir merken. Aber vergeßt es selber auch nicht! Man weiß doch nun, wie man sich zu verhalten hat!« Der Verwalter ging; das Mädchen aber streckte dem Handwerksburschen die Hand entgegen und sagte: »Mache Er sich nichts daraus! Der Verwalter ist ein Filz, ein Geizkragen.« Er musterte sie mit leuchtenden Augen und ergriff ihre Hand. »Was, Jüngferchen, Sie giebt einem alten Herumläufer Ihre Patsche?« »Warum denn nicht? Er sieht ja ganz reputirlich aus und ist ganz sicher kein Herumbummler. Übrigens habe ich das Verhalten des Verwalters wieder gut zu machen.« »Wie will Sie das anfangen, he?« »So, wie es in der Bibel steht.« »Nun, was steht denn da?« »Brich dem Hungrigen Dein Brod, und die in Armuth sind, führe in Dein Haus. Hungert ihn, so speise ihn; dürstet ihn, so tränke ihn.« »Donnerwetter, Sie ist doch ganz gewaltig bibelfest!« »Hat Er Hunger?« »Wie ein Wolf!« »So komme Er!« Sie führte ihn zwei Treppen empor in ihr eigenes Zimmer, wo auch vorher der Feldwebel Goldschmidt gesessen hatte. Er blieb an der Thüre stehen und blickte sich ganz erstaunt um. »Was? Sie speist mich nicht vor der Thüre ab? Sie führt mich in diese Stube, die so nett und sauber wie ein Schmuckkästchen ist, und wo hinein ich gar nicht gehöre!« Sie stellte sich aufrecht vor ihn hin, stemmte die Hände in die Seiten und ließ ihr Auge in scherzhafter Musterung von seinem Kopfe bis zu seinen Füßen herablaufen. »Meint Er etwa, daß man kein Herz und kein Auge hat?« frug sie dann. »Einen Vagabunden schickt man mit einem Pfennig oder einem Dreier zum Teufel, Er aber gehört nicht zu dieser Sorte. Er ist
guter Leute Kind; Er trägt sich nicht schlumprig und schlottrig, sondern glatt und sauber; Er ist auch kein junger Leichtfuß, sondern ein gesetzter Mann, der wohl nur deshalb noch Geselle ist, weil Ihm das Schicksal nicht so wohl gewollt hat wie Anderen, die das oft gar nicht verdienen. Solche Leute, wie Er, muß man achten und ehren, denn sie haben Reputation im Leibe und sehen die Gabe nicht nach der Größe an, sondern nach der Freundlichkeit, mit der sie gegeben wird. Ist's nicht so?« »Alle Wetter, Jüngferchen, Sie redet ja weiß Gott wie ein Pfarrer! Aber Recht hat Sie, vollständig Recht.« »Nun sieht Er! Ich nahm Ihn also gegen den Verwalter in Schutz, der ein geiziger und aufgeblasener Frosch ist, und mochte Ihn auch nicht in die Küche führen, weil da die Mägde sitzen, die einen ehrbaren Wandersmann nicht von einem Herumlungerer zu unterscheiden wissen. Nehme Er in Gottes Namen den Tornister herunter; lege Er ab und mache Er es sich hier auf dem Kanapee bequem. Ich werde unterdessen gehen, um Ihm einen Imbiß zu holen.« Sie entfernte sich, und er legte Hut, Knotenstock und Ranzen ab. »Hm! Das ist ein sauberes, bildhübsches und couragirtes Weibsen! Wenn das dem Goldschmidt seine Liebste ist, so hat der Kerl wahrhaftig in einen Glückstopf gegriffen. Diese Stube ist ja so ein allerliebstes Nestchen, wie es kaum die Anneliese hat. Kein Stäubchen, kein Fäserchen, sondern Alles blitz und blank. Kerngesunde Ansichten hat das Ding, und Einem den Text zu lesen, versteht sie ganz prächtig. Und neben diesem Verstande hat sie ein wohlthätiges Herz und ein frommes Gemüth. Wer die bekommt, den möchte man beneiden.« Er setzte sich auf das Sopha und nahm eine so bequeme Haltung an, als ob er hier zu Hause sei. Nach kurzer Zeit kehrte sie mit einem großen Präsentirbrett zurück, auf welchem sich ein kaltes und sehr reichliches Vesperbrod befand. Sie legte ihm mit jener ungekünstelten Grazie vor, welche die Speisen um das Zehnfache appetitlicher erscheinen läßt und bat dann mit heiterem Lächeln: »So, nun lange Er nur munter zu. Es ist am Mittag nichts Warmes übrig geblieben, und so habe ich zusammengesucht, was grad zu finden war. Aber Etwas werde ich Ihm noch holen.« Das Mädchen ging noch einmal und kehrte dann mit einer vollen Weinflasche und einem Glase zurück.
»Was! Wein bringt Sie mir?« frug er verwundert. »Wie Er sieht!« »So hat Sie den Keller des Verwalters geplündert? Geschieht ihm recht!« »Da irrt Er sich. Ich werde Ihm doch nicht gestohlenen Wein vorsetzen! Ich habe diese Flasche zum Geburtstage erhalten. Es ist süßer, ungarischer Frauenwein, und ich habe ihn für eine Extra-Gelegenheit aufgehoben.« »Was Sie mir da sagt! Und dieses Geburtstagsgeschenk giebt Sie einem Handwerksburschen? Das ist doch nicht etwa die Extra-Gelegenheit, auf die Sie gewartet hat!« »Jawohl!« »Oho!« »Ich will es Ihm aufrichtig sagen: Er gefällt mir, und da werde ich Ihm doch nicht etwa geradezu als Fechtbruder behandeln.« »So! Gefalle ich Ihr! Hm! Wie meint Sie das? Etwa daß ich Ihr so gefalle, wie Einem der Liebste gefällt?« »Bewahre! Er hat so etwas Festes, Sicheres, so etwas Selbstbewußtes an sich, was meine Achtung und mein Vertrauen erweckt. Es ist mir grad, als ob mein Vater auf Besuch gekommen wäre. So meine ich es.« »Das freut mich. Hier hat Sie meine Hand; lege Sie Ihr Patschchen hinein. Ich muß Ihr danken, denn Ihre Worte schmecken ebenso gut wie Ihr Essen. Aber Ihren Geburtstagswein werde ich Ihr nicht wegtrinken.« »Warum nicht?« »Werde mich hüten!« »Dann macht Er mich ärgerlich; das sage ich Ihm. Was ich gebe, das gebe ich gern, und wenn Er es nicht annimmt, so beleidigt Er mich. Ich bin gut und freundlich mit Ihm, also muß Er auch grade so gegen mich sein; das bitte ich mir aus!« »Na, Sie soll Ihren Willen haben, Sie allerliebste Wetterhexe. Aber Sie muß mittrinken. Versteht Sie wohl?« »Das werde ich wohl thun.« »Hat Sie noch ein Glas?« »Ich laufe nicht erst wieder hinunter. Darf ich gleich mit Ihm trinken?« »Was? Sie will mit einem Handwerksburschen aus einem Glase trinken?«
»Warum nicht? Glaubt Er, ich graue mich vor Ihm?« »Aber sehe Sie meinen alten Schnurrwichs an!« »Der gefällt mir grade!« »Hm! Ja, ja! Habe davon gehört!« »Wovon?« »Daß ein Bart sehr nothwendig ist: Ein Kuß ohne Bart ist wie ein Ei ohne Salz. Na, da komme Sie her! Ihr Wohlsein und das Ihres Liebsten auch mit!« »Danke!« »Sie wird roth? Habe ich das Richtige getroffen? Hat Sie Einen, he?« »Möglich!« »Bleibe Sie mir mit Ihrem ›Möglich‹ vom Leibe! Ich will das Wirkliche wissen. Hat Sie Einen?« »Ja. Aber Ihn geht das doch nichts an.« »Das kann man nicht wissen. Wer ist es denn, he?« »Er kennt ihn doch nicht.« »Auch das kann man nicht wissen. Was hat er für ein Gewerbe?« »Keins.« »Ach pah! Er muß doch etwas betreiben!« »Ein Gewerbe nicht. Er ist Soldat.« »Habe es gedacht! Zweierlei Farbe ist doch etwas Anderes als so ein bloßer Leinwandkittel. Hat er eine Charge?« »Er ist Feldwebel.« »Hm, nicht übel! Wo steht er denn? In Hannover? Celle? Göttingen?« »Er ist kein Hannoveraner.« »Nicht? Was sonst?« »Preuße.« »Preuße? Na, adieu Hochzeit!« »Ja, das ist es eben! Höre Er, hat Er einmal ein Mädchen so recht von Herzen lieb gehabt?« »Donnerwetter, das will ich meinen!« »Nun denke Er sich, daß Er sie nicht hat bekommen sollen – – –« »Das war auch grad der Fall.« »So? Was hat Er da gethan?« »Ich habe mich den Geier an die Einreden gekehrt und meinen
Willen durchgesetzt.« »Das mag unter Umständen gehen; aber wenn man nichts machen kann, ist das nicht traurig, he?« »Höre Sie, Jüngferchen. Sie laborirt wohl auch an dem Herzbeutelblasenstein, so was man gewöhnlich unglückliche Liebe zu nennen pflegt?« »Ach ja!« »Na, flenne Sie nur nicht! Sie sieht mir doch sonst nicht nach diesem Unglücke aus.« »Es ist aber doch so! Und ich bin es nicht allein.« »Wer noch? Ihr Liebster?« »Natürlich! Aber den meinte ich nicht.« »Wen sonst?« »Wir sind ihrer Zwei hier im Schlosse, die Seinen Herzbeutelblasenstein herumzuschleppen haben.« »Wer ist denn die Andere?« »Mein gnädiges Fräulein von Liebau.« »Von Liebau? Ist das nicht ein Anhaltischer Name?« »Ja. Sie stammt aus Anhalt-Dessau. Denke Er sich nur, sie ist eine Anhalterin und liebt einen Hannoveraner, und ich bin eine Hannoveranerin und bin einem Anhaltischen gut, und wir Vier sollen einander nicht haben!« »Ihr Vier? Sakkerment, das klingt ja grad so, als ob Ihr Euch zu Viert zusammentrauen und zusammenbrauen lassen wolltet!« »Mache Er keine dummen Witze! Der Jammer und das Elend ist groß genug. Und daran ist nur ein Einziger schuld.« »Wer denn?« »Der Fürst Leopold von Anhalt-Dessau.« »Der? Dieser Himmelhund? Dieser schlechte Kerl, der so grausam sein – – –« »Halte Er Sein Maul!« unterbrach sie ihn eifrig. »Wenn Er sich solcher Ausdrücke über den Marschall bedient, so hat Er es mit mir zu thun!« »Wie?! Was?! Der Kerl ist an Ihrem Unglücke schuld, und Sie vertheidigt Ihn trotzdem!« »Natürlich! Erstens ist der Fürst ein großer Kriegsheld und ein guter, sparsamer Landesvater, gar nicht so stolz wie andere Fürsten, zwar ein wenig grob und kräftig, aber doch fromm und brav wie nur Einer. Zweitens ist er der Kriegsherr meines Feldwebels, und ich
habe ihn also zu achten und zu respectiren. Drittens wird er wohl seine Gründe haben, daß er sich weigert, aber blos, weil er uns nicht kennt. Wenn er wüßte, was wir von ihm denken, wie wir ihn schätzen und verehren, so würde er sich unserm Glücke nicht in den Weg stellen, sondern eine Einsicht haben.« »Heiliges Wetter, Sie spricht ja wie der Prophet Hesekiel oder Maleachi! Ich habe immer gehört, daß der Dessauer ein Tyrann, ein Lumpenhund, ein Nero, Phylax und Bullenbeißer ist!« »Da hat Er sich einmal sehr falsch berichten lassen. Der Dessauer ist ein ganzer Kerl. Wenn ich die Tochter eines Kaisers wäre, Der hätte mein Mann werden müssen. Hat Er nicht gehört, wie lieb er seine Anneliese hat? Er flucht und wettert gern ein Bischen, aber der Herrgott giebt darauf gar nichts, sondern er sieht das Herz an, und das ist beim Fürst Leopold lauter wie Gold, Das weiß ich ganz genau.« »So! Wer hat es Ihr denn gesagt?« »Mein Feldwebel. Der würde sich für den Dessauer in Stücke hacken lassen.« »Kennt Sie den Fürsten?« »Ich habe ihn noch nie gesehen.« »Kennt ihn die Liebau?« »Ob jetzt noch, das weiß ich nicht, aber sie hat ihn vor acht Jahren einmal gesehen, als sie noch ein halbes Kind gewesen ist.« »Hm! Ist sie schön.« »Sehr.« »Schöner wie Sie?« »Hundertmal!« »Wer ist denn eigentlich ihr Liebster?« »Der Oberlieutenant von Hartegg, der ein tüchtiger, braver Offizier ist.« »Möglich. Aber der Dessauer wird niemals zugeben, daß sie sich heirathen.« »Warum?« »Er kann die Hannoveraner nicht leiden. Bei Ihr wird das vielleicht etwas Anderes sein.« »Wieso?« »Wenn Sie Ihren Feldwebel heirathet, so ist Sie ja keine Hannoveranerin mehr. Was hat denn der ›Alte‹ gegen Sie gehabt?« »Noch nichts wohl. Mein Feldwebel hat sich bisher gar nicht
getraut, ihm etwas zu sagen, denn erstens sieht es der Fürst nicht gern, wenn so Einer sich eine Frau nimmt, und zweitens muß die Frau dann auch nach dem Geschmacke Seiner Durchlaucht sein.« »Was hat diese Durchlaucht denn für einen Geschmack, he?« »Das weiß ich nicht.« »Und Sie glaubt wohl, daß Sie nicht nach seinem Geschmacke ist?« »Leider.« »Heiliger Polterabend! Dann wäre der Dessauer bei Gott das allergrößeste Rhinoceros, was es nur geben kann. Ich will Ihr einmal einen guten Rath geben: Laufe Sie geschwind nach Dessau und stelle Sie sich dem Fürsten vor. Ich will ein Schuft und Pinsel heißen, wenn es dann nicht sofort mit Ihrem Herzbeutelblasenstein ein Ende hat.« »Denkt Er?« »Das ist meine Überzeugung. Das Herz wackelt Einem ja im Leibe, wenn man Ihr nur in die Augen sieht! Wenn ich nicht so ein alter Dachs wäre, so würde ich Sie Ihrem Feldwebel streitig machen. Ich glaube, wenn der Dessauer Sie sieht, so läuft ihm vor Appetit das Wasser im Maule zusammen. Würde Sie ihm einen tüchtigen Schmatz geben, wenn er Ihr sagte, daß Sie Ihren Feldwebel bekommen soll?« »Gleich zwei oder drei, und zwar richtige und tüchtige, denn das wäre ja gegen meinen Bräutigam keine Sünde, und wer dem Dessauer einen Kuß geben darf, der kann sich so viel darauf einbilden, als hätte er einen Orden mit sammt der goldenen Kette erhalten.« »Da möchte ich nun allerdings vor Wuth zerplatzen, daß ich der Dessauer nicht bin!« »So?« lachte sie lustig. »Ihm läuft wohl auch das Wasser zusammen?« »Versteht sich!« »Na, tröste Er sich. Wenn der Dessauer uns erlaubt, uns zu heirathen, und es trifft sich, daß wir uns einmal wiedersehen, so soll Er auch einen Kuß bekommen. Das verspreche ich Ihm.« »Ist das wahr?« »Ja.« »Höre Sie, dann ist es besser, Sie giebt ihn mir gleich jetzt!« Er erhob sich und kam hinter dem Kanapee hervor.
»Fällt mir nicht ein! Erst den Feldwebel und dann den Kuß.« »Papperlapapp! Was will Sie machen, wenn ich ihn mir jetzt nehme?« »Das wage Er ja nicht! Es würde Ihm schlecht bekommen.« »Oho!« »Ein unerlaubter Kuß ist für ein braves Mädchen ganz dieselbe Beleidigung wie eine Ohrfeige für einen braven Mann!« »Schrum, schrum, es wird dennoch riskirt!« – Er trat schnell auf sie zu und umfaßte sie, um sie zu küssen; aber in demselben Augenblicke schallte eine gewaltige Ohrfeige auf seiner Wange. Der Schlag war so kräftig, daß er sie augenblicklich los ließ und sich mit beiden Händen nach der getroffenen Stelle fuhr. 2
Ein guter Fang Der verkleidete Fürst war an der Jeetze aufwärts gewandert, um Wustrow zu erreichen. Die Sonne hatte beinahe den Horizont erreicht, als er den Ort vor sich liegen sah. Noch hatte er bis zum ersten Hause desselben einige hundert Schritte zu gehen, als ihm ein anderer Handwerksbursche entgegenkam. Dieser sah nicht grad eben reputirlich aus. Er trug auch nur ein in ein Schnupftuch gewickeltes Päckchen in der Hand, und als er näher kam, sah Leopold, daß sein Gesicht zerkratzt und beschunden war. »Grüß Dich Gott, Bruder!« grüßte der Andere, indem er stehen blieb. »Woher heute?« »Von Lüchow.« »Wohin?« »Nach Wustrow hier.« »Gute Geschäfte gemacht?« »Schlechte Zeiten. Man kriegt einen Pfennig oder für einen Heller trockenes Brot.« »Was ist Dein Metier?« »Bäcker.« »Bruderherz, da sind wir Kameraden. Hast Du keinen Schlug bei Dir?« »Nein.« »Du suchst doch keine Arbeit?« »O ja.« »Na, da kann ich Dir gleich welche zuweisen.« »Wo?« »Hier in Wustrow bei Hillmann im Wirthshause.« »Ist die Stelle gut?« »Ausgezeichnet! Der Kerl hat mich soeben durchgeprügelt und zur Thüre hinausgeschmissen.« »Auch nicht übel! Man sieht Dir es an. Hast Du Dich gewehrt?« »Natürlich! Aber Einer gegen Vier, das war zu viel verlangt.« »Wer war noch dabei?« »Seine drei Jungens. Starke Kerls. Ich bin froh, daß ich noch lebe!« »Was hast Du denn gemacht, daß sie Dich keilten, he?«
»Ich nahm mich der Meisterin an. Sie ist krank, und er schlägt und turbirt sie, daß es Einen erbarmt. Ein Wort gab das andere, und endlich erhielt ich mein Wanderbuch und die Wichse dazu.« »Wie lange hast Du da gearbeitet?« »Vier Tage.« »Was für ein Landsmann?« »Aus Kriwitz in Mecklenburg-Schwerin.« »Hast wohl für die vier Tage einen hübschen Lohn erhalten?« »Hätte eigentlich noch achtzehn Pfennige d'rauf legen müssen, denn bei dem Hillmann muß man den Wochenlohn versaufen. Könntest Dir da Etwas sparen! Und weil ich die achtzehn Pfennige nicht hatte, haben sie mir die anderthalb Silbergroschen im Gesichte und auf dem Rücken abgearbeitet.« »So bist Du ohne Geld?« »Abgebrannt wie eine Kirchenmaus! Bist wohl besser bei Kasse?« »Es geht!« »Bruder, hast Du nicht einen Sechser für das Nachtlager?« »Will sehen. Da, hast Du 'was!« Der Mecklenburger sah ihn erstaunt an. »Mensch, das sind ja zehn Silbergroschen!« »Wirf sie weg, wenn Du sie nicht magst!« »Fällt mir nicht ein! Bruderherz, Du bist ein guter Junge. Ich wollte, ich könnte einige Wochen mit Dir walzen! Willst Du?« »Packe Dich zum Teufel!« »Gut, ich gehe ja schon! Hab Dank, und lebe wohl!« Er machte sich schnell davon, jedenfalls, um baldigst eine Schänke zu erreichen, wo er das reiche Geschenk anbringen konnte. »Das paßt sich gut!« brummte Leopold. »Es ist sicher, daß ich angenommen werde, und dann wollen wir sehen, ob ich mich auch so zur Thüre hinauswerfen lasse.« Er wurde leicht nach der Wohnung Hillmann's gewiesen. Als er in das Zimmer trat, fand er bereits mehrere Bürger beim Kartenspiele sitzen. Ein langer, starker Kerl saß vor einem Waschtroge, um die Gedärme eines Rindes abzuschäumen: zwei Andere von wenigstens derselben Länge und Stärke hatten ihre werthen Gliedmaßen über Tische und Bänke ausgestreckt, und auf einem Kanapee, welches für gewöhnliche Leute mehr als lang genug gewesen wäre, lag ein alter Riese, dessen Beine über die
Lehne des Möbels herunterhingen. »Gott zum Gruß, und Glück und Segen in das Haus, Herr Meister!« grüßte Leopold. »Ich bin ein – – –« Er konnte nicht weiter reden, denn der Riese drehte ihm das Gesicht zu und brüllte ihn an: »Maul gehalten! Habe das Zeug satt! Höre es täglich so viele Male, daß es mir zum Halse heraushängt!« Leopold schwieg also, warf Hut, Stock und Ranzen auf den nächsten Tisch und setzte sich auf den Stuhl, der daneben stand. Kein Mensch bekümmerte sich um ihn. »Kann ich ein Glas Bier bekommen?« frug er nach einer Weile. Niemand antwortete. »Gebt mir ein Glas Bier!« gebot er nach längerer Pause zum zweiten Male. Kein Mensch rührte sich, seinen Wunsch zu erfüllen. Er wartete noch einige Minuten, dann trat er an den Schänktisch und nahm ein Glas und eine Flasche, auf welcher das einladende Wort »Zitzemille« zu lesen war. Dieses beliebte Bier wurde in Naumburg gebraut und weit und breit versandt und getrunken. Er kehrte an seinen Platz zurück und schänkte sich ein. Da drehte der Wirth den Kopf abermals herum: »Hat Er Asche?« 3 »Geht Ihm einen Dreck an!« Diese Art zu antworten war dem berühmten Grobian denn doch zu sympathisch, als daß er den Sprecher noch länger hätte ignoriren können. Er musterte ihn aufmerksam und meinte dann: »Na, Er hat wenigstens einen vollen Tornister. Der gilt mir als Pfand, wenn Er nicht bezahlen kann.« Leopold fand solchen Geschmack an dem braunen Trank, daß die Flasche bald leer war. Er ging also zum Schänktische und holte sich eine zweite. Das bemerkte der Wirth und wandte ihm das Gesicht zum dritten Male zu: »Die zweite Bulle? Mache Er zwei Striche an die Thür! Die Kreide hängt dort an dem Stricke.« Wirklich hing neben der Thür ein kurzer Strick, an welchem ein riesiger Kreideklumpen befestigt war. »Schmiere Er es selber an, wenn Sein Verstand nicht zureicht, eine Zwei zu merken!« antwortete Leopold. »Ich frage Ihn, ob Er wohl gleich anschreiben wird?« »Laufe Er mir doch den Buckel hinunter!« erwiderte der Fürst phlegmatisch, indem er ein volles Glas an die Lippen setzte. Der Wirth erhob sich halb.
»Du, Willem,« gebot er seinem Sohne, »brenne einmal die Lampe an! Den Kerl dort muß ich mir betrachten.« »Hast selber Zeit!« war die kindliche Antwort. »Willst Du, oder willst Du nicht, Hallunke!« Bei diesen liebreichen Worten zog der Wirth das Knie an sich, nahm den Holzpantoffel vom Fuße und warf denselben dem Fleischer an den Kopf. In Folge dieser freundlichen Erinnerung erhob sich dieser, holte das Zunderzeug hinter dem Ofen hervor und setzte eine hohe, zinnerne, zweidochtige Öllampe in Brand. »Leuchte ihn einmal an!« gebot der Wirth. Sein Sohn trat zum Dessauer und hielt ihm die Lampe unter die Nase, daß der Schnurrbart in Gefahr kam, Feuer zu fangen. »Weg mit Seiner Vunzel!« rief Leopold und schlug ihm die Lampe aus der Hand, daß sie zur Erde fiel und das Öl verschüttet wurde. Da legten die Gäste erschrocken die Karten aus den Händen. »Na,« meinte der Wirth, »das hat mir noch Keiner gewagt. Jetzt stehe ich selber auf. Willem, gieß Öl ein und brenne wieder an. Bringe mir aber erst 'mal den Pantoffel her!« »Hole ihn selber!« »Ob Du mir wohl folgen wirst, Lausbube!« schalt der Wirth. Er griff nieder, zog den andern Pantoffel aus und warf ihn nach dem Sohne. Dieser hob ihn auf und ergriff auch den andern. »Da sind sie alle beide!« Er warf sie dem Vater zu. Der eine Pantoffel flog auf das Kanapee, der andere dem Alten in das Gesicht. »Junge,« zürnte dieser, »ein andermal kommst Du her, wenn Du nicht besser werfen kannst!« Er steckte die Pantoffel an die Füße und trat, während sein Sohn die Lampe von Neuem anzündete, zu Leopold. »Leuchte her!« befahl er. »Macht Euch nur auf die Seite,« warnte der Fürst. »Ich lasse mich nicht angaffen wie ein Wunderthier!« »Na, nach großen Wundern sieht Er auch nicht aus!« meinte der Wirth. »Wer ist Er denn eigentlich, Er Grobsack Er?« »Der Kaiser von China!« »Das glaube ich Ihm auf der Stelle, denn ich habe erst vorige Woche gehört, daß dort ein Ochse Kaiser geworden ist. Wie aber kommt Er denn nach Wustrow? – Man hat Ihn wohl fortgejagt, weil Er sogar zu einem solchen Viehzeuge zu dumm gewesen ist?«
»Er hat's gleich errathen. Ich habe mich aber vertheidigt, daß ich noch nicht der Dümmste bin, und da ist es dahin entschieden worden, daß ich Kaiser bleibe, wenn ich Einen bringen kann, der mich noch übertrifft. Ich komme also nach Wustrow, um Ihn mitzunehmen, denn nur Er ist's, der mich retten kann.« »Auch nicht übel!« schmunzelte Hillmann. »Höre Er, wir passen gar nicht schlecht zusammen. Sage Er einmal im Ernste, was für ein Handwerk Er treibt und was für ein Landsmann Er ist!« »Als ich's vorhin sagen wollte, hatte Er keine Zeit, die Ohren aufzusperren; jetzt nun bin ich es, dem es nicht paßt.« »So lasse Er es bleiben! Aber wenn Er nicht reden kann, so trolle Er sich auch von dannen. Ich bin der Hillmann aus Wustrow, der mit solchen Schlingels nicht viel Federlesen macht!« »Hab's vorhin gesehen.« »Wo?« »An dem Mecklenburger, der mir begegnet ist.« »Ist Der mit Ihm zusammengetroffen? Ja, Der hat eine Quittung bekommen, die Niemand für nachgemacht halten wird! Was sagte Er denn?« »Nicht Böses. Er hat mir sogar gerathen, bei Ihm in Arbeit zu treten.« »Was? Ist Er etwa ein Bäcker?« »Wenn ich backe, ja!« »Hat Er ein Wanderbuch bei sich?« »Hier ist es!« Leopold zog es hervor und reichte es dem Wirthe hin. Dieser durchblätterte es und legte es dann in ein Wandschränkchen. »Was soll das Buch da drinnen?« frug der Fürst. »Liegen bleiben. Das kann Er sich doch denken!« »Oho! Ich brauche es weiter!« »Schnickschnack! Das Buch bleibt dort, und Er bleibt hier. Er soll bei mir Arbeit haben.« »Da fragt Er wohl gar nicht, ob ich auch will?« »Wozu? Ich brauche augenblicklich einen Gesellen, und da versteht es sich ganz von selbst, daß ich Ihn hier behalte.« »Und wenn das mir nicht paßt?« »Darnach wird Er ebenso wenig gefragt. Bäckt Er nur schwarz oder auch weiß?« »Ich backe Alles, sogar blau und grün.«
»Was! So ist Er wohl auch Zuckerbäcker?« »Und wie!« »Na, das ist bei uns überflüssig. Die Hauptsache ist, daß Er Das fertig bringt, was hier im Orte gebraucht wird: Brod, Semmel, Kuchen. Vom Brode und der Semmel will ich nicht reden, aber der Kuchen wird in jeder Gegend anders gemacht. Bäckt Er Zwiebelkuchen?« »Ja.« »Prophetenkuchen?« »Ja.« »Quark-, Käse-, Rosinen-, Gries- und Mohnkuchen?« »Ach, halte Er doch den Schnabel! Ich backe einen jeden Kuchen, der verlangt wird. Pasta!« »So wird Er bei mir bleiben!« »Meinetwegen!« »Er kann gleich heute noch anfangen und Seine Probe machen. Ich bekümmere mich nicht mehr um die Bäckerei, und der Gesell hat Alles selbst zu wissen.« »Was giebt Er denn für einen Wochenlohn?« »Zwanzig Groschen.« »Alle Wetter! Da muß ich mir einen Seitenflügel an meinen Geldsack bauen lassen, sonst reicht er nicht zu!« »Na, viel wird Er nicht fortschleppen, denn die Bäckerei ist ein durstiges Handwerk. Komme Er einmal mit. Ich will Ihm die Gelegenheit zeigen.« Er brannte eine zweite Lampe an und führte ihn in den mittlerweile dunkel gewordenen Hausflur. »Hier rechts ist die Schlächterei, und da hinten links sieht Er die Fußgrube. Drüben ist die Kammer für die Milch; da kann Er nehmen, was Er braucht. Hier ist die Küche, wo Er ein jedes nothwendige Salz und Gewürze findet. Eine Treppe hoch liegt die Mehlkammer und auch die Fruchtkammer mit dem Backobste, und hier drinnen ist die Bäckerei.« Der Wirth schloß die Thür auf und führte Leopold in einen wüsten Raum. »Hier ist der Backofen. Den sieht Er wohl?« »Na, wenn's schlimm geht, kaufe ich mir eine Brille. Mich wundert's nur, daß Er selber ihn zu finden weiß!« »Dort ist die Beute und d'rauf die Backtröge und Kuchendeckel,
hier der Kuchenschragen und die übrige Geschichte. Da hat Er also Alles schön bequem beisammen, und ich bin froh, daß Er gekommen ist. Ich hätte wahrhaftig morgen selber backen müssen. Seine Zeugnisse sind gut, und Er ist ja auch alt genug; ich weiß also, daß Er Seine Sache verstehen wird. Was?« »Na, Er soll sich freuen!« »Ich hoffe es! Jetzt will ich Ihm gleich sagen, was Er für morgen zu thun hat: Um fünf Uhr müssen drei Schock Semmel fertig sein, macht dreißig Zeilen. Versteht Er mich?« »Er schnauzt mich ja deutlich genug an!« »Dazu kommt das Brod: zwanzig Achtpfünder, ebenso viel Sechspfünder und dreißig Groschenbrode. Versteht Er mich auch?« »Immer noch!« »Das muß bis acht Uhr fertig sein. Kuchen giebt es nicht, außer drei Prophetenkuchen und acht Pflaumenkuchen, die bestellt sind. Er kann ja gleich hier bleiben und die Pflaumen auskernen. Sie liegen oben in der Fruchtkammer.« »Nur sachte, sachte! Gut Ding will Weile haben, und zunächst muß ich gehörig essen und trinken. Wer da arbeitet, der soll auch essen, sonst ist er seines Lebens nicht sicher, so steht in der Bibel.« »Meinetwegen! Ich werde Ihm heute Abend ein Wenig helfen, weil Er bei mir doch noch nicht genau Bescheid wissen kann; dann aber muß Er allein fertig werden. Macht Er Seine Sache gut, so bekommt Er Seine zwanzig Silbergroschens; was Er aber verdirbt, das muß Er aus Seiner Tasche bezahlen.« »Bezahle keinen Heller!« »Schön! Das ist ein Zeichen, daß Er Seinen Quatsch versteht.« »Den? O ja, den verstehe ich; das soll Er wohl bald merken!« »Kann Er ›Schafskopf‹ spielen?« »Das versteht sich ja ganz von selber!« »Das ist gut. Mit dem Mehl herabschaffen, Auskernen, Hefen und Sauerteig ansetzen und den Backofen feuern, brauchen wir nicht viel Zeit zu verlieren. So spielen wir bis Mitternacht ›Schafskopf‹; ich gehe schlafen, und wenn ich aufstehe, wird Er dann fertig sein.« Beide kehrten nun nach dem Gastzimmer zurück, in welchem mittlerweile mehrere Lampen angebrannt worden waren. Es fanden sich später noch weitere Gäste ein, und nach dem Abendessen mußte sich Leopold mit an den Spieltisch setzen. Hier
gerieth er wiederholt mit dem Meister zusammen, und da er sich von ihm nicht werfen ließ, so flogen die riesigsten Kraftausdrücke und Grobheiten herüber und hinüber, denen die Andern mit angehaltenem Athem lauschten, um sie dann mit einem wiehernden Gelächter zu beantworten. Dabei wurde wacker getrunken. Die »Zitzemille« mundete dem Fürsten so gut, daß er eine Flasche nach der andern ausstach. Dieses Bier aber war er nicht gewohnt, und als er gegen 10 Uhr mit dem Meister aufstehen mußte, um die Backstube vorzurichten, hatte sein Gang längst nicht mehr die gewohnte Sicherheit. »Wie viel Striche hat Er bereits an der Thür?« frug Hillmann. »Zwölfe oder Neunzehn, ich weiß es nicht genau.« »Höre Er, es werden wohl Neunzehn sein! Er krinkt einen tüchtigen Stiefel, so daß es mir angst und bange werden könnte, wenn ich nicht beim ›Schafskopf‹ Seinen großen Beutel gesehen hätte. Aber Er wird mir doch nicht etwa besoffen werden?« »Bekümmere Er sich um sich selber, Meister. Er wackelt ja, daß es Einen erbarmen möchte!« »Recht hat Er! Aber wir passen so gut zusammen, daß ich lange keinen so lustigen Abend erlebt habe, wie heute. Und dabei vergißt man das Trinken natürlich nicht. Höre Er, wir wollen uns jetzt nicht gar so viele Arbeit machen. Wir holen das Mehl herunter und sieben es rasch ein. Das Andere können wir auch später thun, denn es ist besser, wir spielen noch ein Stündchen weiter.« »Mir ist's recht. Hat Er denn noch genug Zitzemille oder Mützezille oder Zimmetzille oben in der Stube?« »Genug und satt. Wir trinken noch Einige. Mache Er nur rasch, daß wir fertig werden!« Bereits in sehr kurzer Zeit saßen sie wieder am Spieltische. Die Anzahl der vorhandenen Flaschen wurde immer geringer, und eben als es Mitternacht schlug, war die letzte leer geworden. Das Spiel hörte auf, und die Gäste gingen nach Hause. »Hat Er nun genug, Er Nimmersatt?« frug der Meister. »Was nennt Er denn eigentlich genug, he?« »Na, wenn es nicht mehr laufen will; das versteht sich ja ganz von selber.« »Wenn es nur das ist, so würde es noch lange laufen. Aber ich will Ihn nicht unglücklich machen, denn Er hat einen solchen Affen, daß es Einen erbarmen möchte. Er kann ja kein gescheidtes Wort
mehr zu Wege bringen!« »Er ist selber Affe! Aber das schadet nichts, denn grad so ein Pavian gefällt mir ganz ausnehmend. Wir passen zusammen wie Hans und Liese. Ich hoffe, daß Er sich in mich finden wird. Ich bin nämlich kein Freund von großen Redensarten. Wenn ich zum Beispiel so mit der Hand nur winke, so hat Er zu kommen!« »Ich mache auch nicht gern viel Federlesens. Wenn Er mit der Hand winkt und ich schüttele den Kopf, so komme ich nicht.« »So werfe ich Ihm die Pantoffel an den Kopf!« »Und ich Ihm den Backtrog!« »Na, wir werden ja sehen, wer Herr im Hause bleibt. Jetzt aber will ich mich niederlegen. Es ist am Besten, ich gehe gar nicht in das Bette, sondern ich lege mich gleich auf den Backofen, damit ich Ihn wecke, wenn Er mir ja einschlafen sollte. Er ist nicht mehr recht zurechnungsfähig. Stehe Er auf!« Auch Hillmann wollte sich erheben, sank aber auf den Stuhl zurück; dem Dessauer ging es grad ebenso. Die drei Söhne waren fortgegangen. »Ich glaube gar, Er kann nicht mehr auf!« meinte der Erstere. »Ich? Bekümmere Er sich doch einmal um sich selber! Ihn hat die Zitzeblitze oder Grützemütze umgebracht. Er schneidet ja Gesichter wie ein Nußknacker!« »Zupfe Er sich an Seiner eigenen Nase! Er wackelt ja herüber und hinüber wie dort die Perpedenkel-Schleuder an der Uhr.« »Das denkt Er nur, weil Er selber so wackelt! Es ist ja geradezu zum Gotterbarmen, so schmeißt es Ihn in alle Lüfte. Komme Er doch einmal mit; ich werde Ihn führen. Eins! – Zwei! – Drei!« Bei dem letzten Worte nahmen Beide ihre Kräfte zusammen und kamen auch ganz hübsch in die Höhe. Sofort aber stützte sich Einer wie der Andere auf die Tischplatte, sonst wären sie wieder niedergefallen. »Na, vorwärts!« meinte Leopold. »Oder kann Er vielleicht nicht weiter?« »Warte Er ein Bischen, und stehe Er doch einmal still! Er fährt ja in der Stube herum wie eine Wespe, die sich verfangen hat!« »Er ist wahrhaftig besoffen, und zwar dudeldick!« »Das lasse Er sich ja nicht etwa weiß machen. Ich kann noch springen wie ein junger Hase. Passe Er einmal gut auf!« Er arbeitete sich mit aller Energie hinter dem Tische hervor und
wollte dann nach der Thür, schoß aber eine Lerche seitwärts auf den Dessauer zu. Er rannte an denselben in der Weise an, daß Beide auseinandertaumelten und sich selbander zur Erde setzten. »Donnerwetter,« rief der Dessauer, »da liegen wir parterre! Kann Er sich denn nicht in Acht nehmen, Er Esel Er?« »Maul halten! Warum verliert Er seine Balancirstange, wenn man Ihn nur mit dem Ellbogen berührt? Er ist ja der reine Flederwisch! Gebe Er mir Seine Hand, daß ich Ihn mit in die Höhe bringe. Wir wollen machen, daß wir auf den Backofen kommen, denn hier wird es reineweg alle mit Ihm!« »Hier hat Er die Hand, aber nicht meinetwegen, sondern nur um seinetwillen.« Sie faßten sich gegenseitig bei den Händen und würgten sich nach einiger Anstrengung wieder empor. »Heiliges Elend, wo ist denn die Thür?« frug der Wirth. »Na, jetzt hört mir aber Alles und Verschiedenes auf! Nicht einmal die Thür kann Er mehr erkennen!« »Er zerrt mich ja rund in der Stube herum, so daß es mir ganz taumelig wird! Nehme Er die Lampe. Ich warte nicht länger auf Ihn!« Der Dessauer ergriff die Leuchte. Sie gelangten glücklich hinaus in den Flur und kamen mit Hilfe der Wand, an welche sie sich stützten, ohne weiteres Ereigniß in die dumpfige Backstube. »Wo ist der Backofen?« fragte Hillmann. »Aha! Jetzt ist Er es, der die Brille braucht! Komme Er; ich werde Ihn hinaufschaffen. Da, drehe Er sich rechts herum, sonst läuft Er in den Backtrog!« Der Wirth kroch auf allen Vieren; der Dessauer schob aus Leibeskräften, und so gelangte der Erstere glücklich über die Stufen hinweg, welche auf den Backofen führten. Dort streckte sich Hillmann behaglich aus. »So! Jetzt hat man doch endlich seine gehörige Ordnung. Nun hole Er den Sauer zum Brode und die Hefe für den Semmel- und Kuchenteig. Die Milch gießt Er neben das Mehl an, daß sie einstweilen warm wird, und das Gewürze kann Er sich auch gleich in der Küche holen. Er ist besser, Er hat es nachher gleich zur Hand liegen. Dann aber kernt Er die Pflaumen aus. Ich werde zur rechten Zeit aufwachen und genau nachsehen, wie Er Seine Sache macht. Und was ich noch sagen wollte: Hole Er aus der Milchkammer fünf
Stückchen Butter, um sie hier auf dem Backofen in einem Topfe zerlaufen zu lassen. Er kann auch die Rosinen gleich mit hineinthun. So, nun weiß Er Alles!« Mit einem langgezogenen Gähnen schloß er die Augen. Er war so sehr berauscht, daß er sofort einschlief. Leopold nahm die Lampe und ging in das Gewölbe, um den Sauerteig und die Hefe zu holen. Seine Beine wollten ihm nicht recht gehorchen, aber er nahm sich nach Kräften zusammen. Er fand einen großen Krug und roch daran. »Das ist die Hefe; das riecht man gleich. Wo aber ist der Sauer? Habe all mein Lebtag solch Zeug noch nicht gesehen. Ah, dort in dem Fasse wird es sein.« In der Ecke stand ein großes Faß, dessen dickflüssiger Inhalt einen scharfen, säuerlichen Geruch verbreitete. »Das ist der richtige Jakob!« brummte er. »Mit solchem Zeuge also wird das tägliche Brod gebacken. Das stinkt ja wie Meister Urian! Aber wieviel nehme ich? Ich glaube, der Dessauer Bäcker sagte, daß man auf acht Pfund Brod ein Pfund Sauerteig zu nehmen hat. Das wird hier also ungefähr vier Wasserkannen voll geben.« Er schaffte erst den ganzen Hefenkrug in die Backstube und goß den vollständigen Inhalt in den Backtrog. Dann nahm er eine Wasserkanne, schöpfte viermal aus dem Fasse und goß das duftende Zeug über das Brodmehl in der Beute. Darnach begab er sich in die Milchkammer, wo er ein großes Thongefäß fand, welches voll Milch war. »Ah, die ist dick. Das wird ein Teig, der sich gewaschen hat!« Er schleppte die Milch in die Backstube und schüttete sie zu der Hefe in den Backtrog. Dann holte er die Butter herbei, die er in einen Topf that. Als er damit fertig war, ging er in die Küche, wo auf einem Brette verschiedene Düten lagen. Er öffnete eine nach der andern. »Also Rosinen in die Butter. Ah, da sind die großen. Wo aber stecken die kleinen?« Er suchte weiter und fand endlich diejenige Düte, welche er für die richtige hielt, als er ihren Inhalt erblickte. »Das sind die kleinen Rosinen, welche die Anneliese Korinthen nennt. Also das Alles kommt in die Butter. Himmelsakkerlot, wird das ein feines Fressen sein! Aber die Pflaumen kerne ich jetzt nicht aus. Dazu ist es später auch noch Zeit. Vor der Hand werde ich ein kleines Stündchen schlafen, denn diese verteufelte Zippetrippe ist
mir auch in den Kopf marschirt.« Er kehrte in die Backstube zurück und schüttete den Inhalt der beiden Düten in den Buttertopf, den er auf einen warmen Ziegel des Backofens stellte. Dann löschte er die Lampe aus, tappte sich die Stufen hinauf und streckte seine müden Gliedmaßen neben denen seines Meisters aus. Auch er schlief sofort ein. Nach einiger Zeit war ein eigenthümliches, leises Klingen und Knistern zu vernehmen. Es rührte von einer Unzahl jener ekelhaften Schabenkäfer her, welche in Mühlen und Bäckereien oft so lästig werden. Diese Thierchens marschirten auf dem Backofen hin und her, und kamen dabei den beiden Schläfern in die Kleider. Der Meister ließ ein sehr unwilliges Brummen hören. Es mochte einer der Käfer ihm eine empfindliche Stelle berührt haben. »Na!« – meinte er schläfrig. – »Wer sticht mich?« Er fühlte das Kribbeln und Krabbeln an seinem Körper, kam aber nicht zum vollständigen Erwachen. Er wälzte sich hin und her, konnte aber den Feind nicht los werden. Wüthend schrie er: »Schon wieder! – Warte, Hallunke!« Er holte aus und schlug zu. Der Hieb traf den Dessauer. Dieser fühlte trotz seines festen Schlafes den Schlag und packte den Meister. Beide stießen sich und rangen halb im Traume, bis sich aus dem Munde Leopold's ein befriedigtes Gurgeln hören ließ. Gleich darauf ertönte ein lautes Gepolter, dem ein Klatschen und Krachen folgte, welches den Dessauer halbwegs zur Besinnung brachte. »Was ist's?« frug er. »Oh! Ah! Au!« – antwortete es von unten herauf. »Ich bin – bin – bin aus dem Bett – – aus dem Bett gefallen. Ah! Au!« Es kroch und schob sich noch eine kleine Weile unten auf der Diele herum; dann wurde es wieder still. Der Meister war vom Rande des Ofens hinab in den Backtrog gerutscht und hatte diesen mit sich auf die Diele gerissen. Leopold schlief auch wieder ein, doch ließen ihm die Schaben keine Ruhe. Er knurrte und brummte, wälzte sich von einer Seite auf die andere und träumte, daß er von einem Detachement Cavallerie angefallen werde. Er wehrte sich aus Leibeskräften gegen ihre Säbels, aber er erhielt doch einen fürchterlichen Hieb auf den Kopf und stürzte zu Boden nieder. Er war nicht todt, aber er fühlte, daß das aus seinen Wunden fließende Blut eine tiefe Lache um ihn bildete – dann verlor er das Bewußtsein.
Dieser Traum war eine etwas phantastische Übertragung der Wirklichkeit. Leopold war vom Backofen hinab in die Beute gerollt, und das Blut, welches aus seinen vermeintlichen Wunden strömte, bestand aus jener scharfen Brühe, welche er für Sauerteig gehalten hatte. Etwa eine Stunde vorher, Abends elf Uhr, verließ der Pflasterhändler seine Herberge bei dem Schmiede Peters, um nach dem Schlosse zu gehen. Dort angelangt, schritt er längs der Gartenmauer hin, bis er die Stelle erreichte, die ihm von Anna bezeichnet worden war. »Wilhelm!« hörte er eine halblaute Stimme von oben herab rufen. »Anna, bist Du es?« »Ja.« »Soll ich hinaufkommen?« »Du kannst ja nicht.« »Ich kann. Ich habe dem Schmiede ein paar eiserne Krampen heimlich weggenommen. Wenn ich dieselben zwischen die Steine einschlage, kann ich in die Höhe steigen.« »Man wird es hören!« »Nein! – denn ich umwinde das Eisen mit meinem Schnupftuche.« »So versuche es einmal!« Sie hörte ein unterdrücktes Klopfen; dann sah sie den Geliebten zu sich emporsteigen. Er sprang von der Mauer, welche dem Balkon als Brüstung diente, zu ihr nieder. »Da hast Du mich, Anna! Gieb mir die Hand.« »Aber nur die Hand!« »Natürlich. Ich habe Dir bereits gesagt, daß ich keine Ohrfeige mehr verlange.« »Oh!« lachte sie, »Du bist nicht der Einzige, der heute eine erhalten hat!« »Noch Einer? Wer denn?« »Dein Alter.« »Der Dessauer?« »Ja.« »Du machst nur Spaß!« »Es ist mein Ernst! Er wollte mir einen Kuß geben und erhielt dafür eine Maulschelle, die dreimal kräftiger war als die Deinige.«
»Mädchen, was hast Du gethan?« »Gewiß nur das Richtige. Oder willst Du, daß ich mich von einem Jeden umarmen und küssen lasse?« »Von einem Jeden? Es war ja der Fürst!« »Da giebt es keine Ausnahme.« »Du machst mir wirklich Angst. Was sagte er dazu?« »Er wetterte fürchterlich, aber ich habe ihm tüchtig geantwortet, und dann sind wir in aller Freundschaft auseinander gegangen.« »Na, das ist wohl noch zu bezweifeln. Erzähle mir!« Sie erzählte ihm das ganze Vorkommniß und ihre Unterhaltung mit Leopold fast wörtlich. Als sie zu Ende war, ergriff er ihre beiden Hände. »Anna, hätte ich den Bart und die Beule nicht, so würde ich Dir einen Kuß geben, an dem gewiß nichts fehlen sollte. Bomben und Granaten, hast Du Deine Sache brav gemacht! Nun habe ich keine Angst mehr, nicht die allergeringste, denn ich bin überzeugt, daß er seinen Narren an Dir gefressen hat. Nun können wir vollständig ruhig und ohne Sorge sein!« »In Beziehung auf uns, ja. Aber um den Fürsten bin ich besorgt.« »Warum?« »Du sagtest doch, daß er hier in der Gegend herumsuchen wolle.« »Ja.« »Wenn er nun gefunden wird!« »Von wem?« »Von dem Prinzen oder von dem Hartegg.« »Meinst Du den hannöverschen – ach, von welchem Prinzen redest Du?« »Friedrich Ludwig ist da.« »Nicht möglich!« »Doch! Er logirt hier im Schlosse.« »Du bist des Teufels! Kennst Du ihn?« »Ich kannte ihn nie. Er gilt hier für einen Baron von Kreutz.« »Also incognito! Was will er denn eigentlich hier in Lüchow?« »Er geht meinem Fräulein zu Gefallen.« »Na, da ist er wohl sehr auf dem Holzwege?« »Sicherlich! Aber er hat auch noch andere Absichten. Denke Dir nur, er ist verkleidet mit dem Hartegg in Dessau gewesen, um den
Fürsten einmal zu sehen.« »Was Teufel! Hat er ihn gesehen?« »Ja, in der Kirche.« »Der Fürst war heute hier. Sind sie einander wohl begegnet?« »Nein.« »Das ist ein Glück! Aber was meinst Du noch für andere Absichten?« »Der Hartegg steckt in Lenzen. Dort ist also am Montag Jahrmarkt, und da kommen hannöversche Soldaten, um sich Rekruten zu holen. Der Hartegg ist der Commandant davon, und der Prinz will auch dabei sein.« »Das ist ja eine ganz famose Geschichte, die Du mir da erzählst! Wer hat Dir das Alles mitgetheilt?« »Mein Fräulein, die es von dem Hartegg hat.« »Dann ist es keine bloße Erfindung. Hm! Das kann schlimm werden, aber auch gut für uns. Wo in Lenzen logirt der Lieutenant?« »Ich weiß es nicht.« »Wohin sind die Soldaten bestellt?« »Das hat er nicht gesagt.« »Wie viel Mann werden es sein?« »Auch das nicht. Er hat weiter nichts gesagt, als was ich Dir bereits berichtet habe.« »Das ist nun freilich sehr wenig. Ich muß sehen, ob sich hier etwas ausforschen läßt. Zunächst aber ist es nothwendig, daß ich den Fürsten aufsuche.« »Weißt Du, wo er ist?« »Ich werde ihn schon finden. Hast Du sonst noch etwas Neues?« »Nein.« »So werde ich jetzt gehen. Ein Stündchen muß ich schlafen; dann aber mache ich mich gleich auf den Weg.« »Wann kommst Du wieder?« »Das kann ich nicht sagen, denn ich weiß nicht, wenn ich den Fürsten treffe. Vor Abends aber bin ich jedenfalls wieder zurück.« »Nimm Deine Eisen aus der Mauer fort!« »Das wird nicht gehen. Sie sind zu tief eingeschlagen. Übrigens kann man dieselben nicht gleich bemerken. Es führt ja kein Weg vorüber, und sie werden von dem Gesträuche verdeckt. Gute Nacht, Anna!« »Gute Nacht, Wilhelm! Nimm Dich in Acht, daß Du nicht
erwischt wirst!« Es war noch früh am Tage, da aber in Wustrow sehr viele Ackerbürger wohnten, welche des Morgens zeitig wach sein müssen, so rauchten bereits die Feueressen, und vor dem Hause Hillmann's standen einige Frauen und Mägde, welche sich neubackene Semmeln holen wollten, die Thüre aber noch verschlossen fanden. »Was muß denn da passirt sein?« frug die Eine. – »Da ist wohl am Ende noch gar nicht gebacken worden.« »Er hat den Gesellen wieder 'mal fortgejagt,« antwortete eine Andere. »Es ist ein Neuer da. Mein Alter sagte es, der ihn gestern gesehen hat. Das mag aber ein Kerl sein, noch zehnmal gröber wie der Hillmann selber. Und trinken hat er können wie ein Kellerloch. Ich glaube, sie sind Alle beduselt gewesen und liegen noch im Schlafe. Wir wollen einmal pochen!« Es wurde erst geklopft, dann gepocht, dann gehämmert und endlich angedonnert, bis sich im ersten Stockwerke ein Fenster öffnete. Einer der Söhne sah heraus. »Was ist denn los, he?« »Sind die Semmeln fertig?« »Ja, doch wohl!« »So macht auch die Thüre auf!« »Ist sie zu?« »Würden wir pochen, wenn sie auf wäre?« »Hm! Will einmal nachsehen.« Er weckte seine beiden Brüder, welche nach seiner Meinung nun auch genug geschlafen hatten, und begab sich mit ihnen hinunter. In der Fußgrube war Alles dunkel, in der Backstube ebenso. Sie öffneten zunächst die Hausthüre, um Licht auf den Flur zu lassen, und dann zogen sie die Läden in der Wohnstube auf. Sie wollten dasselbe auch in der Backstube thun, aber als sie dort eintraten, quoll ihnen ein scharfer, saurer Geruch entgegen, und der Vorderste von ihnen prallte zurück. »Donnerwetter, was ist denn das? Da habe ich ein paar Pfund Teig an den Sohlen kleben!« Sie blickten in das Dreivierteldunkel hinein, in welchem sich ein lautes Schnarchduett vernehmen ließ.
»Dort liegt weiß Gott der Backtrog in der Stube!« »Und ein Kerl dabei! Wer ist es?« »Der Alte! Na, heiliger Schwede, was muß da passirt sein? Nur rasch die Fenster auf!« Einer patschte über die Stube hin und stieß die Läden hinaus. Das helle Licht des Tages brach herein und beleuchtete eine Scene, welche selbst der Pinsel des berühmtesten Meisters nicht wiederzugeben vermocht hätte. Die Weiber vor der Thüre erhoben ein schallendes Gelächter, die drei langen Bursche aber standen lautlos da; die Sprache war ihnen vor Erstarrung ausgegangen. Auf der Diele lag der große, umgestürzte Semmeltrog. Sein ganzer Inhalt hatte sich über den Fußboden ausgebreitet, und die weiße, zähe Fluth dieses Kleisters wurde vermehrt durch ganze Ströme von Teig, welche von dem Kuchentroge herniederflossen. Der Dessauer hatte die ganze Hefe aufgegossen, und so war eine solche Gährung entstanden, daß sich ein wahrer Teigvulkan über dem Troge erhob und seine mehlerne Lava auf die Dielen herniedergoß. Das Allerbeste aber zeigte sich im Hintergrunde der Stube. Dort lag nämlich der neue Geselle, so lang er war, in der Beute, statt des Bettes von einer Masse bedeckt, die weder Mehl, noch Wasser, noch Teig genannt werden konnte. Die beiden Schläfer schienen sich bisher ganz wohl befunden zu haben. Jetzt aber drang die kalte Morgenluft herein, und der alte Hillmann begann sich leise zu regen. »Vater!« »U – – ah!« »Vater!« »Uuu – – – aaah!« Die Söhne faßten ihn bei den Armen und versuchten, ihn emporzurichten. »Vater!« »Wa – as?« »Sperrt die Augen auf, Ihr Dreckbarthels Ihr! Was habt Ihr denn hier angerichtet, he?« »An – ge – – rich – – tet! Wo?« Der alte Hillmann hatte beide Hände voller Kleister und rieb sich damit die Augen aus. Natürlich konnte er nun erst recht nichts sehen. »Mach, daß Du zu Stande kommst! Hurrjesses, ist das eine
Sauerei! Seid Ihr denn bei Verstand gewesen?« »Ver – stand! Uuu – – aaah!« gähnte der Alte. »Was – – was klebt denn da?« Seine ganze Gestalt, sein ganzes Gesicht war mit Kleister überzogen. Er hatte jetzt die Augen frei bekommen, streckte alle zehn Finger weit von sich und starrte in der Stube umher. »Au, mein Kopf! Ich habe eine Knochenmühle d'rin. Aber – – hm, wo bin ich denn eigentlich? Was ist das für – – – Donnerwetter, da liegt ja der Backtrog!« »Ja, und Du lagst dabei!« »Ich? Und da läuft ja der Teig über! Himmeltausendsakkerment, wo ist denn der Hallunke, der neue Geselle?« »Da, gucke Dir ihn an! Dort liegt er!« Der alte Hillmann drehte sich nach der angedeuteten Richtung und wich dann einige Schritte zurück. Was er sah, ging ihm über alle Begriffe. »Dort – dort liegt er – – im Brodteige! O Du oberster Schweinigel, der Du bist! Warte, Hallunke, ich werde Dir heraushelfen!« Der Rausch war auf einmal verflogen. Er faßte nach einen der Stühle, auf welchen der Backtrog gestanden hatte, und brach ein Bein los. Mit diesem trat er zur Beute, faßte den Schläfer bei den Haaren, riß ihn empor und schlug nach Kräften zu. »Willst Du heraus aus der Schlempe, Du elender Lump und Süffel Du. Dir, Dir will ich den Schlaf schon vertreiben, Du Taugenichts, Nichtsnutz und Lumpenkerl!« Leopold war bereits beim ersten Hiebe emporgefahren, denn einem Stuhlbeine vermag auch der tiefste Schlaf nicht zu widerstehen. Zwar noch schlaftrunken, war er doch zu sehr Soldat, als daß er den hageldichten Hieben des Meisters seinen Rücken länger als nur einige Sekunden dargeboten hätte. Erst halb wach, griff er schnell zu und hielt das Stuhlbein fest. »Was ist los? Was trommelt Er auf mich ein?« »Warum ich Ihn haue? Das fragt Er noch, er elender Saukerl? Sieht Er nicht, in welcher sauren Tunke ich Ihn gefunden habe!« Leopold sah um sich. »In der Beute! Alle neunundneunzigtausend Teufel, wer hat mich im Schlafe da hineingeschmissen? Den Hund schlage ich todt!«
»Ruhig! Nicht gemuckst!« donnerte der Meister. »Er selber ist hineingefallen, denn Er war ja besoffen wie ein Eber! Und mich, mich hat Er vom Backofen herunter auf den Trog geworfen; der ist umgestürzt, und nun läuft die ganze saubere Profit die Mahlzeit in der Stube herum!« Das machte den Fürsten völlig munter. Er blickte genau umher und brach dann in ein lautes, erschütterndes Gelächter aus, welches gar nicht aufhören wollte und in einen Lachkrampf auszuarten schien. »Hahahaha – – da habe ich – hahahahaha – – im Sauerteige – hahaha – – im Sauerteige geschlafen, und – – – hahahaha – der Hillmann – – hihihihihihi – – hat sich in die He – – – hihihihihiiiih – Hefen – hihihohohohooooh – – in die Hefen gelegt – hahahihihoooh!« »Was! Er lacht auch noch dazu, Er Teigaffe, Er? Lasse Er gleich das Stuhlbein los! Ich werde Ihn karbatschen, daß Ihm das Lachen vergehen soll!« »Raisonnire – – hahaha – – raisonnire Er nicht – – hihihihi! Komme Er lieber – – hahaha – – oh, mein Bauch! Hohohohoooh! – – Komme Er lieber her Er – – hihihihi – Er alter Hefenklos – – hahaha – wir wollen einander – – hihihihihihihiiiih – – einander ablecken – – hahaha – – oh, ich zerplatze noch!« »Auch noch ablecken soll ich Ihn! Warte, ich will Ihn ablecken!« Mit einem kräftigen Rucke riß er das Stuhlbein wieder an sich und versetzte dem Fürsten einige Hiebe. Sofort aber hatte dieser das Bein wieder ergriffen und hielt es fest. »Hillmann, mäßige Er sich! Die ganze Geschichte ist ja nur des Lachens werth!« »Auch noch! Da liegt der Kerl im Sauertei – – – Himmelelement, was ist denn das!« Er trat näher an die Beute heran und schaute hinein. »Was hat Er denn hier aufgegossen, he?« »Sauerteig!« »Wie viel?« »Vier Wasserkannen voll!« »Vier Wa – – – Nun steht mir der Verstand stille! Wo hat Er denn eine solche Menge hergenommen, he?« »Aus dem großen Faß im Gewölbe.«
Da brachen die drei Söhne des Bäckers in ein Gelächter aus, welches eine wahre Explosion genannt werden mußte. Der Alte selbst aber starrte ihn an, als ob er ein Gespenst vor sich sehe. »Alle guten Geister! – Aus dem großen Fasse! – Da ist ja das saure – – – das saure Schweinefutter d'rin!« »Das saure Schweinefutter!« rief Leopold. »Hahahaha – – Alter, halte – hahahaha – halte mir den – – hihihihihiiiih – den Bauch, sonst zer – – hihihihi – – zerspringt er mir – hohohohohooooh! Das saure Schweinefutter!« »Auch noch den Bauch halten, Er – Er – Er!« Der Bäcker fand für seinen Grimm gar keine Worte mehr, aber einer seiner Söhne, der die über die Dielen laufende Brühe untersucht hatte, rief: »Vater, weißt Du, was das ist?« »Was denn?« »Buttermilch! Hahahaha, Buttermilch in die Semmeln!« »Butterm – – o Du neunmal verrückter Lumpenkerl!« brüllte der Alte. »Gießt Er mir Buttermilch in die Semmeln! Und wie viel hat Er denn von der Hefe genommen?« »Die ganze natürlich,« meinte Leopold. »Die – ganze!!! – Mensch, mit dem was draußen war, kann ich ja dreißig Zentner Mehl bis unter das Dach hinauf gähren!« »Und hier in dem Topfe, was ist da!« berichtete der Sohn. »Zerlassene Butter, Schaben, Große Rosinen und Pfefferkörner!« »Aha,« meinte Leopold lachend, »d'rum waren die kleinen Rosinen so hart!« »Pfefferkörner?« frug der Alte ganz außer sich. »Zeigt mir den Topf einmal her! Den Topf will ich sehen; jetzt gleich; auf der Stelle!« Der Sohn brachte das Verlangte. Sein Vater griff hinein, nahm einen der Körner heraus und zerbiß ihn. »Bei meiner armen Seele, es sind Pfefferkörner! Kerl, Mensch, Er will ein Bäcker sein und sieht Pfefferkörner für kleine Rosinen an! Hier, da hat Er die ganze Geschichte an Seinen stocknageldummen Schädel!« Er holte aus und warf dem Fürsten den Topf mit solcher Gewalt an den Kopf, daß er in Scherben zerbrach und die Butter mit sammt dem Andern in der Stube umherspritzte. Leopold fuhr sich mit einem Schrei des Schmerzes an die Stirn, im nächsten Augenblicke aber hatte er den Meister gepackt.
»Hund, das wagst Du! Warte, ich werde Dich einwickeln!« Der Fürst hob ihn hoch empor, warf ihn in die Beute, daß Alles krachte und knetete ihn in den Teig hinein, daß er in wenigen Augenblicken erstickt wäre, wenn nicht die drei Söhne zugesprungen wären. Auch die vor dem Hause stehenden Weiber erhoben ein lautes Geschrei um Hilfe. Im Handumdrehen war draußen und der Hausflur von Menschen angefüllt. »Laß ab, Kerl, sonst massakriren wir Dich!« rief einer der Söhne. Sie faßten ihn und rissen ihn von der Beute zurück. Jetzt kam nun Leopold in die Gefahr, erwürgt zu werden, denn sechs starke Hände waren bemüht, ihm den Hals zuzuschnüren. Es gelang ihm, sich loszureißen. Schnell bückte er sich und hob das Stuhlbein auf, welches ihm und dem Meister vorher entfallen war. »Massakriren? – Mich! – Kommt an, Ihr Himmelhunde, wenn Ihr es wagt!« Die Söhne drangen von Neuem auf ihn ein; er aber schlug einen so nachdrücklichen Kreuzhieb, daß sie ihn nicht fassen konnten. Mittlerweile aber hatte sich der Alte aus dem Teige emporgearbeitet. Er ergriff den Fürsten von hinten bei der Kehle und schnürte ihm dieselbe zusammen. »Schlagt ihn todt! Klopft ihm die Seele aus dem Leibe! Holt Stuhlbeine her!« Diese Worte wurden augenblicklich befolgt. Der bereits eines Beines beraubte Stuhl wurde zertreten; die Brüder theilten sich im Nu in die drei andern Beine und schlugen damit blind auf den Fürsten ein. Der Grimm und vielleicht auch die Todesangst gaben dem Fürsten übermenschliche Kräfte. Er riß sich abermals los, sprang zur Seite und holte aus. Sein erster Hieb traf den Alten mit solcher Wucht, daß dieser wie todt in die Beute zurücksank; sein zweiter Hieb sauste auf die Achsel des Fleischers nieder; auch er stürzte nieder. »So!« jubelte Leopold. »Ihr sollt mich kennen lernen!« Seine Augen leuchteten in wilder Gluth. Er kannte sich selbst nicht mehr; er überlegte nicht, was aus dieser blutigen Schlägerei für ihn entstehen könne. Er trieb die beiden übrigen Gegner hinaus auf den Flur und schlug dort blind auch auf die anderen Leute ein. Alles schrie und rief nach Hilfe. Es war ein Spektakel, wie er in Wustrow wohl noch nie gehört worden war.
»Holt die Polizei! Holt den Stadtrichter, den Bürgermeister her!« rief es bunt durch einander. »Ja, holt sie!« brüllte der Dessauer. »Sie sollen auch ihre Keile kriegen! Heute muß das ganze Lausenest über die Klinge und über das Stuhlbein springen. Ich werde Euch lehren, was es heißt, mit mir anzubinden!« »Dort kommen sie schon!« ertönte eine Stimme. Leopold kümmerte sich nicht darum. Er schlug zu, einem Jeden, den er erreichen konnte, immer über den Kopf hinein, und vor ihm sich flüchtend, quollen die Eingedrungenen zur Hausthüre hinaus. »Was geht hier vor?« frug jetzt draußen eine starke, gebieterische Stimme. »Er schlägt uns Alle todt!« antwortete Einer. »Wer?« »Der Geselle. Er ist toll geworden!« »Werden mit ihm schon fertig werden! Tretet her, und laßt ihn nicht durch!« Unter der Thüre erschien ein Mann in Civil, gefolgt von einem Polizeidiener. Er übersah beim ersten Blicke die Situation. »Halt, Kerl! Ist Er verrückt? Er macht sich ja unglücklich!« »Geht Ihm das etwas an!« antwortete Leopold, dabei immer zuschlagend. »Im Namen des Gesetzes gebiete ich Ihm, in dem Exceß einzuhalten!« »Und ich gebiete Ihm in meinem Namen, sich davon zu trollen! Wollen doch 'mal sehen, wer stärker ist, ich oder Sein lumpiges Gesetz!« »Ich bin der Bürgermeister!« »Meinetwegen der Essenkehrer! Vorwärts! Hinaus mit Euch Jammersäcken!« Die Anwesenheit des Bürgermeisters gab den Leuten Muth. Die Männer hielten jetzt Stand. Einer drängte den Andern, und Leopold wurde trotz seiner gewaltigen Streiche eingeengt. Der Polizist war ein schlauer Patron; er arbeitete sich durch das Gedränge, bückte sich und ergriff den Fürsten bei einem Beine. Ein kräftiger Ruck warf den tapfern Kämpfer zu Boden. Nun stürzte sich Alles über ihn her, um ihn unschädlich zu machen. »Bindet ihn mit Stricken!« gebot der Bürgermeister. Stricke waren leicht zu haben, und als der Gefangene gefesselt
war, trieb der Beamte die überflüssige Menge zum Hause hinaus, um ungestört den Thatbestand aufnehmen zu können. Nur die verletzten Personen durften bleiben. Der alte Hillmann war nicht todt, aber er saß jammernd noch in dem Teige und hielt sich den Kopf. Der Schlag hatte ihn betäubt, und durch die scharfe Kante des abgleitenden Stuhlbeines war ihm das eine Ohr halb abgerissen worden. Sein Sohn, der Fleischer, hatte sich ausgezogen und untersuchte seine Achsel. Und dabei quatschte, quitschte und klitschte es vor Teig und Kleister an allen Ecken und Enden. Der Beamte nahm auf diese zähe Beschaffenheit des Fußbodens keine Rücksicht. Die Betheiligten mußten Alle in die Stube treten, Leopold auch, und dann begann das Verhör. Mit dem Augenblicke, an welchem er niedergeworfen wurde, war dem Fürsten die Besinnung zurückgekehrt. Er brauchte keine Angst zu haben, aber konnte er seinen wahren Namen nennen, ohne sich zu blamiren und in die unabsehbarsten Verlegenheiten zu bringen? Er beschloß, der Bäckergeselle zu bleiben und Allem, was da kommen werde, die größte Ruhe entgegenzusetzen. Sein Incognito aufzuheben, war allemal noch Zeit. Der Bürgermeister wandte sich an den alten Hillmann: »Hillmann, was ist bei Ihm geschehen? Erzähle Er es mir einmal ausführlich!« Der Alte erzählte und gebrauchte dabei solche Ausdrücke in Beziehung auf Leopold, daß diesem oft die Galle überlaufen wollte; aber er beherrschte sich. Darauf wurden die drei Söhne und die Zeugen vernommen. Ihre Aussagen stimmten mit derjenigen des Meisters überein. Jetzt frug der Beamte den Angeschuldigten: »Wer ist Er?« »Das steht in meinem Wanderbuche.« »Er hat mir aber Rede zu stehen!« »Hier nicht.« »Wo sonst?« »An Amtsstelle.« »Schön. Ich werde Ihn an diese Stelle transportiren lassen. Wo ist Sein Wanderbuch?« »Der Alte hat es eingeschlossen.« »Hat Er sonst noch Sachen?« »Einen Ranzen.« »Den werden wir durchsehen. Was hat Er Alles einstecken?«
»Nehmt es heraus. Er sieht ja, daß ich gebunden bin!« Der Bürgermeister winkte dem Polizisten, und dieser untersuchte die Taschen des Fürsten. Er fand eine alte, dreigehäusige Uhr, ein Taschenmesser und zwei Geldbeutel, nämlich den alten Strumpf mit lauter Silberstücken und einen Perlenbeutel, welcher voll Gold war. Der Beamte erstaunte. »Mann, wo hat Er dieses viele Geld her?« »Verdient.« »Das mache Er mir nicht weiß!« »Na, so glaube Er es nicht, wenn es Ihm nicht paßt!« »Er ist sehr kurz angebunden. Man wird strenge Maßregeln mit Ihm vornehmen müssen. Nehme Er sich in Acht! Ich halte Ihn wegen qualificirter Körperverletzung oder gar wegen versuchten Todtschlages fest. Vielleicht entdecken wir noch etwas Anderes, was Ihn noch tiefer in die Tinte bringt.« »Er sieht mir auch ganz nach großen Entdeckungen aus! Und was die Tinte betrifft, so sehe Er sich nur vor, daß Er sie nicht etwa selber noch auszudunken hat. Übrigens habe ich die Geschichte satt. Ich bin Sein Gefangener; mache Er, daß man mich von hier wegbringt. In diesem Dreck und Schmant mag ich nicht länger sitzen bleiben!« »Dieser Wunsch kann Ihm erfüllt werden. Aber denke Er ja nicht etwa an Flucht. Diese Leute gehen alle mit, denn ich muß ihre Aussagen zu Protokoll aufschreiben. Er ist also in sicheren Händen.« »Na, habe Er nur keine Angst! Vor Ihm und diesen Affen reiße ich noch lange nicht aus, und wenn Er Sein Protokoll recht schön und deutlich machen will, so gebe ich Ihm den Rath, gleich Alles, was Er hier sieht, mit hinein zu wickeln, das Mehl, die Buttermilch, die Pfefferkörner, die Hefe und das Schweinefutter!« »Na, Sein loses Maul wird man Ihm zu stopfen wissen! Nehmt ihn in die Mitte, und führt ihn fort!« Er wurde, so wie er war, mit dem ganzen Kleisterüberzuge, fortgeschafft. Auch sein Ranzen, sein Stock und sein Wanderbuch wurde mitgenommen. Der am Kopf verbundene Wirth folgte dem Transporte durch eine zahlreiche Menschenmenge, welche neugierig war, den Menschen zu sehen, der es mit den vier Hillmännern aufgenommen hatte.
Ungefähr eine Stunde später kam ein Wandersmann auf Wustrow zugeschritten. Es war der Pflasterhändler, welcher dem Fürsten, ohne von ihm erkannt zu werden, sagen wollte, daß der Prinz Friedrich Ludwig sich in Lüchow befinde und eine Razzia in das Preußische beabsichtige. In der ersten Gasse erkundigte er sich nach dem Wirthshause des Bäckermeisters Hillmann. Man wies ihn zurecht. Als er in die Gaststube trat, waren sehr viele Leute da versammelt, denen er ansah, daß sie sich in einer ungewöhnlichen Aufregung befanden. Es mußte Etwas geschehen sein, und er brauchte auch nicht lange zu warten, um es bis in das Kleinste zu erfahren. Ihr Gespräch drehte sich natürlich nur um den gefangenen Gesellen, und so erfuhr er alles Nöthige, ohne eine Frage aussprechen zu müssen. Der Mann, welcher die Gäste bediente, gehörte nicht in das Haus; er war ein Nachbar, der es übernommen hatte, Hillmann bis zu dessen Rückkehr zu vertreten. Als der Wirth endlich mit seinen drei Söhnen erschien, war es bereits Mittag geworden. Er wurde mit hundert Fragen bestürmt, trat aber zunächst an den Schänktisch, um sich vor allen Dingen mit einem Kruge Bier zu stärken. Dann setzte er sich. »Haltet die Mäuler!« begann er. »Eure Fragen kommen mir so in die Kreuz und Quere, daß ich ganz dumm von ihnen werde. Mein Schädel brummt mir auch schon ohne sie wie eine Baßgeige. Ihr sollt Alles erfahren.« »Erzähle!« »Da giebt es gar nichts zu erzählen. Die Sache liegt sehr klar: der Kerl hat uns todtschlagen wollen; er ist also ein versuchter Mörder, wie es die Gerichte nennen, und wird wohl baumeln müssen. Sodann hat er sehr viel Geld bei sich, wohl an die zweitausend Thaler. Das hat er wo gestohlen oder geraubt, und da wird er wieder baumeln müssen. Und endlich hat er während des Protokolles, wie es die Gerichte nennen, auf unsern Kurfürsten und König, auf seine Prinzen und Prinzessinnen und auf das ganze Land Hannover geschimpft, das ist Beleidigung des Majestätsverbrechens, wie es die Gerichte nennen, und dafür wird er zum dritten Male baumeln müssen. Ist das genug oder nicht?« »Steckt er fest?« »Natürlich! Ganz und gar in Fesseln.« »Wer ersetzt Dir denn Deinen Verlust?« »Das bekomme ich von seinem Gelde, wenn so viel übrig bleibt.
Ich soll Alles taxiren und aufschreiben. Und auch die Transportkosten bekommen wir bezahlt.« »Ihr? Warum denn Ihr?« »Weil wir ihn fortschaffen müssen. Der Richter sagte, das sei ein sehr böser und schwieriger Prozeß, wo es sehr viel zu schreiben gebe. Er hat ausgerechnet, daß er erst nächsten Montag Mittag damit fertig wird. Nachmittags wird der Hallunke nach Dannenberg in das Obergericht geschafft, und weil er ein sehr starker Mensch ist, kann das der Polizist nicht allein fertig bringen. Da sollen ihm meine drei Jungens helfen, die ja als kräftige Bengels bekannt sind. Bis nach Lüchow wird es nicht gefährlich sein. Dort aber werden wir meinen Gevatter, den Peters, bitten, uns seinen Gesellen und seinen Sohn mitzugeben, der mein Mädel, die Anna, bekommen soll. Das sind zwei starke Bursche, an die nicht gleich Einer kommt, und da der Mordversucher geschlossen ist, so wird er sich das Ausreißen wohl vergehen lassen müssen.« Jetzt wußte Goldschmidt genug. Was noch gesprochen wurde, war jedenfalls nur Nebensache. Er bezahlte sein Bier und ging. Es war ihm darum zu thun, so schnell wie möglich nach Lüchow zu kommen. Er legte die anderthalb Wegstunde, welche es zwischen den beiden Orten ist, in noch nicht Einer Stunde zurück und suchte die Linde auf, wo er den Stein auf die andere Seite des Stammes legte. Anna mußte gerade am Fenster gestanden haben, denn er erblickte sofort das weiße Tuch als Zeichen, daß sie kommen werde. Aus Vorsorge legte er den Stein wieder an seine frühere Stelle zurück und schritt dann nach der hinteren Gartenmauer. Als er dort ankam, stand das Mädchen bereits auf dem Balkon. »Ist Jemand im Garten?« frug er. »Kein Mensch.« »So komme ich hinauf.« »Wenn man Dich sieht!« »Pah!« Mit Hülfe der gestern eingeschlagenen Krampen kam er schnell nach oben. »Ist Etwas Wichtiges passirt, weil Du am Tage kommst?« frug sie. »Sogar Etwas Schlimmes!« »Du erschreckst mich! Hast Du den Fürsten getroffen?«
»Nein. Er ist gefangen!« »Mein Gott! – Ist's wahr?« »Ja. Gefangen und in Fesseln!« »Wo?« »In Wustrow.« »In Wustrow? Was hat er dort gemacht?« »Du weißt, daß er als Bäcker verkleidet war. Er ist also, als er nach Wustrow kam, bei Deinem Stiefvater eingekehrt. Dort hat es großen Streit gegeben. Dein Vater hat ihm einen Topf in's Gesicht geworfen, so daß er blutete. Auch Deine Stiefbrüder sind über ihn hergefallen. Natürlich hat er sich da zur Wehre gesetzt und Einige niedergeschlagen, aber ohne sie zu tödten, und nun sitzt er im Gefängnisse, und man will ihm den Prozeß machen.« »Das kann man nicht. Er braucht ja nur zu sagen, wer er ist!« »Er wird sich hüten, das zu thun. Ein Reichsfürst, und auf diese Weise gefangen, denke Dir den Schimpf! – Er rechnet ganz sicher auf mich!« »Auf Dich? – Wie so?« »Das ich ihm aus der Patsche helfe.« »Das kannst Du nicht!« »Oho!« »Auf welche Weise denn?« »Das muß ich mir erst überlegen,« antwortete er zurückhaltend, denn er traute der Geliebten nicht die vollständige Verschwiegenheit gegen ihre Herrin zu. »Ist der Prinz da?« »Nein. Er ist nach Lenzen geritten, um mit Hartegg zu reden.« »Hat es etwas Weiteres hier gegeben?« »Nichts. Nur daß mein Fräulein dem Prinzen heute im Garten begegnet ist. Er hat auf sie gesprochen, ist aber wieder tüchtig abgeblitzt worden. Hast Du meine Mutter gesehen?« »Nein. Aber ich werde schon noch mit ihr zu sprechen kommen.« »Willst Du wieder nach Wustrow?« »Natürlich! Gleich morgen. Ich werde mich jetzt vorzugsweise dort aufhalten, um keine Gelegenheit zu versäumen, dem Fürsten nützlich zu sein. Am Besten ist es, die Mutter zieht aus dem Hause fort, da sie sich doch einmal scheiden lassen will.« »Aber wohin?« »Zu Dir natürlich!«
»Her nach Lüchow? – Das geht ja nicht!« »Nein. Sie zieht zu Dir nach Dessau.« Sie erröthete. »Das wird noch lange Weile haben, Wilhelm!« »Man kann nichts vorhersehen. Wenn der Fürst ›Ja‹ sagt, gehst Du mit nach Dessau, Anna?« »Sofort!« »Er sagte zu mir: ›Wenn sie nicht nach meinem Geschmacke ist, so hat Er sie sich aus dem Kopfe zu schlagen; gefällt sie mir aber, so nehmen wir sie gleich mit.‹ Welcher von diesen beiden Fällen ist wohl der wahrscheinlichere?« »Du denkst wirklich, daß ich ihm gefallen habe?« »Ja. Und was der Dessauer sagt, das hält er auch. Wenn ich genau wüßte, daß Du mir gewiß folgen wolltest, so sind wir in ganz kurzer Zeit Mann und Frau.« »Wilhelm, ich thue Alles, was Du verlangst!« »Auch schweigen?« »Ja.« »Aber nicht gegen Deine Herrin!« »Auch gegen sie, so vertraut wir sonst auch sind.« »Versprichst Du mir das wirklich?« »Ich kann es sogar beschwören!« »Wenn Du wirklich gegen sie schweigen kannst, so bringen wir es vielleicht sogar so weit, daß sie den Hartegg nehmen darf.« »Wilhelm, wenn dies wahr wäre!« »Es ist wahr.« »Du kannst Dich auf mich verlassen! Aber wie sollen wir dies anfangen?« Der Feldwebel überlegte und versuchte dann seiner Anna den geheimen Kriegsplan auseinander zu setzen. »Denke Dir einmal, der Hartegg würde von mir auf preußischem Gebiete als Werber ertappt und gefangen – – –« »Du, das darf nicht sein!« »Höre erst weiter! Ich fange ihn nicht allein, sondern den Prinzen dazu – – –« »Dem gönne ich es!« »So können wir den Prinzen zwingen, dem Lieutenant einen ehrenvollen Abschied zu geben und sich jeder Malice gegen ihn zu enthalten. Der Hartegg wird dann preußischer Officier und heirathet
seine Liebau. Ist dies nicht prächtig ersonnen und auch ganz folgerichtig. Er und ich, wir stehen dann vielleicht bei einem Regimente, und Du kannst dann ungestört mit seiner Frau verkehren. Was sagst Du dazu?« »Der Plan gefällt mir ganz absonderlich! Aber ist er wirklich ausführbar?« »Ich gebe Dir mein Wort darauf!« »So glaube ich es. – Also topp, ich werde schweigsam sein!« »Nun gut, so will ich auch volles Vertrauen zu Dir haben und Dir nichts verschweigen. Weiß die Liebau, daß der Dessauer bei Dir gewesen ist?« »Nein. Ich wußte nicht, ob sie es wissen durfte.« »Weiß sie von mir?« »Auch nicht.« »So will ich Dir sagen, daß ich nicht nach Lenzen gehe, wie ich vorhin sagte.« »Wohin sonst?« »Nach Wittenberge.« »So weit?« »Ja. Es steht zufällig eine Compagnie Musketiere auf Feldübung dort. Ich werde mir einige zwanzig Mann ausbitten, denn die Leute, welche ich in Lenzen erwarte, kann ich dort nicht wegnehmen. Mit diesen Musketieren lege ich mich nächsten Montag, wo der Fürst nach Dannenberg transportirt werden soll, zwischen Dannenberg und Lüchow in den Wald und befreie ihn. Dann gehen wir nach Lenzen, um den Prinzen abzufassen.« »Aber wo?« »Hm! wenn Du das erfahren könntest!« »Vielleicht sagt es mir mein Fräulein, wenn sie es erfährt.« »Sie könnte es doch nur vom Prinzen erfahren, aber mit Dem spricht sie ja nicht.« »O, es giebt noch Einen!« »Wen?« »Den Hartegg.« »Was, Der? Kommt sie mit Dem zusammen?« »Ja.« »Hm! Das konnte ich mir eigentlich denken! Wenn er in Lenzen ist, wird er eine so gute Gelegenheit, seine Braut zu sehen, nicht versäumen. Aber heimlich müßte dies geschehen, weil der Prinz da
ist, der ihn nicht bemerken darf.« »Es geschieht auch heimlich.« »Ah! Wie und wo?« »Sie hatte Sorge, ihn einmal zu verfehlen, und so hat sie sich mir anvertraut, damit ich mit aufpassen soll. Er kann nur Abends kommen, und will zum Zeichen, daß er da ist, bei unserer Linde einen Schuß abgeben.« »Aha, die alte, gute Linde! Sie muß auch ihre Vertraute sein.« »O, es stimmt auch noch etwas Anderes mit unseren eigenen Vorkehrungen überein!« »Was?« »Rathe, wo sie dann zusammentreffen werden!« »Doch nicht hier auf dem Balkon?« »Freilich!« »Anna, das paßt herrlich! Rechts und links dichtes Gesträuch. Da könntest Du sehr leicht lauschen und Alles hören, was er sagt!« »Würde das recht gegen mein gutes Fräulein sein?« »Es ist ja zu ihrem Besten!« »Meinetwegen. So werde ich mich also verstecken.« »Im Übrigen bleibt es bei Allem, was wir ausgemacht haben. Hast Du mir noch etwas mitzutheilen?« »Nein. Du mir?« »Auch nicht. Ach ja, das weißt Du noch nicht, daß ich gestern hier in Lüchow den Fürsten getroffen habe!« »Wo?« »Beim Peters.« »Hat er Dich erkannt?« »Nein. Ich befürchtete es, aber ich war glücklich. Mein Gesicht muß ganz abscheulich verstellt sein, daß Ihr Beide Euch täuschen ließet. Er ging natürlich nur in die Herberge, um den jungen Peters und den Gesellen zu sehen, und hat sich gar nicht lange aufgehalten. Er kaufte mir eine Gose, und ich habe mir einen ganz außerordentlichen Spaß mit ihm gemacht.« »Doch nicht etwa – – –« »Keine Sorge! Ich bin nicht zu weit gegangen. Er frug nämlich, was ich sei, und ich sagte ihm, daß ich wahrsagen könne. Das glaubte er natürlich nicht und gerieth dabei so in Eifer, daß er mir eine Wette anbot. Er ist außerordentlich genau und hätte sich in's Fäustchen gelacht, wenn er mir die Summe abgewonnen hätte. Er
gab mir die Hand, aus der ich seine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft lesen sollte, und weil ich ihn kannte, so traf auch jedes Wort genau zu.« »Du hast doch nicht etwa etwas verrathen!« »Ist mir gar nicht eingefallen! Aber er hat bezahlen müssen.« »Wie viel?« »Vierzehn Thaler zwanzig Silbergroschen und neun Pfennige.« »Höre, das ist zu viel; das wird er Dir nachtragen!« »Bewahre! Ich weiß ganz genau, wie weit ich bei meinem Alten gehen darf.« »Aber wie wird es mit dem Peters? Du wolltest ihn doch wegfangen!« »Das wird auch geschehen. Es ist eigenthümlich, wie schön das Alles paßt. Der Bürgermeister in Wustrow nämlich hat Sorge, daß der Fürst, weil er sich als ein starker und verwegener Mensch gezeigt hat, unterwegs entfliehen könne, und so werden, wenn der Transport hier durch Lüchow kommt, der junge Peters und der Geselle aufgefordert werden, mitzugehen, weil das die beiden kräftigsten Kerls hier sind. Sie gerathen also mit in meine Hände.« »Aber wenn sie Waffen haben!« »Pah! Ich werde genug Leute bei mir haben. Und übrigens ist es vielleicht möglich, ihn mehr durch List als durch Gewalt zu befreien. Man muß das abwarten und sich nicht vorher schon sorgen, Anna. Nun aber muß ich gehen. Bekomme ich nur eine Hand?« »Na, es ist dunkel; da sollst Du nicht um das Deinige gebracht werden!« »So komm her, meine zukünftige Frau Feldwebel!« Ein verborgener Lauscher hätte nun jenes leise Geräusch vernehmen können, von welchem das Volksräthsel sagt: »Es knallt und knallt und ist doch nicht geladen«; dann schlüpfte Goldschmidt über die Mauer herunter und war bald den nachblickenden Augen der Geliebten entschwunden. Anna war stolz auf ihn; sie wußte, daß er zu den wenigen Personen gehörte, welche der Dessauer in sein Herz geschlossen hatte, und hätte für diese beiden Männer noch weit mehr thun können, als der Feldwebel heute von ihr verlangt hatte. Sie befolgte seinen Willen ganz genau. Es gelang ihr bereits am nächsten Tage, Hartegg mit ihrer Herrin zu belauschen, und nun wartete sie mit
Sehnsucht auf sein Wiederkommen. Er mußte aber sehr in Anspruch genommen sein, denn erst am Sonntag Abend, als sie sich auf dem Balkon befand, hörte sie des Feldwebels militairischen Schritt. Wilhelm ging langsam vorüber. Es war ja immerhin möglich, daß Fräulein von Liebau bereits hier Posto gefaßt hatte, da dieser Ort auch ihr Stelldichein mit dem Lieutenant bildete. »Wilhelm!« »Anna! Du?« »Ja.« »Darf ich hinauf?« »Komm!« Im nächsten Augenblicke stand er neben ihr. »Ich habe sehr auf Dich gewartet!« meinte Anna fast vorwurfsvoll. »So hast Du mir Wichtiges zu sagen?« »Ja.« »Und ich konnte nicht eher kommen. Ich wurde in Wittenberge zu lange hingehalten und dann auch in Lenzen, wohin ich mußte, um meine Vorkehrungen zu treffen. Nachher wurde es vor allen Dingen nothwendig, zunächst nach Wustrow zu gehen, um zu sehen, ob keine Veränderung eingetreten ist. Das war heute am Nachmittage.« »Wie steht es dort?« »Noch beim Alten, und das ist gut. Punkt 12 Uhr geht ein verdeckter Leiterwagen mit dem Gefangenen ab. Vier Personen begleiten ihn und bleiben hier beim Peters halten, um seinen Sohn und seinen Gesellen aufzunehmen. Dann geht es sofort und ohne Aufsehen weiter.« »Hast Du in Wittenberge Soldaten bekommen?« »Ja, zwanzig Mann. Ich habe den Hauptmann gebeten, verkleidet bleiben zu dürfen. Die Soldaten wissen blos, daß ein Pflasterhändler zu ihnen kommen wird, um ihnen zu sagen, was sie thun sollen. Es ist ihnen ganz genau ein Ort im Walde bezeichnet, wo sie zusammentreffen, und sie haben eine Losung, an der sie auch mich erkennen werden.« »Warum das?« »Weil ich mir den Spaß machen will, nicht eher von dem Dessauer erkannt zu sein, als bis der ganze Streich vollständig ausgeführt ist. Ich weide mich schon im Voraus an dem Gesichte,
welches er mir machen wird. Ich habe bereits einen Anzug für ihn hier im Sacke. Er ließ ihn in Lenzen zurück, als er sich verkleidete. – Und nun, was hast Du erfahren?« »O, ich weiß sehr, sehr viel!« »Recht so. Schieße los damit!« »Der Lieutenant war da, und ich habe Alles gehört, was er sagte.« »War etwas Wichtiges dabei?« »Außerordentlich Wichtiges! Ich weiß, was morgen Abend in Lenzen vor sich gehen soll. Hartegg wollte seine Hannoveraner theilen. Die eine Hälfte sollte während des Jahrmarktes freiwillige Rekruten suchen, und die andere Hälfte sollte den Transport derselben diesseits der Elbe erwarten. Er wollte also jedes Aufsehen und jede Gewaltthätigkeit vermeiden. Der Prinz aber will es anders. Morgen Abend ist im Gasthofe ›zum Mecklenburger‹ Jahrmarkts-Tanz, wo natürlich viele junge, rüstige Bursche anwesend sind. Die Hannoveraner sollen nun alle daran Theil nehmen; auch der Prinz ist dabei, und auf ein Zeichen von ihm fallen sie über die Bursche her und führen sie ab.« »Ah! Das ist nicht kühn, sondern unbesonnen und leichtsinnig! Wenn so ein Streich ja gelingen sollte, was ich sehr bezweifle, muß er doch ein ungeheures Aufsehen erregen. Übrigens wie sollen die Gefangenen bis an die Grenze und über die Elbe gebracht werden, wo doch unsere Grenzleute stehen?« »Wer sich widersetzt, soll niedergeschossen werden.« »Ach so!« »Hartegg war fuchswild. Er sagte, der Prinz sehe es nur darauf ab, ihn zu ruiniren.« »Das glaube ich selbst. Deine Neuigkeit ist mir allerdings von der allergrößten Wichtigkeit, denn nun weiß ich doch, wo ich den Gegner anfassen kann. Was giebt es denn noch?« »Weiter nichts. War das nicht genug?« »Vollauf! Höre, Anna, das wird ein Gaudium, wenn diese Hannoveraner denken, daß sie bereits Hahn im Korbe sind, und auf einmal tritt der Dessauer mitten unter sie, an seiner Seite der Pflasterhändler! Juchhe!« »Ich wollte, ich könnte dabei sein!« »Das kannst Du, wenn Du nur willst.« »Geh! Wie wäre das möglich?«
»Sehr leicht. Du und Deine Herrin, Ihr solltet dabei sein; das würde dem ganzen Dinge erst die Krone aufsetzen! Willst Du?« »Wenn es ginge!« »Es geht. Du brauchst nur Deiner Herrin zu sagen, daß der Lieutenant in Gefahr ist. Ich bin hier gewesen, und von mir hast Du erfahren, daß sein Plan verrathen ist. Ich lasse mich erschießen, wenn sie nicht sofort anspannen läßt und nach Lenzen fährt, um ihn zu warnen, denn einem Andern kann sie das nicht anvertrauen. Leuchtet Dir das nicht ein?« »Hm!« machte sie nachdenklich. »Du dürftest ihr das allerdings nicht zu früh sagen, damit es ihr nicht wirklich gelingt, ihn zu warnen. Nun, willst Du?« »Wenn Du es wünschest! Ich möchte gar zu gern mit dabei sein!« »Na also! Sie wird natürlich schleunigst nach dem ›Mecklenburger‹ fahren. Der Wirth ist ein guter Bekannter von mir; ihn ziehe ich natürlich mit in das Vertrauen, und so wird dafür gesorgt werden, daß Fräulein von Liebau erst dann auftreten kann, wenn es für uns am Besten ist. Sage: Ja, Anna!« »Meinetwegen! Wie viel Uhr soll ich ihr meine Mittheilung machen?« »Sie wird sehr schnell fahren, und vor 1 Uhr nach Mitternacht giebt der Prinz sein Zeichen sicherlich nicht. Um 8 Uhr kannst Du reden. Du mußt so thun, als ob ich soeben erst bei Dir gewesen sei. Bleibt es dabei?« »Ja.« »Gut! So werde ich mich jetzt aufmachen. Ich muß nach Lenzen.« »Du ärmster Teufel Du, was Du Dich jetzt gar so sehr abzumühen hast!« »Recht hast Du! Ich habe hin und her zu hetzen, daß mir die Rippen knacken möchten, aber ich thue es sehr gern. Lebe wohl! Auf Wiedersehen morgen Abend!« In dem Walde, der sich damals zwischen Lüchow und Dannenberg an dem linken Ufer der Jeetze hinzog, lag ein alter Krug, dessen Besitzer als Wirth nicht eben große Reichthümer sammeln konnte, da der Verkehr gerade hier ein sehr geringer war. Heute aber hatte der Mann sein freundlichstes Gesicht aufgesteckt,
denn obgleich es noch nicht hoch am Nachmittage war, hatte er doch wohl schon über zwanzig Gäste gezählt, die Einer nach dem Andern bei ihm vorgesprochen waren. Und was für Gäste waren das gewesen! Junge, rüstige, hungrige Kerls, von denen ein Jeder Etwas gegessen und tüchtig dazu getrunken hatte. Soeben sah er wieder Einen auf sein Haus zukommen. »Siehst Du's, Alte?« frug er seine Frau, die am Fenster saß. »Ja. Heute geht es, wie auf der Extrapost. Aber pfui Teufel hat der Kerl ein Gesicht! Etwas Gescheidtes ist das nicht. Höchstens für einen Dreier Dünnbier wird er verlangen.« »Wart's ab! Es ist heute ein Glückstag für uns!« Der Gast trat ein. Es war der Pflasterhändler. »Gott zum Gruß! Giebt es hier ein gutes Bier?« »Das will ich meinen!« »Und was zu essen?« »Ja. Schinken, Wurst, Käse!« »Schinken, aber eine tüchtige Portion!« Der Wirth warf seiner »Alten« einen Blick zu, der jedenfalls sagen sollte: Siehst Du, Alte, wie Recht ich hatte! In kurzer Zeit stand das Verlangte vor dem Gaste. Dieser hatte kaum mit dem Essen begonnen, als sich draußen das Knarren eines Wagens vernehmen ließ. Die Pferde wurden angehalten; ein Mann stieg aus, kam herein und sah sich in der Stube um. Es war der Wustrower Polizist. »Ist dies der einzige Gast?« frug er den Wirth. »Ja. Warum?« »Ich habe einen Gefangenen abzuliefern. In der Stadt durften wir nicht einkehren, und so haben wir gewartet bis hierher. Aber sicher muß man sein. Der Kerl ist gefährlich, und man darf ihm keine Gelegenheit bieten, auszukratzen.« Er ging wieder hinaus und brachte bald sämmtliche Insassen des Wagens herein. Leopold war an den Händen gefesselt und trug noch immer seine mit Teig überzogene Kleidung. Es war ein fürchterliches Gesicht, was er machte. »Da, setze Er sich nieder!« gebot ihm der Polizist. Der Pflasterhändler erhob sich und machte ein Geste, als ob er vor Erstaunen ganz weg sei. »Himmelbataillon!« rief er. »Wer ist denn das?« »Kennt Er ihn?« frug der Polizist.
»Freilich! Das ist ja der Bäckergeselle, dem ich hier bei dem Peters die schöne Wette abgewonnen habe!« »Ja,« meinte der junge Peters. »Er kann lachen, daß Er Sein Geld hat. Das andere ist futsch.« »Wer ist denn dieser Mann? Kann man ihm trauen?« forschte der Polizist. »Vollständig!« antwortete der riesige Schmiedegeselle. »Er wohnt bei uns und handelt mit Allerlei hier in der Gegend.« »Eine Wette hat Er dem Gefangenen abgewonnen?« »Ja.« »Wie viel?« »Es fehlte wenig an fünfzehn Thalern.« »Ah, da muß Er mit!« »Wohin, warum?« »Als Zeuge, wie dieser Kerl das Geld verschwendet hat, nach Dannenberg. In einem solchen kriminirlichen Prozesse kann Unsereiner nicht umsichtig genug sein!« Nichts kam Goldschmidt erwünschter als dieses Ansinnen. Er hatte seine Leute bereits versammelt gefunden und gehörig instruirt. »Bekomme ich den Weg bezahlt?« frug er. »Weiß es nicht. Aber Er muß mit!« »Na, meinetwegen. Ich wollte so wie so morgen nach Dannenberg.« Er wandte sich an den Dessauer: »Also Dummheiten hat Er gemacht! Soll ich Ihm etwa wieder weissagen, he?« »Schweige Er, Hundsfott, sonst trete ich Ihn auseinander!« herrschte ihm der Gefragte mit Donnerstimme zu. »Sei Er still!« warnte ihn auch der Polizist. »Es hat Keiner mit dem Gefangenen zu reden; so verlangt es das hochlöbliche Injurium!« Es wurde sehr wortkarg gegessen und getrunken, und als die Zeche bezahlt war, stieg man in den Wagen, der mit einer großen Plahe bedeckt war, so daß man nicht in das Innere sehen konnte. »Es ist nur der Platz neben dem Inculpatienten noch leer,« sagte der Polizist zu dem Händler. »Hat Er den Muth, sich hinzusetzen?« »Warum nicht? – Ihr seid ja Alle da!« Der Pflasterhändler nahm den angewiesenen Platz ein, und der Wagen mit seinen Insassen setzte sich in Bewegung. In langsamem Schritte fuhr der Wagen mit dem gefangenen Fürsten, dem Pflasterhändler, dem Polizisten und den fünf
handfesten Transporteurs auf der holprigen Straße durch den Wald. Man war bereits eine halbe Stunde gefahren, als der Händler den Finger in den Mund steckte und einen lauten, schrillen Pfiff ausstieß. Der Schmiedegeselle, der die Zügel führte, hielt unwillkürlich an und wandte sich um. »Was soll das?« frug der Polizist. Der Händler griff mit beiden Händen in die Seitentaschen seines Rockes. Im Nu hatte er mit einem gedankenschnell hervorgezogenen Messer den Strick an den Händen des Dessauers zerschnitten und ihm zwei geladene Pistolen zugeschoben. Dann langte er auch für sich zwei solche aus seinem bereit gelegten Sacke. »Das soll heißen, daß nun Ihr gefangen seid!« antwortete er. »Kerl, ich steche Ihm sogleich den – – –« Der Polizist sprach nicht weiter, denn in diesem Augenblicke wurde die Wagenplahe fortgerissen, und man sah den Wagen von zwanzig Männern umringt, von denen ein Jeder ein Messer und eine Pistole in den Händen hielt. »Hurrah!« rief der Dessauer. »Dem Herrgott sei getrommelt und gepfiffen. – Ich bin frei!« Mit einem einzigen, kühnen Satze sprang er aus dem Wagen. Die Überraschung war eine so große, und die verkleideten Musketiere warfen sich mit solcher Schnelligkeit und Kraft auf die Insassen des Wagens, daß diese trotz ihrer Stärke in Zeit von zwei Minuten überwältigt und gebunden waren. Nun verließ auch der Pflasterhändler den Wagen die Plahe wurde wieder aufgezogen, und da die Gefangenen auf dem Boden des Wagens lagen, so blieben sie für jeden Vorübergehenden unsichtbar. Der Fürst sah sich die Gesichter seiner Retter an. »Korporal Schröter, Er Himmelhund, Ihn kenne ich. Wem habe ich Das zu verdanken, he?« »Dem da, Durchlaucht!« Er deutete auf Goldschmidt. »Ihm?! Ihm, Hundsfott, Ihm?« »Ja,« antwortete der Gefragte bescheiden. »Aber wer ist Er denn?« »Ein Pflasterhändler, wie ich Ew. Durchlaucht ja bereits schon einmal sagte.« »Schnickschnack! Ein Pflasterhändler hat kein solches Herz wie Er!« »Warum nicht? Aber wollen Ew. Excellenz nicht diesen Anzug
ablegen?« »Den? Schofel genug sieht er aus. Aber ich kann doch nicht mit nacktem Leder in der Welt herumlaufen.« »Ich habe einen Anzug mit.« »Einen Anzug? Sapperment, so handelt es sich wohl gar um einen vorher überlegten Plan?« »Allerdings. Hier sind die Kleider.« Der Fürst griff zu. »Heilige Pomade, das ist ja mein richtiger Anzug! Von wem hat Er ihn?« »Von dem Feldwebel Goldschmidt.« »Weiß Der um die Sache?« »Ja.« »Na, da brauche ich mich nicht zu wundern! Wartet hier. Ich werde da zwischen die Bäume treten und den Hefenkloß mit einem andern Gottfried vertauschen.« Der Fürst trat hinter die Bäume. Nach einer schicklichen Zeit folgte ihm der Händler. »Verzeihung, Durchlaucht, daß ich herzutrete, aber ich habe Mehreres zu sagen, was sonst Niemand noch zu wissen braucht.« »Na, blase Er los!« meinte Leopold, indem er mit den Armen in die Weste fuhr und dann die Halsbinde umlegte. »Excellenz wollten die drei Hillmänner und die zwei Peters fangen. Das ist geschehen. Wir haben sogar noch Einen mehr, nämlich den Polizisten.« »Ja. Dieser Coujon kommt mir nicht wieder frei! Aber sage Er mir beim Teufel, wer Er ist!« »Das hat noch Zeit. Jetzt sind andere Dinge nothwendiger. Wollen Ew. Durchlaucht noch einen Fang thun?« »Her damit! Ich habe heute gerade meine Rage! Wen meint Er?« »Den Oberlieutenant von Hartegg.« »Den? Wo soll ich Den kriegen?« »Ferner den Prinzen Friedrich Ludewig von Hannover.« »Friedrich Lud – – – Himmel, Heiland, Schwert und Wolken! Wenn ich Den bekommen könnte, gleich zehntausend Thaler gäbe ich! Aber auf preußischem Gebiete müßte das sein; anders nicht.« »Das ist es auch! Also den Prinzen, den Hartegg und noch vierzig hannöversche Soldaten dazu.« »Ist Er bei Troste!« »Sehr!«
»Na, es passirt in der Welt viel, was man für rein unmöglich hält, aber wie ich zu einem solchen Fange kommen soll, das möchte ich denn doch erst hören.« »Wenn Ew. Durchlaucht mich bis heute nach Mitternacht nicht mehr fragen will, wer ich bin, so werde ich es erklären.« »Potz Tausend, ist Er ein Geheimnißkrämer. Na, sei Er, wer Er sei; ein Freund ist Er; das hat Er mir ja jetzt bewiesen. Ich werde nicht fragen. Und nun rede Er!« »Heute ist in Lenzen Jahrmarkt – – –« »Das weiß ich!« »Da giebt es im Gasthofe ›zum Mecklenburger‹ Tanz –« »Das versteht sich!« »Der Hartegg logirt dort.« »Der Schlingel!« »Er kann nicht dafür, Durchlaucht. Der Prinz kommt von Lüchow herüber zum Tanze, natürlich verkleidet.« »In Lüchow ist er?« »Ja. Auf dem Schlosse.« »Mache Er mir keine Flausen vor!« »Er ist bereits mit dem Hartegg in Dessau gewesen, um Excellenz in der Kirche zu sehen.« »Was! Hätte ich Das gewußt, so hätte ich ihm den Klingelbeutel um den Kopf geschlagen, daß ihm angst und bange geworden wäre!« »Dann ist er nach Lüchow gegangen, um dem Hartegg die Liebau abspenstig zu machen und mit ihr zu schameriren.« »Kerl, Er ist ja allwissend!« »Die hat ihn aber schön abfliegen lassen.« »Freut mich!« »Nun will er sich an ihr und Hartegg rächen, indem er den Oberlieutenant zwingt, in Lenzen Dummheiten zu machen.« »Was für welche?« »Es sind von Dannenberg vierzig Grenadiere herübergekommen, natürlich in verschiedener Bekleidung, aber wohl bewaffnet. Die tanzen mit im ›Mecklenburger‹ und auf ein Zeichen des Prinzen sollen sie über die anwesenden Bursche herfallen, um sie fortzuführen.« »Alle Wetter! O, Denen will ich aber heimleuchten! Mensch, wenn das wahr ist, so werde ich es Ihm fürstlich lohnen, und wenn
Er meinetwegen der Teufel oder Methusalem oder der ewige Jude ist! Wo ist der Goldschmidt?« »In Lenzen.« »Schön, schön! Wir haben keine Zeit zu verlieren. Fort von hier!« »Ich denke, Ew. Durchlaucht können die Gefangenen hier dem Korporal Schröter anvertrauen. Er ist ein braver und zuverlässiger Mann.« »Meint Er? Na, meinetwegen! Aber wie ist Er zu diesen Musketieren gekommen; Er Teufelskerl Er?« »Ich habe sie mir aus Wittenberge geholt.« »So hat also Er den Plan zu meiner Befreiung entworfen?« »Ja.« »Und Er hat vom Hauptmann von Zörner die zwanzig Kerls sofort auf Seinen Wunsch erhalten?« »Sofort.« »Das wird ja immer geheimnißvoller! Da ist Er jedenfalls kein Gevatter Schuster oder Nadelmacher!« »Möglich!« »Na, meinetwegen! Jetzt haben wir keine Zeit. Will Er gleich mit mir nach Lenzen?« »Wenn Excellenz gestatten!« »Ja, komme Er mit! Ich bin ganz und gar überrascht und überrumpelt worden, und da soll Er mir unterwegs erzählen. Den Leuten hier werde ich meine Befehle ertheilen. Wir haben nun fünfzig Mann; Zwanzig hier und Dreißig in Lenzen. Damit sind wir dem Prinzen mit seinen Grenadieren mehr als gewachsen!« Im Gasthofe »zum Mecklenburger« ging es heute Abend nun allerdings sehr lebhaft und lustig her. Der mächtig große Saal faßte viele Menschen, und so waren sie denn auch gekommen, die Jungburschen und Dirnen aus der Stadt und ihrer nächsten Umgebung, aus Garz und Mödlich, aus Lanz und Verwitz, aus Melleu und Deibow, vielleicht noch weiter her. Auch viele Fremde waren da, kernige, gewandte Gestalten, flotte und ausdauernde Tänzer, die man hier noch niemals gesehen hatte, und auf welche die hiesigen Bursche beinahe eifersüchtig werden wollten, denn sie nahmen immer die schönsten Mädels und die leichtfüßigsten Tänzerinnen für sich hinweg.
In einer Ecke des Saales standen zwei junge Männer neben einander. Sie tanzten nicht; sie beobachteten blos. »Hat Er alle Vorkehrungen getroffen, Hartegg?« frug der Jüngere. »Ja.« »Liegen die Kähne bereit?« »Alle.« »Die Gewehre scharf geladen?« »Wie es Ew. Hoheit befohlen haben. Allerdings hätte ich gewünscht – – –« »Still! Was Er wünscht, das geht mich nichts an! – A propos, weiß Er, daß ich mich in Lüchow köstlich unterhalten habe?« »Möglich! Mit dem Verwalter Hartig jedenfalls.« »Pah! Mit Seiner Liebau! Donnerwetter, die hat Race! Und prüde oder hart ist sie auch nicht; das muß man sagen. Aber, wer mag denn der Kerl sein, der dort am Schänktische steht?« Hartegg's Augen folgten der angegebenen Richtung. »Kenne ihn nicht. Jedenfalls ein Handelsmann, der auf dem Markte feilgehalten hat. Der Mensch muß einen fürchterlichen Schmiß erhalten haben!« »Den nehmen wir nicht, so viel steht fest. Er hat beinahe ebenso ein Maulschellengesicht wie der lange Gimpel, der dort am Pfeiler steht. Sehe Er nur diese Nase, die er hat. Ein wahrhaftiger Papagey! Diese Beiden lassen wir sicher ungeschoren, denn so eine Physiognomie kann ein ganzes Regiment zum Spott und Gelächter machen.« »Wollen wir nicht beginnen, Hoheit? Es wird gleich 1 Uhr sein!« »Warte Er noch fünf Minuten. Ich muß erst mit den Musikanten reden. Denen mache ich Etwas weiß, um uns die Sache zu erleichtern.« Der, welchen der Prinz einen Gimpel genannt hatte, schlenderte jetzt langsam und gemächlich nach dem Schänktische hin, wo er neben dem »Maulschellengesicht« stehen blieb. »Fertig?« frug er. »Ja,« antwortete der Andere. »Wo?« »In einer Stube draußen im Gange. Ich darf nur das Zeichen geben.« »Aber die Liebau?«
»Ist soeben gekommen.« »Ah! Die Grunert mit?« »Auch. Der Wirth hat sie in unserer Stube eingeschlossen.« »Donner und Wetter, das wird amüsant! Nachher aber sagt Er mir auch, wer Er ist!« »Gewiß!« »Der Goldschmidt fehlt noch immer?« »Noch immer.« »Den lasse ich Spießruthen laufen! Wenn nur die Kerls endlich einmal anfangen wollten! Mir ist die falsche Nase ganz durchschwitzt. Wenn sie mir herunterfällt, stehe ich für nichts. Ah, er redet mit den Musikanten! Es ist doch Alles in Gewehr und Uniform?« »Parademäßig.« »Er ist weiß Gott ein Teufelskerl! Wie bringt Er das nur so schnell fertig!« In diesem Augenblicke stieß der Trompeter des Musikcorps eine Fanfare aus, bekanntlich der Ruf zur Aufmerksamkeit auf Tanzböden. Dann erklärte er der lauschenden Menge, daß Jemand vorhanden sei, der den Versammelten eine große Überraschung bereiten wolle. Zu diesem Zwecke möchten sich aber doch die Mädchen links und die Bursche rechts aufstellen. Dieser Aufforderung wurde lachend und bereitwilligst Folge geleistet. Kaum aber war die Ordnung gebildet und Ruhe eingetreten, so stellte sich der Prinz in eigener Person in die Mitte des Saales. »Paßt auf, Ihr Bursche!« rief er gebieterisch. »Seine Majestät der König von England braucht Soldaten. Ich werde hier auswählen. Wer sich dagegen muckst, Den schießen wir nieder!« Er hatte plötzlich zwei Pistolen in den Händen, und zu ihm traten jene fremden Tänzer, jetzt mit derselben Waffe bewehrt. Es erhob sich ein fürchterlicher Tumult, den aber eine laute, donnerähnliche Baßstimme durchdrang: »Thüre auf! – Vorwärts marsch! – Halt! – Rrrrechts um! –Legt an.« – Drei Mann breit kamen die Preußen hereinmarschirt. Keiner hatte ein Stäubchen auf der Montour. Alles war sauber und exact wie bei einer Revision. Ehe die vollständig verdutzten Hannoveraner sich die Möglichkeit einer solchen Überraschung erklärt hatten, sahen sie die Läufe von fünfzig geladenen Gewehren auf sich gerichtet.
Der, welcher kommandirt hatte, trat auf den Prinzen zu und zog seine Nase vom Gesichte. Dann schob er sich das hereinhängende Haar aus der Stirn und öffnete den Rock, unter welchem mehrere hohe Orden hervorschimmerten. »Ich bin der Leopold von Dessau; versteht Er mich? Er wird mich kennen, denn Er ist ja eigens herübergekommen, um sich in der Dessauer Kirche meine Fratze zu begucken. Wenn Sein König von England Rekruten braucht, so mag er sich einige Hundert Lüneburger Haideschnucken einexercieren lassen; die haben lange Schwänze und können damit ohne Pulver schießen. Zu uns aber komme er ja nicht, sonst kriegt er das Laxiren. Wenn Er Seinen Himmelhunden nicht sofort befiehlt, ihre Schlüsselbüchsen einzustecken, so nenne ich allen diesen Leuten Seinen Namen und lasse auf Ihn und die Seinigen Feuer geben. Ich werde Euch Hallunken lehren im tiefsten Frieden mit bewaffneter Hand hereinzubrechen, um diesen wackern Mädels ihre Tänzer wegzunehmen! Na, was steht Er da und glotzt mich an? Entscheide Er sich!« Der Angeredete stand in tiefster Verlegenheit vor der Heldengestalt des in so vielen Schlachten erprobten Haudegens. »Durch–laucht!« stotterte er. »Na? – Ewig warte ich nicht!« Da trat Hartegg herzu. Sein Gebieter hatte ihm das Kommando weggenommen; darum war er in der Ecke stehen geblieben. Sein militairischer Blick sagte ihm, daß keine Rettung möglich sei, und zugleich fühlte er, daß die Röthe einer tiefen Scham sein ganzes Gesicht überglühte. Es war für ihn der Augenblick gekommen, wo er handeln konnte. Er war in Civil, dennoch aber stellte er sich wie im strengsten Dienste aufrecht vor den Dessauer hin. »Durchlaucht, Excellenz, glauben Sie, daß ich es bin, der diese Situation verschuldet hat?« »Nein. Er ist kein solcher Esel!« »So lassen Durchlaucht es nicht mir und meinen Leuten entgelten! Es sind wackere, ehrliche Bursche, die ebenso gehorchen mußten wie ich!« »Höre Er, das ist ein rechtes Wort zur rechten Zeit. Hier hat Er meine Hand, und kommandiere Er Hahn in Ruh!« Hartegg winkte, und seine Leute steckten die Pistolen ein. »Durchlaucht, ich erkläre mich mit sammt diesen vierzig Mann
für gefangen!« »Schön! Und Dieser hier?« »Er geht mich jetzt nichts mehr an!« »Na, ist Er endlich einmal gescheidt geworden! Lasse Er Seine Leute antreten. Sie mögen mit den Meinigen abmarschiren, und ich verspreche Ihm, daß ich bestens für sie sorgen werde.« »Wo geht es hin?« »Zunächst in die Stube da hinüber, wo sie ihre Waffen abzuliefern haben. Das Weitere werde ich später mit Ihm besprechen.« Da ermannte sich Prinz Friedrich Ludwig. »Excellenz, ich protestire!« »Das erlaube ich Ihm gern! Überlege Er es sich nur, wie Er das anfangen will! Hartegg, mache Er los!« Der Lieutenant ließ seine Leute »Reih und Glied« bilden; die Preußen nahmen sie zwischen sich und marschirten ab. Als der letzte Mann verschwunden und die schwere Gefahr also sicher beseitigt war, erhob sich ein stürmischer Jubel. Der Fürst wehrte mit beiden Händen ab. »Rrrrruhe!« kommandirte er mit dröhnender Stimme, der nichts widerstehen konnte. »Hört, Kinder, heute stand Euch einmal das Messer an der Kehle, aber der Herrgott hat es nicht geschehen lassen. Seid ihm dafür dankbar, indem Ihr Euch recht lustig macht. Ich werde fünf Faß ›alten Klaus‹ für Euch bezahlen. Aber besauft Euch nicht, Ihr Schwerenöther, sonst reite ich Euch auf's Leder und lasse Euch fuchteln, daß die Haut zerplatzt. Jetzt vorwärts marsch! Wir haben noch mehr zu thun!« Leopold nahm Friedrich Ludwig beim Arme; Hartegg und der Pflasterhändler folgten. »Hurrah! Hoch der alte Dessauer! Vivat hoch!« jauchzte es aus allen Kehlen männlichen und weiblichen Geschlechtes hinter ihnen her. Die vier Männer überschritten den Vorplatz, und der Händler öffnete eine Thüre. »Hier hinein!« gebot der Dessauer, indem er seinen Gefangenen vor sich herschob. Das Licht mehrerer Kerzen erleuchtete den Raum, in welchem zwei Frauen standen: Auguste von Liebau und Anna Grunert. »Auguste!« rief Hartegg überrascht.
»Ernst!« sprach sie. »Ich kam, Dich zu warnen!« »Ist nicht mehr nöthig!« brummte der Dessauer. »Der Matsch ist nun vorbei. Setzt Euch Alle! Ich will hier einmal Gericht halten!« Der Fürst wandte sich zunächst an Auguste. »Höre Sie, was macht Sie mir denn für Faxen!« »Durchlaucht, ich bin mir nicht bewußt, irgend – –« – –« »Papperlapapp! Sie ist eine Preußin und will partout da diesen Ausländer zum Manne haben! Hat Sie denn gar so viele heimliche Fehler und Gebrechen an sich, daß Sie nur noch in der Fremde zu Ehren kommen kann? Mit Ihrem Vater habe ich auch ein Wort zu reden! Aber sehe Sie sich einmal diesen Schlingel an, der sich für einen Pflasterhändler ausgiebt. Der hat ein gutes Wort für Sie eingelegt, und weil ich selber glaube, daß Ihr da einmal Ihr junges Herz einen Streich gespielt hat, so mag Sie den Hartegg heirathen. Will Sie ihn noch haben?« »Durchlaucht – – –« »Schon gut! Aber ich mache eine Bedingung!« »Sagen Ew. Excellenz, welche Bedingung das ist!« bat Hartegg. »Er tritt als Offizier in mein Halle'sches Regiment!« »Ich habe in letzter Zeit einsehen müssen, daß dies ein großes Glück und eine ebenso große Ehre für mich sein würde, aber es ist mir angedroht worden, daß ich den Abschied nicht erhalte.« Da wandte sich der Fürst an den Prinzen: »Ist das wahr, Hoheit?« »Ich kann es nicht bezweifeln!« »Donnerwetter, so bezweifle ich es! Ich will Euch einmal Etwas sagen, und davon beißt keine Maus und kein Elephant ein Stück herunter. Ihr seid ein noch junges Blut und habt als solches unüberlegt gehandelt. Hättet Ihr dem Hartegg gefolgt, so stecktet Ihr jetzt nicht bis über den Hals im Syrup. Wir werden ein Dokument abfassen, in welchem Ihr auf Euer Ehrenwort erklärt, dem Hartegg noch im Laufe dieser Woche einen ehrenvollen Abschied zu ertheilen und ihm in Beziehung auf seine jenseitigen Güter und Connexionen nicht das Geringste in den Weg zu legen. Thut Ihr das, so seid Ihr entlassen, und der Hartegg behält das Dokument zum etwa nöthigen Gebrauch in seiner Hand. Weigert Ihr Euch aber, so kenne ich Euch nicht und behandle Euch als einen Menschen, der mit bewaffneter Hand hier eingebrochen ist, um Menschen zu rauben. Ich werde dies dem Kaiser und dem Reiche verkünden, und
dann mag Er sehen, was d'raus wird! Entschließe Er sich kurz. Ich habe keine Zeit!« »Ich kann mich unmöglich bestimmen lassen durch irgend einen – – –« »Still! Ja oder Nein will ich hören, weiter nichts. Nun!« »Man kann doch unmöglich in dieser – – –« »Gut, gut! Schaffe Er ihn hinüber zu den Andern!« Der Händler, welchem dieser Befehl galt, faßte den Prinzen Friedrich Ludwig am Arme. Dieser erkannte nun, daß er sich fügen müsse. »Nun wohl. Ich weiche der Gewalt und werde unterschreiben!« »Na, der Gewaltthätige muß sich eben auch wieder Gewalt gefallen lassen! Also abgemacht, Hartegg?« »Abgemacht, Durchlaucht!« »Mit einem Paare bin ich also fertig. Nun zu Ihr, Sie kleine Hexe mit dem Ohrfeigenhändchen. Wo hat Sie denn Ihren Goldschmidt?« »Soll ich ihn heirathen, Durchlaucht?« »Na, ich denke, Sie will ihn!« »Freilich! Aber wo ist er denn?« »Der Kerl ist spurlos verschwunden. Dieser Hallunke hat nach Wittenberge gehen wollen und kommt nicht wieder. Es muß da eine sehr wichtige Abhaltung gegeben haben, da er gerade heute fehlt.« »Durchlaucht, ich habe keine Lust, auf einen Mann zu warten, welcher mir und seinem Kriegsherrn davonläuft!« »Wa–wa–was?« »Ich werde einen Andern heirathen?« »Bombenelement, bei Ihr ist's wohl nicht mehr geheuer? Sie springt ja ab wie Fensterglas! Wen will Sie denn an seiner Stelle nehmen?« »Den da!« »Den? Den Pflasterkasten. Sehe Sie sich nur einmal sein Gesicht an!« »O, das macht mir nicht bange. Ich weiß es zu behandeln!« »Wie so denn, he?« »So!« Anna zog dem Händler die entstellende Perrücke vom Kopfe und löste ihm den Bart behutsam vom Gesichte. »So, Durchlaucht! Diese Beule und der Vogelleim sind leicht
abzuwaschen.« Fürst Leopold sperrte den Mund auf und stemmte beide Fäuste in die Seiten. »Goldschmidt! Feldwebel! Er ist's? Er hat mich für den Narren gehalten, Er Millionenhund und Hanswurst Er? Das ist mir doch zu toll! Das macht mich bankerott an mir selber! Nun kann ich meinen eigenen Augen nicht mehr trauen. Klext sich der Racker eine Beule auf die Nase, klebt sich einen Borstenwisch um's Gesicht und pflanzt sich diese Atzel auf den Kopf, um mich an der Nase herumzuführen! Was thue ich denn nur mit Ihm Chamäleon, he? Nun allerdings geht mir ein Seifensieder auf! Nun begreife ich Alles, wie es gekommen ist! Nun glaube ich auch an Seine Weissagerei, mit der Er mich um vierzehn Thaler zwanzig Silbergroschen und neun Pfennige geprellt hat, Er Spitzbube ewiger!« »Durchlaucht, ich brauchte das Geld! Ew. Excellenz glauben gar nicht, wie ich habe laufen, rennen und jagen müssen, um das Alles fertig zu bringen. Dabei werden die paar Groschens Löhnung alle und – – –« »Schon gut; ich raisonnire ja auch gar nicht! Ich weiß, daß Er schier über Sein Vermögen gethan hat, und das soll Ihm auch vergolten werden. Aber sage Er mir, ob Er dieses Weibsbild noch haben will!« »Na, und ob!« »Das geht aber nicht so leicht! Sie hat mir einen Kuß versprochen, wenn ich Ja sage!« »Donnerwetter, Durchlaucht, das ist freilich schlimm!« »Warum denn, he?« »Der Schmatz, der ist doch nicht meine, sondern ihre Sache. Wenn sie ihn nicht geben will, Sapperment, so werden Ew. Excellenz ihn doch nicht etwa von mir verlangen!« »Na, Er wäre mir der Kerl darnach mit Seinem Weiermüller-Universalpflaster-Gesicht, das grad aussieht wie ein umgestülptes Rattennest! Rede Er einmal ein Wort mit ihr! Wenn ich den Schmatz kriege, so bekommt sie Ihn, sonst aber nicht!« »Du, Anna, wie meinst Du denn?« »Ich habe es Durchlaucht schon gesagt: Drei für Einen!« »Schön! Ich halte Sie beim Worte. Den Ersten nehme ich mir jetzt, den Zweiten bei der Hochzeit und den Dritten, wenn ich bei
Euerm ersten Bengel Pathe stehe. Abgemacht!« Der Fürst nahm die Anna Grunert beim Kopfe und gab der Hocherröthenden die erste von den drei stipulirten Raten. »So, heute geht es wenigstens ohne eine Backpfeife ab, Sie Xantippe oder Brigitte, oder wie das Weibsen damals geheißen hat, als sie dem Weisen aus dem Morgenlande das Wasser auf den Kopf goß! Und damit mir unter Euch Vieren nicht etwa gar eine Verwechslung vorkommt, will ich es einer Jeden noch einmal einschärfen, an wen sie sich zu halten hat: Sie, Auguste von Liebau, bekommt den Herrn Hauptmann Ernst von Hartegg, und Sie, Anna Grunert, erhält den Seconde-Lieutenant Wilhelm Goldschmidt. Und damit Ihr das nicht vergeßt, werde ich schon baldigst für die schriftliche Zufertigung sorgen!« »Durchlaucht!« riefen acht Lippen zu gleicher Zeit. »Na, so schreit mich nur nicht über den Haufen! Jedem Das, was er verdient! Und damit Er es weiß, Goldschmidt, es wird sich wohl Einer finden, der Sorge trägt für Seine Equipirung und für die Ausstattung Seiner Braut. Punktum, Pasta, Sela!« – – –
[Fußnoten] 1 [Heft Nr. 4 fehlt, A.d.H.] 2 [Heft Nr. 12 fehlt, A.d.H.] 3 Geld.
Robert Surrouf Ein Seemannsbild von Ernst von Linden
Vor Toulon Es war am Maternustage des Jahres 1793. Wochenlang hatte man auf die gesegneten Fluren der Provence das Bibelwort anwenden können: »Der Himmel über dir soll sein wie brennendes Erz und die Erde unter dir wie glühendes Eisen.« Heute früh aber hatte sich der Horizont mit dichten, cumulirenden Wolken umlagert, deren Säume sekundenlang von zuckenden Blitzen illuminirt wurden, während die krachenden Schläge des Donners die Felsen der Küste erschütterten und an den gischtumspritzten Wogenkämmen ihre Echo's zu vertausendfachen schienen. Der prasselnde Regen goß in solcher Dichtigkeit herab, daß ihm keine Kleidung länger als eine Minute zu widerstehen vermochte und wohl jedes lebende Wesen sich schon längst unter ein schützendes Obdach zurückgezogen hatte. Ein Einziger nur befand sich im freien Felde. Er schritt die Straße dahin, welche durch Weinund Olivenpflanzungen nach dem Städtchen Beausset führt. Sein Gewand war leicht und sommerlich gearbeitet; vom Regen vollständig durchdrungen, legte es sich eng wie eine Haut an seine schlanke, kräftige Gestalt; aber das schien ihn nicht im Mindesten zu geniren. Sein jugendliches Gesicht lächelte vergnügt in den Gewitterguß hinein, und seine elastischen Schritte waren ganz diejenigen eines Spaziergängers, welcher nicht die geringste Veranlassung, sich zu beeilen, hat. Da tauchte vor ihm, an der Seite der Straße, ein kleines Häuschen auf. Zu beiden Seiten der Thüre desselben waren je zwei in einander gesteckte Dreiecke angebracht, und darüber stand in halb verwaschenen Lettern zu lesen » Cabaret du roussillon. « Er blieb trotz des strömenden Regens ganz gemüthlich vor dem Häuschen stehen, schob die Mütze in das Genick, stemmte die Fäuste in die Hüften und betrachtete die Inschrift genau. » Cabaret du roussillon! Ob dieser Roussillon wohl ächt sein wird? Das Haus sieht nicht darnach aus! Nasser werde ich nicht, wenn ich weiter gehe, und ich weiß dann ganz genau, daß ich es mit reinem Gotteswasser zu thun habe. Wasser ist die herrlichste Gabe des Himmels, aber im Weine soll man es nicht finden. Ich werde also weiter segeln und erst in Beausset vor Anker gehen.« Schon wandte er sich, um seinen Weg fortzusetzen, als die Thür
sich öffnete und eine Person erschien, in welcher man sofort den Wirth erkennen mußte. » Eh, mon cher, wohin wollen Sie?« erklang eine schrille, fette Weinstimme unter der blauen Nase hervor. »Ist es vielleicht geradezu Ihre Absicht, in diesem Wolkenbruche ertrinken zu wollen?« »Das weniger,« antwortete der Wandersmann. »Vor diesem Wetter fürchte ich mich nicht, wohl aber vor einem Wolkenbruche aus Ihren Fässern.« »Dann kommen Sie getrost herein, denn wir haben ganz denselben Geschmack, und ich bin nicht der Mann, welcher einen guten Bürger mit einem schlechten Wein vergiftet.« »So will ich Eurem Worte glauben und auf fünf Minuten beidrehen. Hollah, ein neuer Mann an Bord!« Diese letzten Worte sprach er, bereits in die Stube tretend, wo er sich das Wasser möglichst aus den Kleidern schüttelte, ungefähr wie es ein nasser Pudel macht, und dann auf dem Stuhle Platz nahm, den ihm der Wirth herbeigezogen hatte. In dem kleinen Raume sah es außerordentlich kriegerisch aus. Er war ganz von Soldaten des Convents erfüllt, und außer dem zuletzt Eingetretenen und dem Wirthe gehörte nur ein einziger Gast dem Civile an; dies war ein Missionspriester vom Orden des heiligen Geistes, welcher im Jahre 1703 von Abbé Desplaces, Vincent le Barbier und J.H. Garnier in Paris gestiftet wurde. Dieser Priester saß still in seiner Ecke und schien sich mehr mit seinen Gedanken als mit seiner Umgebung zu beschäftigen. Er mußte ein ungewöhnlicher und mit einem ganz besonderen Muthe begabter Mann sein, sonst hätte er sich nicht unter diese wilde Soldateska gewagt. Es waren damals in Frankreich bereits alle geistlichen Orden aufgehoben, und man hatte von sämmtlichen Geistlichen die Ablegung des Bürgereides verlangt. Wer diesen Eid verweigerte, wurde als Rebell behandelt. Es war eine Zeit der wildesten Anarchie. Wenige Tage nach dem Beginne unserer Erzählung, nämlich am 6. Oktober 1793, schaffte man die bisherige Zeitrechnung ab; am 10. November führte die Pariser Commune den Dienst der Vernunft ein; am 7. Mai 1794 verfügte der Nationalconvent, daß es keinen Gott mehr gebe, und am 24. desselben Monats befahl dieser Convent, daß kein Bürger mehr an die Unsterblichkeit der Seele glauben dürfe. Unter diesen Umständen war es gewiß ein Beweis außerordentlichen
Muthes, sich im Ordenskleide unter die halb betrunkenen Krieger der Revolution zu wagen, eine Kühnheit, welche sehr leicht verhängnißvoll werden konnte. Ein bärtiger Sergent-major war der Erste, welcher den eingetretenen Fremden anredete: »Holla, Bürger, woher des Weges?« »Ein wenig von der Turance herunter.« »Und wohin, he?« »Nach Beausset hinein.« »Was willst Du dort?« »Einen Freund besuchen. Hast Du vielleicht etwas dagegen?« »Hm! Vielleicht, vielleicht auch nicht.« »Aaah!« Er stieß diesen Laut nur leise und langsam aus, aber es wäre wohl nicht möglich gewesen, einer ironischen Stimmung sprechender Luft zu machen. Er legte die Beine über einander, schlug die Arme über die Brust zusammen und blickte den Sergent-major mit ein paar Augen an, in denen Alles, nur keine Bewunderung zu lesen war. Dieser junge Mann konnte höchstens zwei- oder dreiundzwanzig Jahre zählen, aber diese hohe Stirn, diese breiten Schläfen, die dichten Brauen, der mächtige Blick, die scharfe Adlernase, der energisch gezeichnete Mund, der sehnige, von der Sonne gebräunte und vom Hemdkragen bloß gelassene Hals, die breiten Schultern, der geschmeidige Gliederbau, das Alles machte den Eindruck des Gereiften, des Achtunggebietenden, des Ungewöhnlichen. »Was wunderst Du Dich da, Bürger?« frug der Unteroffizier. »Glaubst Du, daß zum Hauptquartiere in Beausset ein Jeder Zutritt habe, dem es beliebt?« »Das glaube ich nun freilich nicht; aber glaubst Du vielleicht, Bürger Sergent-major, daß Du es bist, den man um die Erlaubniß zu fragen hat?« »Schweig! Ein jeder Soldat hat die Pflicht, die Sicherheit des Heeres zu bewachen! Wie ist Dein Name, Bürger?« »Surcouf,« antwortete der Gefragte mit einem etwas malitiösen Zug um seine Mundwinkel. »Der Vorname?« »Robert, Robert Surcouf.« »Was bist Du?«
»Seemann.« »Ah, drum tappst Du in aller Seelenruhe wie eine Ente da draußen im Wasser herum! Wer ist der Freund, den Du besuchen willst?« »Der Bürger Grenadier Andoche Junot.« »Andoche Junot, 1 der Advocat gewesen ist?« »Ja, derselbe.« »Das ist ein guter Kamerad. Woher kennst Du ihn?« »Wir sahen uns zu Bussy le Grand, wo er geboren wurde.« »Das stimmt! Du bist legitimirt, Bürger Surcouf. Junot steht bei meiner Compagnie; ich werde Dich zu ihm bringen. Vorher aber magst Du mit uns trinken.« »Was habt Ihr für Sorten?« »Nur eine: Roussillon; aber er ist stark und lieblich zugleich. Probire ihn!« Der Wirth brachte ein großes Humpenglas des berühmten Getränkes, und alle Hände streckten sich aus, es auf Rechnung des Fremden anzutrinken. Dieser ließ sich dies lachend gefallen; er gab zu, daß man das Glas immer von Neuem füllen ließ und wieder austrank, und als der Wirth wegen der Bezahlung ein bedenkliches Gesicht zu machen begann, zog er eine Handvoll Assignaten aus der ledernen Brieftasche und warf davon mehr als nöthig auf den Tisch. Bei diesem Anblick erhob sich großer Jubel; der Wirth mußte von Neuem füllen, und nun wurde auch der geistliche Herr bedacht, dem man bisher noch keinen Schluck gegönnt hatte. Der Sergent-major trat zu ihm, hielt ihm den Humpen entgegen und forderte ihn auf: »Steh auf, Bürger Confrère, nimm das Glas und trinke auf das Wohl des Convents, der den Papst zum Lande hinausgeworfen hat!« Der Priester erhob sich wirklich und ergriff das Glas; aber anstatt den geforderten Toast zu bringen, sprach er mit sanfter, jedoch fester Stimme: »Gott hat uns diese Gabe nicht zur Lästerung gegeben. Im Weine ist Wahrheit, und ich will nicht eine Lüge sagen. Ich trinke auf das Wohl des heiligen Vaters in Rom, den die Heerschaaren des Himmels beschützen werden!« Er wollte das Glas zum Munde führen, aber ein Faustschlag des Sergent-major schmetterte es ihm aus der Hand, so daß es am Boden in Stücke zerschellte. »Was fällt Dir ein, Bürger Confrère!« rief der Unteroffizier.
»Weißt Du nicht, daß in unserm schönen Frankreich der alte saint-père abgesetzt worden ist? Wie lange wird es dauern, so wirft man auch Euch selbst hinaus mit Allem, was Ihr uns weis gemacht habt! Ich befehle Dir, Deinen Toast zu widerrufen!« Da drängte sich ein Anderer, ein Tambour-major, hinzu: » Halte-là, Alter! Warum zerschlägst Du ihm das Glas? Bürger Wirth, gib ein neues, volles her! Dieser da gehört ganz sicherlich zu denen, welche sich weigern, den Bürgereid zu leisten. Wir werden ihn auf die Probe stellen, und wehe ihm, wenn er sie nicht besteht!« Der Wirth brachte das Verlangte; der Tambour-major drückte dem Priester das gefüllte Glas in die Hand und befahl ihm: »Jetzt trinke mir zu, Bürger, und rufe laut: ›Es lebe die Republik; nieder mit dem Papste!‹« Der Bedrängte zeigte nicht die mindeste Angst. Sein Angesicht war bleich, aber seine Augen blitzten, als er, das Glas erhebend, rief: »Es lebe der heilige Vater; nieder mit den Feinden Frankreich's und den seinen!« Da erhob sich unter der rohen Horde ein wüstes Geschrei; zwanzig Hände streckten sich aus, den muthigen Bekenner seines Glaubens zu ergreifen, um ihn zu mißhandeln, aber man kam nicht dazu: der Fremde hatte sich herbeigedrängt. Niemand konnte sagen, wie es kam, aber er stand plötzlich vor dem Priester, den er mit seinem Leibe deckte, und rief mit lächelnder Miene: »Bürger, wollt Ihr mir einen Gefallen thun?« »Welchen?« »Seid so gut und ringt erst mir das Wasser aus der Jacke, ehe Ihr Euch an diesem Gottesmann vergreift!« Sie begriffen wirklich seine Absicht nicht sogleich; sie wurden irre an dem Lachen seines Auges und an der Freundlichkeit seines Tones; aber in diesem Auge und in diesem Tone lag Etwas, was sie stutzen machte. »Deine Jacke?« frug der Sergent-major. »Was haben wir mit dieser zu thun? Gehe auf die Seite, Bürger Surcouf; wir wollen diesem Heuchler eine Litanei einpauken, die er nicht vergessen soll!« »So erlaubt wenigstens, daß ich erst einen Schluck mit ihm trinke!« Er nahm dem Priester das Glas aus der Hand und fragte ihn: »Wie ist Dein Name, frommer Vater?«
»Ich werde Bruder Martin genannt,« antwortete der Gefragte. » Eh bien, Bruder Martin, so erlaube, daß ich mit Dir trinke auf Dein Wohl, auf das Wohl aller muthigen Männer, welche sich nicht fürchten, die Wahrheit zu bekennen, auf das Wohl meiner schönen Bretagne, wo ich geboren bin, auf das Wohl meines Vaterlandes, auf den Sieg unsers Glaubens und auf das Wohl aller ehrwürdigen Diener der heiligen Kirche, welche Gott der Herr beschützen möge!« Er setzte das Glas an die Lippen und trank es bis zur Nagelprobe aus. Einige Sekunden lang herrschte tiefe Stille in der Stube, die Stille der Ueberraschung, dann aber brach der Sturm los. Alle Stimmen schrien, und alle Fäuste ballten sich; man drängte sich zornig heran, aber der lange Tambour-major breitete die Arme aus und hielt die Andern zurück. »Halt, Bürger Kameraden!« rief er. »Der Soldat muß bei jedem Angriffe nach bestimmten Regeln verfahren. Dieser Mensch, der sich Bürger Surcouf nennen läßt, scheint mir kein Seemann, sondern ein verkappter Emissair des Papstes zu sein. Wir wollen ihn einmal auf die Bank legen und mit dem Stock befragen. Bürger Sergent-major, faß an!« Die beiden starken Menschen streckten die Hände aus, um Surcouf zu erfassen, flogen aber – so schnell der Eine in diese und der Andere in jene Ecke, daß Niemand eigentlich begreifen konnte, wie es geschehen war. Ein Schrei der Wuth erscholl ringsum, und nun ließ sich Keiner mehr halten, sich auf die beiden Angegriffenen zu werfen. Da aber ertönte ein lautes Krachen; Surcouf hatte ein Bein vom Tische gebrochen und schlug damit einen so regelrechten Achter, daß sofort Zwei, am Kopfe scharf getroffen, zu Boden stürzten, die Anderen aber sich schleunigst zurückzogen. »Glaubt Ihr nun, daß ich Seemann bin?« lachte er. »Ein Schiffer weiß so ein petit levier 2 schon zu gebrauchen! Ist das der Dank, daß Ihr meinen Wein getrunken habt, Ihr Memmen, die Ihr Euch an zwei Männer wagt, weil Ihr über Dreißig zählt? Kommt her und legt den Robert Surcouf auf die Bank, wenn Ihr könnt!« »Drauf auf sie!« brüllte der Sergent-major. Surcouf ließ das Tischbein wieder wirbeln; aber die Hinteren drängten die Vorderen, und es hätte gewiß ein Unglück gegeben, wenn nicht eben jetzt eine helle, scharfe, gebieterische Stimme von der Thüre her gerufen hätte:
» Cessez, à l'instant! Was geht hier vor?« Draußen vor den Fenstern sah man einen kleinen Reitertrupp halten, und unter der Thür stand derjenige, welcher gesprochen hatte. Er war von kleiner, schmächtiger Gestalt; sein hageres, scharf geschnittenes Gesicht zeigte eine bronzene Färbung; die breite Stirn bedeckte ein Dressenhut, und die Gestalt war in einen weiten Regenrock gehüllt. Beim Anblick dieses Mannes zogen sich die Angreifer erschrocken zurück, indem sie mit der tiefsten Ehrerbietung salutirten. Er mochte vierundzwanzig Jahre zählen; sein bartloses Gesicht blieb vollständig regungslos, aber sein mächtiges Auge blitzte im Kreise umher und blieb dann auf demjenigen haften, welcher unter den Anwesenden die höchste Charge bekleidete: »Bürger Tambour-major, berichte!« Der Genannte, dem bereits der Angstschweiß auf die Stirne zu treten begann, erzählte in kurzer, soldatischer Weise: »Hier ist ein Pfaffe, mon Colonel, und ein päpstlicher Emissair, welche uns beleidigten.« »Und darauf antwortet Ihr mit Schlägen! Welcher ist der Emissair?« »Der mit dem Tischbeine.« »Woher weißt Du, daß er ein Emissair ist?« »Ich vermuthe es.« » Très bien, Bürger Tambour-major. Du bist fertig; nun mag auch Er sprechen!« Surcouf trat einen Schritt vor und blickte dem Offizier furchtlos in die Augen. »Mein Name ist Surcouf, Bürger Colonel; darf ich um den Deinigen bitten?« »Ich heiße Bonaparte,« erklang es kalt und stolz. »Also ich heiße Surcouf, Robert Surcouf, bin Seemann und wollte nach Beausset, um meinen Freund Andoche Junot, den Advokat und Bürger Grenadier, zu besuchen. Ich trat hier ein, ließ diese Bürger Soldaten Wein auf meine Rechnung trinken, bis sie von diesem würdigen Priester verlangten, daß er auf das Verderben seines höchsten Oberhauptes, des heiligen Vaters, trinken solle. Er that es nicht, und darum wollten sie ihn schlagen. Er ist ein Mann des Friedens und kann sich nicht wehren; darum brach ich dieses Tischbein ab und habe ihn vertheidigt. Nun halten sie mich für einen
Emissair. Ein braver Seemann aber wird einen Jeden vertheidigen, welcher von einer Uebermacht unschuldig angegriffen wird. Es sind noch viele Tischbeine hier!« Ueber das Gesicht des Obersten zuckte ein leises, ganz leises Lächeln, welches aber sofort wieder verschwand. Er wandte sich zu den Soldaten: »Bürger Tambour-major, Du marschirst sofort mit den Andern in den Arrest!« Das Wort war kaum gesprochen, so salutirten sämmtliche »Bürger Soldaten« und marschirten zur Thür hinaus. Dann drehte sich der Oberst wieder zu den beiden Andern herum. Sein Wort galt zunächst dem Priester: »Wer bist Du?« »Ich bin Bruder Martin vom Orden der Missionäre des heiligen Geistes,« lautete in bescheidenem Tone die Antwort. »Es sind alle Orden aufgehoben. Hast Du den Bürgereid geleistet?« »Nein. Mein Eid gehört nur der heiligen Kirche.« »Das wird sich finden!« Und sich zu dem Seemann wendend, fuhr er fort: »Surcouf? Ich muß diesen Namen bereits gehört haben! Ah, hast Du den Namen › the Runner ‹ gehört?« »Ja. Das war das englische Avisoschiff, welches ich durch die Klippen bringen sollte, aber mit Fleiß und Absicht auf die Bank laufen ließ.« Der Oberst maß den jungen Mann mit einem kurz aufleuchtenden Blick. »Ah, das wärst also Du? Wirklich? Weißt Du, Bürger Surcouf, daß Dein Leben an einem Haare hing!« »Ich weiß es; aber sollte ich den Feind in den Hafen bringen? Ich sprang, sobald der Runner auflief, über Bord und kam glücklich an's Land, obgleich die Kugeln mir um den Kopf pfiffen. Die Engländer schießen schlecht, sehr schlecht, Bürger Colonel!« »Wir werden in diesen Tagen sehen, ob Du Recht hast. Warum nimmst Du Dich eines Priesters an, der den Bürgereid nicht leisten will?« »Weil dies meine Pflicht ist. Ich bin ein guter Katholik; ich habe mit ihm auf das Wohl des heiligen Vaters getrunken.« » Ah, quelle inconsidération! Mußtest Du das thun? Brauchtest Du mir dies zu sagen, Bürger Surcouf? Ich sah, daß Du einige
Soldaten beschädigt hast?« »Ja, mit dem Tischbeine hier.« »Gut. Der Fall soll untersucht und bestraft werden. Auch Ihr Beide seid arretirt. Man wird Euch nach Beausset bringen; doch sollst Du Deinen Freund Junot zu sehen bekommen. Adieu!« Der kleine Offizier wandte sich scharf auf dem Absatze um und verließ die Stube. Eine Minute später ritt er mit seinen Begleitern davon; er befand sich jedenfalls auf einer Recognoscirung. Zu gleicher Zeit aber traten drei Militairs ein, welche den Beiden sagten, daß sie ihnen nach Beausset zu folgen hätten. »Das werden wir thun,« meinte Surcouf, indem er sein Tischbein bei Seite legte. »Beausset war ohnedies mein Ziel.« »Aber das meinige nicht,« antwortete Bruder Martin. »Ich wollte hinauf nach Sisteron.« »Dorthin kannst Du auch morgen gehen, mein frommer Bruder. Bis dahin magst Du in Beausset mein Gast sein; vorher aber wollen wir hier mit diesen drei tapferen Bürgern noch ein Glas trinken. Ich finde diesen Roussillon sehr gut und muß ja auch mein Tischbein bezahlen.« Der wackere Seemann schien sich in feine Gefangenschaft sehr leicht zu finden. Es war ihm nicht die mindeste Abnahme seiner guten Laune anzumerken, und als dann später aufgebrochen wurde, ertrug er den strömenden Regen mit derselben Geduld, mit der er ihn vorher ertragen hatte. Beausset ist noch heut ein kleiner Ort von nicht viel über 3000 Einwohnern. Es gibt dort eine Wollenweberei, und in der Umgegend wird ein gutes Olivenöl und ein leidlicher Rothwein gebaut. Als die beiden Gefangenen dort anlangten, wurden sie nach dem Hause geführt, in welchem der Oberstkommandirende, General Cartaux, sein Quartier aufgeschlagen hatte, und dort in eine enge, dunkle Kammer eingesperrt, deren einziges Fenster durch den Laden dicht verschlossen war. »So, hier liegen wir vor Anker,« meinte Surcouf. »Leider gibt es weder Hängematte noch Daunenbett. Wir müssen uns mit dem Bewußtsein fügen, daß man uns bald aus dieser Koje erlösen wird.« »Ich wenigstens habe das nicht zu hoffen,« seufzte Bruder Martin. »Nicht? Warum?« »Weißt Du nicht, Bürger Surcouf, daß es jetzt in Frankreich kein
größeres Verbrechen gibt, als dem Willen des Convents zu trotzen? Ich habe meinen priesterlichen Eid abgelegt und kann keinen anderen schwören. Ich sehe böse Tage für mich kommen, aber ich bleibe meinem Schwure treu.« Da ergriff Surcouf die Hände des Gefährten, und seine Stimme klang ganz anders als bisher, indem er nun in bewegtem Tone sagte: »Das vergelte Dir Gott, Bruder Martin! Viele, Viele sind abgefallen; aber noch Mehrere sind freiwillig in die Verbannung gegangen oder bleiben muthig im Lande, um mit der Hyder des Unglaubens und der Vergewaltigung zu kämpfen. Ich bin nicht der sorglose Mann, der ich scheine. Ich sehe eine Zeit kommen, in welcher man auch das Allerheiligste verleugnen wird, nachdem man vorher das Heilige beschimpfte, eine Zeit, in welcher es starker Geister und gewaltiger Arme bedarf, um das Vaterland von der Herrschaft des Schreckens zu befreien und unserm Volke die ihm von Gott angewiesene Stellung unter den Nationen zu erhalten. Es wird große Kämpfe geben; es werden Ströme Blutes fließen; es wird ein gigantisches Ringen des Einen gegen Alle sein. Das Weizenkorn, welches unter dem Unkraute der Revolution verborgen liegt, wird aufgehen, doch werden dunkle Wolken es beschatten, und Stürme es knicken wollen. Da gilt es, wach und munter zu sein; da gilt es, sich schon bei Zeiten im Kampfe zu üben und zu stählen, damit ein Jeder an seinem Platze sei, wenn die Kräfte gemessen werden. Ich bin ein Sohn des Vaterlandes und auch ich habe die Pflicht, treu und stark zu ihm zu halten in aller Noth und Gefahr. Darum habe ich mich ihm zum Dienste angeboten, aber man hat mich abgewiesen, weil ich offen bekenne, daß ich nicht zu denen gehöre, welche den Stuhl Petri stürzen und Christum abermals an das Kreuz schlagen möchten. Wegen einer offenen Rede habe ich aus Paris flüchten müssen; ich ging an andere Orte und wurde wieder abgewiesen; nun komme ich nach Toulon, um den letzten Versuch zu machen. Ich werde mit den Generalen Cartaux und Doppet sprechen; ich werde auch mit diesem Colonel Bonaparte reden; er hat das Gesicht eines Mannes, welcher wachsen wird; vielleicht erreiche ich hier am letzten Orte, was mir anderwärts versagt worden ist.« Der Priester hielt seinen Blick erstaunt auf den Sprecher gerichtet. Dieser junge Mann war auf einmal ein ganz Anderer geworden; der fröhliche, sorglose, unbekümmerte Jüngling stand
plötzlich da als ein Mann, dessen Auge prophetisch in die Ferne blickte, dessen Rede begeistert von den Lippen floß, und dessen Aufgabe auf ein großes Ziel gerichtet war. »Mein Sohn,« sagte Bruder Martin, »ich höre aus Deinem Munde Worte eines Mannes, dessen Weg zur Höhe führen muß. Was auch die Zukunft Dir beschieden haben mag, sei stets der ewigen Wahrheit eingedenk, daß der Mensch nichts Gutes thut als nur in Gott, und daß er einen Richter hat für jeden Gedanken, jedes Wort und jede That, die er vollbringt. Dein Fuß wird nicht gewöhnliche Pfade wandeln; laß Dich bei jedem Schritte von dem Lichte leiten, welches kein Convent und keine Revolution verlöschen kann.« Nach diesen Worten herrschte längeres Schweigen. Die beiden Gefangenen hätten sich Vieles zu sagen gehabt, aber der Augenblick war zu weihevoll, als daß ein profanes Wort ihn hätte stören dürfen. Nach längerer Zeit wurde die Thüre geöffnet. Man rief Surcouf, um ihn zum commandirenden General zu führen. Es dauerte lange, ehe er zurückkehrte, und dann wurde Pater Martin abgeführt. Dieser kam sehr bald zurück. Er hatte sich erklären sollen, ob er bereit sei, den Bürgereid zu leisten, und als er sich entschieden weigerte, war ihm eröffnet worden, daß man ihn als Verräther behandeln müsse und ihm also seine Freiheit nicht zurückgeben könne. Surcouf frug ihn, was er dagegen zu thun entschlossen sei. »Was soll ich thun?« frug er. »Ich bin ein Mann des Wortes, aber nicht ein Mann des Schwertes. Es wird mir gehen wie so vielen Andern; man wird mich nach Paris bringen und dort werde ich verschwinden.« »Ah, Du würdest nicht in Paris, sondern bereits schon unterwegs verschwinden; aber dies soll nicht geschehen, so wahr ich Robert Surcouf heiße!« »Wie wolltest Du mir helfen? Du bist ja selbst Gefangener!« »Aber ich werde es nicht immer sein. Der General wollte sich nur vergewissern, ob ich ein Emissair sei oder nicht. Sobald er einsah, daß ich ein ehrlicher Seemann bin, handelt es sich nur noch um die kleinen Hiebe, welche diese guten Bürger Soldaten von mir erhalten haben, und darüber soll Colonel Bonaparte urtheilen, wurde mir gesagt. Ich werde also baldigst auf freiem Fuße sein.« »Welcher Mensch kann mit Sicherheit auch nur von dem nächsten Tage sprechen! Ich wollte nach Sisteron, um von da
vielleicht über Gap oder Embrun und Briançon aus Frankreich zu kommen; nun aber bin ich gar gefangen!« »Ueber Gap und Embrun? Oh malheur! Einen solchen Fluchtweg kann nur eine Seele einschlagen, die mehr im Himmel als auf Erden wandelt! In diesen beiden Festungen muß ein Jeder hängen bleiben, der nach dieser Richtung hin entkommen will, und übrigens wimmelt die ganze Strecke von Toulon bis an die italienische Grenze von Conventstruppen, welche schwer zu täuschen sind. Dazu begreife ich nicht, wie man in einem Weinhause einkehren kann, wenn man den Häschern entgehen will!« »Der Wirth dieses Hauses ist mein Verwandter; er hielt mich lange Zeit versteckt, und eben wollte ich Abschied nehmen, als das Wetter die Soldaten herbeitrieb.« »Das hätte nichts zu sagen gehabt; aber dieses geistliche Gewand ist zum Verräther geworden. Ueberhaupt gibt es von hier aus auf dem Landwege kein Entkommen; nur auf der See ist die gesuchte Freiheit zu finden.« »Aber wie gelangt man ohne Freunde, ohne Mittel und ohne Kenntniß der Gelegenheiten auf ein sicheres Schiff?« »Durch mich, durch Robert Surcouf. Verstanden?« Er konnte nicht weiter sprechen, denn die Thür wurde abermals geöffnet, und es trat ein Grenadier herein, in welchem Surcouf seinen Freund Junot erkannte. Dieser war jetzt noch gewöhnlicher Soldat, aber man weiß, daß er nur drei Tage später Sergent wurde. Bei der Beschießung von Toulon vom 15. bis 17. Dezember 1793 dictirte ihm Napoleon einen Befehl; da schlug eine Kanonenkugel neben ihnen in den Boden und bespritzte das Blatt mit Erde. »Prächtig,« rief Junot, »so brauchen wir keinen Streusand!« Durch dieses Wort wurde Bonaparte auf ihn aufmerksam und ließ ihn von da nicht wieder aus den Augen, so daß Junot schon 1804 Divisionsgeneral und Commandant von Paris wurde. Dieser Grenadier, welcher jetzt wohl nicht ahnte, daß er einst eine Herzogskrone tragen werde, hatte große Freude, seinen Freund Surcouf wiederzusehen. Er erfuhr, daß dieser sich um eine Anstellung in der Marine bewerbe und daß er nun auch von General Cartaux abfällig beschieden worden sei. Junot konnte für den Freund nichts thun, als ihm seine gegenwärtige Haft erleichtern; er sorgte für Speise, Trank und Licht und mußte die Beiden dann
ihrem Schicksale überlassen. Erst am Nachmittage des nächsten Tages kam eine Ordonnanz, welche den Seemann zu Bonaparte bringen sollte. Dieser befand sich nicht in Beausset, sondern außerhalb des Ortes in einer Schanze, von welcher aus die Befestigungen von Toulon beschossen wurden. Diese Stadt hatte sich der unter Admiral Hood stehenden Flotte der vereinigten Engländer und Spanier übergeben, und der Convent machte die riesigsten Anstrengungen, diesen hochwichtigen Platz zurückzuerobern. Leider erwiesen sich die Generale Cartaux und Doppet als unfähig; der Eine war ein Maler und der Andere ein Arzt gewesen; sie waren im Atelier und Lazareth an ihrem Platze, nicht aber vor den gewaltigen Außenwerken eines so großartigen Waffenplatzes, und darum hatte man den jungen Napoleon Bonaparte gesandt, um den beiden Generalen beizustehen. Der kleine Corse hielt soeben neben den beiden Obergeneralen, als Surcouf zu ihm geführt wurde. Er beachtete den Gefangenen gar nicht und schien nur in das Gespräch vertieft, welches er mit seinen zwei Vorgesetzten führte. »Und ich kann dennoch nicht von meiner Ueberzeugung abgehen,« sagte er. »Wenn wir so fortfahren, werden wir nach einem Lustrum immer noch unverrichteter Sache vor Toulon liegen. Was sind unsere Geschütze gegen die Feuerschlünde der Festung und der Flotte! Wir müssen so schnell wie möglich weiteres Belagerungsgeschütz aus Marseille und den andern Waffenplätzen kommen lassen. Wir dürfen nicht nur die Befestigungen der Stadt beschießen, sondern wir müssen vor allen Dingen die feindlichen Schiffe mit glühenden Kugeln bewerfen. Haben wir die Flotte vernichtet und vertrieben, so kann sich die Stadt unmöglich lange mehr halten. Geben Sie mir Vollmacht, so verspreche ich, daß Toulon sich in vierzehn Tagen in unseren Händen befindet.« »Nur nicht sanguinisch!« erwiederte Cartaux in hochfahrendem Tone. »Selbst wenn die Flotte weichen muß, wo haben wir die Mittel, Befestigungen wie Fort Malbosquet, Balagnier und Eguilette zu bezwingen?« »Man schaffe nur zunächst Geschütz und Munition herbei, verstärke die Belagerungsarmee bis auf vierzigtausend Mann und versehe diese Verstärkungen mit den nothwendigen Requisiten. Ich habe das Terrain noch nicht genau studiren können, aber es muß ein
Punkt zu finden sein, welcher die feindlichen Werke dominirt, und von diesem aus werden wir den Gegner zu bezwingen wissen.« Surcouf hatte diese Worte gehört; er trat mit zwei raschen Schritten an die drei Offiziere heran und sagte: »Pardon, Bürger! Dieser Punkt ist bereits gefunden.« Cartaux machte eine strenge, zurückweisende Geberde; auch Doppet drehte sich stolz zur Seite. Napoleon aber überflog den Sprecher mit einem Blitze seines Auges und meinte: »Du bist sehr kühn, Bürger Surcouf! Wenn Offiziere sprechen, hat ein jeder Andere zu schweigen, besonders wenn er gar ein Gefangener ist. Welchen Punkt meinst Du?« »Bürger Colonel, siehe dort den Platz zwischen beiden Häfen der Stadt. Wenn Du ihn besetzest, so kannst Du die feindliche Flotte in ihrer ganzen Ausdehnung bestreichen. Die Stadt muß sich in zwei oder drei Tagen ergeben, sobald Du ihre Werke von dort aus mit Vierundzwanzigpfündern und Mörsern demolirst. Das Auge wird Dich lehren, daß von diesem Punkte aus Fort Malbosquet sehr leicht zu bombardiren ist.« Bonaparte setzte das Fernrohr an und musterte die betreffende Gegend. Als er es wieder absetzte, bewegte sich kein Zug seines ehernen Gesichtes. Er blickte lange auf den Horizont hinaus; dann aber wandte er sich plötzlich zu den beiden Generalen: »Dieser Mann hat Recht, vollkommen Recht. Ich ersuche die Bürger Generale, seinen Rath, welchen ich mit meiner Ueberzeugung unterstütze, in schnelle Erwägung zu ziehen!« »Den Rath eines Arrestanten!« rief Cartaux. »Schäme Dich, Bürger Colonel!« Auch auf diese beleidigende Antwort zuckte keine Wimper in Napoleon's Gesicht, aber seine Stimme klang scharf und schneidig, als er entgegnete: »Allerdings schäme ich mich, messieurs, aber nicht über den Rath, welcher uns ertheilt wurde, sondern darüber, daß bis jetzt noch nicht gefunden worden ist, was dieser Bürger auf den ersten Blick bemerkte. Ich bin gewohnt, jeden nützlichen Rath anzunehmen, er komme, von wem es auch sei, und bitte, den betreffenden Punkt schleunigst besetzen und befestigen zu lassen. Wenn uns die Engländer zuvorkommen, so muß es uns außerordentliche Opfer kosten, die Unterlassung wieder anzugleichen.« »Colonel!« brauste Cartaux auf. Er wollte mehr sagen, Doppet
aber ergriff ihn beim Arme und zog ihn fort. Bonaparte blickte ihnen mit finsterer Miene nach. »Man wird dennoch thun müssen, was ich will,« murmelte er, und zu Surcouf gewendet, fuhr er fort: »Dein Plan ist gut, Bürger; ich danke Dir! Wo hast Du diesen Scharfblick her, Du, ein Matrose?« »Matrose?« lachte der Gefragte. »Ein Schüler der See-Akademie und des Bureau des longitudes? Der Seemann hat ebenso seine Strategie und Taktik wie der Offizier des Festlandes. Bürger Colonel, ich freue mich, mit Dir sprechen zu können. Ich bin Dein Gefangener; Du wirst mich vielleicht bestrafen, weil ich einigen unnützen Burschen den Schädel geklopft habe; ich werde diese Strafe auf mich nehmen; aber wenn ich sie verbüßt habe, so werde ich Dich abermals aufsuchen, dann habe ich Dir eine Bitte vorzutragen.« »Sprich sie aus!« »Heute nicht. Erst muß ich die Strafe hinter mir wissen.« Bonaparte runzelte leicht die Stirn. »Du sprichst sehr kategorisch! In Deinem Alter ist man gern bescheiden, weil man da erst im Begriffe steht, das Leben zu beginnen.« »Bürger,« lächelte der Getadelte, »Du beginnst es also vom Colonel an, denn wir werden wohl die gleichen Jahre zählen.« Napoleon beachtete diesen Einwurf nicht und fuhr fort: »Du hast allerdings Strafe verdient, denn Du hast Dich an den Soldaten des Convents vergriffen; aber um des Rathes willen, welchen Du uns gegeben hast, soll Dir verziehen sein. Jetzt nun wirst Du wohl Zeit finden, Deine Bitte auszusprechen, Bürger Surcouf?« »Ich danke Dir, Bürger Colonel! Meine Bitte ist sehr kurz; sie lautet: gib mir ein Schiff!« Der kleine Corse blickte erstaunt den Seemann an. »Ein Schiff?« rief er verwundert. »Was willst Du mit dem Schiffe, und woher soll ich es nehmen?« »Hier lies zunächst diese Papiere!« Er zog sein Portefeuille hervor, nahm eine Anzahl groß gesiegelter Zeugnisse hervor und gab sie Napoleon. Dieser las eines nach dem andern und gab sie ihm dann mit einer sehr nachdenklichen Miene zurück.
»Ausgezeichnet!« nickte er. »Bürger Surcouf, es wird wenig Männer Deines Alters geben, welche sich des Besitzes solcher Papiere rühmen können. Du bist klug und kühn; der Convent wird wohlthun, Dich im Auge zu behalten.« »Pah, der Convent will mich gar nicht haben!« »Warst Du in Paris?« »Ich war dort; ich war in Le Havre; ich war in Brest, in Nantes, in La Rochelle, in Bordeaux, Marseille und Lyon; ich war bei allen Marinebehörden bis hinauf zum Minister und habe nur das Eine gehört, daß ich unfähig bin.« »So sind Deine Zeugnisse eine Lüge.« »Sie enthalten die Wahrheit; aber die Männer, bei denen ich war, segeln im Nebel, ohne die Augen zu öffnen. Ich habe Alles gethan, um sie sehend zu machen; ich habe ihnen meine Ansichten entwickelt; ich habe ihnen den Vorhang der Zukunft gelüftet – sie wollten blind bleiben.« Jetzt lächelte Bonaparte, aber wie ein Riese, welcher einen Zwerg von Heldenthaten sprechen hört. »Welches sind die Ansichten, die Du ihnen entwickelt hast?« fragte er. »Es sind die Ansichten eines einfachen Mannes, der sich durch kein Blendwerk täuschen läßt. Die republikanische Form unserer Regierung steht im Gegensatze zu den Regierungsformen der uns umgebenden Länder; unsere Interessen sind den ihrigen feindlich entgegengesetzt, und der Ausgleich kann nicht auf dem Wege des Friedens geschehen. Ferner gibt es im Innern der Republik selbst tausend noch ungezügelte Kräfte und Mächte, welche eine gewaltige Expansionskraft besitzen; eine einzige dieser Kräfte ist im Stande, den noch unfertigen Bau augenblicklich zu zertrümmern. Die Religion ist das Herz der Nation; die Republik will sich dieses Herz herausreißen; sie wird zum Selbstmörder werden; sie wird sterben; aber ihr Tod wird kein sanfter, sondern ein fürchterlicher sein. Damit habe ich bewiesen, daß Frankreich vor großen Kämpfen steht, vor Kämpfen nach außen und vor Kämpfen nach innen. Hierzu bedarf es einer Land- und Seemacht, welche nicht nur sich in gutem Vertheidigungszustande befindet, sondern nöthigenfalls auch zum Angriffe schreiten kann. Wir haben ein tapferes Heer und gute Generale, aber was wir nicht haben, das ist eine genügende Flotte. Seeleute hat Frankreich genug, aber es mangelt an Kriegsschiffen
und an Seeoffizieren, welche die Fähigkeit besitzen, die kriegerischen Traditionen unserer Feinde zu Schanden zu machen – – –« »Und ein solcher Offizier bist Du?« unterbrach ihn Napoleon. »Ja,« antwortete der Gefragte mit offener Miene. »Man gebe mir ein Schiff, und ich werde es beweisen!« »Du sprichst sehr stolz, Bürger Surcouf, und läufst Gefahr, daß man Dein Selbstbewußtsein für Prahlerei nimmt. Wer einen Kahn zu steuern vermag, ist doch noch nicht ein geborenes Genie zur See!« Es lag etwas wie Geringschätzung in dem Tone, in welchem diese Worte gesprochen wurden; Surcouf fühlte das, und seine Stimme klang schärfer denn vorher, als er entgegnete: »Bürger Colonel, Du sprichst in dieser Weise zu mir, weil Du siehst, daß ich noch nicht das Alter besitze, um Mitglied des Rathes der Alten zu sein. Das ist ein schlechter Mann, welcher mehr von sich hält, als er ist; aber ein noch viel schlechterer Mann ist derjenige, welcher nicht weiß, was er zu leisten vermag. Wenn ein Maler oder ein Arzt General werden kann, so ist es auch nicht unwahrscheinlich, daß ein Seemann ein Schiff zu führen vermag. Wir stehen in einer Zeit, welche Altes zerschmettert, um Neues zu schaffen. Die Kämpfe, denen wir entgegen gehen, erfordern jugendliche Kräfte. Warum soll ich abgewiesen werden?« »Weil Du Dir erst verdienen mußt, was Du begehrst. Was hast Du für den Staat geleistet? Du magst ein guter Seemann sein; Du magst dies im privaten Leben auch bewiesen haben; der Marinebehörde aber bist Du unbekannt und darfst nicht erwarten, daß man Dir ein Schiff anvertraut, ohne Dich vorher kennen gelernt zu haben.« »Aber man will mich nicht kennen lernen; man will keinen Offizier, der den Glauben hat, daß sein Schiff ebenso von Gottes Hand wie von den Winden geleitet wird.« »So ändere Deinen Glauben!« Surcouf trat einen Schritt zurück und rief: »Bürger Bonaparte, Du scherzest! Ich bin ein Katholik und bleibe es. Ich bin ein Franzose und bleibe es, trotzdem mir von England Anerbietungen gemacht worden sind, welche mir die Erfüllung meiner sehnlichsten Wünsche verheißen. Ich werde stets nur für mein Vaterland, niemals aber gegen dasselbe kämpfen, und
gibt man mir kein Schiff, so nehme ich es mir!« Napoleon machte eine abweisende Geberde. »Das träumst Du nur!« meinte er scharf. »Robert Surcouf träumt nie, Bürger Colonel! Du bist der Letzte, auf den ich meine Hoffnung setzte. Gib mir wenigstens ein kleines Fahrzeug, aus welchem ich einen Brander herstellen kann, und Du sollst sehen, daß ich das feindliche Flaggenschiff in die Luft sprenge!« »Hier, im Hafen von Toulon?« »Ja.« »Ah, nun bin ich wirklich überzeugt, daß Du träumst! Bürger Surcouf, gehe; Deine Dienste werden nicht gebraucht!« »Ist dies Dein letztes Wort?« »Mein letztes!« »So habe ich meine Schuldigkeit gethan und kann nun nach Belieben handeln. Es wird eine Zeit kommen, in welcher Frankreich's Ruhm zur See zusammenbricht, in welcher man vergebens ausschaut nach einem Manne, der unsere Flagge siegreich steigen lassen könnte; aber dieser Mann wird fehlen. Dann, ja dann wird man sich des Bürgers Surcouf erinnern; man wird ihn rufen, doch er wird diesem Rufe nicht Folge leisten.« »Ah, Dein Traum wird zum Fieber! Man wird Dich niemals rufen, denn Du wirst niemals zu verwenden sein. Und wäre ich selbst es, der hier zu entscheiden hätte, so würde ich der Letzte sein, der Deinen Namen nennt. Frankreich braucht Männer und besonnene Köpfe, aber nicht Knaben und Phantasten. Heute hast Du gesprochen, und bereits morgen wirst Du vergessen sein!« Da trat Surcouf hart an den Offizier heran und legte ihm die Hand schwer auf die Schulter. »Bürger Bonaparte, ich will Dir nicht Gleiches mit Gleichem vergelten; ich sage Dir offen, daß ich Dich für einen Mann halte, der seinen Weg machen wird; auf diesem Wege aber wird Dir einst Robert Surcouf begegnen, und dann wirst Du bedauern, daß Du ihn so schnell vergessen hast. Wir sind geschieden für ewige Zeiten; vorher aber sage ich nur noch Eins: Was wirst Du mit Pater Martin, meinem Gefährten, thun?« »Darnach hast Du nichts zu fragen. Er hat sich gegen die Verordnungen des Convents gesträubt und wird seine Strafe leiden.« »Er hat Gott mehr gehorcht als den Menschen, und darum wird
ihn Gott beschützen. Versucht es immerhin, den Ewigen abzusetzen: es wird Euch schwer werden, gegen den Stachel zu lecken!« –
Eine kühne That Am Abend desselben Tages saß Pater Martin allein in seiner Kammer. Es war ihm gesagt worden, daß sein Gefährte frei sei und nicht wieder zurückkommen werde. Draußen vor dem Orte donnerten die ehernen Stimmen der Geschütze trotz der herrschenden Dunkelheit, und in dem Hofe erklang der regelmäßige Schritt der Schildwache, welche vor dem Fenster des Gefängnisses Wache zu halten hatte. In den Gassen von Beausset und besonders vor dem Hauptquartiere standen Gruppen von Soldaten, welche sich über die nächtliche Kanonade unterhielten. Es war dies ein Zeichen, daß mit dem Obersten Bonaparte ein neuer Geist in die Belagerungsarmee getreten sei, und man gab sich der Hoffnung hin, daß man einen baldigen Erfolg bemerken werde. Da kam sporenklirrend ein Offizier die Gasse herab und trat in das Haus. Er schritt direkt durch den Flur hinaus nach dem Hofe und blieb vor dem Posten halten. »Bürger Soldat, wie heißest Du?« fragte er kurz und barsch. »Etienne Girard,« antwortete der Gefragte salutirend. »Nun wohl, Bürger Girard, öffne mir die Thür, welche zu dem Gefangenen führt!« Der Soldat gehorchte ohne Widerrede. Der Offizier blieb vor dem Eingange stehen und befahl dem Priester: »Bürger Martin, folge mir! Du sollst die Ehre haben, vor dem General zu erscheinen, welcher Dich draußen in der Schanze sprechen will.« Der Gefangene erhob sich und verließ still und gehorsam die Kammer. Der Offizier schob dem Soldaten ein versiegeltes Papier in die Hand und gebot ihm: »Hier die Bescheinigung, daß Du mir den Gefangenen übergeben hast, Bürger Girard. Du wirst sie dem Bürger Colonel Bonaparte einhändigen, sobald er zurückgekehrt ist; für jetzt aber bist Du abgelöst.« Er entfernte sich mit dem Priester und schritt mit ihm an den Militärgruppen vorüber, zur Stadt hinaus. Draußen aber änderte er die Richtung und schwenkte links ab in das Feld hinein; an einer
einsam gelegenen Stelle angekommen, blieb er halten. »Bürger Martin, Du stehst vor Deinem Richter,« sprach er mit derselben strengen Stimme, mit der er vorher gesprochen hatte. Der Priester blickte auf. »Du?« frug er. »Du wolltest mein Richter sein?« »Ja. Aber ich bin Dir ein gerechter Richter; ich spreche Dich frei.« Und in völlig verändertem Tone setzte er lachend hinzu: » Vraiment, sogar dieser gute Pater Martin hat mich nicht erkannt!« Bei dieser Stimme fuhr der Priester überrascht empor. »Surcouf, Robert Surcouf, ist es möglich!« rief er. »Pst, leise!« warnte der Andere. »Da drüben gibt es Leute, welche sich sehr für uns interessiren.« »Aber wie kommst Du zu mir? In dieser Uniform? Weißt Du, daß Dein Spiel ein sehr gewagtes ist?« »Gewagt? Ah pah! Diese Herren Maler, Aerzte, welche es sich beikommen lassen, den General zu spielen, sind mir nicht gefährlich; aber vor diesem kleinen Colonel Bonaparte muß man sich ein wenig in Acht nehmen. Du fragst, wie ich zu Dir komme. Glaubst Du etwa, daß Robert Surcouf der Mann ist, einen guten Bekannten sitzen zu lassen? Und diese Uniform? Haha, sieh' sie Dir einmal genauer an! Es ist der Rock eines Douanier, eines Zollwächters, der ihn ausgezogen hat, weil er ihn auf dem Schaffote nicht mehr brauchte. Ich habe auch gute Freunde und Bekannte, auf welche ich mich verlassen kann. Ich werde ein wenig hinein nach Toulon gehen, um zu sehen, was zu machen ist.« »Thu dies ja nicht. Du wagst Dein Leben!« »Sorge Dich nicht um mich. Ich weiß ganz genau, was ich wage. Jetzt handelt es sich ganz allein um Dich. Du bist frei. Wohin gedenkst Du Dich zu wenden?« »Ehe ich Dich traf, hatte ich die Absicht, die italienische Grenze zu erreichen. Drüben wird man für mich sorgen.« »Du sollst sicher hinüber kommen, mein guter Pater Martin. Ich habe da einige wackere Leute, welchen Du nach Frejus folgen wirst; sie werden Dich auf einem Fahrzeuge hinüber bringen.« Er stieß einen leisen Pfiff aus, worauf zwei Gestalten aus dem Dunkel der Nacht auftauchten. »Hier ist der würdige Pater Martin, Ihr Leute. Ich übergebe ihn Euch, weil ich weiß, daß er in Euern Händen ebenso sicher ist, wie in den meinigen. Und nun gebt mir meinen Rock und nehmt diesen
dafür zurück. Und jetzt, frommer Vater, wollen wir Abschied nehmen. Wir werden Beide dieses Land verlassen, aber unsere Wege werden wohl nie wieder zusammentreffen. Beten Sie für mich, denn das Gebet des Gerechten vermag viel, wenn es ernstlich ist, und ich werde es ja brauchen können!« »Gott segne Dich, mein Sohn! Ich – – –« Er sprach nicht weiter, denn Surcouf war bereits im Dunkel der Nacht verschwunden, hatte ihm aber vorher Etwas in die Hand gedrückt. Der Priester fühlte, daß es Geld war; er mußte den beiden Schiffern folgen, ohne es zurückweisen zu können. Eine halbe Stunde später kehrte Bonaparte von der Schanze in das Quartier zurück, und Etienne Girard beeilte sich, ihm das Schreiben zu überreichen. Es enthielt allerdings eine Empfangsbescheinigung; es lautete: »An den Bürger Colonel Bonaparte. Ich bestätige hiermit den richtigen Empfang eines Mitgefangenen, des frommen Pater Martin. Ich habe ihm die Freiheit gegeben, um ihn ungerechten Richtern zu entziehen und dem Bürger Bonaparte zu zeigen, daß der Bürger Surcouf nicht bloß zu träumen, sondern auch zu handeln vermag. Er hat versprochen, sich ein Schiff zu holen, weil man ihm keines gibt, und er wird sein Wort halten. Robert Surcouf.« Bonaparte ließ sich von dem Soldaten das Geschehene berichten und starrte dann lange auf die Zeilen nieder. Sollte er den überlisteten Posten bestrafen? Nein. Er winkte schweigend, und der Mann trat ab. Der Colonel traf nicht einmal Anstalten, den Entflohenen zu verfolgen. Es wurde über die ganze Angelegenheit kein Wort gesprochen. Napoleon hatte übrigens Anderes zu thun, als sich um die Wiederhabhaftwerdung eines Flüchtlings zu bekümmern, dessen Besitz ihm nicht den mindesten Vortheil brachte. Die beiden Generäle Cartaux und Doppet gaben nämlich die Besetzung des Punktes, auf welchen sie durch Surcouf aufmerksam gemacht worden waren, nicht zu; desto klüger aber waren die Engländer, welche plötzlich die Wichtigkeit des Ortes erkannten, 4000 Mann
hinlegten und ihn mit furchtbaren Verschanzungen versahen. Diese Befestigungen waren so stark, daß sie den Platz Kleingibraltar nannten. Voll Aerger über diesen Fehler fertigte Bonaparte einen Bericht an den Convent ab, in Folge dessen der Oberbefehl im November dem tapfern und einsichtsvollen Dugommier übertragen wurde. Dieser erkannte welchen Mann er in dem kleinen Corsen besaß, und gab seinen Vorschlägen offenes Gehör. Es wurden ganz in der Stille die nöthigen Vorkehrungen getroffen, welche volle drei Wochen in Anspruch nahmen; dann begann ein dreitägiges, entsetzliches Bombardement auf Kleingibraltar, welches dann im Sturme genommen wurde. Unter den Bewohnern der Stadt herrschte natürlich eine große Aufregung. Viele Tausende hatten sich an dem Aufstande gegen den Convent betheiligt und die Engländer willkommen geheißen, als die Flotte derselben kam, um Toulon im Namen Ludwig's des Siebzehnten in Besitz zu nehmen. Sie Alle waren verloren, wenn die Vertheidigung nicht gelang. O'Hara, der Stadtkommandant, machte die riesigsten Anstrengungen, um die Belagerung abzuweisen; aber als Kleingibraltar verloren war, erkannte er, daß nun alle Mühe vergebens sei. Auch der Befehlshaber der englischen Flotte, Admiral Lord Hood, erklärte, daß Toulon nun nicht mehr zu halten sei, und verließ den Hafen. Er kreuzte draußen auf der Rhede und nahm die Truppen nebst denjenigen Einwohnern auf, welche sich compromittirt hatten. Wohl an die vierzehntausend Menschen verließen auf diese Weise die Stadt, um sich der Rache des Convents zu entziehen, von dem man wußte, daß er nicht zur Milde geneigt sein werde. In einem engen Gäßchen, unweit des innern Hafens gelegen, gab es eine Taverne, welche nur von Matrosen besseren Schlages besucht wurde. Oncle Carditon, wie der Wirth genannt wurde, war ein anständiger Mann, welcher alles Gesindel von seinem Hause fern zu halten wußte. Dabei war er ein guter Christ und ein eifriger Patriot, welcher die Revolution haßte. Es war einen Tag vor dem Sturme auf Kleingibraltar, als ein fremder Mensch in die Taverne trat. Er trug die Kleidung eines englischen Marinematrosen und zeigte auch die ganze Ungenirtheit dieser Leute, denn er legte, nachdem er sich gesetzt hatte, die schmutzigen Füße auf den mit einem weißen Linnen gedeckten
Tisch und stieß, mit der Faust aufschlagend, einen lauten Fluch aus, um den Wirth herbeizurufen. Dieser trat heran und erkundigte sich in aller Höflichkeit nach dem Begehr des Gastes. »Wein!« sagte dieser. »Haben Sie ein Gefäß bei sich?« »Ein Gefäß? Was! Gibt es für die Gäste hier keine Gläser, he?« »Für die Gäste, ja. Aber beim Verkaufe über die Straße hat ein Jeder sein Gefäß mitzubringen.« »Wer sagt Euch denn, daß ich den Wein mit fortnehmen will? Ich bin Gast und werde ihn hier trinken.« »Wenn Ihr von meinem Weine trinken wollt, so müßt Ihr ihn allerdings mit fortnehmen, denn hier trinken könnt Ihr ihn nicht. Wer mein Gast sein will, der hat sich so zu betragen, daß ich mich seiner nicht zu schämen brauche.« »Ah! Und meiner müßt Ihr Euch wohl schämen?« »Allerdings. In meinem Hause thut man die Beine hübsch unter den Tisch.« »Und wenn mir dies nicht gefällt?« »So könnt Ihr gehen, oder ich führe Euch hinaus.« »Was gilt die Wette: ich lasse die Beine, wo sie sind, und bin Euch doch willkommen!« »Daran denkt kein Mensch! Ich ersuche Euch, schleunigst abzusegeln!« »Auch wenn man mich hierher bestellt hat?« »Wer?« »Robert Surcouf.« »Surcouf? Der? Einen Engländer? Ah, das ist etwas Anderes. Erlaubt, daß ich Euch ein Glas bringe!« »Nun, wer hat Recht?« lachte der Fremde. »Jetzt aber sehe ich, daß ich an die richtige Adresse gekommen bin, und werde manierlicher sein. Habt keine Sorge, Oncle Carditon, ich bin kein Engländer, sondern ein Kind unserer guten Bretagne; ich war nur gezwungen, mich in dieser Verkleidung durch die Feinde hindurchzuschmuggeln. Ist Surcouf daheim?« »Er ist da. Welchen Namen soll ich ihm nennen?« »Bert Ervillard!« »Ervillard!« rief der Wirth erfreut. »Wirklich? O, warum sagtest Du das nicht gleich!«
»Weil ich zum Spasse sehen wollte, ob Du wirklich ein so großer Brummbär bist, wie man sagt, Oncle Carditon.« »Es ist nicht so schlimm; aber ich kann nun einmal die Engländer nicht leiden. Wo hat Dich unser Bote getroffen?« »In Tropez. Surcouf wußte genau, daß ich dort zu finden war. Hat er etwas gefunden?« »Ich weiß es nicht. Er ist sehr verschwiegen, was ich nicht tadeln kann.« »Wie ich ihn kenne, ist er bereits im Klaren. Ich bin erst vor zwei Stunden angekommen und weiß dennoch bereits, was ich thun würde. Da sah ich zum Beispiel eine Brigantine, scharf auf den Kiel gebaut, schmuck wie eine Taube und glatt wie ein Falke; sie hatte zwanzig Stückpforten und schien ganz vor Kurzem vom Stapel gekommen zu sein. Das wäre eine Prise, he!« Der Wirth lächelte geheimnißvoll schelmisch. »Du meinst › the hen ‹, welche da drüben vor Anker liegt? Ja, ein feines Schiff! › La poule ‹ würde besser klingen als › the hen ‹, das ist wahr. Na, wer weiß, was sich ereignen kann! Surcouf sagte, daß ihm nichts zu schwer sei, wenn Du ihm helfen würdest. Ich glaube, daß er Dir den Posten des ersten Offiziers zugedacht hat. Komm; ich will Dich zu ihm führen!« Dieses Gespräch war laut geführt worden, da kein Gast zugegen war. Der Wirth führte Ervillard eine Treppe empor, und als er zurückkehrte, bekam er weitere Arbeit, da ein Trupp Hafenarbeiter Zutritt genommen hatte und seine Dienste in Anspruch nahm. Kurze Zeit später trat ein Mann herein, welcher in stolzer Haltung die vordere Stube durchschritt und in dem hinteren Zimmer verschwand, welches den Aufenthalt der Kapitäns und Steuerleute bildete. Er besaß eine hohe, plumpe, ungeschlachte Gestalt, und sein aufgedunsenes Gesicht hatte jene spirituose Färbung, welche man vorzugsweise an Schnapstrinkern zu beobachten pflegt. In dem Angesichte des Wirthes zuckte es eigenthümlich, als er, ohne erst auf die Bestellung zu warten, dem neuen Gaste ein großes Glas voll Cognac nachtrug. Er grüßte ehrerbietig, aber ein aufmerksamer Beobachter hätte vielleicht doch einen verstohlenen Blick belauscht, der auf eine ganz andere Gesinnung schließen ließ. »Nun?« frug der Gast kurz, nachdem er den Inhalt seines Glases auf einmal hinabgegossen hatte. »Ich habe nachgesehen, Kapitän, und – – –«
»Still!« gebot ihm der Andere. »Laß Deinen Kapitän bei Seite! Es braucht Niemand zu hören, wer ich bin. Also Du hast nachgesehen?« »Ja.« »Und – –?« »Es wird gehen.« »Das denke ich auch.« »Nur müssen Sie sich mit genug Arbeitskräften versehen. Die Mauer ist sehr schwer zu durchbrechen, und lange Zeit darf der Vorgang doch nicht in Anspruch nehmen.« »Das ist richtig. Hast Du Niemand, der helfen kann?« »Nein. Ich will überhaupt dabei ganz aus dem Spiele bleiben. Ich darf nicht das Geringste wissen, verstehen Sie? Es würde um mich geschehen sein, wenn man ahnte, daß ich im Einverständnisse bin.« »Das läßt sich denken. Aber woher die Leute nehmen! Diese Bürger Soldaten schießen so sicher, daß ich bereits den dritten Theil meiner Leute eingebüßt habe. Wie viele Personen werden erforderlich sein?« »Zwanzig ganz sicher.« »Ah, und ich habe nicht vierzig! Ich brauche überhaupt neue Hände an Deck, und hier ist Niemand zu bekommen. Weißt Du Keinen, der Lust hat, es einmal auf einem Engländer zu versuchen? Ich zahle Dir für Jeden eine Guinee.« »Hm, vielleicht; aber ein Engländer ist es nicht.« »Ein Franzose?« »Ja, doch hat er es sehr eilig, aus dem Lande zu kommen.« »Das ist mir sehr lieb; solche Leute sind am besten zu brauchen; dazu ist ja die Schiffsordnung vorhanden. Wo ist der Kerl?« »Hm! Er muß noch hier im Hause sein. Und wenn ich nicht irre, hat er auch einige Kameraden, welche sich vielleicht bereden lassen, auch an Bord zu gehen.« »So schaffe ihn mir einmal herbei, aber schnell; ich habe nicht viel Zeit. Vorher jedoch bringe mir eine ganze Flasche Cognac; denn ein guter Schluck macht solche Leute willfährig.« Der Wirth brachte das Bestellte und stieg dann abermals die Treppe empor. Dort oben gab es ein kleines, verstecktes Zimmer, an dessen Thüre Oncle Carditon klopfte. Es wurde geöffnet, und zwar von Surcouf, welcher sich mit Ervillard ganz allein in dem Raume
befand. »Was gibt es?« fragte der Erstere. »Er ist da,« antwortete der Wirth. »Wer? Der Kapitän?« »Ja,« antwortete Oncle Carditon. »Er arbeitet uns ganz außerordentlich in die Hände. Er braucht Matrosen und hat mir eine Guinee versprochen für einen Jeden, den ich ihm verschaffe.« »Ah, Bert Ervillard, was meinst Du dazu? Willst Du erster Offizier auf › the hen ‹ werden?« Die Augen des Gefragten strahlten vor Vergnügen, als er antwortete: »Robert Surcouf, Du kannst Dich auf mich verlassen. Sage mir, was ich zu thun habe!« »Es freut mich, daß Du Dein Auge grad so wie ich auf › the hen ‹ geworfen hast. Sie ist die schmuckste Seglerin, welche ich jemals gesehen habe, und darum soll sie unser werden. Ihr Kommandant ist der Kapitän zur See, William Harton. Er muß große dienstliche Fehler begangen haben, da man ihm nur diese Brigantine anvertraut. Ueberhaupt ist er kein ehrlicher Seemann, sondern ein Spitzbube, dem wir auf die Finger klopfen werden. Er weiß, daß Toulon nicht zu halten ist und daß die ganze Flotte in einigen Tagen den Hafen verlassen wird; natürlich sticht auch er in See, will aber vorher erst einen Coup ausführen, welcher an und für sich schändlich ist, uns aber trefflich zu Statten kommt. Das Haus unsers Oncle Carditon stößt nämlich an die Banque orientale, in deren Kellern sich bedeutende Summen vermuthen lassen. Das Eigenthum der Bank steht natürlich unter öffentlichem Schutze; von außen ist demselben nicht beizukommen. Da hat sich nun dieser ehrliche Kapitän an Oncle Carditon gemacht, um ihn vorsichtig auszuforschen. Carditon ist scheinbar auf seine Absichten eingegangen, und so haben Beide beschlossen, von der Taverne aus mit Brechwerkzeugen in die Keller einzudringen. Das soll in der Nacht geschehen, bevor die Flotte den Hafen verläßt. Bei Oncle Carditon darf man natürlich nichts finden; den ihm gehörigen Antheil will der Kapitän in Barcelona deponiren. Was sagst Du dazu, Bert Ervillard?« »Ich sage, daß dieser William Harton ein großer Schurke und ein noch größerer Dummkopf ist. Es gehört eine ungeheure Albernheit dazu, unsern Oncle Carditon für so albern zu halten, auf ein solches Geschäft einzugehen.«
»Das ist richtig. Ich glaube, dieser Kapitän hat einen großen Theil seines Verstandes vertrunken. Die Sache ist jedoch sehr vortheilhaft für uns. Um die Mauern zu bewältigen, braucht er eine ziemliche Anzahl kräftiger Arme; er wird dazu seine eigenen Leute nehmen und also die Brigantine von Männern entblößen; ist dies geschehen, so werden wir handeln.« »Sind wir zahlreich genug?« »Habe keine Sorge! Ich habe eine Anzahl braver Bursche, welche sich zwar zerstreut in der Stadt befinden, aber in einer Viertelstunde zur Stelle sind, wenn ich sie brauche. Jetzt nun sagt uns Oncle Carditon, daß der Engländer Matrosen brauche. Willst Du Dich melden, Bert Ervillard? Wenn Du mit einigen von meinen Jungens an Deck der Brigantine kommen könntest, so wäre das Unternehmen schon zur Hälfte gelungen.« »Ich bin bereit dazu.« »So hast Du keine Zeit zu verlieren. Als Engländer darfst Du ihm natürlich nicht kommen. Sage ihm, daß Du einige Bekannte in der Nähe hast, welche auch gern einige Meilen Wasser zwischen sich und Frankreich bringen möchten. Am besten würde es sein, wenn er Euch für Landratten hält; er kann dann weniger leicht Mißtrauen schöpfen. Laß Dir von Oncle Carditon ein anderes Habit geben und komme dann wieder herauf!« Während sich dies in der Taverne begab, rollte der Donner des Bombardement über die Stadt und die Rhede hin; er schwieg selbst während der Nacht nicht still, und am andern Morgen rüsteten sich die Truppen des Convents zum Sturme. Es war noch dunkel, als Dugommier und Napoleon ihre Colonnen gegen die Werke von Kleingibraltar führten. Das Tirailleurfeuer und die Kartätschen der Engländer wütheten in der Weise unter den Franzosen, daß Dugommier, der sonst so Unerschrockene, sich mit den Worten »Wir sind verloren!« zurückzog. Napoleon hatte sich aber im fürchterlichsten Kugelregen einen Weg in die feindlichen Redouten gebahnt, und bald befand sich Kleingibraltar in seinen Händen. Dann erstürmte er die beiden Forts Balagnier und Eguillette, und es erschienen die Deputirten des Convents, um ihm ihren Dank auszusprechen. Er hatte heut die erste große Stufe zum Consulate und zum Kaiserthrone erstiegen. Admiral Hood zog sich zurück. Zunächst lichteten die größeren Schiffe die Anker; dann sollten die kleineren folgen. Die Rheden
und das Meer waren von Schaluppen und Fahrzeugen bedeckt, welche sich mit Truppen und fliehenden Einwohnern an Bord des Geschwaders begaben. Unterdessen dauerte die Kanonade ununterbrochen fort, welche gegen die übrigen Befestigungswerke gerichtet war. Die Erde zitterte unter dem Donner der Geschütze, die See schäumte unter den peitschenden Schlägen von tausend Rudern, und die Luft zischte hinter den zahllosen Geschossen, welche sie nach allen Richtungen durchkreuzten. In der Stadt herrschte eine fieberhafte Aufregung. Man war auf den Gassen und Straßen derselben seines Lebens nicht sicher. Wer den Convent zu fürchten hatte, der floh, und wer zurückblieb, der verbarrikadirte sich in seinem Hause aus Furcht vor den Marodeurs, welche in größeren oder kleineren Trupps ihr räuberisches Handwerk trieben. Diejenigen Schiffe, welche noch in dem innern Hafen lagen, mußten an den Befestigungen vorüber, welche sich jetzt in den Händen der Conventtruppen befanden. Mehrere von ihnen wurden von den Artilleristen Napoleon's in den Grund gebohrt; darum blieben die übrigen zurück, um den Schutz der Nacht zu erwarten, wo sie meinten, mit größerer Sicherheit auslaufen zu können. Zu ihnen gehörte auch die Brigantine » the hen «. Als der Abend hereingebrochen war, stellte sich der Kapitän Harton bei Oncle Carditon ein. Es befand sich kein einziger Gast in der Taverne, denn es gab Niemand, der Zeit oder Lust gehabt hätte, in dieser Zeit der Noth die Seinen zu verlassen, um nach alter Gewohnheit beim Glase zu sitzen. »Wie steht es; ist Alles sicher?« frug er den Wirth. »Alles,« antwortete dieser. »Und drüben in der Bank?« »Man hat Wächter in die oberen Räume gestellt; nach unten aber können diese nicht. Uebrigens ist die Kanonade so stark, daß kein Lauscher Ihre Arbeit vernehmen kann. Haben Sie genug Leute mit?« »Ja. Oeffnen Sie Ihren Keller; sie werden gleich kommen. Im Weiteren aber werden Sie sich nicht um uns bekümmern!« »Hier ist der Schlüssel. Und ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich es nicht bin, der Sie belästigen wird. Aber sagen Sie vorher Eins: haben Sie die versprochenen Männer an Deck bekommen?« »Ja. Es sind Elf, zwar lauter junge, unbefahrene Leute, die nur deßhalb zu Schiffe gehen, weil ihnen hier der Boden unter den
Sohlen brennt; aber ich bin doch froh, sie bekommen zu haben. Andere sind weniger glücklich wie ich, und die neunschwanzige Katze ist der beste Lehrmeister, den es gibt.« »Sie verwenden sie doch nicht zu dem jetzigen Unternehmen?« »Fällt mir gar nicht ein! Sie sind mir nicht sicher genug; auf meine Theerjacken aber kann ich mich verlassen.« Er nahm den Schlüssel und ging hinaus. Der Wirth nickte befriedigt vor sich hin und brummte: »Wirst Dich wundern, alter Spitzbube! Wie gut, daß er den Bert Ervillard an Bord gelassen hat; dieser wird mit den zehn Kameraden schon dafür sorgen, daß › the hen ‹ in die rechten Hände kommt.« Nach einiger Zeit vernahm er draußen das Geräusch zahlreicher Schritte, und wenige Minuten später trat Robert Surcouf ein. »Gefangen!« lachte er. »Jetzt, Oncle Carditon, gib uns noch einen guten Schluck; dann brechen wir auf.« »Stecken sie fest?« »Fest! Wir haben so viele Tonnen auf die Thür gewälzt, daß sie diese vom Keller aus gar nicht zu öffnen vermögen. Auch habe ich dafür gesorgt, daß sie von der Bank aus gut empfangen werden. Es sind über zwanzig Männer; › the hen ‹ ist also entblößt, und so zweifle ich nicht, daß unser Streich gelingen wird.« »Ihr werdet sofort in See stechen?« »Nein. Robert Surcouf ist kein Einbrecher, der nur im Dunkel der Nacht sein Wesen treibt. Ich werde am hellen Tage und mit offener, französischer Flagge den Hafen verlassen.« »Das würde keine Kühnheit mehr, sondern Wahnsinn sein!« »Desto sicherer wird es gelingen. Habe Dank für Deine Hilfe, mein guter Oncle Carditon. Du wirst von mir und den Meinigen bald hören!« Draußen im Flure standen gegen dreißig Männer, welche sich am Tage über in den obern Räumen des Hauses versammelt hatten. Sie tranken auf das Gelingen ihres Vorhabens und verabschiedeten sich dann vom Wirthe. Mit Surcouf an der Spitze begaben sie sich an das Wasser, wo sie die Boote fanden, auf denen Kapitän Harton mit seinen Leuten angekommen war. Sie bestiegen dieselben und ruderten auf » the hen « zu. Sie hatten die Brigante noch nicht ganz erreicht, so hörten sie, daß an Bord derselben Jemand ein Liedchen pfiff. »Das ist das Zeichen,« flüsterte Surcouf. »Die Unsrigen haben
ihre Schuldigkeit gethan und sich in den Besitz des Fahrzeuges gesetzt.« »Ahoi, Brigantine!« rief er jetzt. Da bog sich ein Kopf über die Regeling des Schiffes herab, und die Stimme Bert Ervillard's frug: »Boote ahoi! Welche Männer sind es?« »Die richtigen!« antwortete Surcouf. » Grâce à Dieu! Laßt die Treppe herab, Jungens! Der Kapitän kommt.« Die Ankommenden stiegen an Bord und zogen dann die Boote nach. Bert Ervillard hatte die Besatzung des Schiffes hinunter in den Kielraum gelockt und dort eingeschlossen. Die Brigantine befand sich in der Gewalt Surcouf's, und eine nähere Untersuchung ergab, daß ihre Ausrüstung bis auf das Allerkleinste eine ganz vorzügliche war. Der schwierigste Theil der Aufgabe freilich war noch zu lösen: es galt, das so leicht eroberte Fahrzeug nun auch zu behaupten. Während der Nacht versuchten mehrere Schiffe, an den Batterien der Franzosen unbemerkt vorüberzukommen, aber die Kanoniere waren aufmerksam und ließen sich nicht täuschen. Surcouf blieb ruhig vor Anker liegen und verwendete auch den ganzen Vor-und Nachmittag nur darauf, die Brigantine für seine Zwecke einzurichten und ihr den möglichst hohen Grad der Seetüchtigkeit zu geben. Durch einen Boten, den er in die Taverne sandte, erfuhr er, daß die Engländer noch immer als Gefangene im Keller stäcken und auch nicht eher hervorkommen dürften, als bis » the hen « in See gegangen sei. Endlich am späten Nachmittag gab das Admiralsschiff den noch in den Häfen befindlichen Fahrzeugen das Zeichen, schleunigst die See zu suchen, und zu gleicher Zeit sah man die Besatzung von dreizehn französischen Orlogschiffen, welche sich an dem Aufstande gegen den Convent betheiligt hatte, ihre Fahrzeuge verlassen, um sich an Bord der Engländer zu begeben. Bei diesem Anblick ballte Surcouf die Faust. »Treulose Feiglinge!« sagte er zu Bert Ervillard, seinem Lieutenant. »Wir wagen das Leben, um dem Feinde eine kleine Brigantine abzunehmen, und sie lassen neun Linienschiffe und vier Fregatten im Stiche, eine ganze Flotte, mit welcher ich diese Engländer um die Erde jagen würde!« »Sie verdienen an die große Raa gehängt zu werden!«
antwortete Ervillard. »Aber ein Trost ist es, daß ihre Schiffe der Nation verbleiben werden, denn der Convent wird sie schleunigst in Besitz nehmen.« »Meinst Du wirklich? Ich sage Dir, daß auf jedem dieser Schiffe bereits die Lunte brennt; in kurzer Zeit wirst Du dreizehn riesige Flammen leuchten sehen.« »Ist es nicht möglich, wenigstens eines davon zu retten und in Besitz zu nehmen?« Surcouf schüttelte den Kopf. »Ich thue es nicht. Der Convent hat mich abgewiesen; ich habe kein Recht, mich eines seiner Schiffe zu bemächtigen, und also auch keine Verpflichtung, ihm eines derselben zu retten. Uebrigens sind wir zu wenig Mannen, mit einem Orlogschiff zu manövriren; unsere kleine Brigantine entspricht meinen Zwecken viel besser, und ich halte es für gerathener, dem Feinde ein Fahrzeug vor der Nase wegzunehmen, als den Retter zu spielen, wenn ich weiß, daß ich statt des Lohnes nur Undank ernte. Ich habe diesem Colonel Bonaparte gesagt, daß Frankreich's Flagge sich senken werde; er hat mich ausgelacht; aber bereits heut beginnt die Trauer unserer Marine, denn das Meer wird dreizehn ihrer besten Schiffe im Werthe von vielen Millionen verschlingen. Vielleicht denkt der Colonel, wenn er die Flammen lodern sieht, an mich, obgleich er mich so schnell vergessen wollte.« Er wandte sich ab, um vor Anbruch der Nacht noch einmal alle Räume und die ganze Ausrüstung des Schiffes durchzumustern, denn es galt, des Fahrzeuges selbst in den kleinsten Einzelnheiten mächtig zu sein. Der Abend neigte sich auf die unglückliche Stadt, und kaum hatte sein Dunkel die Umrisse der Plätze und Straßen umhüllt, so ertönte ein Donnerschlag, welcher Erde und Wogen erbeben machte: das Hauptmagazin war explodirt und in die Luft geflogen, und zu gleicher Zeit stiegen aus dem Zeughause fünf mächtige Flammensäulen zum Himmel empor. Kaum war dies geschehen, so liefen an den Masten der dreizehn französischen Kriegsschiffe züngelnde Feuerschlangen empor. Die ganze Stadt und die Häfen wurden von diesen gewaltigen Feuern tageshell erleuchtet. Alles, was Ruder und Segel besaß, flüchtete hinaus auf die offene See, und nur die Brigantine blieb ruhig liegen. Sie war von den eroberten Forts aus ganz gut zu
erkennen; man konnte von diesen Punkten aus sogar die Bemannung erkennen, welche sich auf den Raaen und im Takelwerke befand, um den Anblick des feurigen Panoramas besser genießen zu können. Das Verhalten dieses Fahrzeuges mußte natürlich auffallen; man konnte sich keinen Grund denken, weßhalb sich dieser Engländer nicht auch in Sicherheit brachte, und behielt ihn scharf und mißtrauisch im Auge, bis nach einigen Stunden die Flammen erloschen und die Dunkelheit sich wieder über Land und See ausbreitete. Bereits mit Tagesanbruch stand Napoleon in einer der den Hafen beherrschenden Batterien. Er hatte während der Nacht nicht geschlafen, desgleichen auch General Dugommier, welcher an seiner Seite sich befand. Sie hatten die Fernrohre an den Augen und beobachteten das Fort La Malgue, welches ihnen noch Sorgen bereitete. Es schien verlassen zu sein, aber man konnte annehmen, daß es vorher unterminirt worden sei. Bei dieser Gelegenheit richtete Napoleon sein Glas auch auf die Brigantine, welche sich soeben aus dem aufsteigenden Nebel abzuzeichnen begann. »Was ist das!« rief er. »Bürger General, welcher Name hat gestern am Buge dieser Brigantine gestanden, welche uns so viel zu denken gibt?« » The hen, « antwortete der Gefragte. »Man hat während der Nacht diesen Namen überstrichen und geändert. Das Wort ist ganz deutlich durch das Rohr zu erkennen.« Der General richtete sein Glas, las und schüttelte den Kopf. »Unbegreiflich!« meinte er. »Da steht geschrieben › le faucon ‹; es ist aus der englischen ›Henne‹ ein französischer ›Falke‹ geworden. Was hat dies zu bedeuten?« »Nichts Anderes als eine List, ein Verrath gegen uns.« »Pah, dieses kleine Fahrzeug kann uns nichts thun! Ah, jetzt hißt es die Segel. Mille tonnerre, die Wimpel haben französische Farbe! Man hebt den Anker; die Morgenluft bläht die Leinwand; die Brigantine will in See stechen!« »Das will ich ihr verbieten!« meinte Napoleon. Er trat an eine der Kanonen, deren Lauf er eigenhändig richtete; dann lächelte er, seiner Sache gewiß: »Sie muß in Schußlinie vorüber. Man wird sehen, ob der Bürger Bonaparte noch zu schießen vermag.« Der General gab mit der Hand ein verneinendes Zeichen.
»Der Mann da auf dem Hinterdecke kommt mir nicht wie ein Engländer vor. Ich bin kein Seemann, aber das sehe ich, daß sich das Schiff in ausgezeichneten Händen befindet; es gehorcht wie ein Vollblutpferd dem leisesten Steuerdrucke. Uebrigens beobachtet uns der Kapitän ebenso durch das Rohr, wie wir ihn.« Bonaparte nahm sein Glas abermals vor und blickte hindurch; dann zog er es rasch vom Auge, wischte es ab und schaute noch einmal nach dem Befehlshaber der Brigantine. Dieser hatte ihn durch das Rohr erkannt schwang sich in den Wanten empor und schwenkte grüßend seine Mütze. »Er salutirt zu uns herauf,« meinte der General. »Er muß einen von uns Beiden kennen.« »Ich bin es, den er kennt,« antwortete Bonaparte. »Ah! Wer ist es?« »Bürger General, das ist eine Geschichte, welche ich erzählen werde, wenn mir mehr Muse dazu bleibt. Dieser junge Mensch wollte von dem Convente ein Schiff haben; man hat es ihm verweigert, und nun hat er sich selbst eins genommen, und zwar mitten aus der englischen Flotte heraus.« »Außerordentlich, ganz außerordentlich! Wie hat er dies angefangen?« »Mir unbegreiflich!« »Wir werden es erfahren. Er hat jedenfalls die Bemannung zu überwältigen gewußt. Ein kühner Bursche! Leider aber wird er seinem Verderben entgegengehen. Draußen liegen die englischen Schiffe: sie werden ihn zusammenschießen.« »Leider! Hätte er den Namen des Schiffes nicht so augenfällig verändert, so wäre es ihm möglich, hindurch zu kommen.« Jetzt kam die Brigantine in das Bereich der Batterie. Mit einem lauten Commandorufe brachte Surcouf seine Leute hinauf auf die Raaen, wo sie, sich die Hände reichend, Parade bildeten. Zu gleicher Zeit flog die französische Flagge empor, und aus den Stückpforten krachte die gebräuchliche Zahl der Begrüßungsschüsse. Dies Alles geschah mit einer solchen Gewandtheit und zierlichen Genauigkeit, daß selbst der sonst so kalte Bonaparte hingerissen wurde. Er kommandirte Feuer und gab mit geladenen Kanonen Antwort auf den Gruß des Mannes, den zu vergessen er sich vorgenommen hatte. Natürlich waren die Kugeln jetzt nicht gezielt; sie flogen weit an der Brigantine vorüber, welche mit graziöser Schwenkung dem
Bereiche der Batterie entsegelte. Kaum war sie vorüber, so wurde ein Mann am Bug herabgelassen, der sich mit der Inschrift zu schaffen machte. Jetzt sahen die beiden in der Redoute befindlichen Offiziere, daß der ursprüngliche Name nicht vertilgt, sondern nur mit einem Papier überklebt worden war, auf welchem die beiden Worte » le faucon « standen. Diese Worte wurden jetzt entfernt, und nun kam wieder der frühere Name » the hen « zum Vorschein. » Ah diable, er hat uns betrogen!« rief General Dugommier. »Die ganze Scene war nur Komödie, um unangefochten an der Batterie vorüber zu kommen. Man hat ihm kein Schiff gegeben, und nun ist er zu dem Feinde übergegangen.« »Das glaube ich nicht,« antwortete Napoleon. »Dieser Surcouf ist keines Verrathes an seiner Nation fähig, denn er ist eigenthümlicher Weise ein frommer Christ und guter Katholik. Diese Art von Leuten hat neben anderen Eigenschaften auch die, daß man auf sie rechnen kann. Ich glaube eher, daß er beabsichtigt, die Engländer zu düpiren.« »Das werden wir sehen, sobald er in das Bereich ihrer Kanonen kommt.« Die Brigantine flog mit vollen Segeln und zierlich sich zur Seite neigend über die Rhede dahin. Draußen kreuzten die Dreimaster der Engländer; man konnte mit dem bloßen Auge jedes einzelne Schiff erkennen. Am deutlichsten war das Flaggenschiff zu unterscheiden, auf welchem sich Admiral Hood in eigener Person befand. Die Brigantine hielt grad auf dasselbe zu; sie wurde noch immer von den Fernrohren der beiden Offiziere verfolgt. »Er segelt das Signalschiff an; er ist wirklich ein Abtrünniger,« sagte General Dugommier. »Wir wollen noch warten,« meinte Napoleon. »Diese Episode ist wirklich hochinteressant!« »Könnte er sich in die Nähe des Flaggenschiffes wagen, wenn er den Engländern wirklich entkommen will?« »Das scheinbar Schwierigste ist zuweilen just das Leichteste. Ah, was ist das?« »Die Leute, welche wieder durch die Luken heraufsteigen?« »Ja. Sie gingen vor zwei Minuten hinab; jetzt, da sie zurückkehren, tragen sie die Uniform englischer Seeleute. Mir ahnt, was dieser verteufelte Surcouf beabsichtigt. Wenn meine
Vermuthung in Erfüllung geht, so ist dieser junge Bretagner allerdings ein Mann, dem man ein Schiff hätte anvertrauen sollen!« Die Wangen des kleinen Corsen rötheten sich; die Brigantine nahm jetzt sein regstes Interesse in Anspruch. Er dachte nicht an Toulon, an die gewaltigen Werke, welche vor ihm lagen, sondern er sah nur das kleine Fahrzeug, welches keck und kühn den stolzen Linienschiffen England's in die Zähne segelte. »Der Mensch wird doch nicht so verrückt sein, zu glauben, daß er an diesem Punkte die Linie durchbrechen kann!« hob der General wieder an. »Er müßte sich weiter nach Ost halten, um dem Feinde den Wind abzugewinnen.« »Wer weiß, welcher Berechnung er folgt! Vielleicht hat er trotz der kurzen Zeit › the hen ‹ genau genug kennen gelernt, um zu wissen, was er mit ihr wagen kann. Voilà, da dreht das Flaggenschiff bei! Er hat das Zeichen gegeben, daß er mit dem Admirale reden will.« Jetzt kam ein Augenblick der größten Spannung. Das Flaggenschiff hatte beigedreht, indem es den einen Theil seiner Segel voll im Winde ließ, den andern aber so braßte, daß der Wind von außen empfangen wurde. Nun hätte man erwarten sollen, daß die Brigantine ihre Segel fallen ließe, statt dessen aber setzte Surcouf ein Sternsegel nahe am Winde bei und ließ den Helmstock des Steuerruders an der Leeseite festbinden. Dadurch wurde der Vordertheil des Schiffes der hohen See zugekehrt, und die beiden Fahrzeuge trieben einander langsam entgegen. Napoleon sah durch das Rohr Surcouf auf dem Hinterdecke stehen, in englischer Uniform und das Sprachrohr in der Hand, aber in einer solchen Haltung, daß man vom Flaggenschiff aus sein Gesicht noch nicht zu sehen vermochte. Kaum noch fünf oder sechs ihrer eigenen Längen war die Brigantine von dem Dreimaster entfernt, da winkte Surcouf mit dem Rohre. Sofort riß der Mann am Steuer das Tau vom Ruder, und das Sternsegel wurde gerefft: » the hen « nahm frischen Wind und kam wieder in schnelle Fahrt. Statt anzuhalten, strich sie mit ziemlicher Schnelligkeit an dem Dreimaster vorüber. Napoleon sah, daß Surcouf abermals den Arm erhob. In diesem Augenblick legte sich die Brigantine schwer zur Seite, und die französische Flagge flog empor. Zunächst erblickten die beiden Officiere einen lichten Rauch, welcher der Breitseite des kleinen Fahrzeuges entquoll; dann sahen sie das große, stolze
Flaggenschiff bis an die Spitze seiner Masten erzittern, und einige Augenblicke später hörten sie den Donner der Kanonen, mit denen der kühne Bretagner das Orlogschiff begrüßt hatte. Eine Minute nachher faßte die Brigantine vollen Wind, und ehe man auf dem Linienschiffe sich von seinem Erstaunen erholt hatte, war sie bereits aus sicherer Schußweite gekommen. Man sah, welche Verwirrung dieses außergewöhnliche Intermezzo auf dem Admiralsschiffe hervorrief; es wendete und jagte dem Flüchtling eine Breitseite nach, aber ohne zu treffen; dann flogen Signale an den Leinen empor, welche von den anderen Schiffen beantwortet wurden, und bald befanden sich alle verfügbaren Fahrzeuge auf der Jagd nach dem verwegenen Zwerge, welcher es gewagt hatte, den Riesen zu täuschen und mit ihm anzubinden. »Ah, excellent, excellentissime!« rief General Dugommier, indem er tief aufathmete. »Dieser Mensch ist wirklich ein kleiner Teufel, der alles Lob verdient.« »Lob?« erwiederte Bonaparte. »Bürger General, was dieser Robert Surcouf geleistet hat, ist über alles Lob erhaben; ich, Napoleon Bonaparte, sage, daß er eine Schlacht gewonnen hat. Ich wünsche von Herzen, daß er entkommt. Stände ich an der Spitze der Marineangelegenheiten, so würde ich ihn zurückrufen, um ihm eine Flotte anzuvertrauen. Ich habe mich in diesem Genie getäuscht!« – Drei Tage später trat ein korsischer Fischer aus Calvi bei ihm ein. Dieser hatte die Brigantine » le faucon « getroffen und von dem Befehlshaber derselben einen Brief erhalten, um ihn bei Napoleon abzugeben. Derselbe lautete: »An den Bürger Colonel Bonaparte. Ich habe mein Wort gehalten und mir ein Schiff genommen. Wenn Gott mich beschützt, so daß ich unbeschädigt an Gibraltar vorüberkommen, wird man bald Weiteres von meinen Träumen hören. Robert Surcouf.« Napoleon Bonaparte faltete das Papier langsam und nachdenklich zusammen. Und doch ahnte er nicht, daß er einen der größten Fehler seines Lebens begangen hatte, als er diesem Manne seine Protection verweigerte. – – –
Der Flug des Falken Seit den letzt erzählten Ereignissen waren sieben Jahre vergangen. Napoleon hatte in Italien seine Adler steigen lassen, in Aegypten seine Siege erfochten und war erster Consul geworden. Der kleine Corse regierte mit Cambacérès und Lebrun das Land, war aber in Wirklichkeit der einzige Regent Frankreich's. Die Prophezeiung Robert Surcouf's hatte sich erfüllt. Die Nation war von innern Kämpfen zerrissen und von äußeren Kriegen geschwächt worden; zu Lande war ihr der Sieg treu geblieben, zur See aber hatte sie sich stets schwach gezeigt. Napoleon war ein großer Feldherr, aber ein schlechter Admiral; es fehlte an einem Geiste, welcher berufen gewesen wäre, ein Bonaparte zur See zu sein. Die Marine war Frankreich's schwächste Seite, und darum war England der gefürchtetste Gegner desselben. Der eines großen Geistes würdige Plan Napoleon's, England in Egypten und Indien anzugreifen, war an der Unfähigkeit des Admirals Brueys gescheitert, welcher sich trotz seiner Uebermacht von Nelson bei Abukir schlagen ließ. Das stolze Albion beherrschte alle Meere; sein Krämersinn übte auf die Schifffahrt aller Nationen einen Druck, der sich kaum ertragen ließ. England schrieb Gesetze vor und änderte dieselben nach Belieben; es trachtete nach dem Monopole des Handels, nach der Beherrschung des Weltverkehres und erzwang sich auf diesem Wege des Druckes und der Pressung ungeheure Summen, mit denen es wieder im Stande war, sich die Kabinete zu erkaufen und die Regierungen also von sich abhängig zu machen. England schien unverwundbar zu sein. Es besaß neben Nelson Hunderte von Seemännern, denen Frankreich nicht einen Einzigen entgegenstellen konnte; es lachte der Anstrengungen seiner Feinde; es erlaubte sich die brutalsten Eingriffe in das Völkerrecht; es konnte dies ungestraft thun; es konnte die aufrichtig gemeinten Friedensanerbietungen des ersten Consuls mit verächtlichem Schweigen oder mit beleidigenden Floskeln beantworten, denn der einzige Franzose, den es fürchtete, wirklich fürchtete, schwamm in einem kleinen, unansehnlichen Fahrzeuge auf fernen Meeren und hatte sich selbst aus seiner Heimat verbannt, weil er von derselben
verstoßen worden war und da draußen in der Fremde Menschen gefunden hatte, die ihn liebten und verehrten, die ohne seinen Schutz nicht leben konnten und ohne seine Hülfe elend umgekommen wären. Und dieser Einzige war kein Anderer als Robert Surcouf, der kühne Sohn der Bretagne. – Es war an einem lichten Sommertage. Die Sonne Indien's neigte sich dem Untergange entgegen, so daß die Schatten der Masten riesenhaft über die Wogen fielen. Während des Tages hatte die glühende Hitze nicht einen erfrischenden Windhauch aufkommen lassen, jetzt aber erhob sich ein leises Lüftchen, welches von Viertelstunde zu Viertelstunde immer stärker wurde und im Hafen von Pondischery die warmen Fluthen zu kräuseln begann. Pondischery, ursprünglich eine französische Colonie, war den Franzosen im Jahre 1793 von den Briten abgenommen und dem Nabob von Karnatik übergeben worden. Man hatte die Festungswerke geschleift und auch in übriger Beziehung alle französischen Erinnerungen zu verlöschen gesucht. Grad jetzt lag der Hafen voller Schiffe; der in dieser Jahreszeit herrschende Südwestmonsum hatte sie herbeigeführt und bot ihnen treffliche Gelegenheit, ihren Weg nach Osten weiter fortzusetzen. Es waren Fahrzeuge aller Nationen vorhanden, nur kein französisches; denn den Schiffen dieser Nationalität erschwerte man durch allerlei Schikanen die Einfahrt, und ein Kriegsschiff derselben brauchte den Versuch, hier die Anker zu werfen, gar nicht zu machen. Etwas weiter vom Lande entfernt, als die anderen Schiffe, lag eine kleine Brigg mit Schoonertakellage. Es war ein Yankee, welcher die Aufmerksamkeit der anwesenden Kapitäns nicht wenig in Anspruch nahm. Die Brigg hatte die neue amerikanische Bauart: scharfes, bis an die Gallion verlängertes Vordertheil, schmale Brust und ungewöhnlich schlanken Körper. Sie zeichnete sich jedenfalls durch ihre feinen Wasserlinien und eine Schnelligkeit aus, welche man recht gut auf sechzehn bis siebzehn Seemeilen für die Stunde annehmen konnte. Diese Brigg war gewiß ein ausgezeichneter Küstenfahrer; aber es gehörte ein kühner, trefflicher Seemann dazu, sich mit einem so leicht dem Kentern ausgesetzten Fahrzeuge über den großen Ocean zu wagen. Und dieser Seemann war noch so jung; er konnte kaum dreißig Jahre zählen. Er hatte Wein und Spirituosen geladen, welche er gegen Opium und Indigo umzutauschen beabsichtigte; er hatte aber seine Ladung noch Keinem angeboten.
Ganz in der Nähe dieser Brigg lag ein Engländer, ein großes, dreimastiges Kauffahrteischiff. Es hatte hier ausgezeichnete Geschäfte gemacht und wollte morgen den Anker lichten; für heut Abend aber gab der Kapitän seinen Handelsfreunden ein Abschiedsfest, zu welchem auch die Kapitäns der nahe liegenden Schiffe geladen waren. Als der Abend hereingebrochen war, ließ der Engländer einige Raketen steigen, worauf die Geladenen von ihren Schiffen stießen, um bei ihm an Deck zu kommen. Auch der Amerikaner stellte sich ein. Vom Lande kamen die Gäste herbeigerudert und brachten ihre Frauen und Töchter mit. Eine Musikkapelle war schon an Bord. Nach kurzer Zeit klangen die lustigen Weisen derselben über die Wogen dahin. Das Vorderdeck war zum Tanzen geräumt, und im Hintertheile stand die lange Speisetafel nebst den Buffets, an denen man sich nach Belieben erfrischen konnte. Am muntersten ging es während der Tafel zu. Toast verdrängte Toast; die Herren waren bereits ein wenig angeheitert und ließen sich nach Seemannsart mehr gehen, als es eigentlich die Anwesenheit der Frauen gestattet hätte. Natürlich wurden allerlei merkwürdige Seegeschichten erzählt; ein Jeder hatte etwas Ungewöhnliches erlebt, und es kam manche Münchhauseniade zum Vorscheine, über welche herzlich gelacht wurde. Aber man erzählte auch Ernsthaftes, z.B. von berühmten Kaperschiffen. Bei diesem Thema schlug einer der Kapitäns mit der Faust auf den Tisch und sagte: »Geht mir mit Euren Kapers und Privateers! Sie alle sind doch nichts gegen den ›Falken am Aequator‹. Wer unter Euch hat ihn gesehen?« Keiner antwortete, und der Sprecher fuhr fort: »So bin ich es allein, der ihm begegnet ist.« »Begegnet? Wirklich?« rief es rundum. »Still! Ruhig! Erzählt, Kapitän! Wie sah er aus? Was that er? Welches Schiff hatte er?« »Das war vor zwei Jahren, unter fünf Grad nördlicher Breite und ungefähr auf der Länge von Adaman. Wir hatten einen Sturm, wie ich ihn noch nie erlebt habe, und das will viel sagen. Der Tag war finster wie die Nacht; der Orkan schien aus allen Richtungen auf uns einzufahren; der Himmel hing bis auf die Wasser nieder, und die Wogen stiegen bis in die Wolken empor. Da plötzlich sahen wir beim Scheine der Blitze ein fremdes Fahrzeug, dessen Schnabel
grad gegen unsern Bug gerichtet war. Seine Segel glänzten weiß wie das Federfell eines Schwanes, und – glaubt's oder glaubt's nicht – der Halunke hatte kein einziges Reff gelegt; er fuhr mit voller Leinwand auf uns ein. Es war ein zweimastiges Fahrzeug, ungefähr so was man eine Brigantine nennt. Natürlich hatte ich Angst vor dem Zusammenprall und befahl dem Manne am Steuer, einen Strich abzufallen. Da schoß der Fremde an uns vorüber, so nahe, daß ich ihn mit der Hand greifen konnte. Ich nahm das Sprachrohr an den Mund und rief ihn an: ›Schiff ahoi! Welches Fahrzeug?‹ Ich sah keine Menschenseele auf dem Deck; ein einziger Mann hing in den Backbordwanten. Dieser brauchte kein Rohr; er legte die eine Hand an den Mund und rief herüber, als ob das Brüllen des Sturmes nur ein leises Säuseln sei: ›Der Falke des Aequators, Kapitän Surcouf. Gebt ihm Eins! Feuer!‹ – Da erst sehe ich drüben die französische Flagge und unter ihr die blutrothe wehen; es thun sich sechs Geschützpforten auf, und wir bekommen die Kugeln in den Rumpf, während der Franzose im Dunkel des Wetters verschwindet. Na, wir haben die Löcher verstopft und weiter keinen großen Schaden gehabt; aber wenn der Kerl bei solchem Sturme den Spaß nicht lassen kann, wie mag es dann erst gehen, wenn er bei sicherer See einmal Ernst macht!« »Ja,« meinte einer der Zuhörer, »er soll ein entsetzlicher Kerl sein. Admiral Seymur sagte von ihm: ›Er hat eine jährliche Rente von 365 gekaperten Schiffen,‹ und das ist genug gesagt. Er segelt mit seinem Zweimaster die größten Schiffe an und soll selbst ein Orlogschiff ersten Ranges nicht fürchten.« »Oho!« rief der Kapitän, welcher den Wirth machte. »Mir sollte er nicht kommen; ich würde ihn schlimm heimschicken, so wahr ich James Sarald heiße!« »Sprecht nicht zu viel, Kapitän!« warnte Einer. »Kennt Ihr die Angriffsweise dieses Robert Surcouf?« »Nun?« »Er ist kein Seeräuber; er zeigt Euch ganz ehrlich seine Flagge und kommt an Euch heran, ohne einen Schuß zu thun. Bord an Bord aber, springt er mit zwanzig Mann zu Euch an Deck. Wehrt Ihr Euch, so braucht er seine Waffen; ergebt Ihr Euch aber, so geschieht Euch kein Leid. Er führt Euer Schiff nach dem Hafen der nächsten französischen Colonie, wo es im Namen Frankreich's mit Beschlag belegt wird. Ihr erhaltet richtige Bescheinigung und Reisegeld, um
nach Hause zu kommen.« »Weiter nichts? Mit zwanzig Mann? Pah!« »Lacht ja nicht, Kapitän Sarald!« rief ein Anderer. »In der Nähe des Ambra-Vorgebirges hat er mit zwanzig Mann den ›Bananian‹ geentert, ein Schiff der ostindischen Compagnie mit 26 Kanonen schwersten Kalibers und über 200 Mann Besatzung, alle gut bewaffnet. 3 Ich mag ihm nicht begegnen!« »Und ich wünsche nun grad, ihm zu begegnen!« behauptete Sarald. »Sprecht diesen Wunsch nicht aus, denn er könnte in Erfüllung gehen!« meinte sehr ernst der Amerikaner, welcher bisher schweigend zugehört hatte. »Es soll mit Surcouf nicht zu scherzen sein.« »Oh, Ihr mögt Euch vor ihm fürchten, Ihr mit Eurer Nußschale,« antwortete Sarald; »ich aber würde ihm nur mit der neunschwänzigen Katze antworten.« Der Yankee lächelte, indem er kopfschüttelnd bemerkte: »Darauf könnte sehr leicht eine Gegenantwort erfolgen, die noch schlimmer als die Katze wirkt. Was aber meine ›Nußschale‹ betrifft, so dürfte sich dieselbe mehr Respekt erwerben, als Euer Dreimaster.« »Oho! Soll das eine Beleidigung sein?« »Ich bin Euer Gast und pflege einen Gastfreund zu ehren, aber nicht zu beleidigen. Um Euch jedoch zu beweisen, daß ich auf meine Nußschale stolz sein kann, will ich Euch einmal ein Maneuvre von ihr zeigen, welches mir nicht leicht Einer nachmachen soll.« »Was wäre das?« »Paßt auf!« Er trat an die Regeling, legte die Hand an den Mund und rief nach Lee hinüber, wo in einer Entfernung von vielleicht fünfhundert Faden seine Brigg lag: »Ahoi, Ervillard!« »Ahoi!« antwortete es durch ein Sprachrohr von drüben herüber. »Anker auf!« »Aye, Sir!« »Bei allen Stürmen,« meinte der, welcher vorhin die Begegnung mit dem »Falken« erzählt hatte, »Kapitän, Ihr habt ja eine wahre Posaunenstimme, fast wie damals Surcouf, als er mir die sechs
Kugeln gab!« Die Versammlung war im höchsten Grade begierig, was geschehen werde. Man erhob sich und drängte nach der Leeseite, um die Brigg zu beobachten. Man sah, daß sie den Anker hob und ihre Leinwand entfaltete; dann rief der Yankee: »Mylords und Myladies, darf ich bitten, mir einmal nach dem Achterbord zu folgen? Ich kann dort am besten mein Maneuvre erklären.« Sie folgten ihm ohne Ausnahme nach dem hochgebauten Hintertheile des Schiffes, so daß sich vom Spriet bis an den Besaan nur die Musikanten befanden, einige Matrosen ausgenommen, welche die Gäste zu bedienen hatten; die anderen Deckhände befanden sich im Unterraume, wo sie sich heut beim Grog gütlich thun durften. »Seht,« meinte der Yankee, »wie meine Brigg dem einen Segel gehorcht. Ein unvergleichliches Fahrzeug! Ein solcher Segler würde für Surcouf passen. Aber à propos, es wurde vorhin nicht geglaubt, daß er mit zwanzig Burschen ein Schiff mit zweihundert Mann und sechsundzwanzig Kanonen weggenommen hat. Was ist wohl schwieriger, Mylords, ein solches Schiff zu nehmen oder mitten in einem besuchten Hafen mit zwanzig Mann einen gut bewehrten Dreimaster zu entern?« »Das Letztere ist geradezu unmöglich!« antwortete ein alter Seemann, der wohl bereits über fünfzig Jahre lang die See gepflügt hatte. »Wirklich, Kapitän? Es soll Leute geben, die auch dieses Stück dem Surcouf zutrauen.« »Mit zwanzig Mann?« »Ja. Wir haben ja gehört, daß er die Gewohnheit hat, nur mit zwanzig Mannen anzugreifen. Aber das sollen auch Bursche sein, die sich nicht fürchten, die Großmutter des Teufels aus der Hölle zu holen. Seht, da kommt die Brigg! Wie malitiös sie herantänzelt, grad als ob sie sich über den mächtigen Dreimaster lustig machen wollte, der kleine David über den Goliath!« »Aber was soll das?« frug Kapitän Sarald. »Was soll die Brigg so nahe bei mir?« »Es ist das Maneuvre, zu welchem ich Euch hier auf dem Achterdeck versammelt habe. Seht, jetzt ist sie da; sie läßt das Segel fallen, und nun springen meine Jungens an Deck.«
»Aber ich frage noch einmal, wozu dieses Maneuvre? Was sollen Eure Jungens an meinem Bord?« »Zählt sie einmal! Es werden genau Zwanzig sein. Meine Herren und Damen, ich gebe mir die Ehre, mich Ihnen vorzustellen. Ich bin kein Amerikaner, der Weine und Spiritus geladen hat. Ich habe geladen einige hundert Enterbeile, verschiedene Zentner Pulver, ein ganzes Arsenal vortrefflicher Waffen und zwanzig Kanonen, bei denen genug Leute stehen, um diesen guten Dreimaster in den Grund zu bohren. Mein Name ist Robert Surcouf!« Es läßt sich nicht beschreiben, welche Wirkung diese Worte auf die Versammlung hervorbrachten. Die harten, unerschrockenen Männer, die so manchen Gefahren furchtlos in das Auge geschaut hatten, verstummten vor dem Namen, den sie soeben gehört hatten. Sie blieben sogar unbeweglich, als einige der Leute Surcouf's auf's Schleunigste die Luken besetzten, damit die Matrosen des Kauffahrers nicht an Deck kommen könnten. Kapitän Sarald faßte sich zuerst. »Robert Surcouf?« fragte er. »Seid Ihr wirklich Surcouf?« »Ich bin es. Und diese Brigg ist der ›Falke des Aequators.‹ Sehen Sie meine Leute an, Messieurs! Dieselben werden sehr höflich mit Ihnen sein, so lange Sie es verdienen; an demjenigen aber, welcher zu widerstreben wagt, werden sie die Schärfe ihrer Waffen erproben. Bedenken Sie, daß Sie es mit zwanzig Burschen zu thun haben, welche nicht gewöhnt sind, ihre Feinde zu zählen, und bedenken Sie, daß hier an der Seite dieses Schiffes zwanzig Kanonen auf mein Kommando warten, dieses Schiff in den Grund zu schießen. Sie haben von Surcouf gehört, aber Sie haben ihn noch nicht gesehen; heut soll Ihnen die Ehre zu Theil werden, ihn kennen zu lernen. Es sind Frauen an Bord, und Robert Surcouf ist ein Franzose. Ein Franzose wird nie die Achtung und Ehrerbietung verletzen, welche er Frauen schuldig ist. Darum will ich heut einmal nicht daran denken, daß Sie die Feinde meines Volkes sind, und daß mein Schiff ein Kaper ist, dem Sie verfallen sind. Was ich verlange, können Sie leicht gewähren. Ich wünsche, daß meine braven Jungens an dem Feste Theil nehmen dürfen, welches Sie geben; ich wünsche ferner, daß ihnen ein Tänzchen erlaubt sei mit den Frauen, welche dieses Fest verschönern. Wenn Sie mir dies gewähren, so verspreche ich Ihnen, daß Ihnen kein Haar auf Ihrem Haupte
gekrümmt wird, daß Sie nicht den mindesten Verlust zu erleiden haben, und daß unser geselliges Beisammensein so fröhlich enden wird, wie es begonnen hat. Surcouf hat lauter anständige Männer an Bord; der Letzte seiner Leute ist ein Cavalier. Jetzt haben Sie zu entscheiden. Thun Sie es schnell!« Er verbeugte sich und trat einige Schritte zurück, um mit den beiden Pistolen zu spielen, welche er aus der Tasche zog. Die Männer, welche ohne Ausnahme waffenlos waren, steckten verlegen und flüsternd die Köpfe zusammen; die Weiblichkeiten aber betrachteten mit furchtsamer Neugierde den berühmten Privateer und seine Untergebenen, welche, bis an die Zähne bewaffnet, das Achterdeck von dem übrigen Raume abgesperrt hielten. Die Berathung der Männer war bald zu Ende, und der Aelteste von ihnen nahm das Wort: »Kapitän Surcouf, wir gestehen Ihnen, daß Sie uns in eine zweifelhafte Lage gebracht haben. Unsere Pflicht wäre es, mit Ihnen zu kämpfen; halt!« – unterbrach er sich, als er sah, daß Surcouf bei dem letzten Worte die Hähne seiner Pistolen aufzog – »lassen Sie mich ausreden! Wir sollten eigentlich mit Ihnen kämpfen; aber Sie selbst sagen mit Recht, daß die Gegenwart unserer Frauen und Töchter einige Rücksicht erfordert. Es soll daher zwischen uns ein Waffenstillstand geschlossen werden, welcher bis zum Anbruch des Morgens dauert; dagegen verlangen wir jedoch, daß das uns von Ihnen gegebene Versprechen buchstäblich erfüllt werde!« »Es wird erfüllt; ich gebe Ihnen mein Ehrenwort,« antwortete Surcouf. »Doch werden Sie mir eine nothwendige Bedingung gestatten. So lange ich mich bei Ihnen befinde, darf kein Mensch ohne meine ausdrückliche Erlaubniß an Bord kommen, noch von Bord gehen oder sonst etwas unternehmen, was meine Sicherheit gefährdet und Sie dadurch in Gefahr bringen würde. Mein Schiff bleibt längsseite bei dem Ihrigen liegen, um die Erfüllung meiner Bedingungen zu überwachen, und sobald die Sonne am Horizont steht, ist der Waffenstillstand abgelaufen. Reichen wir uns als Ehrenmänner zum Zeichen des Einverständnisses die Hände!« Diese Bedingungen wurden angenommen, und ein Jeder bekräftigte durch Handschlag, sie zu halten. Nun gab Kapitän Sarald ein Zeichen, und die Musik begann auf's Neue. Männer und Weiber durften das Vorderdeck wieder betreten; Freund und Feind mischte sich unter einander. Die Leute des »Falken« zeigten sich gegen die
Frauen so zart und anständig, daß das Vergnügen nicht durch den geringsten Hauch getrübt wurde. Endlich, lange nach Mitternacht, gab Surcouf während einer Pause das Zeichen, daß er sprechen wolle. Man bildete einen Kreis um ihn. »Messieurs und Mesdames,« sagte er, »ich stehe im Begriffe, mich von Ihnen zu verabschieden. Ich danke Ihnen für die Ehre, welche Sie mir durch die Erlaubniß, an Ihrem Vergnügen Theil zu nehmen, erwiesen haben; noch mehr aber danke ich Ihnen dafür, daß ich nicht gezwungen worden bin, von meinen Waffen Gebrauch zu machen. Ich liebe den Frieden, doch ich fürchte den Kampf nicht. Hätten Sie meine Vorschläge abgewiesen, so lebten Viele von Ihnen nicht mehr, und dieses Schiff befände sich jetzt als meine Prise auf dem Wege nach einem französischen Hafen. Suchen Sie unter Ihren Bekannten meine Bitte zu verbreiten, mir nicht unvorsichtig zu widerstreben, wenn ich meine Flagge zeige. Das Schiff, welches ich einmal als Feind betrete, verlasse ich entweder als Sieger, oder es fliegt mit mir und seiner Bemannung in die Luft; dies ist das Geheimniß meiner Unüberwindlichkeit. England bereitet meinem Vaterlande einen fortdauernden, unersetzlichen Schaden; zürnen Sie also nicht mir, wenn man Repressalien gebraucht. England hat uns die besten Schiffe unserer Marine genommen oder zerstört; verdenken Sie es nicht mir, wenn nun auch ich ein jedes britische Fahrzeug nehme, welchem ich begegne. Wir scheiden jetzt in Frieden; wünschen wir um Ihretwillen nicht, daß wir uns auf offener See wiedersehen, denn dann würde ich es sein, welcher aufspielen läßt, aber zu einem weniger friedlichen Tanze. Kapitän Sarald mag jedoch überzeugt sein, daß sein Schiff der einzige Engländer ist, den Robert Surcouf betreten hat, ohne ihn in's Schlepptau zu nehmen. Er hat dies den Frauen zu verdanken. Leben Sie wohl!« Fünf Minuten später flog der »Falke« mit vollen Segeln hinaus in die offene See; die Kapitäns kehrten auf ihre Fahrzeuge zurück, um die Erfahrung reicher, daß Frankreich einen Seemann besitze, der für einen höheren Wirkungskreis geboren sei. 4 Er hatte in ihnen neue und eifrige Verbreiter seines Ruhmes gefunden. Wenig über eine Woche später ging in Pondischery die Nachricht ein, daß Robert Surcouf auf der Höhe von Colombo ein englisches Handelsvollschiff weggenommen habe. Darauf sei er einer Corvette mit fünfundzwanzig Kanonen begegnet, die ihm die
Prise wieder abnehmen wollte; aber er habe auch diese Corvette geentert und dann beide Schiffe nach Isle de France gebracht. Diese vollständig verbürgte Nachricht trug nicht dazu bei, die Furcht vor dem kühnen Kaper zu vermindern. Das indische Gouvernement traf Maßregeln über Maßregeln; es sandte Kriegsschiffe aus, Surcouf zu fangen oder zu tödten; es setzte sogar einen hohen Preis auf seinen Kopf, aber diese Bemühungen blieben ohne allen Erfolg. Napoleon's Plan, England in Indien anzugreifen, war an der Unfähigkeit seines Admirales gescheitert. Und hier brachte ein einzelner Mann, der nur ein kleines Fahrzeug befehligte, einen Schrecken über alle indischen Besitzungen des stolzen Albion, einen Schrecken, welcher den Handel England's ungemein schädigte, da man sich mit reicher Fracht kaum mehr in jene Breiten getraute und die Versicherungsbanken ganz bedeutende Prämien forderten, ehe sie die Garantie einer Ladung übernahmen, welche nach dem Jagdgebiete Surcouf's bestimmt war. Natürlich war der Ruf seiner Thaten längst nach Frankreich gedrungen, besonders durch den Gouverneur von Mauritius, bei welchem er seine Prisen zu deponiren pflegte, und von welchem auch die daraus gelösten Summen nach Paris übermittelt wurden. Man ward auf ihn aufmerksam; die Marinebehörde trat unter der Hand mit ihm in Unterhandlung; sie ließ ihm durch dritte und vierte Stelle immer höher steigende Anerbietungen machen; er aber that, als ob er diese Offerten nicht verstehe oder nur für eine leere Phrase halte. Da plötzlich tauchte das Gerücht auf, daß ein berühmter englischer Parteigänger mit Kaperbriefen nach Indien gekommen sei, um sich den auf Surcouf gesetzten Preis zu verdienen. Er hatte sein Schiff » Eagle « (Adler) genannt, um anzudeuten, wie sehr er dem »Falken« überlegen sein werde. Dieser Kapitän hieß Schooter, hatte eine sehr bewegte Vergangenheit hinter sich und war besonders berüchtigt durch die Härte, mit welcher er die Disciplin seines Schiffes handhabte. Die Wahrheit dieses Gerüchtes bewährte sich, denn man hörte sehr bald, daß Schooter einige kleine französische Kauffahrer weggenommen hatte. Die Mannschaft derselben hatte er über die Klinge springen lassen, trotzdem sie völlig unbewaffnet in seine Hände gefallen war. Diese Grausamkeit verstieß gegen alles völkerrechtliche Uebereinkommen und rief die Mißbilligung aller
menschlich Denkenden hervor; noch entrüsteter aber wurde man über ihn, als man erfuhr, daß er einen förmlichen und zwar mitleidslosen Krieg mit allen Menschen führe, die Franzosen waren. Er suchte die Inseln und Küsten des indischen Meeres förmlich ab, und fand er in irgend einer Niederlassung einen Ansiedler französischer Nationalität, so war es um diesen und sein Eigenthum geschehen. Ganz besonders hatte er es auf die Missionäre katholischen Bekenntnisses abgesehen. Fiel ein solcher Glaubensbote in seine Hände, so war derselbe unbedingt verloren; man erzählte sich sogar, daß er solche Gefangene gewöhnlich den wilden Inselbewohnern ausgeliefert habe, wo sie vor dem Tode die raffinirtesten Leiden zu erdulden gehabt hätten. Auf diese Weise verschwand damals mancher Priester der Mission, welcher sich vereinzelt in jene Breiten gewagt hatte, und während er auf Borneo, Celebes oder Timor einem fürchterlichen Schicksale erlag, glaubten die Seinen ihn so lange auf einer jener Inseln in voller, christlicher Thätigkeit, bis sie nach Jahren ihn endlich für verschwunden erklären mußten. Die letzte dieser Thaten hatte Schooter an demjenigen Theile der Küste von Java verrichtet, welcher der Insel Bali gegenüber liegt. Um diese Zeit lag in dem kleinen javanischen Hafen Kalima ein kleiner Klipper vor Anker, an dessen Brust man den Namen »Jeffrouw Hannje« lesen konnte. Nach diesem Namen zu urtheilen, schien er niederländischer Nationalität zu sein, trotzdem sein Bau sehr von dem in Holland gebräuchlichen abwich. Es bekümmerte sich übrigens kein Mensch um ihn, denn Kalima war damals erst im Entstehen begriffen, und man hatte mehr zu thun, als sich um die Schiffspapiere eines friedlichen, kleinen Seefahrers zu bekümmern. Der bedeutendste Ansiedler Kalima's war ein gewisser Davidson, welcher mit dem Kapitän der »Jeffrouw Hannje« Geschäfte haben mußte, denn dieser hatte sich bei ihm einlogirt, während seine Leute ohne Ausnahme an Deck hatten bleiben müssen. Die beiden Männer saßen in einer offenen Verandah, deren Blätterdach genügenden Schutz vor den Sonnenstrahlen bot, rauchten feine Sumatra und lasen in den neuesten Zeitungen, deren Datum aber trotzdem mehrere Monate älter war. Damals bedurfte es fast eines Vierteljahres, um eine europäische Zeitung nach Java zu expediren. »Also hört, Kapitän, der Napoleon ist zum lebenslänglichen
Consul ernannt worden,« bemerkte der Ansiedler. »Ich las es bereits vorhin,« nickte der Angeredete, welcher kein Anderer als Surcouf war. »Man wird nächstens die Nachricht erhalten, daß er König oder Kaiser geworden ist.« »Sprechen Sie im Ernste?« »Vollständig! Dieser Consul Bonaparte ist ein Mann, der nicht auf halbem Wege stehen bleibt.« »Ah, Sie sind ein Bewunderer von ihm?« »Nein, obgleich ich anerkenne, daß er ein Genie ist. Ich diene meinem Vaterlande und achte einen Jeden, welcher sich bemüht, dasselbe von dem Drucke England's zu befreien. In diesem Punkte besitzt der Consul meine vollste Sympathie. Nur weiß ich nicht, ob er den allein richtigen Weg zum Ziele einschlagen wird. Die Macht England's wurzelt in seinen Colonien und in dem Vorrang, welchen es sich in Angelegenheiten des Welthandels angemaßt hat. Man nehme ihm diese Colonien; man führe seinen merkantilischen Einfluß auf das richtige Maß zurück; man schwäche seine Verbündeten und stärke seine Gegner; was weiß ich noch! Ich bin nicht Consul, und es genügt ja, wenn nur er das Richtige trifft. Die Hauptsache aber ist die Schaffung einer Flotte, welche Achtung zu gebieten vermag. Der Consul ist seinem Lande und seinem Volke die Politik des Friedens schuldig. Und wenn er dies beherzigt, so kennt er nur einen einzigen wirklichen Feind, und dieser heißt England. Dieser Gegner aber ist erfolgreich nur zur See zu bekämpfen.« »Wie Sie es im Kleinen thun, Kapitän. Uebrigens muß es für einen Mann von Ihren Fähigkeiten mit einer gewissen Ueberwindung verbunden sein, friedliche Kauffahrer wegzunehmen.« »Warum? Meinen Sie vielleicht, weil dieses Verfahren der Piraterie ähnlich sieht? Kennen Sie einen größeren Piraten als England? Es untersucht und confiscirt nach Belieben die Handelsschiffe friedlicher Mächte; es schließt die Häfen der Nationen nach Gutdünken; es tödtet den Handel und dadurch das Gewerbe der Völker; es macht auf diese Weise Millionen fleißiger Arbeiter brodlos, nur um Alles an sich selbst zu reißen. Was es im Großen thut, thue ich im Kleinen; während es gegen Nationen sündigt, welche kein Verschulden trifft, operire ich ehrlich und offen gegen einen Feind, der sich ebenso rücksichtslos wie
unversöhnlich zeigt. Verurtheilen Sie mich, wenn Sie es können! Hat England nicht Hunderte von Kapern unter Segel? Und was für Männer sind dies? Denken Sie nur an den nichtswürdigen Schooter, welcher kein Mensch, sondern ein Teufel ist! Sollen wir die Waffen senken, um uns feig und wehrlos ersticken zu lassen? Und wenn ich dies thun wollte, so dürfte ich es nicht, denn ich habe heilige Verpflichtungen zu erfüllen. Auf meinem Schiffe befinden sich vierzig wackere Männer, welche ich zu ernähren habe, und glauben Sie ja nicht, daß dies meine ganze Familie ist! In Bengalen habe ich Greise, welche in den französischen Colonien dienten und nun von den Engländern nichts empfangen; ich habe zahlreiche Ansiedlersfamilien, welche durch die englischen Coloniekriege zu Grunde gerichtet wurden; ich habe arme Franzosen, welche mittellos in die Fremde gingen, weil sie durch die Revolution vertrieben wurden und die nun etwas Geld brauchen, um ein wenig Land urbar zu machen; ich habe fromme Männer, welche unter die Heiden gingen, um das Wort Gottes zu predigen, durch die Kälte und den Unglauben der gegenwärtigen Richtung aber ihre Subsistenz bedroht sehen. Nun wohl, ich bin ihrer Aller Versorger. Ich gebe den Invaliden Pensionen, den zu Grunde Gerichteten Entschädigungen, den Ansiedlern Unterstützungen, den Missionären Schutz und Lebensunterhalt. Frankreich thut es nicht, wenn ich es nicht thue; in Paris wird keiner der Briefe geöffnet, in welchen die in der Ferne befindlichen Kinder des Landes vergeblich um Hülfe flehen. Was soll aus ihnen werden, wenn Robert Surcouf die Waffe niederlegt und dann gezwungen ist, seine Hand von ihnen zu ziehen!« Davidson sprang auf, um dem braven Seemann seine Hand zu reichen. »Kapitän, ich weiß das Alles,« rief er, »denn ich selbst bin es ja, durch dessen Hand so viele Ihrer Gaben fließen. Frankreich hat keine Ahnung, welchen Mann es hier in diesem Winkel der Erde besitzt, und – – –« Er wurde unterbrochen; es trat ein Matrose Surcouf's herein und meldete seinem Herrn, daß der » Eagle « am Ostende der Insel vorgestern eine Pflanzung überfallen und einen Priester mit sich genommen habe. »Wer sagte es?« frug der Kapitän. »Soeben hat ein holländischer Sluger 5 Anker geworfen, von dem erfuhren wir es.«
»So ist es keine Erfindung. Sehen Sie, Davidson, daß ich nicht ruhen darf! Dieser Mensch will sich den Preis verdienen, den die Herren Engländer auf meinen Kopf gesetzt haben; ich aber habe seine Spur bis heut vergeblich gesucht. Jetzt finde ich sie, und nun will ich ihm meinen Kopf zeigen. Adieu, Davidson. Ich lasse Alles im Stich, denn ich weiß, daß wir uns baldigst wiedersehen.« Der seltene Mann eilte in einer Stimmung, welche man fast Begeisterung nennen mochte, nach dem Hafen und auf sein Schiff. In weniger als einer Viertelstunde segelte er bereits zu dem kleinen Hafen hinaus, und kaum hatte er Kalima hinter sich, so ließ er zwei Männer am Bug herab, welche den Namen »Jeffrouw Hannje« überstreichen mußten. Dies war in kurzer Zeit geschehen, und dann wurde der eigentliche Name des Fahrzeuges, » le faucon «, 6 wieder angebracht. Der Wind wehte günstig, und so erreichte der »Falke« bereits nach drei Stunden die Ostspitze Java's, wo die betreffende Niederlassung zu suchen war. Zwischen hier und der Insel Bali hindurch auf Kap Butur zuhaltend, gewahrten sie am Ausflusse eines Baches die Trümmer mehrerer verbrannter Hütten liegen, neben welchen einige Leute bereits beschäftigt waren, neue zu errichten. Surcouf ließ die Segel fallen, fuhr möglichst nahe an das Land und bestieg sodann ein Boot, um sich zur Küste rudern zu lassen. Die Leute waren aufmerksam auf das Schiff und das nahende Boot geworden und hatten sich schleunigst in den Schutz eines nahen Eisenbaumwaldes zurückgezogen. Als der Kapitän landete, sah er wohl verbrannte Hütten, verwüstete Gärten, zerstörte Felder, aber keinen Menschen, welcher ihm Auskunft zu geben vermochte. Erst nach langem Rufen vernahm er aus der Ferne einen menschlichen Ton als Antwort und dann hörte er die Frage: »Was ist das für ein Schiff?« »Ein Franzose,« antwortete er. Er hatte aus Vorsicht unterlassen, die Flagge aufzuziehen. Auf seine Antwort jedoch rauschte es bald in den Büschen, und er sah einen Mann hervortreten, welcher einen kräftigen Knüttel in der Rechten hielt. »Kommen Sie näher und fürchten Sie sich nicht,« sagte der Kapitän. »Ich bin ein Freund aller friedfertigen Leute und werde Ihnen nichts Schlimmes, sondern nur Gutes erweisen. Uebrigens
sehen Sie ja, daß ich allein bin. Meine beiden Ruderer sind im Boote zurückgeblieben.« Da kam der Fremde näher. Er war eine hohe, breite, muskulöse Gestalt mit einem intelligenten Gesichte, in welchem jedoch ein Zug tiefer Schwermuth vorherrschend zu sein schien. Bekleidet war er nur mit dünnen, weißen Hosen und mit einer weißen Blouse. »Ihr Fahrzeug kam uns verdächtig vor,« entschuldigte er sich; »darum zogen wir uns zurück.« »Was an meinem Schiffe hat Ihren Verdacht erregt?« frug Surcouf. »Hm, eben nichts Bestimmtes. In diesen Breiten sind vier Schiffe unter zehn ganz sicher Seeräuber, und nach den Erfahrungen, welche wir gemacht haben, ist es eine Kunst, Vertrauen zu besitzen.« »Ich habe gehört, daß der › Eagle ‹ hier gewesen ist. Sie gehören natürlich zur hiesigen Ansiedelung?« »Erst seit vorgestern. Ich gehörte zur Bemannung des › Eagle ‹ und habe die Gelegenheit benutzt, am Lande zurückzubleiben.« »Ah!« machte Surcouf erstaunt. »Sie sind mit Schooter gefahren?« »Leider! Er hat mich gepreßt, und es ist mir schlecht genug ergangen, ehe es mir gelang, mich zu salviren.« »Wenn das so ist, so sehen Sie sich einmal mein Schiff an. Hier haben Sie mein Rohr dazu.« Der Mann nahm das Fernrohr; kaum aber hatte er dasselbe auf die Brigg gerichtet, so nahm er es mit einem lauten Ausrufe des Erstaunens wieder vom Auge: » Le faucon! Ist es möglich! Le faucon, Kapitän Robert Surcouf?« »Allerdings. Surcouf bin ich selbst.« »Sie, Sie sind es! O Herr, dann segne ich die Stunde, in welcher ich vom ›Adler‹ entflohen bin, denn nun weiß ich, daß dieser fürchterliche Schooter seinen Lohn empfangen wird!« »So weit es in meiner Macht liegt, soll er ihn erhalten. Erzählen Sie!« »Erlauben Sie mir vorher, die Andern zu benachrichtigen, damit sie nicht länger in Sorge sind.« Er entfernte sich und kehrte bald mit zwölf Personen, acht Erwachsenen und vier Kindern zurück, welche Surcouf mit Jubel
willkommen hießen. Die kleine Colonie hatte aus zwei verheiratheten Holländern, drei Franzosen, einem Belgier und einem Schweden bestanden. Bei dem Ueberfall war der Letztere, welcher sich zur Wehr gesetzt hatte, getödtet worden. »Ich denke, es ist auch ein Priester bei Euch gewesen?« frug Surcouf. »Allerdings,« lautete die Antwort. »Er kam von Djokjokarta, um sich mit den Javanesen zu beschäftigen, welche hier in der Nähe in den Wäldern wohnen.« »So war er ein Missionär?« »Ja; er war ein Missionspriester vom Orden des heiligen Geistes. Wir mußten ihn Vater Martin nennen.« »Ah!« rief Surcouf, indem er von dem Steine emporfuhr, auf welchen er sich niedergelassen hatte; »Vater Martin vom Orden des heiligen Geistes? Das ist wunderbar! Den kenne ich; der darf unmöglich in den Händen dieses Menschen bleiben! Erzählt!« Der entflohene Seemann übernahm es, den Bericht zu liefern. »Wir lagen vor Palembong,« sagte er, »als wir hörten, daß der ›Falke‹ jedenfalls an der Nordküste von Java kreuze. Kapitän Schooter hatte geschworen, den ›Falken‹ zu bekommen, und lichtete sofort die Anker. Wir segelten der Küste entlang, ohne Ihr Schiff zu entdecken, Kapitän, sichteten aber dafür diese kleine Niederlassung. Schooter recognoscirte sie durch das Rohr und gewahrte einen Priester. Dies war für ihn sofort der Grund, die Ansiedelung zu überfallen.« »Wie kann die Anwesenheit eines Priesters die alleinige und genügende Ursache einer so traurigen That sein?« rief Surcouf. »Ich weiß es nicht; aber Thatsache ist es, daß Schooter beim Anblick eines Priesters in Wuth geräth. Man erzählt sich, daß er selbst früher Mitglied eines Ordens gewesen sei. Er ist ein Irländer und soll aus einem schlimmen Grunde Protestant geworden sein. Damit hängt sein Priesterhaß zusammen, der bei ihm zur wirklichen Manie geworden ist. Er ist der gottloseste Mensch, den ich gesehen habe, ein unmäßiger Trinker, ein lästerlicher Flucher, ein Barbar gegen seine Untergebenen. Ich bin ein Deutscher und gehörte zu einem jener unglücklichen Regimenter, welche von ihren Fürsten an die Engländer verkauft wurden, um in Amerika die Ideen der Freiheit und Gerechtigkeit ausrotten zu helfen. Ich mußte meine
Braut und meine Eltern im Stiche lassen und desertirte, wie so Viele, die nicht für eine Nation kämpfen wollten, welche nur die eine Politik verfolgt, sich wie ein Blutegel an dem Wohlstande anderer Völker vollzusaugen. Das war mein Unglück. Ich konnte nicht in das Vaterland zurück; die Braut heirathete einen Andern; die Eltern starben, und mein Erbtheil wurde confiscirt. Ich ging zur See. Seit dieser Zeit habe ich alle Meere befahren, bis ich mich am Kap niederließ. Da kamen vor fünf Jahren die Engländer und nahmen es in Besitz. Ich zog mit Anderen weiter an der Küste hinauf, wo wir uns niederließen. Vor zwei Monaten ankerte Kapitän Schooter bei uns. Wir hielten ihn für einen Kauffahrer, und ich ging an Bord, um mit ihm über die Preise des Schlachtviehes, welches er von uns kaufen wollte, zu verhandeln. Wir wurden nicht einig, und zur Strafe dafür, daß ich ihm nicht zu Willen sein konnte, behielt er mich als Matrose an Bord. Ich habe die schlimmste Zeit meines Lebens bei ihm zugebracht und nach jeder Gelegenheit zur Flucht gesucht; erst vorgestern ist sie mir gelungen. Er beorderte dreißig Mann an das Land, um diese Ansiedelung zu überfallen, den Priester gefangen zu nehmen und die Wohnungen nach ihrer Beraubung niederzubrennen. Diese braven Leute flohen. Ein Einziger hielt nebst dem Priester Stand. Der Erstere wurde niedergeschossen, und der Letztere, welcher hatte vermitteln wollen, wurde gebunden auf das Schiff geschleppt. Es gelang mir, nach dem Eisenbaumwalde zu entkommen, und diese Leute haben mich bereitwillig bei sich aufgenommen, trotzdem ich vom Schiffe der Piraten zu ihnen kam.« »Welchen Plan verfolgen Sie nun in Beziehung auf Ihre weitere Zukunft?« »Ich werde suchen, nach meiner kleinen Besitzung am Kap zurückzukommen. Vorher aber bitte ich Sie, mich mit an Bord zu nehmen. Ich wünsche dabei zu sein, wenn Sie mit Schooter Abrechnung halten.« »Diesen Wunsch erfülle ich Ihnen gern. Was für ein Schiff ist der ›Adler‹?« »Ein Orlog-Kutter von dreißig Kanonen; doch macht er nur dreizehn Meilen in der Stunde. Wenn Sie keine Zeit versäumen, Kapitän, so werden Sie ihn in der Mangkassarstraße finden. Er pflegt seine Gefangenen den wilden Dayaks, welche die Sakuruberge auf Borneo bewohnen, zu übergeben und dafür
Goldsand einzutauschen. Bei diesen Gelegenheiten landet er auf einer Insel der Sakurubai. Die Dayaks bezahlen weiße Gefangene sehr theuer, um sie mit vornehmen Todten lebendig zu begraben oder ihren Götzen als Opfer darzubringen.« Diese Mittheilung trieb Surcouf zur höchsten Eile an. Zwar landete er vorher noch verschiedene Sämereien, Werkzeuge und andere Gegenstände, welche er den Ansiedlern schenkte, um ihrer zerstörten Niederlassung wieder aufzuhelfen; dann aber ging er sofort in See, um noch vor Nacht den nördlichen Theil des Sundameeres zu gewinnen und, dort kreuzend, dem » Eagle « den südlichen Ausgang aus der Mangkassarstraße zu verlegen. Dies gelang ihm vollständig, und da er während der Nacht kein Schiff in Sicht bekam, so ging er am Morgen zwischen Borneo und den Balabalagan-Inseln nach Norden. Er wußte, daß er einem Feinde entgegenging, so gefährlich, wie er noch keinen getroffen hatte, und daß ihm ein Kampf bevorstand, der voraussichtlich in einem wilden Zerfleischen bestehen werde. Dennoch war er guten Muthes; er wußte, daß sein Schiff dem » Eagle « an Manövrirfähigkeit überlegen sei; er sah, daß seine Leute sich in der besten Stimmung befanden, und er glaubte an die Möglichkeit, daß irgend ein Umstand eintreten könne, der einen blutigen Kampf vermeiden lasse. So kam er am Mittag an Koti Lama vorüber und kreuzte mit günstigem Winde immer weiter nach Norden – links lag Borneo und rechts Celebes – ohne daß ihm ein Schiff begegnet wäre. So war er sicher, den »Adler« noch vor sich zu haben, da Schooter den »Falken« an der Küste von Java suchen und also durch die Mangkassarstraße nicht hinauf in das Sulu-Meer, sondern wieder zurück nach der Sunda-See gehen würde. Die Sonne stand bereits am Horizont, als der »Falke« die südliche Spitze der Sakurubai erreichte. Jetzt galt es, vorsichtig zu sein. Surcouf stieg zum Masthaupte empor, um die Bai mit seinem guten Fernrohre abzusuchen. Da sah er im Norden eine Insel vor sich liegen, und in einem kleinen Busen am Westufer derselben ragten die Masten eines Schiffes empor, dessen Segel beschlagen waren, ein Zeichen, daß es während der Nacht diese Stelle nicht verlassen würde. Um nicht gesehen zu werden, ließ er augenblicklich wenden und hinter der ihn verbergenden Landspitze Anker werfen.
Dort blieb er, bis es dunkel geworden war. Dann wurde der Anker wieder gelichtet, und der »Falke« steuerte nach Nord bei Ost, um an der unbewachten Seite an die Insel zu kommen. Die Nacht war finster, so finster, daß man kaum eine Schiffslänge weit zu sehen vermochte. An Deck brannte kein einziges Licht. Es war die größte Vorsicht geboten, und als Surcouf glaubte, auf gleicher Höhe mit der Insel angekommen zu sein, ließ er grad auf West wenden. Er folgte dieser Richtung, indem er nur so viel Segelwerk beibehielt, als nothwendig war, um das Fahrzeug langsam fortzubewegen. Als er die richtige Zeit gekommen glaubte, setzte er die Barkasse aus, welche mit umwickelten Rudern vor dem »Falken« her die Bahn zu sondiren hatte. So erreichte man die Ostseite der Insel, wo die Barkasse eine kleine Einbuchtung entdeckte, in welcher der Schooner vor Anker gehen konnte. Dies war kaum geschehen, so bestieg Surcouf mit zwanzig Mann die Boote, um die Südseite der Insel zu umfahren, und ließ die Uebrigen zur Bewachung des Schiffes zurück. Da sämmtliche Ruder genügend umwickelt waren, so verursachten sie kein Geräusch, und auch unter den Männern selbst herrschte die tiefste Stille. Der Kapitän fuhr in der Schaluppe den Andern voran. Alle waren nur mit Messer und Enterbeil bewaffnet, weil Surcouf die Absicht hegte, die Boote in gehöriger Entfernung zurückzulassen und dann den »Adler« anzuschwimmen; doch ist das Enterbeil die gefährlichste Waffe in der Hand eines kräftigen Seemannes. Sie waren noch nicht zehn Minuten lang gefahren, so sahen sie die Schiffslaterne des gesuchten Fahrzeuges leuchten. Surcouf gab ein Zeichen, zu halten, und glitt leise aus der Schaluppe in das Wasser. Es war nothwendig, zu recognosciren, denn noch wußte man nicht, ob es auch wirklich der » Eagle « sei, und wenn er es war, so galt es, zu erfahren, ob sich alle Mannen an Bord befanden und in welcher Weise die Wache gehandhabt wurde. Surcouf war ein ausgezeichneter Schwimmer; er zertheilte die Fluth, ohne dieselbe mehr als ein Fisch zu bewegen. In der Nähe des Schiffes tauchte er und kam erst hart an der Wand desselben wieder empor. Er umschwamm es langsam und vorsichtig und überzeugte sich, daß es der »Adler« sei. Das Schiff stand nur an einem Anker, und zwar an dem am Krahnbalken befindlichen Nachtanker, und neben dem Tau hing die Ankertalje bis in das Wasser nieder.
Surcouf zog an der Talje und bemerkte, daß sie oben angefixt sei und ihn also tragen werde. Er griff sich empor und hütete sich dabei sehr, durch ein Anstreifen an der Bugwand das kleinste Geräusch zu verursachen. Als sein Auge in Bordhöhe gelangte, bemerkte er, daß sich nur zwei Männer an Deck befanden, nämlich die Vorder- und die Hinterdeckwache. Er hatte genug gesehen, glitt wieder hinab und kehrte zu seinen Booten zurück. Er schwamm zunächst nicht zu seiner Schaluppe, sondern zur Barkasse, welche Lieutenant Ervillard befehligte und zu deren Bemannung auch der Deutsche gehörte, welcher sich vorher auf dem » Eagle « befunden hatte. Als dieser hörte, unter welcher Bewachung der Kapitän den Piraten gefunden hatte, bat er, der Erste an Deck sein zu dürfen, was ihm auch sofort gewährt wurde. Nun ward eine kurze Berathung gehalten, deren Ergebniß darin bestand, daß Surcouf mit dem Deutschen und dem Lieutenant zunächst allein an Bord klettern wollte, um die beiden Wachen zu beschleichen und sie unschädlich zu machen; dies sollte durch einfache Knebelung und nur im äußersten Falle durch Tödtung geschehen; dann erst sollten die Anderen nachfolgen, indem sie, an der Ankertalje kletternd oder am Ankertaue reitend, emporkämen. Sodann hatte man den Kapitän und die Offiziere zu überrumpeln, die Waffen-und Pulverkammer zu besetzen, und nach diesen Vorbereitungen durfte man hoffen, mit der Bemannung leichter fertig zu werden. Nachdem einem Jeden seine Rolle zugetheilt worden war, wurden die Boote an die Insel gerudert, wo sie unter der Aufsicht eines einzigen Mannes zurückblieben. Die Uebrigen, mit dem Kapitän grad zwanzig Mann, gingen in das Wasser und schwammen, Einer immer hinter dem Andern, dem Engländer entgegen, den sie auch wirklich unbemerkt erreichten. Eine Minute später standen die Drei bereits hinter der Bugverkleidung. Die Vorderdeckwache lehnte am Fockmaste, ihnen den Rücken zukehrend. »Er steht gut,« flüsterte Surcouf dem Deutschen zu. »Leise hinan, und nimm ihm die Kehle fest zusammen. Er darf keinen Laut ausstoßen!« Der Angeredete schlich sich nach dem Maste; ein rascher Griff seiner kräftigen Hände genügte, und in den nächsten Sekunden hatte die Wache einen Knebel vor Mund und Nase und war mit Armen
und Beinen an den Mast gebunden. Die Hinterwache wurde ebenso glücklich überrascht, und nun gab Surcouf den unten im Wasser harrenden Leuten das Zeichen, emporzuklettern. Dies geschah so vorsichtig, daß diejenigen, welche am Ankertaue emporritten, nur ein fast ganz unmerkliches Neigen des Buges hervorbrachten. Kaum waren Alle an Deck, so schlich ein Jeder sofort nach seinem Posten. Der Kapitän ließ sich mit dem Lieutenant von dem Deutschen nach der Kapitänskajüte führen. Die Thür derselben war von innen verriegelt, und Surcouf klopfte leise. »Wer ist's?« erscholl drinnen die schläfrige Frage. »Der Lieutenant,« antwortete Bert Ervillard leise in englischer Sprache. »Was gibt's?« »Pst, Capt'n, redet nicht laut! Es muß an Bord irgend eine Teufelei los sein, die wir belauschen können. Steht auf und kommt schnell!« »Ah! Bin gleich fertig!« Man hörte seine hastigen Bewegungen und das Klirren einer Waffe; zugleich sah man durch eine schmale Ritze, daß er Licht machte. »Vorsicht!« flüsterte Surcouf. »Er darf nicht schießen, sonst weckt er alle Mannen. Nimm Du sofort seine beiden Hände, während Du, Ervillard, ihn bei der Gurgel fassest. Das Uebrige besorge ich.« Jetzt wurde der Riegel zurückgeschoben, und die Thür öffnete sich. In ihrem hell erleuchteten Raume war Schooter mit vollster Deutlichkeit zu erkennen; er hatte einen Degen umgelegt und trug in jeder Hand eine Pistole, deren Hähne glücklicher Weise noch nicht gespannt waren. Ehe sein Auge die auf der Kajütentreppe herrschende Dunkelheit zu durchdringen vermochte, war er sowohl an beiden Händen als auch am Halse gepackt. Die Pistolen entfielen ihm; ein leises Gurgeln drang aus seiner Kehle; dann wurde er in die Kajüte zurückgedrängt, auf sein Lager gelegt, gebunden und geknebelt. Ganz denselben Verlauf nahm die Ueberwältigung des Lieutenant in der Backbordkoje; der Deutsche, welcher jeden Winkel des Schiffes ganz genau kannte, diente als Führer. Hierauf versicherte man sich der Waffen- und Munitionsvorräthe. Bis hierher war Alles ganz glücklich abgelaufen, und da der Deutsche
versicherte, daß die Bemannung sich unbewaffnet in ihren Hängematten befinden werde, so wurden die vorgefundenen Gewehre geladen, und dann stieg man durch die Vorderluke hinab in das Mannschaftsquartier. Hier brannte eine Lampe, deren Schein den niedrigen, dumpfen Raum mit den vielen Hängematten nur nothdürftig erleuchtete. Das Passiren der schmalen, knarrenden Treppe konnte nicht mit der gewünschten Geräuschlosigkeit vor sich gehen; die Leute des » Eagle « wurden aufmerksam, und Einer derselben stieß verdrießlich einen Fluch aus. Er glaubte, es sei die abgelöste Deckwache, fuhr aber doch sehr schnell aus seiner Hängematte empor, als er sah, daß die Störung nicht von den beiden Kameraden, sondern von einer ganzen Anzahl Unbekannter herrühre. Er rief die Andern wach, doch schon stand Surcouf mit den beiden vorgehaltenen Pistolen des Kapitäns am Eingange und gebot mit donnernder Stimme: »Ein Jeder an seinen Platz! Ich bin Kapitän Surcouf, und Euer Schiff ist bereits in meiner Gewalt. Wer es wagt, sich zu wehren, den lasse ich einfach an die Fockraa hängen!« Bei der Nennung dieses Namens sanken die Arme wieder nieder, welche sich bereits erhoben hatten; Keiner der gefürchteten Bemannung des » Eagle « hatte den Muth oder die Geistesgegenwart, ein Wort zu sagen. Die Sache war ihnen so unglaublich, so unmöglich, und doch sahen sie den gefürchteten Privateer mit seinen Leuten vor sich; es gehörte Zeit dazu, das zu begreifen, zumal ihr Schiff nicht geentert worden war, und sie an den nassen Kleidern der Franzosen erkannten, daß diese schwimmend herbeigekommen seien. Surcouf fuhr fort: »Ihr habt Euch ohne Bedingung zu ergeben und einzeln hinauf an Deck zu steigen. Vorwärts, marsch!« Er faßte den ihm zunächst Stehenden bei der Schulter und schob ihn nach der Treppe hin; der Mann gehorchte ganz verblüfft, und dieses Beispiel wurde von den Andern nachgeahmt. Sie stiegen in Zwischenräumen – Einer hinter dem Andern –nach oben und sahen sich dort empfangen genommen und gefesselt, ehe sie sich noch gänzlich in ihrer Lage zurecht gefunden hatten. Dann wurden sie hinunter in den Ballastraum gebracht, wo sie unter der scharfen Aufsicht einer Wache standen. Jetzt ließ Surcouf Raketen aus der Pulverkammer kommen; ihr
aufsteigendes Licht und ein einziger gelöster Kanonenschuß sollten den »Falken« benachrichtigen, daß der » Eagle « sich in den Händen der Sieger befinde. Diese Zeichen wurden bemerkt, und nach einer halben Stunde, während welcher Surcouf eine eingehende Besichtigung des » Eagle « vornahm, kam der Schooner herbei und warf neben dem Engländer den Hauptanker. Nun wurden auch die drei zurückgelassenen Boote herbeigeholt, und das Unternehmen gegen den »Adler« war glücklich beendet. Jetzt galt es nur noch, den entführten Missionär ausfindig zu machen. Kein einziger Mann der Schiffsbesatzung hatte Auskunft über ihn gegeben; Alle hatten vielmehr jeder Bitte und jeder Drohung ein halsstarriges Stillschweigen entgegengesetzt. Nun wurde der Lieutenant vernommen; auch dieser schwieg. Darum schickte Surcouf nach dem Kapitän, welcher noch immer gefesselt in seiner Kajüte lag, und empfing ihn an Deck, von sämmtlichen Leuten des »Falken« umgeben. Mehrere jetzt an den Masten aufgehängte Laternen verbreiteten ein genügendes Licht, um den berüchtigten Mann genau in Augenschein nehmen zu können. Er hatte eine lange, hagere, vornüber gebeugte Gestalt und ein Gesicht, dessen Physiognomie nichts weniger als Vertrauen erweckend war. Man hatte ihm den Knebel abgenommen und die Füße entfesselt; die Hände aber blieben gebunden. Er schien von dem, was ihn betroffen hatte, und dessen Tragweite er noch gar nicht kannte, keineswegs niedergeschlagen zu sein, sondern sein Auge blitzte, und sein Gesicht war geröthet vor Zorn, als er, in den Kreis tretend, mit barscher Stimme frug: »Was geht hier vor? Wer ist es, der es wagt, sich auf meinem Schiffe als Herr zu geberden?« »Auf Ihrem Schiffe, Mr. Schooter?« antwortete Surcouf. »Ich denke, daß es das meinige ist!« »Ah, welche Frechheit! Wer sind Sie?« »Ich bin Robert Surcouf, Unterthan der französischen Republik, und das Schiff, dessen Licht Sie hier über Steuerbord sehen, ist der ›Falke‹, dessen Bekanntschaft Sie so gern machen wollten. Ich hoffe, Sie danken es mir aufrichtig, daß ich Ihnen die Mühe erspare, noch längere Zeit erfolglos nach mir zu suchen!« Als der Kapitän diesen Namen hörte, erbleichte er; doch war dies das einzige Zeichen seines Schreckens, denn er antwortete in
stolzem Tone: »Robert Surcouf? Hm! Ja! Ah, ich erinnere mich jetzt, diesen Namen irgendwo einmal gehört zu haben. Sind Sie Seemann?« »Ich will dies nicht behaupten, hoffe jedoch, daß man mich für einen Seemann hält.« »Was haben Sie an Bord des › Eagle ‹ zu suchen?« »Ich suche Kapitän Schooter – – –« »Nun wohl, der bin ich. Was weiter?« »Ferner suche ich einen Missionspriester, welchen Sie vor einigen Tagen von Java entführt haben. Sie werden die Güte haben, mir seinen Aufenthalt zu nennen!« »Ich werde diese Güte nicht haben, Herr! Ich pflege –« »Pah!« unterbrach ihn Surcouf jetzt mit barscher Stimme. »Was Sie zu pflegen belieben, das ist hier vollständig gleichgültig; jetzt gilt nur das, was mir beliebt. Ich ersuche Sie, Robert Surcouf nicht für einen Mann zu halten, mit welchem man Komödie spielen darf. Ich halte Sie nicht für wahnsinnig und nehme also an, daß es Ihnen nicht an Einsicht mangelt, Ihre gegenwärtige Situation vollständig zu begreifen. Werden Sie mir sagen, wo sich der Missionspriester befindet, oder nicht?« »Einem Surcouf antwortet Kapitän Schooter nicht!« »Nun wohl; Sie sind mein Gefangener. Da Sie sich weigern, dem Kapitän Surcouf die verlangte Auskunft zu geben, so wird er Ihnen den Mund öffnen müssen. Lieutenant Ervillard, ein Tauende! Dieser Mann erhält dreißig scharfe Hiebe auf den bloßen Rücken!« Bei diesem Befehle trat Schooter hastig einen Schritt weiter vor. »Was sagen Sie da?« rief er, vor Grimm bebend. »Schlagen wollen Sie mich lassen! Mich, einen Offizier! Den Kapitän des › Eagle ‹, vor dem noch jeder Feind gezittert hat!« Surcouf zuckte die Achsel sehr gleichmüthig und antwortete: »Hoffentlich zählen Sie mich und meine braven Jungens nicht zu den Leuten, von denen Sie gefürchtet worden sind. Ja, ich werde Ihnen den Mund mit guten Hieben öffnen lassen!« Schooter antwortete zunächst nur mit einem heisern Schrei; dann aber rief er: »Mensch, das wagst Du nicht! Noch gibt es ein Völkerrecht! Ich bin kein Seeräuber, sondern ein Privateer, der mit vollgültigen Kaperbriefen versehen ist. Und wenn diese nicht geachtet werden, so ist Kapitän Schooter der Mann, ihnen Achtung und sich selbst
Genugthuung zu verschaffen. Zittern Sie vor meiner Rache! Sie haben mein Schiff genommen; nun wohl, ich kann nichts dagegen haben, obgleich meine Schlafmützen dies fürchterlich büßen sollen; aber Sie müssen mich am nächsten Hafen abliefern, und dann, dann werde ich Ihnen zeigen, was es heißt, einem Manne von meiner Qualität mit dem Tauende zu drohen!« »Ich sehe doch, daß Ihr Zorn Ihren Verstand auf eine sehr ungünstige Weise beeinflußt,« antwortete Surcouf. »Eigentlich habe ich hier keinem einzigen Menschen gegenüber meine Befehle und Handlungen mit Gründen zu belegen, aber in Rücksicht auf Ihr krankhaftes Denkvermögen will ich mich doch zu einer Erklärung herbeilassen. Ja, es gibt ein Völkerrecht, aber eben dieses Völkerrecht verbietet einem Kaper, ein Pirat zu sein; jedem ehrlichen Kapitän aber gebietet es, einen Piraten auch als Pirat, das heißt, als Seeräuber zu behandeln. Ob Sie mit Kaperbriefen versehen sind, ist mir durchaus gleichgültig; ich habe die Beweise, daß Sie wehrlose Ansiedler überfielen und friedliche Seefahrer tödteten, obgleich dieselben sich Ihnen ohne Widerstand ergaben; daß Sie sogar einen Krieg, einen Vernichtungskrieg gegen fromme Priester führen, welche keine anderen Waffen besitzen, als Worte der Liebe oder der Ermahnung. Ihre Briefe kann ich also nicht achten, denn Sie sind kein Privateer, sondern ein Seeräuber. Auch Genugthuung muß ich Ihnen versagen, da kein Dieb und Räuber satisfaktionsfähig ist. Ihre Rache fürchte ich nicht. Und endlich will ich Ihnen noch bemerken, daß ich keineswegs gezwungen bin, Sie im nächsten Hafen abzuliefern; ich bin vielmehr berechtigt und sogar verpflichtet, einen jeden Seeräuber ohne Weiteres baumeln zu lassen. Mit Ihnen habe ich bereits zu viele Worte gemacht. Ihr Schicksal ist einfach folgendes: Beantworten Sie mir meine Frage, so werde ich geneigt sein, Sie dem Gouverneur der nächsten mir im Curse liegenden französischen Besitzung als eingefangenen Piraten auszuliefern; bleiben Sie jedoch bei Ihrem Schweigen, so lasse ich Sie zunächst auspeitschen, sodann kielholen und endlich, wenn auch das zu keinem Ergebniß führt, an die Raa hängen.« »Versuchen Sie es!« rief Schooter sinnlos vor Wuth. »Es soll Ihnen schlecht bekommen!« »Lieutenant Ervillard, vorwärts!« gebot Surcouf. Auf einen Wink des Lieutenant wurde Schooter von sechs kräftigen Fäusten gepackt und nach dem Vorderdeck geschafft.
»Bei Gott, er wagt es!« hörte man Schooter rufen. »Führt mich zurück; ich werde die Antwort geben!« »Er wurde zurückgebracht und gestand, daß er heut am Morgen den Priester den wilden Sakuru-Dayaks übergeben habe.« »Welchen Preis haben Sie erhalten?« frug Surcouf. »Den Beutel mit Goldstaub, den Sie in meiner Kassette finden,« lautete die Antwort. »Wo wohnen diese Dayaks?« »Eine Stunde weit, von der Mündung des Flüßchens aufwärts.« »Gut! Ich habe Ihnen nur noch zu sagen, daß ich Sie allerdings ausliefern werde, falls es mir gelingt, den Gesuchten unbeschädigt zurückzuerhalten; ist ihm aber das Geringste geschehen, so werden Sie dennoch aufgeknüpft. Ich handle also in Ihrem eigenen Interesse, wenn ich Sie auffordere, mir einen Ihrer Leute zu nennen, der geeignet ist, als Ihr Bote zu den Dayaks zu gehen; den Beutel soll er mitbekommen, doch werden ihn zwei meiner Männer begleiten, welche gewohnt sind, mit diesen Wilden zu verkehren. Nennen Sie den Namen!« »Untersteuermann Harcroft.« »Das genügt. Nun will ich Ihnen noch einen braven Mann vorstellen, der an sich selbst erfahren hat, daß Sie Seeräuber sind, und dem wir es verdanken, daß wir so schnell und erfolgreich in Ihr Kielwasser gekommen sind.« Er gab einen Wink – die Leute traten aus einander – die Gestalt des Deutschen war zu sehen. »Holmers! Schurke!« rief der Gefangene und erhob die Fäuste, um sich trotz seiner gefesselten Hände auf den Genannten zu werfen; doch wurde er sofort gefaßt und auf Befehl des Kapitäns hinüber nach dem »Falken« gebracht. Sobald der Morgen zu grauen begann, stieß ein Boot ab, um die drei Boten an das Festland zu bringen. Der Untersteuermann Harcroft hatte ausgesagt, daß er es sei, welcher mit Karima, dem Häuptlinge der Dayaks, zu verhandeln gehabt hatte, und die beiden ihm beigegebenen Männer verstanden das Malayische hinlänglich, um ihrem Auftrage genügen zu können. Es war ausgemacht worden, daß Surcouf bis Mittag warten, dann aber, falls sie noch nicht zurückgekehrt seien, annehmen wollte, daß er ihnen zu Hilfe kommen müsse. Auch Holmers, der Deutsche, erzählte, daß er bei dem vorigen Aufenthalte Schooter's
hier mit am Lande gewesen sei und die Gegend genügend kenne, um als Führer dienen zu können. Nach seinen Angaben konnte der Kapitän einen Situationsplan entwerfen. Er hatte überhaupt diesen Mann trotz der kurzen Zeit ihres Beisammenseins bereits lieb gewonnen. Holmers' Trübsinn war eine Folge seiner Sehnsucht nach dem Vaterlande, welches er von ganzer Seele liebte und zu dem er doch nicht mehr zurückkehren durfte. Als Deserteur sah er sich verurtheilt, sein Haupt dereinst in fremder Erde zur Ruhe zu legen. Die abgelaufene Frist verstrich, ohne daß die drei Boten zurückkehrten, und so sah sich Surcouf zu einer kriegerischen Expedition an das Land verpflichtet. Er übergab dem Lieutenant das Commando der beiden Schiffe und stellte sich selbst an die Spitze der zwanzig Männer, welche zur Landung ausersehen waren. Sie wurden mit guten Waffen ausgerüstet und mußten trotz der hier herrschenden Hitze drei Anzüge über einander tragen, um das Eindringen der vergifteten Pfeile der Dayaks zu erschweren. Die Schiffe verließen die Insel und warfen in der Nähe des Festlandes Anker, damit sie die Küste desselben nöthigen Falles mit ihren Kanonen bestreichen könnten. Dann stießen die Boote ab, um an der Bucht zu landen, welche von einem kleinen, hier in das Meer mündenden Flüßchen gebildet wurde. Das Ufer zeigte nur einen schmalen, sandigen Strich ohne Pflanzenwuchs; dann aber begann ein dichter Urwald, dessen Schlinggewächse das Fortkommen sehr erschwerten. Da fiel zum Beispiele sogleich ein beinahe hundert Fuß hoher Baum in die Augen, der einen Umfang von vielleicht zwanzig Fuß haben mochte. Seine weiße Rinde war rissig, und seine Früchte hatten die Größe einer Pflaume. Das war der fürchterliche Antschar 7 , dessen Milchsaft schon durch seine Ausdünstung sehr schmerzhafte Geschwülste hervorbringt; es ist der berüchtigte Upas, von dem so viel Schreckliches gefabelt wird. Er soll ganz allein im »Todesthale« auf Java stehen und die Luft meilenweit so verpesten, daß kein Baum, kein Strauch, kein Gras gedeiht und alle lebenden Wesen in seiner Nähe dem Tode verfallen. Das ist nicht wahr; vielmehr findet er sich in den dichtesten Wäldern, und man hat sich nur vor der Berührung mit seinem Gifte und vor dem längeren Einflusse seiner Ausdünstung zu hüten. An ihm kletterte eine fast armsdicke Schlingpflanze empor, welche bis in bedeutende Höhe völlig astlos war, dann aber zwischen seinen eliptischen Blättern
grünlich-weiße Blumen zeigte, welche einen jasminartigen Geruch ausströmten. Das war der javanische Brechnußbaum 8 , dessen Wurzelrinde einen giftigen Saft gewinnen läßt, welcher unter den Namen Upas tschettek oder Upas radscha bekannt ist; er führt nach der geringsten Verwundung heftige Convulsionen und einen schmerzhaften Tod herbei. In der Nähe wuchsen ganze Massen einer fünf Fuß hohen Pflanze, welche ellenlange, weich behaarte Blätter und einen röthlich weißen Blüthenstrauß trug. Es war der indische Galgant 9 . Auch wilder Cassamumar-Ingwer 10 und die strauchige Beißbeere 11 wuchsen da. Aus diesen fünf Pflanzen nebst einigen anderen bereiten die Bewohner des indischen Archipels ihr berüchtigtes Pfeilgift, über welches schon so viel Wahres und Unwahres erzählt worden ist. Die Bereitung geschieht auf folgende Weise: Man nimmt ein Quantum Antscharsaft, den zehnten Theil davon Saft der Galgant-Alpinie, eben so viel Saft des Cassamumar-Ingwers und des Arons, den Saft einer Zwiebel, etwas fein gepulverten schwarzen Pfeffer und vermischt das innig mit einander. Hierauf gibt man nach Umständen den Wurzelrindensaft der javanischen Brechnuß dazu und den Samen der Beißbeere, welcher ein starkes Aufbrausen verursacht. Hat das Brausen aufgehört und ist die Mischung filtrirt, so ist das Gift fertig. Wird dasselbe in nicht zu großen Quantitäten genossen, so erregt es in der Regel nur ein heftiges Erbrechen, kommt es jedoch mit dem Blute in Berührung, so wirkt es schnell tödtlich. Daß der dichte Wald auch von gewaltigen Thieren belebt sei, zeigte den Seeleuten eine breite Rhinozerosspur, welche längs des Flüßchens aufwärts führte und in welche mehrere andere mündeten. In diese lenkte der Führer Holmers ein. Die Gefährlichkeit der Lage erforderte die Bildung einer Vorhut, und darum sandte Surcouf fünf Mann voraus, welche den Weg und dessen Umgebung auszuspähen hatten. Man war beinahe eine halbe Stunde lang vorgerückt, als von dieser Vorhut das Zeichen gegeben wurde, daß etwas Auffälliges in Sicht sei. Schnell rückten die Anderen nach und gelangten an eine Stelle, wo sich ganz am Ufer des Flüßchens mehrere Rhinozeroswege vereinigten und also ein verhältnißmäßig freier Platz gebildet wurde. Dieser war abgeschlossen rechts durch den Fluß, links durch den dichten Urwald und vorn durch – eine mehrfache Reihe bewaffneter Dayaks, welche außerdem auch das
andere Ufer des Wassers besetzt hielten. Sie hatten die Europäer bereits gesehen, schwangen ihre Spieße und Blasrohre und erhoben ein mächtiges Geschrei. »Da,« meinte der Oberconstabel, welcher mit einer Flinte und einer riesigen Keule bewaffnet war, »da haben sie sich uns in das Fahrwasser gelegt. Ich denke, wir segeln sie über den Haufen, Kapitän!« »Nein,« antwortete der Gefragte. »Noch wissen wir nicht, ob sie uns freundlich oder feindlich gesinnt sind.« Er ließ die Mehrzahl seiner Leute zurück und schritt mit Holmers und noch drei Anderen vorwärts, bis er sich nur noch in einer Entfernung von vierzig Schritten von den Malayen befand. Er durfte sich sicher fühlen, da die Zurückgebliebenen die Dayaks ganz gut mit ihren Kugeln erreichen konnten. Als die Letzteren sein Manöver bemerkten, traten auch von ihnen Fünf vor. Der Eine von ihnen erhob den Wurfspieß und rief: » Ada tuan-ku? « Diese Worte bedeuten: »Welcher ist mein Herr?« Sie enthielten eine Höflichkeit, und es ließ sich vermuthen, daß die Dayaks nicht die Absicht hegten, feindlich vorzugehen. Surcouf hatte sich so viel des Malayischen angeeignet, daß er antworten konnte: »Ich bin der Anführer dieser Männer. Was führt Euch an diese Stelle?« »Wir wollen Dich empfangen,« lautete die Antwort. »Woher wißt Ihr, daß wir kommen?« »Die drei Männer, welche Du uns sandtest, haben es uns gesagt.« »Wo sind sie?« »Es sind nur noch Zwei; sie sind bei uns gefangen.« »Warum?« »Sie haben uns einen Mann getödtet. Sie kamen zu uns, um den Pengadschar 12 zurückzuverlangen; ich bin der Häuptling; sie wollten mir mein Gold wiedergeben, ich aber verlangte ein Gewehr mit Blei und Pulver. Sie wollten nicht, und als sie den Pengadschar erblickten, ergriffen sie ihn, um mit ihm zu entfliehen. Wir traten ihnen entgegen; da nahm der Eine sein Messer und erstach den Sohn meines Bruders. Mein Bruder war nicht da, darum ergriff ich meinen Spieß und stach den Mann in die Hand; er starb, denn dieser Speer ist in das Tapu-Upas getaucht. Nun haben wir die zwei
Uebrigen gebunden; sie liegen in meiner Hütte, und Du kannst sie sehen.« Die Worte dieses Mannes klangen genau so, als ob er die volle Wahrheit gesagt habe. Die Boten Surcouf's hatten unvorsichtig gehandelt und die Malayen gereizt. »Und was verlangt Ihr jetzt für den Pengadschar?« frug nun Surcouf. »Das, was ich gesagt habe, denn ich rede nicht mit zwei Zungen. Aber den Todten mußt Du uns bezahlen.« »Er ist bereits bezahlt, denn Du hast seinen Mörder getödtet; doch erlaube ich Dir, einen Preis zu fordern.« »Das wird sein Vater thun, welcher bei seiner Leiche in der Hütte sitzt. Du wirst mit uns gehen müssen.« »Versprichst Du uns volle Sicherheit?« »Ja. Ihr werdet meine Gäste sein.« Sie wurden weiter flußaufwärts geführt, bis sie ein Thal erreichten, unter dessen Bäumen die primitiven Wohnungen der Dayaks standen. In der größten derselben, welche dem Häuptlinge gehörte, sollte die Berathung geschehen, zu welcher sich die Angesehensten versammelten. Auch der Bruder des Häuptlings erschien; er hatte sich mit allerlei Zeichen seiner Trauer behangen und blieb während der ganzen Verhandlung stumm. Natürlich begehrte Surcouf vor allen Dingen, den Missionspriester und die beiden Boten zu sehen. Dieser Wunsch wurde ihm gewährt. Als der Priester gebracht wurde, erkannte der Kapitän sofort den Pater Martin in ihm. Dieser blieb am Eingange stehen, freudig erstaunt, so viele Europäer hier zu sehen, von deren Anwesenheit er auf eine glückliche Wendung seiner Lage schließen konnte. Als sein Blick auf den Kapitän fiel, schien er in seiner Erinnerung vergeblich nachzusuchen. »Ich heiße Surcouf,« begann der Kapitän. »Robert Surcouf! Kapitän Surcouf! Jetzt erkenne ich Sie trotz Ihres mächtigen Bartes und der sonnverbrannten Farbe. Kommen Sie in meine Arme, mein muthiger Wohlthäter!« Der Inhalt ihrer kurzen Unterredung läßt sich denken. Pater Martin war glücklich nach Italien entkommen und hatte dann Europa verlassen, um in Indien für die Bekehrung der Heiden thätig zu sein. Er erzählte in seiner schlichten Weise, daß er viel Ungemach überwunden habe, das Schlimmste aber sei ihm an Bord
des » Eagle « widerfahren, wo man die heilige Religion gelästert und ihren Diener auf die boshafteste Weise verspottet habe. Schließlich sei er gar noch verkauft worden, um bei irgend einem Begräbnisse als Todtenopfer geschlachtet zu werden. Surcouf versprach ihm natürlich seine Befreiung, erzählte ihm von der Gefangennahme Schooter's, und der Priester pries Gottes Güte, welche ihm so augenfällig in seinem alten Beschützer abermals einen Retter gesandt hatte. Als die zwei Boten gebracht wurden, waren es die beiden Leute des »Falken;« der am Upasgifte Gestorbene war also der englische Untersteuermann gewesen, welcher, wie seine Begleiter aussagten, so unvorsichtig kühn gehandelt habe, um sich das Wohlwollen Surcouf's zu erwerben. Nun begann die Unterhandlung mit den Dayaks. Häuptling Karima schien kein Freund von Umschweifen zu sein, und so wurde bis zur Einigung nicht viel überflüssige Zeit verschwendet. Seine klare, prompte Einleitung lautete: »Wir wollen über unsere Feinde siegen, und dazu brauchen wir Waffen, wie die Euerigen sind. Ich werde Dir sagen, was Du uns geben sollst: eine Büchse und Pulver und Blei für den Getödteten; eine Büchse und Pulver und Blei für den Pengadschar, wenn er nicht hier bleiben will. Bleibt er bei uns, so soll er uns das lehren, was wir nicht wissen. Die Dayaks da oben in den Bergen und im Innern der Insel haben keine Gedanken; wir aber erkennen, daß Ihr viel weiser seid, als wir; wir wollen von Euch lernen und mit Euch einen Bund schließen. Wenn Du das thust, so werde ich Dir Goldsand und schöne Steine zeigen, welche wir in den Bergen finden, und Du sollst mir sagen, wie viele Flinten, Pulver und Blei, Beile und Messer Du uns dafür geben kannst. Auch Tücher und Kleider möchten wir gern. Dann scheiden wir in Frieden und werden uns freuen, wenn Du wiederkommst oder uns einen Boten sendest.« Surcouf war ganz erstaunt ob dieses ebenso friedfertigen wie Gewinn verheißenden Anerbietens. »Das ist nicht Zufall, das ist Gottes Schickung!« meinte der Priester. »Der Herr hat diesen Häuptling bei der Hand erfaßt, um ihn auf den rechten Weg zu leiten, und mir gibt er einen Fingerzeig für den Ort einer segensreichen Wirksamkeit. Kapitän Surcouf, ich bleibe hier! Wollen Sie dafür sorgen, daß ich mit der Welt in Verbindung bleibe?«
»Gern, ich verspreche es Ihnen!« Surcouf wandte sich an den Häuptling: »Du hast klug und weise gesprochen, wie ein Mann, welcher der Häuptling Vieler werden wird. Das Land, aus dem ich komme, kann Dir Alles bieten, was Du brauchst: Schutz gegen Deine Feinde, Waffen, Kleider, Geräthe aller Art. Deine Worte haben mich zu Deinem Freunde gemacht. Ich werde Dir Alles geben, was Du verlangt hast. Einige meiner Leute können gehen, um es zu holen. Ich werde Dir eine Büchse, Pulver und Blei für diesen Pengadschar geben, trotzdem er wünscht, hier bei Dir zu bleiben. Willst Du ihn als Deinen Gast behalten und beschützen, so werde ich Dir außerdem noch zwei Gewehre, drei Pistolen, drei eiserne Töpfe zum Kochen, ein rothes und ein blaues Kleid für Dich, einen Spiegel, welcher dreimal größer ist, als Dein Kopf, und allerlei andere Sachen geben. Willst Du mir nun den Goldsand und die Steine zeigen?« Karima gab einen Wink, und bald brachten drei Männer das Gewünschte in Säckchen herbei. Der Goldsand war rein und wog vielleicht zwanzig Pfund, und die Steine waren ächte Diamanten, manche von der Größe einer dicken Erbse. »Was verlangst Du dafür?« fragte Surcouf. »Herr, sage selbst, was Du denkst!« »Gut! Ich werde Dir dafür geben eine – – höre! – eine Kanone!« Es war erstaunlich, welche Wirkung dieses Zauberwort auf alle Hörer hervorbrachte. Die braunen Gesichter der Malayen glänzten vor Wonne, und ihr Häuptling rief: »Herr, eine Kanone, ist's möglich?« »Ich sage es ja! Eine Kanone mit hundert großen Kugeln und Pulver zu hundert Schüssen.« »Oh, so bist Du der beste Freund, den wir besitzen, denn nun müssen alle unsere Feinde vor uns zu Schanden werden.« »So sind wir also einig. Macht Euch bereit, mich auf das Schiff zu begleiten; dort sollt Ihr Alles erhalten, was ich Euch versprochen habe!« In kurzer Zeit setzte sich ein ziemlich langer Zug in Bewegung, und bald mußten die Boote vom Schiffe abstoßen, um die Kameraden und Dayaks an Bord zu bringen. Dort erhielten sie eine Einpfünder-Drehbasse nebst Munition und alles sonst Versprochene. Surcouf blieb drei Tage in der Sakurubucht, dann nahm er von
den Malayen und dem Priester, welchen er mit allem Nöthigen reichlich versehen hatte, einen herzlichen Abschied.
In Paris Die französische Revolution hatte ihren Kreislauf vollendet. Aus dem Consulate war ein Kaiserthum geworden, und der groß gewordene kleine Corse hatte sich mit einem prunkvollen Hofstaate von Großoffizieren und Großwürdenträgern umgeben. Ganz Europa hörte auf seine Stimme, und nur das stolze Albion verschmähte es, ihm ein Liniensystem in der Partitur des politischen Concertes zu gestatten. Wie sein Stern emporgestiegen war, so sollte er auch wieder sinken und verschwinden, plötzlich, aus dem Nichts in das Nichts – ein Meteor, welches keine Rückkehr feiert. Die Häfen Frankreich's waren von England seit mehreren Jahren so nachdrücklich blockirt worden, daß es kaum einmal einem französischen Schiffe gelang, die See zu gewinnen. Diese Sperre legte natürlich den Handel Frankreich's vollständig au das Trockene. Uebrigens hatte Frankreich fast alle seine Colonien an England verloren und damit ganz unersetzliche Verluste erlitten. Frankreich hätte nun diese Schläge zu verhüten oder an den Gegner zurückzugeben vermocht, aber Napoleon war kein Seemann und hegte bereits damals den großartigen, später so traurig verunglückten Plan, England in Indien über das eroberte Rußland hin anzugreifen. Dazu bedurfte er einer mächtigen Völkercoalition im Herzen Europa's, auf welche er sein ganzes Augenmerk richtete, anstatt einen kürzeren, weniger kostspieligen und weniger unsicheren Weg einzuschlagen. Seine Versuche, an der Küste Großbritannien's zu landen, waren stets gescheitert. Es fehlte an einer tüchtigen Flotte und an Männern, deren Namen man neben dem der damaligen britischen Admirale hätte nennen können. Das Erbauen neuer Schiffe erforderte bedeutende Summen, aber sobald sie in See gingen, wurden sie von den Engländern weggenommen. Und doch hätte sich bereits im Jahre 1801 Napoleon einer Erfindung bemeistern können, durch welche er England in Furcht versetzt haben würde. Robert Fulton, der berühmte amerikanische Mechaniker, war nach Paris gekommen, um zu beweisen, daß es möglich sei, Schiffe mittelst der Kraft des Dampfes zu bewegen. Er stellte daselbst im Verein mit dem damaligen amerikanischen Vertreter in Paris, Kanzler
Livingston, verschiedene Versuche an, welche aber nicht beachtet wurden. Aus diesem Grunde ging er nach England, wo er auch keinen Beifall fand. Dennoch ließ er sein Projekt nicht fallen und kehrte zwei Jahre später nach Paris zurück. Er brachte auf der Seine sein erstes Versuchs-Dampfboot in Gang, wurde aber von keiner Seite unterstützt. Er wandte sich direkt an den ersten Consul, und es wurde ihm eine Audienz gestattet. In einem Zimmer der Tuilerien standen Beide einander gegenüber, der Held des Dampfes und der Heros der Schlachten. »Man sieht ein,« sagte Fulton nach einer längeren Debatte über seine Erfindung, »daß die Dampfkraft der Schifffahrt von ungeheurem Nutzen sein und sie auf ungeahnte Weise heben wird. Die Entfernungen werden schwinden, die Schwierigkeiten sich vereinfachen, die Gefahren und Unglücksfälle sich vermindern. Die Manövrirfähigkeit eines Schiffes muß sich verzehnfachen, wenn sie nicht mehr von Wind und Segelwerk abhängig ist. Derjenige Fürst, welcher die ersten Kriegsdampfer baut, wird jeder Marine der Welt überlegen sein.« Der Consul hatte schweigsam und mit einem sarkastischen Lächeln um den Mund zugehört. Jetzt ergriff er Fulton beim Arme und zog ihn an's Fenster. Auf die vor demselben wogende Menge der Passanten deutend, frug er in einem sehr ironischen Tone: »Sehen Sie die neue Erfindung, welche viele dieser Leute zwischen den Lippen tragen?« »Ich sehe sie,« antwortete Fulton. »Es ist die Cigarre, welche man jetzt auch in Frankreich zu rauchen beginnt.« »Nun wohl! Alle diese Raucher sind lebendige Dampfmaschinen. Sie entwickeln Dampf; weiter nichts!« »Ich wage zu bemerken, daß der Rauch nicht mit dem Dampfe zu verwechseln ist. Es ist nicht Dampf, was bei dem Rauchen einer Cigarre entsteht.« Bei diesem Einwande zogen sich die Brauen des ersten Consuls unmuthig zusammen; er war es nicht gewohnt, sich von einem schlichten Mechanikus corrigirt zu sehen; darum klang seine Stimme schroffer als bisher: »Dampf oder Rauch, das bleibt sich gleich! Wie kann dem Rauche einer Cigarre die Kraft inne wohnen, ein Schiff zu treiben? C'est drôle – es ist lächerlich!« Fulton wagte jetzt keine abermalige Berichtigung, aber er
entgegnete in dem rücksichtsvollsten, höflichsten Tone: »Ich wiederhole jedoch und behaupte nachdrücklich, daß derjenige Herrscher, welcher die ersten Dampfschiffe besitzt, in kurzer Zeit Herr der Meere sein wird. Einem solchen Erfolge gegenüber sind die Kosten einiger Versuche verschwindend klein zu nennen. Ich erinnere an England's Haß gegen Frankreich. Wenn der Beherrscher der französischen Nation eine Dampferflotte besäße, so würde er in London den Engländern Gesetze vorschreiben können.« Napoleon trat von dem Fenster, an welchem Beide stehen geblieben waren, zurück und meinte in seinem kältesten Tone: » Mon ami, ich pflege meine Chancen nicht dem Dampfe anzuvertrauen. Ich sehe mich über Ihr Object vollständig informirt und muß mich ablehnend verhalten.« Eine stolze verabschiedende Handbewegung sagte Fulton, daß die Audienz beendet sei. Fulton ging. Er war um eine große Hoffnung ärmer geworden. Der Consul aber ahnte nicht, daß er als verbannter Kaiser einst dieser Stunde bedauernd gedenken würde. Aber schon wenig über ein Jahr später sollte er an sie erinnert werden. Der unterdessen Kaiser gewordene Bonaparte hatte in der Nähe von Boulogne und außerdem bei Utrecht eine bedeutende Heeresmacht zusammengezogen, um in England zu landen. In Folge dessen wurde die Bewachung der französischen Häfen von den Engländern auf eine Weise verschärft, daß keinem französischen Schiffe das Entschlüpfen gelingen wollte. Außerdem kreuzten in den Frankreich begrenzenden Meerestheilen englische Flotten, welche jedes ihnen begegnende Fahrzeug anhielten und durchsuchten; war es ein Franzose oder hatte es für Frankreich geladen, so wurde es weggenommen. Diese Calamität machte dem Marineminister ungeheuer zu schaffen; er hatte fast täglich Conferenzen mit dem Kaiser, die gewöhnlich mit beiderseitiger Erregung endigten. Während einer dieser turbulenten Besprechungen, als eben wiederum die Rede von der strengen Blockade der sämmtlichen Häfen war, sagte der Minister: »In dieser Misère ist es eine um so größere Freude, zu erfahren, daß es doch noch Männer gibt, deren Muth und Geschicklichkeit der Aufmerksamkeit dieser britischen Seebären gewachsen ist.« Der Kaiser blickte auf.
»Was ist's?« fragte er. »Hat Hugues etwas gethan?« Admiral Hugues war nämlich einer von den wenigen französischen Seemännern, welche zuweilen glücklich operirten. »Nein,« antwortete der Minister. »Es ist etwas Anderes; es ist fast ein kleiner Seeroman.« »Sprechen Sie, so wenig ich mich sonst für Romane interessire!« »Von dem englischen Geschwader des Commodore Dancy ist eine Fregatte auf Belle-Isle gegenüber Le Palais gelandet, um die kleinen Ortschaften der Insel zu beängstigen. Während die Mannschaften sich am Lande befinden, kommt eine kleine Brigg herangesegelt, zeigt die englische Flagge, legt sich Seite an Seite mit der Fregatte, nimmt sie weg, zieht die französische Flagge auf und segelt davon. Am andern Morgen kommt dieselbe Fregatte, hinter sich die Brigg mit niederhängender Flagge, als habe sie dieselbe genommen, ganz wohlgemuth an das englische Blockadegeschwader vor Brest gesegelt; sie läßt ganz stolz vom hohen Top die englischen Farben wehen, und da ein jeder Kapitän die Fregatte kennt, so denkt man, sie sei von Commodore Dancy mit irgend einer Botschaft an den Commandanten des Geschwaders gesandt und habe unterwegs das französische Schiff genommen. Sie salutirt, und alle Schiffe des Geschwaders antworten. Sie segelt das Flaggenschiff an und thut, als wolle sie beidrehen; da aber plötzlich sinkt die englische Flagge und die französische fliegt empor, bei der Brigg ebenso. Beide jagen dem englischen Flaggenschiffe, einem Linienschiff von hundert und zwanzig Kanonen, die Kugeln einer Breitseite in den Riesenleib, strengen im Nu alle Segel an und kommen glücklich unter den Schutz der Batterien von Le Goulet 13 . Die Engländer, welche natürlich sich zur schleunigen Verfolgung aufgemacht hatten, wurden von den Kugeln der Batterien gezwungen, umzukehren.« Die Augen des Kaisers leuchteten. »Das ist ein Heldenstück, an das man nicht glauben kann!« rief er. »Sire, ich erzähle eine Thatsache!« »Ich selbst bin allerdings Zeuge eines ähnlichen Heldenstückes gewesen. Ein ganz junger Seemann nahm ein englisches Fahrzeug und segelte damit ganz offen durch die Flotte des Admirales Hood. Dieser Mann hieß Robert Surcouf und ist derselbe, von dessen
indischen Thaten man mit jeder neuen Post auch Neues hört. Ihr Held muß übrigens die Küste der Bretagne und den Hafen von Brest ganz genau kennen.« »Dies ist der Fall, denn er ist in der Bretagne geboren.« »Auch Robert Surcouf ist ein Breton. Wie ist der Name Ihres Mannes? Es ist sehr nothwendig, ihn zu merken, denn man wird seinen Besitzer brauchen können.« »Majestät haben ihn bereits zweimal genannt.« »Ah! Surcouf ist es? Wirklich Surcouf?« »Er selbst, Sire.« »Dann glaube ich an die Wegnahme der Fregatte. Es ist dies ein Meisterstück, welches ihm Niemand nachmachen wird. Man wird diesen Mann festzuhalten suchen, ihm einstweilen ein Linienschiff und dann eine Escadre geben. Bemerken Sie sich das; es ist mein Wille!« »Ich danke Ew. Majestät in seinem Namen. Er bringt uns nicht nur die eroberte Fregatte, sondern auch Berichte, Briefe und Gelder von Isle de France und Isle Bourbon. Der Gouverneur von Isle de France meldet mir, daß er in den letzten drei Monaten elf Schiffe von Surcouf überkommen hat, welche dieser kühne Parteigänger den Engländern wegnahm. Frankreich hat Surcouf nicht nur diese außerordentliche Schädigung des Feindes, sondern auch die durch den Verkauf dieser Prisen und die Verwerthung ihrer Ladungen erlangten großen Summen zu verdanken. Ich gestatte mir die Bemerkung, daß ich überzeugt bin, dieser noch so junge Breton könnte den Engländern furchtbar werden, wenn man ihm erlaubte, sich an der rechten Stelle zu befinden. Und dabei ist er bescheiden und anspruchslos, wie ich selten einen Mann von seinen Verdiensten gefunden habe.« »Wie, Sie kennen ihn?« frug der Kaiser rasch. »Verzeihung, Sire! Ich vergaß, zu sagen, daß er mich gestern um eine Audienz bat, die ich ihm heut gewährte.« »So befindet er sich in Paris?« »Er ist hier, um einen Prozeß gegen den Gouverneur von Isle de France zu betreiben, welcher sich weigert, ihm den Erlös einiger Prisen auszuzahlen.« »Wie hoch ist die Summe?« »Gegen anderthalb Millionen Francs. Er hat gegen den Gouverneur bereits einen ähnlichen Prozeß gewonnen, wo sich der
gesetzgebende Körper für Surcouf entschied. Es handelte sich dabei um rund siebenmalhunderttausend Francs.« »Solch ein Kaper verdient ja ungeheure Summen!« »Nur ein Kaper von dem Unternehmungsgeiste und der Einsicht Surcouf's. Aber Majestät mögen geruhen, an die Summen zu denken, welche er braucht, um stets seetüchtig zu sein. Uebrigens weiß man genau, daß Surcouf nicht einen Franken für sich behält; er ist der Vater, der Freund, der Schatzmeister unserer indischen Ansiedelungen, welche leider so oft allein nur auf seinen Schutz und seine Freigebigkeit angewiesen sind.« »Wird er seinen Prozeß gewinnen?« »Ich zweifle keinen Augenblick!« »So kann ich diese Angelegenheit selbst begleichen, ohne der Gerechtigkeit durch eine décision arbitraire Eintrag zu thun. Kann man diesen Surcouf einmal wie durch Zufall sehen?« »Ich habe mit ihm zu sprechen. Wollen Ew. Majestät befehlen, wann dies bei mir zu geschehen hat?« »Elf Uhr morgen. Sie werden dafür sorgen, daß er pünktlich ist. Wie steht es mit seinem Antheile an der Fregatte?« »Man ist bereits daran, das Fahrzeug zu taxiren.« »Man kann dies unterlassen; ich selbst werde Surcouf entschädigen!« – – – In der Vorstadt Poissoniêre stand ein Gasthaus. Es war zwar kein feines Hôtel, aber eine recht angenehme Auberge, und der Wirth desselben pflegte, wie allen seinen Besuchern bekannt war, sich nur mit anständigen Gästen zu befassen. Es war der gute Oncle Carditon, der einem Jeden, welcher es hören wollte, sehr ausführlich erzählte, daß er zuvor eine Taverne in Toulon besessen habe, doch mit Hülfe des berühmten Kapitän Surcouf in seinen Verhältnissen so weit vorwärts gekommen sei, daß er nach Paris ziehen und sich die hübsche Auberge kaufen konnte. Seit gestern befand sich Oncle Carditon in einer sehr gehobenen Stimmung und zugleich in einer ungewöhnlichen Geschäftigkeit: Robert Surcouf hatte Quartier bei ihm genommen, und zwar nicht allein, sondern mit seinem Lieutenant Bert Ervillard, seinem Segelmeister Holmers und noch einigen Leuten des »Falken«. Dieser liebe Besuch mußte natürlich auf das Beste und Sorgsamste bedient werden, und darum ist es kein Wunder, daß Oncle Carditon für Andere nicht gar viel Zeit übrig hatte.
Der gute Oncle Carditon war außerordentlich stolz auf Surcouf. Trotz seiner Geschäftigkeit fand er doch Zeit, den Stammgästen zu erzählen, daß Kapitän Surcouf gestern sofort nach seiner Ankunft zum Minister gefahren sei, und daß auch vorhin ein reich gallonirter Diener desselben einen Brief für Surcouf gebracht habe. Es sei noch nie ein Gast bei ihm eingekehrt, der mit den Ministern des Kaisers verkehrt hätte, und es könnten sehr viele vornehme Hôtels genannt werden, deren Gäste noch nie mit einem Minister gesprochen und noch weniger ihn besucht oder gar einen Brief von ihm empfangen hätten. Als der Kapitän von einem Spaziergange zurückkehrte, brachte ihm Oncle Carditon diesen Brief in eigener Person auf einem feinen Glasteller, denn der gute Oncle dachte sich, daß der Brief eines Ministers anders zu behandeln sei, als ein Papier aus gewöhnlichen Händen. Surcouf öffnete und fand die Weisung, sich am nächsten Vormittag präcis halb elf Uhr bei dem Chef des Marinewesens einzufinden. Als der Kapitän des »Falken« am andern Morgen das Hôtel des Ministers betrat, wurde er direkt nach dessen Arbeitszimmer geführt. Er wußte, daß dies eine Auszeichnung für ihn sein solle, doch nahm er dieselbe so gleichmüthig hin, als ob er es gar nicht anders erwartet habe. Der hohe Beamte empfing ihn mit der ausgesuchtesten Höflichkeit. »Ich habe Sie nicht rufen lassen,« begann er, »um über Ihre Angelegenheit mit Ihnen zu verhandeln, sondern um mich von Ihnen über einige nautische Fragen, welche die von Ihnen mit Vorliebe befahrenen Gegenden betreffen, unterrichten zu lassen. Es sind eben jetzt so wenig Männer gegenwärtig, von denen ich die gewünschte Auskunft erhalten könnte, daß ich Ihre Anwesenheit nicht unbenützt vorübergehen lassen darf.« Und nun brachte er eine Anzahl Seekarten zum Vorscheine, über welche eine nach und nach immer lebhaftere Unterhaltung geführt wurde. Surcouf hatte Gelegenheit, seine reichen Erfahrungen in seiner stillen, anspruchslosen Weise zur Geltung zu bringen, und der Minister verbarg es keineswegs, daß ihn der junge Seemann – je länger desto mehr – interessirte. Da öffnete sich plötzlich die Thür, und der Diener meldete den Kaiser, welcher zu gleicher Zeit mit der Meldung eintrat. »Excellenz,« sagte er, »ich komme persönlich, um eine höchst
wichtige Angelegenheit selbst – – ah!« unterbrach er sich, »Sie sind beschäftigt?« »Ich bin zu Ende und stehe Ew. Majestät überhaupt zu jeder Stunde zur Verfügung,« lautete die Antwort. Der Kaiser hatte Surcouf scharf in das Auge gefaßt, um zu sehen, welchen Eindruck die plötzliche Gegenwart des Lenkers Frankreich's auf ihn mache. Wenn er geglaubt hatte, den Kapitän in Verlegenheit zu bringen, so hatte er sich getäuscht, denn dieser zuckte mit keiner Miene, und die Farbe seiner tief gebräunten Wangen blieb ganz die gleiche; er trat nur mit einer tiefen, respektvollen Verbeugung zur Seite und richtete dann seinen Blick auf den Minister, da er erwartete, verabschiedet zu werden. »Kapitän Surcouf, Majestät,« stellte dieser ihn vor. »Kapitän?« frug Napoleon kalt. Und dann fügte er mit scharfer Stimme, als beabsichtige er, einen Verweis zu ertheilen, hinzu: »Wer hat Sie zum Kapitän gemacht?« Dieser Ton und diese Frage, welche einen Andern verblüfft hätte, brachte den Gefragten nicht im mindesten aus der Fassung; er antwortete ruhig, aber mit einem beredteren Blick, als die Demuth ihn erfordert hätte: »Frankreich nicht, Sire, sondern der Seegebrauch. Frankreich gab mir kein Schiff; da nahm ich mir ein solches und wurde von diesem Augenblick an Kapitän genannt. Diejenigen, welche mich mit diesem Worte beehren, wissen vielleicht kein anderes, welches ihnen passend erscheint; denn die Zeit, in welcher es genügte, einen Jeden einfach ›Bürger‹ zu nennen, ist vorüber.« Er hatte den Ausfall des Kaisers parirt und ihm dafür zwei Hiebe zu gleicher Zeit gegeben. Daß sie getroffen hatten, zeigte das kleine Fältchen, welches sich über der Nasenwurzel Napoleon's bildete. »Sehnen Sie diese Zeit zurück?« frug dieser mit jener Kürze, welche er anzuwenden pflegte, wenn er einem Andern in den Grund der Seele zu blicken beabsichtigte. Diese Frage war verfänglich, doch Surcouf antwortete ruhig: »Ich ersehne vor allen Dingen das Glück meines Vaterlandes; in jener Zeit war Frankreich nicht glücklich; möge es jetzt anders werden!« »Was verstehen Sie unter dem Glück eines Volkes, in's Besondere unter dem Glück der französischen Nation?« frug Napoleon mit einem überlegenen Lächeln.
»Nichts Anderes, als was ich unter dem Glück der Menschheit verstehe: innerliches und äußerliches Wohlbefinden.« »Und was ist dazu erforderlich?« »Ein friedliches Regiment und eine freie Bahn für alle redlichen Erzeugnisse des Geistes und der Hände.« »Und wenn dieses friedliche Regiment nicht möglich ist?« »So erzwinge man es durch würdige Mittel, welche klug und kraftvoll anzuwenden sind. Kein Friede ohne vorherigen Kampf.« »Halten Sie die Kaperei auch für eines dieser würdigen Mittel?« fragte der Kaiser lächelnd. »Nein,« erklang die aufrichtige Antwort. »Es wird die Zeit bald kommen, welche dieses beklagenswerthe Institut verurtheilt, und alle seefahrenden Nationen werden sich zur Abschaffung desselben vereinigen. Ich selbst bin Kaper, doch ohne daß mich mein Gewissen verurtheilt, denn ich habe mich zu jeder Zeit bestrebt, bei meinem Thun alle Härten zu vermeiden und es so einzurichten, daß daraus ein Segen für brave Menschen entspringt. Ich darf mich frei von Schuld und Unrecht fühlen, denn ich bin der Wurm, welcher sich unter dem Fuße des Feindes krümmt, der Wurm, dem nicht das Gebiß des Löwen oder die Pranken des Bären gegeben sind.« »Aber dennoch ein sehr respektabler Wurm,« konnte Napoleon sich nicht enthalten, zu bemerken. »Man hat zuweilen von Ihnen gehört. Warum treten Sie nicht in die Marine ein?« »Weil die Marine nichts von mir wissen wollte.« »Vielleicht hat sie ihre Ansicht geändert. Sie müssen sich darnach erkundigen!« »Wer mir seine Thür zeigt, kann nicht erwarten, daß ich es bin, der ihn um Eintritt bittet. Man hat mich allerdings bemerken lassen, daß man mit meinen kleinen Erfolgen zufrieden ist; auch sind mir von anderen Nationalitäten zuweilen Anträge zugegangen, doch habe ich keine Veranlassung, eine Aenderung meiner Gesinnung eintreten zu lassen. Ich habe für mein Vaterland gekämpft, obgleich es mich von sich stieß; ich werde demselben treu bleiben zu aller Zeit, selbst dann, wenn es mir nichts Anderes bietet, als bisher.« »Der vermeintliche Undank des Vaterlandes ist bereits für Viele der Sporn zu hohem Wirken gewesen; auch Sie werden sich nicht beklagen. Man sagt, daß Sie einen Prozeß führen?« »Man enthält mir mein wohl erworbenes Eigenthum vor, welches ich zum Nutzen derjenigen zu verwenden habe, welche auf
keine andere Hilfe rechnen können.« »Ich bin überzeugt, daß Sie Gerechtigkeit finden. Ich sehe hier Karten liegen. Hat Excellenz Ihre Erfahrungen in Anspruch genommen?« »Ich hatte das Glück, einige kleine Antworten geben zu dürfen.« »Die jedoch für mich von großer Bedeutung waren,« ergänzte der Minister. »Kapitän Surcouf ist der Mann, an welchen man sich wenden muß, wenn man sich über unsere indischen Angelegenheiten orientiren will.« »Auch ich interessire mich für diese Angelegenheiten sehr,« bemerkte der Kaiser. »Ich werde Sie einmal sehen und Ihnen die Stunde mittheilen lassen.« Mit einer Handbewegung gab er das Zeichen, daß Surcouf entlassen sei. Einige Tage später staunte Oncle Carditon nicht wenig, als vor seiner Thür ein Wagen hielt, aus welchem ein Adjutant des Kaisers stieg. Dieser fragte nach dem Kapitän Surcouf, und als er hörte, daß derselbe nicht anwesend sei, befahl er dem Wirth, Surcouf zu sagen, daß Seine Majestät geruhen würden, ihn morgen zur Mittagszeit zu empfangen. Der Wagen war längst wieder verschwunden, da stand der gute Oncle Carditon noch immer mit offenem Munde vor der Thür. Welch eine Ehre für seine Auberge! Das mußte er sogleich seinen Stammgästen erzählen, obgleich er eigentlich gar keine Zeit dazu hatte. Am andern Tage stand Surcouf einige Minuten vor der angegebenen Zeit in den Tuilerien und wurde Punkt 12 Uhr vor den Kaiser geführt. Dieser empfing ihn in demselben Raume, in welchem Robert Fulton seine verunglückte Audienz gehabt hatte. Der Kaiser warf einen seiner durchdringenden Blicke auf die stattliche Gestalt des Sohnes der Bretagne und erwiederte dessen tiefe Verneigung nur mit einem kaum bemerkbaren Senken seines Kopfes. »Kapitän Surcouf,« begann er, »ich habe mich Ihrer Angelegenheit angenommen. Man wird Ihnen die streitige Summe auszahlen, sobald Sie dieselbe begehren.« Er schwieg, als erwarte er, eine Fluth von Dankesworten zu vernehmen. Der Seemann aber sagte einfach: »Sire, ich danke! Ich hatte die Richter Frankreich's für so
gerecht gehalten, daß meine Angelegenheit Ew. Majestät nicht hätte belästigen sollen.« »Ich verstehe Sie nicht,« fiel der Kaiser rasch ein. »Ihre Angelegenheit ist durch mich zwar schneller, aber ganz mit demselben Resultate erledigt worden, welches sie durch den richterlichen Spruch gefunden hätte. Ganz ebenso ist es mit der von Ihnen den Engländern abgenommenen Fregatte, deren Werth bereits taxirt worden ist. Nehmen Sie dieses Portefeuille! Es enthält genau die Summe, welche Sie zu fordern haben.« Er griff nach der Brieftasche, welche auf einem neben ihm stehenden Tischchen lag, und reichte sie ihm entgegen. Surcouf nahm sie unter einer dankbaren Verbeugung und sagte: »Ich danke abermals, Majestät! Auf diese Weise bin ich eines längern, thatlosen Aufenthaltes in Paris überhoben und kann zur Erfüllung meiner Pflichten zurückkehren.« »Sie wollen Frankreich verlassen?« »Ja.« »Jetzt, wo alle Häfen gesperrt sind und kein Schiff auszulaufen vermag!« »Sire,« lächelte Surcouf, »ich bin eingelaufen trotz der Blockade und werde auch wieder die See gewinnen.« » Eh bien! Kann ich Ihnen einen Wunsch erfüllen?« »Es gibt sogar zwei Wünsche, welche ich Ew. Majestät zu Füßen legen möchte. Der erste betrifft meinen braven Lieutenant Bert Ervillard. Er ist einer der tüchtigsten Seeleute, welche ich kenne, obgleich er kein hohes Alter hat. Ich habe noch kein feindliches Schiff betreten, ohne Meister desselben zu werden, und er ist der Gefährte meiner Siege; er würde der Marine Frankreich's von großem Nutzen sein.« »Will er Sie verlassen?« »Er weiß nichts davon, daß ich von Ew. Majestät ein Schiff für ihn begehre.« »Er soll die Fregatte erhalten, welche er mit Ihnen den Engländern entführt hat! Und Ihre zweite Bitte?« »Sie betrifft meinen Segelmeister. Er ist ein Deutscher und gehörte zu den zwölftausend Hessen, welche für England in Nordamerika bluten sollten. Er wollte aber gegen die Union nicht kämpfen und entfloh. Da ihm als Deserteur die Rückkehr in das Vaterland nicht möglich war, verlor er eine geliebte Braut, ein nicht
unbedeutendes Vermögen und mußte verzichten, seinen Eltern die Augen zuzudrücken. Er wurde Seemann, befuhr alle Meere, wurde von dem berüchtigten Kapitän Schooter gepreßt und entkam dann glücklich zu mir, wobei er mir den › Eagle ‹ in die Hände lieferte. Seit jener Zeit hat er Frankreich viele Dienste geleistet, denn bei jedem feindlichen Schiffe, welches ich nahm, ist er der Vorderste gewesen. Er sehnt sich, in die Heimat zurückzukehren, und hat mich dringend gebeten, Ew. Majestät sein Gesuch um Ihre allerhöchste Befürwortung zu unterbreiten.« »Kapitän, ich habe in dem Vaterlande dieses Mannes nichts zu befehlen; aber um Ihretwillen soll er heimkehren dürfen. Ich werde diesen Wunsch der betreffenden Stelle zu erkennen geben; dabei aber mag er selbst eine Bittschrift an seine heimatliche Behörde gehen lassen, und ich bin überzeugt, daß dieses Gesuch nicht abschlägig beschieden wird. Sind Sie zufrieden gestellt?« »Ich empfinde die Gnade Ew. Majestät mit herzlicher Dankbarkeit!« »Und für sich selbst, haben Sie da keinen Wunsch?« »Sire, geben Sie meinem Vaterlande den Frieden, dessen es bedarf; gewähren Sie ihm, was es braucht, um glücklich zu sein, so sind meine heißesten Wünsche erfüllt!« »Sie verlangen für sich nichts und für Ihr Vaterland doch mehr, als ich vielleicht zu geben vermag. Man darf nicht sanguinisch sein. Zum Wohle des Vaterlandes hat ein jeder Einzelne nach Kräften beizutragen. Sie selbst haben scheinbar genug gethan, aber es gibt eine Sphäre, in welcher Sie noch Besseres leisten könnten. Soll Ihnen dieselbe verschlossen bleiben?« »Majestät, die Frage macht mich glücklich, aber dennoch muß ich mit einem bittern ›Ja‹ antworten.« »Warum?« »Ich bin ein Seemann, ein Krieger, aber ich werde niemals ein Kriegsknecht sein können. Ich beklage den Feldherrn, der den Krieg nur um des Krieges willen führt; der Krieg ist eine traurige Nothwendigkeit; er soll geführt werden, wenn ihn ein großer Zweck erheischt, und nur so, daß dieser Zweck auch erreicht wird. Wäre dies nicht der Fall, so würde ich als Offizier meinen Abschied fordern oder nehmen.« »Ah, ich sehe, daß ich mich in Ihnen nicht getäuscht habe! Sie wollen mir einen Rath ertheilen, wie damals vor Toulon!«
»Ich bin nicht zum Rathgeber eines Kaisers berufen. Zum Bürger Colonel Bonaparte konnte ich ohne Bedenken sprechen, heut aber darf ich nur der Gründe gedenken, welche mich abhalten, in die Marine zu treten, und mich zwingen, ein ›Privateer‹ zu bleiben.« »Surcouf, Sie können sprechen, ja, Sie sollen sprechen! Ich werde Ihre Offenheit ohne Zorn entgegen nehmen. Sie wissen, daß man sagt, ich habe die Absicht, in England zu landen?« »Ich weiß, daß Sie Ihre Truppen bei Boulogne zusammenziehen; aber ich weiß ebenso gut, daß diese Truppen nicht nach England kommen werden.« »Ah! Sie behaupten kühn!« »Meine Behauptung hat triftige Gründe. Wo hat Frankreich die Seemänner, welche es vermögen, uns den Weg nach England zu öffnen, indem sie die Engländer von unsern blockirten Häfen vertreiben und ihre Flotten in den Grund schießen? Wo sind die Schiffe, welche dazu gehören? Es bedarf langer Jahre, Jahre des Friedens, um Frankreich's Seemacht von den Wunden zu heilen, die ihr geschlagen worden sind. Frankreich muß mit allen anderen Nationen Frieden haben, um sich auf den großen Schlag vorbereiten zu können, mit dem es England's Uebermuth demüthigt, denn Frankreich hat keinen andern Feind als nur diesen einzigen: – England. Sire, warum haben Sie Robert Fulton von sich gewiesen? Ohne Prophet zu sein behaupte ich, daß in wenigen Jahren der Dampf die riesigsten Schiffe über alle Meere treiben wird. Dann werden Sie bedauern, die Gelegenheit, der mächtigste Monarch zu sein, von sich gestoßen zu haben!« »Pah, Fulton! Er ist ein Träumer, und seine Träumerei scheint ansteckend zu sein, da sie sogar Ihren Kopf ergriffen hat.« »Majestät haben mich aufgefordert, zu sprechen, und können überzeugt sein, daß ich nichts sage, von dessen Wahrheit ich nicht ganz durchdrungen bin. Ich bin kein Höfling, sondern ein nüchterner Seemann, und wenn ich Phantasie besitzen sollte, so will ich sie jetzt nur gebrauchen, um zu denken, ich spreche nur zu dem Bürger Colonel Bonaparte. Ein eigennütziges Interesse treibt mich nicht, denn ich werde nach Indien zurückkehren, wo Hunderte meiner bedürfen. Mein Schiff ist der kleine › Faucon ‹; auch ich will klein bleiben; auch ich habe etwas vom Falken an mir: ich muß mich frei bewegen können, mein Flug muß nur von meinem eigenen Willen abhängig sein; ich bin ein schlechter Untergebener.«
Der Kaiser hatte ruhig zugehört. Kein Zug seines ehernen Angesichtes verrieth, was er bei den Worten Surcouf's dachte; jetzt aber spielte ein leises Lächeln um seine Lippen, und er meinte fast scherzend: »Surcouf, Ihre Heimat ist die rauhe Bretagne, und Sie sind ein ächter Sohn derselben: derb, offen, kühn, fromm, treu und dabei ein klein wenig unhöflich oder gar rücksichtslos. Aber der Bürger Colonel Bonaparte hat einst Wohlgefallen an Ihnen gefunden und wünscht jetzt, ein halbes Stündchen mit Ihnen zu verplaudern. Folgen Sie mir!« Er schritt voran, und der Kapitän trat hinter ihm in ein anderes Kabinet. – – Eine volle Stunde war seitdem vergangen, und von Minute zu Minute ließ sich Oncle Carditon an der Thür sehen, um den Herrn Kapitän ja sofort empfangen zu können. Und je länger es dauerte, desto freudiger glänzte das Gesicht des Wirthes, denn welch' eine Ehre für seine Auberge, daß sein Gast die kostbare Zeit des Kaisers so lange in Anspruch nehmen durfte! Endlich kehrte Surcouf zurück. Sein Gesicht war sehr ernst, aber er nickte doch dem Oncle Carditon freundlich zu und begab sich sodann hinauf in seine Wohnung. Ervillard und Holmers hatten auf ihn gewartet; sie kamen sogleich, um sich nach dem Resultate der Audienz zu erkundigen. »Du warst so lange bei dem Kaiser?« frug der Lieutenant. »Allerdings, Herr Kapitän!« »Wie? Was? Welchen Kapitän meinst Du?« »Den Fregattenkapitän Bert Ervillard, dem ich hiermit herzlich gratulire!« Ervillard begriff nicht eher, als bis Surcouf ihm seine Ernennung ausführlich erzählte. Aber der Eindruck war ein anderer, als er gedacht hatte. »Trittst auch Du in die Marine?« erkundigte sich der Lieutenant. »Nein; ich kehre nach Indien zurück.« »So gehe ich mit! Ich bleibe bei Dir; sie mögen ihre Fregatte behalten!« »Das wird sich schon noch finden! Uebrigens hat mir der Kaiser höchst eigenhändig unser Prisengeld ausgezahlt. Laß sehen, wie viel es ist!« Napoleon hatte kaiserlich honorirt, und als Surcouf sagte, daß
auch sein Prozeß bereits günstig entschieden sei, verdoppelte sich die Freude, an welcher Holmers herzlich Theil nahm. Surcouf reichte ihm die Hand. »Segelmeister,« sagte er, »auch Deine Sache steht gut. Du wirst heimkehren dürfen, denn der Kaiser will Dein Gesuch befürworten.« Der Deutsche weinte vor Freude; auch die Anderen waren gerührt, und Surcouf gestand: »Heut habe ich einen Kampf zwischen Ehrgeiz und Principientreue bestehen müssen. Der Kaiser geht nicht nach England; ich glaube vielmehr, daß seine Rüstung Oesterreich und Rußland gilt. Ich sollte eine Escadre im Mittelmeere befehligen und habe es abgeschlagen, weil ich nur in England den einzigen Feind Frankreich's erkenne und gegen keine andere Macht kämpfen werde.« »So hat er Dich wohl im Zorne entlassen?« frug nun Ervillard. »Nein, sondern in allen Gnaden. Er ist ein großer Geist, ein gewaltiges Genie, aber er wird untergehen, weil er sein Ziel auf einem durchaus falschen Weg sucht.« – Und wieder am nächsten Tage wurde Oncle Carditon aus seinem Gleichmuthe gerissen, denn es erschienen mehrere Equipagen, aus denen reich uniformirte Herren stiegen. Sie ließen sich die Wohnung Surcouf's zeigen, und eine halbe Stunde später erzählte der Oncle allen seinen Gästen athemlos, daß Kapitän Surcouf vom Kaiser das Kreuz der Ehrenlegion und einen von kostbaren Steinen funkelnden Degen erhalten habe. Welche Ehre abermals für die Auberge! Es gab große und größte Hôtels, in denen kein einziger Gast den goldenen, fünfstrahligen Stern und einen Ehrendegen erhalten hatte! Eine Woche später reiste Surcouf nach Brest. Es gelang ihm, die Engländer zu täuschen und mit seinem »Falken« in See zu stechen. Bert Ervillard ging nur nach Brest mit; er hatte dem selbstlosen Drängen seines bisherigen Kapitäns nachgegeben und sich entschlossen, das Kommando der Fregatte zu übernehmen. Der Segelmeister Holmers blieb noch kurze Zeit in Paris bei Oncle Carditon wohnen, bis er dann die Erlaubniß erhielt, nach seiner Heimat zurückzukehren. Surcouf hatte dafür gesorgt, daß dieser Mann keine Noth zu leiden brauchte. Napoleon's Stern ging unter im Jahre 1815 im Monat Juli, in
welchem er auf dem »Bellerophon« als Gefangener nach England gebracht wurde. Im Kanale begegnete ihm das erste Dampfschiff, welches er sah; da wandte er sich an Montholon, welcher neben ihm stand, und sagte im trübsten Tone: »Als ich Fulton aus den Tuilerien wies, habe ich meine Kaiserkrone weggegeben!« Und auf St. Helena, als er, von aller Welt verlassen und von dem englischen Gouverneur Hudson Lowe fortwährend auf das Bitterste gekränkt, eines Tages auf der Klippe stand und seinen Blick nach Norden über das Meer schweifen ließ, legte er dem treuen Bertrand die Hand auf die Schulter und seufzte: »Jener Robert Surcouf hatte Recht. England war mein einziger Feind. Der kühne Kaperkapitän wußte den richtigen Weg, diesen Feind zu besiegen und dann glücklich zu sein. Adieu, ma belle France! « – – –
[Fußnoten] 1 Derselbe Junot, welcher später Herzog von Abrantes wurde. 2 Handspeiche, Brechstange. 3 Diese That ist geschichtlich wahr, so unglaublich sie auch klingen mag. 4 Auch der Ballabend auf dem englischen Dreimaster ist geschichtliche Thatsache. 5 Zweimaster mit Gaffelsegel und einer Schraube als Auxiliarkraft. 6 Surcouf nannte sein Schiff zuweilen auch nach seiner Heimat, der Betragne, » le breton «. 7 Antiaris toxicaria. 8 Strychnos Tieute. 9 Alpinia galanga. 10 Zingiber cassamumar. 11 Capsicum. 12 Lehrer, Missionär. 13 Die enge Einfahrt in die Rhede von Brest.
Pandur und Grenadier Eine heitere Episode aus ernster Zeit von Karl May
I. Der Erlenmüller Es blüht die Blume im Gefild Und in des Haines tiefer Ruh. Es treibt in ihr, es glüht und schwillt; Es strebt ihr Haupt dem Himmel zu. Sie sendet Grüße Dir empor, Maria, Himmelskönigin, Und leise klingt es mir in's Ohr, Daß ich auch Deine Blume bin. Es tönt im dunklen Waldeshag Und an des Baches grünem Rand Der Vögel heller Frühlingsschlag Allüberall durch's weite Land. Sie senden Grüße Dir empor, Maria, Himmelskönigin, Und leise klingt es mir in's Ohr, Daß ich auch so ein Vöglein bin. Es ziehen Pilger zum Gebet Den schattenreichen Weg entlang Und dort, wo die Kapelle steht, Ertönt des Glöckleins frommer Klang. Sie senden Grüße Dir empor, Maria, Himmelskönigin, Und leise klingt es mir in's Ohr, Daß ich auch so ein Pilger bin! so klangen die Worte des bekannten, einfach schönen Wallfahrtsgesanges zweistimmig aus dem Nachbargarten herüber, wo sich heute am Sonntage die jungen, hübschen Mädchen von Studenetz bei Schneeglöckchen und Märzviolen zusammengefunden hatten. Sie alle, im Frühlinge ihres Lebens stehend, glichen selbst jenen Blumen, welche zu verkündigen haben, daß die große
Erdenfreundin Sonne ihre Herrschaft nun wieder antreten werde, um die Starrheit des Winters zu lösen und den schlafenden Fluren ein neues Blumengewand anzulegen. Am Gartenzaune der Erlenmühle stand Einer, welcher diesem Gesange mit sichtbarer, inniger Rührung lauschte. Sein Anzug war sehr bescheiden zu nennen, und der Spieß, den er in seiner rechten Hand hielt, ließ in ihm den Biric, den Wächter oder Büttel des Dorfes erkennen. Er hatte einen hölzernen Stelzfuß, und über die Stirn lief ihm die Narbe eines Säbelhiebes, welche seinen guten, ehrlichen Zügen einen sehr streitbaren Ausdruck verlieh. Als die Mädchen ihr Lied beendet hatten, fuhr er sich mit der Hand nach dem Auge und murmelte: »Hm, ich glaube gar, daß das mein altes Herz ergriffen hat! Ja, es war dasselbe Lied, welches meine Emilka sang, als wir uns zum ersten Male sahen, wo sie mir dann gleich so resolut sagte, daß ich sie heirathen solle. Ich hätte das nicht gewagt. Sie muß mir doch sofort außerordentlich gut gewesen sein! Aber, der Müller klatscht mir; er hat mich bemerkt, und da muß ich hinein!« In der Erlenmühle standen die Fenster der Wohnstube offen, und der Müller saß in einem Lehnstuhle, dessen Beine mit kleinen Rädern versehen waren. Er war eine ungeschlachte, roh zugehackte Gestalt, deren Gesichtszüge von ungeübter Hand aus Holz geschnitzt zu sein schienen. Eine Lähmung hatte in Folge einer Erkältung seine Beine ergriffen, so daß er nur mit Mühe zu gehen vermochte; so war er gezwungen, sich eines Rollstuhles zu bedienen. In der Rechten hielt er eine Peitsche. Dieses Instrument war der Schrecken aller derjenigen Leute, welche in untergeordneter Weise mit ihm zu verkehren hatten. Er war reich, dieser Erlenmüller, nach den Verhältnissen seiner Umgebung sogar sehr reich, und er verachtete Alle, welche mit dem kargen Leben um ihres Leibes Nahrung und Nothdurft zu ringen hatten. Diese Geringschätzung traf aus erster Hand natürlich Diejenigen, welche persönlich mit ihm in Verkehr oder sogar in seinem Dienste standen. Der Zustand seiner Beine verhinderte ihn, sie in der gewöhnlichen Weise zu beaufsichtigen, aber seine scharfen Sinne, seine Augen und Ohren waren stets bei ihnen, und es gelang selten einem seiner Untergebenen, ihn zu täuschen. Er herrschte unbeschränkt, und sein Scepter war – die Peitsche. Wer sich diese nicht gefallen lassen wollte, konnte gehen; es kamen um
des hohen Lohnes willen, welchen er zahlte, genug Andere, die sich mit süß-saurer Miene diesem Scepter unterwarfen. Er hatte jetzt ganz einsam und allein in der Stube gesessen und den Gesang vernommen, dessen Töne durch die geöffneten Fenster zu ihm hereingedrungen waren; er hatte auch den Büttel am Zaune stehen sehen und gab diesem nun durch ein Peitschenknallen das Zeichen, daß er mit ihm sprechen wolle. Der Büttel kannte dieses Zeichen; er hatte mit dem Müller, welcher Ortsrichter war, in amtlichen Angelegenheiten öfters zu verkehren und war daher gezwungen, sich in die Eigenthümlichkeiten seines Vorgesetzten zu schicken. Als er eintrat und grüßte, deutete der Müller mit der Spitze seines Peitschenstieles auf einen ihm nahen Punkt der Diele und gebot: »Stelle Dich hierher, Matthias! Hast Du die Mädchen singen hören?« »Ja,« lautete die Antwort. »Wer sang den schönen Baß dazu?« Der Richter hatte weder Harmonielehre noch Contrapunkt studirt: er verwechselte ganz ohne Verletzung seines unmusikalischen Gewissens den Alt mit dem Basse. »Agnes Engelmann ist es gewesen,« berichtete der Büttel. »Sie war mit dabei?« brauste der Müller auf, indem er mit der Peitsche klatschte, als wolle er einem störrischen Zugthiere einen Hieb ertheilen. »Das soll sie doch nicht! Ich habe ihr verboten, dergleichen Kindereien mitzumachen. Sind etwa junge Burschen mit drüben?« »Kein Einziger! Ihr wißt ja, Richter, daß sie sich bei einer solchen Zusammenkunft niemals betheiligt. Sie ist das schönste und bravste Mädchen im Dorfe, und wenn sie auch arm ist, so braucht sie doch keinem Burschen nachzulaufen.« »Nein, das braucht sie nicht, und das darf sie auch nicht! Ich bin ihr Pathe und will doch sehen, ob ich ihr nicht gerade so zu befehlen habe wie ihr Vater, der ihr so Vieles zuläßt, was sich für ein ordentliches Mädchen weder schickt noch paßt.« Der Wächter räusperte sich und meinte in bescheidener Entgegnung: »Ich wüßte nicht, was sie für eine Unschicklichkeit begangen – – –«
»Schweig!« unterbrach ihn der Müller, indem er ihm die Peitsche zornig um die Beine knallte, wobei der Büttel, welcher an diese Art von Liebkosung gewöhnt zu sein schien, den Hieb gewandt mit seinem hölzernen Stelzfuße auffing. »Ist es für sie etwa schicklich, zu Tanze zu gehen und mit dem Jungvolke wie unsinnig herumzuspringen?« »Ist es denn eine gar so große Sünde, einmal einen – –« »Schweig!« gebot der Richter abermals, indem er ihm einen zweiten Hieb versetzte. »Sie weiß, daß sie nicht dorthin gehört, denn es giebt gesetzte Männer, an die sie sich zu halten hat, und die eine solche Kinderei nicht vertragen können.« »Darf ich wohl fragen, wer diese gesetzten Männer sind?« erkundigte sich Schulazek im unterwürfigsten Tone, jedoch mit einer Miene, in welcher eine kleine Ironie nicht ganz zu verkennen war. »Schweig!« befahl der Erlenmüller zum dritten Male, und jetzt traf seine Peitsche den Frager an einer empfindlicheren Stelle. »Packe Dich hinaus, und schicke sie mir einmal her! Ich habe mit ihr zu reden.« Der Büttel gehorchte, drehte sich aber unter der Thür, wo ihn die Peitsche nicht mehr erreichen konnte, um und fragte: »Wenn sie nun wissen will, was Ihr mit ihr zu reden habt; was soll ich ihr da sagen?« »Kerl, willst Du gehen oder nicht!« brauste der Gefragte auf, und da die Peitsche zu einem seinem Zorne angemessenen Hiebe zu kurz war, so warf er sie ihm nach. Sie traf nur die Thür, welche der Wächter schnell hinter sich zugezogen hatte. Der Letztere humpelte zur Mühle hinaus und wandte sich nach dem Zaune des Nachbargartens. Dort saßen die plaudernden Mädchen in der Fliederlaube, welche sich bereits mit dem Grün des Frühlings geschmückt hatte. Auf seinen Ruf kam Eins derselben herbei; er grüßte freundlich und reichte ihr die Hand hinüber. »Grüß Gott, Agnes! So ist's recht: wenn man des Werktags brav geschafft hat, so darf man des Sonntags lustig sein. Was macht der Vater?« »Der hat noch keinen Sonntag. Er arbeitet.« »Er arbeitet? Wem pressirt's denn so?« »Dem Erlenmüller. Er will noch heute die neue Jacke haben, die ihm der Vater zu machen hat.«
»Ich konnte mir denken, daß dieser es ist. Ein Anderer würde Deinen Vater nicht zwingen, am heiligen Sonntage zu arbeiten. Ich war jetzt drüben bei ihm. Er hat Euern Gesang gehört und schickt mich zu Dir, daß Du sogleich einmal zu ihm kommen sollst.« »Was soll ich bei ihm?« »Ich weiß es nicht. Er war zornig darüber, daß Du gesungen hast.« Ueber das Angesicht des Mädchens zog ein tiefer Schatten und sie bemerkte in unmuthigem Tone: »Ja, wenn es nach dem Herrn Pathen ginge, so würde ich bei ihm eingeschlossen und er hielt noch obendrein die Wache vor der Thür. Ich werde einmal sehen, was er mir zu sagen hat.« »Viel Kluges ist es nicht, Agnes: das kann ich mir leicht denken,« meinte der Veteran. »Schau, die alte selige Muhme von Deiner Mutter ist die Großmutter von meines Schwagers Base gewesen, und darum gehörst Du in meine Verwandtschaft, und ich meine es gut und aufrichtig mit Dir. Der Erlenmüller möchte gern eine junge Frau, die ihn pflegen soll, und wen er damit meint, das wirst Du wissen. Die Müllerin wird eine reiche Frau sein, glücklich aber nicht. Das sage ich, und das sagt auch meine Emilka, und was diese sagt, das hat guten Grund und Nachdruck. Und daher meine ich, daß es besser ist, arm zu bleiben, als elend und unglücklich zu werden. Merke Dir das!« »Du hast Recht, Vetter Schulazek! Aber weißt Du nicht, daß mein Vater dem Richter über zweihundert Gulden schuldig ist?« »Ich weiß es. Willst Du Dich verschachern lassen?« »Wie kannst Du so fragen, da Du den Vater kennst! Der Müller ist mein Pathe und meines Vaters Gläubiger, aber das wird weder mich noch den Vater zwingen, Etwas zu thun, was wir später bereuen könnten.« Sie reichte ihm die Hand und ging. Er sah ihr nach, als sie den Garten verließ und nach der Mühle schritt. »Hm,« meinte er für sich, »an Der wird sich der Richter verrechnen. Die ist gerade so resolut wie meine Emilka. Schade wär's aber auch um sie, ja, jammerschade! Die sollte eigentlich einen Mann bekommen, einen – einen – hm, so einen Unteroffizier, einen Feldwebel; eigentlich brauchte sich sogar ein Hauptmann nicht mit ihr zu schämen. Ein Blitzmädel! Das liegt so im Blute und in der Verwandtschaft; unsere Freundschaft hat lauter tüchtige
Männer und lauter couragirte Weiber aufzuweisen.« Wer das hoch und kräftig gewachsene Mädchen so leicht und doch so sicher dahinschreiten sah, der konnte allerdings vermuthen, daß sie das nothwendige Maß von Selbstbewußtsein besitze. Sie war von jener jugendlich frischen Schönheit, welche keiner künstlichen Mittel bedarf, um zur Geltung zu kommen, und wenn ihr Inneres mit diesem Aeußeren harmonirte, so war der Mann, welcher sie sich zu erringen verstand, gar wohl glücklich zu nennen. Sie trat beim Müller ein und grüßte. »Gieb mir einmal die Peitsche her!« befahl er ihr, anstatt den freundlichen Gruß zu erwidern. »Schade, daß ich den Wächter nicht getroffen habe; er hatte sie verdient!« Sie hob die Peitsche gehorsam auf und lehnte sie in die Ecke. »Her damit!« gebot er. »Was soll sie dort!« »Und was soll sie in Eurer Hand, Pathe?« fragte sie ruhig. »Oder habt Ihr etwa vor, hier in der Stube Gänse zu hüten?« »Schweig!« rief er ihr zu. »Du weißt, daß ich sie brauche. Dieses Gesindevolk ist nur mit der Karbatsche zu bemeistern!« »Jetzt ist Keiner von den Leuten da, und für mich braucht Ihr hoffentlich die Peitsche nicht! Ihr habt mich rufen lassen, Pathe. Was soll ich hier bei Euch?« »Was Du sollst?« frug er mit künstlichem Erstaunen. »Das fragst Du noch! Ja, der Pathe muß hier in Schmerz und Jammerthal sitzen, während da draußen der Bruder Lustig herrscht. Da wird gesungen und jubilirt, als ob es in der ganzen Welt keinen Kranken gäbe, und wer eine Pflicht hat, der muß erst durch den Wächter an sie erinnert werden!« Agnes nahm auf einem Stuhle Platz und antwortete ruhig: »Mit dieser Strafrede werde wohl ich gemeint sein; aber wenn der Herr Pathe einmal nachdenken will, so wird er finden, daß er Unrecht hat. Einen Bruder Lustig habe ich da draußen nicht gesehen; wir haben ein frommes Wallfahrtslied gesungen, und das ist keine Sünde. Und meine Pflicht kenne ich so genau, daß Niemand nothwendig hat, mir ihretwegen den Wächter zu senden. Ich muß für die Eltern sorgen und habe wohl auch den Herrn Pathen zu ehren, aber seine Dienstmagd bin ich nicht. Ich war heute bereits schon einmal da: was giebt es jetzt so Nothwendiges zu thun?« »Nichts giebt's zu thun; aber hier bei mir sitzen sollst Du und nicht da draußen bei den Schreihälsen, welche sich doch nur ihre
Bursche herbeisingen wollen!« erklärte der Müller. »Davon ist keine Rede gewesen,« antwortete Agnes. »Aber wenn Ihr Euch zu einsam fühlt, so bleibe ich gern ein Stündchen da; nachher muß ich wieder bei der Mutter sein.« Sie erhob sich von ihrem Sitze und trat an ein kleines Wandschränkchen, welches sie öffnete. »Was suchst Du dort?« fragte der Müller hastig. »Das Legendenbuch; ich will Euch etwas vorlesen.« »Das laß nur bleiben! Du fürchtest Dich wohl gar vor mir, da Du Dich hinter die Legende verbarrikadiren willst?« »Ich fürchte mich vor Keinem, auch vor Euch nicht, obgleich Ihr es versteht, die Leute scheu zu machen. Und die Legende, welche Ihr nicht haben wollt, die lese ich Euch dennoch vor. Ihr seid nicht in der Kirche gewesen, und da ist es gerade recht, daß Ihr etwas Frommes zu hören bekommt!« Das resolute Mädchen setzte sich wieder nieder und schlug das Buch auf, der Müller aber wehrte mit beiden Händen ab. »Ich mag aber diese Geschichten nicht hören«, sagte der Müller. »Wenn Du anfängst, so rufe ich den Knecht; der muß Dich hinaus werfen!« »So kann ich ja lieber gleich vorher gehen!« erwiderte Agnes. Sie schlug das Buch zu und stand auf, um sich zu entfernen. »Bleib!« gebot er. »Ich habe Dich rufen lassen nicht der Legende wegen, sondern um mit Dir zu reden. Weißt Du, daß heute Abend Tanz gehalten wird?« »Ja.« »Wirst Du gehen?« »Ja.« »Also wirklich! Gehen willst Du!« rief er. »Ich sage Dir aber, daß Du nicht gehen wirst. Ich verbiete es Dir!« Sie schüttelte lächelnd den Kopf und antwortete: »Da hat sich der Herr Pathe doch gar sehr verändert. Er ist früher der flotteste Tänzer gewesen und hat sogar drei Wochen nach dem Tode der Frau Pathin bereits wieder getanzt. Warum ist denn nun jetzt so plötzlich das Tanzen ein so schlimmes Ding geworden? Es ist bereits über ein Jahr vergangen, seit ich von meinem Dienste in Halberstadt wieder daheim bin, und in dieser Zeit habe ich nur zweimal den Tanzboden betreten. Auch heute wollte ich nicht gehen, aber die Eltern sagten, daß ich mir auch eine Freude machen
und mich nicht immer vor den Leuten verstecken solle wie Eine, die kein gutes Gewissen hat. Da sieht der Herr Pathe wohl ein, daß ich es dem Vater nicht abschlagen kann, wenn er mich mitnehmen will.« »Ah, Dein Vater will gehen?« »Ja, mir zu Liebe, denn ohne ihn thue ich es nicht.« »Also, um in das Wirthshaus zu gehen, hat er Geld? Er mag zuvor kommen und mich bezahlen, der Lump! Er darf – – –« »Hört, Pathe«, unterbrach ihn das Mädchen schnell, »wenn Ihr den Vater schimpft, so habt Ihr es mit mir zu thun! Meine Eltern sind wenigstens ebenso brav, wie der reiche Erlenmüller, und ich leide es nimmermehr, daß Ihr ein solches Wort gegen sie gebraucht!« »So!« dehnte der Müller. »Was willst Du denn dagegen thun?« »Wenn es ein Anderer wäre, so würde ich ihn heimzuschicken wissen, obgleich ich kein Raufbold, sondern nur ein Mädchen bin; da es aber der Herr Pathe ist, so kann ich nichts thun, als gehen.« »Bleib!« gebot er ihr. »Wenn Du die Widerspänstige spielst, so sollst Du sehen, was ich thue! Oder denkst Du etwa, daß ich die Macht nicht habe, Dich gehorsam zu machen?« Jetzt nahm ihr Gesicht einen sehr ernsten Ausdruck an; sie trat nahe an ihn heran, legte ihm die Hand schwer auf den Arm und sagte: »Ich weiß es, welche Macht Ihr meint: es ist keine gute. Schämt Euch, Pathe, auf eine solche Weise den Tyrannen zu spielen. Mein Vater hat ein Weniges zurückgelegt, und ich habe meinen sauer verdienten Lohn dazu gethan; auf diese Weise sind hundertfünfzig Gulden zusammengekommen, welche der Vater Euch hat geben wollen; Ihr aber habt sie nicht angenommen, sondern die ganze Summe verlangt. Das ist nicht der richtige Weg, sich Liebe und Achtung zu erwerben. Ich müßte blind sein, wenn ich nicht bemerken wollte, welchen Zweck Ihr verfolgt; auf diese Weise aber kommt Ihr nicht zum Ziele: das sage ich Euch!« »Nicht?« höhnte er. »Und wenn ich nun Deinen Vater einsperren lasse? Ich habe den Wechselbrief in der Hand.« »Ja, das ist auch so eine rechte Bosheit von Euch gewesen. Der Vater hat geglaubt, er unterschreibe einen gewöhnlichen Schuldschein, und anstatt dessen ist es ein Wechsel gewesen; er hat das nicht gekannt, und nun er die Summe nicht bezahlen kann, soll
er in Arrest kommen. Ihr seid der Pathe, und darum will ich nicht sagen, was ich denke, aber der liebe Gott wird schon noch in Euer Gewissen greifen, und dann – – –« »Schweig!« donnerte er. »Mein Gewissen ist mein, und darein soll mir Niemand greifen. Dein Vater wird heute kommen, um mir die Jacke zu bringen, und da werde ich einmal im Ernste mit ihm reden. Wenn Du heute Abend den Tanz besuchst, so ist es aus mit Euch; das merke Dir!« Noch ehe das Mädchen antworten konnte, entstand draußen ein Geräusch von Waffen; die Stubenthür wurde aufgerissen, und es traten drei Männer herein, welche in die überall gefürchtete rothe Panduren-Uniform gekleidet waren. »Wohnt hier Stephan Noak, der Richter von Studenetz?« fragte der Eine von ihnen, welcher die Abzeichen eines Unterofficiers trug. Er hatte es gar nicht nöthig gefunden, vor seiner Frage einen Gruß auszusprechen. »Der bin ich«, antwortete der Müller. »So! Könnt Ihr nicht aufstehen, wenn man mit Euch spricht!« Der sonst so gewaltthätige Müller schien diesen Leuten gegenüber seinen ganzen Muth verloren zu haben. Er versuchte, sich auf die Füße zu stellen, sank aber unter einem schmerzhaften Stöhnen sofort wieder nieder. »Ich kann ja nicht«, antwortete er. »Ich habe das Kalte in den Beinen!« »So seht Euch vor, daß wir es Euch nicht warm machen! Verstanden?« bemerkte der Unterofficier in barschem Tone. »Wer ist der vornehmste Mann in diesem Dorfe?« »Ich!« lautete die einigermaßen selbstbewußte Antwort. »So werden wir zu Euch den Herrn Oberst legen müssen.« »Welchen Oberst?« »Kennt Ihr unsere Uniform denn nicht? Ich meine den Panduren-Oberst Freiherrn von der Trenck.« »Die Augen des Müllers wurden größer, und auch sein Mund öffnete sich vor Schreck.« »Den Trenck!« rief er. »Gott sei uns gnädig!« »Ja«, lachte der Unterofficier, »Gott mag Euch gnädig sein, wenn Ihr Euch nur das Geringste zu Schulden kommen laßt. Ihr habt doch wohl schon von dem Trenck gehört? Der fackelt nicht!« »Ich denke, der ist in Bayern«, wagte der Richter zu bemerken.
»Da ist er gewesen. Nun aber hat er einen kleinen Spaziergang nach Böhmen gemacht, um auch Euch einmal eine Freude zu machen. Heute gilt's nur einer Recognition, welche der Oberst in eigener Person zu unternehmen geruht. Er kommt mit nur zwei Lieutenants und der nöthigen Dienerschaft; morgen geht es wieder fort. Aber das ist Geheimniß. Wenn es verrathen wird, so kostet's Euch den Kopf. Ich hoffe, daß Ihr gut kaiserlich seid und nicht etwa mit den Preußen conspirirt! Wer ist denn das Jüngferchen hier?« »Sie ist mein Pathenkind.« »Von hier?« »Ja.« »Was ist ihr Vater?« »Er ist Schneider.« »Pfui Teufel, wie könnte ich nur ein Schneider werden! Aber eine hübsche Tochter hat er, und ich werde mich zu ihm einquartieren.« Dies paßte dem Richter nicht in das Spiel; er bemerkte daher: »Die Eltern sind blutarme Leute, Herr Unterofficier; es giebt ja reiche Bauern genug, bei denen Ihr viel besser aufgehoben seid!« »Das geht Euch Nichts an! Verstanden? Ich werde mir jetzt das Dorf betrachten, und dann soll es sich finden, wo die Herren Lieutenants und die Uebrigen wohnen. Aber das sage ich Euch, Richter, laßt es an Nichts fehlen; der Trenck macht keinen Spaß!« Er warf sein Zeug ab und entfernte sich mit den Beiden. Jetzt schlug der Müller die Hände zusammen und jammerte: »Ist's möglich? Der Trenck! Der ist ja schlimmer als der wahre Teufel! Und ich kann nicht auf; ich kann nicht laufen! Mein Haus, mein Vieh, mein Geld! Agnes, spring rasch und hole den Wächter; rufe meine Leute zusammen und komme dann wieder. Du darfst heute nicht fort; ich kann Dich ganz unmöglich entbehren!« Das Mädchen knüpfte ihr Vortuch fester und antwortete: »Den Wächter sollt Ihr haben und das Gesinde auch; was aber mich betrifft, so kann ich nicht wiederkommen. Ihr habt ja gehört, daß sich der Unterofficier zu uns gemeldet hat, und da kann die kranke Mutter ohne mich nicht verkommen. Ich werde schnell laufen!« »Schweig!« gebot er ihr. »Wenn ich Dir befehle – –« Sie hörte seine weiteren Worte nicht; sie eilte hinaus, um den ersten Theil seines Auftrages zu erfüllen. Als dies erledigt war,
schritt sie ihrer Wohnung zu, welche am äußersten Ende des Dorfes lag. In einiger Entfernung vor sich erblickte sie einen Mann, welcher in langsamen Schritten durch das Dorf spazierte. Es mußte ein Fremder sein, obgleich er die Tracht der dortigen Gegend trug. Seine Gestalt war beinahe eine riesige zu nennen, fiel aber gar nicht unangenehm in die Augen, da der Gliederbau ein ganz harmonischer war. In der Rechten schwang er wie spielend einen Knotenstock, dessen Gewicht einem Andern ganz sicher mehr zu schaffen gemacht hätte, und wer ihn so langsam, sicher und gewichtig dahinschreiten sah, der konnte sich leicht sagen, daß dieser Enakssohn eine wahre Bärenkraft besitzen müsse. Da Agnes eilte, so kam sie ihm immer näher. Im Vorübergehen wollte sie ihn grüßen, und auch er wandte sich zu ihr, da er ihre nahenden Schritte vernommen hatte. Beider Blicke fielen auf einander, und Beide blieben sogleich in höchster Ueberraschung stehen. »Agnes!« rief er. »Wilhelm!« rief sie, und zwar unter einem freudigen Leuchten ihrer großen, schönen Augen. »Herr Gott, wie kommst Du nach Studenetz?« »Weil ich Sehnsucht nach Dir hatte, meine Agnes«, antwortete er mit einem Lächeln des Glückes in seinem treuen, aufrichtigen Angesichte. »Ich habe mir Urlaub genommen und – – –« »Urlaub?« unterbrach sie ihn. »In Jesu Namen! Ich habe gehört, die Preußen sind in Böhmen eingedrungen. Bist Du etwa mit dabei?« »Freilich!« antwortete er. »Wo steht Ihr denn bereits?« »Hm! Das darf ich Dir leider nicht sagen. Es ist Krieg!« »O, welche Angst ich da bekomme! Wenn man Dich hier sieht, so bist Du verloren!« »Wohl nicht sogleich«, meinte er mit einem lächelnden Blick an seiner Herkulesgestalt hernieder. »Man kennt mich hier ja nicht, und ich hoffe auch, daß keine Feinde in Studenetz stehen.« »Sie sind noch nicht da, aber sie kommen«, bemerkte sie voller Angst. »Wer denn? Reiter? Infanterie?« »Die Panduren – –« »Ah!« machte er erstaunt, »Stehen diese Kerls bereits hier oben?
Aber komm schnell! Man hat uns noch nicht bemerkt, und unter solchen Umständen ist es besser, wenn unser Gespräch unbeobachtet bleibt.« Sie hatten sich allerdings zufälliger Weise an einem menschenleeren Theile der Dorfstraße getroffen. Er nahm sie bei der Hand und schlüpfte mit ihr in einen schmalen Heckenweg hinein, welcher zwischen zwei Gärten hinaus auf die Felder führte. Da draußen fanden sie hinter einem dichten Hollundergebüsch einen Platz, wo sie wahrscheinlich unbemerkt blieben. Erst dort war ein herzlicheres Willkommen möglich, und dann meinte der Fremde: »Agnes, ich habe mir unser Wiedersehen ganz anders gedacht, aber da Du von Panduren redest, so habe ich zunächst auf meine Sicherheit zu sehen. Wann werden sie kommen?« »Heute, sehr bald.« »Wie viele?« »Der Trenck, zwei Lieutenants und die Bedienung.« »Der Trenck!« rief der Fremde fast zu laut für ihre gegenwärtige Situation. »Der Trenck, der wilde Trenck selbst? Ah! Und mit so wenig Gefolge? Entweder ist das eine einfache Recognition, oder es steckt irgend eine Teufelei dahinter! Wo wird er wohnen?« »Bei meinem Pathen, dem Richter. Er ist bis morgen da.« »Beim Richter, von dem Du mir so wunderschöne Sachen geschrieben hast? Den muß ich mir einmal ansehen!« »Um Gotteswillen, thue das nicht!« bat das Mädchen. »Du weißt gar nicht, wie gefährlich das für Dich ist.« Sie gab ihm nun ein deutliches Bild von dem Charakter und dem Verhalten des Richters, und merkte dabei nicht, daß sie durch die Beantwortung seiner dabei eingestreuten Fragen gewissen Zwecken diente, von denen sie gar keine Ahnung hatte. Sie schloß endlich: »Du weißt, wie sehr ich mich nach Dir gesehnt habe, aber da Du hier so große Gefahr läufst, so bitte ich Dich, ja nicht länger hier zu bleiben. Ich würde vor Angst sterben, wenn die Panduren Dich in ihre Hand bekämen. Du würdest ganz sicher als Spion aufgeknüpft!« Er zog lächelnd seine Uhr und schien in Gedanken nachzurechnen. »Ich will Dir den Willen thun«, sagte er dann, »aber nur in dem Falle, daß Du mir auch einen Gefallen thust.« »Welchen?«
»Du gehst heute Abend unbedingt zu Tanze!« »Aber der Pandur, welcher bei uns wohnt, wird dann auch mit gehen!« »Was schadet das? Willst Du?« »Ja.« »In welchem Hause wohnst Du?« »Im letzten dort.« »Und wo ist die Mühle?« »Da rechts hinter den vier hohen Erlen; daher heißt sie ja auch die Erlenmühle.« »Also Du gehst zu Tanze, tanzest aber mit keinem Menschen! Verstehst Du wohl? Ich habe meinen Grund dabei. Und wenn ich ja nicht bald wiederkommen sollte und der Müller macht Euch Sorge, so nimm hier das und bezahle den Menschen. Ich habe es von meinem Gehalte gespart; Du kannst es mit gutem Gewissen annehmen.« Sie wollte ein Wort der Weigerung sagen; er jedoch schloß ihr den Mund mit einem Kusse und sprang davon. Sich später umdrehend, winkte er ihr noch einmal mit dem Taschentuche zu; dann verschwand er hinter den Weiden, welche den Bach umsäumten. Dort blieb er halten und zog die Uhr abermals. »Hm! Ich habe sechs Stunden zu laufen«, überlegte er. »Es ist nur dann zu ermöglichen, wenn ich ein Pferd bekommen kann.« Er eilte im Rücken des Dorfes weiter und kam so auch an dem Garten der Mühle vorüber, in welchem zwei braune, stämmige Ackerpferde weideten. Er warf einen forschenden Blick umher, um sich zu überzeugen, daß er unbeobachtet sei; dann öffnete er das Pförtchen, welches aus dem Garten in das Freie führte, bestieg eines der Pferde und war mit demselben bereits nach einigen Minuten jenseits des eng gezogenen Horizontes verschwunden. Das Gesinde des Müllers hatte keine Zeit, an die Pferde zu denken; sie waren damit beschäftigt, das werthvollere Eigenthum ihres Herrn der Habsucht der Panduren zu entziehen. – – –
II. Der Pandur Es war für das liebe, schöne Oesterreich eine gar schlimme Zeit. Mit Kaiser Karl dem Sechsten war der habsburgische Mannesstamm erloschen, und als seine Tochter Maria Theresia den Thron bestieg, sah sie trotz der pragmatischen Sanction die Schwerter von Preußen, Spaniern, Neapolitanern, Franzosen, Baiern und Sachsen gegen sich gerichtet. Die heldenmüthige Herrscherin verzagte nicht; sie wendete sich an ihre Ungarn, welche ihr mit dem begeisterten » Moriamur pro rege nostro Maria Theresia! « antworteten. Ihr Heer war in Baiern unter dem wackern Khevenhüller glücklich; aber in Böhmen stand der thatendurstige Preußenkönig, um das der Kaiserin abgenommene Schlesien zu behaupten. Gegen ihn zog unter Karl von Lothringen der Feldmarschall Königsegg heran; ein Zusammenstoß war unvermeidlich. In der böhmischen Bezirksstadt Humpoletz ging es um die Mitte des Monates Mai im Jahre 1742 sehr lebhaft, ja fast mehr als lebhaft zu. Wem es vergönnt gewesen wäre, aus einem Luftballon auf die Stadt herabzublicken, der hätte dieselbe sehr leicht für ein Nest voll rother Ameisen halten können, deren Regsamkeit sich ganz besonders gegen den Ringplatz zu concentriren schien. Diese Ameisen waren roth bekleidete Panduren, die Angehörigen jener berüchtigten Truppe, von welcher damals Tausende beteten »Herr Gott, behüte uns vor Theurung und Hagelschlag, vor Pestilenz und Ungewitter, vor Kroaten und Panduren!« Der Führer jener blutroth gekleideten und leider auch in der Geschichte blutig verzeichneten Schaar war gewohnt, die Seinen in steter Bewegung zu erhalten. Bei ihm gab es keine Ruhe und Stille, kein gemüthliches Rasten und kein geduldiges Harren. Er, der selbst von inneren und äußeren Mächten ruhelos hin und her getrieben wurde, ließ die Wogen seines heißen, rücksichtslosen Naturells auch hinaus auf seine Umgebung branden, und so kam es, daß der Ringplatz einem wirren Ameisenneste und nicht dem Ruheplatze einer vom Marsche ermüdeten Truppe glich.
In einem Zimmer seines Quartieres lag der Panduren-Oberst Freiherr Franz von der Trenck auf dem Sopha, dessen Ueberzug er mit den Sporenrädern ganz unbedenklich bereits in Fetzen zerrissen hatte. Auf dem Boden lagen beschmutzte Karten, zerstampfte Schreibfedern, zerbrochene Weingläser, verbogene Löffel und Gabeln, Bruchstücke von Tellern und Tassen, übersäet von Streusand und Tabaksasche, und auf dem Tische, welcher vor dem Sopha stand, sah es beinahe noch chaotischer aus. Die umgeworfenen Schüsseln hatten ihren Inhalt mit dem verschütteten Weine vermischt, so daß die Ueberreste der theuren Mahlzeit in breiten, bunten Streifen am Tafeltuche herabliefen und dann auf die Diele tropften. Dem Obersten gegenüber saßen zwei Männer, die Einzigen, welche mit ihm dinirt hatten. Der Eine trug die Uniform eines Majors und der Andere diejenige eines Hauptmannes. Das Gesicht eines Jeden von ihnen hätte zu einer interessanten psychologischen Studie veranlassen können, wenn nicht die Person Trenck's die ganze Aufmerksamkeit für sich in Anspruch genommen hätte. Trenck war ein schöner, sogar ein sehr schöner Mann, der jetzt das Alter von dreißig Jahren erst um ein einziges überschritten hatte. Ebenso berühmt wie seine Körperstärke war auch seine Befähigung, die härtesten Strapazen mit größter Leichtigkeit zu ertragen. Bekannt war es, daß er sieben Sprachen vollständig beherrschte und ausgezeichnete militärische Kenntnisse besaß; aber in moralischer Beziehung ließ sich über ihn kaum ein nur einigermaßen schonendes Urtheil fällen. Jähzornig, rücksichtslos, herzlos, im höchsten Grade habsüchtig, zeichnete er sich ebenso durch verwegenen Muth und wilde Tapferkeit wie durch eine nur zu oft barbarische Grausamkeit aus, welche ihn später doch endlich in das Verderben führte. Er war als Sohn eines kaiserlichen Oberstlieutenants, der aus Preußen stammte, in Reggio in Calabrien geboren, wurde von den Jesuiten in Ödenburg erzogen und trat im Alter von siebzehn Jahren in kaiserliche Dienste, die er aber seiner Händelsucht wegen bald wieder verlassen mußte. Er wandte sich später nach Rußland, wo er als Rittmeister in ein Husarenregiment eintrat. Wegen grober Verletzung der Subordination zweimal zum Tode verurtheilt, wurde er auf Verwendung des Feldmarschall Münnich zwar begnadigt, aber cassirt und zu Schanzarbeit verurtheilt. Er kehrte auf seine in Slavonien gelegenen Güter zurück, wo er sich besonders mit der
Unterdrückung der zahlreichen Räuberschaaren, welche jene Gegenden beunruhigten, beschäftigte, dabei aber bei Weitem mehr grausam als menschlich verfuhr. Bei dem Ausbruche des österreichischen Erbfolgekrieges erhielt er die Erlaubniß, ein Corps von tausend Panduren auf eigene Kosten auszurüsten. Dasselbe wurde zuletzt gegen fünftausend Mann stark und bildete stets die Vorhut, zeigte aber dabei zwar ganz dieselbe Tapferkeit, doch auch ganz dieselbe Gewaltsamkeit, durch welche sein Führer berüchtigt war. Die Kaiserin mußte seine kriegerischen Verdienste anerkennen, konnte ihn aber ganz unmöglich in seiner Stellung belassen. Er weigerte sich, abzutreten und wurde endlich wegen unaufhörlicher Greuelthaten und Subordinationsvergehen zu lebenslänglicher Gefangenschaft auf dem Spielberg verurtheilt, wo er auch starb. Jetzt also lag er mit seinen Panduren in Humpoletz, und der Zustand seiner Wohnung bewies, daß er mit den beiden Offizieren ein wüstes Gelage abgehalten habe. Sie lagen betrunken in ihren Sesseln, während der Oberst sie mit höhnischer Schadenfreude betrachtete; er hatte schon manchen starken Trinker unter den Tisch gebracht, war selbst aber noch niemals besiegt worden. Die schnarchenden Seufzer der beiden Betrunkenen wurden von dem Wirthe des Hauses unterbrochen, welcher nach einem lauten Klopfen in das Zimmer trat. »Was will Er?« rief ihm der Oberst zornig entgegen. »Wie kann Er es wagen, einzutreten, ohne vorher angemeldet zu sein!« »Verzeihung, Herr Oberst!« bat der Mann mit demüthiger Geberde. »Man wollte mich nicht anmelden, und da habe ich mir erlauben müssen – – –« »Erlauben müssen?« unterbrach ihn Trenck, indem er das letztere Wort besonders betonte. »Ist es etwas so sehr Nothwendiges, daß man sich hier stören lassen muß?« »Für mich ist es nothwendig, gnädigster Herr. Es betrifft meine Uhr.« »Seine Uhr!« brauste Trenck auf. »Hält Er mich etwa für einen Uhrmacher, he?« Er erhob sich drohend aus seiner liegenden Stellung, wobei der Inhalt seiner türkischen Tabakspfeife auf das Sopha fiel, dessen Ueberzug sofort zu glimmen begann. Der Wirth sah das, hatte aber nicht den Muth, ein Wort darüber zu erwähnen; er fuhr fort: »Es war eine Schwarzwälder Spieluhr, ein theures Andenken
meiner Voreltern. Man hat sie von der Wand gerissen und zerschlagen, um im Ofen Feuer damit zu machen. Und als ich mich dagegen sträubte, hat man mich mit der flachen Klinge blutig geschlagen.« Trenck stieß ein rohes Lachen aus und frug: »Hat die Uhr gut gebrannt?« »Leider!« »Das ist Sein Glück! Er hat uns brauchbares Brennholz zu schaffen, und wenn die Uhr nicht gut gebrannt hätte, so wäre Er schlecht davon gekommen: das versichere ich Ihm. Sei Er also froh, daß die Sache für Ihn so gut abgelaufen ist, und mache Er, daß Er sogleich verschwindet!« »Aber, gnädigster Herr, ich denke doch, daß – – –« »Nichts hat Er zu denken!« rief der Oberst. »Hinaus, sonst – – –!« Der Wirth wartete die Fortsetzung der Drohung gar nicht ab, denn Trenck hatte an die Wand nach seiner Pistole gegriffen; er zog sich in höchster Eile aus dem Zimmer zurück. Der Oberst goß sich ein volles Glas hinunter und schenkte auch den beiden Andern, welche von dem Gespräche erweckt worden waren, ein. »Trinkt, Ihr Herren!« forderte er sie auf. »So lange man uns zu Ehren Spieluhren verfeuert, brauchen wir keinen Durst zu leiden.« Sie stießen an und leerten die Gläser, welche nochmals gefüllt werden sollten, als eine abermalige Störung erfolgte, welche jedoch dem Obersten nicht unlieb zu sein schien, denn er erhob sich mit gespannter Miene und frug den Eintretenden: »Slugaksch, schon wieder eingetroffen! Konntest wohl nicht weit kommen?« Der Gefragte war ein noch ziemlich junger Mann in gewöhnlicher Bauernkleidung, doch ließ seine ganze Figur und Haltung errathen, daß er eigentlich zum Militär gehöre. »Wenn mich mein Oberst schickt, komme ich so weit, wie er will,« antwortete er mit selbstgefälliger Miene. »Ich war bis Skutsch und Richenburg.« »Unmöglich, in dieser kurzen Zeit!« »Sehr leicht möglich, wenn man es richtig anfängt! Ich habe einem Bauer seinen zweispännigen Wagen abgenommen.« »Teufelskerl! Bringst Du Nachrichten mit?« »Genug.«
»So setze Dich her, rauch, trink und erzähle!« Die Vertraulichkeit, mit welcher Trenck diesen Mann behandelte, ließ vermuthen, daß derselbe ein ganz besonderer Günstling von ihm sei. Er setzte sich, nachdem er die beiden Offiziere mit gebotener Ehrerbietung gegrüßt hatte, an den Tisch, schenkte sich ein Glas ein und brannte sich eine der gestopften Pfeifen an. Nachdem er dann von dem Weine getrunken hatte, begann er: »Also bis Skutsch und Richenburg bin ich gekommen; weiter aber ging es nicht, da die Preußen in der Nähe waren.« »Wo stehen sie?« »Der König kam von Olmütz über Leitomischl und steht jetzt in Chrudim, hat aber über zehn Bataillons und gegen zwanzig Schwadronen in Leitomischl und Umgegend zurückgelassen, die er jedenfalls noch an sich ziehen wird. In und um Kuttenberg steht ein noch größeres Corps. Der Herr Oberst wissen bereits, daß sich Glatz ergeben hat; von dort aus wird der General Derschau dem Könige wohl acht Bataillons und dreißig Schwadronen zuführen.« »Alle Wetter! Woher weißt Du dies so genau?« »O, ich weiß noch mehr! Ich fand in Richenburg einen schlesischen Juden, den der König als Spion benutzt. Unsereiner hat einen Blick für solche Leute; ich ahnte sofort, welch' ein Metier er treibe, ließ ihm gehörig einschänken und nahm ihn in's Gebet; er beichtete aber erst dann, als er betrunken war. Er war mit dem Lohn, den ihm die Preußen geben, nicht zufrieden und wurde gleich mein Mann, als ich ihm einen besseren Lohn versprach.« »Den Kerl können wir brauchen! Hast Du ihn mitgebracht?« »Das versteht sich! Aber ihn nicht allein.« »Wen noch?« »Als ich ihn aufforderte, mit mir zu gehen, gestand er mir, daß er nicht allein sei. Er war nämlich einem adeligen Herrn nebst dessen Tochter als Führer beigegeben, welche er nach Moldauthein zu bringen hat.« »Wer sind diese Leute?« »Es ist ein alter Herr von Bodtmann, dessen Anwesenheit auf Schloß Moldauthein so nothwendig ist, daß er nicht daran denken darf, wie sehr der Krieg das Reisen erschwert.« »Und dieser Mann reist in Begleitung eines Spions?« fragte der Oberst finster.
»Ohne es zu wissen, wie mir der Jude selbst versicherte. Man hat gehofft, daß wir diesem Herrn von Bodtmann nichts in den Weg legen und dem Spione also seine Aufgabe erleichtert werde.« »So kommt der alte Kerl also aus dem feindlichen Hauptquartiere?« »Direct aus Chrudim. In Richenburg konnten sie weder Pferde noch Wagen bekommen, und als ich ihnen mein Fuhrwerk anbot, wurde es mit größtem Danke angenommen. Es waren vier Plätze vorhanden, und so sind wir denn wohlbehalten soeben hier angekommen.« »Er reist ohne Diener?« »Ja. Er scheint ein alter Haudegen zu sein, der gewohnt ist, sich selbst zu bedienen.« »Ging er freiwillig mit nach Humpoletz? Sein Weg hätte doch näher über Chotiborz geführt.« »Er verließ sich auf den Juden, und den hatte ich gewonnen. Ich sagte natürlich kein Wort davon, daß er in Humpoletz Panduren finden werde. Da er so glücklich durch die Preußen gekommen ist, so glaubte er, auch auf dieser Seite keine Schwierigkeiten zu finden.« »Hat er Papiere?« »Ja. Sie sind gut; ich habe sie gesehen. Bei den Preußen hat er sie gar nicht gebraucht, da er unter einem sehr mächtigen Schutz gereist ist.« »Mit einem Offiziere etwa?« »Mit einem Feldmarschall sogar.« »Ah! Doch nicht mit dem Buddenbrock?« »Nein,« sondern mit dem alten »Schwerenöther.« »Mit – mit wem?« rief Trenck, vor Ueberraschung aufspringend. »Mit dem alten Dessauer?« »Ja.« »Der ist hier? Wirklich?« »Ja, in Chrudim beim Könige.« »Ich denke, er ist in Zittau!« »Friedrich hat ihn nach Böhmen gerufen. Die Beiden sind stets bei der Vorhut. Sie suchen von Morgens bis Abends die Terrainverhältnisse ab, was mich vermuthen läßt, daß sie die Schlacht bei Chrudim, Czaslau und Kuttenberg zu schlagen beabsichtigen. Man sollte die beiden Kerls wegfangen; da wäre der
ganze Krieg zu Ende!« Die Augen Trenck's leuchteten auf. »Oh«, knirschte Trenck, »ich habe mit dem Dessauer noch ein Schaf zu scheeren; er hat es an meinem Vater verdient, daß ich ihn einmal fest beim Schopfe nehme. Tausend Gulden gäbe ich sofort Demjenigen, welcher mir sagen könnte, wie und wo ich den Kerl erwische!« Slugaksch blickte erwartungsvoll zur mächtigen Gestalt seines Obersten empor und fragte: »Bekomme ich sie?« »Augenblicklich, sobald er sich in meiner Hand befindet!« »Hm! Mit ein Wenig List kann es doch nicht so schwer sein, dem Alten eine Falle zu stellen. Er liebt die Abenteuer wie die Mäuse den Speck. Wollen wir ihm eins bieten?« »Welches?« fragte Trenck hastig. »Du bist der richtige Kopf dazu. Sinne Dir Etwas aus, aber schnell!« »Der gnädige Herr Oberst scheinen den alten Knasterbart nicht eben sehr zugethan zu sein. Ist diese Liebe vielleicht gegenseitig?« »Ganz und gar. Wenn der Dessauer mich umbringen kann, so thut er es. Wehe ihm, wenn ich ihn zwischen meine Fäuste bekomme!« »Hm! Uebermorgen ist Jahrmarkt in Chotiborz. Wollen wir ihn hinlocken?« »Ich bin sofort bereit; aber wie?« »Wir machen ihm weis, daß der Herr Oberst den Markt incognito besuchen und dabei im ›Goldenen Rade‹ einkehren werden. Wie ich ihn vom Hörensagen kenne, so kommt er sofort auch incognito mit nur wenig Begleitung, um Euch zu fangen.« »Ganz gewiß!« rief Trenck erfreut. »Er wird keinem Andern die Ehre gönnen, den Franz Trenck gefangen zu haben. Aber wie machen wir es ihm weis, he? Das ist das Schwierige!« »Es ist nicht so schwierig, wie es scheint. Der Tlasco versteht es ausgezeichnet, Handschriften nachzumachen.« »Was soll uns dies nützen?« »Wie ich aus der Unterhaltung dieses Herrn von Bodtmann gehört habe, ist er ein alter Kriegskamerad des Fürsten Leopold; sie schreiben sich zuweilen, und es ist große Freude gewesen, als sie sich unterwegs getroffen haben. Wie nun, wenn dieser Bodtmann dem Fürsten schreibt, daß er hier durchgekommen ist und dabei
erfahren hat, daß der Herr Oberst den Jahrmarkt besuchen werden?« »Ah, ich verstehe! Aber wir haben seine Handschrift nicht, die der Tlasco nachmachen könnte!« »Es sollte mich sehr wundern, wenn er nicht eine Brieftasche oder ein Notizbuch bei sich führte. Man nimmt es ihm ganz einfach ab. Einen Siegelring trägt er auch.« »Vortrefflich! Man wird mit ihm nicht viel Federlesens machen! Aber wer soll das Schreiben nach Chrudim tragen? Etwa der Jude, wenn er sich als zuverlässig erweist?« »Nein! Es muß ein anderer Bote gefunden werden. Wenn es dem Herrn Obersten lieb und recht ist, werde ich das übernehmen. Den Juden brauchen wir als zweiten Boten. Wenn der alte Fürst dem Briefe ja nicht ganz trauen sollte, so muß der Jude die Thatsache mit dem Jahrmarkte bekräftigen.« »Mensch, Du bist ein wahrer Advocat! Aber bedenke, daß es Dir an den Kragen geht, wenn man Dich in Chrudim als Pandur erkennt!« »Pah, aus dem Kragen mache ich mir nichts, und für den Hals ist mir noch niemals bange gewesen. Drunten halten die Leute noch. Wen soll ich zuerst bringen, den Edelmann oder den Juden?« »Den Edelmann, dann den Juden und dann den Tlasco.« Slugaksch erhob sich, trank sein Glas aus, legte die Pfeife fort und entfernte sich. »Ein Teufelskerl! Nicht?« meinte Trenck zu den beiden Andern. Diese waren durch die Erwartung eines Abenteuers ein Wenig ernüchtert worden und stimmten seinem Urtheile bei. Der Hauptmann war sogar so gütig, die vier Zipfel des Tafeltuches empor- und über den Tisch hinwegzuschlagen, damit das Auge der Eintretenden nicht gar zu sehr beleidigt werde; er schien gar nicht zu ahnen, daß er damit das Uebel nur vergrößert habe. Die Drei nahmen neue Pfeifen zur Hand, und eben als dieselben in Brand gesteckt waren, wurde Herr von Bodtmann gemeldet. Er trat mit seiner Tochter ein, hinter ihnen Slugaksch, welcher an der Thür stehen blieb. Der alte Herr hatte ganz das Ansehen eines wackern, ehrwürdigen Veteranen. Seine Haltung war stramm, und sein Auge blickte in furchtloser Erwartung auf den Obersten. Seine Tochter war eine sympathische Erscheinung in der Tracht der damaligen Zeit; sie zog den durch die hier herrschende Unordnung beleidigten
Blick erröthend auf sich selbst zurück. Trenck gab sich nicht die Mühe, einen Gruß auszusprechen. Er begann in kurzem, barschen Tone: »Ihr nennt Euch von Bodtmann?« »Ja. Baron Karl von Bodtmann. Diese Dame ist meine Tochter.« Trenck hielt es nicht der Mühe werth, sich nur einen Zoll tief vor der Dame zu verneigen oder gar den Beiden einen Sitz anzuweisen. Er fuhr fort: »Seid Ihr mit Legitimationen versehen, Baron?« »Hier sind sie!« Der alte Herr zog seine Brieftasche hervor und entnahm ihr zwei Papiere, die er dem Obersten überreichte. Dieser warf einen Blick auf sie und meinte dann sehr gleichmüthig: »Ah, hier steht, daß Ihr in kaiserlichen Diensten gestanden habt. Ist das wahr?« Die Stirn des Barons legte sich in Falten und er trat schnell einen Schritt vor, indem er antwortete: »Herr von der Trenck, halten Sie diese Papiere für unächt und mich für einen Schwindler? Ich bin als Oberst verabschiedet, also sind sich unsere Degen wohl ebenbürtig!« »Pah! Ich fragte, weil ich Veranlassung dazu habe. Es wird mir schwer, zu denken, daß ein ehrenvoll verabschiedeter kaiserlicher Oberst mit einem preußischen General zu conspiriren vermag!« »Zu conspiriren? Welcher General ist gemeint?« »Der Fürst von Dessau.« »Ich glaube nicht, daß der Oberst von der Trenck das Recht besitzt, mein Verhältniß zu einem alten Waffengefährten zu kritisiren. Ich habe mit dem Fürsten unter Prinz Eugen gefochten; es gereicht mir zur hohen Ehre, daß er dieses nicht vergißt, und wenn ich einem Waffenbruder meine Freundschaft und Hochachtung bewahre, so ist das wohl nicht ein Conspiriren zu nennen. Es ist bekannt, daß die Sympathie des Feldmarschalls Leopold von Dessau noch heute dem Kaiserstaate gehört, und daß er sich beinahe die Gunst des Königs verscherzte, als er gegen einen Krieg mit Oesterreich rieth; ich ersuche also den Herrn Obersten von der Trenck, sich gütigst dem Umstande anzubequemen, daß ein Officier und Edelmann vor ihm steht!« »Pah!« antwortete der Angeredete. »Diese Papiere können ja verloren gegangen und aufgefunden oder gar gestohlen worden
sein!« »Herr!« donnerte Bodtmann, indem seine Hand unwillkürlich nach der Stelle fuhr, wo man den Griff des Degens zu finden pflegt. »Glaubt Ihr, mich ungestraft infamiren zu können, weil ich graues Haar besitze? Ich hoffe, daß man nicht so feig sein wird, mir die Genugthuung zu verweigern!« »Von Genugthuung kann hier keine Rede sein«, meinte Trenck im kältesten Tone. »Man bringt mir einen Arrestanten, und ich habe für die Sicherheit meiner Truppe zu sorgen. Beantwortet mir ruhig meine Fragen, und dann wird es sich finden, was zu thun ist! Wo wollt Ihr hin?« Der alte Edelmann wandte sich seitwärts; er schien entschlossen, nicht zu antworten. Seine Tochter that es an seiner Stelle: »Wir gehen nach Moldauthein, wo ein Oheim von mir sehr krank darniederliegt.« »Wo kommt Ihr her?« »Von Liegnitz.« »Wie lange habt Ihr Euch im Hauptquartiere des Königs von Preußen aufgehalten?« »Kaum eine Stunde. Die Rücksicht auf unsern Verwandten treibt uns zur höchsten Eile.« »Ich will es glauben. Mademoiselle, wenn Euer Vater mein letztes Verlangen erfüllt, so sollt Ihr in zwei Stunden mit einem sichern Führer von hier abfahren dürfen!« »Welcher Wunsch ist dies?« »Ich begehre, seine Brieftasche und seinen Siegelring zu sehen.« Er sprach in einem beinahe höflichen Tone; die Anwesenheit der Dame war also doch nicht ganz ohne alle Wirkung auf den sonst so rücksichtslosen Mann, und auch die beiden Officiere suchten ihren gläsernen Augen und vertrunkenen Mienen einen gefälligeren Ausdruck zu geben. Die Tochter warf einen bittenden Blick auf den Vater. Dieser zog wortlos den Ring ab und gab ihn ihr sammt dem Portefeuille; sie reichte Beides dem Obersten dar. Dieser öffnete das Letztere, und als er bemerkte, daß es einen Notizkalender mit der Handschrift des Barons enthielt, so lächelte er befriedigt und meinte: »Ihr werdet diese Gegenstände bei Eurer Abreise unversehrt zurückerhalten; bis dahin wird man Euch ein Zimmer anweisen.« Die beiden Fremden entfernten sich, und an ihrer Stelle trat der
Jude ein. Er war ein kleiner, hagerer Mann mit scharfen Gesichtszügen und tief liegenden, lauernden Augen, der sich fast bis zur Erde herab vor Trenck verneigte. »Wie heißest Du?« fragte ihn der Oberst. »Ich heiße Lesser Wolf, mein Herr großmächtiger Panduren-General.« »Du willst in meine Dienste treten?« »Mit großer Freude; denn ich habe vernommen, daß der Herr General von der Trenck nicht gehört zu den geizigen Leuten, denen man muß arbeiten um die Hälfte umsonst und die andere Hälfte schlecht bezahlt.« »Du wirst bei mir bekommen, was Du verdienst. Du warst in Chrudim?« »Ja. Ich habe daselbst gesehen große Generale und Marschälle und habe auch gesprochen mit dem Könige, welcher ist der Friedrich von Preußen.« »Hast Du auch den Dessauer gesehen?« »Werde ich ihn doch haben gesehen, da ich habe sogar mit ihm geredet.« »Wie lange Zeit warst Du in Chrudim, und woher stammst Du?« »Ich habe gewohnt in Reichenstein, welches liegt nicht weit von Glatz, und haben mich gezwungen die Preußen, zu gehen mit ihnen, um zu machen den Kundschafter für einen Bettlerlohn.« »Wie lange hast Du ihnen bereits gedient?« »Noch gar nicht. Ich habe sollen begleiten den Baron von Bodtmann bis Moldauthein und mich dabei umsehen, um zu erforschen den Feind. Wenn ich zurückkomme, soll ich sagen, was ich habe erfahren, und dafür erhalten drei Gulden für den Tag.« »Das ist ganz preußisch!« lachte Trenck. »Drei Gulden für den Tag, um sich doch früher oder später hängen zu lassen! Kerl, ich gebe Dir zehn Gulden für den Tag und noch obendrein hundert Gulden, wenn Du das ausführst, was ich von Dir verlange.« »Herr meiner Väter, ist das ein vieles Geld! Da werde ich gehen für den Herrn Panduren-General in das Feuer und werde thun Alles, was nicht ist zu schwer für einen armen Juden, der sich muß nehmen sehr in Acht vor den Preußen.« »Du hast Dich gar nicht zu fürchten, weder vor uns, noch vor den Preußen. Sie werden Dir nichts thun, denn sie halten Dich für den Ihrigen, und von uns hast Du auch nichts Schlimmes zu
erwarten, so lange Du uns treu dienst. Ist dies aber nicht der Fall, so möchte ich allerdings nicht in Deiner Haut stecken; ich bezahle gut, aber ich bestrafe auch darnach. Ich werde Dich einmal prüfen. Du kehrst jetzt zurück und gehst zum Dessauer. Ihm kannst Du erzählen, daß Du mich hier gefunden hast. Dabei aber sagst Du ihm, daß Du erfahren hast, ich werde übermorgen ganz allein und incognito den Jahrmarkt zu Chotiborz besuchen und da im ›goldenen Rade‹ einkehren. Du giebst Dir Mühe, den Alten dahin zu bringen, daß er kommt, um mich zu fangen. Verstanden?« Der Jude nickte unter einem listigen Lächeln mit dem Kopfe und sagte: »Ich werde doch verstehen, daß der Herr Panduren-General will selber fangen den Dessauer, und werde mich freuen, wenn er bekommt den alten Filz, welcher mir bietet nur drei Gulden für den Tag. Ich werde sein sehr schlau, um zu verdienen die hundert Gulden und auch noch zehn Gulden für den Tag.« »Gut, wir wollen sehen! Ich werde Dir für fünf Tage fünfzig Gulden vorher auszahlen. Du sollst bei mir viel Geld verdienen, aber wenn Du mich betrügst, so lasse ich Dich nicht etwa hängen, sondern ich schinde Dich bei lebendigem Leibe und lasse Dir die Haut über den Kopf herunter ziehen. Jetzt gehe, und warte: Du wirst noch weitere Instructionen erhalten!« Nach dem Juden wurde Tlasco vorgelassen. Es war derselbe Unterofficier, welcher einen Tag später in Studenetz das Quartiermacher-Amt verwaltete. Als er die Handschrift des Barons geprüft hatte, erklärte er, in ganz denselben Zügen jeden ihm vom Obersten dictirten Brief schreiben zu können. Dies geschah sofort; das erste Mal gelang es nicht vollständig, aber mit dem zweiten Versuche erklärte sich Trenck zufrieden. Das Schreiben wurde zusammengefaltet, mit Bodtmann's Siegelring verschlossen und dann von dem Unterofficier sorgfältig adressirt. Dann erhielt der Letztere die Weisung, am nächsten Morgen mit zwei Mann nach Studenetz zu gehen, um für den Obersten, zwei Lieutenants und drei Mann Bedienung Quartier zu machen. Nach seiner Entfernung gab Trenck seine weiteren Befehle. Der Major sollte übermorgen, am Montage, mit drei Compagnien so heimlich wie möglich nach Steindorf bei Chotiborz aufbrechen, in den ersten Nachmittagsstunden dort eintreffen und heimlich in dem Walde, welcher damals zwischen den beiden Orten lag, Stellung
nehmen, um auf Trenck's Boten zu warten und dann den Dessauer in Chotiborz aufzuheben. Der Oberst selbst wollte bereits morgen nach Studenetz gehen, um bei Zeiten und incognito auf dem Jahrmarkte sein zu können. »So muß Alles klappen«, meinte er, »und wenn wir den Alten bekommen, so sollen meine Kerls einen Feiertag haben, wie sie noch keinen erlebt haben!« – – – 1
IV. Im Mehlkasten Die Dämmerung hatte bereits begonnen, als sechs Panduren zu Pferde in Studenetz einrückten, voran drei Offiziere und hinter ihnen drei Diener. Zwei der Ersteren waren Lieutenants; der Dritte ritt in ihrer Mitte; es war Trenck selbst, dessen Gestalt die Aufmerksamkeit aller hinter den Thüren, Mauern und Hecken versteckten Dorfbewohner auf sich zog. Die Reiter wurden von den drei Quartiermachern erwartet, von denen je Einer sich einem der Offiziere beigesellte, um ihm seine Wohnung zu zeigen. Als der Oberst mit seinem Diener und Tlasco, dem Unteroffizier, in den Hof der Mühle einritt, waren die Knechte und die zwei Mühlknappen dort aufgestellt, um den unwillkommenen Gästen zu Diensten zu sein. Trenck sprang vom Pferde und trat sogleich in den Stall, um zu sehen, wie man für seine Pferde vorgesorgt habe. Im Stalle standen vier Pferde; neben ihnen war aber noch Platz für drei. »Wem gehören diese Ziegenböcke?« frug er die Bursche. »Diese Pferde?« fragte Einer. »Uns.« »Und da sollen auch die meinigen stehen? Hinaus damit!« »Wir haben nur diesen einen Pferdestall,« klang die demüthige Entgegnung. Trenck erhob die Hand und gab dem Sprecher eine schallende Ohrfeige. »Wenn ich befehle, so hat man ohne Widerrede zu gehorchen! Heraus mit Euren Thieren!« Die Knechte schickten sich an, diesem Befehle Folge zu leisten, doch geschah dies dem Obersten nicht schnell genug; er zog daher den Säbel und versetzte dem einen Mühlknappen mit der flachen Klinge ein Schlag über den Rücken. »Könnt Ihr nicht auch mit zugreifen!« gebot er. »Ich werde Euch dienstwillig machen! Tlasco, wo ist der Müller?« Der Unteroffizier führte ihn nach der Stube; dort saß der Richter ganz allein, die Peitsche in der Hand.
»Er ist der Müller?« fragte ihn Trenck. »Ja, der Müller und Richter von Studenetz.« »Wozu hat Er die Peitsche da?« »Zum Kommandiren. Ohne sie folgt mir Keiner.« »So! Warum steht Er nicht auf, he?« »Ich habe das Kalte in den Beinen; ich kann nicht stehen.« »So will ich Ihm gleich einmal zeigen, wie gut Seine Peitsche zum Kommandiren ist. Passe Er einmal auf!« Er nahm ihm die Peitsche aus der Hand, trat einige Schritte zurück, um Raum zum Hiebe zu erhalten, und fuhr dann fort: »Stehe Er auf! Eins – zwei – drei!« Er applicirte dem Müller drei so kräftige Hiebe, daß dieser laut schreiend emporfuhr und die Hände vorstreckte, um die Peitsche zu ergreifen. »Sieht Er, wie das hilft! Jetzt marschire Er einmal durch die Stube, ich werde den Takt dazu schlagen!« Was man nicht für möglich gehalten hätte, das geschah: der Richter hinkte durch das Zimmer, bei jedem Schritte einen Hieb in die Beine erhaltend. Er verbiß seine Schmerzen und auch seine Wuth, welcher er einem so gewaltthätigen Manne gegenüber keinen Ausdruck geben durfte. »So, jetzt ist Er kurirt. Wenn sich ein Rückfall einstellt, so lasse Er mich rufen; ich kurire ihn unentgeltlich, hoffe aber auch, daß ich keine Noth bei Ihm leide! Wo sind meine Zimmer?« Der Unteroffizier führte ihn nach oben, wo sich bald ein vielseitiges Poltern erhob, zum Zeichen, daß der Herr Oberst beginne, sich in seinem Quartiere nach gewohnter Gemüthlichkeit einzurichten. Als es still geworden war, erschien die Magd, welche als Wirthschafterin fungirte, und lamentirte, daß man ihr die Rauchkammer geplündert und auch die wenigen Flaschen Wein genommen habe, welche allein für den Herrn Richter bestimmt seien. Der Letztere, welcher jetzt wieder in seinem Rollstuhle saß, erklärte ihr sehr kleinlaut, daß sie sich schweigsam in Alles fügen und ja nicht raisonniren solle. Während dieses kurzen Gespräches trat ein Mann ein, dessen Aeußeres einen jeden guten Menschen sympathisch berühren mußte. Er war ein Greis, aber ein schöner kraftvoller Greis, wie man sie im Arbeiterstande selten findet. Er trug ein Kleidungsstück unter dem Arme und begrüßte den Müller mit Höflichkeit, was dieser aber
nicht erwiederte. »Endlich bringst Du die Jacke,« meinte der Letztere. »Niemand ist so faul, wie die Schneider; sie haben niemals viel Arbeit und werden dennoch niemals fertig. Wird sie passen?« »Sie paßt,« erwiederte Engelmann einfach. »Willst Du den Lohn gleich haben?« »Es hat Zeit.« »Ich denke, Du brauchst ihn, um heute zum Tanz gehen zu können!« »Was ich dazu brauche, das ist vorhanden.« »So! Aber um mich zu bezahlen, ist nichts vorhanden!« »Es sind hundertfünfzig Gulden vorhanden, die Du aber nicht genommen hast. Das Fehlende werde ich auch noch ersparen.« »Du wirst zum Sparen keine Zeit mehr haben, denn wenn Du heute mit der Agnes zum Tanz gehst, so komme ich morgen mit dem Wechsel.« »Diese Schlechtigkeit ist Dir zuzutrauen; aber die Agnes eroberst Du Dir nicht damit, denn wenn es wirklich zum Schuldgefängniß kommen sollte, so wird sich wohl ein barmherziger Jemand finden, der mich von Dir erlöst. Leb wohl!« »Bleib!« rief der Müller und knallte mit der Peitsche hinter ihm her, jedoch vergeblich. Er war von Zorn und Eifersucht erfüllt; er wollte das Mädchen um jeden Preis gewinnen, und jetzt kam ihm ein Gedanke, dem auch sogleich die Ausführung folgte, denn der Panduren-Unteroffizier trat ein, um zu melden, daß er sich jetzt nach seinem Quartiere begeben werde, da der Oberst gegenwärtig seiner nicht mehr bedürfe. »Ihr quartiert also wirklich bei Engelmanns?« fragte ihn der Müller. »Jawohl.« »Ich bin der Pathe des Mädchens. Wenn Ihr Euch fern von ihr halten wolltet, so würde ich Euch unter vier Augen ein werthvolles Geheimniß anvertrauen.« »So!« lachte der Pandur. »Ihr alter Sünder habt wohl selbst ein Auge auf das Mädchen? Wie viel ist denn das Geheimniß werth?« »Hundertfünfzig Gulden.« »Ah! Ist das wahr?« »Hundertfünfzig blanke Gulden! Laßt mir das Mädchen in Ruhe, so sollt Ihr sie haben.«
»Für eine solche Summe thut man schon Etwas. Gebt sie her!« »Nein, ich zahle sie nicht, sondern das Geheimniß ist so viel werth. Habt Ihr bei Engelmanns das Tellerbret hinter dem Ofen bemerkt?« »Ja.« »Es sind zwei kleine Zugkästen daran?« »Ich weiß es.« »In dem Kästchen rechts liegen blanke hundertfünfzig Gulden, Herr Unteroffizier. Jetzt kennt Ihr das Geheimniß. Werdet Ihr Wort halten?« Der Pandur stieß ein cynisches Lachen aus. »Ich werde erst sehen, ob das Geld wirklich zu haben ist. Gehabt Euch wohl, Richter, Ihr werdet morgen Bescheid hören!« Er ging. An seiner Stelle kam der Wächter hereingehumpelt. »Kommst Du endlich einmal!« rief er ihm entgegen. »Da kann man sterben und verderben, wenn man sich auf Dich verlassen soll!« »Ich bin nicht blos für den Richter, sondern für die ganze Gemeinde da,« entschuldigte sich Matthias Schulazek. »Der Bachhofbauer schickt mich zu Euch um Hülfe; der Offizier, den er erhalten hat, schlägt Alles entzwei, weil ihm nichts gut genug ist, was er empfängt.« »Sage ihm, er soll es sich grad so gefallen lassen, wie ich selber. Der Trenck hat mich gleich beim Willkommen mit meiner eigenen Peitsche traktirt.« »Ist's die Möglichkeit!« »Ja; er hat so lange zugeschlagen, bis ich in der Stube herumgesprungen bin.« »So hat doch meine Emilka wieder Recht. Sie sagt immer, daß ein Jeder seinen Mann findet. Der Eurige, Erlenmüller, das ist der Trenck. Das muß ich gleich der Emilka wieder erzählen!« »Bleib!« gebot der Richter, indem er zum Schlage ausholte. Der Büttel fing den Hieb sehr kunstgerecht mit seinem hölzernen Beine auf und stampfte hinaus. Für heute war es um das Ansehen des Richters geschehen. Droben in dem Zimmer, in welchem sich der Oberst befand, wurde jetzt wieder ein längeres Schelten und Tumultiren laut, und kurze Zeit später traten die beiden Mühlknappen herein. »Was wollt Ihr?« fuhr ihr Meister sie an.
»Herr,« meinte der Eine, »wir haben bisher geglaubt, daß wir nur für die Mühle zu arbeiten haben. Für das Haus und die Wirthschaft sind doch wohl die Knechte da!« »Es wird kein Unterschied gemacht. Ihr arbeitet, wo Ihr gebraucht werdet,« lautete der Bescheid. »Aber den Trenck haben wir nicht zu bedienen!« »Und doch! Ich habe es Euch befohlen, und damit ist's genug!« Um seinen Worten den gewohnten Nachdruck zu geben, knallte er ihnen die Peitsche um die Beine. »So wissen wir, woran wir sind,« sagte der Sprecher wieder. »Wir gehören zu Euch und wollen Euch dienen, aber mit dem Trenck mögen wir nichts zu thun haben. Mir hat er vorhin den Säbel über den Rücken gezogen, daß die Haut aufgesprungen ist, und der Kamerad hier hat eben jetzt da oben eine ganze Schüssel mit Eiern an den Kopf bekommen; ein Glück noch, daß sie gesotten waren, sonst würde er ein schönes Aussehen haben. Wir gehen fort und kommen erst wieder, wenn der Pandur nicht mehr zu sehen ist!« »Halt! Bleibt!« gebot der Müller mit einem kräftigen Peitschenknall; aber sie waren Beide bereits zur Thür hinaus. Er fühlte große Lust, seinen Gefühlen durch einige Kernworte Luft zu machen, als er draußen im Flur fragen hörte, ob hier die Erlenmühle sei; und auf die bejahende Antwort der entweichenden Mühlknappen wurde sehr bescheiden an die Thür geklopft, und es traten zwei Menschen herein, denen man das staubige Müllerhandwerk auf den ersten Blick ansehen konnte. »Gelobt sei Jesus Christus!« grüßte der Aeltere von ihnen. »In Ewigkeit, Amen!« antwortete der Müller. »Wer seid Ihr?« »Gott zum Gruße, und dem Herrn Meister zu Ehren,« lautete der Handwerksspruch. »Wir sind zwei wandernde Gesellen des ehrsamen Müllerhandwerks und der löblichen Zeugarbeiterkunst und kommen, den Meister zu fragen, ob er nicht ein Nachtlager oder gar eine gute Arbeit für uns hat.« »Habt Ihr Eure Bücher bei Euch?« »Jawohl!« ertönte die Antwort in tiefstem Basse, wobei sich der Sprecher seinen martialischen Zwickelbart strich. Es war der »Dessauer«. »Zeigt sie her!« Sie legten Beide ihre wohlgefüllten Ranzen ab, öffneten und nahmen die Bücher heraus. Es waren zwei französische
Arbeitsbücher, welche der Feldwebel Steinbach in der Eile bei zwei Soldaten aufgetrieben hatte, die geborene Franzosen waren, vom Dessauer aber sich hatten anwerben lassen. Die Bücher hatten sie sich als Andenken aufgehoben gehabt. Der Müller öffnete sie und warf einen Blick hinein. »Was ist das für eine Sprache?« frug er. »Die kenne ich nicht.« »Es ist französische Schrift,« antwortete Steinbach. »Ich stamme aus Linz und mein Kamerad aus dem Preßburgischen, aber wir haben Jahre lang in Frankreich gearbeitet, wo man als Müller Etwas lernen kann, und da mußten wir uns auch französische Bücher anschaffen.« Das leuchtete dem Richter ein. Sie waren zwei ungewöhnlich kraftvolle Gestalten, hatten gute Sachen, gefüllte Felleisen und waren gar in Frankreich gewesen; das waren gewiß zwei active, solide Arbeiter, mit denen er Ehre einlegen konnte; dazu kam, daß seine beiden Knappen ihn verlassen hatten, und so antwortete er: »Ihr könnt hier gute Arbeit haben. Ruht Euch heute aus; die Mühle steht; und morgen könnt Ihr Euch die Gelegenheit ansehen. Drüben in der Mühle stehen die zwei Betten, und in der Küche giebt's Essen genug. Wie heißt Ihr?« »Ich heiße Naumann,« antwortete der Fürst. »Und ich Baumann,« erklärte der Feldwebel; »das merkt sich gut.« »Schön! Ich hoffe, daß ich mit Euch zufrieden sein kann. Jetzt geht!« – Unterdessen war der Unteroffizier Tlasco das Dorf hinabgeschritten, an der Schänke vorüber, wo soeben die Tanzmusik begann, bis zu seinem Quartiere am andern Ende des Ortes. Er fand die drei Leute, Vater, Tochter und die kränkliche Mutter, wegen des Abendbrotes seiner wartend und setzte sich an den Tisch. Als er seinen Blick auf das frugale Essen warf, fragte er drohend: »Soll Das für mich sein?« »Ja,« antwortete Engelmann sehr gleichmüthig. »Wo denkt Ihr hin! Das ist nichts für Unsereinen!« »So geht dahin, wo Ihr etwas Besseres findet. Ihr seid aus eigenem Antriebe zu uns gekommen, und wir sind arme Leute.« Er erhob sich mit den Seinen, um das Tischgebet zu sprechen. Der Pandur lachte roh und verließ die Stube. Er trat erst wieder herein als sie satt waren und setzte sich nieder, um das Uebrige zu
verzehren, erklärte aber, daß er gewohnt sei, ohne Zuschauer zu essen. Engelmanns verließen in Folge dessen die Stube. Kaum aber waren dieselben hinaus, so sprang er auf, trat zu dem Tellerbrete, öffnete das Kästchen und fühlte auch sofort den gefüllten Beutel. Er steckte ihn zu sich und setzte dann die Mahlzeit fort. Als er fertig war und der Wirth wieder hereintrat, erklärte er ihm, daß er jetzt zu Biere gehen und wohl erst spät heimkommen werde. Er ging. Nun machte sich auch Engelmann bereit, mit Agnes nach dem Saale zu gehen; da aber hörten sie draußen Schritte und sahen einen Augenblick später beim Scheine der Lampe zwei hohe, grau gekleidete Gestalten unter der Thür stehen. »Gott grüß Euch, Korporal Engelmann!« sagte eine tiefe, kräftige Baßstimme, der man die Gewohnheit des Befehlens anhörte. »Herr Jesus!« rief er, als er in das kräftige, dunkel gebräunte Gesicht des Sprechers blickte. »Das ist unmöglich!« »Was ist unmöglich, Korporal Engelmann?« »Das Ihr es seid, Durchlaucht! Ich muß mich irren!« »Wahrhaftig, kennt mich der Engelmann nach siebenunddreißig Jahren wieder!« schmunzelte der Fürst. »Und noch dazu in diesem Rocke! Ich muß doch ein rechtes Spießruthengesicht haben, weil es gar nicht zu vergessen ist!« »Also wirklich!« rief der Schneider. »O welch' eine Freude, welch' eine Ueberraschung! Tretet näher, durchlauchtigste Excellenz!« »Schreie Er nicht so, und lasse Er diese durchlauchtigste Excellenz bei Seite! Wir sind in Feindes Land, und da braucht es nicht mit Kanonen in die Welt hinaus geschossen zu werden, wer ich bin. Komme Er herein, Feldwebel Steinbach! Wir sind hier bei braven Leuten, die uns nicht verrathen werden.« »Soll mich Gott bewahren, gnädigster Herr! Frau, Tochter, das ist Seine Durchlaucht, mein einstiger Generalissimus. Holt herbei, was das Haus vermag! Wir sind arm, aber Excellenz werden fürlieb nehmen.« »Schnickschnack!« meinte der Fürst. »Hier muß nicht gleich gegessen und getrunken sein. Setzt Euch fein hübsch nieder! Das Uebrige wird sich finden. Feldwebel, Er gehört dorthin zur Jungfer, und ich setze mich zu den beiden Alten. So! Und nun sage Er mir einmal, Korporal Engelman, ob Er ein guter Oesterreicher ist!«
»Das versteht sich, Durchlaucht. Ich sage es aufrichtig, obgleich – – –« »Papperlapapp, rede Er nicht! Es ist Seine Pflicht und Schuldigkeit, auf Seine Königin Etwas zu halten. Versteht Er mich. Ich bin ihr auch nicht gram. Also wollen wir die Politik und den Krieg einmal bei Seite lassen und von unsern eignen Angelegenheiten reden.« »Aber die Panduren, Excellenz!« warnte Engelmann. »Ich habe auch Einen!« »Pah! Ich werde sie bald Alle haben! Was gehen mich die Panduren an. Ich habe eine ganz andere Sorge, und die kann Er von mir nehmen, Engelmann.« »Wenn ich es doch könnte!« »Ich habe mir nämlich da im Anhaltischen ein neues, schönes Gut gekauft, zu welchem ich einen tüchtigen Pächter brauche. Den Pächter hätte ich; da sitzt er vor mir, der Feldwebel Steinbach, mein Leibgrenadier, der bei allen meinen Streichen dabei sein muß.« »Durchlaucht!« rief Steinbach überrascht. »Halte Er den Mund, Feldwebel, und rede Er erst dann, wenn man Ihn fragt! Also der Pächter wäre gefunden, aber mit der Pächterin, da hapert es noch gewaltig. Nämlich die soll und muß extra Agnes heißen oder so ähnlich, und ihr Vater soll Korporal gewesen sein und den jungen Dessauer damals aus dem Kanale gezogen haben; anders thut es der Feldwebel, der Schwerenöther nicht. Was meint Er dazu, Engelman?« Der Gefragte wußte vor Ueberraschung gar nicht, was er antworten sollte; darum fuhr der Fürst fort: »Da, gucke Er sich einmal Seine Agnes an, ob sie nicht roth wie ein Blut geworden ist! Nämlich dieses hinterlistige Volk kennt sich bereits von Halberstadt aus und hat sich partout eingebildet, als Mann und Frau mir eines meiner besten Güter hinwegzupachten. Es ist geradezu unerhört. Aber was will man machen? Das Gut ist einmal da, sie Beide selbst auch, und nun fehlt blos noch, daß die Eltern nichts dagegen haben. Ich denke, es wird am Besten sein, Er streckt das Gewehr und macht, daß Er bald Schwiegervater wird!« »Excellenz, das kommt so unerwartet, so überraschend, daß ich mich noch gar nicht zu fassen vermag!« »Schockschwerenoth, Er soll sich ja auch gar nicht fassen! Was Er zu fassen hat, das sind hier diese beiden Hände; die legt Er in
einander und sagt sein Ja und Amen. Vorwärts und abgemacht! Wenn sich Zwei so richtig gut sind, so muß man sie zusammenthun; das habe ich an meiner alten Annaliese erfahren. Also macht, und thut Eure Schuldigkeit, Ihr beiden Alten, sonst nehme ich Euch bei den Ohren!« »Das heißt ja, die Festung ohne Belagerung gleich mit einem Handstreiche genommen!« »Bin es so gewohnt. Also, wie wird's!« »Ist's denn wahr, Agnes, daß Ihr Euch kennt?« fragte Engelmann. Sie nickte erglühend. »So! Und ich habe kein Wort davon gewußt!« »Aber die Mutter!« bemerkte das Mädchen verschämt. »Ach so, die Mutter! Na, Herr Feldwebel, ich kenne Ihn nicht, aber Sein Kriegsherr achtet Ihn, und da muß Er ein braver Kerl sein. Ich bin arm und kann Ihm Nichts geben; aber meinen einzigen Reichthum, mein Kind, das soll Er haben. Der Herrgott mag herniederblicken und sein Ja und Amen dazu sagen! Komm, Mutter, gieb auch Du den Kindern Deine Hand!« Das war so recht ein Streich, wie Leopold ihn liebte. Noch kaum fünf Minuten anwesend, hatte er eine Verlobung zu Stande gebracht und fünf Menschen glücklich gemacht, denn er selbst fühlte sich ja auch glücklich über sein Werk. »Also es bleibt dabei,« meinte er fröhlich, »wenn der liebe Herrgott uns diesen Krieg überleben läßt, so ist der Pächter fertig, und die Schwiegereltern kommen mit zu uns! Für Seinen Bruder, Engelmann, dem Schulmeister mit dem Seifenhandel, wird sich auch Etwas finden. Ich habe seiner Alten heute einen ganzen Korb voll Butter und Käse abgekauft. Das ist ein blitzmäßiges Weibsbild; die hat Haare auf den Zähnen! Fragt mich die alte Susanne, wer ich denn eigentlich sei, daß ich so wenig Sums mit ihrer Butter mache! Und, Korporal, wie steht Er denn eigentlich mit dem Richter? Der Feldwebel hat mir erzählt, daß Er dem Kerl schuldig ist?« »Das wird gleich morgen bezahlt,« antwortete Agnes schnell. »Hast Du denn Geld?« fragte ihr Vater verwundert. »Ja, genug! Der Wilhelm hier hat mir heute am Nachmittage vierhundert Gulden gegeben.« »Vierhundert Gulden!« rief Engelmann erstaunt. »Ist das ein Geld! Also habt Ihr schon heute am Nachmittage mit einander
gesprochen?« »Ja,« antwortete der Fürst an des Mädchens Stelle. »Doch davon braucht Er nichts zu wissen. Er ist ein guter Oesterreicher, und so ist es besser, Er fragt heute gar nicht, was wir hier wollen. Wir Beide sind Mühlknappen beim Richter, basta, abgemacht! Und nun, Korporal, gehe Er mit der Agnes auf den Saal; wir Zwei werden gleich nachkommen!« »Aber die Panduren, Durchlaucht!« »Panduren hin, Panduren her! Ich heiße Naumann, und Dieser hier heißt Baumann, und diese Nau- und Baumänner wollen mit der Agnes einen Hopser tanzen. Versteht Er mich! Rechts um; vorwärts marsch!« – Unterdessen ging es in der Schänke lustig zu. Das Jungvolk tanzte im Saale, und die Alten saßen in den beiden Nebenstuben, von wo aus sie auch zuweilen einen Blick auf den Saal werfen konnten. Auch die Niederstube war gefüllt von Gästen, doch gab es hier einige verdrossene Gesichter. Diese Letzteren gehörten den Honoratioren des Dorfes an. Sie hatten ihr Hinterstübchen räumen müssen, denn der Trenck war mit seinen zwei Lieutenants gekommen, hatte sich dort zwischen einer Batterie von Weinflaschen festgesetzt und litt keinen Dörfler in der Herrenstube. Es trug sich heute überhaupt manch' Ungewöhnliches zu; das Erstaunlichste aber war, daß man den Richter auf dem Rollstuhle gebracht hatte. Zwei seiner Knechte hatten ihn hinauf in den Saal schaffen müssen; da saß er nun in einer Ecke und sah dem Tanze zu. Den Grund konnte kein Mensch begreifen. Später setzten sich zwei fremde Müllerburschen zu ihm, von denen er den Nachbarn erzählte, daß sie aus Frankreich gekommen seien und bei ihm in Arbeit treten würden. Sie sahen recht reputirlich aus und mußten sich ein Geld erspart haben, denn sie litten nicht, daß der Meister für sie bezahlte. Der Eine war freilich bereits wohl in die Sechzig, aber Solche gab es ja genug, die das Wandern einem seßhaften Leben vorziehen und es doch zu Etwas bringen. Später kam auch der alte Engelmann mit seiner Tochter, was gar selten passirte und deshalb auch einiges Aufsehen erregte. Der Panduren-Unterofficier, welcher auch zugegen war, ging gleich auf Agnes zu, um sie zu engagiren, wurde aber von ihr zurückgewiesen. Und nun passirte noch etwas Auffälliges: Der Jüngere der
beiden Müller, der um einen Kopf länger und um eine Achsel breiter war als alle Männer im Saale, forderte sie auch zum Tanze auf, und mit diesem tanzte sie. Während dieses Tanzes erzählte Agnes dem Feldwebel, welcher mit dem Fürsten doch noch eher von Engelmanns aufgebrochen war, als sie mit ihrem Vater, daß die hundertfünfzig Gulden aus dem Kästchen verschwunden seien. Sie hatte die vierhundert Gulden hineinlegen wollen und dabei bemerkt, daß der Beutel fort sei. Kurz vor dem Abendessen war er noch dagewesen. Kein Anderer als der Pandur konnte ihn haben, der ganz allein in der Stube gegessen hatte. »Du bekommst das Geld wieder,« tröstete Steinbach; »dafür werden wir sorgen, der Fürst und ich!« Den nächsten Tanz schlug sie dem Panduren abermals ab, der darüber vor Zorn blutroth wurde, tanzte ihn aber doch mit dem alten Müller, der einen so großen Zwickelbart trug. Als dieser sich nachher wieder zu dem Richter setzte, meinte dieser: »Hört, Leute, die Agnes ist nichts für Euch! Ich bin der Pathe und leide nicht, daß sie tanzt. Laßt es also sein, wenn wir gute Freunde bleiben wollen!« »Wenn wir den Vater fragen, und er erlaubt es uns, so ist's genug!« hatte da der jüngere Müller gesagt und war gleich bei der nächsten Tour wieder mit ihr angetreten. Dann tanzte der Alte abermals mit ihr, nachdem sie den Panduren zum dritten Male abgewiesen hatte. Dieser stellte sich ergrimmt hart an die Reihe der Tanzenden, und als das Paar an ihm vorüber wollte, hielt er das Bein vor, damit es darüber stürzen solle. Der Alte aber mochte so Etwas erwartet haben; er hielt an, stieß dem Panduren die Faust unter das Kinn, daß dieser nach hintenüber flog, und tanzte dann weiter, als ob gar nichts geschehen sei. Auch die drei Diener und die beiden andern Quartiermacher waren da. Sie rotteten sich zusammen, und als der Tanz vorüber war, traten sie an den Tisch, an welchem die beiden Müller saßen. »Wie kann Er mich schlagen!« meinte der Unterofficier. »Sofort verläßt Er den Saal, oder wir leuchten Ihm hinab!« »Packe Dich fort, Kerl!« lachte der Fürst, »sonst klopfe ich Euch sechs Pfefferkuchenmänner zu Mehl! Aber ehe Du gehst, giebst Du das Geld heraus, welches Du Deinem Wirthe gestohlen hast!« »Ich? Gestohlen? Mensch, das sage nicht noch einmal!«
»Nein, sagen werde ich es nicht; aber nehmen werde ich es!« Im Nu hatte er den Panduren gepackt; der riesige Feldwebel hielt denselben so fest, daß er kein Glied zu rühren vermochte, und der Fürst zog ihm den Beutel aus der Tasche, ehe seine fünf Kameraden nur Zeit gefunden hatten, ihm zu helfen. »Ist das Sein Beutel, Engelmann?« frug der Fürst. »Ja, er ist's!« rief dieser erfreut. »Hier, nehme Er ihn!« »Halt, das Geld ist mein!« brüllte der Pandur und faßte den alten Engelmann bei der Gurgel. In diesem Augenblicke aber standen auch bereits die beiden Müller dabei; eine Minute lang bildeten sie mit den sechs Panduren einen Knäuel, und dann flogen diese Letzteren Einer nach dem Andern zur Thür hinaus und zur Treppe hinunter. Der riesige Feldwebel hatte gleich Zwei auf einmal genommen. Die anwesenden Dörfler verhielten sich vollständig ruhig bei dieser Scene, nach welcher die Musikanten sofort einen neuen Tanz aufspielten. Während desselben trat ein Fremder in den Saal, der bisher in der Niederstube gesessen hatte. Er trat auf den älteren Müller hinzu und flüsterte ihm in das Ohr: »Excellenz, die Kerls sind unten beim Trenck; er wird mit den Lieutenants gleich nach oben kommen.« »Gut, Korporal Tannert,« lautete die leise Antwort. »Es ist Zeit; hole Er die Husaren. Sie mögen sogleich nach ihrer Ankunft die Mühle und die Schänke besetzen!« Der Korporal hatte kaum den Saal verlassen, und der Tanz war ausgespielt, so wurde die Thüre weit aufgerissen, und die gewaltige Figur des Trenck trat in den Saal, hinter ihm die beiden Lieutenants und drei Panduren. Die übrigen Drei hatten sich beim Sturze zur Treppe hinunter Schaden gethan. Er warf sein Auge wild im Kreise umher und frug mit dröhnender Stimme: »Wo sind die Hallunken, die sich an meinen Leuten vergriffen haben?« Als keine Antwort erfolgte, trat er an den Tisch, wo die beiden Müller saßen. »Ihr wart es! Müller sind es gewesen. Ihr habt – – –« Er hielt mitten in der Rede inne. Sein Blick war schärfer auf Leopold gefallen, und obgleich er ihm persönlich noch nicht begegnet war, so hatte er doch sein Bild gesehen. Er frug daher:
»Wer ist Er, he?« Leopold erhob sich und der Feldwebel mit ihm. Sie konnten es nicht wagen, inmitten dieser feindlichen Bevölkerung sich zu erkennen zu geben; darum antwortete der Fürst: »Kein Räuber und Pandur!« »Mensch!« rief Trenck, »das zahlst Du mit dem Leben!« Er riß ein Pistol hervor, stürzte aber sofort steif wie ein Klotz zur Erde nieder; die gewaltige Faust des Grenadier-Feldwebels hatte ihn an die Schläfe getroffen. Im nächsten Augenblicke lagen auch die beiden Lieutenants am Boden, noch ehe sie ihre Waffen hatten gebrauchen können; dem Unterofficier ging es ebenso, und nur die beiden Panduren entkamen. Das war schneller gegangen, als es erzählt werden kann. Die Anwesenden waren vor Schreck und Erstaunen ganz sprach- und bewegungslos, und nur der Richter hatte seine Fassung behalten. »Um Gotteswillen, was thut Ihr da!« rief er. »Ich muß Euch arretiren!« »Er? Uns? Was fällt Ihm ein! Er will Richter sein und kennt Seine Generalität nicht besser?« donnerte der Fürst ihn an. »Da, sehe Er her! Und wenn Er es wagt, nur mit einem einzigen Worte zu mucksen, so lasse ich Ihn krumm schließen!« Er hatte seinen grauen Rock um ein Weniges geöffnet, so daß man einen großen, goldenen Ordensstern, nicht aber die Farbe seines Unterrockes zu sehen vermochte. »Ich bin gekommen, den Trenck zu arretiren und werde ihn jetzt nach der Mühle transportiren lassen. Beordere Er zwei Mann dazu! – Und Ihr, Herr Oberstwachtmeister«, wandte er sich an den Feldwebel, »bleibt hier zurück, um die Anderen zu überwachen, bis unsere Szekler Husaren kommen. Wer den Saal oder die Schänke ohne Eure Erlaubniß verläßt, dem wird der Proceß gemacht. Der Richter ist für Alles verantwortlich!« Der Richter war über alle Maßen betreten, als er in seinen beiden neuen Mahlburschen so unerwartet zwei hohe österreichische Officiere erkennen mußte. Er beorderte zwei Männer, welche Trenck, nachdem ihm die Waffen abgenommen worden waren, vom Boden emporhoben und forttrugen. Der Fürst folgte ihnen. Der Pandur war noch besinnungslos und so schwer, daß die beiden Träger alle ihre Kräfte anstrengen mußten. So hatte man die Mühle beinahe erreicht, als ihnen der Wächter begegnete.
»Was geht hier vor? Wer ist das?« frug er. »Es ist der Trenck«, antwortete der Fürst. »Packe Er sich Seine Wege!« »Na, na, nur nicht so grob! Der Trenck! So betrunken! Hm, wenn das die Emilka hört; die wird sich wundern!« Damit ging er weiter. Sie schritten jetzt am Mühlteiche vorüber, da stieß der eine Träger einen Schrei aus und lief davon; der Andere folgte ihm, und – der Trenck stand grad und hoch vor Leopold. »Ah, hat Er sich betrügen lassen!« spottete er. »Er hat wohl nicht geglaubt, daß mir die Besinnung unterwegs kommen könnte. Jetzt ist es aus mit Ihm!« Er warf sich auf den Fürsten. Dieser trat zur Seite und wollte ihn von hinten packen; so drehten sie sich einige Male um einander herum, bis sie, das Wasser nicht beachtend, in den Teich stürzten. Hier wendete Trenck seine ganze Kraft an, den Gegner unterzutauchen, aber es gelang ihm nicht, denn die Verzweiflung gab dem Fürsten doppelte Kräfte. Leopold war dem Panduren nicht gewachsen; er mußte sein Heil in der Flucht suchen, aber er mußte auch so fliehen, daß Trenck ihm nicht entgehen konnte; das wäre nach derjenigen Richtung gewesen, aus welcher er seine Husaren erwartete; er aber that es anders. Es gelang ihm, los zu kommen und sich am Ufer empor zu schnellen. Er sprang, von dem Panduren verfolgt, nach der Mühle hin, erreichte deren Eingang und auch den Mühlenraum; aber der Pandur war immer so nahe hinter ihm, daß es ihm nicht gelang, eine Thür zwischen sich und ihn zu bringen. In dem unheimlichen und gefährlichen Raume war es vollständig finster. Der Fürst hatte, als er mit dem Feldwebel sich die Lagerstelle betrachtet hatte, eine Thür bemerkt, welche von hier aus hinaus nach dem Mühlendamme führte; dieser wandte er sich zu. Leider aber hatte er nicht gemerkt, daß in derselben Richtung ein großer, breiter Kasten stand, welcher beinahe bis oben heran mit Aftermehl angefüllt war. Er rannte mit Macht gegen denselben an und stürzte hinein. Trenck hatte den Fall gehört, griff im Dunkel zu und erkannte durch das Gefühl augenblicklich die Situation. »Jetzt habe ich Dich!« rief er. »Nun magst Du ersticken, Kerl!« Er strengte sich an, den Kopf des Fürsten unter die Oberfläche des Mehles zu bringen. Dieser aber hielt sich mit Händen und Füßen am Rande des Kastens fest. Hätte Trenck die Hände des Gegners
gelöst, so wäre es um diesen geschehen gewesen. Es war ein fürchterlicher Kampf, lautlos, heimtückisch, und sicher wäre Leopold noch unterlegen, als auf einmal draußen lautes Pferdegetrappel erscholl und preußische Commandorufe ertönten. Trenck stieß einen Schrei der Wuth aus und machte eine letzte, aber auch vergebliche Anstrengung. Es gelang Leopold, den Mund vom anklebenden Mehle zu befreien und einen weit hinausschallenden Hilferuf auszustoßen. »Man ruft um Hilfe«, ertönte draußen eine Stimme. »Abgesessen und hinein!« Von den Bewohnern der Mühle war Niemand daheim; sie waren Alle auf den Tanz gegangen, doch fanden sich die wackeren Husaren schnell zurecht. Beim zweiten Schrei Leopold's standen sie bereits an der offenen Thür, und nun erst ließ Trenck von seinem Gegner ab. Auch er mochte die betreffende Thür gesehen haben; er eilte ihr zu, öffnete und sprang hinaus auf den Damm. Leopold merkte es, warf sich aus dem Kasten heraus und folgte ihm. Draußen sah er ihn bereits hinter den Weiden, welche den Teich umsäumten, verschwinden. »Hierher! Mir nach!« rief er, indem er der Richtung folgte, in welcher er Trenck hatte fliehen sehen. Er flog über eine Wiese und dann über frisch besäete Felder. Nun hörte er auch Hufschlag hinter sich, und bald war er von Reitern umgeben. »Da vorn flieht er!« rief er ihnen zu. »Wer?« »Der Trenck!« »Und wer ist denn Er?« »Alle Wetter, Rittmeister, nehme Er mich gefangen, aber lasse Er Seine Schwadron deployiren. Da vorn flieht der Trenck; er darf uns nicht entgehen!« Der Rittmeister hatte diese Stimme erkannt; er gab den Befehl zum Streuen und nahm den Fürsten dann unter seinen Schutz, um ihn möglichst unbemerkt zur Mühle zurück zubringen. Leopold konnte sich vor keinem Menschen sehen lassen. Das Bad im Teiche hatte seine Kleidung vollständig durch weicht, und durch den Kampf im Mehlkasten war ein förmlicher Teig entstanden, in welchem der Fürst stak wie der Kern in der Zuckermandel. Er mußte sich bis auf Weiteres mit dem
Kleidervorrath des Müllers begnügen und, wenn auch mit den Zähnen knirschend, Stubenarrest halten. Trenck war entkommen, aber die Anderen alle hatte man festgehalten; die Husaren ritten mit ihnen ab, während Leopold in gelichenen Kleidern mit dem Feldwebel später folgte. Der alte Korporal Engelmann begleitete sie eine Strecke weit und nahm dann nicht für immer Abschied von ihnen. Auf dem Rückwege traf er den Wächter. »Weißt Du nicht, wer gestern diese preußischen Officiers waren?« frug ihn dieser. »Nein.« »Hm! Auch meine Emilka weiß es nicht, und die bekommt doch sonst Alles heraus. Ich muß weiter fragen!« Sein Fragen hat kein Resultat gehabt. Noch Jahrzehnte später erzählten die Bewohner von Studenetz, daß Trenck bei ihnen von den Preußen überfallen worden sei, aber Niemand wußte zu sagen, wer die beiden Müller gewesen waren. Kurze Zeit nach jenem Ereignisse, am 17. Mai 1742, wurde die Schlacht von Chotusitz geschlagen, welcher der Breslauer Friedensschluß 2 folgte, und wenige Wochen später zog die schöne Agnes mit ihren Eltern nach dem Anhaltischen, wo auch ihr Oheim eine Stelle bekam, welche so besoldet war, daß seine »Alte« nicht mehr mit Butter, Käse und Seife zu handeln brauchte. Slugaksch soll erschossen worden sein, doch ist dies nicht genau zu behaupten. In den Steinbach'schen Familienpapieren existirt noch heute ein in wunderlicher Orthographie geschriebener Brief des alten Wächters Matthias Schulazek, in welchem er sagt, daß seine Emilka noch immer nicht erfahren habe, durch wen damals das ganze Aftermehl aus dem Kasten geworfen worden sei. – – –
[Fußnoten] 1 [Heft Nr. 17 und 18 fehlen, A.d.H.] 2 Am 11. Juni 1742, durch den Schlesien mit Ausnahme von Teschen, Troppau und Jägerndorf an Preußen abgetreten wurde.
Der Amsenhändler Humoristische Episode aus dem Leben des alten Dessauers von Karl May
Es war am Vormittage eines schönen Sommersonntages. In seinem Arbeitszimmer des Dessauer Schlosses saß Fürst Leopold von Anhalt-Dessau, der Feldmarschall Preußens und des deutschen Reiches an seinem Schreibtische und stöberte in allerlei Acten und militärischen Schreibereien herum. Er trug seine einfachen grauleinenen Hosen und einen ebenso einfachen Waffenrock, an welchem kein Abzeichen seines hohen Ranges angebracht war. Seine Stirn lag in Falten; die Spitzen seines schwarzen Zwickelbartes zuckten und seine Füße stampften zuweilen ärgerlich den Boden. Er befand sich augenscheinlich in einer höchst unfreundlichen Stimmung. Er war in der Kirche gewesen und hatte sich über die Predigt geärgert, da der Pfarrer mit der Gemeinde zu glimpflich verfahren war und nicht genug losgedonnert hatte. Nun saß der Fürst da und brummte ärgerlich vor sich hin. Da erschallte unten im Schloßhofe ein lauter, kräftiger Gleichschritt, und gleich darauf trat der Diener ein und meldete, daß die Kapelle von Leopolds Lieblingsregimente soeben eingetroffen und aufmarschirt sei. Der Kapellmeister war nämlich gestorben und sein Nachfolger sollte heute seine Probe ablegen. Das war keine leichte Aufgabe, denn der alte, grimmige Fürst verstand von Musik gar nichts und hatte es in seinem ganzen Leben nur zu der einen Melodie des Dessauer Marsches gebracht: »So leben wir, so leben wir, so leb'n wir alle Tage«. Nach dieser Melodie sang er alle Lieder, auch in der Kirche, mochte die Orgel spielen und die Gemeinde singen, was und wie sie wollte. »Ist der neue Pfeifer draußen?« fragte der Fürst den Diener. »Ja. Er bittet, eintreten zu dürfen,« antwortete der Gefragte. »Er mag kommen!« Der Diener ging und an seiner Stelle trat der Musikus herein, den der Fürst in seiner derben Weise den »Pfeifer« genannt hatte. Er marschirte drei Schritte vor, schlug die Absätze zusammen und blieb dann in der vorgeschriebenen strammen, kerzengeraden Haltung stehen. Der Fürst musterte ihn vom Scheitel bis zur Sohle herab. Er mußte etwas Ordnungswidriges entdeckt haben, denn er erhob sich rasch, trat auf den Mann zu und fragte: »Wie lange dient Er bereits, he?« »Neun Jahre, Excellenz,« lautete die Antwort.
»Neun Jahre,« wiederholte Leopold in tiefem, zornigem Tone. »Und während dieser Zeit hat Er noch nicht gelernt, sich vorschriftsmäßig aufzuwichsen! Sieht Er nicht, Er Himmelhund, daß die rechte Spitze Seines Schnurrbartes um den ganzen zwanzigsten Theil eines Zolles höher steht als die linke? Und mit diesen lüderlichen Katerborsten kommt Er zu mir, Er neunjähriger Schlendrian! Bringe er Seinen infamen Schnurrwichsrich sofort in Ordnung, sonst lasse ich Ihn Spießruthen laufen bis die Schwarte platzt!« Der Mann war schreckensbleich geworden und brachte die unglückselige Bartspitze schleunigst in eine tiefere Lage. »So!« sagte der Fürst. »Er scheint mir von Munk so viel zu verstehen, wie der Staar vom Porträtmalen, sonst müßte Er doch wissen, daß man zu hoch bläst, wenn der Schnurrbart zu hoch steht. Ich bin neugierig, wie Er Seine Probe bestehen wird. Was will Er denn blasen lassen, he?« »Ein Nocturne, ein Lied ohne Worte und ein Andantino.« Der Fürst, welcher durchaus kein Freund von Fremdwörtern war, zog die Brauen finster zusammen und sagte: »Nocturne? Andantino? Dummes Zeug! Das ist fremder Papperlapapp! Blase Er deutsch, wie Ihm der Schnabel gewachsen ist! Und ein Lied ohne Worte? Ist Er verrückt? Ein Lied ohne Worte giebt es gar nicht!« »Excellenz verzeihen gnädigst,« wagte der Musikus zu sagen. »Es giebt allerdings Lieder ohne –« »Maul halten! Nicht mucksen!« donnerte ihm Leopold entgegen. »Das muß ich verstehen! Nur ein Verrückter kann behaupten, daß es Ochsen ohne Beine giebt, und so ist es auch mit den Liedern ohne Worte. Packe Er sich hinunter in den Hof und blase Er ein paar lustige Märsche! Ich werde gleich nachkommen, und der Teufel soll Ihn retten, wenn ich einen Fehler höre!« Der Mann machte Kehrt und marschirte zur Thüre hinaus. Es war ihm angst und bange; der Fürst verstand nichts von Musik und hielt sich doch für einen gewaltigen Kenner; da war es nichts Leichtes, die Probe zu bestehen. Nach kurzer Zeit stand der Fürst im Hofe und musterte die Musikanten. Sie kannten den alten Knasterbart zur Genüge und hatten sich die größte Mühe gegeben, fehlerfrei zu erscheinen. Das bemerkte er und darum ließ er ein tiefes, zufriedenes Knurren hören.
»Alles sauber und adrett!« sagte er. »Ich will es Euch auch gerathen haben, Ihr Schwerenöther! Na, so dudelt einmal los, aber einen Marsch! Verstanden?« Der Dirigent gab das Zeichen, und der Marsch begann. Aber der Director hatte unglücklicher Weise nicht daran gedacht, daß der Dessauer Marsch das Lieblingsstück des Fürsten war; er ließ einen andern blasen. Da verfinsterten sich die sonnverbrannten Züge Leopolds; er sprang mitten unter die Musikanten hinein und trieb sie mit dem spanischen Rohre, welches alle seine Untergebenen kannten und fürchteten, auseinander. »Halt!« brüllte er mit einer wahren Donnerstimme. »Still! Augenblicklich fort mit dieser Wimmerei! Was fällt Euch ein, Ihr Baßgeigenbande, mir solchen dummen Schnickschnack vorzuliedeln! Unsers Herrgotts Dragonermarsch will ich hören, und wenn Ihr den nicht blasen könnt, so scheert Euch zum Teufel! So leben wir, so leben wir, so leb'n wir alle Tage! Vorwärts! Weiter! Wirds bald, ober nicht?« Die Worte »So leben wir«, sang er mit seinem dröhnenden Basse und schlug mit dem Rohrstocke den Tact dazu auf dem breiten Rücken des Posaunisten. Das zog. Sie konnten den Marsch Alle auswendig blasen und fielen sofort ein. Es war ein eigenthumlicher Anblick, zu sehen, wie des Posaunist in kerzengerader Haltung sein Instrument ausschob und einzog nach dem Tacte, welcher auf seinem Rücken geschlagen wurde. Als die erste Klause des Marsches erklungen war, erheiterten sich die Züge des Fürsten. Er konnte noch so grimmig sein, bei den Klängen dieses Stückes vergaß er allen Aerger. Er hielt an, den Rücken des Posaunisten zu maltraitiren, stampfte aber desto kräftiger den Tact mit den Füßen. Beim Schlusse der zweiten Klause zeigte sein Gesicht bereits einen ganz verklärten Ausdruck. Aber plötzlich verschwand dieser wieder; Leopold stand ganz erstaunt da und heftete seine dunklen Augen mit einem Blicke auf die beiden Waldhornisten, als ob er etwas ganz Ungeheuerliches sähe. Dann aber brach er los. Mit einem raschen Sprunge stand er vor den beiden Männern, faßte sie hüben und drüben bei der Brust, schüttelte sie aus Leibeskräften und schrie: »Halt, aufgehört, aufgehört! Warum blast Ihr nicht mit, Ihr beiden Himmelhunde?« Die Musik schwieg sofort, und so konnte man die Antwort des
einen Hornisten hören: »Excellenz verzeihen! Wir haben hier sechs Tacte Pause.« Bei diesen Worten trat der Fürst ganz erstaunt einen Schritt zurück; dann fragte er in jenem leisen Tone, der bei ihm noch gefährlicher war als das lauteste Zürnen: »Pause? Ach, Ihr habt zu pausiren, he?« »Zu Befehl, Excellenz!« »Sechs Tacte, volle sechs Tacte lang?« »Zu Befehl!« Da sah er sich die beiden Männer mit wetterleuchtenden Blicken von den Köpfen bis zu den Füßen an, und dann donnerte er los: »Also pausiren wollt Ihr? Da schlage doch gleich auf der Stelle ein kohlpechrabenschwarzes Wetter drein! Diese Hundekerls erhalten ihre Löhnung pünktlich und vollständig ausgezahlt, und wenn es ans Blasen geht, da wollen sie pausiren! Ich werde Euch hier mit dem Stocke bepausiren, daß Euch die Seele wackelt, Ihr ewigen Faullenzer! Gleich tretet Ihr vor und blast diese sechs Tacte Pause nach, und zwar dreimal hinter einander!« Die zwei armen Teufel gehorchten und traten vor, aber sie blickten verlegen zu Boden, denn es war ja unmöglich, die Pause zu blasen. »Nun, wirds, oder wirds nicht?« rief Leopold. Da nahm der Dirigent sich seiner Leute an. Er legte die Hand salutirend an den Hut und sagte: »Excellenz verzeihen! Pausen kann kein Mensch blasen.« Leopold fuhr auf ihn zu und schrie im höchsten Zorne: »Ach, nicht blasen? Keine Pause? Weshalb stehen sie denn da, als um geblasen zu werden! Er Himmelelementer versteht also von den Pausen nichts und von der Musik noch viel weniger! Und er will Kapellmeister werden? Ich werde Ihn bekapellen und bemeistern, daß Ihm drei Millionen Pausen um die Ohren fliegen. Er erhielt mit diesen Leuten Seine Löhnung, Sein Essen und Trinken, Seine Kleider und Gamaschen, und wenn ich unsers Herrgotts Dragonermarsch hören will, so stehen diese Tausendschwerenöther da, halten Maulaffen feil und pausiren! das ist stark, nein, das ist noch stärker als stark; das ist gegen alle Subordnung! Und wenn dann ich, der Kaiserliche und Königliche Feldmarschall, befehle, daß die Pausen geblasen werden sollen, so heißt es: ›Das können wir nicht!‹ Warum seid Ihr denn Musikanten geworden, wenn Ihr nicht
einmal eine lumpige Pause blasen könnt, Ihr Hallunken! Aber Ihr sollt das noch lernen; Ihr sollt mir schon noch musikalisch werden! Wenn Ihr in der Arbeit pausirt, so sollt Ihr auch im Essen pausiren. Packt Euch auf der Stelle fort, und meldet Euch zum strengen Arrest! Jeder erhält fünf Tage und der gescheidte Herr Musikdirector zehn Tage, aber blos bei Wasser und täglich ein Viertelpfund Brod. Dann kommt Ihr wieder, und wenn ich noch eine einzige Pause höre, die nicht geblasen wird, so lasse ich Euch aufhängen, Einen immer an den Andern. Merkts Euch, Ihr Faulthiere, Ihr! Achtung! Rechts um! Vorwärts marsch! Scheert Euch zum Kukuk!« Sie waren ganz unschuldig, aber sie konnten nicht anders, sie mußten diesem Commando augenblicklich Folge leisten und marschirten mit niedergeschlagenen Mienen zum Thore hinaus, verfolgt von den grimmigen Blicken des Fürsten. Diesem sah man es an, daß es jetzt nicht gerathen war, ihm nahe zu kommen. Er blickte suchend im Hofe sich um, als wolle er Jemand finden, der als Ableiter seines Zornes dienen könne, und wirklich – da kam Einer zum Thore herein geschritten, der beim Anblicke des Fürsten sofort stehen blieb; als ob er in parademäßiger Haltung angenagelt sei. Es war eine hohe, breitschulterige Gestalt, mochte vielleicht achtundzwanzig Jahre zählen und trug die Abzeichen eines Feldwebels. Er hatte mit dem ersten Blicke erkannt, daß Leopold sich in keiner rosigen Laune befinde, aber auf seinem offenen, ehrlichen Angesicht war nicht die mindeste Spur von Furcht zu erkennen, und seine hellen Augen blickten sogar mit einer Art vertrauensvoller Liebe auf den Fürsten. Und wunderbar, sobald dieser Letztere den Ankömmling bemerkte, erheiterten sich seine Züge, und er sagte in einem milden Tone: »Ah, Feldwebel Schubert! Er ist wieder zurück?« »Zu Befehl, Excellenz!« antwortete der Gefragte. »Soeben bin ich angekommen.« »Er war noch gar nicht in Seinem Quartier?« »Nein.« »Und dennoch steht er so propre und sauber vor mir, wie von einer Katze abgeleckt,« meinte Leopold, indem er den Feldwebel mit freundlichem Nicken betrachtete. »Ja, Er ist kein solcher Himmelhund, dem der Schnurrbart aus der Contenance gerathen
kann! Aber wenn er sofort nach seiner Ankunft zu mir kommt, so hat er mir jedenfalls etwas Wichtiges zu melden?« »Zu Befehl, Excellenz!« »Gut, so komm er mit herauf in meine Bude! Erst hat mich der Pastor geärgert mit seiner Honigleckerei, dann geriethen mir die Trompeter und Pfeifer ganz aus Rand und Band. Die wollten sechs Tacte Pause machen, gerad lang genug, um während der Zeit von hier nach Magdeburg zu laufen. Aber ich habe ihnen eine Medizin eingestrichen, welche sie kuriren wird. Jetzt soll er mich aufheitern, denn Er ist der Kerl, über den ich mich niemals zu argern brauche. Komme Er!« Leopold schritt voran, und der junge Mann folgte ihm. Alle Welt wußte, daß Feldwebel Schubert der Liebling des Fürsten war. Er war treu, klug und anstellig und hatte im Auftrage Leopolds gar Manches ausgeführt, was dieser selbst einem seiner Offiziere nicht gern anvertraut hätte. Er wußte den Fürsten zu behandeln, beging nie den geringsten Fehler und hätte sich lieber in Kochstücke hacken lassen, als daß er mit einem unerfüllten Auftrage, oder einer ungelösten Aufgabe zurückgekommen wäre. Vor einiger Zeit war er von Leopold heimlich hinüber in das Hannöversche geschickt worden, um Verschiedenes auszukundschaften. Der Fürst konnte nämlich den Kurfürsten von Hannover, der zugleich König von England war, nicht leiden, und diese Abneigung war eine gegenseitige. Die meiste Gelegenheit zum Streite gaben die damaligen Werbeverhältnisse. Die Werber überschritten von beiden Seiten heimlich die Grenzen, um Rekruten anzuwerben, oder gar zu pressen. Dabei wurde sehr oft Gewalt angewendet, und darum nannte man diese Leute Seelenverkäufer. Es kam vor, daß die jungen, kräftigen Burschen vom Tanzboden weg, oder gar aus dem Bette geholt wurden, und bei der dadurch erregten gegenseitigen Erbitterung war es nichts Seltenes, daß es zuweilen gar zu Mord und Todschlag kam. Darum war die Aufgabe, welche Feldwebel Schubert erhalten hatte, eine sehr gefährliche. Wurde er ergriffen, so steckte man ihn entweder unter das hannöversche, oder englische Militär, oder man verbannte ihn als Matrose auf ein englisches Schiff, oder man griff ihn gar mit den Waffen an, um ihn einfach abzuthun. Allein, er war glücklich zurückgekehrt, wie immer von so gefährlichen Gängen, und stand nun droben vor dem Fürsten, um demselben Rechenschaft
abzulegen. Leopold hatte sich breitspurig auf einen alten Ledersessel niedergelassen und fragte: »Da er gar nichts von sich hören ließ, so hatte ich schon Sorge, daß man ihn erwischt und aufgehängt hätte. Nun Er aber da ist, ist Alles gut. Wie steht es drüben bei unserm Nachbar von England und Hannover?« »Schlechter als bei uns, wie immer, Durchlaucht. Kein Gehorsam, keine Ordnung, kein Verlaß,« lautete die Antwort. »Der Teufel hole das Sauleben, wie es da drüben ist!« Der Alte schmunzelte behaglich, denn die Worte des Feldwebels enthielten ein indirectes Lob und Compliment für ihn. »Ja,« sagte er. »Ich möchte lieber Korporal in meinem Regimente sein, als General Seiner königlichen Hoheit, des Kurfürsten von Hannover. Da ist zum Beispiel unser Erzfeind, der General von Valmy. Er trat als Oberst bei uns aus, weil ihm drüben der Generalsrang angeboten wurde. Nun ist er General, aber was hat er davon? Inspecteur der Werbestationen ist er geworden. Nun rennt er die Grenze auf und ab, reckt seine Nase in jede Grenzkneipe und schnüffelt nach, ob seine Seelenverkäufer auch Geschäfte machen. Das ist keine Generals- sondern eine Dachsbundarbeit. Er hat mir schon viel Schaden gemacht, denn er versteht das Fach. Ich gäbe gleich tausend Gulden darum, wenn ich ihn einmal diesseits der Grenze abfassen könnte. Ich würde ihn bei der Parabel nehmen, daß er die lieben Engel im Himmel geigen hören sollte!« Ueber das hübsche, männlich ernste Gesicht des Feldwebels glitt ein schnelles, unternehmendes Leuchten, aber er sagte noch nichts. Der Fürst fuhr fort: »Das wäre so Etwas führ Ihn, Schubert. Er ist ein unternehmender Kerl, kühn und besonnen zugleich. Könnte Er mir den General nicht einmal herüber locken, he?« »Hm!« antwortete der Gefragte. »Die tausend Gulden stechen mir gewaltig in die Augen; ich könnte sie sehr gut gebrauchen, aber es ist mir unmöglich, sie zu verdienen.« »Warum? Ich hoffe doch nicht, daß er Angst vor den Hannoveranern hat!« »Fällt mir gar nicht ein! Da kennen mich Ew. fürstliche Durchlaucht zu gut. Ich wollte nur sagen, daß ich das Geld nicht verdienen kann, weil es gar nicht nöthig ist, den General herüber zu
locken.« »Nicht nöthig? Warum?« fragte Leopold gespannt. »Weil er von selbst kommt.« »Donnerwetter!« rief der Fürst, indem er aufsprang. »Er kommt von selber?« »Ja.« »Aber als was und warum? Wenn er in friedlicher Absicht kommt, so können wir ihm nichts anhaben.« »Excellenz können ruhig sein; er kommt in einer sehr unfriedlichen Absicht. Ich habe nämlich erfahren, daß er einen ganz bedeutenden Coup beabsichtigt Unsere Werber sind glücklich gewesen; sie haben in letzterer Zeit sehr gute Geschäfte gemacht. Erst vorgestern hat Lieutenant Schadowitz in Stolberg elf Ilfelder Burschen festgenommen und unter die Rekruten gesteckt. Da haben sich die Hannoveraner vorgenommen, einen tüchtigen Schlag auszuführen. Ihre Werber haben vom Generale eine tüchtige Nase erhalten, und nun setzen sie Alles daran, unter seinen Augen die Schlappe wieder quitt zu machen.« »Das sollen sich diese Himmelsakkermenter vergehen lassen! Um was handelt es sich?« »Morgen geht da unten in Lenzen an der Elbe das große Vogelschießen los, welches eine volle Woche dauert. Donnerstag ist der Haupttag, an welchem auf allen Sälen getanzt wird. Da giebt es Jungburschen die schwere Menge, und dann wollen die Hannöverschen in Verkleidung auf dem Saal des Schützenhauses erscheinen und Alles gefangen nehmen, was zum Soldaten taugt.« »Himmelelemet, das ist ja der reine Landfriedensbruch!« »Allerdings; aber sie sagen, wir hätten ihren Landfrieden auch gebrochen; sie wollen nur Revanche nehmen. Das Beste aber dabei ist, daß der General mitkommt. Er will verkleidet zusehen, wie unsere Burschen ergriffen werden.« »Hallo, hurrah, hosiannah, victoria, passa!« rief der Fürst, indem er vor Freude einen Sprung that. »Ich fange ihn, ich fange sie alle. Sie brocken sich da eine gute Suppe ein, und ich werde für die Pfefferkörner und den Knoblauch sorgen. Ich will gebimmelt und gebammelt werden, wenn ich auch nicht verkleidet erscheine und ein Lustspiel aufführe, daß sie vor Lachen die Maulsperre kriegen! Aber kommt der General auch wirklich?« »Ganz sicher, Excellenz. Ich habe es aus einem ganz gewissen
Munde. Ich traf nämlich da im Nienburger Gasthofe einen Kerl, der mir verdächtig vorkam. Er hatte so einen hannöverschen Dialect. Ich gab mich also für einen hannöverschen Werber aus und zeigte ihm die Legitimation, welche wir kürzlich einem der ihrigen abgenommen hatten. Er ging auf den Leim und glaubte mir Alles. Er bat mich, ihm zu helfen, und ich versprach es ihm natürlich. Er hat nämlich von dem Kommandanten der Werbestation Danenbüttel den Auftrag erhalten, alle unsere Stationen zu bereisen, auch sich zu überzeugen, ob Ew. Excellenz wirklich hier in Dessau sind – – –« »Glaube es!« fiel der Fürst grimmig ein. »Vor mir hat diese Rotte Korah, Jonathan und Habakuck eine fürchterliche Angst. Sie denken, ich könnte ihnen über den Hals kommen, und das wird auch geschehen, sowahr sie mich den alten Dessauer nennen. Ich bin ein guter Kerl, ein seelensguter Hallunke, aber wenn ich einmal den Rappel kriege, so hält es kein Mensch mit mir aus, nicht einmal ich selber! Rede er weiter, Schubert!« »Der Kerl,« fuhr der Feldwebel fort, »soll dann dem General in Lenzen melden, ob Alles in Ordnung ist, und dann geht der Teufel los.« »Als was reist der Mensch?« »Als Amsenhändler.« »Amsenhändler? Was ist das für eine Thiergattung, he?« »Amse heißt Ameise. Man kürzt in dieser Gegend das Wort Ameise auf Amse ab. Er thut nämlich, als ob er mit Ameiseneier für die Freunde von Stubenvögeln hausirt, und hat eine ganz gute Legitimation bei sich.« »Wo ist er?« »Er sitzt hier in der Flöder'schen Schänkwirthschaft.« »Heiliges Granpelwetter! Er wagt sich nach Dessau? Na, dem will ich auf das Dach reiten, daß ihm das Herz drei Centner schwer vor die Füße fallen soll!« »Hm! Der Mensch ist beherzt. Er hat Ew. Durchlaucht noch gar nicht gesehen und ist doch neugierig, wie Ew. Durchlaucht aussehen mögen. Er wäre am Ende gar so verwegen, nach dem Schlosse zu kommen; wenigstens hat er mich gefragt, ob Fürstliche Hoheit nicht auch Stubenvögel halten.« Da schnippste der Fürst mit dem Finger und rief erfreut: »Donner und Doria, das trifft sich gut! Gehe er sogleich nach der Schänkwirthschaft und sage er diesem Menschen, daß ich viele
Vögel habe, zwanzig Amseln, dreißig Finken, vierzig Zippen und fünfzig Kukuks, meinetwegen auch noch eine ganze Heerde von Lerchen, Ammern, Wachteln und Krähen dazu. Bringe Er ihn so weit, daß er zu mir kommt; dann nehme ich ihn fest mit seinen Amseneiern und gehe als Amsenhändler nach Lenzen, um diese hannöverschen Spitzbuben zu fangen!« »Das ist gefährlich, Ew. Durchlaucht!« »Papperlapapp! Ich habe noch ganz andere Dinge gemacht. Ich bin als Scheerenschleifer, als Leierkastenmann, als Bäckergeselle, als Pflasterhändler und als Windmüller gegangen, und grad in Lenzen habe ich vor zwei Jahren bereits einen ganz ähnlichen Streich ausgeführt. Uebrigens wird Er mit einer tüchtigen Schaar Grenadiere heimlich zugegen sein. Ich kenne den Wirth des Schützenhauses; er ist eine treue Seele und wird uns allen Vorschub leisten. Aber wo befindet sich denn jetzt General Valmy?« »Auf Schloß Gartow, welches der Bernstorffischen Familie gehört.« »Ja; es gehört jetzt dem Andreas Gottlieb von Bernstorff, der hannöverscher Land- und Kriegsrath ist; er befindet sich jetzt in London, und so wird der General einsam und unerkannt auf Gartow hocken, bis er mit seinen Spinnenbeinen nach Lenzen hinüberkrabbelt. Besser konnte er es nicht aussuchen. Lenzen liegt am preußischen und Gartow nicht weit vom hannöverschen Ufer der Elbe; so braucht man nur herüber und hinüber zu buddeln, um eine Gaunerei fertig zu bringen. Aber ich werde bei dieser Buddelei zugegen sein und den Kerlen eine Patsche bereiten, an welche sie bis an ihr sanft seeliges Ende denken sollen und noch einige Jahre darüber hinaus. Von wem hat Er denn erfahren, daß der General auf Gartow ist? Wohl auch von dem Amsenmeier?« »Nein,« antwortete der Feldwebel einigermaßen verlegen. »Von wem denn?« »Von – – hm! – – von – – – hm!« »Na, was hmt er denn da herum? Heraus damit!« »Von meiner – – von meiner Liebsten habe ich es erfahren, mit Respect zu vermelden, Ew. Durchlaucht.« Der Fürst fuhr erschrocken zurück und sperrte erstaunt den Mund auf. »Von Seiner Liebsten?« fragte er, während sich eine Falte des Zornes quer über seine Stirn legte. »Ist er vernagelt, oder
übergeschnappt? Er hat eine Liebste, he?« »Zu Befehl, Ew. Durchlaucht!« »Halte er den Schnabel mit Seinem Befehl!« donnerte da Leopold. »Ich habe Ihm nicht befohlen, sich zu verschameriren, Er Grünschnabel! Er ist ja kaum aus den Federn heraus und sieht sich bereits nach einem Hauskreuze um! Da schlage doch das Wetter drein! Kaum hat man einmal zu einem Menschen Vertrauen gefaßt, so läuft er auch schon einer bunten Schürze nach! Ist das Dankbarkeit, he? Ist das in der Ordnung, he? Stecke er seine Nase in das A-b-c-Buch, aber lasse Er es sich nicht einfallen, sich eine Frau zu nehmen; Er dummer Junge, Er!« Er sah bei seinen Leuten nicht gern eine Liebelei, und daß grad Feldwebel Schubert eine Geliebte hatte, das ärgerte ihn doppelt. Er redete sich selbst in seinen Grimm hinein, und so kam es, daß ihm das letzte, schlimme Schimpfwort entfuhr. Schuberts Auge blitzte auf; er sagte nichts, aber er machte Rechtsumkehrt, so accurat wie auf dem Exercierplatze, und schritt nach der Thür. »Halt! Bataillon rechtsumkehrt! Augen rechts; richtet Euch!« brüllte da der Fürst, als ob er wirklich ein ganzes Bataillon vor sich habe. »Wo will er denn hin, he?« Der Feldwebel hatte dem Kommando augenblicklich Folge geleistet. »Mich zum Arrest melden, Ew. Durchlaucht,« sagte er mit fester Stimme. »Zum Arrest? Er ist ja ganz und gar perplex! Warum denn zum Arrest?« »Excellenz haben mich, einen altgedienten Feldwebel des glorreichen Regimentes ›Fürst Leopold‹, einen dummen Jungen genannt. Fordern kann ich meinen Feldherrn nicht, folglich bleibt mir nur übrig, anzunehmen, daß ich wirklich als dummer Junge gehandelt habe, und darum melde ich mich zunächst zur Strafe in Arrest und komme dann um meinen Abschied ein. Ein braver Soldat läßt keinen dummen Jungen auf sich sitzen, mag die Beleidigung kommen, von wem sie will!« Da trat der Fürst mit geballten Fäusten auf ihn zu und rief: »Hund! Kanaille! Ich werde – – –« »Halt!« donnerte ihm da der Feldwebel entgegen. »Kein Wort weiter! Ich bin weder ein dummer Junge, noch ein Hund, oder eine Kanaille! Privatim können Ew. Durchlaucht mich so nennen, denn
ich habe Sie lieb und könnte für Sie tausendmal durchs Feuer gehen; aber in diesem Augenblicke habe ich die Uniform meines Regimentes an, und diese lasse ich nicht beschimpfen!« Da trat der Fürst zurück. In seinen erregten Zügen kämpften die widerstreitigsten Gefühle. Er schritt an das Fenster und blickte lange stumm hinaus. Schubert kannte den Alten; er wußte, was kommen werde und blieb ruhig stehen. Endlich drehte sich Leopold wieder um; sein Gesicht hatte sich geglättet, als er sagte: »Aber, Feldwebel, Er ist Gottstrambach ein halsverwegener Kerl! Mir in dieser Weise die Moral zu geigen! Da hört denn doch die Welt auf, Zwiebacke zu kauen! Aber Recht hat Er, obgleich mir ein Anderer nicht so kommen dürfte. Alle Teufel, wollte ich den Schlingel kuranzen! Von Ihm aber will ich es ausnahmsweise einmal hinnehmen und Ihn sogar wegen der Worte um Pardon bitten! Ist Er zufrieden?« Da trat der Feldwebel rasch auf ihn zu und faßte seine Hand, die er an das Herz drückte. Die Thränen standen ihm in den Augen, als er sagte: »Dank, tausend Dank, Excellenz! Aber ich konnte nicht anders. Hätte ich es sitzen gelassen, so wäre ich ein ehrloser Schuft gewesen.« Auch Leopold war gerührt. Er antwortete: »Schon gut, Schubert! Er sieht nun, was ich auf Ihn halte! Aber Seine Liebste muß ein ganz und gar verteufeltes Mädchen sein, da Er es wagt, wegen ihr es mit mir aufzunehmen. Ich hoffe, daß Er sich nicht weggeworfen hat. Wer ist denn die Hexe?« »Sie wohnt in Gartow und ist die einzige Tochter des reichen Uhlmann. Er hat einen Laden und auch einen Bierschank, und will mir das Mädel nicht geben, weil ich in Ew. Durchlaucht Regimente diene. Das Mädel ist ein Prachtding, hoch und grad gewachsen wie ein Grenadir. Denken Ew. Durchlaucht einmal, was es da für Rekruten gäbe!« Da erheiterte sich Leopolds Gesicht vollends. Er verheirathete gern große Personen mit einander, um aus einer solchen Ehe große Rekruten zu bekommen; an diese schwache Seite hatte Schubert jetzt appellirt, und zwar mit Erfolg, denn Leopold antwortete: »So groß und stark ist sie? Hm, da könnte es sich vielleicht machen! Und ihr Vater will nicht? Ist er etwa ein eingefleischter Hannoveraner?«
»Ganz und gar. Ich bin sogar überzeugt, daß er die hannöverschen Werber beherbergt.« Dann werde ich ihn bei den Ohren nehmen, daß ihm die Augen übergehen sollen wie Hochwasser! Hm! Na! Wenn ich das Mädel gesehen habe, so werde ich Ihm sagen, was ich von der Sache denke. Jetzt aber laufe Er und hole Er mir den Ameiserich herbei! Der Feldwebel ging, und nach ungefähr zehn Minuten kam ein Mensch in den Schloßhof, der einen Sack über die Achsel und einen hölzernen Kasten auf dem Rücken hängen hatte. Er war bereits hoch bei Jahren, ging aber grad und aufrecht, so daß man ihn leicht für einen alten, verkleideten Wachtmeister halten konnte. »Werden hier Ameiseneier gebraucht?« fragte er einen dastehenden Reitknecht. Dieser hatte bereits Instruction erhalten und antwortete daher: »Ja; aber da muß Er zum Fürsten selbst gehen; der hält so viel auf seine Amseln und Zippen, daß er die Ameiseneier alle selber kauft. Komme Er; ich führe Ihn!« Sie schritten mit einander die Treppe empor, und der Händler durfte eintreten, ohne vorher angemeldet zu werden. Der Fürst saß wieder an seinem Schreibtische und blickte dem Manne finster entgegen. »Was will Er?« fragte er. »Kaufen Ew. Durchlaucht vielleicht Ameiseneier?« fragte der Fremde. »Ja. Zeige Er sie einmal!« Der Fürst erhob sich, und der Händler legte Kasten und Sack zur Erde. Er öffnete den Letzteren und nahm eine Hand voll Eier heraus, die er Leopold hinzeigte. »Hier, Durchlaucht,« sagte Er; »lauter rein gelesene, vorzügliche Waare.« »Ja, oben drauf,« meinte der Fürst; »aber ich werde die untersten einmal untersuchen, ob sie auch so sind. Vielleicht hat er gar außer den Ameiseneiern noch Anderes bei sich. Er kommt mir verdächtig vor.« Er faßte ohne Umstände den Sack und fuhr mit dem Arme hinein. Er wühlte in dem Inhalte herum, fand aber kein Papier, noch sonst etwas Verdächtiges. »So werde ich weiter suchen!« Mit diesen Worten bückte er sich zu dem ziemlich
umfangreichen Kasten nieder, der mit zwei Krummhaken verschlossen war. »Halt!« rief da der Handelsmann. »Lassen Ew. Durchlaucht den Kasten in Ruhe; er darf auf diese Weise nicht geöffnet werden, denn – – –« »Still! Nicht gemuckst!« unterbrach ihn Leopold mit Donnerstimme. »Ich thue, was mir beliebt, und Er Schwerenöther hat zu schweigen!« »Um Gotteswillen, Durchlaucht, es sind ja – – – O, da hat man es!« Er schlug bei den letzten Worten die Hände über dem Kopfe zusammen, denn der Fürst hatte den Kasten geöffnet, welcher – – lebendige Ameisen enthielt. Ein starker Duft verbreitete sich augenblicklich im Zimmer, und zu gleicher Zeit flutheten die eingesperrten Thiere aus dem offenen Kasten heraus und nach allen Seiten über die Diele hin. Der Fürst prallte erschrocken zurück. »Heiliger Ladestock, was ist denn das?« rief er. »Das sind doch Ameisen! Kerl, wie kann Er mir das Viehzeug in die Stube bringen! Gleich schaffe Er es wieder hinaus, Er Schwenzelens, Er!« »Ich habe Ew. Durchlaucht ja gewarnt!« entschuldigte sich der Mann. Aber mittlerweile hatte sich der Kasten bereits halb entleert. Leopold retirirte rückwärts und rief: »Ich frag Ihn blos, ob Er Seinen vermaledeiten Kasten zumachen will! Sieht Er denn nicht, daß die ganze Stube wimmelt! Sie laufen ja bereits an den Wänden empor. Himmelelement, hier habe ich sie bereits zu Hunderten an den Hosen hängen! Kerl, ich lasse Ihm Hundert aufzählen, wenn Er mich nicht sofort von dieser egyptischen Landplage befreit!« Er sprang auf einen Stuhl und strich sich die Thiere von den weißen Hosen herab; dabei mußte er so schnell sein, daß er die Balance verlor; er wollte sich an der Lehne festhalten, war aber zu schwer und fiel mit sammt dem Stuhl zu Boden, wo sofort eine ganze Legion der Thiere Besitz von ihm nahm. Er raffte sich zwar rasch wieder auf und wollte sich auf den Handelsmann stürzen, dieser aber hatte sich voller Angst aus dem Staube gemacht, ohne seinen Sack und den Kasten mitzunehmen. »Hundsfott, Dich kriege ich schon noch!« rief der Fürst. Aber zu gleicher Zeit fühlte er die Stiche der erregten Insecten.
Er sprang auf den Schreibtisch, quetschte, kratzte, schlug und drückte seinen Körper an allen Stellen, wohin er mit den Händen gelangen konnte und schrie dabei nach seinem Diener. Dieser aber war nicht im Vorzimmer. Zufälliger Weise kam die Fürstin den Corridor entlang; sie hörte das Rufen und Schreien und öffnete die Thür. »Na, Er Himmelhund, warum hört Er denn nicht!« brüllte der Alte. »Hat Er denn keine Ohren, oder – – – ah, Du bist es, Anneliese! Rasch, rasch, reiße aus, sonst laufen sie auch Dir zu den Beinen hinan. Das sind ganz infame Kreaturen!« Dabei stand er noch immer auf dem Schreibtische und wischte bald vorn und bald hinten an sich herum. Dielen und Wände, sowie sämmtliche Möbels waren von den kleinen Thieren bedeckt. »Um Gotteswillen, was ist denn los?« frug die Fürstin, ganz außer sich. »Der Teufel ist los,« antwortete er, »der Ameisenteufel!« »Aber, was stehst Du denn da oben, Leopold! So reiße doch aus!« Er sah sie ganz verblüfft an, dann rief er unter dröhnendem Lachen: »Ach, richtig; daran habe ich gar nicht gedacht! Der Dessauer ist eben noch niemals ausgerissen, jetzt aber muß er es doch!« Er sprang vom Schreibtische herab und verließ das Zimmer. Seine Stimme rief bald die ganze Dienerschaft zusammen, welche den Befehl erhielt, die Fenster zu öffnen und die Thiere zu tödten, oder zu verjagen. Einstweilen war das Zimmer unbewohnbar geworden; Leopold mußte sich in ein anderes zurückziehen, wo ihm bald Feldwebel Schubert wieder gemeldet wurde. »Weiß Er, wo dieser verteufelte Amsenhändler ist?« rief ihm der Fürst entgegen. »Zu Befehl!« antwortete Schubert. »Laß Er ihn sofort gefangen nehmen!« »Ist bereits geschehen. Er kam in die Schänke und erzählte mir, daß er Ew. Durchlaucht entflohen sei. Er wollte sofort die Stadt verlassen; da aber ließ ich ihn festnehmen und nach Nummer Sicher bringen. Hier sind seine Papiere, Excellenz!« Er legte dem Fürsten einige Legitimationsscheine auf den Tisch. »Schön,« sagte dieser; »Er ist doch stets ein umsichtiger und rascher Kerl! Aber wie kommt es, daß dieser Mensch lebendige
Amsen bei sich hatte?« »Er verkauft sie an Leute, welche Ameisenspiritus aufsetzen wollen, und zwar flaschenweise. Aber der Kasten ist nicht zum Oeffnen; er hat ein Loch, in welches der Flaschenhals gesteckt wird, dann laufen die Ameisen selbst hinein; dieses Loch wird sonst mit einem Stöpsel verschlossen.« »Ah, schön, hm, gut!« brummte der Fürst. »Könnte Er mir den Kasten wieder voll Amsen verschaffen?« »Sehr leicht!« »So thue Er es! Diese Hannöverschen sollen auch einmal sehen, wie es ist, wenn es einem hinten zwickt und vorne zwackt. Ich mache den Amsenhändler; dabei bleibt es. Pasta!« – – Es war am Donnerstage morgens in der Frühe, als auf der Straße, welche von Wittenberg nach Lenzen führte, ein zweispänniger Wagen fuhr, welcher von einem jungen, kräftigen Mann geleitet wurde, der kein Anderer als der Feldwebel Schubert war. Er trug die Kleider der dortigen besseren Landleute. Der Wagen war mit einer Plahne verdeckt, wer aber unter dieselbe hätte hineinblicken können, der hätte eine große Anzahl Gewehre, Säbel, Patronentaschen und Uniformstücke sehen können. Das sonderbarste aber war, daß diesem Wagen ein Trupp von ungefähr fünfzig Menschen folgte, diese eine sehr militairische Haltung hatten, obgleich sie alle eine ganz gewöhnliche, oft sehr bunt zusammengewürfelte Civilkleidung trugen. Da, wo das kleine Flüßchen neben dem Wege den dichten Kiefernwald theilte, hielt der Wagen an, und der Feldwebel ließ die Männer herankommen. »Halt,« sagte er. »Hier ist der Ort, wo wir uns theilen, denn wir haben nur noch eine halbe Stunde bis nach Lenzen und dürfen nicht beisammen gesehen werden. Ihr habt Jeder drei Gulden erhalten, braucht also keine Noth zu leiden und könnt Euch nach Belieben bis zur Dunkelheit in der Umgegend, oder in der Stadt auf dem Vogelschießen erlustiren. Aber kennen dürft Ihr Euch nicht. Sobald es dunkel ist, kommt Korporal Weidauer mit seinen zwanzig Mann, um die Uniformen anzulegen und die Waffen zu nehmen. Er besetzt die Elbe, läßt aus dem Hannöverschen Alles herüber, aber Niemand hinüber, bis er Gegenbefehl erhält. Korporal Emmer mit seinen dreißig Mann hat sich erst eine Stunde vor Mitternacht eingefunden. Ich bin im Schützenhause zu treffen, wo ich den Wagen
beaufsichtige, daß kein Mensch merkt, was wir geladen haben. Jetzt nun macht, daß Ihr fortkommt, und seid pünktlich!« Die Männer verschwanden im Walde, und Schubert fuhr nach der Stadt. Das damalige Schützenhaus lag vor derselben. Er bog in den Hof ein und ließ den Wirth herbei rufen. Als dieser den Fuhrmann sah, jagte er erstaunt: »Herr Feldwebel! Was Teufel treibt – – –« »Pst!« warnte Schubert. »Es darf kein Mensch wissen, daß ich hier bin. Habt Ihr einen gut verschlossenen Platz für diesen Wagen?« »Ja, einen Schuppen, in den kein Mensch kommt. Um was handelt es sich denn?« »Das werde ich Euch nachher erklären. Der Fürst kommt selbst.« »Der Fürst? Der alte Dessauer?« fragte der Wirth betroffen. »Ja.« »So handelt es sich um etwas Wichtiges!« »Allerdings. Jetzt holt den Schlüssel und schiebt mir den Wagen mit in den Schuppen; es darf kein Fremder dabei sein.« Während der Wirth nach dem Schlüssel ging, spannte Schubert die Pferde ab und führte sie in den Stall. Sodann wurde der Wagen an Ort und Stelle gebracht. Dort theilte der Feldwebel dem Wirthe das Nöthige mit. Er konnte ihm vertrauen und wußte, daß der treue, verschwiegene Mann Nichts ausreden werde. Sodann nahm er den Schlüssel zu sich und verließ das Haus. Er ging nicht nach der Stadt, sondern nach der Elbe zu, wo er sich vom Fuhrmanne übersetzen ließ. Jetzt befand er sich auf hannöverschem Grund und Boden. Er mußte vorsichtig sein und untersuchte seine Pistolen, welche er bei sich trug; sie waren scharf geladen. Auf ihm wohlbekannten Schleichwegen ging er nach Gartow, aber nicht in den Ort hinein, sondern um denselben herum. Er kam an einen Gartenzaun, ohne bemerkt zu werden, übersprang denselben und versteckte sich in ein dichtes Hollundergebüsch. Der Garten gehörte zum Hause Uhlmanns, und Schubert konnte den Hof desselben überblicken. Er mußte lange, sehr lange warten, und es war fast Mittag, als endlich die schöne, hohe Gestalt eines jungen Mädchens unter der Hinterthür erschien. Er stieß einen leisen Pfiff aus, den sie sehr wohl zu kennen schien, denn die Röthe der Freude
trat auf ihre Wangen und sie eilte sofort nach dem Garten, wo sie hinter dem Hollunder den Geliebten traf. »Fritz, Du hier,« sagte sie. »Dich hätte ich nicht erwartet.« Er umarmte und küßte sie und antwortete: »Auch ich hätte nicht geglaubt, Dich so bald wiederzusehen, meine Seele. Sind die Werber noch bei Euch?« »Ja, Sie müssen etwas vorhaben.« »Warum?« »Sie flüstern so angelegentlich unter einander und lassen doch nichts verstehen. Ich glaube, es soll in Lenzen Etwas geben, denn mein Vater geht heut auch mit hinüber. Ich konnte nichts erfahren, aber er macht ein Gesicht, als ob die Christbescheerung nahe wäre. Lasse Dich um Gotteswillen nicht sehen! Der Lieutenant – –« Sie stockte; er aber fragte: »Was ist mit dem Lieutenant?« »Ich wollte Dir es nicht sagen, aber ich kann es fast nicht mehr aushalten. Er verfolgt mich auf Schritt und Tritt – – –« »Ich schlage ihn nieder, den Hallunken!« zürnte Schubert. »Pst, ruhig!« warnte sie. »Es ist zwar schlimm, aber ich weiß mir selbst zu helfen. Der Vater ist hart, und vor diesen Seelenverkäufern fürchte ich mich. Ich gehe nächstens fort.« »Wohin, Anna?« »Ich suche mir einen Dienst da drüben im Preußischen; da kannst Du mich besuchen, ohne Dein Leben zu wagen.« Er sah ihr liebevoll in die Augen und drückte sie inniger an sich. Sie waren ein schönes Paar. Hätte der Dessauer sie so sehen können, er hätte seine Freude über sie haben müssen. »Dieses Opfer wolltest Du mir bringen?« fragte er. »Ich danke Dir, Du Gute! Aber vielleicht ist es gar nicht nöthig; vielleicht bist Du schon bald meine Frau.« »Ists möglich?« fragte sie, freudig überrascht. »Ja. Ich habe nämlich mit dem Fürsten gesprochen.« »Ah, Du hast es endlich gewagt! Was sagte er?« »Er will Dich erst sehen.« »So soll ich wohl gar hin zu ihm?« »Nein. Er kommt her.« »Um Gotteswillen, das ist ja gefährlich!« »Nicht so sehr. Man wird ihn nicht erkennen. Na, ich will es Dir nur gestehen, daß er vielleicht noch heute kommt. Er ist in
Wittenberge und läßt sich einen falschen Bart und eine falsche Nase ansetzen. Er will euer Schloß besuchen. Wenn ein alter Amsenhändler kommt, das ist er. Und sollte – – –« Da ertönte vom Hofe her ein lauter, ungeduldiger Ruf; es war Annas Vater, welcher seine Tochter brauchte. Sie mußte fort, ohne ihr Erstaunen ausdrücken, oder ein Wort sagen zu können, ob sie wiederkommen werde. Schubet wartete über eine halbe Stunde, dann ging er, denn seine Gegenwart war in Lenzen nöthig. Als Anna den Garten kurze Zeit später wieder betrat, war er fort. – Draußen am Waldesrande, wo der Weg nach Gartow vorüberführte, lag ein alter Kerl und schlief. Er hatte einen schwarzen, struppigen Vollbart und eine große, rothglänzende Schnapsnase; neben ihm lag ein Sack und ein großer hölzerner Kasten. Es hätte wohl kein Mensch in ihm den Feldmarschall Fürst Leopold von Anhalt-Dessau vermuthet, und dennoch war er es. Er war während der heißesten Tageszeit von Wittenberge aufgebrochen und unterwegs ein wenig müde geworden. Um sich einige Minuten auszuruhen, hatte er sich hingestreckt, war aber eingeschlafen und schlief so fest, daß Stunde um Stunde verging, ohne daß er aufwachte. Da endlich begann er sich zu regen. Er öffnete die Lider, rieb sich die Augen und sprang empor, als er sah, wie tief die Sonne bereits stand. »Alle Wetter«, brummte er; »Da habe ich ja die ganze Prosit die Mahlzeit verschlafen! Es wird gleich dunkel werden, und ich altes Murmelthier lasse die kostbare Zeit vergehen. Mit dem Hausiren wird es nichts, aber den Uhlmann und sein Mädel, die muß ich sehen. Vorwärts!« Er nahm den Sack und den Kasten auf und schritt dem Orte zu, dessen Schloß ihm bereits entgegenwinkte. Ueber der Thür eines der besten Häuser befand sich ein Schild mit der Inschrift »Allhier kauft man Spezereien, Schnaps und Bier bei Anseln Uhlmann.« »Das ist der Kerl,« dachte Leopold. »Wollen einmal sehen!« Er trat in die Stube, in welcher es bereits dunkelte. Der Wirth war eben beschäftigt, die große Oellampe anzubrennen. »Guten Abend!« grüßte Leopold. »Guten Abend!« antwortete Uhlmann mürrisch, indem er den Gast beleuchtete. »Was will Er?« »Gebe Er mir einen Schnaps, aber einen tüchtigen?« »Gehe Er in den Laden!« sagte Uhlmann. »Hier verkehren nur
Herren, Leute von Seiner Sorte aber werden draußen abgefertigt.« »So?« fragte der Fürst. »Kennt Er denn meine Sorte gar so genau?« »Ja. Was werdet Ihr sein, als ein Hausirer, ein Herumläufer, weiter nichts.« »Ja, aber ein Hausirer, der Geld hat, verstanden? Hier sitzt's, alter Truthahn, und vor den Herren, die hier verkehren, reiße ich noch lange nicht aus!« Er legte Sack und Kasten auf die Bank und klopfte an seine Tasche. Das gab einen silbernen Klang, aber Uhlmann meinte dessen ungeachtet zornig: »Es bleibt dabei, Er geht in den Laden. Und wenn Er mich noch einmal einen Truthahn nennt, so werfe ich Ihn hinaus!« »Mache Er keinen Summs!« lachte der Fürst. »Er ist nicht der Kerl, der mich bange machen könnte. Braucht Er vielleicht eine Portion Amseneier, he?« Bei der letzten Frage hatte sich die Ladenthür geöffnet, und Anna trat ein. Sie hörte die Worte, sah den großen Bart und die Nase und wußte sofort, wen sie vor sich hatte. »Bleibe Er mir mit Seinen Amseneiern vom Leibe!« antwortete Uhlman. »Ich bin keine Bachstelze, die Insecten frißt!« »Na, da giebt mir vielleicht die Jungfer den Schnaps, den Ihr mir nicht geben wollt,« sagte Leopold, indem er das schöne, stattliche Mädchen mit wohlgefälligen Blicken musterte. »Sogleich!« antwortete sie, trat in den Laden zurück und brachte ihm das Verlangte. »Er soll ihn ja draußen trinken!« fuhr der Vater sie an. »Solches Gelichter können wir hier nicht gebrauchen. Der Herr Lieutenant wird sogleich vom Schlosse zurück kommen. Was soll er sagen, wenn ein Amsenhändler an seinem Platze sitzt!« »Oho!« entgegnete Leopold. »Sein Lieutenant wäre vielleicht froh, wenn er mit so einem Amsenhändler tauschen könnte. Gebe er sich keine Mühe. Ich trinke meinen Schnaps hier und auch noch ein Bier dazu, und damit pasta!« Es lag in dem Tone dieser Worte Etwas, was dem Wirth die Lust benahm, auf seinem Willen zu bestehen; Anna aber beeilte sich, das Bier zu bringen. Es war ihr Angst um den Fürsten, denn soeben hörte sie ein sich nahendes Säbelklirren, und als sie dem Fürsten das Glas vorsetzte, trat der Lieutenant ein.
Er war ein dünner, hoch aufgeschossener Mann, dessen bartloses Gesicht keinen einzigen sympathischen Zug zeigte. Er warf einen finsteren Blick auf Leopold, ließ sich rasselnd nieder und verlangte auch ein Bier; dann wendete er sich an Leopold: »Was macht Er hier in dieser Stube, und wer ist Er, he?« »Ich trinke Bier und bin Amsenhändler,« antwortete der Fürst ruhig. »Ein Amsenhändler? Ah, hat Er Seine Legitimation bei sich?« »Hier ist sie.« Leopold griff in die Tasche und zog die Papiere hervor, welche dem Händler, der noch in Dessau gefangen saß, abgenommen worden waren. Der Lieutenant öffnete sie mit Spannung, warf einen Blick darauf und sagte dann: »Richtig, Er ist der Wachtmeister Horn, den wir erwarten. Hat Er sich da drüben bei den Preußen gehörig umgesehen?« »Versteht sich.« »Wird das Geschäft in Lenzen klappen?« »Ausgezeichnet!« schmunzelte Leopold. »So geht jetzt mit zum General, um ihm Bericht zu erstatten. Vorher aber muß ich der Anna einen Kuß geben.« Er trat auf das Mädchen zu und wollte sie umarmen, sie aber stieß ihn zurück, und als er zudringlicher wurde, holte sie aus und gab ihm eine schallende Ohrfeige. »Was fällt Dir ein!« rief ihr Vater. »Alle Teufel, ist das eine Wetterhexe!« rief der Fürst, ganz erfreut über die Züchtigung, welche der Offizier hinnehmen mußte. »Ja, eine Hexe ist sie,« brummte dieser, »aber ich werde sie schon noch gefügig machen!« Er trank sein Bier aus und winkte Leopold, ihm zu folgen. Der Wirth begleitete den Offizier hinaus, und während Leopold noch sein Bier austrank, trat das Mädchen rasch zu ihm und flüsterte: »Herr Wachtmeister Horn, wenn Ihr in Gefahr kommt, so verlaßt Euch auf mich!« Nach diesen Worten schlüpfte sie schnell in den Laden. Leopold nahm einfach an, daß sie Gründe haben müsse, diesem Horn ihre Theilnahme zu widmen; er ließ Sack und Kasten einstweilen liegen und folgte dem Lieutenant. Es war ihm darum zu thun, Etwas von den heutigen Absichten der Hannoveraner zu erfahren, darum wagte er sich zu dem General.
»Wenn er Lust hat, Wachtmeister, so kann Er mit dabei sein,« sagte der Lieutenant unterwegs zu ihm. »Bis zwölf Uhr haben wir uns in Lenzen einzeln eingeschlichen, und punkt ein Uhr wird der Fang gemacht.« »Dreißig Mann. Aber da ist das Schloß. Vorwärts!« Sie traten in den Schloßhof, wo die dreißig hannöverschen Grenadiere schon bereit standen. Der Lieutenant führte Leopold die Treppe empor und zum General. Dieser saß bei einer Pfeife Tabak, damals eine Seltenheit und blickte die Beiden erwartungsvoll an. »Hier, Excellenz, bringe ich den erwarteten Boten,« meldete der Lieutenant. »Welchen Boten?« fragte der General. »Nun, den Wachtmeister Horn, der als Amsenhändler geht.« »Horn?« fragte der General, schnell aufstehend und Leopold musternd. »Den Horn kenne ich ganz genau; das ist er nicht. Wer ist Er, he?« Daran hatte der Fürst gar nicht gedacht, daß der General diesen Horn persönlich kennen könne. Er kam in eine augenblickliche Verlegenheit, faßte sich aber schnell und sagte: »Nein, der Horn bin ich nicht, aber er liegt in Havelberg krank darnieder und schickt mich, Euch zu sagen, daß Alles in Ordnung sei. Weiter weiß ich nichts. Zum Beweise hat er mir seine Papiere mitgegeben.« »Wer ist Er denn eigentlich?« fragte der General höchst mißtrauisch. »Ich bin der Wirth zum schwarzen Eber, und bei mir liegt der Horn. Er hat ein plötzliches Fieber bekommen.« »Hat Er gewußt, was der Horn ist? Hat Er vielleicht Jemanden von Seiner Botschaft Etwas erzählt?« »Keinem Menschen. Ich hab gedacht, der Horn ist ein wirklicher Amsenhändler.« »Gut! Sagt Er die Wahrheit, so ist's gut; macht Er mir aber Lügen, so ist Ihm Sein Brod gebacken. Ich werde Ihn zur Sicherheit einstweilen einsperren lassen.« »Das geht nicht,« meinte der Fürst. »Ich muß sofort wieder nach Hause.« »Das ist mir egal. Lieutenant, hole Er einige Leute!« »Oho, der Wirth zum schwarzen Eber ist ein ehrlicher Kerl; er läßt sich nicht einstecken!«
Mit diesen Worten warf der Fürst den Lieutenant zur Seite und sprang zur Thür hinaus; der General aber war geistesgegenwärtig; er riß das Fenster auf und rief hinab: »Haltet ihn auf! Fangt ihn!« Als Leopold unten anlangte, griffen sechzig Hände nach ihm; er schlug jedoch einen raschen Bogen, machte sie dadurch irre und gelangte glücklich zum Thore hinaus. Aber alle dreißig Grenadiere rannten hinterher; sogar der Lieutenant kam nachgesprungen, und der General lief langsamer hinter der wilden Jagd her. Der Fürst war ein guter Läufer gewesen, jetzt aber alt. Er hatte lauter junge Verfolger hinter sich, und als er das Dorf erreichte, hatten sie ihn beinahe eingeholt. Beim Hause Uhlmann's war der vorderste Grenadier nur noch fünf Schritte hinter ihm. Da erinnerte er sich der Worte, welche Anna zu ihm gesagt hatte. Er sprang schnell zur Thür hinein und riegelte sie hinter sich zu. Das Mädchen hatte das Rufen und den Lärm vernommen. Sie ahnte das Geschehene und stand im Flure. Es war finster und Leopold stieß mit ihr zusammen. »Seid ihr es, Wachtmeister Horn?« fragte sie. »Ja. Sie wollen mich fangen,« antwortete er athemlos. »Kommt schnell!« Sie faßte ihn beim Arme, führte ihn eine Strecke vorwärts, öffnete eine Thür und schob ihn hinein. »So, hier seid Ihr einstweilen sicher. Hinten stehen leere Fässer. Versteckt Euch in eins; ich will sehen, ob ich die Kerls irre leite.« Sie schloß die Thür hinter ihm zu, und er tappte sich im Dunkeln vorwärts. Dabei stieß er an ein sehr hohes Faß, dessen Deckel an demselben lehnte. »Da gehe ich hinein,« keuchte er, »und decke es dann zu.« In der Eile dachte er gar nicht daran, das Faß zu untersuchen. Er hielt es für leer, schwang die Beine hinauf und plumste – – in eine Flüssigkeit, die ihm sofort bis an die Kniee emporstieg, denn er hatte sich niedergeduckt. »Heiliges Pech!« brummte er. »Das ist ein falsches Faß! Das ist ja – –« er fuhr mit der Hand in die Flüssigkeit, roch erst daran und kostete dann vorsichtig – – »da bin ich grad in das Syrupsfaß gefahren. Na, so eine Weihnachten! Wenn sie mich jetzt fangen, können sie mich nur gleich ablecken. Ich muß gleich wieder heraus!«
Während er sich aus der Süßigkeit herauskrabbelte, vörte er bereits drohende Stimmen vor der Thür; man herlangte den Schlüssel. Er tastete sich so rasch wie möglich weiter nach hinten und fand endlich ein leeres Faß. Er hob den Deckel ab, sprang hinein, duckte sich nieder und legte den Deckel oben darüber. Aber in dem Fasse war eine so dicke Luft, er mußte husten. Er fühlte um sich und erschrak. »Da bin ich aus dem Regen in die Traufe gerathen,« knirschte er. »Das ist ja das Mehlfaß; es ist noch wenigstens ein halber Zentner darin, aber ich habe es nicht gefühlt. Nun steckt der Syrup im Mehle, und ich kann nun gleich in den Backofen kriechen, dann ist der Pfefferkuchenmann fertig. So Etwas ist mir doch gestern und mein Lebtage nicht passirt. Holla, da kommen sie schon! Sei still, Leopold, sonst erwischen sie Dich!« Da der Flüchtling in den übrigen Räumen nicht zu finden war, so hatte Anna den Schlüssel hergeben müssen und die Grenadiere drängten sich unter Uhlmanns Führung herein. Dieser hob die Lampe empor und blickte umher. »Aber das ist stark!« rief er. »Hier hat der Kerl im Syrupfaß gesteckt, und hier führt die Spur weiter nach – nach dem Mehlfasse!« Ein lauter Jubel erscholl. Der Deckel wurde abgehoben und der Fürst herausgezogen. Er bot einen schauderhaften Anblick dar. Die Soldaten lachten, daß ihnen die Bäuche wackelten, und der Wirth schimpfte wie ein Rohrsperling darüber, daß ihm der Syrup und das Mehl verschimpfirt worden war. Der Lieutenant kam auch dazu und dann der General. Dieser Letztere fragte Leopold, ob Anna gewußt habe, daß er hier steckte; er verneinte es. Er verhielt sich überhaupt sehr gelassen, und so kam es, daß der General ein mildes Urtheil fällte: »Der Kerl ist bestraft und beschämt genug,« sagte er. »Er mag bis morgen gefangen bleiben; ist er wirklich der Eberwirth, so mag er mit seinem Syrupsteige nach Hause laufen; ist er aber ein Anderer, so wird sich das Weitere finden. Aber in diesem Zustande können wir ihn nicht nach dem Schlosse bringen. Uhlmann, hat er nicht einen festen, engen Raum, in den wir ihn einschließen können?« »O ja,« antwortete dieser, »das Waschhaus. Es ist ganz von Stein, hat kein Fenster, und die Thür wird durch einen eisernen
Querriegel verschlossen.« »So steckt ihn hinein. Ich brauche aber einen sicheren Mann zu seiner Bewachung. Von den Soldaten kann ich keinen Einzigen entbehren. Lieutenant, Er muß sich bequemen, hier zu bleiben und zuweilen nach ihm zu sehen.« Das war diesem sehr lieb. Er wußte, daß Uhlmann mit nach Lenzen wollte, und so war er mit dessen schöner Tochter allein. Leopold wurde in das Waschhaus eingeschlossen. Nach einiger Zeit rückten die Grenadiere unter Führung des als Bauer verkleideten Generals ab, und dann saß der Lieutenant mit Anna allein. Diese ersah die erste, beste Gelegenheit und schlich nach dem Waschhause, dessen Thür sie öffnete. »Herr Wachtmeister!« flüsterte sie. »Ja,« antwortete der Fürst. »Ich lasse Euch fort. Entflieht!« Er stand im Nu bei ihr und fragte: »Aber, Mädchen, warum interessirst Du Dich so sehr für den alten Wachtmeister, he?« Da faßte sie sich ein Herz und antwortete: »O, der ist mir ganz gleichgültig! Aber ich kenne Euch, Excellenz; der Feldwebel Schubert hat mir heut früh gesagt, daß Ihr als Amsenhändler kommen wollt. Da lasse ich Euch doch zu gern laufen, denn wir haben uns sehr lieb und gehen alle Beide für Ew. Durchlaucht gern durchs Feuer.« »Bist ein braves Mädel!« antwortete er gerührt, »und sollst den Feldwebel haben. Wo ist der Lieutenant?« »Ganz allein in der Stube.« »Ah! Und wo ist mein Kasten?« »Der liegt mit dem Sacke unter der Treppe.« »Gut. Wollen diesem Herrn Lieutenant einmal eine Lehre geben, nach welcher es ihm vergehen soll, die Geliebte eines Andern zu küssen. Hole mir rasch einen Anzug von Deinem Vater, und putze auch Dich an. Du gehst mit mir nach Lenzen. Da ist Verlobung!« Während das Mädchen vor freudigem Schreck eine ganze Weile sprachlos stehen blieb, eilte er nach der Stube. Der Lieutenant erstaunte, seinen Gefangenen vor sich zu sehen, aber Leopold machte keine Umstände mit ihm, versetzte ihm einen Schlag an die Schläfen, daß er besinnungslos niederstürzte, schleppte ihn in das Waschhaus, holte seinen Kasten herbei und öffnete ihn. Dann
verriegelte er die Thür von Außen. »So!« schmunzelte er. »Jetzt hat er Gesellschaft, und kein Mensch kann sein Rufen hören.« Eine Viertelstunde später verließ er in einer anderen Kleidung mit Anna das Haus, dessen Thüren vollständig verschlossen wurden. An der Elbe traf er auf seine Posten, welche ihm meldeten, daß die Hannoveraner seitwärts des Schießhauses im Gebüsch warteten. Er nahm seine Beute mit sich, erreichte das Schießhaus unbemerkt und fand die dreißig Mann bereits in der Scheune ungesehen versammelt. Sie hatten ihre Uniformen bereits angelegt und wurden nun durch die Posten um zwanzig Mann verstärkt. Er ließ den Feldwebel Schubert holen und dieser meldete, daß der General oben im Saale säße. »Um Eins geht es los,« erklärte der Fürst. »Gehe Er wieder hinauf, Schubert, und melde Er es mir durch einen lauten Pfiff durch das Fenster, wenn die Hannoveranet in den Saal marschieren. Ist sein Schwiegervater auch oben?« »Ja.« »Gut, dann paßt ja Alles. Gehe er, aber lasse Er sich vor den Beiden nicht sehen!« Als Schubert sich entfernt hatte, ließ Leopold sich auch seine Uniform aus dem Wagen bringen, nahm Anna, welche der Dunkelheit wegen von Schubert gar nicht bemerkt worden war, bei der Hand und suchte den Wirth auf. Dieser mußte Anna verstecken, ihm selbst aber ein Zimmer geben, damit er sich umkleiden könne. Unterdessen verging die Zeit. Es schlug ein Uhr, und droben im Saale begann ein Walzer, nach dessem Tacte sich die Paare drehten. Da gab der General Uhlmann einen Wink, und dieser entfernte sich, um die hannöverschen Grenadiere herbeizuholen. Kaum war der letzte Ton des Tanzes verklungen, so wurde die Saalthür aufgestoßen und die dreißig Soldaten marschirten hinein. Ein viellstimmiger Schreckensruf erscholl, denn die Burschen wußten sofort, was ihnen bevorstand: Wer nicht gutwillig sich ergab, wurde gezwungen. Jetzt stand der General in der Mitte des Saales und rief: »Ruhe im Saale! Ich, Generalmajor von Valmy, erkläre im Namen Seiner Königlichen Hoheit, des Kurfürsten von Hannover, diesen Ort in Belagerungszustand. Wer Miene macht, zu entfliehen, der wird erschossen!«
Niemand hatte auf den Pfiff geachtet, welcher erschollen war, als die Hannoveraner sich über den Hof geschlichen hatten. Leopold war ihnen mit seinen fünfzig Mann auf dem Fuße gefolgt. Seine Buntröcke standen noch draußen vor der Saalthür; er aber stand unter derselben, und als Valmy sein letztes Wort kaum ausgesprochen hatte, trat der Fürst schnell einige Schritte vor und rief mit Donnerstimme: »Und ich, Fürst Leopold von Anhalt-Dessau, Feldmarschall des Reiches und von Preußen, erkläre den General Valmy für einen Landfriedensbrecher. Er ist mein Gefangener. Bataillon, vorwärts marsch!« Da kamen die fünfzig Dessauer Bärenmützen hereinmarschirt, pflanzten sich an deren Wand auf und legten die Gewehre auf die Hannoveraner an. Jetzt wendete sich Leopold direct an Valmy: »Ergebt Euch! Ihr seht, jeder Widerstand ist unnütz. Ich habe fünfzig gegen dreißig, und hier meine braven Lenzener Burschen werden auch Fäuste haben.« Bei diesen Worten löste sich der Bann, der auf Allen gelegen hatte. Mit lautem Jubelgeschrei stürzten sich die Burschen auf die feindlichen Grenadiere. »Der Alte ist's, der Leopold, der Dessauer!« rief es rund um. »Helft ihm! Bindet die Hannöverschen!« Ohne daß die Dessauer Grenadiere die Hand zu rühren brauchten, wurden die Feinde, die sich nicht zu wehren wagten, sammt ihrem Anführer gefangen genommen und einstweilen in den Keller gesperrt. Nun blickte sich der Fürst im Saale um; er sah Uhlmann in der Ecke stehen und winkte ihn zu sich. »Er Himmelelementer ist es gewesen, der uns die ganze Suppe eingebrockt hat. Eigentlich sollte ich Ihn unter die Rekruten stecken, aber dort stehen zwei an der Thür, denen zu Liebe ich Gnade für Recht ergehen lassen will. Kommt her!« Es waren Anna, die der Wirth herbeigebracht hatte, und der Feldwebel. Sie traten herbei. Der Fürst fragte Uhlmann im strengsten Tone: »Jetzt entscheide Er sich! Will Er Rekrut werden, oder die Hand Seiner Tochter diesem braven Manne geben?« »O, Ew. Durchlaucht,« antwortete der vor Angst zitternde Mann, »ich habe ja gar nichts dagegen, daß sie sich nehmen!« »Nun gut! So erkläre ich Sie, Mamsell Anna Uhlmann, und Ihn,
Herr Lieutenant Schubert für Verlobte. Er hat den General Valmy in meine Hand gegeben und also die tausend Gulden verdient. Für Seine Equipirung werde ich außerdem Sorge tragen, lade mich aber dafür zu Seiner Hochzeit ein! Und Er, Uhlmann, mag es sich merken, daß ein Amsenhändler wohl seinen Schnaps im Laden trinken kann. Der Amsenhändler hat soeben aus einem Feldwebel einen Lieutenant gemacht, also braucht er vor keinem hannöverschen Säbelraßler auszureißen. Dieser steckt jetzt in Seinem Waschhause bei meinem Amsenkasten; eile Er hin, ihn zu befreien! Die Gefangenen werden alle in den Rekrutenrock gesteckt; den verätherischen General liefere ich nach Berlin. Meine Grenadiere aber und meine braven Lenzener Burschen sollen tanzen und lustig sein. Ich gebe ihnen heute Freibier, so viel, wie sie trinken wollen. Legt die Gewehre ab, und faßt die Mädels an, Er, Lieutenant Schubert, mit Seiner Anna voran! Musikanten, einen Walzer oder Hopser, aber ohne Pausen, das will ich Euch gesteckt haben, Ihr Schwerenöther!« »Hurrah, der Dessauer! Hurrah, der Knasterbart!« erscholl es aus hundert männlichen und weiblichen Kehlen, und der Hopser begann, ohne einen einzigen Tact Pause, wie es der alte, derbe Kriegsheld gewünscht hatte.