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Mitder Annahmeeiner Dissertationbeabsichtigtdie Rechtswissenschaftliche Fakultatder Universitat Freiburgnicht, zu den darin enthaltenen wissenschaftlichenMeinungen des Verfassers Stellung zu nehmen (Fakultatsratsbeschluss vom 1.Iuli 1916).
David R. Wenger
Idealismus und Recht Gerechtigkeit, Berechenbarkeit und Rhetorik
Dissertation zur Erlangung der Wiirde eines Doktors beider Rechte, vorgelegt der Rechtswissenschaftlichen Fakultat der Universitat Freiburg in der Schweiz von David R. Wenger. Genehmigt von der Rechtswissenschaftlichen Fakultat der Universitat Freiburg am 24. April 2009 auf Antrag von Herrn Professor Dr. Marcel Alexander Niggli (erster Referent) und Herrn Professor Dr. Marc Amstutz (zweiter Referent).
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David R. Wenger Olten, Schweiz
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Satz: lung Crossmedia Publishing GmbH, 35633 Lahnau , Deutschland Druck: Strauss GmbH, 69509 Morlenbach, Deutschland
Gedruckt auf saurefreiern, chlorfrei gebleichtem Papier - TCF SPIN: 12993604
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet uber http://dnb.d-nb.deabrufbar.
ISBN 978-3-7091-0189-6 SpringerWienNewYork
"N ichts wird auf Stein gebaut, alles blof auf Sand. Doch unsere Pflicht ist es zu bauen, als war aus Stein der Sand."
Jorge Luis Borges "Modern heiflt, mit sich selbst im Widerspruch zu leben, ohne ihn aufheben zu rniissen,"
Hartmut Bobme
Dank An der Entstehung einer so1chen Arbeit ist man nie ganz alleine beteiligt, Nicht dass andere anstelle des Verfassers in die Tasten gegriffen hatten, Es genugten ihre schriftlich und rmindlich geausserren Ansichten, Motivationen und ihre Kritik, wofiir ich meinen akademischen Begleitern zu Dank verpflichtet bin . In diesen Dank sei allerdings die Bitte urn Nachsicht eingeschlossen, wenn sich der Adressat bei manchen Empfehlungen als unfolgsam erwiesen hat. Vieles entsteht im Widerstand. In diesem Sinne rnochte ich folgenden Personen meinen besonderen Dank aussprechen: Zunachst meinem Doktorvater Prof. Dr. Marcel Alexander Niggli fiir die zahlreichen Freiheiten, welche er mir bei der Abfassung der Dissertation gewahrt hat. Ebenso Herrn Prof. Dr. Marc Amstutz fur die Ubernahme des Zweitgutachtens und viele anregende Gesprache, Im Weiteren danke ich den Doctores Andreas Abegg, Fabian Steinhauer und Vaios Karavas; Herrn Dr. Tudor Pop fur die An schaffung etlicher Bucher in der juristischen Bibliothek sowie den Vertretern des Schweizerischen Nationalfonds fur das gewahrte Stipendium zugunsten eines wertvollen Aufenthaltes an der Johann Wolfgang Goethe-Universitat und am Max Planck-Instirut fUr europaische Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main, wo sich mir vielfache Gelegenheit zum Austausch mit geistreichen Akteuren der Rechtsgrundlagenforschung bot. Ebenfalls mochte ich Herrn Dr. Otto Kammerlander fiir die Aufnahme meiner Arbeit in das Programm des Springer-Verlages danken. Schliefslich richte ich einen herzlichen Dank an meine Mutter, die mich wahrend der vergangenen Jahre stets unterstiitzt hat. Der groBte Dank geht an meine Frau, Dr. Olivia van Caillie. Ihr sei dieses Buch gewidmet. Olten, im Dezember 2009.
VII
Inhaltsverzeichnis Ausblick .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XI
Teilt Schicksaltdealismus § 1 Grenzwissen und Denkgrenzen: Der unrnoqllche Griffnach dem
Ganzen
3
I. Die Mauern sind unterwegs II. Wahrnehmung als differenzierte Besetzung III . Wahrheit auf der Flucht .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3 5 8
§ 2 Vom Ding an sich, seinen Symbolen undder Kausalltst
13
I. II. III . IV. V.
13 15 18 21 26
Das Spiel des Spieles mit sich selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begreifen durch Entfremden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D enken heilh Zusammenhangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Welt als Wille und Vorstellung Sinn und Zeit
Teilll Fiktion und Recht
31
§ 3 Komposition und Auffiihrung derWahrheit
33
I. Formmag ie im Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einbildung: Ethos und Pathos des Als-Ob . . . . . III . Zur Funktion der Fiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Derfreie WillelWilde im zivilisierenden Recht 2. Tanzend zur Selbstverfassung . . . . . . . . . . . .
..... ..... ..... .....
34 38 41 41 45
§ 4 Ober das Wunschbild derGerechtigkeit unddas Trugbild derGleichheit
49
I.
.... ....
49 49 52 59
.... ....
71 71
II.
.. .. .. .. ..
. . . . .
.... .... .... .... ....
. . . . .
. . . . .
. . . . .
.. .. .. .. ..
... ... ... ... ...
Vergleichungs- und Angleichungsdynamiken in Politik und Recht . . . . 1. Politische Steuerung 2. Entscheiden unter Gleichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die rhetorischen Regeln der Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Polykontexturale Rechtsverwirklichung: eine contradictio in adiecto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gotthard Giinthers Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
....
IX
Inhaltsverzeichnis 2. Entscheidnotwendige Zweiwertigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sichtbare Gleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Grenzen einer dynamisierten und ausdifferenzierten Dogmatik III . Rechtsumwertungen und das MaB der Gerechtigkeit . . . . . . . . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
76 80 82 86
§ 5 Gerechtigkeit: Eine Frage der Begriindung?
93
I. II.
93 97
Urteilsrhetorik und simulierte Polykontexturalitat Die begrenzten Unmoglichkeiten vieldeutigen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 6 Zwischen Explikation undOberzeugung: zur rhetorischen Verfassung
der Offentlichkeit
I. II . III. IV.
Symbolische Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Begriindungsfalle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rhetorik als Supplement des Rechts Die Einheit der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erwartungssicherheit durch Widerspruchslosigkeit 2. Invisibil isierung der Inkonsistenz durch Sachverhaltstrelkonstruktion
... ... ... ...
101 101 104 106 112 112 115
§ 7 Von der Berechenbarkeit zur Verrechenbarkeit
120
I.
Was leistet die Leistungsgesellschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kriterienkontingenz 2. Von der Qualitat zur Quantitat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II . Standardisierung . .. ............ .. . . ... . . ... . . ... . .. ...... .. III. Konfliktverrechnung?
120 120 122 127 129
§ 8 Schlussfolgerungen
132
Das Recht zwischen Konfliktentfremdung, Dezision und Konfliktprovokation II . Vom Recht da oben .......................
132 137
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkiirzungsverzeichnis
141 163
1.
x
Ausblick "Die Sprache spielt nur mit sich selbst. Ihre reine Form ist das Schwatzen. Wenn man ihren inneren Moglichkeiten gehorcht, und nur so, erzeugt man grofle Gedanken." Niklas Luhmann, Gesellschaft der Gesellschaft, S. 994 f.
Worte sind Schall und Rauch, sagt ein Sprichwort. Wenn dem so ware, eriibrigte sich nicht nur diese Arbeit. Sie kann - wie alles Schreiben und Sagen nur dann einen Sinn haben, wenn Worte in ihrem Zusammenspiel eine Welt herzustellen verrnogen, die wir uns vorstellen und uns gegenseitig darstellen konnen. Aber wer sagt denn, dass die Worte auch fur etwas Reales stehen miissen? Wie konnen wir sicher sein, dass sie nicht vielmehr eine ganzl ich eigene Welt erzeugen? Sicher: Wo Rauch ist, muss auch ein Feuer sein und wo es schallt, ist etwas geschehen. Doch auf welche Art Feuer lassen die konkreten Rauchschwaden und der eigentiimliche Geruch schliellen? Mengen sich ersteren nicht auch die Feuchte des Nebels oder Saharastaub bei? Und wann trifft unsere Nase schon auf einen reinen Duft? Ganz zu schweigen von den Spielen, welche das Analogie schaffende Bewusstsein mit unseren Sinneseindriicken treibt , Auch wenn Worte - wie George Steiner diagnostiziert - sowohl vergangene als auch gegenwartige und zukunftige Welten erschaffen konnen, fur die es keinerlei Belege gibt! - wir kennen die rhetorischen Flunkereien aus dem eigenen Alltag - : Sinn miissen sie erzeugen, sonst hat das Dasein, das Schreiben und Reden, keinen Sinn. Nicht erst im Ernstfall miissen wir uns erklaren konnen; zumal in einer Welt, in der viel weniger als auch schon selbstverstandlich genannt werden kann. Indem wir mit Worten arbeiten, arbeiten wir mit Sym-
Vgl. Steiner, Warum Denken traurig macht, S.35 et passim; ,,[a]us der Annahme, dass Kommunikation ein basal-selbstreferentieller Prozes s ist, [. ..] folgt [fur Luhmann, Soziale Systeme, S. 199 f.] systemtheoretisch: dass es fur Kommunikation kein entsprecbendes Um weltkorrelat geben kann," Nanirlich bleibt aile Kommunikation von Umwelt abhangig, indem sie direkt oder indirekt auf diese verweist . "Ein Kommunikationssystem ist deshalb nie autark, es kann aber durch eigene Konditionierung kommunikativer Synthesen Autonomie gewinnen ." Ebd ., S. 200.
XI
Ausblick
bolen und Symbole wollen fur erwas stehen. Ob sie es tun, ob sie fur erwas da draufsen stehen, es adaquat wiedergeben konnen, ist nicht selten eine Frage gelingender Behauptung. Von Seiten der allgemeinen an die Adresse der konkreten Gemeinschaftsgestaltung (also von der Politik an das Recht) werden seit zwei Jahrhunderten regelmaliig Worte wie Gerechtigkeit und Gleichheit in Auftrag gegeben; Schall und Rauch, wenn man sich der Begleiterscheinungen ihrer revolutionaren Umsetzungsinstrumente - Kanonenfeuer und Kriegsgeschrei - erinnert. Schall und Rauch aber auch angesichts der (vergleichsweise zivilisierten) politischen Debatten und parlamentarischen Redeschlachten, ihrer oft unbefriedigenden Zufallsentscheide und eigentlichen Sinnlosigkeit in Bezug auf die Fhichtigkeit, die Ungreifbarkeit bzw. Verwirklichungsrenitenz jener Phanomene, fur welche die Worte Gleichheit und Gerechtigkeit herhalten miissen, Gibt es sie uberhaupt, hat es sie je gegeben? Oder werden sie stets bleiben, was sie immer schon waren: "paroles, paroles" (wie im gleichnamigen Chanson Dalidas) Schall und Rauch eben? Phantome, Hirngespinste? Ihre stete Begriffsflucht, ihr Realisierungs- bzw. Materialisierungsversagen erweist sie als Kontingenzformeln, als rhetorische Figuren des Idealismus. Es sind Fiktionen, Utopien, die nicht erfiillen konnen, was sie versprechen und deshalb den rechtspolitischen Betrieb konstant unter Druck halten und beharrlich vor sich her treiben. Die vorliegende Arbeit will in ihrem ersten Teil in Erinnerung rufen, wie stark alles Leben idealistisch iiberformt ist, wie sehr der Lebensbezug anhand stets einseitiger und damit verzerrender, unzureichender Standardisierungen erfolgt, was mit und nach Hegel aber systematisch - urn nicht zu sagen : systemisch - verschleiert worden ist, Die Philosophie des "AIs ob" Hans Vaihingers beschaftigt sich am Ende des langen Jahrhunderts ebenso mit dem Phanomen wie Niklas Luhmanns diesbezuglich einleuchtende Systemtheorie es in jiingerer Zeit tut. Dber des letzten von ihm selbst verschwiegene Nahe zu Hegel wird am Rande auch die Rede sein. Inwiefern und warum sich Recht und Politik der Fiktionen - begrifflich zugedeckter Illusionskunst bzw. an Kornplexitat stark reduzierter und letztlich neu komponierter, kiinstlicher Lebenszugange - bedienen miissen, wird anhand konkreter Beispiele im zweiten Teil, v. a. in den §§3 und 4 I, untersucht, Den Fiktionen kommt paradoxerweise die Aufgabe zu, Gesellschaft fur sich selbst berechenbar zu machen. Es ist ihre systemische Simulationsleistung, welche den Glauben an die Machbarkeit beflugelt, D iesen (auto)po(i)etischen Charakter von Politik und Recht, der weitgehend rhetorisch erzeugt wird, gilt es zu demaskieren, urn zugleich dessen kognitive U numganglichkeit aufzuzeigen. Idealismus bleibt das Schicksal. Sowohl darstellungs- als auch vorstellungstechnisch dient das Recht der Berechenbarkeit einer Gesellschaft. Ein sich unablassig und bei jeder Gelegenheit weiter entfaltendes, eigenwilliges Recht verspielt diese zentrale Rolle . Hiergegen ware mit Carl Schmitt der darstellungstechnisch notwendige "Aufhalter" ("Katechon") einer ungebremsten Ausdifferenzierung in Anschlag zu XII
Ausblick
bringen. Er steht fur "ein feste Burg . . ." gegen das Diabolische - die unab sehbaren Folgen eines nicht mehr kaschierbaren, zunehmend offenkundigen permanenten Aufbruchs der jeweils bestehenden O rdnungen. Diese zwecks Erhalts des Rechts als eines imaginierbaren Systems notwendige Ausdifferenzierungsbremse wird durch das von jiingeren Rechtswissenschaftlern bei Gotthard Giinrher abgekupferte Konzept der Polykontexturalitat in Frage gestellt, Wir befinden uns im Spannungsfeld zwischen Gerechtigkeit und Berechenbarkeit und erkennen in der letzten eine unabdingbare Fiktion des Rechts, wahrend erstere dieselbe Funktion fiir die Politik erfullt, Gerechtigkeit kann im Rechtsbetrieb nur in Gestalt eines erwartbaren Kalkiils bestehen. Die im Grunde politische Idee eines gerechten bzw. "polykontexturalen" Rechts vernachlassigt die erwahnte Aufgabe des Rechtssystems, welche in der Vorstellung von Berechenbarkeit besteht, Diese Kontroverse wird in § 4 II und III ausfiihrlich entfaltet. Neben der Imagination von Berechenbarkeit steht auch diejenige einer Verrechenbarkeit, d. h. einer Auflosung von Konflikten. Ob das Recht - jenseits der blolien Entscheidung von Konflikten - auch eine solche Aufgabe meistern kann, oder ob es dabei nicht vielmehr auf Abwege gerat, und ob die zunehmende Quantifizierung des Rechts nicht ohnehin eine Genauigkeit vorgaukelt, die es gar nicht gibt, soIl neben anderem in § 7 erortert werden. Konflikte jedenfalls sind das eigentliche Gegenstiick des Rechts, dessen Operationsgegenstand oder besser gesagt: Nahrungsmittel schlechthin. Ohne Konflikte kein Recht. Gabe es sie nicht, man miisste sie erfinden. Nicht selten spielen auch Juristen eine nicht zu unterschatzende Rolle bei der Herstellung ihres "Futters". Berechenbarkeit ist eine rhetorisch-idealistische Inszenierung des Rechtsbetriebs (vgl. dazu nur § 4 I 3 iiber den Regelbegriff), wie iiberhaupt Rhetorik mittels der grundsatzlich zwingenden Begriindung aller Rechtsanwendungs- und Rechtsprechungsakte - aber zunehmend auch aller anderen menschlichen Handlungen oder Nichthandlungen - ein unverzichtbares Supplement geworden ist, Hieriiber soll in den §§ 5 und 6 berichtet werden.
XIII
Teill Schicksalldealismus "Ich danke der idealistischen Philosophie, dass sie mich auf mich selbst aufmerksam gemacht hat, das ist ein ungeheurer Gewinn ; sie kommt aber nie zum Objekt, dieses miissen wir so gut, wie der gemeine Menschenverstand zugeben , urn am unwandelbaren Verhaltnis zu ihm die Freude des Lebens zu geniefsen." Goethe, 1. Brief an Schultz vom 18.9.1831, S. 450. "D ie Wissenschaft, richtig verstanden, heilt den Menschen von seinem Stolz; denn sie zeigt ihm seine Grenzen." Albert Schweitzer
§ 1 Grenzwissen und Denkgrenzen: Der unrnoqliche Griff nach dem Ganzen I. Die Mauern sind unterwegs Erkenntnis wird durch Raum und Zeit sowohl begrenzt als auch ermoglicht, In diesen Kategorien lasst sich dasjenige, was wir erfahren, derart vergegenstandlichen, dass man es erfassen, beschreiben und dariiber reden kann. Sie entsprechen einer Matrix, die iib er Sein oder Nichtsein entscheidet: Es ist, was sich in den Anschauungsformen Raum und Zeit beschreiben lasst und es ist nicht, was in ihnen nicht zur Welt komrnt. Sie sind notwendige Vorstellungen, das hei6t: jeder Erkenntnis vor(an)gestellt und als soIehe transzendental: "Prinzipien der Erkenntnis a priori't .! Was uns durch sie zur Anschauung kommt, erlangt den Status der Erkenntnis erst damit, dass der Verstand die Erscheinungen konkret verort et. Dies tut er im Rahmen von Raum und Zeit, indem er die verschiedenen sinnlichen Eindriicke in die raumzeitlichen Dimensionen iibersetzt und dort untereinander zu Geschichten verkniipft.' Was als Gegenwart ausgegeben wird, ist immer ein selektiver Zusammenzug von Vergangenheit und Zukunft (dazu sparer). Auch der Raum - wiewohl ein einziger - kann in seiner Totalitat genauso wenig erfasst werden; will man in ihm nicht verloren gehen, muss dem Raum dahingehend Ordnung und Einteilung widerfahren, dass er zur Beschreibung der Dinge in G estalt ihrer Verhaltnisse zueinander dient, "[D]as Mannigfaltige in ihm, mithin auch der allgemeine Begriff von Raumen iib erhaupt, beruht lediglich auf Einschrankungen. "4 So ist eben "die blofse Form der au6eren sinnlichen Anschauung, der Raum, noch gar keine Erkenntnis; er gibt nur das Mannigfaltige der Anschauung a priori 2 Kant, Kritik der reinen Vernunft, § 1, A 22, S. 96. 3 Kant, Kritik der reinen Vernunft, § 26, B 164, S. 202: "Als blofse Vorstellungen aber stehen sie [die Er scheinungen, D .W.] unter gar keinem Gesetze der Verkn iipfung, als demjenigen, welches das verkniipfende Verrnogen vorschreibt, Nun ist das, was das Mannigfaltige der sinnlichen Anschauung verknupft, Einbildungskraft, die vorn Verstande der Einheit ihrer intellektuellen Synthesis und von der Sinnlichkeit der Mannigfaltigkeit der Apprehension nach abhangt." 4 Kant, Kritik der reinen Vernunft, § 2, A 25, S. 99.
3
Grenzwissen und Denkgrenzen: Der unmoqllche Griff nach dem Ganzen
zu einem moglichen Erkenntnis. Urn aber irgend erwas im Raume zu erkennen, z. B. eine Linie, muss ich sie ziehen, und also eine bestimmte Verbindung des gegebenen Mannigfaltigen synthetisch zu Stande bringen, so, dass die Einheit dieser Handlung zugleich die Einheit des Bewusstseins (im Begriffe einer Linie) ist, und dadurch allererst ein Objekt (ein bestimmter Raum) erkannt
wird.""
Urn die Welt und in ihr auch sich selbst - oder auch: sich selbst und darin die Welt - begreifen zu konnen, verlegt der Verstand in ihr Linien, Abgrenzungen, fabriziert Einkreisungen und Ausschlieliungen." Indem er uns dergestalt iiberhaupt und erst die Welt erschlielit, ist der Geist allein das Wirkliche (Hegel). Er ist wirklich aber nur insofern, als er die Welt dabei nicht ein fiir allemal im Dogma einschlielit, sich vielmehr stets selbst neu erzeugt, in ungebrochener Bewegung bleibt, seine Gegenstande und sich an ihnen reflektiert, feste Positionen an sich selbst negiert,? Einordnung und Selbstverortung verwirklichen die Welt immer wieder aufs Neue. Kulturen sind demnach Raum-Zeit-Inseln, die sich - moglicherweise schneller als auch schon - selbst verandern: Ahnlich wie bei dem vom Geist bewegten Subjekt brechen deren Rander weg; die das Eigene (die Mitte) schiitzende Isolierung qua Insulierung nimmt dadurch unwiderruflich Schaden. Das Innen wird durch sein Au6en definiert, Der Inhalt einer Raum-Zeit-Insel gewinnt seine Einheit und Bedeutung aus der Negation des Anderen; ohne seine gleichgerichteten Abgrenzungen flie6t er aus. Die Einheit verwirkt ihre Bedeutung im Verlust einheitlicher, stabiler Grenzen." 1m "Verlust der Peripherie" zeigt sich die "immunologische Katastrophe der Neuzeit". "Die letzten Grenzen sind nicht mehr, was sie einmal zu sein schienen; der Halt, den sie boten, war eine Illusion, deren Urheber wir seIber sind"," Mit Hermann Hesse ist zu hoffen, dass das Herz an diesen Abschieden gesunden rnoge.' ? Das Subjekt wird in der Moderne zum Fluidum. Als sich entfaltendes Geistwesen unterliegt es dem Prozess der Aufklarung, dessen andere Seite Selbstentfremdung bedeutet.'! "Das Ich fiihlt sich unbehaglich, es sto6t auf Grenzen seiner Macht in seinem eigenen Haus, der Seele. Es tauchen plorzlich Gedanken auf, von denen man nicht wei6, woher sie kommen; man kann auch nichts dazu tun, sie zu vertreiben. Diese fremden Caste scheinen selbst machtiger zu sein als die dem Ich unterworfenen [. . .]."12 Auf diesem 5 Kant, Kritik der reinen Vernunft, § 17, B 137 f., S. 182. 6 Vgl. Kant, Kritikderreinen Vernunft, §24, B 151-157, S.l92ff. 7 Vgl. Hegel, Phanomenologie des Geistes, S. 21 ff. 8 Dazu Derrida, Die differance, S. 121: "D ie Elemente des Bedeutens funktionieren nicht durch die kompakte Kraft von Kernpunkten, sondern durch das Netz von Oppositionen, die sie voneinander unterscheiden und aufeinander beziehen." 9 Sloterdijk, 1m Weltinnenraum des Kapitals, S. 50 f. 10 Vgl. sein Gedicht "Stufen" am Ende . 11 Vgl. Hegel, Phanomenologie des Geistes, S. 264 ff. 12 Freud, Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse, S. 9. 4
Wahrnehmung als differenzierte Besetzung
Weg bleiben Welt- und Se1bstbeschreibung stets prekar und vorlaufig, Da gerat der Versuch, dem Ganzen eine Form zu geben freilich zum Weltproblem par excellence: gerade weil sich die Humanitas fabra l 3 des Denkens und damit der Form als U nterscheidung bedienen muss und nicht einfach anschauen karin." Wenn also, nach Hegel, erst das Ganze das Wahre ist," haben wir das Ganze und damit das Wahre doch nie im Griff.
II. Wahrnehmung als differenzierte Besetzung Wie Luhmann in Anlehnung an George Spencer Brown fiir altere, man konnte generell sagen: traditionale Gesellschaften festhalt, dass diese immer einen anerkannten, vertrauten - von einem quasi tabuisierten, unvertrauten Bereich ihrer Welt unterschieden hatren'" und auch nur die eine Seite der Form qua Unterscheidung beobachten wollten - die andere, unvertraute Seite allenfalls iiber die Symbolisierung einze1ner ihrer Elemente im Vertrauten (als re-entry) tolerierten, konnte man zum Verstandnis des Ganzen heute wie damals nur iiber eine Symbolisierung der Welt in der Welt und nicht nur des Unvertrauten im Vertrauten gelangen." Es stellt sich namlich die Frage, wie vertraut uns das Vertraute wirklich ist. Sind die gelaufigen, eingeiibren Instrumente der Weltbeschreibung in Bezug auf den durch sie eingebiirgerten, vertraut gemachten Bereich nicht vie1mehr genauso symbolische Form? Mehr dazu gleich. Dass die Universalerkenntnis der Welt nichr ge1ingen kann, gehort zur Paradoxie bzw. zum Problem der Form, die, urn begreifen zu konnen, stets klar umreiBen muss." Zumal begriffliches Begreifen lasst sich nur durch Abgrenzung und Ausscheidung des Unbegriffenen als Unbegreifliches realisieren. Diese Ausscheidung ist so notwendig wie willkiirlich. Was jeder Begriff an Unbegriffenem mitschleppt, das dialektisch stets in seinen beleuchteten, "konsentierten" bzw, von den Begriffsherrschern konzedierten Teil zuriickzukehren -, diesen zu iiberschatten droht, kann nur mit einigem diskursiven Aufwand im Dunke1n gehalten werden.'? Eine je nach Unterdriickungsiiberdruck mehr oder
13 In diesem Zusammenhang lesenswert: Max Frisch, Homo faber. Ein Bericht, Frankfurt am Main 1984 [EA 1957]. 14 Vgl. Kant, Kritik der rein en Vernunft, § 17, B 138 f., S.183 15 Hegel, Phanomenologie des Geistes, S. 19. 16 "Die Lebensweltdifferenz von vertraut/unvertraut ist und bleibt die alteste, urriimlichste primordiale Differenz, weil sie an jeder eingefuhrten Unterscheidung kondensiert." Luhmann, Die Lebenswelt, S. 186. 17 Luhmann, Die Paradoxie der Form, S. 247 f., 252 (mit zahlreichen Hinweisen auf George Spencer Brown); vgl. auch dens., Familiarity, Confidence, Trust, S. 95. 18 Vgl. Luhmann, Die Paradoxie der Form, S. 252. 19 Vgl. Adorno, Negative Dialektik, S. 17ff.
5
Grenzwissen und Denkgrenzen: Der unrnoqllcheGriff nachdem Ganzen
weniger iiberwaltigend in Szene zu setzende Einheitsmeinung solI retten, was zu retten ist, Medial konzertierte Emporungs- und Skandalisierungsrhetorik kann beiden Seiten des Begriffs - der markierten oder unmarkierten Seite - zu Hilfe kommen und steht letztlich fiir den semantischen Kampf um die Begriffshoheit. 20 Solches braucht selbstverstandlich nicht nur auf offentlicher Biihne stattzufinden, sondern entspricht dem kommunikativen Alltag auch im Privaten. (Welche Marchen erzahlen wir unseren Kindern? Wie darf/muss der Mann verstehen, was die Frau gesagt/gemeint hat?) 1m Verlauf dieser Dominierungswettbewerbe konnen tabuisierte Zonen entweder verteidigt, mitunter gar befestigt -, oder aber aufgelost bzw. aufgeklart werden, d. h. aus dem verborgenen in den hellen, anerkannten, nunmehr geradezu selbsrverstandlichen Bereich der Begriffe iibertreten. Beide Falle - Tabubewahrung und Aufklarung - stehen aber letztlich fUr denselben, nur methodisch unterschiedlichen Stabilisierungsversuch: Jeder auch potentielle Unruheherd solI entweder durch kollektives Schweigen oder aber einen im Namen der Vernunft gesteuerten, quasi rituellen Diskurs langsam einschlummern und in Vergessenheit geraten;" der allfallige Widerstreit also in einem unhinterfragbar tabuisierten, mithin selbstverstandlichen und insofern verniinftigen, ausdriicklich oder stillschweigend gepflegten allgemeinen (Werte)Konsens - in einer "konsentierten", einheitlichen Dogmatik - zur Ruhe kommen.F Eine derartige Erkenntnisbefestigung ist im Grunde nichts anderes als der Versuch einer Wiederherstellung der Herrschaft des Seins iiber das Denken, da letzteres ohne verniinftige Aufsicht augenscheinlich jede von ihm erhoffte Sicherheit zersetzt. 23 Wer seine Aufmerksamkeit beruflich, quasi aus Berufung, auf das Ganze richtet, dessen Einheit in Eintracht sicherstellen oder iiberhaupt erst herstellen will, arbeitet gerne mit durchdachten Gesamtkonzepten, Systemen und Planen (ob Planwirtschaft oder Zonenplan), deren ausgekliigelte Verfahren andere U msetzungsmoglichkeiren schon aus Ordnungsgriinden ausschlieBen miis-
20 Vgl. Wimmer/Christensen, Praktisch-semantische Probleme, S.40 f.; Christensen/Sokolowski, Naturrecht und menschliche Sprache, S.17: "Semantische Kampfe werden nicht urn die Richtigkeir des Sprachgebrauchs gefiihrt, sondern darum, den eigenen Sprachgebrauch zum MaBstab der Richtigkeit zu machen. Der ,Streit urn Worte' gilt als ein .Kampf urn Bedeutung' nichts geringerem als den Wortern und Ausdriicken selbst." 21 Fiir Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklarung, S.127 gilt nicht zuletzt die "Unmoglichkeit, aus der Vernunft ein grundsatzliches Argument gegen den Mord vorzubringen" als Nachweis der "Identitiit von Herrschaft und Vernunft", 22 Daran arbeitet letztlich auch die Diskursethik. Vgl. als Beispiel fiir einen haberrnasianisch/-messianisch iiberformten Jargon Mastronardi, Recht und Politik - Systeme oder Diskurse?, S. 352 ff. 23 Auf den Spuren Heideggers Hiirl, Heidegger und die Romer, S.106ff. sowie ders., Romische Machenschaften, S.249 ff.
6
Wahrnehmung als differenzierte Besetzung
sen." Der Riickgriff auf das Argument der in sich stimmigen, durchdachten Idee (Ideen sind Eingebungen und konnen als soiehe nicht Ergebnis denkerischer Entwicklungsarbeit sein) ist der rhetorische Versuch zur Immunisierung eines bestimmten Willens, indem dieser quasi in den Olymp eines unantastbaren Seins gehoben wird. Das Argument der "durchdachten Idee" offenbart die Paradoxie des Absicherungswunsches, da mit der Idee eine (hohere) Eingebung unterstellt wird, die als soiehe eben nicht nur das Ergebnis potentiell fehlgehender denkerischer Entwicklungsarbeit sei, intellektuell aber doch immerhin nachgepriift wurde." Stimmig ist, was abgestimmt ist: Konsens ist oft das Resultat rhetorisch kaschierten Zwangs. Just die Figur der "allgemeinen Vernunft" - die einst fiir die Aufklarung unreflektierten Seins durch das Denken stand - stellt sich bisweilen in den Dienst einer kaum verdeckten Urnkehrung jener folgenreichen Uberwaltigung des Seins durch das beunruhigende, nie zu Ende kommende Denken." Der alles zur Explikation und Rechtfertigung zwingenden Moderne scheint in wachsendem Mage einzuleuchten, dass es eigentlich keine sicheren Standpunkte mehr geben kann. Wie jede Revolution, frisst auch die Aufklarung ihre eigenen Kinder. Das Unterfangen einer argumentativen Absicherung bestimmter Positionen lauft stets Gefahr, dem Gegenteil zuzuarbeiten, denn konkrete Argumente sind immer anfechtbar, Ihre Darlegungen und Erklarungen griinden auf Vorverstandnissen, die lediglich durch theaterreife Uberredungskunst als unbestrittene Erkenntnis der Vernunft selbst ausgegeben werden konnen" - grundsatzlich aber widerspruchsfahig bleiben." Die Macht bzw. der "zwanglose Zwang des
24 Dber das Dilemma politisch -administrativer Planung vgl. Wietholter, Materialization and Proceduralization, S. 232 f. 25 Vgl. auch Heidegger, Platens Lehre, S. 234 ff. 26 "Konsens ist und bleibt eine Konstruktion eines Beobachters, und das gilt umso offensichtlicher, je mehr dieser Konsens im Namen der Vernunft und im Namen der Moral reklamiert wird ." Luhmann, Enttauschungen und Hoffnungen, S. 139; zur Kritik des romischen "rechthaberischen" Wahrheitsbegriffs gegeniiber der griechischen aletheia Heidegger, Parmenides, S.62,76 ff.; siehe auch dens., Platons Lehre, S. 232 f. 27 Vgl. Adorno, Negative Dialektik, S.22; "Vernunft" bewahrt als Bildung zu "nehmen" bzw. "vernehmen" die Bedeutung des Erfassens bzw, Ergreifens einer Sache und darnit auch des sich an ihr Vergreifens. Vgl. Drosdowski, Duden "Etymologie", S.783 (Vernunft), 482 f. (nehmen). 28 "Ein schwachsinniger Despot kann Sklaven mit eisernen Ketten zwingen; ein wahrer Politiker jedoch bindet sie viel fester durch die Kette ihrer eigenen Idecn; deren erstes Ende macht er an der unveranderlichen Ordnung der Vernunft fest." Foucault, Dberwachen und Strafen, S.131; vgl. auch Heidegger, Parmenides, S.66 ; zur Konstruktion von Vernunft vgl. Foucault, Wahnsinn und Gesellschaft; in den siebziger Jahren erkennt Foucault die Ahnlichkeiten zwischen seiner Vernunftkritik und Horkheimers/Adornos Dialektik der Aufklarung, von welcher er bislang jedoch nie direkt beeinflusst worden war. Dazu Foucault, Der Mensch ist ein Erfahrungstier, S. 80-84.
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Grenzwissen und Denkgrenzen: DerunrnoqlicheGriff nachdem Ganzen
besseren Arguments'S? ist selbst eine rhetorische Figur und hofft darauf, eine bestimmte Meinung quasi denklogisch als gesicherten Standpunkt ausweisen zu konnen und damit in den Zustand der Unbefragtheit und Allgerneingiiltigkeit zu erheben."
III. Wahrheit auf der Flucht "Eigentlich weiB man nur, wenn man wenig weili; mit dem Wissen wachst der ZweifeI."
Goethe"
Wissenschaft ist eine Metapher und steht fur den Traum, die Welt im Begriff dingfest zu machen. Sie ist eine "Anvertrauungsmaschine", die das von ihr wissbar Gemachte von methodisch Unzuganglichern trennt und das Gewonnene schliefslich durch die zustandigen "Maschinisten" in einem verstandlichen System iiberschaubar mit sich selbst arrangiert. Die sichere Verwaltung des vormals Unbeherrschten solI Ungewissheit beseitigen und Vertrauen in dessen Symbole schaffen. Die eigendynamisch fortgeserzte Befragung der Symbole durch das unbremsbare Denken bringt hinter den Symbolen norwendigerweise neue Symbole hervor.-' die im Moment aber nicht als solche erkannt werden, sondern fur echte Aufklarung gelten: dem Heranwachsenden wird der Storch als Symbol fur das Unvertraute im Vertrauten ausgetrieben und durch die Beschreibung des Zeugungs-Schwangerschafts-Geburtsverlaufs ersetzt. Die Klarung der Mechanik hat die Praxis weitgehend befriedigt; theoretisch lassen sich dennoch eine Menge offener Fragen stellen (erwa iiber den Einfluss der Hormone bei der Zeugung). Dem Warum sind keine Grenzen gesetzt, Das Grundmuster der Problematik illustriert die ungebrochene Neuentdeckung immer kleinerer Bausteine der Materie (Atom, Protonen/Neutronen, 29 Habermas, Wahrheitstheorien, S.127, 136, 161; vgI. bereits dens., Strukturwandel der Offentlichkeit, S. 73. 30 Die idealtypische Trennung zwischen blofl strategischem und verstandigungsorientiertern Sprachgebrauch - der echten Kommunikation - (wie sie Habermas, Theorie Bd.1, S. 384 ff. vornimmt) ist ein praktisches Unding; in der kommunikativen Wirklichkeit konnen sie nie klar auseinandergehalten werden, treten vielmehr stets miteinander auf. Ihre Separierbarkeit dennoch zu behaupten, weist auf eine rhetorische Finte und mag (durchaus als unbewusster Selbstbetrug) einer Verschleierung der eigenen Strategien dienen . VgI. auch die Zusammenfassung und Kritik bei Wagner, Gesellschaftstheorie, S. 269 ff., 275 ff., 282 ff., 306. 31 Goethe, Maximen und Reflexionen, S. 771 (Nr.281). 32 Aufgrund der Instabilitat ihrer Elemente differenzieren sich so samtliche Systeme aus. VgI. Luhmann, Wirtschaft, S. 26 mit Bezug auf Wirtschaft und Politik.
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Wahrheit auf der Flucht
Leptonen/Quarks) bzw. das forrwahrende Auffinden stets fernerer Gestirne. Dieses Apeiron (Anaximander) zeigt sich nicht nur empirisch, sondern - analog zum Gegenstand - auch im Beschreibungsapparat. Sowohl numerisch als auch sprachlich gibt es nie genug genaue Exaktheit bzw. Treffsicherheit, wenn man es wirklich und genau wissen will. Zwischen den beliebig gewahlten Zahlen 4082 und 4083 erwa liegen allein schon Welten unendlicher Teilbarkeit, Der Drang nach Gewissheit verspielt diese selbst, wenn er jenen Abgrund ungezahlter Moglichkeiten betritt: Je weiter das Auge reicht, desto expansiver ist der Kosmos und ausdifferenzierter die Materie. Worauf der Blick ruht, ist keine Ruhe. Was er als Mitre festhalten will, ist kein "Mittelwert, sondern im Gegenteil der Ort, an dem die Dinge beschleunigt werden .r" Mathernatische Exaktheit gerat im berechnenden Umgang mit der "unprazisen Natur" zur unvollendeten und unabschliefsbaren Annaherung." Auch wenn der Abstand fur einen bestimmten Ma6stab - eine bestimmte Perspektive - stets kleiner zu werden scheint; die Entfernung zur Wahrheit scheint im Verhaltnis zur bewaltigten Annaherung konstant und uniiberwindbar, ahnlich dem Abstand des Achilles zur beriihmren Schildkrote." Angesichts der nach aufsen hin zunehmenden Expansionsgeschwindigkeit des Weltalls (HubbleEffekt), durfte an den Randern stets neuer Platz fur die Materie entstehen, ihrer Ausdifferenzierung somit (im wahrsten Sinn) nichts mehr im Wege stehen. (Da Zentrum und Peripherie immer nur relative Festlegungen sind - was ist innen, was ist au6en? -, profitieren auch wir von diesem "Randphanomen".) Mit jeder Annaherung an eine Sache teilt sich diese in ein Vielfaches an Komponenten, welche sich ihrerseits der Aufmerksamkeit durch ihr Aus33 Deleuze/Guattari, Tausend Plateaus, S. 41 f. (Rhizom) . 34 Houston Stewart Chamberlain meint dazu an einer »weltanschaulich" unverdachtigen Stelle S.930 f. bereits 1899: »[Es] beruht bekanntlich unsere ganze moderne Mathematik mit ihren Schwindel erregenden Leistungen auf Rechnungen mit ,unendlich nahen', d. h. also mit ungefahren Werten. Durch diese ,Infinites imalrechnung' ist sozusagen der weite undurchdringliche Wald irrationaler Zahlen, der uns auf Schritt und Tritt hinderte, geWit worden; denn die grosse Mehrzahl der Wurzeln und der bei Winkel- und Kurvenmessungen vorkommenden sogenannten .Funkrionen' gehort hierhin . Ohne diese Einfiihrung der ungefahren Werte waren unsere ganze Astronomie, Geodasie, Physik , Mechanik, sowie sehr bedeutende Teile unserer Industrie unmoglich. Und wie hat man diese Revolution vollfiihrt? Indem man einen nur im Menschenhirn geschniirten Knoten kuhn durchhaute. Gelose harte dieser Knoten nie werden konnen. Hier gerade, auf dem Gebiete der Mathematik, wo alles so durchsichtig und widerspruchslos schien, war der Mensch gar bald an der Grenze der ihm eigenen Gesetzrnassigkeit angelangt; er sah wohl ein, dass die Natur sich urn das menschlich Denkbare und Undenkbare nicht kummert und dass der Denkapparat des stolzen Homo sapiens nicht dazu ausreicht, selbst das Allereinfachste - das Verhaltnis der Grossen zu einander - aufzufassen und auszusprechen [...l-" 35 Vgl. die Paradoxie des Zenon von Elea uber den Laufer und die Schildkrote in Zenon, S. 11 f., 39 ff., 45 ff. und iiber die Widerlegungen ebd., S. 20 ff.
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Grenzwissen und Denkgrenzen: Der unmoqliche Griff nach dem Ganzen
einanderbrechen in weitere Teile entziehen usw. Manch eine leuchtende Einheit entpuppt sich im Teleskop als Nebel oder neue Galaxie, deren Sterne unter sich groBere Distanzen aufweisen konnen als sie in unserem Milchstraliensystern vorkommen." Hat man den Punkt, so hat man - ach ! - ihn schon wieder nicht mehr." Ein vermeintlich Ganzes lost sich auf in seine Teile; und was einmal Teil war, wird erneut zum Ganzen, bis der Versuch seiner Bestimmung wiederum nur Teile hervorbringt usw." Ahnlich betont Nietzsche - in Bezug auf die Unmoglichkeit, Tatsachen ein fur allemal festhalten zu konnen - einen alles relativierenden Perspektivismus.'? Die Realirat lebt langst nur noch mit dem Frageabbruch. Wie musilsche Potentialitatswelten dezisionistisch in die eindimensionale Realitat gebrochen werden, erfahren die unendlichen Prazisierungsversuche ihre faktische Hochrechnung bzw. Auf- oder Abrundung zur ganzen Zahl (4082 oder 4083). Das "Dazwischen" wird zum ratselhaften All, das die wenigen groben Stationen letztlich unendlich klein erscheinen lasst, An diesen Stationen behauptet Wissenschaft (ihrem Gestaltungsauftrag entsprechend) regelmallig das Gegenteil: das Unbegriffene gerate von ihnen aus dernnachst in Griffnahe. Annaherung, die nur gelingt, wenn man ein neues Symbol iiberzeugend zur Wahrheit macht, das mit deren Glanz die unendliche Leere als Weg zu ihr iiberstrahlt,"? den Blick iiber sie hinaus gefangen nimmt. Wie sich Mikro- oder Makrokosmos
36 Vorgreifend und analog muss auch die Rechtsordnung (oder allein schon die Verfassung) eines modernen Staates und namentlich ihre oft beschworene »Einheit" als ein solcherart disharmonisches, heterogenes Konglomerat aus unterschiedlichsten, einander im konkreten Fall ausschl ieBenden bzw. abstoiienden Grundsatzen gesehen werden. Die Idee einer »Einheit der Rechtsordnung" bleibt dann allenfalls ein rhetorisches Argument in den Handen der Vertreter der ranghoheren Teilrechtsordnung (des Verfassungs- bzw. Volkerrechts) zur MaBregelung rechtshierarchisch tiefer liegender Bereiche, etwa des Straf- oder Privatrechts, Zur Problernatik ausfiihrl ich Felix, Einhe it der Rechtsordnung, vgl. nur S. 398. 37 »Waru m kann der lebendige Geist dem Geist nicht erscheinen! / Spricht die Seele, so spricht ach! schon die Seele nicht mehr," Schiller/Goethe, Tabulae votivae, S. 313. 38 Vgl. etwa Hegel, Enzyklopadie § 136, S. 160: »Das Verhaltnif des Gan zen und der Theile ist das unmittelbare, daher das gedankenlose Verhaltnif und Umschlagen der Identitatmit-sich in die Verschiedenheit. Es wird vom Ganzen zu den Theilen und von den Theilen zum Ganzen ubergegangen, und in einem der Gegensatz gegen das andere vergessen , indem jedes fur sich das einemal das Ganze, das anderemal die Theile als selbstandige Existenz genommen wird. [.. .J Der Progref ins Unendliche, welcher die The ilbarkeit der Materie betrifft, kann sich auch dieses Verh altnisses bedienen, und ist dann die gedankenlose Abwechslung mit den beiden Seiten desselben. Ein Ding wird das einemal als ein Ganzes genommen, dann wird zur Theilbestimmung ubergegangen; diese Bestimmung wird nun vergessen, und was Theil war, als Ganzes betrachtet; dann tritt wieder die Bestimmung des Theils auf u.s.f. ins Unendliche." 39 Vgl. Nietzsche, Nachgelassene Fragmente 1885-1887 (KSA Bd.12), S. 315. 40 Miisste man so auch die pap stliche En zyklika veritatissplendor von 1993 verstehen?
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Wahrheit auf der Flucht
ins Unenclliche fortsetzen, gibt es wecler eine kleinste noch gro6te Zahl, Um betriebsfihig zu sein, beclarfjecles System cler("konsentierten") Vereinfachung bzw, Vergroberung seiner Umwelt. Analog cler Unscharfe- uncl Annaherungsproblematik bei cler Suche nach cler genauen Zahl, liefert auch die Sprache nur als Vergroberung einen festen Halt. Deleuze/Guattari meinen clazu, man benotige dringend "anexakte Ausdriicke, um erwas exakt zu bezeichnen"; aber eben nicht deshalb, "weil man nur durch Annaherungen weiterkame." Anexaktheit sei gerade keine Annaherung, sondern vielmehr "die Durchgangsstelle dessen, was im Werden ist,"41 In der Tat wechseln auch Begriffe periodisch dasjenige aus, was sie begreifen. Ein Blick in die Wortgeschichte verdeutlicht die Wanderschaft ihrer Semantik, ihre unaufhaltsame Bedeutungsverschiebung." Begriffe sind vielfach zwei- und mehrdeutig, weil sie nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Bedeutung ablegen und eine andere annehmen, sondern fliefsend stets auch Altes - Uraltes bzw. diverse Portionen Mittelalterliches - samt entsprechenden Seitenkontexten als (mehr oclerweniger) schwache Hintergrunclstrahlung mitschleppen. Sie sind deshalb immer ungenau, haben einen unfixierbaren BedeutungsuberschUSS. 43 Nietzsche meint zur Begriffsbildung: "UJedes Wort wird sofort dadurch zum Begriff, dass es eben nicht fiir das einmalige ganz und gar individualisirte Urerlebniss, dem es sein Entstehen verdankt, erwa als Erinnerung clienen soIl, sondern zugleich fur zahllose, mehr oder weniger ahnliche, d. h. streng genommen niemals gleiche, also auf lauter ungleiche Falle passen muss. Jeder Begriff entsteht durch Gleichsetzen des Nicht-Gleichen. "44 Was wir also sehen oder mit Vokabeln genau bezeichnen (wortlich: herbeirufen, vocare) zu konnen meinen, sind demnach immer nur momentane Stopps, Spuren einer langen etymologischen Reise cler Worte , sind kiinstlich trockengelegte Inseln in einem weiten, undurchsichtigen und sumpfigen Morast. Begriffsinseln, de41 Deleuze/Guattari, Tausend Plateaus, S. 35 (Rhizom); vgl. auch Blumenberg, Unbegrifflichkeit, S. 12; Friedrich Muller, Textarbeit, Rechtsarbeit, S.20 meint in Bezug auf das Recht: "Der Normtext erscheint, realistisch, als Durchzugsgebiet fur verschiedene, fur einander widersprechende, fur miteinander konkurrierende Interpretationsvarianten." Vgl. auch Muller/Christensen, Rechtstext und Textarbeit in der Strukturierenden Rechtslehre, S. 74. 42 1m Unterschied zur vergleichsweise stabilen Aristokratie, welche ihr Vokabular und dessen Bedeutung kaum veranderte, tendieren scheinbar vor allern Demokrat ien dazu, Begriffe (bestimmter Klassen, Parteien oder Berufe) fur neue Zwecke zu moderieren oder neu zu besetzen. So Tocqueville, De la democratic en Amerique, S. 576, 578 f. (II, I, XVI). 43 Zum Begriff dito Deleuze/Guattari, Was ist Philosophie?, S. 23 ff. "UJeder Begriff [wird] als Koinzidenz-, Kondensations - oder Akkumulation spunkt seiner eigenen Komponenten angesehen werden. Der Begriffspunkt durchlauft unaufhorlich seine Komponenten, steigt unaufhorlich in ihnen auf und ab." (26) "Die Begriffe sind Schwingungszentren [.. .J" (30). 44 Nietzsche, Dber Wahrheit und Luge, S. 879 f.
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ren vermeintlich feste Basis gleichfalls immer schon unterspiilt ist (vom Rauschen vergangener oder unterdriickter Sprachspiele), so dass eine Tiefenanalyse (auf der Suche nach dem Begriffsgrund bzw. Begriffshinter- oder Begriffsuntergrund) oft Unerwartetes und vielfach auch Unerwiinschtes zu Tage forderr. Darum: besser zuschiitten und rhetorisch isolieren als den eigenen diinnen Boden durch allzu viel Reflexion zu destabilisieren. Generell gilt mit Wittgenstein: Worte werden begreiflich nur als Elemente bestimmter, je nach Zeit und Ort differierender Sprachspiele."
45 »Wenn sich die 5prachspiele andern, andern sich die Begriffe, und mit den Begriffen die Bedeutungen der Waner." Wittgen stein, Dber Gewissheit, 5.132 (§ 65); zum 5prachspiel vgl. auch dens., Philosophische Untersuchungen, 5.241 (§ 7) sowie dens., Eine philosophische Betrachtung, 5. 121.
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§ 2 Vom Ding an sieh, seinen Symbolen und der Kausalitat I. Das Spiel des Spieles mit sich selbst Die Semantik der Aufklarung als Lichtbringerin hat Luziferisches und noch mehr Diabolisches" zur Folge , indem sie unterstellt, opake, obskure Dinge aus der Dunkelheit in die Klarhe it zu befordern, So wiirden ihre Begriffe wenn auch nur bestimmte, abgeschnittene, doch immerhin begriffene Stucke des Ganzen liefern Y Von ihnen konne dann auf eben jenes Ganze geschlossen werden. Bei der Aufklarung des Dunkeln wandern immer nur bestimmte abgeschnittene, eben: begriffene Sriicke (als kompensatorisches Kondensat des obskuren Ganzen) in den "klaren" Bereich des Begriffs," was den unbegriffenen Teil noch mehr verdunkelt, da die insulierten Stucke mit ihrem Resten nicht interagieren konnen, stehen sie mit ihm doch in keinerlei Beziehung. Denn auch das Begreifen des Unbegriffenen reduziert und verformt dieses, indem es ihm qua Ubersetzung in die Welt des Sichtbaren und Lesbaren just eine hierfiir adaquate Form verpasst, damit es dort iiberhaupt greifbar wird. Das Fremde wird "familiarisiert" - mithin Tei! einer Ordnung - und dadurch sich selbst entfremdet, tritt lediglich als symbolische Form in die gemeine Lebenswelt,"? D iese symbolischen Formen stehen fur das Andere, lassen es uns zur Sprache kommen und vermitteln so die Vorstellung, wir hatten es im Griff, indem wir dessen Abbilder gerieren.P Letztere sind Stellvertreter fiir eine Kehrseite, die dadurch keineswegs verstandlicher wiirde, dass man die fur sie gesetzten Zeichen und Symbole, Marken und Etiketten, Ziffern oder Schriften, 46 47 48 49
Gemeint ist ein "Durcheinanderbringen" von gr. dia-ballo: durch einander werfen. Zum Wahn der Enz yklopadien Kiesow, Alphabet (etwa S. 17 ff.). Vgl. dazu Legendres Begriff der desopaquisation: Legendre, Take-Off, S. 117 f. "We can live within a familiar world because we can, using symbols, reintroduce the un familiar into the familiar. We never have to leave the familiar world . It remains our lifeworld: We never cross the boundary: it remains a horizon that moves as we move. But we know in a familiar way about the unfamiliar." Luhmann, Familiarity, Confidence, Trust , S. 95. 50 Vgl. Willke, Symbolische System e,
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VornDing an sich, seinen Syrnbolen und der Kausalitat
Signifikanten, kurz: Namen in ein System bringt, sie also gleichsam in einem bestimmten Spiel mit sich selbst arrangiert.!' Von Ernst Cassirer stammt die Bezeichnung des Menschen als eines "animal syrnbolicum"." Er meinte: "Der Mensch kann der Wirklichkeit nicht mehr unmittelbar gegeniibertreten; er kann sie nicht mehr als direktes Gegeniiber betrachten. Die physische Realitat scheint in dem Mage zuriickzutreten, wie die Symboltatigkeit des Menschen an Raum gewinnt. Stan mit den Dingen hat es der Mensch nun gleichsam standig mit sich selbst zu tun. So sehr hat er sich mit sprachlichen Formen, kiinstlerischen Bildern, mythischen Symbolen oder religiosen Riten umgeben, dass er nichts sehen oder erkennen kann, ohne dass sich dieses artifizielle Medium zwischen ihn und die Wirklichkeit schobe."53 Wie fiir den Nominalismus, stehen die Signifikanten ohne Einfluss auf das Bezeichnete und vice versa. Selbst Analogievermutungen haben das Explikationsfieber der Moderne nicht iiberlebr/" Die Kontextualisierung der Signifikanten untereinander und ihre gegeniiber der Beschreibungsfunktion stets unterbelichtete Beruhigungsrolle arbeiten an deren moglichst iiberraschungslosen, stabilen Beziehung zum Gegenstand. Dass und wie dieser iiberhaupt entgegensteht (also in die Lebenswelt hineindringt) ist Leistung und Strategic des Systems.55 Er selbst ist in der fraglichen Beziehung namlich passiv, ein reines Objekt, und kann auf seine Beschreibung keinen Einfluss nehmen - wie auch die "familiarisierten" Zeichen seine tatsachliche N atur nicht verandern konnen, ihn nur als Abbild seiner selbst zu instrumentalisieren verrnogen." Als "Ding an sich" ist er nicht zu erkennen, da nach Kant "aIle Eigenschaften, die die Anschauung eines Korpers ausmachen, bIos zu seiner Erscheinung gehoren [. . .J". Von den Dingen "kennen [wir] nur ihre Erscheinungen, d. i. die Vorstellungen, die sie in uns wirken, indem sie unsere Sinne afficiren."57 "An sich" widerfahren sie allenfalls negativ, wenn sie kurz in Wahrheit passieren und ihre Symbole Liigen strafen, die eingeiibte, sedierte Semantik iiberlisten. Aber da waren wir schon fast bei Hegels Dialektik und ihrer Bewegung der Begriffe angekommen, die als Abbilder fiir die objektiven Dinge an sich - quasi auf der Suche nach ihnen - notwendig in ihr Gegenteil umschlagen (dazu gleich). In der Regel arbeitet jedoch das System (schon aus Selbsterhaltungsinteresse) daran, einen solchen Durchbruch aus dem unmar51 Zur Selbstreferenz der Systeme vgl. Luhmann, Soziale Systeme, S. 59 f., mit Bezug auf die Wissenschaft S. 395; tiber das Verhaltnis von System und Spiel in Bezug auf das Recht Krawietz, Droit et jeu, S. 218 H. 52 Cassirer, Versuch tiber den Menschen, S. 50. 53 Cassirer, ebd . 54 Vgl. Foucault, D ie Ordnung der Dinge (im Original: Les mots et les chosesl) , S.46 H., 83 H. 55 Vgl. Luhmann, Soziale Systeme, S. 36. 56 Vgl. ebd. zur gegenseitigen Unabhangigkeit von System und Umwelt, 57 Kant, Prolegomena zu einer jeden kiinftigen Metaphysik, S. 253,289.
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Begreifen durch Entfremden
kierten Bereich und die damit verbu ndene unkontrollierbare D ynamisierung der Begriffe zu verhindern. Wir sind mitten im Nominalismus: Indem wir den Dingen Namen geben, werden sie bei uns heimisch, ohne dass wir uns auf sie einlassen miissten noch konnten." Entsprechend hatte Kant auch erkannt, dass nicht wir uns den Dingen, sondern diese sich uns anzupassen hat ten'" bzw. unserer eingeschrankten Wahrnehmung angepasst wiirden. Mit dem stets tieferen Eindringen in das Unbegriffene (Quarks, Weltraum) mehren sich dessen Ratsel und die Fragen. Urn sich das Unvertraute anzuvertrauen, rniissen entweder neue Begriffe geschaffen oder bestehende anders kombiniert und in eine wiederum passende Theoriesprache einge1esen werden. Doch samtliche (zumal wissenschaftliche) Methoden sind immer nur je besondere Spie1e mit dem An verwandelten bzw. bestimmte Spiele des Anverwandelten mit sich selbst,
II. Begreifen durch Entfremden In der Meinung, die Wahrheit zu sehen, sehen wir nur, was uns die jeweilige Methode zu sehen erlaubt, Ein Akt, der seinen Gegenstand nicht in Ruhe Iasst, der ihn als Objekt dem Denken unterwirft und so seinem eigentl ichen Sein entreilit, basiert letztlich auf der von Kant gepragten Einsicht, "dass es die Erkenntnisrichtung ist, die den Erkenntnisgegenstand bestimrnt" .60 D er Irrtum liegt darin, "zu glauben, dass das, was die Wissenschaft durch die Intervention der symbolischen Form konstituiert, immer schon da war, dass es gegeben ist. D ieser Irrtum existiert in allem Wissen, insofern es nur eine Kristallisation der symbolischen Aktivitat ist und sie, einmal konstituiert, vergisst. Es gibt in jedem einmal konstituierten Wissen eine Dimension des Irrtums, die darin besteht, die schopferische Funktion der Wahrheit in ihr er Entstehungsform zu vergessen. " 61 Begreifen funktioniert nur als Entfrernden. 1m zusehends eingespielten Umgang mit jenen Zeichen, Systemen und Begriffen entsteht die Illu58 Der Men sch gab den D ingen laut G enesis ihre Namen; ebend ies, die Namensgebung, ist der eigentlich genet ische bzw, generische Akt, die Schopfung in der Schop fung, ihre AbBildung. Diese Schopfun g in der Schopfung sche int vorerst beherrschbar, ehe sie sich autopoietisch - in ihren Begriffen wied er verselbstandigt, 59 Kant , Kritik der rein en Vernunft, B XVI fL, S. 21 f. 60 Steinhauer, Regel und Fikti on , S. 120 mit Bezu g auf den Fiktionalismu s bei Kelsen. 61 Lacan, D as Seminar, Buch II, S.29 ; dazu auch Nietzsche, Uber Wahrheit und Luge , S. 883 f.: nEr vergisst also die originalen Anschauungsmetaphern als Metaphern und nimmt sie als die Dinge selbst, Nur durch das Vergessen jener pr imiti ven Metap herw elt, nur durch das H art - und Starr-Werden einer urspriinglich in hitzi ger Fhi ssigkeit stromenden Bildmas se, nur durch den unbesiegbaren Glauben, diese Sonne, dieses Fenster, dieser Tisch sei eine Wahrheit an sich, kurz nur dadurch, dass der Men sch sich als Subjekt u nd zwar als kunstlerisch schaff endes Subj ekt vergisst, lebt er mit einiger Ruhe, Sicherheit
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VornDing an sich, seinen Syrnbolen und der Kausalitat
sion, die Welt zu beherrschen, derweil sie uns beherrscht. Adam musste sich die Welt unterwerfen, indem er ihren Dingen Namen gab. Hinter jeder Normalitat stehen begrifflich zugedeckte, eingehiillte Ratse1.62 Hinter jeder Ordnung steht eine verhiillte Unordnung, deren Tarnung die Herrschaft des Denkens iiber das Sein illustriert bzw. simuliert und damit die ontologischen Subversivkrafte ignoriert.P Jede scheinbar beruhigende Antwort ist entweder systernisch-zirkular oder sie generiert weitere Fragen. Das ist das Paradox des Begriindens und stellt die modernen (nicht zuletzt justiziellen) Begriindungsfabriken als Aufklarungsindustrie selbst in Frage. Auf die Frage nach dem Grund einer fur strafbar befundenen Tat, der Motivation des Taters, ware oft kontinuierliches "Entblattern" und Demaskieren moglich, bis angesichts der Leere am Ende jeder Entschleierungskette, besser: angesichts der zirkularen Leere jeder angeblichen Entschleierungskette die Ahnung dammert, dass vielleicht auch in diesem Fall Maske und Person identisch sein miissen; miissen, denn wie bzw. wer er tatsachlich ist, wei6 eigentlich niemand; am wenigsten der Tater selbst.v' Die Psychologie gibt ihm diesbeziiglich eine neue Identitat, verpasst dem Beurteilten ex auctoritate et dignitate iurisdictionis - mit der formalen Hilfe des Rechtsurteils - Charakter und Gesinnung (erwa "aus niederen Beweggriinden .. ."), die ihm wohl nicht gefallen werden, welche ihm aber zumindest sagen, wer er ist, auf dass er erwas hat, womit er sich unter Aufsicht und Anleitung auseinandersetzen kann. 65 Wenn die Psychologie auch wei6, dass es keine eindeutigen Zuordnungen gibt, so dient sie sich mitunter doch der Macht des Rechts an, welches ihr zur Verbindlichkeit ihrer Aussagen verhilft, Umgekehrt steht das Recht unter dem Druck, Griinde zu liefern. Ein guter Begutachter schafft diese im Wissen darum herbei, dass er oder seine Schule ein bestimmtes Gut anders achtet als dies seine Kollegen tun. Die "Psyche" des Menschen ist kompliziert, Abgriinde des Unbewussten tun sich auf, weshalb nur eine Vergroberung und Reduzierung dieser Wirklichkeit beschreibbare Tatsachen hervorbringen kann. Die Menschen begreifen sich nur in der Selbstentfrerndungr" im Rahmen der jeweiligen Rolle, in welche sie schliipfen, in Gestalt bestimmter Masken, die sie aufsetzen.V "An sich" bleibt der Mensch sich und anderen ein Ratsel. Die
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und Consequenz; wenn er einen Augenbliek nur aus den Gefangisswanden dieses Glaubens heraus konnte, so ware es sofort mit seinem .Selbstbewusstsein' vorbei." Willke, Dystopia, S. 77 f., 158 ff. sprieht denn aueh von "Derivaten des Nichrwissens" bzw. - der "Ignoranz". Vgl. Cassirer, Philosophie der symbolisehen Formen, Teil 1, S. 48 ff. sowie Legendre, Nomenclator, S. 24 ff. Uber das "Ieh" als Zwiebel Lacan, Das Seminar, Bueh I, S. 220 (mit Bezug auf Freud). Hierzu Legendre, Das Verbreehen des Gefreiten Lortie. Vgl. dazu klassiseh Gehlen, Uber die Geburt der Freiheit aus der Entfremdung. Uber Kommunikationsspiele Baecker, Form und Formen der Kommunikation.
Begreifen durch Entfremden
zahlreichen Selbstfindungs- und Aufrichtigkeitsbewegungen der jiingeren Zeit erscheinen jedenfalls ziemlich untypisch in einer bislang weitgehend stilisierten und formalisierten Kommunikation'" und konnen mit den neuzeitlichen Individualisierungstendenzen in Verbindung gebracht werden,"? die politisch mit der Franzosischen Revolution in der allgemeinen Egalisierung kulminieren. Der Einzelne gewinnt seine Identitat nicht mehr laager aus einem bestimmten Stand, dem er angehort." Eine generelle Mobilitat zwischen allen Gesellschaftsschichten und Arbeitswelten geht auf Kosten der Stabilitat, die fiir jede verbindliche Selbst- und Fremddarstellung unverzichtbar war und ist. So erschopfen sich gesamtgesellschaftliche Beschreibungen heute meist im Pluralismusbefund und einer Auseinanderlegung der typischen Probleme. Der moderne Zwang zur Individualisierung verlangt von jedem, dass er ein Einzelner werde, etwa indem er sich ein Eigenes finde, das ihn zum Original macht, Eine Forderung, die nicht selten uberfordert, Korporationistische Gegensrromungen bilden die Reaktion. Segmentierte und hierarchisierte Gesellschaften haben die Einordnung des Einzelnen besorgt und die schicht- bzw. gruppenspezifischen Rituale haben ihm zu einer Identitat verholfen. Liberale mod erne Gesellschaften bediirfen hierzu spezieller Institutionen wie der Psychologie und Psychiatrie, denn der Mensch ist einer vorbildlosen Individualisierung unfahig, Was friiher Individuum war, ist heute ein Dividuum;" ein vielfaltig gebrochenes und vielschichtig verwickeltes Subjekt, das seine Individualitat als unteilbare, unverbriichliche Identitat nur durch die eigene Objektivierung gewinnt, damit es selber weifs,was es ist und damit die anderen wissen, wo sie es einordnen miissen." ,,[D]as Subjekt ist in Bezug auf das Individuum dezentriert."?' Ordnung entsteht durch Urteil. (Straf)-Recht und Psychologie leben davon, dass Taten eindeutig zugeordnet werden konnen. Dafiir braucht es Griinde und diese gewinnt man nur durch Frageabbruch. Ihre Funktion ist cliejenige der Beruhigung. Ob man nun zeigt ocler sagt, wie es (gewesen) ist -
68 Dazu am Beispiel der Liebe Luhmann, Liebe als Passion. Zur Cod ierung von Intimitat, 69 Vgl. die erwas angestaubte Darstellung bei Jacob Burckhardt, Die Kulrur der Renaissance in Italien, Zweiter Abschnitt, S. 161 ff. 70 Die mittelalterliche Realitar der Universalien ist vorbei . Siehe nur Friedell, Kulturgeschichte der Neuzeit, S.101 ff. 71 Vgl. die Beitrage in Elster (Hrsg.), The multiple self. 72 "Denn diese Seele ist nichts Einfaches, vielmehr eine Hierarchie von iiber- und untergeordneten Instanzen, ein Gewirr von Impulsen, die unabhangig voneinander zur Ausfiihrung drangen, entsprechend der Vielheit von Trieben und von Beziehungen zur Aulsenwelt, viele davon einander gegensatzlich und miteinander unvertraglich. Es ist fur die Funktion erforderlich, dass die oberste Instanz von allem Kenntnis erhalte, was sich vorbereitet, und dass ihr Wille iiberallhin dringen konne, urn seinen Einfluss zu iiben." Freud, Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse, S. 9. 73 Lacan, Das Seminar, Buch II, S. 16.
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VornDing an sich, seinen Syrnbolen und der Kausatltat
gerichtet wird allernal" und wir erfassen alles nur als (Re)Konstruktion; unmittelbare Wahrheit passiert uns unbegriffen." Vermeintliche Erklarung, Deutung und Erhellung dienen nicht der Erkenntnis, sondern der (Selbst)Beruhigung und Sicherheitsproduktion. Wahrheit entzieht sich jedem Zugriff und kann nur als (freilich wahrheitsgetreu maskierte) Behauprung hergestellt werden. Das ist die Konsequenz einer Herrschaft des Denkens iiber das Sein, welche ihre unvermeidliche Selbstverunsicherung nur durch eine Umkehrung ebendieses Herrschaftsverhaltnisses abwenden kann.
III. Denken heiBt Zusammenhanqen Dem Idealismus Hegels schwebte hiergegen, in Anlehnung an Parmenides, die Identitat von Denken und Sein vor. Solange namlich der Gegenstand als Ding an sich "schlechthin ein jenseits des Denkens" bleibt," ist Philo sophie nicht rnoglich. Wenn mit "Ding an sich" dasjenige Bezeichnung findet, was die Erscheinung des Gegenstandes von ihm immer schon augen vor lasst, stellt sich die Frage, inwieweit verschiedene Erscheinungen desselben Gegenstandes etwa in quasidialektischer Abarbeitung aneinander (eine hegelianische Idee, die Hirschberger Kant durchaus unterstellt)" - etwas iiber diesen aussagen konnen." Dazu miisste indes das "Ding an sich" als Ursache jener Erscheinungen gedacht werden, was Schopenhauer als Kausalitatskritiker in der Nachfolge Kants ablehnt." Das Verhaltnis von Wesen und Erscheinung sei 74 Leopold von Ranke will mit seiner Geschichtsschreibung eben anderes versuchen, wie er im Vorwort mit der beriihmt gewordenen Sentenz betont: "Man hat der Historie das Amt, die Vergangenheit zu richten, die Mirwelt zum Nutzen zukiinftiger Jahre zu belehren, beigemessen: so hoher Amter unterwindet sich der gegenwartige Versuch nicht: er will bloB sagen, wie es eigentlich gewesen." Ab der spateren zweiten Auflage war dann gereifter, im Anspruch entsprechend bescheidener - nur noch zu lesen: ,,[...J er will blof zeigen, wie es eigentlich gewesen." Jedenfalls hat Ranke hiermit 1824 bzw, 1874 eine bis heute anhaltende Methodendebatte iiber die Moglichkeit objektiver Beschreibung ausgelost. Vgl. zum Ganzen Fuchs, Was heilit das: "bloB zeigen, wie es eigentlich gewesen"?; Repgen, Dber Rankes Diktum von 1824; Zemlin, ,Zeigen, wie es eigentlich gewesen' , 75 Zur Wahrheit (aletheia) als unentzogenes, aber ungreifbar passierendes Ereignis Heidegger, Yom Wesen der Wahrheit. 76 Hegel, Wissenschaft der Logik. Erster Band, S. 29. 77 Hirschberger, Geschichte der Philosophie, Bd. II, S. 335. 78 Vgl. auch]acobs, Ding/Ding an sich, S.258, 259 f. 79 Kausalitat ist fur Schopenhauer die einzige Kategorie a priori, sie schlieiit die von Kant ebenfalls fiir eigenstandige a priori-Kategorien gehaltenen Raum und Zeit mit ein. Der Mensch nimmt im Augenblick, da ihm die Sinne irgendwelche Reize iibermitteln, ohne weiteres an, dass diese Reize eine Ursache haben. Indem er diesen Ursachen nachgeht, ermittelt er die Dinge im Raurn und in der Zeit. So sind die beiden letzteren Kategorien die Konsequenz der Wahrnehmung in der Kausalitat. Die Kausalitat ist dabei das Raum
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Denken heiBt Zusammenhangen
nicht dasjenige von Ursache und Wirkung. 80 In der Tat erweist sich deren vermeintlich stabile Beziehung als spekulative Herstellung. Sie solI Ruhe schaffen und Kontrolle vorgaukeln, denn wir konnen gar nicht anders als in Zusammenhangen denken. Deswegen miissen wir unsere Erfahrungen auch zwingend gewissen Ursachen zuordnen. Denken ist immer schon Verkettungsarbeit, Jede Uberlegung verfahrt nach einem vom/im Einzelnen beliebig festgesetzten Kausalitatsmuster, so dass die Objekte in ihrer Verbindung ohne das Subjekt nicht denkbar waren." Kant spricht von synthetischen Urteilen. »AIlein die Verbindung (conjunctio) eines Mann igfaltigen iiberhaupt, kann niemals durch Sinne in uns kommen, und kann also auch nicht in der reinen Form der sinnlichen Anschauung zugleich mitenthalten sein; denn sie ist ein Actus der Spontaneitat der Vorstellungskraft, und, da man diese, zum Unterschiede von der Sinnlichkeit, Verstand nennen muss, so ist aIle Verbindung, wir mogen uns ihrer bewusst werden oder nicht, es mag eine Verbindung des Mannigfaltigen der Anschauung, oder mancherlei Begriffe, und an der ersteren der sinnlichen, oder nicht sinnlichen Anschauung sein,[82J eine Verstandeshand lung, die wir mit der allgemeinen Benennung Synthesis belegen wiirden, urn dadurch zugleich bemerklich zu machen, dass wir uns nichts, als im Objekt verbunden, vorstellen konnen, ohne es vorher selbst verbunden zu haben, und unter allen Vorstellungen die Verbindung die einzige ist, die nicht durch Objekte gegeben, sondern nur vom Subjekte selbst verrichtet werden kann, weil sie ein Actus seiner Selbsttatigkeit ist. Man wird hier leicht gewahr, dass diese Handlung urspriinglich einig, und fur aIleVerbindung gleichgeltend sein miisse, und dass die Auflosung (Analysis), die ihr Gegenteil zu sein scheint, sie jedoch jederzeit voraussetze; denn wo der Verstand vorher nichts verbunden hat, da kann er auch nichts auflosen, weil es nur durch ihn als verbunden der Vorstellungskraft hat gegeben werden konnen."83 Begreifen ist ohne eine stete Kausalverkniipfung der Dinge, die uns umgeben, unmoglich." So erhalten diese ihre Funktion. Ihre Verknotung geschieht und Zeit Verkniipfende, indem aile durch Ursachen bewirkten Veranderungen der Ob-
jekte jeweils nur im Raum und in der Zeit geschehen . Vgl. Sehopenhauer, Die Welt, Bd. 1, S. 37 ff. 80 So Windelband, Lehrbuch S. 507 fur Schopenhauer. 81 Vgl. Sehopenhauer, Die Welt, Bd. 1, S. 44 f.; Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 164, § 26: ,,[...] Gesetze existieren eben so wen ig in den Erscheinungen, sondern nur relativ auf das Subjekt, dem die Erscheinungen inharieren, so fern es Verstand hat, als Erscheinungen nicht an sich existieren, sondern nur relativ auf dasselbe Wesen, so fern es Sinne hat." 82 Gemeint sind die reinen Verstandesbegriffe als bloBe Gedankenformen (vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 148 ff., § 23 f.). Zur Schau der inneren Bilder vgl. auch Platon, Pha idon, 65a -67a (S. 15 ff.). 83 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 130, § 15. 84 "Denn durch das Ich, als einfache Vorstellung , ist nichts Mannigfaltiges gegeben; in der Ans chauung, die davon unt erschieden ist, kann es nur gegeben und durch Verbindung in
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sozusagen in unwillkiirlicher Willkiir, womit sich das Wesen aller Dinge in ihrer durchorganisierten Kausalitat erschopft. Materie besteht folglich darin, zu wirken. Die Gesamtheit der Objekte wird denn auch als Wirklichkeit bezeichnet, Die Objekte wirken unter sich und auf die Subjekte, entsprechend dem Gesetz der Kausalitat, das seinerseits der Verstand ordnungsnotwendig geschaffen hat und bestandig bestatigt, wodurch Denken iiberhaupt erst moglich wird. 85 Kausalitat und Denken bedingen einander. Zusammenhange bestehen, weil sie vorher jemand zusammengehangt hat. So werden auch Dinge zu samrnengehangt, die moglicherweise gar nicht zusammengehoren." Das aber ist weder ermittelbar (da die Dinge selbst nicht zu uns sprechen) noch wichtig; zentral ist, dass verkettet wird." Verkettung muss sein, auch wenn es zur Beantwortung der Frage nach der richtigen Verkniipfung keine absoluten Krite rien, nur bloiie Meinungen gibt.88 Sie geschieht also ganz nach unserer Vorstellung, welche so die Wirklichkeit bzw. unsere Wahrnehmung der Gegenstande pragt "wie nur das Meinen die Wirklichkeit antizipieren [kannj'i." Es ist die Vorstellung, die wir von der Welt haben, welche unsere Meinung iiber die Dinge lenkt und in dieser apriorischen "Welt als Wille und Vorstellung" gilt notwendigerweise das Prinzip der Kausalitat." Der Vorgang gleicht der Fabrikation eines Filmes, welcher durch ein rnoglichst dichtes und schnelles Aneinanderreihen bestimmter, unrerschiedlicher Einzelbilder (die Freilich auch in anderen Kombinationen oder mit anderen Bildern zusarnmengehangt werden konnen) entsteht,
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einem Bewusstsein gedacht werden. Ein Verstand, in welchem durch das Selbstbewusstsein zugleich alles Mannigfaltige gegeben wiirde, wiirde anschauen; der unsere kann nur denken und muss in den Sinnen die Anschauung suchen." Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 135, § 16. Vgl. Schopenhauer, Die Welt, Bd.1, S. 38 f., 41 f. Vgl. auch Wenger, Negative]urisprudenz, S. 44 f. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 218 f., spricht von einer "Synthesis der Wahrneh mungen, die selbst nicht in der Wahrnehmung enthalten ist". So "kommen [.. .J in der Erfahrung die Wahrnehmungen nur zufalliger Weise zu einander, so, dass keine Notwendigkeit ihrer Verkniipfung aus den Wahrnehmungen selbst erhellet, noch erhellen kann, wei! Apprehension nur eine Zusammenstellung des Mannigfaltigen der empirischen Anschauung, aber keine Vorstellung von der Notwendigkeit der verbundenen Existenz der Erscheinungen, die sie zusammenstellt, im Raum und Zeit, in derselben angetroffen wird ." (B 219). Vgl. Lyotard, Der Widerstreit, S. 10 ff. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, § 188, S. 338. Schopenhauer, Die Welt, Bd. 1, S. 46.
Die Welt als Wille und Vorstellung
IV. Die Welt als Wille und Vorstellung Ins Innere der Natur a! du Philister!
Dringt kein erschaffner Geist. Mich und Geschwister Mogt ihr an solches Wort Nur nicht erinnern: Wir denken: art fur art Sind wir im Innern.
Gluckselig! Wem sienur Dieauflere Schale weist!
Das hor' ich sechz ig Jahre wiederholen, Und fluche drauf, aber verstohlen; Sage mir tausend tausendmale: Alles gibt sie reichlich und gernj Natur hat weder Kern Noch Schale, Alles ist sie mit einemrnale; Dich priife du nur allermeist Ob du Kern oder Schale seist?
Goethe?'
Vorstellungen und Meinungen, ob willkiirlich oder unwillkiirlich erwirkt, kommen zu ihrer Wirklichkeit durch den Willen und seine Kiir, Er - der Wille - ist das "Ding an sich"." Dieses kantsche Nichts," das so manch einem das Weiterdenken zur aussichtslosen Aporie verkommen lieB,94 wird von Hegel gleichsam als das beherrschende Ding der einzig realen Gedankenwelt erkannt." Das Subjekt kann nur Objektivitat feststellen. Erkenntnis ist ein Pe91 Zur Morphologie, S. 225 (I, 3). 92 Schopenhauer, Die Welt, Bd.1, S. 570. 93 Zur Kritik an Kants "Ding an sich" Hegel, Enzyklopadie, § 44, S. 81 sowie ders., Logik, S. 108 f. 94 Hegel, Logik, S.46 j vgl. nur Goethes Klage vor § 1 oder die existentielle Erschiitterung des "naiven " Wissenschafts- und Vernunftglaubens von Kleists, Brief an Wilhelmine yom 22. Marz 1801, S. 443 f. 95 Hegel, Logik, S. 33 f.; die Weiterftihrung Kants durch Hegel erfahrt bei Reiff, Dber die Hegel'sche Dialektik, S. 6 ff. immer noch eine sehr treffend-differenzierte Analyse: "Wie Kant die logische Form des Denkens als dem Wirklichen, der Erfahrung nicht angcmessen erkennt und tiber diese zum synthetischen Denken hinausgeht und die Bedingungen desselben als der alleinigen Form der Erkenntniss erforscht, wie hierin seine Kritik des Erkenntnissvermogens besteht: ganz in demselben Sinne geht Hegel tiber das verstiindige Denken zum dialektischen, vernunftigen Denken hinaus, urn in diesem das reale, dem Wirklichen gewachsene Denken zu haben . Hegel weiss recht gut, dass die Philosophie die Bahn zu verfolgen hat, welche ihr von Kant vorgezeichnet worden ist. .Das Nachste',
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Vorn Ding an sich, seinen Syrnbolen und der Kausalitat
netrationsakt," ist Bekenntnis. Die von Kant zwecks der Entthronung aller metaphysis chen Einfliisse in der Philo sophie diagnostizierte Trennung zwischen "Ding an sich" und Erscheinung, wobei nur letztere erkannt werden konne, hat nicht zuletzt zur Konsequenz, "dass auch ein Verstand, der nur Erscheinungen und ein Nichts an sich erkennt, selbst Erscheinung und nichts an sich ist [.. .J. "97 Ob dieser Folgerung kann man schnell allen Verstand verlieren. sagt er [Verweis auf Hegel, Glockner 6, S. 87, Zusatz], ,in der kantischen Philosophie ist diess, dass das Denken sich selbst untersuchen soli, inwiefern es zu erkennen fahig ist, Heutiges Tags ist man tiber die kantische Philosophie hinausgekommen, man will weiter sein, aber es fragt sich, ob diess ein Vorwarts- oder Riickwartsgehen sei; viele unserer philosophischen Bestrebungen sind nichts anderes als das Verfahren der alten Metaphysik, ein unkritisches Dahindenken.' Hegel umgeht nicht die kritische Frage tiber die Wahrheit und Realitat des Denkens, sondern er erkennt sie als Frage, urn sie auf eine hohere Weise zu beantworten. Er geht nicht, wie Kant, durch die Anschauung tiber das blosse Denken hinaus, urn in ihr, in der apriorischen Form derselben die Moglichkeit einer nothwendigen synthetischen Verknupfung zu finden [Verweis auf Kant's Werke v, Hartenstein III. S.382. 383. II, S.232-235. (Immanuel Kant's Werke, hrsg. v, Gustav Hartenstein, Leipzig 1838-39.)], sondern durchs Denken selbst will er tiber das logische Denken hinauskommen, damit das Denken als solches real sei. Das Denken untersucht sich selbst, die Denkformen bestimmen an ihnen selbst ihre Grenze und zeigen ihren Mangel auf; das logische Denken geht an ihm selbst tiber sich hinaus und geht zum dialektischen und verniinftigen Denken fort. So ist [Verweis auf Hegel's Werke VII. 2. S. 354] das reine Denken selber allein im Stande, die Wahrheit der Dinge zu erfassen; es bleibt nicht abstractes formelles Denken, sondern enrwickelt sich zum concreten (synthetischen), zum begreifenden Denken; das Denken ist damit durch seine eigene Kraft dem Wirklichen gewachsen. Das dialektische Denken besteht gerade darin, dass erwas, indem es in seiner Bestimmtheit fur sich fixirt wird, an ihm selbst sich als sich selbst entgegengesetzt, als in sein Gegentheil ubergehend zeigt. [Verweis auf Hegel's Werke V. S.50 .] Desshalb ist die absolute Methode [Verweis auf Hegel V. S.336 .] analytisch, sie findet die weiteren Bestimmungen des anfanglichen Allgemeinen ganz allein in diesem selbst, aber sie ist ebensosehr synthetisch, denn sie entwickelt aus demselben das Andere seiner selbst. Diese Verbindung des Analytischen mit dem Synthetischen, vermoge welcher die Synthesis mit dem Andern dem Dinge immanent ist, macht die Dialektik aus."
[Klammererganzungen D.W.].
96 Das griechische Verb ytvrocrKetV wird etwa in der Bibel synonym als erkennen, erfahren, begreifen und fur die Bezeichnung des Beischlafes verwendet. Vgl. nur Mr. 1,25: "Er erkannte sie aber nicht, bis sie ihren Sohn gebar. Und er gab ihm den N amen]esus." 97 Hegel, Glauben und Wissen, S.332 f.; vgl. dazu auch dens., Logik, S. 30 f. sowie dens., Geschichte der Philosophie III, S.333 f.: "Vor der Wahrheit erkennt das Erkennen nichts Wahres; es geht ihm dann wie den ]uden, der Geist geht mitten hindurch. Das Erkenntnisvermogen untersuchen heilh, es erkennen. Die Forderung ist also diese: man soli das Erkenntnisverrnogen erkennen, ehe man erkennt; es ist dasselbe wie mit dem Schwimmenwollen, ehe man ins Wasser geht. Die Untersuchung des Erkenntnisverrnogens ist selbst erkennend, kann nicht zu dem kommen, zu was es kommen will, weil es selbst dies ist, - nicht zu sich zu kommen, weil es bei sich ist." Vgl. auch dens., Enzyklopadie § 10, S. 50.
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Die Welt als Wille und Vorstellung
Descartes' cogito ergo sum jedenfalls miisste der Zweifel zuriickerobern." Die These ist in den Augen Kants denn auch nichts anderes als eine Tautologie; logisch zwar unentbehrlich, nicht aber eine ontologische Aussage iiber das "sum" .99 Schlechterdings jeder niitzlichen Denkfigur, die "ein menschliches Selbstbewusstseyn mit den Adern der Objectivitat durchzieht, dass [sie] als aufgerichtete Gestalt steht" erlischt quasi das Lebenslicht, wenn Kants Kritik ihr jene Adern wieder "ausleckt".lOoVielmehr ist der Verstand "die absolut fixierte uniiberwindliche Endlichkeit der menschlichen Vernunft";'?' und dessen Unterstellung(en sind) darum - Paradoxie hin oder her - verniinftig. ,,[W]enn das Subjective Punct ist, so ist auch das Objective Punct; ist das Subjective, Linie, ist auch das Objective, Linie [. . .]," erklart Hegel wohl mit Bezug auf eine Stelle bei Kant. 102 Die Subjektivitat des Verstandes und die Objektivitat sind identisch.l'" Descartes ' cogito ergo sum ist eine erkenntnistheoretisch notwendige Intuition;'?' sie antizipiert letztlich Hegels (bei Parmenides abgekupferte) These einer unzertrennlichen Einheit von Denken und Sein.l'" Dass die von Kant lediglich zwecks Aufweises allgemeiner Erkenntnisgrenzen eingefiihrten "Dinge an sich"106 bei anderen mitunter die Hoffnung schiiren, ihnen iiber die Erscheinungen dereinst vielleicht doch noch auf die Schliche zu kommen, ware in seinen Augen nichts als nutzloses Schlangengefliister ("Ihr werdet sein wie Gott und wissen . . .").107 Hegels Losung dagegen lautet: Was wir er98 D ie "cogito "-Stelle in Descartes, Discours de la Methode, S. 52/53 (IV, 1). 99 Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 474 (A 355), vgl. auch S. 443 f. (B 399 f.) bzw. Heidegger, Sein und Zeit, S.24 f.; dieses bleibt vielmehr ein Traum: "Cogito ergo sum sum, sum, sum, Bienchen summ herurn ." Schmitt, Glossarium, 9.12.47 (S. 58). 100 Hegel, Glauben und Wissen, S. 332. 101 Hegel, Glauben und Wissen, S. 333. 102 Vgl. vorne § 1 I, Fn .5; Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 137 f., S. 182 sowie B 154, S.195. 103 Hegel, Glauben und Wissen, S.331 f. 104 Vgl. Descartes, Discours de la methode, S.54 /55 (IV, 3); dazu auch Hirschberger, Geschichte der Philosophie, Bd. II, S. 93 H. 105 Hegel, Geschichte der Philo sophie III , S. 130 ff.; vgl. auch dens; Geschichte der Philosophie I, S. 289 f. zu Parmenides sowie Hirschberger, Geschichte der Philosophie, Bd. I, S. 32 H. (Abgrenzung Parmenides/Heraklit); Heidegger hingegen kritisiert an Descartes, dass dieser mit seiner These "die Philosophie nicht zu sich selbst [...Jauf ihren Grund und Boden" bringe, sondern sie vielmehr "vom Fragen ihrer Grundfrage", nach dem Sein bzw. Seienden, abdrange. Er stehe damit fur den "Beginn eines weiteren wesentlichen Verfalls der Philosophie". "GemaB dem Vorrang des Ich qua Bewusstsein bestimmt das Bewusstsein das Wesen desSeins." Heidegger, Die Grundfrage der Philosophie, S. 39, 42 f., 45 f. 106 Dazu Hoffe, Kants Kritik der reinen Vernunft, S. 198 H., 69. 107 So aber ansatzweise Cassirer, Philo sophie der symbolischen Formen, Teil I, S.49, der bei allern Dualismus von Sein und Denken im Rahmen einer reinen Intuition die Mog-
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kennen - die Wirklichkeit- ist verniinftig und was verniinftig ist, ist wirklich. Denn es kann nichts bewusst sein, was nicht im Bewusstsein ist und damit ist der reine Gedanke die Sache selbst; er ist somit gleichsam ein entwicklungsfahiges und entfalnmgsbedurftiges "Ding an und fiir sich". Denken und Sein, das Verniinftige und das Wirklichesind ein und dasselbe.l'" schlielilich kommt auch fur Hegel der Logos vor der Materie.P? Ideen pragen nicht nur die Wirklichkeit, sie enrhiillen diese in ihrer ganzen Mannigfaltigkeit.!'? Entsprechend liegt sie denn dem Verstand auch gebrochen da, der sie notwendigerweise wieder verkniipfen muss.III Die Idee bricht sich in die Realitat und folglich bildet der Widerspruch die Mitrevon Wirklichkeit und Vernunft.!" Zur Versohnung der Gegensatze - als unterschiedliche Verkniipfungsmuster (siehe oben) berniiht Hegel die dialektische Methode, we1che - vorn objektiven (Zeit)Geist
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lichkeit und Hoffnung gelten lassen will, "dass in dem Bilde, welches die Erkenntnis vom Sein enrwirft, wenigstens ein Rest der Wahrheit des Seins aufbehalten ist. Es scheint als ginge das Sein zwar nicht vollstandig und adaquat, aber doch mit einem Teil seiner selbst in dieses Bild der Erkenntnis ein - als greife es mit seiner eigenen Substanz in die des Erkennens iiber, urn in ihr eine mehr oder minder getreue Spiegelungvon sich selbst zu erzeugen." Hegel, Enzyklopadie §6, S.Hf. Wie iiberhaupt fur aile christlich-antik geprsgte Philosophie: Heraklit schreibt - quasi die Stoa vorwegnehmend - , man konne wahre Weisheit nur durch Denken in Einklang mit dem Logos, der Weltvernunft, erreichen (vgl. He raklit, S.245, 277). Ein letztlich anderes Konzept liege dem Logosbegriff im Prolog des Johannesevangeliums zu Grunde (siehe auch sogleich Fn. 113): Vgl.Joh . 1,1-5 u. 14. " EV uPX~ nv 0 My~ XUl 0 Myo<; l1V npex; 'tOY 8EOV, xui 8Eex; llV 0 A6y<:><; " (Joh. 1,1 in: N estle-Aland, Das Neue Testament). Dazu der Versuch Goethes, sich das griechische Original (Logos) verstandlich zu rnachen: "Geschrieben steht: .Irn Anfang war das Wort!' / Hier stock ich schon! Wer hilft mir weiter fort? / Ich kann das Wort so hoch unmoglich schatzen, / Ich rnuf es anders iibersetzen, / Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin. / Geschrieben steht : 1mAnfang war der Sinn. / Bedenke wohl die erste Zeile, / DaB deine Feder sich nicht ubereile! / Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft? / Es sollte stehn: 1m Anfang war die Kraft! / Doch, auch indem ich dieses niederschreibe, / Schon warnt mich was, daB ich dabei nicht bleibe. / Mir hilft der Geist! Auf einmal seh ich Rat / Und schreibe getrost: 1mAnfang war die Tat!" (Goethe, Faust I, Studierzimmer, Verse 1224ff., S. 44). Vgl. Hegel, Enzyklopadie § 213 f., S.215f. "Die Idee ist das Wahre an und fur sich, die absolute Einheit des Begriffs und der Objectivitat. Ihr ideeller Inhalt ist kein anderer als der Begriffin seinen Bestimmungen [.. .]." "Aber die Abtrennung der Wirklichkeit von der Idee ist besonders bei dem Verstande beliebt, der die Traume seiner Abstractionen fur etwas Wahrhaftes halt, und auf das Sollen, das er vornemlich auch im politischen Felde gern vorschreibt, eitel ist, als ob die Welt auf ihn gewartet harte, urn zu erfahren, wie sie seyn solie aber nicht sey; ware sie wie sie seyn soli, wo bliebe die Altklugheit seines Sollens?" Auch in der Fortsetzung drangt sich die Vermutung einer Polemik gegen Kants Moralphilosophie auf. Hegel, Enzyklopadie § 6, S.45. Vgl. Hegel, Logik, S.30 sowie Enzyklopadie §214, S.216f. und auch schon Glauben und Wissen, S. 334 u. 335.
Die Welt als Wille und Vorstellung
gefiihn - sich ihre eigene Geschichte bahnt.l-' In dieser, Erfahrung genannten,
"dialektische[n] Bewegung, we1che das Bewusstsein an ihm se1bst, sowohl an seinem Wissen, als an seinem Gegenstande ausiibt", mogen sich die Dinge an sich entfaltend offenbaren.'!" Die dem Verstand gebrochen offenbare Wirklichkeit wird von der Vernunft in konstruktiven Widerspriichen erfasst, Die Versohnung jener natiirlichen Gegensatze ist die Aufgabe der Philosophie, die auf diese Weise Welt und Wirklichkeit - und nicht zuletzt deren Gang - wieder verniinftig zu gestalten bzw. darzustellen weiB.115 113 Siehe nur Hegels Vorlesungen iiber die Philosophie der Geschichte (etwa S. 21 f., 74 ff., zur Bestimmung des Geistes 29 ff.), aber auch seine Vorlesungen iiber die Geschichte der Philosophie I, S. 22 ff., oder die Schlussbemerkungen in Teil III, bes. S. 459 ff. Der theoretische Hintergrund fur Hegels Dialektik finder sich bei Heraklit und dessen Lehre von der Einheit der Gegensatze, Dazu Heraklit, S. 257 ff., 265. Aus der Spannung zwischen den Gegensatzen leitet sich nach Heraklit alles Geschehen abo In diesem Sinn wird der Streit, der dauernde Kampf der Gegensatze, zum Vater aller Dinge erklart, Der "objektive Geist" bzw. "Weltgeist" Hegels steht in Beziehung zu Heraklits Logos, in welchem gleichsam die Gesetze der Natur mit dem gorrlichen Geist gleichgesetzt werden. Wenn nun das Johannesevangelium den "Praexistenten" (Gott) als den Logos bezeichnet, so geschieht dies sowohl in apologetischer als auch in missionarischer Auseinandersetzung mit der Umwelt: Die griechische Philosophie hatte "den Logosbegriff in einer jahrhundertelangen Geistesgeschichte zu einem Symbol ihres Welt- und Daseinsverstandnisses gemacht", weshalb die Beschaftigung mit ihm fur das Christenrum (wollte es intellektuell ernst genommen werden) unumganglich war (dazu Coppelt, Theologie des Neuen Testaments, S.634). D ie Stoa unterstellte der menschlichen Vernunft als einem Tei! des gottlichen Logos das Vermogen und die Pflicht, sich diesem in Uberwindung der Lust und der Affekte (gr. apatheia) - anzunahern (vgl. ausfiihrlich Leipoldt/Crundmann, Umwelt des Urchristentums, S.354-364). Im Unterschied zu diesem innerkosmischen Ordnungsprinzip stoischer Pragung (logos spermatikos) steht der johanneische Logos als Gegeniiber des Kosmos fur die Erlosung der Welt (Coppelt, S.634). Es ging also urn eine konkrete Umbesetzung, indem der Vernunft-Logos missionarisch durch den Schopfer- und Erloserlogos iiberwunden werden sollte (Vgl. in diesem Zusammenhang auch Hegels Beziige zum Johannesevangelium. Dazu Hirschberger, Geschichte der Philosophie II, S. 416 f., 422). Nur als erganzendes Stichwort zu den unterschiedlichen Logos-Vorstellungen ware mit Goppelt noch das in friihchristlicher Zeit virulente Konzept der Gnosis zu berucksichtigen: .Durch den gnostischen Logos wird man aus der Welt ausgegliedert, durch den griechischen in sie eingegliedert; der johanneische Logos aber erlost die durch ihn geschaffene Welt." (Coppelt, S. 635). 114 Hegel, Phanomenologie des Geistes, S.60; ders., Geschichte der Philosophie I, S.46 : "Der Geist geht in sich und macht sich zum Gegenstande [.. .]. So formiert dies Tun das vorher Formierte weiter, gibt ihm mehr Bestimmung, macht es bestimmter in sich, ausgebildeter und tiefer." Die Parallelen zur Theorie der Ausdifferenzierung durch selbstreferentielle Systeme (Luhmann) sind offensichtlich. 115 Vgl. Hegel, Differenz, S. 14 sowie dens., Geschichte der Philosophie I, S. 46 ff., 55 ff. "Die Philo sophie ist nun fur sich das Erkennen dieser Enrwicklung und ist als begrei fendes Denken selbst diese denkende Enrwicklung. Je weiter diese Entwicklung gediehen, desto vollkommener ist die Philosophie." (46).
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V. Sinn und Zeit In Anlehnung an Luhmann kann festgehalten werden, dass sich jede Gegenwart diejenige Vergangenheit schafft, die zu ihr passt.!" Insofern stellt sie sich durchaus als Entscheidung dar, welche eine bestimmte, notwendigerweise "selektiv erinnerte Vergangenheit mit einer selektiv projektierten Zukunft integriert".!" Bereits Augustinus bemerkte, dass sowohl Kunftiges als auch Vergangenes nur als Gegenwart sein konne!" und Edmund Husserl, der Augustinus hinsichtlich aller Dberlegungen zum Zeitproblem als Hauptreferenz empfiehlt.!'? lieferte dazu das anschauliche Melodienbeispiel, wonach der aktuell horbare Ton nur als Bestandteil einer Melodie, deren vergangene Tone erinnert und zukiinftigen Tone erahnt werden konnen, Sinn mache.!" Sinn ist iiberhaupt das Kernproblem menschlichen Daseins. Er wurde bislang vornehmlich rekursiv erzeugt; ist nach Luhmann also eine "durch und durch historische", das heilit einer bestimmten Erzahlung (oder eben Melodie) ausgelieferte "Operationsform", welche an sich kontingentes Herkommen und gleichfalls unbestimmten Fortgang mit dem Jetzt verkniipfr.!" Erfolgreiche Sinnproduktion bernachtigt sich also mit Vorteil der Zeit. Sie ist quasi Erwartung und Erinnerung. Sinnerzeugung halt ein Vorher und ein Nachher mit dem Jetzt zusammen. Sie stellt bestimmte Gegenstande und Tatsachen in der Vergangenheit her, die ohne Beobachtung fiir die Gegenwart - und damit iiberhaupt - nicht existieren wiirden. 122 Was "Sinn macht" ist gemacht, Er konstituiert sich quasi aus Erwartung und Erinnerung im Rahmen notwendigerweise selegierender Beobachtung bzw. Vorstellung in der Zeit. Sinn ist insofern mehr Wahr-N ehmung als Wahr-Sagung. 123 116 Vgl. Luhmann, Soziale Systeme, S. 118, 293, 399 sowie dens., Gesellschaft, S. 270 f., 580 H., 886 f., 901, und v. a. 1004 H. 117 Luhmann, Gesellsehaft, S.1010. 118 Vgl. Augustinus, Bekenntnisse, 11. Bueh, Absehnitt 20, S. 641 f.: .Soviel aber ist nun klar und deutlieh: Weder die Zukunft noeh die Vergangenheit .ist', und nicht eigentlich lasst sich sagen : Zeiten .sind' drei: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft; vielmehr sollte man genau genommen erwa sagen: Zeiten .sind' dre i: eine Geg enwart von Vergan genem, eine Gegenwart von Gegenwartigem, eine Gegenwart von Kunftigem. Denn es sind diese Zeiten als eine Art Dreiheit in der Seele, und anderswo sehe ich sie nicht: und zwar ist da Gegenwart von Vergangenem, namlich Er innerung; Gegenwart von Gegenwartigem, narnl ich Augenschein; Gegenwart von Kiinftigern, namlich Erwartung. Erlaubt man uns, so zu spreehen, dann seh ' ieh aueh drei Zeiten und gebe zu : ja es ,sind' drei. (Vgl. auch Ab schn. 18, 23, 26). 119 H usserl, Vorlesungen, S. 368. 120 Hu sserl, Vorlesungen, S. 385; iiber Erwartung als Erinnerung und umgekehrt Augustinus, Bekenntnisse, 11. Bueh, Abschn. 28, S. 663. 121 Vgl. auch Niggli, Bindung und Norm, Bd .1, S. 383,387 H. 122 Vgl. Luhmann, Gesellschaft, S. 46 f. 123 Vgl. Wietholter, Recht-Fertigungen eines Gesellschafts-R echts, S. 19.
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Sinn und Zeit
Genauso wie Sinn produziert bzw. vorgestellt werden muss und nicht gleichsam uranfanglich schon immer besteht.!" waren und sind es nach wie vor jene aus Sicht der Postmodernisten allerdings abgebrochenen grollen Erzahlungen.!" welche die Gegenwart begriindenden und Zukunft ermoglichenden Sinndarbietungen bzw. Sinnspiele in Szene setzen.P" Der Liberalismus hat ohne Zweifel das Aufbrechen der klassischen GroBepen befordert (dabei aber auch eigene My then - etwa iiber die Autonomie des Individuums - produziert); milieuspezifisch sind sie aber immer noch da: Die Geschichte der allein erziehenden Miitter, der osterreichischen Polarforschung, des Gefangnisses, der Sexualitat, der Prostitution, der Gleichstellung, der Tierhaltung, des offenrlichen Verkehrs, der Sozialversicherungen, der Wiedertaufer, des Kapitals etc. Und immer noch werden in diesen Geschichten Fortschritte (Befreiungen, Emanzipation, Verbesserung - seien sie technischer ocler sittlicher Art) verzeichnet und als eigentliche humanitare Errungenschaften positiv konnotiert. Selbsrverstandlich laufen parallel dazu immer auch selbststabilisierende Bedrohungs- bzw. Verfallsgeschichten - erwa iiber die Ausbeutung der Natur, die Diskriminierung der Frau, die Assimilierung der Ureinwohner oder den Niedergang anderer sprachlicher, kultureller Minderheiten - mit. Das sind nicht alles Neuerzahlungen, wohl aber jeweils bewusste Neu-Einschreibungen in das Pluriversum der Gesellschaft und damit gruppenspezifische Selbstaufwertung durch Selbstbewusstwerdung. Die Erzahlung der kleinen Allianzen ist fur diese groB genug; auch ein Mikrokosmos hat sein Universum. Sicher: die zahlreichen neuen Fetischismen und konstruierten Einheiten sind in ihrem Gefiige meist fragiler als die Gebilde friiherer Metaerzahlungen. Mitursachlich hierfiir sind die Tatsachen, dass einmal der heme entwichene Uberdruck jener alten Schicht-, Kasten- und Zunftgesellschaft vielerorts weitgehende Durchlassigkeit einraumt und dass zum anderen die technische Innovationshast stets neue Bediirfnisse kreiert. Auf Ausdifferenzierung folgt voriibergehende Konsoliclierung, dann erneuter Aufbruch, Spezialisierung usw. Ein pulsierender Prozess zwischen Aus- und Entdifferenzierung, wobei sich letztere Phase durch ein Verlangen nach Sinn auszeichnet, welches dann sichtbare Linien ins Leben zeichnen muss. Linien des Herkommens und Hingehens: Abgrenzungen. Chronologisch wie thematisch, auf der Zeitachse wie auf der Koexistenz- bzw. Raumebene. Herkommen und Durchkommen,
124 Luhmann, Gesellschaft, S.44 mit Verweis auf Deleuze, Logique du sens, Paris 1969, S. 87 ff. (dt, Logik des Sinns, Frankfun 1993, S. 96 ff.). 125 Exemplarisch Lyotard, Das postmoderne Wissen, vgl. nur die Einleitung, S. 7 ff. oder aus dem Werk Gianni Vattimos, Abschied, S. 109 ff.; Das Ende der Moderne; La societa
trasparente. 126 "D er Mythos ist in seiner stets zirkularen Struktur die Erzahlung einer Grundlegung, einer Begriindung." Deleuze, Logik des Sinns, S. 312.
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Vom Ding an sich, seinen Symbolen und der Kausalltat
Erinnerung und Erwartung pragen die immer nur augenblickliche Wahrnehmung, definieren die Beobachrungsstrategie und produzieren Sinn. Eine Gruppe gewinnt ihre Identitat zumal heute in der Explikations- und Rechtfertigungsleistung einer Erzahlung, einer Historie. Insofern und mit Riicksicht auf das in § 1 Gesagte bringen uns "WissenwolIen und die Gier nach Erklarungen [. . .J niemals in ein denkendes Fragen." Vielmehr ist "Wissenwollen" nach Heidegger "stets schon die versteckte AnmaBung eines Selbstbewusstseins, das sich auf eine selbsterfundene Vernunft und deren Verniinftigkeit beruft, Wissenwollen will nicht, dass es vor dem Denkwiirdigen verhoffe ."127 1m Gegenteil: Die geschickt zusamrnengehangten Selbstrechtfertigungsdiskurse dienen und entsprechen einem unwillkiirlichen Selbstberuhigungsbediirfnis. Je mehr wir erklaren konnen, desto unschuldiger werden wir.128 Gruppenmythen konnen sich nur im wiederholt anwesend gehaltenen - wenn auch nur fiktiv reproduzierten - ErnstfalI erhalten.P? Der Gruppengrund bedarf einer regelmaliigen Auffiihrung: Fehlende Gleichberechtigung, drohende Kiirzung der Forschungsgelder, Tierqualerei, Missachtung der Menschenrechte, bedrohliche Zunahme des Privatverkehrs, religiose Intoleranz etc. Kein Bereich ist vor Skandalisierung und Emporismus sicher. Sie dienen ihm zur jeweiligen Selbstkonstitution. Legitimitat bedarf heute aber nicht mehr unbedingt historischer Attribute. 1m Wissen urn das leicht aktualisierbare aggressive Abgrenzungspotential der Gruppenerzahlungen, machen liberale Diskurstheorien Legitimitat zur Verhandlungssache: Was in verniinftiger Beratung, am Besten unter dem "veilof ignorance", ausgehandelt wurde, solI Geltung haben.P? Legitim ist, was gerecht ist. Gerecht ist, was ungerechtfertigte Ungerechtigkeiten egalisiert. Das Gesprach iiber letzteres ist noch nicht zu Ende gekommen. Die Liberalismuskritik sprach denn auch vom "ewigen Gesprach" (Schmitt) und in der Tat legitimieren sich mod erne Demokratien im endlosen Diskurs - quasi nach clem Motto: legitim ist, was clem "zwanglosen Zwang cles besseren Arguments" 127 Heidegger, Aus einem Gesprach von der Sprache, S. 95. 128 So Pierre Legendre in einer Vorlesung von 1987/88, zitiert von Schutz, ,,,Christliches Abendland' im striktesten, weitesten Sinne", S. 57. 129 Uber den konstirutiven Charakter einer emotionalen Sammlung der Gruppe durch interne Disziplinierung und gemeinsame Abgrenzungsmanifestationen, den so zu nennenden Gruppenstress Muhlmann, MSC Maximal Stress Cooperation sowie ders., Die Okologie der Kulturen; vgl. auch, in Auseinandersetzung mit Miihlmann, Sloterdijk, Spharen, Bd.3, Kap. I C 6 (Das Ergotop - Anstrengungsgemeinschaften und kampfende Reiche), S.412ff. sowie dens. in: Sloterdijk/Heinrichs, Die Sonne und der Tod, S. 77 ff. "Alles spricht dafiir, dass Menschen, die keinen reellen Grund zum Zusammenleben unter demselben symbolischen oder politischen Obdach haben, sich einen solchen Grund autogen induzieren, indem sie sich als Teilnehmer an den Aktiviraten einer Selbsterregungskommune engagieren." (77). 130 Vgl. Rawls, A Theory of Justice, S. 118 ff. (§24).
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Sinn und Zeit
(Habermas) zuganglich bleibt, selbst wenn es auf sich warren lasst. Wenn Legitimitat also friiher fur den Vorrang des iiberkommenen Seins gegeniiber dem destabilisierenden, unabschliefsbaren Denken stand, steht sie heme genau fur das Gegenteil: die allgemeine Verunsicherung des Seins durch das Denken. Doch damals wie heme ist sie das Produkt konkret gelungener Rhetorik. Legitimitat als ein auf Dauer gestellter, unabsehbarer materieller Diskursr!" Es ist eine offene Frage, ob dieser Versuch gelingt, gelungen ist oder gelingen wird. In der Zwischenzeit werden jedenfalls weiterhin auf Inklusion und Exklusion gerichtete Mythen erzahlt, auf deren Grund sich ein (auch kleines) Gemeinwesen verfassen und auf Dauer stellen kann. Wenn notig, redet man sich auch den Ernstfall ein. 132 Das "konstitmive AuBen" (Derrida) ist nicht nur Bedingung der Moglichkeit von Identitat, sondern zugleich immer auch Teil derselben.P? Alteritat und Identitat sind einander bedingende Momente.
131 Zum Legitimitatsdiskurs als iibergesetzliches Argument im Volkerrecht Koskenniemi, Legitimacy, Rights, and Ideology (erwa S.367 f.). Legitimitat wird heute zumal in Rechtsgebieten mit geringer Normdichte wie dem Volkerrecht selbst zum Argument. "By saying ,legitimacy' as often as possible and in connection with as many and as controversial political actions as possible, actions that cannot be seriously discussed in terms of their lawfulness or moral substance, receive a sense of acceptability and naturalness [.. .]." (368). 132 Sloterdijk, Spharen, Bd. 3, S. 417 ff. 133 Vgl. Butler, Korper von Gewicht, S. 23 sowie Moebius, Die soziale Konstituierung des Anderen.
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Teilll Fiktion und Recht
§ 3 Komposition und Auffiihrung der Wahrheit Die Wissenschaft lebt als Gestalrung zu allen Zeiten vom Idealismus, wenn sie nicht gerade in einem Anfall Kantscher Erkenntniskritik ihre eigenen Grundlagen aufreifst.!" Denken heiBt: zusammenhangen. Entweder werden bestehende Verkniipfungen argumentativ untermauert und damit bestatigt oder sie werden in ihre Bestandteile zerlegt; wobei letzteres ebenso eine Konstruktion ist, weil auch Einzelteile nie in ihre letzten - unendlichen - Teilchen auseinander gelegt werden konnen. (So spricht denn aus jedem noch so kleinen Teilchen immer noch das Teilen.) Die Rede von der De-Konstruktion (D errida) ist deshalb angebracht, Denken besteht darin, vereinzelte Zusammenhange stets neu zusammenzusetzen. Auch kritisches Spalten ist letztlich immer wieder Rekomposition im Hinblick auf ein fesselndes Bild . 135 Von Goethe stammen die Worte: "Dummes Zeug kann man viel reden, / Kann es auch schreiben, / Wird weder Leib noch Seele toten, / Es wird alles beim alten bleiben. / Dummes aber, vors Auge gestellt, / Hat ein magisches Recht; / Weil es die Sinne gefesselt halt, / Bleibt der Geist ein Knecht. "136 Es geht darum, die Wahrheit eines bestimmten Zusammenhanges dadurch evident we rden zu lassen, dass man ihn moglichst anschaulich aufzeigt, das heiBt: im nachvollziehbaren Experiment vorfiihrt und damit sichtbar, also fiir jedermann einsehbar und mithin sche in bar unzweifelhaft macht.!" Dabei sind Bilder iiberaus manipulativ, Ihre wiederholte Auffiihrung pragt die Vorstellung von der Realitat, was sie zu wesentlichen Mitteln einer sOZllsagen "asthetischen" Erziehung
macht.J" "Wenn es hier in der Tat nicht urn einen animalischen, instinktgeleiteten Bezug zur Welt geht, sondern urn das menschliche Denken, das heiiit urn einen
Dazu Wenger, Vom Zurechdegen der Niederlage als Grundlage. Ebd. Zahme Xenien II, S. 52 f. Vgl. etwa zur Norwendigkeit einer Inszenierung der Wahrheit im Prozess vor Gericht Seibert, Insz enierung eines Supplements, S. 4; zur Theatralik im Prozess siehe auch Soulier, Le theatre et Ie proces, 138 Uber die Ambivalenz der Bilder bzw. ihre nur scheinbare Eindeutigkeit Steinhauer, Bildregeln, S. 13 ff. (Einfuhrung, III) .
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Komposition und AuffOhrung der Wahrheit
Symbolisierungsprozess, der darauf abzielt, die blinde Dinglichkeit der Dinge aufzubrechen, dann bezieht sich die Formel von den ,Augen des Herzens' vor allem auf die subjektive Konstruktion des Bezugs zur Welt, auf das Leben der Vorstellung oder der Reprasentation.f-'? Bilder errichten Kulturen, indem sie "das U nsinnige in Sinn iiberfiihren." "Jede Kultur zeichnet die Vernunft einem Mythos ein."140 Und so wird manch eine Szene schnell einmal zur Welturauffiihrung, die auf das Faszinosum der Bilder zahlen muss, will sie als stabiles, glaubwiirdiges Welt(erklarungs)gebaude dastehen und nicht als morsche Bruchbude, als Welttheater oder Schmierenkomodie entlarvt werden.!" Jedenfalls besteht nach Pierre Legendre das Bilderlebnis der Einzelnen in einer "asthetischen Begegnung" der klassischen Form, wie sie etwa die Liturgie darstellt, in welcher - "im Sinn einer offentlichen Zeremonie" - "der Blick des Subjekts .rituell' gefangen wird."142 (Man denke an die Visionen des Paulus vor Damaskus oder des Moses vor dem brennenden Dornbusch in der Wiiste und ahnliche Erscheinungen, welche den Betroffenen jeweils einen neuen Auftrag, ein neues Lebensbild einbrannten, an dem sie ihr Denken und Handeln inskiinftig ausrichten sollten.!")
I. Formmagie im Prozess Der Mensch halt fiir wahr, was er sieht - vgl. den unglaubigen Thomas - und was sich wiederholt. David Hume hat denn auch sehr anschaulich auf das Wissenschaftsprinzip "haufig gleich richtig" hingewiesen.!" 1m normativ(ierend) en Wiederholungstrieb entdecken wir die augenscheinlich juristische Form der (nicht nur) wissenschaftlichen Wahrheitsproduktion. Jedes Ritual - auch das magische - generiert seine repetitiven Akte im Blick auf die Natur: Der ununterbrochenen Abfolge von Tag und Nacht sowie der Jahreszeiten folgt die ewige Wiederkehr von Aussaat und Ernte. Auf diesem Hintergrund sind etwa auch die rituellen rornischen Rechtsformen zu sehen, von denen Max Kaser meint, dass sie "dem Bediirfnis primitiver Menschen nach Veranschaulichung" entspringen.!" denen Legendre dagegen eine wesentliche Funktion zur (auBe139 Legendre, Die bevolkerte leere Biihne, S. 49 f. 140 Ebd ., S. 52. 141 Szene (gr. skene) bedeutet neben Biihne urspriinglich Zeit, Laube, Hiitte und srellt somit eine Form von prekarer Behausung dar, vgI. Drosdowski, Duden Etymologie, S.730; Welten konnen immer auch kleine, lokale Welten (eines bestimmten Falles) sein. 142 Legendre, Die bevolkerte leere Biihne, S. 46. 143 Apg.9, 1-29,22,6-21 : Paulus wurde vom Christenverfolger zum Christen; 2. Mose 2, 23-4,18: Jahwe offenbart Mose, dass dieser die Israeliten aus Agypten heraus ins gelobte Land fiihren solI. 144 VgI. Hume, An Enquiry Concerning Human Understanding, S. 37,62. 145 Kaser, Romisches Privatrecht, S. 40.
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Formmagie im Prozess
ren wie inneren) Verfassung der Einzelnen, einer Sammlung qua Ein- und Ausrichtung des Subjekts, einraumen wurde.!" Ihre streng en Spruchformen, deren jeweils vorgeschriebener Wortlaut regelmallig anlasslich des entsprechenden Rechtsakts feierlich zu rezitieren war und der von Beriihrungen mit der Hand oder dem Stab - exakt einzuhaltende und bei demselben Rechtsakt identisch zu wiederholende symbolische Handlungen - begleitet wurde, verdeutlichen, "dass die Betreuung des Rechts in alter Zeit in den Handen der Priester" gelegen haben muss.!" Wir konnen daher mit Legendre sagen: "Le dro it met en oeuvre les Fata de Ia culture ."!" Und weiter - als Wink gegen einen mutmalllich dogmatischen Asketen Kaser - : ,,[L]a question de l'assuranee symbolique dans les systemes institutionnels ne peut se jouer que par des jeux de simulacre, c'est adire Iiturgiquement et rituellement, question irremediablement brouillee pour le regard contemporain, qui confond ritualite et irrationalite ."!" Die sich stets wiederholenden, gleich bleibenden Formen im Rahmen der juristischen Verfahren in der Verwaltung oder vor Gericht, ihre unabanderlichen, zwingenden Automatismen symbolisieren gewissermaBen die Unausweichlichkeit bzw. Schicksalhaftigkeit dessen, was mit einem geschieht, Der juristische Formalismus hinterlasst den Eindruck sowohl der Notwendigkeit als auch der Kontrolliertheit der Vorgange. Dessen Einfluss auf die Vorstellungswelt ist nicht zu unterschatzen; seine performativen Gesten erzeugen eine eigenartige Ordnungskraft und damit ein sozusagen fatalistisches Vertrauens - respektive Glaubensmoment (beziiglich der Richtigkeit und Unvermeidlichkeit dessen, was geschehen muss). Insofern ersetzt bzw. simuliert die "Prozessliturgie" einen, zumal im weltanschaulichen Pluriversum - sei es der romischen Spatantike oder der europaischen Neuzeit -, zugleich notwendig wie inopportun gewordenen, mentalen und damit totalen Zugriff auf den Einzelnen."? 146 Vgl. dazu Wenger, Der gute Hirte als Verfassungsbild, S.116 H. (Auflen- versus Innenverfassung); "un rapport logique, fruit des repetitions de la representation propre a l'Occident, soude Ie mecanisme juridique industriel al'histoire du droit romain en tant qu'histoire de fa Raison dans les institutions [. .. J." Legendre, Sur la quest ion dogmatiqu e, S. 46 f.; zum Prinzip des "vitam instituere" ebd., S. 106 ff.; siehe auch dens., Die Fabrikation des abendlandischen Menschen, S. 11 H.; tiber Legendres Rechtstheorie nun ausfiihrlich-instruktiv Brupbacher, L'instirution de la vie en images. 147 Kaser, Romisches Privatrecht, S. 40; diHerenziert zur Beziehung von ius sacrum und ius civile Wieacker, Romische Rechtsgeschichre. Erster Abschnitt, S. 272 H. 148 Legendre, Sur la question dogmatique, S. 43. 149 Legendre, Sur la question dogmatique, S. 64 f. 150 Rituale finden letztlich da ihren Platz, "wo man glaubt, eine Kommunikation nichr riskieren zu konnen." Luhmann, Gesellschaft, S.236; tiber die gruppen- bzw. gesellschaftsintegrative Kraft religioser Zeremonien und Ritual e, welche zumal in Situationen des Dbergangs und krisenhaften Veranderungen Sicherheit vermitteln vgl. die einschlagige Untersuchung von Durkheim, Die elernentaren Formen des religiosen Lebens .
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Komposition und AuffOhrung der Wahrheit
Zu diesen Unvermeidlichkeit bzw. Vorhersehbarkeit unterstellenden und also zugleich Berechenbarkeit sowie Vertrauen evozierenden Formen gehoren ebenso die im Umgang mit den Gesetzestexten Stabilitat versprechenden Auslegungs- bzw. Subsumtionsmethoden, auf welche die Entscheide regelma6ig rekurrieren (dazu sparer). Sowohl im Prozess vor Gericht, in Verwaltungsverfahren als auch in den jeweiligen Entscheidbegriindungen finden sich somit rirualisierte Figuren. Sie bilden ein Faszinosum und stehen fur eine Fesselung des Rechtssubjekts allein durch die Form. Auch hinsichtlich der Giiltigkeit von Vertragen wird der Parteiwille im alten Rom erst sparer beachtlich.'!' Selbst dann aber behielt ein rechtswidriges Geschaft nach ius civile meist seine Giiltigkeit und wurde durch das pratorische Recht lediglich entkraftet.P' "obligatio est iuris vinculum" (Inst. 3, 13 pr.), lautet die magische Forrnel.P' Auch im heutigen Recht hat sich die Formmagie erhalten. So kann das rechtskraftige Urteil nur durch cine neue magische Form (Revisionsurteil) aufgehoben werden. Ein Gerichtsurteil bedarf zu seiner Giiltigkeit nicht des korrckten Inhalts, sondern der richtigen Form und das "inhaltlich falsche" Urteil lasst sich nur dann aufhebcn, wenn cs cine nachste Instanz gleichsam neu formatiert. Und selbst wenn es diesc Instanz noch gibt - irgendwann geht der Rcchtsweg zu Ende, wcil auch der Inhalt eines Urteils einmal feststehen muss.!" Doch der Abschluss des Rechtsstreites bzw. Rechtsgesprachs'P gelingt nicht durch eine Erklarung und Begriindung des Urtcils, sondern nur durch ein formelles Ritual; denn jede Begriindung ist von neuem anfechtbar.I" Insofcrn bildet auch das wcnige Riruelle in heutigen Prozcssen (wir kennen 151 Kaser, Romisches Privatrecht, S. 5l. 152 VgI. Kaser, Ube r Verbotsgesetze, S. 16 ff., 42 f., 62, Ill. 153 Zum magischen Denken im romi schen Recht vgI. auch Hdgerstriim, Der romi sche Obligationsbegriff, Bd. 1, Vorwort, S. 25 ff., 280 ff. 154 VgI. Luhmann, Recht der Gesellschaft, 5.316; siehe auch Teubner, Episteme, 5.133 f. 155 Uber dessen Moglichkeiten optimistisch Goebel , Rechtsgesprach und kreativer Dissens. 156 Der Wert der Entscheidung liegt somit "nicht in einer iiberwaltigenden Argumentation, sondern in der autoritaren Beseitigung des Zweifels [. . .]." Schmitt, Der Hiiter der Verfassung, 5.46. Mithin kann der Staatsapparat gerade mit dem Urteilstext ein Ende des Entscheidungsdiskurses nur fingieren. Muller/Christensen, juristische Methodik, Rz . 512, 517 ff. "Es ist erst am hervorgehobenen Punkt der rechtlich nicht mehr angreifbaren Entscheidung, dass im Namen des Rechts die Elemente Gewalt und Sprache so weit auseinandertreten, zueinander in Opposition geraten. Indem der Rechtsdiskurs endgiiltig angehalten wird, setzt sich ailein die (Staats-)Gewalt durch. 1m gesamten der Entscheidung vorhergehenden Vorgang befinden sich Sprache und Gewalt in der Gemengelage, die ihr Grundverhaltnis bestimmt, und zudem im Akrualzustand des semantischen Kampfe s. Der Fortgang von Kornmentar und Debane nach der Entscheidung zeigt, dass diese den Diskurs nicht wirklich beenden kann ; sie nimmt ihm nur die Rechtswirkung. " Ebd., Rz .525; so erwachsen denn Begriindungen gar nicht erst in Rechtskraft, vgI. Dedeyan, Die richterliche Entscheidung, 5.227; vgI. auch Friedrich
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Formmagie im Prozess
gerade noch den niedergehenden richterlichen Hammer aus amerikanischen Filmen) eine Art Kommunikationsvermeidungskommunikation, wie sich Luhmann ausdriickr!" ("Ist so, weil ist so", pflegte man beim Militardienst im Zusammenhang mit fragwiirdigen, aber scheinbar unvermeidbaren Ubungen zu sagen oder schlicht: "don't ask!"). Indem Rituale Kommunikation verweigern, erzeugen sie einen stillschweigenden Konsens . Konsens ist ohnehin meist nur moglich, wo geschwiegen wird; droht diesem durch seine Manifestation doch sprichwortliches Zerreden.l" Konsens gelingt quasi nur als riruelle Uberlistung. In eine ganzlich entgegengesetzte Richtung drangt freilich Habermas' Kommunikationstheorie. Er sieht gerade in der "Versprachlichung des Sakralen" einen eigentlichen Rationalitatsgewinn.P? Angesichts der unter dem Sakularisierungstheorem bekannt gewordenen Entwicklung der Moderne geht auch die Beobachtung nicht fehl, "dass sich die Geltungsbasis der Dberlieferung vom rituellen aufs kommunikative Handeln verlagert. Die Uberzeugungen verdanken ihre Autoritat immer weniger der bannenden Kraft und der Aura des Heiligen, immer starker einem nicht bloB reproduzierten, sondern erzielten, d. h. kommunikativ herbeibefiihrten Konsens ."160 Just diese Behauptung, dass Uberzeugung vielmehr eine Kommunikations- denn Autoritatsleistung sei, fand allerdings bereits in Hobbes einen beriihmten Zweifler. Seine Aussage "auctoritas non veritas facit legem"161 trifft nicht nur im Glaubenskrieg zu. Oder was gibt es diesbeztiglich fur einen strukturellen Unterschied zwischen jenem und dem alltaglichen Rechtsstreit der Meinungen? Die Uberzeugung, dass eine Entscheidung richtig oder falsch sei, basiert letztlich immer auf einem nicht vollstandig begriindbaren Gefiihl bzw. Glaubensmoment. "Wird das, was zu verteidigen ist, mit grofsem Aufwand begriindet und belegt, so ist das gerade Beleg fur seine Instabilitat, Schwache und Erklarungsbediirftigkeit. [. .. J Glaube ist immer abgesriitzt darauf, dass er selbstevident sei. [.. .J Der Versuch, eine direkt evidente Erfahrung oder Haltung (Glaube) durch verniinftige Begriindung zu sriitzen, muss folglich notwendigerweise enrweder scheitern, oder aber zur Substitution der bisherigen Basis fiihren. [.. .J Die Gegner [.. .J jedenfalls wird die permanente Begriindungs- und Legitimationssuche genau vom Gegente il iiberzeugen -: Davon namlich, dass der Standpunkt so schwach sei, dass er nach so langer Zeit immer noch keine giiltige Be-
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Muller, Warum Rechtslinguistik?, 5.41 sowie dens., Textarbeit, Rechtsarbeir, S.19 und Wenger, Eine Formsache. Luhmann, Gesellschaft, S. 235. Hiervon diirfte Herak/it eine Ahnung gehabt haben, wenn er sagt: "Ni chtoffenkundige Harmonie ist starker als offenkundige." Ders., S. 259. Habermas, Theorie, Bd. 2, S. 118,134 f. Haberma s, Theorie, Bd. 2, S. 136, 118 f. Vgl. Hobbes, Leviathan, Kap . 19 sowie 26, S. 207,212.
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Komposition und AuffOhrung der Wahrheit
griindung gefunden habe und deshalb wohl auch nicht giiltig sein konne. Die Sucht nach Legitimation hat also durchaus auch ihre dunkleren Seiten."162 Nichtsdestotrotz bildet die erwahnte Verlagerung von der "Autoritat des Heiligen" auf die "Autoritat eines jeweils fur begriindet gehaltenen Konsenses" ein konstituierendes Merkmal der sakularen Moderne.l -' Und so ist dieser Wandel der Oberzeugungsform nicht nur am generell gestiegenen Begriindungsaufwand bei Gerichtsentscheidungen abzulesen. Die Gesellschaft hat sich seit der groBen Revolution durchaus in ein "ewiges Gesprach" mit sich selbst verwickelt.l'"
II. Einbildung: Ethos und Pathos des Als-Ob "Miseret superum, si carmina curae humanaeque preces! Quid inertia pectora terres? Primus in orbe deos fecit timor!" Publius Papinius Statius165
Es gehOrt zu einer jeden gelungenen Rhetorik, eine bestimmte Perspektive als die wahre, gerechte, der Sache angemessenste und somit giiltige anzupreisen. Wissenschaft ist aktive Gestaltung des Wissens; eine Darstellungsweise, die das bekannt Gemachte zunachst in einem bestimmten System arrangiert, urn es dann in einer plastischen Auffiihrung auch anschaulich werden zu lassen, auf dass es einen eigenen, beherrschbaren Korper gewinne und Wirklichkeit illusioniere - trompe -l'oeil- "ut pictura poiesisr'": ce sont les images qui legi[erent, ce sont les images qui font La viriti. 167 Fur "Bild" kann man auch "Vorstellung" sagen. Die Systeme gewinnen ihr eigenes Selbstbewusstsein, indem sie sich "von ihrer Umwelt abgrenzen und sich ein Bild (mapping) von ihr ma162 Niggli, Bindung und Norm, Bd.1, S.135 f. (teilweise kursiv) und Kritik an Habermas auf S. 137; vgl. auch Wenger, Eine Formsache, S. 246 ff. und Luhmann, Organisation
und Entscheidung, S. 141f. 163 Habermas, Theorie, Bd. 2, S. 118; fur Begriindung und gegen Dezision argumentieren auch Fischer-Lescano/Christensen, Auctoritatis interpositio, S. 223f., 225 f. 228f., 231f. (mit dem Versuch, Luhmann aus den Fangen des Dezisionismus zu befreien). 164 Zum ewigen Gesprach vgl. Schmitt, Politische Romantik, S.3, 192ff.; vgl. auch dens., Politische Theologie, S.66 f., 69. 165 Thebais, Buch III, Zeilen 659-661. "Die Getter waren zu bedauern, wenn sie sich urn die Gebetsformeln und frommen Gesange der Menschen kiimmerten! Was angstigst Du die mutlosen Herzen? Die Furcht hat als erstes auf der Welt die Corter geschaffen! " (Obers. D.W.). 166 Horaz, De arte poetica, Vers 361, S. 566. 167 Vgl. Legendre, Sur la question dogmatique, S. 311. Das Kapitel diesesBeitragsiibertitelt Legendre mit "Infaillibilite des images".
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Einbildung: Ethos und Pathos desAls-Ob
chen .''!68 Diesem Bild schenken wir Vertrauen. "Das System kann sich in seinem Weltverhalten bis zu einem gewissen Grade ausschlieBlich an dem Bild orientieren, ohne auf die physische U mwelt, die in dem Bild ja nur abgezeichnet ist, direkt Bezug zu nehmen. Dieses Phanomen nennen wir Fre iheit. " 169 Die Freiheit besteht gleichsam darin, die kantianische Enttauschung durch eine idealistische Selbsttauschung abzulosen. An Kants "Ding an sich" haben sich denn auch samtliche Bildungen des Idealismus abgearbeitet.l" Den von Jacobi beschriebenen Widerspruch, .Dinge-an-sich denken zu wollen und doch nicht denken zu diirfen" ,17l hat Hegel wie einen gordischen Knoten durchschlagen.v? Kants Lehre drangt gleichsam selbst zum "starksten Idealisrnus" hin, denn wer durch diesen "Kritizismus nicht dem Nihilismus oder absoluten Skeptizismus verfallen" will, muss zwingend alle Erkenntnistheorie auf den Kopf stellen und "erklaren, dass nur die Er scheinungen sind."!" Salomon Maimon beseitigt das "Ding an sich" als einen undenkbaren, schlicht unmoglichen Begriff. In Anlehnung an Leibniz' Infinitesimalrechnung taxierte er die "Dinge an sich" als "Differentiale des Bewusstseins". Sie sind Grenzwerte und entsprechen den irrationalen GraBen. Es kann somit vorn Gegebenen immer nur unvollstandige Erkenntnis geben.!" Von diesem Annaherungsbegriff an die Dinge ist es nur ein kleiner Schritt zu Hans Vaihingers Als-Ob-Philosophie.!" Deren Fiktionalismus soll- darin unterstiitzt er seinen Wiirttemberger Landsmann Hegel - einem idealistischen Positivismus dienen, anti-skeptizistisch und somit "auch eine Philosophie des Trotz-Allem" sein.!" In diesem Sinne miissten denn auch Urteilsbegriindungen iiberzeugen, dienen ihre Kon struktionen doch - trotz aller Begriindungsillusion - der Richtigkeitsvergewisserung und bilden insofern niitzliche Fiktionen, Sie erlangen Bedeutung, "als ob" sie wahr seien.!" Hegels Vorstellung, an den D ingen selbst zu arbei-
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Gunther, Das Problem einer trans-klassischen Logik, S. 84. Ebd. Vgl. Windelband, Lehrbuch, S.488. So Windelband, Lehrbuch, S. 494 mit Bezug auf Friedrich Heinrich Jacobi. Dazu auch Gunther, Das Problem einer trans-klass ischen Logik, S. 80: "Die klassische Zweiweltentheorie, die in der Geistesgeschichte der Menschheit in zahllosen Variationen auftaucht und die Aristoteles, trotz aller Anstrengung den platonischen Hiatus von Ideen- und Sinnenwelt zu iiberbriicken, iron ischerweise durch seine Logik neu bestatigt, hat heute ihre Suggestivkraft eingebiiiit. Sie gibt keine tragfahige Basis einer kiinftigen Weltanschauung mehr aboSie ist schon durch Hegels Theorie des objektiven Geistes, in dem Objekt und Subjekr fUrimmcr ancinander gebunden sind, iiberholt." Windelband, Lehrbuch, S.494,498 mit Bezug auf Jacob i. Vgl. Windelband, Lehrbuch, S. 498 mit Verweisen auf Maimon. Vaihinger, Die Philosophie des Als Ob. Steinhauer, Non Plus Ultra, S.73 mit Verweis auf Vaihinger, Ist die Philosophie des Als-Ob Skeptizismus?; vgl. hierzu auch Steinhauer, Regel und Fiktion. Vgl. dazu auch mit Bezug auf Vaihinger Isay, Rechtsnorm und Entscheiclung, S. 357 ff.
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ten, indem man an ihren Bildern arbeitet, diirfte bei Vaihinger jedenfalls nicht auf Ablehnung gestofsen sein. Ein anderes "AIs Ob" verschrieb sich weniger der pragmatischen Konstruktion als vielmehr der (mirunter ebenso pragmatischen) Negation. Auf der Suche nach einem aufgeklarten Volkerrecht hob ein gewisses .etsi" zur allgemein-verniinftigen Abklarung an. Es sollten namlich zunachst nicht idealistische "Gotzenbildchen", kleine niitzliche Idole aufgebaut, sondern primar die - (freilich) zwecks (anschliefsend befreiter) Heranbildung unbefangener(er) und darum grundlegender neuer Figuren, hilfreicher(er), da (scheinbar) unstreitig "neutraler" GroGen - storenden alten Gorter abgebaut, und das heilit vor allem: deren Priester und Schriftgelehrte, Wahrsager qua Ubersetzer, Sprachrohre und andere Gotteskenner beseitigt werden.l" Es sollte folglich, zumindest in einigen praktischen Dingen (wie dem Recht), einfach nur noch so gedacht werden, .etsi deus non daretur", als ob Gott nicht existierte.!" Der Gewinn hieraus indes erwies sich als bescheiden; wusste dazu doch spatestens Emanuel Geibel: "Glaube, dem die Tiir versagt, / Steigt als Aberglaub' ins Fenster; / Wenn die Gorter ihr verjagt, / Kommen die Gespenster."180 Ob Auf- oder Abbau: "AIs Ob"-DeKonstruktionen bleiben "trotz allem" und immer Phantome. Ob sie zu Kobolden oder Heinzelmannchen mutieren, sich als gute oder bose Geister erweisen werden, und ob sie sich falls notig wieder 178 Einen ahnlichen Rationalitats- bzw, Konzentrationsschub hat Marie Theres Fagen fur die romische Spatantike beobachtet: Dies., Die Enteignung der Wahrsager. 179 Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, S.533 (Brief an E. Bethge vom 16.7.1944) bringt eine Stelle bei Grotius auf diese Kurzformel. Der Stichwortgeber Hugo Grotius, De lure Belli ac Pacis, Prolegomena, Abschnitt 11, S. 10 formulierte im Ubrigen augerst vorsichtig : "Et haec quid em quae iam diximus, locum haberent etiamsi daremus, quod sinesummo scelere dari nequit, non esse Deum, aut non curari ab eo negotia humana " (kursiv D.W) . (Deutsch: "Diese hier dargelegten Bestimmungen wiirden auch Platz greifen, selbst wenn man annahme, was freilich ohne die grogte Siinde nicht geschehen konnte, dass es keinen Gott gabe oder dass er sich urn die menschlichen Angelegenheiten nicht bekummere." Grotius, De lure Belli ac Pacis, hrsg. v. Walter Schatzel, Tiibingen 1950, S. 33.); zur Rechtfertigung jenes Denkens etsi deus non daretur exemplarisch Blumenberg, Die Legitimitat der Neuzeit; eine ausfuhrliche Wiedergabe der Kontroverse zwischen Blumenberg und Schmitt iiber die Sakularisierungsthese nun bei Schmitz/Lepper(Hrsg .), Hans Blumenberg, Carl Schmitt, Briefwechsel. 180 Geibel, Werke. Bd.2, S.163; Blumenbergs Haltung ist freilich weniger diister. Er bemiiht sich im Gegenteil urn die Rehabilitierung dieses Sakularisierungsvorganges, Dieser stehe nicht fiir die .Umsetzung authentisch theologischer Gehalte in ihre sakulare Selbstentfremdung", sondern sei vielmehr "als Umbesetzung vakant gewordener Positionen von Antworten [zu] beschreiben, deren zugehorige Fragen nicht eliminiert werden konnten." Es geht also urn neue, den veranderten Verhaltnissen angepasste Antworten auf alte Fragen. Vgl. Blumenberg, Legitimitat der Neuzeit, S. 75 ff. Was dabei uberlebt, ist die unausrottbare Fetisch-Bildung im Zusammenhang mit jenen Antworten. Vgl. nur Bobme, Fetischismus und Kultur, S. 21,23.
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loswerden lassen, ist bei deren Einsetzung stets ungewiss.l'" Falls sie aber trotz allem funktionieren, schopfen sie hieraus ihre Legitimation. Sie markieren dann den Wechse1vom Substanz- zum Funktionsbegriff (Cassirerj.P? Damit die "AIs Ob" -Konstruktion auch funktioniert und geglaubt wird, mus s sie aufgefiihrt, glaubwiirdig inszeniert, hierfiir aber als solche invisibilisiert werden. Dass das auch regelmaflig ge1ingt, beweisen die unzahligen Fiktionen, welche unhinterfragt unseren Alltag beherrschen: Papierge1d, der Staat, Atome, die Willensfreiheit, Gott, Urteilsgriinde.l'" Trotz ihrer Widerspriichlichkeit hat sich deren Gebrauch durch Erfolg im Hande1n bewahrt und mithin fest etabliert.l" Urteilssatze etwa, um ein wenig vorzugreifen, werden vom fahigen Richter rhetorisch-argumentativ so behandelt, "als ob [. . .] [sie] von jeher im Gesetz gestanden harteln]."!"
III. Zur Funktion der Fiktion 1. Derfreie Wille/Wilde im zivilisierenden Recht "Die Arbeit des Verstandes hindert die Intuition, wie es denn auch kein Zufall ist, dass der Instinkt, der das Tier noch iiberall sicher leiter, bei dem Menschen mit zunehmender Zivilisation, d. h. mit der wachsenden Herrschaft des Verstandes, immer seltener arbeitet. Die Herrschaft des Verstandes toter die Intuition, wie die zunehmende Rationalisierung die Personlichkeit ertotet. Intuition entspringt aber einem Kraftiiberschuss der Personlichkeit." Hermann Isay 186
181 Go ethes Zauberlehrling harte bekanntlic h seine liebe Miihe damit, die Geister, die er rief, wieder loszuwerden. 182 Dazu Cassirer, Substan zbegriff und Funktionsbegriff; zur Verbindung des Blumenbergschen "U mbesetzungsmodells" mit Cassirers Ersetzung der Substanz- durch Funktionsbegriffe vgl. Wagner, Gesellschaftstheorie als politische Theologie?, S. 70 f. 183 Vgl. nur zum Staat KoschorkeiLiidemann/Frank/ Matala de Mazza, Der fiktive Staat (etwa S.10f. oder die Organismus-Analogie des Menenius Agrippa S.15ff., im Weiteren auch S. 319 ff., 351 ff. m.w.H., 369). 184 In diesem Sinne auch Isay, Rechtsnorrn und Emsche idung , S. 359. 185 Dazu Walther Burckhardt, Methode und System des Rechts. S. 274 f. Auch Burckhardt diirfte Vaihingers Werk gekannt haben oder zumindest war ihm Montesquieu ein Begriff, der bereits zweihundert Jahre vor ihm die entscheidende Fikt ion formul iert hat: "Mais les juges de la nation ne sont que la bouche qui prononce les paroles de la loi: des etres inanimes qui n'en peuvent moderer ni la force ni la rigueur." Montesquieu , De I'esprit des lois, S. 404. 186 Rechtsnorm und Entscheidung, S. 77.
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Die Untersuchungen zum jede menschliche Entscheidung gleichsam vorab determinierenden Bereitschaftspotential haben ein weiteres Indiz fur den triebhaft geknechteten Willen des Menschen gelieferr."" Dber die Willensfreiheit haben sich prominent schon Luther und Erasmus gestritten. Davor wurde die Debatte bereits unter den Stoikern oder zwischen Pelagius und Augustinus auf den sich Luther beruft - gefiihrt .188 Derweil der Humanist quasiidealistisch der Maxime folgt, dass sich das Sollen nicht am Sein zu orientieren habe, vielmehr die Vorstellung einer anderen, besseren Welt verwirklichen mage, will der Reformator stets das uranfangliche Scheitern solchen Strebens bewusst machen, jedem humanistisch-erzieherischen Freiheitsbegriff dessen dialektische Verstrickung in die Unfreiheit des Menschen vor Augen fiihren. Luthers Methode ist derweil genauso padagogisch motiviert: Selbsterkenntnis der eigenen wie der anderen Begrenztheit bei Luther, der eigenen Moglichkeiten bei Erasmus.P ? Doch wo holt sich der Versager Trost , wenn er an den hehren Zielen - doch letztlich an sich selber - scheitert, das Soll den Faust in uns zu teuflisch-blindem Selbstvertrauen treibt? 1st bei allen edlen universalen Zielen der Mensch im Einzelnen nicht oft auch dreckig und gemein? 1st unser Streben nicht meist durch .niedere" Motive determiniert, zumindest wenn wir uns in unseren privaten Zielen direkt bedroht fiihlen oder eine andere "Grundhaltung " beim Gegeniiber wahnen? Auch die niedersten Triebe lassen sich durch einwandfreie Griinde kaschieren. Selbstbeherrschung ist ein soziales, d. h. gespieltes, kein psychisches Phanomen.l '" Sympathie und Antipathie bestimmen unser Tun, deren jewei1iges Zustandekommen ist selten klar, vielmehr eine einzige Pathologic. Affekte. Aus dem Affekt hande1n: das ist die ganze neurotische Entscheidtheorie. Luther definierte das Sein des Menschen als siindig. Die Siindhaftigkeit besteht darin, dass der Mensch seine Gedanken und Absichten nicht im Griff hat, aber dennoch so tut, "a1s ob". Die Rechtsordnung ist ein solches "a1s ob". Sie unterwirft uns einem politisch korrekten Begriindungszwang. Sie ist edukativpaternalistisch, indem sie uns gebietet, nach "verniinftigen" Griinden zu suchen und verbietet, die eigentlichen Griinde fur unsere Personal- wie Sachentscheide zu nennen. Griinde, die wir meist selbst schon erfolgreich verdrangt haben; welche die Neurona1forschung aber wieder als unkontrolliert, spontan und vielfach politisch unkorrekt, als diskriminierend entdeckt hat. Diesem Sein gilt Luthers Tun und Lassen, an dem sich nach Erasmus das Sol187 Pars pro toto Libet, Habert wir einen freien Willen?, S. 270 f. 188 Vgl. umfassend Seebafi, Willensfreiheit und Determinismus, Bd. 1. 189 Zur Deb atte urn den freien Willen zwischen Luther und Erasmus vgl. Kohls, Luther oder Erasmus, Bd.2, S.27 ff., 62 ff., 133 ff. sowie Brecht, Moral und Gnade , S. 75 ff. und Hoffmann, Erasmus im Streit mit Luther. 190 Ausfiihrlich zur sozialen Konstruktion des Selbst m.w.H. Gruber, Neuronale Normativitiit?, S. 116ff.
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len nicht messen diirfe. Wir miissen so tun, als verhielte es sich mit der conditio humana anders, weil wir mit der psychischen Realitat nicht leben konnen und zwar im wortlichen Sinn: das Leben lasst sich als unkontrolliert triebhaftes Sein nicht einrichten. Insofern ist das Recht eine echte Zivilisierungsleistung, wie Zivilisation und Kultur iiberhaupt Simulationen sind;'?' Kompositionen oder besser: mediatisierende (Ver)Dichtungen aus symbolischen Forrnen.l'" "Sozial erfiillt der Dichter die Rolle des Retters:" hier, indem er die Illusionen der Gesellschaftsverfassung befestigt. Diese Aufgabe iibernehmen die "Doktrinare des juridismus".'?' Sie erachten die Fiktion des freien Willens als notwendig, urn die Moral und den fur das Dberleben der Menschen geeigneten Lebenssinn zu erhalten. "We have to believe in free will to get along."!" Und just urn die "individuelle Selbst-Gewissheit, iiber einen eigenen freien Willen zu verfiigen," steht es nach wie vor sehr gut. Sie erweist sich gegeniiber allen Aufklarungsversuchen seitens der Hirnforschung als ausgesprochen "belehrungsresistent", womit der freie Wille in seiner Qualitat als "nicht .desillusionierbare Illusion'" gleichsam zur alltaglichen, verniinftigen "Wirklichkeit" avanciert.!" Ohne die Zurechenbarkeit einer Handlung gegeniiber dem Handelnden, ohne seine Verantwortlichkeit dafiir und damit ,,[d]ie Bestimmbarkeit der Zu-
191 Legendre, Nomenclator, S. 25; vgl. zum Ganzen vorrangig Elias, Dber den Prozess der Zivilisation, Bd. II (erwa S. 320 H.) ,,]e dichter das Interdependenzgeflechr wird, in das der Einzelne mit der fortschreitenden Funktionsteilung versponnen ist, je groBer die Menschenraume sind, tiber die sich dieses Geflecht erstreckt, und die sich mit dieser Verflechrung, sei es funktionell, sei es institutionell, zu einer Einheit zusammenschlieBen, desto mehr ist der Einzelne in seiner sozialen Existenz bedroht, der spontanen Wallungen und Leidenschaften nachgibt; desto mehr ist derjenige gesellschaftlich im Vorteil, der seine AHekte zu dampfen vermag; und desto starker wird jeder Einzelne auch von klein auf dazu gedrangt, die Wirkung seiner Handlungen oder Wirkung der Handlungen von Anderen tiber eine ganze Reihe von Kettengliedern hinweg zu bedenken . Dampfung der spontanen Wallungen, Zuriickhaltung der Affekte, Weitung des Gedankenraumes tiber den Augenblick hinaus in die vergangenen Ursach-, die zukunftigen Folgeketten, es sind verschiedene Aspekte der gleichen Verhaltensanderung [.. .J. Es ist eine Veranderung des Verhaltens im Sinne der .Zivilisation'." (S. 321 f.). 192 Vgl. nur Cassirer, Axel Hagerstrorn, S. 103 H., 114 H.; zum Recht als symbolischer Form vgl. auch Coskun, Law as symbolic form; Clam, Law's Origin in Desire, S. 54 f. "Law at its origin breaks its way into something that is not ordered by meaning, but is governed by nature/biology/instinct. It is originally a prohibitiveselection that rarefies biological possibilities and creates a symbolic order." (55). 193 Legendre, Das jammernde Werk des Jakob Balde, S. 23; vgl. zum Dichter auch Foucault, Ordnung der Dinge, S. 81. 194 Smilansky, Free Will and Illusion, S. 161 C. P. Snow zitierend, vgl. auch S. 169 ff., 182 H., 283 H.; vgl. auch Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 97 H. 195 Stubinger, Das "idealisierte" Strafrecht, S.364, der nach einer ausfuhrlichen, an Hegel orientierten Rechtfertigung der IdealbegriHe und einer umfassenden Kritik den Nutzen der Hirnfoschung insbesondere fur das Strafrecht verwirft (ebd ., Teil l).
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kunft durch die Gegenwart und die Verbindlichkeit dessen, was die Gegenwart beschlossen hat, fur die Zukunft" ware eine Gesellschafts- und Rechtsordnung nicht denkbar.!" "Unsere Rationalitat ruht juristischen Fiktionen auf. Allerdings unvermeidlichen Fiktionen."197 "Was sonst als die Zunickfiihrbarkeit von Zustanden auf das Verhalten eigenstandiger Individuen sollte [...J als grundsatzliches Zurechnungskriterium in Frage kommen? Die Leugnung men schlicher Veranrwortlichkeit schon im Grunde bedeutet aber [. .. J nichts weniger als den Abbruch der normativen Diskussion als solcher. Dieser Abbruch ist theoretisch natiirlich moglich, aber im menschlichen Zusammenleben nach aller Erfahrung sinnlos, weil praktisch nicht durchzuhalten. Wer darauf besteht, den Menschen als bloflen Spielball auf ihn einwirkender auBerer und innerer Ursachen zu sehen, kann natiirlich die Schadensfolgen eines Steinwurfes dem Werfer ebenso wenig zur Last legen wie dem Stein. Doch steht im menschlichen Zusammenleben seit jeher und zur Evidenz fest, dass die letztere Zuordnung tatsachlich keine Folgen harte und daher sinnlos ware, wahrend es weithin (gewiss nicht ausnahmslos) moglich ist, durch entsprechende Normen Menschen als Veranrwortungstrager dazu zu bringen, dass sie den angerichteten Schaden ersetzen, in Hinkunft Schaden eher vermeiden etc."198 Im Blick auf einen solchen, als normal postulierten Zustand lebt die Rechtsordnung gleichsam von der Verdrangung der Moglichkeit einer fehlenden menschlichen Selbstkontrolle.l"? Sie steht fiir die Aufrechterhaltung der Fiktion einer Verantwortlichkeit des Menschen und zentral hierfur ist das ungetrubte Wissen um die eigene Motivation.P ? Der "normale" Mensch verhalt sich edel, hilfreich und gut (Goethe), bedauert es, einen Mietinteressenten oder Stellenbewerber zugunsten eines anderen ablehnen zu mussen und tut dies freilich aus einer Menge an lauteren
196 Cassirer, Axel Hagerstrom, S. 105. 197 Schneider, "Es genugt nichr, Menschenfleisch herzustellen", S. 48, vgl. auch 48 ff. 198 Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S. 105 f. Zum Schadenersatzrecht als
Beispiel fur die Bedeutung und Unabdingbarkeit des Prinzips der Selbsrverantworrung vgl. ebd., S. 106 ff. So bewirkt erwa die Ersetzung der Schadenersatzpflicht des Einzelnen durch eine kollektivierende Versicherungslosung immer auch eine Reduzierung individueller Veranrwortlichkeit, was der Sorgfalt im Blick auf eine Schadensvermeidung eher abtraglich ist, Vgl. ebd., S. 110 ff. 199 Dagegen fur eine individualisierte Verantwortungszurechnung Suppa, Der vernunftige Mensch im Strafrecht, etwa S. 187 ff., 198 f. 200 Vgl. dazu auch Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 101 f.; die Traditionen Ostasiens offenbaren GraBen wie das Subjekt und dessen freier Wille als kulturelle Konstrukte des"Westens" . Ausfiihrlich dazu Seelmann, Im Fluss des Geschehens: "Verantwortung bleibt [in Ostasien] insgesamt vage und dehnbar. Noch heute haben Kategorien wie Schuld und Veranrwortung im Vergleich zum Westen weniger scharfe Konturen. So gibt es denn, zusammengefasst, in der Tradition Ostasiens weder die kausale Interpretation des Willens noch das Evidenzerlebnis seiner Freiheit."
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Grunden. Nie wiirde er jemanden aufgrund seines Aussehens, seines Geschlechts oder seiner "Weltanschauung" zuriickweisen, Er geht davon aus, dass er um seine Motivation weiB und sie im Griff hat. So genannt "politisch korrekte", nicht unzulassig diskriminierende Begriindungen zumal in rechtsformigen Auswahl- bzw. Ausscheidungsprozessen sind notwendig - tolerantfragile Gesellschaften wollen belogen werden, da sie die Wahrheit nicht mehr ertragen. Das ist die Folge der Zivilisierung. Die Heuchelei schiitzt die Zivilisation.P' So gilt es aber auch, Acht zu geben, dass mit dem allgemein enthernmten Explikationsdrang und Entfaltungstrieb hin zur Wahrheit nicht allzu viel von ihr ans Licht kommt.P? Das Recht kann an den eigentlichen Grunden kein Interesse haben. 2. Tanzend zur Selbstverfassung Ich lobe den Tanz, denn er befreit den Menschen von der Schwere der Dinge, bindet den Vereinzelten zur Gemeinschaft. Ich lobe den Tanz, der alles fordert und forderr, Gesundheit und klaren Geist und eine beschwingte Seele. Tanz ist Verwandlung des Raumes, der Zeit, des Menschen, der dauemd in Gefahr ist zu zerfallen, ganz Him, Wille oder Gefiihl zu werden.
201 Ziiek, The Secret Clauses of the Liberal Utopia, S. 5 f. spricht von der Notwendigkeit
von Geheimklauseln ,,(unwritten, disavowed, but necessary rules)" fiir jedes rechtliche Gebaude oder Ensemble an sozialen Normen. Sie werden offentlich nicht eingestanden, sind aber wesentlicher Bestandteil jeder Kommunikation. ,,[A]n act of civility is pre cisely to feign that I want to do what the other asks me to do, so that my complying with the other's wish does not exert pressure on him/her."; und "der Kriegsschauplatz wird zugleich in gewissem Sinne nach innen verlegt." Da die Leidenschaften zwischen den Menschen nicht mehr einfach ausgelebt werden konnen "kampfen [sic] nun oft genug nicht weniger heftig in dem Einzelnen gegen diesen iiberwachenden Teil seines Selbst." Elias, Zivilisation II, S. 330 f.; bei Elster, Strategic Uses of Argument, S. 251 findet sich die Wendung von der "civilizing force of hypocrisy". In "The Market and the Forum", S.I12 f. assoziiert er dieses Konzept der Diskursethik Haberrnas '. 202 Vgl. in diesem Zusammenhang die Polemik Nietzsches gegen Sokrates in: GotzenDammerung (Das Problem des Sokrates, Nr. 9-12), S. 71 ff.
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Der Tanz dagegen fordert den ganzen Menschen, der in seiner Mine verankert ist, frei von der Begehrlichkeit nach Menschen und Dingen und von der Damonie der Verlassenheit im eigenen Ich. Der Tanz fordert den befreiten, den schwingenden Menschen im Gleichgewicht aller Krafte . Ich lobe den Tanz .
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Mensch, Ierne Tanzen, sonst wissen die Engel im Himmel mit dir nichts anzufangen. Aurelius Augustinus zugeschrieben
Zivilisierte tun so, als waren sie keine Wilde mehr, dabei haben ihre Systeme das Wilde oft nur unterdriickr.P' Mit erwas Gluck findet es eine andere Ausdrucksform. Wir sprachen von symbolischen Formen und ihrem Simulations- qua Reprasentationspotential, In ihrer Erlosungsleistung konnen sie nur vorsprachlich sein. (Die sprachlich arbeitende Psychoanalyse erwa kommt deshalb ohne Suggestion nicht aus): Musik und Tanz bilden gleichsam uranfangliche "Bewegungen und Formen des menschlichen Geistes, die eine Ordnung des Seins verkiinden, welche dem Unbekannten [dem Wilden, D.W.] der Schopfung naher steht als die Sprache." 204 Sie lassen sich nicht von einer einzigen Motivation einfangen. Musik etwa stiinde "als das A und 0 des Seins selbst da. Ihre Formen in Bewegung sind zugleich unmittelbarer und Freier als die der Sprache. Durch die Verwendung von Inversion, von Kontrapunkt, von polyphoner Gleichzeitigkeit kann die Musik Widerspriiche in sich schlielien, Umkehrungen der Zeitlichkeit, die dynamische Koexistenz ganzlich verschiedener, ja einander gegenseitig ausschlieilender Stimmungen und Impulse des Gefiihls in ein und derselben Gesamtbewegung. "205 Analog durfte das auch fur den Tanz gelten. Jeder Grammatik - auch derjenigen des Rechts -liegen dagegen "die Fragmentationen und, in einem entscheidenden Sinne, Minderungen [zugrunde], die von intellektueller Rationalitat ausgehen, der Fall des
203 Griindlich dazu Biibme, Fetischismus und Kultur, passim; .Das Management verkennt unsere Rechte als Unzivilisierte und Wilde. Die Poesie foltert uns, wir wollen genieflen, einschlieillich der Schmerzen." Legendre, Balde, S. 21. 204 Steiner, Errata, S. 91. 205 Ebd., S. 89, vgl. auch S. 95 ff.
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Menschen in die Logik. " 2C6 "Es liegt in der Sprache an ihren generierenden Prinzipien ein Riickzug aus dem Vielfaltigen und aus den inner en Widerspriichen der Welt." So George Steiner.P" Integral verfassen lasst sich der Mensch folglich nur in der Bewegung , sei es im Tanz, im Spiel oder Gesang. Eine Bewegung, welche die Idee gesellschaftlicher Ordnung aber zu oft als organisierten gemeinsamen Marsch missverstanden hat - vielleicht missverstehen muss. Die vielfaltigen Widerspriiche der Welt werden so nur mit Scheuklappen durchlaufen, vielmehr tot getrampelr. Samtliche Tanzgesange durfen sich dann nur urn bestimmte goldene Kalber drehen.P" Das tun sie allerdings auch, wenn sie die vergessenen Widerspriiche aufspiiren und nachspielen wollen. Welt gibt es nur in der Welt, Leben nur im Leben . Von der Welt, uom Leben iiberhaupt, gibt es nur Plagiate - wissbar gemachtes Nichtwissen: Re-Prasentation. P? Die Idee der Ordnung ertragt keine Uberraschung, Letztere muss - der "guten Ordnung" halber - vielmehr selbst Ordnung werden, bedarf deshalb einer sie verbergenden Eingliederung bzw. Einordnung in das System, das ihre Unregelmaliigkeit qua Einmaligkeit negiert , indem es sie re-prasentiert; d. h. als erwas anderes - bestenfalls als Ausnahme - im Rahmen seiner eigenen Regeln zum Ausdruck bringt und damit aber sich selbst entfremdet. Ordnung braucht also Regeln, berechenbare Taktierung, Kontrolle. So iiberlistet letztlich das Gesetz den Menschen gerade auch im Lied - dem carmen necessarium - und im Tanz. 210 "Das Wesen der Kunst hangt [.. .Jebenfalls an der Form. [... J Steht es mit dem Wesen des Geistes in Widerspruch, dass es Partituren und aufgeschriebene Gedichte gibt? Feste Intervalle und sichere Linien?", fragt Carl Schmitt rhetorisch." ! Und in der Tat: Formlose Bewegung hat niemand weder je gesehen noch gehort, Bewegung besteht im Aufbrechen der Form durch eine neue Form. Solche Deformation kann nur in einer Uberform zur 206 Steiner, Errata, S. 91. 207 Steiner, Errata, S. 89.
208 Zum Ganzen exemplarisch Legendre, La passion d'etre un autre; sieh e auch als Teiliibersetzung dens., Der Tan z in der nichttanzenden Kultur, und dens., "D er ,Take-Off' des Westens ist ein Geriicht", S. 115 f. 209 Das gilt wahrlich auch vom Menschen. Legendre, La passion d'etre un autre, S.30 spricht in Bezug auf das Selbst von einer Entaulierung bzw. Entfremdung, die sich theatralisch vollzieht. "Je danse, c'est dire je fabrique ce corps etranger, ce corps invente par une composition et travaillant sou s Ie nom fixe d'une dan se, avec lequel je rencontre l'ideal." Die Idolatrie wendet sich folglich auch gegen das Subjekt, 210 Vgl. Fagen, Lied , S.54f., 69. Mit Hilfe eines Liedes hatte Ci cero einst als Schiiler die Gesetze der Zw61f Tafeln auswendig gelernt (54); "il n'y a rien de plus juridique que la danse, mettant en acte l'idee du droit la plus abstraite et qui fut la plus difficile formu ler dans la science des legistes occcidentaux, c'est-a-dire l'idee merne de la representation." Legendre , La passion d'etre un autre, S. 30 f. 211 Schmitt, Glossarium, S. 39 (10. 11. 47).
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Ruhe kommen. (Kiinstlich sind sieaIle.) Auf sie hofft die Emergenz.I'! auf eine Art Institution, die integriert, indem sie das wilde Spiel ins Leere laufen lasst, d. h. auf einen Grundton einstimmt und damit vorerst in Harmonie auflost bzw. ausloscht, Was dann iibrig bleibt, wird durch die Institution auf befestigten Bahnen in eine kontrollierbare und verlockende Zukunft geleitet, Es geht darum, das Leben einzurichten.i!' Und das geht nicht ohne kimstliche Formen und deren Kunst. Die Lebenseinrichtung geschieht somit erganzend und paralleldurch unzahlige sozialeSysteme beruflicheroder (oft organisierter) freizeitlicher Arbeit, Die Rede ist von Karnevalsgruppen, Choren, Sport- und Bienenzuchtvereinen, Kartenspielrunden, Stammtischen, von Parteien, Serviceclubs, Familien, Wirtschaftsunternehmen, vorn so genannten Markt, dem Staat bzw, der Politik, der Wissenschaft, Religion etc. Moderne Tanzlokale wie Diskotheken erweisensich immerhin als eigentliche Experimentierlaboratorien einer formvergessenen, meist jungen Gesellschaft auf der verzweifelten Suchenach Form.
212 Vgl. dazu etwa den Versuch einer Konfliktregulierung auf der »hOheren Ebene" einer Vertragsverbindung bzw. im Netzwerk eines neuen juristischen Gebildes hoherer Ordnung mit dem Zie! einer Absicherung der Funktionsfahigkeit dieses Vertragsnetzes Amstutz, Die Verfassung von Vertragsverbindungen, S. 78 ff. 213 Vgl. Legendre, Sur la question dogm atique, S.106 ff.; hierzu auch Schneider, Menschenfleisch, S. 46 f.
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§ 4 Ober das Wunschbild derGerechtigkeit und das Trugbild der Gleichheit I. Vergleichungs- und Angleichungsdynamiken in Politik und
Recht
1. Politische Steuerung "Gesellschaftspolitisch gesehen hat der Begriff Steuerung noch immer Konjunktur.Bei zunehmencler Verunsicherung in Bezugauf die Gestaltbarkeit der Zukunft fehlt es nicht an Appellen,class geracle deshalberwas geschehen miisse." Niklas Luhmann-"
Grundrechtskataloge bilden die ausdifferenzierte Gesellschaft ab.215 Begriffe wie Kunstfreiheit, Wissenschafts- bzw. Forschungs- oder Wirtschaftsfreiheit stehen fur jeweils autonome Systeme, die sich im Uberwaltigungsfall mit Hilfe der entsprechenden Grundrechte sowohl gegen einander als auch - soweit rnoglich - gegen eine aufsassige Politik zur Wehr setzen konnen. Die Rede vom Primat der Politik suggeriert bei jeder Gelegenheit eine grundsatzliche Kompetenz und Fahigkeit des Gesetzgebers zur Steuerung der Gesellschaft im Konfliktfall. Abgesehen allein schon von der Moglichkeit einer zielfiihrenden, tatsachlichen Losung der Problerne.l" scheint es bei der Politik vielmehr zunachst um die erfolgreiche Simulation von Steuerungsmacht, eine glaubwiirdige Inszenierung sowohl der Bereitschaft als auch der Fahigkeit zur Problernbewaltigung und damit um ihre Beruhigungsfunktion zu gehen. Diese bildet das eigentliche Primat der Politik . Die Vermittlung von Sicherheit gelingt ihr durch eine iiberzeugende Vorstellung des eigenen Sachverstandes und die Erweckung des Vertrauens, alles im Griff zu haben. "Zielfiihrend" 214 Wirtschaftder Gesellschaft, S.324. 215 Vgl. dazu Luhmann, Grunclrechte als Institution. 216 Zu den Steuerungsclefiziten vgl. neben dem "regulatorischen Trilernma" bei Teubner, Das regulatorischeTrilemma, S.125ff. auch Luhmann, Politik der Gesellschaft, S. 109.
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OberdasWunschbild der Gerechtigkeitund dasTrugbild der Gleichheit
ein neues Zauberwort aus der politischen Alltagsrhetorik solI dabei iiber jedes Verwirklichungsdefizit, das Problem der Steuerbarkeit, hinweg zielen bzw. hinaus fiihren, es ignorieren oder besser invisibilisieren.i'? .Ahnlich ist von "zeitnahen" Losungen oder Umsetzungen die Rede. Die Politik der Veranrworrungstrager besteht zunehmend darin, die Tatsache der eng gewordenen Handlungsspielraurne durch Rhetorik und andere Beschwichtigungsgesten zu kompensieren.i" Und der Glaube an die Machbarkeit im Staat ist seinerseits wohl als idealistisch gepragte, romantische Reaktion auf den Prozess der verunsichernden Ausdifferenzierung zu lesen. Am Anfang der politischen Moderne stand das Gleichheitsversprechen gegen die systemischen Abgrenzungen und hierarchischen Ober- bzw. Unterordnungen zwischen fixierten Gesellschaftsschichten des Ancien Regime. Da Gleichheit jedoch kriterienlos nicht umgesetzt werden kann, war und ist stets von neuem die Frage nach ihrer Definition zu beantworten. "Das Schema gleich/ungleich erzeugt einen Kriterienbedarf. Es selbst legt die benotigten Kriterien aber noch nicht fest. Die Gleichheit selbst ist kein Gleichheitskriterium (so wenig wie die Wahrheit ein Wahrheitskriterium ist)."219 Irn Ancien Regime konnte der soziale Status ohne weiteres als Kriterium dafiir dienen, dass man als Edelmann oder Handwerker nur unter seinesgleichen gleich, im Kreise der anderen aber ungleich behandelt wurde. 220 Zur Bildung einer Identitar und deren Weitergabe an die Zoglinge waren soIehe Kriterien sichtbarer Abgrenzung iiberaus geeignet. Identitatsgewinn ist in durchgehend egalisierten Gesellschaften sowohl fUr N achwachsende als auch Erwachsene schwieriger geworden. Etliche Gleich/Ungleich-Anknupfungen sind verpont und haben sich in die Unsichtbarkeit abgemeldet; diejenigen, weIehe iibrig bleiben, sind kontrovers und werden stets weiter ins Detail getrieben, d. h. ausdifferenziert, Gleich/Ungleich-Unterscheidungen werden aus immer mehr Lebenszusamrnenhangen vertrieben. So erfahrt die Ehe in bestimmten Landern eine Offnung fur Mann und Mann bzw, Frau und Frau,221 Kinder haben zunehmend ahnliche Rechte wie Erwachsene und Auslander werden den Inlandern gleichgestellt. Was einst als unabwendbare Selbstverstandlichkeit Akzeptanz gefunden hatte (Diskriminierung), muss heute ausgemerzt werden. Wir er217 Luhmann, Erkenntnis als Konstruktion, 5.218 erkennt in solchen »Verstiirkern" eine alte Kommunikationstechnik. »50 finder man in der Endphase der lateinischen Rhetorik von der Tugend zu wahrer Tugend, so verlangt man von der Politik heute echte Reformen. So findet man in Laden heute naturreine Fruchte angeboten. [. . .J]e mehr solche Verstarker hinzugesetzt werden, umso mehr sind Zweifel angebracht." 218 Vgl. Wenger, Negative ]urispruclenz, 5. 50. 219 Luhmann, Recht der Gesellschaft, 5. 113. 220 Vgl. Luhmann, Recht der Gesellschaft, 5. 112. 221 Legendre, Nomenclator, 5.17 spricht von der »indifferenciation des sexes" als einer Umkehrung der Diskriminierung.
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leben eine Diskriminierung der Diskriminierung. Das zeigt sich allein schon an der klar negativ konnotierten Bedeutung des friiher neutral en, schlicht mit "Unterscheidung" iibersetzten Begriffs.222 Gleichheit ist mit Freiheit und vor allem mit Briiderlichkeit aufgeladen. Freilich existierte diese Solidarisierung friiher genauso, aber nur unter den Personen innerhalb der einzelnen Schichten bzw. Gruppen. Man war unter sich briiderlich, nicht aber mit der ganzen Welt (von wegen: "Seid umschlungen, Millionen .. ." Schiller/Beethoven). Es ist vielmehr eine in ihren Anfangen ganzlich und heute relativ enthemmte Neidgeschichte, welche die Franzosische Revolution angehoben hatte und bis heute weiterschreibt und der das Gleichheitsversprechen nur als Vorwand dient. Es veredelt den natiirlichen Neid der je sachspezifischen "Habenichtse" gegeniiber den vermeintlich Edlen, Schonen, Gliicklichen; und da diese Werte heute verwertbar und bewertbar geworden sind, hei6t die rnoderne Losung: Umverteilung.F' Gleichheit ist kein Naturphanomen, sondern das im Einzelnen stets zu erkampfende Resultat einer kulturellen Entscheidung, die als Leitmotiv mittlerweile jede europaisch iiberzogene Rechtskultur durchdringt. Der soziale Differenzierungsprozess hat durch die in ihrer Mine verankerte grofsrevolutionare Trias liberte, egalite, [raternite eine zusatzliche, eigene Dynamik erhalten, durch welche die Frage nach der (ge)rechten Ordnung auf Dauer gestellt bleibt, Losungen sind immer nur Scheinlosungen mit unterschiedlicher Halbwertszeit. Ihre Haltbarkeit steht letztlich in der Macht unvorhersehbarer Reaktionen, die sich auf zufallige Ereignisse hin einstellen oder eben nicht eintreten, Vortrefflich resiimierte Tocqueville bereits vor mehr als 150 Jahren: ,,[...J mit bitterern Lacheln stellte ich fest, welche Illusionen man sich am Ende jedes Abschnittes gemacht hatte; ich vergegenwartigte mir die Theorien, die diese Illusionen genahrt hatten, die gelehrten Traumereien unserer Geschichtsforscher und die ausgekliigelten und falschen Systeme, mit deren Hilfe man versucht harte, eine Gegenwart, die man noch nicht richtig beurteilen konnte, zu erklaren und eine Zukunft, von der man nichts wissen konnte, vorauszusagen. Auf das Ancien Regime war die konstitutionelle Monarchie gefolgt, auf die Monarchie die Republik, auf die Republik das 222 Jaenicke, Diskriminierung, S.387 f. fuhrt diesen veranderten Sprachgebrauch auf die Rechtssprache der Vereinigten Staaten zuriick, die seit dem Ersten Weltkrieg Eingang in die volkerrechtliche Terminologie gefunden hat; Luhmann, Soziale Systeme, S.536 meint dazu, die Semantik der Diskriminierung habe eine Konfliktaufwertungsfunktion iibernommen. 223 Tocqueville, Erinnerungen, S.109 (II, 1) nennt »die Begierde nach materiellen Genussen, von der die Menge unter dem Ansporn der Regierung selbst mehr und mehr ergriffen wurde; das demokratische Dbel des Neides, der diese Menschen mit dumpfer Unzufriedenheit erfiillte; die wirtschaftlichen und politis chen Theorien, die sie allrnahlich beeinflussten und zu dem Glauben veranlassten, dass das menschliche Elend das Werk der Gesetze und nicht der Vorsehung sei und dass die Armut durch eine Anderung des gesellschaftlichen Zustandes beseitigt werden konne [. .. ]."
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Kaiserreich, auf das Kaiserreich die Restauration; dann war die Julimonarchie gekommen. Nach jeder dieser Wandlungen hatte man erklart, dass die franzosische Revolution das, was man voll Dunkel als ihre Aufgabe bezeichnete, erfiillt habe und nun beendet sei: man hatte es gesagt und geglaubt. Leider hatte auch ich diese Hoffnung gehegt, unter der Restauration und noch nach ihrem Sturze. jetzt lebte die franzosische Revolution wieder neu auf, denn sie ist irnmer dieselbe.Je mehr sie fortschreitet, umso mehr entfernt und verdunkelt sich ihr Ziel. Werden wir, wie uns die neuen Propheten versichern, die vielleicht ebenso falsch sind wie ihre Vorganger, eine vollstandigere und tiefergreifende soziale Umwandlung erleben, als unsere Vater erwartet und gewollt haben und wir selbst voraussehen konnen? Oder werden wir nur in jene hie und da aussetzende Anarchie geraten, die bekanntlich die chronische und unheilbare Krankheit der alten Volker ist? Ich fur meinen Tei! kann es nicht sagen, ich weiB nicht, wann diese lange Reise zu Ende gehen wird. Ich bin es miide, immer wieder triigerische Nebel fur das ersehnte Ufer zu halten, und ich frage mich oft, ob es den festen Grund und Boden, den wir so lange suchen, iiberhaupt gibt, oder ob es nicht eher unser Schicksal ist, ewig auf offenem Meere zu treiben!"224 2. Entscheiden unterGleichen
Gleichheit ist ein unabschliefsbarer Konstruktionsprozess, der alte Gleichheitssysteme befragt (vgl. Menke) und diese aufgrund unbefriedigender Pauschalisierung in differenziertere Teilsysteme aufspaltet.F" Hinterfragungen fuhren zu neuen, derzeit opportunen Unterscheidungen, die alsbald ihrerseits wiederum clifferenziert werden USW. 226 Die Gleichheitsfrage bzw. der Gleich/ Ungleich -Code wird geradezu pathologisch unentwegt sozusagen auf sich selbst angewendet und treibt einen unabschlieBbaren Prozess vor sich her Freilich immer mit dem Ziel: Gerechtigkeit, Das Recht steht so unter einem bestandigen Anpassungsdruck. Gesetzgeber und Obersetzer leisten eigentliche Sisyphusarbeit, wobei ersterer bestandig neue Gleichheitsimpulse im Recht versorgt, welche letzte re schlielllich am Problem der Fallgleichheit abarbeiten miissen.P? Ein paar Bemerkungen fiihren uns in diesem Zusammenhang auf das weite Versuchsfeld der Vertragsparitat, Die Gleichgewichtslage zwischen Vertragspartnern ist nicht selten eine Frage der Gewichtung. Das Recht wird neben seiner statischen Funktion eines Vertragsrahmens mitunter auch zum Promotor eines gerechten bzw. Verhin224 Tocqueville, Erinnerungen, S. 113 f. (II, 1). 225 Vgl. auch Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 112. 226 Systemtheoretisch prazisiert bei Luhmann, Soziale Systeme, S. 84. 227 Vgl. Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 113; weiterfiihrend Teubner, Altera Pars Audiarur, S.209 ff.
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derer eines ungerechten Konsenses.I" Auch in diesem Sinne ist der vertragliche Konsens nur gerecht unter - vor dem Recht - Gleichen, wobei die Rechtssetzer und -Ubersetzer sagen, was gleich - und die Gleichheit ihnen sagt, was Recht ist, Wir finden uns hier letztlich auf Hegels Kreis der Kreise und beobachten in den Gestaltungen von Autopoiesis und "re-entry" Auswicklung, Entfaltung, kurz: Evolution als Bedingung der Moglichkeit jeder Ausdifferenzierung.F' Die Grundsatzfrage im Spannungsfeld Vertragsfreiheit versus Vertragsgerechtigkeit lautet letztlich: Wie konnen wir uns uberhaupt vertragen? Denn wie soilen sich Menschen in Freiheit einigen konnen, wenn sie untereinander nie ganz gleich sind? Oder: Wie konnen Menschen frei sein, wenn sie sich nie als faktisch gleiche einigen? Welches ist das MaG einer gerechten Einigung?230 Hier gilt es nach Luhmann den Unterschied zwischen Ungleichheit und Verschiedenheit zu beachten. .Verschiedenheit muss es schon im Paradies [.. .J gegeben haben. [.. .J Zur Ungleichheit kommt es erst durch 228 Vgl. beispielsweise zum ersten Fall BGE 129 III 35, wo das Bundesgericht zulasten der im Rahmen der Privatisierung seitens des Gesetzgebers flir die unadressierten Massensendungen vom Vertragszwang befreiten Schweizerischen Post (infolge ihrer QuasiMonopolstellung bzw. mangelnder Transport-Alternativen) mit Hilfe der Gute-SittenKlausel wiederum einen Vertragszwang statuiert hat . Eine eigenwillige (Uberjlnterpretation dieses Falles liefern Amstutz/Abegg/Karavas, Soziales Vertragsreclu. Hierzu und zum Fall siehe S. 96 f.; fur den zweiten Fall kann zum Beispiel der BVerfGE 89, 214liber ein Verbot ru inoser Familienburgschaften angeflihrt werden. 229 .Verrnoge der aufgeze igten Natur der Methode stellt sich die Wissenschaft [sc. das System! D .W.] als einen in sich geschlungenen Kreis dar, in dessen Anfang, den einfachen Grund, die Vermittlung das Ende zuriickschlingt; dabey ist dieser Kreis ein Kreis von Kreisen; denn jedes einzelne Glied, als Beseeltes der Methode, ist die Reflexion-in-sich, die, indem sie in den Anfang zuriickkehrt, zugleich der Anfang eines neuen Gliedes ist, Bruchstiicke dieser Kette sind die einzelnen Wissenschaften [sc. Systeme, D.W.], deren jede [bzw, jedes, D.W.] ein Vor und ein Nach hat, - oder genauer gesprochen, nur das Vor hat, und in ihrem Schlusse selbst ihr Nach zeigt." Hegel, Wissenschaft der Logik, 2. Bd., S.252. Diese Hegelstelle beschreibt die Basis dessen, was Luhmann sparer in seinem Evolutionskonzept ausgearbeitet hat . Evolution - sowohl Resultat als auch Bedingung von Autopoiesis - stellt letztlich die Kombination von Geschlossenheit und Offenheit, von normativer Selbstbestimmung und kognitiver Lernfahigkeit der Systeme dar. Vgl. nur Luhmann, Ruckgabe, S.27, 30 sowie dens., Soziale Systeme, S. 295 ff.; siehe auch Fagen, Romische Rechtsgeschichten, S. 148 ff. und ausflihrlich Amstutz, Evolutorisches Wirtschaftsrecht, S. 261 ff., 273 f., 303 f., 326; "Aber gleichgliltig, welchen Weg die Evolution des Rechts nimmt: ihre Resultate werden mit Hilfe des Schemas gleich/ungleich [intern, D.W.] beobachtet und verfeinert, Das Schema gleich/ungleich ist ein Schema evolutionarer Differenzierung, und das heiBt nicht zuletzt: ein Schema, das mehr Gleichheiten und mehr Ungleichheiten erzeugt." Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 114. 230 Vgl. in diesem Zusammenhang die gefallige, aber unbedachte Spielerei von Zweigert/ Katz, Einfuhrung in die Rechtsvergleichung, S. 323 ff. (§ 24 III) mit dem semantisch un kontrollierbaren Begriff der Vertragsgerechtigkeit zulasten der Vertragsfreiheit.
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den Siindenfall oder, nach der Theorie des Naturrechts, durch differentielle Nutzung des Eigenrums."!" Doch begriindet dieser Unterschied in Bezug auf das Problem der Vertragsparitat einen relevanten Unterschied? 1st es das - monetar oder durch (andersartig verursachte) ungleiche Verhandlungsstarke vermittelte - fehlende Gleichgewicht zwischen den Parteien, welches die Selbstbestimmung einer Seite a priori verunmoglicht? Setzt die Selbstbestimmung das Gleichgewicht der Vertragspartner zwingend voraus?232 Auch hier bedarf eine Klarung der Entfaltung (qua Falldifferenzierung). Entscheidend - zumal fur eine richterliche Intervention - ware wohl die fehlende Aquivalenz von Leistung und Gegenleistung.P' Nun entstehen aber Vertrage regelrnailig nur dann, wenn fur beide Parteien die jeweils hingegebene Leistung weniger Wert hat als die erworbene.P" Wie soll man unter diesen Umstanden - und dann noch objektiv - ein Gleichgewicht der Vertragsleistungen feststellen konnen, wenn es jeder Partei grundsatzlich frei steht, die Leistung der anderen mit einem Gegenwert zu honorieren, der Dritten unangemessen erscheinen muss ?235 Ausschlaggebend fur eine Kontrolle ist zunachst die U neinigkeit der Parteien trotz erfolgten Vertragsabschlusses. Die Aquivalenz der Leistungen lasst sich aber nur verhandeln, wenn fur mindestens eine Leistung ein bestimmbarer Richrwert, etwa ein vergleichsweise sicherer Markrwert, eruiert werden kann. 236 In diesem Fall gelingt auch die Imagination eines hypothetischen Parteiwillens als Ersatzordnung. Dessen an Vernunft und Redlichkeit orientierter Inhalt mag seine Stiitze hier durchaus in der Wirklichkeit finden, die ihm entsprechend auch zu einem nachvollziehbaren Resultat verhilft, Ohne diesen bestimmbaren Richtwert verspielte ein hypothetischer Parteiwille jedoch Vernunft und Redlichkeir.P? Was geschieht also mit den unberechenbaren Fallen, in welchen gleichwohl eine Partei ein Ungleichgewicht behauptet? Sie werden soweit moglich ebenfalls berechenbar gemacht.P" (Der hypothetische Parteiwille kann hierbei nur mehr eine rhetorische Rolle spielen.) Fur alle anderen Ungleichgewichte, die sich definitiv nicht in Zahlen ausdriicken lassen, ist anstelle des Ubervortei231 Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 115. 232 Dazu Zollner, Regelungsspielraume, S. 25 H., die Figur der (Un)Gleichgewichtigkeit fur
eine Beurteilung vertragstheoretischer Fragen schlieBlich ablehnend. (30). 233 So auch Belser, Freiheit und Gerechtigkeit, S. 115 f., 127. 234 Vgl. Graf, Vertrag und Vernunft, S. 1 H. sowie Belser, Freiheit und Gerechtigkeit, S. 549. 235 Unberiicksichtigt bleibt diese Problematik bei Abegg, Die zwingenden Inhaltsnormen, S.110H. 236 Vgl. Belser, Freiheit und Gerechtigkeit, S. 129 H., 135. 237 Weitgehend unberiicksichtigt bleibt diese Problematik bei Graf. Vgl. immerhin dens., Vertrag und Vernunft, S.18 H., 52 f., 78 H. 317; zur Figur des hypothetischen Parteiwillens allgemein: ders., Vertrag und Vernunft, S. 15 H., 293 H.; Gauch, Vertrag und Parteiwille, S. 362 f.; vgl. auch BGE 123 III 297, 299, 300 (Fuiiballclub Lohn). 238 Vgl. Belser, Freiheit und Gerechtigkeit, S. 133 f., SS8H.
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lungstatbestandes auf andere Normen auszuweichen. Nicht naher quantifizierbarem Zwang, der trotzdem die Selbstbestimmung einer Partei beeintrachtigt oder ausschlieBt, 239 wird im Rahmen einer Reihe (freilich abnehmend) konkreter, typisierte Abwehrfreiheiten des Einzelnen sichernden zwingenden Schuldvertragsnormen (iiber Formerfordernisse, gegen Furchterregung, Tauschung, Irrrum, iibermallige Bindung, Rechtsmissbrauch, Verstof gegen die offentliche Ordnung, Sittenwidrigkeir) "Rechnung" getragen. Diese fokussieren auf vergleichsweise (wie gesagt: abnehmend) eindeutige Tatbestande, denn Zwang an sich ware ein zu groBes Wort. Scheint dieser, bei genug Licht betrachtet, doch unter verschiedenen Masken und Vorwanden der unzahligen kleineren und groBeren Vertragswelten, denen wir uns taglich ausgesetzt sehen, mehr oder weniger allgegenwartig. Oder kann man in ihnen nicht stets auch Ungleichgewichtslagen in Form beeintrachtigter Entscheidungsfreiheit erwa durch konkrete Fremdbestimmung erkennen? Man spricht mitunter diffus von "gesellschaftlichen Zwangen" . Wir denken hier an die zahlreichen rationalisierten Standard- und Massenvertrage einer modernen Gesellschaft, an ihre AGB,240 Handelsbrauche, die oft selbst geschaffenen produktbezogenen Pfadabhangigkeiten und mangelnden oder miihsam zu beschaffenden Alternativen etc. Wer sucht, der findet. Man vertragt sich nicht immer freiwillig ."" Vertrag kommt nicht von .Vertragen" (lucus a non lucendo). "Halb zag sie ihn - halb sank er hin." Soviel von Goethe zur Dialektik des Zwanges. 242 Es gibt keine Genauigkeit im Recht, solange es auf Worte (wie eben den Zwang) baut. H ierfur bediirfte es der Zahlen. Sie verrnogen wenigstens die einigermaBen erfolgreiche Fiktion einer Berechenbarkeit von Gerechtigkeit zu erzeugen . Irn stets rechnenden Recht-" sind sie der letzteren conditio sine qua non . jenseits der berechenbaren Gerechtigkeit setzt die Suche nach ihr auf andere Gleichheitskriterien - wie etwa die Qualitat Mensch als natiirliche Person - und treibt damit sowohl die Ausdifferenzierung als auch die Entdifferenzierung voran. Bekannt erwa ist mit Blick auf die Erklarung der Menschenrechte eine AuBerung de Maistres von 1796: "D ie Verfassung von 1795 ist, wie ihre
239 Zwang und Privarautonornie vertragen sich nicht, So Flume, Das Rechrsgeschaft, S. 10. 240 Dber deren Nach- wie Vorteile, insbesondere ihre transaktionskostensenkende Wirkung und die Folgen ihrer umfassenden gerichtlichen Kontrolle fur den unternehmerischen Geschaftsverkehr in Deutschland jungst differenziert Leuscher, Gebotenheit und Grenzen der AGB-Komrolle; vgl. bereits Kramer, Krise, S. 12 f.; Belser, Freiheit und Gerechtigkeit, S. 35 ff., 144 ff., 393 ff.; ubersichtlich fur die Schweiz (mit vergleichendem Blick nach Deutschland ) Guhl/Koller, Der Vertragsschluss. 241 Vgl. nur den Fuflbaliclub Lohn, der aus Mangel an Alremativen einen uberhoht verzinsten Mietvertrag fur seinen Spielplatz abschlieilt: BGE 123 III 302. 242 Irn Gedicht .Der Fischer" von 1779: Gedichte, S.42. 243 Recht und rechnen haben dieselbe indogermanische Wurzel "reg " (= in Ordnung bringen). Vgl. Drosdowski, S. 576 f.
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Vorgangerinnen, fUr den Menschen bestimmt. Nun aber gibt es auf Erden keinen Menschen schlechthin. Ich habe in meinem Leben Franzosen, Italiener, Russen usw. gesehen. Dank Montesquieu weiB ich sogar, dass man Perser sein kann. Einen Menschen aber erklare ich, nie im Leben gesehen zu haben, er miisste denn ohne mein Wissen vorhanden sein. [...J Diese Verfassung lasst sich auf aIle menschlichen Gesellschaften von China bis Genf anwenden. Aber eine Verfassung fiir aIle Volker ist fur keines gemacht. Sie ist eine reine Abstraktion, eine Schularbeit zur Ubung des Geistes nach einer idealen Voraussetzung. Sie richtet sich an den Menschen in den irnaginaren Raumen, in denen er wohnt, Was ist eine Verfassung? 1st sie nicht die Losung des folgenden Problems ? Da die Bevolkerung, die Sitten, der Glaube , die geographische Lage, die politis chen Beziehungen, der Wohlstand, die guten und schlechten Eigenschaften eines bestimmten Volkes gegeben sind, gilt es, die ihnen angemessenen Gesetze zu finden . In der Verfassung von 1795 aber ist dies Problem nicht einmal angeschnitten. Sie denkt nur an den Menschen ." 244 Soviel zur durchaus (noch) aktuellen Problematik rund urn die vorn Westen vorangetriebene Universalitat -, einen eigentlichen (sit venia verba) Imperialismus der Menschenrechte. Ein ahnliches Beispiel zum Dilemma Ausdifferenzierung durch Entdiffe renzierung, wie wir die EinfUhrung neuer Gleichheitsmomente bezeichnen konnen, bietet die Auflosung der Familie. In der einst nach auBen, durch den Hausvater reprasentierten, homogenen Familie werden in Gestalt der Frau und der Kinder neue Akteure fur das Recht entdeckt, Entsprechende Schritte fur eine Gleichberechtigung von Mann und Frau (im Eherecht, bei den politischen Rechten) sowie die Einfuhrung zusatzlicher Kinderrechte zeugen davon.i" Weitergehende MaBnahmen wie Quotenregelungen und andere Aktionen zur sogenannten "positiven" Diskriminierung von Frauen oder die fortgesetzte Senkung des Stimmrechtsalters (von 21 auf 18 auf 16 Jahre)246 las-
244 Maistre, Betrachtungen iiber Frankreich, 5.60 f. (Kap,VI). Maschke spricht im Nachwort (5. 133) von einer "vollig triftigen Antwort auf die AnmaBungen der Abstraktion: der konkrete Staat und die konkrete Nation konstituieren den Menschen und nicht urngekehrt, und nur als Mitglied dieser Konkreta kann er Rechte besitzen. Doch gerade dass diese Verfassung, die entgegen de Maistres Uberzeugung eher den wirklichen Bourgeois denn den unwirklichen Menschen zum Adressaten harte, und sich doch an den letzteren, der in Europa als Bourgeois zum Zuge kommen wollte, wandte , war das kaum verhullte Geheimnis des Erfolges der Revolut ion." In ihren abstrakten und generellen Forderungen harte die Franzosische Revolution durchaus die Ziige einer Religion (vgl. ebd., S. 133 f.). 245 Vgl. nur die Forderungen der UNO-Kinderrechtskonvention (Ubere inkommen iiber die Rechte des Kindes vom 20. November 1989, SR 0.107). 246 Derweil in einigen Kantonen diesbeziiglich pol itische Diskussionen stattfinden, hat der Kanton Glaru s an seiner Landsgemeinde vorn 6. Mai 2007 das aktive Stimmrechtsalter
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sen indes im Anschluss an Luhmanns Unterscheidung von Ungleichheit und Verschiedenheit die Feststellung zu, dass dem Recht (oder vielmehr: der Politik) im Namen der Gleichheit mitunter auch Verschiedenheit egal ist. Man wird freilich immer behaupten konnen, dass auch Kinder Menschen seien und insbesondere gegeniiber Erwachsenen nicht diskriminiert werden diirfen. Dennoch macht es einen Unterschied, ob ein Mensch ("alle Menschen sind gleich .. .") als zivilrechtl ich Unmiindiger (bis zum 18. Lebensjahr, vgl. Art. 14 ZGB) oder als urteilsfahiger Erwachsener an politischen Abstimmungen teilnimmt, Es sprache somit das Argument der "Einheit der Rechtsordnung" gegen eine in Bezug auf das Bundesrecht abweichende kantonale Regelung. Gewiss: Indem das Personenrecht Miindigkeit (und damit verbunden auch Handlungs- und partiell Urteilsfahigkeit) an einer bestimmten Altersgrenze festmacht , bedient es sich einer empirisch moglicherweise gerechtfenigten, im Einzelfall aber regelmalsig auch willkiirlichen Legalfiktion; sind generell zutreffende, klare Grenzen doch stets nur Einbildung, womit sich - leider - auch zwischen ungerechtfertigter Ungleichbehandlung und gerechtfertigter Verschiedenheit nur rhetorisch differenzieren lasst.
Eine vergleichbare Entwicklung der Angleichung bzw. Diskriminierung der Ungleichheit ist im Rahmen der Organisation von Wirtschaftsunternehmen nach den Grundsatzen der "Corporate Governance" zu beobachten. Auch hier werden vormals klassisch hierarchisch ausgestaltete interne Strukruren zunehmend heterarchisch arrangiert."" In dieser Situation ist die Kooperation der verschiedenen Interessen innerhalb einer Gesellschaft wichtig. Verhandlungslosungen werden unabdingbar, das Weisungsprinzip der Hierarchie wird durch ein zu konkretisierendes Verhandlungssystem der Heterarchie ersetzt.i" (Die Vorstellung, es konnten mit dem Dbergang von hierarchischen zu heterarchischen Organisationsformen Momente einseitiger Abhangigkeit beseitigt werden, ware ahnlich ambitioniert wie der Versuch, die den griechischen Liebesbegriff pragenden Merkmale der Agape und des Eros - die Gnade eines Hoheren gegeniiber seinem Untergebenen bzw. das Begehren des Unterordneten nach dem Hoheren (nach dessen Anerkennung) - in dessen dritter Erscheinung, der Philia - der Liebe unter Gleichen - aufgehen zu lassen.)"? Fur eine dauerhaft funktionierende intersystemische Kommunikation ist es notig, dass sich die einzelnen Systeme untereinander strukturell koppeln, ge-
von 18 auf 16 Jahre gesenkt . Vgl. Art. 56 Abs. 1 Verfassung des Kantons Glarus vom 1. Mai 1988 sowie die Internetadresse www.landsgemeinde.gl.ch. 247 Ausfiihrlich zum Phanomen Teubner, Netzwerk als Vertragsverbund, vgl. S.29 ff., 77, 86 ff. et passim. 248 Vgl. Willke, Ironie des Staates, S. 154 ff. 249 Zudem werden die oppressiven Krafte innerhalb der in heterarchischen Organisationsformen entsche idenden Gruppen unterschatzt. "Denn in Gruppen bleibt dem Einzelnen praktisch nur jene klosterliche Komb ination von Melancholie und Disziplin, wahrend er den Vorgesetzten, wenn es nur einer ist, immer noch remorquieren kann. " Luhmann, Organisation und Ents cheidung , S.108 .
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genseitig informieren und moglichst wenig irritieren.P? Es geht darum, tiber den Aufbau einer bestimmten intersystemischen Kommunikation die gegen seitigen Kontingenzen qua Unsicherheiten zu reduzieren.P! Ein System muss sich demnach anhaltend auf Einrichtungen eines anderen Systems abstiitzen und verlassen konnen. Es miissen sich gleichsam neue Diskurse entwickeln und verbindlich einspielen. Die parallel dazu entstehenden, entsprechenden Verhaltenserwartungen verlangen schlielllich nach ihrer regulatorisch geordneten Bestatigung bzw. Absicherung, womit bestimmte Praktiken normativ standardisiert werden; seien es die neuen Anhorungsrechte der Kinder im Scheidungsfall-S oder die zusatzlichen gesetzlichen Mafsnahmen zur Wahrung der Aktionarsinteressen.P? Kooperation erfordert Koordination, zumal im Konfliktfall, der sich in aller Regel an zwei unterschiedlichen Interessen konkretisiert, also strikt zweiwertiger Natur ist; und es fragt sich, inwiefern heterarchische Organisationsformen - welche der hoheren Komplexitat ausdifferenzierter Gesellschaften gerecht werden wollen, indem sie ihre Eigenkomplexitat "angemessen" steigern - noch hinreichend effizient, handlungsund reaktionsfihig sein konnen, Inwiefern sind rasche und klare Entscheidungen noch rnoglich, wenn es zwischen den einzelnen Kontexturen bzw. Standpunkten nur Neben- bzw. Gleichordnung und keine Hierarchie mehr gibt?254 Der "zwanglose Zwang des besseren Arguments" (Habermas) scheint offensichtlich nicht in jedem Fall geeignet, die eine Wahrheit gegeniiber anderen Wahrheiten ohne den Zwang einer rein formalen Autoritat durchsetzen zu konnen.P' Hierarchisierung ist entscheidnorwendig. Die formelle Gleichordnung der einzelnen Interessenstandpunkte bedeutet die Aufwertung der einen und die Abwertung der anderen, was schliefllich eine Bewertungsneutralirat erwa hinsichtlich der Frage nach der Relevanz eines Teiles fur das Ganze zur Folge hat . Aus der unbestrittenen Tatsache, dass in einem Unternehmen mehrere Gruppen einen gleichwertig wesentlichen Anteil zu dessen Erfolg beitra250 Zu den strukturellen Kopplungen Luhmann, Gesellschaft, S. 92 H., 100H., 446 H., 778 H.; vgl. auch Willke s Figur der intersystemischen Transferenz-Regeln in ders., Ironie des Staates, S. 346. 251 Zum Problem der doppelten Kontingenz Luhmann, Soziale Systeme, S.148 H. 252 Art. 133 Abs.2 ZGB. Dazu Rumo-]ungoIBodenmann, Die Anhorung von Kindem, sowie Rumo-]ungoIBachmannIFumasoli, Neues aus der Rechtsprechung im Ehe- und Kindesrecht, S. 290 H. 253 Dber entsprechende Vorschlage des schweizerischen Bundes rates vgl. Crone/Lesser, Die Grundziige der Revision des Aktienrechts. 254 Ausfiihrlich zur Problematik Willke, Ironie des Staates, S. 157 ff.; zum Schnittstellenproblem Teubn er, Netzwerk als Vertragsverbund, S. 56 f. sowie zur Verantwortung/ Hafrung in N etzw erken ebd., S.214 H., 236 H. 255 Luhmann, Die Paradoxie des Ent scheidens, S. 300 spricht beziiglich der hierarchischen Ordnung denn auch von einem "Notaggregat, [.. .J auf das man zuriickschalten kann, wenn Probleme nicht anders zu losen sind."
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gen, ergeben sich jedenfalls nur schwer praktikable Schliisse mit Blick auf eine effiziente Fiihrung des Betriebes.P" Zu viele Koche verderben bekanntlich den Brei. Die Heterarchisierung fuhrt gegeniiber hierarchischen Strukturen nicht selten zu einer Relativierung und Marginalisierung des Ganzen bzw. seiner urspriinglichen Ziele. So in unseren Beispielen das (am Gewinn orientierte) Uberleben des Unternehmens zugunsten oft materieller Einzelinteressen der Mitarbeiter, oder die Familie gegeniiber ihren Komponenten (Vater, Mutter, Kinder), die als Einzelfiguren eine Aufwertung erhalten, was freilich fiir die alten Familienwerte nicht ohne Folgen bleibt.i" 3. Die rhetorischen Regeln der Gleichheit "Rechts-Gewinnung ist Begriindung in Anwendung, eher ,Herstellung' als ,Darstellung', eher context of discovery als context of justification, eher Frage als Antwort, eher Moglichkeits-Findung als WirklichkeitsSuche, eher Wahr-Nehmung als Wahr-Sagung [.. .]." Rudolf Wietholterl 58
Die Rede vom Wesen oder der Natur einer Sache, die entsprechend iiber eine Oberflache und Tiefe, ein Aullen und Innen verfiige, gehort zur Verdunkelungsrhetorik der Aufklarung.P? Verdunkelt wird der Umstand, dass jede Betrachtung (geschweige denn Beobachtung) einer Sache ein Beleuchtungsproblem generiert. Man sieht immer nur, was man sehen will. Je nach Bediirfnis riickt sich die jeweils gefragte Perspektive eine bestimmte Position in den Brennpunkt und verschiebt eine andere an den unbeleuchteten Rand des Geschehens. Letztere ist deswegen nicht weniger richtig bzw. sinnvoll als die andere, nur weniger aktuell. Die Kern/Schale-Metapher behauptet indes die klare Lokalisierbarkeit von Zentrum und Peripherie und also die einfache Unterscheidbarkeit von Haupt- und Nebensache. Die rhetorische "in nuce"-Wendung beispielsweise wird so zu einer aufklarerischen Geste, wenn sie darauf beharrt, einen vernachlassigten, aber eigentlich zentralen Punkt in einer be-
256 Ober den negativen Effekt der gesetzlichen Mitarbeiter-Mitbestirnmung auf die Beschaftigungsdynamik in Deutschland Werner/Zimmermann, Unternehmerische Mitbestimmung in Deutschland, sowie ausftihrlich-differenziert Dilger, Okonomik betrieblicher Mitbestimrnung. 257 "What becomes of patriarchal family values when a child can sue his parents for neglect and abuse, i. e., when family and parenthood itself are de iure reduced to a temporary and dissolvable contract between independent individuals?" Zitek, Secret Clauses, S.10 . 258 Recht-Fertigungen eines Gesellschafts-Rechts, S.19. 259 Vgl. dazu auch im Folgenden das Goethe-Zitat auf S. 21.
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stimmten Angelegenheit zu Bewusstsein zu bringen.260 Von diesem (archimedischen) Punkt aus wiirde der Problematik erst die ihr angemessene Aufmerksamkeit zuteil werden, da die von ihm eingenommene Perspektive aIle einseitigen Betrachtungsweisen zu iiberwinden verrnoge; nur so konne der Sache Gerechtigkeit widerfahren.P' Gerechtigkeit indes ist je nach Aufmerksamkeitslage erfullt oder eben nicht erfiillt, Die Sonne kann nicht gleichzeitig aIle Herzen erwarmen und so streiten sie sich wie kleine Kinder urn das knappe Gut der Beachtung und Anerkennung. Der Beleuchtungswettbewerb ist voll entbrannt, Gegen die in jeder Systematisierung hervortretenden Ungerechtigkeiten-v hatte bereits Aristoteles Epikie (Angemessenheit, Nachsicht, Billigkeit) und damit verbunden Einzelfallgerechtigkeit angemahnt.i'" Was im Einzelfall denn auch angezeigt ware, ist jedoch zum einen unpraktikabel und zeitigte zum anderen fur die Selbstdarstellungskraft des Rechts als Ganzes, fur dessen Legitimitat als »Allgemeines" ungiinstige Folgen. Zum Zweiten: Der Verlust an Berechenbarkeit durch den Einbruch von Kontingenzen (in die Rechtsprechung) unterminierte die Fiktion einer Einheit der Rechtsordnung, welche letztlich dem Gleichheitsversprechen verpflichtet ist.264 Zum Ersten: Gleiches 260 Passend hierzu die Kritik Lacans an jeder Konzeption im Stil e.G. lungs, welche "aus dem Unbewussten, unter dem Namen Archetyp, den realen art eines anderen Diskurses macht [...J. ]ene Archetypen, jene substantialisierten Symbole , die bestandig in einem Unterbau der menschlichen Seele residieren, was haben sie Wahreres als das, was angeblich an der Oberflache ist? Was in den Kellern ist, ist das wahrer als das, was auf dem Dachboden ist?" Das Seminar, Buch I, S. 334 f. 261 Vgl. pars pro toto Abegg, Die Bedeutung der Wissenschaft fiir das Recht, S.30 f. Kollege Abegg mage mir verzeihen, ihn als Beispiel fiir eine Rhetorik zu nehmen, die letztlich gang und gabe ist, 262 Vgl. Wenger, Negative ]urisprudenz, S. 45 f. 263 "Epikie ist die Korrektur des Gesetzes da, wo dasselbe wegen seiner allgemeinen Fassung mangelhaft bleibt." Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch V Kap. 14, 1137b (S.127) . 264 Kelsen, Reine Rechtslehre, S.366 meinte hierzu : "Die am haufigsten gebrauchte Gerechtigkeitsformel ist das bekannte suum cuique, die Norm, dass jedem das Seine, das heisst: das ihm Gebiihrende, das, worauf er Anspruch, ein Recht hat, zugeteilt werden soil. Es ist leicht einzusehen, dass die [iir die Anw endung dieser Norm entscheidende Frage: was das .Seine', das einem jeden Gebiihrende, sein Recht ist, durch diese Norm nicht bestimmt wird . Da das einem jeden Gebiihrende das ist, was ihm zugeteilt werden soli, Iauft die Formel des suum cuique auf die Tautologie hinaus, dass jedem zugeteilt werden soli, was ihm zugeteilt werden soil." Einfacher lasst sich das aristotelische Konzept der distributiven Gerechtigkeit freilich in einer stratifizierten Gesellschaft umsetzen. In ihr ist unbestritten, "dass Menschen sich durch ihre Geburt nach Freiheit/Unfreiheit sowie nach ihrem sozialen Rang unt erscheiden. Wenn davon ausgegangen werden kann , gibt es deutliche Kriter ien dafiir, was einem Menschen zusteht. Dann machen auch Formulierungen wie ,suum cuique' Sinn, weil das einem Menschen Zustehende nicht fiir aile dasselbe ist." Luhmann, Recht der Gesellschaft, S.224.
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gleich - U ngleiches ungleich. Doch wie solI das gehen, wenn nichts dem anderen gleicht und doch alle gleich sein sollen? Nur durch Gleichmacherei. Was Nietzsche zu beilienden Kommentaren veranlasste-", analysiert uns Luhmann wie folgt: ,,[D]iese Gleich/Ungleich-Sonde muss in eine Realitat eingefiihrt werden, in der jede konkrete Situation eine andere ist [...]. Wiederholungen stehen daher unter der Doppelforderung (in der sich genau spiegelt, was die Gerechtigkeit verlangt): Regeln zu identifizieren und die Identifikation trotz Nichtidentitat der Fall- Lage zu bestatigen, "266 Der Regelbegriff ist selbst eine Fiktion und bildet im Recht insofern eine zentrale Figur des Idealismus als er fur eine Vorstellung von Berechenbarkeit steht, Letzteres kann die Regel aber nur behaupten, keinesfalls garantieren. Berechenbarkeit im Sinn einer Gleichbehandlung gleicher Falle lasst sich nur durch deren Vergewaltigung realisieren . So schleppt denn die vermeintlich selbstlos-ausgleichende Regel immer noch die inzwischen verdeckte lateinische Bedeutung des Geraderichtens, Lenkens und Herrschens mit sich herum.P? Die Regel will also immer erwas Bestimmtes mit Blick auf etwas Anderes zurechtbiegen. Und hierhir bedient man sich am Besten "der wirkungstechnisch giinstigen, auch in der Rhetorik und der Padagogik bewahrten Orientierung an exempla [sprich: Prajudizien, D.W.]. Solche Beispiele werden von dem zur Entscheidung anstehenden Fall aus gesucht, gegebenenfalls durch eine eigenwillige Lesart gebildet, jedenfalls nicht systematisch deduziert. Die Regelbildung ist das Resultat, nicht die Voraussetzung dieser Argumentationsweise. "268 Die Wenn-Dann-Klausel jeder Regel kann ihr jeweiliges Kriterium nie derart genau fassen, dass alle in Frage kommenden Falle - aufgrund dieser Regel - gleich entschieden werden konnten/miissten.P? Auch die seitens der Rechtsanwendung und Rechtsprechung auszubildenden jeweiligen Unterund Unterunterregeln verrnogen nie jene Prazision herzustellen, welche fur eine berechenbare - d. h. im Vornherein klare - Einordnung der neu anfallenden Falle Gewahr bieten konnte, Das stets in eine Wenn-Dann-Gestalt zu fassende Kriterienarrangement der Regel verschiebt diese - aufgrund der semantischen "Rutschbahn" bzw. U nterbestimmtheit seiner Sprachlichkeit -, so dass 265 Erwa in: Die frohliche Wissenschaft, Aphorismus Nr.228 (5.511): . Gegen die Vermittelnden. - Wer zwischen zwei entschlossenen Denkern vermitteln will, ist gezeichnet als rnittelmaiiig: er hat das Auge nicht dafiir, das Einmalige zu sehen; die Ahnlichseherei und Gleichmacherei ist das Merkmal schwacher Augen ." 266 Recht der Gesellschaft, 5.350; vgl. auch dens., Gesellschaft, 5.74 f. 267 regula (die Regel) kommt von regere (herrschen); vgl. Drosdowski, Duden »Etymologie", 5.579 (Regel). 268 Luhmann, Recht der Gesellschaft, 5.349 f.; iiber die Zunahme der Selbstreferenz bzw. des Riickverweisens der Gerichte auf friihere eigene Entscheidungen Christensen/ Lerch, Von der Bedeutung zur Normativitat, 5. lOt. 269 Vgl. hierzu Luhmann, Organisation und Entscheidung, 5. 264 f.; zu den Konditionalprogrammen im Recht ders., Recht der Gesellschaft, 5. 195 ff.
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mit jeder einzelnen Fallentscheidung(selbst und geradeunter Bezugnahme auf denselben Gesetzestext) faktisch eine neue Regel entsteht.F? Eine derart komplexe Rechtsordnung ware jedoch als objektive, in ihrer Beherrschbarkeit und Stabilitat,nicht mehr darstell-, weil nicht mehr vorstellbar; wiewohl es die einzig mogliche ware, welche die Gleichbehandlung der Unvergleichlichen wirklich ernst nahme,Jeder Fall hat seine eigeneRegel.F' Da es keine gleichenFalle gibt, wird mit jeder Entscheidung eine neue Regel errichtet, Die Regel ist eine Fikrion zur Behauptung der Gleichbehandlung, der Regelmalligkeit und Berechenbarkeit von Recht.272 Tarsachlich gibt es nur Ausnahmen von der Idealvorstellung einer durchgehenden, einheitlichen Regel und diese miissen argumentativ invisibilisiert -, die Unterschiede zwischen den Fallen also gro6ziigig iibersehen werden.F' Hierfiir bedarf es der behandelten "Synthesis des Mannigfaltigen" (Kant), denn nur so kann im Rahmen der Subsumtion unter eine bestimmte Norm bzw. der Fallgruppenbildung innerhalb jener Norm die Vorstellung einer Regelhaftigkeit des Entscheidens - sowie einer ausreichend 270 »In jeder Analogie, jedem Bezug auf Prazedenzfalle, ist das Verschieben von Bedeutungsmomenten moglich. Genauer gefasst miisste man sogar sagen, dass jeder neue An wendungsfall eines Zeichens Verschiebungen mit sich bringt, da wohl kaum jemals zwei Verwendungsfalle in allen siruativen, kontextuellen und epistemischen Aspekten vollig gleich sein werden. So ist jede Zeichenverwendung im strengen Sinne zugleich eine Bedeurungsausweitung, die, wenn auch fur die einzelnen (im Hier und jetzt befangenen) Subjekte unmerklich, die Regel verschieben kann." Busse, Bedeutung eines Gesetzestextes, S. 146. Dazu auch Christensen, Gesetzesbindung, S.82, 138 f., 157, 198, 248 f., 277 f. sowie Fischer-Lescana/Christensen, Auctoritatis interpositio, S. 220,229 f., 238 f., Muller/Christensen, juristische Methodik, Rz . 184, Christensen/Lerch, Von der Bedeutung zur Norrnativitat, S.102 oder Goebel, Rechtsgesprach und kreativer Dissens, S. 30 H.; Luhmann, Riickgabe, S. 6 meint dazu: .Die Vertextung bringt die Illusion des An-und-fur-sich-Seins der Regel, aber das verdeckt nur die zugrunde liegende zirkulare Konstitution. Die Regeln ermoglichen Entscheidungen, weil die Entscheidungen Regeln errnogl ichen. Das besagt zugleich, dass keine Perfektion moglich ist, sondern nur Evolution. Ein Regel/Entscheidungssystem ist eben durch diesen Zirkel fahig, zu evoluieren [...]." Vgl. auch ebd ., S. 16 f. 271 »Denn Wiederholungen finden in immer wieder anderen Situationen start" - auch und gerade im Angesicht derselben Rechtsnorrn. Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 350; zur Problematik der Regel im Recht vgl. auch mit Bezug auf Wirtgenstein Amstutz! Niggli, Recht und Wittgenstein I, S.10ff. sowie Niggli/Amstutz, Recht und Wittgenstein II, S. 165, 166 ff. 272 Luhmann, Riickgabe, S. 17 f. spricht vom symbolischen (12.) Kamel, einer notwendigen Fiktion, welche die Stabilitat eines selbstreferentiellen Systems garantiert. Vgl. auch ebd., S.57 (Fn . 114); weiter hierzu Clam, Die Grundparadoxie des Rechts, S.114 H., 124 f.; zur Verteidigung des idealistischen RegeibegriHs auch Samek, Verteidigung des Regelbegriffs, S. 470,485,487,489 f. 273 Vgl. Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 349 f.; Binz, Gesetzesbindung, S. 63; iiber die Pravalenz der Ausnahme vgl. (gestiitzt auf Kierkegaard) Schmitt, Politische Theologie, S.19,21.
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bestimmten Vorabentscheidung durch den Normsetzer - aufrecht erhalten werden. Ganz im Gegenteil bleibt jedoch das Urteil gegeniiber seiner Norm relativ selbstandig; diese vermag jenes weder hinre ichend zu determin ieren noch zwingenderweise - gleichsam automatisch - auszulosen.i" Von den wenigen Ereignissen abgesehen, we1che durch eine Norm gleichsam wortlich zum Ausdruck gebracht werden, mit ihr sozusagen deckungsgleich sind,275 verhindert ein genaues Sehen eine unanfechtbare - oder gar offensichtliche Ubereinstimmung zwischen irgendeiner Norm und einem Fall und verbietet somit jede automatische Subsumtion. (Die Behauptung, eine Ubereinstimmung sei doch offensichtlich und ganz augenfallig, entspricht nicht selten einer notorischen Verschleierungsrhetorik, we1che mit der Unterstellung genauen Hinsehens vom Gegenteil- dem Ubersehen der Unterschiede - ablenken will. Von wegen: "das sieht ja (nur!) ein Blinder .. .") Nur was nicht automatisch entschieden ist, muss entschieden werden. Vie1mehr stehen wir so mit Luhmann vor dem radikalen Paradox, dass nur das Unentscheidbare, namlich das durch keinen Normtext ausreichend determinierte, entschieden werden muss.276 Und souveran bleibt mithin, wer in diesem Ausnahmezustand, in diesem Zustand der Leere zwischen Gesetz und Urteil, entscheidet: der Richter.277
274 Vgl. Schmitt, Gesetz und Urteil (S.8 ff., 16 ff., 29, 33, 37 f., 42 f., 67 ff., 87 f., 97f.) sowie ! say, Rechtsnorrn und Entscheidung, S. 15, 20 ff., Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 309 oder Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 250 f. und dens., Allgemeine Th eorie der Normen, S. 180, 190 H.; "Jede konkrete juristische Entscheidung enthalt ein Moment inhaltlicher Indifferenz, weil der juristische Schluss nicht bis zum letzten Rest aus seinen Pramissen ableitbar ist und der Umstand, dass eine Entscheidung notwendig ist, ein selbstandiges deterrninierendes Moment bleibt ." Schmitt, Politische Theologie, S.36 , vgl. auch 37f.; vgl. auch die Dar stellung von Schmitts Dezisionismus bei Menke, Spiegelungen der Gleichheit, S. 301 H. (mit zahlre ichen Schmitt-Zitaten); vgl. auBerdem Ostlvan de Kercboue, Le jeu: un paradigme fecond pour la theorie du droit, S. 258 H. (Regulation et indetermination) . 275 Luhmann, Organisation und Entscheidung, S.264 nennt als vergleichsweise bestimmte Norm eine Wenn-Dann-Klausel des Typ s: "wenn der Lagerbestand eine bestimmte Menge unterschreitet, muss nachbestellt werden [. . .J." 276 Vgl. Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 308 f. und dens., Organisation und Entscheidung, S. 132; vgl. auch Kiesow, Alphabet, S. 146; Derrida, Gesetzeskraft, S. 49 H. meint hierzu treffend : "D as Unentscheidbare ist nicht einfach das Schwanken oder die Spannung zwischen zwei Entscheidungen, es ist die Erfahrung dessen, was dem Berechenbaren, der Regel nicht zugeordnet werden kann , weil es ihnen fremd ist und ihnen gegeniiber ungleichartig bleibt [... Jjedem Entscheidungs-Ereignis wohnt das Unentscheidbare wie ein Gespenst inne, wie ein wesentliches Gespenst." 277 Dber die Nahe Luhmanns zu Carl Schmitt Jan-Werner Muller, A Dangerous Mind , S.201 f. (m.w.H.) und mit Belegen ebenso Wirtz , Entscheidung. Niklas Luhmann und Carl Schmitt, S. 179 H., 182 f.; krit isch dazu Teubner, Okonomie der Gabe, S. 200.
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Wie sol1 man dem Einzelfa11 gerecht werden konnen, wenn dieser in aller Regel aus zwei Fallen besteht? Wie sol1 der Richter im Einzelfall beiden Parteien Gerechtigkeit zuteil werden lassen, wenn beide Seiten je unterschiedliche, einander ausschlieliende, aber aus deren Sicht durchaus opportune Interessen vertreten? Beide Seiten berufen sich auf das Recht, und das mehr und mehr zu Recht. 278 Je weiter sich das Recht enrwickelt, desto mehr Recht vermag es allerseits zu bieten.F? Das Recht wird damit selbst zu einer "Konfliktquelle ersten Ranges" . Ein Umstand, der notwendigerweise die "evolutioniire Errungenschaft der Verfahren" hervorbringen musste, "in denen das Recht gewisserrnalien iiber sich selbst zu Gericht sitzt."280 Wenn schon nicht beiden Seiten Recht gegeben werden kann, sollen die Rechtsausleger wenigstens die offenen Rechtsbegriffe dahingehend prazisieren und in ihrer eingeschrankten Form durchhalten, dass quasi eine konsistente Gleichbehandlung der gegeniiber dem Text enttauschten Erwartung entstehen kann. Was das Recht als Text nicht mehr zu leisten vermag, muss es als Verfahren gewahren, Konsistenz in der Rechtsprechung ist mirhin als Ausweis von Gerechtigkeit ein unverzichtbares Gebot des Gleichheitsversprechens.i" Es ersetzt im Prozess die alten ad hoc und ad hominem Argumente, die dem Recht allerlei status-, verwandtschafts- oder kliemelbezogene Kriterien zugefuhrt hatten, wodurch au6errechtliche Sozialstrukturen letztlich ihren ma6geblichen Einfluss auf die jeweilige Rechtsentscheidung gewinnen konnten. An die Stelle jener schichtbzw. verhaltenstypischen Argumente treten nun also Begriindungen, die aufgrund a11gemeingiiltiger Norrnbestande generalisierten Entscheidungsregeln folgen, welche "als auch fur andere Falle geltend unterstellt werden konnen."282 Die Legitimation einer Entscheidung gehr damit heute norwendigerweise mit ihrer Einordnung in eine homogene Fallgruppe einher, in welcher sich ihr Fall wiedererkennen solI. Die Konsistenzerfahrung beruht auf der Herausbildung "situationsinvariante[r], wieder verwendbare[r] Gesichtspunkte, mit denen man aus Anlass von Variationen das Recht bestiitigen kann. "283 Dieses gewinnt seine Konsistenzvermutung durch die Umerwerfung (Sub278 Zu der Erfindung der subjektiven Rechte und den Konsequenzen griindlich Luhmann, Subjektive Rechte (S. 49 ff., 58 ff., 64 f., 68 ff., 77 f., 84 ff., 88, 90 ff., 101 f.) und konzis ders., Zur Funktion der "subjektiven Rechte". 279 "Gerade in der Praxis der Gerichtsberatung zeigt sich haufig, dass unterschiedliche Entscheidungen annahernd gleich gut begriindbar sind ." Luhmann , Recht der Gesellschaft, S.402. 280 Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 282. 281 Luhmann, Recht der Gesellschaft, S.223 mit Verweis auf Perelman, Uber die Gerechtigkeit, S. 27,55.; vgl. auch Luhmann, Gerechtigkeit, S. 396. 282 Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 262 f.; iiber die jiingere, erst mit der kapitalistischen Winschaftsordnung einsetzende Notwendigkeit einer Normbezogenheit von Entscheidungen !say, Rechtsnorm und Entscheidung, S. 165 ff. 283 Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 261.
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sumtion) ebenjener Variationen qua abweichende Falle unter dieselbe FaIlgruppe.i" Widerspruch wird nicht geduldet, vielmehr garantiert die Gleichheitsversicherung unbedingte Widerspruchslosigkeit, die der Begriindungsbetrieb aufrragsgemaf glaubwiirdig zu fabrizieren hat. 285 Die semantisch iiberschieBenden und deshalb stets irgendwo einschlagigen (vielmehr kreuz und quer (aus)schlagenden) Normtexte helfen ihm dabei , auch widerspenstige Falle einzufangen und unter die Fittiche einer ihrer Vorschriften zu stellen .i'" Insofern bedient sich die Rede vor Gericht vielmehr des Gesetzes, als dass sie ihm zu dienen verrnochte. Indem sie verstandlicherweise doch oft letzteres behauptet, betreibt sie eine rhetorische Selbstimmunisierung, wie ohnehin aIlemal Rhetorik sagt, was Gesetz ist. 287 "Wenn Richter entscheiden und diese Entscheidung schriftlich kommunizieren, sind sie also nicht allein an Gesetze und andere Rechtsregeln gebunden, sondern immer auch an ein, in Texten kodifiziertes, rechtsinternes rhetorisches Regulativ, das vorgibt, was die Rechtsgemeinschaft als richterlichen Ausdruck zu erkennen und zu akzeptieren bereit ist"288, wobei just die Elemente der Gesetzesauslegung (grammatische, historische bzw. geltungszeitliche, systernatische, teleologische) wesentliche Instrumente jenes Regulativs sind. 289 Fallgruppenbildung und Dogmatik iiberhaupt offenbaren sich als Versuche, die semantische Instabilitat des verschriftlichten Rechts zu kompensieren.P?
284 Zur Debatte Fallgruppenbildung versus Einzelfallgerechtigkeit (unter dem Gesichtspunkt der Gesetzesbindung) vgl. Ralph Weber, Einige Gedanken zur Konkretisierung von Generalklauseln durch Fallgruppen, und Beater, Generalklauseln und Fallgruppen; siehe auch Kamanabrou, Die Interpretation, S. 672 ff. sowie Mayer-Maly, Was leisten die guten Sitten, S.132 ff. die Kritik Webers an der Fallgruppenmethodik relativierend . 285 »Der Einzelfall muss sich selbst im Kontext friiherer und spaterer Entscheidungen verorten ." Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 349. 286 »Was geschieht, linguistisch gewendet, bei einer Entscheidung wirklich? Der Richter bringt die Fallerzahlung in professionelle juristensprache und sucht dazu passende Normtexte, in aller Regel mehrere fur einen Fall. Mit Hilfe dieser Zeichenketten kommt er zu ersten Assoziationen iiber individuelle und allgemeine Fakten (Sachverhalt, Sachbereich) und zu Urteilen dariiber, die einen ein-, die anderen auszuschlieflen. Die Normtexte werden mit den Konkretisierungselementen (grammatisch, genetisch, historisch etc.) bearbeitet." Friedrich Muller, Textarbeit, Rechtsarbeit, S.18; ahnlich auch Pierre Moor in der Wahrnehmung bei Amstutz, Der Text des Gesetzes, S.263 f.; wider die bei Arthur Meier-Hayoz indizierte Vorstellung, wonach »das Gesetz einen vollkommenen Plan zur umfassenden Ordnung der Gesellschaft in sich" berge ebd ., S.262. 287 Vgl. Fagen, Lied, S. 57; dazu auch Guntbner, Gerichdiche Entscheidung, Kap. III (S. 9 f. des Workingpapers). 288 Giinthner, Gerichdiche Entscheidung, S. 10. 289 Kritisch ihnen gegeniiber Amstutz, Sprachlosigkeit, S. 49 f. 290 »Die Faile mogen als vergleichbar konstruiert werden [...]. Wiederholung erfordert Kondensieren und Konfirmieren, Reduktion auf bestimmbare Identitaren und Generalisierung. Genau so verfahrt die Fallpraxis der Gerichte, und zwar sowohl in der Be-
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Die Moglichkeit einer permanenten Relekriire der nunmehr von ihrem Autor und dessen Intentionen sowie dem Zeitpunkt ihres Erlasses abgekoppelten Rechtstexte generiert die Notwendigkeit, Recht immer wieder neu zu sprechen.i" Jene einstmals weitgehend situative, miindlich-befehlende Prazision in vorverschriftlichter Zeit holt uns trotz und wegen der Texte wieder ein. 292 Der Richterkonig steht bereit, Die Schriftzeichen sind nicht das Recht selbst, sondern bringen es nur zum Ausdruck. Damit schafft die Schrift lediglich eine neue Differenz, namlich diejenige von Zeichen und Sinn; und was sich in unserem Zusammenhang als Evolution beobachten lasst, ist nichts anderes als die perpetuierte Abarbeitung des Rechts an der uniiberwindbaren Differenz zwischen seinen Texten und ihren Interpretationen.i" Durch den Einschluss des Rechts in die Textform differenziert sich dieses nur schneller aus, weil deren Sinn stets prekar bleibt und bestandig neuer Interpretationen - erklarender, prazisierender, instruktiver Hilfstexte - bedarf. Foucault spricht von einem "unendlichen Schaumen der Sprache" . "Die Aufgabe des Kommentars kann per definitionem nie beendet sein."294 ,,[A]hnelt [. .. ] [er doch immer] dem, was er kommentiert, und kann es [dennoch] nie aU6ern."295 "Der Text ist das Zuhause, jeder Kommentar eine Heimkehr"296 und darin eine neue Begegnung, eine je aktualisierte Annaherung. So ist die Begriindungsindustrie notwendige Folge einer vertexteten Rechtsurteilskultur und je mehr Text eine Subsumtion rechtfertigend begleitet, desto gro6er wird ihre Angriffsflache.
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handlung von Prazedenzbindungen als auch bei der Interpretation von Gesetzestexten." Rechtsdogmatik, als "von der Fallpraxis abstrahierte]s] [...] semantische[s] Material bietet Moglichkeiten der Erorterung von Konstruktionsfragen. Man kann es benutzen, urn nichtkonstruierbare Entscheidungen abzulehnen; aber auch, urn Entscheidungen damit zu begriinden, dass sie dem seit langem iiblichen BegriHsgebrauch entsprechen." Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 350 f., 274. "Als Indiz der Konsistenz dient [.. .] die dogmatische Konstruierbarkeit von Problernlosungen." (ebd., S.276), vgl. auch S.367. Differenziert zum Verhaltnis von Rechtsanwendung und Rechtsdogmatik Baufeld, Rechtsanwendung und Rechtsdogmatik, insbes. 182 H. Mit Blick auf die rechtsanwendende wie rechtsprechende Staatsgewalt meinen Muller! Christensen, Juristische Methodik, Rz. 521: "Der Staat schlagt auf die Sprache (er kann nicht anders, es ist seine raison d'etre); doch die Sprache schlagt zuriick." Vgl. Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 253, 246 f. sowie Augsberg, Lesbarkeit, S. 10. Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 254 H.; vgl. auch Augsberg, Lesbarkeit, S. 8 H., 18 ff. Foucault, Ordnung der Dinge, S. 73 [stellenweise kursiv]. Moglicherweise denkt er dabei auch an die Zweideutigkeit des franzosischen "comment-taire" (wie schweigen?). Die Metapher findet sich bei Edmond jabes. Vgl. hierzu die jiidische Kornmentarkultur, die Fiille rabbinischer Lehren, deren endlose Vielfalt an die Unendlichkeit, die Unbegreiflichkeit und Ewigkeit Gottes erinnert. Dazu Petzel, Komrnentar - Signifikante Denkformen im judentum, S. 35 f., 41 f., 51 H. Foucault, Ordnung der Dinge, S. 74 [Erganzungen D.W.] . Steiner, Der Garten des Archimedes, S. 247.
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[ede Begriindung ist anfechtbar und bedarf demzufolge neuer Texte; ihre argumentative Selbstversicherung verscharft das Problem nur noch."" Insofern erscheint (nicht nur) der friihzeitliche Rechtsformalismus als eine Art Katechon gegeniiber der unkontrollierbaren semantischen Verselbstandigung von Sprache.298 Hinzu kommt die Produktion neuer Rechtstexte durch den Gesetzgeber, dem allerdings die Einheit der Rechtsordnung in Gestalt der Konsistenzerwartungen an das Rechtssystem kein primares Anliegen ist. Die Politik befriedigt zahlreiche Einzelinteressen dadurch, dass sie - Freilich ebenso im Namen der Gerechtigkeit - an allen Enden neue Gleichheitskriterien einfiihrt; man denke nur an die Gesetzgebung oder entsprechende Projekte und Maiinahmen im Rahmen der Antidiskriminierung bzw. Gleichberechtigung (etwa zwischen den Geschlechtern: beispielsweise im Familiennamensrecht, in Bezug auf eheahnliche Partnerschaften; oder von korperlich Behinderten gegeniiber den Nichtbehinderten, sprachlichen Minderheiten gegeniiber der Mehrheit etc.). Dabei bringt die Installation von Gleichheit und Gerechtigkeit immer auch deren Gegenteil hervor. N ehmen wir erwa die gleichsam dem Steuerrecht nachempfundene Bestrafung nach der wirtschaftlichen Leistungsfahigkeit als BeispieL Diese von den wirtschaftlichen Verhaltnissen des Einzelnen (Einkommen, Vermogen) abhangig gemachte Geldstrafe (Tagessatzsystem), welche kurze Freiheitsstrafen weitgehend ersetzt hat, bringt die paradoxe Situation mit sich, "dass sich mittellose Personen Delikte wie massive Tempoiiberschreitungen [im Stralienverkehr] ,leisten' konnen, wahrend andere be297 "Denn auch der hochste Gerichtshof kann sein Urteil, das Sprache ist und nichts anderes, nicht an eine Stelle aber dem Diskurs stellen oder auflerhalb des Spiels der Differenzen. Die letzte Ents cheidung kann in Rechtskraft erwachsen; das heiBt aber nur: prozessrechtlich nicht weiter angreifbar sein, Der Diskurs - der fachliche wie der allgemeine - lasst sich nicht weiter aufhalten [. . .J." Friedrich Maller, Textarbeit, Rechtsarbeit, S.19. 298 Vgl. vorne § 3 Kap. I; freilich wird der Rechtsformalismus "um so starrer und strenger [...J, je altere Schichten der Rechtsentwicklung wir betrachten. Wie im mythischen und religiosen Gebrauch der Sprache, wie im Gebet und in der Anrufung der Gorter die Regel gilt, dass beides nur wirksam werden kann, wenn es sich in genau-vorgeschriebenen Formen vollzieht, - wie jede Auslassung oder Umstellung eines Wortes die Kraft des Anrufs zerstort, so gilt das Gleiche urspriinglich auch fur jede rechtliche Handlung. Sie erlangt ihre ,bindende' Kraft erst dadurch, dass sie sich bestimmter vorgeschriebener sprachlicher Wendungen bedient, und dass sie diese mit den entsprechenden, streng formelhaften Handlungen begleitet.' Cassirer, Axel Hager strom, S. 89; gegen den "Wildwuchs des Rechts" dienten im romischen Recht bekanntlich die Formeln (actiones), welche der Prater zu gewahren harte. "Ohne Formel kein Recht." Fogen, Romische Rechtsgeschichten, S. 138 ff., 187 ff; ein differenziert-kritisches Pladoyer fur eine "culture of formalism" (und gegen eine "culture of dynamism") im Volkerrecht bei Koskenniemi, The Gentle Civilizer of Nations, S. 488 f., 496, 500 ff. sowie ders, . From Apolog y to Utopia, S. 563 ff.
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reits fUr weit weniger gravierende Ubertretungen geschropft werden." Das System steht deshalb unter zunehmendem politischen Druck. 299 Der Drang nach Gleichbehandlung lost stets neue Konflikte aus. So fiihrre erwa die Liberalisierung im Familiennamensrecht, wonach jeder Ehegatte seinen angestammten Nachnamen behalten diirfte, zur Unklarheit iiber den Nachnamen der Kinder, dessen gesetzliche Festlegung bei Uneinigkeit der Eltern wiederum einen unter ihnen diskriminieren miisste, Dariiber kann auch der Losentscheid nicht hinwegtauschen.P ? Zudem waren mit der freien Wahl der Eltern eine einigerma6en konsistente Ordnung der Namensweitergabe und damit die anhand des Stammnamens verfolgbaren Familiengeschichten nur noch Geschichte. Jede Generation griindet dann eine neue Familie, was zweifellos gut mit der neuzeitgesellschaftlichen Verlagerung der Primarorientierung von Vergangenheit auf Zukunft, der Umstellung also von Identitat und Tradition auf Kontingenz und Offenheit korrespondierte.P! Derrida meint: "Die Politisierung [. . .J ist ein endloser Prozess, sie kann und darf aber niemals zu einem Abschluss kommen, eine totale Politisierung sein. [...Jjedes Vorstolien der Politisierung zwingt uns dazu, die Grundlagen des Rechts, die aus einer schon erfolgten Berechnung und Abgrenzung resul tieren, erneut in Erwagung zu ziehen und folglich neu zu deuten. "302 Nun wird aber das nicht unbegriindete Konsistenzinteresse von justiz und Lehre durch wiederholtes ad hoc Legiferieren, die stete Einfuhrung neuer Differenzen als symbolhaltige Akte zur offentlichen Beruhigung, hintertrieben.t'" Seit die Demokratie ihr trial-and-error-Spiel spielt, sind Gerechtigkeit und Gleichheit zu Kontingenzformeln geworden.P" Nichts schafft mehr Instabilitat als diese Egalitatsdoktrin, Sie provoziert letztlich eine malilos beschleunigte Ausdifferenzierung jeder Teilr echtsordnung, iiber welche kaum mehr jemand den Uberblick halten kann. In ihrer Anwendung auf sich selbst fiihren Gleichheit und Gerechtigkeit jede mit ihnen verbundene Vorstellung von Soliditat und Zuverlassigkeit und damit jeden Konsistenztest ad absurdum. Deren Leitidee: "Gleiches gleich Ungleiches ungleich" stellt nichts weiter als eine hilflose Leerformel dar. Denn wie lasst sie sich verwirklichen, wenn nichts dem anderen gleicht und 299 NZZ vom 3.14. Januar 2009, S.ll [Erganzung D.W.]. Das in Deutschland schon langer giiltige Tagessatzsystern (§ 40 StGB-D) ist in der Schweiz erst am 1.1.2007 in Kraft getreten (vgl. Art . 34 StGB-CH). 300 Zu entsprechenden Gesetzespro jekten in der Schweiz konzis Sturm, Fragwiirdiges neues Namensrecht. 301 Da zu Luhmann, Selbst-Them atisierung des Gesellschaftssystem s, S. 86 sowie ders., Gesellschaft, S. 149, 997 ff. 302 Derrida, Gesetzeskraft, S. 58. 303 Dber die allenfalls selbstrechtfertigende Regulierungswut der ED gegeniiber ihren Mitgliedstaaten Honsell, Die Zukunft des Privatrechts, S. 223 f. 304 Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 218 ff., 223 f., 278 f., 290 f.
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aber trotzdem eine bestimmte sichtbare Menge an Sachverhalten gleich sein sollen? Wie kann man ihrem Anspruch gerecht werden, wenn kein Mensch wie ein anderer ist und keine Sache sich wie eine andere verhalt? Wir wiederholen: D ie Aporie findet ihren Ausweg nur in einer Gleichmacherei. 30S Gesetzgeberisch formuliert obige Maxime lediglich das Problem, dessen Losung seit dem Gleichheitsversprechen der Grolien Revolution iliberte, egalite, fraternitej immer nur im Kommen ist; sozusagen im Kommen verharrt (wie die Gerechtigkeit bei Derrida'?"). Wenn nichts dem anderen gleicht und doch eine iiberschaubare Anzahl an Dingen gleich sein sollen, muss das Ungleiche wohl oder iibel gleich gemacht werden.?" Da solches in einem Rechtsstaat jedoch nicht auf unkontrolliert-willkiirliche Weise vor sich gehen dad, miissen bestimmte Kriterien der Gleichheit aufgestellt werden. Es geht urn Typisierungen. Unterschiedlichste Menschen evolvieren dann zunachst einmal und sehr allgemein zur nanirlichen Person (welch' klinischer Euphemismuslj.P" wie auch in Tat und Wahrheit voneinander abweichende natiirliche Sachverhalte in denselben juristischen Sachverhalt bzw. Tatbestand eingelesen bzw. unter diesen subsumiert werden. Das evolutionar Positive besteht im ersten Fall darin, dass jeder Einzelne dieselben Rechte und Pflichten adressiert erhalt, wahrend das negativ Devolutionare im anonymisierenden Reduktionismus zum Ausdruck kommt, den eine solche Maskierung mit sich bringt.'?' ,,[D]er Idea-
305 "Die Konzeption des Systems erinnert, in verkehrter Gestalt, an die Koharenz des Nichtidentischen [. . .]. Kritik am System und asystematisches Denken sind so lange auBerlich, wie sie es nicht verrnogen, die Kraft der Koharenz zu entbinden, welche die idealistischen Systeme ans transzendentale Subjekt iiberschrieben." Adorno, Negative Dialektik, S. 36. 306 Derrida, Gesetzeskraft, S. 56. 307 Gegen diese Konsequenz mit unnachahmlicher Harne Nietzsche, Gotzen-Dammerung (Streifzuge eines Unzeitgemafien, Nr. 48), S. 150: "Ich hasse Rousseau noch in der Revolution: sie ist der welthistorische Ausdruck fur diese Doppelheit von Idealist und canaille. Die blutige farce, mit der sich diese Revolution abspielte, ihre .Immoralitat', geht mich wenig an: was ich hasse, ist ihre Rousseau'sche Moralitd: - die sogenannten ,Wahrheiten' der Revolution, mit denen sie immer noch wirkt und alles Flache und Mittelmaliige zu sich iiberredet, Die Lehre von der Gleichheit! . . . Aber es giebt gar kein giftigeres Gift: denn sie scheint von der Gerechtigkeit selbst gepredigt, wahrend sie das Ende der Gerechtigkeit ist ... ,Den Gleichen Gleiches, den Ungleichen Ungleichesdas ware die wahre Rede der Gerechtigkeit: und, was daraus folgt, Ungleiches niemals gleich machen.''' 308 Zur kulturgeschichdichen Entdeckung und juristischen Herausbildung der Person vgl. Hattenhauer, Europaische Rechtsgeschichte, Rn. 125 f., 700 f., 705 f., 1190, 1987 f. sowie 1837 zur kommunistischen Kritik am burgerlichen Begriff der Person; ,,[Die Person] ist etwas, das eine kiinstliche Form hat . Die wird in der Formulierung ,natiirliche Person' vielleicht noch kunstvoller, nicht aber naturlicher." Steinhauer, Bildregeln, § 1 14 . 309 Vgl. dazu Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 291 ff.; dens., Erziehungssystem, S.30; Teubner, Episteme, S. 129 ff.; Legendre, Sur la question dogmatique, S. 31.
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lismus [. . .J eliminiert alles heterogen Seiende'?' ?- sicher; doch errnoglicht bekannterrnalien erst die Reduktion von Kornplexitat den Aufbau neuer Komplexitat.'!' Der Fall in die Sprache ist, wie von Steiner festgestellt, an sich schon eine Verminderung lebensweltlicher Fiille.312 Zugleich ermoglicht aber Sprache dank ihrer Eigenkomplexitat wiederum den Aufbau bzw. die Re-Prasentation neuer, Freilich anderer Wirklichkeiten und Weltvielfalt.313 Dieser Einsicht hat bereits Georg Friedrich Puchta in einer wortgewandteren Zeit zum Ausdruck verholfen: "So geht der Zug des Rechts nach einer Gleichheit, die der rechtlichen Anschauung der Dinge ein hartes und kaltes Ansehen giebt, und der weichen Phantasie, der spielenden Lust der Gefiihl e unheimlich erscheint, Die Vielseitigkeit des menschlichen Wesens wird im Recht zu dem farblosen Begriff der Person verfluchtigt, es lasst den Reichthum der auBeren Natur zu dem gleichmachenden Begriff der Sache einschwinden, und fur den gesammten, unendlich mannigfaltigen Verkehr der Menschen reich en ihm die Begriffe Forderung und Verbindlichkeit aus. Aber das Recht will nach seinen Friichten beurtheilt werden. U nter dieser kalt anzufiihlenden Decke regt und bewegt sich das warme Leben in aller seiner Mannigfaltigkeit, nicht gehindert aber oder unterdriickt, sondern gefordert und geschirmt. Das was dem iiberschwanglichen Gefiihl als ein Raub an dem Reichthum des mannigfaltigsten Daseyns erscheint, ist gerade das Element, welches den Untergang der Individualitaten verhindert. Die rechtliche Ordnung ist dem Verstand zu vergleichen, der in dem iippigen Durcheinander des Waldes die Baume und Gestrauche richtet und lichtet, die einander zu ersticken drohen, und dessen Thatigkeit einen kindlichen Unmuth zu erregen nicht verfehlt."314 Die doppelte Aufgabe, welche das Recht zu losen habe, bestehe einerseits darin, "zur Herrschaft iiber das Ungleiche und Individuelle zu gelangen", von dem es seinerseits nicht beherrscht werden diirfe. 315 Gemeint ist die revolutionare Errungenschaft einer Unterordnung jeder gesellschaftlichen und/oder materiellen Verschiedenheit der Individuen unter deren Gleichheit vor dem Gesetz. "Auf der andern Seite soll aber auch dem Individuellen sein Recht widerfahren, die rechtliche Form soll durch diesen Stoff [. . .J bestimmt werden. Die Rechtsinstitute sind so zu gestalten, wie sie den bestehenden individuellen Bediirfnissen entsprechen. Wir konnen das Recht von der ersten Seite das strenge, von der zweiten das billige Recht nennen."316 Es lassen mithin die zahlreichen Ausnahmeregelungen, durch welche jede theoretische Gleich 310 Adorno, Negative Dialektik, S.37 . 311 Luhmann, Soziale Systeme, S.43 f., 47 f. 312 Vgl. vorne § 3 Kap, III, 2 sowie Steiner, Warum Denken traurig macht, S. 27 ff. 313 V gl. Steiner, Denken, S. 35 f. 314 Puchta, Cursus der Institutionen, Bd. 1, S. 18 f. 315 Puchta, Cursus der Institutionen, Bd.l, S.19. 316 Ebd.
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heitslinie nur in Briichen - gleichsam als "Zitterpartie" - in die Praxis eingehen kann, erwas von jener oft beschworenen Polykontexturalitat erahnen, die hinter allen Gleichheitslosungen den Eigen- bzw. Mehrwert vielfaltiger Kontexturen anmahnt, Eigentliche Mehrwertigkeit in Gestalt einer alles umfassenden Polykontextur ist jedoch gerade nicht in einer Vielzahl kombinierter Binaritaten zu verwirklichen, obschon es dazu - gerade im Recht - keine Alternative gibt, Dazu gleich.
II. Polykontexturale Rechtsverwirklichung: eine contradictio in adiecto 1. GotthardGunthers Konzept Aus der revolutionaren Gleichheitszusage ist die prinzipiell unabschlie6bare Vergleichskultur der Gegenwart hervorgegangen. Durch ihre fortgesetzte Hinterfragung vermeintlich stabiler Einrichtungen, die ungebrochene (Re) Prozeduralisierung einmal gefallter (Gerichts)Entscheidungen und stete Anpassung der politischen Gleichheitsprogramme, geraten Rechtsordnung und Rechtsprechung unter einen permanenten Veranderungsdruck. Ein alles relativierender Perspektivismus (Nietzsche) hat in Staat und Gesellschaft die Macht iibernommen und verhilft dadurch den zahlreichen neuen Diskursen eines sich ausdifferenzierenden Pluralismus zu ihrem Recht. D iese faktische, von Gotthard Gunther so benannte Polykontexruralitat, die er in Abkehr von der aristotelischen zweiwertigen Logik wissenschaftstheoretisch Iruchtbar gemacht hatte'" und die Luhmann zur Beschreibung moderner Gesellschaften iibernommen hat,318 ist in jiingerer Zeit auch rechtsnormativ reformuliert worden .319 Polykontexruralitat so11 demnach fur die einzelnen Kontexturen als Ausdifferenzierungsgarantie fungieren, indem sie den reziproken Uberwaltigungstendenzen zwischen monokontexturalen Diskurssystemen Einhalt ge-
317 Unter zahlreichen Texten vgl. nur Gunther, Idee und Grundriss einer nicht-aristotelischen Logik, oder das Vorwort im ersten Band seiner Beitrage zur Grundlegung einer operationsfahigen Dialektik. 318 Vgl. nur : Gesellschaft der Gesellschaft, 5. 88, 248, 956,1045,1094,1132. 319 Teubner, Vertragswe!ten , 5.243, 256ff.; ders., Des Konigs viele Leiber, 5.260f., 264, 266 H.; ders., Nach der Privatisierung, 5. 10 f., 15 f., 20 H., 29 H.; Zumbansen, Ordnungsmuster (5.182 f., 282 f., 296, 302 H.); Fischer-Lescano, Globalverfassung (vgl. nur 5. 29 f., 254H.); Fischer-Lescano/Teubner, Regime-Kollisionen (etwa 5.16ff., 50 H., 136£.); Abegg, Die zwingenden Inhaltsnormen, 5.137 H., 243 ff.; ders., Regulierung hybrider Netzwerke, 5.285 H.; Amstutz/Abegg/Karavas, Soziales Vertragsrecht, 5.32 H.; Karavas, Digitale Grundrechte (vgl. nur 5.100 f., 139 H.).
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bietet .F'' Diese registrieren die Wirklichkeit ausschlie61ich nach ihren binaren Codes.V' sind insofern eigentliche Informationsraffer.t" Die Systeme, welche gleichsam als Elemente der Polykontexturalitat nebeneinander koexistieren, stehen grundsatzlich in einer gegenseitigen Gleichwertigkeit zueinander und somit in einem Verhaltnis der Heterarchie. Indem sie aIle ihren je spezifischen Eigenwert besitzen, konnen diese Kontexturen untereinander nicht hierarchisiert werden. Sie konnen weder in eine unmittelbare GegeniibersteIlung, noch konnte die eine durch eine andere zum Ausdruck gebracht werden.l-' Systeme sind selbstreferentieIl, haben mithin ihre je eigene Kommunikation und Mitteilungsform. Selbst wenn im Menschen ein unmittelbares polykontexturales vordenkerisches Stadium moglich ware (Kant sprache wohl von reiner Anschauungj'" - man konnte es Gefiihl nennen -, rniisste dessen Mitteilbarkeit ta/is qua/is an den begrenzten kommunikativen Moglichkeiten scheitern. Sioterdijk spricht vom "Wahrnehmungs-Unsagbaren". "Es griindet in der Tatsache, dass zwischen symbolischen Operationen und Wahrnehmungsakten ein Graben klaHt, den man im Allgemeinen unbernerkt iiberwindet, wei! er von der alltaglichen Sprachspielroutine zugeschiittet wird. Die einfachste Meditation, die elementarste Sensibilisierungsiibung bringt zu Bewusstsein, dass zwischen der sinnlichen Gewissheit - besser gesagt zwischen der .primitiven Prasenz', ein Ausdruck, der sich bei dem Neo-Phanomenologen Hermann Schmitz 320 Ebd.; vgl. auch Graber/Teubner, Art and Money; Inspirationsquelle ist regelmafsig Luhmann, Grundrechte als Institution (vgl. etwa S. 23,35 ff., 187, 197H.). 321 Kontextur ist nach Giinther ein zweiwertlogisch geschlossener Raum und damit dem, einem bestimrnten Leircode folgenden, System Luhmanns nicht unahnlich, ,,[W]e shall call [.. .] a domain which is characterized by an absolutely uniform background and whose limits are determined by an absolutely generalized TND [tertium non datur qua systernrypisch binarer - nicht eben erwa ternarer - Code, D.W:] an ontological contexture or contexturality, The role that the TND plays with regard to the concept of a contexture indicates that the structure of such a domain can be exhaustively described by a two-valued logic." Gunther, Life as Poly-Contexturaliry, S. 286; Foucaults Reformulierung des Menschen als eine Erfindung und ein bloller EHekt von Diskursen (ders., Die Ordnung der Dinge) erinnert seinerseits stark an Luhmanns Konzeption der Person Mensch als einer strukturellen Kopplung zwischen verschiedenen Systemen. Auch Polykontexturalitar ist letztlich der Ort, an dem sich eine Mehrheit monokontexturaler Systeme koppelt. Das an dieser Stelle entstehende "Objekt" gehort zu einer "Mehrheit binarer Schemata" und funktioniert nicht nach nur einer zweiwertigen Logik, ist demnach eine Relaisstation (bzw. ein Knotenpunkt nach Deleuze) . 322 Vgl. Gunther, Bewusstsein als InformationsraHer. 323 Vgl. Gunther, Life as Poly-Contexrurality, S.288 H. (mit Bezug auf Hegel) sowie dens., Das Janusgesicht der Dialektik, S. 314 H. und dens., "AIs Wille verhalt der Geist sich praktisch", S.258 . Giinthers TND (tertium non datur) entspricht ziemlich genau der fehlenden Urteilsregel bei Lyotard (Der Widerstreit, S.9), weshalb ein Widerstre it (differend) Widerstreit bleiben muss und nicht im Rechtsstreit (litige) aufgelost werden kann. 324 Vgl. vorne Fn. 84.
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finder - auf der einen Seite und den symbolischen Operationen, die wir in Satzen ausfuhren, auf der anderen kein Kontinuum besteht, Das gehort zu den Grunderfahrungen, von denen die Meditierer sprechen: Sie machen sich mit Hilfe von diskreten Schizotechniken bewusst, dass wir iiblicherweise standig von einem sprachlich artikulierten Bewusstseinsstrom durchflossen werden, der uns vortauscht, Wahrnehmung und Sprache seien zur Deckung gebracht , Sobald man den inneren Sprachprozess neutralisiert, bluhen die Wahrnehmungen so sehr auf, dass man anfangt, unter Ausdrucksnot zu leiden, sofern man sagen will, was man jetzt sieht und spurt, Die Differenz ist so dramatisch, dass manche Kiinstler mit der Empfindung karnpfen, sie rniissten enrweder eine neue Sprache erfinden oder vollig verstummen. [...J Die Illusion von der Absorbierung der Wahrnehmung in den vertrauten Sprachwendungen ist eine Art von Ekstaseschurzvorrichrung.PPl denn wiirde man die radikale Eigenwertigkeit und Au6erverbalitat der Wahrnehmung eigens meditieren, so wiirde man standig aus sich selbst herauskatapultiert, man wiirde sozusagen fortwahrend in die Dinge hinausfal len, sofern jedes Ding eine Einladung zur Exzentrierung ist, Also ist nicht nur das Individuum ineffabel, auch alles Komplexe, Situative, Umgebungshafte, Atmospharische ist es. Die ganzheitlich verfassten Situationsgefuhle und Umblicke ubersteigen immer den Ausdruck. Deswegen sind soziale Systeme so organisiert, dass sie das Luxurieren von explizitgemachter Wahrnehmung bei ihren Mitgliedern normalerweise unterdriicken, da sonst mehr Mystiker entstehen wiirden, als eine Gesellschaft absorbieren kann."326
"Kommunikation entsteht ja nur unter der Voraussetzung wechselseitiger Intransparenz, die auch Intransparenz der Systeme fur sich selbst einschlieft. Man kennt sich mit sich selbst und mit anderen nicht aus, deshalb wird geredet, gedruckt, gefunkt ."327 Der Mensch bildet gleichsam eine strukturelle Kopplung - eine Art Relaisstation - zwischen unzahligen solcher Kommunikationen, die sich verselbstandigt haben und letztlich seiner Sozialisation dienen. 328 Dies geschieht, indem sie die Adresse Person herausbilden, in deren Form das psychische System die sozial an es gerichteten Erwartungen erkennen kann.P? Er bzw. es kann sich aber im Moment immer nur einem Diskurs widmen, kann sich gleichzeitig bewusst immer nur in einer Kommunikationsform rnitteilen und verstandlich machen, derweil ihm aile anderen Prozesse
325 Schmitts rhetorische Begriffsbesetzungen geschehen ihrerseits letztlich ebenso in katechontischer Absicht, wollen sie doch die unkontrollierte Eigendynamik der Sprache aufhalten. Vgl. hierzu Quaritsch, Positionen und Begriffe Carl Schmitts, S. 20 ff. 326 Sloterdijk, in: Sloterdijk/Heinrichs, Die Sonne und der Tod, S. 88 ff. 327 Baecker, Wozu Systeme?, S.30 . Gerade weil Kommunikation "kein entsprechendes Umweltkorrelat" hat und deshalb im Bestreben, ihre Umwelt zu begreifen - tiber das sich bekannt Gemachte hinaus - immer wieder ins Leere tappt, wirkt sie "norwendig ausdifferenzierend, und das blofse Erfassen von Urnweltkornplexitat wird zu einem au6erordentlich zeitraubenden Kornmunikationsproblern." Luhmann, Soziale Systeme, S. 200 (teilweise kursiv) ; vgl. auch dens., Gesellschaft, S. 75 f. 328 Zur Verselbstandigung von Komrnunikation Luhmann, Was ist Kommunikation?, S. 94 f., 100 f. 329 Vgl. Luhmann, Soziale Systeme, S. 125 f., 158, 178, 575 sowie dens., Erziehungssystem, S. 28 ff. oder dens., Organisation und Entscheidung, S. 90 f.
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undurchsichtig sind .330 Und so kommt nach Freud die "Aufklarung[. . .], [...] dass die seelischen Vorgange an sich unbewusst sind und nur durch eine unvollstandige und unzuverlassige Wahrnehmung dem Ich zuganglich und ihm unterworfen werden [.. .] der Behauptung gleich, dass das Ich nicht Herr seiin seinem eigenen Haus."331 Ein Haus, das es als so1ches auch gar nicht gibt; das sich vielmehr aus den erwahnten Kommunikationen erst bildet, Diese dienen der Produktion von Sinn - eine Leistung, we1che neben den sozialen auch von psychischen Systemen (iiber die Operation mit Gedanken) erbracht wird und zum Proprium des Menschen gehort. 332 Insofern ergibt sich das, was den Menschen ausmacht, gewisserma6en aus dem Resultat unzahliger so1cher Systeme und ihrer Kommunikationen, deren Trager er nicht ist,333 von denen er aber zumindest die sozialen mit anderen sozusagen mitkontrollierr.P" Er ist gerade auch gedanklich in verschiedenste Diskurse verstrickt, die ihm sozusagen Parallelwelten bilden. Umfassendes Bewusstsein gibt es fiir ihn nicht, bewusst machen kann sich der Mensch die Mehrwertigkeit immer nur nacheinander; die Dimension ihrer am Fall konkretisierten Totalitat ist simultan weder im Bewusstsein noch kommunikativ ausdrucksfahig. Natiirlich kann man iiber die real existierende Mehrwertigkeit berichten und sich iiber die zahlreichen Systeme qua Kontexturen informieren. Doch konnen diese ihre Funktionsweise nicht einfach umstellen, gar an andere Systeme anpassen, ohne ihre eigenen Operationen zu gefahrden, ihre spezifische Rolle aufzugeben und damit ihre eigene Kontextur zu verraten, am Ende selbst ihre Systernqualitat einzubii6en. Gunther mahnt Bescheidenheit an und schatzt die Wahrscheinlichkeit, dass der Mensch iiber sein je eigenes monokontexturales Denken hinauskommt als gering ein. 335 So will denn auch Luhmann unter Polykontexturalitat nur noch das Faktum einer steten Herausbildung neuer monokontexturaler Unterscheidungen und Systeme verstanden wissen.P" Er vermutet weiter, dass der Mensch nur "eine Mehrheit binarer Schemata" - sei es hintereinander oder gleichzeitig durch verschiedene Beobachter -, nicht aber Mehrwertigkeit an sich und auf einmal reflektieren konne'? Dies wiederum veranlasste Biihl zur Kritik an Luhmann, dieser habe die von Gunther geforderte PolykontexturaVgl. Luhmann, Wie ist Bewusstsein an Kommunikation beteiligt?, 5.117. Freud, Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse, 5. 11. Vgl. Luhmann, Gesellschaft, 5.122 und dens., Soziale Systerne, 5.141 ff. Vgl. erwa Luhmann, Erziehungssystem, 5.24 f. Luhmann, Wie ist Bewusstsein an Kommunikation beteiligt?, 5.122 f.; Baecker, Form und Formen der Komrnunikation, 5. 31; vgl. auch Goebel, Rechtsgesprach, 5. 35. 335 Vgl. Gunther, Vorwort Bd.l, 5. XI f., XIV f.; so auch Luhmann, Wissenschaft der Gesellschaft, 5. 632. 336 Luhmann, Wissenschaft, 5.634,666. 337 Vgl. Luhmann, Selbsr-Thernatisierung des Gesellschaftssystems, 5.90; vgl. auch dens., Wirtschaft der Gesellschaft, 5.85 ff. und dens., Die Paradoxie des Entscheidens, 5.299.
330 331 332 333 334
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litat nicht korrekt wiedergegeben.l" Das mag wohl sein; doch hat Luhmann Gunthers Begriff in ein iiberhaupt erst praktikables System gebracht. Zudem lasst er im Rahmen der jeweiligen systemischen Binaritat und ihrer operativen Geschlossenheit (z. B. nach dem Code wahr/falsch im Wissenschafts-, Recht/ Nichtrecht im Rechts- oder gute/schlechte Zensuren im Erziehungssystem) durchaus kognitive Offenheit gegeniiber den Irritationen von auBen in Form einer Anpassung der Code-Ieitenden Programme zu. 339 Die kontingenten Programminhalte markieren gleichsam den standigen Wiedereintritt des jeweils ausgeschlossenen Dritten und kompensieren derart das binarsystemische qua monokontexturale tertium non datur.340 Insofern bleibt Luhmann nichr nur mit Giinther, sondern auch - jedoch weniger ausdriicklich als dieser - mit Hegel im Gesprach."! Luhmann versucht Gunther ernster zu nehmen als Biihl meint. Er beriicksichtigt das Konzept der Polykontexturalitat soweit, als das unter der Bedingung kommunikativer Da rstellbarkeit moglich ist. Gerade das Erfordernis der Kommunizierbarkeit lasst nicht alles zu, solI die Unwahrscheinlichkeit gegenseitigen Verstehens wegen der (an sich erwiinschten) Ausdifferenzierung (vielmehr: ihr zum Trotz) nicht noch unwahrscheinlicher werden. Als (Rechts)Soziologe setzt sich Luhmann immer auch mit Praktikabilitatsfragen auseinander. Urn das psychische wie soziale Chaos in Grenzend. h. in Ordnung (und damit kommunikabel) - zu halten, denkt der Mensch binar diachron, nicht mehrwertig synchron und daran diirfte sich so schnell nichts andern, Das theoretische Bediirfnis eines moglichst adaquaten Beschreibens (und damit Erfassens bzw. Verfassens) der Wirklichkeit vermag Modelle zu generieren, deren (krypto)normative Anspriiche in der Anwendung an ihrer Kornplexitat scheitern miissen; eine Tatsache, die Giinther moglicherweise zu wenig beriicksichtigt hat. 342 Der Polykontexturalitatsbegriff bleibt jedenfalls ein Faszinosum, wohl gerade weil der Punkt der Punkte, welcher das Phanornen iiberschauen, die Mehrwertigkeit gleichsam durchschauen will, in der volligen Ausdruckslosig338 339 340 341 342
Biibl, Luhmanns Fluchr in die Paradoxie, S. 235 f. Vgl. Luhmann, Soziale Systeme, S. 278 f. sowie dens., Gesellschaft, S. 750 f. Vgl. Krause, Luhmann-Lexikon, S.186f. (Stichwort: Programme). Dazu vorne § 4 Kap. I, 2, Fn. 229. Bei aller Untersriitzung fur die "Revolution der mehrwertigen Logik" stellt auch Peter Sloterdijk (in: Sloterdijk/Heinrichs, Die Sonne und der Tod, S.354) fest, dass fur den operativen Vollzug des in seiner Unentbehrlichkeit manifesten "Komplexiriitsdenkens [. . .] bisher nur einige mehr oder weniger suggestive Vorschlage" existieren, Auch hinsichtlich Giinthers diesbezuglicher Leistungen offenbart Sloterdijk eine gewisse Unsicherheit, wenn er ihn neben Deleuze als denjenigen bezeichnet, "der wirklich die Schallmauer durchbrochen zu haben scheint:" Und weiter: "Bei ihm lasst sich vielleicht lernen, wie ein Denken auf der Ebene des tertium datur funktionieren konnte." (Mit Ausnahme der letzten Stelle Kursivschreibung D.W.; man beachte die eindringliche Spannung zwischen der ersten und zweiten Kursivstelle).
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keit verharren muss. Sarntliche Versuche, jene Position zur Sprache zu bringen, end en in lacherlichen Allgemeinplarzen.r" Sie ist aIlenfaIls zuganglich als quasimetaphysische Schau, die sich der empfangenden Mystik nahert, Woriiber man nicht red en kann, solI man schweigen.l" Denn am archimedischen Punkt der Punkte fehlt schlicht die zugehorige, allgemeinverstandliche Universalsprache. Zumal eine in ihrem Wissen diszipliniert ausdifferenzierte Moderne lebt im unausweichlichen Schatten des babylonischen Turmbaus. Die Systeme kommen nicht mehr zueinander ohne selbst umzukommen bzw, ihre Gestalt aufzugeben und damit hinuberzugehen, worauf dann aIle Eschatologie hinauslauft, Es stellt sich die Frage, ob dieser Preis fur die Herstellung einer neuen, eigentlichen Mehrwertlogik, die realiter noch "kein Auge gesehen und kein Ohr gehort hat" (die bestenfalIs in des einen oder anderen Menschen Herz gekommen ist),345 sich nicht als zu hoch erweisen wiirde. 2. Entscheidnotwendige Zweiwertigkeit
D ie (nicht nur rechtliche) Umsetzung von Polykontexturalitat im Guntherschen Sinn ist denklogisch unmoglich. Alternariv wird im Rechtsbetrieb seit langem der Weg einer Vervielfaltigung kombinierter Binaritaten beschritten, denn auch ein "poietisches Unsystem" (Wietholter)346 kommt aus rechtsstaatlichen Griinden des Bestirnmtheitsgebots, des Vertrauensschutzes und der Erwartungssicherung nicht in Frage. Doch auch wenn die sich selbst fortsetzende Bruchlosung (Ein- und Aufbriiche neuer Unterscheidungen im System) moglichst vielen Interessen "gerecht" werden will, sind diese Interessen ihrerseits meist genauso konstruiert, unterdriicken "interne" Abweichler resp. "internieren" externe Dissidenten."" Vielleicht gelingt die Herstellung rechtlicher Polykontexturalitat nur im Einzelfall, den ein Richter moglichst frei beurteilen kann. Doch die Eigengesetzlichkeit des Rechtssystems verbaut auch diesen Weg, denn im konkreten Rechtsstreit spielen die Kontrahenten 343 344 345 346 347
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Vgl. dazu auch Luhmann, Wirtschaft der Gesellschaft, S. 85, 89. Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus, S. 85 (Nr.7) . Vgl. 1. Kor. 2, 9 auf der Grundlage von]esaja 64, 3. Recht-Fertigungen eines Gesellschafrs -Recht, S. 19. "Konsens ist und bleibt eine Konstruktion eines Beobachters, und das gilt umso offensichtlicher, je mehr dieser Konsens im Namen der Vernunft und im Namen der Moral reklamiert wird . Auf den zweiten Blick sieht man dann natiirlich, dass das politische System selbst solche Vorstellungen erzeugt, urn in der politis chen Kommunikation das reale Individuum auBer Acht lassen zu konnen und statt dessen im rekursiv-geschlossenen eigenen Operationszusammenhang Konsens zu fordern, unter Bedingungen zu stellen oder sein Fehlen beklagen zu konnen , Dass man sich dauernd mit etwas befasst, das es weder gibt noch geben kann, ist ein Beweis mehr fur meine These, dass die Politik nicht weiB, und nicht wissen kann, mit welcher Gesellschaft, mit welchen Menschen, mit welcher Aufenwelr sie es zu tun hat ." Luhmann, Enttauschungen und Hoffnungen, S. 139.
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immer formalisierte Spiele, d. h. die Spiele Fremder. Antworten auf die Frage, was sie eigentlich wollen bzw. was genau ihnen fehlt, lassen sich aus der Fiille des angebotenen Rechts moglicherweise herbeischaffen, auch wenn das je individuelle Unbehagen bei ihnen nicht seine wirkl iche Ursache und durch entsprechende Rechtsmittel und -wege schon gar nicht seine Beseitigung finden muss. Die jeweilige Zuordnung eines Unbehagens an einen Rechtsgrund schafft nur (aber immerhin) eine (ErsarzjAdresse.t'" 1m Prozess spielen die Parteien Rollen, tragen Masken, die sie sich selbst entfremden; es werden ihnen (geldwerte) Interessen "angewaltet", die ihnen teils Recht, teils aber auch nicht recht sein konnen, da sie mit Rationalitatszumutungen einhergehen, die mit den eigentlichen Verletzungsgefiihlen, dem Missmut, der subjektiven Leere, nichts zu tun haben, sondern als Surrogate lediglich eine Aushilfsfunktion iibernehmen; mithin einen kiinstlichen Parteiwillen fabrizieren, in dem man sich vielleicht - bei Gelegenheit - wieder finden, aber doch nicht eigentlich wohl (d. h. aufgehoben) fuhlen kann. 349 So gibt es moglicherweise andere, bessere Medien zur individuellen Problernbewaltigung als das Recht. Sie reichen von guten Gesprachen im Freundeskreis, iiber therapeutische Sitzungen, Musizieren, Sport bis hin zu alkoholischen Exzessen oder zur baren Gewalt. Will man jedoch zu Recht kommen, gibt es keine Alternative zum Rechtsweg . Dieser hat dann aber auch nichts anderes als Recht zu bieten . Immerhin halt er seines sprachlich verfassten Pfades wegen stets einen gewissen Bestand an Uberraschungen bereit (z. B. Generalklauseln), worauf denn die Befiirworter der Polykontexturalitat auch ihre Hoffnungen setzen.l" Doch was genau bedeutet der Auftrag, der Polykonrexturalitat Rechnung zu tragen, fur die Rechtsprecher? Mit welcher Aufgabe sahen diese sich konfronriert, wenn sie die tatsachlichen Verwicklungen der jeweiligen faIle in die unterschiedlichsten Lebenswelten zu beriicksichtigen hiitten? Wiircle so der richterlichen Beurteilungsperspektive, ihrer multipolar abwagenden, die ver348 Vgl. Menk e, Spiegelungen der Gleichheit, S. 287,289 f.; vgl. auch N iggli, Bindung und Norm, Bd. 1, S. 393. 349 Uber die spezifische Rationalitat, den formalen Charakter des Rechts und die damit verbundenen Schwierigkeiten vgl. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 646 ff., 763, 822 f., "Ihr [der Begriffe der Rechtslehre] rational-systematischer Charakter kann das Rechtsdenken zu einer weitgehenden Emanzipation von den Alltagsbediirfnissen der Rechtsinteressenten [iihren [. . .]. (ebd ., S. 746). 350 Bieten die Generalklauseln der Rechtsprechung doch willkommene Auswege, wenn mitunter einschlagigeres, dem Fall naher liegendes, ihm aus ihrer Sicht jedoch unangemessenes Normmaterial umgangen werden soil. Ein Vorgehen, das eine Art neue Freirechtsschule mit Blick auf die Verwirklichung der von ihr geforderten Polykontexturalitat ausdriicklich unte rstiitzt, Siehe nur AmstutziAbegglKaravas, Soziales Vertragsrecht, in Auseinandersetzung mit BGE 129 III 35 (vgl. auch vorn e, Fn. 228 und zum Fall ausfiihrlich hinten § 5 I, zweite Halfte) ,
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schiedenen Rationalitaten aller moglichen involvierten Kontexturen in Bezug nehmenden Funktion, nicht gleichsam die Herstellung einer verdachtig metaphysischen Universalkontextur aufgegeben, die dem Anspruch nach unanfechtbarer Richtigkeit genugen soll?351 Wird der Richter hier nichr in die Position eines "Universalwebers" gedrangt, dessen Verstandnis fur die einzelnen Kontexturen ihn von zahlreichen Gutachtern und besseres (adaquates) Wissen schaffenden Ratgebern abhangig macht, und deren Widerspriichen er letztlich als Ratnehmer hilflos ausgeliefert bleibt?352 Wird die eigentliche Aufgabe der Richter - einen Konflikt zwischen zwei Parteien zu entscheiden - nicht wesentlich erschwert, wenn ihre Entscheidung einer prinzipiell unabschlielibaren Mehrwertigkeit gerecht werden soll?353 1st der Zwang zu entscheiden nicht notwendig damit verbunden, den Konflikt in eine einfache, zweiwertige, bipolare - "dra w a line", " make a distinction" (Spencer Brown) - Metasprache einzulesen (die auch als Urteilsbegriindung dienen kann), nach deren zweiwertiger Logik (A und Nicht-A; 1 und 0) er dann zugunsten der einen, mit der gewahlten Metasprache qua Vorentscheidung qua Enthymem qua Obersatz kompatiblen Seite analysiert und aufgelost werden kann, ansonsten jedoch unentscheidbar bliebe ?354 351 Zur Problematik der Un iversalkontextur Gunther, Nariirliche Zahl und Dialektik, S.267 : »Wir wollen nun einen solchen Rahmen , der absolut indifferent gegeniiber allen beschrankten kategorialen Differenzen ist, die wir mit solchen Termini wie Gegenstand, Eigenschaft oder Vorgang bezeichnet haben, eine Universa lkontextur nennen ." Sie entspricht einem »grauen Neutrum"; in ihr sind »die Differenzen der einzelnen kategorialen Ind ividualkontexte ausgeloscht und unt ergegangen [. . .]. Die klassische Metaphysik behauptet nun, dass aile inhaltlich bestimmten Einzelkontexte, die wir in unserer Welt unterscheiden konnen, sich letzten End es in einer Univ ersalkontextur zusammenfassen lassen." 352 »It was especially Hegel who pointed out [. . .] that it is impossible to bring two different contexturalities into an immediate confrontation." Gunther, Life as Poly-Contexrurality, S. 288. 353 »[E]ach world datum in the contexturality of Being should be considered an intersection of an unlimited number of contextures." Gunther, Life as Poly-Contexturality, S.289 (im Original kursiv); und »[j]e mehr Alternativen es gibt, desto unwahrscheinlicher und ungewisser ist die Wahl und desto groBer der Informationswert der aktuellen Information." Dedeyan , Macht durch Zeichen, S. 38. 354 »Die kleinste Einheit juristischen Argumentierens und der Ausgangspunkt der Entscheidung sfindung ist immer bereits eine zweistellige Relation." Steinhauer, Regel und Fiktion, S. 86; auch Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 180 meinte: »Die Zweiwertigkeit ist nicht nur (im Unterschied zu Einwertigkeit) die Minimalbedingung fur das Offenhalten des operativ geschlossenen Systems. Sie ist zugleich (im Unterschied zu Mehrw ertigkeit) auch eine Bedingung fur Entscheidungsfihigkeit und damit eine Bedingung fur Ger ichtsbarkeit [.. .J. Jeder Versuch, die Liste der Codewerte urn weitere Nennungen zu verlangern, wiirde Entscheidungslagen mit einem Schlage so verkornplizieren, dass das System, was immer eine ,mehrwertige Logik ' davon halten mag, empirisch nicht mehr sicher genug oper ieren konnte. "
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Zugegeben: Diese Entscheidung ist, mit Kierkegaard gesprochen, ein Wahn. 355 Jedoch: "Eine gerechte, angemessene Entscheidung ist immer sofort, unmittelbar erforderlich, .right away'. Sie kann nicht zuerst eine unendliche Information besorgen, das grenzenlose Wissen urn die Bedingungen, die Regeln, die hypothetischen Imperative, die sie rechtfertigen konnten."356 Denn letztlich hangt auch die Autoritat des Entscheidsystems an dessen Schnelligkeit. Somit ist auch ,,[d]ie Reduktion der Kornplexitat [...] durch die Kompetenz des Systems hinsichtlich der Herrschaft erfordert. Wenn aile Nachrichten frei zwischen allen Individuen zirkulieren konnten, wiirde die fur die pertinenten Wahlhandlungen zu beachtende Quantitat von Informationen, das Datum der Entscheidung und daher die Performativitat betrachtlich verzogern. Die Geschwindigkeit ist tatsachlich eine Komponente der Macht des Ganzen."357 Die Informationsreduktion auf eine Monokontexturalitat ist damit ebenso entscheidnotwendig wie entscheidrelevant, Polykontexruralitat dagegen ist entscheidhernmend.t" Ahnlich wie diejenigen Markte sich als ineffizient erweisen, an welchen voll informierte und erfahrene Mitspieler partizipieren und vice versa Markte mit weniger informierten Anbietern deutlich effizienter funktionieren.P? beruht auch im Rechtsprozess die Entscheidungseffizienz auf der Informationsmenge bzw. ihrer Verkurzung.t'? Und verlangt nicht auch das Gleichheitsversprechen von der Rechtspraxis, Fallgruppen auszubilden, welche sich dadurch auszeichnen, dass alle dort versammelten Faile nach einem, fur aile gleichen Kriterium - mithin einer verkiirzten Wirklichkeit - entschieden wurden und es auch in Zukunft Ereignisse geben wird, welche dieselbe Abhandlung erfahren werden ?361 355 So Derrida, Gesetzeskraft, S. 54. 356 Derrida, Gesetzeskraft, S. 54; vgl. dagegen etwa RalfDreiers Insistieren auf einem fur Gerechtigkeit unerlasslichen »HochstmaB an [.. .] sachlicher Informiertheit" (Neuformulierung, S.278) sowie Luhmanns (Systemreferenz, S. 202) Vorwurf einer »Verfehlung des Problems, das in den binaren Strukturen des Rechts liegt [. . .]. Das Recht leistet eine Reduktion und Re-Codierung des sprachlich Moglichen; dafur Kriterien zu finden, darum geht es (im Ubrigen: durchaus im Sinne der alteuropaischen Tradition, die Begriffe wie Kanon, kriterion, regula immer auf binar schematisierte Praferenzen bezogen harte)." 357 Lyotard, Das postmoderne Wissen, S. 115. 358 Vgl. auch Gunther, Bewusstsein als Informationsraffer, S. 3 ff. 359 Vgl. die bei Dedeyan, Macht durch Zeichen, S. 51 erwahnte empirische Studie von List, Testing neoclassical competitive market theory in the Field. 360 Wenn Derrida von der »Nacht des Nicht-Wissens" spricht, in welcher die Entscheidung getroffen werde, meint er wohl diesen notwendigen Inforrnationsverzicht, der die »Einsetzung der Regel" - gleichsam aus dem Nichts - erst ermoglicht. Die zweiwertige Entscheidregel als »[e]in Konstativum kann angemessen, niemals aber gerecht sein." Vgl. Derrida, Gesetzeskraft, S. 54 f. 361 Zur Konsistenz und Systematisierung qua Typenbildung mit zahlreichen weiteren Hinweisen und Beispielen Pawlowski, Methodenlehre, Rz . 61, 77 f., 150, 151 f., 156, 158, 168 ff.
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3. Sichtbare Gleichbehandlung Man wiirde wohl der jeweiligen Situation, nicht aber dem Rechtssystem gerecht werden, wenn jedem Fall seine spezifische Einzelfallgerechtigkeit wider fahren miisste. Hat doch die GleichbehandlungsverheiBung unter den Leuten ein eifersiichtiges, mehr und mehr hemmungsloses und letztlich unabschlieli bares (folglich auch heute unabgeschlossenes) Vergleichen iiber jeden erdenklichen Gegenstand in Gang gebracht. (Dies nota bene trotz einer steigenden U nvergleichbarkeit der Lebenswelten in einer modernen, sich stets weiter ausdifferenzierenden Gesellschaft!) Untersriitzt wurde dieser Prozess zusatzlich dadurch, dass mit den vorrevolutionaren Schichten und Gruppen - dem Adel, den Handels- und Kaufmannsgilden, den einzelnen Handwerksziinften, den Haus- bzw. Hof- und Gutsdienerschaften etc. - auch ihre je eigenen, selbstbeziiglichen und durch den Berufszwang zugleich selbsterneuernden Gruppenkulturen qua autopoietischen Systeme aufgebrochen wurden, welche sich heute langst anhand sehr viel weniger stabilen Kriterien stets neu (re)organisieren miissen, Ohne den gewohnten Struktur(selbst)schutz und unter bestandigem Effizienz-, Innovations- und Anpassungsdruck globalisierter Gesellschaften finden Gruppenkulturen zu keiner dauerhaften Form mehr. Bei aller Unvergleichbarkeit der Einzelsituationen in einer ausdifferenzierten Gesellschaft etabliert sich die Vergleichskultur notwendigerweise als Ne idkultur, welche sich darauf kapriziert, Unterschiede ausfindig und auffallig zu machen, ihre Angleichung zu fordern und damit moglichst viele materiellen Gegensatze aus der Welt schaffen zu wollen .362 Sie will Gleichheit wiederholt im wahrsten Sinn des Wortes vorgefiihrt erhalten, exemplarisch aufgefiihrt, d. h. an konkreten Beispielen anschaulich, verstandlich und glaubwiirdig in Szene gesetzt sehen. Erwartet wird eine einfache, sichtbare und einpragsame Manifestation der Gleichbehandlung.w' Wie ware also eine fiir den beobachtend en Laien zweifellos uniibersichtliche, da jedem fallspezifischen Eigenwert Referenz erweisende, ausdifferenzierte Rechtsprechung noch als eine gerade, erkennbare Linie koharenter Gleichbehandlung darzustellenr'" Auch wenn wir mit Gilles Deleuze rundweg iibereinstimmen, wenn er mit Nietzsche iiber Kant hinausgehend - andeutet, dass coherence nicht nur akkustisch eine (optisch verhiillte) chao-errance sei, die gegen ihr geschliffengeschontes Idealbild und dessen Reprasentationsleistung anrenne und dass
362 "Alles Ubel der Welt kommt aus dem Vergleich." Serres, Atlas, S. 213; vgl. auch Freud, Massenpsychologie und Ich-Analyse, S. 132 ff. 363 Vgl. Samek, Verteidigung des Regelbegriffs, S. 483 ff. 364 "Eine Gleichhe it oder eine Ordnungsbeziehung kann [. . .J zwischen zwei Dingen nur hergestellt werden, wenn ihre Ahnlichkeit zumindest die Gelegenheit geboten hat, sie zu vergleichen [.. .J." Foucault, Ordnung der Dinge , S. 102 f.
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das Gleiche allenfalls wiederkehre urn Abweichendes mitzubringenr'P doch wie konnte ein Zusammenhang von Urteilen den Rechtsunterworfenen glaubhaft gemacht werd en und evident erscheinen, wenn sich Fallgruppen geradezu multiplizierten und konsequenterweise jeder Fall eine eigene Gruppe bilden miisste? Nur so narnlich konnte man der zu Recht festgestellten, stets einmaligen (Poly'Kontexturalitat eines jeden Ereignisses - dessen unvergleichlicher und deshalb auch nicht von Fall zu Fall ubertragbarer, besonderer Konstellation - gerecht werden.366 Fur die Urteilsbegriinder indes kame die Aufgabe einer Quadratur des Kreises gleich: Einerseits jener proklamierten, der je einzeln zu beriicksichtigenden, besonderen Situation bzw. Kontextur jedes Falles zu verdankenden neuen Heterogenitat innerhalb der alten Fallgruppen Rechnung zu tragen, und andererseits zugleich den Anschein der Gleichbehandlung zu wahren. Ob die offentliche Wahrnehmung einer solchen Komplexitatssteigerung wird folgen konnen, die entsprechend ausdifferenzierten Begriindungen und zahlreichen neuen Fallgruppen wird nachvollziehen wollen, ist jedenfalls fraglich. In welchen Fallkonstellationen allgemein (!) denn nun neu worauf genau - und in welchen Spezialfallen aber wiederum urn wie viel weniger - Acht zu geben sei, ist im Einzelnen vollig unklar. Es bliebe vermutlich gegenuber dem heutigen Rechtssystem kein Stein mehr auf dem anderen.
365 Deleuze, difference et repetition, S. 80 f. "N ietzsche deja disait que Ie chaos et I'etemel retour n'etaient pas deux choses distin ctes, mais une seule et merne affirmation . [ ] Dans l'eternel retour, la chao- errance s'oppose a la coherence de la representation [ J. .La nature est contingente [. .. ]. Les choses sont etranges [. . .]. L'univ ers est sauvage [...]. Le merne ne revient que pour apporter du different. Le cercle lent du tour du graveu r ne gagne que de l'epa isseur d'un cheveu. Mais la difference se distribue sur la courbe tout entiere, jamais exactement adequate." (Zitat nach Jean Wahl, Les philosophies pluralistes d'Angleterre et d' Amerique, Alcan 1920, S. 37). 366 Vgl. auch Deleuze, difference et repetition, S. 210 ff.; das Problem war unter dem Stichwort "G erechtigkeit als adaquate Komp lexitar des Rechtssystern" in den 1970er Jahren Gegenstand einer kurzen Au seinandersetzung in der Zeitschrift .Rechtstheorie", ausgelost durch Luhmann, Gerechtigkeit in den Rechtss ytemen der modernen Gesellschaft (1973), v. a. S. 388 ff.; vgl. die unzureichende Kritik Ralf Dreiers, Neuformulierung, und die Antwort Luhmanns, Die Systemreferenz von Gerechtigkeit, v.a. S. 202 f. sowie jiingst Teubner, Dreiers Luhmann, und aufschlussreich zur neueren Debatte Renner, Kontingenz, Redundanz, Tran szendenz?
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4. Grenzen einer dynamisierten und ausdifferenzierten Dogmatik »Wenn das Recht das Leben nur kopiert, dann braucht man es nicht." Wolfgang Fik entscher's?
Selbstorganisation bedeutet: Der Mensch verfasst sich in seinen Fallen. Die Welt ist bekanntlich alles, was der Fall ist (Wittgenstein).368 Und Falle gibt es wie Sand am Meer. Genau betrachtet ist kein Sandkorn mit einem anderen identisch. Die Reprasentationsleistung des Rechts besteht nun darin, bestimmte Unterschiede zwischen den Fallen zu anerkennen, andere hingegenmeist beredt - zu ignorieren bzw. zu iiberschreiben. Aus dem Chaos der lebendigen Falle in die kiinstliche Ordnung der Kasuistik; das ist die Verfassungsutopie, die keineswegs nur ein juristisches Phanomen ist, sondern jede Form von Lebensorganisation betrifft. Zur Herstellung von Identitat (als Daseinsberechtigung) und fUr deren Stabilisierung ist das Leben stets auf der Suche nach Cornmunity-Bereitschaft. Wohin sich diese Lebensformen qua -formationen dann bewegen werden, "wei6" nur die Evolution. Lebensformen sind immer auch Lebenstransformationen. Gruppen bilden Einheiten aus Stasis und Wandel. Sie konnen sich nicht in allen Lebenssachverhalten verlie ren, vielmehr gehen unzahlige Lebenssachverhalte in ihnen verloren, auf dass gemeinsam ein neuer Weg beschritten werden kann. In diesem Zusammenhang sei auch auf die Schwierigkeiten hingewiesen, we1che sich fur die Dogmatik ergeben, solI sie unter den behandelten Urnstanden die ihr obliegende Stabilisierungsleistung erbringen. Es steht aufser Frage, dass Dogmatik nicht allzu konkrete Aussagen treffen darf, will sie nicht standig durch eine vera nderte Rechtsanwendung revidiert werden, was ihren Stabilisierungsauftrag gegeniiber der Rechtspraxis verunrnoglichen wiirde.369 Zu viele, dogmatisch nicht subsumierbare Modifikationen in der Rechtsanwendung setzen das dogmatische System der Gefahr der Dynamisierung aus. 370 Hielte ,,[d]ie Vielzahl konkreter Umstande der Fallentscheidung" Einzug in die "Systembildung der Dogmatik", wiirden gerade "Storgro6en wirksam, die die Dogmatik ausschlielien solI. "371 1m Ubrigen ware wie angesprochen auch mit einer sehr viel ausdifferenzierteren Fallgruppenbildung der Polykontextu-
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Methoden des Rechts Bd. II, 5.213. Tractatus, Satz 1 (5.11) . Vgl. Baufeld, Rechtsanwendung und Rechtsdogmatik, 5. 183 f. Uber entsprechende Tendenzen im deutschen Verfassung srecht Schlink , Abschied von der Dogmatik, und fur verschiedene Teile des Privatrechts Benedict, Kodifikation der ,Einzelfallgerechtigkeit'? 371 Baufeld, Rechtsanwendung und Rechtsdogmatik, 5. 184.
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ralitat letztlich nie beizukommen. Ihr ganzlich gerecht zu werden hielie: ein Fall- eine Gruppe.V! Die Fiktion der Gleichheit geht aus dem Bediirfnis hervor, das chaotische Geschehen der Welt berechenbar abzubilden. Zu diesem Zweck werden schematische Kommunikationen hergestellt.V' Wie das Denken quasi unwillkiirlich willkiirliche Ordnung schafft - da kein Subjekt (qua selbstreferentielles System) ohne eine (vorausgedachte) Ordnung funktionieren und sich orientieren konnte _374, legt das Recht, in Gestalt von N ormen und Judikatur, ein stets Feiner gekniipftes N etz iiber die sich ausdifferenzierende Wirklichkeit und ordnet unterschiedliche Ereignisse im Umfeld eines bestimmten Knotens diesem zu, Rechtsordnung ist eine Reprasentativordnung, welche die Wirklichkeit notwendig unterdriickt, indem sie sie einseitig ausdruckt .t" Doch nur so kann man sich von letzterer ein Bild machen. Das Recht und vielmehr noch die Rechtsdogmatik dient - ahnlich wie die Naturwissenschaften - dazu, die Welt darzustellen, sie begreif- und handhabbar zu machen und damit insbesondere auch offene Fragen in einer Ordnung zu entscheiden. ,,[D]ie Dogmatik muss, wenn sie sich nicht nur als Pflege iiberlieferter Wesenheiten, sondern als Element einer Entscheidungswissenschaft begreift und die Programmformulierung ebenso wie die Programmausfuhrung durch fertige Subroutinen der Informationsverarbeitung entlasten will, einen Wirklichkeitsbezug aufweisen in Form eines Bezugs auf zu losende Systemprobleme. "376 Empirisch gibt es nur Ungleiches, Singularitaten und nomadierende Monaden.f" Die angeborene Begabung zur Kornplexitatsreduktion jedoch, welche orientiertes Handeln erst rnoglich macht, sowie der Wunsch nach einer berechenbaren Umwelt, welchem wir den Gewohnheits- bzw. Angleichungstrieb und den entsprechenden Wiederholungszwang verdanken, schaffen sich willkiirliche Einhei-
372 »H egel's logic further shows that if a plurality of contextures is introduced one cannot stop with three. In fact, one has to postulate a potential infinity of them ." Gunther, Life as Poly-Contexturaliry, S. 289. 373 Dazu Luhmann, Soziale Systerne, S. 194 f. Kommunikationen sind selbstreferentielle Prozesse, ebd., S. 198; siehe auch ders., Gesellschaft, S. 74 f. 374 Gerade im Blick auf die »Erschaffung" der Umwelt durch das synthetisierende Subjekt, indem es Vielheit zu einer bestimmten Einheit zusammenzieht, meint Luhmann (Soziale Systeme, S.51) den idealistischen Subjektbegriff Kants durch den Begriff des selbstreferentiellen Systems ersetzen zu konnen. Auf diese Weise kommt besser zum Ausdruck, dass die entsprechende Einheit der Ordnung, »die in diesem System verwen det wird [.. .J durch dieses System selbst konstituiert scin muss und nicht aus dessen Umwelt bezogen werden kann ." 375 In diesem Fall nach dem kommunikationsleitenden Code Recht/Unrecht, Luhmann, Recht der Gesellschaft, S.60 f., 67 ff. 376 Luhmann , Funktionale Methode und juristische Entscheidung, S. 299. 377 Vgl. Deleuze, Logik des Sinns, S. 134 ff. sowie DeleuzelGuattari, Tausend Plateaus, passim (iiber eine nomadische Wissenschaft S. 495 ff.).
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ten, die aber erfolgreich Konsistenz simulieren.V" Als Empiristen miissten wir mit Deleuze Pluralisten sein,"? aber wir kommen nicht darum herum, uns immer und iibera11 ein zusammenhangendes Bild von der Welt zu machen, ihr Sinn zu geben, sonst sind wir verloren. "Denn keine Gese11schaft kann eine Ordnung finden ohne einen Begriff von dem, was normal und dem, was Recht ist."380 "Abstraktion ist, so .gesehen, eine erkenntnistheoretische Notwendigkeit,"381Die Bildung von Fa11gruppen ist also unverzichtbar, und diese miissen erkennbar, iiberschaubar und nachvo11ziehbar bleiben, geht es dabei mit Luhmann doch urn die "kongruente Generalisierung normativer Verhaltenserwartungen" .382 Hierzu dient die Dogmatik. Somit waren von den Verfechtern einer Umste11ung bzw. Neueinste11ung insbesondere hinsichtlich des Aufbaus verfeinerter - fur die Gleichheitsdarste11ung aber unverzichtbarer - Fa11gruppen gelegentlich detai11ierte U msetzungsvorschlage und vor a11em prazisere Modelle zu erwarten, als die bislang erfolgten a11gemeinen Darlegungen, Anregungen und Absichtserklarungen. Der Teufel steckt bekanntlich im Detail, das die Promotoren aber - bisher jedenfa11s - weitgehend ignorieren bzw, vertrauensvo11 in die Hande der Rechtsprechung iibergeben.V' Wenn diese, wie vorgeschlagen, mit der Unterstiitzung einer (soz ial)wissenschaftlich informierten Dogmatik jene Aufgabe bewaltigen sol1,384 konnte letztere doch ohne weiteres schon eigene, konkretere Schritte dazu untemehmen.l" Im Moment jedenfa11s sind die Rechtsprecher mit der Aufforderung, der Polykontexruralitat zu ihrem Recht zu verhelfen, ziemlich a11eingelassen: Weder kann eine hinreichend ausfiihrliche Dogmatik vorgelegt werden, noch sind geniigend - als solche herausgearbeitete - Prazedenzfalle vorhanden. Die "Subsumtion" einer urn Darste11barkeit und Klarheit bemiihten Dogmatik hat
378 Zur Komplex itatsreduktion ausfuhrlich Luhmann, Soziale System e, S. 12ff., 47 H.; zur Bedeutung der Gewohnung im Zusammenhang mit empirischer Wissenschaft vgl. die Hume-Darstellung von Deleuze, Empirisme et Subjectivite . 379 Deleuze/Parnet, Dialogues, S. VII . (Deleuzes Vorwort zur amerikanischen Ausgabe ist weder in der franzosischen noch in der deut schen Ausgabe enthalten.) 380 Schmitt, Politische Romantik, S. 226. 381 Luhmann, Soziale Systeme, S.13 . 382 Luhmann, Rechtssoziologie, S.105, 134 sowie 257. Und diese ist unentbehrlich, wei! ansonsten "Menschen sich nicht aneinander orientieren, ihre Erwartungen nicht erwarten konnten.' (134). 383 Vgl. AmstutzlAbegglKaravas, Soziales Vertragsrecht; auch nichts Konkreteres diesbeziiglich bei Amstutz, Sprachlosigkeit, S. 69 ff. bzw. dems., Der Text des Gesetzes, S. 284 H. 384 Vgl. Abegg, Die zwingenden Inhaltsnormen, S.135 f.; ders., Bedeutung der Wissenschaft, S. 32; Amstutzl AbegglKaravas, Soziales Vertragsrecht, S. 75 H. 385 Mayer-MaZy (die guten Sitten, S. 135) jedenfalls wusste, auch aufgrund eigener einschlagiger Beitrage, dass "Fallgruppen [...] regelmaliig nicht von der justiz, sondern von der Wissenschaft enrwickelt und von der Justiz - bisweilen - iibernommen [werden] ."
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das bislang mehr oder weniger erfolgreich verhinderr.I" Der mit der Polykontexturalitat einhergehende stete Perspektivenwechsel vertragt sich nicht mit der unumganglichen abstrakten Statik einer nur dergestalt stabilisierungsfahigen Dogmatik und kann von ihr in seiner Ausfiihrlichkeit deshalb nicht formuliert werden. Das Konzept der Polykontexturalitat, die im Grunde mit jedem Fall wieder neu zu entfalten ware, lasst sich schlielilich nur in sehr allgemeinen Zielformulierungen ausdriicken, die selbst fur die Dogmatik noch zu allgemein ausfallen miissten.W So ist es denn auch nicht verwunderlich, dass bisiang kein polykontexturales dogmatisches System auszumachen ist. Und selbst wenn die Ausarbeitung eines hinreichend ausfiihrlichen polykontexturalen Systems gelange, ware es wahrscheinlich nicht mehr klassisch dogmatischer Natur.l" Es ist gewiss nicht auszuschlieflen, dass eine solche nach- bzw. superdogmatische "Praxistheorie" der klassisch dogmatischen Funktion einer (Rechts)System-Stabilisierung auch wird nachkommen konnen. Die Konstruierbarkeit eines befriedigenden Ausgieichs zwischen dem Dogma der Mehrwertigkeit und einer sie konsolidierenden Dogmatik - qua coincidentia oppositorum - wollen wir selbstverstandlich nicht a priori in Abrede stellen. Dabei wird man wahrscheinl ich aber eine gewisse Dynamisierung der Dogmatik und damit die Paradoxierung des Systems zugunsten der Polykontexturalitat in Kauf nehmen miissen; ebenso wie die - ihrer Idee an sich zuwiderlaufende - Eingrenzung einer (prinzipiell unbegrenzbaren) Polykontexturalisierung der Rechtsordnung als Tribut an die Berechenbarkeit des Rechts 386 Auch Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 272 fiirchter die Gefah ren , welche von einem Rechts systern ausgehen, das jeweils "vom bestehenden Ausgangspunkt abjweicht] und [.. .] mit imm er neuem dist inguishing und overruling (urn es in der Terminologie des Common Law zu sagen) hohere Kornplex itat auf[baut]." Denn just in diesem Fall "kommt es zu Problemen einer strukturellen (nicht nur prozessualen) Restabilis ierung, namlich zu der Frage, ob und wie das System bei immer steigender Komplexitat autopoietisch noch funktioniert und zum Beispiel fur Benutzer hinreichend attraktiv bleibt, so dass es uberhaupt noch zur Produktion von Rechtsfallen kommt." 387 Die von ihr fUr die Rechtsanwendung zu schaffenden "Grenzen semantischer Spielraume" sollten doch immerhin noch erkennbar bleiben. Vgl. Baufeld, S.183 . 388 Just angesichts einer schon ziemlich beliebig gewordenen Kasuistik seitens des Bundesverfassungsgerichts begriiBt Schlink (Abschied von der Dogmatik, S. 162) denn auch die logische Verselbstandigung der Verfassungsrechtswissenschaft gegenuber dem dogmatischen Verfassungspositivismus (von wegen : Dogmatik niitzt ohnehin nichts mehr; das BVerfG machr sowieso, was es will). Sie konne hiermit - "scnsibel fur die hinter den Rechtsfragen stehenden Machtfragen" - "dem allgemeinen gesellschafdichen und politischen Diskurs" sehr viel naher sein, als sie es als dogmatische Wissenschaft vermochte, Diese Nahe jedenfalls praktiziere sie in Amerika schon lange. (Auch in der Schweiz spielt die Verfassungsrechtswissenschaft, aufgrund des Verfassungsinstruments der Volksinitiative, mitunter eine aktive Rolle im politis chen und gesellschafdichen Diskurs).
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unumganglich sein durfte.389 Eine lebbare Wirklichkeit kennt immer nur den Kompromiss. 1m Moment allerdings ist die Verfassung der Polykontexturalitat, ihre normative Reformulierung, eine Utopie und zwar im wahren Sinn des Wortes : ein Nicht-Ort. Aber dasselbe konnte mit Fug und Recht auch fur fruhere Grollprojekte behauptet werden, wie erwa die Einfiihrung des Gleichheitsprinzips und dessen Figur der subjektiven Rechte in die alte, vorrevolutionare Privilegienrechtsordnung. Es mangelt nicht an konservativen Zeugnissen, welche im 19.Jahrhundert das Utopische jener Unterfangen betonten,"? und in der Tat scheint auch heute keines der die groBrevolutionare Trias konstituierenden Elemente eine stabile, definitive Ausformung (urn nicht zu sagen: Endlosung) erreicht zu haben.'?' Die Politik jedenfalls erinnert eindriicklich an die Persistenz dieses utopischen Projekts und man denkt unweigerlich an die weitsichtige AuBerung des friihen Hegel, der im Blick auf den Einbruch des modernen Prinzips gleicher subjektiver Freiheit eine unendliche Bewegung des Widerstreits gleichsam als "die Auffiihrung der Tragodie im sittlichen" heraufziehen sah. 392 Dieses Trauerspiel manifestiert sich just in der Auffiihrung jener Differenz, deren jeweilige Positionen "einander nicht anders anerkennen konnen denn ,im Kampfe' - einem Kampf, der, und darin liegt der Einsatzpunkt fur Hegels Verwendung der Metapher der Tragodie, stets nur so geschlichtet werden kann , dass er erneut wieder aufbricht. " 393 Hiergegen wehren sich Freilich antitragische Affekte liberal-zuversichtlicher Pragung. 394
III. Rechtsumwertungen und das MaB der Gerechtigkeit ,,[D]ie Ausdifferenzierung eines Ents cheidungssystems im Rechtssys tern [kann] sich auf die allgemeine Bereitschaft, normatives Erwarten norrnativ zu erwarten, negativ auswirken, ja zur Eros ion der eigenen Grundlagen in der Reflexivitat tendieren und sich schliefslich nur noch als politi sch gestiitzte Organisation halten." N iklas Luhmann?" 389 Vgl. zum Systemgedanken auch - und nicht nur sprachlich faszinierend - die umfangreiche Arbeit von Samek, Rechtssystem und Republik. 390 Dber die restaur ativen Geister Edmund Burke, Jacques Mallet du Pan, Friedrich von Gentz, Karl Ludwig von Haller, Joseph de Maistre und Adam Muller vgl. Kolz, Neuere schweizer ische Verfassungsgeschichte, S. 156 ff. 391 Dasselbe gilt natiirlich auch fur die zeitgenossische Ubersetzung der revolutionaren Ideale (Freiheit, Gleichheit und Bniderlichkeit) in Vielfalt, Sicherheit und Solidaritat. Dazu Denninger, Ethisierung der Verfassung?, S. 104. 392 Hegel, Ueber die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts, S. 458 ff. 393 Menke , Spiegelungen der Gleichheit, S. 226; vgl. Hegel, Behandlungsarten, S. 459. 394 Vgl. Menke , Spiegelungen der Gleichheit, S. 227 ff. 395 Recht der Gesellschaft, S. 147.
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Die anhand eines bestimmten Kriteriums (bzw. einer bestimmten Kriterienkombination) durchgehaltene Gleichbehandlung von Menschen bzw. Fallen deckt lediglich den formellen Gerechtigkeitsbegriff ab.396 Uber seine inhaltliche Ausgestaltung lasst sich viel streiten, Jene nie ganzlich einfangbaren, emotionalen und religios -utopisch gepragten Gerechtigkeitsvorstellungen auch und gerade mit Blick auf alltagliche, gesellschaftliche Veranderungen fragen stets nach der materiellen Richtigkeit des eingesetzten Kriteriums.I" So erinnert Derrida denn auch an die prinzipielle Unberechenbarkeit der Gerechtigkeit. Sie lasst sich nicht dingfest machen, weist vielmehr auf die Ungerechtigkeit jeder Regel, deren Ursache sie sein sol1. 398 ,,[E]s gibt Gerechtigkeit nur dann, wenn sich etwas ereignen kann, was als Ereignis die Berechnungen, die Regeln, die Programme, die Vorwegnahmen usw. iibersteigt. Als Erfahrung der absoluten Andersheit ist die Gerechtigkeit undarstellbar [. . .]." Nun diirfen aber ,,[d]as Ubermailige der Gerechtigkeit, durch das sie sich nicht im Recht und in der Berechnung erschopft, das Ubermaliige des Undarstellbaren, durch das es iiber das Bestimmbare hinausschieilt, [...] nicht als Alibi dienen, urn sich im Inneren einer Institution oder eines Staates [...] von den juridischpolitischen Kampfen fernzuhalten.'?" Und so halt diese Frage nach der besten Gestaltung des Gemeinwesens das Recht seit dem fur diese Entwicklung ursachlichen (aber leider selbst zu wenig Ma6 gebenden) Gleichheits-PreiheitsBriiderlichkeits-Versprechen in permanenter (Selbst'Bewegung.t?" Die "gesetzliche Revolution", an deren Wirksamkeit Marx und Engels gezweifelt hatten, scheint definitiv ins Werk gesetzt,'?' Rousseaus Forderungen - nach vollstandiger Vergemeinschaftung und unmittelbarer plebiszitarer Volkssou-
396 Vgl. Perelman, Dber die Gerechtigkeit, S. 28, 32, 41 ff., 55. 397 Kraftig der Zurcher Theologe Emil Brunner, Gerechtigke it; vgl. auch Teubner, Selbstsubversive Gerechtigkeit, S. 27 ff.; ausfuhrlich zur Problematik Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, vgl. etwa S. 325: Gerechtigkeit bewegt sich im . Dualismus zwischen Gewiss en und positivem Recht " (so schon der Untertitel der italienische Ausgabe : Dal pluralismo dei fori al moderno dualismo tra scienza e dir itto); kon ziser historischer Aufriss zum Verhaltnis von Recht und Gerechtigkeit mit Bezug auf Deutschland bei Schroder, Verzichtet unser Rechtssystem auf Gerechtigkeit?; vgl. auch Wenger, Negative Jurisprudenz, S. 43 ff. 398 Allgemein zur Dekonstruktion des Gerechtigkeitsbegriffs Derrida, Gesetzeskraft, hier S. 33 f. Uber die Dialektik von Gerechtigkeit und Gewalt siehe ebd., S. 21 ff.; zum Gerechtigkeitsbegriff im Gesamtwerk Derridas lesenswert Maresch, GespensterVerkehr. 399 Derrida, Gesetzeskraft, S. 57. 400 Schmitt, Politische Romantik, S. 3 hat hierfiir bekanntlich den Begriff des "ewigen Gesprachs" gepragt . Vgl. auch dens., Politische Theologie, S. 66 f., 69; vgl. des Weiteren Blecher, Recht in Bewegung; Fischer-LescanoIChristensen, Auctoritatis interpositio, S. 213 ff.; Schutz, Sisypho s; Wenger, Negative Jurisprudenz, S. 57 f.; Menke, Spiegelungen, S. 226 (mit Bezug auf Hegel), 261 f.; Derrida, Gesetzeskraft, S. 58. 401 Marx/Engels, Die innern Krisen, S. 460.
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veranitat - haben sich quasi gegenseitig verwirklicht.t'" "Ohne es zu ahnen, hat Rousseau die permanente Revolution auf der Suche nach dem wahren Staat entfesselt. Was er suchte, war die Einheit von Moral und Politik, und was er fand, war der totale Staat, das heifh die perrnanente Revolution im Gewande der Legalitat, [.. .J Die Souveranitat von Rousseau enthiillt sich damit als eine permanente Diktatur", so Reinhart Koselleck.f" Auch Yaakov Leib Talmon sprach von Rousseaus "totalitiirer Demokratie",'?' derweil etwa Carl Schmitt das Phanomen immer schon weniger oder nicht mehr nur als ein Problem des Gesetzgebers, denn als ein solches der anderen zwei Gewalten, der Rechtsprechung und der Rechtsanwender, erkannte. Ob Verfassung, Gesetz oder Ma6nahme: mit Blick auf eine sich pluralistisch ausdifferenzierende Gesellschaft werden sie in den Handen letzterer einfach zu "Methoden permanenter Umbewertungen't .f" Gegen die legale Revolution jener Aufwerter und Abwerter, die relative Beliebigkeit und den reinen Perspektivismus (Nietzsche) jeder Wertbegriindung berufen sich Schmitt und Bockenforde auf die Mallstablichkeit und kontrollierte Methodik einer spezifisch juristischen Rationalitat (qua konsistenter Pallgruppenbildungj.t'" Sie bilden gleichsam den Katechon gegen eine unberechenbare Wertlogik und sind der eigentliche Legitimitatsgarant jeder hoheitlichen Entscheidung.t'" 402 Rousseau (Gesellschaftsvertrag, S. 73 f., Buch 1 Kap. 6) spricht von der "vollstandige[n] Uberauiierung eines jeden Mitglieds mit all seinen Rechten an die Gemeinschaft, [...]
Jedervon unsunterstellt gemeinschaftlich seine Person und seine ganze Kraft (puissance) der biicbsten LeitungdesGemeinwillens(oolonte generale), und wir empfangen alsKiirper jedes Glied alsunzertrennlichen Teil des Ganzen. 1m gleichen Augenblick entsteht
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aus dieser Vergesellschaftung , anstelle des einzelnen Vertragspartners, ein Mor al- und Kollektivkorper, der aus so vielen Mitgliedern besteht, wie die Versammlung Stimmen hat; aus diesem Akt hat er seine Einheit , sein gemeinsames fch, sein Leben und seinen Willen." VgI. auch Kapitel7 ebd., S. 75 ff. Koselleck, Kritik und Krise, S. 136f. Talman, Die Urspriinge der totalitaren Demokratie, S.34-36. Denn in der Tat meint Rousseau, Gesellschaftsvertrag, S. 77 (1.7 Der Souveran): "Damit dieser Gesellschaftsvertrag keine leere Form bleibe, muss er stillschweigend folgende Verpflichtung beinhalten, die den anderen Verpflichtungen allein Gewicht verleiht : Wer dem Gerneinwillen den Gehorsam verweigert, muss durch den ganzen Kerper dazu gezwungen werden . Das heiBt nichrs anderes, als dass man ihn dazu zwingt, frei zu sein." Schmitt, Vorwort von 1971, S. 270,272; dies freilich stets im Namen der Gerechtigkeit, VgI. dazu Teubner, Selbstsubversive Gerechtigkeit, S. 22 f.; vgI. zu Schmitts Zeitdiagnose sehr instruktiv Vesting, Erosionen staatlicher Herrschaft, erwa S.30 ff. sowie 41 f. Schmitt, Die Tyrannei der Werte, S.20 f., 33, 40 f.; vgI. auch dens., Die legale Weltrevolution, S. 921.; Backenfarde, Zur Kritik der Wertbegriindung des Rechts, S. 81, 87, 90; ders., Geschichtliche Enrwicklung und Bedeutungswandel der Verfassung, S.51; vgl. auch die Crofskritik bei Benedict, Kodifikation der ,Einzelfallgerechtigkeit'? In Deutschland untersteht auch die Geset zgebung dem grundgesetzlichen Gleichheits gebot und der entsprechenden Kontrolle durch das Bunde sverfassungsgericht (zur Problematik instruktiv Forsthoff, Industriegesellschaft, S. 134 ff.), derweil politische
Rechtsumwertungen und das MaG der Gerechtigkeit
Beim hier gegen aIle moglichen materiellen Einzelfallgerechtigkeitsvarianten vertretenen stare decisis (Prajudizienbindung aus dem common law) geht es urn die nicht zu unterschatzende Simulation von Gleichheitf" und damit urn eine iiberzeugende Darstellung bzw, Auffiihrung allgemeingiiltiger - nicht aber konkrete Herstellung bzw. Durchfiihrung individueller - Gerechtigkeit. Es geht urn die einsichtige und glaubwiirdige Produktion von Rechtssicherheit. 409 1m Blick auf die Gefahren einer unvermittelt direkten Verwirklichung von Gerechtigkeit, wie sie erwa in Gestalt der [akobinerherrschaft wiitete.t'? meint Derrida: "Auf sich selbst gestellt, sich selbst preisgegeben, aufgegeben und allein gelassen, befindet sich die allen Berechnungen, allem Kalkiil trotzende, Gerechtigkeit spendende Idee stets in nachster Nahe zum Bosen, ja zum Schlimmsten, da das perverseste Kalkiil sie sich stets wieder aneignen kann . [.. .J Die jeder Berechnung, jedem Kalkiil ganzlich fremde Gerechtigkeit befiehlt also die Berechnung und das Kalkiil."411 An der Berechenbarkeit des Systems haugen nicht nur die Anwalte, sondern jedes andere Sub- und Subsubsystem der Gesellschaft, das sich im Vertrauen auf eine herrschende Rechtsprechung mit anderen Systemen auf legale Weise strukturell gekoppelt hat,4l2 Dieser Umstand soll selbstverstandlich keiner Rechtsversteinerung das Wort reden.t !' aber in Bezug auf eine Praxisanderung immerhin Bedachtsamkeit nahelegen, die zugegebenermaBen am konservativen Prinzip festhalt, dass der Wunsch nach Veranderung und nicht der Status quo, mithin das Neue (und nicht das Alte) unter Rechtfertigungszwang stehr'" (wie auch derjenige den Beweis bestimmter neuer Tatsachen erbringen muss, der aus ihnen im Unter-
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Entscheide in der Schweiz nur dann in verfassungswidriger Weise diskriminierungsfahig sein konnen und entsprechend der Gleichbehandlung geniigen miissen, wenn sie zugleich als Verwaltungsakte gelten, wie etwa die Einbiirgerungen (so das Bundesgericht in BGE 129 I 217 und BGE 129 I 232; dazu kritisch Hangartner, Neupositionierung des Einbiirgerungsrechts, und Wenger, Einbiirgerung einrichten). Zum Idealismus des Konzepts der Prajudizienbindung aus evolutorischer Sicht ganz richtig Amstutz, Evolutorisches Wirtschaftsrecht, 5.271 ff., 324. Diese und nicht etwa Einzelfallgerechtigkeit (wie das die Freirechtsbewegung suggerieren wollte) ist Zie! und Charakteristikum des englischen Case-Law. 50 unter Hinweis auf Radbruch Benedict, Kodifikation der ,Einze!fallgerechtigkeit'?, 5.247 f. Friedell, Kulturgeschichte der Neuzeit, 5.869 sprach von einem "Heuschreckenschwarm der Gerechtigkeit". Gesetzeskraft, 5.57; ,,[D]ie Evidenz der Gerechtigkeit ist [...] eine stets uberschiissige Kraft oder Macht, die kein sicherer Grund fur das von ihr hergestellte Resultat sein kann." Menke, 5piege!ungen der Gleichheit, 5.136 . Dazu Weber-Durler, Vertrauensschutz im offentlichen Recht, 5.242 ff. Vgl. Weber-Durler, Vertrauensschutz, 5.35 . Dazu Ladeur/Augsberg, Auslegungsparadoxien, 5.164 ff.; vgl. auch Kramer,]uristische Methodenlehre, 5.252 f., der im Fall einer argumentativen Pattsituation im Sinn des Vertrauensschutzes (qua Rechtssicherheit) fur die Beibehaltung der bisherigen Praxis votiert (m.w.H .).
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schied zur bisherigen Lage zusatzliche Rechte ableitet; vgl. Art. 8 ZGB). Doch diirfre es einem gewieften Urteilsbegriinder mitunter auch nicht schwer fallen, mit "einleuchtenden Argumenten" zu demonstrieren, dass eine "Abweichung " von der (vermeintlich) herrschenden Meinung du rchaus "im Bereich der Voraussehbarkeit und Berechenbarkeit" gelegen habe.f" Nicht umsonst sind die Gerichre in ihren Urteilsbegriindungen regelmafsig auf die sorgfaltige Feststellung dessen bedacht, was sie alles nicht emschieden haben . Gleichheit und Gerechtigkeit verwirklichen sich zusammen nur in der Form der Berechenbarkeit. Konsistenz ist wichtiger als adaquate Komplexitat, Redundanz kommt vor Varietat, die Selbstdarstellung des Rechts ist kein Varieteprogramm.t'" Selbstverstandlich ist in diesem Zusammenhang aber auch die Frage zu stellen, ob das Recht iiberhaupt das geeignete Mittel ist, der Gesellschaft als katechontische Selbststabilisierung zu dienen.t" Das Recht ist trotz allem Steuerungsanspruch stets mehr reaktiv als proaktiv. Die Gesellschaft verfasst und stabilisiert sich letztlich selbst in Gestalt ihrer unzahligen Subsysteme, die alle auch iiber ureigene Konfliktregelungsmechanismen verfiigen. Mit entsprechenden Hinweisen kann und darf sich das Recht gegeniiber allzu aufdringlichen Gesellschaftsverfassungserwartungen auch regelmallig entlasten. Dies bedeutet, dass es nicht jede Kornplexitatssteigerung innerhalb seiner Umwelt - und noch dazu adaquat - mitzumachen braucht; zumal es die Umwelt zwangslaufig nach eigenen Regeln und Kriterien rekonstruieren muss und iiber die Frage nach der Adaquitat jener Abbildung des Aullen im Innen ohnehin kaum je Einigkeit besteht.t" Grundsatzlich bestrafen Kriterienwechsel sowohl einen Groiiteil der unterlegenen Parteien in den bisherigen Fallgruppe als zu friih gekommene, als auch einen Groflteil derjenigen, welche erwa ihr Geschaftsgebaren im Vertrauen auf das Gleichheitsversprechen - die Berechenbarkeit - der Rechtsprechung an ihrer gegenwartigen Gestalt ausgerichtet haben."? Carl Schmitt pflegte jeweils 415 Schmitt, Gesetz und Urteil, S.78; vgl. auch !say, Rechtsnorm und Emscheidung, S.358 f. 416 In diesem Sinne Luhmann, Recht der Gesellschaft, S.226 sowie ders., Gerechtigkeit,
S.390 ff. 417 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Kritik von Fischer-LescanoIChristensen, Auctor itatis interpositio, S. 224 f. an einem zu konservativen Luhmann. 418 Vgl. Luhmann, Gerechtigkeit , S. 391, 401 f., 405, 416 f. 419 Allerdings muss ,,[d]as Vertrauensimeresse des Burgers [. . .] als geringfiigig eingestuft [werden], wenn sein Vorgehen wohl der alten Praxis entsprach, aber nach den gewandelten Rechtsanschauungen keine Billigung verdient." Weber-Durler, Vertrauensschutz, S.247 ff.; das Bedurfni s nach berechenbarer Rechtsprechung sieht !say, Rechtsnorm und Entscheidung, S.169 ,,[m]it der Emstehung der kapitalistischen Wirtschaftsord nung" verstarkt . "Die kapitalistische Wirtschaftsfuhrung baut sich auf rein rationalen, d. h. berechenbaren Faktoren auf. Sie bedarf der berechenbaren Arbeitsm ittel ebenso wie berechenbarer Lieferzeiten und Lieferorte. [. . .] Sie hat den Grundsatz der unbe-
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zu sagen: "Recht ist Recht nur am rechten Ort, Recht ist Recht nur zur rechten Zeit. Wer einige Jahre zu friih Recht hat, der hat eben Unrecht."420 Tempora, besser: casus atque mores mutantur et ius mutatur in illis. 421 Man findet fur jeden Kriterienwechsel immer gute Griinde. Der Preis fur eine derzeit angemessenere Rechtsprechung ist jedenfalls allemal ein Stabilitatsverlust, dessen (zumal unbeabsichtigte) Folgen nicht immer absehbar und schon gar nicht immer bedeutungslos sind. 422 Zudem ist es in manchen Fallen sowohl hinsichtlich der Rechtsgrundlage als auch mit Blick auf die Rechtswirklichkeit alles andere als eindeutig, welche Entscheidung nun angemessener sei. Dass Praxiswechsel der Justiz oder der Verwaltung fur die Betroffenen oft die Wirkung eigentlicher Gesetzesanderungen entfalten.i-' bringt auch die Gewaltenteilung de facto zum Verschwinden.v" Jedenfalls erzeugt Recht immer auch Unrecht, jede Unterscheidung einer zusatzlichen Gleichheitslinie schafft neue Arten von Ungleichheit; Freiheit, Gerechtigkeit ist ohne Unfreiheit resp. Ungerechtigkeit in Korrelation nicht zu haben. Ein Wert wachst gleichzeitig mit dessen Unwert.f" "In diesem grundparadoxen, spezifisch rechtsbezogenen Sinne, kommen Recht und Unrecht im gleichen Prozess in der Welt zustande."426 Da fragt man sich: so what? Politik und Gesellschaftstheorie halten den Traum von Verbesserungen wach. Die Frage lautet nur: auf wessen Kosten und zu wessen Gunsten? Parasitar verhalt sich die Politik zweifellos auf Kosten des Rechts, das seinerseits uniibersichtlich anwachsend - wiederum die juristen ernahrt. Die Rolle des Parasiten findet sich letztlich auf beiden Seiren.f" Freilich gebaren die meisten Installationen einer politischen MaBnahme fruher oder sparer die N otwendigkeit ihrer Korrektur. Nicht wirklich unvorhersehbar bewohnt die Unangemessenheit ab initio jedes Konzept einer allgemeinen Steuerung und dessen
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dingten Einhaltung aller Vertrage in einer gegen fruhere Zeiten erheblich starkeren Betonung zur Grundlage des Verkehrsrechts gemacht, urn so das Winschaften moglichst berechenbar zu machen. Sie bedarf zum gleichen Zwecke auch einer berechenbarenRechtsprechung, deren Ergebnisse rnoglichst ebenso kalkuliert werden konnen wie die Ergebnisse von Einkaufen und Verkaufen .' (m.w.H , auf Max Weber und Jeremy Bentham) . Schmitt, Glossarium, S.144 (1. 5.48). Dazu auchAmstutz/Karavas, Rechtsmutation, S.25, 27. "In diesem Sinne motiviert das geltende Recht selbst [. . .J auch zur Ablehnung von Innovation im Interesse der Erhaltung von Stabilitat =Konsistenz =Gerechtigkeit," Luhmann, Recht der Gesellschaft, S.277; kritisch gegeniiber einer als beliebig erscheinenden, reaktiven, situativen Kasuistik Schlink, Abschied von der Dogmatik, S. 159 f. Dazu m.w.H. Weber-Durler, Vertrauensschutz, S. 239 ff. Vgl. hierzu unter sprachanalytischen Gesichtspunkten Niggli/Amstutz, Recht und Wittgenstein IV, S. 161 ff., 167. Vgl. Clam, Grundparadoxie des Rechts, S.130 ff. mit Bezug auf Luhmann. Clam, Grundparadoxie des Rechts, S.133. Vgl. auch Luhmann, Riickgabe, S. 45 ff.
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Gesetz. Die Erfahrung grundsatzlicher Unfahigkeit, in einer komplexen, wechselseitig vielfach verstrickten und verstrickbaren modernen Gesellschaft alle Konsequenzen einer gesetzlichen Intervention absehen zu konnen, hat der Gesetzgeber namentlich im Sozialrecht machen miissen. Sogenannte Missbrauche - ungeplante, perverse Effekte - sind in samtlichen Systemen staatlicher Hilfsprogramme zu beobachten.t" Einmal installiert, sind Korrekturen unvermeidbar und insofern kann die Pflicht des Gesetzgebers zur "Evaluationsretrospektive" sowie die Einrichtung entsprechender Institutionen durchaus auch mit dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung gebracht werden. 429 Nur: ob das zur Nachbesserung der Gesetze empirisch generierte "bessere Wissen" ausreicht, ist keinesfalls garantiert, "Komplexitat erschwert auch die Beobachtung und Beschreibung jedenfalls der Zusammenhange zwischen Ereignissen."430So finden sich denn auch die entsprechenden Wissenseinrichtungen in einem stet en institutionellen und funktionellen Veranderungszwang, Und doch werden sie den je aktuellen Problemzonen stets hinterher hinken, ihnen bestenfalls zufallig zuvorkommen. Sie damit zu beauftragen, das Unerwartete zu erwarten und das Unvorhersehbare vorherzusehen.t" ware wohl nur zum Preis einer zunehmend emotionalen, methodisch jedenfalls problematischen, gar irrationalen Argumentation zu haben.f" Dagegen fiihrt ein wissenschaftlich einwandfreies Konzept politisch-rechtlicher Risikobewaltigung nicht mehr aus dem einmal angestolienen Zirkel "success through failure"433 hinaus.
428 Vgl. Ladeur, Risiko Sozialstaat, S. 83 f. 429 So Ladeur, Risiko Sozialstaat, S. 84 f., 87. 430 Ladeur, Risiko Sozialstaat, S. 84. 431 Andeu tungsweise und unter Hinweis auf die Paradoxie Ladeur, Risiko Sozialstaat, S.87. 432 Man vergleiche nur die widerspriichlichen Klimaprognosen (angefangen bei den divergierenden Meinungen tiber die unmittelbaren Klimafolgen eines Temperaturanstieges) und gewisse Vorschlage zur Verhinderung bzw. Verlangsamung des Klimawandels, tiber dessen Ursachen unter den Forschern und Wissenschaftlern ebenso wenig Einstimmigkeit herrscht wie tiber seinen tatsachlichen Verlauf und die konkreten regionalen Auswirkungen. Zum Ganzen nur Lomborg, Cool it! 433 Ladeur, Risiko Sozialstaat, S. 87 mit Verweis auf H . Petrowski.
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§ 5 Gerechtigkeit: Eine Frage der Begrlindung? I. Urteilsrhetorik und simulierte Polykontexturalitat Dass die Norm dieses und jenes zum Ausd ruck bringe, ist eine typische Diktion bei Urteilsbegriindungen. Je nach Norm und Bedarf werden andere Systemrationalitaten und deren Diskurse wie beispielsweise diejenige der Wirtschaftsfreiheit, gar der Politik (z. B. Staatsrasonj.t" der Meinungsaullerungsfreiheit, Niederlassungsfreiheit oder sozialen Verpflichtung des Eigentums mobilisiert - um nur einige grobe Metasprachen der (Gesellschafts)Verfassung zu erwahnen -, damit den fraglichen Interessen der Durchbruch gelinge. So wird im konkreten Anwendungsfall die einschlagige (gesetzliche und/oder vertragliche) Norm in grammatikalischer, histori scher, systematischer, meist aber teleologischer Auslegung (der beliebtesten, da anpassungsfahigsten Methoder'" immer auf einen bestimmten Kontext bezogen, nach dessen spezifischer Logik der jeweilige Fall dann auch entschieden werden kann. Auslegungsmethoden bieten letztlich rhetorisch-argumentative Mittel fur eine bestimmte Recht sdurchsetzung.P" Der konkrete Inh alt des fraglichen Normtextes wird scheinbar 434 Vgl. die differenzierte Kritik hierzu bei Mallers, Staat als Argument. 435 Kritik an ihr iibte bereits Savigny, der gemeinhin als Referen z fur die klassischen Auslegungsregeln gilt. Vgl. Kramer,juristische Methodenlehre, S. 50 und Muller/Christensen, Juristische Methodik, Rz .92. Savigny hat die Interpretationsregeln jedoch prirnar fur das Privatrecht, nicht aber fur die Rechtstexte des Staats- und Verwaltungsrechts formuliert. Deren Offenheit verm ag insbesondere die teleologische Methode nicht mit einer ausreichenden (einschrankenden) Magstablichkeit zu begegnen - im Gegenteil. Muller/Christensen, Juristische Methodik, Rz.90, 95 ff.; die teleologische Au slegung sei eine "nicht unproblematische Rechtsfortbildungsfigur, [ ] [die] sich eignet, sehr weitgehende richterliche Rechtsfortbildung zu kaschieren [ ]." So Biaggini, Verfassung und Richt errecht, S. 83m .w.N.; vgl. auch Hassemer, Juristische Methodenlehre, S.10f. 436 Sie helfen den urteilenden Richtern angesichts der unterbestimrnten Norm Ungewissheit in Gewi ssheit zu iiberfiihren und bieten insofern Entparadoxierungshilfe. In diesem Sinne Ladeur/Augsberg, Auslegungsparadoxien, S.151; vgl. auch Dedeyan, D ie richterliche Entscheidung, S.232 und Wieacker, Romische Rechtsgeschichte. Erster
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Gerechtigkeit: EineFrage der BegrOndung? durch eine der etablierten Methoden entdeckt, dabei deckt sie nur nachtraglich das ihm zu vor unterschobene Normverstandnis, begriindet gleichsam das Vorverstandnis - ein vielfach unbewusst, quasi unwillkiirlich vorhandenes Vorurteil - gegeniiber dem Normtext bzw. dem ihm zugrundeliegenden Fall.437 Auf diese Weise werden Sprachspiele geschaffen. Das Argumentarium der jeweiligen Methode dient nicht der Urteilsfindung - diese ist ein Vorurteil-, soli dies in der Begriindung aber behaupten, urn letzteres zu kaschieren. Die regelmaBig wiederkehrenden gleichen Formen der anerkannten Methoden erinnern an jenen Blumenschmuck, der jeweils die Biihne bei Festreden ziert, Ihre Verpackungskunst sorgt fiir den passenden Schein, verzaubert das Publikum, verschafft ihm die Illusion einer schonen Ordnung. Die Methode bildet so gleichsam den notwendigen Schmuck, der allein erst Recht und Ordnung (vielmehr: "law as order!") herstellen kann .438 Die alten Griechen miissen von diesem Zusammenhang gewusst haben; waren fur sie doch Schmuck und Ordnung im Begriff des Kosmos einerlei. Und in der Tat: ein Gerichtsurteil kommt nicht darum herum, jeden Fall in einen vertrauten rhetorischen Kosmos einzuarbeiten bzw. einzuwickeln, der aufgrund seiner Bewahrtheit zum selbstverstandlichen und insofern iiberzeugenden Stil, dem Decorum (qua gebrauchlich populare Dekoration) geworden ist. 439
Abschnitt, S.665 . Freilich lasst sich iiber die Qualitat des Methodischen diskutieren. Insbesondere das teleologische Auslegungsmoment - qua "Sinn und Zweck" - ist kaum mehr Methode, visiert vielmehr bereits ein bestimmtes Ergebnis an. Midler/ Christensen, Juristische Methodik, Rz. 363 f.; auch die anderen Auslegungsmethoden bieten keine sicheren Malistabe: "Was ist ein textuelles Argument, also eine grammatikalische Auslegung? Historische Auslegung: Wenn wir keinen Konig mehr haben , der einen Willen hat, wie kann das iiberhaupt gehen? Systematik: Wenn die Kontexte unendlich sind, wo kann ich Grenzen ziehen? Was mache ich bei Konflikten zwischen Argumemformen? Das ist ein Berg von sprachphilosophischen Problemen mitten in der Praxis ." Christensen, in: Christensen/Muller/Patterson/Sokolowski, Gesprach, S.147; vgl. auch Amstutz/Niggli, Recht und Wittgenstein III; zur Rhetorik in der Auslegung umfassend Gast, Juristische Rhetorik, Rz . 134 ff. Zum Einfluss der Rhetorik auf die Gesetzes - bzw, Vertragsauslegung im rornischen Recht der Republik differenziert Wieacker, Rornische Rechtsgeschichte. Erster Abschnitt, S. 669 ff. 437 "Das bedeutet, dass die juristische Methodenlehre eine Lehre nicht des Findens, sondern des Begriindens von richterlichen Entscheidungen unter dem Gesetz ist." Hassemer, Juristische Methodenlehre, S. 19. Zur Methode klassisch Gadamer, Wahrheit und Methode, S.270ff., 299 f.; vgl. bereits Heidegger, Sein und Zeit, §32 (S.148ff.). Die "Auslegung [. . .J griindet in einem Vorgriff Die Auslegung von Etwas als Etwas wird wesenhaft durch Vorhabe, Vorsicht und Vorgriff fundiert. Auslegung ist nie ein voraussetzungsloses Erfassen eines Vorgegebenen. Wenn sich die besondere Konkretion der Auslegung im Sinne der exakten Textinterpretation gem auf das beruft, was .dasteht', so ist das, was zunachst .dasteht', nichts anderes als die selbstverstandliche, undiskutierte Vormeinung des Auslegers, die notwendig in jedem Auslegungsansatz liegt als das, was mit Auslegung iiberhaupt schon .gesetzt', das heilit in Vorhabe, Vorsicht, Vorgriff vorgegeben ist." (ebd., S. 150). 438 Wenig erfreut iiber diesen Schmuck und seine Mogelei zeigen sich Niggli/Keshelava, Recht und Wittgenstein VI, S. 142. 439 Zum Decorum konzis Steinhauer, Das rhetorische Ensemble, S.132; ausfiihrlicher ders., Bildregeln, § 4 I und II (S. 228 ff., 243 ff.).
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Urteilsrhetorik und simulierte Polykontexturalitat
Oder wie waren Emscheidungen unter Beriicksichtung von PolykontexturaIitat noch moglich? Urteilsfindungen im polykontexturalen Raum miissen diesen ignorieren, wollen sie zum Abschluss kommen.i" Die Riicksicht auf aIle involvierten sozialen Rationalitaten verunmoglichte zuletzt eine pragmatische Beilegung des Konflikts . So wiirden die das Gericht unterstiitzenden, wissenschaftlichen Berater am Ende nur zu Promotoren eines endlosen Diskurses urn die erneute Abwagung der einmal vorgenommenen Abwagung, Reevaluation des bereits Evaluierten und mithin zum Anstof des "ewigen Gesprachs" (Schmitt), das jede Emsche idung ad absurdum fiihrte bzw, wiederholt in Revision zoge. Nicht zuletzt deshalb ist ein juristisches Urteil als solches nicht darum verbindlich, weil es etwa ausgewogen genug begriindet worden ware - was je nach Perspektive und Urteilsausgang eben stets umstritten bleibr -, sondern weil das zustandige Gericht formell korrekt entschieden hat. Auctoritas non veritas facit legem, [autet in diesem Zusammenhang der von Carl Schmitt wiederholt bei Thomas Hobbes entlehnte Grundsatz, der im Blick auf die auch in nachkonfessionellen Zeitaltern unbandigen Glaubens kampfe sowohl die Dringlichkeit als auch die Vorziige des Positivismus in Erinnerung ruft."! Es gibt keine alles iiberblickende Sicht, die beurteilen konnte, ob eine Entscheidung der stets vielfaltigen Wirklichke it gerecht geworden sei oder nicht. So kann auch ein sehr umsichtiger Richter immer nur seine personliche Universalkontextur entwerfen, die als Begriindung zwar nach verschiedenen Seiten Referenz nimmt und damit polyvalente Anschlussfahigkeit suggeriert, fur den Entscheidungsvorgang selbst jedoch keinerlei Relevanz besitzt, Sie diem einzig als rhetorisches Tauschungsmanover, das aber durch geschicktes "Zusammenhangen " der involvierbaren Interessen immerhin deren umfassende Beriicksichtigung simuliert, derweil das Urteil selbst lediglich eines einzigen, beliebig bestimmbaren Kriteriums bedarf. 442 Besser noch : Ein Urteil kann iiberhaupt nur aufgrund eines einzigen Unterscheidungsmomems zustande kommen, weil erst der ausschlieBliche Einsatz eines isoliert en Kriteriums die jeder Konflikrw irklichkeit inharenten, diffusen Mehrwertigkeiten durch einen entscheidbaren zweiwenigen Zusammenhang (Ja/Nein), eine Mono-Kontex-
440 Sie gelingen somit nur aufgrund kognitiver Einschrankung. Vgl. dazu Steinhauer, Regel und Fiktion, S. 133 und zur Funktion der kognitiv en Einschrankung hinsichtlich der Regelbildung ebd., S. 136 H. 441 Dazu sehr konzis Bockenforde, Sicherheit und Selbsterhaltung vor Gerechtigkeit. In der Tat hat die Schriftlichkeit des gesetzten Rechts das Gesprach letztlich von neuem eroffnet; denn Texte sind gesprachig, semantisch kaum einzufangen. Vgl. dazu FischerLescano/Christensen, Auctoritatis interpositio, 442 Mit Zweifeln an den Moglichkeiten einer rhetorischen Integration Haltern, Integration als Mythos, S.60 H. m.w.H. don.
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Gerechtigkeit: EineFrageder BegrOndung?
ruralitat also, zu ersetzen verrnag .v" Letztere wiederum braucht nicht einmal unter den aufgefuhrten Argumenten zu figurieren; muss von jenen vielmehr iiberspielt und invisibilisiert werden, falls ihre konkrete Ankniipfung beispielsweise als unzulassig diskriminierend bewertet werden konnte. Solche Tatsachen der Rechtswirklichkeit gesteht der Begriindungsbetrieb freilich selten ein. Man wiirde es von ihm auch nicht erwarten; ist es doch vielmehr seine Aufgabe, den Parteien iiberzeugend nachzuweisen, "dass und weshalb die Entscheidung dem geltenden Recht entspricht.Y" In Anbetracht fallweise gar etlicher verfiigbarer Normen stellt denn die Bezugnahme auf konkrete Rechtssatze, auch unter Beriicksichtigung ihrer hierarchisch und/oder kollisionsdogmatisch unterschiedlichen Relevanz, kein gro6es Problem dar. "Rechtsfalle sind heute, wie jeder Jurist aus Erfahrung wei6, nicht normativ unterdeterminiert, sondern iiberdeterminiert. "445 In diesem Zusammenhang liefert der Fall VgT vs. Schweizerische Post ein einschlagiges Beispielrr" Ein Verein gegen Tierfabriken (VgT) iibergab der Schweizerischen Post Ende 1999 Informationsmaterial als unadressierte Massensendung zwecks Verteilung an die Haushalte. Aufgrund des gegeniiber der landwirtschaftlichen Tierhaltung sehr kritischen Inhalts weigerte sich die Post, unter Hinweis auf die gefahrdeten Geschaftsbeziehungen mit den Landwirten, Transport und Auslieferung dieser Drucksache zu iibernehmen, wogegen der VgT Klage erhob. Die Post kann sich im Zusammenhang mit der Postgesetzgebung darauf berufen, dass sie im Bereich der unadressierten Massensendungen wie ein privater Anbieter auftrete und zur Erbringung der entsprechenden Dienste berechtigt, nicht aber verpflichtet sei. Eine Beforderungspflicht Iasst sich also von Verwaltungsrechts wegen nichr konstruieren. Offensichtlich hielt es das Bundesgericht aber fur angezeigt, der Post - gegen den Willen des Ge443 Zuviel Information vernichtet den Informationswert und damit dessen Entscheidrelevanz, vgl. Dedeyan, Macht durch Zeichen , S. 40, 38 sowie ausfuhrlich dens., Die richterliche Entscheidung, S.228 ff. 444 Pawlowski, Methodenlehre fur juristen, S. 73 (Rz. 136); vgl. auch dens., Die Rechtsphilosophie in der Juristenausbildung heute , S. 241 sowie dens., Dberlegungen zur Gerechtigkeit des Rechts, S. 149 ff. oder Walter, Methodenpluralismus, S. 165 f.; zur entsprechenden Rechtsarbeit qua Zurechnungstechnik umfinglich Muller/Christensen, Juristische Methodik, etwa Rz, 1,4,531,534 et passim . 445 Siehe Teubner, Konsens , S. 202 (und dessen Fallbeispiele davor) : "Fur jeden unserer drei Falle stehen eine Unmenge von einschlagigen Normmaterien, Rechtsprinzipien, policies bereit, die es gegeneinander abzugrenzen, zu prioritisieren, abzuwagen, zu harmonisieren gilt. In Boxberg war dies Baurecht, Gewerberecht, Landschaftsschutz, Enteignungsrecht, im Jansen-Fall Gesellschaftsrecht, Umweltrecht, Aufsichtsrecht [.. .]. Fur solche Kollisionssituationen muss das Recht mit neuen Normierungen antworten, die nicht allgemein programmierbar sind . Und mindestens in Bezug auf solche Normkonflikte, die in unvorhersehbarer Weise in neuen Einzelfallkonstellationen anfallen, ist Richterrecht notwendig und irreversibel." 446 Vgl. auch im Folgenden BGE 129 III 35.
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Die begrenzten Unmoglichkeiten vieldeutigen Rechts
setzgebers - gerade in diesem Fall eine Transportpflicht zu auferlegen, weil zum damaligen Zeitpunkt scheinbar noch keine tauglichen, ahnlich effizienten Versanddienste als Alternative zur Post verfiigbar waren.r" Das Gericht hat in seiner Begriindung schlieillich auf die privatrechtliche Generalklausel der guten Sitten zuriickgegriffen, urn mit ihrer Hilfe zulasten der Post eine Kontrahierungspflicht zu statuieren.t" Wie verschiedene Autoren dargelegt haben, harte sich das Gericht statt der reichlich abstrakten guten Sitten hierfiir auch einer analogen Anwendung des (mit Blick auf die marktbeherrschende Stellung der Post) naheliegenderen Kartellrechts.r'? des Personlichkeitsrechts (aufgrund des Boykottes eines unliebsamen Querkopfes in der Person des Prasidenten des VgT, was einer Personlichkeitsverletzung nach Art. 28 ff. ZGB gleichkame)450 oder unter Umstanden gar der grundrechtlichen Meinungsund Informationsfreiheit, welche die Post als staatliches U nternehmen trotz Teilprivatisierung weiterhin harte garantieren miissen.t" bedienen konnen. 452 Fur eine Abweisung der Klage des VgT hatten freilich mit dem Postgesetz die wohl einschlagigsten Rechtsnormen zur Verfiigung gestanden . Die Tatsache, dass das Gericht zur Entscheidung des Falles - noch dazu in sehr grofsziigig konstruierender Manier - die allgemein-polyvalenten guten Sitten zum Einsatz gebracht hat,453 kommt den Vertretern einer neuen Freirechtsschule entgegen. Konnen doch allgemeine Generalklauseln, Rechtsprinzipien und offene Rechtsbegriffe jenen freien Konstruktionen zugunsten einer Verwirklichung von Polykontexruralitat im Recht zweifellos besser dienen, als diesbeziiglich vielmehr hinderliches, weil allzu konkret-detailliertes und somit unflexibles N ormmaterial.454
II. Die begrenzten Unmoglichkeiten vieldeutigen Rechts Indem sie bei ihrer Tatigkeit methodisch einen pragmatischen Pluralismus walten Iasst, raumt die Entscheidbehorde nolens volens ein, dass nur viele 447 Vgl. BGE 129 III 46, Erw. 6.4. 448 BGE 129 III 42 ff., Erw. 6.2; rundum zufrieden mit dieser Wahl sind Amstutz/Abegg/ Karavas, Soziales Vertragsrecht, 449 Vgl. nur den Hinweis von Gauch, Vorwort, S. 2. 450 So ausftihrlich Bucher, Nicht "Kontrahierungspflicht" - schon eher Schutz vor Boykott, S. 107 f.; vgJ. auch Hangartner, Bemerkungen, S. 693. 451 In diesem Sinne Hangartner, Bemerkungen, S. 692 f. 452 VgJ. auch Gauch/Schluep/Schmid/Rey, Schweizerisches Obligationenrecht, Bd.l, Rz.I114ff. (1115a)(S.236 f.). 453 Deren gesetzliche Grundlage Art. 19/20 OR statuiert lediglich ein Verbot sittenwidriger Vertrage, nicht aber ein sittliches Gebot zum Abschluss von Vertragen, Jedem Rechtspositivisten miissen sich somit die Haare strauben. 454 Vgl. Amstutz/ Abegg/Karavas, Soziales Vertragsrecht, passim.
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Gerechtigkeit: Eine Frage der BegrOndung?
Wege das jeweils "angemessene" Ziel offen halten konnen, Der ziemlich unangefochten herrschende Methodenpluralismus gewahrt ihr heute oft auch bei nur einer einzigen einschlagigen Norm (je nach Normdichte) einen ansehnlichen Beurteilungs- und Erwagungsspielraum (wobei bekanntlich selbst die Normdialektik als ein Umschlagen der Bestimmung in ihr Gegenteil nicht mehr auszuschliellen ist);455 da muss man gar nicht mehr auf auBerrechtliche Philosophien Bezug nehrnen.t'" Naturrechtliche Renaissancen sind also keineswegs norwendig.i" Sie sind systemtheoretisch gesprochen ohnehin unmoglich; miissten sich vielmehr als systemgefahrdend erweisen. "Das System reproduziert sich selbst in rekursiv-geschlossenen Operationen, indem es auf Grund von normativem Sinn normativen Sinn erzeugt. Es kann normative Qualitat nicht aus der Umwelt beziehen (es gibt kein Naturrecht) [...]."458 Es ist die Sprache des Systems, welche gleichsam fur dessen Offenheit gegenuber der Umwelt sorgt.i" Die zwecks Generalisierungsfahigkeit zwangslaufig abstrakten Rechtsbegriffe erlauben aufgrund ihrer semantischen Dynamik bekanntlich eine gewisse Grollzugigkeit bei der Subsumtion von Fallen, womit nicht selten auch ein Ereignis im scheinbar rechtsfreien Raum unter die Fittiche einer bestimmten Norm gerat; und wenn es dazu der Hilfe durch die Fangarme einer Verfassungsnorm bedarf.460 Grundrechte und Generalklauseln 455 VgI. soeben BGE 129 III 35 hinsichtlich der Art. 19120 OR, Fn . 453. Zum Methodenpluralismus vgI. das Schweizerische Bundesgericht in BGE 121 III 219, 225 mit Verweisen auf BGE 114 V 219 E. 3a 5.220, BGE 110 Ib 1, 5.8 sowie jiingst bestatigt in BGE 123 III 24, 26 und BGE 124 III 266, 268; vgI. auch Walter, Methodenpluralismus, sowie Ogorek, Der Wordaut des Gesetzes. 456 Wogegen Pawlowski, Rechtsphilosophie, 5.245 ff. iiberzeugend argumentiert; zugunsten einer Aufwertung inspirativer subsid iarer Rechtsquellen und deren offenen Anerkennung im Sinne einer Methodenehrlichkeit Bucher, Rechtsiiberlieferung und heutiges Recht, 5.450 ff., 518 f., 538. 457 Auch nicht im Volkerrecht, das neben der Staatenpraxis fur die Richter noch eine Reihe allgemeiner Rechtsgrundsatze bzw, Normen des ius cogens bereithalt, welche - ihrer reichen Semantik wegen - aus sich selbst ableitungs- bzw. auslegungsfiihig sind. Anders Kokott, Naturrecht und Positivismus im Volkerrecht, etwa S. 12. 458 Luhmann, Riickgabe, 5.27. 459 Insofern bleibt das Recht - unterstiitzt durch die vielseitigen Auslegungsmethoden auch durchaus aufmerksam (kognitiv offen) nichr nur gegeniiber der Politik (qua Gesetzgebung), sondern auch in Bezug auf andere gesellschaftliche Subsysteme wie Wirtschaft, Familie, Erziehung, Wissenschaft etc. Anderer Ansicht Amstutz, Der Text des Gesetzes, 5.273 f. sowie ders., Sprachlosigkeit, 5.55 f. 460 1m Rahmen der verfassungskonformen Auslegung einfachgesetzlicher Normen werden Verfassungsnormen schnell zu polyvalenten Auffangnormen, die sowohl ihrer thematischen als auch semantischen Vielfalt wegen fast jede Entscheidung moglich machen konnen. Man nehme also eine geeignete Gesetzesnorm und richte sie teleologisch auf eine passende Verfassungsnorm aus, und schon erhalt man die gewiinschte, noch dazu methodisch gerechtfertigte Entscheidung. VgI. hierzu NigglilKeshelava, Recht und Wittgenstein VI, S. 143ff.
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Die begrenzten Unmoglichkeiten vieldeutigen Rechts
(am Bekanntesten: das Verbot der Sittenwidrigkeit oder Handeln nach Treu und Glauben) bilden so gewissermaBen die Nachfolger des Naturrechts."! Entsprechend haben denn auch gerade letztere "keinen bestimmten Inhalt, sondern sind loci fiir die gesellschaftlich-rechtliche Debatte."462 Nach Teubner "kann man die Grundrechte der Verfassung und die Generalklauseln des Privatrechts als Kollisionsnormen kennzeichnen, in denen die eindimensionale Universalitat der Politik oder die der Wirtschaft durch den Einbau von polykontexturalen Elementen korrigiert wird. "463 In der Tat statuieren neuere Verfassungen zunehmend selbstbeziigliche Generalkompetenzen in Gestalt relativ unumschrankter Geltungsanspriiche fiir die eigenen Grundrechtsbestimmungen: Grundrechtsverwirklichungsklauseln nennt sie die Lehre.t'" Verfassungsinhalte sollen demnach unter Umgehung des sich oft selbst behindernden Gesetzgebers auf bessere Realisierungschancen in den Handen der Rechtsprechungs- und Rechtsanwendungsbehorden hoffen diirfen ;465 obwohl tiber die Giiltigkeit jener VerfassungsverheiBungen dort 461 Schroder, Gerechtigkeit, S.21; Luhmann, Verfassung, S.187; ein Ruckgriff auf Naturrecht lasst sich dann nicht vermeiden, wenn man, wie bei den sogenannten "Mauerschiitzenprozessen", den SchieBbefehldes DDR-Rechts nachtraglich als Unrecht sanktionieren will. Dazu dient in diesem Fall die Radbruchsche Forme! von 1947, hat doch "der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein [.. .J unertragliches MaB erreicht ." Damit wurde se!bst das fundamentale Rechtsprinzip des Riickwirkungsverbots erfolgreich umgangen. Vgl. Schroder, Gerechtigkeit, S. 29 f. sowie Radbruch, Rechtsphilosophie, S.216; vgl. auch ausfiihrlich Amstutz, Rechtsgenesis, S. 128 ff., 141 ff., der dem Problem des "retroaktiven" bzw. transitionalen Rechts, anlasslich des Nurnberger Prozesses, mit Hilfe "latente[rJ Erwartungen [...J als Aktanten des Rechts" zu Leibe riickt (144). 462 Teubner, Die zwei Gesichter des Janus, S. 210; Luhmann weiterfiihrend sieht Amstutz, Sprachlosigkeit, S.64 im Gesetz insofern "eine strukturelle Kopplung zwischen Rechtssystem und anderen Sozialsystemen [...J. Aus dem gesellschaftlichen Rauschen [.. .J filtert es Gerausche heraus, so dass das Recht sie .horen' kann, und blockt andere ab ouo
ab."
463 Teubner, Altera Pars Audiarur, S. 216. 464 Vgl. Haberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, S.392 ff., 408 sowie fur die Schweiz Art . 35 Abs. 1 und 3 BV. 465 Vgl. dazu etwa fur Deutschland BVerfGE 34, 269, 286£. (Soraya): "Die traditionelle Bindung des Richters an das Gesetz, ein tragender Bestandteil des Gewaltentrennungsgrundsatzes und damit der Rechtsstaatlichkeit, ist im Grundgesetz jedenfalls der Formulierung nach dahin abgewandelt, daB die Rechtsprechung an ,Gesetz und Recht' gebunden ist (Art. 20 Abs. 3). Damit wird nach allgemeiner Meinung ein enger Gesetzespositivismus abgelehnt, Die Formel halt das Bewufltsein aufrecht, daB sich Gesetz und Recht zwar faktisch im allgemeinen, aber nicht notwendig und immer decken. Das Recht ist nicht mit der Gesamtheit der geschriebenen Gesetze identisch . Gegenuber den positiven Satzungen der Staatsgewalt kann unter Umstanden ein Mehr an Recht bestehen, das seine Quelle in der verfassungsmafsigen Rechtsordnung als einem Sinnganzen besitzr und dem geschriebenen Gesetz gegenuber als Korrektiv zu wirken vermag; es zu
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Gerechtigkeit: Eine Frage der BegrQndung?
ebenfalls nicht minder tiickische "Spielregeln" einer niedereren rechtshierarchischen Ebene - die Maiistabe und Vorschriften des Verfahrensrechts (man denke nur an die gerichtlichen Zugangsbeschrankungen und Formalitaten der Beweisfuhrung) - entscheiden.r" Insofern sich die Hermeneutik im allgemeinen Trend einer "objektiven Verwertung" der Grundrechte letzterer in umfassender, zumal teleologischer Auslegung angenommen hat, diirfte "Philosophie" mittlerweile durchaus Eingang in die dogmatische Grundrechtserorterung gefunden haben und sich in diesem Zusammenhang auch ganz legal unter die eine oder andere Urteilsbegriindung schleichen."?
finden und in Entseheidungen zu verwirkliehen, ist Aufgabe der Reehtspreehung. [. . .J Riehterliehe Tatigkeit besteht nicht nur im Erkennen und Ausspreehen von Entscheidungen des Gesetzgebers. Die Aufgabe der Reehtsprechung kann es insbesondere erfordern, Wenvorstellungen, die der verfassungsmaiiigen Reehtsordnung immanent, aber in den Texten der geschriebenen Gesetze nicht oder nur unvollkommen zum Ausdruek gelangt sind, in einem Akt des bewertenden Erkennens, dem auch willenhafte Elemente nicht fehlen, ans Licht zu bringen und in Entscheidungen zu realisieren." Diese grundgesetzliche Bindung der Rechtsprechung an Gesetz und Recht erklart sich aus der historischen Erfahrung mit einem "Unrechts"Gesetzgeber (namentlich gegeniiber der jiidischen Bevolkerung in den Dreiliigerjahren des 20.Jahrhunderts). Ein solches Misstrauen gegeniiber dem Gesetzgeber kennt die schweizerische Verfassungsordnung nichr; sie verfiigt vielmehr eine strenge Gesetzesbindung (auch gegen moglicherweise abweichendes Verfassungsrecht, nichr aber hoherrangiges Volkerrecht), vgl. Art . 190 BV und dazu differenziert Tschannen, Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft, § 8 RN 6 ff. sowie § 9 RN 23 ff. sowie Peters!Pagotto, Das Verhaltnis von Volkerrecht und Landesrecht in der Schweiz. 466 Vgl. Luhmann, Riickgabe, S. 10f. (mit Hinweisen auf Douglas R. Hofstadter's "strange loop" und "tangled hierarchies"); siehe auch Teubner, Recht als autopoietisches System, S.9f. 467 "Auf jeden Fall sind Topoi aus dem Umkreis von .Teleologien' , die als .Sinn', ,Zweck', .Funktion' oder als was auch immer mit Hilfe der sonstigen Konkretisierungselemente gerade nicht zu gewinnen sind und die daher zusatzlich posruliert werden, seit langem zu einem bevorzugten Instrument juristischen Ergebnisdenkens geworden ." Muller! Christensen, Juristische Methodik, Rz. 582.
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§ 6 Zwischen Explikation und Oberzeugung: zur rhetorischen Verfassung der Offentlichkeit I. Symbolische Politik Der Versuch einer tiefer schurfenden Grundlegung dogmatischer Positionen sowie die Tatsache, dass an Begriindungen gerade im forensischen Prozess hohere Anforderungen als friiher gestellt werden, ist wohl in Verbindung mit einem generell gesteigerten Erklarungsbediirfnis zu sehen. In einer Welt, in der sehr viel weniger als auch schon "selbstverstandlich" genannt werden kann und die Forderung nach kultureller, geistiger, gar lebensweltlicher "O ffenheit" zu einem gesellschaftsdominanten Dauerdogma geworden ist, Identitaten folglich des steten Aufbruchs bediirfen und Veranderung als einzige Konstante erscheint, ist an eine schnelle Dberzeugung der Urteilsunterworfenen nicht mehr zu denken. Von der schwindenden Selbstverstandlichkeit sind mehr und mehr auch die staatlichen Behorden betroffen. 1m Rahmen eines allgemeinen Effizienzzwanges geraten auch sie unter zunehmenden Rechtfertigungsdruck. Es scheinen allerdings die fraglichen Verwaltungseinheiten hinsichtlich ihrer Selbstrechtfertigung durchaus eine gewisse Profe ssionalitat enrwickelr zu haben. Unzweifelhaft besteht der Inhalt eines jeden "institutional memory" gerade auch darin, dass die Reprasentanten einer Einheit iiber das Argumentarium ihrer Daseinsberechtigung verfiigen. Politisch gewagte Forderungen nach einer Reduktion oder gar Einstellung ihrer Arbeit vermogen sie nicht selten, iiber das Ingangsetzen einer wirksamen, meist medial inszenierten Emporungsmaschinerie und unter dem Titel des "offentlichen Interesses" bzw. "service public", im Keirn zu ersticken oder wenigstens nur in stark redimensionierter Form zur Ausfiihrung zuzulassen. Mit Blick auf den konkreten Aufgabenbereich und insbesondere die dahingehcnd real erbrachten Leistungen besagter Institutionen - eine Kosten-/Nutzenanalyse, welche unter dem heutzutage wichtigen Kriterium der Wirtschaftlichkeit kein Politiker ignorieren darf - wird meist die Verrnutung zur Gewissheit, dass deren Funktion mehr in einer symbolischen denn instrumentellen Wirksamkeit besteht, Dies hat im Wesentlichen mit der systerntheoretisch veranschaulichten Erkenntnis zu tun, dass Systeme - wie hier die Politik 101
Zwischen Explikation und Oberzeugung: zur rhetorischen Verfassung der Offentlichkeit
bzw. Verwaltung oder das Recht - andere Systeme (erwa Wirtschaft, Forschung, Erziehung, Religion oder Kunst) nur sehr begrenzt und jedenfalls nicht direkt auf beliebige Ziele hin zu steuern verrnogen.v" Nicht dass nun aber diese Einsicht geeignet ware, die Tatigkeit bestimmter staatlicher Amter in Frage zu stellen. Einerseits stellen diese bekanntlich mehr und mehr auf Kooperation mit den "angesteuerten" Systemen um 469 und andererseits bleibt die Erfahrung der Wichtigkeit von Symbolik bestehen, werden doch gerade urn Symbole die intensivsten Kampfe gefiihrt."? Als symbolisch sind diejenigen Aktionen und Handlungen zu bezeichnen, welche lediglich in Erinnerung halten konnen, dass in den jeweiligen Bereichen "in bestimmter Richtung erwas unternommen werden miisste", was aber moglicherweise die Instrumente eines liberalen Rechtsstaates nicht zulassen oder was mit ihnen nicht zielfiihrend ware."? Bekanntlich durfen sich aber Politik und Verwaltung - abgesehen von rein symbolisch-rhetorischen Selbstinszenierungen zur Manifestation ihrer grundsarzlichen Bewaltigungsbereitschaft - nicht mehr am Recht vorbei entfalten. So verfiigen Institutionen wie Gleichstellungsbiiros (erwa fur Frauen gegeniiber Mannern oder fiir Menschen mit Behinderung gegeniiber Menschen ohne Behinderung), Antirassismuskommissionen oder der Integrationsbeauftragte oft nur iiber sehr eingeschrankte Mittel und juristische Moglichkeiten, ihre Ziele zu erreichen.f? Dementsprechend sehen sie ihre Aufgabe denn auch vornehmlich in einer mentalen "Sensibilisierung" der Offentlichkeit durch geeignete, medial verbreitete Aktionen und Appelle. Es geht zweifelsohne urn die Herstellung bestimmter Vorstellungen. Denn just in einer Dernokratie - deren "gedankliche
468 Siehe Luhmann, Soziale Systeme, S. 579; dens., Gesellschaft, S. 789 f. 803 ff.; dens., Politik der Gesellschaft, S. 109 ff.; Willke, Ironie des Staates, S.345 meint dazu: "Der Kern des Problems ist die Unwahrscheinlichkeit gelingender Kommunikation zwischen autonomen, selbstreferentiell operierenden Einheiten."; vgl. auch die Aufsatze in: Grimm (Hrsg .), Wachsende Staatsaufgaben - sinkende Steuerungsfahigkeit des Rechts, und klassisch zum Politik- bzw. Staatsversagen Humboldt, Ideen zu einem Versuch, die Granzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen . 469 Zum Ansatz des "Public Private Partnership" SchedlerlProeller, New Public Management, S. 204 ff.; vgl. unter diesem Gesichtspunkt auch das Konzept des Gewahrleistungsstaates ebd., S. 33 ff. sowie konzis Lienhard, Grundlagen, S. 51 f.; in diesen Zusammenhang gehoren auch die Diskussionen rund urn die Privatisierung von Staatsaufgaben. Vgl. etwa zur AusgliederunglAuslagerung von Verwaltungsaufgaben Lienhard, Grundlagen, S.391 ff.; zur Kooperation zwischen verschiedenen Gemeinwesen wie Bund und Kantonen vgl. nur die Zunahme entsprechender Kooperationsnormen (geteilte Kompetenzen) in der BV. 470 Ausfuhrlich dazu Noll, Symbolische Gesetzgebung, S. 349 ff. 471 Noll (Symbolische Gesetzgebung, S. 360 ff.) spricht mit Konrad Lorenz von Ersatzreaktionen; vgl. auch Wenger, Symbolische Gesetzgebung. 472 Vgl. Wenger, Negative ]urisprudenz, S. 26 ff.
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Symbolische Politik
Voraussetzung [...J der Relativismus ist"473 - muss man den Diskurs, den man beherrschen will, selbst herstellen. Insofern sind die genannten Institutionen eigentliche Diskursfabriken.f" Gewiss: die verfiihrerische Begrifflichkeit ihrer N amen schiirt mitunter viel zu hochtrabende Erwartungen. Aber abgesehen davon scheint es wie erwahnt mehr und mehr auch zu den Aufgaben der Verwaltungsbehorden zu gehoren, die Bevolkerung - etwa im Rahmen von New Public Management - iiber die Notwendigkeit sowohl der ausgefiihrten Arbeit als auch der Art und Weise ihrer Erledigung aufzuklaren, wobei Information und Erziehung Hand in Hand gehen und letzteres selbstverstandlich mit ersterem ummantelt wird .475 Es gerat also das urspriinglich zwecks einer Leistungskontrolle der Verwaltung durch die politische bffentlichkeit konzipierte New Public Management seinerseits zu einem wichtigen Mittel in den Handen der Verwaltung selbst, welches ihr sowohl zur Selbstdarstellung als auch zur Aufklarung der Offentlichkeit dient.f" So gewinnen bestimmte Absichten in der Realitat ihre Ambivalenz, verkehren sich gar in ihr Gegenteil und zeugen damit von der Dialektik des Handelns.
473 Rawls, Politischer Liberalismus, S. 106. 474 Hier lohnt es sich, Walter Lippmann, Public Opinion, S. 158 zu zitieren, der bereits
1922 schrieb : "The creation of consent is not a new an . It is a very old one which was supposed to have died out with the appearance of democracy. But it has not died out . It has, in fact, improved enormously in technic, because it is now based on analysis rather than on rule of thumb. And so, as a result of psychological research, coupled with the modern means of communication, the practice of democr acy has turned a corner. A revolution is taking place, infinitely more significant than any shifting of economic power. Within the life of the generation now in control of affairs, persuasion has become a self-conscious art and a regular organ of popular government. None of us begins to understand the consequences , but it is no daring prophecy to say that the knowledge of how to create consent will alter every political calculation and mod ify every political premise ." 475 Vgl. in diesem Zusammenhang und als Reaktion darauf auch die am l. Juli 2008 von Yolk und Standen abgelehnte eidgenossische Volksinitiative "Volkssouveranitat start Behordenpropaganda" . Zum Wonlaut der Initiative BB12008, S. 1 f. 476 Uber die "Kundenorientierung" in der Verwaltung SchedleriProeller, New Public Management, S. 67 ff.
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Zwischen Explikation uncl Oberzeugung: zur rhetorischen Verfassung cler Offentlichkeit
II. Die BegrLindungsfalle "Eigentlich weif man nur, wenn man wenig weiB; mit dem Wissen wachst der Zweifel. " Goethe 477
Die Moderne zeichnet sich wie gesagt durch einen Explikationsdruck aus, der an zahlreichen Orten zu beobachten ist; sei es im offemlichen oder im privaten Bereich. Dabei wiirde allerdings eine konsequent durchgefuhrte Aufklarung einen nicht nur dialektischen, sondern damit verbunden immer auch unabschliellbaren - ewigen - Prozess in Gang setzen bzw. halten. Und in der Tat kommt der echte Explikationstrieb auch nie vollstandig zur Ruhe; ist er doch immer beides zugleich: Drang nach Sicherheit sowie allgemeine Verunsicherung . Jeder Erkenntnisvorgang ist ein Prozess der Entfremdung des vormals Vertrauten, Erkenntnisbehauptung lediglich das Eingestandnis der Niederlage gegeniiber dem Objekt, das sich jeder Beschaftigung mit ihm stets weiter emziehr.f" Diesen normalen Erkenntnisverlauf als eine auf Dauer gestellte Jagd nach dem "Ding an sich", gleich dem Warten auf GOdot,479 gilt es auf- und festzuhalten, damit iiberhaupt Wissen entstehen kann, mit dem sich die Welt dann auch ein- und auszurichten vermag. Den Aufemhalt besorgt der Aufhalter; jener Katechon, der das Wegbrechen ins Chaos verhindert, indem er Ordnung schafft und dadurch der Welt und sich eine Gestalt, einen Korper gibt. Die Rationalitat seiner Ordnung verdrangt jedoch eine andere mogliche Ordnung, verbannt sie von der Biihne des Geschehens an den Rand der Peripherie, von wo aus sie als andere, aber ebenso berechtigte Ratio ihre Sicht der Dinge anmahnt, - Uberzeugen ist propagandistische Schwerarbeit, deren Technik gelernt sein will. Ein Musterbeispiel diesbeziiglich bieten integrativ-konsentierende Kommunikation- bzw. Kommunisierungstheorien, welche durch geeig477 Maximen und Reflexionen, S. 771 (Nr.281). 478 "Diese Bewegung ist als konkret eine Reihe von Enrwicklungen, die nicht als gerade Linie ins abstrakt Unendliche hinaus, sondern als ein Kreis, als Riickkehr in sich selbst vorgestellt werden muss . Dieser Kreis hat zur Peripherie eine grofle Menge von Krei sen; das Ganze ist eine grolle, sich in sich zuriickbeugende Foige von Entwicklungen." Hegel, Geschichte der Philosophie I, S.46. Hegels Beschreibung entspricht Luhmanns Begriff der Ausdifferenzierung, die im Aufbau von Komplexitat durch bestandige, zirkular-autopoietische Selbstreferenz der Systeme vor sich geht, VgI. m.w.N. auch EUrich, Entgeistertes Beobachten, S. 88 Fn. 46. Uber Luhmanns von ihm ignorierte Nahe zu Hegel Wasser, Luhmann und die Philosophie, S. 93,94. 479 Samuel Beckett beschreibt in seinen Werken die Situation des Menschen in einer sinnentleerten Welt; Wissen ist Scheinwissen, ist innere Projektion, die als Schwundstufe sowohl des vermeintlich ergriffenen Objekts als auch menschlicher Existenz - die sich Identitaten zulegt -, sich allrnahlich dem Nichts annahert,
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Die BegrOndungsfalle
nete Rhetorik ihre edukativen Vereinheitlichungsmasterplane geschickt verschleiern; trotz gegenteiliger Behauptung Einsichten erzwingen, gerade wenn sie an einen "zwanglosen Zwang des besseren Arguments"480appellieren."! Es ist just die heute (im Unterschied zu friiher) real gepflegte Polykontexturalitat, welche den Begriindungsaufwand anwachsen, zugleich aber auch sinnlos werden lasst. Die im Ancien Regime steckengebliebenen, mit der Demokratie weggebrochenen Selbstverstandlichkeiten bediirfen nunmehr einer miihsamen diskursiven Wiederentdeckung bzw. Wiederherstellung, die just unter dem Gleichheitsdogma zu einer eigentlichen Sisyphusarbeit geworden ist, Jede Entscheidung, selbst der Status quo, unterliegt Iriiher oder sparer der Begriindungspflicht. Die Selbstversicherungskommunikation wird zur gesellschaftlichen Norrnalitat, ist geradezu eine Art Gegenwartsparadigma. Die stets prekaren Selbsrverstandlichkeiten setzen beinahe jede Situation unter einen grundsatzlichen Explikationsdruck, Uber allem schwebt die Forderung nach Legitimation und damit nach Kommunikation.t'" Die gestiegenen Erklarungserwartungen verlangen nach tauglichen Standarddiskursen und praktisch einsetzbaren Erklarungsrnodellen. Diese allgemeine Rechtfertigungsindustrie scheint jedoch eher das Gegenteil dessen zu bewirken, worauf sie hinaus will. Die diskursive Selbstversicherungsgesellschaft misstraut ihren Argumenten, je mehr sie davon produziert. Der Erklarungs- qua Versicherungswert der Argumente sinkt mit ihrer Inflation. Das routinemaliige Vortragen von Grunden macht diese gleichsam zu einer reflexhaften Formalie. Sie werden zu einer reinen Formsache.t" 1m Kern der gesellschaftlichen Selbstversicherungskommunikation zeichnet sich eine Argumentationsmiidigkeit abo Derweil die Suche nach Konsensalternativen auch jenseits der unmoglich gewordenen groBen Erzahlungen - vermehrt (wieder) wortlose Praktiken pnift, fluchtet sich der noch mogliche Diskurs ins Allgemeine. Wo konkrete gemeinsame Rechtsiiberzeugungen schwinden, iibt man sich deshalb oft nur mehr in einer nichtssagend allgemeinen Verfassungsfolklore der seicht kollektivierenden Art: iiber eine nicht naher definierte umfassende Geltung der Grund- bzw. Menschenrechte ist schnell ein Konsens zu erzielen, der sich bei ihrer Konkretisierung allerd ings schnell wieder verFliichtigt und der miihsamen Rekonstitution bedarf.484 480 Habermas, Wahrh eitstheorien, S. 127,136,161. 481 Vgl. nur Wagner, Gesellschaftstheorie als politische Theologie?, S. 283. 482 Siehe dazu auch vorne S. 28 f. sowie S. 36 ff. zur Kritik an Habermas' Kommunikationsqua "Konsens-durch-Dberzeugungs" -Philosophie. 483 So meint denn auch Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, S.350 § 217, "dass wir manchmal Erklarungen fordern nicht ihres Inhalts wegen, sondern der Form der Erklarung wegen. Unsere Forderung ist eine architektonische; die Erklarung eine Art Scheingesims, das nichts tragt," 484 Vgl. Haltern , Integration als Mythos, S. 61 f. Auch Luhmann hat mehrfach ausgefiihrt, dass die Orientierung an Grundrechten und Werten wohl allgemeinen Konsens gene-
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Zwischen Explikation und Oberzeugung : zur rhetorischen Verfassung der bffentlichkeit
III. Rhetorik als Supplement des Rechts "Wie ohne weiteres deutlich wird , kann der Zweifel [.. .J nur beseitigt werden durch Macht oder aber durch Glaube [...]." Marc Amstutz/Marcel Alexand er Niggli485
Die Systeme riisten rhetorisch auf; ein Reflex, der sich in einer Welt abnehmender Selbstverstandlichkeiten von selbst versteht, Die Flucht in die Rhetorik ist die Folge eines auf Kommunikation, vielmehr noch: auf Uberzeugung verlagerten Legitimationsgewinns.f" Die Daseins - und Soseinsberechtigung einer jeden Einheit, einer jeden Gruppe, die Akzeptanz ihres So-und-nicht-andersHandelns muss kommunikativ erarbeitet, mithin erredet, dargelegt, vorgetragen und erklart, kurz: erschwatzt werden.t'" Ein noch vor wenigen Jahren undenkbares Heer von Pressesprechern, Kommunikations- und Medienbeauftragten in beinahe jeder Verwaltungsbehorde, in politischen Parteien, Wirtschaftsunternehmen und Interessenorganisationen legen beredtes Zeugnis ab fur die rhetorische Aufriistung zwecks Selbstlegitimation. Man ist, was man die anderen glauben macht. Man muss sein und tun bzw. es muss(te) sein oder getan werden, wovon man die anderen iiberzeugt. Bisweilen kann eine Institution ihre Existenz, ihren Zweck und ihre Handlungen fast nur noch rhetorisch legitimieren.t'" Gerichte jedenfalls miissen sich bekanntlich fur jedes ihrer Urteile rechtfertigen, sie miissen die Urteilsunterworfenen - am Besten auch gleich die unterlegene Partei - iiberzeugen, wollen sie nicht selbst schuldig werden.t"? Dabei wusste schon Walter Benjamin: "Vberzeugen ist unfruchtbar. " 490
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rieren konne, dass diese Werte aber keinen Mallstab anbieten; Rechts soziologie, S. 88 ff. und 329 sowie ders., Politische Theorie im Wohlfahrtsstaat, S. 36 und zuletzt ders., Gesellschaft, S.402 (siehe auch 554); vgl. bereits ders., Grundrechte als Institution, S. 213 ff. Amstutz/Niggli, Recht und Witt genstein III, S. 21. Zum Konzept: Habermas, Theorie, Bd. 2, S. 136, 118 f. Irn alemannischen Dialekt gibt es das Wort "aneschnorre" = herbei reden. Sowohl iiber die Norwendigkeit als auch iiber den zu erwartenden respektive erzielten Erfolg oder Misserfolg einer vorgesehenen oder bereits durchgefuhrten MaBnahme entscheiden oft die besseren Schon - bzw. Schlechtredner. Denn: je mehr wir erklaren konnen, desto unschuldiger werden wir. Dieses Diktum Legendres gilt insbesondere fiir Gerichte. Legendre vorne Fn. 128; fur die Dberzeugung iiberzeugend Walter, Psychologie und Recht aus der Sicht eines Richters, S. 37,52 f. EinbahnstraBe, S. 87 (vgl. auch 85) [kursiv D.W]; dies gleichsam die Quintessenz von Nigglis Ausfuhrungen vorne S. 37 f. (Bindung und Norm, Bd. 1, S. 135 f.); systerntheoretisch gesprochen, handelt es sich bei dem Uberzeuger wie dem zu Uberzeugenden urn separate psychische Systerne, die nach ihrer je eigenen Logik operieren und sich gegenseitig nicht ohne weiteres zugangl ich sind (vgl. Luhmann, Erzi ehungssystem, und dens., Systeme verstehen Systeme). Deswegen kann auch Erziehung immer nur als An-
Rhetorik alsSupplementdesRechts
Ein eifriger Schmitt-Leser iibrigens.'?' Dieses durchaus schmittianische Diktum Benjamins erhartet sich an der Tatsache, dass eine formaljuristische "Erledigung" des Falles fur dessen Abschluss mitunter nutzlicher ist als ausschweifend lange Erwagungen und Abwagungen, die, wie bereits ausgefuhrt, stets nur weiteres, auch juristisch gerechtfertigtes Nachfragen und Infragestellen des Urteils zur Folge haben. Denn Erwagungen492 generieren Text und Text ist anfechtbar.t'" Ob Erwagung oder Abwagung - beide Metaphern fingieren eine Wag- und damit Messbarkeit der im konkreten Fall kollidierenden Interessen bzw. der fur sie jeweils vorgebrachten Argumente, als besaBen diese wie physikalische Kerper ein gegeneinander vergleichbares spezifisches Gewicht."" Dber jenes verfUgen sie erst aufgrund einer Gewichtung bzw. Bewertung von auBen und diese ist stets situativ und vor allem kein Garant fur eine konsistente Rechtspraxis.t'" Die Krankheit der Zeit: eine Hoffnung auf Unschuld - treibt uns dennoch weiter in die Uberzeugung.i" Zu iiberzeugen haben die Gerichte mit ihren Urteilsbegriindungen Freilich primar die oberen Instanzen und zumal die oberste Instanz richtet ihre Erorterungen zunachst wiederum an die ihr unterordneten Gerichte."" Diesem selbstreferentiellen Spiel des Rechtssystems und seiner Weisheit - der Suggestion einer sicher kalkulierbaren und entsprechend auch sorgfaltig eruierten bzw. extrahierten einheitlichen Aussage des Rechts folgend, ist fur die Empfanger das Urteil selbstverstandlich aus dem Recht ergangen; die juristische Argumentation der dargelegten Begriindung beweist es. Verfiigt diese aber nicht iiber eine rhetorisch zwingende Evidenz, fehlt es ihr vielmehr an ausreichender Uberzeugungskraft, erweist sie sich nur mehr als ein briichiges Bindeglied, das mit jedem zusatzlichen Verkniipfungsversuch
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regung zur Selbsterziehung funktionieren. Ein allzu iibereifriger missionarisch-belehrender Gestus jedenfalls sto~t beim Adressaten meist auf Abwehr und fiihrt zur Aufnahmeverweigerung. Direkte Penetration ist unfruchtbar, Brauchbare Erziehung kann erst dann einsetzen, wenn der Erzieher nicht erwas erreichen, nichts iibertragen oder vermitteln will, sondern zulasst, stiitzt und auffangt . Vgl. Miller, Am Anfang war Erziehung, S. 118 ff. Eingehend dazu Heil, "Gefahrliche Beziehungen" (vgl. nur den Brief Benjamins an Schmitt auf S. 3). Als solehe bezeichnet das Schweizerische Bundesgericht seine Urteilsbegriindungen. Dber das "unendliche Gewimmel der Kommentare" siehe auch Foucault, Die Ordnung des Diskurses, S.18 ff. Vgl. Biaggini, Verfassung und Richterrecht, S. 415 f. sowie ausfiihrlich dazu Wohlrapp, Heterogenitat als argumentationstheoretisches Problem, S. 43 ff. Vgl. auch Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 279. Gleichsam symmetrisch dazu die konsequent auf der Linie Habermas' liegende diskursphilosophische Forderung nach einem individuellen, moralischen Grund-Recht auf Rechtfertigung bei Forst, Das Recht auf Rechtfertigung. Zu den Uberzeugungsadressaten Schmitt, Gesetz und Urteil, S. 82 ff.
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Zwischen Explikation und Oberzeugung: zur rhetorischen Verfassung der Offentlichkeit
eine noch gahnendere Leere zwischen Urteil und Gesetz offenbaren wurde.t" Argumentationsgebaude, Entscheidbegriindungsburgen, -walle und -Barrikaden stellen sich als Intermediate zwischen Gesetz und Urteil, wollen als Vermittler zur Uberwindung der Distanz beitragen. Srattdessen gleichen sie eher Derridas Supplementen, die eine Prasenz des Rechts vortauschen, tatsachlich aber an seine Stelle treten und dessen Absenz nur kaschieren.i?? Griinde stehen oft im Ruch der Mogelei, man begegnet ihren Aufbauten, ihren selbsrverliebten dogmatischen Gewachsen und Bliiten mit Misstrauen, bestrafen sie doch regelmallig die naive, aber verbreitete Vorstellung, dem Recht konne grundsatzlich auch direkt und ohne die rhetorischen Wucherungen jener Rechtssupplemente ein Urteil entnommen werden.soo Diese Vorstellung wird wohl von der weit herum akzeptierten Tatsache genahrt, dass Urteile intuitiv gefunden werden (bzw. dass sie uns finden durch ein Rechtsgefiihl) und mit dem Recht resp. mit dem, was fur das Recht stehen -, dieses re-prasentieren soll - den Griinden - nur noch nachtraglich gerechtfertigt werden.501 Diese Rechtfertigung (die gleichsam Supplemente zu Recht fertigt) soll das Urteil vom Verdacht der Willkur entlasten, soll die Intuition - deren Motive niemand, nicht einmal der Entscheider, kennt - in ein unverdachtiges Rechtskleid hull en und damit deren Unschuld bezeugen.s'" Die rechtsstaatlich einleuchtende Weisung, dass "nicht Entscheidungsgrundlage sein" diirfe, was "nicht offen gelegt werden kann",S 03 bleibt allerdings ein Frommer Wunsch; spielt doch "das unvermeidliche irrationale Element" die Hauptrolle bei der Entscheidfindung, die uns an sich ganzlich intransparent ist. S04 Entscheidungen werden "in subpersonalen Prozessen", also ganzlich jenseits bewusster Gedankenbildung "fabriziert und dann, nach498 Vgl. dazu nochmals Niggli, Bindung und Norm, Bd. 1, S. 135 f., vorne S. 37 f.; iiber die Ausweitung des Forschungsgegenstandes der bis anhin traditionell an der persuasio bzw. "ars bene dicendi" interessierten Rhetoriktheorie informiert Steinhauer, Derrida, Luhmann, Steinhauer, S. 182 f. 499 Vgl. D errida, Grammatolog ie, S. 249 ff. 500 Steinhauer, Derrida, Luhmann, Steinhauer, S. 182 spricht vom "Verdacht gegen die medialen Torhiirer des Rechts ". 501 Klassisch dazu mit zahlreichen Belegen aus der Gerichtspraxis (richterliche Eingestandnisse) ! say, Rechtsnorm und Emscheidung, besonders S. 60 ff., 67 ff., 172 f., 177, 335 f.; vgl. auch Scheuerle, Rechtsanwendung, S. 39 und Dedeyan, Die richt erliche Ents cheidung, S. 226 ff. 502 Vgl. Luhmann, Die Paradoxie des Entscheidens, S. 287 ff. 503 So Walter, Psychologie und Recht, S. 53. 504 Und eben nicht, wie von Walter (ebd.) gewiinschr, "umfassend transparent" gehalten werden kann; "Er [Der hier vertretene Standpunkt, wonach in der grolien Mehrzahl der Faile die Entscheidung aus irrationalen Quellen entsteht, wahrend sie nachtraglich rational begriindet wird] wiirde natiirlich erheblich an Durchschlagskraft gewinn en, wenn es moglich ware, in jedem einzelnen Faile die irrationalen Griinde der Entscheidung offenzulegen." !say, Rechtsnorm und Emscheidung, S. 338 f.
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dem sie vorliegen, als Ergebnis personaler Entscheidungsprozesse interpretiert" .505 Bei der Entscheidfindung, im Moment des Entscheidens, war niemand - selbst das selbst nicht - dabei. 506 Das Recht sorgt schliefslich erst post festum dafur, dass alles mit rechten Dingen zugegangen sei. Eine verspatete Ersetzung/Erganzung (Supplementierung) als Kompensation fiir das Unbekannte - wie aIle Zivilisation eine kulturelle Spatleistung ist (Elias) -, die aber zugleich deutlich macht, dass auch die symbolische Welt der (Rechts)Zivilisation gegeniiber der Wahrheit - notwendigerweise - etwas anderes ist. Denn die Wahrheit ist das Unbekannte, das stets Ungewisse, Fragwiirdige und Prekare. Und doch miissen wir als Menschen die Wahrheit sehen,507 wollen den Durchblick auf den Entscheidungsgrund. Weil es dort - im Unbewussten - aber nichts zu sehen gibt, muss dem Urteil etwa vorgeschoben, muss eine Motivation behauptet werden.50S Deshalb brauchen wir zuverlassige Adressen , zweifelsfreie, Vertrauen schaffende Etiketten, benotigen also den Selbstbetrug und lassen uns darum gerne iiberzeugen, hoffen auf gute Rhetoriker, sind bereit, ihnen zu folgen, wenn sie uns mit einer niet- und nagelfesten Argumentationskette sicher vom Gesetz zum Urteil leiten,509 unsere Vorstellungen (warum nicht?) mit niitzlichem Theater, schonen Geschichten narrativ iiberlisten, indem sie uns die Rechtmaliigkeit des Urteils derart evident vor Augen fiihren, dass sich jeder Zweifel verfliichtigt - aus den Augen, aus dem Sinn. 5lO Diese vermeintlich zwingende Verkettung von Gesetz und Urteil ist mit die Leistung einer bestimmten Gruppe stets wiederkehrender, zuverlassiger Suppiemente, so genannter narrativer Muster, die gleichsam als "Passe-partout" Argumente den Selbstbetrug nachhaltig unterstiitzen, ihn gewissermaBen auf Dauer stellen konnen. Es handelt sich dabei urn die bekannten unverwiistlichen rhetorischen Formen aus dem Repertoire der Auslegungsmethodik. Ihre argumentationstypischen Momente der Systematik, Grammatik, des N ormzweckes, der historischen oder geltungszeitlichen Normbedeutung, der Verfassungs- bzw. Vclkerrechtskonformirat etc. verteidigen bzw. eskortieren den unsicheren Obergang yom Gesetz zum Urteil. Im Grunde genommen stellen sie ihn iiberhaupt erst her. Durch ihr ritualisiertes Auftreten schlagen diese narrativen Muster eine dauerhaft gesicherte Briicke und leisten damit einen entscheidenden Beitrag zur Rechtmaliigkeit des Urteils. Sie zivilisieren respekrive normalisieren (Foucault) die Rechtsanwendung und Rechtsprechung. In505 Prinz , Freiheit oder Wissenschaft?, S. 98. 506 Deshalb ware ,,[d]er Weg einer juristischen Psycho-Analyse [oo .] selbstverstandlich nicht gangbar." !say, Rechtsnorm und Emscheidung,S.339. 507 So Legendre, Das Verbrechendes Gefreiten Lortie, S. 79. 508 Vgl. !say, Rechtsnorrn und Entscheidung, S. 344. 509 Vgl.auch Walter, Psychologie und Recht, S.34. 510 Vgl. allgernein zur Problernatik auch Ott, juristische Dialektik. Dialektische Argumentationsweisenund Kunstgriffe, urn bei rechtlichen Auseinandersetzungenin Prozessen und VerhandlungenRecht zu behalten.
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sofern bilden diese Formen der Auslegungsrhetorik hilfreiche und auch notwendige, nicht aber hinreichende Elemente der Dberzeugung. Dazu bedarf es weiterer Dberzeugungsbausteine aus der Dogmatik'!' Wenn nach landlaufiger Vorstellung das Urteil direkt und ohne Supplemente dem Recht entnommen werden kann, meint diese wohl weniger das geschriebene Recht, als vielmehr ein gleichsam natiirliches Rechtsempfinden, eine Art "Anstandsgefiihl aller billig und gerecht Denkenden".512 Insofern ist das geschriebene Recht immer schon verdachtig . Bedarf es doch offensichtlich stets der Ubersetzung und damit jener Paragraphenreiter und Rechtsverdreher, welche all die unausweichlichen Supplemente produzieren, ohne die das Recht im konkreten Fall nur schweigen wiirde . Da das Recht seiner Aufgabe, Konflikte zu entscheiden, nicht mehr nachkommen konnte, wenn es jedermann zum Sprechen bringen durfte, muss hierfiir eine eigene Kaste von Rechtsgelehrten eingesetzt werden. Deren Rechtsprechung gilt den Rechtsunterworfenen nur solange als einwandfrei, als ihre Supplemente selbst jenes Recht wiedergeben, das wir soeben als "natiirliches Rechtsempfinden" bezeichnet haben und damit das geschriebene in iiberzeugendes Recht transzendieren. t!' Das gelingt grundsatzlich nur, wenn die in das geschriebene Recht gemeinhin eingelesene - in die im jeweiligen Einzelfall konkretisierte normative Verhaltenserwartung uberfiihrt werden kann.l'" Und hierzu bedarf es der (rhetorischen) List von Supplement en, welche hierfur aber nicht ausreichen. Uberzeugen lasst man sich erst, wenn man schon iiberzeugt ist oder wenn man iiberhaupt keine Erwartung hat. Da letzteres bei den im Fall involvierten Parteien ziemlich unwahrscheinlich ist, bleiben gerichtliche Uberzeugungsversuche gegeniiber den Parteien im Grunde nutzlos bzw. unfruchtbar; sie geraten vielmehr zu einem "AIs ob", das - anstatt die unterlegene Partei in Ruhe zu lassen - ihr mit viel dekorativem Objektivitatspathos eine Meinung als objektiv giiltige Wahrheit aufdrangt ; und dies in einer Welt, die stolz darauf ist, staatliche Formen totalitarer Meinungspropaganda und paternalistische Gesinnungszwange zugunsten eines allseitigen Meinungspluralismus und gro6ziigiger Toleranz aufgegeben zu haben. Die Supplemente sind eine prekare Angelegenheit und rniissen stets ohne Erfolgsgarantie operieren. Doch will Herrschaft als Herrschaft des Rechts er511 Vgl. Hassemer, Juristische Methodenlehre, S. 16 f. 512 So die alte 1901 vom deutschen Reichsgericht enrwickelte Umschreibung der guten Sitten, vgl. RGZ 48, S. 114, 124 f. 513 Dber das Rechrsgefiihl (in synonymem Gebrauch zum Rechts empfinden) und dessen zwiespaltiges Verhaltnis zur Sprache bzw. zu den Recht snormen !say, Rechtsnorm und Entscheidung, S. 85 ff.; dass eine Urteilsbegriindung auch die unterlegene Partei iiberzeugt, kommt vor. Dafur setzt e sich - mitunter erfolgre ich, (so Klett, Yom Beruf alte Fragen neu zu stellen, S. 351) - alt Bundesrichter Hans Peter Walter ein. 514 Zum Recht als kongruent generalisierte normative Verhaltenserwartung Luhmann, Rechtsso ziologie, S. 105.
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scheinen, muss sie um Zustimmung werben. Sie muss ihre Auffuhrung der Gesetze im tatsachlichen Rechtsempfinden, in einer konkreten Verhaltenserwartung, kulminieren lassen; in einem Recht mithin, das die Supplemente immer nur fur die Sieger des Rechts herstellen konnen, indem sie Gesetz und Fall nach deren Geschmack in Szene setzen; indem sie die Verstrickung des Falls im Gesetz als von einer hoheren Vorsehung unbeirrbar gelenktes Drama noch einmal auffiihren und anschlieliend - als Begriindung - ihr (Sieger)Urteil mit dem Recht verschmelzen.l" Diese Verschmelzung muss dabei so nahtlos und undurchlassig sein, dass kein Raum fur ein - noch dazu juristisch verpontes, rechtlich nicht zu rechtfertigendes - Drittes bleibt. Urteil und Begriindung gehoren im Rechtssystem logisch zwingend zusammen und hangen voneinander ab - tertium non datur.516 Wie sonst konnte der Zusammenhang von Urteil und Recht einsichtig werdenr-" Andernfalls miisste sich letzteres als System auf Reproduktionsprobleme einstellen, aufgrund einer dysfunktionalen AutopOlese. Das Recht gewinnt seine innere Geschlossenheit, d. h. Selbstreferentialitat rhetorisch.t" Nicht umsonst genossen denn die Juristen (namentlich die Anwalte) in der (westjromischen Spatantike primar eine rhetorische und nicht notwendigerweise auch eine juristische Ausbildung.l'? Wenn sich Juristen heute die Unterstellung rhetorischer Rankespiele - erwa mit dem Hinweis auf angeblich klares Recht - humorlos verbitten, darf mit Steinhauerschem Schalk konzediert werden: "Rhetorische Figuren sind in der juristischen Kornmunikation systemische Randerscheinungen - aber am Rand gestaltet sich das System."520 Ausgehend von dieser rhetorischen Einfassung aller Jurisprudenz 515 Vgl. hierzu auch Seibert, Inszenierung eines Supplements; Amstutz, Rechtsgenesis, S.132 ff. arbeitet an einem anderen Projekt (Stichwort: »gesellschaftsadaquates Recht"), wenn er nicht die Begriindungen und auch nicht die im Einzelfall konkretisierten - , sondern die gesellschaftlichen (Verhaltens)Erwartungen als Supplemente des Rechts liest. 516 Dazu nochmals Gunther, Nariirliche Zahl und Dialektik, S.267: »Nun behauptet die klassische Tradition aber weiterhin, dass diese Universalkontextur die einzige ihrer Art ist und dass es sinnlos ist, von Universalkontexturen im Plural zu reden. Anders gesagt: das Universum, in dem wir leben, ist gemaB unserer bis auf die Griechen zuriickzudatierenden Wissenschaftstradition ontologisch gesprochen ein monokontexturaler Weltzusammenhang." 517 So auch Luhmann, Riickgabe, S.35. 518 Vgl. Luhmann, Riickgabe, S. 43 f.; zum Ganzen Gast, Juristische Rhetorik, Rz . 359 ff. 519 Kunkel, Romische Rechtsgeschichte, S. 130 und ausfiihrlicher dazu Wieacker, Recht und Gesellschaft in der Spatantike, S. 34 ff., 83 ff., 88 ff. sowie ders., Romische Rechtsgeschichte. Zweiter Abschnitt, S. 220 ff., 226. 520 Steinhauer, Bildregeln, § 1, I. 5.c); ebd. zur Beschreibung der Rhetorik als einer Form juristischer Autologik sowie ebd., § 4, II. l.d) ff. zur Persistenz des rhetorischen Decorums; vgl. in diesem Zusammenhang auch den von Steinhauer, Die rechtlich -rhetorischen Grenzen I, erbrachten Aufweis der Rhetorik bei Max Kaser, mit welcher dieser
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kann man mit Marie Theres Fogen sagen, dass die Rhetorik iiber dem Gesetz steht. Vielmehr noch: "Die Rhetorik steht nicht nur iiber dem Gesetz, sondern das Gesetz ist auch nur Rhetorik. "521 Denn das Gesetz ist immer auf dem Weg zum Recht,
IV. Die Einheit der Rechtsordnung 1. Erwartungssicherheit durch Widerspruchslosigkeit Die dargelegte Kausalitatsfiktion entspricht sozusagen einer Betriebsvoraussetzung und unterschiebt zugleich die Widerspruchslosigkeit als Crundsatz.F' Da sich analog zur Lebenswirklichkeit sowohl zwischen den zahlreichen Figuren und Instituten der Rechtsordnung (vgl. nur die Grundrechte unter sich) als auch mit Bezug auf die Bedeutung einer einzelne Norm (vgl. zum Beispiel den Schadensbegriff) erkennbare Widerspriiche nicht nur konstruieren lassen, sondern auch als handfeste Gegensatze im Alltag aufflammen, ist es die Aufgabe der Rechtsprechung bzw. Rechtsanwendung, die oft angerufene .Einheit der Rechtsordnung" so weit als moglich wieder herzustellen.V' Diese ist freilich nicht im Sinne einer "Widerspruchslosigkeit der Gesamtrechtsordnung" anzustreb en. Vielmehr sollen "die jeweiligen Teilrechtsordnungen denselben tatsachlichen Sachverhalt aus verschiedenen Blickwinkeln bewerten" konnen.P' Das Rechtsstaatsprinzip verlangt hier keine abstrakte Widerspruchslosigkeit, sondern nur (aber immerhin), dass sich der Burger auf eine bestimmte Rechtslage einstellen kann. 525 Solches ware primar dann nicht gewahrt, wenn eine Teilrechtsordnung das gleiche Verhalten verbieten wiirde, welches eine andere Teilrechtsordnung dem Biirger diktiert.!" Auch "das verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot gebietet nur die Gleichbehandlung wesentlich gleicher Personengruppen oder Sachverhalte, nicht die Gleichbehandlung eines identischen Sachverhaltes in unterschiedlichen Teilrechtsgebieten."527
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ebendiese erfolglos aus dem Rornischen Recht zu tilgen versuchte. Uber das Verhaltnis von Rhetorik und Luhmannscher Systerntheorie ders., Derrida, Luhmann, Steinhauer, S. 179 H.; vgl. im Ubrigen auch Mublmann, Die Okologie der Kulturen, S. 40 f., 50 f. Fagen, Das Lied vom Gesetz, S. 57 (in Auseinandersetzung mit Cicero); vgl. auch Steinhauer, Derrida, Luhmann, Steinhauer, S. 184 f. Zur Widerspruchslosigkeit als Rechtsideal eingehend Steinhauer, Regel und Fiktion, S. 102 H.; siehe auch Luhmann, Soziale Systeme, S. 488 H. Vgl. in diesem Sinne und grundsarzlich zur Thematik Schmidt, Einheit der Rechtsordnung, (etwa S.28 et passim) . Felix, Einheit der Rechtsordnung, S.143, 157. Felix, Einheit der Rechtsordnung, S. 252. Felix, Einheit der Rechtsordnung, S. 265. Felix, Einheit der Rechtsordnung, S. 289.
Die Einheit der Rechtsordnung
Es wird jedoch allgemein erwartet, dass innerhalb desselben Teilrechtsgebietes eine Norm genauso wie eine auf Normen basierende staatliche Institution gegeniiber "ihren" Fallen eine einheitliche Sprache spricht. Daraus resultiert die Forderung nach einer berechenbaren Praxis sowohl im Hinblick auf den eigenen Anspruch gegeniiber staatlicher Zuteilung als auch beziiglich der zu erwartenden Strafe, Strafmaf oder privatrechtlicher Entschadigung etc., je nach Norm. Das Vertrauensprinzip des "Erwarten-Miissens-und-Diirfens" beschlagt nicht nur den richterlich festzustellenden Vertragsinhalt zwischen verschiedenen Parteien, ihre inhaltliche Inpflichtnahme.i" sondern kann im modernen Rechtsstaat iiberhaupt als Inbegriff der Beziehung zwischen dem Staat und den Einzelnen verstanden werden.S? Es ist ein natiirliches Bediirfnis nach Sicherheit, welches das Vertrauen in ein je nach Situation bestimmtes Eintreten spezifischer staatlicher Handlungen nicht enttauscht sehen mochte. Staatliche Akte miissen berechenbar sein; der Rechtsstaat ist ein Berechnungsstaat, womit Rechtsprechung wie -anwendung grundsatzlich dem Prinzip der Widerspruchslosigkeit zu gehorchen haben.P? Dazu gehort Freilich auch, dass 528 Zur Herkunft des Vertrauensprinzips aus dem Vertragsrecht vgl. Gauch/Schluep/ Schmid/Rey, Schweizerisches Obligationenrecht. Allgemeiner Teil, Bd.1, Rz. 206 H. (316ff.) . Die zitierte Forme! hinsichtlich der Vertragsauslegung heiBt dort natiirlich "Verstehen-durfen-und-mussen" . (Rz. 207 m.w.H.) . 529 Dahingehend schon die klassische Definition des Rechtsstaates bei Stahl, Die Philosophie des Rechts, Bd. 2 (1856), S.137: "D er Staat soli Rechtsstaat sein, das ist die Losung und auch in Wahrheit der Entwicklungstrieb der neueren Zeit . Er soli die Bahnen und Grenzen seiner Wirksamkeit wie die freie Sphare seiner Burger in der Weise des Rechts genau bestimmen und unverbruchlich sichern, und soli die sittlichen Ideen von Staats wegen, als direct, nicht weiter verwirklichen (erzwingen), als es der Rechtssphare angehort." (kursiv D .W.). Just diese Genauigkeit ist mit Worten - und Gesetze bestehen meist aus Worten, nicht aus Zahlen - nicht zu haben, nur zu fingieren. 530 Entgegen dieser heute anerkannten AuHassung und der entsprechenden Bedeutung der Prajudizien war ,,[f]ur die fruher herrschende Denkart [...] nicht die bisherige Praxis, sondern das Gesetz [. . .] die Vertrauensgrundlage; damit blieb - jedenfalls im Bereich der gebundenen Rechtsfindung - kein Raum fur den Vertrauensschutz." Dagegen hat ,,[d]ie mod erne juristische Methodenlehre [...] die blofse Berucksichtigungspflicht, wie sie von der friiher herrschenden Meinung vertreten wurde, zu einer beschrankten Befolgungspflicht gesteigert. Zum Teil wird das sogenannte Richterrechr - aber auch die Verwaltungspraxis - geradezu als Rechtsquelle bezeichnet [.. .]." Weber-Durler, Vertrauensschutz, S. 238 f.; demgegeniiber treten in der bundesdeutschen Theorie namentlich rechtslinguistische Kreise im Auf trag der Gesetzesbindung (wieder) fur eine fallorientierte, argumentative Arbeit am Gesetzestext (fUr die damit einhergehenden sernantischen Kontroversen) ein und relativieren folglich eine sklavische Prajudizienbindung. Zentral Muller/Christensen, Juristische Methodik, Rz. 539 H.; vgl. auch Rz . 505 f.; anders Schlink, Abschied von der Dogmatik, S. 157 H. und Pawlowski, Methodenlehre, S. 468 H. (Rz. 1020 H.), 472 ff. (Rz. 1028 H.). Das Phanomen der Prajudizienbindung ist sowohl im anglo-amerikanischen als auch im kontinentaleuropaischen Rechtskreis von grofser Bedeutung. Dazu konzis und mit zahlreichen weiterfuhrenden
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sich der Einzelne auf die Richtigkeit bestimmter behordlicher Angaben verlassen konnen muss.P' Erwartbarkeit hat mit Berechenbarkeit zu tun, weshalb allfallige Widerspriiche im Rahmen einer bestimmten Praxis regelmaliig einer besonderen Rechtfertigung bediirfen. Berechenbarkeit hinsichtlich der Anspriiche ist per se ein wichtiger Stabilisierungswert. Die Erwartbarkeit bestimmter staatlicher Handlungen generiert ein Gefiihl von Sicherheit, das nicht enttauscht werden will. Dass die stets unterschiedlichen Falle gleich gemacht, unter einen Mustersachverhalt subsumiert werden miissen, hat die Lehre von der Subsumtion zu einem wichtigen Bereich der Methodenlehre gemacht. 1m Gleichmachen des Ungleichen wird die Vorstellung sowohl einer Einheit als auch einer RechtsOrdnung fabriziert.W Die sogenannte volkerrechtskonforrne Auslegung von Landesrecht erwa vermag nach Bedarf auch handfeste Widerspriiche zwischen den jeweiligen Rechtsordnungen zu tilgen. 533 Die Einheit muss von den zustandigen Behorden vorgegeben werden. Diese Einheit kann allerdings nur als Vorstellung sichtbar werden; sie ist mit Kant eine "Synthesis des Mannigfaltigen"534 oder mit Adorno eine "Koharenz des Nichtidentischen"535 und voIlzieht sich in der Unterwerfung eines Geschehens unter die ihrerseits bereits als tatbestandsrelevant bestimmten Merkmale eines fniheren FaIles, womit peu a peu die wichtige Regel entstehen kann;536 allerdings zum Preis der Unterwerfung und Schematisierung unterschiedlicher Vorfalle unter eine vor-
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Nachweisen Biaggini, Verfassung und Richterrecht, S. 358 ff.; vgI. auch Luhmann, Recht der Gesellschaft, S.365; iiber die wechselvolle Geschichte der Prajudizienbindung im 19.Jahrhundert in Deutschland Ogorek, Richterkonig, S.178 ff. Die Frage, in welchen Fallen es dem rechtsuchenden Biirger zuzumuten sei, etwa die falsche Angabe einer Rekursmittelfrist durch das Gericht als solche zu erkennen - und er mithin das einschlagige Gesetz besser kennen miisste als die mit dem entsprechenden Inforrnationsauftrag betraute Behorde -, ist in der Schweiz anlasslich eines umstrittenen Bundesgerichtsentscheids unlangst neu aufgeworfen worden. VgI. Urteil5A_40112007 vom 29.8.2007. Dazu Weber-Durter, Droht ein Abbau des Vertrauensschutzes?; vgI. auch dies; Vertrauensschutz, S. 3, 195 ff. Fallgruppenbildung ist Systembildung und das bedeutet immer eine Reduktion von Kornplexitat. Luhmann, Soziale Systeme, S.189 . VgI. die entsprechenden bundesratlichen Erwagungen beziiglich des anlasslich einer Volksinitiative am 8.2 .2004 eingefiihrten Art. 123 iiber die lebenslange Verwahrung nicht therapierbarer, extrem gefahrlicher Sexual- und Gewaltstraftiiter und seiner Vertraglichkeit mit Art . 5 Ziff. 4 und Art. 6 Ziff. 1 EMRK in: Botschaft des Bundesrates zur Volksinitiative "Lebenslange Verwahrung fur nicht therapierbare, extrem gefahrliche Sexual- und Gewaltstraftater" vom 4. April 2001; BB12001, 3433, 3455 ff. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S.210 (A 100), S. 214 (A 105), S. 244 (B 182, A 143). Adorno, Negative Dialektik, S. 36. Zur Fiktion der Regel vgI. vorne S. 61 f.
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gestellte Einheit. Dieser Vorgang nennt sich Rechtserkenntnis.v/ "Ohne Bewusstsein, dass das, was wir denken, eben dasselbe sei, was wir einen Augenblick zuvor dachten, wiirde alle Reproduktion in der Reihe der Vorstellungen vergeblich sein. Denn es ware eine neue Vorstellung [...], die zu dem Actus [qua Regelbildung, D.W.], wodurch sie nach und nach hat erzeugt werden sollen, gar nicht gehorete, und das Mannigfaltige derselben wiirde immer kein Ganzes ausmachen, wei! es der Einheit ermangelte, die ihm nur das Bewusstsein verschaffen kann ." 538 2. Invisibilisierung der Inkonsistenz durch Sachverhalts(re)konstruktion "Wahrheit ist somit nicht etwas, das da ware und was aufzufinden, zu entdeckenware,- sondern erwas, das zu schaffen ist und das den Namen fur einen Prozefi abgiebt, mehr noch fur einen Willen der Uberwaltigung,der an sich kein Ende hat: Wahrheithineinlegen, als ein processus in infinitum, ein aktives Bestimmen, nicht ein Bewuiitwerden von erwas, "das" .an sich' fest und bestimmt ware. Es ist ein Won fur den ,Willen zur Macht' [. . .J Der Mensch projicirt seinen Trieb zur Wahrheit, sein ,Ziel' in einem gewissen Sinn auBer sich als seiende Welt, als metaphysische Welt, als ,Ding an sich', alsbereits vorhandene Welt. SeinBedurfniB als Schaffender erdichtet bereits die Weltan der er arbeitet, nimmtsievorweg: dieseVorwegnahme (,dieser Glaube' an die Wahrheit)ist seine Stiitze." Nietzsche'"?
Ohne cliesen Iclealismus cler zwanghaft schematisierenclen Regelbilclung lage jede Ordnung nur in Briichen da. 540 So ist die Leistung der Rechtsprecher zur Hauptsache eine rhetorisch-iclealisierende. Widerspruchsfreiheit wird innerhalb der Begriindung behauptet und so wird empirische Wahrheit durch die beredte Einbildungskraft der transzendentalen Wahrheit geschaffen, die der em-
537 "Die durchgangige Einheit und Widerspruchslosigkeit der Erfahrungselemente ist uns
daher nicht sowohl gegeben, alssie uns aufgegeben ist. Sie ist kein Dogma, sondern ein Posrulatder Erkenntnis; und ein Postulat, das nur allmahlich und schrittweiseseineErfullung finder." Cassirer, Axel Hagerstrom, S. 75 f.; vgl. auch Samek, Der Gegenstand der Rechtserkenntnis; heftigzum Erkenntnisproblem vgl. nur Foucault, Die Wahrheit und die juristischenFormen, S. 19 f. 538 Kant, Kritik der reinenVernunft,S. 212 (A 103). 539 Nachgelassene Fragmente 1885-1887 (KSABd. 12), S. 385. 540 Vgl. auch Wenger, YomZurechtlegen der Niederlage als Grundlage, S.36 f.
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pirischen vorhergeht und diese resrringiert.r" Mit Hilfe einer zweckmailigen Auslegung der Rechtstexte kann also die Wirklichkeit selektiv rekomponiert werden. Widerspruchslosigkeit suggeriert dann Kontrolle und das beruhigt. Ihre Bedeutung gewinnt die besagte Einheit prirnar aus einer Sicherheits- und Vertrauensproduktion und sie wird lediglich in der Vorstellung sichtbar, an der die Begriindung arbeitet, Vertrauen bringt man berechenbaren Systemen entgegen, denn Berechenbarkeit beruhigt, was zur paradoxen Situation fiihrt, dass Vertrauen nur herrscht, wo Kontrolle erfolgreich behauptet wird. Die "Einheit der Rechtsordnung" ist wie erwahnt eine notwendige Unterstellung des Gleichheitsversprechens.t? Die Rechtsprechung steht damit in der Veranrworrung, Widerspriiche in der Rechtsordnung an den konkreten Fallen derart zum Ausgleich zu bringen, dass ein konsistentes System zur Darstellung kommt, welches die Erwartungen nach Stabilitat und Gerechtigkeit besser: stabiler Gerechtigkeit! - kurz: Berechenbarkeit befriedigt.Y' Die erwartete Konsistenz, die genau besehen keine ist, muss als solche erschaffen werden und zwecks Erhohung ihrer Glaubwiirdigkeit entsprechend zur Auffiihrung gelangen. 544 Dies ist die Aufgabe der Supplemente. Nietzsche verortet erganzend eine "Kraft in uns, die die groflen Ziige des Spiegelbildes intensiver wahrnehmen lasst, und wieder eine Kraft, die den gleichen Rhythmus auch iiber die wirkliche Ungenauigkeit hinweg betont. Dies muss eine Kunstkraft sein. Denn sie schafft. Ihr Hauptmittel ist weglassen und iiberseben und iiberhoren."545 Unterschiede zwischen einzelnen Fallen werden also wie gesagt 541 Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft , S.246 (A 146); zur Regelbehauptung als Interpretationspraxis Somek, Verteidigung des Regelbegriffs, S. 470,476 ff. 542 Sie dient denn auch regelmallig als rhetorischer Topos zugunsten einer wie auch immer bewerkstelligten Privarwirkung der Grundrechte bzw. des Gleichbehandlungsgebots. Vgl. dazu fur Deutschland jetzt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz AGG, in Kraft seit dem 18. August 2006 (BGBI. I S. 1897, 1910); vgl. auch Schmidt, Einheit der Rechtsordnung, S. 18 f.; doch auch der umgekehrte Fall - die analoge Geltung zivilrechclicher Normen und Grundsatze (wie das Handeln nach Treu und Glauben, Verjahrungsfristen, das Verbot der Sittenwidrigkeit oder des Rechtsmissbrauchs) im offentlichen Recht -Iasst sich aus dern Prinzip einer "Einheit der Rechtsordnung" herleiten. (Der Grundsatz von Treu und Glauben (Art . 2 2GB) findet sich nun auch explizit in Art . 5 Abs. 3 BV.) Vgl. Landwehr, Die Einheit der Rechtsordnung, S.57; Hafelin/Haller, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, Rz. 818 ff.; Hafelin/Midler/Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rz, 184ff., 622 ff. sowie umfanglich Gdcbter, Rechtsmissbrauch im offentlichen Recht, S. 113 ff. 543 Wenn sie im Recht zum Ausdruck kommen will, gerat Gerechtigkeit norwendig in ein Element der Berechnung. Vgl. Derrida, Gesetzeskraft, S.33 f., 57; vgl. auch Luhmann, Recht der Gesellschaft, S.225 f. (Fn. 29 am Ende). 544 "Eine Regel vermag sich dementsprechend nur in Exempla zu manifestieren." Somek, Von der Rechtserkenntnis zur interpretativen Praxis, S. 483 f. 545 Nietzsche, Nachgelassene Fragmente 1869-1874 (KSA Bd. 7), S.440 f. (§ 19 [67]); tiber die Imagination der Ahnlichkeit vgl. Foucault, Ordnung der Dinge, S. 102ff.
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durch die begriindende Subsumtion unter einen bestimmten Tatbestand argumentativ konsentiert.>" Dazu notige Wertentscheide diirfen nicht allzu offensichtlich sein und miissen deshalb invisibilisiert werden. Die Stringenz in ihrer zwingenden Natur wird unglaubwiirdig, je mehr Abwagung vorkommt und bei je mehr Abwagungs-Bewertungsentscheidungen ebenso gut auch anders harte entschieden werden konnen.v" Diese Entscheidnatur der Urteile muss invisibilisiert werden. Die Begriindung hat demnach jeden Entscheidspielraum iiberzeugend auszuschliefsen, Die Gleichbehandlung bzw. Gleichschaltung eo ipso einmaliger Ereignisse ist Sache eines kriteriengeleiteten Perspektivismus (Nietzsche), der innerhalb verschiedener Handlungsverlaufe nachtraglich dieselben rechtsrelevanten Merkmale erkennt.>" Diese liegen nicht einfach vor; genauso wenig wie sich der gleiche Vorfall noch einmal vor den Augen der Untersuchungsbehorden bzw. Prozessbeteiligten zutriige, miissen mit ihm zusammen vielmehr auch die rechtserheblichen Tatsachen den Beurteilungsinstanzen zugetragen werden . "In jedem Vorgang in der Realitat sind im Prinzip unbegrenzt viele Tatsachen enthalten, Die Frage ist nur, wie wir fokussieren. Wir Juristen, wenn wir von einem Vorgang in der sozialen Wirklichkeit erfahren, miissen auf jeden Fall streng und unter Vorgabe auswahlen. Was wollen wir als Tatsache in unseren Fall iiberhaupt hereinlassen? Und wir miissen nicht nur selektieren, sondern wir miissen sie formulieren, damit diese Tatsachen Sprache werden. Sie konnen nur als sprachliche Daten in unseren Fall hereinkommen, obwohl sie urspriinglich teils sprachlich, teils nichtsprachlich, teils sprachlich immerhin vorgeformt gewesen sind . Sie miissen in unsere Fachsprache gebracht werden. Also ausgewahlt, umformuliert, und sie werden dann, indem wir das tun, gleichzeitig hi~rarchisiert und gewichtet, erwa: Das ist eine Tatsache, die wirkt in den Fall hinein, aber erst sparer, Das ist eine Tatsache, die hier wichtig wird, aber erst fur die Frage des Schadensersatzes. Das ist ein Faktum, das gehort sofort an den Anfang des Falles, namlich fiir die Frage, ob der Tatbestand erfiillt ist oder nicht. [...J Das heilit, wir selektieren, klassifizieren und hierarchisieren das, was Fakt in clemFall sein solI, ganz energisch. All das miissen wir in Sprache tun, in unserer Fachsprache. Das ist schon nicht mehr die Sprache der Menschen, die diesen Rea/fall erlebt haben [. .. J. Das heilit, wir haben so viel mit diesen Tatsachen gemacht, und was ,ist' dann die Tatsache? Es sind keine unschuldigen Tatsachen mehr, die wir jetzt finden konnten wie einen Apfel auf dem Baum. Oder wie einen Schmetterling, der vorbeifliegt, und wir sagen, ach, das ist ein Zitronenfalter."549 Die Subsumtion unter Rechtstexte verfrem546 Vgl, Isay, Rechtsnorm und Entscheidung, S. 173, 358. 547 Vgl. Luhmann, Riickgabe, S. 5. 548 "Auf der Ungenauigkeit des Sehens beruht die Kunst. " Nietzsche, KSA Bd.7, S.440 (§ 19 [66J); Cassirer, Axel H agerstrom, S. 76 spricht von "Wahrnehmungserkenntnis". 549 Friedrich Muller, in: Christensen/ Midler/Pauerson/Sokolouslei, Gesprach, S. 140.
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Zwischen Explikation und Oberzeugung: zur rhetorischen Verfassung der Offentlichkeit
det das Geschehene und liest ihm je nach Fokus eine ganz bestimmte Struktur em. Irn Ubrigen ist der Riickblick der Beurteilungsinstanzen eine Rekonstruktion dessen, was passiert und damit am Hier und Jetzt "vorubergegangen" ist.550 Das "Wiederaufrollen" eines Falles geschieht nicht erst in zweiter oder dritter Instanz; er ist eine Wiederaufnahme bereits am ersten Prozesstag, besser: schon in Gestalt der "unmine1baren" Zeugeneinvernahme am Tatort.v' Unvermitteltheit gibt es nicht einmal zur Tatzeit, "lnformationen werden exklusiv systemintern produziert und nicht von Teilsystem zu Teilsystem ,transportiert'." 552 50 sprichr Teubner gar von einer "faktenerzeugende[n} Aufbereitung des Sachverhalrs't.t" Jeder Blick auf die Tat schlagt eine Bnicke, zieht diese zu sich, dringt in sie ein.554 Im vermeintlich unmittelbaren Zugang zur Tat fullen die Augen im Blick eine Leere mit Gesehenem aus, das sich im Medium der Sprache oder einer Zeichnung verstandlich machen muss. 555 Wiedergabe des Geschehens ist stets Gabe,556 denn man gibt nie "dasse1be" und schon 550 ,,[Es] ist zu bedenken, dass Wahrnehmungen nur Ereign isse sind, die mit ihrem Vorkommen sofort wieder verschwinden. Der neurophysiologische Apparat (wieder ein anderes autopoietisches System) errnoglicht es durch seine Konsistenzpriifungen dem Bewusstsein, Wahrnehmungen zu erinnern [...]. Das hei6t aber nicht: dass sie als Wahrnehmungen nochmals vorkommen konnten." Wahrnehmung wird, zumal in ihrer Impressionsfiille, nicht als Wahrnehmung transportiert, Luhmann, Wissenschaft der Gesellschaft, S. 227 f., 226. 551 ,,[D]ie Sachverhaltsfeststellung, die an Beweisregeln gebundene Sammlung von ,hard facts', ist als streng rechtssysteminterne Konstruktion der Wirklichkeit zu verstehen ." (kurs iv D.W.) Teubner, Autopoietisches System, S. 97. 552 Teubner, Autopoietisches System, S. 99. 553 Teubner, Autopoietisches System, S. 97 (kursiv D.W.); ausfiihrlich zum Ganzen wiederum Isay, Rechtsnorm und Entscheidung, S. 350 H.; Christensen/Sokolowski, Naturrecht und menschliche Sprache, S.19 meinen: "Wenn der Richter aus den Akten und aus dem Gesamteindruck der miindlichen Verhancllung den Sachverhalt herausfiltert, den er im Urteil zugrunde legen will, ersetzt er nicht die subjektive Sicht der Beteiligten durch die objektive Wahrheit. Er entscheidet vielmehr zwischen verschiedenen Erzahlungen ."; vgl. zum Ganzen auch Raselli, Sachverhaltserkenntnis und Wahrheit. 554 Man denke an Heideggers "Entwurf" qua "Verstehen" als Seinsweise der menschlichen Existenz . Heidegger, Sein und Zeit, S.145ff. (§31). "Alles vorpradikative schlichte Sehen des Zuhandenen ist an ihm selbst schon verstehend-auslegend. [. . .] Das schlichte Sehen der nachsten Dinge im Zutunhaben mit . . . tragt die Auslegungsstruktur so urspriinglich in sich, dass gerade ein gleichsam als-freies Erfassen von etwas einer gewissen Umstellung bedarf. Das Nur-noch-vor-sich-Haben von etwas liegt vor im reinen Anstarren als Nicht-mehr-verstehen . Dieses als-freie Erfassen ist eine Privation des schlicht verstehenden Sehens, nicht urspriinglicher als dieses, sondern abgeleitet aus ihrn." (ebd., S. 149, § 32). 555 Zum Problem der Sachverhaltsermittlung vgl. auch Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 125 H. 556 Vgl. Steinhauer, Bildregeln, Einfiihrung V, § 4, II. 3.
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Die Einheit der Rechtsordnung
gar nicht in seiner Kornplexitat wieder, sondern allenfalls Bruchstiicke, die dem Passierten im Riickblick gleichen. Der Riickblick liest sich in die Vergangenheit ein, sieht im Vergangenen ein Vergehen, das es festzuhalten gilt. Was die Zeugen, Opfer, Tater, Beklagten, Klager bezeugen, erlautern, antworten, schildern, bekannt geben und berichten, hangt an ihren Lauten, in ihren Worten, steht auf Schildern, ist Bekenntnis und Richtspruch. Was uns die Beteiligten vermitteln, bleibt zunachst einmal am Mittel der Mitteilung hangen.557 In ihrer Wahrnehmung der Ereignisse nehmen sie ihr Eigenes wahr, bewahren ihren je eigenen Zugang zur Welt und der ist fiir andere zunachst ohne Gewahr, "Wahrnehmung hat [. . .J die E igenartigkeit der Gleichzeitigkeit mit dem, was sie wahrnimmt. [. . .J Dank dieser Gleichzeitigkeit gibt es im Moment keine Unterscheidung von Realitat und Tauschung [...J. Jede Bearbeitung von Wahrnehmungseindriicken im denkenden Bewusstsein und erst recht alle Kommunikation iiber Wahrnehmungen ist dagegen an eine zeitliche Sequenzierung gebunden." Auf diese Weise wird ,,[dJie Sicherheit des momentanen Gesamteindrucks [. ..J in eine Verzogerung der Beurteilung umgewandelt und kann nach dieser Transformation nie wieder zuriickgeholt werden."558 In der Erzahlung des Vorfalls zahlt, was "einfallt" (und das ist je nach Augenzeuge bei demselben Fall erstaunlich unterschiedlich, wie Experimente gezeigt haben).559 "Zu jedem wahren Sein verhalten wir uns oberflachlich, wir red en die Sprache des Symbols, des Bildes: sodann thun wir erwas hinzu, mit kiinstlerischer Kraft, indem wir die Hauptziige verstarken, die N ebenziige vergessen. "560 Die unsere Wahrnehmung pragenden Voreinstellungen oder aber gefalligen Vorurteile bereiten den Fall so auf, dass er uns gefallt und den anderen, vermeintlich Fehlbaren fallt.561 Gerade die am Prozess beteiligten Parteien stellen sich den Fall gegenseitig so vor, wie er ihren Interessen dient.
557 "Wenn in der Kommunikation auf Wahrnehmung Bezug genommen wird, wird mithin ein hochkomplexer Tatbestand sozu sagen in einem Wort in die Kommunikation eingefiihrt - eine enorme Simplifikation [. . .J. Verglichen mit dem kompakten Wahrnehmungseindruck (der aber rasch wieder verschwindet) bleibt der kommunikative Ausdruck zwangslaufig unscharf." Luhmann, Wissenschaft der Gesellschaft, S.228 . 558 Luhmann, Wissenschaft der Gesellschaft, S. 231 f. 559 Vgl. Larenz /Canaris, Methodenlehre, S.125 sowie m.w.N. Gruber, Neuro-Theorien des Rechts, S.347. 560 Nietzsche, KSA Bd. 7, S. 441 (§ 19 [67J). 561 Genaueres dazu bei Dedeyan , Die richterl iche Entscheidung, S. 214 f.
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§ 7 Von der Berechenbarkeit zur Verrechenbarkeit I. Was leistetdie Leistungsgesellschaft? 1. Kriterienkontingenz Es scheint, dass altere, vergleichsweise statische Gesellschaftsordnungen zugunsten einer Etablierung dynamischer Spielregeln aufgegeben wurden, welche fur die gesamte Gesellschaft uneingeschrankt in Kraft stehen sollen. Ihnen fallt idealerweise die Aufgabe zu, jene iiberkommene familien- bzw. schichttypisch fixierte Repetition bestimmter Rollen, in welche ihre Akteure hineingeboren werden und sie deshalb quasi "natiirlicherweise" innehaben und ausfiihren, zu verdrangen, Die damit einhergehende Liberalisierung der Verwendung au6erer Merkmale und Attribute vormals standesspezifischer Selbstbezeichnung - erwa des Wappenrechts, durch den Wegfall obrigkeitlich festgelegter Kleiderordnungen oder auch tiber die gesamtgesellschaftliche Diffusion ehemals schichttypischer Verhaltenweisen (wie etwa der Verbreitung ritterlicher Tugenden unter den biirgerlichen Gentlemen)562 -, findet mit Blick auf zahlreiche ]ugendgruppen eine auffallige Reregulierung, die sich in einer bewussten Selbstkennzeichnung - als Abgrenzung nach aufsen und Identifikation nach innen - beispielsweise durch einen speziellen Modestil, das Tragen bestimmter Kleidermarken, Accessoires und Haartrachten, mittels typisierter Verhaltens- und Sprechweisen etc. manifestiert.r" Allerdings stimmen diese au6eren Uniformierungen nicht mehr zwingend mit einer inneren sozialen Einheit der betreffenden Gruppe iiberein, Aus der Form lasst sich nicht mehr zweifellos auf einen bestimmten Inhalt schlielien. Lebenswirklichkeit und Darstellung treten auseinander. 562 Differenziert dazu Kacka, Biirgertum und biirgerliche Gesellschaft im 19.Jahrhundert. Europaische Entwicklungen und deutsche Eigenarten, S. 65 ff. 563 Interessant in diesem Zusammenhang die sogenannte »Rap-Kultur", welche sich gegeniiber den vergleichsweise barocken Formen, dem gestalterisch iiberaus raffinierten Tanzrepertoire der Geschichte als relativ archaisch oder vielmehr banal erweist. Man denkt unweigerlich an Tocquevilles Beobachrung eines allgemeinen Formunwillens dernokratischer Gesellschaften. Tacqueville, De la democratie II, IV,VII, S. 844 ff.
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Was leistet die Leistungsgesellschaft?
An die Stelle der ehedem standes- bzw. gruppenspezifisch ganzheitlichen Reproduktion des je eigenen Repertoires, welches die jeweilige Fraktion nach auBen wie innen bezeichnete und sichtbar markierte, treten mit der Auflosung des Ancien Regime die Meritokratien der biirgerlichen Gesellschaft, samt ihrer unbestandigen Qualitatskriterien.v' Was gestern noch als der beruflichen Karriere forderliche Zusatzleistung galt, stellt sich heme als unbrauchbar heraus, wird unter Urnstanden gar als storend empfunden (beispielsweise ein mit zeitraubenden Wiederholungskursen verbundener Offiziersgrad in der Armee). Man weiB heme immer weniger, welche Ausbildungen in zehn Jahren gefragt sein werden, welcher Lehrgang in Zukunft auf bessere Arbeitsmarktperspektiven hoffen darf und welche Fahigkeiten sich dereinst als wertlos erweisen werden. "Die Erziehung ist ein soziales System, das sein eigenes und wachsendes Nichtwissen, fur welche Zwecke es ausbildet, durch eine Entscheidung fur die Erziehung als Erziehung sowohl verdecken als auch fruchtbar machen muss. Dazu dient, in letzter Instanz, die Formel der Erziehung zur Freiheit, deren Paradoxie schon Kant in seiner Schrift .Uber Padagogik' (1803) aufgedeckt hat."565 Daneben produzieren technische Innovationskulturen Modeberufe und beseitigen sie wieder. Lifelong Learning ist zu einem stehenden Begriff fUr eine florierende Bildungsindustrie geworden, die in immer kiirzeren Abstanden neues anwendungsorientiertes Wissen (an)schafft und im Gleichschritt mit der technischen Evolution alte Qualifikationen abschafft.566 Der Wissenswert unterliegt, wie alles, der allgemeinen Verwertung bzw. der momentanen Verwertbarkeit, Die Kriterien dessen, was in einer Leistungsgesellschaft als Verdienst zu gelten habe, werden regelmaBig neu festgelegt und zwecks Berechenbarkeit moglichst quantifizier- und damit messbar gemacht.t" Wiewohl Meriten auch 564 Vgl. dazu den Essay von Young, The Rise of the Meritocracy, dem wir den Begriff der Meritokratie verdanken. 565 Baecker, Wie steht es mit dem Willen Allahs?, S. 153. 566 Die Eingabe der Worte "lifelong learning" in der Internetsuchmaschine Google lieferte im August 2008 rund 5,6 Millionen Eintrage. Luhmann, Wirtschaft der Gesellschaft, S. 37 f. stellt bereits in der zweiten Halite der achtziger Jahre die Frage, "ob die padagogische Zielsetzung einer moglichst langen und gehalrvollen Erziehung fur moglichst groBe Teile der Bevolkerung haltbar ist, wenn das Wirtschaftssystem tiber Fluktuationen wirtschaftlicher Chancen eine unsichere Zukunft ankiindigt und wenn zugleich das politische System unter egalitaren Zielsetzungen schichtspezifische Berufskanalisierungen mehr und mehr auflost. Das Erziehungssystem wird unter solchen Umstanden mit einer hohen Quote von Aussteigern rechnen miissen, die den unmittelbaren Erwerb vorziehen, d. h. bei langfristiger Ausbildungsplanung: mit abgebrochenen und so kaum verwendbaren Ausbildungen." 567 Vgl. Young, Meritocracy, S. 145 f. tiber die Relativitat von Verdienstkriterien; zur Selektionsmacht der Noten bzw. Notengeber und damit des Erziehungssystems in Bezug auf die Arbeitsmarkte vgl. Baecker, Willen, S. 153.
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Von der Berechenbarkeit zur Verrechenbarkeit
nach alter Ordnung durchaus aufgrund der Anzahl Siege, gefangener oder getoteter Gegner im Feld erworben werden konnten, waren Aufstieg oder Fall, Auszeichnung oder Degradierung, Promotion oder Relegation grundsatzlich immer noch Ermessenssache und oblagen allein dem Gutdiinken ihrer Gnaden und somit landesherrlicher Willkiir. 568 In Abgrenzung dazu installierten die nachrevolutionaren Ordnungen egalisierende Systeme (schicht)durchdringender gegenseitiger Kontrolle. Das Biirgertum gelangte durch diesen Privilegienabbau in den Besitz gewisser Grundfreiheiten, wahrend die Obrigkeit ihrerseits in der Herrschaftsausiibung an Gesetze gebunden und so in ihrem Ermessen eingeschrankt wurde. 569 Auch wenn sich keine konstanten Naturgesetze des Rechts finden lieBen,570 war doch ein fUr das naturwissenschafdichverniinftige 19. Jahrhundert typisches Bemiihen zu erkennen, herrschafdiches Entscheiden moglichst berechenbar werden zu lassen. Dass sparer auch der Richter eher Konig geblieben ist, als zum Subsumtionsautomaten werden zu konnen, beschaftigt die Literatur heute wie darnals .>"
2. Von der Qualitatzur Ouantltat .Daran erkenn' ich den gelehrten Herrn! Was ihr nicht raster, steht euch meilenfern, Was ihr nicht faBt,das fehlt euch ganz und gar, Was ihr nicht rechnet, glaubt ihr, sei nicht wahr, Was ihr nicht wagt, hat fur euch kein Gewicht, Was ihr nicht miinzt, das, meint ihr, gelte nicht ." Mephistopheles, in: Goethe, Faust II, Verse 4917 ff.
Urn Leistung messen zu konnen, bedarf sie der Zerlegung in gleichartige, zahl-
bare Einheiten. So schreibt denn Kant: "Das reine Schema der Grofie aber (quantitatis), als eines Begriffs des Verstandes, ist die Zahl, welche eine Vorstellung ist, die die sukzessive Addition von Einem zu Einem (Gleichartigen) zusammenbefasst. Also ist die Zahl nichts anderes, als die Einheit der Synthesis des Mannigfaltigen einer gleichartigen Anschauung iiberhaupt, dadurch, dass
568 Vgl. Held-Daab, Das freie Ermessen, S. 21, 23, 53; immerhin galten subjektive , wohlerworbene Rechte (ahnlich den subjektiven Privatrechten im 19.Jahrhundert) auch im 18.Jahrhundert als positive Rechtsgrenzen der Hoheitsgewalt (ebd., S. 39, 54 ff.). 569 Vgl. ebd. sowie Horst Dreier, Dimensionen der Grundrechte, S.29 ff., 37 und zur Abgrenzung des Rechts gegenuber der Politik Ogorek, Die Zahmung des Leviathan, S. 411 ff. 570 Dber einen entsprechenden Versuch Kiesow, Das Naturgesetz des Rechts . 571 Pars pro toto Ogorek, Richterkonig oder Subsumtionsautomat? sowie konzis dies., Die Zahmung des Leviathan, S. 412 f.
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Was leistet die Leistungsgesellschaft?
ich die Zeit selbst in der Apprehension der Anschauung erzeuge."572 Berechenbare Rechtsprechung ist deshalb ein Problem, weil iiber das Vorliegen eines tatbestandsrelevanten Merkmals (etwa die Bereicherungsabsicht beim Diebstahl oder das Liigengebaude beim Betrug)573 bei zwei verschiedenen Fallen nie dieselbe Klarheit besteht, wie etwa bei der Frage, welcher Laufer schneller am Ziel angekommen ist. Das Vorhandensein derselben fraglichen Einheit (eine Sekunde mehr oder weniger beim Lauf, Bereicherungsabsicht beim Diebstahl) lasst sich im einen Fall klar feststellen (2 Sekunden mehr als der Konkurrent), im anderen nur abwagend behaupten, abhangig von mehreren Umstanden und Unklarheiten beziiglich der Sachverhaltsfeststellung bzw. -erhebung. Wo es moglich ist, wird das Recht deshalb quantifiziert, d. h. der Schaden im Zivilprozess z. B. nach dem Markrwert der Sache festgelegt und entsprechend abgegolten (falls denn das Verschulden des Schadigers auch festgestellt werden konnte). Doch ist auch der Marktwert der zu entschadigenden Sache oft umstritten. Bei sportlichen Leistungen jedenfalls bricht Streit kaum je der erbrachten Leistung wegen aus, allenfalls iiber die Bedingungen der Moglichkeit dieser Leistung.V" "Nur rechnen(d) und nur in den Formen des Raumes hat der Mensch absolute Erkenntnis d. h. die letzte Grenze alles Erkennbaren sind Quantitaten, er versteht keine Qualitat, sondern nur eine Quantitat."575 Ein anderes Beispiel ware der Anspruch auf Sozialhilfe: Wer weniger als einen bestimmten Betrag an Einkommen und Verrnogen vorweisen kann, hat Anspruch auf staatliche Unterstutzung.V"Hier erzeugt das Kriterium Einkiinfte/ Verrnogen (unter anderem) ein berechenbares Anspruchsmoment. Ein weiteres Beispiel aus dem Sozialversicherungsrecht ware aber die Invalidenunterstiitzung und dort gilt als Zuteilungskriterium die Erwerbs- bzw. vorn Arzt 572 Kant, Kritik der reinen Vernunft, S.243 f. (B 182, A 142 f. [kursiv bzw, gesperrt im Original]). 573 Vgl.Niggli, Vor Art. 137, Rn.61 ff. undArzt, Art . 146, Rn.55. 574 So hat der angeblich "saubere" Sport bekanntlich mit dem Problem der unerlaubt medikalisierten Leisrungssteigerung (Doping) zu kampfen . Dazu die "Tour de France" qua"Tour de Farce" im Sommer 2007 (vgl. die Berichte in der Tagespresse, etwa NZZ vorn 25.Juli 2007, S.48). Die Emporung (das deutsche offentlich-rechtliche Fernsehen hat die Life-Ubertragung der Fahrradkonkurrenz eingestellt, NZZ vorn 21.122.Juli 2007, S.60) resultiert vor allem aus der Enttauschung iiber die vermeintlich ehrliche, fur jedermann gerechte Methode einer untruglichen Leistungsquantifizierung. Die gleichen Ausgangsbedingungen waren freilich durch eine Legalisierung der Dop ing-Mittel wieder hergestellt. 575 Nietzsche, Fragmente 1869-1874, KSA Bd. 7, S. 440 (§ 19 [66]). 576 Vgl. erwa §§ 14ff. des Sozialhilfegesetzes des Kantons Zur ich vom 14.Juni 1981 sowie die zugehorige Verordnung vom 21. Oktober 1981 (Ordnungsnummern 851.1 bzw. 851.11), welche hinsichtlich der Bemessung der wirtschaftlichen Hilfe in den §§ 16ff. auf die Richtlinien der Schweizerischen Konferenz fiir Sozialhilfe (SKOS) verweist. Ein Vorgehen, wie es auch von anderen Kantonen praktiziert wird .
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Von der Berechenbarkeit zur Verrechenbarkeit
festzustellende Arbeitsunfahigkeir.!" Mehr als bei den vergleichsweise genau bezifferbaren Einnahmen/Ersparnissen miissen beim Anspruchskriterium der Arbeits- bzw. Teilarbeitsunfahigkeit zunachst noch eine Reihe diese weiter konkretisierende Unter- und Unterunterkriterien eingefiihrr werden, bis auf ihrer Grundlage annahernd kalkulierbare Entscheide gefallt werden konnen, Wo indes nicht auf eine eindeutige Zahl rekurriert werden kann, der potentiell Anspruchsberechtigte nicht auf eine abrechenbare, mess bare GroBe verweisen kann, muss er andere, vom Gesetz und/oder Richter aufgestellte, mit stets ausbzw. einlegungsbediirftigen Worten umschriebene Merkmale geltend machen konnen und der Spielraum ist gro6. 578 Entweder sieht der Rechtsaugen-Blick der Richterschaft ein Kriterium als erfiillt an oder er sieht es nicht. Entweder subsumiert er den Fall oder nicht. Einmal sieht er einen Begriff als gegeben, halt er oder der Arzt den Tatbestand fur erfullt, einmal nicht. Zu berechnen gibt es da nichts. Es geht wieder urn die Problematik der Sachverhaltserhebung. Berechenbarkeit gibt es nur dort, wo es zu rechnen gibt und das gibt es nur bei Zahlen, nicht aber bei Worten. Wie fur die Sozialhilfe, wird auch im Steuer- oder Strafrecht auf die Kriterien Einkiinfte/Vermogen abgestellt. Nun handelt es sich aber auch bei ihnen offensichtlich urn Worte und nicht urn zum Vornherein bestimmte Betrage, Diese vermeintlich klaren Malieinheiten ergeben mithin selten ohne weiteres eine sichere Zahl. Die Frage, ob bestimmte Werte - und wenn ja, in welchem Umfang - vorn jeweiligen gesetzlich umschriebenen Verrnogens- bzw. Einkommensbegriff erfasst werden, ist auch von ehrlichen Sozialhilfebezugern und aufrichtigen Steuerzahlern nicht in jedem Fall eindeutig zu beantworten und lasst es deshalb etwa bei Falschdeklarationen durch Steuerpflichtige angezeigt erscheinen, zwischen Steuerbetrug einerseits und der privilegierten Steuerhinterziehung andererseits zu unterscheiden.V? Auch die Bestrafung nach der wirtschaftlichen Leistungsfahigkeit schafft mit einem eigenen Einkommens- und Verrnogensbegriff eine Reihe neuer Un577 VgI.Art.3bf.IVG 578 Vgl. zum Ganzen Seibert, Der Preis des Rechts, S. 29. 579 Diese Unterscheidung rechtfertigt sich in der Schweiz insbesondere aufgrund der Selbstdeklarationspflicht der Steuersubjekte , im Gegensatz zu zahlreichen auslandischen Rechtsordnungen, welche das Einkommen unselbstandig Erwerbender bereits an der Quelle besteuern . Fur die Unterscheidung auch mit Blick auf den Erhalt einer hohen Steuermoral Torgler, Wirtschaftspolitische Erkenntnisse aus der Steuermoralforschung, S.174; aus Sicht der internat ionalen Amtshilfe mag sich freilich eine andere Meinung aufdrangen. Dieser habe sich die Schweiz namlich durch den "rechtstechnischen Trick der Unterscheidung" entzogen und damit ihrem "Finanzplatz einen viilkerrechtlich und wettbewerbspolitisch hochst fragwiirdigen, nicht leistungsorientierten Standortvorteil verschafft, der auf eine Form unlauteren Wettbewerbs hinauslauft." So Ulrich, Wahrhaftigkeit in der Wirtschaft, S. 104ff. (106). Einmal mehr wird hier allerdings leichthin und ohne BelegeVolkerrechtswidrigkeit suggeriert.
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Was leistet die Leistungsgesellschaft?
klarheiten; erfordert im Rahmen dessen naherer Bestimmung die Mobilisierung des bekannten Repertoires an Vermutungen, Hypothesen, Fiktionen, kurz: dogmatischen Konstruktionen, die ihrerseits eine eigentliche Berechnungslawine bei den Gerichten auslosen. Der Vorstellung jedenfalls, es sei mit dem Abstellen auf feststehende Zahlen eine gerechtere, da im Einzelfall klar berechenbare Strafzumessung herstellbar, macht der prekare Verrnogensbzw. (Netto)Einkommensbegriff faktisch einen Strich durch die "Rechnung", weshalb sich die Gerichtspraxis notwendigerweise von der Berechnung in Richtung Schatzung bewegt.i" Das zeitlose Dogma lautet, Leistung lasse sich in Gestalt ihrer Zahlbarkeit wirklich und genau messen, weshalb sich weit herum wirtschaftlich-finanzielle Kriterien hinsichtlich der Anerkennung von Leistung als solcher durchgesetzt haben . Leistung ist entweder monetarisierbar oder zweifelhaft. In ihrer Fixierung auf die zweifelsfreie Nachweisbarkeit und Belegbarkeit von Leistung und mithin auf deren durchgehend unanfechtbare Akzeptanz begibt sich eine Gesellschaft bis zu einem gewissen Grad der Chance auf eine Verwirklichung allgemeiner Wertevielfalt. Die wichtigsten okonomischen Kriterien wie Effizienz- und damit Produktionssteigerung verdanken ihre Vorherrschaft in der Regel einer Zwangslage. In Zeiten des Krieges oder der Kriegsbedrohung geniellen diejenigen Leistungen, welche dem Aufbau des Angriffs- bzw. Ver580 Einen Vorgeschmack auf die anstehenden Klarungsarbeiten mit dem in der Schweiz noch jungen Tagessatzsystem bietet BGE 134 IV 60, S. 69 ff. E. 6; vgl. nur E. 6.1: .Der Erminlung des Nettoeinkommens konnen in der Regel die Daten der Steuerveranlagung zu Grunde gelegt werden (vgl. Art. 34 Abs.3 StGB). Der Begriff des strafrechtlichen Einkommens im Sinne von Art. 34 Abs .2 StGB ist allerdings mit jenem des Steuerrechts nicht identisch, was namentlich bei Selbstandigerwerbenden, Wohneigentiimern oder Stipendien-Beziigern von Bedeutung sein kann. Bei stark schwankenden Einkiinften ist es unvermeidlich, auf einen reprasentativen Durchschnitt der letzten Jahre abzustellen. Dem steht nicht entgegen, dass die Verhaltnisse im Zeitpunkr des sachrichterlichen Urteils massgebend sind (Art. 34 Abs. 2 Satz 2 StGB). Denn diese Regel will nur besagen, dass das Gericht die wirtschaftliche Leistungsfahigkeit moglichst aktuell und genau zu ermitteln hat und zwar im Hinblick auf den Zeitraum, in dem die Geldstrafe zu zahlen sein wird. Daraus folgt, dass kunftige Einkommensverbesserungen oder Einkommensverschlechterungen zu beriicksichtigen sind, jedoch nur, wenn sie konkret zu erwarten sind und unmittelbar bevorstehen [. . .]. Wenn die Einkiinfte hinter den Betragen zuriickbleiben, die der Tater in zumutbarer Weise erz ielen konnte oder auf die er (z. B. nach Art. 164 oder 165 ZGB) Anspruch harte, so isr von einem potentiellen Einkommen auszugehen (vgl. BGE 116 IV 4 E. 4d S. 10 [oo .J). Bei der Frage nach der Zumutbarkeit ist die personlich gewahlte Lebensfuhrung zu beriicksichtigen. Davon ist die Konstellation zu unterscheiden, dass der Tater keine oder unglaubhafte Aussagen zu seinen Einkornmensverhaltnissen macht und die behordlichen Auskiinfte dazu (Art. 34 Abs . 3 StGB) unergiebig sind . Alsdann ist auf ein hypothetisches Einkommen abzustellen, das sich am (geschatzten) Lebensaufwand orientiert [oo .J." Vgl. fiir Deutschland Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 64 ff. 70 ff.
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Von der Berechenbarke it zur Verrechenbarkeit
teidigungsvorrats der Gruppe dienen, stets hochste Wertschatzung. 581 Dieser Kriegsgedanke rettet sich nun zu Friedenszeiten in die "zivile" Wirtschaft. Seine Kr iter ien herrschen heute im emfesselten Konkurrenzdenken einer abnehmend protektionistischen, zunehmend globalisierten Wirtschaft weiter. Insofern kann die Wirtschaft gegenwartig durchaus als Ort der Fortsetzung des Krieges mit anderen (zivilisierteren) Mirteln beschrieben werden.W 1m Unterschied hierzu ware Wirtschaft in protektionistischen Systemen durchaus eine "gemutlichere" - geradezu gesellige - Sache, bei welcher oftmals andere Netzwerke als diejenigen der Buchhalter eine Rolle spielten. Durch ihren wachsenden Verzicht auf (in Bezug auf das heutige Verstandnis von Wirtschaft) wirtschaftsfremde Kriterien und im selbstbeschrankenden Rekurs auf einige bestimmte, invariable d. h. berechenbare Kriterien wie Rentabilitat, Profit usw., vermag sie sich als System besser zu etablieren, als wenn sie sich durch unsachlich gewordene Irritationen in ihrer Reproduktion storen lassen wiirde. Die moderne Okonomie operiert letztlich deshalb so erfolgreich, wei! das dominame Kommunikationsmedium Geld fur eine Ausschaltung unnotiger Kommunikation sorgt.!" Sie kann sich mit der geldvermittelten Knappheit an einer weniger komplexen Kontingenzformel orientieren als beispielsweise das Recht mit seinen Programmen der Gleichheit und Gerechtigkeit.t" Je komplexer ein System aufgebaut ist, desto groBer ist die Gefahr von Dysfunktion bzw. eines Aufbruchs in autonome, funktionstauglichere Teilsysteme, deren Bindung untereinander sich auf eine bestimmte strukturelle Kopplung reduziert. Die rekursive SchlieBung nach innen bedingt eine AbschlieBung des Wirtschaftssystems nach aufsen, eine Ignoranz der anderen Interessen, welche nur eine Destabilisierung der Funktionsweise seines systemspezifischen Codes als Leitunterscheidung zur Folge hatten, Das System geriete moglicherweise aus seiner gewohmen Bahn, wenn es sich nicht, wie jedes andere System auch , ungestort selbst reproduzieren konnte. Der globale Verkehr von Produkten und Dienstleistungen ware erheblich behindert, wenn lokale Besonderheiten regelmaliig neue Spielregeln aufstellen wiirden. Das Streben nach Wachstum, Absatzsteigerung und Effizienz, welches alle wirtschaftlichen Malinahmen vom Marketing bis zur technischen Innovation, der Forschung, dominiert, geht heute allerdings auch weit iiber seinen angestammten Bereich im Rahmen der unmittelbaren Bedrohungs- und Zwangslagen hi581 Vgl. Young, Meritocracy, 5.157 f. 582 Dies in Anpa ssung der von Fouc ault gegenuber Clausewitz umgek ehrten Wendung, wonach Politik die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln sei. Vgl. Foucault, In Verteidigung der Gesellschaft, 5. 63, 197 f. 583 "Insofern wirkt die Geldform sozial destabilisierend, sie kappt kommunikativ mogliche Bindungen, und genau das ist Bedingung der Ausdifferenzierung eines besond eren Funktionssystems fur Wirtschaft. « Luhmann, Wirtschaft der Gesellschaft, S. 18 sowie ff. uber die Rolle der Preise. 584 Vgl. Luhmann, Wirtschaft der Gesellschaft, 5. 64 f., 177 ff.
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Standardisierung
naus, beeinflusst indirekt - iiber New Public Management - auch das staatliche Handeln und damit alle staatlich oder auch privatwirtschaftlich unterstiitzten Bereiche wie Kunst, Erziehung, Religion . Wo immer es urn Geld geht, ginge es immer auch schneller und mit weniger Geld . Zeit ist Geld und Zeit ist knapp. Wo Geld flieGt, kann immer Knappheit entstehen. Das Eindringen jener quantitatsbezogenen wirtschaftlichen Dominanten in andere Systeme wie Recht (vgl. economic analysis oflaw) oder Kunst (Theater miissen eintragliche Stucke, d. h. Klassiker auffiihren) diirfte auch damit zusarnmenhangen, dass das Kriterium der Marktgangigkeit wie angetont auf relativ einfache und effiziente Weise verbindliche, handelbare Werte zu erzeugen vermag, die Bewertung bzw. Entwertung fast aller Handlungen und Gegenstande leisten konnen. Diese bezifferbare Wertzuschreibung entscheidet all jene Falle, in denen sich nur umstrittene und damit keine entscheidenden Qualitatskriterien finden lassen.585 Was oder wer nach Anerkennung und Bedeutung strebt, sucht sich seine Rechtfertigung stets dann im Ausweis von Masse, wenn sich iiber die Frage der Qualitat keine Einigung erzielen lasst. Ein Phanomen, das einem mitunter auch aus einer langen wissenschaftlichen Publikationsliste oder aus dicken Biichern entgegenlacht. Die Masse macht 's - die Masse als Macht . Sie schiirt jedenfalls die Hoffnung, dass ein Produkt oder eine Dienstleistung mit hoher Nachfrage keine schlechte Sache sein kann. Wo der unmittelbare monetare Gewinn, den eine Arbeit einspielt - sei es ein Buch, ein Theaterstiick, die Siege eines Tennisspielers oder die Borsengewinne eines Handlers -, ersichtlich wird, ist der Wert dieser Arbeit klar; bei einer Lehrperson jedoch lasst sich deren Wert kaum auf diese Weise feststellen. Zahlreiche Arbeitsleistungen miissen nach anderen, eben schwammigeren, weniger klar messbaren Kriterien bewertet werden.
II. Standardisierung "Das Leben ist auf die Voraussetzung eines Glaubens an Dauerndes und Regular- Wiederkehrendes gegriindet; je machtiger das Leben, urn so breiter muf die errathbare, gleichsam seiend gemachte Welt sein. Logisirung, Rational isirung, Systematisirung als Hiilfsmittel des Lebens."
Nietzsche-"
585 Es geht letztlich urn eine niitzliche Informationsreduktion. "Weder brauchen die Bediirfnisse oder Wiinsche, die man iiber Geldzahlungen befriedigen kann, besonders erIautert oder begriindet zu werden [.. .J.« Luhmann, Die Wirtschaft der Gesellschaft, S.18. 586 Nachgelassene Fragmente 1885-1887 (KSA Bd. 12), S. 385.
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Von der Berechenbarkeit zur Verrechenbarkeit
Es gibt keine gleichen Falle. Der Wunsch nach Vorhersehbarkeit hat die Rechtskodizes und eine Typisierung der Falle hervorgebracht; doch auch die wenig oder kaum kodifizierten Rechte Roms und des angelsachsischen Raums kannten respektive kennen die Typisierung. Berechenbarkeit entspricht einem unstillbaren Desiderat und je starker sich die Gesellschaft industrialisiert, je mehr der technische Fortschritt und die Angleichung der Lebens verhaltnisse neue Subs ysteme schaffen oder bestehende neu organisieren, desto groBer wird ihr Bedarf nach Kontrolle. Entgegen der Behauptung ihrer Pluralisierung, haben sich die Lebensfiihrungen in westlichen Gesellschaften einander weitgehend angenahert. Dies nicht zuletzt aufgrund der heute ausgepragt vereinheitlichten Technika des modernen Lebens, welche friiher lokal vermehrt variiert en. Die sogenannte Pfadabhangigkeit moderner Technologie erklart die zunehmende welrweite Standardisierung zahlreicher Errungenschaften und zugleich der mit ihnen verbundenen praktischen Lebensbereiche.W Es geht urn Selbstverstarkungsmechanismen bestimmter technischer Standards, die mit steigender Teilnehmerzahl ihren Nutzen erhohen, und ,,[weil] diese Erhohung in positiver Riickkopplung wieder zu einer Erhohung der Teilnehmerzahl fiihrt, ist es wahrscheinlich, dass sich fiir ein bestimmtes Gut ein einziges N etzwerk durchsetzt und zum Monopol wird. "588 World Wide Web und "Windows", Telefonie, MIDI, 08/15, Videosystem VHS, Messer und Gabel oder auch die Olpreis-abhangige Fortbewegung miissen als Stichworte geniigen. Die Festlegung der Teilnehmer auf Medien reduzierter Kornplexitat erleichtert zudem die Kommunikation (im weitesten Sinn) und begiinstigt dank deren Effizienz zusatzlich den Netzbildungseffekt.r" "Das Monopol eines Standards schlieiit [...] nicht nur alternative Standards aus, sondern generiert eine Vielfalt immer neuer kornplementarer Standards", wie Software, Verbrennungsmotorentechnik etc., womit - eingedenk der steigend en Netzwerkteilnehmerzahl - ein Standardwechsel vergleichsweise hohe Kosten verursachen wiirde, was in der Regel die Konsolidierung des "Systems" zusatzlich stiitzt. 590 Die in diesem Zusammenhang auftretende Problematik eines erschwerten Riickgangigrnachens, einer bisweilen fast unrnoglichen Reversibilitat bestimrnter Entscheidungsfolgen, lasst sich auch in der Politik beobachten, Einmal etabliert, sind selbst fragwiirdig gewordene staatliche Einrichtungen kaum mehr zu beseitigen. Da sich deren Aufbau oft wechselseitigen Aushandlungs587 Zum Problem der Pfadabhangigkeit vgl. die Beitrage in: Garud/Karnee (Hrsg.), Path Dependence and Creation. Dazu auch ein working paper von Meyer/Schubert, Die Konstitution technologischer Pfade. Dberlegungen jenseits der Dichotomie von Pfadabhangigkeit und Pfadkreation. 588 Dedeyan, Macht durch Zeichen, S. 57. 589 Dedeyan, Macht durch Zeichen, S. 57-60m.w.H . 590 Vgl. Dedeyan , Macht durch Zeichen, S.57,59.
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Konfliktverrechnung?
und Ausgleichsmechanismen zwischen mehreren Interessengruppen verdankt, ist fur den spateren Ab-, Um- und geschwe ige denn Riickbau der fraglichen Institution meist keine politische Mehrheit zu gewinnen - zumal dann nicht, wenn einzelne unter den genannten Interessengruppen dabei Vorteile einzubu£en harren .'?' Die Zivilisationsleistung der Standardisierung besteht in einer "Abkehr" von der Natur, in der Ersetzung des direkten unvermittelten Naturkontakts durch einen technisch neu organisierten Zugang zu ihr. Welt kann iiberhaupt erst beschrieben werden, wenn man deren Kornplexitat reduziert, wodurch bekanntlich erst der Aufbau neuer Komplexitat moglich wird.
III. Konfliktverrechnung? Die mit dem Fall der kommunistischen Regimes und dam it des "Eisernen Vorhangs" im Gefolge jener Offnungs- und "Perestroika" -Euphorie publizistisch begleiteten Hoffnungen im Zusammenhang mit der erwarteten neuen Vielfalt - die Aufnahme des Fremden oder Anerkennung des Anderen im Eigenen haben Dampier erfahren. Neben den negativen Folgen kultureller Insulierungen (Stichwort .Banlieu" oder urbane Ghettoisierung), der sogenannten Integrationsproblematik (zunachst in Schulen und sparer in der Arbeitswelt), wurden Lebensvollzuge in Varianten vielleicht bereichert (am sichtbarsten durch die auslandische Gastronomie), mogen einzelne Verbindungen die rein oberflachliche Begegnung auch vertieft iiberdauern. Insgesamt zeigt sich die Pluralisierung der Lebenswelten aber zunehmend anhand der Herausbildung von Parallelgesellschaften, die in ihrer ausdifferenzierten Kornplexitat nicht mehr zueinander kommen. Spannungen losen sich des Ofteren nur noch als zugespitzte Gewalt eines Enrweder/Oder.t'" Fur interkulturelle Massenhochzeiten aus Staatsrason (wie einst um 324 v. Chr. in Susa zwischen Makedonen und Persern auf Befehl Alexanders) scheint zum einen der Zeitpunkt verpasst und zum anderen eine freiheitliche Gesellschaft ohnehin ungeeignet. Das Konzept der Polykontexturalitat etwa formuliert hier lediglich das Problem, ohne Freilich die Kompatibilisierung jener unterschiedlichen "Kontexturen" and ers als durch eine unvermeidbare partielle Uberwaltigung bzw. Destabilisierung der einen durch die anderen Teilsysteme gewahrleisten zu konnen. Es handelt sich dabei um ein beobachtbares, scheinbar unausweichliches Wirklichkeitsbewaltigungsphanomen, das sich die Formen seiner Austragung zunehmend 591 Diese Schwierigkeit einer entsprechenden Deregulierung und Entscheidriicknahme trifft in noch hoherem MaBe fur stark verflochtene politische Mehrebenensysteme wie die EV zu. Ziirn, Regieren jenseits des Nationalstaates, S.242 f. 592 Zum Ganzen ausfuhrl ich mit Losungsvorschlagen Luft, Abschied von Multikulti; vgl. auch kon zis und zur (Jugend)Gewalt Guntner, Reizwort "Multikulti".
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Von der Berechenbarkeit zur Verrechenbarkeit
selber sucht. Inwiefern es sich auch in zivilisierter Fassung ausdriicken, d. h. reprasentieren und damit verfremden lasst, bleibt abzuwarten. Gegen die allgemeine Willkiirherrschaft in der Welt kann sich der Mensch nur durch eine Flucht vor ihrer Unmittelbarkeit retten. Er darf sich nicht unmittelbar mit der Wirklichkeit einlassen. "D er menschliche Wirklichkeitsbezug ist indirekt, umstandlich verzogert, selektiv und vor allem .metaphorisch c." 593 Er bedarf der Symbole, ohne Anspruch darauf zu erheben, dass diese die Realitat andern konnten. Das als Folge der Verrechtlichung etablierte Leitsystem der Konflikt-Verrechnung erwa vermag trotz - oder gerade wegen seiner Kompensationslogik nie in allen Fallen echten Ausgleich zu erzielen.t?' nicht nur die Bewertungsfrage perpetuiert den Streit; bereits die Verrechnungslogik des quid pro quo an sich, als Konzept der ersatzweisen Abgeltung, der Substitution durch ein anderes, ist streitig und vermag den Unfrieden im blo Ben Rechtsfrieden nicht zu begraben, sondern allenfalls ausgleichend abzulenken und dessen gewalttatige Ausbriiche autoritativ zu verbieten. Doch gegen aIle Versuche, ihn im litige aufzulosen, behauptet sich der difjerend. 595 Die heute weitgehend einhellige Meinung, dass eine Schuld durch Aufrechnung bzw. Verrechnung mit einer Gegenschuld materiell zum Erloschen gebracht werde, war fur die romischen Juristen der klassischen Epoche keineswegs selbstverstandlich, Die Aufrechnung vermittelte vielmehr einzig verfahrensrechtliche Einredemoglichkeiten (wie etwa die exceptio pensatae pecuniae oder die exceptio doli), welche einer erneut auf Zahlung gerichteten Klage entgegengehalten werden konnten, was freilich im wirtschaftlichen Ergebnis einem materiellrechtlichen Erloschen der Forderung gleichkam.F" Wir wollen den Rornern nicht unterstellen, ihre Ablehnung des materiellen Erloschens der Schuld sei Ausdruck einer Ahnung von der inhaltlich stets umstrittenen tatsachlichen Erledigung einer Streitsache. Doch diirfte wie heute auch damals die Bewertung der hinter den gegenseitig verrechneten Forderungen stehenden Leistungen regelmailig Probleme bereitet haben. Jedenfalls hat die moderne Losung einer tatsachlichen materiellrechtlichen Erledigung der Schuld durch Aufrechnung den realen differend nicht zwingend zu beseitigen vermocht, "Das animalsymbolicum beherrscht die ihm genuin todliche Wirklichkeit, indem es sie vertreten lasst; es sieht weg von dem, was ihm unheimlich ist, auf das, was ihm vertraut ist."597Dennoch: Den Ausbruch der Zwietracht als Ein593 Blum enberg, Amhropologische Annaherung an die Aktualitat der Rhetorik, S. 115. 594 Uber emsprechende Anspriiche gegeniiber der Justiz aber Walter, Methodenpluralismus, S. 161. 595 Vgl. Lyotard, Der Widerstreit, S. 9 ff., 27 (Nr. 12). Uber die Persistenz des »Polit ischen" vgl. Schmitt, Der Begriff des Politischen. 596 Vgl. hierzu Pichonnaz, La compensation. S. 675 f. 597 Blumenberg, Aktualitat der Rhetorik, S. 116.
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Konfliktverrechnung?
bruch des Realen verhindern, kann die Kompensationslogik nicht, 598 Sie darf Freilich immer auf "produktive Missverstandnisse" hoffen und in diesem Zusammenhang spielt Geld zweifelsohne eine wichtige Rolle. "Geld wendet fur den Bereich, den es ordnen kann, Gewalt ab [.. .]."599 Die Frage jedoch, in welchen Bereichen Geld erfolgreich operiert - die Frage also, ob sich ein bestimmter Konflikt dem Ordnungsbereich des Geldes fiigt -, miisste fur jeden Rechtsstreit und insbesondere nach dessen Erledigung im Einzelnen uberpnift werden.
598 Insofern lasst sich der "metaphorische Umweg" Blumenbergs zumal im Rechttsstreit) nicht umsetzen; kann sichalso der Versuch, "etwas als etwas zu begreifen" nicht "radikal von demVerfahren [unterscheiden], erwas durch erwas anderes zu begreifen." Ebd., S. 116; vgl.auch die Ausnahme/Normalfall-Dialektik bei Schmitt, Politische Theologie, S.22. "In der Ausnahme durchbricht die Kraft des wirklichen Lebens die Kruste einer in Wiederholung erstarrten Mechanik." (ebd.). 599 Luhmann, Wirtschaftder Gesellschaft,S. 253.
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§ 8 Schlussfolgerungen I. Das Recht zwischen Konfliktentfremdung, Dezision und
Konfliktprovokation
Freilich kann auch das Rechtssystem nur operieren, indem es die Konflikte ihrer je eigenen Welt entaullert, sie in seine spez ifische Struktur einliest bzw, in seiner Sprache zum Ausdruck bringt und damit neu konstruiert.s'" Die urspriinglichen Konflikte unterliegen dadurch einer ebensolchen Selbstentfremdung wie die von ihnen hervorgebrachten Parteiinteressen. Letztere erfahren ihre Wiedergabe, werden also bekanntermallen "weiter weg" (wenn nicht gar "weit weg") von sich neu erzeugt und verlieren damit ihre alte Gestalt.601 D iese Verfremdung im Weg ihrer Standardisierung ist unausweichlich, wollen sie sich mit Hilfe des Rechts Nachachtung verschaffen; sollen sie fur das Recht iiberhaupt greifbar werden. So mag etwa das urspriingliche Parteiinteresse eines Grundeigenriimers am Sichtschutz durch eigenen alten Baumbestand gelegen haben, der vom Nachbarn irrtumlich gekappt wurde. Just dieses Interesse lasst sich mit Hilfe des Rechts nicht wieder herstellen. Das Recht konnte nicht einmal einem allfalligen zornigen Vergeltungsinteresse dienen (beispielsweise dem Uberfahren der stets lastig klaffenden Hunde des fehlbaren Nachbarn). Der Sichtschutz kann allenfalls durch einen anderen Gegenstand sicher600 Vgl. Teubner, Episteme, S. 128; Ladeur, Das selbstreferenzielle Kamel, S. 180 fL, 185 f. sowie vor allem Teubner/Zumbansen, Rechtsentfremdungen; diese Absonderung der Rechtsprechung gegeniiber dem "normalen Leben" wird historisch durch den geweihten Ort des Gerichts verdeutl icht. "Die Rechtsprechung findet in einem ,Hofe' statt, D ieser Hof ist noch immer im vollsten Sinne des Wortes jener iepo; KUKAO~ der heilige Kreis, in dem man schon auf dem Schilde des Achilles die Richter sitzen sah.Jeder Platz, wo Recht gesprochen wird, ist ein echter Temenos, ein geweihter Platz, der aus der gewohnlichen Welt herausgeschnitten und abgesteckt ist. Das ,Ding' wird gehegt und gebannt . Das Gericht ist ein richtiger Zauberkreis [...J." Und in Bezug auf England: "Die Richter treten noch immer aus dem .gewohnlichen Leben' heraus, ehe sie Recht sprechen. Sie hullen sich in den Talar, oder sie setzen sich eine Periicke auf." Hu izinga , Homo ludens, S. 126 f. 601 Das gemeingermanische Wort "wieder/ wider" geht auf einen indogermanischen Kornparat iv "weiter weg" zuriick. Vgl. Drosdowski, Duden Etymologie, S. 811f.
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Das Recht zwischen Konfliktentfremdung, Dezision und Konfliktprovokation
gestellt werden; er diirfte aber immer nur eine vergleichsweise schlechte Alternative zum wertvollen Zierbaum darstellen und selbstredend vermag auch eine monetare Entschadigung das urspriingliche Parteiinteresse nicht zu befriedigen.602 Die Hoffnung einer Auflosung der Kontroverse durch ihre Verwandlung in einem neuen Med ium erinnert sowohl an Hegel als auch an religiose Eschatologie.603 Moglicherweise geschieht also im "kleinen" Rechtskonflikt nichts anderes als in der "groBen" Gesellschaftstheorie, wo die "Integration through law"-Bewegung auf eine ahnliche Konflikt-Entfremdungslogik baut,604 dabei aber ignoriert, dass die urspriinglichen Konfrontationen nicht verschwinden, sondern nur in eine andere Sprache iibersetzt (eben verfremdet) werden konnen und sich einzig (aber immerhin) dort - jenseits ihrer selbst -, im neuen Medium Recht, gleichsam stellvertretend zugunsten der einen oder anderen Seite entscheiden lassen.6os Nun ist das Medium Recht aber nichts anderes als Sprache und Sprache allein entscheidet nichts, Indem sie dem Recht jene ihr grundsatzlich fremden Konfliktrationalitaten "begreift" - und sich damit zwangslaufig an ihnen vergreift -, stellt sie noch kein berechenbares MaB- bzw. Regelsystem bei.606 Sie (und mit ihr das Recht) wird konkret erst durch ihre Verwendung, durch die Behauptung einer bestimmten Bedeutung.s'" Das Recht hangt mithin an der jeweiligen Verwendung der Sprache. Doch just weil die Sprache an sich der jeweils konkreten Sache nicht gerecht werden kann - weil sie diese noch nicht richtet -, wird sie ihr gerecht. Diese Tatsache ist in Demokratien nicht selten eine wichtige Voraussetzung fur die Moglichkeit von Gesetzen.t'" Sie entscheiden noch nichts und finden deshalb - auf602 Insofern muss die Recht skunst versagen, ist ihr Proprium dasjenige der Fiktion und die Entfremdung des Konflikts selten mehr als dessen Enteignung; eine gelingende Ruckiibersetzung dagegen reines Gliick . TeubnerlZumbansen, Rechtsentfremdungen, S. 194 f.; zu letzterem auch Teubner, Altera Pars Audiatur, S. 212 ff. 603 ,,[. .. ] und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschre i noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen . Und der auf dem Thron saB, sprach: Siehe, ich mache alles neu!" Offb. 21, 4-5; "Das sage ich aber, liebe Bruder, dass Fleisch und Blut das Reich Gottes nicht ererb en konnen; auch wird das Verwesliche nicht erben die Un verweslichkeit. Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden nicht aile entschlafen, wir werd en aber aile verwandelt werd en; und das plotzlich, in einem Augenblick, zur Zeit der letzten Posaune." 1. Kor. 15,50-52. 604 Zu dieser Bewegung als europaisches Phanomen Haltern, Europarecht und das Politische, S. 279 ff. und 292 tiber die nationalen Widersclnde gegen Rechtsvere inheitlichungen. 605 Vgl. TeubneriZumbansen, Rechtsentfremdungen, S. 194 f. 606 Vgl. Luhmann, Rechtssoziologie, S.104f. 607 Vgl. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, S. 242 § 9 f., S. 262 § 43 sowie Cassirer, Axel Hagerstrom, S. 88; siehe auch Amstutzl Niggli, Recht und Wittgenste in I, S. 9. 608 Es ist die sprachlich bedingte Unberechenbarkeit der gesetzlichen Intervention, welche zur Bedingung ihrer Moglichkeit wird . Vgl. Baecker, Form und Formen, S. 273 f.; ,,[I]n
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Schlussfolgerungen
grund der Bedeutungsoffenheit ihrer allgemeinen Form - eine Mehrheir.t'" Der offenen Semantik der Begriffe wegen sind die Konflikte allein durch ihre Bannung in Sprache noch nicht entschieden, aber auch nicht erwa entscheidbar geworden. Die Idee der Entscheidbarkeit basiert auf unseren Vorurteilen gegeniiber der Sprache, auf ihrer Voreinstellung durch uns, die einem ein-, ausund abgerichteten Spiel mit ihren Elementen (qua Worten) entspricht, deren semantische Ausschlage indes stets auch Argumente fiir den Verlierer des Spiels, mithin die unterlegene Seite der Scheidung liefern konnten.s' ? Denn: nicht jedermann spielt mit ihnen dasselbe Sprachspiel.f!' Die Entscheidung ist letztlich eine Dezision - moglich nur mit dem Riicken zum ewigen Gesprach, zur babylonischen Sprachverwirrung der Normtexte.612 Diese bringt uns von der Entscheidung abo Entschieden werden muss blind und taub, gewisserma6en in einer "Sinnpause" .613 "Mit dem Entscheiden sind wir [. . .] an einem Punkt, an dem zugleich alles zu Ende ist und wieder neu anfangt. Es ist der Punkt der Tat."614 Insofern kann auch Schmitt sagen, dass ,,[v]on dem Inhalt der zugrundeliegenden Norm aus betrachtet [. .. ] jenes kon -
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der vorn Gesetzgeber verlautbarten Norm ist die Rechtsregel noch nicht enthalten, jedoch die Moglichkeit, sie festzulegen". Niggli/Amstutz, Recht und Wittgenstein II, S.166. Vgl. Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 309 sowie dens., Organisation und Entscheidung, S. 93; wir denken dabei besonders an politische Systeme mit Mehrparteienkoalitionen bzw. an direktdemokratische Systeme mit der Moglichkeit des Gesetzesreferendums. "Wie normativ ist Sprache? Sprache ist nicht normativ. Normativ sind Sprecher. Insbesondere juristen, wenn sie Sprachkonflikte entscheiden." Christensen/Sokolowski, Wie normativ ist Sprache?, S. 77. Zum Ganzen auch Amstutz/Niggli, Recht und Wittgenstein III, S. 20 f. Insofern stellt auch die von Amstutz/Niggli im Anschluss an Wittgenstein gesuchte, fiir eine Entscheidung relevante, einheitliche Lebensform ein Problem dar (vgl. ebd., S. 12, 17,32 f.); erstens, weil auch eine vermeintlich fesrgestellte Lebensform immer nur eine Konstruktion sein kann (Homogenisierung von an sich Heterogenem), und weil zweitens der allgegenwartige Konflikt bereits das Vorhandensein unterschiedlicher Lebensformen impliziert , Abgesehen von wenigen Fallen (etwa bei Binz, Gesetzesbindung, S. 137 ff., vgl. auch 123 ff.), kann die Lebensform allein nicht geniigen, urn eine bestimmte Rechtsanwendung zu rechtfertigen. Zudem diirfte die zur Bestimmung der korrekten Rechtsanwendung erforderliche Feststellung einer "herrschenden" Lebensform selten ohne gehorige Komplexitatsreduktion und entsprechende Schlagwortrhetorik gelingen. Jedenfalls eignet sich die "gesellschaftliche Prax is" in pluralistischen Rechtsstaaten kaum je als in konkreten Rechtsfallen relevanter Lebensform-Indikator. Das wusste keiner besser als Schmitt. Vgl. nur dens., Gesetz und Urteil, sowie dens., Der Hiiter der Verfassung, S. 45 f. und dens., Politische Theologie, S.37; iiber eine diesbeziigliche Nahe Luhmanns zu Schmitt siehe vorne Fn. 277. Friedrich Muller, in: Christensen/Muller/Patterson/Sokolowski, Gesprach, S. 156; zur Augenbinde bei Justitia Kiesow, Das Alphabet des Rechts, S. 151 f. Sokolowski, in: Christensen/Muller/Patterson/Sokolowski, Gesprach, S. 154.
Das Recht zwischen Konfliktentfremdung, Dezision und Konfl iktprovokation
stitutive, spezifische Entscheidungsmoment etwas Neues und Fremdes" sei. Das heiBt: "Die Entscheidung ist, normativ betrachtet, aus einem Nichts geboren."615 Sprache jedenfalls ist in diesem Moment ausgesetzt. Urteilsgriinde finden sich danach - dank hinreichender Bedeurungsiiberschiisse mehrfach verfiigbarer Normensprachen - wie Sand am Meer.616 Doch erst mit dem Entscheid kommt Sprache wieder in Gang, indem sie Normierung fingiert.?" Mit dem Urteil wird freilich dasjenige, was zuvor geschieden war, namlich die unterschiedlichen Parteiinteressen, einseitig verengt - eben: entschieden. Egal, wie "adaquat" eine allfallige Kompensation ausfallt, wie genau ein Schaden verrechnet und abgegolten wird - "liquidieren" lasst sich dieser und damit der Konflikt nur symbolisch, wodurch bekanntlich zugleich das Diabolische mitgesetzt ist.618 Im Mittel der richterlichen Abgeltung und Entschadigung oder des rechtlich-politischen (umverteilenden) Ausgleichs werden die Konflikte und Parteiinteressen lediglich materialisiert bzw. monetarisiert, nicht aber wie selbstverstandlich beseitigt _619 zumal deren Wert und Quantifizierung in aller Regel streitig ist, Und so wachst durch ihre "Verwandlung" in Geld denn auch vielmehr ihre potentielle Unstillbarkeit bzw. Unersattlichkeit.620 Das Medium Geld erweist sich als ebenso ungenaue und instabile, da eigendynamische (Rechts)Grundlage wie die Sprache. Abgesehen davon ist auch die Unterscheidbarkeit von verrechenbaren und nicht verrechenbaren Konflikten nur eine erkenntnistheoretische Konstruktion. Die klare Zuordnung samtlicher Konflikte in die Kategorie Verteilungskampfe einerseits - weIehe eben als teilbare im Weg eines "Mehr-oder-Weniger" dem Kompromiss und damit ihrer Entscharfung, besser noch : Beilegung zuganglich sind - , und Anerkennungskampfe andererseits, die als soIehe keine Vermittlungslosung, nur ein "Entweder-oder", mithin keine Teilbarkeit kennen, ist unrealistisch.S! Zumal eine a-pr iori-Kategorisierung aller Konfliktfalle 615 Schmitt, Politische Theologie, S. 37 f. 616 Vgl. Wenger, Eine Formsache, S.246 ; "Das, woran sich die Entscheidung legitimiert, liegt nicht vor ihr (als pos itives Gesetz, als Kulturnorm oder Norm des freien Rechts), sondern ist (mit Hilfe des po sitiven Gesetzes, der Kulturnorm oder der Norm des freien Rechts) erst zu bewirken." Schmitt, Gesetz und Urteil, S. 97 f. 617 Zur "Sprachnormierung" vgl. Sokolowski, in: Christensen/ Midler/Patterson/ Sokolowski, Gesprach, S. 154 f. sowie Christensen, ebd., S. 155; siehe auch Christensen/Sokolowski, Wie normativ ist Sprache?, S. 73 f. und Dedeyan, Die richterliche Entscheidung,
S.233 f. 618 Vgl. Luhmann, Wirtschaft der Gesellschaft, S. 258 ff. 619 Nochmals eingehend dazu Teubner, Altera Pars Audiatur, S. 211 f.; zum Volk errecht als problematischer Problernloser vgl. ausfiihrl ich Koskenniemi, From Apolog y to Utopia, S.24 ff. 620 Vgl. Luhmann, Riickgabe , S. 53 ff. sowie (auch zum Obigen) Lyotard, Der Widerstreit, S. 286 (Nr. 242),299 (Nr.263) . 621 Vgl. aber Hirschman, Wieviel Geme insinn braucht die liberale Gesellschaft?
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Schlussfolgerungen
entweder in die eine oder die andere Gruppe ist zu rigide, mag wohl in der Theorie richtig sein, aber nichts fur die Praxis taugen (Kant). Es gibt in Bezug auf die Konfliktbewaltigung keine per se teilbaren oder unteilbaren Giiter, welche je nur enrweder der integralen Anerkennung bzw. Abweisung oder aber einem verteilenden Kompromiss zuganglich waren, Scheinbar verrechenbare Konfliktgegenstande konnen je nach Anspruchsgegner immer auch zu fur dies en unteilbaren, unverhande1baren GraBen werden, mit welchen er sich "bis zum Letzten" assoziiert bzw. identifiziert, derweil scheinbar Unverrechenbares unerwartet der Quantifizierung und Abge1tung zuganglich wird. 622 Wir erinnern hier mit Schmitt die Unberechenbarkeit und Selbstandigkeit "des Politischen't.v" die sich mit der allgemeinen Hypertrophie, einem unkontrollierten Wachstum bzw. Dominanzstreben der Systeme, nur noch zuspitzt, Gehart es doch zum dilemmatischen Credo liberal-pluralistisch gesinnter Gesellschaften, dass sie dazu tendieren, die oft beihilfeunterstiitzte Anerkennung der zunehmenden Selbstbehauptu ngsbedurfnisse ehedem unscheinbarer (privater) sozialer Systeme als legitime und angemessene Antwort auf deren vorgebliche Re1evanzsteigerung zu akzeptieren. (Das Stichwort "Polykontexturalitat" als Problemkern sei hier nur pro memoria nochmals erwahnt), Das heutige Staats- und Verwaltungsrecht ist als ein neuerzeitlicher Hybride aus der vormals obrigkeitlichen Macht qua Politik einerseits und dem urspriinglich die Verhaltnisse zwischen gleichgeordneten Privaten regelnden Recht andererseits hervorgegangen.S " Quasi als Korrektur zur Abgrenzungsfreiheit schiitzenden und so mehr inhaltsausschliellenden als -anfullenden Form der Privatrechrsordnung, erlaubt sich das politisierte affentliche Recht jenen austeilend-ausgleichenden, mitunter benevolenten Obergriff und schafft damit letztlich auch einen anderen Rechtsbegriff. Die " Ent deckung" des Rechts durch die Politik erweist sich fur dieses als im eigentlichen Sinn fata1. 625 In den Worten Luhmanns: "Ein gewaltiges Anschwellen des Normmaterials ist die Folge. Rechtsnormen werden zum Sediment vergangener Politik mit zunehmenden Schwierigkeiten bei ihrer Reliquidierung fur neue politische Ambitionen. Was an Recht vorliegt, ergibt sich nun nicht mehr aus dem Vorkommen von Konflikten, fur deren Entscheidung generalisierbare Rege1n entwickelt werden miissen; sondern das Recht schafft durch den Versuch, po liti-
622 Vgl. auch Wenger, Negative ]urisprudenz, S. 61 ff. 623 Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 26 f. 624 Uber die Inexistenz von Staats-Recht in der romischen Republik Fagen, Rornische Rechtsgeschichten, S.211; vgl. auch Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 408 ff.; iiber das vorerst unpolitische 6ffentl iche Institutionenrecht im 19.]ahrhunden konzis Wietbolter, Rechtswissenschaft, S.65, 72; vgl. auch Landwehr, Die Einh eit der Rechtsordnung in der Rechtsg eschichte, S. 46 ff. 625 Naheres zu den umsetzungstechnischen Konsequenzen fur das offentliche Recht bei Wenger, Negative ]urispruclenz, S. 52 ff.
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Vom Recht da oben
sche Ziele zu realisieren, erst die Konflikte, die zu losen es dann berufen ist, "626 Egal, auf welchen der modernen Gotter Recht und Politik sich dabei stiitzen. Ob Freiheit, Gleichheit oder Gerechtigkeit; allesamt niitzen sie ihnen als rhetorischer Diinger zur unablassigen Selbstbefruchtung qua Autopoiese zwecks Wachstum und Selbstentfaltung. Politik und Recht bilden einschlagige Beispiele fur eine ganz normale - in unserem Fall noch wechselseitig verstarkte Hypertrophie der Systeme. Ob ihre systematische d. h. systemtypische Selbstentfaltung, ihre gezielte Komplexitatssteigerung als permanente innovative Selbsterfindung und Selbstausschopfung bereits Symptome der Selbsterschopfung zeigt,627 gilt es an anderer Stelle zu erortern, Vorerst bleibt die Gewissheit, dass sich die Evolution auch um eine Systemdeformation kiimmern und neue Formen bereitstellen wiirde,
II. Vorn Recht da oben Ne in, eine Grenze hat Tyrannenmacht: Wenn der Gedriickte nirgends Recht kann finden, Wenn unertraglich wird die Last - greift er Hinauf getrosten Mutes in den Himmel Und holt herunter seine ew'gen Rechte, Die droben hangen, unveraulierlich Und unzerbrechlich wie die Sterne selbstder alte Urstand der Natur kehrt wieder, Wo Mensch dem Menschen gegemibersteht Zum letzten Mittel, wenn kein andres mehr Verfangen will, ist ihm das Schwert gegeben Der Guter hochstes diirfen wir verteid'gen Gegen Gewalt - Wir stehn vor unser Land, Wir stehn vor unsre Weiber, unsre Kinder! Stauffacher in Friedrich Schillers Wilhelm Tell (Zweiter Aufzug, Zweite Szene)
626 Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 416, vgl. auch 278. Die Verrechtlichung der Politik wurde freilich schon im 19.Jahrhundert gefordert, wobei das Recht dem Staat bzw. der Politik zu einer besonderen Legitimation verhelfen sollte. Dazu Gierke, Die Grundbegriffe des Staatsrechts und die neuesten Staatsrechtstheorien, S. 312: "Der Staat bedarf, urn die innere Kraft zur Durchfiihrung seiner Kulturmission zu erlangen, der Unterstiitzung durch den Rechtsgedanken; wiirde er lediglich als handelnde Macht empfunden, die nur wei! sie die physische Gewalt hat, bei jedem fur zweckrnassig erachteten Willensakt Gehorsam beansprucht und findet, so miisste alles politische Leben in Despotismus erstarren; und so sucht der gesunde Staat seine Macht zugleich auf das Recht zu begrunden", was nun die Staatsmacht - angesichts der heutigen "Gesetzesflut" auch nicht eben undespotisch werden lasst. 627 In diesem Sinne Teubner, Selbstsubversive Gerechtigkeit, S. 32 f. und mit N achdruck Schutz, gerechten Ton, S. 69 ff.
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Schlussfolgerungen
Die politischen Programme Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit finden in ihrer abstrakten Ausgestaltung Eing ang in die Verfassung . Aber auch dort gilt: "their abstract perfection is their practical defect" .628 Die sogenannte Einheit der Rechtsordnung, etwa als Einheit verschiedener Teilrechtsordnungen und ihrer jeweiligen Prinzipien, bricht im konkreten Fall - also dort, wo Recht iiberhaupt erst aktuell wird - auseinander und erweist sich als fragmentarisch.s" Sie kann gegeniiber den rechtssuchenden Parteien nur als Einheit bzw. Eindeutigkeit aufgefuhrt werden, indem die Urteilsbegriindung die Richtigkeit qua Rechtrnaliigkeit der so und nicht anders gefallten Entscheidung rhetorisch zwingend behauptet. Und hierzu dienen ihr ganz wesentlich die bekannten Elemente der Gesetzesaus- qua -einlegung (wie die grammatische, historisch-entstehungszeitliche ("der Gesetzgeber wollte . . .") bzw. zeitgemaBe Lesart, die systematische oder teleologische Deutung). Die Idee der Aus legung nimmt Bezug auf den Gesetzgeber. Die Gerichte und Vollzugsbehorden erweisen ihm die Referenz, fingieren dessen Souveranitat, indem sie Seine Gesetze auslegen . In der Dernokratie ist er schliefslich der neue Gott,630dessen Befehle Gerichte und Verwaltungsorgane nur ausfiihren. Dies jedenfalls suggeriert die Auslegungsrhetorik, welcher sich die Gerichte bedienen und mit welcher sie sich sowohl legitimieren als auch unschuldig reden konnen (Legendrej.v'! Die Idee, dass Recht eine objektive, im Voraus existierende GroBe sei, in welcher der eigene Fall quasi immer schon (mit)entschieden ist bzw. aus welcher ein bestimmtes Ergebnis fur den konkreten Fall mit logischer Norwendigkeit ergehe, entspricht einer weit verbreiteten allgemeinen Rechtsvorstellung,632 welche wiederum die Vorstellung qua Auffiihrung von Recht im 628 So bereits Burke tiber die Menschenrechte in seinen Reflections on the Revolution in France, S. 52 von 1789/90. 629 Man vergleiche nur die Polaritat unter den Grundrechten oder aber den Widerstreit zwischen der Vertragsfreiheit im Privatrecht und dem Antidiskrimin ierungsanspruch des Verfassungsrechts . 630 Vgl. Schmitt, Politische Theologie, S. 44 f. 631 Exemplarisch BGE 128 I 34, 41: "D ie Auslegung des Gesetzes ist zwar nicht entscheidend historisch zu orientieren, im Grundsatz aber dennoch auf die Regelungsabsicht des Geset zgebers und die damit erkennbar getroffenen Wertentscheidungen auszurichten, da sich die Zweckbezogenheit des rechtsstaatlichen Norrnverstandnisses nicht aus sich selbst begriinden lasst, sondern aus den Absichten des Gesetzgebers abzuleiten ist, die es mit Hilfe der herkomrnlichen Auslegungselemente zu ermitteln gilt." 632 Vgl. dazu bereits das Rechtsverstandnis der alten Romer: Cassirer, Axel Hagerstrorn, S. 92 H.; Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, S. 196; Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 647 f.; so auch bei Arthur Meier-Hayoz. Vgl. dazu kr itisch Amstutz, Der Text des Gesetzes, S. 261 f. oder Isay, Rechtsnorm und Entscheidung, S. 336 f.; gegen diese "Vorstellung vorn [Gesetzes]Text als einem Behalter [. .. ], worin die Entscheidung des Rechtsfalls schon enthalten sei und nur noch ausgelegt werden miisse" Muller/Christensen, Juristische Methodik, Rz.346 et passim (Erganzung D .W.); vgl. eingeh ender
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Vom Recht da oben
Einzelfall durch die Rechtsanwendung und Rechtsprechung pragt (Subsum tion, Rechtscerkennmis'Yf" Diese ergehen sich gerne in die weitgehend rhetorische Darbietung einer beruhigenden Utopie, in welcher sich die jeweiligen "Rechtsunterworfenen" verfasst und somit aufgehoben fiihlen diirfen. Just die Figur der "Rechtsunterworfenen" gibt zu verstehen, dass gleichsam "uber uns" eine bestimmte objektive Ordnung herrschen und als solche erkennbar sein soIl, obschon sie im Einzelnen - da, wo es zahlt! - gerade unklar ist. Sie steht sozusagen fur einen iiber uns wohnenden .Jieben Vater", der alle seine ihm unterstellten Kinder gleich gerecht behandelt.t" Und wei! der bis zur Franzosischen Revolution ungleich behandelte Mensch grundsatzlich an seiner Gleichbehandlung zweifelt, will er die neue Ordnung nun klar und deutlich sehen, weshalb sich der Rechtsbetrieb zumindest so auffiihren muss, als ob er gleich behandeln wiirde. 635 Die Gleichbehandlung - als Ausweis der Gerechtigkeit des Rechts - bedarf somit argumentativer Feststellung. Die Begriindung erst fabriziert jene Subsumtion unter die gewiinschten Stellen der Rechtsordnung. Nur die Begriindung schafft mithin Rechrs.erkenntnis", "findet" Recht, wenn auch erst nachtraglich; sie ist die eigentliche Recht-Fertigung, das unverzichtbare Rechtssupplernent.v" Die Erklarungen der Gegenpartei bemiihen sich dann urn die Erkenntnis, dass vorliegend gerade kein Recht, oder aber ein anderes, zu erkennen sei.637 Das Einlesen und Einpassen eines Sachverhalts in eine geeignete Norm gleicht nicht selten der
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dies., Rechtstext und Textarbeit, S. 72 ff.; vgl. auch Weber-Durter, Vertrauensschutz, S.238. D er dogmatische und/oder grundgesetzliche Begriff der "Gesetzesbindung" untersriitzt entsprechende Simulationen, Den Begriff fiir die Schwei z ablehnend Biaggini, Verfassung und Richterrecht, S. 289 f., 305 ff.; aufgrund von Art. 20 III i.V. m. Art. 97 I GG spielt der Begriff in Deutschland dogmatisch eine wichtigere Rolle. Vgl. nur Christensen, Was heilit Gesetzesbindung?; uber die mittlerweile abgedroschene Skandalisierung der Rechtsontologen Bung, Einige Grundiiberlegungen. Vgl. Schillers von Beethoven vertonte "Ode an die Freude": "Bru der ! Uber'm Stemenzeit I Mus s ein lieber Vater wohnen. I Ihr sriirzt nieder, Millionen? I Ahnest du den Schopfer, Welt? I Such ' ihn iiber 'm Sternenzelt! I Uber Sternen muss er wohnen." Zur Verankerung de s menschlich gesetzten ius im gottlichenjas bei den Rornern und anderen archaischen Kulturen vgl. Cassirer, Axel Hagerstrorn, S. 95 ff. Die Erhabenheit qua Enthobenheit und Distanz erweist seine gottliche Gerechtigkeit . Es geht urn die Unereichbarkeit der Gerechtigkeit, welche das Recht letztlich nach eigenen Kriterien (re) konstruieren und berechnen muss. Insofern binden seine "Zauber [.. .] wieder, I Was die Mode streng geteilt. ' Und so wer den ,,[a]lle Menschen [...] Bruder, I Wo [s]ein sanfter Fliigel weilt." (letzte Erganzung D.W.). Dazu Muller/Christensen, Juristische Methodik, Rz . 346 f. sowie dies., Rechtstext und Textarbeit in der Strukturierenden Rechtslehre, S. 74 ff. Hierzu auch Christensen/Lerch, Von der Bedeutung zur Normativitat, S. 109 f. 139
Schlussfolgerungen
Arbeit des Prokrustes.s'" Wer die verschiedenen Falle einer bestimmten Norm anhangt, homogenisiert Heterogenes bzw. konsentiert Dissentierendes in ein und derselben Gruppe. Es gibt keine gleichen Falle.639 Wer Ungleiches verfasst, wird sich an ihm notwendigerweise vergreifen.
638 Vgl. Berlin, Freiheit, S. 254. 639 "Erkenntnis schematisiert, ignoriert die Unterschiede, setzt Dinge einander gleich, ohne all das auf Wahrheit zu griinden . Darum heiBt erkennen immer auch verkennen." Foucault, Die Wahrheit und die juristischen Formen, S. 26 (mit Bezug auf Nietzsche).
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BBI
BGBI. BGE
BV BVerfG BVerfGE Concordia Dens.lDers. Der Staat Dies. Diss . EA Ebd . FamPra Fn. FS GG GrKG
GWU HJb
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AbkOrzungsverzeichnis IndBez InfPhii IVG i.V.m.
ius.full Joh. JZ Kor. KritV KSA Leviathan Mt. m.w.H. m.w.N. NZZ Offb. OR
Orientierung recht Rechtstheorie
Rg RGZ RJ Rn. Rz . sc. SJZ SR VerwArch ZBJV ZEuP ZfRSoz ZGB ZgS Ziff. ZSR
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